AktG: Kommentar [3rd newly revised edition] 9783814557915

A range of reforms have lead to repeated amendments to the Stock Corporation Act [AktG]. The situation has been further

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AktG: Kommentar [3rd newly revised edition]
 9783814557915

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Wachter (Hrsg.) AktG

AktG Kommentar zum Aktiengesetz 3. Auflage

Herausgegeben von Notar Dr. Thomas Wachter, München

Bearbeitet von Prof. Dr. Uwe Blaurock, Dr. Michael Bormann, Boris Dürr, Daniel Epe, Dr. Alexander Franz, Prof. Dr. Bernd Früchtl, Dr. Thomas Kantenwein, Dr. Dirk Kocher, LL.M., Dr. Simon Link, Dr. Klaus J. Müller, Dr. Christoph Andreas Weber, Dr. Oliver Rothley, Dr. Werner Paul Schick, Prof. Dr. Wolfgang Servatius, Dr. Thomas Wachter, Dr. Jens Wagner, Dr. Thomas Zwissler

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH · Köln

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internt über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2018 RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH Postfach 27 01 25, 50508 Köln E-Mail: [email protected], Internet: http://www.rws-verlag.de Das vorliegende Werk ist in all seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der Übersetzung, des Vortrags, der Reproduktion, der Vervielfältigung auf fotomechanischem oder anderen Wegen und der Speicherung in elektronischen Medien. Satz und Datenverarbeitung: SEUME Publishing Services GmbH, Erfurt Druck und Verarbeitung: CPI books GmbH, Leck

Vorwort Die zweite Auflage des Kommentars zum Aktiengesetz ist in Wissenschaft und Praxis erfreulich positiv aufgenommen worden. Nach vier Jahren war es Zeit für eine Neuauflage. Das bewährte Konzept einer praxisnahen Darstellung des Aktienrechts wurde dabei beibehalten. In den letzten Jahren hat sich das Aktienrecht weiterhin sehr dynamisch entwickelt. Neben der Aktienrechtsnovelle 2016 wurde das Aktiengesetz u. a. durch zahlreiche weitere Gesetze geändert. Beispielhaft erwähnt seien hier nur das Gesetz über die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen, das BilanzrichtlinieUmsetzungsgesetz, das Gesetz zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie, das Abschlussprüfungsreformgesetz und das CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz. Die Praxis des Aktienrechts wird zudem durch den Deutschen Corporate Governance Kodex erheblich beeinflusst, der in der Vergangenheit immer wieder geändert worden ist. Schließlich hat auch die Rechtsprechung, allen voran des Zweiten Senats des Bundesgerichtshofs maßgeblich zur Fortentwicklung des Aktienrechts beigetragen. Der Kommentar befindet sich jetzt auf dem Stand von Mai 2018. Für die 19. Legislaturperiode sind weitere Änderungen des Aktienrechts zu erwarten. Der deutsche Gesetzgeber muss u. a. die geänderte Aktionärsrechtrichtlinie umsetzen. Neuere Entwicklungen im europäischen Gesellschaftsrecht (u. a. die geplante Sitzverlegungsrichtlinie) werden sich auch auf das deutsche Aktienrecht auswirken. Im Autorenkreis ist es zu kleinen Veränderungen gekommen. Auf eigenen Wunsch ausgeschieden sind Dr. Jan Eckert, Thomas Mayrhofer und Dr. Wolfgang Ott. Neu hinzugekommen sind Dr. Simon Link, Dr. Dirk Kocher und Dr. Christoph Andreas Weber. Besonderer Dank gebührt wiederum Frau Rechtsanwältin Iris Theves-Telyakar, die die Neuauflage des Kommentars mit großer Sorgfalt und viel Geduld betreut hat. Im RWS Verlag hat Herr Rechtsanwalt Markus J. Sauerwald als Verlagsleiter maßgeblich zum Gelingen des Werks beigetragen. Anregungen und Kritik sind jederzeit herzlich willkommen. München im Mai 2018

Thomas Wachter

V

Inhaltsübersicht Seite Bearbeiterverzeichnis.......................................................................................................... XI Literaturverzeichnis ......................................................................................................... XIII Einführung.............................................................................................................................. 1 Erstes Buch Aktiengesellschaft (§§ 1 – 277) ............................................................................................ 13 Erster Teil

Allgemeine Vorschriften (§§ 1 – 22)................................................ 13

Zweiter Teil

Gründung der Gesellschaft (§§ 23 – 53)........................................ 123

Dritter Teil

Rechtsverhältnisse der Gesellschaft und der Gesellschafter (§§ 53a – 75)...................................................................... 278 [Anhang zu § 57: Aktionärsdarlehen] .......................................... 336

Vierter Teil

Verfassung der Aktiengesellschaft (§§ 76 – 149) .......................... 448

Erster Abschnitt

Vorstand (§§ 76 – 94) ..................................................................... 448

Zweiter Abschnitt

Aufsichtsrat (§§ 95 – 116) .............................................................. 636

Dritter Abschnitt

Benutzung des Einflusses auf die Gesellschaft (§ 117)............................................................................................. 750

Vierter Abschnitt

Hauptversammlung (§§ 118 – 149)................................................ 755 Erster Unterabschnitt Rechte der Hauptversammlung (§§ 118 – 120)............................... 755 Zweiter Unterabschnitt Einberufung der Hauptversammlung (§§ 121 – 128) ..................... 778 Dritter Unterabschnitt Verhandlungsniederschrift. Auskunftsrecht (§§ 129 – 132) ............. 837 Vierter Unterabschnitt Stimmrecht (§§ 133 – 137) .............................................................. 884 Fünfter Unterabschnitt Sonderbeschluß (§ 138) .................................................................. 929 Sechster Unterabschnitt Vorzugsaktien ohne Stimmrecht (§§ 139 – 141).............................. 932 Siebenter Unterabschnitt Sonderprüfung. Geltendmachung von Ersatzansprüchen (§§ 142 – 149) ............................................. 953

Fünfter Teil

Rechnungslegung. Gewinnverwendung (§§ 150 – 178).................................................................................. 982

Erster Abschnitt

Jahresabschluss und Lagebericht. Entsprechenserklärung (§§ 150 – 161) .......................................... 982

VII

Inhaltsübersicht Zweiter Abschnitt

Prüfung des Jahresabschlusses (§§ 162 – 171)............................. 1012 Erster Unterabschnitt Prüfung durch Abschlußprüfer (§§ 162 – 169) (aufgehoben) .......... 1012 Zweiter Unterabschnitt Prüfung durch den Aufsichtsrat (§§ 170 – 171) ............................. 1012

Dritter Abschnitt

Feststellung des Jahresabschlusses. Gewinnverwendung (§§ 172 – 176) ............................................. 1032 Erster Unterabschnitt Feststellung des Jahresabschlusses (§§ 172 – 173) .......................... 1032 Zweiter Unterabschnitt Gewinnverwendung (§ 174) ........................................................ 1038 Dritter Unterabschnitt Ordentliche Hauptversammlung (§§ 175 – 176) .......................... 1040

Vierter Abschnitt

Bekanntmachung des Jahresabschlusses (§§ 177 – 178) (aufgehoben)......................................................... 1047

Sechster Teil

Satzungsänderung. Maßnahmen der Kapitalbeschaffung und Kapitalherabsetzung (§§ 179 – 240) ................ 1048

Erster Abschnitt

Satzungsänderung (§§ 179 – 181)................................................. 1048

Zweiter Abschnitt

Maßnahmen der Kapitalbeschaffung (§§ 182 – 221)................... 1078 Erster Unterabschnitt Kapitelerhöhung gegen Einlagen (§§ 182 – 191) ........................... 1078 Zweiter Unterabschnitt Bedingte Kapitalerhöhung (§§ 192 – 201)..................................... 1139 Dritter Unterabschnitt Genehmigtes Kapital (§§ 202 – 206) ............................................. 1178 Vierter Unterabschnitt Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln (§§ 207 – 220) ............. 1207 Fünfter Unterabschnitt Wandelschuldverschreibungen. Gewinnschuldverschreibungen (§ 221)..................................................................... 1243

Dritter Abschnitt

Maßnahmen der Kapitalherabsetzung (§§ 222 – 240)................. 1263 Erster Unterabschnitt Ordentliche Kapitalherabsetzung (§§ 222 – 228) .......................... 1263 Zweiter Unterabschnitt Vereinfachte Kapitalherabsetzung (§§ 229 – 236) ......................... 1287 Dritter Unterabschnitt Kapitalherabsetzung durch Einziehung von Aktien. Ausnahme für Stückaktien (§§ 237 – 239)..................................... 1306 Vierter Unterabschnitt Ausweis der Kapitalherabsetzung (§ 240) ..................................... 1321

VIII

Inhaltsübersicht Siebenter Teil

Nichtigkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen und des festgestellten Jahresabschlusses. Sonderprüfung wegen unzulässiger Unterbewertung (§§ 241 – 261a) .............................................................................. 1323

Erster Abschnitt

Nichtigkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen (§§ 241 – 255)................................................................................ 1323 Erster Unterabschnitt Allgemeines(§§ 241 – 249) ............................................................ 1323 Zweiter Unterabschnitt Nichtigkeit bestimmter Hauptversammlungsbeschlüsse (§§ 250 – 255)................................................................................ 1374

Zweiter Abschnitt

Nichtigkeit des festgestellten Jahresabschlusses (§§ 256 – 257)................................................................................ 1391

Dritter Abschnitt

Sonderprüfung wegen unzulässiger Unterbewertung (§§ 258 – 261a) .............................................................................. 1402

Achter Teil

Auflösung und Nichtigerklärung der Gesellschaft (§§ 262 – 277)................................................................................ 1417

Erster Abschnitt

Auflösung (§§ 262 – 274) ............................................................. 1417 Erster Unterabschnitt Auflösungsgründe und Anmeldung (§§ 262 – 263) ....................... 1417 Zweiter Unterabschnitt Abwicklung (§§ 264 – 274) ........................................................... 1426

Zweiter Abschnitt

Nichtigerklärung der Gesellschaft (§§ 275 – 277)................................................................................ 1461

Zweites Buch Kommanditgesellschaft auf Aktien (§§ 278 – 290)........................................................ 1469 Drittes Buch Verbundene Unternehmen (§§ 291 – 393) ..................................................................... 1505 Erster Teil

Unternehmensverträge (§§ 291 – 307) ........................................ 1505

Erster Abschnitt

Arten von Unternehmensverträgen (§§ 291–292)..................... 1505

Zweiter Abschnitt

Abschluß, Änderung und Beendigung von Unternehmensverträgen (§§ 293 – 299) ...................................... 1525

Dritter Abschnitt

Sicherung der Gesellschaft und der Gläubiger (§§ 300 – 303)................................................................................ 1564

Vierter Abschnitt

Sicherung der außenstehenden Aktionäre bei Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen (§§ 304 – 307)................................................................................ 1574

IX

Inhaltsübersicht Zweiter Teil

Leitungsmacht und Verantwortlichkeit bei Abhängigkeit von Unternehmen (§§ 308 – 318)......................... 1591

Erster Abschnitt

Leitungsmacht und Verantwortlichkeit bei Bestehen eines Beherrschungsvertrags (§§ 308 – 310)................................ 1591

Zweiter Abschnitt

Verantwortlichkeit bei Fehlen eines Beherrschungsvertrags (§§ 311 – 318) ......................................... 1607

Dritter Teil

Eingegliederte Gesellschaften (§§ 319 – 327).............................. 1649

Vierter Teil

Ausschluss von Minderheitsaktionären (§§ 327a – 327f) ............................................................................. 1680

Fünfter Teil

Wechselseitig beteiligte Unternehmen (§ 328) .......................... 1712

Sechster Teil

Rechnungslegung im Konzern (§§ 329 – 393) (aufgehoben)......................................................... 1715

Viertes Buch Sonder-, Straf- und Schlußvorschriften (§§ 394 – 410)................................................. 1717 Erster Teil

Sondervorschriften bei Beteiligung von Gebietskörperschaften (§§ 394 – 395) ......................................... 1717

Zweiter Teil

Gerichtliche Auflösung (§§ 396 – 398)........................................ 1726

Dritter Teil

Straf- und Bußgeldvorschriften. Schlußvorschriften (§§ 399 – 410) ................................................................................ 1731

Stichwortverzeichnis........................................................................................................ 1755

X

Bearbeiterverzeichnis Prof. Dr. Uwe Blaurock .......................................................................................... §§ 278 – 290 Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg Institut für Handels- und Wirtschaftsrecht Dr. Michael Bormann ............................................................................................. §§ 170 – 176 Rechtsanwalt Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Düsseldorf Boris Dürr .............................................................................................. §§ 133 – 141, 182 – 206 Rechtsanwalt Heuking Kühn Lüer Wojtek, München Dr. Daniel Epe, LL.M............................................................................................. §§ 241 – 249 Rechtsanwalt, Senior Associate Allen & Overy, München Dr. Alexander Franz...................................................................................................... §§ 1 – 22 Rechtsanwalt München Prof. Dr. Bernd Früchtl........................................................§§ 221 – 240, 256 – 261a, 394 – 395 Rechtsanwalt, Steuerberater McDermott, Will & Emery, München HfWU Nürtingen-Geislingen Dr. Thomas Kantenwein ......................................................................................... §§ 150 – 161 Rechtsanwalt, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer Kantenwein, Zimmermann, Spatscheck & Partner, München Dr. Dirk Kocher, LL.M........................................................................................... §§ 117 – 128 Rechtsanwalt Latham & Watkins LLP, Hamburg Dr. Simon Patrick Link .............................................................................................. §§ 76 – 94 Rechtsanwalt, Dipl.-Kfm. Hengeler Mueller, München Dr. Klaus J. Müller.......................................................................................... §§ 291 – 305, 307 Notar, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht Schiedermair Rechtsanwälte, Frankfurt/M.

XI

Bearbeiterverzeichnis Dr. Oliver Rothley...................................................................................................§§ 308 – 328 Rechtsanwalt Taylor Wessing, München Dr. Werner Paul Schick .............................................................................................§§ 95 – 116 Rechtsanwalt (Syndikusrechtsanwalt) München Prof. Dr. Wolfgang Servatius ..................................................................................... §§ 53a – 75 Universität Regensburg Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Unternehmensrecht Richter am OLG München Dr. Thomas Wachter................................................. §§ 23 – 53, 129 – 132, 179 – 181, 396 – 410 Notar München Dr. Jens Wagner...................................................................................... §§ 207 – 220, 250 – 255 Rechtsanwalt Allen & Overy, München Dr. Christoph Andreas Weber .................................................................................§§ 262 – 277 Akademischer Rat auf Zeit Ludwig-Maximilians-Universität München Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Unternehmensrecht Dr. Thomas Zwissler................................................................................................§§ 142 – 149 Rechtsanwalt ZIRNGIBL, München

XII

Literaturverzeichnis Themenspezifische Fachliteratur ist in den Literaturübersichten zu Beginn der Kommentierungen aufgeführt. Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, Loseblatt, Stand: 6. Aufl. 1995 ff. (zit.: Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung) Angerer/Geibel/Süßmann, WpÜG, Kommentar, 3. Aufl. 2017 Assmann/Schneider (Hrsg.), WpHG, Kommentar, 6. Aufl. 2012 Assmann/Pötzsch/Schneider, U. H. (Hrsg.), WpÜG, Kommentar, 2. Aufl. 2013 Baumbach/Hopt, Handelsgesetzbuch, Kommentar, 38. Aufl. 2018 Baumbach/Hueck, GmbHG, Kommentar, 21. Aufl. 2017 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, Kommentar, 76. Aufl. 2018 Baums, Der Geschäftsleitervertrag, 1987 (zit.: Baums, Geschäftsleitervertrag) Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. 2, 2007 Beck’sches Formularbuch Bürgerliches, Handels- und Wirtschaftsrecht, hrsg. v. HoffmannBecking/Rawert, 12. Aufl. 2016 (zit.: Bearbeiter in: Beck’sches Formb. BHW) Beck’sches Mandatshandbuch Vorstand der AG, hrsg. v. Lücke/Schaub, 2. Aufl. 2010 (zit.: Bearbeiter in: Beck MandatsHdB Vorstand) Binz/Sorg, Die GmbH & Co. KG im Gesellschafts- und Steuerrecht, 12. Aufl. 2018 Blaurock (Hrsg.), Handbuch Stille Gesellschaft, 8. Aufl. 2016 Bork/Schäfer (Hrsg.), GmbHG, Kommentar, 3. Aufl. 2015 Bormann/Diehn/Sommerfeldt (Hrsg.), GNotKG, Kommentar, 2. Aufl. 2016 Böttcher/Carl/Schmidt/Seibert, Die Aktienrechtsnovelle, 2016 Brungs, Das Statusverfahren der §§ 97 ff. AktG, 2015 Bumiller/Harders/Schwamb, FamFG, Kommentar, 11. Aufl. 2015 Bürgers/Fett (Hrsg.), Die Kommanditgesellschaft auf Aktien, 2. Aufl. 2015 Bürgers/Körber (Hrsg.), Heidelberger Kommentar zum Aktiengesetz, 4. Aufl. 2017 (zit.: Bürgers/Körber-Bearbeiter, AktG) Butzke, Die Hauptversammlung der Aktiengesellschaft, 5. Aufl. 2011 (zit.: Butzke, Hauptversammlung der AG) Canaris, Handelsrecht, 24. Aufl. 2006 Dörner/Horváth/Kagermann (Hrsg.), Praxis des Risikomanagements, 2000 Emmerich/Habersack (Hrsg.), Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 8. Aufl. 2016 (zit.: Emmerich/Habersack-Bearbeiter, Konzernrecht)

XIII

Literaturverzeichnis Feuerich/Weyland, BRAO, Bundesrechtsanwaltsordnung, 9. Aufl. 2016 Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts, 2006 (zit.: Fleischer-Bearbeiter, Hdb. VorstandsR) Fleischer/Kalss/Vogt (Hrsg.), Aktuelle Entwicklungen im deutschen, österreichischen und schweizerischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht 2012, 2013 Frodermann/Jannott (Hrsg.), Handbuch des Aktienrechts, 9. Aufl. 2017 Früchtl, Die Aktiengesellschaft als Rechtsform für die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand, 2009 (zit.: Früchtl, Aktiengesellschaft in öffentlicher Hand) Fuhrmann/Linnerz/Pohlmann (Hrsg.), Deutscher Corporate Governance Kodex, 2015 Grigoleit (Hrsg.), AktG, Kommentar, 2013 Großkommentar zum Aktiengesetz, hrsg. v. Hirte/Mülbert/Roth u. a., Loseblatt, 4. Aufl. 2004 ff. und 5. Aufl. 2014 ff. (zit.: Bearbeiter in: GroßKomm-AktG) Großkommentar zum Handelsgesetzbuch, hrsg. v. Canaris/Habersack/Schäfer, Bd. 3, 5. Aufl. 2009 (zit.: Bearbeiter in: GroßKomm-HGB) Habersack/Drinhausen (Hrsg.), SE-Recht, 2. Aufl. 2016 Habersack/Mülbert/Schlitt (Hrsg.), Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, 3. Aufl. 2013 (zit.: Habersack/Mülbert/Schlitt-Bearbeiter, Unternehmensfinanzierung) Hachenburg, GmbHG, Großkommentar, 8. Aufl. 1990 ff. Happ/Groß, Aktienrecht, Handbuch, Mustertexte, Kommentar, 4. Aufl. 2015 (zit.: Happ/Groß-Bearbeiter, AktienR) Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl. 2014 (zit.: Heidel-Bearbeiter, AktR) Heidel/Schall (Hrsg.), HGB, Kommentar, 2. Aufl. 2015 Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 2016 (zit.: Henssler/Strohn-Bearbeiter, GesR) Henze/Born/Drescher, Aktienrecht, Höchstrichterliche Rechtsprechung, 6. Aufl. 2015 Hoffmann/Preu, Der Aufsichtsrat, 5. Aufl. 2002 Hohenstatt/Seibt, Geschlechter- und Frauenquote in der Privatwirtschaft, 2015 Hölters (Hrsg.), AktG, Aktiengesetz, Kommentar, 3. Aufl. 2017 Hommelhoff/Hopt/v. Werder (Hrsg.), Handbuch Corporate Governance, 2. Aufl. 2010 Hopt/Seibt (Hrsg.), Schuldverschreibungsrecht, Kommentar – Handbuch – Vertragsmuster, 2017 Höreth/Linnerz, Geschäftsordnungsanträge in Hauptversammlungen, 2012 Hüffer/Koch, Aktiengesetz, Kommentar, 12. Aufl. 2016 Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, 2014 Jannott/Frodermann, Handbuch der Europäischen Aktiengesellschaft, 2. Aufl. 2014

XIV

Literaturverzeichnis Kallmeyer, Umwandlungsgesetz, Kommentar, 6. Aufl. 2017 Keidel, FamFG, Kommentar, hrsg. v. Engelhardt/Sternal, 19. Aufl. 2017 Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, hrsg. v. Zöllner/Noack, 3. Aufl. 2009 ff. (zit.: Bearbeiter in: KölnKomm-AktG) Kölner Kommentar zum WpHG, hrsg. v. Hirte/Möllers, 2. Aufl. 2014 (zit.: Bearbeiter in: KölnKomm-WpHG) Kölner Kommentar zum WpÜG, hrsg. v. Hirte/v. Bülow, 2. Aufl. 2010 (zit.: Bearbeiter in: KölnKomm-WpÜG) Krafka/Kühn, Registerrecht, 10. Aufl. 2017 Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder, Kommentar zum Deutschen Corporate Governance Kodex, 7. Aufl. 2018 (zit.: Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder-Bearbeiter, DCGK) Krieger/Schneider, U. H. (Hrsg.), Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017 Kropff, Aktiengesetz mit Begründung des Regierungsentwurfes, 1965 (zit.: Begr. RegE in: Kropff, AktG) Kübler/Prütting/Bork (Hrsg.), Kommentar zur Insolvenzordnung, Loseblatt, Stand: 75. EL 3/2018 (zit.: Kübler/Prütting/Bork-Bearbeiter, InsO) Langenbucher, Aktien- und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl. 2017 Langenbucher/Bliesener/Spindler (Hrsg.), Bankrechts-Kommentar, 2. Aufl. 2016 Leistikow, Das neue GmbH-Recht, 2009 Lutter, Das Kapital der Aktiengesellschaft in Europa, 2006 (reprint 2011) Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006 (zit.: Lutter, Information und Vertraulichkeit im AR) Lutter, Umwandlungsgesetz, Kommentar, hrsg. v. Bayer/Vetter, 5. Aufl. 2014 Lutter/Bayer/Schmidt, J. (Hrsg.), Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, 6. Aufl. 2017 Lutter/Hommelhoff (Hrsg.), GmbH-Gesetz, Kommentar, 19. Aufl. 2016 Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, 2. Aufl. 2015 Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 6. Aufl. 2014 (zit.: Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR) Manz/Mayer/Schröder (Hrsg.), Europäische Aktiengesellschaft SE, 3. Aufl. 2018 Marsch-Barner/Schäfer (Hrsg.), Handbuch börsennotierte AG, 4. Aufl. 2017 Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, J., Kommentar zum Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH-Gesetz), 3. Aufl. 2017 Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4: 4. Aufl. 2015, hrsg. v. HoffmannBecking; Bd. 7: 5. Aufl. 2016, hrsg. v. Born/Ghassemi-Tabar/Gehle (zit.: Bearbeiter in: MünchHdb. GesR) Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, hrsg. v. Goette/Habersack, 4. Aufl., Bd. 1: 2016; Bd. 2 – 3: 2018; Bd. 4: 2016; Bd. 5: 2015; Bd. 6 – 7: 2017 (zit.: Bearbeiter in: MünchKomm-AktG)

XV

Literaturverzeichnis Münchener Kommentar zum Bilanzrecht, hrsg. v. Hennrichs/Kleindiek/Watrin, Loseblatt, Stand: 2012 ff. (zit.: Bearbeiter in: MünchKomm-BilanzR) Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, hrsg. v. Rixecker/Säcker/ Oetker/Limperg, Bd. 5: 6. Aufl. 2013; Bd. 5/2: 7. Aufl. 2017 (zit.: Bearbeiter in: MünchKomm-BGB) Münchener Kommentar zum Handelsgesetzbuch, hrsg. v. K. Schmidt, Bd. 2: 4. Aufl. 2016; Bd. 6: 3. Aufl. 2014 (zit.: Bearbeiter in: MünchKomm-HGB) Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 76. Aufl. 2017 Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, 6. Aufl. 2015 (zit.: Raiser/Veil, KapG) Raiser/Veil/Jacobs, Mitbestimmungsgesetz und Drittelbeteiligungsgesetz, 6. Aufl. 2015 (zit.: Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG/DrittelbG) Roth/Altmeppen, GmbHG, Kommentar, 8. Aufl. 2015 Schanz, Börseneinführung, Recht und Praxis des Börsengangs, 3. Aufl. 2007 (zit.: Schanz, Börseneinführung) Scherer, Depotgesetz, Kommentar, 2012 Schmidt, K. Gesellschaftsrecht, 5. Aufl. 2017 (zit.: K. Schmidt, GesR) Schmidt, K./Lutter (Hrsg.), AktG, Kommentar, 3. Aufl. 2015 Scholz, GmbHG, Kommentar, Bd. 1: 12. Aufl. 2018; Bd. 2 – 3: 11. Aufl. 2013 ff. Schüppen/Schaub, Handbuch Aktienrecht, 2010 Seibert, MoMiG, RWS-Dok. 23, 2009 Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, 2. Aufl. 1996 (zit.: Semler, Leitung und Überwachung der AG) Semler/Peltzer/Kubis (Hrsg.), Arbeitshandbuch für Vorstandsmitglieder, 2. Aufl. 2015 (zit.: Semler/Peltzer-Bearbeiter, ArbHdb. Vorstandsmitglieder) Semler/v. Schenck (Hrsg.), Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 4. Aufl. 2013 (zit.: Semler/v. Schenck-Bearbeiter, ArbHdb. AR) Semler/v. Schenck, Der Aufsichtsrat, 2015 Semler/Stengel (Hrsg.), Umwandlungsgesetz, 4. Aufl. 2017 Semler/Volhard/Reichert (Hrsg.), Arbeitshandbuch für die Hauptversammlung, 3. Aufl. 2011 (zit.: Semler/Volhard/Reichert-Bearbeiter, ArbHdb. HV) Servatius, Gläubigereinfluss durch Convenants. Hybride Finanzierungsinstrumente im Spannungsfeld von Fremd- und Eigenfinanzierung, 2008 Seyfarth, Vorstandsrecht, 2016 Spahlinger/Wegen, Internationales Gesellschaftsrecht in der Praxis, 2005 (zit.: Spahlinger/Wegen, Int. GesR) Spindler/Stilz, AktG, Kommentar, 3. Aufl. 2015 Trölitzsch/Born, Aktionärsvereinbarungen, 2016

XVI

Literaturverzeichnis Uhlenbruck, Insolvenzordnung, Kommentar, hrsg. v. Uhlenbruck/Hirte/Vallender, 14. Aufl. 2015 Ulmer/Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, 3. Aufl. 2013 Weber, Die gemeinnützige Aktiengesellschaft, 2014 Weitnauer (Hrsg.), Handbuch Venture Capital, 5. Aufl. 2016 Wettich, Vorstandsorganisation in der Aktiengesellschaft, 2008 Wicke, Einführung in das Recht der Hauptversammlung, das Recht der Sacheinlagen und das Freigabeverfahren nach dem ARUG, 2009 (zit.: Wicke, Einf. in das Recht der Hauptversammlung) Wicke, GmbHG, Kommentar, 3. Aufl. 2016 Wilsing, DCGK, Deutscher Corporate Governance Kodex, Kommentar, 2012 Winkeljohann/Förschle/Deubert, Sonderbilanzen, 5. Aufl. 2016 Winkler, Beurkundungsgesetz, Kommentar, 18. Aufl. 2017

XVII

Einführung Thomas Wachter

Übersicht I. Begriff ................................................. 1 II. Statistik, Arten und Erscheinungsformen ..................................... 3 III. Rechtsquellen .................................... 9 1. Deutsches Recht ................................. 9 2. Europäisches Recht .......................... 11 3. Rechtsprechung ................................ 12 4. Deutscher Coporate Governance Kodex ................................................ 13 I.

5. Kapitalmarktrecht ............................ IV. Geschichte und Zukunft des Aktienrechts .................................... 1. Rückblick .......................................... 2. Ausblick ............................................ a) Aktionsärsrechterichtlinie ......... b) Koalitionsvertrag ........................ c) Reformvorschläge ...................... V. Europäische Entwicklungen ..........

18 19 19 22 22 24 29 30

Begriff

Der Gesetzgeber beschreibt das Wesen der AG als Gesellschaft mit eigener Rechtsper- 1 sönlichkeit, für deren Verbindlichkeiten den Gläubigern nur das Gesellschaftsvermögen haftet (§ 1 Abs. 1). Die AG gehört somit zu den Kapitalgesellschaften. Ihrer Struktur nach ist die AG eine Körperschaft (zum Steuerrecht siehe § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG). Die AG ist – unabhängig vom Gegenstand ihres Unternehmens – stets eine Handelsgesellschaft (§ 3 Abs. 1 AktG, § 6 HGB). Die AG hat ein in Aktien zerlegtes Grundkapital (§ 1 Abs. 2). Das Grundkapital muss 2 auf einen Nennbetrag in Euro lauten (§ 6) und mindestens 50.000 € betragen (§ 7). II.

Statistik, Arten und Erscheinungsformen

Derzeit bestehen in Deutschland ca. 18.000 AG, wovon mehr als drei Viertel in den 3 letzten 20 Jahren gegründet worden sind.1) Die Anzahl der AG ist damit zwar stark angestiegen, im Vergleich zu anderen Rechtsformen (siehe etwa die Zahl von über einer Million GmbH) aber immer noch vergleichweise gering. Allerdings verfügen diese AG über ein erhebliches Kapital (allein ein kumuliertes Grundkapital von knapp 200 Mrd. €) und eine enorme Wirtschaftsleistung (sie erwirtschaften fast ein Viertel aller steuerpflichtigen Umsätze in Deutschland). Darüber hinaus bestehen derzeit ca. 100 KGaA und über 300 Europäische AG (SE) mit Sitz in Deutschland.2) Das Aktienrecht unterscheidet seit einigen Jahren zunehmend zwischen börsennotierten 4 und nicht börsennotierten AG (siehe etwa §§ 93 Abs. 6, 110 Abs. 3 Satz 2, 123 Abs. 3 Satz 2, 125 Abs. 1 Satz 3, 130 Abs. 1 Satz 3, 134 Abs. 1 Satz 2, 149 Abs. 1, 161, 171 Abs. 2

_____________ 1)

2)

Ausführlich zum Ganzen: Bayer, AG Sonderheft 10/2015, S. 5 ff.; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 2 Rz. 1 ff.; Kornblum, GmbHR 2017, 739. – Aktuelle Berichte zu rechtlichen und wirtschaftlichen Aspekten der AG finden sich in der Zeitschrift Die Aktiengesellschaft (AG) (www.dieaktiengesellschaft.de) und im Internet unter www.dai.de (Deutsches Aktieninstitut). Zur SE s. (neben den Großkommentaren zum Aktienrecht) u. a. Austmann in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, §§ 82 ff.; Habersack/Drinhausen, SE-Recht, 2. Aufl. 2016; Janott/Frodermann, Handbuch der Europäischen Aktiengesellschaft, 2. Aufl. 2014; Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, 2. Aufl. 2015; Manz/Mayer/Schröder, Europäische Aktiengesellschaft, 3. Aufl. 2018. – Einen Überblick über die deutsche Rspr. zur SE geben Bungert/Gotsche, ZIP 2013, 649. – Zur SE als Rechtsform für große Familienunternehmen s. Reichert, ZIP 2014, 1957.

Thomas Wachter

1

Einführung Satz 2, 248a, 328 Abs. 3, 404 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1).3) Börsennotiert i. S. des AktG sind Gesellschaften, deren Aktien zu einem Markt zugelassen sind, der von staatlich anerkannten Stellen geregelt und überwacht wird, regelmäßig stattfindet und für das Publikum zugänglich ist (§ 3 Abs. 2). Damit ist vor allem der regulierte Markt des Börsengesetzes (§§ 32 ff. BörsG), nicht aber auch der Freiverkehr (§ 48 BörsG) gemeint. Jüngsten Schätzungen zufolge dürften von den ca. 18.000 deutschen AG rund 1.000 börsennotiert sein.4) Im Kapitalmarktrecht wird der Begriff der Börsennotierung teilweise abweichend definiert (siehe etwa § 2 WpHG, § 2 WpÜG). Das Handelsrecht kennt darüber hinaus den Begriff der kapitalmarktorientierten Kapitalgesellschaft (siehe §§ 264d, 267 Abs. 3 Satz 2 HGB). 5 Von erheblicher Bedeutung ist in der Praxis die Frage, ob eine AG den Regelungen der Arbeitnehmermitbestimmung unterliegt (geregelt vor allem im Drittelbeteiligungsgesetz, im Mitbestimmungsgesetz und im Montan-Mitbestimmungsgesetz).5) Tatsächlich unterliegen derzeit wohl rund 700 Unternehmen der paritäischen Mitbestimmung nach dem Mitbestimmungsgesetz (regelmäßig mehr als 2.000 Arbeitnehmer) und rund 2.500 Unternehmen der Mitbestimmung nach dem Drittelbeteiligungsgesetz (regelmäßig mehr als 500 Arbeitnehmer).6) Für Familiengesellschaften bestehen dabei gewisse Ausnahmen (siehe § 1 Abs. 1 Nr. 1 DrittelbG). 6 AG können u. a. nach der Anzahl ihrer Gründer unterschieden werden. Eine AG kann heute unstreitig von einer oder mehreren Personen gegründet werden. Besonderheiten für Einpersonengesellschaften bestehen nur noch in Bezug auf die (europarechtlich vorgeschriebene) Mitteilungspflicht gegenüber dem Handelsregister (§ 42). Dagegen bestehen bei der Kapitalaufbringung heute keine Unterschiede mehr zwischen Ein- und Mehrpersonengesellschaften (siehe § 36 Abs. 2 Satz 2 a. F.). Für Publikumsaktiengesellschaften gelten nur dann rechtliche Besonderheiten, wenn sie börsennotiert (§ 3 Abs. 2) sind. 7 AG können zu jedem gesetzlich zulässigen Zweck gegründet werden (siehe § 1 GmbHG). Die meisten AG verfolgen erwerbswirtschaftliche Zwecke (z. B. als Träger eines Unternehmens, als Holdinggesellschaft, als Komplementär einer KG oder KGaA). Zulässig sind daneben aber u. a. auch vermögensverwaltende, gemeinnützige (siehe §§ 51 ff. AO) oder Stiftungs-AG.

_____________ 3)

4) 5)

6)

2

Ausführlich dazu Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 3 Rz. 22 ff.; Heider in: MünchKomm-AktG, § 3 Rz. 37 ff. – Zum Rückzug von der Börse (Delisting) s. BGH, Beschl. v. 8.10.2013 – II ZB 26/12 (Frosta), ZIP 2013, 2254, dazu EWiR 2014, 3 (Bungert/Wettich); BVerfG, Beschl. v. 5.11.2015 – 1 BvR 1667/15, ZIP 2015, 2371 = AG 2016, 85 = DB 2015, 2927, dazu EWiR 2016, 37 (Goslar/Klingen) (Unzulässigkeit eines Spruchverfahrens nach Frosta-Entscheidung). Ausführlich zum Ganzen (und zur gesetzlichen Neuregelung in § 39 BörsG, eingeführt durch das Gesetz zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie v. 20.11.2015, BGBl. I 2015, 2029) u. a. Bayer, ZIP 2015, 853; Bayer, NZG 2015, 1169; Buckel/Glindemann/Vogel, AG 2015, 373; Bungert/Leyendecker-Langner, DB 2015, 2251; Groß, AG 2015, 812; Harnos, ZHR 179 (2015) 750; Hasselbach/Pröhl, NZG 2015, 209; Koch/Harnos, NZG 2015, 729; Mense/Klie, DStR 2015, 2782; Müller/Schorn, AG 2015, 420; Pilsl/ Knoll, DB 2016, 181; Rosskopf, ZGR 2014, 487; Thomale/Walter, ZGR 2016, 679; Wackerbarth, WM 2016, 385; Wieneke/Schulz, AG 2016, 809. Zu den unzulänglichen und widersprüchlichen Zahlenangaben s. Bayer, AG Sonderheft 10/2015, S. 5 ff. Ausführlich dazu u. a. Gaul/Ludwig/Forst, Europäisches Mitbestimmungsrecht, 2015; Raiser/Veil/ Jacobs, MitbestG/DrittelBG, 6. Aufl. 2015; Ulmer/Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, 3. Aufl. 2013; Wlotzke/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, 5. Aufl. 2017, und (anlässlich des 40-jährigen Jubiläums des deutschen Mitbestimmungsgesetzes im Jahr 2016) u. a. Bayer, NJW 2016, 1930; Habersack/ Behme/Eidenmüller/Klöhn, Deutsche Mitbestimmung unter europäischem Reformzwang, ZHR Beiheft, 2016. Statistische Informationen dazu finden sich im Internet unter www.boeckler.de (Hans-BöcklerStiftung).

Thomas Wachter

Einführung Darüber hinaus können AG auch nach der Person der Aktionäre (z. B. Familienaktienge- 8 sellschaften,7) AG der öffentlichen Gebietskörperschaften), ihrem Unternehmensgegenstand (z. B. Immobilienaktiengesellschaften, Unternehmensbeteiligungsgesellschaften, Freiberuflergesellschaften) oder der Größe der Gesellschaft (siehe § 267 HGB) unterschieden werden. III.

Rechtsquellen

1.

Deutsches Recht

Maßgebende Rechtsquelle für alle deutschen AG sind zunächst die jeweils geltenden Be- 9 stimmungen des AktG. Im Einzelfall können ergänzend die Bestimmungen des Vereinsrechts als Grundregeln aller Körperschaften herangezogen werden (siehe etwa §§ 31, 33 Abs. 1 Satz 2, 35 BGB).8) Als Handelsgesellschaft (§ 3 Abs. 1 AktG, § 6 HGB) gelten für die AG zudem auch die Bestimmungen des Handelsgesetzbuches. AG unterliegen darüber hinaus den für ihre jeweilige Tätigkeit maßgebenden gesetzlichen 10 Bestimmungen des Gewerbe-, Berufs- und Aufsichtsrechts9) (neben den allgemeinen Regelungen der Gewerbeordnung etwa auch dem KAGB, KWG, VAG, REITG, UBGG, UrhWahrnhG, BRAO, StbG, WPO etc.).10) 2.

Europäisches Recht

Das Aktienrecht ist heute in weitem Umfang durch Europarecht geprägt.11) Bei der Aus- 11 legung des deutschen Aktienrechts sind daher stets die europäischen Grundfreiheiten sowie die entsprechenden Verordnungen und Richtlinien mit zu berücksichtigen. Im Bereich des Gesellschaftsrechts sind dies derzeit vor allem die folgenden Richtlinien12):13) –

Erste Richtlinie (Publizitätsrichtlinie): Richtlinie 68/151/EWG vom 9.3.1968, dann Richtlinie 2003/58/EG vom 15.7.2003 und Richtlinie 2009/101/EG vom 16.9.2009, später geändert durch die Richtlinie 2012/17/EU vom 13.6.2012, jetzt überführt in in die Richtlinie 2017/1132/EU vom 14.6.2017;



Zweite Richtlinie (Kapitalrichtlinie): Richtlinie 77/91/EWG vom 13.12.1976, siehe auch Richtlinie 2006/68/EG vom 6.9.2006 und Richtlinie 2009/109/EG vom 16.9.2009, dann neugefasst als Richtlinie 2012/30/EU vom 25.10.2012, jetzt überführt in in die Richtlinie 2017/1132/EU vom 14.6.2017;

_____________ 7) Zur Gestaltung einer Familien-AG s. Rothärmel, BB 2012, 716; Wälzholz, DStR 2004, 719 und DStR 2004, 819. 8) S. Heider in: MünchKomm-AktG, § 1 Rz. 15 ff. 9) Zu Banken und Versicherungen s. u. a. Apfelbacher/Metzner, AG 2013, 773; Hopt, ZIP 2013, 1793; Leyens/Schmidt, AG 2013, 533. 10) S. dazu Habersack in: MünchKomm-AktG, Einl. Rz. 174 ff. – AG besonderer Art. 11) Zu europäischen Einflüssen auf das deutsche Unternehmensrecht s. J. Schmidt, AG 2016, 713. – Ausführlich zum Ganzen u. a. Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2011; Habersack in: MünchKomm-AktG, Einl. Rz. 104 ff.; Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2011; Kalss/Klampfl, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2015; Lutter/Bayer/Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, 6. Aufl. 2018, sowie Kalss, EuZW 2015, 252; Kumpan/Pauschinger, EuZW 2018, 353 und EuZW 2017, 327, und die regelmäßigen Berichte u. a. von Bayer/Schmidt, BB 2017, 2114; BB 2016, 1923; BB 2015, 1731; BB 2014, 1219; und Verse/Wiersch, EuZW 2016, 330; EuZW 2014, 375. 12) Aktuelle Volltexte (in mehreren Sprachen) samt weiteren Informationen (z. B. zum Stand der Umsetzung in den einzelnen Mitgliedstaaten) finden sich im Internet unter www.ec.europa.eu (bei Binnenmarkt, Gesellschaftsrecht). 13) Im Jahr 2017 wurden sechs der bestehenden gesellschaftsrechtlichen Richtlinien (ohne inhaltliche Änderungen) in einer Richtlinie zusammengeführt. S. Richtlinie (EU) 2017/1132 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 14.6.2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts, ABl. (EU) Nr. L 169/46 ff. v. 30.6.2017 (eine Entsprechenstabelle mit den bisherigen und neuen Artikeln der einzelnen Richtlinien findet sich dort auf S. 121 ff.).

Thomas Wachter

3

Einführung –

Dritte Richtlinie (Fusionsrichtlinie): Richtlinie 78/855/EWG vom 9.10.1978, dann Richtlinie 2011/35/EU vom 5.4.2011, Richtlinie 2009/109/EG vom 16.9.2009 und Richtlinie 2007/63/EG vom 13.11.2007, jetzt überführt in in die Richtlinie 2017/1132/EU vom 14.6.2017;



Vierte Richtlinie (Jahresabschlussrichtlinie): Richtlinie 78/660/EWG vom 25.7.1978, zuletzt geändert durch die Richtlinie 2012/6/EU vom 14.3.2012, jetzt Richtlinie 2013/34/EU vom 12.6.2013;



Fünfte Richtlinie (Vorschlag für eine Strukturrichtlinie);



Sechste Richtlinie (Spaltungsrichtlinie): Richtlinie 82/891/EWG vom 17.12.1982, siehe auch Richtlinie 2009/109/EG vom 16.9.2009 und Richtlinie 2007/63/EG vom 13.11.2007, jetzt überführt in in die Richtlinie 2017/1132/EU vom 14.6.2017;



Siebte Richtlinie (Richtlinie über den konsolidierten Abschluss): Richtlinie 83/349/ EWG vom 13.6.1983, jetzt Richtlinie 2013/34/EU vom 12.6.2013;



Achte Richtlinie (Prüferbefähigungsrichtlinie): Richtlinie 84/253/EWG vom 10.4.1984;



Neunte Richtlinie (Entwurf einer Konzernrechtsrichtlinie);



Zehnte Richtlinie (Entwurf einer internationalen Fusionsrichtlinie);



Elfte Richtlinie (Zweigniederlassungsrichtlinie): Richtlinie 89/666/EWG vom 21.12.1989, jetzt überführt in in die Richtlinie 2017/1132/EU vom 14.6.2017;



Zwölfte Richtlinie (Einpersonen-Richtlinie): Richtlinie 89/667/EWG vom 21.12.1989, jetzt Richtlinie 2009/102/EG vom 16.9.2009;



Dreizehnte Richtlinie (Richtlinie über Übernahmeangebote): Richtlinie 2004/25/EG vom 21.4.2004;



Vierzehnte Richtlinie (Entwurf einer Sitzverlegungsrichtlinie);



Verschmelzungsrichtlinie: Richtlinie 2005/56/EG vom 26.10.2005, siehe auch Richtlinie 2009/109/EG vom 16.9.2009, jetzt überführt in in die Richtlinie 2017/1132/EU vom 14.6.2017;



Aktionärsrechterichtlinie: Richtlinie 2007/36/EG vom 11.7.2007 samt Änderung durch die Richtlinie 2017/828/EU vom 17.5.2017.14)

3.

Rechtsprechung

12 Eine bedeutsame Rechtsquelle für das Aktienrecht ist heute auch die höchstrichterliche Rechtsprechung. Dies gilt insbesondere für die Entscheidungen des Zweiten Zivilsenats des BGH.15) Darüber hinaus sind oftmals auch Entscheidungen des EuGH und des BVerfG von wegweisender Bedeutung. 4.

Deutscher Coporate Governance Kodex

13 Neben dem Gesetzesrecht kommt dem soft law im Aktienrecht ein erhebliche Bedeutung zu. Dies gilt vor allem für den Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK).16) _____________ 14) Richtlinie (EU) 2017/828 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 17.5.2017 zur Änderung der Richtlinie 2007/36 im Hinblick auf die Förderung der langfristigen Mitwirkung der Aktionäre, ABl. (EU) Nr. L 132/1 v. 20.5.2017. – S. dazu auch unten Rz. 22 ff. 15) S. dazu Henze/Born/Drescher, Aktienrecht, Höchstrichterliche Rechtsprechung, 6. Aufl. 2015. 16) S. dazu u. a. Fuhrmann/Linnerz/Pohlmann, Corporate Governance Kodex, 2015; Kremer/Bachmann/ Lutter/v. Werder, DCGK, 7. Aufl. 2018; Wilsing, DCGK, 2012. – Sowie im Internet u. a. unter www.corporate-governance-code.de (Deutscher Corporate Governance Kodex), www.bccg.tu-berlin.de (Berlin Center of Corporate Governance).

4

Thomas Wachter

Einführung Der Kodex richtet sich in erster Linie an börsennotierte Gesellschaften, allerdings wird seine Beachtung auch nicht börsennotierten Gesellschaften empfohlen. Im Jahr 2001 hat die Bundesregierung die Kommission Deutscher Corporate Governance 14 Kodex einberufen, um Vorschläge zur Verbesserung der Unternehmensführung und überwachung zu erarbeiten. Ein erster Kodex wurde dann im Jahr 2002 veröffentlicht. Seitdem wird der Kodex in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen überarbeitet und ergänzt. In seiner gegenwärtigen Fassung von Februar 201717) enthält der Kodex über 100 Empfehlungen zur Unternehmensführung. Aufgabe des Kodex ist es, die geltenden Regelungen zur Leitung und Überwachung von börsennotierten Unternehmen für (nationale und internationale) Investoren transparent zu machen. Dies gilt insbesondere auch für das in Deutschland geltende duale System von Vorstand und Aufsichtsrat, das Kollegialprinzip im Vorstand sowie die Regelungen über die Unternehmensmitbestimmung. Darüber hinaus hat der Kodex auch die Aufgabe, Standards guter und verantwortungsvoller Unternehmensführung zu setzen und fortzuentwickeln. Der Kodex ist für die Unternehmen rechtlich grundsätzlich nicht verbindlich. Allerdings 15 müssen die Vorstände und Aufsichtsräte börsennotierter deutscher Gesellschaften jährlich erklären, ob und inwieweit sie den Empfehlungen und Anregungen entsprechen (Prinzip des comply or explain, siehe § 161 AktG, § 289f HGB). Im Auftrag der Bundesregierung hat die Regierungskommission Deutscher Corporate 16 Governance Kodex im November 2010 erstmals einen Bericht über ihre bisherige Arbeit erstellt.18) Aus dem Bericht ergibt sich, dass die Empfehlungen und Anregungen des DCGK in der Praxis ganz überwiegend auf große Akzeptanz stoßen. Die Befolgungsquote ist in den letzten Jahren kontinierlich gestiegen und erreicht derzeit ein Niveau von rund 90 %.19) Gleichwohl ist in letzter Zeit zunehmend Kritik am DCGK geübt worden.20) Kritisiert 17 wird dabei u. a., dass der Kodex in den letzten Jahren zu häufig und vor allem ohne Beteiligung der betroffenen Unternehmen geändert worden ist. Zudem entfalte der Kodex über die Erklärungs- und Begründungspflicht faktisch eine gesetzesgleiche Bindungswirkung, so dass von einem Instrument der freiwilligen Selbstregulierung nicht mehr die Rede sein kann. Problematisch sei zudem, dass nach der Rechtsprechung des BGH Beschlüsse über die Entlastung des Vorstands und/oder des Aufsichtsrats anfechtbar sind, wenn die Entsprechenserklärungen unvollständig oder unrichtig waren. Schließlich wird immer wieder beanstandet, dass die Regierungskommission nicht demokratisch legitimiert ist und ihre Entscheidungsprozesse nicht nachvollziehbar sind. Die Bundesregierung will an dem Kodex jedoch festhalten. Eine Abschaffung ist derzeit nicht zu erwarten.

_____________ 17) Zu den aktuellen Änderungen s. Baur/Holle, NZG 2017, 170; Fuchs/Erkens, NJW-Spezial 2017, 207; Mense/Klie, BB 2017, 771; v. Werder/Bartz, DB 2017, 769; Wilsing/v. d. Linden, DStR 2017, 1046. – Zur Aufnahme der Leitbilds des ehrbaren Kaufmanns in die Präambel des Kodex s. Fleischer, DB 2017, 2015. 18) Bericht der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex an die Bundesregierung, 11/2010, Volltext unter www.corporate-governance-code.de. – Dazu Peltzer, NZG 2011, 281. 19) S. dazu die regelmäßigen Corporate Governance Berichte v. Werder/u. a., zuletzt DB 2015, 1357; DB 2013, 885; DB 2012, 869; DB 2011, 1285; sowie Eisenschmidt/Bilgenroth, DStR 2016, 551 (zu Unternehmen des HDAX und SDAX); Gros/Velte/Malek, DStR 2015, 774 (zur Finanzexpertise im Prüfungsausschuss). 20) S. etwa Hoffmann-Becking, ZIP 2011, 1173; Krieger, ZGR 2012, 202; Peltzer, NZG 2012, 368; Peltzer, NZG 2011, 281; Theisen, DB 2014, 2057.

Thomas Wachter

5

Einführung 5.

Kapitalmarktrecht

18 Börsennotierte Aktiengesellschaften müssen darüber hinaus die zahlreichen Sondervorschriften des Kapitalmarktrechts21) beachten. Das Kapitalmarktrecht hat sich in den letzten Jahren zu einem eigenständigen Rechtsgebiet von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung entwickelt. Maßgeblich sind dabei vor allem die Bestimmungen des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG), des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes (WpÜG) sowie das Wertpapierprospektgesetz (WpPG). IV.

Geschichte und Zukunft des Aktienrechts

1.

Rückblick

19 Das heute geltende AktG beruht in weiten Teilen auf der grundlegenden Neukonzeption des Aktienrechts im Jahr 1965.22) Das deutsche AktG konnte im Jahr 2015 seinen 50. Geburtstag feiern. Dies war nicht nur Anlass für zahlreiche Konferenzen und Symposien, sondern hat auch in mehreren Veröffentlichungen seinen gebührenden Niederschlag gefunden.23) 20 Seitdem ist keine umfassende Reform des Aktienrechts mehr erfolgt. Gleichwohl ist alles andere als ein Stillstand zu verzeichnen. Vielmehr wurde das AktG seitdem in über 70 Einzelgesetzen immer wieder punktuell geändert; weitere sind bereits in Vorbereitung. Allein seit Anfang 2000 sind von den heute gut 400 Paragraphen des deutschen Aktienrechts weit mehr als zwei Drittel geändert worden (manche davon sogar mehrfach).24) Wolfgang Zöllner hat daher bereits im Jahr 1994 zutreffend von einer Aktienrechtsreform in Permanenz gesprochen;25) daran hat sich bis heute nichts geändert. 21 Von den seit dem Jahr 2000 erfolgten Änderungen des AktG sind insbesondere folgende Reformgesetze hervorzuheben:26) –

Gesetz zur Namensaktie und zur Erleichterung der Stimmrechtsausübung (Namensaktiengesetz – NaStraG) vom 18.1.2001, BGBl. I 2001, 123;



Gesetz zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität (Transparenz- und Publizitätsgesetz) vom 19.7.2002, BGBl. I 2002, 2681;



Gesetz zur Neuordnung des gesellschaftsrechtlichen Spruchverfahrens (Spruchverfahrensneuordnungsgesetz) vom 12.6.2003, BGBl. I 2003, 838;

_____________ 21) Ausführlich dazu u. a. Bueck-Heeb, Kapitalmarktrecht, 9. Aufl. 2017; Derleder/Knops/Bamberger, Handbuch zum deutschen und europäischen Bank- und Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2017; Einsele, Bank- und Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2014; Groß, Kapitalmarktrecht, 6. Aufl. 2016; Langenbucher, Aktien- und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl. 2017; Lenenbach, Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2017. – Für aktuelle Entwicklungen des Kapitalmarktrechts s. die regelmäßigen Berichte von Weber, zuletzt NJW 2018, 995; NJW 2017, 991; NJW 2016, 992; NJW 2015, 2307; NJW 2014, 2327. – S. ferner die Informationen im Internet unter www.bafin.de (Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht). 22) Instruktiv zur Geschichte und Zukunft des Aktienrechts sind die Beiträge in dem Sammelband von Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, 2007. – Ein Überblick über die Geschichte des Aktienrechts findet sich u. a. bei Habersack in: MünchKomm-AktG, Einl. Rz. 12 ff.; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 1 Rz. 1 ff.; Bürgers/Körber-Körber, AktG, Einl. Rz. 1 ff.; K. Schmidt/ Lutter-K. Schmidt, AktG Einl. Rz. 3 ff. 23) Fleischer/Koch/Kropff, 50 Jahre Aktiengesetz, ZGR Sonderheft 2015; Schüppen/Tretter, WPg 2015, 643; Beiträge von Seibert, Assmann, Habersack, Uwe H. Schneider, Sven H. Schneider und Emmerich in dem Sonderheft 50 Jahre Aktiengesetz der Zeitschrift AG Heft 17/2015. 24) Kritisch zu den zahlreichen Änderungen des Aktienrechts (und deren mangelhafter Qualität) etwa Hoffmann-Becking/Breyer in: FS Goette, 2011, S. 161 ff. 25) Zöllner, AG 1994, 336. 26) Eine detaillierte Übersicht über alle Änderungen seit 1965 findet sich bei Habersack in: MünchKommAktG, Einl. Rz. 33 ff.

6

Thomas Wachter

Einführung –

Gesetz zur Einführung internationaler Rechnungslegungsstandards und zur Sicherung der Qualität der Abschlussprüfung (Bilanzrechtsreformgesetz – BilReG) vom 4.12.2004, BGBl. I 2004, 3166;



Gesetz zur Anpassung von Verjährungsvorschriften an das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 9.12.2004, BGBl. I 2004, 3214;



Gesetz zur Kontrolle von Unternehmensabschlüssen (Bilanzkontrollgesetz – BilKoG) vom 15.12.2004, BGBl. I 2004, 3408;



Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG) vom 22.9.2005, BGBl. I 2005, 2802;



Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister (EHUG) vom 10.11.2006, BGBl. I 2006, 2553;



Zweites Gesetz zur Änderung des Umwandlungsgesetzes vom 19.4.2007, BGBl. I 2007, 542;



Gesetz zur Begrenzung der mit Finanzinvestitionen verbundenen Risiken (Risikobegrenzungsgesetz) vom 12.8.2008, BGBl. I 2008, 1666;



Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) vom 23.10.2008, BGBl. I 2008, 2026;



Gesetz zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG-Reformgesetz) vom 17.12.2008, BGBl. I 2008, 2586;



Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts (Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes – BilMoG) vom 25.5.2009, BGBl. I 2009, 1102;



Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) vom 30.7.2009, BGBl. I 2009, 2479;



Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) vom 31.7.2009, BGBl. I 2009, 2509;



Gesetz zur Restrukturierung und geordneten Abwicklung von Kreditinstituten, zur Errichtung eines Restrukturierungsfonds für Kreditinstitute und zur Verlängerung der Verjährungsfrist der aktienrechtlichen Organhaftung (Restrukturierungsgesetz) vom 9.12.2010, BGBl. I 2010, 1900;27)



Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2012/6/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.3.2012 zur Änderung der Richtlinie 78/660/EWG des Rates über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen hinsichtlich Kleinstbetrieben (Kleinstkapitalgesellschaften-Bilanzrechtsänderungsgesetz – MicoBilG) vom 20.12.2012, BGBl. I 2012, 2751;28)



Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/61/EU über die Verwalter alternativer Investmentfonds (AIFM-Umsetzungsgesetz – AIFM-UmsG) vom 4.7.2013, BGBl. I 2013, 1981;

_____________ 27) Zu der Verlängerung der Verjährungsfrist für Schadensersatzansprüche von börsennotierten AG gegen Vorstandsmitglieder von fünf auf zehn Jahre (§ 93 Abs. 6) s. u. a. Baums, ZHR 174 (2010) 593; Harbarth/Jaspers, NZG 2011, 368; Redeke, BB 2010, 910; Wahlers/Wolff, AG 2011, 605. 28) S. dazu Fey/Deubert/Lewe/Roland, BB 2013, 107; Kuntze-Kaufhold, GmbHR 2013, 57; Küting/ Eichenlaub, DStR 2012, 2615; Meyer, DStR 2013, 930; Müller/Kreipel, DB 2013, 73; Oser, DB 2012, 2647; Schellhorn, DB 2012, 2296; Schiffers, GmbH-StB 2013, 46; Theile, DB 2013, 469; Zwirner, BB 2012, 2231.

Thomas Wachter

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Einführung –

Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst vom 24.4.2015, BGBl. I 2015, 642;29)



Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates (Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetz – BilRUG) vom 17.7.2015, BGBl. I 2015, 1245;30)



Gesetz zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie vom 20.11.2015, BGBl. I 2015, 2029;31)



Gesetz zur Änderung des Aktiengesetzes (Aktienrechtsnovelle 2016) vom 22.12.2015, BGBl. I 2015, 2565;32)



Gesetz zur Umsetzung der prüfungsbezogenen Regelungen der Richtlinie 2014/56/EU sowie zur Ausführung der entsprechenden Vorgaben der Verordnung (EU) Nr. 537/ 2014 im Hinblick auf die Abschlussprüfung bei Unternehmen von öffentlichem Interesse (Abschlussprüfungsreformgesez – AReg) vom 10.5.2016, BGBl. I 2016, 114233);34)

_____________ 29) S. dazu umfassend Hohenstatt/Seibt, Geschlechter- und Frauenquoten in der Privatwirtschaft, ZIPPraxisbuch, 2015, sowie ferner u. a. Drygala, NZG 2015, 1129; Fromholzer/Simons, AG 2015, 457; Göpfert/Rottmeier, ZIP 2015, 670; Grobe, AG 2015, 289; Habersack/Kersten, BB 2014, 2819; Herb, DB 2015, 964; Hohenstatt/Willemsen/Naber, ZIP 2014, 2220; Jung, DStR 2014, 960; Junker/SchmidtPfitzner, NZG 2015, 929; Knoll/Lochner, DB 2014, 495; Limbach, NJW-Editorial, Heft 52/2014; Löwisch, BB 2015, 1909; Oetker, ZHR 179 (2015) 707; Redenius-Hövermann/Strenger, Der Konzern 2014, 373; Rotsch/Weninger, Der Konzern 2015, 298; Schulz/Ruf, BB 2015, 1155; Seibert, NZG 2016, 16; Seibt, ZIP 2015, 1193; Seidler, BB 2016, 939; Stüber, DStR 2015, 947; Stüber, BB 2015, 2243; Teichmann/ Rüb, BB 2015, 898; Teichmann/Rüb, BB 2015, 259; Thüsing/Fütterer, NZG 2015, 778; Wasmann/ Rothenburg, DB 2015, 291; Weller/Benz, AG 2015, 467; Weller/Harms/Rentsch/Thomale, ZGR 2015, 361; Winter/Marx/de Decker, DB 2015, 1331. 30) S. dazu etwa Müller/Stawinoga, BB 2014, 2411; Zwirner, DStR 2014, 1784; Zwirner, DStR 2014, 1843; Zwirner, DStR 2014, 1889; Zwirner/Busch, Der Konzern 2016, 113. 31) S. dazu etwa Brellochs, AG 2016, 157; Meyer, BB 2016, 771; Simons/Kallweit, BB 2016, 332; Söhner, ZIP 2015, 2451, und BT-Drucks. 18/5272, 18/5010, 18/6220, einschließlich auch der Neuregelung des Delisting in § 39 BörsG (s. dazu etwa BVerfG, Beschl. v. 5.11.2015 – 1 BvR 1667/15, ZIP 2015, 2371 = NZG 2016, 61, sowie Bungert/Leyendecker-Langner, ZIP 2016, 49; Kocher/Seiz, DB 2016, 153; Linnerz/ Freyling, BB 2017, 1354; Rubner/Pospiech, NJW-Spezial 2016, 207; Verse in: FS Baums, 2017, S. 1317 ff.; Wackerbarth, WM 2016, 385; Zimmer/v. Imhoff, NZG 2016, 1056; Zwirner/Kähler, BB 2016, 171. 32) Dazu umfassend Böttcher/Carl/Schmidt/Seibert, Die Aktienrechtsnovelle, 2016, sowie Bayer/Scholz, ZIP 2016, 193; Belcke/Mehrhoff, GmbHR 2016, 576; Florstedt, ZHR 180 (2016) 152; Götze, NZG 2016, 48; Harbarth/Freiherr v. Plettenberg, AG 2016, 145; Ihrig/Wandt, BB 2016, 6; Mock, AG 2016, 261; Mock, AG 2016, 261; Mohamed, ZIP 2016, 1100; Möhlenkamp/Harder, ZIP 2016, 1093; Nodoushani, WM 2016, 589; Paschos/Goslar, NJW 2016, 359; Petrikowski, DB 2015, 2998; Rubner/Leuering, NJWSpezial 2016, 15; Söhner, ZIP 2016, 151; Stöber, DStR 2016, 611; Wälzholz/Graf Wolffskeel von Reichenberg, MittBayNot 2016, 197; Wandt, NZG 2016, 367; Werhahn, GWR 2016, 133. – Zu der mehrjährigen Entstehungsgeschichte der Neuregelung Seibert in: FS Kübler, 2015, S. 665 ff. 33) S. dazu u. a. Bode, BB 2016, 1707; Buhleier/Niehues/Splinter, DB 2016, 1885; Hirte, NZG 2016, 819; Nodoushani, AG 2016, 381; Nonnenmacher/Wemmer/v. Werder, DB 2016, 2826; Quick, DB 2016, 1205; Schilha, ZIP 2016, 1316; M. Schmidt, DB 2016, 1945; Staake, NZG 2016, 853; Velte, DStR 2016, 1944; Zwirner/Busch/Boecker, Der Konzern 2016, 287, und BT-Drucks. 18/7219, 18/7454 und 18/7901, BR-Drucks. 635/1 = BT-Drucks. 18/7219, und Stellungnahme des Handelsrechtsausschusses des DAV, NZG 2015, 752. 34) Dagegen wurde das AktG nicht geändert durch das Abschlussprüferaufsichtsreformgesetz (APAReG) v. 31.3.2016, BGBl. I 2016, 518 (s. dazu u. a. Boecker/Zwirner, DStR 2016, 90; Farr/Niemann, DStR 2016, 1231; Hirte, NZG 2016, 819; Köhler/Gehring, BB 2015, 235; Lenz, DB 2016, 875; Naumann, DStR Beihefter 9/2016, S. 26; Schüppen, NZG 2016, 247; Schürnbrand, AG 2016, 70; Velte, DStR 2014, 1688, und BTDrucks. 18/6282 und 18/6907, und Stellungnahme des Handelsrechtsausschusses des DAV, NZG 2015, 862).

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Thomas Wachter

Einführung –



Gesetz zur Stärkung der nichtfinanziellen Berichterstattung der Unternehmen in ihren Lage- und Konzernlageberichten (CSR-Richtline-Umsetzungsgesetz) vom 11.4.2017, BGBl. I 2017, 802;35) Gesetz zur Umsetzung der Zweiten Zahlungsdiensterichtlinie vom 17.7.2017, BGBl. I 2017, 2446.

2.

Ausblick

a)

Aktionsärsrechterichtlinie

Weitere Änderungen des deutschen Aktienrechts sind bereits abzusehen. Der deutsche 22 Gesetzgeber muss u. a. die geänderte Aktionärsrechterichtlinie36) bis zum 10.6.2019 in nationales Recht umzusetzen. Derzeit ist noch nicht abzusehen, wie die Umsetzung in Deutschland im Einzelnen erfolgen wird.37) Die Kernpunkte der Richtlinie betreffen vor allem – –

– – b)

23

die Vergütung von Vorstand und Aufsichtsrat, u. a. obligatorisches Votum der Hauptversammlung und erhöhte Transparenz (Art. 9a und Art. 9b), besondere Zustimmungspflichten und Transparenzanforderungen für wesentliche Transaktionen mit nahestehenden Unternehmen und Personen (Related Party Transactions – RPT) (Art. 9c), Identifikation der Aktionäre und Informationspflichten der Depotbanken (Art. 3a und Art. 3b), und erhöhte Transparenzpflichten für institutionelle Anleger, Vermögensverwalter und Stimmrechtsberater (Art. 3c und Art. 3f bis 3j). Koalitionsvertrag

Im Koalitionsvertrag vom Februar 2018 sind mehrere Vorhaben angesprochen, die auch 24 Aktiengesellschaften betreffen.38) Dazu gehört vor allem die Beseitigung von (nicht näher genannten) Brüchen und Wer- 25 tungswidersprüchen im aktienrechtlichen Beschlussmängelrecht39) und eine Evaluation des (langwierigen und teuren) aktienrechtlichen Spruchverfahrens (Zeilen 6167 ff.).40) _____________ 35) S. dazu u. a. Blöink/Halbleib, Der Konzern 2017, 182; Boecker/Zwirner, BB 2017, 2155; Fleischer, AG 2017, 509; Hecker/Bröcker, AG 2017, 761; Hennrichs, NZG 2017, 841; Hommelhoff, NZG 2017, 1361; Klene, WM 2018, 308; Mock, DB 2017, 2144; Mock, ZIP 2017, 1195; Müller/Scheid, BB 2017, 1835; Spießhofer, NZG 2018, 441; Thomale/Hübner, JZ 2017, 385; Velte, AG 2018, 266; Velte, DB 2017, 2813, und im Internet unter www.csr-in-deutschland.de. 36) Richtlinie (EU) 2017/828 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 17.5.2017 zur Änderung der Richtlinie 2007/36 im Hinblick auf die Förderung der langfristigen Mitwirkung der Aktionäre, ABl. (EU) Nr. L 132/1 v. 20.5.2017. – S. dazu im deutschen Schriftum u. a. Bayer/Selentin, NZG 2015, 7; Bungert, Der Konzern 2015, 289; Fleischer, BB 2014, 2691; Freitag, AG 2014, 647; Jung, WM 2014, 2351; Uwe H. Schneider, EuZW 2014, 641; Seibt, DB 2014, 1910; Selzner, ZIP 2015, 753; Tröger, AG 2015, 53; J. Vetter, ZHR 179 (2015) 273; Wiersch, NZG 2014, 1131; Zetzsche, NZG 2014, 1121. 37) Ausführlich zum Ganzen u. a. Bayer/Schmidt, BB 2017, 2114; Bungert/Wansleben, DB 2017, 1190; Diekmann, WM 2018, 796; Eggers/de Raet, AG 2017, 464; Gaul, AG 2017, 178; Georgiev/Kolev, GWR 2018, 107; Habersack, NZG 2018, 127; Johannsen-Roth/Horcher/Kießling, DB 2017, 17; Lanfermann/ Maul, BB 2017, 1218; Leuering, NZG 2017, 646; Noack, NZG 2017, 561; Spindler/Seidel, AG 2017, 169; Tarde, ZGR 2017, 360; Velte, DStR 2018, 208; Velte, NZG 2017, 368; Veil, NZG 2017, 521. 38) Zur dritten „GroKo“ und dem Gesellschaftsrecht s. Noack, GmbHR 2018, R 68. 39) Umfassend dazu Koch, NJW Beilage 2/2018, 50 (Kurzfassung des Gutachtens für den 72. DJT 2018), und zuvor Fleischer, Das Beschlussmängelrecht der Kapitalgesellschaft, 2016; zum Reformentwurf des Arbeitskreises Beschlussmängelrecht s. Seibert/Hartmann in: FS Stilz, 2014, S. 585 ff. 40) S. dazu Puszkajler/Sekera-Terplan, NZG 2015, 1055, und Handelsrechtsausschusses des DAV, Stellungnahme zur Evaluierung des Spruchverfahrens, NZG 2014, 1144.

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Einführung 26 Im Rahmen einer etwaigen Onlineregistrierung von Gesellschaften41) sollen effektive präventive Kontrollen und zuverlässige Identitätsprüfungen erfolgen, um die Richtigkeit der Eintragung und den Vertrauensschutz öffentlicher Register zu gewährleisten (Zeilen 6157 ff.). 27 Schließlich sollen die Regelungen über die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften harmonisiert werden (Zeilen 6151 ff.).42) 28 Darüber hinaus könnten auch die Ankündigungen in dem Koalitionsvertrag zu einer Neuregelung des Sanktionsrechts für Unternehmen für Aktiengesellschaften und deren Organe von Bedeutung sein (Zeilen 5895 ff.). Die Schaffung eines Unternehmensstrafrechts ist im Koalitionsvertrag allerdings nicht vorgesehen.43) c)

Reformvorschläge

29 In Praxis und Wissenschaft wird immer wieder über weitere Änderungen des Aktienrechts diskutiert.44) Konkrete Gesetzesvorhaben sind derzeit jedoch nicht absehbar. Themen der Reformdiskussion sind u. a. – Organhaftung,45) – Compliance,46) – Vergütung des Vorstands,47) – Arbeit des Aufsichtsrats.48)

_____________ 41) S. dazu allgemein (vor allem im Zusammenhang mit der GmbH) Bormann, ZGR 2017, 621; Kindler, DNotZ Sonderheft 2016, S. 75; Spindler, ZGR 2018, 17; Teichmann, GmbHR 2018, 1; Teichmann, ZGR 2017, 543. 42) S. dazu das Company Law Package der Europäischen Kommission zur grenzüberschreitenden Umwandlung von Kapitalgesellschaften, COM(2018) 241 final v. 25.4.2018, ausführlich dazu Knaier, GmbHR 2018, 607. 43) Zu der kontroversen Diskussion um eine Unternehmensstrafrecht s. u. a. Heuking/v. Coelln, BB 2014, 3016; Radtke, ZIP 2016, 1993; Wagner, ZGR 2016, 112; Witte/Wagner, BB 2014, 643; Wohlers, ZGR 2016, 364. 44) Zu Reformbedarf im Aktienrecht s. zuletzt Reichert, AG 2016, 67. – S. ferner die Beschlüsse der Abteilung des Wirtschaftsrecht des Deutschen Juristentages der letzten Jahre (abrufbar unter www.djt.de). 45) Umfassend dazu Binder, Grenzen der Vorstandshaftung, 2016; Lange, D&O-Versicherung und Managerhaftung, 2014; Pitkowitz, Praxishandbuch Vorstands- und Aufsichtsratshaftung, 2014, sowie u. a. Bachmann, WM 2015, 105; Bachmann, BB 2015, 771; Baur/Holle, AG 2017, 597; Bayer/Scholz, NZG 2014, 926; Fleischer, DB 2014, 1971; Fleischer, AG 2015, 133; Fleischer/Bauer, ZIP 2015, 1901; Fischbach/Lüneborg, NZG 2015, 1142; C. Goette/M. Goette, DStR 2016, 815; Haarmann/Weiß, BB 2014, 2115; Habersack, NZG 2015, 1297; Hasselbach, NZG 2016, 890; Hemeling, ZHR 178 (2014) 221; Hopt in: FS H. Roth, 2015, S. 225 ff.; Kersting, ZIP 2016, 1266; Koch, AG 2014, 513; Koch, NZG 2014, 934; Reichert, ZIP 2016, 1189; Reuter, BB 2016, 1283; Reuter, ZIP 2016, 597; Schnorbus/Ganzer, WM 2015, 1832 und 1877; Seibt, NZG 2016, 361; Tröger, ZHR 179 (2015) 453; Verse, ZGR 2017, 174. 46) Ausführlich dazu Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Compliance, 3. Aufl. 2016, sowie u. a. Bürgers, ZHR 179 (2015) 173; Fuhrmann, NZG 2016, 881; Harbarth, ZHR 179 (2015) 136; Harbarth/ Brechtel, ZIP 2016, 241; Hoffmann/Schieffer, NZG 2017, 401; Merkt, ZIP 2014, 1705; Merkt, DB 2014, 2271 und DB 2014, 2331; Paefgen, WM 2016, 433; Reichert/Ott, NZG 2014, 241; Schockenhoff, ZHR 180 (2016) 197; Seibt/Cziupka, AG 2015, 93; Withus, BB 2016, 1387. – Zur Bedeutung von Compliance für (kartellrechtliche) Verbandsgeldbußen s. BGH, Urt. v. 9.5.2017 – 1 StR 265/16, ZIP 2017, 2205, dazu EWiR 2017, 683 (Frisch). S. dazu Eufinger, ZIP 2018, 615; Eufinger, NZG 2018, 327. 47) S. dazu zuletzt Schröder, JZ 2016, 556. 48) Lesenswert zum Ganzen der Erfahrungsbericht von J. Semler, NZG 2013, 771 aus über vierzigjähriger Aufsichtsratstätigkeit. – Zu den Erfolgsfaktoren eines exzellenten Aufsichtsrats v. Werder, DB 2017, 977. – Zu aktuellen Entwicklungen des Rechts des Aufsichtsrats s. Knapp/Lepperdinger, DStR 2015, 1252 und DStR 2014, 1290; Werner, Der Konzern 2016, 157; Der Konzern 2015, 485 und Der Konzern 2014, 127. – Ausführlich zum Ganzen Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, 6. Aufl. 2014; Semler/v. Schenck, Der Aufsichtsrat, 2015.

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Thomas Wachter

Einführung V.

Europäische Entwicklungen

Auf europäischer Ebene stehen Fragen des Gesellschaftsrechts seit einiger Zeit wieder 30 verstärkt im Mittelpunkt des Interesses (siehe dazu bereits oben Rz. 11). Die Europäische Kommission hat im April 2018 ein umfangreiches Company Law 31 Package vorgelegt. Dies beinhaltet im Wesentlichen zwei Themen: die Nutzung digitaler Instrumente im Gesellschaftsrecht49) und die Möglichkeit grenzüberschreitender Umwandlungen von Kapitalgesellschaften.50) Derzeit ist noch nicht abzusehen, ob und wann diese Vorschläge in Kraft treten werden. Auf der rechtspolitischen Agenda findet sich zudem das Europäische Konzernrecht.51) 32 Eine umfassende Kodifizierung nach dem Vorbild des deutschen Aktienrechts ist dabei eher unwahrscheinlich. Vielmehr geht es um die Regelung spezifischer Einzelfragen, wie etwa Geschäfte mit nahestehenden Unternehmen und Personen und die Schaffung von mehr Konzerntransparenz. Für Aktiengesellschaften in einer wirtschaftlichen Krise ist zudem eine geplante Richtlinie 33 über präventive Restrukturierungsmaßnahmen von Bedeutung.52) Es bleibt abzuwarten, ob die Vorschläge für ein solches vorinsolvenzliches Inolvenzverfahren tatsächlich umgesetzt werden.

_____________ 49) COM(2018) 239 final v. 25.4.2018, ausführlich dazu Knaier, GmbHR 2018, 560. 50) COM(2018) 241 final v. 25.4.2018, ausführlich dazu Knaier, GmbHR 2018, 607. 51) Ausführlich dazu Fleischer, ZGR 2017, 1; Mülbert, ZHR 179 (2015) 645; J. Schmidt, Der Konzern 2017, 1; Schüßler, NZG 2017, 1046. 52) COM(2016) 723 final v. 22.11.2016. – S. dazu Hesse, JZ 2018, 179; H.-F. Müller, ZGR 2018, 56; Sax/Ponseck/Swierczok, BB 2017, 323; Walker/Mielke/Bombe, ZIP 2018, 815.

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Aktiengesetz (AktG) vom 6. September 1965, BGBl. I 1965, 1089 zuletzt geändert durch Artikel 9 des Gesetzes vom 17. Juli 2017, BGBl. I 2017, 2446 Erstes Buch Aktiengesellschaft Erster Teil Allgemeine Vorschriften §1 Wesen der Aktiengesellschaft Alexander Franz

(1) 1Die Aktiengesellschaft ist eine Gesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit. 2 Für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft haftet den Gläubigern nur das Gesellschaftsvermögen. (2) Die Aktiengesellschaft hat ein in Aktien zerlegtes Grundkapital. Literatur: Goette, Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH, in: VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2009, 2010, S. 1; Kölbl, Die Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs: gesicherte Erkenntnisse und Entwicklungen seit Trihotel, BB 2009, 1194; Leipold, Kommt das Unternehmensstrafrecht?, NJW-Spezial 2013, 696; Rubner, Liquidationsgesellschaft und Gesellschafterhaftung – zugleich Besprechung des BGH-Urteils vom 9.2.2009, II ZR 292/07, „Sanitary“, DStR 2009, 1538; Weller, Die Neuausrichtung der Existenzvernichtungshaftung durch den BGH und ihre Implikationen für die Praxis, ZIP 2007, 1681; Wessing, Gesetzentwurf zur Einführung eines Unternehmensstrafrechts, DB 2013, 1.

Übersicht I. Bedeutung der Norm ........................ 1 II. Typologische Einordnung der AG ..... 2 III. Eigene Rechtspersönlichkeit ........... 5 1. Beginn der Rechtspersönlichkeit ....... 6 2. Vorgründungsgesellschaft, Vorgesellschaft .......................................... 7 3. Fähigkeiten als juristische Person ..... 8 4. Ende der Rechtspersönlichkeit ........ 17 IV. Beschränkung der Haftung ............ 18 V. Durchgriffshaftung ......................... 21 I.

1. Vermögensvermischung ................... 2. Materielle Unterkapitalisierung ....... 3. Existenzvernichtender Eingriff ....... VI. Grundkapital ................................... 1. Begriff, Funktionen, Abgrenzung .... 2. Prinzip der Kapitalaufbringung ....... 3. Prinzip der Kapitalerhaltung ........... VII. Zerlegung in Aktien ..................... 1. Bedeutung der Aktie ........................ 2. Zerlegung ..........................................

22 23 24 27 27 28 29 30 30 31

Bedeutung der Norm

§ 1 nennt folgende Wesensmerkmale der AG: Gesellschaft, eigene Rechtspersönlichkeit, 1 (grundsätzliche) Beschränkung der Haftung auf das Gesellschaftsvermögen (§ 1 Abs. 1)

Alexander Franz

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§1

Wesen der Aktiengesellschaft

sowie Existenz eines in Aktien zerlegten Grundkapitals (§ 1 Abs. 2). Zum Wesen der AG zählt darüber hinaus das in § 3 Abs. 1 normierte Merkmal der Kaufmannseigenschaft (siehe § 3 Rz. 1, 3).1) II.

Typologische Einordnung der AG

2 Die in § 1 Abs. 1 Satz 1 als Gesellschaft bezeichnete AG hat insbesondere korporativen Charakter und ist als Körperschaft typologisch dem Verein i. S. der §§ 21 ff. BGB zuzuordnen.2) Diese Zuordnung folgt primär aus ihrer dem Verein ähnlichen Organisationsstruktur mit Satzung (§§ 2, 23), Vorstand (§§ 76 ff.), Aufsichtsrat (§§ 95 ff.), Hauptversammlung (§§ 118 ff.), festgelegten Kompetenzen der Organe sowie mitgliedschaftlichen Rechten und Pflichten der Aktionäre. Die vereinsrechtlichen Vorschriften der § 31 BGB (Haftungszuweisung von schädigenden Handlungen der Organe), § 33 Abs. 1 Satz 2 BGB (Zustimmung aller Gesellschafter zur Änderung des Gesellschaftszwecks; umstritten) und § 35 BGB (Unentziehbarkeit von Sonderrechten) sind mangels spezieller Regelungen im AktG ergänzend auf die AG anzuwenden.3) 3 Gleichzeitig ist die AG aber auch Gesellschaft, deren Gründung durch mehrere Personen einen notariell zu beurkundenden Gesellschaftsvertrag sowie die Erfüllung der Kriterien in § 705 BGB, §§ 2, 23 und 41 AktG, bzw. im Fall der Einmanngründung eine ebenfalls notariell zu beurkundende einseitige Gründungserklärung (anstelle des Gesellschaftsvertrages) sowie die Erfüllung der Kriterien in §§ 2 (verdrängt § 705 BGB), 23 und 41 AktG voraussetzt.4) Zu den Themen Unternehmensgegenstand und Gesellschaftszweck vgl. die Ausführungen unter § 3 Rz. 4. 4 Eine AG entsteht entweder durch Neugründung (Bar- und/oder Sachgründung), in der Praxis häufig im Wege der Umwandlung5) (insbesondere durch: Formwechsel, §§ 190 ff. UmwG; aber auch durch: Verschmelzung zur Neugründung, §§ 36 ff. UmwG; Spaltung zur Neugründung, §§ 135 ff. UmwG; Ausgliederung zur Neugründung, §§ 158 ff. UmwG).6) III.

Eigene Rechtspersönlichkeit

5 Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 hat die AG eigene Rechtspersönlichkeit und ist somit juristische Person.7) 1.

Beginn der Rechtspersönlichkeit

6 Die AG erwirbt die Rechtspersönlichkeit erst mit Eintragung in das Handelsregister, § 41 Abs. 1 Satz 1. Vor Eintragung besteht eine juristische Person nicht (siehe auch § 41).8) 2.

Vorgründungsgesellschaft, Vorgesellschaft

7 Bei einer Mehrpersonengründung existiert die Gesellschaft vor dem Zeitpunkt ihrer Gründung durch notarielle Satzung als sog. Vorgründungsgesellschaft in Form einer GbR bzw. OHG und ab diesem Zeitpunkt (statutarische Gründung) bis zur Registereintragung als _____________ 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8)

14

Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 1 Rz. 1. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 1 Rz. 2; K. Schmidt, GesR, § 26 I. 1., S. 755. Näher hierzu K. Schmidt/Lutter-Lutter, AktG, § 1 Rz. 3; Grigoleit-Grigoleit, AktG, § 1 Rz. 11. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 1 Rz. 3. Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 3 Rz. 1. Ausführlich K. Schmidt, GesR, § 27 I., S. 783 f. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 1 Rz. 4; K. Schmidt, GesR, § 26 I. 2., S. 755. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 41 Rz. 1.

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Wesen der Aktiengesellschaft

sog. Vor-AG in Form einer Gesellschaft eigener Art.9) Bei einer Einmanngründung soll es sich ab statutarischer Gründung bis zur Registereintragung entweder um eine am Vorbild der Vor-AG orientierten rechtsfähigen Wirkungseinheit oder um ein Sondervermögen des Alleingründers handeln.10) In beiden Fällen dieser sog. Vorgesellschaft (Mehrpersonen- und Einmanngründung) gehen mit Eintragung in das Handelsregister die seit statutarischer Gründung entstandenen Rechte und Pflichten im Wege der Gesamtrechtsnachfolge ipso iure auf die AG als juristische Person über (siehe auch § 41).11) Eine Gesamtrechtsnachfolge ipso iure von der Vorgründungsgesellschaft auf die Vorgesellschaft bzw. auf die juristische Person findet hingegen nicht statt, so dass die Übertragung etwaiger Vermögensgegenstände mit oder im Anschluss an die statutarische Gründung im Wege der vertraglich zu regelnden Einzelrechtsnachfolge (sog. Asset Deal12); siehe auch § 41) oder der ebenfalls vertraglich zu regelnden (partiellen) Gesamtrechtsnachfolge nach den Vorschriften des UmwG13) erfolgen muss. 3.

Fähigkeiten als juristische Person

Als juristische Person ist die AG selbst Trägerin von Rechten und Pflichten und kann 8 somit am Rechtsverkehr ähnlich einer natürlichen Person teilnehmen. Erst durch ihre Organe wird die AG handlungsfähig. –

Zivilrechtlich kann die AG Trägerin sämtlicher vermögensrechtlicher Rechte und 9 Pflichten, Eigentümerin, Vertragspartnerin, Gläubigerin und Schuldnerin sein, ist u. a. konto-, grundbuch-, beteiligungsfähig (d. h. sie kann Gesellschafterin anderer Gesellschaften sein) und auch besitzfähig, soweit der Vorstand die Voraussetzungen des § 854 BGB oder einer anderen Besitzform (z. B. § 868 BGB) erfüllt.14)



Die AG kann zwar weder Urheber noch Erfinder schöpferischer Ideen sein, sie kann 10 aber z. B. Patente anmelden und somit Inhaber derartiger Schutzrechte werden, sich das ausschließliche Nutzungsrecht an Urheberrechten einräumen lassen (§ 31 UrhG) und Diensterfindungen ihrer Arbeitnehmer in Anspruch nehmen (§§ 6 ff. ArbEG).15)



Ob der AG Persönlichkeitsrechte zustehen, ist umstritten, wird aber vom BGH und 11 von Teilen der Literatur befürwortet, wenn und soweit ihr sozialer Geltungsanspruch als Arbeitgeber oder als Wirtschaftsunternehmen betroffen ist.16)



Zivilprozessrechtlich ist die AG aktiv und passiv parteifähig i. S. von § 50 ZPO.17) 12 Umstritten ist, ob sie auch prozessfähig i. S. von § 51 ZPO ist.18)

_____________ 9) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 41 Rz. 2 ff.; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 41 Rz. 10 ff. 10) Zum Meinungsstand: Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 41 Rz. 17a ff.; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 41 Rz. 76 ff. 11) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 41 Rz. 16, 17g; K. Schmidt, GesR, § 11 IV. 4., S. 306 f., § 27 II. 3. d), S. 790. 12) Pentz in: MünchKomm-AktG, § 41 Rz. 17. 13) Die Vor-AG ist als Gesellschaft sui generis noch nicht umwandlungsfähig, kann zwar bereits den jeweiligen Umwandlungs-Vertrag (z. B. Verschmelzungsvertrag) abschließen, Zustimmungsbeschlüsse fassen lassen und die Anmeldung zum Handelsregister durchführen, muss allerdings vor Eintragung des umwandlungsrechtlichen Vorgangs in das Handelsregister durch ihre eigene Handelsregistereintragung entstanden sein; vgl. hierzu Henssler/Strohn-Heidinger, GesR, § 3 UmwG Rz. 13; Lutter-Lutter/Drygala, UmwG, § 3 Rz. 5. 14) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 1 Rz. 5 ff. 15) Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 1 Rz. 18. 16) BGH, Urt. v. 3.6.1986 – VI ZR 102/85, ZIP 1986, 1145, 1146 f.; Spindler/Stilz-Fock, AktG, § 1 Rz. 20 ff.; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 1 Rz. 16. 17) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 1 Rz. 7. 18) Die Prozessfähigkeit befürworten Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 1 Rz. 7; K. Schmidt/Lutter-Lutter, AktG, § 1 Rz. 8; Spindler/Stilz-Fock, AktG, § 1 Rz. 26; jeweils m. w. N. zum Meinungsstand; a. A. Baumbach/ Lauterbach/Albers/Hartmann-Hartmann, ZPO, § 52 Rz. 4.

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Wesen der Aktiengesellschaft

13 –

Steuerrechtlich ist die AG mit inländischem Register- und/oder Verwaltungssitz grundsätzlich körperschafts- sowie gewerbesteuerpflichtig und im Gegensatz zu Personengesellschaften steuerlich nicht transparent.19)

14 –

Öffentlich-rechtlich unterliegt die AG den gleichen bau-, umwelt- und gewerberechtlichen Vorschriften wie natürliche Personen; Grundrechte gelten gemäß Art. 19 Abs. 3 GG, wenn und soweit diese ihrem Wesen nach auf juristische Personen anwendbar sind.20)

15 –

Strafrechtlich kann die AG als juristische Person mangels Handlungs- und Schuldfähigkeit nicht selbst zur Verantwortung gezogen werden und wird auch nicht für strafrechtlich relevantes Handeln ihrer Organmitglieder verantwortlich gemacht.21) Ein straftatbestandliches oder ordnungswidriges Verhalten der Organe wirkt sich allerdings insofern auf die AG aus, als dass auch gegen diese eine Geldbuße festgesetzt werden kann, vgl. § 30 OWiG, § 401 AO.22)

16 –

Die Insolvenzfähigkeit der AG folgt aus §§ 11 Abs. 1 Satz 1, 19 Abs. 1 InsO.23)

4.

Ende der Rechtspersönlichkeit

17 Wann die Rechtspersönlichkeit der AG endet, ist umstritten. Nach Meinung des BGH24) endet diese ipso iure im Zeitpunkt der Vermögenslosigkeit, nach a. A.25) mit Löschung im Handelsregister. Die vermittelnde Auffassung26) kombiniert die beiden zuvor genannten Positionen und nimmt ein Ende der Rechtspersönlichkeit mit Eintritt der Vermögenslosigkeit und der Löschung als Doppeltatbestand an, da die Rechtspersönlichkeit auch nach Löschung erhalten bleiben muss, wenn und solange noch verteilungsfähiges Vermögen der AG vorhanden ist.27) Der am 1.1.1999 für die GmbH eingeführte § 66 Abs. 5 GmbHG spricht insgesamt auch auf Ebene der AG für die Theorie des Doppeltatbestandes.28) IV.

Beschränkung der Haftung

18 Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 haftet den Gläubigern für die Verbindlichkeiten der AG (grundsätzlich) nur das Gesellschaftsvermögen. Hiermit wird das für Kapitalgesellschaften charakteristische Trennungsprinzip beschrieben. Aus dem Trennungsprinzip folgt, dass nur die AG selbst Zuordnungssubjekt von Rechten und Pflichten ist, die Rechtssphären der AG und ihrer Organmitglieder folglich getrennt sind (Ausnahme: Durchgriffslehre, siehe hierzu Rz. 21 ff.).29) 19 Dieser Grundsatz gilt nicht zulasten der Gläubiger einer eingegliederten Gesellschaft i. S. von §§ 319 ff., da diesen gemäß § 322 neben der eingegliederten Gesellschaft selbst _____________ 19) Spindler/Stilz-Fock, AktG, § 1 Rz. 30; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 1 Rz. 24. 20) Spindler/Stilz-Fock, AktG, § 1 Rz. 27; K. Schmidt/Lutter-Lutter, AktG, § 1 Rz. 10; jeweils m. w. N. 21) Vgl. aber zur Gesetzesinitiative von NRW zu einem Unternehmensstrafrecht Wessing, DB 2013, 1; Leipold, NJW-Spezial 2013, 696. 22) Spindler/Stilz-Fock, AktG, § 1 Rz. 28 f.; K. Schmidt/Lutter-Lutter, AktG, § 1 Rz. 9; jeweils m. w. N. 23) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 1 Rz. 7. 24) BGH, Urt. v. 29.9.1981 – VI ZR 21/80, ZIP 1981, 1268 = NJW 1982, 238. 25) Heider in: MünchKomm-AktG, § 1 Rz. 28; Hachenburg-Ulmer, GmbHG, Anh. § 60 Rz. 37. 26) BayObLG, Beschl. v. 7.1.1998 – 3Z BR 491/97, ZIP 1998, 421 f.; OLG Stuttgart, Urt. v. 30.9.1998 – 20 U 21/98, AG 1999, 280, 281 = ZIP 1998, 1880; Spindler/Stilz-Fock, AktG, § 1 Rz. 32; K. Schmidt/ Lutter-Lutter, AktG, § 1 Rz. 5; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 1 Rz. 9. 27) K. Schmidt/Lutter-Lutter, AktG, § 1 Rz. 5 m. w. N.; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 1 Rz. 9; Grigoleit-Grigoleit, AktG, § 1 Rz. 16. 28) So auch Spindler/Stilz-Fock, AktG, § 1 Rz. 32. 29) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 1 Rz. 4, 15.

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Wesen der Aktiengesellschaft

auch die Hauptgesellschaft als Aktionärin haftet. Ebenso wenig gilt dieser Grundsatz in anderen Fällen von unmittelbar den Aktionär persönlich treffenden vertraglich oder gesetzlich begründeten Haftungstatbeständen, z. B. im Falle einer Bürgschaft, Garantie oder Patronatserklärung, der allgemeinen Schutzpflichthaftung gemäß § 311 Abs. 2 und 3 BGB sowie der deliktischen Haftung nach §§ 823 ff. BGB.30) Einen direkten Zugriff der Gläubiger auf die Aktionäre oder sonstige Organmitglieder 20 lassen darüber hinaus ausnahmsweise folgende Vorschriften zu: § 62 Abs. 2 Satz 1 (subsidiäre Haftung der Aktionäre), § 93 Abs. 5 Satz 1 (ggf. i. V. m. § 116) (subsidiäre Haftung von Vorstand bzw. Aufsichtsrat), § 117 Abs. 5 (subsidiäre Haftung des „Beeinflussenden“), § 309 Abs. 4 Satz 3 (subsidiäre Haftung des gesetzlichen Vertreters im Vertragskonzern), § 317 Abs. 4 (subsidiäre Haftung des herrschenden Unternehmens und seiner gesetzlichen Vertreter im faktischen Konzern).31) Es handelt sich hierbei nicht um Ausnahmen von dem in § 1 Abs. 1 Satz 2 verankerten Trennungsprinzip, sondern lediglich um Lockerungen in Form einer ausnahmsweise zugelassenen subsidiären Haftung, die immer nur dann eingreift, wenn und soweit die Gläubiger von der AG selbst keine Befriedigung erlangen können.32) V.

Durchgriffshaftung

Eine echte Ausnahme vom Trennungsprinzip stellt hingegen die sog. Durchgriffshaftung 21 dar, die im anglo-amerikanischen Rechtskreis unter dem Rechtsinstitut piercing the corporate veil diskutiert wird.33) Die Durchgriffslehre möchte Missbrauchsfällen mit der ausnahmsweise zulässigen direkten Haftung der Aktionäre gegenüber den Gläubigern der AG begegnen und wird primär im Bereich der GmbH diskutiert.34) Praktisch bedeutsam werden die folgenden Ausführungen allerdings regelmäßig erst bei Insolvenz der AG, da zuvor kein Anlass für die Gläubiger besteht, die schwierigere Inanspruchnahme der Aktionäre einer solchen der AG vorzuziehen.35) Im Laufe der Zeit haben sich im Wesentlichen folgende Fallgruppen herausgebildet:36) 1.

Vermögensvermischung

Ein Fall der Vermögensvermischung liegt vor, wenn infolge undurchsichtiger Buchführung 22 oder auf andere Weise das Trennungsprinzip missachtet wurde und so eine Abgrenzung von Privat- und Gesellschaftsvermögen verschleiert wird.37) Rechtsfolge ist eine akzessorische Haftung der Gesellschafter für Verbindlichkeiten der Gesellschaft gegenüber deren Gläubigern analog § 128 HGB.38) Der BGH stellt bei der GmbH hohe Anforderungen an die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Fallgruppe und fordert hierfür, dass die vom Gesetz normierte Kapitalerhaltung durch Verschleierungstaktiken der Gesellschafter _____________ 30) 31) 32) 33) 34) 35) 36) 37) 38)

Vgl. hierzu Grigoleit-Grigoleit, AktG, § 1 Rz. 87 ff.; Hölters-Solveen, AktG, § 1 Rz. 20. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 1 Rz. 9; K. Schmidt/Lutter-Lutter, AktG, § 1 Rz. 12. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 1 Rz. 9. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 1 Rz. 15; zum anglo-amerkinaischen piercing the corporate veil: Henssler/ Strohn-Servatius, GesR, IntGesR Rz. 110; Spahlinger/Wegen, IntGesR, Rz. 1342. Lutter/Hommelhoff-Lutter, GmbHG, § 13 Rz. 11 ff.; Bork/Schäfer-Weller/Discher, GmbHG, § 13 Rz. 34 ff. K. Schmidt/Lutter-Lutter, AktG, § 1 Rz. 14. Vgl. zur ausführlichen und vollständigen Darstellung der Fallgruppen Hölters-Solveen, AktG, § 1 Rz. 10 ff.; Grigoleit-Grigoleit, AktG, § 1 Rz. 93 ff. BGH, Urt. v. 14.11.2005 – II ZR 178/03, ZIP 2006, 467, 469 f.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 1 Rz. 20. BGH, Urt. v. 16.7.2007 – II ZR 3/04 (Trihotel), ZIP 2007, 1552, 1556, dazu EWiR 2007, 557 (Wilhelm); Bork/Schäfer-Weller/Discher, GmbHG, § 13 Rz. 36.

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Wesen der Aktiengesellschaft

unkontrollierbar wird.39) Auch bei der AG soll in derartigen Fällen ausnahmsweise ein Durchgriff zugelassen werden, wenn vorhandene gesetzliche Kapitalschutzregelungen (§§ 57, 62) nicht ausreichen und die wegen der Weisungsunabhängigkeit des Vorstands gemäß § 76 strengeren Anforderungen an die Verantwortlichkeit des jeweiligen Gesellschafters erfüllt sind.40) 2.

Materielle Unterkapitalisierung

23 Statten die Gesellschafter die Gesellschaft mit völlig unzureichenden Mitteln aus, so dass das Eigenkapital nicht ausreicht, um den nach Art und Umfang der angestrebten oder tatsächlichen Geschäftstätigkeit bestehenden und nicht durch Kredite Dritter zu deckenden Finanzbedarf zu befriedigen, so liegt ein Fall der materiellen Unterkapitalisierung vor, die nach Ansicht des BSG und Teilen der Literatur eine Durchgriffshaftung der Gesellschafter rechtfertigen soll.41) Der BGH und die Gegenauffassung in der Literatur tendieren dazu, diese Fallgruppe nicht über die Durchgriffshaftung, sondern allein über eine Innenhaftung der Gesellschafter gegenüber der Gesellschaft gemäß § 826 BGB zu lösen, die nur seitens der Geschäftsleitung bzw. des Insolvenzverwalters im Namen der Gesellschaft, nicht aber seitens der Gläubiger selbst geltend gemacht werden kann.42) Im Falle einer Innenhaftung nach § 826 BGB müssen die Gläubiger der Gesellschaft zunächst einen Titel gegen die (vermögenslose) Gesellschaft erstreiten, um anschließend auf Basis eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses die Forderung der Gesellschaft aus § 826 BGB direkt bei den Gesellschaftern einziehen zu können. 3.

Existenzvernichtender Eingriff

24 Die Fallgruppe des existenzvernichtenden Eingriffs ist die in der Praxis wichtigste. Nach jüngerer Rechtsprechung des BGH handelt es sich hierbei allerdings nicht (mehr) um einen Fall der Durchgriffshaftung, sondern ebenfalls um eine auf § 826 BGB gestützte Innenhaftung der Gesellschafter gegenüber der Gesellschaft.43) Der BGH versteht unter der sog. Existenzvernichtungshaftung die durch Schutzlücken im Haftungssystem der Kapitalerhaltungsvorschriften gerechtfertigte Missbrauchshaftung der Gesellschafter, die durch Eingriffe des jeweiligen Gesellschafters in das dem Gläubigerschutz zur Verfügung stehenden Gesellschaftsvermögen ausgelöst werden soll, sofern diese Eingriffe –

die Insolvenz der Gesellschaft bewirken oder vertiefen,



als sittenwidrig zu qualifizieren sind, und



bei der Gesellschaft zu einem vorsätzlich verursachten Schaden führen.44)

_____________ 39) BGH, Urt. v. 13.4.1994 – II ZR 16/93, ZIP 1994, 867 f.; BGH, Beschl. v. 7.1.2008 – II ZR 314/05, ZIP 2008, 308, 310. 40) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 1 Rz. 20 (anders noch in früherer Auflage); Dauner-Lieb in: KölnKommAktG, § 1 Rz. 53; Heider in: MünchKomm-AktG, § 1 Rz. 72; Hölters-Solveen, AktG, § 1 Rz. 12. 41) BSG, Urt. v. 7.12.1983 – 7 Rar 20/82, NJW 1984, 2117, 2118; BSG, Urt. v. 1.2.1996 – 2 RU 7/95, NJW-RR 1997, 94, 95; Lutter/Hommelhoff-Lutter, GmbHG, § 13 Rz. 20; Hachenburg-Ulmer, GmbHG, Anh. § 30 Rz. 55; K. Schmidt/Lutter-Lutter, AktG, § 1 Rz. 16. 42) BGH, Urt. v. 24.8.2008 – II ZR 264/06 (Gamma), ZIP 2008, 1232, 1234 ff.; Spindler/Stilz-Fock, AktG, § 1 Rz. 61; Hölters-Solveen, AktG, § 1 Rz. 16. 43) BGH, Urt. v. 16.7.2007 – II ZR 3/04 (Trihotel), ZIP 2007, 1552, 1557 ff.; hierzu Weller, ZIP 2007, 1681 ff.; BGH, Beschl. v. 7.1.2008 – II ZR 314/05, ZIP 2008, 308 ff., dazu EWiR 2008, 135 (Westermann); BGH, Urt. v. 9.2.2009 – II ZR 292/07 (Sanitary), ZIP 2009, 802 ff.; insgesamt zum Thema Kölbl, BB 2009, 1194 ff.; Rubner, DStR 2009, 1538 ff. 44) BGH, Urt. v. 16.7.2007 – II ZR 3/04 (Trihotel), ZIP 2007, 1552, 1555 ff.; ausführlich zu den einzelnen Tatbestandsmerkmalen Bork/Schäfer-Weller, GmbHG, § 13 Rz. 42 ff.

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Wesen der Aktiengesellschaft

Mit Urteil vom 16.7.2007 stellte der BGH die Existenzvernichtungshaftung in endgültiger 25 Abkehr von früheren Konzepten auf die deliktische Grundlage des § 826 BGB (Trihotel).45) Die Trihotel-Entscheidung wurde zuletzt durch Urteil vom 9.2.2009 (Sanitary) bestätigt.46) In der Sanitary-Entscheidung hat der BGH bei einer GmbH in Liquidation das Rechtsinstitut der Existenzvernichtungshaftung aufgrund Missachtung der Liquidationsvorschriften angewendet und auf die Voraussetzung der Insolvenzverursachung oder -vertiefung sogar gänzlich verzichtet.47) Aufgrund der Lösung über § 826 BGB sind die Gesellschafter ebenso wie bei der materiellen Unterkapitalisierung (siehe Rz. 23) auch im Fall des existenzvernichtenden Eingriffs auf den Umweg verwiesen, zunächst einen Titel gegen die AG zu erstreiten. Die Übertragung dieser für die GmbH entwickelten Grundsätze auf die AG ist umstritten 26 und bislang höchstrichterlich nicht entschieden. Eine ausschließliche Lösung dieser Fälle über die Grundsätze des sog. qualifizierten faktischen Konzern analog §§ 302, 303 lässt sich inzwischen kaum noch rechtfertigen.48) Der praktische Mehrwert einer Übertragung des existenzvernichtenden Eingriffs und der damit verbundenen Haftung gemäß § 826 BGB auf die AG wird in der aktienrechtlichen Literatur teilweise als gering eingestuft, da der ebenfalls als deliktische Innenhaftung ausgestaltete § 117 im Jahre 1937 eingeführt wurde, um die Notwendigkeit eines Rückgriffs auf § 826 BGB zu vermeiden.49) Dennoch sind die vom BGH zu diesem Rechtsinstitut für die GmbH angestellten Erwägungen vorbehaltlos auf die AG übertragbar.50) So wird das Rechtsinstitut des existenzvernichtenden Eingriffs in der gesamten aktienrechtlichen Kommentarliteratur teilweise recht ausführlich diskutiert51) und sollte bereits aus rechtssystematischen Gründen nicht auf die GmbH beschränkt, sondern als ein auf § 826 BGB gestützter allgemeiner Grundsatz im Kapitalgesellschaftsrecht verstanden werden.52) VI.

Grundkapital

1.

Begriff, Funktionen, Abgrenzung

Der Betrag des Grundkapitals ist in Euro auszuweisen, darf einen Betrag von mindestens 27 50.000 € nicht unterschreiten (§ 7), bildet einen notwendigen Satzungsbestandteil (§ 23 Abs. 3 Nr. 3) und ist auf der Passivseite der Bilanz als Teil des Eigenkapitals (Gezeichnetes Kapital) auszuweisen (§ 266 Abs. 3 A. I. HGB).53) Das Grundkapital dient primär dem Ausgleich für die in § 1 Abs. 1 Satz 2 normierte Beschränkung der Gesellschafterhaftung auf das Gesellschaftsvermögen; allerdings sollte diese Kompensationswirkung bei einem tatsächlichen Grundkapital von lediglich 50.000 € nicht überschätzt werden.54) Neben _____________ 45) BGH, Urt. v. 16.7.2007 – II ZR 3/04 (Trihotel), ZIP 2007, 1552, 1555 ff.; hierzu Weller, ZIP 2007, 1681 ff. 46) BGH, Urt. v. 9.2.2009 – II ZR 292/07 (Sanitary), ZIP 2009, 802 ff.; hierzu Kölbl, BB 2009, 1194 ff.; Rubner, DStR 2009, 1538 ff. 47) BGH, Urt. v. 9.2.2009 – II ZR 292/07 (Sanitary), ZIP 2009, 802, 806; hierzu Goette in: VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2009, S. 1, 24 f. 48) A. A. wohl Krieger in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 70 Rz. 142. 49) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 1 Rz. 30; Emmerich/Habersack-Habersack, Konzernrecht, Anh. § 317 Rz. 5a. 50) So zu Recht Kölbl, BB 2009, 1194, 1200. 51) S. nur bei Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 1 Rz. 22 ff.; K. Schmidt/Lutter-Lutter, AktG, § 1 Rz. 22; Spindler/Stilz-Fock, AktG, § 1 Rz. 62 ff.; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 1 Rz. 56 f.; HöltersSolveen, AktG, § 1 Rz. 18 f. 52) So auch Spindler/Stilz-Fock, AktG, § 1 Rz. 64; Hölters-Solveen, AktG, § 1 Rz. 19; Heider in: MünchKommAktG, § 1 Rz. 87. 53) K. Schmidt, GesR, § 26 IV. 1. a), S. 775 f. 54) Spindler/Stilz-Fock, AktG, § 1 Rz. 83.

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Wesen der Aktiengesellschaft

dem Gläubigerschutz hat das Grundkapital u. a. folgende Funktionen: Ordnungspolitische Seriositätsschwelle, Finanzierungsinstrument (Eigenkapital) und Warnfunktion (da bei hälftigem Verlust die Hauptversammlung einzuberufen ist, vgl. § 92).55) Vom Grundkapital streng zu trennen ist das Gesellschaftsvermögen als solches (Reinvermögen der AG nach Abzug der Verbindlichkeiten).56) Anders als das Grundkapital sind die verschiedenen Vermögensgruppen des Gesellschaftsvermögens, soweit diese ansatzfähig sind, als Aktivposten zu bilanzieren.57) 2.

Prinzip der Kapitalaufbringung

28 Nach dem Prinzip der Kapitalaufbringung muss ein der Grundkapitalziffer in der Satzung entsprechender Vermögenswert (Bar- und/oder Sachwert) tatsächlich durch die Aktionäre aufgebracht werden.58) Dieses Prinzip hat folgende Facetten: Verbot der Stufengründung (§§ 2, 29) sowie der Unterpariemmission (§ 9 Abs. 1), Satzungspublizität von Sondervorteilen und Gründungsaufwand, die für Sacheinlagen und –übernahmen strengeren Sonderregelungen (§§ 26, 27), die Gründungsprüfung (§§ 32 Abs. 2, 33 Abs. 2 Nr. 4, § 34), Vorschriften über die Einlagenleistung (§ 36 Abs. 2 i. V. m. §§ 54 Abs. 3, 36a), gerichtliche Prüfung des Gründungsvorgangs (insb. § 38 Abs. 2 Satz 2), die Regelungen der Gründerhaftung (§§ 46 ff.) und das Nachgründungserfordernis (§ 52).59) 3.

Prinzip der Kapitalerhaltung

29 Die Schutzfunktion zugunsten der Gläubiger einer AG kann das Grundkapital nur dann erfüllen, wenn das der statutarischen Grundkapitalziffer entsprechende Vermögen im Wert dauerhaft erhalten bleibt und nicht an die Aktionäre ausgeschüttet wird.60) Dieses Prinzip der Kapitalerhaltung hat folgende Facetten: Das Verbot jeglicher Leistungen an die Aktionäre außerhalb der Dividendenausschüttung (Verbot der Einlagenrückgewähr gemäß § 57 Abs. 1 und 2), das in §§ 71 bis 71e normierte grundsätzliche Verbot, eigene Aktien zu erwerben (sonst: Zahlung des Kaufpreises = verdeckte Einlagenrückgewähr), und das Verbot, vor Auflösung der AG eine Dividende auszuschütten, die höher als der Bilanzgewinn ist (§ 57 Abs. 3).61) Klarzustellen ist: Die dem Grundkapital zugewiesenen Barbzw. Sacheinlagen sind nur wertmäßig (= rechnerisch), nicht hingegen gegenständlich zu erhalten (Grundkapital als Finanzierungsinstrument).62) VII. Zerlegung in Aktien 1.

Bedeutung der Aktie

30 Der Begriff Aktie beschreibt die Gesamtheit der mitgliedschaftlichen Rechte und Pflichten eines Aktionärs, das Objekt des Rechtsverkehrs (ggf. das sie verbriefende Wertpapier) und die Beteiligungsquote des einzelnen Aktionärs.63) In § 1 Abs. 2 beschreibt der Begriff die Beteiligungsquote.64) Die Höhe des Grundkapitals entspricht bei Nennbetragsaktien _____________ 55) 56) 57) 58) 59) 60) 61) 62) 63) 64)

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K. Schmidt/Lutter-Lutter, AktG, § 1 Rz. 24. Spindler/Stilz-Fock, AktG, § 1 Rz. 85. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 1 Rz. 10. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 1 Rz. 11. K. Schmidt/Lutter-Lutter, AktG, § 1 Rz. 27. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 1 Rz. 12. K. Schmidt/Lutter-Lutter, AktG, § 1 Rz. 28. K. Schmidt, GesR, § 29 II. 2. b), S. 891 f. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 1 Rz. 13. K. Schmidt/Lutter-Lutter, AktG, § 1 Rz. 29.

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§2

Gründerzahl

(§ 8 Abs. 1, 2) der Summe der Nennbeträge und bei Stückaktien (§ 8 Abs. 1, 3) der Summe der Ausgabebeträge aller Aktien; bei Nennbetragsaktien ist der Nennbetrag zu nennen, bei Stückaktien lediglich die Anzahl aller Aktien (Beispiel für Nennbetragsaktie: Eine Aktie über 50 €; Beispiel für Stückaktie: Eine von fünf Aktien).65) Die Beteiligungsquote ist bei Nennbetragsaktien gleich dem Quotienten aus der Summe der Nennbeträge aller Aktien eines Aktionärs und der Grundkapitalziffer (die einzelnen Nennbetragsaktien können je nach Höhe des Nennbetrags unterschiedliche Anteile am Grundkapital ausmachen) und bei Stückaktien gleich dem Quotienten aus der gesamten Anzahl der Aktien eines Aktionärs und der gesamten Anzahl aller ausgegebenen Aktien (jede Aktie macht einen gleichwertigen Anteil am Grundkapital aus).66) 2.

Zerlegung

§ 1 Abs. 2 fordert die Aufteilung (Zerlegung) des Grundkapitals in grundsätzlich mehr als 31 eine, d. h. mindestens zwei Aktien, deren Gesamtzahl in der Satzung anzugeben ist (§ 23 Abs. 3 Nr. 4). Die Auffassung, am Plural „Aktien“ auch für die Einpersonen-AG (siehe hierzu § 2 Rz. 4) festzuhalten, ist abzulehnen, so dass bei der Einpersonen-Gründung die „Zerlegung“ in eine Aktie ausreicht.67) _____________ 65) K. Schmidt/Lutter-Lutter, AktG, § 1 Rz. 30. 66) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 1 Rz. 13. 67) So auch Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 1 Rz. 13; K. Schmidt/Lutter-Lutter, AktG, § 1 Rz. 31; Spindler/StilzFock, AktG, § 1 Rz. 102; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 1 Rz. 29; a. A. wohl nur Heider in: MünchKomm-AktG, § 1 Rz. 99, der auch bei der Einpersonen-AG die Zerlegung in mindestens zwei Aktien fordert.

§2 Gründerzahl An der Feststellung des Gesellschaftsvertrags (der Satzung) müssen sich eine oder mehrere Personen beteiligen, welche die Aktien gegen Einlagen übernehmen. Literatur: Hüffer, Vorgesellschaft, Kapitalaufbringung und Drittbeziehungen bei der Einmanngründung, ZHR 142 (1978) 486; Wachter, Ausländer als GmbH-Gesellschafter und Geschäftsführer, ZIP 1999, 1577; Winkler, Die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts zu gesellschaftsrechtlichen Akten bei Beteiligung Minderjähriger, ZGR 1973, 177.

Übersicht I. Bedeutung der Norm ........................ 1 II. Feststellung der Satzung .................. 2 1. Grundlagen ......................................... 3 2. Beteiligung einer Person .................... 4 3. Beteiligung mehrerer Personen ......... 5 III. Gründungsfähige Personen ............. 6 1. Grundsatz ........................................... 6 2. Einzelfälle ........................................... 7 a) Natürliche Personen .................... 7 b) Juristische Personen ................... 10 I.

c) Personenhandelsgesellschaften, EWIV, PartG .............. d) GbR, eingetragener Verein ........ e) Erbengemeinschaft .................... f) Ehegatten .................................... IV. Übernahme der Aktien gegen Einlagen ........................................... 1. Einheitsgründung ............................. 2. Mitwirkung ohne Einlagepflicht .....

11 12 13 14 17 18 19

Bedeutung der Norm

§ 2 nennt als Anforderungen an die Gründung einer AG die Feststellung der Satzung und 1 die Übernahme der Aktien gegen Einlage(n) durch die beteiligte(n) Person(en). Alexander Franz

21

§2

Gründerzahl

(§ 8 Abs. 1, 2) der Summe der Nennbeträge und bei Stückaktien (§ 8 Abs. 1, 3) der Summe der Ausgabebeträge aller Aktien; bei Nennbetragsaktien ist der Nennbetrag zu nennen, bei Stückaktien lediglich die Anzahl aller Aktien (Beispiel für Nennbetragsaktie: Eine Aktie über 50 €; Beispiel für Stückaktie: Eine von fünf Aktien).65) Die Beteiligungsquote ist bei Nennbetragsaktien gleich dem Quotienten aus der Summe der Nennbeträge aller Aktien eines Aktionärs und der Grundkapitalziffer (die einzelnen Nennbetragsaktien können je nach Höhe des Nennbetrags unterschiedliche Anteile am Grundkapital ausmachen) und bei Stückaktien gleich dem Quotienten aus der gesamten Anzahl der Aktien eines Aktionärs und der gesamten Anzahl aller ausgegebenen Aktien (jede Aktie macht einen gleichwertigen Anteil am Grundkapital aus).66) 2.

Zerlegung

§ 1 Abs. 2 fordert die Aufteilung (Zerlegung) des Grundkapitals in grundsätzlich mehr als 31 eine, d. h. mindestens zwei Aktien, deren Gesamtzahl in der Satzung anzugeben ist (§ 23 Abs. 3 Nr. 4). Die Auffassung, am Plural „Aktien“ auch für die Einpersonen-AG (siehe hierzu § 2 Rz. 4) festzuhalten, ist abzulehnen, so dass bei der Einpersonen-Gründung die „Zerlegung“ in eine Aktie ausreicht.67) _____________ 65) K. Schmidt/Lutter-Lutter, AktG, § 1 Rz. 30. 66) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 1 Rz. 13. 67) So auch Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 1 Rz. 13; K. Schmidt/Lutter-Lutter, AktG, § 1 Rz. 31; Spindler/StilzFock, AktG, § 1 Rz. 102; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 1 Rz. 29; a. A. wohl nur Heider in: MünchKomm-AktG, § 1 Rz. 99, der auch bei der Einpersonen-AG die Zerlegung in mindestens zwei Aktien fordert.

§2 Gründerzahl An der Feststellung des Gesellschaftsvertrags (der Satzung) müssen sich eine oder mehrere Personen beteiligen, welche die Aktien gegen Einlagen übernehmen. Literatur: Hüffer, Vorgesellschaft, Kapitalaufbringung und Drittbeziehungen bei der Einmanngründung, ZHR 142 (1978) 486; Wachter, Ausländer als GmbH-Gesellschafter und Geschäftsführer, ZIP 1999, 1577; Winkler, Die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts zu gesellschaftsrechtlichen Akten bei Beteiligung Minderjähriger, ZGR 1973, 177.

Übersicht I. Bedeutung der Norm ........................ 1 II. Feststellung der Satzung .................. 2 1. Grundlagen ......................................... 3 2. Beteiligung einer Person .................... 4 3. Beteiligung mehrerer Personen ......... 5 III. Gründungsfähige Personen ............. 6 1. Grundsatz ........................................... 6 2. Einzelfälle ........................................... 7 a) Natürliche Personen .................... 7 b) Juristische Personen ................... 10 I.

c) Personenhandelsgesellschaften, EWIV, PartG .............. d) GbR, eingetragener Verein ........ e) Erbengemeinschaft .................... f) Ehegatten .................................... IV. Übernahme der Aktien gegen Einlagen ........................................... 1. Einheitsgründung ............................. 2. Mitwirkung ohne Einlagepflicht .....

11 12 13 14 17 18 19

Bedeutung der Norm

§ 2 nennt als Anforderungen an die Gründung einer AG die Feststellung der Satzung und 1 die Übernahme der Aktien gegen Einlage(n) durch die beteiligte(n) Person(en). Alexander Franz

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§2 II.

Gründerzahl Feststellung der Satzung

2 Bei Gleichstellung der Begriffe Gesellschaftsvertrag und Satzung handelt es sich um eine irreführende Legaldefinition. Die Satzung kann nicht nur von zwei oder mehreren Personen durch Vertrag, sondern ebenfalls von nur einer Person durch einseitiges Rechtsgeschäft festgestellt werden.1) Der bzw. die satzungsfeststellende(n) Aktionär(e) ist bzw. sind Gründer der AG (§ 28). 1.

Grundlagen

3 Die Satzung entsteht durch rechtsgeschäftliche Feststellung des oder der Gründer in Form notarieller Beurkundung (§ 23 Abs. 1). Mit Eintragung der AG in das Handelsregister löst sich die Satzung von ihrem rein schuldrechtlichen Charakter (Vertrag bzw. einseitiges Rechtsgeschäft) und erlangt einen Status mit schuld- und organisationsvertraglichen Elementen.2) Es ist klar zu trennen zwischen der Satzungserrichtung (Rechtsgeschäft) und der Satzung selbst als Verfassung des Verbandes (Rechtszustand).3) Da die Satzung ab dem Zeitpunkt der Registereintragung als Quelle objektiven Rechts nicht länger nur für die Gründungsmitglieder, sondern auch für sämtliche zukünftigen Aktionäre gilt und sich somit an einen unbestimmten Personenkreis richtet, sind zumindest ihre materiellen Bestandteile nicht länger nach §§ 133, 157 BGB, sondern vielmehr objektiv auszulegen.4) Bei dieser objektiven Auslegung werden nur Wortlaut, Zweck und systematische Stellung berücksichtigt, wozu nur allgemein zugängliche Unterlagen, also insbesondere die Handelsregisterakten, herangezogen werden dürfen.5) Der Wille der Gründer bleibt ebenso unberücksichtigt wie die Entstehungsgeschichte der Satzung, sofern sich entsprechende Anhaltspunkte nicht aus den öffentlich zugänglichen Registerakten erschließen.6) 2.

Beteiligung einer Person

4 Beteiligt sich zum Gründungszeitpunkt lediglich eine Person (sog. Einpersonen-AG), so kann die Satzung ausschließlich durch einseitiges Rechtsgeschäft festgestellt werden; als nicht empfangsbedürftige Willenserklärung wird die Erklärung des alleinigen Gründers mit Abgabe und notarieller Beurkundung wirksam und die Satzung festgestellt.7) 3.

Beteiligung mehrerer Personen

5 Beteiligen sich bereits zum Gründungszeitpunkt mehrere Mitglieder an der AG, so kann die Satzung ausschließlich durch notariell zu beurkundenden Vertrag, den Gesellschaftsvertrag, nicht auch durch einseitiges Rechtsgeschäft, festgestellt werden.8) Beteiligen sich zum Gründungszeitpunkt mehrere Mitglieder an der AG, obwohl zwischen den Beteiligten verabredet ist, eine Einpersonen-AG zu errichten, so kann die Satzung dennoch durch Gesellschaftsvertrag festgestellt werden. In einem solchen Fall der sog. Strohmanngründung wird die Satzung regelmäßig zunächst durch zwei Mitglieder festgestellt und im Anschluss an den Gründungsakt die Aktie(n) des einen auf das andere Gründungsmitglied _____________ 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8)

22

Spindler/Stiltz-Drescher, AktG, § 2 Rz. 4. K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 23 Rz. 3 m. w. N. K. Schmidt, GesR, § 5 I., S. 76. K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 23 Rz. 9 m. w. N. Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 6 Rz. 4. BGH, Urt. v. 11.10.1993 – II ZR 155/92, ZIP 1993, 1709, 1711 f.; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 6 Rz. 4. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 2 Rz. 4a. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 2 Rz. 3.

Alexander Franz

§2

Gründerzahl

übertragen.9) Die Strohmanngründung ist nach überwiegender Meinung rechtlich unbedenklich und stellt weder ein Scheingeschäft gemäß § 117 BGB noch einen Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot gemäß § 134 BGB dar.10) III.

Gründungsfähige Personen

1.

Grundsatz

„Person(en)“ i. S. von § 2 und somit gründungsfähig sind aufgrund ihrer (Teil-) Rechts- 6 fähigkeit natürliche und juristische Personen sowie Personenhandelsgesellschaften; bei GbR, Erben- und Gütergemeinschaft ist die Gründerfähigkeit aufgrund ihres Charakters als Gesamthandsgemeinschaft jeweils gesondert zu rechtfertigen.11) 2.

Einzelfälle

a)

Natürliche Personen

Jede natürliche Person kann unabhängig von ihrer Nationalität (Mit-)Gründerin einer 7 AG sein. Umstritten ist, ob ein Verstoß gegen Aufenthaltsbeschränkungen nach § 14 Abs. 1 und 2 8 AuslG zur Unwirksamkeit der Gründungserklärung führt. Nach Auffassung der überwiegenden Rechtsprechung zur GmbH12) sowie Teilen der Literatur13) führt nur eine im Einzelfall festzustellende Gesetzesumgehung (evidenter Rechtsformmissbrauch) zur Unwirksamkeit. Nach der vorzugswürdigen Gegenansicht14) berührt selbst eine solche Umgehung die Wirksamkeit der Gründungserklärung nicht, da ausländerrechtliche Beschränkungen nicht den Zweck haben, die Rechtsfähigkeit und somit die Gründerfähigkeit zu beschränken. Da sich ausländische Staatsangehörige selbst dann an der Gründung einer AG beteiligen können, wenn sie ihren Wohnsitz im Ausland haben, muss die Frage der Gründerfähigkeit von Ausländern mit Wohnsitz im Inland unabhängig von eventuellen Verstößen gegen Aufenthaltsbeschränkungen beantwortet werden.15) Für Geschäftsunfähige und beschränkt Geschäftsfähige (§ 104 bzw. § 106 BGB) handelt 9 bei Gründung deren gesetzlicher Vertreter (§§ 107 ff. BGB). Nach überwiegender Auffassung bedarf es gemäß §§ 1822 Nr. 3, 1643 Abs. 1 BGB nur dann zusätzlich der Genehmigung des Familiengerichts (§ 112 BGB), wenn die AG auf den Betrieb eines Erwerbsgeschäfts ausgerichtet ist.16) Eine abweichende Ansicht17) verlangt unabhängig vom Betrieb eines Erwerbsgeschäfts stets eine solche Genehmigung, ist aber mit Wortlaut und Sinn des § 1822 Nr. 3 BGB unvereinbar und daher abzulehnen.18) Im Hinblick auf die heute anerkannte persönliche Haftung der Gründungsgesellschafter einer Vor-AG (vgl. hierzu _____________ 9) K. Schmidt/Lutter-Lutter, AktG, § 2 Rz. 11. 10) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 2 Rz. 4; K. Schmidt/Lutter-Lutter, AktG, § 2 Rz. 11 m. w. N. Früher geäußerte Bedenken gegen die Strohmanngründung sind inzwischen überholt, vgl. Hüffer, ZHR 142 (1978) 486, 488 f. 11) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 2 Rz. 5. 12) OLG Stuttgart, Beschl. v. 20.1.1984 – 8 W 243/83, OLGZ 1984, 143, 145 f.; KG Berlin, Beschl. v. 24.9.1996 – 1 W 4534/95, BB 1997, 172 f. 13) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 2 Rz. 7 m. w. N. 14) Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 2 Rz. 7; K. Schmidt/Lutter-Lutter, AktG, § 2 Rz. 3; Heider in: MünchKomm-AktG, § 2 Rz. 12; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 2 Rz. 6; Wachter, ZIP 1999, 1577, 1582 ff. 15) So zu Recht Heider in: MünchKomm-AktG, § 2 Rz. 12; Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 2 Rz. 8. 16) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 2 Rz. 6; K. Schmidt/Lutter-Lutter, AktG, § 2 Rz. 3. 17) Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 2 Rz. 7; Heider in: MünchKomm-AktG, § 2 Rz. 11. 18) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 2 Rz. 6; Grigoleit-Vedder, AktG, § 2 Rz. 3.

Alexander Franz

23

§2

Gründerzahl

§ 41) ist die früher vertretene Ansicht,19) mangels persönlichen Haftungsrisikos des nicht voll Geschäftsfähigen bei Gründung einer AG sei eine Genehmigung nach § 1822 Nr. 3 BGB generell entbehrlich, ebenfalls abzulehnen.20) b)

Juristische Personen

10 Gründer einer AG können angesichts ihrer Rechtsfähigkeit alle inländischen juristischen Personen sein, namentlich AG, KGaA, Societas Europaea (SE), GmbH, Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt), im Falle ihrer Einführung auch die Societas Privata Europaea (SPE), Genossenschaften, rechtsfähige Vereine und Stiftungen des Privatrechts sowie juristische Personen des öffentlichen Rechts, d. h. rechtsfähige Körperschaften, Anstalten und Stiftungen.21) Auch Vor-AG und Vor-GmbH werden als gründungsfähig angesehen.22) Ausländische juristische Personen können Gründer sein, wenn sie nach dem für sie maßgeblichen ausländischen Recht einer inländischen juristischen Person gleichgestellt sind.23) Ausländische juristische Personen aus Drittstaaten mit Verwaltungssitz in Deutschland, die von der deutschen Rechtsordnung aufgrund der Sitztheorie nicht als solche anerkannt, sondern vielmehr als OHG bzw. GbR qualifiziert werden (z. B. eine Schweizer AG; siehe zur Sitztheorie § 5 Rz. 13 ff.)24) sind ebenso wie die Vorgründungsgesellschaft nach den im Folgenden dargestellten für OHG bzw. GbR geltenden Grundsätzen gründerfähig. c)

Personenhandelsgesellschaften, EWIV, PartG

11 OHG und KG (und somit auch AG & Co. KG, GmbH & Co. KG, UG & Co. KG, aber auch Limited & Co. KG etc.) können aufgrund ihrer selbständigen Rechtsträgerschaft Gründer einer AG sein. Selbiges gilt für die deutsche Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV) und die Partnerschaftsgesellschaft (PartG), die den Personenhandelsgesellschaften aufgrund des Verweises in § 1 EWIVAG bzw. der vielen Verweise des PartGG ins HGB (vgl. insb. § 6 Abs. 2 PartGG, der die entsprechende Anwendung von § 124 HGB normiert) nahestehen.25) d)

GbR, eingetragener Verein

12 Da der BGH im Jahre 200126) die (Teil-)Rechtsfähigkeit der GbR festgestellt hat und diese als Rechtsform folglich immer näher an die der Personenhandelsgesellschaften heranrückt, ist auch der GbR-Außengesellschaft die Fähigkeit zuzusprechen, eine AG gründen zu können. Zuordnungssubjekt der Aktien ist die GbR als nunmehr (teil-)rechtsfähige Gesamthandsgemeinschaft.27) Diese für die GbR geltenden Grundsätze sind ebenso auf den nicht eingetragenen Verein übertragbar (umstritten).28) _____________ 19) Winkler, ZGR 1973, 177, 182. 20) So zu Recht Grigoleit-Vedder, AktG, § 2 Rz. 3; Buck, Der Erwerb von Geschäftsanteilen durch Minderjährige, 2012, S. 42. 21) K. Schmidt/Lutter-Lutter, AktG, § 2 Rz. 4 f. 22) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 2 Rz. 10; K. Schmidt/Lutter-Lutter, AktG, § 2 Rz. 4; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 2 Rz. 9. 23) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 2 Rz. 8; K. Schmidt/Lutter-Lutter, AktG, § 2 Rz. 4. 24) BGH, Urt. v. 27.10.2008 – II ZR 158/06 (Trabrennbahn), ZIP 2008, 2411 ff., dazu EWiR 2009, 355 (Tepfer). 25) K. Schmidt/Lutter-Lutter, AktG, § 2 Rz. 5 m. w. N. 26) BGH, Urt. v. 27.9.1999 – II ZR 371/98, ZIP 1999, 1755 ff., dazu EWiR 1999, 1053 (Keil); BGH, Urt. v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, ZIP 2001, 330 ff. 27) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 2 Rz. 10; K. Schmidt/Lutter-Lutter, AktG, § 2 Rz. 6. 28) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 2 Rz. 10; K. Schmidt/Lutter-Lutter, AktG, § 2 Rz. 6; Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 2 Rz. 11; Grigoleit-Vedder, AktG, § 2 Rz. 6; a. A. im Hinblick auf den nicht rechtsfähigen Verein: Kraft in: KölnKomm-AktG, 2. Aufl., § 2 Rz. 30.

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Alexander Franz

§2

Gründerzahl e)

Erbengemeinschaft

Da die Gesamthandsgemeinschaften keinen einheitlichen Rechtsregeln folgen, sind die 13 aufgrund ihrer Sonderstellung für die GbR geltenden Grundsätze nicht verallgemeinerungsfähig.29) Dennoch wird nach überwiegender Auffassung30) auch der Erbengemeinschaft die Fähigkeit zuerkannt, Gründerin einer AG sein zu können. Eine differenzierende Ansicht31) lässt die Fortführung einer noch vom Erblasser begonnenen Gründung zu, lehnt die Möglichkeit einer originären Gründung durch die Erbengemeinschaft hingegen ab. Die Fortführung einer Gründung anzuerkennen, den eigenständigen Beginn hingegen abzulehnen, wird zu Recht als widersprüchlich bezeichnet.32) f)

Ehegatten

Ehegatten können Gründer einer AG sein, wenn sie jeweils einzeln als natürliche Person 14 auftreten, wobei im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft (§§ 1363 ff. BGB) jeder Ehegatte ggf. die Verfügungsbeschränkung des § 1365 BGB zu beachten hat.33) Die Zugewinngemeinschaft als solche ist hingegen nicht ausreichend verselbständigt, um 15 als eigenes Rechtssubjekt gründungsfähig sein zu können.34) Umstritten ist, ob Ehegatten als Gütergemeinschaft Gründer einer AG sein können.35) 16 Da eine unterschiedliche Behandlung der Erbengemeinschaft und der ehelichen Gütergemeinschaft im Ergebnis keinen Sinn macht, ist die Gründerfähigkeit nach hier vertretener Ansicht auch für die Gütergemeinschaft anzuerkennen.36) IV.

Übernahme der Aktien gegen Einlagen

Zusätzlich zur Feststellung der Satzung durch eine oder mehrere Person(en) verlangt die 17 ordnungsgemäße Gründung einer AG gemäß § 2 die Übernahme der Aktien gegen Einlagen. 1.

Einheitsgründung

Die Aktien werden von dem bzw. den Gründer(n) jeweils gegen Abgabe einer Erklärung 18 über die Begründung einer entsprechenden Einlagepflicht übernommen (Grundsatz der Einheitsgründung); zwecks Vermeidung von Stufengründungen verlangt dieser Grundsatz, dass Feststellung der Satzung und Abgabe der Erklärungen zur Übernahme der Einlagen einheitlich beurkundet werden (§ 23 Abs. 2).37) Eine einheitliche Beurkundung in diesem Sinne liegt auch dann vor, wenn mehrere Urkunden aufeinander verweisen _____________ 29) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 2 Rz. 11. 30) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 2 Rz. 11; K. Schmidt/Lutter-Lutter, AktG, § 2 Rz. 7; Spindler/StilzDrescher, AktG, § 2 Rz. 12; Heider in: MünchKomm-AktG, § 2 Rz. 19; Brändel in: GroßKommAktG, § 2 Rz. 29; Grigoleit-Vedder, AktG, § 2 Rz. 6. 31) Kraft in: KölnKomm-AktG, 2. Aufl., § 2 Rz. 27 ff.; zustimmend, aber im Einzelnen bzgl. der originären Gründung offengelassen in der 3. Aufl. von Dauner-Lieb, in: KölnKomm-AktG, § 2 Rz. 11. 32) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 2 Rz. 11; K. Schmidt/Lutter-Lutter, AktG, § 2 Rz. 7. 33) K. Schmidt/Lutter-Lutter, AktG, § 2 Rz. 8. 34) Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 2 Rz. 13; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 2 Rz. 12. 35) Für die Gründerfähigkeit: Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 2 Rz. 11; K. Schmidt/Lutter-Lutter, AktG, § 2 Rz. 8; Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 2 Rz. 13; a. A. mangels eigenständiger Organisationseinheit und mangels nach außen in Erscheinung tretendem Sondervermögen bei der Gütergemeinschaft: Heider in: MünchKomm-AktG, § 2 Rz. 21; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 2 Rz. 12. 36) Ebenso: Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 2 Rz. 11; K. Schmidt/Lutter-Lutter, AktG, § 2 Rz. 8. 37) K. Schmidt/Lutter-Lutter, AktG, § 2 Rz. 13.

Alexander Franz

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§3

Formkaufmann. Börsennotierung

und jede als Teil des Ganzen erkennbar ist (umstritten).38) Mit Feststellung der Satzung und Übernahme aller Aktien ist die AG errichtet und bis zum Zeitpunkt ihrer Eintragung in das Handelsregister zunächst als Vor-AG entstanden, vgl. § 29.39) 2.

Mitwirkung ohne Einlagepflicht

19 Solange zumindest ein einlagewilliger Gründer vorhanden ist, lässt der Wortlaut des § 2 bei Gründung einer AG auch die Mitwirkung von Teilnehmern zu, die selbst keine Einlagepflicht übernehmen.40) Die Beteiligung Dritter an der Satzungsfeststellung ist allerdings umstritten.41) Als unbedenklich wird hingegen die Begründung schuldrechtlicher Förderpflichten durch Abgabe der Errichtungserklärung außenstehender Dritter angesehen.42) _____________ 38) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 23 Rz. 9; K. Schmidt/Lutter-Lutter, AktG, § 2 Rz. 13 a. A. wohl K. Schmidt/ Lutter-Seibt, AktG, § 23 Rz. 15; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 23 Rz. 30; Grigoleit-Vedder, AktG, § 23 Rz. 8. 39) K. Schmidt/Lutter-Lutter, AktG, § 2 Rz. 13. 40) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 2 Rz. 13. 41) Für die Möglichkeit einer Beteiligung: K. Schmidt/Lutter-Lutter, AktG, § 2 Rz. 14; Brändel in: GroßKomm-AktG, § 2 Rz. 64; Kraft in: KölnKomm-AktG, 2. Aufl., § 2 Rz. 21; gegen diese Möglichkeit: Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 2 Rz. 13; Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 2 Rz. 6; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 2 Rz. 21; Heider in: MünchKomm-AktG, § 2 Rz. 32. 42) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 2 Rz. 13; Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 2 Rz. 6; Heider in: MünchKommAktG, § 2 Rz. 32.

§3 Formkaufmann. Börsennotierung (1) Die Aktiengesellschaft gilt als Handelsgesellschaft, auch wenn der Gegenstand des Unternehmens nicht im Betrieb eines Handelsgewerbes besteht. (2) Börsennotiert im Sinne dieses Gesetzes sind Gesellschaften, deren Aktien zu einem Markt zugelassen sind, der von staatlich anerkannten Stellen geregelt und überwacht wird, regelmäßig stattfindet und für das Publikum mittelbar oder unmittelbar zugänglich ist. Übersicht I. Bedeutung der Norm ....................... 1 II. Handelsgesellschaft .......................... 3 I.

III. Gegenstand des Unternehmens ....... 4 IV. Börsennotierung ................................ 7

Bedeutung der Norm

1 § 3 Abs. 1 ergänzt §§ 1 ff. HGB und ordnet im Wege der gesetzlichen Fiktion an, dass die AG ohne Rücksicht auf ihren Unternehmensgegenstand Handelsgesellschaft und als solche gemäß § 6 Abs. 1 HGB Kaufmann kraft Rechtsform (Formkaufmann) ist.1) 2 § 3 Abs. 2 enthält eine für den Bereich des Aktiengesetzes gültige Legaldefinition des Begriffs der börsenorientierten Gesellschaft.2) II.

Handelsgesellschaft

3 Angesichts ihrer Eigenschaft als Handelsgesellschaft gelten gemäß § 6 Abs. 1 HGB die auf Kaufleute anwendbaren Vorschriften des HGB auch für die AG. Im Umkehrschluss _____________ 1) 2)

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Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 3 Rz. 1. Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 3 Rz. 3.

Alexander Franz

§3

Formkaufmann. Börsennotierung

und jede als Teil des Ganzen erkennbar ist (umstritten).38) Mit Feststellung der Satzung und Übernahme aller Aktien ist die AG errichtet und bis zum Zeitpunkt ihrer Eintragung in das Handelsregister zunächst als Vor-AG entstanden, vgl. § 29.39) 2.

Mitwirkung ohne Einlagepflicht

19 Solange zumindest ein einlagewilliger Gründer vorhanden ist, lässt der Wortlaut des § 2 bei Gründung einer AG auch die Mitwirkung von Teilnehmern zu, die selbst keine Einlagepflicht übernehmen.40) Die Beteiligung Dritter an der Satzungsfeststellung ist allerdings umstritten.41) Als unbedenklich wird hingegen die Begründung schuldrechtlicher Förderpflichten durch Abgabe der Errichtungserklärung außenstehender Dritter angesehen.42) _____________ 38) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 23 Rz. 9; K. Schmidt/Lutter-Lutter, AktG, § 2 Rz. 13 a. A. wohl K. Schmidt/ Lutter-Seibt, AktG, § 23 Rz. 15; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 23 Rz. 30; Grigoleit-Vedder, AktG, § 23 Rz. 8. 39) K. Schmidt/Lutter-Lutter, AktG, § 2 Rz. 13. 40) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 2 Rz. 13. 41) Für die Möglichkeit einer Beteiligung: K. Schmidt/Lutter-Lutter, AktG, § 2 Rz. 14; Brändel in: GroßKomm-AktG, § 2 Rz. 64; Kraft in: KölnKomm-AktG, 2. Aufl., § 2 Rz. 21; gegen diese Möglichkeit: Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 2 Rz. 13; Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 2 Rz. 6; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 2 Rz. 21; Heider in: MünchKomm-AktG, § 2 Rz. 32. 42) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 2 Rz. 13; Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 2 Rz. 6; Heider in: MünchKommAktG, § 2 Rz. 32.

§3 Formkaufmann. Börsennotierung (1) Die Aktiengesellschaft gilt als Handelsgesellschaft, auch wenn der Gegenstand des Unternehmens nicht im Betrieb eines Handelsgewerbes besteht. (2) Börsennotiert im Sinne dieses Gesetzes sind Gesellschaften, deren Aktien zu einem Markt zugelassen sind, der von staatlich anerkannten Stellen geregelt und überwacht wird, regelmäßig stattfindet und für das Publikum mittelbar oder unmittelbar zugänglich ist. Übersicht I. Bedeutung der Norm ....................... 1 II. Handelsgesellschaft .......................... 3 I.

III. Gegenstand des Unternehmens ....... 4 IV. Börsennotierung ................................ 7

Bedeutung der Norm

1 § 3 Abs. 1 ergänzt §§ 1 ff. HGB und ordnet im Wege der gesetzlichen Fiktion an, dass die AG ohne Rücksicht auf ihren Unternehmensgegenstand Handelsgesellschaft und als solche gemäß § 6 Abs. 1 HGB Kaufmann kraft Rechtsform (Formkaufmann) ist.1) 2 § 3 Abs. 2 enthält eine für den Bereich des Aktiengesetzes gültige Legaldefinition des Begriffs der börsenorientierten Gesellschaft.2) II.

Handelsgesellschaft

3 Angesichts ihrer Eigenschaft als Handelsgesellschaft gelten gemäß § 6 Abs. 1 HGB die auf Kaufleute anwendbaren Vorschriften des HGB auch für die AG. Im Umkehrschluss _____________ 1) 2)

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Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 3 Rz. 1. Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 3 Rz. 3.

Alexander Franz

§3

Formkaufmann. Börsennotierung

wird aus § 3 Abs. 1 gefolgert, dass die AG weder ein Handelsgewerbe betreiben noch sonst wirtschaftliche Zwecke verfolgen muss, ihr vielmehr jede legale Tätigkeit offensteht, soweit das Gesetz diese im Einzelfall nicht an bestimmte persönliche Voraussetzungen knüpft.3) So steht die Rechtsform der AG auch den freiberuflich (und nicht gewerblich) tätigen Anwälten,4) Wirtschaftsprüfern5) und Steuerberatern6) zur Verfügung.7) Für das Gewerbe- und Steuerrecht ist die Qualifikation als Handelsgesellschaft unbedeutend und vielmehr entscheidend, ob tatsächlich ein Gewerbe betrieben wird oder nicht.8) Nach h. A. gilt § 3 Abs. 1 ausschließlich für die in das Handelsregister bereits eingetragene AG und ist mithin nicht auf die Vor-AG anwendbar, die sich folglich ausschließlich über § 1 HGB als Kaufmann qualifizieren kann.9) III.

Gegenstand des Unternehmens

Der in § 3 Abs. 1 erwähnte Unternehmensgegenstand ist ebenso wie im GmbH-Recht 4 auch im Aktienrecht vom Gesellschaftszweck abzugrenzen.10) Während der Gesellschaftszweck vorrangig das von den Aktionären festgelegte Ziel des Zusammenschlusses definiert und häufig nur aus dem Unternehmensgegenstand abgeleitet werden kann, ist der Unternehmensgegenstand statutarisch festzulegen und bezeichnet die Tätigkeit, mit der der Gesellschaftszweck zu verfolgen ist (Mittel-Zeck-Relation).11) Im Zweifelsfall liegt der Gesellschaftszweck in der Erwirtschaftung von Gewinnen, er kann aber auch rein sozialer, ideeller oder gemeinnütziger Natur sein.12) Soll die ursprünglich vereinbarte Gewinnerzielungsabsicht einer AG aufgegeben werden, so ist eine Änderung des Gesellschaftszwecks unter Zustimmung sämtlicher Aktionäre erforderlich (§ 33 Abs. 1 Satz 2 BGB),13) soll hingegen die Tätigkeit zur Gewinnerzielungsabsicht z. B. von „Immobilienan- und verkauf“ auf „Herstellung und Betrieb von Solaranlagen“ erweitert werden, so ist lediglich eine Anpassung des Unternehmensgegenstands in Form einer mit Dreiviertelmehrheit der Hauptversammlung umsetzbaren Satzungsänderung erforderlich (§ 179 Abs. 2).14) Da der Umfang des Unternehmensgegenstands die Geschäftsführungsbefugnis des Vor- 5 stands der AG begrenzt, ist es diesem untersagt, Geschäfte abzuschließen, die über diesen statutarisch festgelegten Umfang hinausgehen (Innenverhältnis).15) Anders als nach der im anglo-amerikanischen Rechtskreis vorherrschenden sog. ultra-vires-Lehre begrenzen _____________ 3) K. Schmidt/Lutter-Lutter, AktG, § 3 Rz. 1; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 3 Rz. 2, 12 f. 4) § 59c Abs. 1 BRAO regelt lediglich die Zulassung einer Rechtsanwalts-GmbH – die Zulässigkeit einer Rechtsanwalts-AG wurde jedoch auch ohne explizite gesetzlich Grundlage in der BRAO aus Art. 12 GG abgeleitet und in Rspr. und Literatur anerkannt, vgl. BGH, Beschl. v. 10.1.2005 – AnwZ (B) 27/03, 28/03, NJW 2005, 1568, 1569 f. = ZIP 2005, 944; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 3 Rz. 14; ausführlich hierzu Feuerich/Weyland-Brüggemann, BRAO,Vor § 59c Rz. 8 ff. 5) § 27 WPO. 6) § 49 Abs. 1 StBerG. 7) Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 3 Rz. 4. 8) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 3 Rz. 4 m. w. N. 9) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 3 Rz. 2; K. Schmidt/Lutter-Lutter, AktG, § 3 Rz. 1; Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 3 Rz. 2. 10) K. Schmidt/Lutter-Lutter, AktG, § 3 Rz. 3; Heider in: MünchKomm-AktG, § 3 Rz. 14. 11) Heider in: MünchKomm-AktG, § 3 Rz. 15. 12) K. Schmidt/Lutter-Lutter, AktG, § 3 Rz. 3; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 9 Rz. 10. 13) Umstritten, vgl. zum Meinungsstand der Anwendung des § 33 Abs. 1 Satz 2 BGB auf die Änderung des Gesellschaftszwecks: Heider in: MünchKomm-AktG, § 1 Rz. 20, § 3 Rz. 16. 14) Vgl. Heider in: MünchKomm-AktG, § 1 Rz. 20, § 3 Rz. 16; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 23 Rz. 85; grundlegend für das Verbandsrecht: K. Schmidt, GesR, § 4 II. 3., S. 65 f. 15) K. Schmidt/Lutter-Lutter, AktG, § 3 Rz. 3.

Alexander Franz

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§4

Firma

im deutschen Kapitalgesellschaftsrecht allerdings weder der Gesellschaftszweck noch der Unternehmensgegenstand die Vertretungsmacht des Vorstands (Außenverhältnis).16) 6 Der Unternehmensgegenstand kann frei gewählt werden, solange er dem Bestimmtheitserfordernis des § 23 Abs. 3 Nr. 2 entspricht, klar umschrieben ist und weder gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB) verstößt noch sittenwidrig (§ 138 BGB) ist.17) IV.

Börsennotierung

7 Die für das Aktiengesetz geltende Legaldefinition der börsennotierten Gesellschaft umfasst den amtlich regulierten Handel gemäß §§ 32 ff. BörsG, nicht hingegen den Freiverkehr gemäß § 48 BörsG.18) Die Zulassung zu einem ausländischen Markt (auch außerhalb EU und EWR), der von einer staatlich anerkannten Stelle geregelt und überwacht wird, genügt.19) Die Legaldefinition hat insbesondere Bedeutung für §§ 67 Abs. 6 Satz 2, 87 Abs. 1 Satz 2, 93 Abs. 6, 100 Abs. 2 Nr. 4, 110 Abs. 3, 120 Abs. 4 Satz 1, 121 Abs. 3 Satz 3, Abs. 4a und Abs. 7, 122 Abs. 2 Satz 3, 123 Abs. 3 Satz 3, 124 Abs. 1 Satz 2, 124a Satz 1, 125 Abs. 1 Satz 3, 126 Abs. 1 Satz 3, 130 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 2 und Abs. 6, 134 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 Satz 3 und 4, 135 Abs. 5 Satz 4, 149 Abs. 1, 161 Abs. 1 Satz 1, 171 Abs. 2 Satz 2, 175 Abs. 2 Satz 1, 176 Abs. 1 Satz 1, 248a Abs. 1, 328 Abs. 3, 404 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1. _____________ 16) 17) 18) 19)

Grigoleit-Grigoleit, AktG, § 1 Rz. 10; K. Schmidt, GesR, § 8 V. 2. a), S. 214. K. Schmidt/Lutter-Lutter, AktG, § 3 Rz. 4. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 3 Rz. 6; Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 3 Rz. 5. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 3 Rz. 6.

§4 Firma Die Firma der Aktiengesellschaft muß, auch wenn sie nach § 22 des Handelsgesetzbuchs oder nach anderen gesetzlichen Vorschriften fortgeführt wird, die Bezeichnung „Aktiengesellschaft“ oder eine allgemein verständliche Abkürzung dieser Bezeichnung enthalten. Literatur: Clausnitzer, Das Firmenrecht in der Rechtsprechung (2000 bis 2009), DNotZ 2010, 345; Lutter/Welp, Das neue Firmenrecht der Kapitalgesellschaften, ZIP 1999, 1073; Obergfell, Grenzenlos liberalisiertes Firmenrecht? Ein Statement zur Eintragungsfähigkeit des „@“, CR 2000, 855.

Übersicht I. Bedeutung der Norm ....................... II. Firmenfähigkeit ................................ III. Rechtsformzusatz ............................. IV. Firma der AG .................................... 1. Erstmalige Firmenbildung ................. a) Kennzeichnungseignung ............. b) Unterscheidbarkeit ...................... I.

1 2 3 4 5 6 7

c) Firmenwahrheit ............................ 8 d) Firmeneinheit ............................... 9 2. Fortführung der Firma ..................... 10 V. Firma der Zweigniederlassung ...... 13 VI. Rechtsfolgen bei Verstößen ........... 14 VII. Firmenschutz ................................. 16 VIII. Praxishinweis ................................ 17

Bedeutung der Norm

1 Entgegen der Überschrift behandelt § 4 nicht die Firma selbst, sondern lediglich den von der AG zu führenden Rechtsformzusatz.1) Die Firma und deren rechtliche Grundlagen _____________ 1)

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Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 4 Rz. 1.

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§4

Firma

im deutschen Kapitalgesellschaftsrecht allerdings weder der Gesellschaftszweck noch der Unternehmensgegenstand die Vertretungsmacht des Vorstands (Außenverhältnis).16) 6 Der Unternehmensgegenstand kann frei gewählt werden, solange er dem Bestimmtheitserfordernis des § 23 Abs. 3 Nr. 2 entspricht, klar umschrieben ist und weder gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB) verstößt noch sittenwidrig (§ 138 BGB) ist.17) IV.

Börsennotierung

7 Die für das Aktiengesetz geltende Legaldefinition der börsennotierten Gesellschaft umfasst den amtlich regulierten Handel gemäß §§ 32 ff. BörsG, nicht hingegen den Freiverkehr gemäß § 48 BörsG.18) Die Zulassung zu einem ausländischen Markt (auch außerhalb EU und EWR), der von einer staatlich anerkannten Stelle geregelt und überwacht wird, genügt.19) Die Legaldefinition hat insbesondere Bedeutung für §§ 67 Abs. 6 Satz 2, 87 Abs. 1 Satz 2, 93 Abs. 6, 100 Abs. 2 Nr. 4, 110 Abs. 3, 120 Abs. 4 Satz 1, 121 Abs. 3 Satz 3, Abs. 4a und Abs. 7, 122 Abs. 2 Satz 3, 123 Abs. 3 Satz 3, 124 Abs. 1 Satz 2, 124a Satz 1, 125 Abs. 1 Satz 3, 126 Abs. 1 Satz 3, 130 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 2 und Abs. 6, 134 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 Satz 3 und 4, 135 Abs. 5 Satz 4, 149 Abs. 1, 161 Abs. 1 Satz 1, 171 Abs. 2 Satz 2, 175 Abs. 2 Satz 1, 176 Abs. 1 Satz 1, 248a Abs. 1, 328 Abs. 3, 404 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1. _____________ 16) 17) 18) 19)

Grigoleit-Grigoleit, AktG, § 1 Rz. 10; K. Schmidt, GesR, § 8 V. 2. a), S. 214. K. Schmidt/Lutter-Lutter, AktG, § 3 Rz. 4. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 3 Rz. 6; Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 3 Rz. 5. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 3 Rz. 6.

§4 Firma Die Firma der Aktiengesellschaft muß, auch wenn sie nach § 22 des Handelsgesetzbuchs oder nach anderen gesetzlichen Vorschriften fortgeführt wird, die Bezeichnung „Aktiengesellschaft“ oder eine allgemein verständliche Abkürzung dieser Bezeichnung enthalten. Literatur: Clausnitzer, Das Firmenrecht in der Rechtsprechung (2000 bis 2009), DNotZ 2010, 345; Lutter/Welp, Das neue Firmenrecht der Kapitalgesellschaften, ZIP 1999, 1073; Obergfell, Grenzenlos liberalisiertes Firmenrecht? Ein Statement zur Eintragungsfähigkeit des „@“, CR 2000, 855.

Übersicht I. Bedeutung der Norm ....................... II. Firmenfähigkeit ................................ III. Rechtsformzusatz ............................. IV. Firma der AG .................................... 1. Erstmalige Firmenbildung ................. a) Kennzeichnungseignung ............. b) Unterscheidbarkeit ...................... I.

1 2 3 4 5 6 7

c) Firmenwahrheit ............................ 8 d) Firmeneinheit ............................... 9 2. Fortführung der Firma ..................... 10 V. Firma der Zweigniederlassung ...... 13 VI. Rechtsfolgen bei Verstößen ........... 14 VII. Firmenschutz ................................. 16 VIII. Praxishinweis ................................ 17

Bedeutung der Norm

1 Entgegen der Überschrift behandelt § 4 nicht die Firma selbst, sondern lediglich den von der AG zu führenden Rechtsformzusatz.1) Die Firma und deren rechtliche Grundlagen _____________ 1)

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Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 4 Rz. 1.

Alexander Franz

§4

Firma

regeln vielmehr die §§ 17 ff. HGB. Gemäß §§ 6 Abs. 1, 17 Abs. 1 HGB ist die Firma der Name der Handelsgesellschaft und somit gemäß § 3 Abs. 1 auch der Name der AG. Die Firma verkörpert zugleich Persönlichkeits- und Immaterialgüterrecht der AG und zählt als immaterielles Rechtsgut zur Insolvenzmasse.2) Die durch § 4 angeordnete Kennzeichnung als AG soll die Rechtsverhältnisse offenlegen und auf diese Weise der Information und dem Schutz des Rechtsverkehrs dienen.3) Die Offenlegung erfolgt insbesondere durch die in §§ 23 Abs. 3 Nr. 1, 80 Abs. 1 vorgeschriebene Angabe der Rechtsform in der Satzung sowie auf allen Geschäftsbriefen der AG. II.

Firmenfähigkeit

Grundsätzlich beginnt die Firmenfähigkeit als „Aktiengesellschaft“ mit Eintragung der 2 AG in das Handelsregister, vgl. § 41 Abs. 1 Satz 1.4) Wenn bereits vor Eintragung ein kaufmännisches Gewerbe betrieben wird, ist auch der Name der Vor-AG Firma (§ 1 Abs. 2 HGB); allerdings muss die firmenführende Vor-AG einen zusätzlichen Hinweis auf das Gründungsstadium aufnehmen (z. B. „in Gründung“, „i. G.“ oder „i. Gr.“).5) § 269 Abs. 6 ordnet auch für die Liquidationsphase die Aufnahme eines auf dieses Stadium hinweisenden Zusatzes (z. B. „in Liquidation“ oder „i. L.“) an. III.

Rechtsformzusatz

Die Firma muss die Bezeichnung „Aktiengesellschaft“ ausgeschrieben oder in einer allge- 3 mein verständlichen Abkürzung enthalten (sog. Rechtsformzusatz). Dieser Zusatz muss in deutscher Sprache abgefasst sein und kann an beliebiger Stelle in die Firma eingefügt werden, d. h. am Ende, am Anfang oder auch in der Mitte.6) Der Rechtsformzusatz kann mit den sonstigen Bestandteilen der Firma verbunden,7) in Versalien oder auch klein geschrieben sowie in Klammern gestellt werden (zumindest sofern die Art der Klammerstellung nicht zu einer Verwirrung führt).8) Als verkehrsüblich und allgemein verständliche Abkürzung i. S. der Norm gilt die Abkürzung „AG“.9) Da die Abkürzung den gesamten Begriff „Aktiengesellschaft“ spiegeln muss, kann diese nicht nur aus einem der beiden Begriffsbestandteile des Wortes „Aktiengesellschaft“ bestehen, so dass z. B. „Aktien-Brauerei“ ausscheidet.10) Da der Gesetzgeber die genaue Ausgestaltung offengelassen hat, können neben „AG“ auch andere Abkürzungen verwendet werden, z. B. „Aktienges.“, „Aktges.“, oder „Gesellschaft auf Aktien“.11) IV.

Firma der AG

Die AG ist als juristische Person Trägerin von Rechten und Pflichten, so dass im rechts- 4 geschäftlichen Verkehr klar erkennbar sein muss, wer diese durch ihre Organe berechtigte _____________ 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8)

Grigoleit-Vedder, AktG, § 4 Rz. 3. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 4 Rz. 1. K. Schmidt/Lutter-Langhein, AktG, § 4 Rz. 4. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 4 Rz. 4; Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 4 Rz. 2. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 4 Rz. 17; Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 4 Rz. 4. Heider in: MünchKomm-AktG, § 4 Rz. 18. K. Schmidt/Lutter-Langhein, AktG, § 4 Rz. 7; für die Zulässigkeit der Verwendung von Klammern auch Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 4 Rz. 17; die Zulässigkeit von Klammern anzweifelnd: Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 4 Rz. 9. 9) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 4 Rz. 17; K. Schmidt/Lutter-Langhein, AktG, § 4 Rz. 5. 10) K. Schmidt/Lutter-Langhein, AktG, § 4 Rz. 5. 11) K. Schmidt/Lutter-Langhein, AktG, § 4 Rz. 5; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 4 Rz. 8; Spindler/ Stilz-Drescher, AktG, § 4 Rz. 5 will zumindest „Aktienges.“ zulassen; Lutter/Welp, ZIP 1999, 1073 ff.; a. A. Heider in: MünchKomm-AktG, § 4 Rz. 19, und wohl auch Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 4 Rz. 17.

Alexander Franz

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§4

Firma

bzw. verpflichtete juristische Person ist.12) Die Firma ist ausschließlich der Name der AG, eine Gleichsetzung mit dem Unternehmen oder dem Betrieb ist umgangssprachlich und trifft rechtlich nicht zu.13) Die Bezeichnung des Unternehmens oder des Betriebs als allgemeine Geschäftsbezeichnung i. S. von § 5 Abs. 2 MarkenG muss mit der Firma der AG folglich nicht zwingend übereinstimmen.14) 1.

Erstmalige Firmenbildung

5 Seit der Deregulierung und Liberalisierung durch das Handelsrechtsreformgesetz vom 22.6.1998 ist die Gestaltungsfreiheit der Gesellschafter bei der Wahl einer Firma deutlich erweitert worden, so dass heute auch Fantasiebezeichnungen rechtlich unbedenklich sind.15) Eingeschränkt wird diese Gestaltungsfreiheit durch §§ 18, 30 HGB wie folgt: a)

Kennzeichnungseignung

6 Die Firma muss die AG als Inhaberin des Unternehmens individualisieren können und folglich eine entsprechende Namensfunktion mit Kennzeichnungseignung aufweisen (d. h. „wie ein Name wirken“).16) Im Einzelnen können Sachbezeichnungen, Personennamen, Fantasienamen, Werbeslogans, bloße (lateinische) Buchstabenfolgen17) (zumeist Abkürzungen wie z. B. MAN, SAP, BMW, RWE, VW), aber auch Zeichen (soweit mit ihnen eine bestimmte sprachliche Aussage verbunden ist) sowie Zahlen zur Kennzeichnung geeignet sein.18) Bloße Bildzeichen haben dagegen regelmäßig keine ausreichende Kennzeichnungseignung.19) Diskutiert und umstritten ist dies bei dem Bildzeichen „@“.20) b)

Unterscheidbarkeit

7 Im Lichte einer abstrakt generellen Betrachtungsweise muss sich die Firma der AG gemäß § 18 Abs. 1 HGB von anderen Firmen unterscheiden und auf diese Weise individualisierbar sein (Unterscheidungskraft).21) Während Fantasienamen angesichts ihrer besonderen Originalität meist unproblematisch sind, mangelt es bei allgemeinen Gattungs- oder Branchenbezeichnungen, die ohne ausreichende Individualisierung lediglich die Tätigkeit des Unternehmens beschreiben, häufig an dieser Unterscheidungskraft.22) Konkret betrachtet muss die Firma gemäß § 30 HGB auch von anderen, an demselben Ort bereits existierenden _____________ 12) 13) 14) 15) 16) 17) 18) 19) 20)

21) 22)

30

Heider in: MünchKomm-AktG, § 4 Rz. 20. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 4 Rz. 2. Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 4 Rz. 7; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 4 Rz. 2. Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 4 Rz. 10. K. Schmidt/Lutter-Langhein, AktG, § 4 Rz. 12. Artikulierbarkeit reicht aus, vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 8.12.2008 – II ZB 46/07 (HM & A GmbH & Co. KG), ZIP 2009, 168 = DNotZ 2009, 469 ff. Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 4 Rz. 11; vgl. hierzu ausführlich und mit vielen Beispielen aus der Rspr.: Clausnitzer, DNotZ 2010, 345 ff.; K. Schmidt/Lutter-Langhein, AktG, § 4 Rz. 13 ff. BGH, Urt. v. 6.7.1954 – I ZR 167/52, NJW 1954, 1681 ff.; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 4 Rz. 11; Baumbach/Hopt-Hopt, HGB, § 18 Rz. 4. Die Kennzeichnungseignung befürwortend: LG München, Beschl. v. 15.12.2008 – 17 HKT 920/09, MittBayNot 2009, 315; LG Berlin, Beschl. v. 13.1.2004 – 102 T 122/03, NZG 2004, 532 f.; LG Cottbus, Beschl. v. 2.8.2001 – 11 T 1/00, CR 2002, 134, 135; Clausnitzer, DNotZ 2010, 345, 358; K. Schmidt/ Lutter-Langhein, AktG, § 4 Rz. 19; Lutter/Hommelhoff-Bayer, GmbHG, § 4 Rz. 19 für die GmbH; a. A.: BayOLG, Beschl. v. 4.4.2001 – 3 Z BR 84/01, NZG 2001, 802 f.; OLG Braunschweig, Beschl. v. 27.11.2000 – 2 W 270/00, WRP 2001, 287, 288, dazu EWiR 2001, 275 (Mankowski); ausführlich hierzu: Obergfell, CR 2000, 855 ff. K. Schmidt/Lutter-Langhein, AktG, § 4 Rz. 20; Canaris, Handelsrecht, § 10 Rz. 38. OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 10.1.2005 – 20 W 106/04, AG 2005, 403, 404; Dauner-Lieb in: KölnKommAktG, § 4 Rz. 12 f.; Baumbach/Hopt-Hopt, HGB, § 18 Rz. 6 f.

Alexander Franz

§4

Firma

und in das Handelsregister eingetragenen Firmen unterscheidbar sein, d. h. auch für geschäftlich unerfahrene Personen darf keine Verwechslungsgefahr bestehen (Unterscheidbarkeit); hieran mangelt es, wenn Wortbild und -klang ähnlich sind und die Verschiedenartigkeit der Unternehmensträger auch nicht durch den Wortsinn sichergestellt ist.23) Regelmäßig reicht der Rechtsformzusatz allein als Unterscheidungskriterium nicht aus.24) c)

Firmenwahrheit

Das allgemeine Prinzip der Firmenwahrheit umfasst gemäß § 18 Abs. 2 HGB insbeson- 8 dere das Irreführungsverbot, welches sich auf die Firma insgesamt, d. h. nicht nur auf Firmenzusätze sondern auch und gerade auf den Firmenkern bezieht.25) Eine Irreführung liegt vor, wenn mit einer in der Firma enthaltenen Angabe eine unzutreffende Vorstellung über die geschäftlichen Verhältnisse gegenüber den angesprochenen Verkehrskreisen hervorgerufen werden kann (Eignung zur Irreführung genügt).26) Eine Irreführung in diesem Sinne kann sich insbesondere bei geografischen Firmenzusätzen, Personenfirmen, unklaren Haftungsverhältnissen bzw. einer Täuschung über den Unternehmensgegenstand ergeben.27) Bestimmte Bezeichnungen unterliegen einem spezialgesetzlichen Schutz und sind in ihrer Verwendung den die entsprechenden regulatorischen Anforderungen erfüllenden Rechtsträgern vorbehalten (z. B. Rechtsanwaltsgesellschaft, REIT, Architekt, Ingenieur, Steuerberatungsgesellschaft, Kapitalanlagegesellschaft, Investmentfonds, Bank, Bausparkasse, Versicherung etc.).28) Angesichts der Wesentlichkeits- und Ersichtlichkeitsschwelle ist eine Irreführung in diesem Sinne allerdings nur anzunehmen, wenn diese für die angesprochenen Verkehrskreise wesentlich und die Irreführungsgefahr durch das für die Eintragung zuständige Registergericht ohne intensivere Prüfung ersichtlich ist.29) Bei der Beurteilung der Wesentlichkeit ist objektiviert auf die Sicht eines durchschnittlichen Adressaten abzustellen.30) Ersichtlich irreführend sind insbesondere solche Firmenbestandteile, bei denen die Täuschungseignung nicht allzu fern liegt und ohne umfangreiche Beweisaufnahme angenommen werden kann.31) d)

Firmeneinheit

Darüber hinaus gilt für die AG der Grundsatz der Firmeneinheit, d. h. jede AG kann nur 9 eine Firma führen.32) Zur Firma eventueller Zweigniederlassungen, siehe Rz. 13. 2.

Fortführung der Firma

Der bereits in Art. 22 EGHGB verankerte Grundsatz der Firmenbeständigkeit soll bei 10 Übertragung oder Umwandlung eines Rechtsträgers den Erhalt des Firmenwerts sicherstellen.33) _____________ 23) Heider in: MünchKomm-AktG, § 4 Rz. 17; K. Schmidt/Lutter-Langhein, AktG, § 4 Rz. 36. 24) BGH, Beschl. v. 14.7.1966 – II ZB 4/66, NJW 1966, 1813, 1815 f.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 4 Rz. 8; K. Schmidt/Lutter-Langhein, AktG, § 4 Rz. 36; Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 4 Rz. 10. 25) Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 4 Rz. 14. 26) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 4 Rz. 13; K. Schmidt/Lutter-Langhein, AktG, § 4 Rz. 28. 27) Clausnitzer, DNotZ 2010, 345, 351 ff. 28) Clausnitzer, DNotZ 2010, 345, 359 f. 29) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 4 Rz. 13; Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 4 Rz. 11. 30) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 4 Rz. 13; K. Schmidt/Lutter-Langhein, AktG, § 4 Rz. 28. 31) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 4 Rz. 13; Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 4 Rz. 11. 32) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 4 Rz. 7 m. w. N. 33) BGH, Urt. v. 20.4.1972 – II ZR 17/70, NJW 1972, 1419, 1420; K. Schmidt/Lutter-Langhein, AktG, § 4 Rz. 38; Baumbach/Hopt-Hopt, HGB § 22 Rz. 1.

Alexander Franz

31

§4

Firma

11 Der im § 4 explizit genannte § 22 HGB regelt die Fortführung der bisherigen Firma bei Erwerb eines bestehenden Handelsgeschäfts. Da die AG nicht mehrere Handelsgeschäfte betreiben und für jedes einzelne eine eigene Firma bilden kann (Grundsatz der Firmeneinheit, siehe Rz. 9), muss sie als Erwerberin i. S. von § 22 HGB ihre bisherige Firma (alternativ diejenige des erworbenen Hadelsgeschäfts) aufgeben und die neue im Wege der Satzungsänderung und unter Ergänzung des nach § 4 erforderlichen Rechtsformzusatzes übernehmen (alternativ die bisherige beibehalten).34) Die Übernahme eines unter Lebenden erworbenen Handelsgeschäfts unter der bisherigen Firma löst gemäß § 25 HGB die Haftung für alle im Betrieb des früheren Inhabers begründeten Verbindlichkeiten aus. 12 Im Falle der Firmenfortführung bei Umwandlungsvorgängen enthält das UmwG spezielle Vorschriften.35) Gemäß § 18 UmwG kann der übernehmende Rechtsträger nach einer Verschmelzung durch Aufnahme die Firma eines der übertragenden Rechtsträger, dessen Handelsgeschäft er durch die Verschmelzung erwirbt, fortführen, wobei sich der erforderliche Rechtsformzusatz im Falle einer übernehmenden AG nach § 4 richtet. Selbiges gilt bei der Aufspaltung gemäß §§ 125 Satz 1, 18 UmwG sowie beim Formwechsel gemäß § 200 UmwG. Aufgrund des Fortbestehens des übertragenden Rechtsträgers ist eine Firmenfortführung bei Abspaltung und Ausgliederung nicht möglich, vgl. § 125 Satz 1 UmwG. V.

Firma der Zweigniederlassung

13 Für eventuelle Zweigniederlassungen kann die AG entweder ihre eigene Firma oder eine gesonderte Firma einsetzen.36) Übernimmt die Zweigniederlassung die Firma der AG, so ist ein besonderer Hinweis auf die Stellung als rechtlich unselbständiger Teil des Gesamtunternehmens nicht erforderlich.37) Bei Verwendung einer von der Firma der AG abweichenden Firma für die Zweigniederlassung muss der Zusammenhang zwischen Hauptund Zweigniederlassung deutlich zum Ausdruck kommen, bei Beibehaltung des Firmenkerns z. B. durch den Zusatz „Zweigniederlassung“.38) Umgekehrt kann aber auch ein abweichender Firmenkern gebildet und die Firma der Hauptgesellschaft als Zusatz eingefügt werden.39) Auch für die Zweigniederlassung ist die Führung des in § 4 angeordneten Rechtsformzusatzes notwendig.40) VI.

Rechtsfolgen bei Verstößen

14 Ist die gewählte Firma oder deren Rechtsformzusatz i. R. der dargestellten Grundsätze unzulässig oder fehlt der notwendige Rechtsformzusatz, so hat das Registergericht die Eintragung abzulehnen, vgl. § 38 Abs. 1 Satz 2. Wird die Gesellschaft gleichwohl eingetragen, ist sie trotz dieses Mangels wirksam als AG entstanden; das Registergericht kann in einem solchen Fall das Firmenmissbrauchsverfahren nach § 392 FamFG i. V. m. § 37 Abs. 1 HGB einleiten und die AG zur Unterlassung des Gebrauchs der unzulässigen Firma oder des unzulässigen bzw. fehlenden Rechtsformzusatzes auffordern.41) Führt dies nicht _____________ 34) BGH, Urt. v. 8.4.1991 – II ZR 259/90, NJW 1991, 2023, 2024; K. Schmidt/Lutter-Langhein, AktG, § 4 Rz. 39, Heider in: MünchKomm-AktG, § 4 Rz. 32. 35) Vgl. ausführlich zu diesem Thema: Lutter-Bork, UmwG, § 18 Rz. 1 ff.; Heider in: MünchKomm-AktG, § 4 Rz. 41 ff.; Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 4 Rz. 19. 36) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 4 Rz. 20. 37) Spindler/Stilz/Drescher, AktG, § 4 Rz. 21; Heider in: MünchKomm-AktG, § 4 Rz. 53. 38) RG, Beschl. v. 30.3.1926 – II B 8/26, RGZ 113, 213, 217; RG, Urt. v. 24.9.1926 – II 558/25, RGZ 114, 318, 320; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 4 Rz. 20; Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 4 Rz. 21. 39) Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 4 Rz. 21; Heider in: MünchKomm-AktG, § 4 Rz. 54; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 4 Rz. 22. 40) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 4 Rz. 20; K. Schmidt/Lutter-Langhein, AktG, § 4 Rz. 44. 41) Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 4 Rz. 6; K. Schmidt/Lutter-Langhein, AktG, § 4 Rz. 42.

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§5

Sitz

zum Erfolg, kann das Registergericht gemäß § 399 FamFG die AG zusätzlich zu einer Behebung des Mangels anhalten und, kommt die AG auch dieser Aufforderung nicht nach, schließlich den Mangel mittels richterlichem Beschluss feststellen, wodurch die AG gemäß § 262 Abs. 1 Nr. 5 als aufgelöst gilt.42) Ein Verstoß gegen Namens- bzw. Markenrechte ist kein registerrechtliches Eintragungs- 15 hindernis.43) VII. Firmenschutz Die AG genießt unter ihrer zulässigen Firma Firmenschutz und kann gegen Konkurrenten 16 nach § 37 Abs. 2 HGB auf Unterlassung einer Verwendung der Firma durch diese klagen sowie ein Firmenmissbrauchsverfahren durch das Registergericht gemäß § 37 Abs. 1 HGB anregen.44) Darüber hinaus genießt sie den materiellen Firmenschutz des in § 12 BGB normierten Namensrechts sowie den Unternehmenskennzeichenschutz der §§ 5 Abs. 2 Satz 1, 15 MarkenG, ebenfalls durchsetzbar mittels entsprechender Beseitigungsund Unterlassungsklagen.45) Bei Irreführung ist auch eine Konkurrentenklage auf Unterlassung nach § 5 UWG denkbar.46) Die Vor-AG genießt Firmenschutz hingegen nur, wenn ein Handelsgewerbe als Sacheinlage eingebracht und nunmehr fortgeführt wird.47) VIII. Praxishinweis Ist für den Rechtsformzusatz ein anderer als „Aktiengesellschaft“ oder eine andere als die 17 geläufige Abkürzung „AG“ geplant oder bestehen Unsicherheiten im Hinblick auf die Zulässigkeit und Eintragungsfähigkeit der vorgesehenen Firma, insbesondere im Hinblick auf §§ 18, 30 HGB, so empfiehlt sich angesichts der bestehenden Meinungsvielfalt für die Praxis in jedem Fall eine vorherige Abstimmung mit dem zuständigen Registergericht. Um insbesondere dem Kriterium der Unterscheidbarkeit (siehe Rz. 7) gerecht werden zu können, bietet sich eine frühzeitige Anfrage bei der örtlich zuständigen Industrie- und Handelskammer (IHK) an. Zur Erlangung des markenrechtlichen Schutzes sind eine rechtzeitige Markenrecherche sowie die entsprechende Anmeldung zum Markenregister ratsam. _____________ 42) 43) 44) 45)

Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 4 Rz. 6, 20; K. Schmidt/Lutter-Langhein, AktG, § 4 Rz. 42. Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 4 Rz. 20. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 4 Rz. 10. BGH, Urt. v. 2.4.1971 – I ZR 41/70, NJW 1971, 1522, 1523 f. – zu § 16 UWG a. F.; Hüffer/KochKoch, AktG, § 4 Rz. 10; Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 4 Rz. 22. 46) Grigoleit-Vedder, AktG, § 4 Rz. 15, 20. 47) Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 4 Rz. 2; Heider in: MünchKomm-AktG, § 4 Rz. 11.

§5 Sitz Sitz der Gesellschaft ist der Ort im Inland, den die Satzung bestimmt. Literatur: Bayer/Hoffmann, Aktiengesellschaft mit Doppelsitz, AG-Report 2010, R 259; Drygala, Europäische Niederlassungsfreiheit vor der Rolle rückwärts?, EuZW 2013, 569; Ege/Klett, Praxisfragen der grenzüberschreitenden Mobilität von Gesellschaften, DStR 2012, 2442; Fingerhuth/ Rumpf, MoMiG und die grenzüberschreitende Sitzverlegung, IPRax 2008, 90; Franz, Internationales Gesellschaftsrecht und deutsche Kapitalgesellschaften im In- bzw. Ausland, BB 2009, 1250; Franz/Laeger, Die Mobilität deutscher Kapitalgesellschaften nach Umsetzung des MoMiG unter Einbeziehung des Referentenentwurfs zum internationalen Gesellschaftsrecht, BB 2008,

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Sitz

zum Erfolg, kann das Registergericht gemäß § 399 FamFG die AG zusätzlich zu einer Behebung des Mangels anhalten und, kommt die AG auch dieser Aufforderung nicht nach, schließlich den Mangel mittels richterlichem Beschluss feststellen, wodurch die AG gemäß § 262 Abs. 1 Nr. 5 als aufgelöst gilt.42) Ein Verstoß gegen Namens- bzw. Markenrechte ist kein registerrechtliches Eintragungs- 15 hindernis.43) VII. Firmenschutz Die AG genießt unter ihrer zulässigen Firma Firmenschutz und kann gegen Konkurrenten 16 nach § 37 Abs. 2 HGB auf Unterlassung einer Verwendung der Firma durch diese klagen sowie ein Firmenmissbrauchsverfahren durch das Registergericht gemäß § 37 Abs. 1 HGB anregen.44) Darüber hinaus genießt sie den materiellen Firmenschutz des in § 12 BGB normierten Namensrechts sowie den Unternehmenskennzeichenschutz der §§ 5 Abs. 2 Satz 1, 15 MarkenG, ebenfalls durchsetzbar mittels entsprechender Beseitigungsund Unterlassungsklagen.45) Bei Irreführung ist auch eine Konkurrentenklage auf Unterlassung nach § 5 UWG denkbar.46) Die Vor-AG genießt Firmenschutz hingegen nur, wenn ein Handelsgewerbe als Sacheinlage eingebracht und nunmehr fortgeführt wird.47) VIII. Praxishinweis Ist für den Rechtsformzusatz ein anderer als „Aktiengesellschaft“ oder eine andere als die 17 geläufige Abkürzung „AG“ geplant oder bestehen Unsicherheiten im Hinblick auf die Zulässigkeit und Eintragungsfähigkeit der vorgesehenen Firma, insbesondere im Hinblick auf §§ 18, 30 HGB, so empfiehlt sich angesichts der bestehenden Meinungsvielfalt für die Praxis in jedem Fall eine vorherige Abstimmung mit dem zuständigen Registergericht. Um insbesondere dem Kriterium der Unterscheidbarkeit (siehe Rz. 7) gerecht werden zu können, bietet sich eine frühzeitige Anfrage bei der örtlich zuständigen Industrie- und Handelskammer (IHK) an. Zur Erlangung des markenrechtlichen Schutzes sind eine rechtzeitige Markenrecherche sowie die entsprechende Anmeldung zum Markenregister ratsam. _____________ 42) 43) 44) 45)

Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 4 Rz. 6, 20; K. Schmidt/Lutter-Langhein, AktG, § 4 Rz. 42. Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 4 Rz. 20. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 4 Rz. 10. BGH, Urt. v. 2.4.1971 – I ZR 41/70, NJW 1971, 1522, 1523 f. – zu § 16 UWG a. F.; Hüffer/KochKoch, AktG, § 4 Rz. 10; Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 4 Rz. 22. 46) Grigoleit-Vedder, AktG, § 4 Rz. 15, 20. 47) Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 4 Rz. 2; Heider in: MünchKomm-AktG, § 4 Rz. 11.

§5 Sitz Sitz der Gesellschaft ist der Ort im Inland, den die Satzung bestimmt. Literatur: Bayer/Hoffmann, Aktiengesellschaft mit Doppelsitz, AG-Report 2010, R 259; Drygala, Europäische Niederlassungsfreiheit vor der Rolle rückwärts?, EuZW 2013, 569; Ege/Klett, Praxisfragen der grenzüberschreitenden Mobilität von Gesellschaften, DStR 2012, 2442; Fingerhuth/ Rumpf, MoMiG und die grenzüberschreitende Sitzverlegung, IPRax 2008, 90; Franz, Internationales Gesellschaftsrecht und deutsche Kapitalgesellschaften im In- bzw. Ausland, BB 2009, 1250; Franz/Laeger, Die Mobilität deutscher Kapitalgesellschaften nach Umsetzung des MoMiG unter Einbeziehung des Referentenentwurfs zum internationalen Gesellschaftsrecht, BB 2008,

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Sitz

678; Hoffmann, Die stille Bestattung der Sitztheorie durch den Gesetzgeber, ZIP 2007, 1581; Hushahn, Grenzüberschreitende Formwechsel im EU/EWR Raum – die identitätswahrende statutenwechselnde Verlegung des Satzungssitzes in der notariellen Praxis, RNotZ 2014, 137; Kindler, Der reale Niederlassungsbegriff nach dem VALE-Urteil des EuGH, EuZW 2012, 888; Kindler, GmbH-Reform und internationales Gesellschaftsrecht, AG 2007, 721; Mansel/Thorn/ Wagner, Europäisches Kollisionsrecht 2008: Fundamente der Europäischen IPR-Kodifikation, IPRax 2009, 1; Sandrock, Die Konkretisierung der Überlagerungstheorie in einigen zentralen Einzelfragen, in: Festschrift für Günther Beitzke, 1979, S. 669; Weller, Internationales Unternehmensrecht 2010 – IPR-Methodik für grenzüberschreitende gesellschaftsrechtliche Sachverhalte, ZGR 2010, 679; Wicke, Zulässigkeit des grenzüberschreitenden Formwechsels – Rechtssache „Vale“ des Europäischen Gerichtshofs zur Niederlassungsfreiheit, DStR 2012, 1756.

Übersicht I. Bedeutung der Norm ....................... 1 II. Sitz der Gesellschaft ......................... 3 1. Satzungssitz ....................................... 4 a) Festlegung .................................... 4 b) Bedeutung .................................... 5 c) Verlegung ..................................... 8 d) Rechtsfolgen bei Verstößen ........ 9 2. Verwaltungssitz ............................... 12 I.

a) Festlegung ................................... 13 b) Bedeutung ................................... 14 c) Verlegung .................................... 16 d) Praxishinweis .............................. 19 e) Rechtsfolgen bei Verstößen ...... 20 III. Inländische Geschäftsanschrift ...... 21 IV. Doppelsitz ........................................ 22

Bedeutung der Norm

1 Die Norm enthält eine Legaldefinition des Terminus „Sitz der Gesellschaft“. Aus dem Wortlaut des bis 31.10.2008 geltenden § 5 a. F. ergaben sich folgende Konsequenzen: Der mit dem Satzungssitz übereinstimmende Registersitz (§ 5 Abs. 1 a. F.) sollte in der Regel mit dem tatsächlichen Sitz der Geschäftsleitung (Verwaltungssitz) gemäß § 5 Abs. 2 a. F. gleichlaufen, d. h. die in einem deutschen Handelsregister einzutragende AG konnte ihren Verwaltungssitz regelmäßig nicht im Ausland begründen und auch im Inland kein vom Verwaltungssitz abweichendes Registergericht auswählen (sog. Handelsregister-Shopping).1) 2 Aufgrund der Rechtsprechung des EuGH i. R. der Urteile Centros,2) Überseering3) und Inspire Art4) ist es EU-Gesellschaften inzwischen gestattet, ihren Verwaltungssitz auch in einem anderen Staat zu begründen und ist der jeweilige Aufnahmestaat verpflichtet, die zuziehende ausländische EU-Gesellschaft nach den Grundsätzen der Rechtsordnung ihres Gründungsstaats anzuerkennen.5) Auf dieser Grundlage werden z. B. englische Gesellschaften mit Verwaltungssitz in Deutschland – wie etwa die Air Berlin plc – anerkannt.6) Im Zuge des am 1.11.2008 in Kraft getretenen MoMiG7) wurden folgerichtig § 5 Abs. 2 a. F. _____________ 1) 2) 3) 4) 5)

6) 7)

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Franz/Laeger, BB 2008, 678. EuGH, Urt. v. 9.3.1999 – C-212/97 (Centros), ZIP 1999, 438 ff., dazu EWiR 1999, 259 (Neye). EuGH, Urt. v. 5.11.2002 – C-208/00 (Überseering), ZIP 2002, 2037 ff., dazu EWiR 2002, 1003 (Neye). EuGH, Urt. v. 30.9.2003 – C-167/01 (Inspire Art), ZIP 2003, 1885 ff., dazu EWiR 2003, 1029 (Drygala). So der EuGH unter Bezugnahme auf Art. 43, 48 EGV a. F., EuGH, Urt. v. 5.11.2002 – C-208/00 (Überseering), ZIP 2002, 2037 ff. Ls. 2: „Macht eine Gesellschaft, die nach dem Recht des Mitgliedsstaats gegründet worden ist, in dessen Hoheitsgebiet sie ihren satzungsmäßigen Sitz hat, in einem anderen Mitgliedsstaat von ihrer Niederlassungsfreiheit Gebrauch, so ist dieser andere Mitgliedsstaat nach den Art. 43 und 48 EG verpflichtet, die Rechtsfähigkeit und damit die Parteifähigkeit zu achten, die diese Gesellschaft nach dem Recht ihres Gründungsstaats besitzt.“ Weller, ZGR 2010, 679 ff., 695 f. Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) v. 23.10.2008, BGBl. I 2008, 20, 26 ff.

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Sitz

ebenso wie der gleichlautende § 4a Abs. 2 a. F. GmbHG gestrichen, um eine Verlegung des Verwaltungssitzes ins Ausland auch für deutsche Kapitalgesellschaften zu ermöglichen und diesen ein „level playing field“ zu schaffen.8) Um klarzustellen, dass Satzungs- und Registersitz einer deutschen AG auch weiterhin im Inland belegen sein müssen, wurden in § 5 Abs. 1 sowie in § 4a Abs. 1 GmbHG die Worte „im Inland“ ergänzt. II.

Sitz der Gesellschaft

Aus der Normhistorie wird klar, dass „Sitz der Gesellschaft“ i. S. von § 5 nur den Sat- 3 zungssitz (und somit Registersitz), nicht aber den Verwaltungssitz der AG meint.9) 1.

Satzungssitz

a)

Festlegung

Die Festlegung des Satzungssitzes erfolgt gemäß § 23 Abs. 3 Nr. 1 durch eine entspre- 4 chende Nennung in der Satzung und wird im Zeitpunkt der Entstehung der AG durch Eintragung in das Handelsregister wirksam, vgl. §§ 41 Abs. 1 Satz 1, 36, 47 Abs. 4 Satz 1. Änderungen bedürfen eines satzungsändernden Beschlusses der Hauptversammlung gemäß §§ 179 ff., wobei § 45 zu beachten ist. Der Satzungssitz muss hinreichend bestimmt sein, um die eindeutige Zuständigkeit eines Registergerichts festlegen zu können.10) Es ist eine bestimmte deutsche Gemeinde anzugeben (z. B. Köln), bei in mehrere Amtsgerichtsbezirke eingeteilten Großgemeinden (z. B. Hamburg) muss zusätzlich der jeweilige Gerichtsbezirk erkennbar sein (z. B. Hamburg Barmbek).11) Seit Streichung des § 5 Abs. 2 a. F. können die Aktionäre den Satzungssitz im Inland wieder frei und unabhängig vom Verwaltungssitz festlegen und so ein vom Verwaltungssitz abweichendes Registergericht frei wählen, z. B. um ein ihnen günstig und liberal erscheinendes Registergericht einem anderen vorzuziehen oder eine deutschlandweit einheitlich Konzernzuständigkeit zu begründen (sog. Handelsregister-Shopping).12) b)

Bedeutung

Neben der Firma dient auch der Satzungssitz der Individualisierung und Identifizierung 5 der AG und bestimmt gleichzeitig deren Hauptniederlassung sowie das ebenfalls für alle Zweigniederlassungen zuständige Registergericht (§ 13 HGB).13) Der Satzungssitz hat Bedeutung für das Verfahrensrecht: Er bestimmt den allgemeinen 6 Gerichtsstand der AG gemäß § 17 Abs. 1 ZPO (§ 5 ist eine andere Bestimmung i. S. dieser Vorschrift),14) die örtliche Zuständigkeit in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit gemäß § 377 Abs. 1 FamFG, die Zuständigkeit für Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklagen gemäß § 246 Abs. 3 Satz 1, für Streitigkeiten über die Zusammensetzung des Aufsichtsrats gemäß § 98 Abs. 1 sowie über das Auskunftsrecht der Aktionäre gegen den Vorstand gemäß § 132 Abs. 1, für Anträge auf Klagezulassungsverfahren gemäß § 148 Abs. 2 Satz 1, für die Bestellung der Prüfer zur Prüfung der Unternehmensverträge gemäß § 293c Abs. 1 Satz 3 und für die gerichtliche Auflösung gemäß § 396 Abs. 1. _____________ 8) 9) 10) 11) 12)

BT-Drucks. 16/6140, S. 29. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 5 Rz. 6; Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 5 Rz. 1. Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 5 Rz. 12. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 5 Rz. 6; K. Schmitt/Lutter-Zimmer, AktG, § 5 Rz. 7. Grigoleit-Wicke, AktG, § 5 Rz. 5; Franz/Laeger, BB 2008, 678, 683, 685; kritisch hierzu: Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 5 Rz. 9; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 5 Rz. 8. 13) Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 5 Rz. 1 ff.; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 5 Rz. 13 f. 14) BGH, Beschl. v. 13.1.1998 – X ARZ 1298-97, NJW 1998, 1322 f.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 5 Rz. 4; Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 5 Rz. 2.

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Sitz

7 Darüber hinaus soll die Hauptversammlung gemäß § 121 Abs. 5 am Sitz der Gesellschaft stattfinden und der Sitz ist ebenfalls steuerrechtlicher Anknüpfungspunkt i. S. des KStG, vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG i. V. m. § 11 AO. c)

Verlegung

8 Da seit dem 1.11.2008 aufgrund des Wegfalls von § 5 Abs. 2 a. F. der Satzungs- und somit Registersitz nicht mehr zwingend mit dem Verwaltungssitz übereinstimmen müssen, kann die AG innerhalb Deutschlands unter entsprechender Beachtung der §§ 45, 179 ff. ihren statutarisch bereits festgelegten Sitz auch jederzeit und unabhängig vom Verwaltungssitz verlegen.15) Nur in besonderen Ausnahmefällen können Sitzverlegungsbeschlüsse als rechtsmissbräuchlich und sodann als nichtig gewertet werden.16) Der in § 5 Abs. 1 neu eingeführte Zusatz „im Inland“ stellt klar, dass die Verlegung des Satzungssitzes ins Ausland seitens des deutschen Gesetzgebers nicht erwünscht ist, woran auch eine eventuelle Umsetzung des Referentenentwurfs für ein Gesetz zum internationalen Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und juristischen Personen (nachfolgend: RefE IntGesR)17) in seiner derzeitigen Fassung nichts ändern würde.18) In der Rechtssache Vale hat der EuGH allerdings entschieden, dass eine grenzüberschreitende Umwandlung und damit einhergehende Satzungssitzverlegung (grenzüberschreitende statutenwechselnde Sitzverlegung) im Hinblick auf die Niederlassungsfreiheit zulässig sein muss, wenn der aufnehmende Mitgliedstaat für rein innerstaatliche Sachverhalte einen solchen Umwandlungsvorgang zulässt und die betroffene Gesellschaft tatsächlich eine wirtschaftliche Tätigkeit im Aufnahmestaat ausübt.19) Aus diesem Urteil folgt, dass nicht nur der rechtsformkongruente Formwechsel unter gleichzeitiger Verlegung des Satzungs- und Verwaltungssitzes einer EU-Auslandsgesellschaft in eine deutsche AG (sog. Hereinformwechsel), sondern umgekehrt auch derjenige einer deutschen AG in eine EU-Auslandsgesellschaft (sog. Herausformwechsel) möglich sein muss.20) Diese Rechtsprechung eröffnet auch über die innerhalb von EU und EWR inzwischen normierte grenzüberschreitende Verschmelzung (§§ 122a ff. UmwG) hinaus die Möglichkeit, eine grenzüberschreitende Gesamtrechtsnachfolge unter Fortführung der deutschen AG in einer Rechtsform des jeweils aufnehmenden Mitgliedstaates umzusetzen und nähert sich somit dem bislang nur für die SE geltenden Art. 8 SE-VO.21) Nicht hieraus ergibt sich hingegen, dass eine deutsche AG ihren Satzungssitz unter Wahrung ihrer Rechtsform als deutsche AG in das europäische Ausland verlegen kann.22) Der Wortlaut von § 5 steht der Rechtsprechung des EuGH somit zwar nicht entgegen, die Norm ist allerdings europarechtskonform auszulegen. _____________ 15) Franz/Laeger, BB 2008, 678, 683 f. 16) Grigoleit-Wicke, AktG, § 5 Rz. 6 m. w. N. 17) Referentenentwurf IntGesR abrufbar unter https://tu-dresden.de/gsw/jura/jfzivil3/ressourcen/ dateien/lv_pdf_dateien/refeipr.pdf?lang=de (Abrufdatum: 14.5.2018). 18) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 5 Rz. 13 ff.; ausführlich hierzu Franz/Laeger, BB 2008, 678, 679. 19) EuGH, GA (Kokott), Schlussanträge v. 4.5.2017 – C-106/16, ZIP 2017, 1319 = NZG 2017, 702 mit Anm. Wicke, dazu EWiR 2017, 491 (Mutter); EuGH, Urt. v. 12.7.2012 – C-378/10 (Vale Epitesi kft), ZIP 2012, 1394 = EuZW 2012, 621 ff., dazu EWiR 2012, 541 (Mutter/Kruchen); anders noch: OLG Nürnberg, Beschl. v. 13.2.2012 – 12 W 2361/11, ZIP 2012, 572, dazu EWiR 2012, 263 (Drygala), mit der Begründung, das UmwG sehe lediglich Regelungen für eine grenzüberschreitende Verschmelzung, nicht jedoch für einen grenzüberschreitenden Formwechsel bzw. eine grenzüberschreitende Vermögensübertragung vor. Zu den mit dem Erfordernis der tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit im Aufnahmestaat verbundenen Schwierigkeiten: Drygala, EuZW 2013, 569 ff. 20) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 5 Rz. 15; Kindler, EuZW 2012, 888, 890; Wicke, DStR 2012, 1756, 1758. 21) Vgl. zur SE: Habersack/Drinhausen-Diekmann, SE-Recht, Art. 8 SE-VO Rz. 4 f. 22) So zutreffend auch Grigoleit-Wicke, AktG, § 5 Rz. 11 a. E. m. w. N.

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Sitz d)

Rechtsfolgen bei Verstößen

Da seit Streichung des § 5 Abs. 2 a. F. der Satzungssitz im Inland wieder frei gewählt werden 9 darf, kann ein Verstoß gegen § 5 nur dadurch bedingt sein, dass der Sitz nicht hinreichend bestimmt ist, vollständig fehlt oder unzulässigerweise einen Ort im Ausland benennt.23) Gemäß § 38 Abs. 1 Satz 2 hat das Registergericht die Eintragung der AG in einem solchen Fall abzulehnen.24) Wird die Gesellschaft gleichwohl eingetragen, ist sie trotz dieses Mangels wirksam als AG entstanden; das Registergericht hat die AG gemäß § 399 FamG zur Behebung dieses Mangels aufzufordern und bei Unterlassung der Behebung den zur Auflösung der Gesellschaft nach § 262 Abs. 1 Nr. 5 führenden Mangel mittels Beschluss festzustellen.25) Ein satzungsändernder Hauptversammlungsbeschluss, der nachträglich einen unzulässigen 10 Satzungssitz bestimmt, ist gemäß § 241 Nr. 3 nichtig, seine Eintragung grundsätzlich vom Registergericht abzulehnen und kann auch nach einer aufgrund § 242 Abs. 2 erfolgten Heilung durch Eintragung in das Handelsregister gemäß § 398 Abs. 2 FamG noch gelöscht werden.26) Eine nachträgliche Verlegung des Satzungssitzes ins Ausland ist nach bisherigem Rechts- 11 verständnis unzulässig und hat ebenfalls die Nichtigkeit des zugrunde liegenden Hauptversammlungsbeschlusses gemäß § 241 Nr. 3 und im ungünstigsten Fall sogar die Umdeutung in einen Auflösungsbeschluss nach § 262 Abs. 1 Nr. 2 zur Folge.27) Diese Auffassung ist im Lichte der Rechtssache Vale neu zu überdenken und der jeweilige Beschluss ggf. als rechtswirksamer Teilakt eines zulässigen grenzüberschreitenden Rechtsformwechsels zu interpretieren.28) 2.

Verwaltungssitz

Der Begriff Verwaltungssitz wurde in § 5 Abs. 2 a. F. umschrieben und wird definiert als 12 „Tätigkeitsort der Geschäftsführung und der dazu berufenen Vertretungsorgane, also der Ort, wo die grundlegenden Entscheidungen der Unternehmensleitung effektiv in laufende Geschäftsführungsakte umgesetzt werden“ (Sandrock’sche Formel).29) a)

Festlegung

Der Verwaltungssitz wird durch tatsächliche Umstände festgelegt und bestimmt sich ge- 13 mäß der Sandrock’schen Formel regelmäßig nach dem Schwerpunkt der operativen Tätigkeit der AG. Die Aktionäre können den Verwaltungssitz unabhängig vom Satzungssitz

_____________ 23) Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 5 Rz. 18; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 5 Rz. 9. 24) BGH, Beschl. v. 2.6.2008 – II ZB 1/06, ZIP 2008, 1627 = NJW 2008, 2914 ff. – zur GmbH noch vor MoMiG; Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 5 Rz. 11. 25) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 5 Rz. 9. 26) Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 5 Rz. 12. 27) BayObLG, Beschl. v. 7.5.1992 – 3Z BR 14/92, NJW-RR 1993, 43 f.; OLG Hamm, Beschl. v. 30.4.1997 – 15 W 91-97, NJW-RR 1998, 615; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 26.3.2001 – 3 Wx 88/01, NJW 2001, 2184, 2185 = ZIP 2001, 790, dazu EWiR 2001, 581 (Niesert); Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 5 Rz. 23; Kindler, AG 2007, 721, 723. 28) Zu den einzelnen Voraussetzungen eines solchen Umwandlungsvorgangs vgl. Grigoleit-Wicke, AktG, § 5 Rz. 11 m. w. N; Wicke, DStR 2012, 1756, 1758 f.; Ege/Klett, DStR 2012, 2442, 2444 ff.; Hushahn, RNotZ 2014, 137 ff. 29) BGH, Urt. v. 21.3.1986 – V ZR 10/85, NJW 1986, 2194 f., 2195 = ZIP 1986, 643, im Anschluss an Sandrock in: FS Beitzke, S. 669, 683; OLG Hamm, Beschl. v. 18.8.1994 – 15 W 209/94, NJW-RR 1995, 469, 470; OLG Hamm, Urt. v. 4.10.1996 – 29 U 108/95, RIW 1997, 236, 237.

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§5

Sitz

i. S. von § 5 auswählen und diesen bei Geltung der Gründungstheorie im Aufnahmestaat auch erstmalig im Ausland begründen.30) Beispiel: Die neu gegründete X-AG hat ihren Satzungssitz in Köln und wird im Handelsregister des AG Köln registriert. Der Sitz der Geschäftsleitung (=Verwaltungssitz) befindet sich hingegen von Anfang an in London. Mangels Mobilitätskomponente (kein Umzug, sondern originäre Begründung des Verwaltungssitzes im Ausland) kann sich die X-AG nicht auf die bereits zitierte EuGH-Rechtsprechung (siehe Rz. 2) berufen.31) Da allerdings das autonome englische Kollisionsrecht der Gründungstheorie folgt, wird die X-AG in London als AG des deutschen Aktienrechts anerkannt. Auch das deutsche Recht stellt sich diesem Fall seit Streichung des § 5 Abs. 2 a. F. nicht mehr entgegen. b)

Bedeutung

14 Gemäß der in Deutschland laut BGH grundsätzlich nach wie vor geltenden Sitztheorie32) ist der Verwaltungssitz entscheidend für die kollisionsrechtliche Bestimmung des auf die AG anwendbaren Gesellschaftsrechts (sog. Gesellschaftsstatut), d. h. bei Sachverhalten mit Auslandsberührung für die Bestimmung der maßgeblichen gesellschaftsrechtlichen Vorschriften.33) Auch die im Zuge des MoMiG erfolgte Streichung des § 5 Abs. 2 a. F. ändert nach umstrittener (aber zutreffender) Ansicht nichts an der grundsätzlichen Fortgeltung der Sitztheorie, da diese gesetzgeberische Maßnahme rein materiell-, nicht aber kollisionsrechtliche Auswirkungen hat.34) Eine endgültige Anerkennung der Gründungstheorie im deutschen Recht bleibt hingegen einer weitergehenden gesetzlichen Änderung, wie bspw. der im RefE IntGesR vorgeschlagenen Neufassung des Art. 10 Abs. 1 EGBGB, vorbehalten.35) Allerdings wird die Sitztheorie zumindest bei Sachverhalten innerhalb Europas durch die Rechtsprechung des EuGH vielfach überlagert (siehe hierzu Rz. 17). 15 Ebenso wie der Satzungssitz ist auch der Verwaltungssitz steuerrechtlicher Anknüpfungspunkt i. S. des KStG, vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG i. V. m. § 10 AO. c)

Verlegung

16 Ebenso wie die AG innerhalb Deutschlands jederzeit ihren Sitz i. S. von § 5 unabhängig vom Verwaltungssitz verlegen kann, kann sie umgekehrt ihren Verwaltungssitz innerhalb Deutschlands jederzeit unabhängig vom Satzungssitz verlegen. 17 Auch einer nachträglichen Verlegung des Verwaltungssitzes ins Ausland steht die registerrechtliche Hürde des § 5 Abs. 2 a. F. seit dessen Streichung nicht mehr im Wege.36) Wird der Verwaltungssitz in einen Mitgliedstaat der EU oder des EWR verlegt, so hat dieser Staat die Gesellschaft nach den Vorgaben der hierzu ergangenen (und Sitztheorie _____________ 30) S. hierzu Franz/Laeger, BB 2008, 678, 681 ff., 684. 31) A. A. Altmeppen/Ego in: MünchKomm-AktG, Europ. Niederlassungsfreiheit Rz. 57, 205 m. w. N. 32) BGH, Urt. v. 27.10.2008 – II ZR 158/06 (Trabrennbahn), ZIP 2008, 2411 ff., dazu EWiR 2009, 355 (Tepfer); BGH, Beschl. v. 8.10.2009 – IX ZR 227/06, ZIP 2009, 2385 ff., dazu EWiR 2010, 117 (Lieder/ Kliebisch). 33) Ausführlich hierzu Franz/Laeger, BB 2008, 678, 681 ff.; Franz, BB 2009, 1250 ff. 34) BGH, Urt. v. 27.10.2008 – II ZR 158/06 (Trabrennbahn), ZIP 2008, 2411 ff.; BGH, Beschl. v. 8.10.2009 – IX ZR 227/06, ZIP 2009, 2385 ff.; Franz/Laeger, BB 2008, 678, 681 ff. und Franz, BB 2009, 1250, 1251 (jeweils m. w. N. zum Meinungsstand); Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 5 Rz. 28; so wohl auch: Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2009, 1, 4; a. A. Grigoleit-Wicke, AktG, § 5 Rz. 12; Altmeppen/ Ego in: MünchKomm-AktG, Europ. Niederlassungsfreiheit Rz. 199; Fingerhuth/Rumpf, IPRax 2008, 90, 92; Hoffmann, ZIP 2007, 1581, 1585 f. 35) Franz/Laeger, BB 2008, 678, 681 f. 36) Franz, BB 2009, 1250, 1251.

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Alexander Franz

§5

Sitz

überlagernden) Rechtsprechung des EuGH als deutsche AG unter Fortgeltung des deutschen Aktienrechts anzuerkennen (siehe hierzu unter Rz. 2). Beispiel: Satzungssitz und Sitz der Geschäftsleitung (Verwaltungssitz) der in das örtliche Handelsregister eingetragenen X-AG befinden sich in Köln. Die Geschäftsleitung verlegt nun ihren Verwaltungssitz von Köln nach London. Die mit diesem Umzug verbundene Mobilitätskomponente rechtfertigt die Anwendung der Niederlassungsfreiheit, so dass England als Aufnahmestaat die X-AG angesichts der bereits zitierten EuGH-Rechtsprechung (siehe Rz. 2) auch unabhängig vom autonomen englischen Kollisionsrecht anzuerkennen hat. § 5 Abs. 2 a. F. steht dem nicht entgegen. Wird der Verwaltungssitz hingegen in einen außereuropäischen Staat verlegt, gilt die 18 Rechtsprechung des EuGH nicht und die Anerkennung der AG in einem solchen Drittstaat hängt davon ab, ob die dortige Rechtsordnung der Sitz- oder der Gründungstheorie folgt.37) Folgt der Aufnahmestaat der Sitztheorie, so endet die Zuständigkeit der deutschen Rechtsordnung an dieser Stelle, eine deutsche AG mit Verwaltungssitz in einem solchen Staat kann nicht existieren, es kommt zu einem sog. Statutenwechsel; bei Geltung der Gründungstheorie im Aufnahmestaat kann grundsätzlich von einer Anerkennung unter Fortgeltung des deutschen Aktienrechts ausgegangen werden.38) Beispiel: Die Geschäftsleitung der X-AG verlegt ihren Verwaltungssitz im Beispiel oben unter Rz. 17 nicht nach London, sondern (i) nach Hongkong und alternativ (ii) nach Istanbul. Die bereits zitierte EuGH-Rechtsprechung (siehe Rz. 2) findet bei einem Umzug in einen außereuropäischen Drittstaat keine Anwendung. Da Hongkong ebenso wie England der Gründungstheorie folgt, wird die X-AG in Alternative (i) in Hongkong anerkannt. Die Türkei folgt der Sitztheorie und erkennt die X-AG in Alternative (ii) hingegen nicht an. d)

Praxishinweis

Die Zulässigkeit einer grenzüberschreitenden Verlegung des Verwaltungssitzes eröffnet 19 der deutschen AG die Möglichkeit, ihre Geschäftstätigkeit ausschließlich über eine oder mehrere europäische Zweigniederlassungen zu entfalten bzw. ihre (ausschließlich) im europäischen Ausland aktiven Tochtergesellschaften in der Rechtsform einer deutschen AG oder GmbH (vgl. hierzu die dem § 5 AktG entsprechende Vorschrift des § 4a GmbHG) zu gründen.39) So wird das gesetzgeberisch beabsichtigte „level playing field“ für die deutsche AG, zumindest innerhalb der EU und des EWR, geschaffen. Da der Verwaltungssitz nunmehr i. R. der rechtlich zulässigen Grenzen grundsätzlich frei durch eine entsprechende Entscheidung des Vorstands der AG verlegt werden kann, sollte in der Satzung ggf. zwischen Satzungs- und Verwaltungssitz unterschieden und eine Verlegung des Verwaltungssitzes dem Zustimmungsvorbehalt der Hauptversammlung oder des Aufsichtsrats unterstellt werden. In jedem Fall sollte die Anerkennung der zuziehenden AG im betroffenen Aufnahmestaat nach der jeweiligen ausländischen Rechtsordnung untersucht werden (so ist bspw. ggf. die Registrierung als Zweigniederlassung vor Ort erforderlich).

_____________ 37) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 1 Rz. 41; Franz/Laeger, BB 2008, 678 ff., 683, 681; Franz, BB 2009, 1250, 1251. 38) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 5 Rz. 12; Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 5 Rz. 10; Franz/Laeger, BB 2008, 678, 683, 684; Franz, BB 2009, 1250, 1251. 39) Grigoleit-Wicke, AktG, § 5 Rz. 12.

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§5 e)

Sitz Rechtsfolgen bei Verstößen

20 Eine Abweichung des Verwaltungssitzes vom Sitz i. S. von § 5 hat keine Satzungsänderung und somit auch keinen Wechsel des Registergerichts zur Konsequenz.40) Divergenzen zwischen Satzungs- und Verwaltungssitz werden grundsätzlich hingenommen.41) Nur im Falle der originären Begründung des Verwaltungssitzes einer AG im Gründungsstadium in einem der Sitztheorie folgenden ausländischen Staat (EU, EWR oder Drittstaat), hat dies im Zweifel die Nichtanerkennung im Drittstaat sowie die Auflösung im Inland zur Folge.42) Selbiges gilt für die nachträgliche Verlegung des Verwaltungssitzes in einen der Sitztheorie folgenden außereuropäischen Drittstaat. III.

Inländische Geschäftsanschrift

21 Seit Änderung des AktG durch das MoMiG fordert § 37 Abs. 3 Nr. 1 bei Anmeldung einer AG zur Eintragung in das Handelsregister in jedem Fall und unabhängig von einem ggf. ausschließlichen Verwaltungssitz im Ausland die Angabe einer inländischen Geschäftsanschrift, die sodann bei Eintragung mit eingetragen wird, vgl. § 39 Abs. 1 Satz 1.43) IV.

Doppelsitz

22 Der Wortlaut in § 5 geht davon aus, dass die AG nur einen einzigen Sitz hat. Ein vom Gesetz abweichender sog. Doppelsitz, d. h. die Begründung von zwei Satzungssitzen kann daher nur die Ausnahme sein und bedarf besonderer Rechtfertigung.44) Eine solche Ausnahme soll vorliegen, wenn die AG ohne Zulassung des Doppelsitzes einen erheblichen wirtschaftlichen Schaden erleiden oder in der Existenz gefährdet würde.45) Unter welchen Voraussetzungen konkret die Verschmelzung von Rechtsträgern durch Aufnahme oder Neugründung den Anforderungen an eine solche Rechtfertigung gerecht werden kann, ist umstritten.46) Ein zulässiger Doppelsitz begründet zwei gleichberechtigt nebeneinander stehende Handelsregisterzuständigkeiten und hat u. a. folgende rechtliche Konsequenzen: Konstitutive Eintragungen sind erst mit Eintragung in beiden Registern wirksam, die AG hat zwei allgemeine Gerichtsstände nach § 17 Abs. 1 Satz 1 ZPO und in Antragsverfahren nach § 375 FamFG ist gemäß § 2 FamFG dasjenige Gericht zur Entscheidung berufen, welches zuerst in der Sache tätig geworden ist.47)

_____________ 40) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 5 Rz. 11; Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 5 Rz. 9. 41) Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 5 Rz. 6, die allerdings für eine Restriktion der freien Sitzwahl im Inland und somit gegen ein freies Handelsregister-Shopping plädiert. 42) So wie hier: Kindler in: MünchKomm-BGB, IntGesR Rz. 407; a. A. Altmeppen/Ego in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit Rz. 57, 205 m. w. N., die innerhalb EU/EWR nicht zwischen originärer Begründung und nachträglichem Umzug differenzieren. 43) Vgl. zu der hiermit verknüpften erleichterten Zustellungsmöglichkeit Leistikow, Das neue GmbHRecht, § 4 Rz. 410 ff. 44) BayObLG, Beschl. v. 29.3.1985 – 3 Z 22/85, AG 1986, 48, 49 f., und AG Essen, Beschl. v. 5.1.2001 – 89b AR 1241/00, AG 2001, 434 f. – jeweils zur grundsätzlichen Unzulässigkeit eines Doppelsitzes auch bei Verschmelzung; Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 5 Rz. 7 f.; K. Schmidt/Lutter-Zimmer, AktG, § 5 Rz. 13 ff. 45) Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 5 Rz. 7; Heider in: MünchKomm-AktG, § 5 Rz. 34. 46) Vgl. hierzu m. w. N.: Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 5 Rz. 10; Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 5 Rz. 7; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 5 Rz. 21; Bayer/Hoffmann, AG-Report 2010, R 259 ff. 47) Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 5 Rz. 22 m. w. N.

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Alexander Franz

§6

Grundkapital

§6 Grundkapital Das Grundkapital muss auf einen Nennbetrag in Euro lauten. Literatur: Ihrig/Streit, Aktiengesellschaft und Euro, Handlungsbedarf und Möglichkeiten der Aktiengesellschaften anlässlich der Euro-Einführung, NZG 1998, 201.

Übersicht I. Bedeutung der Norm ........................ 1 II. Grundkapital ..................................... 2 III. Nennbetrag ........................................ 3 I.

IV. Euro-Umstellung .............................. 4 V. Rechtsfolgen bei Verstößen ............. 8

Bedeutung der Norm

§ 6 setzt die Notwendigkeit eines Grundkapitals voraus, schreibt vor, dass dieses in einem 1 Nennbetrag in Euro ausgedrückt sein muss und wurde aufgrund der Einführung des Euro zum 1.1.1999 durch das Euro-EG1) von DM auf Euro umgestellt.2) II.

Grundkapital

Die Notwendigkeit eines Grundkapitals für jede AG ergibt sich bereits aus § 1 Abs. 2. 2 Das Grundkapital ist das in einer Geldsumme ausgedrückte verfassungsmäßige Garantiekapital der AG, dessen Aufbringung und Erhalt durch §§ 9 Abs. 1, 27 ff., 63 ff. bzw. §§ 57 – 62, 71 sichergestellt wird.3) Siehe zur Bedeutung des Grundkapitals auch § 1 Rz. 27 ff., § 7 Rz. 1. III.

Nennbetrag

Da das Grundkapital aufgrund gesetzlicher Anordnung einen Nennbetrag haben muss, 3 kann es lediglich durch Bezifferung ausgedrückt werden, Umschreibungen genügen hingegen nicht.4) Die Höhe des Grundkapitals muss gemäß § 7 mindestens 50.000 € (z. B. als Summe der Einlagen) betragen und ist bei Gründung der AG in der Satzung festzusetzen, vgl. § 23 Abs. 3 Nr. 3. Eine Änderung des festgesetzten Betrages erfordert stets eine Satzungsänderung und kann nur i. R. von Kapitalmaßnahmen i. S. der §§ 182 ff. (Kapitalerhöhung) oder §§ 222 ff. (Kapitalherabsetzung) mit mindestens Dreiviertelmehrheit der Hauptversammlung (§ 179 Abs. 2) erfolgen. IV.

Euro-Umstellung

Für jede AG, die vor dem 1.1.1999 in das Handelsregister eingetragen wurde, bestanden 4 gemäß §§ 1 – 4 EGAktG bis zum 31.12.2001 vier Möglichkeiten, auf die Währungsumstellung von DM auf Euro zu reagieren: –

Die DM-Beträge konnten rechnerisch mit Nennbetragsglättung auf Euro umgestellt werden;



die DM-Beträge konnten rechnerisch ohne Nennbetragsglättung auf Euro umgestellt werden;

_____________ 1) 2) 3) 4)

Gesetz zur Einführung des Euro (Euro-Einführungsgesetz – EuroEG) v. 9.6.1998, BGBl. I 1998, 1242. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 6 Rz. 1 f. K. Schmidt, GesR, § 26 IV. 1. a), S. 775 f. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 6 Rz. 1; Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 6 Rz. 1, 5.

Alexander Franz

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§6

Grundkapital



die Aktien konnten auf Stückaktien umgestellt werden; oder



die DM-Beträge konnten beibehalten werden.5)

5 Sollte im Fall der Umstellung auf Euro-Beträge keine Nennbetragsglättung oder –anpassung durchgeführt worden sein, so muss(te) dies bei der nächsten Kapitalmaßnahme nachgeholt werden, vgl. §§ 1 Abs. 2 Satz 3, 3 Abs. 5 EGAktG. 6 Wurden die DM-Beträge auch nach dem 31.12.2001 statutarisch beibehalten, gilt ab dem 1.1.2002 der Nennbetrag des Grundkapitals mit dem Umrechnungskurs von 1 € für 1,95583 DM automatisch als Euro-Betrag, so dass formelle (= Wortlaut der Satzung) und materielle (= gesetzlich automatische Umstellung auf Euro) Rechtslage auseinander fallen.6) Die Anpassung der formellen Rechtslage auf Euro wird dadurch erleichtert, dass gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 EGAktG, in Abweichung von § 179 Abs. 2, eine einfache Mehrheit in der Hauptversammlung hierfür ausreicht und ausnahmsweise der Aufsichtsrat zu einer grundsätzlich vom Vorstand gemäß § 181 Abs. 1 Satz 1 beim Handelsregister anzumeldenden Satzungsänderung ermächtigt ist, vgl. § 4 Abs. 1 Satz 2 EGAktG. Im Rahmen der vereinfachten Handelsregisteranmeldung muss weder der vollständige Satzungswortlaut noch eine notarielle Bescheinigung beigefügt oder die Änderung bekannt gemacht werden, vgl. § 4 Abs. 1 Satz 3 EGAktG. 7 Für den Übergangszeitraum vom 1.1.1999 bis zum 31.12.2001 konnten auch solche Neugründungen und Kapitalmaßnahmen in das Handelsregister eingetragen werden, bei denen der Nennbetrag noch in DM beziffert war, im Fall von Kapitalmaßnahmen gemäß §§ 202 ff. (genehmigtes Kapital) mit späterem Ablauf der Ermächtigungsfrist auch noch nach dem 31.12.2001.7) Seit dem 1.1.2002 dürfen Neugründungen und Kapitalmaßnahmen mit auf DM lautendem Grundkapital nicht mehr eingetragen werden, bei Kapitalmaßnahmen ist das Datum des Hauptversammlungsbeschlusses (§ 183) und nicht dasjenige ihrer Durchführung (§ 188) maßgeblich.8) V.

Rechtsfolgen bei Verstößen

8 Ist in der Satzung kein Grundkapital bestimmt, ist das Grundkapital nicht beziffert, bis 31.12.2001 nicht in Euro oder DM (d. h. in Fremdwährung) oder ab dem 1.1.2002 in Fremdwährung oder noch in DM angegeben, so hat das Registergericht gemäß § 38 Abs. 1 Satz 2 die Eintragung abzulehnen.9) Die Eintragung in das Handelsregister trotz eines solchen Mangels führt dennoch zur wirksamen Entstehung der AG.10) Enthält die Satzung keine Bestimmung zum Grundkapital, kann die Nichtigkeitsklage gemäß § 275 Abs. 1 erhoben und daneben das Amtslöschungsverfahren gemäß § 398 FamFG eingeleitet werden; ist die Höhe des Grundkapitals nicht beziffert oder lautet es nicht auf Euro, so hat das Registergericht die AG gemäß § 399 FamFG zur Behebung dieses Mangels aufzufordern und bei Unterlassung der Behebung den zur Auflösung der Gesellschaft nach § 262 Abs. 1 Nr. 5 führenden Mangel mittels Beschluss festzustellen.11) Ein satzungsändernder Hauptversamm_____________ 5) Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 6 Rz. 5; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 6 Rz. 4; ausführlich zum Thema Umstellung des Grundkapitals bei Altgesellschaften: Heider in: MünchKomm-AktG, § 6 Rz. 44 ff.; Ihrig/Streit, NZG 1998, 201 ff. 6) Art. 14 der VO des Rates der EU über die Einführung des Euro Nr. 1103/97 v. 17.6.1997, ABl. EG Nr. L 162/1 v. 19.6.1997; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 6 Rz. 10. 7) Hölters-Solveen, AktG, § 6 Rz. 4; ausführlich zum genehmigten Kapital: Heider in: MünchKommAktG, § 6 Rz. 70. 8) Heider in: MünchKomm-AktG, § 6 Rz. 106. 9) Hölters-Solveen, AktG, § 6 Rz. 5; Heider in: MünchKomm-AktG, § 6 Rz. 17. 10) Hölters-Solveen, AktG, § 6 Rz. 5; Heider in: MünchKomm-AktG, § 6 Rz. 18. 11) Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 6 Rz. 4.

