Der unabhängige Finanzexperte i.S.v. § 100 Abs. 5 AktG [1 ed.] 9783428538768, 9783428138760

Gemäß dem im Jahre 2009 in § 100 AktG neu eingefügten Abs. 5 muss jede kapitalmarktorientierte Gesellschaft über einen s

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 9783428538768, 9783428138760

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Schriften zum Wirtschaftsrecht Band 239

Der unabhängige Finanzexperte i.S.v. § 100 Abs. 5 AktG Von

Dariush Bahreini

Duncker & Humblot · Berlin

DARIUSH BAHREINI

Der unabhängige Finanzexperte i.S.v. § 100 Abs. 5 AktG

Schriften zum Wirtschaftsrecht Band 239

Der unabhängige Finanzexperte i.S.v. § 100 Abs. 5 AktG Von

Dariush Bahreini

Duncker & Humblot · Berlin

Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Philipps-Universität Marburg hat diese Arbeit im Jahre 2011 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2012 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-026X ISBN 978-3-428-13876-0 (Print) ISBN 978-3-428-53876-8 (E-Book) ISBN 978-3-428-83876-9 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2011  /  12 vom Fach­ bereich Rechtswissenschaften der Philipps-Universität Marburg als Disser­ tation angenommen. Sie befindet sich auf dem Stand vom 01.04.2011; vereinzelt konnten auch danach veröffentlichte Rechtsprechung und Literatur berücksichtigt werden. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Lars Klöhn, LL.M. (Harvard), der mich durch seine stetige Diskussionsbereit­ schaft sehr unterstützte und mir sowohl bei der Auswahl des Dissertations­ themas als auch beim Verfassen dieser Arbeit jeglichen erdenklichen wis­ senschaftlichen Freiraum gewährte. Mein weiterer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Markus Roth für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Für die wohlwollende Förderung und Unterstützung bedanken möchte ich mich bei Herrn Dr. York Schnorbus, LL.M. (UPenn), der die Anregung zu diesem Thema gegeben hat. Frau Lena-Katharina Markart und Herrn Michael Rickert bin ich für die ausdauernde Durchsicht des Manuskripts und die wertvollen Anmerkungen in der Sache sehr dankbar. Ohne die bedingungslose Unterstützung und Förderung meiner Eltern wären diese Arbeit und mein Studium nicht möglich gewesen. Meine Dank­ barkeit ihnen gegenüber ist nicht in Worte zu fassen. To my brave cousin Shayan. Frankfurt am Main, im Juni 2012

Dariush Bahreini

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 1. Kapitel  Genese 

26

A. Entstehungsgeschichte von § 100 Abs. 5 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 B. Rechtsnatur und Normadressat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 I. Besondere persönliche Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 II. Normadressat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 C. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 I. Sarbanes Oxley Act . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 II. Empirische Studien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 III. Entwicklung in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 IV. Eingeschränkte Vorbildfunktion von Sarbanes Oxley  . . . . . . . . . . . . . . 43 1. Aufbau der Unternehmensführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 2. Zwingender Charakter gesetzlicher Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 D. Die besondere Stellung des Finanzexperten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 I. Entstehungsgeschichte von Prüfungsausschüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 II. Pflicht zur Einrichtung von Prüfungsausschüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 III. Aufgaben von Prüfungsausschüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 IV. Aufgaben des unabhängigen Finanzexperten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 V. Zusätzliche Rechte und Pflichten des Finanzexperten . . . . . . . . . . . . . . 56 1. Pflicht zur Wahrung der besonderen persönlichen Merkmale . . . . . 57 2. Anspruch auf Mitgliedschaft im Prüfungsausschuss . . . . . . . . . . . . . 59 3. Besondere Kontrollrechte und Kommunikation mit dem Abschlussprüfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 Abschnittsergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 2. Kapitel Tatbestandsebene62 A. Kapitalmarktorientierte Kapitalgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 I. Europarechtlicher Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 II. Tatbestand von § 264d HGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63

10 Inhaltsverzeichnis 1. Wertpapiere i. S. d. § 2 Abs. 1 S. 1 WpHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 a) Aktien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 b) Mit Aktien vergleichbare Beteiligungstitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 c) Schuldtitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 2. Organisierter Markt i. S. d. § 2 Abs. 5 WpHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 3. Betroffene Gesellschaftsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 4. „Von ihr“ ausgegebene Wertpapiere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 a) Auswirkungen der Kapitalmarktorientierung der Tochtergesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 b) Keine Befreiung der Tochter- durch Finanzexperten der Muttergesellschaft  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 III. Ausnahmen von der Pflicht des § 100 Abs. 5 AktG . . . . . . . . . . . . . . . 72 1. Nicht kapitalmarktorientierte Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 2. Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapiere / Investmentfonds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 3. Emittenten von Asset Backed Securities . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 4. „Kleine“ Kreditinstitute  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 IV. Feststellung der Kapitalmarktorientierung im Einzelfall . . . . . . . . . . . . 75 Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 B. Unabhängigkeit i. S. v. §  100 Abs.  5 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 I. Unabhängigkeit als innere Tatsache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 II. Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 1. Grundsatz der Weisungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 2. Formale Kriterien zur Unabhängigkeit / Inkompatibilitäten . . . . . . . . 86 a) Inkompatibilität von Aufsichtsrats- und Vorstandsmandat . . . . . . 86 b) Verstoß gegen das natürliche Organisationsgefälle . . . . . . . . . . . 87 c) Verbot der Überkreuzverflechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 d) „Cooling-Off“-Periode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 e) Inkompatibilität von Aufsichtsrats- und Abschlussprüfermandat  . 92 3. Beratungsvertrag mit der Gesellschaft gem. § 114 AktG . . . . . . . . . 92 4. Kreditvergabe an Aufsichtsratsmitglieder gem. § 115 AktG . . . . . . . 95 5. Einzelfallabhängige sonstige Interessenskonflikte . . . . . . . . . . . . . . . 96 Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 III. Regelungen zur Unabhängigkeit außerhalb des AktG . . . . . . . . . . . . . . 99 1. Unabhängigkeit i. S. d. § 6 Abs. 2a Investmentgesetz . . . . . . . . . . . . 99 2. Weiteres Mitglied i. S. d. § 4 Abs. 1 MontanMitbestG . . . . . . . . . . . 101 IV. Nichtgesetzliche Materialien zur Unabhängigkeit i. S. d. BilMoG . . . . . 102 1. Deutscher Corporate Governance Kodex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 a) Rechtsqualität des DCGK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 b) Der Begriff der Unabhängigkeit gemäß Ziff. 5.4.2 DCGK . . . . . 104 2. Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben zur Unabhängigkeit . . . . . . . . . . 105 a) EU-Aktionsplan zur Verbesserung der Corporate Governance . . 105

Inhaltsverzeichnis11 b) Kommissionsempfehlung 2005 / 162 / EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 aa) Rechtsnatur der Kommissionsempfehlung . . . . . . . . . . . . . . 107 bb) Vorgaben der Kommissionsempfehlung zur Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 3. Independence i. S. d. Sarbanes-Oxley Act of 2002 . . . . . . . . . . . . . . 110 a) Sonstige Honorare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 b) Verbundene Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 4. Weitere Quellen zum Unabhängigkeitsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 V. Kriterien der Unabhängigkeit i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG . . . . . . . . . . . . 114 1. Regierungsbegründung zu § 100 Abs. 5 AktG  . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 2. Dreiteilung der Unabhängigkeitskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 3. Übereinstimmungen der Vorgaben mit den Inkompatibilitäten . . . . . 118 4. Gemeinsamkeiten der Kommissionsempfehlung und des DCGK  . . 119 a) Keine Geschäftsverhältnisse von bedeutendem Umfang . . . . . . . 120 aa) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 bb) Ausnahme im Fall der Kreditgewährung . . . . . . . . . . . . . . . 122 cc) Mehrfacher Einsatz eines Finanzexperten innerhalb eines Konzerns  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 b) Keine bedeutsamen Verbindungen zur Geschäftsführung durch Beteiligungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 c) Keine enge Verbindung zu Wettbewerbern . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 d) Keine persönliche Beziehung zu einer als abhängig geltenden Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 e) Rechtsfolge für die Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 5. Arbeitnehmervertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 a) Belegschaftsangehörige Arbeitnehmervertreter . . . . . . . . . . . . . . . 131 b) Gewerkschaftsvertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 6. Unabhängigkeit von entsandten Aufsichtsratsmitgliedern . . . . . . . . . 137 7. Unterschiede zwischen DCGK und Kommissionsempfehlung . . . . . 139 a) Rangverhältnis zwischen Kommissionsempfehlung und DCGK  . 141 b) Dauer der Karenzzeit / „Cooling-Off“-Periode ehemaliger Vorstandsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 c) Erfolgsbezogene Vergütung / Aktienoptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 d) Unabhängigkeit des Mehrheitsaktionärs oder seiner Vertreter . . . 150 aa) Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 bb) Unvereinbarkeit mit dem deutschen Mitbestimmungs- und Konzernrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 cc) Keine Abhängigkeit des Mehrheitsaktionärs de lege lata . . . 156 dd) Eigener Lösungsvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 e) „Cooling-Off“-Periode für ehemalige Abschlussprüfer . . . . . . . . 159 f) Obergrenze von 12 Jahren als unabhängiges Mitglied . . . . . . . . . 160 g) Rechtsfolge für die Unabhängigkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163

12 Inhaltsverzeichnis C. Finanzexpertise  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 I. Bisherige Gesetzeslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 II. Bisherige Rechtsprechung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 III. Besondere Anforderungen in der Finanzwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . 167 IV. Empfehlungen des DCGK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 V. Sec. 407 SOA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 VI. Finanzexpertise i. S. v. §  100 Abs.  5 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 1. Finanzexpertise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 2. Zeitpunkt des Vorhandenseins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 VII. Besondere Haftung des Finanzexperten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 1. Erhöhter Sorgfaltsmaßstab   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 2. Exkulpationsmöglichkeiten für den Finanzexperten . . . . . . . . . . . . . 178 Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 D. Erstmalige Anwendung von § 100 Abs. 5 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 I. Bei Inkrafttreten des BilMoG bereits kapitalmarktorientierte Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 II. Nach Inkrafttreten des BilMoG eingetretene Kapitalmarktorientierung. 183 Abschnittsergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 3. Kapitel

Praktische Umsetzung186

A. Die Wahl des Finanzexperten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 I. Notwendigkeit der Wahl eines Finanzexperten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 II. Vorschlagsrecht / -pflicht des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 1. Zuständigkeit für den Vorschlag innerhalb des Aufsichtsrats . . . . . . 189 2. Verfahren innerhalb des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 a) Beschlussverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 b) Abstimmungsmodalitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 III. Pflicht zur Offenlegung / Benennung des Finanzexperten . . . . . . . . . . . . 191 1. Internationales Umfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 2. Rechtslage in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 a) Pflicht zur Benennung zum Zeitpunkt der Wahl / Legitimation . . 193 b) Faktische Offenlegung und Legitimation zum Zeitpunkt der Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 IV. Externe Überprüfung der Qualifikationen bei der Wahl . . . . . . . . . . . . 196 1. Justiziabilität von § 100 Abs. 5 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 2. Zulässige Klageart  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 a) Nichtigkeit der Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 b) Anfechtbarkeit der Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 aa) Listenwahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 bb) Einzelwahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200

Inhaltsverzeichnis13 c) Anfechtungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 d) Anfechtungsgrund / Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 3. Prüfungsumfang der Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 a) Inkompatibilitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 b) Verstöße gegen Kommissionsempfehlung und DCGK . . . . . . . . . 204 c) Abweichungen von der Kommissionsempfehlung . . . . . . . . . . . . 204 d) Innere Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 B. Prüfung der Qualifikationen innerhalb der Amtsperiode . . . . . . . . . . . . 207 I. Stetige Selbstevaluation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 1. Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 2. Stimmverbot für Finanzexperten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 II. Offenlegung des Finanzexperten innerhalb der Amtsperiode  . . . . . . . . 209 1. Offenlegung im Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 2. Offenlegung in der Erklärung zur Unternehmensführung . . . . . . . . . 210 3. Faktische Offenlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 III. Externe Überprüfung während der Amtsperiode . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 1. Abschlussprüfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 2. Aufsichtsbehörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 3. Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 a) Punktuelle Überprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 b) Analoge Anwendung des Statusverfahrens (§§ 97 ff. AktG) . . . . 216 aa) Offene Regelungslücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 bb) Gesetzesanalogie und Grundsätze des Statusverfahrens . . . . 217 cc) Vergleichbarkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 dd) Für und Wider der analogen Anwendung des Statusverfahrens  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 ee) Spezifische Anpassung des Statusverfahrens . . . . . . . . . . . . 220 Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 C. Rechtsfolgen von Verstößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 I. Rechtsfolgen für Beschlüsse des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 1. Beschlussunfähigkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 2. Nichtigkeit von Aufsichtsratsbeschlüssen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 II. Pflichten und Haftung des Finanzexperten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 1. Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 2. Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 III. Pflichten des Aufsichtsratsgremiums und Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 1. Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 a) Wahlvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 b) Prüfung der Qualifikationen innerhalb der Amtsperiode . . . . . . . 229 c) Problem der fehlenden Durchsetzbarkeit von Wahlvorschlägen 230 d) Bestellung von Ersatz-Finanzexperten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 2. Haftung / Exkulpation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 Abschnittsergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233

14 Inhaltsverzeichnis 4. Kapitel Schlussbetrachtung235 A. Zusammenfassung der Ergebnisse  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 B. Rechtspolitische Würdigung, Reformbedarf und Ausblick . . . . . . . . . . . 241 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268

Abkürzungsverzeichnis a. A.

anderer Ansicht

ABS

Asset Backed Securities

Abs. Absatz AcP

Archiv für die Civilistische Praxis

AEUV

Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AblEU C 115 / 47 ff. vom 9.5.2008)

a. F.

alte Fassung

AG

Die Aktiengesellschaft (Zeitschrift)

AktG

Aktiengesetz vom 6.9.1965 (BGBl. I 1965 S. 1089)

Aktionsplan   EG-Kommission AnwBl

Mitteilung der EG-Kommission vom 21. Mai 2003: Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Verbesserung der Corporate Governance in der Europäischen Union – Akti­ onsplan Anwaltsblatt (Zeitschrift)

BB

Betriebs-Berater (Zeitschrift)

BDA

Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände e. V.

BDI

Bundesverband der Deutschen Industrie e. V.

BegrRegE

Begründung Gesetzentwurf der Bundesregierung

BGH Bundesgerichtshof BilMoG

Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts vom 25.5.2009 (BGBl. I 2009 S. 1102 ff.)

BJM

British Journal of Management

BKR

Bank- und Kapitalmarktrecht (Zeitschrift)

BörsG

Börsengesetz vom 16.7.2007 (BGBl. I 2007 S. 1330 ff.)

bspw. beispielsweise BT-Drucks.

Deutscher Bundestag-Drucksache

Bus. Law.

Business Lawyer (Zeitschrift)

BVerfG Bundesverfassungsgericht bzw. beziehungsweise CCZ

Corporate Compliance Zeitschrift

CEO

Chief Executive Director

CEPS

Centre for European Policy Studies

16 Abkürzungsverzeichnis Cont. Acc. R.

Contemporary Accounting Research (Zeitschrift)

CPA

Certified Public Accountant

CRO

Chief Risk Officer

DAI

Deutsches Aktieninstitut

DAJV

Deutsch-Amerikanische Juristen-Vereinigung e. V.

DAV

Deutscher Anwaltsverein

DB

Der Betrieb

DCGK

Deutscher Corporate Governance Kodex

DCGK-Kommission Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex Del. J. Corp. L.

Delaware Journal of Corporate Law

DGB

Deutscher Gewerkschaftsbund

DGCL

Delaware General Corporation Law

d. h.

das heißt

dies. / ders.

dieselbe / derselbe

DNotZ

Deutsche Notar-Zeitschrift

DrittelbG

Drittelbeteiligungsgesetz vom 18.5.2004 (BGBl. I 2004 S. 974)

DStR

Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift)

EBITDA

Earnings before interest, taxes, depreciation and amortization (Ertrag vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen)

EGAktG

Einführungsgesetz zum Aktiengesetz vom 6.9.1965 (BGBl. I 1965 S. 1185)

EGV

Vertrag über die Europäische Union und Vertrag zur Grün­​dung der Europäischen Gemeinschaft, Konsolidierte Version vom 16.4.2003 (AblEU C 321 E / 1 ff. vom 29.12.2006)

EuZW

Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

FAQ

Frequently Asked Questions

FAZ

Frankfurter Allgemeine Zeitung

FDP

Freie Demokratische Partei der Bundesrepublik Deutschland

FMVAStärkG

Gesetz zur Stärkung der Finanzmarkt- und Versicherungs­ aufsicht vom 31.7.2009 (BGBl. I 2009 S. 2305)

FS Festschrift GAAP

Generally Accepted Accounting Principles

GG Grundgesetz GmbH

Gesellschaft mit beschränkter Haftung

Abkürzungsverzeichnis17 GmbHG

Gesetz betreffend die Gesellschaft mit beschränkter Haftung in der in BGBl. III, Gliederungsnummer 4123-1 veröffent­ lichten, bereinigten Fassung

GuV

Gewinn- und Verlustrechnung

GWR

Zeitschrift für Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht

HFR

Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung (Zeitschrift)

HGB Handelsgesetzbuch HGBEG

Einführungsgesetz zum Handelsgesetzbuch vom 10.5.1897 (BGBl. Teil III, Gliederungsnummer 4101-1)

HKMA

Hong Kong Monetary Authority

HLG

High Level Group

h. M.

herrschende Meinung

IAS

International Accounting Standards

IFRS

International Financial Reporting Standards

IKB

IKB Deutsche Industriebank Aktiengesellschaft

IKS

Internes Kontrollsystem

InvG

Investmentgesetz vom 15.12.2003 (BGBl. I 2003, 2676)

IPO

Initial Public Offering

IRZ

Zeitschrift für Internationale Rechnungslegung

i. S. d. / v.

im Sinn des / von

Iwd

Institut der deutschen Wirtschaft, Köln

J. Corp. Finance

Journal of Corporate Finance

JLEO

Journal of Law, Economics, & Organization

JuS

Juristische Schulung (Zeitschrift)

JZ

Juristen Zeitung (Zeitschrift)

KAGG

Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften vom 9.9.1998 (BGBl. 1998 S. 2726) (siehe auch InvG)

KGaA

Kommanditgesellschaft auf Aktien

Kodex

siehe DCGK

Kodex-Kommission

Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex

Kommissions-   empfehlung

Empfehlung der Kommission vom 15. Februar 2005 zu den Aufgaben von nicht geschäftsführenden Direktoren / Auf­ sichtsratsmitgliedern börsennotierter Gesellschaften sowie zu den Ausschüssen des Verwaltungs- / Aufsichtsrats (2005 / 162 /  EG)

KonTraG

Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbe­ reich vom 30.4.1998 (BGBl. I 1998 S. 786)

18 Abkürzungsverzeichnis KStG

Körperschaftssteuergesetz vom 31.8.1976 (BGBl. I 1976 S. 4144)

LA

Liber Amicorum

LCM

Listed Company Manual

LPartG

Gesetz über die Eingetragene Lebenspartnerschaft vom 16.2.2001 (BGBl. I 2001 S. 266)

MiFID

Richtlinie 2004 / 39 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstru­mente (AblEU L 145 vom 30.4.2004, S. 1 ff.)

MitbestErgG

Montanmitbestimmungsergänzungsgesetz vom 7.8.1956 ­(BGBl. I 1956 S. 707 )

MitbestG

Mitbestimmungsgesetz vom 4.5.1976 (BGBl. I 1976 S. 1153)

MitRhNotK

Mitteilungen der Rheinischen Notarkammer

MontanMitbestG

Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie vom 21.5.1951 (BGBl. III Gliederungsnummer 801-2)

m. w. N.

mit weiterem Nachweis

NASD

National Association of Securities Dealers

NYSE

New York Stock Exchange

NZA

Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht

NZG

Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht

o. ä.

oder ähnliches / m

ÖAktG

Österreichisches Aktiengesetz 1965

ÖCGK

Österreichischer Corporate Governance Kodex

OECD

Organisation for Economic Cooperation and Development

OGAW

Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapiere

OGH

Oberster Gerichtshof (Österreich)

ÖJZ

Österreichische Juristen Zeitung

PublizitätsG

Gesetz über die Rechnungslegung von bestimmten Unter­ nehmen und Konzernen – Publizitätsgesetz vom 15.8.1969 (BGBl. I 1969 S. 1189)

RdW

Österreichisches Recht der Wirtschaft

RIW

Recht der Internationalen Wirtschaft

ROE

Return on Equity

SCEAG

Gesetz zur Ausführung der Verordnung (EG) Nr. 1435 / 2003 des Rates vom 22.7.2003 über das Statut der Europäischen Genossenschaft (SCE) vom 14.8.2006 (BGBl. I 2003 S. 1911)

Abkürzungsverzeichnis19 SE

Societas Europaea (Europäische Gesellschaft)

SEA

Securities Exchange Act of 1934

SEAG

Gesetz zur Ausführung der Verordnung (EG) Nr. 2157 / 2001 des Rates vom 8.10.2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) (SE-Ausführungsgesetz) (BGBl. I 2001 S. 3675)

SEBG

Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer Europäischen Gesellschaft (SE-Beteiligungsgesetz) (BGBL I 2004 S. 3675)

SEC

U.S. Securities and Exchange Commission

SOA

Sarbanes-Oxley Act of 2002

sog. sogenannt SPD

Sozialdemokratische Partei Deutschlands

SRO

Self-Regulatory Organization

TransPuG

Gesetz zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zur Transparenz und Publizität vom 19.7.2002 (BGBl. I 2002, S. 2681)

u. a.

unter anderem

UMAG

Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts vom 22.9.2005 (BGBl. I 2005, S. 2802)

VAG

Versicherungsaufsichtsgesetz vom 17.12.1992 (BGBl. I 1993, S. 2)

vgl. vergleiche VorstAG

Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung vom 5.8.2009 (BGBl. I 2009, S. 2509)

VVG

Versicherungsvertragsgesetz vom 23.11.2007 (BGBl. I 2007, S. 2631)

WiPrO

Gesetz über eine Berufsordnung der Wirtschaftsprüfer (Wirtschaftsprüferordnung) vom 5.11.1975 (BGBl. I 1975 S. 2803)

WM

Wertpapier Mitteilungen – Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht

WPg

Die Wirtschaftsprüfung (Zeitschrift)

WpHG Wertpapierhandelsgesetz ZBH

Zentralblatt für Handelsrecht

ZGR

Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht

ZHR

Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht

Ziff. Ziffer ZIP

Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

Einleitung § 111 Abs. 1 Aktiengesetz („AktG“) legt für Aktiengesellschaften fest, dass die (Haupt-)Aufgabe des Aufsichtsrats die Überwachung der Geschäfts­ führung ist – „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist Pflicht“.1 Die Überwachungsfunktion von Aufsichtsräten über die Führung des operativen Geschäfts durch Vorstände ist auf nationaler wie internationaler Ebene, dort entsprechend dem jeweiligen System die Überwachung durch den Verwaltungsrat oder das Board, schon immer Gegenstand juristischer und ökonomischer Debatten gewesen.2 Die Anforderungen des Publikums aber auch der sachverständigen Kreise an die Leistung von Aufsichtsrats­ mitgliedern sind dabei ständig gewachsen. Der Posten des Aufsichtsratsmit­ glieds wandelt sich vom Prestigeposten zum professionellen Mandat.3 Die Rolle des Aufsichtsrats ist in den vergangen Jahren durch zahlreiche Gesetzgebungsmaßnahmen nachhaltig gestärkt worden, von denen die vier wichtigsten nachstehend genannt seien: Das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich4 („KonTraG“), das Gesetz zur weite­ 1  Zitiert nach Probst / Becker, Der Aufsichtsrat 2009, 176; Schüppen, ZIP 2002, 1269. 2  Vgl. zur frühen Kritik und ihrem dauerhaften Bestehen: Stier-Somlo, ZHR 52 (1903), 20, 31 ff.; Cahn, ZBH 1927, 47 ff.; Wardenbach, S. 5 ff. (1995); Übersicht m. w. N. bei Roth, ZHR 175 (2011), 605, 620 f.; Lutter, in: Bayer / Habersack, Band II, S.  392 ff. 3  Semler, FS K. Schmidt, 2009, 1489, 1497; Labbé / Wiedemann, Der Aufsichtsrat 2009, 127; Lutter, EuZW, 2009, 799, 802; Müller, Handelsblatt Nr. 69 vom 12.4.2010, S. 11; Wittman, DB 2007, 2579; Wirth, ZGR 2005, 327. 4  BGBl. I 1998, S. 786; durch das KonTraG in Kraft getretene (für diese Arbeit) bedeutende Neuerungen in Bezug auf den Aufsichtsrat sind § 100 Abs. 2 S. 3 AktG, wonach für die Höchstzahl von Aufsichtsratsmitgliedschaften (§ 100 Abs. 2 Ziff. 1 AktG) der Vorsitz im Aufsichtsrat bei der Berechnung doppelt zählt, §§ 111 Abs. 2 S. 3, 171 Abs. 1 S. 2 AktG, durch die dem Aufsichtsrat die Zuständigkeit zum Ab­ schluss des Vertrags mit dem Abschlussprüfer eingeräumt und die Pflicht auferlegt wird, den Abschlussprüfer zu seiner Sitzung über den Jahresabschluss einzuladen und anzuhören sowie § 91 Abs. 2 AktG, der die Pflicht zur Überwachung des vom Vorstand einzurichtenden Risikomanagement-Systems nun auch gesetzlich verankert; eine zusammenfassende Darstellung der wesentlichen Änderungen durch das Kon­ TraG findet sich bei Hommelhoff / Mattheus, AG 1998, 249  ff. und Feddersen, AG 2000, 385 ff.

22 Einleitung

ren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität5 („TransPuG“), das Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts6 („UMAG“) sowie das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung7 („VorstAG“).8 Nun ist es nicht ausreichend, nur die Rolle des Aufsichtsrats zu stärken, sondern parallel dazu muss auch die fachliche Kompetenz des Gremiums gesteigert werden, da dessen Qualifi­ kation eine überaus wichtige Rolle für die Leistungsfähigkeit des gesamten Unternehmens spielt.9 5  BGBl. I 2002, S. 2681; für Aufsichtsräte war das TransPuG u. a. dadurch von Bedeutung, dass sie nun gemäß § 111 Abs. 4 S. 2 AktG dazu verpflichtet sind, einen Katalog zustimmungspflichtiger Geschäftsführungsmaßnahmen zu verabschieden, gemäß § 90 Abs. 3 S. 2 AktG jedes Aufsichtsratsmitglied auch alleine einen Zusatz­ bericht vom Vorstand verlangen kann und der Vorstand in den Jahresberichten an den Aufsichtsrat nach § 90 Abs. 1 Ziff. 1 AktG auch auf die Unternehmensplanung und auf Abweichungen von diesen Planungen unter Angabe von Gründen einzuge­ hen hat; dazu Hucke / Ammann, DStR 2002, 689. 6  BGBl. I 2005, S. 2802; für den Aufsichtsrat von Bedeutung war hier die Kodi­ fikation der sog. Business Judgement Rule in § 93 Abs. 1 S. 2 AktG für den Vor­ stand, die durch den Verweis von § 116 AktG auf § 93 AktG Auswirkungen auf den Haftungsmaßstab von Aufsichtsratsmitgliedern hat. Zur Business Judgement Rule BGH v. 21.4.1997 – II ZR 175 / 95, BGHZ 135, 244 („ARAG / Garmenbeck“); Fleischer, ZIP 2004, 685; Hopt / Roth, FS Böckli 2006, 414, 417 ff.; rechtsvergleichend dazu Fleischer, in: FS Wiedemann, 2002, 827 ff. 7  BGBl. I 2009, S. 2479, insbesondere bedeutsam durch die Einführung einer Karenzzeit („Cooling-Off“-Periode) für den Wechsel vom Vorstand in den Aufsichts­ rat, § 100 Abs. 2 S. 1 Ziff. 4 AktG, siehe dazu 2. Kapitel B. II. 2. d) und V. 7. b). 8  Zur Professionalisierung des Aufsichtsrats Lutter, DB 2009, 775 ff.; Rieder / Holzmann, AG 2010, 570, 571. 9  Rein logisch ergibt sich, dass eine effektive Kontrolle des Vorstandes nur mög­ lich ist, wenn der Aufsichtsrat fachlich auf gleicher Höhe mit dem Vorstand steht, vgl. Lutter / Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats Rn. 24 ff.; Schneider, WPg 2011, 70, 72; Weber-Rey, FAZ vom 1.4.2009, Nr. 77, S. 23; v.  Werder / Wieczorek, DB 2007, 297; zum aktuellen, mangelhaften Zustand Lutter, EuZW 2009, 799, 802. Die jüngst von Hau / Thum veröffentlichte Studie stellt eine Verbindung zwischen fehlender fachlicher Kompetenz der Aufsichtsratsmitglieder und der Höhe der Ab­ schreibungen und Verluste von deutschen Banken während der Subprime-Krise her. Die Quartalsberichte der größten deutschen Kreditinstitute vom ersten Quartal 2007 bis zum dritten Quartal 2008 zeigten deutlich, dass die privaten Banken merklich weniger Abschreibungen aufgrund sog. „toxischer Papiere“ vornehmen mussten, als ihre staatlich geführten Pendants, insbesondere die Landesbanken. Dies lässt sich nach der Studie maßgeblich darauf zurückführen, dass die Aufsichtsräte der staatlich geführten Institute häufig mehrheitlich mit Mitgliedern mit politischem Hintergrund aber fehlender Finanzexpertise besetzt sind, die die Risiken der komplexen Derivate nicht richtig bewerten konnten und daher ihrer Überwachungs- und Kontrollfunktion nur unzureichend nach gekommen sind. Harald Hau / Marcel Thum, Subprime Crisis and Board (In-)Competence: Private vs. Public Banks in Germany, ECGI Working

Einleitung23

Mit dem Thema der erforderlichen fachlichen Qualifikationen und Unab­ hängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder befasst sich aktuell der durch das Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts10 (Bilanzrechtsmodernisie­ rungsgesetz – „BilMoG“) neu eingefügte Absatz 5 von § 100 AktG. Dieser fordert von kapitalmarktorientierten Gesellschaften, dass ihre Aufsichtsräte und / oder Prüfungsausschüsse fortan über wenigstens ein unabhängiges Mit­ glied verfügen müssen, das Sachverstand auf den Gebieten der Rechnungs­ legung und / oder Abschlussprüfung aufweist. Was es mit diesem unabhängi­ gen Aufsichtsratsmitglied auf sich hat und welche Rechtsfolgen seine (Nicht-)Präsenz auslöst, ist wenig geklärt. Auf den ersten Blick mag die Neuerung als Marginalie erscheinen, was jedoch mitnichten der Fall ist.11 Eine eingehende Untersuchung der Thematik des unabhängigen Finanzex­ perten im Aufsichtsrat ist auf Grund der wirtschaftlichen Bedeutung unum­ gänglich. Bei derartigen strukturellen Veränderungen in der Unternehmens­ führung der börsennotierten Aktiengesellschaften und Eingriffen in die Or­ ganisationsautonomie des Aufsichtsrats liegt die wirtschaftliche Relevanz und Brisanz des Themas auf der Hand. Darüber hinaus mussten Anleger schon zum zweiten Mal innerhalb von zehn Jahren – einmal nach dem Dotcom-Hype und aktuell im Zuge der Finanzmarktkrise – dramatische Kursverluste verkraften. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund sind sämt­ liche Möglichkeiten zu untersuchen, durch die es in Zukunft gelingen könn­ te, folgenschwere unternehmerische Fehlentscheidungen zu verhindern. Schließlich ist zu erwarten, dass die neue Bestimmung von § 100 Abs. 5 AktG in den Fragen der Aktionäre und ihrer Vertreter in den Hauptver­ sammlungssaisons der nächsten Jahre eine Rolle spielen wird. Die Brisanz der Thematik entsteht durch die zu befürchtende Möglichkeit, bei den stets einzukalkulierenden (missbräuchlichen) Aktionärsanfechtungsklagen dem Arsenal der Berufskläger auf dem prestigeträchtigen Gebiet der Aufsichts­ ratswahlen durch die Rechtsunsicherheiten in Bezug auf die neue Rechts­ figur ein weiteres, schlagkräftiges Instrument hinzuzufügen. Diese Arbeit macht es sich zur Aufgabe, in einem ersten Schritt die neue Rechtsfigur in einen größeren Gesamtzusammenhang einzuordnen (1. Kapi­ tel), um sodann aus dem Blickwinkel des deutschen Aktien-, Börsen- und Gesellschaftsrechts die tatbestandlichen Einzelheiten auszuleuchten (2. Ka­ pitel). Darauf aufbauend sollen die Rechtsfolgen dargestellt werden, die der Gesellschaft, dem Aufsichtsratsgremium und dem unabhängigen Aufsichts­ Paper Series in Finance No. 247 / 2009, S. 19–20, abrufbar unter: http: /  / papers.ssrn. com / sol3 / papers.cfm?abstract_id=1360698##. 10  BGBl. I 2009, S. 1102. 11  Vgl. Staake, ZIP 2010, 1013; Theisen, in: Freidank  / Altes (Hrsg.), Ziele und Mittel des BilMoG, S. 347.

24 Einleitung

ratsmitglied bei Verstößen gegen die neuen gesetzlichen Anforderungen drohen. Dieser Teil soll Möglichkeiten aufzeigen, wie § 100 Abs. 5 AktG in der Praxis umzusetzen ist, und wie die Angriffsfläche für Anfechtungskla­ gen möglichst zu minimieren ist (3. Kapitel). Zuletzt unternimmt sie eine erste rechtspolitische Würdigung und empfiehlt verschiedene Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung der neuen Rechtsfigur des § 100 Abs. 5 AktG (4. Kapitel). Die angestrebten klaren Ergebnisse erhöhen die Fläche und das Risiko von Kritik gegen diese Arbeit, was jedoch zu Gunsten der höheren Praxistauglichkeit in Kauf genommen werden soll. Die Bezeichnung „unabhängiger Finanzexperte“ Ohne bereits an dieser Stelle die vielen unterschiedlichen Definitionen des Begriffs des unabhängigen Finanzexperten darstellen zu wollen, soll kurz auf die Bezeichnung „unabhängiger Finanzexperte“ eingegangen wer­ den. Der Gesetzgeber spricht in § 100 Abs. 5 AktG von einem unabhängigen Mitglied des Aufsichtsrats, das über Sachverstand auf den Gebieten der Rechnungslegung oder der Abschlussprüfung verfügen solle. Damit wird deutlich, dass der Finanzierungsexperte keine Finanzexpertise im Sinn der traditionellen Finanzierungsbegriffe aus der Kreditwirtschaft oder der Unter­ nehmensfinanzierung (wie beispielsweise in den Bereichen der Kapitalstruk­ tur und -beschaffung oder des Cash-Flow) aufzuweisen hat. Vielmehr ist hier eine Person gesucht, die Kenntnisse und Erfahrungen in der Anwendung von Rechnungslegungsgrundsätzen sowie internen Kontrollverfahren besitzt, also eher ein Bilanz-, Jahresabschluss- und, im Falle seiner Aufstellung, ein Konzernabschlussexperte. Es würde sich daher empfehlen von einem unab­ hängigen Rechnungslegungssachverständigen oder -experten zu sprechen.12 Aufgrund des inzwischen fest etablierten Terminus13 des „unabhängigen Finanzexperten“ wird allerdings im Folgenden im Interesse eines einheitli­ chen Sprachgebrauchs dennoch stets der griffigere Begriff des unabhängigen Finanzexperten verwendet werden, wenn von dem Aufsichtsratsmitglied i. S. d. § 100 Abs. 5 AktG die Rede ist. Soweit im Folgenden von dem Finanzexperten gesprochen wird, soll dies unter keinen Umständen ausschließen, dass es auch unabhängige Finanzexpertinnen geben kann, soll und muss. Dies soll vor der aktuellen Entwick­ lung zur Förderung von qualifizierten weiblichen Fachkräften hin zu Auf­ 12  Die SEC spricht aus diesem Grund ganz bewusst von einem „Independent Audit Committee Financial Expert“, vgl. Release No. 33-8177, II. A. 1, abrufbar unter http: /  / www.sec.gov / rules / final / 33-8177.htm; Luttermann, BB 2003, 745, 746. 13  Ebenso Sünner, FS Uwe H. Schneider 2011, 1301; Widmann, BB 2009, 2602; Wind / Klie, DStR 2010, 1339.

Einleitung25

sichtsratsmitgliedern („Gender Diversity“) an dieser prominenten Stelle der Arbeit hervorgehoben werden.14 Allein zur Verbesserung der Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung weiblicher und männlicher Sprach­ formen (Finanzexperten / Innen) verzichtet.

14  Vgl. Ziff. 5.4.1 Abs. 2 S. 2 Deutscher Corporate Governance Kodex; zur Not­ wendigkeit Weber-Rey, WM 2009, 2255, 2262; dies. zur Anpassung des DCGK NZG 2011, 1 ff.; zur Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlichen Mindestquote von 33 % Wieland, NJW 2010, 2408 ff.

1. Kapitel

Genese Der zentrale Gegenstand dieser Arbeit ist § 100 Abs. 5 AktG, der neue Anforderungen an die Zusammensetzung des Aufsichtsrats von Aktienge­ sellschaften in das Aktiengesetz eingeführt hat. Es heißt dort: „(5)  Bei Gesellschaften im Sinne des § 264d des Handelsgesetzbuches muss min­ destens ein unabhängiges Mitglied des Aufsichtsrats über Sachverstand auf den Gebieten Rechnungslegung oder Abschlussprüfung verfügen.“

A. Entstehungsgeschichte von § 100 Abs. 5 AktG Bislang enthielt § 100 AktG nur vier Absätze. Der neue fünfte Absatz wurde dem § 100 AktG durch Artikel 5 Ziff. 3 des BilMoG angefügt.15 Die erste konkrete Fassung des BilMoG geht zurück auf den Referen­ tenentwurf des Bundesjustizministeriums vom 8. November 2007. Der ers­ te in den Amtsblättern veröffentlichte Gesetzesentwurf des BilMoG ist der vom Bundeskabinett beschlossene Entwurf vom 23. Mai 2008 („Regie­ rungsentwurf“), der teilweise, insbesondere in den Begründungen, erheb­ lich vom Referentenentwurf abweicht.16 Es folgten weitere Entwürfe und auf (zum Teil nichtöffentliche) Anhörungen von Sachverständigen17 und Empfehlungen des Bundesrates18 zurückgehende Änderungen des Regie­ rungsentwurfs. In keiner der Beratungen des Bundestages zum BilMoG wurde auf das unabhängige Aufsichtsratsmitglied i. S. d. § 100 Abs. 5 AktG eingegangen.19 Am 29. Mai 2009 ist das BilMoG nach fast zweijähriger Beratungsdauer und einjähriger Verfahrensdauer in der Fassung der Be­ schlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses („Beschluss­ 15  BGBl. I

2009, S. 1102, 1122. 344 / 08 und BT-Drucks. 16 / 10067. 17  In diesem Zusammenhang insbesondere zu nennen, sind die öffentlichen Stel­ lungnahmen von Prof. Dr. J. Hennrichs sowie von Matthias Müller (DBG) vom Dezember 2008. 18  BR-Drucks. 344 / 1 / 08; BR-Drucks. 344 / 08(B). 19  Vgl. Stenografische Protokolle 16. Wahlperiode 179. Sitzung vom 25.9.2008 (S. 19125(B)) und 214. Sitzung vom 26.3.2009 (S. 23212(A)–23220(C)). 16  BR-Drucks.



A. Entstehungsgeschichte von § 100 Abs. 5 AktG27

empfehlung des Rechtsausschusses“)20 einen Tag nach seiner Verkündung in Kraft getreten. Das BilMoG fügt als sog. Artikelgesetz neue Vorschriften in bereits be­ stehende Gesetze ein. Hauptaugenmerk der Reformen durch das BilMoG war die Deregulierung des Bilanzrechts.21 Der Gesetzgeber verfolgt mit den Gesetzesänderungen das Ziel, Unternehmen von vermeidbarem Bilanzie­ rungsaufwand zu befreien, eine gleichwertige, jedoch einfachere und kos­ tengünstigere Alternative zu den International Financial Reporting Standards („IFRS“) zu schaffen und die Aussagekraft von handelsrechtlichen Jahres­ abschlüssen zu verbessern.22 Die überwiegende Anzahl der Neuerungen betrifft daher das Handelsgesetzbuch und die dortigen Vorschriften zur Buchführung und Rechnungslegung. Zugleich23 diente das BilMoG aber auch der Umsetzung der Richtlinie 2006 / 43 / EG des Europäischen Parla­ ments und des Rates vom 17. Mai 2006 über Abschlussprüfungen von Jahresabschlüssen und konsolidierten Abschlüssen24 („Abschlussprüferricht­ linie“). Art. 53 Abs. 1 der Abschlussprüferrichtlinie verpflichtete die Mit­ gliedstaaten zu einer Umsetzung der Vorgaben der Richtlinie bis zu 29. Ju­ ni 2008. Die Umsetzung durch das BilMoG erfolgte mithin verspätet.25 Art. 41 Abs. 1 S. 1 der Abschlussprüferrichtlinie besagt, dass jedes Unter­ nehmen von öffentlichem Interesse einen Prüfungsausschuss einrichten soll.26 Gemäß S. 3 muss von den Mitgliedern dieses Prüfungsausschusses wenigstens eines unabhängig sein und über Sachverstand auf den Gebieten der Rechnungslegung und  /  oder Abschlussprüfung verfügen. § 100 Abs. 5 AktG ist die zentrale Norm, durch die die Vorgaben der Abschlussprüfer­ richtlinie vom deutschen Gesetzgeber in nationales Recht umgesetzt wurden. 20  BT-Drucks.

16 / 12407 vom 24.3.2009: NZG 2010, 292; Gruber, NZG 2008, 12; Schilmar, Der Aufsichtsrat 2009, 101; Staake, ZIP 2010, 1013. 22  RegBegr. zum BilMoG, BT-Drucks. 16 / 10067, S. 1; Ehlers / Nohlen, Gedächt­ nisschrift Gruson 2009, 107; Ernst / Sassen, in: Freidank / Altes (Hrsg.), Ziele und Mittel des BilMoG, S. 31 ff.; Petersen / Zwirner, BilMoG, S. 5. 23  Zu Recht sehr kritisch dazu Theisen, in: Freidank  / Altes (Hrsg.), Ziele und Mittel des BilMoG, S. 345 („Umsturz der Corporate Governance als Mogelpackung im Beiwagen der Bilanzrechtserneuerung“); ebenso Rieder / Holzmann, AG 2010, 570, 574. 24  AblEU Nr. L 157 vom 17. Mai 2006, S. 87 ff. 25  Zu den Folgen der verspäteten Umsetzung von Richtlinien Schnorbus, AcP 201 (2001), 860, 863 m. w. N. 26  In der deutschen Übersetzung der Abschlussprüferrichtlinie heißt es zwar: „Je­ des Unternehmen von öffentlichem Interesse hat einen Prüfungsausschuss.“ In der englischen Originalfassung heißt es jedoch: „Each public-interest entity shall have an audit committee.“ 21  Gernoth,

28

1. Kap.: Genese

Bei der neuen Regelung zum unabhängigen Finanzexperten war der deut­ sche Gesetzgeber überaus zurückhaltend, vermutlich aufgrund der Erwä­ gung, dass er eine („mehr oder weniger“) 1:1-Umsetzung der europäischen Vorgaben nicht weiter zu begründen bräuchte.27 § 100 Abs. 5 AktG besteht aus nur einem Satz, die Regierungsbegründung ist etwas ausführlicher, ver­ mag aber auch nur eingeschränkt Licht ins Dunkel zu bringen. Es verbleiben zahlreiche offene Fragen, genannt seien hier rein beispielhaft und nicht abschließend die zwei Fragen, wer erstens das Vorliegen von Finanzexper­ tise und Unabhängigkeit in der Person des entsprechenden Aufsichtsratsmit­ glieds feststellt sowie überprüft und zweitens ob, und gegebenenfalls wie und wo die betroffene Gesellschaft die Person des Finanzexperten offenle­ gen muss. Diese offenen Fragen lassen sich zwar unter teleologischen Ge­ sichtspunkten im Lichte der Aufgaben und des Zwecks des unabhängigen Finanzexperten lösen. Aufgrund der fehlenden Wortlautgrenze balanciert man bei rein teleologischer Auslegung jedoch auf dem schmalen Grat zwi­ schen Rechtswirklichkeit und rechtspolitisch Erwünschtem und läuft Gefahr sich vorhalten lassen zu müssen, dass die Ergebnisse zwar sachlich viel für sich hätten, aber keine Grundlage im Gesetz fänden.28 Da die Gesetzesgeschichte und der Zweck von § 100 Abs. 5 AktG maß­ geblich durch europarechtliche Vorgaben geprägt sind, haben Interpretation und Anwendung im Lichte der europarechtlichen Vorgaben zu erfolgen. Insbesondere dort, wo der deutsche Gesetzgeber weder im Gesetz noch in der Gesetzesbegründung eine Problematik geregelt hat, spielt der Rückgriff auf die europarechtlichen Quellen eine wichtige Rolle.

B. Rechtsnatur und Normadressat Nach dem klaren Wortlaut („muss“) hat § 100 Abs. 5 AktG im Falle der Kapitalmarktorientierung der Gesellschaft zwingenden Charakter, die Sat­ zung kann nicht abweichen (§ 23 Abs. 5 AktG). Selbst die Hauptversamm­ lung kann im Rahmen der Wahl der Aufsichtsratsmitglieder nicht von der Vorgabe abweichen. Durch § 100 Abs. 5 AktG beschränkt der Gesetzgeber mithin die Autonomie der Anteilseigner und die Wahlfreiheit der Hauptver­ sammlung.29 27  Zu Recht sehr kritisch dazu Theisen, in: Freidank  / Altes (Hrsg.), Ziele und Mittel des BilMoG, S. 345 ff. 28  So beispielsweise die Kritik von Sünner, AG 2010, 111 an den Ergebnissen von Schilmar, Der Aufsichtsrat 2010, 101, 103 zum Wahlverfahren des unabhängi­ gen Finanzexperten. 29  Vetter, ZGR 2010, 751, 787; zum Problem, wenn die Hauptversammlung kei­ nen Finanzexperten wählt, siehe 3. Kapitel C. III. 1. c).



B. Rechtsnatur und Normadressat29

I. Besondere persönliche Voraussetzungen Systematisch wurde die Vorgabe aus Art. 41 der Abschlussprüferrichtlinie im Zuge der Umsetzung in nationales Recht in § 100 AktG verortet. Sie fällt damit unter die amtliche Überschrift „Persönliche Voraussetzungen für Aufsichtsratsmitglieder“. Bislang enthielt § 100 AktG in den Absätzen 1 und 2 positive (Abs. 1) und negative (Abs. 2) Voraussetzungen, die zwingend für alle Aufsichtsratsmitglieder galten.30 Die von Gesetzes wegen an­ geordneten „Persönlichen Voraussetzungen“ i. S. v. § 100 AktG sind daher als Mindestvoraussetzung für die Übernahme und Führung eines Aufsichts­ ratsmandats zu qualifizieren. Erfüllt ein Kandidat die Mindestvoraussetzun­ gen nicht, kann er nicht Aufsichtsratsmitglied sein. Dieser klaren Zweiteilung (zur Amtsführung tauglich oder untauglich) wird durch den neuen Abs. 5 eine dritte Ebene hinzugefügt. Nur mindestens ein Aufsichtsratsmitglied, d. h. im Umkehrschluss nicht zwingend alle, muss die geforderten Qualifikationsmerkmale der Unabhängigkeit und des Sach­ verstandes erfüllen. Aufsichtsratsmitglied kann mithin auch der sein, der die Anforderungen von Absatz 5 nicht erfüllt. Anders als die Absätze 1 und 2 enthält Absatz 5 dogmatisch somit keine persönlichen Voraussetzungen i. S. v. Mindestvoraussetzungen, sondern zusätzliche persönliche Merkmale. Die Gruppe der nach Absätzen 1 und 2 grundsätzlich tauglichen Personen wird durch Absatz 5 aufgeteilt in einerseits diejenigen, die die zusätzlichen Merkmale nicht erfüllen („normale“ Aufsichtsratsmitglieder) und anderer­ seits diejenigen, die die zusätzlichen Qualifikationsmerkmale erfüllen (die unabhängigen Finanzexperten), wobei letztere die zahlenmäßig deutlich kleinere Gruppe darstellen werden.31 Die weitere Besonderheit von § 100 Abs. 5 AktG ergibt sich daraus, dass nach dem Gesetzeswortlaut zwar kein spezielles Aufsichtsratsmitglied per­ sönlich verpflichtet ist, die zusätzlichen Merkmale zu erfüllen. Erfüllt aber keines der Mitglieder die zusätzlichen Merkmale, so ist der Aufsichtsrat in seiner Gesamtheit auf Grund des Verstoßes gegen § 100 Abs. 5 AktG fehler­ haft besetzt. Mithin handelt es sich bei § 100 Abs. 5 AktG zwar um keine Mindestvoraussetzung für die einzelnen Mitglieder, aber sehr wohl um eine zwingende Mindestvoraussetzung an die Zusammensetzung des Gesamtgre­ miums.32 Von den anderen Mindestanforderungen an die Zusammensetzung vieler Hopt / Roth, Großkomm-AktG, Band 4, § 100 Rn. 16, 96. BB 2009, 2602, 2903; zur Frage, ob sich aus der Stellung als unab­ hängiger Finanzexperte besondere Rechte und Pflichten ergeben, siehe unten 1. Ka­ pitel D. V., 2. Kapitel C. VII. und 3. Kapitel C. II. 32  Drygala, in: K. Schmidt  / Lutter, Band I, § 100 Rn. 64; Diekmamm / Bidmon, NZG 2009, 1087, 1091; Falkenhausen / Kocher, ZIP 2009, 1601, 1602; Staake, ZIP 30  Statt

31  Widmann,

30

1. Kap.: Genese

des Gremiums, beispielsweise die Mitgliederzahl oder Sitzungsfrequenz, un­ terscheidet sich § 100 Abs. 5 AktG jedoch auch, da erstmals keine quantitati­ ven, sondern qualitative Mindestanforderungen gestellt werden. § 100 Abs. 5 AktG hat mithin einen uneinheitlichen Rechtscharakter: Zwingende Mindestvoraussetzung für das Gesamtgremium einerseits und nicht zwingende, zusätzliche persönliche Merkmale für das einzelne Auf­ sichtsratsmitglied andererseits. Eindeutig sind die Rechtsfolgen für das Gesamtgremium im Falle des Wegfalls der besonderen Qualifikationen des Finanzexperten. Hier ist zu differenzieren: Der Wegfall der zusätzlichen persönlichen Merkmale in der Person eines Finanzexperten ist unerheblich, solange noch wenigstens ein anderer Finanzexperte im Gremium vertreten ist. Der Aufsichtsrat ist dann noch immer entsprechend den Vorgaben von § 100 Abs. 5 AktG besetzt. Entfällt dagegen eines der zusätzlichen persön­ lichen Merkmale auch beim einzigen, letzten Finanzexperten, ergeben sich erhebliche Folgen: Zum einen ist der Aufsichtsrat nun wegen Verstoßes gegen die zwingende Vorgabe von § 100 Abs. 5 AktG fehlerhaft besetzt. Zum anderen verstößt jedes einzelne Aufsichtsratsmitglied im Falle der fehlerhaften Besetzung des Gesamtaufsichtsrats gegen seine schadensersatz­ bewehrte allgemeine Sorgfaltspflicht (§§ 116, 93 AktG), auf eine dem Ge­ setz entsprechende Zusammensetzung des Aufsichtsrats hinzuwirken.33 Problematisch ist hingegen, welche Folgen der Wegfall der besonderen Merkmale für den (ehemaligen) Finanzexperten hat. Von großer Bedeutung ist, ob die beiden unterschiedlichen Rechtscharaktere von § 100 Abs. 5 AktG getrennt zu betrachten sind oder in ihrer Wechselwirkung zu einan­ der. Bei strikter Trennung der beiden unterschiedlichen Rechtscharaktere von § 100 Abs. 5 AktG ergäben sich folgende Konsequenzen: Für das ein­ zelne Aufsichtsratsmitglied würde eine Trennung und die Eigenschaft von Abs. 5 als lediglich zusätzliches Merkmal und nicht Mindestvoraussetzung dazu führen, dass der Wegfall der zusätzlichen Merkmale unschädlich wä­ re Das jeweilige Aufsichtsratsmitglied fiele lediglich von der Teilgruppe der unabhängigen Finanzexperten in die Gruppe der normalen Aufsichts­ ratsmitglieder zurück.34 Die nachfolgenden Überlegungen zeigen jedoch, 2010, 1013, 1018 f.; Theisen, Der Aufsichtsrat 2009, 81; Wind / Klie, DStR 2010, 1339. 33  Allgemein zur sog. Organisationspflicht Hopt / Roth, Großkomm-AktG, Band 4, § 116 Rn. 120 ff.; Semler, in: MüKo-AktG, 2. Aufl., Band 3, § 116 Rn. 142 ff., ­Lutter / Krieger, Rn. 654. 34  LG München I, Urteil vom 26.2.2010, Az. 5 HKO 14083 / 09, Kurzfassung in NZG 2010, 621; ebenso Drygala, in: K. Schmidt / Lutter, Band I, § 100 Rn. 42; Jaspers, AG 2009, 607, 614; Schilmar, Der Aufsichtsrat 2009, 101, 102; Vetter, ZGR 2010, 751, 788 f.; Vetter, LA für Martin Winter, 2011, 701, 710 f.; Widmann, BB 2009, 2602, 2604; Wind / Klie, DStR 2010, 1339.



B. Rechtsnatur und Normadressat31

dass dieses Ergebnis nicht haltbar und die Wechselwirkung beachtlich ist. Gegen eine Trennung spricht zunächst, dass dem Finanzexperten bekannt ist, dass seine besonderen Qualifikationen für die rechtmäßige Zusammen­ setzung des Gremiums von großer Bedeutung sind. Er kann alleine, unter Umständen sogar bewusst, die fehlerhafte Besetzung des Gremiums herbei­ führen, indem er die besonderen Qualifikationen, insbesondere die Unab­ hängigkeit, verliert. Dieses Verhalten bliebe jedoch bei einer strikten Auf­ teilung von § 100 Abs. 5 AktG in einerseits seine Wirkung auf das einzel­ ne Mitglied und andererseits seiner Bedeutung für das Gesamtgremium ohne Konsequenzen für ihn persönlich. Er wäre weiterhin Aufsichtsratsmit­ glied. Der letzte Finanzexperte könnte mithin die fehlerhafte Besetzung des Gremiums (bewusst) herbeiführen, ohne persönliche Konsequenzen befürchten zu müssen. Diese Auslegung setzt mithin keinen Anreiz für den Finanzexperten, seine besonderen Qualifikationen zu schützen und zu er­ halten. Vom Ende her gedacht spricht gegen die Trennung der Rechtscharaktere darüber hinaus noch das folgende Argument: Würde man den Verlust der Qualifikationen für den Finanzexperten als unschädlich einstufen, dann könnte er mangels eines wichtigen Grundes nicht abberufen werden. Der Aufsichtsrat müsste bis nur nächsten ordentlichen Umbesetzung in der feh­ lerhaften Besetzung weiterarbeiten. Dies ist jedoch mit dem Wortlaut der Norm, wonach dauerhaft35 und nicht nur zum Zeitpunkt der Wahl ein un­ abhängiger Finanzexperte Aufsichtsratsmitglied sein soll, nicht vereinbar. Die strikte Trennung übersieht mithin die Wechselwirkung zwischen den zwingenden Anforderungen an das Organ und den zunächst nicht zwingen­ den Anforderungen an die Mitglieder und reißt die einheitliche Regelung von § 100 Abs. 5 AktG künstlich auseinander. Das Organ besteht aus seinen Mitgliedern, sodass jede Pflicht des Organs auch mittelbar seine Mitglieder betrifft. Aus diesen Gründen ist eine strikte Trennung abzulehnen. Vielmehr ergeben sich jedenfalls für den einzigen Finanzexperten besondere Pflichten durch die Übernahme seines besonderen Amtes. Die ursprünglich nicht zwingenden Voraussetzungen erstarken durch die Übernahme des Amtes zu besonderen persönlichen Voraussetzungen, deren Fortbestand der Finanzex­ perte gewährleisten muss. Im Falle des Wegfalls der besonderen Qualifika­ tionen drohen daher besondere Konsequenzen.36

35  Staake,

ZIP 2010, 1013, 1021. ausführlich zu den besonderen Rechten und Pflichten des unabhängigen Finanzexperten S. 32 ff. und 142 ff. 36  Vgl.

32

1. Kap.: Genese

II. Normadressat Schließlich stellt sich im Rahmen der Rechtsnatur von § 100 Abs. 5 AktG noch die Frage, wer Normadressat ist. Dem Wortlaut nach ist die Gesell­ schaft die Verpflichtete. Grundsätzlich ist der Vorstand dasjenige Organ der Gesellschaft, das die Sorge dafür trägt, dass die Gesellschaft die ihr oblie­ genden gesetzlichen Pflichten erfüllt („Legalitätspflicht  /  Compliance“).37 Wie § 97 Abs. 1 S. 1 AktG zeigt, endet diese Pflicht des Vorstands nicht automatisch bei Fragen, die den Aufsichtsrat betreffen, sondern der Vorstand ist auch verpflichtet, zu überprüfen, ob der Aufsichtsrat nach den für ihn maßgebenden gesetzlichen Vorschriften zusammengesetzt ist. Die Auswahl, d. h. die personelle Besetzung des Aufsichtsrats, obliegt hingegen dem Auf­ sichtsrat und der Hauptversammlung, da der Vorstand das ihn überwachen­ de Aufsichtsratsgremium nicht frei wählen können soll, vgl. §§ 124, 125 AktG. Angewandt auf § 100 Abs. 5 AktG ergibt sich aus diesen allgemeinen Grundsätzen, dass es in die Zuständigkeit des Vorstands fällt, ob § 100 Abs. 5 AktG überhaupt anzuwenden ist, d. h. der Vorstand überprüft, ob die Gesellschaft kapitalmarktorientiert i. S. v. § 264d HGB ist. Für die Feststel­ lung, ob eines der Mitglieder die zusätzlichen Anforderungen von § 100 Abs. 5 AktG in seiner Person erfüllt, ist der Vorstand hingegen nicht ver­ antwortlich, da es sich um die Überprüfung der internen Besetzung handelt. Würde man dem Vorstand diese Befugnis zugestehen, könnte der Vorstand jederzeit das Fehlen der Unabhängigkeit oder Finanzexpertise feststellen und damit die fehlerhafte Besetzung des Aufsichtsrats herbeiführen. Eine Unabhängigkeit des Finanzexperten vom Vorstand wäre undenkbar. Da es sich bei § 100 Abs. 5 AktG um eine Vorgabe zur Besetzung des Auf­ sichtsratsgremiums handelt, müssen Normadressaten und für die Feststellung der Unabhängigkeit und der Finanzexpertise Zuständige notwendigerweise die nach dem Aktienrecht für die Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder zu­ ständigen Organe sein. Ein Bestellungsorgan ist in jedem Fall die Hauptver­ sammlung. Je nach Satzung sowie Unternehmensgröße und Geschäftsfeld sind Bestellungsorgane daneben auch entsendungsberechtigte Aktionäre, die nach den jeweiligen Mitbestimmungsgesetzen zuständigen Wahlgremien und das zuständige Gericht, soweit es nach § 104 AktG die gerichtliche Bestel­ lung einzelner Aufsichtsratsmitglieder vornimmt.38 Da aufgrund eines Ent­ 37  Habersack, FS Uwe H. Schneider 2011, 429, 431 ff.; Hüffer, AktG, § 76 Rn. 8; Geiser, Leitungspflichten des Vorstands, S. 9; Lutter, FS Hüffer 2010, 617, 624; Schneider / Schneider, ZIP 2007, 2061 ff.; Winter, FS Hüffer 2010, 1103, 1108; vgl. auch Ziff. 4.1.3 Deutscher Corporate Governance Kodex. 38  Wardenbach, GWR 2010, 207, 208; zu der zu verneinenden Frage, ob der unabhängige Finanzexperte der Legitimation durch die Hauptversammlung bedarf, siehe 3. Kapitel A. III. 2. a).



C. Normzweck33

sendungsrechts bestellte Aufsichtsratsmitglieder und Arbeitnehmervertreter per Definition nicht unabhängig im Sinn von § 100 Abs. 5 AktG sein können, verbleiben als für die Bestellung des Finanzexperten zuständigen „Organe“ ausschließlich die Hauptversammlung und die Gerichte.39 Aufgrund seines Vorschlagsrechts und der gelebten Praxis, dass die Hauptversammlung den Vorschlägen des Aufsichtsrats in aller Regel mit großer Mehrheit zustimmt, tritt der Aufsichtsrat als primärer Normadressat hinzu.40 Dafür spricht auch, dass § 100 Abs. 5 AktG eine dauerhafte Pflicht begründet und nicht nur bei der Wahl zu beachten ist. Die Hauptversammlung ist nicht dazu in der Lage, die besonderen Qualifikationen des Finanzexperten und deren Fortbestehen während dessen Amtsperiode zu überprüfen. Vielmehr ist der Aufsichtsrat dazu verpflichtet, zu überprüfen, ob er den gesetzlichen Vorgaben entspre­ chend besetzt ist, d. h. unter anderem auch, ob im Falle der Kapitalmarkt­ orientierung wenigstens eins der Mitglieder die zusätzlichen Merkmale der Unabhängigkeit und Finanzexpertise erfüllt. Normadressaten sind mithin die Hauptversammlung, der Aufsichtsrat und gegebenenfalls die Gerichte.

C. Normzweck Den Begriff des unabhängigen Finanzexperten im Aufsichtsrat zu definie­ ren, bringt aus sich heraus noch keinen Nutzen. Ohne eine Darstellung der Hintergründe, vor denen die Entwicklung der Unabhängigkeit und Profes­ sionalisierung der Aufsichtsratsmitglieder in jüngerer Zeit stattgefunden hat, ist eine Definition auch gar nicht möglich. Eine ausführliche Untersuchung der Vielzahl von Bilanzfälschungsskandalen zu Beginn des Jahrtausends, darunter die namhaften Beispiele Enron, Worldcom und Global Crossing aus den Vereinigten Staaten sowie Philipp Holzmann, Babcock-Borsig, Kirch und MobilCom in Deutschland, soll hier jedoch nicht erfolgen und würde den Rahmen der Arbeit sprengen. Dagegen sind die durch die Bilanz­ skandale aufgedeckten strukturellen Schwachstellen, vornehmlich des USamerikanischen Gesellschaftsrechts, maßgebliche Ursache für die weltweite Entwicklung der Besetzung von Überwachungsorganen mit unabhängigen Finanzexperten und bedürfen daher einer kurzen Darstellung. Wie so oft bei Reformen im Gesellschaftsrecht, vielleicht sogar typisch für das induktive System des angloamerikanischen Rechtskreises, waren 39  Siehe ausführlich zur (fehlenden) Unabhängigkeit von Arbeitnehmervertretern S. 129 ff. und von entsandten Aufsichtsratsmitgliedern S. 137 ff. 40  Vgl. Ziff. 13.2 der Kommissionsempfehlung 2005  / 162 / EG vom 15. Februar 2005, ABlEU L52 / 51, 57; Klöckner, DAJV Newsletter 2011, 13, 16; Peltzer, NZG 2009, 1041, 1042, Roth / Wörle, ZGR 2004, 565, 577 zur Praxis der Kooptation von neuen AR-Mitgliedern.

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1. Kap.: Genese

Auslöser dieser Änderungen des regulatorischen Umfeldes der Unterneh­ mensverfassung zahlreiche Finanz-Skandale zu Beginn des Jahrtausends, insbesondere durch Bilanzfälschungen und Fälle von grobem Missmanage­ ment, die aufgrund fehlender oder unzureichender Überwachung der Ge­ schäftsführung nicht zeitnah erkannt, aufgedeckt und korrigiert wurden.41 Die sich in den vorausgehenden Jahresabschlüssen der betroffenen Unter­ nehmen nicht andeutenden und daher völlig unerwartet entstandenen Verlus­ te in bis dato unvorstellbarem Ausmaß42 führten zu erheblichen Vertrauens­ verlusten der Öffentlichkeit in die Kapitalmärkte und die Überwachungstä­ tigkeit der Aufsichtsräte.43 Das Vertrauen der Öffentlichkeit ist jedoch es­ sentieller Bestandteil der Funktionsfähigkeit von Kapitalmärkten, da nur das Vertrauen die Bevölkerung dazu bewegen kann, statt des sicheren Spar­ strumpfes unter dem Kopfkissen die riskante direkte oder indirekte Investi­ tion auf dem Kapitalmarkt zu wählen.44 Zur Wiederherstellung und Steigerung des Vertrauens haben Gesetzgeber rund um den Globus Maßnahmen erlassen, die durch eine strukturell ver­ besserte Überwachung der Geschäftsführung durch Aufsichtsräte und Ab­ schlussprüfer zur genaueren Kontrolle der Finanzzahlen von Gesellschaften und auf Unternehmensebene führen sollten. Bei den weltweit ergriffenen Maßnahmen handelte es sich stichpunktartig um die Erhöhung von Trans­ parenz, Haftungsverschärfungen, die Vermeidung von Interessenskonflikten sowie die Professionalisierung auf dem Gebiet der Kontrolle der Finanzzah­ len, wobei die einzelnen Teilbereiche stark verzahnt sind, sich ergänzen und 41  „A general observation is that legislative action seems likely to follow, rather than procede […]“ Coffee; 111 Yale L. J. 2001, 1, 65; vgl. auch Donald, WM 2003, 705; Fleischer, in: Engel / Schön (Hrsg.), Proprium der Rechtswissenschaft, S. 50, 71; Maushake, Audit Committees, S. 8; siehe auch die Analyse im Bericht der High Level Group of Company Law Experts 2002 („HLG Report 2002“), S. 64, abrufbar unter: http: /  / ec.europa.eu / internal_market / company / docs / modern / report_en.pdf. Die Europäische Kommission betont dagegen, dass es sich bei der Abschlussprü­ ferrichtlinie und ihren Empfehlungen um keine Reflexreaktionen („knee-jerk reac­ tions“) auf die Skandale handelt, vgl. Begründung der Kommission und des Rates zum Initiativvorschlag zur Abschlussprüferrichtlinie vom 16. März 2004, COD  /  2004 / 0065. 42  Mit dem Kurssturz der Enron-Aktien von über 80 US-Dollar auf unter einen (1) US-Dollar pro Aktie haben die Aktionäre rund 60 Milliarden US-Dollar verloren; siehe dazu die Klageschrift der U.S. Securities and Exchange Commission („SEC“) gegen den Enron-CFO Andrew S. Fastow, Civil Action No. H-02-3127, abrufbar unter: www.sec.gov; ferner Block, BKR 2003, 774; Schwarz / Holland, ZIP 2003, 1661; Baumann / Bierach / Dunkel / Engeser / Gersemann / Schürmann, in: Wirtschafts­ Woche Nr. 5 vom 24.1.2002 S. 44, 45. 43  Hönsch / Kaspar, Der Aufsichtsrat 2009, 108 ff. 44  SEC Release No. 33-8220 I; Atkins, DK 2003, 260; Parades, Wash. U.L.Q. 81 (2003), 229, 230.



C. Normzweck35

voneinander abhängen. Als mittelbare Folge sollten diese Maßnahmen un­ ternehmens- und branchenübergreifend zur Steigerung des Vertrauens des Publikums in die Finanzzahlen führen. Von besonderem Gewicht bei diesen Maßnahmen war der am 30. Juli 2002 in den Vereinigten Staaten erlassene Sarbanes Oxley Act of 2002 („SOA“).45 Soweit ersichtlich enthalten Sec. 301, 407 SOA die erstmalige Kodifikation und daher verbindliche Anforde­ rung an Unternehmen, ihr Audit Committee46 mit wenigstens einem „Inde­ pendent Financial Expert“ zu besetzen.47 Sie sind damit die Vorbildregelung der Rechtsfigur des unabhängigen Finanzexperten nach § 100 Abs. 5 AktG.

I. Sarbanes Oxley Act Zu den am häufigsten genannten Ursachen der US-Bilanzskandale zu Beginn des Jahrtausends gehört der Umstand, dass der Vorsitzende der Ge­ schäftsführung (nach dem US-Recht der Chief Executive Officer – „CEO“) häufig zugleich als Chairman of the Board sein eigener Kontrolleur war.48 Tatsächlich ist dies sogar noch immer der Fall.49 Dies ist ein klarer Verstoß gegen den allgemeinen Grundsatz, dass niemand Richter in eigener Sache sein kann und soll.50 Eine weitere Schwachstelle war die verbreitete Praxis, dass Wirtschaftsund Abschlussprüfer außerhalb ihrer eigentlichen Tätigkeit der Überprüfung der Jahresabschlüsse auch in großem Maße weitere Aufträge von den Vor­ ständen erhielten (sog. Non-Audit Services / prüfungsfremde Leistungen).51 45  Abrufbar

unter: http: /  / thomas.loc.gov / cgi-bin / query / z?c107:H.R.3763.ENR: Audit Committees und Prüfungsausschüssen unten m. w. N. S. 49 ff. 47  Zur bereits zuvor bestehenden Praxis der Besetzung des Boards mit unabhän­ gigen Direktoren als Möglichkeit der Haftungsabschirmung und als Folge der takeover-Rechtsprechung aus Delaware Roth, ZHR 175 (2011), 605, 609 f. 48  Davis, FS T. Raiser 2005, 49, 56; Fida / Gelter / Rechberger, GeS 2006, 239, 240; Gordon, Columbia Law and Economics Working Paper No. 216 (2003), S. 3. 49  Eine Erhebung der Shearman & Sterling LLP führte zu dem Ergebnis, dass im Jahr 2009 noch immer bei 69 der 100 größten US-Unternehmen der CEO zugleich Chairman of the Board ist (2009 Trends in Corporate Governance of the Largest US Public Corporations, http: /  / www.shearman.com); vgl. auch Chan / Li, Corporate Governance Vol. 16(1) (2008), 16, 20 (74,9 % im Jahr 2000); vgl. Rieder / Holzmann, AG 2010, 570, 576. 50  Hopt / Roth, in: Großkomm-AktG, Band 4, §  105 Rn. 6; Frodermann, in: Jannott / Frodermann (Hrsg.), Hdb. SE, 5. Kapitel, Rn. 159 f. 51  Vgl. SEC, Final Rule: Revision of the Commission’s Auditor Independence Requirements, Release No.  33-7919, abrufbar unter: http: /  / www.sec.gov / rules /  final / 33-7919.htm; Peemöller / Oberste-Padtberg, DStR 2001, 1813, 1816 f.; Lenz, BB 2001, 299 ff.; Müller, WPg 2002, 1301, 1305; kritisch zu dem Begriff „prü­ fungsfremd“ Niehus, WPg 2002, 616 Fn. 2. 46  Zu

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1. Kap.: Genese

Die Wirtschaftsprüfer hatten so den Eindruck gewonnen, von dem zu über­ wachenden Vorstand gewissermaßen angestellt zu sein und sich diesem gegenüber deswegen treu verhalten zu müssen, sodass sie ihrer Überwa­ chungsaufgabe nicht ausreichend nachkamen. Sie standen unter dem fakti­ schen Druck, die diversen Jahres- und Konzernabschlussberichte des Vor­ stands wohlwollend zu prüfen, nach dem Motto: „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.“52 Konsequent zu Ende gedacht, hatte die Abschlussprüfung ihren Sinn und Zweck der unabhängigen, externen Kontrolle verloren, je­ doch erzeugte sie fatalerweise weiterhin das Vertrauen der Märkte in die vorgelegten Finanzzahlen.53 Insgesamt wurde deutlich, dass die existierenden Schutzmechanismen und die Selbstkontrolle nicht ausreichten, um Investoren und Arbeitnehmer zu schützen. Vielmehr wurde es als notwendig empfunden, ein System von Checks and Balances einzuführen, bei dem die geschäftsführenden Direkto­ ren von nicht geschäftsführenden, unabhängigen Direktoren überwacht werden sollten.54 Der institutionenökonomische Hintergrund der Unabhängigkeitsbewegung und das Bestreben der Verbesserung der Prinzipal-Agent-Problematik sind nicht zu verkennen. Der Begriff der Prinzipal-Agent-Konflikte („AgencyConflicts“) entstammt der ökonomischen Vertragstheorie („Agency-Theory“) und bezeichnet Fälle, in denen die Interessen eines Vertreters („Agent“) nicht parallel zu denen des Auftraggebers („Prinzipals“) verlaufen.55 Bei Aktiengesellschaften mit vielen (Klein-)Aktionären („Publikumsgesellschaf­ ten“) treten solche Konflikte typischerweise durch die Trennung von Eigen­ tum und Verfügungsmacht auf.56 Für die mit fremdem Geld unternehmerisch 52  Vgl. Romeike, in: Romeike  / Finke (Hrsg.), Erfolgsfaktor Risiko-Management, S. 68. 53  Diesen kapitalen Systemfehler, dass die externen Prüfer von dem zu prüfenden Unternehmen bezahlt werden, möchte die Europäische Kommission nun bereinigen, siehe dazu das Grünbuch „Weiteres Vorgehen auf dem Bereich der Abschlussprü­ fung“ vom 13.10.2010, Kommissionsdokument 2010 Nr. 561. Die weitere Entwick­ lung auf diesem Gebiet bleibt mit Spannung abzuwarten. 54  SEC-Release 33-8220 S.  4; abrufbar unter: http: /  / www.sec.gov / rules / final / 338220.htm. 55  Statt vieler Allen / Kraakman / Subramanian, Business Organization, Chapter 1.3.3, S. 10; Spindler, AG 1998, 53, 58 ff.; Voigt, Institutionenökonomik, S. 84 ff.; Laux / Liermann, Grundlagen der Organisation, S. 525 ff. 56  Grundlegend zum „split between ownership and control“ Berle / Means, The Modern Corporation and Private Property; zur Agency-Theorie der Unternehmung Jensen / Meckling, J. Fin Econ. 3 (1976), 305 ff. Die Aktionäre werden in diesem Zusammenhang entgegen dem juristischen Ei­ gentumsbegriff aus § 903 BGB als „Eigentümer“ der Gesellschaft bezeichnet, bei­ spielsweise im Aktionsplan der EG-Kommission, S. 5, weil der Gewinn der Gesell­



C. Normzweck37

tätige Geschäftsführung. können sich in dieser Konstellation Anreize zu opportunistischem Verhalten auf Kosten der Aktionäre ergeben, was zuletzt eindrucksvoll durch die Studie von Muller / Neamtiu / Riedel bestätigt wur­ de.57 Die Autoren zeigen in ihrer Arbeit, dass Corporate-Insider in der Zeit vor der offiziellen Veröffentlichung von erheblichen Abschreibungen des Geschäfts- und Firmenwerts („goodwill impairment losses“) ihr InsiderWissen nutzen und in signifikantem Maße eigene, an der Gesellschaft ge­ haltene, Beteiligungstitel verkaufen. Legt man den Begriff des „Homo Oeconomicus“58 zu Grunde, so ist dieses opportunistische Verhalten der Agenten sogar sehr naheliegend und logisch.59 Aus den Agency-Conflicts resultiert das Kontrollproblem, wie ein oppor­ tunistisches Verhalten der Agenten verhindert oder geahndet werden kann. In Gesellschaften mit breiter Eigentumsstreuung sind Aktionäre häufig auf­ grund der mangelnden Informationen und Ressourcen, namentlich Zeit und Geld, nicht dazu in der Lage oder gewillt, die Unternehmensführung, ihre Strategien und ihre Leistung genau zu überwachen, sog. rationale Apathie der Investoren.60 Das grundlegende Regelungsproblem der Publikums-AG ist mithin der Schutz der Aktionäre gegenüber der Unternehmensführung. Dazu muss eine abstrakte Kontrollstruktur, eine „Corporate Governance“61, geschaffen werden, ohne dass deren Kosten den Nutzen der Konstruktion schaft ihnen zusteht und sie als Kehrseite auch das Risiko des Totalverlustes ihrer Investition tragen („residual ownership“); vgl. Allen / Kraakman / Submramanian, Business Organization S. 100, 114; Hansmann / Kraakmann, in: Kraakmann / Davies Anatomy, S.  13 ff.; Windbichler, Gesellschaftsrecht § 1 Rn. 30, § 25 Rn. 17. 57  Abrufbar unter Social Science Research Network: http: /  / ssrn.com / abstract= 1429615. 58  Die Theorie des Homo Oeconomicus basiert auf der Annahme des rational und eigennützig handelnden Individuums. Übersichtliche Darstellung der Vorteile und Nachteile der bewussten Vereinfachung dieses Verhaltensmodells bei Eidenmüller, JZ 2005, 216, 217 ff.; Voigt, Institutionenökonomik, S. 19 ff. 59  Paradigmatisch für die Interessenkonflikte zwischen Unternehmensführung und Aktionären ist die Situation einer bevorstehenden (feindlichen) Übernahme, in der die Unternehmensführung der Zielgesellschaft zum Erhalt ihrer Anstellung bestrebt sein wird, das möglicherweise für die Aktionäre sehr lukrative Übernahmeangebot abzuwehren, vgl. Davies / Hopt, in: Kraakman / Davies, Anatomy, S. 160. 60  HLG Report 2002, S. 63, a. a. O. Fn. 41; Kübler / Assmann, Gesellschaftsrecht § 14 III 3. b) aa); Wackerbarth, ZGR 2005, 686, 687. 61   Das aus dem angelsächsischen Rechtskreis stammende (Sprach-)Phänomen der Corporate Governance kann unterschiedlich definiert werden und lässt sich kaum prägnant ins Deutsche übersetzen, mit allen nötigen Vorbehalten am besten wohl durch die umständliche Paraphrasierung als „Unternehmensverfassung“. Hinter dem Begriff verbirgt sich die internationale Entwicklung eines rechtlichen und fak­ tischen Ordnungsrahmens / Systems für die Führung und Überwachung von Unter­ nehmen. Konkret geht es um Stellung, Pflichten und Haftung der Unternehmenslei­ tung. Vgl. Hauschka, in: Hauschka, Corporate Compliance, § 1 Rn. 1; Hopt, FS

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1. Kap.: Genese

aufzehren.62 Die Finanzskandale hatten gezeigt, dass diese Überwachungs­ lücke zwischen schlecht informierten Aktionären als Prinzipalen und den umfassend informierten Führungskräften als Agenten noch nicht ausreichend geschlossen war. Zur Verbesserung dieser Problematik wurde durch den Sarbanes-Oxley Act of 2002 in Sec. 301, 407 für Unternehmen, die der Regulierung der SEC unterfallen, d. h. hauptsächlich an einer US-Börse gelistete Unterneh­ men, die Pflicht geschaffen, ein Audit Committee einzurichten, das mehr­ heitlich mit unabhängigen Direktoren zu besetzen sei.63 Das Audit Com­ mittee sollte für die Auswahl und den Vertragsabschluss mit dem Ab­ schlussprüfer zuständig sein und auch seine Berichte in Empfang nehmen und auswerten, um so dessen Unabhängigkeit zu gewährleisten und eine kritische Prüfung der Zahlenwerke zu ermöglichen. Der unabhängigen Di­ rektoren sollten die unabhängige, korrekte und rechtzeitige Mitteilung des Kapitalmarktes über die (negative) Finanzlage des Unternehmens sicher­ stellen. Ihre abschreckende Wirkung („Deterrence“) soll dazu beitragen, Fehlverhalten von vornherein zu vereiteln. Höchstes Ziel sollte die dauer­ hafte Zuverlässigkeit und hohe Qualität der öffentlichen Finanzinformatio­ nen, hauptsächlich der Abschlussprüfungsergebnisse, sein, um auf diesem Wege das bis ins Mark erschütterte Vertrauen des Marktes wieder herzu­ stellen.64 Aus der Entstehungsgeschichte wird deutlich, dass der Finanzexperte, ebenso wie im Übrigen der Aufsichtsrat auch65, nicht primär der Gewinn­ maximierung dienen soll. Er soll durch seine Präsenz die Geschäftsführung zu nachhaltiger Arbeit bewegen, sowie das ultimative Ziel, den Erhalt des Unternehmens, absichern. Jedem Anleger muss dabei bewusst sein, dass der unabhängige Finanzexperte als Überwachungsträger keine Garantie gegen zukünftige Unternehmenszusammenbrüche oder finale Insolvenzen sein kann. Gegen einen überholten Unternehmensgegenstand oder fehlende Nachfrage kann auch der Finanzexperte nur sehr wenig bis nichts unterneh­ Hüffer 2010, 355, 358; v. Werder, in: Ringleb / Kremer / Lutter / v.  Werder (Hrsg.), DCGK-Komm, Rn. 1; Kallmeyer, FS Peltzer 2001, 205, 206 f. 62  Windbichler, Gesellschaftsrecht § 25 Rn. 17; Berrar, S. 29; ders., NZG 2001, 1113, 1121; zu den Agency-Kosten aus finanztheoretischer Sicht Copeland / Weston / Shastri, Finanzierungstheorie und Unternehmenspolitik, 12.3, 12.4. 63  „Vigilant and informed oversight by a strong, effective and independent audit committee could help to counterbalance pressures to misreport results and impose increased discipline on the process of preparing financial information. Improved oversight may help detect fraudulent financial reporting earlier and perhaps thus deter or minimize its effects“. (SEC Release 33-8220 IV. B (S. 50), a. a. O. Fn. 54. 64  Atkins, DK 2003, 260; Kley, DK 2003, 264, 265. 65  Vgl. Theisen, AG 1995, 193, 194 ff.



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men. Er kann nur über die tatsächliche Situation informieren. Man mag den Independent Financial Expert daher als eine Art Versicherung gegen weite­ re Bilanzfälschungsskandale betrachten. Seine Einführung ist als weiterer Schritt im Rahmen der internationalen Corporate Governance Entwicklung zur Verbesserung der Überwachungstätigkeit von Aufsichts- und Verwal­ tungsräten zu verstehen.

II. Empirische Studien Die Ergebnisse aus zahlreichen empirischen Studien (überwiegend aus dem angelsächsischen Rechtskreis) zeigen, dass die Existenz eines Audit Committees in einer Gesellschaft positive Auswirkungen haben kann, ohne aber dabei notwendigerweise den Gewinn der Gesellschaft zu steigern. Dies untermauert das hier gefundene Ergebnis, dass der Finanzexperte mehr als eine Art Versicherung gegen weitere Bilanzfälschungen oder überraschende Bilanzkorrekturen denn als eine Institution zur Gewinnmaximierung zu verstehen ist.66 Fogel / Geier verglichen die Eigenkapitalrendite (Return on Equity – „ROE“) von Gesellschaften mit überwiegend unabhängig besetzten Boards mit der von Gesellschaften mit weniger oder keinen unabhängigen Board­ mitgliedern. In ihrer Studie kommen sie zu dem Ergebnis, dass es keine empirisch nachweisbaren Hinweise dafür gibt, dass Gesellschaften mit einer Mehrzahl von unabhängigen Boardmitgliedern eine höhere Eigenkapitalren­ dite erreichen.67 Bhagat / Bolton bestärken dieses Ergebnis, indem sie aus einem ökonometrischen Blickwinkel aufzeigen, dass gute Corporate Gover­ nance (u. a. durch unabhängige Boardmitglieder) nicht mit der zukünftigen Entwicklung des Börsenwerts der Gesellschaft korreliert ist.68 Zuvor hatten Bhagat / Black in einer weiteren Studie bereits negative Auswirkungen einer überwiegenden Besetzung des Boards mit unabhängigen Mitgliedern auf die Leistung des Unternehmens festgestellt.69 Der positive Effekt von Audit Committees und von unabhängigen Finanz­ experten zeigt sich hingegen auf einer anderen Ebene. Die SEC stellte fest, dass 25 % der wegen Bilanzbetrugs zwischen 1987 und 1997 belangten Wertpapieremittenten kein Audit Committee zur Überprüfung der Finanzbe­ richte hatten und dort, wo solche bestanden, 65 % der Ausschussmitglieder 66  von Hein, Rezeption US-amerikanischen Gesellschaftsrechts, S. 748 f.; im Er­ gebnis wie hier wohl auch Beyer, Unabhängigkeit, S. 89 ff. 67  Fogel / Geier, Del. J. Corp. Law, Vol. 32 (2007), 33, 51; zahlreiche w. N. bei Clarke, Del. J. Corp. L. 32 (2007), 73, 75 ff. 68  Bhagat / Bolton, J. Corp. Finance, Vol. 14 (2008), 257, 258 f. 69  Bhagat / Black, Bus. Law., Vol. 54 (1999), 921, 945.

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1. Kap.: Genese

keine tieferen Fachkenntnisse bezüglich der Rechnungslegung und Ab­ schlussprüfung vorzuweisen hatten.70 Auch McMullen zeigte bereits 1996 einen negativen Zusammenhang zwischen der Existenz eines Audit Com­ mittees und der Wahrscheinlichkeit von materiellen Korrekturen (Restate­ ments) der Quartalsergebnisse, von Aktionärsklagen wegen vermeintlichem Betrug (Fraud) und von Kontrollmaßnahmen der SEC (Enforcement Ac­ tions) auf.71 Zahlreiche empirische Untersuchungen, von denen nur einige ausgewählte hier aufgezählt werden können, unterstützen die allgemeine Vermutung, dass mit Finanzexperten fachlich kompetent besetzte Überwa­ chungsgremien positive Auswirkungen auf die Finanzberichterstattung von Gesellschaften haben.72 Abbot / Parker / Peters zeigen in ihrer Studie, dass zwischen dem Vorhandensein von mindestens einem unabhängigen Finanz­ experten und der Häufigkeit von Bilanzkorrekturen (Financial Restatements) eine signifikant negative Korrelation besteht.73 Bestärkt wird dies durch Bédard / Chtourou / Coutreau, die zeigten, dass der Einsatz mindestens eines Finanzexperten die Qualität der Finanzberichterstattung anhebt.74 Gesell­ schaften mit einem derartig besetzten Überwachungsgremium werden ge­ mäß der Studie von Helland / Sykuta auch tendenziell weniger von ihren Aktionären verklagt.75 Zudem wurde von Krishnan ein signifikant negativer Zusammenhang zwischen der Anzahl von Finanzexperten im Audit Com­ mittee und dem Auftreten von Problemen im internen Kontrollsystem auf­ gezeigt.76 Der Nutzen des unabhängigen Finanzexperten im Hinblick auf korrekte(re) Finanzberichte sollte daher außer Frage stehen. Aus genau diesen Gründen lässt sich auch empirisch nachweisen, dass Investoren die Besetzung des Boards mit unabhängigen Finanzexperten sehr positiv beurteilen und schät­ zen. DeFond / Hann / Hu konnten durch eine Analyse der Entwicklung des 70  Cox,

81 (2003) Wash. U.L.Q. 301, 305 m. w. N. Auditing: A Journal of Practice and Theory, Vol. 15(1) (1996), 87, 95; Unternehmen, die ein Restatement vornehmen mussten, hatten lediglich zu 6 % einen ausgebildeten Wirtschaftsprüfer (Certified Public Accountant – „CPA“) im Audit Committee, bei Unternehmen ohne Restatement lag diese Quote bei 25 %, McMullen / Rhagunandan, Journal of Accountancy, Vol. 182(2) 1996, 79, 80. 72  Roffler, IRZ 2009, 245, 246; von Hein, Rezeption US-amerikanischen Gesell­ schaftsrechts, S.  747 f., beide m. w. N. 73  Abbot / Parker / Peters, Auditing: A Journal of Practice and Theory, Vol. 23(1) (2004), 69, 80 ff. 74  Bédard / Chtourou / Coutreau, Accounting: Journal of Practice and Theory, 25(2) (2004), 15 ff. 75  Helland / Sykuta, Fin. Rev., Vol. 40 (2005), S. 155, 163 ff. 76  Krishnan, Accounting Rev., Vol. 80(2) (2005), 649 ff.; vgl. auch Beng, Cont. Acc. R. Vol. 26(2) (2009), 549, 560 f. 71  McMullen,



C. Normzweck41

Börsenwertes im Zeitraum der Bekanntgabe der Besetzung des Überwa­ chungsgremiums mit einem unabhängigen Finanzexperten zeigen, dass der Aktienkurs sich einmalig signifikant steigert, allerdings nur, wenn der Markt auf die Unabhängigkeit und Finanzexpertise des Kandidaten vertraut und die sonstigen Corporate Governance Strukturen der Gesellschaften positive Erwartungen in den Finanzexperten zulassen.77 Bhagat / Black kommen zu dem Ergebnis, dass für das Management von Gesellschaften mit einer guten Corporate Governance auf Grund des Vertrauens das Risiko der Abwahl geringer ist, selbst im Falle der schlechten Performance der Gesellschaft.78 Schließlich zeigten Ashbaugh-Skaife / Collins / LaFond den positiven Effekt von unabhängigen Finanzexperten auf die Kapitalkosten von Gesellschaften, da Investoren in diesem Fall auf einen Risikozuschlag verzichten.79 Die letzten Studien zeigen sehr deutlich, dass der Finanzexperte eine geeignete Institution zur Vertrauensbildung ist, solange die Person des Finanzexperten auch tatsächlich die geforderten Qualitäten mitbringt.80

III. Entwicklung in Europa Auf europäischer Ebene nahm die Debatte zu gesetzlichen Bestimmungen über die Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder erstmals Konturen an, als die EG-Kommission am 21. Mai 2003 dem Rat und dem Europäischen Parlament die Mitteilung (KOM (2003) 284) mit dem Titel „Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Verbesserung der Corporate Governance in der Europäischen Union – Aktionsplan“ („Aktionsplan der EG-Kommission“) vorlegte.81 Der Aktionsplan der EG-Kommission knüpfte dabei an die Emp­ fehlungen der Hochrangigen Gruppe von Experten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts vom 4. November 2002 („HLG-Report 2002“) an, die Unternehmen dazu zu verpflichten, ihre Kontrollgremien mehrheitlich mit unabhängigen Mitgliedern zu besetzen.82 Die EG-Kommission übernahm in ihrem Aktionsplan die Idee der unabhängigen Direktoren, wobei zunächst 77  DeFond / Hann / Hu, Does the Market Value Financial Expertise on Audit Com­ mittees of Board of Directors?, 2004, S. 2, 18 f., abrufbar unter Social Science Net­ work (http: /  / papers.ssrn.com / sol3 / papers.cfm?abstract_id=498822). 78  Bhagat / Bolton, J. Corp. Finance, Vol. 14 (2008), 257, 270. 79  Ashbaugh-Skaife / CollinslLaFond, Corporate Governance and the Cost of Equi­ ty, 2004, S. 25 f., abrufbar unter Social Science Research Network (http: /  / papers. ssrn.com / sol3 / papers.cfm?abstract_id=639681). 80  Mit Verweisen auf weitere empirische Studien Roth, ZHR 175 (2011), 605, 626 f. 81  AblEU vom 15.2.2005, L 52  /  51; abgedruckt in Sonderbeilage zu NZG Heft  13 / 2003. 82  HLG-Report 2002 S. 64 f.

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1. Kap.: Genese

eine Umsetzung auf der Basis des „Comply or Explain“-Prinzips83 erfolgen sollte. Der nächste Schritt erfolgte durch die Empfehlung der Kommission 2005 / 162 / EG vom 15. Februar 2005 zu den Aufgaben von nicht geschäfts­ führenden Direktoren / Aufsichtsratsmitgliedern börsennotierter Gesellschaf­ ten sowie zu den Ausschüssen des Verwaltungs- / Aufsichtsrats („Kommis­ sionsempfehlung“), deren Zweck es unter anderem war, den Begriff der Unabhängigkeit mit Leben zu füllen.84 Die Einführung des unabhängigen Aufsichtsratsmitglieds verfolgt vier Funktionen: Die Verbesserung der Zu­ sammenarbeit des Aufsichtsrats mit dem Abschlussprüfer, Steigerung und Absicherung der Unabhängigkeit des Abschlussprüfers von der Geschäfts­ führung der zu prüfenden Gesellschaft, Steigerung der unabhängigen Kon­ trolle durch den Aufsichtsrats und als Ergebnis der vorgenannten Funk­ tionen die Steigerung des Vertrauens der Anleger in die veröffentlichten Finanzzahlen.85 Im Aktionsplan hatte die Kommission bereits erklärt, dass „ein auf Selbstregulierung des Marktes setzendes Konzept, das ausschließlich auf unverbindlichen Empfehlungen beruht, natürlich nicht immer aus[reicht], um die Anwendung solider Corporate-Governance-Praktiken zu garantieren. Nur ein gewisses Maß an gezielten Vorschriften kann gewährleisten, dass die Märkte ihre disziplinierende Funktion angemessen erfüllen können.“86 Der gem. Art. 288 Abs. 5 AEUV (ex-Art. 249 Abs. 5 EGV) unverbindlichen Kommissionsempfehlung folgte daher die bereits oben erwähnte Abschluss­ prüferrichtlinie mit den in Art. 41 enthaltenen zwingenden Vorgaben zur Einrichtung eines Prüfungsausschusses und der Bestellung eines unabhängi­ gen Finanzexperten. Der bislang letzte Schritt dieser Entwicklung ist die Umsetzung der Richtlinie in Deutschland durch die neue Bestimmung in § 100 Abs. 5 AktG, welche die betroffenen Gesellschaften mit erheblichen neuen Anfor­ derungen konfrontiert. Der deutsche Gesetzgeber hat der europäischen Vorgabe zur Errichtung eines Prüfungsausschusses durch ein kompliziertes Geflecht von Normen in §§ 324, 342k, 342l HGB, §§ 100 Abs. 5, 107 Abs. 3 S. 2, Abs. 4 AktG und durch zahlreiche Verweise aus verschiedenen 83  Siehe zum Deutschen Corporate Governance Kodex und zum Comply or Ex­ plain – Prinzip 2. Kapitel B. IV. 1. 84  Abrufbar unter: http: /  / eur-lex.europa.eu / LexUriServ / LexUriServ.do?uri=OJ:L: 2005:052:0051:0063:DE:PDF. 85  Mitteilung der Kommission an den Rat und das EU-Parlament KOM(2003) 284 endg. vom 21.5.2003; AblEU vom 15.2.2005, L 52 / 69; KOM(2003) 286 endg. vom 21.5.2003 S. 12. 86  AblEU vom 15.2.2005, L 52 / 65 = Sonderbeilage zu NZG Heft 13 / 2003, S. 14.



C. Normzweck43

Gesetzen auf diese Normen durch das BilMoG entsprochen. Dabei nimmt § 100 Abs. 5 AktG die zentrale Rolle ein, da sämtliche der Umsetzung von Art. 41 Abs. 1 der Abschlussprüferrichtlinie dienenden neuen Normen auf § 100 Abs. 5 AktG Bezug nehmen. Die Komplikationen bei der Umsetzung der an und für sich übersichtlichen Vorgabe von Art. 41 Abs. 1 der Ab­ schlussprüferrichtlinie sind dadurch bedingt, dass der deutsche Gesetzgeber die Richtlinie nicht 1:1 umgesetzt, sondern von der in Erwägungsgrund 24, S. 3 der Abschlussprüferrichtlinie eröffneten Ausnahme Gebrauch gemacht hat. Gemäß Erwägungsgrund 24, S. 3 der Abschlussprüferrichtlinie können Mitgliedstaaten vorsehen, dass die dem Prüfungsausschuss zugewiesenen Aufgaben auch vom Aufsichtsrat als Ganzes ausgeübt werden können. Für die deutsche Aktiengesellschaft ergibt sich durch die Änderungen in §§ 100 Abs. 5, 107 Abs. 3, 4 AktG, dass wenigstens eines der Aufsichtsrats­ mitglieder unabhängig sein muss und über Sachverstand verfügen muss. Ein Prüfungsausschuss ist nicht zwingend einzurichten, gibt es aber einen Prü­ fungsausschuss, muss eines seiner Mitglieder unabhängig sein und Sachver­ stand im Bereich der Rechnungslegung mitbringen.