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Alexander Franz

§7

Mindestnennbetrag des Grundkapitals

lungsbeschluss, der nachträglich gegen § 6 verstößt, ist gemäß § 241 Nr. 3 nichtig, seine Eintragung vom Registergericht abzulehnen und kann auch noch nach einer aufgrund § 242 Abs. 2 durch Eintragung in das Handelsregister erfolgten Heilung gemäß § 398 Abs. 2 FamFG gelöscht werden.12) _____________ 12) Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 6 Rz. 4.

§7 Mindestnennbetrag des Grundkapitals Der Mindestnennbetrag des Grundkapitals ist fünfzigtausend Euro. Literatur: Eidenmüller/Engert, Die angemessene Höhe des Grundkapitals der Aktiengesellschaft, AG 2005, 97.

Übersicht I. Bedeutung der Norm ........................ 1 II. Mindestnennbetrag ........................... 2 I.

III. Spezialgesetzliche Ausnahmen ........ 3 IV. Rechtsfolgen bei Verstößen ............. 5

Bedeutung der Norm

Neben der Gewährleistung eines den Gläubigern als Ausgleich für die fehlende persönliche 1 Haftung der Aktionäre zur Verfügung stehenden Mindesthaftkapitals (Gläubigerschutz) soll die Vorschrift primär eine Sperrfunktion erfüllen, indem sie Unternehmen, deren Geschäftsbetrieb mit weniger als 50.000 € Eigenkapital auskommt, den Zugang zur Rechtsform der AG verwehrt (siehe zu weiteren Funktionen § 1 Rz. 27 ff.).1) Selbst Kleinunternehmer werden heute allerdings eher von der aufwendigen Organisationsstruktur, der Satzungsstrenge, den strikten Vorschriften zur Sachgründung und den strengen Publizitätspflichten bei der AG abgeschreckt als von der Höhe des Mindestnennbetrags.2) II.

Mindestnennbetrag

Die Vorschrift legt die betragsmäßige Untergrenze für das von § 1 Abs. 2 geforderte und 2 gemäß § 6 in Euro zu beziffernde Grundkapital auf 50.000 € fest. Das Mindest-Grundkapital für die deutsche AG liegt somit über dem in Art. 6 Abs. 1 der Kapitalrichtlinie vorgeschriebenen Betrag von 25.000 € und unterhalb dem gemäß Art. 4 Abs. 2 SE-VO für die europäische Aktiengesellschaft vorgeschriebenen Betrag von 120.000 €. Das Grundkapital liegt in der Praxis allerdings regelmäßig deutlich über 50.000 €.3) Grundsätzlich darf der von § 7 vorgegebene Mindestnennbetrag nur über-, aber nicht unterschritten werden. Einzige (scheinbare) Ausnahme ist eine sanierungsbedingte Kapitalherabsetzung gemäß § 228, bei welcher der Mindestnennbetrag durch eine gleichzeitig beschlossene Kapitalerhöhung alsbald allerdings wieder erreicht wird.4) _____________ 1) 2) 3) 4)

Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 7 Rz. 1; Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 7 Rz. 1. Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 7 Rz. 4; Heider in: MünchKomm-AktG, § 7 Rz. 10; HöltersSolveen, AktG, § 7 Rz. 1. Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 7 Rz. 1; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 7 Rz. 5; Eidenmüller/ Engert, AG 2005, 97, 99. Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 7 Rz. 2; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 7 Rz. 5. Bsp. bei: BGH, Urt. v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 (Klöckner & Co.), AG 1993, 125 ff.

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§7

Mindestnennbetrag des Grundkapitals

lungsbeschluss, der nachträglich gegen § 6 verstößt, ist gemäß § 241 Nr. 3 nichtig, seine Eintragung vom Registergericht abzulehnen und kann auch noch nach einer aufgrund § 242 Abs. 2 durch Eintragung in das Handelsregister erfolgten Heilung gemäß § 398 Abs. 2 FamFG gelöscht werden.12) _____________ 12) Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 6 Rz. 4.

§7 Mindestnennbetrag des Grundkapitals Der Mindestnennbetrag des Grundkapitals ist fünfzigtausend Euro. Literatur: Eidenmüller/Engert, Die angemessene Höhe des Grundkapitals der Aktiengesellschaft, AG 2005, 97.

Übersicht I. Bedeutung der Norm ........................ 1 II. Mindestnennbetrag ........................... 2 I.

III. Spezialgesetzliche Ausnahmen ........ 3 IV. Rechtsfolgen bei Verstößen ............. 5

Bedeutung der Norm

Neben der Gewährleistung eines den Gläubigern als Ausgleich für die fehlende persönliche 1 Haftung der Aktionäre zur Verfügung stehenden Mindesthaftkapitals (Gläubigerschutz) soll die Vorschrift primär eine Sperrfunktion erfüllen, indem sie Unternehmen, deren Geschäftsbetrieb mit weniger als 50.000 € Eigenkapital auskommt, den Zugang zur Rechtsform der AG verwehrt (siehe zu weiteren Funktionen § 1 Rz. 27 ff.).1) Selbst Kleinunternehmer werden heute allerdings eher von der aufwendigen Organisationsstruktur, der Satzungsstrenge, den strikten Vorschriften zur Sachgründung und den strengen Publizitätspflichten bei der AG abgeschreckt als von der Höhe des Mindestnennbetrags.2) II.

Mindestnennbetrag

Die Vorschrift legt die betragsmäßige Untergrenze für das von § 1 Abs. 2 geforderte und 2 gemäß § 6 in Euro zu beziffernde Grundkapital auf 50.000 € fest. Das Mindest-Grundkapital für die deutsche AG liegt somit über dem in Art. 6 Abs. 1 der Kapitalrichtlinie vorgeschriebenen Betrag von 25.000 € und unterhalb dem gemäß Art. 4 Abs. 2 SE-VO für die europäische Aktiengesellschaft vorgeschriebenen Betrag von 120.000 €. Das Grundkapital liegt in der Praxis allerdings regelmäßig deutlich über 50.000 €.3) Grundsätzlich darf der von § 7 vorgegebene Mindestnennbetrag nur über-, aber nicht unterschritten werden. Einzige (scheinbare) Ausnahme ist eine sanierungsbedingte Kapitalherabsetzung gemäß § 228, bei welcher der Mindestnennbetrag durch eine gleichzeitig beschlossene Kapitalerhöhung alsbald allerdings wieder erreicht wird.4) _____________ 1) 2) 3) 4)

Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 7 Rz. 1; Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 7 Rz. 1. Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 7 Rz. 4; Heider in: MünchKomm-AktG, § 7 Rz. 10; HöltersSolveen, AktG, § 7 Rz. 1. Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 7 Rz. 1; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 7 Rz. 5; Eidenmüller/ Engert, AG 2005, 97, 99. Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 7 Rz. 2; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 7 Rz. 5. Bsp. bei: BGH, Urt. v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 (Klöckner & Co.), AG 1993, 125 ff.

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§8 III.

Form und Mindestbeiträge der Aktien Spezialgesetzliche Ausnahmen

3 Für Gesellschaften, die ein bestimmtes Gewerbe ausüben, legen Spezialgesetze teilweise einen höheren Mindestnennbetrag fest: –

300.000 € bei internen Kapitalverwaltungsgesellschaften (sog. Anfangskapital),5)



125.000 € bei externen Kapitalverwaltungsgesellschaften (sog. Anfangskapital),6)



1.000.000 € bei Unternehmensbeteiligungsgesellschaften,7)



5.000.000 € bei Verwahrstellen,8)



15.000.000 € bei REIT-Aktiengesellschaften9) und



25.000.000 € bei Pfandbriefbanken.10)

4 Auch bei Versicherungsgesellschaften und Bausparkassen kann die Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb vom Erreichen einer bestimmten Eigenkapitalausstattung abhängig gemacht werden. IV.

Rechtsfolgen bei Verstößen

5 Bei fehlender oder zu geringer Festsetzung des Grundkapitals gelten hinsichtlich der Rechtsfolgen die Ausführungen zu § 6 entsprechend (siehe hierzu § 6 Rz. 8). Mit Ausnahme der REIT-AG11) sind die genannten spezialgesetzlichen Regelungen über ein von § 7 abweichendes höheres Mindestkapital nicht gesellschafts-, sondern vielmehr aufsichtsrechtlich veranlasst, so dass eine Unterschreitung keine aktienrechtlichen, sondern lediglich aufsichtsrechtliche Konsequenzen hat.12) _____________ 5) 6) 7) 8) 9) 10) 11)

§ 25 Abs. 1 Nr. 1 lit. a KAGB. § 25 Abs. 1 Nr. 1 lit. b KAGB. § 2 Abs. 4 UBGG. § 68 Abs. 5 KAGB. § 4 REITG. § 2 Abs. 1 Nr. 1 PfandBG. Bei den REIT-AG ist der Mindestnennbetrag von 15.000.000 € gemäß § 4 REITG gesellschaftsrechtlich vorgeschrieben und gemäß § 1 Abs. 3 REITG gelten die aktienrechtlichen Regelungen über die Eintragung entsprechend. 12) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 7 Rz. 6; Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 7 Rz. 2; Hölters-Solveen, AktG, § 7 Rz. 7.

§8 Form und Mindestbeiträge der Aktien (1) Die Aktien können entweder als Nennbetragsaktien oder als Stückaktien begründet werden. (2) 1Nennbetragsaktien müssen auf mindestens einen Euro lauten. 2Aktien über einen geringeren Nennbetrag sind nichtig. 3Für den Schaden aus der Ausgabe sind die Ausgeber den Inhabern als Gesamtschuldner verantwortlich. 4Höhere Aktiennennbeträge müssen auf volle Euro lauten. (3) 1Stückaktien lauten auf keinen Nennbetrag. 2Die Stückaktien einer Gesellschaft sind am Grundkapital in gleichem Umfang beteiligt. 3Der auf die einzelne Aktie entfallende anteilige Betrag des Grundkapitals darf einen Euro nicht unterschreiten. 4Absatz 2 Satz 2 und 3 findet entsprechende Anwendung.

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Alexander Franz

§8 III.

Form und Mindestbeiträge der Aktien Spezialgesetzliche Ausnahmen

3 Für Gesellschaften, die ein bestimmtes Gewerbe ausüben, legen Spezialgesetze teilweise einen höheren Mindestnennbetrag fest: –

300.000 € bei internen Kapitalverwaltungsgesellschaften (sog. Anfangskapital),5)



125.000 € bei externen Kapitalverwaltungsgesellschaften (sog. Anfangskapital),6)



1.000.000 € bei Unternehmensbeteiligungsgesellschaften,7)



5.000.000 € bei Verwahrstellen,8)



15.000.000 € bei REIT-Aktiengesellschaften9) und



25.000.000 € bei Pfandbriefbanken.10)

4 Auch bei Versicherungsgesellschaften und Bausparkassen kann die Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb vom Erreichen einer bestimmten Eigenkapitalausstattung abhängig gemacht werden. IV.

Rechtsfolgen bei Verstößen

5 Bei fehlender oder zu geringer Festsetzung des Grundkapitals gelten hinsichtlich der Rechtsfolgen die Ausführungen zu § 6 entsprechend (siehe hierzu § 6 Rz. 8). Mit Ausnahme der REIT-AG11) sind die genannten spezialgesetzlichen Regelungen über ein von § 7 abweichendes höheres Mindestkapital nicht gesellschafts-, sondern vielmehr aufsichtsrechtlich veranlasst, so dass eine Unterschreitung keine aktienrechtlichen, sondern lediglich aufsichtsrechtliche Konsequenzen hat.12) _____________ 5) 6) 7) 8) 9) 10) 11)

§ 25 Abs. 1 Nr. 1 lit. a KAGB. § 25 Abs. 1 Nr. 1 lit. b KAGB. § 2 Abs. 4 UBGG. § 68 Abs. 5 KAGB. § 4 REITG. § 2 Abs. 1 Nr. 1 PfandBG. Bei den REIT-AG ist der Mindestnennbetrag von 15.000.000 € gemäß § 4 REITG gesellschaftsrechtlich vorgeschrieben und gemäß § 1 Abs. 3 REITG gelten die aktienrechtlichen Regelungen über die Eintragung entsprechend. 12) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 7 Rz. 6; Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 7 Rz. 2; Hölters-Solveen, AktG, § 7 Rz. 7.

§8 Form und Mindestbeiträge der Aktien (1) Die Aktien können entweder als Nennbetragsaktien oder als Stückaktien begründet werden. (2) 1Nennbetragsaktien müssen auf mindestens einen Euro lauten. 2Aktien über einen geringeren Nennbetrag sind nichtig. 3Für den Schaden aus der Ausgabe sind die Ausgeber den Inhabern als Gesamtschuldner verantwortlich. 4Höhere Aktiennennbeträge müssen auf volle Euro lauten. (3) 1Stückaktien lauten auf keinen Nennbetrag. 2Die Stückaktien einer Gesellschaft sind am Grundkapital in gleichem Umfang beteiligt. 3Der auf die einzelne Aktie entfallende anteilige Betrag des Grundkapitals darf einen Euro nicht unterschreiten. 4Absatz 2 Satz 2 und 3 findet entsprechende Anwendung.

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§8

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(4) Der Anteil am Grundkapital bestimmt sich bei Nennbetragsaktien nach dem Verhältnis ihres Nennbetrags zum Grundkapital, bei Stückaktien nach der Zahl der Aktien. (5) Die Aktien sind unteilbar. (6) Diese Vorschriften gelten auch für Anteilscheine, die den Aktionären vor der Ausgabe der Aktien erteilt werden (Zwischenscheine). Literatur: Heider, Einführung der nennwertlosen Aktie in Deutschland anlässlich der Umstellung des Gesellschaftsrechts auf den Euro, AG 1998, 1; Vetter, Verpflichtung zur Schaffung von 1 Euro-Aktien?, AG 2000, 193; Zöllner, Neustückelung des Grundkapitals und Neuverteilung von Einzahlungsquoten bei teileingezahlten Aktien der Versicherungsgesellschaften, AG 1985, 19.

Übersicht I. Bedeutung der Norm ........................ 1 II. Nennbetragsaktien (§ 8 Abs. 2, Abs. 4) ............................. 5 1. Begriff ................................................. 5 2. Unterschiedliche Nennbeträge .......... 7 3. Vermeidung von Spitzen .................... 8 4. Kalter Bezugsrechtsausschluss .......... 9 5. Änderung der Nennbeträge ............. 10 a) Neustückelung ........................... 11 b) Kapitalmaßnahmen .................... 12 6. Rechtsfolgen bei Verstößen ............. 13 a) Verstöße gegen § 8 Abs. 2 Satz 1 ........................................... 14 b) Verstöße gegen § 8 Abs. 2 Satz 4 ........................................... 17 I.

III. Stückaktien (§ 8 Abs. 3, Abs. 4) ..... 1. Begriff ............................................... 2. Zulässigkeit von Spitzen .................. 3. Besonderheiten bei Kapitalmaßnahmen .............................................. 4. Rechtsfolgen bei Verstößen ............ IV. Umstellung der Aktienform .......... 1. Grundsatz ......................................... 2. Beschlossene Kapitalmaßnahmen ... V. Unteilbarkeit (§ 8 Abs. 5) ............... 1. Aufspaltungsverbot .......................... 2. Abspaltungsverbot ........................... 3. Rechtsfolgen bei Verstößen ............ VI. Zwischenscheine (§ 8 Abs. 6) .........

18 18 19 20 21 22 22 23 24 24 26 28 29

Bedeutung der Norm

Ursprünglich kannte das Aktiengesetz ausschließlich Nennbetragsaktien. Erst zum 1.4.1998 1 wurde durch das Gesetz über die Zulassung von Stückaktien (Stück AG)1) alternativ die Ausgabe von Stückaktien vorgesehen.2) Der Wortlaut des § 8 Abs. 1 sowie derjenige des § 23 Abs. 3 Nr. 4 („entweder … oder“) 2 setzt Nennbetrags- und Stückaktien in ein striktes Alternativverhältnis, so dass die Ausgabe beider Aktienformen nebeneinander unzulässig ist.3) Die Wahl für eine der Aktienformen ist bei Gründung durch entsprechende Festlegung in der Satzung zu treffen, vgl. § 23 Abs. 3 Nr. 4. Da Inhaber- bzw. Namensaktien i. S. von § 10 Abs. 1 ebenso wie Vorzugs- bzw. Stammaktien i. S. von § 12 Abs. 1 keine Aktienformen im Rechtssinne sind, ist ein gleichzeitiges Nebeneinander diesbezüglich zulässig.4) Praktische Vorteile der Stückaktie sind insbesondere die Zulässigkeit eines nicht auf 3 ganze Euro lautenden anteiligen Betrags am Grundkapital, die Möglichkeit einer Einziehung ohne Kapitalherabsetzung gemäß § 237 Abs. 3 Nr. 3 (Amortisation) sowie einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln durch Aufstockung des rechnerischen Anteils gemäß § 207 Abs. 2 Satz 2 und ein im Vergleich zur Nennbetragsaktie geringeres Anfechtungs_____________ 1) 2) 3) 4)

Gesetz über die Zulassung von Stückaktien (StückAG) v. 25.3.1998, BGBl. I 1998, 590. Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 8 Rz. 1 f. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 8 Rz. 4; Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 8 Rz. 8. Henssler/Strohn-Lange, GesR, § 8 AktG Rz. 3.

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risiko.5) Vorteil der Nennbetragsaktie ist die Möglichkeit, dass Aktien mit unterschiedlichen Nennbeträgen ausgegeben werden können.6) 4 Bei der Investmentaktiengesellschaft dürfen gemäß § 109 Abs. 1 KAGB nur noch Stückaktien ausgegeben werden. II.

Nennbetragsaktien (§ 8 Abs. 2, Abs. 4)

1.

Begriff

5 Wichtigste Eigenschaft der Nennbetragsaktie ist die Ausweisung eines gemäß § 6 zu beziffernden und statutarisch festzulegenden Nennbetrags von mindestens 1 €, vgl. § 8 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 23 Abs. 3 Nr. 4. Im Zusammenspiel mit dem Gebot der Zerlegung des Grundkapitals in § 1 Abs. 2 folgt hieraus, dass der Gesamtbetrag aller Nennbetragsaktien mit der Summe des Grundkapitals identisch sein muss, dieses also weder unter- noch überschreiten darf.7) Setzt man den Nennbetrag der jeweiligen Aktie ins Verhältnis zum Grundkapital, so kann man den prozentualen Anteil der jeweiligen Aktie am Grundkapital bestimmen (§ 8 Abs. 4 Alt. 1). Ein Nennbetrag von mehr als 1 € muss stets durch 1 € teilbar sein (§ 8 Abs. 2 Satz 4). Beispiel: Bei einem Grundkapital i. H. von 50.000 € und einer Zerlegung in zwei Nennbetragsaktien zu einem Nennbetrag von 30.000 € bzw. 20.000 € beträgt der Anteil der jeweiligen Aktie am Grundkapital 60 % bzw. 40 %. 6 Umgekehrt folgt hieraus, dass die Höhe des Grundkapitals die zulässige Höchstzahl von Nennbetragsaktien bestimmt. Beispiel: So kann z. B. eine AG mit einem Grundkapital i. H. von 100.000 € maximal 100.000 Nennbetragsaktien mit einem Nennwert von je 1 € ausgeben (§ 8 Abs. 2 Satz 1). 2.

Unterschiedliche Nennbeträge

7 Das Grundkapital kann in Aktien mit unterschiedlichen Nennbeträgen gestückelt werden, vgl. § 23 Abs. 3 Nr. 4 („… die Zahl der Aktien jeden Nennbetrags …“), so dass nicht nur bei Gründung unterschiedliche Nennbeträge festgelegt, sondern auch bei Kapitalerhöhungen Aktien mit anderen Nennbeträgen als bisher vorhanden ausgegeben werden können.8) Grundsätzlich sind die Aktionäre bei Festlegung der Höhe des Nennbetrags oberhalb des 1 € Mindestnennbetrags frei, vgl. aber § 8 Abs. 2 Satz 4 (siehe hierzu Rz. 8). 3.

Vermeidung von Spitzen

8 Soweit Aktien mit Nennbeträgen i. H. von über 1 € ausgegeben werden, schreibt § 8 Abs. 2 Satz 4 vor, dass diese ebenfalls auf volle Euro lauten, und somit jeweils durch 1 € teilbar sein müssen. Zu Schwierigkeiten kann dies führen, wenn bei Durchführung bestimmter Strukturmaßnahmen keine glatten Eurobeträge, sondern rechnerische Bruchteile von Aktien (sog. Spitzen) anfallen, wie z. B. bei Kapitalmaßnahmen, Umwandlungen oder Abfindungen i. R. von Unternehmensverträgen.9) In solchen Fällen greifen zum Teil _____________ 5) 6) 7) 8) 9)

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K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 8 Rz. 5. Grigoleit-Vedder, AktG, § 8 Rz. 3. Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 8 Rz. 14; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 8 Rz. 5. Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 8 Rz. 16. Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 8 Rz. 17 ff.; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 8 Rz. 10.

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Form und Mindestbeiträge der Aktien

§8

gesetzliche Regelungen ein (bei Kapitalherabsetzung § 222 Abs. 4 Satz 2, bei Formwechsel einer GmbH in eine AG § 241 Abs. 1 UmwG), zum Teil können Mehrheitsaktionäre kraft ihrer mitgliedschaftlichen Treubindung (§ 53a) gegenüber Minderheitsaktionären ausnahmsweise verpflichtet sein, derartige Spitzen durch Wahl des geringstzulässigen Nennbetrags zu vermeiden, wobei ein abweichender Beschluss ggf. anfechtbar ist.10) Zu der mit Einführung des Euro erforderlichen Umstellung der Nennbetragsaktien von DM auf Euro und der damit verbundenen Problematik krummer Nennbeträge vgl. §§ 3 und 4 EGAktG.11) 4.

Kalter Bezugsrechtsausschluss

Wird der Nennbetrag bei einer Kapitalerhöhung unter formaler Wahrung des Bezugs- 9 rechts so hoch angesetzt, dass es zu einem faktischen Bezugsrechtsausschluss für Altaktionäre kommt (sog. kalter Bezugsrechtsausschluss), besteht das Risiko einer Anfechtbarkeit des jeweiligen Kapitalerhöhungsbeschlusses.12) Vgl. zum kalten Bezugsrechtsausschluss auch § 9 Rz. 19. 5.

Änderung der Nennbeträge

Da die Nennbeträge Teil der Satzung sind, bedarf jede Nennbetragsänderung unter Bea- 10 chtung von § 8 Abs. 2 Satz 1 und 4 eines entsprechenden satzungsändernden Hauptversammlungsbeschlusses gemäß §§ 179 ff.13) Folgende Konstellationen einer statutarischen Nennbetragsänderung sind denkbar: a)

Neustückelung

Die Neustückelung ist eine Änderung der Zerlegung des Grundkapitals bei gleichbleiben- 11 der Ziffer des Grundkapitals im Wege der Teilung und/oder Vereinigung.14) Bei einer Teilung werden die jeweiligen Nennbeträge in kleinere Einheiten gegliedert.15) § 8 Abs. 5 ist hiervon nicht betroffen.16) Die Zustimmung des einzelnen Aktionärs zur Teilung ist grundsätzlich nicht erforderlich, da sein Mitgliedschaftsrecht unverändert bleibt und seine Rechtsposition folglich nicht beeinträchtigt wird.17) Etwas anderes kann gelten, wenn bei der Teilung eine Spitze bleibt, für die keine neue Aktie zugeteilt wird.18) Die Vereinigung als Pendant zur Teilung bedeutet Zusammenlegung mehrerer bisher selbständiger Aktien zu einer (oder mehreren) neuen Aktie(n), die nunmehr bei gleichbleibendem Grundkapital einen der Summe der bisherigen Nennbeträge entsprechenden höheren Nennbetrag ausweist/en.19) Im Gegensatz zur Teilung ist bei der Vereinigung nach überwiegender Ansicht die Zustimmung des betroffenen Aktionärs erforderlich, weil hierdurch die Mobili-

_____________ 10) BGH, Urt. v. 5.7.1999 – II ZR 126-98, NJW 1999, 3197 f.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 8 Rz. 6, § 222 Rz. 23; Heider in: MünchKomm-AktG, § 8 Rz. 60; ausführlich hierzu: Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 8 Rz. 17 ff.; Vetter, AG 2000, 193 ff. 11) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 8 Rz. 14; Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 8 Rz. 64 ff. 12) Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 9 Rz. 29; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 8 Rz. 7. 13) Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 8 Rz. 23. 14) Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 8 Rz. 26; ausführlich hierzu Zöllner, AG 1985, 19 ff. 15) Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 8 Rz. 27. 16) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 8 Rz. 27. 17) Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 8 Rz. 27; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 8 Rz. 12. 18) K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 8 Rz. 32; Grigoleit-Vedder, AktG, § 8 Rz. 12. 19) Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 8 Rz. 28.

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Form und Mindestbeiträge der Aktien

tät und somit auch die Fungibilität seiner Beteiligungen erschwert werden.20) Teilung und Vereinigung der Nennbeträge können auch kombiniert werden.21) b)

Kapitalmaßnahmen

12 Einfache Kapitalerhöhungen können ebenso wenig wie Kapitalerhöhungen aus Gesellschaftsmitteln im Wege der Erhöhung des Nennbetrags der bestehenden Aktien durchgeführt werden, sondern nur durch Ausgabe neuer Aktien, vgl. §§ 182 Abs. 1 Satz 4, 207 Abs. 2 (anders bei Stückaktien, siehe hierzu Rz. 20).22) Es dürfte aber zulässig sein, im Zuge der Kapitalerhöhung das Grundkapital neu zu stückeln und anschließend Aktien mit entsprechend höheren Nennbeträgen auszugeben.23) Um die Identität zwischen der Summe sämtlicher Nennbeträge und dem Grundkapital wahren zu können, ist bei einer Kapitalherabsetzung notwendigerweise eine Absenkung der bisherigen Nennbeträge erforderlich und somit auch zulässig, vgl. § 222 Abs. 4 Satz 1. Hierbei müssen die Nennbeträge soweit herabgesetzt werden, dass Spitzen vermieden werden.24) 6.

Rechtsfolgen bei Verstößen

13 Das Gesetz sanktioniert Verstöße gegen § 8 Abs. 2 Satz 1 mit der Nichtigkeit der Aktien (§ 8 Abs. 2 Satz 2). Für Verstöße gegen § 8 Abs. 2 Satz 4 fehlt eine gesetzliche Regelung. Es wird wie folgt unterschieden: a)

Verstöße gegen § 8 Abs. 2 Satz 1

14 Für den (theoretischen) Fall, dass die Gründungssatzung einen Nennbetrag von unter 1 € festsetzt, sind sowohl Satzung als auch Übernahmeerklärung vor Handelsregistereintragung gemäß § 134 BGB nichtig, eine Vor-AG entsteht nicht, und das Registergericht hat die Eintragung der AG gemäß § 38 Abs. 1 Satz 2 abzulehnen.25) Trägt das Registergericht die AG trotz Mangels ein, entsteht die AG und somit gleichzeitig die aktienrechtliche Mitgliedschaft rechtswirksam, ein Nichtigkeitsgrund gemäß § 275 liegt nicht vor, so dass nur ein Amtsauflösungsverfahren gemäß § 399 FamFG i. V. m. § 262 Abs. 1 Nr. 5 AktG in Betracht kommt.26) Verstößt ein satzungsändernder Hauptversammlungsbeschluss, z. B. ein Kapitalerhöhungsbeschluss, gegen § 8 Abs. 2 Satz 1, so ist er gemäß § 241 Nr. 3 nichtig, das Registergericht darf weder den Beschluss noch dessen Durchführung eintragen; wird ein solcher Beschluss dennoch eingetragen, so ist die Mitgliedschaft zunächst wirksam entstanden, allerdings kann jeder Aktionär oder ein Mitglied des Vorstands oder des Aufsichtsrats innerhalb von drei Jahren seit Eintragung Klage auf Feststellung der Nichtigkeit des entsprechenden Beschlusses gemäß §§ 249, 242 Abs. 2 erheben.27) Darüber hinaus und unabhängig von der Drei-Jahres-Frist kann der Beschluss von Amts wegen gemäß § 398 Abs. 2 FamFG als nichtig gelöscht werden.28) _____________ 20) Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 8 Rz. 28; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 8 Rz. 13; Heider in: MünchKomm-AktG, § 8 Rz. 55; Grigoleit-Vedder, AktG, § 8 Rz. 12; Hölters-Solveen, AktG, § 8 Rz. 14; a. A. K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 8 Rz. 32. 21) Heider in: MünchKomm-AktG, § 8 Rz. 56. 22) Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 8 Rz. 24. 23) Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 8 Rz. 14. 24) Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 8 Rz. 25. 25) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 8 Rz. 7. 26) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 8 Rz. 7. 27) Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 8 Rz. 33; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 8 Rz. 21. 28) Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 8 Rz. 33; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 8 Rz. 21.

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§8

Wird trotz eines Verstoßes gegen § 8 Abs. 2 Satz 1 in das Handelsregister eingetragen, so 15 entfallen bei einer eventuellen Verbriefung der Mitgliedschaft alle wertpapierrechtlichen Anknüpfungen.29) Die Übertragung der mit Eintragung entstandenen Mitgliedschaftsrechte ist nur noch nach allgemeinen zivilrechtlichen Regelungen möglich (§§ 413, 398 ff., 1274 BGB), so dass die Möglichkeit eines gutgläubigen Erwerbs ausscheidet.30) Bereits vor Eintragung der AG bzw. der Kapitalerhöhung ausgegebene Aktienurkunden sind nach §§ 41 Abs. 4 Satz 1, 191 Satz 2, 197 Satz 2, 203 Abs. 1 nichtig, so dass § 8 Abs. 2 Satz 2 in diesem Fall nicht bemüht werden muss.31) § 8 Abs. 2 Satz 3 begründet eine gesamtschuldnerische Schadensersatzpflicht in Form 16 einer §§ 823 ff. BGB unterstehenden deliktsähnlichen Gefährdungshaftung der Ausgeber (regelmäßig: Vorstand) gegenüber den Inhabern (Eigentümer der nichtigen Urkunden).32) Ein Verstoß gegen § 8 Abs. 2 Satz 1 stellt außerdem eine Ordnungswidrigkeit gemäß § 405 Abs. 1 Nr. 3 dar, die mit einer Geldbuße von bis zu 25.000 € sanktioniert werden kann, vgl. § 405 Abs. 4. b)

Verstöße gegen § 8 Abs. 2 Satz 4

Verstöße gegen § 8 Abs. 2 Satz 4 sind weniger gravierend als Verstöße gegen § 8 Abs. 2 17 Satz 1.33) Sollten entgegen der gesetzlichen Anordnung die vorgesehenen Nennbeträge der Aktien nicht auf volle Euro lauten, so hat das Registergericht die Eintragung der AG bzw. die entsprechende Kapitalerhöhung gemäß § 38 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 Nr. 1 i. V. m. § 23 Abs. 3 Nr. 4 abzulehnen; wird die Handelsregistereintragung dennoch vollzogen, bleibt ein solcher Verstoß weitgehend folgenlos: § 8 Abs. 2 Satz 2 und 3, § 405 Abs. 1 Nr. 3 sind nicht anwendbar, Amtsauflösung gemäß § 399 FamFG, Amtslöschung gemäß § 398 FamFG oder Nichtigerklärung gemäß § 275 kommen nicht in Betracht, d. h. die Mitgliedschaften sind wirksam entstanden und ggf. wirksam verbrieft.34) Wird der Verstoß i. R. einer Satzungsänderung begangen, so ist der zugrunde liegende Hauptversammlungsbeschluss nicht nichtig, sondern nach § 243 Abs. 1 lediglich anfechtbar.35) III.

Stückaktien (§ 8 Abs. 3, Abs. 4)

1.

Begriff

Da Stückaktien gemäß § 8 Abs. 3 Satz 1 keinen Nennbetrag ausweisen, ist der Wert einer 18 Stückaktie nicht aus der jeweiligen Aktie selbst heraus erkennbar, sondern muss mittels Division des Grundkapitals durch die gemäß § 23 Abs. 3 Nr. 4 in der Satzung festzulegenden Anzahl sämtlicher Stückaktien errechnet werden, vgl. auch § 8 Abs. 4 Alt. 2. Diese Art der Wert- bzw. Anteilsbestimmung folgt aus der gesetzlichen Anordnung der Beteiligung sämtlicher Stückaktien am Grundkapital in gleichem Umfang gemäß § 8 Abs. 3 Satz 2. Auch der Nennwert einer jeden Stückaktie darf den Betrag von 1 € gemäß § 8 Abs. 3 Satz 3 nicht unterschreiten. Ein unterschiedlich hoher Anteil am Grundkapital, wie er bei Nennbetragaktien durch die Ausgabe von Aktien mit voneinander abweichenden _____________ 29) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 8 Rz. 9; Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 8 Rz. 37; Dauner-Lieb in: KölnKommAktG, § 8 Rz. 23. 30) Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 8 Rz. 37; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 8 Rz. 23. 31) Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 8 Rz. 37. 32) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 8 Rz. 10; Heider in: MünchKomm-AktG, § 8 Rz. 72 ff. 33) Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 8 Rz. 39. 34) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 8 Rz. 12; Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 8 Rz. 40. 35) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 8 Rz. 12; Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 8 Rz. 40.

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§8

Form und Mindestbeiträge der Aktien

Nennbeträgen begründet werden kann, ist bei Stückaktien wegen § 8 Abs. 3 Satz 2 nicht denkbar (für Nennbetragsaktien siehe Rz. 7).36) Beispiel: So kann eine AG mit einem Grundkapital i. H. von 100.000 € maximal 100.000 Stückaktien ausgeben (§ 8 Abs. 3 Satz 3). 2.

Zulässigkeit von Spitzen

19 Ein Nennwert von über 1 € muss, mangels einer dem § 8 Abs. 2 Satz 4 entsprechenden Regelung, im Gegensatz zu Nennbetragsaktien allerdings nicht auf einen vollen Euro-Betrag lauten, so dass bei Stückaktien auch krumme Nennwerte zulässig sind.37) Beispiel: Bei einem Grundkapital i. H. von 100.000 € und einer Zerlegung in 101 Stückaktien beträgt der Nennwert jeder Aktie 990,09901 € und ihr Anteil am Grundkapital 0,99009901 %. 3.

Besonderheiten bei Kapitalmaßnahmen

20 Da Stückaktien keinen Nennbetrag ausweisen, können Kapitalerhöhungen aus Gesellschaftsmitteln auch ohne Ausgabe neuer Aktien durch Erhöhung des Grundkapitals durchgeführt werden, vgl. § 207 Abs. 2 Satz 2. In diesem Fall erhöht sich der jeweilige Wert einer Stückaktie unter Beibehaltung ihres prozentualen Anteils am Grundkapital. Bei Kapitalerhöhungen gegen Einlagen sind jedoch auch bei Stückaktien stets neue Aktien auszugeben, vgl. § 182 Abs. 1 Satz 4 und 5. Bei Kapitalherabsetzungen von Stückaktien ist die bei Nennbetragsaktien gemäß § 222 Abs. 4 Satz 1 erforderliche Herabsetzung des jeweiligen Nennbetrags der einzelnen Aktie entbehrlich, da die Division des angepassten Grundkapitals durch die gleichbleibende Zahl der Stückaktien nunmehr aufgrund gesetzlicher Anordnung automatisch einen geringeren Wert ergibt.38) 4.

Rechtsfolgen bei Verstößen

21 Während ein Verstoß gegen § 8 Abs. 2 Satz 1 bei Nennbetragsaktien in der Praxis eher geringe praktische Bedeutung hat, ist die (Neu-)Stückelung des Grundkapitals bei Stückaktien im Hinblick auf die auch hier gemäß § 8 Abs. 3 Satz 3 geltende gesetzliche Anordnung eines Mindestnennwerts von 1 € fehleranfälliger, da bei Stückaktien der Nennwert nicht explizit ausgewiesen ist.39) Die Ausführungen unter Rz. 13 ff. gelten hier entsprechend, vgl. auch § 8 Abs. 3 Satz 4. IV.

Umstellung der Aktienform

1.

Grundsatz

22 Der Wechsel zwischen beiden Aktienformen ist zulässig und bedarf der Satzungsänderung nach den allgemeinen Regelungen der §§ 179 ff.; die Zustimmung sämtlicher Aktionäre ist grundsätzlich nicht erforderlich, da es kein Aktionärsrecht auf Beibehaltung der bisherigen Aktienstrukturen gibt.40) Sollte es sich bei einer Umstellung von Nennbetrags- auf Stückaktien um Aktien mit unterschiedlich hohen Nennbeträgen handeln, muss vor der Umstellung auf Stückaktien zunächst eine entsprechende Umstückelung auf _____________ 36) 37) 38) 39) 40)

50

Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 8 Rz. 29. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 8 Rz. 19; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 8 Rz. 6. Heider in MünchKomm-AktG, § 8 Rz. 84. Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 8 Rz. 30. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 8 Rz. 20; Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 8 Rz. 9; Dauner-Lieb in: KölnKommAktG, § 8 Rz. 4.

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Form und Mindestbeiträge der Aktien

§8

Nennbetragsaktien mit jeweils gleichem Nennbetrag vollzogen werden, damit § 8 Abs. 3 Satz 2 gewahrt bleibt.41) Sollten bei einer Umstellung von Stück- auf Nennbetragsaktien die Stückaktien so gestückelt sein, dass die jeweiligen Nennbetragsaktien bei Umrechnung keine vollen Eurobeträge ergeben und somit einen Verstoß gegen § 8 Abs. 2 Satz 4 zur Konsequenz haben, sind zunächst ebenfalls entsprechende Kapitalmaßnahmen (Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln bzw. Kapitalherabsetzung) erforderlich.42) Sofern die einzelnen Maßnahmen hinreichend transparent bleiben, können diese auch in einem Hauptversammlungsbeschluss zusammengefasst und gemeinsam zum Handelsregister angemeldet werden.43) 2.

Beschlossene Kapitalmaßnahmen

Besonderheiten bei der Umstellung von Nennbetrags- auf Stückaktien oder umgekehrt 23 sind zu beachten, wenn bereits beschlossene Kapitalmaßnahmen zum Zeitpunkt des Umstellungsbeschlusses noch nicht vollständig durchgeführt worden sind. Folgende Fälle werden unterschieden: Hat die Hauptversammlung den Nennbetrag des genehmigten Kapitals i. S. von §§ 202 ff. festgelegt, muss die Ermächtigung (§ 202 Abs. 1) durch Satzungsänderung an die neue Form und Stückelung des Grundkapitals angepasst werden.44) Wenn und soweit i. R. einer bedingten Kapitalerhöhung gemäß §§ 192 ff. von den Umtauschoder Bezugsrechten noch Gebrauch gemacht werden kann, bedürfen Satzung bzw. zugrunde liegender Hauptversammlungsbeschluss ebenfalls einer entsprechenden Anpassung.45) Auch bei Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln ist der zugrunde liegende Hauptversammlungsbeschluss entsprechend anzupassen und sollte ggf. entscheiden, ob neue Aktien ausgegeben werden sollen oder nicht (§ 207 Abs. 2 Satz 2).46) Bei Wandelund Optionsanleihen i. S. von § 221 ist im Hinblick auf die Bezugsrechte die Änderung des jeweiligen Hauptversammlungsbeschlusses nicht zwingend erforderlich, eine entsprechende Klarstellung allerdings sinnvoll.47) V.

Unteilbarkeit (§ 8 Abs. 5)

1.

Aufspaltungsverbot

§ 8 Abs. 5 untersagt die Teilung der in den Aktien verkörperten Mitgliedschaften und 24 hat die Nichtigkeit eines hierauf abzielenden Rechtsgeschäfts gemäß § 134 BGB zur Konsequenz.48) Da eine Neustückelung des Grundkapitals durch satzungsändernden Hauptversammlungsbeschluss nicht gegen § 8 Abs. 5 verstößt, kann sich das Verbot der Aktienteilung nur an die Aktionäre richten, wodurch ein Gleichlauf der tatsächlichen Einteilung des Grundkapitals mit der in der Satzung festgelegten erreicht wird.49) § 8 Abs. 5 verbietet nicht die Begründung von Rechtsgemeinschaften an einer Aktie, 25 deren Zulässigkeit der auf diese Fälle anwendbare § 69 vielmehr voraussetzt.50) So kann eine Aktie von mehreren in Bruchteilsgemeinschaft gemäß §§ 741 ff. BGB gehalten werden, _____________ 41) K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 8 Rz. 22. 42) K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 8 Rz. 22. 43) OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 15.3.2001 – 20 W 147/00, NZG 2001, 612 f. = ZIP 2001, 149; Spindler/ Stilz-Vatter, AktG, § 8 Rz. 10. 44) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 8 Rz. 21; Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 8 Rz. 12. 45) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 8 Rz. 22; Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 8 Rz. 12. 46) Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 8 Rz. 12; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 8 Rz. 41. 47) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 8 Rz. 22. 48) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 8 Rz. 26. 49) K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 8 Rz. 24 f. 50) Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 8 Rz. 54; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 8 Rz. 47; K. Schmidt/ Lutter-Ziemons, AktG, § 8 Rz. 26.

Alexander Franz

51

§8

Form und Mindestbeiträge der Aktien

wobei im Fall der Verbriefung Miteigentum an der Aktienurkunde besteht.51) Ebenso können Aktien von der nicht rechtsfähigen Erbengemeinschaft nach § 2032 BGB und der ebenfalls nicht rechtsfähigen Gütergemeinschaft nach §§ 1415 ff. BGB gehalten werden.52) Zulässig ist außerdem die Begründung einer schuldrechtlichen Unterbeteiligung oder eines Treuhandverhältnisses an der Aktie sowie die Überlassung einzelner Aktionärsrechte i. R. der gesetzlich vorgesehenen Fälle von Ermächtigung oder Vollmacht (vgl. §§ 129, 134, 135).53) Einen Sonderfall stellt die sog. Miteigentumslösung für das Sondervermögen einer Kapitalverwaltungsgesellschaft gemäß § 92 Abs. 1 KAGB dar. 2.

Abspaltungsverbot

26 Unzulässig und nichtig sind die Abspaltung einzelner Verwaltungsrechte von der Mitgliedschaft. So können – das Recht auf Teilnahme an der Hauptversammlung gemäß § 118 Abs. 1, – das Auskunftsrecht gemäß §§ 131 f., – das Stimmrecht gemäß §§ 133 ff., – das Recht auf Beteiligung am Bilanzgewinn gemäß 58 Abs. 4 sowie – das allgemeine Bezugsrecht gemäß § 186 nicht abgespalten und gesondert übertragen werden.54) 27 Als sog. Gläubigerrechte nicht erfasst vom Abspaltungsverbot sind hingegen der durch den Gewinnverwendungsbeschluss nach § 174 konkretisierte Anspruch auf Auszahlung des anteiligen Bilanzgewinns sowie das durch Kapitalerhöhungsbeschluss entstehende konkrete Bezugsrecht, so dass diese beiden (konkreten) Rechtspositionen als selbständig angesehen und unabhängig vom Mitgliedschaftsrecht abgetreten werden können.55) Ebenfalls als selbständig abtretbare Gläubigerrechte gelten der Anspruch auf anteiligen Liquidationserlös gemäß § 271, der Anspruch auf Gründungsentschädigung oder -lohn gemäß § 26 Abs. 2, der Anspruch auf Ausgleichszahlung beim Gewinnabführungs- und Beherrschungsvertrag gemäß § 304, der konkrete Anspruch auf Zahlung der Abfindung nach Annahme des Abfindungsangebots gemäß § 305 sowie konkrete Abfindungs- oder Zuzahlungsansprüche nach dem UmwG.56) 3.

Rechtsfolgen bei Verstößen

28 Rechtsgeschäfte, die gegen § 8 Abs. 5 verstoßen, sind gemäß § 134 BGB nichtig.57) VI.

Zwischenscheine (§ 8 Abs. 6)

29 Da die Ausgabe von Aktienurkunden bis zur vollständigen Leistung des Ausgabebetrages gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 unzulässig ist, können die Mitgliedschaftsrechte zwischenzeitlich in sog. Zwischenscheinen verbrieft werden (siehe auch § 10 Rz. 17, 20). Gemäß § 8 Abs. 6 sind die Absätze 2 bis 5 anwendbar, weitere Bestimmungen enthalten § 10 Abs. 3 und 4 sowie § 41 Abs. 4. Einen Anspruch auf Ausgabe haben die Aktionäre nur, soweit die Satzung dies vorsieht, ansonsten entscheidet der Vorstand nach seinem Ermessen.58) _____________ 51) 52) 53) 54) 55) 56) 57) 58)

52

Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 8 Rz. 55. Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 8 Rz. 56. Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 8 Rz. 57 ff. Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 8 Rz. 50; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 8 Rz. 27 ff.; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 8 Rz. 45 f. K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 8 Rz. 28. Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 8 Rz. 60. Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 8 Rz. 62; Heider in: MünchKomm-AktG, § 8 Rz. 98 m. w. N. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 8 Rz. 28.

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§9

Ausgabebetrag der Aktien

§9 Ausgabebetrag der Aktien (1) Für einen geringeren Betrag als den Nennbetrag oder den auf die einzelne Stückaktie entfallenden anteiligen Betrag des Grundkapitals dürfen Aktien nicht ausgegeben werden (geringster Ausgabebetrag). (2) Für einen höheren Betrag ist die Ausgabe zulässig. Literatur: Maidl/Kreifels, Beteiligungsverträge und ergänzende Vereinbarungen, NZG 2003, 1091; Mellert, Venture Capital Beteiligungsverträge auf dem Prüfstand, NZG 2003, 1096; Priester, Schuldrechtliche Zusatzleistung bei Kapitalerhöhung im Aktienrecht – Zulässigkeit, Registerprüfung, Bilanzierung, in: Festschrift für Volker Röhricht, 2005, S. 467.

Übersicht I. II. 1. 2. 3. 4. 5. 6.

I.

Bedeutung der Norm ........................ 1 Unterpariemission (§ 9 Abs. 1) ........ 2 Begriff ................................................. 2 Ausgabebetrag .................................... 3 Bareinlage ............................................ 5 Sacheinlage .......................................... 6 Verdeckte Unterpariemission ............ 8 Rechtsfolgen bei Verstößen ............. 10 a) Gründung unter pari .................. 10 b) Kapitalerhöhung unter pari ....... 11 c) Verdeckte Unterpariemission ... 12

III. Überpariemission (§ 9 Abs. 2) ....................................... 1. Begriff ............................................... 2. Höhe ................................................. 3. Grenzen der freien Gestaltung ........ 4. Kapitalbindung ................................. IV. Schuldrechtliche Zuzahlungen ..... 1. Zulässigkeit und Vorteile ................. 2. Praxishinweis ....................................

16 16 17 18 20 21 21 23

Bedeutung der Norm

Die Norm verbietet in § 9 Abs. 1 unter gleichzeitiger Legaldefinition des geringstmög- 1 lichen Ausgabebetrags (= Nennwert) sog. Unterpariemissionen und lässt gemäß § 9 Abs. 2 sog. Überpariemissionen zu. Zur Berechnung des Nennwerts einer jeden Aktie siehe § 8 Rz. 5 bzw. Rz. 18. Zweck des Verbots der Unterpariemission ist die Sicherung der Kapitalaufbringung.1) § 9 ist ausschließlich auf die Begründung der aktienrechtlichen Mitgliedschaft durch Ausgabe von Aktien i. R. der Gründung oder späterer Kapitalerhöhungen, nicht hingegen auf Rechtsnachfolgetatbestände anwendbar, so dass die Norm z. B. auf den bei Veräußerung bestehender Aktien zu vereinbarenden Kaufpreis keinen Einfluss hat.2) II.

Unterpariemission (§ 9 Abs. 1)

1.

Begriff

Eine Unterpariemission liegt vor, wenn bei einer Bareinlage die Zahlungsverpflichtung 2 oder bei einer Sacheinlage der Sachwert unter dem in § 9 Abs. 1 definierten geringsten Ausgabebetrag liegt.3) Das Verbot des § 9 Abs. 1 greift nicht nur bei Gründung, sondern

_____________ 1) 2) 3)

BGH, Urt. v. 27.2.1975 – II ZR 111/72, NJW 1975, 974, 977; BGH, Urt. v. 14.3.1977 – II ZR 156/75, NJW 1977, 1196 f.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 9 Rz. 1; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 9 Rz. 2. Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 9 Rz. 6; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 9 Rz. 11. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 9 Rz. 2; Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 9 Rz. 10.

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53

§9

Ausgabebetrag der Aktien

auch bei Kapitalerhöhung (§ 182 Abs. 3) und erschwert so die Beschaffung neuer Eigenmittel, wenn der Aktienkurs unter dem geringsten Ausgabebetrag liegt.4) 2.

Ausgabebetrag

3 Der geringste Ausgabebetrag und das ggf. geschuldete und nach § 9 Abs. 2 zulässige Aufgeld (Agio) bilden zusammen den Ausgabebetrag, während freiwillige schuldrechtliche Zuzahlungen hiervon nicht erfasst sind (zu diesen siehe Rz. 21 ff.).5) Beispiel: Angesichts eines guten Aktienkurses wird der Ausgabebetrag für die im Wege einer Kapitalerhöhung auszugebenden 100 neuen Nennbetragsaktien mit einem jeweiligen Nennbetrag von 1.000 € auf 2.500 € pro Aktie, d. h. auf insgesamt 250.000 € festgesetzt. Hiervon entfallen 100.000 € auf die Nennbeträge (1.000 € pro Aktie) und 150.000 € (1.500 € pro Aktie) auf das jeweils zusätzlich zu leistende Agio. 4 Der jeweilige Ausgabebetrag für die Aktien wird bei Gründung auf Grundlage der Gründungsurkunde in der Übernahmeerklärung nach § 23 Abs. 2 Nr. 2 bzw. bei Kapitalerhöhungen auf Grundlage des Hauptversammlungs- und ggf. Vorstandsbeschlusses im Zeichnungsschein nach § 185 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 (bei genehmigtem Kapital i. V. m. § 203 Abs. 1 Satz 1) und bei bedingten Kapitalerhöhungen in der Bezugserklärung nach § 198 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 193 Abs. 2 Nr. 3 festgesetzt.6) Das Verbot in § 9 Abs. 1 erfasst sämtliche dieser Vorstufen bis hin zu und einschließlich der endgültigen Entstehung der Mitgliedschaften durch Eintragung in das Handelsregister.7) 3.

Bareinlage

5 Im Falle einer Bareinlage bestimmt der Ausgabebetrag Inhalt und Umfang der dem jeweiligen Aktionär in Form einer monetären Einlage gemäß § 54 Abs. 2 obliegenden Zahlungspflicht und begrenzt gleichzeitig gemäß § 54 Abs. 1 dessen Einlagepflicht nach oben.8) 4.

Sacheinlage

6 Die Geltung des Verbots in § 9 Abs. 1 für Sacheinlagen wird in § 36a Abs. 2 Satz 3 bestätigt. Bei Sacheinlagen ergeben sich Inhalt und Umfang der Sachleistungspflicht nicht erst aus der Festsetzung eines Ausgabebetrags, sondern bereits aus der Festsetzung des an die AG zu übertragenden Sacheinlagegegenstands.9) Der Ausgabebetrag (inklusive Agio) dient allerdings als Maßstab für den Wert des geschuldeten Gegenstands sowie für den Umfang der bei Unterschreitung aufgrund Überbewertung oder bei verdeckter Sacheinlage durch Barzahlung auszugleichenden sog. Differenzhaftung des betroffenen Aktionärs.10) Beispiel: Aktionär A zeichnet 100 neue Aktien zum Nennbetrag von insgesamt 300.000 € und bringt im Gegenzug ein Grundstück ein, dessen tatsächlicher Wert allerdings nur 200.000 € beträgt. Da der Wert des Grundstücks unter dem geringstmöglichen Ausgabebetrag der 100 neuen Aktien liegt, greift vorliegend das Verbot der Unterpariemission des § 9 Abs. 1. _____________ 4) 5) 6) 7) 8) 9) 10)

54

Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 9 Rz. 4; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 9 Rz. 13. Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 9 Rz. 2. Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 9 Rz. 7 f.; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 9 Rz. 9. K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 9 Rz. 5. Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 9 Rz. 5. Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 9 Rz. 5. Vgl. ausführlich hierzu: Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 9 Rz. 5, 18 – 22.

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§9

Ausgabebetrag der Aktien

Zur Vermeidung einer Überbewertung von Sacheinlagegegenständen sollen insbesondere 7 §§ 27, 32 Abs. 2, 33 Abs. 2 Nr. 4, 34 Abs. 1, 37 Abs. 4 Nr. 2, 38 Abs. 2 Satz 2 dienen.11) 5.

Verdeckte Unterpariemission

Ob eine Unterpariemission i. S. von § 9 Abs. 1 auch dann vorliegt, wenn § 9 Abs. 1 vor- 8 dergründig zwar gewahrt ist, den Aktionären allerdings nicht von § 26 Abs. 2 gedeckte Provisionen, Skonti oder sonstige Nachlässe eingeräumt werden, welche die Zahlungsverpflichtung im Ergebnis entsprechend schmälern, oder im Falle der Sacheinlage eine Überbewertung des Sacheinlagegegenstands bzw. eine verdeckte Sacheinlage (§ 27 Abs. 3) vorliegt (sog. verdeckte Unterpariemission),12) ist umstritten, wird überwiegend aber befürwortet.13) Die Gegenauffassung befürchtet, dass die aufgrund der Nichtigkeitsrechtsfolge eines Verstoßes gegen § 9 Abs. 1 vor Handelsregistereintragung gar nicht erst entstehende Einlagepflicht diejenigen Gründer bzw. Zeichner privilegiert, die in besonders krasser Weise „verdeckt“ gegen ihre „Einlagepflicht“ verstoßen und verneint eine Anwendung des § 9 Abs. 1 auf Fälle der verdeckten Unterpariemission.14) Der Gegenauffassung ist zuzustimmen: Die als Hin- und Herzahlen, überbewertete oder 9 verdeckte Sacheinlage zu qualifizierenden Fallgruppen der verdeckten Unterpariemission sind durch die bereits außerhalb von § 8 einschlägigen Rechtsfolgen (im Ergebnis meist: Differenzhaftung, Ausnahme: Hin- und Herzahlen, siehe hierzu ausführlich § 27) hinreichend sanktioniert.15) Zudem hat diese Lösung den Vorteil, dass die Einlagepflicht mangels Nichtigkeit des jeweils zugrunde liegenden Rechtsgeschäfts bereits vor Handelsregistereintragung entsteht und es keiner umständlichen Konstruktionen mehr bedarf, um diese anderweitig zu begründen (siehe hierzu Rz. 12 ff.). Eine unterschiedliche Behandlung von offener und verdeckter Unterpariemission rechtfertigt nach hier vertretener Ansicht bereits die Tatsache, dass die offene Unterpariemission für alle Beteiligten erkennbar ist, während die verdeckte Unterpariemission in der Regel einen nicht ohne Weiteres erkennbaren Umgehungstatbestand darstellt, bei dem die Parteien an den Inhalt ihres zumindest formal mit § 9 Abs. 1 konform gehenden Leistungsversprechens gebunden bleiben sollten. 6.

Rechtsfolgen bei Verstößen

a)

Gründung unter pari

Für den Fall, dass in der Übernahmeerklärung als materiellem Satzungsbestandteil ein 10 Ausgabebetrag unter pari festgesetzt und somit gegen § 9 Abs. 1 verstoßen wird, sind sowohl Übernahmeerklärung als auch das gesamte Errichtungsgeschäft, inklusive Satzung, vor Handelsregistereintragung gemäß §§ 134, 139 BGB nichtig.16) Gemäß § 38 Abs. 1 Satz 2 bzw. Abs. 2 Satz 2 hat das Registergericht die Eintragung der AG in diesem Fall abzulehnen.17) Wird durch Aufnahme des Geschäftsbetriebs schon vor Eintragung eine _____________ 11) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 9 Rz. 3. 12) Vgl. zu den von der verdeckten Unterpariemission erfassten Fallgruppen ausführlich: Heider in: MünchKomm-AktG, § 9 Rz. 25 ff. 13) Für eine Erfassung der verdeckten Unterpariemission durch § 9 Abs. 1: Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 9 Rz. 2; Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 9 Rz. 10; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 9 Rz. 17; Heider in: MünchKomm-AktG, § 9 Rz. 11. 14) K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 9 Rz. 7, 11; Henssler/Strohn-Lange, GesR, § 9 AktG Rz. 7. 15) So wohl auch: K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 9 Rz. 10; Henssler/Strohn-Lange, GesR, § 9 AktG Rz. 7; a. A.: Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 9 Rz. 17, die dem mit der Nichtigkeitsrechtsfolge verbundenen präventiven Kapitalaufbringungsschutz größere Bedeutung zumisst. 16) Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 9 Rz. 14. 17) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 9 Rz. 5.

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55

§9

Ausgabebetrag der Aktien

Vor-AG in Vollzug gesetzt, kommen die Regeln über die fehlerhafte Gesellschaft zur Anwendung und die Gründer können ggf. entsprechend § 277 Abs. 3 zur Leistung der versprochenen Einlagen verpflichtet sein, soweit die Mittel zur Begleichung bereits entstandener Verbindlichkeiten benötigt werden.18) Trägt das Registergericht trotz Mangels ein, entsteht die AG rechtswirksam, ein Nichtigkeitsgrund gemäß § 275 liegt nicht vor und weder das Amtslöschungsverfahren gemäß § 397 FamFG noch das Amtsauflösungsverfahren gemäß § 399 FamFG kommen in Betracht.19) Der Bargründer ist nunmehr verpflichtet, Zahlungen bis zur Höhe des geringsten und darüber hinaus des vollen Ausgabebetrags zu leisten und den Sachgründer trifft neben der Pflicht zur Einbringung seines nicht werthaltigen Sacheinlagegegenstands die gesetzliche Differenzhaftung.20) b)

Kapitalerhöhung unter pari

11 Wird der Ausgabebetrag bereits im Kapitalerhöhungsbeschluss unter pari festgelegt, so ist der Beschluss gemäß § 241 Nr. 3 Alt. 2 ebenso wie eine entsprechende Zeichnungserklärung nichtig.21) Das Registergericht darf die Kapitalerhöhung nicht eintragen.22) Wird sie gleichwohl eingetragen, so hat die Eintragung vorbehaltlich § 242 Abs. 2 Satz 1 keine heilende Wirkung.23) Jeder Aktionär und jedes Organmitglied kann Nichtigkeitsklage gemäß § 249 Abs. 1 erheben und auch nach Ablauf der Drei-Jahres-Frist in § 242 Abs. 2 Satz 1 ist das Amtslöschungsverfahren gemäß § 398 FamFG noch möglich.24) Mit Ausnahme der in Analogie zu § 277 Abs. 3 begründeten Pflicht bei bereits entstandenen Verbindlichkeiten, existiert aufgrund der Nichtigkeit keine Einlagepflicht.25) c)

Verdeckte Unterpariemission

12 Obwohl die überwiegende Literatur die Fallgruppen der verdeckten Unterpariemission ebenfalls als Verstoß gegen § 9 Abs. 1 wertet, wird die Konsequenz der Nichtigkeit des zugrunde liegenden Rechtsgeschäfts für diese Fälle weitgehend abgelehnt. Nach hier vertretener Ansicht ist die verdeckte Unterpariemission bereits tatbestandlich kein Fall von § 9 Abs. 1 (siehe Rz. 9). 13 So soll bei verdeckter Unterpariemission im Zusammenhang mit einer Bareinlage der Gründer bzw. im Fall einer späteren Kapitalerhöhung der Zeichner von Anfang an zumindest zur vollen Leistung auf den geringsten Ausgabebetrag verpflichtet sein.26) 14 Für den Fall der überbewerteten Sacheinlage ist weitgehend anerkannt, dass der Sacheinleger ab Eintragung der Gründung bzw. der Kapitalerhöhung in das Handelsregister den Differenzbetrag zwischen dem tatsächlichen Wert der Sacheinlage zum Zeitpunkt der Anmeldung und dem Ausgabebetrag in bar zu leisten hat.27) Für den Zeitraum vor Eintragung in das Handelsregister ist die Rechtsfolge bei überbewerteter Sacheinlage umstritten: Teilweise wird auch hier Nichtigkeit abgelehnt und eine Differenzhaftung _____________ Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 9 Rz. 14; Heider in: MünchKomm-AktG, § 9 Rz. 22. K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 9 Rz. 8. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 9 Rz. 6; Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 9 Rz. 15. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 9 Rz. 7; Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 9 Rz. 16. K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 9 Rz. 9; Heider in: MünchKomm-AktG, § 9 Rz. 29. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 9 Rz. 7; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 9 Rz. 9. Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 9 Rz. 16; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 9 Rz. 9. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 9 Rz. 7; Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 9 Rz. 16; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 9 Rz. 9. 26) Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 9 Rz. 16a; Heider in: MünchKomm-AktG, § 9 Rz. 26. 27) Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 9 Rz. 17; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 9 Rz. 22; a. A. für Kapitalerhöhung: Heider in: MünchKomm-AktG, § 9 Rz. 30. 18) 19) 20) 21) 22) 23) 24) 25)

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§9

Ausgabebetrag der Aktien

befürwortet.28) Die Gegenansicht nimmt i. S. eines effektiven Präventivschutzes der realen Kapitalaufbringung Nichtigkeit an.29) Eine vermittelnde Auffassung hält eine am Einzelfall orientierte Lösung für angemessen.30) Bei der verdeckten Sacheinlage soll sowohl bei Gründung als auch bei Kapitalerhöhung 15 stets die Sonderregelung des § 27 Abs. 3 eingreifen, und zwar unabhängig davon, ob dass Verbot der Unterpariemission berührt ist oder nicht.31) Rechtsfolge ist hier die sog. Anrechnungslösung, d. h. die Bareinlagepflicht besteht weiterhin, der Wert einer bereits geleisteten verdeckten Sacheinlage wird allerdings auf die Zahlungsverpflichtung angerechnet und läuft im Ergebnis somit ebenfalls auf eine Differenzhaftung des Gründers bzw. Zeichners hinaus (siehe hierzu § 27). III.

Überpariemission (§ 9 Abs. 2)

1.

Begriff

§ 9 Abs. 2 stellt klar, dass die Ausgabe von Aktien zu einem über dem geringsten Ausgabe- 16 betrag liegenden Betrag zulässig ist. Dieses sog. Agio (= Differenz zwischen Mindestausgabebetrag (= Nennwert) und in der Übernahmeerklärung bzw. dem Kapitalerhöhungsbeschluss festgelegten tatsächlichen Ausgabebetrag) ist nicht Teil des auf die Aktie entfallenden Anteils am Grundkapital, aber als Teil des Ausgabebetrags gleichzeitig Bestandteil der korporativen Einlagepflicht des Aktionärs und wird gemäß § 272 Abs. 2 Nr. 1 HGB bzw. § 266 Abs. 3 A. II. HGB als gesetzliche Kapitalrücklage in der Bilanz passiviert.32) 2.

Höhe

Die Festsetzung eines Agios ist unverbindlich und eine bestimmte Höhe nicht vorgegeben, 17 sondern grundsätzlich Verhandlungssache im Einzelfall.33) Das von den Organen zu wahrende finanzielle Interesse der AG wird regelmäßig auf einen hohen Ausgabebetrag und somit auf ein entsprechend hohes Agio gerichtet sein. 3.

Grenzen der freien Gestaltung

Bei Kapitalerhöhungen unter Ausschluss des Bezugsrechts der Altaktionäre besteht bei 18 einem unter dem Aktienkurs liegenden Ausgabebetrag die Gefahr der Verwässerung des Werts der bestehenden Aktien, da sich nach Durchführung der Kapitalerhöhung ein Mischkurs bilden wird, der jedenfalls unter dem bisherigen Aktienkurs liegt und sich somit entsprechend negativ auf den Aktienwert der Altaktionäre auswirkt.34) Aus diesem Grund sind die zuständigen Organe verpflichtet, den Ausgabebetrag und somit das Agio in einem solchen Fall so hoch wie möglich festzusetzen, da der zugrunde liegende Hauptversammlungsbeschluss ansonsten gemäß § 255 Abs. 2 ggf. angefochten bzw. ein entsprechender Vorstandsbeschluss beim genehmigten Kapital im Wege der vorbeugenden Unterlassungs- oder Feststellungsklage angegriffen werden kann.35) Als ein grundsätzlich angemessener und deshalb zulässiger Abschlag auf den Verkehrs- bzw. Börsenwert wird bei Festsetzung des Ausgabebetrags durch die Hauptversammlung ein Abschlag von 3 – 5 % _____________ 28) 29) 30) 31) 32) 33) 34) 35)

Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 9 Rz. 19; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 27 Rz. 24. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 9 Rz. 5. Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 9 Rz. 17. Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 9 Rz. 22. Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 9 Rz. 23; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 9 Rz. 23 f. Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 9 Rz. 26. Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 9 Rz. 28. Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 9 Rz. 26; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 9 Rz. 28.

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§9

Ausgabebetrag der Aktien

angesehen.36) Insbesondere Venture Capital und Private Equity Investoren verlangen regelmäßig vertraglich zugesicherte Verwässerungsschutzmechanismen, um sich davor zu schützen, dass bei zukünftigen Kapitalerhöhungen eine niedrigere Bewertung zugrunde gelegt wird als bei der eigenen Beteiligungsrunde (sog. Down-Round-Protection).37) 19 Bei Kapitalerhöhungen unter Wahrung des Bezugsrechts der Altaktionäre kommen entsprechende Rechtsmittel in Betracht, wenn der Ausgabebetrag so hoch festgesetzt wird, dass den Minderheitsaktionären die Bezugsrechtsausübung faktisch unmöglich ist (sog. kalter Bezugsrechtsausschluss) und sich die Mehrheitsverhältnisse zwangsweise zugunsten der Mehrheitsaktionäre verschieben.38) Vgl. zum kalten Bezugsrechtsausschluss auch § 8 Rz. 9. Umgekehrt kann im Einzelfall aus Gründen der Treupflicht die Festsetzung eines Ausgabebetrags geboten sein, der zumindest den Verkehrs- bzw. Börsenwert der bestehenden Aktien erreicht, wenn sich die Altaktionäre ansonsten zur Ausübung des Bezugsrechts gezwungen sehen, um ihre Vermögens- und Beteiligungsinteressen zu wahren.39) 4.

Kapitalbindung

20 Das Agio unterliegt den Kapitalaufbringungsvorschriften in gleicher Weise wie der geringste Ausgabebetrag und zugleich den Kapitalerhaltungsvorschriften in § 150 Abs. 3 und 4.40) IV.

Schuldrechtliche Zuzahlungen

1.

Zulässigkeit und Vorteile

21 Alternativ oder zusätzlich zum Agio werden häufig Zuzahlungen an die AG vereinbart, zu denen sich der Aktionär außerhalb des formal festgesetzten Ausgabebetrags aufgrund einer gesondert abgeschlossenen schuldrechtlichen Vereinbarung mit der AG oder den anderen Aktionären verpflichtet hat (sog. verdecktes Agio).41) Diese Zuzahlungen sind nach überwiegender Meinung nicht Gegenstand einer auf korporativer Grundlage begründeten Leistungspflicht und unterliegen daher nicht den Regeln über Kapitalaufbringung und -erhaltung, sondern nur dem allgemeinen Schuldrecht.42) Zulässigkeitsgrenzen bestehen nur, wenn die Festsetzung eines korporativen Agios aus aktienrechtlichen Gründen ausnahmsweise geboten ist.43) Die Gegenauffassung will allerdings auch rein schuldrechtliche Zuzahlungen dann einem korporativen Agio mit entsprechender Kapitalbindung des AktG gleichstellen, wenn die Gesellschaft nach der zugrunde liegenden Vereinbarung ein eigenes (schuldrechtliches) Forderungsrecht hat.44) 22 Derartige schuldrechtliche Zuzahlungen werden in der Praxis insbesondere im Zusammenhang mit Kapitalerhöhungen unter Beteiligung von Venture Capital und Private Equity Investoren vereinbart45) und bieten im Unterschied zum Agio folgende Vorteile: –

sie sind nicht Teil der gesellschaftsrechtlichen Einlagepflicht, so dass die AG je nach vertraglicher Gestaltung nicht zwingend ein eigenes Forderungsrecht gegen den Akti-

_____________ 36) 37) 38) 39) 40) 41) 42)

K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 9 Rz. 21 m. w. N. Vgl. hierzu: Weitnauer, Hdb. Venture Capital, Teil F II Rz. 111 ff., S. 348 f. Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 9 Rz. 29; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 9 Rz. 28. Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 9 Rz. 30. K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 9 Rz. 14; Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 9 Rz. 32. S. hierzu ausführlich Priester in: FS Röhricht, S. 467 ff. Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 9 Rz. 39; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 9 Rz. 34 ff.; GrigoleitVedder, AktG, § 9 Rz. 8; Hölters-Solveen, AktG, § 9 Rz. 13. 43) Vgl. hierzu Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 9 Rz. 37. 44) K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 9 Rz. 15 m. w. N. 45) S. hierzu Mellert, NZG 2003, 1096 ff.

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§ 10

Aktien und Zwischenscheine

onär hat; die Verpflichtung zur sofortigen Volleinzahlung gemäß §§ 36 Abs. 2, 36a Abs. 1 findet keine Anwendung, so dass die Zahlung auch erst später z. B. bei Erfüllung bestimmter aufschiebender Bedingungen (sog. Closing Conditions) oder Meilensteine (sog. Milestones) geleistet werden kann; –

sie sind in der Bilanz als „andere Zuzahlungen“ gemäß § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB zu passivieren, als solche nicht den Verwendungsbeschränkungen nach § 150 Abs. 3, 4 unterstellt und werden in der Praxis auch häufig zur Ausschüttung an die Altaktionäre verwendet;



da sie nicht zwingend Bestandteil der formalen Kapitalerhöhungsdokumente sind, lässt sich die Registerpublizität insofern vermeiden.46)

2.

Praxishinweis

Um den Anforderungen der Praxis gerecht zu werden, gilt es, das Risiko einer Qualifikation 23 der schuldrechtlichen Zuzahlungen als ein der unter Rz. 20 dargestellten aktienrechtlichen Kapitalbindung unterliegendes korporatives Agio zu minimieren. Es muss also verhindert werden, dass die zugrunde liegende Zahlungsverpflichtung mitgliedschaftlicher Natur ist, d. h. sie darf nicht gegenüber der Gesellschaft begründet werden. Es bietet sich daher an, das Forderungsrecht auf schuldrechtliche Zuzahlung ausschließlich als ein Recht der Aktionäre zur Leistung an die Gesellschaft, nicht jedoch als einen eigenen Anspruch der Gesellschaft selbst, auch nicht als einen solchen i. S. von § 328 BGB, auszugestalten.47) Wenn die Zuzahlungen somit als unechter Vertrag zugunsten Dritter (der AG) ausgestaltet sind, sollte einer Qualifikation nach § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB und somit der Vermeidung des korporativen Charakters nichts im Wege stehen. _____________ 46) Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 9 Rz. 34 ff.; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 9 Rz. 15; DaunerLieb in: KölnKomm-AktG, § 9 Rz. 34 ff. 47) Maidl/Kreifels, NZG 2003, 1091, 1092 f.; Mellert, NZG 2003, 1096, 1096 ff.; Weitnauer, Hdb. Venture Capital, Teil F II Rz. 127, S. 353; s. hierzu auch BayOLG, Beschl. v. 27.2.2002 – 3Z BR 35/02, ZIP 2002, 1484 = NZG 2002, 583; Brehm, Das Venture-Capital-Vertragswerk, 2011, S. 60 f.

§ 10 Aktien und Zwischenscheine (1) 1Die Aktien lauten auf den Namen. 2Sie können auf den Inhaber lauten, wenn 1. die Gesellschaft börsennotiert ist oder 2. der Anspruch auf Einzelverbriefung ausgeschlossen ist und die Sammelurkunde bei einer der folgenden Stellen hinterlegt wird: a) einer Wertpapiersammelbank im Sinne des § 1 Absatz 3 Satz 1 des Depotgesetzes, b) einem zugelassenen Zentralverwahrer oder einem anerkannten DrittlandZentralverwahrer gemäß der Verordnung (EU) Nr. 909/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 2014 zur Verbesserung der Wertpapierlieferungen und -abrechnungen in der Europäischen Union und über Zentralverwahrer sowie zur Änderung der Richtlinien 98/26/EG und 2014/65/EU und der Verordnung (EU) Nr. 236/2012 (ABl. L 257 vom 28.8.2014, S. 1) oder c) einem sonstigen ausländischen Verwahrer, der die Voraussetzungen des § 5 Absatz 4 Satz 1 des Depotgesetzes erfüllt.

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§ 10

Aktien und Zwischenscheine

onär hat; die Verpflichtung zur sofortigen Volleinzahlung gemäß §§ 36 Abs. 2, 36a Abs. 1 findet keine Anwendung, so dass die Zahlung auch erst später z. B. bei Erfüllung bestimmter aufschiebender Bedingungen (sog. Closing Conditions) oder Meilensteine (sog. Milestones) geleistet werden kann; –

sie sind in der Bilanz als „andere Zuzahlungen“ gemäß § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB zu passivieren, als solche nicht den Verwendungsbeschränkungen nach § 150 Abs. 3, 4 unterstellt und werden in der Praxis auch häufig zur Ausschüttung an die Altaktionäre verwendet;



da sie nicht zwingend Bestandteil der formalen Kapitalerhöhungsdokumente sind, lässt sich die Registerpublizität insofern vermeiden.46)

2.

Praxishinweis

Um den Anforderungen der Praxis gerecht zu werden, gilt es, das Risiko einer Qualifikation 23 der schuldrechtlichen Zuzahlungen als ein der unter Rz. 20 dargestellten aktienrechtlichen Kapitalbindung unterliegendes korporatives Agio zu minimieren. Es muss also verhindert werden, dass die zugrunde liegende Zahlungsverpflichtung mitgliedschaftlicher Natur ist, d. h. sie darf nicht gegenüber der Gesellschaft begründet werden. Es bietet sich daher an, das Forderungsrecht auf schuldrechtliche Zuzahlung ausschließlich als ein Recht der Aktionäre zur Leistung an die Gesellschaft, nicht jedoch als einen eigenen Anspruch der Gesellschaft selbst, auch nicht als einen solchen i. S. von § 328 BGB, auszugestalten.47) Wenn die Zuzahlungen somit als unechter Vertrag zugunsten Dritter (der AG) ausgestaltet sind, sollte einer Qualifikation nach § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB und somit der Vermeidung des korporativen Charakters nichts im Wege stehen. _____________ 46) Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 9 Rz. 34 ff.; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 9 Rz. 15; DaunerLieb in: KölnKomm-AktG, § 9 Rz. 34 ff. 47) Maidl/Kreifels, NZG 2003, 1091, 1092 f.; Mellert, NZG 2003, 1096, 1096 ff.; Weitnauer, Hdb. Venture Capital, Teil F II Rz. 127, S. 353; s. hierzu auch BayOLG, Beschl. v. 27.2.2002 – 3Z BR 35/02, ZIP 2002, 1484 = NZG 2002, 583; Brehm, Das Venture-Capital-Vertragswerk, 2011, S. 60 f.

§ 10 Aktien und Zwischenscheine (1) 1Die Aktien lauten auf den Namen. 2Sie können auf den Inhaber lauten, wenn 1. die Gesellschaft börsennotiert ist oder 2. der Anspruch auf Einzelverbriefung ausgeschlossen ist und die Sammelurkunde bei einer der folgenden Stellen hinterlegt wird: a) einer Wertpapiersammelbank im Sinne des § 1 Absatz 3 Satz 1 des Depotgesetzes, b) einem zugelassenen Zentralverwahrer oder einem anerkannten DrittlandZentralverwahrer gemäß der Verordnung (EU) Nr. 909/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 2014 zur Verbesserung der Wertpapierlieferungen und -abrechnungen in der Europäischen Union und über Zentralverwahrer sowie zur Änderung der Richtlinien 98/26/EG und 2014/65/EU und der Verordnung (EU) Nr. 236/2012 (ABl. L 257 vom 28.8.2014, S. 1) oder c) einem sonstigen ausländischen Verwahrer, der die Voraussetzungen des § 5 Absatz 4 Satz 1 des Depotgesetzes erfüllt.

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§ 10

Aktien und Zwischenscheine

3

Solange im Fall des Satzes 2 Nummer 2 die Sammelurkunde nicht hinterlegt ist, ist § 67 entsprechend anzuwenden.

(2) 1Die Aktien müssen auf Namen lauten, wenn sie vor der vollen Leistung des Ausgabebetrags ausgegeben werden. 2Der Betrag der Teilleistungen ist in der Aktie anzugeben. (3) Zwischenscheine müssen auf Namen lauten. (4) 1Zwischenscheine auf den Inhaber sind nichtig. 2Für den Schaden aus der Ausgabe sind die Ausgeber den Inhabern als Gesamtschuldner verantwortlich. (5) In der Satzung kann der Anspruch des Aktionärs auf Verbriefung seines Anteils ausgeschlossen oder beschränkt werden. Literatur: Bayer/Hoffmann, Namensaktien bei Börsen- und Nichtbörsen-Aktiengesellschaften, AG-Report 2007, R 528; Bayer/Hoffmann, Aktien in Form von Einzelurkunden, Sammelurkunden und Globalurkunde, AG-Report 2007, R 439; Bungert/Wettich, Aktienrechtsnovelle 2012 – der Regierungsentwurf aus Sicht der Praxis, ZIP 2012, 297; Bungert/Wettich, Kleine Aktienrechtsnovelle 2011 – Kritische Würdigung des Referentenentwurfs aus Sicht der Praxis, ZIP 2011, 160; Diekmann/Nolting, Aktienrechtsnovelle 2011, NZG 2011, 6; Drinhausen/ Keinath, Referentenentwurf einer „kleinen Aktienrechtsnovelle“, BB 2011, 11; Drygala, Nur noch Namensaktien für die nicht börsennotierten Aktiengesellschaften?, ZIP 2011, 798; Götze/ Arnold/Carl, Der Regierungsentwurf der Aktienrechtsnovelle 2012 – Anmerkungen aus der Praxis, NZG 2012, 321; Iversen, Die außerbörsliche Übertragung von Aktien unter Beachtung des sachenrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes, AG 2008, 736; Merkner/Schmidt-Bendun, Die Aktienrechtsnovelle 2012 – Überblick über den Regierungsentwurf, DB 2012, 98; Mirow, Die Übertragung von Aktien im Aktienkauf – Formulierungshilfen für die Praxis, NZG 2008, 52; Nikoleyczik, Aktienrechtsnovelle 2011 – Neues zum Beschlussmängelrecht und zur Namensaktie, GWR 2010, 594; Noack, Aktienrechtsnovelle 2011, DB 2010, 2657; Noack/Zetsche, Die Legitimation der Aktionäre bei Globalaktien und Depotverbuchung, AG 2002, 651; Seibert, Der Ausschluss des Verbriefungsanspruchs des Aktionärs in Gesetzgebung und Praxis, DB 1999, 267; Ziemons, Die aktienbezogenen Regelungen des RegE „Aktienrechtsnovelle 2012“, BB 2012, 523.

Übersicht I. Bedeutung der Norm ....................... 1 II. Namensaktien ................................... 3 III. Inhaberaktien .................................... 4 IV. Eingeschränkte Wahlfreiheit aufgrund § 10 Abs. 1 ......................... 5 1. Börsennotierte AG ............................ 6 2. Nicht börsennotierte AG .................. 7 3. Übergangsvorschriften .................... 10 4. Rechtsfolgen bei Verstößen ............ 11 5. Praxishinweis ................................... 12 V. Eingeschränkte Wahlfreiheit außerhalb § 10 Abs. 1 ..................... 13 1. § 10 Abs. 2 ........................................ 14 2. Sondernormen ................................. 15 3. Rechtsfolgen bei Verstößen ............ 16 I.

VI. Zwischenscheine .............................. 17 VII. Verbriefung .................................... 18 1. Bedeutung, Durchführung ............... 18 2. Arten ................................................. 19 3. Ausgabe der Urkunden .................... 20 4. Verwahrung der Urkunden .............. 22 VIII. Anspruch auf Verbriefung .......... 23 IX. Übertragung der Aktien ................. 25 1. Unverbriefte Aktien ......................... 26 2. Verbriefte Aktien ............................. 27 a) Namensaktien ............................. 28 b) Inhaberaktien .............................. 29 c) Girosammelverwahrte Aktien ... 30 d) Praxishinweis .............................. 31

Bedeutung der Norm

1 § 10 behandelt die Ausgestaltung der aktienrechtlichen Mitgliedschaften in Form von Inhaber- oder Namensaktien (§ 10 Abs. 1) und deren Verbriefung, die Aktienausgabe vor

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§ 10

Aktien und Zwischenscheine

vollständiger Erfüllung der Einlageverpflichtung der Aktionärs (§ 10 Abs. 2), die vorläufige Verbriefung der Mitgliedschaft in Form von Zwischenscheinen (§ 10 Abs. 3 und 4), sowie die Möglichkeit, den Anspruch des Aktionärs auf Verbriefung auszuschließen oder einzuschränken (§ 10 Abs. 5). Während Inhaberaktien in der Vergangenheit die Regel und Namensaktien die Ausnahme waren, ließ sich in letzter Zeit sowohl bei börsen- als auch bei nicht börsennotierten AG eine stärkere Tendenz zur Namensaktie beobachten.1) Ebenso scheint die Namensaktie inzwischen auch „best practise“ in der notariellen Beratungspraxis zu sein.2) Zwecks Förderung der Transparenz von Aktionärsstrukturen wollte der Gesetzgeber diese 2 Tendenz im Wege der durch das Gesetz zur Änderung des Aktiengesetzes (Aktienrechtsnovelle 2016) vom 22.12.20153) umgesetzte Anpassung von § 10 fördern. Der am 11.11.2010 veröffentlichte Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung des AktG sah ursprünglich vor, Inhaberaktien nur noch für börsennotierte AG zuzulassen und für nicht börsennotierte AG zwingend Namensaktien vorzuschreiben.4) Begründet wurde die geplante Änderung mit mangelnder Transparenz der Gesellschafterstruktur bei nicht börsennotierten AG mit Inhaberaktien, da die Schwellenwerte für die Meldepflichten in § 20 deutlich höher sind als die in § 33 WpHG. Die juristische Literatur kommentierte diesen apodiktischen Ansatz weitgehend kritisch.5) Diese Kritik aufgreifend schlug der inzwischen im Wesentlichen Gesetz gewordene Regierungsentwurf für eine Aktienrechtsnovelle vom 23.1.20156) einen liberaleren Weg ein und hat Inhaberaktien weiterhin sowohl für börsennotierte als auch für nicht börsennotierte AG zugelassen, für erstere vorbehaltslos, für letztere hingegen nur unter bestimmten zusätzlichen Voraussetzungen. Gleichzeitig wurde mittels Anpassung in § 67 Abs. 1 Satz 1 klargestellt, dass die Eintragung der Aktionäre in das Aktienregister bei Namensaktien unabhängig von einer Verbriefung der Aktien obligatorisch ist. Mit der hierdurch beabsichtigten Erhöhung der Transparenz wurde einer Rüge Deutschlands durch die Financial Action Task Force (FATF) begegnet, deren Ziel eine wirksame Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung in den Mitgliedstaaten war.7) Nach Ansicht der FATF gebe es insbesondere bei deutschen nicht börsennotierten Gesellschaften, die Inhaberaktien ausgeben, keine hinreichende Transparenz hinsichtlich der Gesellschafterstruktur und sei nicht gewährleistet, dass die zuständigen Behörden rechtzeitig hinreichende und aktuelle Informationen über die Aktionäre erhielten.8) Namens- und Inhaberaktien sind im Hinblick auf den durch sie verkörperten mitgliedschaftlichen Status gleichwertig und begründen keinen Gattungsunterschied i. S. von § 11 (siehe hierzu auch § 11 Rz. 16).9) Allerdings ist nur bei Namensaktien eine Haftung des im Aktienregister verzeichneten Vormanns gemäß § 65, eine Vinkulierung _____________ 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8) 9)

Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 10 Rz. 11; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 10 Rz. 28; Bayer/ Hoffmann, AG-Report 2007, R 528 ff. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 10 Rz. 1. Gesetz zur Änderung des Aktiengesetzes (Aktienrechtsnovelle 2016) v. 22.12.2015, BGBl. I 2015, 2565. S. die im Art. 1 des RefE ursprünglich geplanten Änderungen von §§ 10 Abs. 1, 23 Abs. 3 und § 24. Vgl. nur Bungert/Wettich, ZIP 2011, 160; Diekmann/Nolting, NZG 2011, 6; Drinhausen/Keinath, BB 2011, 11, 17; Drygala, ZIP 2011, 798; Nikoleyczik, GWR 2010, 594; Noack, DB 2010, 2657. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Aktiengesetzes (Aktienrechtsnovelle 2014) v. 23.1.2015, BRDrucks. 22/15. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Aktiengesetzes (Aktienrechtsnovelle 2014) v. 23.1.2015, BRDrucks. 22/15, S. 12. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Aktiengesetzes (Aktienrechtsnovelle 2014) v. 23.1.2015, BRDrucks. 22/15, S. 12. Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 10 Rz. 10; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 11 Rz. 7.

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§ 10

Aktien und Zwischenscheine

gemäß § 68 Abs. 2, eine Nebenleistungspflicht gemäß § 55 oder ein Entsenderecht in den Aufsichtsrat gemäß § 101 Abs. 2 Satz 2 möglich.10) II.

Namensaktien

3 Die Namensaktie ist (geborenes) Orderpapier, weist eine bestimmte Person als berechtigt aus und ermöglicht auf diese Weise die Eintragung dieser Person in das Aktienregister nach § 67 Abs. 1.11) Gegenüber Dritten legitimiert die verbriefte Namensaktie denjenigen als Inhaber des mitgliedschaftlichen Rechts, der in der Urkunde als Aktionär oder durch eine ununterbrochene Kette von Vollindossamenten (einschließlich Blankoindossamenten) als ausgewiesener Indossatar benannt ist, vgl. § 68 Abs. 1 i. V. m. Art. 16 Abs. 1 WG (zur Übertragung mittels Indossament siehe unten Rz. 28); Lücken in der Indossamentenkette können auch durch anderweitigen Nachweis des Rechtsübergangs, z. B. bei Abtretung oder Gesamtrechtsnachfolge geschlossen werden.12) Gegenüber der AG erfolgt die Legitimation hingegen ausschließlich durch ordnungsgemäße Eintragung in das Aktienregister gemäß § 67 Abs. 2, wodurch die unwiderlegliche Vermutung begründet wird, dass die eingetragene Person Aktionär ist.13) Nur blankoindossierte Namensaktien sind börsenund girosammelverwahrfähig (zur Girosammelverwahrung siehe Rz. 30).14) III.

Inhaberaktien

4 Inhaberaktien sind Inhaberpapiere i. S. von §§ 793 ff. BGB analog und verbriefen Mitgliedschaftsrechte, ohne den Berechtigten namentlich zu nennen.15) Eine Eintragung in das Aktienregister ist nicht vorgesehen, vgl. § 67 Abs. 1 Satz 1. Gegenüber Dritten und gegenüber der AG legitimiert die verbriefte Inhaberaktie ihren unmittelbaren Besitzer bzw. im Falle des mittelbaren Besitzes ihren mittelbaren Besitzer gemäß § 1006 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 BGB als Inhaber des verbrieften Rechts; diese widerlegliche Vermutung wirkt gemäß § 1006 Abs. 1 Satz 2 BGB auch gegen einen früheren Besitzer, dem die Aktienurkunde gestohlen wurde, verloren gegangen oder sonst abhanden gekommen ist.16) Inhaberaktien sind stets börsen- und girosammelverwahrfähig (zur Girosammelverwahrung siehe Rz. 30).17) IV.

Eingeschränkte Wahlfreiheit aufgrund § 10 Abs. 1

5 Während § 10 Abs. 1 a. F. grundsätzlich freie Wahl zwischen Namens- und Inhaberaktien gestattete, sieht § 10 Abs. 1 n. F. die Namensaktie als Regelfall vor. Angesichts dieses Kurswechsels musste § 24 a. F. gestrichen werden.18) 1.

Börsennotierte AG

6 Für eine börsennotierte AG soll es weiterhin bei der freien Wahl zwischen Namens- und Inhaberaktien bleiben, vgl. § 10 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1. Die hier geltenden Regularien des _____________ 10) 11) 12) 13) 14) 15) 16) 17) 18)

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Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 10 Rz. 13. Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 10 Rz. 29 f.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 10 Rz. 4. K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 10 Rz. 10. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 67 Rz. 12 ff.; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 10 Rz. 11. Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 10 Rz. 9; Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 68 Rz. 6; Franz, Überregionale Effektentransaktionen und anwendbares Recht, 2005, S. 51 f. Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 10 Rz. 7; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 10 Rz. 4. K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 10 Rz. 7; Heider in: MünchKomm-AktG, § 10 Rz. 37. Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 10 Rz. 8; Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 68 Rz. 6. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 24 Rz. 1.

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§ 10

Aktien und Zwischenscheine

Wertpapierhandelsgesetzes, nach dessen § 33 WpHG Mitteilungspflichten über die Beteiligung an einer AG bereits bei Erreichen, Überschreiten oder Unterschreiten von 3 % der Stimmrechte an einer börsennotierten Gesellschaft bestehen, werden in Kombination mit den Rechtsfolgen (nachlaufenden Rechtsverlust trotz nachgeholter Mitteilungspflicht gemäß § 44 Abs. 1 Satz 3 WpHG bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung) als hinreichende Absicherung der Transparenz angesehen.19) 2. Nicht börsennotierte AG Im Gegensatz zu § 33 WpHG sieht § 20 AktG für nicht börsennotierte Gesellschaften 7 Mitteilungspflichten erst ab einer Beteiligungsquote von 25 % sowie weniger einschneidende Rechtsfolgen vor, vgl. hierzu § 20 Rz. 30 ff. Aktien einer nicht börsennotierten AG sollen zukünftig nur noch dann auf den Inhaber 8 lauten können, wenn der Anspruch auf Einzelverbriefung ausgeschlossen und die ausgegebene(n) Sammelurkunde(n) (§ 9a DepotG) bei einer Wertpapiersammelbank (§ 1 Abs. 3 Satz 1 DepotG), einem zugelassenen Zentralverwahrer oder einem anerkannten Drittland-Zentralverwahrer gemäß der Verordnung (EU) Nr. 909/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.7.2014, oder einem qualifizierten ausländischen Verwahrer (§ 5 Abs. 4 Satz 1 DepotG) hinterlegt werden, vgl. § 10 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 a) – c) (sog. Dauer-Globalurkunde, vgl. Rz. 24). Solange eine Hinterlegung nach diesen Vorgaben (noch) nicht erfolgt ist, soll § 67 AktG gelten und hat die AG ein entsprechendes Aktienregister zu führen, vgl. § 10 Abs. 1 Satz 3. Der Gesetzgeber signalisiert auf diese Weise, dass Namensaktien bei der nicht börsenno- 9 tierten AG zumindest bevorzugt werden und sieht vor dem Hintergrund der geplanten Neuregelungen auch für die Alternative der nunmehr eingeschränkt zugänglichen Inhaberaktien die eingeforderte Transparenz gewährleistet.20) Denn die gesetzlich verbindliche Girosammelverwahrung gewährleiste aufgrund der nachvollziehbaren Verwahrkette stets eine hinreichende Ermittlungsspur, um den Aktionär identifizieren zu können und einem Verdacht auf kriminelles Handeln nachgehen zu können.21) Die Literatur äußert sich insbesondere mit Blick auf die weiterhin bestehenden Umgehungsmöglichkeiten (Eintragungen von Legitimationsaktionären und Treuhandverhältnissen) und mangels Öffentlichkeit der Angaben hingegen kritisch zu der Frage, ob das Aktienregister in § 67 AktG bzw. die Neuregelungen in § 10 tatsächlich die gewünschte Erhöhung der Beteiligungstransparenz gewährleisten können.22) 3. Übergangsvorschriften § 26h Abs. 1 EGAktG soll nicht börsennotierten Gesellschaften, deren Satzung vor dem 10 31.12.2015 durch notarielle Beurkundung festgestellt wurde, einen umfassenden Bestandsschutz gewähren. Für diese (Vor-)Gesellschaften soll die Regelung in § 10 der früheren Fassung weiterhin zeitlich unbeschränkt Anwendung finden, auch bei Kapitalerhöhungen oder im Falle des Delisting.23) Der Bestandsschutz endet, wenn erstmals Inhaberaktien ausgegeben werden.24) _____________ 19) Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Aktiengesetzes (Aktienrechtsnovelle 2014) v. 23.1.2015, BRDrucks. 22/15, S. 13; Nikoleyczik, GWR 2010, 594, 596. 20) Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Aktiengesetzes (Aktienrechtsnovelle 2014) v. 23.1.2015, BRDrucks. 22/15, S. 13. 21) Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Aktiengesetzes (Aktienrechtsnovelle 2014) v. 23.1.2015, BRDrucks. 22/15, S. 13. 22) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 10 Rz. 6; Diekmann/Nolting, NZG 2011, 6; Nikoleyczik, GWR 2010, 594, 596 f.; Bungert/Wettich, ZIP 2012, 297, 298. 23) Ziemons, BB 2012, 523, 524; Götze/Arnold/Carl, NZG 2012, 321, 323. 24) Götze/Arnold/Carl, NZG 2012, 321, 323.

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§ 10 4.

Aktien und Zwischenscheine Rechtsfolgen bei Verstößen

11 Bestimmt die Satzung einer neu gegründeten nicht börsennotierten AG die Ausstellung von Inhaberaktien, ohne dass der Anspruch auf Einzelverbriefung statutarisch ausgeschlossen ist, soll diese Satzungsregelung nichtig sein und das Registergericht die Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister gemäß § 38 Abs. 4 Nr. 1 i. V. m. § 23 Abs. 3 Nr. 5 ablehnen.25) Wird dennoch eingetragen, kommt das Zwangsauflösungsverfahren gemäß § 399 FamFG in Betracht.26) Beschließt die Hauptversammlung, durch Satzungsänderung die bislang ausgestellten Namensaktien in Inhaberaktien umzuwandeln oder (bei neuen und nicht vom Bestandsschutz erfassten Altgesellschaften)27) das Grundkapital durch Ausgabe junger Inhaberaktien zu erhöhen, ohne dass der Anspruch auf Einzelverbriefung statutarisch ausgeschlossen ist, soll der Beschluss gemäß § 241 Nr. 3 Fall 3 nichtig sein, nicht in das Handelsregister eingetragen und ggf. gemäß § 249 gerichtlich als nichtig festgestellt werden können.28) 5.

Praxishinweis

12 In Anbetracht der Neuregelung in § 10 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ist unabhängig von etwaigen Börsenplänen jeder im Anschluss an das Inkrafttreten der Neuregelungen neu zu gründenden AG sowie jeder AG, deren Satzung nach dem 31.12.2015 festgestellt wurde, der ggf. im Wege der Satzungsänderung durchzusetzende statutarische Ausschluss des Einzelverbriefungsanspruchs anzuraten. Ansonsten kann es zu Schwierigkeiten kommen, sei es in Folge der lückenhaften Übergangsregelung in § 26h Abs. 1 EGAktG, sei es in Folge eines zukünftigen Delisting einer AG mit Inhaberaktien.29) Ob es in der Praxis bei nicht börsennotierten Gesellschaften zu dem vom Gesetzgeber intendierten und angesichts der mit höheren Kosten verbundenen Girosammelverwahrung in der Literatur prognostizierten30) Rückgang der Inhaberaktien kommen wird, bleibt abzuwarten. V.

Eingeschränkte Wahlfreiheit außerhalb § 10 Abs. 1

13 Auch außerhalb von § 10 Abs. 1 ist die Wahlfreiheit zwischen Namens- und Inhaberaktien teilweise ausgeschlossen. 1.

§ 10 Abs. 2

14 Aufgrund gesetzlicher Anordnung müssen Aktien auf Namen lauten, wenn sie vor der vollen Leistung des Ausgabebetrags ausgegeben werden, vgl. § 10 Abs. 2 Satz 1. Diese Vorschrift bezweckt, dass sich die AG aufgrund der bei Namensaktien erforderlichen Eintragung in das Aktienregister gemäß § 67 Abs. 1 bis zur vollständigen Erfüllung der Einlagepflicht zu jeder Zeit Kenntnis über die Identität ihrer Einlageschuldner verschaffen kann.31) Die Angabe des Betrags der teilweise bereits geleisteten Einlage gemäß § 10 Abs. 2 Satz 2 ist erforderlich, um bei wertpapiermäßiger Übertragung der Aktie den guten _____________ 25) Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Aktiengesetzes (Aktienrechtsnovelle 2014) v. 23.1.2015, BRDrucks. 22/15, S. 15. 26) Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Aktiengesetzes (Aktienrechtsnovelle 2014) v. 23.1.2015, BRDrucks. 22/15, S. 15. 27) Ziemons, BB 2012, 523, 524. 28) Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Aktiengesetzes (Aktienrechtsnovelle 2014) v. 23.1.2015, BRDrucks. 22/15, S. 15. 29) Vgl. hierzu Henssler/Strohn-Lange, GesR, § 10 AktG Rz. 11; Götze/Arnold/Carl, NZG 2012, 321, 323; Ziemons, BB 2012, 523, 524; Merkner/Schmidt-Bendun, DB 2012, 98, 99. 30) Götze/Arnold/Carl, NZG 2012, 321, 322; Bungert/Wettich, ZIP 2012, 297, 298. 31) K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 10 Rz. 15; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 10 Rz. 18.

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§ 10

Aktien und Zwischenscheine

Glauben des Erwerbers an die Volleinzahlung der Aktie auszuschließen (zur Übertragung verbriefter Aktien und zur Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs siehe unten Rz. 27 ff).32) 2.

Sondernormen

Ebenso sehen einige spezialgesetzliche Sondernormen einen Zwang zur Ausgabe von 15 (meist vinkulierten) Namensaktien vor.33) Dies gilt z. B. für Wirtschaftsprüfer-, Steuerberater- sowie Rechtsanwalts-Aktiengesellschaften (vgl. § 28 Abs. 5 Satz 1, § 130 Abs. 2 WPO, § 50 Abs. 5 Satz 1 StBerG, § 59m Abs. 1 BRAO) und je nach Landesrecht teilweise auch für Architekten- und Ingenieur-Aktiengesellschaften. Ähnliches gilt für inländische, börsennotierte Luftfahrtunternehmen gemäß §§ 1 – 3 LuftNaSiG sowie für private Rundfunkveranstalter gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 6 und 7, § 29 des Staatsvertrags für Rundfunk und Telemedien (RStV) vom 31.8.1991 in der Fassung vom 1.4.2010. Bei der Investmentaktiengesellschaft müssen die sog. Unternehmensaktien auf Namen lauten, vgl. § 109 Abs. 2 KAGB. Einen gesetzlichen Zwang zur Inhaberaktie ordnet bislang nur § 1 Abs. 3 des VW-Gesetzes an. 3.

Rechtsfolgen bei Verstößen

Bei Verstößen gegen § 10 Abs. 2 Satz 1 oder Satz 2 entsteht gleichwohl eine gültige wertpa- 16 piermäßige Verbriefung.34) Vorstand und Aufsichtsrat machen sich mit der Aktienausgabe allerdings gemäß §§ 93 Abs. 3 Nr. 4, 116 schadensersatzpflichtig und begehen nach § 405 Abs. 1 Nr. 1 eine bußgeldbewehrte Ordnungswidrigkeit. Verstöße gegen spezialgesetzliche Sondernormen bleiben den jeweiligen Spezialgesetzen vorbehalten und haben ggf. regulatorische Konsequenzen, die zur Gefährdung der Zulassung der Unternehmenstätigkeit führen können. VI.

Zwischenscheine

Zwischenscheine i. S. von § 8 Abs. 6 müssen gemäß § 10 Abs. 3 auf den Namen lauten. 17 Da es sich bei diesen ebenso wie bei Namensaktien, wertpapierrechtlich um Orderpapiere handelt, richten sich Legitimations- und Rechtsscheinwirkung nach den für die Namensaktie geltenden Grundsätzen (siehe hierzu Rz. 3).35) Im Gegensatz zu den vor vollständiger Erbringung der Einlageleistung ausgegebenen Namensaktien bedarf es bei den ebenfalls regelmäßig für teileingezahlte Aktien ausgegebenen Zwischenscheinen keiner Angabe der Teilleistung i. S. von § 10 Abs. 2 Satz 2, da ein gutgläubiger Erwerb von Zwischenscheinen generell nicht zugelassen wird.36) Gemäß § 10 Abs. 4 Satz 1 sind auf den Inhaber lautende Zwischenscheine nichtig, die betroffenen Mitgliedschaftsrechte nicht wirksam verbrieft und nach wie vor unverkörpert.37) Hinsichtlich der gesamtschuldnerischen Haftung in § 10 Abs. 4 Satz 2 kann auf die entsprechenden Ausführungen zu § 8 Abs. 2 verwiesen werden (siehe hierzu § 8 Rz. 16). Zur eigenständigen Bedeutung der Zwischenscheine für die Praxis siehe Rz. 20.

_____________ 32) 33) 34) 35) 36) 37)

Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 10 Rz. 8; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 10 Rz. 15. Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 10 Rz. 23 ff. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 10 Rz. 9. K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 10 Rz. 18. Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 10 Rz. 39. K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 10 Rz. 19.

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§ 10

Aktien und Zwischenscheine

VII. Verbriefung 1.

Bedeutung, Durchführung

18 Die Aktie als aktienrechtliches Mitgliedschaftsrecht entsteht konstitutiv mit Eintragung der AG bzw. der entsprechend durchgeführten Kapitalmaßnahme in das Handelsregister, nicht erst im Zeitpunkt ihrer Verbriefung, der somit lediglich deklaratorische Bedeutung zukommt.38) Diese Unterscheidung ist elementar, um zu verstehen, dass die rechtswirksame Begründung von Inhaber- bzw. Namensaktien unabhängig davon erfolgt, ob diese Mitgliedschaft sodann in einem zweiten Schritt verbrieft wird oder nicht. Die Mitgliedschaft entsteht selbst dann unabhängig von einer Verbriefung, wenn die Verbriefung in der Satzung vorgeschrieben ist.39) Ein Zwang zur Verbriefung besteht nach überwiegender Auffassung nur bei Aktienausgabe im Zusammenhang mit einer bedingten Kapitalerhöhung nach §§ 199 f.40) Neben der Ausstellung einer formgerecht angefertigten und vom Vorstand gemäß § 13 zu unterzeichnenden Aktienurkunde erfordert die Verbriefung zusätzlich den Abschluss eines sog. Begebungsvertrags zwischen der AG und dem jeweiligen Aktionär.41) Die ordnungsgemäße Verbriefung hat zur Folge, dass über die Aktie wertpapiermäßig verfügt werden kann, wodurch insbesondere ein gutgläubiger Erwerb möglich wird.42) Im Rahmen der Kapitalmarktentwicklungen nahm der Funktionsverlust der Aktienurkunde insbesondere bei börsennotierten Aktinegesellschaften immer weiter zu, allerdings bislang ohne dass der Gesetzgeber vollständig auf eine Verbriefung verzichten und zum reinen Wertrecht übergehen wollte.43) 2.

Arten

19 Aktien können in Einzel- oder Sammel- bzw. Globalurkunden verbrieft werden.44) Während im Fall von Einzelurkunden jede einzelne Aktie noch in einer eigenen Urkunde verbrieft wird, werden im Fall von Sammelurkunden, die auch Globalurkunden genannt werden, mehrere gleichartige Aktien (meist hundert oder tausend Aktien) zusammen in einer Urkunde verbrieft, vgl. § 9a Abs. 1 DepotG.45) Die sog. Dauer-Globalurkunde ist eine Sonderform der Sammel- bzw. Globalurkunde, bei der gemäß § 9a Abs. 3 Satz 2 DepotG der einzelne Aktionär weder die Ausstellung noch die Auslieferung einzelner verbriefter Aktien verlangen kann. Angesichts des mit der Dauer-Globalurkunde erzielten größtmöglichen Rationalisierungseffekts und der damit verbundenen Kosteneinsparung ist diese Form der Verbriefung sehr praxisfreundlich und wird heute von den meisten börsennotierten Aktiengesellschaften genutzt.46) Liegen unterschiedliche Aktiengattungen i. S. von § 11 vor, ist für jede Gattung eine eigene Dauer-Globalurkunde erforderlich.47) _____________ 38) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 10 Rz. 2; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 10 Rz. 20; Heider in: MünchKomm-AktG, § 10 Rz. 5, 8. 39) Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 10 Rz. 20. 40) Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 10 Rz. 28; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 10 Rz. 20. 41) K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 10 Rz. 21; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 10 Rz. 34. 42) K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 10 Rz. 22; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 10 Rz. 29. 43) BT-Drucks. 13/10038, S. 25; Scherer-Scherer, DepotG, Vor § 1 Rz. 9 ff.; Scherer-Scherer/Martin, DepotG, § 9a Rz. 19 f.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 10 Rz. 3a; Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 10 Rz. 83; DaunerLieb in: KölnKomm-AktG, AktG, § 10 Rz. 12. 44) Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 10 Rz. 34 ff.; vgl. zur Ausgestaltung der verschiedenen Urkunden auch die Muster bei Happ/Groß-Schäfer, AktienR, S. 535 ff. 45) Scherer-Scherer/Martin, DepotG, § 9a Rz. 3 ff.; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 10 Rz. 23; Franz, Überregionale Effektentransaktionen und anwendbares Recht, 2005, S. 52 ff. 46) Vgl. ausführlich hierzu Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 10 Rz. 41; Noack/Zetsche, AG 2002, 651, 653; s. hierzu auch Bayer/Hoffmann, AG-Report 2007, R 439 ff. 47) Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 10 Rz. 43; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 10 Rz. 11.

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§ 10

Aktien und Zwischenscheine 3.

Ausgabe der Urkunden

Die Ausgabe von Aktien oder Zwischenscheinen ist erst nach Eintragung der Gründung 20 bzw. Kapitalerhöhung in das Handelsregister zulässig, zuvor ausgegebene Aktien oder Zwischenscheine sind ebenso wie der zugrunde liegende Begebungsvertrag nichtig, vgl. § 41 Abs. 4 Satz 1 und 2 bzw. § 191. Zwischen Handelsregistereintragung und vollständiger Leistung des Ausgabebetrags können unter Beachtung von § 10 Abs. 2 bzw. Abs. 3 lediglich Namensaktien oder auf den Namen lautende Zwischenscheine ausgegeben werden.48) Die Ausgabe von Zwischenscheinen in diesem Zeitraum hat insbesondere für den Fall Bedeutung, dass die Satzung ausschließlich eine Ausgabe von Inhaberaktien vorsieht, welche gemäß eines Umkehrschlusses aus § 10 Abs. 2 erst nach vollständiger Leistung des Ausgabebetrags ausgegeben werden dürfen.49) Eine Geltung der Beschränkung in § 10 Abs. 2 bei noch nicht vollständig erbrachten Sacheinlagen ist umstritten.50) Da eine dem § 10 Abs. 4 entsprechende Regelung in § 10 Abs. 2 fehlt, können Verstöße 21 gegen Absatz 2 Satz 1 und 2 nicht zur Nichtigkeit führen, so dass die Mitgliedschaft trotz eines Verstoßes wirksam entstehen kann und sich die Sanktionen auf §§ 93 Abs. 3 Nr. 4, 166, 405 Abs. 1 Nr. 1 beschränken.51) 4.

Verwahrung der Urkunden

Während Aktienurkunden meist nur noch bei nicht börsennotierten Aktiengesellschaften 22 von den einzelnen Aktionären oder der AG aufbewahrt werden, bedienen sich börsennotierte Aktiengesellschaften heute weit überwiegend der zentralen Verwahrung ihrer Aktienurkunden durch eine Wertpapiersammelbank (in Deutschland: Clearstream Banking AG) sog. Girosammelverwahrung.52) Die für die Girosammelverwahrfähigkeit von § 5 Abs. 1 Satz 1 DepotG vorausgesetzte Vertretbarkeit der Aktien i. S. von § 91 BGB ist bei Inhaberaktien stets, bei Namensaktien hingegen nur dann gegeben, wenn diese blankoindossiert sind.53) VIII. Anspruch auf Verbriefung Da das Gesetz in § 10 Abs. 5 einen solchen voraussetzt, ist die grundsätzliche Existenz 23 eines jedem Aktionär zustehenden Anspruchs auf Verbriefung allgemein anerkannt.54) Dieser Anspruch entsteht nach überwiegender Ansicht nicht erst im Zeitpunkt der vollständigen Erbringung der Einlageleistung, sondern bereits im Zeitpunkt der Entstehung der Mitgliedschaft durch Handelsregistereintragung.55) § 10 Abs. 5 eröffnet die Möglichkeit, den mitgliedschaftlichen Anspruch des Aktionärs 24 auf Verbriefung seines Anteils in der Satzung einzuschränken oder vollständig auszu_____________ 48) Heider in: MünchKomm-AktG, § 10 Rz. 50. 49) Heider in: MünchKomm-AktG, § 8 Rz. 100. 50) Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 10 Rz. 41; Heider in: MünchKomm-AktG, § 10 Rz. 52 jeweils m. w. N. 51) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 10 Rz. 9; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 10 Rz. 38. 52) Scherer-Rögner, DepotG, § 5 Rz. 16 ff.; Scherer-Scherer/Martin, DepotG, § 9a Rz. 21 ff.; Spindler/ Stilz-Vatter, AktG, § 10 Rz. 34 f.; Einsele in: MünchKomm-HGB, Depotgeschäft Rz. 50; Franz, Überregionale Effektentransaktionen und anwendbares Recht, 2005, S. 50 ff. 53) Scherer-Rögner, DepotG, § 5 Rz. 9 ff.; Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 10 Rz. 37; Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 68 Rz. 10; Franz, Überregionale Effektentransaktionen und anwendbares Recht, 2005, S. 51 f. 54) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 10 Rz. 3; Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 10 Rz. 29. 55) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 10 Rz. 3; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 10 Rz. 37; Heider in: MünchKomm-AktG, § 10 Rz. 15; a. A. RG, Urt. v. 3.4.1912 – I 178/11, RGZ 79, 174, 175 f.

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Aktien und Zwischenscheine

schließen, wobei der Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 53a) zu beachten ist.56) Von dieser Möglichkeit wird insbesondere aus Kostengründen häufig Gebrauch gemacht.57) Umstritten ist, ob trotz § 10 Abs. 5 zumindest ein satzungsfester Anspruch jedes Aktionärs auf Verbriefung sämtlicher Aktien – also auch derjenigen, die nicht ihm gehören – in einer Dauer-Globalurkunde i. S. des § 9a Abs. 3 Satz 2 DepotG erhalten bleibt. Die h. M. bejaht dies überzeugend.58) Das Ergebnis lässt sich durchaus mit dem Wortlaut des § 10 Abs. 5 begründen: Da der Anspruch auf Verbriefung des Aktionärs im Grundsatz anerkannt ist, kann dieser gemäß § 10 Abs. 5 nur insoweit statutarisch ausgeschlossen oder eingeschränkt werden, als es um die Verbriefung „seines“ Anteils geht, so dass ein Anspruch auf Verbriefung „sämtlicher“ Anteile in Form einer Dauer-Globalurkunde erhalten bleiben muss.59) Nur bei Erhaltung dieses Anspruchs kann ein veräußerungswilliger Aktionär die Voraussetzungen für einen eventuellen gutgläubigen Erwerb schaffen, der insbesondere bei unverbrieften Aktien für potentielle Erwerber wichtig sein kann (siehe hierzu auch Rz. 31).60) Darüber hinaus hat der Gesetzgeber einen Übergang zu reinen Wertrechten und den damit verbundenen Ausschluss eines Anspruchs auf jegliche Verbriefung nicht gewollt.61) Ebenfalls umstritten ist, mit welcher Mehrheit der Anspruch auf (Einzel-)Verbriefung nachträglich ausgeschlossen werden kann. Die überwiegende Auffassung geht davon aus, dass ein solcher Ausschluss mit der Mehrheit des § 179 Abs. 2 und somit ohne Zustimmung jedes einzelnen Aktionärs durchgeführt werden kann.62) Für die REIT-AG ist der Anspruch der Aktionäre auf Verbriefung bereits aufgrund spezialgesetzlicher Anordnung in § 5 Abs. 2 REITG ausgeschlossen. IX.

Übertragung der Aktien63)

25 Im deutschen Aktienrecht gilt mit Ausnahme von vinkulierten Namensaktien gemäß § 68 Abs. 2 der Grundsatz der freien Übertragbarkeit der Aktien.64) Aktien können entweder als mitgliedschaftliches Recht oder, im Falle ihrer Verbriefung, als Urkunde und somit als Sache übertragen werden.65) Für den Erwerber ist eine möglichst rechtssichere Gestaltung des jeweiligen Übertragungsvorgangs entscheidend, wobei die Ausnutzung der Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs und die Beachtung des sachenrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes im Vordergrund stehen sollten.66) _____________ 56) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 10 Rz. 12; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 10 Rz. 38. 57) S. hierzu Bayer/Hoffmann, AG-Report 2007, R 439 ff. 58) OLG München, Urt. v. 4.5.2005 – 23 U 5121/04, ZIP 2005, 1070, 1071, dazu EWiR 2005, 525 (Bayer/ Lieder); Scherer-Scherer/Martin, DepotG, § 9a Rz. 16; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 10 Rz. 12; DaunerLieb in: KölnKomm-AktG, § 10 Rz. 12; Heider in: MünchKomm-AktG, § 10 Rz. 60; Henssler/StrohnLange, GesR, § 10 AktG Rz. 9; Hölters-Solveen, AktG, § 10 Rz. 20; Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 10 Rz. 83, der eine Differenzierung zwischen börsennotierten und nicht börsennotierten Aktie diskutiert; a. A. K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 10 Rz. 39. 59) So im Ergebnis auch Heider in: MünchKomm-AktG, § 10 Rz. 60. 60) Vgl. auch Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 20 Rz. 83. 61) S. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 10 Rz. 9; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 10 Rz. 38. 62) Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 10 Rz. 80; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 10 Rz. 34; Seibert, DB 1999, 267, 268; kritisch: Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 10 Rz. 12; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 10 Rz. 13. 63) Zur Bestellung von beschränkt dinglichen Rechten an Aktien s. Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 10 Rz. 66 ff. 64) Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 10 Rz. 49. 65) Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 10 Rz. 50. 66) Ausführlich zur Übertragung von Aktien in der Praxis: Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 14; Iversen, AG 2008, 736 ff.; Mirow, NZG 2008, 52 ff.

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Aktien und Zwischenscheine 1.

Unverbriefte Aktien

Die rechtsgeschäftliche Übertragung kann nur nach allgemeinen zivilrechtlichen Grund- 26 sätzen gemäß §§ 413, 398 ff. BGB erfolgen (siehe auch § 68).67) Das einzige gesetzliche Verfügungsverbot des AktG enthält § 41 Abs. 4 Satz 1 für das Stadium der Vor-AG.68) Die Satzung der AG kann die Übertragung durch Abtretung der unverbrieften Mitgliedschaft weder ausschließen noch einschränken.69) Eine Ausnahme hiervon besteht nur, wenn nach § 23 Abs. 3 Nr. 5 die Ausgabe von Namensaktien vorgesehen ist, gemäß der in § 68 Abs. 2 Satz 1 vorgesehenen Vinkulierungsmöglichkeit die Übertragung der Aktien an die Zustimmung der AG gebunden ist und die Aktienurkunden noch nicht ausgegeben sind.70) Die Abtretung umfasst das Mitgliedschaftsrecht als solches inklusive sämtlicher unselbständiger Nebenrechte, z. B. des Gewinnbezugsrechts, während bereits beschlossene Dividenden und konkret entstandene Bezugsrechte über §§ 413, 398 ff. BGB gesondert übertragen werden müssen; die Beachtung des sachenrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes erfordert eine genaue Bezeichnung der abzutretenden Aktien im jeweiligen Abtretungsvertrag.71) Ein gutgläubiger Erwerb unverbriefter Aktien ist nicht möglich.72) 2.

Verbriefte Aktien

Ein gewichtiger Grund für die Verbriefung der aktienrechtlichen Mitgliedschaft ist die 27 Ermöglichung einer Übertragung der Urkunde nach sachen- bzw. wertpapierrechtlichen Grundsätzen einschließlich des gutgläubigen Erwerbs.73) Alternativ bleibt auch für verbriefte Aktien die Möglichkeit der zivilrechtlichen Abtretung gemäß §§ 413, 398 ff. i. V. m. § 952 Abs. 2 BGB erhalten, was für Namensaktien durch das Wort „auch“ in § 68 Abs. 1 klargestellt wird (siehe auch § 68).74) Der Erwerber kann in diesem Fall die Herausgabe der Urkunde nach §§ 402, 952 Abs. 2, 985 BGB verlangen,75) ein gutgläubiger Erwerb scheidet in diesen Fällen allerdings aus.76) a)

Namensaktien

Gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1 kann die Namensaktie durch sog. Indossament übertragen 28 werden, wofür § 68 Abs. 1 Satz 2 die sinngemäße Anwendung des Wechselrechts, insbesondere der §§ 12, 13 und 16 WG anordnet.77) Der gutgläubige Erwerb richtet sich nach § 16 WG. Die h. M. fordert neben dem Indossament zusätzlich die Übereignung der Urkunde nach den Vorschriften der §§ 929 ff. BGB (Einzelheiten bei § 68).78) Bei vinkulierten Namensaktien ist zusätzlich die Zustimmung der AG erforderlich, vgl. § 68 Abs. 2 Satz 1. Blankoindossierte Namensaktien können in sinngemäßer Anwendung des Art. 14 _____________ 67) 68) 69) 70) 71) 72) 73) 74) 75) 76) 77) 78)

Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 10 Rz. 52; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 10 Rz. 27. Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 14 Rz. 2. Bayer in: MünchKomm-AktG, § 68 Rz. 32 m. w. N. OLG Celle, Urt. v. 24.11.2004 – 9 U 119/04, AG 2005, 438 f.; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 14 Rz. 2. K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 10 Rz. 27. BGH, Urt. v. 5.4.1993 – II ZR 195/91, NJW 1993, 1983, 1987 = ZIP 1993, 667; Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 10 Rz. 52. Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 10 Rz. 54. Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 10 Rz. 32; Bayer in: MünchKomm-AktG § 68 Rz. 1. Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 10 Rz. 53. Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 10 Rz. 32. Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 10 Rz. 56. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 68 Rz. 4; Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 10 Rz. 56.

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Aktien und Zwischenscheine

Abs. 2 Nr. 3 WG durch bloße Übereignung der Aktienurkunde nach §§ 929 ff. BGB übertragen werden.79) b)

Inhaberaktien

29 Die sachenrechtliche Übertragung bei Inhaberaktien erfolgt durch Übereignung der Aktienurkunde nach sachenrechtlichen Grundsätzen gemäß §§ 929 ff. BGB, wozu Einigung und Besitzübergabe bzw. Besitzübergabesurrogat erforderlich sind.80) Der gutgläubige Erwerb richtet sich hier nach §§ 932 ff. BGB.81) c)

Girosammelverwahrte Aktien

30 Bei girosammelverwahrten Aktien haben die Aktionäre Miteigentum nach Bruchteil an den zum Sammelbestand des Verwahrers gehörenden Wertpapieren derselben Art, vgl. § 6 Abs. 1 DepotG. Sind die Aktien in Einzel- oder Sammelurkunden verbrieft, bezieht sich die Einigung auf den Übergang des Eigentums am jeweiligen Bruchteil des Sammelbestandes und die Übergabe wird durch die Abtretung des Herausgabeanspruchs ersetzt, vgl. §§ 7, 8 DepotG.82) Da bei Dauer-Globalurkunden der Herausgabeanspruch gemäß § 9a Abs. 3 Satz 2 DepotG ausgeschlossen ist, wird in diesem Fall die Übergabe durch die Umstellung des Besitzmittlungsverhältnisses gemäß Ziff. 8 AGB der Clearstream Banking AG ersetzt.83) Faktisch stellt sich die Übertragung als eine entsprechende Umbuchung bei der jeweiligen Wertpapiersammelbank dar.84) Ob die Umbuchung bei girosammelverwahrten Aktien einen für den Gutglaubensschutz erforderlichen Rechtsschein darstellt und somit ein gutgläubiger Erwerb auch bei girosammelverwahrten Aktien möglich ist, ist umstritten, wird von der h. M. jedoch befürwortet.85) d)

Praxishinweis

31 Der für die Praxis sicherste Weg ist häufig die Übertragung der Urkunde nach sachenbzw. wertpapierrechtlichen Grundsätzen und die hilfsweise Übertragung des mitgliedschaftlichen Rechts nach §§ 413, 398 ff. BGB i. V. m. § 952 Abs. 2 BGB.86) Insbesondere bei fehlenden Nachweisen in der Erwerberkette seit Gründung der AG ist ein potentieller Erwerber unverbriefter Aktien im Hinblick auf die Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs gut beraten, vom Veräußerer eine entsprechende Verbriefung rechtzeitig vor Vollzug der dinglichen Übertragung zu verlangen.

_____________ 79) 80) 81) 82) 83) 84) 85)

86)

70

Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 68 Rz. 5; Hölters-Solveen, AktG, § 10 Rz. 14. K. Schmidt, GesR, § 26 IV. 1. b), S. 277; Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 10 Rz. 55. Iversen, AG 2008, 736, 739; Mirow, NZG 2008, 52, 53. K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 10 Rz. 31; vgl. ausführlich hierzu Einsele in: MünchKommHGB, Depotgeschäft Rz. 95 ff.; Scherer-Rögner, DepotG, § 5 Rz. 72 ff. K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 10 Rz. 31; vgl. ausführlich hierzu Einsele in: MünchKommHGB, Depotgeschäft Rz. 95 ff. Einsele in: MünchKomm-HGB, Depotgeschäft Rz. 51. Scherer-Scherer/Martin, DepotG, § 9a Rz. 29; Scherer-Rögner, DepotG, § 5 Rz. 70, § 6 Rz. 7; Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 10 Rz. 65 m. w. N.; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 10 Rz. 32; a. A. Einsele in: MünchKomm-HGB, Depotgeschäft Rz. 111 ff. Iversen, AG 2008, 736, 738.

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§ 11

Aktien besonderer Gattung

§ 11 Aktien besonderer Gattung 1 Die Aktien können verschiedene Rechte gewähren, namentlich bei der Verteilung des Gewinns und des Gesellschaftsvermögens. 2Aktien mit gleichen Rechten bilden eine Gattung.

Literatur: Bayer/Hoffmann, Ausgestaltung von Vorzugsaktien mit Stimmrecht in der Praxis, AG-Report 2010, R 235; Bayer/Hoffmann, Vorzugsaktien mit Stimmrecht als Aktiengattung, AG-Report 2010, R 207; Bayer/Hoffmann, Gemeinnützige Aktiengesellschaften, AG-Report 2007, R 347; Erhart/Riedel, Disproportionale Gewinnausschüttungen bei Kapitalgesellschaften – gesellschafts- und steuerrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten, BB 2008, 2266; Loges/Distler, Gestaltungsmöglichkeiten durch Aktiengattungen, ZIP 2002, 467; Sethe, Aktien ohne Vermögensbeteiligung, ZHR 162 (1998) 474; Sieger/Hasselbach, „Tracking-Stock“ im deutschen Aktienund Kapitalmarktrecht, AG 2001, 391; Zirngibl/Kupsch, Erlöspräferenzen für Venture CapitalInvestoren – ein neuer Gestaltungsvorschlag für Gesellschaftervereinbarungen, BB 2011, 579.

Übersicht I. Bedeutung der Norm ........................ 1 II. Verhältnis zu § 53a ............................ 4 III. Aktiengattungen ............................... 5 1. Begriff ................................................. 5 2. Mitgliedschaftsrechte ......................... 6 a) Vermögensrechte ......................... 7 b) Verwaltungsrechte ..................... 11 I.

3. Pflichten ............................................ 4. Sonder- und Gläubigerrechte .......... IV. Keine Aktiengattungen .................. V. Entstehung der Gattungen ............ VI. Änderung der Gattungen .............. VII. Rechtsfolgen bei Verstößen .........

14 15 16 17 19 20

Bedeutung der Norm

§ 11 besagt, dass es trotz des in § 53a normierten Gleichbehandlungsgebots Aktien mit 1 verschiedenen Rechten (und Pflichten) geben kann und Aktien mit gleichen Rechten (bzw. Pflichten) jeweils eine Gattung bilden.1) Die geläufigste eigene Aktiengattung bilden die gesetzlich in §§ 139 ff., 12 Abs. 1 Satz 2 2 normierten stimmrechtlosen, aber mit Gewinnvorrechten ausgestatteten Vorzugsaktien. Da diese die Möglichkeit bieten, unter Erhaltung der Stimmrechtsmacht bestehender Stammaktien weiteres Eigenkapital aufzunehmen, ist diese Aktiengattung besonders interessant für Familienunternehmen.2) In der Praxis werden darüber hinaus eigene Aktiengattungen für folgende Konstellationen 3 diskutiert: Aktien ohne Vermögensbeteiligung bei der gemeinnützigen AG.3) Aktien, die insbesondere Venture Capital und Private Equity Investoren unter Erhaltung des Stimmrechts besondere Vorrechte einräumen (sog. preferred stock).4) Aktien, bei denen sich die Vermögensbeteiligung auf eine Sparte der AG beschränkt (sog. Spartenaktien oder tracking stocks).5) § 5 Abs. 1 REITG ordnet für die REIT-AG an, dass sämtliche Aktien _____________ 1) 2) 3) 4) 5)

Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 11 Rz. 1, 2, 7. Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 11 Rz. 2; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 11 Rz. 14; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 13 Rz. 7. Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 11 Rz. 2; Sethe, ZHR 162 (1998) 474 ff. am Bsp. der Fußball-AG. Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 11 Rz. 2; Loges/Distler, ZIP 2002, 467 ff.; Bayer/Hoffmann, AG-Report 2010, R 235 ff. Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 11 Rz. 2; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 13 Rz. 10 f.; Erhart/ Riedel, BB 2008, 2266 ff.; Sieger/Hasselbach, AG 2001, 391 ff.

Alexander Franz

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§ 11

Aktien besonderer Gattung

als stimmberechtigte Aktien gleicher Gattung begründet werden, so dass unterschiedliche Gattungen hier nicht denkbar sind. II.

Verhältnis zu § 53a

4 Während das in § 53a verankerte Gebot, Aktionäre unter gleichen Voraussetzungen gleichzubehandeln (Gleichbehandlungsgebot), an jegliches Verhalten der Gesellschaftsorgane unterhalb der Satzungsebene gerichtet ist, stellt § 11 Satz 1 i. V. m. § 23 Abs. 3 Nr. 4 klar, dass mitgliedschaftliche Ansprüche und Befugnisse unterschiedlich ausgeprägt sein können, soweit hierfür eine entsprechende Grundlage in der Satzung geschaffen wurde.6) III.

Aktiengattungen

1.

Begriff

5 Aktien i. S. von § 11 Satz 1 meint Mitgliedschaften und neben den in § 11 Satz 2 explizit genannten gleichen (mitgliedschaftlichen) Rechten sind auch gleiche (mitgliedschaftliche) Pflichten gattungsbegründend.7) Eine eigene Gattung wird auch dann begründet, wenn nur eine einzige Aktie mit abweichenden Rechten und/oder Pflichten ausgestattet ist.8) 2.

Mitgliedschaftsrechte

6 Die in § 11 geregelten Mitgliedschaftsrechte lassen sich in Vermögens- und Verwaltungsrechte unterteilen.9) Diese Rechte unterliegen dem gesellschaftsrechtlichen Abspaltungsverbot des § 8 Abs. 5 und können im Gegensatz zu den nicht an die Mitgliedschaft gekoppelten, rein schuldrechtlichen Rechten einzelner Aktionäre (sog. Gläubigerrechte; siehe hierzu Rz. 15) nicht unabhängig von der Mitgliedschaft übertragen oder belastet werden.10) Neben den Gläubigerrechten sind die Mitgliedschaftsrechte auch von den Sonderrechten i. S. des § 35 BGB abzugrenzen (siehe hierzu Rz. 15), die jeweils losgelöst von § 11 zu betrachten sind. a)

Vermögensrechte

7 Zu den mitgliedschaftlichen Vermögensrechten zählen insbesondere jedem Aktionär grundsätzlich anteilig im Verhältnis zu seiner Beteiligung am Grundkapital zustehende Gewinnbeteiligungsrechte gemäß § 58 Abs. 4, Liquidationserlösbeteiligungsrechte gemäß § 271 und Bezugsrechte auf neue Aktien gemäß § 186.11) Sollte die Satzung eine nach § 60 Abs. 3 bzw. § 271 Abs. 2 i. V. m. § 23 Abs. 5 zulässige Abweichung vom Grundsatz der anteiligen Beteiligung am Gewinn bzw. am Liquidationserlös für bestimmte Aktien vorsehen, so begründet diese Abweichung eine eigene Aktiengattung i. S. von § 11.12) Da das mitgliedschaftliche Bezugsrecht durch entsprechende Satzungsregelung für bestimmte Aktien nicht generell, sondern nur im Zusammenhang mit einem konkreten Kapitalerhöhungsbeschluss und unter Beachtung der Anforderungen des § 186 Abs. 3 ganz oder teilweise ausgeschlossen werden kann, ist die Begründung einer Aktiengattung durch Differenzierungen im Bereich des Bezugsrechts nicht möglich.13) _____________ 6) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 11 Rz. 2. 7) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 11 Rz. 7; Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 11 Rz. 3; K. Schmidt/LutterZiemons, AktG, § 11 Rz. 5; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 13 Rz. 9. 8) Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 11 Rz. 3; Heider in: MünchKomm-AktG, § 11 Rz. 29. 9) K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 11 Rz. 19 f. 10) Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 11 Rz. 8. 11) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 11 Rz. 4. 12) Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 11 Rz. 9. 13) Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 11 Rz. 10.

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Alexander Franz

§ 11

Aktien besonderer Gattung

Die Schaffung einer insbesondere für die gemeinnützige AG diskutierten Aktiengattung 8 mit Stimmrecht aber ohne Vermögensbeteiligung ist für die Anerkennung der Gemeinnützigkeit bedeutsam und auch aktienrechtlich zulässig.14) Die am anglo-amerikanischen Vorbild des sog. preferred stock orientierten Vorrechte 9 sollen die i. R. einer Kapitalerhöhung neu auszugebenden Aktien im Hinblick auf die Vermögensbeteiligung (insbesondere in Form von Gewinn- bzw. Liquidations- oder Erlöspräferenzen),15) aber z. B. auch bzgl. des Verwässerungsschutzes, der Informations- und Entsenderechte sowie der Einflussnahme auf die Geschäftsleitung gegenüber den bisherigen Aktien privilegieren und werden häufig von Venture Capital und Private Equity Investoren eingefordert.16) Ein klassischer Fall stimmrechtloser Vorzugsaktien liegt grundsätzlich nicht vor, da der Investor in der Regel eine vermögensrechtliche Privilegierung unter Aufrechterhaltung seines Stimmrechts erhält. Insbesondere eine Gewinn- bzw. Liquidationspräferenz neu auszugebender Aktien führt zur Begründung einer eigenen Aktiengattung i. S. von § 11.17) Der Einsatz von sog. Spartenaktien oder tracking stocks, d. h. der Beschränkung von Ver- 10 mögensrechten auf z. B. bestimmte Geschäftsbereiche oder Tochtergesellschaften einer AG (= „Sparten“) stößt in der Praxis auf Schwierigkeiten im Hinblick auf die Möglichkeit einer korrespondierenden Beschränkung des Stimmrechts, die sich nur bei Schaffung stimmrechtsloser Vorzugsaktien vermeiden lassen.18) Die Ausgabe von Spartenaktien, deren Vermögensrechte von denjenigen anderer Aktien abweichen, sei es in Form von Stamm- oder in Form von Vorzugsaktien, stellt die Begründung einer eigenen Aktiengattung i. S. von § 11 dar.19) b)

Verwaltungsrechte

Zu den mitgliedschaftlichen Verwaltungsrechten zählen u. a. – –

11

das Stimmrecht (§§ 12, 133 ff.), das Recht auf Teilnahme an der Hauptversammlung (§ 118),

das Auskunftsrecht (§ 131), das aktive Wahlrecht zum Aufsichtsrat (§ 101 Abs. 1) sowie die verschiedenen Schutzrechte in Form der Klagerechte (§§ 147 f., 241 ff.) und der Minderheitenrechte (z. B. §§ 93 Abs. 4 Satz 3, 122, 142 Abs. 2, 147 Abs. 2 Satz 2, 148, 258 Abs. 2, 309 Abs. 3 Satz 1).20) Das Gesetz sieht bei den Verwaltungsrechten weit überwiegend keine von § 23 Abs. 5 12 geforderte Abweichungsmöglichkeit durch Satzungsregelung vor.21) Die einzigen beiden unstreitig zulässigen Ausnahmen hiervon bilden – – –

– –

die stimmrechtslosen Vorzugsaktien gemäß §§ 139 ff. sowie das Entsenderecht in den Aufsichtsrat gemäß § 101 Abs. 2.22)

_____________ 14) Sethe, ZHR 162 (1998) 474 ff.; Bayer/Hoffmann, AG-Report 2007, R 347 ff. 15) Vgl. hierzu Zirngibl/Kupsch, BB 2011, 579 ff. 16) S. hierzu Loges/Distler, ZIP 2002, 467 ff.; Bayer/Hoffmann, AG-Report 2010, R 207 f. und R 235 ff.; Brehm, Das Venture-Capital-Vertragswerk, 2011, S. 86 ff., 98 ff., 120 ff., 128 ff., 178 ff. 17) Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 11 Rz. 8 f. 18) Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 11 Rz. 2; eingehend hierzu: Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 13 Rz. 10 f.; Sieger/Hasselbach, AG 2001, 391 ff. 19) K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 11 Rz. 9; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 13 Rz. 10. 20) Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 11 Rz. 11 ff. 21) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 11 Rz. 3. 22) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 11 Rz. 3; Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 11 Rz. 13, 15.

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§ 11

Aktien besonderer Gattung

13 Bei den stimmrechtslosen Vorzugsaktien wird der Stimmrechtsverlust durch einen Gewinnvorzug ausgeglichen, so dass diese Gattung sowohl durch rechtliche Vor- als auch durch rechtliche Nachteile geprägt ist.23) Mehrstimmrechte, bei denen bestimmte Aktien ihren Inhabern mehr Stimmen gewähren als der jeweiligen Beteiligungsquote am Grundkapital entspricht, sind gemäß § 12 Abs. 2 inzwischen unzulässig (siehe hierzu § 12 Rz. 1, 14). Zuvor geschaffene Mehrstimmaktien können aber über einen Beibehaltungsbeschluss gemäß § 5 Abs. 1 EGAktG auch heute noch fortbestehen und stellen eine eigene Gattung gemäß § 11 dar.24) Nach überwiegender Ansicht sind Höchststimmrechte nur im Fall der nicht börsennotierten AG i. S. von § 134 Abs. 1 Satz 2 nicht gattungsbegründend.25) Das Entsenderecht in den Aufsichtsrat ist aufgrund gesetzlicher Anordnung in § 101 Abs. 2 Satz 3 nicht gattungsbegründend. Während das in § 131 normierte Auskunftsrecht in der Hauptversammlung nach allgemeiner Auffassung nicht beschränkt werden kann, ist die Möglichkeit einer Erweiterung dieses Rechts (außerhalb der Hauptversammlung) umstritten und in der Praxis insbesondere bei Kapitalerhöhungen unter Beteiligung von Venture Capital und Private Equity Investoren als Bestandteil des preferred stock relevant.26) Eine Erweiterung der Berichtspflichten des Vorstands mit einer korrespondierenden Erweiterung der Auskunftsrechte der Aktionäre wird mit Blick auf § 23 Abs. 5 Satz 2 überwiegend als zulässig erachtet.27) 3.

Pflichten

14 Zu den gattungsbegründenden Pflichten zählen insbesondere die Nebenpflichten des § 55, während nach überwiegender Auffassung unterschiedlich hohe Einlagepflichten keine unterschiedlichen Gattungen begründen.28) Ob die statutarische Anordnung einer Zwangseinziehung für bestimmte Aktien i. S. von § 237 gattungsbegründend ist, ist umstritten.29) 4.

Sonder- und Gläubigerrechte

15 Sonderrechte sind Rechte i. S. des § 35 BGB, die ohne Zustimmung des jeweiligen Betroffenen nicht verändert werden dürfen, während bei § 11 die individuelle Zustimmung zur Erleichterung des Eingriffs durch ein kollektives Schutzrecht der Gattung ersetzt wird. Im Aktienrecht findet § 35 BGB grundsätzlich nur subsidiär zur spezialgesetzlichen Sonderregelung des § 11 Anwendung, z. B. im Hinblick auf das von § 11 explizit ausgenommene Entsenderecht in den Aufsichtsrat nach § 101 Abs. 2 Satz 1.30) Die sog. Gläubigerrechte sind nicht Bestandteil der Mitgliedschaft und können nur unabhängig von der Mitgliedschaft übertragen oder belastet werden.31) Hierzu zählen insbesondere der konkrete Dividenden- und Liquidationsauszahlungsanspruch sowie das konkrete Bezugsrecht, d. h. die durch den jeweiligen Beschluss der Hauptversammlung konkretisierten Vermögensrechte.32) _____________ 23) 24) 25) 26) 27) 28) 29) 30) 31) 32)

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Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 11 Rz. 13. Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 11 Rz. 13. Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 11 Rz. 13. Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 11 Rz. 14 m. w. N.; Loges/Distler, ZIP 2002, 467, 469 f.; Bayer/Hoffmann, AG-Report, 2010, R 235 ff.; Brehm, Das Venture-Capital-Vertragswerk, 2011, S. 76 f. Brehm, Das Venture-Capital-Vertragswerk, 2011, S. 76 m. w. N. S. hierzu Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 11 Rz. 16; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 11 Rz. 19 m. w. N. Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 11 Rz. 17; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 11 Rz. 18 jeweils m. w. N. Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 11 Rz. 4. K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 11 Rz. 15; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 11 Rz. 7. Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 11 Rz. 19; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 11 Rz. 15.

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§ 11

Aktien besonderer Gattung IV.

Keine Aktiengattungen

Nicht gattungsbegründend sind neben den bereits genannten Beispielen nach überwiegen- 16 der Ansicht: Vinkulierung, Aktienart (Namens- oder Inhaberaktien)33), Nennbetrag, Verbriefung34) und unterschiedliche Ausgabebeträge, Aktien mit verschiedenen Einlagepflichten sowie voll- und teileingezahlte Aktien.35) V.

Entstehung der Gattungen

Die Entstehung unterschiedlicher Gattungen setzt sowohl bei Gründung als auch bei spä- 17 teren Kapitalerhöhungen oder sonstigen Satzungsänderungen eine entsprechende Satzungsgrundlage nach § 23 Abs. 3 Nr. 4 voraus.36) Im Gründungsstadium ist die Begründung von Aktiengattungen unproblematisch, da 18 aufgrund der hierzu erforderlichen Zustimmung sämtlicher Gründer keine Bedenken im Hinblick auf das Gleichbehandlungsgebot in § 53a bestehen.37) Bei späterer erstmaliger Begründung von Aktiengattungen ist hinsichtlich der Reichweite des Zustimmungserfordernisses der Aktionäre danach zu unterscheiden, ob es sich um die spätere Ausgabe neuer Aktien bei Kapitalerhöhung oder um die Umwidmung bereits bestehender Aktien im Wege einfacher Satzungsänderung handelt sowie danach, ob die Aktien der neuen Gattung ausschließlich geringere oder umfangreichere Rechte gewähren als die Altaktien.38) Selbiges gilt bei späterer wiederholter Begründung neuer Aktiengattungen zusätzlich zu den bereits bestehenden. Für den Fall, dass im Wege einer Kapitalerhöhung neben bereits bestehenden weitere Aktiengattungen begründet werden sollen, bedarf der satzungsändernde Hauptversammlungsbeschluss zusätzlich eines zustimmenden Sonderbeschlusses der Aktionäre sämtlicher bereits bestehender stimmberechtigter Gattungen (vgl. §§ 182 Abs. 2, 193 Abs. 1 Satz 3, 202 Abs. 2 Satz 4, 221 Abs. 1 Satz 4). VI.

Änderung der Gattungen

Soll das bisherige Verhältnis mehrerer Gattungen von Aktien zum Nachteil einer Gattung 19 geändert werden, so bedarf der Beschluss der Hauptversammlung zu seiner Wirksamkeit der Zustimmung der benachteiligten Aktionäre, vgl. § 179 Abs. 3 Satz 1. Dies gilt auch dann, wenn die neue Gattung neben Vor- auch Nachteile aufweist.39) Dieser Sonderbeschluss (vgl. § 179 Abs. 3 Satz 2) ist zusätzlich zu dem einfachen satzungsändernden Hauptversammlungsbeschluss sämtlicher Aktionäre erforderlich und bedarf – vorbehaltlich abweichender Satzungsregelung – gemäß § 179 Abs. 3 Satz 3 i. V. m. § 179 Abs. 2 einer Kapitalmehrheit von drei Vierteln des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals sowie gemäß §§ 138 Satz 2, 133 Abs. 1 einer einfachen Stimmenmehrheit der jeweiligen Gattung.40) Der Sonderbeschluss ersetzt die ansonsten erforderliche Einzelzustimmung der benachteiligten Aktionäre und neutralisiert somit als Ausnahmeregelung das Gleichbehandlungsgebot in § 53a (kollektives Schutzrecht der Gattung, vgl. auch Rz. 15).41) _____________ 33) A. A. Bürgers/Körber-Westermann, AktG, § 11 Rz. 10; Brändel in: Großkomm-AktG, § 11 Rz. 17. 34) A. A. Brändel in: Großkomm-AktG, § 11 Rz. 17. 35) K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 11 Rz. 11 m. w. N.; Grigoleit-Vedder, AktG, § 11 Rz. 7; Heider in: MünchKomm-AktG, § 11 Rz. 30. 36) Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 11 Rz. 21. 37) Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 11 Rz. 27.; Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 11 Rz. 22. 38) S. ausführlich hierzu Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 11 Rz. 23 ff.; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 11 Rz. 26 ff. 39) Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 11 Rz. 34. 40) Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 11 Rz. 32. 41) Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 11 Rz. 33.

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§ 12

Stimmrecht. Keine Mehrstimmrechte

VII. Rechtsfolgen bei Verstößen 20 Die für eine Entstehung bzw. Änderung von Aktiengattungen nach Gründung der AG erforderlichen Hauptversammlungsbeschlüsse unterliegen den allgemeinen Anfechtungs- bzw. Nichtigkeitsrisiken der §§ 241 ff.; dies gilt auch, soweit es um Verstöße gegen das Gleichbehandlungsgebot des § 53a aufgrund fehlender Einzelzustimmungen benachteiligter Aktionäre geht.42) Solange über Sonderbeschlüsse nicht abgestimmt ist oder sonst für die Wirksamkeit erforderliche Zustimmungen fehlen, ist der Hauptversammlungsbeschluss zunächst schwebend unwirksam und wird endgültig unwirksam, wenn der Sonderbeschluss abgelehnt, nichtig oder erfolgreich angefochten bzw. die Zustimmung verweigert worden ist.43) _____________ 42) Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 11 Rz. 36. 43) Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 11 Rz. 36.

§ 12 Stimmrecht. Keine Mehrstimmrechte (1) 1Jede Aktie gewährt das Stimmrecht. 2Vorzugsaktien können nach den Vorschriften dieses Gesetzes als Aktien ohne Stimmrecht ausgegeben werden. (2) Mehrstimmrechte sind unzulässig. Literatur: Wedemann, Das Stimmrecht beim Anteilsnießbrauch im Spiegel der Rechtsvergleichung und Rechtssetzungslehre, NZG 2013, 1281; Wertenbruch, Beschlussfassung und Pflichtverletzung im Stimmrechtskonsortium, NZG 2009, 645.

Übersicht I. Bedeutung der Norm ....................... II. Stimmrecht (§ 12 Abs. 1) ................. 1. Kein Stimmrecht ohne Aktie ............ 2. Keine Aktie ohne Stimmrecht .......... 3. Gleiches Stimmrecht ......................... 4. (Un-)Einheitliche Stimmabgabe ....... III. Schranken des Stimmrechts ............ I.

1 2 3 4 5 6 7

1. Aktien ohne Stimmrecht .................... 8 2. Höchst- oder Maximalstimmrecht .... 10 3. Gesetzliche Ausübungsverbote ....... 11 4. Schuldrechtliche Beschränkungen ... 12 5. Treupflicht ........................................ 13 IV. Mehrstimmrechte (§ 12 Abs. 2) ..... 14

Bedeutung der Norm

1 Die Norm enthält drei Aussagen: Es gibt kein Stimmrecht ohne Aktie (§ 12 Abs. 1 Satz 1); es gibt grundsätzlich keine Aktie ohne Stimmrecht (§ 12 Abs. 1); grundsätzlich gewährt jede Aktie gleiches Stimmrecht (§ 12 Abs. 2).1) Zu den Aussagen zwei und drei gibt es Ausnahmen: § 12 Abs. 1 Satz 2 lässt die Existenz stimmrechtsloser Vorzugsaktien i. S. von §§ 139 ff. zu; vorbehaltlich einer anderweitigen Satzungsregelung steht dem Anlegeraktionär einer Investmentaktiengesellschaft gemäß § 109 Abs. 3 KAGB grundsätzlich kein Stimmrecht zu; § 134 Abs. 1 Satz 2 sieht für nicht börsennotierte Gesellschaften sog. Höchst- oder Maximalstimmrechte vor.2) Mit den Regelungen in § 12 will das Gesetz Kapitalrisiko und Stimmrechtseinfluss im Grundsatz kongruent halten (Kapitalprinzip).3) Seit der Änderung des § 12 Abs. 2 durch das KonTraG im Jahre 1998 ist die Einführung _____________ 1) 2) 3)

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Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 12 Rz. 1. Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 12 Rz. 10, 3, 11; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 12 Rz. 2. Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 12 Rz. 3 f.

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§ 12

Stimmrecht. Keine Mehrstimmrechte

VII. Rechtsfolgen bei Verstößen 20 Die für eine Entstehung bzw. Änderung von Aktiengattungen nach Gründung der AG erforderlichen Hauptversammlungsbeschlüsse unterliegen den allgemeinen Anfechtungs- bzw. Nichtigkeitsrisiken der §§ 241 ff.; dies gilt auch, soweit es um Verstöße gegen das Gleichbehandlungsgebot des § 53a aufgrund fehlender Einzelzustimmungen benachteiligter Aktionäre geht.42) Solange über Sonderbeschlüsse nicht abgestimmt ist oder sonst für die Wirksamkeit erforderliche Zustimmungen fehlen, ist der Hauptversammlungsbeschluss zunächst schwebend unwirksam und wird endgültig unwirksam, wenn der Sonderbeschluss abgelehnt, nichtig oder erfolgreich angefochten bzw. die Zustimmung verweigert worden ist.43) _____________ 42) Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 11 Rz. 36. 43) Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 11 Rz. 36.

§ 12 Stimmrecht. Keine Mehrstimmrechte (1) 1Jede Aktie gewährt das Stimmrecht. 2Vorzugsaktien können nach den Vorschriften dieses Gesetzes als Aktien ohne Stimmrecht ausgegeben werden. (2) Mehrstimmrechte sind unzulässig. Literatur: Wedemann, Das Stimmrecht beim Anteilsnießbrauch im Spiegel der Rechtsvergleichung und Rechtssetzungslehre, NZG 2013, 1281; Wertenbruch, Beschlussfassung und Pflichtverletzung im Stimmrechtskonsortium, NZG 2009, 645.

Übersicht I. Bedeutung der Norm ....................... II. Stimmrecht (§ 12 Abs. 1) ................. 1. Kein Stimmrecht ohne Aktie ............ 2. Keine Aktie ohne Stimmrecht .......... 3. Gleiches Stimmrecht ......................... 4. (Un-)Einheitliche Stimmabgabe ....... III. Schranken des Stimmrechts ............ I.

1 2 3 4 5 6 7

1. Aktien ohne Stimmrecht .................... 8 2. Höchst- oder Maximalstimmrecht .... 10 3. Gesetzliche Ausübungsverbote ....... 11 4. Schuldrechtliche Beschränkungen ... 12 5. Treupflicht ........................................ 13 IV. Mehrstimmrechte (§ 12 Abs. 2) ..... 14

Bedeutung der Norm

1 Die Norm enthält drei Aussagen: Es gibt kein Stimmrecht ohne Aktie (§ 12 Abs. 1 Satz 1); es gibt grundsätzlich keine Aktie ohne Stimmrecht (§ 12 Abs. 1); grundsätzlich gewährt jede Aktie gleiches Stimmrecht (§ 12 Abs. 2).1) Zu den Aussagen zwei und drei gibt es Ausnahmen: § 12 Abs. 1 Satz 2 lässt die Existenz stimmrechtsloser Vorzugsaktien i. S. von §§ 139 ff. zu; vorbehaltlich einer anderweitigen Satzungsregelung steht dem Anlegeraktionär einer Investmentaktiengesellschaft gemäß § 109 Abs. 3 KAGB grundsätzlich kein Stimmrecht zu; § 134 Abs. 1 Satz 2 sieht für nicht börsennotierte Gesellschaften sog. Höchst- oder Maximalstimmrechte vor.2) Mit den Regelungen in § 12 will das Gesetz Kapitalrisiko und Stimmrechtseinfluss im Grundsatz kongruent halten (Kapitalprinzip).3) Seit der Änderung des § 12 Abs. 2 durch das KonTraG im Jahre 1998 ist die Einführung _____________ 1) 2) 3)

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Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 12 Rz. 1. Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 12 Rz. 10, 3, 11; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 12 Rz. 2. Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 12 Rz. 3 f.

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Stimmrecht. Keine Mehrstimmrechte

§ 12

neuer Mehrstimmrechte seit 1.5.1998 verboten.4) Für bestehende Mehrstimmrechte enthält § 5 EGAktG eine Übergangsregelung zu Fortbestand bzw. Erlöschen derselbigen. II.

Stimmrecht (§ 12 Abs. 1)

Das Stimmrecht ist das Recht, an Beschlüssen der Hauptversammlung im Wege der 2 Stimmabgabe mitwirken zu können und zählt zu den mitgliedschaftlichen Verwaltungsrechten eines jeden Aktionärs (siehe § 11 Rz. 11). 1.

Kein Stimmrecht ohne Aktie

Dieser ausnahmslose Grundsatz wird aus Sinn und Zweck der §§ 12 Abs. 1 Satz 1, 133 ff. 3 abgeleitet und hat zur Folge, dass das Stimmrecht als akzessorischer Bestandteil der Mitgliedschaft von der Existenz der Aktie abhängt bzw. im Zusammenspiel mit dem in § 8 normierten Abspaltungsverbot (siehe hierzu § 8 Rz. 26) nicht isoliert von der Aktie übertragen werden kann.5) Nicht stimmberechtigt sind daher z. B. Inhaber bloßer Gläubigerrechte sowie Pfandgläubiger, Nießbraucher6), Treugeber bei der Treuhand und Sicherungsgeber beim Sicherungseigentum.7) Unbedenklich ist hingegen die bloße Stimmrechtsausübung durch einen Nichtaktionär auf Basis gesetzlich oder rechtgeschäftlich begründeter Vertretungsmacht (u. a. auch verdeckte Stellvertretung gemäß § 129 Abs. 2), durch einen Verwalter kraft Amtes (Testamentsvollstrecker, Insolvenzverwalter) oder durch den in § 129 Abs. 3 behandelten sog. Legitimationsaktionär.8) 2.

Keine Aktie ohne Stimmrecht

Echte Ausnahmen von diesem in § 12 Abs. 1 Satz 1 normierten Grundsatz gelten nur, 4 soweit gesetzlich oder aufgrund gesetzlicher Legitimation (§ 23 Abs. 5) statutarisch ein Stimmrechtsausschluss begründet wird (siehe hierzu Rz. 8 – 11). Die weiteren Fälle zulässiger Stimmrechtsbeschränkung stellen keine echte Ausnahme von diesem Grundsatz dar (siehe hierzu Rz. 12, 13). 3.

Gleiches Stimmrecht

Das im Verbot der Mehrstimmrechte des § 12 Abs. 2 zum Ausdruck kommende Kapi- 5 talprinzip beinhaltet den in § 134 Abs. 1 Satz 1 positiv geregelten Grundsatz der für jede Aktie gleich bemessenen Stimmkraft, die sich bei Nennbetragsaktien nach dem Nennbetrag und bei Stückaktien nach der Zahl der Aktien bemisst.9) 4.

(Un-)Einheitliche Stimmabgabe

Das Stimmrecht aus einer einzigen Aktie kann nur einheitlich ausgeübt werden, da Bruch- 6 teilsstimmrechte unzulässig sind.10) Die einer Person aus mehreren Aktien zustehenden _____________ 4) Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 12 Rz. 16, 19. 5) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 12 Rz. 3; Heider in: MünchKomm-AktG, § 12 Rz. 6. 6) Im Hinblick auf den Nießbraucher differenzierend bzw. teilweise a. A.: Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 16 Rz. 7; Bayer in: MünchKomm-AktG, § 16 Rz. 28; Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 12 Rz. 4; Wedemann, NZG 2013, 1281, 1284 f. 7) K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 12 Rz. 6 m. w. N.; Heider in: MünchKomm-AktG, § 12 Rz. 7 m. w. N. 8) Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 12 Rz. 5; Heider in: MünchKomm-AktG, § 12 Rz. 14 ff. 9) Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 12 Rz. 6. 10) K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 12 Rz. 8; Heider in: MünchKomm-AktG, § 12 Rz. 20 m. w. N.; zur vorübergehenden Zulässigkeit eines Bruchteilsstimmrechts bei der Entstehung von Spitzen durch Zusammenlegung von Aktien i. R. einer Kapitalherabsetzung vgl. Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 12 Rz. 7; ebenfalls sollen Bruchteilsstimmrechte bei sog. Restgesellschaften vorübergehend zulässig sein, vgl. hierzu: BGH, Urt. v. 30.9.1991 – II ZR 47/91, ZIP 1991, 1423; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 12 Rz. 3; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 12 Rz. 8.

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§ 12

Stimmrecht. Keine Mehrstimmrechte

Stimmrechte können hingegen unterschiedlich ausgeübt werden, da eine uneinheitliche Stimmabgabe niemandem schaden und durchaus auf berechtigten Interessen beruhen kann, so z. B. wenn ein Treuhänder für verschiedene Treugeber Aktien an einer AG hält und deren Stimmrechte aufgrund voneinander abweichenden Weisungen unterschiedlich ausüben soll.11) III.

Schranken des Stimmrechts

7 Stimmrechtsbeschränkungen können entweder an eine bestimmte Aktiengattung i. S. von § 11 oder an die Person des Aktionärs gekoppelt sein.12) 1.

Aktien ohne Stimmrecht

8 § 12 Abs. 1 Satz 2 lässt die Ausgabe von Vorzugsaktien ohne Stimmrecht gemäß §§ 139 ff. zu. Bei Vorzugsaktien in diesem Sinne ist der Verlust des Stimmrechts an die Aktiengattung gekoppelt und wird durch einen (ggf. nachzuzahlenden) Vorzug bei der Gewinnverteilung kompensiert, vgl. §§ 139 Abs. 1, 140 Abs. 2. Vgl. zu den mit der Aktienrechtsnovelle 2011/2013 verbundenen gesetzlichen Änderungen §§ 139 f. § 5 Abs. 1 REITG ordnet für die REIT-AG an, dass sämtliche Aktien als stimmberechtigte Aktien gleicher Gattung begründet werden, so dass stimmrechtslose Vorzugsaktien hier nicht denkbar sind. 9 Vorbehaltlich einer anderweitigen Satzungsregelung ist der Anlegeraktionär einer Investmentaktiengesellschaft weder zur Teilnahme an der Hauptversammlung berechtigt noch steht ihm ein Stimmrecht zu, vgl. § 109 Abs. 3 KAGB. 2.

Höchst- oder Maximalstimmrecht

10 Für nicht börsennotierte Aktiengesellschaften kann eine entsprechende Satzungsregelung das Stimmrecht durch Festlegung eines Höchstbetrags oder von Abstufungen beschränken, vgl. § 134 Abs. 1 Satz 2. Diese Maßnahmen dienen insbesondere dazu, den Einfluss von Großaktionären zu beschränken.13) Die Stimmkraft von Aktionären, denen mehrere Aktien gehören, kann gemäß dieser Vorschrift beschränkt werden, indem die jeweilige Stimmkraft z. B. auf 5 % oder 10 % des Grundkapitals reduziert wird oder indem ab 1.000 Aktien 10 Aktien eine Stimme gewähren, ab 2.000 Aktien 20 Aktien usw.14) Derartige Beschränkungen sind an die Person des Aktionärs gekoppelt und stellen somit keine eigene Aktiengattung i. S. von § 11 dar (siehe auch § 11 Rz. 13).15) 3.

Gesetzliche Ausübungsverbote

11 Das AktG ordnet für folgende Situationen ein (vorübergehendes) an die Person des jeweiligen Aktionärs gekoppeltes Verbot der Stimmrechtsausübung an: –

§ 71b (eigene Aktien),



§ 136 Abs. 1 (persönliche Befangenheit),



§ 286 Abs. 5 Satz 3 HGB i. V. m. § 136 Abs. 1 (Offenlegung der Bezüge von Vorstandsaktionären),



§ 142 Abs. 1 Satz 2, 3 (Sonderprüfung Rechtsstreit mit Organmitglied),

_____________ 11) Heider in: MünchKomm-AktG, § 12 Rz. 20; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 12 Rz. 13; K. Schmidt/ Lutter-Ziemons, AktG, § 12 Rz. 9. 12) Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 12 Rz. 3. 13) Grigoleit-Vedder, AktG, § 12 Rz. 4. 14) Heider in: MünchKomm-AktG, § 12 Rz. 36. 15) Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 12 Rz. 11.

78

Alexander Franz

Stimmrecht. Keine Mehrstimmrechte –

§§ 20 Abs. 7, 21 Abs. 4, § 44 WpHG, § 59 WpÜG (Verstoß gegen Mitteilungspflichten),



§ 328 (wechselseitige Beteiligung), sowie



§ 67 Abs. 2 Satz 2, 3 (Namensaktien, Fremdbesitz).16)

4.

§ 12

Schuldrechtliche Beschränkungen

In den Grenzen der Zulässigkeitsschranken des § 136 Abs. 2 können i. R. sog. Stimm- 12 bindungsverträge schuldrechtliche Stimmrechtsbeschränkungen vereinbart werden, in denen sich Aktionäre verpflichten, ihr Stimmrecht nur nach bestimmten vertraglichen Vorgaben auszuüben (sog. Konsortial-, Schutzgemeinschafts- oder Poolverträge).17) Mangels dinglicher Wirkung sind vertragswidrig ausgeübte Stimmrechte dennoch wirksam und die Vertragspartner auf klagbare Erfüllungs- bzw. Schadensersatzansprüche verwiesen.18) Falls sämtliche Aktionäre an einer Stimmrechtsvereinbarung beteiligt sind, sollen Beschlüsse, die durch vertragswidrig abgegebene Stimmen zustande gekommen sind, anfechtbar sein.19) 5.

Treupflicht

Aus der gesellschaftsrechtlichen Treupflicht können sich insoweit Stimmrechtsbeschrän- 13 kungen ergeben, als dass jeder Aktionär sein Stimmrecht unter Berücksichtigung der Interessen der AG sowie der übrigen Aktionäre auszuüben hat.20) Auch hier bestehen ggf. einklagbare Erfüllungs- und Schadensersatzansprüche.21) IV.

Mehrstimmrechte (§ 12 Abs. 2)

Mehrstimmrechtsaktien sind Aktien, denen entgegen § 12 Abs. 1 Satz 1 ein mehrfaches 14 und somit überproportionales Stimmrecht zustehen soll.22) Während diese früher begrenzt zulässig waren, hat der Gesetzgeber die Ausgabe neuer Mehrstimmrechtsaktien mit Einführung des KonTraG 1998 unter Änderung des § 12 Abs. 2 strikt verboten. Abweichungen in der Gründungssatzung sind gemäß § 23 Abs. 5 nicht zulässig und führen ebenso wie entsprechende spätere Änderungsbeschlüsse zur Nichtigkeit, vgl. § 134 BGB, § 241 Nr. 3 Alt. 3.23) Für die vor dem 1.5.1998 begründeten Mehrstimmrechtsaktien gilt die Übergangsregelung in § 5 EGAktG, wonach bis 31.5.2003 die Mehrstimmrechte durch Beschluss beseitigt oder fortgesetzt werden konnten. Mangels eines Beseitigungsbeschlusses und vorbehaltlich eines etwaig gefassten Fortsetzungsbeschlusses sind die Mehrstimmrechte gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 EGAktG mit Wirkung zum 1.6.2003 automatisch erloschen. In Fällen des Beseitigungsbeschlusses bzw. des automatischen Erlöschens steht den betroffenen Aktionäen ein angemessener Ausgleich gegen die AG zu, dessen Höhe im Spruchverfahren überprüft werden kann, vgl. § 5 Abs. 3 – 6 EGAktG.

_____________ 16) Vgl. hierzu Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 12 Rz. 14 f.; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 12 Rz. 14 ff. 17) BGH, Urt. v. 20.1.1983 – II ZR 243/81, AG 1983, 249 ff. = ZIP 1983, 297; BGH, Urt. v. 27.10.1986 – II ZR 240/85, ZIP 1987, 293, 295; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 12 Rz. 22; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 12 Rz. 11; ausführlich zum Thema: Wertenbruch, NZG 2009, 645 ff. 18) K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 12 Rz. 23; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 12 Rz. 11. 19) BGH, Urt. v. 20.1.1983 – II ZR 243/81, AG 1983, 249 f. = ZIP 1983, 297; BGH, Urt. v. 27.10.1986 – II ZR 240/85, ZIP 1987, 293, 295; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 12 Rz. 23. 20) K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 12 Rz. 24; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 12 Rz. 12. 21) OLG Stuttgart, Urt. v. 23.7.2003 – 20 U 5/03, NZG 2003, 1025, 1027 = ZIP 2003, 2024, dazu EWiR 2004, 45 (Wilhelm); Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 12 Rz. 12. 22) Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 12 Rz. 17. 23) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 12 Rz. 10; Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 12 Rz. 18.

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§ 13

Unterzeichnung der Aktien

§ 13 Unterzeichnung der Aktien 1

Zur Unterzeichnung von Aktien und Zwischenscheinen genügt eine vervielfältigte Unterschrift. 2Die Gültigkeit der Unterzeichnung kann von der Beachtung einer besonderen Form abhängig gemacht werden. 3Die Formvorschrift muß in der Urkunde enthalten sein. Übersicht I. Bedeutung der Norm ....................... 1 II. Erfasste Wertpapiere ........................ 2 III. Vereinfachte Form (§ 13 Satz 1) ..... 3 I.

IV. Besondere Form (§ 13 Satz 2, Satz 3) ................................................. 4 V. Rechtsfolgen bei Verstößen ............. 5

Bedeutung der Norm

1 Neben weiteren z. B. in §§ 8, 10 und 55 geregelten Entstehungsvoraussetzungen1) ist auch die ordnungsgemäße Unterzeichnung eine wesentliche wertpapierrechtliche Bedingung für die wirksame Verbriefung von Aktien und Zwischenscheinen.2) § 13 Satz 1 erleichtert insbesondere die massenhafte Verbriefung.3) Gemäß § 13 Sätze 2 und 3 kann die Gültigkeit der Unterzeichnung von weiteren erhöhten Anforderungen abhängig gemacht werden. II.

Erfasste Wertpapiere

2 Der Anwendungsbereich des § 13 erfasst jede Art und Gattung von Aktienurkunden, Nennbetrags- und Stückaktien sowie Namens- und Inhaberaktien und gilt ebenfalls für Zwischenscheine i. S. von §§ 8 Abs. 6, 10 Abs. 3 und 4.4) Nach überwiegender Ansicht fallen auch Globalurkunden i. S. von §§ 2, 9a Abs. 1 DepotG in den Anwendungsbereich des § 13, da der Wortlaut keine diesbezüglichen Einschränkungen erkennen lässt.5) Die praktische Relevanz der Frage, ob Gewinnanteils-, Erneuerungs- und Genussscheine, Wandel-, Options- und Gewinnschuldverschreibungen dem Anwendungsbereich von § 13 oder demjenigen von § 793 Abs. 2 BGB unterstehen, ist angesichts des identischen Regelungsgehalts beider Vorschriften gering.6) III.

Vereinfachte Form (§ 13 Satz 1)

3 Die Urkunde muss grundsätzlich in Schriftform i. S. des § 126 Abs. 1 BGB abgefasst sein, elektronische Form i. S. des § 126a BGB reicht nicht aus.7) Da die Technik der Urkundenherstellung nicht gesetzlich vorgeschrieben ist, kommen grundsätzlich alle denkbaren Herstellungsvarianten in Betracht, so z. B. Handschrift, Schreibmaschine, Com_____________ 1) 2) 3) 4) 5)

6)

7)

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Vgl. hierzu sowie zu den Rechtsfolgen inhaltlicher Mängel ausführlich: K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 13 Rz. 7 ff.; Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 13 Rz. 1 f. Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 13 Rz. 2. K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 13 Rz. 1; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 13 Rz. 4; GrigoleitVedder, AktG, § 13 Rz. 2. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 13 Rz. 2; Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 13 Rz. 4. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 13 Rz. 2; Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 13 Rz. 6; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 13 Rz. 12; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 13 Rz. 6; Heider in: MünchKomm-AktG, § 13 Rz. 6; a. A. Brändel in: GroßKomm-AktG, § 13 Rz. 26. Vgl. hierzu: Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 13 Rz. 2; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 13 Rz. 8; Brändel in: GroßKomm-AktG, § 13 Rz. 26; a. A. im Hinblick auf Coupons, Dividenden-, Gewinnanteils- sowie Erneuerungsscheine K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 13 Rz. 3 f. K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 13 Rz. 11.

Alexander Franz

§ 13

Unterzeichnung der Aktien

puterausdruck, Fotokopie, Offset- oder Siebdruck.8) Im Falle der Börsennotierung müssen die Aktien den gemeinsamen Grundsätzen der deutschen Wertpapierbörse für den Druck von Wertpapieren entsprechen.9) Als Aussteller der Urkunden sind für deren Unterzeichnung die Vorstandsmitglieder in vertretungsberechtigter Anzahl zuständig, eine Stellvertretung bedarf stets ausdrücklicher Bevollmächtigung (auch bei Prokuristen).10) Die gemäß § 126 Abs. 1 BGB erforderliche eigenhändige Unterschrift kann gemäß § 13 Satz 1 durch Vervielfältigung ersetzt werden, wodurch i. S. der Praktikabilität Massenemissionen erleichtert werden.11) Vervielfältigung bedeutet, der handschriftliche Originalnamenszug wird mittels Druck oder Stempel auf der Urkunde angebracht (Faksimile).12) Zur Anbringung des Faksimiles auf der Urkunde bedarf es der Zustimmung des Unterzeichners, da das Recht ansonsten nicht wirksam verbrieft ist.13) Eine über die Regelung in § 13 Satz 1 hinausgehende Erleichterung der gesetzlichen Anforderungen an die Unterzeichnung, etwa durch gleichzeitige Abbedingung eigenhändiger (§ 126 Abs. 1 BGB) und vervielfältigter Unterschrift (§ 13 Satz 1), ist nicht zulässig.14) IV.

Besondere Form (§ 13 Satz 2, Satz 3)

Da es sich hierbei nicht um eine Geschäftsführungsmaßnahme handelt, fällt die Begrün- 4 dung zusätzlicher Formvorschriften nach § 13 Satz 2 nicht in die Zuständigkeit des Vorstands, sondern in diejenige der Aktionäre, und erfordert entweder eine Regelung in der Satzung oder einen entsprechenden Hauptversammlungsbeschluss.15) So kann z. B. entgegen § 13 Satz 1 wiederum die eigenhändige Unterschrift (i. S. von § 126 Abs. 1 BGB), die zusätzliche Unterzeichnung durch Aufsichtsratsmitglieder oder sonstige Kontrollpersonen, die notarielle Beglaubigung der Unterschriften, die Verwendung eines Siegels oder Stempels, o. Ä., vorgeschrieben werden.16) Derartige besondere Formvorschriften sind gemäß § 13 Satz 3 ebenfalls in der Urkunde selbst anzugeben. V.

Rechtsfolgen bei Verstößen

Entsprechen die ausgegebenen Aktien nicht den dargestellten Formerfordernissen nach 5 § 13, so hat dies grundsätzlich die Unwirksamkeit der Verbriefung zur Folge.17) Da die Verbriefung keine Wirksamkeitsvoraussetzung für die Entstehung der aktienrechtlichen Mitgliedschaft ist, bleibt diese von einer eventuell unwirksamen Verbriefung unberührt.18) Übrig bleiben allerdings der noch nicht erfüllte Anspruch des Aktionärs auf Verbriefung19) sowie die mangelnde Möglichkeit eines gutgläubigen Erwerbs bei Übertragung der Mitgliedschaft (siehe hierzu § 10 Rz. 24).20) _____________ 8) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 13 Rz. 5; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 13 Rz. 11; Spindler/StilzVatter, AktG, § 13 Rz. 12. 9) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 13 Rz. 5; Druckrichtlinie abrufbar unter http://www.deutsche-boerse-cashmarket.com/blob/1198496/a6523789f70f53431c48e234d452a657/data/Grundsaetze.pdf (Abrufdatum: 14.5.2018). 10) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 13 Rz. 6; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 13 Rz. 12. 11) K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 13 Rz. 1; Grigoleit-Vedder, AktG, § 13 Rz. 2; Hölters-Solveen, AktG, § 13 Rz. 1. 12) K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 13 Rz. 12; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 13 Rz. 16. 13) Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 13 Rz. 9; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 13 Rz. 16. 14) Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 13 Rz. 10. 15) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 13 Rz. 7; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 13 Rz. 17. 16) K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 13 Rz. 13; Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 13 Rz. 10. 17) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 13 Rz. 8; Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 13 Rz. 27. 18) Spindler/Stilz-Vatter, AktG, § 13 Rz. 27. 19) Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 13 Rz. 19. 20) K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 13 Rz. 15; Bürgers/Körber-Westermann, AktG, Rz. 1.

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§ 14

Zuständigkeit

§ 14 Zuständigkeit Gericht im Sinne dieses Gesetzes ist, wenn nichts anderes bestimmt ist, das Gericht des Sitzes der Gesellschaft. Übersicht I. Bedeutung der Norm ....................... 1 II. FamFG-Verfahren ........................... 2 I.

III. Sitz ...................................................... 3 IV. Sonderfälle ......................................... 4

Bedeutung der Norm

1 Vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelungen bestimmt § 14 die örtliche Zuständigkeit (nur) für Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit mit aktienrechtlichem Bezug.1) Wird in anderen Vorschriften des AktG ohne nähere Festlegung einer besonderen Zuständigkeit das Tätigwerden des „Gerichts“ vorgesehen, so ergibt sich die örtliche Zuständigkeit für frühere FGG- und heutige FamFG-Verfahren aus § 14.2) Für streitige Verfahren gelten §§ 12 ff. ZPO (insbesondere § 17 ZPO), soweit das AktG keine Sondervorschriften enthält.3) Seit Einführung des FamFG verbleibt kein erkennbarer Anwendungsbereich des subsidiären § 14.4) II.

FamFG-Verfahren

2 Bei den FamFG-Verfahren wird zwischen „Streitverfahren“ (§§ 98 Abs. 1, 132 Abs. 1, 260 Abs. 1, 304 Abs. 3 Satz 3, 320b Abs. 2 Satz 2 AktG, § 5 EGAktG) und „Registerverfahren“ (§§ 374, 375 FamFG) differenziert.5) Registerverfahren lassen sich wiederum in allgemeine Registerverfahren (§§ 374 FamFG i. V. m. §§ 26 Abs. 3 – 5, 36, 38, 51 f., 81 AktG) und Verfahren nach § 375 FamFG (§ 375 Nr. 3 FamFG i. V. m. §§ 33 Abs. 3, 35, 73 Abs. 1, 85, 103 Abs. 3, 104, 122 Abs. 3, 147 Abs. 2, 183a Abs. 3, 264 Abs. 2, 265 Abs. 3 und 4, 270 Abs. 3, 273 Abs. 2 – 4, 290 Abs. 3 AktG) aufteilen.6) III.

Sitz

3 Der Satzungssitz der Gesellschaft ist Sitz i. S. von § 14 und legt somit die örtliche Zuständigkeit des Registergerichts fest.7) Das gilt gemäß §§ 33 Abs. 3, 35 – 38 auch, wenn das Registergericht bereits vor Eintragung der AG in das Handelsregister tätig wird.8) Die sachliche Zuständigkeit wird nicht im AktG, sondern im FamFG geregelt.9) IV.

Sonderfälle

4 Bei der AG mit Doppelsitz sind grundsätzlich beide Sitzgerichte zuständig, die ihre Tätigkeit dann verfahrensrechtlich untereinander abzustimmen haben.10) Nachdem ein Sitzgericht _____________ 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8) 9) 10)

Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 14 Rz. 1. K. Schmidt/Lutter-Langhein, AktG, § 14 Rz. 1. Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 14 Rz. 1. Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 14 Rz. 2; Grigoleit-Vedder, AkG, § 14 Rz. 1. K. Schmidt/Lutter-Langhein, AktG, § 14 Rz. 3. K. Schmidt/Lutter-Langhein, AktG, § 14 Rz. 4 f.; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 14 Rz. 3. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 14 Rz. 3. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 14 Rz. 3; Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 14 Rz. 2. Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 14 Rz. 3; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 14 Rz. 3. K. Schmidt/Lutter-Langhein, AktG, § 14 Rz. 12; Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 14 Rz. 5.

82

Alexander Franz

§ 15

Verbundene Unternehmen

tätig wird, verliert das andere gemäß § 2 Abs. 1 FamFG die Zuständigkeit.11) Bei Spaltgesellschaften hilft § 5 FamFG analog.12) _____________ 11) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 14 Rz. 4; Grigoleit-Vedder, AktG, § 13 Rz. 2. 12) Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 14 Rz. 7; s. hierzu ausführlich: Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 14 Rz. 4; K. Schmidt/Lutter-Langhein, AktG, § 14 Rz. 15.

§ 15 Verbundene Unternehmen Verbundene Unternehmen sind rechtlich selbständige Unternehmen, die im Verhältnis zueinander in Mehrheitsbesitz stehende Unternehmen und mit Mehrheit beteiligte Unternehmen (§ 16), abhängige und herrschende Unternehmen (§ 17), Konzernunternehmen (§ 18), wechselseitig beteiligte Unternehmen (§ 19) oder Vertragsteile eines Unternehmensvertrags (§§ 291, 292) sind. Literatur: Langenbucher, Bankaktienrecht unter Unsicherheit, ZGR 2010, 75; Priester, Unbeschränkte Konzernhaftung des GmbH-Gesellschafters, ZIP 1986, 137; Wiedemann, Entwicklung im Kapitalgesellschaftsrecht, DB 1993, 141; Zöllner, Zum Unternehmensbegriff der §§ 15 ff. Aktiengesetz, ZGR 1976, 1.

Übersicht I. Bedeutung der Norm ........................ 1 II. Begriff des Unternehmens ............... 4 1. Herrschendes Unternehmen ............. 5 a) Natürliche Personen .................... 7 b) Handelsgesellschaften, Formkaufleute ....................................... 9 c) Weitere Rechtsträger ................. 10 d) Innengesellschaft ........................ 11 I.

e) (Zwischen-)Holding, Treuhand, NewCo-Gestaltungen ..... f) Sonderfälle: Öffentliche Hand/SoFFin ............................. 2. In Mehrheitsbesitz stehendes bzw. abhängiges Unternehmen ................ 3. Gleichgeordnetes bzw. wechselseitig beteiligtes Unternehmen ........

12 14 15 16

Bedeutung der Norm

§ 15 definiert den Begriff des verbundenen Unternehmens als Oberbegriff für die in Bezug 1 genommenen fünf Unternehmensverbindungen, die ihrerseits in §§ 16 – 19 und 291 f. näher umschrieben sind. Unter verbundenen Unternehmen versteht das AktG Unternehmen, die zwar rechtlich selbständig, aber auf Grundlage bestimmter gesellschaftsrechtlicher Instrumentarien miteinander verbunden sind.1) Da §§ 15 – 19 die maßgeblichen Definitionen für die speziellen Vorschriften zum Recht der verbundenen Unternehmen in §§ 291 – 328 enthalten, können diese zusammen mit §§ 20 – 22 als allgemeiner Teil des Konzernrechts verstanden werden.2) Die wesentlichen Bestimmungen des AktG, die den Oberbegriff des verbundenen Unternehmens i. S. der §§ 15 ff. verwenden, sind: §§ 71 Abs. 1 Nr. 2, 71a Abs. 1 Satz 2, 89 Abs. 4 Satz 2, 90 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 3 Satz 1, 115 Abs. 3 Satz 2, 131 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, 145 Abs. 6 Satz 2, 192 Abs. 2 Nr. 3, 293a Abs. 2 Satz 1, 313 ff., 400 Abs. 1 Nr. 1 und 2.3) Außerhalb des AktG wird der Begriff in diesem Sinne insbesondere in § 5 MitbestG, § 51a Abs. 2 Satz 1 GmbHG und _____________ 1) 2) 3)

Emmerich/Habersack-Habersack, Konzernrecht, Einl. Rz. 1. K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 15 Rz. 7. Zu weiteren Bestimmungen des AktG, die sich auf in §§ 15 – 19 definierte Begriffe, insbesondere auf den des Unternehmens beziehen vgl. K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 15 Rz. 4.

Alexander Franz

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§ 15

Verbundene Unternehmen

tätig wird, verliert das andere gemäß § 2 Abs. 1 FamFG die Zuständigkeit.11) Bei Spaltgesellschaften hilft § 5 FamFG analog.12) _____________ 11) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 14 Rz. 4; Grigoleit-Vedder, AktG, § 13 Rz. 2. 12) Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 14 Rz. 7; s. hierzu ausführlich: Spindler/Stilz-Drescher, AktG, § 14 Rz. 4; K. Schmidt/Lutter-Langhein, AktG, § 14 Rz. 15.

§ 15 Verbundene Unternehmen Verbundene Unternehmen sind rechtlich selbständige Unternehmen, die im Verhältnis zueinander in Mehrheitsbesitz stehende Unternehmen und mit Mehrheit beteiligte Unternehmen (§ 16), abhängige und herrschende Unternehmen (§ 17), Konzernunternehmen (§ 18), wechselseitig beteiligte Unternehmen (§ 19) oder Vertragsteile eines Unternehmensvertrags (§§ 291, 292) sind. Literatur: Langenbucher, Bankaktienrecht unter Unsicherheit, ZGR 2010, 75; Priester, Unbeschränkte Konzernhaftung des GmbH-Gesellschafters, ZIP 1986, 137; Wiedemann, Entwicklung im Kapitalgesellschaftsrecht, DB 1993, 141; Zöllner, Zum Unternehmensbegriff der §§ 15 ff. Aktiengesetz, ZGR 1976, 1.

Übersicht I. Bedeutung der Norm ........................ 1 II. Begriff des Unternehmens ............... 4 1. Herrschendes Unternehmen ............. 5 a) Natürliche Personen .................... 7 b) Handelsgesellschaften, Formkaufleute ....................................... 9 c) Weitere Rechtsträger ................. 10 d) Innengesellschaft ........................ 11 I.

e) (Zwischen-)Holding, Treuhand, NewCo-Gestaltungen ..... f) Sonderfälle: Öffentliche Hand/SoFFin ............................. 2. In Mehrheitsbesitz stehendes bzw. abhängiges Unternehmen ................ 3. Gleichgeordnetes bzw. wechselseitig beteiligtes Unternehmen ........

12 14 15 16

Bedeutung der Norm

§ 15 definiert den Begriff des verbundenen Unternehmens als Oberbegriff für die in Bezug 1 genommenen fünf Unternehmensverbindungen, die ihrerseits in §§ 16 – 19 und 291 f. näher umschrieben sind. Unter verbundenen Unternehmen versteht das AktG Unternehmen, die zwar rechtlich selbständig, aber auf Grundlage bestimmter gesellschaftsrechtlicher Instrumentarien miteinander verbunden sind.1) Da §§ 15 – 19 die maßgeblichen Definitionen für die speziellen Vorschriften zum Recht der verbundenen Unternehmen in §§ 291 – 328 enthalten, können diese zusammen mit §§ 20 – 22 als allgemeiner Teil des Konzernrechts verstanden werden.2) Die wesentlichen Bestimmungen des AktG, die den Oberbegriff des verbundenen Unternehmens i. S. der §§ 15 ff. verwenden, sind: §§ 71 Abs. 1 Nr. 2, 71a Abs. 1 Satz 2, 89 Abs. 4 Satz 2, 90 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 3 Satz 1, 115 Abs. 3 Satz 2, 131 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, 145 Abs. 6 Satz 2, 192 Abs. 2 Nr. 3, 293a Abs. 2 Satz 1, 313 ff., 400 Abs. 1 Nr. 1 und 2.3) Außerhalb des AktG wird der Begriff in diesem Sinne insbesondere in § 5 MitbestG, § 51a Abs. 2 Satz 1 GmbHG und _____________ 1) 2) 3)

Emmerich/Habersack-Habersack, Konzernrecht, Einl. Rz. 1. K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 15 Rz. 7. Zu weiteren Bestimmungen des AktG, die sich auf in §§ 15 – 19 definierte Begriffe, insbesondere auf den des Unternehmens beziehen vgl. K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 15 Rz. 4.

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§ 15

Verbundene Unternehmen

§ 36 Abs. 2 Satz 1 GWB verwendet. Den besonderen Teil des Konzernrechts bilden systematisch die §§ 291 – 328 mit ihren Regelungen zum Vertragskonzern (§§ 291 – 327), zum faktischen Konzern (§§ 311 – 318), zur Eingliederung (§§ 319 – 327), zum SqueezeOut (§§ 327a f.) und zur wechselseitigen Beteiligung (§ 328).4) 2 Da die Beteiligung einer AG in §§ 15 – 19 nicht vorausgesetzt ist, gelten deren rechtsformneutrale Definitionen auch außerhalb des Aktienrechts für rechtlich selbständige Unternehmen anderer Rechtsformen.5) Soweit auch andere Gesetze auf die in §§ 15 – 19 definierten Begriffe verweisen, kann nicht immer von einem einheitlichen Verständnis ausgegangen werden, insbesondere § 271 Abs. 2 HGB enthält eine von § 15 abweichende, eigene Definition des verbundenen Unternehmens, die für das dritte Buch des HGB und somit für §§ 238 – 342e HGB maßgeblich ist.6) 3 Primärer Regelungszweck des Konzernrechts ist die Abwehr der abstrakten Gefahr, dass die Interessen der Gesellschafter und Gläubiger der untergeordneten (abhängigen) Gesellschaft wegen der Durchsetzung gesellschaftsfremder Interessen der übergeordneten (herrschenden) Gesellschaft zurückgedrängt werden (sog. Konzerngefahrenlage).7) Darüber hinaus weisen die Vorschriften auch einen organisationsrechtlichen Gehalt auf, da sie unterschiedliche Formen der Einbindung der abhängigen Gesellschaft in die Belange des herrschenden Unternehmens zur Verfügung stellen und dabei die für die unverbundene AG geltenden Grundsätze zum Teil erheblich modifizieren.8) II.

Begriff des Unternehmens

4 Der vom Gesetzgeber nicht näher umschriebene Begriff des „Unternehmens“ in § 15 verlangt dem Wortlaut nach lediglich eine „rechtliche Selbständigkeit“, so dass zumindest die (Teil-)Rechtsfähigkeit als charakteristisches Merkmal vorausgesetzt werden kann.9) Da es keinen einheitlichen Unternehmensbegriff gibt und selbst i. R. der Unternehmensverbindungen der §§ 16 – 19 zwischen den jeweiligen Perspektiven der Betroffenen unterschieden wird (herrschende Unternehmen einerseits und abhängige, gleichgeordnete bzw. wechselseitig beteiligte Unternehmen andererseits),10) hat sich ein an Sinn und Zweck der jeweiligen Sondervorschriften für Unternehmen anknüpfender teleologischer Unternehmensbegriff gegen den institutionellen und den funktionalen Unternehmensbegriff durchgesetzt.11) Bei dem vorliegend i. S. des Konzernrechts zu bestimmenden Begriff geht es insbesondere um die Abwehr der sog. Konzerngefahr im Interesse des Minderheiten- und Gläubigerschutzes (siehe auch Rz. 3).12) Abzugrenzen ist der Begriff des Unternehmens von demjenigen des reinen Privatgesellschafters, da der Gesetzgeber allein bei Unternehmensgesellschaftern im Gegensatz zu Privatgesellschaftern die Gefahr sieht, _____________ 4) Grigoleit-Grigoleit, AktG, § 15 Rz. 3. 5) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 15 Rz. 6; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 15 Rz. 2; Henssler/StrohnMaier-Reimer, GesR, § 15 AktG Rz. 1. 6) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 15 Rz. 1; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 15 Rz. 7; BGH, Urt. v. 3.6.2004 – X ZR 104/03, ZIP 2004, 1363 = GmbHR 2004, 1085 ff. – für § 271 Abs. 2 HGB. 7) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 15 Rz. 3; Koppensteiner in: KölnKomm-AktG, § 15 Rz. 16, 94; HöltersHirschmann, AktG, § 15 Rz. 3; Emmerich/Habersack-Habersack, Konzernrecht, Einl. Rz. 1. 8) Emmerich/Habersack-Habersack, Konzernrecht, Einl. Rz. 1. 9) K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 15 Rz. 31; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 15 Rz. 56. 10) Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 15 Rz. 12. 11) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 15 Rz. 9; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 15 Rz. 32; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 15 Rz. 11; Bayer in: MünchKomm-AktG, § 15 Rz. 10; Emmerich/Habersack-Emmerich, Konzernrecht, § 15 AktG Rz. 8. 12) Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 15 Rz. 10, Vor § 15 Rz. 27.

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§ 15

Verbundene Unternehmen

dass dieser die Rechte aus seiner Beteiligung zum Nachteil der Gesellschaft für seine sonstigen unternehmerischen Interessen ausnutzt.13) 1.

Herrschendes Unternehmen

Seit der Leitentscheidung des BGH vom 13.10.1977 (Veba/Gelsenberg) versteht die h. M. 5 als „herrschendes Unternehmen“ jeden Anteilsinhaber, der neben seiner Beteiligung an der Gesellschaft noch eine anderweitige wirtschaftliche Interessenbindung hat, die nach Art und Intensität ernsthafte Sorge begründet, er könne wegen dieser Bindung seinen aus der Mitgliedschaft folgenden Einfluss auf die Gesellschaft nachteilig ausüben (Ausnahme: Öffentliche Hand).14) Dieser Ansicht haben sich ebenfalls das BAG15), das BSG16) sowie der BFH17) angeschlossen. Aus dem Erfordernis der anderweitigen wirtschaftlichen Interessenbindung folgt zunächst, dass die Beteiligung an einem einzigen Unternehmen (sog. privilegierter Privataktionär) nicht zur Begründung der Unternehmenseigenschaft genügt.18) Eine anderweitige wirtschaftliche Interessenbindung hat, wer neben seiner Beteiligung ein 6 Handelsgewerbe bzw. sonstiges Gewerbe oder eine freiberufliche Tätigkeit betreibt.19) Nach h. M. genügt es ebenfalls, dass der Anteilsinhaber nur eine einzige weitere (oder mehrere) maßgebliche Beteiligung(en) an einem (oder mehreren) anderen Unternehmen hält.20) Im Hinblick auf die Maßgeblichkeit orientiert sich der BGH an dem Kriterium der Mehrheitsbeteiligung gemäß § 16 und lehnt sich i. Ü. eng an die Kriterien einer Beherrschung i. S. von § 17 an.21) So ist bereits eine geringere Beteiligung ausreichend, wenn gleichwohl aufgrund rechtlicher oder tatsächlicher Umstände ein maßgeblicher Einfluss möglich ist (siehe § 17 Rz. 11 ff.).22) Auf Grundlage einer Einzelfallbetrachtung ist im Hinblick auf die Unternehmenseigenschaft in diesem Sinne auch eine Zurechnung der von Dritten verfolgten wirtschaftlichen Interessen in Betracht zu ziehen, so dass die anderweitigen wirtschaftlichen Interessen nicht zwingend unmittelbar selbst verfolgt werden müssen.23) Eine solche Zurechnung lässt sich laut BGH allerdings nicht auf § 16 Abs. 4 stützen, da _____________ 13) Kropff, AktG, S. 41 f.; Emmerich/Habersack-Emmerich, Konzernrecht, § 15 AktG Rz. 6 f. 14) BGH, Urt. v. 13.10.1977 – II ZR 123/76 (Veba/Gelsenberg), AG 1978, 50, 51; BGH, Urt. v. 18.6.2001 – II ZR 212/99 (MLP), AG 2001, 588, 589 = ZIP 2001, 1323, dazu EWiR 2001, 1079 (Kort); Hüffer/ Koch-Koch, AktG, § 15 Rz. 10; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 15 Rz. 13; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 15 Rz. 34; Krieger in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 69 Rz. 6. 15) BAG, Urt. v. 8.3.1994 – 9 AZR 197/92, ZIP 1994, 1378 = AG 1994, 510; BAG, Urt. v. 30.3.2004 – 1 ABR 61/01 (Bofrost*), ZIP 2004, 1468, 1473 f., dazu EWiR 2004, 1175 (Thüsing); BAG, Urt. v. 27.10.2010 – 7 ABR 85/09, ZIP 2011, 587 = AG 2011, 382, dazu EWiR 2011, 267 (Junker). 16) BSG, Urt. v. 27.9.1994 – 10 RAr 1/92, AG 1995, 279, 282 = ZIP 1994, 1944. 17) BFH, Urt. v. 23.3.2011 – X R 45/09, ZIP 2011, 1468 = AG 2011, 639, dazu EWiR 2011, 741 (Jungbluth). 18) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 15 Rz. 11; Bayer in: MünchKomm-AktG, § 15 Rz. 16; a. A. beim Formkaufmann: K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 15 Rz. 38, 53 ff.; Emmerich/Habersack-Emmerich, Konzernrecht, § 15 AktG Rz. 22; Henssler/Strohn-Kessler/Maier-Reimer, GesR, § 15 AktG Rz. 4 f. 19) BGH, Urt. v. 19.9.1994 – II ZR 237/93, AG 1995, 35, 36 = ZIP 1994, 1690; BGH, Urt. v. 27.3.1995 – II ZR 136/94, AG 1995, 326, 327 = ZIP 1995, 733; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 15 Rz. 24; K. Schmidt/ Lutter-Vetter, AktG, § 15 Rz. 41; Krieger in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 69 Rz. 7. 20) BGH, Beschl. v. 17.3.1997 – II ZB 3/96 (VW), AG 1997, 374, 376 = ZIP 1997, 887; BGH, Urt. v. 18.6.2001 – II ZR 212/99 (MLP), AG 2001, 588, 589 = ZIP 2001, 1323; BAG, Urt. v. 27.10.2010 – 7 ABR 85/09, ZIP 2011, 587 = AG 2011, 382; BFH, Urt. v. 23.3.2011 – X R 45/09, ZIP 2011, 1468 = AG 2011, 639; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 15 Rz. 11; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 15 Rz. 25; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 15 Rz. 44; a. A. – eine unmittelbare unternehmerische Betätigung fordernd – Zöllner, ZGR 1976, 1, 13 ff.; Priester, ZIP 1986, 137, 141 f.; Wiedemann, DB 1993, 141, 153. 21) BGH, Urt. v. 18.6.2001 – II ZR 212/99 (MLP), AG 2001, 588, 589 = ZIP 2001, 1323; zustimmend K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 15 Rz. 45 f.; Bayer in: MünchKomm-AktG, § 15 Rz. 22; a. A. Spindler/ Stilz-Schall, AktG, § 15 Rz. 27 f. 22) BGH, Urt. v. 18.6.2001 – II ZR 212/99 (MLP), AG 2001, 588, 589 = ZIP 2001, 1323. 23) Vgl. Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 15 Rz. 30 ff.; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 15 Rz. 39 f.; Koppensteiner in: KölnKomm-AktG, § 15 Rz. 66 ff.

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Verbundene Unternehmen

diese Vorschrift die Eigenschaft des Normadressaten als Unternehmen voraussetzt, diese aber nicht begründen kann.24) a)

Natürliche Personen

7 Auch im Hinblick auf die Unternehmenseigenschaft natürlicher Personen gelten die allgemeinen Ausführungen unter Rz. 5 f. Ausreichend ist es, wenn eine natürliche Person neben ihrer Beteiligung aufgrund originärer Tätigkeit (eine) anderweitige wirtschaftliche Interessenbindung(en) gewerblicher oder freiberuflicher Art hat, z. B. als Einzelkaufmann oder als Land- und Forstwirt i. S. von §§ 1, 3 HGB (wobei ein qualifizierter Gewerbebetrieb i. S. des § 1 Abs. 2 HGB nicht zwingend erforderlich ist).25) Nicht unternehmerisch sind dagegen allgemein dem privaten Bereich zuzuordnende, originär gemeinnützige oder karitative Aktivitäten.26) Ebenso genügt auch bei einer natürlichen Person die bloße Beteiligung an einem oder mehreren weiteren Unternehmen, wenn die Schwelle der Maßgeblichkeit erreicht ist.27) Bei Beteiligungen an Personengesellschaften genügt unabhängig von einer Kapitalbeteiligung bereits die Übernahme der persönlichen Haftung.28) 8 Unternehmen ist nach h. M. auch der Kaufmann, der sein (einheitliches) Geschäft in eine Besitz- und eine Betriebsgesellschaft aufspaltet, an denen er jeweils selbst maßgeblich beteiligt ist (sog. Betriebsaufspaltung), da bereits die abstrakte Möglichkeit eines Konflikts ausreicht.29) Anders zu entscheiden ist dieser Fall für eine GmbH & Co. KG bei gleichzeitiger maßgeblicher Beteiligung an GmbH sowie KG, wenn die GmbH ausschließlich als Komplementärin der betroffenen KG fungiert.30) b)

Handelsgesellschaften, Formkaufleute

9 Auch für AG und GmbH sowie sonstige Handelsgesellschaften (OHG, KG) und Formkaufleute i. S. von § 6 HGB (KGaA, Genossenschaft) verlangt die überwiegende (aber umstrittene) Ansicht eine anderweitige wirtschaftliche Interessenbindung zur Begründung der Unternehmenseigenschaft, d. h. eine maßgebliche Beteiligung an mindestens einem weiteren Unternehmen, da die Eigenschaft als Formkaufmann allein nicht genügt.31) Es gelten die allgemeinen Ausführungen unter Rz. 5 f.

_____________ 24) BGH, Urt. v. 18.6.2001 – II ZR 212/99 (MLP), AG 2001, 588, 589 = ZIP 2001, 1323. 25) S. hierzu die Nachweise in Fn. 12; Emmerich/Habersack-Emmerich, Konzernrecht, § 15 AktG Rz. 11a f. 26) Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 15 Rz. 43; Emmerich/Habersack-Emmerich, Konzernrecht, § 15 AktG Rz. 11b. 27) S. hierzu die Nachweise in Fn. 13. 28) Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 15 Rz. 29; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 15 Rz. 43. 29) Bayer in: MünchKomm-AktG, § 15 Rz. 45; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 15 Rz. 48; Spindler/ Stilz-Schall, AktG, § 15 Rz. 23; Emmerich/Habersack-Emmerich, Konzernrecht, § 15 AktG Rz. 11b; Bürgers/Körber-Fett, AktG, § 15 Rz. 9; a. A. Drygala, Der Gläubigerschutz bei der typischen Betriebsaufspaltung, 1991, 85 ff. 30) Bayer in: MünchKomm-AktG, § 15 Rz. 46 mit weitergehenden Ausführungen zur sog. EinheitsGmbH & Co. KG; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 15 Rz. 48; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 15 Rz. 23; a. A. Koppensteiner in: KölnKomm-AktG, § 15 Rz. 54; s. zur Anwendung des Konzernrechts auf das Verhältnis zwischen Komplementär-GmbH und KG: Emmerich/Habersack-Emmerich, Konzernrecht, § 15 AktG Rz. 23. 31) OLG Hamm, Urt. v. 2.11.2000 – 27 U 1/00 (Bowa), AG 2001, 146, 148 = ZIP 2000, 2302, dazu EWiR 2001, 979 (Priester); Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 15 Rz. 14; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 15 Rz. 19; Bayer in: MünchKomm-AktG, § 15 Rz. 16; Koppensteiner in: KölnKomm-AktG, § 15 Rz. 60 m. w. N.; Bürgers/Körber-Fett, AktG, § 15 Rz. 9; Grigoleit-Grigoleit, AktG, § 15 Rz. 19; Krieger in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 69 Rz. 10; a. A. mit teilweise beachtlichen Argumenten: K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 15 Rz. 33, 53 ff.; Emmerich/Habersack-Emmerich, Konzernrecht, § 15 AktG Rz. 22; Henssler/ Strohn-Kessler/Maier-Reimer, GesR, § 15 AktG Rz. 4 f.

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§ 15

Verbundene Unternehmen c)

Weitere Rechtsträger

Als herrschendes Unternehmen kommen darüber hinaus alle weiteren inländischen teil- 10 rechtsfähigen Rechtsträger in Betracht, wie z. B. bürgerlich-rechtlicher Idealverein, wirtschaftlicher Verein, Stiftung, GbR (als Außengesellschaft; siehe zur Innengesellschaft Rz. 11), Erbengemeinschaft, Partnerschaftsgesellschaft, Gewerkschaften, Vor-AG bzw. Vor-GmbH, Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt), Societas Europaea (SE), im Falle ihrer Einführung auch die Societas Privata Europaea (SPE), Hypothekenbanken, Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit (VVaG), sowie sämtliche (teil-)rechtsfähigen Rechtsträger ausländischer Rechtsordnungen.32) Voraussetzung ist ebenfalls die Existenz anderweitiger wirtschaftlicher Interessen über die einzelne Beteiligung hinaus. Auch hier gelten die allgemeinen Ausführungen unter Rz. 5 f. Besonderheiten im Hinblick auf die Fähigkeit, herrschendes Unternehmen sein zu können, gelten angesichts des gesetzlich angeordneten Konzernleitungsverbots für die Europäische Wirtschaftliche Interessengemeinschaft (EWIV).33) d)

Innengesellschaft

Reinen Innengesellschaften (wie z. B. Stimmbindungs- und Konsortialgesellschaften)34) 11 fehlt es an der Teilrechtsfähigkeit, so dass diese als Unternehmen i. S. von § 15 ausscheiden.35) Den Gesellschaftern der Innengesellschaft können allerdings die mittels dieser gemeinschaftlich verfolgten wirtschaftlichen Interessen im Einzelfall zuzurechnen sein („kraft des Verbundes gestärkt“) und zur Begründung deren Unternehmenseigenschaft führen.36) e)

(Zwischen-)Holding, Treuhand, NewCo-Gestaltungen

Für die (Zwischen-)Holding selbst gelten die Ausführungen unter Rz. 5 f. Nach h. M. ist 12 die dem Anteilsinhaber über eine Zwischenholding vermittelte maßgebliche Beteiligung zuzurechnen und dessen Unternehmenseigenschaft sodann zu bejahen, wenn dieser die zusätzliche(n) (mittelbare[n]) Beteiligung(en) trotz zwischengeschalteter Holding selbst verwaltet und die Zwischenholding quasi nur auf dem Papier besteht.37) Stark umstritten ist dies, wenn sich der Anteilsinhaber auf die reine Verwaltung seiner (unmittelbaren) Beteiligung an der Zwischenholding beschränkt und keinen direkten Einfluss auf die mittelbare(n) Beteiligung(en) nimmt.38) Zustimmung verdient die eine Unternehmenseigenschaft des Anteilsinhabers für diesen Fall ablehnende Ansicht, da die Gegenauffassung die Begründung der Unternehmenseigenschaft entgegen der Rechtsprechung des BGH allein auf § 16 Abs. 4 stützen möchte (siehe hierzu zuvor Rz. 6 a. E.).39) _____________ 32) Windbichler in: GroßKomm-AktG, § 15 Rz. 16 ff.; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 15 Rz. 10, 52 ff.; Bayer in: MünchKomm-AktG, § 15 Rz. 16; Krieger in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 69 Rz. 10 ff. 33) S. hierzu Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 15 Rz. 52; Windbichler in: GroßKomm-AktG, § 15 Rz. 17 ff. 34) Anders, wenn die betroffenen Stimmbindungs- und Konsortialgesellschaften als echte Außen-GbR zu qualifizieren sind, vgl. Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 15 Rz. 41; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 15 Rz. 13. 35) OLG Hamburg, Beschl. v. 3.8.2000 – 11 W 36/95, AG 2001, 479, 481; OLG Hamm, Urt. v. 2.11.2000 – 27 U 1/00, AG 2001, 146, 147; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 15 Rz. 13; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 15 Rz. 42; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 15 Rz. 66. 36) OLG Hamm, Urt. v. 2.11.2000 – 27 U 1/00, AG 2001, 146, 147; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 15 Rz. 67; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 15 Rz. 41 f. 37) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 15 Rz. 12; Bayer in: MünchKomm-AktG § 15 Rz. 31; Krieger in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 69 Rz. 8; Emmerich/Habersack-Emmerich, Konzernrecht, § 15 AktG Rz. 17; so wohl auch K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 15 Rz. 49; a. A. Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 15 Rz. 39; Windbichler in: GroßKomm-AktG, § 15 Rz. 46. 38) Die Unternehmenseigenschaft auch in diesem Fall befürwortend: Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 15 Rz. 12 (anders noch in früherer Auflage); Bayer in: MünchKomm-AktG, § 15 Rz. 33; Emmerich/HabersackEmmerich, Konzernrecht, § 15 AktG Rz. 17; a. A.; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 15 Rz. 51; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 15 Rz. 39; Krieger in: MünchHdb GesR, Bd. 4, § 69 Rz. 8. 39) So auch K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 15 Rz. 51; Krieger in: MünchHdb GesR, Bd. 4, § 69 Rz. 8.

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§ 15

Verbundene Unternehmen

13 Nach ähnlichen Kriterien wird man die maßgebliche Beteiligung eines Treuhänders im Hinblick auf die Unternehmenseigenschaft des Treugebers zurechnen können; gleiches gilt für die Einschaltung von NewCo-Gestaltungen in Private Equity oder Venture Capital Strukturen.40) f)

Sonderfälle: Öffentliche Hand/SoFFin

14 Seit dem Beschluss des BGH vom 17.3.1997 (VW) können unstreitig auch Bund, Länder, Gemeinden sowie andere Körperschaften der öffentlichen Hand, allein aufgrund der bloßen Gefahr, öffentliche Interessen zulasten der Beteiligungsgesellschaft zu fördern und daher, als Ausnahme zu allen anderen Rechtsträgern, unabhängig von einer anderweitigen wirtschaftlichen Interessenbindung, Unternehmen sein.41) Nach überwiegender Ansicht ist die Unternehmensqualität bereits zu bejahen, wenn die öffentliche Hand ein in privater Rechtsform geführtes Unternehmen beherrscht, so dass es auf die zusätzliche Verfolgung anderweitiger wirtschaftlicher Interessen (siehe hierzu Rz. 5) nicht ankommt.42) Zu Recht wird angeführt, dass dieses Ergebnis für alle weiteren Körperschaften des öffentlichen Rechts sowie für gemeinnützige Stiftungen, Gewerkschaften und Religionsgemeinschaften gelten muss.43) 2.

In Mehrheitsbesitz stehendes bzw. abhängiges Unternehmen

15 Der Begriff des in Mehrheitsbesitz stehenden Unternehmens in § 16 Abs. 1 bzw. des abhängigen Unternehmens in § 17 Abs. 1 wird sehr weit verstanden, so dass hier jeder zumindest teilrechtsfähige Rechtsträger als abhängiges Unternehmen in Betracht kommt, ohne dass es eines eigenen Geschäftsbetriebs oder einer anderweitigen wirtschaftlichen Interessenbindung bedarf.44) Auch die Europäische Wirtschaftliche Interessengemeinschaft (EWIV) kann abhängiges Unternehmen im diesem Sinne sein (zu ihrer Eigenschaft als herrschendes Unternehmen siehe zuvor unter Rz. 9 a. E.).45) 3.

Gleichgeordnetes bzw. wechselseitig beteiligtes Unternehmen

16 Ein ähnlich weit gefasstes Begriffsverständnis wie bei einem in Mehrheitsbesitz stehenden bzw. abhängigen Unternehmen soll für gleichgeordnete Unternehmen i. S. von § 18 Abs. 2 gelten.46) Wechselseitig beteiligte Unternehmen können gemäß § 19 Abs. 1 nur Kapitalgesellschaften mit inländischem Satzungssitz sein (siehe zum Begriff „Sitz im Inland“ § 19 Rz. 5).47)

_____________ 40) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 15 Rz. 12; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 15 Rz. 40. 41) BGH, Beschl. v. 17.3.1997 – II ZB 3/96 (VW), AG 1997, 374 ff., 376 = ZIP 1997, 887; BGH, Urt. v. 3.3.2008 – II ZR 124/06 (UMTS-Versteigerung/Telekom), AG 2008, 375 ff. = ZIP 2008, 785; Hüffer/ Koch-Koch, AktG, § 15 Rz. 16; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 15 Rz. 44; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 15 Rz. 69; Koppensteiner in: KölnKomm-AktG, § 15 Rz. 71 ff.; Bayer in: MünchKomm-AktG § 15 Rz. 38, 41; Krieger in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 69 Rz. 11; kritisch: Grigoleit-Grigoleit, AktG, § 15 Rz. 26. 42) Emmerich/Habersack-Emmerich, Konzernrecht, § 15 AktG Rz. 9a f., 29 m. w. N. 43) Bayer in: MünchKomm-AktG § 15 Rz. 43; Koppensteiner in: KölnKomm-AktG, § 15 Rz. 58; Krieger in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 69 Rz. 11. 44) K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 15 Rz. 73; Bayer in: MünchKomm-AktG § 15 Rz. 47 f.; Koppensteiner in: KölnKomm-AktG, § 15 Rz. 86; a. A. – für natürliche Personen, die kein Unternehmen betreiben – Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 15 Rz. 53. 45) Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 15 Rz. 54; Windbichler in: GroßKomm-AktG, § 15 Rz. 17 f. 46) K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 15 Rz. 75; eingehend: Koppensteiner in: KölnKomm-AktG, § 15 Rz. 90. 47) Koppensteiner in: KölnKomm-AktG, § 15 Rz. 91.

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In Mehrheitsbesitz stehende Unternehmen

§ 16 In Mehrheitsbesitz stehende Unternehmen und mit Mehrheit beteiligte Unternehmen (1) Gehört die Mehrheit der Anteile eines rechtlich selbständigen Unternehmens einem anderen Unternehmen oder steht einem anderen Unternehmen die Mehrheit der Stimmrechte zu (Mehrheitsbeteiligung), so ist das Unternehmen ein in Mehrheitsbesitz stehendes Unternehmen, das andere Unternehmen ein an ihm mit Mehrheit beteiligtes Unternehmen. (2) 1Welcher Teil der Anteile einem Unternehmen gehört, bestimmt sich bei Kapitalgesellschaften nach dem Verhältnis des Gesamtnennbetrags der ihm gehörenden Anteile zum Nennkapital, bei Gesellschaften mit Stückaktien nach der Zahl der Aktien. 2Eigene Anteile sind bei Kapitalgesellschaften vom Nennkapital, bei Gesellschaften mit Stückaktien von der Zahl der Aktien abzusetzen. 3Eigenen Anteilen des Unternehmens stehen Anteile gleich, die einem anderen für Rechnung des Unternehmens gehören. (3) 1Welcher Teil der Stimmrechte einem Unternehmen zusteht, bestimmt sich nach dem Verhältnis der Zahl der Stimmrechte, die es aus den ihm gehörenden Anteilen ausüben kann, zur Gesamtzahl aller Stimmrechte. 2Von der Gesamtzahl aller Stimmrechte sind die Stimmrechte aus eigenen Anteilen sowie aus Anteilen, die nach Absatz 2 Satz 3 eigenen Anteilen gleichstehen, abzusetzen. (4) Als Anteile, die einem Unternehmen gehören, gelten auch die Anteile, die einem von ihm abhängigen Unternehmen oder einem anderen für Rechnung des Unternehmens oder eines von diesem abhängigen Unternehmens gehören und, wenn der Inhaber des Unternehmens ein Einzelkaufmann ist, auch die Anteile, die sonstiges Vermögen des Inhabers sind. Literatur: Müller, Die Zurechnung von Anteilen gemäß § 16 Abs. 4 AktG, AG 1968, 277; Schubert/Ravenstein, Beschränkung der Stimmrechtsausübung und Abhängigkeit, DB 2006, 2219.

Übersicht I. Bedeutung der Norm ........................ 1 II. Anteilsmehrheit (§ 16 Abs. 1 Alt. 1) ............................. 2 1. Begriff ................................................. 2 2. Bestimmung (§ 16 Abs. 2) ................. 3 III. Stimmenmehrheit (§ 16 Abs. 1 Alt. 2) ............................. 6 I.

1. Begriff ................................................. 6 2. Bestimmung (§ 16 Abs. 3) ............... 10 a) Stimmrechtslose Anteile ............ 11 b) Gesamtzahl aller Stimmrechte .... 12 c) Ausübbare Stimmrechte ............ 14 IV. Zurechnung (§ 16 Abs. 4) ............... 17

Bedeutung der Norm

§ 16 Abs. 1 definiert den Begriff der Mehrheitsbeteiligung sowie die von einer solchen 1 Beteiligung betroffenen Unternehmen als einerseits ein in Mehrheitsbesitz stehendes und andererseits ein an diesem mit Mehrheit beteiligtes Unternehmen. Die Mehrheitsbeteiligung ist von der Abhängigkeit i. S. von § 17 zu unterscheiden, da eine Korrelation nicht zwingend ist.1) Zur Begründung einer Mehrheitsbeteiligung genügt alternativ (vgl. § 16 Abs. 1: „oder“) die nach § 16 Abs. 2 zu bestimmende Mehrheit der Anteile oder die nach § 16 Abs. 3 zu bestimmende Mehrheit der Stimmrechte (jeweils unter Berücksichtigung einer eventuellen Zurechnung gemäß § 16 Abs. 4). Fallen Anteils- und Stimmenmehrheit _____________ 1)

Kropff, AktG, S. 28 ff.; Emmerich/Habersack-Emmerich, Konzernrecht, § 16 AktG Rz. 1.

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§ 16

In Mehrheitsbesitz stehende Unternehmen

ausnahmsweise auseinander, so ist jeder der beiden Rechtsträger als ein mit Mehrheit beteiligtes Unternehmen i. S. von § 16 Abs. 1 anzusehen.2) Zum Begriff des Unternehmens i. S. von § 16 siehe die entsprechenden Ausführungen zu § 15 (zum Begriffsverständnis i. S. von § 15 siehe § 15 Rz. 4 und Rz. 15 – „In Mehrheitsbesitz stehendes Unternehmen“). Bedeutsam ist § 16 insbesondere für die (widerlegliche) Abhängigkeitsvermutung und der damit verbundenen Beweislastumkehr in § 17 Abs. 2, die ihrerseits wiederum Bedeutung für die (widerlegliche) Konzernvermutung in § 18 Abs. 1 Satz 3 hat.3) Verwendet wird der Begriff Mehrheitsbeteiligung insbesondere in §§ 19 Abs. 2 und 3, 20 Abs. 4, 21 Abs. 2, 56 Abs. 2 und 3, 71a Abs. 2, 71d Satz 2, 160 Abs. 1, 305 Abs. 2, eine Inbezugnahme des § 16 Abs. 2 bzw. 4 enthalten insbesondere §§ 19 Abs. 1, 20 Abs. 1, 21 Abs. 1, 327a und 328 Abs. 1 Satz 3. II.

Anteilsmehrheit (§ 16 Abs. 1 Alt. 1)

1.

Begriff

2 Anteilsmehrheit ist eine Mehrheit der Kapitalanteile, die grundsätzlich nur bei Rechtsträgern mit eigenem von den Gesellschaftern gehaltenen Gesellschaftskapital bestehen kann, insbesondere bei Kapital- und Personengesellschaften, grundsätzlich nicht hingegen bei Einzelkaufmännern,4) Stiftungen, Genossenschaften,5) Idealvereinen,6) Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit (VVaG) oder Anstalten des öffentlichen Rechts.7) Maßgeblich für die Zuordnung der Anteile i. S. von § 16 Abs. 1 ist die dingliche Rechtsinhaberschaft des mit Mehrheit beteiligten Unternehmens, eine etwaige hiervon abweichende Legitimation gegenüber der Gesellschaft im Innenverhältnis (vgl. § 67 Abs. 2, § 16 Abs. 1 GmbHG) ist hingegen ohne Bedeutung.8) Der Anteilserwerb muss rechtswirksam sein, d. h. eine bloße tatsächliche Verfügungsmacht über die Anteile genügt nicht.9) Da Treugebern, Pfandgläubigern, Kommittenten, Nießbrauchberechtigten sowie lediglich schuldrechtlich „Beteiligten“ die dingliche Anteilsinhaberschaft nicht zusteht, lässt sich deren Anteilsmehrheit ggf. nur über eine Zurechnung nach § 16 Abs. 4 begründen.10) 2.

Bestimmung (§ 16 Abs. 2)

3 Bei Kapitalgesellschaften bestimmt sich die Anteilsmehrheit gemäß § 16 Abs. 2 nach dem Verhältnis des Gesamtnennbetrags der dem Unternehmen zustehenden Anteile zum Gesamtnennbetrag des vorhandenen Kapitals („Nennkapital“). Für AG mit Stückaktien stellt § 16 Abs. 2 klar, dass das Verhältnis zwischen der dem jeweiligen Unternehmen zustehenden Zahl der Stückaktien gemessen an der Gesamtzahl aller Stückaktien maßgeblich ist. Nennkapital ist bei der AG das Grundkapital, bei der GmbH das Stammkapital, _____________ 2) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 16 Rz. 2; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 16 Rz. 10. 3) K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 16 Rz. 1; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 16 Rz. 3. 4) Ausnahmsweise für die Möglichkeit einer Mehrheitsbeteiligung i. S. von § 16 bei atypisch stiller Beteiligung an einem einzelkaufmännischen Unternehmen: Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 16 Rz. 4; Bayer in: MünchKomm-AktG, § 16 Rz. 18; Koppensteiner in: KölnKomm-AktG, § 16 Rz. 16; Krieger in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 69 Rz. 20; a. A. K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 16 Rz. 6; Spindler/StilzSchall, AktG, § 16 Rz. 40, mit dem Hinweis, dass eine Mehrheitsbeteiligung allerdings denkbar sei, wenn das einzelkaufmännische Unternehmen von einer Erben- oder Gütergemeinschaft getragen wird. 5) A. A. in Ausnahmefällen Emmerich/Habersack-Emmerich, Konzernrecht, § 16 AktG Rz. 8. 6) A. A. bei entsprechender Satzungsgestaltung wohl auch für Idealvereine Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 16 Rz. 41. 7) K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 16 Rz. 4 m. w. N. 8) OLG Stuttgart Beschl. v. 1.12.2008 – 20 W 12/08, AG 2009, 204, 206; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 16 Rz. 5; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 16 Rz. 17. 9) OLG Stuttgart Beschl. v. 1.12.2008 – 20 W 12/08, AG 2009, 204, 206. 10) K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 16 Rz. 5; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 16 Rz. 17.

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In Mehrheitsbesitz stehende Unternehmen

§ 16

und zwar jeweils unabhängig von der tatsächlichen Erbringung der Einlagen sowie ohne Berücksichtigung etwaiger Rücklagen.11) Kapitalmaßnahmen können nur dann berücksichtigt werden, wenn diese bereits wirksam durchgeführt und in das Handelsregister eingetragen worden sind.12) Bei den nicht explizit in § 16 Abs. 2 erwähnten Personengesellschaften entspricht das 4 Nennkapital der auf den gesellschaftsvertraglich festgelegten Kapitalkonten insgesamt einzuzahlenden Kapitaleinlagen (die bei der KG13) nicht zwingend mit den in das Handelsregister eingetragenen Haftsummen der Kommanditisten übereinstimmen müssen).14) Sieht der Gesellschaftsvertrag variable Kapitalkonten vor, ist für die Bestimmung der Anteilsmehrheit auf den Betrag zum letzten Bilanzstichtag abzustellen.15) Vom Nennkapital bzw. bei Stückaktien von der Gesamtzahl der Stückaktien abzuziehen 5 sind eigene Anteile des Unternehmens, an dem die Mehrheitsbeteiligung besteht („Beteiligungsgesellschaft“), ebenso wie die einem anderen für Rechnung der Beteiligungsgesellschaft gehörenden Anteile, vgl. § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 (zum Begriff „für Rechnung“ siehe Rz. 18). Umstritten ist, ob im Wege teleologischer Erweiterung des § 16 Abs. 2 Satz 2 auch diejenigen Anteile abzuziehen sind, die einem von der Beteiligungsgesellschaft abhängigen Unternehmen i. S. von § 17 zustehen.16) Zustimmungswürdig ist im Hinblick auf die Regelungen in § 16 Abs. 4 sowie in § 71d Satz 2 und 3 i. V. m. § 71b die eine Analogie zu § 17 befürwortende Auffassung. III.

Stimmenmehrheit (§ 16 Abs. 1 Alt. 2)

1.

Begriff

Stimmenmehrheit i. S. von § 16 Abs. 1 Alt. 2 kann es nur geben, wenn die betroffene 6 Beteiligungsgesellschaft mitgliedschaftlich organisiert ist, d. h. der Verbandswille in Mitgliederversammlungen nach dem Mehrheitsprinzip gebildet wird.17) Gemäß § 709 Abs. 1 BGB, § 119 Abs. 1 HGB fordert das Gesetz bei Personengesell- 7 schaften grundsätzlich einstimmige Beschlüsse, so dass mehrheitsfähige Entscheidungen und somit eine Stimmenmehrheit nur bei abweichender gesellschaftsvertraglicher Gestaltung in Betracht kommen.18) Mangels mitgliedschaftlicher Organisation ist eine Stimmenmehrheit bei Stiftungen und Anstalten des öffentlichen Rechts nicht möglich.19) Auch bei Genossenschaften kann es keine Stimmenmehrheit geben.20) Denkbar ist Stimmen_____________ 11) 12) 13) 14) 15) 16)

17) 18) 19) 20)

Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 16 Rz. 8; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 16 Rz. 14. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 16 Rz. 8; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 16 Rz. 14. K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 16 Rz. 9. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 16 Rz. 10; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 16 Rz. 9; Spindler/StilzSchall, AktG, § 16 Rz. 27. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 16 Rz. 2, 10; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 16 Rz. 9; Spindler/StilzSchall, AktG, § 16 Rz. 27. Für eine (teleologische) Erweiterung des § 16 Abs. 2 Satz 2: Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 16 Rz. 15; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 16 Rz. 10; Bayer in: MünchKomm-AktG, § 16 Rz. 34; Emmerich/ Habersack-Emmerich, Konzernrecht, § 16 AktG Rz. 11; Krieger in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 69 Rz. 25; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 16 Rz. 9 (anders noch in früherer Auflage); gegen eine Erweiterung: Koppensteiner in: KölnKomm-AktG, § 16 Rz. 25; Windbichler in: GroßKomm-AktG, § 16 Rz. 13. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 7.5.2008 – VI-Kart 1/07, AG 2008, 859, 860; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 16 Rz. 5; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 16 Rz. 11. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 16 Rz. 5; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 16 Rz. 39; K. Schmidt/LutterVetter, AktG, § 16 Rz. 12. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 7.5.2008 – VI-Kart 1/07, AG 2008, 859, 860 – Anstalt des öffentlichen Rechts; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 16 Rz. 4 f., § 17 Rz. 17; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 16 Rz. 11. Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 16 Rz. 41; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 16 Rz. 12; Bayer in: MünchKomm-AktG, § 16 Rz. 15, der eine Ausnahme zulassen will, wenn nach der Satzung Mehrstimmrechte gemäß § 43 Abs. 3 GenG zugelassen sind.

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§ 16

In Mehrheitsbesitz stehende Unternehmen

mehrheit (nicht aber Anteilsmehrheit, siehe hierzu Rz. 2) hingegen beim Verein sowie beim Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (VVaG).21) 8 Problematisch erscheint die Zuordnung der Stimmenmehrheit, wenn der Gesellschaftsvertrag für einzelne oder sämtliche Beschlüsse eine qualifizierte Mehrheit (z. B. 75 %) fordert und/oder einzelne Befugnisse der Gesellschafterversammlung auf andere Organe delegiert. Da der Wortlaut des § 16 Abs. 1 und 3 von einer einfachen Mehrheit (d. h. über 50 %) ausgeht, stellt sich die Frage, ob die Stimmenmehrheit i. S. von § 16 Abs. 1 in derartigen Fällen auf Basis einer Einzelfallbetrachtung ggf. abweichend vom Wortlaut (d. h. nicht abstrakt, sondern konkret) festgestellt werden muss.22) Während einige Stimmen den abstrakten Mehrheitsbegriff in Frage stellen,23) erscheint es aus systematischen Gründen sinnvoller, derartige Überlegungen erst im Hinblick auf eine eventuelle Widerlegung der Abhängigkeitsvermutung für eine Beherrschung gemäß § 17 Abs. 2 zu berücksichtigen und für § 16 stets auf die vom Wortlaut vorgegebene (abstrakte) einfache Stimmenmehrheit abzustellen (zu einer Berücksichtigung dieser Umstände i. R. von § 17 Abs. 2 siehe die Ausführungen bei § 17 Rz. 25 ff.).24) 9 § 16 Abs. 3 stellt explizit klar, dass i. R. der originären Zuordnung nur solche Stimmrechte Berücksichtigung finden, die sich unmittelbar aus der Anteilsinhaberschaft ergeben, so dass sich rein schuldrechtlich vermittelte „Stimmrechte“ (Stimmbindungen, Stimmrechtsverzichte, Stimmrechtsvollmachten, Ermächtigungen i. S. von § 129 Abs. 3, atypisch stille Gesellschaftskonstruktionen) lediglich über die Zurechnungsnorm des § 16 Abs. 4 berücksichtigen lassen.25) Stimmen i. S. von § 16 Abs. 3 stehen somit regelmäßig dem Treuhänder, Pfandschuldner oder Kommissionär zu, eine eventuelle Berücksichtigung zugunsten des Treugebers, Pfandgläubigers oder Kommittenten kann nur über § 16 Abs. 4 erfolgen (siehe hierzu auch Rz. 2).26) 2.

Bestimmung (§ 16 Abs. 3)

10 Die Stimmenmehrheit i. S. von § 16 Abs. 1 Alt. 2 ist gemäß § 16 Abs. 3 dadurch zu ermitteln, dass die „ausübbaren“ Stimmrechte der Anteile der Beteiligungsgesellschaft in das Verhältnis zur Anzahl sämtlicher Stimmrechte („Gesamtzahl aller Stimmrechte“) gesetzt werden. Von der Gesamtzahl abzuziehen sind die Stimmrechte aus eigenen Anteilen der Beteiligungsgesellschaft, aus Anteilen, die für Rechnung der Beteiligungsgesellschaft gehalten werden und, nach umstrittener Ansicht,27) die aus Anteilen einer von der Beteiligungsgesellschaft abhängigen Unternehmens resultierenden Stimmrechte (siehe hierzu auch Rz. 5). _____________ 21) K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 16 Rz. 12; Krieger in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 69 Rz. 30; Koppensteiner in: KölnKomm-AktG, § 16 Rz. 17 – nicht beim Idealverein; a. A. – beim VVaG – Spindler/ Stilz-Schall, AktG, § 16 Rz. 41; Bayer in: MünchKomm-AktG, § 16 Rz. 17; Windbichler in: GroßKommAktG, § 16 Rz. 46. 22) Hierzu eingehend: Koppensteiner in: KölnKomm-AktG, § 16 Rz. 18 f.; Emmerich/Habersack-Emmerich, Konzernrecht, § 16 AktG Rz. 23 ff. 23) Koppensteiner in: KölnKomm-AktG, § 16 Rz. 18 f.; Krieger in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 69 Rz. 32. 24) K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 16 Rz. 13; Bayer in: MünchKomm-AktG, § 16 Rz. 11; Emmerich/ Habersack-Emmerich, Konzernrecht, § 16 AktG Rz. 23. 25) Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 16 Rz. 31; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 16 Rz. 14. 26) Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 16 Rz. 31; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 16 Rz. 14; ausführlich zum Meinungsstand im Hinblick auf den Sonderfall des Nießbrauchs: Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 16 Rz. 7; Bayer in: MünchKomm-AktG, § 16 Rz. 28. 27) Dafür: Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 16 Rz. 29; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 16 Rz. 16; Bayer in: MünchKomm-AktG, § 16 Rz. 38; Emmerich/Habersack-Emmerich, Konzernrecht, § 16 AktG Rz. 22; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 16 Rz. 11 (anders noch in früherer Aufl.); dagegen: Koppensteiner in: KölnKomm-AktG, § 16 Rz. 47.

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In Mehrheitsbesitz stehende Unternehmen a)

§ 16

Stimmrechtslose Anteile

Stimmrechtslose Anteile, z. B. stimmrechtslose Vorzugsaktien, werden weder bei Be- 11 stimmung der ausübbaren Stimmrechte der Beteiligungsgesellschaft, noch bei Bestimmung der Gesamtzahl aller Stimmrechte mitgezählt (es sei denn, das Stimmrecht lebt gemäß § 140 Abs. 2 wieder auf; siehe hierzu auch § 140).28) b)

Gesamtzahl aller Stimmrechte

Beschränkte („ruhende“) Stimmrechte einzelner Aktionäre nach

12



§ 134 Abs. 1 (Höchststimmrechte),



§ 134 Abs. 2 (mangelnde Volleinzahlung auf die Einlage),



§ 136 (Befangenheit) und



§§ 20 Abs. 7, 21 Abs. 4, § 44 WpHG, § 59 WpÜG (unterlassene Schwellenwertmitteilungen)

werden bei Bestimmung der Gesamtzahl mitgezählt.29) Nicht mitgezählt werden hingegen die im Innenverhältnis (noch) nicht existierenden 13 Stimmrechte eines nicht ordnungsgemäß gegenüber der Beteiligungsgesellschaft legitimierten Anteilsinhabers (§ 67 Abs. 2, § 16 Abs. 1 GmbHG).30) c)

Ausübbare Stimmrechte

Bei Bestimmung der ausübbaren Stimmrechte der Beteiligungsgesellschaft sind Höchst- 14 stimmrechte gemäß § 134 Abs. 1 zu berücksichtigen, so dass diese nur bis zum jeweils vorgegebenen Höchstbetrag mitgezählt werden.31) Umstritten ist, wie Stimmrechtsbeschränkungen aufgrund §§ 134 Abs. 2, 136, 20 Abs. 7, 15 21 Abs. 4, § 44 WpHG und § 59 WpÜG zu behandeln sind. Nach einer Ansicht werden diese „ruhenden“ Stimmrechte auch bei Bestimmung der ausübbaren Stimmrechte der Beteiligungsgesellschaft mitgezählt, da der betroffene Anteilsinhaber es selbst in der Hand hat, die Beschränkung jederzeit zu beenden und die Stimmrechte zu „aktivieren“.32) Die Gegenauffassung hält an einem streng formalen Wortlautverständnis des § 16 Abs. 3 fest, unterscheidet nicht zwischen generellen und konkret-individuellen Stimmrechtsbeschränkungen und zählt die „ruhenden“ Stimmrechte mangels Ausübbarkeit insgesamt nicht mit.33) Die erste Ansicht ist vorzugswürdig. Der Verweis der Gegenauffassung auf eine mögliche Berücksichtigung der Beschränkungen i. R. von § 17 geht an dieser Stelle fehl,34) da die Vermutungsregel des § 17 Abs. 2 ansonsten allzu leicht zum Zwecke einer konzernrechtlichen Privilegierung durch die betroffenen Anteilsinhaber ausgehebelt werden könnte.35) _____________ 28) K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 16 Rz. 18; Bayer in: MünchKomm-AktG, § 16 Rz. 37. 29) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 16 Rz. 11; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 16 Rz. 19; Bayer in: MünchKomm-AktG, § 16 Rz. 37. 30) K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 16 Rz. 21. 31) K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 16 Rz. 20; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 16 Rz. 35. 32) K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 16 Rz. 20; Bayer in: MünchKomm-AktG, § 16 Rz. 40; Koppensteiner in: KölnKomm-AktG, § 16 Rz. 46; Krieger in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 69 Rz. 34; Hüffer/KochKoch, AktG, § 16 Rz. 11 (anders noch in früherer Aufl.). 33) Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 16 Rz. 35; Windbichler in: GroßKomm-AktG, § 16 Rz. 35. 34) So aber Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 16 Rz. 35. 35) So auch Bayer in: MünchKomm-AktG, § 16 Rz. 40.

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§ 16

In Mehrheitsbesitz stehende Unternehmen

16 Aus denselben Gründen werden auch die „Stimmrechte“ eines (noch) nicht gemäß § 67 Abs. 2 oder § 16 Abs. 1 GmbHG ordnungsgemäß legitimierten Anteilsinhabers an dieser Stelle mitgezählt (ebenfalls umstritten).36) Überlegenswert ist, angesichts der gesetzlichen Fiktion in § 67 Abs. 2 und § 16 Abs. 1 GmbHG die Anteile und somit auch die Stimmrechte für Zwecke des § 16 Abs. 3 ebenfalls dem dinglich Nichtberechtigten, aber im Innenverhältnis nach wie vor Legitimierten, zuzuordnen. IV.

Zurechnung (§ 16 Abs. 4)

17 Bei Bestimmung der Anteils- oder Stimmenmehrheit sind nicht nur eigene Anteile bzw. Stimmrechte der Beteiligungsgesellschaft zu berücksichtigen, sondern auch über § 16 Abs. 4 zuzurechnende Anteile Dritter. Auch wenn § 16 Abs. 4 dies nicht explizit vorsieht, ergibt sich die Zurechnung fremder Stimmrechte aus dem systematischen Zusammenspiel zwischen § 16 Abs. 4 und Abs. 3, wonach „ihm gehörende Anteile“ i. S. von § 16 Abs. 3 auch die über § 16 Abs. 4 zugerechneten Anteile sind.37) Ein und dieselben Anteile können durch gleichzeitige Berücksichtigung bei Anteilsinhaber und Zurechnungsempfänger zu einer doppelten Mehrheitsbeteiligung i. S. von § 16 führen, da eine Absorption nicht stattfindet.38) 18 Über § 16 Abs. 4 explizit zugerechnet werden Anteile eines abhängigen Unternehmens i. S. von § 17 sowie die einem Dritten, aber für Rechnung der Beteiligungsgesellschaft oder eines von der Beteiligungsgesellschaft abhängigen Unternehmens, gehörenden Anteile. Für Rechnung bedeutet auf Kosten und wirtschaftliches Risiko (z. B. bei Geschäftsbesorgungs- und Treuhandverhältnissen).39) Zusätzlich stellt § 16 Abs. 4 klar, dass die Zurechnung auch im Privatvermögen eines Einzelkaufmanns gehaltene Anteile erfasst, wobei selbiges auch für Kleingewerbetreibende und Freiberufler, nicht hingegen aber für Personengesellschaften gilt.40) 19 Über eine teleologische Erweiterung des Anwendungsbereichs von § 16 Abs. 4 wird insbesondere bei Stimmbindungsverträgen entsprechend der Regelung in § 290 Abs. 3 Satz 2 HGB diskutiert.41) Sachgerechter dürfte es sein, eine analoge Anwendung auf Stimmbindungsverträge und andere schuldrechtliche Abreden (z. B. Konsortialvereinbarungen, Gesellschafterverinbarungen oder Stimmrechtsvollmachten) abzulehnen. Da schuldrechtliche Besonderheiten auf Ebene von § 17 berücksichtigt werden können, ist die eine Analogie voraussetzende Regelungslücke vorliegend nicht erkennbar (siehe auch bei § 17 Rz. 14 f.).42) Selbiges muss auch für andere, nicht auf einer Beteiligung beruhende, gesetzliche Tatbestände der Stimmrechtszurechnung gelten (siehe auch § 17 Rz. 16).43)

_____________ 36) K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 16 Rz. 21; a. A. Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 16 Rz. 32. 37) Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 16 Rz. 33; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 16 Rz. 22. 38) LG Berlin, Urt. v. 1.12.1997 – 99 O 171/97, AG 1998, 195, 196; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 16 Rz. 13; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 16 Rz. 23. 39) Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 16 Rz. 22; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 16 Rz. 26. 40) Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 16 Rz. 26; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 16 Rz. 27. 41) Für eine Erweiterung des § 16 Abs. 4: Bayer in: MünchKomm-AktG, § 16 Rz. 41, 48; Emmerich/ Habersack-Emmerich, § 16 AktG Rz. 25; gegen eine Erweiterung: Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 16 Rz. 13; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 16 Rz. 23, 34; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 16 Rz. 29; Koppensteiner in: KölnKomm-AktG, § 16 Rz. 43; Krieger in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 69 Rz. 33. 42) Ähnlich Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 16 Rz. 23. 43) Vgl. hierzu K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 16 Rz. 30.

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§ 17

Abhängige und herrschende Unternehmen

§ 17 Abhängige und herrschende Unternehmen (1) Abhängige Unternehmen sind rechtlich selbständige Unternehmen, auf die ein anderes Unternehmen (herrschendes Unternehmen) unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluß ausüben kann. (2) Von einem in Mehrheitsbesitz stehenden Unternehmen wird vermutet, daß es von dem an ihm mit Mehrheit beteiligten Unternehmen abhängig ist. Literatur: Kiefner, Investorenvereinbarungen zwischen Aktien- und Vertragsrecht, ZHR 178 (2014) 547; Soudry/Löb, Der Begriff des abhängigen Unternehmens im Sinne des § 17 AktG – Zur Einbeziehung rein wirtschaftlich vermittelter Abhängigkeiten in den Anwendungsbereich des Konzernrechts, GWR 2011, 127.

Übersicht I. II. 1. 2.

Bedeutung der Norm ........................ 1 Abhängigkeit (§ 17 Abs. 1) .............. 2 Mögliche Beherrschung ..................... 2 Gesellschaftsrechtliche Vermittlung ............................................... 7 3. Mittelbare, mehrfache Abhängigkeit ............................................ 8 4. Einzelfälle ......................................... 10 I.

a) Minderheitsbeteiligung (kombinierte Beherrschung) ..... b) Keine Beteiligung ....................... c) Optionsrechte ............................ III. Vermutungsregel (§ 17 Abs. 2) ...... 1. Bedeutung ......................................... 2. Widerlegung ..................................... a) Grundsatz ................................... b) Einzelfälle ...................................

11 18 23 24 24 25 25 26

Bedeutung der Norm

§ 17 Abs. 1 definiert den Begriff des abhängigen Unternehmens über denjenigen des beherr- 1 schenden Einflusses. Bedeutsam ist der Begriff der Abhängigkeit insbesondere für die Konzernvermutung und die damit verbundene Beweislastumkehr in § 18 Abs. 1 Satz 3.1) Während die Möglichkeit einer Beherrschung für eine Abhängigkeit i. S. von § 17 ausreicht, verlangt der Konzernbegriff des § 18 zusätzlich die (tatsächliche) einheitliche Leitung durch das herrschende Unternehmen.2) An die zu zentralen Tatbeständen des Konzernrechts avancierten Begriffe der Abhängigkeit bzw. der Beherrschung knüpfen insbesondere die Schutzvorschriften des Konzernrechts zugunsten der abhängigen Gesellschaft (§§ 311 ff.) sowie solche Vorschriften an, die einen Umgehungsschutz bezwecken (z. B. §§ 16 Abs. 4, 56 Abs. 2).3) Zum Begriff des Unternehmens i. S. von § 17 siehe die entsprechenden Ausführungen zu § 15 (zum Begriffsverständnis i. S. von § 15 siehe § 15 Rz. 4, 5 ff. – „Herrschendes Unternehmen“ und Rz. 15 – „Abhängiges Unternehmen“ bzw. „In Mehrbesitz stehendes Unternehmen“). II.

Abhängigkeit (§ 17 Abs. 1)

1.

Mögliche Beherrschung

Erforderlich, aber auch ausreichend für die Begründung einer Abhängigkeit i. S. von § 17 2 Abs. 1 ist, dass ein Unternehmen (herrschendes Unternehmen) die Möglichkeit hat, auf _____________ 1) 2) 3)

K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 17 Rz. 2; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 17 Rz. 4. Vgl. auch K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 17 Rz. 2 – Abhängigkeit als „potentieller Konzern“. Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 17 Rz. 4 ff. m. N. weiterer Vorschriften.

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ein anderes Unternehmen (abhängiges Unternehmen) unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss auszuüben (§ 17 Abs. 1: „ausüben kann“).4) 3 Im Hinblick auf den beherrschenden Einfluss lässt die an eine Mehrheitsbeteiligung i. S. von § 16 Abs. 1 anknüpfende Vermutungsregel des § 17 Abs. 2 den Umkehrschluss zu, dass grundsätzlich die Kompetenz, die geschäftsleitenden Organe bestellen bzw. abberufen zu können, entscheidend ist.5) Die aus dieser sog. Personalkompetenz resultierende Einflussmöglichkeit ist nach allgemeiner Auffassung ausreichend, da sich die Geschäftsleitung mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits aus Eigeninteresse (z. B. an Wiederwahl) gegenüber den Anteilsinhabern einflusskonform verhalten wird.6) Während vorbehaltlich einer abweichenden gesellschaftsvertraglichen Regelung die Gesellschafter einer Personengesellschaft bzw. einer GmbH die Geschäftsführung selbst ausüben bzw. unmittelbar besetzen (vgl. §§ 709 f. BGB, §§ 114 f. HGB, § 46 Abs. 2 Nr. 5 GmbHG), genügt es bei der AG, dass die Hauptversammlung nicht direkt, sondern über die turnusmäßig mit einfacher Mehrheit zu bestellenden Aufsichtsratsmitglieder die personelle Besetzung des geschäftsführenden Vorstands mittelbar beeinflussen kann (vgl. § 101 Abs. 1 i. V. m. §§ 133 Abs 1, 84).7) Ist ein Aufsichtsrat teilweise (zu 1/3 gemäß DrittelbG bzw. paritätisch gemäß MitbestG oder Montanmitbestimmungsgesetz) durch Arbeitnehmervertreter besetzt, so hat dies nach h. M. keinen Einfluss auf die Bestimmung der Abhängigkeit.8) Gleiches muss für sonstige bei der Wahl des Aufsichtsrates zu beachtende gesetzliche Vorgaben wie z. B. § 100 Abs. 5 und Ziff. 5.4.2 DCGK (Anforderungen an die Unabhängigkeit) gelten.9) 4 Ausreichend ist unabhängig von der Organbesetzung ggf. aber auch die Möglichkeit, Weisungen an die Geschäftsleitung insgesamt oder zumindest im Hinblick auf die wichtigen Geschäftsbereiche erteilen zu können, wie gemäß § 37 Abs. 1 GmbHG für die GmbH gesetzlich vorgesehen und bei Personengesellschaften mit gesellschaftsvertraglich verankertem Mehrheitsprinzip ebenfalls möglich (bei der AG ist dies wegen § 76 Abs. 1 hingegen nur bei Bestehen eines Beherrschungsvertrags denkbar).10) 5 Die bloße Blockademöglichkeit oder „negative“ Beherrschung aufgrund einer Sperrminorität reicht hingegen grundsätzlich nicht aus.11) 6 Die mögliche beherrschende Einflussnahme muss nach h. M. eine gewisse Beständigkeit i. S. von Verlässlichkeit, nicht notwendigerweise auch i. S. von Dauerhaftigkeit, auf-

_____________ 4) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 17 Rz. 5 f.; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 17 Rz. 2, 8. 5) K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 17 Rz. 6. 6) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 17 Rz. 5; OLG München, Beschl. v. 24.6.2008 – 31 Wx 83/07, AG 2008, 672, 673 = ZIP 2008, 1330, dazu EWiR 2008, 481 (Goslar); OLG Düsseldorf, Beschl. v. 7.5.2008 – 19 VI-Kart 1/07, AG 2008, 859, 860 f.; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 17 Rz. 6, die im Einzelfall auch eine faktische Einflussnahme auf den für die Organbesetzung zuständigen Entscheidungsträger genügen lassen. 7) Vgl. K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 17 Rz. 6; Bayer in: MünchKomm-AktG, § 17 Rz. 26 f. 8) BAG, Beschl. v. 18.6.1970 – 1 ABR 3/70, AG 1970, 268, 270; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 17 Rz. 11; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 17 Rz. 7; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 17 Rz. 54; a. A. angesichts der vollen Parität ohne Zweitstimmrecht des Vorsitzenden für den Grenzfall der Montanmitbestimmung Koppensteiner in: KölnKomm-AktG, § 17 Rz. 120. 9) K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 17 Rz. 7; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 17 Rz. 11. 10) BGH, Urt. v. 4.3.1974 – II ZR 89/72, AG 1974, 220, 221 f.; OLG Stuttgart, Beschl. v. 1.12.2008 – 20 W 12/08, AG 2009, 204, 206; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 17 Rz. 8; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 17 Rz. 9 ff. 11) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 17 Rz. 10; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 17 Rz. 9, 27; Henssler/StrohnKessler/Maier-Reimer, GesR, § 17 AktG Rz. 6; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 17 Rz. 9 m. N. zu denkbaren Ausnahmen.

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weisen und umfassend sein.12) Beständigkeit ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn die Beherrschungsmöglichkeit unmittelbar auf eigenem Recht oder mittelbar auf gesicherter Mitwirkung Dritter beruht,13) wobei maßgebliche Perspektive diejenige des abhängigen Unternehmens ist.14) 2.

Gesellschaftsrechtliche Vermittlung

Die Möglichkeit der beherrschenden Einflussnahme muss nach h. M.15) stets zumindest 7 auch gesellschaftsrechtlich vermittelt sein, d. h. in die Innenstruktur des Unternehmens eingreifen, und kann nicht allein durch außergesellschaftsrechtliche Umstände (z. B. wirtschaftliche Abhängigkeit aufgrund umfangreicher Liefer-, Leistungs- oder Kreditbeziehungen) begründet, wohl aber im Wege einer Gesamtbetrachtung durch solche Umstände verstärkt werden (sog. kombinierte Beherrschung, siehe hierzu Rz. 11 ff.). Folglich bedarf es zumindest stets auch der Möglichkeit, Stimmrechte ausüben zu können oder einer anderen organisationsrechtlichen Verbindung in Form eines Beherrschungsvertrags oder der Eingliederung (AG) bzw. bestimmter gesellschaftsvertraglich festgelegter Herrschaftsrechte (GmbH, Personengesellschaft).16) 3.

Mittelbare, mehrfache Abhängigkeit

§ 17 Abs. 1 stellt klar, dass die Möglichkeit eines mittelbar beherrschenden Einflusses 8 ausreicht. Beispiel: Es genügt also, wenn A mittelbar über B und B unmittelbar auf C beherrschenden Einfluss ausüben kann (insbesondere in Form der mehrstufigen Abhängigkeit im Konzern zwischen Mutter, Tochter und Enkelin), wobei die mittelbare Abhängigkeit C von A ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen A und B nicht zwingend voraussetzt.17) Da C sowohl von A (mittelbar) als auch von B (unmittelbar) abhängig ist und eine Absorption der Abhängigkeiten nicht stattfindet, liegt im Beispielsfall mehrfache Abhängigkeit vor (zum Thema mehrfache Mehrheitsbeteiligung und Absorption siehe § 16 Rz. 17).18) Außerhalb von Konzernbeziehungen ist eine mehrfache Abhängigkeit insbesondere denk- 9 bar bei –

Gemeinschaftsunternehmen (vor allem beim 50:50 Joint-Venture, siehe hierzu auch Rz. 17),19)



Treuhandverträgen (siehe hierzu auch Rz. 21),20)

_____________ 12) OLG Karlsruhe, Beschl. v. 11.12.2003 – 12 W 11/02, AG 2004, 147, 148; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 31.3.2009 – I-26 W 5/08, AG 2009, 873, 874; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 17 Rz. 6 f.; Spindler/StilzSchall, AktG, § 17 Rz. 19. 13) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 17 Rz. 6; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 17 Rz. 19. 14) BGH, Urt. v. 4.3.1974 – II ZR 89/72, AG 1974, 220, 221; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 17 Rz. 4; Krieger in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 69 Rz. 38; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 17 Rz. 14; einschränkend K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 17 Rz. 13. 15) BGH, Urt. v. 26.3.1984 – II ZR 171/83 (BuM/WestLB), AG 1984, 181, 184 = ZIP 1984, 572; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 11.12.2003 – 12 W 11/02 AktE, AG 2004, 147, 148; Krieger in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 69 Rz. 41; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 17 Rz. 15 f.; Bayer in: MünchKommAktG, § 17 Rz. 21 ff. 31 f.; abweichend Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 17 Rz. 21 f.; Soudry/Löb, GWR 2011, 127 ff.; kritisch Henssler/Strohn-Kessler/Maier-Reimer, GesR, § 17 AktG Rz. 5. 16) K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 17 Rz. 15. 17) Vgl. Krieger in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 69 Rz. 49 f.; Koppensteiner in: KölnKomm-AktG, § 17 Rz. 29 f.; Bayer in: MünchKomm-AktG, § 17 Rz. 72 ff. 18) K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 17 Rz. 18 f.; Koppensteiner in: KölnKomm-AktG, § 17 Rz. 31. 19) K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 17 Rz. 19, 45 ff.; Bayer in: MünchKomm-AktG, § 17 Rz. 76. 20) K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 17 Rz. 19; Bayer in: MünchKomm-AktG, § 17 Rz. 74.

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Stimmbindungs- und Konsortialverträgen (siehe hierzu auch Rz. 14 f.)21) sowie



Stimmrechtsvollmachten (siehe hierzu noch auch Rz. 14, 21).

4.

Einzelfälle

10 Außerhalb einer Mehrheitsbeteiligung, angesichts der Notwendigkeit einer gesellschaftsrechtlichen Vermittlung (siehe hierzu Rz. 7) meist aber in Kombination mit einer Minderheitsbeteiligung, wird ein beherrschender Einfluss in folgenden Konstellationen diskutiert: a)

Minderheitsbeteiligung (kombinierte Beherrschung)

11 Eine Minderheitsbeteiligung vermittelt dann die Möglichkeit einer beherrschenden Einflussnahme, wenn die Präsenz in Haupt- oder Gesellschafterversammlung erfahrungsgemäß so niedrig ist, dass die betroffene Beteiligung für eine Mehrheit regelmäßig ausreicht und es sich nicht bloß um eine Zufallsmehrheit handelt (insbesondere bei Publikumsgesellschaften mit hohem Streubesitz denkbar).22) 12 Selbiges gilt für zusätzliche personelle Verflechtungen auf Leitungsebene, insbesondere dann, wenn durch diese die Mehrheit in allen maßgeblichen Gremien (Vorstand und Aufsichtsrat bei AG, grundsätzlich nur Geschäftsführung bei GmbH und Personengesellschaften) gesichert ist.23) 13 Die wirtschaftliche Abhängigkeit aufgrund umfangreicher Liefer-, Leistungs- oder Kreditbeziehungen kann die Minderheitsbeteiligung ebenfalls zu einer beherrschenden Einflussmöglichkeit aufwerten (siehe hierzu auch Rz. 7 und die dortigen Nachweise).24) 14 Kontrolliert ein beteiligtes Unternehmen mittels Stimmbindungsvertrag die Mehrheit der Stimmrechte, so ist dieser Umstand als beherrschende Einflussmöglichkeit i. S. von § 17 Abs. 1 anzusehen (siehe hierzu auch § 16 Rz. 19).25) Selbiges gilt für Stimmrechtvollmachten, wenn der Vertreter freie Hand bei Ausübung der Vollmacht hat (siehe hierzu auch § 16 Rz. 19).26) 15 Ebenso können im Einzelfall auch andere schuldrechtliche Vereinbarungen, wie Konsortial- oder Gesellschaftervereinbarungen sowie insbesondere bei GmbH und Personengesellschaften spezielle gesellschaftsvertragliche Regelungen, in Kombination mit einer Minderheitsbeteiligung ausreichen (siehe hierzu auch § 16 Rz. 19).27) 16 Unter (zusätzlicher) Berücksichtigung des faktischen Abstimmungsverhaltens zwischen zwei oder mehr Anteilsinhabern im Hinblick auf ihre Stimmrechtsausübung in der ge_____________ 21) K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 17 Rz. 48; Krieger in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 69 Rz. 52. 22) BGH, Urt. v. 13.10.1977 – II ZR 123/76 (Veba/Gelsenberg), AG 1978, 50 ff. – Beteiligung von 43,74 % bei durchschnittlicher Präsenz von ca. 80 %; BGH, Beschl. v. 17.3.1997 – II ZB 3/96 (VW), AG 1997, 374, 376 = ZIP 1997, 887 – Beteiligung von 20 % bei durchschnittlicher Präsenz von unter 40 % im fünften Jahr; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 17 Rz. 9; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 17 Rz. 12, 20; Spindler/StilzSchall, AktG, § 17 Rz. 30. 23) K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 17 Rz. 16, 40 f.; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 17 Rz. 31; Krieger in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 69 Rz. 48. 24) K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 17 Rz. 22, und Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 17 Rz. 35, jeweils m. w. N. 25) OLG Karlsruhe, Beschl. v. 11.12.2003 – 12 W 11/02, AG 2004, 147, 148; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 17 Rz. 23; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 17 Rz. 26; nach a. A. führen Stimmbindungsverträge bereits i. R. der Mehrheitsbeteiligung zu einer Zurechnung über § 16 Abs. 4, so dass bereits ein Fall des § 17 Abs. 2 vorliegt. 26) K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 17 Rz. 23; kritisch Emmerich/Habersack-Emmerich, Konzernrecht, § 17 AktG Rz. 17. 27) K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 17 Rz. 25; Emmerich/Habersack-Emmerich, Konzernrecht, § 17 AktG Rz. 20 f.

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meinsamen Beteiligungsgesellschaft (z. B. bei Familienverbindungen) und/oder der auf einem solchen Verhalten basierenden gesetzlichen Tatbestände der Stimmrechtszurechnung in § 30 Abs. 2 WpÜG, § 34 Abs. 2 WpHG (Acting in Concert) kann ggf. eine Beherrschung i. S. von § 17 Abs. 1 entstehen (siehe hierzu auch § 16 Rz. 19).28) Anerkannt ist inzwischen, dass ein Unternehmen auch außerhalb einer mehrstufigen 17 (mehrfachen) Konzernabhängigkeit von zwei oder mehr29) Anteilsinhabern jeweils einzeln (nicht hingegen gemeinsam als GbR in Form einer „Gesamthandsherrschaft“)30) auf gleicher Stufe abhängig sein kann (sog. Mehrmütterherrschaft).31) Häufigstes Beispiel für ein solches Gemeinschaftsunternehmen ist das 50:50 Joint-Venture. In diesen Fällen ist die Mehrmütterherrschaft allerdings auch nicht zwingend.32) b)

Keine Beteiligung

Für die Fälle, in denen nicht einmal eine Minderheitsbeteiligung vorliegt, muss die gesell- 18 schaftsrechtliche Vermittlung der Beherrschungsmöglichkeit jeweils anderweitig begründet werden. Dies kann entweder originär oder derivativ erfolgen. Da die gesellschaftsrechtliche Vermittlung gemäß § 17 Abs. 1 nicht zwingend eine unmittelbare eigene Beteiligung voraussetzt, genügt die Zurechnung fremder Beteiligung.33) Beherrschungsverträge i. S. von § 291 Abs. 1 Satz 1 und Eingliederungen i. S. von §§ 319 ff. 19 begründen angesichts des damit verbundenen umfangreichen Weisungsrechts (vgl. §§ 308 Abs. 1, 323 Abs. 1) stets und unabhängig von jeglicher Beteiligung bzw. deren Vermittlung eine originär gesellschaftsrechtlich vermittelte Beherrschungsmöglichkeit, was bereits im Hinblick auf die gesetzliche Qualifikation der beteiligten Unternehmen als Konzern gemäß § 18 Abs. 1 Satz 2 naheliegt.34) Mangels gesetzlich vorgesehenen Weisungsrechts genügt der Abschluss eines isolierten 20 Gewinnabführungsvertrags i. S. von § 291 Abs. 1 Satz 1 oder eines der übrigen Unternehmensverträge i. S. von. § 292 allein hingegen nicht.35) Wenn und soweit bestimmte Personalkompetenzen oder sonstige Herrschaftsrechte i. R. des rechtlich Zulässigen mittels Gesellschaftsvertrag auf Nichtgesellschafter übertragen werden, so ist eine Beherrschung auch außerhalb eines Beherrschungsvertrags denkbar (zumindest bei GmbH und Personengesellschaft, wegen § 76 Abs. 1 nicht bei AG). Bei der Treuhand und bei Stimmrechtvollmachten kann die unmittelbare Beteiligung 21 des Treugebers bzw. des Vollmachtgebers dem Treuhänder bzw. dem Bevollmächtigten als gesellschaftsrechtlich vermittelndes Element zugerechnet werden und so die beherr-

_____________ 28) Eingehend K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 17 Rz. 26 ff. unter Auflistung einzelner tatbestandlicher Kriterien; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 17 Rz. 32 ff. 29) BGH, Urt. v. 4.3.1974 – II ZR 89/72, AG 1974 220 ff. – gemeinsame Beherrschung durch drei Gesellschafter mit einer Beteiligung von 25 %, 25 % und 5 %. 30) Vgl. Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 17 Rz. 16 m. w. N. 31) BGH, Urt. v. 4.1974 – II ZR 89/72, AG 1974 220, 221 f.; BGH, Urt. v. 16.2.1981 – II ZR 168/79 (Spindelfabrik Süssen), AG 1981, 225, 226 = ZIP 1981, 399; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 17 Rz. 13 ff.; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 17 Rz. 45 f.; eingehend Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 17 Rz. 14 ff. 32) OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 22.12.2003 –19 U 78/03, AG 2004, 567 f.; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 17 Rz. 46. 33) Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 17 Rz. 20 m. w. N. 34) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 17 Rz. 12; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 17 Rz. 42; Bayer in: MünchKomm-AktG, § 17 Rz. 64. 35) Koppensteiner in: KölnKomm-AktG, § 17 Rz. 62 m. w. N.; Krieger in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 69 Rz. 46; kritisch K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 17 Rz. 42.

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schende Einflussnahmemöglichkeit des nicht beteiligten Treuhänders bzw. Bevollmächtigten begründen (siehe hierzu auch § 16 Rz. 18 f.).36) 22 Bei Beurteilung einer Zurechnung i. R. von § 17 Abs. 1 ist i. Ü. das Zusammenspiel zwischen § 16 Abs. 4 und Abs. 2 zu berücksichtigen. Da nach hier vertretener Ansicht eine restriktive und am Wortlaut orientierte Interpretation von § 16 Abs. 4 vorzugswürdig ist (siehe hierzu § 16 Rz. 19), sind an eine Zurechnung des gesellschaftsrechtlichen Vermittlungselements bei § 17 Abs. 1 entsprechend geringe Anforderungen zu stellen, um Schutzlücken weitmöglichst zu vermeiden. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die Beurteilung bei gesetzlichen Zurechnungstatbeständen v. a. in § 20 Abs. 2, § 34 Abs. 2 WpHG, § 30 Abs. 1 WpÜG.37) c)

Optionsrechte

23 Eine Option zum Erwerb einer Mehrheitsbeteiligung genügt nach h. M. für die Begründung einer Beherrschungsmöglichkeit nicht.38) III.

Vermutungsregel (§ 17 Abs. 2)

1.

Bedeutung

24 Die Regelung des § 17 Abs. 2 begründet die Vermutung einer Abhängigkeit i. S. von § 17 bei einer Mehrheitsbeteiligung i. S. von § 16 (d. h. alternativ bei Anteils- oder Stimmenmehrheit) und führt unmittelbar zu einer Umkehr der Darlegungs- und Beweislast zulasten desjenigen, der sich im konkreten Einzelfall zu seinen Gunsten darauf beruft, das Tatbestandsmerkmal der Abhängigkeit sei im Hinblick auf die jeweils streitbefangene Norm nicht erfüllt.39) 2.

Widerlegung

a)

Grundsatz

25 Um die Vermutung des § 17 Abs. 2 zu widerlegen, ist der Gegenbeweis zu führen, dass trotz Anteils- und/oder Stimmenmehrheit gemäß § 16 die Möglichkeit eines beherrschenden Einflusses auf das in Mehrheitsbesitz stehende Unternehmen nicht besteht.40) Da bereits allein die mögliche Beherrschung aufgrund Anteilsmehrheit den Tatbestand des § 17 Abs. 2 erfüllt, ist der Nachweis tatsächlich nicht ausgeübter Einflussnahme und fehlender Stimmenmehrheit allein nicht zur Widerlegung geeignet, sondern muss zusätzlich ggf. weitere substantiiert dargelegte Beherrschungsmittel (insbesondere in Fällen kombinierter Beherrschung, siehe hierzu Rz. 11 ff.) entkräften.41) Bei Stimmenmehrheit kann die Abhängigkeitsvermutung widerlegt werden, indem nachgewiesen wird, dass diese den ihr grundsätzlich zukommenden Einfluss angesichts bestimmter Regelungen im Gesellschaftsvertrag oder sonstigen schuldrechtlichen Abreden (insbesondere Stimmbindungsvertrag) nicht entfalten kann.42) _____________ 36) So zumindest für die Treuhand K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 17 Rz. 19; Bayer in: MünchKommAktG, § 17 Rz. 74. 37) Vgl. hierzu eingehend K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 17 Rz. 36 ff. 38) OLG Düsseldorf, Urt. v. 22.7.1993 – 6 U 84/92 (Feldmühle Nobel/Stora), AG 1994, 36, 38 f. = ZIP 1994, 1026; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 17 Rz. 37; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 17 Rz. 35; a. A. Bayer in: MünchKomm-AktG, § 17 Rz. 53 ff. m. w. N. 39) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 17 Rz. 17 f.; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 17 Rz. 50 f. 40) K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 17 Rz. 52. 41) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 17 Rz. 19 f.; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 17 Rz. 52 f. 42) OLG München, Urt. v. 11.5.2004 – 30 UF 303/03, AG 2004, 455 f.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 17 Rz. 21 f.

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Einzelfälle

Qualifizierte Mehrheitserfordernisse im Gesellschaftsvertrag können eine Widerlegung 26 tragen, wenn sich diese (auch) auf diejenigen Beschlussgegenstände beziehen, welche die Personalkompetenz (Bestellung des Aufsichtsrats bei AG, Bestellung der oder Weisung an die Geschäftsführung bei GmbH und Personengesellschaften ausmachen (siehe hierzu Rz. 3 f.).43) Auch statutarisch zulässigerweise begründete Stimmrechtsauschlüsse oder – beschränkungen (insbesondere bei stimmrechtslosen Vorzugsaktien gemäß §§ 12 Abs. 1, 139 ff. und Höchststimmrechten gemäß § 134 Abs. 1) können die Vermutung aufgrund Anteilsmehrheit widerlegen,44) nicht hingegen etwaige nur zu einem vorübergehenden „Ruhen“ der Stimmrechte führende Stimmrechtsbeschränkungen (siehe hierzu auch § 16 Rz. 15).45) Ferner sind Stimmbindungsverträge zur Widerlegung geeignet, wenn hiernach die Stim- 27 menmehrheit in den die Personalkompetenz betreffenden Beschlüssen nicht ausgeübt werden darf.46) Das einem Minderheitsgesellschafter zustehende Entsenderecht in den Aufsichtsrat kann 28 zumindest bei paritätisch mitbestimmten Gesellschaften die Vermutung einer Beherrschungsmöglichkeit durch den Mehrheitsgesellschafter widerlegen.47) Ein Beherrschungsvertrag mit einem Dritten ist zur Widerlegung der Vermutung aus- 29 reichend, so dass insbesondere ein solcher zwischen Mutter und Enkelin die Vermutung des § 17 Abs. 2 im Hinblick auf das Verhältnis Tochter und Enkelin widerlegt.48) Bei mehrstufiger Abhängigkeitsvermutung, z. B. in Form mittelbarer Mehrheitsbetei- 30 ligung, genügt es, wenn ein (unteres) Glied in der Vermutungskette widerlegt wird.49) Beispiel: A ist mehrheitlich beteiligt an B und B ist mehrheitlich beteiligt an C. C kann gleichzeitig von B (unmittelbar) und von A (mittelbar) abhängig sein, die Vermutung der Abhängigkeit C von A gilt allerdings automatisch als widerlegt, wenn die Vermutung der Abhängigkeit C von B widerlegt ist.50) Anerkanntes Mittel zur Widerlegung ist nach überwiegender Ansicht auch der in der Pra- 31 xis gebräuchliche sog. Entherrschungsvertrag,51) bei dem im Verhältnis zur Beteiligungsgesellschaft die Stimmrechtsausübung des Mehrheitsgesellschafters in den für die Beherrschung maßgeblichen Beschlüssen (Stichwort: Personalkompetenz) ausgeschlossen wird, wobei nach der sog. „Minus-Eins-Regel“ eine Beschränkung auf die Ausübung der Hälfte der in der Gesellschafterversammlung vertretenen Stimmen abzüglich mindestens einer weiteren Stimme erforderlich ist.52) Ein Entherrschungsvertrag muss schriftlich abge_____________ 43) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 17 Rz. 21; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 17 Rz. 54; Bayer in: MünchKomm-AktG, § 17 Rz. 98. 44) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 17 Rz. 21; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 17 Rz. 51. 45) K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 17 Rz. 57; a. A. Windbichler in: GroßKomm-AktG, § 17 Rz. 74; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 17 Rz. 51 (Fn. 218). 46) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 17 Rz. 22; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 17 Rz. 51; Krieger in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 69 Rz. 64. 47) K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 17 Rz. 55. 48) K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 17 Rz. 58; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 17 Rz. 23; Spindler/StilzSchall, AktG, § 17 Rz. 56. 49) K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 17 Rz. 58. 50) Vgl. auch Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 17 Rz. 23; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 17 Rz. 56. 51) OLG Köln, Urt. v. 24.11.1992 – 22 U 72/92 (Winterthur/Nordstern), AG 1993, 86, 87 = ZIP 1993, 110. 52) Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 17 Rz. 52; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 17 Rz. 60 f.; Hüffer/ Koch-Koch, AktG, § 17 Rz. 22.

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§ 18

Konzern und Konzernunternehmen

schlossen sein und eine Mindestlaufzeit von fünf Jahren unter Ausschluss der ordentlichen Kündigung in dieser Zeit aufweisen.53) Die Praxis bedient sich solcher Entherrschungsverträge inzwischen auch häufiger i. R. von Investorenvereinbarungen und Business Combination Agreements.54) _____________ 53) OLG Köln, Urt. v. 24.11.1992 – 22 U 72/92 (Winterthur/Nordstern), AG 1993, 86, 87 = ZIP 1993, 110; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 17 Rz. 22; Krieger in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 69 Rz. 62; eingehend K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 17 Rz. 61 ff. 54) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 17 Rz. 22; Kiefner, ZHR 178 (2014) 567 f.

§ 18 Konzern und Konzernunternehmen (1) 1Sind ein herrschendes und ein oder mehrere abhängige Unternehmen unter der einheitlichen Leitung des herrschenden Unternehmens zusammengefaßt, so bilden sie einen Konzern; die einzelnen Unternehmen sind Konzernunternehmen. 2Unternehmen, zwischen denen ein Beherrschungsvertrag (§ 291) besteht oder von denen das eine in das andere eingegliedert ist (§ 319), sind als unter einheitlicher Leitung zusammengefaßt anzusehen. 3Von einem abhängigen Unternehmen wird vermutet, daß es mit dem herrschenden Unternehmen einen Konzern bildet. (2) Sind rechtlich selbständige Unternehmen, ohne daß das eine Unternehmen von dem anderen abhängig ist, unter einheitlicher Leitung zusammengefaßt, so bilden sie auch einen Konzern; die einzelnen Unternehmen sind Konzernunternehmen. Übersicht I. Bedeutung der Norm ....................... 1 II. Unterordnungskonzern (§ 18 Abs. 1) ....................................... 2 1. Einheitliche Leitung .......................... 2 2. Mehrstufige, mehrfache Konzernierung .......................................... 8 3. Unwiderlegliche Vermutung (§ 18 Abs. 1 Satz 2) ......................... 10 I.

4. Widerlegliche Vermutung (§ 18 Abs. 1 Satz 3) .......................... 11 III. Gleichordnungskonzern (§ 18 Abs. 2) ..................................... 14 1. Begründung, Bedeutung ................... 14 2. Verhältnis zu § 18 Abs. 1 ................. 15

Bedeutung der Norm

1 § 18 definiert den Begriff Konzern sowie die an diesem beteiligten Unternehmen als Konzernunternehmen und unterscheidet anhand der Abhängigkeit i. S. von § 17 zwischen dem praktisch wichtigeren Unterordnungskonzern (§ 18 Abs. 1) und dem Gleichordnungskonzern (§ 18 Abs. 2).1) Unterfälle von § 18 Abs. 1 sind Vertragskonzern (Beherrschungsvertrag, § 291 Abs. 1 Satz 1), Eingliederungskonzern (§ 319 ff.) und faktischer Konzern, Unterfälle von § 18 Abs. 2 sind Vertragskonzern (Gleichordnungsvertrag, § 291 Abs. 2) und faktischer Konzern.2) Das für den Konzern wesentliche Merkmal der einheitlichen Leitung wird bei Existenz eines Beherrschungsvertrags sowie im Fall der Eingliederung unwiderleglich, i. R. einer sonstigen Abhängigkeit gemäß § 17 widerleglich ver_____________ 1) 2)

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Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 18 Rz. 2; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 18 Rz. 1. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 18 Rz. 3; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 18 Rz. 2; ausführlich zum sog. qualifiziert faktischen Konzern Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 18 Rz. 3, Vor § 15 Rz. 12 ff.

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Konzern und Konzernunternehmen

schlossen sein und eine Mindestlaufzeit von fünf Jahren unter Ausschluss der ordentlichen Kündigung in dieser Zeit aufweisen.53) Die Praxis bedient sich solcher Entherrschungsverträge inzwischen auch häufiger i. R. von Investorenvereinbarungen und Business Combination Agreements.54) _____________ 53) OLG Köln, Urt. v. 24.11.1992 – 22 U 72/92 (Winterthur/Nordstern), AG 1993, 86, 87 = ZIP 1993, 110; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 17 Rz. 22; Krieger in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 69 Rz. 62; eingehend K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 17 Rz. 61 ff. 54) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 17 Rz. 22; Kiefner, ZHR 178 (2014) 567 f.

§ 18 Konzern und Konzernunternehmen (1) 1Sind ein herrschendes und ein oder mehrere abhängige Unternehmen unter der einheitlichen Leitung des herrschenden Unternehmens zusammengefaßt, so bilden sie einen Konzern; die einzelnen Unternehmen sind Konzernunternehmen. 2Unternehmen, zwischen denen ein Beherrschungsvertrag (§ 291) besteht oder von denen das eine in das andere eingegliedert ist (§ 319), sind als unter einheitlicher Leitung zusammengefaßt anzusehen. 3Von einem abhängigen Unternehmen wird vermutet, daß es mit dem herrschenden Unternehmen einen Konzern bildet. (2) Sind rechtlich selbständige Unternehmen, ohne daß das eine Unternehmen von dem anderen abhängig ist, unter einheitlicher Leitung zusammengefaßt, so bilden sie auch einen Konzern; die einzelnen Unternehmen sind Konzernunternehmen. Übersicht I. Bedeutung der Norm ....................... 1 II. Unterordnungskonzern (§ 18 Abs. 1) ....................................... 2 1. Einheitliche Leitung .......................... 2 2. Mehrstufige, mehrfache Konzernierung .......................................... 8 3. Unwiderlegliche Vermutung (§ 18 Abs. 1 Satz 2) ......................... 10 I.

4. Widerlegliche Vermutung (§ 18 Abs. 1 Satz 3) .......................... 11 III. Gleichordnungskonzern (§ 18 Abs. 2) ..................................... 14 1. Begründung, Bedeutung ................... 14 2. Verhältnis zu § 18 Abs. 1 ................. 15

Bedeutung der Norm

1 § 18 definiert den Begriff Konzern sowie die an diesem beteiligten Unternehmen als Konzernunternehmen und unterscheidet anhand der Abhängigkeit i. S. von § 17 zwischen dem praktisch wichtigeren Unterordnungskonzern (§ 18 Abs. 1) und dem Gleichordnungskonzern (§ 18 Abs. 2).1) Unterfälle von § 18 Abs. 1 sind Vertragskonzern (Beherrschungsvertrag, § 291 Abs. 1 Satz 1), Eingliederungskonzern (§ 319 ff.) und faktischer Konzern, Unterfälle von § 18 Abs. 2 sind Vertragskonzern (Gleichordnungsvertrag, § 291 Abs. 2) und faktischer Konzern.2) Das für den Konzern wesentliche Merkmal der einheitlichen Leitung wird bei Existenz eines Beherrschungsvertrags sowie im Fall der Eingliederung unwiderleglich, i. R. einer sonstigen Abhängigkeit gemäß § 17 widerleglich ver_____________ 1) 2)

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Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 18 Rz. 2; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 18 Rz. 1. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 18 Rz. 3; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 18 Rz. 2; ausführlich zum sog. qualifiziert faktischen Konzern Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 18 Rz. 3, Vor § 15 Rz. 12 ff.

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Konzern und Konzernunternehmen

mutet.3) Begrifflich ist der Konzern im Gesellschaftsrecht weniger bedeutsam als die, dem AktG als zentraler Anknüpfungspunkt dienende, Abhängigkeit i. S. von § 17.4) Verwendung findet der Konzernbegriff insbesondere in §§ 97 Abs. 1, 100 Abs. 2 Satz 2, 104 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1, 134 Abs. 1 Satz 4, 145 Abs. 3, 250 Abs. 2 Nr. 1 und 2, 293d Abs. 1 Satz 2, § 37 WpHG, § 36 Nr. 3 WpÜG, § 5 MitbestG, § 2 DrittelbG, § 54 Abs. 1 BetrVG, § 36 Abs. 2 Satz 1 GWB. Im Gegensatz zu §§ 16, 17 begründet der Konzern nicht nur ein vertikales Verhältnis zwischen über- und untergeordnetem Unternehmen, sondern gleichzeitig ein horizontales Gleichordnungsverhältnis zwischen den einzelnen untergeordneten Unternehmen (mehrseitige Unternehmensverbindung).5) Zum Begriff des Unternehmens i. S. von § 18 siehe die entsprechenden Ausführungen zu § 15 (siehe hierzu § 15 Rz. 4, 5 ff. – „Herrschendes Unternehmen“, Rz. 15 – „Abhängiges Unternehmen“ und Rz. 16 – „Gleichgeordnetes Unternehmen“). II.

Unterordnungskonzern (§ 18 Abs. 1)

1.

Einheitliche Leitung

Wesentliche Voraussetzung für einen Unterordnungskonzern ist die Zusammenfassung 2 einer oder mehrerer abhängiger Unternehmen i. S. von § 17 Abs. 1 unter einheitlicher Leitung des herrschenden Unternehmens i. S. von § 17 Abs. 1. Durch Inbezugnahme des § 17 wird mittelbar (über § 17 Abs. 1) auf den Unternehmensbegriff in § 15 verwiesen.6) Umstritten ist, ob zur Bestimmung der einheitlichen Leitung auf einen engen oder einen 3 weiten Konzernbegriff zurückgegriffen werden soll.7) Die Vertreter des engen Begriffsverständnisses fordern eine am Konzern als wirtschaftlicher Einheit orientierte und auf das Gesamtinteresse der verbundenen Unternehmen ausgerichtete Zielkonzeption sowie deren Durchführung und Kontrolle.8) Nach dem weiten Konzernbegriff genügt die (teilweise) Wahrnehmung zentraler Leitungsfunktionen (Planung, Organisation und Koordinierung, Kontrolle) in mindestens einem der zentralen unternehmerischen Funktionsbereiche (insbesondere Investition, Finanzen, Einkauf, Produktion, Absatz, Personal), solange hiermit entsprechende Auswirkungen für den gesamten Konzern verbunden sind.9) Soweit auch die Vertreter des engen Konzernbegriffs eine konzernweite Finanzplanung und -kontrolle (z. B. durch zentrales Cash Management)10) genügen lassen,11) relativiert sich der Unterschied beider Begriffe im Ergebnis.12) Insgesamt ist der weite Konzernbegriff vorzugswürdig, da nur dieser dem an seiner Schutzfunktion auszurichtenden Konzernrecht einen möglichst breiten Anwendungsbereich eröffnet13) und gleichzeitig dem in _____________ 3) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 18 Rz. 17; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 18 Rz. 1, 16. 4) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 18 Rz. 1; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 18 Rz. 5, § 15 Rz. 8, § 17 Rz. 3; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 18 Rz. 1, 7, § 17 Rz. 1; zur Bedeutung des Konzernbegriffs bei der Arbeitnehmermitbestimmung vgl. K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 18 Rz. 11, 14, 17. 5) K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 18 Rz. 2; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 18 Rz. 1. 6) K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 18 Rz. 6. 7) Vgl. ausführlich zum Meinungsstand: Emmerich/Habersack-Emmerich, Konzernrecht, § 18 AktG Rz. 10 ff. 8) Koppensteiner in: KölnKomm-AktG, § 18 Rz. 15 ff., 20; Windbichler in: GroßKomm-AktG, § 18 Rz. 19 ff., 24 f. 9) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 18 Rz. 10 (anders noch in früherer Aufl.); K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 18 Rz. 11; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 18 Rz. 14 – anders aber für den Gleichordnungskonzern (Rz. 15); Bayer in: MünchKomm-AktG, § 18 Rz. 33. 10) Vgl. hierzu BGH, Urt. v. 20.2.1989 – II ZR – 167/88, NJW 1989, 1800, 1802. 11) Koppensteiner in: KölnKomm-AktG, § 18 Rz. 15, 20; Windbichler in: GroßKomm-AktG, § 18 Rz. 19 ff., 25. 12) K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 18 Rz. 9; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 18 Rz. 12. 13) Bayer in: MünchKomm-AktG, § 18 Rz. 33.

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§ 18

Konzern und Konzernunternehmen

der Gesetzesbegründung angedeuteten Verständnis am nächsten kommt.14) Zudem begünstigt der weite Konzernbegriff die Rechtfertigung, der, auch von Vertretern des engen Konzernbegriffs weitgehend als zulässig anerkannten, mehrfachen Konzernierung bei Gemeinschaftsunternehmen (siehe hierzu Rz. 9).15) 4 Ebenso wie die Abhängigkeit i. S. von § 17 setzt die einheitliche Leitung i. S. von § 18 eine gewisse Beständigkeit (nicht notwendigerweise Dauerhaftigkeit) voraus, so dass eine lediglich gelegentliche einzelfallbezogene Leitung nicht ausreicht (siehe hierzu auch unter § 17 Rz. 6).16) 5 Im Gegensatz zur beherrschenden Einflussmöglichkeit i. S. von § 17 genügt die bloße Möglichkeit der einheitlichen Leitung bei § 18 nicht, vielmehr bedarf es deren tatsächlicher Ausübung (zum Begriff des beherrschenden Einflusses siehe § 17 Rz. 2 ff.).17) Ein Konzern entsteht, wenn das herrschende Unternehmen tatsächlich Einfluss auf die Personalpolitik der abhängigen Gesellschaft nimmt, um die Politik der verbundenen Unternehmen beständig zu koordinieren und eine auf deren Gesamtinteresse ausgerichtete Zielkonzeption entwickelt.18) 6 Die Besetzung des Aufsichtsrats mit Arbeitnehmervertretern nach geltendem Mitbestimmungsrecht hat keinen Einfluss auf die Bestimmung der einheitlichen Leitung und folglich auch nicht auf die Vermutungsregel in § 18 Abs. 1 Satz 2 bzw. Satz 3 (siehe zur Behandlung der Arbeitnehmermitbestimmung i. R. der Abhängigkeit unter § 17 Rz. 3).19) 7 Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des untergeordneten Unternehmens endet die einheitliche Leitung und die Vermutungsregel in § 18 Abs. 1 Satz 3 ist widerlegt.20) 2.

Mehrstufige, mehrfache Konzernierung

8 Einem Konzern können aufgrund einheitlicher Leitung von oben nach unten (vertikal) betrachtet Unternehmen auf verschiedenen Stufen als Konzernunternehmen i. S. von § 18 angehören, vorausgesetzt, die an der Konzernspitze stehende Muttergesellschaft leitet nicht nur die ihr unmittelbar nachgeordnete(n) Tochtergesellschaft(en), sondern ebenfalls die ihr mittelbar nachgeordnete(n) Enkel- bzw. Urenkelgesellschaft(en) usw. (zur mehrstufigen Abhängigkeit siehe unter § 17 Rz. 8).21) 9 Auf gesellschaftsrechtlicher Ebene wird innerhalb eines mehrstufigen Konzerns die weitere Konzernbildung in Form eines sog. Konzerns im Konzern weitgehend abgelehnt,22) die _____________ 14) K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 18 Rz. 10 f.; im Ergebnis ebenso den weiten Konzernbegriff befürwortend: Emmerich/Habersack-Emmerich, Konzernrecht, § 18 AktG Rz. 14. 15) Die Vertreter des engen Konzernbegriffs sehen sich hingegen mit größeren Schwierigkeiten im Hinblick auf eine diesbezügliche Rechtfertigung konfrontiert, vgl. nur Koppensteiner in: KölnKomm-AktG, § 18 Rz. 20, 34. 16) K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 18 Rz. 13; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 18 Rz. 17; Bayer in: MünchKomm-AktG, § 18 Rz. 37. 17) Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 18 Rz. 16. 18) OLG Dresden, Beschl. v. 15.4.2010 – 2 W 1174/09, NZG 2011, 462; Emmerich/Habersack-Emmerich, Konzernrecht, § 18 AktG Rz. 14. 19) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 18 Rz. 17; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 18 Rz. 20; Spindler/StilzSchall, AktG, § 18 Rz. 28. 20) K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 18 Rz. 19; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 18 Rz. 27. 21) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 18 Rz. 13; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 18 Rz. 14; Bayer in: MünchKomm-AktG, § 18 Rz. 39. 22) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 18 Rz. 14; Bayer in: MünchKomm-AktG, § 18 Rz. 42; anders hingegen das mitbestimmungsrechtliche Verständnis des Konzernbegriffs, vgl. hierzu Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 18 Rz. 19 f., und K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 18 Rz. 14, jeweils m. w. N.

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Konzern und Konzernunternehmen

mehrfache Zugehörigkeit eines Gemeinschaftsunternehmens zu den Konzernen sämtlicher Mütter hingegen überwiegend anerkannt (zur mehrfachen Abhängigkeit bei Gemeinschaftsunternehmen siehe § 17 Rz. 17).23) 3.

Unwiderlegliche Vermutung (§ 18 Abs. 1 Satz 2)

Bei Existenz eines Beherrschungsvertrags gemäß § 291 Abs. 1 Satz 1 oder im Fall der Ein- 10 gliederung gemäß §§ 319 ff. wird die einheitliche Leitung angesichts der an diese Tatbestände nach §§ 308 bzw. 323 anknüpfenden gesetzlichen Weisungsrechte gemäß § 18 Abs. 1 Satz 2 unwiderleglich vermutet (rechtlich anerkannte Leitungsmacht).24) 4.

Widerlegliche Vermutung (§ 18 Abs. 1 Satz 3)

Greift angesichts einer bestehenden Abhängigkeit i. S. von § 17 die Vermutungsregel des 11 § 18 Abs. 1 Satz 3 ein, so verlangt die Widerlegung dieser Vermutung den Gegenbeweis, dass von der zur Begründung einer Abhängigkeit notwendigen (aber auch ausreichenden) Möglichkeit der beherrschenden Einflussnahme kein tatsächlicher Gebrauch i. S. einer einheitlichen Leitung gemacht wurde, wobei die Unterschiede des engen bzw. weiten Konzernbegriffs zu berücksichtigen sind (siehe hierzu Rz. 3; zur Widerlegung der Abhängigkeitsvermutung siehe § 17 Rz. 25 ff.).25) Als potentielle Gegenbeweise werden u. a. diskutiert:

12



freie Hand des untergeordneten Unternehmens in seiner Finanzpolitik,26)



Beherrschungsvertrag mit einem Dritten (siehe hierzu auch § 17 Rz. 29),27)



entsprechende Gestaltung eines Entherrschungsvertrags (siehe hierzu auch § 17 Rz. 31).28)

Da die Widerlegung der Konzernvermutung in der Praxis insbesondere zur Vermeidung 13 der Konzernmitbestimmung (§ 5 Abs. 1 MitbestG) interessant sein kann, aber nur selten gelingen dürfte, erscheint es zielführender, bereits auf Ebene des § 17 anzusetzen und die Abhängigkeit zu beseitigen bzw. den Gegenbeweis der Abhängigkeitsvermutung in § 17 Abs. 2 anzutreten.29) III.

Gleichordnungskonzern (§ 18 Abs. 2)

1.

Begründung, Bedeutung

Liegt keine Abhängigkeit i. S. von § 17 vor und sind zwei oder mehr Unternehmen den- 14 noch unter einheitlicher Leitung zusammengefasst, so sind die beteiligten Unternehmen gemäß § 18 Abs. 2 ebenfalls Konzernunternehmen und bilden einen Gleichordnungskonzern. Ein solcher Gleichordnungskonzern entsteht meist mittels Abschluss eines sog. Gleichordnungsvertrags i. S. von § 291 Abs. 2, wodurch regelmäßig ein Vertragskonzern in Form einer BGB-Innengesellschaft begründet wird.30) Die §§ 293 ff. finden keine An_____________ 23) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 18 Rz. 16; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 18 Rz. 15; Spindler/StilzSchall, AktG, § 18 Rz. 21. 24) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 18 Rz. 17; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 18 Rz. 1, 16. 25) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 18 Rz. 19; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 18 Rz. 18; Spindler/StilzSchall, AktG, § 18 Rz. 27. 26) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 18 Rz. 19; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 18 Rz. 27 weist zu Recht darauf hin, dass dieser Nachweis unter Zugrundelegung des weiten Konzernbegriffs nicht zwingend ausreicht. 27) K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 18 Rz. 18. 28) Windbichler in: GroßKomm-AktG, § 18 Rz. 40. 29) Krieger in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 69 Rz. 74. 30) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 18 Rz. 20; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 18 Rz. 24; Spindler/StilzSchall, AktG, § 18 Rz. 31.

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Wechselseitig beteiligte Unternehmen

wendung.31) Die vertragliche Einräumung eines Rechts zur Erteilung bzw. Befolgung nicht umgehend kompensierter nachteiliger Weisungen ist bei der AG im Gleichordnungskonzern unzulässig (strittig).32) Weitgehend anerkannt ist auch der faktische Gleichordnungskonzern, der insbesondere aufgrund personeller Verflechtungen in Familienunternehmen vorkommen kann, bei denen sich keine Beherrschung durch einen oder mehrere Gesellschafter ausmachen lässt.33) Insgesamt ist die praktische Bedeutung des Gleichordnungskonzerns gering und seine Existenz hauptsächlich im Kartellrecht und im Hinblick auf die Anwendung der Kapitalerhaltungsvorschriften relevant.34) 2.

Verhältnis zu § 18 Abs. 1

15 Da § 18 Abs. 2 ausschließlich Fälle erfasst, in denen konzernbildendes Mittel nicht der beherrschende Einfluss ist, können zwei Tochtergesellschaften eines herrschenden Unternehmens im Verhältnis zueinander keinen Gleichordnungskonzern bilden.35) Besteht zwischen dem leitenden Unternehmen an der Spitze eines Unterordnungskonzerns und einem anderen, nicht in diesen Unterordnungskonzern einbezogenen Unternehmen ein Gleichordnungskonzern, so überlagert der Gleichordnungskonzern den Unterordnungskonzern und sämtliche Konzernunternehmen des (früheren) Unterordnungskonzerns sind nunmehr solche des (neuen) Gleichordnungskonzerns.36) _____________ 31) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 18 Rz. 20; Krieger in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 69 Rz. 86. 32) K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 18 Rz. 27, 31; Krieger in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 69 Rz. 89 f. 33) BGH, Beschl. v. 8.12.1998 – KVR 31/97 (Pirmasenser Zeitung), NZG 1999, 254, 257 = ZIP 1999, 331; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 18 Rz. 25; Krieger in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 69 Rz. 83. 34) Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 18 Rz. 29; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 18 Rz. 26 m. w. N. aus der Rspr.; zu den haftungsrechtlichen Konsequenzen im Gleichordnungskonzern s. ausführlich K. Schmidt/ Lutter-Vetter, AktG, § 18 Rz. 31 ff. 35) K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 18 Rz. 22; Krieger in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 69 Rz. 80, 82. 36) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 18 Rz. 15; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 18 Rz. 23; Bayer in: MünchKomm-AktG, § 18 Rz. 5; Krieger in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 69 Rz. 84.

§ 19 Wechselseitig beteiligte Unternehmen (1) 1Wechselseitig beteiligte Unternehmen sind Unternehmen mit Sitz im Inland in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft, die dadurch verbunden sind, daß jedem Unternehmen mehr als der vierte Teil der Anteile des anderen Unternehmens gehört. 2 Für die Feststellung, ob einem Unternehmen mehr als der vierte Teil der Anteile des anderen Unternehmens gehört, gilt § 16 Abs. 2 Satz 1, Abs. 4. (2) Gehört einem wechselseitig beteiligten Unternehmen an dem anderen Unternehmen eine Mehrheitsbeteiligung oder kann das eine auf das andere Unternehmen unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluß ausüben, so ist das eine als herrschendes, das andere als abhängiges Unternehmen anzusehen. (3) Gehört jedem der wechselseitig beteiligten Unternehmen an dem anderen Unternehmen eine Mehrheitsbeteiligung oder kann jedes auf das andere unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluß ausüben, so gelten beide Unternehmen als herrschend und als abhängig. (4) § 328 ist auf Unternehmen, die nach Absatz 2 oder 3 herrschende oder abhängige Unternehmen sind, nicht anzuwenden.

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§ 19

Wechselseitig beteiligte Unternehmen

wendung.31) Die vertragliche Einräumung eines Rechts zur Erteilung bzw. Befolgung nicht umgehend kompensierter nachteiliger Weisungen ist bei der AG im Gleichordnungskonzern unzulässig (strittig).32) Weitgehend anerkannt ist auch der faktische Gleichordnungskonzern, der insbesondere aufgrund personeller Verflechtungen in Familienunternehmen vorkommen kann, bei denen sich keine Beherrschung durch einen oder mehrere Gesellschafter ausmachen lässt.33) Insgesamt ist die praktische Bedeutung des Gleichordnungskonzerns gering und seine Existenz hauptsächlich im Kartellrecht und im Hinblick auf die Anwendung der Kapitalerhaltungsvorschriften relevant.34) 2.

Verhältnis zu § 18 Abs. 1

15 Da § 18 Abs. 2 ausschließlich Fälle erfasst, in denen konzernbildendes Mittel nicht der beherrschende Einfluss ist, können zwei Tochtergesellschaften eines herrschenden Unternehmens im Verhältnis zueinander keinen Gleichordnungskonzern bilden.35) Besteht zwischen dem leitenden Unternehmen an der Spitze eines Unterordnungskonzerns und einem anderen, nicht in diesen Unterordnungskonzern einbezogenen Unternehmen ein Gleichordnungskonzern, so überlagert der Gleichordnungskonzern den Unterordnungskonzern und sämtliche Konzernunternehmen des (früheren) Unterordnungskonzerns sind nunmehr solche des (neuen) Gleichordnungskonzerns.36) _____________ 31) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 18 Rz. 20; Krieger in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 69 Rz. 86. 32) K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 18 Rz. 27, 31; Krieger in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 69 Rz. 89 f. 33) BGH, Beschl. v. 8.12.1998 – KVR 31/97 (Pirmasenser Zeitung), NZG 1999, 254, 257 = ZIP 1999, 331; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 18 Rz. 25; Krieger in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 69 Rz. 83. 34) Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 18 Rz. 29; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 18 Rz. 26 m. w. N. aus der Rspr.; zu den haftungsrechtlichen Konsequenzen im Gleichordnungskonzern s. ausführlich K. Schmidt/ Lutter-Vetter, AktG, § 18 Rz. 31 ff. 35) K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 18 Rz. 22; Krieger in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 69 Rz. 80, 82. 36) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 18 Rz. 15; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 18 Rz. 23; Bayer in: MünchKomm-AktG, § 18 Rz. 5; Krieger in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 69 Rz. 84.

§ 19 Wechselseitig beteiligte Unternehmen (1) 1Wechselseitig beteiligte Unternehmen sind Unternehmen mit Sitz im Inland in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft, die dadurch verbunden sind, daß jedem Unternehmen mehr als der vierte Teil der Anteile des anderen Unternehmens gehört. 2 Für die Feststellung, ob einem Unternehmen mehr als der vierte Teil der Anteile des anderen Unternehmens gehört, gilt § 16 Abs. 2 Satz 1, Abs. 4. (2) Gehört einem wechselseitig beteiligten Unternehmen an dem anderen Unternehmen eine Mehrheitsbeteiligung oder kann das eine auf das andere Unternehmen unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluß ausüben, so ist das eine als herrschendes, das andere als abhängiges Unternehmen anzusehen. (3) Gehört jedem der wechselseitig beteiligten Unternehmen an dem anderen Unternehmen eine Mehrheitsbeteiligung oder kann jedes auf das andere unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluß ausüben, so gelten beide Unternehmen als herrschend und als abhängig. (4) § 328 ist auf Unternehmen, die nach Absatz 2 oder 3 herrschende oder abhängige Unternehmen sind, nicht anzuwenden.

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Wechselseitig beteiligte Unternehmen Übersicht I. Bedeutung der Norm ........................ 1 II. Einfache wechselseitige Beteiligung (§ 19 Abs. 1) ............................. 5 III. Einseitige qualifizierte wechselseitige Beteiligung (§ 19 Abs. 2, Abs. 4) .................................................. 10 I.

IV. Beiderseitige qualifizierte wechselseitige Beteiligung (§ 19 Abs. 3, Abs. 4) ......................... 12

Bedeutung der Norm

§ 19 kennt zwei Arten wechselseitiger Beteiligung, die einfache wechselseitige Beteili- 1 gung mit einer Kapitalbeteiligung von über 25 % (Abs. 1) und die qualifizierte wechselseitige Beteiligung mit einseitiger Mehrheitsbeteiligung bzw. Beherrschung (einseitige qualifizierte wechselseitige Beteiligung, § 19 Abs. 2) oder gegenseitiger Mehrheitsbeteiligung bzw. Beherrschung (beiderseitige qualifizierte wechselseitige Beteiligung, § 19 Abs. 3). § 19 verfolgt gemeinsam mit § 328 den Zweck, die einer wechselseitigen Beteiligung imma- 2 nenten Gefahren der Kapitalverwässerung und der sog. Verwaltungsstimmrechte zu entschärfen.1) Kapitalverwässerung entsteht dadurch, dass sich das Vermögen wechselseitig beteiligter Unternehmen zum Teil aus Anteilsrechten zusammensetzt, deren Gegenwert eine mittelbare Beteiligung am eigenen Unternehmen darstellt, d. h. bei wechselseitiger Zeichnung neuer Aktien ein Fall der mittelbaren Übernahme eigener Aktien (vgl. § 56) und bei wechselseitigem Erwerb bestehender Aktien ein Fall des mittelbaren Erwerbs eigener Aktien (vgl. §§ 71 ff.) vorliegt.2) Verwaltungsstimmrechte entstehen dadurch, dass die Vorstände wechselseitig beteiligter Unternehmen in der Hauptversammlung des jeweils anderen Unternehmens die Beschlussergebnisse je nach Höhe der Beteiligung erheblich und ggf. sogar maßgeblich mitbestimmen (insbesondere bei Wahl der Aufsichtsratsmitglieder) und so entgegen der gesellschaftsrechtlichen Kompetenzordnung die Einflussnahme der Anteilseigner unterlaufen und durch eine Art wechselseitig bedingte Verwaltungsherrschaft ersetzen können.3) Zum Begriff des Unternehmens i. S. von § 19 siehe die Ausführungen zu § 15 (siehe hierzu § 15 Rz. 4 und Rz. 16 – „wechselseitig beteiligtes Unternehmen“). Da § 328 mit seinen speziellen Rechtsfolgen (Beschränkung der Mitgliedschaftsrechte, 3 Mitteilungspflichten, siehe hierzu im Detail die Kommentierung zu § 328) zur Entschärfung dieser Gefahren nur auf die Fallgruppe der einfachen wechselseitigen Beteiligung in § 19 Abs. 1 Anwendung findet (vgl. § 19 Abs. 4), kommt nur dieser Fallgruppe praktisch eigenständige Bedeutung zu.4) Grundsätzlich nicht von § 19 erfasst sind ringförmige Beteiligungen.

4

Beispiel: Wenn A an B, B an C und C wiederum an A mit jeweils 26 % beteiligt ist, liegt kein Fall des § 19 vor (anders aber, wenn B im Beispiel von A abhängig ist und A die Anteile von B an C zugerechnet werden, siehe hierzu das Beispiel unter Rz. 8).5) II.

Einfache wechselseitige Beteiligung (§ 19 Abs. 1)

Voraussetzung für eine Anwendung des § 19 Abs. 1 ist die wechselseitige Beteiligung von 5 über 25 % zwischen zwei Kapitalgesellschaften (GmbH, Unternehmergesellschaft [haf_____________ 1) 2) 3) 4) 5)

Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 19 Rz. 1; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 19 Rz. 1. Bayer in: MünchKomm-AktG, § 19 Rz. 2, 5; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 19 Rz. 1. Bayer in: MünchKomm-AktG, § 19 Rz. 6; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 19 Rz. 1. Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 19 Rz. 4. Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 19 Rz. 1; Krieger in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 69 Rz. 98.

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tungsbeschränkt], AG, KGaA) mit Satzungssitz im Inland („Sitz“ i. S. von § 5),6) ohne dass zugleich eine Mehrheitsbeteiligung oder ein Abhängigkeitsverhältnis vorliegt; sonst greift § 19 Abs. 2 bzw. 3.7) Vor-GmbH bzw. Vor-AG8) und Societas Europaea (SE)9) werden ebenfalls erfasst; selbiges muss im Falle ihrer Einführung für die Societas Privata Europaea (SPE) gelten. 6 Kapitalgesellschaften mit Satzungssitz im Ausland scheiden hiernach grundsätzlich ebenso aus wie alle Personengesellschaften.10) 7 Die Berechnung der Beteiligung richtet sich gemäß § 19 Abs. 1 Satz 2 nach § 16 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4. Da § 16 Abs. 3 vom Verweis in § 19 Abs. 1 Satz 2 nicht erfasst ist, bleiben eventuell von der kapitalmäßigen Beteiligung abweichende Stimmrechtsanteile bei der Berechnung nach § 19 Abs. 1 unberücksichtigt.11) Mangels Verweis auf § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 werden bei der Berechnung auch keine eigenen Anteile bzw. diesen gleichstehende Anteile abgezogen.12) 8 Über die Zurechnung in § 16 Abs. 4 können auch i. R. ringförmiger Beteiligungen (mehrfache) wechselseitige Beteiligungen begründet werden: Beispiel: Ist A an B mehrheitlich mit 51 %, B an C und C wiederum an A mit jeweils 26 % beteiligt, dann werden A die Anteile von B an C über § 19 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 16 Abs. 4 zugerechnet, so dass A und C wechselseitig i. S. von § 19 Abs. 1 beteiligt sind (was angesichts des rechtsformneutralen Unternehmensbegriffs in § 16 Abs. 4 auch dann gilt, wenn zwar A und C, nicht aber auch B Kapitalgesellschaft ist. Ist C zusätzlich noch mit 26 % an (Kapitalgesellschaft) B beteiligt, liegen mangels Absorption (zum Thema Absorption siehe § 16 Rz. 17) zwei wechselseitige Beteiligungen i. S. von § 19 Abs. 1 vor (mittelbar über B zwischen A und C und unmittelbar zwischen B und C).13) 9 Für Unternehmen i. S. von § 19 Abs. 1 gelten die Vorschriften für verbundene Unternehmen in § 15, die allgemeinen Mitteilungspflichten in §§ 20 ff. (insbesondere § 20 Abs. 3 und § 21 Abs. 1) bzw. §§ 33 ff. WpHG, § 160 Abs. 1 Nr. 7 (Angabe der wechselseitigen Beteiligung im Anhang des Jahresabschlusses) sowie insbesondere § 328.14) III.

Einseitige qualifizierte wechselseitige Beteiligung (§ 19 Abs. 2, Abs. 4)

10 Eine wechselseitige Beteiligung i. S. von § 19 Abs. 1 stellt gemäß § 19 Abs. 2 dann eine einseitige qualifizierte wechselseitige Beteiligung dar, wenn eine der wechselseitig beteiligten Kapitalgesellschaften mehrheitlich i. S. von § 16 an der anderen beteiligt ist oder unmittelbar bzw. mittelbar einen beherrschenden Einfluss i. S. von § 17 auf diese ausüben kann. Im Gegensatz zu § 19 Abs. 1 Satz 2 bezieht § 19 Abs. 2 den gesamten § 16 ein. _____________ 6) K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 19 Rz. 5; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 19 Rz. 2; Spindler/StilzSchall, AktG, § 19 Rz. 12 (der allerdings §§ 19, 328 auch auf EU-Auslandsgesellschaften anwenden möchte); a. A. Windbichler in: GroßKomm-AktG, § 19 Rz. 14 – die auf den Verwaltungssitz abstellen. 7) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 19 Rz. 3; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 19 Rz. 5 ff. 8) Koppensteiner in: KölnKomm-AktG, § 19 Rz. 13; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 19 Rz. 6. 9) Windbichler in: GroßKomm-AktG, § 19 Rz. 13; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 19 Rz. 6. 10) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 19 Rz. 2; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 19 Rz. 5 ff. 11) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 19 Rz. 3; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 19 Rz. 9. 12) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 19 Rz. 3; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 19 Rz. 9. 13) K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 19 Rz. 10 f.; Krieger in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 69 Rz. 98 – mit zusätzlichem Bsp. zur durchgängigen Abhängigkeit bei ringförmiger Beteiligung und dadurch bedingter wechselseitiger Beteiligung i. S. von § 19 Abs. 3. 14) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 19 Rz. 10; K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 19 Rz. 12.

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Mitteilungspflichten

§ 19 Abs. 2 stellt klar, dass auch solche wechselseitig beteiligten Kapitalgesellschaften in 11 einem Verhältnis i. S. von § 17 Abs. 1 zueinander stehen und begründet eine über § 17 Abs. 2 hinausgehende unwiderlegliche Vermutung der Abhängigkeit bei Mehrheitsbeteiligung i. R. wechselseitiger Beteiligung.15) Nach § 19 Abs. 4 ist § 328 in diesem Fall nicht anwendbar, so dass sich die Rechtsfolgen ausschließlich an denen für herrschende und abhängige Unternehmen orientieren.16) Es gelten insbesondere die §§ 18 Abs. 1 Satz 3, 20 Abs. 4, 21 Abs. 2 – 4, 22, 71b ff., wodurch die Verwaltungsstimmrechte (siehe hierzu Rz. 2) weitgehend ausgeschlossen werden.17) IV.

Beiderseitige qualifizierte wechselseitige Beteiligung (§ 19 Abs. 3, Abs. 4)

Steht nicht nur einer, sondern jeder der wechselseitig beteiligten Kapitalgesellschaften 12 eine Mehrheitsbeteiligung oder die Möglichkeit des beherrschenden Einflusses im Hinblick auf die jeweils andere Kapitalgesellschaft zu, so stellt § 19 Abs. 3 klar, dass § 17 für beide Seiten gleichermaßen gilt, d. h. jede der beiden Gesellschaften herrschendes und zugleich beherrschtes Unternehmen i. S. von § 17 Abs. 1 ist. Im Übrigen gelten die Ausführungen zu Rz. 10 f. _____________ 15) K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 19 Rz. 15; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 19 Rz. 5. 16) K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 19 Rz. 15 f.; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 19 Rz. 5. 17) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 19 Rz. 10.

§ 20 Mitteilungspflichten (1) 1Sobald einem Unternehmen mehr als der vierte Teil der Aktien einer Aktiengesellschaft mit Sitz im Inland gehört, hat es dies der Gesellschaft unverzüglich schriftlich mitzuteilen. 2Für die Feststellung, ob dem Unternehmen mehr als der vierte Teil der Aktien gehört, gilt § 16 Abs. 2 Satz 1, Abs. 4. (2) Für die Mitteilungspflicht nach Absatz 1 rechnen zu den Aktien, die dem Unternehmen gehören, auch Aktien, 1. deren Übereignung das Unternehmen, ein von ihm abhängiges Unternehmen oder ein anderer für Rechnung des Unternehmens oder eines von diesem abhängigen Unternehmens verlangen kann; 2. zu deren Abnahme das Unternehmen, ein von ihm abhängiges Unternehmen oder ein anderer für Rechnung des Unternehmens oder eines von diesem abhängigen Unternehmens verpflichtet ist. (3) Ist das Unternehmen eine Kapitalgesellschaft, so hat es, sobald ihm ohne Hinzurechnung der Aktien nach Absatz 2 mehr als der vierte Teil der Aktien gehört, auch dies der Gesellschaft unverzüglich schriftlich mitzuteilen. (4) Sobald dem Unternehmen eine Mehrheitsbeteiligung (§ 16 Abs. 1) gehört, hat es auch dies der Gesellschaft unverzüglich schriftlich mitzuteilen. (5) Besteht die Beteiligung in der nach Absatz 1, 3 oder 4 mitteilungspflichtigen Höhe nicht mehr, so ist dies der Gesellschaft unverzüglich schriftlich mitzuteilen. (6) 1Die Gesellschaft hat das Bestehen einer Beteiligung, die ihr nach Absatz 1 oder 4 mitgeteilt worden ist, unverzüglich in den Gesellschaftsblättern bekanntzumachen; dabei ist das Unternehmen anzugeben, dem die Beteiligung gehört. 2Wird der Gesell-

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Mitteilungspflichten

§ 19 Abs. 2 stellt klar, dass auch solche wechselseitig beteiligten Kapitalgesellschaften in 11 einem Verhältnis i. S. von § 17 Abs. 1 zueinander stehen und begründet eine über § 17 Abs. 2 hinausgehende unwiderlegliche Vermutung der Abhängigkeit bei Mehrheitsbeteiligung i. R. wechselseitiger Beteiligung.15) Nach § 19 Abs. 4 ist § 328 in diesem Fall nicht anwendbar, so dass sich die Rechtsfolgen ausschließlich an denen für herrschende und abhängige Unternehmen orientieren.16) Es gelten insbesondere die §§ 18 Abs. 1 Satz 3, 20 Abs. 4, 21 Abs. 2 – 4, 22, 71b ff., wodurch die Verwaltungsstimmrechte (siehe hierzu Rz. 2) weitgehend ausgeschlossen werden.17) IV.

Beiderseitige qualifizierte wechselseitige Beteiligung (§ 19 Abs. 3, Abs. 4)

Steht nicht nur einer, sondern jeder der wechselseitig beteiligten Kapitalgesellschaften 12 eine Mehrheitsbeteiligung oder die Möglichkeit des beherrschenden Einflusses im Hinblick auf die jeweils andere Kapitalgesellschaft zu, so stellt § 19 Abs. 3 klar, dass § 17 für beide Seiten gleichermaßen gilt, d. h. jede der beiden Gesellschaften herrschendes und zugleich beherrschtes Unternehmen i. S. von § 17 Abs. 1 ist. Im Übrigen gelten die Ausführungen zu Rz. 10 f. _____________ 15) K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 19 Rz. 15; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 19 Rz. 5. 16) K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 19 Rz. 15 f.; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 19 Rz. 5. 17) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 19 Rz. 10.

§ 20 Mitteilungspflichten (1) 1Sobald einem Unternehmen mehr als der vierte Teil der Aktien einer Aktiengesellschaft mit Sitz im Inland gehört, hat es dies der Gesellschaft unverzüglich schriftlich mitzuteilen. 2Für die Feststellung, ob dem Unternehmen mehr als der vierte Teil der Aktien gehört, gilt § 16 Abs. 2 Satz 1, Abs. 4. (2) Für die Mitteilungspflicht nach Absatz 1 rechnen zu den Aktien, die dem Unternehmen gehören, auch Aktien, 1. deren Übereignung das Unternehmen, ein von ihm abhängiges Unternehmen oder ein anderer für Rechnung des Unternehmens oder eines von diesem abhängigen Unternehmens verlangen kann; 2. zu deren Abnahme das Unternehmen, ein von ihm abhängiges Unternehmen oder ein anderer für Rechnung des Unternehmens oder eines von diesem abhängigen Unternehmens verpflichtet ist. (3) Ist das Unternehmen eine Kapitalgesellschaft, so hat es, sobald ihm ohne Hinzurechnung der Aktien nach Absatz 2 mehr als der vierte Teil der Aktien gehört, auch dies der Gesellschaft unverzüglich schriftlich mitzuteilen. (4) Sobald dem Unternehmen eine Mehrheitsbeteiligung (§ 16 Abs. 1) gehört, hat es auch dies der Gesellschaft unverzüglich schriftlich mitzuteilen. (5) Besteht die Beteiligung in der nach Absatz 1, 3 oder 4 mitteilungspflichtigen Höhe nicht mehr, so ist dies der Gesellschaft unverzüglich schriftlich mitzuteilen. (6) 1Die Gesellschaft hat das Bestehen einer Beteiligung, die ihr nach Absatz 1 oder 4 mitgeteilt worden ist, unverzüglich in den Gesellschaftsblättern bekanntzumachen; dabei ist das Unternehmen anzugeben, dem die Beteiligung gehört. 2Wird der Gesell-

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schaft mitgeteilt, daß die Beteiligung in der nach Absatz 1 oder 4 mitteilungspflichtigen Höhe nicht mehr besteht, so ist auch dies unverzüglich in den Gesellschaftsblättern bekanntzumachen. (7) 1Rechte aus Aktien, die einem nach Absatz 1 oder 4 mitteilungspflichtigen Unternehmen gehören, bestehen für die Zeit, für die das Unternehmen die Mitteilungspflicht nicht erfüllt, weder für das Unternehmen noch für ein von ihm abhängiges Unternehmen oder für einen anderen, der für Rechnung des Unternehmens oder eines von diesem abhängigen Unternehmens handelt. 2Dies gilt nicht für Ansprüche nach § 58 Abs. 4 und § 271, wenn die Mitteilung nicht vorsätzlich unterlassen wurde und nachgeholt worden ist. (8) Die Absätze 1 bis 7 gelten nicht für Aktien eines Emittenten im Sinne des § 33 Absatz 4 des Wertpapierhandelsgesetzes. Literatur: Burgard, Inzidente Mitteilungen gemäß § 20 AktG?, WM 2012, 1937; Irriger/Longrée, Aktienrechtliche Mitteilungspflichten gem. § 20 AktG nach Formwechsel in eine AG, NZG 2013, 1289.

Übersicht I. II. 1. 2. 3.

Bedeutung der Norm ....................... 1 Mitteilungspflichten ........................ 9 Adressaten .......................................... 9 Empfänger ........................................ 13 Rechtsnatur und Ausgestaltung der Mitteilung .................................. 14 III. Fallgruppen ..................................... 20 1. 25 % Beteiligung (§ 20 Abs. 1, Abs. 2) .............................................. 20 2. 25 % Beteiligung (§ 20 Abs. 3) ....... 23 I.

3. 50 % Beteiligung (§ 20 Abs. 4) ........ 25 4. Schwellenunterschreitung (§ 20 Abs. 5) ............................................... 27 IV. Bekanntmachung (§ 20 Abs. 6) ...... 28 V. Rechtsfolgen des § 20 Abs. 7 .......... 29 1. Rechtsverlust (§ 20 Abs. 7 Satz 1) .... 30 2. Ruhen von Rechten (§ 20 Abs. 7 Satz 2) ................................................ 35 3. Dividendenrückstellungen ............... 36 VI. Sonstige Sanktionen ....................... 37

Bedeutung der Norm

1 Sinn und Zweck von § 20 ist es, die Aktionäre und Gläubiger sowie die Öffentlichkeit über geplante und bestehende Konzernverbindungen besser zu unterrichten.1) 2 § 20 verpflichtet Unternehmen, denen eine wesentliche Beteiligung in Aktien an einer Gesellschaft mit Satzungssitz im Inland „gehört“ (§ 20 Abs. 1, 3 und 4) bzw. bei denen eine solche Beteiligung „nicht mehr besteht“ (§ 20 Abs. 5), zu einer entsprechenden Mitteilung gegenüber der Gesellschaft, an der die jeweilige Beteiligung (nicht mehr) besteht. Auf die Art des Erreichens der zur Mitteilungspflicht führenden Schwellenwerte (originär oder derivativ) kommt es nicht an.2) Die zu einer wesentlichen Aktienbeteiligung führenden und somit die Mitteilungspflichten auslösenden Schwellenwerte liegen bei 25 % unter eventueller Hinzurechnung nach § 20 Abs. 2 (Schachtelbeteiligung gemäß § 20 Abs. 1 und ggf. Abs. 2), bei 25 % ohne Hinzurechnung nach § 20 Abs. 2 (Schachtelbeteiligung einer Kapitalgesellschaft gemäß § 20 Abs. 3, bedeutsam für die Feststellung einer wechselseitigen Beteiligung i. S. von § 19) und bei 50 % (Mehrheitsbeteiligung nach § 20 Abs. 4). In jedem dieser drei Fälle ist über § 20 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 16 Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 (bei 25 % Schachtelbeteiligung) bzw. über § 20 Abs. 4 i. V. m. § 16 (bei 50 % Mehrheitsbeteiligung) eine Zurechnung fremder Aktien zu berücksichtigen.3) _____________ 1) 2) 3)

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Begr. zum RegE zu §§ 20, 21 AktG, bei Kropff, AktG, S. 38. Koppensteiner in: KölnKomm-AktG, § 20 Rz. 13; Bürgers/Körber-Schilha, AktG, § 20 Rz. 7. K. Schmidt/Lutter-Veil, AktG, § 20 Rz. 1.

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§ 20

Mitteilungspflichten

Der Unternehmensbegriff in § 20 entspricht demjenigen in § 15 (siehe hierzu auch § 15 3 Rz. 4 ff.).4) Publizitätswirkung erlangt die jeweilige Mitteilung erst durch Bekanntmachung in den 4 Gesellschaftsblättern (§ 20 Abs. 6) sowie durch Ausweisung dieser Bekanntmachung im Anhang des Jahresabschlusses (§ 160 Abs. 1 Nr. 8 i. V. m. § 264 Abs. 1 Satz 1 HGB). Nach § 20 Abs. 7 stehen dem mitteilungspflichtigen Unternehmen die mitgliedschaft- 5 lichen Aktionärsrechte für die Zeit der Verletzung dieser Pflichten nicht zu. § 20 ist insbesondere im Zusammenhang mit §§ 15 – 19 zu sehen, deren tatbestandliche 6 Prüfung die Vorschrift erleichtert5) und die gemeinsam mit §§ 20 ff. den allgemeinen Teil des Konzernrechts bilden.6) Ist neben § 20 zugleich der Tatbestand des § 21 erfüllt, so hat § 20 als strengere Norm 7 Vorrang.7) Eine Konkurrenz zu den engmaschigeren Mitteilungspflichten börsennotierter Gesellschaften gemäß §§ 33 ff. WpHG (Schwellenwerte bei 3 %, 5 %, 10 %, 25 %, 50 % und 75 %) ist nach § 20 Abs. 8 ausgeschlossen. Bei wechselseitiger Beteiligung erweitert der sowohl für börsennotierte als auch für nicht börsennotierte Gesellschaften geltende § 328 Abs. 4 die §§ 20, 21 (siehe hierzu auch § 328).8) Rechtspolitisch wird eine Erweiterung des Anwendungsbereichs von § 20, insbesondere 8 im Hinblick auf die durch den Unternehmensbegriff sowie die Höhe der Schwellenwerte bedingten Beschränkungen diskutiert.9) II.

Mitteilungspflichten

1.

Adressaten

Die Mitteilungspflichten nach § 20 Abs. 1 und 4 (ggf. i. V. m. § 20 Abs. 5) obliegen sämt- 9 lichen Rechtsträgern, welche als (Gründungs-)Aktionäre die Unternehmenseigenschaft i. S. von § 15 erfüllen, u. a. in- und ausländischen Unternehmen ebenso wie natürlichen Personen und auch dem Alleinaktionär.10) Da der Unternehmensbegriff in den § 20 Abs. 1, 2 und 4 demjenigen in § 15 entspricht, 10 fallen all diejenigen Aktionäre aus dem Adressatenkreis raus, die neben ihrer Beteiligung an der Gesellschaft keine anderweitige konzernrelevante wirtschaftliche Interessenbindung haben und somit als privilegierte Privataktionäre anzusehen sind (siehe hierzu auch § 15 Rz. 5).11) Auf die Art der das Erreichen des jeweiligen Schwellenwertes bedingenden Rechtshandlung kommt es nicht an, so dass die Gründung der Empfängergesellschaft (auch mittels Formwechsels; originärer Erwerb) ebenso wie spätere Kapitalerhöhungen (originärer Erwerb) und Anteilsabtretungen (derivativer Erwerb) die Mitteilungspflichten aus_____________ 4) 5) 6) 7)

8) 9) 10) 11)

Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 20 Rz. 2. Bürgers/Körber-Schilha, AktG, § 20 Rz. 1. K. Schmidt/Lutter-Vetter, AktG, § 15 Rz. 7. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 20 Rz. 1; Spindler/Stilz-Petersen, AktG, Vor §§ 20 – 22 Rz. 8; K. Schmidt/ Lutter-Veil, AktG, § 20 Rz. 2; für ein Nebeneinander von §§ 20, 21 Bayer in: MünchKomm-AktG, § 20 Rz. 3; Windbichler in: GroßKomm-AktG, § 20 Rz. 7. Spindler/Stilz-Petersen, AktG, Vor §§ 20 – 22 Rz. 9. Bayer in: MünchKomm-AktG, § 20 Rz. 4 und K. Schmidt/Lutter-Veil, AktG, § 20 Rz. 4 f., jeweils m. w. N. Spindler/Stilz-Petersen, AktG, § 20 Rz. 1; K. Schmidt/Lutter-Veil, AktG, § 20 Rz. 13 f. BGH, Urt. v. 22.4.1991 – II ZR 231/90, NJW 1991, 2765, 2766 f. = ZIP 1991, 719; Hüffer/KochKoch, AktG, § 20 Rz. 2; Spindler/Stilz-Petersen, AktG, § 20 Rz. 1; K. Schmidt/Lutter-Veil, AktG, § 20 Rz. 4, 13.

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Mitteilungspflichten

lösen können.12) Wird die Unternehmenseigenschaft erst im Anschluss an das Erreichen eines der Schwellenwerte, z. B. durch Beteiligungserwerb an einer weiteren Gesellschaft, begründet (siehe hierzu § 15 Rz. 6), entsteht eine Mitteilungspflicht nach § 20 auch ohne Veränderung der Beteiligungsstruktur.13) 11 In Anlehnung an § 19 gilt § 20 Abs. 3 nur für Unternehmen in Form von Kapitalgesellschaften mit Satzungssitz im Inland (siehe zum Begriff „Sitz im Inland“ § 19 Rz. 5).14) 12 Nimmt ein Dritter die Mitteilungspflicht wahr, muss erkennbar sein, dass dieser in Stellvertretung bzw. Auftrag eines bestimmten mitteilungspflichtigen Unternehmens handelt.15) Anderweitige Kenntniserlangung der die Mitteilungspflicht auslösenden Umstände seitens der Gesellschaft befreit nicht von den Mitteilungspflichten des § 20.16) 2.

Empfänger

13 Korrekte Empfänger der Mitteilung sind AG, Vor-AG17) sowie KGaA18) und Societas Europaea (SE),19) an denen eine entsprechende Aktienbeteiligung besteht und die ihren Satzungssitz im Inland haben, jeweils empfangsvertreten durch Vorstand bzw. Komplementär (bei KGaA).20) Bei einem Formwechsel in eine solche Gesellschaftsform gemäß §§ 190 ff. UmwG entstehen die Mitteilungspflichten erst im Zeitpunkt der Eintragung des Formwechsels in das Handelsregister.21) 3.

Rechtsnatur und Ausgestaltung der Mitteilung

14 Mitteilungen i. S. von § 20 sind als rechtsgeschäftsähnliche Handlungen zu qualifizieren, deren Rechtsfolgen nicht durch den Willen des Handelnden, sondern durch das Gesetz bestimmt werden.22) 15 Der Mitteilungspflicht wird nur genügt, wenn die Mitteilung so eindeutig formuliert ist, dass der Empfänger diese ohne korrigierend eingreifen zu müssen bekannt machen und nach Veröffentlichung gemäß § 20 Abs. 6 auch die Öffentlichkeit unzweifelhaft erkennen _____________ 12) Koppensteiner in: KölnKomm-AktG, § 20 Rz. 13; Bürgers/Körber-Schilha, AktG § 20 Rz. 7; zum Fall des Formwechsels: Irriger/Longrée, NZG 2013, 1289 ff. 13) K. Schmidt/Lutter-Veil, AktG, § 20 Rz. 10, 13. 14) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 20 Rz. 5; Spindler/Stilz-Petersen, AktG, § 20 Rz. 3; K. Schmidt/LutterVeil, AktG, § 20 Rz. 26. 15) BGH, Urt. v. 22.4.1991 – II ZR 231/90, NJW 1991, 2765, 2768 = ZIP 1991, 719; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 20 Rz. 8; K. Schmidt/Lutter-Veil, AktG, § 20 Rz. 15; Spindler/Stilz-Petersen, AktG, § 20 Rz. 23. 16) BGH, Urt. v. 24.4.2006 – II ZR 30/05, ZIP 2006, 1134 = NZG 2006, 505, dazu EWiR 2006, 449 (Wilsing/Goslar); BGH, Urt. v. 22.4.1991 – II ZR 231/90, NJW 1991, 2765, 2767 = ZIP 1991, 719; LG Düsseldorf, Urt. v. 26.11.2009 – 32 O 65/09, ZIP 2010, 1129, 1131; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 20 Rz. 5, 8; K. Schmidt/Lutter-Veil, AktG, § 20 Rz. 15; Emmerich/Habersack-Emmerich, Konzernrecht, § 20 AktG Rz. 30; Bayer in: MünchKomm-AktG, § 20 Rz. 10; Krieger in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 69 Rz. 130. 17) K. Schmidt/Lutter-Veil, AktG, § 20 Rz. 17; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 20 Rz. 2; a. A. Windbichler in: GroßKomm-AktG, § 20 Rz. 19. 18) K. Schmidt/Lutter-Veil, AktG, § 20 Rz. 17; Spindler/Stilz-Petersen, AktG, § 20 Rz. 6; Hüffer/KochKoch, AktG, § 20 Rz. 2. 19) K. Schmidt/Lutter-Veil, AktG, § 20 Rz. 17; Spindler/Stilz-Petersen, AktG, § 20 Rz. 6. 20) K. Schmidt/Lutter-Veil, AktG, § 20 Rz. 17; Windbichler in: GroßKomm-AktG, § 20 Rz. 40. 21) K. Schmidt/Lutter-Veil, AktG, § 20 Rz. 17; Windbichler in: GroßKomm-AktG, § 20 Rz. 19; LG Düsseldorf, Urt. v. 26.11.2009 – 32 O 85/09, BeckRS 2010, 13983 und hierzu: Irriger/Langrée, NZG 2013, 1289 ff. 22) OLG München, Beschl. v. 12.4.2012 – 7 U 5101/11, BeckRS 2012, 12690; K. Schmidt/Lutter-Veil, AktG, § 20 Rz. 8; Emmerich/Habersack-Emmerich, Konzernrecht, § 20 AktG Rz. 30; Burgard, WM 2012, 1937, 1940.

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Mitteilungspflichten

kann, welche Art der Beteiligung i. S. von § 20 gemeint ist und wem diese zuzuordnen ist.23) Daher muss aus der Mitteilung (mindestens) zweifelsfrei hervorgehen, ob und von wem die Schwelle einer 25 % Beteiligung gemäß § 20 Abs. 1 (ggf. i. V. m. Abs. 2) oder gemäß § 20 Abs. 3 bzw. diejenige einer 50 % Beteiligung gemäß § 20 Abs. 4 überschritten worden ist.24) Hinzuweisen ist auch darauf, dass ggf. mehrere Mitteilungspflichten gleichzeitig erfüllt werden, z. B. diejenigen nach § 20 Abs. 1 und 3 (denkbar, wenn für § 20 Abs. 1 keine Zurechnung über § 20 Abs. 2 notwendig ist; siehe hierzu auch Rz. 24)25) oder nach § 20 Abs. 1 und 4 (wenn eine Stimmenmehrheitsbeteiligung gemäß § 20 Abs. 4 i. V. m. § 16 Abs. 3 vorliegt, die keine kapitalmäßige Mehrheitsbeteiligung von über 50 % i. S. von § 20 Abs. 4 i. V. m. § 16 Abs. 2, wohl aber eine solche von über 25 % i. S. von § 20 Abs. 1 darstellt; siehe hierzu auch Rz. 26).26) Auch bei einer Schwellenunterschreitung nach § 20 Abs. 5 muss aus der Mitteilung (mindestens) zweifelsfrei die jeweils unterschrittene Fallgruppe hervorgehen, wobei auf die vorangegangene(n) Mitteilung(en) nach § 20 Abs. 1 (ggf. i. V. m. Abs. 2), 3 oder 4 verwiesen werden kann.27) Hinweise zur genauen Höhe der Beteiligung oder darauf, ob eine Zurechnung nach § 20 16 Abs. 2 oder § 16 Abs. 4 erfolgt ist, sind grundsätzlich nicht erforderlich.28) Etwas anderes gilt nur, wenn aufgrund eines Zurechnungstatbestands und mangels Absorption mehrere Unternehmen mitteilungspflichtig sind (siehe hierzu auch Rz. 22).29) Umstritten ist, ob und wenn ja, in welcher Detailtiefe, die Mitteilung einen expliziten 17 Verweis auf die jeweilige Rechtsgrundlage in § 20 enthalten muss. Die überwiegende Auffassung hält eine explizite Inbezugnahme zwar für wünschenswert, lehnt eine entsprechende Rechtspflicht aber grundsätzlich ab.30) Gegen eine solche Pflicht spricht der Wortlaut in § 20 Abs. 1 und 3 bis 5, der lediglich eine „unverzügliche schriftliche Mitteilung“ verlangt. Ein Hinweis auf die Rechtsgrundlage soll ausnahmsweise erforderlich sein, wenn nur so eine zweifelsfreie Zuordnung zu einer bzw. mehreren der Fallgruppen möglich ist.31) Zu berücksichtigen ist jedoch, dass mit dem grundsätzlichen Verzicht auf eine eindeutige Inbezugnahme der die Mitteilungspflicht auslösenden Rechtsgrundlage in § 20 eine kaum hinnehmbare Rechtsunsicherheit verbunden ist. So erkennt die Rechtsprechung teilweise selbst Ausführungen über die entsprechenden Schwellenwerte als Mitteilungen i. S. von § 20 an, die inzident oder „en passent“ in einem an die AG gerichteten Schreiben enthalten sind, obwohl das Schreiben inhaltlich ein völlig anderes Anliegen

_____________ 23) BGH, Urt. v. 22.4.1991 – II ZR 231/90, NJW 1991, 2765, 2767 = ZIP 1991, 719; K. Schmidt/LutterVeil, AktG, § 20 Rz. 8; Spindler/Stilz-Petersen, AktG, § 20 Rz. 24 f.; Krieger in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 69 Rz. 127. 24) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 20 Rz. 8; Hölters-Hirschmann, AktG, § 20 Rz. 10; Emmerich/HabersackEmmerich, Konzernrecht, § 20 AktG Rz. 33. 25) K. Schmidt/Lutter-Veil, AktG, § 20 Rz. 8; Bayer in: MünchKomm-AktG, § 20 Rz. 27 – eingehend zum Verhältnis von § 20 Abs. 1 und 3; a. A. wohl Krieger in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 69 Rz. 128. 26) BGH, Urt. v. 22.4.1991 – II ZR 231/90, NJW 1991, 2765, 2767 = ZIP 1991, 719; Krieger in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 69 Rz. 129. 27) K. Schmidt/Lutter-Veil, AktG, § 20 Rz. 8; Windbichler in: GroßKomm-AktG, § 20 Rz. 44, 39. 28) Bayer in: MünchKomm-AktG, § 20 Rz. 31; K. Schmidt/Lutter-Veil, AktG, § 20 Rz. 9. 29) Bayer in: MünchKomm-AktG, § 20 Rz. 34; Krieger in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 69 Rz. 128. 30) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 20 Rz. 8 (grds. nur „zweckmäßig“); Spindler/Stilz-Petersen, AktG, § 20 Rz. 25 („nicht zwingend erforderlich“); Krieger in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 69 Rz. 125 („zweckmäßigerweise“); Windbichler in: GroßKomm-AktG, § 20 Rz. 44 („hilfreich“); Hölters-Hirschmann, AktG, § 20 Rz. 10 („die einschlägigen Normen müssen dabei nicht zitiert werden“); Bürgers/Körber-Schilha, AktG, § 20 Rz. 21 („zweckmäßig“, „ratsam“). 31) Burgard, WM 2012, 1937, 1939.

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Mitteilungspflichten

verfolgt, ein Wille des Absenders zur Erfüllung der Mitteilungspflichten gemäß § 20 nicht erkennbar ist und diesem folglich eher zufällig entsprechen wird.32) 18 Eine derartige Aufweichung der inhaltlichen Anforderungen an Mitteilungen i. S. von § 20 vereitelt dessen Zweck, da die Empfänger mangels eindeutiger Erkennbarkeit ihrer Veröffentlichungspflicht nach § 20 Abs. 7 dieser entweder gar nicht nachkommen oder angesichts der Unsicherheit zukünftig auch etliche fehlerhafte Mitteilungen veröffentlichen werden. Auslegungsfragen im Hinblick auf derartige Mitteilungen müssen aber stets zulasten des Erklärenden gehen.33) Aus diesen Gründen ist nach hier vertretener Ansicht die explizite Nennung der jeweiligen Rechtsgrundlage (§ 20 Abs. 1, Abs. 3 und/oder 4) i. S. der Rechtssicherheit als inhaltliche Wirksamkeitsvoraussetzung für eine ordnungsgemäße Mitteilung nach § 20 anzuerkennen. Der Gesetzgeber sollte hier für entsprechende Klarheit sorgen. 19 Die jeweilige Mitteilung hat unverzüglich, d. h. ohne schuldhaftes Zögern i. S. von § 121 BGB, und schriftlich i. S. von § 126 BGB oder § 126a BGB zu erfolgen (vgl. § 20 Abs. 1, 3, 4 und 5) und ist auch bereits bei Gründung34) der Gesellschaft und nicht erst bei späterer Anteilsveränderung durchzuführen. III.

Fallgruppen

1.

25 % Beteiligung (§ 20 Abs. 1, Abs. 2)

20 Die Meldepflicht nach § 20 Abs. 1 entsteht, sobald einem Unternehmen über 25 % („mehr als der vierte Teil“) der Aktien gehört. Angesichts der Beschränkung des Verweises in § 20 Abs. 1 Satz 2 auf § 16 Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 ist nur die kapitalmäßige Anteilsinhaberschaft entscheidend für die Berechnung der Beteiligung. Eine von dieser abweichende Stimmrechtsverteilung bleibt unberücksichtigt, so dass z. B. auch Unternehmen, deren Beteiligung von über 25 % ausschließlich in Form stimmrechtsloser Vorzugsaktien besteht, nach § 20 Abs. 1 mitteilungspflichtig sind.35) Im Hinblick auf die genaue Berechnung nach § 16 Abs. 2 Satz 1 (ggf. i. V. m. Abs. 4) kann auf die entsprechenden Ausführungen zu § 16 verwiesen werden (siehe hierzu § 16 Rz. 3 ff., 17 ff.). Ein Abzug nach § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 findet mangels entsprechenden Verweises in § 20 Abs. 1 nicht statt.36) 21 Zwei spezielle Tatbestände der Zurechnung sieht § 20 Abs. 2 für Situationen vor, in denen dem Unternehmen selbst noch nicht über 25 % der Anteile gehören, aber bereits eine anwartschaftsähnliche Rechtsposition existiert, aufgrund derer das Unternehmen selbst, ein von ihm abhängiges Unternehmen, ein anderer für Rechnung des Unternehmens (siehe zum Begriff „für Rechnung“ unter § 16 Rz. 18) oder ein von diesem abhängigen Unternehmen die Übereignung entsprechender Anteile verlangen kann (§ 20 Abs. 2 Nr. 1) oder zu deren Abnahme verpflichtet ist (§ 20 Abs. 2 Nr. 2). Für § 20 Abs. 2 Nr. 1 genügt der Abschluss eines entsprechenden Kausalgeschäfts (z. B. Kaufvertrag), bei einem unwiderruflichen Angebot oder einer Option (z. B. Call Option) ist § 20 Abs. 2 Nr. 1 _____________ 32) LG Hamburg, Urt. v. 8.6.1995 – 405 O 203/94, WM 1996, 168, 169 f. (Antrag auf Einberufung der Hauptversammlung gemäß § 122); OLG München, Beschl. v. 6.7.2011 – 7 AktG 1/11, ZIP 2011, 2199, 2201 f. (Squeeze-Out Verlangen nach § 327a); OLG München, Beschl. v. 28.7.2010 – 7 AktG 2/10, WM 2010, 1859, 1860 f. = ZIP 2011, 1147 – Eintragungs- und Auskunftsverlangen nach § 67; dem folgend wohl auch Grigoleit-Rachlitz, AktG, § 20 Rz. 17; a. A. Burgard, WM 2012, 1937. 33) So auch Burgard, WM 2012, 1937, 1941. 34) BGH, Urt. v. 24.4.2006 – II ZR 30/05, NZG 2006, 505, 506 = ZIP 2006, 1134; K. Schmidt/LutterVeil, AktG, § 20 Rz. 11, 17; Spindler/Stilz-Petersen, AktG, § 20 Rz. 2. 35) K. Schmidt/Lutter-Veil, AktG, § 20 Rz. 19; Spindler/Stilz-Petersen, AktG, § 20 Rz. 7. 36) K. Schmidt/Lutter-Veil, AktG, § 20 Rz. 20; Spindler/Stilz-Petersen, AktG, § 20 Rz. 7.

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Mitteilungspflichten

nach überwiegender Ansicht analog anwendbar.37) Nicht erfasst werden Positionen, die unter einer Bedingung stehen, deren Eintritt nicht allein von der jeweils betroffenen Person (das Unternehmen bzw. der Dritte) herbeigeführt werden kann.38) Beispiel für § 20 Abs. 2 Nr. 2 ist das unechte Pensionsgeschäft in § 340b Abs. 3 HGB.39) § 20 Abs. 2 dient der Vermeidung einer Umgehung der Meldepflichten und findet auch dann Anwendung, wenn dem Zurechnungsempfänger kein einziger Anteil gehört, d. h. sich die Zuordnung der Anteile allein auf § 20 Abs. 2 stützt.40) Sowohl eine Zurechnung nach § 16 Abs. 4 als auch eine solche nach § 20 Abs. 2 können 22 mangels Absorption der zugerechneten Anteile eine Mitteilungspflicht bei mehreren Unternehmen begründen.41) 2.

25 % Beteiligung (§ 20 Abs. 3)

Da sie der Aufdeckung wechselseitiger Beteiligungen i. S. von §§ 19, 328 dient und 23 solche grundsätzlich nur zwischen Kapitalgesellschaften mit Satzungssitz im Inland bestehen können, gilt die Mitteilungspflicht in § 20 Abs. 3 ebenfalls nur für Kapitalgesellschaften mit Satzungssitz im Inland (siehe zum Begriff „Sitz im Inland“ § 19 Rz. 5).42) Die Berechnung erfolgt nach § 16 Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 ohne Hinzurechnung nach § 20 Abs. 2, eine Bekanntmachung nach § 20 Abs. 6 erfolgt nicht (siehe hierzu auch Rz. 28), da die Aufdeckung wechselseitiger Beteiligungen nur im Interesse der an einer solchen beteiligten Kapitalgesellschaften, insbesondere im Hinblick auf die Rechtsfolgen des § 328, erfolgt.43) Aus § 328 Abs. 4 resultiert sodann eine gegenseitige Mitteilungspflicht für jegliche Veränderung i. R. der wechselseitigen Beteiligung (siehe hierzu ausführlich § 328). Sollte neben § 20 Abs. 3 zugleich ein Fall des § 20 Abs. 1 vorliegen, so können beide 24 Mitteilungspflichten in einer entsprechend zu gestaltenden einheitlichen Mitteilung erfüllt werden. Liegt hingegen zwischen der tatbestandlichen Erfüllung des § 20 Abs. 1 und derjenigen des § 20 Abs. 3 eine zeitliche Zäsur, so sind beide Mitteilungspflichten getrennt zu erfüllen.44) Wurde die zeitlich früher entstehende Pflicht versäumt, kann diese allerdings gemeinsam mit der später entstehenden nachgeholt werden. 3.

50 % Beteiligung (§ 20 Abs. 4)

Sobald eine Mehrheitsbeteiligung nach § 16 Abs. 1 besteht, ist auch diese der von einer 25 solchen Beteiligung betroffenen Gesellschaft mitzuteilen (vgl. § 20 Abs. 4). Da an eine solche Beteiligung über § 17 Abs. 2 regelmäßig die besonderen konzernrechtlichen Folgen der §§ 311 ff. anknüpfen, erfasst der Verweis in § 20 Abs. 4, anders als derjenige in § 20 Abs. 1, den gesamten § 16 (Kapital- oder Stimmenmehrheit von über 50 %), d. h. auch § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 sowie Abs. 3, eine Hinzurechnung nach § 20 Abs. 2 findet hingegen nicht statt (siehe zur genauen Berechnung § 16 Rz. 3 ff.).45) § 16 Abs. 2 – 4 konkretisieren

_____________ 37) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 20 Rz. 4; K. Schmidt/Lutter-Veil, AktG, § 20 Rz. 24; Spindler/StilzPetersen, AktG, § 20 Rz. 11. 38) Bürgers/Körber-Schilha, AktG, § 20 Rz. 11; Spindler/Stilz-Petersen, AktG, § 20 Rz. 11. 39) K. Schmidt/Lutter-Veil, AktG, § 20 Rz. 25; Spindler/Stilz-Petersen, AktG, § 20 Rz. 13. 40) Spindler/Stilz-Petersen, AktG, § 20 Rz. 10, 14; Krieger in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 69 Rz. 121. 41) Spindler/Stilz-Petersen, AktG, § 20 Rz. 15 Krieger in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 69 Rz. 121. 42) Spindler/Stilz-Petersen, AktG, § 20 Rz. 16; K. Schmidt/Lutter-Veil, AktG, § 20 Rz. 26. 43) Spindler/Stilz-Petersen, AktG, § 20 Rz. 16 f.; K. Schmidt/Lutter-Veil, AktG, § 20 Rz. 26, 32. 44) K. Schmidt/Lutter-Veil, AktG, § 20 Rz. 27; Windbichler in: GroßKomm-AktG, § 29 Rz. 35. 45) K. Schmidt/Lutter-Veil, AktG, § 20 Rz. 29; Spindler/Stilz-Petersen, AktG, § 20 Rz. 18.

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Mitteilungspflichten

lediglich die Vorschrift des § 16 Abs. 1 und sind daher von dem Verweis auf § 16 Abs. 1 ebenfalls erfasst.46) 26 Auch eine gleichzeitige Erfüllung der Tatbestände des § 20 Abs. 4 und des § 20 Abs. 1 ist denkbar, wenn z. B. (teilweise) stimmrechtslose Vorzugsaktien oder Mehrstimmrechtsaktien existieren und dazu führen, dass im Einzelfall eine kapitalmäßige Beteiligung von über 25 % (aber unter 50 %) und gleichzeitig eine Stimmenmehrheit von über 50 % vorliegt.47) Auch in diesem Fall ist eine entsprechend zu gestaltende einheitliche Mitteilung denkbar. Im Falle einer zeitlichen Zäsur gelten die Ausführungen unter Rz. 24 entsprechend. 4.

Schwellenunterschreitung (§ 20 Abs. 5)

27 § 20 Abs. 5 sieht eine weitere Mitteilungspflicht vor, wenn eine der in den § 20 Abs. 1, 3 oder 4 genannten mitteilungspflichtigen Schwellen unterschritten wird. Die Pflicht gilt grundsätzlich, wenn (eine) vorangegangene Mitteilung(en) nach § 20 Abs. 1 (ggf. i. V. m. Abs. 2), 3 oder 4 vorgenommen wurde(n), wobei auf diese Mitteilung(en) verwiesen werden kann. Sie gilt aber nach umstrittener Ansicht auch dann, wenn die früher entstandene Pflicht nach § 20 Abs. 1 (ggf. i. V. m. Abs. 2), 3 oder 4 nicht erfüllt wurde, da die Öffentlichkeit auch in diesem Fall ein Interesse daran hat, die Entwicklung der Machtverhältnisse in der betroffenen Gesellschaft nachvollziehen zu können, und es rechtspolitisch bedenklich ist, ein vorangegangenes pflichtwidriges Unterlassen im Bereich des § 20 Abs. 5 zu privilegieren.48) Eine Unterschreitung der Beteiligungsschwelle in § 20 Abs. 3 ist nicht gemäß § 20 Abs. 6 bekannt zu machen (siehe hierzu auch Rz. 28).49) IV.

Bekanntmachung (§ 20 Abs. 6)

28 Die jeweilige Gesellschaft hat das Bestehen einer ihr gemäß § 20 Abs. 1 oder 4 (nicht gemäß § 20 Abs. 3 bzw. Abs. 5 i. V. m. Absatz 3, siehe hierzu auch Rz. 24 bzw. Rz. 27)50) mitgeteilten Beteiligung unverzüglich in den Gesellschaftsblättern (mindestens im elektronischen Bundesanzeiger, vgl. § 25)51) bekannt zu machen, vgl. § 20 Abs. 6. Die Pflicht nach § 20 Abs. 6 entsteht nur im Fall einer ordnungsgemäß erfolgten und der Gesellschaft zuvor schriftlich zugegangenen Mitteilung.52) Die Gesellschaft ist grundsätzlich nicht gehindert bei anderweitiger Kenntniserlangung freiwillig eine entsprechende Veröffentlichung vorzunehmen,53) eine solche kann allerdings nicht dazu führen, dass eine ordnungsgemäß erfolgte Mitteilung fingiert und der Rechtsverlust gemäß § 20 Abs. 7 in Folge dessen beendet wird.54) Inhaltlich fordert § 20 Abs. 6 Satz 1 Halbs. 2 seinem Wortlaut nach lediglich die Angabe des von der Beteiligung betroffenen Unternehmens, nicht hingegen konkrete _____________ 46) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 20 Rz. 6; K. Schmidt/Lutter-Veil, AktG, § 20 Rz. 29. 47) BGH, Urt. v. 22.4.1991 – II ZR 231/90, NJW 1991, 2765, 2767 = ZIP 1991, 719; Krieger in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 69 Rz. 129. 48) LG München II, Urt. v. 14.8.2006 – 9 O 4357/06, BeckRS 2006, 13195; Bayer in: MünchKomm-AktG, § 20 Rz. 26; K. Schmidt/Lutter-Veil, AktG, § 20 Rz. 31; Spindler/Stilz-Petersen, AktG, § 20 Rz. 20; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 20 Rz. 7 (anders noch in früherer Aufl.); a. A. Koppensteiner in: KölnKommAktG, § 20 Rz. 21; Henssler/Strohn-Kessler/Maier-Reimer, GesR, § 20 AktG Rz. 7. 49) K. Schmidt/Lutter-Veil, AktG, § 20 Rz. 32. 50) K. Schmidt/Lutter-Veil, AktG, § 20 Rz. 32. 51) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 20 Rz. 9. 52) BGH, Urt. v. 22.4.1991 – II ZR 231/90, NJW 1991, 2765, 2767 = ZIP 1991, 719; OLG Dresden, Urt. v. 11.1.2005 – 2 U 1728/04 (Mitteldeutsche Leasing AG), ZIP 2005, 573, dazu EWiR 2005, 369 (Theusinger/ Klein); Spindler/Stilz-Petersen, AktG, § 20 Rz. 29; Bürgers/Körber-Schilha, AktG, § 20 Rz. 23. 53) Spindler/Stilz-Petersen, AktG, § 20 Rz. 29; Krieger in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 69 Rz. 132. 54) So zu Recht Bürgers/Körber-Schilha, AktG, § 20 Rz. 23; Spindler/Stilz-Petersen, AktG, § 20 Rz. 29.

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Mitteilungspflichten

Angaben zu Höhe oder Art und Weise einer eventuellen Zurechnung. In der Literatur wird hingegen teilweise gefordert, dass zusätzlich Angaben über eine eventuelle Zurechnung zu machen sind.55) Dem ist nur insofern zu folgen, als dass auch die zugrunde liegende Mitteilungspflicht entsprechende Angaben umfassen muss (nur bei angesichts der Zurechnung entstehender mehrfacher Beteiligung, siehe hierzu Rz. 16), da an die Bekanntmachungspflicht keine höheren Anforderungen als an die Mitteilungspflicht gestellt werden sollten. V.

Rechtsfolgen des § 20 Abs. 7

Gemäß § 20 Abs. 7 Satz 1 führt ein Verstoß gegen die Mitteilungspflichten aus § 20 Abs. 1 29 oder 4 (nicht hingegen ein Verstoß gegen Absatz 3, 5 oder 6)56) zum Verlust der Rechte aus den Aktien, die dem mitteilungspflichtigen Unternehmen gehören bzw. diesem über § 16 Abs. 4 zugerechnet werden (nicht hingegen aus Aktien, die nach § 20 Abs. 2 hinzugerechnet werden).57) § 20 Abs. 7 enthält folgende drei Aussagen: –

Die aktienrechtlichen Mitgliedschaftsrechte bestehen grundsätzlich für den Zeitraum eines (verschuldensabhängigen) Verstoßes gegen § 20 Abs. 1 oder 4 nicht (zeitweiliger Rechtsverlust);



hiervon ausgenommen sind Gewinnbeteiligungsrechte gemäß § 58 Abs. 4 sowie Liquidationsbeteiligungsrechte gemäß § 271, die lediglich zeitweilig ruhen, nicht aber verloren sind, es sei denn, der (verschuldensabhängige) Verstoß basiert auf Vorsatz; und



dem mitteilungspflichtigen Unternehmen stehen die ihm über § 16 Abs. 4 zuzurechnenden Rechtsträger („… weder für das Unternehmen, noch für ein von ihm abhängiges Unternehmen oder für einen anderen, der für Rechnung des Unternehmens oder eines von diesem anhängigen Unternehmens handelt.“) bzgl. der von § 20 Abs. 7 angeordneten Rechtsfolgen gleich.58)

1.

Rechtsverlust (§ 20 Abs. 7 Satz 1)

Im Hinblick auf die mitgliedschaftlichen Rechte ordnet § 20 Abs. 7 Satz 1 grundsätzlich 30 sowohl für die Verwaltungs- als auch für die Vermögensrechte einen endgültigen Rechtsverlust für Gegenwart und Vergangenheit an, der erst im Zeitpunkt der Nachholung der jeweiligen Mitteilungspflicht gemäß § 20 Abs. 1 oder 4 ex nunc endet (zeitweiliger Rechtsverlust).59) Über den Wortlaut des § 20 Abs. 7 Satz 1 hinaus wird als zusätzliches Tatbestandsmerkmal überwiegend vermutetes Verschulden auf Seiten des mitteilungspflichtigen Unternehmens gefordert.60) Zu den Verwaltungsrechten zählen u. a. –

das Stimmrecht,



das Recht auf Teilnahme an der Hauptversammlung,

31

_____________ 55) Bayer in: MünchKomm-AktG, § 20 Rz. 36; Koppensteiner in: KölnKomm-AktG, § 20 Rz. 43; a. A. K. Schmidt/Lutter-Veil, AktG, § 20 Rz. 34. 56) OLG Stuttgart, Beschl. v. 21.12.2012 – 20 AktG 1/12, ZIP 2013, 170 = BeckRS 2013, 00660, dazu EWiR 2013, 263 (Nikoleyczik/Gublitz); Spindler/Stilz-Petersen, AktG, § 20 Rz. 34; Bürgers/KörberSchilha, AktG, § 20 Rz. 27; Bayer in: MünchKomm-AktG, § 20 Rz. 41. 57) Spindler/Stilz-Petersen, AktG, § 20 Rz. 42. 58) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 20 Rz. 10. 59) K. Schmidt/Lutter-Veil, AktG, § 20 Rz. 36. 60) K. Schmidt/Lutter-Veil, AktG, § 20 Rz. 43; Spindler/Stilz-Petersen, AktG, § 20 Rz. 37; Bayer in: MünchKomm-AktG, § 20 Rz. 49; Henssler/Strohn-Kessler/Maier-Reimer, GesR, § 20 AktG Rz. 13; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 20 Rz. 11 (differenzierend noch in früherer Aufl.).

Alexander Franz

117

§ 20

Mitteilungspflichten



das Auskunftsrecht,



das aktive Wahlrecht zum Aufsichtsrat sowie



die verschiedenen Schutzrechte in Form der Klagerechte und der Minderheitenrechte (zur Ausgestaltung dieser Rechte im Einzelnen siehe unter § 11 Rz. 11).

32 Zu den Vermögensrechten zählen insbesondere die jedem Aktionär grundsätzlich anteilig im Verhältnis zu seiner Beteiligung am Grundkapital zustehenden –

Gewinnbeteiligungsrechte,



Liquidationsbeteiligungsrechte und



Bezugsrechte auf neue Aktien (zur Ausgestaltung dieser Rechte im Einzelnen siehe unter § 11 Rz. 7).

33 Vom Rechtsverlust nicht erfasst sind –

die Mitgliedschaft als solche,



das Recht zum Bezug von Aktien bei einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln (§ 212) und



das Recht auf Entgelt bei Einziehung von Aktien (§ 237).61)

34 Mit Ausnahme der Gewinnbeteiligungsrechte gemäß § 58 Abs. 4 sowie der Liquidationsbeteiligungsrechte gemäß § 271 gilt der normale Verschuldensmaßstab des § 276 Abs. 2 BGB, so dass einfache Fahrlässigkeit ausreicht, um die Rechtsfolge eines (zeitweiligen) vergangenheitsbezogenen Rechtsverlusts auszulösen. Hinsichtlich der Rechte aus §§ 58 Abs. 4, 271 fordert § 20 Abs. 7 Satz 2 hierfür hingegen einen vorsätzlichen Verstoß. 2.

Ruhen von Rechten (§ 20 Abs. 7 Satz 2)

35 Liegt kein Vorsatz, sondern lediglich einfache oder grobe Fahrlässigkeit vor, so sind die Rechte aus §§ 58 Abs. 4, 271 anders zu behandeln als die übrigen Mitgliedschaftsrechte, d. h. sie gehen nicht für die Vergangenheit verloren, sondern ruhen lediglich bis zum Zeitpunkt der ordnungsgemäßen Nachholung der bislang unterlassenen Mitteilung.62) 3.

Dividendenrückstellungen

36 Bis zur Nachholung der Mitteilung ist der Vorstand gehalten, aus den Dividenden zunächst eine entsprechende Rückstellung für säumige Aktionäre zu bilden.63) Diese Rückstellung kann erst dann aufgelöst werden, wenn die Mitteilung ordnungsgemäß nachgeholt wurde und feststeht, ob diese vorsätzlich (und die Rückstellung auf die anderen Aktionäre verteilt werden muss) oder nur fahrlässig (und die Rückstellung an den jeweiligen säumigen Aktionär ausgeschüttet werden muss) versäumt worden ist.64) Im Rahmen der Feststellung ist ggf. ein entsprechendes Gutachten in Auftrag zu geben. VI.

Sonstige Sanktionen

37 Im Falle der unzulässigen Rechtsausübung trotz eines durch § 20 Abs. 7 angeordneten Rechtsverlusts ist ein Hauptversammlungsbeschluss unter zu Unrecht berücksichtigter Stimmabgabe gemäß § 243 Abs. 1 anfechtbar, zu Unrecht gewährte Dividenden oder _____________ 61) 62) 63) 64)

118

Spindler/Stilz-Petersen, AktG, § 20 Rz. 44; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 20 Rz. 11, 15 f. K. Schmidt/Lutter-Veil, AktG, § 20 Rz. 41; Spindler/Stilz-Petersen, AktG, § 20 Rz. 52. K. Schmidt/Lutter-Veil, AktG, § 20 Rz. 42. K. Schmidt/Lutter-Veil, AktG, § 20 Rz. 42.

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§ 21

Mitteilungspflichten der Gesellschaft

ausgeübte Bezugsrechte sind gemäß § 62 zu erstatten bzw. zu kompensieren.65) Gegebenenfalls liegt eine Ordnungswidrigkeit nach § 405 Abs. 3 Nr. 5 vor; diskutiert wird auch die Frage nach einer gegenüber anderen Aktionären oder Dritten bestehenden Schadensersatzpflicht des Mitteilungspflichtigen.66) Im Falle einer unterlassenen Bekanntmachung gemäß § 20 Abs. 6 kommen Schadens- 38 ersatzansprüche der Aktionäre und Dritter gegenüber der Gesellschaft gemäß § 823 Abs. 2 und solche der Gesellschaft gegenüber ihrem Vorstand gemäß § 93 Abs. 2 in Betracht.67) _____________ 65) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 20 Rz. 17; K. Schmidt/Lutter-Veil, AktG, § 20 Rz. 44. 66) S. hierzu Bayer in: MünchKomm-AktG, § 20 Rz. 85; K. Schmidt/Lutter-Veil, AktG, § 20 Rz. 45. 67) Bayer in: MünchKomm-AktG, § 20 Rz. 85; K. Schmidt/Lutter-Veil, AktG, § 20 Rz. 47.

§ 21 Mitteilungspflichten der Gesellschaft (1) 1Sobald der Gesellschaft mehr als der vierte Teil der Anteile einer anderen Kapitalgesellschaft mit Sitz im Inland gehört, hat sie dies dem Unternehmen, an dem die Beteiligung besteht, unverzüglich schriftlich mitzuteilen. 2Für die Feststellung, ob der Gesellschaft mehr als der vierte Teil der Anteile gehört, gilt § 16 Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 sinngemäß. (2) Sobald der Gesellschaft eine Mehrheitsbeteiligung (§ 16 Abs. 1) an einem anderen Unternehmen gehört, hat sie dies dem Unternehmen, an dem die Mehrheitsbeteiligung besteht, unverzüglich schriftlich mitzuteilen. (3) Besteht die Beteiligung in der nach Absatz 1 oder 2 mitteilungspflichtigen Höhe nicht mehr, hat die Gesellschaft dies dem anderen Unternehmen unverzüglich schriftlich mitzuteilen. (4) 1Rechte aus Anteilen, die einer nach Absatz 1 oder 2 mitteilungspflichtigen Gesellschaft gehören, bestehen nicht für die Zeit, für die sie die Mitteilungspflicht nicht erfüllt. 2§ 20 Abs. 7 Satz 2 gilt entsprechend. (5) Die Absätze 1 bis 4 gelten nicht für Aktien eines Emittenten im Sinne des § 33 Absatz 4 des Wertpapierhandelsgesetzes. Literatur: Grimm/Wenzel, Praxisrelevante Probleme der Mitteilungspflichten nach § 21 AktG, AG 2012, 274; Leitzen, Mitteilungspflichten nach § 21 AktG und die notarielle Praxis im Gesellschaftsrecht, MittBayNot 2012, 183.

Übersicht I. II. 1. 2. I.

Bedeutung der Norm ........................ 1 Fallgruppen ........................................ 6 25 % Beteiligung (§ 21 Abs. 1) .......... 6 50 % Beteiligung (§ 21 Abs. 2) .......... 8

3. Schwellenunterschreitung (§ 21 Abs. 3) ....................................... 9 III. Rechtsfolgen des § 21 Abs. 4 .......... 10

Bedeutung der Norm

Die Norm behandelt den umgekehrten Fall des § 20 und regelt somit Mitteilungspflichten 1 einer Gesellschaft bei wesentlicher Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft (§ 21 Abs. 1)

Alexander Franz

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§ 21

Mitteilungspflichten der Gesellschaft

ausgeübte Bezugsrechte sind gemäß § 62 zu erstatten bzw. zu kompensieren.65) Gegebenenfalls liegt eine Ordnungswidrigkeit nach § 405 Abs. 3 Nr. 5 vor; diskutiert wird auch die Frage nach einer gegenüber anderen Aktionären oder Dritten bestehenden Schadensersatzpflicht des Mitteilungspflichtigen.66) Im Falle einer unterlassenen Bekanntmachung gemäß § 20 Abs. 6 kommen Schadens- 38 ersatzansprüche der Aktionäre und Dritter gegenüber der Gesellschaft gemäß § 823 Abs. 2 und solche der Gesellschaft gegenüber ihrem Vorstand gemäß § 93 Abs. 2 in Betracht.67) _____________ 65) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 20 Rz. 17; K. Schmidt/Lutter-Veil, AktG, § 20 Rz. 44. 66) S. hierzu Bayer in: MünchKomm-AktG, § 20 Rz. 85; K. Schmidt/Lutter-Veil, AktG, § 20 Rz. 45. 67) Bayer in: MünchKomm-AktG, § 20 Rz. 85; K. Schmidt/Lutter-Veil, AktG, § 20 Rz. 47.

§ 21 Mitteilungspflichten der Gesellschaft (1) 1Sobald der Gesellschaft mehr als der vierte Teil der Anteile einer anderen Kapitalgesellschaft mit Sitz im Inland gehört, hat sie dies dem Unternehmen, an dem die Beteiligung besteht, unverzüglich schriftlich mitzuteilen. 2Für die Feststellung, ob der Gesellschaft mehr als der vierte Teil der Anteile gehört, gilt § 16 Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 sinngemäß. (2) Sobald der Gesellschaft eine Mehrheitsbeteiligung (§ 16 Abs. 1) an einem anderen Unternehmen gehört, hat sie dies dem Unternehmen, an dem die Mehrheitsbeteiligung besteht, unverzüglich schriftlich mitzuteilen. (3) Besteht die Beteiligung in der nach Absatz 1 oder 2 mitteilungspflichtigen Höhe nicht mehr, hat die Gesellschaft dies dem anderen Unternehmen unverzüglich schriftlich mitzuteilen. (4) 1Rechte aus Anteilen, die einer nach Absatz 1 oder 2 mitteilungspflichtigen Gesellschaft gehören, bestehen nicht für die Zeit, für die sie die Mitteilungspflicht nicht erfüllt. 2§ 20 Abs. 7 Satz 2 gilt entsprechend. (5) Die Absätze 1 bis 4 gelten nicht für Aktien eines Emittenten im Sinne des § 33 Absatz 4 des Wertpapierhandelsgesetzes. Literatur: Grimm/Wenzel, Praxisrelevante Probleme der Mitteilungspflichten nach § 21 AktG, AG 2012, 274; Leitzen, Mitteilungspflichten nach § 21 AktG und die notarielle Praxis im Gesellschaftsrecht, MittBayNot 2012, 183.

Übersicht I. II. 1. 2. I.

Bedeutung der Norm ........................ 1 Fallgruppen ........................................ 6 25 % Beteiligung (§ 21 Abs. 1) .......... 6 50 % Beteiligung (§ 21 Abs. 2) .......... 8

3. Schwellenunterschreitung (§ 21 Abs. 3) ....................................... 9 III. Rechtsfolgen des § 21 Abs. 4 .......... 10

Bedeutung der Norm

Die Norm behandelt den umgekehrten Fall des § 20 und regelt somit Mitteilungspflichten 1 einer Gesellschaft bei wesentlicher Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft (§ 21 Abs. 1)

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§ 21

Mitteilungspflichten der Gesellschaft

bzw. an einem Unternehmen (§ 21 Abs. 2).1) Auf das Erreichen der die Mitteilungspflicht auslösenden Schwellenwerte kommt es ebenso wie bei § 20 nicht an (siehe § 20 Rz. 2, 10).2) § 21 steht im sachlichen Zusammenhang mit § 20,3) beide Normen sind ähnlich aufgebaut und verfolgen den gleichen Zweck (Transparenz der Beteiligungsverhältnisse).4) § 21 Abs. 1 (Schachtelbeteiligung von über 25 %) bzw. § 21 Abs. 2 (Mehrheitsbeteiligung von über 50 %) entsprechen § 20 Abs. 3 bzw. 4, ein Pendant zu § 20 Abs. 1, 2 fehlt hingegen in § 21, § 21 Abs. 3 (Schwellenunterschreitung) bzw. § 21 Abs. 4 (Rechtsfolgen) sind mit § 20 Abs. 5 bzw. Abs. 7 vergleichbar.5) 2 Praktisch bedeutsam ist das Fehlen einer Pflicht des Empfängers zur Bekanntmachung der jeweiligen Mitteilung in § 21 (vgl. § 20 Abs. 6). Hieraus ergibt sich eine unterschiedliche Behandlung von wesentlichen Beteiligungen an einer AG, KGaA oder Societas Europaea (SE) (Bekanntmachungspflicht des Mitteilungsempfängers gemäß § 20 Abs. 6) und wesentlichen Beteiligungen dieser Rechtsformen an anderen Kapitalgesellschaften bzw. Unternehmen (keine Bekanntmachungspflicht des Mitteilungsempfängers, da § 20 Abs. 6 nicht anwendbar ist und § 21 eine solche nicht vorsieht). 3 Mitteilungspflichtige „Gesellschaft“ und somit Adressat der Pflichten in § 21 Abs. 1 und 2 sind neben der AG auch KGaA sowie Societas Europaea (SE) mit Satzungssitz im Inland.6) 4 Die Mitteilungen nach den § 21 Abs. 1 – 3 haben jeweils schriftlich und unverzüglich zu erfolgen (siehe hierzu sowie zur inhaltlichen Ausgestaltung der jeweiligen Mitteilung § 20 Rz. 19 und Rz. 15 ff.). 5 Ist neben § 21 zugleich der Tatbestand des § 20 erfüllt, so hat § 20 als strengere Norm Vorrang (siehe hierzu § 20 Rz. 7). Eine Konkurrenz zu §§ 33 ff. WpHG ist nach § 21 Abs. 5 wiederum ausgeschlossen (siehe hierzu auch § 20 Rz. 7). II.

Fallgruppen

1.

25 % Beteiligung (§ 21 Abs. 1)

6 Die Meldepflicht nach § 21 Abs. 1 entspricht derjenigen in § 20 Abs. 3 und entsteht, sobald einer Gesellschaft über 25 % („mehr als der vierte Teil“) der Anteile an einer anderen Kapitalgesellschaft mit Sitz im Inland gehört. Angesichts der Beschränkung des Verweises in § 21 Abs. 1 Satz 2 auf § 16 Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 ist ebenso wie bei § 20 Abs. 1, 3 nur die kapitalmäßige Anteilsinhaberschaft entscheidend für die Berechnung der Beteiligung (siehe hierzu auch § 20 Rz. 20). Im Hinblick auf die genaue Berechnung nach § 16 Abs. 2 Satz 1 (ggf. i. V. m. § 16 Abs. 4) kann auf die entsprechenden Ausführungen zu §§ 16, 20 verwiesen werden (siehe hierzu § 16 Rz. 2 ff., 17 ff., § 20 Rz. 20 ff.). 7 Mitteilungsempfänger i. S. § 21 Abs. 1 sind „Kapitalgesellschaften“ mit Satzungssitz im Inland (AG, KGaA, Societas Europaea (SE), GmbH, Unternehmensgesellschaft (haftungsbeschränkt), und im Falle ihrer Einführung auch die Societas Privata Europaea (SPE)).7)

_____________ 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7)

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Bürgers/Körber-Schilha, AktG, § 21 Rz. 1. Leitzen, MittBayNot 2012, 183, 184 ff. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 21 Rz. 1. K. Schmidt/Lutter-Veil, AktG, § 21 Rz. 1. Bürgers/Körber-Schilha, AktG, § 21 Rz. 1. Spindler/Stilz-Petersen, AktG, § 21 Rz. 2; Bürgers/Körber-Schilha, AktG, § 21 Rz. 1. Spindler/Stilz-Petersen, AktG, § 21 Rz. 3; Bürgers/Körber-Schilha, AktG, § 21 Rz. 2.

Alexander Franz

Mitteilungspflichten der Gesellschaft 2.

§ 21

50 % Beteiligung (§ 21 Abs. 2)

Gemäß des der Regelung in § 20 Abs. 4 entsprechenden § 21 Abs. 2 ist auch eine Mehr- 8 heitsbeteiligung i. S. von § 16 Abs. 1 dem von einer solchen Beteiligung betroffenen „Unternehmen“ mitzuteilen. Hinsichtlich des Empfängerkreises der Mitteilung ist § 21 Abs. 2 weiter gefasst als § 21 Abs. 1 und betrifft unabhängig von der jeweiligen Rechtsform nach h. M. sämtliche Unternehmen mit Satzungssitz im Inland (und somit u. a. auch Personengesellschaften).8) Fraglich ist, ob es sich hierbei zwingend um deutsche Beteiligungsunternehmen handeln muss,9) oder ob auch Mehrheitsbeteiligungen an ausländischen Unternehmen mitteilungspflichtig sind.10) Zwar sprechen gewichtige gesetzessystematische und teleologische Argumente für eine Erstreckung von § 21 Abs. 2 auf ausländische Beteiligungen, allerdings endet die gesellschaftsrechtliche Regelungskompetenz des deutschen Gesetzgebers diesbezüglich auf der Rechtsfolgenseite, mit der Konsequenz, dass § 21 Abs. 4 bei fehlenden Meldungen über ausländische Mehrheitsbeteiligungen keine Anwendung finden würde.11) Mangels entsprechenden Sanktionsmöglichkeiten des deutschen Gesetzgebers erscheint nach hier vertretener Ansicht eine Einbeziehung ausländischer Beteiligungen in die Mitteilungspflicht nach § 21 Abs. 2 weder de lege lata noch de lege ferenda sinnvoll.12) Diskutiert wird darüber hinaus, ob der 100 % Anteilserwerb an einer GmbH von der Mitteilungspflicht des § 21 Abs. 2 ausgenommen sein soll.13) 3.

Schwellenunterschreitung (§ 21 Abs. 3)

§ 21 Abs. 3 ist mit § 20 Abs. 5 vergleichbar und sieht eine weitere Mitteilungspflicht vor, 9 wenn eine der in § 21 Abs. 1 oder 2 genannten mitteilungspflichtigen Schwellen unterschritten wird (siehe hierzu § 20 Rz. 27). III.

Rechtsfolgen des § 21 Abs. 4

§ 21 Abs. 4 unterscheidet ebenso wie die vergleichbare Vorschrift des § 20 Abs. 7 zwi- 10 schen dem grundsätzlichen zeitweiligen Rechtsverlust der Mitgliedschaftsrechte (§ 21 Abs. 4 Satz 1) und dem ausnahmsweise nur zeitweiligen Ruhen der Gewinnbeteiligungsrechte gemäß § 58 Abs. 4 sowie der Liquidationsbeteiligungsrechte gemäß § 271 (§ 21 Abs. 4 Satz 2) anhand der Schwere des Verschuldensvorwurfs (Vorsatz oder Fahrlässigkeit, siehe hierzu § 20 Rz. 34 f.). Umstritten ist, ob sich die Rechtsfolge des § 21 Abs. 4 ebenso wie diejenige des § 20 Abs. 7 auch auf die der mitteilungspflichtigen Gesellschaft über § 16 Abs. 4 zuzurechnenden Anteile erstreckt, obwohl eine explizite Klarstellung diesbezüglich in § 21 Abs. 4 fehlt. Zuzustimmen ist der überwiegenden Ansicht, die eine

_____________ 8) K. Schmidt/Lutter-Veil, AktG, § 21 Rz. 5; Bayer in: MünchKomm-AktG, § 21 Rz. 3; Grigoleit-Rachlitz, AktG, § 21 Rz. 2; Emmerich/Habersack-Emmerich, Konzernrecht, § 21 AktG Rz. 8; Krieger in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 69 Rz. 152; Bürgers/Körber-Schilha, AktG, § 21 Rz. 3; Hölters-Hirschmann, AktG, § 21 Rz. 4; ausführlich zu entsprechenden Mitteilungspflichten bei Beteiligung an einer GmbH bzw. an Personengesellschaften: Leitzen, MittBayNot 2012, 183 ff. 9) So die in Fn. 8 genannten Autoren. 10) So Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 21 Rz. 3; Koppensteiner in: KölnKomm-AktG, § 21 Rz. 4; Windbichler in: GroßKomm-AktG, § 21 Rz. 9; Kindler in: MünchKomm-BGB, IntGesR Rz. 804; Henssler/StrohnKessler/Maier-Reimer, GesR, § 21 AktG Rz. 4; Grimm/Wenzel, AG 2012, 274, 283 f. 11) So im Ergebnis auch Grimm/Wenzel, AG 2012, 274, 275 ff., 278 f. 12) Ähnlich Emmerich/Habersack-Emmerich, Konzernrecht, § 21 AktG Rz. 8; a. A. Grimm/Wenzel, AG 2012, 274, 283 f. 13) S. hierzu Krieger in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 69 Rz. 152 und Bürgers/Körber-Schilha, AktG, § 21 Rz. 2, jeweils m. w. N.; Grimm/Wenzel, AG 2012, 274, 280 ff.

Alexander Franz

121

§ 22

Nachweis mitgeteilter Beteiligungen

Erstreckung auf diese Anteile befürwortet.14) Es macht keinen Sinn, § 20 und § 21 auf der Rechtsfolgenseite unterschiedlich zu behandeln und der im Vergleich zu § 20 Abs. 7 abweichende Wortlaut lässt sich durchaus systematisch mit dem Fehlen einer dem § 20 Abs. 2 entsprechenden Regelung in § 21 Abs. 4 begründen.15) 11 Zu den weiteren Rechtsfolgen gelten die zu § 20 Abs. 7 gemachten Ausführungen entsprechend (siehe hierzu § 20 Rz. 36 ff.). _____________ 14) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 21 Rz. 4; K. Schmidt/Lutter-Veil, AktG, § 21 Rz. 7; Bayer in: MünchKommAktG, § 21 Rz. 6; Bürgers/Körber-Schilha, AktG, § 21 Rz. 5; a. A. Spindler/Stilz-Petersen, AktG, § 21 Rz. 11. 15) So auch Bayer in: MünchKomm-AktG, § 21 Rz. 6.

§ 22 Nachweis mitgeteilter Beteiligungen Ein Unternehmen, dem eine Mitteilung nach § 20 Abs. 1, 3 oder 4, § 21 Abs. 1 oder 2 gemacht worden ist, kann jederzeit verlangen, daß ihm das Bestehen der Beteiligung nachgewiesen wird. Literatur: Siehe die Literaturangaben zu §§ 20 und 21.

Übersicht I. Bedeutung der Norm ....................... 1 I.

II. Art und Form des Nachweises ......... 2

Bedeutung der Norm

1 Um eine gewisse Rechtssicherheit zu schaffen und im Hinblick auf die Veröffentlichungspflicht des § 20 Abs. 7, gibt § 22 dem Mitteilungsempfänger i. S. von § 20 Abs. 1, 3 und 4 sowie § 21 Abs. 1 und 2 einen Anspruch, vom jeweils Mitteilungspflichtigen einen Nachweis über das Bestehen der mitgeteilten Beteiligung verlangen zu können.1) Ausgeklammert von § 22 sind mangels Verweis auf §§ 20 Abs. 5, 21 Abs. 3 (Schwellenwertunterschreitung) Ansprüche auf Nachweis, dass eine Beteiligung in mitgeteilter Höhe nicht mehr besteht. Allerdings kann das betroffene Unternehmen „jederzeit“ Nachweis darüber verlangen, dass die Beteiligung besteht, und somit auch abfragen, ob eine entsprechende (und nicht gemäß §§ 20 Abs. 5, 21 Abs. 3 unterschrittene) Beteiligung noch fortbesteht.2) II.

Art und Form des Nachweises

2 Über Art und Form des Nachweises schweigt das Gesetz. Der Mitteilungspflichtige kann daher jeden Nachweis erbringen, der geeignet ist, zu belegen, dass er die mitgeteilte Beteiligung tatsächlich hält, was ggf. den Nachweis einer Beteiligungszurechnung einschließt.3) Hierzu zählen insbesondere Depotbescheinigungen, Abtretungsvereinbarungen und ggf. (für die Zurechnungsnachweise nach §§ 16 Abs. 4, 20 Abs. 2) Treuhandverträge oder Nachweise über Abhängigkeitsverhältnisse.4) _____________ 1) 2) 3) 4)

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K. Schmidt/Lutter-Veil, AktG, § 22 Rz. 2; Spindler/Stilz-Petersen, AktG, § 22 Rz. 1. Bayer in: MünchKomm-AktG, § 22 Rz. 2; K. Schmidt/Lutter-Veil, AktG, § 22 Rz. 2; Spindler/StilzPetersen, AktG, § 22 Rz. 4. Spindler/Stilz-Petersen, AktG, § 22 Rz. 4. K. Schmidt/Lutter-Veil, AktG, § 22 Rz. 5; Spindler/Stilz-Petersen, AktG, § 22 Rz. 5.

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§ 22

Nachweis mitgeteilter Beteiligungen

Erstreckung auf diese Anteile befürwortet.14) Es macht keinen Sinn, § 20 und § 21 auf der Rechtsfolgenseite unterschiedlich zu behandeln und der im Vergleich zu § 20 Abs. 7 abweichende Wortlaut lässt sich durchaus systematisch mit dem Fehlen einer dem § 20 Abs. 2 entsprechenden Regelung in § 21 Abs. 4 begründen.15) 11 Zu den weiteren Rechtsfolgen gelten die zu § 20 Abs. 7 gemachten Ausführungen entsprechend (siehe hierzu § 20 Rz. 36 ff.). _____________ 14) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 21 Rz. 4; K. Schmidt/Lutter-Veil, AktG, § 21 Rz. 7; Bayer in: MünchKommAktG, § 21 Rz. 6; Bürgers/Körber-Schilha, AktG, § 21 Rz. 5; a. A. Spindler/Stilz-Petersen, AktG, § 21 Rz. 11. 15) So auch Bayer in: MünchKomm-AktG, § 21 Rz. 6.

§ 22 Nachweis mitgeteilter Beteiligungen Ein Unternehmen, dem eine Mitteilung nach § 20 Abs. 1, 3 oder 4, § 21 Abs. 1 oder 2 gemacht worden ist, kann jederzeit verlangen, daß ihm das Bestehen der Beteiligung nachgewiesen wird. Literatur: Siehe die Literaturangaben zu §§ 20 und 21.

Übersicht I. Bedeutung der Norm ....................... 1 I.

II. Art und Form des Nachweises ......... 2

Bedeutung der Norm

1 Um eine gewisse Rechtssicherheit zu schaffen und im Hinblick auf die Veröffentlichungspflicht des § 20 Abs. 7, gibt § 22 dem Mitteilungsempfänger i. S. von § 20 Abs. 1, 3 und 4 sowie § 21 Abs. 1 und 2 einen Anspruch, vom jeweils Mitteilungspflichtigen einen Nachweis über das Bestehen der mitgeteilten Beteiligung verlangen zu können.1) Ausgeklammert von § 22 sind mangels Verweis auf §§ 20 Abs. 5, 21 Abs. 3 (Schwellenwertunterschreitung) Ansprüche auf Nachweis, dass eine Beteiligung in mitgeteilter Höhe nicht mehr besteht. Allerdings kann das betroffene Unternehmen „jederzeit“ Nachweis darüber verlangen, dass die Beteiligung besteht, und somit auch abfragen, ob eine entsprechende (und nicht gemäß §§ 20 Abs. 5, 21 Abs. 3 unterschrittene) Beteiligung noch fortbesteht.2) II.

Art und Form des Nachweises

2 Über Art und Form des Nachweises schweigt das Gesetz. Der Mitteilungspflichtige kann daher jeden Nachweis erbringen, der geeignet ist, zu belegen, dass er die mitgeteilte Beteiligung tatsächlich hält, was ggf. den Nachweis einer Beteiligungszurechnung einschließt.3) Hierzu zählen insbesondere Depotbescheinigungen, Abtretungsvereinbarungen und ggf. (für die Zurechnungsnachweise nach §§ 16 Abs. 4, 20 Abs. 2) Treuhandverträge oder Nachweise über Abhängigkeitsverhältnisse.4) _____________ 1) 2) 3) 4)

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K. Schmidt/Lutter-Veil, AktG, § 22 Rz. 2; Spindler/Stilz-Petersen, AktG, § 22 Rz. 1. Bayer in: MünchKomm-AktG, § 22 Rz. 2; K. Schmidt/Lutter-Veil, AktG, § 22 Rz. 2; Spindler/StilzPetersen, AktG, § 22 Rz. 4. Spindler/Stilz-Petersen, AktG, § 22 Rz. 4. K. Schmidt/Lutter-Veil, AktG, § 22 Rz. 5; Spindler/Stilz-Petersen, AktG, § 22 Rz. 5.

Alexander Franz

Zweiter Teil Gründung der Gesellschaft § 23 Feststellung der Satzung Thomas Wachter

(1) 1Die Satzung muß durch notarielle Beurkundung festgestellt werden. 2Bevollmächtigte bedürfen einer notariell beglaubigten Vollmacht. (2) In der Urkunde sind anzugeben 1. die Gründer; 2. bei Nennbetragsaktien der Nennbetrag, bei Stückaktien die Zahl, der Ausgabebetrag und, wenn mehrere Gattungen bestehen, die Gattung der Aktien, die jeder Gründer übernimmt; 3. der eingezahlte Betrag des Grundkapitals. (3) Die Satzung muß bestimmen 1. die Firma und den Sitz der Gesellschaft; 2. den Gegenstand des Unternehmens; namentlich ist bei Industrie- und Handelsunternehmen die Art der Erzeugnisse und Waren, die hergestellt und gehandelt werden sollen, näher anzugeben; 3. die Höhe des Grundkapitals; 4. die Zerlegung des Grundkapitals entweder in Nennbetragsaktien oder in Stückaktien, bei Nennbetragsaktien deren Nennbeträge und die Zahl der Aktien jeden Nennbetrags, bei Stückaktien deren Zahl, außerdem, wenn mehrere Gattungen bestehen, die Gattung der Aktien und die Zahl der Aktien jeder Gattung; 5. ob die Aktien auf den Inhaber oder auf den Namen ausgestellt werden; 6. die Zahl der Mitglieder des Vorstands oder die Regeln, nach denen diese Zahl festgelegt wird. (4) Die Satzung muß ferner Bestimmungen über die Form der Bekanntmachungen der Gesellschaft enthalten. (5) 1Die Satzung kann von den Vorschriften dieses Gesetzes nur abweichen, wenn es ausdrücklich zugelassen ist. 2Ergänzende Bestimmungen der Satzung sind zulässig, es sei denn, daß dieses Gesetz eine abschließende Regelung enthält. Literatur: Attenberger, § 378 Abs. 3 FamFG n. F. und § 15 Abs. 3 GBO n. F. – Notarielle Prüfung auf Eintragungsfähigkeit als Eintragungsvoraussetzung im Register- und Grundbuchverfahren und ausschließliche Einreichung über den Notar im Handelsregisterverfahren, MittBayNot 2017, 335; Bachmann, Die Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung und die Folgen ihrer Versäumung, NZG 2012, 579; Bachmann, Abschied von der „wirtschaftlichen Neugründung“?, NZG 2011, 441; Baumann/Wagner, Schiedsfähigkeit I, II oder III – Ob Ihr Recht habt oder nicht, sagt Euch der BGH, BB 2017, 1993; Bayer, Neue und gebrauchte Mäntel, „gestreckte“ und „mutierte“ Gründungen – Die Rechtsfigur der „wirtschaftlichen Neugründung“ in der Rechtsprechung des BGH, in: Festschrift für Wulf Goette, 2011, S. 15; Bayer, Empfehlen sich besondere Regelungen für börsennotierte und für nicht börsennotierte Gesellschaften, NJW 2008, Heft 21, Beil., S. 21; Blasche, Satzungsregelungen zur Amtszeit der Aufsichtsratsmitglieder, AG 2017, 112; Borris, Die „Schiedsfähigkeit“ von Beschlussmängelstreitigkeiten in der Personengesellschaft, NZG 2017, 761; Burgard, Inzidente Mitteilungen gemäß § 20 AktG?, WM 2012, 1937; Cramer, Die Bestellung von Vorstandsmitgliedern zu Geschäftsführern einer Tochter-

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Feststellung der Satzung

GmbH, NZG 2012, 765; Cziupka/Kliebisch, Probleme der Steuerung des Gesellschafterbestandes durch schuldrechtliche Vereinbarungen zwischen Aktiengesellschaft und ihren jeweiligen Aktionären, BB 2013, 715; Diehn/Rachlitz, Notarielle Prüfungspflichten im Grundbuch- und Registerverkehr, DNotZ 2017, 487; Fleischer, Zur Auslegung von Gesellschaftsverträgen und Satzungen, DB 2013, 1466; Gottschalk, Die wirtschaftliche Neugründung einer GmbH und ihre Haftungsfolgen, DStR 2012, 1458; Habersack, Wider das Dogma von der unbeschränkten Gesellschafterhaftung bei wirtschaftlicher Neugründung einer AG oder GmbH, AG 2010, 845; Harbarth/Zeyher/Brechtel, Gestaltung einer von der Satzung und dem gesetzlichen Regelfall abweichenden Gewinnauszahlungsabrede in der Aktiengesellschaft, AG 2016, 801; Hasselmann, Die vollmachtlose Gründung einer Einpersonen-GmbH, ZIP 2012, 1947; Heckschen, Die Gründung der GmbH im Ausland, DB 2018, 685; Heckschen, Formwechsel und Stimmrechtsvollmachten, NZG 2017, 721; Heinemann, Neue Vermerkpflichten für Notare?, ZNotP 2017, 166; Heinrich, Schiedsfähigkeit III – Richtungswechsel des BGH bei Beschlussmängelstreitigkeiten in Personengesellschaften, ZIP 2018, 411; Heinrich, Wann machen Schiedsklauseln in Gesellschaftsverträgen Sinn und worauf ist dabei zu achten?, NZG 2016, 1406; Heinze, Wirtschaftliche Neugründung und Aktiengesellschaft: Zur „entsprechenden Anwendung der Gründungsvorschriften“, BB 2012, 67; Herrler, Anforderungen an den satzungsmäßigen Versammlungsort – Hauptversammlung im. Ausland?, ZGR 2015, 918; Horn, Haftung bei wirtschaftlicher Neugründung – Hinweise für die Transaktionspraxis, DB 2012, 1255; Jeep, Leere Hülse, beschränktes Risiko: Die Gesellschafterhaftung bei nicht offengelegter wirtschaftlicher Neugründung, NZG 2012, 1209; Kalss/Fleischer, Neues zur Lockerung der Satzungsstrenge bei nicht börsennotierten Aktiengesellschaften, AG 2013, 693; Kort, Die Bedeutung von Unternehmensgegenstand und Gesellschaftszweck einer AG bei Auslagerung von Geschäftsbereichen auf gemeinnützige Gesellschaften, NZG 2011, 929; Kuszlik, Die Haftung bei der „wirtschaftlichen Neugründung“ einer GmbH, GmbHR 2012, 882; Leitzen, Mitteilungspflichten nach § 21 AktG und die notarielle Praxis im Gesellschaftsrecht, MittBayNot 2012, 183; Leitzen, Neues zu Satzungsdurchbrechungen und schuldrechtlichen Nebenabreden, RNotZ 2010, 566; v. d. Linden, Kann die Satzung eine Börsennotierung vorschreiben?, NZG 2015, 176; Mohamed, Die Sprachverwirrung in der ausländisch geprägten Hauptversammlung von AG oder SE, NZG 2015, 1263; Noack, Satzungsergänzende Verträge der Gesellschaft mit ihren Gesellschaftern, NZG 2013, 281; Noack, Der allseitige Gesellschafterbeschluss als „schuldrechtliche Abrede“ und dessen korporationsrechtliche Folgen, NZG 2010, 1017; Nolting, Neue Anforderungen an Schiedsklauseln zwischen Personengesellschaftern – „Schiedsfähigkeit III“, ZIP 2017, 1641; Podewils, Unterbilanzhaftung bei unterlassener Offenlegung einer wirtschaftlichen Neugründung, GmbHR 2012, 1175; Priester, Unterschreitung des satzungsmäßigen Unternehmensgegenstands im Aktienrecht, ZGR 2017, 474; Priester, Schuldrechtliche Vereinbarungen zur Gewinnverteilung bei der AG, ZIP 2015, 2156; Schaefer/Steiner/Link, Die wirtschaftliche Neugründung bei Verwendung von Börsenmänteln und ihre registerrechtlichen Voraussetzungen, DStR 2016, 1166; Schäfer/Hoffmann, Die gesetzlichen Anforderungen an die Ausgabe und Verwahrung von Aktien durch Aktiengesellschaften, GWR 2016, 478; Schaper, Aktienurkunden in der Praxis – Verbriefung, Übertragung, Umtausch und Kraftloserklärung, AG 2016, 889; Schmidt, K., Die Verwendung von GmbH-Mänteln und ihre Haftungsfolgen: ein Thema von gestern?, ZIP 2010, 857; Schockenhoff, Die Auslegung von GmbH- und AG-Satzungen, ZGR 2013, 76; Scholz, Zurück ins "Macrotron"-Zeitalter durch Satzungsregelung?, BB 2015, 2248; Tavakoli, Begrenzung der Unterbilanzhaftung bei wirtschaftlicher Neugründung einer GmbH, NJW 2012, 1855; Theusinger/Andrä, Die Aktivierung unternehmensloser Gesellschaften, ZIP 2014, 1916; Thoma, Der Handel mit Waren aller Art als Unternehmensgegenstand einer GmbH, RNotZ 2011, 413; Ulmer, Entschärfte Gesellschafterhaftung bei wirtschaftlicher Neugründung einer zuvor unternehmenslosen Alt-GmbH, ZIP 2012, 817, ZIP 2012, 1265; Weber, Von der Identitätskontrolle zur materiellen Richtigkeit – die neuen notariellen Prüfpflichten im Grundbuchund Registerverkehr, RNotZ 2017, 427; Westermann, Schiedsgerichte in kapitalgesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten, ZGR 2017, 38; Winnen, Die wirtschaftliche Neugründung von Kapital-

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Feststellung der Satzung

gesellschaften, RNotZ 2013, 389; Zimmer, Neue Prüfungspflichten des Notars – oder alles beim Alten?, NJW 2017, 1909.

Übersicht I. Überblick ............................................ 1 II. Begriff der Satzung ........................... 4 III. Feststellung der Satzung (§ 23 Abs. 1) ............................................... 10 1. Begriff der Satzungsfeststellung ...... 10 2. Form der Satzungsfeststellung ........ 12 3. Vertretung bei der Satzungsfeststellung .............................................. 16 IV. Erklärung zur Übernahme der Aktien (§ 23 Abs. 2) ........................ 22 1. Allgemeines ...................................... 22 2. Inhalt der Erklärung ......................... 23 a) Gründer (§ 23 Abs. 2 Nr. 1) ...... 23 b) Aktien (§ 23 Abs. 2 Nr. 2) ........ 25 c) Eingezahlter Betrag (§ 23 Abs. 2 Nr. 3) ............................... 30 V. Mindestinhalt der Satzung (§ 23 Abs. 3, Abs. 4) .................................. 31 1. Firma der Gesellschaft (§ 23 Abs. 3 Nr. 1) ..................................... 31 2. Sitz der Gesellschaft (§ 23 Abs. 3 Nr. 1) ................................................. 32 3. Gegenstand des Unternehmens (§ 23 Abs. 3 Nr. 2) ........................... 34 I.

4. Höhe des Grundkapitals (§ 23 Abs. 3 Nr. 3) ..................................... 5. Zerlegung des Grundkapitals (§ 23 Abs. 3 Nr. 4) ........................... 6. Art der Aktien (§ 23 Abs. 3 Nr. 5) .... 7. Zahl der Vorstandsmitglieder (§ 23 Abs. 3 Nr. 6) ........................... 8. Form der Bekanntmachungen der Gesellschaft (§ 23 Abs. 4) ................ 9. Weitere notwendige Bestimmungen der Satzung ................................ VI. Satzungsstrenge (§ 23 Abs. 5) ........ 1. Allgemeines ...................................... 2. Abweichende Satzungsregelungen (§ 23 Abs. 5 Satz 1) .......................... 3. Ergänzende Satzungsregelungen (§ 23 Abs. 5 Satz 2) .......................... VII. Gründungsmängel ........................ VIII. Schuldrechtliche Nebenabreden ............................................. IX. Vorrats- und Mantelgesellschaften ............................................

37 38 41 44 50 51 53 53 56 58 60 64 68

Überblick

Der Zweite Teil des Ersten Buchs des AktG (§§ 23 bis 53) regelt die Gründung der Ge- 1 sellschaft. Die Gründung beginnt mit der Feststellung der Satzung (§ 23). Mit der Übernahme aller Aktien durch die Gründer ist die Gesellschaft errichtet (§ 23 Abs. 2 Nr. 2, 29). Die Satzung muss durch notarielle Beurkundung festgestellt werden (§ 23 Abs. 1). In der 2 notariellen Gründungsurkunde müssen die Gründer zugleich auch die Übernahme der Aktien erklären (§ 23 Abs. 2). Die Satzung (der Gesellschaftsvertrag, siehe § 2) muss einen bestimmten Mindestinhalt aufweisen (§ 23 Abs. 3 und 4). Die Satzungsfreiheit ist auch i. Ü. stark eingeschränkt. Die Satzung darf nur dann von den gesetzlichen Bestimmungen abweichen, wenn dies ausdrücklich zugelassen ist (§ 23 Abs. 5). Die Vorschriften über den Inhalt der Satzung (§ 23 Abs. 3 bis 5) gelten nicht nur für die Gründung der Gesellschaft, sondern auch für spätere Satzungsänderungen. Im Rahmen der Aktienrechtsnovelle 2016 wurde das Wahlrecht zwischen Inhaber- und 3 Namensaktien bei nicht börsennotierten AG stark eingeschränkt (§ 10 AktG). Bei Neugründung einer AG müssen die Aktien im Regelfall auf den Namen lauten (§ 10 Abs. 1 Satz 1 AktG); Inhaberaktien sind nur ausnahmsweise zulässig (§ 10 Abs. 1 Satz 2 AktG).1)

_____________ 1)

Art. 1 Nr. 1 der Aktienrechtsnovelle 2016, BGBl. I 2015, 2565. – S. Einf., Rz. 21.

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§ 23 II.

Feststellung der Satzung Begriff der Satzung

4 Die Satzung ist der Gesellschaftsvertrag der AG (§ 2) und bildet ihre Verfassung (siehe § 25 BGB). 5 Die Rechtsnatur der Satzung ist seit langem umstritten. Heute wird die Satzung überwiegend als Rechtsgeschäft sui generis angesehen, das sowohl die subjektiven Rechte und Pflichten der Gründer untereinander regelt als auch objektive Normen aufstellt.2) Die Satzung ist damit Schuld- und Organisationsvertrag. Mit der Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister löst sich die Satzung vom subjektiven Willen der Gründer und beansprucht als objektiv geltendes Recht auch Geltung gegenüber neuen Aktionären. 6 In Bezug auf den Inhalt der Satzung wird üblicherweise zwischen materiellen (echten) Satzungsbestimmungen und formellen (unechten) Satzungsbestimmungen unterschieden.3) Die gesellschaftsrechtlichen Sonderregelungen für die Auslegung, die Änderung und die Geltung gegenüber (künftigen) Mitgliedern gelten nur für die materiellen Satzungsbestandteile. Demgegenüber sind die formellen Satzungsbestandteile in der Regel als bloß schuldrechtliche Vereinbarungen anzusehen, die insbesondere nicht für einen unbestimmten Personenkreis (von gegenwärtigen und künftigen Aktionären sowie den Gläubigern der Gesellschaft) gelten. 7 Materielle Satzungsbestandteile sind alle Regelungen, die die Gesellschaft und ihre Beziehungen zu den Gründern und auch den künftigen Aktionären betreffen.4) Dazu gehören bspw. die Bestimmungen, die zwingend in die Satzung aufzunehmen sind (§ 23 Abs. 3 und 4), zulässige Abweichungen von den Regelungen des AktG (§ 23 Abs. 5 Satz 1), die mitgliedschaftlichen Einlagepflichten in Form von Bar- bzw. Sacheinlagen (§ 23 Abs. 2, § 36a, nach h. M. auch Sachübernahmen nach § 27 Abs. 1), Bestimmungen über die Dauer der Gesellschaft (§§ 39 Abs. 2, 262 Abs. 1 Nr. 1), Sonderrechte von Aktionären und die Regelung zur Wahl des Aufsichtsratsvorsitzenden (§ 107 Abs. 1 Satz 1). 8 Formelle Satzungsbestandteile sind solche Regelungen, die zwar (formal) in die Satzung aufgenommen worden sind, aber nicht die Grundlagen der Gesellschaft oder ihre Beziehungen zu den Gründern und künftigen Aktionären betreffen. Vielmehr handelt es sich um Regelungen, die lediglich schuldrechtliche Wirkungen unter den Gesellschaftern oder zwischen der Gesellschaft und den Gesellschaftern entfalten.5) Beispiele für formelle Satzungsbestandteile sind etwa die Festsetzungen über etwaige Sondervorteile (§ 26 Abs. 1) oder den Gründungsaufwand (§ 26 Abs. 2), die Bestellung des ersten Aufsichtsrats (§ 30 Abs. 1) oder die Begründung von Nebenleistungspflichten (die über § 55 hinausgehen). 9 Für die Auslegung der Satzung kommt es entscheidend auf die Art der jeweiligen Bestimmung an. Materielle Satzungsbestandteile sind (wie ein Gesetz) objektiv unter Berücksichti-

_____________ 2) 3) 4)

5)

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Bürgers/Körber-Körber, AktG, § 23 Rz. 4; Hölters-Solveen, AktG, § 23 Rz. 3; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 23 Rz. 7; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 23 Rz. 3; Spindler/Stilz-Limmer, AktG, § 23 Rz. 3 und 12. Die Terminologie ist uneinheitlich, s. nur Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 23 Rz. 2. Zu Satzungsbestimmungen mit körperschaftsrechtlichem Charakter s. BGH, Urt. v. 11.10.1993 – II ZR 155/92, BGHZ 123, 347 = ZIP 1993, 1709, dazu EWiR 1994, 49 (Bork) – zur Auslegung einer Gerichtsstandsklausel; BGH, Urt. v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359 = ZIP 1992, 237, dazu EWiR 1992, 321 (Wiedemann) – zu einer Abfindungsregelung in einer GmbH-Satzung. HöltersSolveen, AktG, § 23 Rz. 4; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 23 Rz. 3; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 23 Rz. 5; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 23 Rz. 40; Spindler/Stilz-Limmer, AktG, § 23 Rz. 4. Hölters-Solveen, AktG, § 23 Rz. 5; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 23 Rz. 4; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 23 Rz. 6 f.; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 23 Rz. 41 f.; Spindler/Stilz-Limmer, AktG, § 23 Rz. 4.

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§ 23

Feststellung der Satzung

gung von Wortlaut, Zweck und systematischer Stellung auszulegen.6) Dabei können zur Auslegung nur solche Umstände herangezogen werden, die (bspw. aus dem Handelsregister) allgemein zugänglich sind. Für außenstehende Dritte nicht erkennbare Motive, Absichten und Überlegungen müssen bei der Auslegung unberücksichtigt bleiben. Formelle Satzungsbestandteile sind dagegen wie sonstige Willenserklärungen unter Berücksichtigung des jeweiligen Empfängerhorizonts der Gründer auszulegen (§§ 133, 157 BGB).7) III.

Feststellung der Satzung (§ 23 Abs. 1)

1.

Begriff der Satzungsfeststellung

Die Satzung muss durch notarielle Beurkundung festgestellt werden (§ 23 Abs. 1 Satz 1). 10 Die Feststellung der Satzung (des Gesellschaftsvertrages, siehe § 2) und die Erklärung der Gründer zur Übernahme der Aktien (§ 23 Abs. 2) stellen zusammen die Grundlage für die Errichtung der AG dar. Die Satzung muss durch notarielle Beurkundung festgestellt werden (§ 23 Abs. 1 Satz 1). 11 Bei der Gründung einer AG durch eine Person ist die Feststellung der Satzung ein einseitiges Rechtsgeschäft. Der Gründer erklärt gegenüber dem beurkundenden Notar, eine AG mit der festgestellten Satzung errichten zu wollen. Bei der in der Praxis überwiegenden Gründung durch mehrere Personen erfolgt die Feststellung der Satzung durch Abschluss eines entsprechenden Gründungsvertrages. Die Gründer sind sich darüber einig, dass die festgestellte Satzung für das Verhältnis der (jetzigen und künftigen) Aktionäre untereinander maßgebend sein soll.8) 2.

Form der Satzungsfeststellung

Die Feststellung der Satzung bedarf zu ihrer Wirksamkeit der notariellen Beurkundung 12 (§ 23 Abs. 1 Satz 1).9) Das Formerfordernis bezieht sich (unstreitig) nicht nur auf die Feststellung des eigentlichen Satzungsinhalts (des Gesellschaftsvertrages, § 2 i. V. m. § 23 Abs. 3 und 4), sondern auch auf die Übernahmeerklärung der Gründer (§ 23 Abs. 2). Die Feststellung der Satzung und die Übernahmeerklärung der Gründer müssen dabei zwingend in einer einzigen Urkunde enthalten sein (Einheitsgründung, siehe § 23 Abs. 1 und Abs. 2; missverständlich dagegen § 37 Abs. 4 Nr. 1).10) Eine Stufengründung ist demnach unzulässig.11) In der Praxis wird meist eine notarielle Gründungsurkunde errichtet, in der neben der 13 Satzungsfeststellung und der Übernahmeerklärungen alle mit der Gründung zusammenhängenden Fragen geregelt werden (wie etwa die Bestellung des ersten Aufsichtsrats und des ersten Abschlussprüfers, § 30 Abs. 1). Die Satzung wird der Urkunde dabei meist als Anlage _____________ 6) BGH, Beschl. v. 26.11.2007 – II ZR 227/06, AG 2008, 83, dazu EWiR 2008, 251 (Mock) – zur Auslegung einer Satzungsklausel, welche (abweichend von § 264 Abs. 1 Satz 3 HGB) uneingeschränkt die Aufstellung eines Lageberichts vorsieht; BGH, Urt. v. 11.10.1993 – II ZR 155/92, BGHZ 123, 347 = ZIP 1993, 1709, dazu EWiR 1994, 49 (Bork) – zur Auslegung einer Gerichtsstandsklausel in einer GmbHSatzung; BGH, Beschl. v. 11.11.1985 – II ZB 5/85, BGHZ 96, 245 = ZIP 1996, 368, dazu EWiR 1986, 235 (Weipert) – zur Auslegung einer Vereinssatzung. – Für eine Differenzierung zwischen der Auslegung von Satzungen börsennotierter und nicht börsennotierter AG Schockenhoff, ZGR 2013, 76, 104 ff. – Rechtsvergleichend Fleischer, DB 2013, 1466. 7) Hölters-Solveen, AktG, § 23 Rz. 7; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 23 Rz. 39 f.; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 23 Rz. 9 f.; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 23 Rz. 49 ff. 8) Hölters-Solveen, AktG, § 23 Rz. 8; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 23 Rz. 11. 9) Zur analogen Anwendung auf einen Vorgründungsvertrag für eine AG s. KG Berlin, Urt. v. 22.1.2004 – 8 U 170/03, AG 2004, 321. 10) Ausführlich dazu Spindler/Stilz-Limmer, AktG, § 23 Rz. 6. 11) Hölters-Solveen, AktG, § 23 Rz. 9 und 15; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 23 Rz. 15 und 23.

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§ 23

Feststellung der Satzung

beigefügt, damit sie als eigenständiges Dokument zur Verfügung steht. Dies ist zulässig, da die Anlage in vollem Umfang Bestandteil der Urkunde ist (§ 9 Abs. 1 Satz 2 BeurkG). 14 Für die Beurkundung sind ausschließlich (deutsche)12) Notare zuständig (§ 20 BNotO). Das Beurkundungsverfahren richtet sich nach den Bestimmungen des Beurkundungsgesetzes über die Beurkundung von Willenserklärungen (§§ 6 bis 35 BeurkG). Die Kosten richten sich nach den zwingenden Bestimmungen des Gerichts- und Notarkostengesetzes. 15 Dem Notar obliegen bei der Beurkundung umfangreiche Prüfungs-, Beratungs- und Aufklärungspflichten (§ 17 BeurkG), die weit über die gerichtliche Rechtmäßigkeitskontrolle hinausgehen (siehe § 38). Der Notar hat die Eintragungsfähigkeit der Gesellschaft vor Einreichung der Unterlagen beim Registergericht eigenständig zu prüfen und darüber einen förmlichen Prüfvermerk zu erstellen (§ 378 Abs. 3 FamFG).13) Der Notar koordiniert und überwacht zudem den gesamten Gründungsvorgang von der Vorgründungsgesellschaft bis zur Eintragung der Gesellschaft. Für etwaige Fehler haftet der Notar persönlich, unbeschränkt und unbeschränkbar (§ 19 BNotO).14) Die notarielle Mitwirkung an der Gründung hat eine Entlastung der staatlichen Registergerichte zur Folge und beschleunigt dadurch den Gründungsprozess. Nicht zuletzt dient die Beurkundung auch der Rechtssicherheit, da die öffentliche Urkunde den vollen Beweis der in ihr bezeugten Tatsachen erbringt (§§ 415, 418 ZPO).15) Gerichtliche Entscheidungen zu Fragen der Gründung der AG sind vergleichsweise selten. Dies zeigt, dass die notarielle Beratung und Beurkundung auch entscheidend zur Streitvermeidung beiträgt. 3.

Vertretung bei der Satzungsfeststellung

16 Die Gründer können sich bei der Feststellung der Satzung und der Übernahme der Aktien von einem Bevollmächtigten vertreten lassen (§§ 164 ff. BGB). Die Vollmacht bedarf zu ihrer Wirksamkeit (abweichend von § 167 Abs. 2 BGB) der notariellen Beglaubigung (§ 23 Abs. 1 Satz 2 AktG i. V. m. § 129 BGB, § 40 BeurkG).16) Mit dem Formerfordernis _____________ 12) A. A. KG, Besch. v. 24.1.2018 – 22 W 25/16, ZIP 2018, 323, dazu EWiR 2018, 137 (Cziupka) – zur Beurkundung der Gründung einer deutschen GmbH durch einen Schweizer Notar mit Amtssitz im Kanton Bern). Ausführlich dazu Heckschen, DB 2018, 685. 13) Die Änderung von § 378 Abs. 3 FamFG ist durch Art. 4 Nr. 5 lit. b des Gesetzes zur Neuordnung der Aufbewahrung von Notariatsunterlagen und zur Einrichtung des Elektronischen Urkundenarchivs bei der Bundesnotarkammer sowie zur Änderung weiterer Gesetze, v. 1.6.2017, BGBl. I 2017, 1396, erfolgt und am 9.6.2017 in Kraft getreten. Ausführlich dazu Attenberger, MittBayNot 2017, 335; Diehn/Rachlitz, DNotZ 2017, 487; Heinemann, ZNotP 2017, 166; Weber, RNotZ 2017, 427; Zimmer, NJW 2017, 1909. 14) S. (im Zusammenhang mit der GmbH) u. a. BGH, Urt. v. 24.4.2008 – III ZR 223/06, ZIP 2008, 1928 – Aufklärungspflichten im Zusammenhang mit Vorauszahlungen bei einer Kapitalerhöhung; BGH, Beschl. v. 2.10.2007 – III ZR 13/07, ZIP 2007, 2126, dazu EWiR 2007, 753 (Volmer) – Hinweispflicht auf etwaige Unterbewertung einer Sacheinlage und Risiko einer Differenzhaftung; BGH, Urt. v. 18.11.1999 – IX ZR 402/97, ZIP 2000, 35, dazu EWiR 2000, 675 (Kornblum) – Vollzugs- und Überwachungspflichten bei Befreiung des alleinigen Gesellschafter-Geschäftsführers v. Selbstkontrahierungsverbot; BGH, Urt. v. 16.11.1995 – IX ZR 14/95, ZIP 1996, 19, dazu EWiR 1996, 439 (Limmer) – Aufklärungspflichten hinsichtlich der Bedeutung des Begriffs des Einzahlens von Einlagen bei einer Barkapitalerhöhung; OLG Naumburg, Urt. v. 21.1.2010 – 1 U 35/09, DStR 2010, 564 = GmbHR 2010, 533 – Notarhaftung wegen Nichtaufklärung über Bedeutung des Bareinlagebegriffs; OLG Schleswig, Urt. v. 24.6.2004 – 11 U 38/03, NZG 2005, 89 – Hinweispflicht in Bezug auf die Fortführungshaftung nach § 25 HGB; OLG Düsseldorf, Urt. v. 15.12.1994 – 18 U 86/94, NJW 1995, 1761, dazu EWiR 1995, 851 (Trölitzsch) – Belehrungspflichten bei der Einbringung von Darlehensforderungen als Sacheinlage. 15) Zum Zweck der Beurkundung s. a. Heidel-Braunfels, AktR, § 23 AktG Rz. 3 ff.; Hölters-Solveen, AktG, § 23 Rz. 13; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 23 Rz. 12; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 23 Rz. 29; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 23 Rz. 20; Spindler/Stilz-Limmer, AktG, § 23 Rz. 7 f. 16) A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 23 Rz. 45; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 23 Rz. 14 ff.; Spindler/ Stilz-Limmer, AktG, § 23 Rz. 13. – Zur entsprechenden Anwendung der Formvorschrift auf die Gründung i. R. eines Formwechsels (§§ 190 ff., 197 UmwG) s. Heckschen, NZG 2017, 721.

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Feststellung der Satzung

sollen Zweifel über die Legitimation des Bevollmächtigten von vornherein ausgeschlossen und dem Vollmachtgeber die Bedeutung der Vollmacht vor Augen geführt werden. Bei Bevollmächtigung eines anderen Gründers muss dieser von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit werden.17) Handelt für einen Gründer ein vollmachtloser Vertreter können die Erklärungen nachge- 17 nehmigt werden (§§ 177 ff., 182 ff. BGB). Die Nachgenehmigung bedarf zu ihrer Wirksamkeit (abweichend von § 182 Abs. 2 BGB) der notariellen Beglaubigung (§ 23 Abs. 1 Satz 2 analog).18) Eine Nachgenehmigung ist allerdings nur bei Gründung einer AG durch mehrere Personen möglich. Bei einer Gründung durch eine Person ist eine Vertretung ohne Vertretungsmacht unzulässig (§ 180 BGB).19) Inhaltlich muss die Vollmacht die Gründung der Gesellschaft umfassen.20) Eine General- 18 vollmacht ist dabei ausreichend. Eine bloße Handlungsvollmacht (§ 54 HGB) genügt nicht. Der Prokurist (§§ 48 ff. HGB) bedarf keiner notariell beglaubigten Vollmacht, da er seine Vertretungsmacht durch einen beglaubigten Handelsregisterauszug (§ 9 Abs. 4 HGB) oder durch eine Bescheinigung des Notars (§ 21 BNotO) nachweisen kann.21) Die Gründung einer AG kann allerdings im Einzelfall ein Grundlagengeschäft darstellen und dann nicht von der Vertretungsmacht des Prokuristen umfasst sein.22) Die Formvorschrift (des § 23 Abs. 1 Satz 2) gilt nach ihrem Wortlaut nur für rechtsge- 19 schäftlich Bevollmächtigte (§ 166 Abs. 1 BGB), da nur in diesem Fall eine Vollmachtsurkunde vorgelegt werden kann. Aufgrund des Normzwecks – dem Registergericht, die ordnungsgemäße Vertretung der Gründer zweifelsfrei nachzuweisen – gilt die Regelung aber für gesetzliche und organschaftliche Vertreter entsprechend.23) Bei juristischen Personen des Privatrechts wird die Vertretung durch die Organe in der 20 Regel durch eine Notarbescheinigung (§ 21 BNotO) oder einen beglaubigten Handelsregisterauszug (§ 9 Abs. 4 HGB) nachgewiesen. Bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts ergibt sich die Vertretungsbefugnis meist aus den für diese geltenden gesetzlichen Bestimmungen (z. B. Gemeindeordnungen oder Satzungen). Bei Gründung einer (Tochter-)AG durch eine andere AG ist zu berücksichtigen, dass Vorstandsmitglieder nicht zu Insichgeschäften befugt sind und die Gesellschaft insoweit durch den Aufsichtsrat vertreten wird (§ 112).24) _____________ 17) Für eine konkludente Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB in diesem Fall A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 23 Rz. 44 und 48; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 23 Rz. 14. 18) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 23 Rz. 12; Spindler/Stilz-Limmer, AktG, § 23 Rz. 13a. 19) Zum Verbot der vollmachtlosen Vertretung bei Einpersonengesellschaften (§ 180 BGB) bei der GmbH s. OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 1.12.2016 – 20 W 198/15, ZIP 2017, 920, dazu EWiR 2017, 459 (Kubik/Nordholtz); OLG Stuttgart, Beschl. v. 3.2.2015 – 8 W 49/15, GmbHR 2015, 487, dazu EWiR 2015, 603 (Cramer); KG Berlin, Beschl. v. 14.12.2011 – 25 W 48/11, NZG 2012, 353 = GmbHR 2012, 569; LG Berlin, Beschl. v. 15.8.1995 – 98 T 34/95, GmbHR 1996, 123; OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 24.2.2003 – 20 W 447/02, GmbHR 2003, 415 = DB 2003, 654 = DNotZ 2003, 459, und OLG München, Beschl. v. 5.10.2010 – 31 Wx 140/10, ZIP 2011, 772 – Genehmigung einer vollmachtlosen Beschlussfassung bei Ein-Mann-GmbH). – Kritisch dazu Hasselmann, ZIP 2012, 1947. 20) Zur Auslegung einer Vollmacht zur Gründung einer GmbH s. OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 1.12.2016 – 20 W 198/15, ZIP 2017, 920. 21) Hölters-Solveen, AktG, § 23 Rz. 13; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 23 Rz. 12; A. Arnold in: KölnKommAktG, § 23 Rz. 46. – A. A. Pentz in: MünchKomm-AktG, § 23 Rz. 18 – unter Hinweis auf die Unterschiede zwischen § 15 Abs. 2 Satz 2 HGB und § 172 BGB. 22) Eine notariell beglaubigte Spezialvollmacht für Prokuristen empfehlen grds. auch Bürgers/KörberKörber, AktG, § 23 Rz. 11; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 23 Rz. 20. 23) Anders aber die h. M., s. etwa Hölters-Solveen, AktG, § 23 Rz. 14; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 23 Rz. 13; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 23 Rz. 22. 24) S. dazu OLG München, Beschl. v. 8.5.2012 – 31 Wx 69/12, ZIP 2012, 1122 (Bestellung des Vorstands einer AG zum Geschäftsführer einer Tochter-GmbH). Ausführlich dazu Cramer, NZG 2012, 765.

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§ 23

Feststellung der Satzung

21 Minderjährige Kinder werden i. R. der gesetzlichen Vorschriften (insbesondere §§ 181, 1629, 1643, 1795, 1822 und 1909 BGB) durch ihre Eltern als gesetzliche Vertreter vertreten, ohne dass es insoweit eines besonderen Nachweises bedarf. Wird das Kind allerdings nur durch einen Elternteil alleine vertreten (siehe §§ 1671 ff., 1680 BGB), ist ein geeigneter Nachweis vorzulegen (z. B. Sterbeurkunde eines Elternteils oder gerichtlicher Beschluss über die Übertragung des Sorgerechts). IV.

Erklärung zur Übernahme der Aktien (§ 23 Abs. 2)

1.

Allgemeines

22 In der notariellen Gründungsurkunde müssen sich die Gründer zugleich zur Übernahme aller Aktien und damit auch zur Leistung der entsprechenden Einlagen verpflichten. Die Feststellung der Satzung (§ 23 Abs. 1 Satz 1) und die Übernahmeerklärung der Gründer (§ 23 Abs. 2) sind an sich zwei eigenständige Rechtsgeschäfte,25) die zu ihrer Wirksamkeit allerdings beide der notariellen Beurkundung bedürfen und in einer Urkunde enthalten sein müssen. 2.

Inhalt der Erklärung

a)

Gründer (§ 23 Abs. 2 Nr. 1)

23 In der notariellen Gründungsurkunde über die Feststellung der Satzung sind zwingend die Gründer anzugeben (§ 23 Abs. 2 Nr. 1). Gründer der Gesellschaft sind die Aktionäre, die die Satzung festgestellt haben (§ 28) und mindestens eine Aktie übernommen haben (siehe § 23 Abs. 2 Nr. 2). Die Gründer müssen (auch im Hinblick auf deren zivil- und strafrechtliche Verantwortlichkeit, §§ 46 ff., § 399 Abs. 1 Nr. 1 und 2) zweifelsfrei bezeichnet werden (siehe auch § 10 Abs. 1 BeurkG). Bei natürlichen Personen sind daher in der Regel Vor- und Nachname, Geburtsdatum und die vollständige Wohnanschrift anzugeben. Bei juristischen Personen, Personenhandelsgesellschaften und anderen Personengesamtheiten sollten die Firma, der Sitz, die Geschäftsanschrift und das Handelsregister samt Nummer angegeben werden.26) Bei Gesellschaften des bürgerlichen Rechts sollten auch deren Gesellschafter mit den entsprechenden Angaben aufgeführt werden (siehe § 40 Abs. 1 Satz 2 GmbHG, § 47 Abs. 2 GBO und § 162 Abs. 1 Satz 2 HGB).27) 24 Handelt es sich bei einem Gründer um ein Unternehmen (i. S. der §§ 15 ff.) und übernimmt dieser Gründer mehr als ein Viertel der Aktien oder eine Mehrheitsbeteiligung, ist der Erwerb der Vorgesellschaft unverzüglich schriftlich mitzuteilen (§ 20 Abs. 1 und 4).28) Die Gesellschaft hat das Bestehen der Beteiligung nach Mitteilung unverzüglich in den Gesellschaftsblättern bekannt zu machen (§ 20 Abs. 6). Bei börsennotierten AG sind die entsprechenden Mitteilungspflichten nach Kapitalmarktrecht zu beachten (§ 20 Abs. 8 i. V. m. §§ 21, 28 WpHG).

_____________ 25) Nach h. M. handelt es sich bei der Übernahmeerklärung gleichwohl um einen notwendigen materiellen Satzungsbestandteil. S. etwa Bürgers/Körber-Körber AktG, § 23 Rz. 5; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 23 Rz. 57 ff.; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 23 Rz. 12 und 55; Spindler/Stilz-Limmer, AktG, § 23 Rz. 24. 26) Ähnlich Hölters-Solveen, AktG, § 23 Rz. 16; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 23 Rz. 3. 27) Ausführlich Spindler/Stilz-Limmer, AktG, § 23 Rz. 25. 28) Dazu BGH, Urt. v. 24.4.2006 – II ZR 30/05, BGHZ 167, 204 = ZIP 2006, 1134, dazu EWiR 2006, 449 (Wilsing), BGH, Urt. v. 22.4.1991 – II ZR 231/90, BGHZ 114, 203 = ZIP 1991, 719, dazu EWiR 1991, 745 (Krieger). – Zu den Mitteilungspflichten nach §§ 20, 21 AktG s. Burgard, WM 2012, 1937; Grimm/Norwich, AG 2012, 274; Leitzen, MittBayNot 2012, 183.

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§ 23

Feststellung der Satzung b)

Aktien (§ 23 Abs. 2 Nr. 2)

In der Gründungsurkunde sind nähere Angaben über die Aktien zu machen, die jeder 25 Gründer übernimmt (§ 23 Abs. 2 Nr. 2; siehe auch § 23 Abs. 3 Nr. 4). Die Übernahmeerklärung darf weder bedingt noch befristet sein. Bei Nennbetragsaktien sind der Nennbetrag (§ 8 Abs. 2), der Ausgabebetrag (§ 9) und 26 ggf. auch die Gattung der Aktien (§ 11) anzugeben. Die bloße Angabe der Summe der Nennbeträge und Ausgabebeträge ist dabei nicht ausreichend. Vielmehr muss konkret angegeben werden, wie viele Aktien (jeder Gattung) jeder einzelne Gründer zu welchem Nennbetrag und zu welchem Ausgabebetrag übernimmt.29) Diese detaillierten Angaben sind insbesondere bei Ausgabe unterschiedlicher Aktien erforderlich, um die Rechte und Pflichten der einzelnen Gründer zweifelsfrei bestimmen zu können. Bei Stückaktien (§ 8 Abs. 3) ist die Zahl der Aktien, der Ausgabebetrag (§ 9) und ggf. auch 27 die Gattung der Aktien anzugeben (§ 11). Der rechnerische Anteil am Grundkapital, der auf die einzelne Stückaktie entfällt (§ 8 Abs. 3 Satz 2 und Satz 3) muss nicht angegeben werden. Im Übrigen muss auch bei Stückaktien genau angegeben werden, wie viele Aktien (jeder Gründer) zu welchem Ausgabebetrag übernimmt. Die Angabe des Ausgabebetrags (§ 9) ist sowohl bei Nennbetrags- als auch bei Stückak- 28 tien stets zwingend erforderlich. Dies gilt auch dann, wenn kein Aufgeld (Agio) vereinbart worden ist.30) Bei Festsetzung unterschiedlicher Ausgabebeträge (was zulässig ist)31) muss eine Zuordnung zu den entsprechenden Aktien erfolgen. Bei der Ausgabe von Namens- und Inhaberaktien (§ 10; siehe dazu auch Rz. 41 ff.) muss 29 genau angegeben werden, welcher Gründer welche Anzahl von welchen Aktien übernimmt.32) c)

Eingezahlter Betrag (§ 23 Abs. 2 Nr. 3)

Schließlich ist in der Gründungsurkunde der eingezahlte Betrag des Grundkapitals an- 30 zugeben (§ 23 Abs. 2 Nr. 3).33) Notwendig und ausreichend ist die Angabe des tatsächlich eingezahlten Gesamtbetrags. Nicht erforderlich ist es dagegen anzugeben, wie sich dieser Betrag auf die einzelnen Gründer aufteilt. Für die Angaben kommt es auf den Zeitpunkt der Satzungsfeststellung an, so dass die Vorschrift nur geringe praktische Bedeutung hat. V.

Mindestinhalt der Satzung (§ 23 Abs. 3, Abs. 4)

1.

Firma der Gesellschaft (§ 23 Abs. 3 Nr. 1)

Zum notwendigen Mindestinhalt der Satzung gehört die Firma (§ 23 Abs. 3 Nr. 1). Die 31 Bildung einer zulässigen Firma richtet sich nach den allgemeinen Bestimmungen des Handelsrechts. Danach muss die Firma insbesondere zur Kennzeichnung des Unternehmens geeignet sein, Unterscheidungskraft besitzen und darf nicht irreführend sein (§§ 17 ff. HGB). Jede neue Firma muss sich darüber hinaus von allen an demselben Ort oder in derselben Gemeinde bereits bestehenden und in das Handelsregister eingetragenen Firmen _____________ 29) Hölters-Solveen, AktG, § 23 Rz. 17; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 23 Rz. 18; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 23 Rz. 26. 30) Pentz in: MünchKomm-AktG, § 23 Rz. 60. 31) S. nur Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 9 Rz. 10. 32) Hölters-Solveen, AktG, § 23 Rz. 17; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 23 Rz. 64; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 23 Rz. 28. – a. A. Bürgers/Körber-Körber, AktG, § 23 Rz. 16, da es sich bei Namens- und Inhaberaktien lediglich um verschiedene Aktienarten und nicht um unterschiedliche Aktiengattungen handelt. 33) Hölters-Solveen, AktG, § 23 Rz. 18; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 23 Rz. 62.

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§ 23

Feststellung der Satzung

deutlich unterscheiden (§ 30 HGB). Die Firma einer AG muss stets die Bezeichnung „Aktiengesellschaft“ oder eine allgemein verständliche Abkürzung dieser Bezeichnung (in der Praxis meist AG) enthalten (§ 4). 2.

Sitz der Gesellschaft (§ 23 Abs. 3 Nr. 1)

32 Die Satzung muss auch den Sitz der Gesellschaft bestimmen (§ 23 Abs. 3 Nr. 1). Satzungssitz (§ 5) kann nur ein Ort im Inland (und nicht auch im Ausland) sein. Im Inland kann der Satzungssitz frei gewählt werden. Der Satzungssitz muss insbesondere nicht mit dem Verwaltungssitz oder der Geschäftsanschrift der Gesellschaft (§ 37 Abs. 3 Nr. 1) übereinstimmen. Am Satzungssitz muss auch kein Betrieb bestehen. Bei dem Ort, an dem die Gesellschaft ihren Sitz haben soll, muss es sich um eine eigene politische Gemeinde handeln;34) ein bloßer Orts- oder Stadtteil ist nicht ausreichend. Der Ort ist so genau zu bezeichnen, dass eine zweifelsfreie Individualisierung möglich ist. Die Angabe der Postleitzahl kann im Einzelfall hilfreich sein, ist aber rechtlich nicht notwendig. 33 Der Satzungssitz hat insbesondere Bedeutung für die Zuständigkeit von Gerichten und Behörden (siehe etwa § 14; § 17 ZPO) und bestimmt im Regelfall auch den Ort, an dem die Hauptversammlung stattfindet (§ 121 Abs. 5). 3.

Gegenstand des Unternehmens (§ 23 Abs. 3 Nr. 2)

34 Die Satzung muss ferner auch den Gegenstand des Unternehmens bestimmen (§ 23 Abs. 3 Nr. 2 Halbs. 1). Bei Industrie- und Handelsunternehmen ist insbesondere die Art der Erzeugnisse und Waren, die hergestellt oder gehandelt werden sollen, näher anzugeben (§ 23 Abs. 3 Nr. 2 Halbs. 2). Der Gegenstand des Unternehmens wird in das Handelsregister eingetragen (§ 39 Abs. 1 Satz 1 AktG und § 43 Nr. 2 lit. c HRV) und bekannt gemacht (§ 10 HGB). Der Zweck der Regelung35) besteht in der Information der Öffentlichkeit über die konkrete Tätigkeit des Unternehmens, im Schutz der (Minderheits-)Aktionäre vor einer willkürlichen Ausweitung der unternehmerischen Tätigkeit und in der Begrenzung der Geschäftsführungsbefugnis des Vorstands der Gesellschaft (siehe § 82 Abs. 2).36) Für die präventive Registerkontrolle i. R. des Eintragungsverfahrens ist die Angabe des Unternehmensgegenstands heute dagegen weitgehend ohne Bedeutung, da das Registergericht das Vorliegen einer etwa erforderlichen Genehmigung nach Verwaltungs- oder Handwerksrecht grundsätzlich nicht mehr prüft (siehe § 37 Abs. 4 Nr. 5 a. F.; siehe dazu § 37 Rz. 63). Ausnahmen bestehen (neben §§ 134, 138 BGB)37) lediglich bei Gesellschaften, die im Bereich des Kreditwesengesetzes tätig sind (§§ 32, 43 KWG),38) bei Investmentaktiengesellschaften (§§ 3 Abs. 5, 108 ff., 110 Abs. 4 KAGB), bei Gesell_____________ 34) Hölters-Solveen, AktG, § 23 Rz. 20; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 23 Rz. 20. 35) Hölters-Solveen, AktG, § 23 Rz. 22; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 23 Rz. 32. 36) Zur Haftung des Vorstands, der Geschäfte außerhalb des Unternehmensgegenstands betreibt s. BGH, Urt. v. 15.1.2013 – II ZR 90/11, ZIP 2013, 455, dazu EWiR 2013, 261 (E. Vetter); zu Schadensersatzansprüchen von Genussrechtsinhabern wegen unseriöser Überschreitung des Unternehmensgegenstands s. BGH, Urt. v. 29.4.2014 – II ZR 395/12, ZIP 2014, 1166, dazu EWiR 2014, 441 (Bracht). – Zu den Rechtsfolgen einer (dauerhaften) Über- bzw. Unterschreitung der durch den Unternehmensgegenstand gezogenen Grenzen s. K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 23 Rz. 38 und 38a; Spindler/StilzLimmer, AktG, § 23 Rz. 16 und 16a, je m. w. N. – Zur Satzungsunterschreitung durch Veräußerung von Unternehmensanteilen s. BVerfG, Beschl. v. 7.9.2011 – 1 BvR 1460/10, ZIP 2011, 2094, dazu EWiR 2012, 3 (Nietsch). Ausführlich zur Unterschreitung des Unternehmensgegenstandes im Aktienrecht Priester, ZGR 2017, 474. 37) Zu einer sittenwidrigen Strohmanngründung durch vermögenslose Gesellschafter s. etwa OLG Karlsruhe, Urt. v. 19.12.1997 – 1 U 170/97, dazu EWiR 1998, 1011 (Kort). 38) S. dazu OLG München, Beschl. v. 21.5.2012 – 31 Wx 164/12, ZIP 2012, 2107 (zur Bezeichnung der Anlage- und Vermögensberatung im Unternehmensgegenstand).

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Feststellung der Satzung

schaften von Freiberuflern (siehe etwa § 49 Abs. 1 StBerG, § 27 Abs. 1 WPO)39) oder bei gemeinnützigen Gesellschaften (§§ 51 ff. AO).40) Der Gegenstand des Unternehmens muss in der Satzung so konkret angegeben werden, 35 dass der Schwerpunkt der Geschäftstätigkeit für außenstehende Dritte erkennbar ist. Allgemein gehaltene Umschreibungen (wie etwa der Betrieb eines kaufmännischen Betriebes, der Handel mit Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen) genügen im Hinblick auf den Normzweck nicht und stellen regelmäßig ein Eintragungshindernis dar.41) Entscheidend ist stets, ob nach der Verkehrsanschauung von einer hinreichenden Individualisierung des Unternehmensgegenstands ausgegangen werden kann. Als zulässige Bestimmung des Unternehmensgegenstands gelten danach bspw. der Betrieb von Gaststätten, der Handel mit Baustoffen und ähnlichen Waren, die Verwaltung eigenen Vermögens42) oder die Beteiligung an anderen Unternehmen. Durch die Angabe des Tätigkeitsschwerpunkts werden unternehmerische Aktivitäten in Randbereichen und Hilfsgeschäfte nicht ausgeschlossen. Deren ausdrückliche Nennung kann allerdings im Hinblick auf die Möglichkeit des nachgründungsfreien Erwerbs i. R. des laufenden Geschäftsbetriebs sinnvoll sein (siehe § 52 Abs. 9 Alt. 1). Der Gegenstand des Unternehmens ist vom Zweck der Gesellschaft zu unterscheiden 36 (siehe §§ 1, 61 GmbHG).43) Der Zweck der Gesellschaft meint im Allgemeinen die eigentliche Zielsetzung der unternehmerischen Tätigkeit (meist Gewinnerzielung).44) Dagegen bezeichnet der Gegenstand des Unternehmens die Mittel, mit denen der Zweck der Gesellschaft erreicht werden soll. Der Zweck der Gesellschaft wird in der Satzung meist nur bei gemeinnützigen oder anderen nicht auf Gewinnerzielung ausgerichteten Gesellschaften angegeben (siehe auch §§ 51 ff., 60 AO).45) Änderungen des Gesellschaftszwecks bedürfen der Zustimmung aller Gesellschafter (§ 33 Abs. 1 Satz 2 BGB analog). Änderungen des Unternehmensgegenstands sind dagegen eine Satzungsänderung und können daher mit qualifizierter Mehrheit beschlossen werden (§§ 179 ff.). 4.

Höhe des Grundkapitals (§ 23 Abs. 3 Nr. 3)

Die Höhe des Grundkapitals muss in der Satzung stets konkret angegeben werden (§ 23 37 Abs. 3 Nr. 3; siehe auch § 39 Abs. 1 Satz 1 AktG und § 43 Nr. 3 HRV). Das Grundkapital _____________ 39) Zur (gesetzlich nicht ausdrücklich geregelten) Zulässigkeit einer Rechtsanwalts-AG BGH, Beschl. v. 14.11.2005 – AnwZ (B) 83/04, ZIP 2006, 282, dazu EWiR 2006, 365 (Römermann), BGH, Beschl. v. 10.1.2005 – AnwZ (B) 27/03 und 28/03, ZIP 2005, 944. Zu weiteren berufsrechtlichen Beschränkungen s. A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 23 Rz. 81 f. 40) Ausführlich Ullrich, Gesellschaftsrecht und steuerliche Gemeinnützigkeit, 2011; Weber, Die gemeinnützige Aktiengesellschaft, 2014. 41) Zur Unzulässigkeit des Unternehmensgegenstands Handel mit Waren aller Art bei einer Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) s. jüngst OLG Düsseldorf, Beschl. v. 6.10.2010 – I 3 Wx 231/10, DStR 2010, 2367 = DB 2011, 168. – Ausführlich dazu Thoma, RNotZ 2011, 413. – Bürgers/KörberKörber, AktG, § 23 Rz. 30 f.; Hölters-Solveen, AktG, § 23 Rz. 23; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 23 Rz. 21 und 24; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 23 Rz. 83 ff.; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 23 Rz. 35 f.; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 23 Rz. 80 ff.; Spindler/Stilz-Limmer, AktG, § 23 Rz. 16 und 17. 42) Zur Zulässigkeit der offenen Gründung einer Vorrats-AG s. BGH, Beschl. v. 16.3.1992 – II ZB 17/91, BGHZ 117, 323 = ZIP 1992, 689, dazu EWiR 1992, 673 (Kraft). 43) S. dazu BGH, Beschl. v. 11.11.1985 – II ZB 5/85, BGHZ 96, 245 = ZIP 1996, 368, dazu EWiR 1986, 235 (Weipert) – zu einem eingetragenen Verein. Hölters-Solveen, AktG, § 23 Rz. 21; Hüffer/KochKoch, AktG, § 23 Rz. 22; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 23 Rz. 34; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 23 Rz. 70 ff. 44) Zur Prägung des Zwecks der AG durch das europäische Gesellschaftsrecht s. Schön, ZHR 180 (2016) 279. 45) S. Kort, NZG 2011, 929.

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Feststellung der Satzung

muss auf einen Nennbetrag in Euro lauten (§ 6). Der Mindestnennbetrag des Grundkapitals beträgt grundsätzlich 50.000 € (§ 7). Die bloße Angabe eines Mindest- oder Höchstbetrags in der Satzung ist unzulässig. Ein bereits bei Gründung der Gesellschaft festgesetztes genehmigtes Kapital (§§ 202 ff.) gehört nicht zum Grundkapital. 5.

Zerlegung des Grundkapitals (§ 23 Abs. 3 Nr. 4)

38 Die AG hat ein in Aktien zerlegtes Grundkapital (§ 1 Abs. 2). In der Satzung ist die Art und Weise der Zerlegung des Grundkapitals in Aktien konkret und zweifelsfrei anzugeben (§ 23 Abs. 3 Nr. 4; siehe auch § 23 Abs. 2 Nr. 2).46) 39 Dazu gehört zunächst die Form der Aktien als Nennbetragsaktien oder als Stückaktien (§ 8 Abs. 1). Ein Nebeneinander beider Aktienformen ist rechtlich nicht zulässig.47) Bei Nennbetragsaktien (§ 8 Abs. 2) sind die Nennbeträge der einzelnen Aktien (mindestens 1 €) und die Zahl der Aktien jedes einzelnen Nennbetrags anzugeben. Bei Stückaktien (§ 8 Abs. 3) ist nur deren Anzahl anzugeben. 40 Falls mehrere Gattungen von Aktien (§ 11) bestehen, ist zudem die Gattung der Aktien und die Zahl der Aktien jeder Gattung anzugeben.48) Dabei sind auch die für die jeweilige Aktiengattung maßgeblichen Rechte und Pflichten zu bezeichnen. 6.

Art der Aktien (§ 23 Abs. 3 Nr. 5)

41 Die Satzung muss schließlich auch bestimmen, ob die Aktien auf den Inhaber und/oder auf den Namen ausgestellt werden (§ 23 Abs. 3 Nr. 5 i. V. m. § 10 Abs. 1).49) Über die Art der Aktien können die Gründer grundsätzlich frei entscheiden.50) 42 Im Rahmen der Aktienrechtsnovelle 201651) wurde das Wahlrecht zwischen Inhaber- und Namensaktien bei nicht börsennotierten AG allerdings stark eingeschränkt. In der Regel müssen die Aktien auf den Namen lauten (§ 10 Abs. 1 Satz 1 AktG). Inhaberaktien sind nur noch ausnahmsweise zulässig (§ 10 Abs. 1 Satz 2 AktG).52) 43 Die Angaben zur Art der Aktien müssen auch dann in der Satzung enthalten sein, wenn der Anspruch der Aktionäre auf Verbriefung ausgeschlossen oder beschränkt ist (§ 10 Abs. 5). 7.

Zahl der Vorstandsmitglieder (§ 23 Abs. 3 Nr. 6)

44 Die Satzung muss entweder die Zahl der Mitglieder des Vorstands oder die Regeln, nach denen diese Zahl festgelegt wird, bestimmen (§ 23 Abs. 3 Nr. 6). 45 Der Vorstand kann aus einer oder aus mehreren Personen bestehen (§ 76 Abs. 2 Satz 1). Bei Gesellschaften mit einem Grundkapital von mehr als 3 Mio. € muss der Vorstand aus mindestens zwei Personen bestehen, sofern die Satzung nicht etwas anderes bestimmt (§ 76 Abs. 2 Satz 2).53) Die Vorschriften über die Bestellung eines Arbeitsdirektors (vgl. _____________ 46) Hölters-Solveen, AktG, § 23 Rz. 25; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 23 Rz. 47 f. 47) S. dazu LG München I, Urt. v. 6.11.2014 – 5 HK O 679/14, AG 2015, 639 = DB 2015, 453 (Nichtigkeit eines Kapitalerhöhungsbeschlusses). 48) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 23 Rz. 29. 49) Hölters-Solveen, AktG, § 23 Rz. 26; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 23 Rz. 49. 50) Zu Ausnahmen (z. B. nach § 50 Abs. 5 Satz 3 StBerG, §§ 28 Abs. 5 Satz 2, 130 Abs. 2 WPO) s. A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 23 Rz. 120, und Dauner-Lieb in: KölnKomm-AktG, § 10 Rz. 17 ff. 51) S. Einf., Rz. 21. 52) Zu Aktienurkunden in der Praxis s. u. a. Schaper, AG 2016, 889; Schäfer/Hoffmann, GWR 2016, 478. 53) S. BGH, Urt. v. 12.11.2001 – II ZR 225/99, BGHZ 149, 158 = ZIP 2002, 172, dazu EWiR 2002, 885 (Saenger).

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§ 23

Feststellung der Satzung

§ 13 Abs. 1 MontanMitbestG, § 13 MontanMitbestErgG, § 33 Abs. 1 Satz 1 MitbestG 1976) bleiben unberührt (§ 76 Abs. 2 Satz 3), so dass der Vorstand dann aus mindestens zwei Mitgliedern besteht. In der Satzung kann entweder eine konkrete Zahl der Mitglieder des Vorstands oder eine 46 Mindest- und/oder Höchstzahl bestimmt werden.54) Weit verbreitet ist die Satzungsbestimmung, dass der Vorstand aus einer oder aus mehreren Personen besteht (vgl. auch § 76 Abs. 2 Satz 1). Innerhalb dieses Rahmens entscheidet dann der Aufsichtsrat über die Zahl der Vorstände (vgl. § 84).55) Stellvertretende Vorstandsmitglieder (§ 94) sind bei der Berechnung zu berücksichtigen. Enthält die Satzung keine Bestimmung zur Zahl der Mitglieder des Vorstands sind zu- 47 mindest die Regeln, nach denen diese Zahl festgelegt wird, zu bestimmen. Denkbar ist bspw., dass die Zahl der Vorstandsmitglieder von der Hauptversammlung oder dem Aufsichtsrat56) festgelegt wird. Die Rechtsfolgen einer satzungswidrigen Zusammensetzung des Vorstands sind gesetz- 48 lich nicht geregelt. Eine Auflösung der Gesellschaft kommt nicht in Betracht (siehe § 399 Abs. 1 FamFG). Eine Überbesetzung des Vorstands ist unstreitig folgenlos. Eine Unterbesetzung des Vorstands beeinträchtigt die Handlungsfähigkeit der Gesellschaft. Dies gilt nicht nur in den Fällen, in denen die Mitglieder des Vorstands in vertretungsberechtigter Zahl handeln müssen und diese Zahl nicht vorhanden ist (siehe § 78), sondern grundsätzlich auch dann, wenn der Vorstand als Organ durch alle Mitglieder tätig werden muss (siehe z. B. §§ 90 ff., 121 Abs. 2, 124 Abs. 3, 170 Abs. 1 und 2, 172).57) Bei Untätigkeit des Aufsichtsrats sollte in der Praxis gleichwohl ein Antrag auf gerichtliche Bestellung des fehlenden Mitglieds des Vorstands gestellt werden. Bei dauerhafter Unterbesetzung sollte die Satzung geändert werden. Die Zahl der Mitglieder des Aufsichtsrats (siehe §§ 95 ff.) muss in der Satzung nicht 49 festgelegt werden.58) 8.

Form der Bekanntmachungen der Gesellschaft (§ 23 Abs. 4)

Die Satzung muss ferner Bestimmungen über die Form der Bekanntmachungen der Ge- 50 sellschaft enthalten (§ 23 Abs. 4). Die Vorschrift betrifft nur freiwillige Bekanntmachungen der Gesellschaft, die nach Gesetz oder Satzung nicht in den Gesellschaftsblättern der Gesellschaft erfolgen müssen.59) Die Pflichtbekanntmachungen der Gesellschaft erfolgen zwingend (auch) im Bundesanzeiger (§ 25).60) Hinsichtlich der freiwilligen Bekanntmachungen der Gesellschaft hat die Gesellschaft Wahlfreiheit. Neben dem Bundesanzeiger und Tageszeitungen kommen insbesondere auch elektronische Informationsmedien (z. B. _____________ 54) Hölters-Solveen, AktG, § 23 Rz. 27. 55) Zur Wirksamkeit dieser Regelung LG Köln, Urt. v. 10.6.1998 – 91 O 15/98, AG 1999, 137. 56) BGH, Urt. v. 17.12.2001 – II ZR 288/99, ZIP 2002, 216, dazu EWiR 2002, 317 (Zetsche); LG Köln, Urt. v. 10.6.1998 – 91 O 15/98, AG 1999, 137. 57) BGH, Urt. v. 12.11.2001 – II ZR 225/99, BGHZ 149, 158 = ZIP 2002, 172, dazu EWiR 2002, 885 (Saenger) – zu dem Ausscheiden eines Vorstandsmitglieds aus dem zweiköpfigen Vorstand einer mit einem Grundkapital von mehr als 3 Mio. € ausgestatteten AG. 58) Zur Anfechtbarkeit eines Beschlusses der Hauptversammlung über eine Satzungsänderung, die die genaue Zahl der Mitglieder des Aufsichtsrats nicht bestimmt festlegt s. LG München I, Beschl. v. 27.2.2017 – 5 HK O 14748/16, ZIP 2017, 1326, dazu EWiR 2017, 689 (Kraack). 59) Hölters-Solveen, AktG, § 23 Rz. 28; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 23 Rz. 32; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 23 Rz. 51. 60) Seit 1.4.2012 gibt es nur noch den elektronischen Bundesanzeiger; der Bundesanzeiger in Papierform wurde abgeschafft. Der „elektronische Bundesanzeiger“ wird seitdem nur noch als „Bundesanzeiger“ bezeichnet (BGBl. I 2011, 3044).

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§ 23

Feststellung der Satzung

Internetseite der Gesellschaft) in Betracht.61) In der Praxis wird meist lediglich der Bundesanzeiger für sämtliche Bekanntmachungen der Gesellschaft bestimmt. 9.

Weitere notwendige Bestimmungen der Satzung

51 Die Vorgaben des Aktienrechts zum notwendigen Mindestinhalt der Satzung sind nicht abschließend (siehe etwa die Festsetzungen nach § 26 Abs. 1 und 2 sowie § 27 Abs. 1). Weitere Angaben, die zwingend in der Satzung der Gesellschaft enthalten sein müssen ergeben sich insbesondere aus den im Einzelfall anwendbaren Spezialgesetzen (z. B. für Freiberufler nach Berufsrecht, Immobilienaktiengesellschaften nach dem REITG62), Investmentaktiengesellschaften nach dem KAGB oder Verwertungsgesellschaften nach dem Urhebergesetz). 52 Das Geschäftsjahr (siehe § 240 Abs. 2 Satz 2 HGB) ist zwar üblicher, aber keineswegs zwingender Bestandteil der Satzung.63) Gleiches gilt auch für die von der Gesellschaft zu tragenden Gründungskosten. VI.

Satzungsstrenge (§ 23 Abs. 5)

1.