IV. Eingeschränkte Vorbildfunktion von Sarbanes Oxley Diese Entwicklung zeigt, dass mit dem unabhängigen Finanzexperten in § 100 Abs. 5 AktG eine Idee kodifiziert wurde, die als „Legal Transplant“87 aus dem US-amerikanischen Gesellschaftsrecht übernommen wurde. Prinzi­ piell sind die Bemühungen der Rechtsvergleichung sehr zu begrüßen, inter­ nationale Entwicklungen zu beobachten und daraus Erkenntnisse für das deutsche System abzuleiten.88 Übernommene Regeln funktionieren aller­ dings in ihrem neuen Umfeld üblicherweise anders als in ihrem ursprüng­ lichen Umfeld.89 Durch die unreflektierte und schlagwortartige Übernahme 87  Grundlegend Watson, Legal Transplants; speziell für das deutsche Aktienrecht: Fleischer, NZG 2004, 1129 ff.; kritisch Kley, Konzern 2003, 264, 265 und aus rechtssoziologischer Sicht Teubner, FS Blankenburg 1998, 233, 234 („legal irri­ tants“). 88  Zweigert / Kötz, Rechtsvergleichung, S. 12  ff.; Windbichler, Gesellschaftsrecht, § 25 Rn. 35; Rock, AG 1995, 291: „The intuition that one can fruitfully transplant legal rules from one system to another is as old as the law itself“; Legal Transplants, insbesondere aus dem US-amerikanischen Gesellschaftsrecht, sind dem deutschen Aktienrecht nicht neu, wie beispielsweise die durch das KonTraG in § 192 Abs. 2 Ziff. 3 AktG eingeführte Möglichkeit der Einräumung von Aktienbezugsrechten („Stock Options“) für Mitglieder der Geschäftsführung. 89  „The insertion of an alien rule into another complex system may cause it to operate in a fresh way, even when the transplanted rule remains unchanged“, Watson, Legal Transplants, S. 27, 116.

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1. Kap.: Genese

fremder (dabei hauptsächlich angelsächsischer) Rechtsbegriffe in die deut­ sche Wirtschaftsverfassung können Missverständnisse und erhebliche Folge­ probleme entstehen, insbesondere dann, wenn sich diese Begriffe nicht in den organischen Zusammenhang des Rechtssystems, der Eigentumsstruktu­ ren, der Finanzierungstradition und der Unternehmenskulturen einfügen.90 Um bei der „medizinisch angehauchten Metapher“ des Transplantates zu bleiben, besteht die Möglichkeit, dass der aufnehmende Rechtskörper das Transplantat abstößt, da die gegenwärtigen nationalen gesellschaftsrecht­ lichen Systeme einschließlich der Regeln, welche die Corporate Governance betreffen, eine Folge politischer, sozialer, historischer und wirtschaftlicher Entwicklungen sind, die für jedes Land spezifisch sind – „Corporate Gov­ ernance is path dependent.“91 Die Wahrscheinlichkeit der Akzeptanz des Transplantats steigt allerdings, je besser es sich systematisch, dogmatisch und rechtspolitisch in das bestehende System einordnen lässt.92 Mit der vorhandenen Literatur zu den Systemunterschieden zwischen monistischen und dualistischen Unternehmensverfassungen lassen sich ohne weiteres ganze Bibliotheken füllen. Im Folgenden sollen nur stichpunktartig die beiden für diese Arbeit relevanten Unterschiede ausgebreitet werden, namentlich der unterschiedliche Aufbau der Unternehmensführung sowie das unterschiedliche Maß an Satzungsfreiheit. Sie können ursächlich dafür sein, dass eine in den USA oder in Großbritannien zweckmäßige und gut funktionierende Regelung oder Definition teilweise mit dem deutschen Sys­ tem inkompatibel ist und daher nicht inhaltsgleich übernommen werden kann. 1. Aufbau der Unternehmensführung Der offensichtlichste und am häufigsten genannte Unterschied ist der unterschiedliche Aufbau der Unternehmensführung. Charakteristisch für das monistische System (auch als one-tier-system oder Board-Struktur bezeichnet) ist die fehlende institutionelle Trennung der Geschäftsführung von der Überwachung. In diesem für den angelsächsi­ schen Rechtskreis typischen System ist das Board of Directors die einzige 90  Cromme, in: Cromme (Hrsg.), Corporate Governance Report 2005, 23, 31; Fleischer, NZG 2004, 1129, 1135; Müller, Die Bank 2004, Heft 8, 22, 25; Nagel, NZG 2007, 166. 91  Aktionsplan der Kommission, AblEU vom 15.2.2005, L 52 / 51, abgedruckt in der Sonderbeilage zu NZG Heft 13 / 2003 S. 5; Hommelhoff, ZGR 2001, 239, 263; Hopt, ZGR 2000, 779, 798 ff. 92  Fleischer, NZG 2004, 1129, 1137; ders., in: Engel  / Schön (Hrsg.), Proprium der Rechtswissenschaft, S. 50, 68; Dölle, ÖJZ 1954, 278, 279.



C. Normzweck45

Ebene der Unternehmensleitung. Die Direktoren haben die Möglichkeit für das operative Geschäft zuständige Officers zu bestellen, sodass sich das Board aus executive Directors / Officers und non-executive Directors zusam­ mensetzt.93 Die non-executive Directors nehmen Beratungs- und Kontroll­ tätigkeiten wahr. Da aber nur eine organisatorische Ebene existiert, fallen Unternehmensführung und die Kontrolle der Unternehmensführung zusam­ men. Besonders problematisch ist dies, wenn der CEO in Personalunion zugleich Chairman of the Board ist.94 Das dualistische System (oder two-tier-system) der deutschen Aktienge­ sellschaft dagegen ist geprägt durch eine zweistufige Unternehmensführung. Der Vorstand ist das für die Geschäftsführung zuständige Organ (§ 76 Abs. 1 AktG), während die Aufgabe der Überwachung vom Aufsichtsrat wahrzu­ nehmen ist.95 Gemäß § 105 Abs. 1 AktG ist die Stellung als Aufsichtsrats­ mitglied mit einer gleichzeitigen Tätigkeit im Vorstand nicht zu vereinbaren, sodass die personelle Trennung der Geschäftsführung von der Überwachung gewährleistet ist. 2. Zwingender Charakter gesetzlicher Vorgaben Systematische Probleme können sich in Deutschland weiterhin durch die eingeschränkte Gestaltungsfreiheit der Gesellschaften ergeben. Während das deutsche Aktiengesetz von der Satzungsstrenge nach § 23 Abs. 5 AktG und vielen zwingenden Gesetzesvorschriften geprägt ist, ist das angelsächsische Modell offener gestaltet.96 So können nach US-amerikanischem Recht viele 93  Statt vieler Allen / Kraakman / Subramanian, Business Organization, Chapter 4.5.2, S. 107. 94  Eine solche herausragende Stellung des Vorstandsvorsitzenden der AG ist in Deutschland nicht möglich („primus inter partes“), Kort, in: Großkomm-AktG, Band 3, § 77 Rn. 52; Bögler, in: Cromme (Hrsg.) Corporate Governance Report 2005, S. 40, 43; Hoffmann-Becking, NZG 2003, 745, 747, 750), de facto nähert sich der Vorstandsvorsitzende dem CEO jedoch an, Semler, FS Lutter 2000, 721, 727 f.; von Hein, ZHR 166 (2002), 464, 483 f.; Berrar, S. 37; befürwortend Josef Ackermann, vgl. FAZ vom 26.11.2001, Nr. 275, S. 18. 95  Der Aufsichtsrat hat seit Einführung von § 111 Abs. 4 AktG allerdings die Pflicht, einen Katalog von wichtigen Geschäftsführungsmaßnahmen festzusetzen, die der Zustimmung des Aufsichtsrats bedürfen. Der Aufsichtsrat ist nicht mehr nur Überwachungsorgan, sondern bei Entscheidungen von grundlegender Bedeutung unmittelbar und maßgeblich an der Geschäftsführung beteiligt. Das deutsche System nähert sich in dieser Hinsicht dem Board-System. Vgl. dazu die Präambel des DCGK; v. Werder, in: Ringleb / Kremer / Lutter / v.  Werder (Hrsg.), DCGK-Komm Rn.  102 f. 96  Allen / Kraakman / Subramanian, Business Organization, Chapter 4.2.1 S. 88 f.; Ringleb, in: Ringelb / Kremer / Lutter / v.  Werder Rn.  20; Klöhn, RIW 2008, 37; Flei-

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1. Kap.: Genese

die Unternehmensverfassung betreffende Fragen, die in Deutschland zwin­ gende Satzungsbestandteile sind, durch die Bylaws individuell geregelt werden. Ein für diese Arbeit relevantes Beispiel ist die Besetzung des Auf­ sichtsrats: Das deutsche Aktienrecht enthält, insbesondere in Fällen der Mitbestimmung, detaillierte Bestimmungen zur Anzahl und Zusammenset­ zung des Aufsichtsratsgremiums97, von denen nicht einmal die Hauptver­ sammlung durch einstimmigen Beschluss abweichen kann.98 Nach USamerikanischem Recht dagegen gibt es nicht nur keine bestimmten Vorgaben zur Anzahl und Besetzung des Boards, vielmehr ist es nicht einmal zwin­ gend, dass die Satzung („Articles of Incorporation“) eine bestimmte Anzahl von Boardmitgliedern bestimmt, sondern die Zahl der Direktoren kann (häufig durch die Geschäftsführung) eigenständig in den Bylaws festgelegt werden.99

scher, ZHR 168 (2004), 673, 691; dazu auch Hommelhoff, ZGR 2001, 238, 241 und Spindler, AG 1998, 53, 73, die im Ergebnis für mehr Spielraum bei der individuel­ len Satzungsgestaltung plädieren; zur Satzungsstrenge i. S. v. § 23 Abs. 5 AktG aus­ führlich Pentz, in: MüKo-AktG, Band 1, § 23 Rn. 148 ff.; Windbichler, Gesell­ schaftsrecht, § 26 Rn. 2. 97  Im Jahr 2006 unterfielen 721 Gesellschaften dem MitbestG, davon 319 Ak­ tiengesellschaften und ca. 50 dem MontanmitbestG, vgl. iwd Nr. 13 vom 27.3.2008. Vom DrittelbG betroffen sind 1.477 Rechtsträger (Stand: 15.10.2009), vgl. ­Bayer / Hoffmann, AG-Report 2010, R151, R153. Stark vereinfacht besagen die verschiedenen Mitbestimmungsgesetze, dass dem Aufsichtsrat weniger großer Unternehmen (500 bis 2000 Beschäftigte) gem. § 4 Abs. 1 Drittelbeteiligungsgesetz („DrittelbG“) zu einem Drittel Arbeitnehmervertre­ ter angehören müssen. Großunternehmen (mehr als 2000 Beschäftigte) haben den Aufsichtsrat gem. § 7 Abs. 1 Mitbestimmungsgesetz („MitbestG“) je zur Hälfte aus Vertretern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer, also paritätisch, zu besetzen. Gesellschaften aus dem Montanbereich mit in der Regel mehr als 1000 Beschäftig­ ten, sowie deren herrschende Konzernobergesellschaften, müssen ihren Aufsichtsrat gem. §§ 4 Abs. 1, 8, 9 Montanmitbestimmungsgesetz („MontanMitbestG“) und §§ 2, 3 Montanmitbestimmungsergänzungsgesetz („MitbestErgG“) ebenfalls paritä­ tisch besetzen, wobei von elf (bei größeren Gesellschaften 15 oder 21) Mitgliedern je vier auf die beiden Seiten entfallen, zu denen noch auf beiden Seiten je ein sog. „weiteres Mitglied“ hinzukommt. Ein zwischen beiden „Bänken“ stehendes, das Gesetz spricht hier von einem „weiteren weiteren Mitglied“, sog. „neutrales Mit­ glied“, ergänzt den Aufsichtsrat auf eine ungerade Mitgliederzahl. Die speziellen Regelungen für den Montanbereich gehen den allgemeinen Regelungen gem. § 1 Abs. 2 MitbestG vor; übersichtliche grafische Darstellung bei Hromadka / Maschmann, Arbeitsrecht, S. 215. 98  Hromadka / Maschmann, Arbeitsrecht, § 15 Rn. 23; Windbichler, Gesellschafts­ recht, § 28 Rn. 11. 99  Vgl. Sec. 102, 141 (b) Delaware General Corporation Law („DGCL“); Allen /  Kraakman / Subramanian, Business Organization, Chapter 4.2.4, S. 92; für Großbri­ tannien Davies, ZGR 2001, 268, 276.



C. Normzweck47

Zwischenergebnis Aus den unterschiedlichen Strukturen der Unternehmensführung lassen sich mittelbar auch unterschiedliche Intentionen der Gesetzgeber bei der Kodifikation des unabhängigen Finanzexperten herleiten. Das Ziel in Groß­ britannien und den USA durch die Einführung von unabhängigen Direktoren eine Trennung der Überwachung von der Geschäftsführung herbeizuführen, verschiebt die dortige Corporate Governance in Richtung einer dualistischen Struktur (funktionale Konvergenz).100 Die dort angestrebte personelle Tren­ nung ist in Deutschland bereits durch § 105 Abs. 1 AktG sichergestellt. Die Einrichtung eines Prüfungsausschusses bei deutschen Aktiengesellschaften wird dagegen mehr von dem Gedanken getragen, dass ein kleineres Gremi­ um die ihm übertragenen Aufgaben schneller, konzentrierter und professio­ neller erledigen könne, als dies dem Aufsichtsrat in seiner Gesamtheit möglich sei.101 Vor dem Hintergrund dieser beachtlichen Unterschiede ist es offensicht­ lich, dass die Implementierung eines Transplantats von dem einen in das andere System nicht notwendig einen Fortschritt im Bereich der Unterneh­ mensverfassung bedeuten muss. In den angelsächsischen Rechtssystemen kollidieren neue Vorgaben für den Bereich der Corporate Governance häufig nur mit individuellen Satzungsausgestaltungen, die entsprechend anzupassen sind. Werden solche Maßnahmen jedoch unreflektiert auf das starre deut­ sche System übertragen, so besteht die Möglichkeit, dass sie sich nur schwerlich oder überhaupt nicht mit den vielen bereits bestehenden und teilweise nur in Deutschland existierenden gesetzlichen Vorgaben, beispiels­ weise mit der paritätischen Mitbestimmung auf Unternehmensebene, verein­ baren lassen. Dadurch entsteht dann an Stelle eines Fortschrittes ein inkon­ sistentes System.102 Um ein inkonsistentes System zu vermeiden, besteht daher in Deutschland regelmäßig Abstimmungsbedarf, wenn neue kapital­ marktrechtliche Vorgaben in das Rechtsgebiet des Aktiengesellschaftsrechts eingreifen.103 Der deutsche Gesetzgeber hätte gut daran getan, sich intensi­ 100  Bernhardt, ZHR 159 (1995), 310, 314; Block, BKR 2003, 774, 778; Donald, WM 2003, 705, 712 ff.; Kersting, ZIP 2003, 2010, 2015; Schwarz / Holland, ZIP 2002, 1661, 1670; Siems, Konvergenz, S. 255 f., 298; a. A. Klöckner, DAJV News­ letter 2011, 13, 15, 19. 101  BegrRegE, BT-Drucks. 16 / 10067 S. 102; Habersack, in: MüKo-AktG Band 2 § 107 Rn. 109 f. 102  Teubner, FS Blankenburg, 1998, 233  f.; Bernhardt, BB 2008, 1686, 1688; Zweigert / Kötz, Rechtsvergleichung, S. 186, 190; Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 655. 103  Fleischer, in: Engel  / Schön (Hrsg.), Proprium der Rechtswissenschaft, S. 50, 58.

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1. Kap.: Genese

ver mit der Umsetzung der Abschlussprüferrichtlinie in § 100 Abs. 5 AktG zu beschäftigen, auch wenn er sich mit dem Argument, dass er lediglich europäische Vorgaben umgesetzt hat, rechtfertigen kann.104 Die folgende Untersuchung soll aus deutscher Perspektive erfolgen und beschäftigt sich ausschließlich mit dem unabhängigen Finanzexperten im deutschen Aufsichtsrat. Als Mittelweg zwischen sorgloser Rezeptionsfreude und kategorischem Verzicht auf Rechtsvergleiche soll dort, wo es hilfreich erscheint, versucht werden, die neue Regelung durch den im angelsächsi­ schen Raum bereits gewonnen Erfahrungsschatz mit Leben zu füllen. Aller­ dings können Ratschläge und Erfahrungen für Gesellschaften mit monisti­ scher Struktur und non-executive Directors nur mit Vorsicht herangezogen werden und es bedarf stets einer Prüfung im Einzelfall, ob die jeweilige Auslegung im fremden Recht mit dem deutschen Recht vereinbar ist.

D. Die besondere Stellung des Finanzexperten Zunächst muss klar gestellt werden, dass der unabhängige Finanzexperte kein „Staat im Staate“105 sein soll. Er ist zunächst und in erster Linie ein normales Aufsichtsratsmitglied mit allen Aufgaben, Rechten und Pflichten von Aufsichtsratsmitgliedern. Er hat insbesondere auch nur ein Stimmrecht und kann daher bei Beschlussfassungen überstimmt werden.106 Dennoch muss untersucht werden, welche Aufgaben dem unabhängigen Finanzexper­ ten vom Gesetzgeber zugedacht wurden. Darüber hinaus ist es unklar, ob, und gegebenenfalls welche besonderen, d. h. über die der anderen Aufsichts­ ratsmitglieder hinausgehenden, Rechte und Pflichten sowie Kompetenzen dem unabhängigen Finanzexperten zustehen. Durch das BilMoG wurden keine Regelungen kodifiziert, welche den Aufgabenbereich des Finanzexperten konkretisieren. Das Aktiengesetz ent­ hält in dem ebenfalls durch das BilMoG neu eingefügten § 107 Abs. 3 S. 2 AktG eine Anregung zur Einrichtung von Prüfungsausschüssen und eine Übersicht zu den von diesen Prüfungsausschüssen wahrzunehmenden Auf­ gabenbereichen.107 Soweit ein Prüfungsausschuss eingerichtet ist, muss ge­ 104  Theisen,

in: Freidank / Altes (Hrsg.), Ziele und Mittel des BilMoG, S. 345. zur Stellung des Arbeitsdirektors innerhalb des Vorstands Schröder und Höcker, Hinweise der Unternehmervertreter im Redaktionskomitee zur Entstehung der Richtlinien über die Mitbestimmung in Kohle und Eisen schaffender Industrie, ParlA, I 159 B, lfd. Nr. 23, zitiert nach Müller-List, Montanmitbestimmung, S. 332. 106  Kropff, FS K. Schmidt 2009, 1023, 1037. 107  Ausführlich u. a. die beiden kürzlich erschienenen Dissertationen von Strunk, Prüfungsausschuss des Aufsichtsrats, 2009; Huwer, Prüfungsausschuss des Auf­ sichtsrats, 2008. 105  So



D. Die besondere Stellung des Finanzexperten49

mäß dem ebenfalls im Rahmen des BilMoG eingefügten § 107 Abs. 4 AktG eines der Ausschussmitglieder ein unabhängiger Finanzexperte i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG sein. Dies lässt die Schlussfolgerung zu, dass eine Parallele zwischen den Aufgaben des Prüfungsausschusses und denen des unabhängi­ gen Finanzexperten besteht.108 Für diese enge Verbindung des Tätigkeitsbe­ reichs des unabhängigen Finanzexperten und des Prüfungsausschusses sprechen auch die Wurzeln der Norm in Art. 41 Abs. 1 der Abschlussprüfer­ richtlinie, wonach zwingend ein Finanzexperte im Prüfungsschuss vorhan­ den sein soll und ferner Ziff. 5.3.2 Deutscher Corporate Governance Kodex, der die Anregung enthält, dass der Finanzexperte den Vorsitz im Prüfungs­ ausschuss übernehmen sollte. Ein Blick auf die Empfehlung des Gesetzge­ bers zu den Aufgaben des Prüfungsausschusses erlaubt daher Rückschlüsse auf den Tätigkeitsbereich des unabhängigen Finanzexperten.

I. Entstehungsgeschichte von Prüfungsausschüssen Die Institution von Prüfungsausschüssen geht maßgeblich auf die im an­ gelsächsischen Rechtsraum mit monistischer Unternehmensorganisation verbreiteten Audit Committees zurück.109 Häufig werden die Begriffe des Prüfungsausschusses und des Audit Committees synonym verwendet.110 Wegen der im monistischen System fehlenden institutionalisierten Trennung von Geschäftsführungs- und Kontrollorgan sollen die mit unabhängigen Boardmitgliedern zu besetzenden Audit Committees Interessenskonflikte bei der Kontrolle auflösen und die Unabhängigkeit des Abschlussprüfers absi­ chern.111 Die durch Sec. 301 SOA veränderte Sec. 10A SEA 1934 sagt zu den Aufgaben des Audit Committees: „The audit committee of each issuer, in its capacity as a committee of the board of directors, shall be directly responsible for the appointment, compensation, and oversight of the work of any registered public accounting firm employed by that issuer (including resolution of disagreements between management and the auditor regarding 108  OLG München, NZG 2010, 784; Eggers / Reiß / Schichold, Der Aufsichtsrat 2009, 157. 109  Baums, Bericht Regierungskommission Corporate Governance, BT-Drucks. 14 / 7515, S.  133, Rn.  312 ff.; Huwer, Prüfungsausschüsse der Aktiengesellschaft, S. 54; Maushake, Audit Committees, S. 18. 110  Beispielsweise die Deutsche Bank AG und die Siemens AG bezeichnen (si­ cherlich um die Verständlichkeit für englisch-sprachige Investoren zu erhöhen) den Prüfungsausschuss in der englischen Version ihrer Web-Präsenz und in den Jahres­ abschlussberichten als Audit Committee. Auch in Ziff. 5.3.2 DCGK heißt es „… Prü­ fungsausschuss (Audit Committee) …“, vgl. Deneke, Prüfungsausschuss, S. 42. 111  Baums, Bericht Regierungskommission Corporate Governance, BTDrucks. 14 / 7515, S. 133, Rn. 312 ff.

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1. Kap.: Genese

financial reporting) for the purpose of preparing or issuing an audit report or related work, and each such registered public accounting firm shall report directly to the audit committee.“ Wie bereits dargestellt, ist in den dualistischen Systemen die Trennung von Geschäftsführung und Kontrolle im System bereits angelegt. Auf Grund dieser systemimmanenten Unterschiede können die insbesondere im USamerikanischen Recht entwickelten Grundsätze zu Audit Committees nicht unmittelbar auf den deutschen Prüfungsausschuss innerhalb der dualistischen Unternehmensverfassung angewandt werden.112 „Der Prüfungsausschuss hat andere Aufgaben als das Audit Committee.“113

II. Pflicht zur Einrichtung von Prüfungsausschüssen Der Gesetzgeber hat im Rahmen des BilMoG in § 107 Abs. 3, 4 AktG und § 324 HGB an zwei verschiedenen Stellen Aussagen zu Prüfungsaus­ schüssen getroffen. Das geht zurück auf Art. 41 Abs. 1 der Abschlussprüfer­ richtlinie, wonach jedes Unternehmen von öffentlichem Interesse einen Prüfungsausschuss einzurichten hat. Die Unterschiede in der Organstruktur der verschiedenen Rechtsformen, die kapitalmarktorientierte Kapitalgesell­ schaften sein können, namentlich das Vorhandensein respektive das Fehlen eines Aufsichtsrats oder sonstigen eigenständigen Kontrollorgans, machen diese zweispurige Regelung notwendig.114 § 107 Abs. 3 AktG ist die Kernregelung zum Prüfungsausschuss, während § 324 HGB als Auffangtatbestand Regelungen für diejenigen Gesellschaften trifft, die kein Aufsichtsorgan haben, das die Voraussetzungen von § 100 Abs. 5 AktG erfüllen muss.115 Für kapitalmarktorientierte Gesellschaften, die einen obligatorischen Aufsichtsrat haben, gelten aufgrund des im Trilog mit dem Europäischen Parlament gefundenen Kompromisses die folgenden Besonderheiten: Gemäß dem 24. Erwägungsgrund der Abschlussprüferricht­ linie können die Mitgliedstaaten festlegen, dass die dem Prüfungsausschuss von der Abschlussprüferrichtlinie zugewiesenen Funktionen und die perso­ nelle Besetzung mit einem unabhängigen Finanzexperten durch den Auf­ 112  Klöckner, DAJV Newsletter 2011, 13, 14 f.; Kort, AG 2008, 137, 145; Ranzinger / Blies, AG 2001, 458; Rössler, Audit Committee, S. 206 ff.; Scheffler, ZGR 2003, 236, 237. 113   Prägnant formuliert von Cromme, in: Cromme (Hrsg.), Corporate Governance Report 2005, 23, 31; ähnlich Sünner, CCZ 2009, 185, 187. 114  BegrRegE, BT-Drucks. 16  /  10067, S. 101; vgl. zu den unterschiedlichen Organstrukturen s. o. S.  21 f. 115  Ernst / Seidler, ZGR 2008, 631, 663; Strunk, Prüfungsausschuss des Aufsichts­ rats, S. 107.



D. Die besondere Stellung des Finanzexperten51

sichtsrat als Ganzes ausgeübt werden können. Von dieser Möglichkeit hat der deutsche Gesetzgeber ausdrücklich Gebrauch gemacht.116 Allgemein gilt gemäß § 107 Abs. 3 S. 1 AktG für Aufsichtsratsausschüs­ se, dass deren Bildung der Organisationsautonomie des Aufsichtsratsorgans obliegt (fakultative Ausschüsse).117 Die Hauptversammlung kann den Auf­ sichtsrat weder durch Beschluss noch durch Satzungsregeln zur Bildung oder Auflösung von Ausschüssen zwingen.118 Entsprechend kann der Auf­ sichtsrat jederzeit existierende Ausschüsse auflösen oder einzelne delegierte Aufgaben an sich zurück ziehen. Damit wird deutlich, dass fakultative Ausschüsse Teil des Gesamtorgans und keine eigenständigen Organe sind.119 Einen eigenständigen, neben dem Aufsichtsrat stehenden Prüfungsausschuss 116  BT-Drucks. 16 / 10067 S.  92; Maushake, Audit Committee, S. 204 f.; Klöckner, DAJV Newsletter 2011, 13, 14; Krasberg, Prüfungsausschuss, S. 62 f. Sehr befremdlich ist es, dass die Möglichkeit der Wahrnehmung durch das gesam­ te Plenum durch § 34 Abs. 4 SEAG auch auf die monistisch strukturierte SE er­ streckt wird. Die Entstehungsgeschichte hat gezeigt, dass gerade für diese Gesell­ schaften eine Trennung von Geschäftsführung und Aufsicht durch den Prüfungsaus­ schuss geschaffen werden soll. Erlaubt man es den monistisch strukturierten Gesellschaften, die Aufgaben auch durch den Verwaltungsrat als Ganzes wahrzuneh­ men, so hat man sich bei diesen Gesellschaften um 360 Grad gedreht und steht damit wieder genau dort, wo man angefangen hat; die Geschäftsführung ist an der eigenen Kontrolle beteiligt. Darüber hinaus ist es widersprüchlich, wenn die Kom­ missionsempfehlung in Anhang I Ziff. 4.3.3 dem Prüfungsausschuss die Kompetenz zuweist, zu entscheiden, ob der Generaldirektor bzw. der Vorstandsvorsitzende an den Sitzungen des Prüfungsausschuss teilnehmen sollte. Nimmt aber der Verwal­ tungsrat als Ganzes die Aufgaben des Prüfungsausschusses wahr, so ist ein solches Treffen der Kontrolleure ohne die gleichzeitige Anwesenheit der zu Kontrollierenden faktisch ausgeschlossen. Die von der Abschlussprüferrichtlinie und dem deutschen Gesetzgeber gewährte Möglichkeit, die Aufgaben des Prüfungsausschusses dem Ver­ waltungsrat, beispielsweise der monistischen SE, zuzuweisen, ist nicht überzeugend. In dem durch das BilMoG ebenfalls neu eingefügten § 34 Abs. 4 SEAG sollte es daher statt „Der Verwaltungsrat kann einen Prüfungsausschuss einrichten […]“, hei­ ßen: „Der Verwaltungsrat muss einen Prüfungsausschuss einrichten […]“. 117  Hopt / Roth, in: Großkomm-AktG § 107, Band 4, Rn. 228 / 242; Habersack, in: MüKo-AktG, Band 2, § 107 Rn. 92; Beuthien, NZG 2010, 333. Eine Ausnahme zu diesem Grundsatz gilt freilich für mitbestimmte Gesellschaften, die gem. §§ 27 Abs. 2, 31 Abs. 3 MitbestG, 8 Abs. 2 MontanMitbestG einen Vermittlungsausschuss einzurichten haben. 118  BGHZ 122, 342, 355 („Hamburg Mannheimer“); 83, 106, 114 („Siemens“); ff.; Gittermann, in: Sem­ Habersack, in: MüKo-AktG, Band 2, § 107 Rn. 93  ler / v. Schenk, ARHdb. § 6 Rn. 6; Ehlers / Nohlen, Gedächtnisschrift Gruson, 2009, 107, 110; Langenbucher / Blaum, DB 1994, 2197, 2200; Schilmar, Der Aufsichtsrat, 2009, 101. 119  Gittermann, in: Semler / v. Schenk, ARHdb. § 6 Rn. 10; Rosen, AG 2008, 537; Semler, AG 1988, 60, 61; differenzierend Rellermeyer, Aufsichtsratsausschüsse, S.  70 f.

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1. Kap.: Genese

dürfen kapitalmarktorientierte Gesellschaften mit obligatorischem Aufsichts­ rat nicht einrichten, da es sonst zu unauflösbaren Problemen hinsichtlich der Aufgabenverteilung zwischen Prüfungsausschuss und Aufsichtsrat käme.120 Ausschüsse sind „aus der Mitte“ des Gesamtorgans heraus zu bilden, d. h. ausschließlich mit Aufsichtsratsmitgliedern und nicht mit Dritten (z.  B. Sachverständigen) zu besetzen.121 Daraus ergibt sich zwingend, dass der unabhängige Finanzexperte des Prüfungsausschusses auch Aufsichtsratsmit­ glied sein muss. Allein Sache des Aufsichtsrats ist ferner die Bestimmung von Tätigkeitsbereich, Größe, Zusammensetzung, Dauer und Befugnissen des Ausschusses.122 Für kapitalmarktorientierte Gesellschaften, die keinen obligatorischen Aufsichts- oder Verwaltungsrat haben, schreibt § 324 HGB hingegen die Einrichtung eines Prüfungsausschusses zwingend vor. Neben die monisti­ sche Unternehmensführung tritt ein von den Gesellschaftern gewähltes Überwachungsgremium, das selbstständiges Organ der Gesellschaft ist.123 Während gemäß § 107 Abs. 3 S. 2 AktG die Aufgaben nicht zwingend an den Prüfungsausschuss delegiert werden müssen, stellt der Wortlaut von § 324 HGB fest, dass ein obligatorischer Prüfungsausschuss i. S. v. § 324 HGB die in § 107 Abs. 3 S. 2 AktG dem fakultativen Aufsichtsrat lediglich empfohlenen Aufgaben und Befugnisse zwingend wahrnehmen darf und muss. Er kann mithin mehr Aufgaben und Befugnisse haben, muss aber jedenfalls die in § 107 Abs. 3 S. 2 AktG genannten Aufgaben erfüllen.124 Hier ist der Mindesttätigkeitsbereich des unabhängigen Finanzexperten da­ her klar definiert.

III. Aufgaben von Prüfungsausschüssen In Deutschland war der Prüfungsausschuss entsprechend den Vorgaben des Aktionsplans der Kommission bislang ausschließlich auf Grundlage des Prinzips „Comply or Explain“ als Empfehlung in Ziff. 5.3.2 DCGK gere­ gelt.125 Obwohl der Prüfungsausschuss daher nicht zwingend eingerichtet werden musste, hatten gemäß der Erhebung von v.  Werder / Talaulicar bereits vor dem Inkrafttreten des BilMoG 100 % der DAX- und MDAX-Gesell­ 120  BT-Drucks. 16 / 10067 S.  92; Hopt / Merkt, in: Baumbach  / Hopt, § 324 Rn. 3; Habersack, AG 2008, 98, 102. 121  Gittermann, in: Semler / v. Schenk, ARHdb. § 6 Rn. 5. 122  Semler, AG 1988, 60, 62 f.; Lehmann, DB 1979, 2117, 2118 f. 123  Drygala, in: K. Schmidt / Lutter, Band I, § 100 Rn. 44; Gernoth, NZG 2010, 292, 295; Staake, ZIP 2010, 1013, 1014 (Fn. 17). 124  Hopt / Merkt, in: Baumbach / Hopt, § 324 Rn. 5. 125  Aktionsplan der Kommission, a.a.O Fn. 89, S. 18.



D. Die besondere Stellung des Finanzexperten53

schaften einen solchen Prüfungsausschuss eingerichtet.126 Auch in den an­ deren Börsensegmenten des regulierten Marktes waren Prüfungsausschüsse häufig eingerichtet und gelebte Praxis.127 In dem durch das BilMoG neu eingefügten § 107 Abs. 3 S. 2 AktG wer­ den die Aufgaben aufgezählt, die der Aufsichtsrat gegebenenfalls an den Prüfungsausschuss delegieren soll. Es handelt sich hierbei um eine Empfeh­ lung an den Aufsichtsrat.128 Es steht in dessen Ermessen, ob und wie er diese Aufgaben delegiert. Ferner handelt es sich lediglich um eine Konkre­ tisierung von Aufgaben, die bereits zuvor Bestandteil der allgemeinen Über­ wachungsfunktion des Aufsichtsrats aus § 111 Abs. 1 AktG waren.129 Wei­ tere Aufgaben für den Prüfungsausschuss ergeben sich aus §§ 124 Abs. 3 S. 2, 171 Abs. 1 S. 2, 3 AktG. Anders als die durch das Audit Committee beabsichtigte Einführung einer Trennung von Geschäftsführung und Kontrolltätigkeit, soll der Prüfungsaus­ schuss im dualistischen System die Effizienz der Tätigkeiten des Aufsichts­ rats dadurch zu erhöhen, dass ein kleineres Gremium die ihm übertragenen Aufgaben in der Regel schneller, konzentrierter und professioneller erledi­ gen kann, als der Gesamtaufsichtsrat.130 Vor dem Hintergrund der Pflicht von kapitalmarktorientierten Gesellschaften, den Jahresabschlussbericht131 126  v.  Werder / Talaulicar, DB 2009, 689, 693; dies., DB 2008, 825, 828 für den Stand von 2008, Einrichtung eines Prüfungsausschusses bei MDAX-Gesellschaften in 2008 zu 96,7 %. 127  v.  Werder / Talaulicar, DB 2009, 689, 693; Tec-DAX 62,5 %, S-DAX 75,0 %, Prime-Standard 47,5 %, General-Standard 47,7 %; Ehlers / Nohlen, GS Gruson, 2009, 107, 114. 128  Auf eine zwingende Aufgabenzuweisung an den Aufsichtsrat wurde vermut­ lich auf Grund der Empfehlung der Regierungskommission Corporate Governance, Baums, BT-Drucks. 14 / 7515, S. 133 Rn. 312 ff. verzichtet. Dort wird die Befürch­ tung geäußert, dass die Einsetzung eines Ausschusses dazu führen könne, dass die nicht dem Ausschuss angehörenden Aufsichtsratsmitglieder sich um die dort zu be­ handelnden Aufgaben überhaupt nicht mehr kümmern würden. Je nach der Lage des Unternehmens könne es jedoch erforderlich sein, dass sich alle Aufsichtsratsmitglie­ der mit der Rechnungslegung beschäftigten. Durch die Empfehlung soll dem Auf­ sichtsrat der notwendige Freiraum zugestanden werden, im Einzelfall zu entscheiden, welche Option am günstigsten ist. 129  BegrRegE BT-Drucks. 16 / 10067 S. 102; Gernoth, NZG 2010, 292, 293; Krasberg, Prüfungsausschuss, S. 119; Ernst / Seidler, BB 2007, 2557, 2564; Ehlers / Nohlen, Gedächtnisschrift Gruson, 2009, 107, 120; Lanfermann / Röhricht, BB 2009, 887, 889; Staake, ZIP 2010, 1013, 1014. 130  BegrRegE BT-Drucks. 16 / 10067 S. 102; Maushake, Audit Committees, S. 26, 36; Ernst / Seidler, ZGR 2008, 631, 667; Preußner, NZG 2008, 574; Staake, ZIP 2010, 1013, 1014 (Fn. 15). 131  Der Jahresabschluss von Kapitalgesellschaften setzt sich gemäß §§ 242 Abs. 3, 264 Abs. 1 S. 1 HGB aus der Bilanz, der Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) sowie

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1. Kap.: Genese

gemäß § 325 Abs. 4 i. V. m. Abs. 1 HGB spätestens vier Monate nach Ab­ schluss des Geschäftsjahres einzureichen und zu veröffentlichen, ist eine konzentrierte und schnelle Arbeit des Aufsichtsrats in Bezug auf die Rech­ nungslegung unumgänglich. Ferner erwartet der Gesetzgeber von der Ein­ richtung von Prüfungsausschüssen eine Qualitätssteigerung der Aufsichtsar­ beit, da zu erwarten sei, dass die Mitglieder des Ausschusses sich stärker mit den ihnen übertragenen Aufgaben identifizieren würden.132 Die in §§ 107 Abs. 3 S. 2, 124 Abs. 3 S. 2, 171 Abs. 1 S. 2, 3 AktG n. F. aufgezählten Tätigkeiten, mit denen sich Prüfungsausschüsse befassen soll­ ten, erfolgte in Umsetzung von Art. 41 Abs. 2, 3 der Abschlussprüferricht­ linie. Die Richtlinie wiederum basiert auf Anhang I der Kommissionsemp­ fehlung. Im Unterschied zu dem Kriterium der Unabhängigkeit133 erfolgte hier eine 1:1 Umsetzung der europarechtlichen Vorgaben, wobei die Kom­ missionsempfehlung detaillierte Vorgaben macht, als die Richtlinie und § 107 Abs. 3 S. 2 AktG. Auch der DCGK enthält in Ziff. 5.3.2 und 7.2.1 gleichlautende Empfehlungen. Die dem Prüfungsausschuss zugedachten Aufgaben stellen sich wie folgt dar: •• Überwachung des Rechnungslegungsprozesses und der Finanzinformatio­ nen (§ 107 Abs. 3 S. 2 AktG; Art. 41 Abs. 2 lit.  a) Abschlussprüferricht­ linie; Anhang I Ziff. 4.2.1 Kommissionsempfehlung; Ziff. 5.3.2 DCGK); •• Überwachung der Wirksamkeit des internen Kontrollsystems („IKS“) (§ 107 Abs. 3 S. 2 AktG; Art. 41 Abs. 2 lit.  b) Abschlussprüferrichtlinie; Anhang I Ziff. 4.2.1 Kommissionsempfehlung); •• Überwachung des Risikomanagementsystems sowie des internen Revisions­ systems (§ 107 Abs. 3 S. 2 AktG; Art. 41 Abs. 2 lit. b) Abschlussprüferricht­ linie; Anhang I Ziff. 4.2.1 Kommissionsempfehlung; Ziff. 5.3.2 DCGK); •• Überwachung der Abschlussprüfung und der Unabhängigkeit des Abschluss­ prüfers (§ 107 Abs. 3 S. 2 AktG; Art. 41 Abs. 2 lit. c) Abschlussprüferricht­ linie; Anhang I Ziff. 4.2.2 Kommissionsempfehlung; Ziff. 5.3.2 DCGK); •• Empfehlung an den Aufsichtsrat zum Vorschlag über die Auswahl, Bestel­ lung, Wiederbestellung und Entlassung des Abschlussprüfers (§ 124 Abs. 3 S. 2 AktG; Art. 41 Abs. 3 Abschlussprüferrichtlinie; Anhang I Ziff. 4.2 Kommissionsempfehlung; Ziff. 5.3.2 DCGK).134 dem Anhang zusammen. Zusätzlich ist ein Lagebericht aufzustellen, der aber nicht Teil des Jahresabschlusses ist. Kapitalmarktorientierte Gesellschaften haben gemäß § 289a Abs. 1 S. 1 HGB eine Erklärung zur Unternehmensführung in ihren Lagebe­ richt aufzunehmen, die dort einen gesonderten Abschnitt bildet. 132  BegrRegE BT-Drucks. 16 / 10067 S. 102. 133  Siehe dazu 2. Kapitel B. V. 1. 134  Darstellungen dieses typischen Aufgabenkatalogs bei Maushake, Audit Com­ mittees, S. 435 ff. und Warncke, Prüfungsausschuss, S. 259, 269 ff.



D. Die besondere Stellung des Finanzexperten55

Zu den wohl wichtigsten Aufgaben des Prüfungsausschusses zählt dane­ ben die Vorbereitung von den Aufgaben des Aufsichtsrats, die dem Plenum vorbehalten sind und nicht zum Beschluss an einen Ausschuss delegiert werden können.135 Für die nachstehenden Überlegungen von Bedeutung sind dabei die in § 108 Abs. 3 S. 3 AktG aufgezählten Plenumsvorbehal­ te / Delegationsverbote für die folgenden Aufsichtsratspflichten: •• § 171, 314 Abs. 2, 3 AktG: Vorbereitung und Prüfung und gegebenenfalls Billigung des Jahresabschlusses, Lageberichts, Gewinnverwendungsvor­ schlags, Konzernabschlusses, Konzernabschlusses, Abhängigkeitsberichts sowie der entsprechenden Anlangen / Berichtspflichten;136 •• Abgabe der Entsprechenserklärung nach § 161 AktG137. Zusammenfassend lassen sich die Aufgaben des Prüfungsausschusses im Wesentlichen in zwei Bereiche aufteilen: Zum einen soll er durch die Über­ wachung der Rechnungslegung, internen Revision und des Risikomanage­ ments den Vorstand kontrollieren sowie die Richtigkeit der von diesem er­ mittelten Finanzzahlen sicherstellen.138 Der Prüfungsausschuss sollte sich zweckmäßigerweise mit allen Fragen der Rechnungslegung und Abschluss­ prüfung vorbereitend befassen und der Ansprechpartner für den Abschluss­ prüfer sein.139 Für diese Tätigkeit bedarf es des Sachverstandes auf den Gebieten der Rechnungslegung oder Abschlussprüfung. Zum anderen soll er die Unabhängigkeit des Abschlussprüfers von der Gesellschaft und dem Vorstand überwachen. Dies zeigt bereits seine Stellung als Baustein inner­ halb der Abschlussprüfungsrichtlinie, die sich hauptsächlich mit der Unab­ hängigkeit der Abschlussprüfer beschäftigt. Die Rechnungslegungsprozesse, d. h. den ersten Bereich der Tätigkeit des Prüfungsausschusses, werden die Mitglieder des Prüfungsausschusses schon aus zeitlichen Gründen kaum tiefgründig prüfen können. Im Rahmen einer Plausibilitätsprüfung der Fi­ nanzzahlen werden sie dafür die Ergebnisse des Abschlussprüfers heranzie­ hen und sich, soweit sich keine anderslautenden Hinweise und Bedenken ergeben, auf deren Richtigkeit verlassen müssen. Daher ist die Unabhängig­ keit des Abschlussprüfers umso wichtiger und absolut notwendig, da nur im 135  Habersack, in: MüKo-AktG, Band 2, § 107 Rn. 92; Übersicht über sämtliche Aufgaben, die der Beschlussfassung durch das Plenum vorbehalten sind, bei Rellermeyer, Aufsichtsratsausschüsse, 1986, S. 15 ff. 136  Allgemein zu den Aufgaben von Prüfungsausschüssen im dualistischen Sys­ tem und insbesondere zur Vorbereitung und Prüfung des Jahresabschlusses Hopt / Roth, FS Nobel 2005, 147, 150 ff. 137  Hüffer, AktG, § 161 Rn. 13; Habersack, in: MüKo-AktG, Band 2, § 107 Rn. 134. 138  Eingehend zu den bilanzrechtlichen Problemen sowie den verschiedenen Kon­ trollsystemen: Lanfermann / Röhricht, BB 2009, 887, 889 ff. 139  Fida / Gelter / Rechberger, GeS 2006, 239, 240.

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1. Kap.: Genese

Falle seiner Unabhängigkeit vom Vorstand richtige, d. h. gegebenenfalls kritische Zahlen und Anmerkungen von ihm zu erwarten sind.

IV. Aufgaben des unabhängigen Finanzexperten Da der Aufgabenbereich des Finanzexperten wie gezeigt parallel zu den Aufgaben verläuft, die dem Prüfungsausschuss zugewiesen sind, kann an dieser Stelle auf die obigen Ausführungen verwiesen werden. Zusammen­ fassend lässt sich zu den Aufgaben des Finanzexperten festhalten, dass er gleich den anderen Aufsichtsratsmitgliedern den Vorstand und die von die­ sem vorgelegten Finanzdaten kontrollieren, sowie die Unabhängigkeit des Abschlussprüfers absichern soll. Gerade durch seine eigene Unabhängigkeit ist der Finanzexperte besonders dazu geeignet, die Unabhängigkeit des Ab­ schlussprüfers zu überprüfen und zu gewährleisten. Besonders die Vorbereitung der Feststellung des Jahres- und Konzernab­ schlusses zählt dabei zu den wichtigsten Aufgaben des unabhängigen Finanz­ experten und des Prüfungsausschusses. Die Billigung des aufgestellten und geprüften Jahresabschlusses durch den Aufsichtsrat führt gemäß § 172 AktG zu dessen Feststellung. Der festgestellte Jahresabschluss ist verbindlich und kann ohne besonderen Grund nicht mehr geändert werden.140 Der Jahresab­ schluss ist die wichtigste Informationsquelle zum Zustand des Unternehmens für den Aufsichtsrat, die Aktionäre und Gläubiger. Auf seiner Basis erfolgt die Feststellung des ausschüttungsfähigen Gewinns. Dementsprechend wich­ tig ist eine intensive Auseinandersetzung mit und Kontrolle des Jahresab­ schlusses durch den Finanzexperten zur Vorbereitung der Bilanzsitzung(en) des Aufsichtsrats. Um nicht nur nachträglich die (in diesen Fällen meist ne­ gativen) Zahlen zu überprüfen, sondern bereits präventiv wirken zu können, muss der unabhängige Finanzexperte sich auch um die Wirksamkeit des in­ ternen Kontroll- und Risikomanagementsystems kümmern.

V. Zusätzliche Rechte und Pflichten des Finanzexperten Wie bereits dargestellt, ist der unabhängige Finanzexperte kein Dritter, sondern auch ein Aufsichtsratsmitglied. Unklar ist allerdings, ob und gege­ benenfalls in welchem Rahmen den Finanzexperten durch seine hervorge­ hobene Stellung zusätzliche, über die allgemeinen hinausgehende Rechte und Pflichten treffen.141

23, 150, 152; Kübler / Assmann, Gesellschaftsrecht, § 16 I Nr. 4. schärferen Haftung siehe unten 2. Kapitel C. VII. und 3. Kapitel C. II. 2.

140  BGHZ 141  Zur



D. Die besondere Stellung des Finanzexperten57

1. Pflicht zur Wahrung der besonderen persönlichen Merkmale Von überragend wichtiger Bedeutung ist es in diesem Rahmen, ob den unabhängigen Finanzexperten die Pflicht trifft, seine besonderen persön­ lichen Merkmale zu wahren. Sollte diese Pflicht bestehen, dann wäre der Verlust der besonderen persönlichen Merkmale eine Pflichtverletzung. Durch diese Pflichtverletzung läge ein wichtiger Grund i. S. v. § 103 Abs. 3 S. 1 AktG zur Abberufung des unabhängigen Finanzexperten vor. Gegen eine Pflicht zur Wahrung der besonderen persönlichen Merkmale wird argumentiert, dass gemäß dem Wortlaut der Norm kein Mitglied des Gremiums individuell verpflichtet ist, die besonderen Merkmale zu erfüllen. Es handele sich bei § 100 Abs. 5 AktG lediglich um eine konkrete Beset­ zungsanforderung an das gesamte Gremium.142 Wenn nun kein Mitglied individuell verpflichtet sei, die besonderen Voraussetzungen zu erfüllen, dann könne deren Wegfall aber auch keinen wichtigen Grund zur Abberu­ fung darstellen. Vielmehr sei das entsprechende Mitglied dann weiterhin „normales Aufsichtsratsmitglied“, der Aufsichtsrat aber insgesamt fehlerhaft besetzt.143 Gegen diese Auffassung spricht jedoch zunächst klar Annex II Ziff. 2 S. 1 lit. a) und b) der Empfehlung der Europäischen Kommission vom 15.2.2005144, auf die auch in der Regierungsbegründung zu § 100 Abs. 5 AktG Bezug genommen wird.145 Dort heißt es: „Das unabhängige Auf­ sichtsratsmitglied verpflichtet sich, a) seine Unabhängigkeit in Bezug auf Bewertung, Entscheidung und Handeln unter allen Umständen zu wahren, b) keine unangemessene Vergünstigung anzustreben oder entgegen zu neh­ men, die als Gefährdung seiner Unabhängigkeit angesehen werden könnten […].“ Aus dieser Formulierung wird deutlich, dass es die Pflicht des Fi­ nanzexperten ist, seine Unabhängigkeit beizubehalten. Entgegen der obigen, die besondere Pflicht ablehnenden, Ansicht ist § 100 Abs. 5 AktG daher dahingehend auszulegen, dass zwar ursprünglich kein Aufsichtsratsmitglied verpflichtet ist, die besonderen Voraussetzungen mitzubringen. Allerdings trifft das Mitglied, das dann im Gremium die Rolle des Finanzexperten 142  Vgl.

zum Normcharakter oben 1. Kapitel B. I. in: K. Schmidt / Lutter, Band I, § 100 Rn. 42; Gruber, NZG 2008, 12, 14; Vetter, ZGR 2010, 751, 788 f.; von Falkenhausen / Kocher, ZIP 2009, 1601, 1602; Widmann, BB 2009, 2602, 2603; Wind / Klie, DStR 2010, 1339, 1341. 144  Empfehlung 2005  /  162 EG zu den Aufgaben von Aufsichtsratsmitgliedern börsennotierter Gesellschaften, Amtsblatt der EU 2005, L 52 / 51, 63. 145  Siehe ausführlich zur Kommissionsempfehlung und zur Regierungsbegrün­ dung siehe 2. Kapitel B. IV. 2. und V. 143  Drygala,

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1. Kap.: Genese

übernommen hat, die besondere Pflicht, die Merkmale während seiner ge­ samten Amtszeit beizubehalten.146 Für die hier befürwortete Auslegung sprechen neben dem Wortlaut der Kommissionsempfehlung auch zahlreiche teleologische Argumente. Zu­ nächst enthält sie ein verhaltenssteuerndes Element, da der unabhängige Finanzexperte bestrebt sein wird, seine Unabhängigkeit beizubehalten, um sein Amt nicht zu verlieren. Müsste er dagegen keinerlei negative Konse­ quenzen befürchten, sondern könnte sein Amt als normales Aufsichtsrats­ mitglied ohne Weiteres fortführen, so bestünden deutlich geringere Anreize, die Unabhängigkeit zu wahren. Jedenfalls den einzigen Finanzexperten treffen besondere Pflichten, da er durch den Verlust seiner besonderen persönlichen Merkmale den Verstoß gegen § 100 Abs. 5 AktG verursacht. Sein (Fehl-)Verhalten ist mithin kausal für die fehlerhafte Besetzung des Gremiums. Es wäre widersprüchlich und daher rechtsmissbräuchlich von dem ehemaligen Finanzexperten, zunächst das Amt des Finanzexperten und die damit verbundenen, zusätzlichen An­ forderungen anzunehmen, um sich sodann beim Verstoß gegen die Anforde­ rungen darauf zu berufen, dass er ja ohnehin nicht verpflichtet sei, die Merkmale zu erfüllen und auch einfaches Aufsichtsratsmitglied sein könne und wolle. Schließlich wird durch diese Auslegung das unbefriedigende Ergebnis vermieden, dass das Gremium zwar nach dem Verlust der besonderen Qua­ lifikationsmerkmale des letzten Finanzexperten unter Verstoß gegen § 100 Abs. 5 AktG besetzt ist, aber eine Neubesetzung unter Beachtung von § 100 Abs. 5 AktG ausscheidet. Zu diesem Ergebnis gelangt man jedoch, wenn man den ehemaligen Finanzexperten auch nach Verlust seiner besonderen persönlichen Merkmale als normales Aufsichtsratsmitglied duldet. Dann wird nämlich mangels wichtigen Grundes zur Abberufung kein Posten frei, der neu besetzt werden könnte. Der Aufsichtsrat wäre dann bis zur nächsten personellen Umbesetzung fehlerhaft besetzt. Dieses Ergebnis lässt sich je­ doch mit dem Wortlaut von § 100 Abs. 5 AktG, gemäß dem jederzeit ein Finanzexperte dem Gremium angehören muss, nicht in Einklang bringen. Der Wortlaut spricht vielmehr dafür, dass bei Verlust der besonderen Qua­ lifikationen des Finanzexperten dieser umgehend zu ersetzen ist, sodass das Gremium wieder gesetzeskonform besetzt ist. Etwas anderes mag sich frei­ 146  Jaspers, AG, 2009, 607, 614 („faktische Gewährträgerrolle“); Nowak, Unab­ hängigkeit, S.  235 f.; dies., BB 2010, 2423, 2426; Theisen, Der Aufsichtsrat 2009, 81; im Ergebnis wohl auch Kropff, FS K. Schmidt 2009, 1023, 1034; Hennrichs, Stellungnahme zum Regierungsentwurf des BilMoG vom 11. Dezember 2008, S. 14, Rz.  39 (abrufbar unter: http: /  / www.uni-koeln.de / jur-fak / lbrsr / Hennrichs_StN%20 RAusschuss%20BilMoG.pdf).



D. Die besondere Stellung des Finanzexperten59

lich in den Fällen ergeben, in denen ein anderes Aufsichtsratsmitglied frei­ willig ausscheidet, um seinen Platz für einen neuen Finanzexperten freizu­ geben. Dann kann der ehemalige Finanzexperte als normales Mitglied dem Gremium auch weiterhin angehören. Festzuhalten bleibt mithin, dass es die besondere Pflicht jedenfalls des einzigen unabhängigen Finanzexperten ist, seine besonderen persönlichen Qualifikationen der Unabhängigkeit und Finanzexpertise zu erhalten.147 2. Anspruch auf Mitgliedschaft im Prüfungsausschuss Der unabhängige Finanzexperte hat gemäß § 107 Abs. 4 AktG Mitglied des Prüfungsausschusses zu sein. Fraglich ist daher, ob der Finanzexperte im Falle der Existenz eines Prüfungsausschusses einen Anspruch auf die Mitgliedschaft in diesem Ausschuss hat. Grundsätzlich haben Aufsichtsrats­ mitglieder keinen Anspruch auf bestimmte Ausschussposten. Es liegt im freien Ermessen des Gremiums, welche seiner Mitglieder es in den Aus­ schuss wählt.148 Mangels gegenteiliger Hinweise des Gesetzgebers bleibt es auch für den unabhängigen Finanzexperten bei diesem Grundsatz, dass ein individueller Anspruch auf die Delegation in den Prüfungsausschuss oder sogar den Vorsitz des Ausschusses nicht besteht.149 Andersherum fragt sich jedoch, ob der Finanzexperte verpflichtet ist, seine Wahl zum Ausschussmit­ glied anzunehmen. Prinzipiell bedarf es für die Ausschussmitgliedschaft der Wahl, aber auch der Annahme durch das gewählte Mitglied, die es auch verweigern kann. Unter besonderen Umständen kann das gewählte Mitglied allerdings zur Annahme des Ausschusspostens verpflichtet sein. So ist bei­ spielsweise der Aufsichtsratsvorsitzende verpflichtet, dem Präsidialausschuss des Gremiums anzugehören, und das selbst dann, wenn er persönlich ur­ sprünglich gegen die Einrichtung eines Präsidialausschusses gestimmt hat­ te.150 Eine vergleichbare Pflicht ergibt sich für den (einzigen) Finanzexper­ ten, da der Prüfungsausschuss ohne seine Mitgliedschaft wegen des Versto­ ßes gegen § 107 Abs. 4 AktG fehlerhaft besetzt wäre. Er ist daher verpflich­ tet, die Wahl zum Mitglied des Prüfungsausschusses anzunehmen. 147  Daraus ergibt sich ebenfalls die Pflicht, dass für den Finanzexperten die Nie­ derlegung des Amtes zwar grundsätzlich jederzeit möglich ist, allerdings nicht zur Unzeit erfolgen darf (vgl. für Aufsichtsratsmitglieder allgemein Hoffmann, Auf­ sichtsrat, Rn. 719; speziell zum Aufsichtsratsvorsitzenden Lutter / Krieger, Rn. 665). 148  Siehe oben 1. Kapitel D. II. 149  Kropff, FS K. Schmidt 2009, 1023, 1037; Sünner, FS Uwe H. Schneider 2011, 1301, 1312. 150  Habersack, in: MüKo-AktG, Band 3, § 107 Rn. 119; Hopt / Roth, in: Groß­ komm-AktG, Band 4, § 107 Rn. 267.

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1. Kap.: Genese

Die Problematik ist freilich nur theoretischer Natur. Der unabhängige Finanzexperte wird üblicherweise Mitglied des Prüfungsausschusses sein.151 Die anderen Mitglieder werden schon allein aus dem Grund den Finanzex­ perten in den Prüfungsausschuss wählen, um eine fehlerhafte Besetzung des Ausschuss gemäß § 107 Abs. 4 AktG zu vermeiden und damit eine mögliche Schadensersatzpflicht zu vermeiden. Ferner ist kein Grund ersichtlich, wes­ halb der Finanzexperte, als bereits von Beginn an quasi designiertes Mit­ glied des Prüfungsausschusses, seine Wahl ablehnen sollte. 3. Besondere Kontrollrechte und Kommunikation mit dem Abschlussprüfer Dem Finanzexperten wurden explizit keine besonderen Aufgaben zuge­ wiesen. Vielmehr ergeben sich die speziellen Aufgaben des Finanzexperten durch die dem Prüfungsausschuss zugedachten Tätigkeitsschwerpunkte. Be­ sondere, über die allgemeinen für Aufsichtsratsmitglieder hinausgehende, Kontroll- oder Auskunftsrechte des Finanzexperten oder spezielle Ein­ sichtsrechte in die Bücher und Schriften der Gesellschaft bestehen daher mangels gesetzlicher Grundlage nicht.152 Allerdings ist der ebenfalls durch das BilMoG neu eingeführte § 124 Abs. 3 S. 2 AktG, wonach die Wahl des Abschlussprüfers auf die Empfehlung des Prüfungsausschusses zu stützen ist, in Verbindung mit dem Tätigkeitsschwerpunkt des Finanzexperten da­ hingehend auszulegen, dass er nicht aus der Vorbereitung der Bilanzsitzung oder der Suche nach einem Abschlussprüfer ausgeschlossen werden darf.153 Im Übrigen stehen dem Finanzexperten als Aufsichtsratsmitglied und ge­ gebenenfalls Mitglied des Prüfungsausschusses die jeweils relevanten Un­ terlagen zur Verfügung. Die hinreichende, möglicherweise sogar vor­ standsunabhängige154, Information ist daher gewährleistet. Soweit im Ein­ zelfall ein Vorgespräch mit dem Abschlussprüfer notwendig sein sollte, wird er es in Abstimmung mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden auch führen können.155 Die Pflicht oder auch nur das Recht, einen eigenen Jahresbericht zu den Finanzzahlen und zum Abstimmungsverhalten des Aufsichtsrats zu erstellen oder eine Stellungnahme während der Hauptversammlung zu diesen Berei­ chen, ist de lege lata mit der Verschwiegenheitspflicht des Aufsichtsratsmit­ 151  Ehlers / Nohlen,

Gedächtnisschrift Gruson, 2009, 107, 122. FS K. Schmidt 2009, 1023, 1037. 153  Vgl. Widmann, BB 2009, 2602, 2605. 154  Zu den Möglichkeiten vorstandsunabhängiger Information von Aufsichtsrats­ mitgliedern Roth, AG 2004, 1, 7 ff. 155  Kropff, FS K. Schmidt 2009, 1023, 1037. 152  Kropff,



D. Die besondere Stellung des Finanzexperten61

glieds aus § 116 S. 2 AktG nicht zu vereinbaren. Rechtspolitisch wäre hier beispielsweise eine Ergänzung von § 171 Abs. 2 AktG dahingehend wün­ schenswert, dass der unabhängige Finanzexperte der Hauptversammlung über seine Prüfung des Jahresabschlusses zu berichten hat. Hilfreich wäre es auch, dass eine Kopie des vorläufigen Prüfungsberichts (vgl. § 321 Abs. 5 S. 2 HS 2 HGB) neben dem Vorstand auch direkt dem unabhängigen Fi­ nanzexperten zu übermitteln ist, soweit es sich um ein unverbindliches Entwurfsexemplar handelt.156

Abschnittsergebnis Die vorstehende Darstellung zeigt, dass die neue Rechtsfigur des unab­ hängigen Finanzexperten auf institutionenökonomischen Überlegungen ba­ siert. Bei Gesellschaften mit monistischer Unternehmensführung kommt dem / den unabhängigen Finanzexperten im Zusammenhang mit der Trennung von Geschäftsführung und Kontrolle eine herausragende Position zu. Bei der Übertragung und Integration der neuen Rechtsfigur auf das Aktiengesetz und den dortigen dualistischen Unternehmensaufbau der deutschen Aktien­ gesellschaft sind die systemischen Unterschiede stets zu berücksichtigen. § 100 Abs. 5 AktG ist eine zwingende, qualitative Mindestvoraussetzung an die Besetzung des Gesamtaufsichtsrats. Die neue Rechtsfigur führt mit­ hin nicht dazu, dass sich die zahlenmäßige Zusammensetzung des Auf­ sichtsrats verändert. Ebenfalls unangetastet bleibt die Organisationshoheit des Aufsichtsrats in Bezug auf die Einrichtung eines Prüfungsausschusses und die Delegation von Aufgaben an den Ausschuss. Der unabhängige Finanzexperte ist ein gewöhnliches Aufsichtsratsmit­ glied mit zusätzlichen persönlichen Merkmalen. Der Schwerpunkt der Tä­ tigkeit ist die besondere Kontrolle der Finanzberichte der Gesellschaft und die Kommunikation mit dem Abschlussprüfer. Keines der Aufsichtsratsmit­ glieder ist verpflichtet, die zusätzlichen Merkmale zu erfüllen. Übernimmt jedoch ein Mitglied die Position des unabhängigen Finanzexperten, so ist es verpflichtet, seine Unabhängigkeit und Sachkunde unter allen Umständen zu wahren. Besondere Informationsrechte oder der Anspruch auf eine Aus­ schussmitgliedschaft bestehen nicht.

156  Vgl. zur Praxis und der Kritik daran, den noch nicht endgültigen Prüfungsbe­ richt zunächst dem Vorstand zu zuleiten, Altmeppen, ZGR 2004, 390, 406 f.; Dörner, DB 1998, 1, 5; ders., DB 2000, 101, 104 f.; Hommelhoff, BB 1998, 2625, 2628; Scheffler, WPg 2002, 1289, 1296.

2. Kapitel

Tatbestandsebene Die Tatbestandsmerkmale der „Unabhängigkeit“ (vgl. B.) und des „Sach­ verstandes auf den Gebieten der Rechnungslegung oder Abschlussprüfung“ (vgl. C.) bilden den Schwerpunkt der neuen Regelung des § 100 Abs. 5 AktG. Zunächst stellt sich jedoch die Frage, welche Gesellschaften durch den Verweis aus § 100 Abs. 5 AktG auf § 264d HGB als „kapitalmarkt­ orientiert“ (vgl. A.) gelten und daher überhaupt von der neuen Regelung betroffen sind. Zuletzt bleibt zu untersuchen, welche Umsetzungsfristen den von der Neuregelung betroffenen Gesellschaften vom Gesetzgeber zugestan­ den werden (vgl. D.).

A. Kapitalmarktorientierte Kapitalgesellschaft Gemäß § 100 Abs. 5 AktG muss nur bei Gesellschaften i. S. d. § 264d HGB mindestens ein Aufsichtsratsmitglied ein unabhängiger Finanzexperte sein. §  264d HGB enthält eine Legaldefinition des Begriffs der „Kapitalmarktorientierung“.157 Eine Kapitalgesellschaft ist gemäß § 264d kapitalmarktorientiert, wenn sie einen organisierten Markt i. S. v. § 2 Abs. 5 des Wertpapierhandelsgesetzes („WpHG“) durch von ihr ausgegebene Wertpapiere i. S. v. § 2 Abs. 1 S. 1 WpHG in Anspruch nimmt oder die Zulassung solcher Wertpapiere zum Handel an einem organisierten Markt beantragt hat.

157  Bereits vor dem BilMoG kannte das Gesetz den Begriff der kapitalmarktori­ entierten Gesellschaft und ordnete für diese Gesellschaften besondere (zusätzliche) Pflichten an. Definitionen des Begriffs fanden sich mit variierendem Wortlaut an verschiedenen Stellen des Aktiengesetzes (vgl. §§ 267 Abs. 3 S. 2, 286 Abs. 3 S. 3 HGB a. F. gegenüber § 285 S. 1 Nr. 17 HGB a. F.), wobei sie nach herrschender Meinung trotzdem inhaltsgleich auszulegen waren (vgl. Schulze-Osterloh, in: Baum­ bach / Hueck (Hrsg.), GmbHG, 18. Auflage, § 41 Rn. 12). Die neue Legaldefinition in § 264d HGB entspricht § 267 Abs. 3 S. 2 HGB a. F. und soll einen einheitlichen Begriff der Kapitalmarktorientierung schaffen und die Lesbarkeit des Gesetzes ver­ bessern und vereinfachen (BegrRegE, BT-Drucks. 16 / 10067 S. 63; Merkt, in: Baum­ bach / Hopt, §  264d Rn.  1).



A. Kapitalmarktorientierte Kapitalgesellschaft63

I. Europarechtlicher Hintergrund Dass die Vorgaben von § 100 Abs. 5 AktG ausschließlich für Gesellschaf­ ten i. S. v. § 264d HGB verbindliche Wirkung entfalten, geht zurück auf Art. 41 Abs. 1 S. 1 der Abschlussprüferrichtlinie. Dahinter stehen Verhält­ nismäßigkeitserwägungen der Kommission, dass größeren Gesellschaften strengere Verhaltenspflichten auferlegt werden sollen.158 Lediglich Unternehmen von öffentlichem Interesse haben gemäß der Abschlussprüferricht­ linie die neuen Anforderungen an die Besetzung ihrer Aufsichtsräte / Über­ wachungsgremien zu befolgen. Gemäß Art. 2 Ziff. 13 der Abschlussprüferrichtlinie sind Unternehmen von öffentlichem Interesse Unternehmen, die unter das Recht eines Mit­ gliedstaats fallen und deren übertragbare Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt eines Mitgliedstaats im Sinn von Art. 4 Abs. 1 Ziff. 14 der Richtlinie 2004 / 39 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente159 („Finanzmarktricht­ linie“ oder „MiFID“) zugelassen sind. Darüber hinaus sind Unternehmen von öffentlichem Interesse sämtliche Kreditinstitute und Versicherungsunter­ nehmen, unabhängig davon, in welcher Rechtsform sie organisiert sind und ob sie Emittenten von Wertpapieren sind oder nicht. Der Begriff der kapitalmarktorientierten Gesellschaft gem. § 264d HGB soll dem Begriff des Unternehmens von öffentlichem Interesse im Sinne der Abschlussprüferrichtlinie weitestgehend entsprechen.160 Entsprechend der Einschränkung der Abschlussprüferrichtlinie, dass nur Unternehmen von öffentlichem Interesse einen mit einem unabhängigen Finanzexperten be­ setzten Prüfungsausschuss einrichten müssen, erklärt § 100 Abs. 5 AktG, dass ausschließlich bei Gesellschaften i. S. d. § 264d des HGB wenigstens ein unabhängiges Mitglied des Aufsichtsrats über entsprechenden Sachver­ stand verfügen muss.

II. Tatbestand von § 264d HGB Gemäß § 264d HGB ist eine Kapitalgesellschaft dann kapitalmarktorien­ tiert, wenn sie einen organisierten Markt durch von ihr ausgegebene Wert­ papiere in Anspruch nimmt oder die Zulassung solcher Wertpapiere zum Handel beantragt hat. 158  Vgl. Aktionsplan der EG-Kommission, Sonderbeilage zu NZG 13 / 2003 S. 5; Erwägungsgrund 23 Abschlussprüferrichtlinie; zustimmend für Deutschland Arbeitsgruppe Europäisches Gesellschaftsrecht, ZIP 2003, 863, 865. 159  AblEU L 145 vom 30.4.2004, S. 1 ff. 160  BegrRegE BilMoG BT-Drucks. 16 / 10067 S. 92.

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2. Kap.: Tatbestandsebene

1. Wertpapiere i. S. d. § 2 Abs. 1 S. 1 WpHG § 2 Abs. 1 S. 1 WpHG in seiner heutigen Fassung geht zurück auf die Umsetzung von den Vorgaben von Art. 4 Abs. 1 Ziff. 18 der Finanzmarkt­ richtlinie. Gemäß § 2 Abs. 1 S. 1 WpHG sind Wertpapiere alle Gattungen von übertragbaren Wertpapieren, die ihrer Art nach auf Finanzmärkten handelbar sind. Keine Rolle spielt es, ob Urkunden über die Wertpapiere ausgestellt wurden. Ausgenommen vom Wertpapierbegriff sind Zahlungsin­ strumente, wie beispielsweise Bargeld, Schecks oder andere liquide Mit­ tel.161 Entscheidend ist das Vorhandensein der drei abstrakten Kriterien der Standardisierung, Übertragbarkeit und marktmäßigen Handelbarkeit.162 Der nicht abschließende Beispielskatalog in § 2 Abs. 1 S. 1 Ziff. 1–3 WpHG nennt exemplarisch („insbesondere“) als typische Formen von Wertpapieren Aktien, mit Aktien vergleichbare Beteiligungstitel an Unternehmen sowie Schuldtitel.163 a) Aktien Prototyp von Wertpapieren i. S. d. WpHG sind gem. § 2 Abs. 1 S. 1 Ziff. 1 Aktien, d. h. die verbriefte Mitgliedschaft an der Gesellschaft, unabhängig davon, ob es sich bei der Mitgliedschaft um (stimmrechtslose) Vorzugsak­ tien oder Stammaktien, Stück- oder Nennbetragsaktien, Inhaber- oder (vin­ kulierte) Namensaktien handelt, letztere allerdings nur, wenn sie nach § 32b Abs. 1 Nr. 1b BörsG i. V. m. § 5 Abs. 2 Nr. 2 Börsenzulassungsverordnung zum Börsenhandel zugelassen sind.164 Als Emittenten von Aktien kommen Gesellschaften in der Rechtsform der Aktiengesellschaft und der Kommanditgesellschaft auf Aktien („KGaA“) in Betracht.165 Für börsennotierte Gesellschaften in der Rechtsform der Euro­ päischen Aktiengesellschaft (Societas Europaea – „SE“) kann nichts anderes gelten.

BT-Drucks. 16 / 4028, S. 54; Fuchs, in: Fuchs WpHG, § 2 Rn. 10. BT-Drucks. 16 / 4028, S. 53; Assmann, in: Assmann / Schneider, §  2 Rn.  7 ff.; Fuchs, in: Fuchs WpHG, § 2 Rn. 10. 163  Die Definition der Kapitalmarktorientierung erfasst als Teilmenge sämtliche börsennotierten Gesellschaften i. S. d. § 3 Abs. 2 AktG, geht jedoch aufgrund der Einbeziehung von vergleichbaren Beteiligungstiteln und Schuldtiteln darüber hinaus, vgl. Merkt, in: Baumbach / Hopt, § 264d Rn. 1. 164  Schanz, Börseneinführung, § 3 Rn. 162; Assmann, in: Assmann / Schneider, §  2 Rn. 14; Versteegen, in: KK-WpHG, § 2 Rn. 20. 165  BegrRegE BT-Drucks. 12 / 6679, S. 39; Fuchs, in: Fuchs WpHG § 2 Rn. 20. 161  BegrRegE 162  BegrRegE



A. Kapitalmarktorientierte Kapitalgesellschaft65

b) Mit Aktien vergleichbare Beteiligungstitel Gemäß § 2 Abs. 1 S. 1 Ziff. 2 WpHG sind Wertpapiere i. S. d. WpHG auch andere Anteile an in- oder ausländischen juristischen Personen, Personenge­ sellschaften und sonstigen Unternehmen, soweit sie mit Aktien vergleichbar sind, sowie Zertifikate, die Aktien vertreten. Entscheidendes Kriterium bei der Bewertung, ob es sich um einen vergleichbaren Beteiligungstitel handelt, ist es, ob der Titel dem Inhaber eine mitgliedschaftliche Stellung vermittelt, die der Position eines Aktionärs bei wirtschaftlicher Betrachtung gleichkommt.166 Auf die rechtliche Organisationsform kommt es ausweislich des klaren Wortlauts der Norm („juristische Personen, Personengesellschaften, sonstige Unternehmen“) nicht an. Anteile an Gesellschaften mit beschränkter Haftung („GmbH“) und Kommanditanteile werden damit zunächst einmal von § 2 Abs. 1 S. 1 Ziff. 2 erfasst. Gleichwohl sind Anteile an Personengesellschaften und GmbH allerdings auf Grund fehlender freier Übertragbarkeit (beispiels­ weise dem Erfordernis der notariellen Beurkundung der Anteilsabtretung), Standardisierung und Handelbarkeit sowie der nicht vorhandenen Möglich­ keit ihres gutgläubigen Erwerbs nicht mit Aktien vergleichbar.167 Nicht nur mit Aktien vergleichbare Beteiligungstitel, sondern auch Zerti­ fikate, die Aktien vertreten, sind Wertpapiere im Sinn dieser Vorschrift. Erfasst werden sollen damit insbesondere American Depositary Receipts und Crest Depositary Receipts, die wirtschaftlich an die Stelle der Aktien treten und lediglich den Zweck haben, die Handelbarkeit im Ausland zu ermöglichen oder zu vereinfachen.168 Als Emittenten von mit Aktien vergleichbaren Beteiligungstiteln kommen hauptsächlich ausländische Emittenten von Wertpapieren in Betracht.169 166  BegrRegE BT-Drucks. 12 / 6679, S. 39; Versteegen, in: KK-WpHG, § 2 Rn. 22; Assmann, in: Assmann / Schneider, § 2 Rn. 16. 167  BegrRegE, BT-Drucks. 16 / 4028, S. 54, 135; vgl. Fuchs, in: Fuchs WpHG, § 2 Rn. 23; Voß, BKR 2007, 45, 47 f.; Spindler / Kasten, WM 2006, 1749, 1751; seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämp­ fung von Missbräuchen („MoMiG“) am 1.11.2008 (BGBl. I S. 2026) besteht unter bestimmten Voraussetzungen zwar die Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs von GmbH-Geschäftsanteilen (zur Gesellschafterliste als Rechtscheinträger Apfelbaum, BB 2008, 2470; Harbarth, ZIP 2008, 57 ff.; Mayer, DNotZ 2008, 403 ff.), allerdings besteht nach wie vor das Erfordernis der notariellen Beurkundung der Übertragung § 15 Abs. 3, 4 GmbHG, sodass die Geschäftsanteile aufgrund fehlender Fungibilität nach wie vor nicht mit Aktien zu vergleichen sind. 168  Versteegen, in: KK-WpHG, § 2 Rn. 21; ausführlich zu American Depository Receipts Röhler, American Depositary Shares. 169  Fuchs, in: Fuchs WpHG, § 2 Rn. 24; beispielsweise die im M-DAX notierten Gesellschaften EADS NV aus den Niederlanden und die luxemburgische GAGFAH S. A.

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2. Kap.: Tatbestandsebene

Beteiligungstitel an deutschen Gesellschaften werden entweder bereits vom Tatbestand der Ziff. 1 erfasst oder sind aufgrund der fehlenden Fungibilität nicht erfasst. c) Schuldtitel Zuletzt sind gemäß § 2 Abs. 1 S. 3 Ziff. 3 WpHG Wertpapiere i. S. d. WpHG auch Schuldtitel. § 2 Abs. 1 S. 3 Ziff. 3 WpHG lässt den Begriff des Schuldtitels undefiniert, enthält dafür jedoch eine nicht abschließende Auf­ zählung von Papieren, die Schuldtitel darstellen. Namentlich sind dies ge­ mäß lit. a) Genussscheine, Inhaber- und Orderschuldverschreibungen sowie Zertifikate, die Schuldtitel vertreten und gemäß lit. b) sonstige Wertpapiere, die zum Erwerb oder zur Veräußerung von Wertpapieren nach den Ziffern 1 und 2 berechtigen oder zu einer Barzahlung führen, die in Abhängigkeit von Wertpapieren, von Währungen, Zinssätzen oder anderen Erträgen, von Waren, Indices oder Messgrößen bestimmt wird. Unter den Begriff des Schuldtitels lassen sich daher sämtliche standardisierte und handelbare, schuldrechtlich begründete Ansprüche vermögensrechtlichen Inhalts, d. h. alle am Markt handelbaren Forderungen, subsumieren.170 Die Einbeziehung von Schuldtiteln ist in zweierlei Hinsicht besonders hervorzuheben. Dass Gesellschaften, die nur Schuldtitel und keine Anteile ausgegeben haben, ebenfalls die Vorgaben von § 100 Abs. 5 AktG zu beach­ ten haben, zeigt, dass der mittelbare Schutzzweck von § 100 Abs. 5 AktG nicht nur der Schutz der Aktionäre ist. Vielmehr dient der Finanzexperte durch die besondere Prüfung der Zahlenwerke mittelbar dem Schutz sämt­ licher Anleger, gleichgültig ob diese nun Aktionäre (Shareholder) oder Gläubiger von begebenen Anleihen oder anderen Schuldtiteln (Debtholder) sind. Debtholder sind anders als Aktionäre typischerweise nicht an mög­ lichst hohen Gewinnausschüttungen an die Aktionäre interessiert, sondern an der Einbehaltung des Gewinns, da dies die Rückzahlung der in das Unternehmen investierten Gelder sichert.171 Das heißt wiederum, dass es nicht die Hauptaufgabe des Finanzexperten ist, die Ausschüttungen an die Shareholder zu steigern. Es geht vorliegend auch nicht um eines jener Ewigkeitsthemen des Gesellschaftsrechts, namentlich die Shareholder- vs. Stakeholder-Diskussion.172 Die Hauptaufgabe des Finanzexperten ist viel­ 170  Assmann, in: Assmann  / Schneider, § 2 Rn. 20; Fuchs, in: Fuchs WpHG § 2 Rn. 27. 171  Kessler, AG 1995, 61, 63 f. 172  Mit guten Gründen den Fokus auf den Shareholder Value legend Zöllner, AG 2003, 2, 7; in Deutschland wird der Stakeholder Value allerdings traditionell stärker gewichtet als in den angelsächsischen Rechtsordnungen: vgl. § 71 Abs. 1 RefE 1958:



A. Kapitalmarktorientierte Kapitalgesellschaft67

mehr der mittelbare Schutz der Share- und Debtholder durch die Bereitstel­ lung richtiger Finanzinformationen. Dadurch wird es beiden Gruppen er­ möglicht, auf zuverlässiger Basis Anlageentscheidungen zu treffen. Die weitere Besonderheit entsteht dadurch, dass Rechtsform und Ge­ schäftstätigkeit des Emittenten bei Schuldtiteln keine Rolle spielen. Grund­ sätzlich können Personen- und Kapitalgesellschaften unabhängig von ihrer Rechtsform Emittenten von Schuldtiteln i. S. v. § 2 Abs. 1 S. 1 Ziff. 3 WpHG sein.173 Eine Kapitalmarktorientierung kann sich daher für Aktiengesell­ schaften ergeben, die nicht bereits durch die Notierung und den Handel ihrer Aktien als kapitalmarktorientiert gelten, die aber beispielsweise Schuldverschreibungen ausgegeben haben. Speziell für die GmbH kann sich nur im Rahmen der Emission von Schuldtiteln eine Kapitalmarktorientie­ rung ergeben, da ihre Geschäftsanteile wie dargestellt Aktien nicht gleich­ gestellt werden können,174 selbiges gilt für Personengesellschaften.175 Noch sind solche Begebungen von Anleihen als Finanzierungsmöglichkeit eher selten, wobei jedoch davon auszugehen ist, dass Anleihen auch für den Mittelstand in Zukunft an Relevanz gewinnen werden, da in der aktuellen Zeit großvolumige Bankkredite schwer zu erlangen sind.176 2. Organisierter Markt i. S. d. § 2 Abs. 5 WpHG Die Bezeichnung des organisierten Marktes in § 264d HGB entspricht auf europäischer Ebene der Bezeichnung des geregelten Marktes i. S. v. Art. 4 Abs. 1 Nr. 14 der Finanzmarktrichtlinie, in dessen Umsetzung er in das „Der Vorstand hat unter eigener Verantwortung die Gesellschaft so zu leiten, wie das Wohl des Unternehmens, seiner Arbeitnehmer und Aktionäre, sowie das Wohl der Allgemeinheit es erfordern“; ebenso OECD Principles of Corporate Governance, 2004, S. 21, 46 ff.; Hüffer, AktG, § 76 Rn. 12; Klöhn, ZGR 2008, 111, 118; Mülbert, ZGR 1997, 129, 147; Roth, Unternehmerisches Ermessen, S. 23 f.; Schneider, AG 2004, 429, 432; Windbichler, Gesellschaftsrecht, S. 344 Fn. 55; solange die Mitbe­ stimmung der Arbeitnehmer auf Unternehmensebene fortbesteht, können und dürfen sich die Handlungsmaximen von Vorstand und insbesondere Aufsichtsrat nicht aus­ schließlich auf die typischen Aktionärsinteressen begrenzen; zum Vorrang des Share­ holder Values in den Vereinigten Staaten am Beispiel von Delaware, Klöhn, RIW 2008, 37, 39. 173  Fuchs, in: Fuchs WpHG, § 2 Rn. 27; Versteegen, in: KK-WpHG § 2 Rn. 26. 174  Zöllner / Noack, in: Baumbach  /  Hueck (Hrsg.), GmbHG, §  52 Rn.  329; Roth / Altmeppen, GmbHG, § 52 Rn. 27; Lutter, in: Lutter / Hommelhoff, § 52 Rn. 108. 175  Ein Beispiel für eine solche kapitalmarktorientierte GmbH ist die Robert Bosch GmbH hat, die im Rahmen ihres Debt Issuance Programmes von 2009 Schuldverschreibungen bis zu einer Höhe von € 3.000.000.000,– begeben hat, die an der Luxemburger Börse gehandelt werden. 176  Vgl. FAZ Nr. 3 vom 5.1.2011, S. 15.

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2. Kap.: Tatbestandsebene

WpHG aufgenommen wurde.177 Organisierter Markt ist danach ein im In­ land, in einem anderen Mitgliedstaat der EU oder einem anderen Vertrags­ staat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum betriebenes oder verwaltetes, durch staatliche Stellen genehmigtes, geregeltes und über­ wachtes multilaterales System, das die Interessen einer Vielzahl von Perso­ nen am Kauf und Verkauf von dort zum Handel zugelassenen Finanzinstru­ menten zusammenbringt. In Deutschland erfüllen der regulierte Markt i. S. v. §§ 32 ff. Börsengesetz („BörsG“) sowie die Terminbörse European Exchange („EUREX“) die Voraussetzungen eines organisierten Marktes i. S. v. § 2 Abs. 5 WpHG.178 Der Freiverkehr ist dagegen mangels staatlicher Regelung kein organisierter Markt i. S. d. § 2 Abs. 5 WpHG.179 3. Betroffene Gesellschaftsformen § 264d HGB spricht ausdrücklich von kapitalmarktorientierten Kapitalgesellschaften, mithin AG, KGaA, GmbH und SE. Diese Bezeichnung greift zu kurz: Aufgrund der Einbeziehung von Genossenschaften im Falle ihrer Kapitalmarktorientierung180, die zwar Körperschaften, aber keine Gesell­ schaften i. S. d. §§ 705 ff. BGB, sind,181 wäre die Bezeichnung „kapital­ marktorientierte Körperschaften“ statt der Bezeichnung kapitalmarktorien­ tierte Kapitalgesellschaften in § 264d HGB korrekt. Die zentrale Norm bezüglich des unabhängigen Finanzexperten wurde durch das BilMoG in § 100 Abs. 5 AktG verortet. Diese Vorschrift findet nach ihrer systematischen Stellung unmittelbare Anwendung lediglich auf Aktiengesellschaften. Neben der Rechtsform der Aktiengesellschaft können aber auch viele andere Organisationsformen betroffen sein. Kreditinstitute und Versicherungen sind bei gegebener Kapitalmarktorientierung unabhän­ gig von ihrer Rechtsform von der Pflicht betroffen, einen Prüfungsausschuss einzurichten und entsprechend § 100 Abs. 5 AktG mit einem unabhängigen 177  Zur Begründung des unterschiedlichen Sprachgebrauchs Fuchs, in: Fuchs, WpHG, § 2 Rn. 143. 178  Merkt, in: Baumbach / Hopt, HGB, Einl v § 238 Rn. 40; vgl. AblEU C 280 / 5 vom 4.11.2008 mit einer Übersicht über sämtliche Märkte, die den Status des „ge­ regelten Marktes“ erreicht haben; Assmann, in: Assmann / Schneider, § 2 Rn. 161; Fuchs, in: Fuchs WpHG, § 2 Rn. 149, jeweils mit ausführlicher Darstellung zu den Tatbestandsmerkmalen organisierter Märkte. 179  Merkt, in: Baumbach  /  Hopt, § 264d Rn. 1; Fuchs, in: Fuchs WpHG, § 2 Rn. 149; Versteegen, in: KK-WpHG, § 2 Rn. 181; Petersen / Zwirner, BilMoG, S. 82; Schlitt / Schäfer, AG 2006, 147. 180  BegrRegE BT-Drucks. 16 / 10067 S. 92. 181  Vgl. statt vieler Beuthien, GenG, §  1 Rn.  2; Fandrich, in: Pöhlmann  /  Fan­d­rich / Bloehs, GenG, § 1 Rn. 2.



A. Kapitalmarktorientierte Kapitalgesellschaft69

Finanzexperten zu besetzen. Alle anderen Gesellschaften werden bei gege­ bener Kapitalmarktorientierung nur von den neuen Pflichten erfasst, wenn sie entweder Kapitalgesellschaften / Körperschaften sind oder gemäß § 264a HGB wie solche zu behandeln sind. § 100 Abs. 5 AktG findet aufgrund der folgenden Verweise bei Kapitalmarktorientierung Anwendung auch auf die folgenden Rechtsformen: •• gem. § 278 Abs. 3 AktG auf die Kommanditgesellschaft auf Aktien („KGaA“); •• gem. Art. 9 Abs. 1 lit. c) SE-Verordnung 2157 / 2001 / EG auf die dualis­ tisch verfasste SE; •• gem. § 27 Abs. 1 S. 4 SEAG auf die monistisch verfasste SE; •• gem. §§ 6 Abs. 2 S. 1, 25 Abs. 1 S. 1 Ziff. 2 MitbestG, § 3 Abs. 2 Mon­ tanMitbestG, § 1 Abs. 1 Ziff. 3 DrittelbestG auf mitbestimmte GmbH; •• gem. § 6 Abs. 2 S. 1, 2 InvG auf als GmbH verfasste Kapitalanlagegesell­ schaften; •• gem. § 52 Abs. 1 GmbHG auf GmbH, deren Gesellschaftsvertrag die Errichtung eines Aufsichtsrats vorschreibt und der nach den Vorgaben von § 100 Abs. 5 AktG besetzt ist;182 •• gem. § 36 Abs. 4 Genossenschaftsgesetz („GenG“) auf Genossenschaften; •• gem. § 19 Abs. 1 S. 2 SCE-Ausführungsgesetz („SCEAG“) auf Europäi­ sche Genossenschaften (European Cooperative Society – „SCE“);183 •• gem. §§ 340k Abs. 5, 341k Abs. 4 HGB für Kredit- und Versicherungsin­ stitute, die in der Rechtsform von Personengesellschaften betrieben wer­ den184 sowie

182  GmbH mit fakultativ eingerichtetem Aufsichtsrat sind nicht dazu verpflichtet, diesen entsprechend den Vorgaben von § 100 Abs. 5 AktG zu besetzen. Dies ergibt sich daraus, dass die Verweisung aus § 52 Abs. 1 GmbHG auf die Regelungen des Aktiengesetzes bezüglich des Aufsichtsrats dispositiv sind. Vgl. BegrRegE BTDrucks. 16  /  10067 S. 92; wie hier Zöllner / Noack, in: Baumbach  /  Hueck (Hrsg.), GmbHG, § 52 Rn. 329; Nonnenmacher / Pohle / v.  Werder, DB 2009, 1447 (Fn. 10); a. A. Lutter / Hommelhoff § 52 Rn. 108 (fakultativer Aufsichtsrat muss § 100 Abs. 5 AktG beachten). 183  Aufgrund der Einbeziehung von Genossenschaften, die zwar Körperschaften, aber keine Gesellschaften i. S. d. §§ 705 ff. BGB, sind (vgl. statt vieler Beuthien, GenG, § 1 Rn. 2; Fandrich, in: Pöhlmann / Fandrich / Bloehs, GenG, § 1 Rn. 2), wäre die Bezeichnung „kapitalmarktorientierte Körperschaften“ statt der Bezeichnung kapitalmarktorientierte Kapitalgesellschaften in § 264d HGB korrekt. 184  Beispielsweise Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit, dazu Ernst / Seidler, ZGR 2008, 631, 668.