Allgemeines

53 Die Satzung kann von den Vorschriften des AktG nur abweichen, wenn es ausdrücklich zugelassen ist (§ 23 Abs. 5 Satz 1). Ergänzende Bestimmungen der Satzung sind zulässig, sofern das AktG keine abschließende Regelung enthält (§ 23 Abs. 5 Satz 2). 54 Die Regelung beschränkt die Satzungsfreiheit im Aktienrecht (Grundsatz der Satzungsstrenge, bzw. besser der Gesetzesstrenge). Die Satzungsregelungen werden in gewisser Weise standardisiert. Ungewöhnliche und überraschende Satzungsbestimmungen sind von vornherein ausgeschlossen. Ziel der Regelung ist es, die Verkehrsfähigkeit der Aktie sicherzustellen und Gläubiger und Aktionäre vor nachteiligen Satzungsregelungen zu schützen. 55 Die Regelung wird im neueren Schrifttum vielfach kritisiert.64) Änderungen sind gleichwohl (auch für nicht börsennotierte Gesellschaften) weder zu erwarten65) noch wünschenswert.66) 2.

Abweichende Satzungsregelungen (§ 23 Abs. 5 Satz 1)

56 Die Satzung kann von den gesetzlichen Bestimmungen des Aktienrechts nur dann abweichen, wenn dies ausdrücklich zugelassen ist (§ 23 Abs. 5 Satz 1). Eine Abweichung liegt immer dann vor, wenn die Satzung etwas anderes als das AktG bestimmt. Die Befugnis zu einer abweichenden Regelung muss sich klar und eindeutig aus dem Gesetz selbst ergeben (z. B. § 108 Abs. 2 KAGB für Investmentaktiengesellschaften); bloßes Schweigen des Gesetzgebers genügt nicht. Typische Beispiele dafür sind etwa gesetzliche Regelungen, in denen es heißt „wenn die Satzung nichts anderes bestimmt“ (siehe z. B. §§ 31 Abs. 2, 151 Abs. 5 Satz 1), oder „die Satzung kann bestimmen“ (siehe z. B. §§ 24, _____________ 61) § 25 Satz 2 AktG wurde durch Art. 1 Nr. 3 der Aktienrechtsnovelle 2016, BGBl. I 2015, 2565, ersatzlos aufgehoben. – S. Einf., Rz. 21. 62) Dazu K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 23 Rz. 52. 63) A. A. Henssler/Strohn-E. Vetter, GesR, § 23 AktG Rz. 20. 64) Umfassend und rechtsvergleichend zuletzt Kuntz, Gestaltung von Kapitalgesellschaften zwischen Freiheit und Zwang, 2015. 65) S. auch die Beschlüsse des 67. DJT 2008 (www.djt.de), und das entsprechende Gutachten von Bayer, Kurzfassung in NJW 2008, Beilage Heft 21, S. 21. 66) Ähnlich A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 23 Rz. 134; Spindler/Stilz-Limmer, AktG, § 23 Rz. 28. – Weitergehend Kalss/Fleischer, AG 2013, 693 (mit rechtsvergleichenden Hinweisen zum österreichischen Recht).

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Feststellung der Satzung

182 Abs. 4 Satz 2), oder die Bestimmung „anderer Mehrheiten“ (siehe z. B. §§ 133 Abs. 1 und 2, 179 Abs. 2 Satz 2) oder „weitere Erfordernisse“ (siehe z. B. §§ 133 Abs. 1, 179 Abs. 2 Satz 3) für Beschlüsse.67) Eine abweichende Satzungsregelung ist dagegen u. a. ausgeschlossen bei allen Vorschrif- 57 ten, die die Zuständigkeit der einzelnen Organe, ihre Zusammensetzung und deren innere Organisation betreffen, bei den Bestimmungen über die Rechte von Minderheiten (mit Ausnahme von § 122 Abs. 1 Satz 2) und der Verpflichtung der Verwaltungsmitglieder zur Sorgfalt und Verschwiegenheit (§§ 93, 116).68) Unzulässig ist auch die generelle Festschreibung der Börsennotierung in der Satzung.69) 3.

Ergänzende Satzungsregelungen (§ 23 Abs. 5 Satz 2)

Satzungsbestimmungen, die das AktG lediglich ergänzen (und nicht von ihm abweichen), 58 müssen nicht ausdrücklich zugelassen sein. Ergänzende Satzungsregelungen sind vielmehr schon dann zulässig, wenn das Gesetz keine abschließende Regelung enthält (§ 23 Abs. 5 Satz 2). Das Gesetz muss nach seinem Sinn und Zweck somit für eine weiterführende Regelung offen sein. Nach der Gesetzesformulierung („es sei denn“) ist im Zweifel von der Zulässigkeit einer solchen ergänzenden Satzungsbestimmung auszugehen. In manchen Gesetzesbestimmungen ist eine ergänzende Satzungsregelung ausdrücklich vor- 59 gesehen (siehe z. B. §§ 11, 39 Abs. 2 i. V. m. §§ 262 Abs. 1 Nr. 1, 55 Abs. 1, 107 Abs. 1 Satz 1). Ergänzende Satzungsregelungen sind aber auch in anderen Fällen zulässig. Beispiele dafür sind etwa die Bestimmung eines Hauptversammlungsorts im Ausland,70) die Festlegung bestimmter persönlicher Voraussetzungen für Mitglieder des Vorstands oder des Aufsichtsrats71) (z. B. Familienzugehörigkeit, fachliche Qualifikation, Alter, siehe §§ 76, 100 Abs. 4 und 5), die generelle Ermächtigung des Aufsichtsrats zu Fassungsänderungen der Satzung (siehe § 179 Abs. 1 Satz 2), Schiedsklauseln72) oder Gerichtsstandsvereinbarungen.73) Abschließende Regelungen enthalten dagegen u. a. §§ 107 Abs. 3 Satz 1, 241, 275.74) VII. Gründungsmängel Die Feststellung der Satzung (§ 23 Abs. 1) und die Übernahmeerklärung der Gründer (§ 23 60 Abs. 2) können aus unterschiedlichen Gründen mit Mängeln behaftet sein. Das Registergericht hat grundsätzlich bei jedem Mangel des Gründungsvorgangs die Eintragung der _____________ 67) S. a. die Übersichten bei Heidel-Braunfels, AktR, § 23 AktG Rz. 44; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 23 Rz. 35; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 23 Rz. 139 ff.; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 23 Rz. 56; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 23 Rz. 155; Spindler/Stilz-Limmer, AktG, § 23 Rz. 29. 68) BGH, Urt. v. 5.6.1975 – II ZR 156/73, BGHZ 64, 325 = NJW 1975, 1412. 69) Ausführlich dazu v. d. Linden, NZG 2015, 176; Scholz, BB 2015, 2248. 70) BGH, Urt. v. 21.10.2014 – II ZR 330/13, ZIP 2014, 2494, dazu EWiR 2015, 3 (Kiem/Reutershahn). – Zu den damit verbundenen Sprachenfragen s. Mohamed, NZG 2015, 1263, und zu Beurkundungsfragen s. Herrler, ZGR 2015, 918. 71) Zu Satzungsregelungen zur Amtszeit der Aufsichtsratsmitglieder s. Blasche, AG 2017, 112. 72) Zu Schiedsklauseln in Gesellschaftsverträgen s. zuletzt BGH, Beschl. v. 6.4.2017 – I ZB 23/16 (Schiedsfähigkeit III), ZIP 2017, 1024, dazu EWiR 2017, 523 (Zarth/Buchner) (Schiedsfähigkeit einer Beschlussmängelstreitigkeit bei einer Personengesellschaft). Ausführlich zum Ganzen u. a. Baumann/Wagner, BB 2017, 1993; Borris, NZG 2017, 761; Heinrich, ZIP 2018, 411; Nolting, ZIP 2017, 1641; K. Schmidt, NZG 2018, 121; Westermann, ZGR 2017, 38. 73) BGH, Urt. v. 11.10.1993 – II ZR 155/92, BGHZ 123, 347 = ZIP 1993, 1709, dazu EWiR 1994, 49 (Bork). – s. a. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 23 Rz. 37 f.; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 23 Rz. 57; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 23 Rz. 161; Spindler/Stilz-Limmer, AktG, § 23 Rz. 30. 74) Zur Unzulässigkeit einer Satzungsbestimmung, wonach die Hauptversammlung auch in Zürich abgehalten werden kann, s. OLG Hamburg, Beschl. v. 7.5.1993 – 2 Wx 55/91, ZIP 1993, 921, dazu EWiR 1993, 943 (Bokelmann).

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§ 23

Feststellung der Satzung

Gesellschaft abzulehnen (§ 38). Im Übrigen ist die Möglichkeit solche Gründungsmängel geltend zu machen vor allem davon abhängig, zu welchem Zeitpunkt dies geschieht. 61 Vor der Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister richten sich die Rechtsfolgen von etwaigen Gründungsmängeln vor allem danach, ob die Gesellschaft bereits in Vollzug gesetzt worden ist, d. h. mit einer nach außen gerichteten Tätigkeit oder der Bildung von Gesellschaftsvermögen begonnen hat. Vor Invollzugsetzung der Gesellschaft kommen die allgemeinen Vorschriften des BGB über Willensmängel und sonstige Fehler von Rechtsgeschäften (z. B. §§ 104 ff., 116 ff., 119 ff., 134, 139 BGB, nicht aber § 139 BGB) zur Anwendung.75) Nach Invollzugsetzung der Gesellschaft kommt das Sonderrecht der fehlerhaften Gesellschaft zur Anwendung. Danach ist die fehlerhaft gegründete Gesellschaft grundsätzlich als wirksam zu behandeln und der Gesellschafter, der sich auf den Mangel beruft, muss ggf. den Weg der Auflösung und Abwicklung der Vorgesellschaft beschreiten.76) 62 Nach der Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister haben Gründungsmängel grundsätzlich keine Wirkung mehr. Die Gesellschaft ist mit Eintragung wirksam entstanden (siehe § 41 Abs. 1). Eine Löschung oder Auflösung der Gesellschaft kommt nur ganz ausnahmsweise bei schwerwiegenden Gründungsmängeln in Betracht (siehe etwa §§ 275 ff., §§ 397 ff. FamFG).77) 63 Die Nichtigkeit einzelner Satzungsbestimmungen (§ 241 Nr. 3) entfällt rückwirkend, wenn die Gesellschaft seit mindestens drei Jahren im Handelsregister eingetragen ist (§ 242 Abs. 2 analog).78) VIII. Schuldrechtliche Nebenabreden 64 Schuldrechtliche Nebenabreden (teilweise auch als satzungsergänzende Nebenabreden bezeichnet) sind Vereinbarungen von Aktionären,79) die diese vor, bei oder nach der Gründung der Gesellschaft außerhalb der Satzungsurkunde treffen und darin ihre Rechtsverhältnisse untereinander oder ihre Rechtsverhältnisse zur Gesellschaft regeln.80) Gegenstand solcher Nebenabreden sind in der Praxis oftmals Finanzierungsbeiträge der Aktionäre (über die nach der Satzung bestehenden Einlagepflichten hinaus), Stimmbindungen (siehe aber §§ 136 Abs. 2, 405 Abs. 3 Nr. 681), Beschränkungen des Aktionärskreises durch _____________ 75) Hölters-Solveen, AktG, § 23 Rz. 34; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 23 Rz. 41; A. Arnold in: KölnKommAktG, § 23 Rz. 158 f.; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 23 Rz. 59; Spindler/Stilz-Limmer, AktG, § 23 Rz. 36. 76) Hölters-Solveen, AktG, § 23 Rz. 35; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 23 Rz. 41; A. Arnold in: KölnKommAktG, § 23 Rz. 160 ff.; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 23 Rz. 59; Spindler/Stilz-Limmer, AktG, § 23 Rz. 37. – Kritisch dazu Pentz in: MünchKomm-AktG, § 23 Rz. 169 ff. 77) Hölters-Solveen, AktG, § 23 Rz. 36 ff.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 23 Rz. 42; A. Arnold in: KölnKommAktG, § 23 Rz. 164 ff.; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 23 Rz. 60 ff.; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 23 Rz. 174 ff.; Spindler/Stilz-Limmer, AktG, § 23 Rz. 38. 78) BGH, Urt. v. 19.6.2000 – II ZR 73/99, BGHZ 144, 365 = ZIP 2000, 1294, dazu EWiR 2000, 943 (Casper) – zur Heilung einer nichtigen Bestimmung in der Ursprungssatzung einer GmbH. 79) Zur Nichtigkeit einer schuldrechtlichen Vereinbarung zwischen einer AG und ihrem Aktionär mit der Verpflichtung zur unentgeltlichen Rückübertragung von entgeltlich erworbenen Aktien s. BGH, Urt. v. 22.1.2013 – II ZR 80/10, ZIP 2013, 263, dazu EWiR 2013, 131 (Seibt). Ausführlich dazu Cziupka/ Kliebisch, BB 2013, 715; Noack, NZG 2013, 281. 80) Grundlegend dazu (zum GmbH-Recht) BGH, Beschl. v. 15.3.2010 – II ZR 4/09, ZIP 2010, 1749, dazu EWiR 2010, 639 (Wahl/Schult) – zur Zulässigkeit einer schuldrechtlichen Nebenabrede über die Berechnung der Abfindung im Falle des Ausscheidens eines Gesellschafters. Ausführlich dazu Leitzen, RNotZ 2010, 566; Lieder in: Fleischer/Kalss/Vogt, S. 231 ff.; Noack, NZG 2010, 1017. 81) Zur Nichtigkeit eines Stimmbindungsvertrages wegen Verstoß gegen § 136 Abs. 2 s. OLG Oldenburg, Urt. v. 16.3.2006 – 1 U 12/05, ZEV 2007, 35 mit Anm. Reimann = RNotZ 2006, 479 mit Anm. Oppermann.

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§ 23

Feststellung der Satzung

Vorkaufs- und Vorerwerbsrechte, Andienungspflichten, Mitverkaufsrechte und -pflichten, Fragen der Besetzung und Besoldung von Vorstand und Aufsichtsrat, u. a. m.82) Ein wesentlicher Grund für den Abschluss solcher schuldrechtlicher Nebenabreden be- 65 steht darin, dass sie im Unterschied zur Satzung (§ 9 Abs. 1 HGB) nicht der Publizität des Handelsregisters unterliegen.83) Darüber hinaus können i. R. einer schuldrechtlichen Vereinbarung auch solche Regelungen getroffen werden, die aufgrund des grundsätzlich zwingenden Charakters des Aktienrechts (siehe § 23 Abs. 5) in der Satzung nicht wirksam vereinbart werden können.84) Schuldrechtliche Vereinbarungen können darüber hinaus deutlich einfacher und schneller als die Satzung (siehe §§ 179 ff.) an veränderte Verhältnisse angepasst oder geändert werden. Im Unterschied zur Satzung binden die schuldrechtlichen Nebenabreden allerdings nur die daran beteiligten Personen. Mit der Übertragung von Aktien gehen die Rechte und Pflichten aus der schuldrechtlichen Nebenabrede daher nicht automatisch auch auf den Erwerber über. Schuldrechtliche Nebenabreden sind im Allgemeinen zwei- oder mehrseitige Verträge, 66 mit denen aufgrund der gemeinsamen Zweckverfolgung eine Innengesellschaft des bürgerlichen Rechts (§§ 705 ff. BGB) begründet wird.85) Schuldrechtliche Nebenabreden sind von der Satzung unabhängig. Für die Auslegung der 67 Satzung sind sie ohne Bedeutung. Schuldrechtliche Nebenabreden beeinflussen auch nicht den Inhalt oder Umfang der Treuepflicht der beteiligten Aktionäre. Hauptversammlungsbeschlüsse können auch dann nicht wegen eines Verstoßes gegen eine schuldrechtliche Nebenabrede angefochten werden, wenn alle Aktionäre an dieser beteiligt sind.86) IX.

Vorrats- und Mantelgesellschaften

Die Vorschriften über die ordnungsgemäße Kapitalaufbringung gelten nach ständiger 68 Rechtsprechung87) nicht nur in Fällen der rechtlichen, sondern auch der wirtschaftlichen Neugründung einer Kapitalgesellschaft.88) Eine wirtschaftliche Neugründung wird angenommen, wenn eine rechtliche bereits bestehende Kapitalgesellschaft erstmals (Vorratsgesellschaft)89) oder erneut (Mantelgesellschaft)90) unternehmerisch tätig wird. Entscheidend _____________ 82) Bürgers/Körber-Körber, AktG, § 23 Rz. 52; Hölters-Solveen, AktG, § 23 Rz. 39; A. Arnold in: KölnKommAktG, § 23 Rz. 174; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 23 Rz. 64; Spindler/Stilz-Limmer, AktG, § 23 Rz. 41. 83) Hölters-Solveen, AktG, § 23 Rz. 40; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 23 Rz. 173; K. Schmidt/ Lutter-Seibt, AktG, § 23 Rz. 65; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 23 Rz. 189. 84) Zu einer abweichenden Gewinnverteilung nach § 60 Abs. 3 AktG außerhalb der Satzung s. LG Frankfurt/M., Urt. v. 23.12.2014 – 3-05 O 47/14, ZIP 2015, 931. Ausführlich dazu Harbarth/Zeyher/ Brechtel, AG 2016, 801; Priester, ZIP 2015, 2156. 85) Hölters-Solveen, AktG, § 23 Rz. 40; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 23 Rz. 175; K. Schmidt/ Lutter-Seibt, AktG, § 23 Rz. 65. 86) Hölters-Solveen, AktG, § 23 Rz. 41; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 23 Rz. 176 und 180. – A. A. K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 23 Rz. 68 (auch unter Hinweis auf die – ältere – Rspr. des BGH zum GmbH-Recht). 87) Gleichwohl kritisch dazu u. a. Habersack, AG 2010, 845; K. Schmidt, ZIP 2010, 857. Grundsätzlich zustimmend dagegen Bachmann, NZG 2011, 441; Bayer in: FS Goette, S. 15 ff. 88) Ausführlich dazu u. a. Hölters-Solveen, AktG, § 23 Rz. 44 ff.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 23 Rz. 25 ff.; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 23 Rz. 92 ff.; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 23 Rz. 39 ff.; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 23 Rz. 87 ff.; Spindler/Stilz-Limmer, AktG, § 23 Rz. 42 ff. 89) Grundlegend zur wirtschaftlichen Neugründung einer Vorratsgesellschaft in der Rechtsform einer GmbH BGH, Urt. v. 9.12.2002 – II ZB 12/02, BGHZ 153, 158 = ZIP 2003, 251, dazu EWiR 2003, 327 (Keil). Zur Zulässigkeit der offenen Gründung einer Vorratsgesellschaft, deren Zweck sich typischerweise auf die Verwaltung eigenen Vermögens beschränkt, s. BGH, Urt. v. 16.3.1992 – II ZB 17/91, BGHZ 117, 323 = ZIP 1992, 689, dazu EWiR 1992, 673 (Kraft) – zur AG. 90) Zur wirtschaftlichen Neugründung einer Mantelgesellschaft in der Rechtsform einer GmbH BGH, Urt. v. 7.7.2003 – II ZB 4/02, BGHZ 155, 318 = ZIP 2003, 1698, dazu EWiR 2005, 179 (Werner).

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§ 24

(aufgehoben)

dabei ist, dass es sich bei der Gesellschaft lediglich um eine leere Hülse handelt, so dass der künftige Geschäftsbetrieb nicht an einen bereits bestehenden Geschäftsbetrieb anknüpfen kann.91) 69 In allen Fällen der wirtschaftlichen Neugründung müssen die Gründer und alle Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats (§ 36 Abs. 1 analog) (erneut) erklären, dass die Leistungen auf die Einlagen ordnungsgemäß erbracht worden sind und sich unverändert (oder wieder) in der endgültig freien Verfügung des Vorstands befinden (§§ 36 Abs. 2, 37 Abs. 1 analog).92) Die erforderliche Offenlegung muss gegenüber dem Registergericht in Form einer Handelsregisteranmeldung erfolgen (§ 12 HGB). Verstöße gegen die Verpflichtung zur Offenlegung führen zu einer persönlichen Haftung der Beteiligten nach den Grundsätzen der Unter-bilanzhaftung (Vorbelastungshaftung)93) sowie der Handelndenhaftung (§ 41 Abs. 1 Satz 2 analog).94) _____________ 91) S. BGH, Beschl. v. 18.1.2010 – II ZR 61/09, ZIP 2010, 621, dazu EWiR 2010, 611 (Schmitz-DuMont) – keine wirtschaftliche Neugründung bei gestreckter Umsetzung des Gründungsvorgangs. 92) Zu Art und Umfang der erforderlichen Prüfung einer wirtschaftlichen Neugründung (§§ 32 ff. analog) und der dem Registergericht einzureichenden Berichte s. insbesondere Spindler/Stilz-Limmer, AktG, § 23 Rz. 47, sowie Heinze, BB 2012, 67; Theusinger/Andrä, ZIP 2014, 1916; Winnen, RNotZ 2013, 389. – Zur wirtschaftlichen Neugründung bei Verwendung von Börsenmänteln s. Schaefer/Steiner/Link, DStR 2016, 1166. 93) S. dazu im Zusammenhang mit der unterlassenen Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung einer Mantelgesellschaft in der Rechtsform einer GmbH, BGH, Urt. v. 6.3.2012 – II ZR 56/10, ZIP 2012, 817, dazu EWiR 2012, 347 (Bayer). – Ausführlich dazu Bachmann, NZG 2012, 579; Gottschalk, DStR 2012, 1458; Horn, DB 2012, 1255; Jeep, NZG 2012, 1209; Kuszlik, GmbHR 2012, 882; Podewils, GmbHR 2012, 1175; Tavakoli, NJW 2012, 1855; Ulmer, ZIP 2012, 1265; Winnen, RNotZ 2013, 389. 94) Zur Haftung des Vormanns eines ausgeschlossenen Aktionärs für die rückständige Einlage bei wirtschaftlicher Neugründung LG München I, Urt. v. 30.8.2012 – 5 HK O 5699/11, ZIP 2012, 2152.

§ 24 (aufgehoben) 1 § 24 AktG (Umwandlung von Aktien) wurde im Rahmen der Aktienrechtsnovelle 20161) ersatzlos aufgehoben (siehe dazu auch § 10 AktG).2) _____________ 1) 2)

Art. 1 Nr. 2 der Aktienrechtsnovelle 2016, BGBl. I 2015, 2565. – S. Einf., Rz. 21, und die amtliche Gesetzesbegründung in BT-Drucks. 18/4339, S. 15 ff. Zur Umwandlung von Namensaktien in Inhaberaktien (und umgekehrt) s. u. a. Huep, WM 2000, 1623; Noack in: FS Bezzenberger, S. 291; Schaper, AG 2016, 889; Schäfer/Hoffmann, GWR 2016, 478.

§ 25 Bekanntmachungen der Gesellschaft Bestimmt das Gesetz oder die Satzung, daß eine Bekanntmachung der Gesellschaft durch die Gesellschaftsblätter erfolgen soll, so ist sie in den Bundesanzeiger einzurücken. Literatur: Oppermann, Veröffentlichung der Hauptversammlungseinladung im elektronischen Bundesanzeiger ausreichend?, ZIP 2003, 793; Spindler/Kramski, Der elektronische Bundesanzeiger als zwingendes Gesellschaftsblatt für Pflichtbekanntmachungen der GmbH, NZG 2005, 746.

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§ 24

(aufgehoben)

dabei ist, dass es sich bei der Gesellschaft lediglich um eine leere Hülse handelt, so dass der künftige Geschäftsbetrieb nicht an einen bereits bestehenden Geschäftsbetrieb anknüpfen kann.91) 69 In allen Fällen der wirtschaftlichen Neugründung müssen die Gründer und alle Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats (§ 36 Abs. 1 analog) (erneut) erklären, dass die Leistungen auf die Einlagen ordnungsgemäß erbracht worden sind und sich unverändert (oder wieder) in der endgültig freien Verfügung des Vorstands befinden (§§ 36 Abs. 2, 37 Abs. 1 analog).92) Die erforderliche Offenlegung muss gegenüber dem Registergericht in Form einer Handelsregisteranmeldung erfolgen (§ 12 HGB). Verstöße gegen die Verpflichtung zur Offenlegung führen zu einer persönlichen Haftung der Beteiligten nach den Grundsätzen der Unter-bilanzhaftung (Vorbelastungshaftung)93) sowie der Handelndenhaftung (§ 41 Abs. 1 Satz 2 analog).94) _____________ 91) S. BGH, Beschl. v. 18.1.2010 – II ZR 61/09, ZIP 2010, 621, dazu EWiR 2010, 611 (Schmitz-DuMont) – keine wirtschaftliche Neugründung bei gestreckter Umsetzung des Gründungsvorgangs. 92) Zu Art und Umfang der erforderlichen Prüfung einer wirtschaftlichen Neugründung (§§ 32 ff. analog) und der dem Registergericht einzureichenden Berichte s. insbesondere Spindler/Stilz-Limmer, AktG, § 23 Rz. 47, sowie Heinze, BB 2012, 67; Theusinger/Andrä, ZIP 2014, 1916; Winnen, RNotZ 2013, 389. – Zur wirtschaftlichen Neugründung bei Verwendung von Börsenmänteln s. Schaefer/Steiner/Link, DStR 2016, 1166. 93) S. dazu im Zusammenhang mit der unterlassenen Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung einer Mantelgesellschaft in der Rechtsform einer GmbH, BGH, Urt. v. 6.3.2012 – II ZR 56/10, ZIP 2012, 817, dazu EWiR 2012, 347 (Bayer). – Ausführlich dazu Bachmann, NZG 2012, 579; Gottschalk, DStR 2012, 1458; Horn, DB 2012, 1255; Jeep, NZG 2012, 1209; Kuszlik, GmbHR 2012, 882; Podewils, GmbHR 2012, 1175; Tavakoli, NJW 2012, 1855; Ulmer, ZIP 2012, 1265; Winnen, RNotZ 2013, 389. 94) Zur Haftung des Vormanns eines ausgeschlossenen Aktionärs für die rückständige Einlage bei wirtschaftlicher Neugründung LG München I, Urt. v. 30.8.2012 – 5 HK O 5699/11, ZIP 2012, 2152.

§ 24 (aufgehoben) 1 § 24 AktG (Umwandlung von Aktien) wurde im Rahmen der Aktienrechtsnovelle 20161) ersatzlos aufgehoben (siehe dazu auch § 10 AktG).2) _____________ 1) 2)

Art. 1 Nr. 2 der Aktienrechtsnovelle 2016, BGBl. I 2015, 2565. – S. Einf., Rz. 21, und die amtliche Gesetzesbegründung in BT-Drucks. 18/4339, S. 15 ff. Zur Umwandlung von Namensaktien in Inhaberaktien (und umgekehrt) s. u. a. Huep, WM 2000, 1623; Noack in: FS Bezzenberger, S. 291; Schaper, AG 2016, 889; Schäfer/Hoffmann, GWR 2016, 478.

§ 25 Bekanntmachungen der Gesellschaft Bestimmt das Gesetz oder die Satzung, daß eine Bekanntmachung der Gesellschaft durch die Gesellschaftsblätter erfolgen soll, so ist sie in den Bundesanzeiger einzurücken. Literatur: Oppermann, Veröffentlichung der Hauptversammlungseinladung im elektronischen Bundesanzeiger ausreichend?, ZIP 2003, 793; Spindler/Kramski, Der elektronische Bundesanzeiger als zwingendes Gesellschaftsblatt für Pflichtbekanntmachungen der GmbH, NZG 2005, 746.

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Thomas Wachter

§ 24

(aufgehoben)

dabei ist, dass es sich bei der Gesellschaft lediglich um eine leere Hülse handelt, so dass der künftige Geschäftsbetrieb nicht an einen bereits bestehenden Geschäftsbetrieb anknüpfen kann.91) 69 In allen Fällen der wirtschaftlichen Neugründung müssen die Gründer und alle Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats (§ 36 Abs. 1 analog) (erneut) erklären, dass die Leistungen auf die Einlagen ordnungsgemäß erbracht worden sind und sich unverändert (oder wieder) in der endgültig freien Verfügung des Vorstands befinden (§§ 36 Abs. 2, 37 Abs. 1 analog).92) Die erforderliche Offenlegung muss gegenüber dem Registergericht in Form einer Handelsregisteranmeldung erfolgen (§ 12 HGB). Verstöße gegen die Verpflichtung zur Offenlegung führen zu einer persönlichen Haftung der Beteiligten nach den Grundsätzen der Unter-bilanzhaftung (Vorbelastungshaftung)93) sowie der Handelndenhaftung (§ 41 Abs. 1 Satz 2 analog).94) _____________ 91) S. BGH, Beschl. v. 18.1.2010 – II ZR 61/09, ZIP 2010, 621, dazu EWiR 2010, 611 (Schmitz-DuMont) – keine wirtschaftliche Neugründung bei gestreckter Umsetzung des Gründungsvorgangs. 92) Zu Art und Umfang der erforderlichen Prüfung einer wirtschaftlichen Neugründung (§§ 32 ff. analog) und der dem Registergericht einzureichenden Berichte s. insbesondere Spindler/Stilz-Limmer, AktG, § 23 Rz. 47, sowie Heinze, BB 2012, 67; Theusinger/Andrä, ZIP 2014, 1916; Winnen, RNotZ 2013, 389. – Zur wirtschaftlichen Neugründung bei Verwendung von Börsenmänteln s. Schaefer/Steiner/Link, DStR 2016, 1166. 93) S. dazu im Zusammenhang mit der unterlassenen Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung einer Mantelgesellschaft in der Rechtsform einer GmbH, BGH, Urt. v. 6.3.2012 – II ZR 56/10, ZIP 2012, 817, dazu EWiR 2012, 347 (Bayer). – Ausführlich dazu Bachmann, NZG 2012, 579; Gottschalk, DStR 2012, 1458; Horn, DB 2012, 1255; Jeep, NZG 2012, 1209; Kuszlik, GmbHR 2012, 882; Podewils, GmbHR 2012, 1175; Tavakoli, NJW 2012, 1855; Ulmer, ZIP 2012, 1265; Winnen, RNotZ 2013, 389. 94) Zur Haftung des Vormanns eines ausgeschlossenen Aktionärs für die rückständige Einlage bei wirtschaftlicher Neugründung LG München I, Urt. v. 30.8.2012 – 5 HK O 5699/11, ZIP 2012, 2152.

§ 24 (aufgehoben) 1 § 24 AktG (Umwandlung von Aktien) wurde im Rahmen der Aktienrechtsnovelle 20161) ersatzlos aufgehoben (siehe dazu auch § 10 AktG).2) _____________ 1) 2)

Art. 1 Nr. 2 der Aktienrechtsnovelle 2016, BGBl. I 2015, 2565. – S. Einf., Rz. 21, und die amtliche Gesetzesbegründung in BT-Drucks. 18/4339, S. 15 ff. Zur Umwandlung von Namensaktien in Inhaberaktien (und umgekehrt) s. u. a. Huep, WM 2000, 1623; Noack in: FS Bezzenberger, S. 291; Schaper, AG 2016, 889; Schäfer/Hoffmann, GWR 2016, 478.

§ 25 Bekanntmachungen der Gesellschaft Bestimmt das Gesetz oder die Satzung, daß eine Bekanntmachung der Gesellschaft durch die Gesellschaftsblätter erfolgen soll, so ist sie in den Bundesanzeiger einzurücken. Literatur: Oppermann, Veröffentlichung der Hauptversammlungseinladung im elektronischen Bundesanzeiger ausreichend?, ZIP 2003, 793; Spindler/Kramski, Der elektronische Bundesanzeiger als zwingendes Gesellschaftsblatt für Pflichtbekanntmachungen der GmbH, NZG 2005, 746.

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Thomas Wachter

§ 25

Bekanntmachungen der Gesellschaft Übersicht I. Überblick ............................................ 1 II. Pflichtgesellschaftsblatt .................... 4 I.

III. Weitere Gesellschaftsblätter ............ 8 IV. Rechtsfolgen .................................... 10

Überblick

Das AktG sieht in zahlreichen Vorschriften vor, dass bestimmte Bekanntmachungen in 1 Bezug auf die Gesellschaft in den Gesellschaftsblättern erfolgen müssen (z. B. die Einberufung der Hauptversammlung und die Tagesordnung nach §§ 121 Abs. 4 Satz 1, 124). Darüber hinaus ist auch in manchen Satzungen eine Bekanntmachung in den Gesellschaftsblättern vorgesehen. Solche gesetzlich oder satzungsgemäß vorgesehenen Bekanntmachungen (Pflichtbekanntmachungen) sind zwingend in den Bundesanzeiger (www.bundesanzeiger.de) einzurücken (§ 25 Satz 1). Auf diese Weise soll eine schnelle, zuverlässige und umfassende Information der Öffentlichkeit (nicht nur der Aktionäre) erreicht werden.1) Die Satzung kann – neben dem Bundesanzeiger – noch andere Blätter (z. B. Tageszeitungen) oder elektronische Informationsmedien (z. B. die Internetseite der Gesellschaft) als (weitere) Gesellschaftsblätter vorsehen (§ 25 Satz 2). Die Pflichtbekanntmachungen müssen dann zusätzlich auch in diese Gesellschaftsblätter eingerückt werden. Die Vorschrift (des § 25) betrifft nur die Pflichtbekanntmachungen, und nicht auch freiwillige Bekanntmachungen der Gesellschaft. Die Satzung jeder AG muss u. a. auch Bestimmungen über die Form der Bekanntma- 2 chungen der Gesellschaft enthalten (§ 23 Abs. 4). Diese betrifft aber nur die freiwilligen Bekanntmachungen (und nicht auch die in § 25 geregelten Pflichtbekanntmachungen), die nicht zwingend in den Gesellschaftsblättern erfolgen müssen (z. B. Quartalsberichte).2) Die Satzung kann die Bekanntmachung insoweit frei bestimmen. Möglich ist die Bekanntmachung in einem (oder mehreren) Print- oder Online-Medium. Von den Bekanntmachungen der Gesellschaft (Pflichtbekanntmachungen und freiwilligen 3 Bekanntmachungen) sind insbesondere die Bekanntmachungen des Registergerichts zu unterscheiden (§ 10 HGB; siehe auch § 106 Halbs. 2 AktG). Das Registergericht macht von Amts wegen die Eintragungen in das Handelsregister in dem von der Landesjustizverwaltung bestimmten elektronischen Informations- und Kommunikationsmedium bekannt (siehe www.handelsregisterbekanntmachungen.de). Im Rahmen der Aktienrechtsnovelle 2016 wurde die Regelung des § 25 Abs. 2 ersatzlos gestrichen.3) II.

Pflichtgesellschaftsblatt

Bekanntmachungen der Gesellschaft müssen regelmäßig in den Gesellschaftsblättern 4 erfolgen (Beispiele: §§ 20 Abs. 6, 64 Abs. 2 und 3, 73 Abs. 2 Satz 3, 97 Abs. 1, 121 Abs. 4 Satz 1, 124, 186 Abs. 2 und 5, 214 Abs. 1, 226 Abs. 2, 246 Abs. 4, 259 Abs. 5). Darüber hinaus müssen auch einzelne Bekanntmachungen der Gerichte in den Gesellschaftsblättern bekannt gemacht werden (z. B. bei gerichtlichen Entscheidungen über die Zusammensetzung des Aufsichtsrats nach § 99 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4 Satz 2). In wenigen Einzelfällen kann in der Satzung eine andere Art der Bekanntmachung bestimmt werden (z. B. für die Aufforderung von Aktionären zur Einzahlung der fälligen Einlagen nach § 63 Abs. 1 Satz 2 durch Einschreiben mit Rückschein). _____________ 1) 2) 3)

Hölters-Solveen, AktG, § 25 Rz. 2; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 25 Rz. 2; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 25 Rz. 1. Hölters-Solveen, AktG, § 25 Rz. 1. Art. 1 Nr. 3 der Aktienrechtsnovelle 2016, BGBl. I 2015, 2565. – S. Einf., Rz. 21.

Thomas Wachter

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§ 25

Bekanntmachungen der Gesellschaft

5 Für eine Bekanntmachung durch die Gesellschaftsblätter ist eine Veröffentlichung im Bundesanzeiger zwingend erforderlich (§ 25). Der Bundesanzeiger ist somit für alle AG einheitlich das Pflichtgesellschaftsblatt. Eine zusätzliche Bekanntmachung in einem anderen Medium ist grundsätzlich nicht erforderlich.4) Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Satzung oder das Gesetz (siehe § 186 Abs. 2 Satz 2: „in den Gesellschaftsblättern und über ein elektronisches Informationsmedium bekannt zu machen“) dies ausnahmsweise vorsehen. 6 Der (elektronische) Bundesanzeiger ist seit dem 1.1.2003 alleiniges Pflichtgesellschaftsblatt.5) Der „elektronische Bundesanzeiger“ wurde zum 1.4.2012 in „Bundesanzeiger“ umbenannt.6) Die Bezeichnung „elektronischer Bundesanzeiger“ gib es nicht mehr; in der Sache gibt es gleichwohl nur noch den elektronischen Bundesanzeiger, der jetzt allerdings schlicht „Bundeszeiger“ heißt. In älteren Satzungen wird für die Bekanntmachungen der Gesellschaft teilweise noch auf den „Bundesanzeiger“ Bezug genommen. Solche Satzungsbestimmungen sind nunmehr (wieder) zutreffend und meinen den (elektronischen) Bundesanzeiger.7) In neueren Satzungen wird dagegen vielfach auf den „elektronischen Bundesanzeiger“ verwiesen. Eine Änderung dieser Satzungsbestimmungen ist rechtlich nicht zwingend erforderlich, da der „elektronische Bundesanzeiger“ lediglich seine Bezeichnung geändert hat. Die Regelung ist auch eindeutig, da es den Bundesanzeiger nur noch in elektronischer Form (und nicht mehr in Papierform) gibt. Eine Anpassung der Satzung an den Gesetzeswortlaut ist aber gleichwohl möglich und regelmäßig auch empfehlenswert. Die Änderung kann dabei vom Aufsichtsrat beschlossen werden, wenn dieser zu Fassungsänderungen ermächtigt worden ist (§ 179 Abs. 1 Satz 2). 7 Als Nachweis der erfolgten Bekanntmachung (z. B. nach § 130 Abs. 3) dient ein Ausdruck aus dem Bundesanzeiger. Darüber hinaus ist auch der Hinweis auf die Internetadresse ausreichend.8) III.

Weitere Gesellschaftsblätter

8 Die Satzung der Gesellschaft kann (neben dem Bundesanzeiger) noch andere Blätter oder elektronische Informationsmedien als Gesellschaftsblätter bezeichnen (vgl. § 25 Satz 2 a. F.). Andere Blätter sind v. a. (in- und ausländische) Tageszeitungen und Zeitschriften aller Art. Mit elektronischen Informationsmedien ist insbesondere die Internetseite der Gesellschaft gemeint (siehe auch § 124a).9) 9 Hat die Satzung für die Bekanntmachungen der Gesellschaft (ausnahmsweise) weitere Gesellschaftsblätter bestimmt, müssen alle Bekanntmachungen sowohl im Bundesanzeiger als auch in den weiteren Gesellschaftsblättern erfolgen. Eine Bekanntmachung ist in diesem Fall erst dann ordnungsgemäß erfolgt, wenn alle Veröffentlichungen vollständig erfolgt

_____________ 4) 5) 6) 7)

8) 9)

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Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 25 Rz. 3; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 25 Rz. 3. Änderung durch Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität, Transparenz- und Publizitätsgesetz (TransPuG), BGBl. I 2002, 2681. Art. 1 Nr. 8 und Art. 2 Abs. 49 Nr. 3 des Gesetzes zur Änderung von Vorschriften über Verkündung und Bekanntmachungen vom 22.12.2011, BGBl. I 2011, 3044. Bürgers/Körber-Lohse, AktG, § 25 Rz. 3; Hölters-Solveen, AktG, § 25 Rz. 5; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 25 Rz. 3; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 25 Rz. 6; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 25 Rz. 6; Spindler/Stilz-Limmer, AktG, § 25 Rz. 5. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 25 Rz. 3; Spindler/Stilz-Limmer, AktG, § 25 Rz. 4. Einschränkend h. M. – Bekanntmachungen in einer Fremdsprache nur dann, wenn dies in der Satzung ausdrücklich vorgesehen ist – Hölters-Solveen, AktG, § 25 Rz. 6; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 25 Rz. 4; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 25 Rz. 10; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 25 Rz. 7; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 25 Rz. 11.

Thomas Wachter

§ 26

Sondervorteile. Gründungsaufwand

sind.10) Angesichts des Risikos einer unvollständigen oder nicht fristgerechten Bekanntmachung (siehe §§ 241 Nr. 1, 121 Abs. 4 Satz 1: Nichtigkeit der Beschlüsse der Hauptversammlung) wird in der Praxis von dieser Möglichkeit zu Recht kaum Gebrauch gemacht.11) Freiwillige Veröffentlichungen in anderen Medien sind i. Ü. auch ohne Satzungsregelung stets möglich.12) IV.

Rechtsfolgen

Die Bekanntmachung erfolgt mit dem Einrücken in den Bundesanzeiger (§ 25). Dies 10 setzt voraus, dass die Bekanntmachung auf der Internetseite des Bundesanzeigers eingestellt ist und dort abgerufen werden kann.13) Dieser Tag ist grundsätzlich auch für einen etwaigen Fristbeginn maßgebend, der an die Bekanntmachung geknüpft ist (z. B. bei der Ladung zur Hauptversammlung nach §§ 121 Abs. 4 Satz 1, 123 Abs. 1). Hat die Satzung für Pflichtbekanntmachungen (neben dem Bundesanzeiger) ausnahmsweise jedoch noch weitere Gesellschaftsblätter bestimmt, beginnt die Frist jedoch erst mit der zeitlich letzten Veröffentlichung zu laufen.14) Denn nur dann ist sichergestellt, dass die gesetzlich oder satzungsgemäß vorgesehene Frist den Aktionären auch uneingeschränkt zur Verfügung stand. Ausnahmen bestehen nur dann, wenn das Gesetz für den Fristbeginn nicht auf die Bekanntmachung in den Gesellschaftsblättern, sondern im Bundesanzeiger abstellt (wie dies etwa in §§ 97 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 1 der Fall ist).15) Eine fehlerhafte Bekanntmachung ist nicht wirksam und entfaltet keinerlei Rechtswir- 11 kungen (z. B. keinen Fristbeginn).16) _____________ 10) S. zur GmbH OLG Stuttgart, Beschl. v. 12.11.2010 – 8 W 444/10, ZIP 2011, 84 – Bekanntmachung im elektronischen Bundesanzeiger bei abweichender Satzungsregelung nicht ausreichend. 11) Wegen der damit verbundenen Fehlerquellen von dieser Möglichkeit zu Recht abratend A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 25 Rz. 7; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 25 Rz. 9; Spindler/Stilz-Limmer, AktG, § 25 Rz. 2 und 6. 12) Hölters-Solveen, AktG, § 25 Rz. 7; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 25 Rz. 4. 13) Hölters-Solveen, AktG, § 25 Rz. 4; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 25 Rz. 2. 14) A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 25 Rz. 14. 15) Weitergehend (u. a. auch für die Fälle der §§ 125 Abs. 1, 126 Abs. 1 AktG) Hölters-Solveen, AktG, § 25 Rz. 8; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 25 Rz. 5; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 25 Rz. 8. 16) A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 25 Rz. 15.

§ 26 Sondervorteile. Gründungsaufwand (1) Jeder einem einzelnen Aktionär oder einem Dritten eingeräumte besondere Vorteil muß in der Satzung unter Bezeichnung des Berechtigten festgesetzt werden. (2) Der Gesamtaufwand, der zu Lasten der Gesellschaft an Aktionäre oder an andere Personen als Entschädigung oder als Belohnung für die Gründung oder ihre Vorbereitung gewährt wird, ist in der Satzung gesondert festzusetzen. (3) 1Ohne diese Festsetzung sind die Verträge und die Rechtshandlungen zu ihrer Ausführung der Gesellschaft gegenüber unwirksam. 2Nach der Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister kann die Unwirksamkeit nicht durch Satzungsänderung geheilt werden. (4) Die Festsetzungen können erst geändert werden, wenn die Gesellschaft fünf Jahre im Handelsregister eingetragen ist.

Thomas Wachter

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§ 26

Sondervorteile. Gründungsaufwand

sind.10) Angesichts des Risikos einer unvollständigen oder nicht fristgerechten Bekanntmachung (siehe §§ 241 Nr. 1, 121 Abs. 4 Satz 1: Nichtigkeit der Beschlüsse der Hauptversammlung) wird in der Praxis von dieser Möglichkeit zu Recht kaum Gebrauch gemacht.11) Freiwillige Veröffentlichungen in anderen Medien sind i. Ü. auch ohne Satzungsregelung stets möglich.12) IV.

Rechtsfolgen

Die Bekanntmachung erfolgt mit dem Einrücken in den Bundesanzeiger (§ 25). Dies 10 setzt voraus, dass die Bekanntmachung auf der Internetseite des Bundesanzeigers eingestellt ist und dort abgerufen werden kann.13) Dieser Tag ist grundsätzlich auch für einen etwaigen Fristbeginn maßgebend, der an die Bekanntmachung geknüpft ist (z. B. bei der Ladung zur Hauptversammlung nach §§ 121 Abs. 4 Satz 1, 123 Abs. 1). Hat die Satzung für Pflichtbekanntmachungen (neben dem Bundesanzeiger) ausnahmsweise jedoch noch weitere Gesellschaftsblätter bestimmt, beginnt die Frist jedoch erst mit der zeitlich letzten Veröffentlichung zu laufen.14) Denn nur dann ist sichergestellt, dass die gesetzlich oder satzungsgemäß vorgesehene Frist den Aktionären auch uneingeschränkt zur Verfügung stand. Ausnahmen bestehen nur dann, wenn das Gesetz für den Fristbeginn nicht auf die Bekanntmachung in den Gesellschaftsblättern, sondern im Bundesanzeiger abstellt (wie dies etwa in §§ 97 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 1 der Fall ist).15) Eine fehlerhafte Bekanntmachung ist nicht wirksam und entfaltet keinerlei Rechtswir- 11 kungen (z. B. keinen Fristbeginn).16) _____________ 10) S. zur GmbH OLG Stuttgart, Beschl. v. 12.11.2010 – 8 W 444/10, ZIP 2011, 84 – Bekanntmachung im elektronischen Bundesanzeiger bei abweichender Satzungsregelung nicht ausreichend. 11) Wegen der damit verbundenen Fehlerquellen von dieser Möglichkeit zu Recht abratend A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 25 Rz. 7; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 25 Rz. 9; Spindler/Stilz-Limmer, AktG, § 25 Rz. 2 und 6. 12) Hölters-Solveen, AktG, § 25 Rz. 7; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 25 Rz. 4. 13) Hölters-Solveen, AktG, § 25 Rz. 4; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 25 Rz. 2. 14) A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 25 Rz. 14. 15) Weitergehend (u. a. auch für die Fälle der §§ 125 Abs. 1, 126 Abs. 1 AktG) Hölters-Solveen, AktG, § 25 Rz. 8; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 25 Rz. 5; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 25 Rz. 8. 16) A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 25 Rz. 15.

§ 26 Sondervorteile. Gründungsaufwand (1) Jeder einem einzelnen Aktionär oder einem Dritten eingeräumte besondere Vorteil muß in der Satzung unter Bezeichnung des Berechtigten festgesetzt werden. (2) Der Gesamtaufwand, der zu Lasten der Gesellschaft an Aktionäre oder an andere Personen als Entschädigung oder als Belohnung für die Gründung oder ihre Vorbereitung gewährt wird, ist in der Satzung gesondert festzusetzen. (3) 1Ohne diese Festsetzung sind die Verträge und die Rechtshandlungen zu ihrer Ausführung der Gesellschaft gegenüber unwirksam. 2Nach der Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister kann die Unwirksamkeit nicht durch Satzungsänderung geheilt werden. (4) Die Festsetzungen können erst geändert werden, wenn die Gesellschaft fünf Jahre im Handelsregister eingetragen ist.

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§ 26

Sondervorteile. Gründungsaufwand

(5) Die Satzungsbestimmungen über die Festsetzungen können durch Satzungsänderung erst beseitigt werden, wenn die Gesellschaft dreißig Jahre im Handelsregister eingetragen ist und wenn die Rechtsverhältnisse, die den Festsetzungen zugrunde liegen, seit mindestens fünf Jahren abgewickelt sind. Literatur: Elsing, Gründungsaufwand und seine Höchstgrenze? § 5 GmbHG; § 26 AktG, DNotZ 2011, 245; Heinze, Kapitalerhöhungskosten im Aktienrecht, ZIP 2011, 1848.

Übersicht I. Überblick ........................................... 1 II. Sondervorteile (§ 26 Abs. 1) ............ 6 III. Gründungsaufwand (§ 26 Abs. 2) ..................................... 10 IV. Sanktionen ...................................... 17 I.

V. Änderung und Beseitigung der Festsetzungen in der Satzung (§ 26 Abs. 4, Abs. 5) ......................... 22 1. Änderung .......................................... 22 2. Beseitigung ........................................ 24

Überblick

1 Sondervorteile, die einem Aktionär oder einem Dritten im Zusammenhang mit der Gründung der Gesellschaft eingeräumt werden, müssen zwingend in der Satzung der Gesellschaft festgesetzt werden. Entsprechendes gilt auch für den Gründungsaufwand, der zulasten der Gesellschaft an Aktionäre oder Dritte gewährt wird. 2 Die Regelung bezweckt den Schutz von Aktionären und Gläubigern vor nicht erkennbaren Belastungen des Grundkapitals der Gesellschaft.1) Der Schutz erfolgt durch den Zwang zur Offenlegung aller Belastungen in der Satzung und damit auch im Handelsregister. Die damit verbundene Publizität muss mindestens für die Dauer von fünf Jahren nach Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister gewährleistet sein. 3 Jeder einem Aktionär oder einem Dritten eingeräumte besondere Vorteil (Sondervorteil) muss in der Satzung unter Bezeichnung des Berechtigten festgesetzt werden (§ 26 Abs. 1). Ebenso muss der Gesamtaufwand, der zulasten der Gesellschaft an Aktionäre als Entschädigung oder als Belohnung für die Gründung der Gesellschaft gewährt wird (Gründungsaufwand), in der Satzung gesondert festgesetzt werden (§ 26 Abs. 2). Verträge über Sondervorteile und Gründungsaufwand sowie die Rechtshandlungen zu ihrer Ausführung sind ohne diese Festsetzungen in der Satzung der Gesellschaft gegenüber unwirksam (§ 26 Abs. 3 Satz 1). Nach Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister kann die Unwirksamkeit nicht durch Satzungsänderung geheilt werden (§ 26 Abs. 3 Satz 2). Die Satzungsbestimmungen über die Festsetzung können erst nach Ablauf von fünf bzw. dreißig Jahren aufgehoben oder beseitigt werden (§ 26 Abs. 4 und 5). 4 Die Richtigkeit und Vollständigkeit der Festsetzungen über etwaige Sondervorteile und den Gründungsaufwand sind Gegenstand der Gründungsprüfung (§ 34 Abs. 1 Nr. 1). Der Handelsregisteranmeldung sind die Verträge über Sondervorteile sowie eine Berechnung des Gründungsaufwands als Anlagen beizufügen (§ 37 Abs. 4 Nr. 2). Im Rahmen der Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister unterliegen die Belastungen somit auch der registergerichtlichen Präventivkontrolle (§ 38 Abs. 1). 5 Die Regelung (des § 26 Abs. 1 bis 3, nicht aber auch § 37 Abs. 4 Nr. 2) gilt für die GmbH entsprechend.2) _____________ 1)

2)

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Hölters-Solveen, AktG, § 26 Rz. 2; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 26 Rz. 1; A. Arnold in: KölnKommAktG, § 26 Rz. 3; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 26 Rz. 2; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 26 Rz. 3 ff.; Spindler/Stilz-Limmer, AktG, § 26 Rz. 1. Grundlegend BGH, Beschl. v. 20.2.1989 – II ZB 10/88, BGHZ 107, 1 = ZIP 1989, 448, dazu EWiR 1989, 479 (Hüffer).

Thomas Wachter

§ 26

Sondervorteile. Gründungsaufwand II.

Sondervorteile (§ 26 Abs. 1)

Sondervorteile sind Vorteile jeglicher Art, die einzelnen oder mehreren Aktionären oder 6 Dritten im Zusammenhang mit der Gründung eingeräumt werden (§ 26 Abs. 1 und Abs. 3).3) Die Sondervorteile stehen den jeweiligen Berechtigten persönlich zu und sind keine Mitgliedschaftsrechte (etwa i. S. von § 11 Satz 1 AktG oder § 35 BGB). Sonderrechte können demnach unabhängig von der Aktie übertragen werden (siehe §§ 399, 413 BGB). Nach dem Normzweck – Schutz der Gesellschaft vor Vorbelastungen – sind nur solche Vorteile erfasst, die zumindest auch von der Gesellschaft (und nicht nur von den Aktionären) zu erbringen sind.4) Vertragliche Ansprüche begründen keine Sondervorteile, wenn Leistung und Gegenleistung in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen. Beispiele für Sondervorteile sind etwa Warenbezugsrechte, Umsatzprovisionen, Vor- 7 rechte am Gewinn oder Liquidationserlös, Erwerbs-, Vorkaufs- und Wiederkaufsrechte, überhöhter Gründungsaufwand (i. S. von § 26 Abs. 2) oder Informationsrechte.5) Kein Sonderrecht in diesem Sinn ist das Recht zur Entsendung von Mitgliedern in den Aufsichtsrat (insoweit ist § 101 Abs. 2 vorrangig).6) Die wirksame Vereinbarung von Sondervorteilen setzt in formeller Hinsicht voraus, 8 dass sie in der Satzung genau und insbesondere auch unter Bezeichnung des Berechtigten festgesetzt werden (§ 26 Abs. 1).7) In materieller Hinsicht dürfen Sondervorteile nicht gegen die zwingenden Vorschriften des Aktienrechts verstoßen (siehe insbesondere §§ 57 Abs. 1 und 2, 84; zu sachwidrigen Vorteilen siehe auch § 243 Abs. 2).8) Verträge, die den Festsetzungen über Sondervorteile zugrunde liegen oder zu ihrer Aus- 9 führung geschlossen werden, müssen der Handelsregisteranmeldung als Anlage beigefügt werden, aber nicht in die Satzung aufgenommen werden.9) Die Wirksamkeit dieser Verträge richtet sich i. Ü. nach den allgemeinen Vorschriften (siehe § 26 Abs. 3 Satz 1). Das Aktienrecht sieht insoweit insbesondere keine besonderen Formvorschriften vor. III.

Gründungsaufwand (§ 26 Abs. 2)

Der Gesamtaufwand, der zulasten der Gesellschaft an Aktionäre oder an andere Personen 10 als Entschädigung (Gründungsentschädigung) oder als Belohnung (Gründerlohn) für die Gründung oder ihre Vorbereitung gewährt wird, ist in der Satzung der Gesellschaft gesondert festzusetzen (§ 26 Abs. 2). Der Gründungsaufwand setzt sich aus der Gründungsentschädigung und dem Gründerlohn zusammen. Gründungsentschädigung meint den Ersatz von Aufwendungen und Auslagen, die 11 Aktionären oder Dritten bei Gründung der Gesellschaft in deren Interesse entstanden _____________ 3) 4)

5) 6) 7) 8)

9)

Hölters-Solveen, AktG, § 26 Rz. 3; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 26 Rz. 2; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 26 Rz. 4 f. Hölters-Solveen, AktG, § 26 Rz. 3; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 26 Rz. 6; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 26 Rz. 4; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 26 Rz. 9. – A. A. insoweit wohl Hüffer/KochKoch, AktG, § 26 Rz. 2; Spindler/Stilz-Limmer, AktG, § 26 Rz. 2 – gleichgültig, ob die Gesellschaft oder die Aktionäre verpflichtet werden. Hölters-Solveen, AktG, § 26 Rz. 4; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 26 Rz. 3 und 6; K. Schmidt/LutterSeibt, AktG, § 26 Rz. 6. A. A. insoweit Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 26 Rz. 3; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 26 Rz. 7. Offengelassen von Hölters-Solveen, AktG, § 26 Rz. 4; Spindler/Stilz-Limmer, AktG, § 26 Rz. 3. Bürgers/Körber-Lohse, AktG, § 26 Rz. 6; Hölters-Solveen, AktG, § 26 Rz. 6; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 26 Rz. 4; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 26 Rz. 10; Spindler/Stilz-Limmer, AktG, § 26 Rz. 5. Hölters-Solveen, AktG, § 26 Rz. 5; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 26 Rz. 3; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 26 Rz. 8 f.; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 26 Rz. 13 ff.; Spindler/Stilz-Limmer, AktG, § 26 Rz. 4. K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 26 Rz. 10.

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§ 26

Sondervorteile. Gründungsaufwand

sind.10) Beispiele dafür sind die Kosten der notariellen Beurkundung, der Eintragung im Handelsregister und der Bekanntmachung, Gebühren von Rechtsanwälten und Steuerberatern, Aufwendungen für einen Gründungsprüfer und etwaige im Zusammenhang mit der Gründung anfallende Steuern (z. B. Grunderwerbsteuer bei der Sacheinlage von Grundstücken oder Grundstücksgesellschaften). Nicht als Gründungsentschädigung anzusehen sind demgegenüber die Kosten der Ingangsetzung des Unternehmens sowie die erste Vergütung des Vorstands11) oder Aufsichtsrats. 12 Gründerlohn ist jede geldwerte Vergütung für die Mitwirkung bei der Gründung der Gesellschaft oder ihrer Vorbereitung. Dazu gehören bspw. Honorare von Unternehmensberatern und Kosten für Bewertungsgutachten. 13 Der von der Gesellschaft zu tragende Gründungsaufwand12) ist in der Satzung festzusetzen (§ 26 Abs. 2).13) Dabei muss der gesamte Gründungsaufwand ziffernmäßig in Euro angegeben werden.14) Die Höhe des Gesamtaufwands ist nicht begrenzt, insbesondere auch nicht auf einen bestimmten Prozentsatz (von etwa 10 %) des Grundkapitals.15) Allerdings müssen die Angaben zum Gründungsaufwand stets zutreffend sein und dem Registergericht ggf. auch nachgewiesen werden können. Überhöhter Gründungsaufwand ist zudem ein Sondervorteil (i. S. von § 26 Abs. 1), der in der Satzung unter Angabe des Berechtigten genau festgesetzt werden muss. 14 Die im Zusammenhang mit der Gründung einer AG kraft Gesetzes anfallenden Kosten und Steuern lassen sich im Allgemeinen anhand von Gesetzen und Gebührentabellen ermitteln. Die bei der Bargründung einer AG mit einem Grundkapital von 50.000 € anfallenden Kosten betragen heute (je nach Einzelfall) regelmäßig unter 1.000 €.16) 15 Bei den gesetzlich nicht zwingend vorgeschriebenen Aufwendungen (z. B. Beratungshonoraren und Gutachterkosten) kann es sein, dass diese im Zeitpunkt der Gründung noch nicht genau feststehen. In diesem Fall ist eine Schätzung notwendig und zulässig. Die Schätzung muss aber stets angemessen und nachvollziehbar sein.

_____________ 10) Hölters-Solveen, AktG, § 26 Rz. 9; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 26 Rz. 5; A. Arnold in: KölnKommAktG, § 26 Rz. 20; K. Schmidt/Lutter-Seibt, § 26 Rz. 14; Spindler/Stilz-Limmer, AktG, § 26 Rz. 8. 11) BGH, Urt. v. 14.6.2004 – II ZR 47/02, ZIP 2004, 1409, dazu EWiR 2004, 783 (Drygala). 12) Zur Entbehrlichkeit von solchen Festsetzungen, wenn die Gesellschaft keine Gründungskosten übernimmt s. OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 7.4.2010 – 20 W 94/10, ZIP 2010, 1238 – zur GmbH. 13) Zur erstmaligen Übernahme des Gründungsaufwands für die wirtschaftliche Neugründung einer VorratsAG durch die Gesellschaft i. R. einer Satzungsänderung s. OLG Stuttgart, Beschl. v. 23.10.2012 – 8 W 218/12, ZIP 2013, 164. 14) Zum GmbH-Recht grundlegend BGH, Beschl. v. 20.2.1989 – II ZB 10/88, BGHZ 107, 1 = ZIP 1989, 448, dazu EWiR 1989, 479 (Hüffer), sowie nachfolgend u. a. OLG Celle, Beschl. v. 11.2.2016 – 9 W 10/16, ZIP 2016, 618 (Angabe der von der GmbH zu tragenden konkreten Gründungskosten in der Satzung); OLG Zweibrücken, Beschl. v. 25.6.2013 – 3 W 28/13, ZIP 2014, 623 (Angabe des Gründungsaufwands in der Satzung einer GmbH durch Angabe einer prozentualen Obergrenze nicht ausreichend). 15) S. Hölters-Solveen, AktG, § 26 Rz. 11; Spindler/Stilz-Limmer, AktG, § 26 Rz. 9. 16) Die Kosten der Beurkundung richten sich seit dem 1.8.2013 nach den gesetzlichen Bestimmungen des Gerichts- und Notarkostengesetzes. – Die genaue Höhe der Kosten ist von einer Vielzahl von Umständen abhängig (u. a. Höhe des Grundkapitals und einem etwaigen genehmigten Kapital, Einpersonen- oder Mehrpersonengründung, Eigen- oder Fremdentwürfe, Erstellung von Beschlüssen und Berichten, Vornahme einer etwaigen Gründungsprüfung, Umfang der Vollzugstätigkeit, etc.). Bei dem gesetzlichen Grundkapital von 50.000 € bewegen sich die Kosten i. A. in einer Größenordnung von ca. 500 € zuzüglich Auslagen und Umsatzsteuer. – Die Kosten der Eintragung im Handelsregister betragen nach der Handelsregistergebührenverordnung (§ 58 GNotKG) bei einer Bargründung 300 € und bei einer Sachgründung 360 €.

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§ 26

Sondervorteile. Gründungsaufwand

Noch nicht abschließend geklärt ist die Frage, ob neben dem Gesamtaufwand auch die 16 einzelnen Gründungskosten in der Satzung anzugeben sind. Die Rechtsprechung17) bejaht dies und verlangt neben dem Gesamtbetrag auch „die namentliche Nennung der einzelnen Kosten, aus denen sich der Gründungsaufwand zusammensetzt“. Richtigerweise ist die Angabe der einzelnen Gründungskosten aber nicht erforderlich.18) Dafür spricht schon der Gesetzeswortlaut, der lediglich die Festsetzung des „Gesamtaufwands“ verlangt (§ 26 Abs. 2). Eine genaue Berechnung des Gründungsaufwands (samt Aufführung von Art, Höhe und Empfänger der einzelnen Vergütungen) ist der Handelsregisteranmeldung als Anlage beizufügen (§ 37 Abs. 4 Nr. 2 Halbs. 2), nicht aber in die Satzung aufzunehmen. Schließlich spricht auch der Normzweck gegen die Notwendigkeit der Angabe der einzelnen Gründungskosten in der Satzung. Für Gläubiger und Aktionäre kommt es entscheidend darauf an, ob und ggf. in welcher Höhe das Grundkapital der Gesellschaft durch den Gründungsaufwand vorbelastet ist; die konkrete Zusammensetzung des Aufwands ist dagegen ohne Bedeutung. In der Praxis sollten die einzelnen Gründungskosten neben dem Gründungsaufwand gleichwohl vorsorglich in die Satzung mit aufgenommen werden. Die Angabe der einzelnen Gründungskosten ohne den Gesamtaufwand ist unstreitig nicht ausreichend. IV.

Sanktionen

Die unrichtige Festsetzung von Sondervorteilen oder Gründungsaufwand in der Satzung 17 stellt einen Errichtungsmangel dar und begründet ein Eintragungshindernis (§ 38 Abs. 1). Erlässt das Registergericht eine Zwischenverfügung, kann der Mangel nur durch einen einstimmigen und notariell beurkundeten Beschluss mit Zustimmung aller Gründer behoben werden. Die Gründer (§ 46) und Vergütungsempfänger (§ 47 Nr. 1) haften der Gesellschaft für 18 etwaige Schäden persönlich und gesamtschuldnerisch. Bei vorsätzlichem Handeln können Gründer und Organmitglieder auch strafbar sein (§ 399 Abs. 1 Nr. 1 und 2). Die (schuldrechtlichen und dinglichen)19) Verträge und die Rechtshandlungen zu ihrer 19 Ausführung sind der Gesellschaft gegenüber (nicht auch gegenüber den Gründern oder Dritten) unwirksam, wenn die Festsetzungen in der Satzung nicht ordnungsgemäß erfolgt sind (§ 26 Abs. 3 Satz 1).20) Die Gesellschaft darf demnach keine Leistungen erbringen und muss bereits erbrachte Leistungen zurückfordern. Die Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister (trotz § 38 Abs. 1) heilt die Unwirk- 20 samkeit nicht. Nach Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister ist eine Heilung selbst durch einen einstimmigen Beschluss über eine Satzungsänderung nicht mehr möglich (§ 26 Abs. 3 Satz 2).21) Steuerrechtlich liegt eine verdeckte Gewinnausschüttung vor, wenn die Gesellschaft Grün- 21 dungskosten übernimmt, die mangels ordnungsgemäßer Festsetzung in der Satzung zivilrechtlich von den Gründern zu tragen sind.22) _____________ 17) BGH, Urt. v. 29.9.1997 – II ZR 245/96, NJW 1998, 233 – zur GmbH. 18) Zutreffend Bürgers/Körber-Lohse, AktG, § 26 Rz. 9; Hölters-Solveen, AktG, § 26 Rz. 12; Hüffer/KochKoch, AktG, § 26 Rz. 6; K. Schmidt/Lutter-Seibt, § 26 Rz. 16; Spindler/Stilz-Limmer, AktG, § 26 Rz. 9. 19) A. A. in Bezug auf dingliche Rechtsgeschäfte Spindler/Stilz-Limmer, AktG, § 26 Rz. 11 – unter Hinweis auf das Abstraktionsprinzip. 20) Hölters-Solveen, AktG, § 26 Rz. 15; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 26 Rz. 30 ff.; K. Schmidt/ Lutter-Seibt, AktG, § 26 Rz. 19. 21) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 26 Rz. 5; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 26 Rz. 20. 22) BFH, Urt. v. 11.2.1997 – I R 42/96, DStRE 1997, 595; BFH, Urt. v. 11.10.1989 – I R 12/87, BStBl. II 1990, 89.

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§ 27

Sacheinlagen. Sachübernahmen; Rückzahlung von Einlagen

V.

Änderung und Beseitigung der Festsetzungen in der Satzung (§ 26 Abs. 4, Abs. 5)

1.

Änderung

22 Die Festsetzungen in der Satzung über Sondervorteile und den Gründungsaufwand können erst fünf Jahre nach Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister geändert werden (§ 26 Abs. 4). Die Sperrfrist ist zwingend und gilt auch im Falle einer vollständigen Neufassung der Satzung. Die Fünf-Jahres-Frist entspricht der Verjährungsfrist für Schadensersatzansprüche gegen Gründer und Vergütungsempfänger (§§ 46, 47 Nr. 1, 51). 23 Vor Ablauf der fünfjährigen Sperrfrist ist keinerlei Änderung der entsprechenden Satzungsbestimmung möglich (§ 26 Abs. 4). Aber auch nach Ablauf der fünfjährigen Sperrfrist sind (über den Gesetzeswortlaut von § 26 Abs. 4 hinaus) nur Änderungen zugunsten der Gesellschaft (und auch nur mit Zustimmung des von der Änderung betroffenen Gläubiger) möglich. Änderungen zulasten der Gesellschaft bleiben dagegen unwirksam, da auch die entsprechenden Verträge und Rechtshandlungen dauerhaft unwirksam sind und bleiben (§ 26 Abs. 3 Satz 2).23) Etwaige Beschlüsse wären aufgrund Verstoßes gegen eine gläubigerschützende Vorschrift nichtig (§ 241 Nr. 3). 2.

Beseitigung

24 Die Festsetzungen in der Satzung über Sondervorteile und den Gründungsaufwand können erst dann beseitigt werden, wenn die Gesellschaft dreißig Jahre im Handelsregister eingetragen ist und die Rechtsverhältnisse, die den Festsetzungen zugrunde liegen, seit mindestens fünf Jahren abgewickelt sind (§ 26 Abs. 5).24) Beseitigung meint im Gegensatz zur Änderung (§ 26 Abs. 4) die vollständige Streichung einer Satzungsbestimmung, die gegenstandslos geworden ist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die entsprechenden Rechte der Gläubiger durch Erfüllung vollständig erloschen sind (§ 362 BGB). Der Abschluss eines Erlassvertrages (§ 397 BGB) ist im vorliegenden Zusammenhang nicht als Erfüllung, sondern als eine Änderung (i. S. von § 26 Abs. 4) anzusehen.25) Die Frist von dreißig Jahren ist historisch bedingt und heute überholt. _____________ 23) Hölters-Solveen, AktG, § 26 Rz. 17; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 26 Rz. 9; A. Arnold in: KölnKommAktG, § 26 Rz. 36; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 26 Rz. 22; Spindler/Stilz-Limmer, AktG, § 26 Rz. 14. 24) Zur analogen Anwendung von § 26 Abs. 5 AktG im GmbH-Recht s. OLG Oldenburg, Beschl. v. 22.8.2016 – 12 W 121/16, ZIP 2016, 2118; OLG Celle, Beschl. v. 2.2.2018 – 9 W 15/18, ZIP 2018, 583, dazu EWiR 2018, 265 (Wachter). 25) Hölters-Solveen, AktG, § 26 Rz. 18; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 26 Rz. 10; A. Arnold in: KölnKommAktG, § 26 Rz. 40; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 26 Rz. 23; Spindler/Stilz-Limmer, AktG, § 26 Rz. 16.

§ 27 Sacheinlagen. Sachübernahmen; Rückzahlung von Einlagen (1) 1Sollen Aktionäre Einlagen machen, die nicht durch Einzahlung des Ausgabebetrags der Aktien zu leisten sind (Sacheinlagen), oder soll die Gesellschaft vorhandene oder herzustellende Anlagen oder andere Vermögensgegenstände übernehmen (Sachübernahmen), so müssen in der Satzung festgesetzt werden der Gegenstand der Sacheinlage oder der Sachübernahme, die Person, von der die Gesellschaft den Gegenstand erwirbt, und der Nennbetrag, bei Stückaktien die Zahl der bei der Sacheinlage zu gewährenden Aktien oder die bei der Sachübernahme zu gewährende Vergütung. 2Soll die Gesellschaft einen Vermögensgegenstand übernehmen, für den eine Vergütung 148

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§ 27

Sacheinlagen. Sachübernahmen; Rückzahlung von Einlagen

V.

Änderung und Beseitigung der Festsetzungen in der Satzung (§ 26 Abs. 4, Abs. 5)

1.

Änderung

22 Die Festsetzungen in der Satzung über Sondervorteile und den Gründungsaufwand können erst fünf Jahre nach Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister geändert werden (§ 26 Abs. 4). Die Sperrfrist ist zwingend und gilt auch im Falle einer vollständigen Neufassung der Satzung. Die Fünf-Jahres-Frist entspricht der Verjährungsfrist für Schadensersatzansprüche gegen Gründer und Vergütungsempfänger (§§ 46, 47 Nr. 1, 51). 23 Vor Ablauf der fünfjährigen Sperrfrist ist keinerlei Änderung der entsprechenden Satzungsbestimmung möglich (§ 26 Abs. 4). Aber auch nach Ablauf der fünfjährigen Sperrfrist sind (über den Gesetzeswortlaut von § 26 Abs. 4 hinaus) nur Änderungen zugunsten der Gesellschaft (und auch nur mit Zustimmung des von der Änderung betroffenen Gläubiger) möglich. Änderungen zulasten der Gesellschaft bleiben dagegen unwirksam, da auch die entsprechenden Verträge und Rechtshandlungen dauerhaft unwirksam sind und bleiben (§ 26 Abs. 3 Satz 2).23) Etwaige Beschlüsse wären aufgrund Verstoßes gegen eine gläubigerschützende Vorschrift nichtig (§ 241 Nr. 3). 2.

Beseitigung

24 Die Festsetzungen in der Satzung über Sondervorteile und den Gründungsaufwand können erst dann beseitigt werden, wenn die Gesellschaft dreißig Jahre im Handelsregister eingetragen ist und die Rechtsverhältnisse, die den Festsetzungen zugrunde liegen, seit mindestens fünf Jahren abgewickelt sind (§ 26 Abs. 5).24) Beseitigung meint im Gegensatz zur Änderung (§ 26 Abs. 4) die vollständige Streichung einer Satzungsbestimmung, die gegenstandslos geworden ist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die entsprechenden Rechte der Gläubiger durch Erfüllung vollständig erloschen sind (§ 362 BGB). Der Abschluss eines Erlassvertrages (§ 397 BGB) ist im vorliegenden Zusammenhang nicht als Erfüllung, sondern als eine Änderung (i. S. von § 26 Abs. 4) anzusehen.25) Die Frist von dreißig Jahren ist historisch bedingt und heute überholt. _____________ 23) Hölters-Solveen, AktG, § 26 Rz. 17; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 26 Rz. 9; A. Arnold in: KölnKommAktG, § 26 Rz. 36; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 26 Rz. 22; Spindler/Stilz-Limmer, AktG, § 26 Rz. 14. 24) Zur analogen Anwendung von § 26 Abs. 5 AktG im GmbH-Recht s. OLG Oldenburg, Beschl. v. 22.8.2016 – 12 W 121/16, ZIP 2016, 2118; OLG Celle, Beschl. v. 2.2.2018 – 9 W 15/18, ZIP 2018, 583, dazu EWiR 2018, 265 (Wachter). 25) Hölters-Solveen, AktG, § 26 Rz. 18; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 26 Rz. 10; A. Arnold in: KölnKommAktG, § 26 Rz. 40; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 26 Rz. 23; Spindler/Stilz-Limmer, AktG, § 26 Rz. 16.

§ 27 Sacheinlagen. Sachübernahmen; Rückzahlung von Einlagen (1) 1Sollen Aktionäre Einlagen machen, die nicht durch Einzahlung des Ausgabebetrags der Aktien zu leisten sind (Sacheinlagen), oder soll die Gesellschaft vorhandene oder herzustellende Anlagen oder andere Vermögensgegenstände übernehmen (Sachübernahmen), so müssen in der Satzung festgesetzt werden der Gegenstand der Sacheinlage oder der Sachübernahme, die Person, von der die Gesellschaft den Gegenstand erwirbt, und der Nennbetrag, bei Stückaktien die Zahl der bei der Sacheinlage zu gewährenden Aktien oder die bei der Sachübernahme zu gewährende Vergütung. 2Soll die Gesellschaft einen Vermögensgegenstand übernehmen, für den eine Vergütung 148

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Sacheinlagen. Sachübernahmen; Rückzahlung von Einlagen

§ 27

gewährt wird, die auf die Einlage eines Aktionärs angerechnet werden soll, so gilt dies als Sacheinlage. (2) Sacheinlagen oder Sachübernahmen können nur Vermögensgegenstände sein, deren wirtschaftlicher Wert feststellbar ist; Verpflichtungen zu Dienstleistungen können nicht Sacheinlagen oder Sachübernahmen sein. (3) 1Ist eine Geldeinlage eines Aktionärs bei wirtschaftlicher Betrachtung und auf Grund einer im Zusammenhang mit der Übernahme der Geldeinlage getroffenen Abrede vollständig oder teilweise als Sacheinlage zu bewerten (verdeckte Sacheinlage), so befreit dies den Aktionär nicht von seiner Einlageverpflichtung. 2Jedoch sind die Verträge über die Sacheinlage und die Rechtshandlungen zu ihrer Ausführung nicht unwirksam. 3 Auf die fortbestehende Geldeinlagepflicht des Aktionärs wird der Wert des Vermögensgegenstandes im Zeitpunkt der Anmeldung der Gesellschaft zur Eintragung in das Handelsregister oder im Zeitpunkt seiner Überlassung an die Gesellschaft, falls diese später erfolgt, angerechnet. 4Die Anrechnung erfolgt nicht vor Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister. 5Die Beweislast für die Werthaltigkeit des Vermögensgegenstandes trägt der Aktionär. (4) 1Ist vor der Einlage eine Leistung an den Aktionär vereinbart worden, die wirtschaftlich einer Rückzahlung der Einlage entspricht und die nicht als verdeckte Sacheinlage im Sinne von Absatz 3 zu beurteilen ist, so befreit dies den Aktionär von seiner Einlageverpflichtung nur dann, wenn die Leistung durch einen vollwertigen Rückgewähranspruch gedeckt ist, der jederzeit fällig ist oder durch fristlose Kündigung durch die Gesellschaft fällig werden kann. 2Eine solche Leistung oder die Vereinbarung einer solchen Leistung ist in der Anmeldung nach § 37 anzugeben. (5) Für die Änderung rechtswirksam getroffener Festsetzungen gilt § 26 Abs. 4, für die Beseitigung der Satzungsbestimmungen § 26 Abs. 5. Literatur: Altmeppen, Zur Haftung der Organwalter einer AG bei untauglicher Sacheinlage, in: Festschrift für Michael Hoffmann-Becking, 2013, S. 1; Binder, Mittelbare Einbringung eigener Aktien als Sacheinlage und Informationsgrundlagen von Finanzierungsentscheidungen in Vorstand und Aufsichtsrat, ZGR 2012, 757; Cavin, Mischeinlagen: Umfang der Geldeinzahlung vor der Anmeldung, NZG 2016, 734; Habersack/Weber, Die Einlageforderung als Gegenstand von Aufrechnung, Abtretung, Verpfändung und Pfändung, ZGR 2014, 509; Hoffmann-Becking, Fehlerhafte offene Sacheinlage versus verdeckte Sacheinlage, in: Liber Amicorum für Martin Winter, 2011, S. 237; Junker/Biederbick, Die Unabhängigkeit des Unternehmensjuristen – Dürfen Organmitglieder auf den Rat der Rechtsabteilung hören?, AG 2012, 898; Kiefner/ Krämer, Geschäftsleiterhaftung nach ISION und das Vertrauendürfen auf Rechtsrat – Plädoyer für eine Anwendung der Rechtsprechungsgrundsätze mit Augenmaß, AG 2012, 498; Kleindiek, Verdeckte (gemischte) Sacheinlage nach MoMiG: Rückwirkende Neuregelung und Wertanrechnung, ZGR 2011, 334; Lubberich, Verdeckte Sacheinlage und fehlende schuldtilgende Leistung bei Voreinzahlung auf Kapitalerhöhung, Anrechnungslösung, DNotZ 2016, 811; Lutter, Verdeckte Sachleistungen und Kapitalschutz, in: Festschrift für Ernst C. Stiefel, 1987, S. 505; Maier-Reimer, Die verdeckte gemischte und die verdeckt gemischte Sacheinlage, in: Festschrift für Michael Hoffmann-Becking, 2013, S. 755; Maul, Die mit Einlagen und Darlehen ausgestattete Vor-AG, NZG 2014, 251; Merkt/Mylich, Einlage eigener Aktien und Rechtsrat durch den Aufsichtsrat, NZG 2012, 525; W. Müller, Gibt es einen Grundsatz der nominalen Kapitalaufbringung?, in: Festschrift für Michael Hoffmann-Becking, 2013, S. 835; Sammet, Die notwendige Einlageleistung auf eine „Mischeinlage“, NZG 2016, 344; Selter, Haftungsrisiken von Vorstandsmitgliedern bei fehlendem und von Aufsichtsratsmitgliedern bei vorhandenem Fachwissen, AG 2012, 11; Verse, (Gemischte) Sacheinlagen, Differenzhaftung und Vergleich über Einlageforderungen, ZGR 2012, 875; Wagner, Die Rolle der Rechtsabteilung bei fehlenden Rechtskenntnissen der Mitglieder von Vorstand und Geschäftsführung, BB 2012, 651; Weng,

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§ 27

Sacheinlagen. Sachübernahmen; Rückzahlung von Einlagen

Aktienrechtliche Differenzhaftung bei Sacheinlagen, DStR 2012, 862; Wicke, Eilige Kapitalerhöhungen, DStR 2016, 1115; Wieneke, Die Festsetzung des Gegenstands der Sacheinlage nach §§ 27, 183 AktG, AG 2013, 437; Wieneke, Die Differenzhaftung des Inferenten und die Zulässigkeit eines Vergleichs über ihre Höhe, NZG 2012, 136.

Übersicht I. Überblick ........................................... 1 II. Sacheinlagen und -übernahmen (§ 27 Abs. 1, Abs. 2) .......................... 4 1. Sacheinlagen ....................................... 4 a) Begriff der Sacheinlage ................ 4 b) Sacheinlagefähigkeit (§ 27 Abs. 2) .......................................... 5 c) Vereinbarung einer Sacheinlage ........................................ 12 d) Bewertung von Sacheinlagen .... 15 2. Sachübernahmen .............................. 19 a) Begriff der Sachübernahme ....... 19 b) Vereinbarung einer Sachübernahme ................................. 24 3. Gemischte Sacheinlagen .................. 25 4. Mischeinlagen .................................. 26 III. Festsetzung der Sacheinlagen bzw. Sachübernahmen in der Satzung (§ 27 Abs. 1, Abs. 5) ............ 27 1. Ordnungsgemäße Festsetzung in der Satzung (§ 27 Abs. 1) ................ 27 I.

2. Rechtsfolgen einer fehlerhaften Festsetzung ....................................... 31 3. Änderung und Beseitigung der Festsetzungen in der Satzung (§ 27 Abs. 5) ..................................... 33 IV. Verdeckte Sacheinlagen (§ 27 Abs. 3) ..................................... 35 1. Einführung ........................................ 35 2. Tatbestand der verdeckten Sacheinlage ........................................ 39 3. Rechtsfolgen der verdeckten Sacheinlage ........................................ 46 V. Hin- und Herzahlen (§ 27 Abs. 4) ..................................... 51 1. Einführung ........................................ 51 2. Tatbestand des Hin- und Herzahlens ........................................ 54 3. Rechtsfolge des Hin- und Herzahlens ........................................ 63 VI. Cash Pooling .................................... 70

Überblick

1 Die Gründer haben ihre Einlagen im Regelfall als Bareinlagen zu erbringen (siehe § 54 Abs. 2). Sacheinlagen (und Sachübernahmen) sind wegen der damit verbundenen Gefahren für die Kapitalaufbringung nur ausnahmsweise zulässig. Aus Gründen der Transparenz und der Werthaltigkeitskontrolle müssen Sacheinlagen in der Satzung ausdrücklich offengelegt („festgesetzt“) werden (§ 27 Abs. 1).1) Bei Gründungen mit Sacheinlagen ist regelmäßig eine zusätzliche Prüfung durch einen externen Gründungsprüfer erforderlich (siehe §§ 33 Abs. 1 Nr. 4, 33a). Die Gründungsprüfung soll insbesondere sicherstellen, dass der Wert der Sacheinlagen auch den geringsten Ausgabebetrag der dafür zu gewährenden Aktien erreicht (siehe §§ 34 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, 36a Abs. 2, 38 Abs. 2 Satz 2). Die präventive Registerkontrolle bezieht sich auch und gerade auf den Wert der Sacheinlagen, um die Kapitalaufbringung zu gewährleisten (§ 38 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2). Zweck der Vorschrift ist somit vor allem der Schutz der Gläubiger und der Aktionäre vor einer unzureichenden Kapitalaufbringung. 2 Eine Sachgründung kann sowohl mit Sacheinlagen als auch durch Sachübernahmen erfolgen. Das Gesetz definiert Sacheinlagen als Einlagen, die nicht durch Einzahlung in Geld zu leisten sind (§ 27 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1). Demgegenüber handelt es sich bei Sachübernahmen um die Übernahme von Vermögensgegenständen gegen eine Vergütung, die _____________ 1)

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Hölters-Solveen, AktG, § 27 Rz. 3; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 27 Rz. 1; A. Arnold in: KölnKommAktG, § 27 Rz. 4 ff.; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 27 Rz. 3 f.; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 27 Rz. 4 ff.; Spindler/Stilz-Heidinger/Benz, AktG, § 27 Rz. 2 ff.

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Sacheinlagen. Sachübernahmen; Rückzahlung von Einlagen

§ 27

nicht in Aktien besteht (§ 27 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2). Beide Begriffsbestimmungen gelten für das gesamte Aktienrecht (siehe etwa §§ 32 Abs. 2, 33 Abs. 2 Nr. 4, 33a Abs. 1, 34 Abs. 1 Nr. 2, 36a Abs. 2, 37a Abs. 1, 38 Abs. 2 Satz 2, 54 Abs. 2, 183). Sacheinlagen und Sachübernahmen müssen in der Satzung festgesetzt werden (§ 27 Abs. 1 Satz 1). Als Sacheinlagen oder Sachübernahmen kommen nur Vermögensgegenstände in Betracht, deren wirtschaftlicher Wert feststellbar ist (§ 27 Abs. 2 Halbs. 1). Verpflichtungen zu Dienstleistungen können nicht Gegenstand einer Sacheinlage oder Sachübernahme sein (§ 27 Abs. 2 Halbs. 2). Verdeckte Sacheinlagen haben keine Erfüllungswirkung. Allerdings kann der Wert der Sache nach Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister auf die Bareinlageverpflichtung unter bestimmten Voraussetzungen angerechnet werden (§ 27 Abs. 3). Eine Bareinlage kann trotz Hin- und Herzahlen Erfüllungswirkung haben, wenn der Rückgewähranspruch vollwertig und fällig ist und dies alles gegenüber dem Handelsregister offengelegt wird (§ 27 Abs. 4). Wirksame Festsetzungen von Sacheinlagen und Sachübernahmen in der Satzung können nach Eintragung der Gesellschaft nur eingeschränkt geändert bzw. beseitigt werden (§ 27 Abs. 5). Die Regelungen über die verdeckte Sacheinlage (§ 27 Abs. 3) und das Hin- und Herzahlen (§ 27 Abs. 4) gelten bei Kapitalerhöhungen entsprechend (§§ 183 Abs. 2, 194 Abs. 2, 205 Abs. 3). Die Vorschrift wurde zuletzt durch das ARUG2) erheblich geändert. Dabei wurden ins- 3 besondere die Bestimmungen über die verdeckte Sacheinlage (§ 27 Abs. 3 n. F.) und das Hin- und Herzahlen (§ 27 Abs. 4 n. F.) neu in das Gesetz eingefügt. Die beiden Regelungen entsprechen nahezu wörtlich den entsprechenden Vorschriften des GmbH-Gesetzes, die dort i. R. des MoMiG3) eingefügt worden waren (§ 19 Abs. 4 und 5 GmbHG). Der Gesetzgeber ging davon aus, dass die Neuregelung im GmbH-Recht von Praxis und Wissenschaft überwiegend gut aufgenommen worden ist und hat diese daher im Wesentlichen unverändert auch in das Recht der AG übertragen.4) Beide Regelungen sollten daher grundsätzlich auch einheitlich ausgelegt werden. Allerdings sind im Aktienrecht (im Unterschied zum GmbH-Recht) weiterhin die Vorgaben der EU-Kapitalrichtlinie5) und die Vorschriften zur Nachgründung (§ 52) zu beachten. II.

Sacheinlagen und -übernahmen (§ 27 Abs. 1, Abs. 2)

1.

Sacheinlagen

a)

Begriff der Sacheinlage

Das AktG kennt Bar- und Sacheinlagen (siehe § 36a). Bei Bareinlagen muss der eingefor- 4 derte Betrag in gesetzlichen Zahlungsmitteln oder durch Gutschrift auf einem Konto geleistet werden (siehe §§ 36 Abs. 2, 54 Abs. 3, 37 Abs. 1). Sacheinlagen sind demgegenüber alle Einlagen, die nicht durch Einzahlung des Ausgabebetrags der Aktien zu leisten _____________ 2) 3)

4) 5)

Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG), BGBl. I 2009, 2479. S. dazu BT-Drucks. 16/13098, S. 36 ff. Art. 1 Nr. 17 des Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG), BGBl. I 2008, 2026. S. dazu BT-Drucks. 16/9737, S. 55 f., und BT-Drucks. 16/6140, S. 39 ff. BT-Drucks. 16/13098, S. 36. Kritisch dazu u. a. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 27 Rz. 24 und 34; K. Schmidt/ Lutter-Bayer, AktG, § 27 Rz. 1, 54 ff. und 92. In der Neuregelung zur verdeckten Sacheinlage (s. etwa Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 27 Rz. 24 und 34. A. A. Hölters-Solveen, AktG, § 27 Rz. 40; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 27 Rz. 86 ff.; K. Schmidt/ Lutter-Bayer, AktG, § 27 Rz. 57 ff.) und zum Hin- und Herzahlen (s. etwa Hölters-Solveen, AktG, § 27 Rz. 54 f.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 27 Rz. 39 und 45; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 27 Rz. 93 ff.; a. A. A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 27 Rz. 133 ff.) wird teilweise ein Verstoß gegen die EU-Kapitalrichtlinie gesehen.

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§ 27

Sacheinlagen. Sachübernahmen; Rückzahlung von Einlagen

sind (§ 27 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1).6) Entscheidend ist somit, dass die Einlage nicht in Geld erfolgt. Nebenleistungen (§ 55) sind keine Sacheinlagen, weil sie nicht auf die Aktien geleistet werden. b)

Sacheinlagefähigkeit (§ 27 Abs. 2)

5 Sacheinlagen können nur solche Vermögensgegenstände sein, deren wirtschaftlicher Wert feststellbar ist (§ 27 Abs. 2 Halbs. 1). Verpflichtungen zu Dienstleistungen können nicht Sacheinlagen sein (§ 27 Abs. 2 Halbs. 2). 6 Gegenstand einer Sacheinlage können somit nicht nur Sachen (siehe § 90 BGB: körperliche Gegenstände), sondern alle Vermögensgegenstände (z. B. auch Forderungen und Rechte) sein. Voraussetzung der Sacheinlagefähigkeit ist aber stets, dass ein wirtschaftlicher Wert des Vermögensgegenstands feststellbar ist (siehe auch §§ 252 ff. HGB). Dies ist unstreitig bei allen Vermögensgegenständen der Fall, die bilanziert werden können. Darüber hinaus kommen auch nicht bilanzierungsfähige Vermögensgegenstände (siehe § 248 HGB) als Sacheinlage in Betracht, wenn ihr Wert in Geld feststellbar ist.7) 7 Die Sacheinlage muss endgültig zur freien Verfügung des Vorstands geleistet werden (siehe §§ 36 Abs. 2, 36a Abs. 2). Dies setzt voraus, dass die Sacheinlage übertragbar ist. 8 Beispiele für sacheinlagefähige Vermögensgegenstände8) sind danach das Eigentum an beweglichen und unbeweglichen Sachen, grundstücksgleiche Rechte (z. B. Wohnungs- und Teileigentum, Erbbaurecht), beschränkt dingliche Rechte an Sachen (z. B. Dienstbarkeiten, Nießbrauchsrechte, siehe aber §§ 1059 ff. BGB), Grundpfandrechte (z. B. Grundschulden), Anteile an Personen- und Kapitalgesellschaften (nicht aber eigene Aktien der Gesellschaft)9), stille Beteiligungen,10) Mitgliedschaftsrechte (siehe aber § 38 BGB für die Mitgliedschaft im Verein), Immaterialgüterrechte (z. B. Patent-, Marken-, Gebrauchs- und Geschmacksmuster, Urheber- und Verlagsrechte sowie entsprechende Lizenzrechte, siehe aber § 29 UrhG) und Sachgesamtheiten (z. B. Unternehmen). 9 Gegenstand einer Sacheinlage können auch Forderungen gegen Dritte sein, wenn sie übertragbar sind (siehe § 399 BGB) und ihnen ein Vermögenswert zukommt. Forderungen gegen den Inferenten selbst sind dagegen (vorbehaltlich § 27 Abs. 4) nicht sacheinlagefähig, weil es dabei lediglich zu einem Austausch von Forderungen und nicht zu einer realen Kapitalaufbringung käme.11) Forderungen gegen die (Vor-)Gesellschaft (z. B. Erstattungsanspruch wegen verauslagter Gründungskosten oder übernommener Schulden _____________ 6) Hölters-Solveen, AktG, § 27 Rz. 6; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 27 Rz. 3; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 27 Rz. 6; Spindler/Stilz-Heidinger/Benz, AktG, § 27 Rz. 7. 7) Hölters-Solveen, AktG, § 27 Rz. 7; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 27 Rz. 13 ff.; A. Arnold in: KölnKommAktG, § 27 Rz. 42 ff.; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 27 Rz. 10 ff.; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 27 Rz. 18 ff.; Spindler/Stilz-Heidinger/Benz, AktG, § 27 Rz. 10 ff. 8) S. die umfangreichen Übersichten bei Hölters-Solveen, AktG, § 27 Rz. 8; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 27 Rz. 13 ff.; Spindler/Stilz-Heidinger/Benz, AktG, § 27 Rz. 15 ff. 9) Zur Untauglichkeit eigener Aktien als mittelbarer Einlagegenstand bei einer Kombination von Wertpapierleihe und Sachkapitalerhöhung s. BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09 (ISION), ZIP 2011, 2097, dazu EWiR 2011, 793 (E. Vetter). Ausführlich zum Ganzen u. a. Altmeppen in: FS HoffmannBecking, S. 1 ff.; Binder, ZGR 2012, 757; Junker/Biederbick, AG 2012, 898; Kiefner/Krämer, AG 2012, 498; Merkt/Mylich, NZG 2012, 525; Selter, AG 2012, 11; Wagner, BB 2012, 651. 10) Grundlegend dazu (im Zusammenhang mit der Sachkapitalerhöhung bei einer GmbH) BGH, Urt. v. 3.11.2015 – II ZR 13/14, ZIP 2015, 2315, dazu EWiR 2016, 5 (Lieder). Ausführlich dazu Bieder, NZG 2016, 538; K. Schmidt, NZG 2016, 4. 11) Hölters-Solveen, AktG, § 27 Rz. 9; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 27 Rz. 59 ff.; K. Schmidt/LutterBayer, AktG, § 27 Rz. 15; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 27 Rz. 26; Spindler/Stilz-Heidinger/Benz, AktG, § 27 Rz. 26. – Zur Einbringung von Gewinnausschüttungsansprüchen im Wege der verdeckten Sacheinlage bei der Kapitalerhöhung einer KGaA s. OLG Dresden, Urt. v. 12.1.2017 – 8 U 322/16, ZIP 2017, 2355.

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Sacheinlagen. Sachübernahmen; Rückzahlung von Einlagen

§ 27

der Gesellschaft) können als Sacheinlage (nicht auch als Bareinlage) in die Gesellschaft eingebracht werden.12) Diese erlöschen dann durch Konfusion bzw. Erlassvertrag. Obligatorische Nutzungsrechte (z. B. an einem Grundstück) können Gegenstand einer 10 Sacheinlage sein, wenn die Dauer des Nutzungsrechts feststeht,13) die Gesellschaft den Besitz an dem Gegenstand erlangt und das Nutzungsrecht nicht einseitig nach Belieben entzogen werden kann (z. B. auch nicht durch Insolvenz oder Zwangsvollstreckungsmaßnahmen).14) Dagegen kommt es für die Sacheinlagefähigkeit nicht darauf an, ob sich das Nutzungsrecht gegen den Inferenten oder einen Dritten richtet. Nicht Gegenstand einer Sacheinlage können Verpflichtungen zu Dienstleistungen sein (§ 27 11 Abs. 2 Halbs. 2).15) Dies gilt unabhängig davon, ob die Dienstleistung von einem Dritten oder dem Inferenten geschuldet wird. Der Grund dafür, dass Dienstleistungen als Sacheinlagen ausscheiden, besteht vor allem darin, dass ihre zwangsweise Durchsetzung schwierig ist (siehe §§ 887, 888 Abs. 3 ZPO) und damit die reale Kapitalaufbringung gefährdet wäre.16) c)

Vereinbarung einer Sacheinlage

Die wirksame Vereinbarung einer Sacheinlage setzt zunächst voraus, dass die Sacheinlage 12 in der Satzung ordnungsgemäß festgesetzt wird (§ 27 Abs. 1 Satz 1). Daneben wird regelmäßig eine schuldrechtliche Sacheinlagevereinbarung geschlossen, 13 in der sich der Inferent verpflichtet, die vereinbarte Sacheinlage in die Gesellschaft einzubringen (siehe § 37 Abs. 4 Nr. 2 Halbs. 1: Verträge, die den Festsetzungen zugrunde liegen).17) Dabei handelt es sich nicht nur um einen schuldrechtlichen Vertrag, sondern zugleich auch um einen materiellen Bestandteil der Satzung der Gesellschaft (siehe § 23 Abs. 2).18) Etwaige Formvorschriften für die Verpflichtung zur Übertragung einer Sache (z. B. § 311b Abs. 1 BGB, § 15 Abs. 4 GmbHG) werden aufgrund der notariellen Feststellung der Satzung (§ 23 Abs. 1) gewahrt. Bei etwaigen Mängeln und Leistungsstörungen werden die allgemeinen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs durch die Grundsätze der ordnungsgemäßen Kapitalaufbringung überlagert.19) Im Zweifel muss der Inferent daher eine Bareinlage in entsprechender Höhe erbringen. _____________ 12) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 27 Rz. 18; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 27 Rz. 54 ff.; K. Schmidt/ Lutter-Bayer, § 27 Rz. 16; Pentz in: MünchKomm-AktG, AktG, § 27 Rz. 29; Spindler/Stilz-Heidinger/ Benz, AktG, § 27 Rz. 24. 13) Der BGH stellt allein darauf ab, dass die Nutzungsdauer in Form einer festen Laufzeit oder als konkret bestimmte Mindestdauer feststeht. Zum Aktienrecht s. BGH, Urt. v. 15.5.2000 – II ZR 359/98, BGHZ 144, 290 = ZIP 2000, 1162, dazu EWiR 2000, 941 (Hirte) – zur Sacheinlage von obligatorischen Nutzungsrechten, deren Gegenstand die Verwertung der Namen und Logos von Sportvereinen ist. Zum GmbH-Recht BGH, Urt. v. 14.6.2004 – II ZR 121/02, ZIP 2004, 1642 – zur Sacheinlage eines obligatorischen Nutzungsrechts in Form eines Unterpachtvertrages. 14) Ähnlich Hölters-Solveen, AktG, § 27 Rz. 9; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 27 Rz. 19; K. Schmidt/LutterBayer, § 27 Rz. 17; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 27 Rz. 31; Spindler/Stilz-Heidinger/Benz, AktG, § 27 Rz. 33. 15) Hölters-Solveen, AktG, § 27 Rz. 9; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 27 Rz. 18. Weitergehend für Dienstleistungen von Dritten Spindler/Stilz-Heidinger/Benz, AktG, § 27 Rz. 30 ff. 16) Grundlegend BGH, Urt. v. 1.2.2010 – II ZR 173/08 (Eurobike), BGHZ 184, 158 = ZIP 2010, 423, dazu EWiR 2010, 169 (Lieder); BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 120/07 (Qivive), BGHZ 180, 38 = ZIP 2009, 713, dazu EWiR 2009, 443 (Schodder). 17) Dazu Hölters-Solveen, AktG, § 27 Rz. 10; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 27 Rz. 4; K. Schmidt/LutterBayer, AktG, § 27 Rz. 7 ff. 18) S. BGH, Urt. v. 12.3.2007 – II ZR 302/05, BGHZ 171, 293 = ZIP 2007, 1104 – Vereinbarung einer Sacheinlage als körperschaftliches Hilfsgeschäft. 19) Ausführlich dazu A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 27 Rz. 16 ff.; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 27 Rz. 44 ff.; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 27 Rz. 47 ff.; Spindler/Stilz-Heidinger/Benz, AktG, § 27 Rz. 82 ff.

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§ 27

Sacheinlagen. Sachübernahmen; Rückzahlung von Einlagen

14 Schließlich bedarf es zur Erfüllung der Sacheinlageverpflichtung noch eines Vollzugsgeschäfts, das in der Praxis meist als Einbringungsvertrag bezeichnet wird (siehe § 37 Abs. 4 Nr. 2 Halbs. 1: Verträge, die zu ihrer Ausführung geschlossen worden sind). Die dingliche Übertragung der Sacheinlage auf die Gesellschaft richtet sich nach den allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechts (z. B. §§ 929 ff. BGB für bewegliche Sachen, §§ 873, 925 BGB für Grundstücke, §§ 398 ff., 413 BGB für Forderungen und Rechte, § 15 Abs. 3 GmbHG für GmbH-Geschäftsanteile, § 68 für vinkulierte Namensaktien). Das Vollzugsgeschäft kann bereits in die notarielle Gründungsurkunde aufgenommen werden oder später gesondert zwischen der (Vor-)Gesellschaft, vertreten durch den Vorstand und dem Inferenten abgeschlossen werden (zur umstrittenen Frage der Fälligkeit von Sacheinlagen siehe § 36a Rz. 8 ff.). d)

Bewertung von Sacheinlagen

15 Der Wert der Sacheinlage muss dem geringsten Ausgabebetrag (§ 9 Abs. 1) und bei Ausgabe der Aktien zu einem höheren Betrag auch dem Betrag entsprechen (§ 36a Abs. 2 Satz 3). Das Verbot der Unterpariemission gilt somit auch für Sacheinlagen. 16 Die Bewertung jeder Sacheinlage hat nach allgemein anerkannten Vorschriften (z. B. Grundsätze des Instituts der Wirtschaftsprüfer e. V., Düsseldorf für die Bewertung von Unternehmen) zu erfolgen.20) Der Wert ist anhand objektiver Kriterien zu ermitteln.21) Maßgebend ist der tatsächliche Verkehrswert. Wertbestimmungen des Inferenten sind nicht maßgebend. Bewertungsstichtag ist der Tag der Anmeldung der Gesellschaft zur Eintragung in das Handelsregister (§ 9 Abs. 1 Satz 1 GmbHG analog).22) 17 Eine Überbewertung von Sacheinlagen ist unzulässig. Die Überbewertung begründet, sofern sie nicht nur unwesentlich ist, ein Eintragungshindernis (§ 38 Abs. 2 Satz 2). Eine Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister ist nur dann möglich, wenn der Inferent die Wertdifferenz in Form einer Bareinlage aufbringt.23) Die Gesellschaft hat gegen den Inferenten einen verschuldensunabhängigen Anspruch auf baren Wertausgleich (§ 9 Abs. 1 GmbHG analog). Durch die Bareinlage wird die Sacheinlageverpflichtung dann insoweit erfüllt, als die Sacheinlage nicht werthaltig ist. Die Differenzhaftung sichert die ordnungsgemäße Kapitalaufbringung und ist daher zwingend. Abweichende Vereinbarungen zulasten der Gesellschaft sind unzulässig. Die geänderte Form der Kapitalaufbringung ist gegenüber dem Registergericht in Form einer Handelsregisteranmeldung offenzulegen (siehe §§ 36 Abs. 1, 36a, 37 Abs. 1). Mit dieser Ergänzung ist die Gesellschaft dann ordnungsgemäß errichtet und kann in das Handelsregister eingetragen werden. 18 Eine Unterbewertung von Sacheinlagen ist gleichfalls unzulässig, da die willkürliche Bildung stiller Reserven verhindert werden soll. Ein etwaiger Mehrwert der Sacheinlage ist vielmehr als Kapitalrücklage auszuweisen (§ 272 Abs. 2 Nr. 1 HGB i. V. m. § 150 AktG).24) _____________ 20) Zur Bewertung einzelner Vermögensgegenstände s. Hölters-Solveen, AktG, § 27 Rz. 11; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 27 Rz. 69 ff.; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 27 Rz. 20; Pentz in: MünchKommAktG, § 27 Rz. 37; Spindler/Stilz-Heidinger/Benz, AktG, § 27 Rz. 35 ff. 21) K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 27 Rz. 19. 22) A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 27 Rz. 67; K. Schmidt/Lutter-Bayer, § 27 Rz. 21; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 27 Rz. 38; Spindler/Stilz-Heidinger/Benz, AktG, § 27 Rz. 34. 23) Im Einzelnen umstritten, s. Hölters-Solveen, AktG, § 27 Rz. 12; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 27 Rz. 73 ff.; K. Schmidt/Lutter-Bayer, § 27 Rz. 23 ff.; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 27 Rz. 40 ff.; Spindler/Stilz-Heidinger/Benz, AktG, § 27 Rz. 42 und 44 ff. 24) A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 27 Rz. 68; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 27 Rz. 22; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 27 Rz. 39. – A. A. Spindler/Stilz-Heidinger/Benz, AktG, § 27 Rz. 43 – unter Hinweis auf die Änderung der Bilanzierungsvorschriften durch das BilMoG.

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Sacheinlagen. Sachübernahmen; Rückzahlung von Einlagen 2.

Sachübernahmen

a)

Begriff der Sachübernahme

§ 27

Eine Sachübernahme liegt vor, wenn die Gesellschaft von dem Gründer oder einem Dritten 19 Vermögensgegenstände gegen Vergütung (und nicht gegen Gewährung von Aktien) übernimmt (§ 27 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2).25) Gegenstand einer Sachübernahme können alle Vermögensgegenstände sein, die auch als Sacheinlage in Betracht kommen. Das Vorliegen einer Verrechnungsabrede ist keine zwingende Voraussetzung für eine Sachübernahme (zur Unzulässigkeit der Aufrechnung siehe § 66 Abs. 1 Satz 2).26) Der wesentliche Unterschied zwischen Sacheinlagen und Sachübernahmen besteht in der 20 Gegenleistung: bei Sacheinlagen besteht die Gegenleistung in Aktien, bei Sachübernahmen dagegen in anderen Bar- oder Sachleistungen, nicht aber in Aktien. An einer Sacheinlagevereinbarung kann nur ein Gründer (nicht auch ein Dritter) beteiligt sein. Dagegen kann Partei einer Sachübernahmevereinbarung sowohl ein Gründer als auch ein Dritter sein, da die Sachübernahme nicht mit einer Einlageverpflichtung zusammenhängt. Zeitlich muss die Sachübernahme bereits im Stadium der Vorgründung, d. h. vor der 21 notariellen Feststellung der Satzung (§ 23 Abs. 1) vereinbart worden sein. Für Geschäfte der Vorgesellschaft gilt die Vorschrift nach Wortlaut und Normzweck dagegen nicht.27) Der Schutz der Kapitalaufbringung wird insoweit durch die Unterbilanzhaftung und die Gründerhaftung (§§ 46 ff.) ausreichend gewährleistet. Die Übernahme von Vermögensgegenständen durch die Gesellschaft ohne jede Gegen- 22 leistung ist keine Sachübernahme und muss nicht in der Satzung festgesetzt werden. Die Kapitalaufbringung ist in diesem Fall auch nicht gefährdet. Eine fingierte Sacheinlage (§ 27 Abs. 1 Satz 2) liegt vor, wenn die von der Gesellschaft 23 für die Übernahme eines Vermögensgegenstands gewährte Vergütung auf die Bareinlage angerechnet werden soll (siehe dann § 36a Abs. 2). b)

Vereinbarung einer Sachübernahme

Die Sachübernahme muss in der Satzung festgesetzt werden (§ 27 Abs. 1 Satz 1). Daneben 24 bedarf es (wie bei der Sacheinlage) einer schuldrechtlichen Sachübernahmevereinbarung und eines dinglichen Vollzugsgeschäfts (siehe auch § 37 Abs. 4 Nr. 2 Halbs. 1).28) Für die Bewertung der übernommenen Gegenstände gelten die gleichen Grundsätze wie für Sacheinlagen. 3.

Gemischte Sacheinlagen

Bei der gemischten Sacheinlage handelt es sich um eine Kombination von Sacheinlage und 25 Sachübernahme.29) Dabei wird der Gesellschaft ein Vermögensgegenstand übertragen, dessen _____________ 25) Hölters-Solveen, AktG, § 27 Rz. 14; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 27 Rz. 5; K. Schmidt/Lutter-Bayer, § 27 Rz. 27; Spindler/Stilz-Heidinger/Benz, AktG, § 27 Rz. 49 ff. 26) Ausführlich dazu Habersack/Weber, ZGR 2014, 509. 27) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 27 Rz. 5a; K. Schmidt/Lutter-Bayer, § 27 Rz. 27. 28) Ausführlich dazu Hölters-Solveen, AktG, § 27 Rz. 16; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 27 Rz. 30 ff.; Spindler/Stilz-Heidinger/Benz, AktG, § 27 Rz. 56 ff. 29) Zur Abgrenzung bei einer Sachkapitalerhöhung s. BGH, Urt. v. 6.12.2011 – II ZR 149/10 (Babcock Borsig), BGHZ 191, 364 = ZIP 2012, 73, dazu EWiR 2012, 129 (Vosberg/Klawa). Zu einer – verdeckten – gemischten Sacheinlage nach ARUG s. BGH, Urt. v. 22.3.2010 – II ZR 12/08 (AdCoCom), BGHZ 185, 44 = ZIP 2010, 978, dazu EWiR 2010, 421 (Wenzel), und vor ARUG s. BGH, Urt. v. 9.7.2007 – II ZR 62/06 (Lurgi), BGHZ 173, 145 = ZIP 2007, 1751, dazu EWiR 2009, 557 (Goslar); BGH, Urt. v. 20.11.2006 – II ZR 176/05 (Warenlager), BGHZ 170, 47 = ZIP 2007, 178. Ferner HöltersSolveen, AktG, § 27 Rz. 19; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 27 Rz. 8; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 27 Rz. 31; Spindler/Stilz-Heidinger/Benz, AktG, § 27 Rz. 64 f.

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Sacheinlagen. Sachübernahmen; Rückzahlung von Einlagen

Wert den Betrag der übernommenen Einlage übersteigt. Der Inferent erhält als Gegenleistung zum Teil Aktien und zum Teil sonstige Bar- oder Sachleistungen (z. B. Bargeld, Darlehensforderung gegen die Gesellschaft). In der Praxis kommen gemischte Sacheinlagen vor allem bei der Einbringung von Unternehmen vor, da der maßgebliche Unternehmenswert bei der Festlegung des Ausgabebetrags der Aktien noch nicht feststeht. Gemischte Sacheinlagen werden einheitlich nach den Regeln der Sacheinlage behandelt. 4.

Mischeinlagen

26 Von der gemischten Sacheinlage ist die Mischeinlage (gemischte Einlage)30) zu unterscheiden. In diesem Fall hat der Inferent auf die Aktie sowohl eine Bar- als auch eine Sacheinlage zu leisten.31) Jede Einlage wird nach den für sie geltenden Regeln behandelt (für Bareinlagen: §§ 36 Abs. 2, 36a Abs. 1, und für Sacheinlagen: § 36a Abs. 2). III.

Festsetzung der Sacheinlagen bzw. Sachübernahmen in der Satzung (§ 27 Abs. 1, Abs. 5)

1.

Ordnungsgemäße Festsetzung in der Satzung (§ 27 Abs. 1)

27 Sacheinlagen und Sachübernahmen müssen in der Satzung festgesetzt werden (§ 27 Abs. 1 Satz 1).32) Sie werden damit offengelegt (offene Sacheinlage im Unterschied zur verdeckten Sacheinlage) und sind im Handelsregister für jedermann einsehbar (§ 9 Abs. 1 HGB). 28 In der Satzung müssen dabei jeweils folgende Angaben aufgenommen werden: –

der (genau bezeichnete) Gegenstand der Sacheinlage oder Sachübernahme (nicht aber unbedingt auch deren Wert),



die (genau bezeichnete) Person des Inferenten bzw. des Veräußerers (jeweils auch mit Name, Vorname und Anschrift bzw. Firma und Sitz, siehe § 23 Abs. 2 Nr. 1),



bei Sacheinlagen: bei Nennbetragsaktien der Nennbetrag, und bei Stückaktien die Zahl der zu gewährenden Aktien, und der Ausgabebetrag der Aktien (siehe § 23 Abs. 2 Nr. 2),



bei Sachübernahmen: die Art und Höhe der zu gewährenden Vergütung.

29 Alle Angaben müssen so umfassend sein, dass sich jedermann allein anhand der Satzung einen verlässlichen Eindruck von der Kapitalausstattung der Gesellschaft machen kann.33) 30 Die Angaben müssen in der Satzung selbst enthalten sein. Nach h. M. soll es (trotz § 9 Abs. 1 Satz 2 BeurkG) nicht genügen, wenn die Angaben in einer mitbeurkundeten Anlage zur Satzung enthalten sind.34) 2.

Rechtsfolgen einer fehlerhaften Festsetzung

31 Vor Inkrafttreten des ARUG waren die Verträge über Sacheinlagen und Sachübernahmen und die Rechtshandlungen zu ihrer Ausführung ohne eine ordnungsgemäße Festsetzung _____________ 30) Zu einer Mischeinlage bestehend aus Bar- und Sacheinlage bei Gründung einer GmbH s. OLG Celle, Beschl. v. 5.1.2016 – 9 W 150/15, ZIP 2016, 368, dazu EWiR 2016, 333 (Schröter). Ausführlich dazu Cavin, NZG 2016, 734; Sammet, NZG 2016, 344. 31) K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 27 Rz. 32; Spindler/Stilz-Heidinger/Benz, AktG, § 27 Rz. 66. 32) K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 27 Rz. 33; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 27 Rz. 69; Spindler/ Stilz-Heidinger/Benz, AktG, § 27 Rz. 67 ff. 33) Hölters-Solveen, AktG, § 27 Rz. 20 ff.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 27 Rz. 9 f.; A. Arnold in: KölnKommAktG, § 27 Rz. 36 ff.; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 27 Rz. 33 f.; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 27 Rz. 70 ff. 34) A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 27 Rz. 36; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 27 Rz. 33 und 35; Spindler/Stilz-Heidinger/Benz, AktG, § 27 Rz. 67.

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Sacheinlagen. Sachübernahmen; Rückzahlung von Einlagen

§ 27

in der Satzung unwirksam (§ 27 Abs. 3 a. F.). Diese Regelung wurde nunmehr ersatzlos gestrichen. Im Zusammenhang mit der Neuregelung der verdeckten Sacheinlage ist jetzt ausdrücklich bestimmt worden, dass die Verträge über die Sacheinlage und die Rechtshandlungen zu ihrer Ausführung nicht unwirksam sind (§ 27 Abs. 3 Satz 2 n. F.). Die Rechtsfolgen von anderen Fällen einer nicht ordnungsgemäß festgesetzten Sacheinlage bzw. Sachübernahme sind dagegen nicht geregelt.35) Im Ergebnis ist davon auszugehen, dass die nicht ordnungsgemäße Festsetzung von Sach- 32 einlagen bzw. Sachübernahmen die Wirksamkeit der Beitrittserklärungen der Gründer unberührt lässt. Die Verstöße stellen aber weiterhin ein zwingendes Eintragungshindernis dar (§ 38 Abs. 1 Satz 2). Darüber hinaus können die nicht ordnungsgemäßen Festsetzungen Schadensersatzansprüche begründen (§§ 46 ff.) und im Einzelfall auch strafbar sein (§ 399 Abs. 1 Nr. 1).36) Wird die Gesellschaft allerdings im Handelsregister eingetragen, ist die Gesellschaft wirksam entstanden. Der Wert der eingebrachten Vermögensgegenstände ist dann auf die Bareinlageforderung der Gesellschaft anzurechnen (§ 27 Abs. 3 Satz 3). 3.

Änderung und Beseitigung der Festsetzungen in der Satzung (§ 27 Abs. 5)

Bis zur Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister können die Festsetzungen 33 über die Sacheinlagen bzw. Sachübernahmen stets geändert werden.37) Zudem können fehlende Festsetzungen erstmals in die Satzung aufgenommen werden und fehlerhafte Festsetzungen berichtigt werden. Jede Änderung bedarf stets einer ergänzenden Feststellung der Satzung in notariell beurkundeter Form sowie der Zustimmung aller Gründer (siehe § 23 Abs. 1). Nach Eintragung der Gesellschaft können wirksame Festsetzungen über Sacheinlagen 34 und Sachübernahmen im Interesse der langfristigen Satzungspublizität nur eingeschränkt geändert bzw. beseitigt werden.38) Änderungen sind erst fünf Jahre nach Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister möglich (§ 27 Abs. 5 i. V. m. § 26 Abs. 4). Eine Beseitigung der Satzungsfestsetzungen ist sogar erst dann möglich, wenn die Gesellschaft dreißig Jahre im Handelsregister eingetragen ist und die entsprechenden Rechtsverhältnisse seit mindestens fünf Jahren abgewickelt sind (§ 27 Abs. 5 i. V. m. § 26 Abs. 5). IV.

Verdeckte Sacheinlagen (§ 27 Abs. 3)

1.

Einführung

Die gesetzlichen Vorschriften über die offenen Sacheinlagen werden vielfach als komp- 35 liziert, aufwändig und teuer angesehen und daher in der Praxis (bewusst oder unbewusst) immer wieder umgangen.39) Dabei wird in der Regel formal eine Bareinlage vereinbart, wirtschaftlich aber eine Sache an die Gesellschaft geleistet. Der BGH hat derartige Umgehungen in der Vergangenheit stets scharf sanktioniert. Danach 36 hat der Gesellschafter seine Bareinlageverpflichtung durch die verdeckte Sacheinlage nicht (auch nicht teilweise) erfüllt. Das schuldrechtliche und das dingliche Rechtsgeschäft über

_____________ 35) Ausführlich zum Ganzen Hölters-Solveen, AktG, § 27 Rz. 24 f.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 27 Rz. 12; K. Schmidt/Lutter-Bayer, § 27 Rz. 36 ff.; Spindler/Stilz-Heidinger/Benz, AktG, § 27 Rz. 74 ff. 36) Zur Haftung eines Steuerberaters, der eine verdeckte Sacheinlage empfiehlt s. BGH, Urt. v. 19.5.2009 – IX ZR 43/08, ZIP 2009, 1427, dazu EWiR 2009, 693 (Rohde). 37) Kritisch auch Hölters-Solveen, AktG, § 27 Rz. 20. 38) K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 27 Rz. 43. 39) A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 27 Rz. 77.

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§ 27

Sacheinlagen. Sachübernahmen; Rückzahlung von Einlagen

die Sacheinlage wurden (analog § 27 Abs. 3 a. F.) als nichtig angesehen.40) Die Herausgabe- und Bereicherungsansprüche des Gesellschafters wegen der Sacheinlage waren wirtschaftlich meist wertlos. Im Ergebnis musste der Gesellschafter seine Einlage somit oft doppelt leisten. Die bisherigen Rechtsfolgen der verdeckten Sacheinlage wurden daher schon seit langem als „ganz und gar katastrophal“41) bezeichnet. 37 Der Gesetzgeber ist der Kritik an dieser Rechtsprechung gefolgt und hat sich zunächst für das GmbH-Recht (§ 19 Abs. 4 GmbHG42) und später dann auch für das Aktienrecht (§ 27 Abs. 3)43) zu einer Neuregelung entschlossen. 38 Der verdeckten Sacheinlage kommt aber unverändert keine Erfüllungswirkung zu. Der Wert des verdeckt eingelegten Vermögensgegenstands wird allerdings unter bestimmten Voraussetzungen auf die fortbestehende Bareinlageverpflichtung des Gesellschafters angerechnet. Auf diese Weise werden die überwiegend als drakonisch empfundenen Folgen der verdeckten Sacheinlage abgemildert. Die verdeckte Sacheinlage ist und bleibt allerdings verboten.44) 2.

Tatbestand der verdeckten Sacheinlage

39 Eine verdeckte Sacheinlage liegt immer dann vor, wenn die „Geldeinlage eines Aktionärs bei wirtschaftlicher Betrachtung und auf Grund einer im Zusammenhang mit der Übernahme der Geldeinlage getroffenen Abrede vollständig oder teilweise als Sacheinlage zu bewerten“ ist (§ 27 Abs. 3 Satz 1 AktG, siehe auch § 19 Abs. 4 Satz 1 GmbHG).45) Diese Legaldefinition orientiert sich an der bisherigen Rechtsprechung des BGH.46) Der BGH hat eine verdeckte Sacheinlage regelmäßig dann angenommen, wenn „die gesetzlichen Regeln für Sacheinlagen objektiv dadurch unterlaufen werden, dass zwar … eine Bareinlage vereinbart wird, die Gesellschaft bei wirtschaftlicher Betrachtung von dem Einleger aufgrund eines im Zusammenhang mit der Übernahme der Einlage abgeschlossenen Gegengeschäfts (oder einer sonstigen Absprache) einen Sachwert erhalten soll“.47) Der Tatbestand der verdeckten Sacheinlage ist somit durch das ARUG nicht geändert worden; geändert wurde nur die Rechtsfolge der verdeckten Sacheinlage.48) _____________ 40) S. etwa BGH, Urt. v. 9.7.2007 – II ZR 62/06 (Lurgi), BGHZ 173, 145 = ZIP 2007, 1751, dazu EWiR 2009, 557 (Goslar); BGH, Urt. v. 16.1.2006 – II ZR 76/04 (Cash Pool), BGHZ 166, 8 = ZIP 2006, 665, dazu EWiR 2006, 523 (Hoos). 41) So Lutter in: FS Stiefel, S. 505, 517. 42) BT-Drucks. 16/6140, S. 39 ff. 43) BT-Drucks. 16/13098, S. 36 ff. Ausführlich dazu Hölters-Solveen, AktG, § 27 Rz. 28 ff.; K. Schmidt/ Lutter-Bayer, § 27 Rz. 27 und 51 ff. 44) BGH, Urt. v. 20.7.2009 – II ZR 273/07 (Cash Pool II), BGHZ 182, 103 = ZIP 2009, 1561, dazu EWiR 2009, 537 (Maier-Reimer). 45) Dazu ausführlich Hölters-Solveen, AktG, § 27 Rz. 30 ff.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 27 Rz. 25 ff.; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 27 Rz. 89 ff.; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 27 Rz. 58 ff.; Spindler/Stilz-Heidinger/Benz, AktG, § 27 Rz. 130 ff. 46) BGH, Urt. v. 20.7.2009 – II ZR 273/07 (Cash Pool II), BGHZ 182, 103 = ZIP 2009, 1561, dazu EWiR 2009, 537 (Maier-Reimer). 47) S. etwa BGH, Urt. v. 20.7.2009 – II ZR 273/07 (Cash Pool II), BGHZ 182, 103 = ZIP 2009, 1561, dazu EWiR 2009, 537 (Maier-Reimer); BGH, Urt. v. 18.2.2008 – II ZR 132/06 (Rheinmöve), BGHZ 175, 265 = ZIP 2008, 788, dazu EWiR 2008, 513 (Weipert); BGH, Urt. v. 11.2.2008 – II ZR 171/06, ZIP 2008, 643, dazu EWiR 2008, 247 (Hauptmann); BGH, Urt. v. 9.7.2007 – II ZR 62/06 (Lurgi), BGHZ 173, 145 = ZIP 2007, 1751, dazu EWiR 2009, 557 (Goslar); BGH, Urt. v. 20.11.2006 – II ZR 176/05 (Warenlager), BGHZ 170, 47 = ZIP 2007, 178; BGH, Urt. v. 16.1.2006 – II ZR 76/04 (Cash Pool), BGHZ 166, 8 = ZIP 2006, 665, dazu EWiR 2006, 523 (Hoos). 48) Zur verdeckten Sacheinlage der Forderung eines Gesellschafters einer GmbH s. BGH, Urt. v. 19.1.2016 – II ZR 61/15, ZIP 2016, 615, dazu EWiR 2016, 427 (Wenzel). Ausführlich dazu Lubberich, DNotZ 2016, 811; Wicke, DStR 2016, 1115.

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Sacheinlagen. Sachübernahmen; Rückzahlung von Einlagen

§ 27

Gewöhnliche Umsatzgeschäfte i. R. des laufenden Geschäftsverkehrs sind unverändert 40 nicht vom Anwendungsbereich der verdeckten Sacheinlage ausgeklammert.49) Der Anwendung der verdeckten Sacheinlage steht es weiterhin nicht entgegen, dass der 41 Wert der verdeckt eingelegten Sache die Höhe der Einlageverpflichtung (um ein Vielfaches) übersteigt.50) Das Vorliegen einer entsprechenden Abrede ist bei Vorliegen eines engen sachlichen und 42 zeitlichen Zusammenhangs zwischen der (offenen) Bareinlage und der (verdeckten) Sacheinlage regelmäßig zu vermuten.51) Bei einer Einpersonengesellschaft ist bereits das bloße Vorhaben des Gründers ausreichend und eine entsprechende Absprache nicht erforderlich.52) Das Vorliegen einer verdeckten Sacheinlage kann nicht durch die Einschaltung von Dritten 43 verhindert werden. Vielmehr muss sich der Inferent das Handeln des Dritten zurechnen lassen, wenn es sich um eine abhängige Gesellschaft oder eine nahestehende Person handelt (siehe etwa §§ 89 Abs. 3 Satz 1, 115 Abs. 2 AktG; § 138 Abs. 1 InsO).53) Im Aktienrecht sind neben den Vorschriften über die Sachgründung stets (zusätzlich) die 44 Regelungen über eine etwaige Nachgründung (§ 52) zu beachten.54) Dienstleistungen können nicht Gegenstand einer verdeckten Sacheinlage sein.55) Der 45 BGH begründet dies vor allem damit, dass der „den Grundsätzen der verdeckten Sacheinlage inhärente Vorwurf einer Umgehung der im Interesse des Gläubigerschutzes bestehenden Vorschriften über Sacheinlagen“ voraussetzt, dass der Aktionär den „erstrebten Erfolg einer Sacheinlage rechtmäßig“ hätte erreichen können. Dies sei aber bei Dienstleistungen gerade nicht der Fall, da diese als offene Sacheinlage nicht in eine Kapitalgesellschaft eingebracht werden können (§ 27 Abs. 2 Halbs. 2). Gegen die Anwendung der Regeln über verdeckte Sacheinlagen auf Dienstleistungen sprechen zudem die Vorgaben der EU-Kapitalrichtlinie. Denn die gesetzlich vorgesehene Anrechnung des Werts der verdeckten Sacheinlage hätte mittelbar zur Folge, dass das Kapital (in unzulässiger Weise) in Form von Dienstleistungen aufgebracht werden würde.56) _____________ 49) BGH, Urt. v. 11.2.2008 – II ZR 171/06, ZIP 2008, 643, dazu EWiR 2008, 247 (Hauptmann); BGH, Urt. v. 20.11.2006 – II ZR 176/05 (Warenlager), BGHZ 170, 47 = ZIP 2007, 178. 50) BGH, Urt. v. 9.7.2007 – II ZR 62/06 (Lurgi), BGHZ 173, 145 = ZIP 2007, 1751, dazu EWiR 2009, 557 (Goslar); BGH, Urt. v. 18.2.2008 – II ZR 132/06 (Rheinmöve), BGHZ 175, 265 = ZIP 2008, 788, dazu EWiR 2008, 513 (Weipert); BGH, Urt. v. 20.11.2006 – II ZR 176/05 (Warenlager), BGHZ 170, 47 = ZIP 2007, 178. 51) BGH, Urt. v. 18.2.2008 – II ZR 132/06 (Rheinmöve), BGHZ 175, 265 = ZIP 2008, 788, dazu EWiR 2008, 513 (Weipert); BGH, Urt. v. 11.2.2008 – II ZR 171/06, ZIP 2008, 643, dazu EWiR 2008, 247 (Hauptmann); BGH, Urt. v. 4.3.1996 – II ZR 89/95, BGHZ 132, 133 = ZIP 1996, 595, dazu EWiR 1996, 457 (Trölitzsch); BGH, Urt. v. 16.1.2006 – II ZR 76/04 (Cash Pool), BGHZ 166, 8 = ZIP 2006, 665, dazu EWiR 2006, 523 (Hoos). 52) BGH, Urt. v. 11.2.2008 – II ZR 171/06, ZIP 2008, 643, dazu EWiR 2008, 247 (Hauptmann). 53) BGH, Urt. v. 12.2.2007 – II ZR 272/05, BGHZ 171, 113 = ZIP 2007, 528, dazu EWiR 2007, 331 (Rohde); BGH, Urt. v. 16.1.2006 – II ZR 76/04 (Cash Pool), BGHZ 166, 8 = ZIP 2006, 665, dazu EWiR 2006, 523 (Hoos). 54) Zu einer verdeckten (gemischten) Sacheinlage i. R. einer Kapitalerhöhung bei einer AG vor ARUG s. BGH, Urt. v. 18.2.2008 – II ZR 132/06 (Rheinmöve), BGHZ 175, 265 = ZIP 2008, 788; BGH, Urt. v. 9.7.2007 – II ZR 62/06 (Lurgi), BGHZ 173, 145 = ZIP 2007, 1751, dazu EWiR 2009, 557 (Goslar); BGH, Urt. v. 15.1.1990 – II ZR 164/88, BGHZ 110, 47 = ZIP 1990, 156, dazu EWiR 1990, 223 (Lutter). – Hölters-Solveen, AktG, § 27 Rz. 41; Spindler/Stilz-Heidinger/Benz, AktG, § 27 Rz. 114 ff. 55) BGH, Urt. v. 1.2.2010 – II ZR 173/08 (Eurobike), BGHZ 184, 158 = ZIP 2010, 423, dazu EWiR 2010, 169 (Lieder); BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 120/07 (Qivive), BGHZ 180, 38 = ZIP 2009, 713, dazu EWiR 2009, 443 (Schodder). 56) BGH, Urt. v. 1.2.2010 – II ZR 173/08 (Eurobike), BGHZ 184, 158 = ZIP 2010, 423, dazu EWiR 2010, 169 (Lieder).

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§ 27 3.

Sacheinlagen. Sachübernahmen; Rückzahlung von Einlagen Rechtsfolgen der verdeckten Sacheinlage

46 Der verdeckten Sacheinlage kommt keine Erfüllungswirkung zu (§ 27 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2). Die tatsächlich vereinbarte Bareinlageverpflichtung des Aktionärs bleibt vielmehr unverändert bestehen. Allerdings sind die Verträge über die Sacheinlage und die Rechtshandlungen zu ihrer Ausführung – abweichend von der bisherigen Rechtsprechung des BGH – wirksam (§ 27 Abs. 3 Satz 2). Der Wert des verdeckt eingelegten Vermögensgegenstands wird kraft Gesetzes auf die fortbestehende Bareinlageschuld des Aktionärs angerechnet.57) Maßgebend ist dabei der Verkehrswert der Sache. Die Anrechnung erfolgt nicht vor Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister (§ 27 Abs. 4 Satz 4). Die Beweislast für den Wert der Sacheinlage trifft den Aktionär (§ 27 Abs. 4 Satz 5).58) 47 Die Dogmatik der Anrechnungslösung ist noch nicht abschließend geklärt. Überzeugend erscheint eine Parallele zur Differenzhaftung bei einer offenen Sacheinlage (siehe § 9 GmbHG).59) Der Wert der verdeckt eingelegten Sache ist demnach auf den Nominalwert der vereinbarten Bareinlage anzurechnen. Eine aufgrund des Minderwerts der Sache verbleibende Differenz ist vom Aktionär nachträglich auszugleichen. 48 Besonderheiten bestehen bei einer verdeckten gemischten Sacheinlage. Denn eine Anrechnung ist stets nur insoweit möglich, als das Vermögen der Gesellschaft tatsächlich vermehrt wird. Die Anrechnung darf wegen des Grundsatzes der realen Kapitalaufbringung aber nie zulasten des sonstigen Gesellschaftsvermögens gehen.60) 49 Das Stimmrecht beginnt erst mit der vollständigen Leistung der Einlage (§ 134 Abs. 2 Satz 1). Dies gilt allerdings nicht, wenn der anrechenbare Wert der verdeckt eingelegten Sache der Höhe der Bareinlageverpflichtung nicht entspricht (§ 134 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1).61) Ein Stimmrechtsausschluss droht aber dann, wenn der Wertunterschied offensichtlich ist (§ 134 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2). 50 Für die Beratungspraxis bleibt auch nach Inkrafttreten der Neuregelungen entscheidend, dass verdeckte Sacheinlagen weiterhin verboten sind.62) Eine etwaige Anrechnung des Werts der verdeckten Sacheinlage erfolgt stets erst nach der Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister und ändert auch nichts an der Strafbarkeit einer falschen Versicherung von Gründern, Vorständen und Aufsichtsräten in der Handelsregisteranmeldung (§ 399 Abs. 1 Nr. 1). Steuerrechtlich ist zudem zu beachten, dass eine Sacheinlage zu Buchwerten nach bisher h. A. nur bei einer offenen Sacheinlage (dagegen nicht auch bei einer verdeckten Sacheinlage) in Betracht kommt (siehe § 20 UmwStG).63) _____________ 57) S. dazu BGH, Urt. v. 19.1.2016 – II ZR 61/15, ZIP 2016, 615. Ausführlich dazu Lubberich, DNotZ 2016, 811; Wicke, DStR 2016, 1115; BGH, Urt. v. 22.3.2010 – II ZR 12/08 (AdCoCom), BGHZ 185, 44 = ZIP 2010, 978, dazu EWiR 2010, 421 (Wenzel). 58) Ausführlich zum Ganzen Hölters-Solveen, AktG, § 27 Rz. 38 ff.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 27 Rz. 31 ff.; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 27 Rz. 103 ff.; K. Schmidt/Lutter-Bayer, § 27 Rz. 70 ff.: Spindler/Stilz-Heidinger/Benz, AktG, § 27 Rz. 174 ff. 59) K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 27 Rz. 75; Spindler/Stilz-Heidinger/Benz, AktG, § 27 Rz. 180, jeweils m. w. N. 60) BGH, Urt. v. 22.3.2010 – II ZR 12/08 (AdCoCom), BGHZ 185, 44 = ZIP 2010, 978, dazu EWiR 2010, 421 (Wenzel). Plastisch K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 27 Rz. 81, der in diesem Fall von einer „Anrechnungssperre“ spricht. Instruktiv dazu Spindler/Stilz-Heidinger/Benz, AktG, § 27 Rz. 194 ff. 61) S. dazu BT-Drucks. 16/13098, S. 39 – zum ARUG. 62) So ausdrücklich BGH, Urt. v. 20.7.2009 – II ZR 273/07 (Cash Pool II), Rz. 13 und Rz. 19, BGHZ 166, 8 = ZIP 2006, 665, dazu EWiR 2006, 523 (Hoos). – Zu den Sanktionen der verdeckten Sacheinlage s. insbesondere Spindler/Stilz-Heidinger/Benz, AktG, § 27 Rz. 200 ff. 63) S. dazu BFH, Urt. v. 1.7.1992 – I R 5/92, BStBl. II 1993, 131 – zur verschleierten Sachgründung nach § 20 Abs. 1 UmwStG 1977. Zur Rechtslage nach MoMiG und ARUG s. einerseits – für Anwendung von § 20 UmwStG – Fuhrmann, RNotZ 2010, 188, 194 f.; Fuhrmann/Demuth, KÖSDI 2009, 16562, 16566; Fischer, Ubg. 2008, 684, 687, und andererseits – gegen Anwendung von § 20 UmwStG – Hein/Suchan/Geeb, DStR 2008, 2289.

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Thomas Wachter

Sacheinlagen. Sachübernahmen; Rückzahlung von Einlagen V.

Hin- und Herzahlen (§ 27 Abs. 4)

1.

Einführung

§ 27

An der Leistung einer Bareinlage zur endgültig freien Verfügung des Vorstands (siehe 51 § 36 Abs. 2) fehlt es an sich, wenn der Einlagebetrag (z. B. als Darlehen oder aufgrund einer Treuhandabrede) unmittelbar oder mittelbar wieder an den Inferenten zurückfließt bzw. zurückfließen soll (siehe auch die Gesetzesüberschrift zu § 27: „Rückzahlung von Einlagen“). Dementsprechend ist der BGH früher davon ausgegangen, dass der Inferent im Falle 52 eines Hin- und Herzahlens „nichts“ geleistet hat.64) Die Bareinlageforderung bestand vielmehr unverändert fort. Eine Erfüllung ist allenfalls aufgrund der späteren Rückzahlung des vermeintlichen Darlehens erfolgt, wenn diese Zahlung der Einlageforderung eindeutig und zweifelsfrei zugeordnet werden konnte.65) Die dem Hin- und Herzahlen zugrunde liegende Darlehens- bzw. Treuhandabrede wurde wegen Verstoß gegen die Regeln der Kapitalaufbringung als unwirksam angesehen.66) Der Gesetzgeber hat die Fälle des Hin- und Herzahlens i. R. des ARUG67) (und zuvor be- 53 reits des MoMiG)68) nunmehr – abweichend von der bisherigen Rechtsprechung – geregelt.69) Danach erfüllt der Inferent die Bareinlageforderung auch in diesem Fall, wenn der durch das Hin- und Herzahlen begründete Rückgewähranspruch der Gesellschaft (z. B. aus Darlehen) vollwertig und jederzeit fällig ist (§ 27 Abs. 4 Satz 1). Fehlt es dagegen an der Vollwertigkeit oder Fälligkeit tritt keine Erfüllungswirkung ein. 2.

Tatbestand des Hin- und Herzahlens

Der Gesetzgeber wollte mit der Neuregelung an die von der Rechtsprechung entwickelte 54 Fallgruppe des Hin- und Herzahlens anknüpfen.70) Der BGH hat den Umgehungstatbestand des Hin- und Herzahlens bislang immer dann 55 angenommen, wenn „der Einlagebetrag absprachegemäß umgehend wieder an den Einleger, _____________ 64) S. etwa BGH, Urt. v. 10.12.2007 – II ZR 180/06, BGHZ 174, 370 = ZIP 2008, 174, dazu EWiR 2008, 33 (Thonfeld) – zur GmbH & Co. KG, und zum Hin- und Herzahlen bei der GmbH vor MoMiG BGH, Urt. v. 12.6.2006 – II ZR 334/04, ZIP 2006, 1633; BGH, Urt. v. 9.1.2006 – II ZR 72/05, BGHZ 165, 352 = ZIP 2006, 331, dazu EWiR 2006, 307 (Naraschewski); BGH, Urt. v. 21.11.2005 – II ZR 140/04, BGHZ 165, 113 = ZIP 2005, 2203, dazu EWiR 2006, 33 (Tillmann); BGH, Urt. v. 22.3.2004 – II ZR 7/02, ZIP 2004, 1046; BGH, Urt. v. 2.12.2002 – II ZR 101/02, BGHZ 153, 107 = ZIP 2003, 211, dazu EWiR 2003, 223 (Blöse). 65) BGH, Urt. v. 20.7.2009 – II ZR 273/07 (Cash Pool II), BGHZ 182, 103 = ZIP 2009, 1561, dazu EWiR 2009, 537 (Maier-Reimer); BGH, Urt. v. 15.10.2007 – II ZR 263/06, ZIP 2008, 1281, dazu EWiR 2009, 109 (Kleinschmidt); BGH, Urt. v. 16.1.2006 – II ZR 76/04 (Cash Pool), BGHZ 166, 8 = ZIP 2006, 665, dazu EWiR 2006, 523 (Hoos); BGH, Urt. v. 9.1.2006 – II ZR 72/05, BGHZ 165, 352 = ZIP 2006, 331, dazu EWiR 2006, 307 (Naraschewski); BGH, Urt. v. 21.11.2005 – II ZR 140/04, BGHZ 165, 113 = ZIP 2005, 2203, dazu EWiR 2006, 33 (Tillmann). 66) BGH, Urt. v. 12.6.2006 – II ZR 334/04, ZIP 2006, 1633 – zur Unwirksamkeit einer Darlehensabrede beim Her- und Hinzahlen der Einlage bei einer GmbH; BGH, Urt. v. 9.1.2006 – II ZR 72/05, BGHZ 165, 352 = ZIP 2006, 331, dazu EWiR 2006, 307 (Naraschewski) – zur Unwirksamkeit einer Treuhandabrede; BGH, Urt. v. 21.11.2005 – II ZR 140/04, BGHZ 165, 113 = ZIP 2005, 2203, dazu EWiR 2006, 33 (Tillmann) – zur Unwirksamkeit einer Darlehensabrede beim Hin- und Herzahlen der Einlage bei einer GmbH. 67) BT-Drucks. 16/13098, S. 36 ff. 68) BT-Drucks. 16/9737, S. 55 f. und BT-Drucks. 16/6140, S. 34 f. und S. 39 ff. 69) Ausführlich dazu Hölters-Solveen, AktG, § 27 Rz. 44 ff.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 27 Rz. 39 ff.; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 27 Rz. 137 ff.; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 27 Rz. 90 ff.; Spindler/Stilz-Heidinger/Benz, AktG, § 27 Rz. 214 ff. 70) K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 27 Rz. 98 ff.

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§ 27

Sacheinlagen. Sachübernahmen; Rückzahlung von Einlagen

sei es als Darlehen … oder auch aufgrund einer Treuhandabrede … zurückfließen soll.“71) Das Vorgehen des Inferenten ziele in solchen Fällen darauf ab, „die prinzipiell unverzichtbare Einlageforderung durch eine in dieser Hinsicht schwächere schuldrechtliche Forderung (z. B. aus Darlehen) zu ersetzen“. 56 Die gesetzliche Umschreibung des Hin- und Herzahlens (in § 27 Abs. 4 Satz 1) entspricht dem weitgehend.72) Danach liegt ein Fall des Hin- und Herzahlens immer dann vor, wenn „vor der Einlage eine Leistung an den Aktionär vereinbart worden (ist), die wirtschaftlich einer Rückzahlung der Einlage entspricht und die nicht als verdeckte Sacheinlage im Sinne von Absatz 3 zu beurteilen ist“ (§ 27 Abs. 4 Satz 1). Der BGH betont, dass der Gesetzgeber damit insbesondere den „Gedanken des Forderungsaustauschs“ aufgegriffen habe.73) In der Sache gehe es bei dem Hin- und Herzahlen „um Fälle einer verdeckten Finanzierung der Einlagemittel durch die Gesellschaft“.74) 57 Die gesetzliche Regelung umfasst nicht nur das Hin- und Herzahlen i. R. einer Darlehensgewährung, sondern alle Fälle, die „wirtschaftlich einer Rückzahlung der Einlage“ an den Aktionär entsprechen. Dies deckt sich mit der Rechtsprechung des BGH. Danach liegt ein Hin- und Herzahlen immer dann vor, wenn „eine Einlageleistung vereinbart wird, die wirtschaftlich der Rückzahlung der Einlage entspricht und die nicht als verdeckte Sacheinlage … zu beurteilen ist“.75) 58 Nach dem Gesetzeswortlaut muss die Rückzahlung „vor“ der Einlage vereinbart worden sein. Gleichwohl sind weiterhin auch die umgekehrten Fälle erfasst, bei denen die Rückzahlung vor der Einlageleistung erfolgt. Dem entspricht es, dass der BGH die Reihenfolge der Leistungen aufgrund der wirtschaftlichen Vergleichbarkeit regelmäßig als belanglos ansieht. Dem Hin- und Herzahlen stehe auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung das Her- und Hinzahlen gleich, bei „dem die Einlagemittel nicht an den Gesellschafter zurückfließen, sondern die Gesellschaft dem Inferenten die Einlagemittel schon vor Zahlung der Einlage aus ihrem Vermögen zur Verfügung stellt“.76) Im Übrigen kommt es ohnehin nicht auf die zeitliche Reihenfolge der Leistungen, sondern auf den Zeitpunkt der entsprechenden Vereinbarung an. Die Vereinbarung erfolgt aber auch beim Her- und Hinzahlen regelmäßig vor der Einlageleistung. 59 Das Hin- und Herzahlen muss darüber hinaus unverändert auf einer Absprache zwischen den Beteiligten beruhen. Der BGH spricht von einer „die Einlagepflicht substituierenden Vereinbarung“77) (siehe auch den Gesetzeswortlaut „vereinbart“). Bei einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang zwischen der Ein- und Auszahlung wird das Vorliegen einer _____________ 71) BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 120/07 (Qivive), BGHZ 180, 38 = ZIP 2009, 713, dazu EWiR 2009, 443 (Schodder). S. a. BGH, Urt. v. 1.2.2010 – II ZR 173/08 (Eurobike), BGHZ 184, 158 = ZIP 2010, 423, dazu EWiR 2010, 169 (Lieder). 72) BGH, Urt. v. 20.7.2009 – II ZR 273/07 (Cash Pool II), BGHZ 182, 103 = ZIP 2009, 1561, dazu EWiR 2009, 537 (Maier-Reimer). – Ausführlich dazu Spindler/Stilz-Heidinger/Benz, AktG, § 27 Rz. 219 ff. 73) BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 120/07 (Qivive), BGHZ 180, 38 = ZIP 2009, 713, dazu EWiR 2009, 443 (Schodder). 74) BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 120/07 (Qivive), BGHZ 180, 38 = ZIP 2009, 713, dazu EWiR 2009, 443 (Schodder). S. a. BGH, Urt. v. 1.2.2010 – II ZR 173/08 (Eurobike), BGHZ 184, 158 = ZIP 2010, 423, dazu EWiR 2010, 169 (Lieder). 75) BGH, Urt. v. 20.7.2009 – II ZR 273/07 (Cash Pool II), BGHZ 182, 103 = ZIP 2009, 1561, dazu EWiR 2009, 537 (Maier-Reimer). 76) BGH, Urt. v. 1.2.2010 – II ZR 173/08 (Eurobike), BGHZ 184, 158 = ZIP 2010, 423, dazu EWiR 2010, 169 (Lieder). 77) BGH, Urt. v. 20.7.2009 – II ZR 273/07 (Cash Pool II), BGHZ 182, 103 = ZIP 2009, 1561, dazu EWiR 2009, 537 (Maier-Reimer).

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§ 27

solchen Vereinbarung regelmäßig vermutet.78) Von einem Hin- und Herzahlen kann lediglich dann nicht mehr gesprochen werden, wenn der Kapitalaufbringungsvorgang im Zeitpunkt der Rückzahlung bereits „abgeschlossen“ war.79) Dies kann der Fall sein, wenn die Einlageleistung der Gesellschaft für „die Dauer von zwei Jahren“ zur freien Verfügung stand. Entgeltliche Dienstleistungen mit einem Inferenten (z. B. Beratungsverträge) sind nicht 60 verboten. Ein Hin- und Herzahlen liegt in diesem Fall nicht vor, weil die Einlageforderung der Gesellschaft nicht durch eine andere Geldforderung ersetzt wird. Vielmehr erwirbt die Gesellschaft eine Forderung, die auf die Erbringung einer Dienstleistung des Aktionärs gerichtet ist. Es fehlt damit an dem für das Hin- und Herzahlen charakteristischen Austausch einer Geldforderung durch eine andere Geldforderung. Gleichwohl ist die Vergütung von Dienstleistungen eines Aktionärs im Zusammenhang mit der Kapitalaufbringung nach Auffassung des BGH nur dann zulässig, wenn die Dienstleistung werthaltig und die Vergütung angemessen ist. Es muss eine tatsächlich erbrachte Leistung abgegolten werden, die dafür gezahlte Vergütung einem Drittvergleich standhalten und die objektiv werthaltige Leistung darf aus der subjektiven Sicht der Gesellschaft nicht unbrauchbar und wertlos sein.80) Im Ergebnis stellt sich die Vergütung von Dienstleistungen eines Aktionärs somit als zulässige Form der Mittelverwendung dar, wenn die Gesellschaft die Dienstleistungen andernfalls von einem Dritten zu gleichen (oder schlechteren) Konditionen hätte einkaufen müssen.81) Die Umgehung der Kapitalaufbringungsregeln durch ein Hin- und Herzahlen setzt schließ- 61 lich weiterhin „keine personelle Identität zwischen Inferent und Auszahlungsempfänger voraus.“82) Der BGH betont regelmäßig, dass es bei der Weiterleitung der Einlagemittel an einen Dritten darauf ankommt, dass „der Inferent dadurch in gleicher Weise begünstigt wird wie durch die unmittelbare Leistung an ihn selbst“. Dies ist bspw. dann der Fall, wenn die Rückzahlung der Einlage an ein vom Aktionär beherrschtes Unternehmen83) oder eine nahestehende Person erfolgt. In der früheren Rechtsprechung war die Abgrenzung zwischen den Fallgruppen des Hin- 62 und Herzahlens und der verdeckten Sacheinlage nicht immer ganz eindeutig. In diesem Punkt hat die gesetzliche Regelung nunmehr eine Klärung herbeigeführt, indem sie den Vorrang der verdeckten Sacheinlage vor dem Hin- und Herzahlen ausdrücklich festgelegt hat (siehe Gesetzeswortlaut „die nicht als verdeckte Sacheinlage … zu beurteilen ist“).84) _____________ 78) S. etwa BGH, Urt. v. 10.12.2007 – II ZR 180/06, BGHZ 174, 370 = ZIP 2008, 174, dazu EWiR 2008, 33 (Thonfeld) – zur GmbH & Co. KG; BGH, Urt. v. 15.10.2007 – II ZR 263/06, ZIP 2008, 1281, dazu EWiR 2009, 109 (Kleinschmidt) – zur vereinbarten Rückzahlung in Raten. 79) BGH, Urt. v. 20.7.2009 – II ZR 273/07 (Cash Pool II), BGHZ 182, 103 = ZIP 2009, 1561, dazu EWiR 2009, 537 (Maier-Reimer). 80) BGH, Urt. v. 1.2.2010 – II ZR 173/08 (Eurobike), BGHZ 184, 158 = ZIP 2010, 423, dazu EWiR 2010, 169 (Lieder); BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 120/07 (Qivive), BGHZ 180, 38 = ZIP 2009, 713, dazu EWiR 2009, 443 (Schodder). 81) S. BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 120/07 (Qivive), BGHZ 180, 38 = ZIP 2009, 713, dazu EWiR 2009, 443 (Schodder). 82) BGH, Urt. v. 20.7.2009 – II ZR 273/07 (Cash Pool II), BGHZ 182, 103 = ZIP 2009, 1561, dazu EWiR 2009, 537 (Maier-Reimer). S. a. BGH, Urt. v. 10.12.2007 – II ZR 180/06, BGHZ 174, 370 = ZIP 2008, 174, dazu EWiR 2008, 33 (Thonfeld) – zur GmbH & Co. KG; BGH, Urt. v. 20.11.2006 – II ZR 176/05 (Warenlager), BGHZ 170, 47 = ZIP 2007, 178; BGH, Urt. v. 16.1.2006 – II ZR 76/04 (Cash Pool), BGHZ 166, 8 = ZIP 2006, 665, dazu EWiR 2006, 523 (Hoos). 83) BGH, Urt. v. 20.7.2009 – II ZR 273/07 (Cash Pool II), BGHZ 182, 103 = ZIP 2009, 1561, dazu EWiR 2009, 537 (Maier-Reimer). S. a. BGH, Urt. v. 1.2.2010 – II ZR 173/08 (Eurobike), BGHZ 184, 158 = ZIP 2010, 423, dazu EWiR 2010, 169 (Lieder); BGH, Urt. v. 16.1.2006 – II ZR 76/04 (Cash Pool), BGHZ 166, 8 = ZIP 2006, 665, dazu EWiR 2006, 523 (Hoos). 84) Zur Abgrenzung des Hin- und Herzahlens bei einer GmbH s. BGH, Beschl. v. 17.9.2013 – II ZR 142/12, ZIP 2014, 261.

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§ 27 3.

Sacheinlagen. Sachübernahmen; Rückzahlung von Einlagen Rechtsfolge des Hin- und Herzahlens

63 Der BGH hat früher im Falle des Hin- und Herzahlens eine Erfüllungswirkung der Einlage stets verneint. Dem ist der Gesetzgeber nicht gefolgt. Nach der gesetzlichen Neuregelung kommt es vielmehr darauf an, ob der Rückzahlungsanspruch vollwertig und jederzeit fällig ist (§ 27 Abs. 4 Satz 1). Nur dann wird die Einlageforderung durch das Hinzahlen (trotz des Herzahlens) erfüllt. Andernfalls verbleibt es bei den bisherigen Rechtsprechungsregeln, wonach im Falle des Hin- und Herzahlens die geschuldete Einlageleistung nicht erfüllt worden ist (siehe Gesetzeswortlaut „so befreit dies den Aktionär von seiner Einlageverpflichtung nur dann“).85) 64 Erste Voraussetzung für die Erfüllungswirkung ist, dass die „Leistung durch einen vollwertigen Rückzahlungsanspruch gedeckt ist“. Im Rahmen der MPS-Entscheidung, bei der es um Fragen der Kapitalerhaltung bei verbundenen AG ging, hat der BGH deutlich gemacht, dass für die Vollwertigkeit des Rückgewähranspruchs die allgemeinen Grundsätze des Bilanzrechts gelten. Maßstab für die Vollwertigkeit sei „eine vernünftige kaufmännische Beurteilung, wie sie auch bei der Bewertung von Forderungen aus Drittgeschäften im Rahmen der Bilanzierung (§ 253 HGB) maßgeblich ist“.86) Die Kapitalaufbringung ist somit nur dann ordnungsgemäß erfolgt, wenn der Rückgewähranspruch der Gesellschaft in voller Höhe vollwertig ist. Jeder Wertabschlag und jede Abzinsung haben zur Folge, dass der Aktionär seine Bareinlageverpflichtung nicht (auch nicht anteilig) erfüllt hat. 65 Zweite Voraussetzung für die Erfüllungswirkung des Hin- und Herzahlens ist, dass der Rückgewähranspruch „jederzeit fällig ist oder durch fristlose Kündigung durch die Gesellschaft fällig gestellt werden kann.“ Für die jederzeitige Fälligkeit des Rückgewähranspruchs (Alt. 1) genügt es nicht, dass die Gesellschaft die Möglichkeit hat, über die abgeflossenen Mittel zu verfügen. Der sofortigen Fälligkeit gleichwertig ist nur die Befugnis, den Rückgewähranspruch „jederzeit“ und „ohne Einschränkungen“ fällig stellen zu können (Alt. 2).87) Die Möglichkeit der Kündigung aus wichtigem Grund oder bei einer Verschlechterung der Vermögensverhältnisse genügt dafür nicht. Vielmehr muss das Recht zur fristlosen Kündigung ohne wichtigen Grund ausdrücklich vereinbart werden. 66 Nach dem Gesetzeswortlaut muss „eine solche Leistung oder die Vereinbarung einer solchen Leistung“ in der Handelsregisteranmeldung angegeben werden (§ 27 Abs. 4 Satz 2). Der BGH ist – zum GmbH-Recht – davon ausgegangen, dass die Offenlegung in der Handelsregisteranmeldung „konstitutiv(e)“ Bedeutung hat und somit eine dritte Voraussetzung für die Erfüllungswirkung des Hin- und Herzahlens darstellt.88) Dies gilt nach Auffassung des BGH selbst dann, wenn das Hin- und Herzahlen bereits vor Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung erfolgt ist. 67 Dabei ist nicht nur die Leistung bzw. deren Vereinbarung anzugeben. Vielmehr sind die gesamten Umstände des Hin- und Herzahlens offenzulegen.89) Dazu gehört das Vorlie_____________ 85) BGH, Urt. v. 20.7.2009 – II ZR 273/07 (Cash Pool II), BGHZ 182, 103 = ZIP 2009, 1561, dazu EWiR 2009, 537 (Maier-Reimer). Ausführlich dazu Spindler/Stilz-Heidinger/Benz, AktG, § 27 Rz. 236 ff. 86) BGH, Urt. v. 1.12.2008 – II ZR 102/07 (MPS), BGHZ 179, 71 = ZIP 2009, 70, dazu EWiR 2009, 129 (Blasche). 87) BGH, Urt. v. 20.7.2009 – II ZR 273/07 (Cash Pool II), BGHZ 182, 103 = ZIP 2009, 1561, dazu EWiR 2009, 537 (Maier-Reimer). 88) BGH, Urt. v. 20.7.2009 – II ZR 273/07 (Cash Pool II), BGHZ 182, 103 = ZIP 2009, 1561, dazu EWiR 2009, 537 (Maier-Reimer). S. a. BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 120/07 (Qivive), BGHZ 180, 38 = ZIP 2009, 713, dazu EWiR 2009, 443 (Schodder). Ebenso für Altfälle vor Inkrafttreten des MoMiG OLG Koblenz, Urt. v. 17.3.2011 – 6 U 879/10, GmbHR 2011, 579 mit Anm. Zabel. 89) BGH, Urt. v. 20.7.2009 – II ZR 273/07 (Cash Pool II), BGHZ 182, 103 = ZIP 2009, 1561, dazu EWiR 2009, 537 (Maier-Reimer).

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Sacheinlagen. Sachübernahmen; Rückzahlung von Einlagen

§ 27

gen einer die Einlagepflicht substituierenden Vereinbarung, das Erbringen einer entsprechenden Leistung, ein vollwertiger Rückgewähranspruch und dessen jederzeitige Fälligkeit bzw. die Möglichkeit der jederzeitigen Fälligstellung. Es bleibt abzuwarten, ob die Rechtsprechung an der konstitutiven Bedeutung der Offenlegung (auch für das Aktienrecht) festhält, nachdem sich aus der amtlichen Gesetzesbegründung zum ARUG jetzt wohl etwas anderes ergibt.90) Ein Hin- und Herzahlen befreit den Inferenten somit „nur dann“ von seiner Einlagever- 68 pflichtung, wenn diese drei Voraussetzungen vollständig erfüllt sind. Liegt nur eine Voraussetzung nicht vor, tritt keinerlei Erfüllungswirkung ein. Der Leistung von Bareinlagen dürfte in den Fällen des Hin- und Herzahlens somit auch 69 nach dem Inkrafttreten der Neuregelung nur in wenigen Ausnahmefällen Erfüllungswirkung zukommen. Bereits das Bestehen eines vollwertigen und jederzeit fälligen Rückgewähranspruchs ist für die Beteiligten keineswegs immer ohne weiteres darzulegen und nachzuweisen. Jedenfalls sind die entsprechenden Vereinbarungen und Prüfungen mit einem nicht unerheblichen Zeit- und Kostenaufwand verbunden. Darüber hinaus ist die Offenlegung des gesamten Vorgangs in der Handelsregisteranmeldung und die damit einhergehende Kontrolle durch das Registergericht91) vielfach nicht gewünscht (aber gleichwohl unbedingt notwendig). VI.

Cash Pooling

In größeren Konzernen sind zentrale Cash-Management-Systeme weit verbreitet, bei 70 denen die Liquidität unter den einzelnen Gesellschaften ständig ausgeglichen wird. Seit langem ist umstritten, ob und inwieweit solche Systeme mit den gesetzlichen Regeln über die Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung in Einklang stehen. Bedenken hat insbesondere auch der BGH92) geäußert, was Anlass für zahlreiche Diskussionen war.93) Mit dem MoMiG94) und dem ARUG95) wollte der Gesetzgeber zur bilanziellen Betrach- 71 tungsweise zurückkehren96) und insbesondere auch das „ökonomisch sinnvolle“ Cash Pooling (wieder) ermöglichen. Der BGH hat seine Zustimmung zu den Neuregelungen bereits vor Inkrafttreten der Gesetzesänderung deutlich gemacht.97) Der Gesetzgeber hat das Cash Pooling allerdings keineswegs generell für zulässig erklärt. 72 Vielmehr gelten auch insoweit die allgemeinen Vorschriften über die Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung. Danach kommt es darauf an, ob der Saldo auf dem Zielkonto für _____________ 90) BT-Drucks. 16/13098, S. 37 – „Erfüllungswirkung gemäß § 27 Abs. 4 Satz 1 AktG-E“, nicht aber auch Satz 2. Kritisch u. a. K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 27 Rz. 107. 91) So zu § 19 Abs. 5 Satz 2 GmbHG OLG München, Beschl. v. 17.2.2011 – 31 Wx 246/10, ZIP 2011, 567. 92) S. insbesondere BGH, Urt. v. 24.11.2003 – II ZR 171/01 (November-Urteil), BGHZ 157, 72 = ZIP 2004, 263, dazu EWiR 2004, 911 (Schöne); BGH, Urt. v. 16.1.2006 – II ZR 76/04 (Cash Pool), BGHZ 166, 8 = ZIP 2006, 665, dazu EWiR 2006, 523 (Hoos). 93) S. u. a. Hölters-Solveen, AktG, § 27 Rz. 53; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 27 Rz. 111 ff.; Spindler/ Stilz-Heidinger/Benz, AktG, § 27 Rz. 272 ff. 94) BT-Drucks. 16/6140, S. 34 und 40. 95) BT-Drucks. 16/13098, S. 37. 96) Einschränkend und für eine wirtschaftliche Betrachtungsweise im Zusammenhang mit der Kapitalerhaltung bei einer GmbH jetzt BGH, Urt. v. 21.3.2017 – II ZR 93/16, ZIP 2017, 971, dazu EWiR 2017, 585 (K. Schmidt) (Verbotene Auszahlung i. S. von § 30 Abs. 1 GmbHG bei der Bestellung dinglicher Sicherheiten für einen Darlehensrückzahlungsanspruch). 97) BGH, Urt. v. 1.12.2008 – II ZR 102/07 (MPS), BGHZ 179, 71 = ZIP 2009, 70, dazu EWiR 2009, 129 (Blasche).

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§ 28

Gründer

die AG negativ oder positiv war.98) Bei einem negativen Saldo handelt es sich bei der Einlage, die dann mit der Verbindlichkeit verrechnet wird, um eine verdeckte Sacheinlage (§ 27 Abs. 3). Diese ist aber unverändert unzulässig. In der Anmeldung darf insbesondere nicht erklärt werden, dass die Kapitalaufbringung ordnungsgemäß erfolgt ist. Bei einem positiven Saldo liegt ein Hin- und Herzahlen vor (§ 27 Abs. 4). Die Leistung der Einlage hat demnach Erfüllungswirkung, wenn der Rückgewähranspruch der Gesellschaft gegen den Cash-Pool vollwertig und fällig ist, und dies alles der Handelsregisteranmeldung offengelegt wird. In der Praxis ist die Rechtsunsicherheit nach wie vor erheblich. Die zivilrechtlichen und strafrechtlichen Haftungsrisiken für die Beteiligten sind mit der Neuregelung keineswegs aus der Welt.99) _____________ 98) BGH, Urt. v. 20.7.2009 – II ZR 273/07 (Cash Pool II), BGHZ 182, 103 = ZIP 2009, 1561, dazu EWiR 2009, 537 (Maier-Reimer). 99) Ähnlich das Fazit bei Spindler/Stilz-Heidinger/Benz, AktG, § 27 Rz. 285 – noch kein rechtssicheres und praktikables Verfahren gefunden.

§ 28 Gründer Die Aktionäre, die die Satzung festgestellt haben, sind die Gründer der Gesellschaft. Übersicht I. Überblick ........................................... 1 I.

II. Begriff des Gründers ......................... 3

Überblick

1 Das AktG spricht in zahlreichen Vorschriften von den Gründern der Gesellschaft (siehe etwa §§ 23 Abs. 2 Nr. 1, 30 Abs. 1 Satz 1, 31 Abs. 1, 32 Abs. 1, 33 Abs. 2 Nr. 1, 35 Abs. 1 und 2, 36 Abs. 1, 160 Abs. 1 Nr. 1). Die Gründer sind sowohl zivilrechtlich (siehe §§ 46, 50 und 51) als auch strafrechtlich (§ 399 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2) für die ordnungsgemäße Gründung verantwortlich.1) Die Gründer sind verpflichtet, die versprochenen Einlagen auf die von ihnen übernommenen Aktien zu leisten (§§ 23 Abs. 2 Nr. 2, 36, 36a). Die Gründer haben den ersten Aufsichtsrat und den ersten Abschlussprüfer zu bestellen (§ 30 Abs. 1). Die Gründer müssen über den Hergang der Gründung einen schriftlichen Bericht erstatten (§ 32). Schließlich müssen die Gründer (zusammen mit den Mitgliedern des Vorstands und Aufsichtsrats) die Gesellschaft auch zur Eintragung in das Handelsregister anmelden (§ 36 Abs. 1). 2 § 28 enthält eine Legaldefinition der Gründer. Gründer sind danach die Aktionäre, die die Satzung der Gesellschaft festgestellt haben. Die Begriffsbestimmung gilt für das gesamte Aktienrecht. Vorrangige Sondervorschriften bestehen lediglich im Umwandlungsrecht (siehe §§ 36 Abs. 2 Satz 2, 245 UmwG).2) II.

Begriff des Gründers

3 Gründer der Gesellschaft sind die Aktionäre, die die Satzung der Gesellschaft festgestellt haben (§ 28). Die Satzung muss durch notarielle Beurkundung festgestellt werden (§ 23 Abs. 1 Satz 1). In der Urkunde sind u. a. auch die Gründer anzugeben (§ 23 Abs. 2 Nr. 1). Die Gründer stehen aufgrund der Angaben in einer öffentlichen Urkunde somit rechtssicher und zweifelsfrei fest (§ 415 ZPO). _____________ 1) 2)

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Hölters-Solveen, AktG, § 28 Rz. 1. K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 28 Rz. 2.

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§ 28

Gründer

die AG negativ oder positiv war.98) Bei einem negativen Saldo handelt es sich bei der Einlage, die dann mit der Verbindlichkeit verrechnet wird, um eine verdeckte Sacheinlage (§ 27 Abs. 3). Diese ist aber unverändert unzulässig. In der Anmeldung darf insbesondere nicht erklärt werden, dass die Kapitalaufbringung ordnungsgemäß erfolgt ist. Bei einem positiven Saldo liegt ein Hin- und Herzahlen vor (§ 27 Abs. 4). Die Leistung der Einlage hat demnach Erfüllungswirkung, wenn der Rückgewähranspruch der Gesellschaft gegen den Cash-Pool vollwertig und fällig ist, und dies alles der Handelsregisteranmeldung offengelegt wird. In der Praxis ist die Rechtsunsicherheit nach wie vor erheblich. Die zivilrechtlichen und strafrechtlichen Haftungsrisiken für die Beteiligten sind mit der Neuregelung keineswegs aus der Welt.99) _____________ 98) BGH, Urt. v. 20.7.2009 – II ZR 273/07 (Cash Pool II), BGHZ 182, 103 = ZIP 2009, 1561, dazu EWiR 2009, 537 (Maier-Reimer). 99) Ähnlich das Fazit bei Spindler/Stilz-Heidinger/Benz, AktG, § 27 Rz. 285 – noch kein rechtssicheres und praktikables Verfahren gefunden.

§ 28 Gründer Die Aktionäre, die die Satzung festgestellt haben, sind die Gründer der Gesellschaft. Übersicht I. Überblick ........................................... 1 I.

II. Begriff des Gründers ......................... 3

Überblick

1 Das AktG spricht in zahlreichen Vorschriften von den Gründern der Gesellschaft (siehe etwa §§ 23 Abs. 2 Nr. 1, 30 Abs. 1 Satz 1, 31 Abs. 1, 32 Abs. 1, 33 Abs. 2 Nr. 1, 35 Abs. 1 und 2, 36 Abs. 1, 160 Abs. 1 Nr. 1). Die Gründer sind sowohl zivilrechtlich (siehe §§ 46, 50 und 51) als auch strafrechtlich (§ 399 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2) für die ordnungsgemäße Gründung verantwortlich.1) Die Gründer sind verpflichtet, die versprochenen Einlagen auf die von ihnen übernommenen Aktien zu leisten (§§ 23 Abs. 2 Nr. 2, 36, 36a). Die Gründer haben den ersten Aufsichtsrat und den ersten Abschlussprüfer zu bestellen (§ 30 Abs. 1). Die Gründer müssen über den Hergang der Gründung einen schriftlichen Bericht erstatten (§ 32). Schließlich müssen die Gründer (zusammen mit den Mitgliedern des Vorstands und Aufsichtsrats) die Gesellschaft auch zur Eintragung in das Handelsregister anmelden (§ 36 Abs. 1). 2 § 28 enthält eine Legaldefinition der Gründer. Gründer sind danach die Aktionäre, die die Satzung der Gesellschaft festgestellt haben. Die Begriffsbestimmung gilt für das gesamte Aktienrecht. Vorrangige Sondervorschriften bestehen lediglich im Umwandlungsrecht (siehe §§ 36 Abs. 2 Satz 2, 245 UmwG).2) II.

Begriff des Gründers

3 Gründer der Gesellschaft sind die Aktionäre, die die Satzung der Gesellschaft festgestellt haben (§ 28). Die Satzung muss durch notarielle Beurkundung festgestellt werden (§ 23 Abs. 1 Satz 1). In der Urkunde sind u. a. auch die Gründer anzugeben (§ 23 Abs. 2 Nr. 1). Die Gründer stehen aufgrund der Angaben in einer öffentlichen Urkunde somit rechtssicher und zweifelsfrei fest (§ 415 ZPO). _____________ 1) 2)

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Hölters-Solveen, AktG, § 28 Rz. 1. K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 28 Rz. 2.

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§ 29

Errichtung der Gesellschaft

Über den Gesetzeswortlaut hinaus muss ein Gründer aber nicht nur die Satzung wirksam festgestellt haben, sondern auch mindestens eine Aktie übernommen haben (siehe §§ 2 und 23 Abs. 2 Nr. 2).3) Mit der Feststellung der Satzung regeln die Gründer ihre gesellschaftsrechtlichen Beziehungen. Die Mitgliedschaft wird aber erst mit der Übernahme von Aktien begründet. Wer keine Aktien übernimmt, wird auch nicht Mitglied der Gesellschaft. Gründer einer AG können insbesondere natürliche Personen (unabhängig von Wohnsitz oder Staatsangehörigkeit), (in- und ausländische) juristische Personen des privaten und öffentlichen Rechts (einschließlich von Vorgesellschaften), Personenhandelsgesellschaften (wie etwa OHG, KG, GmbH & Co. KG, siehe § 14 Abs. 2 BGB), Gesellschaften bürgerlichen Rechts (vgl. §§ 8 Abs. 1 Nr. 3, 40 Abs. 1 Satz 2 GmbHG), Erbengemeinschaften und Ehegatten in Gütergemeinschaft sein (zum Streitstand insbesondere bei den Gesamthandsgemeinschaften siehe § 2 Rz. 13 ff.). Im Falle der Stellvertretung ist der Vertretene der Gründer (und nicht der Stellvertreter). Bei Handeln eines Treuhänders, der im eigenen Namen, aber auf fremde Rechnung handelt, ist dieser selbst Gründer. Eine Person, die bei Feststellung der Satzung geschäftsunfähig ist, wird nicht Gründer. Tritt die Geschäftsunfähigkeit aber erst später ein, bleibt die bereits begründete Gründerstellung unberührt (siehe § 130 Abs. 2 BGB).4) Bei Anfechtung (§§ 119 ff. BGB) einer auf die Feststellung der Satzung gerichteten Willenserklärung, entfällt die Gründerstellung des Anfechtenden rückwirkend (§ 142 BGB), wenn die Vor-AG zum Zeitpunkt der Anfechtung noch nicht in Vollzug gesetzt gewesen ist. Andernfalls kommen die Regeln über die fehlerhafte Gesellschaft zur Anwendung und der Anfechtende bleibt Gründer. Nach Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister ist eine Anfechtung ausgeschlossen.5) Bei Tod eines Gründers treten die Erben in seine (zivilrechtliche) Rechtsstellung ein (§§ 1922 ff. und 1967 ff. BGB). Die Entstehung der Gesellschaft bleibt davon unberührt.6)

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So auch Hölters-Solveen, AktG, § 28 Rz. 2; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 28 Rz. 2; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 28 Rz. 3; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 28 Rz. 3; Spindler/Stilz-Limmer, AktG, § 28 Rz. 2. Hölters-Solveen, AktG, § 28 Rz. 3; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 28 Rz. 3; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 28 Rz. 6; Spindler/Stilz-Limmer, AktG, § 28 Rz. 3. Hölters-Solveen, AktG, § 24 Rz. 3; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 28 Rz. 3; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 28 Rz. 5; Spindler/Stilz-Limmer, AktG, § 28 Rz. 3. Hölters-Solveen, AktG, § 28 Rz. 4; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 28 Rz. 4; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 28 Rz. 7; Spindler/Stilz-Limmer, AktG, § 28 Rz. 4.

§ 29 Errichtung der Gesellschaft Mit der Übernahme aller Aktien durch die Gründer ist die Gesellschaft errichtet. Die Gesellschaft ist mit der Übernahme aller Aktien durch die Gründer errichtet (§ 29). 1 Bei Feststellung der Satzung müssen alle Aktien von den Gründern übernommen werden (siehe § 23 Abs. 2 Nr. 2). Eine Übernahme von Aktien nach Feststellung der Satzung ist unzulässig. Der Zeitpunkt der Errichtung der Gesellschaft (§ 29) ist daher mit dem Zeitpunkt der Feststellung der Satzung (§ 23 Abs. 1 Satz 1) identisch.1) Mit der Errichtung der Gesellschaft ist die Vor-AG entstanden (siehe § 41 Abs. 1 Satz 1). 2 Mit der Eintragung im Handelsregister entsteht sodann die AG als juristische Person. _____________ 1)

A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 29 Rz. 3; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 29 Rz. 2 ff.

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§ 29

Errichtung der Gesellschaft

Über den Gesetzeswortlaut hinaus muss ein Gründer aber nicht nur die Satzung wirksam festgestellt haben, sondern auch mindestens eine Aktie übernommen haben (siehe §§ 2 und 23 Abs. 2 Nr. 2).3) Mit der Feststellung der Satzung regeln die Gründer ihre gesellschaftsrechtlichen Beziehungen. Die Mitgliedschaft wird aber erst mit der Übernahme von Aktien begründet. Wer keine Aktien übernimmt, wird auch nicht Mitglied der Gesellschaft. Gründer einer AG können insbesondere natürliche Personen (unabhängig von Wohnsitz oder Staatsangehörigkeit), (in- und ausländische) juristische Personen des privaten und öffentlichen Rechts (einschließlich von Vorgesellschaften), Personenhandelsgesellschaften (wie etwa OHG, KG, GmbH & Co. KG, siehe § 14 Abs. 2 BGB), Gesellschaften bürgerlichen Rechts (vgl. §§ 8 Abs. 1 Nr. 3, 40 Abs. 1 Satz 2 GmbHG), Erbengemeinschaften und Ehegatten in Gütergemeinschaft sein (zum Streitstand insbesondere bei den Gesamthandsgemeinschaften siehe § 2 Rz. 13 ff.). Im Falle der Stellvertretung ist der Vertretene der Gründer (und nicht der Stellvertreter). Bei Handeln eines Treuhänders, der im eigenen Namen, aber auf fremde Rechnung handelt, ist dieser selbst Gründer. Eine Person, die bei Feststellung der Satzung geschäftsunfähig ist, wird nicht Gründer. Tritt die Geschäftsunfähigkeit aber erst später ein, bleibt die bereits begründete Gründerstellung unberührt (siehe § 130 Abs. 2 BGB).4) Bei Anfechtung (§§ 119 ff. BGB) einer auf die Feststellung der Satzung gerichteten Willenserklärung, entfällt die Gründerstellung des Anfechtenden rückwirkend (§ 142 BGB), wenn die Vor-AG zum Zeitpunkt der Anfechtung noch nicht in Vollzug gesetzt gewesen ist. Andernfalls kommen die Regeln über die fehlerhafte Gesellschaft zur Anwendung und der Anfechtende bleibt Gründer. Nach Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister ist eine Anfechtung ausgeschlossen.5) Bei Tod eines Gründers treten die Erben in seine (zivilrechtliche) Rechtsstellung ein (§§ 1922 ff. und 1967 ff. BGB). Die Entstehung der Gesellschaft bleibt davon unberührt.6)

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_____________ 3) 4) 5) 6)

So auch Hölters-Solveen, AktG, § 28 Rz. 2; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 28 Rz. 2; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 28 Rz. 3; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 28 Rz. 3; Spindler/Stilz-Limmer, AktG, § 28 Rz. 2. Hölters-Solveen, AktG, § 28 Rz. 3; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 28 Rz. 3; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 28 Rz. 6; Spindler/Stilz-Limmer, AktG, § 28 Rz. 3. Hölters-Solveen, AktG, § 24 Rz. 3; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 28 Rz. 3; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 28 Rz. 5; Spindler/Stilz-Limmer, AktG, § 28 Rz. 3. Hölters-Solveen, AktG, § 28 Rz. 4; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 28 Rz. 4; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 28 Rz. 7; Spindler/Stilz-Limmer, AktG, § 28 Rz. 4.

§ 29 Errichtung der Gesellschaft Mit der Übernahme aller Aktien durch die Gründer ist die Gesellschaft errichtet. Die Gesellschaft ist mit der Übernahme aller Aktien durch die Gründer errichtet (§ 29). 1 Bei Feststellung der Satzung müssen alle Aktien von den Gründern übernommen werden (siehe § 23 Abs. 2 Nr. 2). Eine Übernahme von Aktien nach Feststellung der Satzung ist unzulässig. Der Zeitpunkt der Errichtung der Gesellschaft (§ 29) ist daher mit dem Zeitpunkt der Feststellung der Satzung (§ 23 Abs. 1 Satz 1) identisch.1) Mit der Errichtung der Gesellschaft ist die Vor-AG entstanden (siehe § 41 Abs. 1 Satz 1). 2 Mit der Eintragung im Handelsregister entsteht sodann die AG als juristische Person. _____________ 1)

A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 29 Rz. 3; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 29 Rz. 2 ff.

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§ 30

Bestellung des Aufsichtsrats, des Vorstands und des Abschlußprüfers

§ 30 Bestellung des Aufsichtsrats, des Vorstands und des Abschlußprüfers (1) 1Die Gründer haben den ersten Aufsichtsrat der Gesellschaft und den Abschlußprüfer für das erste Voll- oder Rumpfgeschäftsjahr zu bestellen. 2Die Bestellung bedarf notarieller Beurkundung. (2) Auf die Zusammensetzung und die Bestellung des ersten Aufsichtsrats sind die Vorschriften über die Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer nicht anzuwenden. (3) 1Die Mitglieder des ersten Aufsichtsrats können nicht für längere Zeit als bis zur Beendigung der Hauptversammlung bestellt werden, die über die Entlastung für das erste Voll- oder Rumpfgeschäftsjahr beschließt. 2Der Vorstand hat rechtzeitig vor Ablauf der Amtszeit des ersten Aufsichtsrats bekanntzumachen, nach welchen gesetzlichen Vorschriften der nächste Aufsichtsrat nach seiner Ansicht zusammenzusetzen ist; §§ 96 bis 99 sind anzuwenden. (4) Der Aufsichtsrat bestellt den ersten Vorstand. Literatur: Bayer/Scholz, Der Verzicht auf die Dreiteilbarkeit der Mitgliederzahl des Aufsichtsrats nach der Neufassung des § 95 Satz 3 AktG, ZIP 2016, 193; Blasche, Satzungsregelungen zur Amtszeit der Aufsichtsratsmitglieder, AG 2017, 112; Thoelke, Der erste Aufsichtsrat hat sich überlebt, AG 2014, 137.

Übersicht I. Überblick ........................................... 1 II. Der erste Aufsichtsrat (§ 30 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 3) ................ 4 1. Bestellung (§ 30 Abs. 1) .................... 4 2. Zusammensetzung (§ 30 Abs. 2) ...... 9 3. Amtszeit (§ 30 Abs. 3) .................... 13 I.

4. Aufgaben ........................................... 18 III. Der erste Vorstand (§ 30 Abs. 4) ... 20 1. Bestellung .......................................... 20 2. Aufgaben ........................................... 24 IV. Der erste Abschlussprüfer (§ 30 Abs. 1) ..................................... 25

Überblick

1 Mit der Feststellung der Satzung (§ 23 Abs. 1) bzw. der Übernahme der Aktien durch die Gründer (§§ 23 Abs. 2 Nr. 2, 29) entsteht die Vor-AG (siehe § 41 Abs. 1). Diese benötigt Organe, um handlungsfähig zu sein.1) Die Gründer müssen daher den ersten Aufsichtsrat bestellen. Dieser bestellt sodann den ersten Vorstand. Die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats haben den Hergang der Gründer zu prüfen (§ 33 Abs. 1) und die Gesellschaft (zusammen mit den Gründern) zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden (§ 36 Abs. 1). Ferner müssen die Gründer (und nicht eine sonst einzuberufende Hauptversammlung, siehe § 119 Abs. 1 Nr. 4 AktG und § 318 HGB)2) auch den ersten Abschlussprüfer der Gesellschaft bestellen. Die Bestellung von Aufsichtsrat und Abschlussprüfer bedarf im Interesse der Rechtssicherheit der notariellen Beurkundung. 2 Die Gründer haben den ersten Aufsichtsrat der Gesellschaft zu bestellen (§ 30 Abs. 1 Satz 1). Die Bestellung bedarf der notariellen Beurkundung (§ 30 Abs. 1 Satz 2). Auf die _____________ 1)

2)

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Hölters-Solveen, AktG, § 30 Rz. 2; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 30 Rz. 1; A. Arnold in: KölnKommAktG, § 29 Rz. 4; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 30 Rz. 1; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 30 Rz. 6; Spindler/Stilz-Gerber, AktG, § 30 Rz. 1. K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 30 Rz. 2.

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Bestellung des Aufsichtsrats, des Vorstands und des Abschlußprüfers

§ 30

Zusammensetzung und die Bestellung des ersten Aufsichtsrats sind die Vorschriften über die Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer (noch) nicht anzuwenden (§ 30 Abs. 2). Besonderheiten gelten für den Fall, dass in der Satzung die Einbringung oder Übernahme eines Unternehmens bzw. Unternehmensteils als Sacheinlage oder Sachübernahme festgesetzt worden ist (§ 31). Im Interesse einer möglichst frühzeitigen Beteiligung der Arbeitnehmer ist die Amtszeit des ersten Aufsichtsrats aber begrenzt. Die Mitglieder des ersten Aufsichtsrats können nicht für längere Zeit als bis zur Beendigung der Hauptversammlung bestellt werden, die über die Entlastung für das erste Voll- oder Rumpfgeschäftsjahr beschließt (§ 30 Abs. 3 Satz 1). Rechtzeitig vor Ablauf der Amtszeit des ersten Aufsichtsrats hat der Vorstand bekannt zu machen, nach welchen gesetzlichen Vorschriften sich der Aufsichtsrat zusammensetzt (§ 30 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. §§ 96 ff.). Der (erste) Aufsichtsrat bestellt sodann den ersten Vorstand (§ 30 Abs. 4). Für das erste Voll- oder Rumpfgeschäftsjahr müssen die Gründer schließlich auch den Ab- 3 schlussprüfer der Gesellschaft bestellen (§ 30 Abs. 1 Satz 1). Diese Bestellung bedarf gleichfalls der notariellen Beurkundung (§ 30 Abs. 1 Satz 2). II.

Der erste Aufsichtsrat (§ 30 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 3)

1.

Bestellung (§ 30 Abs. 1)

Der erste Aufsichtsrat der Gesellschaft ist von den Gründern zu bestellen (§ 30 Abs. 1 4 Satz 1 i. V. m. § 28). Unterbleibt die Bestellung des ersten Aufsichtsrats, kann die Gesellschaft nicht in das Handelsregister eingetragen werden (§ 38 Abs. 1). Sonstige Sanktionen sind nicht vorgesehen. Eine gerichtliche Ersatzbestellung (siehe § 104) ist nicht möglich. Im Übrigen finden für die Bestellung des ersten Aufsichtsrats grundsätzlich die allge- 5 meinen Bestimmungen Anwendung (siehe §§ 100 ff.). Zu Mitgliedern des Aufsichtsrats können daher nur Personen bestellt werden, die auch die gesetzlich und satzungsgemäß vorgesehenen persönlichen Voraussetzungen erfüllen (§§ 100, 105). Gründer können zu Mitgliedern des Aufsichtsrats bestellt werden.3) Die Bestellung des ersten Aufsichtsrats erfolgt durch einen Beschluss der Gründer. Der 6 Beschluss bedarf der einfachen Mehrheit der Stimmen (§ 133 Abs. 1 analog). Stellvertretung bei der Beschlussfassung ist zulässig. Die Vollmacht bedarf jedoch der Textform (§ 134 Abs. 3 Satz 3 analog). Ein Gründer ist auch dann stimmberechtigt, wenn er selbst zum Mitglied des Aufsichtsrats bestellt werden soll (§ 136 gilt insoweit nicht).4) In der Praxis erfolgt die Bestellung des ersten Aufsichtsrats meist unmittelbar im notariellen Gründungsprotokoll (siehe §§ 23 Abs. 1, 30 Abs. 1 Satz 2). Die Bestellung des ersten Aufsichtsrats bedarf aus Gründen der Rechtssicherheit der 7 notariellen Beurkundung (§ 30 Abs. 1 Satz 2).5) Für die Bestellung des ersten Aufsichtsrats sind die Gründer zuständig (§ 30 Abs. 1 8 Satz 1). Eine Ausnahme besteht nur für den Fall, dass die Satzung ein Recht zur Entsendung von Mitgliedern des Aufsichtsrats vorsieht (§ 101 Abs. 2). In diesem Fall wird die Zuständigkeit der Gründer von dem Entsendungsrecht verdrängt.6) Die Erklärung des

_____________ 3) 4) 5) 6)

Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 30 Rz. 2; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 30 Rz. 4. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 30 Rz. 2; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 30 Rz. 5; Spindler/StilzGerber, AktG, § 30 Rz. 8. Hölters-Solveen, AktG, § 30 Rz. 1 und 5; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 30 Rz. 1 und 6. Hölters-Solveen, AktG, § 30 Rz. 3; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 30 Rz. 2; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 30 Rz. 7.

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§ 30

Bestellung des Aufsichtsrats, des Vorstands und des Abschlußprüfers

Entsendeberechtigten bedarf der notariellen Beurkundung (§ 30 Abs. 1 Satz 2 analog).7) Nach Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister werden die Mitglieder des Aufsichtsrats von der Hauptversammlung gewählt (§ 101 Abs. 1). 2.

Zusammensetzung (§ 30 Abs. 2)

9 Der Aufsichtsrat (auch der erste) besteht aus mindestens drei Mitgliedern (§ 95 Sätze 1 und 2). Die Satzung kann eine höhere Zahl von Mitgliedern des Aufsichtsrats bestimmen, die grundsätzlich nicht (mehr) durch drei teilbar sein muss (§ 95 Sätze 2 und 3. – Ausnahme: § 31).8) Je nach Höhe des Grundkapitals der Gesellschaft kann der Aufsichtsrat maximal 9, 15 oder 21 Mitglieder haben (§ 95 Satz 4). 10 Die Vorschriften über die Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer (siehe MitBestG, DrittelbG, MontanMitbestG und MontanMitbestErgG) finden auf den ersten Aufsichtsrat keine Anwendung (§ 30 Abs. 2; siehe auch § 96). Der erste Aufsichtsrat setzt sich somit ausschließlich aus Vertretern der Anteilseigner zusammen. Grund dafür ist, dass die neu gegründete Gesellschaft meist nur über wenige (oder gar keine) Arbeitnehmer verfügt und daher eine repräsentative Wahl der Arbeitnehmervertreter noch nicht möglich ist. Als Ausgleich für die fehlende Arbeitnehmerbeteiligung ist die Amtszeit des ersten Aufsichtsrats zeitlich eng begrenzt (§ 30 Abs. 3 Satz 1).9) 11 Beschränkungen für die Bestellung des ersten Aufsichtsrats bestehen (nur) für den Fall, dass in der Satzung die Einbringung oder Übernahme eines Unternehmens bzw. Unternehmensteils als Sacheinlage oder Sachübernahme festgesetzt worden ist (§ 31). Die Gründer dürfen dann nur diejenigen Aufsichtsratsmitglieder bestellen, die nach den gesetzlichen Vorschriften nicht auf die Vertreter der Arbeitnehmer entfallen. 12 Der Vorstand muss rechtzeitig vor Ablauf der Amtszeit des ersten Aufsichtsrats (in der Regel vier bis fünf Monate vor deren Ende) bekannt machen, nach welchen gesetzlichen Regelungen der nächste Aufsichtsrat zusammenzusetzen ist (§ 30 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. §§ 96 ff.).10) Dies gilt (anders als bei § 97 Abs. 1 Satz 1) auch dann, wenn der neue Aufsichtsrat ebenso wie der erste Aufsichtsrat zusammenzusetzen ist. Eine verspätete oder unterlassene Bekanntmachung des Vorstands führt nicht zur Unwirksamkeit der Neuwahl des Aufsichtsrats, kann aber Schadensersatzansprüche gegen den Vorstand begründen. Der Beschluss über die Neuwahl der Aufsichtsratsmitglieder ist allerdings nichtig, wenn die Bestellung nicht der Bekanntmachung des Vorstands (§ 97 Abs. 2 Satz 1) oder der gerichtlichen Entscheidung über die Zusammensetzung des Aufsichtsrats entspricht (§ 250 Abs. 1 Nr. 1). 3.

Amtszeit (§ 30 Abs. 3)

13 Die Mitglieder des ersten Aufsichtsrats können höchstens bis zur Beendigung der Hauptversammlung bestellt werden, die über die Entlastung für das erste Voll- oder Rumpfgeschäftsjahr beschließt (§ 30 Abs. 3 Satz 1 als Ausnahme zu § 102). Im Ergebnis kann die Amtsdauer des ersten Aufsichtsrats somit höchstens zwanzig Monate betragen (siehe §§ 120 Abs. 1 Satz 1, 175 Abs. 1 Satz 2 und § 240 Abs. 2 Satz 2 HGB). Zweck der Vor_____________ 7) Hölters-Solveen, AktG, § 30 Rz. 5; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 30 Rz. 3; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 30 Rz. 7; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 30 Rz. 15; Spindler/Stilz-Gerber, AktG, § 30 Rz. 6. 8) S. die Änderung von § 95 Satz 3 durch Art. 1 Nr. 8 der Aktienrechtsnovelle 2016, BGBl. I 2015, 2565. Ausführlich dazu Bayer/Scholz, ZIP 2016, 193. – S. Einf., Rz. 21. 9) A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 30 Rz. 10 ff.; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 30 Rz. 2 und 8. 10) Zum Inhalt der Bekanntmachung s. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 30 Rz. 9; A. Arnold in: KölnKommAktG, § 30 Rz. 24; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 30 Rz. 17 f.; Spindler/Stilz-Gerber, AktG, § 30 Rz. 18.

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Bestellung des Aufsichtsrats, des Vorstands und des Abschlußprüfers

§ 30

schrift ist es, möglichst frühzeitig die Mitwirkung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat sicherzustellen.11) Die Beschränkung der Amtszeit gilt demnach nicht, wenn die Vertreter der Arbeitnehmer ausnahmsweise bereits zu Mitgliedern des Aufsichtsrats bestellt worden sind (§ 31 Abs. 5 und § 102). Die Höchstdauer ist zwingend.12) Eine längere Amtszeit des ersten Aufsichtsrats kann 14 weder in der Satzung vorgesehen werden (§ 23 Abs. 5)13) noch von den Gründern beschlossen werden (siehe § 30 Abs. 1 Satz 1). Die Festsetzung einer kürzeren Amtszeit ist dagegen möglich. Allerdings muss gewährleistet sein, dass die Mitglieder des Aufsichtsrats zumindest bis zur Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister im Amt bleiben.14) Die Amtszeit des ersten Aufsichtsrats15) endet kraft Gesetzes stets mit Ablauf der ge- 15 setzlich vorgesehenen Frist. Dies gilt auch dann, wenn die Hauptversammlung nicht innerhalb der vorgesehenen Frist über die Entlastung des Aufsichtsrats entscheidet. Das Amt des ersten Aufsichtsrats endet dann zu dem Zeitpunkt, zu dem die Hauptversammlung richtigerweise über die Entlastung entscheiden hätte müssen.16) Ein Fortbestand des Amts des Aufsichtsrats kommt aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit nicht in Betracht. Das Risiko der Beschlussunfähigkeit des Aufsichtsrats (siehe § 108 Abs. 2) kann durch die gerichtliche Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern (§ 104) verhindert werden. Alle Rechtshandlungen, die ein Mitglied des Aufsichtsrats nach Ende seiner Amtszeit noch vornimmt, sind unwirksam. Es besteht insoweit auch kein Vertrauensschutz (siehe § 106 AktG; § 15 HGB, § 40 GmbHG). Mitglieder des ersten Aufsichtsrats können ihr Amt (vorbehaltlich einer abweichenden 16 Regelung in der Satzung) auch ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes niederlegen. Die Amtsniederlegung ist gegenüber dem Vorstand (und vor dessen Bestellung gegenüber den Gründern) zu erklären. Eine Abberufung von Mitgliedern des ersten Aufsichtsrats ist durch Beschluss der Hauptversammlung möglich (§ 103 Abs. 1 Satz 1). Der Beschluss bedarf regelmäßig einer Mehrheit von drei Vierteln der abgegebenen Stimmen (§ 103 Abs. 1 Sätze 2 und 3) und muss aus Gründen der Rechtssicherheit (ebenso wie der Bestellungsbeschluss) notariell beurkundet werden (§ 30 Abs. 1 Satz 2 analog).17) Die Beschlussniederschrift muss von einem Notar beurkundet werden (§ 130 Abs. 1 Satz 1); die Niederschrift des Vorsitzenden des Aufsichtsrats (§ 130 Abs. 1 Satz 3) ist nicht ausreichend.18) Scheidet ein Mitglied des Aufsichtsrats vorzeitig aus, bestellen die Gründer einen Nach- 17 folger (§ 30 Abs. 1). Nach Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister werden die neuen Mitglieder des Aufsichtsrats von der Hauptversammlung gewählt (§ 101 Abs. 1) oder vom Gericht bestellt (§ 104). _____________ Pentz in: MünchKomm-AktG, § 30 Rz. 22. K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 30 Rz. 10. Allg. zu Satzungsregelungen zur Amtszeit der Aufsichtsratsmitglieder Blasche, AG 2017, 112. K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 30 Rz. 11; Spindler/Stilz-Gerber, AktG, § 30 Rz. 14. Kritsch zu den Regelungen für den ersten Aufsichstsrat Thoelke, AG 2014, 137, der u. a. vorschlägt, dass die Regelung nur für die Mitglieder des Aufsichtsrats gilt, die bis zur Eintragung bestellt worden sind. 16) BGH, Urt. v. 24.6.2002 – II ZR 296/01, ZIP 2002, 1619, dazu EWiR 2003, 45 (Pötter) – zur Amtsdauer des regulären Aufsichtsrats nach § 102 Abs. 1. Zustimmend Hölters-Solveen, AktG, § 30 Rz. 8; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 30 Rz. 16; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 30 Rz. 10; Pentz in: MünchKommAktG, § 30 Rz. 24; Spindler/Stilz-Gerber, AktG, § 30 Rz. 14. A. A. insoweit Bürgers/Körber-Lohse, AktG, § 30 Rz. 4; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 30 Rz. 7. 17) Hölters-Solveen, AktG, § 30 Rz. 9; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 30 Rz. 4; A. Arnold in: KölnKommAktG, § 30 Rz. 18; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 30 Rz. 13; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 30 Rz. 29; Spindler/Stilz-Gerber, AktG, § 30 Rz. 10. 18) Insoweit a. A. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 30 Rz. 4; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 30 Rz. 13. 11) 12) 13) 14) 15)

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§ 30 4.

Bestellung des Aufsichtsrats, des Vorstands und des Abschlußprüfers Aufgaben

18 Der erste Aufsichtsrat bestellt den ersten Vorstand (§ 30 Abs. 4). Darüber hinaus haben die Mitglieder des Aufsichtsrats (zusammen mit den Mitgliedern des Vorstands) den Hergang der Gründung zu prüfen (§ 33 Abs. 1) und die Gesellschaft (zusammen mit den Gründern und den Mitgliedern des Vorstands) zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden (§ 36 Abs. 1). Im Übrigen ist der erste Aufsichtsrat zur Überwachung des Vorstands verpflichtet (§ 111). Vorstandsmitgliedern gegenüber vertritt der Aufsichtsrat die Gesellschaft (§ 112). 19 Die Mitglieder des ersten Aufsichtsrats haben keinen gesetzlichen Anspruch auf Vergütung. Eine Vergütung kann nur von der Hauptversammlung bewilligt werden, die über die Entlastung der Mitglieder des ersten Aufsichtsrats beschließt (§ 113 Abs. 2). Die Entscheidung über die Vergütung erfolgt somit erst am Ende der Amtszeit. Zusagen der Gründer über eine Vergütung sind nichtig (§ 134 BGB).19) Auf diese Weise soll ein Zusammenwirken zwischen den Gründern und den Mitgliedern des ersten Aufsichtsrats zulasten der Gesellschaft verhindert werden. Ein Gründerlohn (§ 26 Abs. 2) oder ein Sondervorteil (§ 26 Abs. 1) kann den Mitgliedern des ersten Aufsichtsrats gewährt werden, muss allerdings in der Satzung festgesetzt werden (siehe §§ 32 Abs. 3, 33 Abs. 2 Nr. 3). III.

Der erste Vorstand (§ 30 Abs. 4)

1.

Bestellung

20 Der erste Vorstand wird vom ersten Aufsichtsrat bestellt (§ 30 Abs. 4). Bestellt der Aufsichtsrat keinen Vorstand, können die Gründer nur den Aufsichtsrat abberufen und neue Mitglieder des Aufsichtsrats bestellen. 21 Die Bestellung des Vorstands erfolgt durch Beschluss des Aufsichtsrats (§ 108 Abs. 1). Der Beschluss bedarf der einfachen Mehrheit der Stimmen. Besondere Formvorschriften bestehen nicht (§ 30 Abs. 1 Satz 2 gilt nicht).20) Allerdings ist der Handelsregisteranmeldung die Urkunde über die Bestellung des Vorstands als Anlage beizufügen (§ 37 Abs. 4 Nr. 3). 22 Für die Anzahl der Vorstandsmitglieder (§ 76 Abs. 2), die Voraussetzungen einer wirksamen Bestellung (§ 76 Abs. 3) und die Amtsdauer der Vorstandsmitglieder (§ 84 Abs. 1) gelten die allgemeinen Bestimmungen. Ein Arbeitsdirektor muss jedoch nicht bestellt werden (siehe §§ 76 Abs. 2 Satz 3 und 30 Abs. 2).21) 23 Von der Bestellung des Vorstands als körperschaftlichem Akt ist der Abschluss des schuldrechtlichen Anstellungsvertrags zu unterscheiden. Dieser wird zwischen der Vor-AG, vertreten durch den Aufsichtsrat (§ 112) und dem Vorstand geschlossen. Die vereinbarte Vergütung des Vorstands (§ 87) muss nicht in der Satzung festgesetzt werden (siehe § 26 Abs. 2).22) 2.

Aufgaben

24 Der Vorstand leitet die Gesellschaft in eigener Verantwortung (§ 76 Abs. 1). Der erste Vorstand muss darüber hinaus (zusammen mit den Mitgliedern des Aufsichtsrats) den Hergang der Gründung prüfen (§ 33 Abs. 1) und die Gesellschaft (zusammen mit den Grün_____________ 19) Hölters-Solveen, AktG, § 30 Rz. 10; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 30 Rz. 8; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 30 Rz. 16. 20) Bürgers/Körber-Lohse, AktG, § 30 Rz. 6; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 30 Rz. 12. 21) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 30 Rz. 12; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 30 Rz. 23; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 30 Rz. 39. 22) BGH, Urt. v. 14.6.2004 – II ZR 47/02, ZIP 2004, 1409, dazu EWiR 2004, 783 (Drygala). Einschränkend Pentz in: MünchKomm-AktG, § 30 Rz. 41.

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Thomas Wachter

Bestellung des Aufsichtsrats bei Sachgründung

§ 31

dern und den Mitgliedern des Aufsichtsrats) zur Eintragung in das Handelsregister anmelden (§ 36 Abs. 1). IV.

Der erste Abschlussprüfer (§ 30 Abs. 1)

Die Gründer (und nicht die Hauptversammlung, siehe § 119 Abs. 1 Nr. 4 AktG i. V. m. 25 § 318 HGB) müssen für das erste Voll- oder Rumpfgeschäftsjahr regelmäßig einen Abschlussprüfer bestellen (§ 30 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 319 HGB). Die Bestellung bedarf der notariellen Beurkundung (§ 30 Abs. 1 Satz 2). In der Praxis erfolgt die Bestellung meist im notariellen Gründungsprotokoll (§ 23 Abs. 1). Die Bestellung eines Abschlussprüfers ist entbehrlich, wenn die Gesellschaft im ersten 26 Voll- oder Rumpfgeschäftsjahr nach Auffassung der Gründer eine kleine Kapitalgesellschaft sein wird (§§ 267, 267a HGB) und demnach überhaupt nicht prüfungspflichtig ist (§ 316 Abs. 1 HGB).23) Falls sich die Verhältnisse anders als von den Gründern erwartet entwickeln und die Gesellschaft doch prüfungspflichtig wird, kann das Gericht jederzeit einen Abschlussprüfer bestellen (§ 318 Abs. 4 HGB). Die Bestellung des ersten Abschlussprüfers ist (anders als die Bestellung des ersten Auf- 27 sichtsrats und des ersten Vorstands) keine zwingende Voraussetzung der Gründung. Unterbleibt die Bestellung des Abschlussprüfers, muss das Registergericht die Gesellschaft gleichwohl in das Handelsregister eintragen (§ 38 Abs. 1).24) Von der Bestellung des Abschlussprüfers ist die Erteilung des konkreten Prüfauftrags zu 28 unterscheiden. Diesen erteilt der Aufsichtsrat (§ 111 Abs. 2 Satz 3 AktG i. V. m. § 318 Abs. 1 Satz 4 HGB).25) Die Abberufung des Abschlussprüfers ist nur durch das Gericht möglich (§ 318 Abs. 3 29 HGB). Eine Abberufung durch die Gründer scheidet im Interesse der Unabhängigkeit des Abschlussprüfers auch vor der Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister aus.26) _____________ 23) Hölters-Solveen, AktG, § 30 Rz. 13; Spindler/Stilz-Gerber, AktG, § 30 Rz. 19. A. A. A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 30 Rz. 27. 24) Hölters-Solveen, AktG, § 30 Rz. 13; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 30 Rz. 10; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 30 Rz. 26. 25) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 30 Rz. 10. 26) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 30 Rz. 11.

§ 31 Bestellung des Aufsichtsrats bei Sachgründung (1) 1Ist in der Satzung als Gegenstand einer Sacheinlage oder Sachübernahme die Einbringung oder Übernahme eines Unternehmens oder eines Teils eines Unternehmens festgesetzt worden, so haben die Gründer nur so viele Aufsichtsratsmitglieder zu bestellen, wie nach den gesetzlichen Vorschriften, die nach ihrer Ansicht nach der Einbringung oder Übernahme für die Zusammensetzung des Aufsichtsrats maßgebend sind, von der Hauptversammlung ohne Bindung an Wahlvorschläge zu wählen sind. 2 Sie haben jedoch, wenn dies nur zwei Aufsichtsratsmitglieder sind, drei Aufsichtsratsmitglieder zu bestellen. (2) Der nach Absatz 1 Satz 1 bestellte Aufsichtsrat ist, soweit die Satzung nichts anderes bestimmt, beschlußfähig, wenn die Hälfte, mindestens jedoch drei seiner Mitglieder an der Beschlußfassung teilnehmen.

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Bestellung des Aufsichtsrats bei Sachgründung

§ 31

dern und den Mitgliedern des Aufsichtsrats) zur Eintragung in das Handelsregister anmelden (§ 36 Abs. 1). IV.

Der erste Abschlussprüfer (§ 30 Abs. 1)

Die Gründer (und nicht die Hauptversammlung, siehe § 119 Abs. 1 Nr. 4 AktG i. V. m. 25 § 318 HGB) müssen für das erste Voll- oder Rumpfgeschäftsjahr regelmäßig einen Abschlussprüfer bestellen (§ 30 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 319 HGB). Die Bestellung bedarf der notariellen Beurkundung (§ 30 Abs. 1 Satz 2). In der Praxis erfolgt die Bestellung meist im notariellen Gründungsprotokoll (§ 23 Abs. 1). Die Bestellung eines Abschlussprüfers ist entbehrlich, wenn die Gesellschaft im ersten 26 Voll- oder Rumpfgeschäftsjahr nach Auffassung der Gründer eine kleine Kapitalgesellschaft sein wird (§§ 267, 267a HGB) und demnach überhaupt nicht prüfungspflichtig ist (§ 316 Abs. 1 HGB).23) Falls sich die Verhältnisse anders als von den Gründern erwartet entwickeln und die Gesellschaft doch prüfungspflichtig wird, kann das Gericht jederzeit einen Abschlussprüfer bestellen (§ 318 Abs. 4 HGB). Die Bestellung des ersten Abschlussprüfers ist (anders als die Bestellung des ersten Auf- 27 sichtsrats und des ersten Vorstands) keine zwingende Voraussetzung der Gründung. Unterbleibt die Bestellung des Abschlussprüfers, muss das Registergericht die Gesellschaft gleichwohl in das Handelsregister eintragen (§ 38 Abs. 1).24) Von der Bestellung des Abschlussprüfers ist die Erteilung des konkreten Prüfauftrags zu 28 unterscheiden. Diesen erteilt der Aufsichtsrat (§ 111 Abs. 2 Satz 3 AktG i. V. m. § 318 Abs. 1 Satz 4 HGB).25) Die Abberufung des Abschlussprüfers ist nur durch das Gericht möglich (§ 318 Abs. 3 29 HGB). Eine Abberufung durch die Gründer scheidet im Interesse der Unabhängigkeit des Abschlussprüfers auch vor der Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister aus.26) _____________ 23) Hölters-Solveen, AktG, § 30 Rz. 13; Spindler/Stilz-Gerber, AktG, § 30 Rz. 19. A. A. A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 30 Rz. 27. 24) Hölters-Solveen, AktG, § 30 Rz. 13; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 30 Rz. 10; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 30 Rz. 26. 25) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 30 Rz. 10. 26) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 30 Rz. 11.

§ 31 Bestellung des Aufsichtsrats bei Sachgründung (1) 1Ist in der Satzung als Gegenstand einer Sacheinlage oder Sachübernahme die Einbringung oder Übernahme eines Unternehmens oder eines Teils eines Unternehmens festgesetzt worden, so haben die Gründer nur so viele Aufsichtsratsmitglieder zu bestellen, wie nach den gesetzlichen Vorschriften, die nach ihrer Ansicht nach der Einbringung oder Übernahme für die Zusammensetzung des Aufsichtsrats maßgebend sind, von der Hauptversammlung ohne Bindung an Wahlvorschläge zu wählen sind. 2 Sie haben jedoch, wenn dies nur zwei Aufsichtsratsmitglieder sind, drei Aufsichtsratsmitglieder zu bestellen. (2) Der nach Absatz 1 Satz 1 bestellte Aufsichtsrat ist, soweit die Satzung nichts anderes bestimmt, beschlußfähig, wenn die Hälfte, mindestens jedoch drei seiner Mitglieder an der Beschlußfassung teilnehmen.

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§ 31

Bestellung des Aufsichtsrats bei Sachgründung

(3) 1Unverzüglich nach der Einbringung oder Übernahme des Unternehmens oder des Unternehmensteils hat der Vorstand bekanntzumachen, nach welchen gesetzlichen Vorschriften nach seiner Ansicht der Aufsichtsrat zusammengesetzt sein muß. 2§§ 97 bis 99 gelten sinngemäß. 3Das Amt der bisherigen Aufsichtsratsmitglieder erlischt nur, wenn der Aufsichtsrat nach anderen als den von den Gründern für maßgebend gehaltenen Vorschriften zusammenzusetzen ist oder wenn die Gründer drei Aufsichtsratsmitglieder bestellt haben, der Aufsichtsrat aber auch aus Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer zu bestehen hat. (4) Absatz 3 gilt nicht, wenn das Unternehmen oder der Unternehmensteil erst nach der Bekanntmachung des Vorstands nach § 30 Abs. 3 Satz 2 eingebracht oder übernommen wird. (5) § 30 Abs. 3 Satz 1 gilt nicht für die nach Absatz 3 bestellten Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer. Übersicht I. Überblick ........................................... 1 II. Sachgründung ................................... 3 III. Bestellung des ersten Aufsichtsrats durch die Gründer (§ 31 Abs. 1) ....................................... 7 IV. Beschlussfähigkeit (§ 31 Abs. 2) ... 12 I.

V. Ergänzung des Aufsichtsrats durch Arbeitnehmervertreter (§ 31 Abs. 4) ..................................... 15 VI. Amtszeit der Mitglieder des Aufsichtsrats (§ 31 Abs. 5) ............. 21

Überblick

1 Die Gründer bestellen grundsätzlich alle Mitglieder des ersten Aufsichtsrats (§ 30 Abs. 1). Die Vorschriften über die Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer sind dabei grundsätzlich (noch) nicht anzuwenden (§ 30 Abs. 2). Besonderheiten bestehen jedoch für Sachgründungen, bei denen ein Unternehmen bzw. Unternehmensteil eingebracht oder übernommen wird. In diesen Fällen sind die nach Einbringung bzw. Übernahme des Unternehmens geltenden Vorschriften über die Zusammensetzung des Aufsichtsrats bereits bei der Gründung der Gesellschaft zu berücksichtigen. Die Gründer dürfen daher nur die Mitglieder des Aufsichtsrats bestellen, die – aufgrund der künftig maßgeblichen gesetzlichen Vorschriften – nicht auf die Arbeitnehmer entfallen. Die Mitglieder des ersten Aufsichtsrats werden somit bei Gründung ggf. noch nicht vollständig, sondern nur teilweise bestellt. Nach Vollzug der Unternehmenseinbringung bzw. -übernahme wird der Aufsichtsrat sodann um die Arbeitnehmervertreter ergänzt. Auf diese Weise soll eine möglichst frühzeitige Beteiligung der Arbeitnehmer des eingebrachten Unternehmens im Aufsichtsrat der übernehmenden AG sichergestellt werden. Dies erscheint sachgerecht, da in diesem Fall – anders als bei einer Bargründung oder einer sonstigen Sachgründung – typischerweise bereits eine ausreichende Zahl von Arbeitnehmern vorhanden ist, so dass eine repräsentative Wahl der Arbeitnehmervertreter möglich ist.1) 2 § 31 regelt die Zusammensetzung, Beschlussfähigkeit und Amtszeit des ersten Aufsichtsrats in solchen Fällen einer Sachgründung mit Unternehmen. II.

Sachgründung

3 Der Anwendungsbereich der Vorschrift ist auf Fälle beschränkt, in denen in der Satzung der Gesellschaft als Sacheinlage oder Sachübernahme (§ 27 Abs. 1) die Einbringung oder _____________ 1)

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Hölters-Solveen, AktG, § 31 Rz. 2; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 31 Rz. 1; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 31 Rz. 2 f.; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 31 Rz. 2; Spindler/Stilz-Gerber, AktG, § 31 Rz. 1.

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Bestellung des Aufsichtsrats bei Sachgründung

§ 31

Übernahme eines Unternehmens oder eines Teils eines Unternehmens2) festgesetzt worden ist (§ 31 Abs. 1 Satz 1). Für alle anderen Fälle der Bar- und Sachgründung verbleibt es dagegen bei dem Grundsatz, dass alle Mitglieder des ersten Aufsichtsrats von den Gründern bestellt werden. Die Regelung gilt auch nicht für verdeckte Sachgründungen (siehe § 27 Abs. 3), weil es in diesen Fällen gerade an einer förmlichen Festsetzung in der Satzung fehlt.3) Nach dem Normzweck – frühzeitige Sicherung der Mitbestimmung der Arbeitnehmer im 4 Aufsichtsrat – ist die Vorschrift zudem nur dann anwendbar, wenn das eingebrachte bzw. übernommene Unternehmen über eine hinreichende Anzahl von Arbeitnehmern verfügt und diese auch auf die neu gegründete AG übergehen.4) Nicht entscheidend ist demgegenüber, ob das Unternehmen bei der AG fortgeführt (oder 5 eingestellt) wird und ob den Arbeitnehmern bereits bei dem bisherigen Unternehmen Mitbestimmungsrechte zustanden. Die Vorschrift ist auch bei Gründung einer AG im Wege des Formwechsels anwendbar 6 (§ 197 Satz 3 UmwG). III.

Bestellung des ersten Aufsichtsrats durch die Gründer (§ 31 Abs. 1)

Die Zusammensetzung des Aufsichtsrats bestimmt sich nach den Vorschriften, die nach der Einbringung oder Übernahme des Unternehmens bzw. Unternehmensteils maßgebend sind (siehe § 31 Abs. 1 Satz 1; sowie §§ 1, 7 MitBestG, §§ 1, 4 DrittelbG, §§ 4, 8, und 9 MontanMitbestG und § 5 MontanMitbestErgG).5) Dabei kommt es stets auf die subjektive Sicht der Gründer an (§ 31 Abs. 1 Satz 1: „ihrer Ansicht nach“), die darüber mit einfacher Mehrheit entscheiden. Diese Auffassung ist auch für das Registergericht bindend. Eine falsche Rechtsansicht begründet kein Eintragungshindernis. Etwaige Fehler sind vielmehr nachträglich i. R. eines gerichtlichen Statusverfahrens zu korrigieren (§ 31 Abs. 3 Satz 2, § 98). Unterliegt die Gesellschaft nicht der Mitbestimmung, sind alle Mitglieder des Aufsichtsrats von den Gründern zu bestellen. Greifen die Vorschriften über die Arbeitnehmermitbestimmung ein, bestellen die Gründer zunächst (nur) so viele Aufsichtsratsmitglieder, wie von der Hauptversammlung ohne Bindung an Wahlvorschläge zu wählen sind (§ 31 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 101 Abs. 1). Nicht bestellt werden demnach die Aufsichtsratsmitglieder, die auf die Arbeitnehmervertreter entfallen. Auf diese Weise soll verhindert werden, dass Mitglieder des Aufsichtsrats zunächst von den Gründern bestellt werden und später zugunsten von Vertretern der Arbeitnehmer wieder aus dem Aufsichtsrat ausscheiden müssen. Im Interesse der Beschlussfähigkeit des ersten Aufsichtsrats müssen die Gründer in jedem Fall mindestens drei Mitglieder des Aufsichtsrats bestellen (§ 31 Abs. 1 Satz 2). Dies gilt auch dann, wenn ein Aufsichtsrat nach der Satzung drei Mitglieder hat und ein Drittel der Mitglieder für Vertreter der Arbeitnehmer vorgesehen ist (siehe etwa § 4 Abs. 1 DrittelbG). Nachdem ein (vorläufiger) Aufsichtsrat mit nur zwei Mitgliedern bei Meinungsverschiedenheiten beschlussunfähig wäre (siehe auch § 31 Abs. 2, § 108 Abs. 2 Satz 3), müssen stets mindestens drei Aufsichtsratsmitglieder bestellt werden. _____________ 2) 3) 4) 5)

Zum Begriff des Unternehmens(teils) Hölters-Solveen, AktG, § 31 Rz. 3; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 31 Rz. 2; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 31 Rz. 3; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 31 Rz. 7 ff. Spindler/Stilz-Gerber, AktG, § 31 Rz. 5. Bürgers/Körber-Lohse, AktG, § 31 Rz. 2; Hölters-Solveen, AktG, § 31 Rz. 3; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 31 Rz. 2; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 31 Rz. 4; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 31 Rz. 4; Spindler/Stilz-Gerber, AktG, § 31 Rz. 3. Hölters-Solveen, AktG, § 31 Rz. 5; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 31 Rz. 4; A. Arnold in: KölnKommAktG, § 31 Rz. 6 ff.; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 31 Rz. 7 f.; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 31 Rz. 12 ff.; Spindler/Stilz-Gerber, AktG, § 31 Rz. 8.

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§ 31

Bestellung des Aufsichtsrats bei Sachgründung

11 Der Aufsichtsrat ist auch dann, wenn noch nicht alle Mitglieder bestellt worden sind, erster Aufsichtsrat i. S. des Gesetzes und hat alle diesem obliegenden Rechte und Pflichten (u. a. nach §§ 30 Abs. 4, 33 Abs. 1 und 36 Abs. 1). IV.

Beschlussfähigkeit (§ 31 Abs. 2)

12 Der vorläufige erste Aufsichtsrat ist beschlussfähig, wenn die Hälfte, mindestens jedoch drei seiner Mitglieder an der Beschlussfassung teilnehmen (§ 31 Abs. 2. – § 108 Abs. 2 Sätze 2 und 3 sowie § 28 MitbestG, §§ 10, 11 MontanMitbestG sind insoweit verdrängt).6) Zweck der Vorschrift ist es die Beschlussfähigkeit des ersten Aufsichtsrats auch dann sicherzustellen, wenn noch nicht alle Mitglieder bestellt worden sind. 13 Für die Berechnung der Hälfte der Mitglieder des Aufsichtsrats kommt es darauf an, wie viele Mitglieder nach Gesetz oder Satzung zu bestimmen sind (wie bei § 108 Abs. 2 Satz 2),7) und nicht auf die tatsächlich vorhandene Anzahl der Aufsichtsratsmitglieder. 14 Die Satzung kann die Beschlussfähigkeit des ersten Aufsichtsrats abweichend regeln (§ 31 Abs. 2). Nicht zulässig ist es allerdings vorzusehen, dass der Aufsichtsrat auch dann beschlussfähig ist, wenn weniger als drei Mitglieder an der Beschlussfassung teilnehmen (siehe § 108 Abs. 3 Satz 3).8) Im Übrigen ist bei der Auslegung entsprechender Satzungsbestimmungen zu berücksichtigen, dass der erste Aufsichtsrat hier noch unvollständig ist, so dass bspw. ein Quorum verhältnismäßig anzupassen ist. V.

Ergänzung des Aufsichtsrats durch Arbeitnehmervertreter (§ 31 Abs. 4)

15 Die Mitglieder des ersten Aufsichtsrats wurden von den Gründern zunächst nur teilweise bestellt (§ 31 Abs. 1 Satz 1). Nach der Einbringung bzw. Übernahme des Unternehmens(teils) in die AG ist der Aufsichtsrat sodann aber unverzüglich um die fehlenden Arbeitnehmervertreter zu ergänzen. 16 Dazu hat der Vorstand unverzüglich (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB) nach der Einbringung oder Übernahme des Unternehmens bekannt zu machen, nach welchen gesetzlichen Vorschriften sich nach seiner Ansicht der Aufsichtsrat zusammensetzt (§ 31 Abs. 3 Satz 1). Hat der Vorstand bereits vor der Einbringung bzw. Übernahme des Unternehmens eine entsprechende Bekanntmachung nach allgemeinen Vorschriften vorgenommen (§ 30 Abs. 3 Satz 2) entfällt dieses Verfahren (§ 31 Abs. 4). 17 Für die Bekanntmachung über die Zusammensetzung des Aufsichtsrats gelten die allgemeinen Vorschriften (§ 31 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. §§ 97 bis 99).9) 18 Für die Ergänzung des Aufsichtsrats kommt es darauf an, ob der Vorstand (oder das Gericht) die Ansicht der Gründer über die Zusammensetzung des Aufsichtsrats teilt oder nicht:10) 19 Wird die Ansicht der Gründer bestätigt, bleiben die bereits bestellten Mitglieder des Aufsichtsrats im Amt (Ausnahme: § 31 Abs. 3 Satz 3 Alt. 2 i. V. m. Abs. 1 Satz 2). Der Aufsichtsrat wird aber um die neu gewählten Vertreter der Arbeitnehmer ergänzt. _____________ 6) A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 31 Rz. 9 f.; Spindler/Stilz-Gerber, AktG, § 31 Rz. 11. 7) Wie hier Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 31 Rz. 5; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 31 Rz. 13; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 31 Rz. 21; Spindler/Stilz-Gerber, AktG, § 31 Rz. 12. 8) So auch K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 31 Rz. 16; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 31 Rz. 22. 9) Dazu Hölters-Solveen, AktG, § 31 Rz. 10 ff.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 31 Rz. 8 ff.; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 31 Rz. 14 ff.; K. Schmidt/Lutter-Bayer, § 31 Rz. 17 ff. 10) Hölters-Solveen, AktG, § 31 Rz. 14 f.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 31 Rz. 10 f.; K. Schmidt/LutterBayer, AktG, § 31 Rz. 21 ff.; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 31 Rz. 28 ff.; Spindler/Stilz-Gerber, AktG, § 31 Rz. 14 ff.