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2. Kap.: Tatbestandsebene

•• gem. § 324 HGB als Auffangtatbestand auf alle sonstigen Gesellschaften im Sinn des § 264d, die keinen Aufsichts- oder Verwaltungsrat haben.185 In Betracht kommt hier beispielsweise die mitbestimmungsfreie kapital­ marktorientierte GmbH, deren Satzung die Einrichtung eines nach den Vorgaben des § 100 Abs. 5 AktG besetzten Aufsichtsrats nicht vorsieht.186 •• Für die verschiedenen Gesellschaftsformen ergeben sich erhebliche Un­ terschiede bezüglich der Pflicht einen Prüfungsausschuss einzurichten.187 In Bezug auf den für die vorliegende Arbeit bedeutenden § 100 Abs. 5 AktG ergeben sich jedoch grundsätzlich keine Unterschiede durch die Rechtsform des Emittenten. Kapitalmarktorientierte Gesellschaften müs­ sen ihren Gesamtaufsichtsrat und / oder ihren Prüfungsausschuss mit we­ nigstens einem unabhängigen Finanzexperten besetzen. Ein Unterschied ergibt sich lediglich insoweit, als der Aufgabenbereich von fakultativen Prüfungsausschussen nicht dem Aufgabenkatalog aus § 107 Abs. 3 S. 2 AktG entsprechen muss, wohingegen den obligatorischen Prüfungsaus­ schüssen i. S. v. § 324 HGB zumindest die in § 107 Abs. 3 S. 2 AktG genannten Aufgaben zugewiesen sein müssen. 4. „Von ihr“ ausgegebene Wertpapiere Gemäß § 264d HGB ist eine Gesellschaft nur dann kapitalmarktorientiert, wenn von ihr ausgegebene Wertpapiere an einem organisierten Markt ge­ handelt werden. Ebenso definiert Art. 2 Ziff. 13 Abschlussprüferrichtlinie den Begriff des Unternehmens von öffentlichem Interesse. a) Auswirkungen der Kapitalmarktorientierung der Tochtergesellschaft Nach dem Wortlaut muss die Gesellschaft selbst Emittentin sein. Ist eine Tochter- oder Enkelgesellschaft Emittentin der Wertpapiere, so führt dies nicht dazu, dass die Muttergesellschaft als kapitalmarktorientierte Gesell­ schaft qualifiziert wird.188 Die Anforderungen des § 100 Abs. 5 AktG müs­ sen daher ausschließlich auf Ebene der emittierenden Tochter- oder Enkel­ gesellschaft beachtet werden. Dieses Ergebnis mag auf den ersten Blick verwunderlich wirken, da bei­ spielsweise im MitbestG der Muttergesellschaft die von den Töchtern erfüll­ 185  BegrRegE,

BT-Drucks. 16 / 10067 S. 92. BT-Drucks. 16 / 10067 S. 92; Habersack, AG 2008, 98, 102 f. 187  Siehe oben 1. Kapitel D. II. 188  Merkt, in: Baumbach / Hopt, § 264d Rn. 1. 186  BegrRegE,



A. Kapitalmarktorientierte Kapitalgesellschaft71

ten Tatbestände, beispielsweise die Arbeitnehmerzahl, zugerechnet werden (§ 5 Abs. 1 MitbestG), sodass im Ergebnis die Vorgaben zur Besetzung des Aufsichtsrats auf Ebene der Muttergesellschaft ebenfalls zu beachten sind. Der dahinterstehende Normzweck von § 5 Abs. 1 MitbestG ist es, den Ar­ beitnehmern an der Konzernspitze ein Mitspracherecht zu gewähren, um so an den maßgeblichen Entscheidungsprozessen beteiligt zu sein.189 Selbiges gilt für das MitbestErgG, dessen einziger Zweck es war, das Unterlaufen der Montan-Mitbestimmung durch „montanfreie“ Holdinggesellschaften zu verhindern.190 Vorliegend geht es allerdings nicht um ein Mitspracherecht des unabhängi­ gen Finanzexperten in Bezug auf die strategische Ausrichtung des Unterneh­ mens, sondern um eine unabhängige Kontrolle der Finanzzahlen bezüglich des operativen Geschäfts. Ist das Mutterunternehmen eine Holding, die nur die Beteiligungen verwaltet, wird das Ziel des Gesetzgebers einer unabhängi­ gen Kontrolle der Finanzzahlen nicht erreicht, wenn der unabhängige Finanz­ experte im Aufsichtsrat der Holding sitzt und nicht im Aufsichtsrat der ope­ rativen Tochter.191 Der Regelung, das Erfordernis der Aufsichtsratsbesetzung entsprechend § 100 Abs. 5 AktG auf Ebene des jeweiligen Emittenten festzu­ schreiben, ist daher zuzustimmen. Rechtsvergleichende Schützenhilfe erfährt dieses Ergebnis durch Section 301 SOA, der auch ausschließlich den issuer zur Einrichtung eines Audit Committees verpflichtet. b) Keine Befreiung der Tochter- durch Finanzexperten der Muttergesellschaft Sind in einem Konzern mehrere Gesellschaften kapitalmarktorientiert, so reicht es nicht aus, wenn nur die Muttergesellschaft einen unabhängigen Finanzexperten im Aufsichtsrat hat. Art. 41 Abs. 6 lit. a) der Abschlussprü­ ferrichtlinie gewährt den Mitgliedstaaten ein Wahlrecht, Tochterunternehmen von der Pflicht zur Bestellung eines unabhängigen Finanzexperten auszu­ nehmen, wenn auf Konzernebene ein unabhängiger Finanzexperte Mitglied im Aufsichtsrat oder Prüfungsausschuss ist. Der deutsche Gesetzgeber hat von diesem Mitgliedstaatenwahlrecht bewusst keinen Gebrauch gemacht. Er begründet dies damit, dass allein das Vorhandensein eines Finanzexperten im Aufsichtsrat oder Prüfungsausschuss auf Ebene der Konzernspitze keine ausreichend tiefgehende Prüfung der Rechnungslegung und der Abschluss­ 189  Oetker,

in: EK-ArbR (OrdZiff. 470) MitbestG, § 5 Rn. 1. in: EK-ArbR (OrdZiff. 490) Montan-MitbestG, Einleitung Rn. 3. 191  BegrRegE, BT-Drucks. 16 / 10067 S. 93; ausführlich zur Börseneinführung von Tochtergesellschaften Fleischer, ZHR 165 (2001), 513 ff.; Nottmeier, Börseneinfüh­ rung von Tochtergesellschaften. 190  Oetker,

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2. Kap.: Tatbestandsebene

prüfung der Tochtergesellschaft erlaube.192 Mithin muss jede konzernzuge­ hörige Gesellschaft, die die Kriterien der Kapitalmarktorientierung erfüllt, einen unabhängigen Finanzexperten im Aufsichtsrat haben.193

III. Ausnahmen von der Pflicht des § 100 Abs. 5 AktG Die Abschlussprüferrichtlinie erlaubt den Mitgliedstaaten in vielerlei Hin­ sicht Ausnahmen bei der Pflicht zur Einrichtung eines Prüfungsausschusses zu gewähren. Die offensichtlichste Ausnahme ist die bereits dargestellte Erlaubnis, die Aufgaben des Prüfungsausschusses auch dem Aufsichtsrat in seiner Gesamtheit zuzuweisen. Daneben gibt es allerdings noch die folgen­ den spezifischen Ausnahmetatbestände: 1. Nicht kapitalmarktorientierte Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen Von der Pflicht einen Prüfungsausschuss einzurichten sind gemäß Art. 41 Abs. 1 S. 1 Abschlussprüferrichtlinie alle Unternehmen von öffentlichem Interesse betroffen. Dies sind gemäß Art. 2 Ziff. 13 Abschlussprüferricht­ linie nicht nur die Emittenten von Wertpapieren, sondern unabhängig von ihrer Rechtsform und davon, ob sie Wertpapiere zum Handel zulassen oder nicht, sämtliche Kreditinstitute im Sinn von Art. 1 Ziff. 1 der Richtlinie 2000 / 12 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. März 2000 über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute194 und sämtliche Versicherungsunternehmen im Sinn von Art. 2 Abs. 1 der /  674  /  EWG des Rates vom 19. Dezember 1991 über den Richtlinie 91  ­Jahresabschluss und des konsolidierten Abschluss von Versicherungsunter­ nehmen195. Art. 39 Abschlussprüferrichtlinie räumt den Mitgliedstaaten allerdings die Möglichkeit ein, Unternehmen von öffentlichem Interesse, die keine über­ tragbaren Wertpapiere ausgegeben haben, von einer oder mehreren Anforde­ rungen der folgenden Kapitel, d. h. unter anderem der Pflicht aus Art. 41 Abschlussprüferrichtlinie zur Einrichtung von Prüfungsausschüssen, aus­ 192  BegrRegE,

BT-Drucks. 16 / 10067 S. 93. der Frage, ob dieselbe Person die Rolle des Finanzexperten in verschiede­ nen Gesellschaften eines Konzerns wahrnehmen kann siehe 2. Kapitel B. V. 4. a) cc). 194  AblEU L 126 vom 26.5.2000 S. 1 ff. 195  AblEU L 374 vom 31.12.1999 S. 7 ff. 193  Zu



A. Kapitalmarktorientierte Kapitalgesellschaft73

zunehmen. Begrifflich können von diesem Ausnahmetatbestand nur Kredit­ institute und Versicherungsunternehmen erfasst sein, die keine Wertpapiere ausgegeben haben, da alle Gesellschaften mit anderem Gesellschaftszweck erst durch die Emission als kapitalmarktorientiert gelten.196 Der deutsche Gesetzgeber hat von diesem Wahlrecht durch die Formulierung von § 324 Abs. 1 S. 1 HGB Gebrauch gemacht. Erfasst werden von § 324 HGB aus­ schließlich kapitalmarktorientierte Gesellschaften, nicht dagegen nicht kapi­ talmarktorientierte Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen.197 Positiv formuliert müssen demnach gemäß § 264d i. V. m. § 324 Abs. 1 S. 1 HGB nur kapitalmarktorientierte Kreditinstitute die Anforderungen des § 100 Abs. 5 AktG erfüllen. Auf die Rechtsform des Kreditinstituts oder des Ver­ sicherungsunternehmens kommt es hingegen gemäß §§ 340k Abs. 5, 341k Abs. 4 HGB an. Dieses Ergebnis wird jedoch durch die folgenden Ausnah­ metatbestände weiter eingeschränkt. 2. Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapiere / Investmentfonds Die Abschlussprüferrichtlinie gibt den Mitgliedstaaten in Art. 41 Abs. 6 lit. b) ein Wahlrecht, Unternehmen von öffentlichem Interesse, die im Sinn von Art.  1 Abs.  2 der Richtlinie 85 / 611 / EWG198 Organismen für gemeinsa­ me Anlagen in Wertpapiere („OGAW“) sind, von der Pflicht zur Einrichtung eines Prüfungsausschusses auszunehmen. Ein solches Wahlrecht besteht auch für Unternehmen von öffentlichem Interesse, deren einziges Ziel in der gemeinsamen Investition von durch die Öffentlichkeit bereitgestelltem Ka­ pital besteht, die nach dem Prinzip der Risikoteilung tätig sind und nicht danach streben, rechtliche oder administrative Kontrolle über einen ihrer Investoren zu erlangen. Vorausgesetzt ist dabei, dass diese Organismen für gemeinsame Anlagen genehmigt sind und einer Kontrolle durch zuständige Behörden unterliegen und dass sie über eine Verwahrstelle verfügen. Die Ausnahme für OGAW berücksichtigt, dass in den Fällen, in denen die Funktionen des Emittenten ausschließlich darin besteht, Vermögenswerte zusammenzulegen, die Risiken für die Investoren nicht mit denen anderer Unternehmen von öffentlichem Interesse vergleichbar sind und diese Orga­ nismen ohnehin einer strengen Regulierung unterliegen.199 Diese Ausnahme 196  BegrRegE

BT-Drucks. 16 / 10067 S. 92. BT-Drucks. 16 / 10067 S. 92. 198  Richtlinie des Rates vom 20. Dezember 1985 zur Koordinierung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren, AblEU L 375 vom 31.12.1985 S. 3 ff. 199  25. Erwägungsgrund der Abschlussprüferrichtlinie. 197  BegrRegE

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2. Kap.: Tatbestandsebene

bedurfte in Deutschland keiner Umsetzung in nationales Recht, da die be­ grifflich davon erfassten Investmentfonds rechtlich als Sondervermögen ausgestaltet sind und daher keine Kapitalgesellschaften im Sinn von §§ 264d, 324 Abs. 1 S. 1 HGB sind.200 Investmentaktiengesellschaften unterliegen aber den Vorschriften des Aktiengesetzes und haben daher bei Kapitalmarkt­ orientierung § 100 Abs. 5 AktG zu beachten. 3. Emittenten von Asset Backed Securities § 324 HGB Abs. 1 S. 2 Ziff. 1 HGB enthält eine Ausnahmeregelung, die auf Art. 41 Abs. 6 lit. c) Abschlussprüferrichtlinie basiert. Emittenten von Wertpapieren, die für sich genommen alle Merkmale von § 264d HGB er­ füllen und daher kapitalmarktorientiert sind, werden dennoch von den Fol­ gepflichten ausgenommen, wenn ihr ausschließlicher Zweck in der Ausgabe von Wertpapieren besteht, die durch Vermögensgegenstände besichert sind (Asset Backed Securities – „ABS“). Nutzen diese Gesellschaften den Be­ freiungstatbestand und richten keinen Prüfungsausschuss ein, müssen sie allerdings gemäß § 324 HGB Abs. 1 S. 2 Ziff. 1 HS 2 HGB im Anhang des Jahresabschlusses darlegen, aus welchem Grund sie auf die Einrichtung verzichten. Bei Emittenten von ABS handelt es sich regelmäßig um Vehikel zur Liquiditätsbeschaffung, die Vermögensgegenstände, überwiegend Forde­ rungen, kaufen und diesen Kauf durch die Ausgabe von Wertpapieren, häufig Schuldverschreibungen, refinanzieren. Die fälligen Zins- und Til­ gungszahlungen auf die Schuldverschreibungen werden aus eingehenden Zins- und Tilgungsleistungen auf die erworbenen Forderungen entrichtet.201 Das Ausfallrisiko der Anleihegläubiger ist hier geringer als bei unbesicher­ ten Schuldverschreibungen. 4. „Kleine“ Kreditinstitute Zuletzt macht der deutsche Gesetzgeber vom in Art. 41 Abs. 6 lit. d) Abschlussprüferrichtlinie eingeräumten Ausnahmetatbestand in § 324 HGB Abs. 1 S. 2 Ziff. 2 HGB Gebrauch. Wie bereits dargestellt, gelten auch Kre­ ditinstitute, die keine Wertpapiere emittieren als Unternehmen von öffent­ lichem Interesse, jedoch nicht als kapitalmarktorientiert. Eine Kapitalmarkt­ orientierung ergibt sich mithin erst durch die Emission von Wertpapieren, d. h. Aktien oder Schuldverschreibungen. Gemäß § 324 Abs. 1 S. 2 Ziff. 2 HGB müssen aber Kreditinstitute, deren Anteile nicht zum Handel auf ei­ 200  BegrRegE 201  BegrRegE

BT-Drucks. 16 / 10067 S. 94. BT-Drucks. 16 / 10067 S. 93.



A. Kapitalmarktorientierte Kapitalgesellschaft75

nem geregelten Markt zugelassen sind, die aber Schuldtitel i. S. v. § 2 Abs. 1 S. 3 Ziff. 3 WpHG ausgeben, und daher eigentlich als kapitalmarktorientiert i. S. v. § 264d HGB gelten, dann keinen Prüfungsausschuss einrichten, wenn die ausgegebenen Schuldverschreibungen den Nominalwert von 100 Milli­ onen Euro nicht überschreiten und keine Pflicht zur Veröffentlichung eines Wertpapierprospekts nach dem Wertpapierprospektgesetz besteht. Am Ab­ schlussstichtag darf der Gesamtnominalwert der sich in Umlauf befindlichen Schuldtitel den Grenzwert von 100 Millionen Euro nicht übersteigen. Zweck dieser Vorschrift ist es, nur diejenigen Kreditinstitute zur Einrichtung eines Prüfungsausschusses zu verpflichten, die in wesentlichem Umfang Schuld­ titel zum Handel auf einem geregelten Markt ausgegeben haben.202 Der Gesetzgeber geht davon aus, dass der Anwendungsbereich dieses Ausnah­ metatbestandes marginal sein wird.203 Die Ausnahmen lassen sich nicht zu einem übergeordneten Prinzip ver­ dichten. Vielmehr werden hier in Einzelfällen, basierend auf Verhältnismä­ ßigkeitserwägungen, bestimmte grundsätzlich kapitalmarktorientiere Gesell­ schaften von den zusätzlichen Erfordernissen ausgenommen.

IV. Feststellung der Kapitalmarktorientierung im Einzelfall § 100 Abs. 5 AktG stellt zwingende, konkrete Anforderungen an die Zu­ sammensetzung des Aufsichtsratsgremiums. Fraglich ist, wer darüber ent­ scheidet, dass eine Gesellschaft kapitalmarktorientiert ist. Gesellschaftsintern kommen als Organe der Vorstand oder der Aufsichtsrat in Betracht. Die Feststellung der Kapitalmarktorientierung ist nicht nur im Zusammenhang mit § 100 Abs. 5 AktG von Bedeutung. Bei § 100 Abs. 5 AktG handelt es sich nur um einen weiteren Baustein des Sonderrechts für kapitalmarkt­ orientierte Gesellschaften.204 Für kapitalmarktorientierte Gesellschaften gel­ ten außerhalb von §§ 100 Abs. 5, 107 Abs. 4 AktG eine Reihe weiterer Verpflichtungen. Wesentlich auch für die weiteren Untersuchungen dieser Arbeit sind dabei die folgenden Besonderheiten: •• § 267 Abs. 3 S. 2 HGB: Die betroffenen Gesellschaften gelten stets als große Kapitalgesellschaften; 202  BegrRegE,

BT-Drucks. 16 / 10067 S. 93. BT-Drucks. 16 / 10067 S. 93. 204  Fleischer, ZIP 2006, 451, 454  f.; ders., ZHR 165 (2001), 513, 514; ders., ZGR 2002, 757, 771; spricht in diesem Zusammenhang von einem besonderen „Bör­ sengesellschaftsrecht“; zur Unterscheidung geschlossener, kapitalmarktorientierter und (nicht)börsennotierter Gesellschaften Roth, AnwBl 2008, 580 ff.; vgl. auch Seibert, WM 1997, 1, 2. 203  BegrRegE,

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2. Kap.: Tatbestandsebene

•• §§ 289 Abs. 5, 315 Abs. 2 Ziff. 5 HGB: Pflicht zur Beschreibung der wesentlichen Merkmale des internen Kontroll- und Risikomanagement­ systems im Hinblick auf den Rechnungslegungsprozess im Lage- und gegebenenfalls Konzernlagebericht (Risikomanagement-Bericht); •• § 319a HGB: Besondere Ausschlussgründe des Abschlussprüfers; •• § 325 Abs. 4 i. V. m. Abs. 1 HGB: Offenlegung des Jahresabschlusses vor Ablauf des vierten (statt gewöhnlich zwölften) Monats nach dem Ab­ schlussstichtag; •• § 13 Abs. 1 S. 2 Publizitätsgesetz („PublizitätsG“): Pflicht zur Aufstellung von Konzernabschluss und Konzernlagebericht, falls das Mutterunterneh­ men kapitalmarktorientiert ist. Dieser zusätzliche Aufgabenkatalog für kapitalmarktorientierte Gesell­ schaften betrifft überwiegend Aufgaben in Bezug auf die Rechnungslegung und Bilanzierung. Das sind typischerweise Aufgaben des Vorstands.205 Den Vorstand trifft die Pflicht, vor Aufstellung der Zahlenwerke zu überprüfen, nach welchen Vorschriften er diese zu erstellen hat. Etwas anderes ergibt sich auch nicht im Zusammenhang mit § 100 Abs. 5 AktG, da der Vorstand grundsätzlich verpflichtet ist, dafür zu sorgen, dass der Aufsichtsrat nach den maßgeblichen Vorschriften zusammengesetzt ist.206 Dem folgend ist daher der Vorstand zuständig für die Feststellung der Kapitalmarktorientie­ rung der Gesellschaft i. S. v. § 264d HGB. Die Frage der Feststellung der Kapitalmarktorientierung sollte in der Pra­ xis keine besonderen Fragen aufwerfen: Anders als bei den Mitbestimmungs­ modellen ist zwar ein „Hineinwachsen“ in die Mitbestimmung oder ein ande­ res Modell bei der Kapitalmarktorientierung nicht zu befürchten. Entweder ist man Emittent der oben aufgezählten Papiere oder aber nicht. Üblicherwei­ se stellt der Tag der Erstemission auch einen lange im Voraus geplanten Mei­ lenstein in der Unternehmensgeschichte dar, sodass es sehr unwahrscheinlich ist, dass Streit über die Kapitalmarktorientierung einer Gesellschaft ausbricht. In seiner Prüfung, ob die Gesellschaft ihre Bücher den gesetzlichen Vorgaben entsprechend geführt hat, muss der Abschlussprüfer die Feststellung des Vor­ stands in Bezug auf die Kapitalmarktorientierung überprüfen und prüfen, ob die zusätzlichen Pflichten beachtet wurden.207

205  Hüffer,

AktG, § 77 Rn. 3. in: Großkomm-AktG, Band 4, § 97 Rn. 27; Habersack, in: MüKoAktG, Band 2, § 97 Rn. 19; Mertens, in: KK-AktG, Band 2, §§ 97–99, Rn. 3. 207  Zu der davon zu trennenden Frage, ob der Abschlussprüfer die Finanzexper­ tise und Unabhängigkeit des Finanzexperten überprüfen darf, kann oder sogar muss, siehe unten 3. Kapitel B. III. 1. 206  Hopt / Roth,



A. Kapitalmarktorientierte Kapitalgesellschaft77

Zwischenergebnis Zusammenfassend lässt sich an dieser Stelle festhalten, dass §§ 100 Abs. 5 107 Abs. 3, 4 AktG weitere, zusätzliche Pflichten aufstellen, die ausschließlich für solche Unternehmen Geltung beanspruchen, die aufgrund ihres Gesellschaftszwecks oder der Ausgabe von Wertpapieren ein breites Publikum erreichen. Dieser beschränkte Anwendungsbereich geht maßgeb­ lich auf den Gesetzeszweck zurück, das Vertrauen der Anleger in die Märk­ te wiederherzustellen. Bezüglich der Pflicht zur Bestellung eines Finanzex­ perten ist zunächst nach dem Gesellschaftszweck zu unterscheiden. Versi­ cherungsgesellschaften müssen unabhängig von ihrer Rechtsform im Falle der Emission von Aktien oder Schuldtiteln (Wertpapieren) § 100 Abs. 5 AktG beachten. Für Kreditinstitute gilt selbiges, nur für kleinste Kreditins­ titute ist dieser Grundsatz einzuschränken, sie müssen trotz der Ausgabe von Wertpapieren die Vorschriften von § 100 Abs. 5 AktG nicht beachten. Für alle Gesellschaften mit einem anderen Gesellschaftszweck kommt es auf die Emission von Wertpapieren und auf die Rechtsform an. Nur Kapi­ talgesellschaften / Körperschaften und Personengesellschaften i. S. v. § 264a HGB können von der Pflicht zur Besetzung ihres Prüfungsausschusses / Auf­ sichtsrats mit einem Finanzexperten betroffen sein. Hervorzuheben ist, dass der unabhängige Finanzexperte durch seine Auf­ gabe mittelbar nicht nur dem Schutz der Aktionäre dienen soll, sondern dem Schutz aller Anleger. Das sind neben den Aktionären auch die Gläubiger im Rahmen von begebenen Schuldverschreibungen (Debtholder). Gleich allen anderen Aufsichtsratsmitgliedern ist der Finanzexperte in erster Linie dem Unternehmensinteresse208 verpflichtet.209 Allerdings hat er, vergleichbar mit dem Selbstverständnis der Arbeitnehmervertreter, sich innerhalb des weiten Unternehmensinteresses für die Arbeitnehmerinteressen einzusetzen, ein Selbstverständnis dahingehend zu entwickeln, dass er auch dem Schutz der Anleger dient. Für die weitere Diskussion, insbesondere im Rahmen der Unabhängig­ keit, spielt dieses Selbstverständnis des Finanzexperten eine wichtige Rolle. Der Vorstand kann durch Markteinflüsse bestrebt sein, die Gesellschaft möglichst gut darzustellen, um so den Aktienkurs und die Kreditwürdigkeit 208  Vgl. zum Begriff des Unternehmensinteresses Fleischer, in: Fleischer, Hdb. des Vorstandsrechts, § 1 Rn. 18 ff.; ders., in: Hommelhoff / Hopt / v.  Werder (Hrsg.), Hdb. CG, S.  189 ff. m. w. N.; Mertens, in: KK-AktG, Band, Vor § 76 Rn. 11; Hüffer, AktG, § 76 Rn. 12a ff.; Semler / Spindler, in: MüKo-AktG, Vor § 76 Rn. 84 ff.; Raiser / Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 6 Rn. 15, § 13 Rn. 1 ff.; Roth, Unterneh­ merisches Ermessen, S. 23 ff. jeweils m. w. N. 209  Ihrig / Meder, FS Hellwig 2010, 163, 172 f.

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2. Kap.: Tatbestandsebene

zu verbessern. Auch kann er bestrebt sein, die Gesellschaft schlechter dar­ zustellen, um kein Ziel von (feindlichen) Übernahmen zu werden. Allerdings ist es für den Kapitalmarkt nicht gewinnbringend, wenn die guten / schlech­ ten Darstellungen nicht der tatsächlichen Situation entsprechen. Dies gilt unabhängig davon, ob die Schönung nun im Rahmen der gesetzlichen Wahlrechte noch zulässig ist, oder ob bereits äußerst fragwürdige Praktiken zur „Verschönerung“ der Zahlenwerke angewandt werden, wie beispielswei­ se bei Lehman Brothers („Repo 105“).210 Jedem Investor muss klar sein, dass es utopisch wäre, davon auszugehen, dass es mit dem Finanzexperten keine Unternehmensinsolvenzen oder hohe Verluste mehr geben wird. Die großen Vertrauensverluste, beispielsweise und insbesondere nach Enron, entstanden jedoch nicht durch die Insolvenz des Unternehmens, sondern durch den auf die vormaligen Finanzberichte der Gesellschaft gestützten und dann enttäuschten Glauben des Publikums, dass die Gesellschaft eine rosige Zukunft hätte. Der Finanzexperte hat daher dafür einzustehen und zu bürgen, dass die negative Entwicklung und die Verluste rechtzeitig und in der richtigen Höhe veröffentlicht werden, damit die Investoren eine auf den richtigen Informationen basierende Anlageent­ scheidung treffen können. Auf diesem Wege kann das Vertrauen der Anleger wiederhergestellt und in Zukunft geschützt werden.

B. Unabhängigkeit i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG Gemäß § 100 Abs. 5 AktG soll ein unabhängiges Aufsichtsratsmitglied über Sachverstand auf den Gebieten der Abschlussprüfung und Rechnungs­ legung verfügen. Eine erste semantische Annäherung zeigt, dass die gän­ gigen Wortherkunfts- und Bedeutungswörterbücher für die allgemeine De­ finition des Begriffs der Unabhängigkeit stets auf deren Antonym, den Begriff der Abhängigkeit, verweisen: Unabhängig sei der nicht Abhängige. Abhängig seinerseits sei eine adjektivische Ableitung des Verbs hängen und wird umschrieben mit: an jemanden angehängt sein, nicht selbststän­ dig, durch jemanden (als Möglichkeit erst) zustande gekommen oder be­ dingt sein sowie (psychisch) auf jemanden angewiesen.211 Unabhängigkeit ist demnach schwerlich positiv festzustellen, sondern sie ist anzunehmen, wenn keine negativen Kriterien bekannt sind, die die Abhängigkeit vermu­ ten lassen. 210  Allgemein zu Repurchase Agreements („Repos“) Kienle, in: Schimanski / Bun­ te / Lwowski (Hrsg.), Hdb. Bankrecht, Band II, § 105 Rn. 20. 211  Duden, Sprachwörterbuch, Band A–Bedi, S. 82; Duden, Bedeutungswörterbuch, S. 24; Duden, Herkunftswörterbuch, S. 268.



B. Unabhängigkeit i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG79

Aus dem Bild des an jemanden oder etwas „Angehängt-Seins“ ergibt sich, dass es stets eines Bezugspunktes bedarf, von dem Abhängigkeit be­ steht oder Unabhängigkeit bestehen soll. Aufsichtsräte sind zu allererst Menschen und eine absolute Unabhängigkeit von jedermann gibt es bei Menschen nicht.212 Unabhängigkeit ist mithin ein relativer Begriff, der stets bereichs- und funktionsspezifisch zu definieren ist.213 In Bezug auf die Unabhängigkeit i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG gilt es daher mit Blick auf die beiden angestrebten Ziele der wirksamen Kontrolle der Richtigkeit der Fi­ nanzzahlen der Gesellschaft zum ersten sowie der Steigerung des Vertrauens des Publikums zum zweiten, zu fragen: Von wem darf der Finanzexperte nicht abhängig sein? Umgekehrt formuliert lautet die Frage, auf wen darf er angewiesen sein, ohne dass es seine Unabhängigkeit gefährdet. Steht auf erster Stufe fest, von wem der unabhängige Finanzexperte nicht abhängig sein darf, bleibt auf zweiter Stufe die Frage, wann eine Abhängig­ keit zu diesen (juristischen und natürlichen) Personen zu bejahen ist. Auch wenn die allgemeine Definition der Unabhängigkeit, dass unabhängig der­ jenige ist, der nicht abhängig ist, es nahelegt, ist es in der Realität kein Entweder-Oder-Prinzip, abhängig oder unabhängig. Vielmehr kann Abhän­ gigkeit in vielen verschiedenen Erscheinungsformen und Abstufungen vor­ kommen.214 Beispielsweise darf der Finanzexperte nicht vom Abschlussprü­ fer der Gesellschaft abhängig sein, allerdings ist er sehr wohl auf die Er­ gebnisse und Vorarbeiten des Abschlussprüfers als Grundlage für die eigenen Arbeiten angewiesen.215 Aus diesem Umstand kann aber keinesfalls abgelei­ tet werden, dass er abhängig vom Abschlussprüfer ist oder dass er dessen Vorarbeiten nicht nutzen sollte. Zu der Frage, von wem der Finanzexperte unabhängig sein muss, gesellt sich mithin noch die Frage: Ab welchem Grad von Außeneinflüssen und bei Vorliegen welcher Umstände überschrei­ tet der Finanzexperte die Schwelle zur Abhängigkeit und gilt nicht mehr als unabhängig? Der Schwerpunkt der Unabhängigkeitsdiskussion im Rahmen von § 100 Abs. 5 AktG ist die Beantwortung dieser zwei Kernfragen. Da eine positive Definition der Unabhängigkeit ausscheidet und eine negative Abgrenzung erfolgen muss, wirft im Rahmen von § 100 Abs. 5 AktG der Begriff der Unabhängigkeit die schwerwiegendsten Fragenkom­ 212  In Anlehnung an Max Frisch: „Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kommen Menschen.“, Vorwort S. 7 zu Alexander J. Seiler, Siamo italiani. 213  Vgl. Lutter, EuZW 2009, 799, 804. 214  Vgl. BGHZ 36, 296, 300 im Zusammenhang mit (abgelehnten) Stimmverbo­ ten für Aktionäre bei der Entlastung von ihnen entsandter Aufsichtsratsmitglieder. 215  BGHZ 85, 293, 297 – „Hertie“; Lutter / Krieger, Rn.  171 ff.; Dörner, DB 2000, 101; Rürup, AG 1995, 219, 221; Scheffler, WPg 2002, 1289, 1291 ff.; Velte, AG 2009, 102.

80

2. Kap.: Tatbestandsebene

plexe und Folgeprobleme für die Praxis wie für die weiteren Untersuchun­ gen dieser Arbeit auf.216

I. Unabhängigkeit als innere Tatsache Nach Sinn und Zweck geht es im Grundsatz bei der Unabhängigkeit im Sinne von § 100 Abs. 5 AktG um eine „geistige Unabhängigkeit“. Der Fi­ nanzexperte des Aufsichtsrats sollte sich durch eine innere Bereitschaft auszeichnen, Jahresabschlüsse und andere Finanzinformationen nach bestem Wissen und Gewissen – ausschließlich im Interesse der Gesellschaft und frei von anderen Interessen – zu kontrollieren.217 Gesucht wird offensicht­ lich eine Person, die die Fähigkeiten, den Willen und den Mut dazu mit­ bringt, die kritischen Punkte aufzuspüren und sich in den entscheidenden Situationen, unter Umständen auch gegen den Willen der Mehrheit des Gremiums und des Vorstands, zu erheben und kritische Fragen zu stellen.218 Das unabhängige Aufsichtsratsmitglied soll seine ablehnende Haltung klar zum Ausdruck bringen, wenn ein Beschluss des Gremiums seiner Meinung nach der Gesellschaft schaden könnte.219 Dadurch soll das typische Phäno­ men des Gruppendenkens („Groupthink“) in Aufsichtsräten verhindert wer­ den. Es geht dabei um die Neigung von Gruppenmitgliedern, sich in Ent­ scheidungssituationen stark dem Gruppendruck anzupassen und zur Auf­ rechterhaltung der gruppeninternen Geschlossenheit und Einstimmigkeit die kritische Auseinandersetzung mit der objektiven Faktenlage zu unterlas­ sen.220 Die Mehrheitsmeinung erzeugt in der Regel den Eindruck der Wahrund Richtigkeit, wohingegen Minderheitsstandpunkte als Abweichung von der Norm betrachtet werden.221 Die besonderen Qualifikationen des Finanz­ 216  So

2045.

auch Kropff, FS K. Schmidt, 2009, 1023, 1025; Spindler, ZIP 2005, 2033,

217  Kremer, in: Ringleb / Kremer / Lutter / v.  Werder (Hrsg.), DCGK-Komm, Rn. 1030; Peltzer, NZG 2004, 509, 510. 218  SEC-Release No. 33-8177 II.  A. 4. d) iii), a.  a.  O. Fn. 12; Semler, FS K. Schmidt 2009, 1489, 1498. 219  Anhang II Ziff. 2 S. 1 lit. c) Kommissionsempfehlung; vgl. die Parallelen zum Chief Risk Officer („CRO“) von systemrelevanten Banken, Basel III, Ziff. 73 („suf­ ficient stature, authority and seniority within the organisation“); zum Abschlussprü­ fer Ludewig, WPg 2002, 613: „Offenheit, die vor Niemandem Halt macht und Schonungslosigkeit, wenn offenbare Verfehlungen festgestellt werden“. 220  Watzka, Der Aufsichtsrat 2009, 106; zur höheren Kritikbereitschaft und Diskussionskultur von mit größerer Vielfalt besetzter Gremien Drygala, in: ­ K. Schmidt / Lutter, Band I, § 100 Rn. 32; Weber-Rey, WM 2009, 2255, 2262; aus psychologischer Sicht grundlegend zur Gruppendynamik Janis, Groupthink. 221  Moscovici, Sozialer Wandel durch Minoritäten, S. 30, 38; Seele, Verhalten von Aufsichtsratsmitgliedern, S.  182 m. w. N.



B. Unabhängigkeit i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG81

experten stärken jedoch seinen sozialen Status innerhalb des Gremiums und damit seine Fähigkeit, Einfluss auf den Meinungsbildungsprozess des Gre­ miums auszuüben.222 Die geistige Unabhängigkeit eines Aufsichtsratsmitglieds zu überprüfen, ist allerdings praktisch, insbesondere für das nur schlecht informierte Pub­ likum, unmöglich. In der Rechtsprechung und Literatur ist aber anerkannt, dass nach außen hin erkennbare Merkmale und Eigenschaften (Indizien) Rückschlüsse auf innere Tatsachen zulassen.223 Die sozialwissenschaftliche Definition von Vertrauen bestätigt dies: Vertrauen ist danach die generali­ sierte Erwartung, dass der andere seine Freiheit, d. h. das Potential seiner Handlungsmöglichkeiten, im Sinne seiner Persönlichkeit handhaben wird – oder genauer, im Sinne der Persönlichkeit, die er als die seine nach außen hin dargestellt und sichtbar gemacht hat. Vertrauenswürdig ist, wer bei dem bleibt, was er bewusst oder unbewusst über sich selbst sichtbar gemacht hat.224 Im Rahmen der Unabhängigkeitsdiskussion kommt daher den äuße­ ren Merkmalen eine tragende Rolle zu, da sie eine Prognose für ein zukünf­ tiges Verhalten des Finanzexperten und für die Bereitschaft zur unabhängi­ gen Kontrolle ermöglichen.225 Insbesondere das Publikum wird aus diesen äußeren, zugänglichen Informationen Rückschlüsse darauf ziehen, ob es dem Finanzexperten und damit mittelbar den veröffentlichten Geschäftszah­ len der Gesellschaft Vertrauen schenken kann. Vor diesem Hintergrund sind die verschiedenen Kataloge von allgemeinen Unabhängigkeitsmerkmalen zu verstehen, die Rückschlüsse auf die innere Haltung ermöglichen sollen und allgemein Situationen beschreiben, die nach außen den Eindruck fehlender Unabhängigkeit vermitteln. Der Unabhängigkeitsbegriff lässt sich demnach in zwei Teilbereiche auf­ teilen, die sog. „independence in mind / fact“ für die innere Einstellung und die „independence in appearance“ für das Fehlen von Tatsachen, die bei Außenstehenden zu einer Vermutung der Befangenheit führen.226 In wel­ chem genauen Verhältnis die geistige Unabhängigkeit zur unabhängigen Erscheinung steht, ist unklar. Es stellt sich insbesondere die Frage, ob inne­ re und äußere Unabhängigkeit in der Person des unabhängigen Finanzexper­ 222  Vgl. allgemein zur Tendenz von Gruppen, Experten zu folgen Moscovici, Sozialer Wandel durch Minoritäten, S. 35 ff. 223  Grundlegend zum Beweis innerer Tatsachen durch äußere Umstände (sog. Indiztatsachen) BVerfG, NJW 1993, 1751, 1759; BVerfG NJW 1993, 2165, BGH NJW-RR 2004, 247, 248. 224  Luhmann, Vertrauen, S. 48; vgl. auch Duden, Bedeutungswörterbuch, S. 720. 225  Peltzer, NZG 2004, 509, 510. 226  Langenbucher, ZGR 2007, 571, 589; Schneider, WPg 2011, 70, 73; v. Werder / Wieczorek, DB 2007, 297, 300.

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2. Kap.: Tatbestandsebene

ten kumulativ vorliegen müssen, um i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG als unabhän­ gig zu gelten. Mit Sicherheit kann gesagt werden, dass die innere Unabhän­ gigkeit unumgänglich ist. Wenn der Finanzexperte bereits die innere Ein­ stellung vermissen lässt, seine Aufgabe ordentlich zu erfüllen, dann ist er ungeeignet. Die Europäische Kommission trifft eine klare Aussage zu der aufgeworfenen Frage, in welchem Verhältnis innere Einstellung und äußere Erscheinung – „independence in mind“ vs. „independence in appearance“ – zu einander stehen: Sie meint, dass es hier nicht nur um ein reines Abha­ ken von äußeren Merkmalen („merely checking the boxes“) handeln soll­ te.227 Den inneren Aspekten wird mithin der Vorrang vor den formalen Kriterien eingeräumt, was dazu führt, dass von äußeren Unabhängigkeits­ merkmalen abgewichen werden kann, solange die innere Unabhängigkeit gewährleistet ist.228 Allerdings verlieren die äußeren Merkmale dadurch nicht ihre Bedeutung. Bestimmte Beziehungen zum Prüfungsgegenstand können nach außen das Bild vermitteln, dass der Finanzexperte nicht unabhängig ist. Definiert man Vertrauen, wie oben, als die sichere Erwartung und den festen Glauben daran, dass man sich auf jemanden / etwas verlassen kann, dann wird deut­ lich, dass bereits der naheliegende Verdacht der Befangenheit ausreicht, um das Vertrauen des Marktes in die Unabhängigkeit nachhaltig zu erschüt­ tern.229 Da sich der inneren Einstellung auch nur über die äußeren Merkma­ le der Person genähert werden kann, ist der Anknüpfungspunkt für die Diskussion der Unabhängigkeit die Untersuchung des Problemkreises, wel­ che Außeneinflüsse die Unabhängigkeit gefährden, welche stets den unwi­ derleglichen Eindruck der Befangenheit erwecken und welche äußeren Merkmale zwar eine Befangenheit befürchten lassen, aber durch besondere Umstände des Einzelfalls ausgeglichen werden können, sodass im Ergebnis das Publikum dem Finanzexperten dennoch Vertrauen schenkt.

II. Ausgangssituation Um die Änderung der Rechtslage durch die Einführung von § 100 Abs. 5 AktG darzustellen, bedarf es zunächst einer Darstellung der vorherigen Rechtssituation, zumal diese unverändert fortgilt und durch § 100 Abs. 5 AktG nicht aufgehoben oder ersetzt, sondern, darauf aufbauend, verschärft wurde. 227  Annex

II Ziff. 1 S. 2 Kommissionsempfehlung. die RegBegr. BT-Drucks. 16 / 10067, S. 102; Erwägungsgrund 18, Ziff. 13.2. Kommissionsempfehlung. 229  Higgs-Report, S. 36, 9.11; Möllers / Christ, ZIP 2009, 2278, 2280; Peltzer, FS Priester 2007, 573, 579. 228  So



B. Unabhängigkeit i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG83

Die Überlegungen zur besonderen Unabhängigkeit von Mitgliedern des Aufsichtsrats von bestimmten, am Unternehmen interessierten Gruppen (zum Mehrheitsaktionär230) sind nicht neu, allerdings haben sie sich zuvor 230  Bereits in den Reformerörterungen zur Aktienrechtsreform 1965 wurde zum Schutz der Aktionärsminderheit die Frage über eine Pflicht zur Bestellung unabhän­ giger Aufsichtsratsmitglieder umfassend erörtert. Von der SPD und dem Sachver­ ständigen Semler wurde der Abänderungsantrag gestellt, die Wahlen zum Aufsichts­ rat nicht mehr nach dem Mehrheitsprinzip zu gestalten. Stattdessen wurde ein Ver­ hältniswahlrecht, ähnlich dem System der Bundestagswahl, vorgeschlagen, da es nur auf diesem Wege möglich sei, den Mehrheitseinfluss auf die Besetzung des Auf­ sichtsrats einzuschränken (Porzner (SPD), BT, 4. Wahlperiode, 184. Sitzung, Bonn am 19. Mai 1965, S. 9222, Semler, Stenographische Niederschrift der Sachverstän­ digenanhörung am 28. April 1962). Gegen ein solches Vorhaben wurde jedoch ein­ gewandt, dass die Aufsichtsratsarbeit durch Fraktionsbildungen im Aufsichtsrat und Aufspaltung der Anteilseignerseite nachhaltig gestört werden würde und eine Aktio­ närsminderheit zu großen Einfluss auf die Zusammensetzung des Aufsichtsrats er­ halten würde (Ausschussbericht zum heutigen § 101 AktG, zitiert nach Kropff, AktG, S. 140). Ferner sei bei einer Verhältniswahl in Verbindung mit der Mitbestimmung auf Unternehmensebene, insbesondere der (damals nur für Unternehmen im Montan­ bereich geltenden) paritätischen Mitbestimmung, zu befürchten, dass die Mehrheit den ausschlaggebenden Einfluss im Aufsichtsrat verlieren könnte (Dr. Weber, Bun­ desminister der Justiz, BT, 4. Wahlperiode, 184. Sitzung, Bonn am 19. Mai 1965, S. 9223). Aus den zuletzt genannten Gründen wurde der Vorschlag mit einer knap­ pen Mehrheit der ablehnenden Stimmen von 162 Ja- zu 177 Nein-Stimmen, bei 27 Enthaltungen abgelehnt. Die Diskussion über ein (diesmal) „relativ unabhängiges“ Aufsichtsratsmitglied eröffnete sich nochmals nach dem viel beachteten Beschluss des OLG Hamm zur Problematik des qualifiziert faktischen Konzerns (OLG Hamm, NJW 1987, 1030 ff. – „Banning“). Das OLG verlangte, dass bei Unternehmensverbindungen ohne Un­ ternehmensvertrag wenigstens ein Aufsichtsratsmitglied gegenüber dem herrschen­ den Unternehmen relativ neutral zu sein habe, um die Tochterinteressen zu verteidi­ gen. Nur so sei eine unzulässige, qualifizierte faktische Konzernverbindung mit einer abhängigen AG zu unterbinden. Dieses Mitglied des Aufsichtsrats sei jedoch keines­ falls mit einem Minderheitsvertreter zu verwechseln, sondern die Pflicht zu seiner Bestellung entspringe der Gesellschaftertreuepflicht des Mehrheitsaktionärs. Deswe­ gen sei dieses Mitglied auch nur „relativ“ unabhängig. Gegen diesen Lösungsvor­ schlag des OLG wurde eingewandt, dass er Rechtspolitik mit Gesetzesanwendung verwechsle. Es sei nicht ersichtlich, dass der qualifiziert faktische Konzern vom Gesetzgeber unerwünscht sei (Kropff, FS Goerdeler 1987, 259, 269). Ferner unter­ liege die Personalpolitik der alleinigen Entscheidung der Hauptversammlung, eine Rechtskontrolle der Wahl zum Aufsichtsrat finde nicht statt (Mertens, in: KK-AktG, Band 2, § 100 Rn. 10; Habersack, ZHR 168 (2004), 373, 378; Timm, NJW 1987, 977, 982 ff.; Kropff, FS Goerdeler, 1987, S. 259, 266 ff.). Diese Kritik am Lösungs­ vorschlag des OLG Hamm zur Problematik der qualifiziert faktischen Konzerne führte dazu, dass sie sich im Ergebnis weder in der höchstrichterlichen Rechtspre­ chung noch in der die Literatur durchzusetzen vermochte. Dem Gläubigerschutz wird bei qualifiziert faktischen Konzernen im Falle der Aktiengesellschaft als abhän­ giger Gesellschaft seither über eine analoge Anwendung der §§ 302 ff. AktG Rech­ nung getragen (h. M. Altmeppen, in: MüKo-AktG, Band 8, § 302, Rn. 96; Münch.

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2. Kap.: Tatbestandsebene

nicht durchzusetzen vermocht.231 Daher war der Begriff der Unabhängig­ keit, wie ihn § 100 Abs. 5 AktG nun benutzt, dem Aktienrecht bislang fremd.232 Vor dem Inkrafttreten des BilMoG wurde auf anderen Wegen versucht, die Unabhängigkeit des Aufsichtsratsgremiums abzusichern. Um die Arbeit von Aufsichtsratsmitgliedern im Interesse des Unternehmens ab­ zusichern, gab und gibt es nach wie vor den Grundsatz der Weisungsfreiheit und bestimmte, von Gesetzes wegen angeordnete Inkompatibilitäten. Für dennoch auftretende Interessenskonflikte gibt es darüber hinaus entweder den Vorbehalt der Zustimmung des Gesamtgremiums oder die Möglichkeit von Stimmverboten bzw. dem Ausschluss von Sitzungen. 1. Grundsatz der Weisungsfreiheit Allgemein gilt auch nach dem Inkrafttreten des BilMoG, dass selbst eine Person, die sich in einem dauerhaften Interessenskonflikt befindet, bei­ spielsweise durch die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat eines konkurrierenden Unternehmens, zum Aufsichtsratsmitglied bestellt werden kann.233 Dieser Umstand geht hauptsächlich auf die Entstehungsgeschichte des Aufsichtsrats und auf die Tatsache, dass die Aufsichtsratstätigkeit keine hauptamtliche Tätigkeit ist und daher den Aufsichtsratsmitgliedern kein mit § 88 AktG vergleichbares Wettbewerbsverbot auferlegt werden kann, zurück.234 In seiner ursprünglichen Gestalt fungierte der Aufsichtsrat als ein Aus­ schuss der Generalversammlung. Der Aufsichtsrat sollte die Rechte der Generalversammlung effektiver wahrnehmen, als es ihr selbst auf Grund ihrer Größe möglich war.235 Seine Hauptaufgabe war die Überwachung / Kon­ Hdb. GesR AG-Krieger § 69 Rn. 134; Emmerich / Habersack, § 28 Rn. 21; a.  A. Hüffer, AktG § 1 Rn. 25, da der Gläubigerschutz in der AG nicht hinter GmbHStandard der Durchgriffshaftung zurückbleiben könne). 231  Zur Ausnahme von diesem Grundsatz in § 6 Abs. 2a Investmentgesetz, siehe 2. Kapitel B. III. 1. 232  Vgl. § 100 a. F.; dazu OLG München v. 6.8.2008 – 7 U 5628 / 07, AG 2009, 294; Drygala, in: K. Schmidt / Lutter, Band I § 100 Rn. 18; Hopt / Roth, in: Groß­ komm AktG, §§ 95–117, § 100 Rz. 86; Hüffer, AktG, § 100 Rn. 2a; Ehlers / Nohlen, Gedächtnisschrift Gruson, S. 107, 108, 110; Habersack, AG 2008, 98, 104; Hüffer, ZIP 2006, 637, 638; Jaspers, AG 2009, 607, 608; Kropff, FS Huber 2006, 841, 844; Lanfermann / Röhricht, BB 2009, 887, 888; Rieder / Holzmann, AG 2010, 570, 575. 233  H. M. seit RGZ 165, 68, 82; BGHZ 39, 116, 123; Hopt / Roth, in: Großkomm AktG, Band 4, § 100 Rn. m. w. Nachw; Hüffer, ZIP 2006, 638, 639; Vetter, NZG 2008, 121, 125; siehe ausführlich 2. Kapitel B. V. 4. c). 234  Hopt, FS Mestmäcker, 1996, 909, 929; Paal, DStR 2005, 382, 385; Windbichler, Gesellschaftsrecht, § 28 Rn. 36. 235  Kropff, FS K. Schmidt 2009, 1023, 1026.



B. Unabhängigkeit i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG85

trolle des Handelns des Vorstandes.236 Während sich an dieser Hauptaufga­ be der Überwachung aus § 111 Abs. 1 AktG wenig geändert hat, haben sich die ordnungspolitischen Ziele des Aufsichtsrats dahingehend verschoben, dass er sich zu einem Organ der Gesellschaft entwickelt hat, in dem sich die verschiedenen an dem Unternehmen beteiligten Gruppen auseinanderset­ zen und eine gemeinsame Zukunftsplanung entwerfen.237 Die Aufsichtsrats­ mitglieder dienen damit auf der einen Seite dem Unternehmen und dessen Interessen,238 auf der anderen Seite sind sie jedoch zugleich auch Vertreter der Interessen ihrer Wähler (Aktionäre oder Arbeitnehmer) oder ihres Ent­ sendungsberechtigten. Diese Doppelrolle der Aufsichtsratsmitglieder wurde vom Gesetzgeber bewusst geschaffen sowie akzeptiert und auch an ver­ schiedenen Stellen im Aktiengesetz und in den Mitbestimmungsgesetzen kodifiziert. Gewissermaßen als Begrenzung der berechtigten Außeneinflüsse gilt je­ doch für jedes Aufsichtsratsmitglied, dass es sein Handeln am Interesse des Unternehmens auszurichten hat und es im Falle einer Kollision der Interes­ sen der Gesellschaft mit Dritt-, insbesondere Eigeninteressen ersteren den Vorzug zu gewähren hat.239 Flankiert wird diese Pflicht von dem sich aus §§ 101 Abs. 3 S. 1, 111 Abs. 5 AktG, 4 Abs. 3 S. 2 MontanMitbestG ergebenden Grundsatz der Höchstpersönlichkeit und Weisungsfreiheit der Amtsführung („Grundsatz der Weisungsfreiheit“). Dieser Grundsatz gilt sowohl für alle Anteilseigner­ vertreter, mithin gewählte, entsandte und gerichtlich bestellte, als auch für die Arbeitnehmervertreter und besagt, dass sich ein Aufsichtsratsmitglied nicht an fremde Interessen binden kann und darf.240 Ausgeschlossen sind neben Weisungsbindungen, die das Aufsichtsratsmitglied rechtlich zu einer bestimmten Stimmrechtsausübung verpflichten, auch alle Ersatzformen von Weisungsbindungen, wie etwa Vertragsstrafen oder die Pflicht zur Niederle­ gung des Amtes bei Nichtbefolgung einer Weisung. Solche vertraglichen Sanktionen bei einem Abweichen von den unverbindlichen Empfehlungen eines Dritten oder gegenüber der Weigerung, sich an Empfehlungen zu binden, sind als Verstoß gegen § 111 Abs. 5 AktG, auf Arbeitnehmerseite 236  Der Begriff der Kontrolle entstammt dem Französischen (contre-rôle) und bedeutet so viel wie Gegenprobe; vgl. Strieder, BB 2009, 1002, 1004. 237  Lutter, in: Bayer  / Habersack, Band II, S. 389, 392; Kropff, FS K. Schmidt 2009, 1023, 1026; Nagel, NZG 2007, 166, 167. 238  Zum Begriff des Unternehmensinteresses a. a. O. Fn. 208. 239  BGHZ 36, 296, 306; Ziff. 5.5.1 DCGK; Habersack, in: MüKo-AktG, Band 2 Vor § 95 Rn. 13; Geßler, in: Geßler / Hefermehl, Band II, § 96 Rn. 61. 240  Statt vieler BGHZ 90, 381, 398; BGH ZIP 2006, 2077, 2079; Raiser, Mit­ bestG § 25 Rn. 121.

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2. Kap.: Tatbestandsebene

auch gegen § 76 Abs. 2 BetrVerfG 1952 i. V. m. §§ 78 BetrVerfG, 26 Mit­ bestG unzulässig und unwirksam.241 Der Umstand, dass Aufsichtsratsmitglieder an Aufträge und Weisungen nicht gebunden sind, wird häufig ebenfalls als „Unabhängigkeit“ der Auf­ sichtsratsmitglieder bezeichnet.242 Der Übersichtlichkeit wegen wird der vor dem BilMoG bereits bestehende Zustand im weiteren Verlauf der Untersu­ chung weiterhin als „Grundsatz der Weisungsunabhängigkeit“ bezeichnet werden, wohingegen „Unabhängigkeit“ stets im Sinne von § 100 Abs. 5 AktG zu verstehen sein soll. 2. Formale Kriterien zur Unabhängigkeit / Inkompatibilitäten Über dieses allgemeine Postulat der Weisungsfreiheit hinaus bestanden bereits vor der Einführung von § 100 Abs. 5 AktG vereinzelte, vom Gesetz­ geber abschließend aufgezählte, formale Kriterien, sog. Inkompatibilitäten243, die die Unabhängigkeit des Aufsichtsrats gewährleisten sollten.244 Verletzt eine Person eine dieser Inkompatibilitäten, wird unwiderleglich vermutet, dass sie für die Aufsichtsratstätigkeit nicht geeignet ist. Es kommt nicht darauf an, ob im konkreten Einzelfall tatsächlich eine Interessenskol­ lision in der Person des Aufsichtsratsmitglieds vorliegt.245 Die Wahl trotz des Vorliegens der Inkompatibilitäten ist gemäß § 250 Abs. 1 Ziff. 4 AktG nichtig. Treten sie innerhalb der Amtsperiode auf, erlischt das Mandat ohne Weiteres.246 a) Inkompatibilität von Aufsichtsrats- und Vorstandsmandat Nach § 105 Abs. 1 AktG ist das Aufsichtsratsamt nicht mit der Stellung als Vorstandsmitglied oder einer anderen bestimmten Leitungsposition im Unternehmen vereinbar. Durch die damit in personeller Hinsicht herbeige­ führte Funktionstrennung der beiden Organe wird die im deutschen Recht strikt ausgeprägte Trennung zwischen Überwachungs- und Leitungsorgan 241  Habersack, in: MüKo-AktG, Band 2 § 111 Rn. 137; Kropff, FS Huber 2006, S. 840, 849; Raiser, ZGR 1978, 391, 400; Lutter / Krieger, Rn.  821 ff. 242  Raiser, ZGR 1978, 391, 393; Säcker, DB 1977, 1791, 1793. 243  Zur Herleitung des Begriffs aus dem Staatsrecht Wardenbach, S.  24 ff. 244  Hopt / Roth, in: Großkomm AktG, Band 4, § 100 Rn. 73, 78 m. w. N.; Hüffer, ZIP 2006, 637, 638. 245  Lutter, ZHR 145 (1981), 224, 234; Wardenbach, S. 26. 246  Hopt / Roth, in: Großkomm-AktG, Band 4, § 100 Rn. 119; Geßler, in: Geß­ ler / Hefermehl, Band II, § 100 Rn. 58, 60.



B. Unabhängigkeit i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG87

sichergestellt.247 In dieser institutionellen Trennung liegt auch der funda­ mentale Unterschied zwischen dem deutschen dualen System der Unterneh­ mensverfassung mit Vorstand und Aufsichtsrat gegenüber dem monistischen System, in dem das Board sowohl das gesamte Geschäft führt als auch die Geschäftsführung, und damit sich selbst, überwacht.248 Gemessen am Maß­ stab des Board-Systems ist § 105 Abs. 1 AktG deswegen als ein dem dualen System immanentes und vom Gesetzgeber zwingend vorgeschriebenes Un­ abhängigkeitsmerkmal zu verstehen. Grundlage der Trennung der Geschäfts­ führung von der Überwachung ist der Gedanke, dass niemand Richter in eigener Sache sein soll.249 Interessanterweise galt dieses Verbot allerdings bis vor Kurzem nur so lange die Leitungsposition bekleidet wurde. Einem Wechsel unmittelbar nach Beendigung der Vorstandstätigkeit in den Auf­ sichtsrat stand es nicht entgegen, obwohl auch in diesen Konstellationen zu befürchten ist, dass das neue Aufsichtsratsmitglied Entscheidungen zu kon­ trollieren haben wird, die es selbst als Vorstandsmitglied (mit)veranlasst hat, sodass es in der Sache wiederum Richter in eigener Sache wäre.250 b) Verstoß gegen das natürliche Organisationsgefälle Eine weitere Vorgabe zur Sicherung der Unabhängigkeit der Aufsichtsrats­ mitglieder vom Vorstand findet sich in § 100 Abs. 2 S. 1 Ziff. 2 AktG. Dieser bestimmt, dass gesetzliche Vertreter eines von der Gesellschaft abhängigen Unternehmens nicht zugleich Aufsichtsratsmitglied der herrschenden Gesell­ schaft sein können. Diese partielle Ausdehnung des Gebots von § 105 Abs. 1 AktG liege darin begründet, dass ein solches Aufsichtsratsmandat gegen das natürliche Organisationsgefälle im Konzern verstoße.251 Als Folge sei es dem Vorstand des herrschenden Unternehmens möglich, sich über seine Einwir­ kungsbefugnisse auf den Vorstand der abhängigen Gesellschaft mittelbar selbst zu kontrollieren. Jedenfalls sei zu befürchten, dass der Vorstand der abhängigen Gesellschaft nicht die notwendige Unbefangenheit habe, um den Vorstand der Obergesellschaft pflichtgerecht zu kontrollieren.252 247  Spindler, in: Spindler / Stilz, Band 1, § 105 Rn. 1; Drygala, in: K. Schmidt / Lut­ ter Band I, § 105 Rn. 1. 248  Vgl. zum Systemunterschied zu dem Board-System S. 21. 249  OLG Frankfurt, ZIP 1981, 211; Spindler, in: Spindler / Stilz, Band 1, § 105 Rn. 6. 250  Herden, Capital 04  / 2009, S. 108, 110; siehe zum VorstAG Einleitung und 2. Kapitel B. II. 2. d). 251  Bericht des Rechtsausschusses zum AktG 1965, zitiert nach Kropff, Aktienge­ setz, S. 136. 252  Habersack, in: MüKo-AktG, Band 2, § 100 Rn. 24; Spindler, in: Spind­ ler / Stilz, Band 1, § 100 Rn. 21; Drygala, in: K. Schmidt / Lutter Band I, § 100 Rn. 9.

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2. Kap.: Tatbestandsebene

c) Verbot der Überkreuzverflechtung Die vormals letzte kodifizierte Vorgabe zur Unabhängigkeit ergibt sich aus dem Verbot der Überkreuzverflechtung. Nach § 100 Abs. 2 S. 1 Ziff. 3 AktG kann nicht Aufsichtsratsmitglied sein, wer gesetzlicher Vertreter einer anderen Kapitalgesellschaft ist, deren Aufsichtsrat wiederum ein Vorstands­ mitglied der Gesellschaft angehört. Das Aufsichtsratsmitglied solle nicht seinerseits von dem zu überwachenden Vorstand abhängig sein, da zu be­ fürchten sei, dass die Überwachung des anderen Vorstandes mit Rücksicht auf die eigene Überwachung weniger streng erfolge.253 Die Vermutung der Abhängigkeit oder Befangenheit wiegt in diesen Fällen der wechselseitigen Organmitgliedschaft so schwer, dass keine weitere Prüfung erfolgt, ob das Mitglied gegebenenfalls doch zur Amtsführung geeignet ist. Vielmehr ist die betreffende Person aufgrund der unwiderleglichen gesetzlichen Vermutung stets vom Amt eines Aufsichtsratsmitglieds ausgeschlossen, um so eine ef­ fektive Überwachungstätigkeit des Aufsichtsrats im Sinne von § 111 Abs. 1 AktG sicherzustellen. Das Verbot der Überkreuzverflechtung erfährt in dreierlei Hinsicht Ein­ schränkungen: Zum Ersten gilt es nur zwischen Unternehmen bestimmter Rechtsformen. Ausweislich des Wortlauts betrifft das Verbot nur denjenigen, der als gesetzlicher Vertreter einer anderen Kapitalgesellschaft (also AG, KGaA, GmbH und SE, nicht dagegen Genossenschaften, Personengesell­ schaften und Vereine254) amtiert.255 Die Gesellschaft, um deren Aufsichtsrat es geht, muss § 100 AktG unterfallen, d. h. es muss sich um eine AG oder aufgrund der Verweise auf das Aktiengesetz um eine KGaA, SE oder mit­ bestimmte GmbH handeln. Zweitens können nach herrschender Auffassung gesetzliche Vertreter einer inländischen Kapitalgesellschaft Aufsichtsratsmit­ glieder einer ausländischen Kapitalgesellschaft sein, und das entgegen dem Verbot der Überkreuzverflechtung selbst dann, wenn auch ein gesetzlicher Vertreter der ausländischen Gesellschaft Mitglied des Aufsichtsrats der deut­ schen Gesellschaft ist.256 Schließlich ist drittens lebhaft umstritten, ob das 253   Bericht des Rechtsausschusses zum AktG 1965, zitiert nach Kropff, Aktien­ gesetz, S. 136; Hopt / Roth, in: Großkomm AktG, Band 4, § 100 Rn. 58. 254  Für Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit verweist § 35 Abs. 3 S. 1 VVaG auf § 100, sodass das Verbot der Überkreuzverflechtung auch für den VVaG gilt; vgl. Langheid, in: MüKo-VVG, Band 1, Rn. 371. 255  Habersack, in: MüKo-AktG, Band 2, § 100 Rn. 24; Hopt / Roth, in: Großkomm AktG, Band 4, § 100 Rn. 59 ff. 256  Mertens, in: KK-AktG, Band 2, § 100 Rn. 23 (anders noch ders., in: Vorauf­ lage Rn. 21); v. Caemmerer, FS E. Geßler 1971, 81, 89 ff.; Geßler, in: Geßler / He­ fermehl, Band II, § 100 Rn. 29; E. Vetter, in: Marsch-Barner / Schäfer, § 25 Rn. 10; a. A. Hopt / Roth, in: Großkomm-AktG, Band 4, § 100 Rn. 62 ff. („Ausnahme bei



B. Unabhängigkeit i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG89

Verbot der Überkreuzverflechtung auch Geltung für freiwillig gebildete Aufsichtsräte beansprucht. Gegen eine Erstreckung auf fakultative Auf­ sichtsräte wird argumentiert, dass ein fakultativer Aufsichtsrat einer GmbH anders als der Aufsichtsrat einer AG organisiert sein kann, indem er bei­ spielsweise nur beratende und keine überwachenden Aufgaben wahr­ nimmt.257 Würde man dagegen alle fakultativen, mit Überwachungskompe­ tenz ausgestatten Gremien einer GmbH, beispielsweise auch Beiräte und Ausschüsse, dem Verbot der Überkreuzverflechtung unterwerfen, so würde dies zu untragbaren Abgrenzungsproblemen führen.258 Für eine Erstreckung auf freiwillig gebildete Aufsichtsräte spricht jedoch ein Vergleich von § 100 Abs. 2 S. 1 Ziff. 3 und Ziff. 1 AktG mit der Formulierung aus § 100 Abs. 2 S. 1 Ziff. 2 und Abs. 2 S. 2 AktG. Dieser zeigt, dass der Gesetzgeber bei letzteren die Anwendung bewusst auf gesetzlich zu bildende Aufsichtsräte begrenzt hat.259 Diese Argumentation für eine Erstreckung des Verbots der Überkreuzverflechtung auch auf fakultativ eingerichtete Gremien vermag daher zu überzeugen, und wird auch durch die teleologische Überlegung verstärkt, dass es für die Gefährdung der Unabhängigkeit durch die wech­ selseitige Organschaft keine Rolle spielt, ob es sich um ein fakultatives oder obligatorisches Gremium handelt, solange der zu Kontrollierende in der anderen Gesellschaft der Kontrolleur ist. Weitere gesetzliche Anforderungen an die Unabhängigkeit von Aufsichts­ ratsmitgliedern als die strikte Trennung von Vorstand und Aufsichtsrat durch § 105 Abs. 1 AktG, das Verbot der Überkreuzverflechtung und die Beset­ zung des Aufsichtsrats entgegen dem Organisationsgefälle sowie das gene­ relle Gebot der Weisungsfreiheit der Mitglieder des Aufsichtsrats und deren Bindung an das Unternehmensinteresse gab es vor der Einführung von § 100 Abs. 5 AktG grundsätzlich nicht. d) „Cooling-Off“-Periode Systematisch gehört an diese Stelle die Besprechung der jüngsten kodifi­ zierten Vorgabe zur Unabhängigkeit, auch wenn sie zeitlich erst nach dem Inkrafttreten des BilMoG durch das Gesetz zur Angemessenheit der Vor­ standsvergütung („VorstAG“) in das Aktiengesetz eingefügt wurde. Gemäß Auslandsbezug heute nicht mehr überzeugend“); K. Schmidt, in: Großkomm-AktG, 6. Lieferung: §§ 241–255, § 250 Rn. 24 ff. 257  Hopt / Roth, in: Großkomm AktG, Band 4, § 100 Rn. 63 ff.; Konow, DB 1966, 849, 850; Werner, AG 1967, 102, 104; Bollweg, Wahl des Aufsichtsrats, S. 108. 258  Hopt / Roth, in: Großkomm AktG, Band 4, § 100 Rn. 63 ff. 259  Mertens, in: KK-AktG, Band 2, § 100 Rn. 22; Rummel, DB 1970, 2257; Geßler, in: Geßler / Hefermehl, Band II, § 100 Rn. 26.

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2. Kap.: Tatbestandsebene

dem neuen § 100 Abs. 2 S. 1 Ziff. 4 AktG kann nicht Mitglied des Auf­ sichtsrats sein, wer in den letzten zwei Jahren Vorstandsmitglied derselben260 börsennotierten Gesellschaft war („Karenzzeit“ oder „Cooling-Off“-Periode), es sei denn, seine Wahl erfolgt auf Vorschlag von Aktionären, die mehr als 25 % der Stimmrechte an der Gesellschaft halten.261 Diese Änderung des Aktiengesetzes ist eine Reaktion auf die sehr umstrittene Praxis des Wech­ sels ehemaliger Vorstandsmitglieder in den Aufsichtsrat.262 Aus dem Blick­ winkel guter Corporate Governance bestehen Bedenken gegen dieses Vor­ gehen aus der Befürchtung heraus, dass das ehemalige Vorstandsmitglied 260  Ausweislich des Wortlauts von § 100 Abs. 2 S. 1 Ziff. 4 AktG soll innerhalb der Cooling-Off-Periode nicht Aufsichtsratsmitglied werden können, wer Vorstands­ mitglied derselben Gesellschaft war. Unklar ist die Situation bei „Fusionen“. Im Falle von Unternehmenszusammenschlüssen entsteht häufig eine neue Obergesell­ schaft, auf die die fusionierenden Gesellschaften verschmolzen werden. In solchen Fällen ist es mithin möglich, dass der Vorstandsvorsitzende einer der beiden fusio­ nierenden Gesellschaften auch den Vorstandsvorsitz bei der neuen Obergesellschaft übernimmt, während der Vorstandsvorsitzende der zweiten fusionierenden Gesell­ schaft den Aufsichtsratsvorsitz bei der Obergesellschaft übernimmt. Da der neue Aufsichtsratsvorsitzende zuvor nicht im Vorstand der neuen Gesellschaft tätig war, ist er nach dem Wortlaut der Norm nicht von der Cooling-Off-Periode betroffen. Allerdings bestehen gerade in einem solchen Fall erhebliche Bedenken, ob der neue Aufsichtsratsvorsitzende die notwendige Unabhängigkeit mitbringt, um seine eige­ nen Geschäftsentscheidungen pflichtgemäß zu kontrollieren. Rechtspolitisch wäre es daher wünschenswert, den Tatbestand von § 100 Abs. 2 S. 1 Ziff. 4 AktG auch auf solche Konstellationen zu erweitern; siehe zu den Fällen der Verschmelzung und Spaltung Schulenburg / Brosius, BB 2010, 3039 ff. Siehe aktuell den Zusammenschluss von British Airways und Iberia zur Interna­ tional Airlines Group (IAG). Nach Pressemitteilungen soll der Vorstandsvorsitzende von British Airways Willie Walsh den Vorstandsvorsitz bei IAG übernehmen, wäh­ rend der Vorstandsvorsitzende von Iberia Antonio Vázquez den Aufsichtsratsvorsitz bei IAG übernehmen wird, vgl. dazu FAZ Nr. 82 vom 9.4.2010, S. 15. Selbiges gilt für die Fusion von Continental und United Airlines. Jeff Smisek, vor der Fusion CEO von Continental, wird CEO der neuen Gesellschaft, Glenn Tilton, CEO von United, wird Non-Executive Chairman des Boards für zwei Jahre. Nach Ablauf der zwei Jahre soll Jeff Smisek die Rollen von CEO und Chairman in seiner Person vereinen, vgl. Handelsblatt Nr. 85 vom 4.5.2010, S. 2. 261  Die Ausnahmeregelung bezüglich der Karenzzeit geht auf die unterschiedliche Überwachungs- und Kontrollstruktur in Gesellschaften mit Groß- oder Mehrheits­ aktionären zurück (siehe dazu ausführlich 2. Kapitel B. II 2. d) und V. 7. b)). Die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zum VorstAG begründet dies damit, dass die „systematischen Kontrolldefizite“ der Aktionäre über den Vorstand nur bei Gesellschaften im Streubesitz existierten, während der Vorstand von Gesellschaften mit Großaktionären einer Kontrolle durch diesen Großaktionär unterliegen würden, vgl. BT-Drucks. 16 / 13433 S. 11. 262  2004 stand die Hälfte der Aufsichtsräte der DAX30-Unternehmen unter der Führung des früheren Vorstandsvorsitzenden, Möllers / Christ, ZIP 2009, 2278; Herden, Capital 04 / 2009, S. 108, 111.



B. Unabhängigkeit i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG91

die Bereinigung strategischer Fehler oder die Beseitigung von Unregelmä­ ßigkeiten aus der eigenen Vorstandszeit unterbinden könnte.263 Ferner läuft es faktisch auf eine Kooptation der Aufsichtsratsbesetzung durch den (ehe­ maligen) Vorstand hinaus, wenn die Bestellung ehemaliger Vorstandsmit­ glieder zur Gewohnheit wird.264 Auch bei dieser Inkompatibilität ist es demnach der Gesetzeszweck zu verhindern, dass der ehemalige Vorstand später Aufsichtsrat und dann Richter in eigener Sache wird, soweit es sich um Vorfälle aus seiner Amtszeit als Vorstandsmitglied handelt. Teilweise wird in diesem Rahmen für eine Verlängerung der Periode auf fünf Jahre plädiert.265 Gegen die Einführung einer „Cooling-Off“-Periode für den Wechsel aus dem Vorstand in den Aufsichtsrat wurde und wird noch immer in einer heftig geführten Diskussion ins Feld geführt, dass gerade ehemalige Vor­ standsmitglieder besonders tiefgründige Kenntnisse über das Geschäftsmo­ dell des Unternehmens mitbrächten, und so aufgrund ihrer Vertrautheit mit dem Unternehmen dem Aufsichtsrat eine bessere Kontrolle des Vorstands ermöglichen würden.266 Die Argumentation, dass die neue Regelung einen Verlust von Know-how mit sich bringt, ist zutreffend, allerdings ist dies de lege lata hinzunehmen. 263  Bericht des Rechtsausschusses zum VorstAG vom 17.6.2009, BT-Drucks. 16 / 13433, S.  17; Möllers / Christ, ZIP 2009, 2278, 2280; Roth / Wörle, ZGR 2004, 565, 586, 611; die FDP ist mit ihren weitergehenden Forderungen im Rahmen des VorstAG gescheitert, in denen sie gefordert hatte, die Aufsichtsratsmandate pro Per­ son auf maximal fünf statt bislang zehn Handelsgesellschaften zu begrenzen, die Größe der Aufsichtsräte auf zwölf Mitglieder zu begrenzen und die Wählbarkeit von früheren Vorstandsvorsitzenden zum Aufsichtsratsvorsitzenden für die Dauer von drei Jahren auszuschließen, vgl. BT-Drucks. 16 / 13433, S. 2. 264  Zur Praxis, dass der Wahlvorschlag des Aufsichtsrats aufgrund der Regel, dass die Hauptversammlung den Beschlussvorschlägen der Organe nahezu in allen Fällen folgt, de facto die Bestellung bereits vorweg, nimmt Meder, Unabhängigkeit, S. 170; Roth / Wörle, ZGR 2004, 565, 577 f.; Peltzer, NZG 2009, 1041, 1043 nennt es ein „modifiziertes Kooptationsmodell“. 265  Möllers / Christ, ZIP 2009, 2278, 2279; siehe dazu ausführlich unten 2. Kapitel B. V. 7. b). 266  Peltzer, FS Hellwig 2010, 269, 277 f.; Sünner, AG 2010, 111, 112; Velte, Der Aufsichtsrat 2009, 160, 161. Teilweise wird sogar eine Verfassungswidrigkeit der neuen Regelung zur Cooling Off-Periode behauptet, was auf Verstöße gegen Art. 12 GG (Einschränkung der Be­ rufsausübungsfreiheit) und gegen Art. 3 GG (ungerechtfertigte Ungleichbehandlung von Publikumsgesellschaften und Gesellschaften mit Groß- oder Mehrheitsaktionär) gestützt wird. (vgl. Sünner, AG 2010, 111, 114 ff.) Die Behauptung der Verfassungs­ widrigkeit ist nicht nachvollziehbar, da bereits der Gesamtkomplex des Konzern­ rechts und auch die Regelungen zum Pflichtangebot im WpÜG deutlich machen, dass Gesellschaften mit Groß- und Mehrheitsaktionär anders zu behandeln sind als Publikumsgesellschaften.

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2. Kap.: Tatbestandsebene

e) Inkompatibilität von Aufsichtsrats- und Abschlussprüfermandat Die letzte Inkompatibilität ergibt sich nicht aus dem Aktiengesetz, son­ dern aus dem HGB. Gemäß § 319 Abs. 3 S. 1 Ziff. 2 Var. 2 HGB ist ein Wirtschaftsprüfer oder vereidigter Buchprüfer von der Abschlussprüfung ausgeschlossen, wenn er oder eine Person, mit der er den Beruf gemeinsam ausübt bzw. sein Ehegatte oder Lebenspartner i. S. v. § 1 LPartG, Mitglied des Aufsichtsrats der zu prüfenden Gesellschaft oder eines Unternehmens ist, das mit der zu prüfenden Gesellschaft verbunden ist oder von dieser mehr als 20 % der Anteile besitzt. Dieser Unvereinbarkeitsbestimmung liegt der Gedanke zu Grunde, dass externe und interne Kontrolle einander aus­ schließen.267 Gleich den Inkompatibilitäten aus dem Aktiengesetz wird auch bei § 319 Abs. 3 S. 1 Ziff. 2 Var. 2 HGB die Befangenheit des Prüfers un­ widerleglich vermutet, seine tatsächliche subjektive Haltung ist dagegen unbeachtlich.268 Ein unter Verstoß gegen § 319 Abs. 3 HGB erteilter Prü­ fungsauftrag ist nach § 134 BGB nichtig, der Abschlussprüfer ist auf Antrag im Rahmen des Ersetzungsverfahrens aus § 318 Abs. 3 HGB zu ersetzen.269 Ein Verstoß gegen § 319 Abs. 3 HGB führt jedoch gemäß § 256 Abs. 1 Ziff. 3 AktG nicht zur Nichtigkeit des testierten und festgestellten Jahresab­ schlusses.270 Weitere Inkompatibilitäten nennt das Gesetz nicht. Allerdings gibt es neben den absolut und ausnahmslos wirkenden Inkompatibilitäten weitere gesetzliche Vorgaben, welche die Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglie­ der von der Gesellschaft zum Gegenstand haben. 3. Beratungsvertrag mit der Gesellschaft gem. § 114 AktG Gemäß § 114 AktG bedürfen Verträge zwischen der Gesellschaft und dem Aufsichtsratsmitglied, die das Aufsichtsratsmitglied zur Erbringung von aufsichtsratsfremden Leistungen verpflichten und damit auch zu einer zu­ sätzlichen Vergütung berechtigen, der Zustimmung (Einwilligung oder ­Genehmigung) des Aufsichtsrats, wobei das von der Beschlussfassung be­ 267  Zimmer,

in: Großkomm. HGB, Band 3 / 2, § 319 Rn. 31. in: MüKo-HGB, Band 4, § 319 Rn. 45; Zimmer, in: Großkomm. HGB, Band 3 / 2, § 319 Rn. 13. 269  BGHZ 118, 142, 144 = NJW 1992, 2021; unter Hinweis auf dieses Urteil auch BegrRegE BilReG, BT-Drucks. 15 / 3419, S. 37; Ebke, in: MüKo-HGB, Band 4, § 319 Rn. 45; K. Schmidt, Handelsrecht, § 15 V 2. A), S. 441; Gelhausen / Heinz, WPg 2005, 693, 700; Müller, NZG 2004, 1037, 1038. 270  Vgl. BegrRegE BilReG, BT-Drucks. 15  /  3419, S. 55; Hüffer, AktG, § 256 Rn. 14; Gelhausen / Heinz, WPg 2005, 693, 699; Paal, DStR 2007, 1210, 1213. 268  Ebke,



B. Unabhängigkeit i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG93

troffene Aufsichtsratsmitglied nicht stimmberechtigt ist.271 Typischerweise handelt es sich dabei um Beratungsverträge.272 Die Beratungsverträge müssen Tätigkeiten zum Gegenstand haben, die jenseits des Bereichs der Überwachungs- und Beratungsfunktion der Aufsichtsratstätigkeit liegen. Gesonderte Vereinbarungen, die Vergütungen für Tätigkeiten vorsehen, die in den allgemeinen Aufgabenbereich von Aufsichtsratsmitgliedern fallen, sind gemäß § 134 BGB wegen Verstoßes gegen §§ 113, 114 AktG nichtig und daher einer Zustimmung durch den Aufsichtsrat gem. § 114 Abs. 1 AktG nicht zugänglich.273 Sinn und Zweck dieser Vorschrift ist es, dem Vorstand als dem zu über­ wachenden Organ die Möglichkeit zu nehmen, durch zusätzliche (wohlwol­ lend bemessene) Zahlungen an Aufsichtsratsmitglieder im Rahmen von Beratungsverträgen die Unabhängigkeit des Aufsichtsrats und damit die ef­ fektive Überwachung zu untergraben. Sachwidrige Beeinflussungen von Aufsichtsratsmitgliedern durch den vertragsschließenden Vorstand sollen verhindert werden.274 Solche Beraterverträge können allerdings unter steu­ errechtlichen Gesichtspunkten auch im Interesse der Gesellschaft liegen.275 § 114 AktG ist ausweislich des Wortlauts („Verpflichtet sich ein Auf­ sichtsratsmitglied“) direkt nur auf Verträge zwischen Aufsichtsratsmitglie­ dern und der Gesellschaft anzuwenden. Während § 115 Abs. 2 AktG den Tatbestand, wie sogleich erörtert wird, ausdrücklich auch auf dem entspre­ 271  Mertens, in: KK-AktG, Band 2, § 114 Rn. 12; Hopt / Roth, in: GroßkommAktG, Band 4, § 114 Rn. 47; Fleck, FS Heinsius 1991, 89, 95; a. A. Matthießen, Interessenskollision, S. 123 ff., 282 ff.; ausführlich zu Stimmverboten sogleich auf S.  66 ff. 272  Hüffer, AktG, § 114 Rn. 1; Viciano Gofferje, Unabhängigkeit, S. 115 ff.; zur relativen jungen Entwicklung einer vergleichbaren Regelung, die aber auch sonstige Dienstleistungen erfasst, in Österreich Kalss, FS Uwe H. Schneider 2011, 601 ff. 273  BGHZ 114, 127, 129; 126, 340, 344; BGH ZIP 2006, 1529 („IFA“); Mertens, in: KK-AktG, Band 2, § 114 Rn. 4 ff.; Bosse, NZG 2007, 172, 173; Wolf, AG 1991, 312, 316; Beater, ZHR 157 (1993), 420, 432 ff.; Lutter / Kremer, ZGR 1992, 87, 93 ff. m. w. N. zu Abgrenzungsfragen zwischen zulässigen und verbotenen Verträgen. 274  Bericht des Rechtsausschusses zum AktG 1965, zitiert nach Kropff, Aktienge­ setz, S. 158; Habersack, in: MüKo-AktG, Band 2, § 114 Rn. 2. 275  Während die im Rahmen des § 113 AktG gezahlte Aufsichtsratsvergütung gemäß § 10 Ziff. 4 Körperschaftssteuergesetz („KStG“) nur zur Hälfte bei der Ge­ sellschaft als Ausgabe steuerlich abzugsfähig ist, sind die Vergütungen für besonde­ re Beratungsverträge i. S. d. § 114 AktG für die Gesellschaft steuerlich voll abzugs­ fähig. Aus Corporate Governance Gesichtspunkten entsteht hier ein Fehlanreiz (Habersack, in: MüKo-AktG, Band 2, § 114 Rn. 39). Wegen Verstoßes gegen Art. 3 GG ist die Bestimmung von § 10 Ziff. 4 KStG wohl als verfassungswidrig anzuse­ hen. (vgl. Mertens, in: KK-AktG, Band 2, § 113 Rn. 39, Olgemöller, in: Streck, KStG, § 10 Rn. 30; Götz, AG 1995, 337, 351; Lutter, ZHR 1995, 287, 303 f.; anders aber BVerfG HFR 1973, 135; BFH HFR 1968, 355).

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2. Kap.: Tatbestandsebene

chenden Aufsichtsratsmitglied nahestehende Personen ausdehnt, verzichtet § 114 AktG auf eine derartige Erweiterung des Tatbestands. Darin ist jedoch keine abschließende Regelung des Gesetzgebers zu sehen. Vielmehr gebie­ ten Sinn und Zweck der Vorschrift eine entsprechende Anwendung auf Verträge zwischen der Gesellschaft und nahestehenden Personen, um diese naheliegende Umgehungsmöglichkeit der Vorschrift auszuschließen.276 Be­ sondere Zahlungen des Vorstands an Personen, die dem Aufsichtsratsmit­ glied nahe stehen, bedürfen daher ebenfalls der Zustimmung durch den Aufsichtsrat. Als nahestehende Personen sind in diesem Zusammenhang jedenfalls die in § 115 Abs. 2 AktG bezeichneten Personen, sprich Ehegat­ ten, Lebenspartner und minderjährige Kinder des Aufsichtsratsmitglieds zu qualifizieren.277 Darüber hinaus gelten als nahestehende Personen auch Personengesellschaften, an denen das Aufsichtsratsmitglied als Gesellschaf­ ter beteiligt ist.278 sowie Kapitalgesellschaften, an denen das entsprechende Mitglied beteiligt ist, wobei es dem Vertretungsorgan der Gesellschaft nicht angehören und auch keinen beherrschenden Einfluss auf die Gesellschaft haben muss.279 Ausreichend ist, dass dem Aufsichtsratsmitglied mittelbar Leistungen der Gesellschaft zufließen, die dazu geeignet sind, die Unabhän­ gigkeit des Mitglieds und damit die Effektivität der Überwachung des Vorstands in Frage zu stellen.280 Ebenso ist § 114 AktG entsprechend heranzuziehen, wenn der Beratungs­ vertrag nicht mit der Gesellschaft, sondern mit einem verbundenen Unter­ nehmen abgeschlossen wurde. Auch diese Tatbestandserweiterung dient dazu, auf der Hand liegende Umgehungsgeschäfte zu verhindern.281 Die Gesamtbezüge des Aufsichtsratsgremiums sind gemäß §§ 285 Ziff. 9 lit. a, 314 Abs. 1 Ziff. 6 lit. a HGB im Anhang des Jahresabschlusses res­ pektive im Konzernanhang zum Konzernabschluss der Gesellschaft zu ver­ öffentlichen. Für die für Verträge im Rahmen des § 114 AktG gezahlten 276  H. M. BGH ZIP 2006, 1529, 1531 („IFA“); 2007, 22 f.; Müller, NZG 2002, 797, 798; Lutter / Kremer, ZGR 1992, 87, 106; Lutter / Drygala, FS Ulmer 2003, 381, 383 ff.; a. A. wegen des Wortlauts Raiser / Wiesner, AG 1976, 266. 277  Habersack, in: MüKo-AktG, Band 2, § 114 Rn. 13. 278  OLG Hamburg ZIP 2007, 814 ff.; Müller, NZG 2002, 797, 798 (Anwaltsso­ zietät); Mertens, in: KK-AktG, Band 2, § 114 Rn. 7; Oppenhoff, FS Barz 1974, 283, 287 (Steuerberatersozietät und andere freie Berufe). 279  Klargestellt durch BGH NZG 2007, 103; dazu Bosse, NZG 2007, 172, 173; BGH ZIP 2006, 1529, 1531 („IFA“); a. A. Hopt / Roth, in: Großkomm-AktG, Band 4, §  114 Rn.  43 m. w. N. 280  BGH NZG 2007, 103, 104. 281  OLG Hamburg ZIP 2007, 814  ff.; ausführlich Habersack, in: MüKo-AktG, Band 2, § 114 Rn. 16 ff.; a. A. Schiedermair / Kolb, in: Beck’sches Hdb. AG, § 7 Rn. 264.



B. Unabhängigkeit i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG95

Vergütungen besteht dagegen keine solche Veröffentlichungs- oder Ausweis­ pflicht.282 Der Deutsche Corporate Governance Kodex283 enthält in Ziff. 5.4.6 Unterabs. 3 die Empfehlung, dass die vom Unternehmen an die Aufsichts­ ratsmitglieder für persönlich erbrachte Leistungen gezahlten Vergütungen, insbesondere für Beratungs- und Vermittlungsleistungen, individualisiert im Corporate Governance Bericht angegeben werden sollen. 4. Kreditvergabe an Aufsichtsratsmitglieder gem. § 115 AktG Ebenso wie § 114 AktG macht § 115 AktG deutlich, dass Aufsichtsrats­ mitglieder außerhalb des Organverhältnisses der Gesellschaft als Dritte ge­ genüber stehen und beliebige Rechtsverhältnisse zwischen den beiden Par­ teien abgeschlossen werden können.284 Um vor möglichen Missbräuchen zu schützen und eine unangemessene Beeinflussung von Aufsichtsratsmitglie­ dern zu verhindern, bindet das Gesetz die Kreditgewährung von der Gesell­ schaft an Aufsichtsratsmitglieder an die Zustimmung des Aufsichtsrats, wobei das betroffene Aufsichtsratsmitglied nicht stimmberechtigt ist.285 Als weiterer Schutzmechanismus müssen gemäß § 115 Abs. 1 S. 4 AktG die Verzinsung und die Rückzahlungsmodalitäten des Kredits ausdrücklich in dem Beschluss des Aufsichtsrats über die Zustimmung zur Gewährung des Kredits geregelt werden. § 115 Abs. 2, 3 AktG fordern eine Zustimmung des Aufsichtsrats eben­ falls für die Fälle, in denen Kreditnehmer nicht das Aufsichtsratsmitglied selbst sein soll, sondern eine diesem nahestehende Person oder Gesellschaft Begünstigter ist. Die gewährten Kredite sind, anders als die nach § 114 AktG zusätzlich gewährten Vergütungen, gemäß §§ 285 Ziff. 9 lit. c, 314 Abs. 1 lit. c HGB im Anhang des Jahresabschlusses und gegebenenfalls im Konzernanhang zum Konzernabschluss unter Angabe der Zinssätze und wesentlichen Kreditbedingungen aufzuführen.286

282  Habersack, in: MüKo-AktG, Band 2, § 114 Rn. 38; Hopt / Roth, in: Groß­ komm-AktG, Band 4, § 114 Rn. 63; Schlaus, AG 1968, 376, 378. 283  Siehe zur Rechtsnatur des Deutschen Corporate Governance Kodex 2. Kapitel B. IV. 1. 284  Vgl. Lutter / Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rn. 879; Schiedermair / Kolb, in: Beck’sches Hdb. AG, § 7 Rn. 265. 285  Vgl. Hopt / Roth, in: Großkomm-AktG, Band 4, § 115 Rn. 27; Habersack, in: MüKo-AktG, Band 2, § 115 Rn. 17. 286  Zur Kreditgewährung an Aufsichtsratsmitglieder Habersack, in: MüKo-AktG, Band 2, § 115.

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2. Kap.: Tatbestandsebene

5. Einzelfallabhängige sonstige Interessenskonflikte Weitere Inkompatibilitäten oder Zustimmungsvorbehalte des Aufsichts­ ratsgremiums schreibt der Gesetzgeber nicht vor. Nun geht er aber auch nicht blauäugig davon aus, dass die Vorschriften zur Vermeidung von Inte­ ressenskonflikten dazu geeignet sind, sämtliche Interessenskonflikte zu vermeiden. Vielmehr weiß auch der Gesetzgeber, dass Interessenskonflikte in zahlreichen Konstellationen, insbesondere nach der Bestellung im Verlauf der Amtsperiode, auftreten können. Auch ein pauschaler Verweis darauf, dass jedes Aufsichtsratsmitglied stets dazu verpflichtet ist, im Interesse des Unternehmens zu handeln und mögliche Konflikte im besten Interesse des Unternehmens zu lösen, vermag nichts daran zu ändern. Es sind dennoch ohne Weiteres Konstellationen denkbar, genannt sei hier als Musterbeispiel des Richtens in eigener Sache die Geltendmachung von Schadensersatzan­ sprüchen der Gesellschaft gegen das in Frage stehende Mitglied, in denen typischerweise zu erwarten ist, dass das Aufsichtsratsmitglied das Unterneh­ mensinteresse hinter den konfligierenden Eigen- oder Drittinteressen anstel­ len wird. Zur Auflösung dieser Konfliktlagen bietet das deutsche Recht, ohne dass dies im Aktienrecht explizit kodifiziert wurde, die aus den allge­ meinen Rechtsgrundsätzen und aus § 34 BGB analog abgeleiteten Mittel der Stimm- und Teilnahmeverbote an.287 Zusätzlich kann in besonders gelager­ ten Fällen, quasi als ultima ratio, eine Pflicht zur Amtsniederlegung beste­ hen oder das Aufsichtsratsmitglied aus wichtigem Grund nach § 103 Abs. 3 AktG abberufen werden.288 Nicht zuletzt aufgrund der fehlenden gesetzlichen Regelung, aber auch aufgrund der Vielzahl der verschiedenen denkbaren Interessenskollisionen, bewegt man sich auf dem Gebiet von Stimm- und Teilnahmeverboten auf äußerst dünnem Eis. Das Gebiet wurde bereits wiederholt untersucht, handfeste Ergebnisse sind dennoch nur spärlich gesät. Es ist auch weiter­ hin stets eine Präzisierung im Einzelfall notwendig.289 Der Meinungsstand 287  Die dogmatische Einordnung der Frage ist noch immer nicht endgültig ent­ schieden. Für § 34 BGB analog BayObLGZ 2003, 89, 92; Mertens, in: KK-AktG, Band 2, § 108 Rn. 49; Hopt / Roth, in: Großkomm-AktG, Band 4, § 108 Rn. 54; Hüffer, § 108 Rn. 9; Ulmer, NJW 1982, 2288, 2289; Hopt, ZGR 2004, 1, 32; ­Viciano Gofferje, Unabhängigkeit, S. 160 ff.; a. A. für die Anwendung des § 181 BGB Wilhelm, NJW 1983, 912, 913; für die unmittelbare Anwendung von §§ 34, 181 BGB Meilicke, in: FS Walter Schmidt, 1959, S. 71, 85 ff.; gänzlich gegen jegliche Stimm­ verbote Behr, AG 1984, 281, 284 ff. 288  Hopt, ZGR 2004, 1, 34; ders., ZGR 2002, 333, 372; Viciano Gofferje, Unab­ hängigkeit, S. 161. 289  Mertens, in: KK-AktG, Band 2, § 108 Rn. 49; Hopt / Roth, in: GroßkommAktG, Band 4, § 108 Rn. 58; Lutter / Krieger, Rn. 728; Semler / Stengel, NZG 2003, 1, 3.



B. Unabhängigkeit i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG97

mit all seinen Schattierungen ist kaum noch zu überblicken und soll hier nur insoweit ausgebreitet werden, wie es für die weitere Arbeit von Be­ deutung ist. Mit Sicherheit lässt sich lediglich festhalten, dass zwischen einerseits Konflikten aufgrund persönlicher Betroffenheit und andererseits Konflikten aufgrund von Drittinteressen unterschieden wird. Letztere Gruppe wird ih­ rerseits nochmals unterteilt in einfache Interessenskonflikte und echte Pflichtenkollisionen. Ein Stimmverbot aufgrund von persönlicher Betroffenheit des Aufsichts­ ratsmitglieds besteht stets in den Fällen des Richtens in eigener Sache und bei der Beschlussfassung über die Vornahme eines Rechtsgeschäfts zwischen der Gesellschaft und dem Aufsichtsratsmitglied oder die Einleitung oder Erledigung eines Rechtsstreits zwischen ihm und der Gesellschaft.290 Ferner greift dieser Grundsatz bei allen für das Aufsichtsmitglied nachteiligen Ent­ scheidungen ein, insbesondere wenn es sich dabei um Entscheidungen über einen wichtigen Grund i. S. v. § 103 AktG handelt.291 Eine Ausnahme besteht aber hinsichtlich von Organakten, d. h. das Stimmrechts- und Teilnahmever­ bot greift nicht bei Wahlen zum Aufsichtsratsvorsitzenden oder zur Mit­ gliedschaft im Aufsichtsrat. Daher kann das betroffene Aufsichtsratsmitglied bei solchen Organakten mitstimmen und sich selbst wählen.292 Für die Fälle von Interessenskonflikten aufgrund von Drittinteressen ist das Bild diversifiziert zu malen: Eine Grenzziehung muss dort erfolgen, wo eine echte Pflichtenkollision in der Person des Aufsichtsratsmitglieds ent­ steht, d. h. konkret, dass das Aufsichtsratsmitglied nicht im Sinne des Un­ ternehmensinteresse handeln kann, ohne gleichzeitig dadurch eine andere bestehende Pflicht zu verletzen. Nach neuester Rechtsprechung soll dies beispielsweise dann der Fall sein, wenn der Rechtsanwalt des Mehrheitsak­ tionärs, der standesrechtlich zur Treue gegenüber seinem Klienten verpflich­ tet ist, im Rahmen einer feindlichen Übernahme in den Aufsichtsrat der 290  BGH NJW 1976, 713, 714; Hüffer, FS Heinsius 1991, S. 337, 341 ff.; Matthießen, Stimmrecht und Interessenskollision, S. 268 („Verbot der Mitwirkung an be­ rechtigten nachteiligen Maßnahmen der Gesellschaft gegen sich selbst.“). 291  Mertens, in: KK-AktG, Band 2, § 108 Rn. 49; Hopt / Roth, in: GroßkommAktG, Band 4, § 108 Rn. 58; Engfer, Stimmrechtsausschluss, S. 134 f.; Matthießen, Stimmrecht und Interessenskollision, S. 280; Hopt, ZGR 2004, 1, 32. 292  Hopt / Roth, in: Großkomm-AktG, Band 4, §  108 Rn. 56; Lutter / Krieger, Rn. 728; Matthießen, Stimmrecht und Interessenskollision, S. 267; Viciano Gofferje, Unabhängigkeit, S. 160; für den Fall, dass ein Gesellschafter bei seiner Wahl zum Organ einer Gesellschaft mitstimmen darf BGHZ 18, 205, 210; 51, 209, 215 f.; Braunfels, MittRhNotK 1994, 233, 236; siehe zu der Frage, ob der Finanzexperte bezüglich seiner eigenen besonderen Qualifikationen stimmberechtigt ist 3. Kapitel B. I. 2.

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2. Kap.: Tatbestandsebene

Zielgesellschaft gewählt wird.293 Bei den anschließenden Maßnahmen ist er einerseits standesrechtlich verpflichtet, zum Wohle seiner Mandantschaft zu agieren, andererseits muss er dem Wohle des Unternehmens dienen (echte, unlösbare Pflichtenkollision). Diese beiden Interessen stehen sich im Rah­ men von feindlichen Übernahmen aber regelmäßig diametral entgegen, so­ dass im Rahmen eines Entweder-Oder-Prinzips nur eine Interessensrichtung vertreten werden kann und damit automatisch die anderen Interessen verletzt werden. In diesen Fällen der echten Pflichtenkollision bestehen auch bei Kollisionen mit Drittinteressen Stimmrechts- und Teilnahmeverbote. Im Einzelfall ist hier stets zu prüfen, ob es sich bei der Kollision um eine solche schwere, echte Pflichtenkollision handelt, bei der von dem betroffe­ nen Mitglied nicht mehr zu erwarten ist, dass es sich für das Unternehmens­ interesse einsetzt.294 Handelt es sich hingegen lediglich um einen nicht be­ sonders schweren Interessenskonflikt, dann ist dies nicht ausreichend, um ein Stimmrechts- oder Teilnahmeverbot zu begründen, da das Gesetz kein allgemeines Stimmrechtsverbot bei Interessenskollision kennt und sich ein solches oder ein Ausschluss nicht mit der Rechtssicherheit und der Gesamt­ verantwortung des Organs vertragen würde.295 Diese Kollisionen sind hin­ zunehmen und von dem Aufsichtsratsmitglied nach seinen Treuepflichten im Interesse des Unternehmens aufzulösen. Zwischenergebnis Festzuhalten ist an dieser Stelle die Tatsache, dass das Aktiengesetz le­ diglich vereinzelte Inkompatibilitäten benennt. Im Umkehrschluss folgt da­ raus, dass, soweit im Rahmen der vorgenannten Bestimmungen dennoch eine Abhängigkeit des Aufsichtsratsmitglieds von Dritten bestand, dies hinzunehmen war. Eine generelle gesetzliche Regel, die eine absolute Un­ abhängigkeit von (bestimmten) Aufsichtsratsmitgliedern forderte, gab es grundsätzlich nicht. Interessenskonflikte im Rahmen dieser Inkompatibili­ tätsregelungen werden vom Gesetzgeber in Kauf genommen und sind daher zulässig.296 293  Semler / Stengel, NZG 2003, 1, 3; typischerweise wird an dieser Stelle auch die Problematik des Bankenvertreters, der die Bieterseite bei dem Übernahmeange­ bot berät, im Aufsichtsrat des Zielunternehmens genannt, Hopt / Roth, in: GroßkommAktG, Band 4, § 108 Rn. 56; Viciano Gofferje, Unabhängigkeit, S. 161. 294  Hopt / Roth in: Großkomm-AktG, Band 4, § 108 Rn. 58, 60 ff. m. w. N. 295  Fleck, FS Heinsius 1991, 89, 96; Dreher, JZ 1990, 896, 901 m. w. N.; Werner, ZHR 145 (1981), 252, 267; BGHZ 68, 107, 109; 56, 47, 53; 51, 209, 214 f. (für die GmbH). 296  Bürgers / Schilha, AG 2010, 221, 224; Hopt, FS Mestmäcker, 1996, 909, 929; Paal, DStR 2005, 382, 385.



B. Unabhängigkeit i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG99

Für den Begriff der Unabhängigkeit i. S. d. § 100 Abs. 5 AktG kann dies jedoch nicht gelten. Nicht jedes Aufsichtsratsmitglied, das gegen keine der Inkompatibilitätsvorschriften verstößt und damit generell nicht von der Mit­ gliedschaft im Aufsichtsrat ausgeschlossen ist, kann als unabhängig i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG gelten. Ein Aufsichtsratsmitglied wäre bei einer solchen Auslegung entweder bereits von Gesetzes wegen von der Mitgliedschaft im Aufsichtsrat ausgeschlossen oder, sobald es nicht ausgeschlossen ist, unab­ hängig. § 100 Abs. 5 AktG hätte keinen praktischen Anwendungsfall und lie­ fe damit leer. Daraus ergibt sich bereits, dass § 100 Abs. 5 AktG weitergehen­ de Anforderungen an die Unabhängigkeit stellt, als dies bislang der Fall war. § 100 Abs. 5 AktG ist daher so zu verstehen, dass innerhalb der Auf­ sichtsratsmitglieder, die nicht bereits von Gesetzes wegen von der Mitglied­ schaft ausgeschlossen sind, zwei Gruppen von Mitgliedern existieren: Sol­ che, die unabhängig im Sinn von § 100 Abs. 5 AktG sind und solche, welche die Unabhängigkeitskriterien nicht erfüllen, jedoch keine der Inkom­ patibilitätsvorschriften verletzen. Fraglich ist daher, welche Kriterien ein Aufsichtsratsmitglied zusätzlich erfüllen muss, um als unabhängig i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG zu gelten. Diese Frage soll nach einer Darstellung der außerhalb des Aktiengesetzes bestehenden Regelungen zur Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern, die bereits vor in Kraft treten des BilMoG bestanden, eingehend diskutiert werden.