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§ 32

Gründungsbericht

Wird die Ansicht der Gründer dagegen nicht bestätigt, erlischt das Amt der bisherigen 20 Mitglieder des Aufsichtsrats (§ 31 Abs. 3 Satz 3 Alt. 1) und der Aufsichtsrat ist insgesamt neu zu wählen. VI.

Amtszeit der Mitglieder des Aufsichtsrats (§ 31 Abs. 5)

Als erster Aufsichtsrat gilt auch der Aufsichtsrat, der nachträglich um die Vertreter der 21 Arbeitnehmer ergänzt worden ist (nach § 31 Abs. 3). Die Amtsdauer der Mitglieder des ersten Aufsichtsrats wäre daher grundsätzlich auf die Zeit bis zur Beendigung der Hauptversammlung beschränkt, die über die Entlastung für das erste Voll- oder Rumpfgeschäftsjahr beschließt (§ 30 Abs. 3 Satz 1). Dies hätte zur Folge, dass innerhalb kurzer Zeit zwei finanziell und zeitlich unter Umständen aufwändige Wahlen zur Bestellung der Arbeitnehmervertreter durchgeführt werden müssten (bzw. ersatzweise entsprechende gerichtliche Verfahren nach § 104). Um dies zu vermeiden, können die Arbeitnehmervertreter im ersten Aufsichtsrat auch für eine volle Amtsperiode (nach § 102) bestellt werden (§ 31 Abs. 5).11) Die gesetzliche Höchstdauer für die ersten Mitglieder des Aufsichtsrats (nach § 30 Abs. 3 22 Satz 1) gilt somit nur für die Vertreter der Anteilseigner. _____________ 11) Hölters-Solveen, AktG, § 31 Rz. 17; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 31 Rz. 14; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 31 Rz. 25; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 31 Rz. 48.

§ 32 Gründungsbericht (1) Die Gründer haben einen schriftlichen Bericht über den Hergang der Gründung zu erstatten (Gründungsbericht). (2) 1Im Gründungsbericht sind die wesentlichen Umstände darzulegen, von denen die Angemessenheit der Leistungen für Sacheinlagen oder Sachübernahmen abhängt. 2Dabei sind anzugeben 1. die vorausgegangenen Rechtsgeschäfte, die auf den Erwerb durch die Gesellschaft hingezielt haben; 2. die Anschaffungs- und Herstellungskosten aus den letzten beiden Jahren; 3. beim Übergang eines Unternehmens auf die Gesellschaft die Betriebserträge aus den letzten beiden Geschäftsjahren. (3) Im Gründungsbericht ist ferner anzugeben, ob und in welchem Umfang bei der Gründung für Rechnung eines Mitglieds des Vorstands oder des Aufsichtsrats Aktien übernommen worden sind und ob und in welcher Weise ein Mitglied des Vorstands oder des Aufsichtsrats sich einen besonderen Vorteil oder für die Gründung oder ihre Vorbereitung eine Entschädigung oder Belohnung ausbedungen hat. Übersicht I. Überblick ............................................ 1 II. Inhalt des Gründungsberichts ............................................... 5 1. Allgemeine Angaben für alle Gründungen ........................................ 5 2. Besondere Angaben bei Sachgründungen (§ 32 Abs. 2) .......................... 6 a) Gleichwertigkeit ........................... 6 b) Einzelangaben ............................... 7

3. Zusätzliche Angaben zum Vorstand und Aufsichtsrat (§ 32 Abs. 3) .......... a) Übernahme von Aktien für Rechnung von Mitgliedern der Verwaltung ................................. b) Sondervorteile und Gründungsentschädigung für Mitglieder der Verwaltung ........ III. Formalien .........................................

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§ 32

Gründungsbericht

Wird die Ansicht der Gründer dagegen nicht bestätigt, erlischt das Amt der bisherigen 20 Mitglieder des Aufsichtsrats (§ 31 Abs. 3 Satz 3 Alt. 1) und der Aufsichtsrat ist insgesamt neu zu wählen. VI.

Amtszeit der Mitglieder des Aufsichtsrats (§ 31 Abs. 5)

Als erster Aufsichtsrat gilt auch der Aufsichtsrat, der nachträglich um die Vertreter der 21 Arbeitnehmer ergänzt worden ist (nach § 31 Abs. 3). Die Amtsdauer der Mitglieder des ersten Aufsichtsrats wäre daher grundsätzlich auf die Zeit bis zur Beendigung der Hauptversammlung beschränkt, die über die Entlastung für das erste Voll- oder Rumpfgeschäftsjahr beschließt (§ 30 Abs. 3 Satz 1). Dies hätte zur Folge, dass innerhalb kurzer Zeit zwei finanziell und zeitlich unter Umständen aufwändige Wahlen zur Bestellung der Arbeitnehmervertreter durchgeführt werden müssten (bzw. ersatzweise entsprechende gerichtliche Verfahren nach § 104). Um dies zu vermeiden, können die Arbeitnehmervertreter im ersten Aufsichtsrat auch für eine volle Amtsperiode (nach § 102) bestellt werden (§ 31 Abs. 5).11) Die gesetzliche Höchstdauer für die ersten Mitglieder des Aufsichtsrats (nach § 30 Abs. 3 22 Satz 1) gilt somit nur für die Vertreter der Anteilseigner. _____________ 11) Hölters-Solveen, AktG, § 31 Rz. 17; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 31 Rz. 14; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 31 Rz. 25; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 31 Rz. 48.

§ 32 Gründungsbericht (1) Die Gründer haben einen schriftlichen Bericht über den Hergang der Gründung zu erstatten (Gründungsbericht). (2) 1Im Gründungsbericht sind die wesentlichen Umstände darzulegen, von denen die Angemessenheit der Leistungen für Sacheinlagen oder Sachübernahmen abhängt. 2Dabei sind anzugeben 1. die vorausgegangenen Rechtsgeschäfte, die auf den Erwerb durch die Gesellschaft hingezielt haben; 2. die Anschaffungs- und Herstellungskosten aus den letzten beiden Jahren; 3. beim Übergang eines Unternehmens auf die Gesellschaft die Betriebserträge aus den letzten beiden Geschäftsjahren. (3) Im Gründungsbericht ist ferner anzugeben, ob und in welchem Umfang bei der Gründung für Rechnung eines Mitglieds des Vorstands oder des Aufsichtsrats Aktien übernommen worden sind und ob und in welcher Weise ein Mitglied des Vorstands oder des Aufsichtsrats sich einen besonderen Vorteil oder für die Gründung oder ihre Vorbereitung eine Entschädigung oder Belohnung ausbedungen hat. Übersicht I. Überblick ............................................ 1 II. Inhalt des Gründungsberichts ............................................... 5 1. Allgemeine Angaben für alle Gründungen ........................................ 5 2. Besondere Angaben bei Sachgründungen (§ 32 Abs. 2) .......................... 6 a) Gleichwertigkeit ........................... 6 b) Einzelangaben ............................... 7

3. Zusätzliche Angaben zum Vorstand und Aufsichtsrat (§ 32 Abs. 3) .......... a) Übernahme von Aktien für Rechnung von Mitgliedern der Verwaltung ................................. b) Sondervorteile und Gründungsentschädigung für Mitglieder der Verwaltung ........ III. Formalien .........................................

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§ 32 I.

Gründungsbericht Überblick

1 Die Gründer (§ 28) haben über den Hergang der Gründung stets einen schriftlichen Bericht (Gründungsbericht) zu erstatten (§ 32 Abs. 1). Die Erstellung eines Gründungsberichts ist sowohl bei Bargründungen als auch bei Sachgründungen notwendig. Der Gründungsbericht ist der Handelsregisteranmeldung als Anlage beizufügen (§ 37 Abs. 4 Nr. 4). 2 Für Bargründungen sind im AktG keine besonderen Vorgaben für den Inhalt des Gründungsberichts vorgesehen. Bei Sachgründungen müssen im Gründungsbericht insbesondere die wesentlichen Umstände dargelegt werden, von denen die Angemessenheit der Leistungen für Sacheinlagen oder Sachübernahmen abhängt (§ 32 Abs. 2 Satz 1). Dabei sind auch anzugeben die vorausgegangenen Rechtsgeschäfte, die auf den Erwerb durch die Gesellschaft hingezielt haben (§ 32 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1), die Anschaffungs- und Herstellungskosten aus den letzten beiden Jahren (§ 32 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2) und beim Übergang eines Unternehmens auf die Gesellschaft die Betriebserträge aus den letzten beiden Geschäftsjahren (§ 32 Abs. 2 Nr. 3). 3 Darüber hinaus ist in jedem Gründungsbericht stets anzugeben, ob und in welchem Umfang bei der Gründung für Rechnung eines Mitglieds des Vorstands oder des Aufsichtsrats Aktien übernommen worden sind (§ 32 Abs. 3 Alt. 1) und, ob und in welcher Weise ein Mitglied des Vorstands oder des Aufsichtsrats sich einen besonderen Vorteil (§ 26 Abs. 1) oder für die Gründung oder ihre Vorbereitung eine Entschädigung oder Belohnung (§ 26 Abs. 2) ausbedungen hat (§ 32 Abs. 3 Alt. 2). 4 Zweck des Gründungsberichts ist es vor allem, die Allgemeinheit vor unseriösen und betrügerischen Gründungen zu schützen.1) Darüber hinaus ist der Gründungsbericht Grundlage für die anschließende Gründungsprüfung. Neben dem Gründungsbericht der Gründer (§ 32 Abs. 1) ist von den Mitgliedern des Vorstands und des Aufsichtsrats ein (interner) Gründungsprüfungsbericht (§ 33 Abs. 1), und in bestimmten Fällen darüber hinaus auch ein externer Gründungsbericht eines Gründungsprüfers (§§ 33 Abs. 2, 33a) zu erstellen. Alle Berichte sind streng voneinander zu unterscheiden. Alle Berichterstatter sind für die Vollständigkeit und Richtigkeit ihrer Berichte zivil- und strafrechtlich verantwortlich (u. a. §§ 46 ff., § 399 Abs. 1 Nr. 2 AktG; §§ 823 Abs. 2, 826 BGB). Dem Handelsregister sind alle Berichte als Anlage zur Handelsregisteranmeldung mit vorzulegen (§ 37 Abs. 4 Nr. 4). Die Berichte sind die Grundlage für die registergerichtliche Prüfung und sollen diese erleichtern (§ 38 Abs. 1). Fehlende, unvollständige oder unrichtige Berichte stellen ein zwingendes Eintragungshindernis dar (siehe auch § 38 Abs. 2).2) Im Handelsregister sind die Berichte für jedermann einsehbar (§ 9 Abs. 1 HGB) und dienen damit auch der Information der interessierten Öffentlichkeit. II.

Inhalt des Gründungsberichts

1.

Allgemeine Angaben für alle Gründungen

5 Der Inhalt des Gründungsberichts ist im AktG nur für einzelne Spezialfälle näher geregelt (§ 32 Abs. 2 und 3). Allgemein gilt, dass jeder Gründungsbericht den gesamten Hergang der Gründung (§ 32 Abs. 1) umfassen muss. In dem Gründungsbericht sind daher alle Umstände anzugeben, die für die Gründung der Gesellschaft von Bedeutung sind.

_____________ 1) 2)

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Hölters-Solveen, AktG, § 32 Rz. 2; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 32 Rz. 1; A. Arnold in: KölnKommAktG, § 32 Rz. 2; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 32 Rz. 1; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 32 Rz. 3; Spindler/Stilz-Gerber, AktG, § 32 Rz. 1. Hölters-Solveen, AktG, § 32 Rz. 13; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 32 Rz. 23.

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§ 32

Gründungsbericht

Anzugeben sind auch solche Umstände, die sich bereits aus der Satzung oder der notariellen Gründungsurkunde ergeben.3) Im Regelfall sind insbesondere anzugeben: – – – – – – – – – – – –

Namen der Gründer (siehe § 23 Abs. 2 Nr. 1); Tag der Feststellung der Satzung (meist, aber nicht zwingend auch der Name des beurkundenden Notars und die Urkundennummer; siehe § 23 Abs. 1 Satz 1); Höhe des Grundkapitals und Zerlegung in Nennbetrags- oder Stückaktien (siehe § 23 Abs. 2 Nr. 2 sowie Abs. 3 Nr. 3 und Nr. 4); Ausgabebetrag der Aktien, Anzahl der von jedem Gründer übernommenen Aktien (ggf. getrennt nach einzelnen Gattungen von Aktien); Höhe der geleisteten Bareinlagen (siehe §§ 36 Abs. 2, 36a); erster Aufsichtsrat (Tag der Bestellung, Zahl und Namen der Mitglieder; siehe §§ 30 Abs. 1, 31); erster Vorstand (Tag der Bestellung, Zahl und Namen der Mitglieder, Vertretungsbefugnis; siehe § 30 Abs. 4); Bestellung des ersten Abschlussprüfers (soweit erforderlich; siehe § 30 Abs. 1 und §§ 267 Abs. 1, 316 ff. HGB); Hinweis auf etwaige Personenidentität zwischen Gründern (bzw. deren Organen) und Organmitgliedern; Übernahme von Aktien für Rechnung eines Dritten (auch über § 32 Abs. 3 Alt. 1 hinaus); Zusagen über etwaige Sondervorteile (auch über § 32 Abs. 3 Alt. 2 hinaus, siehe § 26 Abs. 1) sowie der gesamte Gründungsaufwand (auch über § 32 Abs. 3 Alt. 2 hinaus, siehe § 26 Abs. 2).

2.

Besondere Angaben bei Sachgründungen (§ 32 Abs. 2)

a)

Gleichwertigkeit

Bei einer Sachgründung (§ 27) sind im Gründungsbericht über die allgemeinen Angaben 6 hinaus insbesondere die wesentlichen Umstände darzulegen, von denen die Angemessenheit der Leistungen für Sacheinlagen oder Sachübernahmen abhängt (§ 32 Abs. 2 Satz 1). Die Leistungen sind angemessen, wenn der Ausgabebetrag der Aktien bzw. die gewährte Vergütung dem Wert der Sache entspricht (siehe auch § 34 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Satz 2). Leistung und Gegenleistung müssen gleichwertig sein.4) In dem Gründungsbericht ist daher umfassend zu dem Wert der eingelegten bzw. übernommenen Sachen und der Art und Weise der konkreten Wertermittlung Stellung zu nehmen. Die im Einzelfall erforderlichen Angaben sind insbesondere von Art, Zustand und Beschaffenheit der jeweiligen Sache abhängig. In jedem Fall müssen die Ausführungen in dem Gründungsbericht die Gründungsprüfer und das Registergericht von der Werthaltigkeit der Sachen überzeugen. Denn das Registergericht hat die Eintragung der Gesellschaft u. a. dann abzulehnen, wenn der Wert der Sacheinlagen oder Sachübernahmen nicht unwesentlich hinter dem geringsten Ausgabebetrag der dafür zu gewährenden Aktien oder dem Wert der dafür zu gewährenden Leistungen zurückbleibt (§ 38 Abs. 2 Satz 2). Die Angaben zum Wert der Sacheinlagen bzw. Sachübernahmen müssen im Gründungsbericht auch dann _____________ 3)

4)

Hölters-Solveen, AktG, § 32 Rz. 4; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 32 Rz. 3; A. Arnold in: KölnKommAktG, § 32 Rz. 6 f.; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 32 Rz. 4; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 32 Rz. 12; Spindler/Stilz-Gerber, AktG, § 32 Rz. 6. Bürgers/Körber-Lohse, AktG, § 32 Rz. 4; Hölters-Solveen, AktG, § 32 Rz. 5; A. Arnold in: KölnKommAktG, § 32 Rz. 9; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 32 Rz. 5; Spindler/Stilz-Gerber, AktG, § 32 Rz. 9 f.

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§ 32

Gründungsbericht

gemacht werden, wenn die Gesellschaft auf eine externe Gründungsprüfung verzichtet (siehe § 33a i. V. m. § 33 Abs. 2 Nr. 4, der § 32 jedoch unberührt lässt). b)

Einzelangaben

7 Neben den allgemeinen Angaben zur Werthaltigkeit der eingebrachten bzw. übernommenen Sachen müssen die Gründer zum Zwecke der Konkretisierung in dem Bericht stets noch bestimmte weitere Angaben machen (§ 32 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 bis 3). Diese Angaben sind zwingend. Im Einzelfall ist eine entsprechende Fehlanzeige in dem Gründungsbericht aufzunehmen.5) 8 In dem Gründungsbericht sind die vorausgegangenen Rechtsgeschäfte anzugeben, die auf den Erwerb durch die Gesellschaft hingezielt haben (§ 32 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1).6) Damit sind vor allem solche Geschäfte gemeint, mit denen die Gründer einen Gegenstand von einem Dritten erwerben, um ihn anschließend der Gesellschaft i. R. einer Sachgründung zu überlassen (vielfach auch als Zwischengeschäfte bezeichnet). Zweck der Vorschrift ist es vor allem, etwaige Gewinne der Gründer (als Zwischenperson) offenzulegen und auf ihre Marktüblichkeit zu prüfen. Von Bedeutung sind daher vor allem Art, Zeitpunkt und Inhalt dieser Rechtsgeschäfte. 9 Ferner sind in dem Gründungsbericht die Anschaffungs- und Herstellungskosten anzugeben, die den Gründern für die Sachen in den letzten beiden Jahren7) entstanden sind (§ 32 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 AktG i. V. m. § 255 HGB).8) Ziel der Regelung ist es, eine etwaige Differenz zwischen den Anschaffungs- und Herstellungskosten einerseits und dem Ausgabebetrag der Aktien bzw. der von der Gesellschaft gewährten Vergütung andererseits offenzulegen und zu prüfen. 10 Beim Übergang eines Unternehmens (oder eines Unternehmensteils, siehe § 31 Abs. 1 Satz 1)9) sind in dem Gründungsbericht darüber hinaus auch die Betriebserträge aus den letzten beiden Geschäftsjahren (getrennt voneinander) anzugeben (§ 32 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 AktG i. V. m § 275 Abs. 2 Nr. 20 und Abs. 3 Nr. 19 HGB; siehe auch § 5 Abs. 4 Satz 2 GmbHG).10) Anhand der (ordentlichen) Erträge soll die Rentabilität des eingebrachten bzw. übernommenen Unternehmens ermittelt und damit die ordnungsgemäße Kapitalaufbringung gesichert werden. Besteht das Unternehmen noch keine vollen zwei Geschäftsjahre, sind die bisherigen Erträge anzugeben. Die Angabe des Betriebsertrags aus dem laufenden Geschäftsjahr ist nach dem Gesetzeswortlaut nicht erforderlich, für die Beurteilung der Angemessenheit der Gegenleistung aber regelmäßig hilfreich. 3.

Zusätzliche Angaben zum Vorstand und Aufsichtsrat (§ 32 Abs. 3)

a)

Übernahme von Aktien für Rechnung von Mitgliedern der Verwaltung

11 In jedem Gründungsbericht (bei Bar- und Sachgründungen) ist anzugeben, ob und in welchem Umfang bei der Gründung für Rechnung eines Mitglieds des Vorstands oder des _____________ 5) Hölters-Solveen, AktG, § 32 Rz. 5; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 32 Rz. 5; K. Schmidt/Lutter-Bayer, § 32 Rz. 6; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 32 Rz. 16. 6) Hölters-Solveen, AktG, § 32 Rz. 6; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 32 Rz. 10; K. Schmidt/LutterBayer, AktG, § 32 Rz. 7; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 32 Rz. 18. 7) Zur Berechnung der Zwei-Jahres-Frist s. Hölters-Solveen, AktG, § 32 Rz. 7; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 32 Rz. 5; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 32 Rz. 11; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 32 Rz. 23. 8) Hölters-Solveen, AktG, § 32 Rz. 7; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 32 Rz. 11 ff.; K. Schmidt/ Lutter-Bayer, AktG, § 32 Rz. 8 ff.; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 32 Rz. 20 ff. 9) A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 32 Rz. 15. 10) Hölters-Solveen, AktG, § 32 Rz. 8; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 32 Rz. 15 ff.; K. Schmidt/ Lutter-Bayer, § 32 Rz. 12; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 32 Rz. 24 ff.

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§ 32

Gründungsbericht

Aufsichtsrats Aktien übernommen worden sind (§ 32 Abs. 3 Alt. 1). Im Interesse der Transparenz des Gründungsvorgangs sind solche Treuhand- bzw. Strohmannverhältnisse in dem Gründungsbericht vollständig offenzulegen.11) Möglichen Interessenkollisionen soll auf diese Weise vorgebeugt werden. Anzugeben sind dabei insbesondere der Name des Gründers, der Name des Mitglieds des Vorstands und Aufsichtsrats sowie Art und Anzahl der übernommenen Aktien. Die Angaben sind für jedes Mitglied des Vorstands und des Aufsichtsrats gesondert zu machen. Nach dem Gesetzeswortlaut ist eine gesonderte Angabe im Gründungsbericht dann nicht 12 erforderlich, wenn ein Gründer für Rechnung eines Dritten (z. B. für Angehörige von Mitgliedern der Verwaltung oder Angestellte der Gesellschaft) Aktien übernimmt. Nach dem Normzweck gehören aber auch diese Informationen zum Hergang der Gründung (§ 32 Abs. 1) und sind daher in den Gründungsbericht mit aufzunehmen.12) Dagegen bedarf es keiner gesonderten Angabe im Gründungsbericht, wenn ein Mitglied 13 des Vorstands oder Aufsichtsrats selbst zu den Gründern gehört und für eigene Rechnung Aktien übernimmt (siehe auch § 33 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 im Unterschied zu § 32 Abs. 3 Alt. 1).13) Werden keine Aktien für Rechnung Dritter übernommen ist in den Gründungsbericht 14 eine entsprechende Fehlanzeige aufzunehmen. Die Übernahme von Aktien für Rechnung von Mitgliedern der Verwaltung (nicht auch 15 für Dritte) macht eine externe Gründungsprüfung erforderlich (§ 33 Abs. 2 Nr. 2). b)

Sondervorteile und Gründungsentschädigung für Mitglieder der Verwaltung

In jedem Gründungsbericht ist darüber hinaus stets auch anzugeben, ob und in welcher 16 Weise ein Mitglied des Vorstands oder des Aufsichtsrats sich einen besonderen Vorteil (§ 26 Abs. 1) oder eine Entschädigung oder Belohnung für die Gründung oder ihre Vorbereitung (§ 26 Abs. 2) ausbedungen hat (§ 32 Abs. 3 Alt. 2). In der Satzung sind etwaige Sondervorteile sowie der Gründungsaufwand ohnehin gesondert festzusetzen und sind damit über das Handelsregister für jedermann ersichtlich. Zur Vermeidung von Interessenkollisionen sind Sondervorteile, Gründungsentschädigungen und -belohnungen im Gründungsbericht gleichwohl ausdrücklich anzugeben.14) Anzugeben sind jeweils Art und Umfang des Sondervorteils, der Gründungsentschädigung bzw. des Gründerlohns sowie der Name des Empfängers. Über den Gesetzeswortlaut (des § 32 Abs. 3 Alt. 2) hinaus sind in dem Gründungsbericht auch alle sonstigen Sondervorteile, Entschädigungen und Belohnungen für die Gründung, die Dritten gewährt worden sind mit anzugeben (nach § 32 Abs. 1). Gegebenenfalls ist eine entsprechende Fehlanzeige erforderlich. Die Gewährung von Sondervorteilen, Gründungsentschädigungen und –belohnungen für 17 Mitglieder der Verwaltung (nicht auch für Dritte) macht eine externe Gründungsprüfung erforderlich (§ 33 Abs. 2 Nr. 3). III.

Formalien

Der Gründungsbericht ist schriftlich zu erstatten (§ 32 Abs. 1 AktG i. V. m. § 126 BGB). 18 Alle Gründer müssen den Gründungsbericht eigenhändig unterzeichnen. Gründungsbe_____________ 11) Hölters-Solveen, AktG, § 32 Rz. 9; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 32 Rz. 6; A. Arnold in: KölnKommAktG, § 32 Rz. 17; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 32 Rz. 13 ff. 12) K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 32 Rz. 15 (einschränkend aber wohl Rz. 4 a. E.); Pentz in: MünchKomm-AktG, § 32 Rz. 31. 13) Hölters-Solveen, AktG, § 32 Rz. 10; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 32 Rz. 14. 14) K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 32 Rz. 16; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 32 Rz. 32.

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§ 33

Gründungsprüfung. Allgemeines

richte, die lediglich per Telefax oder als pdf Dokumente übermittelt werden, sind nicht ausreichend. 19 Falsche Angaben der Gründer in dem Gründungsbericht sind strafbar (§ 399 Abs. 1 Nr. 2). Die Gründer müssen den Gründungsbericht daher höchstpersönlich erstatten. Stellvertretung ist ausgeschlossen.15) 20 Zeitlich ist der Gründungsbericht nach Bestellung des ersten Vorstands (siehe §§ 30 Abs. 4, 32 Abs. 3) und vor der Gründungsprüfung (§§ 33 ff.) zu erstellen. Stellen die Gründer nach Erstattung des Gründungsberichts (und vor Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister) fest, dass sich ein wesentlicher Umstand nachträglich geändert hat, müssen sie unverzüglich einen Nachtrag zum Gründungsbericht erstellen und diesen zum Handelsregister einreichen.16) _____________ 15) Hölters-Solveen, AktG, § 32 Rz. 3; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 32 Rz. 2; A. Arnold in: KölnKommAktG, § 32 Rz. 3; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 32 Rz. 2. 16) A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 32 Rz. 22.

§ 33 Gründungsprüfung. Allgemeines (1) Die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats haben den Hergang der Gründung zu prüfen. (2) Außerdem hat eine Prüfung durch einen oder mehrere Prüfer (Gründungsprüfer) stattzufinden, wenn 1. ein Mitglied des Vorstands oder des Aufsichtsrats zu den Gründern gehört oder 2. bei der Gründung für Rechnung eines Mitglieds des Vorstands oder des Aufsichtsrats Aktien übernommen worden sind oder 3. ein Mitglied des Vorstands oder des Aufsichtsrats sich einen besonderen Vorteil oder für die Gründung oder ihre Vorbereitung eine Entschädigung oder Belohnung ausbedungen hat oder 4. eine Gründung mit Sacheinlagen oder Sachübernahmen vorliegt. (3) 1In den Fällen des Absatzes 2 Nr. 1 und 2 kann der beurkundende Notar (§ 23 Abs. 1 Satz 1) anstelle eines Gründungsprüfers die Prüfung im Auftrag der Gründer vornehmen; die Bestimmungen über die Gründungsprüfung finden sinngemäße Anwendung. 2Nimmt nicht der Notar die Prüfung vor, so bestellt das Gericht die Gründungsprüfer. 3Gegen die Entscheidung ist die Beschwerde zulässig. (4) Als Gründungsprüfer sollen, wenn die Prüfung keine anderen Kenntnisse fordert, nur bestellt werden 1. Personen, die in der Buchführung ausreichend vorgebildet und erfahren sind; 2. Prüfungsgesellschaften, von deren gesetzlichen Vertretern mindestens einer in der Buchführung ausreichend vorgebildet und erfahren ist. (5) 1Als Gründungsprüfer darf nicht bestellt werden, wer nach § 143 Abs. 2 nicht Sonderprüfer sein kann. 2Gleiches gilt für Personen und Prüfungsgesellschaften, auf deren Geschäftsführung die Gründer oder Personen, für deren Rechnung die Gründer Aktien übernommen haben, maßgebenden Einfluß haben.

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§ 33

Gründungsprüfung. Allgemeines

richte, die lediglich per Telefax oder als pdf Dokumente übermittelt werden, sind nicht ausreichend. 19 Falsche Angaben der Gründer in dem Gründungsbericht sind strafbar (§ 399 Abs. 1 Nr. 2). Die Gründer müssen den Gründungsbericht daher höchstpersönlich erstatten. Stellvertretung ist ausgeschlossen.15) 20 Zeitlich ist der Gründungsbericht nach Bestellung des ersten Vorstands (siehe §§ 30 Abs. 4, 32 Abs. 3) und vor der Gründungsprüfung (§§ 33 ff.) zu erstellen. Stellen die Gründer nach Erstattung des Gründungsberichts (und vor Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister) fest, dass sich ein wesentlicher Umstand nachträglich geändert hat, müssen sie unverzüglich einen Nachtrag zum Gründungsbericht erstellen und diesen zum Handelsregister einreichen.16) _____________ 15) Hölters-Solveen, AktG, § 32 Rz. 3; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 32 Rz. 2; A. Arnold in: KölnKommAktG, § 32 Rz. 3; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 32 Rz. 2. 16) A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 32 Rz. 22.

§ 33 Gründungsprüfung. Allgemeines (1) Die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats haben den Hergang der Gründung zu prüfen. (2) Außerdem hat eine Prüfung durch einen oder mehrere Prüfer (Gründungsprüfer) stattzufinden, wenn 1. ein Mitglied des Vorstands oder des Aufsichtsrats zu den Gründern gehört oder 2. bei der Gründung für Rechnung eines Mitglieds des Vorstands oder des Aufsichtsrats Aktien übernommen worden sind oder 3. ein Mitglied des Vorstands oder des Aufsichtsrats sich einen besonderen Vorteil oder für die Gründung oder ihre Vorbereitung eine Entschädigung oder Belohnung ausbedungen hat oder 4. eine Gründung mit Sacheinlagen oder Sachübernahmen vorliegt. (3) 1In den Fällen des Absatzes 2 Nr. 1 und 2 kann der beurkundende Notar (§ 23 Abs. 1 Satz 1) anstelle eines Gründungsprüfers die Prüfung im Auftrag der Gründer vornehmen; die Bestimmungen über die Gründungsprüfung finden sinngemäße Anwendung. 2Nimmt nicht der Notar die Prüfung vor, so bestellt das Gericht die Gründungsprüfer. 3Gegen die Entscheidung ist die Beschwerde zulässig. (4) Als Gründungsprüfer sollen, wenn die Prüfung keine anderen Kenntnisse fordert, nur bestellt werden 1. Personen, die in der Buchführung ausreichend vorgebildet und erfahren sind; 2. Prüfungsgesellschaften, von deren gesetzlichen Vertretern mindestens einer in der Buchführung ausreichend vorgebildet und erfahren ist. (5) 1Als Gründungsprüfer darf nicht bestellt werden, wer nach § 143 Abs. 2 nicht Sonderprüfer sein kann. 2Gleiches gilt für Personen und Prüfungsgesellschaften, auf deren Geschäftsführung die Gründer oder Personen, für deren Rechnung die Gründer Aktien übernommen haben, maßgebenden Einfluß haben.

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§ 33

Gründungsprüfung. Allgemeines

Literatur: Grage, Notarrelevante Regelungen des Transparenz- und Publizitätsgesetzes im Überblick, RNotZ 2002, 326; Heckschen, Gründungsprüfung durch den Notar, NotBZ 2002, 429; Hermanns, Erleichterungen bei der Gründung von Aktiengesellschaften durch das Transparenzund Publizitätsgesetz, ZIP 2002, 1785.

Übersicht I. Überblick ............................................ 1 II. Interne Gründungsprüfung (§ 33 Abs. 1) ....................................... 3 III. Externe Gründungsprüfung (§ 33 Abs. 2 – 5) .................................. 5 1. Erforderlichkeit der externen Gründungsprüfung (§ 33 Abs. 2) ...... 5 I.

2. Person des Gründungsprüfers (§ 33 Abs. 3 – 5) ................................ 10 a) Gerichtlich bestellter Gründungsprüfer ................................ 10 b) Notar als Gründungsprüfer ....... 13

Überblick

Jede Gründung einer AG erfordert eine – mehr oder weniger umfangreiche – Gründungs- 1 prüfung (§§ 33 – 35). Mit der Gründungsprüfung soll die Einhaltung der gesetzlichen Gründungsvorschriften sichergestellt werden.1) Die Berichte über die Gründungsprüfung sind im Handelsregister für jedermann einsehbar (§ 34 Abs. 3 Satz 2 AktG und § 9 HGB). Die damit verbundene Transparenz soll unseriöse Gründer von der AG von vornherein fernhalten. Die Berichte über die Gründungsprüfung bilden zudem eine wesentliche Grundlage für die Rechtmäßigkeitsprüfung des Registergerichts (§§ 37 Abs. 4 Nr. 4, 38 Abs. 1 und 2). Falsche, unvollständige oder unrichtige Angaben in den Prüfungsberichten können Schadensersatzansprüche begründen (siehe §§ 46 ff.) und bei vorsätzlichem Verhalten auch strafbar sein (§§ 399 Abs. 1 Nr. 2, 403). Die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats haben den Hergang der Gründung 2 stets zu prüfen (§ 33 Abs. 1; zu Umfang und Inhalt des Berichts siehe § 34). Neben dieser internen Gründungsprüfung hat in bestimmten Fällen zusätzlich eine externe Gründungsprüfung zu erfolgen (§ 33 Abs. 2). Eine externe Gründungsprüfung ist insbesondere dann vorgesehen, wenn eine Interessenkollision zwischen den Gründern und den Mitgliedern der Verwaltung in Betracht kommt (§ 33 Abs. 2 Nr. 1 – 3) sowie bei Sacheinlagen und Sachübernahmen (§ 33 Abs. 2 Nr. 4; Ausnahme: § 33a). Der externe Gründungsprüfer wird im Regelfall vom Amtsgericht bestellt (§ 33 Abs. 3 Satz 2). Als Gründungsprüfer kommen nur solche Personen in Betracht, die in der Buchführung ausreichend vorgebildet und erfahren sind, wirtschaftlich unabhängig und nicht befangen sind (§ 33 Abs. 4 und 5). Die gerichtliche Bestellung eines externen Gründungsprüfers ist dann nicht erforderlich, wenn der beurkundende Notar die Gründungsprüfung übernimmt (§ 33 Abs. 3 Satz 1). Mit dieser im Jahr 2002 eingeführten Neuregelung2) wurde die Gründung erheblich vereinfacht und beschleunigt. Eine weitere Deregulierung der Gründungsprüfung ist im Jahr 2009 durch das ARUG3) erfolgt. Danach kann in bestimmten Fällen einer Gründung mit Sacheinlagen oder Sachübernahmen (§ 33 Abs. 2 Nr. 4) ganz von einer externen Gründungsprüfung abgesehen werden (§ 33a). _____________ 1)

2)

3)

Hölters-Solveen, AktG, § 33 Rz. 2; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 33 Rz. 1; A. Arnold in: KölnKommAktG, § 33 Rz. 5; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 33 Rz. 1; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 33 Rz. 3 f.; Spindler/Stilz-Gerber, AktG, § 33 Rz. 1. Änderung durch Art. 1 Nr. 2 des Gesetzes zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität, Transparenz- und Publizitätsgesetz (TransPuG), BGBl. I 2002, 2681. S. dazu BT-Drucks. 14/8769, S. 12. Art. 1 Nr. 1a des Gesetzes zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG), BGBl. I 2009, 2479. S. dazu BT-Drucks. 16/11642, S. 30 ff.

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§ 33 II.

Gründungsprüfung. Allgemeines Interne Gründungsprüfung (§ 33 Abs. 1)

3 Bei jeder Gründung einer AG haben die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats den Hergang zu prüfen (§ 33 Abs. 1) und darüber einen schriftlichen Prüfungsbericht zu erstellen (siehe dazu § 34). Die Prüfungs- und Berichtspflicht obliegt allen Mitgliedern des Vorstands (einschließlich deren Stellvertretern, § 94) und des Aufsichtsrats (nicht aber noch nicht eingerückten Ersatzmitgliedern des Aufsichtsrats, siehe § 101 Abs. 3). Die Gründungsprüfung muss dabei durch die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats erfolgen, die auch die Handelsregisteranmeldung unterzeichnen (§ 36 Abs. 1). Stellvertretung ist bei der Gründungsprüfung ausgeschlossen.4) 4 Alle Organmitglieder sind zur Mitwirkung an der Gründungsprüfung verpflichtet. Diese kann allerdings nicht erzwungen werden (siehe § 888 Abs. 2 ZPO). Möglich ist aber die Abberufung und Neubestellung einzelner Organmitglieder. Eine fehlende oder unvollständige Gründungsprüfung stellt ein zwingendes Eintragungshindernis dar (§ 38 Abs. 1). III.

Externe Gründungsprüfung (§ 33 Abs. 2 – 5)

1.

Erforderlichkeit der externen Gründungsprüfung (§ 33 Abs. 2)

5 Neben der internen Gründungsprüfung ist in bestimmten, im Gesetz abschließend aufgezählten Fällen noch zusätzlich eine externe Gründungsprüfung erforderlich (§ 33 Abs. 2 Nr. 1 – 4). Die Erforderlichkeit einer externen Gründungsprüfung ergibt sich im Allgemeinen aus dem Gründungsbericht der Gründer (siehe § 32 Abs. 2 und 3). Maßgebend sind dabei jeweils die Verhältnisse im Zeitpunkt der Eintragung im Handelsregister. 6 Eine externe Gründungsprüfung ist erforderlich, wenn ein Mitglied des Vorstands oder des Aufsichtsrats zu den Gründern (§ 28) gehört (§ 33 Abs. 2 Nr. 1).5) Bei Mitgliedern der Verwaltung, die zugleich auch Gründer sind, besteht die Gefahr, dass sie die Gründungsprüfung nicht mit der erforderlichen Unabhängigkeit und Objektivität vornehmen. Dem soll durch eine externe Gründungsprüfung vorgebeugt werden. Die Vorschrift gilt über ihren Wortlaut hinaus auch dann, wenn nicht der Gründer selbst, sondern eine den Gründer beherrschende Person zum Mitglied des Vorstands oder des Aufsichtsrats gehört.6) Dies ist bspw. der Fall, wenn eine Personen- oder Kapitalgesellschaft als Gründerin auftritt und eine ihrer vertretungsberechtigten Personen Mitglied des Vorstands oder des Aufsichtsrats der neu gegründeten AG werden soll. Bei Stellvertretung ist ohnehin der Vertretene (und nicht der Vertreter) Gründer; dies gilt sowohl bei gesetzlicher7) als auch bei rechtsgeschäftlicher8) Vertretung. Eine externe Gründungsprüfung ist dagegen nicht erforderlich, wenn ein Angehöriger eines Gründers dem Vorstand oder Aufsichtsrat angehört. 7 Eine externe Gründungsprüfung ist darüber hinaus auch dann erforderlich, wenn bei Gründung für Rechnung eines Mitglieds des Vorstands oder des Aufsichtsrats Aktien übernommen worden sind (§ 33 Abs. 2 Nr. 2; siehe auch § 32 Abs. 3 Alt. 1). Die Übernahme einer einzigen Aktie für ein Mitglied der Verwaltung ist ausreichend. In diesen _____________ 4) 5) 6) 7) 8)

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Hölters-Solveen, AktG, § 33 Rz. 4; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 33 Rz. 2; A. Arnold in: KölnKommAktG, § 33 Rz. 7; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 33 Rz. 2. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 33 Rz. 4; Hölters-Solveen, AktG, § 33 Rz. 7; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 33 Rz. 5; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 33 Rz. 16. A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 33 Rz. 13; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 33 Rz. 17; Spindler/ Stilz-Gerber, AktG, § 33 Rz. 8. Allg. M.: Hölters-Solveen, AktG, § 33 Rz. 7; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 33 Rz. 5. Ebenso Hölters-Solveen, AktG, § 33 Rz. 7; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 33 Rz. 21. – A. A. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 33 Rz. 4. A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 33 Rz. 13; Spindler/StilzGerber, AktG, § 33 Rz. 8.

Thomas Wachter

§ 33

Gründungsprüfung. Allgemeines

Fällen der Strohmanngründung ist (wie bei § 33 Abs. 2 Nr. 1) zu befürchten, dass die Mitglieder der Verwaltung aufgrund eigener wirtschaftlicher Betroffenheit keine objektive Gründungsprüfung vornehmen. Eine Gründungsprüfung durch einen externen Prüfer ist ferner dann erforderlich, wenn 8 ein Mitglied des Vorstands oder des Aufsichtsrats sich einen besonderen Vorteil (siehe § 26 Abs. 1) oder für die Gründung oder ihre Vorbereitung eine Entschädigung oder Belohnung (siehe § 26 Abs. 2) ausbedungen hat (§ 33 Abs. 2 Nr. 3; siehe auch § 32 Abs. 3 Alt. 2).9) Eine objektive Prüfung kann nicht erwartet werden, wenn den Mitgliedern der Verwaltung entsprechende finanzielle Zusagen (gleich von wem) gemacht worden sind. Schließlich ist eine externe Gründungsprüfung bei einer Gründung mit Sacheinlagen oder 9 Sachübernahmen (§ 27) erforderlich (§ 33 Abs. 2 Nr. 4). Mit der externen Gründungsprüfung soll in diesen Fällen eine Überbewertung der Sachen verhindert werden (siehe auch § 34 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Satz 2). Die Werthaltigkeit der Sachen soll in allen Fällen besonders geprüft werden. Dies gilt unabhängig von Art und Wert der Sachen. Eine externe Gründungsprüfung kann ausnahmsweise entbehrlich sein, wenn der Wert der Sachen auf andere Weise zuverlässig ermittelt werden kann (siehe § 33a). 2.

Person des Gründungsprüfers (§ 33 Abs. 3 – 5)

a)

Gerichtlich bestellter Gründungsprüfer

Im Regelfall erfolgt die externe Gründungsprüfung durch einen oder mehrere vom Ge- 10 richt bestellten Prüfer. Der Gründungsprüfer wird auf Antrag aller Gründer oder des Vorstands von dem für die Gesellschaft zuständigen AG bestellt (§ 33 Abs. 3 Satz 2 AktG; § 375 Nr. 3 i. V. m. §§ 376 ff. FamFG und § 14 AktG; § 23a Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 4 GVG). Das AG entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen über Person und Anzahl der Gründungsprüfer. Dabei sind sowohl die gesetzlichen Vorgaben (insbesondere § 33 Abs. 4 und 5) als auch etwaige Vorschläge der Beteiligten zu berücksichtigen.10) Gegen den Beschluss des AG ist die Beschwerde zulässig (§ 33 Abs. 3 Satz 3 AktG i. V. m. §§ 58 ff. FamFG). Als Gründungsprüfer sollen grundsätzlich nur Personen bestellt werden, die in der Buch- 11 führung ausreichend vorgebildet und erfahren sind (§ 33 Abs. 4 Nr. 1). In der Regel kommen daher nur Wirtschaftsprüfer, Buchprüfer (siehe auch § 319 HGB) und Steuerberater als Gründungsprüfer in Betracht. Bei Bestellung einer Prüfungsgesellschaft muss mindestens einer von deren gesetzlichen Vertretern diese Voraussetzung erfüllen (§ 33 Abs. 4 Nr. 2). Falls die Durchführung einer Gründungsprüfung im Einzelfall andere Kenntnisse erfordert, können zusätzlich (oder alternativ) auch anderweitig qualifizierte Personen zu Prüfern bestellt werden (z. B. Immobiliensachverständige bei der Sacheinlage von Grundstücken). Die Bestellung eines Gründungsprüfers, der die gesetzlichen Voraussetzungen nicht erfüllt, ist auf die Wirksamkeit der Gründungsprüfung ohne Einfluss.11) Im Interesse einer neutralen und unabhängigen Prüfung sind solche Personen als Grün- 12 dungsprüfer ausgeschlossen, die nicht als Sonderprüfer bestellt werden könnten (§ 33 Abs. 5 Satz 1). Damit sind Personen, die nicht Abschlussprüfer sein dürfen, auch von der

_____________ 9) Hölters-Solveen, AktG, § 33 Rz. 9; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 33 Rz. 7; Pentz in: MünchKommAktG, § 33 Rz. 23 f. 10) Hölters-Solveen, AktG, § 33 Rz. 13; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 33 Rz. 7; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 33 Rz. 10; Spindler/Stilz-Gerber, AktG, § 33 Rz. 16. 11) Hölters-Solveen, AktG, § 33 Rz. 17; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 33 Rz. 14.

Thomas Wachter

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§ 33

Gründungsprüfung. Allgemeines

Gründungsprüfung ausgeschlossen (siehe § 143 Abs. 2).12) Darüber hinaus sind von der Gründungsprüfung auch Personen und Prüfungsgesellschaften ausgeschlossen, auf deren Geschäftsführung die Gründer (oder Personen, für deren Rechnung die Gründer Aktien übernommen haben) (gleich aus welchem Grund) maßgebenden Einfluss haben (§ 33 Abs. 5 Satz 2). Für den Ausschluss genügt bereits die Möglichkeit der Einflussnahme. Ein beherrschender Einfluss (siehe § 17 Abs. 1) ist nicht erforderlich. Nach dem Normzweck kommt es auch nicht darauf an, ob und inwieweit der Einfluss im Einzelfall tatsächlich ausgeübt wird.13) Ein Verstoß gegen die gesetzlichen Ausschlussgründe (§ 33 Abs. 5) hat zur Folge, dass die Bestellung des Gründungsprüfers unwirksam ist und damit die Gründungsprüfung nicht ordnungsgemäß erfolgt ist.14) Bemerkt das Registergericht den Mangel, hat es die Eintragung abzulehnen (§ 38 Abs. 1). Andernfalls ist die AG wirksam entstanden und kann auch nicht mehr gelöscht werden (z. B. nach § 397 FamFG). b)

Notar als Gründungsprüfer

13 In bestimmten Einzelfällen kann der beurkundende Notar (§ 23 Abs. 1 Satz 1) die Gründungsprüfung anstelle eines gerichtlich bestellten Gründungsprüfers vornehmen (§ 33 Abs. 3 Satz 1).15) Möglich ist dies in allen Fällen der Bargründung, bei denen eine externe Gründungsprüfung ausschließlich deshalb erforderlich ist, weil ein Mitglied der Verwaltung zu den Gründern gehört (§ 33 Abs. 2 Nr. 1) oder bei Gründung für Rechnung eines Mitglieds der Verwaltung Aktien übernommen worden sind (§ 33 Abs. 2 Nr. 2). In allen anderen Fällen (§ 33 Abs. 2 Nr. 3 und 4) ist die Gründungsprüfung durch einen gerichtlich bestellten Gründungsprüfer zwingend erforderlich. Zweck der notariellen Gründungsprüfung ist es, den Gründungsvorgang zu erleichtern und zu beschleunigen.16) 14 Der Notar muss vom Amtsgericht nicht bestellt werden. Ausreichend, aber auch erforderlich ist ein Auftrag durch die Gründer (nicht durch den Vorstand oder Aufsichtsrat) (§ 33 Abs. 3 Satz 1 AktG i. V. m. § 24 BNotO).17) Der Notar muss den Auftrag zur Gründungsprüfung nicht übernehmen. Lehnt er den Auftrag ab, muss ein Antrag auf gerichtliche Bestellung eines Gründungsprüfers gestellt werden. Nimmt er den Auftrag an, finden die Vorschriften über die Gründungsprüfung (vor allem §§ 34, 35 Abs. 1 und 2) sinngemäß Anwendung (§ 33 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2). Jedoch richtet sich die Vergütung nach dem Gerichts- und Notarkostengesetz (§ 123 GNotKG und KV Nr. 2520618), nicht § 35 Abs. 3) und die Haftung nach der Bundesnotarordnung (§ 19 BNotO, nicht § 49).

_____________ 12) Ausführlich A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 33 Rz. 26 ff.; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 33 Rz. 12; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 33 Rz. 42 ff. 13) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 33 Rz. 9; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 33 Rz. 31; Spindler/StilzGerber, AktG, § 33 Rz. 21 ff. 14) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 33 Rz. 10; Hölters-Solveen, AktG, § 33 Rz. 17; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 33 Rz. 13. 15) S. dazu Heidel-Braunfels, AktR, § 33 AktG Rz. 13 f.; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 33 Rz. 17 ff.; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 33 Rz. 27a ff. 16) BT-Drucks. 14/8769, S. 12. 17) Hölters-Solveen, AktG, § 33 Rz. 11; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 33 Rz. 5; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 33 Rz. 9. 18) Dazu Hölters-Solveen, AktG, § 33 Rz. 12; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 33 Rz. 6, sowie Rundschreiben der Bundesnotarkammer, Nr. 13/2003 v. 9.4.2003.

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Sachgründung ohne externe Gründungsprüfung

§ 33a

§ 33a Sachgründung ohne externe Gründungsprüfung (1) Von einer Prüfung durch Gründungsprüfer kann bei einer Gründung mit Sacheinlagen oder Sachübernahmen (§ 33 Abs. 2 Nr. 4) abgesehen werden, soweit eingebracht werden sollen: 1. übertragbare Wertpapiere oder Geldmarktinstrumente im Sinne des § 2 Absatz 1 und 2 des Wertpapierhandelsgesetzes, wenn sie mit dem gewichteten Durchschnittspreis bewertet werden, zu dem sie während der letzten drei Monate vor dem Tag ihrer tatsächlichen Einbringung auf einem oder mehreren organisierten Märkten im Sinne von § 2 Absatz 11 des Wertpapierhandelsgesetzes gehandelt worden sind, 2. andere als die in Nummer 1 genannten Vermögensgegenstände, wenn eine Bewertung zu Grunde gelegt wird, die ein unabhängiger, ausreichend vorgebildeter und erfahrener Sachverständiger nach den allgemein anerkannten Bewertungsgrundsätzen mit dem beizulegenden Zeitwert ermittelt hat und wenn der Bewertungsstichtag nicht mehr als sechs Monate vor dem Tag der tatsächlichen Einbringung liegt. (2) Absatz 1 ist nicht anzuwenden, wenn der gewichtete Durchschnittspreis der Wertpapiere oder Geldmarktinstrumente (Absatz 1 Nr. 1) durch außergewöhnliche Umstände erheblich beeinflusst worden ist oder wenn anzunehmen ist, dass der beizulegende Zeitwert der anderen Vermögensgegenstände (Absatz 1 Nr. 2) am Tag ihrer tatsächlichen Einbringung auf Grund neuer oder neu bekannt gewordener Umstände erheblich niedriger ist als der von dem Sachverständigen angenommene Wert. Literatur: Herrler/Reymann, Die Neuerungen im Aktienrecht durch das ARUG, DNotZ 2009, 815 (Teil 1) und DNotZ 2009, 914 (Teil 2); Leuering, Die vereinfachte Sacheinlage von nichtbörsengehandelten Wertpapieren nach § 33a AktG, NZG 2016, 208; Watrin/Stöver, Bewertung von Sacheinlagen im Rahmen von Sachgründung und Sachkapitalerhöhung sowie Implikationen für die Verschmelzung, Wpg. 2012, 999.

Übersicht I. Überblick ............................................ 1 II. Entbehrlichkeit einer externen Gründungsprüfung ........................... 6 1. Wertpapiere und Geldmarktinstrumente ......................................... 6 a) Ausnahme: Marktwert (§ 33a Abs. 1 Nr. 1) ..................... 6 I.

b) Rückausnahme: Außergewöhnliche Umstände (§ 33a Abs. 2 Alt. 1) .............................. 2. Andere Vermögensgegenstände ...... a) Ausnahme: Sachverständigengutachten (§ 33a Abs. 1 Nr. 2) .... b) Rückausnahme: Neue Umstände (§ 33a Abs. 2 Alt. 2) .......

11 15 15 17

Überblick

Bei Gründung einer AG mit Sacheinlagen oder Sachübernahmen (§ 27) ist im Interesse 1 der Werthaltigkeitskontrolle regelmäßig eine externe Gründungsprüfung erforderlich (§ 33 Abs. 2 Nr. 4 ). Seit Inkrafttreten des ARUG1) im Jahre 2009 kann jedoch von einer _____________ 1)

Art. 1 Nr. 1a des Gesetzes zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG), BGBl. I 2009, 2479. S. dazu BT-Drucks. 16/11642, S. 30 ff. – Mit der Regelung werden Art. 10a Abs. 1 und 2 (nicht aber auch die Buchwertklausel in Art. 10a Abs. 3) der Europäischen Kapitalrichtlinie umgesetzt (Richtlinie 2006/68/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates v. 6.9.2006 zur Änderung der Richtlinie 77/91/EWG des Rates in Bezug auf die Gründung von Aktiengesellschaften und die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals, ABl. EU Nr. L 264 v. 25.9.2006, S. 32.

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§ 33a

Sachgründung ohne externe Gründungsprüfung

externen Gründungsprüfung abgesehen werden, wenn bereits eine eindeutige, aktuelle und zuverlässige Bewertung der Sachen vorliegt (§ 33a). Die Neuregelung dient der Vereinfachung von Sachgründungen, indem vorhandene Werte genutzt werden und der mit einer (erneuten) Bewertung verbundene Zeit- und Kostenaufwand vermieden wird.2) Im Rahmen der Aktienrechtsnovelle 2016 wurde die Regelung (des § 33a Abs. 1 Nr. 1) redaktionell geändert.3) Bei einem Verzicht auf eine externe Gründungsprüfung bestehen darüber hinaus auch Erleichterungen für den Gründungsbericht der Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats (§ 34 Abs. 2 Satz 3), die Handelsregisteranmeldung (§ 37a) sowie die gerichtliche Registerkontrolle (§ 38 Abs. 3). 2 Die Regelung gilt nicht nur für die Sachgründung, sondern auch für Nachgründungen (§ 52 Abs. 4 Satz 3, Abs. 6 Satz 3 und Abs. 7 Satz 2) und Sachkapitalerhöhungen (§§ 183a Abs. 1 Satz 1, 194 Abs. 5, 205 Abs. 5 Satz 2; zur vierwöchigen Registersperre bei Sachkapitalerhöhungen siehe § 183 Abs. 2 Satz 2).4) 3 Die Gesetzessystematik stellt sich nunmehr wie folgt dar: Bei Gründung einer AG mit Sacheinlagen oder Sachübernahmen ist grundsätzlich eine externe Gründungsprüfung erforderlich (§ 33 Abs. 2 Nr. 4). Eine Ausnahme gilt jedoch dann, wenn auf einen geeigneten Marktwert für Wertpapiere oder Geldmarktinstrumente zurückgegriffen werden kann (§ 33a Abs. 1 Nr. 1) oder bereits ein anerkanntes Bewertungsgutachten eines Sachverständigen vorliegt (§ 33a Abs. 1 Nr. 2). Von dieser Ausnahme wird wiederum eine Rückausnahme gemacht, wenn die anderweitig ermittelten Werte aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht als verlässlich erscheinen (§ 33a Abs. 2). In diesem Fall bedarf es somit wiederum einer externen Gründungsprüfung. 4 Die Vorschrift ist abschließend. In anderen als den gesetzlich ausdrücklich genannten Fällen ist ein Verzicht auf eine externe Gründungsprüfung nicht möglich.5) 5 Die Regelung ist nicht zwingend, sondern begründet lediglich ein Wahlrecht für die Gesellschaft („kann“).6) Der Gesellschaft steht es somit stets offen, eine externe Gründungsprüfung vornehmen zu lassen, wenn ihr dies einfacher erscheint. In der Praxis wird von der Neuregelung bislang kaum Gebrauch gemacht.7) II.

Entbehrlichkeit einer externen Gründungsprüfung

1.

Wertpapiere und Geldmarktinstrumente

a)

Ausnahme: Marktwert (§ 33a Abs. 1 Nr. 1)

6 Von einer externen Gründungsprüfung kann abgesehen werden, wenn und soweit übertragbare Wertpapiere oder Geldmarktinstrumente (i. S. von § 2 Abs. 18) und Abs. 2 WpHG) in die Gesellschaft eingebracht und dabei mit dem gewichteten Durchschnittspreis bewertet werden, zu dem sie während der letzten drei Monate vor dem Tag ihrer tatsächlichen Einbringung auf einem oder mehreren organisierten Märkten (i. S. von § 2 Abs. 11 _____________ 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8)

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Hölters-Solveen, AktG, § 33a Rz. 2; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 33a Rz. 1; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 33a Rz. 1. Art. 1 Nr. 4 der Aktienrechtsnovelle 2016, BGBl. I 2015, 2565. – S. Einf., Rz. 21. K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 33a Rz. 2 und 17 ff. Hölters-Solveen, AktG, § 33a Rz. 3. Hölters-Solveen, AktG, § 33a Rz. 3 und 6; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 33a Rz. 7; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 33a Rz. 2 und 4; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 33a Rz. 4 und 16a. S. dazu K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 33a Rz. 3 und 5 – zu Recht kritisch zur Komplexität des „vereinfachten Verfahrens“. Die Verweisung auf § 2 Abs. 1 und 1a WpHG wurde durch Art. 1 Nr. 4 der Aktienrechtsnovelle 2016 angepasst, BGBl. I 2015, 2565. – S. Einf., Rz. 21.

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§ 33a

WpHG) gehandelt9) worden sind (§ 33a Abs. 1 Nr. 1).10) Die Regelung beruht auf der Vorstellung, dass der auf einem organisierten Markt ermittelte Durchschnittspreis regelmäßig dem wahren Wert entspricht und damit eine gesonderte Bewertung durch einen Sachverständigen überflüssig ist. Wertpapiere in diesem Sinne sind alle Gattungen von übertragbaren Wertpapieren mit 7 Ausnahme von Zahlungsinstrumenten, die ihrer Art nach auf den Finanzmärkten handelbar sind. Beispiele dafür sind etwa Aktien, Anteile an Unternehmen, die mit Aktien vergleichbar sind, Zertifikate, die Aktien vertreten und Schuldtitel wie etwa Genussscheine, Inhaber- und Orderschuldverschreibungen (siehe im Einzelnen § 2 Abs. 1 WpHG). Geldmarktinstrumente sind alle Gattungen von Forderungen, die (nicht unter § 2 Abs. 1 8 WpHG fallen und) üblicherweise auf dem Geldmarkt gehandelt werden, mit Ausnahme von Zahlungsinstrumenten (siehe im Einzelnen § 2 Abs. 2 WpHG). Beispiele dafür sind Schuldscheindarlehen. Organisierter Markt ist ein im Inland oder einem EU- bzw. EWR-Mitgliedsstaat be- 9 triebenes oder verwaltetes, durch staatliche Stellen genehmigtes, geregeltes oder überwachtes multilaterales System, das die Interessen einer Vielzahl von Personen am Kauf und Verkauf von dort zum Handel zugelassenen Finanzinstrumenten (§ 2 Abs. 4 WpHG) innerhalb des Systems und nach festgelegten Bestimmungen in einer Weise zusammenbringt oder das Zusammenbringen fördert, die zu einem Vertrag über den Kauf dieser Finanzinstrumente führt (siehe im Einzelnen § 2 Abs. 11 WpHG). Ein organisierter Markt ist bspw. der regulierte Markt nach dem deutschen Börsengesetz (§§ 32 ff. BörsG), nicht aber der Freiverkehr (§ 48 BörsG). Bewertungsmaßstab ist der gewichtete Durchschnittspreis der letzten drei Monate 10 (siehe auch § 5 Abs. 1 und 3 WpÜG-AngV).11) Für die an deutschen organisierten Märkten gehandelten Wertpapiere wird der gewichtete Durchschnittspreis von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht ermittelt. Die Unterlagen über die Ermittlung des gewichteten Durchschnittspreises sind der Handelsregisteranmeldung als Anlage beizufügen (§ 37a Abs. 3 Nr. 1). b)

Rückausnahme: Außergewöhnliche Umstände (§ 33a Abs. 2 Alt. 1)

Auf eine externe Gründungsprüfung kann allerdings dann nicht verzichtet werden, wenn 11 der gewichtete Durchschnittspreis der Wertpapiere oder Geldmarktinstrumente durch außergewöhnliche Umstände erheblich beeinflusst worden ist (§ 33a Abs. 2 Alt. 1) und damit deren wahren Wert nicht richtig wiedergibt.12) Außergewöhnliche Umstände liegen etwa vor, wenn der Handel mit den entsprechen- 12 den Wertpapieren längere Zeit ausgesetzt worden ist, der Markt illiquide geworden ist oder es zu Marktmanipulationen gekommen ist. Keine außergewöhnlichen Umstände sind dagegen anzunehmen bei marktüblichem Verhalten oder erlaubten Rückkaufprogrammen bei eigenen Aktien und Maßnahmen zur Kursstabilisierung. Eine erhebliche Preisbeeinflussung erfordert eine Abweichung von mindestens 5 % 13 (siehe § 5 Abs. 4 WpÜG-AngV).13) _____________ 9) Zum Erfordernis des tatsächlichen Handelns der Wertpapiere siehe Leuering, NZG 2016, 208. 10) Hölters-Solveen, AktG, § 33a Rz. 4; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 33a Rz. 6 ff.; K. Schmidt/ Lutter-Bayer, AktG, § 33a Rz. 6. 11) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 33a Rz. 3 f. 12) Hölters-Solveen, AktG, § 33a Rz. 8; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 33a Rz. 17 ff.; K. Schmidt/ Lutter-Bayer, AktG, § 33a Rz. 8 ff. 13) Weitergehend Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 33a Rz. 8 – 5 % wohl zu niedrig.

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§ 33a

Sachgründung ohne externe Gründungsprüfung

14 In der Handelsregisteranmeldung haben die Anmeldenden zu versichern, dass ihnen keine solchen außergewöhnlichen Umstände bekannt geworden sind (§ 37a Abs. 2 Alt. 1). Falsche Versicherungen sind strafbar (§ 399 Abs. 1 Nr. 1). 2.

Andere Vermögensgegenstände

a)

Ausnahme: Sachverständigengutachten (§ 33a Abs. 1 Nr. 2)

15 Bei anderen Vermögensgegenständen (als Wertpapieren und Geldmarktinstrumenten) kann von einer externen Gründungsprüfung abgesehen werden, wenn eine Bewertung zugrunde gelegt wird, die ein unabhängiger, ausreichend vorgebildeter und erfahrener Sachverständiger nach den allgemeinen Bewertungsgrundsätzen mit dem beizulegenden Zeitwert ermittelt hat14) und der Bewertungsstichtag nicht mehr als sechs Monate vor dem Tag der tatsächlichen Einbringung liegt (§ 33a Abs. 1 Nr. 2).15) Auf diese Weise sollen unnötige Doppelbewertungen vermieden werden. 16 Die frühere Bewertung muss zum Zeitwert (fair value) erfolgt sein. Der Sachverständige, der die Bewertung vorgenommen hat, muss persönlich unabhängig (siehe § 33 Abs. 3) und fachlich qualifiziert sein (siehe § 33 Abs. 4).16) Im Interesse einer einigermaßen aktuellen Wertermittlung darf der Bewertungsstichtag am Tag der tatsächlichen Einbringung (nicht am Tag der Anmeldung) nicht mehr als sechs Monate zurückliegen. Das Sachverständigengutachten ist der Handelsregisteranmeldung als Anlage beizufügen (§ 37a Abs. 3 Nr. 2). b)

Rückausnahme: Neue Umstände (§ 33a Abs. 2 Alt. 2)

17 Eine bereits vorliegende Bewertung lässt die Notwendigkeit einer externen Gründungsprüfung aber dann nicht entfallen, wenn anzunehmen ist, dass der beizulegende Zeitwert der Vermögensgegenstände am Tag ihrer tatsächlichen Einbringung aufgrund neuer oder neu bekannt gewordener Umstände erheblich niedriger ist als der von dem Sachverständigen angenommene Wert (§ 33a Abs. 2 Alt. 2).17) Eine erneute Bewertung ist im Interesse der Sicherung der Kapitalaufbringung zwingend notwendig, wenn Zweifel an der Richtigkeit des vorliegenden Sachverständigengutachtens bestehen. 18 Die Rückausnahme gilt nur bei einer erheblichen Wertdifferenz (siehe § 38 Abs. 2 Satz 2) und erfasst nicht Abweichungen, die sich i. R. der üblichen Bewertungsdifferenzen bewegen. Eine entsprechende Überbewertung muss allerdings nicht tatsächlich vorliegen, sondern aufgrund der neuen Umstände lediglich anzunehmen sein. In zeitlicher Hinsicht gilt die Regelung für alle Umstände, die nach Erstellung des Sachverständigengutachtens, aber vor der tatsächlichen Einbringung des Vermögensgegenstandes eingetreten oder bekannt geworden sind (siehe auch § 37a Abs. 2 Alt. 2). 19 In der Handelsregisteranmeldung haben die Anmeldenden zu versichern, dass ihnen keine solchen neuen Umstände bekannt geworden sind (§ 37a Abs. 2 Alt. 2). Falsche Versicherungen sind strafbar (§ 399 Abs. 1 Nr. 1). _____________ 14) Zur Prüfungsbefugnis des Handelsregisters bei einem i. R. einer Sachkapitalerhöhung (§§ 183a, 33a Abs. 1 Nr. 2 AktG) ohne externe Prüfung vorgelegten Sachverständigengutachten s. KG Berlin, Beschl. v. 12.10.2015 – 22 W 77/15, ZIP 2016, 161. 15) Hölters-Solveen, AktG, § 33a Rz. 5; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 33a Rz. 12 ff.; K. Schmidt/ Lutter-Bayer, AktG, § 33a Rz. 10 ff. 16) Dazu K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 33a Rz. 12. 17) Hölters-Solveen, AktG, § 33a Rz. 9; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 33a Rz. 20 ff.; K. Schmidt/ Lutter-Bayer, AktG, § 33a Rz. 14.

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§ 34

Umfang der Gründungsprüfung

§ 34 Umfang der Gründungsprüfung (1) Die Prüfung durch die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats sowie die Prüfung durch die Gründungsprüfer haben sich namentlich darauf zu erstrecken, 1. ob die Angaben der Gründer über die Übernahme der Aktien, über die Einlagen auf das Grundkapital und über die Festsetzungen nach §§ 26 und 27 richtig und vollständig sind; 2. ob der Wert der Sacheinlagen oder Sachübernahmen den geringsten Ausgabebetrag der dafür zu gewährenden Aktien oder den Wert der dafür zu gewährenden Leistungen erreicht. (2) 1Über jede Prüfung ist unter Darlegung dieser Umstände schriftlich zu berichten. 2 In dem Bericht ist der Gegenstand jeder Sacheinlage oder Sachübernahme zu beschreiben sowie anzugeben, welche Bewertungsmethoden bei der Ermittlung des Wertes angewandt worden sind. 3In dem Prüfungsbericht der Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats kann davon sowie von Ausführungen zu Absatz 1 Nr. 2 abgesehen werden, soweit nach § 33a von einer externen Gründungsprüfung abgesehen wird. (3) 1Je ein Stück des Berichts der Gründungsprüfer ist dem Gericht und dem Vorstand einzureichen. 2Jedermann kann den Bericht bei dem Gericht einsehen. Übersicht I. Überblick ............................................ 1 II. Umfang der Gründungsprüfung (§ 34 Abs. 1) ....................................... 3 III. Prüfungsbericht (§ 34 Abs. 2, Abs. 3) ............................................... 11 I.

1. Form ................................................. 11 2. Inhalt ................................................. 13 3. Offenlegung ...................................... 15

Überblick

Die Notwendigkeit einer (internen und ggf. auch externen) Gründungsprüfung ist in § 33 1 geregelt. In § 34 finden sich ergänzende Regelungen zum Umfang der Gründungsprüfung (§ 34 Abs. 1), zu Form und Inhalt des Prüfungsberichts (§ 34 Abs. 2) und zu dessen Offenlegung (§ 34 Abs. 3). Die Vorschrift dient (ebenso wie § 33) der Einhaltung der gesetzlichen Gründungsvorschriften und der Transparenz des Gründungsvorgangs.1) Die Vorschrift wurde zuletzt durch das ARUG2) geändert. Dabei wurden die inhaltlichen 2 Anforderungen an den Prüfungsbericht der Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats reduziert, wenn bei einer Gründung mit Sacheinlagen oder Sachübernahmen von einer externen Gründungsprüfung abgesehen wird (§ 34 Abs. 2 Satz 3 i. V. m. § 33a; siehe aber § 37a). II.

Umfang der Gründungsprüfung (§ 34 Abs. 1)

Die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats (§ 33 Abs. 1) sowie etwaige externe 3 Gründungsprüfer (§ 33 Abs. 2) haben den gesamten „Hergang der Gründung“ zu prüfen. Die Prüfung muss sich dabei auf alle (tatsächlichen und rechtlichen) Umstände erstrecken, die für die späteren Aktionäre der Gesellschaft, deren Gläubiger oder die Öffent_____________ 1) 2)

K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 34 Rz. 1. Art. 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG), BGBl. I 2009, 2479; s. dazu BT-Drucks. 16/11642, S. 32.

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§ 34

Umfang der Gründungsprüfung

lichkeit von Bedeutung sein können.3) Zum erforderlichen Umfang der Gründungsprüfung gehören demnach u. a. – – – –

Anzahl und Person der Gründer (siehe § 23 Abs. 2 Nr. 1), die Feststellung der Satzung und deren Inhalt (siehe § 23), die Bestellung der Mitglieder des ersten Aufsichtsrats und Vorstands sowie eines etwaigen Abschlussprüfers (§ 30), der Gründungsbericht der Gründer (§ 32) sowie

– die Einhaltung von Formvorschriften und Genehmigungserfordernissen. 4 Nicht zu prüfen sind dagegen die wirtschaftlichen Umstände der Unternehmensgründung, wie etwa die Lebensfähigkeit des Unternehmens,4) die Zweckmäßigkeit der Rechtsform oder die Angemessenheit der Kapitalausstattung.5) 5 Ausdrücklich hervorgehoben wird im AktG, dass sich die Gründungsprüfung insbesondere auch („namentlich“) auf die Kapitalaufbringung und die Werthaltigkeit von Sacheinlagen bzw. Sachübernahmen erstrecken muss (§ 34 Abs. 1).6) Maßgeblicher Zeitpunkt ist der Tag der Prüfung und nicht etwa der künftige Tag der Anmeldung oder der Eintragung.7) 6 Bei jeder Gründung einer AG muss sich die Gründungsprüfung darauf erstrecken, ob die Angaben der Gründer über die Übernahme der Aktien (§ 23 Abs. 2 Nr. 2), über die Einlagen auf das Grundkapital (§ 23 Abs. 2 Nr. 3), über die Festsetzungen zu etwaigen Sondervorteilen (§ 26 Abs. 1) und zum Gründungsaufwand (§ 26 Abs. 2) und zu etwaigen Sacheinlagen oder Sachübernahmen (§ 27) richtig und vollständig sind (§ 34 Abs. 1 Nr. 1).8) Die Einlagen werden bei Prüfung meist noch nicht erbracht sein (und müssen dies auch nicht, siehe §§ 36 Abs. 2, 36a Abs. 1), so dass die wirksame Begründung der Einlageverpflichtungen ausreichend ist (siehe § 23 Abs. 2 Nr. 2). Sind die Einlagen im Zeitpunkt der Prüfung dagegen schon erbracht, muss sich die Prüfung auch darauf beziehen. Bei den Sondervorteilen, der Gründungsentschädigung und dem Gründerlohn muss die Gründungsprüfung (über den Wortlaut hinaus) nicht nur die Vollständigkeit und Richtigkeit der Festsetzungen, sondern auch deren Angemessenheit umfassen. 7 Bei einer Gründung mit Sacheinlagen oder Sachübernahmen (§ 27) muss sich die Gründungsprüfung zusätzlich auch darauf erstrecken, ob der Wert der Sacheinlagen bzw. Sachübernahmen den geringsten Ausgabebetrag der dafür zu gewährenden Aktien (siehe § 9 Abs. 1) oder den Wert der dafür zu gewährenden Vergütung erreicht (§ 34 Abs. 1 Nr. 2).9) Eine Ausnahme gilt lediglich dann, wenn die Gesellschaft auf eine externe Gründungsprüfung verzichtet hat (§ 34 Abs. 2 Satz 3 i. V. m. § 33a). 8 Bei Vereinbarung eines Agios muss der Wert der Sacheinlage auch den Mehrwert umfassen (siehe § 36a Abs. 2 Satz 3). Dementsprechend darf sich auch die Gründungsprü_____________ 3)

4) 5) 6) 7) 8) 9)

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Hölters-Solveen, AktG, § 34 Rz. 2; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 34 Rz. 5; K. Schmidt/LutterBayer, AktG, § 34 Rz. 2; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 34 Rz. 7 ff.; Spindler/Stilz-Gerber, AktG, § 33 Rz. 3. BGH, Urt. v. 27.2.1975 – II ZR 111/72, BGHZ 64, 52 = NJW 1975, 974 – zur Haftung eines Gründungsprüfers. Bürgers/Körber-Lohse, AktG, § 34 Rz. 2; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 34 Rz. 2; K. Schmidt/LutterBayer, AktG, § 34 Rz. 3. Hölters-Solveen, AktG, § 34 Rz. 2; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 34 Rz. 2; A. Arnold in: KölnKommAktG, § 34 Rz. 8. K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 34 Rz. 9. Hölters-Solveen, AktG, § 34 Rz. 4; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 34 Rz. 3; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 34 Rz. 4 f.; Spindler/Stilz-Gerber, AktG, § 34 Rz. 5 ff. Hölters-Solveen, AktG, § 34 Rz. 5; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 34 Rz. 3; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 34 Rz. 6 ff.; Spindler/Stilz-Gerber, AktG, § 34 Rz. 8 ff.

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§ 34

Umfang der Gründungsprüfung

fung nicht darauf beschränken, ob der geringste Ausgabebetrag erreicht wird (siehe § 9 Abs. 1), sondern muss (über den Wortlaut des § 34 Abs. 1 Nr. 2 hinaus) auch angeben, ob der Wert der Sacheinlage den Mehrbetrag umfasst.10) Eine Unterbewertung von Sacheinlagen ist zulässig, sofern auf diese Weise nicht will- 9 kürlich stille Reserven gebildet werden. Im Prüfungsbericht ist auf etwaige stille Reserven hinzuweisen.11) In zeitlicher Hinsicht erstellen zunächst die Mitglieder des Vorstands und des Auf- 10 sichtsrats ihren Prüfungsbericht. Grundlage von deren Gründungsprüfung sind vor allem der Gründungsbericht der Gründer (§ 32) und alle sonst schon vorliegenden Urkunden, Unterlagen und Nachweise (siehe § 37 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 4). Auf dieser Grundlage erstellen sodann die externen Gründungsprüfer ihren Prüfungsbericht. Dieser bezieht sich auch auf den Prüfungsbericht der Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats (siehe § 38 Abs. 2 Satz 1).12) Die Gründungsprüfer können von den Gründern weitere Aufklärungen und Nachweise verlangen (siehe § 35 Abs. 1) und auch eigene Ermittlungen vornehmen. III.

Prüfungsbericht (§ 34 Abs. 2, Abs. 3)

1.

Form

Über jede Gründungsprüfung ist schriftlich zu berichten (§ 34 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. 11 § 126 BGB).13) Alle Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats und alle (externen) Gründungsprüfer müssen den jeweiligen Prüfungsbericht eigenhändig unterschreiben. Stellvertretung ist ausgeschlossen. Mit der Unterschrift übernehmen die Mitglieder der Verwaltung und die Gründungsprüfer die zivilrechtliche (siehe §§ 46 ff.) und strafrechtliche (siehe §§ 399 Abs. 1 Nr. 2, 403) Verantwortlichkeit für die Richtigkeit und Vollständigkeit des Prüfungsberichts. Die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats erstellen in der Praxis meist einen 12 gemeinsamen Prüfungsbericht; notwendig ist dies allerdings nicht. Die externen Gründungsprüfer müssen dagegen stets einen gesonderten Prüfungsbericht erstellen. Die beiden Berichte können schon deshalb nicht zusammengefasst werden, weil sich die Prüfung der externen Gründungsprüfer auch auf den Prüfungsbericht des Vorstands und des Aufsichtsrats erstreckt. Zudem wäre ein gemeinsamer Prüfungsbericht auch mit der Unabhängigkeit der externen Gründungsprüfer nicht zu vereinbaren (siehe auch § 33 Abs. 5).14) 2.

Inhalt

In dem jeweiligen Prüfungsbericht ist über die gesamte Gründungsprüfung vollständig, 13 lückenlos und umfassend zu berichten.15) Dabei ist insbesondere auch zur Kapitalaufbringung und der Werthaltigkeit der Sacheinlagen bzw. Sachübernahmen Stellung zu nehmen _____________ 10) BGH, Urt. v. 6.12.2011 – II ZR 149/10 (Babcock Borsig), BGHZ 191, 364 = ZIP 2012, 73 = NZG 2012, 69, dazu EWiR 2012, 129 (Vosberg/Klawa), und zuvor K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 34 Rz. 7; a. A Hölters-Solveen, AktG, § 34 Rz. 5; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 34 Rz. 3; Spindler/StilzGerber, AktG, § 34 Rz. 8. 11) A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 34 Rz. 9; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 34 Rz. 17; Spindler/ Stilz-Gerber, AktG, § 34 Rz. 10. 12) K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 34 Rz. 2. 13) Hölters-Solveen, AktG, § 34 Rz. 6; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 34 Rz. 4; A. Arnold in: KölnKommAktG, § 34 Rz. 10; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 34 Rz. 11; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 34 Rz. 18 ff. 14) K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 34 Rz. 10. 15) Hölters-Solveen, AktG, § 34 Rz. 7; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 34 Rz. 12.

Thomas Wachter

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§ 35

Meinungsverschiedenheiten zwischen Gründern und Gründungsprüfern

(§ 34 Abs. 2 Satz 1: „diese Umstände“, d. h. die in § 34 Abs. 1 genannten Umstände). Meinungsverschiedenheiten zwischen den einzelnen Prüfern sind offenzulegen (siehe auch § 35 Abs. 2). Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sind im Hinblick auf die gesetzliche Verpflichtung zur Verschwiegenheit in den Prüfungsberichten nicht anzugeben (siehe §§ 48 Satz 2, 93 Abs. 1 Satz 3, 116 und § 49 AktG i. V. m. § 323 Abs. 1 Satz 2 HGB; § 145 Abs. 6 Satz 2 AktG gilt insoweit nicht). 14 Bei Sacheinlagen oder Sachübernahmen (§ 27) ist in dem Prüfungsbericht zusätzlich der Gegenstand jeder einzelnen Sacheinlage oder Sachübernahme genau zu beschreiben (insbesondere auch unter Angabe der wertbestimmenden Faktoren) und anzugeben, welche Bewertungsmethoden bei der Ermittlung des Wertes angewendet worden sind (§ 34 Abs. 2 Satz 2).16) Diese Ausführungen sind aber dann entbehrlich, wenn die Gesellschaft auf eine externe Gründungsprüfung verzichtet hat (§ 34 Abs. 2 Satz 3 i. V. m. § 33a).17) In der Handelsregisteranmeldung sind allerdings gleichwohl entsprechende Angaben zu machen (siehe § 37a Abs. 1 Sätze 3 und 4). 3.

Offenlegung

15 Die Prüfungsberichte der Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats sowie der externen Gründungsprüfer sind der Handelsregisteranmeldung als Anlage beizufügen (§ 37 Abs. 4 Nr. 4) und dem Registergericht elektronisch einzureichen (§ 38 Abs. 2 AktG i. V. m. § 12 HGB). Im Handelsregister sind die Berichte für jedermann einsehbar (§ 9 Abs. 1 HGB). 16 Von dem Bericht der externen Gründungsprüfer ist zusätzlich ein Exemplar dem Vorstand einzureichen (§ 34 Abs. 3 Satz 1). Die gesonderte Einreichung beim Handelsregister ist in der Praxis meist entbehrlich, weil sämtliche Prüfungsberichte der Handelsregisteranmeldung ohnehin als Anlage beigefügt werden müssen (§ 37 Abs. 4 Nr. 4). Im Interesse der Transparenz betont der Gesetzgeber nochmals ausdrücklich, dass auch der Bericht der externen Gründungsprüfer beim Registergericht von jedermann (auch ohne berechtigtes Interesse) eingesehen werden kann (§ 34 Abs. 3 Satz 2). _____________ 16) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 34 Rz. 5; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 34 Rz. 13. 17) Hölters-Solveen, AktG, § 34 Rz. 8; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 34 Rz. 6; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 34 Rz. 14.

§ 35 Meinungsverschiedenheiten zwischen Gründern und Gründungsprüfern. Vergütung und Auslagen der Gründungsprüfer (1) Die Gründungsprüfer können von den Gründern alle Aufklärungen und Nachweise verlangen, die für eine sorgfältige Prüfung notwendig sind. (2) 1Bei Meinungsverschiedenheiten zwischen den Gründern und den Gründungsprüfern über den Umfang der Aufklärungen und Nachweise, die von den Gründern zu gewähren sind, entscheidet das Gericht. 2Die Entscheidung ist unanfechtbar. 3Solange sich die Gründer weigern, der Entscheidung nachzukommen, wird der Prüfungsbericht nicht erstattet. (3) 1Die Gründungsprüfer haben Anspruch auf Ersatz angemessener barer Auslagen und auf Vergütung für ihre Tätigkeit. 2Die Auslagen und die Vergütung setzt das Gericht fest. 3Gegen die Entscheidung ist die Beschwerde zulässig; die Rechtsbeschwerde ist ausgeschlossen. 4Aus der rechtskräftigen Entscheidung findet die Zwangsvollstreckung nach der Zivilprozeßordnung statt. 194

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§ 35

Meinungsverschiedenheiten zwischen Gründern und Gründungsprüfern

(§ 34 Abs. 2 Satz 1: „diese Umstände“, d. h. die in § 34 Abs. 1 genannten Umstände). Meinungsverschiedenheiten zwischen den einzelnen Prüfern sind offenzulegen (siehe auch § 35 Abs. 2). Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sind im Hinblick auf die gesetzliche Verpflichtung zur Verschwiegenheit in den Prüfungsberichten nicht anzugeben (siehe §§ 48 Satz 2, 93 Abs. 1 Satz 3, 116 und § 49 AktG i. V. m. § 323 Abs. 1 Satz 2 HGB; § 145 Abs. 6 Satz 2 AktG gilt insoweit nicht). 14 Bei Sacheinlagen oder Sachübernahmen (§ 27) ist in dem Prüfungsbericht zusätzlich der Gegenstand jeder einzelnen Sacheinlage oder Sachübernahme genau zu beschreiben (insbesondere auch unter Angabe der wertbestimmenden Faktoren) und anzugeben, welche Bewertungsmethoden bei der Ermittlung des Wertes angewendet worden sind (§ 34 Abs. 2 Satz 2).16) Diese Ausführungen sind aber dann entbehrlich, wenn die Gesellschaft auf eine externe Gründungsprüfung verzichtet hat (§ 34 Abs. 2 Satz 3 i. V. m. § 33a).17) In der Handelsregisteranmeldung sind allerdings gleichwohl entsprechende Angaben zu machen (siehe § 37a Abs. 1 Sätze 3 und 4). 3.

Offenlegung

15 Die Prüfungsberichte der Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats sowie der externen Gründungsprüfer sind der Handelsregisteranmeldung als Anlage beizufügen (§ 37 Abs. 4 Nr. 4) und dem Registergericht elektronisch einzureichen (§ 38 Abs. 2 AktG i. V. m. § 12 HGB). Im Handelsregister sind die Berichte für jedermann einsehbar (§ 9 Abs. 1 HGB). 16 Von dem Bericht der externen Gründungsprüfer ist zusätzlich ein Exemplar dem Vorstand einzureichen (§ 34 Abs. 3 Satz 1). Die gesonderte Einreichung beim Handelsregister ist in der Praxis meist entbehrlich, weil sämtliche Prüfungsberichte der Handelsregisteranmeldung ohnehin als Anlage beigefügt werden müssen (§ 37 Abs. 4 Nr. 4). Im Interesse der Transparenz betont der Gesetzgeber nochmals ausdrücklich, dass auch der Bericht der externen Gründungsprüfer beim Registergericht von jedermann (auch ohne berechtigtes Interesse) eingesehen werden kann (§ 34 Abs. 3 Satz 2). _____________ 16) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 34 Rz. 5; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 34 Rz. 13. 17) Hölters-Solveen, AktG, § 34 Rz. 8; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 34 Rz. 6; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 34 Rz. 14.

§ 35 Meinungsverschiedenheiten zwischen Gründern und Gründungsprüfern. Vergütung und Auslagen der Gründungsprüfer (1) Die Gründungsprüfer können von den Gründern alle Aufklärungen und Nachweise verlangen, die für eine sorgfältige Prüfung notwendig sind. (2) 1Bei Meinungsverschiedenheiten zwischen den Gründern und den Gründungsprüfern über den Umfang der Aufklärungen und Nachweise, die von den Gründern zu gewähren sind, entscheidet das Gericht. 2Die Entscheidung ist unanfechtbar. 3Solange sich die Gründer weigern, der Entscheidung nachzukommen, wird der Prüfungsbericht nicht erstattet. (3) 1Die Gründungsprüfer haben Anspruch auf Ersatz angemessener barer Auslagen und auf Vergütung für ihre Tätigkeit. 2Die Auslagen und die Vergütung setzt das Gericht fest. 3Gegen die Entscheidung ist die Beschwerde zulässig; die Rechtsbeschwerde ist ausgeschlossen. 4Aus der rechtskräftigen Entscheidung findet die Zwangsvollstreckung nach der Zivilprozeßordnung statt. 194

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Meinungsverschiedenheiten zwischen Gründern und Gründungsprüfern

§ 35

Übersicht I. Überblick ............................................ 1 II. Aufklärungsobliegenheit der Gründer (§ 35 Abs. 1) ....................... 2 I.

III. Meinungsverschiedenheiten (§ 35 Abs. 2) ....................................... 5 IV. Vergütung und Auslagen (§ 35 Abs. 3) ....................................... 9

Überblick

Die Vorschrift enthält ergänzende Regelungen für die externe Gründungsprüfung (nach 1 § 33 Abs. 2). Den Gründern (§ 28) obliegen gegenüber den externen Gründungsprüfern umfangreiche Aufklärungs- und Nachweispflichten (§ 35 Abs. 1). Damit soll sichergestellt werden, dass die Gründungsprüfer ihre Prüfung auf der Grundlage vollständiger Informationen ordnungsgemäß durchführen können.1) Bei etwaigen Meinungsverschiedenheiten zwischen den Gründern und den Gründungsprüfern über den Umfang der Aufklärungen und Nachweise kann eine gerichtliche Entscheidung beantragt werden (§ 35 Abs. 2). Die Auslagen und die Vergütung der Gründungsprüfer werden – im Interesse von deren Unabhängigkeit gegenüber den Gründern – vom Gericht festgesetzt (§ 35 Abs. 3). II.

Aufklärungsobliegenheit der Gründer (§ 35 Abs. 1)

Die (externen) Gründungsprüfer können von den Gründern alle Aufklärungen und Nach- 2 weise verlangen, die für eine sorgfältige Prüfung erforderlich sind (§ 35 Abs. 1). Auskunftsberechtigt ist auch der Notar, wenn dieser als Gründungsprüfer tätig wird (siehe § 33 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2), nicht dagegen auch die Mitglieder des Vorstands oder des Aufsichtsrats. Die Vorschrift begründet keinen gerichtlich durchsetzbaren Auskunftsanspruch der Gründungsprüfer (§ 35 Abs. 2). Vielmehr handelt es sich um eine bloße Obliegenheit der Gründer.2) Verweigern sie die gebotene Aufklärung, kann der Prüfungsbericht nicht erstellt werden (§ 35 Abs. 2 Satz 3) und die Gesellschaft nicht im Handelsregister eingetragen werden (§§ 37 Abs. 4 Nr. 4, 38 Abs. 1). Zur Auskunft verpflichtet sind nur die Gründer (und zwar jeder), nicht auch die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats (siehe demgegenüber § 145 Abs. 2 AktG und § 320 Abs. 2 HGB). Die Gründer müssen alle Auskünfte erteilen, die im jeweiligen Einzelfall für eine sorg- 3 fältige Prüfung erforderlich sind.3) Die Auskünfte müssen vollständig und richtig erteilt werden. Falsche Auskünfte können strafbar sein (§ 400 Abs. 2). Die Gründungsprüfer sind darüber hinaus auch berechtigt (nicht aber verpflichtet), eigene 4 Ermittlungen vorzunehmen.4) III.

Meinungsverschiedenheiten (§ 35 Abs. 2)

Bei Meinungsverschiedenheiten zwischen den Gründern und den Gründungsprüfern über 5 den Umfang der erforderlichen Aufklärungen und Nachweise entscheidet das am Sitz der Gesellschaft zuständige Amtsgericht (§ 35 Abs. 2 Satz 1 AktG i. V. m. §§ 375 Nr. 3, 376 ff. _____________ 1) 2) 3) 4)

Hölters-Solveen, AktG, § 35 Rz. 2; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 35 Rz. 1; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 35 Rz. 1. Hölters-Solveen, AktG, § 35 Rz. 3; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 35 Rz. 2; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 35 Rz. 3; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 35 Rz. 2; Spindler/Stilz-Gerber, AktG, § 35 Rz. 3. Hölters-Solveen, AktG, § 35 Rz. 4; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 35 Rz. 2; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 35 Rz. 3. Hölters-Solveen, AktG, § 35 Rz. 3; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 35 Rz. 3; A. Arnold in: KölnKommAktG, § 35 Rz. 8; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 35 Rz. 5; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 35 Rz. 12; Spindler/Stilz-Gerber, AktG, § 35 Rz. 3.

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§ 35

Meinungsverschiedenheiten zwischen Gründern und Gründungsprüfern

FamFG, § 14 AktG, § 23a Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 4 GVG).5) Eine gerichtliche Entscheidung kann sowohl von den Gründern als auch von den Gründungsprüfern (und zwar jeweils auch einzeln) beantragt werden. Das Amtsgericht entscheidet über den Antrag durch unanfechtbaren Beschluss (§ 35 Abs. 2 Satz 2). Mit diesem Verfahren soll die Eintragung der Gesellschaft nicht unnötig verzögert werden.6) 6 Entscheidet das Amtsgericht zugunsten der Gründungsprüfer und erteilen die Gründer jetzt die begehrten Auskünfte, können die Gründungsprüfer ihre Prüfung fortsetzen und den Prüfungsbericht erstellen.7) Verweigern die Gründer weiterhin die Auskünfte, muss der Prüfungsbericht nicht erstellt werden (§ 35 Abs. 2 Satz 3). In diesem Fall besteht ein dauerhaftes Eintragungshindernis (§ 38 Abs. 1). Eine Vollstreckung aus der Entscheidung des Amtsgericht ist nicht möglich. 7 Entscheidet das Amtsgericht dagegen zugunsten der Gründer und lehnt den Antrag auf weitergehende Auskunftserteilung ab, müssen die Gründungsprüfer ihre Prüfung ohne die begehrten Aufklärungen und Nachweise fortsetzen.8) In ihrem Prüfungsbericht können die Gründungsprüfer allerdings auf die Entscheidung des Amtsgericht hinweisen (siehe § 38 Abs. 2 Satz 1).9) Darüber hinaus können die Gründungsprüfer ihr Amt auch ganz niederlegen und beim Gericht ihre Abberufung beantragen. Die Gründungsprüfer können sich aber nicht weigern, trotz der Entscheidung des Amtsgericht ihren Prüfungsbericht zu erstellen. In diesem Fall würden sie sich schadensersatzpflichtig machen (§ 49 AktG i. V. m. § 323 HGB). 8 Die Entscheidung des Amtsgericht kann nur bei Streitigkeiten über den Umfang der von den Gründern zu gewährenden Aufklärungen und Nachweise beantragt werden (§ 35 Abs. 2 Satz 1). In allen anderen Fällen von Meinungsverschiedenheiten (z. B. über den Umfang der Prüfung, die Angemessenheit von Sondervorteilen oder des Gründungsaufwands oder die Bewertung von Sacheinlagen) ist das Verfahren dagegen nicht statthaft.10) Diese Meinungsverschiedenheiten haben die Gründungsprüfer in ihren Bericht aufzunehmen, damit das Registergericht darüber ggf. i. R. des Eintragungsverfahrens entscheiden kann (§ 38 Abs. 1). IV.

Vergütung und Auslagen (§ 35 Abs. 3)

9 Die Gründungsprüfer haben Anspruch auf Ersatz angemessener barer Auslagen und auf Vergütung ihrer Tätigkeit (§ 35 Abs. 3 Satz 1). Im Interesse der Unabhängigkeit der Gründungsprüfer werden die Auslagen und die Vergütung ausschließlich von dem am Sitz der Gesellschaft zuständigen Amtsgericht festgesetzt (§ 35 Abs. 3 Satz 2 AktG i. V. m. §§ 375 Nr. 3, 376 ff. FamFG, § 14 AktG, § 23a Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 4 GVG).11) Das Amtsgericht entscheidet auf Antrag eines der Beteiligten durch Beschluss. Gegen den Beschluss ist die Beschwerde (§ 35 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 AktG i. V. m. §§ 58 ff. FamFG), nicht aber die Rechtsbeschwerde zulässig (§ 35 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 2 AktG i. V. m. _____________ 5) Hölters-Solveen, AktG, § 35 Rz. 5; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 35 Rz. 4; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 35 Rz. 6. 6) K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 35 Rz. 6. 7) Hölters-Solveen, AktG, § 35 Rz. 6; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 35 Rz. 7; Spindler/Stilz-Gerber, AktG, § 35 Rz. 8. 8) Hölters-Solveen, AktG, § 35 Rz. 7; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 35 Rz. 8. 9) Hölters-Solveen, AktG, § 35 Rz. 5; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 35 Rz. 12; K. Schmidt/LutterBayer, AktG, § 35 Rz. 6; Spindler/Stilz-Gerber, AktG, § 35 Rz. 9. 10) Hölters-Solveen, AktG, § 35 Rz. 5; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 35 Rz. 6. 11) Hölters-Solveen, AktG, § 35 Rz. 8; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 35 Rz. 6; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 35 Rz. 9.

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§ 36

Anmeldung der Gesellschaft

§§ 70 ff. FamFG). Die rechtskräftige Entscheidung ist ein Vollstreckungstitel (§ 35 Abs. 3 Satz 4 AktG i. V. m. § 794 Abs. 1 Nr. 3 ZPO). Vertragliche Vereinbarungen über die Vergütung sind unzulässig.12) Die Höhe der Ver- 10 gütung ist gesetzlich nicht geregelt. Das Amtsgericht entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung von Umfang und Schwierigkeit der jeweiligen Prüfung. In der Praxis erfolgt meist eine gewisse Orientierung an den Gebührenordnungen der Wirtschaftsprüfer (siehe § 55 WPO). Schuldner des Anspruchs ist die (Vor-)AG, nicht auch die Gründer.13) Die Vergütung ist Gründungsaufwand (§ 26 Abs. 2). Wird der Notar als Gründungsprüfer tätig, richtet sich die Vergütung nach den gesetzlichen 11 Bestimmungen des Gerichts- und Notarkostengesetzes (§ 123 GNotKG und KV Nr. 25206). Eine gerichtliche Festsetzung (nach § 35 Abs. 3) ist weder erforderlich noch möglich.14) _____________ 12) A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 35 Rz. 19. 13) Hölters-Solveen, § 35 Rz. 9; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 35 Rz. 7; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 35 Rz. 11. 14) Zum Streitstand s. K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 35 Rz. 12.

§ 36 Anmeldung der Gesellschaft (1) Die Gesellschaft ist bei dem Gericht von allen Gründern und Mitgliedern des Vorstands und des Aufsichtsrats zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden. (2) Die Anmeldung darf erst erfolgen, wenn auf jede Aktie, soweit nicht Sacheinlagen vereinbart sind, der eingeforderte Betrag ordnungsgemäß eingezahlt worden ist (§ 54 Abs. 3) und, soweit er nicht bereits zur Bezahlung der bei der Gründung angefallenen Steuern und Gebühren verwandt wurde, endgültig zur freien Verfügung des Vorstands steht. Literatur: Attenberger, § 378 Abs. 3 FamFG n. F. und § 15 Abs. 3 GBO n. F. – Notarielle Prüfung auf Eintragungsfähigkeit als Eintragungsvoraussetzung im Register- und Grundbuchverfahren und ausschließliche Einreichung über den Notar im Handelsregisterverfahren, MittBayNot 2017, 335; Diehn/Rachlitz, Notarielle Prüfungspflichten im Grundbuch- und Registerverkehr, DNotZ 2017, 487; Heinemann, Neue Vermerkpflichten für Notare?, ZNotP 2017, 166; Kleindiek, Modalitäten ordnungsgemäßer Bareinlageleistung bei Gründung einer Aktiengesellschaft, in: Festschrift für Harm-Peter Westermann, 2008, S. 1073; Priester, Wertgleiche Deckung statt Bardepot?, ZIP 1994, 599; Seebach, Die Mitwirkung des Prokuristen bei Handelsregisteranmeldungen des Prinzipals, RNotZ 2015, 68; Zimmer, Neue Prüfungspflichten des Notars – oder alles beim Alten?, NJW 2017, 1909.

Übersicht I. Überblick ............................................ 1 II. Anmeldung (§ 36 Abs. 1) ................. 5 III. Bareinlagen (§ 36 Abs. 2) ................ 11 1. Einzahlung der eingeforderten Bareinlage (§ 36 Abs. 2 Halbs. 1) .... 11 a) Überblick .................................... 11 b) Leistung der Bareinlage .............. 12

2. Leistung zur endgültig freien Verfügung des Vorstands (§ 36 Abs. 2 Halbs. 2) ................................ a) Überblick .................................... b) Steuern und Gebühren ............... c) Verwendungsabsprachen ........... d) Verfügungen über die Einlagen vor Anmeldung .......................... 3. Sonderfall: Gemischte Einlage .........

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§ 36

Anmeldung der Gesellschaft

§§ 70 ff. FamFG). Die rechtskräftige Entscheidung ist ein Vollstreckungstitel (§ 35 Abs. 3 Satz 4 AktG i. V. m. § 794 Abs. 1 Nr. 3 ZPO). Vertragliche Vereinbarungen über die Vergütung sind unzulässig.12) Die Höhe der Ver- 10 gütung ist gesetzlich nicht geregelt. Das Amtsgericht entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung von Umfang und Schwierigkeit der jeweiligen Prüfung. In der Praxis erfolgt meist eine gewisse Orientierung an den Gebührenordnungen der Wirtschaftsprüfer (siehe § 55 WPO). Schuldner des Anspruchs ist die (Vor-)AG, nicht auch die Gründer.13) Die Vergütung ist Gründungsaufwand (§ 26 Abs. 2). Wird der Notar als Gründungsprüfer tätig, richtet sich die Vergütung nach den gesetzlichen 11 Bestimmungen des Gerichts- und Notarkostengesetzes (§ 123 GNotKG und KV Nr. 25206). Eine gerichtliche Festsetzung (nach § 35 Abs. 3) ist weder erforderlich noch möglich.14) _____________ 12) A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 35 Rz. 19. 13) Hölters-Solveen, § 35 Rz. 9; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 35 Rz. 7; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 35 Rz. 11. 14) Zum Streitstand s. K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 35 Rz. 12.

§ 36 Anmeldung der Gesellschaft (1) Die Gesellschaft ist bei dem Gericht von allen Gründern und Mitgliedern des Vorstands und des Aufsichtsrats zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden. (2) Die Anmeldung darf erst erfolgen, wenn auf jede Aktie, soweit nicht Sacheinlagen vereinbart sind, der eingeforderte Betrag ordnungsgemäß eingezahlt worden ist (§ 54 Abs. 3) und, soweit er nicht bereits zur Bezahlung der bei der Gründung angefallenen Steuern und Gebühren verwandt wurde, endgültig zur freien Verfügung des Vorstands steht. Literatur: Attenberger, § 378 Abs. 3 FamFG n. F. und § 15 Abs. 3 GBO n. F. – Notarielle Prüfung auf Eintragungsfähigkeit als Eintragungsvoraussetzung im Register- und Grundbuchverfahren und ausschließliche Einreichung über den Notar im Handelsregisterverfahren, MittBayNot 2017, 335; Diehn/Rachlitz, Notarielle Prüfungspflichten im Grundbuch- und Registerverkehr, DNotZ 2017, 487; Heinemann, Neue Vermerkpflichten für Notare?, ZNotP 2017, 166; Kleindiek, Modalitäten ordnungsgemäßer Bareinlageleistung bei Gründung einer Aktiengesellschaft, in: Festschrift für Harm-Peter Westermann, 2008, S. 1073; Priester, Wertgleiche Deckung statt Bardepot?, ZIP 1994, 599; Seebach, Die Mitwirkung des Prokuristen bei Handelsregisteranmeldungen des Prinzipals, RNotZ 2015, 68; Zimmer, Neue Prüfungspflichten des Notars – oder alles beim Alten?, NJW 2017, 1909.

Übersicht I. Überblick ............................................ 1 II. Anmeldung (§ 36 Abs. 1) ................. 5 III. Bareinlagen (§ 36 Abs. 2) ................ 11 1. Einzahlung der eingeforderten Bareinlage (§ 36 Abs. 2 Halbs. 1) .... 11 a) Überblick .................................... 11 b) Leistung der Bareinlage .............. 12

2. Leistung zur endgültig freien Verfügung des Vorstands (§ 36 Abs. 2 Halbs. 2) ................................ a) Überblick .................................... b) Steuern und Gebühren ............... c) Verwendungsabsprachen ........... d) Verfügungen über die Einlagen vor Anmeldung .......................... 3. Sonderfall: Gemischte Einlage .........

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§ 36 I.

Anmeldung der Gesellschaft Überblick

1 Die Gesellschaft ist bei dem Gericht von allen Gründern und allen Mitgliedern des Vorstands und des Aufsichtsrats zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden (§ 36 Abs. 1). Die Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister erfolgt somit nicht von Amts wegen, sondern erst nach einer entsprechenden Anmeldung (siehe auch § 38 Abs. 1 Satz 1). Die Vorschrift bestimmt, wer die Anmeldung vorzunehmen hat. Mit der Anmeldung übernehmen die Gründer und die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats zugleich die zivilrechtliche (§§ 46 ff.) und strafrechtliche (§ 399 Abs. 1 Nr. 1) Verantwortung dafür, dass die Gründung der Gesellschaft ordnungsgemäß erfolgt ist. 2 Die Anmeldung darf erst erfolgen, wenn auf jede Aktie (soweit nicht Sacheinlagen vereinbart sind, siehe § 36a Abs. 2) der eingeforderte Betrag ordnungsgemäß eingezahlt worden ist (§ 54 Abs. 3) und (soweit er nicht bereits zur Bezahlung der bei der Gründung angefallenen Steuern und Gebühren verwandt wurde) endgültig zur freien Verfügung des Vorstands steht (§ 36 Abs. 2). Damit wird der zeitlich frühestmögliche Zeitpunkt für die Handelsregisteranmeldung festgelegt. 3 Die Vorschrift wird durch verschiedene weitere Vorschriften ergänzt. Gesondert geregelt sind Inhalt (§§ 37, 37a) und Form (§ 12 Abs. 1 HGB) der Handelsregisteranmeldung. Für Bareinlagen (§ 36 Abs. 2) sind insbesondere die Bestimmungen über die Mindesthöhe der zu erbringenden Einlage (§ 36a Abs. 2) und die Art und Weise der ordnungsgemäßen Leistung der Einlage (§ 54 Abs. 3) zu berücksichtigen. Für Sacheinlagen gelten eigene Regelungen (§ 36a Abs. 2). 4 Die Vorschrift wurde zuletzt durch das MoMiG1) geändert (Streichung von § 36 Abs. 2 Satz 2 AktG a. F.: Sicherung der noch nicht eingeforderten Bareinlage bei einer Einpersonengesellschaft). II.

Anmeldung (§ 36 Abs. 1)

5 Die AG entsteht mit Eintragung im Handelsregister (siehe § 41 Abs. 1 Satz 1). Die Eintragung setzt einen entsprechenden Antrag aller Gründer und aller Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats voraus (siehe § 38 Abs. 1 Satz 1).2) Erst mit der Anmeldung wird das Verfahren des Registergerichts in Gang gesetzt. Ohne die Anmeldung erfolgt keine Eintragung (siehe auch § 407 Abs. 2). 6 Die Anmeldung ist an das Amtsgericht zu richten, in dessen Bezirk die künftige Gesellschaft ihren Sitz haben wird (§ 36 Abs. 1 i. V. m. § 14 AktG, §§ 374 Nr. 1, 376 ff. FamFG, § 23a Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 3 GVG). 7 Die Anmeldung ist elektronisch in öffentlich beglaubigter Form einzureichen (§ 12 Abs. 1 Satz 1 HGB, § 129 BGB, §§ 39 ff. BeurkG).3) Anlagen zur Handelsregisteranmeldung (siehe §§ 37 Abs. 4, 37a Abs. 3) sind gleichfalls elektronisch einzureichen (§ 37 Abs. 5 AktG i. V. m. § 12 Abs. 2 HGB).4) Die Anmeldung ist über einen Notar beim Registergericht einzureichen (§ 378 Abs. 3 Satz 2 FamFG). Der Notar hat die Anmeldung vorab auf

_____________ 1) 2) 3) 4)

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Art. 5 Nr. 2 des Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG), BGBl. I 2008, 2026; s. dazu BT-Drucks. 16/6140, S. 52 und S. 33 f. A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 36 Rz. 4; K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 36 Rz. 3; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 36 Rz. 6. Hölters-Solveen, AktG, § 36 Rz. 5; Spindler/Stilz-Döbereiner, AktG, § 36 Rz. 4 ff. Zu den Kosten der Handelsregisteranmeldung s. Hölter-Solveen, AktG, § 36 Rz. 21.

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§ 36

Anmeldung der Gesellschaft

ihre Eintragungsfähigkeit hin zu überprüfen und das Ergebnis in einem förmlichen Prüfvermerk festzuhalten (§ 378 Abs. 3 Satz 1 FamFG).5) Die Anmeldung ist von allen Gründern (§ 28) und allen Mitgliedern des Vorstands (siehe 8 §§ 23 Abs. 3 Nr. 6, 30 Abs. 4, 76 Abs. 2) und des Aufsichtsrats (siehe §§ 30 Abs. 1, 95; zu Besonderheiten siehe § 31 Abs. 3) zu unterzeichnen (nicht auch von Prokuristen)6).7) Die Anmeldung allein durch die Mitglieder des Vorstands genügt nicht (siehe demgegenüber § 7 Abs. 1 i. V. m. § 78 GmbHG: Anmeldung durch sämtliche Geschäftsführer). Zur Anmeldung verpflichtet sind auch stellvertretende Mitglieder des Vorstands (§ 94), nicht aber noch nicht nachgerückte Ersatzmitglieder des Aufsichtsrats, da diese noch keine Organmitglieder sind (siehe § 101 Abs. 3). Die Anmeldung muss nicht unbedingt gleichzeitig unterzeichnet werden. Ferner ist es auch nicht erforderlich, dass alle Anmeldenden auf ein und demselben Schriftstück unterschreiben. Die Unterzeichnung getrennter, inhaltlich aber übereinstimmender Anmeldungen ist zulässig. Alle Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats müssen die Handelsregisteranmel- 9 dung wegen der damit verbundenen strafrechtlichen Verantwortlichkeit (§ 399 Abs. 1 Nr. 1) höchstpersönlich unterschreiben. Stellvertretung ist ausgeschlossen.8) Gleiches gilt auch für die Gründer. Lediglich dann, wenn ein Gründer nicht geschäftsfähig ist oder es sich bei einem Gründer um keine natürliche Person handelt, ist eine Unterzeichnung durch die gesetzlichen bzw. organschaftlichen Vertreter zulässig. Auf die Wirksamkeit der Handelsregisteranmeldung ist es ohne Einfluss, wenn eine der 10 anmeldenden Personen nach Unterzeichnung stirbt oder geschäftsunfähig wird (§ 130 Abs. 2 BGB analog).9) Die Anmeldung wird erst mit Zugang beim Handelsregister wirksam (§ 130 Abs. 3 BGB analog). Bis zur Eintragung kann die Anmeldung ohne Angabe von Gründen zurückgenommen werden.10) III.

Bareinlagen (§ 36 Abs. 2)

1. Einzahlung der eingeforderten Bareinlage (§ 36 Abs. 2 Halbs. 1) a) Überblick Die Einlageverpflichtung entsteht mit der Übernahme der Aktien durch die Gründer (siehe 11 § 23 Abs. 2 Nr. 2). Die Einlagen sind nach Aufforderung durch den Vorstand einzuzahlen (siehe § 63 Abs. 1 Satz 1). Der eingeforderte Betrag muss bei Bareinlagen mindestens ein Viertel des geringsten Ausgabebetrags (§ 9 Abs. 1), und – bei Ausgabe der Aktien für einen höheren als diesen – auch den (gesamten) Mehrbetrag (Agio) umfassen (§ 36a Abs. 1). Der eingeforderte Betrag kann nur in gesetzlichen Zahlungsmitteln oder durch Gutschrift auf einem Kreditinstitut eingezahlt werden (§ 54 Abs. 3 Satz 1). Die Handelsregisteranmeldung darf u. a. erst dann erfolgen, wenn auf jede einzelne Aktie der eingeforderte Betrag der Bareinlagen ordnungsgemäß eingezahlt worden ist (§ 36 Abs. 2 Halbs. 1). Die Einzahlung des eingeforderten Gesamtbetrags ist nicht ausreichend.11) In der Handelsre_____________ 5) Die Änderung von § 378 Abs. 3 FamFG ist durch Art. 4 Nr. 5 lit. b des Gesetzes zur Neuordnung der Aufbewahrung von Notariatsunterlagen und zur Einrichtung des Elektronischen Urkundenarchivs bei der Bundesnotarkammer sowie zur Änderung weiterer Gesetze, v. 1.6.2017, BGBl. I 2017, 1396, erfolgt und am 9.6.2017 in Kraft getreten. Ausführlich dazu Attenberger, MittBayNot 2017, 335; Diehn/Rachlitz, DNotZ 2017, 487; Heinemann, ZNotP 2017, 166; Zimmer, NJW 2017, 1909. 6) Ausführlich dazu Seebach, RNotZ 2015, 68. 7) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 36 Rz. 3a; Hölters-Solveen, AktG, § 36 Rz. 6 ff.; K. Schmidt/LutterKleindiek, AktG, § 36 Rz. 6. 8) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 36 Rz. 4; Hölters-Solveen, AktG, § 36 Rz. 9; K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 36 Rz. 10. 9) K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 36 Rz. 11. 10) Hölters-Solveen, AktG, § 36 Rz. 13; K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 36 Rz. 13. 11) Hölters-Solveen, AktG, § 36 Rz. 14; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 36 Rz. 36 und 44.

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gisteranmeldung ist zu erklären, dass diese Voraussetzungen erfüllt sind (§ 37 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1). Ferner ist der Betrag, zu dem die Aktien ausgegeben worden sind und der darauf jeweils eingezahlte Betrag anzugeben (§ 37 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2). Erfolgt die Einzahlung durch Gutschrift auf einem Konto, ist dem Registergericht eine Bestätigung des kontoführenden Kreditinstituts als Nachweis vorzulegen (§ 37 Abs. 1 Satz 3). b) Leistung der Bareinlage 12 Im Interesse einer ordnungsgemäßen Kapitalaufbringung kann der eingeforderte Betrag der Bareinlagen (abweichend von § 362 Abs. 2 BGB) nur durch Barzahlung oder durch Kontogutschrift wirksam geleistet werden (§ 54 Abs. 3 i. V. m. § 36 Abs. 2 Halbs. 1).12) Andere Leistungen (z. B. Zahlung an Gläubiger der Gesellschaft) haben keine Erfüllungswirkung. 13 Barzahlung meint Übereignung und Übergabe von inländischen Banknoten an den Vorstand in entsprechender Höhe. Die Übergabe eines Schecks steht der Barzahlung nicht gleich (siehe Art. 4 ScheckG). 14 Kontogutschrift meint die Gutschrift der Einlage auf einem Konto der (Vor-)AG oder des Vorstands der Gesellschaft (siehe § 54 Abs. 3 Satz 2). Zahlungen auf ein Konto eines Gründers oder eines Gläubigers der Gesellschaft sind nicht ausreichend.13) Als kontoführende Stellen werden nur inländische Kreditinstitute (§§ 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 KWG) und bestimmte ausländische Unternehmen (insbesondere solche mit inländischen Zweigniederlassungen, die Bankgeschäfte betreiben, siehe im Einzelnen §§ 53 Abs. 1 Satz 1, 53b Abs. 1 Satz 1 und Abs. 7 KWG) anerkannt. Die Kontogutschrift muss in Euro erfolgen.14) Eine Gutschrift in ausländischer Währung würde die Gesellschaft mit dem Risiko von Währungsschwankungen belasten und daher die reale Kapitalaufbringung gefährden. 2. Leistung zur endgültig freien Verfügung des Vorstands (§ 36 Abs. 2 Halbs. 2) a) Überblick 15 Die eingezahlten Bareinlagen müssen zur endgültig freien Verfügung des Vorstands stehen (§ 36 Abs. 2 Halbs. 2, § 54 Abs. 3 Satz 1). Eine Ausnahme gilt lediglich insoweit, als die Einlagen bereits für die bei der Gründung angefallenen Steuern und Gebühren verwandt worden sind (§ 36 Abs. 2 Halbs. 2 i. V. m. § 26 Abs. 2). 16 Die Einzahlung der Einlagen hat nur dann Erfüllungswirkung, wenn sie zur endgültig freien Verfügung des Vorstands stehen. Eine Leistung zur endgültig (nicht nur vorübergehenden) freien Verfügbarkeit des Vorstands liegt vor, wenn die Einlage aus dem Verfügungsbereich des Einlageschuldners vollständig ausgesondert und dem Vorstand so übertragen worden ist, dass er darüber (nach pflichtgemäßem Ermessen, siehe §§ 76, 93) rechtlich und tatsächlich uneingeschränkt verfügen kann.15) Leistungen, die nur zum Schein erfolgen, haben keine Erfüllungswirkung (siehe § 117 BGB).16) _____________ 12) A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 36 Rz. 27 ff.; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 36 Rz. 45 ff. 13) S. BGH, Urt. v. 13.7.1992 – II ZR 263/91, BGHZ 119, 177 = ZIP 1992, 1387. 14) Großzügiger Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 54 Rz. 16, wonach grds. auch Einlagen in ausländischer Währung anzuerkennen sind. Wie hier dagegen Pentz in: MünchKomm-AktG, § 364 Rz. 70. 15) Hölters-Solveen, AktG, § 36 Rz. 15; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 36 Rz. 7; A. Arnold in: KölnKommAktG, § 36 Rz. 30 ff.; K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 36 Rz. 19 ff.; Pentz in: MünchKommAktG, § 36 Rz. 47 ff. 16) S. etwa zum Hin- und Herzahlen bei einer GmbH (vor MoMiG) BGH, Urt. v. 12.6.2006 – II ZR 334/04, ZIP 2006, 1633; BGH, Urt. v. 9.1.2006 – II ZR 72/05, BGHZ 165, 352 = ZIP 2006, 331, dazu EWiR 2006, 307 (Naraschewski); BGH, Urt. v. 21.11.2005 – II ZR 140/04, BGHZ 165, 113 = ZIP 2005, 2203, dazu EWiR 2006, 33 (Tillmann); BGH, Urt. v. 22.3.2004 – II ZR 7/02, ZIP 2004, 1046, und BGH, Urt. v. 18.2.1991 – II ZR 104/90, BGHZ 113, 335 = ZIP 1991, 511, dazu EWiR 1991, 1213 (Frey) – nur vorübergehende Leistung der Einlage bei einer Kapitalerhöhung einer GmbH i. R. eines Ausschüttungs-RückholVerfahrens; Hölters-Solveen, AktG, § 36 Rz. 16; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 36 Rz. 8; K. Schmidt/LutterKleindiek, AktG, § 36 Rz. 21; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 36 Rz. 55.

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Bei einer Kontogutschrift fehlt es an der freien Verfügungsmöglichkeit des Vorstands, 17 wenn das Konto gesperrt oder gepfändet worden ist. Bei einem debitorischen Konto hat eine Einzahlung nur dann Erfüllungswirkung, wenn das Kreditinstitut i. R. einer gewährten Kreditlinie Verfügungen i. H. des eingezahlten Betrages gestattet. Dagegen fehlt es an der freien Verfügungsmacht, wenn die Kreditlinie überschritten oder der Kontokorrentkredit zur Rückzahlung fällig ist und das Kreditinstitut den eingezahlten Betrag mit dem Schuldsaldo verrechnen kann.17) An der freien Verfügbarkeit fehlt es regelmäßig auch dann, wenn die zunächst einbezahlte 18 Einlage (unmittelbar oder mittelbar) wieder an den Einleger zurückbezahlt wird. Etwas anderes gilt seit Inkrafttreten des ARUG aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung aber in den Fällen des Hin- und Herzahlens (§ 27 Abs. 4).18) In den Fällen der verdeckten Sacheinlage fehlt es (trotz § 27 Abs. 3) an der freien Ver- 19 fügbarkeit, da die vereinbarte Bareinlage gerade nicht erfüllt wird und (zumindest zunächst) fortbesteht.19) b)

Steuern und Gebühren

Von dem Erfordernis der Einlagenleistung zur endgültig freien Verfügung des Vorstands 20 ausdrücklich ausgenommen ist der Betrag, der für die bei der Gründung angefallenen Steuern und Gebühren verwandt worden ist.20) Erfasst werden allerdings nur solche Steuern und Gebühren (einschließlich Auslagen), die von der Gesellschaft kraft Gesetzes oder aufgrund der Festsetzungen in der Satzung (§ 26 Abs. 2) zu tragen sind und für die Gründung erforderlich sind. Dazu gehören die Kosten des Notars, der Registereintragung, der Bekanntmachung, eine etwa anfallende Grunderwerbsteuer sowie die Vergütung der Gründungsprüfer. Nicht umfasst sind dagegen die sonstigen Kosten der Rechts- und Steuerberatung oder die Kosten für den Betrieb eines übernommenen Unternehmens. c)

Verwendungsabsprachen

Noch nicht abschließend geklärt ist die Frage, ob und inwieweit Vereinbarungen über die 21 künftige Verwendung der geleisteten Einlagen der freien Verfügung des Vorstands entgegenstehen. Weitgehend Einigkeit besteht darüber, dass Verwendungsabsprachen für die ordnungsge- 22 mäße Kapitalaufbringung unschädlich sind, wenn die Einlagen zugunsten von Dritten verwendet werden (z. B. für Investitionen der Gesellschaft oder andere unternehmerische Zwecke).21) _____________ 17) S. BGH, Urt. v. 13.7.1992 – II ZR 263/91, BGHZ 119, 177 = ZIP 1992, 1387. Zur Einlagenleistung bei Kapitalerhöhungen einer GmbH (vor MoMiG) s. BGH, Urt. v. 8.11.2004 – II ZR 362/02, ZIP 2005, 121; BGH, Urt. v. 18.3.2002 – II ZR 363/00, BGHZ 150, 197 = ZIP 2002, 799; BGH, Urt. v. 10.6.1996 – II ZR 98/95, ZIP 1996, 1466, dazu EWiR 1996, 885 (v. Gerkan); ferner Hölters-Solveen, AktG, § 36 Rz. 16; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 36 Rz. 8; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 36 Rz. 43 ff.; K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 36 Rz. 22. 18) A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 36 Rz. 37 ff.; Spindler/Stilz-Döbereiner, AktG, § 36 Rz. 20. 19) Im Ergebnis ebenso Hölters-Solveen, AktG, § 36 Rz. 16; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 36 Rz. 41 ff.; Spindler/Stilz-Döbereiner, AktG, § 36 Rz. 20. 20) Hölters-Solveen, AktG, § 36 Rz. 17; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 36 Rz. 10; A. Arnold in: KölnKommAktG, § 36 Rz. 52; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 36 Rz. 75 ff.; Spindler/Stilz-Döbereiner, AktG, § 36 Rz. 24. 21) S. dazu etwa BGH, Urt. v. 12.2.2007 – II ZR 272/05, BGHZ 171, 113 = ZIP 2007, 528, dazu EWiR 2007, 331 (Rohde); BGH, Urt. v. 2.12.2002 – II ZR 101/02, BGHZ 153, 107 = ZIP 2003, 211, dazu EWiR 2003, 223 (Blöse).

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23 Dagegen werden Verwendungsabsprachen überwiegend als schädlich angesehen, wenn sie dazu führen, dass die Einlagen (unmittelbar oder mittelbar) wieder an den Einleger zurückfließen.22) Denn damit werden die Vorschriften über die Kapitalaufbringung umgangen. Dies erscheint jedoch spätestens seit Inkrafttreten des ARUG nicht mehr überzeugend.23) Die gesetzliche Neuregelung zum Hin- und Herzahlen zeigt gerade, dass eine Rückzahlung der Einlage einer ordnungsgemäßen Kapitalaufbringung nicht zwingend entgegensteht (siehe § 27 Abs. 4). Zudem muss die Gesellschaft mit dem Einleger in gleicher Weise wie mit einem Dritten Geschäfte abschließen können.24) Entscheidend ist somit, dass die Einlagen tatsächlich zur endgültig freien Verfügung des Vorstands geleistet werden und nicht etwa für Zahlungen an den Einleger „reserviert“ sind.25) Dann ist die Kapitalaufbringung ordnungsgemäß abgeschlossen. d)

Verfügungen über die Einlagen vor Anmeldung

24 Der Gesetzeswortlaut deutet darauf hin, dass die eingezahlten Einlagen (mit Ausnahme der Steuern und Gebühren) auch im Zeitpunkt der Anmeldung noch unversehrt vorhanden sein müssen (siehe § 37 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2). Eine solche Thesaurierungspflicht besteht jedoch nach heute h. A. nicht. Es ist allgemein anerkannt, dass der Vorstand über die eingezahlten Einlagen bereits vor der Anmeldung zum Handelsregister verfügen darf, wenn der Gesellschaft dabei ein entsprechender Gegenwert zufließt und dieser Wert auch im Zeitpunkt der Anmeldung (nicht der Eintragung) noch vorhanden ist (Gebot der wertgleichen Deckung).26) 25 Umstritten ist dagegen, ob auch auf das Erfordernis der wertgleichen Deckung verzichtet werden kann. Die überwiegende Meinung hält daran im Interesse einer ordnungsgemäßen Kapitalaufbringung – zumindest für die Neugründung der Gesellschaft27) – fest.28) Dies erscheint indes nicht überzeugend.29) Mit der Leistung der Einlage zur endgültig freien Verfügung des Vorstands ist die Kapitalaufbringung abgeschlossen. Danach entscheidet allein der Vorstand über die Verwendung der Einlagen. Bei nicht wertgleichen Rechtsgeschäften greift die Unterbilanzhaftung (Vorbelastungshaftung) ein, so dass die ordnungsgemäße Kapitalaufbringung gesichert ist. Danach müssen die Einlagen bei der Anmeldung nicht mehr (auch nicht i. S. einer wertgleichen Deckung) vorhanden sein. 3.

Sonderfall: Gemischte Einlage

26 Eine gemischte Einlage liegt vor, wenn der Gründer für eine von ihm übernommene Aktie sowohl eine Bareinlage als auch eine Sacheinlage zu erbringen hat. Bareinlage (§ 36 Abs. 2, _____________ 22) S. etwa Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 36 Rz. 9, wonach Verwendungsabsprachen die vorgeschriebene freie Verfügung im Zweifel beeinträchtigen, und Pentz in: MünchKomm-AktG, § 36 Rz. 54. 23) Zutreffend K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 36 Rz. 25 f., der vor allem die Unterscheidung zwischen Mittelaufbringung und Mittelverwendung betont; ebenso A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 36 Rz. 46. 24) S. BGH, Urt. v. 1.2.2010 – II ZR 173/08 (Eurobike), BGHZ 184, 158 = ZIP 2010, 423, dazu EWiR 2010, 169 (Lieder) – „Entgeltliche Dienstverträge zwischen der Gesellschaft und dem Inferenten sind im Aktienrecht nicht verboten.“ 25) Zu dem Kriterium des „Reserviert“-Seins s. BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 120/07 (Qivive), BGHZ 180, 38 = ZIP 2009, 713, dazu EWiR 2009, 443 (Schodder). 26) Grundlegend BGH, Urt. v. 13.7.1992 – II ZR 263/91, BGHZ 119, 177 = ZIP 1992, 1387; HöltersSolveen, AktG, § 36 Rz. 18; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 36 Rz. 11a; Spindler/Stilz-Döbereiner, AktG, § 36 Rz. 23. 27) Anders aber für eine Kapitalerhöhung bei einer bereits bestehenden Gesellschaft BGH, Urt. v. 18.3.2002 – II ZR 363/00, BGHZ 150, 197 = ZIP 2002, 799 – betreffend die Kapitalerhöhung bei einer GmbH. 28) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 36 Rz. 11a; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 36 Rz. 47 ff.; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 36 Rz. 79 ff. 29) Zutreffend K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 36 Rz. 29 ff.; zustimmend Henssler/Strohn-Wardenbach, GesR, § 36 AktG Rz. 7.

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§ 36a

Leistung der Einlagen

§ 36a Abs. 1) und Sacheinlage (§ 36a Abs. 2) sind dann jeweils nach den für sie geltenden Vorschriften zu erbringen. Die Bareinlage ist demnach zu mindestens einem Viertel und die Sacheinlage stets voll zu erbringen. Ein etwaiges Agio ist stets in voller Höhe zu erbringen. Von der gemischten Einlage zu unterscheiden ist der Fall, dass ein Gründer mehrere 27 Aktien übernimmt und für manche Aktien ausschließlich eine Bareinlage und für andere Aktien ausschließlich eine Sacheinlage vereinbart wird. In diesem Fall sind Bar- und Sacheinlage getrennt und unabhängig voneinander zu behandeln. Die gemischte Einlage ist schließlich von der gemischten Sacheinlage zu unterscheiden, 28 bei der der Gründer teils Aktien und teils eine sonstige Vergütung erhält (dazu § 27 Rz. 25).

§ 36a Leistung der Einlagen (1) Bei Bareinlagen muß der eingeforderte Betrag (§ 36 Abs. 2) mindestens ein Viertel des geringsten Ausgabebetrags und bei Ausgabe der Aktien für einen höheren als diesen auch den Mehrbetrag umfassen. (2) 1Sacheinlagen sind vollständig zu leisten. 2Besteht die Sacheinlage in der Verpflichtung, einen Vermögensgegenstand auf die Gesellschaft zu übertragen, so muß diese Leistung innerhalb von fünf Jahren nach der Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister zu bewirken sein. 3Der Wert muß dem geringsten Ausgabebetrag und bei Ausgabe der Aktien für einen höheren als diesen auch dem Mehrbetrag entsprechen. Literatur: Hermanns, Gestaltungsmöglichkeiten bei der Kapitalerhöhung mit Agio, ZIP 2003, 788; Mayer, D., Der Leistungszeitpunkt bei Sacheinlageleistungen im Aktienrecht, ZHR 154 (1990) 535; Schäfer, Zur Einbeziehung des Agios in die aktienrechtliche Kapitalaufbringung, in: Festschrift für Eberhard Stilz, 2014, S. 525; Schnorbus/Plassmann, Bilanzierung eines schuldrechtlichen Agio als andere Zuzahlung gem. § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB, ZIP 2016, 693.

Übersicht I. Überblick ............................................ 1 II. Bareinlagen (§ 36a Abs. 1) ................ 2 III. Sacheinlagen (§ 36a Abs. 2) .............. 8 1. Umfang der Leistung (§ 36a Abs. 2 Satz 1) ...................................... 8 I.

2. Zeitpunkt der Leistung (§ 36a Abs. 2 Satz 2) .................................... 10 3. Verbot der Unterpariemission (§ 36a Abs. 2 Satz 3) ........................ 15

Überblick

Die Vorschrift regelt die Leistung der Einlagen bei Gründung der Gesellschaft und dient 1 damit der Sicherung der effektiven Kapitalaufbringung.1) Für Bareinlagen wird der Mindestbetrag bestimmt, der vor Anmeldung der Gesellschaft geleistet sein muss (§ 36a Abs. 1 i. V. m. §§ 36 Abs. 2, 54 Abs. 3). In Bezug auf Sacheinlagen werden Umfang und Zeitpunkt der zu erbringenden Leistung näher geregelt (§ 36a Abs. 2). II.

Bareinlagen (§ 36a Abs. 1)

Bei Bareinlagen muss der vor der Anmeldung (§ 36 Abs. 2) eingeforderte Betrag mindes- 2 tens ein Viertel des geringsten Ausgabebetrags (§ 9 Abs. 1) betragen (§ 36a Abs. 1 Halbs. 1). _____________ 1)

Hölters-Solveen, AktG, § 36a Rz. 1; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 36a Rz. 1; A. Arnold in: KölnKommAktG, § 36a Rz. 2; K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 36a Rz. 1.

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Leistung der Einlagen

§ 36a Abs. 1) und Sacheinlage (§ 36a Abs. 2) sind dann jeweils nach den für sie geltenden Vorschriften zu erbringen. Die Bareinlage ist demnach zu mindestens einem Viertel und die Sacheinlage stets voll zu erbringen. Ein etwaiges Agio ist stets in voller Höhe zu erbringen. Von der gemischten Einlage zu unterscheiden ist der Fall, dass ein Gründer mehrere 27 Aktien übernimmt und für manche Aktien ausschließlich eine Bareinlage und für andere Aktien ausschließlich eine Sacheinlage vereinbart wird. In diesem Fall sind Bar- und Sacheinlage getrennt und unabhängig voneinander zu behandeln. Die gemischte Einlage ist schließlich von der gemischten Sacheinlage zu unterscheiden, 28 bei der der Gründer teils Aktien und teils eine sonstige Vergütung erhält (dazu § 27 Rz. 25).

§ 36a Leistung der Einlagen (1) Bei Bareinlagen muß der eingeforderte Betrag (§ 36 Abs. 2) mindestens ein Viertel des geringsten Ausgabebetrags und bei Ausgabe der Aktien für einen höheren als diesen auch den Mehrbetrag umfassen. (2) 1Sacheinlagen sind vollständig zu leisten. 2Besteht die Sacheinlage in der Verpflichtung, einen Vermögensgegenstand auf die Gesellschaft zu übertragen, so muß diese Leistung innerhalb von fünf Jahren nach der Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister zu bewirken sein. 3Der Wert muß dem geringsten Ausgabebetrag und bei Ausgabe der Aktien für einen höheren als diesen auch dem Mehrbetrag entsprechen. Literatur: Hermanns, Gestaltungsmöglichkeiten bei der Kapitalerhöhung mit Agio, ZIP 2003, 788; Mayer, D., Der Leistungszeitpunkt bei Sacheinlageleistungen im Aktienrecht, ZHR 154 (1990) 535; Schäfer, Zur Einbeziehung des Agios in die aktienrechtliche Kapitalaufbringung, in: Festschrift für Eberhard Stilz, 2014, S. 525; Schnorbus/Plassmann, Bilanzierung eines schuldrechtlichen Agio als andere Zuzahlung gem. § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB, ZIP 2016, 693.

Übersicht I. Überblick ............................................ 1 II. Bareinlagen (§ 36a Abs. 1) ................ 2 III. Sacheinlagen (§ 36a Abs. 2) .............. 8 1. Umfang der Leistung (§ 36a Abs. 2 Satz 1) ...................................... 8 I.

2. Zeitpunkt der Leistung (§ 36a Abs. 2 Satz 2) .................................... 10 3. Verbot der Unterpariemission (§ 36a Abs. 2 Satz 3) ........................ 15

Überblick

Die Vorschrift regelt die Leistung der Einlagen bei Gründung der Gesellschaft und dient 1 damit der Sicherung der effektiven Kapitalaufbringung.1) Für Bareinlagen wird der Mindestbetrag bestimmt, der vor Anmeldung der Gesellschaft geleistet sein muss (§ 36a Abs. 1 i. V. m. §§ 36 Abs. 2, 54 Abs. 3). In Bezug auf Sacheinlagen werden Umfang und Zeitpunkt der zu erbringenden Leistung näher geregelt (§ 36a Abs. 2). II.

Bareinlagen (§ 36a Abs. 1)

Bei Bareinlagen muss der vor der Anmeldung (§ 36 Abs. 2) eingeforderte Betrag mindes- 2 tens ein Viertel des geringsten Ausgabebetrags (§ 9 Abs. 1) betragen (§ 36a Abs. 1 Halbs. 1). _____________ 1)

Hölters-Solveen, AktG, § 36a Rz. 1; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 36a Rz. 1; A. Arnold in: KölnKommAktG, § 36a Rz. 2; K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 36a Rz. 1.

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Leistung der Einlagen

Werden die Aktien zu einem höheren Betrag ausgegeben (Überpariemission, § 9 Abs. 2) muss der eingeforderte Betrag auch den vollen Mehrbetrag (Agio) umfassen (§ 36a Abs. 1 Halbs. 2). Im Unterschied zum GmbH-Recht muss der Gesamtbetrag der Bareinlagen nicht mindestens die Hälfte des Grundkapitals der Gesellschaft erreichen (siehe § 7 Abs. 2 Satz 2 GmbHG). 3 Die Mindestleistung muss für jede Aktie gesondert erbracht werden.2) In der Handelsregisteranmeldung ist dies auch entsprechend anzugeben (§ 37 Abs. 1 Satz 1). Die pauschale Leistung eines Gesamtbetrages ist selbst dann nicht ausreichend, wenn dieser die Mindestleistung erreicht. Minderzahlungen einzelner Aktionäre können nicht durch Mehrzahlungen anderer Aktionäre ausgeglichen werden. 4 Die Satzung kann die Leistung eines höheren (nicht aber eines niedrigeren) Betrages als ein Viertel des geringsten Ausgabebetrags vorsehen (siehe § 23 Abs. 5 Satz 2).3) Der Vorstand ist dann auch zur Einforderung des höheren Betrages verpflichtet. 5 Für die Einforderung der Einlagen ist der Vorstand zuständig (siehe § 63 Abs. 1 Satz 1). Der Vorstand entscheidet – innerhalb des von Gesetz und Satzung vorgesehenen Rahmens – über Zeitpunkt und Höhe der Einforderung der Einlagen. In der Satzung kann die Entscheidung des Vorstands von der Zustimmung des Aufsichtsrats abhängig gemacht werden (§ 111 Abs. 4 Satz 2). Die Gründer sind bei der Einforderung der Einlagen gleichzubehandeln (§ 53a). 6 Im Falle einer Überpariemission (§ 9 Abs. 1) muss der eingeforderte Betrag stets das gesamte Aufgeld (Agio) umfassen.4) Damit ist das in der Satzung geregelte (korporative) Agio (und nicht auch ein schuldrechtliches Agio)5) gemeint. Für ein außerhalb der Satzung vereinbartes (schuldrechtliches) Agio gilt die gesetzliche Verpflichtung zur Zahlung des gesamten Aufgelds vor der Anmeldung der Gesellschaft nicht. Die Fälligkeit kann insoweit frei vereinbart werden. Das schuldrechtliche Agio unterliegt nicht der Registerkontrolle (siehe § 38 Abs. 1).6) Entsprechende Vereinbarungen müssen gegenüber dem Registergericht daher auch nicht offengelegt werden (siehe § 37 Abs. 4).7) 7 Die Gründer sind berechtigt (aber nicht verpflichtet) über die geschuldeten und eingeforderten Bareinlagen hinaus freiwillige Mehrleistungen zu erbringen. Solche Mehrleistungen haben auch dann Erfüllungswirkung, wenn sie im Zeitpunkt der Eintragung der Gesellschaft nicht mehr unverbraucht zur Verfügung stehen.8) III.

Sacheinlagen (§ 36a Abs. 2)

1.

Umfang der Leistung (§ 36a Abs. 2 Satz 1)

8 Sacheinlagen sind vollständig zu leisten (§ 36a Abs. 2 Satz 1). Eine nur teilweise Erbringung von Sacheinlagen ist (anders als bei Bareinlagen, § 36a Abs. 1) gesetzlich nicht vor_____________ 2) 3) 4)

5) 6) 7) 8)

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Hölters-Solveen, AktG, § 36a Rz. 3; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 36a Rz. 3; K. Schmidt/LutterKleindiek, AktG, § 36a Rz. 2. Hölters-Solveen, AktG, § 36a Rz. 3; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 36a Rz. 2; K. Schmidt/LutterKleindiek, AktG, § 36a Rz. 2. Zu den Angaben im Zeichnungsschein bei einer Überpariemission s. LG Frankfurt/M., Beschl. v. 3.5.1991 – 3/11 T 7/91, AG 1992, 240. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 36a Rz. 2a; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 36a Rz. 4. Zur Bilanzierung eines schuldrechtlichen Agios s. Schnorbus/Plassmann, ZIP 2016, 693. Zur Einbeziehung des Agios in die Kapitalaufbringung s. Schäfer in: FS Stilz, S. 525 ff. Hölters-Solveen, AktG, § 36a Rz. 3; a. A allerdings Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 36a Rz. 2a. So für GmbH – BGH, Urt. v. 24.10.1988 – II ZR 176/88, BGHZ 105, 300 = ZIP 1989, 27, dazu EWiR 1989, 55 (Schmidt), und die ganz h. M. im aktienrechtlichen Schrifttum, s. etwa Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 36a Rz. 3; K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 36 Rz. 17.

Thomas Wachter

§ 36a

Leistung der Einlagen

gesehen und daher unzulässig (siehe § 266 BGB).9) In der Satzung kann eine teilweise Leistung von Sacheinlagen vorgesehen werden, sofern dies im Hinblick auf die Rechtsnatur der eingebrachten Sache möglich ist. Die letzte Teilleistung muss dann allerdings spätestens fünf Jahre nach Eintragung der Gesellschaft bewirkt sein (§ 36a Abs. 2 Satz 2). Die Sacheinlagen müssen (ebenso wie die Bareinlagen, siehe § 36 Abs. 2 Halbs. 2) so ge- 9 leistet werden, dass sie endgültig zur freien Verfügung des Vorstands stehen.10) In der Regel ist bei einer Sacheinlage die (vollständige und vorbehaltlose) Übertragung des Eigentums an der Sache auf die Vor-AG geschuldet. Die dingliche Erfüllung der Sacheinlageverpflichtung erfolgt dann durch Eigentumsübertragung der jeweiligen Sache nach den dafür maßgeblichen Vorschriften (z. B. bei beweglichen Sachen durch Einigung und Übergabe, §§ 929 ff. BGB, bei Grundstücken durch Auflassung und Grundbucheintragung, §§ 873, 925 BGB, bei Forderungen und sonstigen Rechten durch Abtretung bzw. Übertragung, §§ 398, 413 BGB). Die entsprechenden Verträge (z. B. Einbringungsvertrag) sind der Handelsregisteranmeldung als Anlage beizufügen (§ 37 Abs. 4 Nr. 2). Die Sacheinlageverpflichtung kann aber auch lediglich darin bestehen, der Gesellschaft eine bestimmte Sache lediglich zum Gebrauch oder zur Nutzung zu überlassen. In diesem Fall ist die Sacheinlage erbracht, wenn dem Vorstand die vereinbarte Gebrauchs- oder Nutzungsbefugnis eingeräumt worden ist. 2.

Zeitpunkt der Leistung (§ 36a Abs. 2 Satz 2)

Nach der gesetzlichen Regelung muss die Leistung innerhalb von fünf Jahren nach der 10 Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister zu bewirken sein, wenn die Sacheinlage in der Verpflichtung besteht, einen Vermögensgegenstand auf die Gesellschaft zu übertragen (§ 36a Abs. 2 Satz 2). Die Vorschrift gilt allgemein als unverständlich.11) Umstritten ist dabei insbesondere, ob die Erfüllung der Sacheinlageverpflichtung bereits vor der Anmeldung der Gesellschaft erfolgt sein muss. Die h. M.12) geht davon aus, dass bei Sacheinlagen die wirksame Begründung der schuld- 11 rechtlichen Einlageverpflichtung für die Anmeldung ausreichend ist. Der dingliche Vollzug der Sacheinlageverpflichtung muss vor der Anmeldung dagegen noch nicht erfolgt sein. Vielmehr genügt es, wenn die Sacheinlage spätestens innerhalb von fünf Jahren nach Eintragung der Gesellschaft bewirkt worden ist (§ 36a Abs. 2 Satz 2). Eine vollständige Leistung der Sacheinlage (so § 36a Abs. 2 Satz 1) ist nur in den (seltenen) Fällen der bloßen Gebrauchs- oder Nutzungsüberlassung einer Sache erforderlich. Nach einer Mindermeinung13) sind Sacheinlagen dagegen grundsätzlich vor der An- 12 meldung der Gesellschaft zu leisten (§ 36a Abs. 2 Satz 1). Eine Ausnahme gelte nur dann, wenn die Sacheinlage in der Übertragung eines Anspruchs gegen einen Dritten bestehe. In diesem Fall genügt es, dass der Dritte seiner Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft innerhalb von fünf Jahren nach Eintragung der Gesellschaft nachkommt (§ 36a Abs. 2 Satz 2). Stellungnahme: Für die h. M. spricht zweifelslos der Gesetzeswortlaut, der allgemein 13 von der Verpflichtung zur Übertragung eines Vermögensgegenstands auf die Gesellschaft _____________ 9) Hölters-Solveen, AktG, § 36a Rz. 7; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 36a Rz. 5. 10) Hölters-Solveen, AktG, § 36a Rz. 8; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 36a Rz. 5; K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 36a Rz. 8. 11) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 36a Rz. 4; Hölters-Solveen, AktG, § 36a Rz. 5. 12) Bürgers/Körber-Lohse, AktG, § 36a Rz. 3; Hölters-Solveen, AktG, § 36a Rz. 5; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 36a Rz. 4; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 36a Rz. 11 ff.; K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 36a Rz. 3 ff.; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 36a Rz. 10 ff. 13) D. Mayer, ZHR 154 (1990) 535, 538 ff., und zustimmend Spindler/Stilz-Döbereiner, AktG, § 36a Rz. 10.

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§ 36a

Leistung der Einlagen

spricht (§ 36a Abs. 2 Satz 2) und keine Einschränkung auf gegen Dritte gerichtete Ansprüche vorsieht. Die amtliche Gesetzesbegründung14) geht gleichfalls davon aus, dass die wirksame Begründung eines schuldrechtlichen Anspruchs auf Übertragung des Vermögensgegenstands für die Anmeldung ausreichend ist. Gleichwohl verdient die Mindermeinung Zustimmung, da sie dem Normzweck – der Sicherung der effektiven Kapitalaufbringung – besser gerecht wird. Nach der h. M. hat die Gesellschaft das Risiko zu tragen, dass die Sache in den fünf Jahren nach Eintragung der Gesellschaft an Wert verliert. Dies erscheint nicht sachgerecht. Zudem wird der dingliche Vollzug der Sacheinlage auf diese Weise der registergerichtlichen Präventivkontrolle (siehe § 38 Abs. 1) entzogen. Die Mindermeinung entspricht i. Ü. der (unstreitigen) Rechtslage zur Erbringung von Sacheinlagen im GmbH-Recht (siehe § 7 Abs. 3 GmbHG)15) und gewährleistet damit eine einheitliche Auslegung der Kapitalaufbringungsvorschriften. 14 Das Registergericht hat die Eintragung der Gesellschaft abzulehnen, wenn die Sacheinlagen vor der Anmeldung nicht ordnungsgemäß bewirkt worden sind (§ 38 Abs. 1). In den (seltenen) Fällen der Gebrauchs- oder Nutzungsüberlassung einer Sache muss die Leistung unstreitig vor Anmeldung der Gesellschaft erfolgen. Im praktischen Regelfall, bei dem der Gesellschaft das Eigentum an einer Sache übertragen wird, kommt es dagegen darauf an, welcher der beiden vorstehenden Auffassungen man folgt. Nach der h. M. ist es ausreichend (aber auch erforderlich), dass ein wirksamer Anspruch der Gesellschaft auf Übertragung der Sache begründet worden ist und dieser spätestens innerhalb von fünf Jahren nach Eintragung der Gesellschaft erfüllt wird. Die Durchsetzung dieses Anspruchs liegt allein in der Verantwortung des Vorstands der Gesellschaft (siehe §§ 76, 93). Das Registergericht ist weder berechtigt noch verpflichtet die (fristgerechte) Erfüllung des Anspruchs zu kontrollieren. Nach der Mindermeinung muss das Eigentum an der Sache dagegen bereits vor der Anmeldung dinglich auf die Vor-AG übertragen worden sein. Lediglich bei der Übertragung von Grundstücken genügt im Hinblick auf die Bearbeitungszeiten beim Grundbuchamt die Eintragung einer Auflassungsvormerkung für die Vor-AG und die formgerechte Abgabe der für die Auflassung erforderlichen Erklärungen. 3.

Verbot der Unterpariemission (§ 36a Abs. 2 Satz 3)

15 Der Wert der Sacheinlage muss dem geringsten Ausgabebetrag (§ 9 Abs. 1) und bei einem höheren Ausgabebetrag (Überpariemission) auch dem Mehrbetrag entsprechen (§ 36a Abs. 2 Satz 3; siehe auch § 34 Abs. 1 Nr. 2).16) Die Vorschrift wiederholt somit das Verbot der Unterpariemission (§ 9 Abs. 1). Die Werthaltigkeit der Sacheinlage unterliegt der Prüfung durch das Registergericht (§ 38 Abs. 1). Bleibt der Wert der Sacheinlagen nicht unwesentlich hinter dem Ausgabebetrag zurück, ist die Eintragung abzulehnen (§ 38 Abs. 2 Satz 2). Wird die Gesellschaft trotz Verstoßes gegen das Verbot der Unterpariemission eingetragen, ist die Gesellschaft wirksam entstanden. Der Gründer haftet gegenüber der Gesellschaft allerdings auf den Differenzbetrag.17) _____________ 14) BT-Drucks. 8/1678, S. 12 ff. 15) Grundlegend BGH, Urt. v. 2.5.1966 – II ZR 219/63, BGHZ 45, 338 = WM 1966, 571. 16) S. BGH, Urt. v. 12.3.2007 – II ZR 302/05, BGHZ 171, 293 = ZIP 2007, 1104; A. Arnold in: KölnKommAktG, § 36a Rz. 22 f.; K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 36a Rz. 9; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 36a Rz. 26 ff. 17) BGH, Urt. v. 27.2.1975 – II ZR 111/72, BGHZ 64, 52 = NJW 1975, 974 – für den Fall einer erheblichen Überbewertung einer Sacheinlage in Form von Warenschuldverschreibungen; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 6.7.2010 – 5 U 205/07, AG 2010, 793 – im Zusammenhang mit einer Sachkapitalerhöhung; OLG Düsseldorf, Urt. v. 5.5.2011 – I 6 U 70/10, ZIP 2011, 1514 – zur Darlegungs- und Beweislast i. R. der Differenzhaftung.

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§ 37

Inhalt der Anmeldung

§ 37 Inhalt der Anmeldung (1) 1In der Anmeldung ist zu erklären, daß die Voraussetzungen des § 36 Abs. 2 und des § 36a erfüllt sind; dabei sind der Betrag, zu dem die Aktien ausgegeben werden, und der darauf eingezahlte Betrag anzugeben. 2Es ist nachzuweisen, daß der eingezahlte Betrag endgültig zur freien Verfügung des Vorstands steht. 3Ist der Betrag gemäß § 54 Abs. 3 durch Gutschrift auf ein Konto eingezahlt worden, so ist der Nachweis durch eine Bestätigung des kontoführenden Instituts zu führen. 4Für die Richtigkeit der Bestätigung ist das Institut der Gesellschaft verantwortlich. 5Sind von dem eingezahlten Betrag Steuern und Gebühren bezahlt worden, so ist dies nach Art und Höhe der Beträge nachzuweisen. (2) 1In der Anmeldung haben die Vorstandsmitglieder zu versichern, daß keine Umstände vorliegen, die ihrer Bestellung nach § 76 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und 3 sowie Satz 3 entgegenstehen, und daß sie über ihre unbeschränkte Auskunftspflicht gegenüber dem Gericht belehrt worden sind. 2Die Belehrung nach § 53 Abs. 2 des Bundeszentralregistergesetzes kann schriftlich vorgenommen werden; sie kann auch durch einen Notar oder einen im Ausland bestellten Notar, durch einen Vertreter eines vergleichbaren rechtsberatenden Berufs oder einen Konsularbeamten erfolgen. (3) In der Anmeldung sind ferner anzugeben: 1. eine inländische Geschäftsanschrift, 2. Art und Umfang der Vertretungsbefugnis der Vorstandsmitglieder. (4) Der Anmeldung sind beizufügen 1. die Satzung und die Urkunden, in denen die Satzung festgestellt worden ist und die Aktien von den Gründern übernommen worden sind; 2. im Fall der §§ 26 und 27 die Verträge, die den Festsetzungen zugrunde liegen oder zu ihrer Ausführung geschlossen worden sind, und eine Berechnung des der Gesellschaft zur Last fallenden Gründungsaufwands; in der Berechnung sind die Vergütungen nach Art und Höhe und die Empfänger einzeln anzuführen; 3. die Urkunden über die Bestellung des Vorstands und des Aufsichtsrats; 3a. eine Liste der Mitglieder des Aufsichtsrats, aus welcher Name, Vorname, ausgeübter Beruf und Wohnort der Mitglieder ersichtlich ist; 4. der Gründungsbericht und die Prüfungsberichte der Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats sowie der Gründungsprüfer nebst ihren urkundlichen Unterlagen. (5) Für die Einreichung von Unterlagen nach diesem Gesetz gilt § 12 Abs. 2 des Handelsgesetzbuchs entsprechend. (6) (aufgehoben) Literatur: Attenberger, § 378 Abs. 3 FamFG n. F. und § 15 Abs. 3 GBO n. F. – Notarielle Prüfung auf Eintragungsfähigkeit als Eintragungsvoraussetzung im Register- und Grundbuchverfahren und ausschließliche Einreichung über den Notar im Handelsregisterverfahren, MittBayNot 2017, 335; Bayer, Die Bankbestätigung gem. § 37 Abs. 1 Satz 3 AktG im Rahmen der präventiven Kapitalaufbringungskontrolle, in: Festschrift für Norbert Horn, 2006, S. 271; Diehn/Rachlitz, Notarielle Prüfungspflichten im Grundbuch- und Registerverkehr, DNotZ 2017, 487; Heinemann, Neue Vermerkpflichten für Notare?, ZNotP 2017, 166; Leitzen, Öffentlich-rechtliche Genehmigungen in GmbH-Registerverfahren nach dem MoMiG, GmbHR 2009, 480; Preuß, Das Gesetz zur Übertragung von Aufgaben im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit auf Notare, DNotZ 2013, 740; Schäfer, F., Kapitalerhöhungen von Banken und Bankbestätigungen gem.

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§ 37

Inhalt der Anmeldung

§ 37 Abs. 1 Satz 3 AktG, in: Festschrift für Uwe Hüffer, 2010, S. 877; Stenzel, Handelsregistereintragung von „c/o“-Adressen, NZG 2011, 851; Wastl/Pusch, Haftungsrechtliche Verantwortung des kontoführenden Kreditinstituts für die effektive Kapitalaufbringung unter Berücksichtigung strafrechtlicher Aspekte, WM 2007, 1403; Weigl, Behördliche Genehmigungen bei der GmbH-Gründung, DNotZ 2011, 169; Zimmer, Neue Prüfungspflichten des Notars – oder alles beim Alten?, NJW 2017, 1909.

Übersicht I. Überblick ........................................... 1 II. Inhalt der Anmeldung (§ 37 Abs. 1 – 3) ........................................... 6 1. Kapitalaufbringung (§ 37 Abs. 1) ..... 6 a) Erklärungen zur Kapitalaufbringung (§ 37 Abs. 1 Satz 1) ..... 6 b) Nachweis der Bareinlagen (§ 37 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3) ............. 17 c) Haftung des Kreditinstituts (§ 37 Abs. 1 Satz 4) ................... 21 d) Nachweis über Steuern und Gebühren (§ 37 Abs. 1 Satz 5) .... 22 2. Versicherung bezüglich der Qualifikation der Vorstandsmitglieder (§ 37 Abs. 2) ........................ 23 a) Bestehen von Bestellungshindernissen .................................... 23 b) Belehrung über Auskunftspflicht gegenüber dem Registergericht ............................... 30 3. Angabe der inländischen Geschäftsanschrift (§ 37 Abs. 3 Nr. 1) .............. 33 4. Angaben zur Vertretungsbefugnis der Vorstandsmitglieder (§ 37 Abs. 3 Nr. 2) .................................... 37 I.

5. Weitere Angaben in der Handelsregisteranmeldung ............................ 45 III. Anlagen zur Anmeldung (§ 37 Abs. 4) ............................................... 48 1. Satzung (§ 37 Abs. 4 Nr. 1) ............. 48 2. Verträge über Sondervorteile, Gründungsaufwand und Sacheinlagen (§ 37 Abs. 4 Nr. 2 Halbs. 1) ... 53 3. Berechnung des Gründungsaufwands (§ 37 Abs. 4 Nr. 2 Halbs. 2) ............................................ 56 4. Bestellung des Vorstands und des Aufsichtsrats (§ 37 Abs. 4 Nr. 3) .... 57 5. Liste der Mitglieder des Aufsichtsrats (§ 37 Abs. 4 Nr. 3a) ................... 59 6. Gründungs- und Prüfungsberichte (§ 37 Abs. 4 Nr. 4) ........................... 62 7. Genehmigungen nach Gewerbeund Handwerksrecht (§ 37 Abs. 4 Nr. 5 a. F.) ......................................... 63 8. Sonstige Anlagen zur Handelsregisteranmeldung ............................... 65 IV. Form (§ 37 Abs. 5) ........................... 70 1. Form der Anmeldung ....................... 70 2. Form der Anlagen zur Anmeldung ... 72

Überblick

1 Die neu errichtete AG ist bei dem örtlich zuständigen Amtsgericht zur Ersteintragung in das Handelsregister anzumelden (siehe §§ 37, 37a AktG, §§ 374 ff. FamFG). Bei der Handelsregisteranmeldung handelt es sich um einen Antrag, der auf die Eintragung der Gesellschaft gerichtet ist. Die Anmeldung muss stets durch alle Gründer und durch alle Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats in öffentlich beglaubigter Form unterzeichnet werden (§ 36 Abs. 1 AktG, § 12 Abs. 1 HGB). Die Handelsregisteranmeldung ist über einen Notar zum Registergericht einzureichen und von diesem vorab auf ihre Eintragungsfähigkeit zu prüfen (§ 378 Abs. 3 FamFG). 2 Die Vorschrift regelt die in der Handelsregisteranmeldung abzugebenden Erklärungen und Versicherungen, die dem Registergericht vorzulegenden Nachweise und die erforderlichen Anlagen. Zweck der Vorschrift ist es, dem Registergericht die Prüfung zu ermöglichen, ob die Gesellschaft ordnungsgemäß errichtet worden ist.1) _____________ 1)

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Hölters-Solveen, AktG, § 37 Rz. 1; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 37 Rz. 1; K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 37 Rz. 1.

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§ 37

Inhalt der Anmeldung

In der Handelsregisteranmeldung ist zu erklären, dass die gesetzlichen Voraussetzungen 3 für die Anmeldung vorliegen und die eingeforderten Einlagen ordnungsgemäß erbracht worden sind (§ 37 Abs. 1 Satz 1 und Satz 5 i. V. m. §§ 36 Abs. 2, 36a). Bei Bareinlagen ist ein Nachweis vorzulegen, dass die Einlagen zur endgültig freien Verfügung des Vorstands stehen (§ 37 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3). Ein Kreditinstitut, das eine solche Einzahlungsbestätigung ausstellt, haftet für deren Richtigkeit (§ 37 Abs. 1 Satz 4). Die Mitglieder des Vorstands müssen persönlich versichern, dass in ihrer Person kein Bestellungshindernis besteht und sie über ihre unbeschränkte Auskunftspflicht gegenüber dem Registergericht belehrt worden sind (§ 37 Abs. 2). In der Handelsregisteranmeldung sind u. a. die inländische Geschäftsanschrift der Gesellschaft (§ 37 Abs. 3 Nr. 1) und die Vertretungsbefugnis der Vorstandsmitglieder anzugeben (§ 37 Abs. 3 Nr. 2). Der Handelsregisteranmeldung sind verschiedene Unterlagen über die Gründung beizufügen, damit das Registergericht die Richtigkeit und Vollständigkeit der gemachten Angaben überprüfen kann (§ 37 Abs. 4). Alle Unterlagen müssen dem Registergericht in elektronischer Form eingereicht werden (§ 37 Abs. 5 AktG i. V. m. § 12 Abs. 2 HGB). Für den Fall der Sachgründung einer AG ohne externe Gründungsprüfung (§ 33a) sind bei der Handelsregisteranmeldung ergänzende Regelungen zu beachten (§ 37a). Falsche oder unvollständige Angaben in der Handelsregisteranmeldung können Schadensersatzansprüche begründen (u. a. §§ 46 ff.) und im Einzelfall auch strafbar sein (siehe § 399 Abs. 1 Nr. 1 und 5). Auf der Grundlage der Handelsregisteranmeldung und der von den Beteiligten einge- 4 reichten Unterlagen prüft das Registergericht sodann, ob die Gesellschaft ordnungsgemäß angemeldet und errichtet ist (§ 38 Abs. 1 Satz 1). Ist dies der Fall, wird die Gesellschaft in das Handelsregister eingetragen und ist damit als juristische Person entstanden. Ergeben sich dagegen Eintragungshindernisse und werden diese trotz gerichtlicher Zwischenverfügung (§ 382 Abs. 4 FamFG, § 26 HRV) nicht behoben, ist die Eintragung der Gesellschaft abzulehnen (§ 38 Abs. 1 Satz 2). Die Vorschrift wurde zuletzt durch das MoMiG2) geändert. Dabei wurden verschiedene 5 Änderungen des GmbH-Rechts auch im Aktienrecht nachvollzogen. Dies gilt vor allem für die Anpassung der Versicherung der Vorstandsmitglieder aufgrund der erweiterten Bestellungshindernisse (§ 37 Abs. 2 Satz 1), die Pflicht zur Anmeldung einer inländischen Geschäftsanschrift (§ 37 Abs. 3 Nr. 1) und den Wegfall der Vorlage einer für die Tätigkeit der Gesellschaft erforderlichen Genehmigungsurkunde (§ 47 Abs. 4 Nr. 5 a. F.). II.

Inhalt der Anmeldung (§ 37 Abs. 1 – 3)

1.

Kapitalaufbringung (§ 37 Abs. 1)

a)

Erklärungen zur Kapitalaufbringung (§ 37 Abs. 1 Satz 1)

In der Anmeldung ist zu erklären (nicht auch zu versichern), dass die Voraussetzungen 6 des § 36 Abs. 2 und des § 36a (ordnungsgemäße Leistung der Bar- und Sacheinlagen) erfüllt sind (§ 37 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1). Diese Erklärung ist auch dann erforderlich, wenn sich die entsprechenden Tatsachen bereits aus den der Anmeldung beigefügten Unterlagen ergeben. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Richtigkeit der Erklärung ist der Zugang der Handelsre- 7 gisteranmeldung beim Registergericht (§ 130 Abs. 3 BGB analog).3) Die Erklärung ist demnach richtig, wenn sie bereits zusammen mit der Gründung der Gesellschaft unter_____________ 2) 3)

Art. 5 Nr. 3 des Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG), BGBl. I 2008, 2026; s. dazu BT-Drucks. 16/6140, S. 52 und S. 34 ff. Hölters-Solveen, AktG, § 37 Rz. 4; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 37 Rz. 10; K. Schmidt/LutterKleindiek, AktG, § 37 Rz. 5.

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§ 37

Inhalt der Anmeldung

zeichnet wird, vom Notar (aufgrund einer entsprechenden Anweisung) aber erst nach der Erbringung der Einlagen und der Vorlage der sonstigen Unterlagen und Nachweise an das Handelsregister übermittelt wird. 8 Bei Bareinlagen ist zunächst zu erklären, dass auf jede Aktie der eingeforderte Betrag (mindestens ein Viertel des geringsten Ausgabebetrages, § 9 Abs. 1 und bei Ausgabe der Aktien für einen höheren Betrag auch der volle Mehrbetrag, § 36a Abs. 1) ordnungsgemäß einbezahlt worden ist (§ 37 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 i. V. m. §§ 36 Abs. 2 Halbs. 1, 54 Abs. 3). Der Betrag zu dem die Aktien ausgegeben werden und der darauf eingezahlte Betrag sind jeweils ausdrücklich anzugeben (§ 37 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 i. V. m. § 23 Abs. 2 Nr. 2). Dabei ist in der Anmeldung konkret anzugeben, welcher Gründer, welche Bareinlage, in welcher Höhe (unter Angabe des Eurobetrages) auf welche Aktie erbracht hat. 9 Darüber hinaus ist in der Anmeldung zu erklären, dass die Einlagen (soweit sie nicht bereits zur Zahlung der bei der Gründung angefallenen Steuern und Gebühren verwandt worden sind) endgültig zur freien Verfügung des Vorstands stehen (§ 37 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 i. V. m. § 36 Abs. 2 Halbs. 2). 10 Nach h. M.4) ist in der Anmeldung auch anzugeben, wenn die Bareinlagen nicht mehr in der ursprünglichen Form vorhanden sind (z. B. weil der Vorstand darüber bereits unter Beachtung des Grundsatzes der wertgleichen Deckung verfügt hat). In diesem Fall ist insbesondere zu erklären, dass die angeschafften Gegenstände zur freien Verfügung des Vorstands stehen und ihr tatsächlicher Wert den Bareinlagen entspricht. Nach Aufgabe des Grundsatzes der Vorbelastungshaftung erscheint eine solche – gesetzlich zudem nicht vorgesehene – Erklärung indes nicht erforderlich.5) 11 Bei Sacheinlagen ist zu erklären, dass der Wert der Sacheinlagen dem geringsten Ausgabebetrag und bei Ausgabe der Aktien zu einem höheren Betrag auch dem vollen Mehrbetrag entspricht (§ 37 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 i. V. m. § 36a Abs. 2 Satz 3). Die Erklärung muss nicht begründet werden; vielmehr ist die bloße Wiederholung des Gesetzeswortlauts ausreichend.6) 12 Besteht die Sacheinlage in der Verpflichtung, einen Vermögensgegenstand auf die Gesellschaft zu übertragen, ist in der Anmeldung (nach h. M.; zum Streit um die Fälligkeit von Sacheinlagen siehe § 36a Rz. 10 ff.) zu erklären, dass der Gesellschaft ein wirksamer Anspruch auf dessen dingliche Übertragung zusteht. Dabei ist insbesondere auch zu erklären, wann dieser Anspruch (spätestens fünf Jahre nach Eintragung der Gesellschaft) und wie dieser Anspruch vom Gründer erfüllt werden wird (§ 37 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 i. V. m. § 36a Abs. 2 Satz 2). 13 Besteht die Sacheinlage dagegen in einer anderen Verpflichtung (z. B. der bloßen Gebrauchs- oder Nutzungsüberlassung eines Gegenstandes) ist in der Anmeldung zu erklären, dass die Sacheinlage vollständig zur endgültig freien Verfügung des Vorstands geleistet worden ist (§ 37 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 i. V. m. §§ 36 Abs. 2, 36a Abs. 2 Satz 1). 14 Unterschiede zwischen Einpersonen- und Mehrpersonengesellschaften bestehen in Bezug auf die Erbringung der Einlagen nicht (mehr). Bei einer nur teilweisen Leistung der Bareinlagen muss der Gesellschafter für die restliche Einlage insbesondere keine Sicherheit mehr erbringen (siehe § 36 Abs. 2 Satz 2 a. F.).7) _____________ 4) 5) 6) 7)

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Hölters-Solveen, AktG, § 37 Rz. 5; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 37 Rz. 12 und 16; Spindler/StilzDöbereiner, AktG, § 37 Rz. 3. Zutreffend K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 37 Rz. 9 ff. Hölters-Solveen, AktG, § 37 Rz. 10; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 37 Rz. 13; Spindler/StilzDöbereiner, AktG, § 37 Rz. 9. K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 37 Rz. 6; anders noch Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 37 Rz. 3 und 4.

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§ 37

Inhalt der Anmeldung

Bei einer verdeckten Sacheinlage (§ 27 Abs. 3) darf in der Anmeldung nicht erklärt wer- 15 den, dass die Bareinlagen ordnungsgemäß erbracht worden sind. Denn die Einlageverpflichtung des Aktionärs besteht (zunächst) fort (siehe § 27 Abs. 3 Satz 3). Frühestens im Zeitpunkt der Eintragung der Gesellschaft (nicht aber vorher) erfolgt eine Anrechnung des Werts der Sacheinlage auf die Einlageverpflichtung.8) Dementsprechend darf auch das Registergericht die Gesellschaft bei Kenntnis von der verdeckten Sacheinlage selbst dann nicht eintragen, wenn der Wert der Sache die Höhe der vereinbarten Einlage erreicht oder sogar übersteigt. Im Falle des Hin- und Herzahlens ist die Leistung an den Gesellschafter oder die entspre- 16 chende Vereinbarung in der Handelsregisteranmeldung zwingend anzugeben (§ 27 Abs. 4 Satz 2). Die Offenlegung in der Handelsregisteranmeldung ist Voraussetzung dafür, dass der Einlage des Gesellschafters Erfüllungswirkung zukommt.9) Das Registergericht ist nach überwiegender Auffassung zudem berechtigt, die Vollwertigkeit10) und jederzeitige Fälligkeit zu überprüfen und die Vorlage entsprechender Nachweise zu verlangen.11) b)

Nachweis der Bareinlagen (§ 37 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3)

Bei Bareinlagen ist stets nachzuweisen, dass der eingezahlte Betrag endgültig zur freien 17 Verfügung des Vorstands steht (§ 37 Abs. 1 Satz 2). Die bloße Erklärung bzw. Versicherung der Anmeldenden ist insoweit nicht ausreichend. Im Regelfall werden die Bareinlagen auf ein Konto der Vor-AG bei einem anerkannten 18 Kreditinstitut einbezahlt (siehe § 54 Abs. 3 Satz 1). In diesem Fall ist der Nachweis über die Einzahlung der Bareinlagen durch eine (nicht notwendig schriftliche12) Bestätigung des kontoführenden Kreditinstituts zu führen (§ 37 Abs. 1 Satz 3). Theoretisch können die Bareinlagen auch in Form von gesetzlichen Zahlungsmitteln 19 (Barzahlung) geleistet werden (§ 54 Abs. 3 Satz 1). Die Einlagen müssen auch in diesem Fall tatsächlich und rechtlich aus dem privaten Vermögen der Gründer in das Vermögen der neu gegründeten Gesellschaft übertragen werden. Bei Bargeld ist dieser Nachweis allerdings kaum zweifelsfrei zu führen.13) In der Praxis sollten Bareinlagen daher grundsätzlich auf ein Konto der Vor-AG einbezahlt werden. Die inhaltlichen Anforderungen an die erforderliche Bestätigung des kontoführenden 20 Kreditinstituts sind (insbesondere auch im Hinblick auf die damit verbundene Haftung, § 37 Abs. 1 Satz 4) umstritten.14) Die Bank muss in jedem Fall konkret bestätigen, welcher Betrag (in Euro) auf das Konto der Vor-AG einbezahlt worden ist und dass dieser Betrag zur endgültig freien Verfügung des Vorstands steht (§ 37 Abs. 1 Satz 3, §§ 54 Abs. 3 Satz 1, 36 Abs. 2 Halbs. 2). Dabei sind sämtliche der Bank bekannten Verfügungsbe_____________ 8) S. zu § 19 Abs. 4 GmbHG – BGH, Urt. v. 22.3.2010 – II ZR 12/08 (AdCoCom), ZIP 2010, 978, dazu EWiR 2010, 421 (Wenzel). 9) Zur parallelen Regelung des § 19 Abs. 5 Satz 2 GmbHG BGH, Urt. v. 20.7.2009 – II ZR 273/07 (Cash Pool II), BGHZ 182, 103 = ZIP 2009, 1561, dazu EWiR 2009, 537 (Maier-Reimer); BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 120/07 (Qivive), BGHZ 180, 38 = ZIP 2009, 713, dazu EWiR 2009, 443 (Schodder). 10) Dazu BGH, Urt. v. 1.2.2008 – II ZR 102/07 (MPS), ZIP 2009, 70, dazu EWiR 2009, 129 (Balsche). 11) So zu § 19 Abs. 5 Satz 2 GmbHG – OLG München, Beschl. v. 17.2.2011 – 31 Wx 246/10, ZIP 2011, 567. 12) Hölters-Solveen, AktG, § 37 Rz. 7; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 37 Rz. 3; A. Arnold in: KölnKommAktG, § 37 Rz. 17. 13) Zum Nachweis durch einen Kassenprüfer s. Hölters-Solveen, AktG, § 37 Rz. 9; Spindler/StilzDöbereiner, AktG, § 37 Rz. 4. 14) Ausführlich zuletzt BGH, Urt. v. 7.1.2008 – II ZR 283/06, BGHZ 175, 86 = ZIP 2008, 546.

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§ 37

Inhalt der Anmeldung

schränkungen (z. B. Pfandrechte) anzugeben.15) Nicht ausreichend ist es dagegen, wenn die Bank lediglich bestätigt, dass der Vorstand gegenüber der Bank frei über die Einlagen verfügen kann und ihr aus der Kontoführung keine Rechte Dritter bekannt sind.16) c)

Haftung des Kreditinstituts (§ 37 Abs. 1 Satz 4)

21 Das Kreditinstitut ist der Gesellschaft gegenüber für die Richtigkeit der Bestätigung verantwortlich (§ 37 Abs. 1 Satz 4).17) Die Haftung des Kreditinstituts ist verschuldensunabhängig. Der Einwand des Mitverschuldens (§ 254 BGB) ist aufgrund der gläubigerschützenden Funktion der Vorschrift ausgeschlossen. Im Schadensfall muss das Kreditinstitut die Gesellschaft so stellen, wie diese stehen würde, wenn die Bestätigung richtig gewesen wäre. Hat das Kreditinstitut fälschlicherweise bestätigt, dass die Einlagen erbracht worden sind, muss es die Einlagen selbst leisten. Der Anspruch gegen das Kreditinstitut verjährt in fünf Jahren (analog § 51). d)

Nachweis über Steuern und Gebühren (§ 37 Abs. 1 Satz 5)

22 Die eingezahlten Einlagen müssen bei Anmeldung grundsätzlich endgültig zur freien Verfügung des Vorstands stehen (§§ 36 Abs. 2, 37 Abs. 1 Satz 2). Eine Ausnahme davon gilt aber für die Steuern und Gebühren, die bereits bei der Gründung angefallen sind (§ 36 Abs. 2 Halbs. 2) und in der Satzung der Gesellschaft ordnungsgemäß als Gründungsaufwand festgesetzt worden sind (§ 26 Abs. 2). Die dafür aufgewendeten Beträge müssen daher bei der Anmeldung nicht mehr (auch nicht wertmäßig) vorhanden sein. In der Anmeldung müssen die für Steuern und Gebühren gezahlten Beträge dann allerdings nicht nur angegeben, sondern nach Art und Höhe auch nachgewiesen werden (§ 37 Abs. 1 Satz 5). 2.

Versicherung bezüglich der Qualifikation der Vorstandsmitglieder (§ 37 Abs. 2)

a)

Bestehen von Bestellungshindernissen

23 In der Handelsregisteranmeldung haben alle Vorstandsmitglieder (einschließlich der Stellvertreter, § 94) zu versichern, dass keine Umstände vorliegen, die ihrer Bestellung (nach § 76 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und Nr. 3 sowie Satz 3) entgegenstehen (§ 37 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1). 24 Mitglied des Vorstands einer deutschen AG kann grundsätzlich jede natürliche, unbeschränkt geschäftsfähige Person sein (§ 76 Abs. 3 Satz 1). Mitglied des Vorstands kann dagegen nicht sein,18) wer als Betreuter bei der Besorgung seiner Vermögensangelegenheiten einem Einwilligungsvorbehalt unterliegt (§ 76 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AktG i. V. m. § 1903 BGB), einem Berufs- oder Gewerbeverbot unterliegt (§ 76 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2) oder

_____________ 15) Wie hier A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 37 Rz. 21 f.; K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 37 Rz. 14; tendenziell auch Hölters-Solveen, AktG, § 37 Rz. 7; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 37 Rz. 30 ff. 16) So aber Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 37 Rz. 3a. Ähnlich auch Spindler/Stilz-Döbereiner, AktG, § 37 Rz. 5. 17) S. dazu BGH, Urt. v. 7.1.2008 – II ZR 283/06, BGHZ 175, 86 = ZIP 2008, 546; BGH, Urt. v. 13.7.1992 – II ZR 263/91, BGHZ 119, 177 = ZIP 1992, 1387; BGH, Urt. v. 18.2.1991 – II ZR 104/90, BGHZ 113, 335 = ZIP 1991, 511, dazu EWiR 1991, 1213 (Frey). BGH, Urt. v. 26.9.2005 – II ZR 380/03, ZIP 2005, 2012, dazu EWiR 2007, 545 (Werner) – zur Haftung von Vorstand und Aufsichtsrat wegen falscher Angaben bei einer Barkapitalerhöhung nach §§ 823 Abs. 2 BGB, 399 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 AktG; ferner Hölters-Solveen, AktG, § 37 Rz. 8; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 37 Rz. 5; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 37 Rz. 24 ff. 18) Zur Verfassungsmäßigkeit des Amtsausschlusses eines Vorstandsmitglieds aufgrund einer Verurteilung wegen einer Straftat s. OLG München, Beschl. v. 26.4.2016 – 31 Wx 117/16, ZIP 2016, 1872.

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§ 37

Inhalt der Anmeldung

wegen einer bestimmten Straftat verurteilt worden ist (§ 76 Abs. 3 Satz 2 Nr. 319) und Satz 3).20) Das Registergericht hat die Einhaltung der gesetzlichen Bestellungshindernisse vor der Eintragung der Gesellschaft zu überprüfen (§ 38 Abs. 1). Dabei kann es grundsätzlich auch eine entsprechende Auskunft des Bundeszentralregisters anfordern (siehe § 41 Abs. 1 Nr. 1 BZRG). Nachdem ein solches Auskunftsersuchen bei der Vielzahl der Gesellschaftsgründungen weder praktikabel noch verhältnismäßig wäre, müssen die Mitglieder des Vorstands in der Handelsregisteranmeldung eine Art Selbstauskunft erteilen und entsprechend versichern, dass in ihrer Person keine Bestellungshindernisse vorliegen. Eine pauschale Versicherung, dass keine Bestellungshindernisse vorliegen, wird von den 25 Registergerichten oftmals als nicht ausreichend angesehen. Vielmehr wird regelmäßig verlangt, dass die Bestellungshindernisse in der Anmeldung einzeln aufgeführt und verneint werden, da nur dann eine vollständige und wahrheitsgemäße Selbstauskunft der Vorstandsmitglieder zu erwarten sei.21) Der BGH geht allerdings zu Recht davon aus, dass auch die allgemeine Versicherung, im In- und Ausland noch nie vorbestraft worden zu sein, den gesetzlichen Anforderungen entspricht.22) Die Versicherung der Vorstandsmitglieder muss sich (nach dem eindeutigen Gesetzes- 26 wortlaut des § 37 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1) nur auf die Bestellungshindernisse nach § 76 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 (Berufs- und Gewerbeverbote) und § 76 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 (Straftaten) beziehen, nicht aber auch auf § 76 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 (Einwilligungsvorbehalt bei Betreuten).23) Bei Berufs- und Gewerbeverboten genügt es zu versichern, dass im Bereich des Unter- 27 nehmensgegenstands kein solches Verbot besteht (§ 76 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 i. V. m. § 23 Abs. 3 Nr. 2). Eine weitergehende Versicherung kann nach dem Gesetzeswortlaut – entgegen der Praxis mancher Registergerichte – auch nicht unter Hinweis darauf verlangt

_____________ 19) Die Verweisung in § 76 Abs. 3 Nr. 3 lit. e StGB auf „§§ 265b bis 266a StGB“ wurde durch das 51. Strafrechtsänderungsgesetz, v. 11.4.2017, BGBl. I 2017, 815, (nachträglich) erweitert auf die Tatbestände § 265c StGB (Sportwettbetrug), § 265d StGB (Manipulation von berufssportlichen Wettbewerben) und § 265e StGB (Besonders schwere Fälle dieser Straftaten). Zur Versicherung des GmbHGeschäftsführers wegen Vorstrafen aufgrund Sportwettbetrugs siehe OLG Oldenburg, Beschl. v. 8.1.2018 – 12 W 126/17, ZIP 2018, 278, dazu EWiR 2018, 267 (Floeth). 20) S. BGH, Beschl. v. 7.6.2011 – II ZB 24/10, ZIP 2011, 1305 – zum Beginn der Fünf-Jahres-Frist mit Rechtskraft des Urteils; OLG Stuttgart, Beschl. v. 10.10.2012 – 8 W 241/11, ZIP 2013, 671 – zur Versicherung hinsichtlich der Straftatbestände; OLG München, Beschl. v. 3.3.2011 – 31 Wx 51/11, GmbHR 2011, 430 – zur Amtslöschung eines GmbH-Geschäftsführers aufgrund rechtskräftiger Verurteilung wegen Betrugs nach § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 lit. e GmbHG i. V. m. § 395 Abs. 1 Satz 1 FamFG; OLG Hamm, Beschl. v. 29.12.2010 – I 15 W 659/10, ZIP 2011, 527 – Bestellung eines Geschäftsführers bei strafrechtlicher Verurteilung zu Einzelgeldstrafen. 21) S. etwa OLG Karlsruhe, Beschl. v. 20.4.2012 – 11 Wx 33/12, ZIP 2012, 1028 – zum Wortlaut der Versicherung des Geschäftsführers; OLG Hamm, Beschl. v. 14.4.2011, 27 W 27/11, GmbHR 2011, 587 = NZG 2011, 710 – zur Versicherung des Geschäftsführers hinsichtlich Vorstrafen; OLG München, Beschl. v. 22.4.2009 – 31 Wx 040/09, ZIP 2009, 1320, dazu EWiR 2009, 507 (Heßeler) – zur Versicherung des Liquidators in der Handelsregisteranmeldung nach § 67 Abs. 3 GmbHG; OLG München, Beschl. v. 20.4.2009 – 31 Wx 034/09, ZIP 2009, 1321 – zur Versicherung des Geschäftsführers in der Handelsregisteranmeldung nach § 8 Abs. 3 GmbHG. 22) BGH, Beschl. v. 17.5.2010 – II ZB 5/10, ZIP 2010, 1337, dazu EWiR 2010, 533 (Schaller) – zu der globalen Versicherung des Geschäftsleiters einer inländischen Zweigniederlassung. Dem folgend OLG Hamm, Beschl. v. 14.4.2011 – 27 W 27/11, GmbHR 2011, 587 – betreffend die Versicherung des Geschäftsführers einer GmbH. 23) Zutreffend OLG Hamm, Beschl. v. 29.9.2010 – I 15 W 460/10, ZIP 2010, 2293 – Versicherung des GmbH-Geschäftsführers muss sich nicht auf § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 GmbHG beziehen.

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§ 37

Inhalt der Anmeldung

werden, dass sonst nicht geprüft werden kann, ob ein etwaiges Berufs- oder Gewerbeverbot ganz oder teilweise mit dem Unternehmensgegenstand übereinstimmt.24) 28 Die Abgabe einer falschen Versicherung ist strafbar (§ 399 Abs. 1 Nr. 6). Eine Verurteilung wegen einer falschen Versicherung begründet ihrerseits für die Dauer von fünf Jahren ein Bestellungshindernis (siehe § 76 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 lit. a AktG und § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 lit. a GmbHG).25) 29 Die Versicherung muss durch alle Mitglieder des Vorstands höchstpersönlich abgegeben werden. Stellvertretung ist ausgeschlossen.26) Der Notar kann die Versicherung gleichfalls nicht abgeben (auch nich nach § 378 Abs. 2 FamFG). b)

Belehrung über Auskunftspflicht gegenüber dem Registergericht

30 Das Registergericht hat gegenüber dem Bundeszentralregister ein Recht auf unbeschränkte Auskunft (§ 41 Abs. 1 Nr. 1 BZRG). Der Betroffene, der sich sonst unter Umständen als unbestraft bezeichnen könnte (§ 53 Abs. 1 Nr. 1 BZRG) ist auf dieses unbeschränkte Auskunftsrecht hinzuweisen (§ 53 Abs. 2 BZRG). Die entsprechende Belehrung der Vorstandsmitglieder erfolgt in der Praxis meist durch den Notar, der die Unterschriften unter der Handelsregisteranmeldung beglaubigt (siehe § 37 Abs. 2 Satz 2).27) Die Belehrung muss nicht unbedingt persönlich erfolgen. Im Einzelfall ist auch eine schriftliche Belehrung möglich (§ 37 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1). 31 Die Belehrung kann durch einen deutschen Notar, einen im Ausland bestellten Notar, durch einen Vertreter eines vergleichbaren rechtsberatenden Berufs (z. B. einen Rechtsanwalt) oder einen Konsularbeamten erfolgen (§ 37 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2).28) Dagegen kann die Belehrung nicht auch durch einen Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Unternehmensberater vorgenommen werden. Dem Registergericht ist nachzuweisen, dass die Belehrung erfolgt ist. 32 Alle Mitglieder des Vorstands (einschließlich der Stellvertreter, § 94) müssen in der Handelsregisteranmeldung persönlich versichern, dass sie über ihre unbeschränkte Auskunftspflicht gegenüber dem Gericht belehrt worden sind (§ 37 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2).29) Die Abgabe einer falschen Versicherung ist wiederum strafbar (§ 399 Abs. 1 Nr. 6). 3.

Angabe der inländischen Geschäftsanschrift (§ 37 Abs. 3 Nr. 1)

33 In der Handelsregisteranmeldung ist ferner eine inländische Geschäftsanschrift der Gesellschaft anzugeben (§ 37 Abs. 3 Nr. 1; siehe auch § 78 Abs. 3 Satz 3 AktG, § 15a HGB, § 185 Nr. 2 ZPO).30) Damit sollen Zustellungen an die Gesellschaft erleichtert werden. _____________ 24) A. A. aber OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 11.7.2011 – 20 W 246/11, ZIP 2012, 870; OLG Frankfurt/ M., Beschl. v. 23.3.2010 – 20 W 92/10, GmbHR 2010, 918 – zur Versicherung des Geschäftsführers einer GmbH nach §§ 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2, 8 Abs. 3 Satz 1 GmbHG. 25) Zur Versicherung des Nichtvorliegens von Straftaten für die Dauer von fünf Jahren seit Rechtskraft des Urteils s. BGH, Beschl. v. 7.6.2011 – II ZB 24/10, ZIP 2011, 1305, dazu EWiR 2011, 599 (Melchior). 26) Hölters-Solveen, AktG, § 37 Rz. 11; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 37 Rz. 30. 27) S. dazu OLG München, Beschl. v. 23.7.2010 – 31 Wx 128/10, ZIP 2010, 1494 – betreffend die Versicherung eines Geschäftsführers einer Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) nach § 8 Abs. 3 Satz 1 GmbHG. 28) S. dazu BT-Drucks. 16/6140, S. 35 – zum MoMiG. 29) S. OLG Dresden, Beschl. v. 14.10.2011 – 12 W 0987/11, NotBZ 2013, 46. 30) S. dazu OLG München, Beschl. v. 2.2.2009 – 31 Wx 09/09, DStR 2009, 599 = ZIP 2009, 619 = Rpfleger 2009, 460, dazu EWiR 2009, 439 (Schaller) und EWiR 2009, 671 (Penzlin) – zur Pflicht einer Alt-AG zur Anmeldung einer inländischen Geschäftsanschrift; LG Zwickau, Beschl. v. 15.7.2010 – 5 T 39/10, WM 2010, 2098 – öffentliche Zustellung an GmbH bei fehlender Eintragung einer inländischen Geschäftsanschrift im Handelsregister; ausführlich K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 37 Rz. 22 ff.

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§ 37

Inhalt der Anmeldung

Die Geschäftsanschrift muss stets Postleitzahl, Ort, Straße und Hausnummer umfassen. Die Angabe einer c/o-Anschrift ist ausreichend.31) Nicht genügend ist dagegen die bloße Angabe eines Postfachs. Die Geschäftsanschrift muss stets in Deutschland liegen. Dies gilt auch dann, wenn die 34 Gesellschaft ihren Verwaltungssitz im Ausland hat. Innerhalb Deutschlands kann die Geschäftsanschrift frei gewählt werden. Die Geschäftsanschrift muss weder mit dem Satzungssitz noch mit dem Verwaltungssitz der Gesellschaft übereinstimmen. An der angegebenen Geschäftsanschrift muss die Gesellschaft auch keinen Betrieb haben. Die inländische Geschäftsanschrift wird im Handelsregister eingetragen (§ 39 Abs. 1 35 Satz 1 AktG i. V. m. § 43 Nr. 2 lit. b HRV) und bekannt gemacht (§ 10 HGB). Jede Änderung der inländischen Geschäftsanschrift ist vom Vorstand zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden (§ 31 Abs. 1 HGB i. V. m. § 78 AktG). Eine gesonderte Anmeldung der Lage der Geschäftsräume oder von deren Änderung ist 36 im Allgemeinen nicht erforderlich (§ 24 Abs. 2 und 3 HRV). 4.

Angaben zur Vertretungsbefugnis der Vorstandsmitglieder (§ 37 Abs. 3 Nr. 2)

In der Anmeldung sind darüber hinaus auch Art und Umfang der Vertretungsbefugnis 37 der Vorstandsmitglieder anzugeben (§ 37 Abs. 3 Nr. 2). Die allgemeine Vertretungsregelung der Vorstandsmitglieder ist stets zum Handels- 38 register anzumelden (§ 37 Abs. 3 Nr. 2), einzutragen (§ 39 Abs. 1 Satz 3 AktG i. V. m. § 43 Nr. 4 lit. a HRV) und bekannt zu machen (§ 10 HGB). Maßgebend ist dabei grundsätzlich die Regelung in der Satzung der Gesellschaft. Diese lautet in der Praxis meist (aber keineswegs zwingend) wie folgt: „Die Gesellschaft hat einen Vorstand mit einem oder mehreren Mitgliedern. Ist nur ein Vorstand bestellt, so vertritt dieser die Gesellschaft allein. Sind mehrere Vorstände bestellt, so wird die Gesellschaft durch zwei Vorstände gemeinschaftlich oder durch einen Vorstand in Gemeinschaft mit einem Prokuristen vertreten.“ Enthält die Satzung (ausnahmsweise) keine Regelung zur Vertretung, gelten die gesetzlichen Bestimmungen (§ 78 Abs. 2 Satz 1). Die Anmeldung könnte dann etwa wie folgt lauten: „Die Gesellschaft hat einen Vorstand mit einem oder mehreren Mitgliedern. Ist nur ein Vorstand bestellt, so vertritt dieser die Gesellschaft allein. Sind mehrere Vorstände bestellt, so wird die Gesellschaft durch die Vorstände gemeinschaftlich vertreten.“ Darüber hinaus ist auch die besondere Vertretungsbefugnis der einzelnen Mitglieder des 39 Vorstands zum Handelsregister anzumelden und dort einzutragen, wenn diese (aber nur dann) von der allgemeinen Vertretungsbefugnis abweicht (§ 37 Abs. 3 Nr. 2 AktG i. V. m. § 43 Nr. 4 lit. b HRV). Die bloße Ermächtigung in der Satzung, wonach einzelnen, mehreren oder allen Mitgliedern des Vorstands die Befugnis zur Einzelvertretung eingeräumt werden kann (siehe § 78 Abs. 3), ist dagegen weder anzumelden noch einzutragen.32) Eine Anmeldung ist vielmehr erst dann erforderlich, wenn einem Mitglied des Vorstands tatsäch_____________ 31) So OLG Naumburg, Beschl. v. 8.5.2009 – 5 Wx 4/09, GmbHR 2009, 832 = DB 2009, 1698 – zur Eintragung einer c/o-Geschäftsanschrift bei einer GmbH; zustimmend OLG Hamm, Beschl. v. 21.1.2011 – I 15 W 485/10, ZIP 2011, 2014 – Kanzleianschrift des Insolvenzverwalters als c/o-Anschrift der Gesellschaft; einschränkend dagegen OLG Rostock, Beschl. v. 31.5.2010 – 1 W 6/10, DStR 2010, 1999 = GmbHR 2011, 30 – Eintragung einer c/o-Adresse als inländische Geschäftsanschrift nur dann, wenn sichere und zuverlässige Zustellung an diese Adresse gewährleistet ist. – Ausführlich zum Ganzen Stenzel, NZG 2011, 851. 32) Hölters-Solveen, AktG, § 37 Rz. 17; Spindler/Stilz-Döbereiner, AktG, § 37 Rz. 12; für eine Verpflichtung zur Anmeldung der Ermächtigung des Aufsichtsrats nach § 78 Abs. 2 Satz 2 dagegen Hüffer/KochKoch, AktG, § 37 Rz. 8; K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 37 Rz. 25.

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Inhalt der Anmeldung

lich eine (von der allgemeinen Vertretungsbefugnis abweichende) besondere Vertretungsbefugnis eingeräumt worden ist. 40 Die Begriffe Einzelvertretungsbefugnis und Alleinvertretungsbefugnis sind synonym.33) 41 Bei Gesamtvertretung ist nicht anzumelden, dass die Mitglieder des Vorstands für Zwecke der Passivvertretung gleichwohl einzelvertretungsberechtigt sind (§ 78 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 3).34) Ebenso ist nicht anzumelden, dass einzelne zur Gesamtvertretung befugte Vorstandsmitglieder zur Vornahme bestimmter Geschäfte ermächtigt worden sind (siehe § 78 Abs. 4).35) 42 Eine Abweichung von der allgemeinen Vertretungsbefugnis besteht auch in der Befreiung eines, mehrerer oder aller Mitglieder des Vorstands von dem Verbot der Mehrfachvertretung (§ 181 Alt. 2 BGB). Eine Befreiung von dem Verbot von Insichgeschäften (§ 181 Alt. 1 BGB) ist nicht möglich (§ 112). 43 In der Handelsregisteranmeldung sind darüber hinaus stets die Familiennamen, Vornamen, Geburtsdaten und Wohnorte (nicht unbedingt die vollständigen Wohnanschriften) aller Mitglieder des Vorstands (einschließlich deren Stellvertreter, § 94) anzugeben, da diese auch im Handelsregister eingetragen werden (§ 43 Nr. 4 lit. b HRV).36) 44 Jede Veränderung in der Person der Vorstandsmitglieder oder deren Vertretungsbefugnis ist zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden (§ 81). Dies gilt auch für Veränderungen zwischen der erstmaligen Anmeldung der Gründung der Gesellschaft und deren Eintragung im Handelsregister. 5.

Weitere Angaben in der Handelsregisteranmeldung

45 In der Handelsregisteranmeldung soll grundsätzlich auch der Unternehmensgegenstand angegeben werden (§ 24 Abs. 4 HRV). 46 Eine Zeichnung der Unterschriften der Vorstandsmitglieder ist seit Inkrafttreten des EHUG am 1.1.2007 nicht mehr erforderlich (siehe § 37 Abs. 5 a. F.). 47 Weitere Angaben in der Handelsregisteranmeldung (z. B. zu einem inländischen Empfangsbevollmächtigten, siehe § 39 Abs. 1 Satz 2, zum genehmigten Kapital, siehe auch § 39 Abs. 2 oder zu den Mitgliedern des Aufsichtsrats, siehe § 37 Abs. 4 Nr. 3) sind möglich, aber nicht zwingend. III.

Anlagen zur Anmeldung (§ 37 Abs. 4)

1.

Satzung (§ 37 Abs. 4 Nr. 1)

48 Der Anmeldung ist die Satzung der Gesellschaft (siehe § 23 Abs. 1 Satz 1) beizufügen (§ 37 Abs. 4 Nr. 1 Halbs. 1). Ferner sind der Anmeldung die Urkunden beizufügen, in denen die Satzung festgestellt worden ist (siehe § 23 Abs. 1 Satz 1) und die Aktien von den Gründern übernommen worden sind (§ 23 Abs. 2 Nr. 2). In der Praxis handelt es sich dabei regelmäßig um eine einzige Urkunde des beurkundenden Notars. _____________ 33) Zur GmbH BGH, Beschl. v. 19.3.2007 – II ZB 19/06, ZIP 2007, 1103, dazu EWiR 2007, 401 (Terner). 34) Hölters-Solveen, AktG, § 37 Rz. 17; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 37 Rz. 9; Spindler/Stilz-Döbereiner, AktG, § 37 Rz. 12; a. A. K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 37 Rz. 25. 35) So auch Hölters-Solveen, AktG, § 37 Rz. 18; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 37 Rz. 8; K. Schmidt/LutterKleindiek, AktG, § 37 Rz. 25; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 37 Rz. 57; a. A. A. Arnold in: KölnKommAktG, § 37 Rz. 37. 36) Der stellvertretende GmbH-Geschäftsführer wird dabei zwingend ohne den Stellvertreterzusatz in das Handelsregister eingetragen, s. BGH, Beschl. v. 10.11.1997 – II ZB 6/97, ZIP 1998, 152.

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§ 37

Inhalt der Anmeldung

Bei einer Änderung der Satzung vor Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister, ist 49 (auch) die geänderte Satzung samt notarieller Satzungsbescheinigung beim Registergericht einzureichen (§ 181 Abs. 3). Die Satzung ist grundsätzlich von sämtlichen Gründern in notariell beurkundeter Form 50 zu unterzeichnen (§ 23 Abs. 1 Satz 1). Die Unterzeichnung durch Bevollmächtigte ist nur aufgrund einer notariell beurkundeten oder beglaubigten Vollmacht zulässig (§ 23 Abs. 1 Satz 2 AktG i. V. m. § 129 BGB). Der Notar hat i. R. der Feststellung der Satzung etwaige Vollmachten der Gründer in formaler und inhaltlicher Hinsicht zu überprüfen. Die Vollmachtsurkunden sind dem Notar in Urschrift oder Ausfertigung vorzulegen. Die Vorlage einer (elektronisch) beglaubigten Abschrift oder einer (Fax- bzw. pdf-)Kopie genügt nicht (siehe § 172 BGB). Der Gründungsurkunde sind die Vollmachten dann grundsätzlich in Urschrift oder in beglaubigter Abschrift beizufügen (§ 12 Satz 1 BeurkG und § 21 BNotO). Eine gesonderte Vorlage der Vollmachten an das Registergericht ist dann nicht erforderlich. Beim Handeln von organschaftlichen, gesetzlichen oder rechtsgeschäftlichen37) Vertre- 51 tern ist dem Registergericht die ordnungsgemäße Vertretung gleichfalls in öffentlich beglaubigter Form nachzuweisen (siehe § 21 BNotO). Die Satzung muss dem Registergericht stets (auch) in deutscher Sprache vorgelegt 52 werden (§ 488 Abs. 3 FamFG, §§ 12 f., 184 Satz 1 GVG, § 2 EGGVG). Die zweisprachige Errichtung der Satzung (meist in Tabellenform, links in deutscher und rechts in englischer Sprache) ist daher ausreichend. Wurde die Satzung aber ausschließlich in einer anderen Sprache errichtet (§ 5 Abs. 2 BeurkG), ist eine Übersetzung durch einen öffentlich bestellten und allgemein vereidigten Übersetzer zu erstellen. Dies gilt auch dann, wenn der zuständige Registerrichter die andere Sprache selbst spricht. Denn die Publizitätsfunktion des deutschen Handelsregisters wäre beeinträchtigt, wenn die entsprechenden Urkunden dort nicht zumindest auch in deutscher Sprache abrufbar wären (§§ 9 Abs. 1, 11, 15 HGB). 2.

Verträge über Sondervorteile, Gründungsaufwand und Sacheinlagen (§ 37 Abs. 4 Nr. 2 Halbs. 1)

Etwaige Sondervorteile (§ 26 Abs. 1) und der Gründungsaufwand (§ 26 Abs. 2) sind in 53 der Satzung der Gesellschaft festzusetzen. Alle Verträge, die den Festsetzungen zugrunde liegen oder zu ihrer Ausführung geschlossen worden sind, müssen der Handelsregisteranmeldung als Anlage beigefügt werden (§ 37 Abs. 4 Nr. 2 Halbs. 1). Entsprechendes gilt auch im Falle der Vereinbarung von Sacheinlagen oder Sachüber- 54 nahmen (§ 27 i. V. m. § 37 Abs. 4 Nr. 2 Halbs. 1). Die Verträge, die den Festsetzungen zugrunde liegen oder zu ihrer Ausführung geschlossen worden sind (z. B. Einbringungsverträge), gehören zu den notwendigen Anlagen der Anmeldung. Dies gilt sowohl für die schuldrechtlichen Verträge als auch für die dinglichen Vollzugsgeschäfte. Für die Form der Verträge gelten jeweils die allgemeinen Vorschriften (z. B. für Grund- 55 stücke §§ 873, 925, oder für GmbH-Geschäftsanteile §§ 15 Abs. 3 und 4 GmbHG). Das Aktienrecht begründet nach allgemeiner Auffassung kein Schriftformerfordernis für Verträge, die an sich keiner Form bedürfen (z. B. die Übertragung von beweglichen Gegenständen oder die Abtretung von Rechten). Gleichwohl ist aus Gründen des Nachweises gegenüber dem Registergericht und anderen Behörden (z. B. Finanzämtern) ein schriftlicher Vertragsschluss allgemein üblich und auch empfehlenswert. _____________ 37) Zur Einführung von § 21 Abs. 3 BNotO durch das Gesetz zur Übertragung von Aufgaben der freiwilligen Gerichtsbarkeit auf Notare (NotAufgÜbG) v. 26.6.2013, BGBl. I 2013, S. 1800. Ausführlich dazu Preuß, DNotZ 2013, 740.

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§ 37 3.

Inhalt der Anmeldung Berechnung des Gründungsaufwands (§ 37 Abs. 4 Nr. 2 Halbs. 2)

56 Der Handelsregisteranmeldung ist (anders als im GmbH-Recht, siehe § 8 Abs. 1 GmbHG) eine Berechnung des der Gesellschaft zur Last fallenden Gründungsaufwands beizufügen (§ 37 Abs. 4 Nr. 2 Halbs. 2 i. V. m. § 26 Abs. 2; siehe auch § 37 Abs. 1 Satz 5). In der Berechnung sind die Vergütungen nach Art und Höhe und die Empfänger einzeln anzuführen (§ 37 Abs. 4 Nr. 2 a. E.). Stets anzugeben sind dabei die Notargebühren für die Beurkundung und Handelsregisteranmeldung sowie die Kosten für die Registereintragung und Bekanntmachung. Darüber hinaus sind im Einzelfall auch Kosten (z. B. für Rechts- und Steuerberatung) und Steuern (z. B. Grunderwerbsteuer bei der Einbringung von Grundstücken) anzugeben. Ein Nachweis der Kosten (z. B. durch Vorlage von Rechnungen) ist nicht erforderlich. Noch nicht feststehende Kosten können auch geschätzt werden. Die Schätzung muss allerdings angemessen und nachvollziehbar sein. Gründungskosten, die nicht von der Gesellschaft, sondern von den Gründern oder anderen Personen getragen werden, müssen nach Gesetzeswortlaut und Normzweck nicht angegeben werden. 4.

Bestellung des Vorstands und des Aufsichtsrats (§ 37 Abs. 4 Nr. 3)

57 Der Handelsregisteranmeldung sind die Urkunden über die Bestellung des (ersten) Vorstands (§ 30 Abs. 4) und des (ersten) Aufsichtsrats (§ 30 Abs. 1) beizufügen (§ 37 Abs. 4 Nr. 3). Die Annahme des jeweiligen Amtes ist nicht gesondert nachzuweisen, da sich diese bereits aus der Unterzeichnung der Anmeldung ergibt (siehe § 36 Abs. 1).38) 58 Ausländer können nach heute h. A. auch dann wirksam zum Vorstand einer AG bestellt werden, wenn sie nicht jederzeit nach Deutschland einreisen können.39) Dem Registergericht sind daher keine Nachweise über die Aufenthaltserlaubnis bzw. die Zulässigkeit einer Einreise mit vorzulegen. 5.

Liste der Mitglieder des Aufsichtsrats (§ 37 Abs. 4 Nr. 3a)

59 Seit Inkrafttreten des EHUG am 1.1.2007 ist der Handelsregisteranmeldung eine Liste der Mitglieder des (ersten) Aufsichtsrats (§ 30 Abs. 1) beizufügen, aus welcher Name, Vorname, ausgeübter Beruf und Wohnort (nicht unbedingt die vollständige Wohnanschrift) der Mitglieder ersichtlich ist (§ 37 Abs. 4 Nr. 3a; siehe auch § 124 Abs. 3 Satz 4). Die Liste der Aufsichtsratsmitglieder ist nach dem Gesetzeswortlaut von niemandem zu unterschreiben. Nicht zwingend notwendig anzugeben ist dabei, wer Vorsitzender und wer stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrats ist (siehe § 107 Abs. 1 Satz 2). 60 Bei Änderungen in den Personen der Aufsichtsratsmitglieder muss der Vorstand unverzüglich eine aktualisierte Liste erstellen und elektronisch zum Handelsregister einreichen (§ 106 Halbs. 1). 61 Eine Liste der Gründer oder der Aktionäre ist dagegen (anders als im GmbH-Recht, siehe §§ 8 Abs. 1 Nr. 3, 40 GmbHG) bei AG nicht vorgesehen (siehe aber § 67). 6.

Gründungs- und Prüfungsberichte (§ 37 Abs. 4 Nr. 4)

62 Der Handelsregisteranmeldung sind schließlich alle Berichte über die Gründung der Gesellschaft und deren Prüfung (nebst ihren urkundlichen Unterlagen) vollständig beizufügen (§ 37 Abs. 4 Nr. 4; siehe auch § 34 Abs. 3). Dies ist der Gründungsbericht der Gründer _____________ 38) Hölters-Solveen, AktG, § 37 Rz. 22; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 37 Rz. 11. 39) Zur wirksamen Bestellung von Nicht-EU/EWR-Ausländern zu Geschäftsführern einer deutschen GmbH OLG Zweibrücken, Beschl. v. 9.9.2010 – 3 W 70/10, GmbHR 2010, 1260; OLG München, Beschl. v. 17.12.2009 – 31 Wx 142/09, ZIP 2010, 126, dazu EWiR 2010, 247 (Schodder); OLG Düsseldorf, Beschl. v. 16.4.2009 – I 3 Wx 85/09, ZIP 2009, 1074, dazu EWiR 2009, 573 (Lamsa); ausführlich dazu Heßeler, GmbHR 2009, 759.

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§ 37

Inhalt der Anmeldung

(§ 32 Abs. 1) und der (interne) Gründungsprüfungsbericht der Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats (§§ 33 Abs. 1, 34). Falls eine externe Gründungsprüfung durchgeführt worden ist, muss der Handelsregisteranmeldung auch der Bericht des (externen) Gründungsprüfers (bzw. des Notars) beigefügt werden (§§ 33 Abs. 2 und 3, 34). 7.

Genehmigungen nach Gewerbe- und Handwerksrecht (§ 37 Abs. 4 Nr. 5 a. F.)

Die Eintragung einer AG im Handelsregister ist seit Inkrafttreten des MoMiG nicht mehr 63 von der Vorlage einer Genehmigungsurkunde der zuständigen Verwaltungsbehörde abhängig (siehe § 37 Abs. 4 Nr. 5 a. F.).40) Dies hat zu einer ganz erheblichen Vereinfachung und Beschleunigung der Gründung beigetragen. Lediglich bei Kreditinstituten (§§ 32, 43 KWG), Versicherungsgesellschaften (§§ 5 Abs. 3 64 Nr. 1, 13 Abs. 1 VAG) und Investmentaktiengesellschaften (§§ 3 Abs. 5, 108 ff., 110 Abs. 4 KAGB) wird das Vorliegen der erforderlichen Genehmigung (oder eines Negativzeugnisses) von vielen Registergerichten unverändert verlangt.41) Mit der Zielsetzung des MoMiG, die Eintragung im Handelsregister zu vereinfachen und zu beschleunigen, erscheint diese Praxis aber nicht vereinbar. In der amtlichen Gesetzesbegründung42) findet sich gleichfalls keinerlei Hinweis auf eine solche Prüfungsbefugnis des Registergerichts. 8.

Sonstige Anlagen zur Handelsregisteranmeldung

Das AktG nennt (§ 37 Abs. 4 Nr. 1 bis 4) die Unterlagen, die dem Registergericht im 65 Falle der Gründung einer AG in jedem Fall vorzulegen sind. Dieser Katalog ist aber keinesfalls abschließend (siehe § 38 Abs. 1 AktG und § 26 FamFG). Je nach Einzelfall kann die Vorlage weiterer Unterlagen gesetzlich notwendig oder zumindest empfehlenswert sein. Dies gilt insbesondere für die Bestätigung des Kreditinstituts über die Einzahlung der Bareinlagen (§ 37 Abs. 1 Satz 3) sowie etwaige Stellungnahmen der Industrieund Handelskammer, der Handwerkskammer oder sonstiger berufsständischer Organisationen (siehe § 23 HRV und § 380 FamFG). Die Zulässigkeit der Firma (§ 4 AktG, §§ 17 ff. und 30 HGB) wird vom Registergericht 66 eigenständig überprüft. Die Vorlage eines Gutachtens der Industrie- und Handelskammer ist daher nicht erforderlich und darf vom Registergericht im Allgemeinen auch nicht eingeholt werden (siehe § 23 Satz 2, 25 Abs. 1 Satz 2 HRV). In zweifelhaften Fällen43) kann die freiwillige Vorlage eines entsprechenden Gutachtens die Eintragung im Handelsregister aber erheblich beschleunigen. Bei Gesellschaften von Freiberuflern (z. B. Ärzten, Architekten, Rechtsanwälten, Steuer- 67 beratern und Wirtschaftsprüfern) verlangen viele Registergerichte die Vorlage einer Stellungnahme der zuständigen Kammer, wonach die Satzung den jeweiligen berufsrechtlichen Vorgaben entspricht.44) Entsprechendes gilt auch bei gemeinnützigen AG.45) Im Hinblick _____________ 40) Hölters-Solveen, AktG, § 37 Rz. 25; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 37 Rz. 14 f. 41) Zustimmend Hölters-Solveen, AktG, § 37 Rz. 25; ausführlich dazu Leitzen, GmbHR 2009, 480; Weigl, DNotZ 2011, 169. 42) BT-Drucks. 16/6140, S. 87 f. 43) S. etwa OLG Dresden, Beschl. v. 21.4.2010 – 13 W 295/10, NZG 2010, 1237 – keine Irreführung durch Verwendung des auf die AG hindeutenden Firmenbestandteils „OBAG“ einer GmbH. 44) S. aber OLG Hamm, Beschl. v. 26.6.2006 – 15 W 213/05, ZIP 2006, 2034 – keine Überprüfung der Satzung einer Anwalts-AG durch das Registergericht auf die Einhaltung berufsrechtlicher Regelungen; zur (gesetzlich nicht ausdrücklich geregelten) Zulässigkeit einer Rechtsanwalts-AG BGH, Beschl. v. 14.11.2005 – AnwZ (B) 83/04, ZIP 2006, 282, dazu EWiR 2006, 365 (Römermann); BGH, Beschl. v. 10.1.2005 – AnwZ (B) 27/03 und 28/03, ZIP 2005, 944. 45) Ausführlich dazu Ullrich, Gesellschaftsrecht und steuerliche Gemeinnützigkeit, 2011; Weber, Die gemeinnützige Aktiengesellschaft, 2014.

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§ 37

Inhalt der Anmeldung

auf die Einhaltung der steuerrechtlichen Bestimmungen der Abgabenordnung (§§ 51 ff. AO) verlangen die Registergerichte hier oftmals eine entsprechende Stellungnahme des zuständigen Finanzamts für Körperschaften. 68 Die Bezeichnung Investmentaktiengesellschaften darf nur von Investmentaktiengesellschaften i. S. des KAGB geführt werden (§§ 3, 118 KAGB); zudem darf die Bezeichnung nicht irreführen (§ 4 KAGG). Die Zulässigkeit der Firma von Investmentgesellschaften sollte vorab mit der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht abgestimmt werden. 69 Das Registergericht soll die Eintragung von der Zahlung eines Kostenvorschusses abhängig machen (§§ 12 ff., 58 GNotKG). Bei einer Bargründung beträgt der Kostenvorschuss in der Regel 300 €, und bei einer Sachgründung 360 €.46) Mit der Handelsregisteranmeldung sollte dem Registergericht daher ein Nachweis über die Einzahlung der Kosten vorgelegt werden. Dies ist dann nicht erforderlich, wenn der Notar für die anfallenden Kosten die persönliche Haftung übernimmt (§ 16 Abs. 1 Nr. 3 GNotKG). IV.

Form (§ 37 Abs. 5)

1.

Form der Anmeldung

70 Die Handelsregisteranmeldung ist von allen Gründern und von allen Mitgliedern des Vorstands und des Aufsichtsrats persönlich zu unterzeichnen (§ 36 Abs. 1). Die Unterschriften müssen dabei öffentlich beglaubigt werden (§ 12 Abs. 1 Satz 1 HGB i. V. m. § 129 BGB und §§ 39 ff. BeurkG). 71 Die öffentlich beglaubigte Anmeldung ist sodann über einen Notar zur Weiterleitung an das Registergericht einzureichen (§ 378 Abs. 3 Satz 2 FamFG). Der Notar hat die Anmeldung vorab auf ihre Eintragungsfähigkeit hin zu überprüfen und das Ergebnis in einem förmlichen Prüfvermerk festzuhalten (§ 378 Abs. 3 Satz 1 FamFG).47) 2.

Form der Anlagen zur Anmeldung

72 Neben der Handelsregisteranmeldung selbst sind auch die beizufügenden Anlagen elektronisch einzureichen (§ 37 Abs. 5 AktG i. V. m. § 12 Abs. 2 HGB). Dies gilt nicht nur für die Unterlagen nach dem AktG (so § 37 Abs. 5), sondern für alle gesetzlich oder freiwillig eingereichten Dokumente (so § 12 Abs. 2 Satz 1 HGB). Ist eine Urschrift oder eine einfache Abschrift eines Dokuments einzureichen oder ist für ein Dokument die Schriftform bestimmt, genügt die Übermittlung einer elektronischen Aufzeichnung (§ 12 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 HGB). Ist dagegen ein notariell beurkundetes Dokument oder eine öffentlich beglaubigte Abschrift einzureichen, so ist ein mit einem einfachen elektronischen Zeugnis versehenes Dokument zu übermitteln (§ 12 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 HGB i. V. m. § 39a BeurkG).

_____________ 46) Die Gebühren für die Handelsregistereintragung richten sich nach § 58 GNotKG und der Handelsregistergebührenverordnung, s. dazu D. Meyer, JurBüro 2013, 538; Schneider, notar 2011, 111. 47) Die Änderung von § 378 Abs. 3 FamFG ist durch Art. 4 Nr. 5 lit. b des Gesetzes zur Neuordnung der Aufbewahrung von Notariatsunterlagen und zur Einrichtung des Elektronischen Urkundenarchivs bei der Bundesnotarkammer sowie zur Änderung weiterer Gesetze, v. 1.6.2017, BGBl. I 2017, 1396, erfolgt und am 9.6.2017 in Kraft getreten. Ausführlich dazu Attenberger, MittBayNot 2017, 335; Diehn/Rachlitz, DNotZ 2017, 487; Heinemann, ZNotP 2017, 166; Zimmer, NJW 2017, 1909.

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Anmeldung bei Sachgründung ohne externe Gründungsprüfung

§ 37a

§ 37a Anmeldung bei Sachgründung ohne externe Gründungsprüfung (1) 1Wird nach § 33a von einer externen Gründungsprüfung abgesehen, ist dies in der Anmeldung zu erklären. 2Der Gegenstand jeder Sacheinlage oder Sachübernahme ist zu beschreiben. 3Die Anmeldung muss die Erklärung enthalten, dass der Wert der Sacheinlagen oder Sachübernahmen den geringsten Ausgabebetrag der dafür zu gewährenden Aktien oder den Wert der dafür zu gewährenden Leistungen erreicht. 4Der Wert, die Quelle der Bewertung sowie die angewandte Bewertungsmethode sind anzugeben. (2) In der Anmeldung haben die Anmeldenden außerdem zu versichern, dass ihnen außergewöhnliche Umstände, die den gewichteten Durchschnittspreis der einzubringenden Wertpapiere oder Geldmarktinstrumente im Sinne von § 33a Abs. 1 Nr. 1 während der letzten drei Monate vor dem Tag ihrer tatsächlichen Einbringung erheblich beeinflusst haben könnten, oder Umstände, die darauf hindeuten, dass der beizulegende Zeitwert der Vermögensgegenstände im Sinne von § 33a Abs. 1 Nr. 2 am Tag ihrer tatsächlichen Einbringung auf Grund neuer oder neu bekannt gewordener Umstände erheblich niedriger ist als der von dem Sachverständigen angenommene Wert, nicht bekannt geworden sind. (3) Der Anmeldung sind beizufügen: 1. Unterlagen über die Ermittlung des gewichteten Durchschnittspreises, zu dem die einzubringenden Wertpapiere oder Geldmarktinstrumente während der letzten drei Monate vor dem Tag ihrer tatsächlichen Einbringung auf einem organisierten Markt gehandelt worden sind, 2. jedes Sachverständigengutachten, auf das sich die Bewertung in den Fällen des § 33a Abs. 1 Nr. 2 stützt. Übersicht I. Überblick ............................................ 1 II. Erklärungen (§ 37a Abs. 1) ............... 4 III. Versicherungen (§ 37a Abs. 2) ......... 9 I.

IV. Anlagen zur Handelsregisteranmeldung (§ 37a Abs. 3) ................... 10

Überblick

Bei einer Gründung mit Sacheinlagen oder Sachübernahmen kann die Gesellschaft auf die 1 an sich erforderliche externe Gründungsprüfung (§ 33 Abs. 2 Nr. 4) verzichten, wenn der Wert der Sachen bereits anderweitig zuverlässig festgestellt worden ist (§ 33a). In einem solchen Fall müssen in der Handelsregisteranmeldung (§ 37) allerdings zusätzliche Angaben und Versicherungen gemacht und ergänzende Unterlagen als Anlagen beigefügt werden (§ 37a). Auf diese Weise soll die Transparenz und Überprüfbarkeit der vereinfachten Sachgründung sichergestellt werden.1) Die Vorschrift wurde durch das ARUG2) in das AktG eingefügt und dient (zumindest § 37a Abs. 1 und 2) der Umsetzung der

_____________ 1) 2)

Hölters-Solveen, AktG, § 37a Rz. 2; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 37a Rz. 1; A. Arnold in: KölnKommAktG, § 37a Rz. 2; K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 37a Rz. 1. Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG), BGBl. I 2009, 2479, s. dazu BT-Drucks. 16/11642, S. 32 f.

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§ 37a

Anmeldung bei Sachgründung ohne externe Gründungsprüfung

europäischen Kapitalrichtlinie.3) Ergänzende Erleichterungen gelten in diesem Fall für den Gründungsbericht der Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats (§ 34 Abs. 2 Satz 3) sowie den Umfang der registergerichtlichen Kontrolle (§ 38 Abs. 3). 2 Die Regelung gilt nicht nur für die Sachgründung, sondern auch für Nachgründungen (§ 52 Abs. 6 Satz 3 und Abs. 7 Satz 2) und Sachkapitalerhöhungen (§§ 183a Abs. 2 Satz 1, 194 Abs. 5, 205 Abs. 5 Sätze 2 und 3). 3 Im Fall der vereinfachten Sachgründung (§ 33a) muss die Handelsregisteranmeldung – neben den allgemeinen Angaben (nach § 37) – bestimmte zusätzliche Inhalte aufweisen. In der Handelsregisteranmeldung ist zunächst zu erklären, dass die Gesellschaft (nach § 33a) von einer externen Gründungsprüfung abgesehen hat (§ 37a Abs. 1 Satz 1). Ferner sind Erklärungen zum Gegenstand und Wert der Sacheinlage bzw. Sachübernahme erforderlich (§ 37a Abs. 1 Satz 2 bis Satz 4). Sodann muss in der Anmeldung versichert werden, dass keine außergewöhnlichen Umstände bekannt sind, wonach die für die Bewertung zugrunde gelegten Preise bzw. Werte ihre Aussagekraft verloren haben (§ 37a Abs. 2; siehe auch § 33 Abs. 2). Schließlich müssen der Handelsregisteranmeldung auch die entsprechenden Bewertungsgrundlagen beigefügt werden (§ 37a Abs. 3), damit sie im Handelsregister für jedermann einsehbar sind (§ 9 Abs. 1 HGB). Falsche oder unvollständige Angaben können Schadensersatzansprüche begründen (siehe §§ 46 ff.) und bei vorsätzlichem Verhalten auch strafbar sein (§ 399 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4). II.

Erklärungen (§ 37a Abs. 1)

4 Bei einer vereinfachten Sachgründung müssen in der Handelsregisteranmeldung bestimmte zusätzliche (neben § 37 Abs. 1 Satz 1) Erklärungen abgegeben werden (§ 37a Abs. 1). Die Erklärungen müssen von allen Gründern und allen Mitgliedern des Vorstands und des Aufsichtsrats (§ 36 Abs. 1) höchstpersönlich abgegeben werden. 5 In der Anmeldung ist ausdrücklich zu erklären, dass von einer externen Gründungsprüfung (nach § 33a) abgesehen worden ist (§ 37a Abs. 1 Satz 1). Nicht erklärt werden muss dagegen, dass die Voraussetzungen für eine vereinfachte Sachgründung (nach § 33a) auch tatsächlich vorliegen.4) 6 Sodann muss der Gegenstand der Sacheinlage oder Sachübernahme in der Handelsregisteranmeldung beschrieben werden (§ 37a Abs. 1 Satz 2). Diese Angaben sind normalerweise im Gründungsprüfungsbericht der Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats enthalten (§ 34 Abs. 2 Satz 2). Im Falle der vereinfachten Sachgründung hat der Gesetzgeber diese Angaben in dem Gründungsprüfungsbericht als entbehrlich angesehen (§ 34 Abs. 2 Satz 3) und in die Handelsregisteranmeldung verlagert (§ 37a Abs. 1 Satz 2). Sacheinlagen bzw. Sachübernahmen müssen dabei (insbesondere auch unter Angabe der jeweils wertbestimmenden Faktoren) so konkret beschrieben werden, dass die Werthaltigkeit auch für außenstehende Dritte nachvollziehbar ist.5) 7 Die Anmeldung muss darüber hinaus die Erklärung enthalten, dass der Wert der Sacheinlagen oder Sachübernahmen den geringsten Ausgabebetrag der dafür zu gewährenden Aktien (§ 9 Abs. 1) oder den Wert der dafür zu gewährenden Leistungen erreicht (§ 37a _____________ 3)

4) 5)

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S. Art. 10b der Richtlinie 2006/68/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates v. 6.9.2006 zur Änderung der Richtlinie 77/91/EWG des Rates in Bezug auf die Gründung von Aktiengesellschaften und die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals, ABl. EU Nr. L 264 v. 25.9.2006, S. 32. Hölters-Solveen, AktG, § 37a Rz. 3; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 37a Rz. 2; K. Schmidt/LutterKleindiek, AktG, § 37a Rz. 2. Hölters-Solveen, AktG, § 37a Rz. 3; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 37a Rz. 2; K. Schmidt/LutterKleindiek, AktG, § 37a Rz. 3.