III. Regelungen zur Unabhängigkeit außerhalb des AktG Außerhalb des Aktiengesetzes finden sich vereinzelt bereichsspezifische Unabhängigkeitserfordernisse an Aufsichtsratsmitglieder. Da der Gesetzge­ ber für den Begriff der Unabhängigkeit i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG auf eine Legaldefinition verzichtet hat, sind die an anderen Stellen erfolgten Defini­ tionen der Unabhängigkeit wichtige Wegweiser, um den Begriff der Unab­ hängigkeit i. S.d § 100 Abs. 5 AktG systemimmanent definieren sowie die Grenzen der möglichen Abhängigkeitstatbestände ausmessen zu können. 1. Unabhängigkeit i. S. d. § 6 Abs. 2a Investmentgesetz Wenn Juristen davon sprechen, dass es vor dem BilMoG „grundsätzlich“ noch keine weitergehende gesetzliche Regel zur Unabhängigkeit von Auf­ sichtsratsmitgliedern gab, dann soll damit die Tür einen Spalt breit für Ausnahmen geöffnet bleiben. So besteht außerhalb der vorgenannten allge­ meinen Bestimmungen, die für alle Aktiengesellschaften gelten, ausschließ­ lich für Kapitalanlagegesellschaften i. S. d. § 6 Abs. 2a Investmentgesetz („InvG“) ausnahmsweise die Verpflichtung zur Wahl eines unabhängigen

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2. Kap.: Tatbestandsebene

Aufsichtsratsmitgliedes. Es heißt dort: „§ 101 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 des Aktiengesetzes ist auf eine Kapitalanlagegesellschaft in der Rechtsform der Aktiengesellschaft mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Hauptversamm­ lung mindestens ein Mitglied des Aufsichtsrats zu wählen hat, das von den Aktionären, den mit ihnen verbundenen Unternehmen und den Geschäfts­ partnern der Kapitalanlagegesellschaft unabhängig ist.“ Das ist als Kompen­ sation dafür zu sehen, dass die Anlageaktionäre gem. § 96 Abs. 1c S. 2 InvG keinen Einfluss auf die Besetzung des Aufsichtsrats haben.297 Gemäß der Begründung der Bundesregierung zum Gesetzentwurf zur Änderung des Investmentgesetzes ist die Unabhängigkeit im Wesentlichen als wirtschaftliche Unabhängigkeit zu verstehen und soll der Wahrung der Interessen der Anleger dienen.298 Wirtschaftliche Unabhängigkeit ist gemäß der Regierungsbegründung grundsätzlich anzunehmen, wenn die Tätigkeit des Aufsichtsratsmitglieds aus seiner Tätigkeit für einen Aktionär, ein mit ihm verbundenen Unternehmen (§ 15 AktG) oder für einen Geschäftspartner der Kapitalgesellschaft in den letzten vier Jahren vor seiner Bestellung durchschnittlich 30 Prozent seiner Gesamteinnahmen überschritten hat. Un­ ter Geschäftspartnern sind natürliche oder juristische Personen zu verstehen, zu denen Geschäftsbeziehungen gleich welcher Art unterhalten werden, wobei es insbesondere auch nicht auf die Dauer und den Umfang der Ge­ schäftsbeziehung ankommen soll.299 Für den Fall, dass eine wirtschaftliche Abhängigkeit des Aufsichtsratsmitglieds von der Kapitalanlagegesellschaft besteht, sind die Gründe für die Auswahl des jeweiligen Mitglieds nachvoll­ ziehbar zu dokumentieren.300 Es stellt sich hier die Frage, aus welchem Grund der Gesetzgeber bei der Begründung des BilMoG in Bezug auf § 100 Abs. 5 AktG nicht auf die bereits existente Parallelvorschrift zur besonderen Unabhängigkeit von Auf­ sichtsratsmitgliedern aus § 6 Abs. 2a InvG verwiesen hat. Dies verwundert insbesondere, da die Vorgabe thematisch denselben Problemkreis regelt und die hier zitierte Regierungsbegründung auch zeitlich nicht weit zurück­ liegt.301 Das ausdrückliche Ziel dieser Änderung des InvG war, die Corpo­ 297  Vgl. Dreher, FS Boujong 1996, 71, 73 f. (noch zum Gesetz über Kapitalanla­ gegesellschaften – „KAGG“). 298  RegBegr. BT-Drucks. 16 / 5576 S. 144 f.; Kestler / Benz, BKR 2008, 403, 405; Roegele / Görke, BKR 2007, 393, 394 f.; Steck / Gringel, in: Berger / Steck / Lübbehüsen (Hrsg.), InvG, § 6 Rn. 20. 299  RegBegr. BT-Drucks. 16 / 5576 S. 60; Steck / Gringel, in: Berger / Steck / Lübbe­ hüsen (Hrsg.), InvG, § 6 Rn. 23 f. 300  RegBegr. BT-Drucks. 16 / 5576 S. 60. 301  Die hier zitierte Regierungsbegründung ist auf den 11.6.2007 datiert, die Än­ derung des InvG ist am 28.12.2007 in Kraft getreten, verkündet in BGBl. I, 2007, S. 3089 vom 27.12.2007.



B. Unabhängigkeit i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG101

rate Governance und den Anlegerschutz zu verbessern. Daraus jedoch zu schließen, dass der Gesetzgeber im Rahmen der Unabhängigkeitsdefinition bewusst nicht auf § 6a InvG verweist, erscheint als nicht angemessen. Nä­ her liegt die Vermutung, dass der Gesetzgeber bei der ohnehin knappen Begründung zu § 100 Abs. 5 AktG den relativ neuen § 6a InvG nicht be­ dacht hat. Dafür spricht jedenfalls, dass für die Änderungen des InvG der Finanzausschuss des Bundestages302 und das Finanzministerium303 federfüh­ rend tätig waren, wohingegen beim BilMoG der Rechtsausschuss304 und das Bundesministerium der Justiz305 die zentrale Rolle übernahmen. Die Aus­ führungen des Gesetzgebers zur Unabhängigkeit i. S. v. § 6 Abs. 2a InvG können daher für die Bestimmung des Begriffs der Unabhängigkeit i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG auch ohne ausdrückliche Inbezugnahme herangezogen werden. 2. Weiteres Mitglied i. S. d. § 4 Abs. 1 MontanMitbestG Eine weitere Diskussion zur Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern ergibt sich im Rahmen der Montanmitbestimmung. Der Aufsichtsrat von Gesellschaften, deren Aufsichtsrat nach den Vorschriften des MontanMit­ bestG zu bilden ist, setzt sich gemäß § 4 Abs. 1 S. 2 MontanMitbestG neben je vier Vertretern der Anteilseigner und Arbeitnehmer auch aus zwei sog. „weiteren Mitgliedern“ und einem zusätzlichen weiteren Mitglied, dem sog. „Neutralen-“ oder „11. Mann“, zusammen. Der ursprünglich vorgesehene Titel „unabhängige Mitglieder“ wurde im Gesetzgebungsverfahren in „wei­ tere Mitglieder“ geändert.306 Sinn und Zweck der Bestellung der weiteren Mitglieder ist es, das potentielle Konfliktpotential der beiden „Bänke“ aus­ zugleichen und zugleich übergeordnete Interessen in die Diskussion einzu­ bringen.307 Damit unterscheiden sich die Aufgaben des unabhängigen Fi­ nanzexperten im Sinn des § 100 Abs. 5 AktG maßgeblich von denen des weiteren Mitglieds i. S. d. § 4 Abs. 1 S. 2 MontanMitbestG. Um allerdings die streitschlichtende Wirkung des neutralen Mitglieds zu gewährleisten, 302  Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses vom 25.10.2007, BT-Drucks. 16 / 6874. 303  BR-Drucks. 274 / 07 S.  1. 304  Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses vom 24.3.2009, BT-Drucks. 16 / 12407. 305  BR-Drucks. 344 / 08 S. 1, 5. 306  Notiz Wellhausens über die Verhandlungen des Arbeitskreises „Mitbestim­ mung – Bergbau und Eisen“ des Deutschen Bundestages, zitiert nach Müller-List, Montanmitbestimmung, S. 437. 307  Klinkhammer, in: Kass.Hdb. z. ArbR, Band 2, 7. Kapitel, Rn. 140; Mertens, in: KK-AktG, Band 2, Anh. § 117 C MontanMitbestG Rn. 14.

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2. Kap.: Tatbestandsebene

sieht § 4 Abs. 2 MontanMitbestG vier Einschränkungen für die Auswahl der weiteren Mitglieder vor, die eine gewisse Unabhängigkeit vom Unterneh­ men und der Anteils- sowie Arbeitnehmerseite sicherstellen sollen.308 Zur Unabhängigkeit vom Unternehmen heißt es in § 4 Abs. 2 lit. c), d) Montan­ MitbestG, dass die weiteren Mitglieder weder als Arbeitnehmer oder Arbeit­ geber in dem Unternehmen tätig sein sollen, noch an dem Unternehmen wirtschaftlich wesentlich interessiert sein dürfen.

IV. Nichtgesetzliche Materialien zur Unabhängigkeit i. S. d. BilMoG Weitere gesetzliche Vorgaben zur Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmit­ gliedern bestanden vor dem Inkrafttreten des BilMoG nicht. Neben diesen gesetzlichen Rahmenvorschriften gab es jedoch verschiedene Rechtsquellen, die den Begriff der Unabhängigkeit zum Schwerpunkt hatten. Außerhalb der zwingenden gesetzlichen Regelungen finden sich im Deut­ schen Corporate Governance Kodex spezifische Regelungen zur Unabhän­ gigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern. Daneben existiert eine Vielzahl von Definitionen zur Unabhängigkeit, die kurz dargestellt werden sollen, insbe­ sondere die durch den Sarbanes-Oxley Act of 2002 für das US-amerikanische Gesellschaftsrecht von großer Bedeutung gewordene Definition zur Unab­ hängigkeit von „independent non-executive directors“. 1. Deutscher Corporate Governance Kodex Der Aktionsplan der EG-Kommission aus dem Jahr 2003 sah die Einfüh­ rung von unabhängigen Mitgliedern der Überwachungsorgane zunächst zu­ mindest auf der Basis des Prinzips „Comply or Explain“ vor.309 In Deutsch­ land erfolgte die Umsetzung dieser Vorgabe im Rahmen der jährlichen Überprüfung des Deutschen Corporate Governance Kodex („DCGK“ oder „Kodex“) im Jahr 2005 durch Ziff. 5.4.2 DCGK. a) Rechtsqualität des DCGK Der DCGK gibt Empfehlungen und Anregungen zur Leitung und Über­ wachung deutscher börsennotierter Gesellschaften, hauptsächlich in Bezug 308  Oetker, in: Großkomm Akt, Band 5, MontanMitbestG, § 4 Rn. 4; ders., in: EK-ArbR (Ordziff. 490) MontanMitbestG, § 4 Rn. 3. 309  Aktionsplan der EG-Kommission, Sonderbeilage zu NZG-Heft 13 / 2003, S. 9.



B. Unabhängigkeit i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG103

auf Aktionäre und Hauptversammlung sowie Vorstand und Aufsichtsrat.310 Er orientiert sich dabei an international und national anerkannten Standards guter und verantwortungsvoller Unternehmensführung (Best Practice).311 Gemäß der Präambel des DCGK besteht der Kodex aus drei ineinander verwobenen, jedoch rechtlich unterschiedlichen Teilen, namentlich Empfeh­ lungen („Soll-Vorschriften“), Anregungen („Sollte-“ oder „Kann-Vorschrif­ ten“) sowie einem das geltende Gesetzesrecht beschreibenden Teil (die üb­ rigen, sprachlich nicht besonders gekennzeichneten Teile des Kodex). Die Empfehlungen und Anregungen erfolgen im Rahmen des gesetzlich Zuläs­ sigen. Der dritte, das Gesetz beschreibende Teil, soll hauptsächlich dazu dienen, wesentliche und international teilweise unübliche Vorschriften des deutschen Aktienrechts zur Leitung und Überwachung deutscher Gesell­ schaften, beispielsweise die unternehmerische Mitbestimmung, für ausländi­ sche Investoren verständlich zu machen.312 Besonderes Merkmal des DCGK ist, dass er auf Grund der fehlenden staatlichen Rechtssetzung keine Gesetzesqualität aufweist und seine Emp­ fehlungen keine Rechtsnorm im Sinne von Art. 2 EGBGB darstellen.313 Der Kodex selbst bezeichnet die Empfehlungen und erst recht die Anregungen als nicht verbindlich, sodass de jure keine Pflicht dazu besteht, den Emp­ fehlungen oder Anregungen des DCGK zu entsprechen. Vielmehr basiert er auf dem zuvor erwähnten Prinzip Comply or Explain. Wollen die Unterneh­ men von den Empfehlungen oder Anregungen abweichen, so steht es ihnen zwar frei dies zu tun (Möglichkeit des sog. „Opt-Out“). Das Aktienrecht verpflichtet in § 161 Abs. 1 AktG Vorstand und Aufsichtsrat von börsenno­ tierten Gesellschaften allerdings dazu, jährlich zu erklären, dass den Emp­ fehlungen des Kodex entsprochen wurde und auch in Zukunft entsprochen werden soll, oder zu erklären, welche Empfehlungen nicht angewandt wurden und aus welchem Grund dies nicht geschehen ist.314 Gemäß § 161 310  Der ehemalige Vorsitzende der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex, Dr. Gerhard Cromme, sprach anlässlich der Veröffentlichung des DCGK von einem „Beurteilungskatalog für gute Unternehmensführung“, abruf­ bar unter http: /  / www.corporate-governance-code.de / ger / download / RedeDrCromme. pdf; zur Entwicklung des DCGK und dessen Rechtsqualität: v. Werder, in: Ring­ leb / Kremer / Lutter / v.  Werder (Hrsg.), DCGK-Komm Rn.  6 ff., 137 ff. 311  Vgl. Präambel Abs. 1 DCGK. 312  Windbichler, Gesellschaftsrecht, § 25 Rn. 40. 313  LG München I, NZG 2008, 150, 151; Hüffer, AktG, § 161 Rn. 3 ff.; Ehlers / Nohlen, Gedächtnisschrift Gruson, 2009, 107, 110 f.; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 158 ff.; Kirschbaum / Wittmann, JuS 2005, 1062, 1064; Vetter, NZG 2008, 121, 123; a. A. jedoch nicht überzeugend Seidel, ZIP 2004, 285, 289. 314  Durch das BilMoG wurde die Erklärungspflicht zu einer Begründungspflicht ausgeweitet. Zuvor bestand lediglich nach Ziff. 3.10 S. 2 DCGK die Empfehlung, eventuelle Abweichungen im Geschäftsbericht der Gesellschaft zu erläutern. Man­

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2. Kap.: Tatbestandsebene

Abs. 2 AktG ist die Entsprechenserklärung dauerhaft auf der Internetseite der Gesellschaft öffentlich zugänglich zu machen. Faktisch besteht daher durch die Transparenz der Druck für die Gesell­ schaften, den Kodex-Empfehlungen zu folgen, da Abweichungen von den Empfehlungen, die den Kapitalmarkt nicht zu überzeugen vermögen, von diesem sanktioniert werden, beispielsweise durch Bewertungsabschläge für die Aktien der Gesellschaft oder das Fernbleiben der Investoren.315 Ein In­ diz für diesen faktischen Druck ist die sehr beachtliche Befolgungsquote der Empfehlungen des Kodex von 83,8 % und sogar 94,9 % im DAX.316 Die Empfehlungen lassen sich deswegen als „Normen im faktischen Sinne“ qualifizieren.317 Von den im DCGK enthaltenen Anregungen kann dagegen gemäß der Präambel des DCGK ohne Offenlegung und Begründung abge­ wichen werden. b) Der Begriff der Unabhängigkeit gemäß Ziff. 5.4.2 DCGK Die Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex („Kodex-Kommission“) hat am 26. Februar 2002 erstmalig den Deutschen Corporate Governance Kodex verabschiedet und zuletzt am 26. Mai 2010 verschiedene Änderungen des Kodex beschlossen. Zuvor hatte sie mit Be­ schluss vom 2. Juni 2005 erhebliche Ergänzungen an Ziffer 5.4 DCGK vorgenommen, die sich mit dem Thema der Unabhängigkeit und von Inter­ essenskollisionen befassten.318 Ziffer 5.4.2 DCGK enthält seitdem zur Un­ abhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder die folgende Empfehlung: „Um eine unabhängige Beratung und Überwachung des Vorstandes durch den Aufsichtsrat zu ermöglichen, soll dem Aufsichtsrat eine nach seiner Einschätzung gels staatlicher Rechtssetzung und daher fehlender Legitimation ist die Begrün­ dungs- und damit die faktische Befolgungspflicht, Hüffer spricht von „öffiziösem Charakter“ der Empfehlungen, erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken ausge­ setzt. In erster Linie kommen dabei vor dem Hintergrund der Wesentlichkeitstheorie (BVerfGE 40, 237, 249 f.; 49, 89, 126 f., 98, 218, 251) Verstöße gegen den Geset­ zesvorbehalt (Art. 20 Abs. 3 GG) und gegen das Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG) in Betracht; Hüffer, AktG, § 161 Rn. 4, 7; Tödtmann / Schauer gehen sogar von einer Verfassungswidrigkeit aus, ZIP 2009, 995, 999 f. 315  Semler, in: MüKo-AktG, Band 5  /  1, §  161 Rn.  10, 28; Spindler, in: K. Schmidt / Lutter, Band II, § 161 Rn. 10; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 164; Vetter, NZG 2008, 121, 123; v. Werder, in: Ringleb / Kremer / Lutter / v.  Werder (Hrsg.), DCGK-Komm Rn. 121. 316  Vgl. v.  Werder / Talaulicar, DB 2008, 825, 826; Tödtmann / Schauer, ZIP 2009, 995. 317  OLG München, Urt. v. 6.8.2008 – 7 U 5628 / 07, NZG 508, 509. 318  Die Bekanntmachung der Änderungen erfolgte am 12. Juli 2005 im elektro­ nischen Bundesanzeiger. Sie wurden damit verbindlicher Bestandteil des DCGK.



B. Unabhängigkeit i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG105 ausreichende Anzahl unabhängiger Mitglieder angehören. Ein Aufsichtsratsmit­ glied ist als unabhängig anzusehen, wenn es in keiner geschäftlichen oder persön­ lichen Beziehung zu der Gesellschaft oder deren Vorstand steht, die einen Inter­ essenskonflikt begründet. Dem Aufsichtsrat sollen nicht mehr als zwei ehemalige Mitglieder des Vorstands angehören. Aufsichtsratsmitglieder sollen keine Organ­ funktion oder Beratungsaufgaben bei wesentlichen Wettbewerbern des Unterneh­ mens ausüben.“

Neben Ziff. 5.4.2 DCGK enthält der Kodex noch weitere Empfehlungen und Anregungen in Bezug auf die Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglie­ der, die über die gesetzlichen Bestimmungen hinaus gehen. So empfiehlt der Kodex beispielsweise, dass jedes Aufsichtsratsmitglied Interessenskon­ flikte gegenüber dem Aufsichtsrat offenlegen soll (Ziff. 5.5.2), dass der Aufsichtsrat die Hauptversammlung über aufgetretene Interessenskonflikte und deren Behandlung in seinem Bericht informieren soll (Ziff. 5.5.3 S. 1) und dass wesentliche und nicht nur vorübergehende Interessenskonflikte in der Person des Aufsichtsratsmitglieds zu einer Beendigung des Mandats führen sollen (Ziff. 5.5.3 S. 2). Diese Empfehlungen des DCGK gehen über das zuvor dargestellte gesetzliche Mindestmaß an Unabhängigkeit hinaus.319 Allerdings zeigt eine aktuelle Untersuchung, dass der DCGK (weltweit) einer der einzigen Best-Pracitce-Kodexe ist, der keine formale und detail­ lierte Definition der Unabhängigkeit enthält.320 2. Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben zur Unabhängigkeit Die Empfehlung der Kommission 2005 / 162 / EG vom 15. Februar 2005 zu den Aufgaben von nicht geschäftsführenden Direktoren / Aufsichtsratsmitglie­ dern börsennotierter Gesellschaften sowie zu den Ausschüssen des Verwal­ tungs- / Aufsichtsrats („Kommissionsempfehlung“) enthält detaillierte Vorga­ ben zur Unabhängigkeit von Prüfungsausschussmitgliedern. Sie ist jedoch nicht für sich allein, sondern in ihrem Gesamtzusammenhang zu betrachten. a) EU-Aktionsplan zur Verbesserung der Corporate Governance Am 21. Mai 2003 hat die EG-Kommission dem Rat und dem Europäi­ schen Parlament eine Mitteilung mit dem Titel „Modernisierung des Gesell­ schaftsrecht und Verbesserung der Corporate Governance in der Europäi­ schen Union – Aktionsplan“ („Aktionsplan“) vorgelegt (KOM [2003] 284 endgültig).321 Die Kommissionsempfehlung stellt ausweislich ihres ersten 319  Hüffer,

ZIP 2006, 637, 638 f. BJM, 2010, 63, 70. 321  Abgedruckt in der Sonderbeilage zu NZG Heft 13 / 2003. 320  Zattoni / Cuomo,

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2. Kap.: Tatbestandsebene

Erwägungsgrundes einen weiteren Schritt zur Erreichung der im Aktions­ plan festgelegten Ziele dar. Diese sind namentlich, mit Hilfe eines integrier­ ten Gesamtkonzeptes zur Verbesserung der Bereiche der Finanzdienstleis­ tungen, Rechnungslegungsgrundsätze und der Leitung und Überwachung von Unternehmen die globale Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der EU-Unternehmen zu steigern, Aktionärsrechte zu stärken und den Schutz Dritter zu verbessern. Allen voran steht jedoch das Begehren der EGKommission, das Vertrauen der europäischen Anleger nach der Welle der damaligen Finanz- und Corporate-Governance-Skandale wiederherzustel­ len.322 Im Rahmen der Modernisierung der Leitungs- und Überwachungsor­ gane von börsennotierten Gesellschaften sei es als Grundvoraussetzung für die Wiederherstellung des Vertrauens des Publikums in die Märkte notwen­ dig, dass Entscheidungen in wichtigen Bereichen, in denen sich geschäfts­ führende Direktoren klar in einem Interessenskonflikt befänden, so bei­ spielsweise bei der Vergütung der Direktoren und bei der Beaufsichtigung der Jahresabschlussprüfung, ausschließlich von nicht geschäftsführenden Direktoren oder Aufsichtsratsgremien getroffen würden, die mehrheitlich unabhängig seien. Deutlich wird hier bereits, dass der Aktionsplan überwiegend mit Blick auf die monistischen Gesellschaften erfolgte, da nach deutschem Aktien­ recht der Vorstand ohnehin weder über seine eigene Vergütung bestimmt, noch den Abschlussprüfer auswählt oder den Prüfungsvertrag mit ihm ab­ schließt. Beide Aufgaben sind vom Aufsichtsrat und  /  oder der Hauptver­ sammlung wahrzunehmen, gem. §§ 87, 112, 120 Abs. 4 AktG für die Vor­ standsvergütung und §§ 111 Abs. 2 S. 3, 119 Abs. 1 Nr. 4 AktG für die Wahl und den Abschluss des Vertrages mit dem Abschlussprüfer. Zu der Frage, ab wann keine Unabhängigkeit mehr gegeben ist, sollten gemäß dem Aktionsplan auf EU-Ebene gewisse Mindeststandards festgelegt werden. Dieser Vorgabe zur Festlegung von Mindeststandards entsprach die EG-Kommission sodann, nach positiven Kommentaren des Europäischen Parlaments und des Rates zu dem beabsichtigten Vorhaben, durch die Kom­ missionsempfehlung vom 15. Februar 2005. b) Kommissionsempfehlung 2005 / 162 / EG Die Gesetzgebungsgeschichte der Kommissionsempfehlung 2005 / 162 / EG geht zurück auf das Konsultationsdokument der Kommission zu einer Emp­ fehlung über die Rolle von nicht geschäftsführenden Direktoren vom 5. Mai 2004. Nach dem Ende der Konsultationsperiode wurde am 23. Juli 322  Sonderbeilage

zu NZG Heft 13 / 2003, S. 3–5.



B. Unabhängigkeit i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG107

2004 ein überarbeitetes Arbeitsdokument veröffentlicht, das schließlich in abermals überarbeiteter Version in die Kommissionsempfehlung 2005 / 162 / EG vom 15. Februar 2005 mündete. Die Kommissionsempfehlung enthält einen detaillierten Beispielskatalog von Konstellationen, bei deren Vorliegen die Unabhängigkeit gefährdet sein kann. Bevor auf die einzelnen Unabhängigkeitsmerkmale der Kommissions­ empfehlung eingegangen werden kann, ist aber zunächst ihre rechtliche Wirkung zu überprüfen. aa) Rechtsnatur der Kommissionsempfehlung Die Rechtswirkungen einer Empfehlung scheinen angesichts des Wort­ lauts von Art. 288 Abs. 5 AEUV (ex-Art. 249 Abs. 4 EGV) klar zu sein: Empfehlungen sind danach rechtlich nicht verbindlich. Teilweise wird je­ doch vorgetragen, dass sich aus der vom Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft (der „Gerichtshof“) entwickelten Konzeption einer „empfeh­ lungskonformen Auslegung“ ein mittelbarer Befolgungszwang ergibt. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs müssen die nationalen Gerichte die Empfehlungen der Kommission bei der Auslegung des zur Umsetzung von Richtlinien ergangen nationalen Rechts berücksichtigen und zwar ins­ besondere dann, wenn die Empfehlung Aufschluss über die Auslegung zu ihrer Durchführung erlassener Rechtsvorschriften gibt oder wenn sie ver­ bindliche gemeinschaftliche Vorschriften ergänzen soll.323 Diese Konzeption des Gerichtshofs ist mit der Unverbindlichkeit von Empfehlungen nicht zu vereinbaren und stellt deshalb eine Rechtsfortbildung gegen den Vertrags­ text dar.324 Es bleibt daher festzuhalten, dass Mitgliedstaaten Rechtsakte erlassen können, mit denen nur Teile der Empfehlung übernommen werden und bewusst einige Punkte nicht oder anders geregelt werden. Nationale Gerichte dürfen Empfehlung bei der Auslegung von Normen heranziehen, müssen dies aber nicht tun.325 Für die hier gegenständliche Kommissionsempfehlung 2005 / 162 / EG er­ gibt sich eine weitere Besonderheit daraus, dass sie über das allgemeine Unverbindlichkeitspostulat von Art. 288 Abs. 5 AEUV (ex-Art. 249 Abs. 4 323  EuGH, Rs. 322 / 88 – „Grimaldi“, Slg. 1989, 4407 Rn. 18 = NZA 1991, 283; Nettesheim, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim, Band III, Art. 249 EGV Rn. 214; speziell in Bezug auf § 100 Abs. 5 AktG Bröcker / Mösel, GWR 2009, 132, 133; Ehlers / Nohlen, Gedächtnisschrift Gruson, 2009, 107, 116; allgemein zur richtlinienkonformen Auslegung Schnorbus, AcP 201 (2001), 861, 863 ff. 324  Ruffert, in: Calliess  /  Ruffert (Hrsg.), EUV  /  EGV, Art. 249 Rn. 126; Härtel, Hdb. Europäische Rechtsetzung, S. 275 f. 325  Härtel, Hdb. Europäische Rechtsetzung, S. 275 f.

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2. Kap.: Tatbestandsebene

EGV) hinausgeht. Sie erklärt, dass die von ihr dargelegten Umstände in Bezug auf die Unabhängigkeit Anhaltspunkte für die Bestimmung der Un­ abhängigkeit sein sollen, von denen abgewichen werden kann.326 Die Kom­ missionsempfehlung erklärt mithin selbst noch einmal ausdrücklich, dass sie nicht verbindlich ist. Dieses Ergebnis wird bestätigt durch die Kritik der Kommission, dass der Empfehlung von manchen Staaten, genannt wird u. a. auch ausdrücklich Deutschland, nicht hinreichend entsprochen wird.327 Wä­ re die Kommissionsempfehlung verbindlich in ihrer Wirkung, bedürfte es keiner Kritik zur fehlenden Beachtung. Solange die Kommission die fehlen­ de Beachtung der Kommissionsempfehlung nicht zum Anlass nimmt, ein rechtlich wirkungsvolleres Mittel, wie beispielsweise eine Richtlinie, zu erlassen, sind ihre Vorgaben zur Unabhängigkeit nicht verbindlich.328 bb) Vorgaben der Kommissionsempfehlung zur Unabhängigkeit In Ziff. 13.1 und dem 18. Erwägungsgrund der Kommissionsempfehlung heißt es zur Unabhängigkeit, dass ein Mitglied der Unternehmensleitung dann als unabhängig gelte, wenn es in keiner geschäftlichen, familiären, oder sonstigen Beziehung zu der Gesellschaft, ihrem Mehrheitsaktionär oder deren Geschäftsführung stehe, die einen Interessenskonflikt begründe, wel­ cher das Urteilsvermögen beeinflussen könne. Gemäß 7. Erwägungsgrund der Kommissionsempfehlung ist die Unabhängigkeit die Abwesenheit sämt­ licher signifikanter Interessenskonflikte, nicht nur von der Geschäftsführung, sondern beispielsweise auch von Konkurrenzunternehmen. Neben diesen allgemeinen Definitionen sind in Anhang II der Kommissi­ onsempfehlung ergänzend neun sehr detaillierte Regelbeispiele aufgelistet. Eine Abhängigkeit kann jedoch in vielen Erscheinungsformen und Abstu­ fungen vorkommen, sodass auch die Kommission erklärt, dass eine umfas­ sende Auflistung aller Aspekte, die ein Risiko für die Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern darstellen können, nicht möglich sei. Allerdings gäbe es Kriterien, so die Kommission weiter, von denen gemeinhin ange­ 326  Anhang II Ziff. 1 S. 2 der Kommissionsempfehlung; vgl. auch Erwägungs­ grund 18 des Arbeitsdokuments vom 23. Juli 2004 mit einem Entwurf zur Kommis­ sionsempfehlung. 327  Bericht der Kommission über die Umsetzung der Kommissionsempfehlung durch die Mitgliedstaaten vom 13. Juli 2007, SEC (2007) 1021. 328  Vgl. die Ausführung der Kommission zur (fehlenden) Verbindlichkeit der Empfehlungen zur Unabhängigkeit in den Frequently Asked Questions (FAQ Nr. 6) zur Kommissionsempfehlung, Stand 6. Oktober 2004; so auch Spindler, ZIP 2005, 2033, 2034; Maul, BB-Spezial 9 / 2005, 2; zu der Frage, ob sich hinsichtlich der Verbindlichkeit etwas anderes durch die Inbezugnahme in der Regierungsbegrün­ dung zum BilMoG ergibt, siehe 2. Kapitel B. V. 1.



B. Unabhängigkeit i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG109

nommen werden könne, dass sie eine große Bedeutung für die Bewertung der Unabhängigkeit hätten und die bei der Untersuchung der Unabhängig­ keit stets sorgfältig zu überprüfen seien: Die allgemeinen Sätze der Kom­ missionsempfehlung in Ziff. 13 formulieren mehr oder minder Selbstver­ ständliches, die Brisanz ergibt sich erst durch die Auflistung der einzelnen Kriterien in Anhang II.329 Diese lauten zusammengefasst: Anhang II a. Die betreffende Person darf kein geschäftsführendes Verwaltungs- bzw. Vor­ standsmitglied der Gesellschaft oder einer verbunden Gesellschaft sein, und sie darf in den vergangenen fünf Jahren kein solches Amt ausgeübt haben. b. Die betreffende Person darf in der Gesellschaft nicht als Arbeitnehmer beschäf­ tigt sein und auch in den vergangen drei Jahren nicht als Arbeitnehmer be­ schäftigt gewesen sein (Ausnahme: Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat). c. Die betreffende Person darf von der Gesellschaft oder einer verbundenen Ge­ sellschaft keine zusätzliche Vergütung in bedeutsamen Umfang erhalten oder erhalten haben mit Ausnahme der Vergütung für die Tätigkeit als Aufsichtsrats­ mitglied. d. Die betreffende Person darf keinesfalls ein Anteilseigner mit einer Kontrollbe­ teiligung sein oder einen solchen vertreten (Kontrolle bestimmt sich nach Maßgabe von Art. 1 Abs. 1 der Siebenten Richtlinie 83 / 349 / EWG des Rates). e. Die betreffende Person darf zu der Gesellschaft oder einer verbundenen Ge­ sellschaft kein Geschäftsverhältnis in bedeutendem Umfang unterhalten oder im letzten Jahr unterhalten haben. f. Die betreffende Person darf kein Partner oder Angestellter des derzeitigen oder früheren Abschlussprüfers der Gesellschaft oder einer verbunden Gesellschaft sein und darf diese Position auch in den letzten drei Jahren nicht innegehabt haben. g. Die betreffende Person darf kein Vorstandsmitglied in einer anderen Gesell­ schaft sein, in der ein geschäftsführender Direktor bzw. Vorstandsmitglied der Gesellschaft ein nicht geschäftsführender Direktor bzw. Aufsichtsratsmitglied ist; sie darf keine anderen bedeutsamen Verbindungen zu geschäftsführenden Direktoren der Gesellschaft durch die Beteiligung in anderen Gesellschaften oder Organisationen unterhalten. h. Die betreffende Person darf nicht mehr als drei Amtsperioden (längstens 12 Jahre) als Aufsichtsratsmitglied tätig gewesen sein. i. Die betreffende Person darf kein enger Familienangehöriger eines Vorstands­ mitglieds oder von Personen sein, die sich in einer der unteren lit. a) bis h) beschriebenen Positionen befinden.

Diese Auflistung erhebt gemäß Erwägungsgrund 18 und Ziffer 13.2 nicht den Anspruch der Vollständigkeit, sondern soll den Aufsichtsratsgremien zur Bewertung der Unabhängigkeit und den Mitgliedstaaten als Basis für eine 329  Lutter,

EuZW 2009, 799, 2004.

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2. Kap.: Tatbestandsebene

eigene Definition auf einzelstaatlicher Ebene dienen. Abstrakt lässt sich der Auflistung entnehmen, dass die Unabhängigkeit gefährdet wird durch Fälle des Eigeninteresses oder der Selbstprüfung, Interessensvertretung, Vertraut­ heit, Vertrauensbeziehungen oder Einschüchterung.330 Deutschland hat keine einzelstaatliche Unabhängigkeitsdefinition kodifiziert, sondern verweist zu­ rück auf die Kommissionsempfehlung und den DCGK. 3. Independence i. S. d. Sarbanes-Oxley Act of 2002 Der Sarbanes-Oxley Act of 2002 („SOA“), die Umsetzung der entspre­ chenden Vorgaben im Securities Exchange Act of 1934 („SEA“) und die dazu ergangenen SEC-Verordnungen geben Unabhängigkeitskriterien vor, die im Sinn von Mindestanforderungen in der Person des unabhängigen Finanzexperten vorliegen müssen. Sec. 10A (m) (3) SEA, in der durch Sec. 301 SOA geänderten Fassung, setzt für die Unabhängigkeit voraus, dass das jeweilige Mitglied des Audit Committees •• kein Beratungs- oder sonstiges Honorar außerhalb seiner Vergütung für seine Tätigkeiten als Mitglied des Audit Committees oder des Board of Directors erhält und •• nicht mit dem Emittent oder einer mit diesem verbundenen Gesellschaft (Tochterunternehmen) „verbunden“ („affiliated“) ist.331 Der genaueren Ausführung der beiden gesetzlichen Basiskriterien zur Unabhängigkeit dient eine Veröffentlichung („Release“) der SEC.332 Ähn­ lichkeiten zu den Vorgaben von §§ 114, 115 AktG sind unverkennbar. a) Sonstige Honorare Der Begriff der sonstigen Honorare wird in der SEC Release weit ausge­ legt, insbesondere werden sämtliche direkten und indirekten Zahlungsströme unabhängig von ihrem Betrag von diesem Tatbestandsmerkmal erfasst. Di­ 330  Vgl. dazu Art. 22 Abs. 2 S. 2 Abschlussprüferrichtlinie in Bezug auf die Un­ abhängigkeit der Abschlussprüfer. 331  „In order to be considered to be independent for purposes of this paragraph, a member of an audit committee of an issuer may not, other than in his or her capacity as a member of the audit committee, the board of directors, or any other board committee (i) accept any consulting, advisory, or other compensatory fee from the issuer; or (ii) be an affiliated person of the issuer or any subsidiary thereof.“ Sehr gute Darstellung der Vorgaben des SOA zur Unabhängigkeit bei Maushake, Audit Committees, S. 93 ff. 332  SEC Release No. 33-8220 – Final Rule on Standards relating to listed Com­ pany Audit Committees, a. a. O. Fn. 54.



B. Unabhängigkeit i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG111

rekte Zahlungen sind Gehaltszahlungen auf Grund von Anstellungsverträgen mit dem Unternehmen oder Vergütungen für erbrachte Dienstleistungen, Musterbeispiele sind dabei Beratungsleistungen auf den Gebieten Wirt­ schaftsprüfung, Investment Banking, Recht und Unternehmensberatung. Ausgenommen davon sind feststehende Bezüge im Rahmen eines Versor­ gungsplanes für vormals erbrachte, nunmehr vollständig beendete Dienste. Indirekte Zahlungen an das jeweilige Mitglied sind erstens Zahlungen an dessen nahe Verwandte (Ehegatten / -partner, Kinder, Enkel- und Stiefkinder sowie Personen, die in häuslicher Gemeinschaft mit der Person leben), da solche Zahlungen direkten Zahlungen an das Mitglied der Sache nach gleich stehen. Weiter sind die Unabhängigkeit aufhebende indirekte Zahlungen an das Aufsichtsratsmitglied auch solche Zahlungen, die an dritte Gesellschaf­ ten getätigt werden, die für die betreffende Gesellschaft oder eine oder mehrere ihrer Tochtergesellschaften Dienstleistungen in den kritischen Be­ reichen Wirtschaftsprüfung, Investmentbanking, Recht, Unternehmensbera­ tung und Finanzberatung erbringen und bei denen das in Frage stehende Aufsichtsratsmitglied an der Geschäftsführung beteiligt ist. Diese Aufstel­ lung von Beratungsdiensten enthält bewusst keine sog. „non-advisory“ Fi­ nanzdienstleistungen, wie beispielsweise die Vergabe von Darlehen und die Unterhaltung der Firmenkonten.333 b) Verbundene Person Ebenfalls als nicht unabhängig werden mit der Gesellschaft verbundene Personen angesehen. Gemäß der SEC Release werden dabei als verbundene Personen solche angesehen, die direkt oder indirekt, d. h. vermittelt durch einen oder mehrere Vertreter, die Gesellschaft kontrollieren oder aber um­ gekehrt von dieser kontrolliert werden. Kontrolle bzw. kontrolliert werden, wird wiederum definiert als Besitz derjenigen Einwirkungsbefugnisse, die dazu geeignet sind, das Vorgehen und Verhalten des Managements oder der jeweilige Person zu bestimmen, namentlich durch Stimmrechte von Aktien, Stimmbindungsverträgen oder auf sonstige Weise. Dabei wird klargestellt, dass zwar einerseits eine verbundene Person dieses Hindernis nicht dadurch umgehen kann, lediglich einen Vertreter statt seiner Person zu entsenden, allerdings werden andererseits nicht alle von einem Mehrheitsaktionär ge­ wählten Personen als dessen Vertreter angesehen.334 Die SEC legt Wert darauf, dass bei der Untersuchung, ob eine Person als verbunden einzustufen ist, alle besonderen Umstände des Einzelfalls zu 333  SEC 334  SEC

Release No. 33-8220 II.A.2, a. a. O. Fn. 54. Release No. 33-8220 II.A.3, a. a. O. Fn. 54.

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2. Kap.: Tatbestandsebene

berücksichtigen sind. Im Sinne der Rechtssicherheit besteht ein „safe har­ bor“, nach dem von Personen, die nicht an der Geschäftsführung der Ge­ sellschaft beteiligt sind und deren Aktienanteil 10 % der Aktien der Gesell­ schaft nicht übersteigt, angenommen wird, dass sie nicht mit der Gesellschaft verbunden sind. Eine Überschreitung der 10 %-Grenze führt allerdings nicht umgekehrt zu einer Vermutung der Kontrolle. Diese Vorgaben der SEC sind lediglich als gesetzliche Mindestanforde­ rung zu verstehen. Wiederholt weist sie darauf hin, dass es den „National Securities Exchanges“, beispielsweise der New York Stock Exchange ­(„NYSE“), und den „National Securities Associations“, beispielsweise der National Association of Securities Dealers („NASD“), (Exchanges und As­ sociations gemeinsam Self-Regulatory Organisations – „SRO“), unbenom­ men ist, für eine Zulassung zum Handel an ihren Märkten eigene, striktere Anforderung an die Unabhängigkeit zu stellen, wovon diese auch Gebrauch machen.335 Während diese Bestimmungen des SOA und der NYSE Listing-Standards direkte Anwendung nur auf die noch verbliebenen sieben in den USA no­ tierten deutschen Gesellschaften336 finden, ist es notwendig, die Hintergrün­ de des Legal Transplants zu kennen, um es in Deutschland wirksam einglie­ dern und die bereits vorhandenen Erfahrungen gewinnbringend nutzen zu können. Neben den Ausführungen zu den Merkmalen der Unabhängigkeit findet sich allerdings auch eine ganz zentrale Aussage zur Unabhängigkeit und zur Beantwortung der obigen Ausgangsfrage, von wem der Finanzexperte über­ haupt unabhängig sein soll, die sich auch für den deutschen Rechtskreis als Richtschnur eignen kann. So heißt es in SEC Release No. 33-8220, Ab­ schnitt II. A. 1.: Nur ein von der Geschäftsführung unabhängiges Mitglied ist in der Lage die Finanzzahlen der Gesellschaft objektiv zu überprüfen und ein System der Checks and Balances zu etablieren. Das Management selbst und die mit ihm verbundenen Personen dagegen können unter dem Marktdruck, kurzfristig Erfolg erzielen zu müssen, und / oder durch bestimm­ te Anreize in der eigenen Vergütungsstruktur, die von kurzfristigem Erfolg abhängig sind, dazu geneigt sein, die Finanzzahlen auf Kosten des Unter­ 335  SEC Release No. 33-8220 II.A.1., a. a. O. Fn. 54; Block, BKR 2003, 774, 781; weitergehende Anforderungen entstehen beispielsweise durch den Independence Test der NYSE in ihren Listing-Standards unter 303A.02, wo sie u. a. eine der SEC un­ bekannte dreijährige „Cooling-Off“-Periode vorgibt und den Begriff des nahen Ver­ wandten stark ausweitet; abrufbar unter: http: /  / nysemanual.nyse.com / lcm / Help / map Content.asp?sec=lcm-sections&title=sx-ruling-nyse-policymanual_303A.02&id=chp_ 1_4_3_4. 336  Daimler AG, Deutsche Bank AG, Deutsche Telekom AG, Fresenius Medical Care AG & Co. KGaA, SAP AG, Siemens AG sowie der TecDAX-Wert Aixtron AG.



B. Unabhängigkeit i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG113

nehmens und schließlich der Aktionäre nicht richtig darzustellen. Gleich dem DCGK wird folglich eine Unabhängigkeit vom Management gefordert. Im Ergebnis lässt sich bei genauerer Betrachtung der Begründung der SEC allerdings vor dem Hintergrund der oben dargestellten Gefahr des opportu­ nistischen Verhaltens und der Interessenskonflikte darüber hinaus noch vielmehr entnehmen, nämlich dass es um eine Unabhängigkeit von allen denjenigen geht, gleichgültig ob nun Vorstand oder Dritter, die ein persön­ liches Interesse an „geschönten“ Finanzzahlen haben oder haben könnten. 4. Weitere Quellen zum Unabhängigkeitsbegriff Naturgemäß ist auch Österreich von den neuen europarechtlichen Vorga­ ben der Abschlussprüferrichtlinie betroffen. Im Verhältnis zu den gesell­ schaftsrechtlichen Strukturen der anderen Mitgliedsstaaten ist das österrei­ chische Aktiengesetz („ÖAktG“) dem deutschen Aktiengesetz aufgrund seiner Historie sehr ähnlich.337 Gemäß § 92 Abs. 4a S. 5 ÖAktG darf nicht Vorsitzender des Prüfungsausschusses sein, wer innerhalb der letzten drei Jahre Vorstandsmitglied, leitender Angestellter oder Abschlussprüfer der Gesellschaft war oder den Bestätigungsvermerk unterfertigt hat oder aus anderen Gründen nicht unabhängig und unbefangen ist. Weitreichende Hin­ weise zur Unabhängigkeit enthält daneben auch der Österreichische Corpo­ rate Governance Kodex („ÖCGK“) in Ziff. 53 ÖCGK und dessen Anhang 1, der als Leitlinien sechs Fälle aufzählt, deren Vorliegen für die Bewertung der Unabhängigkeit eine besonders wichtige Rolle spielt. Daneben gibt es eine kaum mehr überschaubare Anzahl verschiedenster Definitionen, Codes, Guidelines, Principles, Reports und Statements zum Begriff der Unabhängigkeit. Diese unterscheiden sich, teilweise sogar sehr wesentlich, sowohl inhaltlich als auch in Bezug auf ihren Geltungsanspruch, da es sich teilweise um gesetzliche Vorgaben handelt, häufig aber auch um Richtlinien privater Investoren oder aber um Berichte von Experten oder Kommissionen.338 Auf eine ermüdende Einzeldarstellung kann und soll im Folgenden verzichtet werden. Vielmehr sollen die verschiedenen Quellen 337  Doralt,

in: MüKo-AktG, Band I, Einl. Rn. 214, 248. besonderer Bedeutung für diese Arbeit sind dabei insbesondere die fol­ genden Quellen: 1.  OECD-Principles of Corporate Governance, 2004 („OECD-Principles“): abruf­ bar unter:  http: /  / www.oecd.org / dataoecd / 32 / 18 / 31557724.pdf; 2.  The Combined Code UK on Corporate Governance, 2003 („Combined Code“), abrufbar unter:  http: /  / www.fsa.gov.uk / pubs / ukla / lr_comcode2003.pdf; 3. Review of the role and effectiveness of non-executive directors by Derek Higgs, 2003 („Higgs-Report“), abrufbar unter: http: /  / www.berr.gov.uk / files / file23012. pdf; 338  Von

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2. Kap.: Tatbestandsebene

und Hinweise punktuell zur Ergänzung der deutschen Unabhängigkeitsdis­ kussion herangezogen werden.

V. Kriterien der Unabhängigkeit i. S. v. §  100 Abs.  5 AktG Gemäß § 100 Abs. 5 AktG muss wenigstens ein Aufsichtsratsmitglied unabhängig sein. Wie einleitend dargestellt, geht es bei der Bestimmung des Begriffs um die Fragen von wem die Unabhängigkeit bestehen muss und ab welchem Grad von persönlichen oder geschäftlichen Beziehungen zu den besagten Personen oder Gruppen sie abzulehnen ist. Eine gesetzliche Defi­ nition des Begriffs der Unabhängigkeit sucht man sowohl in der Abschluss­ prüferrichtlinie als auch in der nationalen Umsetzung der Richtlinie durch das BilMoG in § 100 Abs. 5 AktG vergeblich. Der Begriff der Unabhängig­ keit ist daher ein unbestimmter und ausfüllungsbedürftiger Rechtsbegriff. 1. Regierungsbegründung zu § 100 Abs. 5 AktG Gemäß Erwägungsgrund 24 der Abschlussprüferrichtlinie und Anhang II Ziff. 1 S. 2 der Kommissionsempfehlung sind grundsätzlich Kriterien zur Unabhängigkeit auf einzelstaatlicher Ebene notwendig, da von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat und von Gesellschaft zu Gesellschaft die Vorstellungen über Umstände und Beziehungen, die eine Befangenheit des Aufsichtsrats­ mitglieds indizieren, voneinander abweichen können.339 Obwohl die Kom­ missionsempfehlung damit den Mitgliedstaaten aufgibt, auf einzelstaatlicher Ebene Kriterien festzulegen, die der Verwaltungs- / Aufsichtsrat bei seiner Prüfung heranzuziehen hat, enthält § 100 Abs. 5 AktG keine Aufstellung von weiteren Vorgaben oder Kriterien bezüglich des Begriffs der Unabhän­ gigkeit. Daher muss auf die Regierungsbegründung zum BilMoG, den DCGK und die einschlägigen europarechtlichen Vorgaben zurückgegriffen werden. 4.  Promoting Better Corporate Governance In Listed Companies von Daniel Bou­ ton, 2002 („Bouton-Report“), abrufbar unter: http: /  / www.paris-europlace.net / files /  a_09-23-02_rapport-bouton_uk.pdf; 5.  Corporate Governance Principles of the California Public Employees’ Retire­ /   /  www.calpers-govern ment System („CalPERS-Principles“), abrufbar unter: http:  ance.org / docs-sof / marketinitiatives / 2009-04-01-corp-governance-pub20-final-glossy. pdf. 339  So auch schon der Aktionsplan, Sonderbeilage zu NZG Heft 13  / 2003, S. 7; auf Grund des fehlenden harmonisierten Rechtsrahmens im Gesellschaftsrecht der Mitgliedstaaten gegen eine europaweite Harmonisierung der Corporate GovernanceStandards BDI / bankenverband / DAI / DIHK / GDV, NZG 2004, 1052.



B. Unabhängigkeit i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG115

Im Gegensatz zur Abschlussprüferrichtlinie, bei der sogar die Erwägungs­ gründe zu einer Definition der Unabhängigkeit schweigen und lediglich auf die Empfehlung der Kommission 2005 / 162 / EG vom 15. Februar 2005 zu den Aufgaben von nicht geschäftsführenden Direktoren  /  Aufsichtsratsmit­ gliedern börsennotierter Gesellschaften sowie zu den Ausschüssen des Ver­ waltungs-  /  Aufsichtsrats („Kommissionsempfehlung“) verweisen, ergeben sich aus der Regierungsbegründung zu § 100 Abs. 5 AktG zumindest einige Leitlinien zum Umgang mit dem Begriff der Unabhängigkeit. Zunächst wird in der Gesetzesbegründung klargestellt, dass die von § 100 Abs. 5 AktG geforderte Unabhängigkeit über die bislang durch § 105 Abs. 1 AktG sichergestellte Trennung von Vorstand und Aufsichtsrat hinaus geht.340 Nicht nur die aktuelle Zugehörigkeit zur Geschäftsführung, sondern auch andere Gesichtspunkte, insbesondere unmittelbare oder mittelbare geschäft­ liche, finanzielle oder persönliche Beziehungen zur Geschäftsführung, könn­ ten eine Besorgnis der Befangenheit begründen, die der Wahrnehmung der Aufsichtsfunktion entgegen stehe.341 Sinn und Zweck des Merkmals der Unabhängigkeit sei es, jenseits des formalen Kriteriums des § 105 Abs. 1 AktG möglicherweise bestehende Risiken für die Unabhängigkeit des Auf­ sichtsratsmitglieds vor der Besetzung anzusprechen und zu klären. Die Regierungsbegründung zitiert weiterhin lediglich Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK zur Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern und verweist dar­ auf, dass sich auch, d. h. neben dem DCGK, aus der Kommissionsempfeh­ lung weitere Hinweise zur Unabhängigkeit ergäben. In Bezug auf die Kommissionsempfehlung erfolgt sogar der einschränkende Hinweis, dass es sich bei Anhang II der Kommissionsempfehlung weder um abschließende noch um zwingende abstrakte Vorgaben handele, sondern nur um Hinweise auf Beziehungen und Umstände, die für die Beurteilung der Unabhängigkeit relevant sein könnten. Diese Hinweise sollten dem Aufsichtsratsgremium als Leitlinien die Möglichkeit eröffnen, zu bestimmen, was unter Unabhängig­ keit im Sinne von § 100 Abs. 5 AktG zu verstehen sei. Entscheidend sei eine Einzelfallabwägung, da gemäß Erwägungsgrund 18 und Ziffer 13.2 der Kommissionsempfehlung den inhaltlichen Aspekten Vorrang vor formalen Kriterien zu gewähren sei, sodass im Einzelfall auch begründete Abwei­ chungen von der Kommissionsempfehlung denkbar seien.342 Eine über diese allgemeinen Ausführungen hinausgehende, konkrete De­ finition des Begriffs der Unabhängigkeit enthält die Regierungsbegründung 340  BegrRegE,

BT-Drucks. 16 / 10067 S. 101; Kropff, FS K. Schmidt, 2009, 1023,

341  BegrRegE,

BT-Drucks. 16 / 10067, S. 101; Gruber, NZG 2008, 12, 13. BT-Drucks. 16 / 10067, S. 102.

1025.

342  BegrRegE,

116

2. Kap.: Tatbestandsebene

nicht. Teilweise, hauptsächlich von Wirtschaftsverbänden, wird das Fehlen einer Definition zwar begrüßt, da den Unternehmen und deren Aufsichtsrä­ ten nur so die erforderliche Flexibilität bei der Besetzung ihrer Aufsichtsrä­ te gewährt werde.343 Als Kehrseite dieser Flexibilität verbleibt jedoch eine erhebliche Rechtsunsicherheit bezüglich des Begriffs der Unabhängigkeit. Verstöße, gleichgültig ob sie wissentlich oder unabsichtlich erfolgen, führen zur fehlerhaften Besetzung des Gremiums und haben daher weitreichende Konsequenzen für die betroffene Gesellschaft. Zur Konkretisierung des Begriffs der Unabhängigkeit verbleiben lediglich die Hinweise der Regierungsbegründung auf die Kommissionsempfehlung und den DCGK. Dieses Ergebnis wirkt aus dem folgenden Grund zunächst befremdlich: Man hat in § 100 Abs. 5 AktG eine „Rule“ geschaffen („muss mindestens ein unabhängiges Mitglied“), die durch den Rückgriff auf zwei „Standards“ (DCGK und Kommissionsempfehlung) mit Leben gefüllt wer­ den soll.344 Diese Standards enthalten aber nicht nur Empfehlungen, sondern stellen es dem Aufsichts-  / Verwaltungsrat anheim, unter Umständen auch gegen die Vorgaben der Standards für den Einzelfall die Unabhängigkeit zu definieren und zu bestimmen. Von der klaren Rule von § 100 Abs. 5 AktG bliebe bei freiem Ermessen des Aufsichtsrats zur Unabhängigkeit nichts mehr übrig, vielmehr würde das Problem, dass es unzählige verschiedene Definitionen der Unabhängigkeit gibt, dadurch nicht wie beabsichtigt beho­ ben, sondern verschärft werden. Übrig bliebe vom Begriff der Unabhängig­ keit ein begrifflicher Torso. Eine absolut freie, beinahe willkürliche Bewer­ tung der Unabhängigkeit durch das jeweilige Aufsichtsratsgremium kann daher nicht im Sinn von § 100 Abs. 5 AktG sein. Es stellt sich mithin die Frage, in wie weit von den Vorgaben des DCGK und der Kommissionsemp­ fehlung im Einzelfall abgewichen werden kann. 2. Dreiteilung der Unabhängigkeitskriterien Zieht man den DCGK und die Kommissionsempfehlung zur Definition der äußeren Unabhängigkeit heran, so ergibt sich hauptsächlich das Prob­ 343  Deutsches Aktieninstitut, Stellungnahme zum Referentenentwurf des BilMoG vom 21.12.2007, S.  1, abrufbar unter: http: /  / www.dai.de / internet / dai / dai-2-0.nsf / dai_ publikationen.htm?openPage&ID=BE13BE26CB23A35FC125764D004CED39. 344  Die Kommissionsempfehlung wurde bewusst nur als Standard geschaffen, was die Mitgliedstaaten ausdrücklich begrüßt haben, siehe dazu den Bericht zu den Er­ gebnisses der Konsultation zum Entwurf der Kommissionsempfehlung vom 29. Sep­ tember 2004, S. 4, abrufbar unter http: /  / ec.europa.eu; grundlegend zur Rules vs. Standards Problematik Kaplow, 42 Duke L. J. 557 (1992); ders., JLEO, Vol. 11 (1995), 150 ff.



B. Unabhängigkeit i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG117

lem, dass neben den Gemeinsamkeiten ein bunter Strauß signifikanter Abweichungen zwischen der Kommissionsempfehlung und dem DCGK ­ existiert. Die Kommissionsempfehlung ist hauptsächlich aus diesem Grund auf – zum Teil sehr scharfe – Kritik des deutschen Schrifttums gestoßen. Hauptkritikpunkt ist dabei, dass die Unabhängigkeitsstandards der EUKommission nahezu ausschließlich mit Blick auf monistische Unternehmen mit Board-Strukturen geschaffen wurden und daher nicht unreflektiert auf das für die deutsche Aktiengesellschaft geltende duale System mit seiner Trennung von Vorstand und Aufsichtsrat übertragen werden könnten.345 Dieser Punkt wird besonders deutlich an den Gemeinsamkeiten der Vorga­ ben der Kommissionsempfehlung und der Inkompatibilitäten des Aktienge­ setzes – die Kommissionsempfehlung wiederholt für das dualistische System Selbstverständliches. Andersherum würde sie einige Bestimmungen, bei­ spielsweise das deutsche Konzernrecht, aus den Angeln heben346 und die Mitbestimmung auf Unternehmensebene quasi unmöglich machen.347 Die Kritik an der Kommissionsempfehlung lautet aber noch weiter, dass als Folge dieser fehlenden Berücksichtigung der Eigenheiten des dualistischen Systems eine Anwendung der Unabhängigkeitsstandards der EG-Kommis­ sion auf alle europäischen Unternehmen, ohne Rücksicht darauf, ob diese ein monistisches oder dualistisches Führungssystem hätten, die dualistisch geführten Unternehmen übermäßig belastet würden.348 Dr. Gerhard Cromme erklärte in seiner damaligen Position als Vorsitzen­ der der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex („Kodex-“ oder „DCGK-Kommission“) bereits im Jahr 2005 bei der Ein­ führung der Unabhängigkeitsanforderungen in den DCGK, dass eine pau­ schale Definition der Unabhängigkeit für die zwei wesentlich voneinander abweichenden Systeme der Unternehmensführung ebenso wie eine pauscha­ le und unreflektierte Übernahme der Standards aus den angelsächsischen Rechtssystemen nicht möglich sei.349 Die Kodex-Kommission habe deswe­ gen bewusst eine von der Kommissionsempfehlung abweichende, auf das 345  Lieder,

NZG 2005, 569. Stellungnahme, NZG 2003, 1008, 1010; Habersack, ZGR 168 (2004), 373, 377 f.; Diekmann / Bidmon, NZG 2009, 1087, 1090; siehe dazu 2. Kapitel B. V. 7. d) bb). 347  Siehe 2. Kapitel B. V. 7. d) bb). 348  Rosen, AG 2008, 537; Lieder, NZG 2005, 569, 570; Stellungnahme BDI / ban­ kenverband / DAI / DIHK / GDV, NZG 2004, 1052; Arbeitsgruppe Europäisches Gesellschaftsrecht, ZIP 2003, 863, 869; DAV Stellungnahme, NZG 2003, 1008, 1010; daher für eine differenzierende Regelung für die verschiedenen Systeme Bayer, BB 2004, 1, 7; Habersack, NZG 2004, 1, 5 f.; Habersack, ZHR 168 (2004), 373, 376 f.; Hoffmann-Becking, ZGR, 2004, 355, 359. 349  Cromme, in: Cromme (Hrsg.), Corporate Governance Report 2005, 23, 30 f. 346  DAV

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2. Kap.: Tatbestandsebene

deutsche dualistische System zugeschnittene, eigene Definition des Begriffs der Unabhängigkeit entwickelt.350 Die Einzelkriterien der Kommissionsempfehlung lassen sich daher in drei Bereiche aufteilen: Der erste und unproblematischste Teil sind die Überein­ stimmungen der Vorgaben der Kommissionsempfehlung mit den Inkompati­ bilitäten des AktG und des HGB. Der zweite Teil sind diejenigen Vorgaben der Kommissionsempfehlung, die mit den Vorgaben des DCGK zur Unab­ hängigkeit übereinstimmen, die aber über die Inkompatibilitäten hinaus gehen. Schließlich gibt es drittens den Teil, bei dem die Vorgaben des DCGK und die der Kommissionsempfehlung voneinander abweichen. Der letzte Bereich ist mit den meisten Problemen behaftet, da unklar ist, welcher Rechtsquelle bei unterschiedlichen oder gar widersprüchlichen Vorgaben der Vorrang zu gewähren ist.351 Die Frage, in wie weit von den Vorgaben des DCGK und der Kommissionsempfehlung im Einzelfall abgewichen werden kann, ist für diese drei Gruppen separat zu untersuchen.352 Neben diese Dreiteilung der Kriterien der Kommissionsempfehlung ge­ sellt sich eine vierte Gruppe von Umständen, die von beiden Quellen nicht behandelt wird, die jedoch aufgrund der spezifischen Besonderheiten des deutschen Gesellschaftsrechts ebenfalls dazu geeignet ist, die Unabhängig­ keit zu gefährden. Namentlich sind dies die Fälle des gemäß § 101 Abs. 2 AktG in den Aufsichtsrat entsandten Mitglieds. Auch hier drängt sich die Frage auf, ob diese Mitglieder des Aufsichtsrats unabhängig i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG sein können. 3. Übereinstimmungen der Vorgaben mit den Inkompatibilitäten Die Kommissionsempfehlung enthält in Anhang II teilweise Umstände, die nach deutschem Aktien- und Handelsrecht bereits als Inkompatibilitäten gelten. Namentlich sind dies die folgenden Anforderungen: Das jeweilige Aufsichtsratsmitglied darf •• kein geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Gesellschaft oder einer verbundenen Gesellschaft sein (Anhang II Ziff. 1 lit. a) Kommissions­ empfehlung) – entspricht §§ 105 Abs. 1, 100 Abs. 2 S. 1 Ziff. 2 AktG; 350  Cromme, in: Cromme (Hrsg.), Corporate Governance Report 2005, 23, 27; auch sein Nachfolger als Vorsitzender der DCGK-Kommission Klaus Peter Müller plädiert dafür, sich von angelsächsischen Entwicklungen zu lösen, soweit sie für falsch gehalten werden oder auf das deutsche System nicht anwendbar sind, Han­ delsblatt vom 16.11.2009, Nr. 221, S. 4. 351  Diekmann / Bidmon, NZG 2009, 1087, 1089. 352  Pauschal für alle drei Gruppen Abweichungen zulassend Nowak, BB 2010, 2423, 2424.



B. Unabhängigkeit i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG119

•• kein Partner oder Angestellter des derzeitigen oder früheren externen Abschlussprüfers sein (lit. f)) – entspricht §§ 319, 319a HGB; •• keinen Fällen der Überkreuzverflechtung unterliegen (lit. g)) – entspricht § 100 Abs. 2 S. 1 Ziff. 3 AktG. Während die Kommissionsempfehlung es ausdrücklich zulässt, dass von ihren Vorgaben abgewichen wird, gelten Inkompatibilitäten absolut. Fraglich ist, ob dem Aufsichtsratsgremium nun auch in den Fällen absoluter Inkom­ patibilität ein Ermessensspielraum zusteht. Mit Sinn und Zweck des § 100 Abs. 5 AktG, die Unabhängigkeit wenigstens eines Mitglieds zu gewährleis­ ten, wäre eine Aufweichung von den absolut wirkenden Inkompatibilitäten indes nicht zu vereinbaren. Vielmehr bleibt es in diesen Fällen der Über­ schneidung von Inkompatibilitäten mit den Empfehlungen der Kommission bei der von Gesetzes wegen angeordneten, absoluten Inkompatibilität. Die Kritik an der Kommissionsempfehlung, dass viele ihrer Unabhängigkeitskri­ terien bereits im Aktiengesetz verbindlich festgelegt seien und daher für deutsche Unternehmen keinerlei Änderung des Ist-Zustandes bedeuten wür­ den353, ist daher zwar zutreffend, allerdings ist dies unschädlich, da mit der Wiederholung der Kriterien keine Verschlechterung des Ist-Zustands in Bezug auf die Unabhängigkeit verbunden ist. 4. Gemeinsamkeiten der Kommissionsempfehlung und des DCGK Auf den ersten Blick kann der Eindruck entstehen, dass überwiegende Kongruenz und nur marginale Unterschiede zwischen dem Unabhängigkeits­ begriff der EG-Kommission und desjenigen der DCGK-Kommission beste­ hen. Beide stimmen darin überein, dass persönliche oder geschäftliche Bezie­ hungen zur Gesellschaft oder zum Vorstand die Unabhängigkeit in Frage stellen. Bezogen auf die Liste von Unabhängigkeitskriterien aus Anhang II der Kommissionsempfehlung ergibt sich folgendes Bild von Übereinstim­ mungen. Um als unabhängig zu gelten, darf das Aufsichtsratsmitglied: •• zu der Gesellschaft oder einem Tochterunternehmen kein Geschäftsver­ hältnis von bedeutendem Umfang unterhalten (lit. e)); •• keine bedeutsamen Verbindungen zu Vorstandsmitgliedern durch die Be­ teiligung in anderen Gesellschaften unterhalten (lit. g)); •• kein enger Familienangehöriger von einer Person sein oder eine sonstige enge persönliche Beziehung zu einer Person führen, die sich in einer der beschriebenen Positionen befindet (lit. i)) und; 353  Arbeitsgruppe Europäisches Gesellschaftsrecht, ZIP 2003, 863, 866 / 869; Gruber, NZG 2008, 12, 14.

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2. Kap.: Tatbestandsebene

•• keine enge Verbindung zu einem wesentlichen Wettbewerber des Unter­ nehmens pflegen (Erwägungsgrund Nr. 7 der Kommissionsempfehlung; Ziff. 5.4.2 S. 4 DCGK). a) Keine Geschäftsverhältnisse von bedeutendem Umfang Der Gedanke, dass zusätzliche Vergütungen durch die Gesellschaft dazu geeignet sind, die Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern zu gefähr­ den, ist dem deutschen Recht nicht neu. §§ 114, 115 AktG reglementieren genau diese Problematik, dass der Vorstand sich das Wohlwollen des Auf­ sichtsrats durch zusätzliche (großzügig bemessene) Vergütungen „erkauft“. Wie beschrieben, ist eine der Ursachen, die zum Kollaps von Enron etc. geführt haben, dass die Abschlussprüfer durch sog. „Nicht-Prüfungsleistun­ gen“ zusätzliche Vergütungen erhielten.354 Der Charme dieser Nicht-Prü­ fungsleistungen lag für den Vorstand darin, dass sie als Maßnahmen der Geschäftsführung, beispielsweise Machbarkeitsstudien bei M&A-Transak­ tionen, in seinen Hoheitsbereich fielen. Die Geschäftsführung kontraktierte direkt mit dem Abschlussprüfer. Das Begehren des Abschlussprüfers, diese großen Mandate nicht zu verlieren, führte zu dem faktischen Zwang, die eigentliche Prüfungsleistung sehr wohlwollend zu erbringen. Für Abschluss­ prüfer wurde zwischenzeitlich das Erbringen von sonstigen Nicht-Prüfungs­ leistungen streng reglementiert.355 Dadurch, dass der unabhängige Finanz­ experte als eine Art Zwischenposition zwischen interne und externe Kont­ rolle tritt, müssen für ihn neben den Anforderungen, die für andere Auf­ sichtsratsmitglieder gelten, außerdem (zusätzlich) ähnliche Standards wie für den Abschlussprüfer gelten. Die Geschäftsführung sollte auch ihm Ge­ genüber nicht dazu ermächtigt sein, durch Nicht-Prüfungsleistungen eine Abhängigkeit begründen können. aa) Grundsatz Einigkeit besteht daher zwischen DCGK und Kommissionsempfehlung dahingehend, dass Geschäftsverhältnisse mit der Gesellschaft außerhalb der Position als unabhängiger Finanzexperte und Aufsichtsratsmitglied zu Inte­ ressenskonflikten führen können, welche die Unabhängigkeit des jeweiligen Aufsichtsratsmitglieds gefährden. Die Kommissionsempfehlung zählt als relevante Geschäftsbeziehungen das Anbieten oder Abnehmen von Waren und Dienstleistungen (einschließlich solcher finanzieller, rechtlicher sowie beratender Art) auf. Derartige Geschäftsbeziehungen sollte das betreffende 354  Siehe 355  Vgl.

oben 1. Kapitel C. I. insbesondere § 319 Abs. 3 Ziff. 3 HGB.



B. Unabhängigkeit i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG121

Aufsichtsratsmitglied weder direkt mit der Gesellschaft unterhalten oder im letzten Jahr unterhalten haben noch indirekt als Partner, Anteilseigner, Di­ rektor oder als leitender Angestellter einer anderen Gesellschaft.356 Hierzu zählen u. a. die Lieferanten und Abnehmer der Gesellschaft sowie die Ver­ treter der „Hausbank“.357 Zunächst ist dies eine Verschärfung der gesetzlichen Vorgaben von §§ 114, 115 AktG. Bislang wurde nur verlangt, dass dem Aufsichtsrat die sonstigen Vergünstigungen und Aufträge bekannt gegeben und von ihm genehmigt wurden. Die sonstigen Geschäftsverhältnisse begründen aber nach der Kom­ missionsempfehlung und dem DCGK selbst dann die Gefährdung der Un­ abhängigkeit, wenn der Aufsichtsrat den jeweiligen Kredit und  /  oder die Nicht-Prüfungsleistung von bedeutendem Umfang genehmigt hat. Trotz des grundsätzlichen Gleichlaufs der Kommissionsempfehlung und des DCGK bei der Bewertung der sonstigen Geschäftsverhältnisse als Ge­ fährdung der Unabhängigkeit ergibt sich ein wesentlicher Unterschied: Die Kommissionsempfehlung spricht davon, dass kein Geschäftsverhältnis „von bedeutendem Umfang“ mit der Gesellschaft oder einer verbundenen Gesell­ schaft unterhalten werden soll, während der DCGK jegliche Geschäftsbezie­ hung, unabhängig von ihrem Umfang („kein Geschäftsverhältnis“) erfasst. Wie bereits dargestellt kennt der Sarbanes-Oxley Act keine solche Ausnah­ me für kleinere Zusatzvergütungen („de minimis exception“) und bestärkt damit den DCGK. In der SEC-Release zur Unabhängigkeit im Sinne des SOA wird der klare Standpunkt vertreten, dass jede („any“!) sonstige Zah­ lung an den Finanzexperten dessen Unabhängigkeit ausschließt.358 Gemäß der Kommissionsempfehlung kann der Aufsichtsrat dagegen im begründeten Einzelfall ein Aufsichtsratsmitglied trotz des Erhalts geringer sonstiger Be­ züge von der Gesellschaft für unabhängig erklären. Es drängt sich die Frage auf, ab wann die sonstigen Geschäftsverhältnis­ se im Sinn der Kommissionsempfehlung von bedeutendem Umfang sind. Dazu gibt es keinerlei weitere Hinweise.359 Die hierdurch vermittelte Rechtsunsicherheit für den Anwender ist bereits der erste Grund, der gegen eine solche Ausnahme für geringfügige Geschäftsverhältnisse spricht. Die Entscheidung über die Geringfügigkeit dem Aufsichtsrat zu überlassen, gibt diesem einen zu weiten Ermessensspielraum. Da die sonstigen Berater- und Kreditverträge, wie bereits dargestellt, im Corporate Governance Bericht der 356  Kommissionsempfehlung

Anhang II Ziff. 1 lit. e). in: K. Schmidt / Lutter, Band I, § 100 Rn. 52. 358  Vgl. Sec. 10A (m) (3) (B) (i) SEA 1934; dazu auch SEC Release 33-8220 A.2, a. a. O. Fn.  54. 359  Drygala, in: K. Schmidt / Lutter, Band I, § 100 Rn. 52 möchte die 15 % Gren­ ze aus § 319a Abs. 1 Nr. 1 HGB entsprechend heranziehen. 357  Drygala,

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2. Kap.: Tatbestandsebene

Gesellschaft zu veröffentlichen sind360, wäre eine Ausübung des weiten Ermessens des Aufsichtsrats dazu geeignet, beim Publikum entgegen der Bewertung des Aufsichtsrats den Eindruck der Befangenheit des Finanzex­ perten zu wecken. Ferner spricht gegen eine de minimis exception für Be­ ratertätigkeiten, dass das jeweilige Aufsichtsratsmitglied, soweit es die eige­ nen Beratungsleistungen überprüfen muss, Kontrolleur in eigener Sache ist. Genau dieser Fall soll aber beim unabhängigen Finanzexperten vermieden werden. Wenn dieses Problem bei einem anderen Aufsichtsratsmitglied als dem Finanzexperten auftritt, kann das restliche Aufsichtsratsgremium, gege­ benenfalls auch unter Ausschluss des jeweiligen Mitglieds, in diesem Ein­ zelfall die Prüfung übernehmen. Für den unabhängigen Finanzexperten in seiner hervorgehobenen Stellung kann dies aber gerade nicht gelten, da gerade er durch seine besondere Unabhängigkeit die korrekte Prüfung ge­ währleisten soll. Der Fall, dass durch einen Beratervertrag sehenden Auges die Notwendigkeit herbeigeführt wird, in der Person des Finanzexperten Fälle der Selbstprüfung und fehlenden Unabhängigkeit herbeizuführen, soll­ te unbedingt vermieden werden. Schließlich ist nicht ersichtlich, weshalb die Gesellschaft bei derartig kleinen Beratungsverträgen, die gerade nicht von bedeutendem Umfang sind, nicht auf externe Berater oder andere Auf­ sichtsratsmitglieder zurückgreifen kann, sondern unbedingt den einen unab­ hängigen Finanzexperten des Aufsichtsratsgremiums mit dieser Beratungs­ leistung beauftragen muss. Mithin ist hier dem DCGK und dem SOA zuzu­ stimmen, wenn sie eine de minimis exception strikt ablehnen. Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass für den unabhängigen Finanzexperten über die §§ 114, 115 AktG hinausgehende Anforderungen zu stellen sind. Beratungs­ verträge im Sinne von § 114 AktG führen dazu, dass die Unabhängigkeit des Finanzexperten abzulehnen ist. bb) Ausnahme im Fall der Kreditgewährung An eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass der unabhängige Finanzex­ perte keine sonstigen Geschäftsbeziehungen zu der Gesellschaft unterhalten sollte, ist allerdings bei Kreditverträgen im Sinne von § 115 AktG zu den­ ken. In diesen Fällen ist zu unterscheiden: Die Gegenüberstellung von §§ 115 und 89 Abs. 1 S. 5 AktG zeigt, dass es für die Kreditvergabe an Aufsichtsratsmitglieder im Gegensatz zu der Vergabe an Vorstandsmitglie­ der keine Ausnahme für Kleinkredite gibt, sondern unabhängig von der Höhe der Darlehensvaluta stets die Marktüblichkeit zu überprüfen ist.361 Die Argumentation, dass ein Kredit, da er nur minimal sei, die Unabhängigkeit 360  Siehe

oben 2. Kapitel B. II. 3. und 4. in: Großkomm-AktG, Band 4, § 115 Rn. 18; Hüffer, § 115 Rn. 2.

361  Hopt / Roth,



B. Unabhängigkeit i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG123

nicht gefährde, ist mithin mit dem Willen des Gesetzgebers nicht zu verein­ baren. Auch hier bleibt es dabei, dass eine de minimis exception ausschei­ det. Die SEC spricht sich jedoch dafür aus, dass bei Kreditverträgen anders als bei Beraterverträgen ein Ausnahmefall und damit die Unabhängigkeit des Finanzexperten trotz sonstiger geschäftlicher Beziehungen zur Gesell­ schaft dann angenommen werden kann, wenn es sich um einen Kredit an den Finanzexperten handelt, der zu marktüblichen Konditionen (Zins, Ge­ währungsdauer sowie Bestellung von adäquaten Sicherheiten) von der Ge­ sellschaft gewährt wird.362 Diese Bereichsausnahme kann mit der Ein­ schränkung übernommen werden, dass ab dem Zeitpunkt der Fälligkeit, insbesondere in den Fällen der vorzeitigen Fälligkeit wegen Zahlungsver­ zugs, die Unabhängigkeit abzulehnen ist, bis die Kreditschuld von dem Finanzexperten in vertragsgemäßer Höhe getilgt wurde. cc) Mehrfacher Einsatz eines Finanzexperten innerhalb eines Konzerns Eine weitere Ausnahme vom Grundsatz, dass keine sonstigen Geschäftsbe­ ziehungen zu der Gesellschaft bestehen sollen, kommt für Konzerne in Be­ tracht. Sind innerhalb eines Konzerns zwei oder mehr Gesellschaften kapital­ marktorientiert i. S. v. § 264d HGB, stellt sich die Frage, ob ein und dieselbe Person die Rolle des unabhängigen Finanzexperten in allen Aufsichtsratsgre­ mien übernehmen kann, die von § 100 Abs. 5 AktG betroffen sind. Bei stren­ ger Subsumtion unter Anhang II Ziff. 1 S. 5 lit. e) der Kommissionsempfeh­ lung kommt man zu dem Ergebnis, dass der Finanzexperte ein Geschäftsver­ hältnis zu einer verbundenen Gesellschaft unterhält. Daher wäre die Unab­ hängigkeit wohl abzulehnen. Die SEC erklärt dagegen, dass es möglich sein sollte, dass der Finanzexperte sowohl bei der Mutter- als auch der Tochterge­ sellschaft diese Rolle wahrnimmt, solange er außerhalb dieses zweiten Amts als Finanzexperte sämtliche Unabhängigkeitskriterien erfüllt.363 Dem ist zu­ nächst inso weit zuzustimmen, dass, anders als bei den Fällen von Beratungs­ verträgen, keine wirtschaftliche Abhängigkeit zur Gesellschaft begründet wird. Allerdings kommt es hier zu Problemen bei der Wahl und Wiederwahl des Finanzexperten auf Ebene der Tochtergesellschaft: Die Ausübung von Stimmrechten der Muttergesellschaft ist eine typische Geschäftsführungsauf­ gabe und damit Aufgabe des Vorstands.364 Der Vorstand steht dem Finanzex­ 362  Vgl.

SEC Release 33-8220, A. 2, a. a. O. Fn. 54. Release No. 33-8220 II. A. 5, a. a. O. Fn. 54. 364  Hüffer, AktG, § 76 Rn. 17a; zur entsprechend erweiterten Überwachungsauf­ gabe des Aufsichtsrats der Obergesellschaft Lutter / Krieger Rn. 131 ff.; Lutter, AG 2006 517, 518 ff. 363  SEC

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2. Kap.: Tatbestandsebene

perten mithin auf Ebene der Tochtergesellschaft als Mehrheitsaktionär gegen­ über.365 Steht es dem Vorstand aber frei, den Finanzexperten in der Tochter­ gesellschaft zu wählen oder auch nicht, hat er ein Druckmittel, da der Finanz­ experte dazu geneigt sein wird, seiner Wiederwahl wegen kein Missfallen beim Vorstand zu erwecken. Anders als typische Vertreter von Mehrheitsak­ tionären ist der Finanzexperte aber auf Mutterebene völlig frei vom Einfluss des Vorstands der Muttergesellschaft. Nur die Wahl durch den Vorstand ist nach der SEC nicht dazu geeignet, den Finanzexperten als Vertreter des Mehrheitsaktionärs und damit als nicht unabhängig zu qualifizieren.366 Schließlich hat der Vorstand keinen Einfluss auf die Stellung des Finanz­ experten im Aufsichtsrat des Mutterunternehmens. Im Ergebnis sollte daher diese von der SEC erarbeitete und akzeptierte Bereichsausnahme auch für deutsche Konzerne übernommen werden. Der Finanzexperte des Mutterunternehmens kann auch auf untergeordneten Stu­ fen des Konzerns die Rolle des Finanzexperten einnehmen, ohne dass dies seine Unabhängigkeit ausschließt. Zu beachten ist dabei aber selbstverständ­ lich, dass der Finanzexperte nicht die Höchstzahl von zulässigen Aufsichts­ ratsmandaten (§ 100 Abs. 2 S. 1 Ziff. 1, S. 2 AktG) überschreitet. b) Keine bedeutsamen Verbindungen zur Geschäftsführung durch Beteiligungen In lit. g) nennt die Kommissionsempfehlung zunächst die Fälle der Über­ kreuzverflechtung als Grund, der die Unabhängigkeit ausschließt. Diese Fälle werden in Deutschland bereits von § 100 Abs. 2 S. 1 Ziff. 3 AktG behandelt und sind daher den Inkompatibilitäten zuzurechnen. Darüber hinaus schlie­ ßen gemäß dem DCGK und der Kommissionsempfehlung aber auch „andere bedeutsame Verbindungen“ zum Vorstand der Gesellschaft durch die Beteili­ gung in anderen Gesellschaften die Unabhängigkeit aus. Fraglich ist, was unter solchen anderen bedeutsamen Verbindungen zu verstehen ist. Dadurch, dass die Kommissionsempfehlung die „anderen bedeutsamen Verbindungen“ systematisch hinter den Beispielsfall der Überkreuzverflechtung platziert hat, werden die Auslegungsmöglichkeiten von vornherein dahingehend begrenzt, dass es sich bei ihnen um ähnlich schwerwiegende Verbindungen zur Ge­ schäftsführung handeln muss, wie im Falle der Überkreuzverflechtung. Bereits bei der Darstellung des Verbots der Überkreuzverflechtung wurde dessen eingegrenzter Wirkungsrahmen dargestellt – das Verbot erstreckt sich 365  Zur Problematik der fehlenden Unabhängigkeit von Vertretern des Mehrheits­ aktionärs unten S. 118 ff. 366  SEC Release No. 33-8220 II. A. 5.



B. Unabhängigkeit i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG125

demnach nicht auf alle Rechtsformen von beteiligten Gesellschaften und nach den herrschenden Auffassungen ebenfalls nicht auf Fälle mit Auslands­ bezug und von fakultativen Aufsichtsräten.367 Diese Fälle sind aber inhalt­ lich den Fällen der Überkreuzverflechtung so ähnlich, – das Problem der wechselseitigen Organmitgliedschaft ist in allen Fällen offensichtlich –, sodass sie als „andere bedeutsame Verbindungen“ im Sinne der Kommissi­ onsempfehlung gelten müssen. Mithin sind auch hier strengere Anforderun­ gen an den Finanzexperten als an „normale“ Aufsichtsratsmitglieder zu stellen; seine Unabhängigkeit ist in (ohne Einschränkung) allen Fällen von wechselseitigen Organmitgliedschaften abzulehnen. c) Keine enge Verbindung zu Wettbewerbern Die gleichzeitige Tätigkeit desselben Aufsichtsratsmitglieds in Konkur­ renzunternehmen ist eine äußerst problematische Erscheinung im deutschen Aktienwesen, die jedoch de lege lata hinzunehmen ist und nicht zur Inkom­ patibilität des jeweiligen Mitglieds führt.368 Eine flexiblere Lösung wurde durch den DCGK geschaffen. Ziff. 5.4.2 S. 4 DCGK empfiehlt, dass Auf­ sichtsratsmitglieder keine Organfunktion bei wesentlichen Wettbewerbern ausüben sollen. Dadurch bleibt es im Einzelfall dem Unternehmen überlas­ sen, im Rahmen seiner Selbstorganisation über die Sinnhaftigkeit der Beset­ zung mit einem solchen Kandidaten zu entscheiden. Ferner werden so die erheblichen Probleme umgangen, die facettenreichen Begriffe des Wettbe­ werbers und Marktes369 auch im AktG zu definieren.370 Gemäß dem siebten Erwägungsgrund der Kommissionsempfehlung soll im Rahmen der Bestimmung der Unabhängigkeit „entsprechende Aufmerk­ samkeit jenen Gefahren gewidmet werden, die aus der Tatsache herrühren, 367  Siehe

oben 2. Kapitel B. II. 2. c). seit RGZ 165, 68, 82; BGHZ 39, 116, 123; zuletzt OLG München, AG 2009, 294, 295 f. – „MAN / VW“; Hüffer, ZIP 2006, 638, 639; Vetter, NZG 2008, 121, 125; ausführlich und m. w. N. Beyer, Unabhängigkeit, S. 97 ff.; Hopt / Roth, Großkomm-AktG, Band 4, § 100 Rn. 73 ff.; vgl. auch die Diskussionen im Vorfeld des KonTraG. Dort hatte die SPD in ihrem Fraktionsentwurf einen neuen § 25a GWB gefordert, welcher es dem Bundeskartellamt ermöglichen sollte, die „ord­ nungspolitisch bedenkliche“ parallele Aufsichtsratstätigkeit, hauptsächlich von Bankund Gewerkschaftsvertretern, in Unternehmen aus dem selben Marktsegment, häufig Konkurrenten, zu verbieten (BT-Drucks. 13 / 367 S. 13, 30). Dieser Vorschlag ist je­ doch im Verfahren gescheitert. 369  Dazu Dreher, JZ 1990, 896, 899; vgl. zu den Problemen im Wettbewerbs- / Kar­ tellrecht Art. 101, 102 AEUV (ex-Art. 81, 82 EGV) die Übersicht bei Weiß, in: Calliess / Ruffert (Hrsg.), EGV, Art. 81 Rn. 90 ff. 370  Beyer, Unabhängigkeit, S. 102  ff. mit einer Darstellung der vergleichbaren Situation / Probleme in den USA. 368  H. M.

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2. Kap.: Tatbestandsebene

dass ein Vertreter im Aufsichtsrat enge Verbindungen mit einem Konkurren­ ten des Unternehmens hat“. Vor dem Hintergrund der Empfehlung des DCGK ist daher davon auszugehen, dass für den unabhängigen Finanzex­ perten i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG auch hier strengere Anforderungen gelten, als für die anderen Aufsichtsratsmitglieder. Hat er eine enge Verbindung zu einem Konkurrenten / wesentlichen Wettbewerber des Unternehmens, so ist er nicht mehr als unabhängig anzusehen. Die Kommissionsempfehlung definiert nicht weiter, was eine „enge Ver­ bindung“ in diesem Sinne darstellt. Aus Gründen der Rechtssicherheit ist daher der Empfehlung des DCGK zuzustimmen, dass eine solche enge Verbindung stets die Organstellung des jeweiligen Mitglieds voraussetzt. Offen bleibt damit allerdings noch der äußerst problematische Begriff des „wesentlichen Wettbewerbers“. Dieser wird weder in der Kommissionsemp­ fehlung noch im DCGK präzisiert. Um auch hier einen gewissen Grad an Rechtssicherheit zu ermöglichen und den Kreis der betroffenen Kandidaten nicht zu weit auszudehnen, ist der Begriff „im Zweifel eng auszulegen“.371 Die Eigenschaft als wesentlicher Wettbewerber ist daher nur zu bejahen, wenn die Unternehmen in ihrem Kerngeschäft identische Tätigkeitsfelder haben.372 Im Ergebnis ist die Unabhängigkeit i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG daher zu verneinen, wenn die betreffende Person eine Organtätigkeit in ei­ ner anderen Gesellschaft ausführt, deren Kerngeschäft identisch zu dem der Gesellschaft ist. Die Tatsache, dass der DCGK und die Kommissionsempfehlung gleicher­ maßen in diesen Fällen Probleme für die Unabhängigkeit sehen, ist bedeut­ sam für die weitere Diskussion. Es geht demnach nicht nur um die Unab­ hängigkeit des Finanzexperten von der Gesellschaft und dem Vorstand. Vielmehr führt jedwedes Interesse des Finanzexperten die überwachungs­ relevanten Zahlen nicht sorgfältig zu prüfen oder nicht seiner Aufgabe entsprechend zu verwenden zur Verneinung der Unabhängigkeit. d) Keine persönliche Beziehung zu einer als abhängig geltenden Person Übereinstimmend erklären die Kommissionsempfehlung und der DCGK, dass auch familiäre oder sonstige persönliche Beziehungen zur Geschäfts­ führung oder zu anderen, als abhängig geltenden Personen eine Abhängig­ 371  OLG München, AG 2009, 294, 296 – „MAN / VW“; Beyer, Unabhängigkeit, S. 104; Schiessl, AG 2002, 593, 598; a. A. Langenbucher, ZGR 2007, 571, 572 („Heranziehung des Bedarfsmarktkonzepts“). 372  Ein identisches Tätigkeitsfeld wurde verneint für die Nutzfahrzeuge von VW und MAN von OLG München, AG 2009, 294, 296 – „MAN / VW“.



B. Unabhängigkeit i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG127

keit begründen. Bis zu welchem familiären Grad man als enger Familien­ angehöriger gilt oder wann enge persönliche Beziehungen vorliegen sollen, wird nicht weiter konkretisiert. Eine Konkretisierung lässt sich nur mit Blick auf die Zwecke dieses Kriteriums vornehmen: Zum einen wird hier dem allgemein bekannten und im Prozessrecht ebenfalls anerkannten Um­ stand Rechnung getragen, dass eine strenge Kontrolle und Belastung von engen Verwandten und Ehegatten  /  Lebenspartnern kaum zu erwarten ist. Zum anderen geht es hier um die Verhinderung von einfachen Umgehungs­ tatbeständen, indem beispielsweise die Beraterverträge mit Personen ge­ schlossen werden, die dem Finanzexperten nahestehen. Dieses Unabhängig­ keitskriterium ist unter dem Aspekt der Rechtssicherheit und Anwender­ freundlichkeit besonders schwierig auszulegen, da Nähebeziehungen, die dazu geeignet sind die Unabhängigkeit zu gefährden, von Gesellschaft zu Gesellschaft, Familie zu Familie und auch innerhalb von Familien, unab­ hängig vom Verwandtschaftsgrad, oftmals erheblich voneinander abweichen und eine Einzelfallabwägung erforderlich machen.373 Um den Begriff der nahestehenden Personen mit Leben zu füllen, muss auf verschiedene, bereits existente Definitionen zurück gegriffen werden. Die SEC, § 115 Abs. 2 AktG374 und § 285 Nr. 21 HGB i. V. m. 24.9 Interna­ tional Accounting Standard („IAS“)375 enthalten nahezu identische Defini­ tionen des Begriffs: Danach sind nahestehende Personen Ehegatten, Le­ benspartner und minderjährige (auch nichteheliche376) Kinder des Finanz­ experten oder seines Ehegatten  /  Lebenspartners sowie Personen, die für Rechnung des Finanzexperten handeln.377 Um Rechtssicherheit zu gewähr­ leisten, erklärt die SEC ihre Auflistung für abschließend.378 373  In Italien wird beispielsweise bis hin zu Verwandten des vierten Grades ein die Unabhängigkeit aufhebendes persönliches Näheverhältnis vermutet, vgl. Art. 148 4-bis i. V. m. 3. b) Legislative Decree mit Datum vom 24.2.1998 No. 58 („Italian Securities Act“). 374  Dazu oben S. 66. 375  Der 7. Erwägungsgrund der Abänderungsrichtlinie zur Bilanzrichtlinie (2006 /  46 / EG) verweist für die Definition des Begriffs der „nahestehenden Personen“ auf die Verordnung (EG) Nr. 1606 / 2002 vom 19. Juli 2002 betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards, die ihrerseits weiter auf die entsprechen­ den Standards weiter verweist. Der im konkreten Fall anwendbare IAS 24 enthält allerdings auch keine Definition, sondern spricht nur von „nahen Familienangehöri­ gen“. Nahe Familienangehörige sind in diesem Sinne Ehegatten / Lebenspartner und Kinder, vgl. Ellrott, in: Beck’scher Bilanz-Komm § 285 Rn. 365. 376  Hopt / Roth, Großkomm-AktG, Band 4, § 115 Rn. 16. 377  Vgl. SEC-Release 33-8220, A.2, a.  a. O. Fn. 54. Die zusätzliche Auflistung von Stiefkindern bedeutet keinen Unterschied, da Stiefkinder gemäß § 1754 BGB rechtlich ohnehin so wie leibliche Kinder zu behandeln sind. 378  Vgl. SEC-Release 33-8220, A.2, a. a. O. Fn. 54.

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2. Kap.: Tatbestandsebene

Zweifel daran, ob dieser Personenkreis nicht zu eng bemessen ist, erge­ ben sich daraus, dass nach der Wertung des deutschen Gesetzgebers in § 52 Abs. 1 StPO das Verhältnis beispielsweise zwischen Geschwistern üblicher­ weise auch eine besondere persönliche Beziehung darstellt.379 An dieser gesetzgeberischen Wertung mag man auch nicht ernstlich zweifeln. Sie entstammt jedoch dem Strafrecht und ist auf die Kontrolle des Finanzexper­ ten nicht ohne Weiteres anzuwenden. Ferner würde eine weite Auslegung des Begriffs der „nahestehenden Personen“ in Verbindung mit der Vorgabe, dass keine nahestehende Person sich in einem die Abhängigkeit begründen­ den Verhältnis zu der Gesellschaft befinden sollte (Kommissionsempfehlung Anhang II lit. h.)), dazu führen, dass selbst ein Beratervertrag zwischen dem Schwager des Finanzexperten und der Gesellschaft die Unabhängigkeit des Finanzexperten aufheben würde. Dies führt jedoch zu weit und ist für den Aufsichtsrat kaum zu überprüfen. Aufgrund der Rechtssicherheit und Anwendungsfreundlichkeit sind die Definitionen der SEC und von §§ 115 Abs. 2 AktG, 285 Ziff. 21 HGB von „nahestehenden Personen“ für die Definition desselben Begriffs der Kom­ missionsempfehlung heranzuziehen. Sind Ehegatten, Lebenspartner oder Kinder des Finanzexperten beispielsweise Berater, Abschlussprüfer oder Vorstandsmitglieder der jeweiligen Gesellschaft, so ist die Unabhängigkeit abzulehnen. Für das Aufsichtsratsgremium sind diese Vorgaben jedoch le­ diglich als Mindesthürden anzusehen. Trotz der abschließenden Aufzählung steht es dem Aufsichtsrat selbstverständlich frei, über die dargestellten Nä­ hebeziehungen hinaus die Unabhängigkeit zu verneinen, wenn die konkreten Umstände des Einzelfalls dies als notwendig erscheinen lassen. e) Rechtsfolge für die Unabhängigkeit Mit dem zuletzt genannten Punkt, dass der Aufsichtsrat über die Defini­ tion hinaus auch besondere Umstände des Einzelfalls zu seiner Bewertung heranziehen kann und muss, stellt sich auch umgekehrt die Frage, in wie weit er bei dem Vorliegen von Umständen, die sowohl die Kommissions­ empfehlung als auch der DCGK als Gefährdung der Unabhängigkeit quali­ fizieren, abweichen kann; ob der Aufsichtsrat also auch trotz des Vorliegens solcher Umstände dennoch die Unabhängigkeit bejahen kann. Im Rahmen der Inkompatibilitäten wurde dargestellt, dass sie unwiderleg­ liche Vermutungen des Gesetzgebers sind. Der Aufsichtsrat kann dort nicht im konkreten Einzelfall entgegen dem Organisationsgefälle oder dem Verbot der Überkreuzverflechtung doch die hinreichende Unabhängigkeit eines 379  Zu

den Merkmalen des § 52 StPO Meyer-Goßner, StPO § 52 Rn. 4 ff.