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Anmeldung bei Sachgründung ohne externe Gründungsprüfung

§ 37a

Abs. 1 Satz 3).6) Mit dieser Erklärung werden für den Fall der vereinfachten Sachgründung (§ 33a) wiederum Ausführungen aus dem Gründungsprüfungsbericht der Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats (§ 34 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Satz 3) in die Handelsregisteranmeldung verlagert. Nach dem Gesetzeswortlaut muss sich die Erklärung nicht darauf beziehen, dass auch ein etwaiger Mehrbetrag (Agio) vom Wert der Sacheinlage gedeckt ist (anders § 37 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 36 Abs. 2 Satz 3). Die mit der Norm bezweckte Schaffung von Transparenz und Nachprüfbarkeit kann allerdings nur dann umfassend erreicht werden, wenn die Erklärung auch einen Mehrbetrag (Agio) umfasst. Dafür spricht i. Ü. auch eine richtlinienkonforme Auslegung (Art. 10 Abs. 1 lit. c der Richtlinie 2006/68/EG).7) Schließlich sind in der Handelsregisteranmeldung der Wert der Sachen, die Quelle der 8 Bewertung sowie die angewandte Bewertungsmethode anzugeben (§ 37a Abs. 1 Satz 4). Der Wert ist ziffernmäßig in Euro zum Stichtag der tatsächlichen Einbringung anzugeben. Als Quelle der Bewertung kommen Gutachten von Sachverständigen, Börsenkurse oder Marktpreise in Betracht. Ferner ist anzugeben, welche Bewertungsmethode im konkreten Einzelfall (z. B. IDW S 1) angewandt worden ist (siehe auch § 34 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2). III.

Versicherungen (§ 37a Abs. 2)

Ein Verzicht auf eine externe Gründungsprüfung ist nur dann zulässig, wenn die der Be- 9 wertung zugrunde gelegten Preise bzw. Werte nicht durch außergewöhnliche Umstände ihre Aussagekraft verloren haben (siehe § 33a Abs. 2). In der Handelsregisteranmeldung müssen dementsprechend alle Gründer und alle Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats höchstpersönlich versichern, dass ihnen keine solche außergewöhnlichen Umstände bekannt geworden sind (§ 37a Abs. 2).8) Bei der Versicherung ist der Gesetzeswortlaut möglichst unverändert zu übernehmen. Die Strafbarkeit einer falschen oder unvollständigen Versicherung wurde im Gesetz ausdrücklich hervorgehoben (§ 399 Abs. 1 Nr. 1 und 4). IV.

Anlagen zur Handelsregisteranmeldung (§ 37a Abs. 3)

Im Falle der vereinfachten Sachgründung (nach § 33a) sind der Handelsregisteranmel- 10 dung (neben den ohnehin bereits vorgesehenen Unterlagen, § 37 Abs. 4) die maßgeblichen Bewertungsgrundlagen beizufügen (§ 37a Abs. 3).9) Bei Wertpapieren und Geldmarktinstrumenten (§ 33a Abs. 1 Nr. 1) sind dabei geeignete Unterlagen über die Ermittlung des gewichteten Durchschnittspreises (z. B. Stellungnahme der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht) vorzulegen (§ 37a Abs. 3 Nr. 1). Bei allen anderen Vermögensgegenständen (§ 33a Abs. 1 Nr. 2) sind der Handelsregisteranmeldung die der Bewertung zugrunde gelegten Sachverständigengutachten beizufügen (§ 37a Abs. 3 Nr. 2). Fehlende oder unvollständige Anlagen stellen ein zwingendes Eintragungshindernis dar (§ 38 Abs. 1 Satz 2). _____________ 6) 7) 8)

9)

A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 37a Rz. 7 ff.; Spindler/Stilz-Döbereiner, AktG, § 37a Rz. 4. So im Ergebnis auch A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 37a Rz. 7; K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 37a Rz. 4; a. A Hölters-Solveen, AktG, § 37a Rz. 3; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 37a Rz. 3. Hölters-Solveen, AktG, § 37a Rz. 4; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 37a Rz. 4 f.; A. Arnold in: KölnKommAktG, § 37a Rz. 11 ff.; K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 37a Rz. 6 ff.; Spindler/Stilz-Döbereiner, AktG, § 37a Rz. 5. Hölters-Solveen, AktG, § 37a Rz. 5; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 37a Rz. 6; A. Arnold in: KölnKommAktG, § 37a Rz. 14 ff.; K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 37a Rz. 9.

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§ 38

Prüfung durch das Gericht

§ 38 Prüfung durch das Gericht (1) 1Das Gericht hat zu prüfen, ob die Gesellschaft ordnungsgemäß errichtet und angemeldet ist. 2Ist dies nicht der Fall, so hat es die Eintragung abzulehnen. (2) 1Das Gericht kann die Eintragung auch ablehnen, wenn die Gründungsprüfer erklären oder es offensichtlich ist, daß der Gründungsbericht oder der Prüfungsbericht der Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats unrichtig oder unvollständig ist oder den gesetzlichen Vorschriften nicht entspricht. 2Gleiches gilt, wenn die Gründungsprüfer erklären oder das Gericht der Auffassung ist, daß der Wert der Sacheinlagen oder Sachübernahmen nicht unwesentlich hinter dem geringsten Ausgabebetrag der dafür zu gewährenden Aktien oder dem Wert der dafür zu gewährenden Leistungen zurückbleibt. (3) 1Enthält die Anmeldung die Erklärung nach § 37a Abs. 1 Satz 1, hat das Gericht hinsichtlich der Werthaltigkeit der Sacheinlagen oder Sachübernahmen ausschließlich zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 37a erfüllt sind. 2Lediglich bei einer offenkundigen und erheblichen Überbewertung kann das Gericht die Eintragung ablehnen. (4) Wegen einer mangelhaften, fehlenden oder nichtigen Bestimmung der Satzung darf das Gericht die Eintragung nach Absatz 1 nur ablehnen, soweit diese Bestimmung, ihr Fehlen oder ihre Nichtigkeit 1. Tatsachen oder Rechtsverhältnisse betrifft, die nach § 23 Abs. 3 oder auf Grund anderer zwingender gesetzlicher Vorschriften in der Satzung bestimmt sein müssen oder die in das Handelsregister einzutragen oder von dem Gericht bekanntzumachen sind, 2. Vorschriften verletzt, die ausschließlich oder überwiegend zum Schutze der Gläubiger der Gesellschaft oder sonst im öffentlichen Interesse gegeben sind, oder 3. die Nichtigkeit der Satzung zur Folge hat. Literatur: Attenberger, § 378 Abs. 3 FamFG n. F. und § 15 Abs. 3 GBO n. F. – Notarielle Prüfung auf Eintragungsfähigkeit als Eintragungsvoraussetzung im Register- und Grundbuchverfahren und ausschließliche Einreichung über den Notar im Handelsregisterverfahren, MittBayNot 2017, 335; Keilbach, Die Prüfungsaufgaben der Registergerichte, MittRhNotK 2000, 365; Diehn/ Rachlitz, Notarielle Prüfungspflichten im Grundbuch- und Registerverkehr, DNotZ 2017, 487; Heinemann, Neue Vermerkpflichten für Notare?, ZNotP 2017, 166; Meyer, D., Die wichtigsten Änderungen durch das 2. KostRMoG im Bereich der Handelsregistergebührenverordnung, JurBüro 2013, 538; Schneider, Die neuen Gebühren im Handelsregister zum 1.1.2011, notar 2011, 111; Schulz, Informelle Abstimmungen mit dem Handelsregister, NJW 2016, 1483.

Übersicht I. Überblick ........................................... 1 II. Eintragungsverfahren ...................... 4 III. Prüfung durch das Registergericht ................................................ 9 1. Allgemeines ........................................ 9 2. Prüfung der Errichtung ................... 14 3. Prüfung der Anmeldung ................. 15 4. Prüfung des Gründungsberichts und des Prüfungsberichts ................ 16 5. Prüfung der Bareinlagen .................. 19

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6. Prüfung der Sacheinlagen ................. 20 7. Prüfung der Satzung ......................... 24 a) Einführung .................................. 24 b) Zwingender Mindestinhalt der Satzung (§ 38 Abs. 4 Nr. 1) ....... 26 c) Vorschriften im öffentlichen Interesse (§ 38 Abs. 4 Nr. 2) ..... 31 d) Gesamtnichtigkeit der Satzung (§ 38 Abs. 4 Nr. 3) ..................... 35

Thomas Wachter

§ 38

Prüfung durch das Gericht I.

Überblick

Die Gründung der AG wird vor der Eintragung vom Registergericht auf ihre Rechtmäßigkeit 1 (nicht auch Zweckmäßigkeit) überprüft (§ 38 Abs. 1). Die gesetzliche Regelung ist Ausdruck des im deutschen Kapitalgesellschaftsrecht geltenden Normativsystems (siehe auch § 9c GmbHG).1) Danach ist die Entstehung einer AG von bestimmten, gesetzlich festgelegten Voraussetzungen abhängig, deren Einhaltung i. R. des Eintragungsverfahrens von einem staatlichen Gericht überprüft wird. Die Gründer haben einen Rechtsanspruch auf unverzügliche Eintragung der Gesellschaft, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen. Ein Ermessen steht dem Gericht bei seiner Entscheidung über die Eintragung nicht zu. Gesetzeswidrige Gesellschaftsgründungen sollen auf diese Weise verhindert werden. Das Registergericht hat stets zu prüfen, ob die Gesellschaft ordnungsgemäß errichtet und 2 angemeldet worden ist (§ 38 Abs. 1 Satz 1). Die Prüfung umfasst insbesondere auch die ordnungsgemäße Kapitalaufbringung. Die Eintragung der Gesellschaft ist daher insbesondere dann abzulehnen, wenn Sacheinlagen nicht unwesentlich überbewertet worden sind (siehe § 38 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3). Darüber hinaus bezieht sich die registergerichtliche Prüfung vor allem auch auf die Vollständigkeit und Richtigkeit des Gründungsberichts der Gründer und des Gründungsprüfungsberichts der Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats (§ 38 Abs. 2 Satz 1). Mangelhafte, fehlende oder nichtige Bestimmungen der Satzung dürfen dagegen vom Registergericht nur dann beanstandet werden, wenn sie von erheblicher Bedeutung sind (§ 38 Abs. 4). Das Registergericht hat die Eintragung der Gesellschaft abzulehnen, wenn die Gesellschaft nicht ordnungsgemäß errichtet oder angemeldet worden ist (§ 38 Abs. 1 Satz 2). Im Fall einer ordnungsgemäßen Gründung ist die Gesellschaft in das Handelsregister einzutragen (siehe § 382 Abs. 1 und 2 FamFG). Mit der Eintragung entsteht die AG (siehe § 41 Abs. 1 Satz 1). Die Vorschrift wurde zuletzt durch das ARUG2) ergänzt (§ 38 Abs. 3 n. F.). Dabei wurden 3 die Prüfungsbefugnisse des Registergerichts für den Fall einer Sachgründung ohne externe Gründungsprüfung (§§ 33a, 37a) beschränkt. II.

Eintragungsverfahren

Das Registergericht hat vor der Eintragung zu prüfen, ob die Gesellschaft ordnungsge- 4 mäß errichtet worden ist (§ 38). Vor der Anmeldung beim Registergericht erfolgt aber bereits eine umfassende Überprüfung der gesamten Gründung durch den beurkundenden Notar (§ 23 Abs. 1). Dem Notar obliegen dabei umfangreiche Prüfungs-, Beratungs- und Aufklärungspflichten (§ 17 BeurkG), die weit über die gerichtliche Rechtmäßigkeitskontrolle hinausgehen. Die gesetzlichen Beschränkungen der gerichtlichen Prüfungsbefugnisse (insbesondere § 38 Abs. 2, 3 und 4) gelten für den Notar nicht. Der Notar hat die Eintragungsfähigkeit der Gesellschaft vor Einreichung der Unterlagen beim Registergericht zu prüfen und darüber einen förmlichen Prüfvermerk zu erstellen (§ 378 Abs. 3 FamFG).3) Der Notar koordiniert und überwacht im Zusammenhang mit der Handelsregisteranmeldung zudem den gesamten Gründungsvorgang. Für etwaige Fehler haftet der Notar persön_____________ 1) 2) 3)

Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 38 Rz. 1; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 38 Rz. 4; K. Schmidt/LutterKleindiek, AktG, § 38 Rz. 1. Art. 1 Nr. 4 des Gesetzes zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG), BGBl. I 2009, 2479; s. dazu BT-Drucks. 16/11642, S. 34. Die Änderung von § 378 Abs. 3 FamFG ist durch Art. 4 Nr. 5 lit. b des Gesetzes zur Neuordnung der Aufbewahrung von Notariatsunterlagen und zur Einrichtung des Elektronischen Urkundenarchivs bei der Bundesnotarkammer sowie zur Änderung weiterer Gesetze, v. 1.6.2017, BGBl. I 2017, 1396, erfolgt und am 9.6.2017 in Kraft getreten. Ausführlich dazu Attenberger, MittBayNot 2017, 335; Diehn/ Rachlitz, DNotZ 2017, 487; Heinemann, ZNotP 2017, 166; Zimmer, NJW 2017, 1909.

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§ 38

Prüfung durch das Gericht

lich, unbeschränkt und unbeschränkbar (§ 19 BNotO). Die notarielle Mitwirkung an der Gründung hat eine erhebliche Entlastung der staatlichen Registergerichte zur Folge. Insgesamt kommt es dadurch zu einer deutlichen Vereinfachung und Beschleunigung des Gründungsvorgangs. 5 Der Notar reicht die Handelsregisteranmeldung samt aller Anlagen elektronisch beim zuständigen Registergericht ein (§ 37 AktG i. V. m. § 12 HGB). Anhand dieser Unterlagen prüft das Registergericht sodann, ob die Gesellschaft ordnungsgemäß errichtet und angemeldet worden ist (§ 38 Abs. 1 Satz 1). Eine Stellungnahme von Kammern und berufsständischen Organisationen wird allenfalls noch in zweifelhaften Fällen eingeholt (siehe § 23 Satz 2 HRV und § 380 Abs. 2 FamFG). 6 Liegen die Eintragungsvoraussetzungen vor, trägt der Richter die Gesellschaft unverzüglich in das Handelsregister ein (siehe §§ 25 ff. HRV und § 382 Abs. 1 FamFG). Dem Richter steht dabei kein Ermessen zu. Die Beteiligten haben vielmehr einen Rechtsanspruch auf Eintragung der Gesellschaft.4) Die Kosten der Eintragung richten sich nach den gesetzlichen Bestimmungen des Gerichts- und Notarkostengesetzes i. V. m. der Handelsregistergebührenverordnung (§ 58 GNotKG)5) und betragen bei einer Bargründung regelmäßig 300 € und bei einer Sachgründung 360 €.6) 7 Liegen die Eintragungsvoraussetzungen dagegen nicht vor, muss das Registergericht den Beteiligten die Möglichkeit geben, den Mangel zu beheben (§ 382 Abs. 4 FamFG und § 26 HRV). In der Zwischenverfügung muss das Gericht alle etwaigen Eintragungshindernisse klar, eindeutig und verständlich bezeichnen. Beheben die Beteiligten die vom Registergericht gerügten Eintragungshindernisse fristgerecht, ist die Gesellschaft in das Handelsregister einzutragen. Werden die Mängel dagegen nicht oder nicht fristgemäß behoben, weist das Gericht die Anmeldung (kostenpflichtig) zurück. 8 Gegen eine gerichtliche Zwischenverfügung und gegen die Ablehnung der Eintragung können die Beteiligten Beschwerde einlegen (§§ 58 ff. FamFG). Die Beschwerde ist beim Registergericht des Amtsgerichts einzulegen, dass die Zwischenverfügung bzw. die ablehnende Entscheidung erlassen hat (§ 64 Abs. 1 FamFG). Die Beschwerde ist innerhalb einer Ein-Monats-Frist einzulegen (§ 63 Abs. 1 FamFG). Beschwerdeberechtigt ist die Vorgesellschaft, die dabei durch den Vorstand in vertretungsberechtigter Zahl vertreten wird. Der Vorstand selbst ist nicht beschwerdeberechtigt. Über die Beschwerde entscheidet das OLG (§ 68 FamFG und § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG). Gegen die ablehnende Entscheidung des OLG ist die Rechtsbeschwerde zum BGH statthaft (§§ 70 ff. FamFG und § 133 GVG). III.

Prüfung durch das Registergericht

1.

Allgemeines

9 Das Registergericht hat zu prüfen, ob die Gesellschaft ordnungsgemäß errichtet und angemeldet worden ist (§ 38 Abs. 1 Satz 1). Die Prüfung umfasst alle formellen und materiellen Voraussetzungen für die Eintragung der Gesellschaft (zu Ausnahmen siehe § 38 Abs. 3).7) Diese Prüfung ist zwingend und steht nicht im Ermessen des Gerichts. _____________ 4) 5) 6)

7)

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Zur Möglichkeit der informellen Abstimmung mit dem Handelsregister s. Schulz, NJW 2016, 1483. Zu den Gebühren für die Handelsregistereintragung s. D. Meyer, JurBüro 2013, 538; Schneider, notar 2011, 111. Zur Ablehnung der Eintragung einer GmbH wegen Nichtzahlung eines gerichtlich angeordneten Gerichtskostenvorschusses KG Berlin, Beschl. v. 15.6.2017 – 22 W 42/17, ZIP 2018, 80 = GmbHR 2017, 1337 mit Anm. Melchior. Grundlegend (zum GmbH-Recht) BGH, Urt. v. 18.2.1991 – II ZR 104/90, BGHZ 113, 335 = ZIP 1991, 511, dazu EWiR 1991, 1213 (Frey).

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§ 38

Prüfung durch das Gericht

Grundlage der gerichtlichen Prüfung ist die Handelsregisteranmeldung samt aller Anlagen (siehe §§ 37, 37a). Ergibt sich aus diesen Unterlagen kein Anhaltspunkt dafür, dass die Errichtung und Anmeldung nicht ordnungsgemäß erfolgt ist, muss das Registergericht die Gesellschaft unverzüglich eintragen. Nur dann, wenn das Registergericht aufgrund der eingereichten Unterlagen im Einzelfall berechtigten Anlass hat, an der Ordnungsgemäßheit der Gründung zu zweifeln, kann es i. R. der Amtsermittlung (§ 26 FamFG) eine weitergehende Prüfung vornehmen.8) Dagegen ist das Registergericht nicht berechtigt, von den Beteiligten routinemäßig oder auf der Grundlage bloßer Vermutungen weitergehende Nachweise zu verlangen. Das Registergericht muss einen Mangel auch dann beanstanden, wenn dieser durch die Eintragung der Gesellschaft geheilt werden würde. Bei einer verdeckten Sacheinlage (§ 27 Abs. 4) muss die Eintragung der Gesellschaft somit auch dann abgelehnt werden, wenn der Wert der Sacheinlage die Höhe der Geldeinlage nachweislich erreicht oder diese sogar übersteigt (§ 27 Abs. 3 Satz 3 und Satz 4). Die gerichtliche Prüfung ist auf die Rechtmäßigkeit der Errichtung und Anmeldung beschränkt.9) Fragen der Wirtschaftlichkeit, Zweckmäßigkeit oder Gerechtigkeit liegen daher von vornherein außerhalb der Prüfungskompetenz des Registergerichts. Darüber hinaus ist auch die sprachliche und redaktionelle Fassung der Gründungsurkunden vom Registergericht nicht zu überprüfen. Für die Prüfung der ordnungsgemäßen Gründung der Gesellschaft kommt es grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Anmeldung an.10) Vorbelastungen stellen somit im Allgemeinen kein Eintragungshindernis dar, sondern sind von den Gesellschaftern auszugleichen. Etwas anderes kommt nur dann in Betracht, wenn das Registergericht in einem Einzelfall aufgrund konkreter Tatsachen begründete Zweifel an der Durchsetzbarkeit der Ansprüche aus der Vorbelastungshaftung hat. 2.

10

11

12

13

Prüfung der Errichtung

Das Registergericht hat zunächst zu prüfen, ob die Gesellschaft ordnungsgemäß errichtet 14 worden ist (§ 38 Abs. 1 Satz 1). Dies umfasst die gesamte Errichtung der Gesellschaft (i. S. von §§ 1 ff.) und somit insbesondere auch folgende Punkte: – zulässiger Gesellschaftszweck; – Feststellung der Satzung durch alle Gründer oder deren Vertreter (§ 23 Abs. 1): – bei Gesellschaftern, die keine natürliche Person sind: Nachweis der Existenz- und Vertretungsberechtigung in öffentlich beglaubigter Form (insbesondere bei ausländischen Gesellschaften); – bei Vertretung eines Gesellschafters: Vorlage einer notariell beurkundeten oder beglaubigten Vollmacht (§ 23 Abs. 1 Satz 2) oder eines sonstigen Vertretungsnachweises in öffentlich beglaubigter Form (z. B. bei gesetzlicher oder organschaftlicher Vertretung); – Vorlage etwa erforderlicher gerichtlicher Genehmigungen (z. B. nach §§ 181, 1629, 1643, 1795, 1822 und 1909 BGB); – Vorlage von etwa notwendigen Zustimmungserklärungen von Ehegatten oder Lebenspartnern nach in- oder ausländischem Recht (z. B. §§ 1365, 1423 BGB); _____________ 8) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 38 Rz. 2; K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 38 Rz. 4. 9) Bürgers/Körber-Lohse, AktG, § 38 Rz. 2; Hölters-Solveen, AktG, § 38 Rz. 3; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 38 Rz. 3; K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 38 Rz. 5; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 38 Rz. 45 ff.; Spindler/Stilz-Döbereiner, AktG, § 38 Rz. 6. 10) Im Einzelnen sehr umstritten, s. Hölters-Solveen, AktG, § 38 Rz. 3; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 38 Rz. 4 f.; K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 38 Rz. 6 ff.; Spindler/Stilz-Döbereiner, AktG, § 38 Rz. 3 ff.

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§ 38 –

Prüfung durch das Gericht

Form der Satzung (§ 23 Abs. 1 Satz 1);



Wirksamkeit der Satzung (siehe §§ 134, 138 BGB);



erforderliche Angaben in der Gründungsurkunde (§ 23 Abs. 2);



Übernahme aller Aktien durch die Gründer (§ 29);



Mindestinhalt der Satzung (§ 23 Abs. 3): –

Firma (§ 4 und §§ 17 ff. und 30 HGB);



Satzungssitz der Gesellschaft im Inland (§ 5);



Gegenstand des Unternehmens;



Höhe des Grundkapitals (§§ 6 und 7);



Zerlegung des Grundkapitals in Nennbetrags- oder Stückaktien (§ 8): –

bei Nennbetragsaktien: die Nennbeträge und die Zahl der Aktien jeden Nennbetrags;



bei Stückaktien: die Zahl der Aktien;



bei Bestehen mehrerer Gattungen von Aktien (§ 11): die Gattung der Aktien und die Zahl der Aktien jeder Gattung;



Ausstellung von Inhaber- oder Namensaktien (§ 10);



Zahl der Mitglieder des Vorstands und die Regeln, nach denen diese Zahl festgelegt wird (§ 76 Abs. 2);



Satzungsbestimmung über die Form der Bekanntmachungen der Gesellschaft (§ 23 Abs. 4);



keine unzulässige Abweichung der Satzung von den Vorgaben des AktG (§ 23 Abs. 5);



ordnungsgemäße Festsetzung von etwaigen Sondervorteilen (§ 26 Abs. 1) und des Gründungsaufwands (§ 26 Abs. 2) in der Satzung;



Festsetzung von Sacheinlagen oder Sachübernahmen in der Satzung (§ 27 Abs. 1);



Vollständigkeit und Richtigkeit des Gründungsberichts der Gründer, § 32 Abs. 1, und des (internen) Prüfungsberichts der Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats, § 33 Abs. 1 (§ 38 Abs. 2 Satz 1);



Werthaltigkeit von Sacheinlagen und Sachübernahmen (§ 38 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3);



sonstiger Inhalt der Satzung unter Berücksichtigung der beschränkten Prüfungsbefugnis des Registergerichts (§ 38 Abs. 4).

3.

Prüfung der Anmeldung

15 Das Registergericht hat ferner zu prüfen, ob die Gesellschaft ordnungsgemäß angemeldet worden ist (§ 38 Abs. 1 Satz 1). Dies umfasst die gesamte Handelsregisteranmeldung samt aller Anlagen (i. S. von §§ 36, 37, 37a) und somit insbesondere auch folgende Punkte: –

örtliche und sachliche Zuständigkeit des Registergerichts (§ 14 AktG, § 23a Abs. 2 Nr. 3 GVG und §§ 374 ff. FamFG);



Form der Anmeldung und der Anlagen (§ 12 HGB und § 37 Abs. 5);



persönliche Unterzeichnung der Anmeldung durch alle Gründer und alle Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats (§ 36 Abs. 1);



ordnungsgemäße Bestellung des (ersten) Aufsichtsrats, des (ersten) Vorstands und ggf. auch des Abschlussprüfers für das erste Voll- oder Rumpfgeschäftsjahr (§ 30 Abs. 1 und 4 i. V. m. § 37 Abs. 4 Nr. 3);

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§ 38

Prüfung durch das Gericht –



– – – –

– – – – 4.

ordnungsgemäße Kapitalaufbringung (§§ 36 Abs. 2, 36a, 37 Abs. 1, 54 Abs. 3), insbesondere auch: –

Erklärung der Anmeldenden (§ 37 Abs. 1 Satz 1);



Leistung der Einlagen zur endgültig freien Verfügung des Vorstands (§ 36 Abs. 2);



bei Bareinlagen: Nachweis der Einzahlung der Bareinlagen, in der Regel durch eine Bestätigung des kontoführenden Kreditinstituts (§ 37 Abs. 1 Sätze 2 und 3);



bei Sacheinlagen: Ordnungsgemäße Festsetzung der Sacheinlagen bzw. Sachübernahmen in der Satzung (§ 27 Abs. 1) und Vorlage der vorgeschriebenen Prüfungsberichte über die Sacheinlagen bzw. Sachübernahmen und deren Wert (im Regelfall der externen Gründungsprüfung nach §§ 33 Abs. 2 Nr. 4, 34 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Satz 2, 36a Abs. 2, 37 Abs. 4 Nr. 4, 38 Abs. 2 Satz 2 bzw. Verzicht auf eine externe Gründungsprüfung nach §§ 33a, 34 Abs. 2 Satz 3, 37a, 38 Abs. 3);



Hinweise auf verdeckte Sacheinlagen (§ 27 Abs. 3);11)



Offenlegung eines Hin- und Herzahlens (§ 27 Abs. 4 Satz 2);



Bestehen von etwaigen Vorbelastungen;



Aufbringung eines etwaigen Aufgelds (Agios) (§ 36a Abs. 1 und 2);

Versicherung aller Vorstandsmitglieder über das Nichtvorliegen von Bestellungshindernissen und ihre unbeschränkte Auskunftspflicht gegenüber dem Registergericht (§ 37 Abs. 2); Anmeldung einer inländischen Geschäftsanschrift (§ 37 Abs. 3 Nr. 1); Anmeldung von Art und Umfang der Vertretungsbefugnis der Vorstandsmitglieder (§ 37 Abs. 3 Nr. 2); Vorlage einer wirksamen Satzung samt etwaiger weiterer Gründungsurkunden (§ 37 Abs. 4 Nr. 1); Vorlage aller Verträge, die den Festsetzungen von Sondervorteilen, Gründungsaufwand oder Sacheinlagen bzw. Sachübernahmen zugrunde liegen oder zu deren Ausführung geschlossen worden sind (§ 37 Abs. 4 Nr. 2 Halbs. 1); Vorlage der Berechnung des der Gesellschaft zur Last fallenden Gründungsaufwands (§ 37 Abs. 4 Nr. 2 Halbs. 2); Vorlage der Liste der Aufsichtsratsmitglieder (§ 37 Abs. 4 Nr. 3a); Vorlage aller Gründungsberichte und Prüfungsberichte nebst aller Unterlagen (§ 37 Abs. 4 Nr. 4); Vorlage aller sonst gesetzlich vorgeschriebenen Anlagen. Prüfung des Gründungsberichts und des Prüfungsberichts

Das Registergericht kann die Eintragung auch dann ablehnen, wenn die (externen) Grün- 16 dungsprüfer (§ 33 Abs. 2 bis 5) erklären oder es offensichtlich ist, dass der Gründungsbericht der Gründer (§ 32 Abs. 1) oder der (interne) Gründungsprüfungsbericht des Vorstands und des Aufsichtsrats (§§ 33 Abs. 1, 34 Abs. 1 und 2) unrichtig oder unvollständig ist oder den gesetzlichen Vorschriften nicht entspricht (§ 38 Abs. 2 Satz 1). Dem Registergericht sind der Gründungsbericht der Gründer, der (interne) Prüfungsbe- 17 richt der Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats sowie ein etwaiger (externer) Prüfungsbericht eines Gründungsprüfers vollständig einzureichen (§ 37 Abs. 4 Nr. 4). Diese Berichte bilden die Grundlage der registergerichtlichen Prüfung. Das Registerge_____________ 11) K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 38 Rz. 9.

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§ 38

Prüfung durch das Gericht

richt ist an diese Berichte aber in keiner Weise gebunden.12) Das Registergericht kann die Berichte vielmehr selbst überprüfen. 18 Der Gesetzgeber erwähnt insbesondere zwei Fälle, in denen Mängel des Gründungsberichts der Gründer oder des (internen) Prüfungsberichts der Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats die Ablehnung der Eintragung zur Folge haben. Dies ist zum einen dann der Fall, wenn die (externen) Gründungsprüfer von sich aus erklären, dass die Berichte unrichtig oder unvollständig sind oder den gesetzlichen Vorschriften nicht entsprechen (§ 38 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1). Zum anderen muss das Gericht die Eintragung auch dann ablehnen, wenn die Mängel der Berichte zweifelsfrei feststehen und damit offensichtlich sind (§ 38 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2). 5.

Prüfung der Bareinlagen

19 Die Kontrolle des Registergerichts umfasst insbesondere auch die Ordnungsgemäßheit der Kapitalaufbringung (§ 38 Abs. 1 Satz 1). Im Falle der Bargründung sieht der Gesetzgeber die (strafbewährte) Erklärung aller Anmeldenden über die Leistung der Einlagen nicht als ausreichenden Nachweis für die Kapitalaufbringung an (§§ 36 Abs. 1 und 2, 36a Abs. 1, 37 Abs. 1 Satz 1 und 399 Abs. 1 Nr. 1). Vielmehr ist stets nachzuweisen, dass der eingezahlte Betrag auch endgültig zur freien Verfügung des Vorstands steht (§ 37 Abs. 1 Satz 2). Im Regelfall erfolgt dieser Nachweis durch eine (nicht notwendig, aber in der Praxis gleichwohl meist) schriftliche Bestätigung des kontoführenden Kreditinstituts (§§ 37 Abs. 1 Satz 3, 54 Abs. 3). 6.

Prüfung der Sacheinlagen

20 Vor der Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister muss das Registergericht insbesondere auch prüfen, ob etwaige Sacheinlagen bzw. Sachübernahmen ordnungsgemäß erbracht worden sind. Grundlage der Prüfung sind dabei die Handelsregisteranmeldung und die als Anlagen eingereichten Unterlagen, und zwar vor allem: –

die Festsetzung der Sacheinlagen bzw. Sachübernahmen in der Satzung der Gesellschaft (§ 27 Abs. 1);



die Erklärung der Anmeldenden, dass die Sacheinlagen vollständig bewirkt worden sind und sich endgültig in der freien Verfügung des Vorstands befinden (§§ 36a Abs. 2 Sätze 1 und 2, 37 Abs. 1 Satz 1);



die Verträge, die den Festsetzungen zugrunde liegen oder zu ihrer Ausführung geschlossen worden sind (§ 37 Abs. 4 Nr. 2 Halbs. 1);



der Gründungsbericht der Gründer (§§ 32 Abs. 1 und 2, 37 Abs. 4 Nr. 4, 38 Abs. 2 Satz 1);



der (interne) Gründungsprüfungsbericht der Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats (§§ 33 Abs. 1, 34 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 2, 37 Abs. 4 Nr. 4, 38 Abs. 2 Satz 1);



der (externe) Gründungsprüfungsbericht der Gründungsprüfer (§§ 33 Abs. 2 Nr. 4, 34 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Satz 2, 37 Abs. 4 Nr. 4, 38 Abs. 2 Satz 2) bzw. bei einem Verzicht auf eine externe Gründungsprüfung die entsprechenden Erklärungen und Unterlagen (§§ 33a, 34 Abs. 2 Satz 3, 37a, 38 Abs. 3).

21 Nach der gesetzlichen Regelung muss das Registergericht die Eintragung der Gesellschaft insbesondere dann ablehnen, wenn Sacheinlagen bzw. Sachübernahmen überbewertet worden sind. Dabei kommt es darauf an, ob der Wert der Sacheinlagen oder Sachübernahmen nach Auffassung des Gerichts nicht unwesentlich hinter dem geringsten Aus_____________ 12) Hölters-Solveen, AktG, § 38 Rz. 7; K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 38 Rz. 11.

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§ 38

Prüfung durch das Gericht

gabebetrag der dafür zu gewährenden Aktien (§ 9 Abs. 1) oder dem Wert der dafür zu gewährenden Leistung zurückbleibt (§ 38 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2; siehe auch §§ 34 Abs. 1 Nr. 2, 36a Abs. 2 Satz 3, 37 Abs. 1 Satz 1). Gleiches gilt dann, wenn die (externen) Gründungsprüfer erklären, dass dies der Fall ist (§ 38 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1). Die Eintragung der Gesellschaft kann somit nur dann abgelehnt werden, wenn die Sach- 22 einlagen nicht unwesentlich überbewertet worden sind.13) Bei unwesentlichen Überbewertungen muss die Gesellschaft dagegen eingetragen werden.14) Mit dieser Regelung soll vor allem den vielfach bestehenden Bewertungsunsicherheiten bei Sacheinlagen in angemessener Weise Rechnung getragen werden. Als unwesentlich dürfte im Allgemeinen eine Wertabweichung von plus/minus 20 % anzusehen sein. Besonderheiten bestehen im Fall der vereinfachten Sachgründung, bei der auf eine 23 (externe) Gründungsprüfung verzichtet wird (siehe §§ 33a, 34 Abs. 2 Satz 3, 37a). Das Registergericht nimmt in diesem Fall grundsätzlich keine materielle Prüfung der Werthaltigkeit der Sacheinlagen bzw. Sachübernahmen vor.15) Vielmehr beschränkt sich die Prüfung auf die formale Kontrolle, ob die gesetzlich vorgeschriebenen Erklärungen und Versicherungen in der Handelsregisteranmeldung enthalten sind (§ 37a Abs. 1 und Abs. 2) und die vorgeschriebenen Unterlagen (§ 37a Abs. 3) der Handelsregisteranmeldung beigefügt sind (§ 38 Abs. 3 Satz 1).16) Lediglich dann, wenn die Sacheinlagen bzw. Sachübernahmen offenkundig (siehe § 291 ZPO) und erheblich überbewertet worden sind, kann das Registergericht die Eintragung ablehnen (§ 38 Abs. 3 Satz 2).17) Über den Gesetzeswortlaut hinaus ist das Registergericht auch dann zu einer Ablehnung der Eintragung verpflichtet, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Verzicht auf eine (externe) Gründungsprüfung (nach § 33a) offensichtlich überhaupt nicht vorliegen (§ 38 Abs. 3 Satz 2 analog).18) Die sonstigen Prüfungsbefugnisse des Registergerichts (siehe § 38 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4) bleiben auch bei einer vereinfachten Sachgründung unverändert. 7.

Prüfung der Satzung

a)

Einführung

Das Registergericht darf die Eintragung der Gesellschaft wegen einer mangelhaften, 24 fehlenden oder nichtigen Bestimmung der Satzung nur unter engen Voraussetzungen ablehnen (§ 38 Abs. 4, siehe auch § 9c Abs. 2 GmbHG). Mit dieser Regelung sollte die gerichtliche Kontrolle der Satzung beschränkt und das Eintragungsverfahren beschleunigt werden. Die Vorschrift gilt allerdings allgemein als missglückt19) und hat in der Praxis kaum zu Veränderungen des gerichtlichen Prüfungsumfangs geführt. Die möglichen Gründe für die Beanstandung der Satzung sind im Gesetz abschließend 25 geregelt (§ 38 Abs. 4 Nr. 1 bis 3).20) Danach darf das Registergericht die Eintragung der _____________ 13) Hölters-Solveen, AktG, § 38 Rz. 9; K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 38 Rz. 13. 14) Instruktiv zu der parallelen Regelung in § 9c Abs. 1 Satz 2 GmbHG LG Freiburg, Beschl. v. 20.2.2009 – 12 T 1/09, GmbHR 2009, 1106. 15) S. dazu KG Berlin, Beschl. v. 12.10.2015 – 22 W 77/15, ZIP 2016, 161. 16) S. dazu die amtliche Gesetzesbegründung zum ARUG, BT-Drucks. 16/11642, S. 24, und HöltersSolveen, AktG, § 38 Rz. 11; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 38 Rz. 10a; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 38 Rz. 20 ff.; K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 38 Rz. 15. 17) Hölters-Solveen, AktG, § 38 Rz. 12; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 38 Rz. 10b; A. Arnold in: KölnKommAktG, § 38 Rz. 23 f.; K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 38 Rz. 16. 18) K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 38 Rz. 17. 19) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 38 Rz. 11; K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 38 Rz. 18. 20) Hölters-Solveen, AktG, § 38 Rz. 13; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 38 Rz. 11; A. Arnold in: KölnKommAktG, § 38 Rz. 25; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 38 Rz. 67.

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§ 38

Prüfung durch das Gericht

Gesellschaft nur noch dann ablehnen, wenn die Satzung nicht den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestinhalt aufweist (§ 38 Abs. 4 Nr. 1), im öffentlichen Interesse bestehende Vorschriften verletzt (§ 38 Abs. 4 Nr. 2) oder insgesamt nichtig ist (§ 38 Abs. 4 Nr. 3). In allen anderen Fällen darf das Registergericht die Bestimmungen der Satzung weder beanstanden noch zum Anlass für weitere Nachforschungen nehmen. Die Vorschrift bestätigt zudem, dass die Prüfungsbefugnis des Registergerichts auf eine reine Rechtmäßigkeitskontrolle beschränkt ist. Unklare, missverständliche oder widersprüchliche Satzungsbestimmungen stellen daher kein Eintragungshindernis dar. b)

Zwingender Mindestinhalt der Satzung (§ 38 Abs. 4 Nr. 1)

26 Das Registergericht darf und muss prüfen, ob die gesetzlich zwingend vorgesehenen Angaben in der Satzung korrekt enthalten sind (§ 38 Abs. 4 Nr. 1). 27 Dazu gehört zunächst der gesetzliche Mindestinhalt der Satzung (§ 38 Abs. 4 Nr. 1 Alt. 1 i. V. m. § 23 Abs. 3), d. h. die Bestimmungen über: –

die Firma der Gesellschaft (§ 23 Abs. 3 Nr. 1 AktG i. V. m. § 4 und §§ 18 ff. HGB, unter Berücksichtigung der Beschränkungen des § 18 Abs. 2 Satz 2 HGB);



den Sitz der Gesellschaft (§ 23 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 5);



den Gegenstand des Unternehmens, insbesondere seine Zulässigkeit und ausreichende Individualisierung (§ 23 Abs. 3 Nr. 2);



die Höhe des Grundkapitals (§ 23 Abs. 3 Nr. 3 und §§ 6 f.);



die Zerlegung des Grundkapitals in Nennbetrags- oder Stückaktien (§ 23 Abs. 3 Nr. 4 i. V. m. § 8): bei Nennbetragsaktien: die Nennbeträge und die Zahl der Aktien jeden Nennbetrags, und bei Stückaktien: die Zahl der Aktien;



im Fall des Bestehens mehrerer Gattungen von Aktien: die Gattung der Aktien und die Zahl der Aktien jeder Gattung (§ 23 Abs. 3 Nr. 4 i. V. m. § 11);



die Ausstellung von Inhaber- oder Namensaktien (§ 23 Abs. 3 Nr. 5 i. V. m. § 10);



die Zahl der Mitglieder des Vorstands und die Regeln, nach denen diese Zahl festgelegt wird (§ 23 Abs. 3 Nr. 6 i. V. m. § 76 Abs. 2).

28 Zu den vom Registergericht zu überprüfenden Satzungsbestimmungen gehören darüber hinaus alle Regelungen, die aufgrund anderer zwingender gesetzlicher Vorschriften enthalten sein müssen (§ 38 Abs. 4 Nr. 1 Alt. 2). Beispiele dafür sind etwa die Bestimmung über die Form der Bekanntmachung der Gesellschaft (§ 23 Abs. 4) oder die ordnungsgemäße Festsetzung von etwaigen Sondervorteilen (§ 26 Abs. 1), des Gründungsaufwands (§ 26 Abs. 2) sowie von Sacheinlagen und Sachübernahmen (§ 27 Abs. 1). Keine zwingenden Vorschriften in diesem Sinne sind dagegen in der Satzung festgelegte Nebenleistungspflichten (§ 55). 29 Die Prüfungsbefugnis umfasst ferner alle Bestimmungen, die in das Handelsregister einzutragen sind (§ 39) oder vom Gericht bekannt zu machen sind (§ 10 HGB) (§ 38 Abs. 4 Nr. 1 Alt. 3). Bekannt gemacht werden jedoch nur die Eintragungen im Handelsregister, so dass die beiden vom Gesetz getrennt geregelten Fallgruppen deckungsgleich sind. Der Inhalt der Eintragungen im Handelsregister überschneidet sich zudem in weitem Umfang mit dem gesetzlichen Mindestinhalt der Satzung (§ 23 Abs. 3 und 4). Eine darüber hinausgehende Prüfungsbefugnis des Registergerichts besteht aber in Bezug auf: –

die inländische Geschäftsanschrift (§ 39 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 37 Abs. 3 Nr. 1);



den Tag der Feststellung der Satzung (§ 39 Abs. 1 Satz 1 AktG i. V. m. § 23 Abs. 1 AktG und § 9 Abs. 2 BeurkG);

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Thomas Wachter

§ 38

Prüfung durch das Gericht –

die Vorstandsmitglieder (§ 39 Abs. 1 Satz 1);



die Vertretungsbefugnis der Vorstandsmitglieder (§ 39 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 37 Abs. 3 Nr. 2);



Bestimmungen über die Dauer der Gesellschaft (§ 39 Abs. 2);



Bestimmungen über ein genehmigtes Kapital (§ 39 Abs. 2 i. V. m. §§ 202 ff.);



einen inländischen Empfangsbevollmächtigten (§ 39 Abs. 1 Satz 2).

Allerdings sind die Geschäftsanschrift, die Personen der Vorstandsmitglieder und eines inlän- 30 dischen Empfangsbevollmächtigten im Allgemeinen nicht Bestandteil der Satzung, sondern der Handelsregisteranmeldung (und ggf. weiterer Beschlüsse). Der Inhalt der Handelsregisteranmeldung unterliegt aber ohnehin der uneingeschränkten Prüfungsbefugnis des Registergerichts (nach § 38 Abs. 1 Satz 1, und zwar ohne die Einschränkungen nach § 38 Abs. 4). c)

Vorschriften im öffentlichen Interesse (§ 38 Abs. 4 Nr. 2)

Das Registergericht darf und muss ferner prüfen, ob die Satzung Vorschriften verletzt, 31 die ausschließlich oder überwiegend zum Schutz der Gläubiger der Gesellschaft oder sonst im öffentlichen Interesse gegeben sind (§ 38 Abs. 4 Nr. 2). Mit dieser Formulierung hat sich der Gesetzgeber an den gesetzlichen Gründen für die Nichtigkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen (§ 241 Nr. 3 Alt. 2 und 3) orientiert. Die weiteren Nichtigkeitsgründe (u. a. Unvereinbarkeit mit dem Wesen der Gesellschaft, § 241 Nr. 3 Alt. 1 und Verstoß gegen die guten Sitten, § 241 Nr. 4) wurden dagegen nicht übernommen. Bei einem Verstoß der Satzung gegen die guten Sitten dürfte das Registergericht gleichwohl berechtigt und verpflichtet sein, die Eintragung abzulehnen. Zu den gläubigerschützenden Vorschriften gehören insbesondere die Regelungen zur 32 Kapitalaufbringung und -erhaltung (z. B. §§ 26, 27, 36, 36a, 37, 38, 57). Sonstige Vorschriften im öffentlichen Interesse sind bspw. das Mitbestimmungsge- 33 setz21) und das Drittelbeteiligungsgesetz, das Strafgesetzbuch und das Ordnungswidrigkeitengesetz sowie das Steuer- und Bilanzrecht (z. B. Abweichung von den Fristen zur Aufstellung des Jahresabschlusses in § 264 Abs. 1 HGB). Das öffentliche Interesse ist darüber hinaus auch dann berührt, wenn der Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten in unzulässiger Weise eingeschränkt wird.22) Dagegen bestehen Vorschriften, die dem Schutz von Minderheitsgesellschaftern dienen nicht 34 im öffentlichen Interesse. Verstöße dagegen stellen somit kein Eintragungshindernis dar. d)

Gesamtnichtigkeit der Satzung (§ 38 Abs. 4 Nr. 3)

Schließlich darf und muss das Registergericht die Eintragung der Gesellschaft ablehnen, 35 wenn die Satzung insgesamt nichtig ist (§ 38 Abs. 4 Nr. 3). Einzelne Satzungsbestimmungen können nur dann die Nichtigkeit der gesamten Satzung zur Folge haben, wenn die gesetzliche Vermutungsregelung für die Gesamtnichtigkeit (§ 139 BGB) greift. Im Allgemeinen ist der Wille der Gründer aber auch dann auf die Errichtung der Gesellschaft gerichtet, wenn eine einzelne Satzungsregelung nichtig ist. Dies zeigt sich auch daran, dass heute die meisten Satzungen ohnehin eine salvatorische Klausel enthalten, in der diese Absicht nochmals ausdrücklich zum Ausdruck gebracht wird. Die Nichtigkeit einer einzelnen Satzungsbestimmung hat damit regelmäßig nicht die Nichtigkeit des gesamten Gesellschaftsvertrages zur Folge. Die Prüfungsbefugnis des Registergerichts läuft insoweit weitgehend leer. _____________ 21) BGH, Urt. v. 25.2.1982 – II ZR 123/81, BGHZ 83, 106 = ZIP 1982, 434 – zu §§ 25 ff. MitbestG. 22) S. dazu BGH, Urt. v. 6.4.2009 – II ZR 255/08 (Schiedsfähigkeit II), ZIP 2009, 1003.

Thomas Wachter

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§ 39

Inhalt der Eintragung

§ 39 Inhalt der Eintragung (1) 1Bei der Eintragung der Gesellschaft sind die Firma und der Sitz der Gesellschaft, eine inländische Geschäftsanschrift, der Gegenstand des Unternehmens, die Höhe des Grundkapitals, der Tag der Feststellung der Satzung und die Vorstandsmitglieder anzugeben. 2Wenn eine Person, die für Willenserklärungen und Zustellungen an die Gesellschaft empfangsberechtigt ist, mit einer inländischen Anschrift zur Eintragung in das Handelsregister angemeldet wird, sind auch diese Angaben einzutragen; Dritten gegenüber gilt die Empfangsberechtigung als fortbestehend, bis sie im Handelsregister gelöscht und die Löschung bekannt gemacht worden ist, es sei denn, dass die fehlende Empfangsberechtigung dem Dritten bekannt war. 3Ferner ist einzutragen, welche Vertretungsbefugnis die Vorstandsmitglieder haben. (2) Enthält die Satzung Bestimmungen über die Dauer der Gesellschaft oder über das genehmigte Kapital, so sind auch diese Bestimmungen einzutragen. Literatur: Meyer, D., Die wichtigsten Änderungen durch das 2. KostRMoG im Bereich der Handelsregistergebührenverordnung, JurBüro 2013, 538; Schneider, Die neuen Gebühren im Handelsregister zum 1.1.2011, notar 2011, 111.

Übersicht I. Überblick ........................................... 1 II. Inhalt der Eintragung ...................... 4 1. Gesetzlicher Mindestinhalt der Handelsregistereintragung ................ 4 I.

2. Sonstige Eintragungen im Handelsregister ................................. 18 III. Rechtsfolgen der Eintragung ......... 20

Überblick

1 Die Vorschrift bestimmt den Inhalt der Handelsregistereintragung bei Gründung einer AG. Ergänzend gelten die Regelungen der Handelsregisterverordnung über die Eintragungen in Abteilung B des Handelsregisters (§§ 3 Abs. 3, 23 ff., 43 HRV). Die Eintragungen im Handelsregister dienen der Publizität der Gesellschaftsverhältnisse (siehe § 15 HGB).1) 2 Mit der Eintragung im Handelsregister entsteht die AG als juristische Person (siehe § 41 Abs. 1 Satz 1). Der Tag der Handelsregistereintragung hat aber auch in anderem Zusammenhang große praktische Bedeutung (z. B. für den Beginn der Fünf-Jahres-Frist bei Sacheinlagen, § 36a Abs. 2 Satz 2, das Ende der Handelndenhaftung, § 41 Abs. 1 Satz 2, die Verjährung von Schadensersatzansprüchen, § 51 Abs. 1 Satz 2, oder die Höchstdauer eines genehmigten Kapitals, § 202 Abs. 1).2) 3 Die Vorschrift wurde zuletzt durch das MoMiG3) geändert. Seitdem ist stets auch eine inländische Geschäftsanschrift im Handelsregister einzutragen (§ 39 Abs. 1 Satz 1; § 37 Abs. 3 Nr. 1). Falls die Gesellschaft eine empfangsberechtigte Person angemeldet hat, ist auch diese mit ihrer inländischen Anschrift einzutragen (§ 39 Abs. 1 Satz 2). In der Praxis wird von dieser Möglichkeit jedoch kaum Gebrauch gemacht.

_____________ 1) 2) 3)

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Hölters-Solveen, AktG, § 39 Rz. 1; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 39 Rz. 1; K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 39 Rz. 3. Hölters-Solveen, AktG, § 39 Rz. 2. Art. 5 Nr. 4 des Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG), BGBl. I 2008, 2026; s. dazu BT-Drucks. 16/6140, S. 52 und S. 36 f.

Thomas Wachter

§ 39

Inhalt der Eintragung II.

Inhalt der Eintragung

1.

Gesetzlicher Mindestinhalt der Handelsregistereintragung

Bei Gründung einer AG sind die folgenden Angaben zwingend im Handelsregister einzu- 4 tragen: –

die Firma,



der Sitz,



die inländische Geschäftsanschrift,



der Gegenstand des Unternehmens,



die Höhe des Grundkapitals,



der Tag der Feststellung der Satzung,



die Personen der Vorstandsmitglieder und ihre Vertretungsbefugnis und



eine empfangsberechtigte Person mit ihrer inländischen Anschrift (§ 39 Abs. 1);



ferner sind die Zeitdauer der Gesellschaft und ein genehmigtes Kapital einzutragen, wenn die Satzung eine entsprechende Bestimmung enthält (§ 39 Abs. 2).

Im Handelsregister wird die Firma der AG eingetragen (§ 39 Abs. 1 Satz 1 AktG i. V. m. 5 § 43 Nr. 2 lit. a HRV). Maßgebend ist die in der Satzung festgelegte Firma (§ 23 Abs. 3 Nr. 1). Für die Zulässigkeit der Firma gelten die allgemeinen Vorschriften (§ 4 AktG und §§ 17 ff. HGB). Eine zulässige Firma ist grundsätzlich so einzutragen, wie sie in der Satzung festgelegt worden ist. Dies gilt insbesondere auch für die konkrete Schreibweise der Firma, wie etwa Groß- und Kleinschreibung,4) Zeichenabstände und Leerzeichen. Ferner ist stets auch der Sitz der Gesellschaft im Handelsregister einzutragen (§ 39 Abs. 1 6 Satz 1 AktG i. V. m. § 43 Nr. 2 lit. b HRV). Damit ist der Satzungssitz gemeint (§ 23 Abs. 3 Nr. 1 i. V. m. § 5). Der Verwaltungssitz ist auch dann nicht einzutragen, wenn die Satzung dazu ausnahmsweise eine Regelung enthält. Als Satzungssitz ist die jeweilige politische Gemeinde im Inland (ohne Postleitzahl) einzutragen. Bloße Orts- oder Stadtteile können nicht Sitz einer AG sein und sind daher allenfalls ergänzend einzutragen. Bei einem Doppelsitz sind beide Sitze einzutragen. Seit Inkrafttreten des MoMiG ist stets auch eine inländische Geschäftsanschrift der 7 Gesellschaft anzumelden (§ 37 Abs. 3 Nr. 1) und einzutragen (§ 39 Abs. 1 Satz 1 AktG i. V. m. § 43 Nr. 2 lit. b HRV). Die Geschäftsanschrift kann im Inland frei gewählt werden; sie muss insbesondere nicht mit dem Satzungs- und/oder Verwaltungssitz übereinstimmen. Die Geschäftsanschrift muss mindestens Postleitzahl, Ort, Straße und Hausnummer umfassen (ggf. auch weitere Angaben, die für eine problemlose Zustellung erforderlich sind, wie Vorder- oder Rückgebäude, Stockwerk, etc.). Dabei sind auch c/o-Anschriften zulässig.5) Im Handelsregister ist der Gegenstand des Unternehmens einzutragen (§ 39 Abs. 1 8 Satz 1 AktG i. V. m. § 43 Nr. 2 lit. c HRV). Maßgebend ist dabei grundsätzlich der in der Satzung festgelegte Gegenstand des Unternehmens (§§ 3 Abs. 1, 23 Abs. 3 Nr. 2). Allgemein übliche Zusätze zum Unternehmensgegenstand (wie etwa die Berechtigung zur Errichtung von Zweigniederlassungen oder zum Erwerb von Beteiligungen an anderen _____________ 4)

5)

S. aber OLG München, Beschl. v. 13.4.2011 – 31 Wx 79/11, GmbHR 2011, 587 – keine Bindung des Registergerichts an hochgestellte Zahl in Firma; OLG München, Beschl. v. 28.7.2010 – 31 Wx 129/10, GmbHR 2010, 1155 = DB 2010, 2164 – keine Bindung des Registergerichts an durchgehende Verwendung von Großbuchstaben in Firma. Zur GmbH OLG Naumburg, Beschl. v. 8.5.2009 – 5 Wx 4/09, GmbHR 2009, 832 = DB 2009, 1698. Einschränkend aber OLG Rostock, Beschl. v. 31.5.2010 – 1 W 6/10, GmbHR 2011, 30 = NZG 2011, 279.

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§ 39

Inhalt der Eintragung

Unternehmen), die für die konkrete Gesellschaft aber ohne konkrete Bedeutung sind, müssen aus Gründen der Übersichtlichkeit des Handelsregisters allerdings nicht miteingetragen werden.6) 9 Darüber hinaus wird im Handelsregister auch die Höhe des Grundkapitals eingetragen (§ 39 Abs. 1 Satz 1 AktG i. V. m. § 43 Nr. 3 HRV). Einzutragen ist das Grundkapital gemäß der Satzung i. H. v. mindestens 50.000 € (§ 23 Abs. 3 Nr. 3 i. V. m. §§ 6 f.), und zwar unabhängig von der Leistung der Einlagen. Die Zerlegung des Grundkapitals in Nennbetrags- oder Stückaktien (siehe §§ 8, 23 Abs. 3 Nr. 4) wird dagegen nicht im Handelsregister eingetragen. 10 Im Handelsregister ist sodann der Tag der Feststellung der Satzung einzutragen (§ 39 Abs. 1 Satz 1 AktG i. V. m. § 43 Nr. 6 lit. a HRV). Maßgeblich ist der Tag der notariellen Beurkundung der Satzung (§ 23 Abs. 1 Satz 1 AktG i. V. m. § 9 Abs. 2 BeurkG). Erfolgt vor der erstmaligen Eintragung der Gesellschaft eine Änderung der Satzung, ist sowohl der Tag der ursprünglichen Satzungsfeststellung als auch der Tag der späteren Änderung einzutragen.7) 11 Im Handelsregister werden schließlich stets auch die Mitglieder des Vorstands und ihre Vertretungsbefugnis eingetragen (§ 39 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 AktG i. V. m. § 43 Nr. 4 lit. a und b HRV). 12 Einzutragen sind alle Mitglieder des Vorstands (siehe § 76 Abs. 2) mit Familiennamen, Vornamen, Geburtsdatum (nicht Geburtsort) und Wohnort (nicht die vollständige Wohnanschrift). Der Beruf wird nicht eingetragen.8) Stellvertretende Mitglieder des Vorstands (§ 94) werden gleichfalls eingetragen, allerdings ohne Stellvertretervermerk.9) Der Vorsitzende des Vorstands wird als solcher im Handelsregister eingetragen. 13 Ferner ist die Vertretungsbefugnis der Vorstandsmitglieder einzutragen (§ 39 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 78). Die Vertretungsbefugnis ist dabei so einzutragen, wie sie beschlossen (§ 30 Abs. 4) und angemeldet worden ist (§ 37 Abs. 3 Nr. 2). Anzumelden und einzutragen ist demnach stets die allgemeine Regelung zur Vertretung der Vorstandsmitglieder (§ 43 Nr. 4 lit. a HRV) und eine davon abweichende besondere Vertretungsbefugnis einzelner, mehrerer oder aller Mitglieder des Vorstands (§ 43 Nr. 4 lit. b HRV). 14 Das MoMiG hat erstmals die Möglichkeit geschaffen, neben dem Vorstand weitere empfangsberechtigte Personen zu bestellen und im Handelsregister eintragen zu lassen (§ 39 Abs. 1 Satz 2 AktG i. V. m. § 43 Nr. 2 lit. b HRV).10) Die Neuregelung dient dem Ziel, Zustellungen an die Gesellschaft zu erleichtern (siehe auch § 78 Abs. 2 Sätze 3 und 4 AktG, § 15a HGB, § 185 Nr. 2 ZPO).11) Als empfangsberechtigte Person kommt grundsätzlich jede (natürliche oder juristische) Person in Betracht, die im Inland über eine zustellungsfähige Anschrift verfügt. Falls eine empfangsberechtigte Person zur Eintragung in das Handelsregister angemeldet worden ist (was in der Praxis bislang nur selten vorkommt) sind deren vollständiger Name bzw. Firma und Anschrift einzutragen. _____________ 6) Hölters-Solveen, AktG, § 39 Rz. 7. 7) Hölters-Solveen, AktG, § 39 Rz. 9; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 39 Rz. 2; K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 39 Rz. 3. 8) Hölters-Solveen, AktG, § 39 Rz. 10; a. A. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 39 Rz. 2. 9) S. BGH, Beschl. v. 10.11.1997 – II ZB 6/97, ZIP 1998, 152 – zum GmbH-Geschäftsführer. 10) Hölters-Solveen, AktG, § 39 Rz. 11; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 39 Rz. 3; A. Arnold in: KölnKommAktG, § 39 Rz. 13 ff.; K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 39 Rz. 6. 11) S. LG Zwickau, Beschl. v. 15.7.2010 – WM 2010, 2098 – öffentliche Zustellung an GmbH bei fehlender Eintragung einer inländischen Geschäftsanschrift im Handelsregister.

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Thomas Wachter

§ 39

Inhalt der Eintragung

Eine Bestimmung über die Dauer der Gesellschaft ist nur dann in das Handelsregister 15 einzutragen, wenn die Satzung eine solche Bestimmung enthält (§ 39 Abs. 2 Halbs. 1, § 262 Abs. 1 Nr. 1 AktG i. V. m. § 43 Nr. 6 lit. b, bb HRV). Die allgemein übliche Satzungsregelung, wonach die Gesellschaft auf unbestimmte Dauer besteht, ist dagegen nicht im Handelsregister einzutragen. Im Handelsregister ist ein genehmigtes Kapital einzutragen, wenn die Gründungssat- 16 zung ein solches vorsieht (§ 39 Abs. 2 Halbs. 2, §§ 202 ff. AktG i. V. m. § 43 Nr. 6 lit. b, hh HRV). Einzutragen ist die Höhe des genehmigten Kapitals und der Zeitpunkt, bis zu dem die Ermächtigung des Vorstands zur Kapitalerhöhung besteht. Über den Gesetzeswortlaut hinaus ist auch ein bedingtes Kapital im Handelsregister 17 einzutragen, wenn es bereits bei Gründung beschlossen wird (§§ 192 ff. AktG i. V. m. § 43 Nr. 6 lit. b, gg HRV). Die Eintragung muss allerdings nicht unbedingt zeitgleich mit der Neueintragung der Gesellschaft erfolgen.12) 2.

Sonstige Eintragungen im Handelsregister

Die allgemeinen Vorschriften über die Eintragungen im Handelsregister bleiben unbe- 18 rührt (siehe etwa §§ 13 ff. HGB i. V. m. § 43 Nr. 2 lit. a HRV für Zweigniederlassungen, §§ 48 ff. HGB i. V. m. § 43 Nr. 5 HRV für Prokuristen). Ansonsten regelt das AktG die Eintragungen im Handelsregister abschließend. Weitere Eintragungen sind aus Gründen der Übersichtlichkeit und Verständlichkeit des Handelsregisters somit nicht möglich. Nicht im Handelsregister eingetragen werden insbesondere die Mitglieder des Aufsichts- 19 rats.13) Der Handelsregisteranmeldung ist lediglich eine Liste der Aufsichtsratsmitglieder als Anlage beizufügen (§ 37 Abs. 4 Nr. 3a). Die Liste ist im Handelsregister für jedermann einsehbar (§ 9 Abs. 1 HGB), wird aber nicht unmittelbar in das Handelsregister selbst eingetragen. Bei jeder späteren Änderung in den Personen der Aufsichtsratsmitglieder hat der Vorstand unverzüglich eine neue Liste zum Handelsregister einzureichen (§ 106 Halbs. 1). Das Registergericht macht dann einen Hinweis bekannt, dass eine neue Liste eingereicht worden ist; die Liste selbst wird dagegen nicht bekannt gemacht (§ 106 Halbs. 2 AktG i. V. m. § 10 HGB). III.

Rechtsfolgen der Eintragung

Mit der Eintragung im Handelsregister (§ 27 Abs. 4 HRV, § 382 Abs. 2 FamFG) entsteht 20 die AG als juristische Person (siehe § 41 Abs. 1 Satz 1). Dies gilt auch dann, wenn die Eintragung nicht (oder noch nicht) erfolgen hätte dürfen. Etwaige Mängel werden im Allgemeinen durch die Eintragung geheilt. Bei schwerwiegenden Mängeln ist ggf. eine Nichtigkeitsklage (§§ 275 ff.), eine Amtslöschung (§§ 395, 397 FamFG) oder eine Amtsauflösung (§ 399 FamFG) möglich.14) Fehlerhafte oder unvollständige Eintragungen können vom Registergericht von Amts 21 wegen berichtigt werden (§ 17 HRV). Die Beteiligten (und der Notar, § 378 FamFG) können durch formlosen Antrag auch auf eine entsprechende Berichtigung hinwirken. Daneben kommt auch eine Beschwerde (§§ 58 ff. FamFG) in Betracht.

_____________ 12) Für Eintragungsfähigkeit Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 39 Rz. 4; A. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 39 Rz. 18; K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 39 Rz. 7. 13) K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 39 Rz. 5. 14) Hölters-Solveen, AktG, § 39 Rz. 15; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 39 Rz. 5; K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 39 Rz. 8.

Thomas Wachter

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§ 40

(aufgehoben)

22 Für die Eintragung einer AG ist grundsätzlich der Registerrichter (und nicht der Rechtspfleger) zuständig (siehe §§ 25 ff. HRV und §§ 3 Nr. 2 lit. d, 17 Nr. 1 lit. a und 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 RPflG). 23 Die Eintragung ist den Beteiligten bekannt zu machen, sofern diese darauf nicht verzichten (§ 383 Abs. 1 FamFG). In der Praxis wird die Eintragung meist (nur) der Gesellschaft und dem die Handelsregisteranmeldung einreichenden Notar (nicht aber auch den sonstigen Beteiligten, siehe § 36 Abs. 1) bekannt gemacht. Die Eintragung wird darüber hinaus der Industrie- und Handelskammer sowie je nach Einzelfall anderen Kammern und öffentlichen Stellen mitgeteilt (siehe § 37 HRV). Die Eintragungen im Handelsregister werden vom AG zudem in dem von der Landesjustizverwaltung bestimmten elektronischen Informations- und Kommunikationssystem (siehe www.handelsregisterbekanntmachungen.de) bekannt gemacht (§ 10 HGB i. V. m. §§ 32 ff. HRV). Eine Bekanntmachung im Bundesanzeiger oder in Tageszeitungen erfolgt dagegen nicht mehr. 24 Die Kosten für die Eintragung richten sich nach dem Gerichts- und Notarkostengesetz i. V. m. der Handelsregistergebührenverordnung (§ 58 GNotKG).15) Die Kosten für die Ersteintragung einer AG betragen bei einer reinen Bargründung demnach 300 €, und falls mindestens eine Sacheinlage geleistet wird, erhöhen sich die Gebühren auf 360 €. Die Gebühren sind unabhängig von der Höhe des Grundkapitals. _____________ 15) Zu den Gebühren für die Handelsregistereintragung s. D. Meyer, JurBüro 2013, 538; Schneider, notar 2011, 111.

§ 40 (aufgehoben)1) _____________ 1)

Aufgehoben m. W. v. 1.1.2007 durch Art. 9 des Gesetzes v. 10.11.2006 – EHUG, BGBl. I 2006, 2553.

§ 41 Handeln im Namen der Gesellschaft vor der Eintragung. Verbotene Aktienausgabe (1) 1Vor der Eintragung in das Handelsregister besteht die Aktiengesellschaft als solche nicht. 2Wer vor der Eintragung der Gesellschaft in ihrem Namen handelt, haftet persönlich; handeln mehrere, so haften sie als Gesamtschuldner. (2) Übernimmt die Gesellschaft eine vor ihrer Eintragung in ihrem Namen eingegangene Verpflichtung durch Vertrag mit dem Schuldner in der Weise, daß sie an die Stelle des bisherigen Schuldners tritt, so bedarf es zur Wirksamkeit der Schuldübernahme der Zustimmung des Gläubigers nicht, wenn die Schuldübernahme binnen drei Monaten nach der Eintragung der Gesellschaft vereinbart und dem Gläubiger von der Gesellschaft oder dem Schuldner mitgeteilt wird. (3) Verpflichtungen aus nicht in der Satzung festgesetzten Verträgen über Sondervorteile, Gründungsaufwand, Sacheinlagen oder Sachübernahmen kann die Gesellschaft nicht übernehmen. (4) 1Vor der Eintragung der Gesellschaft können Anteilsrechte nicht übertragen, Aktien oder Zwischenscheine nicht ausgegeben werden. 2Die vorher ausgegebenen Aktien oder 238

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§ 40

(aufgehoben)

22 Für die Eintragung einer AG ist grundsätzlich der Registerrichter (und nicht der Rechtspfleger) zuständig (siehe §§ 25 ff. HRV und §§ 3 Nr. 2 lit. d, 17 Nr. 1 lit. a und 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 RPflG). 23 Die Eintragung ist den Beteiligten bekannt zu machen, sofern diese darauf nicht verzichten (§ 383 Abs. 1 FamFG). In der Praxis wird die Eintragung meist (nur) der Gesellschaft und dem die Handelsregisteranmeldung einreichenden Notar (nicht aber auch den sonstigen Beteiligten, siehe § 36 Abs. 1) bekannt gemacht. Die Eintragung wird darüber hinaus der Industrie- und Handelskammer sowie je nach Einzelfall anderen Kammern und öffentlichen Stellen mitgeteilt (siehe § 37 HRV). Die Eintragungen im Handelsregister werden vom AG zudem in dem von der Landesjustizverwaltung bestimmten elektronischen Informations- und Kommunikationssystem (siehe www.handelsregisterbekanntmachungen.de) bekannt gemacht (§ 10 HGB i. V. m. §§ 32 ff. HRV). Eine Bekanntmachung im Bundesanzeiger oder in Tageszeitungen erfolgt dagegen nicht mehr. 24 Die Kosten für die Eintragung richten sich nach dem Gerichts- und Notarkostengesetz i. V. m. der Handelsregistergebührenverordnung (§ 58 GNotKG).15) Die Kosten für die Ersteintragung einer AG betragen bei einer reinen Bargründung demnach 300 €, und falls mindestens eine Sacheinlage geleistet wird, erhöhen sich die Gebühren auf 360 €. Die Gebühren sind unabhängig von der Höhe des Grundkapitals. _____________ 15) Zu den Gebühren für die Handelsregistereintragung s. D. Meyer, JurBüro 2013, 538; Schneider, notar 2011, 111.

§ 40 (aufgehoben)1) _____________ 1)

Aufgehoben m. W. v. 1.1.2007 durch Art. 9 des Gesetzes v. 10.11.2006 – EHUG, BGBl. I 2006, 2553.

§ 41 Handeln im Namen der Gesellschaft vor der Eintragung. Verbotene Aktienausgabe (1) 1Vor der Eintragung in das Handelsregister besteht die Aktiengesellschaft als solche nicht. 2Wer vor der Eintragung der Gesellschaft in ihrem Namen handelt, haftet persönlich; handeln mehrere, so haften sie als Gesamtschuldner. (2) Übernimmt die Gesellschaft eine vor ihrer Eintragung in ihrem Namen eingegangene Verpflichtung durch Vertrag mit dem Schuldner in der Weise, daß sie an die Stelle des bisherigen Schuldners tritt, so bedarf es zur Wirksamkeit der Schuldübernahme der Zustimmung des Gläubigers nicht, wenn die Schuldübernahme binnen drei Monaten nach der Eintragung der Gesellschaft vereinbart und dem Gläubiger von der Gesellschaft oder dem Schuldner mitgeteilt wird. (3) Verpflichtungen aus nicht in der Satzung festgesetzten Verträgen über Sondervorteile, Gründungsaufwand, Sacheinlagen oder Sachübernahmen kann die Gesellschaft nicht übernehmen. (4) 1Vor der Eintragung der Gesellschaft können Anteilsrechte nicht übertragen, Aktien oder Zwischenscheine nicht ausgegeben werden. 2Die vorher ausgegebenen Aktien oder 238

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§ 40

(aufgehoben)

22 Für die Eintragung einer AG ist grundsätzlich der Registerrichter (und nicht der Rechtspfleger) zuständig (siehe §§ 25 ff. HRV und §§ 3 Nr. 2 lit. d, 17 Nr. 1 lit. a und 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 RPflG). 23 Die Eintragung ist den Beteiligten bekannt zu machen, sofern diese darauf nicht verzichten (§ 383 Abs. 1 FamFG). In der Praxis wird die Eintragung meist (nur) der Gesellschaft und dem die Handelsregisteranmeldung einreichenden Notar (nicht aber auch den sonstigen Beteiligten, siehe § 36 Abs. 1) bekannt gemacht. Die Eintragung wird darüber hinaus der Industrie- und Handelskammer sowie je nach Einzelfall anderen Kammern und öffentlichen Stellen mitgeteilt (siehe § 37 HRV). Die Eintragungen im Handelsregister werden vom AG zudem in dem von der Landesjustizverwaltung bestimmten elektronischen Informations- und Kommunikationssystem (siehe www.handelsregisterbekanntmachungen.de) bekannt gemacht (§ 10 HGB i. V. m. §§ 32 ff. HRV). Eine Bekanntmachung im Bundesanzeiger oder in Tageszeitungen erfolgt dagegen nicht mehr. 24 Die Kosten für die Eintragung richten sich nach dem Gerichts- und Notarkostengesetz i. V. m. der Handelsregistergebührenverordnung (§ 58 GNotKG).15) Die Kosten für die Ersteintragung einer AG betragen bei einer reinen Bargründung demnach 300 €, und falls mindestens eine Sacheinlage geleistet wird, erhöhen sich die Gebühren auf 360 €. Die Gebühren sind unabhängig von der Höhe des Grundkapitals. _____________ 15) Zu den Gebühren für die Handelsregistereintragung s. D. Meyer, JurBüro 2013, 538; Schneider, notar 2011, 111.

§ 40 (aufgehoben)1) _____________ 1)

Aufgehoben m. W. v. 1.1.2007 durch Art. 9 des Gesetzes v. 10.11.2006 – EHUG, BGBl. I 2006, 2553.

§ 41 Handeln im Namen der Gesellschaft vor der Eintragung. Verbotene Aktienausgabe (1) 1Vor der Eintragung in das Handelsregister besteht die Aktiengesellschaft als solche nicht. 2Wer vor der Eintragung der Gesellschaft in ihrem Namen handelt, haftet persönlich; handeln mehrere, so haften sie als Gesamtschuldner. (2) Übernimmt die Gesellschaft eine vor ihrer Eintragung in ihrem Namen eingegangene Verpflichtung durch Vertrag mit dem Schuldner in der Weise, daß sie an die Stelle des bisherigen Schuldners tritt, so bedarf es zur Wirksamkeit der Schuldübernahme der Zustimmung des Gläubigers nicht, wenn die Schuldübernahme binnen drei Monaten nach der Eintragung der Gesellschaft vereinbart und dem Gläubiger von der Gesellschaft oder dem Schuldner mitgeteilt wird. (3) Verpflichtungen aus nicht in der Satzung festgesetzten Verträgen über Sondervorteile, Gründungsaufwand, Sacheinlagen oder Sachübernahmen kann die Gesellschaft nicht übernehmen. (4) 1Vor der Eintragung der Gesellschaft können Anteilsrechte nicht übertragen, Aktien oder Zwischenscheine nicht ausgegeben werden. 2Die vorher ausgegebenen Aktien oder 238

Thomas Wachter

Handeln im Namen der Gesellschaft vor der Eintragung. Verbotene Aktienausgabe § 41 Zwischenscheine sind nichtig. 3Für den Schaden aus der Ausgabe sind die Ausgeber den Inhabern als Gesamtschuldner verantwortlich. Literatur: Heidinger, Die Haftung und die Vertretung in der Gründungsphase der GmbH im Vergleich zur (kleinen) Aktiengesellschaft, GmbHR 2003, 189; Schwab, Handelndenhaftung und gesetzliche Verbindlichkeiten, NZG 2012, 481.

Übersicht I. Überblick ............................................ 1 II. Vorgründungsgesellschaft ............... 4 III. Vorgesellschaft .................................. 7 IV. Handelndenhaftung (§ 41 Abs. 1 Satz 2) .......................... 17 V. Schuldübernahme (§ 41 Abs. 2) ..... 22 I.

VI. Übernahmeverbot (§ 41 Abs. 3) .... VII. Übertragungs- und Ausgabeverbot (§ 41 Abs. 4) ......................... 1. Übertragungsverbot der Mitgliedschaft ......................................... 2. Verbot der Ausgabe von Aktien ......

24 26 26 28

Überblick

Die AG entsteht als juristische Person erst mit der Eintragung im Handelsregister (§ 41 1 Abs. 1 Satz 1; § 39). Die Eintragung hat somit konstitutive Wirkung. Bei der Gründung einer AG sind in zeitlicher Hinsicht drei Phasen zu unterscheiden:1) –

Vorgründungsgesellschaft: Vor der Errichtung der Gesellschaft (§ 29) kann bereits eine Vorgründungsgesellschaft bestehen. Dabei handelt es sich meist um eine GbR bzw. OHG, deren Zweck auf die Gründung der AG gerichtet ist.



Vorgesellschaft: Mit der notariellen Feststellung der Satzung und der Übernahme aller Aktien durch die Gründer (d. h. der Errichtung der Gesellschaft i. S. von § 29) entsteht die Vorgesellschaft (Vor-AG). Die Vorgesellschaft ist nicht mit der Vorgründungsgesellschaft identisch. Das Vermögen der Vorgründungsgesellschaft geht nicht kraft Gesetzes auf die Vorgesellschaft über, sondern muss auf diese ggf. im Wege der Einzelübertragung übertragen werden. Die Vorgesellschaft ist eine Rechtsform sui generis, für die bereits die Regelungen des AktG Anwendung finden, soweit sie nicht die Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister voraussetzen.



AG: Mit der Eintragung im Handelsregister entsteht die AG als juristische Person. Die Vorgesellschaft endet mit der Eintragung im Handelsregister, ohne dass es einer Liquidation bedarf. Die Rechte und Pflichten der Vorgesellschaft gehen aufgrund Gesamtrechtsnachfolge kraft Gesetzes auf die AG über.

2

Das AktG regelt die rechtlichen Verhältnisse bei Gründung der Gesellschaft nur bruch- 3 stückhaft.2) Die Vorschrift des § 41 betrifft einzelne Fragen der Vorgesellschaft (§ 41 Abs. 1 und 4: „vor der Eintragung“). Die AG entsteht erst mit der Eintragung im Handelsregister (§ 41 Abs. 1 Satz 1). Wer bereits vor der Eintragung der Gesellschaft in deren Namen handelt, haftet gegenüber Dritten persönlich und gesamtschuldnerisch (Handelndenhaftung; § 41 Abs. 1 Satz 2). Für eine Schuldübernahme von Verpflichtungen der Vorgesellschaft durch die spätere AG sind gegenüber den allgemeinen Regelungen des BGB Erleichterungen vorgesehen (§ 41 Abs. 2). Verpflichtungen aus etwaigen Sondervorteilen, Gründungsaufwand oder Sacheinlagen bzw. Sachübernahmen, die in der Satzung nicht ordnungsgemäß festgesetzt worden sind, darf die Gesellschaft nicht übernehmen (§ 41 Abs. 3). In der Grün_____________ 1) 2)

Grundlegend (zur GmbH) – BGH, Urt. v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129 = ZIP 1981, 394, dazu EWiR 1992, 57 (Bokelmann). So ausdrücklich BGH, Urt. v. 23.10.2006 – II ZR 162/05, BGHZ 169, 270 = ZIP 2006, 2267, dazu EWiR 2007, 289 (Krolop). – S. ferner M. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 41 Rz. 2 – gesetzliche Regelung ist lückenhaft und veraltet.

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§ 41 Handeln im Namen der Gesellschaft vor der Eintragung. Verbotene Aktienausgabe dungsphase dürfen die Anteilsrechte nicht übertragen werden und keine Aktien ausgegeben werden (§ 41 Abs. 4) II.

Vorgründungsgesellschaft

4 In der Zeit vor Errichtung der Gesellschaft (§ 29) kann (nicht muss) bereits eine Vorgründungsgesellschaft entstehen. Bei der Vorgründungsgesellschaft handelt es sich um einen Zusammenschluss von Personen, die den gemeinsamen Zweck verfolgen, eine AG zu gründen. Rechtlich handelt es sich dabei regelmäßig um eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (§§ 705 ff. BGB). Im Einzelfall kann auch eine offene Handelsgesellschaft (§§ 105 ff. HGB) vorliegen, insbesondere wenn bereits in dieser Phase eine geschäftliche Tätigkeit erfolgt. Die Vorschriften des Aktienrechts sind auf die Vorgründungsgesellschaft nicht (auch nicht analog) anwendbar. Alle Gesellschafter der Vorgründungsgesellschaft haften daher für deren Verbindlichkeiten persönlich, unbeschränkt und gesamtschuldnerisch (§§ 128 ff. HGB unmittelbar bzw. analog).3) 5 Die Gründung einer Vorgründungsgesellschaft ist formlos möglich (und erfolgt vielfach konkludent). Ein durchsetzbarer Anspruch auf Mitwirkung an der Gründung der AG besteht allerdings nur dann, wenn zugleich ein notariell beurkundeter Vorvertrag (§ 23 Abs. 1 analog) abgeschlossen wird.4) 6 Die Vorgesellschaft endet mit Zweckerreichung (§ 726 BGB), d. h. mit Errichtung der AG (§ 29). Die mit der Errichtung der AG entstehende Vorgesellschaft ist mit der Vorgründungsgesellschaft nicht identisch. Die Aktiva und Passiva der Vorgründungsgesellschaft gehen auch nicht aufgrund gesetzlicher Gesamtrechtsnachfolge auf die Vorgesellschaft über. Vielmehr bedarf es dazu einer rechtsgeschäftlichen Einzelrechtsübertragung (unter Zustimmung etwaiger Gläubiger). III.

Vorgesellschaft

7 Mit der Errichtung der AG (§ 29) entsteht zwingend die Vorgesellschaft. Dies gilt auch bei einer Einpersonengesellschaft (siehe § 2), da die Vorgesellschaft juristische Person und nicht Gesamthandsgemeinschaft ist.5) Bei der Vorgesellschaft handelt es sich nach überwiegender Auffassung um eine Rechtsform sui generis, für die bereits die Vorschriften des AktG Anwendung finden, soweit diese nicht schon die Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister voraussetzen. Zweck der Vorgesellschaft ist im Regelfall die Herbeiführung der Handelsregistereintragung der Gesellschaft und die Beendigung des Gründungsvorgangs.6) 8 Für das Innenverhältnis der Vorgesellschaft ist neben den Vorschriften des AktG vor allem die Satzung maßgebend, die vor Eintragung der Gesellschaft noch nach allgemeinen Grundsätzen (§§ 133, 157 BGB) auszulegen ist.7) Die Vorgesellschaft hat mit Vorstand, Aufsichtsrat und Hauptversammlung bereits die gleichen Organe wie die spätere AG. Die Rechte und Pflichten der Organe richten sich im Grundsatz bereits nach den allgemeinen _____________ 3) 4) 5)

6) 7)

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Hölters-Solveen, AktG, § 41 Rz. 5; M. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 41 Rz. 8 ff.; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 41 Rz. 10 ff.; Spindler/Stilz-Heidinger, AktG, § 41 Rz. 17 ff. und 76. KG Berlin, Urt. v. 22.1.2004 – 8 U 170/03, AG 2004, 321. Hölters-Solveen, AktG, § 41 Rz. 4. K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 41 Rz. 4 f.; wohl auch Hölters-Solveen, AktG, § 41 Rz. 18 f. (s. aber auch Rz. 6). A. A. dagegen die bislang h. M., u. a. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 41 Rz. 3 und 17a ff.; M. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 41 Rz. 18; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 41 Rz. 24. S. dazu im Zusammenhang mit der Auflösung einer Vorgesellschaft BGH, Urt. v. 23.10.2006 – II ZR 162/05, BGHZ 169, 270 = ZIP 2006, 2267. Hölters-Solveen, AktG, § 41 Rz. 7; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 41 Rz. 5; M. Arnold in: KölnKommAktG, § 41 Rz. 23 ff.; K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 41 Rz. 21.

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Handeln im Namen der Gesellschaft vor der Eintragung. Verbotene Aktienausgabe § 41 Bestimmungen des AktG (z. B. eigenverantwortliche Leitung der Gesellschaft durch den Vorstand nach § 76,8) Überwachung des Vorstands durch den Aufsichtsrat nach § 111, Haftung der Organe nach §§ 93, 116), wobei die Erfüllung der gründungsbezogenen Aufgaben aufgrund des Zwecks der Vorgesellschaft im Mittelpunkt steht.9) Die Vorgesellschaft ist rechtsfähig, parteifähig, grundbuchfähig,10) kontofähig und insol- 9 venzfähig.11) Die Vorgesellschaft kann sich bspw. bereits als Komplementärin an einer Kommanditgesellschaft beteiligen (z. B. AG & Co. KG) und auch schon Gründerin einer anderen AG sein. Insgesamt kann die Vorgesellschaft heute uneingeschränkt am Rechtsverkehr teilnehmen und Rechte und Pflichten begründen. Beim Auftreten nach außen sollte die Vorgesellschaft aber stets einen Hinweis auf das Gründungsstadium in die Firma aufnehmen (z. B. AG i.Gr.). Die Vorgesellschaft wird im Außenverhältnis durch den Vorstand vertreten (siehe §§ 30 10 Abs. 4, 78 ff.). Dabei ist allerdings umstritten, ob die Vertretungsmacht des Vorstands der Vorgesellschaft auf die für die Gründung der Gesellschaft notwendigen Rechtsgeschäfte beschränkt ist oder ob dieser schon über die umfassende Vertretungsmacht des Vorstands der späteren AG verfügt (§ 82 Abs. 1). Die h. M.12) geht davon aus, dass die Vertretungsmacht des ersten Vorstands entsprechend dem Zweck der Vorgesellschaft auf die i. R. der Gründung erforderlichen Rechtsgeschäfte beschränkt ist. Weitergehende Rechtsgeschäfte bedürfen zu ihrer Wirksamkeit eines Beschlusses mit Zustimmung aller Gründer, da diese für etwaige Verluste in der Gründungsphase auch persönlich haften. Dies erscheint nicht überzeugend.13) Denn die Vertretungsmacht der Organe von Handelsgesellschaften ist im deutschen Recht grundsätzlich unbeschränkt (siehe etwa § 82 Abs. 1 AktG; § 37 Abs. 2 GmbHG, § 126 Abs. 2 HGB). Darauf muss sich der Rechtsverkehr verlassen können. Zudem wäre es für die Rechtssicherheit abträglich, wenn die Gründungsnotwendigkeit eines Rechtsgeschäfts über dessen Wirksamkeit entscheiden würde. Die Gründer sind i. Ü. nicht schutzwürdig, da sie eine Geschäftstätigkeit der Vorgesellschaft oder Handelsregistereintragung untersagen können. In der Praxis empfiehlt es sich, in entsprechenden Fällen bereits in der notariellen Gründungsurkunde vorsorglich eine entsprechende Zustimmung aller Gründer mit aufzunehmen. Für die Verbindlichkeiten der Vorgesellschaft haftet den Gläubigern das Vermögen der 11 Vorgesellschaft (siehe § 1 Abs. 1 Satz 2). Diese Haftung endet mit der Eintragung der AG im Handelsregister. Denn mit der Handelsregistereintragung gehen auch alle Verbindlichkeiten der Vorgesellschaft auf die AG über. Dafür ist keine Zustimmung der Gläubiger erforderlich (siehe auch § 41 Abs. 2). Seitdem die Rechtsprechung das frühere Vorbelastungsverbot aufgegeben hat,14) ist all- 12 gemein anerkannt, dass die Gründer zur Sicherung der gesetzlich vorgesehenen Kapital_____________ 8) K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 41 Rz. 20. A. A. BGH, Urt. v. 23.10.2006 – II ZR 162/05, BGHZ 169, 270 = ZIP 2006, 2267, sowie Hölters-Solveen, AktG, § 41 Rz. 8; M. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 41 Rz. 31; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 41 Rz. 35 und 53; Spindler/Stilz-Heidinger, AktG, § 41 Rz. 53. Differenzierend Hüffer, AktG, § 41 Rz. 6. 9) S. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 41 Rz. 6 f.; K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 41 Rz. 19 f. 10) Dazu ausführlich Hölters-Solveen, AktG, § 41 Rz. 9 und 11. 11) Hölters-Solveen, AktG, § 41 Rz. 9; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 41 Rz. 10; M. Arnold in: KölnKommAktG, § 41 Rz. 19 ff.; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 41 Rz. 51 f.; Spindler/Stilz-Heidinger, AktG, § 41 Rz. 28 ff. 12) Hölters-Solveen, AktG, § 41 Rz. 10; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 41 Rz. 11; Spindler/Stilz-Heidinger, AktG, § 41 Rz. 54 ff. 13) So auch M. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 41 Rz. 32; K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 41 Rz. 7; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 41 Rz. 35. 14) Grundlegend BGH, Urt. v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129 = ZIP 1981, 394.

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§ 41 Handeln im Namen der Gesellschaft vor der Eintragung. Verbotene Aktienausgabe aufbringung eine persönliche Haftung trifft. Die nähere Ausgestaltung der Haftung richtet sich insbesondere danach, ob die Gesellschaft im Handelsregister eingetragen wird oder die Eintragung scheitert. 13 Die Unterbilanzhaftung (Vorbelastungshaftung) greift ein, wenn die Gesellschaft antragsgemäß im Handelsregister eingetragen wird, der Wert des Gesellschaftsvermögens (abzüglich des in der Satzung festgesetzten Gründungsaufwands) im Zeitpunkt der Eintragung aber hinter dem Nennbetrag des satzungsgemäßen Grundkapitals zurückbleibt.15) Mit der Unterbilanzhaftung soll gewährleistet werden, dass den Gläubigern der Gesellschaft im Zeitpunkt der Handelsregistereintragung das in der Satzung verlautbarte Grundkapital auch tatsächlich als haftendes Vermögen zur Verfügung steht. Die Ansprüche aus der Unterbilanzhaftung stehen der Gesellschaft (und nicht deren Gläubigern) zu (Innenhaftung). Die Höhe der Ansprüche ist anhand einer auf den Tag der Eintragung zu erstellenden Vermögensbilanz zu ermitteln.16) Die Haftung umfasst auch eine bereits eingetretene Überschuldung und ist somit insbesondere nicht auf die Höhe der übernommenen Einlage beschränkt. Die Ansprüche sind vom Vorstand der Gesellschaft geltend zu machen. Alle Gründer haften persönlich, es sei denn sie haben der Geschäftsaufnahme der Gesellschaft weder ausdrücklich noch konkludent zugestimmt. Mehrere Gründer haften nicht als Gesamtschuldner, sondern entsprechend dem Verhältnis ihrer Einlagen. Bei Ausfall eines Gründers haften die anderen Gründer anteilig (§ 24 GmbHG analog).17) Die Unterbilanzhaftung begründet grundsätzlich kein Eintragungshindernis. Etwas anderes gilt allenfalls dann, wenn feststeht, dass die Ansprüche gegen die Gründer (z. B. aufgrund von Vermögenslosigkeit) wertlos sind.18) 14 Scheitert die Eintragung der Gesellschaft, kommt die Unterbilanzhaftung nicht in Betracht, da diese die Eintragung der Gesellschaft gerade voraussetzt. Die Gründer haften in diesem Fall aber für die während des Bestehens der Vorgesellschaft entstandenen Verluste unbeschränkt und persönlich (Verlustdeckungshaftung).19) Die Haftung richtet sich auf den Ausgleich der entstandenen Verluste (und nicht auf die Wiederherstellung des Grundkapitals). Die Haftung ist nicht auf die Höhe der übernommenen Einlage beschränkt. Die Verlustdeckungshaftung ist (ebenso wie die Unterbilanzhaftung) grundsätzlich eine Innenhaftung, so dass die Gründer nur gegenüber der Gesellschaft haften. Eine unmittelbare Außenhaftung der Gründer gegenüber den Gläubigern kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht (z. B. bei Vermögenslosigkeit der Vorgesellschaft oder bei Ablehnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Vorgesellschaft mangels Masse, nicht aber auch generell bei einer Einpersonengesellschaft).20) _____________ 15) Zur Unterbilanzhaftung(bei der GmbH) u. a. BGH, Urt. v. 24.10.1988 – II ZR 176/88, BGHZ 105, 300 = ZIP 1989, 27, dazu EWiR 1989, 55 (K. Schmidt). Hölters-Solveen, AktG, § 41 Rz. 15; Hüffer/KochKoch, AktG, § 41 Rz. 8 f.; M. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 41 Rz. 51 ff.; K. Schmidt/LutterDrygala, AktG, § 41 Rz. 11 ff.; Spindler/Stilz-Heidinger, AktG, § 41 Rz. 77 ff. Kritisch zu dem Konzept der Innenhaftung des BGH u. a. Pentz in: MünchKomm-AktG, § 41 Rz. 55 ff. 16) Zur Bilanzierung von Vermögenswerten in der Vorbelastungsbilanz s. BGH, Urt. v. 29.9.1997 – II ZR 245/96, ZIP 2007, 2008, dazu EWiR 1998, 33 (Wilken). 17) Hölters-Solveen, AktG, § 41 Rz. 14; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 41 Rz. 9b. A. A. aber – anteilige Haftung – OLG Karlsruhe, Urt. v. 19.12.1997 – 1 U 170/97, ZIP 1998, 1961, dazu EWiR 1998, 1011 (Kort). 18) Dagegen aber K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 41 Rz. 13. 19) Grundlegend (zur GmbH) BGH, Urt. v. 27.1.2007 – II ZR 123/94, BGHZ 134, 333 = ZIP 1997, 679, dazu EWiR 1997, 849 (Goette), sowie Hölters-Solveen, AktG, § 41 Rz. 16; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 41 Rz. 9a und 9b; K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 41 Rz. 14 ff.; Spindler/Stilz-Heidinger, AktG, § 41 Rz. 87 ff. 20) So auch K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 41 Rz. 17. A. A. aber h. M., s. nur Hölters-Solveen, AktG, § 41 Rz. 16 m. w. N.

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Handeln im Namen der Gesellschaft vor der Eintragung. Verbotene Aktienausgabe § 41 Eine unbeschränkte persönliche Außenhaftung aller Gründer besteht dann, wenn die Ge- 15 sellschafter ihre Geschäftstätigkeit fortsetzen, obwohl sie die Eintragungsabsicht bereits aufgegeben haben21) bzw. die Eintragung endgültig gescheitert ist (sog. unechte Vorgesellschaft).22) In diesen Fällen handelt es sich richtigerweise nicht mehr um eine Vorgesellschaft, die auf die Gründung einer AG gerichtet ist, sondern um eine offene Handelsgesellschaft (§§ 128 ff. HGB). Mit Eintragung der AG im Handelsregister endet die Vorgesellschaft, ohne dass es einer 16 Liquidation bedarf (§ 41 Abs. 1 Satz 1). Alle Rechte und Pflichten der Vorgesellschaft gehen kraft Gesetzes im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf die AG über (Kontinuität und Identität).23) Scheitert die Eintragung der AG im Handelsregister ist die Vorgesellschaft aufzulösen und abzuwickeln (§ 726 BGB analog i. V. m. §§ 262 ff. AktG).24) IV.

Handelndenhaftung (§ 41 Abs. 1 Satz 2)

Wer vor der Eintragung der Gesellschaft in ihrem Namen handelt, haftet persönlich; 17 handeln mehrere, so haften sie als Gesamtschuldner (Handelndenhaftung, § 41 Abs. 1 Satz 2; siehe auch § 11 Abs. 2 GmbHG und Art. 7 der EU-Publizitätsrichtlinie). Die Handelndenhaftung greift zeitlich nur in der Phase der Vorgesellschaft ein, d. h. es muss nach Errichtung der Gesellschaft (§ 29) und vor Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister (§ 41 Abs. 1) gehandelt worden sein. Handlungen im Stadium der Vorgründungsgesellschaft können die Haftung nicht begründen.25) Mit der Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister erlischt die Handelndenhaftung. Der Zweck der Handelndenhaftung wird heute überwiegend darin gesehen, die Mit- 18 glieder des Vorstands anzuhalten, die Anmeldung und Eintragung der Gesellschaft zügig zu betreiben (Druckfunktion) und die Gläubiger der Vorgesellschaft vor dem Risiko zu bewahren, ohne Schuldner dazustehen (Sicherungsfunktion).26) Überholt ist dagegen die ursprüngliche Straffunktion, wonach eine Geschäftstätigkeit vor Eintragung gänzlich verhindert werden sollte. Handelnder ist grundsätzlich nur, wer Mitglied des Vorstands der Vorgesellschaft ist 19 (siehe § 30 Abs. 4) oder als solcher auftritt.27) Die Gründer trifft die Handelndenhaftung _____________ 21) Zur Haftung bei einer Einpersonen-Vor-AG nach endgültiger Aufgabe des Gründungswillens s. OLG München, Urt. v. 9.8.2017 – 7 U 2663/16, ZIP 2017, 2101 = BB 2017, 2003. 22) Hölters-Solveen, AktG, § 41 Rz. 17 und 19; K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 41 Rz. 16; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 41 Rz. 83 ff.; Spindler/Stilz-Heidinger, AktG, § 41 Rz. 92 ff. 23) Bürgers/Körber-Körber, AktG, § 41 Rz. 25; M. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 41 Rz. 2; K. Schmidt/ Lutter-Drygala, AktG, § 41 Rz. 18; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 41 Rz. 107 f. Einschränkend in Bezug auf die Identität Hölters-Solveen, AktG, § 41 Rz. 12; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 41 Rz. 16 f. 24) Zur Auflösung einer Vorgesellschaft durch Kündigung eines Gesellschafters aus wichtigem Grund und deren Abwicklung s. BGH, Urt. v. 23.10.2006 – II ZR 162/05, BGHZ 169, 270 = ZIP 2006, 2267. 25) Hölters-Solveen, AktG, § 41 Rz. 20 und 22; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 41 Rz. 23; Spindler/StilzHeidinger, AktG, § 41 Rz. 96. 26) S. BGH, Urt. v. 14.6.2004 – II ZR 47/02, ZIP 2004, 1409, dazu EWiR 2004, 783 (Drygala), der vor allem die Sicherungsfunktion der Handelndenhaftung betont. Im Wesentlichen wie hier Hölters-Solveen, AktG, § 41 Rz. 2; M. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 41 Rz. 65; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 41 Rz. 126 ff.; Spindler/Stilz-Heidinger, AktG, § 41 Rz. 95. Kritisch Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 41 Rz. 19 – Handelndenhaftung ohne überzeugende gedankliche Grundlage; K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 41 Rz. 23. 27) Zur Handelndenhaftung im Aktienrecht s. BGH, Urt. v. 14.6.2004 – II ZR 47/02, ZIP 2004, 1409, dazu EWiR 2004, 783 (Drygala). Zur Handelndenhaftung im GmbH-Recht s. u. a. BGH, Urt. v. 15.12.1975 – II ZR 95/73, BGHZ 65, 378 = NJW 1976, 419; BGH, Urt. v. 9.2.1970 – II ZR 137/69, BGHZ 53, 210 = NJW 1970, 806; BGH, Urt. v. 9.2.1970 – II ZR 182/68, BGHZ 53, 206 = NJW 1970, 1043; BGH, Urt. v. 24.10.1968 – II ZR 216/66, BGHZ 51, 30 = NJW 1969, 509; BGH, Urt. v. 26.1.1967 – II ZR 122/64, BGHZ 47, 25 = NJW 1967, 828. Hölters-Solveen, AktG, § 41 Rz. 21; Hüffer/ Koch-Koch, AktG, § 41 Rz. 20; Spindler/Stilz-Heidinger, AktG, § 41 Rz. 101 ff.

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§ 41 Handeln im Namen der Gesellschaft vor der Eintragung. Verbotene Aktienausgabe auch dann nicht, wenn sie der Aufnahme der Geschäfte zugestimmt haben. Aufsichtsratsmitglieder haften nicht, sofern sie die Gesellschaft nur im Innenverhältnis gegenüber den Mitgliedern des Vorstands (§ 112) vertreten.28) 20 Die Haftung wird durch ein rechtsgeschäftliches Handeln im Namen der Vorgesellschaft (und/oder der künftigen AG)29) begründet. Keine Haftung besteht daher für gesetzliche (z. B. § 25 HGB) oder deliktische Ansprüche (z. B. §§ 823 ff. BGB).30) Die Haftung besteht nur gegenüber außenstehenden Dritten, und nicht auch gegenüber Personen, die mit den internen Verhältnissen der Gesellschaft vertraut sind (wie etwa Gründer, Mitgesellschafter, Mitglieder des Vorstands oder des Aufsichtsrats). 21 Der Handelnde haftet persönlich und gesamtschuldnerisch für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft (§ 41 Abs. 1 Satz 2 AktG i. V. m. §§ 421 ff. BGB). Der Gläubiger muss seine Ansprüche nicht erst gegen die Vorgesellschaft oder die Gesellschaft geltend machen, sondern kann unmittelbar gegen den Handelnden vorgehen. Die Handelndenhaftung ist akzessorisch (siehe §§ 128 f. HGB).31) Mit der Eintragung der Gesellschaft erlischt die Handelndenhaftung.32) In der Praxis ist die Handelndenhaftung für den Gläubiger daher vor allem dann von Interesse, wenn die Eintragung der Gesellschaft scheitert. V.

Schuldübernahme (§ 41 Abs. 2)

22 Nach den allgemeinen Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist für eine befreiende Schuldübernahme grundsätzlich die Zustimmung des Gläubigers erforderlich (§§ 415 ff. BGB). Eine Ausnahme gilt jedoch für die Übernahme von Verbindlichkeiten durch die neu gegründete AG. In diesem Fall ist die Schuldübernahme schon dann wirksam, wenn dies zwischen der Gesellschaft und dem bisherigen Schuldner vereinbart und dem Gläubiger mitgeteilt wird (§ 41 Abs. 2). Eine Zustimmung des Gläubigers ist dagegen nicht erforderlich. 23 Die Vorschrift dient der erleichterten Enthaftung der vor der Eintragung der Gesellschaft in ihrem Namen handelnden Personen. Die praktische Bedeutung der Vorschrift ist heute jedoch gering, da die Handelndenhaftung mit der Eintragung der Gesellschaft erlischt und die Verbindlichkeiten der Vorgesellschaft kraft Gesetzes auf die AG übergehen.33) Eine Anwendung der Regelung kommt daher nur in den Fällen in Betracht, in denen der Handelnde seine Vertretungsmacht überschreitet (§§ 177 ff. BGB), die Vorgesellschaft demnach nicht verpflichtet wird und die Haftung somit auch nicht auf die Gesellschaft übergeht. Die Haftung des Handelnden kann dann durch Schuldübernahme (auch ohne Zustimmung des Gläubigers) auf die Gesellschaft übergeleitet werden (§ 41 Abs. 2). VI.

Übernahmeverbot (§ 41 Abs. 3)

24 Sondervorteile (§ 26 Abs. 1), Gründungsaufwand (§ 26 Abs. 2) sowie Sacheinlagen und Sachübernahmen (§ 27 Abs. 1) sind aus Gründen der Transparenz zwingend in der Satzung _____________ 28) BGH, Urt. v. 14.6.2004 – II ZR 47/02, ZIP 2004, 1409, dazu EWiR 2004, 783 (Drygala). 29) S. dazu BGH, Urt. v. 15.6.1978 – II ZR 205/76, BGHZ 72, 45 = NJW 1978, 1978 mit Anm. K. Schmidt – wonach das Handeln eines Geschäftsführers im Namen der künftigen Gesellschaft im Zweifel dahin auszulegen ist, dass dieser auch für die Vorgesellschaft tätig geworden ist. 30) Hölters-Solveen, AktG, § 41 Rz. 22; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 41 Rz. 21; K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 41 Rz. 25. – A. A. Schwab, NZG 2012, 481. 31) Hölters-Solveen, AktG, § 41 Rz. 23; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 41 Rz. 24; K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 41 Rz. 27; Spindler/Stilz-Heidinger, AktG, § 41 Rz. 109. 32) Hölters-Solveen, AktG, § 41 Rz. 23; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 41 Rz. 25; K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 41 Rz. 25 und 28; Spindler/Stilz-Heidinger, AktG, § 41 Rz. 111. 33) Hölters-Solveen, AktG, § 41 Rz. 25; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 41 Rz. 28; K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 41 Rz. 30; Spindler/Stilz-Heidinger, AktG, § 41 Rz. 129.

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Thomas Wachter

Handeln im Namen der Gesellschaft vor der Eintragung. Verbotene Aktienausgabe § 41 der Gesellschaft festzusetzen. Verpflichtungen aus solchen Verträgen, die in der Satzung nicht ordnungsgemäß festgesetzt worden sind, darf die Gesellschaft (auch mit Zustimmung des Gläubigers) nicht übernehmen (§ 41 Abs. 3). Damit soll eine Umgehung dieser Vorschriften verhindert werden. Die praktische Bedeutung der Vorschrift ist gleichfalls gering. Bei ordnungsgemäßer 25 Festsetzung in der Satzung, besteht die Verpflichtung der AG auch ohne Schuldübernahme. Bei fehlender oder mangelhafter Festsetzung in der Satzung sind die entsprechenden Verträge ohnehin unwirksam (siehe § 26 Abs. 3 Satz 1) und können daher auch nicht von der AG übernommen werden. Das Übernahmeverbot gilt daher vor allem in den Fällen, in denen die Verpflichtung trotz nicht ordnungsgemäßer Satzungsfestsetzung wirksam entstanden ist (siehe § 27 Abs. 3 Satz 2).34) VII. Übertragungs- und Ausgabeverbot (§ 41 Abs. 4) 1.

Übertragungsverbot der Mitgliedschaft

Vor der Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister können Anteilsrechte nicht (ding- 26 lich) übertragen werden (§ 41 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 1). Eine gleichwohl erfolgte Übertragung (z. B. nach §§ 398 ff., 413 BGB) wäre nichtig (§ 134 BGB). Zulässig ist eine Übertragung aber dann, wenn sie unter der aufschiebenden Bedingung der Eintragung der Gesellschaft erfolgt. Der Zweck der Vorschrift besteht heute vor allem darin, den Kreis der Gründer im Hin- 27 blick auf deren zivilrechtliche (§§ 46 ff.) und strafrechtliche (§ 399 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2) Verantwortlichkeit jederzeit verlässlich bestimmen zu können.35) Die (formfreie) Übertragung der Anteilsrechte zwischen einzelnen Gesellschaftern ist daher verboten. Änderungen im Mitgliederkreis sind aber immer dann möglich, wenn sie unter Berücksichtigung der für die Gründungssatzung geltenden Form- und Publizitätsvorschriften (siehe § 23) und unter Beteiligung aller Gründer erfolgen.36) 2.

Verbot der Ausgabe von Aktien

Die Ausgabe von Aktien (§ 10 Abs. 1) und Zwischenscheinen (§ 10 Abs. 3 und 4) vor 28 Eintragung der Gesellschaft ist aus Gründen des Verkehrsschutzes verboten (§ 41 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 2). Gleichwohl ausgegebene Aktien oder Zwischenscheine sind nichtig (§ 41 Abs. 4 Satz 2). Die Mitgliedschaft ist dann nicht wirksam begründet. Ein gutgläubiger Erwerb solcher Wertpapiere ist ausgeschlossen. Für etwaige Schäden haften die Ausgeber (in der Regel der Vorstand) persönlich und verschuldensunabhängig als Gesamtschuldner (§ 41 Abs. 4 Satz 3). Die vorzeitige Ausgabe von Aktien oder Zwischenscheinen ist eine Ordnungswidrigkeit (§ 405 Abs. 1 Nr. 2).

_____________ 34) Für eine Klärung des Widerspruchs zwischen § 41 Abs. 3 und § 27 Abs. 3 Satz 2 durch den Gesetzgeber Spindler/Stilz-Heidinger, AktG, § 41 Rz. 133. 35) Ähnlich K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 41 Rz. 32. 36) BGH, Urt. v. 23.10.2006 – II ZR 162/05, BGHZ 169, 270 = ZIP 2006, 2267. Hölters-Solveen, AktG, § 41 Rz. 27; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 41 Rz. 30; K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 41 Rz. 33.

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§ 42

Einpersonen-Gesellschaft

§ 42 Einpersonen-Gesellschaft Gehören alle Aktien allein oder neben der Gesellschaft einem Aktionär, ist unverzüglich eine entsprechende Mitteilung unter Angabe von Name, Vorname, Geburtsdatum und Wohnort des alleinigen Aktionärs zum Handelsregister einzureichen. Übersicht I. Überblick ........................................... 1 I.

II. Mitteilungspflicht ............................. 4

Überblick

1 Die Zulässigkeit der Einpersonen-AG ist heute allgemein anerkannt (siehe §§ 2, 319 Abs. 1).1) Für Einpersonen-AG gelten heute die gleichen Regelungen wie für MehrpersonenAG. Der alleinige Aktionär ist insbesondere an die zwingende Kompetenzverteilung zwischen Vorstand, Aufsichtsrat und Hauptversammlung gebunden. Dies gilt auch dann, wenn der alleinige Aktionär zugleich auch Vorstand ist. Einzige Besonderheit der Einpersonengesellschaft ist heute die Mitteilungspflicht bei Vereinigung aller Aktien in der Hand eines Aktionärs (§ 42). Die Notwendigkeit der Sicherheitsleistung bei nicht vollständiger Leistung der Bareinlagen wurde durch das MoMiG2) abgeschafft (§ 36 Abs. 2 Satz 2 AktG a. F.). 2 Gehören alle Aktien allein (oder neben der Gesellschaft) einem Aktionär, ist unverzüglich eine entsprechende Mitteilung unter Angabe von Name, Vorname, Geburtsdatum und Wohnort des alleinigen Aktionärs zum Handelsregister einzureichen (§ 42). Die Mitteilung ist im Handelsregister für jedermann einsehbar (§ 9 Abs. 1 HGB). Mit dieser besonderen Publizität soll die Öffentlichkeit darauf hingewiesen werden, dass es sich um eine Einpersonen-AG handelt.3) Auf diese Weise sollen zugleich auch die Gläubiger der Gesellschaft geschützt werden.4) 3 Die Vorschrift erscheint heute überholt5) und wird in der Praxis kaum beachtet.6) Eine Streichung der Regelung ist jedoch aufgrund der zwingenden Vorgaben der europäischen Richtlinie zu Einpersonengesellschaften derzeit nicht möglich.7) II.

Mitteilungspflicht

4 Die Mitteilungspflicht besteht dann, wenn alle Aktien allein (oder neben der Gesellschaft) einem Aktionär gehören (§ 42). Die Vorschrift gilt trotz ihrer systematischen Stellung im Gründungsrecht der AG nicht nur für die Neugründung einer Einpersonengesellschaft,

_____________ 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7)

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Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 42 Rz. 2; K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 42 Rz. 3; Spindler/StilzGerber, AktG, § 42 Rz. 12 f. Art. 5 Nr. 2 des Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG), BGBl. I 2008, 2026. S. dazu BT-Drucks. 16/6140, S. 52 und 33. Bürgers/Körber-Körber, AktG, § 42 Rz. 2; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 42 Rz. 1. Hölters-Solveen, AktG, § 42 Rz. 1; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 42 Rz. 7; Spindler/Stilz-Gerber, AktG, § 42 Rz. 1. Anders allerdings insbesondere Pentz in: MünchKomm-AktG, § 42 Rz. 7. M. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 42 Rz. 4. Art. 3 und 6 der Richtlinie 2009/102/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 16.9.2009 auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts betreffend Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter, ABl. EU Nr. L 258 v. 1.10.2009, S. 20 (früher Zwölfte Richtlinie 89/667/EWG).

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§ 42

Einpersonen-Gesellschaft

sondern auch bei der späteren Vereinigung aller Aktien in der Hand eines Aktionärs.8) Darüber hinaus besteht eine Mitteilungspflicht aus Gründen der Publizität auch dann, wenn alle Aktien nicht mehr einem Aktionär alleine gehören und die Einpersonen-AG (wieder) zu einer Mehrpersonengesellschaft geworden ist.9) Die Aktien gehören derjenigen Person, die formal-rechtlich Inhaber der Mitgliedschafts- 5 rechte ist. Aktieninhaber in diesem Sinn ist demnach auch der Treuhänder, Sicherungseigentümer oder Darlehensnehmer eines Wertpapierdarlehens. Dagegen gehören die Aktien nicht auch dem Nießbraucher, Pfandgläubiger oder sonst wirtschaftlich Berechtigten. Mittelbare Beteiligungen von Tochtergesellschaften können der Muttergesellschaft im vorliegenden Zusammenhang nicht zugerechnet werden (siehe demgegenüber §§ 20 Abs. 1 Satz 2, 21 Abs. 1 Satz 2, 328 Abs. 1 Satz 3, die – anders als § 42 – auf § 16 Abs. 4 verweisen).10) Gehören alle Aktien einem einzigen Aktionär, ist dies dem Handelsregister unverzüglich 6 mitzuteilen (§ 42 i. V. m. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB). Inhaltlich muss sich aus der Mitteilung ergeben, dass alle Aktien allein einem Aktionär (oder daneben nur noch der Gesellschaft) gehören. Es ist konkret mitzuteilen, welcher der beiden Fälle vorliegt. Die pauschale Mitteilung, dass eine Einpersonen-AG vorliegt genügt aufgrund des Normzwecks nicht.11) Von dem Aktionär sind Name, Vorname, Geburtsdatum und Wohnort anzugeben (nicht auch Beruf bzw. die vollständige Wohnanschrift). Ist der Aktionär keine natürliche Person, sind Firma und Sitz (möglichst auch Registergericht und Nummer)12) anzugeben.13) Die Mitteilung ist bei dem für die Gesellschaft zuständigen Registergericht elektronisch 7 (§ 12 Abs. 2 HGB; siehe auch § 37 Abs. 5 AktG )14) einzureichen (nicht anzumelden). Für die Mitteilung ist keine besondere Form vorgeschrieben. Aus der gesetzlichen Regelung ergibt sich nicht, wer für die Mitteilung verantwortlich ist. Nach allgemeinen Vorschriften müssen die Mitglieder des Vorstands (in vertretungsberechtigter Zahl) die Mitteilung beim Handelsregister einreichen (§§ 76 ff.).15) Der Vorstand kann dies aber erst dann tun, wenn ihm ein Aktionär mitgeteilt hat, dass ihm alle Aktien gehören16) (siehe § 67 Abs. 1 Satz 2). Daneben kann der Aktionär die Mitteilung aber auch selbst unmittelbar beim Registergericht einreichen.17) Bei Verletzung der Mitteilungspflicht, kann das Registergericht ein Zwangsgeldverfahren 8 einleiten (§ 14 HGB). Sonstige Sanktionen bestehen (anders als etwa bei Verstößen gegen die Mitteilungspflichten nach §§ 20, 21) nicht. Bei Neugründung einer Einpersonen-AG stellt das Fehlen der Mitteilung auch kein Eintragungshindernis dar (siehe § 38 Abs. 1 Satz 2).

_____________ 8) Hölters-Solveen, AktG, § 42 Rz. 3; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 42 Rz. 3; M. Arnold in: KölnKommAktG, § 42 Rz. 8; K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 42 Rz. 1. 9) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 42 Rz. 5; K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 42 Rz. 5. A. A. unter Hinweis auf den eindeutigen Gesetzeswortlaut Hölters-Solveen, AktG, § 42 Rz. 3; M. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 42 Rz. 12; Spindler/Stilz-Gerber, AktG, § 42 Rz. 5 f. 10) Hölters-Solveen, AktG, § 42 Rz. 3; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 42 Rz. 4; K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 42 Rz. 4. A. A. Bürgers/Körber-Körber, AktG, § 42 Rz. 8. 11) Bürgers/Körber-Körber, AktG, § 42 Rz. 10; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 42 Rz. 5. 12) Hölters-Solveen, AktG, § 42 Rz. 4; M. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 42 Rz. 16. 13) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 42 Rz. 5. 14) K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 42 Rz. 6. A. A. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 42 Rz. 6 – schriftliche Mitteilung. 15) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 42 Rz. 5. 16) K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 42 Rz. 6. 17) Hölters-Solveen, AktG, § 42 Rz. 5.

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§ 43

(aufgehoben)

§ 43 (aufgehoben)1) _____________ 1)

Aufgehoben durch Art. 3 des Gesetzes v. 22.7.1993, BGBl. I 1993, 1282.

§ 44 (aufgehoben)1) _____________ 1)

Aufgehoben durch Art. 3 des Gesetzes v. 22.7.1993, BGBl. I 1993, 1282.

§ 45 Sitzverlegung (1) Wird der Sitz der Gesellschaft im Inland verlegt, so ist die Verlegung beim Gericht des bisherigen Sitzes anzumelden. (2) 1Wird der Sitz aus dem Bezirk des Gerichts des bisherigen Sitzes verlegt, so hat dieses unverzüglich von Amts wegen die Verlegung dem Gericht des neuen Sitzes mitzuteilen. 2 Der Mitteilung sind die Eintragungen für den bisherigen Sitz sowie die bei dem bisher zuständigen Gericht aufbewahrten Urkunden beizufügen; bei elektronischer Registerführung sind die Eintragungen und die Dokumente elektronisch zu übermitteln. 3Das Gericht des neuen Sitzes hat zu prüfen, ob die Verlegung ordnungsgemäß beschlossen und § 30 des Handelsgesetzbuchs beachtet ist. 4Ist dies der Fall, so hat es die Sitzverlegung einzutragen und hierbei die ihm mitgeteilten Eintragungen ohne weitere Nachprüfung in sein Handelsregister zu übernehmen. 5Mit der Eintragung wird die Sitzverlegung wirksam. 6Die Eintragung ist dem Gericht des bisherigen Sitzes mitzuteilen. 7Dieses hat die erforderlichen Löschungen von Amts wegen vorzunehmen. (3) 1Wird der Sitz an einen anderen Ort innerhalb des Bezirks des Gerichts des bisherigen Sitzes verlegt, so hat das Gericht zu prüfen, ob die Sitzverlegung ordnungsgemäß beschlossen und § 30 des Handelsgesetzbuchs beachtet ist. 2Ist dies der Fall, so hat es die Sitzverlegung einzutragen. 3Mit der Eintragung wird die Sitzverlegung wirksam. Literatur: Bärwaldt/Hoefling, Grenzüberschreitender Formwechsel: Das Urteil des EuGH in der Rs. „Polbud“ in der praktischen Anwendung, DB 2017, 3051; Bayer/Schmidt, J., Grenzüberschreitende Mobilität von Gesellschaften: Formwechsel durch isolierte Satzungssitzverlegung, ZIP 2017, 2225; Bayer/Schmidt, J., BB-Gesetzgebungs- und Rechtsprechungsreport Europäisches Unternehmensrecht 2016/2017, BB 2017, 2114; Behme, Europäisches Umwandlungsrecht – Stand und Perspektiven, ZHR 182 (2018) 32; Bungert/Wansleben, Grenzüberschreitende Verschmelzungen und Spaltungen aus Sicht des Europäischen Parlaments, DB 2017, 2591; Feldhaus, Das Erfordernis wirtschaftlicher Inlandstätigkeit beim grenzüberschreitenden (Herein-)Formwechsel nach „Polbud“, BB 2017, 2819; v. Hein/Brunk, Zur Wirksamkeit eines Herausformwechsels aus Deutschland, IPrax 2018, 46; Hübner, Eine Rom-VO für das Internationale Gesellschaftsrecht, ZGR 2018, 149; Hushahn, Der isolierte grenzüberscheitende Formwechsel, RNotZ 2018, 23; Kieninger, Niederlassungsfreiheit als Freiheit der nachträglichen Rechtswahl, NJW 2017, 3624; Kindler, Unternehmensmobilität nach „Polbud“: Der grenzüberscheitende Formwechsel in Gestaltungspraxis und Rechtspolitik, NZG 2018, 1; Kovacs, Der grenzüberschreitende (Herein-)Formwechsel in der Praxis nach dem Polbud-Urteil des EuGH, ZIP 2018,

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§ 43

(aufgehoben)

§ 43 (aufgehoben)1) _____________ 1)

Aufgehoben durch Art. 3 des Gesetzes v. 22.7.1993, BGBl. I 1993, 1282.

§ 44 (aufgehoben)1) _____________ 1)

Aufgehoben durch Art. 3 des Gesetzes v. 22.7.1993, BGBl. I 1993, 1282.

§ 45 Sitzverlegung (1) Wird der Sitz der Gesellschaft im Inland verlegt, so ist die Verlegung beim Gericht des bisherigen Sitzes anzumelden. (2) 1Wird der Sitz aus dem Bezirk des Gerichts des bisherigen Sitzes verlegt, so hat dieses unverzüglich von Amts wegen die Verlegung dem Gericht des neuen Sitzes mitzuteilen. 2 Der Mitteilung sind die Eintragungen für den bisherigen Sitz sowie die bei dem bisher zuständigen Gericht aufbewahrten Urkunden beizufügen; bei elektronischer Registerführung sind die Eintragungen und die Dokumente elektronisch zu übermitteln. 3Das Gericht des neuen Sitzes hat zu prüfen, ob die Verlegung ordnungsgemäß beschlossen und § 30 des Handelsgesetzbuchs beachtet ist. 4Ist dies der Fall, so hat es die Sitzverlegung einzutragen und hierbei die ihm mitgeteilten Eintragungen ohne weitere Nachprüfung in sein Handelsregister zu übernehmen. 5Mit der Eintragung wird die Sitzverlegung wirksam. 6Die Eintragung ist dem Gericht des bisherigen Sitzes mitzuteilen. 7Dieses hat die erforderlichen Löschungen von Amts wegen vorzunehmen. (3) 1Wird der Sitz an einen anderen Ort innerhalb des Bezirks des Gerichts des bisherigen Sitzes verlegt, so hat das Gericht zu prüfen, ob die Sitzverlegung ordnungsgemäß beschlossen und § 30 des Handelsgesetzbuchs beachtet ist. 2Ist dies der Fall, so hat es die Sitzverlegung einzutragen. 3Mit der Eintragung wird die Sitzverlegung wirksam. Literatur: Bärwaldt/Hoefling, Grenzüberschreitender Formwechsel: Das Urteil des EuGH in der Rs. „Polbud“ in der praktischen Anwendung, DB 2017, 3051; Bayer/Schmidt, J., Grenzüberschreitende Mobilität von Gesellschaften: Formwechsel durch isolierte Satzungssitzverlegung, ZIP 2017, 2225; Bayer/Schmidt, J., BB-Gesetzgebungs- und Rechtsprechungsreport Europäisches Unternehmensrecht 2016/2017, BB 2017, 2114; Behme, Europäisches Umwandlungsrecht – Stand und Perspektiven, ZHR 182 (2018) 32; Bungert/Wansleben, Grenzüberschreitende Verschmelzungen und Spaltungen aus Sicht des Europäischen Parlaments, DB 2017, 2591; Feldhaus, Das Erfordernis wirtschaftlicher Inlandstätigkeit beim grenzüberschreitenden (Herein-)Formwechsel nach „Polbud“, BB 2017, 2819; v. Hein/Brunk, Zur Wirksamkeit eines Herausformwechsels aus Deutschland, IPrax 2018, 46; Hübner, Eine Rom-VO für das Internationale Gesellschaftsrecht, ZGR 2018, 149; Hushahn, Der isolierte grenzüberscheitende Formwechsel, RNotZ 2018, 23; Kieninger, Niederlassungsfreiheit als Freiheit der nachträglichen Rechtswahl, NJW 2017, 3624; Kindler, Unternehmensmobilität nach „Polbud“: Der grenzüberscheitende Formwechsel in Gestaltungspraxis und Rechtspolitik, NZG 2018, 1; Kovacs, Der grenzüberschreitende (Herein-)Formwechsel in der Praxis nach dem Polbud-Urteil des EuGH, ZIP 2018,

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§ 43 (aufgehoben)1) _____________ 1)

Aufgehoben durch Art. 3 des Gesetzes v. 22.7.1993, BGBl. I 1993, 1282.

§ 44 (aufgehoben)1) _____________ 1)

Aufgehoben durch Art. 3 des Gesetzes v. 22.7.1993, BGBl. I 1993, 1282.

§ 45 Sitzverlegung (1) Wird der Sitz der Gesellschaft im Inland verlegt, so ist die Verlegung beim Gericht des bisherigen Sitzes anzumelden. (2) 1Wird der Sitz aus dem Bezirk des Gerichts des bisherigen Sitzes verlegt, so hat dieses unverzüglich von Amts wegen die Verlegung dem Gericht des neuen Sitzes mitzuteilen. 2 Der Mitteilung sind die Eintragungen für den bisherigen Sitz sowie die bei dem bisher zuständigen Gericht aufbewahrten Urkunden beizufügen; bei elektronischer Registerführung sind die Eintragungen und die Dokumente elektronisch zu übermitteln. 3Das Gericht des neuen Sitzes hat zu prüfen, ob die Verlegung ordnungsgemäß beschlossen und § 30 des Handelsgesetzbuchs beachtet ist. 4Ist dies der Fall, so hat es die Sitzverlegung einzutragen und hierbei die ihm mitgeteilten Eintragungen ohne weitere Nachprüfung in sein Handelsregister zu übernehmen. 5Mit der Eintragung wird die Sitzverlegung wirksam. 6Die Eintragung ist dem Gericht des bisherigen Sitzes mitzuteilen. 7Dieses hat die erforderlichen Löschungen von Amts wegen vorzunehmen. (3) 1Wird der Sitz an einen anderen Ort innerhalb des Bezirks des Gerichts des bisherigen Sitzes verlegt, so hat das Gericht zu prüfen, ob die Sitzverlegung ordnungsgemäß beschlossen und § 30 des Handelsgesetzbuchs beachtet ist. 2Ist dies der Fall, so hat es die Sitzverlegung einzutragen. 3Mit der Eintragung wird die Sitzverlegung wirksam. Literatur: Bärwaldt/Hoefling, Grenzüberschreitender Formwechsel: Das Urteil des EuGH in der Rs. „Polbud“ in der praktischen Anwendung, DB 2017, 3051; Bayer/Schmidt, J., Grenzüberschreitende Mobilität von Gesellschaften: Formwechsel durch isolierte Satzungssitzverlegung, ZIP 2017, 2225; Bayer/Schmidt, J., BB-Gesetzgebungs- und Rechtsprechungsreport Europäisches Unternehmensrecht 2016/2017, BB 2017, 2114; Behme, Europäisches Umwandlungsrecht – Stand und Perspektiven, ZHR 182 (2018) 32; Bungert/Wansleben, Grenzüberschreitende Verschmelzungen und Spaltungen aus Sicht des Europäischen Parlaments, DB 2017, 2591; Feldhaus, Das Erfordernis wirtschaftlicher Inlandstätigkeit beim grenzüberschreitenden (Herein-)Formwechsel nach „Polbud“, BB 2017, 2819; v. Hein/Brunk, Zur Wirksamkeit eines Herausformwechsels aus Deutschland, IPrax 2018, 46; Hübner, Eine Rom-VO für das Internationale Gesellschaftsrecht, ZGR 2018, 149; Hushahn, Der isolierte grenzüberscheitende Formwechsel, RNotZ 2018, 23; Kieninger, Niederlassungsfreiheit als Freiheit der nachträglichen Rechtswahl, NJW 2017, 3624; Kindler, Unternehmensmobilität nach „Polbud“: Der grenzüberscheitende Formwechsel in Gestaltungspraxis und Rechtspolitik, NZG 2018, 1; Kovacs, Der grenzüberschreitende (Herein-)Formwechsel in der Praxis nach dem Polbud-Urteil des EuGH, ZIP 2018,

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§ 45

Sitzverlegung

253; Schollmeyer, Von der Niederlassungsfreiheit zur Rechtswahlfreiheit?, ZGR 2018, 186; Stelmaszczyk, Grenzüberschreitender Formwechsel durch isolierte Verlegung des Satzungssitzes, EuZW 2017, 890; Stiegler, Grenzüberschreitender Formwechsel: Zulässigkeit eines Herausformwechsels, AG 2017, 846; Teichmann/Knaier, Grenzüberschreitender Formwechsel nach „Polbud“, GmbHR 2017, 1314.

Übersicht I. Überblick ............................................ 1 II. Anmeldung der Sitzverlegung (§ 45 Abs. 1) ....................................... 4 III. Sitzverlegung in einen anderen Gerichtsbezirk (§ 45 Abs. 2) ............. 7 1. Aufteilung der Zuständigkeiten ........ 7 I.

2. Bisher zuständiges Registergericht ..... 8 3. Neues Registergericht ...................... 12 IV. Sitzverlegung innerhalb desselben Gerichtsbezirks (§ 45 Abs. 3) ........... 18 V. Grenzüberschreitende Sitzverlegung ............................................... 19

Überblick

Sitz der Gesellschaft ist der Ort im Inland, den die Satzung bestimmt (§§ 5, 23 Abs. 3 Nr. 1). 1 Der Sitz der Gesellschaft kann frei gewählt werden. Der Satzungssitz muss insbesondere nicht mit dem Verwaltungssitz, der inländischen Geschäftsanschrift (siehe §§ 37 Abs. 3 Nr. 1, 39 Abs. 1 Satz 1) oder der Lage der Geschäftsräume übereinstimmen (§ 24 Abs. 2 und 3 HRV).1) Der Sitz der Gesellschaft wird im Handelsregister eingetragen (§ 39 Abs. 1 Satz 1) und bekannt gemacht (§ 10 HGB). Der Satzungssitz hat vor allem Bedeutung für die Zuständigkeit von Gerichten und Behörden (siehe etwa § 14 AktG; § 17 Abs. 1 ZPO, § 3 Abs. 1 InsO oder § 20 Abs. 2 AO i. V. m. § 10 AO). Der Satzungssitz ist darüber hinaus der Ort, an dem regelmäßig die Hauptversammlung der Gesellschaft stattfindet (§ 121 Abs. 5 Satz 1). Die Sitzverlegung der Gesellschaft ist eine Satzungsänderung (§§ 179 ff.). Der Vorstand 2 muss die Änderung des Satzungssitzes daher zur Eintragung in das Handelsregister anmelden (§ 181 Abs. 1 Satz 1). Die Änderung wird erst mit Eintragung im Handelsregister wirksam (§ 181 Abs. 3). Bei einer Sitzverlegung innerhalb ein und desselben Gerichtsbezirks gelten die allgemeinen Vorschriften (siehe auch § 45 Abs. 3). Wird der Sitz der Gesellschaft dagegen in den Bezirk eines anderen Registergerichts verlegt, sind die Zuständigkeiten des abgebenden und des aufnehmenden Registergerichts voneinander abzugrenzen. Der Gesetzgeber hat dies dahingehend geregelt, dass die Sitzverlegung noch beim bisher zuständigen Registergericht anzumelden ist (§ 45 Abs. 1), dieses dann die Akten zur weiteren (materiellen) Prüfung an das neue Registergericht übermittelt (§ 45 Abs. 2). Das neue Registergericht entscheidet dann über die Rechtmäßigkeit der Sitzverlegung. Mit Eintragung der Sitzverlegung im Handelsregister des neuen Registergerichts wird die Sitzverlegung wirksam. Das neue Registergericht informiert das bisher zuständige Registergericht über die erfolgte Eintragung, das sodann die dort noch vorhandenen Eintragungen löschen kann (siehe auch § 20 HRV). Die Vorschrift (des § 45) betrifft nur die Verlegung des Satzungssitzes im Inland. Nicht 3 geregelt sind dagegen die Verlegung des Verwaltungssitzes und die grenzüberschreitende Verlegung des Satzungs- und/oder Verwaltungssitzes.2) Die Vorschrift gilt im GmbHRecht entsprechend.

_____________ 1) 2)

S. KG Berlin, Beschl. v. 20.3.2012 – 25 W 99/11, GmbHR 2012, 798 (keine Notwendigkeit der Übereinstimmung von Sitz und Geschäftsanschrift bei einer GmbH). K. Schmidt/Lutter-Zimmer, AktG, § 45 Rz. 2.

Thomas Wachter

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§ 45 II.

Sitzverlegung Anmeldung der Sitzverlegung (§ 45 Abs. 1)

4 Die Verlegung des Satzungssitzes ist – wie jede andere Satzungsänderung – vom Vorstand zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden (§ 181 Abs. 1 Satz 1). Dabei ist die Anmeldung an das Registergericht des bisherigen Sitzes (und noch nicht an das Registergericht des neuen Sitzes) zu richten (§ 45 Abs. 1 i. V. m. §§ 5, 14 AktG; § 8 HGB, § 23a Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 3 GVG, §§ 374 ff. FamFG, § 17 Nr. 1 lit. b RPflG). Diese Zuständigkeitsregelung erscheint auch deshalb sachgerecht, weil die Sitzverlegung erst mit Eintragung im Handelsregister wirksam wird (§ 45 Abs. 2 Satz 5 und Abs. 3 Satz 3, § 181 Abs. 3) und demnach im Zeitpunkt der Anmeldung noch nicht wirksam ist. 5 Für die Anmeldung der Sitzverlegung gelten i. Ü. die allgemeinen Vorschriften. Die Anmeldung ist demnach von den Mitgliedern des Vorstands in vertretungsberechtigter Zahl zu unterzeichnen (§ 78).3) Stellvertretung bei der Anmeldung ist zulässig (siehe § 12 Abs. 1 Satz 2 HGB). Die Anmeldung muss öffentlich beglaubigt werden und elektronisch an das Handelsregister übermittelt werden (§ 12 HGB, §§ 39 ff. BeurkG, § 378 Abs. 3 FamFG). Der Anmeldung ist der satzungsändernde Beschluss der Hauptversammlung und der neue Satzungswortlaut samt Bescheinigung des Notars beizufügen (§ 181 Abs. 1 Satz 2). Die Sitzverlegung ist in der Anmeldung schlagwortartig anzugeben (siehe § 181 Abs. 2). 6 Das weitere gerichtliche Verfahren richtet sich danach, ob sich der neue Satzungssitz in demselben Gerichtsbezirk (dann § 45 Abs. 3) oder einem anderen Gerichtsbezirk (dann § 45 Abs. 2) befindet. III.

Sitzverlegung in einen anderen Gerichtsbezirk (§ 45 Abs. 2)

1.

Aufteilung der Zuständigkeiten

7 Bei der Verlegung des Satzungssitzes in den Bezirk eines anderen Registergerichts sind die Zuständigkeiten zwischen den beiden beteiligten Registergerichten wie folgt aufgeteilt: das bisherige Registergericht nimmt die Anmeldung entgegen (§ 45 Abs. 1) und prüft lediglich ihre formelle Ordnungsmäßigkeit, dem Registergericht am neuen Sitz der Gesellschaft obliegt dann die materielle Prüfung der Sitzverlegung sowie die Entscheidung über die Eintragung der Sitzverlegung (§ 45 Abs. 2). 2.

Bisher zuständiges Registergericht

8 Das Registergericht am bisherigen Sitz der Gesellschaft prüft die formelle Ordnungsmäßigkeit der Anmeldung.4) Dazu gehört bspw. die Vollständigkeit der eingereichten Unterlagen (siehe §§ 179, 181), die Einhaltung der gesetzlichen Formvorschriften (§ 12 HGB) und die Unterzeichnung der Anmeldung durch die vertretungsberechtigten Personen (§ 78). 9 Ist die Handelsregisteranmeldung formell ordnungsgemäß, hat das Registergericht des bisherigen Sitzes dem Registergericht des neuen Sitzes die beschlossene Sitzverlegung unverzüglich mitzuteilen (§ 45 Abs. 2 Satz 1). Der Mitteilung sind die vollständigen Registerakten (Eintragungen sowie aufbewahrte Urkunden) beizufügen und elektronisch zu übermitteln (§ 45 Abs. 2 Satz 2). Damit endet die Zuständigkeit des Registergerichts des bisherigen Sitzes. Das bisher zuständige Registergericht darf (und muss) insbesondere die Sitzverlegung nicht im Handelsregister eintragen (§ 45 Abs. 2 Satz 4 und Satz 5).5) _____________ 3) 4)

5)

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Hölters-Solveen, AktG, § 45 Rz. 4; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 45 Rz. 2; K. Schmidt/Lutter-Zimmer, AktG, § 45 Rz. 3. Zum GmbH-Recht OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 30.4.2002 – 20 W 137/2002, DB 2002, 2209 = NZG 2002, 1119. Hölters-Solveen, AktG, § 45 Rz. 5 f.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 45 Rz. 3; K. Schmidt/ Lutter-Zimmer, AktG, § 45 Rz. 5. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 45 Rz. 4; K. Schmidt/Lutter-Zimmer, § 45 Rz. 7.

Thomas Wachter

§ 45

Sitzverlegung

Das Registergericht des bisherigen Sitzes wird die Anmeldung im Regelfall auch dann un- 10 verzüglich an das Registergericht des neuen Sitzes weiterleiten, wenn in der Anmeldung neben der Sitzverlegung zugleich noch weitere eintragungspflichtige Tatsachen angemeldet werden (§ 45 Abs. 2 Satz 1 AktG; § 25 Abs. 1 Satz 2 HRV).6) Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn die Beteiligten in der Anmeldung ausdrücklich einen abweichenden Vollzug beantragen (z. B. Eintragung eines neuen Mitglieds des Vorstands noch beim bisherigen Registergericht und vor der Sitzverlegung). Führt die formelle Prüfung der Handelsregisteranmeldung zu Beanstandungen wird das 11 Registergericht des bisherigen Sitzes den Beteiligten mittels einer Zwischenverfügung eine Frist zur Behebung des Eintragungshindernisses setzen (§ 382 Abs. 4 FamFG, § 26 HRV). 3.

Neues Registergericht

Nach (elektronischem) Eingang der Registerakten von dem bisher zuständigen Regis- 12 tergericht hat das Registergericht des neuen Sitzes die materielle Ordnungsmäßigkeit der Sitzverlegung zu prüfen. Dies umfasst zum einen die Wirksamkeit der Beschlussfassung über die Sitzverlegung (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 1 i. V. m. §§ 179 ff.) und zum anderen die Zulässigkeit der Firma am neuen Satzungssitz (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 2 AktG i. V. m. § 30 HGB).7) Nicht zu prüfen ist dagegen, die Zulässigkeit der Firma im Übrigen (§ 45 Abs. 2 Satz 4 Halbs. 2 AktG und §§ 18 ff. HGB) und das Vorliegen einer Gewerbeummeldung.8) Für die Wirksamkeit des Beschlusses über die Sitzverlegung kommt es u. a. darauf an, ob die 13 Hauptversammlung ordnungsgemäß einberufen worden ist (§§ 121 ff.), der Beschluss mit der erforderlichen Mehrheit gefasst (§ 179 Abs. 2) und notariell beurkundet worden ist (§ 130). Die Zulässigkeit der Firma setzt u. a. voraus, dass sie sich (auch nach der Sitzverlegung) 14 von allen an demselben Ort oder in derselben Gemeinde bereits bestehenden und in das Handelsregister oder das Genossenschaftsregister eingetragenen Firmen deutlich unterscheidet (§ 30 Abs. 1 HGB). Der Rechtsformzusatz (§ 4) ist allein kein ausreichendes Unterscheidungsmerkmal. Kommt das Registergericht zu dem Ergebnis, dass die Sitzverlegung auch materiell ord- 15 nungsgemäß ist, hat es die Sitzverlegung in das Handelsregister einzutragen (§ 45 Abs. 2 Satz 4 Halbs. 1). Die bereits vorhandenen Eintragungen, die ihm vom Registergericht des bisherigen Sitzes mitgeteilt worden sind, sind dabei ohne weitere Nachprüfung in das Handelsregister am neuen Sitz zu übernehmen (§ 45 Abs. 2 Satz 4 Halbs. 2). Dem Registergericht des neuen Sitzes steht insoweit kein Prüfungs- und Beanstandungsrecht zu. Mit der Eintragung im Handelsregister wird die Sitzverlegung wirksam (§ 45 Abs. 2 Satz 5; siehe auch § 181 Abs. 3).9) Die Eintragung ist unverändert bekannt zu machen (§ 10 HGB). Das Registergericht des neuen Sitzes hat die erfolgte Handelsregistereintragung sodann dem 16 Registergericht des bisherigen Sitzes elektronisch mitzuteilen (§ 45 Abs. 2 Satz 6). Dieses hat dann die bisherigen Eintragungen von Amts wegen zu löschen (§ 45 Abs. 2 Satz 7 AktG i. V. m. § 20 HRV). Auf das Registerblatt des neuen Registergerichts wird verwiesen. _____________ 6)

7) 8) 9)

So zum GmbH-Recht etwa OLG Zweibrücken, Beschl. v. 15.10.1991 – 2 AR 41/91, GmbHR 1992, 678; OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 30.7.1991 – 20 W 237/91, Rpfleger 1991, 508; OLG Hamm, Beschl. v. 25.3.1991 – 15 Sbd 4/91, GmbHR 1991, 321, dazu EWiR 1994, 1209 (Meyding). Ausführlich zum Ganzen K. Schmidt/Lutter-Zimmer, AktG, § 45 Rz. 8 m. w. N. zur Rspr. Hölters-Solveen, AktG, § 45 Rz. 7; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 45 Rz. 5; K. Schmidt/Lutter-Zimmer, § 45 Rz. 10 ff. LG Augsburg, Beschl. v. 29.1.2008 – 2 HK T 65/08, NZG 2009, 195. OLG Hamm, Urt. v. 17.11.2003 – 8 U 7/03, AG 2004, 147 – zur örtlichen Zuständigkeit für eine Anfechtungsklage gegen die Sitzverlegung einer AG; OLG Hamm, Beschl. v. 19.8.1996 – 15 W 127/96, GmbHR 1996, 858 – zum GmbH-Recht.

Thomas Wachter

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§ 46

Verantwortlichkeit der Gründer

17 Kommt das Registergericht des neuen Sitzes zu dem Ergebnis, dass die beschlossene Sitzverlegung materiell nicht ordnungsgemäß ist, gibt es den Beteiligten mittels Zwischenverfügung auf, das Hindernis zu beseitigen (§ 382 Abs. 4 FamFG, § 26 HRV). Wird das Hindernis nicht behoben, weist das Registergericht die Anmeldung zurück.10) Die Sitzverlegung ist dann mangels Eintragung nicht wirksam geworden (§ 45 Abs. 2 Satz 5). Die Registerakten sind wieder an das bisher (und jetzt weiterhin) zuständige Registergericht zurückzugeben. Dieses ist jetzt wieder alleine zuständig. Die dortigen Eintragungen sind noch unverändert vorhanden (§ 45 Abs. 2 Satz 7 AktG i. V. m. § 20 HRV). IV.

Sitzverlegung innerhalb desselben Gerichtsbezirks (§ 45 Abs. 3)

18 Bei einer Sitzverlegung innerhalb ein und desselben Gerichtsbezirks bleibt die Zuständigkeit unverändert, so dass eine Regelung des Zusammenwirkens mehrerer Registergerichte entbehrlich ist. Das (bisherige und neue) Registergericht hat zu prüfen, ob die Sitzverlegung ordnungsgemäß angemeldet und beschlossen worden ist und die Firma auch am neuen Satzungssitz zulässig ist (§ 45 Abs. 3 Satz 1). Ist dies der Fall, hat das Registergericht die Sitzverlegung einzutragen (§ 45 Abs. 3 Satz 2). Mit der Eintragung wird die Sitzverlegung wirksam (§ 45 Abs. 3 Satz 3; siehe auch § 181 Abs. 3 Satz 3). Bei etwaigen Mängeln der Sitzverlegung sind diese zu beseitigen (siehe § 382 Abs. 4 FamFG, § 26 HRV) bzw. die Anmeldung zurückzuweisen. V.

Grenzüberschreitende Sitzverlegung

19 Der Satzungssitz einer deutschen AG muss stets in Deutschland liegen (§ 5). Eine Verlegung des Satzungssitzes ist nur innerhalb Deutschlands möglich (§ 45 Abs. 1). Eine Verlegung des Satzungssitzes ins Ausland ist bei einer deutschen AG grundsätzlich unzulässig. Dies galt bislang auch innerhalb der Mitgliedstaaten der EU und des EWR.11) 20 Eine grenzüberschreitende Verlegung des Satzungssitzes war bzw. ist derzeit nur bei einer Europäischen Gesellschaft (SE) möglich (Art. 8 SE-VO). _____________ 10) LG Leipzig, Beschl. v. 15.3.2004 – 3 HK T 4403/03, NZG 2004, 629. K. Schmidt/Lutter-Zimmer, AktG, § 45 Rz. 14 f.; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 45 Rz. 16. A. A. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 45 Rz. 5 – Zurückweisung an das Registergericht des bisherigen Sitzes. 11) Die Zulässigkeit eines grenzüberschreitenden Formwechsels (von Polen nach Luxemburg) wurde jetzt bejaht von EuGH, Urt. v. 25.10.2017 – C-106/16 (Polbud-Wykonawstwo sp. z.o.o. in Liquidation), ZIP 2017, 2145, dazu EWiR 2018, 7 (de Raet), ausführlich dazu u. a. Bärwaldt/Hoefling, DB 2017, 3051; Bayer/J. Schmidt, ZIP 2017, 2225; Behme, ZHR 182 (2018) 32; Feldhaus, BB 2017, 2819; Hushahn, RNotZ 2018, 23; Kieninger, NJW 2017, 3624; Kindler, NZG 2018, 1; Kovacs, ZIP 2018, 253; Schollmeyer, ZGR 2018, 186; Stelmaszczyk, EuZW 2017, 890; Stiegler, AG 2017, 846, Teichmann/Knaier, GmbHR 2017, 1314.

§ 46 Verantwortlichkeit der Gründer (1) 1Die Gründer sind der Gesellschaft als Gesamtschuldner verantwortlich für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben, die zum Zwecke der Gründung der Gesellschaft über Übernahme der Aktien, Einzahlung auf die Aktien, Verwendung eingezahlter Beträge, Sondervorteile, Gründungsaufwand, Sacheinlagen und Sachübernahmen gemacht worden sind. 2Sie sind ferner dafür verantwortlich, daß eine zur Annahme von Einzahlungen auf das Grundkapital bestimmte Stelle (§ 54 Abs. 3) hierzu geeignet ist und daß die eingezahlten Beträge zur freien Verfügung des Vorstands stehen. 3Sie haben, unbeschadet der Verpflichtung zum Ersatz des sonst entstehenden

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Thomas Wachter

§ 46

Verantwortlichkeit der Gründer

17 Kommt das Registergericht des neuen Sitzes zu dem Ergebnis, dass die beschlossene Sitzverlegung materiell nicht ordnungsgemäß ist, gibt es den Beteiligten mittels Zwischenverfügung auf, das Hindernis zu beseitigen (§ 382 Abs. 4 FamFG, § 26 HRV). Wird das Hindernis nicht behoben, weist das Registergericht die Anmeldung zurück.10) Die Sitzverlegung ist dann mangels Eintragung nicht wirksam geworden (§ 45 Abs. 2 Satz 5). Die Registerakten sind wieder an das bisher (und jetzt weiterhin) zuständige Registergericht zurückzugeben. Dieses ist jetzt wieder alleine zuständig. Die dortigen Eintragungen sind noch unverändert vorhanden (§ 45 Abs. 2 Satz 7 AktG i. V. m. § 20 HRV). IV.

Sitzverlegung innerhalb desselben Gerichtsbezirks (§ 45 Abs. 3)

18 Bei einer Sitzverlegung innerhalb ein und desselben Gerichtsbezirks bleibt die Zuständigkeit unverändert, so dass eine Regelung des Zusammenwirkens mehrerer Registergerichte entbehrlich ist. Das (bisherige und neue) Registergericht hat zu prüfen, ob die Sitzverlegung ordnungsgemäß angemeldet und beschlossen worden ist und die Firma auch am neuen Satzungssitz zulässig ist (§ 45 Abs. 3 Satz 1). Ist dies der Fall, hat das Registergericht die Sitzverlegung einzutragen (§ 45 Abs. 3 Satz 2). Mit der Eintragung wird die Sitzverlegung wirksam (§ 45 Abs. 3 Satz 3; siehe auch § 181 Abs. 3 Satz 3). Bei etwaigen Mängeln der Sitzverlegung sind diese zu beseitigen (siehe § 382 Abs. 4 FamFG, § 26 HRV) bzw. die Anmeldung zurückzuweisen. V.

Grenzüberschreitende Sitzverlegung

19 Der Satzungssitz einer deutschen AG muss stets in Deutschland liegen (§ 5). Eine Verlegung des Satzungssitzes ist nur innerhalb Deutschlands möglich (§ 45 Abs. 1). Eine Verlegung des Satzungssitzes ins Ausland ist bei einer deutschen AG grundsätzlich unzulässig. Dies galt bislang auch innerhalb der Mitgliedstaaten der EU und des EWR.11) 20 Eine grenzüberschreitende Verlegung des Satzungssitzes war bzw. ist derzeit nur bei einer Europäischen Gesellschaft (SE) möglich (Art. 8 SE-VO). _____________ 10) LG Leipzig, Beschl. v. 15.3.2004 – 3 HK T 4403/03, NZG 2004, 629. K. Schmidt/Lutter-Zimmer, AktG, § 45 Rz. 14 f.; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 45 Rz. 16. A. A. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 45 Rz. 5 – Zurückweisung an das Registergericht des bisherigen Sitzes. 11) Die Zulässigkeit eines grenzüberschreitenden Formwechsels (von Polen nach Luxemburg) wurde jetzt bejaht von EuGH, Urt. v. 25.10.2017 – C-106/16 (Polbud-Wykonawstwo sp. z.o.o. in Liquidation), ZIP 2017, 2145, dazu EWiR 2018, 7 (de Raet), ausführlich dazu u. a. Bärwaldt/Hoefling, DB 2017, 3051; Bayer/J. Schmidt, ZIP 2017, 2225; Behme, ZHR 182 (2018) 32; Feldhaus, BB 2017, 2819; Hushahn, RNotZ 2018, 23; Kieninger, NJW 2017, 3624; Kindler, NZG 2018, 1; Kovacs, ZIP 2018, 253; Schollmeyer, ZGR 2018, 186; Stelmaszczyk, EuZW 2017, 890; Stiegler, AG 2017, 846, Teichmann/Knaier, GmbHR 2017, 1314.

§ 46 Verantwortlichkeit der Gründer (1) 1Die Gründer sind der Gesellschaft als Gesamtschuldner verantwortlich für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben, die zum Zwecke der Gründung der Gesellschaft über Übernahme der Aktien, Einzahlung auf die Aktien, Verwendung eingezahlter Beträge, Sondervorteile, Gründungsaufwand, Sacheinlagen und Sachübernahmen gemacht worden sind. 2Sie sind ferner dafür verantwortlich, daß eine zur Annahme von Einzahlungen auf das Grundkapital bestimmte Stelle (§ 54 Abs. 3) hierzu geeignet ist und daß die eingezahlten Beträge zur freien Verfügung des Vorstands stehen. 3Sie haben, unbeschadet der Verpflichtung zum Ersatz des sonst entstehenden

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Thomas Wachter

§ 46

Verantwortlichkeit der Gründer

Schadens, fehlende Einzahlungen zu leisten und eine Vergütung, die nicht unter den Gründungsaufwand aufgenommen ist, zu ersetzen. (2) Wird die Gesellschaft von Gründern durch Einlagen, Sachübernahmen oder Gründungsaufwand vorsätzlich oder aus grober Fahrlässigkeit geschädigt, so sind ihr alle Gründer als Gesamtschuldner zum Ersatz verpflichtet. (3) Von diesen Verpflichtungen ist ein Gründer befreit, wenn er die die Ersatzpflicht begründenden Tatsachen weder kannte noch bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes kennen mußte. (4) Entsteht der Gesellschaft ein Ausfall, weil ein Aktionär zahlungsunfähig oder unfähig ist, eine Sacheinlage zu leisten, so sind ihr zum Ersatz als Gesamtschuldner die Gründer verpflichtet, welche die Beteiligung des Aktionärs in Kenntnis seiner Zahlungsunfähigkeit oder Leistungsunfähigkeit angenommen haben. (5) 1Neben den Gründern sind in gleicher Weise Personen verantwortlich, für deren Rechnung die Gründer Aktien übernommen haben. 2Sie können sich auf ihre eigene Unkenntnis nicht wegen solcher Umstände berufen, die ein für ihre Rechnung handelnder Gründer kannte oder kennen mußte. Übersicht I. Überblick ............................................ 1 II. Gläubiger und Schuldner ................. 6 III. Haftungstatbestand ........................... 9 1. Haftung für unrichtige Angaben (§ 46 Abs. 1) ....................................... 9 I.

2. Haftung für Schäden durch Einlagen (§ 46 Abs. 2) ...................... 3. Ausfallhaftung (§ 46 Abs. 4) ........... IV. Umfang der Haftung ...................... V. Varia zur Haftung ...........................

16 18 22 23

Überblick

Die Gründer und ihre Hintermänner sind für die Ordnungsgemäßheit des gesamten 1 Gründungsvorgangs zivilrechtlich (§ 46) und strafrechtlich (§ 399 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2) verantwortlich. Für etwaige Schäden haften sie der Gesellschaft persönlich und als Gesamtschuldner. Zweck der Vorschrift ist der Schutz der Gesellschaft vor Schäden bei der Gründung und die Sicherung der Kapitalaufbringung.1) Die Vorschrift stellt das Herzstück der gesamten Regelungen über die Gründungshaf- 2 tung (§§ 46 – 51) dar. Neben den Gründern und deren Hintermännern sind auch weitere Personen für die Einhaltung der gesetzlichen Gründungsvorschriften verantwortlich. Dazu gehören die Gründergenossen (§ 47 Nr. 1 und Nr. 2), die Emittenten von Aktien (§ 47 Nr. 3), die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats (§ 48) sowie der Gründungsprüfer (§ 49). Im Interesse der (künftigen) Aktionäre und der Gläubiger der Gesellschaft kann die Gesellschaft über die ihr zustehenden Schadensersatzansprüche (nach §§ 46 – 48) nur eingeschränkt verfügen (siehe § 50). Zudem verjähren die Ersatzansprüche (nach §§ 46 – 48) frühestens nach fünf Jahren (§ 51). Die zivilrechtliche Gründungshaftung wird durch die Strafbarkeit falscher oder unvollständiger Angaben ergänzt (insbesondere § 399 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 3). Zu den zahlreichen Rechtsfragen der gesamten Gründungshaftung gibt es bis heute kaum 3 Rechtsprechung. Dies zeigt, dass sich die präventive Kontrolle des Gründungsvorgangs durch Notar (siehe § 23 Abs. 1) und Registergericht (siehe § 38 Abs. 1) in der Praxis bestens bewährt hat. _____________ 1)

Grundlegend BGH, Urt.v. 27.2.1975 – II ZR 111/72, BGHZ 64, 52 = NJW 1975, 974. Hölters-Solveen, AktG, § 46 Rz. 2; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 46 Rz. 1; M. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 46 Rz. 1; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 46 Rz. 1; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 46 Rz. 5.

Thomas Wachter

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§ 46

Verantwortlichkeit der Gründer

4 Die Haftung der Gründer (und auch der weiteren Personen) ist verschuldensabhängig (siehe § 46 Abs. 3). Es handelt sich um eine spezifisch gesellschaftsrechtliche (und nicht etwa um eine deliktsrechtliche) Haftung2) aufgrund von Pflichtverletzungen bei der Gründung der Gesellschaft. Die Haftung ist zwingend.3) 5 Neben der Gründungshaftung (nach § 46) können auch Schadensersatzansprüche nach den Grundsätzen der Handelndenhaftung (siehe § 41), der Verlustdeckungshaftung oder wegen unerlaubter Handlung bestehen (z. B. nach §§ 826, 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 399 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AktG oder §§ 263, 266 StGB). §§ 46 ff. AktG sind aber selbst keine Schutzgesetze i. S. von §§ 823 ff. BGB.4) II.

Gläubiger und Schuldner

6 Gläubiger des Anspruchs ist die Gesellschaft, die mit Eintragung im Handelsregister als juristische Person entsteht (§ 46 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 41 Abs. 1 Satz 1). Die Vor-AG ist noch nicht anspruchsberechtigt (siehe auch § 51 Satz 2 Halbs. 1). Ansprüche Dritter können nur nach allgemeinen Vorschriften (z. B. §§ 823 ff. BGB) bestehen.5) 7 Schuldner des Anspruchs sind die Gründer (§ 28) sowie deren Hintermänner (§ 46 Abs. 5). Mit der Haftung der Hintermänner soll eine Umgehung der Gründungshaftung verhindert werden.6) Für den Gründer haften in diesem Fall zwei Personen gleichrangig: der „Vordermann“ (Strohmann, Treuhänder) (nach § 46 Abs. 1 bis Abs. 4) und der „Hintermann“ (Auftraggeber, Treugeber) (nach § 46 Abs. 5). Die Haftung des Hintermanns entfällt nur dann, wenn er nachweisen kann, dass sowohl er selbst als auch der Vordermann nicht schuldhaft gehandelt haben (siehe § 46 Abs. 5 Satz 2). Dabei gilt auch insoweit der Sorgfaltsmaßstab eines ordentlichen Geschäftsmannes. Eine Einschränkung der Haftung bei Hintermännern, die praktisch keinen Einfluss auf die Gründung genommen haben, kommt nicht in Betracht. 8 Die Regelung für Hintermänner (§ 46 Abs. 5) findet keine Anwendung auf Gründer, für die ein gesetzlicher oder rechtsgeschäftlicher Vertreter (offen) gehandelt hat. Gründer ist in diesem Fall allein der Vertretene (siehe § 28). Diesen trifft die Gründerhaftung (nach § 46 Abs. 1 bis Abs. 4). Der Vertreter ist nicht Gründer und haftet daher allenfalls nach Deliktsrecht. III.

Haftungstatbestand

1.

Haftung für unrichtige Angaben (§ 46 Abs. 1)

9 Die Gründer sind gegenüber der Gesellschaft dafür verantwortlich, dass bestimmte zum Zwecke der Gründung der Gesellschaft gemachte Angaben vollständig und richtig sind (§ 46 Abs. 1 Satz 1). Dazu gehören die Angaben über –

die Übernahme der Aktien (§ 23 Abs. 2 Nr. 2);



die Einzahlung auf die Aktien (§§ 23 Abs. 2 Nr. 3, 36 Abs. 2, 36a Abs. 1, 37 Abs. 1);



die Verwendung der eingezahlten Beträge (§§ 36 Abs. 2, 37 Abs. 1 Satz 5);

_____________ 2) 3) 4) 5)

6)

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Hölters-Solveen, AktG, § 46 Rz. 3; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 46 Rz. 2; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 46 Rz. 2. Hölters-Solveen, AktG, § 46 Rz. 21; Spindler/Stilz-Gerber, AktG, § 46 Rz. 1. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 46 Rz. 3 f.; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 46 Rz. 3. Hölters-Solveen, AktG, § 46 Rz. 3; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 46 Rz. 5; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 46 Rz. 4; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 46 Rz. 78 ff.; Spindler/Stilz-Gerber, AktG, § 46 Rz. 23. Hölters-Solveen, AktG, § 46 Rz. 20; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 46 Rz. 22; Pentz in: MünchKommAktG, § 46 Rz. 60.

Thomas Wachter

§ 46

Verantwortlichkeit der Gründer –

etwaige Sondervorteile (§ 26 Abs. 1);



den Gründungsaufwand (§ 26 Abs. 2) sowie



die Sacheinlagen und Sachübernahmen (§ 27, z. B. auch zu verdeckten Sacheinlagen nach § 27 Abs. 3 oder zum Hin- und Herzahlen nach § 27 Abs. 4).

Die Aufzählung ist abschließend.7) Andere Angaben (z. B. über den Ausgabebetrag der 10 Aktien (§§ 23 Abs. 2 Nr. 2, 9 Abs. 1) sind nicht erfasst (siehe demgegenüber § 399 Abs. 1 Nr. 1). Die Angaben müssen zum Zwecke der Gründung der Gesellschaft gemacht worden sein. 11 Die Verantwortlichkeit der Gründer umfasst somit nur Angaben gegenüber den Gründungsprüfern, den Mitgliedern des Vorstands und des Aufsichtsrats, dem kontoführenden Kreditinstitut (siehe §§ 37 Abs. 1, 54 Abs. 3), dem beurkundenden Notar und dem Registergericht, nicht aber auch Angaben gegenüber Finanz- und Verwaltungsbehörden8) oder Kammern (siehe § 379 FamFG). Die falschen Angaben müssen von einem Gründer gemacht werden. Dies ergibt sich 12 zwar nicht ausdrücklich aus dem Gesetzeswortlaut, folgt aber aus dem Gesamtzusammenhang. Eine Haftung für falsche Angaben Dritter (z. B. eines Gründungsprüfers) kommt – entgegen der h. M.9) – nicht in Betracht. Etwas anderes gilt nur dann, wenn sich die Gründer die falschen Angaben des Dritten zu eigen gemacht haben (z. B. in der Handelsregisteranmeldung). Die Angaben müssen objektiv unrichtig oder unvollständig sein. Unrichtig sind Angaben, 13 die mit den tatsächlichen Gegebenheiten nicht übereinstimmen (z. B. im Falle einer verdeckten Sacheinlage nach § 27 Abs. 3). Unvollständig sind Angaben, wenn sie nicht alle für die Gründung maßgeblichen Informationen enthalten (z. B. keine Offenlegung des Hin- und Herzahlens nach § 27 Abs. 4 Satz 2). Maßgebend für die Richtigkeit und Vollständigkeit ist nicht der Zeitpunkt, zu dem die Angaben gemacht werden,10) sondern der Zeitpunkt, in dem die Angaben, dem jeweiligen Empfänger zugehen (siehe § 130 BGB).11) Bis zu diesem Zeitpunkt (z. B. Zugang der Handelsregisteranmeldung beim Registergericht) können die Gründer die Angaben auch noch mit haftungsbefreiender Wirkung berichtigen oder vervollständigen. Die Gründer sind darüber hinaus auch dafür verantwortlich, dass das Kreditinstitut, auf 14 dessen Konto die Bareinlagen eingezahlt werden, als Zahlstelle geeignet ist (§ 54 Abs. 3) und die eingezahlten Beträge endgültig (siehe § 36 Abs. 2 Halbs. 2) zur freien Verfügung des Vorstands stehen (§ 46 Abs. 1 Satz 2; siehe auch § 48 Satz 1 Halbs. 2). Die Gründer haften für jedes Verschulden (einschließlich leichter Fahrlässigkeit), das 15 zudem widerlegbar vermutet wird (§ 46 Abs. 3). _____________ 7) Hölters-Solveen, AktG, § 46 Rz. 8; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 46 Rz. 6; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 46 Rz. 7. 8) K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 46 Rz. 7. A. A. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 46 Rz. 6 – unter Hinweis auf § 37 Abs. 4 Nr. 5 a. F.; M. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 46 Rz. 18; Spindler/Stilz-Gerber, AktG, § 46 Rz. 4. 9) Hölters-Solveen, AktG, § 46 Rz. 8; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 46 Rz. 6; M. Arnold in: KölnKommAktG, § 46 Rz. 21; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 46 Rz. 8; Spindler/Stilz-Gerber, AktG, § 46 Rz. 4. 10) So aber zum GmbH-Recht – OLG Bremen, Urt. v. 6.5.1997 – 2 U 135/96, GmbHR 1998, 40. Zustimmend Bürgers/Körber-Körber, AktG, § 46 Rz. 8; M. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 46 Rz. 23. Differenzierend – grundsätzlich Zeitpunkt der Abgabe, bei Angaben gegenüber Registergericht aber Eingang – Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 46 Rz. 7; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 46 Rz. 1. 11) So auch Hölters-Solveen, AktG, § 46 Rz. 8. Anders zum GmbH-Recht – maßgeblich ist Zeitpunkt der Eintragung – OLG Rostock, Urt. v. 2.2.1995 – 1 U 191/94, GmbHR 1995, 658 = BB 1995, 1920.

Thomas Wachter

255

§ 46 2.

Verantwortlichkeit der Gründer Haftung für Schäden durch Einlagen (§ 46 Abs. 2)

16 Die Gründer haften weiter für Schäden, die der Gesellschaft durch Einlagen, Sachübernahmen oder Gründungsaufwand entstehen (§ 46 Abs. 2). Beispiele dafür sind etwa bloße Scheineinzahlungen, die Überbewertung von Sacheinlagen, oder ein unangemessen hoher oder nicht ordnungsgemäß festgesetzter Gründungsaufwand. Die Haftung nach § 46 Abs. 2 ist nicht subsidiär gegenüber der Haftung nach § 46 Abs. 1.12) 17 Die Gründer haften für vermutetes Verschulden (§ 46 Abs. 3),13) allerdings (anders als bei § 46 Abs. 1) nur für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit (§ 46 Abs. 2). 3.

Ausfallhaftung (§ 46 Abs. 4)

18 Schließlich trifft die Gründer gegenüber der Gesellschaft eine Ausfallhaftung, wenn sie die Beteiligung eines Gründers angenommen haben, obwohl sie wussten, dass dieser bereits bei Gründung zahlungs- bzw. leistungsunfähig war (§ 46 Abs. 4). 19 Die Haftung der Gründer setzt voraus, dass die Gesellschaft einen Ausfall erleidet. Der Ausfall muss darauf beruhen, dass ein Gründer nicht in der Lage ist, die versprochene Einlage (bei Bareinlagen wegen Zahlungsunfähigkeit und bei Sacheinlagen wegen Leistungsunfähigkeit) zu erbringen. Die Ausfallhaftung setzt nicht voraus, dass gegen den leistungsunfähigen Gründer zunächst Klage erhoben wird bzw. Vollstreckungsmaßnahmen eingeleitet werden. Die vorherige Durchführung eines Kaduzierungsverfahrens (§ 64) ist gleichfalls nicht erforderlich.14) 20 Die Zahlungs- bzw. Leistungsunfähigkeit des Gründers muss bereits im Zeitpunkt der Annahme der Beteiligung, d. h. bei Feststellung der Satzung (§ 23 Abs. 1 Satz 1) bestanden haben.15) Eine nachträglich eintretende Leistungsunfähigkeit begründet somit keine Ausfallhaftung der Gründer. 21 Die Gründer trifft die Ausfallhaftung nur dann, wenn sie positive Kenntnis von der Zahlungs- bzw. Leistungsunfähigkeit hatten (siehe § 166 Abs. 1 BGB). Dies ist von der Gesellschaft darzulegen und zu beweisen. Das Verschulden der Gründer wird in diesem Fall nicht vermutet (§ 46 Abs. 3, der nur für die Haftung nach § 46 Abs. 1 und Abs. 2, nicht aber nach § 46 Abs. 4 gilt).16) IV.

Umfang der Haftung

22 Die Gründer und ihre Hintermänner sind der Gesellschaft zum Schadensersatz verpflichtet (§§ 249 ff. BGB). Die Gesellschaft ist dabei so zu stellen, wie sie bei einer ordnungsgemäßen Gründung stehen würde. Die Gründer sind insbesondere verpflichtet, fehlende Einzahlungen zu leisten und einen nicht ordnungsgemäß oder überhöht festgesetzten Gründungsaufwand zu ersetzen (§ 46 Abs. 1 Satz 3). Bei einer Überbewertung von Sacheinlagen haften die Gründer für die Differenz zwischen dem wirklichen Wert und dem festgesetzten Wert der Sache (einschließlich eines etwaigen Agios). Der Einwand des Mitverschuldens der Gesellschaft oder ihrer Organe ist aufgrund des Norm_____________ 12) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 46 Rz. 11; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 46 Rz. 42. A. A. K. Schmidt/ Lutter-Bayer, AktG, § 46 Rz. 13. 13) Gegen die Verschuldensvemutung – K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 46 Rz. 14 und 20. Differenzierend Pentz in: MünchKomm-AktG, § 46 Rz. 43 f. und 65 f. 14) Hölters-Solveen, AktG, § 46 Rz. 18; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 46 Rz. 15; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 46 Rz. 16. 15) Bürgers/Körber-Körber, AktG, § 46 Rz. 16; Hölters-Solveen, AktG, § 46 Rz. 18; K. Schmidt/LutterBayer, AktG, § 46 Rz. 17. 16) K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 46 Rz. 15; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 46 Rz. 57.

256

Thomas Wachter

Verantwortlichkeit anderer Personen neben den Gründern

§ 47

zwecks allerdings ausgeschlossen (siehe §§ 254, 31 BGB).17) Mehrere Personen haften als Gesamtschuldner (§§ 421 ff. BGB).18) V.

Varia zur Haftung

Die Schadensersatzansprüche der Gesellschaft verjähren in fünf Jahren (§ 51).

23

Die Gesellschaft kann nur eingeschränkt auf einen begründeten Ersatzanspruch verzichten 24 oder sich darüber vergleichen (§ 50). Gerichtsstand: §§ 12, 22 ZPO, nicht § 32 ZPO.

25

_____________ 17) BGH, Urt. v. 27.2.1975 – II ZR 111/72, BGHZ 64, 52 = NJW 1975, 974. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 46 Rz. 10; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 46 Rz. 12; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 46 Rz. 67 ff. 18) Zu Regressfragen – K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 46 Rz. 23 ff.

§ 47 Verantwortlichkeit anderer Personen neben den Gründern Neben den Gründern und den Personen, für deren Rechnung die Gründer Aktien übernommen haben, ist als Gesamtschuldner der Gesellschaft zum Schadenersatz verpflichtet, 1. wer bei Empfang einer Vergütung, die entgegen den Vorschriften nicht in den Gründungsaufwand aufgenommen ist, wußte oder nach den Umständen annehmen mußte, daß die Verheimlichung beabsichtigt oder erfolgt war, oder wer zur Verheimlichung wissentlich mitgewirkt hat; 2. wer im Fall einer vorsätzlichen oder grobfahrlässigen Schädigung der Gesellschaft durch Einlagen oder Sachübernahmen an der Schädigung wissentlich mitgewirkt hat; 3. wer vor Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister oder in den ersten zwei Jahren nach der Eintragung die Aktien öffentlich ankündigt, um sie in den Verkehr einzuführen, wenn er die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angaben, die zum Zwecke der Gründung der Gesellschaft gemacht worden sind (§ 46 Abs. 1), oder die Schädigung der Gesellschaft durch Einlagen oder Sachübernahmen kannte oder bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes kennen mußte. Übersicht I. Überblick ............................................ 1 II. Gläubiger und Schuldner ................. 4 III. Haftungstatbestand ........................... 6 1. Haftung wegen verheimlichter Vergütung (§ 47 Nr. 1) ...................... 6 I.

2. Haftung wegen Mitwirkung bei der Schädigung (§ 47 Nr. 2) .............. 9 3. Haftung des Emittenten (§ 47 Nr. 3) ....................................... 10 IV. Varia zur Haftung ........................... 15

Überblick

Die Gründer (§ 46 Abs. 1 – 4 i. V. m. § 28) und deren Hintermänner (§ 46 Abs. 5) haften 1 gegenüber der Gesellschaft für Schäden, die dieser im Zusammenhang mit der Gründung entstehen. Daneben haften der Gesellschaft aber auch noch weitere Personen auf Schadensersatz (§ 47). Dabei handelt es sich um die sog. Gründergenossen (§ 47 Nr. 1 und Nr. 2) und die Emittenten der Aktien (§ 47 Nr. 3). Gründergenosse ist insbesondere wer eine (heimliche) Vergütung empfängt, die in der Satzung nicht als Gründungsaufwand Thomas Wachter

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Verantwortlichkeit anderer Personen neben den Gründern

§ 47

zwecks allerdings ausgeschlossen (siehe §§ 254, 31 BGB).17) Mehrere Personen haften als Gesamtschuldner (§§ 421 ff. BGB).18) V.

Varia zur Haftung

Die Schadensersatzansprüche der Gesellschaft verjähren in fünf Jahren (§ 51).

23

Die Gesellschaft kann nur eingeschränkt auf einen begründeten Ersatzanspruch verzichten 24 oder sich darüber vergleichen (§ 50). Gerichtsstand: §§ 12, 22 ZPO, nicht § 32 ZPO.

25

_____________ 17) BGH, Urt. v. 27.2.1975 – II ZR 111/72, BGHZ 64, 52 = NJW 1975, 974. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 46 Rz. 10; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 46 Rz. 12; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 46 Rz. 67 ff. 18) Zu Regressfragen – K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 46 Rz. 23 ff.

§ 47 Verantwortlichkeit anderer Personen neben den Gründern Neben den Gründern und den Personen, für deren Rechnung die Gründer Aktien übernommen haben, ist als Gesamtschuldner der Gesellschaft zum Schadenersatz verpflichtet, 1. wer bei Empfang einer Vergütung, die entgegen den Vorschriften nicht in den Gründungsaufwand aufgenommen ist, wußte oder nach den Umständen annehmen mußte, daß die Verheimlichung beabsichtigt oder erfolgt war, oder wer zur Verheimlichung wissentlich mitgewirkt hat; 2. wer im Fall einer vorsätzlichen oder grobfahrlässigen Schädigung der Gesellschaft durch Einlagen oder Sachübernahmen an der Schädigung wissentlich mitgewirkt hat; 3. wer vor Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister oder in den ersten zwei Jahren nach der Eintragung die Aktien öffentlich ankündigt, um sie in den Verkehr einzuführen, wenn er die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angaben, die zum Zwecke der Gründung der Gesellschaft gemacht worden sind (§ 46 Abs. 1), oder die Schädigung der Gesellschaft durch Einlagen oder Sachübernahmen kannte oder bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes kennen mußte. Übersicht I. Überblick ............................................ 1 II. Gläubiger und Schuldner ................. 4 III. Haftungstatbestand ........................... 6 1. Haftung wegen verheimlichter Vergütung (§ 47 Nr. 1) ...................... 6 I.

2. Haftung wegen Mitwirkung bei der Schädigung (§ 47 Nr. 2) .............. 9 3. Haftung des Emittenten (§ 47 Nr. 3) ....................................... 10 IV. Varia zur Haftung ........................... 15

Überblick

Die Gründer (§ 46 Abs. 1 – 4 i. V. m. § 28) und deren Hintermänner (§ 46 Abs. 5) haften 1 gegenüber der Gesellschaft für Schäden, die dieser im Zusammenhang mit der Gründung entstehen. Daneben haften der Gesellschaft aber auch noch weitere Personen auf Schadensersatz (§ 47). Dabei handelt es sich um die sog. Gründergenossen (§ 47 Nr. 1 und Nr. 2) und die Emittenten der Aktien (§ 47 Nr. 3). Gründergenosse ist insbesondere wer eine (heimliche) Vergütung empfängt, die in der Satzung nicht als Gründungsaufwand Thomas Wachter

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§ 47

Verantwortlichkeit anderer Personen neben den Gründern

(§ 26 Abs. 2) festgesetzt war (§ 47 Nr. 1), oder wer an der Schädigung der Gesellschaft wissentlich mitwirkt (§ 47 Nr. 2). Als Emittent der Aktien ist haftbar, wer Aktien durch öffentliche Ankündigung in den Verkehr bringt, obwohl ihm die Schädigung der Gesellschaft durch die Gründer bekannt war bzw. bekannt sein musste (§ 47 Nr. 3). Zweck der Vorschrift ist die Sicherung der ordnungsgemäßen Kapitalaufbringung durch eine Ausdehnung der Gründungshaftung. Die Haftung des Emittenten (§ 47 Nr. 3) dient darüber hinaus insbesondere auch dem Schutz der künftigen Aktionäre.1) 2 Die Haftung der Gründergenossen und der Emittenten ist verschuldensabhängig. Es handelt sich um eine spezifisch gesellschaftsrechtliche Haftung, die an die Mitwirkung der Beteiligten bei der Gründung der Gesellschaft anknüpft.2) 3 Neben der aktienrechtlichen Haftung (nach § 47) kommen auch Schadensersatzansprüche wegen unerlaubter Handlung (z. B. nach § 826 BGB, § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 263, 266 StGB oder § 399 Abs. 1 Nr. 3 AktG) in Betracht. Die Emittenten der Aktien können darüber hinaus auch nach zivilrechtlichen Prospekthaftungsgrundsätzen und wegen Verstoß gegen das Börsengesetz (z. B. nach §§ 44 ff. BörsG, § 13 VerkProspG) haften.3) II.

Gläubiger und Schuldner

4 Gläubiger des Anspruchs ist (wie bei der Gründungshaftung nach § 46) die Gesellschaft, die mit Eintragung im Handelsregister als juristische Person entsteht (§ 48 Satz 1 i. V. m. § 41 Abs. 1 Satz 1). Die Vor-AG ist noch nicht anspruchsberechtigt. Ansprüche Dritter können aber nach allgemeinen Vorschriften (z. B. §§ 823 ff. BGB, §§ 44 ff. BörsG) bestehen. 5 Schuldner des Anspruchs sind die Gründergenossen (§ 47 Nr. 1 und Nr. 2) und die Emittenten der Aktien. Mehrere Personen haften als Gesamtschuldner (§ 47 Halbs. 1 AktG i. V. m. §§ 421 ff. BGB). III.

Haftungstatbestand

1.

Haftung wegen verheimlichter Vergütung (§ 47 Nr. 1)

6 Die Haftung eines Gründergenossen setzt zunächst voraus, dass eine Vergütung in der Satzung nicht ordnungsgemäß als Gründungsaufwand (§ 26 Abs. 2) festgesetzt und der Öffentlichkeit demnach verheimlicht worden ist.4) 7 Die Haftung trifft zunächst dabei den Empfänger der Vergütung, der wusste oder annehmen musste, dass die Verheimlichung beabsichtigt oder erfolgt war (§ 47 Nr. 1 Alt. 1). Neben dem Empfänger der Vergütung haftet der Gesellschaft aber auch, wer an der Verheimlichung des Gründungsaufwands wissentlich mitgewirkt hat (§ 47 Nr. 1 Alt. 2). 8 Die Haftung richtet sich auf Schadensersatz (§§ 249 ff. BGB). Zum Schaden gehört zumindest die zu Unrecht (§ 26 Abs. 3) geleistete Vergütung. Schadensersatzansprüche sind allerdings ausgeschlossen, wenn der Empfänger der Vergütung nicht schuldhaft gehandelt hat. In diesem Fall kommen allerdings – entgegen der h. M. – Ansprüche wegen ungerechtfertigter Bereicherung (§§ 812 ff. BGB i. V. m. § 26 Abs. 3 AktG) in Betracht.5) _____________ 1) 2) 3) 4) 5)

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Hölters-Solveen, AktG, § 47 Rz. 1; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 47 Rz. 1; M. Arnold in: KölnKommAktG, § 47 Rz. 1 f.; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 47 Rz. 1 und 8; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 47 Rz. 4. Hölters-Solveen, AktG, § 47 Rz. 3; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 47 Rz. 2; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 47 Rz. 2. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 47 Rz. 13 f.; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 47 Rz. 36 ff. Hölters-Solveen, AktG, § 47 Rz. 7; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 47 Rz. 5; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 47 Rz. 4; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 47 Rz. 13 ff. Pentz in: MünchKomm-AktG, § 47 Rz. 15. A. A. aber die ganz h. M., Hölters-Solveen, AktG, § 47 Rz. 5; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 47 Rz. 6; M. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 47 Rz. 16; K. Schmidt/LutterBayer, AktG, § 47 Rz. 5.

Thomas Wachter

Verantwortlichkeit anderer Personen neben den Gründern 2.

§ 47

Haftung wegen Mitwirkung bei der Schädigung (§ 47 Nr. 2)

Gründer (§ 46 Abs. 2) und deren Hintermänner (§ 46 Abs. 5), die die Gesellschaft durch 9 Einlagen oder Sachübernahmen schädigen sind dieser zum Schadensersatz verpflichtet. Ebenso haften Gründergenossen, die an einer solchen Schädigung wissentlich mitwirken (§ 47 Nr. 2). Die Haftung setzt Vorsatz voraus; Fahrlässigkeit genügt nicht. 3.

Haftung des Emittenten (§ 47 Nr. 3)

Die Emittentenhaftung trifft denjenigen, der Aktien einer neu gegründeten Gesellschaft 10 zum Zwecke der Verkehrseinführung öffentlich ankündigt, obwohl er die objektiven Gründungsmängel (§ 46 Abs. 1 und 2) kannte oder hätte kennen müssen (§ 47 Nr. 3).6) Die Haftung setzt zunächst voraus, dass die Aktien öffentlich angekündigt werden. Die 11 Ankündigung muss sich an einen unbestimmten Personenkreis richten und kann mündlich, schriftlich oder über das Internet erfolgen. Die Ankündigung muss darauf gerichtet sein, die von den Gründern übernommenen Aktien (siehe § 23 Abs. 2 Nr. 2) käuflich zu erwerben. Haftungsbegründend ist die Ankündigung nur dann, wenn sie bereits vor der Eintragung 12 der Gesellschaft im Handelsregister oder in den ersten zwei Jahren danach erfolgt (siehe § 382 Abs. 2 FamFG, § 27 Abs. 4 HRV). Die Vorschrift gilt entsprechend für neue Aktien aus einer Kapitalerhöhung, da auch in diesem Fall erstmalig Aktien aus dem Bereich der Gesellschaft in den allgemeinen Verkehr gebracht werden.7) Für die Frist ist in diesem Fall die Eintragung der Kapitalerhöhung im Handelsregister maßgebend. Die Haftung des Emittenten erfordert darüber hinaus, dass die Gründer zum Zwecke der 13 Gründung der Gesellschaft objektiv unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht haben (§ 46 Abs. 1) oder die Gesellschaft durch Einlagen oder Sachübernahmen geschädigt worden ist (§ 46 Abs. 2). Der Emittent (und nicht unbedingt auch der Gründer) muss vorsätzlich oder fahrlässig 14 gehandelt haben. Maßstab ist dabei die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes, der mit der Emission von Aktien befasst ist. Der Emittent muss die Ordnungsgemäßheit der Gründung daher vor einer entsprechenden Ankündigung von Aktien insoweit selbst prüfen.8) IV.

Varia zur Haftung

Die Schadensersatzansprüche der Gesellschaft verjähren in fünf Jahren (§ 51).

15

Die Gesellschaft kann nur eingeschränkt auf einen begründeten Ersatzanspruch verzichten 16 oder sich darüber vergleichen (§ 50). Gerichtsstand: §§ 12, 22 ZPO, nicht § 32 ZPO.

17

_____________ 6) 7)

8)

Hölters-Solveen, AktG, § 47 Rz. 11; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 47 Rz. 9; M. Arnold in: KölnKommAktG, § 47 Rz. 22 ff.; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 47 Rz. 9 ff. Hölters-Solveen, AktG, § 47 Rz. 13; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 47 Rz. 12; M. Arnold in: KölnKommAktG, § 47 Rz. 29; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 47 Rz. 14; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 47 Rz. 22 ff.; Spindler/Stilz-Gerber, AktG, § 47 Rz. 11. Hölters-Solveen, AktG, § 47 Rz. 11; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 47 Rz. 10; K. Schmidt/Lutter-Bayer, § 47 Rz. 12; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 47 Rz. 29.

Thomas Wachter

259

§ 48

Verantwortlichkeit des Vorstands und des Aufsichtsrats

§ 48 Verantwortlichkeit des Vorstands und des Aufsichtsrats 1

Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats, die bei der Gründung ihre Pflichten verletzen, sind der Gesellschaft zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens als Gesamtschuldner verpflichtet; sie sind namentlich dafür verantwortlich, daß eine zur Annahme von Einzahlungen auf die Aktien bestimmte Stelle (§ 54 Abs. 3) hierzu geeignet ist, und daß die eingezahlten Beträge zur freien Verfügung des Vorstands stehen. 2 Für die Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats bei der Gründung gelten im übrigen §§ 93 und 116 mit Ausnahme von § 93 Abs. 4 Satz 3 und 4 und Abs. 6. Übersicht I. Überblick ........................................... 1 II. Gläubiger und Schuldner ................ 4 III. Haftungstatbestand .......................... 6 I.

IV. Umfang der Haftung ........................ 9 V. Varia zur Haftung ........................... 10

Überblick

1 Die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats haften gegenüber der Gesellschaft persönlich für etwaige Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit der Gründung (§ 48). Zweck der Vorschrift ist der Schutz der Gesellschaft vor Schäden bei der Gründung und insbesondere die Sicherstellung der ordnungsgemäßen Kapitalaufbringung (siehe dazu auch § 48 Satz 1 Halbs. 2).1) 2 Bei der Haftung der Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats handelt es sich um eine verschuldensabhängige (siehe die Verweisung von § 48 Satz 2 auf § 93 Abs. 2), spezifisch gesellschaftsrechtliche Organhaftung.2) 3 Neben der Gründungshaftung (nach § 48) kommen auch Schadensersatzansprüche wegen unerlaubter Handlung (z. B. nach §§ 826, 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 399 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 AktG oder § 266 StGB) in Betracht. II.

Gläubiger und Schuldner

4 Gläubiger des Anspruchs ist die Gesellschaft, die mit Eintragung im Handelsregister als juristische Person entsteht (§ 48 Satz 1 i. V. m. § 41 Abs. 1 Satz 1). Die Vor-AG ist noch nicht anspruchsberechtigt (siehe auch § 51 Satz 2 Halbs. 1).3) Im Einzelfall können auch Gläubiger der Gesellschaft anspruchsberechtigt sein (§ 48 Satz 2 i. V. m. § 93 Abs. 5).4) Ansprüche Dritter können aber nach allgemeinen Vorschriften (z. B. §§ 823 ff. BGB) bestehen. 5 Schuldner des Anspruchs sind die Mitglieder des Vorstands (einschließlich der Stellvertreter, § 94) und des Aufsichtsrats (Ersatzmitglieder erst dann, wenn sie nachgerückt sind, § 101 Abs. 3). Der Anspruch richtet sich dabei nur gegen diejenigen Organmitglieder, die ihre

_____________ 1) 2) 3) 4)

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Hölters-Solveen, AktG, § 48 Rz. 1; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 48 Rz. 1; M. Arnold in: KölnKommAktG, § 48 Rz. 1; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 48 Rz. 1; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 48 Rz. 3. Hölters-Solveen, AktG, § 48 Rz. 3; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 48 Rz. 1; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 48 Rz. 1 und 3. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 48 Rz. 2; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 48 Rz. 2. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 48 Rz. 7.

Thomas Wachter

Verantwortlichkeit des Vorstands und des Aufsichtsrats

§ 48

Pflichten tatsächlich verletzt haben. Die Haftung trifft auch faktische Organmitglieder.5) Mehrere Personen haften als Gesamtschuldner (§ 48 Satz 1 i. V. m. §§ 421 ff. BGB). III.

Haftungstatbestand

Die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats haften für eine Verletzung der ihnen 6 bei Gründung obliegenden Pflichten (§ 48 Satz 1 Halbs. 1). Das Gesetz erwähnt beispielhaft die Pflicht zur Prüfung, ob das Kreditinstitut, auf dessen Konto die Bareinlagen eingezahlt werden, als Zahlstelle geeignet ist (§ 54 Abs. 3), sowie die Verantwortung dafür, dass die eingezahlten Beträge zur freien Verfügung des Vorstands stehen (§ 48 Satz 1 Halbs. 2; siehe auch § 46 Abs. 1 Satz 2). Die allgemeinen Pflichten des Vorstands und des Aufsichtsrats bleiben davon unberührt. Dazu gehören insbesondere die Pflicht zur Gründungsprüfung (§§ 33, 34) und zur Handelsregisteranmeldung der Gesellschaft (§ 36).6) Hinzu kommen die allgemeine Pflicht zur Verschwiegenheit (§§ 93 Abs. 1 Satz 3, 116 Satz 2) und die Verpflichtung des Aufsichtsrats, die Geschäftsführung durch den Vorstand zu überwachen (§ 111 Abs. 1). Die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats haben ihre Pflichten mit der Sorgfalt 7 eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters zu erfüllen (§ 48 Satz 2 i. V. m. § 93 Abs. 1 Satz 1, 116).7) Ist streitig, ob sie diese Sorgfalt angewandt haben, trifft die Mitglieder des Vorstands bzw. des Aufsichtsrats die Beweislast (§ 48 Satz 2 i. V. m. § 93 Abs. 2 Satz 2). Eine Ersatzpflicht gegenüber der Gesellschaft ist ausgeschlossen, wenn die Handlung des 8 Vorstands oder Aufsichtsrats auf einem gesetzmäßigen Beschluss der Hauptversammlung beruht (§ 48 Satz 2 i. V. m. § 93 Abs. 4 Satz 1).8) IV.

Umfang der Haftung

Die schuldhaft handelnden Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats sind der Ge- 9 sellschaft zum Schadensersatz (§§ 249 ff. BGB) verpflichtet. Der Anspruch umfasst insbesondere auch solche Schäden, die aufgrund nicht oder nicht ordnungsgemäß geleisteter Einlagen entstehen (z. B. Überbewertung von Sacheinlagen). V.

Varia zur Haftung

Die Schadensersatzansprüche der Gesellschaft verjähren in fünf Jahren (§ 51; § 93 Abs. 6 10 findet dagegen gemäß § 48 Satz 2 keine Anwendung). Die Gesellschaft kann nur eingeschränkt auf einen begründeten Ersatzanspruch verzich- 11 ten oder sich darüber vergleichen (§ 50; § 93 Abs. 4 Satz 3 und Satz 4 findet dagegen gemäß § 48 Satz 2 keine Anwendung). Gerichtsstand: §§ 12, 29 ZPO, nicht § 32 ZPO.

12

_____________ 5) 6) 7) 8)

Hölters-Solveen, AktG, § 48 Rz. 7; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 48 Rz. 2. Hölters-Solveen, AktG, § 48 Rz. 7; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 48 Rz. 3; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 48 Rz. 4; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 48 Rz. 13 ff. Zur eingeschränkten Anwendbarkeit des Haftungsprivilegs des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG s. Spindler/StilzGerber, AktG, § 48 Rz. 5. Kritisch dazu Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 48 Rz. 3.

Thomas Wachter

261

§ 49

Verantwortlichkeit der Gründungsprüfer

§ 49 Verantwortlichkeit der Gründungsprüfer § 323 Abs. 1 bis 4 des Handelsgesetzbuchs über die Verantwortlichkeit des Abschlußprüfers gilt sinngemäß. Literatur: Heutz/Parameswaran, Prüfungspflichten eines Sachkapitalerhöhungsprüfers in der AG, ZIP 2011, 1650.

1 In bestimmten Fällen muss die Gründung einer AG im Interesse der Einhaltung aller gesetzlichen Gründungsvorschriften zusätzlich von einem externen Gründungsprüfer überprüft werden (§ 33 Abs. 2). Zu Gründungsprüfern werden in der Praxis vor allem Wirtschaftsprüfer bzw. Wirtschaftsprüfungsgesellschaften bestellt (siehe § 33 Abs. 4 und 5). Die Haftung der Gründungsprüfer richtet sich nach den Vorschriften über die Verantwortlichkeit des Abschlussprüfers (§ 49 i. V. m. § 323 Abs. 1 – 4 HGB). Zweck der Regelung ist es, etwaige Schäden bei Gründung der AG möglichst zu vermeiden und insbesondere die ordnungsgemäße Kapitalaufbringung zu sichern.1) 2 Der Gründungsprüfer ist u. a. zur gewissenhaften und unparteiischen Prüfung und zur Verschwiegenheit verpflichtet (§ 323 Abs. 1 Satz 1 HGB i. V. m. § 34 AktG). In der Praxis ist vor allem die richtige Bewertung von etwaigen Sacheinlagen oder Sachübernahmen von entscheidender Bedeutung (siehe § 34 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Satz 2). Im Falle einer schuldhaften Pflichtverletzung ist der Gründungsprüfer der Gesellschaft gegenüber (und auch verbundenen Unternehmen, wobei strittig ist, ob diese nach § 152) oder nach § 271 Abs. 2 HGB3) zu bestimmen sind) zum Schadensersatz verpflichtet (§ 323 Abs. 1 Sätze 3 und 4 HGB).4) Bei Vorsatz ist die Haftung unbeschränkt und unbeschränkbar (§ 323 Abs. 2 und 4 HGB). Bei (einfacher oder grober) Fahrlässigkeit ist die Haftung auf eine Million Euro je Prüfung beschränkt (§ 323 Abs. 2 Satz 1 HGB; wegen § 41 Abs. 4 Satz 1 kann die erhöhte Haftungssumme von vier Millionen nach § 323 Abs. 2 Satz 2 HGB nicht zur Anwendung kommen). Die Haftung ist zwingend (§ 323 Abs. 4 HGB). Etwaige Schadensersatzansprüche verjähren grundsätzlich in drei Jahren (§§ 195, 199 BGB, nicht § 51 AktG, da dort § 49 nicht genannt ist). Gerichtsstand: §§ 12, 29 ZPO, nicht § 32 ZPO. 3 Neben der gründungsrechtlichen Haftung können noch weitere Schadensersatzansprüche (z. B. nach §§ 826, 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 403, 404) gegen den Gründungsprüfer bestehen.5) 4 In Einzelfällen kann der beurkundende Notar die Prüfung anstelle eines Gründungsprüfers vornehmen (§ 33 Abs. 3). Die Verantwortlichkeit des Notars richtet sich ausschließlich nach den gesetzlichen Bestimmungen der Bundesnotarordnung (§ 19 BNotO, und nicht nach § 49). Der Notar haftet danach unbegrenzt und unbegrenzbar.

_____________ 1) 2) 3) 4) 5)

262

Hölters-Solveen, AktG, § 49 Rz. 1 und 4; M. Arnold in: KölnKomm-AktG, 49 Rz. 2; K. Schmidt/LutterBayer, AktG, § 49 Rz. 1; M. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 49 Rz. 6. So Hölters-Solveen, AktG, § 49 Rz. 8. So M. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 49 Rz. 6; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 49 Rz. 10. Dazu BGH, Urt. v. 27.2.1975 – II ZR 111/72, BGHZ 64, 52 = NJW 1975, 974. Hölters-Solveen, AktG, § 49 Rz. 5; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 49 Rz. 3.

Thomas Wachter

§ 50

Verzicht und Vergleich

§ 50 Verzicht und Vergleich 1

Die Gesellschaft kann auf Ersatzansprüche gegen die Gründer, die neben diesen haftenden Personen und gegen die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats (§§ 46 bis 48) erst drei Jahre nach der Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister und nur dann verzichten oder sich über sie vergleichen, wenn die Hauptversammlung zustimmt und nicht eine Minderheit, deren Anteile zusammen den zehnten Teil des Grundkapitals erreichen, zur Niederschrift Widerspruch erhebt. 2Die zeitliche Beschränkung gilt nicht, wenn der Ersatzpflichtige zahlungsunfähig ist und sich zur Abwendung des Insolvenzverfahrens mit seinen Gläubigern vergleicht oder wenn die Ersatzpflicht in einem Insolvenzplan geregelt wird. Literatur: Heer, Unternehmensakquisitionen im Wege der Sachkapitalerhöhung – im Spannungsfeld zwischen Differenzhaftung und verbotenem Erwerb eigener Aktien, ZIP 2012, 2325; Meul/Ritter, § 9b I GmbHG – Freifahrtschein oder Beschränkung für den Insolvenzverwalter?, NZI 2017, 689; Verse, (Gemischte) Sacheinlagen, Differenzhaftung und Vergleich über Einlageforderungen, ZGR 2012, 875; Weng, Aktienrechtliche Differenzhaftung bei Sacheinlagen, DStR 2012, 862; Wieneke, Die Differenzhaftung des Inferenten und die Zulässigkeit eines Vergleichs über ihre Höhe, NZG 2012, 136.

Übersicht I. Überblick ............................................ 1 II. Wirksamer Verzicht und Vergleich .................................................. 2 1. Schadensersatzansprüche ................... 2 2. Verzicht und Vergleich ...................... 3 I.

3. Drei Jahre nach Eintragung im Handelsregister .................................. 4 4. Zustimmung der Hauptversammlung ............................................ 6 5. Kein Widerspruch der Minderheit .... 7 6. Wirkungen .......................................... 8

Überblick

Die AG kann auf Schadensersatzansprüche, die ihr im Zusammenhang mit der Gründung 1 (nach §§ 46 – 48) zustehen, nur eingeschränkt verzichten oder sich darüber vergleichen (§ 50). Zweck der Vorschrift ist die Sicherung der Kapitalaufbringung und der Schutz der Minderheiten.1) Ein Verzicht bzw. Vergleich auf Schadensersatzansprüche soll demnach erst dann möglich sein, wenn die Gründung abgeschlossen ist, der Einfluss der Gründer auf die Gesellschaft und ihre Organe durch Zeitablauf (drei Jahre) abgenommen hat und der mögliche Schaden zuverlässig absehbar ist. Die Disposition über die Schadensersatzansprüche steht allerdings auch dann nicht allein im Belieben der Mehrheit der Aktionäre, weil andernfalls die gesetzlichen Minderheitenrechte (§§ 147 f.) ausgehebelt werden könnten (insoweit anders § 9b Abs. 1 GmbHG).2) Eine Parallelvorschrift besteht für Schadensersatzansprüche der Gesellschaft gegen Vorstandsmitglieder (§ 93 Abs. 4 Sätze 3 und 4). II.

Wirksamer Verzicht und Vergleich

1.

Schadensersatzansprüche

Die Vorschrift gilt nur für die Schadensersatzansprüche gegen die Gründer, die neben 2 diesen haftenden Personen und gegen die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats _____________ 1) 2)

Hölters-Solveen, AktG, § 50 Rz. 1; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 50 Rz. 1; M. Arnold in: KölnKommAktG, § 50 Rz. 2; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 50 Rz. 1; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 50 Rz. 7. Zu § 9b GmbHG s. Meul/Ritter, NZI 2017, 689.

Thomas Wachter

263

§ 50

Verzicht und Vergleich

(nach §§ 46 – 48). Schadensersatzansprüche aus anderem Rechtsgrund (z. B. § 49, oder §§ 280 ff., 823 ff. BGB) oder gegen andere Personen (z. B. die Gründungsprüfer) werden nicht erfasst. Insoweit ist ein Verzicht bzw. Vergleich nach allgemeinen Grundsätzen möglich.3) Eine analoge Anwendung der Vorschrift auf einen Vergleich über einen Differenzhaftungsanspruch der Gesellschaft scheidet aus.4) 2.

Verzicht und Vergleich

3 Verzicht meint den Abschluss eines Erlassvertrages (§ 397 Abs. 1 BGB) oder ein negatives Schuldanerkenntnis (§ 397 Abs. 2 BGB). Vergleich ist sowohl der Vergleichsvertrag (§ 779 BGB) als auch der Prozessvergleich. Nach dem Normzweck sind auch alle sonstigen Rechtsgeschäfte erfasst, die in ihrer Wirkung einem Verzicht oder Vergleich entsprechen. Beispiele dafür sind etwa ein Klageverzicht (§ 306 ZPO), ein Anerkenntnis (§ 307 ZPO), die Annahme einer nicht werthaltigen Leistung an Erfüllungs Statt (§ 364 Abs. 1 BGB) oder die (langfristige bzw. nicht gesicherte) Stundung einer Forderung.5) 3.

Drei Jahre nach Eintragung im Handelsregister

4 Ein Verzicht oder Vergleich ist grundsätzlich erst drei Jahre nach Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister (siehe § 382 Abs. 2 FamFG, § 27 Abs. 4 HRV) möglich (§ 50 Satz 1 i. V. m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB). Rechtsgeschäfte vor Ablauf der dreijährigen Frist sind nichtig (§ 134 BGB).6) 5 Eine Ausnahme von der Drei-Jahres-Frist (aber nur von dieser) gilt dann, wenn der Ersatzpflichtige zahlungsunfähig (§ 17 Abs. 2 InsO) (oder überschuldet, § 19 InsO)7) ist und sich zur Abwendung des Insolvenzverfahrens mit seinen Gläubigern vergleicht (§§ 213 ff. InsO), oder wenn die Ersatzpflicht in einem Insolvenzplan (§§ 217 ff. InsO) geregelt ist (§ 50 Satz 2).8) Entscheidend ist dabei stets, dass der Verzicht oder der Vergleich der Gesellschaft gegenüber der voraussichtlichen Insolvenzquote einen Mehrerlös sichert. Die Zustimmung der Hauptversammlung ist aber auch in diesem Fall erforderlich. Ebenso ist ein Widerspruch der Minderheit beachtlich. 4.

Zustimmung der Hauptversammlung

6 Der Verzicht bzw. Vergleich bedarf zu seiner Wirksamkeit darüber hinaus der Zustimmung der Hauptversammlung (§ 48 Satz 1 AktG i. V. m. § 182 BGB). Der Beschluss bedarf grundsätzlich der einfachen Mehrheit der abgegebenen Stimmen (§ 133 Abs. 1), wobei dem Betroffenen kein Stimmrecht zusteht (§ 136).9) Ein ohne die Zustimmung der Hauptversammlung geschlossener Verzicht oder Vergleich ist schwebend unwirksam (§§ 177 ff. BGB). Die Vertretungsmacht des Vorstands (§ 78) ist durch den Zustimmungsvorbehalt eingeschränkt. _____________ 3) 4)

5) 6) 7) 8) 9)

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Hölters-Solveen, AktG, § 50 Rz. 2; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 50 Rz. 2; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 50 Rz. 2. BGH, Urt. v. 6.12.2011 – II ZR 149/10 (Babcock Borsig), BGHZ 191, 364 = ZIP 2012, 73, dazu EWiR 2012, 129 (Vosberg/Klawa). – Ausführlich dazu Heer, ZIP 2012, 2325; Verse, ZGR 2012, 875; Weng, DStR 2012, 862; Wienecke, NZG 2012, 136. Hölters-Solveen, AktG, § 50 Rz. 4; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 50 Rz. 3. Zu Schiedsvereinbarungen s. M. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 50 Rz. 11. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 50 Rz. 4; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 50 Rz. 4. Hölters-Solveen, AktG, § 50 Rz. 4; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 50 Rz. 5. Dazu M. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 50 Rz. 18 ff.; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 50 Rz. 17 ff. M. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 50 Rz. 16; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 50 Rz. 6; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 50 Rz. 22.

Thomas Wachter

§ 51

Verjährung der Ersatzansprüche 5.

Kein Widerspruch der Minderheit

Die Wirksamkeit des Verzichts bzw. Vergleichs setzt schließlich noch voraus, dass nicht 7 eine Minderheit, deren Anteile zusammen den zehnten Teil des Grundkapitals (§ 6) erreicht, zur Niederschrift (§ 130) Widerspruch erhoben hat (§ 50 Satz 1; siehe §§ 147 f.). Ein Widerspruch ist nicht mehr möglich, wenn der Aktionär für den Beschluss gestimmt hat.10) Die Stimmabgabe gegen den Beschluss ist für sich genommen allerdings noch kein Widerspruch und daher nicht ausreichend.11) 6.

Wirkungen

Ein (nach § 50) wirksamer Verzicht oder Vergleich wirkt gegenüber jedermann.

8

_____________ 10) M. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 50 Rz. 17. A. A. K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 50 Rz. 7; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 50 Rz. 23. 11) Pentz in: MünchKomm-AktG, § 50 Rz. 4 und 23.

§ 51 Verjährung der Ersatzansprüche 1

Ersatzansprüche der Gesellschaft nach den §§ 46 bis 48 verjähren in fünf Jahren. 2Die Verjährung beginnt mit der Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister oder, wenn die zum Ersatz verpflichtende Handlung später begangen worden ist, mit der Vornahme der Handlung. Die Schadensersatzansprüche der Gesellschaft (nach §§ 46 – 48 AktG, nicht aber auch 1 solche nach § 49 AktG oder nach §§ 823 ff. BGB)1) verjähren in fünf Jahren (§ 51 Satz 1 i. V. m. §§ 187 ff. BGB). Die Vorschrift soll gewährleisten, dass die Verjährung erst dann eintritt, wenn die der Gesellschaft bei der Gründung entstandenen Nachteile aufgedeckt worden sind.2) Die Verjährungsfrist beginnt grundsätzlich mit der Eintragung der Gesellschaft im Han- 2 delsregister (§ 51 Satz 1 AktG i. V. m. § 382 Abs. 2 FamFG, § 27 Abs. 4 HRV). Ist die zum Schadensersatz verpflichtende Handlung allerdings erst nach der Eintragung im Handelsregister begangen worden, beginnt auch die Verjährung erst mit der Vornahme der Handlung (§ 51 Satz 2). Im Übrigen gelten für die Verjährung die allgemeinen Vorschriften. Eine Verkürzung der Verjährung ist aufgrund des zwingenden Charakters der Haftung 3 unzulässig.3) Eine Verlängerung der Verjährung auf bis zu 30 Jahre ist dagegen möglich (siehe § 202 Abs. 2 BGB).4) Für Ausgleichsansprüche unter mehreren Gesamtschuldnern (§§ 421 ff., 426 BGB) gilt 4 die regelmäßige Verjährung von drei Jahren (§§ 195, 199 BGB).5)

_____________ 1) 2) 3) 4) 5)

Hölters-Solveen, AktG, § 51 Rz. 2; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 51 Rz. 1; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 51 Rz. 3 f. Hölters-Solveen, AktG, § 51 Rz. 1; M. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 51 Rz. 2; K. Schmidt/LutterBayer, AktG, § 51 Rz. 2. Hölters-Solveen, AktG, § 51 Rz. 4. S. aber K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 51 Rz. 2 – zwingende Verjährungsfrist von fünf Jahren. Hölters-Solveen, AktG, § 51 Rz. 2; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 51 Rz. 4.

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265

§ 51

Verjährung der Ersatzansprüche 5.

Kein Widerspruch der Minderheit

Die Wirksamkeit des Verzichts bzw. Vergleichs setzt schließlich noch voraus, dass nicht 7 eine Minderheit, deren Anteile zusammen den zehnten Teil des Grundkapitals (§ 6) erreicht, zur Niederschrift (§ 130) Widerspruch erhoben hat (§ 50 Satz 1; siehe §§ 147 f.). Ein Widerspruch ist nicht mehr möglich, wenn der Aktionär für den Beschluss gestimmt hat.10) Die Stimmabgabe gegen den Beschluss ist für sich genommen allerdings noch kein Widerspruch und daher nicht ausreichend.11) 6.

Wirkungen

Ein (nach § 50) wirksamer Verzicht oder Vergleich wirkt gegenüber jedermann.

8

_____________ 10) M. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 50 Rz. 17. A. A. K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 50 Rz. 7; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 50 Rz. 23. 11) Pentz in: MünchKomm-AktG, § 50 Rz. 4 und 23.

§ 51 Verjährung der Ersatzansprüche 1

Ersatzansprüche der Gesellschaft nach den §§ 46 bis 48 verjähren in fünf Jahren. 2Die Verjährung beginnt mit der Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister oder, wenn die zum Ersatz verpflichtende Handlung später begangen worden ist, mit der Vornahme der Handlung. Die Schadensersatzansprüche der Gesellschaft (nach §§ 46 – 48 AktG, nicht aber auch 1 solche nach § 49 AktG oder nach §§ 823 ff. BGB)1) verjähren in fünf Jahren (§ 51 Satz 1 i. V. m. §§ 187 ff. BGB). Die Vorschrift soll gewährleisten, dass die Verjährung erst dann eintritt, wenn die der Gesellschaft bei der Gründung entstandenen Nachteile aufgedeckt worden sind.2) Die Verjährungsfrist beginnt grundsätzlich mit der Eintragung der Gesellschaft im Han- 2 delsregister (§ 51 Satz 1 AktG i. V. m. § 382 Abs. 2 FamFG, § 27 Abs. 4 HRV). Ist die zum Schadensersatz verpflichtende Handlung allerdings erst nach der Eintragung im Handelsregister begangen worden, beginnt auch die Verjährung erst mit der Vornahme der Handlung (§ 51 Satz 2). Im Übrigen gelten für die Verjährung die allgemeinen Vorschriften. Eine Verkürzung der Verjährung ist aufgrund des zwingenden Charakters der Haftung 3 unzulässig.3) Eine Verlängerung der Verjährung auf bis zu 30 Jahre ist dagegen möglich (siehe § 202 Abs. 2 BGB).4) Für Ausgleichsansprüche unter mehreren Gesamtschuldnern (§§ 421 ff., 426 BGB) gilt 4 die regelmäßige Verjährung von drei Jahren (§§ 195, 199 BGB).5)

_____________ 1) 2) 3) 4) 5)

Hölters-Solveen, AktG, § 51 Rz. 2; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 51 Rz. 1; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 51 Rz. 3 f. Hölters-Solveen, AktG, § 51 Rz. 1; M. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 51 Rz. 2; K. Schmidt/LutterBayer, AktG, § 51 Rz. 2. Hölters-Solveen, AktG, § 51 Rz. 4. S. aber K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 51 Rz. 2 – zwingende Verjährungsfrist von fünf Jahren. Hölters-Solveen, AktG, § 51 Rz. 2; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 51 Rz. 4.

Thomas Wachter

265

§ 52

Nachgründung

§ 52 Nachgründung (1) 1Verträge der Gesellschaft mit Gründern oder mit mehr als 10 vom Hundert des Grundkapitals an der Gesellschaft beteiligten Aktionären, nach denen sie vorhandene oder herzustellende Anlagen oder andere Vermögensgegenstände für eine den zehnten Teil des Grundkapitals übersteigende Vergütung erwerben soll, und die in den ersten zwei Jahren seit der Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister geschlossen werden, werden nur mit Zustimmung der Hauptversammlung und durch Eintragung in das Handelsregister wirksam. 2Ohne die Zustimmung der Hauptversammlung oder die Eintragung im Handelsregister sind auch die Rechtshandlungen zu ihrer Ausführung unwirksam. (2) 1Ein Vertrag nach Absatz 1 bedarf der schriftlichen Form, soweit nicht eine andere Form vorgeschrieben ist. 2Er ist von der Einberufung der Hauptversammlung an, die über die Zustimmung beschließen soll, in dem Geschäftsraum der Gesellschaft zur Einsicht der Aktionäre auszulegen. 3Auf Verlangen ist jedem Aktionär unverzüglich eine Abschrift zu erteilen. 4Die Verpflichtungen nach den Sätzen 2 und 3 entfallen, wenn der Vertrag für denselben Zeitraum über die Internetseite der Gesellschaft zugänglich ist. 5In der Hauptversammlung ist der Vertrag zugänglich zu machen. 6Der Vorstand hat ihn zu Beginn der Verhandlung zu erläutern. 7Der Niederschrift ist er als Anlage beizufügen. (3) 1Vor der Beschlußfassung der Hauptversammlung hat der Aufsichtsrat den Vertrag zu prüfen und einen schriftlichen Bericht zu erstatten (Nachgründungsbericht). 2Für den Nachgründungsbericht gilt sinngemäß § 32 Abs. 2 und 3 über den Gründungsbericht. (4) 1Außerdem hat vor der Beschlußfassung eine Prüfung durch einen oder mehrere Gründungsprüfer stattzufinden. 2§ 33 Abs. 3 bis 5, §§ 34, 35 über die Gründungsprüfung gelten sinngemäß. 3Unter den Voraussetzungen des § 33a kann von einer Prüfung durch Gründungsprüfer abgesehen werden. (5) 1Der Beschluß der Hauptversammlung bedarf einer Mehrheit, die mindestens drei Viertel des bei der Beschlußfassung vertretenen Grundkapitals umfaßt. 2Wird der Vertrag im ersten Jahre nach der Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister geschlossen, so müssen außerdem die Anteile der zustimmenden Mehrheit mindestens ein Viertel des gesamten Grundkapitals erreichen. 3Die Satzung kann an Stelle dieser Mehrheiten größere Kapitalmehrheiten und weitere Erfordernisse bestimmen. (6) 1Nach Zustimmung der Hauptversammlung hat der Vorstand den Vertrag zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden. 2Der Anmeldung ist der Vertrag mit dem Nachgründungsbericht und dem Bericht der Gründungsprüfer mit den urkundlichen Unterlagen beizufügen. 3Wird nach Absatz 4 Satz 3 von einer externen Gründungsprüfung abgesehen, gilt § 37a entsprechend. (7) 1Bestehen gegen die Eintragung Bedenken, weil die Gründungsprüfer erklären oder weil es offensichtlich ist, daß der Nachgründungsbericht unrichtig oder unvollständig ist oder den gesetzlichen Vorschriften nicht entspricht oder daß die für die zu erwerbenden Vermögensgegenstände gewährte Vergütung unangemessen hoch ist, so kann das Gericht die Eintragung ablehnen. 2Enthält die Anmeldung die Erklärung nach § 37a Abs. 1 Satz 1, gilt § 38 Abs. 3 entsprechend. (8) Einzutragen sind der Tag des Vertragsschlusses und der Zustimmung der Hauptversammlung sowie der oder die Vertragspartner der Gesellschaft. (9) Vorstehende Vorschriften gelten nicht, wenn der Erwerb der Vermögensgegenstände im Rahmen der laufenden Geschäfte der Gesellschaft, in der Zwangsvollstreckung oder an der Börse erfolgt. 266

Thomas Wachter

§ 52

Nachgründung

Literatur: Bungert/Wansleben, Umsetzung der überarbeiteten Aktionärsrechterichtlinie in das deutsche Recht: Say on Pay und Related Party Transactions, DB 2017, 1190; Lanfermann/ Maul, Überarbeitete EU-Aktionärsrechterichtlinie – gesetzgeberischer Handlungsbedarf bei der Vorstandsvergütung, BB 2017, 1218; Lieder, Rechtsfragen der aktienrechtlichen Nachgründung nach ARUG, ZIP 2010, 964; Spindler/Seidel, Die Zustimmungspflicht bei Related Party Transactions in der konzernrechtlichen Diskussion, AG 2017, 169; Tarde, Die verschleierte Konzernrichtlinie: Zu den neuen EU-Vorgaben für related party transactions und ihren Auswirkungen auf das deutsche Recht, ZGR 2017, 360; Veil, Transaktionen mit Related Parties im deutschen Aktien- und Konzernrecht, NZG 2017, 521.

Übersicht I. Überblick ............................................ 1 II. Anwendungsbereich ......................... 6 III. Tatbestand der Nachgründung (§ 52 Abs. 1) ..................................... 11 1. Nachgründungsvertrag .................... 11 2. Vertragsparteien ............................... 13 3. Vertragsgegenstand .......................... 17 4. Zwei-Jahres-Frist .............................. 20 5. Vergütung ......................................... 22 IV. Voraussetzungen für die Wirksamkeit des Nachgründungsvertrages (§ 52 Abs. 1 – 8) ..................... 25 1. Schriftform (§ 52 Abs. 2 Satz 1) ............................................... 25 2. Publizität des Nachgründungsvertrages (§ 52 Abs. 2 Sätze 2 – 7) ......... 27 3. Prüfung und Berichterstattung (§ 52 Abs. 3, Abs. 4) ........................ 34

4. 5.

V. 1. 2. 3.

I.

a) Interne Nachgründungsprüfung durch den Aufsichtsrat (§ 52 Abs. 3) ................ b) Externe Nachgründungsprüfung (§ 52 Abs. 4) ................ Zustimmung der Hauptversammlung (§ 52 Abs. 5) ................... Eintragung im Handelsregister (§ 52 Abs. 6 – 8) ................................ a) Anmeldung (§ 52 Abs. 6) .......... b) Prüfung durch das Registergericht (§ 52 Abs. 7) .................. c) Eintragung im Handelsregister (§ 52 Abs. 8) ............................... Ausnahmen (§ 52 Abs. 9) ............... Laufende Geschäfte .......................... Erwerb in der Zwangsvollstreckung .......................................... Erwerb an der Börse .........................

34 36 38 44 44 47 49 52 52 55 56

Überblick

Eine neu gegründete AG kann Vermögensgegenstände von ihren Gründern und Aktio- 1 nären grundsätzlich nur dann wirksam erwerben, wenn dabei die gesetzlichen Regelungen über die Nachgründung eingehalten werden (§ 52). Zu diesen Schutzvorschriften gehört u. a. eine Prüfung des gesamten Nachgründungsvertrags durch den Aufsichtsrat und externe Prüfer, die Zustimmung der Hauptversammlung mit qualifizierter Mehrheit und die Eintragung in das Handelsregister. Die Vorschrift ist zwingend.1) Zweck der Vorschrift ist die Sicherstellung der effektiven Kapitalaufbringung (nicht auch 2 der Kapitalerhaltung).2) Im Interesse der Aktionäre und der Gläubiger der Gesellschaft soll insbesondere eine Umgehung der Vorschriften über die Sachgründung (§ 27) verhin_____________ 1) 2)

K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 52 Rz. 3; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 52 Rz. 5. S. dazu (vor ARUG) BGH, Urt. v. 18.2.2008 – II ZR 132/06 (Rheinmöve), BGHZ 175, 265 = ZIP 2008, 788, dazu EWiR 2008, 513 (Weipert); BGH, Urt. v. 9.7.2007 – II ZR 62/06 (Lurgi), BGHZ 173, 145 = ZIP 2007, 1751, dazu EWiR 2009, 557 (Goslar); BGH, Urt. v. 15.1.1990 – II ZR 164/88, BGHZ 110, 47 = ZIP 1990, 156, dazu EWiR 1990, 223 (Lutter). Bürgers/Körber-Körber, AktG, § 52 Rz. 1; Hölters-Solveen, AktG, § 52 Rz. 2; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 52 Rz. 1; M. Arnold in: KölnKommAktG, § 52 Rz. 2; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 52 Rz. 2; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 52 Rz. 5; Spindler/Stilz-Heidinger, AktG, § 52 Rz. 4 ff.

Thomas Wachter

267

§ 52

Nachgründung

dert werden. Die Vertretungsmacht des Vorstands wird bewusst eingeschränkt, um ihn vor einer unzulässigen Beeinflussung durch Gründer und Aktionäre zu schützen. 3 Die Vorschriften über die Nachgründung (§ 52) und über die verdeckten Sacheinlagen (§ 27 Abs. 3) sind voneinander unabhängig und bestehen selbständig nebeneinander.3) Beide überschneiden sich in Teilbereichen, aber keineswegs vollständig. Beispielsweise können Dienstleistungen nicht Gegenstand einer verdeckten Sacheinlage (siehe § 27 Abs. 2 Halbs. 2),4) aber durchaus Gegenstand eines Nachgründungsvertrages sein. Treffen verdeckte Sacheinlage und Nachgründung im Einzelfall zusammen, sind die Nachgründungsvorschriften vorrangig. Denn eine Anrechnung des Werts einer verdeckten Sacheinlage kommt überhaupt nur dann in Betracht, wenn der Nachgründungsvertrag wirksam ist. 4 Die Vorschrift (des § 52) wurde zuletzt durch das ARUG5) geändert. Neu eingefügt wurde die Möglichkeit, die Aktionäre der Gesellschaft vor der Hauptversammlung auch über die Internetseite der Gesellschaft zu informieren (§ 52 Abs. 2 Satz 4; siehe auch §§ 179a Abs. 2 Satz 3, 293f Abs. 3). Ferner wurden die Nachgründungsvorschriften um die neue Möglichkeit einer (vereinfachten) Sachgründung ohne externe Gründungsprüfung (siehe §§ 33a, 37a, 38 Abs. 3) erweitert (§ 52 Abs. 4 Satz 3, Abs. 6 Satz 3, Abs. 7 Satz 2). Schließlich wurde die bisherige Regelung über das Verhältnis zur verdeckten Sacheinlage im Hinblick auf deren Neuregelung (§ 27 Abs. 3) ersatzlos gestrichen (§ 52 Abs. 10 AktG a. F.). Im Rahmen der Aktienrechtsnovelle 2016 wurde eine Strafbarkeitslücke, die aufgrund eines Redaktionsversehens entstanden war, geschlossen.6) 5 Die geänderte Aktionärsrechterichtlinie7) sieht u. a. vor, dass wesentliche Transaktionen mit nahestehenden Unternehmen und Personen (Related Party Transactions, RPT) von den Aktionären bzw. dem Verwaltungs- oder Aufsichtsorgan des Unternehmen genehmigt werden müssen (Art. 9c Aktionärsrechte-RL).8) Die Richtlinie ist bis zum 10.6.2019 in nationales Recht umzusetzen. Derzeit ist noch nicht abzusehen, wie die Umsetzung in Deutschland im Einzelnen erfolgen wird. II.

Anwendungsbereich

6 Die Nachgründung setzt voraus, dass die AG bereits im Handelsregister eingetragen ist (§ 52 Abs. 1 Satz 1). Auf die Vorgesellschaft ist die Regelung daher nicht anwendbar.9) 7 Für Einpersonengesellschaften bestehen aufgrund des zwingenden Charakters der Vorschrift keine Ausnahmen.10) _____________ 3) Ausführlich dazu K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 52 Rz. 52 ff.; Spindler/Stilz-Heidinger, AktG, § 52 Rz. 55, und Spindler/Stilz-Heidinger/Benz, AktG, § 27 Rz. 114 ff. 4) BGH, Urt. v. 1.2.2010 – II ZR 173/08 (Eurobike), BGHZ 184, 158 = ZIP 2010, 423, dazu EWiR 2010, 169 (Lieder); BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 120/07 (Qivive), BGHZ 180, 38 = ZIP 2009, 713, dazu EWiR 2009, 443 (Schodder). 5) Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG), BGBl. I 2009, 2479. S. dazu BT-Drucks. 16/11642, S. 34 ff. 6) Art. 1 Nr. 28 der Aktienrechtsnovelle 2016, BGBl. I 2015, 2565. – S. Einf., Rz. 21. 7) Richtlinie (EU) 2017/828 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 17.5.2017 zur Änderung der Richtlinie 2007/36 im Hinblick auf die Förderung der langfristigen Mitwirkung der Aktionäre, ABl. EU L 132/1 v. 20.5.2017. – S. Einf., Rz. 21. 8) Ausführlich zum Ganzen u. a. Bungert/Wansleben, DB 2017, 1190; Lanfermann/Maul, BB 2017, 1218; Spindler/Seidel, AG 2017, 169; Tarde, ZGR 2017, 360; Veil, NZG 2017, 521. 9) Hölters-Solveen, AktG, § 52 Rz. 21; M. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 52 Rz. 7; K. Schmidt/LutterBayer, AktG, § 52 Rz. 7; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 52 Rz. 8. Anders wohl Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 52 Rz. 3. 10) K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 52 Rz. 10. A. A. im Zusammenhang mit einer Sachkapitalerhöhung OLG Hamm, Beschl. v. 22.1.2008 – 15 W 246/07, ZIP 2008, 1475, dazu EWiR 2008, 291 (v. Hase).

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§ 52

Nachgründung

Für den Erwerb von Vorrats- und Mantelgesellschaften gilt die Vorschrift nach ihrem 8 Normzweck entsprechend.11) Erwerber einer Vorrats- oder Mantelgesellschaft müssen die Nachgründungsvorschriften daher zwei Jahre nach Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung12) beachten. Auf Sachkapitalerhöhungen innerhalb von zwei Jahren seit Eintragung der Gesellschaft 9 finden die Nachgründungsvorschriften aufgrund ihres Schutzzwecks entsprechende Anwendung (obwohl § 183 Abs. 3 nicht auf § 52 verweist).13) Gleiches gilt für die Ausnutzung eines genehmigten Kapitals mit Sacheinlagen und eine bedingte Sachkapitalerhöhung.14) Auf bestimmte Umwandlungsvorgänge finden die Nachgründungsvorschriften entspre- 10 chende Anwendung (siehe etwa §§ 67, 141, 197 Satz 1, 220 Abs. 3 Satz 2, 245 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 3 und Abs. 3 Satz 3 UmwG).15) III.

Tatbestand der Nachgründung (§ 52 Abs. 1)

1.

Nachgründungsvertrag

Eine Nachgründung liegt vor, wenn die Gesellschaft in den ersten zwei Jahren seit ihrer 11 Eintragung im Handelsregister mit den Gründern oder mit mehr als 10 % des Grundkapitals an der Gesellschaft beteiligten Aktionären einen Vertrag über den Erwerb von Vermögensgegenständen für eine 10 % des Grundkapitals übersteigende Vergütung abschließt (§ 52 Abs. 1 Satz 1; zu Ausnahmen siehe § 52 Abs. 8). Bei der Nachgründung handelt es sich somit (anders als Wortlaut und systematische Stellung der Vorschrift nahelegen) nicht um einen Gründungsvorgang, sondern um den Abschluss eines schuldrechtlichen Vertrages durch die bereits gegründete Gesellschaft, der aufgrund seiner zeitlichen und sachlichen Nähe zur Gründung und der damit verbundenen Gefährdung für die effektive Kapitalaufbringung ähnlichen Schutzvorschriften wie die eigentliche Gründung unterworfen wird.16) Die Vorschriften über die Nachgründung gelten für alle schuldrechtlichen Verträge, die 12 für die Gesellschaft entsprechende Verpflichtungen vorsehen.17) Art und Bezeichnung des Vertrages sind dabei ohne Bedeutung. Erfasst werden insbesondere auch Vorverträge und Optionsverträge. Dagegen ist der Abschluss eines Unternehmensvertrages (§§ 291 ff.) kein Nachgründungsvorgang, da die konzernrechtlichen Vorschriften insoweit vorrangig sind.18) Für stille Beteiligungen ist dagegen keine generelle Ausnahme anzuerkennen.19) 2.

Vertragsparteien

Vertragsparteien des Nachgründungsvertrages sind zum einen die neu gegründete AG 13 und zum anderen die Gründer oder mit mehr als 10 % am Grundkapital beteiligten Ak_____________ 11) M. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 52 Rz. 8; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 52 Rz. 19. 12) Wie hier Hölters-Solveen, AktG, § 52 Rz. 21. Anders wohl K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 52 Rz. 24 – Fristbeginn schon mit der wirtschaftlichen Neugründung. 13) OLG Oldenburg, Beschl. 20.6.2002 – 5 W 95/02, AG 2002, 620, dazu EWiR 2003, 297 (Schwab). Hölters-Solveen, § 52 Rz. 19; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 52 Rz. 11; M. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 52 Rz. 9 f.; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 52 Rz. 10, Pentz in: MünchKomm-AktG, § 52 Rz. 73 ff.; Spindler/Stilz-Heidinger, AktG, § 52 Rz. 48, jeweils auch m. N. zur Gegenauffassung. 14) M. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 52 Rz. 11; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 52 Rz. 10. 15) Spindler/Stilz-Heidinger, AktG, § 52 Rz. 46 f. 16) Hölters-Solveen, AktG, § 52 Rz. 4; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 52 Rz. 2; M. Arnold in: KölnKommAktG, § 52 Rz. 13. 17) Hölters-Solveen, AktG, § 52 Rz. 5; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 52 Rz. 12; Spindler/StilzHeidinger, AktG, § 52 Rz. 11 ff. 18) Hölters-Solveen, AktG, § 52 Rz. 5 und 20; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 52 Rz. 13; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 52 Rz. 13; Spindler/Stilz-Heidinger, AktG, § 52 Rz. 14. 19) A. A. K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 52 Rz. 13; Spindler/Stilz-Heidinger, AktG, § 52 Rz. 14.

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§ 52

Nachgründung

tionäre (§ 52 Abs. 1 Satz 1). Nicht erfasst werden somit Verträge mit Dritten oder mit Aktionären, die mit weniger als 10 % am Grundkapital beteiligt sind. 14 Die AG ist mit ihrer Eintragung in das Handelsregister entstanden und wird durch ihren Vorstand (§ 78) vertreten. 15 Gründer sind die Aktionäre der Gesellschaft, die die Satzung festgestellt haben und mindestens eine Aktie übernommen haben (siehe §§ 23 Abs. 2 Nr. 2, 28). Die Nachgründungsvorschriften gelten nicht für solche Gründer, die bereits vor der Eintragung im Handelsregister wieder aus der Gesellschaft ausgeschieden sind. Umgekehrt werden auch solche Gründer erfasst, die der Gesellschaft erst später, aber noch vor Handelsregistereintragung beigetreten sind.20) 16 Neben den Gründern kommen als Vertragspartei auch Aktionäre in Betracht, die mit mehr als 10 % am Grundkapital beteiligt sind. Für die Beteiligungsquote des Aktionärs ist der Tag des Abschlusses des Nachgründungsvertrages (und nicht etwa die Gründung der Gesellschaft) maßgebend.21) Bei einer Sachkapitalerhöhung bleiben die neu erworbenen Anteile somit außer Betracht.22) Nach dem Gesetzeswortlaut müssen die Aktionäre mit mehr als 10 % am Grundkapital beteiligt sein, so dass Aktionäre mit einer Beteiligung i. H. v. genau 10 % nicht erfasst sind. Aufgrund einer richtlinienkonformen Auslegung der Vorschrift werden jedoch alle Aktionäre mit einer Beteiligungsquote von mindestens 10 % erfasst.23) Für die Bestimmung der Beteiligungsquote können dem Aktionär insbesondere zur Vermeidung einer Umgehung der Nachgründungsvorschriften im Einzelfall auch Beteiligungen Dritter (z. B. von Treuhändern, abhängigen Gesellschaften oder nahestehenden Personen) zuzurechnen sein.24) 3.

Vertragsgegenstand

17 Der Nachgründungsvertrag muss auf den Erwerb von vorhandenen oder herzustellenden Anlagen oder anderen Vermögensgegenständen gerichtet sein (§ 52 Abs. 1 Satz 1). Gegenstand eines Nachgründungsvertrages können damit alle Vermögensgegenstände (unabhängig von Art, Umfang und Wert) sein.25) Es kommt insbesondere nicht darauf an, ob der Vermögensgegenstand auch Gegenstand einer Sacheinlage sein könnte, so dass sich Nachgründungsverträge bspw. auch auf Dienstleistungen beziehen können (siehe § 27 Abs. 2 Halbs. 2).26) 18 Die Vorschriften über die Nachgründung gelten insbesondere auch für den Erwerb von Beteiligungen an anderen Unternehmen (gleich welcher Rechtsform). 19 Bei der Gründung von Tochtergesellschaften ist zu unterscheiden: Gründet die AG alleine eine 100 %ige Tochtergesellschaft scheidet eine Nachgründung schon deshalb aus, weil es _____________ 20) K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 52 Rz. 15. 21) Hölters-Solveen, AktG, § 52 Rz. 6; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 52 Rz. 16. 22) Hölters-Solveen, AktG, § 52 Rz. 19. Ebenso, aber mit Bedenken K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 52 Rz. 17; Spindler/Stilz-Heidinger, AktG, § 52 Rz. 42. Anders M. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 52 Rz. 10; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 52 Rz. 14. 23) Zutreffend K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 52 Rz. 6 und 11; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 52 Rz. 4, 14 und 21; Spindler/Stilz-Heidinger, AktG, § 52 Rz. 24. 24) Hölters-Solveen, AktG, § 52 Rz. 6; M. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 52 Rz. 16; K. Schmidt/LutterBayer, AktG, § 52 Rz. 14 und 18; Spindler/Stilz-Heidinger, AktG, § 52 Rz. 25. 25) M. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 52 Rz. 18 ff.; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 52 Rz. 20. 26) Bürgers/Körber-Körber, AktG, § 52 Rz. 5; Hölters-Solveen, AktG, § 52 Rz. 7; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 52 Rz. 4; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 52 Rz. 21; Spindler/Stilz-Heidinger, AktG, § 52 Rz. 32.

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§ 52

Nachgründung

sich dabei um ein einseitiges Rechtsgeschäft und nicht um einen Vertrag handelt.27) Gründet die AG dagegen zusammen mit ihren eigenen Gründern bzw. wesentlich beteiligten Aktionären eine Tochtergesellschaft, handelt es sich dabei zwar um einen Vertrag, doch ist dies kein schuldrechtlicher Austauschvertrag i. S. der Nachgründungsregelung, sondern ein schuld- und organisationsrechtlicher Gründungsvertrag. Allerdings erscheint eine analoge Anwendung der Nachgründungsvorschriften geboten, um die Interessen der Aktionäre und Gläubiger sachgerecht zu schützen.28) Entsprechendes gilt auch für Kapitalerhöhungen bei Tochtergesellschaften.29) 4.

Zwei-Jahres-Frist

Eine Nachgründung liegt nur vor bei Verträgen, die in den ersten zwei Jahren seit Eintra- 20 gung der Gesellschaft in das Handelsregister geschlossen werden (§ 52 Abs. 1 Satz 1). Die Frist beginnt mit dem Tag der Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister (siehe §§ 39 Abs. 1, 41 Abs. 1 Satz 1 AktG; § 382 Abs. 2 FamFG). Für die Berechnung der Frist gelten die allgemeinen Vorschriften (§§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB). Maßgebend für die Zwei-Jahres-Frist ist der Tag des Vertragsabschlusses.30) Dies gilt auch dann, wenn der Vertrag aufgrund einer Bedingung oder Befristung erst später wirksam wird. Der Zeitpunkt des Leistungsaustauschs ist ohne Bedeutung. Ein Vertrag, der innerhalb der Zwei-Jahres-Frist ohne Einhaltung der Nachgründungs- 21 vorschriften geschlossen worden ist, wird allein durch Fristablauf nicht wirksam. Möglich ist aber eine Neuvornahme oder Bestätigung des Vertrages (§ 141 BGB) mit Wirkung ex nunc.31) Der Vorstand der Gesellschaft kann den schwebend unwirksamen Vertrag aber auch (einseitig) genehmigen, so dass dieser ex tunc wirksam wird (siehe § 108 Abs. 3 BGB analog und §§ 177 ff., 182 ff. BGB analog).32) 5.

Vergütung

Eine Nachgründung liegt nur dann vor, wenn die von der Gesellschaft zu leistende Ver- 22 gütung mehr als 10 % des Grundkapitals beträgt (§ 52 Abs. 1 Satz 1). Maßgeblich ist die Höhe des Grundkapitals, die am Tag des Vertragsabschlusses im Handelsregister eingetragen ist (siehe §§ 6 f., 39 Abs. 1 Satz 1). Bei einer Kapitalerhöhung ist das Grundkapital erst mit der Eintragung der Durchführung im Handelsregister erhöht (§ 189). Bei der bedingten Kapitalerhöhung erfolgt die Erhöhung dagegen bereits mit der Ausgabe der Bezugsaktien (§ 200), so dass diese dem Grundkapital hinzuzurechnen sind.33) Für die Beurteilung der Gegenleistung ist grundsätzlich jeder Nachgründungsvertrag ge- 23 sondert zu beurteilen. Bei mehreren Verträgen, die sachlich und zeitlich miteinander zusammenhängen, ist zur Vermeidung von Umgehungen allerdings auf die Höhe der Gesamtvergütung abzustellen. Bei Dauerschuldverhältnissen (z. B. Miet- und Leasingverträgen) _____________ 27) Bürgers/Körber-Körber, AktG, § 52 Rz. 11; Hölters-Solveen, AktG, § 52 Rz. 20; K. Schmidt/LutterBayer, AktG, § 52 Rz. 22; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 52 Rz. 18. 28) Hölters-Solveen, AktG, § 52 Rz. 20; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 52 Rz. 22; Pentz in: MünchKommAktG, § 52 Rz. 14. A. A. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 52 Rz. 12. Differenzierend Spindler/Stilz-Heidinger, AktG, § 52 Rz. 50 ff. 29) K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 52 Rz. 23. A. A. (mangels Schutzlücke) Spindler/Stilz-Heidinger, AktG, § 52 Rz. 53. 30) Hölters-Solveen, AktG, § 52 Rz. 8. 31) Hölters-Solveen, AktG, § 52 Rz. 14; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 52 Rz. 43. 32) Hölters-Solveen, AktG, § 52 Rz. 14; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 52 Rz. 7; M. Arnold in: KölnKommAktG, § 52 Rz. 44; K. Schmidt/Lutter-Bayer, § 52 Rz. 43. A. A. allerdings Pentz in: MünchKommAktG, § 52 Rz. 61; Spindler/Stilz-Heidinger, AktG, § 52 Rz. 87. 33) Hölters-Solveen, AktG, § 52 Rz. 9; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 52 Rz. 25.

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§ 52

Nachgründung

kommt es (unabhängig von der Zwei-Jahres-Frist) auf die Vergütung an, die bis zum Zeitpunkt der ersten ordentlichen Kündigung geschuldet ist.34) 24 Außerordentlich umstritten ist die Frage, ob eine Nachgründung nur dann vorliegt, wenn die Vergütung aus dem gebundenen Vermögen geleistet wird oder auch dann, wenn die Vergütung aus dem freien Vermögen der Gesellschaft (z. B. aus Gewinnen oder einem schuldrechtlichen Agio) stammt. Nach Gesetzeswortlaut und Normzweck kommt es indes nicht darauf an, mit welchen Mitteln die Gesellschaft die Vergütung bezahlt. Richtigerweise werden daher alle Verträge, bei denen die Vergütung die 10 % Schwelle übersteigt, von den Nachgründungsvorschriften erfasst.35) IV.

Voraussetzungen für die Wirksamkeit des Nachgründungsvertrages (§ 52 Abs. 1 – 8)

1.

Schriftform (§ 52 Abs. 2 Satz 1)

25 Ein Nachgründungsvertrag bedarf zu seiner Wirksamkeit der Schriftform (§ 52 Abs. 2 Satz 1 AktG i. V. m. § 126 BGB), soweit nicht anderweitig eine strengere Form vorgeschrieben ist (z. B. für den Erwerb von Grundstücken, § 311b Abs. 1 Satz 1 BGB, oder den Erwerb von GmbH-Geschäftsanteilen, § 15 Abs. 4 GmbHG). 26 Ein ohne Einhaltung dieser Form geschlossener Nachgründungsvertrag ist nichtig (§ 125 Satz 1 BGB). Die Formnichtigkeit wird auch nicht durch eine etwaige Eintragung im Handelsregister geheilt. 2.

Publizität des Nachgründungsvertrages (§ 52 Abs. 2 Sätze 2 – 7)

27 Der Nachgründungsvertrag bedarf zu seiner Wirksamkeit der Zustimmung der Hauptversammlung (§ 52 Abs. 1 Satz 1 und 2). Im Interesse einer umfassenden Information der Aktionäre hat der Gesetzgeber im Zusammenhang mit dem Zustimmungsbeschluss der Hauptversammlung umfangreiche Auslegungs-, Erläuterungs- und Offenlegungspflichten vorgesehen (§§ 124 Abs. 2 Satz 2, 52 Abs. 2 Sätze 2 – 7; siehe auch die parallelen Regelungen in §§ 179a Abs. 2 und 293f und 293g). 28 Bereits in der Bekanntmachung der Tagesordnung für die Hauptversammlung, die über die Zustimmung beschließen soll, ist der wesentliche Inhalt des Vertrages bekannt zu machen (§ 124 Abs. 2 Satz 2). 29 Sodann hat die Gesellschaft von der Einberufung der Hauptversammlung an, den gesamten Vertrag (bzw. den Vertragsentwurf) in ihren Geschäftsräumen36) zur Einsichtnahme durch die Aktionäre auszulegen (§ 52 Abs. 2 Satz 2). Auf Verlangen muss die Gesellschaft (auf ihre Kosten) zudem jedem Aktionär unverzüglich eine Abschrift des Vertrages erteilen (§ 52 Abs. 2 Satz 3). Geheimhaltungsinteressen der Vertragspartner stehen dem nicht entgegen. Die Verpflichtungen zur Auslage und Abschriftserteilung entfallen jedoch, wenn der Vertrag für denselben Zeitraum über die Internetseite der Gesellschaft zugänglich ist (§ 52 Abs. 2 Satz 4, eingefügt durch das ARUG). Börsennotierte AG müssen die Veröffentlichung im Internet allerdings stets zwingend vornehmen (§§ 3 Abs. 2, 124a Satz 1 Nr. 3; siehe auch § 243 Abs. 3 Nr. 2). _____________ 34) Hölters-Solveen, AktG, § 52 Rz. 9; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 52 Rz. 5; M. Arnold in: KölnKommAktG, § 52 Rz. 20; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 52 Rz. 25. 35) Bürgers/Körber-Körber, AktG, § 52 Rz. 8; Hölters-Solveen, AktG, § 52 Rz. 9; M. Arnold in: KölnKommAktG, § 52 Rz. 20; K. Schmidt/Lutter-Bayer, § 52 Rz. 26 – allerdings mit rechtspolitischen Bedenken; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 52 Rz. 23. A. A. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 52 Rz. 5a. 36) Zum Begriff des Geschäftsraums s. BGH, Urt. v. 22.3.2011 – II ZR 229/09, ZIP 2011, 1055 = DB 2011, 1212 – Auslage von Unterlagen nicht zwingend am rechtlichen Sitz der Gesellschaft, sondern an einem für die interessierten Aktionäre leicht zugänglichen Ort.

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§ 52

Nachgründung

Schließlich ist der Vertrag in der Hauptversammlung selbst (schriftlich oder elektronisch) 30 zugänglich zu machen (z. B. durch Auslage entsprechender Schriftstücke oder Darstellung auf Bildschirmen) (§ 52 Abs. 2 Satz 5). Dies gilt auch dann, wenn der Vertrag zuvor bereits über die Internetseite der Gesellschaft verfügbar war. Nicht notwendig, aber empfehlenswert ist es, den Aktionären in der Hauptversammlung nicht nur den Nachgründungsvertrag selbst, sondern auch den Nachgründungsbericht des Aufsichtsrats (§ 52 Abs. 3) und den Bericht des (externen) Nachgründungsprüfers zugänglich zu machen. Bei fremdsprachigen Dokumenten muss zusätzlich eine vollständige Übersetzung in 31 deutscher Sprache ausgelegt bzw. zugänglich gemacht werden. Der Vorstand hat den Vertrag zu Beginn der Hauptversammlung zu erläutern (§ 52 Abs. 2 32 Satz 6). Eine Verlesung des Vertrages ist weder erforderlich noch ausreichend. Vielmehr muss der Vorstand in allgemein verständlicher Sprache den wesentlichen Inhalt des Vertrages und seine Bedeutung für die Gesellschaft darlegen. Dabei muss der Vorstand insbesondere auch auf die Bewertung der vertragsgegenständlichen Vermögensgegenstände eingehen. Der notariellen Niederschrift über die Hauptversammlung (§ 130) ist der Nachgrün- 33 dungsvertrag als Anlage beizufügen (§ 52 Abs. 2 Satz 7). Nach der Hauptversammlung wird der Vertrag als Teil der Niederschrift zum Handelsregister eingereicht (§ 130 Abs. 5) und ist dort für jedermann einsehbar (§ 9 Abs. 1 HGB). 3.

Prüfung und Berichterstattung (§ 52 Abs. 3, Abs. 4)

a)

Interne Nachgründungsprüfung durch den Aufsichtsrat (§ 52 Abs. 3)

Vor der Beschlussfassung der Hauptversammlung hat der Aufsichtsrat (nicht auch der 34 Vorstand) den Nachgründungsvertrag zu prüfen und darüber einen schriftlichen Bericht zu erstatten (Nachgründungsbericht) (§ 52 Abs. 3 Satz 1). Für den Nachgründungsbericht gelten die Vorschriften über den Gründungsbericht entsprechend (§ 52 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 32 Abs. 2 und 3). Der Bericht muss insbesondere auch zum Wert des vertragsgegenständlichen Vermögensgegenstandes und der Angemessenheit der Höhe der Vergütung Stellung nehmen. Der Nachgründungsbericht muss vom Vorsitzenden des Aufsichtsrats eigenhändig un- 35 terzeichnet werden.37) Nachdem der Bericht des Aufsichtsrats auch Grundlage für seine Beschlussempfehlung an die Hauptversammlung ist (siehe § 124 Abs. 3 Satz 1), müssen die Prüfung und der Bericht nicht erst vor der Hauptversammlung, sondern bereits bei deren Einberufung abgeschlossen sein.38) b)

Externe Nachgründungsprüfung (§ 52 Abs. 4)

Darüber hinaus hat vor der Beschlussfassung der Hauptversammlung eine Prüfung des 36 Nachgründungsvertrages durch einen oder mehrere (externe) Gründungsprüfer zu erfolgen (§ 52 Abs. 4 Satz 1). Für die Prüfung und den Bericht gelten die Vorschriften über die externen Gründungsprüfer entsprechend (§ 52 Abs. 4 Satz 2 i. V. m. §§ 33 Abs. 3 – 5, 34 und 35). Dementsprechend kann von einer externen Nachgründungsprüfung abgesehen werden, wenn der Wert der vertragsgegenständlichen Vermögensgegenstände bereits anderweitig verlässlich festgestellt worden ist (§ 52 Abs. 4 Satz 3 i. V. m. § 33a). In allen anderen Fällen ist ein Verzicht auf eine externe Nachgründungsprüfung nicht möglich (aus Gründen des Gläubigerschutzes auch nicht mit Zustimmung aller Aktionäre). _____________ 37) Spindler/Stilz-Heidinger, AktG, § 52 Rz. 62. 38) OLG München, Beschl. v. 28.1.2002 – 7 W 814/01, ZIP 2002, 1353, dazu EWiR 2002, 1029 (Schwab). Großzügiger Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 52 Rz. 14 – lediglich Prüfung muss abgeschlossen sein.

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Nachgründung

37 Der Bericht des externen Nachgründungsprüfers muss nach dem Gesetzeswortlaut spätestens vor der Beschlussfassung der Hauptversammlung vorliegen (§ 52 Abs. 4 Satz 1). Die Vorlage des Berichts nach der Hauptversammlung ist nur bei Zustimmung aller Aktionäre unschädlich. Interessen der Gläubiger werden dadurch nicht berührt, da der Bericht in jedem Fall zusammen mit der Handelsregisteranmeldung dem Handelsregister eingereicht werden muss (§ 52 Abs. 6 Satz 2) und damit für jedermann zugänglich ist. 4.

Zustimmung der Hauptversammlung (§ 52 Abs. 5)

38 Ein Nachgründungsvertrag bedarf zu seiner Wirksamkeit der Zustimmung der Hauptversammlung (§ 52 Abs. 1 Satz 1 und 2). Die Zustimmung der Hauptversammlung muss sich auf den gesamten Vertrag (einschließlich aller Nachträge, Ergänzungen und Anlagen) beziehen. 39 Im Falle einer Sachkapitalerhöhung sind zwei getrennte Beschlüsse erforderlich: der Beschluss über die Sachkapitalerhöhung (§ 183) und der Beschluss über die Zustimmung zu dem Nachgründungsvertrag. Beide Beschlüsse können in einer Hauptversammlung gefasst werden. 40 Die Zustimmung der Hauptversammlung (§ 52 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 und § 182 BGB) kann sowohl als (vorherige) Einwilligung (§ 183 BGB) als auch als (nachträgliche) Genehmigung (§ 184 BGB) erfolgen.39) Im Falle der Einwilligung ist der Vertrag später zwingend so abzuschließen, wie er von der Hauptversammlung beschlossen worden ist (§ 52 Abs. 2 Satz 7). Kommt es nach dem Beschluss der Hauptversammlung noch zu Änderungen des Vertrags, ist ein erneuter Zustimmungsbeschluss erforderlich. 41 Der Beschluss der Hauptversammlung bedarf einer Mehrheit von mindestens drei Viertel des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals (§ 52 Abs. 5 Satz 1) und zusätzlich einer einfachen Mehrheit der abgegebenen Stimmen (§ 133 Abs. 1). Wird der Vertrag im ersten Jahr nach der Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister geschlossen, so müssen außerdem die Anteile der zustimmenden Mehrheit mindestens ein Viertel des gesamten Grundkapitals erreichen (§ 52 Abs. 5 Satz 2). Die Satzung kann für den Zustimmungsbeschluss eine größere (nicht aber eine geringere) Kapitalmehrheit vorsehen (§ 52 Abs. 5 Satz 3). In der Satzung können auch weitere Erfordernisse für den Zustimmungsbeschluss geregelt werden (§ 52 Abs. 5 Satz 3). 42 Stimmberechtigt ist jeder Aktionär. Dies gilt auch für den Aktionär, der an dem Nachgründungsvertrag als Vertragspartner beteiligt ist. Er unterliegt auch keinem Stimmverbot (auch nicht analog § 136 Abs. 1; siehe aber § 243 Abs. 2).40) 43 Bei etwaigen Beschlussmängeln (z. B. Verletzung der Informationspflichten nach § 52 Abs. 2 Sätze 2 ff.) gelten die allgemeinen Regelungen über die Anfechtung und Nichtigkeit von Beschlüssen (§§ 241 ff.). Das Freigabeverfahren findet keine (auch keine analoge) Anwendung (siehe § 246a Abs. 1, der Beschlüsse nach § 52 nicht erwähnt). 5. Eintragung im Handelsregister (§ 52 Abs. 6– 8) a) Anmeldung (§ 52 Abs. 6) 44 Der Vorstand der Gesellschaft (und zwar in vertretungsberechtigter Zahl) hat den Nachgründungsvertrag zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden (§ 52 Abs. 6 Satz 1 AktG i. V. m. § 12 HGB). Der Aufsichtsrat muss die Handelsregisteranmeldung nicht mit unterzeichnen.41) _____________ 39) Hölters-Solveen, AktG, § 52 Rz. 12; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 52 Rz. 13; Pentz in: MünchKomm-AktG, § 52 Rz. 33; Spindler/Stilz-Heidinger, AktG, § 52 Rz. 70. A. A. – nur nachträgliche Genehmigung möglich – M. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 52 Rz. 23 und 28; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 52 Rz. 34. 40) Bürgers/Körber-Körber, AktG, § 52 Rz. 15; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 52 Rz. 35. 41) Hölters-Solveen, AktG, § 52 Rz. 25; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 52 Rz. 37.

274

Thomas Wachter

§ 52

Nachgründung

Der Handelsregisteranmeldung sind als Anlagen beizufügen: der Nachgründungsvertrag, 45 der Nachgründungsbericht (§ 52 Abs. 3) und der Bericht des (externen) Nachgründungsprüfers (§ 52 Abs. 4), jeweils samt urkundlicher Unterlagen sowie die Niederschrift über den Zustimmungsbeschluss der Hauptversammlung (§ 52 Abs. 6 Satz 2 AktG und § 130 Abs. 5; § 12 Abs. 2 HGB). Falls die Gesellschaft auf eine externe Nachgründungsprüfung verzichtet hat (§ 52 Abs. 4 46 Satz 3 i. V. m. § 33a), müssen in die Handelsregisteranmeldung weitere Erklärungen und Versicherungen zum Wert der Vermögensgegenstände aufgenommen werden (§ 52 Abs. 6 Satz 3 i. V. m. § 37a Abs. 1 und 2). Ferner sind der Anmeldung in diesem Fall entsprechende Unterlagen über den Wert der Vermögensgegenstände beizufügen (§ 52 Abs. 6 Satz 3 i. V. m. § 37a Abs. 3) b)

Prüfung durch das Registergericht (§ 52 Abs. 7)

Das Registergericht prüft die Anmeldung und die beigefügten Unterlagen in formeller 47 und materieller Hinsicht.42) Dabei hat das Registergericht insbesondere (aber nicht nur) zu prüfen, ob der Nachgründungsbericht (§ 52 Abs. 3) richtig und vollständig ist und auch sonst den gesetzlichen Vorschriften entspricht und die von der Gesellschaft gewährte Vergütung der Höhe nach angemessen ist (§ 52 Abs. 7 Satz 1; siehe auch § 38 Abs. 2 in Bezug auf die Gründung). Bei einer vereinfachten Nachgründung, bei der auf eine (externe) Nachgründungsprüfung 48 verzichtet wird (§ 52 Abs. 4 Satz 3, § 33a), beschränkt sich die Prüfung des Registergerichts grundsätzlich auf die formale Kontrolle, ob die gesetzlich vorgeschriebenen Erklärungen und Versicherungen in der Handelsregisteranmeldung enthalten sind (§ 37a Abs. 1 und Abs. 2) und die vorgeschriebenen Unterlagen (§ 37a Abs. 3) der Handelsregisteranmeldung beigefügt sind (§ 52 Abs. 7 Satz 2 i. V. m. § 38 Abs. 3 Satz 1). Lediglich dann, wenn die von der Gesellschaft gewährte Vergütung offenkundig und erheblich überhöht ist, kann das Registergericht die Eintragung ablehnen (§ 52 Abs. 7 Satz 2 i. V. m. § 38 Abs. 3 Satz 2). c)

Eintragung im Handelsregister (§ 52 Abs. 8)

Im Handelsregister sind der Tag des Abschlusses des Nachgründungsvertrages und der 49 Zustimmung der Hauptversammlung sowie der oder die Vertragspartner der Gesellschaft einzutragen (§ 52 Abs. 8 AktG und § 43 Nr. 6 lit. b, kk HRV). Die Eintragung im Handelsregister ist für die Wirksamkeit des Nachgründungsvertrages von konstitutiver Bedeutung (§ 52 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2). Mit Wirksamwerden des Nachgründungsvertrages werden auch die zu seiner Ausführung 50 geschlossenen Rechtsgeschäfte (und zwar mit Wirkung ex nunc) wirksam (§ 52 Abs. 1 Satz 2).43) Eine erneute Vornahme der Vollzugsgeschäfte ist nicht erforderlich, auch nicht bei der Auflassung von Grundstücken (siehe § 925 BGB). Vor der Eintragung im Handelsregister ist der Nachgründungsvertrag schwebend unwirk- 51 sam. Allerdings steht dem anderen Vertragsteil kein Widerrufsrecht (analog § 178) zu.44)

_____________ 42) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 52 Rz. 17; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 52 Rz. 38. 43) Hölters-Solveen, AktG, § 52 Rz. 15 und 17; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 52 Rz. 9; K. Schmidt/LutterBayer, AktG, § 52 Rz. 42. 44) Hölters-Solveen, AktG, § 52 Rz. 14; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 52 Rz. 8; M. Arnold in: KölnKommAktG, § 52 Rz. 41; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 52 Rz. 40. Mit Einschränkungen auch Pentz in: MünchKomm-AktG, § 52 Rz. 44 – allerdings für ein rücktrittsähnliches Gestaltungsrecht in Anlehnung u. a. an § 177 Abs. 2 BGB.

Thomas Wachter

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§ 52

Nachgründung

V.

Ausnahmen (§ 52 Abs. 9)

1.

Laufende Geschäfte

52 Die Nachgründungsvorschriften finden keine Anwendung auf den Erwerb von Vermögensgegenständen i. R. der laufenden Geschäfte (§ 52 Abs. 9 Alt. 1). Damit sind die Alltagsgeschäfte der Gesellschaft gemeint, bei denen die Gefährdung der effektiven Kapitalaufbringung im Allgemeinen ausscheidet.45) 53 Zu den laufenden Geschäften gehören insbesondere solche Erwerbsvorgänge, ohne die der Unternehmensgegenstand nicht sinnvoll verwirklicht werden kann (z. B. die Anschaffung von Waren für ein Handelsunternehmen, der Erwerb von Betriebsmitteln oder der Abschluss von unternehmensbezogenen Dienstleistungsverträgen). Ferner gehört zu den laufenden Geschäften regelmäßig der Erwerb von Gegenständen des Umlaufvermögens – nicht dagegen auch des Anlagevermögens (siehe § 266 Abs. 2 lit. A. und B. HGB). 54 Allein der Umstand, dass der Erwerb des Vermögensgegenstandes zum Gegenstand des Unternehmens gehört (siehe §§ 23 Abs. 3 Nr. 2, 39 Abs. 1 Satz 1), genügt nicht für die Annahme eines laufenden Geschäfts. Nicht nachgründungsfrei ist daher bspw. der Erwerb von Beteiligungen durch eine Holdinggesellschaft46) oder der Erwerb von Immobilien durch eine Immobiliengesellschaft.47) Angesichts der wirtschaftlichen Bedeutung solcher Geschäfte hat in diesen Fällen unter Berücksichtigung des Normzwecks eine ordnungsgemäße Nachgründung zu erfolgen. 2.

Erwerb in der Zwangsvollstreckung

55 Die Vorschriften über die Nachgründung finden ferner dann keine Anwendung, wenn der Erwerb in der Zwangsvollstreckung erfolgt (§ 52 Abs. 9 Alt. 2).48) Erfasst ist auch der Erwerb aufgrund einer Verwertung nach der Insolvenzordnung (§§ 165 f., 173 InsO) und bei Rückgabe eines Pfandes (§ 1223 Abs. 2 BGB). Dabei kommt es grundsätzlich nicht darauf an, ob die Gesellschaft die Zwangsvollstreckung aufgrund eines eigenen Titels betreibt oder lediglich Mitbieterin ist.49) Eine Ausnahme gilt insoweit aber für die Teilungsversteigerung (§ 753 BGB, §§ 180 ff. ZVG); nachgründungsfrei ist in diesem Fall nur der Erwerb aufgrund eines vollstreckbaren Titels.50) 3.

Erwerb an der Börse

56 Schließlich sind die Vorschriften über die Nachgründung dann nicht zu berücksichtigen, wenn ein Vermögensgegenstand an einer (Wertpapier- oder Waren)Börse erworben wird (§ 52 Abs. 9 Alt. 3). Für einen Erwerb i. R. eines Übernahmeangebots (§ 31 WpÜG) gilt die Vorschrift aufgrund der Bindung an den Börsenpreis entsprechend.51)

_____________ 45) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 52 Rz. 18; M. Arnold in: KölnKomm-AktG, § 52 Rz. 47; K. Schmidt/LutterBayer, AktG, § 52 Rz. 46 ff.; Spindler/Stilz-Heidinger, AktG, § 52 Rz. 16 ff. 46) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 52 Rz. 18; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 52 Rz. 47; Spindler/StilzHeidinger, AktG, § 52 Rz. 19. 47) A. A. Hölters-Solveen, AktG, § 52 Rz. 26; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 52 Rz. 18; K. Schmidt/LutterBayer, AktG, § 52 Rz. 48. 48) Zur Notwendigkeit einer richtlinienkonformen Auslegung – K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 52 Rz. 6. 49) Hölters-Solveen, AktG, § 52 Rz. 27. A. A. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 52 Rz. 19 – nur bei Vollstreckung aufgrund eigenen Titels der Gesellschaft. 50) K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 52 Rz. 50; Spindler/Stilz-Heidinger, AktG, § 52 Rz. 22. 51) K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 52 Rz. 51.

276

Thomas Wachter

Ersatzansprüche bei der Nachgründung

§ 53

§ 53 Ersatzansprüche bei der Nachgründung 1

Für die Nachgründung gelten die §§ 46, 47, 49 bis 51 über die Ersatzansprüche der Gesellschaft sinngemäß. 2An die Stelle der Gründer treten die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats. 3Sie haben die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. 4Soweit Fristen mit der Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister beginnen, tritt an deren Stelle die Eintragung des Vertrags über die Nachgründung. Bei der Nachgründung (§ 52) sind die Grundsätze der Gründungshaftung entsprechend 1 anwendbar (§ 53). Mit der Nachgründungshaftung soll die Gesellschaft vor Nachteilen im Zusammenhang mit der Nachgründung geschützt werden und damit die reale Kapitalaufbringung gewährleistet werden.1) Die Nachgründungshaftung ist zwingend. Ziel der Regelung ist es, die Haftung bei der Nachgründung nach den gleichen Grund- 2 sätzen wie die Gründerhaftung zu regeln (§ 53 Satz 1), dabei aber auch die Besonderheiten der Nachgründung angemessen zu berücksichtigen (§ 53 Sätze 2 – 4).2) Dementsprechend treten bei der Nachgründung die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats an die Stelle der Gründer (§ 53 Satz 2). Haftungsmaßstab ist dabei die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters (§ 53 Satz 3).3) Für den Beginn von Fristen wird nicht auf die Handelsregistereintragung der Gesellschaft, sondern des Vertrages über die Nachgründung abgestellt (§ 53 Satz 4; siehe §§ 47 Nr. 3, 50 Satz 1 und 51). Die Haftung der Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats nach den allgemeinen 3 Vorschriften (§§ 93, 116) bleibt daneben unberührt.4)

_____________ 1) 2) 3) 4)

K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 53 Rz. 2. Hölters-Solveen, AktG, § 53 Rz. 1; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 51 Rz. 2. Hölters-Solveen, AktG, § 53 Rz. 3; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 53 Rz. 3; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 51 Rz. 6. Hölters-Solveen, AktG, § 53 Rz. 3; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 53 Rz. 3; K. Schmidt/Lutter-Bayer, AktG, § 51 Rz. 5.

Thomas Wachter

277

Dritter Teil Rechtsverhältnisse der Gesellschaft und der Gesellschafter § 53a Gleichbehandlung der Aktionäre Wolfgang Servatius

Aktionäre sind unter gleichen Voraussetzungen gleich zu behandeln. Literatur: Bachmann, Der Grundsatz der Gleichbehandlung im Kapitalmarktrecht, ZHR 170 (2006) 144; Burgard, Die Förder- und Treupflicht des Alleingesellschafters einer GmbH – Überlegungen zu einer gläubigerschützenden Corporate Governance bei der GmbH, ZIP 2002, 827; Cahn/Senger, Das Gesetz zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen, FB 2002, 277; Dreher, Treuepflichten zwischen Aktionären und Verhaltenspflichten bei der Stimmrechtsbündelung, ZHR 157 (1993) 150; Eidenmüller, Kapitalgesellschaftsrecht im Spiegel der ökonomischen Theorie, JZ 2001, 1041; Fleischer, Vertragsschlussbezogene Aufklärungspflichten zwischen Personengesellschaftern – Zugleich ein Beitrag zur culpa in contrahendo im Gesellschaftsrecht, NZG 2000, 561; Grigoleit, Gesellschafterhaftung für interne Einflussnahme im Recht der GmbH, 1999; Henn, Die Gleichbehandlung der Aktionäre in Theorie und Praxis, AG 1985, 240; Hennrichs, Treuepflichten im Aktienrecht, AcP 195 (1995) 221; Hüffer, Der korporationsrechtliche Charakter von Rechtsgeschäften – Eine hilfreiche Kategorie bei der Begrenzung von Stimmrechtsverboten im Recht der GmbH, in: Festschrift für Theodor Heinsius, 1991, S. 337; Hüffer, Zur Darlegungs- und Beweislast bei der aktienrechtlichen Anfechtungsklage, in: Festschrift für Hans-Joachim Fleck, 1988, S. 151; Hüffer, Harmonisierung des aktienrechtlichen Kapitalschutzes, NJW 1979, 1065; Kindler, Die Treuepflichtklausel in der Satzung der Aktiengesellschaft, in: Festschrift für Sebastian Spiegelberger, 2009, S. 778; Kleinert/Mayer, Bestandaufnahme und anstehende Neuerungen durch die Umsetzung der EU-Aktionärsrechterichtlinie II, EuZW 2018, 314; Langner, Kapitalmarktkommunikation durch den Aufsichtsratsvorsitzenden, NZG 2015, 44; Lutter, Theorie der Mitgliedschaft, AcP 180 (1980) 84; Lutter, Treupflichten und ihre Anwendungsprobleme, ZHR 162 (1998) 164; Lutter, Zur Treupflicht des Großaktionärs, JZ 1976, 225; Marsch-Barner, Treuepflichten zwischen Aktionären und Verhaltenspflichten bei der Stimmrechtsbündelung, ZHR 157 (1993) 172; Martens, Die Vergleichs- und Abfindungsbefugnis des Vorstands gegenüber opponierenden Aktionären, AG 1988, 118; Martens, Der Ausschluß des Bezugsrechts: BGHZ 33, S. 175, in: Festschrift für Robert Fischer, 1979, S. 437; Paefgen, Die Gleichbehandlung beim Aktienrückerwerb im Schnittfeld von Gesellschafts- und Übernahmerecht, ZIP 2002, 1509; Priester, Schuldrechtliche Vereinbarungen zur Gewinnverteilung bei der AG, ZIP 2015, 2156; Ruthart, Abfindungsbemessung beim Squeeze out, NZG 2015, 1387; Ruthart, Angemessene Barabfindung und Gleichbehandlung von Minderheits- und Mehrheitsaktionären, NZG 2014, 972; Szalai, Die Treuepflicht als aktienrechtliche Schranke des Anfechtungsrechts, DStR 2008, 358; Veil, Transaktionen mit Related Parties im deutschen Aktien- und Konzernrecht, NZG 2017, 521; Voges, Zum Grundsatz der Gleichbehandlung im Aktienrecht, AG 1975, 197; Wank, Antidiskriminierungsrecht im Selbstständigenrecht und im Gesellschaftsrecht, in: Festschrift für Uwe Hüffer, 2010, S. 1051; Zöllner, Treupflichtgesteuertes Aktienkonzernrecht, ZHR 162 (1998) 235.

Übersicht I. Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt ................................................. II. Gleichbehandlungsgrundsatz ......... 1. Dogmatische Grundlegung ............... 2. Anwendungsbereich ..........................

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1 4 4 7

a) Verhältnis zwischen AG und Aktionären ............................ 8 b) Verhältnis der Aktionäre untereinander .............................. 12

Wolfgang Servatius

§ 53a

Gleichbehandlung der Aktionäre 3. Gleichbehandlungsmaßstab ............. 14 a) Vermögensmäßige Beteiligung .... 15 b) Gleichbehandlung nach Köpfen ........................................ 17 4. Gebot der Gleich- bzw. Ungleichbehandlung ........................................ 19 a) Belastungen oder Vergünstigungen .............................. 20 b) Zulässige Gruppenbildung ......... 22 5. Sachliche Differenzierung als Rechtfertigung .................................. 23 a) Grundlagen ................................. 23 b) Vorgaben der materiellen Beschlusskontrolle ..................... 25 aa) Gesellschaftsinteresse ................ 26 bb) Erforderlichkeit .......................... 27 cc) Verhältnismäßigkeit ................... 28 6. Rechtsfolgen bei Verstößen ............. 29 a) Hauptversammlungsbeschlüsse ................................... 30 b) Verwaltungshandeln ................... 31 c) Beweislast ................................... 33 I.

7. Gestaltungsfreiheit ........................... 8. Kasuistik zum Gleichbehandlungsgebot ................................................. III. Treuepflicht der Aktionäre ............ 1. Allgemeines ...................................... 2. Dogmatische Grundlegung .............. 3. Funktion ........................................... 4. Anwendungsbereich ......................... 5. Treuepflicht der Mehrheit ............... a) Allgemeines ................................ b) Treuepflicht gegenüber der AG ........................................ c) Treuepflicht gegenüber der Minderheit ............................ 6. Treuepflicht der Minderheit ............ 7. Rechtsfolgen bei Verletzung der Treuepflicht ................................ a) Beschlussanfechtung .................. b) Unterlassungsansprüche ............ c) Schadensersatz ........................... 8. Gestaltungsfreiheit ........................... IV. Treuepflicht der AG .......................

34 35 36 36 39 40 43 45 45 48 51 53 56 57 58 59 60 61

Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt

Die Norm regelt für die AG zentral den auch im übrigen Gesellschaftsrecht anerkannten 1 Gleichbehandlungsgrundsatz. Sie beruht auf Art. 46 der früheren Kapitalrichtlinie, nunmehr Art. 85 der Gesellschaftsrechts-Richtlinie,1) geht jedoch darüber hinaus2) und war bereits vor ihrer Einfügung ins Aktiengesetz im Jahr 1979 gesellschaftsrechtliches Allgemeingut.3) Gleichwohl ist ihr eine wegen der hierüber vermittelten Rechtssicherheit und klarheit wichtige konstitutive Bedeutung zuzusprechen.4) Die Regelung schützt die Aktionäre vor einer willkürlichen Ungleichbehandlung durch die AG.5) Im Kern muss sich hiernach das gesamte Handeln der Organe am Gleichbehandlungsgebot orientieren, soweit dieses nicht wirksam abbedungen wurde oder sachliche Gründe eine Abweichung rechtfertigen. Praktisch ist der Gleichbehandlungsgrundsatz so vor allem ein Instrument des Minderheitenschutzes.6) Spezialgesetzliche Ausprägungen des Gleichbehandlungsgrundsatzes sind §§ 12 Abs. 1, 2 60 Abs. 1, 71 Abs. 1 Nr. 8, 131 Abs. 4 Satz 1, 186 Abs. 1, 255 Abs. 2, 271 Abs. 2. Vgl. aber auch § 243 Abs. 2, wonach eine an sich rechtswidrige Ungleichbehandlung bei vermö_____________ 1) 2)

3)

4) 5) 6)

Richtlinie (EU) 2017/1132 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 14.6.2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts (Gesellschaftsrechts-Richtlinie), ABl. (EU) Nr. L 169/46 v. 30.6.2017. Art. 85 der Gesellschaftsrecht-Richtlinie verlangt wie die frühere Kapitalrichtlinie eine Gleichbehandlung der Aktionäre nur im sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie; tendenziell weiter, jedoch sehr vage, EuGH, Urt. v. 15.10.2009 – C-101/08 (Audiolux), ZIP 2009, 2241 = NZG 2009, 1350. Vgl. zur Gleichbehandlung der Aktionäre i. R. der Hauptversammlung auch Art. 4 der Aktionärsrechterichtlinie. Vgl. nur RGZ 41, 97, 99; BGH, Urt. v. 11.11.1965 – II ZR 122/63, BGHZ 44, 245; BGH, Urt. v. 9.11.1992 – II ZR 230/91, ZIP 1992, 1728; Hüffer, NJW 1979, 1065, 1068; Voges, AG 1975, 197. Grundlegend zur Gleichbehandlung G. Hueck, Der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung im Privatrecht, 1958; Verse, Der Gleichbehandlungsgrundsatz im Recht der Kapitalgesellschaften, 2006. Abweichend Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 53a Rz. 1: teilweise nur deklaratorische Bedeutung. BGH, Urt. v. 22.10.1992 – IX ZR 159/92, ZIP 1992, 1785 = NJW 1993, 400. So auch K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 53a Rz. 5 – „Eckpfeiler des Minderheitenschutzes“.

Wolfgang Servatius

279

§ 53a

Gleichbehandlung der Aktionäre

gensmäßiger Kompensation ausdrücklich zulässig ist. Eng mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz verbunden, jedoch in der Reichweite weitergehend, ist die mitgliedschaftliche Treuebindung innerhalb der AG, der sowohl die Aktionäre wie die AG selbst unterliegen (siehe unten Rz. 61). In welchem Verhältnis Treuepflicht und Gleichbehandlungsgebot stehen, ist nach wie vor umstritten, für die praktische Anwendung jedoch letztlich unerheblich, da beide Rechtsinstitute durchaus funktional vergleichbar sind.7) 3 Im Kapitalmarktrecht gilt der Gleichbehandlungsgrundsatz aufgrund spezieller Regelungen gemäß § 48 WpHG8) sowie bei Übernahmen gemäß § 3 Abs. 1 WpÜG.9) Darüber hinaus wird der Gleichbehandlungsgrundsatz auch diskutiert, wenn es um die Platzierung neuer Aktien beim going public geht; dies kann jedoch richtigerweise nicht auf § 53a gestützt werden, soweit es um künftige Aktionäre geht.10) Das allgemeine zivilrechtliche Benachteiligungsverbot gemäß § 19 AGG kommt wegen des abweichenden Schutzzwecks der Diskriminierungsregeln im Verhältnis der Aktionäre untereinander und im Verhältnis zwischen AG und Aktionären nicht zur Anwendung.11) II.

Gleichbehandlungsgrundsatz

1.

Dogmatische Grundlegung

4 Für die praktische Anwendung hat der kontrovers geführte Streit über die rechtliche Begründung des Gleichbehandlungsgrundsatzes keine unmittelbare Relevanz, zumal regelmäßig unmittelbar auf § 53a abgestellt werden kann.12) Gleichwohl sind die verschiedenen Erklärungsmuster nach wie vor bedeutsam, um Reichweite und praktische Anwendung des Gleichbehandlungsgebots auch in konkreten Einzelfällen überzeugend zu begründen. § 53a ist eine offene Regelung, die auf der Tatbestands- und Rechtsfolgenseite einer methodisch nachvollziehbaren und am Schutzzweck orientierten inhaltlichen Präzisierung bedarf.13) 5 Als Geltungsgrund für den Gleichbehandlungsgrundsatz werden vor allem das rechtsgeschäftlich begründete Gesellschaftsverhältnis bzw. die Mitgliedschaft sowie ein überpositives Prinzip der Verteilungsgerechtigkeit herangezogen.14) Wenngleich allen Ansichten letztlich viel Überzeugungskraft innewohnt, ergeben sich dennoch zumindest in Einzelaspekten Unterschiede, die eine differenzierte Betrachtung erfordern. Für die praktische Anwendung bedeutsam ist hierbei zunächst, dass die vielfach angeführte rechtsgeschäftliche Anknüpfung nicht überinterpretiert werden darf. Das Gleichbehandlungsgebot folgt nicht daraus, dass die (Gründungs-)Aktionäre dies wollten oder gar zur verbindlichen Regel erhoben haben. Insoweit ist es unstreitig, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz auch gilt, wenn eine ursprüngliche Ein-Personen-AG nachträglich den Mitgliederbestand erweitert. 6 Auf der anderen Seite ist die Bindung an die Mitgliedschaft ernst zu nehmen, denn es bedarf wegen Art. 9 GG der Wahlfreiheit, sich der kollektiv zu betrachtenden Gleichbehandlung zu unterwerfen oder nicht. Hieraus folgt zentral, dass sich der Gleichbehandlungsmaß_____________ 7) So auch K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 53a Rz. 12 m. w. N.; für den Gleichbehandlungsgrundsatz als Ausfluss der Treuepflicht – OLG Stuttgart, Urt. v. 12.5.1999 – 20 U 62/98, AG 2000, 229, 230; für einen Vorrang der Treuepflichtkontrolle in den Fällen materieller Ungleichbehandlung GrigoleitGrigoleit/Rachlitz, AktG, § 53a Rz. 13 f., was jedoch nicht überzeugt (s. unten Rz. 20 f.). 8) Vgl. hierzu auch Art. 17 Abs. 1 der Transparenzrichtlinie. 9) Einzelheiten bei Cahn/Senger, FB 2002, 277, 281. 10) Eingehend Bachmann, ZHR 170 (2006) 144. 11) Wank in: FS Hüffer, S. 1051, 1065 ff. 12) Teilweise abweichend Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 53a Rz. 1 wegen der Einordnung als deklaratorische Norm. 13) Ähnlich K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 53a Rz. 14 – konkretisierungsbedürftiges Rechtsprinzip; Lutter/Zöllner in: KölnKomm-AktG, § 53a Rz. 5 – Generalklausel. 14) Einzelheiten m. w. N. bei K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 53a Rz. 13.

280

Wolfgang Servatius

§ 53a

Gleichbehandlung der Aktionäre

stab und die Möglichkeit zur Ungleichbehandlung stets nur auf die gegenwärtigen Aktionäre beziehen und auch nur Verbands- oder ggf. auch Aktionärsinteressen zur sachlichen Rechtfertigung herangezogen werden dürfen. Es wäre mit Art. 9 GG unvereinbar, den Gleichbehandlungsgrundsatz zur Verfolgung externer Einzelinteressen oder Allgemeininteressen heranzuziehen. Insgesamt betrachtet ist es daher geboten, im Gleichbehandlungsgebot gemäß § 53a ein wesentliches, in Einzelfällen aber abdingbares objektives gesellschaftsrechtliches Strukturprinzip zu sehen, welches sowohl die Einzelinteressen der Verbandsmitglieder als auch die objektive Funktionsfähigkeit des auf Selbstregulierung beruhenden Personenverbands verwirklicht.15) Zur Abgrenzung des Gleichbehandlungsgebots vom Diskriminierungsverbot siehe sogleich Rz. 12. 2.

Anwendungsbereich

Das Gleichbehandlungsgebot gilt während des Bestehens einer AG, auch im Stadium der 7 Vorgesellschaft16) und bei der Liquidation (vgl. nur § 271 Abs. 3). a)

Verhältnis zwischen AG und Aktionären

Die Regelung betrifft unstreitig das Verhältnis der Aktionäre zur AG, wenn für jene der Vor- 8 stand, Aufsichtsrat oder die Hauptversammlung handeln.17) Soweit der Insolvenzverwalter über § 80 Abs. 1 InsO die entsprechenden Befugnisse bei vermögensbezogenen Angelegenheiten wahrnimmt,18) ist er ebenfalls daran gebunden.19) Dritte werden aus § 53a weder begünstigt noch verpflichtet. Dies gilt auch für künftige 9 Aktionäre, selbst wenn diese bereits (rein schuldrechtlich!) Inhaber einer Wandel- oder Optionsanleihe sind.20) Bei ehemaligen Aktionären ist jedoch eine Ausnahme von der Nichtgeltung zu machen, wenn eine Rechtsbeziehung aus der Zeit der früheren Mitgliedschaft noch nicht beendet ist, z. B. im Spruchverfahren.21) Möglich und geboten ist auch, Dritte, die rechtlich oder wirtschaftlich einem Aktionär zuzurechnen sind (Einzelheiten siehe § 57 Rz. 34 ff.), in den Geltungsbereich von § 53a einzubeziehen, z. B. bei Begünstigungen durch die AG.22) Der Gleichbehandlungsgrundsatz betrifft nur das gesellschaftsbezogene Verhalten der AG 10 gegenüber den Aktionären (causa societatis). Handelt es sich daher um ein sog. Drittgeschäft, welches zwischen AG und Aktionär geschlossen wird, gilt § 53a grundsätzlich nicht.23) Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass das Rechtsgeschäft – funktional betrachtet – auch mit Außenstehenden geschlossen werden könnte und würde. Verdeckte Gewinnausschüttungen an einzelne Aktionäre verstoßen daher regelmäßig gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Sofern die Willensbildung des Vorstands durch den Aktionär beeinflusst wurde (faktische Beherrschung, Konzern), handelt es sich ebenfalls um gesellschaftsbezogenes Verhalten, so dass (u. a.) auch § 53a zu beachten ist.24) _____________ 15) 16) 17) 18) 19) 20) 21) 22) 23) 24)

Hierzu ausführlich Servatius, Strukturmaßnahmen als Unternehmensleitung, 2003, S. 183 ff. Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 53a Rz. 7. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 8.6.1973 – 19 W 21/72, AG 1973, 282, 284. Vgl. z. B. bei der Einforderung von Einlagen Spindler/Stilz-Servatius, AktG, § 182 Rz. 69 ff. Dies offenlassend OLG München, Urt. v. 26.5.2010 – 7 U 5707/09, ZIP 2010, 2153 = NZG 2010, 1233. K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 53a Rz. 17; zu einer auf Gleichbehandlungsaspekte gestützten Analogie von § 304 zugunsten der Genussscheininhaber aber BGH, Urt. v. 28.5.2013 – II ZR 67/12 (Eurohypo/Rheinhyp/Essenhyp), ZIP 2013, 1570 = WM 2013, 1550, dazu EWiR 2013, 533 (Priester). Zu Vor- und Nachwirkungen eingehend Verse, Der Gleichbehandlungsgrundsatz im Recht der Kapitalgesellschaften, 2006, S. 220 ff. Vgl. LG Kassel, Urt. v. 24.11.1988 – 11 O 1063/88, ZIP 1989, 306, 308. LG Lüneburg, DB 1961, 402; K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 53a Rz. 18. Vgl. BGH, Urt. v. 14.1.1997 – KZR 30/95, ZIP 1997, 858 = AG 1997, 414; zum Ganzen ausführlich Lutter/Zöllner in: KölnKomm-AktG, § 53a Rz. 21.

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§ 53a

Gleichbehandlung der Aktionäre

11 Im Konzern gilt das Gleichbehandlungsgebot stets nur bezogen auf die hieran jeweils beteiligten Rechtsträger. Hieraus folgt konsequenterweise, dass insbesondere kein konzernweites Bezugsrecht besteht.25) Im Rahmen der sachlichen Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung von Aktionären (siehe unten Rz. 23 ff.) kommt es im Konzern jedoch regelmäßig nicht auf das Gesellschaftsinteresse der jeweils beteiligten Gesellschaften an, sondern auf das höherrangige Konzerninteresse. b)

Verhältnis der Aktionäre untereinander

12 Umstritten ist, ob und ggf. inwieweit der Gleichbehandlungsgrundsatz auch im Verhältnis der Aktionäre untereinander Geltung beansprucht. Die h. M. lehnt dies zutreffend ab.26) Wollte man einzelne Aktionäre zur Gleichbehandlung ihrer Mitaktionäre verpflichten, müsste ihnen die Rechtsmacht eingeräumt sein, eine Maßnahme mit kollektiver Wirkung herbeizuführen („behandeln“), was anders als bei den Organen der AG nicht der Fall ist. Insofern unterscheidet sich das Gleichbehandlungsgebot vom Diskriminierungsverbot. Letzteres verbietet auch die willkürliche Benachteiligung im Einzelfall, sofern es sich nur um ein Rechtsgeschäft handelt, welches typischerweise, d. h. nicht in concreto, in einer Vielzahl von Fällen zustande kommt (vgl. § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG). Die Geltung des gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes setzt demgegenüber – wie im Arbeitsrecht – voraus, dass es sich um eine rechtliche oder tatsächliche Maßnahme handelt, die aufgrund einer (verbands-)rechtlichen Identifizierung einer Gruppe konkret mehrere (potentielle) Adressaten hat. Ein allgemeines Willkürverbot gegenüber jedermann ist dem deutschen Zivilrecht fremd und trotz der zunehmenden Materialisierung (vgl. AGG und § 242 BGB) die begründungsbedürftige Ausnahme (Art. 2 Abs. 1 GG, Privatautonomie). 13 Überträgt man dies auf die AG, fehlt es gerade an der verbandsrechtlich begründeten Möglichkeit, dass ein Aktionär seine Mitgesellschafter kollektiv adressieren kann und sich dann ggf. rechtswidrig verhält, indem er sachwidrig einige Aktionäre bevorzugt. Dies gilt nicht nur bei der Ausübung seiner Mitgliedschaftsrechte (Stimmrecht, Information), sondern auch dann, wenn einem einzelnen Aktionär oder einer Aktionärsgruppe Kompetenzen außerhalb ihrer Mitwirkung in der Hauptversammlung zustehen (vgl. §§ 122, 148) oder er über die Mitgliedschaft als solche verfügt (Anteilsübertragung). Auch der Zusammenschluss zu Aktionärsgruppen (Stimmbindungsverträge, acting in concert)27) ist nicht an das Gleichbehandlungsgebot gebunden.28) Die hieraus resultierende Nichtgeltung von § 53a bedeutet jedoch nicht, dass im Verhältnis der Aktionäre untereinander keine rechtlichen Schranken zu beachten wären. Hiervon abzugrenzen sind nämlich die auch den einzelnen Aktionär ggf. treffende Treuepflichtbindung (siehe unten Rz. 36 ff.) und die Zurechnung eines individuellen Aktionärshandelns zu einem Organ, insbesondere bei der Mehrheitsmacht in der Hauptversammlung. Im letztgenannten Fall unterliegt der Aktionär mittelbar ohne weiteres § 53a, indem sich die Beschlussfassung hieran messen lassen muss. Eine weitere Ausnahme besteht beim Abfindungsrecht der Minderheitsaktionäre i. R. eines squeeze out (§§ 327a ff.). Indem es sich hierbei um ein gesellschaftsrechtliches Rechtsinstitut handelt, gilt § 53a richtigerweise auch im Verhältnis zwischen Haupt- und Minderheitsaktionären, soweit es um die gleichmäßige, am Nennwert der Aktien orientierte Ermittlung der Abfindungshöhe geht.29) _____________ 25) Einzelheiten bei Spindler/Stilz-Servatius, AktG, § 182 Rz. 76, m. N. zur Gegenmeinung. 26) Vgl. OLG Celle, AG 1974, 83, 84; K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 53a Rz. 16; Verse, Der Gleichbehandlungsgrundsatz im Recht der Kapitalgesellschaften, 2006, S. 172 ff.; abweichend aber Reul, Die Pflicht zur Gleichbehandlung der Aktionäre bei privaten Kontrolltransaktionen, 1991, S. 270 ff. 27) Vgl. BGH, Urt. v. 14.1.1997 – KZR 30/95, ZIP 1997, 858 = AG 1997, 414. 28) Vgl. für schuldrechtliche Vereinbarungen zur Gewinnverteilung auch Priester, ZIP 2015, 2156, 2158 f. 29) Zum Ganzen Ruthart, NZG 2015, 1387; Ruthart, NZG 2014, 972.

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§ 53a

Gleichbehandlung der Aktionäre 3.

Gleichbehandlungsmaßstab

Die AG ist eine Kapitalgesellschaft. Der Maßstab für die Gleichbehandlung ist daher im 14 Regelfall die über die Aktie vermittelte vermögensmäßige Beteiligung des Aktionärs und nicht seine persönliche Stellung.30) Auf der anderen Seite gibt es auch Gestaltungen, bei denen die Gleichbehandlung nach Kapitalanteilen nicht möglich ist bzw. der bezweckte Aktionärsschutz nicht hinreichend verwirklicht werden könnte. In diesen Fällen ist eine Gleichbehandlung nach Köpfen geboten. Hieraus resultiert ein differenziertes System, so dass man keineswegs pauschal sagen kann, es käme auf eine Gleichbehandlung der Aktien an und nicht der Aktionäre.31) Richtigerweise ist bei jeder in Rede stehenden Maßnahme konkret zu fragen, welcher Maßstab das gesetzgeberische Anliegen, die Aktionäre vor willkürlichen Benachteiligungen zu schützen, sachgerecht verwirklicht.32) a)

Vermögensmäßige Beteiligung

Ein Gebot der Gleichbehandlung anhand der vermögensmäßigen Beteiligung der Aktionäre 15 besteht vor allem bei: Stimmrecht (§§ 12, 134 Abs. 1 Satz 1); Einlagepflicht (§ 54 Abs. 1, vgl. insofern auch explizit § 19 Abs. 1 GmbHG); Gewinnverteilung (§ 60 Abs. 1); Bezugsrecht (§ 186 Abs. 1 Satz 1); Anteil am Liquidationserlös (§ 271 Abs. 3); Rückerwerb eigener Aktien (§ 71 Abs. 1 Nr. 8); Abfindung beim Squeeze out (§§ 327a ff.).33) Maßgebliche Bezugsgröße ist der Nennbetrag der Aktien bzw. die Zahl der gehaltenen Stückaktien; ein höherer Ausgabebetrag (korporatives oder gar schuldrechtliches Agio, vgl. § 9), ist im gesetzlichen Regelfall unerheblich (zur Satzungsautonomie siehe unten Rz. 34). Auf die tatsächliche Erbringung der Einlagen kommt es grundsätzlich nicht an. Eine wich- 16 tige Ausnahme betrifft aber das Stimmrecht (vgl. § 134 Abs. 2), den Gewinnanspruch (vgl. § 60 Abs. 2) und die Verteilung des Liquidationserlöses (vgl. § 271 Abs. 3). Darüber hinaus kann es im Einzelfall aus teleologischen Aspekten auch in anderen Bereichen geboten sein, die noch nicht vollständig erbrachte Einlage als sachliches Differenzierungskriterium für eine Ungleichbehandlung heranzuziehen (siehe unten Rz. 23 ff.). b)

Gleichbehandlung nach Köpfen

Viele Individualrechte der Aktionäre (teilweise als Hilfsrechte bezeichnet),34) lassen sich 17 nicht vermögensmäßig quantifizieren, so dass als Maßstab für die Gleichbehandlung allein auf die Person des Aktionärs abzustellen ist, unabhängig davon, wie viele Aktien er hält. Ein Gebot der Gleichbehandlung aller Aktionäre ohne Ansehen der vermögensmäßigen Beteiligung besteht daher vor allem bei: –

Teilnahme an der Hauptversammlung (§§ 118 Abs. 1);



Rederecht (streitig);35)

_____________ 30) 31) 32) 33)

BGH, Urt. v. 19.12.1977 – II ZR 136/76 (Mannesmann), BGHZ 70, 117 = NJW 1978, 540. So aber K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 53a Rz. 3. Ähnlich Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 53a Rz. 14 – Ermittlung im Wege der Auslegung. Vgl. hierzu auch die ökonomischen Ausführungen von Ruthart, NZG 2015, 1397, 1389 ff.; Ruthart, NZG 2014, 972. 34) Vgl. nur K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 53a Rz. 26; Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 53a Rz. 11. 35) Abweichend die h. M., vgl. K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 53a Rz. 26 m. w. N.; ähnlich Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 53a Rz. 7, der die vermögensmäßige Beteiligung als Sachgrund für eine angemessene Differenzierung ansieht; wie hier aber Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 53a Rz. 17; vgl. insofern auch die gesetzgeberische Abkehr von der früher vertretenen Theorie der potentiellen Kausalität für die Ermittlung anfechtungsbegründender Verfahrensmängel in § 243 Abs. 4 Satz 1.

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§ 53a

Gleichbehandlung der Aktionäre



Auskunftsrecht (§ 131);



Anfechtungsbefugnis (§ 245 Nr. 1 und 2).

18 Werden Aktien gemeinschaftlich gehalten, vergrößert dies die Position der Rechtsinhaber nicht. 4.

Gebot der Gleich- bzw. Ungleichbehandlung

19 Aus § 53a folgt, dass entsprechend dem vorstehend dargelegten Maßstab Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln ist, sofern eine Abweichung hiervon nicht sachlich gerechtfertigt ist (siehe dazu unten Rz. 23 ff.) oder im Einzelfall auf die Gleichbehandlung verzichtet wurde (siehe unten Rz. 34). a)

Belastungen oder Vergünstigungen

20 Als Behandlung i. S. von § 53a kommen sämtliche Belastungen oder Vergünstigungen der Aktionäre in Betracht. Richtigerweise gilt hier eine materielle Betrachtung, d. h. es kommt nicht darauf an, ob Rechtspositionen formal verändert werden (Höchststimmrechte für Einzelne,36) unterschiedlich langes Rederecht auf der Hauptversammlung etc.).37) Ausreichend ist vielmehr auch eine rein wirtschaftliche Beeinflussung der Aktionärsinteressen. Letzteres ist insbesondere relevant, wenn einem einzelnen Aktionär – regelmäßig zugleich unter Verletzung von § 57 – besondere Vermögensvorteile zugewendet werden.38) Bei der materiellen bzw. wirtschaftlichen Betrachtung ist entgegen der h. M. auch nicht allein auf die in der Mitgliedschaft selbst verkörperten Interessen abzustellen.39) Die finanzielle Leistungsfähigkeit, an einer Kapitalerhöhung teilzunehmen oder nicht, ist z. B. durchaus ein (privater) Umstand, der eine Ungleichbehandlung i. S. von § 53a nach sich ziehen kann (sog. faktischer Bezugsrechtsausschluss).40) Das Gleiche gilt, wenn die rechtliche Ausgestaltung der Aktien einigen Aktionären in besonderer Weise Vorteile bei der Veräußerung am Kapitalmarkt verschafft41) oder eine gesellschaftsrechtliche Maßnahme nur einen Teil der Gesellschafter steuerrechtlich begünstigt.42) Zuzugeben ist allerdings, dass eine nicht unmittelbar in der Mitgliedschaft beruhende Ungleichbehandlung der Aktionäre leichter zu rechtfertigen ist als ein unmittelbarer Eingriff. 21 Hiermit zusammenhängend ist die Frage, auf welche Weise die am Gleichbehandlungsgebot zu messenden Maßnahmen die Aktionäre treffen müssen. Auch hier gilt eine weite Auslegung, so dass alle unmittelbaren und mittelbaren Folgen in die Betrachtung miteinzubeziehen sind. Ein wichtiges Beispiel hierfür ist die Kapitalherabsetzung 10:1, bei der es sich vor allem bei den Kleinaktionären um eine Belastung handelt, die den Großen nicht zukommt, nämlich den Verlust der Mitgliedschaft.43) Insofern kann durchaus eine Parallele zu den aus dem Arbeitsrecht bekannten Fällen der mittelbaren Diskriminierung gezogen werden. Würde man in den Fällen der materiellen Belastung demgegenüber mit Teilen der _____________ 36) Vgl. BGH, Urt. v. 19.12.1977 – II ZR 136/76, (Mannesmann), BGHZ 70, 117 = NJW 1978, 540. 37) K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 53a Rz. 28; abweichend Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 53a Rz. 13 f., die materielle Beeinträchtigungen vorrangig als möglichen Treuepflichtverstoß behandeln. 38) Vgl. Bungeroth in: MünchKomm-AktG, § 53a Rz. 33; Martens, AG 1988, 118, 112. 39) Vgl. K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 53a Rz. 30 m. w. N. 40) Einzelheiten bei Spindler/Stilz-Servatius, AktG, § 186 Rz. 75 ff. 41) Vgl. für die Möglichkeit zur Erzielung von Paketzuschlägen BGH, Urt. v. 19.12.1977 – II ZR 136/76 (Mannesmann), BGHZ 70, 117 = NJW 1978, 540, 541. 42) A. A. jedoch BGH, Urt. v. 9.5.2005 – II ZR 29/03, ZIP 2005, 1318 = NZG 2005, 722 – für eine formwechselnde Umwandlung. 43) Vgl. hierzu Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 53a Rz. 25.

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§ 53a

Gleichbehandlung der Aktionäre

Literatur allein auf die Treuepflicht rekurrieren,44) wäre das der Sache nach in § 53a weit angelegte Schutzanliegen der Gleichbehandlung wegen der höheren und wenig umrissenen Anforderungen an die Bejahung einer (subjektiven) Treuwidrigkeit unterlaufen, was auch ein Umsetzungsdefizit bei Art. 85 der Gesellschaftsrechts-Richtlinie45) begründet. b)

Zulässige Gruppenbildung

Es fehlt bereits an einer rechtfertigungsbedürftigen Gleich- oder Ungleichbehandlung, wenn 22 die sich auf § 53a berufenden Aktionäre einer anderen Vergleichsgruppe angehören als der, der die Vergünstigung oder Belastung bestimmungsgemäß (objektiv!) zukommt. Wichtigster Fall sind die Vorzugsaktionäre, die in Bezug auf die rechtliche Ausgestaltung des Vorzugs und der hiermit verbundenen Belastung (§§ 139 ff.) nicht nachträglich auf Gleichbehandlung mit den Stammaktionären pochen können (für die anderen Bereiche und die nachträgliche Ausgestaltung der Vorzugsaktien besteht diese Möglichkeit jedoch ohne weiteres).46) Vgl. zu den Möglichkeiten, verschiedene Aktiengattungen zu bilden, i. Ü. § 11. 5.

Sachliche Differenzierung als Rechtfertigung

a)

Grundlagen

Liegt eine Ungleichbehandlung im vorbeschriebenen Sinne vor, kann die betreffende Maß- 23 nahme gleichwohl rechtmäßig sein. Wie bei Art. 3 Abs. 1 GG und beim arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz bedarf es hierfür jedoch der sachlichen Rechtfertigung. Wegen der generellen Zweckbindung der Organe gilt hierfür – abweichend vom öffentlichen Recht und Arbeitsrecht – ein strenger Maßstab. Das Gebot der Gleichbehandlung lässt eine Ungleichbehandlung der Aktionäre nur dann zu, wenn sie sachlich berechtigt ist und damit nicht den Charakter der Willkür trägt.47) Eine tatbestandlich präzise Formulierung, was zulässig ist und was nicht, lässt sich jedoch 24 ex ante betrachtet kaum rechtssicher handhabbar finden (zur Kasuistik der bisher entschiedenen Fälle siehe unten Rz. 35). Es bleibt daher vor allem Aufgabe der Rechtsprechung, den Gleichbehandlungsgrundsatz sorgfältig auszuformen. Gleichwohl sollte überlegt werden, dem konturenlosen § 53a in Anlehnung an die bereits bei § 186 ausdifferenzierte materielle Beschlusskontrolle Präzision zu verschaffen. Die hiernach mögliche inhaltliche Kontrolle von Beschlüssen lässt sich funktional betrachtet durchaus mit § 53a vergleichen, wenn es um den Minderheitenschutz geht, so dass eine entsprechende Heranziehung möglich ist.48) Dies betrifft vor allem die hierüber zu verwirklichende Koppelung des Gebots der sachlichen Rechtfertigung i. R. von § 53a an die Zweckbindung der Organe und die bei der materiellen Beschlusskontrolle mittlerweile etablierte strukturierte Argumentation, so dass einer allzu pauschalen Rechtfertigungsprüfung, was erlaubt ist und was nicht, Vorschub geleistet wird.49) b)

Vorgaben der materiellen Beschlusskontrolle

Wendet man die bei der materiellen Beschlusskontrolle nahezu einhellig anerkannte Recht- 25 fertigungslast auch auf § 53a i. R. der sachlichen Rechtfertigung an, ergibt sich Folgendes: _____________ 44) So Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 53a Rz. 13 f. 45) Richtlinie (EU) 2017/1132 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 14.6.2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts (Gesellschaftsrechs-Richtlinie), ABl. (EU) Nr. L 169/46 v. 30.6.2017. 46) Vgl. OLG Köln, Urt. v. 20.9.2001 – 18 U 125/01 (Metro), ZIP 2001, 2049 = NZG 2002, 966. 47) BGH, Urt. v. 9.11.1992 – II ZR 230/91, ZIP 1992, 1728 = NJW 1993, 400. 48) Ähnlich Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 53a Rz. 10. 49) Paradigmatisch für die Konturenlosigkeit der Argumentation OLG München, Urt. v. 26.5.2010 – 7 U 5707/09, ZIP 2010, 2153 = NZG 2010, 1233 – „nicht willkürlich und nicht objektiv verfehlt“.

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§ 53a

Gleichbehandlung der Aktionäre

In entsprechender Anwendung der insbesondere beim Bezugsrechtsausschluss allgemein anerkannten Formel ist die Ungleichbehandlung sachlich gerechtfertigt, wenn sie im Gesellschaftsinteresse liegt, zur Verwirklichung des Gesellschaftsinteresses geeignet und erforderlich ist und in einem angemessenen Verhältnis zu den Nachteilen der betroffenen Altaktionäre steht.50) Letztlich geht es bei der sachlichen Rechtfertigung somit darum, ob ein am Gesellschaftszweck zu messendes sinnvolles unternehmerisches Konzept die Mitgliedschaft der Altaktionäre in angemessener Weise beeinträchtigt oder nicht. aa)

Gesellschaftsinteresse

26 Das Ziel der Ungleichbehandlung muss im Gesellschaftsinteresse liegen. Maßstab ist bei der gewinnorientierten AG die aus der Zweckgebundenheit von Organhandeln folgende Steigerung der Eigenkapitalrendite.51) Die Partikularinteressen einzelner Aktionäre sind unbeachtlich, sofern sich diese nicht mit dem Gesellschaftsinteresse decken.52) Erfolgt die Ungleichbehandlung bei einer durch Beherrschungsvertrag gemäß § 291 Abs. 1 Satz 1 gebundenen AG, richtet sich der Kontrollmaßstab in konsequenter Verwirklichung der §§ 308 ff. nach dem Konzerninteresse (streitig).53) Beim faktischen Konzern verbleibt es hingegen bei der Maßgeblichkeit des Gesellschaftsinteresses als unverbundene AG. Die dem Privileg des § 311 zugrunde liegende Vermögenskompensation zugunsten der Gesellschaft vermag die Nachteile des Bezugsrechtsausschlusses für die Altaktionäre nicht zu verwirklichen. bb)

Erforderlichkeit

27 Die Ungleichbehandlung muss weiterhin erforderlich sein, um das als Wahrung des Gesellschaftsinteresses verstandene unternehmerische Ziel zu verwirklichen. Hierunter sind regelmäßig die Fälle zu fassen, bei denen die bevorzugten Aktionäre zugunsten der AG etwas leisten können, wozu den Übergangenen die Fähigkeiten oder Eigenschaften fehlen. cc)

Verhältnismäßigkeit

28 Zu fragen ist schließlich, ob die das Gesellschaftsinteresse verwirklichende Ungleichbehandlung als schonendstes Mittel in einem angemessenen Verhältnis zur Beeinträchtigung der benachteiligten Aktionäre steht. Hierbei ist eine Gesamtabwägung vorzunehmen, bei der auch eine Rolle spielt, ob die aktuell unmittelbar benachteiligten Altaktionäre nicht insgesamt, d. h. nach Verwirklichung des unternehmerischen Konzepts, besser stehen würden als ohne die betreffende Maßnahme.54) Wie bei jeder Generalklausel hängt die Entscheidung sehr vom Einzelfall ab, so dass präzise Aussagen schwer möglich sind. Einen Ausgangspunkt für die Argumentation bietet aber die Formel: Je schwerer der Eingriff in die Mitgliedschaft der Altaktionäre, desto gewichtiger muss das Interesse der Gesellschaft an der Ungleichbehandlung sein.

_____________ 50) Für den Bezugsrechtsausschluss grundlegend – BGH, Urt. v. 13.3.1978 – II ZR 142/76 (Kali & Salz), NJW 1978, 1316; Einzelheiten bei Spindler/Stilz-Servatius, AktG, § 186 Rz. 40 ff. 51) Hierzu ausführlich Servatius, Strukturmaßnahmen als Unternehmensleitung, 2003, S. 33 ff.; ähnlich Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 186 Rz. 26, und Schürnbrand in: MünchKomm-AktG, § 186 Rz. 75 – Förderung des Gesellschaftszwecks i. R. des Unternehmensgegenstands. 52) LG Kiel, Urt. v. 22.5.2008 – 15 O 49/08, BeckRS 2008, 12662. 53) A. A. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 186 Rz. 26; undeutlich Schürnbrand in: MünchKomm-AktG, § 186 Rz. 75; wie hier bereits Martens in: FS Fischer, S. 437, 449 f. 54) Hierzu im Hinblick auf die Treuepflicht bereits – BGH, Urt. v. 20.3.1995 – II ZR 205/94 (Girmes), ZIP 1995, 1415.

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§ 53a

Gleichbehandlung der Aktionäre 6.

Rechtsfolgen bei Verstößen

Der Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz führt zur Rechtswidrigkeit der be- 29 treffenden Maßnahme. Bei den hieraus resultierenden Folgen ist danach zu unterscheiden, welches Organhandeln § 53a verletzt hat. a)

Hauptversammlungsbeschlüsse

Handelt es sich um einen Hauptversammlungsbeschluss, ist er gemäß § 243 Abs. 1 anfecht- 30 bar;55) ein Nichtigkeitsgrund wird hierdurch nicht begründet.56) Eine Heilung der Anfechtbarkeit ist nicht möglich, wohl aber die Bestätigung gemäß § 244. Vorrangig gilt jedoch § 243 Abs. 2. Hiernach scheidet die Anfechtbarkeit wegen der Gewährung eines Sondervorteils an Aktionäre (und Dritte) aus, wenn der Beschluss den benachteiligten Aktionären einen angemessenen Ausgleich für ihren Schaden gewährt. Diese – rechtspolitisch umstrittene – Regelung fokussiert den Aktionärsschutz stark auf die Vermögensinteressen und etabliert letztlich die Möglichkeit eines „dulde und liquidiere“.57) Wird der Ausgleich gewährt,58) entfallen die Rechtswidrigkeit und Anfechtbarkeit des an sich gleichheitswidrigen Beschlusses, was § 53a in Bezug auf nicht vermögensmäßig kompensierbare Folgenachteile erheblich einschränkt. Sind Letztere wesentlich, sollte für die Anwendung von § 243 Abs. 2 kein Raum bestehen. b)

Verwaltungshandeln

Bei Maßnahmen der Verwaltung begründet der Verstoß zunächst einmal die Pflichtwidrig- 31 keit, was bei Verschulden eine Schadensersatzpflicht auslöst. Die hierfür maßgeblichen §§ 93, 116 laufen jedoch zumeist leer, weil es an einem Schaden der AG fehlt. Richtigerweise wollte man in § 53a jedoch ein Schutzgesetz i. S. von § 823 Abs. 2 BGB sehen, so dass auch ein unmittelbarer Schadensersatzanspruch der zurückgesetzten Aktionäre gegen die Verwaltung in Betracht kommt (streitig).59) Ist eine gleichheitswidrige Maßnahme korrigierbar, haben die betreffenden Organe regel- 32 mäßig die Pflicht, dies durchzuführen.60) Darüber hinaus ist auch anerkannt, dass ein gleichheitswidriges Verhalten der Verwaltung Individualansprüche der benachteiligten Aktionäre gegen die AG auslöst, nachträglich gleichgestellt zu werden.61) Dies gilt jedoch nur dann, wenn das Verwaltungshandeln – jenseits des Problems der Gleichbehandlung – rechtmäßig ist bzw. wäre. Im Bereich der verdeckten Gewinnausschüttungen können daher die übergangenen Aktionäre nicht Gleichbehandlung im Unrecht verlangen.62) Vgl. beim Auskunftsrecht § 131 Abs. 4.63) Bei einer gleichheitswidrigen Heranziehung zu Leistungen steht dem Aktionär ein Leistungsverweigerungsrecht zu.64) _____________ 55) RG, Urt. v. 16.9.1927 – II 21/27, DB 1960, 880. 56) Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 53a Rz. 32. 57) Hierzu grundlegend Mülbert, Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt – Die Aktionärsrechte bei Bildung und Umbildung einer Unternehmensgruppe zwischen Verbands- und Kapitalmarktrecht, 1995. 58) Vgl. etwa für die nachträgliche Umwandlung von Vorzugs- in Stammaktien OLG Köln, Urt. v. 20.9.2001 – 18 U 125/01 (Metro), ZIP 2001, 2049 = NZG 2002, 966. 59) Abweichend die h. M., vgl. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 53a Rz. 12; Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 53a Rz. 20; die Frage offenlassend OLG München, Urt. v. 26.5.2010 – 7 U 5707/09, ZIP 2010, 2153 = NZG 2010, 1233. 60) Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 53a Rz. 20. 61) Vgl. Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 53a Rz. 34 – für den Fall der Übergehung bei der Aktienausgabe und die Erteilung der Zustimmung zur Übertragung von Aktien bei Vinkulierung. 62) BGH, Hinweisbeschl. v. 22.10.2007 – II ZR 184/06, AG 2008, 164 = ZIP 2008, 218; Einzelheiten bei Verstößen gegen § 57 bei Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 53a Rz. 35. 63) Hierzu Henn, AG 1985, 240, 244. 64) Vgl. für die Einlageleistung Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 53a Rz. 12.

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§ 53a c)

Gleichbehandlung der Aktionäre Beweislast

33 Die Aktionäre müssen darlegen und beweisen, dass sie ungleich behandelt wurden; die AG muss dann darlegen und beweisen, dass die betreffende Maßnahme gerechtfertigt ist.65) 7.

Gestaltungsfreiheit

34 Der Gleichbehandlungsgrundsatz ist als gesellschaftsrechtliches Strukturprinzip satzungsfest.66) Gleichwohl ist es zulässig, dass die hierdurch geschützten Aktionäre auf § 53a ad hoc verzichten, ausdrücklich oder konkludent.67) Es bedarf hierfür jedoch einer eindeutigen und bestimmten Erklärung; ein pauschaler Verzicht ist wirkungslos.68) Möglich ist auch, den Maßstab der Gleichbehandlung zu ändern;69) richtigerweise ist ein derartiger Beschluss jedoch seinerseits an § 53a messen. 8.

Kasuistik zum Gleichbehandlungsgebot

35 Weiterleitung konkurrierender Angebote zum Erwerb von Aktien;70) nachträgliche Einführung von Höchststimmrechten;71) Ausgabe von Genussrechten an einzelne Aktionäre;72) Umwandlung von Stamm- in Vorzugsaktien;73) Rückerwerb eigener Aktien;74) Bevorzugung von Aktionären i. R. einer Kapitalerhöhung;75) Nachschüsse;76) Zahlung zur Abwehr einer Anfechtungsklage;77) unterschiedliche Leistung der Einlagen bei Kapitalerhöhung;78) nachträgliche Einführung eines Entsenderechts für den Aufsichtsrat;79) Information der Aktionäre;80) Abfindung beim Squeeze out.81) III.

Treuepflicht der Aktionäre

1.

Allgemeines

36 Dass über den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht alle Schutzbedürfnisse und Funktionsdefizite innerhalb eines Personenverbands bewältigt werden können, steht heute außer Streit. Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht ist daher allgemein anerkannt als bewegliche Schranke der Mehrheits- und Minderheitsmacht. Dies gilt auch bei der AG, freilich unter _____________ 65) 66) 67) 68) 69) 70) 71) 72) 73) 74) 75)

76) 77) 78) 79) 80) 81)

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Einzelheiten bei Hüffer in: FS Fleck, S. 151, 154 ff. K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 53a Rz. 39; Henn, AG 1985, 240, 243. Unstreitig, vgl. nur K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 53a Rz. 37. K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 53a Rz. 38. Vgl. OLG Hamm, Urt. v. 31.3.2008 – 8 U 222/07, NZG 2008, 914, 915 = ZIP 2008, 1530, dazu EWiR 2008, 449 (Ogorek). OLG Celle, Urt. v. 19.7.2006 – 9 U 15/06, ZIP 2006, 1768 = NZG 2006, 791; BGH, Hinweisbeschl. v. 22.10.2007 – II ZR 184/06, AG 2008, 164 = ZIP 2008, 218. BGH, Urt. v. 19.12.1977 – II ZR 136/76 (Mannesmann), BGHZ 70, 117 = NJW 1978, 540; BGH, Urt. v. 13.3.1978 – II ZR 142/76 (Kali & Salz), NJW 1978, 1316. BGH, Urt. v. 9.11.1992 – II ZR 230/91, ZIP 1992, 1728 = NJW 1993, 400. OLG Köln, Urt. v. 20.9.2001 – 18 U 125/01 (Metro), ZIP 2001, 2049 = NZG 2002, 966. Paefgen, ZIP 2002, 1509. BGH, Beschl. v. 14.7.1960 – IV ZB 126/60 (Minimax), BGHZ 51, 354; KG Berlin, Beschl. v. 18.5.2010 – 14 AktG/10, ZIP 2010, 1849; OLG Köln, Beschl. v. 13.1.2014 – 18 U 175/13 (Solarworld), ZIP 2014, 263, dazu EWiR 2014, 515 (Niesse); vgl. für die Verteilung nicht ausgeübter Bezugsrechte auch Spindler/Stilz-Servatius, AktG, § 186 Rz. 21. RG, Urt. v. 15.10.1902 – I 131/02, RGZ 52, 287. LG Frankfurt/M., Urt. v. 2.10.2007 – 3-5 O 177/07, ZIP 2007, 2034 = NZG 2007, 949; LG Köln, Urt. v. 12.1.1988 – 3 O 703/87, AG 1988, 349, 350. KG Berlin, Beschl. v. 18.5.2010 – 14 AktG 1/10, ZIP 2010, 1849, dazu EWiR 2010, 627 (Burg/Marx). BGH, Beschl. v. 8.6.2009 – II ZR 111/08 (ThyssenKrupp), ZIP 2010, 36 = DStR 2009, 2547, dazu EWiR 2010, 103 (Nikoleyczik). LG Flensburg, Urt. v. 7.4.2004 – 6 O 17/03, NZG 2004, 677; speziell zu sog. investor relations Leyendecker-Langner, NZG 2015, 44. Vgl. Ruthart, NZG 2015, 1387, 1389; Ruthart, NZG 2014, 972; s. a. Rz. 15.

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§ 53a

Gleichbehandlung der Aktionäre

besonderer Berücksichtigung des gesetzlichen Leitbilds als kapitalmarktorientierte Publikumsgesellschaft.82) Dies erfordert regelmäßig eine schwächere Treuepflichtbindung der Aktionäre als dies innerhalb der GmbH und insbesondere den Personengesellschaften der Fall ist. Zwingend ist dies wegen der möglicherweise personalistischen Realstruktur einer konkreten AG jedoch nicht. Allgemein gilt: Je personalistischer die Gesellschaft desto stärker sind Art und Umfang der Treuepflichtbindung.83) Die Treuepflicht ist eine Generalklausel, deren tatbestandliche und rechtssichere Konkre- 37 tisierung Schwierigkeiten bereitet. Einer allzu ausufernden treuepflichtgestützten Aktionärskontrolle ist jedoch Vorschub zu leisten. Vielmehr ist stets zu bedenken, dass es auch im Gesellschaftsrecht keine allgemeine Billigkeitskontrolle für das Gesellschafterverhalten gibt, sondern die rechtliche Missbilligung eines Verhaltens unter Rückgriff auf die Treuepflicht die begründungsbedürftige Ausnahme bleiben muss. Der Praxis obliegt insofern eine große Argumentationslast, eine Treuepflichtbindung zu bejahen, was im konkreten Einzelfall stets nur im Ausgangspunkt auf die bisher ergangenen Gerichtsentscheidungen gestützt werden kann. Einen Verstoß gegen die europäische Gesellschaftsrechts-Richtlinie84) bedeutet die ausdifferenzierte Treuepflichtbindung im deutschen Recht nicht, denn auch das Gemeinschaftsrecht kennt den Rechtsmissbrauch.85) Zu unterscheiden sind letztlich strukturell drei Möglichkeiten der Treuepflichtbindung: 38 Die Treuepflicht der Aktionäre gegenüber der AG (vertikale Betrachtung, siehe unten Rz. 48 ff.), die Treuepflicht der Aktionäre untereinander (horizontale Betrachtung, siehe unten Rz. 51 f.) und – etwas abweichend begründet – die Treuepflicht der AG gegenüber ihren Aktionären (siehe unten Rz. 61). Ein unmittelbar gläubigerschützender Charakter ist der Treuepflicht richtigerweise nicht zuzubilligen.86) Abzugrenzen ist die hier erörterte gesellschaftsrechtliche Treuepflicht von der – erheblich strengeren – Treue- und Loyalitätspflicht der Organwalter innerhalb des Vorstands und Aufsichtsrats (vgl. hierzu §§ 93, 116).87) 2.

Dogmatische Grundlegung

Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht lässt sich nicht auf § 242 BGB (Rechtsmissbrauch) 39 stützen.88) Der Ausnahmecharakter von §§ 138, 826 BGB verbietet zudem, hierüber die mittlerweile auf die Treuepflicht gestützten Anwendungsfälle methodenehrlich zu stützen. Dogmatische Grundlagen für die Treuepflicht im Gesellschaftsrecht sind daher vielmehr – ähnlich § 53a (siehe oben Rz. 4) – die Mitgliedschaft im Personenverband und die hieraus resultierende Zweckbindung.89) Aus beiden Aspekten resultiert bereits eine Vielzahl spezialgesetzlich ausgestalteter Rechte und Pflichten der Verbandsmitglieder. Diese sind jedoch im Hinblick auf die objektive Funktionsfähigkeit des Verbands und vor allem auch zur Verwirklichung eines sachgerechten (nicht überzogenen!) Minderheitenschutzes zumeist _____________ 82) Überblick zur historischen Entwicklung bei Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 53a Rz. 37. 83) BGH, Urt. v. 1.2.1988 – II ZR 75/87 (Linotype), ZIP 1988, 301; grundlegend Lutter, AcP 180 (1980) 84, 105 ff. 84) Richtlinie (EU) 2017/1132 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 14.6.2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts (Gesellschaftsrechts-Richtlinie), ABl. (EU) Nr. L 169/46 v. 30.6.2017. 85) Vgl. EuGH, Urt. v. 23.3.2000 – C-373/97 (Diamantis), AG 2000, 470, 472 = ZIP 2000, 663. 86) Teilweise abweichend Grigoleit-Grigoleit, AktG, § 1 Rz. 67 ff. 87) Einzelheiten bei Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rz. 113 ff. 88) So aber z. B. Hennrichs, AcP 195 (1995) 221, 228; ebenso die Rspr. bei der Missbilligung missbräuchlicher Anfechtungsklagen; vgl. nur BGH, Urt. v. 22.5.1989 – II ZR 206/88 (Kochs/Adler), ZIP 1989, 980. 89) Zu den verschiedenen weiteren Erklärungsmustern – allgemeiner Grundsatz des Verbandsrechts, Teil der ungeschriebenen Legalordnung, Rechtsprinzip – vgl. nur K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 53a Rz. 42, 46; Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 53a Rz. 37 m. w. N; Grigoleit-Grigoleit, AktG, § 1 Rz. 52 ff.

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§ 53a

Gleichbehandlung der Aktionäre

konkretisierungsbedürftig und teilweise auch lückenhaft.90) Insofern ist es notwendig und konsequent, das Konkretisierungsbedürfnis und die Lückenschließung durch eine systemkohärente Generalklausel zu befriedigen und mittels einer – ihrerseits konkretisierungsbedürftigen! – Treuepflichtbindung eine funktionsfähige Binnenorganisation der AG auszugestalten und fortzuentwickeln.91) Man kann insofern durchaus von einem „treuepflichtgestützten Aktienrecht“ sprechen.92) Ein Verstoß gegen die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht ist im Ausgangspunkt rein objektiv zu bestimmen; die – ggf. rechtlich zu missbilligenden – Motive der Beteiligten können jedoch bei der Interessenabwägung bedeutsam sein. 3.

Funktion

40 Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht wird vornehmlich herangezogen, wenn es darum geht, das Verhalten der Aktionäre inhaltlich zu begrenzen, insbesondere bei der Ausübung ihrer Verwaltungsrechte (rechtsbegrenzende Funktion).93) Insofern geht es zumeist darum, Interessenkonflikte dahingehend zu bewältigen, dass man von den Aktionären eine besondere Loyalität zugunsten der AG oder ihrer Mitaktionäre einfordert. In diesem Sinne ist die Treuepflicht vor allem ein Instrument des Minderheitenschutzes. 41 Darüber hinaus besteht jedoch auch die Möglichkeit, über die Treuepflicht konkrete Handlungspflichten der Minderheit bis hin zum einzelnen Aktionär zu begründen.94) Dies zielt vornehmlich darauf ab, ein Blockadepotential bei unternehmerisch sinnvollen Entscheidungen im Gesellschaftsinteresse zu überwinden, wenn die hiermit verbundenen Folgen für die Treuepflichtgebundenen nicht gravierend sind.95) Dies muss jedoch wegen der allgemein im Zivilrecht geltenden Prämisse, dass Nichtstun keine (negativen) Wirkungen nach sich zieht, eine besonders stark begründungsbedürftige Ausnahme bleiben. Vgl. insoweit auch das Belastungsverbot gemäß § 180. 42 Die Intensität der Treuepflichtbindung hängt nach einhelliger Ansicht auch von der Art des ausgeübten Rechts ab, woraus folgendes Stufenverhältnis folgt:96) Die Treuepflichtbindung ist tendenziell strenger bei der Wahrnehmung der einem Gesellschafter aufgrund Gesellschaftsvertrages eingeräumten Verwaltungsbefugnisse innerhalb der Gesellschaftsorganisation, denn hierbei handelt es sich um uneigennützige Rechte. Dies betrifft insbesondere das Stimmrecht in der Hauptversammlung bei Grundlagenentscheidungen und im Bereich von § 119 Abs. 2 sowie das Anfechtungsrecht. Das Gesellschaftsinteresse hat hier einen pflichtenbegründenden Vorrang gegenüber den Individualinteressen der Gesellschafter, was eine starke Treuepflichtbindung ermöglicht.97) Dies darf wegen der anerkennenswerten rationalen Apathie der Publikumsaktionäre jedoch nicht so weit reichen, dass die individuelle Abstimmung einer generellen Pflichtenkontrolle unterliegt.98) Schwächer ausgeprägt ist die Treuepflicht hin_____________ 90) Ähnlich Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 53a Rz. 36 – Bedürfnis nach „situationsgebundenen Verhaltensanforderungen“. 91) Rechtsvergleichender Überblick bei Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 53a Rz. 46. 92) So für Konzernlagen auch Zöllner, ZHR 162 (1998) 235. 93) Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 53a Rz. 38. 94) Henze/Notz in: GroßKomm-AktG, Anh. § 53a Rz. 82. 95) Grundlegend BGH, Urt. v. 20.3.1995 – II ZR 205/94 (Girmes), ZIP 1995, 1415; OLG München, Beschl. v. 16.1.2014 – 23 AktG 3/13, ZIP 2014, 472; im GmbH-Recht BGH, Urt. v. 12.4.2016 – II ZR 275/14, ZIP 2016, 1220; im Personengesellschaftsrecht auch BGH, Urt. v. 19.10.2009 – II ZR 240/08 (Sanieren oder Ausscheiden), ZIP 2009, 2289 = NJW 2010, 65, dazu EWiR 2009, 739 (Armbrüster). 96) Einzelheiten bei K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 53a Rz. 55, der jedoch zutreffend darauf hinweist, dass diese Kategorisierung oftmals nur einen „ersten Anhalt“ bietet. 97) Grundlegend RG, Urt. v. 27.1.1940 – II 151/39, RGZ 163, 35 – für die Personengesellschaften, jedoch verallgemeinerungsfähig. 98) So auch Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 53a Rz. 53; zum kollektiven Desinteresse und dem hieraus resultierenden Prinzip der Abstimmungsfreiheit allgemein Servatius, Strukturmaßnahmen als Unternehmensleitung, 2003, S. 196 ff.

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Gleichbehandlung der Aktionäre

gegen a priori bei der Wahrnehmung eigennütziger Mitgliedschaftsrechte, z. B. der Geltendmachung von Gewinnansprüchen oder dem Auskunftsrecht gemäß §§ 131, 132.99) Bei diesen Gesellschafterkompetenzen und -rechten besteht kein Vorrang der Zweckbindung, vielmehr ist die Verfolgung von Eigeninteressen grundsätzlich legitim. Die Treuepflicht kann aber auch hier wegen der Gesellschaftsbezogenheit der Rechte eine Schrankenfunktion aufweisen, insbesondere bei rücksichtslosem oder übermäßigem Vorgehen. Schließlich besteht eine aus der Zweckbindung resultierende Einschränkung der Handlungsfreiheit nur ausnahmsweise, wenn es um die Wahrnehmung außergesellschaftsrechtlicher Befugnisse geht. Beispiele hierfür sind Abschluss und Durchführung von Drittgeschäften sowie Wettbewerbsverbote. 4.

Anwendungsbereich

Die Treuepflicht gilt bereits bei der Vorgesellschaft100) und im Liquidationsstadium.101) Sie 43 trifft nur die Aktionäre. Außenstehende können wegen der Grundlegung in der Mitgliedschaft (siehe Rz. 39) nicht einbezogen werden.102) Die AG ist wie jeder Personenverband nach deutschem Recht kein konturenloses Netzwerk von Verträgen, bei denen aufgrund einer funktionalen Betrachtung die Grenzen zwischen shareholder und stakeholder verschwimmen.103) Über § 242 BGB lässt sich zur Kontrolle Dritter jedoch vielfach ebenso ein sachgerechtes Ergebnis begründen wie über die Treuepflicht, insbesondere beim Stimmrechtsvertreter.104) Vormitgliedschaftliche Bindungen künftiger Aktionäre sind aus dem selben Grund ab- 44 zulehnen.105) Umgekehrt ist es jedoch durchaus möglich, dass eine Treuepflichtbindung nach Verlust der Aktionärsstellung nachwirkt, insbesondere beim Wettbewerbsverbot. Eine Treuepflichtbindung sog. mittelbarer Gesellschafter, insbesondere Treugeber, kommt ebenfalls nicht in Betracht;106) wohl aber ist es umgekehrt möglich, bei der Treuepflichtbindung des Aktionärs – Treuhänder, Strohmann – die Stellung und die Absichten des Hintermannes miteinzubeziehen. Beim Alleinaktionär scheidet eine Treuepflichtbindung nach zutreffender Ansicht aus; die Verwirklichung des Gläubigerschutzes muss anderweitig begründet werden.107) Beim faktischen Konzern ist die Treuepflicht des herrschenden Unternehmens(aktionärs) richtigerweise nicht aufgehoben, sondern vielmehr im Lichte von § 311 zu konkretisieren.108)

_____________ 99) Vgl. zu Letzterem LG München I, Beschl. v. 28.5.2010 – 5 HK O 14307/07, ZIP 2010, 2148, dazu EWiR 2011, 103 (Kort). 100) K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 53a Rz. 53. 101) OLG Düsseldorf, Urt. v. 17.2.1994 – 6 U 44/93, NJW-RR 1995, 420. 102) BGH, Urt. v. 20.3.1995 – II ZR 205/94 (Girmes), ZIP 1995, 1415; zur Treuepflicht im Konzern ausführlich Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 53a Rz. 59 ff.; Zöllner, ZHR 162 (1998) 235; Tröger, Treuepflicht im Konzern, 2000. 103) Abweichende Ansätze unter Rückgriff auf die US-amerikanische Literatur bei Eidenmüller, JZ 2001, 1041. 104) Abweichend für eine Einbeziehung in die Treuepflicht aber Marsch-Barner, ZHR 157 (1993) 172, 184; Rose, Stimmrechtsvertretung und Haftung in der Aktiengesellschaft, 2003. 105) Fleischer, NZG 2000, 561, 563; abweichend Weber, Vormitgliedschaftliche Treuebindungen, 1999. 106) Abweichend K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 53a Rz. 51. 107) Vgl. zur GmbH – BGH, Urt. v. 28.9.1992 – II ZR 299/91, ZIP 1992, 1734; K. Schmidt/LutterFleischer, AktG, § 53a Rz. 51; abweichend Burgard, ZIP 2002, 827, 833 ff.; ebenso Grigoleit, Gesellschafterhaftung für interne Einflussnahme im Recht der GmbH, 1999, unter Rückgriff auf das sog. „dezentrale Gewinnziel“, was de lege lata kaum der Konzeption des auf Privatautonomie und Selbstregulierung beruhenden Personenverbandes entspricht – vgl. hierzu Servatius, Strukturmaßnahmen als Unternehmensleitung, 2003, S. 15 ff. 108) Vgl. nur Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 311 Rz. 52.

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Gleichbehandlung der Aktionäre

5.

Treuepflicht der Mehrheit

a)

Allgemeines

45 Dass der Mehrheitsaktionär einer Treuepflicht gegenüber der AG und der Minderheit unterliegt, ist heute dem Grunde nach allgemein anerkannt.109) Gleichwohl darf nicht übersehen werden, dass es sich um eine bewegliche Schranke der Mehrheitsmacht handelt, deren Reichweite nicht rechtssicher begrenzbar ist und daher nach wie vor viel Raum für die gerichtliche Herstellung von Einzelfallgerechtigkeit bietet, vor allem auf der Grundlage einer umfassenden Interessenabwägung. Der hiermit verbundenen Rechtsunsicherheit kann letztlich nur durch eine überzeugende Argumentation im Einzelfall begegnet werden, die darlegt, dass die Mehrheit die gebotene Rücksichtnahme auf die Interessen der Minderheit ohne Treuepflichtbindung nicht mehr gewährleisten würde. 46 Im Kern geht es hierbei nicht zwingend darum, die konkrete Minderheit zu schützen (Individualschutz). Die Treuepflicht der Mehrheit verwirklicht vielmehr auch einen objektiven Funktionenschutz. Damit das Vertrauen der (potentiellen) Anleger insgesamt in die Aktienanlage gestärkt wird, kann unabhängig von der konkreten Schutzbedürftigkeit der aktuell vorhandenen Minderheitsaktionäre nicht jedes rücksichtslose Verhalten innerhalb der AG als kapitalmarktoffenem Verband zugelassen werden.110) Zur hiermit verbundenen Frage der Gestaltungsfreiheit bei der Treuepflicht siehe Rz. 60. 47 Umgekehrt betrachtet ist es i. R. der Treuepflicht der Mehrheit auch nicht notwendig, dem oder den einzelnen, die Beschlussfassung durch ihre Stimmabgabe herbeiführenden Aktionären ein konkretes Fehlverhalten vorzuwerfen. Insbesondere i. R. der materiellen Beschlusskontrolle (siehe Rz. 49 f.) kann auch die Zufallsmehrheit einer Treuepflichtbindung unterliegen, mithin das Beschlussergebnis eine rechtliche Missbilligung erfahren, ohne dass die Einzelnen pflichtwidrig oder gar schuldhaft gehandelt hätten.111) In der Praxis dürfte dies jedoch die Ausnahme sein, so dass die Treuepflicht der Mehrheit regelmäßig die rechtliche Missbilligung des konkreten Verhaltens eines wirkungsmächtigen Großaktionärs oder einer entsprechenden Aktionärsgruppe (Stimmbindung, acting in concert) ist. b)

Treuepflicht gegenüber der AG

48 Die AG hat kein von ihren Aktionären emanzipiertes Eigeninteresse. Wenn es allgemein heißt, dass die Mehrheit sich aufgrund der Treuepflicht nicht rücksichtslos über das im Gesellschaftszweck aggregierte gemeinsame Interesse am Erfolg der AG hinwegsetzen darf,112) werden hierüber letztlich allein die Interessen der Minderheit geschützt.113) Gleichwohl erfolgt die dogmatische Konstruktion dieses Schutzes „übers Eck“, indem zu fragen ist, ob das konkret in Rede stehende Verhalten der Gesellschaftermehrheit mit dem im Gesellschaftszweck vereinten gemeinsamen Interesse korrespondiert oder nicht. Insofern ist die Treuepflicht der Mehrheit gegenüber der AG untrennbar mit der Zweckbindung des Aktionärsverhaltens verbunden. Sofern sich bereits im Verhältnis zwischen Mehrheitsaktionär und AG über die Treuepflicht sachgerechte Ergebnisse erzielen lassen, die reflexiv _____________ 109) Zur Treuepflicht gegenüber der AG bereits RG, Urt. v. 22.1.1935 – II 198/34, RGZ 146, 385; BGH, Urt. v. 9.6.1954 – II ZR 70/55, BGHZ 14, 25; zur Treuepflicht gegenüber den Mitaktionären grundlegend BGH, Urt. v. 1.2.1988 – II ZR 75/87 (Linotype), ZIP 1988, 301; zuvor bereits Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden, 1963, S. 335; Lutter, JZ 1976, 225. 110) Hierzu ausführlich Servatius, Strukturmaßnahmen als Unternehmensleitung, 2003, S. 183 ff. 111) Hüffer in: FS Heinsius, S. 337, 350; dies offenlassend BGH, Urt. v. 20.3.1995 – II ZR 205/94 (Girmes), ZIP 1995, 1415. 112) Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 53a Rz. 49. 113) Lutter, ZHR 162 (1998) 164, 183.

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Gleichbehandlung der Aktionäre

die Minderheit ausreichend schützen, besteht für die Heranziehung der Treuepflicht gegenüber der Minderheit (horizontale Betrachtung, siehe sogleich Rz. 51 f.) kein Bedarf. Die Treuepflicht der Aktionäre gegenüber der AG hat somit einen Vorrang gegenüber der Treuepflicht der Aktionäre untereinander. In der bisherigen Rechtsprechung und Literatur wird dies nicht hinreichend deutlich. Der über die Treuepflicht ermöglichte Minderheitenschutz variiert je nachdem, auf welches 49 Recht sich die Mehrheit bei der Wahrnehmung ihrer Kompetenzen berufen kann (zur Differenzierung von eigennützigen und uneigennützigen Rechten siehe oben Rz. 42). Die bisher von der Rechtsprechung beurteilten Fälle ergeben folgende Kasuistik für eine Kontrolle der Mehrheitsmacht anhand der Treuepflicht gegenüber der AG: –

Auflösungsbeschluss;114)



Kapitalherabsetzung;115)



Wettbewerbsverbot des Mehrheitsaktionärs;116)



Wahl des Abschlussprüfers;117)



Entlastung des Vorstands;118)



Festsetzung einer Abfindung.119)

Letztlich auf der Treuepflicht beruhend, jedoch nahezu ein geschlossenes System für die 50 Beurteilung der beweglichen Schranken der Mehrheitsmacht, ist die materielle Beschlusskontrolle. Hiernach werden bestimmte Hauptversammlungsbeschlüsse – insbesondere beim Bezugsrechtsausschluss120) – auf ihre inhaltliche Rechtmäßigkeit hin untersucht, um hierüber einen gesetzlich nicht ausreichend bedachten Minderheitenschutz zu gewährleisten (Einzelheiten bei § 243). c)

Treuepflicht gegenüber der Minderheit

Lässt sich der gebotene Funktions- und Minderheitenschutz nicht über eine Verletzung der 51 Treuepflicht gegenüber der AG begründen (siehe Rz. 48 ff.), besteht subsidiär auch die Möglichkeit, die Mehrheitsmacht durch ein Gebot zur Rücksichtnahme unmittelbar gegenüber den Mitaktionären einzuschränken (horizontale Betrachtung).121) Im Kern geht es hierbei darum, die Auswirkungen einer Maßnahme auf die individuellen, gesellschaftsbezogenen Belange der Mitaktionäre zum Gegenstand einer umfassenden Interessenabwägung zu machen. Der über die Treuepflicht ermöglichte Minderheitenschutz variiert auch hier, je nachdem, auf 52 welches Recht sich die Mehrheit bei der Wahrnehmung ihrer Kompetenzen berufen kann (zur Differenzierung von eigennützigen und uneigennützigen Rechten siehe Rz. 42). Der praktische Bedarf für die Treuepflicht gegenüber der Minderheit dürfte jedoch wegen des Vorrangs _____________ 114) 115) 116) 117) 118) 119) 120) 121)

BGH, Urt. v. 1.2.1988 – II ZR 75/87 (Linotype), ZIP 1988, 301. BGH, Urt. v. 5.7.1999 – II ZR 126/98 (Hilgers), ZIP 1999, 1444. K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 53a Rz. 56. BGH, Urt. v. 23.9.1991 – II ZR 189/90, ZIP 1991, 1427 = AG 1992, 58; BGH, Urt. v. 25.11.2002 – II ZR 49/01 (HypoVereinsbank) ZIP 2003, 290, dazu EWiR 2003, 199 (Bayer/Fischer). BGH, Urt. v. 25.11.2002 – II ZR 133/01 (Macrotron), BGHZ 153, 47 = ZIP 2003, 387. Vgl. zu § 305 LG Berlin, Urt. v. 13.11.1995 – 99 O 126/95, AG 1996, 230, 232. Vgl. Spindler/Stilz-Servatius, AktG, § 186 Rz. 40 ff. Grundlegend BGH, Urt. v. 1.2.1988 – II ZR 75/87 (Linotype), ZIP 1988, 301; zuvor bereits Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden, 1963, S. 335; Lutter, JZ 1976, 225; aus der Rspr. weiterhin BGH, Urt. v. 20.3.1995 – II ZR 205/94 (Girmes), ZIP 1995, 1415; BGH, Urt. v. 1.2.1988 – II ZR 75/87 (IBH), ZIP 1988, 301; BGH, Urt. v. 5.7.1999 – II ZR 126/98 (Hilgers), ZIP 1999, 1444.

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der Treuepflichtkontrolle im Verhältnis zur AG gering sein, zumal bei der horizontalen Betrachtung regelmäßig auch der Gleichbehandlungsgrundsatz adäquate Lösungen bietet. 6. Treuepflicht der Minderheit 53 Die Treuepflicht der Minderheit ist auch bei der AG allgemein anerkannt.122) Im Prinzip muss auch hier differenziert werden zwischen der Treuepflicht gegenüber der AG (vertikale Betrachtung) und der Treuepflicht gegenüber den Mitaktionären (horizontale Betrachtung). In Rechtsprechung und Literatur wird jedoch vornehmlich Letztere erörtert und ggf. bejaht, was wegen des bereits bei der Treuepflicht des Mehrheitsaktionärs erörterten Vorrangs der vertikalen Betrachtung nicht überzeugt (siehe Rz. 48). Rücksichtsloses Verhalten in Form einer Blockade muss vielmehr auch bei der Minderheit vorrangig anhand der Zweckbindung gegenüber der AG bewertet werden. Letztlich wurde dies in der GirmesEntscheidung auch anerkannt, freilich vordergründig auf die Treuepflicht gegenüber der Mehrheit gestützt. Die Minderheit unterliegt daher nicht etwa Zustimmungspflichten, um die Interessen der Mehrheit zu wahren. Dies ist vielmehr erforderlich, damit das überindividuelle Gesellschaftsinteresse verwirklicht werden kann. 54 Weiterhin gilt wie bei der Kontrolle der Mehrheitsmacht, dass eine treuepflichtgestützte Korrektur des Verhaltens der Minderheit nicht zwingend einen einzelnen Gesellschafter oder eine durch Stimmbindungsvertrag oder lose Abstimmung (acting in concert) gekennzeichnete Aktionärsgruppe123) mit entsprechender Sperrminorität trifft. Auch die Zufallsblockade, d. h. die weder rechtlich noch tatsächlich konzertierte Ablehnung durch die betreffenden Aktionäre, ermöglicht es, das Beschlussergebnis durch entsprechende Zustimmungspflichten bzw. die Irrelevanz der ablehnenden Stimmen unter dem Aspekt der Treuepflicht zu korrigieren (zu den Rechtsfolgen im Einzelnen siehe Rz. 56 ff.).124) Dies rechtfertigt sich durch die Notwendigkeit der Treuepflicht als objektive Funktionsvoraussetzung für eine auch für uninformierte Anleger attraktive Aktienanlage. Immerhin wird hierüber das Risiko von Fehlentscheidungen minimiert, was letztlich allen (potentiellen) Aktionären nützt.125) Hiervon abzugrenzen ist freilich die Frage, ob sich auch diese bloß im Beschlussergebnis vereinten Aktionäre schadensersatzpflichtig machen, was regelmäßig zu verneinen ist. 55 Die Anforderungen, dass eine nach dem Vorgesagten als Minderheit zu charakterisierende Aktionärsgruppe sich treuepflichtwidrig verhält, sind sehr hoch – und wegen des gerade auf die nur kapitalmäßig beteiligten Publikumsaktionäre zugeschnittenen Prinzips der Abstimmungsfreiheit126) auch viel höher als für die Aktionärsmehrheit. Allgemein gilt in Anlehnung an die vom BGH in der Girmes-Entscheidung aufgestellte Formel, dass eine Treuepflichtbindung der Minderheit mit den korrespondierenden Rechtsfolgen nur dann angenommen werden kann, wenn dies für den Fortbestand der AG notwendig ist und die negativen Folgen dieser Bindung für die Minderheit in einem angemessenen Verhältnis stehen.127) Der der ökonomischen Theorie entlehnten Vorgabe, die Aktionäre dürften infolge der Treuepflichtbindung nicht schlechter gestellt werden,128) ist nicht zu folgen.129) Im Ein_____________ 122) Grundlegend BGH, Urt. v. 20.3.1995 – II ZR 205/94 (Girmes), ZIP 1995, 1415; zur Entwicklung K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 53a Rz. 49. 123) Hierzu BGH, Urt. v. 20.3.1995 – II ZR 205/94 (Girmes), ZIP 1995, 1415. 124) So auch K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 53a Rz. 50; abweichend wohl Dreher, ZHR 157 (1993) 150, 158; die Frage offenlassend BGH, Urt. v. 20.3.1995 – II ZR 205/94 (Girmes), ZIP 1995, 1415. 125) Hierzu ausführlich unter Betonung der Vorstandsverantwortung Servatius, Strukturmaßnahmen als Unternehmensleitung, 2003, S. 183 ff. 126) Servatius, Strukturmaßnahmen als Unternehmensleitung, 2003, S. 219 ff. 127) Vgl. OLG Stuttgart, Urt. v. 23.7.2003 – 20 U 5/03, AG 2003, 588, 590 = ZIP 2003, 2024, dazu EWiR 2004, 45 (Wilhelm); OLG München, Beschl. v. 16.1.2014 – 23 AktG 3/13, ZIP 2014, 472. 128) Kritische Auseinandersetzung mit der rechtlichen Bedeutung von Pareto-Effizienz und Kaldor-/HicksKriterium im deutschen Recht bei Servatius, Gläubigereinfluss durch Covenants, S. 265 ff. 129) So aber letztlich BGH, Urt. v. 20.3.1995 – II ZR 205/94 (Girmes), ZIP 1995, 1415.

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zelfall muss es auch Raum geben, eine Schlechterstellung der Minderheitsaktionäre zum Wohl der AG zu rechtfertigen. 7.

Rechtsfolgen bei Verletzung der Treuepflicht

Die Rechtsfolgen bei Verletzung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht sind auf die be- 56 treffenden Maßnahmen abzustimmen. a)

Beschlussanfechtung

Treuepflichtwidrige Hauptversammlungsbeschlüsse sind gemäß § 243 Abs. 1 anfechtbar.130) 57 Bei der dogmatischen Begründung dieses Ergebnisses ist jedoch zu differenzieren: Beruht der Treuepflichtverstoß auf einem individuell vorwerfbaren Abstimmungsverhalten, ist bereits die einzelne Stimmabgabe treuepflichtwidrig, was eine Nichtberücksichtigung dieser Stimmen für das Beschlussergebnis nach sich zieht.131) Dies wird regelmäßig der Fall sein, wenn eine gefestigte Aktionärsmehrheit oder -minderheit aus rechtlich zu missbilligenden Motiven rücksichtslos handelt. Der Beschluss ist in solchen Fällen regelmäßig nicht mit der erforderlichen Mehrheit zustande gekommen. In den Fällen, in denen jedoch bereits der Beschlussinhalt als solches rechtlich zu missbilligen ist, vor allem bei der materiellen Beschlusskontrolle (siehe oben Rz. 49 f.), gelangt man auch ohne Rückgriff auf das individuelle Abstimmungsverhalten Einzelner zur Anfechtbarkeit. Bestehen ausnahmsweise Zustimmungspflichten, kann die Beschlussmängelklage mit einem Antrag auf positive Beschlussfeststellung verbunden werden.132) Die Beweislast trifft denjenigen, der sich auf die Treuepflichtwidrigkeit einer Maßnahme beruft, regelmäßig also den Aktionär. Wegen seiner materiellen Beschlussverantwortung ist jedoch auch der Vorstand verpflichtet, über § 245 Nr. 4 gegen den rechtswidrig gefassten Beschluss vorzugehen.133) b)

Unterlassungsansprüche

Bei sonstigem Handeln begründet die Treuepflicht vor allem auch Unterlassungsansprüche, 58 insbesondere bei Verletzung eines Wettbewerbsverbots.134) Diese Ansprüche können im Wege der actio pro socio auch von einzelnen Aktionären durchgesetzt werden.135) Man sollte jedoch überlegen, die §§ 147 f. hierauf entsprechend anzuwenden. Eine missbräuchliche, d. h. treuepflichtwidrig erhobene Anfechtungsklage, ist unbegründet.136) Der betreffende Aktionär macht sich ggf. gegenüber der AG Schadensersatzpflichtig.137) c)

Schadensersatz

Schadensersatzansprüche einzelner Aktionäre gegenüber der AG bzw. den Mitaktionären 59 sind über § 280 BGB grundsätzlich denkbar.138) Insofern ist jedoch heftig umstritten, welcher _____________ 130) Grundlegend BGH, Urt. v. 1.2.1988 – II ZR 75/87 (Linotype), ZIP 1988, 301; abweichend für Nichtigkeit gläubigerschädigender Beschlüsse Grigoleit-Grigoleit, AktG, § 1 Rz. 75. 131) OLG Stuttgart, Urt. v. 8.10.1999 – 20 U 59/99, AG 2000, 369, 371; BGH, Urt. v. 9.11.1987 – II ZR 100/87, ZIP 1988, 22, 24 – zur GmbH. 132) K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 53a Rz. 64. 133) Einzelheiten bei Servatius, Strukturmaßnahmen als Unternehmensleitung, 2003, S. 330 ff. 134) K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 53a Rz. 69. 135) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 53a Rz. 19. 136) BGH, Urt. v. 15.6.1992 – II ZR 173/91, ZIP 1992, 1392; zur Unzulässigkeit einer missbräuchlich erhobenen Nichtigkeitsklage aber OLG Stuttgart, Urt. v. 10.1.2001 – 20 U 91/99, AG 2001, 315, 316 = ZIP 2001, 650; zum Ganzen Szalai, DStR 2008, 358. 137) Vgl. OLG Hamburg, Urt. v. 20.10.2010 – 11 U 127/09, ZIP 2011, 126 = WM 2011, 409. 138) Grigoleit-Grigoleit, AktG, § 1 Rz. 76.

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Verschuldensmaßstab hierfür gilt. Während einige sich für die Geltung der allgemeinen zivilrechtlichen Regeln gemäß § 276 BGB aussprechen,139) wird überwiegend eine Beschränkung der Haftung auf Vorsatz140) bzw. Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit vertreten.141) Letzterem ist zu folgen. Die Haftung bereits für leichte Fahrlässigkeit würde die Funktionsfähigkeit der AG zu sehr lähmen, weil die Aktionäre stets eine Haftung befürchten müssten (vgl. auch § 708 BGB).142) Die Beschränkung auf eine Vorsatzhaftung überzeugt nicht, weil es anders als gemäß § 117 Abs. 7 Nr. 1 a. F. hierfür keine Stütze im Gesetz gibt und die Hürde für eine effektive, d. h. abschreckende Schadensersatzhaftung wegen der Beweisprobleme zu hoch läge. Die Aktionäre haften daher bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit. Insofern gilt die Beweislastregel gemäß § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB.143) Die Aktionäre müssen sich daher bei erwiesener Pflichtwidrigkeit exkulpieren. Die Beschlussanfechtung hat regelmäßig Vorrang vor der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen.144) Auch können Aktionäre nur solche Schäden ersetzt verlangen, die nicht bereits eine Änderung des Gesellschaftsvermögens hervorgerufen haben (Reflexschadensproblematik). Vgl. zur Schadensersatzhaftung in diesem Kontext auch § 117. 8.

Gestaltungsfreiheit

60 Sieht man wie hier in der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht ein objektives Strukturprinzip der AG, welches ihre Attraktivität für künftige Anleger ausmacht, ist es konsequent, dass gemäß § 23 Abs. 5 eine Abbedingung der Treuepflichtbindung unzulässig ist.145) Dies gilt gleichermaßen für eine Abbedingung im Einzelfall (streitig).146) Eine – deklaratorische – Aufnahme der Treuepflichtbindung in die Satzung ist zulässig; etwas anderes gilt aber, wenn die Satzungsregelung geeignet ist, die Treuepflicht bereits dem Anschein nach inhaltlich zu verändern.147) IV.

Treuepflicht der AG

61 Auch die AG unterliegt einer Treuepflicht gegenüber ihren Aktionären. Diese zielt darauf, die effektive Wahrnehmung der Gesellschafterrechte zu ermöglichen.148) Der praktische Anwendungsbereich dürfte wegen des weitgehend durchorganisierten Binnenrechts jedoch gering sein, insbesondere wenn es um die Informationsgewährung geht. In Extremfällen kann sich jedoch aus der Treuepflicht der AG ein außerordentliches Informationsrecht ergeben, z. B. i. R. einer due diligence im Vorfeld der Aktienveräußerung.149)

_____________ 139) Grigoleit-Grigoleit, AktG, § 1 Rz. 78, unter Hinweis auf eine rollenspezifische Anpassung von § 276 BGB, was letztlich ebenfalls auf eine Beschränkung der Fahrlässigkeitshaftung hinausläuft. 140) Für die Stimmabgabe BGH, Urt. v. 20.3.1995 – II ZR 205/94 (Girmes), ZIP 1995, 1415. 141) Wohl Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 53a Rz. 21; Überblick über das Meinungsspektrum bei K. Schmidt/ Lutter-Fleischer, AktG, § 53a Rz. 70 m. w. N. 142) Zur Abstimmungsfreiheit ausführlich Servatius, Strukturmaßnahmen als Unternehmensleitung, 2003, S. 219 ff. 143) Grigoleit-Grigoleit, AktG, § 1 Rz. 76. 144) BGH, Urt. v. 20.3.1995 – II ZR 205/94 (Girmes), ZIP 1995, 1415. 145) So auch Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 53a Rz. 18. 146) A. A. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 53a Rz. 19; K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 53a Rz. 60. 147) Zum Ganzen Kindler in: FS Spiegelberger, S. 778, 784 ff. 148) Vgl. BGH, Urt. v. 19.9.1994 – II ZR 248/92 (BMW), ZIP 1994, 1597. 149) Einzelheiten bei Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 53a Rz. 170 f.

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§ 54

Hauptverpflichtung der Aktionäre

§ 54 Hauptverpflichtung der Aktionäre (1) Die Verpflichtung der Aktionäre zur Leistung der Einlagen wird durch den Ausgabebetrag der Aktien begrenzt. (2) Soweit nicht in der Satzung Sacheinlagen festgesetzt sind, haben die Aktionäre den Ausgabebetrag der Aktien einzuzahlen. (3) 1Der vor der Anmeldung der Gesellschaft eingeforderte Betrag kann nur in gesetzlichen Zahlungsmitteln oder durch Gutschrift auf ein Konto bei einem Kreditinstitut oder einem nach § 53 Abs. 1 Satz 1 oder § 53b Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 7 des Gesetzes über das Kreditwesen tätigen Unternehmen der Gesellschaft oder des Vorstands zu seiner freien Verfügung eingezahlt werden. 2Forderungen des Vorstands aus diesen Einzahlungen gelten als Forderungen der Gesellschaft. (4) 1Der Anspruch der Gesellschaft auf Leistung der Einlagen verjährt in zehn Jahren von seiner Entstehung an. 2Wird das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft eröffnet, so tritt die Verjährung nicht vor Ablauf von sechs Monaten ab dem Zeitpunkt der Eröffnung ein. Literatur: Becker, Aktienrechtliches und handelsrechtliches Agio, NZG 2003, 510; Jacobsen/ Knott, Die Verpflichtung des (Belegschafts-)Aktionärs zur Rückübertragung seiner Aktie, NZG 2014, 372; Lüssow, Das Agio in GmbH- und Aktienrecht, 2005; Priester, Schuldrechtliche Zusatzleistungen bei Kapitalerhöhung im Aktienrecht, in: Festschrift für Volker Röhricht, 2005, S. 467; Servatius, Die besondere Zweckbindung des Stammkapitals bei Drittgeschäften mit Gesellschaftern, DStR 2004, 1176; Thiessen, Zur Neuregelung der Verjährung im Handels- und Gesellschaftsrecht, ZHR 168 (2004) 503; Voigt, Leistung der Hafteinlage des Kommanditisten in einer Fremdwährung, NZG 2008, 933; Weitnauer, Der Beteiligungsvertrag, NZG 2001, 1065.

Übersicht I. Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt .................................................. 1 II. Die Einlagepflicht (§ 54 Abs. 1) ...... 2 1. Schuldner ............................................ 2 2. Gläubiger ............................................. 3 3. Höhe ................................................... 4 a) Ausgabe zum Nennbetrag ........... 5 b) Überpariemission ......................... 6 c) Schuldrechtliches Agio ................ 7 4. Nachschusspflicht .............................. 9 III. Vorrang der Bareinlage (§ 54 Abs. 2) ..................................... 11 I.

IV. Erfüllung der Einlagepflicht (§ 54 Abs. 3) ..................................... 1. Regelungsbereich ............................. 2. Leistungsmodalitäten ....................... a) Barzahlung oder Kontogutschrift .................................... b) Zur freien Verfügung des Vorstands .................................... c) Rechtsfolgen bei Verstößen ...... d) Beweislast ................................... V. Verjährung der Einlagepflicht (§ 54 Abs. 4) .....................................

12 12 14 14 17 19 20 21

Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt

Die Regelung gehört trotz ihrer systematischen Stellung zum Recht der Kapitalaufbrin- 1 gung; sie gilt auch bei einer Kapitalerhöhung. § 54 Abs. 1 begrenzt die Einlagepflicht der Aktionäre bei Übernahme von Aktien auf den Ausgabebetrag. Es besteht daher auch bei der AG keine Nachschusspflicht, was – letztlich im gesamten Kapitalgesellschaftsrecht – ein wichtiger Aspekt der gesetzlich legitimierten Risikobegrenzung ist. Freiwillige, zumeist schuldrechtliche Abweichungen hiervon sind indessen in der Praxis insbesondere bei professionellen Investoren durchaus bedeutsam (siehe hierzu unten Rz. 10 und § 55 Rz. 9). § 54

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§ 54

Hauptverpflichtung der Aktionäre

Abs. 2 begründet den Vorrang der Bareinlage, d. h. auf die übernommenen Aktien ist eine entsprechende Geldleistung zu entrichten, soweit nicht zulässig eine Sacheinlage vereinbart wurde. § 54 Abs. 3 nennt Modalitäten für die Erbringung der Bareinlagen und sichert so die reale Kapitalaufbringung. § 54 Abs. 4 regelt die Verjährung von Einlageforderungen. II.

Die Einlagepflicht (§ 54 Abs. 1)

1.

Schuldner

2 Schuldner der Einlagepflicht i. S. von § 54 sind die Aktionäre gemäß ihrer jeweiligen Aktienübernahme (§§ 23 Abs. 2 Nr. 2, 28, 29) bzw. bei der Kapitalerhöhung gemäß der Zeichnung (vgl. § 185). Die Eintragung der AG bzw. Kapitalerhöhung ins Handelsregister ist für die Wirksamkeit der rechtsgeschäftlichen Verpflichtung nicht notwendig.1) Bei der Kapitalerhöhung ist aber die Unverbindlichkeit der Zeichnung gemäß § 185 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 zu beachten (siehe § 185 Rz. 18). Bei Namensaktien gilt der im Aktienregister eingetragene Aktionär als Einlageschuldner (§ 67 Abs. 2).2) Steht eine Aktie mehreren gemeinschaftlich zu, sind sie gemäß § 69 Abs. 2 als Gesamtschuldner zur Leistung verpflichtet. Die Einlagepflicht ist untrennbar mit der Mitgliedschaft verbunden (Abspaltungsverbot, vgl. § 8 Abs. 5). Wird die Aktie übertragen, schuldet der Erwerber die hierin verkörperte (Rest-)Leistung (vgl. zur Zahlungspflicht früherer Aktieninhaber § 65).3) Schuldner der Sacheinlage ist allein der Inferent, ein späterer Erwerber schuldet entsprechend § 54 Abs. 2 nur Zahlung.4) Eine Ausfallhaftung der Mitaktionäre gibt es abweichend von der GmbH (vgl. § 24 GmbHG) nicht. Soweit die Einlagepflicht nicht vollständig erfüllt ist, hat dies Auswirkungen auf das Stimmrecht (§ 134 Abs. 2), die Gewinnverteilung (§ 60 Abs. 2), die Teilhabe an einem Liquidationsüberschuss (§ 271 Abs. 3); zudem besteht die Möglichkeit der Kaduzierung gemäß § 64. 2.

Gläubiger

3 Gläubiger der Mindesteinlagen bei Gründung ist die Vor-AG;5) § 54 Abs. 3 Satz 2 ist wegen der heute anerkannten Rechtsfähigkeit der Vor-AG überholt. Die Resteinlagen bzw. die Leistung für die Übernahme von Aktien i. R. einer Kapitalerhöhung sind an die AG zu leisten. § 188 Abs. 2 Satz 2 stellt dies für die Kapitalerhöhung ausdrücklich klar. Eine Abtretung der Einlageforderung durch die AG ist möglich, nach zutreffender h. M. jedoch nur gegen den Erhalt einer vollwertigen Gegenleistung (Einzelheiten siehe bei § 66 Rz. 9). Zum Verbot der schuldbefreienden Leistung an Dritte gemäß § 54 Abs. 3 siehe unten Rz. 16. 3.

Höhe

4 § 54 Abs. 1 begrenzt die Einlagepflicht der Aktionäre aus der Aktienübernahme (§ 23 Abs. 2 Nr. 2) bzw. Zeichnung (§ 185) auf den Ausgabebetrag gemäß § 9 Abs. 1. Dies gilt auch bei der Einbringung von Sacheinlagen.6) Im Hinblick auf die für § 54 Abs. 1 maßgebliche Höhe sind verschiedene Gestaltungen zu unterscheiden:

_____________ 1) 2) 3) 4) 5) 6)

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K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 54 Rz. 4; vgl. auch OLG Nürnberg, Urt. v. 28.2.1967 – 7 U 169/66, AG 1967, 362, 363. K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 54 Rz. 10. Ausführlich zur beschränkten Möglichkeit des gutgläubigen lastenfreien Erwerbs von Aktien Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 54 Rz. 13 ff. K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 54 Rz. 13. Vgl. BGH, Urt. v. 23.10.2006 – II ZR 162/05, ZIP 2006, 2267, dazu EWiR 2007, 289 (Krolop). K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 54 Rz. 7.

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§ 54

Hauptverpflichtung der Aktionäre a)

Ausgabe zum Nennbetrag

Im gesetzlichen Regelfall ist der Ausgabebetrag der Nennbetrag bzw. bei Stückaktien der auf 5 die einzelne Stückaktie entfallende anteilige Betrag am Grundkapital (sog. geringster Ausgabebetrag, vgl. § 9 Abs. 1). Die Aktienausgabe zu einem niedrigeren Betrag (UnterpariEmission) ist unzulässig.7) Als Mindesteinlage ist auf den geringsten Ausgabebetrag – soweit keine Sacheinlagen festgesetzt sind – gemäß §§ 36 Abs. 2, 36a Abs. 1 bereits vor der Registereintragung der AG mindestens ein Viertel zu leisten; bei der Kapitalerhöhung gilt dies gleichermaßen.8) Die geleistete Einlage ist gemäß § 266 Abs. 3 A. I. HGB als „gezeichnetes Kapital“ zu passivieren; ausstehende Resteinlagen sind hiervon gemäß § 272 Abs. 1 Satz 2 HGB offen abzusetzen. Die nicht geleisteten Resteinlagen werden gemäß § 63 Abs. 1 fällig; auf sie kann die AG nicht verzichten (§ 66). b)

Überpariemission

Ein höherer Ausgabebetrag (sog. korporatives Agio) kann bei der Gründung einvernehm- 6 lich festgesetzt werden bzw. im Kapitalerhöhungsbeschluss (vgl. § 182 Abs. 3). Hierzu besteht regelmäßig beim Bezugsrechtsausschluss ein Bedürfnis (vgl. § 255 Abs. 2). Wurde ein höherer Ausgabebetrag vereinbart, haben die betreffenden Gründer bzw. Zeichner aufgrund ihrer gewollten Beteiligung diesen zwingend zu leisten (§ 66). Für die Mindesteinlagen vor Eintragung gilt jedoch eine gespaltene Lösung: Während der auf den geringsten Ausgabebetrag anfallende Teil gemäß §§ 36 Abs. 2, 36a Abs. 1 nur zu einem Viertel einzuzahlen ist, wird das korporative Agio gemäß § 36a Abs. 1 sofort vollständig fällig. Der den geringsten Ausgabebetrag übersteigende Teil der Einlage wird gemäß § 272 Abs. 2 Nr. 1 HGB in die Rücklagen eingestellt und unterliegt gemäß § 150 besonderen Ausschüttungssperren. c)

Schuldrechtliches Agio

Die Gründer bzw. Zeichner können darüber hinaus auch vereinbaren, dass Zuzahlungen auf- 7 grund einer besonderen Abrede an die Gesellschaft zu leisten sind (sog. schuldrechtliches Agio).9) Eine gesetzliche Pflicht hierzu besteht gemäß § 54 Abs. 1 nicht. Bilanziell handelt es sich hierbei – sofern gewollt – um Leistungen in das Eigenkapital gemäß § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB. Es kann sich hierbei jedoch auch um eine Darlehensgewährung handeln (sog. gesplittete Einlagen). Der Eigenkapitalcharakter solcher Leistungen darf nicht unterstellt werden, selbst wenn die Regelung in die Satzung aufgenommen wurde (Gefahr der unzulässigen Fiktion!).10) Derartige Abreden sind gemäß §§ 133, 157 BGB subjektiv auszulegen.11) Auch eine (zwingende) gesetzliche Umqualifizierung derartiger Versprechen oder Leis- 8 tungen in gebundenes Eigenkapital findet außerhalb der Insolvenz richtigerweise nicht statt (vgl. insofern auch § 57 Abs. 1 Satz 4). Hieraus folgt, dass die gesetzlichen Kapitalaufbringungsregeln und das Verbot der Einlagenrückgewähr nur (zur Lückenfüllung entsprechend) gelten, wenn die Parteien den hierfür notwendigen Eigenkapitalcharakter auch woll-

_____________ 7) Vgl. OLG Hamburg, Urt. v. 29.10.1999 – 11 U 71/99, AG 2000, 326, 327. 8) Einzelheiten bei Spindler/Stilz-Servatius, AktG, § 188 Rz. 42 ff. 9) Eingehend Lüssow, Das Agio in GmbH- und Aktienrecht; vgl. auch K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 54 Rz. 17 f. und 29 ff. 10) Eingehend Servatius, Gläubigereinfluss durch Covenants, S. 411 ff.; zur freiwilligen Dotierung der Rücklagen gemäß § 272 Abs. 2 Nr. 1 HGB durch solche Leistungen Weitnauer, NZG 2001, 1065, 1067. 11) Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 54 Rz. 33, möglicherweise abweichend jedoch bei Rz. 37; Hüffer//Koch-Koch, AktG, § 54 Rz. 8.

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ten.12) Lediglich in der Insolvenz der AG kommt es zum Nachrang sämtlicher Gesellschafterleistungen gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO. Einzelheiten siehe Anhang zu § 57 Rz. 8 ff. Der Praxis ist wegen der unterschiedlichen Behandlung der Gesellschafterbeiträge dringend zu raten, für die haftungsmäßige Widmung solcher besonderer Gesellschafterleistungen klare Regelungen zu treffen.13) 4.

Nachschusspflicht

9 § 54 Abs. 1 schließt wie allgemein im Gesellschaftsrecht Nachschusspflichten aus. Die Aktionäre dürfen auch nicht zu „freiwilligen Leistungen“ genötigt werden.14) Dies gilt insbesondere auch für die Abwälzung von Kosten bei der Übertragung von Namensaktien.15) Das Nachschussverbot ist zwingend und gilt auch dann, wenn die Aktionäre aufgrund der Treuepflicht zur Zustimmung zu überlebenswichtigen Strukturmaßnahmen verpflichtet sind (siehe § 53a Rz. 51 ff.). Zur Beteiligung an einer Kapitalerhöhung durch die Zuführung neuen Kapitals kann daher niemand gezwungen werden. 10 Die einzige Ausnahme vom Verbot der mitgliedschaftlichen Nachschusspflicht besteht gemäß § 55 für die dort genannten Nebenverpflichtungen (vgl. bei der nachträglichen Einführung auch § 180 Abs. 1). Vom Nachschussverbot abzugrenzen sind weiterhin – privatautonom getroffene – rechtsgeschäftliche Vereinbarungen zusätzlicher, nicht als untrennbarer Teil der Mitgliedschaft (§ 8 Abs. 1) ausgestalteter schuldrechtlicher Leistungen unter Zustimmung der hieraus Verpflichteten. Insofern besteht weitgehend Gestaltungsfreiheit. Es ist wegen § 23 Abs. 5 lediglich unzulässig, eine echte, d. h. formal mit der Einlagepflicht i. S. von § 54 Abs. 1 gleichzustellende Nachschusspflicht zu vereinbaren.16) Zulässig und in der Praxis professioneller Investoren weit verbreitet ist es daher, auf schuldoder gesellschaftsrechtlicher Ebene hiervon abzugrenzende Leistungspflichten zu vereinbaren, selbst wenn diese funktional betrachtet Nachschusspflichten nahekommen oder sogar entsprechen: Diese können aufgrund der entsprechenden Abrede als Eigenkapital gemäß § 272 Abs. 2 Nr. 1 oder 4 HGB zu bilanzieren sein oder Fremdkapitalcharakter haben (siehe oben Rz. 7 f.).17) Eine (schuldrechtliche) Verpflichtung des Aktionärs, seine entgeltlich erworbenen Aktien unentgeltlich an die AG zu übertragen, wenn sein Anstellungsvertrag beendet wird, ist indessen unzulässig.18) III.

Vorrang der Bareinlage (§ 54 Abs. 2)

11 Nach § 54 Abs. 2 besteht bei der Übernahme bzw. Zeichnung von Aktien grundsätzlich eine Geldzahlungspflicht, soweit nicht wirksam eine Sacheinlage vereinbart wurde. Die Regelung entspricht insoweit § 27 Abs. 1 Satz 1. Die Bedeutung der Vorschrift ist gering, denn der praktisch wichtige Fall der verdeckten Sacheinlage ist nunmehr in § 27 Abs. 3 geregelt. Der Vorrang der Bareinlage ist damit vor allem eine zwingende Auslegungsregel, wenn es – _____________ 12) Zutreffend OLG München, Urt. v. 27.9.2006 – 7 U 1857/06 (Kirch Media), WM 2007, 123, 126 = ZIP 2007, 126; vgl. zum Unterschied zwischen gesetzlicher und rechtsgeschäftlicher Umqualifizierung grundlegend BGH, Urt. v. 28.6.1999 – II ZR 272/98, ZIP 1999, 1263 = DStR 1999, 1198, dazu EWiR 1999, 843 (Dauner-Lieb) – am Bsp. des Finanzplankredits. 13) So auch Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 54 Rz. 7. 14) RG, Urt. v. 15.10.1902 – I 131/02, RGZ 52, 287; RG, Urt. v. 18.9.1912 – I 72/12, RGZ 80, 81. 15) Vgl. BGH, Urt. v. 23.10.2006 – II ZR 162/05, ZIP 2006, 2267 = AG 2007, 82; K. Schmidt/LutterFleischer, AktG, § 54 Rz. 6. 16) RG, Urt. v. 19.3.1926 – II 412/25, RGZ 113, 152; für den Fall der nachträglichen Einführung auch BGH, Urt. v. 20.9.2004 – II ZR 288/02 (EMS), BGHZ 160, 253 = ZIP 2004, 2093, dazu EWiR 2005, 49 (Noack). 17) Einzelheiten bei K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 54 Rz. 15 ff. 18) Vgl. BGH, Urt. v. 22.1.2013 – II ZR 80/10, ZIP 2013, 263 = NZG 2013, 220, dazu EWiR 2013, 131 (Seibt); hierzu im Lichte von § 54 Abs. 1 Jacobsen/Knott, NZG 2014, 372, 373.

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§ 54

Hauptverpflichtung der Aktionäre

im wohl nur theoretischen Fall – zum Streit kommt, was der Aktionär genau schuldet. Über § 54 Abs. 2 wird insofern eine Lücke geschlossen, so dass für eine Nichtigkeit der Zeichnung wegen fehlender Willensübereinstimmung im Hinblick auf den Leistungsgegenstand kein Raum besteht. Darüber hinaus ist der in § 54 Abs. 2 verankerte Vorrang der Bareinlage bedeutsam, wenn es Schwierigkeiten gibt, die wirksam festgesetzte Sacheinlage zu erfüllen. Im Fall der Nicht- oder Schlechtleistung der Sacheinlage kann die AG hiernach subsidiär Geldzahlung verlangen.19) IV.

Erfüllung der Einlagepflicht (§ 54 Abs. 3)

1.

Regelungsbereich

§ 54 Abs. 3 konkretisiert die Anforderungen an die Leistung des eingeforderten Betrages 12 i. S. von §§ 36 Abs. 2, 36a Abs. 1. Dieser beinhaltet bei Gründung zwingend die Mindesteinlagen (ein Viertel des Mindestausgabebetrags sowie das korporative Agio), kann jedoch auch höher liegen (Einzelheiten bei §§ 36, 36a). Für die Kapitalerhöhung gilt dies entsprechend. Wird der eingeforderte Betrag – fälschlich! – erst nach Eintragung geleistet, gilt § 54 Abs. 3 gleichermaßen (streitig).20) Auf die über §§ 36 Abs. 2, 36a hinausgehenden Resteinlagen (vgl. § 63 Abs. 1) ist die 13 Regelung ihrem Wortlaut nach nicht anwendbar, was rechtspolitisch zu kritisieren ist. Richtigerweise sollte das hierin angelegte Gebot der realen Kapitalaufbringung zumindest für das Merkmal der freien Verfügbarkeit des Vorstands umfassend gelten (streitig).21) Dies dürfte den Kapitalschutz auch nicht über Gebühr erweitern, da es innerhalb des Gebots der realen Kapitalaufbringung mittlerweile erhebliche Liberalisierungen von der buchstabengetreuen Anwendung gibt (Aufgabe des Gebots wertgleicher Deckung, Vorleistungen, Hin- und Herzahlen etc.). Auf die Erbringung von Sacheinlagen ist § 54 Abs. 3 nicht anwendbar; das Merkmal der freien Verfügbarkeit gilt richtigerweise analog § 7 Abs. 3 GmbHG jedoch auch hier (streitig).22) Der Zeitpunkt für die Erbringung der Sacheinlagen ergibt sich aus § 36a Abs. 2. Bei schuldrechtlich vereinbarten Mehrleistungen (z. B. schuldrechtliches Agio, vgl. oben Rz. 7) gilt § 54 Abs. 3 ebenfalls nicht.23) Insofern wird der aktienrechtliche Gläubigerschutz nicht bereits durch Absicherung der schuldrechtlichen Verpflichtung verwirklicht, sondern i. R. der Ermittlung ausschüttungsfähiger Beträge nur auf der Grundlage der erfolgten tatsächlichen Leistung.24) 2.

Leistungsmodalitäten

a)

Barzahlung oder Kontogutschrift

Die in § 54 Abs. 3 genannten Leistungsmodalitäten sind zwingend.25) Bareinlagen müssen 14 entweder in bar (§ 929 BGB) oder durch Kontogutschrift (Buchgeld) erfüllt werden; an_____________ 19) K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 54 Rz. 24 – Überlagerung der Geldzahlungspflicht durch die Sacheinlagenvereinbarung; vgl. zur Kapitalerhöhung auch Spindler/Stilz-Servatius, AktG, § 183 Rz. 32. 20) LG München I, Urt. v. 30.8.2012 – 5 HK O 5699/11, Rz. 5, ZIP 2012, 2152 = BeckRS 2012, 22122; abweichend K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 54 Rz. 26. 21) Vgl. zur GmbH bereits Servatius, DStR 2004, 1176; ähnlich Bungeroth in: MünchKomm-AktG, § 54 Rz. 78; abweichend die h. M., vgl. nur Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 54 Rz. 42 ff.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 54 Rz. 11; Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 54 Rz. 10. 22) Vgl. Spindler/Stilz-Servatius, AktG, § 188 Rz. 49 m. w. N.; abweichend K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 54 Rz. 25 – nach den allg. bürgerlich-rechtlichen Regeln; Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 54 Rz. 10. 23) Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 54 Rz. 10. 24) Vgl. zum Finanzplankredit bereits BGH, Urt. v. 28.6.1999 – II ZR 272/98, ZIP 1999, 1263 = DStR 1999, 1198. 25) BGH, Urt. v. 13.7.1992 – II ZR 263/91, ZIP 1993, 1387.

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Hauptverpflichtung der Aktionäre

dernfalls tritt keine Erfüllungswirkung ein.26) Die Barzahlung hat gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 BBankG durch Übereignung von auf Euro lautenden Münzen und Scheinen an die AG zu erfolgen; eine Scheckzahlung wirkt nur erfüllungshalber (§ 364 Abs. 2 BGB).27) Eine Kontogutschrift erfordert bei der Gründung die Zahlung auf ein Konto der rechtsfähigen Vor-AG28) bzw. bei der Kapitalerhöhung auf ein Konto der AG (§ 188 Abs. 2 Satz 2 stellt dies ausdrücklich klar). Ein Privatkonto des Vorstands oder das Konto eines Gründers bzw. Aktionärs genügen nicht, selbst wenn diese treuhänderisch für die AG geführt werden.29) Vgl. für die Bestätigung des Geldeingangs durch das Kreditinstitut § 37 Abs. 1 Satz 3. 15 Das Konto muss in allen Fällen bei einem deutschen Kreditinstitut i. S. von §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 KWG, einer Zweigstelle eines ausländischen Kreditinstituts i. S. von § 53 Abs. 1 Satz 1 KWG oder einem ausländischen Kreditinstitut innerhalb der EU oder des EWR gemäß § 53b Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 7 KWG geführt werden.30) Zumindest innerhalb der EU und des EWR kann die Einlageleistung auch in einer Fremdwährung erfolgen („gesetzliche Zahlungsmittel“).31) Für die Umrechnung in Euro ist der Tag der Einzahlung maßgebend.32) Beteiligt sich ein Kreditinstitut selbst an der AG, insbesondere auf Zeit i. R. einer Kapitalerhöhung (Emissionskonsortium), kann dessen Einlagepflicht auf ein bei ihm geführtes, seinem Zugriff entzogenes Konto der AG geleistet werden (streitig).33) 16 Aus § 54 Abs. 3 folgt zentral, dass eine Leistung an Dritte nicht schuldbefreiend wirkt.34) Dies ist für die Mindesteinlagen bzw. den ggf. freiwillig höheren eingeforderten Betrag i. S. von § 36 Abs. 2 konsequent, denn nur bei einer Zahlung an die AG kann das Registergericht die tatsächliche Einlageleistung ohne großen Aufwand kontrollieren. Für die Resteinlagen gilt § 54 Abs. 3 gemäß seinem Wortlaut nicht. Nach der hier vertretenen Auffassung ist das Gebot der freien Verfügung durch den Vorstand jedoch auch bei den Resteinlagen anzuwenden, so dass ohne vorherige Zustimmung des Vorstands keine Schuldentilgung der Einlagepflicht erfolgt (siehe unten Rz. 18). Für die übrigen Anforderungen an die reale Kapitalaufbringung (Aufrechnungs- und Befreiungsverbot) vgl. § 66. b)

Zur freien Verfügung des Vorstands

17 Das zentrale Merkmal der Leistungserbringung ist gemäß § 54 Abs. 3, dass die Einlage zur freien Verfügung des Vorstands eingezahlt werden muss. Hierüber wird einerseits (noch einmal) klargestellt, dass eine dingliche Vermögensaussonderung erfolgen muss; zum anderen, dass die Einlage nur erfüllt wird, wenn die AG, vermittelt über den Vorstand als Geschäftsführungsorgan, die Rechtsmacht hat, hierüber gemäß der satzungsmäßigen Zweck_____________ 26) K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 54 Rz. 35. 27) K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 54 Rz. 28. 28) Zur „Kontofähigkeit“ der Vor-AG als Teil der Rechtsfähigkeit explizit BGH, Urt. v. 2.5.1966 – II ZR 219/63, BGHZ 45, 338, freilich noch auf der Grundlage des heute überholten Verständnisses der VorAG als Gesamthandsgemeinschaft. 29) K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 54 Rz. 33; BGH, Urt. v. 29.1.2001 – II ZR 183/00, NJW 2001, 1647, 1648 = ZIP 2001, 513 – zur GmbH; abweichend unter Hinweis auf die Zurechnung dieses Kontos nach Maßgabe des unternehmensbezogenen Geschäfts Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 54 Rz. 12, was dem Deutlichkeitsgebot gemäß § 54 Abs. 3 jedoch nicht gerecht wird. 30) Einzelheiten bei Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 54 Rz. 59 ff. 31) Einzelheiten bei Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 54 Rz. 53, 56 f. – auch zur Behandlung von Kursrisiken; K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 54 Rz. 31; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 54 Rz. 13; abweichend Voigt, NZG 2008, 933. 32) Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 54 Rz. 13. 33) K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 54 Rz. 32; abweichend Bungeroth in: MünchKomm-AktG, § 55 Rz. 65. 34) BGH, Urt. v. 13.7.1992 – II ZR 263/91, ZIP 1993, 1387; OLG Naumburg, Beschl. v. 10.5.1999 – 7 W 24/99, NZG 2000, 152, 153.

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§ 54

Hauptverpflichtung der Aktionäre

setzung zu verfügen. Das Merkmal deckt sich mit den Anforderungen gemäß § 36 Abs. 2, vgl. daher für Einzelheiten dort. Auf die freie Verfügbarkeit kommt es gemäß dem Wortlaut von § 54 Abs. 3 ebenso wie ge- 18 mäß § 36 Abs. 2 nur beim eingeforderten Betrag an, mithin regelmäßig allein bei den Mindesteinlagen. Für die darüber hinausgehenden Resteinlagen i. S. von § 63 Abs. 1 soll dies nach h. M. nicht gelten.35) Dies führt insbesondere dazu, dass auch die Bezahlung einer vollwertigen, fälligen und liquide beweisbaren Forderung eines Gesellschaftsgläubigers durch den Aktionär die Einlagepflicht erlöschen lässt.36) Dem ist nicht zuzustimmen. Die Einlageleistung ist zweckgebundenes Betriebskapital, so dass – über die summen- oder wertmäßige Deckung hinaus – gewährleistet sein muss, dass der pflichtengebundene und nach Eintragung der AG sogar eigenverantwortlich handelnde Vorstand hierüber zur Verwirklichung des Gesellschaftszwecks verfügen kann.37) Dem würde nicht entsprochen, wenn der Aktionär selbständig entscheiden könnte, wie das Kapital verwendet wird. Insofern ist es konsequent, wenn dieser Aspekt auch bei den Resteinlagen Geltung beansprucht.38) Dies führt insbesondere dazu, dass es unzulässig ist, wenn ein Aktionär unmittelbar einen Gesellschaftsgläubiger befriedigt, um damit seine Einlagepflicht zu erfüllen, sofern der Vorstand dem nicht vorher zugestimmt hat (vgl. insofern § 362 Abs. 2 BGB). c)

Rechtsfolgen bei Verstößen

Werden die Anforderungen von § 54 Abs. 3 nicht eingehalten, entfaltet die Leistung des 19 Aktionärs keine Erfüllungswirkung. Die Einlagepflicht besteht fort; der Aktionär hat einen Bereicherungsanspruch gegen die AG gemäß Zweckverfehlungskondiktion. Eine Aufrechnung mit der Einlagepflicht ist wegen § 66 Abs. 1 nicht möglich. d)

Beweislast

Die Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen einer Einlagepflicht trägt die AG. Die 20 Erfüllung derselben ist vom Aktionär zu beweisen.39) V.

Verjährung der Einlagepflicht (§ 54 Abs. 4)

Die Einlageforderung i. S. von § 54 Abs. 1 verjährt gemäß § 54 Abs. 4 Satz 1 in zehn Jah- 21 ren seit Entstehung der Einlagepflicht. Nach h. M. kommt es für den Beginn jedoch abweichend vom Wortlaut auf die Fälligkeit an.40) Das ist sachgerecht, weil die Fälligkeit der Resteinlagen vielfach aus berechtigten wirtschaftlichen Erwägungen nach hinten verschoben wird. Bei den Mindesteinlagen folgt die Fälligkeit zwingend aus § 271 Abs. 1 _____________ 35) Vgl. nur Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 54 Rz. 11; K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 54 Rz. 25. 36) Vgl. zu den Anforderungen BGH, Urt. v. 25.11.1985 – II ZR 48/85, ZIP 1986, 161 = NJW 1986, 989 – zur GmbH. 37) Zum Ganzen für die GmbH bereits Servatius, DStR 2004, 1176. 38) So auch Bungeroth in: MünchKomm-AktG, § 54 Rz. 49. 39) Einzelheiten, auch für die ausreichenden Indizien, bei BGH, Hinweisbeschl. v. 9.7.2007 – II ZR 222/06, ZIP 2007, 1755 = NJW 2007, 3067, dazu EWiR 2007, 687 (Wagner); für Beweiserleichterungen bei lange zurückliegender Zahlung – BGH, Urt. v. 13.9.2004 – II ZR 137/02, ZIP 2005, 28 = DStR 2004, 2112, dazu EWiR 2005, 21 (Henkel); OLG Brandenburg, Urt. v. 12.9.2006 – 6 U 29/06, NZG 2006, 948; zur Auslegung einer Tilgungsbestimmung BGH, Urt. v. 17.9.2001 – II ZR 275/99, ZIP 2001, 1991, dazu EWiR 2001, 1149 (Keil). 40) OLG Hamburg, Urt. v. 2.6.2006 – 11 U 244/05, ZIP 2006, 1677 = AG 2007, 500; Bungeroth in: MünchKomm-AktG, § 54 Rz. 86 m. w. N.; abweichend aber Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 54 Rz. 21; den Unterschied zwischen Entstehen und Fälligkeit nicht erkennend – K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 54 Rz. 36; undeutlich auch Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 54 Rz. 84. Einzelheiten zur Neuregelung der Verjährung bei Thiessen, ZHR 168 (2004) 503.

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§ 55

Nebenverpflichtungen der Aktionäre

BGB, bei den Resteinlagen gilt für die Herbeiführung der Fälligkeit § 63 Abs. 1. Die Verjährungsfrist kann nicht verkürzt, durch Satzungsregelung aber verlängert werden.41) 22 Wird über das Vermögen der AG das Insolvenzverfahren eröffnet (§ 27 InsO), wird die Verjährung gemäß § 54 Abs. 4 Satz 2 insofern gehemmt, als sie frühestens sechs Monate danach eintritt (Ablaufhemmung). Bei der wirtschaftlichen Neugründung beginnt die Verjährung neu zu laufen.42) 23 Die Verjährung bezieht sich auf den konkret festgesetzten Ausgabebetrag, somit auch auf ein korporatives Agio. Die Regelung gilt bei Sacheinlagen entsprechend.43) Für schuldrechtliche Nebenleistungen (schuldrechtliches Agio, siehe oben Rz. 7 f.) und Nebenleistungspflichten i. S. von § 55 gelten indessen die allgemeinen Regeln gemäß §§ 195 ff. BGB. _____________ 41) Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 54 Rz. 84, bei Rz. 85 – auch zur Behandlung von Altfällen. 42) LG München I, Urt. v. 30.8.2012 – 5 HK O 5699/11, ZIP 2012, 2152 = BeckRS 2012, 22122. 43) Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 54 Rz. 82.

§ 55 Nebenverpflichtungen der Aktionäre (1) 1Ist die Übertragung der Aktien an die Zustimmung der Gesellschaft gebunden, so kann die Satzung Aktionären die Verpflichtung auferlegen, neben den Einlagen auf das Grundkapital wiederkehrende, nicht in Geld bestehende Leistungen zu erbringen. 2 Dabei hat sie zu bestimmen, ob die Leistungen entgeltlich oder unentgeltlich zu erbringen sind. 3Die Verpflichtung und der Umfang der Leistungen sind in den Aktien und Zwischenscheinen anzugeben. (2) Die Satzung kann Vertragsstrafen für den Fall festsetzen, daß die Verpflichtung nicht oder nicht gehörig erfüllt wird. Literatur: Schmidt, K., Nebenleistungsgesellschaften (§ 55 AktG, § 3 Abs. 2 GmbHG) zwischen Gesellschaftsrecht, Schuldrecht und Kartellrecht – Von der Rübenzucker-AG zum Nebenleistungsnetzwerk, in: Festschrift für Ulrich Immenga, 2004, S. 705.

Übersicht I. Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt ................................................. 1 II. Nebenleistungspflicht ...................... 3 1. Begriff ................................................. 3 2. Abgrenzung ....................................... 6 a) Gegenüber der Sacheinlage ......... 7 b) Gegenüber der Sachübernahme ................................... 8 c) Schuldrechtliche Nebenabreden ......................................... 9 III. Voraussetzungen ............................ 11 1. Satzungsregelung ............................. 11 I.

2. Aktienurkunde und Zwischenscheine ............................................... 13 3. Vinkulierung ..................................... 14 4. Fehlen der genannten Voraussetzungen .............................. 15 IV. Rechtsfolgen .................................... 16 1. Mitgliedschaftliche Leistungspflicht ................................................ 16 2. Leistungsstörungen .......................... 17 3. Entgelt ............................................... 18 4. Abnahmepflichten der AG .............. 20 V. Beendigung, Änderung .................. 21

Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt

1 Die Regelung ermöglicht als einzige Ausnahme zu § 54 Abs. 1 die satzungsmäßige Einführung von Naturalleistungspflichten der Aktionäre auf mitgliedschaftsrechtlicher Grundlage und gestaltet die rechtliche Behandlung rudimentär aus. Man spricht in diesen Fällen auch 304

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§ 55

Nebenverpflichtungen der Aktionäre

BGB, bei den Resteinlagen gilt für die Herbeiführung der Fälligkeit § 63 Abs. 1. Die Verjährungsfrist kann nicht verkürzt, durch Satzungsregelung aber verlängert werden.41) 22 Wird über das Vermögen der AG das Insolvenzverfahren eröffnet (§ 27 InsO), wird die Verjährung gemäß § 54 Abs. 4 Satz 2 insofern gehemmt, als sie frühestens sechs Monate danach eintritt (Ablaufhemmung). Bei der wirtschaftlichen Neugründung beginnt die Verjährung neu zu laufen.42) 23 Die Verjährung bezieht sich auf den konkret festgesetzten Ausgabebetrag, somit auch auf ein korporatives Agio. Die Regelung gilt bei Sacheinlagen entsprechend.43) Für schuldrechtliche Nebenleistungen (schuldrechtliches Agio, siehe oben Rz. 7 f.) und Nebenleistungspflichten i. S. von § 55 gelten indessen die allgemeinen Regeln gemäß §§ 195 ff. BGB. _____________ 41) Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 54 Rz. 84, bei Rz. 85 – auch zur Behandlung von Altfällen. 42) LG München I, Urt. v. 30.8.2012 – 5 HK O 5699/11, ZIP 2012, 2152 = BeckRS 2012, 22122. 43) Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 54 Rz. 82.

§ 55 Nebenverpflichtungen der Aktionäre (1) 1Ist die Übertragung der Aktien an die Zustimmung der Gesellschaft gebunden, so kann die Satzung Aktionären die Verpflichtung auferlegen, neben den Einlagen auf das Grundkapital wiederkehrende, nicht in Geld bestehende Leistungen zu erbringen. 2 Dabei hat sie zu bestimmen, ob die Leistungen entgeltlich oder unentgeltlich zu erbringen sind. 3Die Verpflichtung und der Umfang der Leistungen sind in den Aktien und Zwischenscheinen anzugeben. (2) Die Satzung kann Vertragsstrafen für den Fall festsetzen, daß die Verpflichtung nicht oder nicht gehörig erfüllt wird. Literatur: Schmidt, K., Nebenleistungsgesellschaften (§ 55 AktG, § 3 Abs. 2 GmbHG) zwischen Gesellschaftsrecht, Schuldrecht und Kartellrecht – Von der Rübenzucker-AG zum Nebenleistungsnetzwerk, in: Festschrift für Ulrich Immenga, 2004, S. 705.

Übersicht I. Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt ................................................. 1 II. Nebenleistungspflicht ...................... 3 1. Begriff ................................................. 3 2. Abgrenzung ....................................... 6 a) Gegenüber der Sacheinlage ......... 7 b) Gegenüber der Sachübernahme ................................... 8 c) Schuldrechtliche Nebenabreden ......................................... 9 III. Voraussetzungen ............................ 11 1. Satzungsregelung ............................. 11 I.

2. Aktienurkunde und Zwischenscheine ............................................... 13 3. Vinkulierung ..................................... 14 4. Fehlen der genannten Voraussetzungen .............................. 15 IV. Rechtsfolgen .................................... 16 1. Mitgliedschaftliche Leistungspflicht ................................................ 16 2. Leistungsstörungen .......................... 17 3. Entgelt ............................................... 18 4. Abnahmepflichten der AG .............. 20 V. Beendigung, Änderung .................. 21

Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt

1 Die Regelung ermöglicht als einzige Ausnahme zu § 54 Abs. 1 die satzungsmäßige Einführung von Naturalleistungspflichten der Aktionäre auf mitgliedschaftsrechtlicher Grundlage und gestaltet die rechtliche Behandlung rudimentär aus. Man spricht in diesen Fällen auch 304

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Nebenverpflichtungen der Aktionäre

§ 55

von einer sog. Nebenleistungs-AG; hierdurch lassen sich genossenschaftliche Zwecke im Kleid der AG verwirklichen.1) Die praktische Bedeutung dieser ursprünglich auf die Bedürfnisse der Zuckerrübenindustrie zugeschnittenen Regelung ist bei der AG als kapitalmarktorientierter Publikumsgesellschaft wegen der Herausnahme von Geldleistungen gering;2) vgl. bei der GmbH den ähnlichen § 3 Abs. 2 Alt. 2 GmbHG. Konsequenterweise zeigen sich schuldrechtliche Alternativgestaltungen im Hinblick auf Finanzierungsfragen (unten Rz. 9). Wird eine Nebenleistungspflicht satzungsmäßig vereinbart, sind der betreffende Aktieninhaber und sein Rechtsnachfolger mitgliedschaftlich (nicht nur schuldrechtlich) zur Leistungserbringung verpflichtet. § 55 Abs. 1 Satz 1 legt zwingend fest, dass eine Nebenleistungspflicht – i. S. der Vorschrift, 2 d. h. nicht auch bei anderen Gestaltungen (siehe Rz. 6 ff.) – nicht auf Geldleistung gerichtet sein darf und darüber hinaus nur bei vinkulierten Namensaktien i. S. von § 68 Abs. 2 in Betracht kommt. Die vielfach vorgebrachte Legitimierung des Verbots von Geldleistungen wegen einer ansonsten drohenden Aushöhlung der Grundkapitalbindung3) verfängt nicht, weil es bei § 55 Abs. 1 stets um zusätzliche Leistungen geht, auf die die Gläubiger keine Haftungserwartung stützen können. § 55 Abs. 1 Satz 2 stellt es den Aktionären frei, ob die Nebenleistungspflicht entgeltlich oder unentgeltlich übernommen wird, worüber in jedem Fall eine entsprechende Satzungsregelung zu treffen ist. Vgl. insoweit auch § 61. § 55 Abs. 1 Satz 3 verlangt, dass die Nebenleistungspflicht in der Aktienurkunde anzugeben ist, was vor allem dem betroffenen Aktionär Rechtssicherheit verschafft und spätere Erwerber warnt. Gemäß § 55 Abs. 2 kann die Satzung für den Fall der Nicht- oder Schlechterfüllung der Nebenleistungspflicht eine Vertragsstrafe festsetzen. Wurden Nebenleistungspflichten festgesetzt, bilden die betroffenen Aktien eine besondere Gattung i. S. von § 11.4) II.

Nebenleistungspflicht

1.

Begriff

Eine Nebenleistung i. S. von § 55 liegt nur vor, wenn sich ein Aktionär bei Gründung i. R. der 3 Aktienübernahme (vgl. § 23 Abs. 2 Nr. 1) oder bei der Zeichnung i. R. einer Kapitalerhöhung (vgl. § 185) verpflichtet, neben (nicht anstelle!) der Einlagen i. S. von § 54 Abs. 1 wiederkehrende, nicht in Geld bestehende Leistungen an die AG zu erbringen. Als Gegenstand der Leistungspflicht kommt alles in Betracht, sofern es sich nicht um eine (zusätzliche) Geldleistung handelt, namentlich Sachleistungen, Gebrauchsüberlassungen, Dienstleistungen oder Unterlassungen.5) Umgehungen des rechtspolitisch zweifelhaften Verbots von Geldleistungen (siehe Rz. 2) durch die Verpflichtung zu Scheck-, Wechsel- oder Bürgschaftsübernahmen sind ebenfalls unzulässig.6) Eine rechtliche Kategorisierung des Leistungsbegriffs anhand des allgemeinen und besonderen Schuldrechts wird vielfach versucht, ist jedoch wegen der Vertragsfreiheit nicht notwendig, allenfalls bei der rechtlichen Behandlung von Leistungsstörungen (siehe unten Rz. 16). §§ 134, 138 BGB schränken die Gestaltungsfreiheit jedoch ein. Einen Vermögenswert muss die Leistung nicht haben,7) _____________ 1) 2)

3) 4) 5) 6) 7)

K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 55 Rz. 2. Vgl. Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 55 Rz. 4; Bungeroth in: MünchKomm-AktG, § 55 Rz. 3; K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 55 Rz. 3 ff. (auch zu rechtsvergleichenden Aspekten) sowie bei Rz. 13 zur möglichen Bedeutung bei der REIT-AG. Vgl. etwa K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 55 Rz. 14. RG, Urt. v. 25.9.1912 – I 6/12, RGZ 80, 95. K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 55 Rz. 12. K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 55 Rz. 14. Heute h. M., vgl. Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 55 Rz. 5; K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 55 Rz. 12; abweichend noch RG, Urt. v. 25.9.1901 – I 142/01, RGZ 49, 77.

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§ 55

Nebenverpflichtungen der Aktionäre

wohl aber einen vollstreckbaren Inhalt (Bestimmtheitsgebot). Verstöße gegen § 53a kommen wegen des Zustimmungserfordernisses zugunsten des Verpflichteten nicht in Betracht.8) 4 Das Merkmal „wiederkehrend“ ist weit auszulegen, so dass letztlich nur die punktuelle Einmalleistung ausgeschlossen ist, die zeitliche Periode und das Leistungsintervall jedoch der Satzungs- und Privatautonomie unterliegen. Von der wiederkehrenden Leistung abzugrenzen ist aber die dauernde Leistung, so dass hiernach insbesondere kein Wettbewerbsverbot zum Gegenstand von § 55 gemacht werden kann.9) 5 Nach § 55 Abs. 1 Satz 2 kann die Nebenleistung entgeltlich oder unentgeltlich zu erbringen sein. In welchem Verhältnis Leistung und Gegenleistung stehen müssen, wird durch das Gesetz unmittelbar nicht vorgegeben. Zu beachten sind freilich § 53a und § 57 im Hinblick auf das Verbot verdeckter Gewinnausschüttungen (vgl. hierzu § 61). Mischformen zwischen Entgeltlichkeit und Unentgeltlichkeit sind möglich.10) In der Satzung kann die Entgelthöhe verbindlich festgelegt werden, so dass etwaige Änderungen gemäß § 179 erfolgen müssen. Praktikabler und ebenfalls zulässig ist daher, lediglich einen Hinweis auf die Entgeltlichkeit aufzunehmen und die Konkretisierung dem Vorstand zu überlassen.11) 2.

Abgrenzung

6 Für die Abgrenzung der Nebenleistungspflicht i. S. von § 55 gegenüber anderen – gesellschafts- oder schuldrechtlich vereinbarten – Aktionärspflichten gilt Folgendes: a)

Gegenüber der Sacheinlage

7 Die Verpflichtung eines Aktionärs aus der Aktienübernahme bzw. Zeichnung auf Leistung eines Vermögenswertes als Bar- oder Sacheinlage auf den geringsten oder höheren Ausgabebetrag fällt allein unter §§ 54, 27, 36a. Sofern also Entsprechendes gewollt ist – objektive Auslegung! – sind die hierfür maßgeblichen Regelungen anzuwenden. Soweit dies nicht vorliegt, kann durchaus auch bei vergleichbaren Gestaltungen ein Fall des § 55 vorliegen. Die Abgrenzung ist insbesondere im Hinblick auf die bei § 55 nicht vorgesehene Registerprüfung und den hier nicht geltenden strengen Kapitalaufbringungsregeln relevant. Überschneidungen in tatsächlicher Hinsicht zu § 55 kann es insoweit einmal geben, wenn ein Vermögensgegenstand quoad usum, d. h. nutzungsweise, als Sacheinlage eingebracht wird (Einzelheiten siehe bei § 27 Rz. 10). Zum anderen kann die Abgrenzung relevant werden, wenn man bei der dinglich zu erbringenden Sacheinlage (quoad dominium) mit der fragwürdigen h. M. zu § 36a Abs. 2 annimmt, dass der betreffende Gegenstand nicht sogleich zu erbringen ist, sondern erst innerhalb eines Fünf-Jahres-Zeitraums (Einzelheiten siehe § 36a Rz. 11 f.). b)

Gegenüber der Sachübernahme

8 Soll der Aktionär einen Gegenstand leisten, ohne dass die hierfür anfallende Gegenleistung der AG auf die Einlagepflicht i. S. von § 54 Abs. 1 (geringster oder höherer Ausgabebetrag) angerechnet wird, handelt es sich um eine Sachübernahme gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2. Insofern besteht zu § 55 in tatsächlicher Hinsicht eine große Ähnlichkeit. Deswegen ist die Abgrenzung wegen der unterschiedlichen Wirksamkeitsvoraussetzungen erheblich, insbesondere im Hinblick auf die Knüpfung der Nebenleistungspflicht an die Vinkulierung der hiervon betroffenen Aktien und die Nachgründung gemäß § 52, die nur bei der Sachübernahme gilt. Indem es für beide Gestaltungen – Sachübernahme und Nebenleistung – _____________ 8) 9) 10) 11)

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K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 55 Rz. 12. K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 55 Rz. 13. Vgl. K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 55 Rz. 18. Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 61 Rz. 2: nach billigem Ermessen gemäß §§ 315 f. BGB.

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Nebenverpflichtungen der Aktionäre

§ 55

keine gesetzliche Pflicht gibt, kann zwischen beiden Möglichkeiten frei gewählt werden. Es besteht insbesondere bei periodisch zu erbringenden Aktionärsleistungen kein Vorrang der Sachübernahme oder der Nebenleistungspflicht. Maßgeblich für die Abgrenzung ist die objektive Auslegung dahingehend, was genau gewollt ist. c)

Schuldrechtliche Nebenabreden

Bedeutsam ist schließlich die Abgrenzung gesellschaftsrechtlicher Pflichten i. S. von § 55 9 gegenüber den schuldrechtlichen Rechtsgeschäften der Aktionäre mit der AG. Indem jedoch als Nebenleistungspflichten gerade keine Geldleistung vereinbart werden kann, sind die in der Praxis häufig anzutreffenden Finanzplankredite, gesplitteten Einlagen oder das schuldrechtliche Agio kein Fall des § 55, selbst wenn sie anlässlich der Satzungsfeststellung bzw. Zeichnung vereinbart wurden. Bei diesen schuldrechtlichen, ggf. bloß äußerlich mit der Satzung verbundenen Abreden besteht daher eine größere Gestaltungsfreiheit. Problematisch sind jedoch Drittgeschäfte, bei denen der Aktionär eine wiederkehrende Leis- 10 tung i. S. von § 55 Abs. 1 Satz 1 schuldet, meist gegen Entgelt. Als Beispiel zu nennen ist insoweit die periodisch durchzuführende Revision12) oder Rechtsberatung. Hier ist es durchaus möglich, das Geschäft als Drittgeschäft außerhalb von § 55 abzuschließen. Eine satzungsmäßige Verfestigung dürfen diese Geschäfte wegen § 23 Abs. 5 jedoch nicht erfahren.13) Letztlich kommt es für die Abgrenzung darauf an, ob die Parteien eine enge Verbindung mit dem Aktionär herstellen oder auch einen Wechsel des Geschäftspartners nach Aktienübertragung wollen. Ist Ersteres der Fall, handelt es sich um einen Schuldvertrag (höchstpersönliche Leistungserbringung gemäß § 613 BGB); ist Letzteres gewollt, liegt eine Nebenleistungspflicht i. S. von § 55 vor. III.

Voraussetzungen

1.

Satzungsregelung

Ist eine Nebenleistungspflicht gewollt (siehe oben Rz. 3 ff.), muss diese zwingend in die 11 Satzung aufgenommen werden. Nachträgliche Änderungen bedürfen einer Satzungsänderung; hierbei und bei Verschärfungen bestehender Pflichten gilt zudem § 180 Abs. 1.14) Adressat der Nebenleistungspflicht muss ein Aktionär sein; die Begründung einer Nebenleistungspflicht zulasten von Nichtaktionären ist wegen des mitgliedschaftlichen Charakters nicht möglich.15) Werden Nebenleistungspflichten nur einigen Aktionären auferlegt, begründet dies eine besondere Aktiengattung i. S. von § 11.16) Ausreichend ist, dass die betreffende Pflicht und ggf. das hierfür zu leistende Entgelt nach 12 Inhalt und Umfang im Satzungstext angegeben wird;17) die weiteren Einzelheiten können in einer besonderen – entsprechend § 23 Abs. 1 notariell zu beurkundenden – Urkunde geregelt werden oder auch der Konkretisierung durch den Vorstand vorbehalten bleiben.18) Die Nebenleistungspflicht ist objektiv auszulegen. Das Gebot der satzungsmäßigen Verfestigung besteht auch für den Aspekt der Entgeltlichkeit; es bedarf nach § 55 Abs. 1 Satz 2 der _____________ 12) 13) 14) 15) 16) 17) 18)

Vgl. K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 55 Rz. 13. Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 55 Rz. 8. K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 55 Rz. 9. Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 55 Rz. 15. K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 55 Rz. 15. RG, Urt. v. 29.10.1915 – II 137/15, RGZ 87, 261 – zur GmbH. K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 55 Rz. 8; zur Möglichkeit, die Konkretisierung der Nebenleistungspflicht Dritten zu überlassen – Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 55 Rz. 19 sowie Bungeroth in: MünchKomm-AktG, § 55 Rz. 5.

Wolfgang Servatius

307

§ 55

Nebenverpflichtungen der Aktionäre

ausdrücklichen Regelung, ob ein Entgelt gezahlt wird oder nicht.19) Auch Mischformen sind zulässig.20) 2.

Aktienurkunde und Zwischenscheine

13 Die Nebenleistungspflicht muss gemäß § 55 Abs. 1 Satz 3 nach Inhalt und Umfang auch in den Aktienurkunden und auf den Zwischenscheinen (§ 8 Abs. 6) angegeben werden. Hierdurch werden die künftigen Erwerber über die an die übertragene Mitgliedschaft geknüpften Leistungspflichten informiert.21) Die Entgeltlichkeit bzw. Entgelthöhe müssen nicht vermerkt werden.22) 3.

Vinkulierung

14 Die Nebenleistungspflicht ist nur bei vinkulierten Namensaktien i. S. von § 68 Abs. 2 möglich. Hierdurch wird gewährleistet, dass die der Erwartung der AG entsprechende Erfüllung der Leistungspflicht nicht durch eine Anteilsübertragung an unbekannte oder nicht leistungsfähige Dritte umgangen werden kann. 4.

Fehlen der genannten Voraussetzungen

15 Fehlen die genannten Voraussetzungen, ist die Nebenleistungspflicht nach überwiegender Meinung insgesamt nichtig.23) Dem ist zu widersprechen: Richtig ist allein, dass eine verbandsrechtliche Leistungspflicht nicht entsteht. Im Wege der Umdeutung gemäß § 140 BGB kann es sich jedoch gleichwohl ergeben, dass die entsprechende Pflicht – inkl. korrespondierender Entgeltpflicht – als schuldrechtliches Rechtsgeschäft aufrechterhalten bleibt;24) Aktienerwerber sind hierdurch jedoch nicht gebunden. Der Bestand der Mitgliedschaft wird durch die Nichtigkeit der Nebenleistungspflicht nicht berührt; § 139 BGB ist insofern nicht anwendbar. IV.

Rechtsfolgen

1.

Mitgliedschaftliche Leistungspflicht

16 Die Nebenleistungspflicht trifft wegen der satzungsmäßigen Grundlage den jeweiligen Inhaber der hiervon erfassten Aktien und verpflichtet ihn zur entsprechenden Leistung an die AG.25) Steht eine Aktie mehreren gemeinschaftlich zu, haften sie gemäß § 69 Abs. 2 als Gesamtschuldner. Die gesetzlichen Kapitalaufbringungsregeln finden hierauf keine Anwendung.26) Die isolierte Abtretung des Anspruchs der AG gemäß § 55 ist nicht möglich.27) Demgegenüber sind fällige, rückständige Ansprüche durchaus verkehrsfähig und damit Gegenstand von Abtretung und (Ver-)Pfändung.28) Wird die Aktie übertragen, kommt ein gutgläubiger lastenfreier Erwerb unter Ausschluss der Nebenleistungspflicht zwar in Frage. Wegen des Zustimmungserfordernisses der AG i. S. von § 68 ist dies jedoch kaum denkbar.29) _____________ 19) Vgl. zu vor dem AktG 1965 gegründeten AG die Übergangsregelung § 10 EGAktG. 20) K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 55 Rz. 18. 21) Zum gutgläubigen lastenfreien Erwerb der Mitgliedschaft ausführlich – Spindler/Stilz-Cahn/ v. Spannenberg, AktG, § 55 Rz. 24 ff. 22) K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 55 Rz. 19. 23) Vgl. nur RG, Urt. v. 10.5.1912 – II ZRV 43/12, RGZ 79, 332, 335; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 55 Rz. 9; K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 55 Rz. 37. 24) So auch Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 55 Rz. 52. 25) K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 55 Rz. 23. 26) Bungeroth in: MünchKomm-AktG, § 55 Rz. 20. 27) RG, Urt. v. 27.5.1932 – II 332/31, RGZ 136, 313. 28) In diesem Sinne auch Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 55 Rz. 4. 29) Vgl. Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 55 Rz. 3 m. w. N.

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Nebenverpflichtungen der Aktionäre 2.

§ 55

Leistungsstörungen

Die Behandlung von Nicht- und Schlechtleistung richtet sich nach den Regelungen des 17 BGB.30) Wurde ein Entgelt vereinbart, liegt regelmäßig eine synallagmatische Vereinbarung i. S. von §§ 320 ff. BGB vor.31) In welchem Maße Mängel oder Störungen der Nebenleistungspflicht die Aktionärsstellung selbst betreffen, ist nicht abschließend geklärt.32) Richtigerweise ist ein Durchschlagen grundsätzlich zu verneinen, um Missbräuchen im Hinblick auf die Gleichbehandlung der Aktionäre und den Gläubigerschutz zu begegnen. Gemäß § 55 Abs. 2 wird ausdrücklich vorgesehen, dass durch Satzungsregelung auch eine Vertragsstrafe i. S. von §§ 336 ff. BGB, § 348 HGB vereinbart werden kann. Die Voraussetzungen für die Vertragsstrafe sowie deren Art und Umfang müssen ebenfalls satzungsmäßig geregelt werden.33) Die Kaduzierung wegen nicht gehöriger Leistung ist nicht möglich (streitig).34) 3.

Entgelt

Wurde ein Entgelt für die Erbringung der Nebenleistungen satzungsmäßig (vgl. § 55 Abs. 1 18 Satz 2) vereinbart, steht dieser Anspruch zur Nebenleistungspflicht im Gegenseitigkeitsverhältnis gemäß §§ 320 ff. BGB.35) Es handelt sich hierbei nicht um Gewinn, sondern um einen in der GuV auszuweisenden Aufwand der AG. Der Aktionär kann daher auch dann Zahlung verlangen, wenn die AG keinen Bilanzgewinn ausweist.36) Im Rahmen von § 60 Abs. 3 können die erbrachten Gegenleistungen jedoch bei der Gewinnverteilung berücksichtigt werden. Auch das Kapitalerhaltungsgebot gemäß § 57 gilt für die Gegenleistung der AG im Aus- 19 gangspunkt nicht. Gemäß § 61 wird hiervon jedoch eine Ausnahme gemacht, wenn die Gegenleistung einem Drittvergleich nicht standhält (verdeckte Gewinnausschüttung; Einzelheiten siehe dort). 4.

Abnahmepflichten der AG

Im Wege der Auslegung ergibt sich regelmäßig, dass die AG eine korrespondierende Ab- 20 nahmepflicht trifft.37) V.

Beendigung, Änderung

Eine Beendigung der Nebenleistungspflicht kann durch Befristung oder auflösende Be- 21 dingung erfolgen,38) was ggf. bei der Begründung in den Satzungstext aufzunehmen ist (siehe oben Rz. 12). Das Gleiche gilt für die Ausübung eines vereinbarten Kündigungsrechts.39) Der Satzungstext ist hieran anschließend gemäß § 179 Abs. 1 Satz 2 anzupassen.

_____________ 30) RG, Urt. v. 29.10.1915 – II 137/15, RGZ 87, 261 – zur GmbH; Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 55 Rz. 5; K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 55 Rz. 20. 31) Einzelheiten bei Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 55 Rz. 37 ff.; zurückhaltender Bungeroth in: MünchKomm-AktG, § 55 Rz. 22. 32) Einschränkend K. Schmidt/Lutter/Fleischer, AktG, § 55 Rz. 24: eher großzügig Grigoleit-Grigoleit/ Rachlitz, AktG, § 55 Rz. 6. 33) Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 55 Rz. 40; K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 55 Rz. 21. 34) Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 55 Rz. 40; K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 55 Rz. 22; Bungeroth in: MünchKomm-AktG, § 55 Rz. 29; abweichend Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 55 Rz. 5. 35) K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 55 Rz. 24. 36) Bungeroth in: MünchKomm-AktG, § 55 Rz. 19. 37) K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 55 Rz. 16. 38) K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 55 Rz. 27. 39) Bungeroth in: MünchKomm-AktG, § 55 Rz. 48.

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§ 56

Keine Zeichnung eigener Aktien

22 Eine einvernehmliche Änderung bedarf auf Seiten der AG eine entsprechende Satzungsänderung (vgl. bei unterschiedlichen Pflichten auch § 179 Abs. 3); das Gleiche gilt, wenn die AG einseitig auf die Ansprüche aus § 55 verzichten will. Mit der Beseitigung der Vinkulierung entfällt auch die Nebenleistungspflicht.40) 23 Eine einseitige Beendigung durch den Aktionär ist in Extremfällen gemäß § 314 BGB möglich.41) Letzteres kann sich in Extremfällen auch daraus ergeben, dass die Aktie infolge der Nebenleistungspflicht praktisch unveräußerlich wird (Art. 14 GG).42) Auch die Unmöglichkeit der Erbringung der Nebenleistung nach § 275 BGB führt zum Erlöschen.43) Ein darüber hinausgehendes Dereliktionsrecht besteht bei Aktien nicht.44) Auch in diesen Fällen ist der Satzungstext hieran anschließend gemäß § 179 Abs. 1 Satz 2 anzupassen. 24 Werden die entsprechenden Aktien übertragen, ist der bisherige Aktionär nicht mehr aus § 55 verpflichtet; rückständige Pflichten hat er jedoch noch zu erfüllen.45) Verpflichtet ist fortan allein der neue Aktionär. 25 Die Nebenleistungspflicht endet mit Auflösung der AG, soweit nicht der Abwicklungszweck eine ggf. beschränkte Fortgeltung erfordert.46) In der Insolvenz des Aktionärs oder der AG bleibt die Nebenleistungspflicht ebenfalls zunächst einmal bestehen (vgl. i. Ü. § 103 Abs. 1 Satz 2 InsO).47) _____________ 40) Bungeroth in: MünchKomm-AktG, § 55 Rz. 35. 41) K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 55 Rz. 33. 42) Vgl. bereits RG, Gutachten v. 7.2.1930 – II 247/29, RGZ 128, 1; BGH, Urt. v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, ZIP 1992, 237 – bei der GmbH; Einzelheiten bei Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 55 Rz. 50. 43) Vgl. RG, Urt. V. 19.5.1922 – II ZR 550/20, RGZ 104, 349, 350. 44) Bungeroth in: MünchKomm-AktG, § 55 Rz. 45; K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 55 Rz. 24. 45) K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 55 Rz. 30. 46) RG, Urt. v. 27.10.1909 – I 615/o8, RGZ 72, 236, 239 f. 47) RG, Urt. v. 30.10.1923 – II 898/22, RGZ 108, 20, 23 – zur GmbH; Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 55 Rz. 6; K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 55 Rz. 35 f.

§ 56 Keine Zeichnung eigener Aktien; Aktienübernahme für Rechnung der Gesellschaft oder durch ein abhängiges oder in Mehrheitsbesitz stehendes Unternehmen (1) Die Gesellschaft darf keine eigenen Aktien zeichnen. (2) 1Ein abhängiges Unternehmen darf keine Aktien der herrschenden Gesellschaft, ein in Mehrheitsbesitz stehendes Unternehmen keine Aktien der an ihm mit Mehrheit beteiligten Gesellschaft als Gründer oder Zeichner oder in Ausübung eines bei einer bedingten Kapitalerhöhung eingeräumten Umtausch- oder Bezugsrechts übernehmen. 2Ein Verstoß gegen diese Vorschrift macht die Übernahme nicht unwirksam. (3) 1Wer als Gründer oder Zeichner oder in Ausübung eines bei einer bedingten Kapitalerhöhung eingeräumten Umtausch- oder Bezugsrechts eine Aktie für Rechnung der Gesellschaft oder eines abhängigen oder in Mehrheitsbesitz stehenden Unternehmens übernommen hat, kann sich nicht darauf berufen, daß er die Aktie nicht für eigene Rechnung übernommen hat. 2Er haftet ohne Rücksicht auf Vereinbarungen mit der Gesellschaft oder dem abhängigen oder in Mehrheitsbesitz stehenden Unterneh310

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§ 56

Keine Zeichnung eigener Aktien

22 Eine einvernehmliche Änderung bedarf auf Seiten der AG eine entsprechende Satzungsänderung (vgl. bei unterschiedlichen Pflichten auch § 179 Abs. 3); das Gleiche gilt, wenn die AG einseitig auf die Ansprüche aus § 55 verzichten will. Mit der Beseitigung der Vinkulierung entfällt auch die Nebenleistungspflicht.40) 23 Eine einseitige Beendigung durch den Aktionär ist in Extremfällen gemäß § 314 BGB möglich.41) Letzteres kann sich in Extremfällen auch daraus ergeben, dass die Aktie infolge der Nebenleistungspflicht praktisch unveräußerlich wird (Art. 14 GG).42) Auch die Unmöglichkeit der Erbringung der Nebenleistung nach § 275 BGB führt zum Erlöschen.43) Ein darüber hinausgehendes Dereliktionsrecht besteht bei Aktien nicht.44) Auch in diesen Fällen ist der Satzungstext hieran anschließend gemäß § 179 Abs. 1 Satz 2 anzupassen. 24 Werden die entsprechenden Aktien übertragen, ist der bisherige Aktionär nicht mehr aus § 55 verpflichtet; rückständige Pflichten hat er jedoch noch zu erfüllen.45) Verpflichtet ist fortan allein der neue Aktionär. 25 Die Nebenleistungspflicht endet mit Auflösung der AG, soweit nicht der Abwicklungszweck eine ggf. beschränkte Fortgeltung erfordert.46) In der Insolvenz des Aktionärs oder der AG bleibt die Nebenleistungspflicht ebenfalls zunächst einmal bestehen (vgl. i. Ü. § 103 Abs. 1 Satz 2 InsO).47) _____________ 40) Bungeroth in: MünchKomm-AktG, § 55 Rz. 35. 41) K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 55 Rz. 33. 42) Vgl. bereits RG, Gutachten v. 7.2.1930 – II 247/29, RGZ 128, 1; BGH, Urt. v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, ZIP 1992, 237 – bei der GmbH; Einzelheiten bei Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 55 Rz. 50. 43) Vgl. RG, Urt. V. 19.5.1922 – II ZR 550/20, RGZ 104, 349, 350. 44) Bungeroth in: MünchKomm-AktG, § 55 Rz. 45; K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 55 Rz. 24. 45) K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 55 Rz. 30. 46) RG, Urt. v. 27.10.1909 – I 615/o8, RGZ 72, 236, 239 f. 47) RG, Urt. v. 30.10.1923 – II 898/22, RGZ 108, 20, 23 – zur GmbH; Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 55 Rz. 6; K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 55 Rz. 35 f.

§ 56 Keine Zeichnung eigener Aktien; Aktienübernahme für Rechnung der Gesellschaft oder durch ein abhängiges oder in Mehrheitsbesitz stehendes Unternehmen (1) Die Gesellschaft darf keine eigenen Aktien zeichnen. (2) 1Ein abhängiges Unternehmen darf keine Aktien der herrschenden Gesellschaft, ein in Mehrheitsbesitz stehendes Unternehmen keine Aktien der an ihm mit Mehrheit beteiligten Gesellschaft als Gründer oder Zeichner oder in Ausübung eines bei einer bedingten Kapitalerhöhung eingeräumten Umtausch- oder Bezugsrechts übernehmen. 2Ein Verstoß gegen diese Vorschrift macht die Übernahme nicht unwirksam. (3) 1Wer als Gründer oder Zeichner oder in Ausübung eines bei einer bedingten Kapitalerhöhung eingeräumten Umtausch- oder Bezugsrechts eine Aktie für Rechnung der Gesellschaft oder eines abhängigen oder in Mehrheitsbesitz stehenden Unternehmens übernommen hat, kann sich nicht darauf berufen, daß er die Aktie nicht für eigene Rechnung übernommen hat. 2Er haftet ohne Rücksicht auf Vereinbarungen mit der Gesellschaft oder dem abhängigen oder in Mehrheitsbesitz stehenden Unterneh310

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§ 56

Keine Zeichnung eigener Aktien

men auf die volle Einlage. 3Bevor er die Aktie für eigene Rechnung übernommen hat, stehen ihm keine Rechte aus der Aktie zu. (4) 1Werden bei einer Kapitalerhöhung Aktien unter Verletzung der Absätze 1 oder 2 gezeichnet, so haftet auch jedes Vorstandsmitglied der Gesellschaft auf die volle Einlage. 2Dies gilt nicht, wenn das Vorstandsmitglied beweist, daß es kein Verschulden trifft. Literatur: Büdenbender, Eigene Aktien und Aktien an der Muttergesellschaft – Zeichnung, Erwerb, Kompetenzen, DZWiR 1998, 1 (Teil I) und DZWiR 1998, 55 (Teil II); Habersack, Verdeckte Sacheinlage und Hin- und Herzahlen nach dem ARUG, AG 2009, 557; Herrler/Reymann, Die Neuerungen im Aktienrecht durch das ARUG (Teil 2), DNotZ 2009, 914; Hettlage, Darf sich eine Kapitalgesellschaft durch die Begründung einer wechselseitigen Beteiligung an der Kapitalaufbringung ihrer eigenen Kapitalgeber beteiligen?, AG 1967, 249; Hüffer, Harmonisierung des aktienrechtlichen Kapitalschutzes, NJW 1979, 1065; Mertens, Aufteilung von Kosten gemischter Aktienplatzierungen zwischen Gesellschaft und Aktionären, AG 2015, 881; Winter, M., Gesellschaftsrechtliche Schranken für „Wertgarantien“ der AG auf eigene Aktien, in: Festschrift für Volker Röhricht, 2005, S. 709.

Übersicht I. Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt .................................................. 1 II. Zeichnungsverbot (§ 56 Abs. 1) ....... 3 1. Voraussetzungen ................................ 3 2. Rechtsfolgen bei Verstößen ............... 4 3. Vorratsaktien ...................................... 6 4. Finanzielle Unterstützung des Aktienerwerbs .................................... 7 a) Kontroverse Diskussion .............. 7 b) Stellungnahme .............................. 8 III. Konzernsachverhalte (§ 56 Abs. 2) ..................................... 10 1. Umgehungsschutz ............................ 10 I.

a) Zeichnung von Aktien eines abhängigen Unternehmens ........ b) Zeichnung von Aktien eines Mehrheitsgesellschafters ............ c) Unternehmensvertrag ................ 2. Rechtsfolgen bei Verstößen ............ IV. Treuhandverhältnisse, mittelbare Stellvertretung (§ 56 Abs. 3) .......... 1. Erfasste Gestaltungen ...................... 2. Rechtsfolgen bei Verstößen ............ a) Aktionärspflichten ..................... b) Aktionärsrechte .......................... V. Vorstandshaftung (§ 56 Abs. 4) .....

11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt

Die Regelung ergänzt die §§ 71 – 71e und verbietet die Zeichnung eigener Aktien durch 1 die AG. Der Schutzzweck ist ein doppelter: Das Innehaben eigener Aktien lässt zum einen die Kapitalaufbringung leer laufen, indem die AG Gläubiger und Schuldner der Einlagepflicht ist; zudem wird die aktienrechtliche Organisationsstruktur missachtet, indem der Vorstand als Vertretungsorgan über Kompetenzen verfügt, die an sich den Aktionären zustehen (sog. Verwaltungsstimmrecht).1) Die Regelung wurde in Umsetzung der Art. 18, 24a der früheren Kapitalrichtlinie im Jahr 1979 eingeführt.2) Ihr Regelungsgehalt war jedoch in Deutschland bereits früher anerkannt;3) vgl. auch § 33 GmbHG. Insgesamt ist die Regelung rechtspolitisch betrachtet zu begrüßen, wenngleich – wie beim Erwerb eige_____________ 1) 2)

3)

Vgl. auch Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 56 Rz. 1 ff.; K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 56 Rz. 1 ff., auch zu rechtsvergleichenden Aspekten. Heute Art. 59, 67 der Richtlinie (EU) 2017/1132 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 14.6.2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts (Gesellschaftsrechts-Richtlinie), ABl. (EU) Nr. L 169/46 v. 30.6.2017. Vgl. BGH, Beschl. v. 9.12.1954 – II ZB 15/54, BGHZ 15, 391 – zur AG; zur Neuregelung aus damaliger Sicht – Hüffer, NJW 1979, 1065, 1068.

Wolfgang Servatius

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§ 56

Keine Zeichnung eigener Aktien

ner Aktien – in bestimmten Konstellationen beschränkte Ausnahmen vom Zeichnungsverbot zulässig sein müssen (zu den Vorratsaktien siehe unten Rz. 6). 2 § 56 Abs. 1 begründet ein Verbot, dass die AG eigene Aktien bei der Gründung oder Kapitalerhöhung zeichnet; wird hiergegen verstoßen, ist die Zeichnung nichtig. § 56 Abs. 2 erstreckt das Zeichnungsverbot zum Schutz vor Umgehungen auf Konzernsachverhalte, ordnet jedoch an, dass ein Verstoß nicht die Unwirksamkeit der Aktienübernahme nach sich zieht. § 56 Abs. 4 begründet eine Schadensersatzhaftung des Vorstands bei Missachtung der vorgenannten Verbotstatbestände. § 56 Abs. 3 regelt die unter Umgehungsaspekten typischen Treuhandverhältnisse und besagt, dass derjenige, der Aktien für Rechnung der AG oder ein mit ihr verbundenes Unternehmen erwirbt, im Verhältnis zur AG behandelt wird, als wenn er die Aktien auf eigene Rechnung hält. Erwirbt die AG bereits existierende Aktien (derivativer Erwerb), gelten hierfür allein die §§ 71 – 71e. II.

Zeichnungsverbot (§ 56 Abs. 1)

1.

Voraussetzungen

3 Aus § 56 Abs. 1 folgt das zwingende Verbot, dass die AG eigene Aktien zeichnet, sei es bei der Gründung (Aktienübernahme gemäß § 23 Abs. 2 Nr. 2) oder einer Kapitalerhöhung (§§ 185, 198). Die Zeichnung eigener Aktien i. R. einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln ist hingegen gemäß § 215 Abs. 1 zulässig. Dies darf jedoch entgegen der h. M. nicht allein darauf gestützt werden, dass mangels Kapitalzufuhr kein Problem der Kapitalaufbringung bestehe.4) Die ebenfalls durch das Zeichnungsverbot einzudämmenden Gefahren des Verwaltungsstimmrechts bestehen nämlich auch hier. Gleichwohl ist die Ausnahme vom Zeichnungsverbot gerechtfertigt, denn nur hierdurch lässt sich gewährleisten, dass das Veräußerungsgebot gemäß § 71c effektiv wahrgenommen werden kann. Würden die Aktien nicht an der Kapitalerhöhung partizipieren, ließen sich die von der AG gehaltenen eigenen Aktien infolge der Verwässerung schwerer veräußern. 2.

Rechtsfolgen bei Verstößen

4 Kommt es zum Verstoß gegen § 56 Abs. 1, ist die Aktienübernahme bzw. Zeichnung gemäß § 134 BGB nichtig.5) Die Durchführung der Kapitalerhöhung darf nicht ins Handelsregister eingetragen werden (§§ 188, 189, 201); die AG wird nicht ihr eigener Aktionär. 5 Kommt es gleichwohl zur Eintragung, wird die Nichtigkeit bei der ordentlichen Kapitalerhöhung und beim genehmigten Kapital gemäß § 185 Abs. 3 analog geheilt.6) Die Regelung kann jedoch nicht unmittelbar herangezogen werden, weil bei eigenen Aktien die Leistung von Einlagen nicht möglich und die Ausübung von Aktionärsrechten gemäß § 71b nicht zulässig ist. § 185 Abs. 3 lässt sich jedoch der verallgemeinerungsfähige Rechtsgedanke entnehmen, dass eine fehlerhafte Zeichnung heilbar ist, sofern hiergegen nicht zwingende Individual- oder Allgemeininteressen sprechen. Dies ist hier nicht gegeben. Indem die Innehabung eigener Aktien durch die §§ 71 – 71e gesetzlich anerkannt ist, muss dieser Zustand auch durch eine an sich unzulässige Zeichnung ausnahmsweise möglich sein. Das auf die rechtswidrige Zeichnung entsprechend anzuwendende Veräußerungsgebot gemäß § 71c und der Ausschluss von Aktionärsrechten gemäß § 71b bieten genügend Schutz vor Umgehungen. Bei der bedingten Kapitalerhöhung tritt die Heilung nach zutreffender Ansicht ebenfalls erst mit der (deklaratorischen) Eintragung ins Handelsregister ein, damit _____________ 4) 5) 6)

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So aber Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 56 Rz. 3; Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 56 Rz. 11. Unstreitig, vgl. Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 56 Rz. 14. H. M., vgl. nur Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 56 Rz. 15; K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 56 Rz. 10 f.; unentschieden Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 56 Rz. 4 ff.

Wolfgang Servatius

§ 56

Keine Zeichnung eigener Aktien

genügend Zeit bleibt, die Aktien in rechtmäßiger Weise anderweitig zu platzieren.7) Siehe zur Vorstandshaftung gemäß § 56 Abs. 4 unten Rz. 20. 3.

Vorratsaktien

Vergleicht man § 56 Abs. 1 mit den §§ 71 – 71e, ergibt sich eine Schieflage: Der derivative 6 Erwerb eigener Aktien ist in engen Grenzen auf Zeit zulässig, der originäre Erwerb generell nicht. Insofern stellt sich die Frage, ob § 56 Abs. 1 nicht im Bereich der Kapitalerhöhungen insoweit aufzuweichen ist, als entsprechend § 71 Abs. 1 Nr. 8 eine Ausnahme für maximal 10 % des Grundkapitals aufgrund entsprechenden Hauptversammlungsbeschlusses zulässig ist. Auch die eng auszulegende Regelung gemäß § 71 Abs. 1 Nr. 1 zum Aktienerwerb, um einen schweren, unmittelbar bevorstehenden Schaden von der AG abzuwenden, sollte für Extremfälle auf die Aktienzeichnung analog angewendet werden. Teleologisch und wertungsmäßig betrachtet spricht nichts dagegen, denn es kann durchaus ein praktisches Bedürfnis dafür bestehen, dass die AG selbst für kurze Zeit die neuen Aktien hält.8) Der pauschale Hinweis auf die vom Wortlaut identischen Regelungen der Gesellschaftsrechts-Richtlinie9) vermag für sich genommen auch keine Sperre für eine behutsame Rechtsfortbildung zu begründen, denn auch im europäischen Recht ist der Wortlaut keine starre Grenze. Insbesondere für die Praxis bei Übernahmekonsortien, bei denen teilweise die AG selbst Mitglied ist,10) würde diese Sichtweise erhebliche Rechtssicherheit bedeuten. 4.

Finanzielle Unterstützung des Aktienerwerbs

a)

Kontroverse Diskussion

Umstritten ist, ob das Verbot der finanziellen Unterstützung beim Aktienerwerb gemäß 7 § 71a auch bei der Gründung bzw. Kapitalerhöhung gilt. § 56 enthält hierüber gemäß seinem Wortlaut keine Regelungen. Ein Teil der Literatur sieht hiervon ausgehend keine entsprechenden Beschränkungen bei der Zeichnung neuer Aktien durch Dritte und begründet dies mittlerweile auch mit dem neu eingeführten § 27 Abs. 4.11) Hiernach ist es also zulässig, dass die AG – mittels Darlehens o. Ä. – dem Zeichner den Aktienerwerb finanziert, sei es in Form des sog. Hin- und Herzahlens oder beim umgekehrten Herund Hinzahlen. Demgegenüber spricht sich eine zunehmende Zahl von Autoren auf der Grundlage der europarechtlich geforderten effektiven Aufbringung der Mindesteinlagen dafür aus, das Verbot der Finanzierung des Anteilserwerbs bei der Aktienübernahme bzw. Zeichnung zumindest für die Mindesteinlagen gelten zu lassen.12) Im Hinblick auf das Viertel des geringsten Ausgabebetrags und das korporative Agio ist die Kapitalaufbringung mittels Hin- und Herzahlen und umgekehrt damit nicht möglich, so dass es insofern bei der vor dem ARUG geltenden Rechtslage bleibt.13)

_____________ 7) Vgl. zum Streitstand Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 56 Rz. 16. 8) Vgl. aber zu Missbräuchen die historischen Ausführungen bei K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 56 Rz. 20. 9) Richtlinie (EU) 2017/1132 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 14.6.2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts (Gesellschaftsrechts-Richtlinie), ABl. (EU) Nr. L 169/46 v. 30.6.2017. 10) Vgl. Hahn, Die Übernahme von Aktien für Rechnung der Gesellschaft, 2005, S. 85. 11) Ausführlich Schroeder, Finanzielle Unterstützung des Aktienerwerbs, 1995, S. 152 ff. 12) Habersack, AG 2009, 557, 563; für eine weitergehende Anwendung auch Spindler/Stilz-Cahn/ v. Spannenberg, AktG, § 56 Rz. 13. 13) Vgl. auch Spindler/Stilz-Servatius, AktG, § 188 Rz. 84.

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§ 56 b)

Keine Zeichnung eigener Aktien Stellungnahme

8 Der letztgenannten Auffassung ist zuzustimmen. Die Änderungen der früheren Kapitalrichtlinie im Jahr 2006 im Bereich der „financial assistance“ brachten zwar eine weitgehende Liberalisierung des bis dahin strikten Verbots (Einzelheiten siehe § 71a Rz. 3). Formal betrachtet hat Deutschland von dieser Möglichkeit bislang noch keinen Gebrauch gemacht, was der unveränderte § 71a zeigt. Gleichwohl darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die Liberalisierung der rechtlichen Behandlung des Hin- und Herzahlens gemäß § 27 Abs. 4 durch das ARUG funktional der europäischen Liberalisierung des Verbots der finanziellen Unterstützung entspricht. Es ist daher zumindest nicht europarechtswidrig, wenn das in § 71a begründete Verbot der finanziellen Unterstützung bei der erstmaligen Aktienzeichnung nicht gilt. 9 Auf der anderen Seite dürfen die Fälle des Hin- und Herzahlens bzw. umgekehrt nicht allein anhand des – gelockerten – europäischen Verbots der finanziellen Unterstützung beurteilt werden, sondern vor allem auch anhand der Erfordernisse für Mindesteinlagen. Insofern ist die Neuregelung gemäß § 27 Abs. 4 europarechtlich fragwürdig, da sie der Sache nach die reale Kapitalerhöhung bei Bareinlagen entwertet. § 27 Abs. 4 ist daher zumindest für den Bereich der Mindesteinlagen eine europarechtswidrige deutsche Regelung.14) Es darf konsequenterweise hieraus nicht der Schluss gezogen werden, dass eine finanzielle Unterstützung der Aktienübernahme durch die AG zulässig sei. Vielmehr gilt richtigerweise insofern auch in den Fällen des § 56 Abs. 1 das strikte Verbot gemäß § 71a (Einzelheiten dort). Diese Frage ist jedoch bislang noch nicht ausreichend durchdrungen worden, so dass insoweit große Rechtsunsicherheit besteht. Es bleibt abzuwarten, wann der EuGH sich hiermit beschäftigt und Klärung bringt. III.

Konzernsachverhalte (§ 56 Abs. 2)

1.

Umgehungsschutz

10 § 56 Abs. 2 erweitert das Zeichnungsverbot gemäß § 56 Abs. 1 (zum Umfang siehe oben Rz. 3 ff.) auf Konzernsachverhalte und gewährleistet so – rechtspolitisch nicht unumstritten15) – einen Schutz vor Umgehungen. Im Einzelnen sind drei Fälle zu unterscheiden. a)

Zeichnung von Aktien eines abhängigen Unternehmens

11 Dies betrifft einmal die Zeichnung von Aktien durch ein von der AG abhängiges Unternehmen. Die an Konzernbegriffe anknüpfende Regelung ist rechtstechnisch ungenau. Konkret verboten ist die Zeichnung von Aktien einer AG durch eine Gesellschaft, auf die die AG einen beherrschenden Einfluss i. S. von § 17 ausüben kann. Regelmäßig – aber nicht zwingend – fällt unter dieses Verbot, dass eine Tochtergesellschaft Aktien der Mutter zeichnet. Hierdurch wird vor allem abgesichert, dass die Einlageleistung an die Muttergesellschaft real erfolgt und nicht – wie bei Konzernsachverhalten kennzeichnend – die Muttergesellschaft über die Tochter letztlich die Einlage an sich selbst leistet.16) Der konzernrechtliche Beherrschungstatbestand ist gemäß § 17 Abs. 1 erfüllt, wenn die ihr Kapital erhöhende AG mittelbar oder unmittelbar einen beherrschenden Einfluss auf die Geschäftsführung der in Rede stehenden Zeichner-Gesellschaft ausüben kann. Adressat des Verbotstatbestands ist daher jede Gesellschaft (rechtsformneutral!), auf die die AG rechtlich oder _____________ 14) So auch Habersack, AG 2009, 557, 561; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 27 Rz. 45; Lutter/Drygala in: KölnKomm-AktG, § 71a Rz. 21; Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 56 Rz. 19; abweichend aber wohl die Gesetzesverfasser, vgl. die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zum ARUG, BT-Drucks. 16/ 13098, S. 55; ähnlich Herrler/Reymann DNotZ 2009, 914, 928 ff. 15) Vgl. Hettlage, AG 1967, 249. 16) Vgl. Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 56 Rz. 20.

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§ 56

Keine Zeichnung eigener Aktien

faktisch einen Einfluss hat, der einer Mehrheitsbeteiligung entspricht.17) Zu Einzelheiten vgl. § 17. b)

Zeichnung von Aktien eines Mehrheitsgesellschafters

Weiterhin darf ein Unternehmen auch keine Aktien der an ihm mit Mehrheit beteiligten 12 AG zeichnen. Konkret bedeutet dies, dass eine Gesellschaft (rechtsformneutral!) keine Aktien der AG zeichnen darf, wenn diese AG über mindestens 50 % der Stimmrechte oder Geschäftsanteile der Gesellschaft hält (Einzelheiten bei § 16). Die Regelung geht über § 17 Abs. 2 hinaus, wonach die Innehabung einer Mehrheitsbeteiligung durch die AG lediglich die widerlegliche Vermutung für einen beherrschenden Einfluss begründet. Hält die ihr Kapital erhöhende AG weniger als 50 % der Stimmrechte oder Geschäftsanteile und verfügt auch nicht anderweitig über einen beherrschenden Einfluss i. S. von § 17 Abs. 1, greift das Zeichnungsverbot nicht.18) c)

Unternehmensvertrag

Darüber hinaus gilt das Verbot auch, wenn die AG mit einem kleinbeteiligten Aktionär 13 oder Dritten einen Beherrschungs- und/oder Gewinnabführungsvertrag eingegangen ist.19) Der Partner eines derartigen Unternehmensvertrages darf ebenso keine Aktien der AG zeichnen. 2.

Rechtsfolgen bei Verstößen

Nach § 56 Abs. 2 Satz 2 führen die Verstöße gegen die vorgenannten Zeichnungsverbote 14 nicht zur Nichtigkeit der Aktienübernahme. Auch wird die Wirksamkeit der Kapitalerhöhung als solche hiervon nicht berührt.20) Das Registergericht ist hieran freilich nicht gebunden und hat die Eintragung der Kapitalerhöhung bei Zuwiderhandlung abzulehnen.21) Für die verbotswidrig gezeichneten Aktien besteht gemäß §§ 71d Satz 2, 71b kein Stimmrecht; die Aktien sind gemäß § 71c binnen Jahresfrist zu veräußern.22) Eine schuldrechtliche Verpflichtung, die auf einen verbotenen Erwerb nach § 56 Abs. 2 zielt, ist hingegen gemäß § 134 BGB nichtig.23) § 160 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 begründen eine Berichtspflicht über die verbotswidrig erworbenen Aktien. Zur Vorstandshaftung siehe unten Rz. 20. IV.

Treuhandverhältnisse, mittelbare Stellvertretung (§ 56 Abs. 3)

§ 56 Abs. 3 begründet für bestimmte Treuhandverhältnisse zwar kein Erwerbsverbot, ord- 15 net jedoch – an sich selbstverständlich – zwingend an, dass der formale Aktionär unbeschadet interner Abreden sämtliche Pflichten aus den übernommenen Aktien hat (§ 56 Abs. 3 Satz 2), jedoch aus den Aktien keine Rechte ableiten kann (§ 56 Abs. 3 Satz 3). Die Regelung geht zurück auf die frühere Kapitalrichtlinie.24)

_____________ Statt anderer Bayer in: MünchKomm-AktG, § 17 Rz. 25. H. M. vgl. K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 56 Rz. 14. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 12 Rz. 12; BGH, Urt. v. 4.3.1974 – II ZR 89/72, BGHZ 62, 193. Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 56 Rz. 32. K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 56 Rz. 17; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 56 Rz. 10; abweichend, lediglich Ablehnungsrecht, Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 56 Rz. 33. 22) Zum Problem des Fristlaufs ausführlich Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 56 Rz. 35. 23) Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 56 Rz. 34; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 56 Rz. 10. 24) Zu Umsetzungsproblemen ausführlich Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 56 Rz. 43.

17) 18) 19) 20) 21)

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§ 56 1.