B. Unabhängigkeit i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG129

Aufsichtsratsmitglieds feststellen. Auf einer Linie damit besagt Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK, dass ein Aufsichtsratsmitglied als unabhängig anzusehen ist, wenn es in keiner geschäftlichen oder persönlichen Beziehung zur Gesell­ schaft oder dem Vorstand steht. Steht es aber in einer solchen Beziehung zu Gesellschaft oder Vorstand, ist es demnach im Umkehrschluss nicht unab­ hängig. Einen Ermessensspielraum gewährt der DCGK nicht. Die Kommis­ sionsempfehlung dagegen räumt dem Aufsichtsrat in Ziff. 13.2. S. 3 die Möglichkeit ein, selbst dann noch die Unabhängigkeit eines seiner Mitglie­ der festzustellen, wenn es eines der Abhängigkeitskriterien erfüllt. Fraglich ist daher, ob die absolute Rechtsfolge der fehlenden Unabhängigkeit des DCGK hier den Vorrang erfährt, oder ob der Aufsichtsrat von den Kriterien abweichen kann. Generell gehen die Kriterien der Kommission weiter als diejenigen des DCGK, d. h. der DCGK verneint die Unabhängigkeit erst in schwerer gelagerten Fällen als die Kommissionsempfehlung. Die Kommis­ sionsempfehlung fasst mithin die Kriterien zwar weiter, lässt aber auch Ausnahmen zu. Der DCGK beschränkt sich hingegen bewusst auf die Fälle, in denen die Annahme der Unabhängigkeit absolut ausgeschlossen ist.380 Das spricht dafür, die Unabhängigkeit des Finanzexperten stets und, ver­ gleichbar mit der Situation bei Vorliegen von Inkompatibilitäten, ohne Möglichkeit der Widerlegung der Vermutung im Einzelfall abzulehnen, wenn die engeren Unabhängigkeitskriterien des DCGK erfüllt sind. Dieses Ergebnis wird dadurch bestärkt, dass die Regierungsbegründung zum Bil­ MoG die Unabhängigkeitsdefinition des DCGK zitiert und im Anschluss hinzufügt, dass sich „darüber hinausgehende, weitere Hinweise zur Unab­ hängigkeit der Kommissionsempfehlung entnehmen lassen“.381 Mithin geht auch der Gesetzgeber davon aus, dass zumindest in den Fällen des DCGK zur Abhängigkeit eine anderslautende Interpretation nicht mehr möglich sein soll. Im Ergebnis ist daher in den Fällen, in denen der DCGK und die Kom­ missionsempfehlung übereinstimmen, die absolute Rechtsfolge des DCGK anzuwenden – eine Unabhängigkeit i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG ist bei Vorlie­ gen von geschäftlichen oder persönlichen Beziehungen zur Gesellschaft oder der Geschäftsführung der Gesellschaft in jedem Fall abzulehnen. 5. Arbeitnehmervertreter Für Gesellschaften, die einem der Mitbestimmungsgesetze unterfallen und deren Aufsichtsrat daher teilweise mit Arbeitnehmervertretern zu besetzen 380  Spindler,

ZIP 2005, 2033, 2040. 16 / 10067 S. 102; Hervorhebung durch den Verfasser.

381  BT-Drucks.

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2. Kap.: Tatbestandsebene

ist, stellt sich die stark diskutierte Frage, ob ein solches, der Arbeitnehmer­ bank zuzurechnendes Aufsichtsratsmitglied als unabhängig gelten kann. Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK und Ziff. 13.1 der Kommissionsempfehlung erklären gleichlautend, dass Aufsichtsratsmitglieder u. a. dann nicht als unabhängig gelten, wenn sie in geschäftlichen Beziehungen zur Gesellschaft stehen, die einen Interessenskonflikt begründen. Anhang II Ziff. 1 S. 4 lit. c) der Kom­ missionsempfehlung erklärt darüber hinaus, dass die betreffende Person von der Gesellschaft keine zusätzlichen Vergütungen erhalten sollte, die über die Vergütung für ihre Aufsichtsratstätigkeit hinausgeht. Die im Unternehmen beschäftigen Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat pflegen in Form ihres Arbeitsverhältnisses eine geschäftliche Beziehung zur Gesellschaft und er­ halten in Form ihres Arbeitsentgelts eine zusätzliche Vergütung. Ein Ar­ beitsvertrag ist ein Musterbeispiel für eine geschäftliche Beziehung zu der Gesellschaft. Ist dieses Arbeitsverhältnis darüber hinaus auch die hauptbe­ rufliche Tätigkeit der betreffenden Person, dann ist die Abhängigkeit stets zu bejahen. Darüber hinaus kann nicht außer Betracht gelassen werden, dass bei Ar­ beitnehmervertretern typischerweise dadurch, dass sie nach der Intention des Mitbestimmungsrechts die Interessen der Beschäftigen des Unternehmens vertreten sollen, systembedingte Interessenskonflikte bestehen.382 So sei zu befürchten, dass das Interesse an einer effektiven internen Kontrolle mögli­ cherweise immer dann in den Hintergrund rücke, wenn eine Beeinträchtigung von Arbeitsbedingungen oder gar Arbeitsplätzen zu befürchten sei.383 Innerhalb der Diskussion über die mögliche Unabhängigkeit der Mitglie­ der der Arbeitnehmerbank regelmäßig nur von „dem“ Arbeitnehmervertreter zu sprechen, als wolle man sagen, die Arbeitnehmervertreter seien allesamt gleich und daher stets mit denselben Interessenskollisionen konfrontiert, wäre falsch. Die Arbeitnehmerbank ist nicht vollständig mit Beschäftigten der Gesellschaft besetzt, sondern die Beschäftigen teilen sich die auf die Arbeitnehmer entfallenden Sitze mit Vertretern von Gewerkschaften (sog. „Gruppenprinzip“).384 Soweit das Mitbestimmungsgesetz Anwendung fin­ det, stellen die Gewerkschaften gemäß § 7 Abs. 2 MitbestG zwei von sechs oder acht bzw. drei von zehn Mitgliedern, bei Montanunternehmen gemäß § 6 MontanMitbestG gar drei von fünf Mitgliedern. Bei Anwendung des DrittelbG können dagegen Gewerkschaftsvertreter gemäß § 4 Abs. 2 Drit­ 382  Habersack, ZHR 164 (2004), 373, 377; Kropff, FS K. Schmidt, 2009, S. 1023, 1032; Staake, ZIP 2010, 1013, 1016; vgl. auch Bernhardt, ZHR 159 (1995), 310, 316 f.; Lutter, AG 1994, 176 f.; Zöllner, AG 1994, 336, 338. 383  Staake, ZIP 2010, 1013, 1016. 384  Oetker, in: EK-ArbR (Ordziff. 470) MitbestG, § 7 Rn. 1; Hirdina, NZA 2010, 683.



B. Unabhängigkeit i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG131

telbG erst dann bestellt werden, wenn wenigstens zwei Beschäftigte des Unternehmens dem Aufsichtsrat angehören. Die Gewerkschaftsvertreter müssen nicht in dem Unternehmen beschäf­ tigt sein, sodass diese Planstellen von den Gewerkschaften in der Regel mit externen Funktionären besetzt werden.385 Eine geschäftliche Beziehung zur Gesellschaft, wie sie die Arbeitnehmer pflegen, ist daher für Gewerkschafts­ vertreter nicht gegeben. Daher verbietet es sich alle Arbeitnehmervertreter über einen Kamm zu scheren. Im Gegenteil ist differenzierend für jede Gruppe von Arbeitnehmervertretern nach der Möglichkeit der Unabhängig­ keit zu fragen.386 a) Belegschaftsangehörige Arbeitnehmervertreter Für die belegschaftsangehörigen Arbeitnehmervertreter ergibt sich gegen­ über den Gewerkschaftsvertretern in Bezug auf die Unabhängigkeit das Problem, dass sie als Arbeiter oder Angestellte der Gesellschaft neben ihrer Vergütung für ihre Aufsichtsratstätigkeit noch weitere Vergütungen in signi­ fikanter Höhe in Form ihrer Arbeitsentgelte von der Gesellschaft erhalten. Damit ist prinzipiell eine wirtschaftliche Abhängigkeit von der Gesellschaft zu bejahen. Ferner besteht die Gefahr des einflusskonformen Verhaltens gegenüber dem Vorstand, da dieser (im Rahmen der arbeitsrechtlichen Mög­ lichkeiten) das Arbeitsverhältnis beenden kann und daher ein Druckpoten­tial hat. Die Kommissionsempfehlung erkennt diese Gefahr und bekräftigt das gefundene Ergebnis, indem sie in Anhang II Ziff. 1 S. 1 lit. b) HS 1 festlegt, dass Arbeitnehmer der Gesellschaft und Personen, die in den vergangenen drei Jahren als Arbeitnehmer beschäftigt waren, grundsätzlich nicht unab­ hängig sind. Anhang II Ziff. 1 S. 4 lit. b) HS 2 der Kommissionsempfehlung enthält jedoch einen Ausnahmetatbestand zu dem Grundsatz der fehlenden Unab­ hängigkeit von Arbeitnehmern. Dort heißt es, dass Arbeitnehmer nicht als unabhängig gelten, es sei denn, sie gehörten nicht zu den Führungskräften der Gesellschaft und seien im Rahmen eines gesetzlich anerkannten Sys­ tems der Arbeitnehmervertretung, das einen angemessenen Schutz vor miss­ bräuchlicher Entlassungen bietet, in den Aufsichtsrat gewählt worden. Die tatbestandliche Ausnahme wird mithin zunächst dahingehend begrenzt, dass von ihr die Führungskräfte der Gesellschaft nicht erfasst werden sollen. 385  Oetker, in: EK-ArbR (Ordziff. 470) MitbestG, § 7 Rn. 3; Hromadka / Maschmann, Arbeitsrecht, § 15 Rn. 15. 386  Ebenfalls differenzierend und mit Überlegungen zur Fortentwicklung Roth, ZHR 175 (2011), 605, 630 f., 640 f.

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2. Kap.: Tatbestandsebene

Das basiert vermutlich auf der Annahme, dass die Führungskräfte zum einen so eng mit dem Vorstand der Gesellschaft verbunden sein können, dass eine unabhängige Kontrolle des Vorstands für sie nicht möglich ist und zum ande­ ren bei ihnen vergleichbar zu Vorstandsmitgliedern die Gefahr besteht, dass sie eigene Entscheidungen kontrollieren müssten.387 Die Frage, wer als Füh­ rungskraft zu betrachten ist, wird von der Kommissionsempfehlung nicht weiter aufgegriffen. Für das deutsche Recht ist davon auszugehen, dass ne­ ben die von § 105 Abs. 1 AktG als inkompatibel eingestuften Prokuristen und zum gesamten Geschäftsbetrieb ermächtigten Handlungsbevollmächtigten der Gesellschaft zusätzlich die sonstigen leitenden Angestellten i. S. v. §§ 5 Abs. 3 BetrVG, 15 Abs. 1 S. 2 MitbestG als Führungskräfte der Gesellschaft im Sinne der Kommissionsempfehlung zu betrachten sind.388 Für diese Grup­ pen greift die Bereichsausnahme mithin in keinem Fall. Somit kommt eine Unabhängigkeit der belegschaftsangehörigen Arbeits­ nehmervertreter im Aufsichtsrat nur für diejenigen Arbeitnehmervertreter in Betracht, die nicht zu den leitenden Angestellten gehören. Die Kommis­ sionsempfehlung verlangt für diese Gruppe, dass ausreichende Schutzme­ chanismen vor missbräuchlicher Entlassung oder sonstiger ungerechter Be­ handlung vorliegen müssen. Für deutsche Arbeitnehmervertreter besteht durch die Benachteiligungsverbote in §§ 26 MitbestG, 9 DrittelbG und den dadurch gewährten besonderen (relativen) Kündigungsschutz grundsätzlich ein solcher Schutzmechanismus.389 Dieser bleibt zwar hinter dem absoluten Kündigungsschutz von § 15 Abs. 1 Kündigungsschutzgesetz („KSchG“) für Betriebsratsmitglieder zurück, allerdings bietet er einen hinreichenden Schutz für die Arbeitnehmervertreter, insbesondere, da der Vorstand sich davor hüten wird, sich eines ihm unangenehmes Aufsichtsratsmitglied der Arbeitnehmerbank durch eine Kündigung zu „entledigen“. Die gelebte Rechtspraxis in Deutschland zeigt auch, dass die Arbeitnehmervertreter faktisch unabhängig vom Vorstand agieren können. Belegschaftsangehörige Arbeitnehmervertreter werden daher von der Ausnahmeregelung von An­ hang II Ziff. 1 S. 4 lit. b) HS 2 der Kommissionsempfehlung erfasst. Fraglich ist aber, ob diese tatbestandliche Ausnahme als eine Wertung bzw. gesetzliche Fiktion der Kommission dahingehend zu verstehen ist, dass die im Rahmen der deutschen Mitbestimmungsgesetze in den Aufsichtsrat 387  Nowak,

Unabhängigkeit, S. 158; Lieder, NZG 2005, 569, 571. Begriff der leitenden Angestellten vgl. Etzel, in: Kass.Hdb. z. ArbR, Band 2, 9.1. Rn. 41. 389  Clement, in: Cromme (Hrsg.) Corporate Governance Report 2004, S. 5, 9; Lieder, NZG 2005, 569, 571; Spindler, ZIP 2033, 2040; im Ergebnis auch Nowak, Unabhängigkeit, S. 157; a. A. Hopt / Roth, Großkomm-AktG, Band 4, § 115 Rn. 16 („Unabhängigkeit […] kann nicht allein auf Benachteiligungsverbote […] gestützt werden.“). 388  Zum



B. Unabhängigkeit i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG133

gewählten Arbeitnehmervertreter als unabhängig anzusehen sind.390 In Be­ tracht kommt aber auch die Deutung, dass es bei dieser Ausnahme lediglich darum geht, eine Kompatibilität der Vorgaben der Kommission mit den gegebenen deutschen Mitbestimmungsgesetzen zu erreichen, indem Arbeit­ nehmervertreter von dem Unabhängigkeitserfordernis ausgenommen werden, ohne aber selbst unabhängig zu sein.391 Für die erste Auslegungsalternative spricht, dass der Gesetzgeber die Arbeitnehmervertreter im Rahmen des erforderlichen Sachverstandes be­ rücksichtigt hat. Betriebsräte, die sich ihre Sachkunde durch langjährige Tätigkeit und spezifische Weiterbildungen angeeignet haben, werden als hinreichend sachverständig angesehen, um als Finanzexperte zu gelten.392 Daraus könnte man folgern, dass der Gesetzgeber Arbeitnehmervertretern die Tätigkeit als Finanzexperte ermöglichen möchte und daher davon aus­ geht, dass sie die Unabhängigkeit ebenfalls mitbringen.393 Gegen diese Ar­ gumentation und für die zweite Auslegungsvariante, die zur Verneinung der Unabhängigkeit der Arbeitnehmervertreter führt, sprechen indes teleologi­ sche und historische Gründe. Zunächst bleibt festzuhalten, dass die oben beschriebenen Interessenskon­ flikte, denen die Arbeitnehmervertreter systembedingt ausgesetzt sind, der Annahme der Unabhängigkeit aus Corporate Governance Gesichtspunkten im Wege stehen. Zwar sind die Arbeitnehmervertreter traditionell ein Gegen­ pol zu den Anteilseignern und wie dargestellt auch unabhängig vom Vor­ stand, allerdings sind sie nicht gänzlich unabhängig in ihrer Entscheidungs­ findung, sondern werden stark von ihrer Stellung als Arbeitnehmervertreter geprägt. Allein der Verweis darauf, dass die Arbeitnehmervertreter gleichsam dem Unternehmensinteresse verpflichtet sind und Interessenskollisionen stets im Sinne der Gesellschaft auflösen müssen, vermag in dieser Hinsicht nicht zu überzeugen. Es bleiben Fälle denkbar, in denen die Arbeitnehmervertreter ein Interesse daran haben, den Vorstand zum Zwecke des Erhalts von Ar­ beitsplätzen nicht sorgfältig zu kontrollieren. Auch sind Fälle denkbar, in de­ nen sie ihre besondere Stellung als unabhängiger Finanzexperte als zusätz­ liches Gewicht bei Verhandlungen in die Waagschale werfen und so ihre Un­ abhängigkeit gewissermaßen als Gegenleistung für z. B. den Erhalt von Stel­ len „verkaufen“ könnten.394 Allein die Gefahr einer solchen Lage führt dazu, 390  Dafür Drygala, in: K. Schmidt  / Lutter, Band I, § 100 Rn. 51; Henssler, DK 2003, 255, 258. 391  Hopt / Roth, Großkomm-AktG, Band 4, § 115 Rn. 16. 392  BT-Drucks. 16 / 10067 S.  102. 393  So wohl Nowak, Unabhängigkeit, S. 159. 394  Hüffer, ZIP 2006, 637, 641; Staake, ZIP 2010, 1013, 1016; vgl. Peltzer, FS K. Schmidt 2009, 1243, 1249 ff. mit Beispielen.

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2. Kap.: Tatbestandsebene

dass Arbeitnehmervertreter ihre „independence in appearance“, d. h. ihre Strahlkraft zur Verbesserung der Corporate Governance, verlieren und somit der Zweck der Einführung des Finanzexperten, nämlich der der Steigerung des Vertrauens des Marktes, nicht erreicht werden kann. Ferner zeigt die Entstehungsgeschichte der Kommissionsempfehlung, dass die Ausnahme für Arbeitnehmervertreter erst im Nachhinein eingefügt wurde.395 Selbiges gilt im Übrigen für die Erwägungen der SEC zur Unab­ hängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern von „Foreign Private Issuers“, die nach erheblicher Kritik396 ausdrücklich für das deutsche System der Mitbe­ stimmung eine Ausnahme von der vermuteten Abhängigkeit von Beschäftig­ ten der Gesellschaft macht, soweit diese vor Benachteiligungen geschützt und nicht leitende Angestellte sind.397 In beiden Fällen sollen auf diesem Wege Widersprüche zu den Regeln der Mitbestimmung in Deutschland vermieden werden, die paritätische Besetzung von Prüfungsausschüssen sollte nicht unmöglich gemacht werden. Arbeitnehmervertreter werden des­ wegen zwar von dem Unabhängigkeitserfordernis ausgenommen, ohne aber als unabhängig zu gelten. Diese Problematik wurde auch bei den Diskussionen zur Abschlussprüfer­ richtlinie erkannt. Abweichend von der Empfehlung der Kommission zur mehrheitlichen Besetzung des Prüfungsausschusses mit unabhängigen Mit­ gliedern, konnte man sich im Ministerrat nur noch auf ein solches Mitglied einigen. Eine größere Anzahl wurde nicht akzeptiert.398 Schließlich dient der unabhängige Finanzexperte in allererster Linie der Vertrauensbildung der Anleger, insbesondere der Anteilseigner. Diese kön­ nen aber bei der Wahl der Arbeitnehmervertreter keinen Einfluss nehmen und auch überhaupt nicht überprüfen, ob einer von den gewählten Arbeit­ nehmervertretern unabhängig ist oder nicht. Generell ist eine durch eine Vorauswahl gezielte Wahl eines Finanzexperten für die Arbeitnehmerseite mangels einer besonderen, für Vorschläge zuständigen Stelle für die Aus­ 395  Vgl. S. 12 des ersten Konsultationsdokuments der Kommission vom 5. Mai 2004 zur Kommissionsempfehlung, in dem es nur heißt, dass als unabhängiger Di­ rektor nur gelten kann, wer nicht Arbeitnehmer ist. Ein Ausnahmetatbestand war dort noch nicht vorgesehen. 396  Lanfermann / Maul, DB 2002, 1725, 1731 f.; siehe auch die Stellungnahmen der Allianz SE, das Deutsche Aktieninstitut und die Telekom Austria GmbH zum SOA und der Unabhängigkeit der Arbeitnehmervertreter, vgl. SEC Release No. 338220, Fn.  150, abrufbar unter http: /  / www.sec.gov / rules / final / 33-8220.htm. 397  SEC Release No. 33-8220, II. F. 3.a. I: „Employee Representation“, a. a. O. Fn. 54; Maushake, Audit Committees, S. 116; Donald, WM 2003, 705, 711; Habersack, ZHR 164 (2004), 373, 376; Krause, WM 2003, 762, 770; Kersting, ZIP 2003, 2010, 2012. 398  Maul, BB-Spezial 9 / 2005, 2, 9.



B. Unabhängigkeit i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG135

wahl von Kandidaten nicht möglich. Die Wahl, aber auch die Abberufung, eines von der Arbeitnehmerseite gestellten Finanzexperten wäre damit vom Zufall abhängig.399 Wie ein von dem Wahlorgan der Arbeitnehmer gewähl­ tes Aufsichtsratsmitglied, das mehr oder minder zufällig die geforderten Anforderungen mitbringt, der Steigerung des Vertrauens der Anteilseigner dienen soll, ist nicht nachzuvollziehen. Insbesondere eine dahingehende Mitteilung an ausländische Investoren ist quasi ausgeschlossen. Die Erwä­ gungen gegen die Unabhängigkeit von Arbeitnehmervertretern, speziell auf Grund der Gefahren für die „independence in appearance“, vermögen daher zu überzeugen. Aus diesen Gründen sind betriebszugehörige Arbeitnehmer­ vertreter nicht unabhängig i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG. Selbst wenn man dieser Ansicht nicht folgen möchte und Arbeitnehmer nicht per se als anhängig qualifiziert ergeben sich erhebliche praktische Probleme. Die Arbeitnehmer aus dem Controlling oder Rechnungswesen, die die Anforderungen an die Finanzexpertise erfüllen können, müssten re­ gelmäßig ihre eigene Arbeit kontrollieren. In diesem Fall ist die Unabhän­ gigkeit zu verneinen. Arbeitnehmer aus anderen Bereichen bringen hingegen regelmäßig nicht die erforderliche Expertise mit.400 b) Gewerkschaftsvertreter Wie bereits dargestellt, darf nach den Vorschlägen zur Unabhängigkeit des DCGK und der Kommissionsempfehlung kein geschäftliches oder per­ sönliches Verhältnis zu der Gesellschaft oder dem Vorstand vorliegen. Die Gewerkschaftsvertreter haben weder einen Arbeitsvertrag oder unterhalten ähnliche Geschäftsbeziehungen zu der Gesellschaft, noch erhalten sie neben der Vergütung für ihr Aufsichtsratsamt sonstige Vergütungen von der Ge­ sellschaft. Nach dieser Definition wären sie mithin unabhängig im Sinne von § 100 Abs. 5 AktG. Fraglich ist jedoch, ob ein derartig starker faktischer Einfluss der Ge­ werkschaften auf diese Aufsichtsratsmitglieder besteht, dass ihre Unabhän­ gigkeit dennoch zu verneinen wäre. Das ursprüngliche Entsendungsrecht der Spitzenorganisationen der Gewerkschaftsvertreter wurde durch das Ände­ rungsgesetz des Jahres 1981 beseitigt. Ihnen steht seitdem lediglich ein Vorschlagsrecht gemäß §§ 16 Abs. 2 MitbestG, 6 Abs. 3, 4 MontanMitbestG zu. Die Wahl erfolgt sodann je nach Größe der Belegschaft durch direkte Wahl durch die wahlberechtigten Beschäftigten oder im Rahmen einer indi­ 399  Bürgers / Schilha, AG 2010, 221, 228; Kremer, in: Ringleb / Kremer / Lut­ ter / v. Werder (Hrsg.), DCGK-Komm Rz. 998; v.  Falkenhausen / Kocher, ZIP 2009, 1601. 400  Schilmar, Der Aufsichtsrat 2009, 101, 103.

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2. Kap.: Tatbestandsebene

rekten Wahl durch Delegierte, die zuvor wiederum von der Belegschaft gewählt wurden.401 Die Gewerkschaftsvertreter können von den Spitzenor­ ganisationen nicht abberufen und ersetzt werden, wie dies beispielsweise dem Entsendungsberechtigen nach § 101 Abs. 2 S. 1 AktG möglich ist. Gemäß §§ 23 MitbestG, 11 Abs. 2 MontanMitbestG können sie nur von dem jeweiligen Wahlorgan auf Abberufungsvorschlag der Gewerkschaft, die sie vorgeschlagen hatte, mit einer ¾-Mehrheit abgewählt werden. Zusätzlich erklären die Grundsätze ordnungsgemäßer Aufsichtsratstätigkeit des DGB in Ziff. 9 und 16, dass Gewerkschaftsvertreter zwar nicht weisungsgebunden sind, allerdings Rechenschaft über ihr Wirken im Aufsichtsrat und die er­ zielten Ergebnisse ablegen müssen.402 Rechtliche Sanktionsmöglichkeiten für Abweichungen von ihren Weisungen sind der Gewerkschaft daher nicht gegeben. Gerade unter dem Aspekt der „independence in appearance“ sind Gewerkschaftsvertreter gut dazu geeignet, die Unabhängigkeit vom Vorstand und von der Gesellschaft in ihrer Person zu garantieren. Dies lässt die Be­ jahung der Unabhängigkeit im Sinne von § 100 Abs. 5 AktG für Gewerk­ schaftsvertreter als naheliegend erscheinen.403 Es wäre jedoch realitätsfern, nicht zu berücksichtigen, dass der faktische Einfluss der Gewerkschaften und auch das eigene Selbstverständnis der Arbeitnehmervertreter404, sich überwiegend für die Arbeitnehmerinteressen einsetzen zu müssen, zu einer Gefährdung ihrer Unabhängigkeit führt.405 In Tarifverhandlungen und noch stärker in Situationen von Arbeitskämpfen sind die Interessenskollisionen in der Person der Gewerkschaftsvertreter offensichtlich.406 Dabei ist insbesondere zu bedenken, dass der in solchen Situationen zu erwägende Ausschluss des Gewerkschaftsfunktionärs von der Aufsichtsratssitzung dazu führen würde, dass der Aufsichtsrat in dieser konkreten Situation entgegen § 100 Abs. 5 AktG nicht mehr mit einem un­ abhängigen Finanzexperten und damit fehlerhaft besetzt wäre. Ferner stellt sich hier dieselbe Problematik wie im Rahmen der Unabhängigkeit der 401  Oetker,

in: EK-ArbR (Ordziff. 490) Montan-MitbestG § 6 Rn. 6. von der Hans-Böckler-Stiftung 2003, abrufbar unter: http: /  / www.boeckler.de / pdf / p_ah_araete_10.pdf. 403  Unabhängigkeit der Gewerkschaftsvertreter im Sinne des SOA Kersting, ZIP 2003, 2010, 2012; Merkt, AG 2003, 126, 130; Schiessl, AG 2002, 593, 601; Leube, RIW 2003, 98, 100, 103; Nagel, NZG 2007, 166, 168. 404  Vgl. Abschnitt C Ziff. 16 der „Grundsätze ordnungsgemäßer Aufsichtsrats­ arbeit“ des DGB. 405  Habersack, ZIP 2006, 445, 449; v. Rosen, Die Bank, 2004, Heft 8, 14; v. Werder, AG 2004, 166, 170; v.  Werder / Wieczorek, DB 2007, 297, 300 f.; vgl. auch Lentfer, Überwachung der Geschäftsführung, S. 341 f.; Lutter / Quack, FS Raiser, 259, 270. 406  Das Musterbeispiel lieferte Frank Bsirske im Rahmen des Arbeitskampfes bei der Lufthansa 2004, siehe dazu Ruzik, NZG 2004, 455. 402  Herausgegeben



B. Unabhängigkeit i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG137

belegschaftszugehörigen Arbeitnehmervertreter, nämlich dass der Gewerk­ schaftsvertreter dazu geneigt sein könnte, die besondere Stellung als Finanz­ experte für die Arbeitnehmerinteressen auszunutzen. Der Finanzexperte dient allerdings nicht dem zusätzlichen Schutz der Arbeitnehmer, sondern zu aller erst dem Schutz der Investoren. Gewerkschaftsvertreter sind man­ gels „independence in mind  /  fact“ daher ebenfalls nicht als unabhängig i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG zu betrachten.407 Damit lässt sich festhalten, dass der unabhängige Finanzexperte i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG von der Anteilseignerbank zu bestimmen ist.408 Dieses Ergebnis ist auch folgerichtig, da nur die Anteilseignerbank gezielt Auf­ sichtsratsmitglieder vorschlagen kann und der unabhängige Finanzexperte überwiegend zum Schutz der wahlberechtigten Aktionäre eingeführt wird. 6. Unabhängigkeit von entsandten Aufsichtsratsmitgliedern Bereits oben wurde die Frage aufgeworfen, welche weiteren Konstella­ tionen denkbar sind, die nicht von der Kommissionsempfehlung oder dem DCGK behandelt wurden, die allerdings ebenfalls dazu geeignet sind, die Unabhängigkeit des jeweiligen Aufsichtsratsmitglieds in Frage zu stellen. Zu denken ist hier an den Fall der Entsendung eines Aufsichtsratsmitglieds durch einen entsendungsberechtigten Aktionär. § 101 Abs. 2 AktG eröffnet die Möglichkeit, bestimmten Aktionären oder den Inhabern vinkulierter Namensaktien durch eine entsprechende Satzungs­ bestimmung das Recht einzuräumen, Aufsichtsratsmitglieder in den Auf­ sichtsrat zu entsenden. Das Entsendungsrecht setzt keine Mindestanzahl an von dem Berechtigten gehaltenen Aktien voraus. Es wird ausgeübt durch die Benennung der Person des Aufsichtsratsmitglieds durch den Entsen­ dungsberechtigten, sodass es keiner Wahl durch die Hauptversammlung bedarf.409 Diese Bestimmung soll einem praktischen Bedürfnis entsprechend Aktionären die Möglichkeit eröffnen, ihre Interessen durch eine Person ih­ res Vertrauens im Aufsichtsrat vertreten zu lassen.410 407  So auch Krause, WM 2003, 762, 769  f.; Nowak, Unabhängigkeit, S. 153; ­Viciano Gofferje, Unabhängigkeit, S. 177 f. 408  Im Ergebnis so auch Bürgers / Schilha, AG 221, 228; Staake, ZIP 2010, 1013, 1016. 409  Hüffer, AktG, § 101 Rn. 10; Hopt / Roth, in: Großkomm-AktG, Band 4, § 101 Rn. 105, 136. 410  BegrRegE zum AktG 1965, zitiert nach Kropff, Aktiengesetz, S. 138; Hopt / Roth, in: Großkomm-AktG, Band 4, § 101 Rn. 102 ff., mit Bezügen zur histo­ rischen Entwicklung des Entsendungsrechts; May, Familiengesellschaften, 1991, S.  127 ff.

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2. Kap.: Tatbestandsebene

Die entsandten Mitglieder haben weitestgehend die gleichen Rechte und Pflichten wie die von der Hauptversammlung gewählten Aufsichtsratsmit­ glieder. Sie sind ebenfalls an das Unternehmensinteresse gebunden und unterliegen nicht den Weisungen des Entsendungsberechtigten.411 Teilweise wird daher vertreten, dass sie unabhängig i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG sein können.412 Diese Argumentation erscheint jedoch sehr brüchig.413 Ein sehr wesentlicher Unterschied zum von der Hauptversammlung gewählten Auf­ sichtsratsmitglied ergibt sich nämlich durch die erleichterte Abberufungs­ möglichkeit durch den Entsendungsberechtigten nach § 103 Abs. 2 S. 1 AktG. Dem Entsendungsberechtigten steht es danach frei, das entsandte Aufsichtsratsmitglied jederzeit und ohne das Erfordernis eines wichtigen Grundes abzuberufen und durch eine andere Person zu ersetzen. Eine Ab­ berufung ist dabei sogar dann wirksam, wenn sie aufgrund der Weigerung des entsandten Mitglieds erfolgt, eine den Interessen der Gesellschaft wider­ sprechende Weisung auszuführen.414 Aus der Natur des Entsendungsrechts folgt demnach, dass dem Berechtigten ein direkter und besonderer Einfluss auf das Mitglied gewährt werden soll.415 Durch die Gefahr der jederzeitigen Abberufung liegt auch ein einflusskonformes Verhalten des Aufsichts­ ratsmitglieds zur Vermeidung dieser Konsequenz nahe und damit besteht die Befürchtung der fehlenden Unabhängigkeit i. S. d. „independence in mind / fact“. Darüber hinaus entfällt bei entsandten Aufsichtsratsmitgliedern die Möglichkeit der Hauptversammlung, d. h. der weiteren Anteilseigner, bei der Wahl über die in Frage stehende Unabhängigkeit des Aufsichtsratsmit­ glieds zu entscheiden. Auch unter dem Gesichtspunkt der „independence in appearance“ ist ein entsandtes Mitglied daher nicht als unabhängig anzuse­ hen, eine Steigerung des Vertrauens des Marktes ist in einem solchen Fall nicht zu erreichen. Aus diesen Gründen können die aufgrund eines Entsen­ 411  RGZ 165, 68, 79; BGHZ 36, 296, 306; aktuell auch BGH NZG 2006, 945, 947; Hüffer, AktG, § 101 Rn. 10; Semler, in: MüKo-AktG, Band 3, § 101 Rn. 133; Hopt / Roth, in: Großkomm AktG, Band 4, § 101 Rn. 141, 146 f.; Decher, ZIP 1990, 277, 279; auch die grundsätzlich bestehende Weisungsbindung von Beamten, die von öffentlichen Körperschaften in den Aufsichtsrat entsandt wurden, ist nach wohl h. M. nicht anzuerkennen und tritt hinter die Eigenverantwortlichkeit der Mandats­ wahrnehmung zurück (str., Hüffer, AktG, § 394 Rn. 28 m. w. N.). 412  Drygala, in: K. Schmidt  /  Lutter, Band I, § 100 Rn. 50; Staake, ZIP 2010, 1013, 1016. 413  Hopt, ZGR 2004, 1 33 f.; vgl. zum Parallelproblem, ob für entsandte Auf­ sichtsratsmitglieder ein Stimmverbot gilt, wenn der Beschluss einen Rechtsstreit zwischen der Gesellschaft und dem Entsendungsberechtigten betrifft, Hopt / Roth, in: Großkomm AktG, Band 4, § 108 Rn. 57 m. w. N. 414  Mertens, in: KK-AktG, Band 2, § 101 Rn. 55; Semler, in: MüKo-AktG, Band 3, § 101 Rn. 135; Hopt / Roth, in: Großkomm AktG, Band 4, § 101 Rn. 151. 415  Raiser, ZGR 1978, 391, 398; im Ergebnis wohl auch Langenbucher, Kapital­ marktrecht, § 5 Rn. 16.



B. Unabhängigkeit i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG139

dungsrechts zum Aufsichtsratsmitglied bestellten Personen nicht die Rolle des unabhängigen Finanzexperten im Aufsichtsrat wahrnehmen.416 7. Unterschiede zwischen DCGK und Kommissionsempfehlung Neben den Übereinstimmungen des DCGK mit der Kommissionsempfeh­ lung zur Unabhängigkeit ergeben sich auch zahlreiche unterschiedliche, teils widersprüchliche Vorgaben. Häufig wird in diesem Zusammenhang der Fokus ausschließlich darauf gelegt, dass die Kommissionsempfehlung hin­ sichtlich der Beziehungen von Aufsichtsratsmitgliedern zum Mehrheitsak­ tionär strenger sei als der DCGK, da sie auch für solche Konstellationen eine Befangenheit vermute.417 Tatsächlich liegen die zwei Definitionen noch erheblich weiter auseinander: Bei der Betrachtung der von der Kommission in Anhang II der Empfehlung aufgezählten Tatbestände, die eine Befangen­ heit indizieren sollen, ergibt sich, dass eine Vielzahl der dort aufgezählten Tatbestände weiter reicht als die Vorgabe des DCGK. Die Unterschiede lassen sich aufteilen in einerseits Kriterien der Kommissionsempfehlung, die kein Pendant im DCGK finden, sowie andererseits Kriterien, bei denen die Vorgaben der Kommissionsempfehlung und des DCGK diametral entge­ gengesetzte Aussagen enthalten. Diametral entgegengesetzte Vorgaben ent­ halten der DCGK und die Kommissionsempfehlung zu den Fragen, ob: •• eine Cooling-Off Periode von zwei (DCGK) oder fünf (Kommissions­ empfehlung) Jahren angemessen ist, um eine Unabhängigkeit zu bejahen (lit. a)); •• zusätzliche Vergütungen von der Gesellschaft oder einer verbundenen Gesellschaft, insbesondere in Form von Aktienoptionen und sonstigen erfolgsbezogenen Vergütungen die Unabhängigkeit ausschließen (lit. c)); •• das Aufsichtsratsmitglied keinesfalls ein Aktionär mit einer Kontrollbetei­ ligung oder dessen Vertreter sein darf (lit. d)). Zu den Kriterien, die vom DCGK nicht behandelt werden, zählen die Fragen, ob: •• eine Cooling-Off Periode von drei Jahren für ehemalige Abschlussprüfer einzuhalten ist (lit. b) und f)); •• jedes Aufsichtsratsmitglied nach spätestens 12 Jahren der Mitgliedschaft im Aufsichtsratsgremium nicht mehr als unabhängig anzusehen ist (lit. h)). 416  So auch Kropff, FS K. Schmidt 2009, 1023, 1032; Nowak, Unabhängigkeit, S.  188 f. 417  Spindler, ZIP 2005, 2033, 2040; Jaspers, AG 2009, 607, 610; Diekmann / Bidmon, NZG 2009, 1087, 1090; Lieder, NZG 2005, 569, 571; Gruber, NZG 2008, 12, 14; Habersack, AG 2008, 98, 105.

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2. Kap.: Tatbestandsebene

Zurückreichend auf die obige Zweiteilung der Frage zur Unabhängigkeit geht es nur im Rahmen der Diskussion zur Unabhängigkeit vom Mehrheits­ aktionär um die Frage auf erster Ebene, von wem der Finanzexperte unab­ hängig sein soll. Die anderen drei Kriterien behandeln hingegen die Frage auf der zweiten Ebene, ab welchem Grad eines sonstigen Verhältnisses zur Gesellschaft (Amtszeit von mehr als 12 Jahren, gewinnorientierte / variable Vergütung) oder zum Vorstand (Cooling-Off) zu einer fehlenden Unabhän­ gigkeit führt. In jedem der vorgenannten Fälle stellt die Kommissionsempfehlung die weitergehenden Anforderungen. Dafür gibt es zwei Begründungen: Wie bereits dargestellt, kann man erstens von einem unterschiedlichen Ansatz der beiden Quellen ausgehen; der DCGK geht gleich dem Aktiengesetz von einer generellen Unabhängigkeit der nicht gegen die Inkompatibilitätsvor­ schriften verstoßenden Aufsichtsratsmitglieder aus, die nur unter besonderen Umständen nicht mehr gegeben ist, während die Kommissionsempfehlung die Unabhängigkeit positiv, von vornherein feststellen möchte und dafür die Abhängigkeitsmerkmale weit definiert.418 Zweitens ist stets zu berücksich­ tigen, dass die Vorgaben des DCGK nur innerhalb des geltenden Rahmens des deutschen Aktien- und Kapitalmarktrechts erfolgen können, wohingegen die Kommissionsempfehlung und gegebenenfalls nachfolgende Richtlinien den vorgegebenen Rechtsrahmen des deutschen Aktiengesetzes sehr wohl überschreiten und verändern können, sofern sie dies für notwendig erachten. Fraglich ist jedenfalls, wie die Kollisionsfälle zwischen dem DCGK und der Kommissionsempfehlung aufzulösen sind. Es muss ermittelt werden, ob im Konfliktfall die weitergehenden Vorgaben der Kommission gleich den Inkompatibilitäten eine absolute Wirkung entfalten und die Bejahung der Unabhängigkeit unter keinen Umständen zulassen (1. Möglichkeit), oder sie lediglich eine Vermutung der Befangenheit begründen, die durch die Um­ stände im konkreten Einzelfall widerlegt werden kann (2. Möglichkeit), oder schließlich ob die weitergehenden Kriterien der Kommissionsempfeh­ lung überhaupt keine Rolle für die Bewertung der Unabhängigkeit spielen (3. Möglichkeit), wie dies insbesondere für die fehlende Unabhängigkeit von Vertretern des Mehrheitsaktionärs teilweise vertreten wird.419 Der deutsche Gesetzgeber ist auf sämtliche zuvor genannten Fragen und unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten eine Antwort schuldig ge­ blieben. Es ist daher erforderlich, die einzelnen Abweichungen bei den Unabhängigkeitskriterien der Kommissionsempfehlung und den Empfehlun­ 418  Jaspers, AG 2009, 607, 610; Spindler, ZIP 2005, 2033, 2040; gleich der Kommissionsempfehlung auch die NYSE Listing-Standards Sect. 303A(2)(a) Listed Company Manual („LCM“). 419  Siehe 2. Kapitel B. V. 7. d) bb).



B. Unabhängigkeit i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG141

gen des DCGK auf ihre Kompatibilität mit dem deutschen Rechtssystem zu überprüfen und systemimmanent aufzulösen. Mit gutem Grund wird in diesem Zusammenhang vorgebracht, dass es nicht gerade für Rechtssicher­ heit sorge, dass die endgültige rechtliche Bedeutung der Kommissionsemp­ fehlung noch nicht abschließend geklärt sei.420 Zur Aufklärung müssen zwei Fragen beantwortet werden: Auf der ersten Stufe muss ermittelt werden, ob entweder der DCGK oder die Kommissionsempfehlung sich in den Kolli­ sionsfällen durchzusetzen vermögen. Steht dies fest, muss auf einer zweiten Stufe ermittelt werden, welche normative Wirkung die sich durchsetzende Vorgabe hat. a) Rangverhältnis zwischen Kommissionsempfehlung und DCGK Bei der Kollision verschieden lautender Rechtssätze fragt sich, welche der Regelungen sich durchzusetzen vermag. Rechtstheoretisch ist oberstes Prinzip zur Auflösung solcher Kollisionen, dass der Rechtssatz höheren Ranges dem der nachgeordneten Rangstufe vorgeht.421 Nun beanspruchen weder die Kommissionsempfehlungen (vgl. Art. 288 Abs. 5 AEUV) noch der DCGK für sich, rechtlich verbindlich zu sein. Beide erhalten ihren nor­ mativen Charakter im Zusammenhang mit der Unabhängigkeitsdiskussion gleichermaßen erst durch die Bezugnahme der Regierungsbegründung zum BilMoG. Da Kommissionsempfehlungen aber generell nicht als rechtlich völlig wir­ kungslos angesehen werden können, sind die innerstaatlichen Gerichte ver­ pflichtet, sie bei der Entscheidung der bei ihnen anhängigen Rechtsstreitig­ keiten zu berücksichtigen, insbesondere dann, wenn sie Aufschluss über die Auslegung von zu ihrer Durchführung erlassenen innerstaatlichen Rechtsvor­ schriften geben oder wenn sie verbindliche gemeinschaftliche Vorschriften ergänzen sollen.422 Die Empfehlung der Kommission wäre mithin auch ohne die Bezugnahme in der Regierungsbegründung zum BilMoG von Relevanz. Dies unterstreicht die obige Feststellung, dass Auslegung und Interpretation von § 100 Abs. 5 AktG stets vor europarechtlichem Hintergrund erfolgen müssen. Diesen Erwägungen könnte man entnehmen, dass die Kommissions­ empfehlung den Vorrang gegenüber den Ausführungen des DCGK zur Unab­ hängigkeit genießt.423 Dagegen spricht jedoch, dass die Kommission es bei 420  Vgl. Ehlers / Nohlen, Gedächtnisschrift Gruson, 2009, 107, 116; Schilmar, Der Aufsichtsrat 2009, 101, 102. 421  „Lex superior derogat legi inferior“, dazu Larenz, Methodenlehre, S. 267; Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 272 ff. 422  EuGH, Rs. 322 / 88 – „Grimaldi“, Slg. 1989, 4407, 3. Leitsatz = NZA 1991, 283. 423  So wohl Habersack, AG 2008, 98, 105.

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2. Kap.: Tatbestandsebene

Empfehlung 2005  /  162  /  EG nicht nur bei der allgemeinen Erklärung von Art. 288 Abs. 5 AEUV belassen hat, nach der Empfehlungen rechtlich nicht verbindlich sind. Die Kommission hat darüber hinaus in Ziff. 13.2 und An­ hang II Ziff. 1 S. 4 und 5 der Empfehlung nochmals ausdrücklich hervorge­ hoben, dass auf einzelstaatlicher Ebene unter Berücksichtigung und sorgfälti­ ger Prüfung der Leitlinien in Anhang II Kriterien für die Beurteilung der Unabhängigkeit festgelegt werden sollten. Mit anderen Worten erlaubt es die Kommissionsempfehlung selbst nochmals explizit, dass von ihr, nach sorg­ fältiger Prüfung, abgewichen werden kann. Ein absoluter Vorrang der Emp­ fehlung vor dem DCGK lässt sich daher nicht begründen. Für dieses Ergebnis spricht ganz besonders auch die Entwicklungsge­ schichte der Regierungsbegründung zum BilMoG. Der Referentenentwurf nahm im Rahmen der Erläuterungen zur Unabhängigkeit ausschließlich auf die Kommissionsempfehlung Bezug und rezipierte den Kriterienkatalog der Kommissionsempfehlung inhaltsgleich424, wodurch der Kommissionsemp­ fehlung eine überragende Stellung zugemessen wurde. Die Bedeutung der Kommissionsempfehlung wurde in der nachfolgenden Regierungsbegrün­ dung jedoch erheblich reduziert. Dort wird nach einer neu eingefügten Wiedergabe von Ziff. 5.4.2. des DCGK zur Unabhängigkeit angefügt, dass sich „weitere Hinweise auf Aspekte, die für die Beurteilung der Unabhän­ gigkeit eine Rolle spielen könnten“ der Kommissionsempfehlung entnehmen ließen. Beide Quellen, DCGK und Kommissionsempfehlung, werden damit gleichermaßen von der Regierungsbegründung benannt. Eine von beiden Regelungen als höherrangig einzustufen ist jedoch nicht möglich, allenfalls könnte man der Entwicklungsgeschichte folgend meinen, dass der DCGK der Kommissionsempfehlung vorgeht. Dafür spricht auch ein Blick auf die anderen Kollisionsregelungen: Weitere allgemeine Kollisionsregeln sind, dass die später erlassene Regel der ihr widersprechenden früheren vorgeht425 und dass allgemeine Regeln von spezielleren Regeln verdrängt werden.426 Fraglich ist, ob sich diese Prinzipien auch im Rahmen der vorliegenden Kollision der Kommissions­ empfehlung und des DCGK Gewinn bringend anwenden lassen. Der DCGK wurde zeitlich nach der Kommissionsempfehlung wiederholt angepasst und geändert und ist durch seinen Bezug einzig und allein auf Deutschland auch die speziellere der beiden Regelungen. Daraus allerdings den Schluss zu ziehen, dass die Vorgaben des DCGK denen der Kommissi­ 424  Referentenentwurf

zum BilMoG, S. 208 f. posterior derogat legi priori“, Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 772 f.; Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 585. 426  „Lex specialis derogat legi generali“; Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 771; Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 585. 425  „Lex



B. Unabhängigkeit i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG143

onsempfehlung zwingend und stets vorgehen und gerade dort, wo der DCGK schweigt, weitergehende Anforderungen der Kommissionsempfehlung unbe­ rücksichtigt bleiben müssen, kann vor dem Hintergrund der Gesetzesbegrün­ dung keinen Bestand haben. Dort heißt es nämlich, dass sich neben dem Un­ abhängigkeitsbegriff des DCGK „weitere Hinweise“ auf Aspekte, die für die Beurteilung der Unabhängigkeit eine Rolle spielen können, aus der Kommis­ sionsempfehlung ergäben.427 Gerade bei einem sehr jungen Gesetz kommt dem Willen des Gesetzgebers besonderes Gewicht zu.428 Auch die Rechtspre­ chung des Europäischen Gerichtshofs, dass Empfehlungen bei der Auslegung von in Umsetzung von Richtlinien ergangenen Rechts der Mitgliedstaaten herangezogen werden müssen, unterstützt das Ergebnis, dass der DCGK die Kommissionsempfehlung nicht vollständig verdrängen kann. Der DCGK und die strengeren Anforderungen der Kommissionsempfeh­ lung sind mithin beide stets zu berücksichtigen. Beide Regelungen stehen nebeneinander und es muss bei widersprüchlichen Angaben im Einzelfall geprüft werden, welcher Regelung der Vorzug zu gewähren ist.429 Im Ergeb­ nis verbietet sich daher eine pauschale Herangehensweise an die Unter­ schiede zwischen dem DCGK und der Kommissionsempfehlung. Bei dieser Untersuchung, welche der kollidierenden Regelungen des DCGK oder der Kommissionsempfehlung im Einzelfall den Vorrang ge­ nießt, ist auf das durch allgemeine gesetzliche Grundlagen bereits vorge­ zeichnete aktienrechtliche Fundament Rücksicht zu nehmen, sodass sich die verschiedenen Kollisionen nach Sinn und Zweck und unter Effizienzge­ sichtspunkten am besten auflösen. Nur auf diesem Weg lässt sich dieses Legal Transplant des Independent Financial Experts mit hoher Wahrschein­ lichkeit der Akzeptanz in das deutsche gesellschafts- und aktienrechtliche System integrieren. b) Dauer der Karenzzeit / „Cooling-Off“-Periode ehemaliger Vorstandsmitglieder Die erste komplett gegensätzliche Position zwischen der Kommissions­ empfehlung und dem DCGK ergibt sich aus dem Erfordernis einer Karenz­ zeit, sog. „Cooling-Off“-Periode zwischen der Beendigung der Tätigkeit als Vorstandsmitglied und der Aufnahme der Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied und deren Dauer. Hinter der Einführung einer Karenzzeit steht der Gedanke, 427  BegrRegE,

BT-Drucks. 16 / 10067, S. 101. 54, 277, 297; Langenbucher, in: Langenbucher, Europarechtliche Bezüge, § 1 Rn. 111. 429  Ihrig / Meder, FS Hellwig 2010, 163, 166. 428  BVerfGE

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2. Kap.: Tatbestandsebene

dass ehemalige Vorstandsmitglieder den aktuellen Vorstand behindern könn­ ten und vorrangig bemüht seien, strategische Fehler oder Unregelmäßigkei­ ten aus der eigenen früheren Tätigkeit zu beseitigen.430 Der DCGK enthielt bis zu seiner jüngsten Änderung vom 18. Juni 2009 überhaupt keine Regelung zur Karenzzeit, da eine solche für Gesellschaften mit einer dualen Führungsstruktur nicht notwendig seien und es keine em­ pirische Regel gäbe, der zufolge eine „Cooling-Off“-Periode zu größerer Unabhängigkeit führe.431 Er beschränkte sich lediglich auf die Empfehlung, dass der Wechsel von Vorstandsmitgliedern in den Aufsichtsrat nicht die Regel sein solle (vgl. Ziff. 5.4.4 DCGK a. F.) und dass dem Aufsichtsrat nicht mehr als zwei ehemalige Vorstandsmitglieder angehören sollten (un­ verändert a. F. / n. F. Ziff. 5.4.2 S. 3 DCGK). Die Kommissionsempfehlung dagegen bemisst in Anhang II Ziff. 1 S. 4 lit. a) die Frist, nach deren Ablauf ein ehemaliges Vorstandsmitglied erst als unabhängig angesehen werden kann, auf fünf Jahre seit Beendigung der Vorstandstätigkeit. Der ÖCGK empfiehlt in Anhang 1 ebenfalls eine Frist von fünf Jahren.432 Zur Frage der Übergangsfrist vom Vorstand in den Aufsichtsrat hat der deutsche Gesetzgeber zwischenzeitlich durch das VorstAG in § 100 Abs. 2 S. 1 Ziff. 4 AktG Stellung genommen und schreibt eine allgemeine Karenz­ zeit von zwei Jahren vor, die der DCGK in seiner neuesten Version sinnge­ mäß in Ziff. 5.4.4 rezipiert.433 Diese Neuerung wird heftig kritisiert, da sie einen Eingriff in das Selbstorganisationsrecht des Aufsichtsrats bedeute und wertvolles Know-how ehemaliger Vorstandsmitglieder verloren ginge434, teilweise wird gar ihre Verfassungswidrigkeit behauptet.435 430  Vgl. Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zum VorstAG, BT-Drucks. 16 / 13433, S.  11. 431  Cromme, in: Cromme (Hrsg.), Corporate Governance Report 2005, 23, 31; Kremer, in: Ringleb / Kremer / Lutter / v.  Werder (Hrsg.), DCGK-Komm, Rn.  1061 ff.; zur sehr kontrovers geführten Diskussion ausführlich Krieger, FS Hüffer 2010, ff.; Beschlussempfehlung und Bericht des 521 ff.; Wirth, ZGR 2005, 327, 339  Rechtsausschusses zum VorstAG, BT-Drucks. 16 / 13433, S. 11. 432  Für eine Cooling-Off Periode von fünf Jahren auch HLG-Report 2002, S. 62; Combined Code 2010, S. 12, Higgs-Report S. 37, Bouton-Report S. 10, alle a. a. O. Fn. 338. 433  Siehe dazu 2. Kapitel B. II. 2. d); eingehend zur Entstehungsgeschichte Sünner, AG 2010, 111, 113 ff. 434  Berrar, NZG 2001, 1113, 1118; Frühauf, ZGR 1998, 407, 417; Lieder, NZG 2005, 569, 572; Schmoldt, Handelsblatt Nr. 81 vom 23.4.2009 S. 4; Velte, Der Auf­ sichtsrat 2009, 160, 161. Vgl. auch die gemeinsame Stellungnahme BDI, BDA und DAI vom 22.4.2009 zum Entwurf des VorstAG, S. 7 ff., abrufbar unter http: /  / www. dai.de / internet / dai / dai-2-0.nsf / dai_publikationen.htm. 435  Sünner, AG 2010, 111, 115 ff. sieht in der Karenzzeit einen Verstoß gegen Art. 12 GG (Berufswahlverbot) und 3 GG (willkürliche Ungleichbehandlung von



B. Unabhängigkeit i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG145

Unabhängig von der Kritik bleibt der deutsche Gesetzgeber (zwei Jahre) jedenfalls hinter der Kommissionsempfehlung (fünf Jahre) zurück. Es stellt sich die Frage, ob im Rahmen der Unabhängigkeit im Sinn von § 100 Abs. 5 AktG die Karenzzeit weiter bemessen sein sollte, als die allgemeine Karenzzeit von zwei Jahren. Dafür könnte sprechen, dass nach zwei Jahren noch eine gewisse Möglichkeit besteht, dass dieses Mitglied Entscheidun­ gen wird kontrollieren müssen, die es selbst als Vorstandsmitglied (mit) entschieden hat, wohingegen diese Möglichkeit nach fünf Jahren deut­ lich geringer ist. Daneben besteht die Gefahr, dass der aktuelle Vorstand nach nur zwei Jahren noch aus vielen Mitgliedern besteht, die bereits zwei ­Jahre zuvor diese Position bekleidet haben. Durch diese Verbindung könn­ te das ehemalige Vorstandsmitglied dazu geneigt sein, aus Verbunden­ heit oder Freundschaft seinen Kontrollpflichten nicht ausreichend nachzu­ kommen.436 Gegen diese Argumente spricht jedoch, dass der deutsche Gesetzgeber in Kenntnis der Kommissionsempfehlung den Karenzzeitraum bewusst kürzer gewählt hat. Der erste Gesetzentwurf enthielt den Vorschlag, statt der später eingeführten generellen, d.  h. für alle Aufsichtsratsmitglieder geltenden, Karenzzeit von zwei Jahren lediglich § 107 Abs. 3 AktG dahingehend zu ergänzen, dass Mitglied eines Prüfungsausschusses nicht sein könne, wer innerhalb der letzten drei Jahre Vorstandsmitglied gewesen sei.437 Dieser Vorschlag hat sich jedoch nicht durchgesetzt. De lege lata ist daher festzu­ stellen, dass ein ehemaliges Vorstandsmitglied nach Ablauf von zwei Jahren für die Wahl zum Aufsichtsratsmitglied, aber auch für das besondere Amt des unabhängigen Finanzexperten des Aufsichtsrats in Frage kommt. Auch rechtspolitisch erscheint die Verlängerung dieses Zeitraums de lege ferenda auf fünf Jahre nicht als notwendig, da vor dem Hintergrund der Schnellle­ bigkeit des Wirtschaftslebens davon auszugehen ist, dass das ehemalige Vorstandsmitglied auch nach zwei Jahren nur noch selten eigene Entschei­ dungen zu kontrollieren hat und daher die notwendige Distanz mitbringt. Die Befürchtung, dass es seine noch aktiven, ehemaligen Vorstandskollegen aus alter Verbundenheit nicht streng überwachen wird, ist nicht im Rahmen der Cooling-Off-Periode zu diskutieren, sondern vielmehr an dem von DCGK und Kommissionsempfehlung gleichermaßen anerkannten Unabhän­ gigkeitskriterium, dass keine persönliche Beziehung des Unabhängigen zum Vorstand der Gesellschaft bestehen darf. Gesellschaften mit gegenüber Gesellschaften ohne Aktionärsgruppe von mindestens 25 %). 436  Möllers / Christ, ZIP 2009, 2278, 2280, die daher für eine verlängerte Coolingoff-Periode von fünf Jahren plädieren. 437  BT-Drucks. 16 / 12278 S. 3; BT-Drucks. 16 / 13433 S. 11.

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2. Kap.: Tatbestandsebene

Im Ergebnis bleibt daher festzuhalten, dass die Vorgaben des Aktienge­ setzes und des DCGK der Vorgabe der Kommissionsempfehlung vorgehen, eine Cooling-Off-Periode von zwei Jahren ist notwendig, aber auch ausrei­ chend um die Unabhängigkeit zu bejahen. Wird ein ehemaliges Vorstands­ mitglied dagegen über den Ausnahmetatbestand des § 100 Abs. 2 S. 1 Ziff. 4 AktG auf Vorschlag von Aktionären, die mehr als 25 Prozent der Stimm­ rechte der Gesellschaft halten, ohne Karenzzeit in den Aufsichtsrat gewählt, so liegt die Vermutung, die auch den Gesetzgeber zur Einführung der Ka­ renzzeit bewogen hat, nahe, dass eine sehr enge Verbindung zum Vorstand und zu den eigenen Entscheidungen besteht. Aus diesen Gründen ist in solchen Fällen i. S. d. Wertung des Gesetzgebers die Unabhängigkeit des Aufsichtsratsmitglieds regelmäßig bis zum Ablauf von zwei Jahren zu ver­ neinen. c) Erfolgsbezogene Vergütung / Aktienoptionen Ein weiterer, für die Praxis überaus erheblicher Unterschied zwischen dem DCGK und der Kommissionsempfehlung in Bezug auf die Unabhän­ gigkeit ist die diametral entgegengesetzte Haltung gegenüber erfolgsbezoge­ nen Vergütungen für das unabhängige Aufsichtsratsmitglied. Während die Empfehlung aus Ziff. 5.4.6. Abs. 2 DCGK eine Kombination aus fester und  erfolgsorientierter Vergütung enthält / vorsieht438, heißt es in Anhang II Ziff. 1 S. 4 lit. c) der Kommissionempfehlung, dass die betreffende Person, um als unabhängig zu gelten, keine Aktienoptionen oder sonstige erfolgsbe­ zogene Vergütungen439 von der Gesellschaft empfangen dürfe.440 Krasser könnte der Gegensatz zwischen Vorgaben kaum ausfallen. Gemäß den jeweiligen Satzungsvorschriften zur Aufsichtsratsvergütung gewähren 26 der 30 DAX-Gesellschaften den Aufsichtsratsmitgliedern ne­ ben einer festen auch eine erfolgsabhängige Vergütung441 – im Geschäftsjahr 438  „Die Mitglieder des Aufsichtsrats sollen neben einer festen eine erfolgsorien­ tierte Vergütung erhalten. Die erfolgsorientierte Vergütung sollte auch auf den lang­ fristigen Unternehmenserfolg bezogene Bestandteile enthalten.“ 439  Sonstige erfolgsorientierte Vergütungen können dabei als Bezugswerte die Höhe der Dividenden, den Aktienkurs oder interne Unternehmenskennziffern (str. bezüglich EBIT oder EBITDA, vgl. einerseits Marsch-Barner, FS Röhricht 2005, 401, 417 und andererseits Hoffmann-Becking, ZHR 169 (2005), 155, 176 f. („unzu­ lässig“)) haben; Hüffer Gehling, ZIP 2005, 549 ff.; Mutter, ZIP 2002, 1230 f. mit weiteren Beispielen. 440  Zurückgehend auf den HLG-Report 2002, S. 62, a.  a. O. Fn. 41; vgl. auch Peltzer, NZG 2004, 509, 511. 441  Einzige Ausnahmen sind soweit ersichtlich die Daimler AG, Adidas AG, Fre­ senius Medical Care AG & Co. KGaA sowie seit 2011 die Siemens AG. Die Ge­



B. Unabhängigkeit i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG147

2009 haben 20 der DAX-Aufsichtsräte die festgelegten Kriterien erfüllt und eine erfolgsabhängige Vergütung bezogen.442 In § 113 Abs. 3 AktG wird die Möglichkeit der variablen Vergütung von Aufsichtsratsmitgliedern vorausgesetzt. Auch der BGH hat die Zulässigkeit erfolgsabhängiger Vergütungen von Aufsichtsratsmitgliedern kürzlich wieder als zulässig bestätigt.443 Fraglich ist aber, ob für den Finanzexperten ein an­ derer Maßstab gelten muss. Die bisherigen Kriterien für die Unabhängigkeit, insbesondere das Fehlen von geschäftlichen Beziehungen zu der Gesellschaft, basierten allesamt auf der Grundlage, dass der Finanzexperte vom wirtschaft­ lichen Wohlergehen der Gesellschaft nicht betroffen sein sollte, da nur so eine Unabhängigkeit bei der Prüfung der Finanzzahlen möglich ist. Enthält die Vorstandsvergütung variable Bestandteile, wie beispielsweise Aktienop­ tionen, so besteht die Hoffnung / Erwartung, dadurch einen Gleichlauf der Ak­ tionärs- mit den Vorstandsinteressen zu erreichen und so den Prinzipal-AgentKonflikt abzuschwächen.444 Zwischen den Aktionären und dem Aufsichtsrat besteht allerdings ein anderer Prinzipal-Agent-Konflikt als zwischen den Ak­ tionären und dem Vorstand. Der Aufsichtsrat soll nicht für die Aktionäre die Geschäfte führen, sondern er soll für die Aktionäre den Vorstand überwachen und diesen beraten. Sobald aber flexible, am wirtschaftlichen Wohlergehen der Gesellschaft orientierte, Vergütungsbestandteile an den Aufsichtsrat ge­ zahlt werden, basiert dessen Gehalt auf vergleichbaren Parametern wie die Vergütung des Vorstands, sodass die Überwachungsfunktion durch einen In­ teressensgleichklang zwischen Vorstand und Aufsichtsrat an möglichst posi­ tiven Finanzzahlen gefährdet wird.445 Verstärkt wird dies dadurch, dass Vorstand und Aufsichtsrat den Bilanz­ gewinn durch ihre Bilanzpolitik (Wahlrechte, Gewinnausschüttungen und Thesaurierung) zum Teil erheblich steuern können und damit mittelbar über sellschaften legen die Abweichung von der Empfehlung des DCGK gem. § 161 AktG in der Entsprechenserklärung offen und begründen den Verzicht auf eine va­ riable Vergütung damit, dass auf diesem Wege potentielle Interessenskonflikte ausgeschlossen werden sollen. 442  Übersichtliche Darstellung im Handelsblatt Nr. 67 vom 8.4.2010, S. 2. 443  BGH ZIP 2004, 613 – „Mobilcom“. 444  Langenbucher, Kapitalmarktrecht, § 4 Rn. 27; zu den Schwächen dieses Sys­ tems Fleischer, DStR 2005, 1318, 1320; Spindler, DStR 2004, 36, 41. 445  Zur Unzulässigkeit von Aktienoptionen für Aufsichtsratsmitglieder BGH ZIP 2004, 613 – „Mobilcom“, ausführliche Urteilsbesprechung bei Kremer, in: in: Ring­ leb / Kremer / Lutter / v.  Werder (Hrsg.), DCGK-Komm, 5.4.5, Rn.  1074 ff.; vgl. auch Habersack, ZGR 2004, 721, 728 ff.; Fuchs, WM 2004, 2233, 2237; Vetter, AG 2004, 234, 236 ff.; kritisch Henze, BB 2005, 165, 172 f.; eine von der Justizministerkonfe­ renz der Länder eingesetzte Arbeitsgruppe schlägt vor, Bonuszahlungen an Auf­ sichtsräte vollständig zu verbieten (AG-Report 2010, R54). Die weitere Entwicklung dieses Vorschlags ist indes noch ungewiss.

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2. Kap.: Tatbestandsebene

ihr eigenes Gehalt bestimmen können.446 Die vom Vorstand vorgelegten Zahlen, beispielsweise durch eine anders gelagerte Ausübung von Bilanzie­ rungswahlrechten, nach unten zu korrigieren, würde mithin eine (möglicher­ weise signifikante) Verringerung des eigenen Gehalts bedeuten. Interessens­ konflikte liegen auf der Hand.447 Vor diesem Hintergrund darf gemäß § 55 Wirtschaftsprüferordnung („WiPrO“) die Höhe der Vergütung des Wirt­ schaftsprüfers nicht vom Ergebnis seiner Tätigkeit abhängig gemacht wer­ den. Zwar nimmt der Aufsichtsrat anders als der Abschlussprüfer Einfluss auf die Unternehmenspolitik, aber speziell der unabhängige Finanzexperte soll die Lücke zwischen externer und interner Überwachung schließen, so­ dass für ihn auch die Unabhängigkeitsmaßstäbe für Abschlussprüfer eine wichtige Rolle spielen. Es verwundert daher, dass der DCGK eine variable Aufsichtsratsvergütung durch seine dahingehende Empfehlung zur guten Corporate Governance erklärt.448 Hier wird der Fokus zu stark auf das ver­ haltenssteuernde Element der erfolgsabhängigen Vergütung gerichtet, jedwe­ de intrinsische Motivation verneint und damit unterstellt, dass Aufsichtsräte allein dann motiviert zu Werke gehen werden, wenn sie am Ende noch über ihr Fixum hinaus finanziell belohnt werden.449 Wer in diese Richtung argu­ mentiert, muss sich aber auch fragen, ob eine derartig einseitig motivierte, lediglich auf die eigenen finanziellen Vorteile beschränkte, Person nicht möglicherweise auch dazu geneigt ist, um jeden Preis und gegebenenfalls auch auf unzulässigen Wegen, den Gewinn der Gesellschaft und damit das eigene Gehalt zu maximieren, beispielsweise auch durch Tolerierung von Schwarzgeldkassen oder kartellrechtswidrige Preisabsprachen des Vorstands. Ohne erfolgsabhängig vergütete Aufsichtsräte an dieser Stelle unter den Generalverdacht des grenzenlosen, egoistischen Gewinnstrebens stellen zu 446  Gehling, ZIP 2005, 549, 555; Habersack, ZGR 2004, 721, 732; selbiges Pro­ blem ergibt sich, wenn im Nachhinein die Ausübungshürden für die variable Vergü­ tung herabgesetzt werden (sog. „repricing“), vgl. zur tatsächlichen Praxis des Re­ pricings Peltzer, NZG 2004, 509, 511 f.; Käpplinger, S. 58; zu den durch das Bil­ MoG hinzugetretenen Ermessensspielräumen Zwirner / Boecker, Der Aufsichtsrat 2010, 110 f. 447  Die „Guidelines on a Sound Remuneration System“ der Hong Kong Moneta­ ry Authority („HKMA“) gehen in ihrer aktuellen Version von März 2010 in Ziffer 2.1.12 daher sogar so weit, dass auch die innerhalb des Unternehmens für die Risi­ kokotrolle zuständigen Personen unabhängig vom Erfolg der Sparten, die sie über­ wachen, bezahlt werden sollten; Guidelines abrufbar unter http:  /   /  www.info.gov. hk / hkma / eng / bank / spma / attach / CG-5.pdf; vgl. auch Schneider, WPg 2011, 70, 73. 448  So Higgs-Report 9.14; Schneider, WPg 2011, 70, 73; auch der Vorsitzende der DCGK-Kommission Klaus-Peter Müller hält variable Vergütungen von Aufsichts­ ratsmitgliedern nicht für notwendig, Handelsblatt vom 16.11.2009, Nr. 221, S. 4, 5; a. A. Spindler, ZIP 2005, 2033, 2040. 449  In die gleiche Richtung und sehr anschaulich in seiner Kritik Peltzer, NZG 2009, 1041, 1044.



B. Unabhängigkeit i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG149

wollen, wird durch diese bewusst provokant gewählten Beispiele jedenfalls deutlich, dass sie im direkten Vergleich zu ihren nicht erfolgsabhängig ver­ güteten Kollegen einen stärkeren Anreiz dazu haben, nicht zulässige, aber gewinnmaximierende Praktiken des Vorstands zu dulden. Die erfolgsabhän­ gige Vergütung des Aufsichtsrats kann mithin sogar kontraproduktiv für die Aufsichtsarbeit wirken.450 Sinnvoll erscheinen daher allein die üblichen funktionsbezogenen Variab­ len, wie beispielsweise eine Erhöhung des Fixums für den Vorsitzenden oder für Ausschussmitglieder (Ziff. 5.4.6 Abs. 1 S. 3 DCGK) aufgrund des höheren Arbeitsaufkommens, sowie insbesondere Sitzungsgelder.451 Keine variablen Vergütungsbestandteile, dafür aber Sitzungsgelder in Verbindung mit persönlicher Haftung bei mangelhafter Überwachung des Vorstands, werden dem Aufsichtsrat ausreichende Anreize zu einer strengen Überwa­ chung des Vorstands setzen. Daher ist der Kommissionsempfehlung zu folgen, wenn sie Aufsichtsratsmitgliedern, die erfolgsbezogen vergütet wer­ den, die Unabhängigkeit abspricht. Daraus ergeben sich jedoch für die deutsche Praxis Probleme: Zunächst müssen nach dem Grundsatz der Gleichbehandlung aller Aufsichtsratsmit­ glieder452 sämtliche Mitglieder die gleiche Vergütung erhalten. Würde man den unabhängigen Finanzexperten als einzigen nicht erfolgsabhängig vergü­ ten, so würde man ihn schlechter behandeln, als die anderen Aufsichtsrats­ mitglieder. Würde man dagegen die Vergütung der anderen Aufsichtsrats­ mitglieder anpassen, so müssten nahezu alle börsennotierten Gesellschaften ihre Vergütungspraxis für Aufsichtsräte umstellen. Um die „Büchse der Pandora“, die Struktur der Aufsichtsratsvergütung, nicht zu öffnen, bieten sich nur zwei Möglichkeiten: Entweder man akzeptiert die erfolgsabhängige Vergütung des Finanzexperten und erkennt dennoch seine Unabhängigkeit an, was aber nach den obigen Ausführungen nur schwer erträglich erscheint. Oder man durchbricht den Grundsatz der Gleichbehandlung aller Aufsichts­ ratsmitglieder. Dann bietet sich als Lösung an, im Rahmen der Vergütung des unabhängigen Finanzexperten eine Ausnahme vom Grundsatz der Gleichbehandlung zu machen und eine andersgelagerte Vergütung des Fi­ nanzexperten zu akzeptieren.453 Aufgrund der höheren Haftungsanforderun­ 450  Auge-Dickhut, Aufsichtsrat als Intermediär, S. 35, 157; Berrar, NZG 2001, 1113, 1120 f. 451  Vgl. die Entsprechenserklärung der Daimler AG vom April 2010, S. 2 f.; Peltzer, FS Priester 2007, 573, 580 f. 452  Eingehend dazu von Frankenberg und Ludwigsdorf, Bedeutung und Grenzen der Gleichbehandlung der Aufsichtsratsmitglieder, 2004. 453  Kropff, FS K. Schmidt 2009, 1023, 1039; Rieder / Holzmann, AG 2010, 570, 579; zur Zulässigkeit solcher Einzelfallausnahmen bei besonders gefragten Qualifi­ kationen eines Mitglieds Haarmann, FS Hüffer 2010, 243, 246 ff.; von Frankenberg

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2. Kap.: Tatbestandsebene

gen454 sollte er ein höheres Fixum als die anderen Aufsichtsratsmitglieder, aber dafür außerhalb von Sitzungsgeldern keine variablen Vergütungen mehr erhalten. So wird ein Kompromiss erreicht, durch den die Praxis der Auf­ sichtsratsvergütung beibehalten werden kann, der Vorgabe der Kommissi­ onsempfehlung entsprochen wird und der Finanzexperte nicht schlechter gestellt wird als die anderen Aufsichtsratsmitglieder. Auch hier muss man jedoch festhalten, dass die Kommissionsempfehlung lediglich Vermutungen anstellt. Ein Aufsichtsratsmitglied, das erfolgsabhän­ gig vergütet wird, gilt nicht zwingend als nicht unabhängig. Der Aufsichts­ rat kann im Einzelfall die Vermutung entkräften und begründen, insbeson­ dere kommt es hier auf die Art der Variable an,455 weshalb ein spezielles Mitglied trotz variabler Vergütungsbestandteile als unabhängig i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG anzusehen ist. Für eine solche Argumentation kommen bei­ spielsweise Sicherungsinstrumente wie langjährig angelegte „Claw-Back“Klauseln in Betracht, die die Auszahlung der variablen Vergütung zeitlich deutlich verzögern und von der aufschiebenden Bedingung abhängig ma­ chen, dass die Finanzzahlen und die Unternehmenspolitik korrekt waren oder die für das spätere Bekanntwerden von Verstößen eine Rückforderung bereits gezahlter Vergütungen ermöglichen.456 d) Unabhängigkeit des Mehrheitsaktionärs oder seiner Vertreter Der vermutlich wesentlichste Unterschied zwischen der Kommissions­ empfehlung und dem DCGK ergibt sich in Bezug auf Aufsichtsratsmitglie­ der, die als Vertreter des Anteilseigners mit Kontrollbeteiligung dem Auf­ sichtsrat angehören. Als Bezugspunkte für Unabhängigkeit des Finanzexperten wurden bis­ lang, von Aktiengesetz, HGB, DCGK und der Kommissionsempfehlung einstimmig, die Gesellschaft und der Vorstand der Gesellschaft identifi­ ziert. Die Kommissionsempfehlung fügt diesen zwei Bezugspunkten einen und Ludwigsdorf, Bedeutung und Grenzen der Gleichbehandlung der Aufsichtsrats­ mitglieder, 2004, S. 214 ff.; Neuhaus / Gellißen, NZG 2011, 1361, 1363; wohl auch Kort, FS Hüffer 2010, 483, 488 f., da der Finanzexperte eine „Sonderfunktion“ ausübe. 454  Siehe 1. Kapitel D. V. und 2. Kapitel C. VII. 455  So auch schon der BGH, der zwischen Aktienoptionen und anderen variablen Vergütungsmodellen unterscheidet, BGH ZIP 2004, 613 – „Mobilcom“. 456  Vgl. den 6. Erwägungsgrund und Abschnitt II Ziff. 3.3 und 3.4 der Kommis­ sionsempfehlung 2009 / 385 / EG zur Regelung der Vergütung der Unternehmenslei­ tung börsennotierter Gesellschaften, ABlEU 2009, Nr. L 120, 22, 29 f.; vgl. für derartige Klauseln für den Vorstand, BT-Drucks 16 / 13433 S. 16; Diller, NZG 2009, 1006; Rieder / Holzmann, AG 2010, 570, 576.



B. Unabhängigkeit i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG151

dritten hinzu. Ziff. 13.1 und Anhang II Ziff. 1 lit. d) der Kommissionsemp­ fehlung besagen, dass zur Bejahung der Unabhängigkeit keine persönliche, geschäftliche oder sonstige Beziehung des unabhängigen Aufsichtsratsmit­ glieds zur Gesellschaft, dem Vorstand und Anteilseignern mit Kontrollbeteiligung bestehen dürfe.457 Der Fall des Mehrheitsaktionärs ist dabei die zentrale, weil in der Praxis häufigste, Kategorie des Anteileigners mit Kon­ trollbeteiligung.458 Die Vertreter des kontrollierenden Aktionärs, sprich des Mehrheitsaktio­ närs, sind im Sinne der Kommissionsempfehlung demnach nicht als unab­ hängig anzusehen. Gemäß Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK soll dagegen Unabhängig­ keit gegeben sein, wenn keine Beziehungen zur Gesellschaft und dem Vorstand bestehen. Die fehlende Auflistung des Mehrheitsaktionärs ist als beredtes Schweigen zu verstehen.459 Der DCGK lässt ganz bewusst allein eine Verbindung zum kontrollierenden Anteilseigner der Gesellschaft nicht für die Annahme der Befangenheit ausreichen. Dessen Vertreter können daher im Sinn des DCGK sehr wohl unabhängig sein. Über die Frage, ob die Vertreter des Mehrheitsaktionärs als unabhängig i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG angesehen werden könne, d. h. ob der Kommissionsempfehlung oder dem DCGK zuzustimmen ist, wird trefflich gestritten. aa) Problemaufriss Eine Diskussion dieser Thematik hat stets vor dem institutionenökonomi­ schen Hintergrund der Regelung zu erfolgen. Zu differenzieren ist dabei zwischen börsennotierten Gesellschaften mit einer breiten Eigentumsstreu­ ung („Publikumsgesellschaft“) und solchen Gesellschaften, deren Anteile von einigen wenigen Gesellschaftern („personalistische AG“) oder zu über­ 457  Der Begriff der Kontrolle bestimmt sich nach Maßgabe von Art. 1 Abs. 1 der RL 83 / 349 EWG des Rates (AblEU Nr. L 193 vom 18. Juli 1983, S. 1 ff.), deren Vorgaben in §§ 290 ff. HGB umgesetzt wurden (vgl. dazu Busse von Colbe, in: MüKo-HGB, Band 4, § 290 Rn. 1; Küting / Gattung / Keßler, DStR 2006, 529, 530). Zusammengefasst ist Kontrolle in diesem Sinne in den Fällen der einfachen Mehr­ heit der Stimmrechte (Mehrheitsaktionär), des Rechts, die Mehrheit der Mitglieder des Aufsichtsrats eines anderen Unternehmens zu bestellen oder abzuberufen (Mehr­ heit der Bestellungsrechte), oder des beherrschenden Einflusses kraft Beherrschungs­ vertrags (vertragliche Beherrschungsrechte, vgl. § 291 AktG) zu bejahen. Gleichbe­ handelt werden Fälle, in denen trotz Stimmrechtsanteilen von unter 50 % Konzern­ verhältnisse bestehen, beispielsweise die tatsächliche Bestellung der Mehrheit der Mitglieder des Aufsichtsrats. 458  Busse von Colbe, in: MüKo-HGB, Band 4, § 290 Rn. 25. 459  Besonders deutlich Wackerbarth, EuZW 2010, 46; vgl. auch Ihrig / Meder, FS Hellwig 2010, 163, 168 f.; Lutter, EuZW 2009, 799, 803 f.; von Hein, Rezeption US-amerikanischen Gesellschaftsrechts, S. 898 f.

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2. Kap.: Tatbestandsebene

wiegenden Teilen von einem Mehrheitsaktionär oder mehreren gemeinsam agierenden Großaktionären gehalten werden („kontrollierte AG“).460 Die Differenzierung ist notwendig, weil sich die Agency-Problematik bei diesen Gesellschaftstypen verlagert. Bei einer breiten Eigentumsstreuung (Publikumsgesellschaft) besteht grundsätzlich die Gefahr, dass die vielen (Klein-)Aktionäre aufgrund fehlender Informationsmöglichkeiten und Res­ sourcen kaum dazu in der Lage sind, das Handeln der Unternehmensführung zu überwachen.461 Bei Publikumsgesellschaften ist daher die Kontrolle der Geschäftsführung durch von der Geschäftsführung unabhängige Finanzex­ perten notwendig. Im Unterschied dazu sind bei kontrollierten Gesellschaf­ ten die Großaktionäre – und noch stärker der Mehrheitsaktionär – aufgrund ihrer großen finanziellen Beteiligung in der Regel über die Geschäfte der Gesellschaft gut informiert und besitzen die notwendigen Ressourcen, um die Führungskräfte genau zu überwachen. Ein Überwachungsdefizit bezüg­ lich des Vorstandshandelns besteht daher tendenziell nicht. Die starke Position des Mehrheitsaktionärs, dessen Mehrheitsentscheidun­ gen von der überstimmten Gesellschafterminderheit im Grundsatz hinzuneh­ men sind, führt hingegen zu potentiellen Interessenskonflikten mit den Minderheitsaktionären.462 Die Interessen der beiden Aktionärsgruppen ver­ laufen nicht notwendig parallel zu einander.463 Vergleichbar mit dem Zu­ stand bei den Publikumsgesellschaften fehlen den Minderheitsaktionären vielfach ausreichende Informationen und Ressourcen zur Überwachung der Geschäftsführung, aber auch der Mehrheitsaktionäre.464 Die faktische Kon­ 460  Wirth, ZGR 2005, 327, 329; unter den DAX-Unternehmen befinden sich drei Gesellschaften, deren tatsächlicher Streubesitz („Actual Free Float“) aktuell unter 50,0 % der vorhandenen Aktien liegt (Volkswagen AG (14,50 %), Metro AG (39,38 %), Beiersdorf AG (39,55)) und weitere zehn Gesellschaften, deren Großak­ tionäre über eine Sperrminorität verfügen. Im TecDAX haben fünf Gesellschaften einen Actual Free Float von unter 50,0 %, im MDAX sind es schon 18 Gesellschaf­ ten und im SDAX sogar 22 Gesellschaften. Quelle: Deutsche Börse AG (www. deutsche-boerse.com), Stand: 23.12.2009. 461  HLG Bericht 2002, S. 62 f.; 7. Erwägungsgrund Kommissionsempfehlung. 462  So bereits Stier-Somlo, ZHR 53 (1903), 20, 32. 463  Hopt / Roth, in: Großkomm AktG, §§ 95–117, § 95 Rn. 11; Emmerich / Habersack § 1 Rn. 26; Altmeppen, ZGR 2004, 390, 413; Bork / Oepen, ZGR 2002, 241 ff.; von Hein, Rezeption US-amerikanischen Gesellschaftsrechts, S. 452; zur Problema­ tik der Unternehmensbewertung im Rahmen der Abfindungs- und Ausgleichsansprü­ che Spindler / Klöhn, DK 2003, 511 ff. 464  HLG Report 2002, S. 63–64, a.a.O Fn. 41; Allen / Kraakman / Subramanian, Business Organization, Chapter 4.1, S. 85. Dass es sich hierbei um vergleichbare Interessenskonflikte handelt, wird dadurch deutlich, dass im US-amerikanischen Gesellschaftsrecht der Mehrheitsaktionär, und wenn es keinen solchen gibt, das Ma­ nagement, aufgrund ihrer faktischen Kontrolle über das Unternehmen gleichermaßen



B. Unabhängigkeit i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG153

trolle über die Gesellschaft liegt bei Gesellschaften in Streubesitz beim Vorstand und bei Gesellschaften mit einem Mehrheitsaktionär bei diesem.465 Im Ergebnis verlagert sich daher bei der Existenz eines Mehrheitsaktionärs der Schwerpunkt der Überwachungstätigkeit von der Überwachung nur des Vorstands auf die Überwachung des Vorstands und des (den Vorstand mög­ licherweise unzulässig beeinflussenden) Mehrheitsaktionärs.466 Um einem möglichen Missbrauch durch den Mehrheitsaktionär entgegen­ zuwirken, könnte eine Überwachung des (vom Mehrheitsaktionär beein­ flussten) Vorstandshandelns durch das unabhängige Aufsichtsratsmitglied im Interesse der Minderheitsgesellschafter erforderlich sein.467 Eine konsequen­ te Kontrolle ist allerdings nur dann möglich, wenn der Kontrollierende vom Überwachten unabhängig ist. Bei institutionenökonomischer Betrachtung des Sachverhalts ist deswegen der folgerichtige Schluss, dass für Mehrheits­ aktionäre und deren Vertreter die Unabhängigkeit zu verneinen ist. Vor diesem Hintergrund gelangen viele Berichte und Gutachten zu dem Ergeb­ nis, dass die Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern durch eine Ver­ bindung zum Mehrheitsaktionär ausgeschlossen sei.468 Oftmals wird sogar bereits eine Verbindung zu einem Großaktionär („significant shareholder“), und nicht erst eine solche zu dem Mehrheitsaktionär, als Gefährdung der Unabhängigkeit betrachtet.469 Diese internationale Praxis spielt in diesem Zusammenhang eine mehr als nur rechtsvergleichende Rolle. Mit Blick auf das angestrebte Ziel der neuen als „Insider“ bezeichnet werden, die den kleineren Investoren, den „Outsiders“, ge­ genüberstehen. 465  Davies / Hopt, in: Kraakman / Davies, Anatomy, S. 160; Ihrig / Meder, FS Hell­ wig 2010, 163, 174 f., insbesondere auch zu den Vorzügen der Kontrolle durch Mehrheitsaktionäre. 466  Diese Aufteilung in Minderheitsaktionär auf der einen Seite sowie gemein­ schaftlich Vorstand und Mehrheitsaktionär auf der anderen Seite verkennt die Argu­ mentation von Lutter, EuZW 2009, 799, 804, soweit sie den Vertreter des Mehrheits­ aktionär als unabhängig erklärt, da nicht er vom Vorstand abhängig sei, sondern der Vorstand von ihm. 467  HLG Bericht 2002, S. 63; 7. Erwägungsgrund der Kommissionsempfehlung; OECD-Grundsätze der Corporate Governance III. A. 2., S. 49; Bouton-Report S. 9. 468  Higgs-Report S. 37; HLG-Report 2002, S. 65, a. a. O. Fn. 41; zustimmend für das deutsche Recht v.  Werder / Wieczorek, DB 2007, 297, 300 f. 469  Dies basiert auf der auch § 29 Abs. 2 WpÜG zugrunde liegenden Überlegung, dass ein Stimmrechtsanteil von 30 % regelmäßig für die Hauptversammlungsmehr­ heit ausreicht. SEC-Release 33-8220, II. A. 3., a. a. O. Fn. 54, bestimmt als „Safe Harbor“, dass Aktionäre mit einem Aktienanteil von unter 10 % und deren Vertreter als nicht mit der Gesellschaft verbunden und damit, vorbehaltlich anderer Umstände, als unabhängig gelten; Bouton-Report, S. 10 empfiehlt eine besondere Unabhängig­ keitsprüfung bei einer Verbindung zu einem Aktionär mit einem Aktien- und Stimm­ rechtsanteil von mehr als 10 %.

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2. Kap.: Tatbestandsebene

Vorschrift, namentlich der Steigerung des Vertrauens des Publikums in die Finanzzahlen von Gesellschaften, wäre es kontraproduktiv, ein Aufsichts­ ratsmitglied, das Mehrheitsaktionär oder dessen Vertreter ist, als unabhängig zu bezeichnen und der Hauptversammlung zu präsentieren. Vornehmlich gegenüber internationalen Investoren würde es den Gesellschaften schwer fallen, zu kommunizieren und zu begründen, dass der Independent Finan­cial Expert ihres Aufsichtsrats, entgegen dem internationalen Brauch, eine enge Verbindung zum Mehrheitsaktionär der Gesellschaft pflegt. Eine Steigerung des Vertrauens wäre hier mehr als nur fraglich. bb) Unvereinbarkeit mit dem deutschen Mitbestimmungs- und Konzernrecht Dieses Ergebnis der institutionenökonomischen Betrachtung wird von den Kritikern mit der Argumentation angegriffen, dass ein besonderer Schutz der Minderheitsaktionäre in Deutschland durch das Konzernrecht und die darin geregelten Ausgleichspflichten sowie Abwehr- und Beseitigungsansprüche (§§ 311 ff. und §§ 302 ff. AktG) bereits gewährleistet und ein weitergehender Schutz nicht notwendig sei.470 Diese Argumentation wird von der Rechtspre­ chung des Bundesverfassungsgerichts gestützt.471 Darüber hinaus sind alle von der OECD als bedenklich eingestuften Handlungsmöglichkeiten des Mehrheitsaktionärs im deutschen Aktien- und Konzernrecht bedacht worden (Bezugsrechte auf neue Aktien, qualifizierte Mehrheiten für bestimmte Akti­ onärsentscheidungen, Pflichtangebote des Mehrheitsaktionärs, Möglichkeit von Aktionärsklagen).472 Ein gesonderter Schutz der Minderheitsaktionäre durch den Finanzexperten ist daher nicht in dem Maß notwendig, wie er in Rechtsordnungen ohne ein Konzernrecht notwendig ist. Der Kern der scharf vorgetragenen Kritik an der Qualifikation des Vertre­ ters des Mehrheitsaktionärs als abhängig erinnert an die Chaostheorie und ihren Schmetterlingseffekt, der besagt, dass bereits kleine Veränderungen an einer Stelle enorme Turbulenzen im Gesamtsystem auslösen können.473 Die Kritik stützt sich auf die These, dass die neuen europäischen Vorgaben zur 470  BDI / bankverband / DAI / DIHK / GDV, NZG 2004, 1052; Drygala, in: K. Schmidt / Lutter, Band I, § 100 Rn. 50; Hüffer, ZIP 2006, 637, 641; Jaspers, AG 2009, 607, 610; Kremer, in: Ringleb / Kremer / Lutter / v.  Werder (Hrsg.), DCGKKomm, DCGK, Rn. 1036; Maul, BB-Spezial 9 / 2005, 2, 5. 471  Das BVerfG hat die Regelungen des Konzernrechts (§§ 291 ff. und §§ 320 ff. AktG) für verfassungsgemäß erklärt, da sie für die außenstehenden Aktionäre aus­ reichende Schutzmechanismen bereit hielten, BVerfGE 100, 289, 302  ff.; vgl. K. Schmidt, GesR, § 31 III 2 (S. 950); Langenbucher, in: K. Schmidt / Lutter, Band II, § 291 Rn. 9. 472  OECD-Principles 2004, S. 50 f., a. a. O. Fn. 338.



B. Unabhängigkeit i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG155

Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern in ihrem Zusammenspiel mit der in Deutschland vorgeschriebenen paritätischen Mitbestimmung – genau wie der Vorschlag im „Banning“-Beschluss des OLG Hamm474 – die Grund­ lagen der Konzernleitung beseitigen würden.475 Diese Problematik und die vehemente Kritik sind ein Musterbeispiel für die Probleme, die bei der Auf­ nahme eines Legal Transplants entstehen können, wenn es sich nicht nahtlos in das bestehende System einfügen lässt, sondern zu einem Paradigmenwech­ sel führt. Ausgangspunkt der Kritik ist, dass das System der Konzernleitung entscheidend darauf beruhe, dass sich der beherrschende Aktionär – im Kon­ zernrecht die Muttergesellschaft – über seine Vertreter im Bestellungsgremi­ um der abhängigen Gesellschaft (Aufsichtsrat der Tochter- oder Enkelgesell­ schaft) bei der Bestellung der Mitglieder des geschäftsführenden Organs durchsetzen könne.476 Insoweit stimmen die Kritiker den obigen institutio­ nenökonomischen Argumenten mithin sogar zu, dass eine Einflussnahme des Mehrheitsaktionärs auf den Vorstand der Gesellschaft regelmäßig gegeben ist. Im Falle der Anwendbarkeit der Mitbestimmungsgesetze ist die Anzahl der Aufsichtsratsmitglieder gesetzlich festgeschrieben. Die Gesellschaften können, anders als dies beispielsweise in den USA möglich ist, die Anzahl der Aufsichtsräte nicht frei bestimmen / erhöhen. Da die Anteilseigner in pari­ tätisch mitbestimmten Gesellschaften nur über eine denkbar knappe Mehr­ heit, abgesichert durch das Zweitstimmrecht des Aufsichtsratsvorsitzenden, im Aufsichtsrat verfügen würden, müssten alle Anteilseignervertreter vom Mehrheitsaktionär bestellt werden können. Wäre dem Mehrheitsaktionär die­ se Möglichkeit genommen, so würde er die Mehrheit im Aufsichtsrat und damit auch die Personalhoheit verlieren. Das Prinzip der Eigentümerkontrol­ le und der Konzernleitung wäre eingeschränkt477, Art. 14 GG verletzt.478 473

473  Kiehling, DStR 1992, 476, 481 f. m. w. N. zur Chaostheorie als Teilbereich der Kapitalmarkttheorie. 474  Siehe oben 2. Kapitel B. II. (Fn. 230). 475  Bereits zum Aktionsplan und der Kommissionsempfehlung BDI / bankverf.; Arbeitsgruppe Europäisches Gesellband / DAI / DIHK / GDV, NZG 2004, 1052  schaftsrecht, ZIP 2003, 863, 869; DAV, NZG 2003, 1008, 1010 f.; Bayer, BB 2004, 1, 7; Hoffmann-Becking, ZGR 2004, 355, 359 f.; Lieder, NZG 2005, 569, 570. 476  Arbeitsgruppe Europäisches Gesellschaftsrecht, ZIP 2003, 863, 869; Habersack, ZHR 168 (2004), 373, 377; ders., NZG 2004, 1, 5; Maul, BB-Spezial 9 / 2005, 2, 5; Schiessl, AG 2002, 593, 598; Wirth, ZGR 2005, 327, 339; grundsätzlich dazu Lutter, Mitbestimmung im Konzern, S. 33 f. 477  Bayer, BB 2004, 1, 7; Hüffer, ZIP 2006, 637, 642; Ihrig / Meder, FS Hellwig 2010, 163, 177; Rieder / Holzmann, AG 2010, 570, 576; Schneider, FS T. Raiser 2005, 341, 346 f.; Wackerbarth, ZGR 2005, 686, 718; ähnlich bereits Kropff, FS Goerdeler 1987, 259, 266 ff. 478  Bürgers / Schilha, AG 2010, 221, 225; Ehlers / Nohlen, FS Gruson 2009, 107, 118 ff.; Vetter, ZGR 2010, 751, 783; alle aufbauend auf das Mitbestimmungsurteil des Bundesverfassungsgerichts, wonach Art. 14 GG verletzt sei, wenn die Anteils­

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2. Kap.: Tatbestandsebene

Für alle betroffenen kapitalmarktorientierten Tochtergesellschaften mit paritätisch besetztem Aufsichtsrat und deren Mehrheitsaktionäre stellt sich demnach die Frage, ob ein vom Mehrheitsaktionär unabhängiger Finanz­ experte tatsächlich als Zünglein an der Waage zu einem gegen Art. 14 GG verstoßenden, überparitätischen Zustand führt. Da dies regelmäßig die größ­ ten und wichtigsten Tochtergesellschaften sein werden, hat die Frage eine große praktische Bedeutung. cc) Keine Abhängigkeit des Mehrheitsaktionärs de lege lata Nach Sinn und Zweck des unabhängigen Finanzexperten spricht vieles für die Auslegung der Kommissionsempfehlung. Die Materialien zum Bil­ MoG zeigen jedoch, dass der Gesetzgeber im Gesetzgebungsverfahren von seiner ursprünglichen Absicht abgerückt ist, die Unabhängigkeitskriterien der Kommission 1 : 1 umzusetzen. Ursprünglich wurde im Referentenent­ wurf zum Begriff der Unabhängigkeit lediglich die Kommissionsempfehlung inhaltsgleich wiedergegeben.479 Der Mehrheitsaktionär und seine Vertreter wären demnach als nicht unabhängig einzustufen gewesen. Nach den Kon­ sultationen480 und den von der Literatur geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken findet sich nunmehr in der späteren Regierungsbegründung zum BilMoG eine stark veränderte Beschreibung zum Begriff der Unabhängig­ keit. Der Hinweis darauf, dass die Beziehung zum Mehrheitsaktionär die Unabhängigkeit gefährdet, wurde vorbehaltslos gestrichen.481 Vermutlich um eine Kollision mit dem Konzernrecht zu vermeiden, hat der Gesetzgeber mithin Abstand von seinem ursprünglichen Vorhaben genommen, die Krite­ rien der Kommissionsempfehlung unverändert zu übernehmen. Er ist viel­ mehr der DCGK-Kommission dahingehend gefolgt, die Unabhängigkeits­ merkmale zu übernehmen, mit Ausnahme der Beziehungen zum Mehrheits­ aktionär. Für das hier gefundene Ergebnis spricht ferner, dass der Gesetzge­ ber von dem ausdrücklich von der Abschlussprüferrichtlinie zugelassenen Ausnahmetatbestand keinen Gebrauch gemacht hat, einen unabhängigen Konzernfinanzexperten zuzulassen.482 Er hätte auch einen solchen Konzern­ eignerseite sich im Konfliktfall nicht mehr durchzusetzen vermag, BVerfGE 50, 290, 323 f.; noch vor Inkrafttreten von § 100 Abs. 5 AktG bereits Habersack, ZHR 168 (2004), 373, 378; Lieder, NZG 2005, 569, 571; Spindler, NZG 2005, 2033, 2041. 479  Referentenentwurf zum BilMoG, S. 208 f. 480  Vgl. Hennrichs, S. 13, a. a. O. Fn. 146. 481  RegBegr BilMoG, BT-Drucks. 16 / 10067, S. 101 f.; unter Hinweis auf die Ge­ setzesbegründung die Abhängigkeit von Vertretern des Mehrheitsaktionärs vernei­ nend auch Wind / Klie, NZG 2010, 1413, 1415. 482  Art.  41 Abs. 6 lit. a) Abschlussprüferrichtlinie, siehe oben 2. Kapitel A. II. 4. b).



B. Unabhängigkeit i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG157

finanzexperten zulassen können, sodass in den Tochtergesellschaften dann kein eigener Finanzexperte mehr notwendig gewesen wäre. De lege lata kann daher der Mehrheitsaktionär oder ein Vertreter des Mehrheitsaktionärs den Posten des unabhängigen Finanzexperten übernehmen, solange keine sonstigen Gründe hinzutreten, die eine Abhängigkeit indizieren. dd) Eigener Lösungsvorschlag Bei diesem Problem der Unabhängigkeit des Mehrheitsaktionärs wären vom Gesetzgeber ausführlichere Hinweise und eine offene Diskussion des dahinterstehenden Problems – vorsichtig formuliert – wünschenswert gewe­ sen.483 Dem Argument der drohenden Verfassungswidrigkeit nachzugeben, ist nicht zwingend. Zu berücksichtigen ist dabei zunächst, dass sowohl die Vorgabe einen vom Mehrheitsaktionär unabhängigen Finanzexperten zu bestellen, als auch die Vorgabe der paritätischen unternehmerischen Mitbe­ stimmung, allein für sich betrachtet verfassungskonform sind. Erst das Zu­ sammenspiel beider Vorgaben führt in Verbindung mit der begrenzten Ge­ staltungsfreiheit im Recht der Aktiengesellschaft484 zur Verletzung von Art. 14 GG.485 Daraus die Verfassungswidrigkeit von § 100 Abs. 5 AktG herzuleiten, steht jedoch unter dem Vorbehalt, dass eine verfassungskonfor­ me Auslegung weder der Mitbestimmungsregeln noch von § 100 Abs. 5 AktG möglich ist. Eine Option wäre es, vergleichbar mit dem österreichi­ schen Mitbestimmungssystem486, pauschal die Drittelbeteiligung einzufüh­ ren. Dafür spricht, dass § 100 Abs. 5 AktG zwingendes Gemeinschaftsrecht umsetzt und daher aufgrund der Solange-II-Entscheidung des Bundesverfas­ sungsgerichts487 nicht am Maßstab des Grundgesetzes zu prüfen ist. Hinge­ gen sind die mitbestimmungsrechtlichen Vorgaben als nationale (genuin deutsche) Normen voll am Maßstab des Grundgesetzes überprüfbar.488 Verständlich ist aber, dass der deutsche Gesetzgeber die Mitbestimmungs­ modelle, trotz der aktuellen Diskussion um die Veränderung der Mitbestim­ mungsgesetze489, nicht grundlegend ändern wollte und / oder konnte. Eine 483  Ihrig / Meder,

FS Hellwig 2010, 163, 170; Wackerbarth, EuZW 2010, 46. oben 1. Kapitel C. IV. 2. 485  Ehlers / Nohlen, Gedächtnisschrift Gruson, 2009, 107, 119 f. 486  §  86 Ö-AktG i.  V.  m. § 110 Ö-Arbeitsverfassungsgesetz; dazu Kalss, in: ­MüKo-AktG, Band 2, § 95 Rn. 36 ff. 487  BVerfGE 73, 339, 375 f. („Solange-II“), bestätigt in BVerfGE 89, 155, 174 f.; 102, 147, 162 f. 488  Ehlers / Nohlen, Gedächtnisschrift Gruson, 2009, 107, 119 f. 489  Vgl. den dezidierten Vorschlag des Arbeitskreis „Unternehmerische Mitbestimmung“, ZIP 2009, 885 ff. („Flexibilität und Verhandlungslösung bei der Mitbe­ stimmung“). 484  Siehe

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2. Kap.: Tatbestandsebene

verfassungskonforme Auslegung kann jedoch auf der Seite von § 100 Abs. 5 AktG erfolgen. Nach der hier vertretenen Auffassung stehen der vom Mehrheitsaktionär unabhängige Finanzexperte und die Eigentümerkontrolle in Konzerngesell­ schaften keinesfalls in einem Alternativverhältnis zu einander. Der Begriff des „Vertreters“ des Mehrheitsaktionärs kann so ausgelegt werden, dass sich das Prinzip der Eigentümerkontrolle und der Unabhängigkeit vom Mehr­ heitsaktionär nicht ausschließen. Die Aufgabe des unabhängigen Finanz­ experten ist die Überprüfung der Finanzberichte. Er soll im Interesse der Minderheitsaktionäre dafür Sorge tragen, dass die Muttergesellschaft und der Vorstand der abhängigen Gesellschaft den ihnen konzernrechtlich auf­ erlegten Pflichten Folge leisten. Eine vom Interesse des Mehrheitsaktionärs abweichende Geschäftspolitik soll er nicht entwickeln.490 Der Mehrheitsak­ tionär hat daher, soweit er die gesetzlichen Vorschriften zum Nachteilaus­ gleich und Abhängigkeitsbericht beachtet (!), keinerlei weitere Beeinträchti­ gungen durch den unabhängigen Finanzexperten zu befürchten. Der Mehrheitsaktionär kann den von ihm unabhängigen Finanzexperten auswählen und der Hauptversammlung vorstellen. Dabei hat er eine sorgfäl­ tige Auswahl dahingehend zu treffen, dass die Minderheitsaktionäre dem Finanzexperten ihr Vertrauen schenken. Das werden sie nur tun, wenn das entsprechende Aufsichtsratsmitglied keinem Organ des Mehrheitsaktionärs zugehört, keine sonstige Vergütung vom Mehrheitsaktionär empfängt und auch keine Vertragsbeziehung zum Mehrheitsaktionär unterhält, die es stan­ desrechtlich zur Treue verpflichtet, wie dies regelmäßig bei Anwälten der Fall sein wird.491 Deswegen kann man den Vertreterbegriff auf diese drei Fälle beschränkt auslegen. Alle anderen Personen sind keine „Vertreter“ des Mehrheitsaktionärs in diesem Sinne. Allein der Umstand, dass der Finanz­ experte in der Hauptversammlung von dem Mehrheitsaktionär gewählt wird, macht ihn noch nicht zu einem Vertreter des Mehrheitsaktionärs.492 Dem Mehrheitsaktionär steht es daher frei, den Finanzexperten aus dem zulässi­ gen Personenkreis so auszuwählen, dass er bei allen Geschäftsführungsmaß­ nahmen – außerhalb der Erstellung der Finanzberichte – den Wünschen des Mehrheitsaktionärs folgt. Zugegebenermaßen sind solche Personen, die 490  Ebenfalls aus diesem Grund ist eine Entherrschung i. S. v. § 17 Abs. 2 AktG durch die mehrheitliche Besetzung des Aufsichtsratsgremiums durch unabhängige Mitglieder nicht möglich, vgl. Schall, in: Spindler / Stilz, AktG, Band I, § 17 Rn. 55. 491  Vgl. LG Hannover AG 2009, 341 ff. und 2010, 459 ff. – „Conti / Schaeffler“, dazu Schneider, Handelsblatt Nr. 65 vom 1.4.2010 S. 25; ablehnend Wind / Klie, NZG 2010, 1413, 1415 f.; zur Anfechtbarkeit der Wahl Knapp, DStR 2011, 177, 179; vgl. auch Urteil OLG Hamburg, ZIP 1990, 311 – „HEW / Jansen“; Semler / Stengel, NZG 2003, 1, 3. 492  Vgl. rechtsvergleichend SEC Release No. 33-8220, II. A. 3, a. a. O. Fn. 54.



B. Unabhängigkeit i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG159

gleichzeitig das Vertrauen des Mehrheitsaktionärs und des Minderheitsak­ tionäre gewinnen können, nicht leicht zu finden, allerdings erscheint dies als durchaus möglich. Unter Effizienzgesichtspunkten ergibt sich folgendes Bild: Dem Mehr­ heitsaktionär erwachsen keinerlei Nachteile aus dieser Regelung, solange er sich an die konzernrechtlichen Vorgaben hält. Verstöße und Benachteiligun­ gen der Minderheitsaktionäre werden natürlich erschwert, aber in dieser Hinsicht ist der Mehrheitsaktionär schlicht nicht schutzwürdig. Das legitime Interesse des Mehrheitsaktionärs an der Besetzung und Überwachung des Vorstands bleibt hingegen durch die gezielte Auswahl des Finanzexperten gewahrt. Den Investoren kommen die Vorteile durch die unabhängige Kon­ trolle der Finanzberichte zu Gute. Diese Möglichkeit bietet auch Transpa­ renz, da die Minderheitsaktionäre die Auswahl zumindest eines Aufsichts­ ratsmitglieds besonders überprüfen können. Da sich keine Nachteile für den Mehrheitsaktionär, aber Vorteile für die Minderheitsaktionäre ergeben, kann man daher sogar von einer Pareto-Effizienz493 sprechen. e) „Cooling-Off“-Periode für ehemalige Abschlussprüfer Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK verneint die Unabhängigkeit, wenn eine persön­ liche oder geschäftliche Beziehung zu der Gesellschaft besteht. Eine Be­ ziehung, die in der Vergangenheit bestand, ist demnach unschädlich. Die Kommissionsempfehlung hingegen erstreckt das Unabhängigkeitskriterium auch auf die Vergangenheit. Die betreffende Person darf nicht Abschluss­ prüfer sein und diese Position auch in den letzten drei Jahren nicht innege­ habt haben. Soweit ersichtlich gibt es zu diesem Themenkomplex noch keine Literatur. Eine Lösung lässt sich aus dem Gedanken des Verbots des Richtens in eigener Sache herleiten. Regelmäßig werden in Jahresabschlüs­ sen und sonstigen Finanzberichten neben den Zahlen für das aktuelle Ge­ schäftsjahr  /  Quartalsergebnis die entsprechenden Zahlen aus den letzten beiden Perioden zum Vergleich der Entwicklung abgebildet. Entdeckt der neue Prüfer nun Fehler in den älteren Finanzberichten oder ergeben sich erhebliche Abweichungen, so müsste der neue Prüfer sich mit dem ehema­ ligen Prüfer auseinandersetzen. Diese Auseinandersetzung würde jedoch erheblich erschwert werden, wenn der ehemalige Prüfer nun in der beson­ ders hervorgehobenen Stellung des Finanzexperten im Aufsichtsgremium der Gesellschaft säße. Dort müsste der ehemalige Prüfer seine eigenen Be­ richte überprüfen und gegebenenfalls korrigieren. Würde er seine eigenen Berichte korrigieren, so könnte dies sein Ansehen im Gremium und seine 493  Zum Begriff Hermalin / Katz / Craswell, in: Polinsky / Shavell (Hrsg.), Law and Economics, S.  21 ff.; Weimann, Wirtschaftspolitik, S.  17 f., 92 ff.

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2. Kap.: Tatbestandsebene

Finanzexpertise untergraben. Daher bestünde ein erheblicher Druck für den ehemaligen Prüfer, seine Berichte zu verteidigen. Er wäre Richter in eigener Sache und es ist nicht vorstellbar, dass er seinen Prüfungsaufgaben objektiv nachgehen würde.494 Der Cooling-Off Periode von drei Jahren für ehemali­ ge Abschlussprüfer ist daher zuzustimmen. In diesem Punkt setzt sich die Kommissionsempfehlung daher gegen die Empfehlung des DCGK durch. f) Obergrenze von 12 Jahren als unabhängiges Mitglied Gemäß Anhang II Ziff. 1 S. 4 lit. h) der Kommissionsempfehlung darf die betreffende Person nicht länger als drei Amtszeiten oder zwölf Jahre als unabhängiges Aufsichtsratsmitglied tätig gewesen sein. Auf internationaler Ebene finden sich ebenfalls vergleichbare Angaben zur Höchstdauer der Tätigkeit.495 Der DCGK schweigt in diesem Punkt, wobei das Schweigen nicht als beredtes Schweigen zu qualifizieren ist.496 Für eine solche Be­ schränkung sprechen zwei Erwägungen: Zum Ersten besteht nach langer Tätigkeit die Gefahr der sog. Betriebsblindheit. Zum Zweiten entfällt in der letzten Amtsperiode jeder Druck, sich einflusskonform verhalten zu müssen, um wiedergewählt zu werden, sodass hier die Möglichkeit einer strengeren Kontrolle besteht. Es ist davon auszugehen, dass ein neuer unabhängiger Finanzexperte durch neue Denkanstöße und Impulse die Aufsichtsratstätig­ keit belebt, sodass es vorteilhaft erscheint, dieser Empfehlung der Kommis­ sion Folge zu leisten. Allerdings steht die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat für einen längeren Zeitraum vom Schweregrad der Beeinträchtigung der Unab­ hängigkeit nicht auf gleicher Ebene mit den vorgenannten Unabhängigkeits­ kriterien, wie beispielsweise der Tätigkeit als Abschlussprüfer oder Vor­ standsmitglied, sodass eine längere Amtszeit nicht zwingend notwendig die Unabhängigkeit des Aufsichtsratsmitglieds aufhebt. Das deutsche Recht kennt in § 77 Abs. 2 S. 3 InvG für die Mitglieder von Sachverständigenausschüssen von Kapitalanlagegesellschaften eine mit die­ ser Höchstdauer, mit deren Ablauf die fehlende Unabhängigkeit unterstellt wird, vergleichbare Regelung. Diese unabhängigen, sachverständigen Mit­ glieder sind für die Bewertung der Vermögensgegenstände der Kapitalanla­ gegesellschaft zuständig. Sie dürfen nur für den Zeitraum von fünf Jahren 494  Vgl.

die Ausführungen in BGHZ 153, 32, 42 ff. – „Hypo-Vereinsbank“. ÖCGK, Fassung vom Januar 2010, Anlage 1, S. 48 wird eine Maximal­ dauer der Amtstätigkeit von 15 Jahren genannt, Higgs-Report zehn Jahre, S. 37; Bouton-Report zwölf Jahre, S. 10; Combined Code Provision A.3.1 plädiert für nur neun Jahre, alle a.a.O, Fn. 333. 496  Anders aber beim Schweigen zur Unabhängigkeit vom Mehrheitsaktionärs, siehe dazu 2. Kapitel B. V. 7. d) aa). 495  Im



B. Unabhängigkeit i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG161

tätig sein, es sei denn, ihre Einnahmen für die Tätigkeit haben 30 % der Gesamteinnahmen nicht überschritten, vgl. § 77 Abs. 2 S. 4 Ziff. 1 InvG. Dieses Beispiel zeigt, dass der deutsche Gesetzgeber die Unabhängigkeit nicht zwingend nach längerer Tätigkeit verneint, sondern durchaus Ausnah­ men zulässt. Das spricht auch dafür, dass die Vorgabe der Kommissions­ empfehlung zur Höchstdauer von zwölf Jahren nicht zwingend gilt und eine längere Amtszeit nicht notwendig zur fehlenden Unabhängigkeit i.  S.  v. § 100 Abs. 5 AktG führt. Allerdings führt eine längere Amtszeit als zwölf Jahre nach dem System der Kommissionsempfehlung (und vergleichbar dem System von § 77 InvG) zu der Vermutung der fehlenden Unabhängig­ keit, die der Aufsichtsrat im Einzelfall entkräften muss. Die Relevanz dieser Problematik ist jedoch vor dem Hintergrund der Altersgrenzen für Aufsichtsratsmitglieder, die sich auf Grenzen von 70–75 Jahren herausgebildet haben497, überschaubar und kommt nur bei jüngeren Aufsichtsratsmitgliedern wirklich zum Tragen.498 g) Rechtsfolge für die Unabhängigkeit Von den durch die Kommissionsempfehlung neu aufgestellten Anforde­ rungen an die Unabhängigkeit sind mithin für die betroffenen deutschen Gesellschaften nur drei beachtlich: Die Obergrenze von 12 Jahren, die „Cooling-Off“-Periode von drei Jahren für den ehemaligen Abschlussprüfer sowie das Verbot einer erfolgsabhängigen Vergütung. Fraglich ist, ob diese Kriterien gleich den Inkompatibilitäten absolut wirken. Denkbar wäre hin­ gegen auch, dass auch im Falle des Verstoßes im Einzelfall dennoch die Unabhängigkeit angenommen werden kann. Den zweiten Weg hat die Kommission in ihrer Empfehlung gewählt. Sie erklärt, dass der Aufsichts­ rat bei seiner Einzelfallprüfung auch zu dem Ergebnis kommen kann, dass ein Mitglied trotz Verstoßes gegen die formellen Kriterien zur Unabhän­ gigkeit dennoch als unabhängig angesehen werden kann.499 Die Kommis­ sion räumt damit in Bezug auf diese Kriterien inhaltlichen Aspekten den Vorrang vor den formalen Kriterien ein.500 Bei der wertenden Entschei­ dung des Aufsichtsrats501 kommt es bei einem Fokus auf die innere Unab­ 497  Kremer,

in: Ringleb / Kremer / Lutter / v.  Werder (Hrsg.), DCGK-Komm, Rn.  1022. betrug das Durchschnittsalter der Directors der Top 200 Ge­ sellschaften der Fortune 500 im Jahr 2000 59,9 Jahre, vgl. Chan / Li, Corporate Governance Vol. 16(1) (2008), 16, 20. 499  Ziff. 13.2. S. 2, Anhang II Ziff. 1 S. 2, 3 Kommissionsempfehlung. 500  RegBegr. BT-Drucks. 16 / 10067, S. 102; Erwägungsgrund 18, Ziff. 13.2. Kom­ missionsempfehlung. 501  Schilmar, Der Aufsichtsrat 2009, 101, 102. 498  Beispielsweise

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2. Kap.: Tatbestandsebene

hängigkeit maßgeblich auf die (starke) Persönlichkeit des unabhängigen Finanzexperten an.502 Die Prüfung des Aufsichtsrats sollte nach der Feststellung, dass keine In­ kompatibilitäten und keine Verstöße gegen die Vorgaben des DCGK vorlie­ gen, in einem zweistufigen Verfahren503 erfolgen: Auf der ersten Stufe über­ prüft der Aufsichtsrat, ob die betreffende Person einem der im Katalog der Kommissionsempfehlung beschriebenen Interessenskonflikte unterliegt. Wird diese Frage auf der ersten Stufe mit „nein“ beantwortet, kann die Unabhän­ gigkeit festgestellt werden. Dennoch sollte auch hier darauf geachtet werden, dass die betreffende Person die nötige starke Persönlichkeit mitbringt, um dem Konsensdenken entgegen zu wirken. Ist die Frage auf der ersten Stufe mit „Ja“ zu beantworten, muss auf der zweiten Stufe abgewogen werden, ob die betreffende Person so besondere persönliche Qualitäten und ein so hohes Maß an Integrität mit sich bringt, dass sie trotz der vermuteten Interessens­ konflikte als unabhängig angesehen werden kann. Stets zu berücksichtigen ist, dass bereits der Anschein der Befangenheit für die Ablehnung der Unab­ hängigkeit ausreicht. Je mehr von der in Frage stehenden Person erwartet werden kann, gegen widerstreitende (insbesondere eigene) Interessen und im Sinne der Gesellschaft zu entscheiden, desto stärker kann auch von den for­ malen Kriterien der Kommissionsempfehlung abgewichen werden. Begrün­ dete Ausnahmefälle können sich aber auch bei kleineren und nur kurzweili­ gen Interessenskollisionen504 oder durch die Einrichtung von Schutzmaßnah­ men („Safeguards“)505, beispielsweise eine längere Dauer bis zur Ausübung von erfolgsabhängigen Vergütungsformen, ergeben. Die Abweichungen sollten in jedem Fall die Ausnahme darstellen. Dafür spricht, dass bei starker Abweichung von den abstrakt beschriebenen Kon­ fliktlagen der vertrauensbildende Faktor der Neuerung verloren geht. Das ist vorstellbar, wenn ein Aufsichtsratsmitglied, das mehrere Vorgaben verletzt und offensichtlich starken Interessenskonflikten unterliegt, dennoch als un­ abhängig erklärt wird. Ferner haben die in der Kommissionsempfehlung beschriebenen abstrakten Konfliktlagen durchaus ihre Berechtigung und le­ gen zu Recht die fehlende Unabhängigkeit nahe, die auch nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen bejaht werden kann.506 502  Windbichler,

Gesellschaftsrecht, § 27 Rn. 2. Hüffer, ZIP 2006, 637, 641. 504  Umkehrschluss aus Ziff. 5.5.3 S. 2 DCGK. 505  Safeguards können auch bei der Bewertung der Unabhängigkeit von Ab­ schlussprüfern eine entscheidende Rolle spielen, vgl. Ebke, in: MüKo-HGB, Band 4, § 319 Rn. 24. 506  So im Ergebnis auch Gruber, NZG 2008, 12, 13; Hüffer, ZIP 2006, 637, 641; v.  Werder / Wieczorek, DB 2007, 297, 300; siehe zur gerichtlichen Überprüfung der Wertungen des Aufsichtsrats unten 3. Kapitel A. IV. 1. und 3. 503  Ähnlich



B. Unabhängigkeit i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG163

Zwischenergebnis Für die oben aufgeworfene Frage, in welcher Beziehung die „indepen­ dence in mind / fact“ und die „independence in appearance“ zueinander ste­ hen, ergibt sich folgendes Bild: Die innere Unabhängigkeit wird vermutet, wenn keine äußeren Faktoren sie in Frage stellen. Äußere und innere Ab­ hängigkeit sind daher eng miteinander verbunden. Prinzipiell sind auch beide notwendig und von Bedeutung, um die durch die Einführung des Finanzexperten angestrebten Ziele der Richtigkeit der Finanzzahlen und der Steigerung des Vertrauens zu erreichen: Die geistige Unabhängigkeit dient der wirksamen Kontrolle der Finanzzahlen und die äußere Erscheinung der Unabhängigkeit der Steigerung des Vertrauens des Publikums in die Kont­ rolleure. Äußere und innere Unabhängigkeit müssen daher grundsätzlich kumulativ vorliegen. Wenn die innere Unabhängigkeit fehlt, dann kann die äußere Unabhän­ gigkeit dies nicht ausgleichen. Der Aufsichtsrat muss sich in jedem Fall von der Integrität der betreffenden Person überzeugen. Beispielsweise kann eine Person, die bereits in der Vergangenheit gezeigt hat, dass sie unzuverlässig und vertrauensunwürdig ist, selbst dann nicht als der unabhängige Finanz­ experte angesehen werden, wenn sie alle äußeren Kriterien erfüllt. Die in­ nere Unabhängigkeit geht hier vor! Ausnahmen von dem Grundsatz, dass innere und äußere Unabhängigkeit kumulativ vorliegen müssen, sind mithin nur in eine Richtung möglich. Die äußere Unabhängigkeit kann unter bestimmten Umständen fehlen, ohne dass damit die Unabhängigkeit der betreffenden Person abschließend zu vernei­ nen ist. Dazu sind die äußeren Faktoren in drei Kategorien einzuteilen: Erstens die Inkompatibilitäten des AktG und HGB, zweitens die gemeinsa­ men Unabhängigkeitsbestimmungen der Kommissionsempfehlung und des DCGK und schließlich drittens die weiterreichenden Anforderungen der Kommissionsempfehlung. Verstöße gegen die Inkompatibilitäten des AktG und HGB sowie gegen die gemeinsamen Unabhängigkeitsbestimmungen der Kommissionsempfehlung und des DCGK führen zu der unwiderleglichen Vermutung der fehlenden Unabhängigkeit. Hier können auch die möglicher­ weise tatsächlich vorliegende innere Unabhängigkeit und Integrität des Kandidaten nicht helfen. Sind jedoch ausschließlich die äußeren Unabhän­ gigkeitsmerkmale, die die Kommissionsempfehlung weitergehend und stren­ ger als der DCGK aufstellt (keine erfolgsabhängige Vergütung, „CoolingOff“ Periode für ehemalige Abschlussprüfer, Überschreiten der Obergrenze der Amtszeit von 12 Jahren), betroffen, so kann das Fehlen der äußeren Unabhängigkeit in begründeten Fällen durch die innere Unabhängigkeit und durch besondere Sicherungsmaßnahmen ausgeglichen werden. Für die Ak­ tionäre ist die Integrität und innere Einstellung des jeweiligen Mitglieds

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2. Kap.: Tatbestandsebene

jedoch noch weniger nachzuvollziehen als für den Aufsichtsrat selbst. Be­ reits der naheliegende Verdacht der Befangenheit reicht aus, um das Ver­ trauen des Marktes in die Unabhängigkeit nachhaltig zu stören. Daher sollte eine Bejahung der Unabhängigkeit trotz fehlender äußerer Unabhän­ gigkeit die Ausnahme bleiben und nur unter Veröffentlichung der in Betracht kommenden Interessenskonflikte erfolgen. Die Regel sollte dagegen sein, dass äußere und innere Unabhängigkeit kumulativ vorliegen müssen. Eine Abhängigkeit des Finanzexperten darf nicht bestehen vom Vorstand, einem Konkurrenten oder dem Abschlussprüfer der Gesellschaft sowie von der Gesellschaft selbst. Arbeitnehmervertreter und in den Aufsichtsrat ent­ sandte Mitglieder können per Definition nicht unabhängig i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG sein. Vertreter des Mehrheitsaktionärs sind de lege lata hinge­ gen nicht per se als abhängig zu behandeln und können daher den Posten des Finanzexperten übernehmen. Die einzelnen äußeren Abhängigkeitsmerkmale lassen sich zu einem über­ geordneten Prinzip verdichten: In jedem dieser Fälle wird die Befangenheit nicht nur deshalb vermutet, weil Interessenskollisionen möglich sind, son­ dern weil die bestehenden Anreize, diese Interessenskollisionen zu Gunsten der Gesellschaft aufzulösen, kleiner sind, als die Anreize für diejenige Verhaltensvariante, die Kollisionen im Eigen- oder Drittinteresse aufzulö­ sen. Unter Zugrundelegung eines rational und opportunistisch denkenden Menschen ist die Abhängigkeit daher immer dann zu bejahen, wenn Verhal­ tensvarianten denkbar sind, die für das unabhängige Aufsichtsratsmitglied mehr Vorteile oder weniger Nachteile bedeuten, als diejenige Variante, sei­ ner Pflicht zur den Tatsachen entsprechenden Finanzberichterstattung über die Gesellschaft ordnungsgemäß nachzukommen.507 Im Ergebnis kann die Unabhängigkeit im Sinne von § 100 Abs. 5 AktG daher wie folgt definiert werden: 1

Ein Aufsichtsratsmitglied ist unabhängig, wenn es keinen Anreizen unterliegt, im Eigen- oder Drittinteresse die Finanzberichte der Gesellschaft nicht der Realität entsprechend darzustellen. 2Zusätzlich muss die Person die Fähigkeiten, den Wil­ len und den Mut mitbringen, die kritischen Punkte aufzuspüren und sich in den entscheidenden Situationen, unter Umständen auch gegen den Willen der Mehrheit des Gremiums und des Vorstands, zu erheben und kritische Fragen zu stellen.

Der erste Satz betrifft die äußere Erscheinung der Unabhängigkeit und ist voll justiziabel, während der zweite Satz eine Prognose des Gremiums be­ inhaltet und daher lediglich einem begrenzten Prüfungsumfang unterliegt.508

507  Ähnlich 508  Siehe

Bouton-Report, S. 9, a. a. O. Fn. 338. zum Prüfungsumfang der Gerichte 3. Kapitel, A. IV. 3.



C. Finanzexpertise165

C. Finanzexpertise „Effective audit committee members must have both the ability and the determination to ask the right questions.“509 Aus diesem Grund muss das Aufsichtsratsmitglied nicht nur unabhängig sein, sondern auch Finanzexper­ te. Nur ein sachverständiges Aufsichtsratsmitglied kann die kritischen Stel­ len der vorgelegten Zahlenwerke aufdecken und (gegebenenfalls unan­ genehme) Fragen stellen. Umgekehrt ist es für einen fachlich turmhoch überlegenen Vorstand eine Leichtigkeit, unangenehme Zahlen so zu verpa­ cken, dass ein Aufsichtsrat sie nicht zur Kenntnis nimmt und den Jahresab­ schluss ohne Nachfragen billigt. Um dieses Kontrolldefizit zu beheben, soll das unabhängige Aufsichtsratsmitglied daher gemäß § 100 Abs. 5 AktG über Sachverstand auf den Gebieten Rechnungslegung oder Abschlussprüfung verfügen. Gleich dem Begriff der Unabhängigkeit findet sich auch hier keine Legaldefinition des unbestimmten Rechtsbegriffs „Sachverstand“. Unabhängig von der speziell geforderten Finanzexpertise aus § 100 Abs. 5 AktG wird die Professionalisierung von Aufsichtsräten in den kommenden Jahren weiterhin eines der bestimmenden Themen auf dem Gebiet der Cor­ porate Governance sein. Neben dem Ruf nach Vielfalt („Diversity“) in den Gremien, beispielsweise in Ziff. 5.1.2, 5.4.1 DCGK, spielt dabei die Quali­ fikation und Fortbildung von Aufsichtsratsmitgliedern eine besondere Rol­ le.510 Allein ein sachverständiges Überwachungsorgan kann funktionieren, d. h. ohne fremde Hilfe sachgerecht kontrollieren.511

I. Bisherige Gesetzeslage Bislang enthält das Aktiengesetz keine Vorschriften, die eine besondere Sachkunde der Aufsichtsratsmitglieder verlangen.512 Mangelnde Qualifika­ tion oder Fortbildung führt nicht zur Unwirksamkeit der Bestellung des Aufsichtsratsmitglieds.513 Dies ergibt sich aus dem Umkehrschluss aus § 100 Abs. 1 S. 2 AktG, demgemäß ausschließlich Betreute, die bei der 509  SEC

Release No. 33-8177, S. 11, II A. 4.d. iii, a. a. O. Fn. 12. BB 2010, 264; Seibert, DB 2009, 1167, 1170; Weber-Rey, WM 2009, 2255, 2262. 511  Semler, in: MüKo-AktG, 2. Auflage, Band 2, § 100 Rn. 75; ders., FS K. Schmidt, 2009, 1489, 1494 / 1498 / 1501 f.; v.  Werder / Wieczorek, DB 2007, 297, 298. 512  Hopt / Roth, in: Großkomm-AktG, Band 4, §  100 Rn. 20  ff.; Drygala, in: Schmidt / Lutter AktG, Band I, § 100 Rn. 19; Langenbucher, Aktien- und Kapital­ marktrecht, § 5 Rn. 11; Hüffer, ZIP 2006, 637, 638; Semler, FS K. Schmidt 2009, 1489, 1490. 513  Semler, FS K. Schmidt 2009, 1489, 1494. 510  Kocher,

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2. Kap.: Tatbestandsebene

Besorgung ihrer Vermögensangelegenheiten ganz oder teilweise einem Ein­ willigungsvorbehalt (§ 1903 BGB) unterliegen, nicht Mitglied des Auf­ sichtsrats sein können. Eine ernstliche Hürde ist das nicht. Gemessen an diesem Maßstab kann im Prinzip jede beliebige Person Aufsichtsratsmit­ glied sein. Faktische gesetzliche Anforderungen an die Sachkunde von Aufsichtsrats­ mitgliedern ergeben sich jedoch mittelbar aus den, dem Aufsichtsratsgremi­ um zugewiesenen, Aufgaben und der gesetzlich gebotenen Sorgfaltspflicht i. V. m. der Rechtsprechung des BGH.

II. Bisherige Rechtsprechung Der BGH hat die von Aufsichtsratsmitgliedern zu verlangenden Fach­ kenntnisse im Rahmen von Haftungsfällen konkretisiert. Österreichische und schweizerische Gerichte haben sich im Rahmen der Bestimmung des anzulegenden Sorgfaltsmaßstabes ebenfalls mit der notwendigen Qualifika­ tion von Aufsichtsratsmitgliedern befasst.514 Die Aussagen lassen sich auf die deutsche Aufsichtsratshaftung und den erforderlichen Sachverstand übertragen.515 Die Gerichte stellen an die Sachkunde von Aufsichtsratsmit­ gliedern die Anforderung, dass ein Aufsichtsratsmitglied diejenigen Min­ destkenntnisse und Mindestfähigkeiten besitzen oder sich aneignen müsse, die notwendig seien, um die in dem Unternehmen normalerweise anfallen­ den Geschäftsvorgänge selbstständig verstehen und sachgerecht beurteilen zu können.516 Erleidet das Unternehmen Schäden, die kausal auf (unterlas­ sene) Handlungen des Aufsichtsratsmitglieds zurück zu führen sind, obliegt es dem Aufsichtsratsmitglied, nachzuweisen, dass es die erforderliche Sorgfalt beachtet hat.517 Dies wird ihm jedoch nur gelingen, wenn es die erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen zur Wahrnehmung der Aufgaben besaß. Das Aufsichtsratsmitglied muss mithin wenigstens den Sachverstand mitbringen, der erforderlich ist, um die vom Gesetz dem Aufsichtsratsplenum zugewiesenen Aufgaben bewältigen zu können.518 Im 514  Beispielsweise

515  Lutter / Krieger,

österreichischer OGH, AG 1983, 81, 82. Rn. 989; Semler, FS K. Schmidt 2009, 1489, 1491; Semler,

AG 1983, 81, 83. 516  BGHZ 85, 293, 295 f. – „Hertie“; so auch der österreichische OGH, AG 1983, 81, 82 mit Anmerkung von Semler. 517  Siehe ausführlich zur Haftung des unabhängigen Finanzexperten unten 2. Ka­ pitel C. VII. 518  Hommelhoff, ZGR 1983, 551, 572; Lutter / Krieger, Rn. 26; Semler, FS K. Schmidt 2009, 1489, 1490; Zemplin, AcP 155 (1956), 209, 214; für die vergleich­ bare Handhabe in der Schweiz Hütte, ZGR 1986, 1, 22.



C. Finanzexpertise167

Ergebnis bedeutet dies zugleich, dass jede Erweiterung der Plenumsvorbe­ halte durch den Gesetzgeber519 eine Erhöhung des Maßstabes des von al­ len Aufsichtsratsmitgliedern zu verlangenden erforderlichen Sachverstandes bedeutet.520 Für die hiesigen Überlegungen bleibt jedoch festzuhalten, dass die Anfor­ derungen an die Expertise nicht präventiv im Sinne einer Mindestvorausset­ zung durchgesetzt wurden und werden, sondern nur repressiv im Rahmen von möglichen Haftungsfällen des Aufsichtsrats.521

III. Besondere Anforderungen in der Finanzwirtschaft Ein Vergleich bezüglich des Sachverstandes bietet sich innerhalb des deutschen Rechts zu den Anforderungen an Geschäftsleiter und Aufsichts­ organe von Kredit-, Finanzdienstleistungsinstituten sowie von Versicherun­ gen und Pensionsfonds an. Gemäß § 36 Abs. 3 S. 1 Kreditwesengesetz („KWG“) und § 7a Abs. 4 S. 1 Versicherungsaufsichtsgesetz („VAG“) müs­ sen sämtliche Aufsichtsratsmitglieder von Kreditinstituten und Finanzhol­ ding-Gesellschaften sowie Versicherungsgesellschaften, Pensionsfonds und Versicherungsholding-Gesellschaften zuverlässig sein und die zur Wahrneh­ mung der Kontrollfunktion sowie zur Beurteilung und Überwachung der Geschäfte, die das Unternehmen betreibt, erforderliche Sachkunde besitzen. §§ 36 Abs. 3 KWG, 7a Abs. 4 VAG wurden durch Art. 1 Ziff. 10 lit. c), Art. 2 Ziff. 5 lit. c) des Gesetzes zur Stärkung der Finanzmarkt- und Versi­ cherungsaufsicht522 („FMVAStärkG“) als Folge der Finanzmarktkrise neu in das KWG / VAG eingefügt. Dahinter steht die Erwägung, dass Mitglieder der Aufsichtsorgane nur bei entsprechender Qualifikation in der Lage sind, die Entwicklung des Unternehmens aktiv zu begleiten und ihrer Kontrollfunk­ tion gerecht zu werden.523 Die Geschäftsführung der betroffenen Gesellschaften musste bereits vor dem FMVAStärkG „fachlich geeignet“ sein. Die fachliche Eignung setzt 519  Zuletzt wurde durch das VorstAG § 107 Abs. 3 S. 3 dahingehend ergänzt, dass das Plenum auch über die Bezüge der Vorstandsmitglieder (§ 87 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 und 2) zu entscheiden hat. 520  Schilmar, Der Aufsichtsrat 2009, 101; Semler, AG 1983, 81, 83. 521  Drygala, in: Schmidt  / Lutter AktG, Band I, § 100 Rn. 19; Rieder / Holzmann, AG 2010, 570, 573. 522  BGBl. I 2009, 2305 ff. 523  RegBegr zum FMVAStärkG, BR-Drucks 277  /  09, S. 22; ausführlich dazu Lehrl, BKR 2010, 485 ff.; das kann als schwerer Schlag gegen die bisherigen Auf­ sichtsratsorgane von Landesbanken und Sparkassen angesehen werden, Seibert, DB 2009, 1167, 1170; Rieder / Holzmann, AG 2010, 570, 573.

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2. Kap.: Tatbestandsebene

gemäß §§ 33 Abs. 2 S. 1 KWG, 7a Abs. 1 VAG voraus, dass die entspre­ chende Person zum einen in ausreichendem Maße bank- / versicherungstheo­ retische Kenntnisse und zum anderen praktische Erfahrungen in den betref­ fenden Bank-, insbesondere dabei Kreditgeschäften, und Leitungserfahrung hat.524 Die Erfüllung dieses Anforderungsprofils wird in §§ 33 Abs. 2 S. 2 KWG, 7a Abs. 1 S. 2 VAG gesetzlich vermutet, wenn eine dreijährige lei­ tende Tätigkeit bei einer Gesellschaft von vergleichbarer Größe und Ge­ schäftsart nachgewiesen wird. Für die Aufsichtsratsmitglieder gelten vergleichbare, aber doch geringere Maßstäbe. Die BaFin soll nach § 36 Abs. 4 S. 2 KWG entsprechend den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit bei der Prüfung, ob eine Person die nötige Sachkunde besitzt, den Umfang und die Komplexität der von der Gesellschaft betriebenen Geschäfte berücksichtigen.525 Laut der Regierungs­ begründung zum FMVAStärkG umfasst die Sachkunde die notwendige persönliche Erfahrung und Befähigung zur Wahrnehmung der Kontroll- und Überwachungsfunktion. Die notwendige Sachkunde wird vermutet für Per­ sonen, die in leitender Funktion bei einer vergleichbaren Gesellschaft tätig waren.526 Ähnliches ergibt sich aus § 6 Abs. 3 InvG (vormals § 4 Abs. 1 S. 1 des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften („KAGG“)), der verlangt, dass die Mitglieder des Aufsichtsrats von Kapitalanlagegesellschaften ihrer Per­ sönlichkeit und ihrer Sachkunde nach die Wahrung der Interessen der An­ teilsinhaber zu gewährleisten haben. Die hier für die spezifischen Bereiche angestellten Überlegungen des Gesetzgebers lassen sich zu großen Teilen auch auf den erforderlichen Sachverstand von Aufsichtsratsmitgliedern außerhalb der Banken- und Ver­ sicherungsbranche erstrecken. Besonders die unternehmensspezifische Be­ trachtung, d. h. dass nicht jeder Finanzexperte gleichermaßen die identische Qualifikation vorweisen muss, sondern dass es stets auf die Größe und Geschäftstätigkeit des betreffenden Unternehmens ankommt, lässt sich im Weiteren fruchtbar machen.

524  Schwennicke, in: Schwennicke  /  Auerback (Hrsg.), KWG, § 33 Rn. 78  ff.; ­ laussen, in: Claussen (Hrsg.), Bank- und Börsenrecht, § 1 Rn. 115 f.; Wittmann, C DB 2007, 2579. 525  BaFin Merkblatt zur Kontrolle von Mitgliedern von Verwaltungs- und Auf­ sichtsorganen gemäß KWG und VAG vom 22. Februar 2009, abrufbar unter www. bafin.de; dazu Lehrl, BKR 2010, 485, 494 ff. 526  RegBegr zum FMVAStärkG, BR-Drucks 277 / 09, S. 22.



C. Finanzexpertise169

IV. Empfehlungen des DCGK Konkretere Vorgaben ergeben sich in eingeschränktem Maß aus Ziff. 5.4.1 S. 1 DCGK, wo es heißt, dass dem Aufsichtsrat, unter Berücksichtigung der internationalen Tätigkeit, jederzeit Mitglieder angehören sollen, die über die zur ordnungsgemäßen Wahrnehmung der Aufgaben erforderlichen Kenntnis­ se, Fähigkeiten und fachlichen Erfahrungen verfügen. Damit wird Bekanntes wiederholt, nämlich dass Sachverstand für die Aufsichtsratstätigkeit notwen­ dig ist. Die erforderlichen Kenntnisse werden dagegen nicht näher konkre­ tisiert und auch nur vom Aufsichtsratsgremium in seiner Gesamtheit und nicht von einem bestimmten Aufsichtsratsmitglied verlangt.527 Das ist auch folgerichtig, da eine sachgerechte Zusammensetzung des Aufsichtsrats für jedes zentrale Sachgebiet, beispielsweise Produktion, Forschung und Ent­ wicklung, Recht oder wie hier die Rechnungslegung, einen Experten vor­ aussetzt und ein Aufsichtsrat keinesfalls ausschließlich aus Abschlussprü­ fungsspezialisten bestehen sollte.528 Besonderheiten ergeben sich jedoch in Bezug auf die Mitglieder des Prü­ fungsausschusses. Ziff. 5.3.1 DCGK empfiehlt die Bildung „fachlich quali­ fizierter“ Ausschüsse. Daraus lässt sich ableiten, dass die Mitglieder von Prüfungsausschüssen eine besondere Qualifikation vorzuweisen haben. Der Prüfungsausschuss sollte sich aus einer kleinen Zahl besonders fähiger und erfahrener Kenner der Rechnungslegungsregeln und -praxis zusammenset­ zen, sog. „financial literacy“.529 Ziff. 5.3.2 S. 2 DCGK empfiehlt, dass der Vorsitzende des Prüfungsausschusses über besondere Kenntnisse und Erfah­ rungen in der Anwendung von Rechnungslegungsgrundsätzen und internen Kontrollverfahren verfügen solle. Dieser sog. „Financial Expert“ muss auf­ grund seiner Kenntnisse und Qualifikationen in der Lage sein sämtliche dem Prüfungsausschuss zugewiesenen Aufgaben „auf Augenhöhe“ mit dem Finanzvorstand und dem Abschlussprüfer behandeln zu können und sollte dazu in der Lage sein, sich kurzfristig in eine Vielzahl von in Zahlen aus­ gedrückten Lebenssachverhalten einzuarbeiten, sie zu verstehen und die angemessenen Schlüsse daraus zu ziehen.530

527  Hüffer, ZIP 2006, 637, 638 (Fn. 8); Lutter, ZIP 2003, 417, 418; ders., DB 2009, 775, 778. 528  Lutter, DB 2009, 775, 778; v.  Werder / Wieczorek, DB 2007, 297, 298. 529  Kremer, in: Ringleb / Kremer / Lutter / v.  Werder (Hrsg.), DCGK-Komm, Rn.  1004. 530  Kremer, in: Ringleb / Kremer / Lutter / v.  Werder (Hrsg.), DCGK-Komm, Rn. 1004 f.; Altmeppen, ZGR 2004, 390, 410; Ehlers / Nohlen, Gedächtnisschrift Gruson, 2009, 107, 112; Vetter, BB 2005, 1689, 1690.

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2. Kap.: Tatbestandsebene

V. Sec. 407 SOA Gleich dem Erfordernis der Unabhängigkeit entstammt das Erfordernis des besonderen Sachverstandes des unabhängigen Aufsichtsratsmitglieds dem Sarbanes-Oxley Act of 2002. Dort verlangt Sec. 407 SOA, dass Ge­ sellschaften erklären müssen, ob wenigstens ein Mitglied des Audit Com­ mittees ein „Financial Expert“ ist. Vermutlich aus diesem Grund wird auch in Deutschland häufig von Finanzexpertise und einem Finanzexperten ge­ sprochen. Die Definition der SEC ist deutlich ausführlicher als die der Abschlussprüferrichtlinie und der Gesetzesbegründung. Sie definiert den Begriff des Finanzexperten als eine Person mit den folgenden Fähigkeiten und Kenntnissen: •• ein Verständnis für allgemein anerkannte Rechnungslegungsgrundsätze („generally accepted accounting principles“ – „GAAP“) und Finanzbe­ richte; •• die Fähigkeit, die Anwendung dieser GAAP in Verbindung mit der Bilan­ zierung von Schätzungen, Rückstellungen und Reserven zu beurteilen; •• Erfahrung bei der Erstellung, Prüfung, Analyse und Bewertung von Fi­ nanzberichten, die einen vergleichbaren Grad an Komplexität aufweisen, wie er bei den Berichten der Gesellschaft zu erwarten ist oder die Erfah­ rung Aufsicht über Personen zu führen, die diese Berichte erstellen, prüfen, analysieren und bewerten; •• Erfahrung mit der internen Revision; und •• ein Verständnis für die Funktion und Rolle des Audit Committees. Diese Fähigkeiten soll die Person durch eine Ausbildung und durch Er­ fahrung als Finanzvorstand, Controller, Steuerberater oder Wirtschaftsprü­ fer oder durch eine ähnliche Tätigkeit oder durch Erfahrungen bei der ak­ tiven Überwachung von Personen, die diese Tätigkeiten ausüben, erworben haben.531 Zu beachten ist ferner, dass GAAP in diesem Zusammenhang bewusst nicht auf die US-GAAP beschränkt ist, sondern Kenntnisse bezüglich der jeweils von der Gesellschaft zur Erstellung der Jahresberichte benutzen Grundsätze ordnungsgemäßer Rechnungslegung meint.532

531  SEC-Release 532  SEC-Release

No. 33-8177, II. A. 3. c), a. a. O. Fn. 12. No. 33-8177, II. A. 3. d) i), a. a. O. Fn. 12.



C. Finanzexpertise171

VI. Finanzexpertise i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG Die in § 100 Abs. 5 AktG geforderte Finanzexpertise geht gleich der Unabhängigkeit zurück auf die Abschlussprüferrichtlinie. In Art. 41 Abs. 1 S. 2 Abschlussprüferrichtlinie und § 100 Abs. 5 AktG heißt es gleichlau­ tend, dass wenigstens ein unabhängiges Mitglied über Sachverstand in Rechnungslegung und  /  oder Abschlussprüfung verfügen müsse. Nähere Ausführungen enthält das Gesetz nicht. Anders als für die Bestimmung der Unabhängigkeit enthält die Regierungsbegründung zum BilMoG jedoch Hinweise, mit denen man den Begriff der Finanzexpertise hinreichend mit Leben füllen kann. Allgemein ist wohl davon auszugehen, dass an die Überprüfung der Unabhängigkeit strengere Maßstäbe gestellt werden, als an die Finanzexpertise.533 1. Finanzexpertise Dem Wortlaut von § 100 Abs. 5 AktG lässt sich durch einen Vergleich zu § 319 Abs. 1 S. 1 HGB entnehmen, dass die Bejahung des Sachverstands nicht notwendig an eine bestimmte theoretische Vorqualifikation gebunden ist. Hätte der Gesetzgeber dies gewünscht, hätte er die Formulierung aus § 319 Abs. 1 S. 1 HGB übernehmen können, wonach Abschlussprüfer nur Wirtschaftsprüfer sein dürfen. Beispielsweise für Unternehmensverträge (§ 293d AktG i. V. m. § 319 Abs. 1 HGB) und den im Rahmen des SqueezeOut-Verfahrens notwendigen Prüfungsbericht (§§ 327c, 293d AktG i. V. m. § 319 Abs. 1 HGB) fordert er ausdrücklich eine solche theoretische Vorqua­ lifikation. In dem der Gesetzgeber auf einen solchen Verweis verzichtet, macht er deutlich, dass der unabhängige Finanzexperte keinesfalls Wirt­ schaftsprüfer oder Steuerberater o. ä. sein muss.534 Laut der Gesetzesbegründung setzt die Bejahung des Sachverstandes vo­ raus, dass das jeweilige Mitglied beruflich mit Rechnungslegung und / oder Abschlussprüfung aktuell befasst ist oder war. Dies sei nicht nur bei Ange­ hörigen der steuerberatenden und wirtschaftsprüfenden Berufe oder einer speziellen Ausbildung der Fall, sondern könne auch für Finanzvorstände, fachkundige Angestellte aus den Bereichen Rechnungswesen und Control­ ling, Analysten, sowie langjährige Mitglieder in Prüfungsausschüssen und Betriebsräten, die sich diese Fähigkeit im Zuge ihrer Tätigkeit durch Wei­ 533  Bröcker / Mosel,

GWR 2009, 132, 134. München I, NZG 2010, 464, 465; zustimmende Anmerkungen von Henze, Der Aufsichtsrat, 2010, 59, Knapp, DStR 2011, 177, 179 f. sowie Velte, AG Report 2010, R186. 534  LG

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2. Kap.: Tatbestandsebene

terbildung angeeignet haben, angenommen werden.535 Die in der Regie­ rungsbegründung aufgelisteten Fälle zur Finanzexpertise zeigen, dass zwar eine gewisse theoretische Vorbildung der betreffenden Person unausweich­ lich ist, die Theorie jedoch nicht im Vordergrund steht. Vielmehr geht es um die einschlägigen praktischen Erfahrungen, die durch die Arbeit an der Er­ stellung oder Prüfung von Finanzberichten erworben wurden, sodass der Finanzexperte mit den Inhalten und den typischen Abläufen bei der Erstel­ lung und Prüfung von Finanzberichten gut vertraut ist. Es kommt darauf an, dass der Finanzexperte in der Lage ist, auf Augenhöhe mit dem Abschluss­ prüfer und dem Finanzvorstand zu agieren, um die Übereinstimmung der Rechnungslegung mit den anzuwendenden Bilanzierungsvorschriften fest­ stellen zu können.536 Eine reine Plausibilitätsprüfung der ihm vorgelegten Berichte ist nicht ausreichend.537 Bezogen auf den Aufgabenbereich des unabhängigen Finanzexperten als Mitglied des Prüfungsausschusses bedeu­ tet dies, dass er tiefgründige Kenntnisse über die Überwachung des Rech­ nungslegungsprozesses und der Finanzinformationen, der Kontrolle des in­ ternen Kontroll-, Risikomanagement- sowie Revisionssystems und Übung in der Zusammenarbeit mit dem Abschlussprüfer haben sollte. Die Abschlussprüferrichtlinie richtet ihren Fokus dabei insbesondere auf außerbilanziell geführte Geschäfte. Häufig sind es diese Geschäfte, die für den Gewinn, aber leider vor allem den Verlust von Gesellschaften oder ganzen Konzernen, von wesentlicher Bedeutung sind.538 Solche außerbilan­ ziellen Geschäfte können mit der Errichtung und Nutzung von Zweckgesell­ schaften und mit Off-Shore-Geschäften verbunden sein, die u. a. wirtschaft­ liche, rechtliche, steuerliche oder eben auch bilanzielle Zwecke verfolgen können.539 Der Finanzexperte muss daher insbesondere das Wissen vorwei­ sen, um außerbilanziell geführte, wesentliche Geschäfte der Gesellschaft i. S. v. § 285 Ziff. 3 und 3a HGB, die bei negativer Entwicklung den Fort­ bestand der Gesellschaft gefährden können, richtig abschätzen und zur Not auch unterbinden zu können. 535  BegrRegE, BT-Drucks. 16  / 10067, S. 102; OLG München, NZG 2010, 784, 785, mit zustimmender Anmerkung Lehrl, BKR 2010, 485, 489; Nikoleyczik / Olk, GWR 2010, 298; Merkt, in: Baumbach / Hopt, HGB, § 324 Rn. 8; Erchinger / Melcher, DB 2008, Beilage 1, S. 59 f. 536  Altmeppen, ZGR 2004, 390, 410; Habersack, AG 2008, 98, 103, Rieder / Holzmann, AG 2010, 570, 574. 537  Drygala, Der Aufsichtsrat 2010, 104, 105; Schneider, WPg 2011, 70, 73; a. A. aber wohl OLG München, NZG 2010, 784, 785. 538  Vgl. 8. Erwägungsgrund RL 2006 / 46 / EG, AblEU Nr. L 224 vom 18. August 2006, S.  1 ff. 539  Vgl. 9. Erwägungsgrund RL 2006 / 46 / EG mit einer Aufstellung von typischen Fällen von außerbilanziellen Geschäften.



C. Finanzexpertise173

Die verschiedenen nationalen und internationalen Vorgaben bezüglich des Sachverstandes sind mithin nahezu identisch. Anders als bei den Kriterien der Unabhängigkeit bestehen hier bei einem Transfer der US-amerikanischen Grundsätze auf das deutsche Aktienrecht keine schwerwiegenden, systembe­ dingten Widersprüche.540 Der einzige Unterschied ist, dass nach den Defi­ nition der SEC und des DCGK Erfahrungen kumulativ sowohl bei der Rechnungslegung als auch bei der Prüfung notwendig sind, während die Abschlussprüferrichtlinie und deren Umsetzung in § 100 Abs. 5 AktG es für ausreichend erachten, wenn alternativ eines dieser beiden Kriterien erfüllt ist („und / oder“). Diese Entscheidung auf europäischer Ebene überrascht und ist auf Kritik gestoßen.541 Der Wortlaut von § 100 Abs. 5 AktG ist jedoch eindeutig und lässt keine andere Auslegung zu. Im Ergebnis ist diese Abweichung aber vermutlich zu vernachlässigen, da die beiden Kriterien ­ – Rechnungslegung und Abschlussprüfung – Hand in Hand gehen.542 Eine Person wird kaum Experte auf einem dieser Gebiete sein können, ohne gleichzeitig auch große Kenntnisse auf dem zweiten Gebiet mitzubringen. Zu wünschen ist jedoch die Expertise auf beiden Gebieten. Es wird deutlich, dass lediglich die vom BGH geforderten Mindest­ kenntnisse nicht ausreichen, sondern ein Experte auf diesen Gebieten ge­ sucht wird.543 Anders als bei der Unabhängigkeit kann hier wohl durch ein pauschales Verfahren (checking the box) der Sachverstand überprüft wer­ den, indem die fünf von der SEC benannten Kriterien abgehakt werden. Zu beachten sind freilich die relativen Bezugselemente der Größe und des Geschäftsfelds. Können alle geforderten Merkmale abgehakt werden, so ist davon auszugehen, dass die jeweilige Person auf Augenhöhe mit dem Ab­ schlussprüfer über die Ergebnisse der Prüfung kommunizieren kann. Dafür spricht auch, dass die BaFin dem Verfahren zur Prüfung des Sachverstan­ des von Aufsichtsorganen von Finanzinstituten und Versicherungen ledig­ lich den Lebenslauf der betreffenden Person zu Grunde legt.544 Diese Ver­ mutung ist freilich widerlegt, wenn die betreffende Person die ihr in ihrer vormaligen Position obliegenden Aufgaben seinerzeit nicht pflichtgemäß ausgeführt hat.545 540  Kremer,

in: Ringleb / Kremer / Lutter / v.  Werder (Hrsg.), DCGK-Komm, Rn.  1005. AG 2008, 98, 103. 542  Klöckner, DAJV Newsletter, 2011, 13, 17; a. A. Staake, ZIP 2010, 1013, 1014. 543  Habersack, AG 2008, 98, 103; Bröcker / Mosel, GWR 2009, 132, 133; vgl. zu Ziff. 5.4.1 DCGK Altmeppen, ZGR 2004, 390, 410. 544  BaFin Merkblatt zur Kontrolle von Mitgliedern von Verwaltungs- und Auf­ sichtsorganen gemäß KWG und VAG vom 22. Februar 2009, abrufbar unter www. bafin.de. 545  Staake, ZIP 2010, 1013, 1014. 541  Habersack,

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2. Kap.: Tatbestandsebene

Das Merkmal der Erfahrung mit der Erstellung von Jahresabschlüssen und der Kontrolle der internen Revision sind allerdings im konkreten Ein­ zelfall abhängig von Größe, der möglichen internationalen Ausrichtung und vom Geschäftsfeld des konkreten Unternehmens, für welches die Tätigkeit wahrgenommen werden soll, zu überprüfen. Handelt es sich bei der Gesell­ schaft um die Konzernspitze und ist der Konzernabschluss daher nach den International Financial Reporting Standards („IFRS“) aufzustellen546, sind besondere Kenntnisse der internationalen Rechnungslegung notwendig.547 Gute Branchenkenntnisse für die Kontrolle der Richtigkeit der Angaben des Vorstands zu den Reserven, Rückstellungen und Schätzungen eine wichtige Rolle spielen.548 Eine für jede Gesellschaft gültige „Schablone“, wann ein Aufsichtsratsmitglied als Finanzexperte anzusehen ist, und wann nicht, kann daher nicht bereitgestellt werden. 2. Zeitpunkt des Vorhandenseins Es stellt sich die Frage, ab welchem Zeitpunkt die Finanzexpertise vor­ handen sein muss. Bezüglich der allgemeinen Mindestkenntnisse von Auf­ sichtsratsmitgliedern erlaubt der BGH grundsätzlich, dass die betroffenen Personen sich diese auch im Laufe der Amtsperiode erst aneignen.549 Ob diese „Anlernfrist“ auch für die Finanzexpertise i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG gilt, ist fraglich. Wie dargestellt, handelt es sich bei der Expertise nicht lediglich um Mindestkenntnisse, sondern um erhebliches Fachwissen und Erfahrungen. Es ist nicht vorstellbar, dass dieses Wissen und insbesondere die Erfahrung erst nach der Wahl hinzuerworben werden. Auch dem Wort­ laut der Norm lässt sich nicht entnehmen, dass eine Anlernfrist gewährt werden soll, sondern jederzeit soll ein Finanzexperte vertreten sein. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass der Sachverstand grundsätzlich zum Zeitpunkt der Wahl, spätestens zum Amtsantritt, vorliegen muss und das Mitglied sich diesen nicht erst im Verlauf der Amtsperiode aneignen kann.550 Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kann jedoch in Fällen gewährt werden, in denen einer in einer Bilanzierungsmethode vorgebildeten Person 546  Vgl. Art. 4 Verordnung (EG) 1606 / 2002, AblEU Nr. L 243 vom 11. Septem­ ber 2002, S. 1 ff.; § 315a HGB. 547  Fida / Gelter / Rechberger, GesR, 2006, 239, 241. 548  Huemer, RdW 2008, 576, 578; Lutter, ZIP 2003, 417, 418, ders. plädiert gar für eine Einführungsveranstaltung für neue Aufsichtsratsmitglieder, DB 2009, 775, 778 f.; zustimmend v.  Werder / Wieczorek, DB 2007, 297, 299. 549  BGHZ 85, 293, 295 – „Hertie“; Hopt / Roth, Großkomm-AktG, Band 4, § 100 Rn.  25 m. w. N. 550  Widmann, BB 2009, 2602, 2604; Semler, FS K. Schmidt, 2009, 1489, 1499, der darin keine Änderung zur vormaligen Zustandes sieht.



C. Finanzexpertise175

eine entsprechende Einarbeitungszeit gewährt wird, um sich die Eigenheiten einer anderen Bilanzierungsmethode anzueignen.551 Eine weitere Ausnahme muss auch für die spezifischen Kenntnisse über das Unternehmen gelten.552 Gemäß Ziff. 11.3 der Kommissionsempfehlung sollen neue Aufsichtsratsmitglieder zu Beginn ihrer Tätigkeit an einer unter­ nehmensspezifischen Einführung über Aufbau und Aktivitäten des Unter­ nehmens teilnehmen.553 Würde man dies verlangen, müsste man den Fi­ nanzexperten entweder stets aus dem eigenen Unternehmen rekrutieren oder ihn vor Amtstritt bereits ausbilden. Eine Rekrutierung aus dem eigenen Unternehmen ist mit dem Erfordernis der Unabhängigkeit häufig nicht zu vereinbaren. Eine Schulung vor Amtsantritt stößt auf praktische Probleme, da Unternehmensinterna an noch nicht organzugehörige Personen weiterge­ geben werden müssten und auch nicht mit Gewissheit davon ausgegangen werden kann, dass die nun „ausgebildete“ Person auch tatsächlich in den Aufsichtsrat gewählt wird. Diese Kommissionsempfehlung geht daher da­ von aus, dass sich der jeweilige Finanzexperte nicht vor Amtstritt auf das spezielle Unternehmen vorbereiten muss. Im Ergebnis muss die allgemeine Finanzexpertise mithin vor Amtsantritt gegeben sein, die unternehmensspe­ zifischen Kenntnisse dagegen können nach der Bestellung erworben werden. Schließlich muss die Finanzexpertise, gleich der Unabhängigkeit, nicht nur zum Zeitpunkt der Wahl und Bestellung vorliegen, sondern während der gesamten Amtsperiode. Die Bilanzierungsregeln und relevanten steuerrecht­ lichen Vorschriften ändern sich ungleich öfter, als andere Gesetze. In Be­ tracht kommt auch, dass ein Unternehmen von handelsrechtlichen Bilanzie­ rungsgrundsätzen auf US-GAAP oder IFRS wechselt.554 Der unabhängige Finanzexperte muss daher nicht nur zu Beginn seiner Amtszeit die nötige Expertise vorweisen können, sondern er ist stets dazu verpflichtet, sich während der Amtszeit fortzubilden.555

München, GWR 2010, 298; a. A. wohl Widmann, BB 2009, 2602. allgemein für alle Aufsichtsratsmitglieder Hommelhoff, ZGR 1983, 551,

551  OLG 552  So

574 f.

553  Dafür auch Lutter, DB 2009, 775, 778 f. („zweitägiges Arbeitstreffen zu Be­ ginn der Amtszeit“); v.  Werder / Wieczorek, DB 2007, 297, 299. 554  Widmann, BB 2009, 2602. 555  Kremer, in: Ringleb / Kremer / Lutter / v.  Werder (Hrsg.), DCGK-Komm Rn. 1004; Theisen, in: Freidank / Altes (Hrsg.), Ziele und Mittel des BilMoG, S. 347 f.; Schilmar, Der Aufsichtsrat 2009, 101, 102; allgemein für alle Aufsichtsratsmitglieder Drygala, in: K. Schmidt / Lutter, Band I, § 100 Rn. 34; zur Unterstützung und Kos­ tentragung für die Aus- und Fortbildung von Aufsichtsratsmitgliedern vgl. Ziff. 5.4.1. DCGK in der Neufassung vom 26.5.2010, dazu Bosse / Malchow, NZG 2010, 972 ff.

176

2. Kap.: Tatbestandsebene

VII. Besondere Haftung des Finanzexperten Bereits die interne Bezeichnung als unabhängiger Finanzexperte verleiht dem jeweiligen Aufsichtsratsmitglied eine besondere Vertrauensposition in­ nerhalb des Gremiums. Es stellt sich die Frage, ob beim Finanzexperten aufgrund seiner hervorgehobenen Stellung ein verschärfter Haftungsmaßstab anzulegen ist.556 Die SEC gibt auf diese Frage eine klare Antwort: Der Finanzexperte haftet nicht schärfer als die anderen Aufsichtsratsmitglie­ der.557 Damit kommt die Regelung den praktischen Schwierigkeiten von Gesellschaften entgegen, da es für Gesellschaften bei einer verschärften Haftung des Finanzexperten sehr schwer ist, eine geeignete Person zu fin­ den, die trotz der verschärften Haftung dazu bereit ist, die Verantwortung der Position des Finanzexperten zu übernehmen.558 Die Antwort für das deutsche Recht muss allerdings nach dem deutschen Recht gefunden werden und allein nach diesem. Das Ergebnis der SEC kann nicht unreflektiert übernommen werden. § 100 Abs. 5 AktG und die Gesetzesmaterialien geben zu dieser Problematik nichts her. Daher muss der Haftungsmaßstab des Finanzexperten aus den allgemeinen aktienrechtlichen Regelungen hergeleitet werden. 1. Erhöhter Sorgfaltsmaßstab Wie bereits dargestellt, wendet der BGH einen einheitlichen Fahrlässig­ keitsmaßstab für sämtliche Aufsichtsratsmitglieder an, Maßstab ist die Verlet­ zung der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Aufsichtsratsmit­ glieds. Dies lässt jedoch unberücksichtigt, dass bestimmte Personen, bei­ spielsweise Rechtsanwälte, Ingenieure, Bankenvertreter oder Wirtschaftsprü­ fer, gerade wegen ihrer besonderen Kenntnisse in den Aufsichtsrat gewählt werden.559 Allgemein anerkannt ist daher, dass für einzelne Aufsichtsratsmit­ glieder entsprechend ihrer besonderen Position, namentlich die Position als 556  Zur Haftung aus Übernahmeverschulden bei fehlender Unabhängigkeit oder Finanzexpertise siehe 3. Kapitel C. II. 557  SEC- Release 33-8220 II A. 3, a. a. O. Fn. 54; vgl. Block, BKR 2003, 774, 782; Henssler, DK 2003, 255, 258. 558  SEC- Release 33-8220 II A. 3, a. a. O. Fn. 54; vgl. Luttermann, BB 2003, 745, 746 / 8. 559  Langenbucher, § 5 Rn. 91; E. Vetter, in: Marsch-Barner / Schäfer, § 29 Rn. 60 (ausdrücklich für Mitglieder des Audit Committee); Habersack, AG 2008, 98, 103, Semler, FS K. Schmidt 2009, 1489, 1504; Altmeppen, ZGR 2004, 388, 411 ff. Dürr, S. 182 ff.; nach der jüngsten Entscheidung des BGH, Urt. v. 20.09.2011 – II ZR 234 / 09, NZG 2011, 1271 ff. unterliegen Aufsichtsratsmitglieder, soweit ihr Spezial­ gebiet betroffen ist, einem erhöhten Sorgfaltsmaßstab.



C. Finanzexpertise177

Vorsitzender des Aufsichtsrats oder als Ausschussmitglied, ein höherer Sorg­ faltsmaßstab gilt, insbesondere dann, wenn von den Ausschussmitgliedern spezielle Fachkenntnisse erwartet werden (Rollendifferenzierung).560 Der Sorgfaltsmaßstab des Finanzexperten erhöht sich mithin, sobald er Mitglied des Prüfungsausschusses ist. Umstritten ist dagegen die Frage, ob die Aufsichtsratsmitglieder mit be­ sonderen Fachkenntnissen und Qualifikationen im Bereich ihrer speziellen Qualifikationen einen höheren Sorgfaltsmaßstab nicht nur im Rahmen einer besonderen Position, sondern auch allgemein im Plenum beachten müssen (personelle Differenzierung). Dagegen wird eingewandt, dass die individu­ elle Leistungsfähigkeit nicht haftungsbegründend wirke, auch nicht gemäß § 276 BGB, und eine derartige Auslegung in bedenklicher Weise zu einem subjektiven Sorgfaltsmaßstab führe.561 Eine solche Auslegung verkennt je­ doch, dass der Beurteilung eines Vorgangs durch ein dafür besonders quali­ fiziertes Mitglied bei den Beratungen des Aufsichtsrats erfahrungsgemäß besonderes Gewicht zugemessen wird (sog. Board Room-Dynamics).562 In der Tat ist beim Finanzexperten davon auszugehen, dass die anderen Auf­ sichtsratsmitglieder seinen Ausführungen zu komplizierten Fragen in Bezug auf bestimmte Bewertungsmethoden oder die Ausübung von Wahlrechten besonderes Gewicht beimessen, sich gar darauf verlassen, werden.563 Darüber hinaus steht es im Einklang mit den allgemeinen zivilrecht­ lichen Grundsätzen, besondere Kenntnisse und Fähigkeiten bei der Beur­ teilung der Fahrlässigkeit zu berücksichtigen. Der Grund für den subjekti­ ven Mindestmaßstab ist der Vertrauensschutz zu Gunsten des Geschädig­ ten. Umgekehrt wäre es treuwidrig, wenn ein besonders qualifiziertes Auf­ sichtsratsmitglied sich bei durchschnittlicher Anspannung seiner Kräfte da­ rauf berufen könnte, dass ein ordentlicher und gewissenhafter Überwacher ohne die konkreten Spezialkenntnisse auch nicht mehr getan hätte.564 Unter einem ökonomischen Blickwinkel würde man damit auf die verhaltenssteu­ 560  Hüffer, AktG, § 116 Rn. 3; K. Schmidt, GesR, § 28 III 1 d, S. 829; Dreher, FS Boujong, 1996, 71, 83 ff.; Schwark, FS Werner, 1984, 841, 848. 561  Hüffer, AktG, § 116 Rn. 3; K. Schmidt, GesR, § 28 III 1 d, S. 829; Mutter / Gayk, ZIP 2003, 1773, 1775; Jürgens, Mitbestimmung und Verantwortlichkeit, S.  116 ff. Schwark, FS Werner, 1984, 841, 853 f. 562  Langenbucher, § 5 Rn. 91; E. Vetter, in: Marsch-Barner / Schäfer, § 29 Rn. 59; Lutter, ZHR 145 (1981), 224, 228; Mutter / Gayk, ZIP 2003, 1773, 1775. 563  Für den Fall des Bankenvertreters Lutter, ZHR 145 (1981), 224, 228. 564  So nun auch ausdrücklich der BGH, Urt. v. 20.09.2011 – II ZR 234 / 09, NZG 2011, 1271 ff.; zuvor bereits LG Hamburg, ZIP 1983, 194 ff.; Dreher, FS Boujong, 1996, 71, 80; Dürr, S.  182 ff.; Edenfeld / Neufang, AG 1999, 49, 53; Kautz, in: Rö­ mermann (Hrsg.), MüHdb. GmbH-Recht, § 18 Rn. 63; Langenbucher, Aktien- und Kapitalmarktrecht, § 5 Rn. 91.

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2. Kap.: Tatbestandsebene

ernde Funktion (präventive Wirkung) verzichten, die Haftungsregeln natur­ gemäß innewohnt.565 Schließlich spricht für den erhöhten Sorgfaltsmaßstab von Mitgliedern mit besonderen Kenntnissen, dass der Aufsichtsrat das von ihm insgesamt geforderte Überwachungsniveau nur dann erreichen kann, wenn eine Anzahl von Mitgliedern über spezifische Kenntnisse verfügen und diese auch ein­ bringen.566 Entgegen den Vorgaben der SEC gilt daher für den Finanzexper­ ten einer deutschen Aktiengesellschaft, dass er aufgrund seiner Finanzexper­ tise im Bereich der Kontrolle der Finanzzahlen einem höheren Haftungsre­ gime unterworfen ist, als dies für die anderen Aufsichtsratsmitglieder zutrifft. 2. Exkulpationsmöglichkeiten für den Finanzexperten Geht man, wie hier, davon aus, dass die spezifischen Kenntnisse des Fi­ nanzexperten haftungsverschärfend wirken, setzt das, wie die SEC richtig bemerkt, negative Signale auch für risikobewusste und redliche Finanzex­ perten.567 In Anbetracht der üblicherweise exorbitanten Höhe des Schadens (und damit auch des Schadensersatzes in Haftungsfällen) bei fehlerhafter Prüfung von Finanzzahlen, würde die verschärfte Haftung zu einem nicht abschätzbaren Existenzrisiko568 für den Finanzexperten führen, sodass sich im Ergebnis kaum jemand bereit erklären würde, das Amt auszuführen. Fehlerhaft und mit dem deutschen Recht de lege lata nicht zu vereinen, ist aber der Ansatz der SEC, den Haftungsmaßstab zu begrenzen, da so auf deren verhaltenssteuernde Funktion verzichtet wird.569 Auch die Prämisse, dass ohne die Begrenzung des Haftungsmaßstabs ein nicht abschätzbares Existenzrisiko für den Finanzexperten besteht, ist bei Einräumung weiter Exkulpationsmöglichkeiten nicht richtig. Rechtsökonomisch setzt ein weiter Pflichtenkreis mit guten Enthaftungs­ möglichkeiten die richtigen Anreize zur pflichtgemäßen Ausübung des Amts 565  Fleischer, FS Wiedemann, 2002, 827, 829; Paal, DStR 2005, 382, 383; kri­ tisch zur Verhaltenssteuerung ausschließlich durch Haftung und mit Hinweisen zu alternativen Kontrollmechanismen Hopt, in: Großkomm-AktG, Band 3, § 93 Rn. 15; ders., FS Mestmäcker, 1996, 909, 914 ff. 566  Mertens, in: KK-AktG, § 116 Rn. 57; Semler, in: MüKo-AktG, Band 3, § 116 Rn. 509; Lutter, ZHR 145 (1981), 224; Zemplin, AcP 155 (1956), 209, 216 f.; so zwischenzeitlich auch der BGH, Urt. v. 20.09.2011 – II ZR 234 / 09 Rn. 28; NZG 2011, 1271, 1274 (insbesondere 3. Leitsatz). 567  Mutter / Gayk, ZIP 2003, 1773, 1775. 568  Ihlas, S. 316. 569  Anders Luttermann, BB 2003, 745, 746, der eine stärkere Haftung gleich der SEC auch für Deutschland ablehnt.



C. Finanzexpertise179

des Finanzexperten. Einerseits ist er verpflichtet, seinen besonderen Fähig­ keiten entsprechend zu handeln, anderseits soll er nicht haftbar gemacht werden können, wenn er die Sorgfalt eines besonnenen Finanzexperten an­ gewandt hat.570 Wie alle anderen Aufsichtsrats- und Vorstandsmitglieder auch, kann und soll der Finanzexperte keiner Erfolgshaftung unterliegen oder Garant für ordnungsgemäßes Handeln der Geschäftsführung sein.571 Unabhängig von seiner Stellung als Finanzexperte ist er als Aufsichtsrats­ mitglied ohnehin dazu verpflichtet, gegen Beschlüsse des Aufsichtsrats vorzugehen, die er für rechtswidrig hält. Ein Feststellungsinteresse für eine Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO folgt aus der Stellung als Organ­ mitglied.572 Weiter geht die Kommissionsempfehlung in Anhang II Ziff. 2 S. 2 bis 4. Danach soll der Finanzexperte bei Beschlüssen des Gesamtgremiums, die gegen seine Empfehlung erfolgt sind, auf eine Niederlegung seiner Beden­ ken im Protokoll hinwirken.573 Da er es bei rechtswidrigen Entscheidungen nicht bei einer Protokollnotiz belassen darf, sondern alle notwendigen Maß­ nahmen zu deren Aufhebung ergreifen muss (Gegenvorstellungen, keine Beteiligung an der Durchführung des Beschlusses, Anrufung der Gerich­ te574), kann es sich nur um Fragenkomplexe handeln, die der Finanzexperte zwar für rechtmäßig, aber nicht für zweckmäßig hält. Wenn er zu den Fragen der zu veröffentlichenden Finanzzahlen dauerhaft überstimmt wird, dann besteht die Pflicht zur Amtsniederlegung und zur Bekanntgabe seiner Rücktrittsgründe („Noisy withdrawal“).575 Diesen Vorgaben ist für den Fi­ nanzexperten im Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft uneingeschränkt zuzu­ stimmen. Die Schlussfolgerung nach der Darstellung der Exkulpationsmöglichkeiten ist, dass der redliche und sorgfältige Finanzexperte sich bereits durch seine korrekte Arbeitsweise exkulpiert. Kann er nachweisen, dass er seinen Aufga­ 570  Ebenso im Rahmen der Business Judgement Rule Fleischer, FS Wiedemann, 2002, 827, 829, 840. 571  §§ 93, 116 AktG; eingehend BGHZ 135, 244  ff. – „ARAG  /  Garmenbeck“; OLG Düsseldorf, ZIP 2008, 1922, 1923. 572  RGZ 161, 129, 135 f.; BGHZ 83, 144, 146; 122, 111, 115; 135, 244, 248 ff. 573  Zur Abwehr von Regressansprüchen durch die Dokumentation des Abstim­ mungsverhaltens BGHZ 135, 244, 248; OLG Düsseldorf AG 1995, 416; Hopt / Roth, in: Großkomm-AktG, Band 4, § 116 Rn. 17 ff.; Zempelin, AcP 155 (1956) 209, 215. 574  Freund, Der Aufsichtsrat 2010, 124; dieser Weg sollte jedoch aufgrund der negativen Öffentlichkeitswirkung die ultima ratio bleiben, siehe m. w. N. Hopt / Roth, in: Großkomm-AktG, Band 4, § 116 Rn. 17 ff. 575  Kommissionsempfehlung in Anhang II Ziff. 2 S. 3 und 4 („geeignete Konse­ quenzen“); zu den vergleichbaren Pflichten von Rechtsberatern nach dem SOA Block, BKR 2003, 774, 783.

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2. Kap.: Tatbestandsebene

ben sorgfältig nachgegangen ist und seine Bedenken im Aufsichtsrat klar und deutlich geäußert hat und dennoch überstimmt wurde, handelt es sich auch trotz des verschärften Sorgfaltsmaßstabs nicht mehr um ein nicht abzuschät­ zendes Existenzrisiko. Auf diesem Weg sollte es unter Beibehaltung der ver­ haltenssteuernden Funktion der verschärften Haftung sehr wohl möglich sein, geeignete Personen für das nach wie vor sehr prestigeträchtige Amt des Auf­ sichtsratsmitglieds und Finanzexperten begeistern zu können.

Zwischenergebnis Durch das Merkmal der Finanzexpertise wird erstmals Sachverstand als eine Mindestvoraussetzung für die Übernahme eines Aufsichtsratsmandates verlangt. Anders als die Unabhängigkeit lässt sich die Finanzexpertise posi­ tiv umschreiben und ist daher weniger problematisch. Eine pauschale Defi­ nition des Begriffs scheidet jedoch aus, da die Finanzexpertise abhängig vom Geschäftsfeld der Gesellschaft, der jeweils anzuwendenden Bilanzie­ rungsmethode und der internationalen Ausrichtung des Unternehmens ist. Im Grunde ist die Finanzexpertise zu bejahen, wenn das betreffende Mit­ glied eine gewisse theoretische Vorbildung auf dem Gebiet der Finanzbe­ richterstattung und einschlägige praktische Erfahrungen, die durch die Arbeit an der Erstellung oder Prüfung von Finanzberichten erworben wurden, vorweisen kann. Es kommt darauf an, dass der Finanzexperte tiefgründige Kenntnisse über die Überwachung des Rechnungslegungsprozesses und der Finanzinformationen, der Kontrolle des internen Kontroll-, Risikomanage­ ment- sowie Revisionssystems hat und in der Lage ist, auf Augenhöhe mit dem Abschlussprüfer und dem Finanzvorstand zu agieren. Grundsätzlich muss die Finanzexpertise zum Zeitpunkt der Amtsübernah­ me vorliegen. Ausnahmen kommen nur in zwei Fällen in Betracht. Zum einen ist eine Anlernphase zulässig, wenn die jeweilige Person ein Finanz­ experte in einer anderen Bilanzierungsmethode ist und sich erst in die Be­ sonderheiten der Bilanzierungsmethode der betreffenden Gesellschaft einar­ beiten muss. Zum anderen können die erforderlichen unternehmensspezifi­ schen Kenntnisse erst nach Amtsantritt erworben werden. Der Finanzexperte unterliegt aufgrund seiner besonderen Kenntnisse einer gesteigerten Haftung, ein höherer Sorgfaltsmaßstab ist anzulegen. Allerdings unterliegt er keinesfalls einer Erfolgshaftung und ihm stehen bedeutende Exkulpationsmöglichkeiten zu, speziell durch die Protokollierung seiner Berichte an das Gesamtgremium und seines möglicherweise abweichenden Stimmverhaltens.



D. Erstmalige Anwendung von § 100 Abs. 5 AktG181

D. Erstmalige Anwendung von § 100 Abs. 5 AktG Die durch das BilMoG neu eingeführten Anforderungen an die personel­ le Besetzung des Aufsichtsrats machen möglicherweise eine neue Beset­ zung des Aufsichtsrats notwendig, nämlich dann, wenn keines der bisheri­ gen Aufsichtsratsmitglieder die Kriterien von § 100 Abs. 5 AktG erfüllt. Fraglich ist, ab welchem Zeitpunkt die betroffenen Gesellschaften die Vor­ gaben von § 100 Abs. 5 AktG erfüllen müssen. Vor dem Hintergrund, dass diese Vorgaben nur für Gesellschaften i. S. d. § 264d HGB Geltung bean­ spruchen, kommen zwei Konstellationen in Betracht: Entweder eine Ge­ sellschaft war zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des BilMoG bereits kapi­ talmarktorientiert und muss daher die neuen Vorgaben sofort nach deren Inkrafttreten beachten, oder eine Gesellschaft wird erst nach dem Inkraft­ treten des BilMoG durch die erstmalige Emission von Wertpapieren i. S. v. § 2 Abs. 1 WpHG, beispielsweise im Rahmen eines Börsengangs (Initial Public Offering – „IPO“), zur kapitalmarktorientierten Kapitalgesellschaft. Fraglich ist in beiden Fällen, ob den betroffenen Gesellschaften eine Über­ gangsfrist gewährt wird.

I. Bei Inkrafttreten des BilMoG bereits kapitalmarktorientierte Gesellschaften Für Gesellschaften, die bereits zum Zeitpunkt des Inkrafttretens kapital­ marktorientiert waren, lässt sich die Frage bezüglich der Übergangsfrist ohne Weiteres beantworten, da der Gesetzgeber eine Übergangsvorschrift geschaffen hat. In § 12 Abs. 4 Einführungsgesetz zum Aktiengesetz („EG­ AktG“) heißt es, dass §§ 100 Abs. 5 und 107 Abs. 4 AktG keine Anwendung finden, solange alle Mitglieder des Aufsichtsrats und des Prüfungsausschus­ ses vor dem 29. Mai 2009, d. h. dem Tag des Inkrafttretens des BilMoG, bestellt worden sind. Sie müssen demnach erst bei einer Umbesetzung des Aufsichtsrats nach dem 29. Mai 2009 berücksichtigt werden. Durch diese Übergangsphase soll vermieden werden, dass Gesellschaften bis dahin wirk­ sam bestellte Aufsichtsratsmitglieder austauschen müssen, um den Anforde­ rungen zu genügen („ad-hoc Umstrukturierung“).576 Es genüge daher, wenn die neuen Anforderungen bei der nächstmöglichen Aufsichtsratsbestellung – in der Regel bei turnusgemäßem Wechsel – erfüllt werden. Aus dem Zu­ satz „in der Regel bei turnusgemäßem Wechsel“ ergibt sich, dass auch bei nicht-turnusgemäßen, außerordentlichen Wechseln die neuen Anforderungen zu beachten sind. Dem Wortlaut nach ist entscheidend für die Beendigung 576  Begründung

des Rechtsausschusses zum BilMoG, BT-Drucks. 16 / 12407 S. 97.

182

2. Kap.: Tatbestandsebene

der von § 12 EGAktG gewährten Übergangsphase allein der erste personel­ le Wechsel der Besetzung des Aufsichtsratsgremiums. Fraglich ist, ob dies auch gilt, wenn ein Arbeitnehmervertreter ausschei­ det. Dem Wortlaut nach, der nicht zwischen Arbeitnehmer- und Anteilseig­ nervertretern unterscheidet, müsste auch ein Wechsel auf der Arbeitnehmer­ seite dazu führen, dass § 100 Abs. 5 AktG erstmalig berücksichtigt werden muss.577 Gegen diese Auslegung sprechen jedoch teleologische Gesichts­ punkte. Wie bereits festgestellt wurde, können Arbeitnehmervertreter nicht die Rolle des unabhängigen Finanzexperten im Sinne von § 100 Abs. 5 AktG übernehmen. Zudem sind die Ersatzmitglieder für Arbeitnehmerver­ treter bereits gewählt, sodass keine Möglichkeit besteht, die frei gewordenen Aufsichtsratsposten mit einem Finanzexperten zu besetzen.578 Ein zuvor rechtmäßig gewähltes Mitglied der Anteilseignerseite müsste vorzeitig sei­ nen Hut nehmen und für einen Finanzexperten seinen Platz räumen. Gerade dieses Ergebnis möchte die Übergangsregelung in § 12 Abs. 4 EGAktG aber vermeiden. § 12 Abs. 4 AktG ist daher einschränkend dahin auszulegen, dass § 100 Abs. 5 AktG erstmals dann zu beachten ist, wenn der erste per­ sonelle Wechsel auf der Anteilseignerseite seit dem Inkrafttreten des Bil­ MoG stattfindet.579 Eine andere Übergangsvorschrift gilt allerdings gemäß Art. 66 Abs. 4 HS 1 Einführungsgesetz zum Handelsgesetzbuch („HGB-EG“) für kapital­ marktorientierte Unternehmen, die keinerlei Aufsichtsorgan eingerichtet haben, aber gemäß §§ 324, 340k Abs. 5, 341k Abs. 4 HGB dazu verpflichtet sind, einen Prüfungsausschuss einzurichten.580 In diesen Fällen ist es im Gegensatz zum Aufsichtsrat von Aktiengesellschaften möglich, ohne im Rahmen einer ad-hoc Umstrukturierung des Aufsichtsrats bereits wirksam bestellte Aufsichtsratsmitglieder austauschen zu müssen, umgehend durch die Einrichtung und entsprechende Besetzung eines Prüfungsausschusses den neuen Anforderungen zu entsprechen. In diesen Fällen ist es daher gerechtfertigt, von den Unternehmen die sofortige Einrichtung eines Prü­ fungsausschusses zu verlangen.581 Der Gesetzgeber hat den betroffenen Gesellschaften in Art 66 Abs. 4 HS 1 HGB-EG für die Einrichtung und Besetzung eines Prüfungsausschusses eine Frist bis zum 1. Januar 2010 gewährt.

577  Ziemons,

GWR 2009, 106. GWR 2009, 106. 579  Frhr. v. Falkenhausen / Kocher, ZIP 2009, 1601. 580  Siehe dazu 1. Kapitel D. II. 581  Begründung des Rechtsausschusses vom 24.3.2009, BT-Drucks. 16  /  12407 S. 95. 578  Ziemons,



D. Erstmalige Anwendung von § 100 Abs. 5 AktG183

II. Nach Inkrafttreten des BilMoG eingetretene Kapitalmarktorientierung Für Gesellschaften, die erst nach dem Inkrafttreten des BilMoG, bei­ spielsweise durch einen Börsengang, zu kapitalmarktorientierten Gesell­ schaften werden, stellt sich die Frage, ab welchem Zeitpunkt ein unabhän­ giges Mitglied ihres Aufsichtsrats ein Finanzexperte zu sein hat. Üblicher­ weise ist der Aufsichtsrat von Neuemittenten mit Vertretern der Investoren besetzt, denen die Anteile der Gesellschaft gehören und die versuchen, sich durch den Börsengang von den Anteilen zu trennen. Diese werden regelmä­ ßig aufgrund des erheblichen Interessenskonfliktes, dem Sie aufgrund Ihrer Stellung als Vertreter des abgebenden Eigentümers unterliegen, nicht als unabhängig angesehen werden können. Den Aufsichtsrat vor dem Börsen­ gang bereits mit einem unabhängigen Finanzexperten zu besetzen, ist jedoch regelmäßig problematisch, da bis zum Ende der Angebotsfrist nicht abzuse­ hen ist, ob der Börsengang erfolgreich abgeschlossen, oder mangels Nach­ frage oder aus sonstigen Gründen abgebrochen wird. Im Fall des Abbruchs wäre der Aufsichtsrat mit einem unabhängigen Aufsichtsratsmitglied besetzt, welches dann wiederum abberufen und ersetzt werden müsste.582 Die SEC gewährt Gesellschaften, die erstmals die neuen Anforderungen erfüllen müs­ sen, daher in ihrer Mitteilung zum SOA eine Übergangsfrist.583 Gesellschaften, die einen organisierten Markt in Deutschland in An­ spruch nehmen möchten, gelten jedoch gemäß § 264d HGB bereits dann als kapitalmarktorientiert, wenn sie die Zulassung von Wertpapieren zum Handel an einem organisierten Markt beantragt haben. Eine Ausnahmevor­ schrift, in Betracht käme beispielsweise eine mit § 12 Abs. 4 EGAktG ver­ gleichbare Regelung, d. h. die neuen Vorschriften wären erst ab der nächst­ möglichen Aufsichtsratsbestellung zu beachten, ist nicht ersichtlich. Auf­ grund des klaren Wortlauts von § 100 Abs. 5 AktG i. V. m. § 264d HGB müssen Gesellschaften mithin ab dem Zeitpunkt der Beantragung der Zu­ lassung von Wertpapieren zum Handel die Vorschriften des § 100 Abs. 5 AktG beachten.584

582  SEC

Release No. 33.8220 II A. 4, a. a. O. Fn. 54. Release No. 33.8220 II A. 4, a. a. O. Fn. 54: „[under the exception for companies coming to the market for the first time, these issuers are required to have] at least one fully independent member at the time of the an issuer’s initial listing, a majority of independent members within 90 days, and a fully independent committee within one year.“ 584  Sünner, FS Uwe H. Schneider 2011, 1301, 1302 f.; im Ergebnis wohl auch Widmann, BB 2009, 2602, 2605. 583  SEC

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2. Kap.: Tatbestandsebene

Abschnittsergebnis Die theoretische Untersuchung des Tatbestands von § 100 Abs. 5 AktG ist damit abgeschlossen. Die Untersuchung der Tatbestandsmerkmale hat ge­ zeigt, dass neue Anforderungen an den Finanzexperten gestellt werden, die erheblich über die Anforderungen an die normalen Aufsichtsratsmitglieder hinausgehen. Als Mindestvoraussetzungen müssen sie, mit kleineren Aus­ nahmen, zum Zeitpunkt der Amtsübernahme vorliegen und müssen dauer­ haft beibehalten werden. Wer die Voraussetzungen der Unabhängigkeit und Finanzexpertise nicht kumulativ erfüllt, kann nicht Finanzexperte i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG sein. Speziell das Merkmal der Unabhängigkeit bereitet dabei Schwierigkeiten, da ein reines Abhaken von äußeren Merkmalen nicht ausreicht, sondern vielmehr die innere Einstellung des jeweiligen Mitglieds geprüft werden muss. Aufgrund der sehr sparsamen Aussagekraft des Wortlauts und der Mate­ rialien zu § 100 Abs. 5 AktG hat die Auslegung der Merkmale überwiegend im Lichte von Sinn und Zweck der Norm zu erfolgen. Sinn und Zweck von § 100 Abs. 5 AktG ist es, die richtige und zeitnahe Information sämtlicher Investoren und der sonstigen Kapitalmarktakteure abzusichern. Die nahezu unbegrenzten Auslegungsmöglichkeiten der Regelung werden begrenzt durch die allgemeinen Vorgaben und Grundsätze des deutschen Aktiengeset­ zes. Die europäischen Vorgaben zur Unabhängigkeit sind nicht zwingend und daher nur insoweit beachtlich, als sie mit den sonstigen Grundsätzen des Aktiengesetzes zu vereinbaren sind. Im Ergebnis ergibt sich folgendes Bild: Bezüglich der Pflicht zur Bestellung eines Finanzexperten ist zunächst nach dem Gesellschaftszweck zu differenzieren. Versicherungsgesellschaften müssen unabhängig von ihrer Rechtsform im Falle der Emission von Aktien oder Schuldtiteln (Wertpapiere) § 100 Abs. 5 AktG beachten. Für Kreditin­ stitute gilt selbiges, nur für kleinste Kreditinstitute ist dieser Grundsatz einzuschränken; sie müssen trotz der Ausgabe von Wertpapieren die Vor­ schriften von § 100 Abs. 5 AktG nicht beachten. Für alle Gesellschaften mit einem anderen Gesellschaftszweck kommt es auf die Emission von Wert­ papieren an. Ein Aufsichtsratsmitglied ist unabhängig, wenn es keinen Anreizen unter­ liegt, im Eigen- oder Drittinteresse die Finanzberichte der Gesellschaft nicht der Realität entsprechend darzustellen. Zusätzlich muss die Person die Fä­ higkeiten, den Willen und den Mut mitbringen, die kritischen Punkte aufzu­ spüren und sich in den entscheidenden Situationen, unter Umständen auch gegen den Willen der Mehrheit des Gremiums und des Vorstands, zu erhe­ ben und kritische Fragen zu stellen.



D. Erstmalige Anwendung von § 100 Abs. 5 AktG185

Die Finanzexpertise ist zu bejahen, wenn das betreffende Mitglied eine gewisse theoretische Vorbildung auf dem Gebiet der Finanzberichterstattung und einschlägige praktische Erfahrungen, die durch die Arbeit an der Erstel­ lung oder Prüfung von Finanzberichten erworben wurden, vorweisen kann. Ab dem Zeitpunkt der ersten personellen Umbesetzung auf der Anteils­ eignerseite des Aufsichtsrats sind die neuen Vorgaben zu beachten. Gesell­ schaften, die erst nach Inkrafttreten des BilMoG erstmals als „kapitalmarkt­ orientiert“ gelten, müssen bereits zum Zeitpunkt der Beantragung der Zu­ lassung von Wertpapieren zum Handel die Vorschriften des § 100 Abs. 5 AktG beachten.

3. Kapitel

Praktische Umsetzung Nachdem die theoretische Seite von § 100 Abs. 5 AktG untersucht wurde, fragt sich, wie die neuen Vorgaben in der Praxis umzusetzen sind. Zu dieser Frage lassen sich jedoch weder der Norm noch den Gesetzgebungsmateria­ lien Hinweise entnehmen. Die praktische Umsetzung der neuen Vorgaben hat mithin im Rahmen der allgemeinen aktienrechtlichen Grundsätze zu erfolgen. Neben der Umsetzung ist weiterhin unklar, welche Rechtsfolgen die fehlerhafte Besetzung des Aufsichtsrats für das Gesamtgremium, aber auch speziell für den (vermeintlichen) Finanzexperten hat. Die von § 100 Abs. 5 AktG begründete Pflicht, den Aufsichtsrat mit we­ nigstens einem unabhängigen Finanzexperten zu besetzen, hat einen dauer­ haften Charakter. Dem Aufsichtsrat muss nicht nur zum Zeitpunkt der Wahl, sondern auch zu jedem Zeitpunkt nach der Wahl mindestens ein unabhän­ giger Finanzexperte angehören. Die Unabhängigkeit ausschließende Interes­ senskonflikte oder fehlender Sachverstand können bereits zu Beginn der Aufsichtsratstätigkeit vorliegen. Sie können jedoch auch erst nachträglich im Laufe der Mandatsausübung entstehen. Ein Verstoß kann sich demnach auf zwei Wegen ergeben: 1. Das Amt des letzten unabhängigen Finanzexperten endet und es wird kein neuer unabhängiger Finanzexperte in den Aufsichtsrat gewählt. Das Ende der Amtszeit kann wie bei allen anderen Aufsichtsratsmitgliedern der Anteilseignerseite im Rahmen einer ordentlichen Beendigung durch das Ende der Amtsperiode, aber auch durch die außerordentlichen Been­ digungsgründe der Amtsniederlegung, der Abberufung oder des Todes des Mitglieds eintreten585; oder 2. Im Verlauf der Amtsperiode verliert der letzte verbliebene unabhängige Finanzexperte eines oder gar beide der zusätzlichen Qualifikationsmerk­ male, sodass als direkte Folge kein Aufsichtsratsmitglied mehr die beson­ deren Anforderungen erfüllt und damit der Gesamtaufsichtsrat nicht mehr der Bestimmung von § 100 Abs. 5 AktG entsprechend besetzt ist. 585  Unter diesen Fall lässt sich auch die Situation fassen, dass die Übergangsfrist nach § 12 Abs. 4 EGAktG abläuft und bei der ersten Wahl danach kein unabhängiger Finanzexperte in den Aufsichtsrat gewählt wird.



A. Die Wahl des Finanzexperten187

Je nachdem, ob der Verstoß gegen § 100 Abs. 5 AktG in Folge von per­ sonellen Umbesetzungen des Gremiums durch Wahlen erfolgte, oder durch den Wegfall der zusätzlichen Merkmale des letzten unabhängigen Finanz­ experten entstanden ist, ergeben sich erhebliche Unterschiede. Der erste Unterschied ist, dass im ersten Fall (der Beendigung der Amtszeit des letzten Finanzexperten) ein Platz im Gremium frei wird, der dann entspre­ chend neu besetzt werden kann und muss. Dagegen ist der Aufsichtsrat im zweiten Fall (Verlust der Qualifikationen innerhalb der Amtsperiode) zu­ nächst einmal weiterhin zahlenmäßig vollständig besetzt. Eine Neubesetzung kann nicht erfolgen, solange nicht ein Platz frei wird. Der zweite wesentli­ che Unterschied liegt darin, dass zum Zeitpunkt der Wahl besondere Infor­ mations- und auch Beschlussmängelrechte der Aktionäre bestehen, die auf­ grund ihrer zeitlichen Befristung nicht ohne Weiteres auch innerhalb der Amtsperiode geltend gemacht werden können. Die beiden Situationen be­ dürfen deswegen einer gesonderten Betrachtung und sind jeweils einer ei­ genständigen rechtlichen Bewertung zu unterziehen. Hier soll mit dem Zeitraum der Wahl begonnen werden, speziell mit den Problemkreisen, welche Besonderheiten bei der Wahl zu beachten sind und wer die fehlen­ den Qualifikationen in diesem Zeitraum überprüfen kann und muss (A.). Sodann ist zu untersuchen, wer innerhalb der Amtsperiode zu überprüfen hat, ob die Gesellschaft den Vorgaben von § 100 Abs. 5 AktG entspricht (B.). Zuletzt sind die Rechtsfolgen, die das Fehlen eines unabhängigen Fi­ nanzexperten im Aufsichtsrat einer kapitalmarktorientierten Gesellschaft mit sich bringt, zu beleuchten (C.).

A. Die Wahl des Finanzexperten Obwohl die Unabhängigkeit und die Finanzexpertise während der gesam­ ten Wahlperiode vorhanden sein und überprüft werden müssen, ist die Wahl des unabhängigen Finanzexperten schlechthin der kritische Zeitpunkt zur Kontrolle des Vorliegens seiner besonderen Qualifikationen. Das liegt darin begründet, dass Voraussetzung für das Beschlussmängelrecht ein Hauptver­ sammlungsbeschluss ist und ausschließlich die Wahl des Finanzexperten einen solchen Hauptversammlungsbeschluss erfordert.586 Die Prozedur zur Wahl des unabhängigen Finanzexperten weicht aufgrund der von ihm geforderten, besonderen persönlichen Qualifikationen von der Prozedur bei den „üblichen“ Aufsichtsratswahlen teilweise ab. Zu beachten sind die Fragen, wann die Wahl eines Finanzexperten notwendig ist (I.), wer 586  Widmann, BB 2009, 2602, 2603; vgl. zu den Voraussetzungen des Beschluss­ mängelrechts Langenbucher, § 6 Rn. 226.

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3. Kap.: Praktische Umsetzung

für die (Voraus-)Wahl zuständig ist (II.), ob die Person ausdrücklich im Wahlvorschlag zu benennen ist (III.) und ob und wie die Wahlen durch Gerichte überprüft werden können (IV.). Die Besonderheiten sind gerade vor dem Hintergrund missbräuchlicher Anfechtungsklagen genau auszu­ leuchten, um den betroffenen Gesellschaften einen praktikablen Weg aufzu­ zeigen, wie sie der Vorgabe von § 100 Abs. 5 AktG entsprechen können, ohne Anfechtungsklägern neue Angriffsflächen zu bieten.

I. Notwendigkeit der Wahl eines Finanzexperten Zunächst ist festzustellen, dass nicht jede Aufsichtsratswahl, auch nicht notwendigerweise die erste nach dem Inkrafttreten des BilMoG, zwingend die Wahl eines unabhängigen Finanzexperten erfordert. Die Übergangsrege­ lung gilt zwar nur bis zur ersten personellen Umbesetzung des Gremiums nach dem Inkrafttreten des BilMoG. Erfüllt ein Aufsichtsratsmitglied zum Zeitpunkt der ersten Aufsichtsratswahl nach dem Inkrafttreten des BilMoG jedoch die von § 100 Abs. 5 AktG geforderten Merkmale der Unabhängig­ keit und Finanzexpertise und ist dessen Amtszeit noch nicht abgelaufen, dann besteht keine Pflicht für den Aufsichtsrat, zusätzlich einen unabhängi­ gen Finanzexperten vorzuschlagen. Das Gremium ist entsprechend § 100 Abs. 5 AktG mit mindestens einem Finanzexperten besetzt.587 Erst wenn die Amtsperiode dieses bereits vorhandenen Finanzexperten abläuft, muss der Aufsichtsrat seine Wahlvorschläge dahingehend überprüfen, dass wenigstens ein vorgeschlagener Kandidat die von § 100 Abs. 5 AktG geforderten Merk­ male erfüllt.588

II. Vorschlagsrecht / -pflicht des Aufsichtsrats Genügt keines der Aufsichtsratsmitglieder den Anforderungen von § 100 Abs. 5 AktG, oder endet die Amtsperiode des einzigen Finanzexperten, so beginnt die Prozedur der Wahl des unabhängigen Finanzexperten. Aus § 124 Abs. 3 S. 1 AktG ergibt sich, dass der Aufsichtsrat – ohne Mitwirkung des Vorstandes – der Hauptversammlung Wahlvorschläge zur Wahl von Auf­ sichtsratsmitgliedern unterbreiten soll. Die Hauptversammlung wählt dann ohne Bindung an die Vorschläge die neuen Aufsichtsratsmitglieder. Theore­ tisch ist die Hauptversammlung damit zwar das entscheidende Wahlorgan. Faktisch ist in Publikumsgesellschaften die Aufsichtsratswahl durch das 587  Zu der Frage, ob es einer Legitimation des Finanzexperten durch die Haupt­ versammlung bedarf, siehe 3. Kapitel A. III. 2. 588  Vetter, LA für Martin Winter, 2011, 701, 710.



A. Die Wahl des Finanzexperten189

Vorschlagsrecht des Aufsichtsrats allerdings mehr eine Quasi-Kooptation, da die Hauptversammlung in der überwältigenden Anzahl der Fälle den Vor­ schlägen des Aufsichtsrats zustimmt.589 Da der Aufsichtsrat das Vorschlagsrecht hat, wird ihm einstimmig die Hauptverantwortung für die Feststellung der Unabhängigkeit im konkreten Einzelfall zugewiesen.590 Der Aufsichtsrat kann gezielt Personen auswählen, die das Anforderungsprofil erfüllen. Im Zeitraum vor der Wahl und Bestel­ lung des unabhängigen Finanzexperten, konkret ist dies die Phase der Erar­ beitung von Vorschlägen für die Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern, ist es mithin die Aufgabe des Aufsichtsrats, eine oder mehrere Personen auszu­ wählen, die als unabhängiger Finanzexperte i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG anzu­ sehen sind. In diesem Stadium müssen die im konkreten Fall möglicherwei­ se bestehenden Risiken für die Unabhängigkeit angesprochen und aufklärt sowie die Finanzexpertise geprüft werden.591 Von besonderer Bedeutung für die weiteren Überlegungen ist, dass für die Prüfung der rechtmäßigen Zusammensetzung des Gremiums zumindest or­ ganintern die Person des jeweiligen Aufsichtsratsmitglieds, das die zusätz­ lichen Merkmale von § 100 Abs. 5 AktG erfüllen soll, bekannt sein muss (Gebot ausdrücklicher Beschlussfassung).592 Anders wäre eine sinnvolle Diskussion und Entscheidung des Gremiums zu der Frage, ob die Merkma­ le erfüllt werden, nicht möglich. Die pauschale Feststellung, dass eines der Mitglieder die Voraussetzungen schon erfüllen werde, kann sicherlich nicht ausreichen. Intern ist der Finanzexperte mithin bekannt. 1. Zuständigkeit für den Vorschlag innerhalb des Aufsichtsrats Für die Erarbeitung der Wahlvorschläge kann der Aufsichtsrat als Ge­ samtgremium zuständig sein, oder aber ein Aufsichtsratsausschuss. Die Kommissionsempfehlung berücksichtigt die Möglichkeit des einflusskonfor­ men Verhaltens des Gewählten gegenüber dem Wahlorgan und den Vor­ schlagsberechtigten. Daher schlägt sie in Anhang I Ziff. 2.1.2 vor, dass die Wahlvorschläge für die Aufsichtsratswahl von einem Nominierungsaus­ schuss des Aufsichtsrats erarbeitet werden sollten, dem überwiegend unab­ 589  Lutter, DB 2009, 775, 778; noch weitergehend Peltzer, NZG 2009, 1041, 1043, wonach der Vorstand sich häufig einen ruhigen Aufsichtsrat zusammenstellt. 590  RegBegr. BT-Drucks. 16 / 10067, S. 101; Ziff. 13.2., Anhang II Ziff. 1 S. 2, 3 Kommissionsempfehlung; Jaspers, AG 2009, 607, 610; Lanfermann / Röhricht, BB 2009, 887, 888; Schilmar, Der Aufsichtsrat 2009, 101, 102. 591  RegBegr. BT-Drucks. 16 / 10067, S. 102. 592  Vgl. BGH NJW 1964, 1367; Hüffer, in: MüKo-AktG, Band 7, § 256 Rn. 42; zur Frage der Offenlegung der Person siehe 3. Kapitel A. III. und B. II.

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3. Kap.: Praktische Umsetzung

hängige Mitglieder angehören. Eine gesetzliche Pflicht zur Bildung eines Nominierungsausschusses kennt das deutsche Gesellschaftsrecht jedoch nicht. Ziff. 5.3.3 DCGK empfiehlt zwar die Einrichtung eines Nominie­ rungsausschusses, allerdings empfiehlt sie nicht dessen mehrheitliche Beset­ zung mit unabhängigen Mitgliedern. Dies wäre auch nur in den seltensten Fällen möglich, da dann wenigstens zwei, im Falle eines Ausschusses mit Beschlusskompetenz sogar drei, unabhängige Mitglieder im Aufsichtsrat und Nominierungsausschuss vorhanden sein müssten. Vielmehr nimmt der deutsche Gesetzgeber es in rechtspolitisch fragwürdiger, aber de lege lata vermutlich mangels anderweitiger Optionen so hinzunehmender, Weise in Kauf, dass die nicht-unabhängigen Aufsichtsratsmitglieder über die Unab­ hängigkeit eines ihrer zukünftigen Kollegen entscheiden sollen. Die Einrich­ tung eines Nominierungsausschusses liegt jedenfalls im Ermessen des Ge­ samtgremiums.593 Es besteht keine dahingehende Rechtspflicht. 2. Verfahren innerhalb des Aufsichtsrats § 100 Abs. 5 AktG lässt offen, in welchem Verfahren der Aufsichtsrat im Rahmen der Diskussion über die Unabhängigkeit und der Sachkunde eines der Wahlkandidaten zu seiner Einschätzung über das Vorliegen dieser be­ sonderen Merkmale zu gelangen hat. a) Beschlussverfahren Grundsätzlich müssen Entscheidungen des Aufsichtsrats gemäß § 108 Abs. 1 AktG durch Beschluss gefasst werden. Fraglich ist, ob es sich bei dem Ergebnis der organinternen Diskussion, ob ein Mitglied oder ein vor­ geschlagener Kandidat unabhängig und sachverständig ist, um eine solche Entscheidung des Aufsichtsrats handelt. Um Entscheidungen des Organs handelt es sich regelmäßig, wenn ein Organwille gebildet werden muss.594 Typische Beispiele für Entscheidungen des Aufsichtsrats sind Einwilligun­ gen und Zustimmungen zu Geschäftsführungsmaßnahmen, beispielsweise im Rahmen von §§ 59 Abs. 3, 111 Abs. 4 AktG. Gesetzlich nicht verlang­ te, tatsächliche Erklärungen des Aufsichtsrats ohne unmittelbare Rechtsfol­ gen fallen hingegen nicht unter § 108 Abs. 1 AktG und erfordern keine Beschlussfassung. Typische bloße Äußerungen sind Beanstandungen, 593  v.  Werder / Wieczorek, DB 2007, 297, 302 empfehlen die Einrichtung eines Nominierungsausschusses. 594  Mertens, in: KK-AktG, Band 2, § 108 Rn. 6 ff.; Hopt / Roth, Großkomm-AktG, Band 4, § 108 Rn. 15; Spindler, in: Spindler / Stilz, Band 1, § 108 Rn. 5.



A. Die Wahl des Finanzexperten191

­ ritik, Vorschläge oder spontane Stellungnahmen zu Berichten des Vor­ K stands.595 Die Feststellung des Aufsichtsrats, dass eines seiner Mitglieder die zusätzlichen Merkmale von § 100 Abs. 5 AktG erfüllt, lässt sich nicht ohne Weiteres einer diesen beiden Gruppen zuordnen. Allerdings handelt es sich bei der Frage bezüglich der hinreichenden Qualifikation eines Mit­ glieds um eine Frage, die für die Rechtmäßigkeit der Zusammensetzung des Aufsichtsrats von Bedeutung ist. Die Feststellung hat zumindest mit­ telbare Rechtsfolgen, da im Falle der Verneinung der zusätzlichen persön­ lichen Merkmale der Aufsichtsrat in seiner Gesamtheit fehlerhaft besetzt ist. Mithin handelt es sich bei der Feststellung der Unabhängigkeit und Sachkunde eines Mitglieds um einen Akt der organinternen Willensbil­ dung, sodass im Ergebnis eine Beschlussfassung des Aufsichtsrats über diese Frage notwendig ist. b) Abstimmungsmodalitäten Mangels gegenteiliger Hinweise ist davon auszugehen, dass für den Be­ schluss des Aufsichtsrats über die Unabhängigkeit eines seiner Mitglieder nach den allgemeinen Grundsätzen, vergleichbar mit der Beschlussfassung über die Wahlvorschläge gemäß § 124 Abs. 3 S. 5 HS 1 AktG, die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich aber auch ausreichend ist.596 Von besonderer Bedeutung ist dabei, dass die Arbeitnehmervertreter gemäß § 124 Abs. 3 S. 5 HS 1 AktG nicht an der Auswahl der Vorschläge für die Aufsichtsratswahlen der Arbeitnehmerseite zu beteiligen sind. Mithin ist die einfache Mehrheit der Anteilseignervertreter ausreichend bei der Abstimmung innerhalb des Gremiums, ob einer der Wahlvorschläge die notwendige Unabhängigkeit und Finanzexpertise mitbringt.597

III. Pflicht zur Offenlegung / Benennung des Finanzexperten Gemäß dem Wortlaut von § 100 Abs. 5 AktG („ein unabhängiges Mitglied des Aufsichtsrats muss über Sachverstand verfügen“) kommt es zur Erfüllung dieser Vorgabe nur auf die Präsenz eines unabhängigen Finanzexperten im Aufsichtsrat an. Daraus lässt sich folgern, dass der Aufsichtsrat zumindest 595  Mertens, in: KK-AktG, Band 2, § 108 Rn. 8, 11; Baltzer, Beschluß als rechts­ technisches Mittel, S. 42 ff. 596  So wohl auch Widmann, BB 2009, 2602, 2606; zum allgemeinen Grundsatz statt vieler Hüffer; AktG, § 108 Rn. 6. 597  Hüffer, ZIP 2006, 637, 640; so auch zu Ziff. 5.4.2 DCGK Meder, Unabhän­ gigkeit, S.  103 f.

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3. Kap.: Praktische Umsetzung

intern ein oder mehrere Aufsichtsratsmitglieder als unabhängigen Finanzex­ perten bestimmen muss. Eine Pflicht der Gesellschaft, die Person des Finanz­ experten offenzulegen, ergibt sich jedoch nicht ausdrücklich aus § 100 Abs. 5 AktG. Für den Kapitalmarkt und den Vertrauensgewinn der Öffentlichkeit ist es jedoch von großer Bedeutung, ob die Gesellschaft die Pflicht trifft, die Person des intern als Finanzexperten bestimmten Aufsichtsratsmitglieds nach außen offenzulegen und ob darüber hinaus möglicherweise sogar eine Legiti­ mation des Finanzexperten durch die Hauptversammlung erfolgen muss. 1. Internationales Umfeld Die Abschlussprüferrichtlinie schweigt zur Frage der Offenlegung. Dage­ gen soll nach Ziff. 13.3 der Kommissionsempfehlung das Ergebnis, zu dem der Aufsichtsrat bei seiner Prüfung, ob ein bestimmtes Mitglied als unab­ hängig zu betrachten ist, gelangt ist, in geeigneter Form offen gelegt wer­ den. Gemäß Ziff. 13.3.1 S. 3 der Kommissionsempfehlung sollten Gesell­ schaften darüber hinaus jährlich offen legen, welche Mitglieder sie als un­ abhängig ansehen. Nicht konkretisiert wird von der Kommissionsempfehlung dagegen, wo und in welcher Form die Offenlegung stattfinden soll. Eine Pflicht zur Offenlegung gilt ebenfalls für die amerikanische Vorbild­ regelung. Sie ordnet eine Offenlegung des Independent Financial Expert zwar nicht per Gesetz an. Seine Benennung wird jedoch von einer SECVerordnung gefordert, da eine Offenlegung den Investoren helfe und die beabsichtigte Steigerung des Vertrauens der Märkte nur durch die Offenle­ gung der Person des Finanzexperten zu erreichen sei.598 Die an US-Börsen gelisteten deutschen Unternehmen erfüllen diese Vorgabe.599 2. Rechtslage in Deutschland Eine Pflicht zur Offenlegung der Präsenz eines unabhängigen Finanzexper­ ten oder gar die konkrete Benennung eines Aufsichtsratsmitglieds als unab­ 598  SEC Release No. 33-8177 II A. 2, a. a. O. Fn. 12; „We believe that disclosure of the name of the audit committee financial expert is necessary to benefit investors and to carry out the purpose of Section 407 [SOA].“; vgl. Block, BKR 2003, 774, 781. 599  Die benannten Finanzexperten der in den USA gelisteten deutschen Gesell­ schaften: Erhard Schipporeit (SAP), Bernhard Walter (Daimler), Clemens Börsig, Dr. Karl Gerhard Eick (Deutsche Bank), Bernd Fahrholz, Walter L. Weismann, William P. Johnston (Fresenius Medical Care), Gerhard Cromme, Dr. Hans Michael Gaul (Siemens), Dr. Wolfgang Blättchen (Aixtron), Franz B. Humer, Wolf H. Berno­ tat, Igor Landau (Allianz – vor dem Delisting).



A. Die Wahl des Finanzexperten193

hängiger Finanzexperte wird von § 100 Abs. 5 AktG nicht ausdrücklich ge­ fordert. Die Regierungsbegründung und auch die anderen Materialien zu § 100 Abs. 5 AktG gehen mit keinem Wort auf diese Fragestellung ein, so­ dass ein beredtes Schweigen und ein bewusster Verzicht auf die Offenle­ gungspflicht nicht angenommen werden kann. § 100 Abs. 5 AktG lässt sich mithin weder in die eine noch in die andere Richtung eine verbindliche Re­ gelung entnehmen. Die deutschen Aufsichtsbehörden haben, anders als bei­ spielsweise die SEC, keine Mitteilung zur Konkretisierung dieser Thematik veröffentlicht. Da auch keine Ermächtigung zum Erlass einer Ausführungs­ verordnung o. ä. zu § 100 Abs. 5 AktG erfolgte, wären die Aufsichtsbehörden zu einer verbindlichen Mitteilung auch nicht berechtigt (Art. 80 Abs. 1 GG).600 Eine Pflicht zur Benennung des Finanzexperten kann sich mithin nur aus anderen, allgemeinen Offenlegungspflichten herleiten lassen. a) Pflicht zur Benennung zum Zeitpunkt der Wahl / Legitimation Teilweise wird eine Legitimation des unabhängigen Finanzexperten durch die Hauptversammlung gefordert.601 Es sei erforderlich, dass die Person des Finanzexperten bereits in der Einladung zur Hauptversammlung, welche die Vorschläge des Aufsichtsrats zur Wahl der neuen Aufsichtsratsmitglieder enthalte, ausdrücklich benannt und offengelegt werde. Angesichts der zent­ ralen Rolle des Finanzexperten sei seine Legitimation durch die Hauptver­ sammlung zwingend erforderlich. Die geforderten persönlichen Eigenschaf­ ten seien konkrete Besetzungsanforderungen, über deren Vorliegen der zu­ ständige Wahlkörper entscheiden können müsse. Eine bloß innerorganisato­ rische Bestimmung des Finanzexperten durch einen „Krönungsbeschluss“ des Gremiums würde dagegen weder der besonderen Bedeutung noch dem gesteigerten Haftungsrisiko des Finanzexperten im Rahmen seiner besonde­ ren Funktion entsprechen. Ferner sei ein solcher interner Beschluss auch nicht mit dem Wortlaut der Übergangsvorschrift des § 12 Abs. 4 EGAktG zu vereinen, der es ausschließe, dass bereits bestellte Aufsichtsratsmitglieder durch Beschluss zum Finanzexperten bestimmt würden.602 600  Allgemein zum Erfordernis einer formellen gesetzlichen Ermächtigungsgrund­ lage für Rechtsverordnungen Detterbeck, Verwaltungsrecht, S. 287. 601  Schilmar, Der Aufsichtsrat 2009, 101, 102; Theisen, Der Aufsichtsrat 2009, 81; zustimmend Rieder / Holzmann, AG 2010, 570, 574. 602  Schilmar, Der Aufsichtsrat 2009, 101, 102; Theisen, Der Aufsichtsrat 2009, 81.

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3. Kap.: Praktische Umsetzung

Die Gegenmeinung argumentiert mit dem Wortlaut der Norm und ver­ neint eine Pflicht zur Benennung des unabhängigen Finanzexperten.603 Weiter wird gegen eine Pflicht zur Veröffentlichung vorgebracht, dass alle Aufsichtsratsmitglieder die gleichen Rechte und Pflichten haben und – ab­ gesehen von den unvermeidlichen Konsequenzen der Mitbestimmung – keine weiteren unterschiedlichen „Klassen“ innerhalb des Kollegialorgans geschaffen werden sollten.604 Auch bestünde die Möglichkeit, dass Anzahl und Identität der Mitglieder variieren, indem ein zunächst nicht hinrei­ chend qualifiziertes Mitglied im Verlauf der Amtsperiode die notwendigen Qualifikationen erst hinzuerwerbe. Auch dann sei ein Finanzexperte ver­ treten.605 Der Argumentation, dass § 12 Abs. 4 EGAktG eine Legitimation des Fi­ nanzexperten durch die Hauptversammlung fordere, ist nicht zu folgen. Bei § 12 Abs. 4 EGAktG handelt es sich ausschließlich um eine Übergangsvor­ schrift, die die Frage der Legitimation des Finanzexperten durch die Hauptversammlung nicht anspricht.606 Das Vorbringen, dass Sinn und Zweck der neuen Regelung aus § 100 Abs. 5 AktG eine Legitimation durch die Hauptversammlung erforderten, hat zwar inhaltlich viel für sich, ist jedoch mit dem klaren Wortlaut des Gesetzes nicht zu vereinbaren: Die Pflichten des Aufsichtsrats zur Information der Hauptversammlung bei der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern ergeben sich aus §§ 124 Abs. 3 S. 1, 3, 125 Abs. 1 S. 3 AktG. Danach hat der Aufsichtsrat seine Vorschläge an die Hauptversammlung zur Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern in der Tagesord­ nung unter Angabe von Name, Beruf und Wohnort der vorgeschlagenen Personen bekannt zu machen. Bei börsennotierten Gesellschaften sind da­ rüber hinaus Angaben zu deren Mitgliedschaft in anderen gesetzlich zu bildenden Aufsichtsräten beizufügen. Mehr wird vom Gesetz nicht gefor­ dert, insbesondere enthält § 100 Abs. 5 AktG keine mit § 6 Abs. 2a InvG vergleichbare Regelung, dass „die Hauptversammlung mindestens ein un­ abhängiges Mitglied zu wählen hat.“ Auch lässt sich keines der anzuge­ benden Merkmale „Name, Beruf und Wohnort“ dahingehend weit auslegen, dass die Bezeichnung als unabhängiger Finanzexperte darunter fiele. Zu überzeugen vermag auch das Argument, dass die Identität der unabhängi­ gen Sachverständigen Mitglieder variieren kann. Hätte der Gesetzgeber eine Legitimation des Finanzexperten durch die Hauptversammlung für er­ 603  von  Falkenhausen / Kocher, ZIP 2009, 1601; Bröcker / Mosel, GWR 2009, 132, 134; Sünner, AG 2010, 111 (Fn. 6). 604  Group of German Experts on Corporate Law, ZIP 2003, 863, 869. 605  Drygala, in: K. Schmidt / Lutter, Band I, § 100 Rn. 42. 606  von Falkenhausen / Kocher, ZIP 2009, 1601, 1602; ausführlich zu § 12 Abs. 4 EGAktG siehe 2. Kapitel D. I.



A. Die Wahl des Finanzexperten195

forderlich gehalten, so wäre dafür eine ausdrückliche gesetzliche Regelung notwendig gewesen.607 Im Ergebnis ist eine ausdrückliche Benennung der Person des Finanzex­ perten bei der Wahl der Aufsichtsratsmitglieder mithin nicht erforderlich.608 b) Faktische Offenlegung und Legitimation zum Zeitpunkt der Wahl Dies bedeutet aber nicht, dass die Person des Finanzexperten vor der Wahl für die Hauptversammlung zwingend notwendig unbekannt bleibt. Vielmehr steht es den anwesenden Aktionären frei, durch Ausübung ihres Fragerechts aus § 131 Abs. 1 S. 1 AktG die Person des Finanzexperten zu ermitteln. Es handelt sich bei der Besetzung des Aufsichtsrats mit einem unabhängigen Finanzexperten um eine Angelegenheit der Gesellschaft, die zur sachgemäßen Beurteilung des Tagesordnungspunkts der Aufsichtsrats­ wahlen erforderlich ist.609 Keiner der abschließend aufgelisteten Auskunfts­ verweigerungsgründe aus § 131 Abs. 3 AktG ermöglicht es der Gesellschaft, die Auskunft darüber zu verweigern, ob der Aufsichtsrat bereits mit einem unabhängigen Finanzexperten besetzt ist, oder, wenn nicht, welches der vorgeschlagenen Mitglieder nach der Auffassung des Aufsichtsrats die dafür notwendigen Qualifikationen mitbringt. Mithin ist eine Pflicht der Gesell­ schaft, die Frage nach der Person des unabhängigen Finanzexperten auf der Hauptversammlung zu beantworten, zu bejahen.610 Dagegen kann auch nicht vorgebracht werden, dass innerhalb des Kollegialorgans eine weitere Klasse geschaffen werde. Zunächst ist dazu festzustellen, dass die an USBörsen notierten deutschen Gesellschaften, die in ihren Aufsichtsräten vor­ handenen Finanzexperten seit mehreren Jahren und soweit ersichtlich ohne negative Folgewirkungen veröffentlichen. Ferner hat die Veröffentlichung nicht nur keine negativen Folgewirkungen, sondern vielmehr kann durch die Auswahl einer starken Persönlichkeit das Vertrauen der Märkte in die Ge­ sellschaft wesentlich erhöht werden. Aufgrund dieser Rechtssituation ist 607  Im Ergebnis wie hier Bröker / Mosel, GWR 2009, 132, 134; Drygala, in: K. Schmidt / Lutter, Band I, § 100 Rn. 59; Ehlers / Nohlen, Gedächtnisschrift Gruson, 2009, 107, 118; Sünner, FS Uwe H. Schneider 2011, 1301, 1305; von Falkenhausen / Kocher, ZIP 2009, 1601, 1602; Widmann, BB 2009, 2602, 2603. 608  Wie hier Sünner, FS Uwe H. Schneider 2011, 1301, 1304 f.; Vetter, LA für Martin Winter, 2011, 701, 709 f., siehe zur faktischen Legitimation durch die Haupt­ versammlung oder Gerichte 3. Kapitel A. III. 2. b). 609  LG Hannover, AG 2009, 914, mit Anmerkung von Henze, Der Aufsichtsrat 2010, 26; allgemein zum Fragerecht bei der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern ­Decher, in: Großkomm-AktG, Band 5, § 131 Rn. 195 ff. 610  Implizit Sünner, FS Uwe H. Schneider 2011, 1301, 1305.

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3. Kap.: Praktische Umsetzung

davon auszugehen, dass in der Praxis die Person des Finanzexperten regel­ mäßig bekannt sein und die Offenlegung zum Standard wird.611

IV. Externe Überprüfung der Qualifikationen bei der Wahl Wahlvorschläge des Aufsichtsrats bedürfen keiner vorherigen Genehmi­ gung durch eine Aufsichtsbehörde oder einer Überprüfung durch den Ab­ schlussprüfer. Als externe Prüfer der Qualifikationen verbleiben daher ledig­ lich die staatlichen Gerichte. 1. Justiziabilität von § 100 Abs. 5 AktG Die Kommissionsempfehlung kommt in Ziff. 13.2. S. 2 zu dem Ergebnis, dass der Aufsichtsrat selbst festlegen sollte, was unter Unabhängigkeit zu verstehen ist. Daher wird teilweise vertreten, dass das Urteil des Aufsichts­ rats zur Unabhängigkeit seiner Mitglieder letztverbindlich sei und eine ge­ richtliche Prüfung ausscheide.612 Gegen diese Betrachtung spricht jedoch zunächst, dass die Kommissionsempfehlung rechtlich nicht verbindlich war und einen Comply or Explain Ansatz verfolgte. Der Aufsichtsrat sollte zwar letztverbindlich entscheiden, allerdings sollte er seine Entscheidung veröf­ fentlichen und vor der Öffentlichkeit und dem Kapitalmarkt durch eine Begründung rechtfertigen.613 Da die Kommissionsempfehlung nicht ver­ bindlich war, konnte ihre rechtmäßige Umsetzung folgerichtig auch nicht vor Gericht überprüft oder erzwungen werden. Es konnte allenfalls überprüft werden, ob die offengelegten Angaben den tatsächlichen Begebenheiten entsprachen. § 100 Abs. 5 AktG lässt dagegen den Comply or Explain An­ satz der Kommissionsempfehlung durch die verpflichtende gesetzliche Re­ gelung („muss“) hinter sich. Die neuen Anforderungen für die personelle Besetzung des Aufsichtsrats aus § 100 Abs. 5 AktG gelten zwingend.614 Ihrer Natur nach muss ihre Beachtung daher von staatlichen Gerichten über­ prüft werden können.615 611  Kropff, FS K. Schmidt 2009, 1023, 1036; offengelassen von Falkenhausen / Kocher, ZIP 2009, 1601. 612  Jaspers, AG 2009, 607, 610; so auch Spindler, ZIP 2005, 2033, 2039, aller­ dings lange vor Inkrafttreten des BilMoG. 613  Spindler, ZIP 2005, 2033, 2039. 614  Bröcker / Mosel, GWR 2009, 132, 134. 615  Drygala, in: K. Schmidt / Lutter, Band I, § 100 Rn. 58; Habersack, AG 2008, 98, 106; Kropff, FS K. Schmidt 2009, 1023, 1025; Staake, ZIP 2010, 1013, 1016 f.; zumindest implizit auch Bröcker / Mosel, GWR 2009, 132, 133 sowie Gruber, NZG



A. Die Wahl des Finanzexperten197

Gegen die Annahme der Letztverbindlichkeit der Entscheidung des Auf­ sichtsrats sprechen auch teleologische Gründe. Zum ersten ist es sehr un­ wahrscheinlich, dass der Aufsichtsrat gegen den Willen des Finanzexper­ ten, d. h. eines Kollegen, zu dem Ergebnis kommt, dass der unabhängige Finanzexperte seine Unabhängigkeit verloren hat. Dafür müsste ein Auf­ sichtsratsmitglied einem Kollegen Befangenheit oder mangelnden Sachver­ stand vorwerfen, was in der Realität kaum passieren wird und auch zu großem Unfrieden innerhalb des Gremiums führen würde.616 Außerdem könnte der Aufsichtsrat befreit von der Kontrollwirkung und -funktion von Anfechtungsklagen auch völlig willkürlich eines seiner Mitglieder als un­ abhängig ansehen und damit den beabsichtigten Vertrauensgewinn durch die Einführung eines unabhängigen Finanzexperten aushebeln. Diese fakti­ sche Untergrabung von § 100 Abs. 5 AktG gilt es zu vermeiden. Folglich darf der Aufsichtsrat zwar zunächst selbst darüber entscheiden, ob zumin­ dest eines seiner Mitglieder unabhängig ist. Diese Beurteilung ist aller­ dings nicht letztverbindlich, sondern der Spielraum wird dadurch be­ schränkt, dass seine Entscheidungen einer Überprüfung durch Gerichte standhalten müssen. 2. Zulässige Klageart Denkbare Wege, wie es zu einer gerichtlichen Kontrolle der Aufsichts­ ratswahlen kommen kann, sind Nichtigkeits- oder Anfechtungsklagen. a) Nichtigkeit der Wahl Die Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern durch die Hauptversammlung ist gemäß § 250 Abs. 1 AktG in den dort aufgezählten Fällen nichtig, unter anderem gemäß § 250 Abs. 1 Ziff. 4 AktG bei Verstößen gegen die Inkom­ patibilitäten aus § 100 Abs. 1 und 2 AktG. Die aufgezählten Nichtigkeits­ gründe sind dem Wortlaut nach abschließend („nur dann nichtig“).617 Dar­ aus, dass § 100 Abs. 5 AktG nicht in diese Aufzählung der Nichtigkeitsgrün­ de in § 250 Abs. 1 AktG aufgenommen wurde, wird geschlossen, dass eine Wahl unter Verstoß gegen § 100 Abs. 5 AktG jedenfalls nicht nichtig sei.618 2008, 12, 14, die von der Überprüfung der Entscheidung des Aufsichtsrats durch Gerichte ausgehen. 616  Widmann, BB 2009, 2602, 2606; Maul, BB 2005, Beil. 9, S. 1, 6; zurückhal­ tend Spindler, ZIP 2005, 2033, 2044. 617  Rummel, Mangelhaftigkeit von Aufsichtsratswahlen, S. 20. 618  LG München I, NZG 2010, 621 ff.; Widmann, BB 2602, 2603; Wind / Klie, DStR 2010, 1339, 1341.

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3. Kap.: Praktische Umsetzung

Im Ergebnis ist dem zuzustimmen. Allerdings kann dieses Ergebnis nicht lediglich auf die abschließende Aufzählung von § 250 Abs. 1 AktG gestützt werden, wie dies gerne getan wird619, da die Aufzählung der Nichtigkeits­ gründe entgegen dem Wortlaut nicht gänzlich abschließend ist. Entgegen dem klaren Wortlaut von § 250 Abs. 1 AktG, werden auch Verstöße gegen § 105 Abs. 1 AktG, wenn also ein Vorstandsmitglied unter Beibehaltung seines Amtes zum Aufsichtsratsmitglied gewählt wird, als Nichtigkeitsgrund angesehen.620 Eine analoge Anwendung von § 250 AktG auch auf Verstöße gegen § 100 Abs. 5 AktG scheidet jedoch aus Gründen der Rechtssicherheit aus. Anders als in den Fällen von § 100 Abs. 1 und 2 AktG und dem mit diesen ver­ gleichbaren Fall des § 105 Abs. 1 AktG kann ein Verstoß gegen § 100 Abs. 5 AktG nicht ohne genaue Prüfung festgestellt werden. Aufgrund der schwierigen Feststellung des Fehlens der besonderen Voraussetzungen der Finanzexpertise oder insbesondere der Unabhängigkeit würde die Nichtig­ keit zu unkalkulierbaren Risiken für die Gesellschaft und das Aufsichtsrats­ gremium führen. Wahlbeschlüsse sind daher auch bei Verstößen gegen § 100 Abs. 5 AktG nicht nichtig.621 b) Anfechtbarkeit der Wahl Eine gerichtliche Kontrolle von Hauptversammlungsbeschlüssen findet überwiegend im Rahmen von Anfechtungsklagen statt. Denkbar ist daher, dass Wahlbeschlüsse, die (möglicherweise) gegen § 100 Abs. 5 AktG versto­ ßen, anfechtbar sind. Gegen eine Anfechtbarkeit wird zwar vorgebracht, dass für sich genommen die Wahl keines Mitglieds gegen Gesetz oder Satzung verstößt.622 Das geht zurück auf die Überlegung, dass auch Perso­ nen, die die besonderen Qualifikationen nicht erfüllen, Aufsichtsratsmitglie­ der sein können. Allerdings übersieht diese Argumentation, dass die fehlen­ de Wahl eines Finanzexperten als unmittelbare Folge zu einer gesetzeswid­ rigen Zusammensetzung des Aufsichtsrats führt. Daher muss eine gegen 619  Wind / Klie, DStR 2010, 1339, 1341; dagegen zu Recht mit weiterer Begrün­ dung Diekmann / Bidmon, NZG 2009, 1087, 1091; Habersack, AG 2008, 98, 106. 620  Hüffer, AktG, § 105 Rn. 6; Schwab, in: K. Schmidt  / Lutter, AktG, Band II, § 250 Rn. 5. 621  LG München I, NZG 2010, 621 ff.; Schwab, in: K. Schmidt  / Lutter, AktG, Band II, § 250 Rn. 5; Rieder / Holzmann, AG 2010, 570, 574; Widmann, BB 2602, 2603; Wind / Klie, DStR 2010, 1339, 1341. 622  Drygala, in: K. Schmidt  /  Lutter, Band I, § 100 Rn. 60  /  62; Schwab, in: K. Schmidt  /  Lutter, Band II, § 250 Rn. 5; Diekmann / Bidmon, NZG 2009, 1087, 1091; Gruber, NZG 2008, 12, 14; Kropff, FS K. Schmidt 2009, 1023, 1032; Sünner, FS Uwe H. Schneider 2011, 1301, 1308; Widmann, BB 2602, 2603.



A. Die Wahl des Finanzexperten199

§ 100 Abs. 5 AktG, d. h. gegen ein Gesetz, verstoßende Wahl gemäß § 251 Abs. 1 S. 1 AktG anfechtbar sein.623 Nachdem nun feststeht, dass eine Wahl, die dazu führt, dass das Gesamt­ gremium entgegen den Vorgaben von § 100 Abs. 5 AktG besetzt ist, an­ fechtbar ist, fragt sich, welcher konkrete Beschluss anfechtbar ist. Die Frage ergibt sich aus dem Umstand, dass bei Aufsichtsratswahlen nur ein Mitglied oder mehrere Mitglieder zugleich neu gewählt werden können und dass es im Fall der Wahl mehrerer Mitglieder verschiedene Wahlverfahren gibt, namentlich die Einzel- und die Listenwahl. Unproblematisch ist der Fall der Wahl nur eines neuen Aufsichtsratsmitglieds. Hier ist dieser einzel­ ne Wahlakt anzufechten.624 Werden dagegen auf derselben Hauptversamm­ lung mehrere Mitglieder gewählt, so ist für die verschiedenen Wahlverfahren eine differenzierende Betrachtung geboten. aa) Listenwahl Typisch für die Listenwahl ist, dass bei ihr sämtliche zur Wahl stehende Aufsichtsratsmitglieder in einer Liste, d. h. zu einem Vorschlag, zusammen­ gefasst werden, über den sodann durch einen Beschluss abgestimmt wird. Der zur Wahl berechtigte Aktionär kann hier nur die Liste insgesamt anneh­ men oder ablehnen. Ist er auch nur mit einem der Vorschläge nicht einver­ standen, muss er die gesamte Liste ablehnen.625 Genau aus diesem Grund der fehlenden Einzellegitimation empfiehlt Ziff. 5.4.3 S. 1 DCGK, Auf­ sichtsratswahlen nicht als Listen-, sondern als Einzelwahlen durchzufüh­ ren.626 Allerdings sind Listenwahlen weiterhin zulässig.627 Mangels gegen­ teiliger gesetzlicher Anordnungen ist auch davon auszugehen, dass der un­ abhängige Finanzexperte durch eine Listenwahl gewählt werden kann. Rechtspolitisch erscheint dies verfehlt, da eine Einzelwahl der Vertrauens­ bildung bei den Aktionären dient, ist aber de lege lata so hinzunehmen. 623  Ganz h. M. LG München I, NZG 2010, 621 ff.; Bröcker / Mosel, GWR 2009, 132; Ehlers / Nohlen, Gedächtnisschrift Gruson, 2009, 107, 118; Nikoleyczik / Olk, GWR 2010, 298; Vetter, LA für Martin Winter, 2011, 701, 710; Wind / Klie, DStR 2010, 1339, 1341. 624  Ehlers / Nohlen, Gedächtnisschrift Gruson, 2009, 107, 118; Wind / Klie, DStR 2010, 1339, 1341. 625  Habersack, MüKo-AktG, Band 4, § 101 Rn. 20; Hüffer, AktG, § 101 Rn. 6. 626  Kremer, in: Ringleb / Kremer / Lutter / v.  Werder (Hrsg.), DCGK-Komm, Rn. 1053 ff.; kritisch zur Empfehlung Vetter, BB 2005, 1689, 1691 f. 627  BGH NJW 2009, 2207, 2211; BGH NJW 2003, 3412 ff.; Habersack, MüKoAktG, Band 4, § 101 Rn. 21 ff.; Spindler, in: Spindler / Stilz, Band I, § 101 Rn. 36; Hüffer, ZIP 2006, 637, 641; Fuhrmann, ZIP 2004, 2081, 2083; ausdrücklich für die Listenwahl Mutter, AG 2004, 305 f.

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3. Kap.: Praktische Umsetzung

Jedenfalls gibt es bei Listenwahlen nur einen Wahlbeschluss. Daher hat im Falle der Listenwahl bei einem Verstoß der Aufsichtsratsbesetzung gegen § 100 Abs. 5 AktG eine Anfechtung des einen Wahlbeschlusses und damit automatisch der ganzen Liste zu erfolgen.628 bb) Einzelwahl Wurde ein Kandidat ausdrücklich als der designierte Finanzexperte be­ nannt, und erfüllt dieser die geforderten Merkmale nicht, so ist dessen Wahl anzufechten.629 Zwar war dieser Kandidat ursprünglich nicht ver­ pflichtet, die besonderen Merkmale zu erfüllen. Dadurch, dass er aber ak­ zeptiert hat, das Amt des Finanzexperten zu übernehmen, erklärte er sich gleichzeitig dazu bereit, die besonderen Merkmale zu erfüllen. Verstößt er gegen diese Pflicht, dann ist er kausal für die fehlerhafte Besetzung des Gesamtgremiums und muss als Konsequenz daraus die Anfechtbarkeit sei­ ner Wahl dulden.630 Problematisch ist hingegen die Frage, welcher Wahlbeschluss anfechtbar ist, wenn die Aufsichtsratswahl entsprechend der Empfehlung aus Ziff. 5.4.3 S. 1 DCGK durch Einzelwahlen durchgeführt wird und keiner der Vorschlä­ ge ausdrücklich als der designierte Finanzexperte benannt wurde. In diese Konstellation ist unklar, welcher der Wahlbeschlüsse anzufechten ist, da an und für sich betrachtet jede Wahl korrekt ist und keiner der Kandidaten sich dazu verpflichtet hat, die besonderen Merkmale zu erfüllen. Jeder gewählte Kandidat kann normales Aufsichtsratsmitglied sein, nur insgesamt ergibt sich ein Verstoß gegen § 100 Abs. 5 AktG. Da in dieser Situation unklar bleibt, wessen Wahl nun kausal für die fehlerhafte Besetzung war, kommt hier die Anfechtbarkeit von allen631 oder aber nur des letzten632 Wahlbe­ schlusses in Betracht. Für die Anfechtbarkeit aller Wahlbeschlüsse spricht zwar, dass an sich alle Kandidaten rechtmäßig gewählt wurden und das 628  Ehlers / Nohlen, Gedächtnisschrift Gruson, 2009, 107, 118; Jaspers, AG 2009, 607, 613; Sünner, FS Uwe H. Schneider 2011, 1301, 1306 f.; Wind / Klie, DStR 2010, 1339, 1341. 629  Bröker / Mosel, GWR 2009, 132, 134; Kropff, FS K. Schmidt, 2009, 1023, 1034; von Falkenhausen / Kocher, ZIP 2009, 1601, 1602; a.  A. Wind / Klie, DStR 2010, 1339, 1341. 630  Vgl. zu den besonderen Pflichten des Finanzexperten oben S. S. 32  ff. und S.  142 ff. 631  Diekmann / Bidmon, NZG 2009, 1087, 1091; Ehlers / Nohlen, Gedächtnisschrift Gruson, 2009, 107, 118; Kropff, FS K. Schmidt, 2009, 1023, 1034; Sünner, FS Uwe H. Schneider 2011, 1301, 1306; von Falkenhausen / Kocher, ZIP 2009, 1601, 1603; Vetter, ZGR 2010, 751, 787 f.; wohl auch Widmann, BB 2009, 2602, 2603. 632  Jaspers, AG 2009, 607, 613; Wind / Klie, DStR 2010, 1339, 1341.



A. Die Wahl des Finanzexperten201

Herauspicken eines Kandidaten daher ausscheidet, da unklar ist, welcher kausal für den Verstoß gegen § 100 Abs. 5 AktG ist. Allerdings kennt das Aktiengesetz eine ähnliche Fragestellung im Rahmen des § 250 Abs. 1 Ziff. 3 AktG bezüglich der Nichtigkeit von Aufsichtsratswahlen bei der Überschreitung der gesetzlichen Höchstzahl der Aufsichtsratsmitglieder. Werden bei einer Einzelwahl mehr Kandidaten gewählt, als (freie) Plätze im Gremium zur Verfügung stehen, so sind gemäß § 250 Abs. 1 Ziff. 3 AktG alle Wahlen gültig, bis die Höchstzahl erreicht wird. Alle nachfolgenden Wahlen sind nichtig, obwohl diese Wahlen an und für sich betrachtet auch korrekt zu Stande gekommen sind.633 Die Situation des § 250 Abs. 1 Ziff. 3 AktG entspricht in ihren grundsätzlichen Wertungen der vorliegenden Situa­ tion. Auch hier liegt ein Verstoß gegen gesetzliche Vorgaben unstreitig vor, der allerdings keinem Kandidaten zugerechnet werden kann. Die Zuord­ nungsproblematik lässt sich ebenfalls dadurch auflösen, dass man auf den zeitlich zuletzt ergangenen Beschluss abstellt, da erst mit der Wahl des letzten Kandidaten ein (möglicher) Verstoß gegen § 100 Abs. 5 AktG fest­ steht.634 Dies spricht dafür, die bereits bestehende und sachgerechte Interes­ sensabwägung des Gesetzgebers aus § 250 Abs. 1 Ziff. 3 AktG auch auf die Fälle des Verstoßes gegen § 100 Abs. 5 AktG im Rahmen von Einzelwahlen anzuwenden. Festzuhalten ist daher, dass bei Einzelwahlen, bei denen kei­ ner der Kandidaten als designierter Finanzexperte identifiziert wurde und bei denen nach der Wahl das Gremium unter Verstoß gegen § 100 Abs. 5 AktG besetzt ist, die Wahl nur des letzten Kandidaten anfechtbar ist. c) Anfechtungsbefugnis Grundsätzlich sind gemäß §§ 251 Abs. 1 S. 1 i. V. m. 245 Ziff. 1, 2 und 4 AktG die zur Hauptversammlung erschienen Aktionäre, zu Unrecht nicht zur Hauptversammlung zugelassene Aktionäre sowie der Vorstand anfech­ tungsbefugt. Vor dem Hintergrund des Schutzzwecks von § 100 Abs. 5 AktG, der neben den Anteilseignern auch Debtholder schützen soll, stellt sich die Frage, ob die Anleihegläubiger, entgegen dem Wortlaut von §§ 251 Abs. 1 S. 1 i. V. m. 245 Ziff. 1, 2 und 4 AktG, auch anfechtungsbefugt sein sollten. Für eine solche Ausweitung kann argumentiert werden, dass Debtholder offensichtlich einen ähnlichen Schutz durch den unabhängigen Finanzexperten erfahren sollen wie Aktionäre. Ferner handelt es sich bei den Debtholdern um einen ebenso genau abgrenzbaren Personenkreis wie bei den Aktionären, sodass eine Vergleichbarkeit zu bejahen wäre. Gegen 633  Hüffer, in: MüKo-AktG, Band 7, § 250 Rn. 12; K. Schmidt, in: GroßkommAktG, §§ 241–255, § 250 Rn. 18; Zöllner, in: KK-AktG, Band 5 / 2, § 250 Rn. 31. 634  Jaspers, AG 2009, 607, 613; Wind / Klie, DStR 2010, 1339, 1341.

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3. Kap.: Praktische Umsetzung

eine Anfechtungsbefugnis der Debtholder spricht jedoch entscheidend, dass sie nicht zur Wahl befugt sind. Aus §§ 251 Abs. 1 i. V. m. 245 Ziff. 1, 2 und 4 AktG ergibt sich aber, dass regelmäßig nur die zur Wahl berechtigten (und der Vorstand) auch zur Anfechtung befugt sind. Ferner ist nicht davon aus­ zugehen, dass hier eine planwidrige Lücke vorliegt. Erst wenn der Gesetz­ geber die Debtholder auch zur Wahl zugelassen hätte, wäre ihre fehlende Anfechtungsbefugnis planwidrig geworden. Daher bleibt festzuhalten, dass Debtholder nicht anfechtungsbefugt sind. Es bleibt bei den allgemeinen Vorgaben von §§ 251 Abs. 1 S. 1 i. V. m. 245 Ziff. 1, 2 und 4 AktG. d) Anfechtungsgrund / Beweislast Eine Besetzung des Aufsichtsrats von kapitalmarktorientierten Gesell­ schaften ohne einen Finanzexperten ist ein Verstoß gegen die zwingenden Vorgaben von § 100 Abs. 5 AktG. Als Anfechtungsgrund kommt daher die Verletzung des Gesetzes gem. § 251 Abs. 1 S. 1 AktG (Inhaltsmangel) in Betracht. Daneben kann die Anfechtung gem. §§ 251 Abs. 1 S. 3 i. V. m. 243 Abs. 4 AktG auch auf die fehlerhafte oder zu Unrecht unterlassene Auskunft (Verfahrensmangel) der Aktionäre gestützt werden. In prozessualer Hinsicht stellt sich die Frage nach der Beweislastvertei­ lung. Mangels gegenteiliger Hinweise aus §§ 243 ff. AktG gilt auch bei Anfechtungsklagen der allgemeine Grundsatz, dass jede Partei diejenigen Tatsachen zu behaupten und zu beweisen hat, die von den für sie günstigen Normen vorausgesetzt werden.635 Der Kläger hat demnach die tatsächlichen Voraussetzungen des Gesetzesverstoßes oder der fehlerhaften Auskunft dar­ zulegen und zu beweisen. Dieser Grundsatz muss mangels gegenteiliger Hinweise auch bei einer Anfechtung des Wahlbeschlusses wegen eines Verstoßes gegen § 100 Abs. 5 AktG gelten.636 Erforderlich aber auch ausrei­ chend ist, dass Tatsachen bewiesen sind, aus denen sich „Grund zu der Annahme“ unvollständiger Angaben oder „begründete Zweifel“ an der Richtigkeit des Beschlusses, sprich der Qualifikationen des Finanzexperten, ergeben.637 Faktisch werden sich Probleme dann auftun, wenn mehrere Kandidaten gewählt wurden und der Kläger nicht durch Ausübung seines Fragerechts 635  OLG München, AG 2003, 452, 453; Hüffer, AktG, § 243 Rn. 59; ders., FS Fleck 1988, 151, 155 f.; allgemein zur sog. Normentheorie BGH NJW, 2005, 2396; Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann, ZPO, Anh § 286, Rn. 3 ff.; Rosenberg, Die Beweislast, S. 98. 636  Widmann, BB 2009, 2602, 2603. 637  Zu den allgemeinen Grundsätzen BGHZ 92, 62, 65; Hüffer, FS Fleck 1988, 151, 161, 163 f.



A. Die Wahl des Finanzexperten203

die Person des Finanzexperten „erfragt“ hat. Dann muss er nachweisen, dass kein (neues und altes) Aufsichtsratsmitglied die Voraussetzungen von § 100 Abs. 5 AktG erfüllt, da der Aufsichtsrat nur dann fehlerhaft besetzt ist. Dies dürfte ihm im Zweifel nicht gelingen.638 Anders verhält es sich hingegen, wenn die Person des Finanzexperten durch Benennung oder Auskunftsbe­ gehren bekannt ist. Hier ist es für den Kläger ausreichend, die fehlende Finanzexpertise oder Unabhängigkeit dieser Person nachzuweisen. Eine Anfechtungsklage kann ein Aktionär durch gezielte Fragen beispielsweise zur Mitgliedschaft des Finanzexperten in anderen in- und insbesondere aus­ ländischen Aufsichtsräten vorbereiten. Da es sich dabei um Angelegenheiten der Gesellschaft und nicht nur um persönliche Angelegenheiten des in Fra­ ge stehenden Kandidaten handelt, muss dieser auf die Fragen antworten.639 Verteidigt sich die Gesellschaft im Verfahren mit der Behauptung, dass außer dem namentlich als einzigen Finanzexperten benannten Kandidaten doch noch ein anderes Mitglied die Qualifikationen erfüllt, so ist dies eine für sie günstige Tatsache, sodass sie nach den allgemeinen Grundsätzen dafür die Beweislast trägt. 3. Prüfungsumfang der Gerichte Im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung stellt sich die Frage, welchen Prüfungsmaßstab Gerichte bei der Kontrolle der Unabhängigkeit und der Finanzexpertise anzuwenden haben. Die Kommissionsempfehlung erklärt, dass der Aufsichtsrat bei seiner Einzelfallprüfung auch zu dem Ergebnis kommen kann, dass ein Mitglied trotz Verstoßes gegen die formellen Krite­ rien zur Unabhängigkeit doch als unabhängig angesehen werden kann.640 Es wurde bereits dargestellt, dass dieses Ergebnis in seiner Absolutheit nicht gelten kann. Bei der Prüfung der Unabhängigkeit im Einzelfall muss zwi­ schen den drei Kategorien der äußeren Merkmale des Kriterienkatalogs (Inkompatibilitäten, Übereinstimmung mit DCGK und weitergehend und strenger als DCGK) der Kommissionsempfehlung und zusätzlich hinsicht­ lich der inneren Unabhängigkeit differenziert werden: a) Inkompatibilitäten Im ersten Bereich der Übereinstimmung der Kommissionsempfehlung mit den Inkompatibilitäten des deutschen Aktienrechts bleiben die Vorgaben 638  Kropff,

FS K. Schmidt 2009, 1023, 1033. in: Großkomm-AktG, Band 5, § 131 Rn. 196. 640  Ziff. 13.2. S. 2, Anhang II Ziff. 1 S. 2, 3 Kommissionsempfehlung. 639  Decher,

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3. Kap.: Praktische Umsetzung

zwingend. Eine Einzelfallabwägung findet für die betreffende Person nicht statt. Sie ist nicht nur als Finanzexperte ungeeignet, sondern kann nicht einmal „normales“ Aufsichtsratsmitglied sein. Kommt der Aufsichtsrat bei der Prüfung von Inkompatibilitäten fälschlicherweise zu dem Ergebnis, dass z. B. trotz eines Falles der Überkreuzverflechtung (§ 100 Abs. 2 Ziff. 2 AktG) Unabhängigkeit i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG vorliegt, können und müs­ sen Gerichte diese Entscheidung aufheben. Der Prüfungsumfang der Gerich­ te ist hier in keiner Hinsicht begrenzt. b) Verstöße gegen Kommissionsempfehlung und DCGK Im zweiten Bereich der Übereinstimmung von DCGK und Kommissions­ empfehlung gilt die strenge Rechtsfolge von Ziff. 5.4.2 S. 2 DCGK: Wer geschäftliche oder persönliche Beziehungen zur Gesellschaft oder dem Vorstand unterhält, ist nicht unabhängig. Selbiges gilt für entsandte Auf­ sichtsratsmitglieder und Arbeitnehmervertreter. Die jeweilige Person kann Aufsichtsratsmitglied, nicht aber Finanzexperte sein. Auch hier ist der Prü­ fungsumfang der Gerichte in keiner Hinsicht begrenzt. c) Abweichungen von der Kommissionsempfehlung Nur im dritten Bereich, d. h. dort, wo die Kommissionsempfehlung wei­ tergehende, strengere Kriterien an die Unabhängigkeit aufstellt, als es Ak­ tiengesetz und DCGK tun, steht dem Aufsichtsrat ein Beurteilungsspielraum zu. Er kann von den abstrakten Merkmalen der Kommissionsempfehlung in begründeten Fällen abweichen, d. h. die Unabhängigkeit trotz des Vorliegens von Interessenskonflikten bejahen. Von Bedeutung ist dies nur in den Fällen der Gewährung von zusätzlichen erfolgsabhängigen Vergütungen, der Cool­ ing-Off Periode für Abschlussprüfer und der Bejahung der Unabhängigkeit, obwohl das jeweilige Mitglied bereits länger als 12 Jahre im Amt ist. Für die anderen Fälle, namentlich sind dies die Verbindung zum Mehrheitsak­ tionär und eine Cooling-Off Periode von lediglich zwei statt fünf Jahren für ehemalige Vorstandsmitglieder, hat der deutsche Gesetzgeber abweichende Vorgaben zu denen der Kommission erlassen, sodass in diesen beiden Fällen die Unabhängigkeit nicht weiter begründet werden muss.641 In den drei beachtlichen Fällen der schärferen Anforderungen der Kom­ missionsempfehlung muss im Einzelfall die Unabhängigkeit überprüft wer­ den. Umstritten ist hier der Prüfungsumfang der Gerichte. Teilweise wird vertreten, dass die Entscheidung des Aufsichtsrats nur auf Willkür überprüf­ 641  Siehe

dazu ausführlich 2. Kapitel B. V. 7. b) und d).



A. Die Wahl des Finanzexperten205

bar sein sollte. Gewähre man dem Aufsichtsrat bewusst die Entscheidungs­ prärogative und damit einen weiten Beurteilungsspielraum, wie dies die Kommissionsempfehlung tue, dann seien seine Bewertungen teilweise der gerichtlichen Kontrolle entzogen und könnten auch nur auf Willkür über­ prüft werden.642 Nach anderer Auffassung hat auch hier ein objektiver Be­ urteilungsmaßstab zu gelten. Die Empfehlungen der Kommission seien als Vermutungen zu behandeln, die es im konkreten Einzelfall objektiv nach­ vollziehbar zu widerlegen gelte.643 Für die zweite Ansicht spricht, dass der BGH und die weit überwiegend in der Literatur vertretene Auffassung zu der Parallelproblematik der etwaigen Befangenheit eines gewählten Ab­ schlussprüfers (vgl. §§ 319, 319a HGB) ebenfalls einen objektiven Maßstab anlegen.644 Selbiges gilt gemäß § 143 Abs. 2 AktG i. V. m. §§ 319, 319a HGB für Sonderprüfer. Auch dort geht es um eine Ermessensentscheidung, die unter Berücksichtigung aller konkreten Umstände des Einzelfalls zu erfolgen hat. In dem dortigen Zusammenhang wird gesagt, dass es für die Beurteilung der Unabhängigkeit oder des Vorliegens der Besorgnis der Be­ fangenheit nicht auf die subjektiven Vorstellungen einzelner Abberufungsbe­ rechtigter ankomme, sondern die Frage der Befangenheit aus der Sicht eines „vernünftig und objektiv denkenden Dritten“ zu beurteilen sei.645 Entschei­ dend sei nicht ein subjektiver Beurteilungsmaßstab. Es reiche nicht die bloße Ahnung oder das Gefühl eines Beteiligten, dass der Prüfer sein Urteil nicht unbeeinflusst von unsachgemäßen Erwägungen bilden könne. Ent­ scheidend sei vielmehr ein objektiver Beurteilungsmaßstab, d. h. eine Wür­ digung, die ein objektiver Dritter, eine erfahrene und besonnen abwägende Person an der Stelle der Beteiligten in der konkreten Situation anstellen würde.646 Für die Beurteilung der Unabhängigkeit und der Finanzexpertise müssen diese Gedanken aufgrund der Vergleichbarkeit der Situationen und des Wortlautes der Kommissionsempfehlung auch gelten. Anders als bei den beiden anderen Kategorien der äußeren Kriterien sind daher in diesem Be­ 642  Gruber,

NZG 2008, 12, 14. GWR 2009, 132, 133; Drygala, in: K. Schmidt / Lutter, Band I, § 100 Rn. 46; Kropff, FS K. Schmidt, 2009, 1023, 1025; Staake, ZIP 2010, 1013, 1018. 644  BGHZ 153, 32, 40 ff. – „Hypo Vereinsbank“; OLG Frankfurt / Main WPK-Mitt 2002, 265, 266; Ebke, in: MüKo-HGB, Band 4, § 319 Rn. 23, 25; Hopt / Merkt, in: Baumbach / Hopt HGB, § 319 Rn. 7; ähnlich Staake, ZIP 2010, 1013, 1016. 645  BGHZ 153, 32, 43 – „HypoVereinsbank“. 646  OLG Frankfurt WPK-Mitt. 2002, 265, 266; ebenso Förschle / Schmidt, in: BeckBilKomm, § 318 Rn. 21, 31; Ebke, in: MüKo – HGB, Band 4, § 319 Rn. 25; ders., FS Immenga, 2004, 517, 528 f. m. w. N.; Gelhausen / Heinz, WPg 2005, 693, 697. 643  Bröcker / Mosel,

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3. Kap.: Praktische Umsetzung

reich zwar Abweichungen von den Vorgaben der Kommissionsempfehlung möglich, allerdings nur, soweit sie auf objektiv nachvollziehbarer Basis erfolgen. Dabei ist stets zu berücksichtigen, dass bereits der begründete Verdacht der Befangenheit ausreicht, um die Unabhängigkeit zu verneinen. Für den Prüfungsumfang von Gerichten bedeutet dies, dass sie unter Wür­ digung aller Umstände prüfen müssen, ob die Sachlage aus der Sicht eines „vernünftig und objektiv denkenden Dritten“ Anlass dazu gibt, an der Un­ abhängigkeit oder Finanzexpertise des Aufsichtsratsmitglieds zu zweifeln. Dabei sind sie in keiner Hinsicht an die Ergebnisse der Prüfung durch den Aufsichtsrat gebunden. d) Innere Unabhängigkeit Bei sämtlichen äußeren Kriterien ist mithin ein objektiver Maßstab anzu­ legen. Liegen keine äußeren Kriterien vor, die die fehlende Unabhängigkeit nahe legen, so indiziert dies auch die innere Unabhängigkeit. Bei der Be­ stimmung, ob die betreffende, nach außen unabhängige Person die innere Einstellung und Integrität mitbringt, ist dem Gremium ein weiter Hand­ lungsspielraum zu gewähren. Dabei kann der Aufsichtsrat die Unabhängig­ keit auch dann verneinen, wenn keiner der genannten äußeren Abhängig­ keitsgründe vorliegt.647 Das dem Aufsichtsrat zuzugestehende Ermessen hinsichtlich der inneren Unabhängigkeit basiert zunächst darauf, dass die Entscheidung, ob eine Person die notwendigen weichen Faktoren und Schlüsselqualifikationen (Problemlösungs- und Teamfähigkeit, Verände­ rungskompetenz, Durchsetzungsvermögen) mitbringt, aufgrund ihres Prog­ nosecharakters die Gefahr erst nachträglich erkennbarer Fehlbeurteilungen enthält. Der Aufsichtsrat nimmt bei der Auswahl und dem Vorschlag mithin eine unternehmerische Aufgabe wahr.648 Ferner spricht für eine Entschei­ dungsprärogative des Aufsichtsrats, dass die Anleger die innere Einstellung nicht überprüfen können und ein Vertrauensverlust daher nicht, oder nur in absoluten Sonderfällen, eintreten kann. Die Auswahl unter den nach außen als unabhängig zu bewertenden Kandidaten ist bezüglich der inneren Unab­ hängigkeit und Einstellung daher lediglich auf Willkür zu überprüfen.

647  Drygala,

in: K. Schmidt / Lutter, Band I, § 100 Rn. 48. in: K. Schmidt / Lutter, Band I, § 100 Rn. 32; BGHZ 135, 244, 254; BGHSt 50, 331, 336 für die Bestellung der Vorstandsmitglieder; zur Reichweite des unternehmerischen Ermessens des Aufsichtsrats Hopt / Roth, FS Böckli 2006, 414, 425 f. 648  Drygala,



B. Prüfung der Qualifikationen innerhalb der Amtsperiode 207

B. Prüfung der Qualifikationen innerhalb der Amtsperiode Nur die Feststellung der Unabhängigkeit zum Zeitpunkt der Wahl, respek­ tive der Bestellung des Finanzexperten ist nicht ausreichend. Wie bereits dargestellt, ist Unabhängigkeit als solche kein statischer Zustand. Vielmehr kann die Unabhängigkeit des Finanzexperten innerhalb der Amtsperiode durch Außeneinflüsse wegfallen. Es gibt unzählige Möglichkeiten, wie ein anfänglich als unabhängig anzusehendes Aufsichtsratsmitglied innerhalb der Amtsperiode von üblicherweise fünf Jahren die Unabhängigkeit verlieren kann.649 Da der Aufsichtsrat vor der Wahl und zum Zeitpunkt der Bestel­ lung die Unabhängigkeit des Finanzexperten positiv feststellt, dürfte der nachträgliche Wegfall der Unabhängigkeit wohl sogar häufiger auftreten, als das Fehlen der Unabhängigkeit zum Zeitpunkt des Amtsantritts.650 Auch für den Zeitraum innerhalb der Amtsperiode stellt sich, vergleichbar zum Zeit­ raum der Wahl, die Frage, wer intern für die Überprüfung der besonderen Qualifikationen zuständig ist. (I.) und ob und gegebenenfalls welcher exter­ ne Dritte diese interne Überprüfung überprüfen darf (III.). Da eine externe Überprüfung nur möglich ist, wenn die Person des Finanzexperten bekannt ist, ist vor der Erörterung zur externen Überprüfung zu prüfen, ob und ge­ gebenenfalls wo die Person des Finanzexperten offenzulegen ist (II.).

I. Stetige Selbstevaluation Die Kommissionsempfehlung fordert vom Aufsichtsratsgremium in Ziff. 13.3.1 S. 3, dass die Gesellschaft jährlich offenlegen sollte, welche Mitglieder sie als unabhängig ansieht. Zur Offenlegungspflicht und der Frage, ob eine solche in Deutschland überhaupt besteht, sogleich. Jedenfalls lässt sich der Kommissionsempfehlung entnehmen, dass das Gremium auch innerhalb der Amtsperiode jährlich wenigstens einmal die Unabhängigkeit aufs Neue überprüfen soll. Eine solche Pflicht des Aufsichtsrats und jedes einzelnen Mitglieds zur Selbstüberprüfung der rechtmäßigen Besetzung er­ gibt sich für das deutsche Aktiengesetz aus der sog. Organisationspflicht der Aufsichtsratsmitglieder, d. h. der Pflicht, auf eine dem Gesetz entsprechende Organisation hinzuwirken.651 Bei der Organisationspflicht geht es nicht um 649  Ehlers / Nohlen, Gedächtnisschrift Gruson, 2009, 107, 117; mit Beispielen Staake, ZIP 2010, 1013, 1018; Widmann, BB 2009, 2602. 650  Vgl. Widmann, BB 2009, 2602. 651  Drygala, in: K. Schmidt / Lutter, Band I, § 100 Rn. 58; Vetter, LA für Martin Winter 2011, 701, 703; zum allgemeinen Grundsatz Mertens, in: KK-AktG, § 116 Rn. 11; Bürgers / Israel, in: Bürgers /  / Körber, Aktiengesetz, §  116 Rn.  6; Lutter, ZIP

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3. Kap.: Praktische Umsetzung

die Empfehlung aus Ziff. 5.6 DCGK, dass der Aufsichtsrat regelmäßig die Effizienz seiner Tätigkeit überprüfen soll. Es geht nicht nur um die Prüfung der Effizienz im Sinne der Sicherung der Performance des Gremiums, son­ dern darum, dass die Selbstevaluation zu einer Compliance-Prüfung führt, die sicherstellt, dass gesetzliche Aufsichtsratsbestimmungen, hier namentlich § 100 Abs. 5 AktG, beachtet werden.652 1. Verfahren Treten innerhalb der Amtsperiode neue Umstände auf, die einen Verstoß gegen die allgemeinen Unabhängigkeitskriterien der Kommissionsempfehlung oder des DCGK darstellen, ist der Aufsichtsrat aufgrund der Organisations­ pflicht dazu verpflichtet, erneut die Unabhängigkeit des jeweiligen Mitglieds zu evaluieren. Für die Entscheidung des Gremiums, ob der Finanzexperte noch die besonderen Qualifikationen mitbringt, ist mangels gegenteiliger Hin­ weise ebenfalls das Beschlussverfahren anzuwenden. Jedes Mitglied kann ei­ ne erneute Abstimmung verlangen; für die Feststellung der fehlenden Qualifi­ kationen ist jedoch die Mehrheit der Anteilseignervertreter notwendig.653 2. Stimmverbot für Finanzexperten Fraglich ist, ob der Finanzexperte an der Beschlussfassung teilnehmen darf, oder ob ihn bei dieser Abstimmung ein Stimmverbot trifft. Anders als beispielsweise bei der Wahl zum Aufsichtsratsvorsitzenden handelt es sich bei der Überprüfung der besonderen Qualifikationen nicht lediglich um sozialrechtliche Beschlüsse. Dies liegt darin begründet, dass der Wegfall der besonderen persönlichen Voraussetzungen der Unabhängigkeit und  /  oder Finanzexpertise einen wichtigen Grund i. S. v. § 103 Abs. 3 S. 1 AktG zur Abberufung des Finanzexperten darstellt.654 In den Fällen der Beschlussfas­ sung über das Vorliegen eines wichtigen Grundes zur Abberufung entfällt regelmäßig das Stimmrecht des betroffenen Mitglieds.655 2003, 417, 418; Lutter / Krieger, Rn. 761; Potthoff / Trescher / Theisen, Aufsichtsrats­ mitglied, Rn.  2035 ff. 652  Zur Differenzierung von Compliance und Performance vgl. v. Werder, in: Ringleb / Kremer / Lutter / v.  Werder (Hrsg.), DCGK-Komm, Rn.  1154 ff. 653  Siehe zu den Rechtsfolgen 3. Kapitel C. und zu den Rechten der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder zur Anstrengung eines Statusverfahrens 3. Kapitel B. III. 3. b) ee). 654  Siehe eingehend dazu S. 29 ff. und 57 ff. 655  Hopt / Roth, in: Großkomm-AktG, Band 4, § 103 Rn. 47  ff., § 108 Rn. 55 m. w. N.; Engfer, Stimmrechtsausschluss, S. 136 ff.; Mattießen, Stimmrecht und Inte­ ressenskollision, S. 272, 280 ff.



B. Prüfung der Qualifikationen innerhalb der Amtsperiode 209

II. Offenlegung des Finanzexperten innerhalb der Amtsperiode Offen ist, ob die Selbstevaluation des Aufsichtsrats innerhalb der Amts­ periode offen zu legen ist. Allein die Empfehlung aus der Kommissions­ empfehlung kann keine dahingehende Pflicht begründen. Ein Ansatz fordert, dass der unabhängige Finanzexperte gemäß § 285 Ziff. 10 HGB im Anhang und damit im Jahresabschluss der Gesellschaft benannt werden müsse.656 Die Pflicht zur nachträglichen Offenlegung ebenfalls, aber auf Basis einer anderen Rechtsgrundlage, bejahend, wird teilweise vertreten, dass die Per­ son des unabhängigen Finanzexperten in der Erklärung zur Unternehmens­ führung gemäß § 289a Abs. 2 Ziff. 3 HGB in einem gesonderten Teil des Lageberichts der Gesellschaft offenzulegen sei.657 Schließlich gibt es auch hier Stimmen, die mit dem Wortlaut der Norm argumentierend eine Pflicht zur Benennung des unabhängigen Finanzexperten gänzlich verneinen.658 1. Offenlegung im Anhang Eine den Zeitraum nach der Wahl betreffende Pflicht zur Offenlegung der Person des Finanzexperten im Anhang des Jahresabschlusses wird teilweise, soweit ersichtlich ohne besondere Begründung, aus § 285 S. 1 Ziff. 10 HGB hergeleitet.659 Gemäß § 285 S. 1 Ziff. 10 HGB sind im Anhang alle Mitglie­ der des Aufsichtsrats mit Namen, Vornamen und Beruf aufzuführen. Die Parallele zu §§ 124, 125 AktG ist nicht zu übersehen. Zuzustimmen ist dieser Ansicht nur in so weit, als dass der unabhängige Finanzexperte in seiner Rolle als Aufsichtsratsmitglied, wie jedes andere Aufsichtsratsmit­ glied auch, gemäß § 285 Ziff. 10 HGB im Anhang zu benennen ist. Eine darüber hinaus gehende Pflicht, den Finanzexperten als solchen zu identifi­ zieren und aus der Aufstellung aller Aufsichtsratsmitglieder hervorzuheben, gibt der Wortlaut der Norm aber nicht her.660 656  So Lanfermann / Röhricht, BB 2009, 887, 888; Schilmar, Der Aufsichtsrat 2009, 101, 103. 657  Gruber, NZG 2008, 12, 14 f.; Widmann, BB 2009, 2602, 2605; Diekmann / Bidmon, NZG 2009, 1087; Lehrl, BKR 2010, 485, 486; wohl auch Kropff, FS K. Schmidt 2009, 1023, 1036; für die Benennung sowohl im Anhang als auch in der Erklärung zur Unternehmensführung Lanfermann / Röhricht, BB 2009, 887, 888; Schilmar, Der Aufsichtsrat 2009, 101, 103. 658  v.  Falkenhausen / Kocher, ZIP 2009, 1601; Bröcker / Mosel, GWR 2009, 132, 134; Sünner, AG 2010, 111 (Fn. 6). 659  Lanfermann / Röhricht, BB 2009, 887, 888; Schilmar, Der Aufsichtsrat 2009, 101, 103. 660  Kropff, FS K. Schmidt 2009, 1023, 1036; Sünner, FS Uwe H. Schneider 2011, 1301, 1305; v.  Falkenhausen / Kocher, ZIP 2009, 1601.

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3. Kap.: Praktische Umsetzung

2. Offenlegung in der Erklärung zur Unternehmensführung Weiter kommt eine Offenlegung des Finanzexperten in der ebenfalls durch das BilMoG in § 289a HGB neueingeführten „Erklärung zur Unter­ nehmensführung“ in Betracht.661 In § 289a HGB wird der Inhalt der Erklä­ rung zur Unternehmensführung abschließend aufgezählt.662 Gemäß § 289a Abs. 2 Ziff. 3 HGB haben die betroffenen Gesellschaften in dieser Erklärung zur Unternehmensführung eine Beschreibung der Arbeitsweise von Vorstand und Aufsichtsrat sowie der Zusammensetzung und Arbeitsweise der Aus­ schüsse aufzunehmen. Eine Pflicht zur Benennung des Finanzexperten könnte sich im Rahmen der Angaben zur Arbeitsweise des Aufsichtsrats und seiner Ausschüsse ­ergeben. Welche Angaben dies sind, sagt das Gesetz nicht. Laut der Re­ gierungsbegründung sollen sich weitere Spezifizierungen zu den zu veröf­ fentlichenden Angaben zur Arbeitsweise der Ausschüsse der Kommissions­ empfehlung entnehmen lassen.663 Dadurch entsteht eine Brücke zu den Empfehlungen der Kommission und damit auch zu den dort geforderten Offenlegungspflichten. Zwar lässt sich dem Wortlaut der Regierungsbegrün­ dung nicht entnehmen, dass die Empfehlungen der Europäischen Kommis­ sion zwingender, rechtsverbindlicher Inhalt der Erklärung zur Unterneh­ mensführung sein sollen.664 Allerdings sind die Unabhängigkeit und Sach­ kunde des Finanzexperten von großer Bedeutung für die Arbeitsweise des Prüfungsausschusses.665 Da der Finanzexperte auch maßgeblich Bedeutung für die Zusammensetzung des Prüfungsausschuss hat, muss eine Offenle­ gung der Person des Finanzexperten in der Erklärung zur Unternehmensfüh­ rung erfolgen. Problematisch an dieser Offenlegungspflicht ist allerdings, dass nicht alle kapitalmarktorientierten Gesellschaften i. S. v. § 264d HGB verpflichtet sind, eine solche Erklärung zu veröffentlichen. Verpflichtet sind gemäß § 289a Abs. 1 HGB börsennotierte Gesellschaften und solche Gesellschaften, die andere Wertpapiere als Aktien zum Handel an einem organisierten Markt 661  Drygala, in: K. Schmidt / Lutter, Band I, § 100 Rn. 59; Gruber, NZG 2008, 12, 14 f.; Widmann, BB 2009, 2602, 2605; Diekmann / Bidmon, NZG 2009, 1087; Lanfermann / Röhricht, BB 2009, 887, 888; Schilmar, Der Aufsichtsrat 2009, 101, 103; Staake,  ZIP 2010, 1013, 1017; Widmann, BB 2009, 2602, 2605; wohl auch Kropff, FS K. Schmidt 2009, 1023, 1036. 662  Wirthus, Der Aufsichtsrat 2010, 52, 54. 663  BegrRegE BilMoG, BT-Drucks. 16 / 10067 S. 78. 664  Kuthe / Geiser, NZG 2008, 172, 174; Vetter, ZGR 2010, 751, 789 f.; von Falkenhausen / Kocher, ZIP 2009, 1601. 665  Kropff, FS K. Schmidt 2009, 1023, 1036; Staake, ZIP 2010, 1013, 1017.



B. Prüfung der Qualifikationen innerhalb der Amtsperiode 211

zugelassen haben, deren Aktien aber zugleich auf eigene Veranlassung über ein multilaterales Handelssystem – also in Deutschland üblicherweise im Freiverkehr – gehandelt werden.666 Eine Abweichung zum Begriff der Ka­ pitalmarktorientierung667 ergibt sich mithin für solche Gesellschaften, die aufgrund der Ausgabe von anderen Wertpapieren als Aktien zwar als kapi­ talmarktorientiert i. S. v. § 264d HGB gelten, deren Aktien jedoch nicht, oder nicht auf eigene Veranlassung im Freiverkehr gehandelt werden. Im Ergebnis ist der Anwendungsbereich von § 289a HGB daher enger als der­ jenige von § 264d HGB und damit der von § 100 Abs. 5 AktG.668 Zwar sollte faktisch weitestgehend Kongruenz zwischen den betroffenen Gesell­ schaften bestehen, da die überwiegende Anzahl der betroffenen Gesellschaf­ ten wegen der Emission von Aktien von beiden Vorschriften erfasst werden. Um eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung der verschiedenen kapital­ marktorientierten Unternehmen zu vermeiden, muss daher die jährliche Offenlegungspflicht der Person des Finanzexperten auch auf diese wenigen nicht von § 289a HGB erfassten, aber von § 100 Abs. 5 AktG verpflichteten Gesellschaften übertragen werden. Die Erklärung zur Unternehmensführung bringt in zweierlei Hinsicht Besonderheiten mit sich. Anders als der Anhang zum Jahresabschluss ist sie gemäß § 317 Abs. 2 S. 3 HGB nicht mit in die Prüfung des Lageberichts durch den Abschlussprüfer einzubeziehen.669 Ferner unterscheidet sich die Erklärung zur Unternehmensführung maßgeblich von der Entsprechenser­ klärung i. S. v. § 161 AktG, da keine Pflicht zur unterjährigen Aktualisierung besteht. Sie muss lediglich zum Zeitpunkt ihrer Erstellung den Tatsachen entsprechen.670 Während die fehlende Überprüfung der rechtmäßigen Zu­ sammensetzung des Aufsichtsrats durch den Abschlussprüfer zu überzeugen vermag, treten durch die fehlende unterjährige Aktualisierungspflicht Lü­ cken bezüglich der besonderen Merkmale auf.671 666  Eingehend zum Anwendungsbereich und den betroffenen Unternehmen Kozikowski / Röhm-Kottmann, Beck’scher Bilanz-Kommentar, § 289a Rn. 3 ff. 667  Siehe dazu oben S. 62 ff. 668  Widmann, BB 2009, 2602, 2605. 669  Diese Vorschrift geht zurück auf Art.  46a Abs.  3 S.  3 der Richtlinie 2006 / 46 / EG, AblEU Nr. L vom 14.6.2006, S. 1 ff. („Änderungsrichtlinie zur Bilanz­ /  660  /  EWG, AblEU Nr. L 222 vom 14.8.1978, S. 11 ff.)), vgl. BTrichtlinie“ (78  Drucks.  16 / 10067 S.  86. 670  Withus, Der Aufsichtsrat 2010, 52, 53; zur dauerhaften Ergänzungspflicht der Entsprechenserklärung und zu den Rechtsfolgen unrichtiger Erklärungen BGH ZIP 2009, 460, 463; Goette, FS Hüffer 2010, 225, 230; Kuthe, FAZ vom 8.4.2009, Nr. 83, S. 21; Rosengarten / Schneider, ZIP 2009, 1837, 1843. 671  Zu den Bedenken gegen die Prüfung der besonderen Qualifikationen durch den Abschlussprüfer siehe S. 212 und zu den Instrumenten zur Ausfüllung der Lücke bezüglich der jederzeitigen Kontrolle der besonderen Qualifikationen siehe S. 216 ff.

212

3. Kap.: Praktische Umsetzung

3. Faktische Offenlegung Selbst ohne die hier bejahte Pflicht zur Offenlegung der Person des Fi­ nanzexperten ist davon auszugehen, dass dessen Person faktisch regelmäßig bekannt wäre. Ein klarer Hinweis auf die Person ergibt sich zunächst dar­ aus, dass gemäß der Empfehlung von Ziff. 5.3.2 S. 2 DCGK der Vorsitzen­ de des Prüfungsausschusses ein Finanzexperte sein sollte. Der Vorsitzende des Prüfungsausschusses ist gemäß § 289a Abs. 2 Ziff. 3 HGB in der Erklä­ rung zur Unternehmensführung namentlich zu benennen. Üblicherweise wird Personalunion zwischen dem Finanzexperten i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG und dem i. S. v. Ziff. 5.3.2 S. 2 DCGK bestehen.672 Daher sollte die Person des Finanzexperten bekannt sein. Für die faktische Offenlegung spricht ferner die Pflicht der Gesellschaft, dahingehende Fragen auf der Hauptver­ sammlung zu beantworten. Einmal jährlich zur Hauptversammlung, und mehr wird von der Kommissionsempfehlung auch nicht gefordert, besteht für die Aktionäre die Möglichkeit, die Person des Finanzexperten zu erfra­ gen. Eine Geheimhaltung der Person scheidet daher sinnvollerweise aus.

III. Externe Überprüfung während der Amtsperiode Der Aufsichtsrat kann jederzeit vor oder während der Amtsperiode des jeweiligen Aufsichtsratsmitglieds dessen Finanzexpertise und / oder die Un­ abhängigkeit überprüfen und gegebenenfalls das Fehlen dieser Merkmale feststellen. Wie bereits angedeutet, wird es allerdings nur in Ausnahmefällen dazu kommen, dass die anderen Aufsichtsratsmitglieder einem ihrer Kolle­ gen fehlende Unabhängigkeit oder Sachkunde vorwerfen werden. Es stellt sich daher auch in diesem Zusammenhang die Frage, ob und gegebenenfalls von wem und in welcher Prüfungstiefe die Entscheidung des Aufsichtsrats zur Unabhängigkeit eines seiner Mitglieder durch unternehmensexterne Dritte überprüft werden kann. 1. Abschlussprüfer Eine Pflicht des Abschlussprüfers, die Unabhängigkeit des Finanzexper­ ten zu überprüfen, könnte sich aus seiner Pflicht ergeben, den Anhang und damit auch die gemäß § 285 Ziff. 10 HGB darin enthaltenen Angaben zur Besetzung des Aufsichtsrats zu überprüfen. Gegen eine Überprüfung der Entscheidung des Aufsichtsrats zur Unabhängigkeit im konkreten Einzelfall durch den Abschlussprüfer spricht jedoch teleologisch, dass der Abschluss­ 672  Kropff,

FS K. Schmidt 2009, 1023, 1036.



B. Prüfung der Qualifikationen innerhalb der Amtsperiode 213

prüfer dann die Unabhängigkeit des Finanzexperten kontrollieren müsste, der seinerseits wiederum die Unabhängigkeit des Abschlussprüfers überprü­ fen muss. Nach der Konzeption des Gesetzgebers ist es gerade der u. a. mit dem unabhängigen Finanzexperten besetzte Prüfungsausschuss, der gemäß § 124 Abs. 3 S. 2 AktG den Vorschlag für die Wahl des Abschlussprüfers an die Hauptversammlung maßgeblich vorbereiten soll. Würde der Abschluss­ prüfer umgekehrt den Finanzexperten kontrollieren, bestünde gleich den Fällen der Überkreuzverflechtung der naheliegende Verdacht, dass beide Seiten dazu geneigt wären, die Prüfung der Unabhängigkeit des anderen im eigenen Interesse sehr wohlwollend durchzuführen. Ferner ist es für den Abschlussprüfer in tatsächlicher Hinsicht nur schwer möglich, brauchbare Unterlagen zur Überprüfung der Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern zu finden. Bereits die Überprüfung der nach § 285 S. 1 Ziff. 10 HGB anzugebenden, sonstigen Mandate in anderen Aufsichts­ ratsgremien bereitet für den Abschlussprüfer besondere Schwierigkeiten, da zur Überprüfung keine verlässlichen Unterlagen zur Verfügung stehen.673 Die noch weitergehenden besonderen Unabhängigkeitsmerkmale zu über­ prüfen, ist für den Abschlussprüfer daher faktisch unmöglich. Schließlich lässt sich auch die Frage, ob sich der Abschlussprüfer der Aufgabe der Überprüfung entziehen kann, bejahen. Der Gesetzgeber hat basierend auf den Vorgaben aus Art. 46a Abs. 2 S. 3 der Richtlinie 2006  /  46  /  EG674 in § 317 Abs. 2 S. 3 HGB ausdrücklich festgelegt, dass die Erklärung zur Un­ ternehmensführung, die sich unter anderem mit der Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder befasst, nicht vom Abschlussprüfer zu prüfen ist. Daher scheidet eine Überprüfung der Entscheidung des Aufsichtsrats zur Unabhängigkeit eines seiner Mitglieder durch den Abschlussprüfer aus. 2. Aufsichtsbehörde In Betracht kommt die Überprüfung der Unabhängigkeit des Finanzexper­ ten durch staatliche Aufsichtsbehörden, insbesondere durch die Bundesastalt für Finanzdienstleistungsaufsicht („BaFin“). Beispielsweise aus §§ 36 Abs. 3 S. 3 Kreditwesengesetz („KWG“), 87 Abs. 8 S. 1 Versicherungsaufsichtsgesetz („VAG“) ergibt sich jeweils die ausdrückliche Befugnis der BaFin, nicht hinreichend qualifizierten Auf­ sichtsratsmitgliedern die Ausübung der Tätigkeit zu untersagen, sowie von den Organen der betroffenen Kreditinstitute und / oder Versicherungen die 673  Vgl. Lange, in: MüKo-HGB, Band 4, § 285 Rn. 206; Gelhausen, AG Sonder­ heft zum KonTraG, 1997, 73, 74 f. 674  A. a. O. Fn.  538.

214

3. Kap.: Praktische Umsetzung

Abberufung des jeweiligen Mitglieds zu verlangen. Sollte der Aufsichtsrat diesem Abberufungsverlangen der BaFin nicht nachkommen, ist die BaFin selbst dazu befugt, den Antrag auf Abberufung bei Gericht zu stellen. Mit­ hin überprüft die BaFin nicht nur die Voraussetzungen, sondern sie kann auch Aufsichtsräte abberufen.675 Diese Ermächtigungen der BaFin sind je­ doch durch den beschränkten Anwendungsbereich des KWG und des VAG beschränkt auf Kreditinstitute, Finanzdienstleister und Versicherungen. § 100 Abs. 5 AktG enthält keine vergleichbare Ermächtigung der BaFin und §§ 36 KWG, 87 VAG lassen sich aufgrund der klar begrenzten Reichweite des KWG und des VAG auch nicht entsprechend heranziehen. Kompetenzen der BaFin zum Ausschluss ungeeigneter Personen von der Aufsichtsratstätigkeit außerhalb der in diesen Geschäftsfeldern tätigen Gesellschaften bestehen mithin nicht.676 Fraglich ist jedoch, ob die BaFin im Rahmen der Zulassung zum Handel, beispielsweise bei einem Börsengang, eine Überprüfung der Qualifikationen des Finanzexperten vornehmen muss. Das wäre der Fall, wenn sie die recht­ mäßige Besetzung der Organe der Gesellschaft, die den Antrag auf Zulas­ sung zum Handel und öffentlichen Angebot stellt, überprüfen müsste. In diese Richtung zielen die Vorgaben aus dem US-amerikanischen Recht: Dort enthält Sec. 10 (m) (1) SEA 1934 in der durch Sec. 301 SOA geän­ derten Fassung eine nicht nur für Kreditinstitute und Versicherungen, son­ dern gegenüber allen kapitalmarktorientierten Gesellschaften Geltung bean­ spruchende Regelung. Die SEC und alle Börsenplätze sollen den Handel von Aktien von Gesellschaften, die gegen die Vorgaben von unabhängigen Audit Committees verstoßen, nach einer Anhörung und Warnung („Oppor­ tunity to cure defects“) aussetzen. Für Deutschland stellt sich die Frage, ob die BaFin einen Antrag auf Zulassung zum Handel in Deutschland ablehnen kann oder sogar muss, wenn der Aufsichtsrat der Antragstellerin gegen die Vorschrift des § 100 Abs. 5 AktG nicht mit wenigstens einem unabhängigen Finanzexperten besetzt ist. Dagegen spricht entscheidend der Prüfungsmaß­ stab der BaFin bei der Prüfung des Wertpapierprospekts. Die Entscheidung über die Billigung des Prospekts ergeht nach einer Vollständigkeitsprüfung des Prospekts, die eine Kohärenz und eine Verständlichkeitsprüfung bein­ haltet. Weder § 5 WpPG noch die diversen Anhänge zum WpPG verlangen eine ausdrückliche Bezeichnung des unabhängigen Finanzexperten. Darüber 675  Dazu Lutter, DB 775, 778; Weber-Rey, FAZ Nr. 77 vom 1.4.2009, S. 2; dies., AG-Report 2010, R316; Wittmann, DB 2007, 2579 ff.; vgl. auch die weitergehenden Befugnisse der SEC aus Sec. 21C SEA 1934 in der durch Sec. 1105 SOA geänder­ ten Fassung, dazu Lanfermann / Maul, DB 2002, 1725, 1730. 676  Hopt / Roth, in: Großkomm-AktG, Band 4, § 100 Rn. 19; Timm, NJW 1987, 977, 979 („Der Gesetzgeber hat sich […] gegen die Einrichtung eines Aktienamtes oder eines Bundesamtes für das Gesellschaftswesen entschieden“).



B. Prüfung der Qualifikationen innerhalb der Amtsperiode 215

hinaus erfolgt eine inhaltliche Prüfung hinsichtlich der Richtigkeit der im Prospekt enthaltenen Angaben nicht.677 Mithin ist festzuhalten, dass keine Aufsichtsbehörde die Feststellungen des Aufsichtsrats zu den besonderen Qualifikationen des Finanzexperten und damit zur rechtmäßigen Besetzung des Gesamtgremiums überprüft. 3. Gerichte Schließlich bleibt die Überprüfung der Entscheidung des Aufsichtsrats zur Unabhängigkeit des Finanzexperten durch die Gerichte. Die Anfechtungs­ klage des Wahlaktes kann gem. §§ 251 Abs. 3 i. V. m. 246 Abs. 1 AktG nur innerhalb eines Monats nach der Wahl erhoben werden. Eine gerichtliche Prüfung der Qualifikationen des Finanzexperten im Rahmen einer Wahlan­ fechtung kommt innerhalb der Amtsperiode (nach Ablauf der Monatsfrist) mithin nicht in Betracht. a) Punktuelle Überprüfung Zu einer gerichtlichen Prüfung der Voraussetzungen kann es innerhalb der Amtsperiode zunächst nur zu bestimmten Zeitpunkten kommen. So ist das der Fall, wenn der Entlastungsbeschluss der Hauptversammlung angefoch­ ten wird, mit der Begründung, dass der Finanzexperte die notwendigen Qualifikationen nicht mitbringt und daher seine Pflichten verletzt.678 Umge­ kehrt ist auch der Fall denkbar, dass der Finanzexperte bei versagter Entlas­ tung auf Feststellung klagt, dass keine Regressansprüche gegen ihn beste­ hen.679 Inzident wäre hier zu prüfen, ob der Finanzexperte allen seinen Pflichten entsprochen hat, d. h. u. a. auch seine besonderen Qualifikationen vorliegen. Eine Überprüfung der Voraussetzungen ist für die Aktionäre da­ her nur während oder unmittelbar nach der Hauptversammlung und auch nur auf Umwegen möglich. Eine außerhalb dieses Zeitfensters liegende gerichtliche Überprüfung kommt lediglich dann in Betracht, wenn der Finanzexperte aufgrund fehlen­ der Qualifikationen, nach vorhergehender Abstimmung im Aufsichtsrat, ge­ richtlich Abberufen werden soll. Die gerichtliche Prüfung der Qualifikatio­ nen liegt in diesem Fall natürlich auf der Hand. In jedem dieser Fälle gilt, 677  RegBegr zum WpPG, BT-Drucks 15  /  4999 S. 34; Ritz / Voß, in: Just u.  a. (Hrsg.), WpPG, § 13 Rn. 42. 678  Kropff, FS K. Schmidt, 2009, 1023, 1035; Nowak, Unabhängigkeit, S. 236; zur Anfechtbarkeit von Entlastungsbeschlüssen vgl. BGH NZG 2009, 342 ff. – „Kirch / Deutsche-Bank“. 679  Potthoff / Trescher / Theisen, Aufsichtsratsmitglied Rn. 2275.

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3. Kap.: Praktische Umsetzung

gleich dem Maßstab bei der Wahlanfechtung, der objektive Beurteilungsmaß­ stab hinsichtlich der äußeren Unabhängigkeitskriterien und der Finanzexper­ tise sowie die Willkürprüfung bezüglich der inneren Unabhängigkeit.680 b) Analoge Anwendung des Statusverfahrens (§§ 97 ff. AktG) Drygala und Staake schlagen aufgrund der Rechtssituation, dass eine Überprüfung der besonderen Qualifikationen für die Aktionäre und die ein­ zelnen Organmitglieder nicht zu jeder Zeit und ohne weitere Vorbedingun­ gen möglich ist, die entsprechende Anwendung der Regelungen zum Status­ verfahren in modifizierter Form vor.681 Dazu müsste das Gesetz eine plan­ widrige Regelungslücke enthalten und die ausdehnende Anwendung des Statusverfahrens müsste zur Ausfüllung der Regelungslücke geeignet sein. aa) Offene Regelungslücke Anfechtungsklagen gegen die Aufsichtsratswahl und gegen Entlastungs­ beschlüsse gewährleisten ein geeignetes Kontrollverfahren. Allerdings sind diese Kontrollverfahren auf Grund der für das Beschlussmängelrecht cha­ rakteristischen Monatsfrist zeitlich begrenzt. § 100 Abs. 5 AktG ist jedoch dauerhafter Natur und jederzeit zu beachten. Eine gerichtliche Überprüfung zwischen Ablauf der Anfechtungsfrist von einem Monat und der nächsten Hauptversammlung – üblicherweise ist dies ein Zeitraum von ca. elf Mona­ ten – kommt lediglich in dem unwahrscheinlichen Fall in Betracht, wenn die Mehrheit der Aktionärsvertreter im Aufsichtsrat „ihrem“ Finanzexperten die Unabhängigkeit oder Finanzexpertise absprechen. Ob diese Situation eine Regelungslücke darstellt, wäre zu bejahen, wenn jedem Aufsichtsratsmitglied und speziell jedem einzelnen Aktionär jederzeit das Recht eingeräumt werden müsste, gerichtlich überprüfen zu lassen, ob den gesetzlichen Anforderungen an die Zusammensetzung des Gremiums entsprochen wird. Die Kommissionsempfehlung und der DCGK enthalten keine Empfehlungen dazu. Für ein solches Recht spricht jedoch der Norm­ charakter von § 100 Abs. 5 AktG als zwingende objektive Besetzungsregel. Die effektive Durchsetzung der zwingenden Besetzungsregel wäre nicht gewährleistet, würde man den vom Schutzzweck erfassten Aktionären keine Möglichkeit zur Überprüfung zugestehen.682 Allein eine Offenlegung nach 680  Siehe

oben S. 203 ff. in: K. Schmidt  /  Lutter, Band I, § 100 Rn. 64; Staake, ZIP 2010,

681  Drygala,

1013, 1021. 682  Drygala, in: K. Schmidt  / Lutter, Band I, § 100 Rn. 64; die Lücke ebenfalls bejahend aber gegen eine analoge Anwendung des Statusverfahrens Sünner, FS Uwe



B. Prüfung der Qualifikationen innerhalb der Amtsperiode 217

dem Comply or Explain-Prinzip vermag dem nicht abzuhelfen, da § 100 Abs. 5 AktG dann entgegen dem klaren Wortlaut der Norm zur Disposition der Gesellschaft und ihrer Organe stünde.683 Ferner lässt sich ein solches Recht zur jederzeitigen Überprüfung der objektiv korrekten Zusammensetzung des Gremiums aus § 98 Abs. 1 und 2 AktG ableiten. Dort wird geregelt, dass bei Streit oder Ungewissheit über die anzuwendenden gesetzlichen Vorschriften zur Zusammensetzung des Aufsichtsrats auf Antrag ein Gericht über das anzuwendende Mitbestim­ mungsmodell unter den in § 96 Abs. 1 AktG aufgezählten Modellen ent­ scheidet. Antragsberechtigt sind u. a. der Vorstand, jedes Aufsichtsratsmit­ glied und jeder Aktionär. Die Antragsberechtigung jedes Aktionärs wird dadurch begründet, dass jeder Aktionär die fehlerhafte Zusammensetzung des Aufsichtsrats durch die Anfechtung der Wahl der Aufsichtsratsmitglieder durch die Hauptversammlung rügen könne. Solle er insoweit seine Rechte nach Ablauf der Anfechtungsfrist beibehalten, so müsse er auch im gericht­ lichen Verfahren antragsberechtigt sein.684 Grundsätzlich kennt und bejaht das deutsche Aktienrecht mithin ein jederzeitiges Feststellungsinteresse des Vorstands, aber auch jedes einzelnen Aufsichtsratsmitglieds und Aktionärs, zu der Frage, ob das Aufsichtsgremium entsprechend den gesetzlichen An­ forderungen zusammengesetzt ist. Der Umstand, dass eine Überprüfung der besonderen Qualifikationen für die Aktionäre und die einzelnen Organmit­ glieder nicht zu jeder Zeit und ohne weitere Vorbedingungen möglich ist, stellt mithin eine planwidrige Regelungslücke dar. bb) Gesetzesanalogie und Grundsätze des Statusverfahrens Zur Ausfüllung wird eine analoge Anwendung des Statusverfahrens (§§ 97 bis 99 AktG), das primär der Bestimmung der richtigen gruppenmä­ ßigen Zusammensetzung685 des Aufsichtsrats dient, vorgeschlagen.686 Grundsätzlich ist der Zweck des Statusverfahrens, den Konflikt zwischen der jederzeit zu ermöglichenden Feststellung der richtigen Zusammenset­ H. Schneider 2011, 1301, 1308 f. („Das Statusverfahren beziehe sich nur auf die Feststellung der anzuwendenden Vorschriften, nicht darauf, ob diese auch tatsächlich umgesetzt werden Die Kapitalmarktorientierung als solche dürfte aber nie streitig sein.“ – Diese Argumentation gewichtet jedoch nicht hinreichend, dass es sich bei den besonderen Merkmalen des § 100 Abs. 5 AktG nicht nur um quantitative, son­ dern zugleich um qualitative Merkmale handelt.). 683  Staake, ZIP 2010, 1013, 1021. 684  BegrRegE zum AktG 1965, zitiert nach Kropff, AktG, S. 130. 685  Vgl. BegrRegE zum AktG 1965, zitiert nach Kropff, AktG 1965, S. 126. 686  Staake, ZIP 2010, 1013, 1021 f.; zustimmend Drygala, in: K. Schmidt / Lutter, Band I, § 100 Rn. 64.

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3. Kap.: Praktische Umsetzung

zung des Aufsichtsrats einerseits sowie der notwendigen Rechtssicherheit andererseits zu lösen. Ziel ist es, auch bei Unsicherheit über das auf die Gesellschaft anwendbare Mitbestimmungsmodell stets einen beschlussfähi­ gen Aufsichtsrat zu ermöglichen.687 Ist streitig oder ungewiss, ob der Auf­ sichtsrat nach den anzuwendenden Vorschriften zusammengesetzt ist, so entscheidet darüber auf Antrag ausschließlich das Landgericht, in dessen Bezirk die Gesellschaft ihren Sitz hat (§ 98 Abs. 1 AktG). Antragsberechtigt sind alle, die ein berechtigtes Interesse an der richtigen Zusammensetzung des Aufsichtsrates haben und / oder in irgendeiner Form an der Zusammen­ setzung des Aufsichtsrats mitwirken. Gemäß der abschließenden Aufzählung aus § 98 Abs. 2 AktG sind dies u. a. der Vorstand als Gremium, jedes einzelne Aufsichtsratsmitglied (Ziff. 2) und jeder einzelne Aktionär (Ziff. 3). Bis zum Abschluss des Verfahrens gilt der Aufsichtsrat weiterhin als richtig besetzt, selbst wenn das Gericht im Verlaufe des Statusverfahrens feststellt, dass der Aufsichtsrat nicht entsprechend den maßgeblichen Vorschriften besetzt ist („Kontinuitätsgrundsatz“). Hat das angerufene Gericht festge­ stellt, dass der Aufsichtsrat nicht entsprechend der anzuwendenden Vor­ schriften zusammengesetzt ist, wird die zweite Stufe688 des Statusverfahrens betreten. Der Gesellschaft und dem Aufsichtsrat wird ab der Rechtskraft des Urteils gem. §§ 98 Abs. 4 S. 2 i. V. m. 97 Abs. 2 AktG eine Übergangsfrist bis zur nächsten Hauptversammlung gewährt, allerdings maximal sechs Monate, um einen neuen, den anzuwendenden Vorschriften entsprechenden Aufsichtsrat, zu wählen. Bis zum Ablauf dieser Frist bleibt das fehlerhaft besetzte Gremium beschlussfähig. cc) Vergleichbarkeit Die Frage nach dem richtigen Mitbestimmungsmodell und der Besetzung des Aufsichtsrats entsprechend § 100 Abs. 5 AktG sind vergleichbar, da es sich in beiden Fällen um objektive Besetzungsanforderungen handelt, die zwingend umzusetzen sind.689 In beiden Fällen kann jeder Aktionär etwaige Mängel zum Zeitpunkt der Wahl durch die Anfechtung der Wahlen rügen. Dieses Recht muss ihm jedoch auch nach Ablauf der Anfechtungsfrist zu­ stehen, insbesondere da es sich sowohl bei der Arbeitnehmerzahl als auch bei den besonderen Qualifikationen des Finanzexperten um Umstände han­ 687  Hopt / Roth, in: Großkomm-AktG, Band 4, § 97 Rn. 3, § 98 Rn. 3; Habersack, in: MüKo-AktG, Band 2, § 97 Rn. 1. 688  Sog. „Zweistufigkeit des Statusverfahrens“, Hopt / Roth, in: Großkomm-AktG, Band 4, § 97 Rn. 2; Habersack, in: MüKo-AktG, Band 2, § 97 Rn. 2; Hüffer, AktG, § 97 Rn. 1; Rittner, DB 1969, 2165, 2168. 689  Staake, ZIP 2010, 1013, 1021  f.; Drygala, in: K. Schmidt  /  Lutter, Band I, § 100 Rn. 64.



B. Prüfung der Qualifikationen innerhalb der Amtsperiode 219

delt, die sich innerhalb einer Amtsperiode schnell verändern können. Daher scheint eine Gesetzesanalogie zu den besonderen Regelungen des Statusver­ fahrens als gute Möglichkeit, um die Regelungslücke gesetzesimmanent auszufüllen. dd) Für und Wider der analogen Anwendung des Statusverfahrens Gegen eine analoge Anwendung der Vorschriften des Statusverfahrens spricht, dass es sich zwar in beiden Fällen um objektive Besetzungsanfor­ derungen handelt, jedoch sind das einerseits quantitative Anforderungen (Arbeitnehmerzahl) und andererseits qualitative Anforderungen (Mindest­ qualifikation eines Mitglieds). Eine analoge Anwendung des Statusverfah­ rens zur Überprüfung der besonderen Qualifikationen des Finanzexperten würde einer permanenten Anfechtungsmöglichkeit der Wahl des Finanzex­ perten gleichkommen. Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass die analoge Anwendung des Statusverfahrens daher über das Ziel hinaus schießt und Rechtsunsicherheit verursacht und „räuberischen“ Klägern eine neue Waffe zur Hand gibt. Diesen Befürchtungen kann jedoch entgegen gehalten werden, dass die Kontinuitätsregel aus § 96 Abs. 2 AktG und die Zweistufigkeit des Verfah­ rens zu erheblicher Rechtssicherheit für das Gremium und die Gesellschaft führen – die Beschlüsse sind wirksam und bleiben dies auch, selbst wenn das Statusverfahren zu dem Ergebnis führt, dass der Aufsichtsrat falsch zusammengesetzt war.690 Dadurch entfällt der von den räuberischen Anfech­ tungsklägern ausgenutzte Effekt, die Umsetzung von Beschlüssen aufhalten zu können. Ferner ermögliche die Anwendung des Statusverfahrens entsprechend § 99 Abs. 5 S. 2 AktG eine allgemeinverbindliche Feststellung von Verstö­ ßen, sodass sie erheblich besser geeignet ist, als die nur relativ zwischen den Parteien wirkende Feststellungsklage nach § 256 ZPO und vermeidet die dadurch entstehende Gefahr divergierender Entscheidungen.691 Durch die allgemeinverbindliche Feststellung wird auch die jederzeitige Legitima­ tion des Finanzexperten abgesichert. Ein organinterner Krönungsbeschluss, wie er teilweise befürchtet wird, ist ausgeschlossen. Weitere Rechtssicher­ heit ergibt sich dadurch, dass ausschließlich das Gericht am Sitz der Gesell­ schaft zuständig ist. So kann vermieden werden, dass derselbe Sachverhalt wiederholt zu Prozessen führt. 690  Grundsätzlich zum Statusverfahren BegrRegE zum AktG 1965, zitiert nach Kropff, AktG 1965, S. 126; OLG Düsseldorf ZIP 1995, 1752, 1753; Rittner, DB 1969, 2165, 2167 ff. 691  Staake, ZIP 2010, 1013, 1022.

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3. Kap.: Praktische Umsetzung

Schließlich führt auch die besondere Kostenregelung für das Statusver­ fahren aus § 99 Abs. 6 AktG zu gut vertretbaren Ergebnissen. Grundsätzlich trägt gem. § 99 Abs. 6 S. 7 AktG die Gesellschaft die Kosten des Verfah­ rens. Wird im Zusammenhang mit § 100 Abs. 5 AktG eine Klage erhoben, so sind diese Kosten der Gesellschaft bei der ersten Überprüfung der beson­ deren Qualifikationen auch zumutbar, insbesondere da nicht zu erwarten ist, dass die Kosten des Verfahrens besonders hoch sein werden. Die Kosten der Beteiligten (etwa eigene Anwaltskosten und Auslagen) hat die Gesellschaft gem. § 99 Abs. 6 S. 9 AktG hingegen nicht zu erstatten. Wird, nachdem das Gericht am Sitz der Gesellschaft bereits einmal das Vorliegen der besonde­ ren Qualifikationen in der Person des Finanzexperten festgestellt hat, erneut eine Klage erhoben, so muss der Kläger Umstände dartun, weshalb nun eine andere Bewertung als zum Zeitpunkt des ersten Urteils naheliegt. Kann er dies nicht, so entspricht es der Billigkeit, entsprechend § 99 Abs. 6 S. 8 AktG dem Kläger die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. All diese Besonderheiten des Statusverfahrens ermöglichen einen optima­ len Ausgleich zwischen der den Aktionären zu gewährenden Möglichkeit der Überprüfung der besonderen Qualifikationen und der von der Gesell­ schaft benötigten Rechtssicherheit. Die analoge Anwendung des Statusver­ fahrens ermöglicht daher eine gesetzesimmanente Ausfüllung der planwid­ rigen Regelungslücke. ee) Spezifische Anpassung des Statusverfahrens Das Statusverfahren kann jedoch nicht vollumfänglich auf die vorliegen­ de Situation angewandt werden. Hinsichtlich der Antragsberechtigten müs­ sen in zweierlei Hinsicht Modifikationen erfolgen. Da Arbeitnehmervertreter nicht unabhängig i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG sein können und der Finanzex­ perte auch nicht primär dem Schutz der Arbeitnehmer, sondern dem der Investoren dient, sind die in § 98 Abs. 2 Ziff. 4–10 AktG aufgelisteten Inte­ ressensvertreter der Arbeitnehmerseite nicht dazu berechtigt, einen Antrag auf Einleitung des Verfahrens zur Überprüfung der besonderen Qualifika­ tionen des Finanzexperten einzuleiten. Daneben ist auch dem Vorstand das Antragsrecht abzusprechen. Der Vor­ stand könnte so auf die Zusammensetzung des Aufsichtsrats einwirken, was unter allen Umständen zu vermeiden ist. Zwar könnte man argumentieren, dass diese Einwirkungsmöglichkeit des Vorstandes gerade der Verbesserung der Corporate Governance dient und der Absicherung des Vorliegens der besonderen Qualifikationen des Finanzexperten dienen soll.692 Allerdings 692  Staake,

ZIP 2010, 1013, 1021.



B. Prüfung der Qualifikationen innerhalb der Amtsperiode 221

würde dies praktisch dazu führen, dass der Vorstand dann regelmäßig die Qualifikationen des Finanzexperten prüfen müsste / dürfte und der Finanzex­ perte sich gegebenenfalls intern vor dem Vorstand rechtfertigen müsste. Dies verletzt die aktienrechtliche Kompetenzordnung allerdings in einem nicht erträglichen Maße. Werden dem Vorstand Umstände bekannt, die die Unabhängigkeit des Finanzexperten in Frage stellen, so kann und muss er diese an den Aufsichtsratsvorsitzenden weitergeben. Eine Antragsbefugnis des Vorstands scheidet hingegen aus. Antragsberechtigt sind demnach aus­ schließlich die in § 98 Abs. 2 Ziff. 2 und 3 AktG genannten Gruppen, na­ mentlich jedes Aufsichtsratsmitglied und jeder Aktionär. Zuletzt ist die analoge Anwendung des Statusverfahrens nur in engeren Grenzen als die Anfechtungsklage statthaft. Als Anfechtungsgrund kommen neben Inhaltsmängeln (Verletzung des Gesetzes gem. § 251 Abs. 1 S. 1 AktG) auch Verfahrensmängel (fehlerhafte oder zu Unrecht unterlassene Auskunft der Aktionäre §§ 251 Abs. 1 S. 3 i. V. m. § 243 Abs. 4 AktG) in Betracht. Das Statusverfahren zur Überprüfung von § 100 Abs. 5 AktG kommt nach Ablauf der Anfechtungsfrist hingegen nur wegen Inhaltsmän­ geln in Betracht, da nur insoweit eine Regelungslücke besteht. Den Anfech­ tungsberechtigten soll jederzeit die Möglichkeit gegeben werden, die recht­ mäßige Zusammensetzung des Aufsichtsrats überprüfen zu dürfen. Eine je­ derzeitige Überprüfung des Verfahrens in der Hauptversammlung ist darin nicht inbegriffen.

Zwischenergebnis Eine Pflicht zur Bestellung eines Finanzexperten ergibt sich nur, wenn von den verbleibenden Mitgliedern keines die zusätzlichen Merkmale er­ füllt. Dann hat der Aufsichtsrat dies bei seinen Wahlvorschlägen an die Hauptversammlung oder das Gericht zu berücksichtigen. Mindestens eines der zur Neubesetzung vorgeschlagenen Mitglieder muss die Voraussetzun­ gen erfüllen. Der Aufsichtsrat entscheidet über die Qualifikationen des Fi­ nanzexperten durch Beschluss. Ausreichend ist die einfache Mehrheit der Anteilseignervertreter. Der jeweilige Finanzexperte darf bei der Beschluss­ fassung über das Vorliegen der besonderen Qualifikationen in seiner Person nicht an der Beschlussfassung teilnehmen oder mitstimmen. Die Wahlvorschläge an die Hauptversammlung sind nicht dahingehend zu gestalten, dass einer der Vorschläge ausdrücklich als unabhängiger Finanzex­ perte gekennzeichnet wird. Im Zeitraum nach der Wahl ist der Finanzexperte hingegen ausdrücklich in der Erklärung zur Unternehmensführung zu benen­ nen. Faktisch wird die Person des Finanzexperten zu jeder Zeit bekannt sein, insbesondere kann sie bei Interesse der Aktionäre vor der Wahl durch Aus­

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3. Kap.: Praktische Umsetzung

übung des Fragerechts „erfragt“ werden. Eines Ermächtigungsbeschlusses durch die Hauptversammlung bedarf es nicht. Eine Überprüfung der Qualifi­ kationen durch externe Dritte, wie beispielsweise die BaFin oder den Ab­ schlussprüfer, erfolgt, mit Ausnahme der gerichtlichen Überprüfung, nicht. Eine Wahl, die zu einer Besetzung des Aufsichtsrats unter Verstoß gegen § 100 Abs. 5 AktG führt, ist anfechtbar. Bei einer Listenwahl ist der einzige Wahlbeschluss über die Wahl der gesamten Liste anzufechten. Bei Einzel­ wahlen ist die Wahl des letzten gewählten Mitglieds anzufechten. Bezüglich des Prüfungsumfangs der Gerichte ist zu differenzieren: Die äußeren Unab­ hängigkeitsmerkmale und die Finanzexpertise sind aus der Sicht eines ver­ nünftig und objektiv denkenden Dritten zu beurteilen. Bezüglich der inneren Einstellung des Finanzexperten steht dem Aufsichtsrat ein weiter Beurtei­ lungsspielraum zu, der lediglich auf Willkür zu überprüfen ist. Neben der Möglichkeit der Anfechtung des Wahlbeschlusses kann jedes Aufsichtsratsmitglied und jeder Aktionär eine gerichtliche Überprüfung der § 100 Abs. 5 AktG entsprechenden Besetzung des Aufsichtsrats beantragen. Für das Verfahren sind die Regelungen des Statusverfahrens aus §§ 97 ff. AktG analog heranzuziehen, wobei der Kreis der Antragsberechtigten auf die in § 98 Abs. 2 Ziff. 2 und 3 AktG genannten Personen begrenzt ist. Die Möglichkeit von Anfechtungsklagen und der entsprechenden Anwen­ dung des Statusverfahrens führt faktisch zu einer zu begrüßenden Legitima­ tion des Finanzexperten durch die Hauptversammlung oder durch Gerichte. Haben Aktionäre ein Interesse an der Person des Finanzexperten, so können sie seine Person im Wahlverfahren erfragen. Auch im Zeitraum nach der Wahl ist zumindest einmal pro Jahr die Person des Finanzexperten offenzu­ legen. Die entsprechende Anwendung des Statusverfahrens eröffnet die Möglichkeit, jederzeit gerichtlich prüfen zu lassen, ob § 100 Abs. 5 AktG entsprochen wird. Mithin wird der Hauptversammlung nicht durch einen unanfechtbaren und unüberprüfbaren, organinternen Krönungsbeschluss die Möglichkeit genommen, die Rechtmäßigkeit ihres Beschlusses zu überprü­ fen, sondern die Aktionäre haben effektive Instrumente, um § 100 Abs. 5 AktG durchzusetzen.

C. Rechtsfolgen von Verstößen Welche zivilrechtlichen Folgen sich durch die fehlerhafte Besetzung des Aufsichtsrats beim Fehlen eines unabhängigen Finanzexperten ergeben, ist weithin unerforscht. Das BilMoG trifft keine Regelungen zu den Folgen bei Verstößen gegen die zwingenden Gebote der §§ 100 Abs. 5, 107 Abs. 4 AktG, sodass die Rechtsfolgen aus den allgemeinen Grundsätzen des Ak­ tienrechts herzuleiten sind.



C. Rechtsfolgen von Verstößen223

Bei der Diskussion über die Rechtsfolgen ist zunächst zu unterstellen, dass der Aufsichtsrat oder ein angerufenes Gericht die fehlende Unabhän­ gigkeit oder Finanzexpertise des unabhängigen Finanzexperten rechtsver­ bindlich festgestellt haben. Sollte dieser Fall des Fehlens der Voraussetzun­ gen eintreten, so ist in zweierlei Hinsicht zu differenzieren: Erstens ist in zeitlicher Hinsicht zu unterscheiden zwischen dem Fehlen der Voraussetzun­ gen von Anfang an und deren späteren Wegfall im Verlauf der Amtsperiode. Zweitens ist aufgrund der Rechtsnatur von § 100 Abs. 5 AktG im Falle des Fehlens  /  Wegfalls der besonderen persönlichen Voraussetzungen zwischen den Folgen individuell für den Finanzexperten und den Folgen für das unter Verstoß gegen § 100 Abs. 5 AktG fehlerhaft zusammengesetzte Aufsichts­ ratsgremium zu unterscheiden.

I. Rechtsfolgen für Beschlüsse des Aufsichtsrats Der Gesetzgeber hat keine Hinweise dahingehend erteilt, welche Rechts­ folgen der Verstoß gegen § 100 Abs. 5 AktG für die von dem fehlerhaft besetzten Gremium gefassten Beschlüsse hat. Dies ist zugleich wenig ver­ wunderlich aber besonders problematisch, da das Aktiengesetz zu der Frage der Rechtsfolgen fehlerhafter Aufsichtsratsbeschlüsse auch keine allgemeine Regelung bereithält.693 Als mögliche Rechtsfolge des durch den Verstoß gegen § 100 Abs. 5 AktG fehlerhaft zusammengesetzten Gremiums kommt die Beschlussunfähigkeit oder Nichtigkeit der gefassten Beschlüsse in Be­ tracht.694 Von der Fehlerhaftigkeit des Beschlusses ist die Fehlerhaftigkeit der einzelnen Stimmabgabe des Finanzexperten zu trennen.695 1. Beschlussunfähigkeit? Die Wertung des Gesetzgebers aus § 108 Abs. 2 S. 2 und 3 AktG zeigt, dass er in Bezug auf eine generelle Beschlussunfähigkeit nur auf die Zahl der Mitglieder („mindestens die Hälfte der Mitglieder“) abstellt. Der Wort­ laut von § 100 Abs. 5 AktG gibt keinen Hinweis darauf, dass der Gesetz­ 693  Habersack, in: MüKo-AktG, Band 2, § 108 Rn. 73; Götz, FS Lüke, 1997, 167, 168 / 172. 694  Schilmar, Der Aufsichtsrat 2009, 101, 102; auf die teilweise vertretene Lehre der Anfechtbarkeit der Aufsichtsratsbeschlüsse soll hier in Anbetracht der ablehnen­ den Entscheidung des BGH, Z 122, 342, 347 nicht eingegangen werden. Dem BGH zustimmend Hopt / Roth, in: Großkomm-AktG, Band 4, § 108 Rn. 132 ff.; Götz, FS Lüke, 1997, 167, 176 ff.; a. A. Lemke, Fehlerhafter Aufsichtsratsbeschluss, S. 94 ff. jeweils m. w. N. 695  Habersack, in: MüKo-AktG, Band 2, § 108 Rn. 74; Hopt / Roth, in: Groß­ komm-AktG, Band 4, § 108 Rn. 143.

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3. Kap.: Praktische Umsetzung

geber von dem Grundsatz aus § 108 Abs. 2 S. 2 und 3 AktG abweichen möchte.696 In § 108 Abs. 2 S. 4 AktG missbilligt er sogar den Schutz einer Gruppe von Mitgliedern zu Lasten der Funktionsfähigkeit des Aufsichts­ rats.697 Dadurch soll verhindert werden, dass eine Gruppe durch ihr Fern­ bleiben die Beschlussfähigkeit des Gremiums aufheben kann. Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber aber dem Finanzexperten die Möglichkeit einräumen möchte, alleine durch sein Fernbleiben über die Beschlussfähig­ keit des Gremiums entscheiden zu können („Politik des leeren Stuhls“). Der Aufsichtsrat ist mithin auch ohne einen Finanzexperten beschlussfähig. 2. Nichtigkeit von Aufsichtsratsbeschlüssen? Für die Nichtigkeit der Beschlüsse des fehlerhaft zusammengesetzten Gremiums wird argumentiert, dass zwischen Sachverstand und Beschlussfä­ higkeit ein enger Zusammenhang bestünde.698 Dem ist zwar grundsätzlich zuzustimmen, allerdings würde die Nichtigkeit aller Beschlüsse bedeuten, dass der gesamte Aufsichtsrat im Fall des Verstoßes gegen § 100 Abs. 5 AktG faktisch handlungsunfähig wäre und möglicherweise auch schon eine längere Zeit davor – unerkannt – war. Die damit einhergehenden Verluste an Rechtssicherheit schießen über das Ziel von § 100 Abs. 5 AktG hinaus.699 Gegen eine Nichtigkeit von Beschlüssen des fehlerhaft besetzten Gremiums spricht ferner die Änderung des § 256 Abs. 1 Ziff. 3 AktG: Ein festgestellter Jahresabschluss ist nichtig, wenn er von einem i. S. v. §§ 319a Abs. 1, 319b Abs. 1 HGB nicht unabhängigen Abschlussprüfer geprüft wurde. Im Zuge des BilMoG wurde diese Regelung aber offensichtlich nicht dahingehend ausgeweitet, dass das Fehlen der Unabhängigkeit des Finanzexperten der fehlenden Unabhängigkeit des Abschlussprüfers gleichgestellt wurde. Auch Besetzungsfehler des Gremiums führen nicht zu einer Nichtigkeit nach § 256 Abs. 2 AktG, da anderenfalls die Regelungen aus § 108 Abs. 2 AktG ihren Sinn verlieren würden.700 Das Fehlen eines Finanzexperten bei der Beschlussfassung über den Jahresabschluss führt mithin nicht zu dessen Nichtigkeit. Wenn das Fehlen des Finanzexperten aber nicht einmal zur Nichtigkeit des Beschlusses zur Feststellung des Jahresabschlusses, d. h. seines Haupttätigkeitsgebiets, führt, dann kann für andere Beschlüsse nichts anderes gelten.701 Daher sind Beschlüsse eines fehlerhaft besetzten Auf­ 696  Widmann,

BB 2009, 2602, 2603. Karlsruhe, AG 1981, 102, 105. 698  Schilmar, Der Aufsichtsrat 2009, 101, 102. 699  Wind / Klie, DStR 2010, 1339, 1341. 700  Hüffer, MüKo-AktG, Band 7, § 256 Rn. 43. 701  Ähnlich Widmann, BB 2009, 2602, 2604. 697  OLG



C. Rechtsfolgen von Verstößen225

sichtsrats nicht per se nichtig.702 Dieses Ergebnis lässt sich durch die Über­ legung absichern, dass dem Finanzexperten anderenfalls die nicht erwünsch­ te Möglichkeit eingeräumt werden würde, allein durch seine Abwesenheit die Nichtigkeit von Aufsichtsratsbeschlüssen herbeiführen zu können. Eine Nichtigkeit von Beschlüssen durch die Fehlerhaftigkeit der Stimm­ abgabe des Finanzexperten könnte sich daher nur im Falle der erfolgrei­ chen Anfechtung der Wahl ergeben. Grundsätzlich erfolgt die Nichtigerklä­ rung des Wahlbeschlusses mit Wirkung ex tunc, sodass die Legitimation des Finanzexperten rückwirkend entfällt. War seine (rückwirkend) fehler­ hafte Stimmabgabe bei der Abstimmung entscheidend für das Abstim­ mungsergebnis, so würde auch dieser Beschluss rückwirkend unwirksam werden.703 Die Kausalität der Stimme des Finanzexperten für das Abstim­ mungsergebnis wird bei Aufsichtsräten, die aus lediglich drei Mitgliedern bestehen und bei dem regelmäßig nur mit drei oder vier Mitgliedern be­ setzten Prüfungsausschuss regelmäßig zu bejahen sein, was zu erheblichen Risiken in der Praxis führt.704 Um dieses große Risiko für Gesellschaften einzugrenzen, ist die zu zweckgerechten Ergebnissen führende „Lehre vom fehlerhaften Organ“ hier entsprechend heranzuziehen.705 Dafür spricht, dass die Bestellung des Finanzexperten lediglich anfechtbar und nicht nichtig ist, sodass grundsätzlich von der Wirksamkeit seiner Handlungen ausgegangen werden kann. Das fehlerhaft bestellte Mitglied ist daher bis zur tatsächlichen Beendigung des Mandats wie ein fehlerfrei bestelltes Mitglied zu behandeln. Etwas anderes muss nur dann gelten, wenn die fehlenden Qualifikationen des Finanzexperten evident waren.706 In jedem Fall ist dem Gremium anzuraten, im Fall des erklärten Widerspruchs gegen die Wahl des Finanzexperten oder allgemein die Wahlen zum Aufsichtsrat stets die Möglichkeit des nachträglichen Wegfalls der Stimme des Finanz­ experten zu berücksichtigen.

702  Im Ergebnis wie hier Nikoleyczik / Olk, GWR 2010, 298; Rieder / Holzmann, AG 2010, 570, 574; Widmann, BB 2009, 2602, 2604; Wind / Klie, DStR 2010, 1339, 1341; von Falkenhausen / Kocher, ZIP 2009, 1601, 1602; zum identischen Problem beim Prüfungsausschuss Sünner, FS Uwe H. Schneider 2011, 1301, 1310 f. 703  BGHZ 47, 341, 345; Staake, ZIP 2010, 1013, 1020 m. w. N. 704  Eggers / Reiß / Schichold, Der Aufsichtsrat 2010, 6, 7; Schilmar, Der Aufsichts­ rat 2009, 101, 102; Staake, ZIP 2010, 1013, 1020. 705  Staake, ZIP 2010, 1013, 1020; allgemein dazu OLG Frankfurt a. M. AG 2011, 36, 39 f.; OLG Köln AG 2007, 822; Happ, FS Hüffer 2010, 293, 295; überzeugend und m. w. N. Hopt / Roth, Großkomm-AktG, Band 4, § 101 Rn. 228; a. A. Nowak, BB 2010, 2423, 2426. 706  Vgl. Habersack, in: MüKo-AktG, Band 2, § 101, Rn. 70.

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3. Kap.: Praktische Umsetzung

II. Pflichten und Haftung des Finanzexperten Der Finanzexperte haftet selbstverständlich wie jedes andere Aufsichts­ ratsmitglied auch, insbesondere aus §§ 116 i. V. m. 93 AktG.707 An dieser Stelle sollen nur die Pflichten und Risiken untersucht werden, die dem Fi­ nanzexperten im Falle des Fehlens oder des Wegfalls der Finanzexpertise oder der Unabhängigkeit drohen. 1. Pflichten Gibt es nur einen Finanzexperten, so trifft diesen die Pflicht, die beson­ deren Qualifikationen der Unabhängigkeit und Finanzexpertise zu haben und beizubehalten.708 Ihr Fehlen oder Verlust ist mithin eine Pflichtverlet­ zung. Das Besondere an einer Verletzung dieser speziellen Pflicht des Fi­ nanzexperten ist, dass sie unmittelbar zur fehlerhaften Zusammensetzung des Gesamtgremiums führt. Da der Finanzexperte auf das Unternehmens­ interesse verpflichtet ist, trifft ihn als „Störer“ die Pflicht, möglichst rasch wieder die rechtmäßige Besetzung des Gesamtgremiums herbeizuführen. Dies ist zum einen möglich durch die zeitnahe Wiederherstellung der Un­ abhängigkeit  /  Finanzexpertise oder zum anderen durch die Niederlegung seines Amtes. Die Möglichkeit der Wiederherstellung kommt dabei nur in engem Rahmen in Betracht. Zum einen bedarf es üblicherweise einiger Zeit, die Interessenskollisionen zu beheben oder sich die notwendige Fi­ nanzexpertise anzueignen. Während dieser Zeit wäre das Gremium aber fehlerhaft besetzt. Ferner hat der Finanzexperte bei Verstößen gegen die Anforderung der Unabhängigkeit gezeigt, dass er bezüglich seiner beson­ deren Position nicht vertrauenswürdig ist. Eine Wiederherstellung der Un­ abhängigkeit kommt daher nur in Betracht, wenn es sich um minimale Interessenskollisionen handelt und die Wiederherstellung zeitnah möglich ist. Ein genaues Zeitfenster zur Wiederherstellung ist schwer festzulegen, allerdings sollte es reichen, wenn der Finanzexperte in der nächsten Auf­ sichtsratssitzung die Interessenskollisionen behoben hat.709 Die Möglichkeit der Wiederherstellung ist darüber hinaus ebenfalls zu gewähren, wenn der Finanzexperte den Verlust der Qualifikation nicht zu verschulden hat. Dies 707  Vgl. zur Haftung von Aufsichtsratsmitgliedern die einschlägige Kommentarli­ teratur und besonders anschaulich bei Roth, Journal of Corporate Law Studies 2008 (2), 337, 340 ff., zu den praktischen Problemen Lutter, ZHR 159 (1995), 304 ff. Zu den erhöhten Verhaltensanforderungen an den Finanzexperten siehe oben S. 57 ff. und S.  176 ff. 708  Siehe oben S. 57 f. 709  Vgl. die Vorschläge von CalPERS (30 Tage) und PricewaterhouseCoopers (90 Tage), zitiert nach SEC Release 33-8220, Fn. 183, a. a. O. Fn. 54.



C. Rechtsfolgen von Verstößen227

ist nur in Ausnahmefällen denkbar, beispielsweise dann, wenn die Gesell­ schaft eine andere Gesellschaft übernimmt, deren Abschlussprüfer der un­ abhängige Finanzexperte ist.710 Die Möglichkeit der Wiederherstellung ist in diesen Fällen zu gewähren, da anderenfalls der Vorstand durch Ge­ schäftsführungsmaßnahmen (Beraterverträge, Übernahmen) die Abhängig­ keit des Finanzexperten herbeiführen könnte, um so unliebsame, weil strenge, Finanzexperten „loszuwerden“. Handelt es sich hingegen nicht um solch minimale oder unverschuldete Interessenskonflikte, so ist der Finanzexperte verpflichtet, sein Amt nieder­ zulegen, um auf diesem Weg Platz für eine Neubesetzung zu schaffen.711 Die Pflicht zur Niederlegung des Amts wird freilich von den Stimmen verneint, die auch die besonderen Pflichten des Finanzexperten zur Beibe­ haltung der besonderen Qualifikationen verneinen. Diese Ansicht führt aber zu dem verhaltensökonomisch unerwünschten Ergebnis, dass der Finanzex­ perte seine Qualifikationen (u. a. auch bewusst) verlieren kann, ohne dass ihm Konsequenzen drohen. Er würde lediglich zurückfallen in die Gruppe der „normalen“ Aufsichtsratsmitglieder. Ferner gelangt diese Ansicht zu dem Problem, dass das Gremium trotz fehlerhafter Besetzung bis zu Neu­ wahlen fehlerhaft besetzt bleiben muss. Dieses Ergebnis liegt darin begrün­ det, dass der ehemalige Finanzexperte sein Amt nicht niederlegen muss und mangels wichtigen Grundes nicht abberufen werden kann. Da die Anzahl der Aufsichtsratsmitglieder aber gesetzlich oder in der Satzung festgeschrie­ ben ist, bedarf es der Amtsniederlegung oder Abberufung eines Mitglieds, um Platz für ein neues zu schaffen. Basierend auf diesen Erwägungen, dem „Störerprinzip“ und der Verpflichtung auf das Unternehmensinteresse ist der Finanzexperte im Falle des Verlusts einer oder gar beider besonderen Qua­ lifikationen verpflichtet, sein Amt niederzulegen. 2. Haftung Hat der Finanzexperte die besonderen Qualifikationen zum Zeitpunkt der Wahl nicht besessen und bis zum Amtsantritt diesen Mangel nicht behoben, dann trifft ihn ein Übernahmeverschulden.712 Er ist Schadensersatzansprü­ chen der Gesellschaft ausgesetzt (Innenhaftung). Der Schaden, der der Ge­ sellschaft entsteht, beziffert sich zumindest in Höhe der Kosten zur Einbe­ rufung einer neuen Hauptversammlung oder der gerichtlichen Abberufung 710  Ähnliches

Beispiel in SEC Release 33-8220, Ziff. II. F. Nr. 5, a. a. O. Fn. 54. hier wohl Kropff, FS K. Schmidt 2009, 1023, 1032; dagegen Gruber, NZG 2008, 1; siehe dazu ausführlich unter 1. Kapitel B. I. und D. V. 1. 712  Eggers / Reiß / Schichold, Der Aufsichtsrat 2009, 157, 159; a.  A. Wind / Klie, DStR 2010, 1339, 1342. 711  Wie

228

3. Kap.: Praktische Umsetzung

und Neubestellung. Soweit sonstige Schäden quantifizierbar sind, hat er diese im Rahmen von §§ 116 i. V. m. 93 AktG ebenfalls zu ersetzen. Der Imageschaden und mögliche Schäden durch fehlerhafte und daher nichtige Beschlüsse des Gremiums oder des Prüfungsausschusses dürften allerdings nur schwer quantifizierbar sein. Verliert der Finanzexperte die besonderen Qualifikationen im Laufe der Amtszeit vorsätzlich oder fahrlässig, so hat er ebenfalls die Kosten der gerichtlichen Abberufung und Neubestellung zu tragen. Verliert der Finanz­ experte dagegen allein durch Außeneinflüsse seine Unabhängigkeit, so scheidet mangels Verschuldens eine Haftung aus. Eine Außenhaftung des Finanzexperten wäre nur anzunehmen, wenn § 100 Abs. 5 AktG Schutzgesetz i. S. v. § 823 Abs. 2 BGB wäre. Ein Schutz­ gesetz in diesem Sinne. ist jede Norm, die nach Zweck und Inhalt wenigs­ tens auch auf den Schutz von Individualinteressen vor einer näher bestimm­ ten Art ihrer Verletzung ausgerichtet ist.713 Es genügt nicht, dass der Indi­ vidualschutz durch Befolgen der Norm als ihr Reflex objektiv erreicht werden kann.714 Im Tatbestand von § 100 Abs. 5 AktG ist das Vermögen weder als Verletzungsobjekt noch als Objekt konkreter Gefährdung benannt. § 100 Abs. 5 AktG soll das Vertrauen der Märkte in die vorgelegten Finanz­ berichte steigern. Nicht bezweckt ist hingegen der Schutz einzelner Inves­ toren. Eine anderslautende Intention des Gesetzgebers lässt sich auch nicht den Gesetzgebungsmaterialien entnehmen. § 100 Abs. 5 AktG ist daher kein Schutzgesetz. Eine Schadensersatzhaftung des Finanzexperten gegenüber Dritten (Außenhaftung) scheidet daher aus. Diese Haftungsverschärfungen für den Finanzexperten erscheinen nach der hier vertretenen Auffassung nicht als unverhältnismäßig oder übertrie­ ben. Es handelt sich um eine reine Innenhaftung des Finanzexperten. Es liegt auch in seiner Hand, die Pflichtverletzungen zu vermeiden und damit die Haftung auszuschließen. Umgekehrt setzt diese Haftung positive Anrei­ ze an den Finanzexperten, vor der Wahl und während der Amtsperiode seine Qualifikationen sorgfältig zu prüfen und zu schützen.

III. Pflichten des Aufsichtsratsgremiums und Haftung Das Aufsichtsratsgremium treffen durch die Anforderung von § 100 Abs. 5 AktG ebenfalls neue Pflichten, deren Verletzung zu Haftungsfällen führen kann. 713  BGHZ 714  BGH

40, 306, 307; BGH NJW 1957, 500; NJW 1987, 1818 m. w. N. NJW 1987, 1818; Wagner, in: MüKo-BGB, Band 5, § 823 Rn. 346 ff.



C. Rechtsfolgen von Verstößen229

1. Pflichten Bezüglich der besonderen Pflichten des Aufsichtsrats ist zwischen dem Zeitraum vor der Wahl und dem innerhalb der Amtsperiode zu differenzieren. a) Wahlvorschläge Dem Aufsichtsrat obliegt die Pflicht, seine Wahlvorschläge so auszuwäh­ len, dass sich eine Zusammensetzung des Gesamtgremiums ergibt, die ge­ währleistet, dass alle gesetzlich geforderten Kompetenzen im Aufsichtsrat vertreten sind.715 Daraus ergibt sich auch die Pflicht, wenigstens einen Kan­ didaten auszuwählen und zur Wahl zum Aufsichtsratsmitglied vorzuschlagen, der die Voraussetzungen mitbringt, unabhängiger Finanzexperte zu sein.716 b) Prüfung der Qualifikationen innerhalb der Amtsperiode Innerhalb der Amtsperiode trifft den Aufsichtsrat die Pflicht, zu überprü­ fen, ob der Finanzexperte die besonderen Qualifikationen, insbesondere dabei die Unabhängigkeitsanforderungen, weiterhin erfüllt. Fraglich und streitig ist, welche Pflichten den Aufsichtsrat treffen, wenn er innerhalb der Amtsperiode zu der Feststellung gelangt, dass der letzte / einzige Finanzex­ perte eine oder gar beide seiner besonderen Qualifikationen verloren hat und das Gremium fehlerhaft besetzt ist. In Betracht kommt hier die Pflicht des Aufsichtsrats, einen Antrag auf Abberufung des Finanzexperten nach § 103 Abs. 3 AktG bei Gericht zu stellen, um sodann durch ein Gericht gem. § 104 Abs. 2 S. 1 und 2 AktG einen neuen Finanzexperten bestellen zu lassen. Dazu müsste der Wegfall der besonderen persönlichen Vorausset­ zungen ein wichtiger Grund i. S. v. § 103 Abs. 3 S. 1 AktG sein.717 Entschei­ dend ist hier, wie man die Qualifikationen der Finanzexpertise und der Unabhängigkeit einordnet. Stuft man die Unabhängigkeit und Finanzexper­ tise lediglich als zusätzliche Merkmale ein, so kann ihr Entfallen keinen wichtigen Grund zur Abberufung darstellen. Das bedeutet zugleich, dass mangels Abberufung kein Platz frei wird. Das Gremium ist daher bis zur 715  Vgl.

2425.

Ziff. 5.4.1 DCGK; Lutter, ZIP 2003, 417, 418; Nowak, BB 2010, 2423,

716  Vetter,

LA für Martin Winter, 2011, 701, 710. Jaspers, AG 2009, 607, 614; wohl auch Kropff, FS K. Schmidt, 2009, 1023, 1034 f.; dagegen Wind / Klie, DStR 2010, 1339, 1341; von Falkenhausen /  Kocher, ZIP 2009, 1601, 1602; Gruber, NZG 2008, 12, 14; Widmann, BB 2009, 2602, 2604 f. 717  Dafür

230

3. Kap.: Praktische Umsetzung

nächsten Umbesetzung fehlerhaft besetzt. Teilweise wird zur Lösung des Problems vorgetragen, dass der ohne einen Finanzexperten, d. h. fehlerhaft, besetzte Aufsichtsrat in der Zeit bis zur nächsten Umbesetzung externen Sachverstand hinzuziehen sollte.718 Ein externer Sachverständiger hat je­ doch weder die besonderen (Information- und Anhörungs-)Rechte eines Aufsichtsratsmitglieds noch dessen besondere Pflichten. Ein externer Sach­ verständiger ist daher auf keinen Fall dazu geeignet, den unabhängigen Fi­ nanzexperten zu ersetzen.719 Geht man hingegen, wie hier720, davon aus, dass diese Merkmale besondere persönliche Voraussetzungen des Finanzex­ perten sind und er verpflichtet ist, diese zu bewahren, so muss man ihren Wegfall als wichtigen Grund zur Abberufung qualifizieren. Kommt der Aufsichtsrat zu dem Ergebnis, dass der Finanzexperte seine Qualifikationen verloren hat, so trifft den Aufsichtsrat die Pflicht, einen Antrag auf Abberu­ fung zu stellen, wenn der Finanzexperte nicht zuvor sein Amt niederlegt. c) Problem der fehlenden Durchsetzbarkeit von Wahlvorschlägen Grundsätzlich ist die Hauptversammlung in ihrer Wahl der Aufsichtsrats­ mitglieder frei und an die Vorschläge des Aufsichtsrats nicht gebunden (§ 101 Abs. 1 S. 2 AktG).721 Daraus können sich allerdings für die von § 100 Abs. 5 AktG verpflichtete Gesellschaft Probleme ergeben. Es ist durchaus denkbar, dass die vom Aufsichtsrat als unabhängiger Finanzex­ perte vorgesehene und vorgeschlagene Person von der Hauptversammlung nicht gewählt wird. Eine Pflicht der Hauptversammlung, den vorgeschlage­ nen Kandidaten zu wählen, besteht nicht. Ganz speziell ist es möglich, dass die Hauptversammlung den vom Aufsichtsrat ausgewählten Kandida­ ten bewusst nicht wählt, wenn dieser die Hauptversammlung nicht von seinen Qualifikationen zu überzeugen vermag. Gegen die Voraussetzungen von § 100 Abs. 5 AktG würde in diesem Fall von Anfang an verstoßen werden.722 Eine Möglichkeit, den Finanzexperten durch eine Listenwahl in das Gre­ mium zu „zwängen“, ist zwar denkbar, aber dem Sinn der Regelung abträg­ lich. Zum ersten wäre das Abweichen von der Empfehlung aus Ziff. 5.4.3 S. 1 DCGK zur Einzelwahl zu begründen. Allein der Grund, dass der vor­ 718  Wind / Klie,

DStR 2010, 1339, 1342. BB 2009, 2602, 2605. 720  Siehe oben S. 29 ff. und 57 ff. 721  Die Ausnahmen in den Fällen von §§ 6, 8 des Montan-MitbestG und § 36 Abs. 4 SEBG sind hier nicht weiter von Bedeutung. 722  Widmann, BB 2009, 2602, 2605. 719  Widmann,



C. Rechtsfolgen von Verstößen231

geschlagene Finanzexperte sonst vermutlich nicht in das Gremium gewählt werden würde, vermag dabei überhaupt nicht zu überzeugen. Ferner soll der Finanzexperte das Vertrauen der Anleger steigern. Wenn sie ihm nicht ver­ trauen, ist es abträglich, wenn er, gewissermaßen an ihnen vorbei, dennoch in das Gremium gepresst wird. Die Lösung der Problematik liegt in einer unverzüglich zu beantragenden gerichtlichen Abänderung der Besetzung (§ 104 AktG).723 Darin ist keine Umgehung der Hauptversammlung oder ein Bruch mit der Wahlfreiheit der Hauptversammlung zu sehen. Die Wahlfreiheit ist begrenzt durch die Vor­ gaben des Gesetzgebers. So kann ein Vorstands- nicht zugleich Aufsichts­ ratsmitglied sein, selbst dann nicht, wenn die Hauptversammlung es wählt. Wählt die Hauptversammlung den für das Amt des Finanzexperten vorgese­ henen Finanzexperten nicht, so ist der Aufsichtsrat fehlerhaft besetzt. Den Aufsichtsrat trifft in diesem Fall die Pflicht, die gerichtliche Abänderung der Besetzung zu beantragen. Die Hauptversammlung wird in diesem Ver­ fahren dadurch geschützt, dass das jeweilige angerufene Gericht eine recht­ mäßige Besetzung des Aufsichtsrats sicherzustellen hat. Es ist nicht an die Empfehlungen des Aufsichtsrats gebunden.724 Mithin hat das Gericht die besonderen Qualifikationen von Amts wegen zu überprüfen. Ein weiterge­ hender Schutz der Hauptversammlung als die gerichtliche Feststellung des Vorliegens der besonderen Qualifikationen ist nicht erforderlich. Dieser Lösungsvorschlag führt im Ergebnis in jedem Fall zur Legitima­ tion des Finanzexperten durch die Hauptversammlung oder ein Gericht. Wird der Finanzexperte von der Hauptversammlung gewählt, so liegt die Legitimation auf der Hand. Wird er hingegen nicht gewählt, dann hat die Hauptversammlung ihre Legitimation versagt. Ein Gericht prüft sodann, ob der Finanzexperte die notwendigen Voraussetzungen mitbringt. Schließlich ergibt sich die Möglichkeit, dass der Finanzexperte zwar gewählt wird, aber einige Aktionäre nicht von seinen besonderen Qualifikationen zu überzeu­ gen vermag. In diesen Fällen steht ihnen die Möglichkeit der Wahlanfech­ tung offen, die ebenfalls zu einer gerichtlichen Überprüfung der besonderen Qualifikationen führt. Freilich ist dieses Problem eher theoretischer Natur, da üblicherweise die Vorschläge der Verwaltung in der Hauptversammlung auch beschlossen werden.

723  Theisen, Der Aufsichtsrat 2009, 81; vgl. auch Zemplin, AcP 155 (1956), 209, 217 („Der Aufsichtsrat darf sich gegen ein Wahl wehren, wenn der Eintritt des Betreffenden für die Gesellschaft untragbar ist“). 724  Hopt / Roth, in: Großkomm-AktG, Band 4, §  104 Rn.  75; Drygala, in: K. Schmidt / Lutter, Band I, § 104 Rn. 9.

232

3. Kap.: Praktische Umsetzung

d) Bestellung von Ersatz-Finanzexperten Dem Aufsichtsrat steht die Möglichkeit zu, einen oder mehrere Ersatz­ kandidaten auszuwählen, die ebenfalls die besonderen Qualifikationen mit­ bringen.725 Theoretisch wäre es so möglich, den Finanzexperten im Falle des Verlusts seiner besonderen Qualifikationen auch ohne die Einberufung einer Hauptversammlung oder die Bestellung durch ein Gericht zu ersetzen. Er könnte schlicht durch ein bereits gewähltes Ersatzmitglied ersetzt wer­ den. Diese Möglichkeit ist jedoch nicht so zielführend, wie sie zunächst erscheinen mag. Probleme ergeben sich auch hier dadurch, dass die Merk­ male der Finanzexpertise und Unabhängigkeit nicht statisch sind, sondern stets zum Zeitpunkt des Amtsantritts neu geprüft werden müssen. Es ist sehr gut denkbar, dass ein gewähltes Ersatzmitglied zum Zeitpunkt seiner Wahl unabhängig war, aber zum Zeitpunkt seiner Bestellung, der mehrere Jahre später eintreten kann, die Unabhängigkeit verloren hat. Durch die Auswahl von Ersatzmitgliedern entstehen daher weder für die Gesellschaft noch für den Aufsichtsrat zwingend Vorteile. Eine Einzelfallprüfung zum Zeitpunkt des Amtsantritts hat auch in diesen Fällen zu erfolgen. 2. Haftung / Exkulpation Im Falle des Verstoßes gegen diese zusätzlichen Pflichten des Aufsichts­ rats droht den Mitgliedern die persönliche Haftung gegenüber der Gesell­ schaft. Erfüllt im Rahmen der Aufsichtsratswahl keiner der vorgeschlagenen Kandidaten die notwendigen Qualifikationen, dann trifft das Gesamtgremi­ um ein Auswahlverschulden.726 Die Wahl durch die Hauptversammlung entlastet den Aufsichtsrat nicht, da seine Pflichtverletzung im unsorgfältigen Vorschlag lag.727 Der Schadensersatz beläuft sich dann zumindest auf die Kosten für die Einberufung der nun notwendigen Hauptversammlung und gerichtlichen Umbesetzung des Gremiums. Darüber hinaus besteht die Mög­ lichkeit des Schadensersatzes wegen fehlerhafter Überwachung des Finanz­ experten.728 Der Schaden, der der Gesellschaft dadurch entstanden ist, dass kein Finanzexperte Mitglied des Aufsichtsrats war, wird dabei jedoch schwer zu beziffern sein.729 die Empfehlung von Widmann, BB 2009, 2602, 2605. FS K. Schmidt 2009, 1023, 1035; Wind / Klie, DStR 2010, 1339, 1342; Vetter, LA für Martin Winter, 2011, 701, 710; wohl auch Staake, ZIP 2010, 1013, 1017. 727  Lutter, ZIP 2003, 417. 728  Kropff, FS K. Schmidt 2009, 1023, 1035; Widmann, BB 2009, 2602, 2605; Wind / Klie, DStR 2010, 1339, 1342. 729  Klöckner, DAJV Newsletter 2011, 13, 19; Widmann, BB 2009, 2602, 2605. 725  So

726  Kropff,



C. Rechtsfolgen von Verstößen233

Für die Praxis ist auf Grund der Rechtsunsicherheiten bezüglich der Unab­ hängigkeit zu empfehlen, dass die Aufsichtsräte in ihren Geschäftsordnungen Kriterien für die Unabhängigkeitsbewertung aufnehmen, um so missbräuch­ lichen Anfechtungsklagen weniger Angriffsfläche zu bieten.730 Weiter ist dem Gremium ist zu empfehlen, in solchen Fällen, in denen das Vorliegen der besonderen Qualifikationen zweifelhaft ist, einen Personalberater oder Rechtsberater zu konsultieren („Legal Opinion“).731 Das Haftungsrisiko für die Aufsichtsratsmitglieder kann durch dieses Vorgehen vermindert werden; so kann nachgewiesen werden, dass die Wahlvorschläge verantwortlich erar­ beitet wurden. Ferner ergibt sich dadurch die Möglichkeiten von Regressfor­ derungen gegenüber dem Rechtsbeistand, wenn ein Gericht feststellt, dass das betroffenen Aufsichtsratsmitglied, entgegen dem Gutachten des Rechts­ beistandes, nicht unabhängig ist / war. Durch dieses Vorgehen wird ein zu be­ grüßender Handlungsstrang angestoßen: Der Rechtsbeistand wird sich seiner­ seits dadurch absichern, dass der Finanzexperte ihm gegenüber vor Erstel­ lung des Gutachtens bestätigen muss, dass er sämtliche (potentielle) Interes­ senskollisionen offen gelegt hat. Der Finanzexperte wiederum ist auf diese Weise gezwungen, sich vor einer Kandidatur eingehend mit seinen besonde­ ren Qualifikationen auseinanderzusetzen. Für den Zeitraum innerhalb der Wahlperiode sollte ein Abfragesystem installiert werden, dass den unabhän­ gigen Finanzexperten dazu auffordert, alle die Unabhängigkeit gefährdenden Konstellationen gegenüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden offenzulegen.732 § 100 Abs. 5 AktG dient dem Schutz der Gesamtheit der Aktionäre und Anleihegläubiger. Er ist mithin kein Schutzgesetz i.  S.  v. § 823 Abs. 2 BGB.733 Eine Schadensersatzhaftung gegenüber Dritten scheidet daher aus.

Abschnittsergebnis Für die Praxis ergeben sich zahlreiche neue Herausforderungen im Rah­ men der Umsetzung der Anforderungen von § 100 Abs. 5 AktG. Insbeson­ dere der Aufsichtsrat muss seine Wahlvorschläge noch sorgfältiger auswäh­ len, als dies bislang ohnehin der Fall war. Wird im Rahmen der Wahlanfechtung oder später während der Amtspe­ riode festgestellt, dass dem Aufsichtsrat kein Finanzexperte angehört, so hat 730  Bröcker / Mosel,

GWR 2009, 132, 133. diese Richtung auch v.  Werder / Wieczorek, DB 2007, 297, 303; zu den Grenzen des Vertrauens auf externen Rechtsrat Fleischer, Der Aufsichtsrat 2009, 86 ff. 732  Vgl. zu dieser Praxis bei der Siemens AG, Schäfer, ZGR 2004, 416, 420. 733  Siehe oben 3. Kapitel C. II. 2. 731  In

234

3. Kap.: Praktische Umsetzung

dies grundsätzlich keine Folgen für die bislang gefassten Beschlüsse des Gesamtgremiums. Der Aufsichtsrat ist auch ohne einen Finanzexperten be­ schlussfähig und die gefassten Beschlüsse sind auch nicht nichtig. Eine Nichtigkeit kann sich nur ergeben, wenn die Anfechtung der Wahl des Fi­ nanzexperten erfolgreich war und die nachträgliche Herausrechnung der Stimme des jeweiligen Mitglieds dazu führt, dass die Mehrheit für einen zuvor gefassten Beschluss entfällt. Den Finanzexperten trifft die Pflicht, die besonderen Qualifikationen von Beginn an zu erfüllen und beizubehalten. Verletzt er diese Pflicht bereits bei Amtsantritt, so trifft ihn ein Übernahmeverschulden. Entfallen die besonde­ ren Qualifikationen während der Amtszeit, so hat er sie umgehend wieder herzustellen. Ist dies nicht möglich oder gewollt, so trifft den Finanzexper­ ten die Pflicht, sein Amt niederzulegen. Ein Haftungsrisiko besteht bei diesen Pflichtverletzungen nur gegenüber der Gesellschaft (Innenhaftung). Das Gesamtgremium hat seine Wahlvorschläge besonders sorgfältig zu treffen. Wird im Rahmen einer Anfechtungsklage gerichtlich festgestellt, dass der Kandidat die notwendigen Qualifikationen nicht besitzt, so trifft den Aufsichtsrat ein Auswahlverschulden. Obwohl der Finanzexperte nicht ausdrücklich zu benennen ist, ist stets davon auszugehen, dass seine Person bekannt sein und von der Hauptversammlung besonders geprüft werden wird. Dem Aufsichtsrat ist zu empfehlen, bei der Vorbereitung und Auswahl geeigneter Kandidaten Personalberater und / oder Rechtsberater einzuschal­ ten. Wird der vorgeschlagene Kandidat von der Hauptversammlung nicht gewählt, so ist das Gremium fehlerhaft besetzt. Der Aufsichtsrat hat umge­ hend durch Abberufung und gerichtliche Neubestellung auf eine rechtmäßi­ ge Besetzung des Aufsichtsrats hinzuwirken. Die erhöhten Haftungsrisiken sind sowohl für den Finanzexperten als auch für das Gesamtgremium durchaus kalkulierbar und eingrenzbar, solan­ ge und soweit sich der Finanzexperte und das Gesamtgremium um die Einhaltung der Vorgaben bemühen und die besonderen Qualifikationen und geforderten Prozeduren beachten. Die Rechtsfolgen bei Verstößen gegen § 100 Abs. 5 AktG erscheinen daher die richtigen Anreize für ein konformes Verhalten zu setzen, ohne dabei die notwendige Rechtssicherheit übermäßig zu strapazieren.

4. Kapitel

Schlussbetrachtung Der wichtigste Effekt von § 100 Abs. 5 AktG liegt darin, das Thema der Unabhängigkeit und des Sachverstandes von Aufsichtsratsmitgliedern mit Nachdruck auf die Agenda der betroffenen Gesellschaften und Aufsichts­ ratsgremien gesetzt zu haben. Die gesetzliche Vorgabe bedeutet allerdings zugleich einen erheblichen Eingriff in die Organisationsautonomie des Auf­ sichtsrats und die Wahlfreiheit der Hauptversammlung. Für die Praxis erge­ ben sich daher zahlreiche neue Herausforderungen im Rahmen der Umset­ zung der Anforderungen von § 100 Abs. 5 AktG. Nach einer Darstellung und Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse (A.) sollen mit dem Versuch diese Arbeit abzurunden Arbeit eigene Überlegungen bezüglich der Weiterentwicklung der Regelung und ein Ausblick folgen (B).

A. Zusammenfassung der Ergebnisse Die neue Rechtsfigur des unabhängigen Finanzexperten basiert auf instu­ tionenökonomischen Überlegungen aus dem angelsächsischen Rechtskreis und hat als Legal Transplant ihren Weg in das deutsche Aktienrecht gefun­ den. Bei der Übertragung und Integration der neuen Rechtsfigur auf das Aktiengesetz und den hiesigen dualistischen Unternehmensaufbau sind die systemischen Unterschiede stets zu berücksichtigen. Sinn und Zweck der neuen Rechtsfigur ist es, zur Verbesserung der Qua­ lität der Finanzberichterstattung und zur Steigerung / Wiederherstellung des Vertrauens von Investoren beizutragen. Der unabhängige Finanzexperte dient mithin mittelbar dem Schutz aller Investoren. Investoren in diesem Sinne sind neben den Aktionären (Shareholder) auch die Gläubiger im Rah­ men von begebenen Schuldverschreibungen (Debtholder). Nach dem klaren Wortlaut („muss“) hat § 100 Abs. 5 AktG im Falle der Kapitalmarktorientierung der Aktiengesellschaft zwingenden Charakter, die Satzung kann nicht abweichen (§ 23 Abs. 5 AktG). Erfüllt keines der Mit­ glieder die zusätzlichen Merkmale, so ist der Aufsichtsrat in seiner Gesamt­ heit auf Grund des Verstoßes gegen § 100 Abs. 5 AktG fehlerhaft besetzt. Mithin handelt es sich bei § 100 Abs. 5 AktG um eine zwingende, objektive Mindestvoraussetzung an die Zusammensetzung des Gesamtgremiums (ob­

236

4. Kap.: Schlussbetrachtung

jektive Besetzungsregel). Anders als die bisherigen Besetzungsregeln für das Gesamtgremium (z. B. die Größe oder die gruppenmäßige Zusammen­ setzung des Gremiums) handelt es sich bei den neuen Vorgaben allerdings um keine quantitativen, sondern erstmalig um qualitative Vorgaben. Nach dem Gesetzeswortlaut ist zwar kein spezielles Aufsichtsratsmitglied persönlich verpflichtet, die zusätzlichen Merkmale zu erfüllen. Da es sich um qualitative Anforderungen handelt, muss aber denknotwendigerweise ein Mitglied die besonderen Qualifikationen erfüllen, da das Gremium nur die Qualifikationen besitzen kann, die seine Mitglieder mitbringen. Die ur­ sprünglich nicht zwingenden Voraussetzungen erstarken durch die Übernah­ me des Amtes des Finanzexperten daher zu besonderen persönlichen Vor­ aussetzungen, deren Fortbestand der Finanzexperte gewährleisten muss. Im Falle des Verstoßes gegen diese Pflicht hat der Finanzexperte umgehend die besonderen Voraussetzungen wieder herzustellen. Will oder kann er dies nicht, so hat er sein Amt niederzulegen, jedenfalls dann, wenn er zuvor der einzige Finanzexperte war und das Gremium nun insgesamt fehlerhaft be­ setzt ist. Bezüglich des Anwendungsbereichs von § 100 Abs. 5 AktG ist gemäß §§ 264d i. V. m. 324 HGB zunächst nach dem Gesellschaftszweck zu diffe­ renzieren. Versicherungsgesellschaften müssen unabhängig von ihrer Rechtsform im Falle der Emission von Aktien oder Schuldtiteln (zusammen „Wertpapiere“) § 100 Abs. 5 AktG beachten. Für Kreditinstitute gilt dies gleichermaßen, nur für kleinste Kreditinstitute ist dieser Grundsatz einzu­ schränken; sie müssen trotz der Ausgabe von Wertpapieren die Vorschriften von § 100 Abs. 5 AktG nicht beachten. Für alle Gesellschaften mit einem anderen Gesellschaftszweck ist das entscheidende Kriterium bezüglich der Anwendungspflicht von § 100 Abs. 5 AktG die Emission von Wertpapieren. Der obligatorische Prüfungsausschuss i. S. v. § 324 HGB ist ein eigenstän­ diges Organ der Gesellschaft und muss zumindest mit den in § 107 Abs. 3 S. 2 AktG aufgezählten Kompetenzen ausgestattet sein. Besteht hingegen ein Aufsichtsrat, so ist der Prüfungsausschuss lediglich fakultativ einzurich­ ten. Er ist kein eigenständiges Organ. Die in § 107 Abs. 3 S. 2 AktG aufge­ zählten Aufgaben müssen nicht an diesen fakultativen Ausschuss delegiert werden. Für den Finanzexperten ist die Rechtsnatur des Prüfungsausschusses jedoch nicht von Belang. Da kein Unterschied zwischen dem Finanzexper­ ten eines fakultativen und dem eines obligatorischen Prüfungsausschusses besteht, erstreckt sich der Aufgabenbereich des Finanzexperten in jedem Fall auf die in § 107 Abs. 3 S. 2 AktG aufgezählten Aufgaben. Ein Aufsichtsratsmitglied ist unabhängig i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG, wenn es keinen Anreizen unterliegt, im Eigen- oder Drittinteresse die Finanzbe­ richte der Gesellschaft nicht der Realität entsprechend darzustellen. Zusätz­



A. Zusammenfassung der Ergebnisse237

lich muss die Person die Fähigkeiten, den Willen und den Mut mitbringen, die kritischen Punkte aufzuspüren und sich in den entscheidenden Situatio­ nen, unter Umständen auch gegen den Willen der Mehrheit des Gremiums und des Vorstands, zu erheben und kritische Fragen zu stellen. Der Unabhängigkeitsbegriff lässt sich daher in zwei Teilbereiche auftei­ len, die sog. „independence in mind / fact“ für die innere Einstellung und die „independence in appearance“ für das Fehlen von äußeren Umständen, die zu einer Vermutung der Befangenheit führen. Unter keinen Umständen kann auf die „independence in mind“ verzichtet werden. Da die innere Einstel­ lung nur schwer überprüfbar ist, wird sie vermutet, wenn keine äußeren Kriterien vorliegen, die eine Abhängigkeit nahe legen. Daraus ergibt sich der Grundsatz, dass „independence in mind“ und „independence in appear­ ance“ kumulativ vorliegen müssen. Ausnahmen von diesem Grundsatz sind nur in begründeten Ausnahmefäl­ len für die „independence in appearance“ zulässig. Die Unabhängigkeitskri­ terien der EU-Kommission sind dazu in drei Kategorien einzuteilen. Soweit sie sich mit den Inkompatibilitäten des AktG und des HGB (1. Kategorie) oder der Unabhängigkeitsdefinition des DCGK (2. Kategorie) decken, sind sie zwingender Natur, sodass Abweichungen auch in begründeten Einzelfäl­ len nicht in Betracht kommen. Die beiden Kategorien unterscheiden sich allein dadurch, dass ein Verstoß gegen die Voraussetzungen der ersten Ka­ tegorie dazu führt, dass die betreffende Person überhaupt nicht Aufsichts­ ratsmitglied sein kann. Ein Verstoß gegen die Voraussetzungen der zweiten Kategorie beeinträchtigt demgegenüber zwar nicht die Möglichkeit „norma­ les“ Aufsichtsratsmitglied sein zu können, allerdings führt er dazu, dass die Unabhängigkeit i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG ausgeschlossen ist. Für den hier relevanten Unabhängigkeitsbegriff bleibt daher festzuhalten, dass im Falle des Abweichens von den Kriterien sowohl der ersten als auch der zweiten Kategorie die Unabhängigkeit stets zu verneinen ist. Namentlich handelt es sich bei den Kriterien der ersten und zweiten Kategorie um die folgenden Konstellationen: Das jeweilige Mitglied darf •• kein geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Gesellschaft oder einer verbundenen Gesellschaft sein (Anhang II Ziff. 1 lit. a)) Kommissions­ empfehlung) – entspricht §§ 105 Abs. 1, 100 Abs. 2 S. 1 Ziff. 2 AktG; •• kein Partner oder Angestellter des derzeitigen oder früheren externen Abschlussprüfers sein (lit. f)) – entspricht §§ 319, 319a HGB; •• keinen Fällen der Überkreuzverflechtung unterliegen (lit. g)) – entspricht § 100 Abs. 2 S. 1 Ziff. 3 AktG; •• zu der Gesellschaft oder einem Tochterunternehmen kein Geschäftsver­ hältnis von bedeutendem Umfang unterhalten (lit. e));

238

4. Kap.: Schlussbetrachtung

•• keine bedeutsamen Verbindungen zu Vorstandsmitgliedern durch die Be­ teiligung in anderen Gesellschaften unterhalten (lit. g)); •• kein enger Familienangehöriger von einer Person sein oder eine sonstige enge persönliche Beziehung zu einer Person führen, die sich in einer der beschriebenen Positionen befindet (lit. i)); •• keine enge Verbindung zu einem wesentlichen Wettbewerber des Unter­ nehmens haben (Erwägungsgrund Nr. 7 der Kommissionsempfehlung; Ziff. 5.4.2 S. 4 DCGK). Dort, wo die EU-Kommission weitergehende und strengere Anforderun­ gen an die Unabhängigkeit aufstellt als das Aktiengesetz, das Handelsge­ setzbuch und der DCGK (3. Kategorie), ist für jedes Kriterium eine Einzel­ fallentscheidung vor dem Hintergrund der Eigenheiten der dualistischen Führungsorganisation von Aktiengesellschaften und der sonstigen originär deutschen Rahmenbedingungen, insbesondere der Arbeitnehmer-Mitbestim­ mung, notwendig. Im Ergebnis ist hier zu differenzieren. Für die Unabhän­ gigkeitserwägungen von Aufsichtsratsmitgliedern deutscher Aktiengesell­ schaften sind zwei Vorgaben der Kommission in Bezug auf die äußere Unabhängigkeit aufgrund der Entscheidungen des deutschen Gesetzgebers und der Besonderheiten des deutschen Mitbestimmungssystems und des Konzernrechts unerheblich. Dabei handelt es sich um die Fälle der Verbin­ dung zum Mehrheitsaktionär (lit. d)) der Kommissionsempfehlung) und die Cooling-Off Periode für ehemalige Vorstandsmitglieder von fünf statt der von zwei Jahren nach § 100 Abs. 2 S. 1 Ziff. 4 AktG. In beiden Fällen be­ darf es keiner weiteren Begründung hinsichtlich der Unabhängigkeit. Sie ist trotz des Vorliegens dieser Beziehungen, entgegen den Ausführungen der Kommissionsempfehlung, stets zu bejahen. Die weitergehenden Kriterien der Kommissionsempfehlung sind als Grundsatz / Vermutung zu betrachten. Abweichungen von diesen Vorgaben sind möglich, jedoch nur, wenn und soweit sie für einen objektiven Dritten keine Abhängigkeit des jeweiligen Mitglieds nahelegen. Bei den äußeren Kriterien, von denen im begründeten Einzelfall abgewichen werden kann, handelt es sich um die folgenden Konstellationen: •• An den Finanzexperten werden zusätzliche Vergütungen von der Gesell­ schaft oder einer verbundenen Gesellschaft, insbesondere in Form von erfolgsbezogenen Vergütungen geleistet (lit. c)); •• eine Cooling-Off Periode von drei Jahren für ehemalige Abschlussprüfer vor der Übernahme des Amtes des Finanzexperten (lit. b) und f)); •• eine Höchstdauer, nach der jedes Aufsichtsratsmitglied nach spätestens 12 Jahren der Mitgliedschaft im Aufsichtsratsgremium nicht mehr als unab­ hängig anzusehen ist (lit. h)).



A. Zusammenfassung der Ergebnisse239

Arbeitnehmervertreter, unabhängig davon ob nun Belegschaftsangehörige oder Gewerkschaftsvertreter, und gem. § 101 Abs. 2 AktG in den Aufsichts­ rat entsandte Mitglieder sind per Definition nicht unabhängig i. S. v. § 100 Abs. 5 AktG. Die Finanzexpertise ist zu bejahen, wenn das betreffende Mitglied eine theoretische Vorbildung auf den Gebieten der Rechnungslegung und / oder Abschlussprüfung sowie einschlägige praktische Erfahrungen, die durch die praktische Arbeit an der Erstellung oder Prüfung von Finanzberichten erworben wurden, vorweisen kann. Der Finanzexperte muss in der Lage sein, auf Augenhöhe mit dem Vorstand und dem Abschlussprüfer über die Finanzberichte der Gesellschaft diskutieren zu können. Daher ist der Be­ griff der Finanzexpertise relativ und hängt maßgeblich von der Größe, der internationalen Ausrichtung, dem Geschäftsfeld und den angewandten Bi­ lanzierungsmethoden der jeweiligen Gesellschaft ab. Die Finanzexpertise muss zum Zeitpunkt des Amtsantrittes bereits vorliegen und aufgrund der sich schnell ändernden rechtlichen Vorgaben auf den Gebieten der Rech­ nungslegung und Bilanzierung besteht hier eine dauerhafte Pflicht zur Fortbildung. Eine Pflicht zur Bestellung eines Finanzexperten ergibt sich nur, wenn von den verbleibenden Mitgliedern keines die zusätzlichen Merkmale er­ füllt. Dann hat der Aufsichtsrat dies bei seinen Wahlvorschlägen an die Hauptversammlung oder das Gericht zu berücksichtigen. Mindestens eines der zur Neubesetzung vorgeschlagenen Mitglieder muss dann die Vorausset­ zungen erfüllen. Der Aufsichtsrat entscheidet über die Qualifikationen des Finanzexperten durch Beschluss. Ausreichend ist die einfache Mehrheit der Anteilseignervertreter. Der jeweilige Finanzexperte darf bei der Beschluss­ fassung über das Vorliegen der besonderen Qualifikationen in seiner Person nicht an der Beschlussfassung teilnehmen oder mitstimmen. Ab der ersten personellen Umbesetzung auf der Anteilseignerseite des Aufsichtsrats sind die neuen Vorgaben zu beachten. Gesellschaften, die erst nach Inkrafttreten des BilMoG erstmals als „kapitalmarktorientiert“ gelten, müssen bereits zum Zeitpunkt der Beantragung der Zulassung von Wertpa­ pieren zum Handel die Vorschriften des § 100 Abs. 5 AktG beachten. Der Finanzexperte unterliegt aufgrund seiner besonderen Kenntnisse einer gesteigerten Haftung, ein höherer Sorgfaltsmaßstab ist anzulegen. Allerdings unterliegt er keinesfalls einer Erfolgshaftung und ihm stehen bedeutende Exkulpationsmöglichkeiten zur Verfügung, speziell durch die Protokollie­ rung seiner Berichte an das Gesamtgremium und seines möglicherweise abweichenden Stimmverhaltens. Ein gesteigertes Haftungsrisiko ergibt sich aus der zusätzlichen Pflicht, die besonderen persönlichen Voraussetzungen zu erfüllen und beizubehalten.

240

4. Kap.: Schlussbetrachtung

Die Wahlvorschläge an die Hauptversammlung sind nicht dahingehend zu gestalten, dass einer der Vorschläge ausdrücklich als unabhängiger Finanzex­ perte gekennzeichnet wird. Im Zeitraum nach der Wahl ist der Finanzexperte hingegen ausdrücklich in der Erklärung zur Unternehmensführung zu benen­ nen. Faktisch wird die Person des Finanzexperten zu jeder Zeit bekannt sein, insbesondere kann sie bei Interesse der Aktionäre vor der Wahl durch Aus­ übung des Fragerechts „erfragt“ werden. Eines Ermächtigungsbeschlusses durch die Hauptversammlung bedarf es nicht. Eine Überprüfung der Qualifi­ kationen durch externe Dritte, wie beispielsweise die BaFin oder den Ab­ schlussprüfer, erfolgt, mit Ausnahme der gerichtlichen Überprüfung, nicht. Eine Wahl, die zu einer Besetzung des Aufsichtsrats unter Verstoß gegen § 100 Abs. 5 AktG führt, ist anfechtbar. Bei einer Listenwahl ist der einzige Wahlbeschluss über die Wahl der gesamten Liste anzufechten, bei Einzel­ wahlen ist die Wahl des letzten gewählten Mitglieds anzufechten. Neben der Möglichkeit der Anfechtung des Wahlbeschlusses kann jedes Aufsichtsrats­ mitglied und jeder Aktionär eine gerichtliche Überprüfung der § 100 Abs. 5 AktG entsprechenden Besetzung des Aufsichtsrats beantragen. Für das Verfahren sind die Regelungen des Statusverfahrens aus §§ 97 ff. AktG ana­ log heranzuziehen, wobei der Kreis der Antragsberechtigten auf die in § 98 Abs. 2 Ziff. 2 und 3 AktG genannten Personen, namentlich auf Aufsichts­ ratsmitglieder und Aktionäre, begrenzt ist. Bezüglich des Prüfungsumfangs der Gerichte ist zu differenzieren: Die äußeren Unabhängigkeitsmerkmale und die Finanzexpertise sind aus der Sicht eines vernünftig und objektiv denkenden Dritten zu beurteilen. Bezüg­ lich der inneren Einstellung des Finanzexperten steht dem Aufsichtsrat ein weiter Beurteilungsspielraum zu, der lediglich auf Willkür zu überprüfen ist. Wird im Rahmen der Wahlanfechtung oder später während der Amts­ periode festgestellt, dass dem Aufsichtsrat kein Finanzexperte angehört, so hat dies grundsätzlich keine Folgen für die bislang gefassten Beschlüsse des Gesamtgremiums. Der Aufsichtsrat ist auch ohne einen Finanzexperten be­ schlussfähig und die gefassten Beschlüsse sind auch nicht nichtig. Die „Lästigkeit“ von Anfechtungsklagen gegen die Aufsichtsratswahl ist daher sehr begrenzt, sodass nicht mit erheblichem Missbrauch durch Anfechtungs­ kläger zu rechnen ist. Das Gesamtgremium hat seine Wahlvorschläge besonders sorgfältig zu treffen. Wird im Rahmen einer Anfechtungsklage gerichtlich festgestellt, dass der Kandidat die notwendigen Qualifikationen nicht besitzt, so trifft den Aufsichtsrat ein Auswahlverschulden. Dem Aufsichtsrat ist zu empfeh­ len, bei der Vorbereitung und Auswahl geeigneter Kandidaten Personalbera­ ter und / oder Rechtsberater einzuschalten. Wird der vorgeschlagene Kandidat von der Hauptversammlung nicht gewählt und befindet sich unter den ge­



B. Rechtspolitische Würdigung, Reformbedarf und Ausblick 241

wählten Personen auch sonst kein Finanzexperte, so ist das Gremium feh­ lerhaft besetzt. Der Aufsichtsrat hat umgehend durch Abberufung und ge­ richtliche Neubestellung auf eine rechtmäßige Besetzung des Aufsichtsrats hinzuwirken.

B. Rechtspolitische Würdigung, Reformbedarf und Ausblick Wie die empirischen Studien gezeigt haben, ist die Besetzung des Über­ wachungsgremiums mit unabhängigen Finanzexperten zur Steigerung des Vertrauens der Investoren geeignet.734 Rechtspolitisch kommt es im Ergeb­ nis darauf an, dass die neue Regelung richtige Anreize setzt und ob der Nutzenzuwachs der Verbesserung der Corporate Governance die mit der speziellen Besetzung des Aufsichtsrats verbundenen Kosten übersteigt. Als Kosten entstehen nach der hier vertretenen Auffassung die zusätzlichen Haftungsrisiken, die zusätzlichen Kosten von Personalberatern, die von dem Gremium für die Auswahl des Finanzexperten aufgewandte Zeit und schließlich möglicherweise das höhere Gehalt des Finanzexperten gegen­ über einem normalen Aufsichtsratsmitglied. Die Kosten sind insgesamt gut kalkulierbar und sehr überschaubar, insbesondere da es sich bei den betrof­ fenen Gesellschaften um kapitalmarktorientierte, also „größere“, Gesell­ schaften handelt. Die Nutzen sind demgegenüber nur schwer quantifizierbar. Die empirischen Studien haben gezeigt, dass sich die Finanzberichterstat­ tung durch unabhängige Finanzexperten merklich bessert. Auf der Nutzen­ seite zu berücksichtigen ist ferner, dass das Gremium sich noch stärker als zuvor mit seiner eigenen optimalen Zusammensetzung auseinander setzen muss. Zu erwarten ist ein sehr zu begrüßender, gesunder Wettlauf der Un­ ternehmen um die besten, weil besonders unabhängigen, integeren und sachverständigen Köpfe. Vor dem aktuellen und vermutlich auch längerfris­ tig aktuell bleibenden Hintergrund der Vertrauensverluste der Investoren ist der zu erwartende, wenngleich marginale, Vertrauensgewinn besonders hoch zu bewerten. Auch die fortschreitende Professionalisierung der Gremien ist rechtspolitisch sehr zu begrüßen. Aufgrund des großen Misstrauens (speziell potentieller) Investoren muss hier der Gedanke Anwendung finden: Lieber Geld verlieren als Vertrauen. Unter dem Strich wiegen die zu erwartenden Nutzen daher die überschaubaren Kosten mehr als nur auf. An verschiedenen Stellen der Arbeit wurden Schwachstellen der deut­ schen Umsetzung in § 100 Abs. 5 AktG offenbart, eine Reformbedürftigkeit ist nicht von der Hand zu weisen. Der gegenwärtige Wortlaut von § 100 734  Siehe

oben S. 39.

242

4. Kap.: Schlussbetrachtung

Abs. 5 AktG ist für eine vernünftige praktische Anwendung wenig geeignet. Gleichzeitig ist eine Änderung jedoch nur wünschenswert, nicht unerläss­ lich. Die Praxis wird, gegebenenfalls mir erheblicher „Hilfe“ der Gerichte, Wege finden, sich mit der Norm zu arrangieren. Die erste offenbarte Schwachstelle der Regelung ist es, dass der Finanz­ experte de lege lata nicht ausdrücklich bei der Wahl zu benennen ist und der jährliche Bericht, der die Person des Finanzexperten offenlegen muss, nicht unterjährig zu aktualisieren ist. Obwohl die Person des Finanzexperten faktisch wohl im Markt bekannt sein wird, gibt es hier Potential zur Ver­ besserung. Nimmt man es mit dem Ziel der Vertrauensbildung ernst, so sollten die betroffenen Gesellschaften dazu verpflichtet werden, den Finanz­ experten in den Wahlvorschlägen ausdrücklich hervorzuheben und daneben zumindest auf ihrer Internetseite die Person des Finanzexperten dauerhaft und stets auf aktuellem Stand offenzulegen. Unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit erscheint eine genauere und originär für das deutsche Aktiengesetz geschaffene Vorgabe zum Be­ griff der Unabhängigkeit als unumgänglich. Die Abschlussprüferrichtlinie und die Kommissionsempfehlung fordern die nationalen Gesetzgeber dazu auf, auf einzelstaatlicher Ebene Unabhängigkeitskriterien (für die äußere Unabhängigkeit) aufzustellen.735 Die Verweisung aus der Regierungsbegrün­ dung zum BilMoG auf den DCGK und die Kommissionsempfehlung birgt erhebliche Unsicherheiten, was sich bereits durch die vielen vielfältigen Auffassungen in der Literatur zu den verschiedenen Unabhängigkeitsmerk­ malen und der Unabhängigkeit überhaupt ausdrückt. Den Gesellschaften ist es nur schwerlich zuzumuten, bis zu einer Grundsatzentscheidung des BGH zu diesem Thema, d. h. möglicherweise mehrere Jahre, abzuwarten. Der Gesetzgeber sollte daher genauere Hinweise zur Unabhängigkeit anbieten, gleichgültig ob durch Gesetz oder beispielsweise durch eine Vorgabe des Bundesministeriums für Justiz. Ein weiterer Verbesserungsvorschlag liegt in einer Anpassung von § 100 Abs. 2 S. 3 AktG. Der Finanzexperte ist neben dem Aufsichtsratsvorsitzen­ den das einzige im Gesetz individualisierte Aufsichtsratsmitglied und von ihm werden besonders zeitintensive und gründliche Auseinandersetzungen mit den Finanzberichten erwartet. Daher bietet es sich an, den Posten des unabhängigen Finanzexperten, gleich dem des Aufsichtsratsvorsitzenden, bei der zulässigen Höchstzahl ebenfalls doppelt anzurechnen. Möchte der Gesetzgeber eine starre gesetzliche Vorgabe vermeiden, so erscheint es je­ denfalls als angemessen, dass die DCGK-Kommission eine solche Empfeh­ lung in den Kodex aufnimmt. 735  Vgl.

Anhang II Ziff. 1 S. 4 der Kommissionsempfehlung.



B. Rechtspolitische Würdigung, Reformbedarf und Ausblick 243

Eine Ausweitung der Veröffentlichungspflichten ist bezüglich §§ 285 Ziff. 9 lit. a, 314 Abs. 1 Ziff. 6 lit. a HGB für alle Aufsichtsratsmitglieder notwendig. Die Empfehlung aus Ziff. 5.4.6 Unterabs. 3 DCGK, dass die vom Unternehmen an die Aufsichtsratsmitglieder gesondert gezahlten Ver­ gütungen für Beratungs- und Vermittlungsleistungen individualisiert im Corporate Governance Bericht angegeben werden sollen, sollte zu einer gesetzlichen Pflicht hochgestuft werden. Investoren haben ein schützens­ wertes Interesse daran, zu erfahren, welche Summen insgesamt an die Aufsichtsratsmitglieder gezahlt werden. Systematisch wurde die Rechtsfigur des Finanzexperten fehlerhaft in § 100 Abs. 5 AktG verortet. Aufgrund der neuartigen Rechtsnatur von § 100 Abs. 5 AktG als objektive, qualitative Besetzungsanforderung an das Ge­ samtgremium, die aber zwingend von einem Aufsichtsratsmitglied erfüllt werden muss, sollte eine umfassende Regelung zum Finanzexperten in ei­ nem neuen § 100a AktG erfolgen.736 Dort könnten die hier offenbarten Regelungslücken und Schwachstellen umfassend abgehandelt und im Sinne der notwendigen Rechtssicherheit durch eine gesetzgeberische Wertung aufgelöst werden. Dieser noch zu schaffende § 100a AktG sollte unbedingt Vorgaben zur Unabhängigkeit und zu den Offenlegungspflichten in Bezug auf die Person des Finanzexperten enthalten. Mit Blick in die Zukunft erscheint es als durchaus denkbar, dass die Kodifikation von § 100 Abs. 5 AktG der Beginn einer Professionalisierungs­ entwicklung ist, an deren Ende eine Vielzahl verschiedener Experten im Aufsichtsrat stehen könnte.737 Eine qualitativ hochwertige Überwachung ist nur möglich, wenn der Überwachende dem Überwachten fachlich nicht unterlegen ist. Möglich wäre daher eine Entwicklung dahingehend, dass in der Zukunft jedem Vorstandsressort ein Aufsichtsratsmitglied gegenüber stehen muss, dass eine besondere Expertise auf dem konkreten Gebiet mit­ bringt. Sollten die Vorgaben zur paritätischen Mitbestimmung auf Unternehmen­ sebene tatsächlich (und wider Erwarten) geändert werden, dann eröffnen sich zahlreiche neue Möglichkeiten hinsichtlich der Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern. Insbesondere wäre ein vom Mehrheitsaktionär unabhängiges Mitglied denkbar, ohne dass die konzernrechtlichen Bestim­ mungen aus den Angeln gehoben würden. 736  So bereits Hennrichs, Stellungnahme zum Regierungsentwurf des BilMoG vom 11.12.2008, S. 14, Rz. 40, a. a. O. Fn. 146. 737  Rieder / Holzmann, AG 2010, 570, 575; ein Muster für eine mögliche Idealbe­ setzung bietet Lutter, DB 2009, 775, 778, vergleichbar auch bei Frühauf, ZGR 1998, 407, 417; Ingelfinger, Der Aufsichtsrat 2010, 65 mit der Forderung eines Marketing- und Vertriebsexperten im Aufsichtsrat.

244

4. Kap.: Schlussbetrachtung

Es bleibt abzuwarten, wie die Praxis mit der neuen Gesetzeslage umgeht. Zu empfehlen ist dabei, bei der Auslegung der besonderen Qualifikations­ merkmale und der Umsetzung der Vorgaben zunächst zu vorsichtigeren Varianten und Auslegungen zu greifen und die weitere Entwicklung in Rechtsprechung und Literatur abzuwarten. Diese weiteren Entwicklungen und Diskussionen zur Unabhängigkeit, zum Sachverstand und zur prakti­ schen Umsetzung von § 100 Abs. 5 AktG bleiben mit Spannung abzuwarten.

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Sachverzeichnis Abschlussprüfer  35, 60, 92, 159, 212 Abschlussprüferrichtlinie  27 ff., 42, 50, 54 f., 63, 114, 171 f. Abstimmungsmodalitäten  191 Aktienoptionen  146 ff. Aktionsplan der EG-Kommission  41, 105 Amtszeit  160 Anfechtungsklage  197 ff. – Anfechtungsbefugnis  201 – Anfechtungsgrund  202 Arbeitnehmervertreter  46, 109, 129 ff. – Belegschaftsangehörige   131 – Gewerkschaftsangehörige  135 Asset Backed Securities  74 Audit Committee siehe Prüfungs­ ausschuss Aufbau der Unternehmensführung  44 Aufgaben des unabhängigen Finanz­ experten  52, 56 ff. Beratungsverträge  92 Beschlussunfähigkeit  223 Besondere persönliche Voraussetzungen  29, 57 Beweislast  202 BilMoG  23, 26 ff., 102, 181 Chief Executive Officer – CEO  35, 45 Combined Code  113 Compliance  32, 208 Comply-or-Explain  42, 102 Cooling-Off-Periode  89, 143 ff., 159, 204 Corporate Governance  37

Deutscher Corporate Governance Kodex  102, 116, 139 Dreiteilung der Unabhängigkeits­ kriterien  116 Durchsetzbarkeit von Wahlvorschlägen  230 Einzelwahl  200 Empirische Studien  39 Entsandte Aufsichtsratsmitglieder  137 Entsprechenserklärung  55, 210 Entstehungsgeschichte von § 100 Abs. 5 AktG  26 Erfolgsbezogene Vergütungen  146 ff. Erklärung zur Unternehmensführung  210, 221 Ersatzfinanzexperte  232 Erstmalige Anwendung  181 Exkulpationsmöglichkeiten  178, 232 Externe Überprüfung  196, 212 – Abschlussprüfer  212 – Aufsichtsbehörde  213 – Gerichte  196, 215 Faktische Offenlegung  195, 212 Feststellung der Kapitalmarkt­ orientierung  75 Finanzexpertinnen  24 Finanzexpertise  165 ff. – DCGK  169 – i. S. v. §  100 Abs.  5 AktG  171 – Kreditinstitute / Versicherungs­ unternehmen  167, 173 – Relativer Maßstab  171, 239 – Sarbanes-Oxley Act of 2002  170 – Zeitpunkt des Vorliegens  174 Fragerecht  195

Sachverzeichnis269 Gerichtliche Bestellung  32, 231 Geschäftsordnung des Aufsichtsrats  233 Großaktionär  90, 152 Größe des Aufsichtsrats  45, 91 Haftung  – des Finanzexperten  176, 227 – des Gremiums  228, 232 – Maßstab  178, 226, 232 Hauptversammlung  28, 32, 187, 193 Higgs-Report  82, 113 IFRS  27, 174 Informationsasymmetrie  36 Inkompatibilität  86 ff., 118 Interessenskonflikte  49, 84, 96, 120, 204 Investmentfonds  73 Investmentgesetz  99 Justiziabilität  196 Kapitalmarktorientierung  62 ff. Klageart  197 Kommissionsempfehlung 2005 / 162 / EG  42, 106, 119, 139, 204 Konvergenz  47 Konzernfinanzexperte  123, 156 Kreditinstitute  63, 72 – Kapitalmarktorientierung  72 – „Kleine“  74 Kreditverträge  95 Legal Transplant  43 Legitimation  193 ff., 222 Listenwahl  199 Mehrheitsaktionär  150 ff. – Kontrolle  83, 111, 154 – Unabhängigkeit  150, 156 – Vertreter  157

Mitbestimmung  129 – Formen  46 Nahestehende Personen  94, 127 f. Nichtigkeit  197 Normadressat  32 Normzweck  33 f. OECD Prinzipien  113, 153 Offenlegung  191, 209 – Anhang des Jahresabschlusses  209 – Erklärung zur Unternehmensführung  210 – faktische Offenlegung siehe faktische Offenlegung – Pflicht  193 Organisationsgefälle  87, 128 Organisierter Markt  67 Path Dependence  44 Praktische Umsetzung  186 ff. Professionalisierung  33, 165, 241 Prüfungsausschuss  49 ff. – Aufgaben  52 – Entstehungsgeschichte  49 – Fakultative Einrichtung  50 – Mitgliedschaft des Finanzexperten  56, 59 – Pflicht zur Einrichtung  50 Prüfungsfremde Leistungen  35 Prüfungsumfang der Gerichte  196, 203 Publikumsgesellschaft  36, 151 Rechnungslegung  54, 165, 171 Rechtsfolgen von Verstößen  222 ff. – für Aufsichtsratsgremium  228 – für Finanzexperten  29, 57, 176, 226 Rechtsnatur / -charakter  28 Reformbedarf  241 Regierungsbegründung zu § 100 Abs. 5 AktG  26, 114, 116 Repurchase Agreement  78

270 Sachverzeichnis Sarbanes-Oxley Act of 2002  35, 43, 110, 170 Satzungsstrenge  45 Selbstevaluation  207 Sorgfaltsmaßstab  166, 176 Statusverfahren  216 ff. Stimmverbot  84, 97, 208 Überkreuzverflechtung  88, 124 Unabhängigkeit  78 ff. – Allgemeine Definition  80 ff. – Arbeitnehmervertreter  129 ff. – Ausgangssituation  82 ff. – Äußere Erscheinung / in appearance  81, 163 – Cooling-Off Periode  89, 143 – DCGK  104 – Dreiteilung  116 – Entsandte Aufsichtsratsmitglieder  137 – Erfolgsbezogene Vergütung  146 – Innere Tatsache / in mind  80 – i. S. v. §  100 Abs.  5 AktG  78, 114 ff. – Kommissionsempfehlung  106 – Kriterien  114 ff. – Mehrheitsaktionär  150 ff. – Quellen  102 – Regierungsbegründung  114

– Sarbanes-Oxley Act of 2002  110 Unternehmensinteresse  77 Versicherungsunternehmen  72, 167, 213 Vertrauen  21, 34, 81 Vorschlagsrecht / -pflicht  188 Wahl  187 ff. – Anfechtbarkeit  198 – Einzelwahl  200 – Listenwahl  199 – Nichtigkeit  197 – Notwendigkeit  181, 188 – Verfahren außerhalb des Aufsichtsrats  233 – Verfahren innerhalb des Aufsichtsrats  190, 207 – Vorschlagsrecht / -pflicht des Aufsichtsrats  188 Weisungsfreiheit  84 Wertpapiere  64 – Emission   76, 181 – nach § 264d HGB  63 – Schuldtitel  66 – „von ihr“ ausgegebene  70 Wettbewerber  125 Zusätzliche Rechte und Pflichten des Finanzexperten  56