Keine Zeichnung eigener Aktien Erfasste Gestaltungen

16 Die Regelung knüpft gemäß § 56 Abs. 3 Satz 1 daran an, dass eine Person Aktien als Gründer oder Zeichner bei einer Kapitalerhöhung (§ 23 Abs. 2 Nr. 2 bzw. § 185) übernimmt (zum Anwendungsbereich von § 56 siehe oben Rz. 3) und aufgrund entsprechender Vereinbarung für Rechnung der AG oder eines von dieser abhängigen oder in deren Mehrheitsbesitz stehenden Unternehmens hält (§§ 16, 17).25) Dies ist ohne weiteres zu bejahen, wenn der Zeichner aufgrund der Vereinbarung verpflichtet ist, die Aktien später an die AG oder das einzubeziehende Unternehmen zu veräußern (Option)26) sowie, wenn der Aktionär zwar dauerhaft Aktionär sein soll, die Abrede das wirtschaftliche Risiko jedoch der AG oder den betreffenden Gesellschaften ganz oder zum Teil zuweist.27) Indem hiernach die Verlagerung des wirtschaftlichen Risikos auf die AG reglementiert wird, fallen konsequenterweise auch Gestaltungen unter § 56 Abs. 3, bei denen die AG i. R. einer Kapitalerhöhung eine Kursgarantie für die betreffenden Aktien abgibt.28) Übernimmt ein Übernahmekonsortium die neuen Aktien, hängt die Anwendung von § 56 Abs. 3 davon ab, wer das Platzierungsrisiko übernimmt; beim „hard underwriting“ ohne überzogene Vergütungsansprüche der Banken gibt es demnach keine Einschränkungen.29) 2. Rechtsfolgen bei Verstößen 17 Wie bei § 56 Abs. 2 ist der Aktienerwerb nicht unwirksam.30) Das Gleiche gilt nach zutreffender Ansicht auch für die zugrunde liegende Treuhandabrede (streitig).31) a) Aktionärspflichten 18 Gemäß § 56 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 kann sich der Aktionär in Bezug auf die Pflichten aus den Aktien (vor allem der Einlagepflicht nach § 54) nicht darauf berufen, aufgrund entsprechender Vereinbarung mit der AG oder einem dieser zuzurechnenden Unternehmen nicht zur Erfüllung verpflichtet zu sein. Der Aktionär hat somit keine Möglichkeit, die an sich wirksamen schuldrechtlichen Vereinbarungen in den mitgliedschaftlichen Bereich durchschlagen zu lassen. Im Ergebnis begründet § 56 Abs. 2 damit ein Aufrechnungsverbot im Hinblick auf entsprechende Aufwendungsersatzansprüche aus § 670 BGB, verbietet diesbezüglich die Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts aus § 273 BGB und versagt den dolo-agit-Einwand gemäß § 242 BGB. Konsequenterweise muss dies auch nach Erfüllung der Einlagepflichten im Bereich der Kapitalerhaltung fortgelten (§ 57 Abs. 1). Hat die AG oder eines der einzubeziehenden Unternehmen aus dem Innenverhältnis Rechte gegenüber dem Aktionär, stehen ihr diese ohne weiteres zu (vor allem die Erlösherausgabepflicht nach Weiterveräußerung gemäß § 667 BGB; streitig).32) _____________ 25) Vgl. zur teilweise schwierigen Abgrenzung des Erwerbstatbestands gegenüber §§ 71 – 71f; Spindler/ Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 56 Rz. 41. 26) Einzelheiten bei Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 56 Rz. 45. 27) Vgl. OLG Hamm Urt. v. 24.1.2007 – 8 U 69/06, BeckRS 2007, 17939; Einzelheiten bei Vedder, Der Begriff „für Rechnung“ im AktG und im WpHG, 1999, S. 58 ff.; Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 56 Rz. 45 f. 28) Vgl. OLG Hamm Urt. v. 24.1.2007 – 8 U 69/06, BeckRS 2007, 17939; hierzu eingehend Hahn, Die Übernahme von Aktien für Rechnung der Gesellschaft, 2005, S. 64 ff.; M. Winter in: FS Röhricht, S. 709, 713. 29) Zum Ganzen, auch im Hinblick auf die Bedeutung der Vergütungsstruktur, Spindler/Stilz-Cahn/ v. Spannenberg, AktG, § 56 Rz. 47 f.; K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 56 Rz. 23; Mertens, AG 2015, 881. 30) Unstreitig, vgl. K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 56 Rz. 24. 31) H. M., vgl. nur Bungeroth in: MünchKomm-AktG, § 56 Rz. 72; abweichend mit beachtlichen Argumenten Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 56 Rz. 53 ff., Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 56 Rz. 13. 32) K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 56 Rz. 27; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 56 Rz. 15; abweichend für eine Gesamtnichtigkeit der internen Geschäftsbesorgungsabrede Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 56 Rz. 13.

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Keine Rückgewähr, keine Verzinsung der Einlagen b)

§ 57

Aktionärsrechte

Die wohl drastischere Sanktion begründet § 56 Abs. 3 Satz 3, wonach dem Aktionär wäh- 19 rend der Dauer der treuhänderischen Bindung keine Aktionärsrechte zustehen (Stimmrecht, Gewinn, Liquidationserlös). Hierdurch wird der Aktienerwerb für Rechnung der AG unattraktiv, was vom Gesetzgeber ausdrücklich bezweckt wurde.33) Für die entsprechende Heranziehung des Veräußerungsgebots gemäß §§ 71d Satz 2, 71c besteht daher kein Raum. Wird die interne Abrede über die treuhänderische Bindung nachträglich beendet (Auflösungsvertrag, Kündigung), stehen dem Aktionär die betreffenden Rechte mit ex nunc-Wirkung zu. Der Aktionär muss hierzu die Beendigung der AG gegenüber anzeigen. V.

Vorstandshaftung (§ 56 Abs. 4)

§ 56 Abs. 4 begründet eine gesonderte verschuldensabhängige Vorstandshaftung bei 20 Verstößen gegen die Erwerbsverbote gemäß § 56 Abs. 1 und Abs. 2. Die Regelung ist an sich überflüssig, da die Haftung ohne weiteres auch aus § 93 Abs. 3 Nr. 3 folgen würde.34) Dessen rechtliche Ausgestaltung im Einzelnen (Verjährung, Durchsetzung) beansprucht auch bei § 56 Abs. 4 Geltung. Stets ist erforderlich, dass der AG ein entsprechender Schaden entstanden ist. Hieran wird es in konsequenter Anwendung der Differenzhypothese regelmäßig fehlen. Richtigerweise ist das Schadenserfordernis daher wie bei § 93 Abs. 3 Nr. 2 normativ zu bestimmen, so dass der Vorstand die Einlagepflicht der AG selbst zu erfüllen hat.35) Bei einem Verstoß gegen § 56 Abs. 1 gilt dies nur dann, wenn infolge der Registereintragung Heilung des unwirksamen Aktienerwerbs eingetreten ist (siehe oben Rz. 5).36) Wird die Einlagepflicht durch die in Anspruch genommenen Vorstandsmitglieder erfüllt, haben sie gegen die AG einen Anspruch auf Übertragung der betreffenden Aktien.37) _____________ 33) Vgl. amtl. Begr. zu § 51 AktG 1937. 34) Vgl. Büdenbender, DZWiR 1998, 55, 57. 35) K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 56 Rz. 29; zu Folgeschäden Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 56 Rz. 39. 36) Zutreffend Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 56 Rz. 17. 37) K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 56 Rz. 30.

§ 57 Keine Rückgewähr, keine Verzinsung der Einlagen (1) 1Den Aktionären dürfen die Einlagen nicht zurückgewährt werden. 2Als Rückgewähr gilt nicht die Zahlung des Erwerbspreises beim zulässigen Erwerb eigener Aktien. 3Satz 1 gilt nicht bei Leistungen, die bei Bestehen eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrags (§ 291) erfolgen oder durch einen vollwertigen Gegenleistungs- oder Rückgewähranspruch gegen den Aktionär gedeckt sind. 4Satz 1 ist zudem nicht anzuwenden auf die Rückgewähr eines Aktionärsdarlehens und Leistungen auf Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem Aktionärsdarlehen wirtschaftlich entsprechen. (2) Den Aktionären dürfen Zinsen weder zugesagt noch ausgezahlt werden. (3) Vor Auflösung der Gesellschaft darf unter die Aktionäre nur der Bilanzgewinn verteilt werden. Literatur: Aha, Vorbereitung des Zusammenschlusses im Wege der Kapitalerhöhung gegen Sacheinlage durch ein „Business Combination Agreement, BB 2001, 2225; Altmeppen, „Upstream-

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Keine Rückgewähr, keine Verzinsung der Einlagen b)

§ 57

Aktionärsrechte

Die wohl drastischere Sanktion begründet § 56 Abs. 3 Satz 3, wonach dem Aktionär wäh- 19 rend der Dauer der treuhänderischen Bindung keine Aktionärsrechte zustehen (Stimmrecht, Gewinn, Liquidationserlös). Hierdurch wird der Aktienerwerb für Rechnung der AG unattraktiv, was vom Gesetzgeber ausdrücklich bezweckt wurde.33) Für die entsprechende Heranziehung des Veräußerungsgebots gemäß §§ 71d Satz 2, 71c besteht daher kein Raum. Wird die interne Abrede über die treuhänderische Bindung nachträglich beendet (Auflösungsvertrag, Kündigung), stehen dem Aktionär die betreffenden Rechte mit ex nunc-Wirkung zu. Der Aktionär muss hierzu die Beendigung der AG gegenüber anzeigen. V.

Vorstandshaftung (§ 56 Abs. 4)

§ 56 Abs. 4 begründet eine gesonderte verschuldensabhängige Vorstandshaftung bei 20 Verstößen gegen die Erwerbsverbote gemäß § 56 Abs. 1 und Abs. 2. Die Regelung ist an sich überflüssig, da die Haftung ohne weiteres auch aus § 93 Abs. 3 Nr. 3 folgen würde.34) Dessen rechtliche Ausgestaltung im Einzelnen (Verjährung, Durchsetzung) beansprucht auch bei § 56 Abs. 4 Geltung. Stets ist erforderlich, dass der AG ein entsprechender Schaden entstanden ist. Hieran wird es in konsequenter Anwendung der Differenzhypothese regelmäßig fehlen. Richtigerweise ist das Schadenserfordernis daher wie bei § 93 Abs. 3 Nr. 2 normativ zu bestimmen, so dass der Vorstand die Einlagepflicht der AG selbst zu erfüllen hat.35) Bei einem Verstoß gegen § 56 Abs. 1 gilt dies nur dann, wenn infolge der Registereintragung Heilung des unwirksamen Aktienerwerbs eingetreten ist (siehe oben Rz. 5).36) Wird die Einlagepflicht durch die in Anspruch genommenen Vorstandsmitglieder erfüllt, haben sie gegen die AG einen Anspruch auf Übertragung der betreffenden Aktien.37) _____________ 33) Vgl. amtl. Begr. zu § 51 AktG 1937. 34) Vgl. Büdenbender, DZWiR 1998, 55, 57. 35) K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 56 Rz. 29; zu Folgeschäden Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 56 Rz. 39. 36) Zutreffend Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 56 Rz. 17. 37) K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 56 Rz. 30.

§ 57 Keine Rückgewähr, keine Verzinsung der Einlagen (1) 1Den Aktionären dürfen die Einlagen nicht zurückgewährt werden. 2Als Rückgewähr gilt nicht die Zahlung des Erwerbspreises beim zulässigen Erwerb eigener Aktien. 3Satz 1 gilt nicht bei Leistungen, die bei Bestehen eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrags (§ 291) erfolgen oder durch einen vollwertigen Gegenleistungs- oder Rückgewähranspruch gegen den Aktionär gedeckt sind. 4Satz 1 ist zudem nicht anzuwenden auf die Rückgewähr eines Aktionärsdarlehens und Leistungen auf Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem Aktionärsdarlehen wirtschaftlich entsprechen. (2) Den Aktionären dürfen Zinsen weder zugesagt noch ausgezahlt werden. (3) Vor Auflösung der Gesellschaft darf unter die Aktionäre nur der Bilanzgewinn verteilt werden. Literatur: Aha, Vorbereitung des Zusammenschlusses im Wege der Kapitalerhöhung gegen Sacheinlage durch ein „Business Combination Agreement, BB 2001, 2225; Altmeppen, „Upstream-

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§ 57

Keine Rückgewähr, keine Verzinsung der Einlagen

loans“, Cash Pooling und Kapitalerhaltung nach neuem Recht, ZIP 2009, 49; Altmeppen, Die Grenzen der Zulässigkeit des cash pooling, ZIP 2006, 1025; Bayer, Emittentenhaftung versus Kapitalerhaltung, WM 2013, 961; Bayer, Zentrale Konzernfinanzierung, Cash Management und Kapitalerhaltung, in: Festschrift für Marcus Lutter, 2000, S. 1011; Brandi, Gewährleistungen durch die Aktiengesellschaft bei Anteilserwerb durch Kapitalerhöhung, NZG 2004, 600; Canaris, Die Rückgewähr von Gesellschaftereinlagen durch Zuwendungen an Dritte, in: Festschrift für Robert Fischer, 1979, S. 31; Casper, Persönliche Außenhaftung der Organe bei fehlerhafter Information des Kapitalmarktes?, BKR 2005, 83; Drygala, Europäisches Konzernrecht: Gruppeninteresse und Related Party Transactions, AG 2013, 198; Ehmann/Walden, Rückforderung von zum Abkauf von Anfechtungsklagen geleisteten Zahlungen, NZG 2013, 806; Eidenmüller/ Engert, Insolvenzrechtliche Ausschüttungssperren, in: Festschrift für Karsten Schmidt, 2009, S. 305; Ekkenga, Einzelabschlüsse nach IFRS – Ende der aktien- und GmbH-rechtlichen Kapitalerhaltung?, AG 2006, 389; Engert, Kreditgewährung an GmbH-Gesellschafter und bilanzorientierter Kapitalschutz, BB 2005, 1951; Fleischer, Related Party Transactions bei börsennotierten Gesellschaften: Deutsches Aktien(konzern)recht und Europäische Reformvorschläge, BB 2014, 2691; Fleischer, Zweifelsfragen der verdeckten Gewinnausschüttung im Aktienrecht, WM 2007, 909; Fleischer, „Gegriffene Größen“ in der aktienrechtlichen Spruchpraxis, in: Festschrift für Claus-Wilhelm Canaris, 2007, Bd. II, S. 71; Fleischer/Schneider/Thaten, Kapitalmarktrechtlicher Anlegerschutz versus aktienrechtliche Kapitalerhaltung – wie entscheidet der EuGH?, NZG 2012, 801; Habersack, Grundfragen der freiwilligen oder erzwungenen Subordination von Gesellschafterkrediten, ZGR 2000, 384; Handelsrechtsausschuss des DAV, Stellungnahme zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG), NZG 2007, 735; Heerma/Bergmann, Sicherheitenbestellung an Dritte für Verbindlichkeiten des Gesellschafters als verbotene Auszahlung i. S. d. § 30 Abs. 1 GmbHG, ZIP 2017, 1261; Huber/Habersack, GmbH-Reform: Zwölf Thesen zu einer möglichen Reform des Rechts der kapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen, BB 2006, 1; Kiefner/Theusinger, Aufsteigende Darlehen und Sicherheitenbegebung im Aktienrecht nach dem MoMiG, NZG 2008, 801; Kleinert/Mayer, Bestandaufnahme und anstehende Neuerungen durch die Umsetzung der EU-Aktionärsrechterichtlinie II, EuZW 2018, 314; Leuschner, Öffentliche Umplatzierung, Prospekthaftung und Innenregress, NJW 2011, 3275; Maidl/Kreifels, Beteiligungsverträge und ergänzende Vereinbarungen, NZG 2003, 1091; Mertens, Aufteilung von Kosten gemischter Aktienplatzierungen zwischen Gesellschaft und Aktionären, AG 2015, 881; Mülbert/Leuschner, Aufsteigende Darlehen im Kapitalerhaltungs- und Konzernrecht – Gesetzgeber und BGH haben gesprochen, NZG 2009, 281; Mylich, Die Einlage des atypisch stillen Gesellschafters und die zur Rückzahlung bestellten Sicherheiten im Insolvenzverfahren der Handelsgesellschaft, WM 2013, 1010; Nodoushani, Die neue BGH-Rechtsprechung zum Verbot der Einlagenrückgewähr, NZG 2013, 687; Pleister, Behandlung von Drittsicherheiten in der finanziellen Restrukturierung von Konzernen, ZIP 2015, 1097; Rosengarten, Die Rechtsfolgen eines „verdeckten“ Verstoßes gegen § 57 AktG: Endgültiger Abschied von der Nichtigkeit, ZHR 168 (2004) 70; Rothley/ Weinberger, Die Anforderungen an Vollwertigkeit und Deckung nach § 30 I 2 GmbHG und § 57 I 3 AktG, NZG 2010, 1001; Schäfer, Reform des GmbHR durch das MoMiG – viel Lärm um nichts?, DStR 2006, 2085; Schaefer/Grützediek, Haftung der Gesellschaft für „mangelhafte“ Gesellschaftsanteile bei Kapitalerhöhungen, NZG 2006, 204; Schmidt, K., Gesetzgebung und Rechtsfortbildung im Recht der GmbH und der Personengesellschaften – Zur Aufgabenteilung zwischen Gesetzgebung, Justiz und Wissenschaft, JZ 2009, 10; Schön, Die Zukunft der Kapitalaufbringung/-erhaltung, Der Konzern 2004, 162; Schwark, Prospekthaftung und Kapitalerhaltung in der AG, in: Festschrift für Peter Raisch, 1995, S. 269; Selzner, Related Party Transactions – Fortschritt oder Belohnung? Herausforderungen europäischer Rechtsangleichung im Bereich Corporate Governance, ZIP 2015, 753; Servatius, Covenants in der Restrukturierung, CFL 2013, 14; Servatius, Die besondere Zweckbindung des Stammkapitals bei Drittgeschäften mit Gesellschaften, DStR 2004, 1176; Servatius, Über die Beständigkeit des Erstattungsanspruchs wegen Verletzung des Stammkapitals, GmbHR 2000, 1028; Servatius, Nutzungsweise Überlassung von Betriebsmitteln der GmbH an Gesellschafter als Auszahlung i. S. v. §§ 30, 31 GmbHG,

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Keine Rückgewähr, keine Verzinsung der Einlagen

§ 57

GmbHR 1998, 723; Sieger/Hasselbach, Die Übernahme von Gewährleistungen durch die Aktiengesellschaft bei Kapitalerhöhung und Aktientausch, BB 2004, 60; Stimpel, Das Auszahlungsverbot des § 30 Abs. 1 GmbHG, in: Festschrift 100 Jahre GmbHG, S. 335; Strohn, Cash-Pooling – verbotene und unwirksame Zahlungen, DB 2014, 1535; Technau, Rechtsfragen bei der Gestaltung von Übernahmeverträgen („Underwriting Agreements“) im Zusammenhang mit Aktienemissionen, AG 1998, 445; Veil, Transaktionen mit Related Parties im deutschen Aktien- und Konzernrecht, NZG 2017, 521; Vetter J., Regelungsbedarf für Related Party Transactions?, ZHR 179 (2015) 273; Witt, Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen § 57 AktG, ZGR 2013, 668.

Übersicht I. Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt .................................................. 1 1. Kapitalbindung ................................... 1 2. Ausnahmen ......................................... 2 3. Reichweite ........................................... 3 4. Schutzzweck ....................................... 4 5. Rechtspolitische Kritik ...................... 6 6. Related Parties Transactions .............. 8 II. Verbot der Einlagenrückgewähr ..... 9 1. Geschütztes Vermögen ...................... 9 2. Erfasste Auszahlungen ..................... 10 a) Art des Vermögensabflusses ..... 11 b) Vollwertige Gegenleistung ........ 12 c) Maßgeblicher Zeitpunkt ............ 15 d) Bilanzielle Betrachtung (§ 57 Abs. 1 Satz 3 Alt. 2) .......... 17 aa) Grundlagen ................................. 18 bb) Vollwertiger Gegenleistungsoder Rückgewähranspruch ........ 22 cc) Fälligkeit, Beobachtungspflicht .......................................... 23 e) Bestellung von Sicherheiten ...... 25

f) Anlegerschutz, Kapitalmarkt .... 3. Leistung causa societatis .................. 4. Aktionäre als Leistungsempfänger .. a) Ehemalige und künftige Aktionäre .................................... b) Einbeziehung Dritter ................. aa) Nähebeziehung zwischen Drittem und Aktionär bzw. Aktie ........................................... bb) Nähebeziehung zwischen Drittem und Gesellschaft .......... 5. Subjektive Komponente ................... 6. Besonderheiten beim Rückerwerb eigener Aktien .................................. 7. Besonderheiten bei Beherrschungsund Gewinnabführungsverträgen .... 8. Rechtsfolgen von Verstößen, Konkurrenzen .................................. 9. Beweislast .......................................... III. Zinsverbot (§ 57 Abs. 2) ................. IV. Aktionärsdarlehen ..........................

I.

Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt

1.

Kapitalbindung

27 30 32 33 34

35 36 37 38 39 40 42 43 44

§ 57 ist die zentrale Norm für die zwingende Kapitalbindung bei der AG.1) Sie prägt ent- 1 scheidend das Wesen der AG als Kapitalgesellschaft und ist der Preis für die Haftungsbeschränkung der Aktionäre. Über den Wortlaut der „verbotenen Einlagenrückgewähr“ hinaus sind im Ausgangspunkt sämtliche finanziellen Leistungen der AG an ihre Aktionäre verboten, soweit sie causa societatis erfolgen, mithin ihre Grundlage im Gesellschaftsverhältnis haben. Wird hiergegen verstoßen, folgt eine korrespondierende Erstattungspflicht aus § 62. Das Verbot beruht auf Art. 56 der Gesellschaftsrechts-Richtlinie,2) der für alle Aktiengesellschaften innerhalb der EU das bilanzbezogene Gläubigerschutzsystem vorschreibt. Es war jedoch in Deutschland vorher bereits aktienrechtliches Allgemeingut;3) vgl. auch den weitgehend ähnlichen, jedoch allein auf die Stammkapitaldeckung bezoge_____________ 1) 2) 3)

Eingehend Bezzenberger, Das Kapital der Aktiengesellschaft, 2005, § 57. Richtlinie (EU) 2017/1132 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 14.6.2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts (Gesellschaftsrecht-Richtlinie), ABl. (EU) Nr. L 169/46 v. 30.6.2017. Zur Entstehungsgeschichte Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 57 Rz. 2, 7.

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Keine Rückgewähr, keine Verzinsung der Einlagen

nen § 30 GmbHG. § 57 ist nicht Schutzgesetz i. S. von § 823 Abs. 2 BGB zugunsten der Gläubiger und Aktionäre, da die Rechtsfolge gemäß § 62 und die Organhaftung gemäß § 93 Abs. 3 Nr. 1 ausreichen.4) 2.

Ausnahmen

2 Ausnahmen vom weit zu verstehenden Verbot der Einlagenrückgewähr bestehen zunächst gemäß § 57 Abs. 3 für den tatsächlich angefallenen und förmlich ausgewiesenen Bilanzgewinn i. S. von § 174 sowie gemäß § 57 Abs. 1 Satz 2 für den Preis beim zulässigen Rückerwerb eigener Aktien (siehe unten Rz. 38). Darüber hinaus ist anerkannt, dass die Vermögensverteilung bei der Liquidation nach Gläubigerbefriedigung und Ablauf des Sperrjahres (§§ 271, 272) ebenfalls keinen Verstoß gegen § 57 begründet.5) Das Gleiche gilt für die Kapitalherabsetzung, vgl. § 225 Abs. 2. Nach § 57 Abs. 1 Satz 3 gilt seit dem MoMiG aus dem Jahr 2009 auch eine Ausnahme für Leistungen bei Bestehen eines Beherrschungsoder Gewinnabführungsvertrages (siehe unten Rz. 39) sowie – ähnlich wie bei § 27 Abs. 4 –, wenn mit der Auszahlung ein vollwertiger Gegenleistungs- oder Rückgewähranspruch korrespondiert (sog. bilanzielle Betrachtung).6) Dies ist insbesondere bei der Durchführung eines Cash Pools relevant (siehe unten Rz. 18 ff.). Schließlich gilt als bedeutende ungeschriebene Ausnahme vom Zahlungsverbot, dass marktübliche Drittrechtsbeziehungen keinen Verstoß gegen die Kapitalbindung begründen, selbst wenn der AG hierdurch Vermögen entzogen wird. 3.

Reichweite

3 Die Reichweite des Zahlungsverbots ist in mehrfacher Hinsicht über den Wortlaut der Norm hinausgehend.7) Zum einen spielt es keine Rolle, ob die – ggf. verbotene – Rückzahlung eine Geldleistung oder den Abzug eines sonstigen Vermögenswertes darstellt (siehe Rz. 9 ff.) sowie, ob sie offen oder verdeckt erfolgt (siehe Rz. 11). Die sog. verdeckten Gewinnausschüttungen an einzelne Aktionäre sind daher vielfach nicht nur wegen der Verletzung von § 53a rechtswidrig, sondern können auch gegen das Zahlungsverbot verstoßen und müssen nach § 62 erstattet werden. Zum anderen sind nicht nur unmittelbare Leistungen an die gegenwärtigen Aktionäre erfasst. Zur Verhinderung von Umgehungen ist es geboten und allgemein anerkannt, das Verbot auch auf den Aktionären zurechenbare Dritte zu erstrecken (siehe unten Rz. 34) sowie auf ehemalige und künftige Aktionäre (siehe Rz. 33). Im Insolvenzverfahren wird § 57 durch § 199 Satz 2 InsO überlagert, der bis zur vollständigen Gläubigerbefriedigung eine weitergehende Ausschüttungssperre begründet. Aktionärsdarlehen gemäß §§ 39, 135 InsO sind seit dem MoMiG nicht mehr der materiell-rechtlichen Kapitalbindung unterstellt (§ 57 Abs. 1 Satz 4; Einzelheiten siehe Anhang zu § 57). Das Recht der Kapitalaufbringung ist vorrangig, so dass insbesondere die Fälle der verdeckten Sacheinlage und des Hin- und Herzahlens allein nach § 27 Abs. 4 und 5 beurteilt werden.8) Dies ist vor allem i. R. der Darlehensgewährung an Aktionäre wegen der nach den Kapitalaufbringungsregeln verschärften Anforderungen im Hinblick auf die Fälligkeit des Rückgewähranspruchs bedeutsam (siehe unten Rz. 22). Sondervorteile gemäß § 26 sind indessen vollumfänglich auch nach Maßgabe von § 57 zu beurteilen.9) _____________ 4) 5) 6) 7) 8) 9)

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Vgl. BGH, Urt. v. 19.2.1990 – II ZR 268/88, BGHZ 110, 342 = ZIP 1990, 578; BGH, Urt. v. 25.6.2001 – II ZR 38/99, BGHZ 148, 167, 171 = NJW 2001, 3123, 3124 = ZIP 2001, 1458, dazu EWiR 2001, 917 (Keil). RG, Urt. v. 27.2.1913 – II 534/12, RGZ 81, 414, 412. Vgl. zum gesetzgeberischen Ansatz der Neuregelung Seibert, MoMiG, S. 24 ff., 28 ff. Zur methodischen Erklärung des weiten Anwendungsbereichs Fleischer, WM 2007, 909, 910. Vgl. BGH, Urt. v. 17.9.2011 – II ZR 275/99, ZIP 2001, 1997, 1998, dazu EWiR 2001, 1149 (Keil). Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 57 Rz. 4.

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Keine Rückgewähr, keine Verzinsung der Einlagen 4.

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Schutzzweck

Die Vermögensbindung gemäß § 57 verwirklicht im Wesentlichen zwei Schutzziele: Am 4 wichtigsten, jedoch rechtspolitisch derzeit auch am stärksten in der Kritik, ist der hierüber vermittelte Gläubigerschutz. Die Aktionäre werden bis Abschluss der Liquidation einer AG über § 57 an ihrem (kollektiven) Einlageversprechen gemäß § 23 Abs. 2 Nr. 2 bzw. § 185 festgehalten, so dass das Grundkapital seine Eigenkapitalfunktion erfüllt und vorrangig die Verluste abfedert.10) Die über den Schutz des Grundkapitals hinausgehende Bindung verdeutlicht, dass es sich beim Gesellschaftsvermögen im Verhältnis zu den Aktionären insgesamt um zweckgebundenes Betriebskapital handelt, welches dem Zugriff causa societatis entzogen ist.11) Da die Vermögensbindung über die Grundkapitalziffer und die gebundenen Rücklagen 5 (vgl. §§ 150, 300) hinausgeht, verwirklicht § 57 auch den Schutz der Aktionäre (streitig).12) Die Erlaubnis gemäß § 57 Abs. 3 zur Auskehrung allein des (angefallenen) Bilanzgewinns ist nämlich an ein weitgehend zwingendes Verfahren unter Beteiligung der Hauptversammlung geknüpft (vgl. § 174). Hierdurch wird zum einen Transparenz verwirklicht, indem verdeckte Vermögenszuwendungen ausgeschlossen sind. Zum anderen wird der Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 53a) gewahrt, indem der Gewinnverwendungsbeschluss bei Verstößen hiergegen gemäß § 243 Abs. 1 anfechtbar ist. Aus diesem Schutzzweck folgt, dass eine formal rechtswidrige Gewinnverwendung auch dann gemäß § 62 erstattungspflichtig ist, wenn die ausgezahlte Summe den Aktionären an sich gebühren würde.13) Der Anwendungsbereich von § 61 Abs. 1 erstreckt sich so letztlich auf alle Leistungen, die von einem Aktionär entgegen den Vorschriften des AktG erlangt wurden.14) Bei der Ein-Personen-AG und dem einvernehmlichen Aktionärshandeln kommt dieser Schutzzweck freilich nicht zum Tragen; vgl. insoweit aber die Ergänzung des Gläubigerschutzes durch die Existenzvernichtungshaftung gemäß § 826 BGB.15) 5.

Rechtspolitische Kritik

Die kompetenzrechtliche Schutzrichtung von § 57 (siehe soeben Rz. 5) ist bei der kapital- 6 marktorientierten Publikumsgesellschaft wegen der hierdurch vermittelten Rechtssicherheit letztlich kaum zu kritisieren. Demgegenüber mehrt sich in den letzten Jahren der rechtspolitische Druck, den bilanzbezogenen Gläubigerschutz (balance sheet test) zugunsten solvenzbezogener Ausschüttungssperren (solvency test) aufzugeben.16) Im Kern geht es darum, dass feste Kapitalgrößen – Mindestkapital und ggf. höhere Grundkapitalziffer – nach dem Effizienzkriterium nicht geeignet sind, einen adäquaten Gläubigerschutz zu gewährleisten, der auch die Gesellschafterinteressen hinreichend berücksichtigt. Ihren Ur_____________ 10) Schön, Der Konzern 2004, 162, 166 ff.; Servatius, GmbHR 1998, 723; zur gesellschaftsrechtlichen Gewährleistung der Ingangsetzungsfunktion des Eigenkapitals Servatius, Gläubigereinfluss durch Covenants, S. 308 ff. 11) Servatius, DStR 2004, 1176, 1179 ff. 12) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 57 Rz. 1; einschränkend, bloß „nicht unerwünschte Nebenfolge“, Fleischer, WM 2007, 909, 910; K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 57 Rz. 3; ähnlich Spindler/Stilz-Cahn/ v. Spannenberg, AktG, § 57 Rz. 5 ff. 13) Bayer in: MünchKomm-AktG, § 62 Rz. 36. 14) Vgl. für die Verletzung von Mitteilungspflichten BGH, Urt. v. 5.4.2016 – II ZR 268/14, ZIP 2016, 1919, dazu EWiR 2017, 71 (Seulen). 15) Einzelheiten bei Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt-Servatius, GmbHG, Syst. Darst. 2, Rz. 370 ff. 16) Vgl. aus englischer Perspektive den sog. Rickford-Report, EBLR 2004, 919, 975 ff.; aus deutscher Perspektive statt anderer Ekkenga, AG 2006, 389; Lorys, Die Insolvenzverursachungshaftung gemäß § 64 S. 3 GmbHG als Ausschüttungssperre nach dem Vorbild des Wrongful Trading – Zugleich ein Beitrag zur zukünftigen Bedeutung von § 30 Abs. 1 GmbHG, 2016, S. 397 ff.; zum Rechtsvergleich ausführlich Lutter, Das Kapital der Aktiengesellschaft in Europa.

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sprung findet diese Sichtweise innerhalb Europas vor allem in Großbritannien17) und findet vor allem bei den Anhängern der Rechtsökonomik großen Widerhall. Die aktuelle Diskussion über die Konzeption der Kapitalbindung bei der geplanten Europäischen Privatgesellschaft (SPE)18) zeigt jedoch, dass über diese kapitalgesellschaftsrechtliche Grundsatzfrage bereits innerhalb der EU kaum Einigkeit zu erzielen ist. Es ist gleichwohl abzusehen, dass die derzeit noch anzutreffende europäische Harmonisierung des Gläubigerschutzes bei der AG mittelfristig gelockert und daher auch die AG Objekt des Wettbewerbs der Rechtsformen bzw. Gesellschaftsrechte sein wird. 7 Der deutsche Gesetzgeber sieht diese Entwicklung wohl ähnlich und verfolgt derzeit bei den Kapitalgesellschaften ein zweispuriges Konzept: Neben die bilanzbezogene Kapitalbindung gemäß § 30 GmbHG bzw. § 57 tritt seit dem MoMiG die Insolvenzverursachungshaftung der Geschäftsleiter gemäß § 64 Satz 3 GmbHG bzw. § 92 Abs. 2 Satz 3. Diese sichert – ähnlich wie die englische wrongful trading rule – die Gläubiger gegen Vermögensabflüsse, die jenseits einer bilanziellen Anknüpfung in die Insolvenz führen und ihre Befriedigung schmälern; vgl. zudem auch die nunmehr auf § 826 BGB gestützte Existenzvernichtungshaftung.19) Die parallele Geltung der bilanz- und liquiditätsbezogenen Ausschüttungssperren ist derzeit sicher eine Überregulierung, die kein schlüssiges Gesamtkonzept erkennen lässt. Sie rechtfertigt sich jedoch als Versuch, für die zu erwartende künftige Liberalisierung der europäischen Vorgaben für den Gläubigerschutz bei der AG gewappnet zu sein. So wird sich in den nächsten Jahren wohl abzeichnen, wie effektiv und aus Sicht der Aktionäre prohibitiv die genannten Ausschüttungssperren tatsächlich sind, so dass vielleicht einmal nur das eine Konzept fortbestehen bzw. Wahlfreiheit bestehen wird. Nichtsdestotrotz: Die Vermögensbindung gemäß § 57 und ihre europarechtliche Grundlegung sind derzeit geltendes Recht. Es verbietet sich daher eine schleichende Entwertung der Norm, indem der Anwendungsbereich angesichts der rechtspolitischen Kritik contra legem zurückgeschraubt wird. 6.

Related Parties Transactions

8 Die 2007 verabschiedete Richtlinie zur Änderung der Aktionärsrechterichtlinie verlangt von den Mitgliedstaaten, Publizitäts- und Zustimmungspflichten zugunsten von Hauptversammlung oder Aufsichtsrat für wesentliche Related Party Transactions einzuführen.20) Hierdurch soll der Schutz der Gesellschaft und ihrer Aktionäre, insbesondere der Minderheitsaktionäre, bezweckt werden. Die tatbestandlich erfassten Related Parties sind neben den Organmitgliedern auch (Groß-)Aktionäre, so dass die in Aussicht stehenden Reformen des AktG zentral die aktienrechtliche Kapitalbindung bei börsennotierten Aktiengesellschaften gemäß §§ 57, 62 betreffen werden. Vor allem wegen der bislang kaum ausgeprägten Transaktionspublizität ist die erforderliche Umsetzung durchaus als begrüßenswerte Steigerung der Attraktivität des deutschen Aktienrechts zu sehen.21) II.

Verbot der Einlagenrückgewähr

1.

Geschütztes Vermögen

9 Abweichend von der GmbH unterliegt bei der AG nicht nur das Grundkapital und die nach §§ 150, 300 gebundenen Rücklagen der Auszahlungssperre, sondern das gesamte Gesell_____________ 17) 18) 19) 20)

Vgl. zum Kapitalschutzregime für die dortige Ltd. Henssler/Strohn-Servatius, GesR, IntGesR Rz. 99 ff. Vgl. Henssler/Strohn-Servatius, GesR, IntGesR Rz. 358 ff. Einzelheiten bei Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt-Servatius, GmbHG, Syst. Darst. 2, Rz. 370 ff. Zum Ganzen Veil, NZG 2017, 521; Vetter, ZHR 179 (2015) 273; Selzner, ZIP 2015, 753; Fleischer, BB 2014, 2691; Kleinert/Mayer, EuZW 2018, 314. 21) So auch Veil, NZG 2017, 521, 523 f.; Fleischer, BB 2014, 2691, 2698.

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schaftsvermögen.22) Im Übrigen gelten jedoch dieselben Erwägungen, so dass die für das GmbH-Recht vorhandene Rechtsprechung und Literatur auch bei der AG herangezogen werden können. Es gilt eine funktionale Betrachtung. Die Bilanzierungsfähigkeit23) und ggf. konkrete Bilanzierung eines Vermögenswertes spielen keine Rolle, so dass das Gesellschaftsvermögen nicht durch die handelsbilanziellen Buchwerte begrenzt ist.24) Ebenso ist unerheblich, ob der betreffende Vermögensgegenstand im Wege der Zwangsversteigerung oder im Insolvenzverfahren der konkreten Gläubigerbefriedigungen dienen könnte. Es dürfen daher z. B. auch Gewinnchancen der AG nicht einem Aktionär zugewiesen werden.25) Verstöße gegen ein Wettbewerbsverbot können so regelmäßig auch Erstattungsansprüche nach § 62 auslösen. Der Vermögensbindung unterliegen ferner Nutzungswerte der von der AG zu Eigentum oder Besitz gehaltenen Gegenstände. Eine zeitweise Überlassung an den Aktionär ist daher nur gegen marktübliche Kostenerstattung zulässig, was insbesondere die Darlehensgewährung betrifft.26) Befindet sich die AG bereits im Stadium der Überschuldung (§ 19 InsO), gilt § 57 ebenfalls.27) 2.

Erfasste Auszahlungen

Auch beim Auszahlungsbegriff gilt eine funktionale Betrachtung. Auf den bereits in § 57 10 verschieden verwendeten Wortlaut – „Einlagenrückgewähr“, „Zahlung“, „Leistung“ darf nicht (begrenzend) abgestellt werden. Maßgeblich ist vielmehr, ob der Sachverhalt das durch die Kapitalbindung geschützte Gesellschaftsvermögen (siehe oben Rz. 9) entgegen der ihm im Verhältnis zu den Aktionären zwingend zukommenden Widmung als zweckgebundenes Betriebskapital schmälert (zum doppelten Schutzzweck siehe Rz. 4 f.). a)

Art des Vermögensabflusses

Verboten ist im Ausgangspunkt nicht nur die förmliche „Einlagenrückgewähr“, sondern 11 jede offene oder verdeckte finanzielle Zuwendung der AG bzw. eines auf ihre Rechnung handelnden Dritten (vgl. § 56 Abs. 3) oder eines von ihr abhängigen oder in Mehrheitsbesitz stehenden Unternehmens (vgl. §§ 16, 17)28) an einen Aktionär oder diesem zurechenbaren Dritten (hierzu siehe unten Rz. 34 ff.).29) Zur notwendigen Einschränkung dieses weiten Begriffs durch das Merkmal causa societatis siehe Rz. 30 ff. Die Art des Vermögensabflusses ist unerheblich. Eine Auszahlung liegt daher nicht nur bei der aktiven dinglichen Zuwendung eines Vermögenswertes an den Aktionär vor, sondern auch in der Begründung einer Verbindlichkeit der AG,30) dem Verzicht auf eine Forderung gegen den Aktionär31) oder der Bestellung einer (ggf. nur schuldrechtlichen) Sicher_____________ 22) BGH, Urt. v. 21.6.1999 – II ZR 47/98, ZIP 1999, 1352, dazu EWiR 1999, 835 (Wilhelm); Bayer in: MünchKomm-AktG, § 57 Rz. 10 – umfassende Vermögensbindung. 23) Vgl. für selbst geschaffene immaterielle Vermögenswerte OLG Frankfurt/M., Urt. v. 30.11.1995 – 6 U 192/91, AG 1996, 324, 326. 24) BGH, Urt. v. 1.12.1986 – II ZR 306/85, ZIP 1987, 575; K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 57 Rz. 13. 25) In diese Richtung BGH, Urt. v. 1.12.1986 – II ZR 306/85, ZIP 1987, 575 = NJW 1987, 1194; K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 57 Rz. 18; Einzelheiten bei Servatius, GmbHR 1998, 723. 26) Vgl. Servatius, GmbHR 1998, 723; s. noch unten Rz. 20. 27) Vgl. BGH, Urt. v. 5.2.1990 – II ZR 114/89, NJW 1990, 1730, 1732 = ZIP 1990, 451 – zur GmbH. 28) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 57 Rz. 17; Bayer in: MünchKomm-AktG, § 57 Rz. 102. 29) RG, Urt. v. 19.10.1934 – II 85/34, RGZ 146, 84, 87; BGH, Urt. v. 1.3.1999 – II ZR 312/97, BGHZ 141, 79 = ZIP 1999, 708 = AG 1999, 372. 30) Vgl. für die Übernahme des Prospekthaftungsrisikos BGH, Urt. v. 31.5.2011 – II ZR 141/09 (Deutsche Telekom), ZIP 2011, 1306 = NJW 2011, 2719, dazu EWiR 2011, 517 (Theinert/Dembski); vgl. zur Schuldenübernahme i. R. eines down stream mergers Bayer in: MünchKomm-AktG, § 57 Rz. 93 m. w. N. 31) Vgl. BGH, Urt. v. 12.12.1983 – II ZR 14/83, ZIP 1984, 170, 171; BGH, Urt. v. 10.5.1993 – II ZR 74/92, BGHZ 122, 333 = ZIP 1993, 917.

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heit.32) Darüber hinaus spielt es auch keine Rolle, ob die AG den Vermögenstransfer veranlasst hat oder der Aktionär eigenmächtig „in die Kasse“ greift. Verursacht das Aktionärsverhalten allerdings allein Ansprüche – nicht einzubeziehender! (siehe unten Rz. 34 ff.) – Dritter gegen die AG, scheidet eine Auszahlung aus.33) b)

Vollwertige Gegenleistung

12 Unproblematisch als Auszahlung anzusehen sind die Fälle, bei denen der Aktionär eine Leistung erhält, ohne dass er diese aufgrund eines Gegenanspruchs der AG – irgendwann – wieder zurückzahlen muss, z. B. überhöhte Dividenden, Schenkungen oder verlorene Zuschüsse. Bei allen anderen Gestaltungen, insbesondere den möglicherweise verdeckten Gewinnausschüttungen i. R. von Drittgeschäften, ist jedoch problematisch und vorrangig zu klären, was genau die Auszahlung darstellt. 13 Den Ausgangspunkt hierfür bildet die Feststellung, dass es sich bei der Vermögensbindung gemäß § 57 – wie bei § 30 GmbHG – allein um einen wertmäßigen Schutz des Gesellschaftsvermögens handelt und keinen gegenständlichen.34) Ein derartiges Schutzanliegen lässt sich nur bei mehrgliedrigen Gesellschaften über die Treuepflichtbindung verwirklichen. Es geht also im Hinblick auf die Kapitalbindung allein darum, die Gläubiger- und ggf. Aktionärsinteressen summenmäßig zu wahren und nicht etwa das Interesse an bestimmten Gegenständen, wie z. B. Patente oder Maschinen (vgl. insoweit jedoch die Ergänzung des Kapitalschutzes durch die nunmehr auf § 826 BGB gestützte Existenzvernichtungshaftung).35) Zum anderen folgt aus dem zwingenden Charakter der Norm, dass eine objektive Betrachtung des Sachverhalts anzustellen ist. Die an der Transaktion Beteiligten dürfen daher nicht selbst entscheiden, welchen Wert die in Rede stehenden Leistungen und Gegenleistungen haben. 14 Es war bereits früher allgemein anerkannt, dass im komplexen Leistungsaustausch zwischen Aktionär und AG die betreffenden Einzelakte nach der vorgeschilderten objektiven und wertmäßigen Betrachtung zu saldieren sind und dieses Ergebnis dann ggf. die Auszahlung darstellt. Die dogmatische Grundlage hierfür ist das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal, dass nur Leistungen causa societatis verboten sind (zum Drittvergleich siehe unten Rz. 31). Im Zuge des durch das MoMiG neu eingeführten § 57 Abs. 1 Satz 3 findet diese Sichtweise mittlerweile eine ausdrückliche gesetzliche Stütze, welche freilich über das Saldierungsgebot hinaus den Auszahlungsbegriff einschränkt (sog. bilanzielle Betrachtungsweise, Einzelheiten siehe unten Rz. 17 ff.). Erlangt die AG daher eine objektiv vollwertige Gegenleistung, scheidet die Auszahlung regelmäßig aus (vgl. hierzu im Einzelnen unten Rz. 22).36) Dies führt z. B. dazu, dass die Tilgung einer wirksamen und werthaltigen Forderung des Aktionärs gegen die AG keine Auszahlung bedeutet; umgekehrt kann die Zahlung eines überhöhten Preises durch die AG i. R. eines Austauschgeschäfts mit dem Aktionär gleichwohl eine Auszahlung i. H. des Differenzbetrags darstellen. Das Gleiche gilt beim Abschluss eines für die AG objektiv ungünstigen Vergleichs.37) Die Rückerstattungspflicht gemäß § 62 Abs. 1 darf freilich nicht mit einbezogen werden, weil ansonsten das Zahlungsverbot praktisch leer liefe (Zirkelschluss).38) Darüber hinaus muss die Gegenleistung wertmäßig bezif_____________ 32) 33) 34) 35) 36)

RG, Urt. v. 22.4.1932 – II 349/31, RGZ 136, 260, 264; s. hierzu noch unten Rz. 25 f. Vgl. BGH, Urt. v. 31.1.2000 – II ZR 189/99, ZIP 2000, 493. RG, Urt. v. 19.10.1934 – II 85/34, RGZ 146, 84, 94. Einzelheiten bei Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt-Servatius, GmbHG, Syst. Darst. 2, Rz. 370 ff. BGH, Urt. v. 31.5.2011 – II ZR 141/09 (Dritter Börsengang), Rz. 24 ff., ZIP 2011, 1306 = NJW 2011, 2719; zum früheren Recht bereits RG, Urt. v. 23.10.1931 – II 67/31, RGZ 133, 393, 395; RG, Urt. v. 15.12.1941 – II 103/41, RGZ 168, 292, 295; BGH, Urt. v. 14.12.1959 – II ZR 187/57, BGHZ 31, 258, 276. 37) Vgl. OLG Dresden, Urt. v. 25.7.2002 – 2 U 729/02, GmbHR 2002, 1245. 38) Vgl. hierzu Servatius, GmbHR 2000, 1028; Altmeppen, ZIP 2006, 1025, 1030 f.

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ferbar sein;39) die bloße Lästigkeit eines Anfechtungsklägers vermag daher eine verbotene Leistung causa societatis nicht zu legalisieren.40) Eine bilanzielle Messbarkeit dieser Gegenleistung darf indessen nicht gefordert werden.41) Wird i. R. der Aktienplatzierung eine Prospekt-Haftpflichtversicherung abgeschlossen, kann dies bei Übernahme des Prospekthaftungsrisikos durch die AG eine verbotene Einlagenrückgewähr nur ausschließen, wenn die Versicherungsprämien nicht von der AG gezahlt werden.42) Bei der Ermittlung der Gegenleistung besteht nach zutreffender Ansicht i. Ü. auch kein Ermessensspielraum; es handelt sich vielmehr um eine voll überprüfbare Rechtsfrage.43) Zur Beweislast siehe Rz. 42. c)

Maßgeblicher Zeitpunkt

Bei § 30 GmbHG ist der Zeitpunkt für die Bestimmung einer Auszahlung vor allem re- 15 levant, um den Angriff auf die Stammkapitaldeckung zu ermitteln. Indem dieses Kriterium bei § 57 irrelevant ist (siehe Rz. 8), kommt es beim maßgeblichen Zeitpunkt allein darauf an, wann ein Rückerstattungsanspruch gemäß § 62 konkret entsteht. Dies ist vor allem für den Beginn der Verjährung nach § 62 Abs. 4 relevant.44) Handelt es sich um einen gegenständlichen Vermögensabfluss, kommt es spätestens auf den 16 Zeitpunkt der dinglichen Vollziehung an (Zahlung einer Dividende, eigenmächtiger Griff in die Kasse). Problematisch ist indessen, ob bereits die zeitlich frühere Einräumung eines Anspruchs zugunsten des Aktionärs auf die betreffende Leistung unter den Auszahlungsbegriff fällt (zur Wirksamkeit von Rechtsgeschäften trotz Verstoßes gegen § 57 siehe unten Rz. 40). Die wohl h. M. stellt auch hier grundsätzlich erst auf die etwaige Erfüllung ab und begründet dies vor allem mit dem dafür bestehenden Leistungsverweigerungsrecht.45) Dem ist nicht zu folgen. Im Rahmen einer funktionalen Betrachtung des Auszahlungsbegriffs ist vielmehr bereits eine schuldrechtlich begründete Vermögenseinbuße als verboten anzusehen, denn nur auf diese Weise lässt sich das Verbot präventiv verwirklichen. Hiernach ist daher bereits die gegen § 57 Abs. 1 verstoßende Begründung einer Verbindlichkeit als Auszahlung zu sehen und konsequenterweise nicht erfüllbar (Leistungsverweigerungspflicht); auf die handelsrechtliche Pflicht, diese zu passivieren oder eine Rückstellung zu bilden, kommt es nicht an.46) Die dort maßgeblichen Kriterien können jedoch als Anhaltspunkte dienen. Bei der Sicherheitenbestellung (upstream security) gilt dies gleichermaßen.47) Siehe unten Rz. 25 f. _____________ 39) BGH, Urt. v. 31.5.2011 – II ZR 141/09 (Dritter Börsengang), ZIP 2011, 1306 = NJW 2011, 2719. 40) Vgl. Ehmann/Walden, NZG 2013, 806; einschränkend Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 57 Rz. 13, im Fall „notstandsähnlicher Rechtfertigungslagen“. 41) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 57 Rz. 15; möglicherweise anders BGH, Urt. v. 31.5.2011 – II ZR 141/09 (Dritter Börsengang), Rz. 24 ff., ZIP 2011, 1306 = NJW 2011, 2719. 42) Abweichend wohl Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 57 Rz. 15. 43) Vgl. BGH, Urt. v. 10.1.2017 – II ZR 94/15, Rz. 34, ZIP 2017, 472, dazu EWiR 2017, 229 (Seibt) – „kein unternehmerischer Ermessensspielraum“; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 57 Rz. 10; Grigoleit-Grigoleit/ Rachlitz, AktG, § 57 Rz. 12; abweichend aber Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 57 Rz. 22. 44) Vgl. hierzu BGH, Urt. v. 21.3.1017 – II ZR 93/16, Rz. 27, ZIP 2017, 971, dazu EWiR 2017, 585 (K. Schmidt). 45) Grundlegend RG, Urt. v. 16.4.1926 – II 532/25, RGZ 113, 241, 244; RG, Urt. v. 23.10.1931 – II 67/31, RGZ 133, 393, 395; BGH, Urt. v. 3.1.1953 – I ZR 169/51, BB 1953, 245. 46) Vgl. für die Bestellung von Sicherheiten auch BGH, Urt. v. 10.1.2017 – II ZR 94/15, Rz. 16, ZIP 2017, 472; ebenso i. R. von § 311 BGH, Urt. v. 1.12.2008 – II ZR 102/07 (MPS), BGHZ 179, 71 = ZIP 2009, 70, dazu EWiR 2009, 129 (Blasche); zur GmbH auch BGH, Urt. v. 21.3.1017 – II ZR 93/16, Rz. 16, ZIP 2017, 971. 47) Abweichend noch BGH, Urt. v. 18.6.2007 – II ZR 86/06, BGHZ 173, 1, 11 f. = ZIP 2007, 1705 – Auszahlung erst bei der tatsächlichen Inanspruchnahme der Sicherheit; wie hier wohl bereits RG, Urt. v. 22.4.1932 – II 349/31, RGZ 136, 260, 265 sowie nunmehr BGH, Urt. v. 10.1.2017 – II ZR 94/15, Rz. 15, ZIP 2017, 472; BGH, Urt. v. 31.5.2011 – II ZR 141/09 (Dritter Börsengang), ZIP 2011, 1306 = NJW 2011, 2719; zur GmbH auch BGH, Urt. v. 21.3.1017 – II ZR 93/16, ZIP 2017, 971. Vgl. hierzu aus insolvenzrechtlicher Perspektive Pleister, ZIP 2015, 1097.

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§ 57 d)

Keine Rückgewähr, keine Verzinsung der Einlagen Bilanzielle Betrachtung (§ 57 Abs. 1 Satz 3 Alt. 2)

17 Gemäß § 57 Abs. 1 Satz 3 Alt. 2 handelt es sich um keine verbotene Auszahlung, wenn die Leistung an den Aktionär durch einen vollwertigen Gegenleistungs- oder Rückgewähranspruch gegen den Aktionär gedeckt ist. aa)

Grundlagen

18 Diese durch das MoMiG im Jahr 2008 eingeführte Privilegierung war eine gesetzgeberische Reaktion auf das November-Urteil des BGH48) und sollte eine Rückkehr zur sog. bilanziellen Betrachtung bewirken. Im Kern geht es darum, den summen- und wertmäßigen Schutz des Gesellschaftsvermögens konsequent umzusetzen und damit nicht ausufern zu lassen. Dies beinhaltet zwei wesentliche Aspekte: Zum einen wird hierdurch gewährleistet, dass bei komplexen Transaktionen bereits bei der Ermittlung einer möglicherweise verbotenen Auszahlung eine objektive Gesamtbetrachtung maßgeblich ist, mithin eine Saldierung von Leistung und Gegenleistung zu erfolgen hat. Dies entsprach jedoch seit jeher der überwiegenden Meinung und brachte keine wesentliche Abschwächung des Kapitalschutzes (siehe oben Rz. 12). 19 Die aus § 57 Abs. 1 Satz 3 Alt. 2 folgende Neuerung zielt jedoch darüber hinaus darauf ab, dass nunmehr der Aktiventausch von Liquidität (Bar- oder Sachmittel der AG) gegen schuldrechtliche Forderungen gegen den Aktionär zulässig sein kann. Diese Möglichkeit wurde zwar wegen des nach überwiegender Meinung nur wertmäßigen Schutzes des Gesellschaftsvermögens (siehe Rz. 13) zwar immer schon prinzipiell anerkannt. Indem das November-Urteil des BGH jedoch berechtigten Anlass bot, das Gesellschaftsvermögen auch in seiner gegenständlichen Zusammensetzung als geschützt anzusehen,49) sah sich der Gesetzgeber auf Druck der eher gesellschafternahen Praxis veranlasst, für Klarheit zu sorgen.50) Die nunmehr weitgehend zulässige Darlehensgewährung an die Aktionäre ermöglicht zwar eine flexible Konzernfinanzierung, insbesondere i. R. eines Cash Pools, und ist als wirtschaftsfördernder Anreiz daher grundsätzlich zu billigen (vgl. auch die ähnliche, jedoch strengere Regelung zum Hin- und Herzahlen bei der Gründung gemäß § 27 Abs. 5).51) 20 Zu beachten ist jedoch, dass die Möglichkeit, Liquidität gegen Forderungen zu tauschen, ein Gefährdungspotential für die Gläubiger und Mitaktionäre auslöst.52) Dieses wird durch das Vollwertigkeitsgebot und die fortlaufende Überwachungspflicht des Vorstands nicht vollständig kompensiert. Es spricht daher nach wie vor Vieles dafür, das gebundene Kapital zwar nicht gegenständlich zu schützen und damit auch die Auskehrung von Liquidität an die Aktionäre bei vollwertigem Gegenanspruch prinzipiell zuzulassen. Auf der anderen Seite ist nach wie vor zu berücksichtigen, dass es sich beim gesamten Gesellschaftsvermögen der AG im Verhältnis zu den Aktionären um ein besonders geschütztes zweckgebundenes Betriebsvermögen handelt, welches nicht ihrer individuellen Bedürfnisbefriedigung dient. Hieraus folgt, dass auch die Privilegierung gemäß § 57 Abs. 1 Satz 3 Alt. 2 unter dem ungeschriebenen Vorbehalt steht, dass die Aktionäre sie nicht causa societatis ausnutzen dürfen, sondern nur i. R. der durch die Satzung der konkreten AG vorgegeben Zweckbindung.53) _____________ 48) BGH, Urt. v. 24.11.2003 – II ZR 171/01, BGHZ 157, 72 = ZIP 2004, 263, dazu EWiR 2004, 911 (Schöne/Stolze). 49) Hierzu Servatius, DStR 2004, 1176. 50) Vgl. Schäfer, DStR 2006, 2085, 2088 ff.; BDI/Hengeler/Mueller, Die GmbH im Wettbewerb der Rechtsformen, 2006, Rz. 59. 51) Vgl. die ausdrückliche Aufgabe der „November-Rechtsprechung“ durch BGH, Urt. v. 1.12.2008 – II ZR 102/07 (MPS), BGHZ 179, 71 = ZIP 2009, 70. 52) Grundlegend Stimpel in: FS 100 Jahre GmbHG, S. 335, 347 ff. 53) Hierzu Servatius, DStR 2004, 1176.

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Keine Rückgewähr, keine Verzinsung der Einlagen

§ 57

Eine gewöhnliche AG ist z. B. keine Bank, die ihren Aktionären außerhalb sinnvoller Cash Pools ggf. sogar zinsgünstige Darlehen vergibt. Hiermit rechnet der Rechtsverkehr typischerweise nicht, sondern geht infolge der Publizierung des Unternehmensgegenstands (§ 39 Abs. 1 Satz 1) davon aus, dass das hierin umschriebene operative Geschäft tatsächlich betrieben wird. Auch i. R. von § 57 Abs. 1 Satz 3 Alt. 2 ist daher in Bezug auf das Ob und Wie der Darlehensgewährung bzw. der vergleichbaren Sachverhalte zu fordern, dass das Rechtsgeschäft im Einklang mit der Satzung bzw. dem höherrangigen Konzerninteresse betrieblich gerechtfertigt ist (streitig).54) Dies gilt auch und gesondert im Hinblick auf die Verzinsung des Darlehens (siehe hierzu auch Rz. 22 a. E.). Wird hiergegen verstoßen, liegt trotz wertmäßiger Deckung bzw. bilanzieller Betrachtung eine verbotene Auszahlung vor (streitig).55) Weiterhin ist zu bedenken, dass aus der durch § 57 Abs. 1 Satz 3 maßgeblichen bilanziellen 21 Betrachtungsweise nicht der Schluss gezogen werden darf, dass nunmehr das bilanziell ausgewiesene Gesellschaftsvermögen geschützt wäre. Stille Reserven und nicht bilanzierbare Vermögenswerte sind nach wie vor vom Schutz des § 57 umfasst und dürfen an die Aktionäre jenseits von § 57 Abs. 3 nicht causa societatis ausgeschüttet werden (siehe oben Rz. 11). bb)

Vollwertiger Gegenleistungs- oder Rückgewähranspruch

Die Privilegierung setzt allein voraus, dass die Leistung durch einen vollwertigen Gegen- 22 leistungs- oder Rückgewähranspruch gedeckt ist. Dass dieser Anspruch nicht der gemäß § 62 Abs. 1 ist, liegt wegen der ansonsten drohenden Entwertung des Zahlungsverbots auf der Hand. Es bedarf somit eines vertraglich eingeräumten Anspruchs der AG gegen den empfangenden Aktionär. Die klassischen hiervon erfassten Fälle sind die vertraglich geschuldete Gegenleistung i. R. eines Austauschvertrages, insbesondere die Darlehensrückerstattung gemäß § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB. Übernimmt die AG gegenüber einem Dritten eine (dingliche) Sicherheit zugunsten eines Aktionärs, ist auf den Freistellungsanspruch gegen den Aktionär abzustellen.56) Der Gegenleistungs- oder Rückgewähranspruch muss sich dem Wortlaut nach gegen den Aktionär richten; denkbar und vom Schutzzweck des § 57 gedeckt ist es jedoch auch, wenn ein Dritter sich zur Rückgewähr verpflichtet. Im Hinblick auf die Bonität darf wegen der gebotenen Vollwertigkeit hieraus jedoch keine Schlechterstellung der AG resultieren. Das Kriterium der Vollwertigkeit ist gegeben, wenn zum Zeitpunkt der Auszahlung ein Forderungsausfall unwahrscheinlich ist.57) Im Übrigen deckt sich dieses Kriterium mit § 27 Abs. 5 Satz 1, so dass für die Einzelheiten hierauf verwiesen wird (siehe § 27 Rz. 64). Auch hier gilt eine „Alles-oder-nichts-Lösung“, so dass die Anrechnung eines bloßen Teilwerts ausscheidet.58) Auch hier kommt es auf die Vollwertigkeit im Auszahlungszeitpunkt an (siehe oben Rz. 15 f.). Die spätere Verschlechterung der Bonität verpflichtet den Vorstand jedoch zur sofortigen Geltendmachung.59) Aus dem Merkmal der Vollwertigkeit ergibt sich auch das Erfordernis einer marktüblichen Verzinsung. Die Privilegierung kommt daher nur in Betracht, wenn (nicht: und soweit) der Aktionär für die Kapitalüberlassung ein objektiv angemessenes Entgelt zahlt _____________ 54) Kritisch Fleischer, WM 2007, 909, 913; abweichend auch Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 57 Rz. 12; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 57 Rz. 8: Vollwertigkeit genügt. 55) Abweichend K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 57 Rz. 44. 56) Vgl. BGH, Urt. v. 10.1.2017 – II ZR 94/15, ZIP 2017, 472 (Einzelheiten unten Rz. 25 ff.). 57) Vgl. BGH, Urt. v. 10.1.2017 – II ZR 94/15, ZIP 2017, 472. 58) Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 57 Rz. 40. 59) Vgl. zur fortlaufenden Beobachtungspflicht BGH, Urt. v. 1.12.2008 – II ZR 102/07 (MPS), BGHZ 179, 71 = ZIP 2009, 70.

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§ 57

Keine Rückgewähr, keine Verzinsung der Einlagen

(streitig).60) Fehlt diese, ist der gesamte Leistungstatbestand verboten und nicht etwa nur auf der Rechtsfolgenseite zu sanktionieren (streitig).61) cc)

Fälligkeit, Beobachtungspflicht

23 Der entscheidende Unterschied zu § 27 Abs. 4 folgt jedoch daraus, dass der Rückgewähranspruch i. R. von § 57 nicht jederzeit fällig sein muss oder durch fristlose Kündigung durch die Gesellschaft fällig gestellt werden kann. Die gesetzgeberische Schieflage, mithin die Abschwächung des Rechts der Kapitalerhaltung gegenüber den Kapitalaufbringungsregeln, wird verschiedentlich als nicht nachvollziehbar kritisiert.62) Letztlich trägt sie aber der allgemeinen Tendenz Rechnung, dass die Kapitalaufbringung vor allem wegen der präventiven Registerkontrolle strenger ist und auch nur dort das Gebot besteht, die Einlagen zur freien Verfügung des Vorstands zu leisten (vgl. § 37 Abs. 1 Satz 2) – Mindestkapital als „Startkapital“. Die Aussparung der zwingenden Kautelen, wonach der Rückgewähranspruch liquide ausgestaltet sein muss, fügt sich so in die allgemein nach Vollendung der Kapitalaufbringung allein maßgebliche Pflichtenbindung des Vorstands ein, die Kapitalausstattung der AG zu steuern. 24 Erkennt man hiernach an, dass der Rückgewähranspruch aufgrund des eindeutigen Wortlauts nicht vertraglich einer Barreserve angeglichen sein muss, folgt doch aus der allgemeinen Pflichtenbindung gemäß § 93 Abs. 1 und dem nach hier vertretener Ansicht (siehe oben Rz. 20) geltenden Erfordernis, dass die Darlehensgewährung betrieblich gerechtfertigt sein muss, dass eine Flexibilität für die tatsächliche Geltendmachung des Anspruchs durchaus erforderlich ist. Konkret bedeutet dies, dass Befristungen des Darlehens oder eine vertragliche Einschränkung der Kündigungsmöglichkeiten zulasten der AG generell unzulässig sind. Im Übrigen ist der Vorstand gehalten, die Forderung gegen den Aktionär nach Maßgabe fortbestehender Vollwertigkeit und des Liquiditätsbedürfnisses der AG fortlaufend zu überwachen und die Rückzahlung ggf. sofort zu verlangen.63) Insofern versteht es sich von selbst, dass die AG sich entsprechende Covenants einräumen lassen muss, um fortlaufend über die Vermögenslage des Aktionärs informiert zu sein.64) Das MoMiG hat insofern auch eine Änderung der Konzernkultur herausgefordert; die Obergesellschaft muss die entsprechenden Informationen geben, um die Privilegien für die Konzernfinanzierung zu erlangen. Die Organwalter in der Untergesellschaft können insofern durchaus selbstbewusst gegenüber der Obergesellschaft auftreten. e)

Bestellung von Sicherheiten

25 Dass die Bestellung schuldrechtlicher und dinglicher Sicherheiten durch die AG zugunsten eines Aktionärs unter den Auszahlungsbegriff fällt, ist außer Streit.65) § 57 ist daher _____________ 60) Bayer in: MünchKomm-AktG, § 57 Rz. 171; abweichend K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 57 Rz. 52 und Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 57 Rz. 26: Verzinsungspflicht nur bei längerfristiger Kreditgewährung, abweichend auch Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 57 Rz. 41: eigenständige ausschüttungsrechtliche Betrachtung der Verzinsung; abweichend auch Rothley/Weinberger, NZG 2010, 1001, 1005: keine ausschüttungsrechtliche Relevanz der Verzinsung. 61) Abweichend Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 57 Rz. 26. 62) Z. B. K. Schmidt, JZ 2009, 10, 18. 63) BGH, Urt. v. 1.12.2008 – II ZR 102/07 (MPS), BGHZ 179, 71 = ZIP 2009, 70; Strohn, DB 2014, 1535, 1539 f. 64) Kritisch Mülbert/Leuschner, NZG 2009, 281, 283; Überblick über die Möglichkeiten der vertraglichen Ausgestaltung bei Servatius, Gläubigereinfluss durch Covenants, S. 32. 65) Vgl. RG, Urt. v. 22.4.1932 – II 349/31, RGZ 136, 260, 265; BGH, Urt. v. 20.10.1975 – II ZR 214/74, NJW 1976, 751 (Überlassung einer Grundschuld); BGH, Urt. v. 19.3.1998 – IX ZR 22/97, BGHZ 138, 291 = ZIP 1998, 793 (Sicherungsabtretung von Forderungen); BGH, Urt. v. 31.5.2011 – II ZR 141/09 (Dritter Börsengang), ZIP 2011, 1306 = NJW 2011, 2719 (Übernahme des Prospekthaftungsrisikos); BGH, Urt. v. 10.1.2017 – II ZR 94/15, Rz. 15, ZIP 2017, 472 (Verpfändung von Kontoguthaben der AG).

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Keine Rückgewähr, keine Verzinsung der Einlagen

§ 57

besonders bedeutsam beim leveraged buy-out, wenn die Kreditfinanzierung des Aktienkäufers durch die AG besichert wird (vgl. insofern aber auch das Verbot der financial assistance gemäß § 71a).66) Gleiches gilt für die im Konzern häufig anzutreffenden upstream und sidestream securities.67) Insofern sind verschiedene Problemkreise zu differenzieren: Zum einen ist nach zutreffender Meinung im Hinblick auf den maßgeblichen Zeitpunkt 26 für eine verbotene Auszahlung nicht auf die tatsächliche Inanspruchnahme der Sicherheit abzustellen, sondern auf die aus der dinglichen oder schuldrechtlichen Sicherheitenbestellung resultierende Vermögenseinbuße der AG (siehe bereits oben Rz. 15 f.).68) Die handelsbilanzielle Behandlung der Sicherheit ist hierfür nicht maßgeblich.69) Vielmehr ist wie allgemein i. R. des Auszahlungsbegriffs eine vermögensmäßige Beurteilung anzustellen (siehe oben Rz. 11). Zum anderen ist problematisch, ob eine hiernach als Auszahlung zu qualifizierende Sicherheitenbestellung nicht zulässig ist, weil der Sicherungsfall unwahrscheinlich und damit eine dem „vollwertigen Rückgewähranspruch“ vergleichbare Lage i. S. der Privilegierung gemäß § 57 Abs. 1 Satz 3 Alt. 2 vorliegt.70) Ansatzpunkt hierfür ist der aus der Befriedigung des Sicherungsnehmers regelmäßig resultierende Rückgriffsanspruch gegen den Aktionär (§ 670 BGB oder Vertrag). Soweit dieser – wie regelmäßig – gleichermaßen werthaltig oder wertlos ist wie die durch die AG besicherte Verbindlichkeit des Aktionärs gegenüber dem Dritten, kommt eine Privilegierung gemäß § 57 Abs. 1 Satz 3 Alt. 2 von vornherein nicht in Betracht. Sollte dies einmal nicht gegeben sein, weil für den Rückgriffsanspruch wiederum Sicherheiten zur Verfügung stehen, auf die der Drittgläubiger nicht zugreifen kann, wäre es durchaus möglich, eine nach § 57 Abs. 1 Satz 3 Alt. 2 zulässige Besicherung anzunehmen.71) Bei gleichgelagerten Fällen kann eine typisierte Betrachtung der Wahrscheinlichkeit des Sicherungsfalles vorgenommen werden.72) Nachträgliche negative Veränderungen der Werthaltigkeit der Freistellungsansprüche bzw. der Wahrscheinlichkeit, dass Dritte auf die Sicherheit zugreifen, führen nicht zu einer Bejahung der im Bestellungszeitpunkt zunächst verneinten Annahme einer Auszahlung.73) Siehe aber zur Organhaftung Rz. 40. Eine (erstmalige) Auszahlung kommt somit in diesen Fällen nur dann in Betracht, wenn die AG nachträglich auf ihre Freistellungsansprüche gegen den Aktionär verzichtet.74) f)

Anlegerschutz, Kapitalmarkt

Im Fall von Aktienemissionen, insbesondere über den öffentlichen Kapitalmarkt, muss viel- 27 fach ein sachgerechter Ausgleich zwischen Anleger- und Gläubigerschutz gefunden wer_____________ 66) BGH, Urt. v. 10.1.2017 – II ZR 94/15, ZIP 2017, 472; zur Bedeutung einer limitation language in diesem Kontext Langenbucher/Bliesener/Spindler-Castor, Bankrechts-Kommentar, Kap. 16 Rz. 105 ff. 67) Vgl. Kiefner/Theusinger, NZG 2008, 801, 804. 68) BGH, Urt. v. 10.1.2017 – II ZR 94/15, Rz. 15, ZIP 2017, 472 (dingliche Sicherheit in Gestalt der Verpfändung eines Kontoguthabens); BGH, Urt. v. 31.5.2011 – II ZR 141/09 (Dritter Börsengang), ZIP 2011, 1306 = NJW 2011, 2719 (schuldrechtliche Haftungsübernahme); Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 57 Rz. 44; zur GmbH auch BGH, Urt. v. 21.3.1017 – II ZR 93/16, ZIP 2017, 971; hierzu Heerma/Bergmann, ZIP 2017, 1261. 69) BGH, Urt. v. 10.1.2017 – II ZR 94/15, Rz. 16, ZIP 2017, 472; ebenso i. R. von § 311 BGH, Urt. v. 1.12.2008 – II ZR 102/07(MPS), BGHZ 179, 71 = ZIP 2009, 70; zur GmbH auch BGH, Urt. v. 21.3.1017 – II ZR 93/16, Rz. 16, ZIP 2017, 971. 70) Vgl. hierzu bereits i. R. von § 311 BGH, Urt. v. 1.12.2008 – II ZR 102/07 (MPS), BGHZ 179, 71 = ZIP 2009, 70; zur GmbH auch BGH, Urt. v. 21.3.1017 – II ZR 93/16, Rz. 18 ff., ZIP 2017, 971. 71) So auch BGH, Urt. v. 10.1.2017 – II ZR 94/15, Rz. 17 ff., ZIP 2017, 472. 72) BGH, Urt. v. 10.1.2017 – II ZR 94/15, Rz. 20, ZIP 2017, 472. 73) Zur GmbH BGH, Urt. v. 21.3.1017 – II ZR 93/16, Rz. 21 f., ZIP 2017, 971. 74) Zur GmbH BGH, Urt. v. 21.3.1017 – II ZR 93/16, Rz. 23, ZIP 2017, 971.

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§ 57

Keine Rückgewähr, keine Verzinsung der Einlagen

den.75) Ist z. B. bei einer Kapitalerhöhung der Ausgabebetrag höher als der tatsächliche Wert der Beteiligung oder kommt es im Vorfeld der Emission zu Informations- oder Prospektmängeln, stellt sich die Frage, ob die Zeichner bzw. Erwerber gegenüber der AG Schadensersatz verlangen können. So kommen insofern vor allem Ansprüche der Aktionäre gegen die AG aus Prospekthaftung gemäß §§ 21 ff. WpPG in Betracht sowie aus §§ 97, 98 WpHG und Delikt wegen unterbliebener oder unrichtiger Kapitalmarktinformation im Vorfeld der Zeichnung bzw. des Erwerbs. In all diesen Fällen stellt sich die Frage, ob eine auf den ersten Blick unbestreitbar causa societatis erfolgende Schadensersatzleistung der AG an ihre Aktionäre § 57 unterfällt und damit aus Gründen des Gläubigerschutzes und der Aktionärsgleichbehandlung verboten ist. 28 Das RG ging noch davon aus, dass es einem Aktionär in jedem Fall verwehrt sei, seine Aktienbeteiligung in ein Gläubigerrecht umzuwandeln.76) Die heute h. A. in der Literatur räumt hingegen der Prospekthaftung und damit dem Anlegerschutz zumindest dann einen Vorrang vor § 57 ein, wenn die Anteile derivativ, vor allem von einer Emissionsbank, erworben wurden. Beim unmittelbaren Erwerb der Anteile stünde die Bestandskraft des Zeichnungsvertrages einer Ersatzpflicht entgegen.77) Die jüngere Rechtsprechung geht nunmehr davon aus, dass bei einer kapitalmarktrechtlich begründeten Ersatzpflicht wegen vorsätzlich fehlerhafter Ad-hoc-Mitteilungen die Kapitalbindung zurückzutreten habe.78) Dieser kapitalmarktrechtliche Ansatz überzeugt und ist auf die Prospekt- und allgemeine Informationshaftung zu übertragen.79) Die gesetzliche Kapitalbindung und die Bestandskraft des Zeichnungsvertrages finden ihre Grenzen in den vorrangigen gesetzlichen Haftungstatbeständen, weil diese ansonsten praktisch leer liefen. Dies gilt unabhängig davon, ob der Zeichner die Aktien unmittelbar von der AG oder von einer Emissionsbank erworben hat.80) Konsequenterweise gilt diese Privilegierung auch gegenüber einer Emissionsbank, welche die Platzierung übernimmt und sich von der AG für etwaige, von dieser verursachte Prospektfehler haftungsrechtlich freizeichnen lässt.81) Bei einer Zweitplatzierung von Aktien eines Altaktionärs bedarf eine vermögenswerte Unterstützung durch die AG jedoch wie allgemein bei § 57 einer marktgerechten finanziellen Kompensation; diese kann auch in einem werthaltigen Freistellungsanspruch gegenüber dem begünstigten Aktionär liegen.82) 29 Bei einer Privatplatzierung oder beim Einsatz von Aktien als „Akquisitionswährung“ stellt sich darüber hinaus regelmäßig das Problem, ob die AG selbst gegenüber den Zeichnern eine besondere Gewährleistungsübernahme für die Werthaltigkeit der Anteile übernehmen _____________ 75) Vgl. zum Ganzen Henze in: GroßKomm-AktG, § 57 Rz. 55 f.; Casper, BKR 2005, 83, 89; zu § 826 BGB – OLG München, Urt. v. 20.4.2005 – 7 U 5303/04 (Comroad), ZIP 2005, 901 = NZG 2005, 518; auch aus europarechtlicher Sicht Fleischer/Schneider/Thaten, NZG 2012, 801. 76) RG, Urt. v. 14.3.1903 – I 371/02, RGZ 54, 128, 132; RG, Urt. v. 8.11.1905 – I 154/05, RGZ 62, 29, 31. 77) Vgl. Henze in: GroßKomm-AktG, § 57 Rz. 14 f.; Bayer in: MünchKomm-AktG, § 57 Rz. 19; Schwark in: FS Raisch, S. 269, 287 ff. 78) OLG Frankfurt/M., Urt. v. 17.3.2005 – 1 U 149/04 (Comroad), ZIP 2005, 710; BGH, Urt. v. 9.5.2005 – II ZR 287/02 (EM.TV), NZG 2005, 672 = ZIP 2005, 1270, dazu EWiR 2005, 689 (Bayer/Weinmann). 79) So auch K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 57 Rz. 40; Bayer in: MünchKomm-AktG, § 57 Rz. 19 ff.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 57 Rz. 5; Assmann/Schneider-Sethe, WpHG, §§ 37b, 37c Rz. 6; zurückhaltender Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 57 Rz. 47. Vgl. zur europarechtlichen Zulässigkeit dieses Ansatzes auch EuGH, Urt. v. 19.12.2013 – C-174/12 (Hirmann), ZIP 2014, 121, dazu EWiR 2014, 105 (Seulen). 80) In diese Richtung auch OLG Frankfurt/M., Urt. v. 17.3.2005 – 1 U 149/04 (Comroad), ZIP 2005, 710, 713; BGH, Urt. v. 9.5.2005 – II ZR 287/02 (EM.TV), NZG 2005, 672, 674 = ZIP 2005, 1270; BGH, Hinweisbeschl. v. 28.11.2005 – II ZR 80/04 (Comroad), NZG 2007, 345 = ZIP 2007, 681. 81) Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 57 Rz. 6. 82) BGH, Urt. v. 31.5.2011 – II ZR 141/09 (Dritter Börsengang), ZIP 2011, 1306 = NJW 2011, 2719; hierzu Leuschner, NJW 2011, 3275.

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darf.83) Die liberale, kapitalmarktorientierte Ansicht (siehe oben Rz. 28) gilt hier richtigerweise nur sehr eingeschränkt.84) Die Korrektur eines zu hohen Ausgabebetrags ist nur in begrenzten Ausnahmefällen zulässig. Um Umgehungen zu verhindern und die Kapitalbindung gemäß §§ 57, 62 nicht zu unterlaufen, ist eine Ersatzpflicht von vornherein nur für gesetzliche Ansprüche auf Schadensersatz anzuerkennen, vor allem aus Delikt.85) Die Gesellschaft hat nur in diesen Fällen regelmäßig Regressansprüche gegen die Organwalter und sonstige Erfüllungsgehilfen. Der teilweise vertretene Ansatz, die individualvertragliche Vereinbarung einer weitergehenden Gewährleistungsübernahme durch die Gesellschaft könne einem „Drittvergleich“ standhalten und eine verbotene Einlagenrückgewähr ausschließen,86) erscheint konstruiert.87) 3.

Leistung causa societatis

Die Kapitalbindung schützt nur Auszahlungen, die ihre Grundlage im Gesellschaftsver- 30 hältnis haben, mithin causa societatis erfolgen.88) Dieses ungeschriebene Tatbestandsmerkmal ist ohne weiteres erfüllt, wenn z. B. an die Aktionäre unberechtigt Dividenden, Abschläge oder Gründervorteile gezahlt werden oder die Leistung rechtsgrundlos durch einen eigenmächtigen bzw. vom Vorstand gebilligten „Griff in die Gesellschaftskasse“ erfolgt. Problematisch ist indessen, die prinzipiell zulässigen Drittgeschäfte abzugrenzen. Dies betrifft vornehmlich Veräußerungsgeschäfte, Gebrauchsüberlassungen,89) Vorstandstantiemen90) und Darlehensgewährungen i. R. eines Cash Pools. Anzustellen ist stets die objektive materielle bzw. funktionale Betrachtung der jeweiligen Leistung und des betreffenden Rechtsgeschäfts; die Bezeichnung durch die Aktionäre und/oder die AG hat insoweit nur eine Indizfunktion.91) Maßgebliches Kriterium ist insofern nach wie vor der Drittvergleich.92) Eine verbotene Aus- 31 zahlung liegt hiernach vor, wenn die AG den betreffenden Vermögenstransfer hinsichtlich Ob und Wie nicht gleichermaßen einem Nicht-Aktionär zukommen lassen würde. Entgegen der h. M. kommt es hierbei nicht allein abstrakt auf die Marktüblichkeit an, sondern auch auf die individuelle Zielsetzung der AG gemäß satzungsmäßigem Unternehmensgegenstand und Gesellschaftszweck (streitig).93) Insbesondere die Darlehensgewährung an Aktionäre ist daher selbst bei marktüblicher Verzinsung nicht automatisch zulässig (wenn zudem die Voraussetzungen von § 57 Abs. 1 Satz 3 Alt. 2 vorliegen). Vielmehr ist auch hier stets zusätzlich zu fragen, ob das Geschäft betrieblich gerechtfertigt ist.94) Zudem ist stets auf die konkrete Marktsituation abzustellen, so dass nicht stets die gewinnbringende Ver-

_____________ 83) Sieger/Hasselbach, BB 2004, 60, 63 ff.; Brandi, NZG 2004, 600, 603; vgl. insb. im Zusammenhang von Business Combination Agreements Aha, BB 2001, 2225, 2230. 84) Dies verkennt LG Köln, Urt. v. 9.3.2017 – 91 O 47/15, BeckRS 2017, 106284. 85) In diese Richtung auch BGH, Urt. v. 31.5.2011 – II ZR 141/09 (Dritter Börsengang), ZIP 2011, 1306 = NJW 2011, 2719. 86) So Schaefer/Grützediek, NZG 2006, 204, 206 ff.; Maidl/Kreifels, NZG 2003, 1091, 1094. 87) Zutreffend Technau, AG 1998, 445, 455 f.; Sieger/Hasselbach, BB 2004, 60, 61. 88) BGH, Urt. v. 24.3.1954 – II ZR 23/53, BGHZ 13, 49, 54. 89) Vgl. Servatius, GmbHR 1998, 723. 90) Vgl. BGH, Urt. v. 13.7.1992 – II ZR 269/91, ZIP 1992, 1382 = NJW 1992, 2894. 91) Ebenso Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 57 Rz. 13: gleichgültig, wie die entsprechenden Zahlungen bemäntelt werden. 92) BGH, Urt. v. 1.12.2008 – II ZR 102/07 (MPS), BGHZ 179, 71 = ZIP 2009, 70. 93) A. A. Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 57 Rz. 12. 94) So bei § 30 GmbHG auch Baumbach/Hueck-Fastrich, GmbHG, § 30 Rz. 29.

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äußerung von Gegenständen notwendig ist.95) Im Kontext von Anfechtungsklagen besteht nur in Evidenzfällen Raum, dass eine vergleichsweise Beilegung des Rechtsstreits gegen entsprechende Zahlung zulässig ist. Die Zahlung muss in Anlehnung an gesetzlich vorgeprägte Streitwertgebühren angemessen sein sowie der AG durch die Streitbeilegung ein nur auf diese Weise erzielbarer, konkret feststellbarer Vorteil erwachsen.96) In Konzernsachverhalten tritt an die Stelle des Gesellschaftsinteresses das Konzerninteresse, so dass diese nicht allgemein gebilligte Sichtweise bei der Praxis des Cash Pools wohl keine signifikante Begrenzung der Gestaltungsfreiheit nach sich zieht. Bei der Ermittlung der Marktüblichkeit ist auf objektive Umstände abzustellen, ein Beurteilungsspielraum der Aktionäre oder Vorstandsmitglieder besteht richtigerweise nicht.97) 4.

Aktionäre als Leistungsempfänger

32 Unproblematisch aufgrund des Wortlauts erfasst sind Leistungen an die gegenwärtigen Aktionäre der AG. Auf einen Eintrag ins Aktienregister (§ 67) kommt es nicht an. Um den Schutzzweck der Norm effektiv zu verwirklichen, sind jedoch weitere Konstellationen unter das Verbot zu fassen. a)

Ehemalige und künftige Aktionäre

33 Trifft die Auszahlung im maßgeblichen Zeitpunkt nicht mit der Aktionärsstellung zusammen, scheidet eine verbotene Einlagenrückgewähr nicht aus. Sobald sich die Leistung zeitlich und sachlich auf die ehemalige oder künftige Mitgliedschaft bezieht, ist sie gleichwohl verboten, um den Schutzzweck des Verbots nicht leerlaufen zu lassen.98) Wird das Leistungsversprechen noch zur Zeit der Aktionärsstellung gegeben, die Leistung aber nachträglich erst gewährt, soll dies nach h. M. der Fall sein;99) richtigerweise ist jedoch bereits auf den Zeitpunkt des Leistungsversprechens abzustellen, so dass derartige Fälle unmittelbar auf § 57 gestützt werden können (siehe oben Rz. 15 f.). b)

Einbeziehung Dritter

34 Die gesetzlich gewährleistete Kapitalerhaltung richtet sich in erster Linie an die Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft. Der tragende Grund, diese Vermögensverschiebungen als unzulässig anzusehen, liegt in der Zweckentfremdung des Gesellschaftsvermögens.100) Gleichwohl besteht Einigkeit, dass auch Leistungen an Dritte unter das Kapitalerhaltungsgebot fallen können und ggf. unzulässig sind. Vielfach, aber nicht notwendig, handelt es sich hierbei um die rechtliche Sanktionierung von Umgehungskonstruktionen. Hierbei ist zu differenzieren, ob der Zurechnungstatbestand im Verhältnis zwischen dem Dritten und einem Aktionär bzw. dessen Aktie angesiedelt ist oder unmittelbar zwischen dem Dritten und der AG. _____________ 95) Vgl. zum Verkauf unter Einstandspreis Servatius, GmbHR 1998, 723; OLG Brandenburg, Urt. v. 23.9.1998 – 7 U 78/98, GmbHR 1999, 298. 96) Großzügiger Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 57 Rz. 13 m. w. N. 97) Vgl. BGH, Urt. v. 10.1.2017 – II ZR 94/15, Rz. 34, ZIP 2017, 472 – „kein unternehmerischer Ermessensspielraum“; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 57 Rz. 10; abweichend aber Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 57 Rz. 22. 98) Allg. M., vgl. nur K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 57 Rz. 33; zur Einbeziehung künftiger Aktionäre BGH, Urt. v. 13.11.2007 – XI ZR 294/07, ZIP 2008, 118 = NZG 2008, 106. 99) Vgl. BGH, Urt. v. 13.11.2007 – IX ZR 294/07, ZIP 2008, 118 = NZG 2008, 106; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 30.11.1995 – 6 U 192/91, AG 1996, 324, 325; OLG Hamburg, Urt. v. 23.5.1980 – 11 U 117/74, AG 1980, 275, 278. 100) Servatius, DStR 2004, 1176, 1179.

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Keine Rückgewähr, keine Verzinsung der Einlagen aa)

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Nähebeziehung zwischen Drittem und Aktionär bzw. Aktie

Maßgeblich für eine Einbeziehung Dritter in das Auszahlungsverbot ist einmal, ob es sich 35 bei der Leistung an einen Dritten um eine mittelbare Leistung an einen Aktionär handelt oder ob zwischen dem Dritten und einem Aktionär eine enge rechtliche oder persönliche Verbundenheit besteht.101) So ist eine verbotene Einlagenrückgewähr dann zu bejahen, wenn die AG an einen Dritten für Rechnung des Aktionärs leistet,102) oder für diesen als Vertreter auftritt.103) Das Gleiche gilt, wenn der Dritte mit einem Aktionär in einem engen verwandtschaftlichen Verhältnis steht (vgl. §§ 89 Abs. 3, 115 Abs. 2),104) sofern die Zahlung dem Aktionär auch wirtschaftlich zurechenbar ist,105) oder wenn der Dritte ein mit einem Aktionär verbundenes Unternehmen i. S. von § 15 ist.106) Beim Nießbrauch an einer Aktie gilt das Kapitalerhaltungsverbot auch gegenüber dem Nießbraucher,107) beim Pfandrecht hingegen nur, wenn der Dritte wesentlichen Einfluss auf die Gesellschaft ähnlich wie ein Gesellschafter hat.108) bb)

Nähebeziehung zwischen Drittem und Gesellschaft

Die Einbeziehung soll nach überwiegender Meinung auch für einen atypischen stillen 36 Gesellschafter mit entsprechendem Einfluss und vermögensmäßiger Beteiligung gelten109) sowie für den atypischen Pfandgläubiger.110) Werde der stille Gesellschafter in dieser Weise in den mitgliedschaftlichen Verband der Gesellschaft einbezogen, so sei seine Einlage Teil der Eigenkapitalgrundlage. Dieser Sichtweise ist nicht zuzustimmen.111) Die Einbeziehung beruht entscheidend darauf, dass der Stille der Gesellschaft nicht als „unabhängiger Dritter“ gegenüberstehe.112) Dies überzeugt wertungsmäßig durchaus für eine Einbeziehung einflussnehmender Dritter in die Vermögensbindung der AG. Im Hinblick auf die Rechtsfolge ist eine Ausweitung von § 57 auf die stille Beteiligung oder noch weitergehend die Darlehensgewährung jedoch nicht mehr passend. Für die Gesellschafterfremdfinanzierung war die gesetzliche Umqualifizierung von Fremd- in Eigenkapital früher durch das Eigenkapitalersatzrecht anerkannt, welches über die sog. „Rechtsprechungsgrundsätze“ auch im Vorfeld der Insolvenz eine materiell-rechtliche Bindung des Finanzierungsbeitrags herstellte. Indem der Gesetzgeber diese Umqualifizierung nunmehr ausdrücklich verneint (§ 57 Abs. 1 Satz 4), würde der Dritte somit schlechter gestellt als ein Aktionär, _____________ 101) Zum Ganzen ausführlich Baumbach/Hueck-Fastrich, GmbHG, § 30 Rz. 17 ff. 102) BGH, Urt. v. 13.11.2007 – XI ZR 294/07, ZIP 2008, 118 = NZG 2008, 106. 103) Zutreffend Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 57 Rz. 18, gegen BGH, Urt. v. 14.5.1992 – II ZR 299/90, ZIP 1992, 1081. 104) BGH, Urt. v. 28.9.1981 – II ZR 223/80, BGHZ 81, 365 = ZIP 1982, 1332; BGH, Urt. v. 14.10.1985 – II ZR 276/84, WM 1986, 237, 239 = ZIP 1986, 456; BGH, Urt. v. 13.11.1995 – II ZR 113/94, ZIP 1996, 68 = GmbHR 1996, 111; zum Ganzen ausführlich Canaris in: FS Fischer, S. 31 ff. 105) So auch Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 57 Rz. 19, unter Hinweis auf BGH, Urt. v. 12.4.2011 – II ZR 17/10, Rz. 15, ZIP 2011, 1101, dazu EWiR 2011, 669 (Cramer). 106) BGH, Urt. v. 21.0.1981 – II ZR 104/80, BGHZ 81, 311 = ZIP 1981, 1200; BGH, Urt. v. 13.11.1995 – II ZR 113/94, ZIP 1996, 68; Einzelheiten bei Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 57 Rz. 77 ff. 107) K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 57 Rz. 31; Einzelheiten bei Fleischer in: FS Canaris, Bd. II, S. 71. 108) Vgl. BGH, Urt. v. 13.7.1992 – II ZR 251/91, BGHZ 119, 191, 195 = ZIP 1992, 1300. 109) BGH, Urt. v. 7.11.1988 – II ZR 46/88, BGHZ 106, 7 = ZIP 1989, 95; BGH, Urt. v. 13.2.2006 – II ZR 62/04, NJW-RR 2006, 760, 761 f. = ZIP 2006, 703, dazu EWiR 2006, 653 (Kort); OLG Saarbrücken, Urt. v. 1.9.1998 – 4 U 635/97, NZG 1999, 155, 156 = ZIP 1999, 2150; vgl. zum Ganzen Mylich, WM 2013, 1010. 110) Vgl. BGH, Urt. v. 13.7.1992 – II ZR 251/91, BGHZ 119, 191, 195 = ZIP 1992, 1300. 111) Zum Ganzen ausführlich Servatius, Gläubigereinfluss durch Covenants, S. 416 ff. 112) BGH, Urt. v. 24.3.1954 – II ZR 23/53, BGHZ 13, 49, 54.

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wenn man die Rückforderung eines als Fremdkapital hingegebenen Finanzierungsbeitrags der Auszahlungssperre unterstellte. Die Einbeziehung des atypischen Stillen oder sonstiger Darlehensgeber in § 57 ist damit gänzlich abzulehnen. Insofern kommt vielmehr eine Einbeziehung in das Recht der Gesellschafterdarlehen gemäß § 39 InsO in Betracht (siehe unten auch Rz. 14 ff.). 5.

Subjektive Komponente

37 Es ist zutreffend ganz allgemeine Meinung, dass das Zahlungsverbot objektiv begründet ist und daher keine subjektiven Voraussetzungen auf Seiten des empfangenden Aktionärs voraussetzt (Kenntnis vom Zahlungsverbot, Umgehungsabsicht o. Ä.).113) Ob es sich dadurch um eine unwiderlegliche Vermutung der Bösgläubigkeit bei außerhalb des ordentlichen Gewinnbezugs angesiedelten Vermögenstransfers handelt, erscheint zweifelhaft.114) Überzeugender ist es, die tatbestandlich erfassten und verbotenen offenen oder verdeckten Ausschüttungen als objektiven Widerspruch zur privatautonom gewählten Eigenkapitalfinanzierung der Aktionäre und zu den zwingend hieran geknüpften formalen Anforderungen an den Gewinnbezug zu sehen.115) Die Privilegierung des gutgläubigen Gewinnbezugs gemäß § 62 Abs. 1 Satz 2 ist somit eine nicht verallgemeinerungsfähige Ausnahme von der ansonsten an keinerlei subjektive Tatbestandsmerkmale geknüpften Rückerstattungspflicht gemäß § 62 Abs. 1 Satz 1. 6.

Besonderheiten beim Rückerwerb eigener Aktien

38 Der entgeltliche Rückerwerb eigener Aktien durch die AG ist im Ausgangspunkt ein eindeutiger Verstoß gegen § 57 Abs. 1 Satz 1. Gleichwohl sind die Grenzen im Zuge der §§ 71a ff. mittlerweile recht weit gezogen, so dass es konsequent ist, einen zulässigen Rückerwerb auch im Hinblick auf die Kapitalbindung zu privilegieren (§ 57 Abs. 1 Satz 2).116) Dies gilt jedoch nur, wenn der Erwerbspreis dem Drittvergleich standhält, mithin marktgerecht und damit nicht zu hoch ist.117) In diesem Umfang erstreckt sich die Privilegierung auf die Besicherung des Aktienerwerbs gemäß § 71a.118) 7.

Besonderheiten bei Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen

39 Gemäß § 57 Abs. 1 Satz 3 Alt. 1 gilt das Auszahlungsverbot nicht bei Leistungen, die bei Bestehen eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages i. S. von § 291 erfolgen. Diese durch das MoMiG im Jahr 2008 eingeführte Privilegierung brachte bei der AG letztlich nur eine Klarstellung, denn gemäß § 291 Abs. 3 waren entsprechende Leistungen bereits zuvor ohne Verstoß gegen die Kapitalbindung zulässig. Eine Erweiterung der bisher anerkannten Privilegierung erfolgte jedoch durch die weitere Fassung der Erlaubnis. Zulässig ist nunmehr auch, dass die Leistung auf Veranlassung des herrschenden Unternehmens an Dritte (insbesondere Schwestergesellschaften) erfolgen darf („bei Bestehen“ anstelle des früheren „auf Grund“ in § 291 Abs. 3 a. F.).119) Die praktische Durchsetzbarkeit der Verlustausgleichspflicht der Obergesellschaft gemäß § 302 ist für die Privilegierung gemäß _____________ 113) K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 57 Rz. 19; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 57 Rz. 11; undeutlich, auf der Grundlage des Merkmals causa societatis, Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 57 Rz. 24 ff. 114) So aber Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 62 Rz. 2. 115) Hierzu i. R. von §§ 30, 31 GmbHG bereits Servatius, DStR 2004, 1176. 116) Vgl. für die Sicherheitenbestellung BGH, Urt. v. 10.1.2017 – II ZR 94/15, Rz. 25 ff., ZIP 2017, 472. 117) H. M., vgl. Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 57 Rz. 42; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 57 Rz. 20. 118) Vgl. BGH, Urt. v. 10.1.2017 – II ZR 94/15, ZIP 2017, 472. 119) Vgl. den damaligen Vorschlag des Handelsrechtsausschusses des DAV, NZG 2007, 735, 740.

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§ 57 Abs. 1 Satz 3 Alt. 1 unerheblich (streitig).120) Die Neuregelung sollte erklärtermaßen die Funktion eines rechtssicher handhabbaren „sicheren Hafens“ erfüllen, so dass gegenüber einer teleologischen Reduktion Zurückhaltung geboten ist.121) Etwaige Schutzlücken sind daher systemkohärent über § 826 BGB (Existenzvernichtungshaftung) oder § 92 Abs. 2 Satz 3 (Insolvenzverursachungshaftung) zu schließen. Darüber hinaus haben die Organe der beherrschten bzw. zur Gewinnabführung verpflichteten AG zumindest bei Erkennbarkeit der Finanzschwäche der Obergesellschaft die schadensersatzbewehrte Pflicht, den Unternehmensvertrag gemäß § 297 unverzüglich zu kündigen, um so den Vermögensabfluss zu unterbinden. Im Bereich der faktischen Beherrschung wird die Vermögensbindung durch §§ 311 ff. überlagert, so dass an sich verbotene Auszahlungen auf Zeit zulässig sind, mithin nicht sogleich gemäß § 62 zurückgefordert werden müssen (streitig).122) Kommt es nicht zum rechtzeitigen Nachteilsausgleich im zeitlichen Rahmen des § 311 Abs. 2, ist der Anspruch endgültig (rückwirkend) entstanden.123) Die AG kann in diesem Fall auch Schadensersatz gemäß § 317 und § 93 Abs. 3 Nr. 1 verlangen.124) 8.

Rechtsfolgen von Verstößen, Konkurrenzen

Verbotene Leistungen sind nach § 62 zurückzuerstatten (Einzelheiten dort). Nach § 57 40 unzulässige Verträge dürfen durch die AG nicht erfüllt werden.125) Bei einem Verstoß gegen § 57 sind jedoch weder das Verpflichtungs- noch das Erfüllungsgeschäft nichtig.126) Die Regelung ist kein Verbotsgesetz i. S. von § 134 BGB. Mit § 62 steht eine scharfe Sanktionsnorm bereit, die die schuldrechtliche Nichtigkeit vollständig kompensiert, so dass für eine ohnehin schwache Rückabwicklung nach §§ 812 ff. BGB kein Bedürfnis besteht. Ein darüber hinausgehender Schutz der AG durch die Nichtigkeit des Vollzugsgeschäfts wäre zwar bei der Insolvenz des Leistungsempfängers eine effektive Sanktion; sie fügt sich jedoch nicht in das bloß summen- bzw. wertmäßige Schutzkonzept von § 57 ein. Die insolvenzrechtliche Anfechtungstatbestände gemäß §§ 129 ff. InsO sind durch § 62 41 nicht ausgeschlossen.127) Die vorsätzliche Verletzung von § 57 kann eine Untreuestrafbarkeit begründen.128) Der Vorstand haftet bei schuldhaften Verstößen gemäß § 93 Abs. 3 Nr. 1 auf Schadensersatz;129) das Gleiche gilt über § 116 für den Aufsichtsrat. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Organhaftung ist grundsätzlich der für die Auszahlung maßgebliche (siehe Rz. 15, 26). Scheidet indessen bei der Bestellung von Sicherheiten zugunsten eines Aktionärs ein Verstoß gegen § 57 aus, weil bei Bestellung ein Forderungsausfall unwahrscheinlich ist, trifft den Vorstand auch darüber hinaus eine fortlaufende haftungsbewehrte _____________ 120) K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 57 Rz. 37; abweichend unter Hinweis auf Art. 17, 18 der früheren Kapitalrichtlinie Altmeppen, ZIP 2009, 49, 55; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 57 Rz. 21. 121) Abweichend Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 57 Rz. 4. 122) Vgl. BGH, Urt. v. 1.12.2008 – II ZR 102/07 (MPS), BGHZ 179, 71 = ZIP 2009, 70; LG München I, Urt. v. 10.12.2009 – 5 HKO 13261/08, ZIP 2010, 283 = AG 2010, 173; Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 57 Rz. 5; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 57 Rz. 21; abweichend Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 57 Rz. 121. 123) Vgl. BGH, Urt. v. 31.5.2011 – II ZR 141/09 (Deutsche Telekom), ZIP 2011, 1306 = NJW 2011, 2719. 124) So auch Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 57 Rz. 5. 125) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 57 Rz. 32. 126) BGH, Urt. v. 12.3.2013 – II ZR 179/12, ZIP 2013, 819 = NZG 2013, 496, dazu EWIR 2013, 297 (Wilsing/Meyer); ebenso als Vorinstanz OLG München, Urt. v. 10.5.2012 – 14 U 2175/11, ZIP 2012, 1024 = NZG 2012, 706, dazu EWiR 2012, 403 (Just); BGH, Urt. v. 5.4.2016 – II ZR 268/14, ZIP 2016, 1919. 127) Eidenmüller/Engert in: FS K. Schmidt, S. 305 ff. 128) Vgl. BGH, Urt. v. 6.5.2008 – 5 StR 34/08, NStZ 2009, 153. 129) Vgl. BGH, Urt. v. 10.1.2017 – II ZR 94/15, Rz. 34, ZIP 2017, 472 – „kein unternehmerischer Ermessensspielraum“; abweichend aber etwa Drygala, AG 2013, 198, 208.

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Anhang zu § 57

Aktionärsdarlehen

Beobachtungspflicht, ob die Sicherheitenbestellung noch im Einklang mit den allgemeinen Sorgfaltsanforderungen gemäß § 93 Abs. 1 Satz 1 steht.130) 9.

Beweislast

42 Die Voraussetzungen für einen Verstoß gegen § 57 sind grundsätzlich von der AG zu beweisen, in der Insolvenz vom Verwalter.131) Die Privilegierungen gemäß § 57 Abs. 1 Satz 3 und Satz 4 hat hingegen der Aktionär zu beweisen. Dies gilt insbesondere für das Vorliegen einer wertmäßig bezifferbaren Gegenleistung (siehe Rz. 12 ff.).132) Das Gleiche soll nach h. M. für das Vorliegen eines marktüblichen Drittgeschäfts gelten.133) Dem ist nicht zu folgen. Das verbotsbegründende Merkmal der Leistung causa societatis ist ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal, so dass die AG darlegen muss, dass das betreffende Geschäft nicht in derselben Weise auch mit jedem Dritten geschlossen worden wäre. III.

Zinsverbot (§ 57 Abs. 2)

43 Nach § 57 Abs. 2 dürfen Aktionären Zinsen auf ihre Einlage weder zugesagt noch gezahlt werden. Diese Regelung ist überflüssig, denn die erfassten Gestaltungen fallen bereits unter § 57 Abs. 1. Sie verdeutlicht aber immerhin, dass auch Dividendengarantien zugunsten von Aktionären kategorisch ausgeschlossen sind. IV.

Aktionärsdarlehen

44 Auf Darlehen der Aktionäre an die AG ist das Kapitalerhaltungsgebot gemäß § 57 Abs. 1 Satz 4 nicht mehr anwendbar. Zur insolvenzrechtlichen Lösung gemäß §§ 39 Abs. 1 Nr. 4, 135 InsO siehe nachfolgend Anhang zu § 57. _____________ 130) Vgl. BGH, Urt. v. 1.12.2008 – II ZR 102/07 (MPS), BGHZ 179, 71 = ZIP 2009, 70; zur GmbH auch BGH, Urt. v. 21.3.1017 – II ZR 93/16, Rz. 22, ZIP 2017, 971. 131) Vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.1.2006 – 6 U 2/05, GmbHR 2006, 535, 536 = ZIP 2006, 2100. 132) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 57 Rz. 15 m. w. N. 133) BGH, Urt. v. 24.11.2003 – II ZR 171/01, BGHZ 157, 72 = ZIP 2004, 263; Grigoleit-Grigoleit/ Rachlitz, AktG, § 57 Rz. 15.

Anhang zu § 57 Aktionärsdarlehen Literatur: Altmeppen, Das neue Recht der Gesellschafterdarlehen in der Praxis, NJW 2008, 3601; Bartsch/Weber, Doppelbesicherung durch Gesellschafts- und Gesellschaftersicherheit nach dem MoMiG: Hat der Gesellschaftsgläubiger weiterhin ein Wahlrecht?, DStR 2008, 1884; Bitter, Die Nutzungsüberlassung in der Insolvenz nach dem MoMiG (§ 135 Abs. 3 InsO) – Dogmatische Grundlagen und Einzelfragen der Praxis, ZIP 2010, 1; Bork, Abschaffung des Eigenkapitalersatzrechts zugunsten des Insolvenzrechts?, ZGR 2007, 250; Burg/Westerheide, Praktische Auswirkungen des MoMiG auf die Finanzierung von Konzernen, BB 2008, 62; Dahl/Schmitz, Eigenkapitalersatz nach dem MoMiG aus insolvenzrechtlicher Sicht, NZG 2009, 325; Eidenmüller, Gesellschafterdarlehen in der Insolvenz, in: Festschrift für Claus-Wilhelm Canaris, 2007, S. 49; Engert, Drohende Subordination als Schranke einer Unternehmenskontrolle durch Kreditgeber, ZGR 2012, 835; Freitag, Finanzverfassung und Finanzierung von GmbH und AG nach dem Regierungsentwurf des MoMiG, WM 2007, 1681; Gehrlein, Die Behandlung von Gesellschafterdarlehen durch das MoMiG, BB 2008, 846; Haas, Die Passivierung von Gesellschafterdarlehen in der Überschuldungsbilanz nach MoMiG und FMStG, DStR 2009, 326; Haas, Das neue Kapitalersatzrecht nach dem RegE-MoMiG, ZInsO 2007, 617; Haas/Oechsler, Missbrauch,

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Anhang zu § 57

Aktionärsdarlehen

Beobachtungspflicht, ob die Sicherheitenbestellung noch im Einklang mit den allgemeinen Sorgfaltsanforderungen gemäß § 93 Abs. 1 Satz 1 steht.130) 9.

Beweislast

42 Die Voraussetzungen für einen Verstoß gegen § 57 sind grundsätzlich von der AG zu beweisen, in der Insolvenz vom Verwalter.131) Die Privilegierungen gemäß § 57 Abs. 1 Satz 3 und Satz 4 hat hingegen der Aktionär zu beweisen. Dies gilt insbesondere für das Vorliegen einer wertmäßig bezifferbaren Gegenleistung (siehe Rz. 12 ff.).132) Das Gleiche soll nach h. M. für das Vorliegen eines marktüblichen Drittgeschäfts gelten.133) Dem ist nicht zu folgen. Das verbotsbegründende Merkmal der Leistung causa societatis ist ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal, so dass die AG darlegen muss, dass das betreffende Geschäft nicht in derselben Weise auch mit jedem Dritten geschlossen worden wäre. III.

Zinsverbot (§ 57 Abs. 2)

43 Nach § 57 Abs. 2 dürfen Aktionären Zinsen auf ihre Einlage weder zugesagt noch gezahlt werden. Diese Regelung ist überflüssig, denn die erfassten Gestaltungen fallen bereits unter § 57 Abs. 1. Sie verdeutlicht aber immerhin, dass auch Dividendengarantien zugunsten von Aktionären kategorisch ausgeschlossen sind. IV.

Aktionärsdarlehen

44 Auf Darlehen der Aktionäre an die AG ist das Kapitalerhaltungsgebot gemäß § 57 Abs. 1 Satz 4 nicht mehr anwendbar. Zur insolvenzrechtlichen Lösung gemäß §§ 39 Abs. 1 Nr. 4, 135 InsO siehe nachfolgend Anhang zu § 57. _____________ 130) Vgl. BGH, Urt. v. 1.12.2008 – II ZR 102/07 (MPS), BGHZ 179, 71 = ZIP 2009, 70; zur GmbH auch BGH, Urt. v. 21.3.1017 – II ZR 93/16, Rz. 22, ZIP 2017, 971. 131) Vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.1.2006 – 6 U 2/05, GmbHR 2006, 535, 536 = ZIP 2006, 2100. 132) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 57 Rz. 15 m. w. N. 133) BGH, Urt. v. 24.11.2003 – II ZR 171/01, BGHZ 157, 72 = ZIP 2004, 263; Grigoleit-Grigoleit/ Rachlitz, AktG, § 57 Rz. 15.

Anhang zu § 57 Aktionärsdarlehen Literatur: Altmeppen, Das neue Recht der Gesellschafterdarlehen in der Praxis, NJW 2008, 3601; Bartsch/Weber, Doppelbesicherung durch Gesellschafts- und Gesellschaftersicherheit nach dem MoMiG: Hat der Gesellschaftsgläubiger weiterhin ein Wahlrecht?, DStR 2008, 1884; Bitter, Die Nutzungsüberlassung in der Insolvenz nach dem MoMiG (§ 135 Abs. 3 InsO) – Dogmatische Grundlagen und Einzelfragen der Praxis, ZIP 2010, 1; Bork, Abschaffung des Eigenkapitalersatzrechts zugunsten des Insolvenzrechts?, ZGR 2007, 250; Burg/Westerheide, Praktische Auswirkungen des MoMiG auf die Finanzierung von Konzernen, BB 2008, 62; Dahl/Schmitz, Eigenkapitalersatz nach dem MoMiG aus insolvenzrechtlicher Sicht, NZG 2009, 325; Eidenmüller, Gesellschafterdarlehen in der Insolvenz, in: Festschrift für Claus-Wilhelm Canaris, 2007, S. 49; Engert, Drohende Subordination als Schranke einer Unternehmenskontrolle durch Kreditgeber, ZGR 2012, 835; Freitag, Finanzverfassung und Finanzierung von GmbH und AG nach dem Regierungsentwurf des MoMiG, WM 2007, 1681; Gehrlein, Die Behandlung von Gesellschafterdarlehen durch das MoMiG, BB 2008, 846; Haas, Die Passivierung von Gesellschafterdarlehen in der Überschuldungsbilanz nach MoMiG und FMStG, DStR 2009, 326; Haas, Das neue Kapitalersatzrecht nach dem RegE-MoMiG, ZInsO 2007, 617; Haas/Oechsler, Missbrauch,

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Aktionärsdarlehen

Cash Pool und gutgläubiger Erwerb nach dem MoMiG, NZG 2006, 806; Habersack, Gesellschafterdarlehen nach MoMiG: Anwendungsbereich, Tatbestand und Rechtsfolgen der Neuregelung, ZIP 2007, 2145; Hirte/Knof, Das „neue“ Sanierungsprivileg nach § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO, WM 2009, 1961; Huber, Finanzierungsfolgenverantwortung de lege lata und de lege ferenda, in: Festschrift für Hans-Joachim Priester, 2007, S. 259; Huber/Habersack, GmbH-Reform: Zwölf Thesen zu einer möglichen Reform des Rechts der kapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen, BB 2006, 1; Kahlert/Gehrke, Der Rangrücktritt nach MoMiG im GmbH-Recht: Insolvenz- und steuerrechtliche Aspekte, DStR 2010, 227; Krolop, Zur Anwendung der MoMiG-Regelungen zu Gesellschafterdarlehen auf gesellschaftsfremde Dritte, GmbHR 2009, 397; Leithaus/Schaefer, Rangrücktrittsvereinbarungen zur Vermeidung der Überschuldung anno 2010 – Unter welchen Voraussetzungen lässt sich eine Rangrücktrittsvereinbarung aufheben?, NZI 2010, 844; Mock, Stille im MoMiG zur stillen Gesellschaft? – Das neue (Eigen-)Kapitalersatzrecht und seine Auswirkungen auf das Recht der stillen Gesellschaft, DStR 2008, 1645; Mylich, Probleme und Wertungswidersprüche beim Verständnis von § 135 Abs. 1 Alt. 2 Nr. 2 InsO n. F., ZGR 2009, 474; Schäfer, Eigenkapitalersatz nach „MoMiG“ – was bleibt von der Finanzierungsfolgenverantwortung?, ZInsO 2010, 1311; Schmidt, K., Gesellschafterbesicherte Drittkredite nach neuem Recht, BB 2008, 1966; Servatius, Covenants in der Restruktrurierung, CFL 2013, 14; Spliedt, MoMiG in der Insolvenz – ein Sanierungsversuch, ZIP 2009, 149; Sutter/Fiedler, Rechtliche Einordnung der Rangrücktrittsvereinbarung (Intercreditor Agreement), ZInsO 2011, 552; Thiessen, Eigenkapitalersatz ohne Analogieverbot – eine Alternativlösung zum MoMiG-Entwurf, ZIP 2007, 253; Wittig, Das Sanierungsprivileg für Gesellschafterdarlehen im neuen § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO, in: Festschrift für Karsten Schmidt, 2009, S. 1473.

Übersicht I. Allgemeines, Regelungsgehalt ........ 1 II. Grundlagen des Rechts der Gesellschafterdarlehen ..................... 3 III. Erfasste Rechtsformen ...................... 7 IV. Tatbestand .......................................... 8 1. Darlehensgewährung oder vergleichbare Rechtshandlung ................ 8 2. Durch einen Aktionär ...................... 10 3. Kleinbeteiligungsprivileg ................. 11 4. Einbeziehung Dritter ....................... 14 a) Aus Gründen des Umgehungsschutzes ............................ 15 b) Wegen der Einflussnahme ......... 16 5. Sanierungsprivileg ............................. 18 a) Aktienerwerb .............................. 19 b) Zum Zweck der Sanierung ......... 20 V. Rechtsfolgen .................................... 21 1. Insolvenzrechtliche Subordination ................................... 21 a) Rückerstattungsanspruch .......... 21

b) Zinsen ......................................... c) Darlehensversprechen ................ 2. Anfechtbarkeit .................................. a) Wegen Gewährung einer Sicherheit (§ 135 Abs. 2 Nr. 1 InsO) ................................ b) Wegen Befriedigung (§ 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO) ......... 3. Passivierung im Vorfeld des Insolvenzverfahrens ......................... 4. Nutzungsüberlassung ...................... VI. Aktionärsbesicherte Drittdarlehen ............................................ 1. Anfechtbarkeit der Befriedigung (§ 135 Abs. 2 InsO) ......................... 2. Vorrangige Inanspruchnahme der Sicherheit (§ 44a InsO) ............. 3. Subordination der Erstattungspflicht (§ 143 Abs. 3 InsO) .............

22 23 24

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Die maßgeblichen Regelungen: § 19 InsO Überschuldung (1) Bei einer juristischen Person ist auch die Überschuldung Eröffnungsgrund.

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Aktionärsdarlehen

(2) 1Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. 2Forderungen auf Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen oder aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen, für die gemäß § 39 Abs. 2 zwischen Gläubiger und Schuldner der Nachrang im Insolvenzverfahren hinter den in § 39 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 bezeichneten Forderungen vereinbart worden ist, sind nicht bei den Verbindlichkeiten nach Satz 1 zu berücksichtigen. (3) 1Ist bei einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person, so gelten die Absätze 1 und 2 entsprechend. 2Dies gilt nicht, wenn zu den persönlich haftenden Gesellschaftern eine andere Gesellschaft gehört, bei der ein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist. § 39 InsO Nachrangige Insolvenzgläubiger (1) Im Rang nach den übrigen Forderungen der Insolvenzgläubiger werden in folgender Rangfolge, bei gleichem Rang nach dem Verhältnis ihrer Beträge, berichtigt: 1. die seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens laufenden Zinsen und Säumniszuschläge auf Forderungen der Insolvenzgläubiger; 2. die Kosten, die den einzelnen Insolvenzgläubigern durch ihre Teilnahme am Verfahren erwachsen; 3. Geldstrafen, Geldbußen, Ordnungsgelder und Zwangsgelder sowie solche Nebenfolgen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit, die zu einer Geldzahlung verpflichten; 4. Forderungen auf eine unentgeltliche Leistung des Schuldners; 5. nach Maßgabe der Absätze 4 und 5 Forderungen auf Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens oder Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen. (2) Forderungen, für die zwischen Gläubiger und Schuldner der Nachrang im Insolvenzverfahren vereinbart worden ist, werden im Zweifel nach den in Absatz 1 bezeichneten Forderungen berichtigt. (3) Die Zinsen der Forderungen nachrangiger Insolvenzgläubiger und die Kosten, die diesen Gläubigern durch ihre Teilnahme am Verfahren entstehen, haben den gleichen Rang wie die Forderungen dieser Gläubiger. (4) 1Absatz 1 Nr. 5 gilt für Gesellschaften, die weder eine natürliche Person noch eine Gesellschaft als persönlich haftenden Gesellschafter haben, bei der ein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist. 2Erwirbt ein Gläubiger bei drohender oder eingetretener Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder bei Überschuldung Anteile zum Zweck ihrer Sanierung, führt dies bis zur nachhaltigen Sanierung nicht zur Anwendung von Absatz 1 Nr. 5 auf seine Forderungen aus bestehenden oder neu gewährten Darlehen oder auf Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen. (5) Absatz 1 Nr. 5 gilt nicht für den nicht geschäftsführenden Gesellschafter einer Gesellschaft im Sinne des Absatzes 4 Satz 1, der mit 10 Prozent oder weniger am Haftkapital beteiligt ist.

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Aktionärsdarlehen § 44a InsO Gesicherte Darlehen

In dem Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Gesellschaft kann ein Gläubiger nach Maßgabe des § 39 Abs. 1 Nr. 5 für eine Forderung auf Rückgewähr eines Darlehens oder für eine gleichgestellte Forderung, für die ein Gesellschafter eine Sicherheit bestellt oder für die er sich verbürgt hat, nur anteilsmäßige Befriedigung aus der Insolvenzmasse verlangen, soweit er bei der Inanspruchnahme der Sicherheit oder des Bürgen ausgefallen ist. § 135 InsO Gesellschafterdarlehen (1) Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, die für die Forderung eines Gesellschafters auf Rückgewähr eines Darlehens im Sinne des § 39 Abs. 1 Nr. 5 oder für eine gleichgestellte Forderung 1. Sicherung gewährt hat, wenn die Handlung in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag vorgenommen worden ist, oder 2. Befriedigung gewährt hat, wenn die Handlung im letzten Jahr vor dem Eröffnungsantrag oder nach diesem Antrag vorgenommen worden ist. (2) Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, mit der eine Gesellschaft einem Dritten für eine Forderung auf Rückgewähr eines Darlehens innerhalb der in Absatz 1 Nr. 2 genannten Fristen Befriedigung gewährt hat, wenn ein Gesellschafter für die Forderung eine Sicherheit bestellt hatte oder als Bürge haftete; dies gilt sinngemäß für Leistungen auf Forderungen, die einem Darlehen wirtschaftlich entsprechen. (3) 1Wurde dem Schuldner von einem Gesellschafter ein Gegenstand zum Gebrauch oder zur Ausübung überlassen, so kann der Aussonderungsanspruch während der Dauer des Insolvenzverfahrens, höchstens aber für eine Zeit von einem Jahr ab der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht geltend gemacht werden, wenn der Gegenstand für die Fortführung des Unternehmens des Schuldners von erheblicher Bedeutung ist. 2Für den Gebrauch oder die Ausübung des Gegenstandes gebührt dem Gesellschafter ein Ausgleich; bei der Berechnung ist der Durchschnitt der im letzten Jahr vor Verfahrenseröffnung geleisteten Vergütung in Ansatz zu bringen, bei kürzerer Dauer der Überlassung ist der Durchschnitt während dieses Zeitraums maßgebend. (4) § 39 Abs. und 5 gilt entsprechend. § 143 InsO Rechtsfolgen (1) 1Was durch die anfechtbare Handlung aus dem Vermögen des Schuldners veräußert, weggegeben oder aufgegeben ist, muß zur Insolvenzmasse zurückgewährt werden. 2 Die Vorschriften über die Rechtsfolgen einer ungerechtfertigten Bereicherung, bei der dem Empfänger der Mangel des rechtlichen Grundes bekannt ist, gelten entsprechend. 3Eine Geldschuld ist nur zu verzinsen, wenn die Voraussetzungen des Schuldnerverzugs oder des § 291 des Bürgerlichen Gesetzbuchs vorliegen; ein darüber hinausgehender Anspruch auf Herausgabe von Nutzungen eines erlangten Geldbetrags ist ausgeschlossen. (2) 1Der Empfänger einer unentgeltlichen Leistung hat diese nur zurückzugewähren, soweit er durch sie bereichert ist. 2Dies gilt nicht, sobald er weiß oder den Umständen nach wissen muß, daß die unentgeltliche Leistung die Gläubiger benachteiligt.

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Aktionärsdarlehen

(3) 1Im Fall der Anfechtung nach § 135 Abs. 2 hat der Gesellschafter, der die Sicherheit bestellt hatte oder als Bürge haftete, die dem Dritten gewährte Leistung zur Insolvenzmasse zu erstatten. 2Die Verpflichtung besteht nur bis zur Höhe des Betrags, mit dem der Gesellschafter als Bürge haftete oder der dem Wert der von ihm bestellten Sicherheit im Zeitpunkt der Rückgewähr des Darlehens oder der Leistung auf die gleichgestellte Forderung entspricht. 3Der Gesellschafter wird von der Verpflichtung frei, wenn er die Gegenstände, die dem Gläubiger als Sicherheit gedient hatten, der Insolvenzmasse zur Verfügung stellt. § 6 AnfG Gesellschafterdarlehen (1) 1Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, die für die Forderung eines Gesellschafters auf Rückgewähr eines Darlehens im Sinne des § 39 Abs. 1 Nr. 5 der Insolvenzordnung oder für eine gleichgestellte Forderung 1. Sicherung gewährt hat, wenn die Handlung in den letzten zehn Jahren vor Erlangung des vollstreckbaren Schuldtitels oder danach vorgenommen worden ist, oder 2. Befriedigung gewährt hat, wenn die Handlung im letzten Jahr vor Erlangung des vollstreckbaren Schuldtitels oder danach vorgenommen worden ist. 2

Wurde ein Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nach § 26 Abs. 1 der Insolvenzordnung abgewiesen, bevor der Gläubiger einen vollstreckbaren Schuldtitel erlangt hat, so beginnt die Anfechtungsfrist mit dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens.

(2) 1Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn nach dem Schluss des Jahres, in dem der Gläubiger den vollstreckbaren Schuldtitel erlangt hat, drei Jahre verstrichen sind. 2Wurde die Handlung später vorgenommen, so ist die Anfechtung drei Jahre nach dem Schluss des Jahres ausgeschlossen, in dem die Handlung vorgenommen worden ist. § 6a AnfG Gesicherte Darlehen 1

Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, mit der eine Gesellschaft einem Dritten für eine Forderung auf Rückgewähr eines Darlehens innerhalb der in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 genannten Fristen Befriedigung gewährt hat, wenn ein Gesellschafter für die Forderung eine Sicherheit bestellt hatte oder als Bürge haftete; dies gilt sinngemäß für Leistungen auf Forderungen, die einem Darlehen wirtschaftlich entsprechen. 2 § 39 Abs. 4 und 5 der Insolvenzordnung und § 6 Abs. 2 gelten entsprechend. § 11 AnfG Rechtsfolgen (1) 1Was durch die anfechtbare Rechtshandlung aus dem Vermögen des Schuldners veräußert, weggegeben oder aufgegeben ist, muß dem Gläubiger zur Verfügung gestellt werden, soweit es zu dessen Befriedigung erforderlich ist. 2Die Vorschriften über die Rechtsfolgen einer ungerechtfertigten Bereicherung, bei der dem Empfänger der Mangel des rechtlichen Grundes bekannt ist, gelten entsprechend. 3Eine Geldschuld ist nur zu verzinsen, wenn die Voraussetzungen des Schuldnerverzugs oder des § 291 des Bürgerlichen Gesetzbuchs vorliegen; ein darüber hinausgehender Anspruch auf Herausgabe von Nutzungen eines erlangten Geldbetrags ist ausgeschlossen. (2) 1Der Empfänger einer unentgeltlichen Leistung hat diese nur zur Verfügung zu stellen, soweit er durch sie bereichert ist. 2Dies gilt nicht, sobald er weiß oder den Umständen nach wissen muß, daß die unentgeltliche Leistung die Gläubiger benachteiligt.

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Anhang zu § 57

Aktionärsdarlehen

(3) 1Im Fall der Anfechtung nach § 6a hat der Gesellschafter, der die Sicherheit bestellt hatte oder als Bürge haftete, die Zwangsvollstreckung in sein Vermögen bis zur Höhe des Betrags zu dulden, mit dem er als Bürge haftete oder der dem Wert der von ihm bestellten Sicherheit im Zeitpunkt der Rückgewähr des Darlehens oder der Leistung auf die gleichgestellte Forderung entspricht. 2Der Gesellschafter wird von der Verpflichtung frei, wenn er die Gegenstände, die dem Gläubiger als Sicherheit gedient hatten, dem Gläubiger zur Verfügung stellt. I.

Allgemeines, Regelungsgehalt

Gewährt ein Aktionär seiner AG ein Darlehen, führte das früher zu einer materiell-recht- 1 lichen Verstrickung des Finanzierungsbeitrags nach den sog. Rechtsprechungsregeln des Eigenkapitalersatzrechts sowie zu einer insolvenzrechtlichen Subordination entsprechend §§ 32a, 32b GmbHG. Im Zuge des MoMiG wurde dieses zweispurige Konzept grundlegend umgestaltet und auf eine rein insolvenzrechtliche Grundlage gestellt. Gemäß § 57 Abs. 1 Satz 4 findet eine Einbeziehung dieser Gesellschafterfremdfinanzierung in die Kapitalbindung der AG nicht mehr statt. Tatbestand und Rechtsfolgen richten sich nunmehr allein nach §§ 39, 135 InsO bzw. § 6 AnfG. Die Regelungen unterfallen Art. 7 Abs. 1 EuInsVO und sind daher auch auf Auslandsgesellschaften anwendbar.1) Die insolvenzrechtliche Subordination von Gesellschafterdarlehen oder vergleichbarer Fi- 2 nanzierungshilfen folgt aus § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO. Hiernach sind Forderungen eines Aktionärs auf Rückzahlung nur nachrangig zu befriedigen, insbesondere im Verhältnis zu den Insolvenzgläubigern gemäß § 38 InsO. Wird ein Gesellschafterdarlehen vor Insolvenzeröffnung zurückgezahlt, ist dies gemäß § 135 Abs. 1 InsO anfechtbar; § 135 Abs. 2 InsO erweitert die Anfechtungsmöglichkeit für den Fall, dass ein Drittdarlehen zurückgezahlt wurde, welches ein Aktionär besichert hatte. Die insolvenzrechtliche Subordination von Gesellschafterdarlehen gilt gemäß § 39 Abs. 2 Satz 1 InsO für alle Gesellschaften, bei denen nicht mindestens eine natürliche Person für die Verbindlichkeiten unbeschränkt haftet. Gemäß § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO wird ein Sanierungsprivileg begründet, gemäß § 39 Abs. 5 InsO ein Kleinbeteiligungsprivileg. Für die nutzungsweise Überlassung von Gegenständen an eine Gesellschaft schränkt § 135 Abs. 3 InsO die Geltendmachung eines Aussonderungsrechts für einen gewissen Zeitraum ein. Außerhalb des Insolvenzverfahrens sehen §§ 6, 6a AnfG entsprechende Anfechtungsrechte für die Gläubiger vor. II.

Grundlagen des Rechts der Gesellschafterdarlehen

Dass der Gesetzgeber mit der Neuregelung vor allem Rechtssicherheit gegenüber dem 3 früheren komplizierten Eigenkapitalersatzrecht schaffen wollte, steht außer Streit. Insofern ist es im Ausgangspunkt zu begrüßen, dass nunmehr sämtliche Gesellschafterfremdfinanzierungen in der Insolvenz subordiniert werden, ohne dass es auf eine wie auch immer zu kennzeichnende Krisenfinanzierung ankäme.2) Gleichwohl ist die Herausarbeitung der materiellen Legitimation der Neuregelung wichtig, um die verschiedensten Einzelprobleme auf der Grundlage eines schlüssigen und überzeugenden Regelungssystems zusammenzufassen und kohärent zu lösen.

_____________ 1) 2)

BGH, Urt. v. 21.7.2011 – IX ZR 185/10, ZIP 2011, 1775. BGH, Beschl. v. 30.4.2015 – IX ZR 196/13, ZIP 2015, 1130, dazu EWiR 2015, 547 (Berjasevic); BAG, Urt. v. 27.3.2014 – 6 AZR 204/12, ZIP 2014, 927, dazu EWiR 2014, 327 (Bork); dem alten Krisenbegriff anhängend jedoch Bork, ZGR 2007, 250, 257, 269; Altmeppen, NJW 2008, 3601, 3605; Thiessen, ZIP 2007, 253, 257; Mock, DStR 2008, 1645, 1647.

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Aktionärsdarlehen

4 Als Grundlage für die Subordination und damit letztlich Umqualifizierung des Fremdkapitals in Eigenkapital3) werden verschiedene Ansätze vorgebracht: –

Ausgleich für das Privileg der beschränkten Haftung,4)



Gesellschafterfremdfinanzierung als Missbrauch der Haftungsbeschränkung,5)



Gesellschafterdarlehen als Mittel zur Insolvenzverschleppung,6)



Schaffung einer Gefahrenlage für den Rechtsverkehr,7)



Doppelrolle von Gesellschafter und Kreditgeber.8)

5 Allein Letzteres ist überzeugend. Das neue Recht der Gesellschafterdarlehen knüpft an eine bereits vom Reichsgericht begründete Argumentation an, wonach niemand sein eigener Gläubiger sein dürfe.9) Diese an sich überzeugende, die Eigenständigkeit der juristischen Person stark relativierende Prämisse bedarf jedoch einer wichtigen Einschränkung, die auch über das Kleinbeteiligungsprivileg gemäß § 39 Abs. 5 InsO Berücksichtigung fand: Zurückgesetzt werden nur die Forderungen derjenigen, die aufgrund ihrer – kollektiven – Herrschaftsmacht das Insolvenzrisiko steuern konnten.10) Es sind zwei miteinander unvereinbare Verhaltensweisen (gesetzliche Umqualifizierung gemäß der protestatio facto contrariaRegel), wenn die mit Herrschaftsmacht versehenen Gesellschafter sich in der Insolvenz auf die formal durchaus differenzierte Doppelrolle berufen, um auf Kosten der übrigen Gläubiger (Quotenschmälerung) wie ein den gesetzlichen Regeltypen entsprechender außenstehender und vor allem einflussloser Gläubiger behandelt zu werden. 6 Insofern ist die Neuregelung nichts anderes als die konsequente Fortentwicklung der ökonomisch sinnvollen Steuerungsfunktion des Eigenkapitalrisikos: Indem diejenigen, die unternehmerische Verantwortung übernehmen, gezwungen werden, im Umfang des selbst hingegebenen Kapitals vorrangig für die Verluste einstehen zu müssen, werden die für das unternehmerische Handeln notwendigen einflusslosen Fremdkapitalgeber und sonstigen Gläubiger geschützt und damit die Möglichkeiten für die Unternehmensfinanzierung insgesamt verbessert.11) Dieser Begründungsansatz hat nichts mit der Haftungsbeschränkung zu tun, sondern gilt über § 39 Abs. 4 Satz 1 InsO hinaus auch bei den Gesellschaftsformen, bei denen eine natürliche Person für die Verbindlichkeiten haftet.12) Eine hierauf gestützte allgemeine Finanzierungsregel ermöglicht und bedingt schließlich, auch Nichtgesellschafter in den Adressatenkreis einzubeziehen, wenn sie tatsächlich oder mittels Covenants in die verbandsinterne Willlensbildung integriert sind.13) III.

Erfasste Rechtsformen

7 Dass das Recht der Gesellschafterdarlehen für die AG gilt, folgt aus § 39 Abs. 4 Satz 1 InsO. Wegen der dahinterstehenden allgemeinen Finanzierungsregel (siehe oben Rz. 6) gilt es trotz einer etwaigen Haftung natürlicher Personen auch bei der KGaA und der Vorgesellschaft. _____________ 3) 4) 5) 6) 7) 8) 9) 10) 11) 12) 13)

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Freilich vorrangig gegenüber dem Liquidationsüberschuss i. S. von § 199 Satz 2 InsO zurückzuzahlen. So Huber/Habersack, BB 2006, 1, 2 als die „geistigen Väter“ der Reform. So Huber in: FS Priester, S. 259, 277 f. So Haas/Oechsler, NZG 2006, 806, 808. So Schäfer, ZInsO 2010, 1311, 1313. Haas, ZInsO 2007, 617, 626. RG, Urt. v. 16.11.1937 – II 70/337, JW 1938, 862, 864. Zum Ganzen ausführlich Servatius, Gläubigereinfluss durch Covenants, S. 426 ff. So auch Baumbach/Hueck-Hueck/Fastrich, GmbHG, Anh. § 30 Rz. 6. Servatius, Gläubigereinfluss durch Covenants, S. 567 ff. Servatius, Gläubigereinfluss durch Covenants, S. 531 ff.

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Aktionärsdarlehen

Gemäß § 24 UBGG gilt das Recht der Gesellschafterdarlehen nicht bei Unternehmensbeteiligungsgesellschaften. Eine Bereichsausnahme für das Recht der Gesellschafterdarlehen bei Unternehmen des Finanzsektors folgt aus § 18 FMStBG. IV.

Tatbestand

1.

Darlehensgewährung oder vergleichbare Rechtshandlung

Ohne weiteres von § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO erfasst sind Gelddarlehen i. S. von § 488 BGB, 8 auch im Cash Pool (sog. downstream loan).14) Ein Sachdarlehen i. S. von § 607 BGB fällt ebenfalls darunter, wird aber als Nutzungsüberlassung gemäß § 135 Abs. 3 InsO behandelt (siehe unten Rz. 28 f.). Wird über einen vom Aktionär gewährten Finanzierungsbeitrag keine rechtsgeschäftliche Abrede getroffen bzw. ist diese nicht beweisbar, ändert dies an der Einbeziehung in § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO nichts, um Missbräuchen vorzubeugen. Wurde ein Darlehensvertrag lediglich geschlossen, die Valuta jedoch noch nicht ausgezahlt, scheidet eine Subordination aus. Insofern kann eine Zahlungspflicht allein aufgrund einer rechtsgeschäftlichen Bindung begründet werden (Ausschluss des Kündigungsrechts, Finanzplankredit).15) Einbezogen werden auch Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem Darlehen wirt- 9 schaftlich entsprechen.16) Einer Einbeziehung zugänglich sind daher im Ausgangspunkt alle Forderungen, die entgegen § 271 Abs. 1 BGB – rechtlich oder faktisch – gestundet werden.17) Die begriffliche Weite dieses Merkmals kann indessen nur über eine teleologische Betrachtung sinnvoll eingegrenzt werden. Richtigerweise fallen nur Forderungen hierunter, die eine Kreditfunktion aufweisen. Dies ist nur dann gegeben, wenn der Aktionär oder einzubeziehende Dritte der AG die Mittel für einen längeren Zeitraum überlässt (im Regelfall mindestens einen Monat).18) Die kurzfristige Nichtgeltendmachung einer Forderung oder die Forderung aus gewöhnlichen Austauschgeschäften begründet damit für sich genommen noch keine Subordination. Dies fügt sich auch in die bisherige Rechtsentwicklung ein, denn kurzfristige Überbrückungsdarlehen waren bereits nach dem früheren Eigenkapitalersatzrecht nach allgemeiner Meinung privilegiert.19) Vgl. i. Ü. auch die zeitlichen Grenzen für die Annahme eines Bargeschäfts i. S. von § 142 InsO als anfechtungsrechtliche Privilegierung.20) Eine stille Beteiligung fällt hingegen regelmäßig unter die gesetzliche Subordination.21) 2.

Durch einen Aktionär

Ist jemand bei Darlehensgewährung und im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung Aktionär, 10 ist das Darlehen unproblematisch verstrickt. Auf eine Eintragung ins Aktienregister (§ 67) kommt es nicht an. Verliert der Darlehensgeber vor Insolvenzeröffnung seine Aktionärs_____________ 14) Zur Geltung im Cash Pool kritisch Burg/Westerheide, BB 2008, 62, 64. 15) Vgl. BGH, Urt. v. 28.6.1999 – II ZR 272/98, ZIP 1999, 1263 = DStR 1999, 1198, dazu EWiR 1999, 843 (Dauner-Lieb). 16) Vgl. OLG Koblenz, Hinweisbeschl. v. 21.12.2015 – 3 U 891/15, ZIP 2016, 1133, dazu EWiR 2016, 605 (Kessler/Hagemann). 17) BGH, Urt. v. 10.7.2014 – IX ZR 192/13, Rz. 50, ZIP 2014, 1491, dazu EWiR 2014, 561 (Ries) – Stehenlassen von Gehaltsforderungen durch einen Gesellschafter; vgl. auch BAG, Urt. v. 27.3.2014 – 6 AZR 204/12, ZIP 2014, 927. 18) Wohl auch BGH, Urt. v. 10.7.2014 – IX ZR 192/13, Rz. 50, ZIP 2014, 1491; weitergehend Huber/ Habersack, BB 2006, 1, 2; Baumbach/Hueck-Hueck/Fastrich, GmbHG, Anh. § 30 Rz. 50; vgl. für stehengelassene Gewinne OLG Koblenz, Urt. v. 15.10.2013 – 3 U 365/13, ZIP 2013, 2325. 19) Vgl. BGH, Urt. v. 17.7.2006 – II ZR 106/05, ZIP 2006, 2130, dazu EWiR 2007, 107 (Thonfeld). 20) Hierauf abstellend OLG Schleswig, Beschl. v. 29.5.2013 – 9 U 15/13, ZIP 2013, 1485, dazu EWiR 2013, 689 (d’Avoine); in diese Richtung ebenso BGH, Urt. v. 10.7.2014 – IX ZR 192/13, Rz. 51, ZIP 2014, 1491. 21) Vgl. BGH, Beschl. v. 23.11.2017 – IX ZR 218/16, ZIP 2017, 2481, dazu EWiR 2018, 181 (Ch. Keller).

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stellung (z. B. durch Veräußerung der Aktien), bleibt das Darlehen grundsätzlich verstrickt, um Missbräuche zu verhindern.22) Erfolgt der Verlust der Aktionärsstellung hingegen außerhalb der Fristen gemäß § 135 Abs. 1 InsO, scheidet die Subordination aus.23) Wechselt die Gläubigerstellung infolge einer Abtretung, wirkt die Verstrickung gemäß § 404 BGB gegenüber dem Rechtsnachfolger fort, ohne dass es auf dessen Kenntnis hiervon ankäme; § 145 InsO ist insoweit nicht anwendbar.24) Aktionär und Zessionar haften insoweit als Gesamtschuldner.25) Auch hier gilt jedoch, dass eine Abtretung außerhalb der Anfechtungsfrist gemäß § 135 Abs. 1 InsO die Verstrickung entfallen lässt26) (vgl. aber die weitergehende Möglichkeit der Vorsatzanfechtung gemäß § 133 InsO, § 3 AnfG). Erwirbt umgekehrt ein Aktionär nachträglich von einem Dritten eine entsprechende Kreditforderung, führt dies in jedem Fall zu einer Subordination. 3.

Kleinbeteiligungsprivileg

11 Gemäß § 39 Abs. 5 InsO gilt die Subordination nicht für Darlehen von nicht geschäftsführenden Gesellschaftern, die mit 10 % oder weniger am Haftkapital beteiligt sind. Auf die AG übertragen ist auf die Beteiligung am Grundkapital abzustellen, bezogen auf den Nennwert der Aktien bzw. die Anzahl der Stückaktien (vgl. § 8 Abs. 4). Auf ein Agio oder sonstige freiwillige Zuzahlungen ist nicht abzustellen. 12 Der Begriff der Geschäftsführung ist untechnisch zu verstehen und weit auszulegen, weil der Subordination nur diejenigen entgehen sollen, die das Insolvenzrisiko nicht steuern konnten (siehe oben Rz. 4 f.). Das Kleinbeteiligungsprivileg greift daher nur, wenn der Aktionär weder rechtlich noch tatsächlich Einfluss auf die Unternehmensleitung nimmt. Die Schwelle ist nicht so hoch anzusetzen wie dies allgemein bei der Figur des faktischen Geschäftsführers erfolgt; vor allem ist kein Auftreten nach außen erforderlich. Die bloße Mitgliedschaft im Aufsichtsrat genügt hingegen nicht; wohl aber das koordinierte Vorgehen von Kleingesellschaftern.27) 13 Im Hinblick auf den maßgeblichen Zeitpunkt für die Privilegierung sind folgende Konstellationen zu unterscheiden: –

Das Kleinbeteiligungsprivileg gilt unproblematisch, wenn die Voraussetzungen sowohl bei Darlehensgewährung als auch bei Insolvenzeröffnung vorliegen.



Verliert der Darlehensgeber die Privilegierung nach Darlehensgewährung, erfolgt eine Subordination.



Erlangt ein Aktionär nach Darlehensgewährung die Privilegierung, befreit ihn das von der Subordination nur, wenn der Eintritt der Privilegierung außerhalb der Anfechtungsfristen gemäß § 135 Abs. 1 InsO erfolgte.28)

4.

Einbeziehung Dritter

14 Bereits nach dem früheren Eigenkapitalersatzrecht war die Einbeziehung Dritter möglich; hieran hat sich trotz der fehlenden ausdrücklichen Regelung in § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO im _____________ 22) So die h. M. zum alten Recht, vgl. BGH, Urt. v. 19.9.2005 – II ZR 229/05, ZIP 2005, 2016, 2017. 23) Dahl/Schmitz, NZG 2009, 325, 326. 24) Vgl. BGH, Urt. v. 21.2.2013 – IX ZR 32/12, ZIP 2013, 582 = NZG 2013, 469, dazu EWiR 2013, 217 (Bork). 25) BGH, Urt. v. 21.2.2013 – IX ZR 32/12, ZIP 2013, 582 = NZG 2013, 469. 26) Vgl. BGH, Urt. v. 21.2.2013 – IX ZR 32/12, ZIP 2013, 582 = NZG 2013, 469; Altmeppen, NJW 2008, 3601, 3603 f. 27) BGH, Urt. v. 9.5.2005 – II ZR 66/03, NZG 2005, 712, 713 = ZIP 2005, 1316 – zum alten Recht. 28) Altmeppen, NJW 2008, 3601, 3604 f.

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Grundsatz nichts geändert.29) Problematisch und wegen der grundlegenden Neuregelung des Rechts der Gesellschafterdarlehen nicht abschließend geklärt sind jedoch die dogmatische Rechtfertigung der Gleichstellung und ihre Reichweite.30) a)

Aus Gründen des Umgehungsschutzes

Im Ergebnis dem früheren Recht ähnlich ist die Einbeziehung Dritter bei Umgehungssach- 15 verhalten. Ist der Fremdkapitalgeber einem Aktionär wegen wirtschaftlicher oder verwandtschaftlicher Verbundenheit zurechenbar, führt dies gleichermaßen zur Subordination des Finanzierungsbeitrags, als wenn der Aktionär das Darlehen selbst gewährt hätte.31) Die Einziehung erfolgt daher vor allem bei Treuhandgestaltungen32) sowie bei der Einschaltung von Zwischengesellschaften.33) Auf § 138 InsO kann jedoch nicht ohne weiteres abgestellt werden.34) Bei Familienangehörigen und verbundenen Unternehmen ist vielmehr im Einzelfall zu fragen, ob die gewährten Mittel dem Darlehensgeber von einem Aktionär wirtschaftlich zur Verfügung gestellt wurden.35) Ein gesellschaftsrechtlich begründeter Einfluss des hiernach gleichzustellenden Dritten ist richtigerweise nicht erforderlich.36) b)

Wegen der Einflussnahme

Problematisch ist auch, ob Dritte allein wegen ihrer Einflussnahme einbezogen werden kön- 16 nen, was insbesondere für Kreditinstitute relevant ist, die sich über Covenants umfangreiche Mitwirkungsrechte einräumen lassen. Hierbei ist zunächst zu bedenken, dass die Neuregelung wegen der fehlenden Anknüpfung an die Krisenfinanzierung nicht mehr als Ausprägung des Gebots zur ausreichenden Kapitalausstattung von Gesellschaften durch ihre Gesellschafter verstanden werden kann. Es handelt sich vielmehr um eine allgemeinere Finanzierungsregel, wonach niemand, der das Insolvenzrisiko steuern konnte, beim unternehmerischen Scheitern sein eigener Gläubiger sein darf (siehe oben Rz. 4 ff.). Dies bedingt, dass die Möglichkeit zur Einbeziehung Dritter gegenüber dem früheren Eigenkapitalersatzrecht sogar noch weiter möglich und geboten ist (sehr streitig).37) Im Kern fällt nunmehr jeder Kapitalgeber hierunter, der rechtlich oder tatsächlich in den verbandsinternen Willensbildungsprozess integriert ist und dadurch unternehmerische Verantwortung unter_____________ 29) So auch AG Hamburg, Beschl. v. 19.2.2010 – 67g IN 127/06, NZI 2010, 446; die Frage offenlassend BFH, Urt. v. 29.8.2000 – VIII R 7/99, NZG 2001, 477, 478; zum Ganzen Servatius, Gläubigereinfluss durch Covenants, S. 453 ff.; abweichend jedoch Habersack, ZIP 2007, 2145, 3148; Freitag, WM 2007, 1681, 1682. 30) Diese Frage bewusst weitgehend offenlassend BGH, Urt. v. 17.2.2011 – IX ZR 131/10, NZG 2011, 477 = ZIP 2011, 575, dazu EWiR 2011, 285 (Spliedt). 31) Vgl. nur Gehrlein, BB 2008, 846, 850. 32) BGH, Urt. v. 17.2.2011 – IX ZR 131/10, NZG 2011, 477, 479 = ZIP 2011, 575; BGH, Urt. v. 5.5.2008 – II ZR 108/07, ZIP 2008, 1230 = NZG 2008, 507, dazu EWiR 2008, 463 (Jungclaus/Keller) – zum alten Recht. 33) Vgl. OLG Hamm, Urt. v. 16.2.2017 – I-27 U 83/16, ZIP 2017, 2162 = BeckRS 2017, 110875, dazu EWiR 2017, 83 (Berjasevic/Dölves); BGH, Beschl. v. 23.11.2017 – IX ZR 218/16, ZIP 2017, 2481. 34) BGH, Urt. v. 17.2.2011 – IX ZR 131/10, NZG 2011, 477 = ZIP 2011, 575. 35) BGH, Urt. v. 17.2.2011 – IX ZR 131/10, NZG 2011, 477, 479 = ZIP 2011, 575; BGH, Urt. v. 21.2.2013 – IX ZR 32/12, ZIP 2013, 582 = NZG 2013, 469. 36) Vgl. OLG Jena, Beschl. v. 18.11.2015 – 1 U 503/15, ZIP 2016, 1134 = ZInsO 2016, 1758. 37) Abweichend Habersack, ZIP 2007, 2145, 2148 f.; Huber in: FS Priester, S. 259, 280; Freitag, WM 2007, 1681, 1682, alle im Wesentlichen darauf abstellend, dass es den Kreditgebern nur darum ginge, ihr Kreditgeberinteresse zu verwirklichen, was sich von den Gesellschafterinteressen unterscheide und damit eine Gleichstellung ausschließe; zum einflussnehmenden Fremdkapitalgeber als faktischen Unternehmenseigentümer jedoch Servatius, Gläubigereinfluss durch Covenants, S. 372 ff.; vgl. zur MezzaninFinanzierung auch OLG Düsseldorf, Urt. v. 20.5.2014 – I-12 U 87/13, ZIP 2015, 187 = WM 2014, 2218.

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nimmt.38) Maßgeblich ist allein die Einflussnahme; eine anderweitige, d. h. nicht über den Fremdfinanzierungsbeitrag vermittelte vermögensmäßige Beteiligung an der AG ist nicht erforderlich (streitig).39) Ein bloßer Informationsvorsprung genügt hingegen nicht.40) Indem die einflussnehmenden Fremdkapitalgeber sich gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO in der Insolvenz nicht auf Kosten der Insolvenzgläubiger i. S. von § 38 InsO (Quotenschmälerung) auf die Rolle eines dem gesetzlichen Regeltyp der Fremdfinanzierung entsprechenden einflusslosen Kreditgebers berufen dürfen, werden die für eine Unternehmensfinanzierung ebenfalls benötigten einflusslosen Kreditgeber (non-adjusting creditors) geschützt und die Möglichkeiten der Unternehmensfinanzierung erleichtert. 17 Einzelfälle: Nach dem Vorgesagten einzubeziehen sind daher nicht nur Covenant-unterlegte Kredite von Kreditinstituten,41) sondern auch atypische stille Gesellschafter,42) atypische Nießbraucher und Pfandgläubiger.43) 5.

Sanierungsprivileg

18 Gemäß § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO erfolgt keine Subordination für bestehende oder neu gewährte Kredite, wenn ein Gläubiger bei drohender oder eingetretener Zahlungsunfähigkeit (§§ 17, 18 InsO) der AG oder Überschuldung (§ 19 InsO) Aktien zum Zweck der Sanierung erwirbt.44) a)

Aktienerwerb

19 Die Regelung setzt nach zutreffender Ansicht voraus, dass der Kapitalgeber bislang nicht Adressat des Rechts der Gesellschafterdarlehen war. Dies folgt aus der zutreffenden Prämisse des neuen Rechts, wonach diejenigen, die die Krise verursacht haben, die Verluste mit ihrem investierten Kapital vorrangig tragen sollen und sich konsequenterweise auch nachträglich nicht davon befreien können (siehe oben Rz. 4 ff.). Insofern scheidet das Sanierungsprivileg aus, wenn ein bereits maßgeblich beteiligter Aktionär ein „Sanierungsdarlehen“ gibt.45) Ein bislang gemäß § 39 Abs. 5 InsO kleinbeteiligter Aktionär (siehe oben Rz. 11 f.) kann beim Hinzuerwerb von Aktien jedoch durchaus in den Genuss des Sanierungsprivilegs gelangen. Bei der Einbeziehung Dritter in das Recht der Gesellschafterdarlehen gilt das Sanierungsprivileg sinngemäß.46) b)

Zum Zweck der Sanierung

20 Die Privilegierung greift nur, wenn der Anteilserwerb (nicht: die Darlehensgewährung!) zum Zweck der Sanierung erfolgt. Dies bedeutet subjektiv Sanierungsabsicht, objektiv jedoch auch die Sanierungsfähigkeit der AG aus der ex ante-Perspektive.47) Die Privilegierung _____________ 38) Servatius, Gläubigereinfluss durch Covenants, S. 481 ff. 39) Servatius, CFL 2013, 14, 19 f.; Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 57 Rz. 52; abweichend Engert, ZGR 2012, 835, 854. 40) Servatius, Gläubigereinfluss durch Covenants, S. 526 ff.; BGH, Urt. v. 17.2.2011 – IX ZR 131/10, NZG 2011, 477, 479 = ZIP 2011, 575. 41) Zu den Voraussetzungen im Einzelnen Servatius, Gläubigereinfluss durch Covenants, S. 538 ff. 42) BGH, Urt. v. 7.11.1988 – II ZR 46/88, BGHZ 106, 7, 9 ff. = ZIP 1989, 95 – zum alten Recht. 43) BGH, Urt. v. 13.7.1992 – II ZR 251/91, BGHZ 119, 191 = ZIP 1992, 1300 – zum alten Recht. 44) Einzelheiten bei Hirte/Knof, WM 2009, 1961. 45) Abweichend Altmeppen, NJW 2008, 3601, 3605; kritisch zum engen Anwendungsbereich der Neuregelung Bork, ZGR 2007, 250, 259. 46) Einzelheiten bei Servatius, Gläubigereinfluss durch Covenants, S. 553 ff. 47) Zum alten Recht bereits BGH, Urt. v. 21.11.2005 – II ZR 277/03, ZIP 2006, 279 = NJW 2006, 1283, dazu EWiR 2006, 525 (Westpfahl/Janjuah).

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Aktionärsdarlehen

gilt solange, bis die Sanierung nachhaltig erfolgt ist; wird das Darlehen dann nicht abgezogen, droht die Subordination.48) V.

Rechtsfolgen

1.

Insolvenzrechtliche Subordination

a)

Rückerstattungsanspruch

Wird ein Darlehen bzw. eine vergleichbare Rechtshandlung durch § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO 21 verstrickt, folgt hieraus eine spezielle insolvenzrechtliche Subordination des Rückerstattungsanspruchs; eine materiell-rechtliche Bindung des Finanzierungsbeitrags erfolgt nicht mehr (vgl. § 57 Abs. 1 Satz 4). Der Aktionär oder gleichgestellte Dritte kann seine Forderung gemäß § 174 Abs. 3 InsO nur nach Aufforderung durch das Insolvenzgericht anmelden. Die Befriedigung erfolgt nachrangig, d. h. erst, nachdem die Insolvenzgläubiger i. S. von § 38 InsO sowie die gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 1 – 4 InsO nachrangigen Gläubiger befriedigt wurden (zum generellen Befriedigungsvorrang der Masseverbindlichkeiten vgl. §§ 53 ff. InsO). Im Verhältnis zur Verteilung des – noch vorhandenen! – Grundkapitals gemäß § 199 Satz 2 InsO haben die Forderungen aus Gesellschafterdarlehen jedoch Vorrang. Wurden andere Forderungen mit einem Rangrücktritt versehen (vgl. § 39 Abs. 2 InsO), ist es Auslegungsfrage, ob dieser auch die vorrangige Befriedigung der Gesellschafterdarlehen ermöglicht, einen Gleichrang vorsieht oder eine vorrangige Befriedigung der mit einem Rangrücktritt versehenen Forderungen vorsieht.49) Will ein Aktionär die Passivierung beim Überschuldungsstatus verhindern, muss er jedoch einen Rangrücktritt erklären, der über die Rechtsfolgen von § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO hinausgeht (siehe unten Rz. 27). b)

Zinsen

Die Zinsen werden nach zutreffender Ansicht ebenfalls verstrickt (vgl. § 39 Abs. 3 InsO).50) 22 Die Begründung hierfür folgt aus der mit der Subordination der Darlehensvaluta einhergehenden Zuweisung einer Eigenkapitalfunktion. Wenngleich es sich zwar nur um eine insolvenzrechtliche Rückstufung handelt und keine materiell-rechtliche Umqualifizierung des Finanzierungsbeitrags mehr erfolgt, handelt es sich funktional betrachtet doch nach wie vor um eine Gleichstellung des Finanzierungsbeitrags mit Eigenkapital, um so dessen Ingangsetzungsfunktion auf alle Arten der mit Herrschaftsmacht versehenen Aktionäre auszudehnen (siehe bereits oben Rz. 4 ff.).51) Insofern sind die Früchte des mit Eigenkapitalfunktion versehenen Kapitals nicht anders zu beurteilen als der Kapitalstock selbst.52) Der Aktionär kann daher in der Insolvenz gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO seine Zinsansprüche ebenfalls nur nachrangig geltend machen. Vor Insolvenzeröffnung geleistete Zinszahlungen sind gemäß § 135 InsO anfechtbar.53) c)

Darlehensversprechen

Wurde ein Darlehensvertrag lediglich geschlossen, jedoch die Valuta noch nicht ausge- 23 zahlt, scheidet eine Subordination aus. Insofern kann eine Zahlungspflicht allein aufgrund _____________ 48) Einzelheiten bei Wittig in: FS K. Schmidt, S. 1473, 1756 ff. 49) Einzelheiten bei Sutter/Fiedler, ZInsO 2011, 552. 50) Zum Ganzen Mylich, ZGR 2009, 474, 483 ff.; abweichend zum früheren Recht jedoch BGH, Urt. v. 8.11.2004 – II ZR 300/02, ZIP 2005, 82, 84; ebenfalls ablehnend Bork/Schäfer-Thiessen, GmbHG, Anh. § 30 Rz. 10, anders jedoch bei Rz. 61; Baumbach/Hueck-Hueck/Fastrich, GmbHG, Anh. § 30 Rz. 67. 51) Hierzu ausführlich Servatius, Gläubigereinfluss durch Covenants, S. 143 ff., 426 ff. 52) In diese Richtung, jedoch sehr kritisch auch Habersack, ZIP 2007, 2145, 2150. 53) Gegen die Einschränkung der Anfechtbarkeit mittels Annahme eines Bargeschäfts i. S. von § 142 Abs. 1 InsO zutreffend Haas, ZInsO 2007, 617, 623 f.

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Anhang zu § 57

Aktionärsdarlehen

einer rechtsgeschäftlichen Bindung begründet werden (Ausschluss des Kündigungsrechts, Finanzplankredit).54) 2.

Anfechtbarkeit

24 Kommt es im Vorfeld der Insolvenz binnen Jahresfrist zur Rückzahlung eines Gesellschafterdarlehens, besteht die besondere, nicht an subjektive Merkmale geknüpfte Anfechtungsmöglichkeit gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO; über § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist in einem Zeitraum von zehn Jahren auch die Sicherheitenbestellung anfechtbar. Zur Anfechtung ist der Insolvenzverwalter berechtigt;55) die Rechtsfolgen ergeben sich aus §§ 143 ff. InsO. Im Fall der masselosen Insolvenz steht den Gläubigern gemäß §§ 6, 11 AnfG ein vergleichbares Anfechtungsrecht zu (Normen oben abgedruckt). Die allgemeinen Anfechtungstatbestände gemäß §§ 129 ff. InsO werden hierdurch nicht verdrängt. Der (ebenfalls) insolvente Aktionär kann sich gegenüber dem Rückerstattungsanspruch nicht darauf berufen, dass die Darlehensgewährung als unentgeltliche Leistung anfechtbar sei.56) a)

Wegen Gewährung einer Sicherheit (§ 135 Abs. 2 Nr. 1 InsO)

25 Anfechtbar ist zunächst, wenn die AG für ein Gesellschafterdarlehen innerhalb der letzten zehn Jahre vor Insolvenzantrag oder danach eine Sicherung gewährt hat. Hierunter sind sämtliche dinglichen oder schuldrechtlichen Sicherungsmittel zu fassen. Sicherheiten, die ein Dritter gewährt hat, sind hiernach hingegen nicht anfechtbar. Der Aktionär, der wegen § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO einen Forderungsausfall erleidet, kann daher Regress nehmen. b)

Wegen Befriedigung (§ 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO)

26 Praktisch relevanter ist es, die insolvenznahe Darlehensrückzahlung rückgängig zu machen. Erfasst wird jede Rechtshandlung, die den Rückzahlungsanspruch zum Erlöschen brachte (Erfüllung nach §§ 362 ff. BGB, Aufrechnung nach § 389 BGB, Verwertung einer Sicherheit gemäß §§ 1147, 1247 Satz 1 BGB). Die Anfechtungsmöglichkeit erfasst nach zutreffender Ansicht auch Zinszahlungen (siehe oben Rz. 22). Die Rechtshandlung muss im letzten Jahr vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt sein oder danach vorgenommen worden sein (Berechnung gemäß § 139 InsO; mögliche Verjährung gemäß § 146 InsO). Die Insolvenzanfechtung binnen Jahresfrist setzt nicht voraus, dass sich die AG bei Darlehensrückgewähr in einer Krise befand.57) Konsequenterweise kann der Aktionär gegenüber der Inanspruchnahme auch nicht etwa im Wege eines Gegenbeweises einwenden, zum Zeitpunkt der Rückführung des Darlehens habe kein Insolvenzgrund vorgelegen.58) Zum vorinsolvenzlichen Gläubigerwechsel und Verlust der Aktionärsstellung siehe oben Rz. 10. Sind mehrere Aktionärsdarlehen durch eine Kontokorrentabrede miteinander verbunden, was insbesondere beim Cash Pool sachgerecht ist, ist die Anfechtbarkeit der einzelnen Darlehensrückzahlungen insgesamt auf die Kreditobergrenze begrenzt.59)

_____________ 54) 55) 56) 57) 58) 59)

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Vgl. BGH, Urt. v. 28.6.1999 – II ZR 272/98, ZIP 1999, 1263 = DStR 1999, 1198. Vgl. BGH, Urt. v. 19.9.1988 – II ZR 255/87, BGHZ 105, 168, 187 = ZIP 1988, 1248. BGH, Urt. v. 13.10.2016 – IX ZR 184/14, ZIP 2016, 2483, dazu EWiR 2017, 17 (Huber). Vgl. BGH, Beschl. v. 30.4.2015 – IX ZR 196/13, ZIP 2015, 1130. BGH, Beschl. v. 30.4.2015 – IX ZR 196/13, Rz. 7, ZIP 2015, 1130. Vgl. BGH, Beschl. v. 16.1.2014 – IX ZR 116/13, ZIP 2014, 785 = WM 2014, 329, dazu EWiR 2014, 289 (Spliedt); Einzelheiten bei Spindler/Stilz-Cahn/v. Spangenberg, AktG, § 58 Rz. 128 ff.

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Anhang zu § 57

Aktionärsdarlehen 3.

Passivierung im Vorfeld des Insolvenzverfahrens

Gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO (oben abgedruckt) sind die von § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO 27 erfassten Forderungen gegen die AG im Überschuldungsstatus grundsätzlich zu passivieren; etwas anderes gilt nur, wenn der Aktionär oder einzubeziehende Dritte einen darüber hinausgehenden Nachrang gemäß § 39 Abs. 2 InsO vereinbart haben.60) 4.

Nutzungsüberlassung

Überlässt ein Aktionär oder gleichgestellter Dritter der AG einen Gegenstand zur Nut- 28 zung (d. h. ohne dingliche Rechtsänderung), beurteilt sich dies gemäß § 135 Abs. 3 InsO (oben abgedruckt).61) Gemäß § 135 Abs. 3 Satz 1 InsO ist die Geltendmachung des Aussonderungsanspruchs (vgl. § 47 InsO) während der Dauer des Insolvenzverfahrens, höchstens für eine Zeit von einem Jahr ab Insolvenzeröffnung, ausgeschlossen, wenn der Gegenstand für die Fortführung des Unternehmens von erheblicher Bedeutung ist. Letzteres entspricht § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO und setzt voraus, dass aus der ex ante-Perspektive eine reale Sanierungschance unter Fortbestand des Unternehmens oder Teilen hiervon besteht und die fortdauernde Belassung notwendig ist, diese Chance zu realisieren. Im Zweifel ist dies zu bejahen. Wurde der Gegenstand im Vorfeld der Insolvenz abgezogen, hat die AG keinen Anspruch auf erneute Überlassung.62) Wird der Gegenstand nach dem Vorgesagten verstrickt, hat der Aktionär gemäß § 135 29 Abs. 3 Satz 2 InsO einen Vergütungsanspruch in Anlehnung an die vertragliche Gestaltung.63) Bei fehlender oder unangemessener Gestaltung ist eine marktübliche Vergütung zu zahlen. Es handelt sich hierbei um eine Masseverbindlichkeit i. S. von § 55 InsO.64) Die Regelung hat Vorrang gegenüber § 108 InsO (streitig).65) Sie gilt auch bei verbundenen Unternehmen.66) VI.

Aktionärsbesicherte Drittdarlehen

Wird das Darlehen eines (nicht bereits in § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO einzubeziehenden) Dritten 30 (d. h. „echter Dritter“) durch einen Aktionär besichert, folgt eine konsequente Fortentwicklung des Rechts der Gesellschafterdarlehen aus §§ 44a, 135 Abs. 2, 143 Abs. 3 InsO (vgl. für die masselose Insolvenz §§ 6a, 11 Abs. 3 AnfG). Den Regelungen liegt die wertungsmäßig überzeugende Prämisse zugrunde, dass die über die Subordination herbeigeführte Zuweisung einer Eigenkapitalfunktion für die aus dem Vermögen eines Aktionärs oder einzubeziehenden Dritten geleistete Sicherheit gleichermaßen geboten ist (siehe zum Schutzzweck oben Rz. 3 ff.). 1.

Anfechtbarkeit der Befriedigung (§ 135 Abs. 2 InsO)

Gemäß § 135 Abs. 2 InsO ist die Befriedigung einer derartigen Drittforderung ebenso 31 anfechtbar, wie wenn die AG das Darlehen eines Aktionärs befriedigt hätte (siehe zu _____________ 60) Einzelheiten bei BGH, Urt. v. 5.3.2015 – IX ZR 133/14, ZIP 2015, 638 = NZG 2015, 1121, dazu EWiR 2015, 219 (Bork); Kahlert/Gehrke, DStR 2010, 227, 230 f.; Bitter/Heim, ZIP 2015, 644 (Urteilsanm.); Haas, DStR 2009, 326, 327; Leithaus/Schaefer, NZI 2010, 844. 61) Einzelheiten bei Bitter, ZIP 2010, 1. 62) Huber/Habersack, BB 2006, 1, 5. 63) LG Kiel, Urt. v. 25.3.2011 – 17 O 229/10, ZIP 2011, 968 = DStR 2011, 1283, dazu EWiR 2011, 543 (Knof). 64) OLG Schleswig, Urt. v. 13.1.2012 – 4 U 57/11, ZIP 2012, 885 = NZG 2012, 751, dazu EWiR 2012, 321 (Lutz). 65) LG Kiel, Urt. v. 25.3.2011 – 17 O 229/10, ZIP 2011, 968 = DStR 2011, 1283. 66) BGH, Urt. v. 29.1.2015 – IX ZR 279/13, Rz. 44 ff., ZIP 2015, 589 = NZG 2015, 440, dazu EWiR 2015, 453 (Spliedt).

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§ 58

Verwendung des Jahresüberschusses

§ 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO oben Rz. 26).67) Als Rechtsfolge führt diese Anfechtung zwar die Rückzahlungspflicht gemäß § 143 InsO herbei; eine Subordination des wiederauflebenden Rückzahlungsanspruchs des Dritten erfolgt jedoch nicht. Dieser kann seine Forderung weiterhin als Insolvenzgläubiger gemäß § 174 InsO anmelden und auf quotale Befriedigung hoffen. 2.

Vorrangige Inanspruchnahme der Sicherheit (§ 44a InsO)

32 Der Dritte ist gemäß § 44a InsO jedoch gehalten, sich für die Befriedigung vorrangig an den Aktionär zu halten, der die Sicherheit gestellt hat; insofern erfolgt eine Einschränkung gegenüber § 43 InsO.68) 3.

Subordination der Erstattungspflicht (§ 143 Abs. 3 InsO)

33 Die dem Aktionär aus der vorrangigen Inanspruchnahme resultierenden vertraglichen oder gesetzlichen Erstattungsansprüche gegenüber der AG werden gemäß § 143 Abs. 3 InsO subordiniert.69) Im Ergebnis erfolgt so eine Gleichstellung der Gesellschaftersicherheit mit einem Gesellschafterdarlehen. _____________ 67) Vgl. BGH, Urt. v. 13.07.2017 – IX ZR 173/16, ZIP 2017, 1632; BGH, Urt. v. 20.2.2014 – IX ZR 164/13, ZIP 2014, 584, dazu EWiR 2014, 215 (Spliedt); OLG Düsseldorf, Beschl. v. 17.12.2015 – I-12 U 13/15, ZIP 2016, 833, dazu EWiR 2016, 443 (Rendels); OLG Hamm, Urt. v. 7.4.2011 – I-27 U 94/10, ZIP 2011, 1226, dazu EWiR 2011, 679 (Spliedt). 68) BGH, Urt. v. 13.07.2017 – IX ZR 173/16, ZIP 2017, 1632, Rz. 18; Einzelheiten bei Spliedt, ZIP 2009, 149, 155 f.; K. Schmidt, BB 2008, 1966, 1970. 69) BGH, Urt. v. 13.07.2017 – IX ZR 173/16, ZIP 2017, 1632, Rz. 17; Einzelheiten bei K. Schmidt, BB 2008, 1966, 1970.

§ 58 Verwendung des Jahresüberschusses (1) 1Die Satzung kann nur für den Fall, daß die Hauptversammlung den Jahresabschluß feststellt, bestimmen, daß Beträge aus dem Jahresüberschuß in andere Gewinnrücklagen einzustellen sind. 2Auf Grund einer solchen Satzungsbestimmung kann höchstens die Hälfte des Jahresüberschusses in andere Gewinnrücklagen eingestellt werden. 3Dabei sind Beträge, die in die gesetzliche Rücklage einzustellen sind, und ein Verlustvortrag vorab vom Jahresüberschuß abzuziehen. (2) 1Stellen Vorstand und Aufsichtsrat den Jahresabschluß fest, so können sie einen Teil des Jahresüberschusses, höchstens jedoch die Hälfte, in andere Gewinnrücklagen einstellen. 2Die Satzung kann Vorstand und Aufsichtsrat zur Einstellung eines größeren oder kleineren Teils des Jahresüberschusses ermächtigen. 3Auf Grund einer solchen Satzungsbestimmung dürfen Vorstand und Aufsichtsrat keine Beträge in andere Gewinnrücklagen einstellen, wenn die anderen Gewinnrücklagen die Hälfte des Grundkapitals übersteigen oder soweit sie nach der Einstellung die Hälfte übersteigen würden. 4 Absatz 1 Satz 3 gilt sinngemäß. (2a) 1Unbeschadet der Absätze 1 und 2 können Vorstand und Aufsichtsrat den Eigenkapitalanteil von Wertaufholungen bei Vermögensgegenständen des Anlage- und Umlaufvermögens in andere Gewinnrücklagen einstellen. 2Der Betrag dieser Rücklagen ist in der Bilanz gesondert auszuweisen; er kann auch im Anhang angegeben werden.

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§ 58

Verwendung des Jahresüberschusses

§ 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO oben Rz. 26).67) Als Rechtsfolge führt diese Anfechtung zwar die Rückzahlungspflicht gemäß § 143 InsO herbei; eine Subordination des wiederauflebenden Rückzahlungsanspruchs des Dritten erfolgt jedoch nicht. Dieser kann seine Forderung weiterhin als Insolvenzgläubiger gemäß § 174 InsO anmelden und auf quotale Befriedigung hoffen. 2.

Vorrangige Inanspruchnahme der Sicherheit (§ 44a InsO)

32 Der Dritte ist gemäß § 44a InsO jedoch gehalten, sich für die Befriedigung vorrangig an den Aktionär zu halten, der die Sicherheit gestellt hat; insofern erfolgt eine Einschränkung gegenüber § 43 InsO.68) 3.

Subordination der Erstattungspflicht (§ 143 Abs. 3 InsO)

33 Die dem Aktionär aus der vorrangigen Inanspruchnahme resultierenden vertraglichen oder gesetzlichen Erstattungsansprüche gegenüber der AG werden gemäß § 143 Abs. 3 InsO subordiniert.69) Im Ergebnis erfolgt so eine Gleichstellung der Gesellschaftersicherheit mit einem Gesellschafterdarlehen. _____________ 67) Vgl. BGH, Urt. v. 13.07.2017 – IX ZR 173/16, ZIP 2017, 1632; BGH, Urt. v. 20.2.2014 – IX ZR 164/13, ZIP 2014, 584, dazu EWiR 2014, 215 (Spliedt); OLG Düsseldorf, Beschl. v. 17.12.2015 – I-12 U 13/15, ZIP 2016, 833, dazu EWiR 2016, 443 (Rendels); OLG Hamm, Urt. v. 7.4.2011 – I-27 U 94/10, ZIP 2011, 1226, dazu EWiR 2011, 679 (Spliedt). 68) BGH, Urt. v. 13.07.2017 – IX ZR 173/16, ZIP 2017, 1632, Rz. 18; Einzelheiten bei Spliedt, ZIP 2009, 149, 155 f.; K. Schmidt, BB 2008, 1966, 1970. 69) BGH, Urt. v. 13.07.2017 – IX ZR 173/16, ZIP 2017, 1632, Rz. 17; Einzelheiten bei K. Schmidt, BB 2008, 1966, 1970.

§ 58 Verwendung des Jahresüberschusses (1) 1Die Satzung kann nur für den Fall, daß die Hauptversammlung den Jahresabschluß feststellt, bestimmen, daß Beträge aus dem Jahresüberschuß in andere Gewinnrücklagen einzustellen sind. 2Auf Grund einer solchen Satzungsbestimmung kann höchstens die Hälfte des Jahresüberschusses in andere Gewinnrücklagen eingestellt werden. 3Dabei sind Beträge, die in die gesetzliche Rücklage einzustellen sind, und ein Verlustvortrag vorab vom Jahresüberschuß abzuziehen. (2) 1Stellen Vorstand und Aufsichtsrat den Jahresabschluß fest, so können sie einen Teil des Jahresüberschusses, höchstens jedoch die Hälfte, in andere Gewinnrücklagen einstellen. 2Die Satzung kann Vorstand und Aufsichtsrat zur Einstellung eines größeren oder kleineren Teils des Jahresüberschusses ermächtigen. 3Auf Grund einer solchen Satzungsbestimmung dürfen Vorstand und Aufsichtsrat keine Beträge in andere Gewinnrücklagen einstellen, wenn die anderen Gewinnrücklagen die Hälfte des Grundkapitals übersteigen oder soweit sie nach der Einstellung die Hälfte übersteigen würden. 4 Absatz 1 Satz 3 gilt sinngemäß. (2a) 1Unbeschadet der Absätze 1 und 2 können Vorstand und Aufsichtsrat den Eigenkapitalanteil von Wertaufholungen bei Vermögensgegenständen des Anlage- und Umlaufvermögens in andere Gewinnrücklagen einstellen. 2Der Betrag dieser Rücklagen ist in der Bilanz gesondert auszuweisen; er kann auch im Anhang angegeben werden.

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§ 58

Verwendung des Jahresüberschusses

(3) 1Die Hauptversammlung kann im Beschluß über die Verwendung des Bilanzgewinns weitere Beträge in Gewinnrücklagen einstellen oder als Gewinn vortragen. 2Sie kann ferner, wenn die Satzung sie hierzu ermächtigt, auch eine andere Verwendung als nach Satz 1 oder als die Verteilung unter die Aktionäre beschließen. (4) Die Aktionäre haben Anspruch auf den Bilanzgewinn, soweit er nicht nach Gesetz oder Satzung, durch Hauptversammlungsbeschluß nach Absatz 3 oder als zusätzlicher Aufwand auf Grund des Gewinnverwendungsbeschlusses von der Verteilung unter die Aktionäre ausgeschlossen ist. 2Der Anspruch ist am dritten auf den Hauptversammlungsbeschluss folgenden Geschäftstag fällig. 3In dem Hauptversammlungsbeschluss oder in der Satzung kann eine spätere Fälligkeit festgelegt werden. (5) Sofern die Satzung dies vorsieht, kann die Hauptversammlung auch eine Sachausschüttung beschließen. Literatur: Baums, Rücklagenbildung und Gewinnausschüttung im Aktienrecht, in: Festschrift für Karsten Schmidt, 2009, S. 57; Eckardt, Satzungsänderungen auf Grund des neuen Aktiengesetzes, NJW 1967, 369; v. Gleichenstein, Satzungsmäßige Ermächtigung der Verwaltung einer Aktiengesellschaft zur Bildung freier Rücklagen (§ 58 Abs. 2 AktG 1965), BB 1966, 1047; Hasselbach/ Wicke, Sachausschüttungen im Aktienrecht, NZG 2001, 599; Hoffmann-Becking, Gesetz zur „kleinen AG“, ZIP 1995, 1; Holzborn/Bunnemann, Gestaltung einer Sachausschüttung und Gewährleistung im Rahmen der Sachdividende, AG 2003, 671; Klett/Peitsmeier, Gesellschaftsund haftungsrechtliche Konsequenzen der fehlerhaften steuerlichen Behandlung von Ausschüttungen bei Kapitalgesellschaften, BB 2011, 2121; Klühs, Präsenzbonus für die Teilnahme an der Hauptversammlung, ZIP 2006, 107; Leinekugel, Die Sachdividende im deutschen und europäischen Aktienrecht, 2001; Lutter/Leinekugel/Rödder, Die Sachdividende – Gesellschaftsrecht und Steuerrecht, ZGR 2002, 204; Müller, W., Die Änderungen im HGB und die Neuregelung der Sachdividende durch das Transparenz- und Publizitätsgesetz, NZG 2002, 752; Müller-Eising, ktienrechtsnovelle 2014 – Was bringt der Regierungsentwurf Neues?, GWR 2015, 50; Schnorbus/ Plassmann, Die Sonderdividende, ZGR 2015, 446; Schüppen, Dividende ohne Hauptversammlungsbeschluß? – Zur Durchsetzung des mitgliedschaftlichen Gewinnanspruchs in Pattsituationen, in: Festschrift für Volker Röhricht, 2005, S. 571; Sethe, Aktien ohne Vermögensbeteiligung? – Zur privatautonomen Beschränkung der Vermögensrechte eines Aktionärs, ZHR 162 (1998) 474; Strothotte, Die Gewinnverwendung in Aktiengesellschaften, 2014.

Übersicht I. Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt .................................................. 1 II. Rücklagenbildung gemäß § 58 Abs. 1 .......................................... 2 III. Rücklagenbildung gemäß § 58 Abs. 2 .......................................... 4 1. „Hälfteregelung“ ................................ 5 2. Weitere satzungsmäßige Vorgaben ............................................. 6 3. Zwingende Abzugsposten ................. 7 IV. Rücklagenbildung gemäß § 58 Abs. 2a ......................................... 8 I.

V. Gewinnverwendungsbeschluss der Hauptversammlung (§ 58 Abs. 3) ....................................... 9 1. Gewinnrücklage ................................ 10 2. Gewinnvortrag .................................. 11 3. Andere Verwendung ........................ 12 VI. Anspruch auf Bilanzgewinn (§ 58 Abs. 4) ..................................... 13 1. Bezugsgröße ..................................... 14 2. Durchsetzung ................................... 15 VII. Sachdividende (§ 58 Abs. 5) ......... 16

Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt

Die § 58 Abs. 1 – 3 regeln in Ausschnitten die Verwaltungs- und Aktionärskompetenzen 1 zur Verwendung des Jahresüberschusses bei der AG durch Rücklagenbildung oder Gewinn-

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§ 58

Verwendung des Jahresüberschusses

ausschüttung.1) Sie beruhen auf den handelsrechtlichen Regelungen zum Jahresabschluss (§§ 264 ff. HGB) und werden ergänzt durch die §§ 150 ff., 254. Sie betreffen das Spannungsfeld von Ausschüttungs- und Thesaurierungsinteresse im Vorfeld der (nachgelagerten) Gewinnverwendung gemäß § 174, indem die Kompetenz und Reichweite bei der Ausübung von Bilanzwahlrechten geregelt werden: § 58 Abs. 1 ermöglicht satzungsmäßige Vorgaben zur Dotierung von Rücklagen in den Fällen, in denen der Jahresabschluss – ausnahmsweise – von der Hauptversammlung festgestellt wird (vgl. § 173). § 58 Abs. 2 regelt dies ähnlich für die Fälle, in denen der Jahresabschluss – wie regelmäßig – von Vorstand und Aufsichtsrat festgestellt wird (vgl. § 172). Gemäß § 58 Abs. 2a ist jedoch stets möglich, dass Vorstand und Aufsichtsrat gemäß den genannten Vorgaben bei Wertaufholungen besondere Rücklagen bilden. § 58 Abs. 3 stellt klar, dass es der Hauptversammlung beim Gewinnverwendungsbeschluss gemäß § 174 unbenommen ist, aus dem – bereits durch die Rücklagenbildung gemäß § 58 Abs. 1 bis 2a reduzierten – Bilanzgewinn weitere Rücklagen zu bilden, ihn als Gewinn vorzutragen oder an die Aktionäre auszuschütten. § 58 Abs. 4 begründet das unentziehbare kollektive Recht der Aktionäre auf den Bilanzgewinn, soweit dieser nach den vorstehenden Regeln entstanden ist und dessen Verteilung nicht zulässigerweise ausgeschlossen wurde. § 58 Abs. 5 stellt klar, dass es aufgrund entsprechender Satzungsregelung auch Sachdividenden geben kann. II.

Rücklagenbildung gemäß § 58 Abs. 1

2 § 58 Abs. 1 knüpft an den Ausnahmefall an, dass die Hauptversammlung gemäß § 173 den Jahresabschluss feststellt. An sich wäre sie – i. R. der gesetzlichen Bestimmungen – frei, wie sie die Bilanzwahlrechte im Hinblick auf das Entstehen und die Höhe eines etwaigen Bilanzgewinns ausübt, insbesondere i. R. der Rücklagenbildung und -auflösung. Gemäß § 58 Abs. 1 Satz 1 kann es insofern jedoch Satzungsvorgaben zur Bildung von Gewinnrücklagen geben, an die die bei § 173 mit einfacher Mehrheit (§ 133) beschließende Hauptversammlung gebunden ist („einzustellen sind“). Es handelt sich somit um einen Fall der Selbstbindung der (künftigen) Aktionäre. Fehlt umgekehrt eine entsprechende Satzungsregelung, kommt die Dotierung der anderen Gewinnrücklagen nicht in Betracht (§§ 173 Abs. 2 Satz 2, 256 Abs. 1 Nr. 4).2) Hierdurch wird die Minderheit davor geschützt, gleichsam ohne Vorwarnung durch die großzügige Rücklagenbildung der Mehrheit „ausgehungert“ zu werden.3) Hiervon abzugrenzen ist freilich die auch in diesem Fall bestehende Möglichkeit gemäß § 58 Abs. 3, den – entstandenen – Bilanzgewinn von der Verteilung auszuschießen (siehe unten Rz. 9 ff.).4) 3 Die satzungsmäßige Vorgabe über die Rücklagendotierung muss eindeutig sein (betragsmäßig oder prozentual) und die Hauptversammlung hierzu verpflichten.5) Eine bloße Ermächtigung der Hauptversammlung ist nicht zulässig.6) Als Obergrenze sieht § 58 Abs. 1 Satz 2 vor, dass höchstens die Hälfte des Jahresüberschusses i. S. von § 275 HGB hierdurch gebunden werden darf. Gemäß § 58 Abs. 1 Satz 3 wird zudem zwingend festgelegt, dass der Jahresüberschuss vorrangig um die ggf. noch notwendige Dotierung der gesetzlichen Rücklage (§ 150) zu reduzieren und ein etwaiger Verlustvortrag (§ 266 Abs. 3 A. IV HGB, § 158 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1) abzuziehen sind. In analoger Anwendung von § 58 Abs. 1 Satz 3 _____________ 1) 2) 3) 4) 5) 6)

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Zur kontroversen rechtspolitischen Würdigung Bayer in: MünchKomm-AktG, § 58 Rz. 18 ff.; Spindler/ Stilz-Cahn/v. Spangenberg, AktG, § 58 Rz. 4 ff. Bayer in: MünchKomm-AktG, § 58 Rz. 35. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 58 Rz. 6; Bayer in: MünchKomm-AktG, § 58 Rz. 24. Bayer in: MünchKomm-AktG, § 58 Rz. 24. Bayer in: MünchKomm-AktG, § 58 Rz. 25. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 58 Rz. 6; Spindler/Stilz-Cahn/v. Spangenberg, AktG, § 58 Rz. 23.

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Verwendung des Jahresüberschusses

§ 58

sind hiervon auch die zu bildende Sonderrücklage beim bedingten Kapital gemäß § 218 Satz 2 abzuziehen sowie die nach § 232 gebotene Einstellung in die Kapitalrücklage bei der Kapitalherabsetzung.7) Die Einschränkungen gemäß § 268 Abs. 8 HGB sind ebenfalls vorrangig zu berücksichtigen.8) III.

Rücklagenbildung gemäß § 58 Abs. 2

§ 58 Abs. 2 knüpft an den Regelfall gemäß § 172 an, wonach Vorstand und Aufsichtsrat 4 nicht nur befugt sind, den Jahresabschluss gemäß § 170 aufzustellen, sondern auch festzustellen, mithin Bilanzwahlrechte auszuüben, insbesondere i. R. der Rücklagenbildung und -auflösung. Ist dies der Fall, hat die Hauptversammlung im gesetzlichen Regelfall keine Möglichkeit, hierauf Einfluss zu nehmen, sondern kann allein gemäß § 174 über das Ergebnis dieser Maßnahmen, den etwaigen Bilanzgewinn, beschließen. Zur Stärkung der Aktionärskompetenzen im Spannungsfeld zwischen Ausschüttungs- und Thesaurierungsgebot sieht § 58 Abs. 1 jedoch vor, dass die Kompetenz von Vorstand und Aufsichtsrat auch im Bereich von § 172 nicht schrankenlos ist und die Satzung darüber hinaus besondere Einschränkungen vorsehen kann. 1.

„Hälfteregelung“

Gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 können Vorstand und Aufsichtsrat im dispositiven (dazu so- 5 gleich) gesetzlichen Regelfall höchstens die Hälfte des Jahresüberschusses gemäß GuV i. S. von § 275 HGB in andere Gewinnrücklagen i. S. von § 266 Abs. 3 A. III. Nr. 4 HGB einstellen (siehe zu den vorrangigen Abzügen oben Rz. 3). Diese Regelung ist eine reine Kompetenznorm. Ob die Rücklagenbildung in concreto rechtmäßig ist, bestimmt sich anhand des allgemeinen Pflichtenmaßstabs gemäß §§ 93 Abs. 2, 116; ein konturenloses Ermessen besteht nicht.9) Die Verwaltung hat vielmehr im Streitfall konkret darzulegen, aus welchen Gründen die Thesaurierung gegenüber dem Ausschüttungsinteresse der Aktionäre Vorrang hat. Den (nicht unmittelbar anwendbaren) Vorgaben gemäß § 254 kommt insofern durchaus eine indizielle Bedeutung zu.10) 2.

Weitere satzungsmäßige Vorgaben

Gemäß § 58 Abs. 2 Satz 2 kann aufgrund Satzungsregelung vorgesehen werden, dass grö- 6 ßere oder kleinere Teile des Jahresüberschusses durch die Verwaltung thesauriert werden dürfen.11) Möglich ist nur eine Ermächtigung, d. h. die Verwaltung kann hierzu nicht gezwungen werden. Hieraus folgt jedoch umgekehrt, dass die konkrete Ausübung dieser Ermächtigung den Pflichtenmaßstäben gemäß §§ 93 Abs. 2, 116 unterliegt. Eine Obergrenze besteht für die Ermächtigung nicht; es kann daher vorgesehen werden, dass der gesamte Jahresüberschuss thesauriert wird (streitig);12) § 254 gilt nicht analog.13) Möglich ist auch eine gespaltene Lösung.14) Gemäß § 58 Abs. 2 Satz 3 darf von der Ermächtigung jedoch nur _____________ 7) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 58 Rz. 8. 8) Spindler/Stilz-Cahn/v. Spangenberg, AktG, § 58 Rz. 31a. 9) Abweichend die wohl h. M. vgl. nur Baums in: FS K. Schmidt, S. 57, 68 ff.; Henssler/Strohn-Lange, GesR, § 58 Rz. 5; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 58 Rz. 9 f.; vgl. aber Schnorbus/Plassmann, ZGR 2015, 446, 558 f. 10) Abweichend Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 58 Rz. 10. 11) Zur Formulierung ausführlich Bayer in: MünchKomm-AktG, § 58 Rz. 46. 12) BGH, Urt. v. 1.3.1971 – II ZR 53/69, BGHZ 55, 359, 360 ff.; Hoffmann-Becking, ZIP 1995, 1, 5. 13) Abweichend Eckardt, NJW 1967, 369; v. Gleichenstein, BB 1966, 1047. 14) Vgl. LG Hamburg, Beschl. v. 16.10.1968 – 26/18/68, NJW 1969, 664, 666 – Dotierung des „gesamten Jahresüberschusses abzgl. des für die Ausschüttung einer Dividende i. H. von 4 % erforderlichen Betrags“.

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§ 58

Verwendung des Jahresüberschusses

insoweit Gebrauch gemacht werden, bis die hierüber dotierten anderen Gewinnrücklagen (§ 266 Abs. 3 A. III. Nr. 4 HGB) die Hälfte des Grundkapitals erreichen. Der hierfür maßgebliche Zeitpunkt ist der der Feststellung des Jahresabschlusses.15) 3.

Zwingende Abzugsposten

7 § 58 Abs. 2 Satz 3 ordnet auch für die Rücklagenbildung i. R. von § 58 Abs. 2 zwingend an, dass die Dotierung der gesetzlichen Rücklage und die Berücksichtigung eines Verlustvortrags Vorrang haben (siehe Rz. 3). IV.

Rücklagenbildung gemäß § 58 Abs. 2a

8 § 58 Abs. 2a gestattet Vorstand und Aufsichtsrat unbeschadet der konkreten Kompetenz zur Feststellung des Jahresabschlusses gemäß § 58 Abs. 1 oder Abs. 2 eine besondere Rücklagendotierung für den Kapitalanteil von Wertaufholungen i. S. von § 253 Abs. 3 HGB, wodurch sich stille Reserven in offen ausgewiesene Rücklagen umwandeln lassen.16) Diese Kompetenz erweitert die Dotierungskompetenz der Verwaltung nach § 58 Abs. 1 und Abs. 2.17) Sie ist bei deren Grenzen nicht zu berücksichtigen („unbeschadet“).18) Die nach § 58 Abs. 2a Satz 1 dotierten Rücklagen sind gemäß § 58 Abs. 2a Satz 2 in der Bilanz gesondert auszuweisen („Davon-Vermerk“) oder im Anhang (§§ 284 ff. HGB) anzugeben. Vgl. zum Ausweis in der GuV § 158 Abs. 1 Nr. 4 lit. d. V.

Gewinnverwendungsbeschluss der Hauptversammlung (§ 58 Abs. 3)

9 Der Hauptversammlung obliegt gemäß § 174 die konkrete19) Beschlussfassung (§ 133) über die Verwendung des sich aus dem festgestellten Jahresabschluss ergebenden und damit verbindlichen Bilanzgewinns i. S. von § 158 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5. Im Ausgangspunkt bestehen hierbei keine Beschränkungen im Hinblick auf die Ausschüttung, ggf. weitere Rücklagendotierung oder einen Gewinnvortrag (vgl. aber stets § 254); insbesondere ist die Hauptversammlung auch nicht an etwaige Gewinnverwendungsvorschläge gebunden.20) § 58 Abs. 3 Satz 1 ergänzt diese Kompetenz und legt materiell-rechtlich fest, welche Beschlussfassungen neben der Ausschüttung i. S. von §§ 174 Abs. 2 Nr. 2, 58 Abs. 4 (siehe unten Rz. 13 ff.) zulässig sind. 1.

Gewinnrücklage

10 Gemäß § 58 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 kann die Hauptversammlung in den Grenzen von § 254 den Bilanzgewinn in die Rücklagen gemäß § 266 Abs. 3 A. III. HGB einstellen (vgl. auch § 174 Abs. 2 Nr. 3). Gibt es keine Aktionärsminderheit oder wird der Beschluss nicht gemäß § 254 angefochten, folgt aus § 58 Abs. 3 keine Obergrenze für die Rücklagendotierung.21) 2.

Gewinnvortrag

11 Die Hauptversammlung kann gemäß § 58 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 auch beschließen, dass der Bilanzgewinn oder Teile davon als Gewinnvortrag ausgewiesen werden (§ 158 Abs. 1 Satz 1 _____________ Spindler/Stilz-Cahn/v. Spangenberg, AktG, § 58 Rz. 44. Einzelheiten bei Spindler/Stilz-Cahn/v. Spangenberg, AktG, § 58 Rz. 49 f. Spindler/Stilz-Cahn/v. Spangenberg, AktG, § 58 Rz. 53 f. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 58 Rz. 20. Zu den inhaltlichen Anforderungen BGH, Urt. v. 28.10.1993 – IX ZR 21/93, BGHZ 124, 27, 32 = ZIP 1993, 1886. 20) BGH, Urt. v. 28.10.1993 – IX ZR 21/93, BGHZ 124, 27 = ZIP 1993, 1886. 21) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 58 Rz. 23.

15) 16) 17) 18) 19)

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Verwendung des Jahresüberschusses

§ 58

Nr. 1, § 174 Abs. 2 Nr. 4).22) Auch hier gilt zugunsten der (vorhandenen) Minderheit die Grenze gemäß § 254. 3.

Andere Verwendung

Eine andere Verwendung i. S. von § 58 Abs. 3 Satz 2 durch entsprechende Beschlussfassung 12 nach Maßgabe von § 184 Abs. 2 kann die Hauptversammlung nur aufgrund (vorheriger) Satzungsregelung beschließen. In Betracht kommt einmal die Zwangsthesaurierung des die gesetzliche und nach Maßgabe von § 58 Abs. 1 – 3 erfolgte, freiwillige Rücklagenbildung übersteigenden Teils des Bilanzgewinns bzw. die Verpflichtung zu einem derartigen Gewinnvortrag.23) Insbesondere bei gemeinnützigen Aktiengesellschaften kommt auch die Zuwendung des Bilanzgewinns an Dritte in Betracht.24) Besondere Zuwendungen an einzelne Aktionäre sind ebenfalls möglich, unterliegen jedoch den Anforderungen von § 53a.25) Wegen der in § 58 Abs. 4 vorausgesetzten Bindung kann die Satzungsregelung die Hauptversammlung auch zu einer entsprechenden Beschlussfassung gemäß § 174 Abs. 2 verpflichten.26) Das Gleiche gilt umgekehrt für die Vollausschüttung.27) VI.

Anspruch auf Bilanzgewinn (§ 58 Abs. 4)

Mit Feststellung des Jahresabschlusses haben die Aktionäre zwingend das kollektive Recht 13 auf den (vorhandenen) Bilanzgewinn.28) Dieses Gewinnbezugsrecht ist wegen des Abspaltungsverbots gemäß § 717 Satz 1 BGB untrennbar mit der Mitgliedschaft verbunden29) und vom individuellen Zahlungsanspruch zu unterscheiden, der erst als Folge des Gewinnverwendungsbeschlusses i. S. von § 174 Abs. 2 Nr. 2 mit wirksamer Beschlussfassung entsteht30) und auch nach Maßgabe von § 10 verbrieft sein kann.31) Vgl. i. Ü. bei Kreditinstituten die Möglichkeit der BAFin gemäß § 45 KWG, die Ausschüttung zu untersagen. 1.

Bezugsgröße

§ 58 Abs. 4 stellt klar, dass sich das Gewinnbezugsrecht auf den Bilanzgewinn i. S. von 14 § 158 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 bezieht und sich dementsprechend vom Jahresüberschuss der GuV gemäß § 275 HGB vor allem wegen der zwingenden Rücklagenbildung gemäß § 150 und der weiteren Rücklagendotierung i. R. des § 58 Abs. 1 bis 3 unterscheidet. Auch satzungsmäßige Bindungen gemäß § 58 Abs. 3 schmälern vorrangig das Gewinnbezugsrecht. 2.

Durchsetzung

Als kollektives Mitgliedschaftsrecht kann der einzelne Aktionär den Anspruch aus § 58 15 Abs. 4 nicht durchsetzen. Er kann jedoch auf Herbeiführung eines Gewinnverwendungs_____________ 22) Einzelheiten bei Bayer in: MünchKomm-AktG, § 58 Rz. 90. 23) Heute allg. M., vgl. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 58 Rz. 25a. 24) Vgl. BGH, Urt. v. 28.6.1982 – II ZR 69/81, BGHZ 84, 303 = ZIP 1982, 959; Einzelheiten bei Sethe, ZHR 162 (1998) 474, 478 f. 25) Insofern bedenklich die Vorschläge zur Einführung von Präsenzboni bei der Hauptversammlung, vgl. Klühs, ZIP 2006, 107, 112, 118. 26) H. M., vgl. nur Bayer in: MünchKomm-AktG, § 58 Rz. 91. 27) Zum Ganzen Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 58 Rz. 87 ff. 28) Grundlegend BGH, Urt. v. 8.10.1952 – II ZR 313/51, BGHZ 7, 263, 264 = NJW 1952, 1370; aus neuerer Zeit BGH, Urt. v. 28.10.1993 – IX ZR 21/93, BGHZ 124, 27, 31 = ZIP 1993, 1886. 29) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 58 Rz. 26. 30) BGH, Urt. v. 24.1.1957 – II ZR 208/55, BGHZ 23, 150, 157 = NJW 1957, 588; BGH, Urt. v. 28.10.1993 – IX ZR 21/93, BGHZ 124, 27, 31 = ZIP 1993, 1886; vgl. zur steuerrechtlichen Behandlung fehlerhafter Ausschüttungen Klett/Peitsmeier, BB 2011, 2121. 31) Einzelheiten bei Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 58 Rz. 99 ff.

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§ 59

Abschlagszahlung auf den Bilanzgewinn

beschlusses klagen.32) Es obliegt jedoch weiterhin der Hauptversammlung, auf welche Weise genau mit dem Bilanzgewinn verfahren wird (Einzelheiten bei § 174). Der individuelle Zahlungsanspruch nach Beschlussfassung ist als bloßes Vermögensrecht i. S. von § 717 Satz 2 BGB selbständig abtretbar und verpfändbar.33) Er entfällt nicht durch nachträglich eintretende Verluste.34) Der Zahlungsanspruch ist gemäß § 58 Abs. 4 Satz 2 am dritten auf den Hauptversammlungsbeschluss folgenden Geschäftstag (Bankarbeitstag gemäß § 675 Abs. 1 Satz 4 BGB) fällig, soweit nicht im Gewinnverwendungsbeschluss oder in der Satzung eine spätere Fälligkeit festgelegt wird.35) Vgl. i. Ü. zur Gewinnverteilung im Verhältnis der Aktionäre untereinander auch § 60. VII. Sachdividende (§ 58 Abs. 5) 16 Gemäß § 58 Abs. 5 kann die Satzung auch vorsehen, dass die Hauptversammlung i. R. der Gewinnverwendung gemäß § 174 Abs. 2 Nr. 2 eine Sachausschüttung beschließt.36) Der Beschluss kann gemäß § 133 mit einfacher Mehrheit gefasst werden und unterliegt entgegen gesetzgeberischer Motive keiner Inhaltskontrolle.37) Die nachträgliche Einführung einer entsprechenden Satzungsermächtigung setzt die Zustimmung aller betroffenen Aktionäre voraus.38) 17 Art und Umfang der Sachdividende sind in der Satzungsermächtigung oder im Gewinnverwendungsbeschluss festzulegen. Die Bewertung der ausgeschütteten Gegenstände erfolgt richtigerweise nach dem objektiven Verkehrswert, denn die Aktionäre sollen ein Surrogat für die Geldausschüttung erlangen.39) Dies ist insbesondere für die Anfechtung nach § 254 relevant. 18 Der praktische Anwendungsbereich der Sachdividenden ist bislang wohl gering. Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass die sog. scrip dividend kein Fall von § 58 Abs. 4 ist. Bei diesen zunehmend verbreiteten Gestaltungen handelt es sich um die Einbringung eines Dividendenanspruchs auf Geldzahlung i. R. einer Kapitalerhöhung.40) _____________ 32) Einzelheiten bei Bayer in: MünchKomm-AktG, § 58 Rz. 99. 33) RG, Urt. v. 16.4.1920 – II 398/19, RGZ 98, 318, 319. 34) Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 58 Rz. 98; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 58 Rz. 28; abweichend Bayer in: MünchKomm-AktG, § 58 Rz. 102. 35) Einzelheiten bei Müller-Eising, GWR 2015, 50. 36) Einzelheiten bei Holzborn/Bunnemann, AG 2003, 671. 37) Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 58 Rz. 104. 38) Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 58 Rz. 103. 39) So auch Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 58 Rz. 110; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 58 Rz. 33; abweuchend Bayer in: MünchKomm-AktG, § 58 Rz. 129 ff. (auch zu Buchwerten zulässig); wohl auch Henssler/Strohn-Lange, GesR, § 67 AktG Rz. 16. 40) Zum Ganzen Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 58 Rz. 33a.

§ 59 Abschlagszahlung auf den Bilanzgewinn (1) Die Satzung kann den Vorstand ermächtigen, nach Ablauf des Geschäftsjahrs auf den voraussichtlichen Bilanzgewinn einen Abschlag an die Aktionäre zu zahlen. (2) 1Der Vorstand darf einen Abschlag nur zahlen, wenn ein vorläufiger Abschluß für das vergangene Geschäftsjahr einen Jahresüberschuß ergibt. 2Als Abschlag darf höchstens die Hälfte des Betrags gezahlt werden, der von dem Jahresüberschuß nach Abzug

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§ 59

Abschlagszahlung auf den Bilanzgewinn

beschlusses klagen.32) Es obliegt jedoch weiterhin der Hauptversammlung, auf welche Weise genau mit dem Bilanzgewinn verfahren wird (Einzelheiten bei § 174). Der individuelle Zahlungsanspruch nach Beschlussfassung ist als bloßes Vermögensrecht i. S. von § 717 Satz 2 BGB selbständig abtretbar und verpfändbar.33) Er entfällt nicht durch nachträglich eintretende Verluste.34) Der Zahlungsanspruch ist gemäß § 58 Abs. 4 Satz 2 am dritten auf den Hauptversammlungsbeschluss folgenden Geschäftstag (Bankarbeitstag gemäß § 675 Abs. 1 Satz 4 BGB) fällig, soweit nicht im Gewinnverwendungsbeschluss oder in der Satzung eine spätere Fälligkeit festgelegt wird.35) Vgl. i. Ü. zur Gewinnverteilung im Verhältnis der Aktionäre untereinander auch § 60. VII. Sachdividende (§ 58 Abs. 5) 16 Gemäß § 58 Abs. 5 kann die Satzung auch vorsehen, dass die Hauptversammlung i. R. der Gewinnverwendung gemäß § 174 Abs. 2 Nr. 2 eine Sachausschüttung beschließt.36) Der Beschluss kann gemäß § 133 mit einfacher Mehrheit gefasst werden und unterliegt entgegen gesetzgeberischer Motive keiner Inhaltskontrolle.37) Die nachträgliche Einführung einer entsprechenden Satzungsermächtigung setzt die Zustimmung aller betroffenen Aktionäre voraus.38) 17 Art und Umfang der Sachdividende sind in der Satzungsermächtigung oder im Gewinnverwendungsbeschluss festzulegen. Die Bewertung der ausgeschütteten Gegenstände erfolgt richtigerweise nach dem objektiven Verkehrswert, denn die Aktionäre sollen ein Surrogat für die Geldausschüttung erlangen.39) Dies ist insbesondere für die Anfechtung nach § 254 relevant. 18 Der praktische Anwendungsbereich der Sachdividenden ist bislang wohl gering. Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass die sog. scrip dividend kein Fall von § 58 Abs. 4 ist. Bei diesen zunehmend verbreiteten Gestaltungen handelt es sich um die Einbringung eines Dividendenanspruchs auf Geldzahlung i. R. einer Kapitalerhöhung.40) _____________ 32) Einzelheiten bei Bayer in: MünchKomm-AktG, § 58 Rz. 99. 33) RG, Urt. v. 16.4.1920 – II 398/19, RGZ 98, 318, 319. 34) Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 58 Rz. 98; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 58 Rz. 28; abweichend Bayer in: MünchKomm-AktG, § 58 Rz. 102. 35) Einzelheiten bei Müller-Eising, GWR 2015, 50. 36) Einzelheiten bei Holzborn/Bunnemann, AG 2003, 671. 37) Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 58 Rz. 104. 38) Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 58 Rz. 103. 39) So auch Spindler/Stilz-Cahn/v. Spannenberg, AktG, § 58 Rz. 110; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 58 Rz. 33; abweuchend Bayer in: MünchKomm-AktG, § 58 Rz. 129 ff. (auch zu Buchwerten zulässig); wohl auch Henssler/Strohn-Lange, GesR, § 67 AktG Rz. 16. 40) Zum Ganzen Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 58 Rz. 33a.

§ 59 Abschlagszahlung auf den Bilanzgewinn (1) Die Satzung kann den Vorstand ermächtigen, nach Ablauf des Geschäftsjahrs auf den voraussichtlichen Bilanzgewinn einen Abschlag an die Aktionäre zu zahlen. (2) 1Der Vorstand darf einen Abschlag nur zahlen, wenn ein vorläufiger Abschluß für das vergangene Geschäftsjahr einen Jahresüberschuß ergibt. 2Als Abschlag darf höchstens die Hälfte des Betrags gezahlt werden, der von dem Jahresüberschuß nach Abzug

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§ 59

Abschlagszahlung auf den Bilanzgewinn

der Beträge verbleibt, die nach Gesetz oder Satzung in Gewinnrücklagen einzustellen sind. 3Außerdem darf der Abschlag nicht die Hälfte des vorjährigen Bilanzgewinns übersteigen. (3) Die Zahlung eines Abschlags bedarf der Zustimmung des Aufsichtsrats. Literatur: Siebel/Gebauer, Interimsdividende, AG 1999, 385.

Übersicht I. Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt .................................................. 1 II. Voraussetzungen für Abschlagszahlungen ........................................... 2 1. Satzungsmäßige Grundlage (§ 59 Abs. 1) ....................................... 2 I.

2. Vorstandskompetenz, Grenzen (§ 59 Abs. 2) ....................................... 3 3. Zustimmung des Aufsichtsrats (§ 59 Abs. 3) ....................................... 5 III. Rechtsfolgen ...................................... 6

Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt

Im Ausgangspunkt gibt es bei der AG allein die Jahresdividende (§§ 58, 174). Die Rege- 1 lung ermöglicht jedoch eine gewisse Flexibilisierung, indem den Aktionären bereits vor der Feststellung des Jahresabschlusses und der Fassung des Gewinnverwendungsbeschlusses durch die Hauptversammlung Abschläge auf den voraussichtlichen Bilanzgewinn gezahlt werden können. Nach § 59 Abs. 1 bedarf es hierfür einer entsprechenden Satzungsregelung. § 59 Abs. 2 legt die Voraussetzungen und betragsmäßigen Grenzen für die konkrete Zahlung durch den Vorstand fest. § 59 Abs. 3 verlangt hierfür zudem die Zustimmung des Aufsichtsrats. Die praktische Bedeutung dieser Norm ist gering.1) II.

Voraussetzungen für Abschlagszahlungen

1.

Satzungsmäßige Grundlage (§ 59 Abs. 1)

Erforderlich ist zunächst eine entsprechende Satzungsregelung. Inhaltlich muss sich diese 2 auf einen Abschlag auf den Bilanzgewinn beziehen; die Ersetzung der Jahresdividende durch Interims- oder Quartalsdividenden ist unzulässig.2) Es besteht daher stets das Risiko, dass die als Abschlag gewährten Zahlungen nicht durch einen tatsächlichen ausschüttungsfähigen Bilanzgewinn gedeckt sind. 2.

Vorstandskompetenz, Grenzen (§ 59 Abs. 2)

Die Satzungsregelung begründet lediglich eine Ermächtigung an den Vorstand. Dieser 3 entscheidet pflichtgemäß (§ 93 Abs. 2), ob und in welchem Umfang er hiervon Gebrauch macht oder nicht.3) In Einzelfällen kann es zur Befriedigung von Liquiditätsinteressen der Aktionäre auch einmal eine entsprechende Pflicht zur Gewährung von Abschlagszahlungen geben. Jede Abschlagszahlung bedarf eines zuvor gefassten gesonderten Vorstandsbeschlusses.4) Bedeutsam sind die verfahrensrechtlichen Vorgaben und die betragsmäßigen Grenzen gemäß 4 § 59 Abs. 2: Erforderlich ist gemäß § 59 Abs. 2 Satz 1 zunächst die Aufstellung eines vor_____________ 1) 2) 3) 4)

Siebel/Gebauer, AG 1999, 385, 389. Siebel/Gebauer, AG 1999, 385 – mit Vorschlägen de lege ferenda; Einzelheiten auch bei Bayer in: MünchKomm-AktG, § 59 Rz. 3. Abweichend die h. M.: „eigenes Ermessen“, vgl. nur Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 59 Rz. 7; Bayer in: MünchKomm-AktG, § 59 Rz. 9. Bayer in: MünchKomm-AktG, § 59 Rz. 10.

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§ 60

Gewinnverteilung

läufigen Jahresabschlusses durch den Vorstand für das vergangene Geschäftsjahr. Hierfür gelten die allgemeinen Regeln.5) Entbehrlich sind allein die Feststellung und Prüfung sowie die Erstellung eines Anhangs und Lageberichts.6) Ergibt dieser vorläufige Jahresabschluss einen Jahresüberschuss i. S. von § 275 HGB, kann gemäß § 59 Abs. 2 Satz 2 als Abschlag maximal die Hälfte des Betrags gezahlt werden, der von diesem nach Abzug der Beträge verbleibt, die nach Gesetz oder Satzung in Gewinnrücklagen einzustellen sind (vgl. hierzu § 58 Abs. 1 bis 3). Aus § 59 Abs. 2 Satz 3 ergibt sich zudem, dass maximal die Hälfte des vorjährigen Bilanzgewinns (§ 158 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5) ausgezahlt werden darf. Insgesamt besteht so eine doppelte Obergrenze.7) Satzungsmäßige Modifizierungen dieser Vorgaben sind nur in Gestalt weiterer Einschränkungen zulässig.8) 3.

Zustimmung des Aufsichtsrats (§ 59 Abs. 3)

5 Nach § 59 Abs. 3 bedarf die Abschlagszahlung auch der vorherigen Zustimmung des Aufsichtsrats.9) Zuständig ist zwingend der Gesamtaufsichtsrat, eine Delegation an einen Ausschuss ist nicht zulässig.10) III.

Rechtsfolgen

6 Liegen die oben genannten Voraussetzungen vor, steht den Aktionären nach Maßgabe von § 60 ein individueller Zahlungsanspruch zu. Dieser ist abtretbar und verpfändbar.11) Die erhaltenen Abschläge sind beim späteren Gewinnverwendungsbeschluss zu vermerken.12) Unzulässige, vor allem überhöhte Zahlungen sind gemäß § 62 Abs. 1 Satz 1 zurückzuerstatten (vgl. aber die Privilegierung beim gutgläubigen Gewinnbezug gemäß § 62 Abs. 1 Satz 2).13) Der Vorstand haftet bei Missachtung aus § 93 Abs. 3 Nr. 2; der Aufsichtsrat gemäß § 116 entsprechend. _____________ 5) 6) 7) 8) 9) 10) 11) 12) 13)

Einzelheiten bei Bayer in: MünchKomm-AktG, § 59 Rz. 8. Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 59 Rz. 9 f. Einzelheiten bei Bayer in: MünchKomm-AktG, § 59 Rz. 12 ff. Bayer in: MünchKomm-AktG, § 59 Rz. 6. Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 59 Rz. 8. Bayer in: MünchKomm-AktG, § 59 Rz. 10. Bayer in: MünchKomm-AktG, § 59 Rz. 17. Bayer in: MünchKomm-AktG, § 59 Rz. 19. Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 59 Rz. 17.

§ 60 Gewinnverteilung (1) Die Anteile der Aktionäre am Gewinn bestimmen sich nach ihren Anteilen am Grundkapital. (2) 1Sind die Einlagen auf das Grundkapital nicht auf alle Aktien in demselben Verhältnis geleistet, so erhalten die Aktionäre aus dem verteilbaren Gewinn vorweg einen Betrag von vier vom Hundert der geleisteten Einlagen. 2Reicht der Gewinn dazu nicht aus, so bestimmt sich der Betrag nach einem entsprechend niedrigeren Satz. 3Einlagen, die im Laufe des Geschäftsjahrs geleistet wurden, werden nach dem Verhältnis der Zeit berücksichtigt, die seit der Leistung verstrichen ist. (3) Die Satzung kann eine andere Art der Gewinnverteilung bestimmen.

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Gewinnverteilung

läufigen Jahresabschlusses durch den Vorstand für das vergangene Geschäftsjahr. Hierfür gelten die allgemeinen Regeln.5) Entbehrlich sind allein die Feststellung und Prüfung sowie die Erstellung eines Anhangs und Lageberichts.6) Ergibt dieser vorläufige Jahresabschluss einen Jahresüberschuss i. S. von § 275 HGB, kann gemäß § 59 Abs. 2 Satz 2 als Abschlag maximal die Hälfte des Betrags gezahlt werden, der von diesem nach Abzug der Beträge verbleibt, die nach Gesetz oder Satzung in Gewinnrücklagen einzustellen sind (vgl. hierzu § 58 Abs. 1 bis 3). Aus § 59 Abs. 2 Satz 3 ergibt sich zudem, dass maximal die Hälfte des vorjährigen Bilanzgewinns (§ 158 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5) ausgezahlt werden darf. Insgesamt besteht so eine doppelte Obergrenze.7) Satzungsmäßige Modifizierungen dieser Vorgaben sind nur in Gestalt weiterer Einschränkungen zulässig.8) 3.

Zustimmung des Aufsichtsrats (§ 59 Abs. 3)

5 Nach § 59 Abs. 3 bedarf die Abschlagszahlung auch der vorherigen Zustimmung des Aufsichtsrats.9) Zuständig ist zwingend der Gesamtaufsichtsrat, eine Delegation an einen Ausschuss ist nicht zulässig.10) III.

Rechtsfolgen

6 Liegen die oben genannten Voraussetzungen vor, steht den Aktionären nach Maßgabe von § 60 ein individueller Zahlungsanspruch zu. Dieser ist abtretbar und verpfändbar.11) Die erhaltenen Abschläge sind beim späteren Gewinnverwendungsbeschluss zu vermerken.12) Unzulässige, vor allem überhöhte Zahlungen sind gemäß § 62 Abs. 1 Satz 1 zurückzuerstatten (vgl. aber die Privilegierung beim gutgläubigen Gewinnbezug gemäß § 62 Abs. 1 Satz 2).13) Der Vorstand haftet bei Missachtung aus § 93 Abs. 3 Nr. 2; der Aufsichtsrat gemäß § 116 entsprechend. _____________ 5) 6) 7) 8) 9) 10) 11) 12) 13)

Einzelheiten bei Bayer in: MünchKomm-AktG, § 59 Rz. 8. Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 59 Rz. 9 f. Einzelheiten bei Bayer in: MünchKomm-AktG, § 59 Rz. 12 ff. Bayer in: MünchKomm-AktG, § 59 Rz. 6. Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 59 Rz. 8. Bayer in: MünchKomm-AktG, § 59 Rz. 10. Bayer in: MünchKomm-AktG, § 59 Rz. 17. Bayer in: MünchKomm-AktG, § 59 Rz. 19. Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 59 Rz. 17.

§ 60 Gewinnverteilung (1) Die Anteile der Aktionäre am Gewinn bestimmen sich nach ihren Anteilen am Grundkapital. (2) 1Sind die Einlagen auf das Grundkapital nicht auf alle Aktien in demselben Verhältnis geleistet, so erhalten die Aktionäre aus dem verteilbaren Gewinn vorweg einen Betrag von vier vom Hundert der geleisteten Einlagen. 2Reicht der Gewinn dazu nicht aus, so bestimmt sich der Betrag nach einem entsprechend niedrigeren Satz. 3Einlagen, die im Laufe des Geschäftsjahrs geleistet wurden, werden nach dem Verhältnis der Zeit berücksichtigt, die seit der Leistung verstrichen ist. (3) Die Satzung kann eine andere Art der Gewinnverteilung bestimmen.

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§ 60

Gewinnverteilung

Literatur: Erhart/Riedel, Disquotale Gewinnausschüttung bei Kapitalgesellschaften – gesellschaftsund steuerrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten, BB 2008, 2266; Henssler/Glindemann, Die Beteiligung junger Aktien am Gewinn eines abgelaufenen Geschäftsjahres bei einer Kapitalerhöhung aus genehmigtem Kapital, ZIP 2012, 949; Horbach, Der Gewinnverzicht des Großaktionärs, AG 2001, 78; Klühs, Präsenzbonus für die Teilnahme an der Hauptversammlung, ZIP 2006, 107; Koch, Höherrangiges Satzungsrecht vs. schuldrechtliche Satzungsüberlagerung, AG 2015, 213; König, Der Dividendenverzicht des Mehrheitsaktionärs – Dogmatische Einordnung und praktische Durchführung, AG 2001, 399; Lenz, Steigerung der Hauptversammlungsteilnahme durch monetäre Anreize?, NZG 2006, 534; Priester, Schuldrechtliche Vereinbarungen zur Gewinnverteilung bei der AG, ZIP 2015, 2156.

Übersicht I. Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt .................................................. 1 II. Gewinnverteilung nach Kapitalanteilen (§ 60 Abs. 1) ........................ 2 III. Besonderheiten bei rückständigen Einlagen (§ 60 Abs. 2 Satz 1, Satz 2) ................................................. 4 I.

1. Vorwegverteilung ............................... 5 2. Verteilung des Restbetrags ................ 6 IV. Besonderheiten bei unterjähriger Einlageleistung (§ 60 Abs. 2 Satz 3) ................................................. 7 V. Gestaltungsfreiheit (§ 60 Abs. 3) .... 8 VI. Rechtsfolgen bei Verstößen ........... 12

Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt

Die Regelung ergänzt § 58 Abs. 4 und § 174 Abs. 2 Nr. 2. Sie bestimmt, in welchem 1 Verhältnis die Aktionäre zueinander Gewinnansprüche geltend machen können (Gewinnverteilungsschlüssel). Hieran ist der Vorstand bei der Umsetzung des Gewinnverwendungsbeschlusses der Hauptversammlung gebunden (§§ 83 Abs. 2, 93 Abs. 2).1) § 60 Abs. 1 konkretisiert den Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 53a) und verlangt im dispositiven gesetzlichen Regelfall eine Verteilung anhand der Beteiligung der Aktionäre am Grundkapital. Über § 60 Abs. 2 wird der Gleichbehandlungsgrundsatz bei unterschiedlicher Einlageleistung konsequent, jedoch etwas generalisierend, verwirklicht: Die Aktionäre erhalten vom Bilanzgewinn vorab einen Anteil von 4 % in Bezug auf die bereits geleisteten Einlagen und wenn es nicht ausreicht, einen geringeren Prozentsatz (sog. Vorabdividende). Der über die 4 %-Verzinsung hinaus ggf. verbleibende Bilanzgewinn wird dann nach Maßgabe von § 60 Abs. 1 gemäß dem Nennbetrag unter allen Aktionären verteilt, so dass auch die Inhaber der nicht voll eingezahlten Aktien Dividendenansprüche haben und nicht etwa eine automatische Anrechnung auf die ausstehende Resteinlage erfolgt. Diese Mischform ist ein gesetzgeberischer Kompromiss zwischen dem Verzinsungsinteresse bei geleisteten Einlagen und dem gemeinsamen Vermögensrisiko aller Aktionäre.2) Gemäß § 60 Abs. 3 sind die vorgenannten Aufteilungsregeln satzungsdispositiv, wovon die Praxis regen Gebrauch macht. II.

Gewinnverteilung nach Kapitalanteilen (§ 60 Abs. 1)

Im dispositiven gesetzlichen Regelfall hängt die vermögensmäßige Beteiligung der Aktio- 2 näre grundsätzlich von den Nennbeträgen der übernommenen Aktien im Verhältnis zur Grundkapitalziffer (§ 23 Abs. 3 Nr. 3) ab, bei Stückaktien von der entsprechenden Zahl im Verhältnis zur Gesamtzahl der ausgegebenen Aktien (vgl. § 8 Abs. 4). Maßgeblicher Zeitpunkt ist die Fassung des Gewinnverwendungsbeschlusses gemäß § 174. Das korporative Agio (§ 9 Abs. 2) oder sonstige Zuzahlungen der Aktionäre bleiben bei der Berech_____________ 1) 2)

Vgl. BGH, Urt. v. 28.6.1982 – II ZR 69/81, BGHZ 84, 303 = ZIP 1982, 959. Bayer in: MünchKomm-AktG, § 60 Rz. 11.

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Gewinnverteilung

nung außer Betracht.3) § 60 Abs. 1 kommt gemäß § 60 Abs. 2 jedoch nur eingeschränkt zur Anwendung, wenn auf die Einlageforderungen unterschiedlich viel geleistet wurde (siehe unten Rz. 4 ff.); die gleichmäßige unvollständige Erfüllung der Einlagepflichten fällt demgegenüber unter § 60 Abs. 1.4) 3 Eigene Aktien der AG bleiben gemäß §§ 56 Abs. 3, 71b, 71d Satz 4, 328 unberücksichtigt; der Gewinnanteil der übrigen Aktionäre erhöht sich entsprechend. Wird gegen die Mitteilungspflichten verstoßen, ruhen zwar die Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre; gemäß § 20 Abs. 7 Satz 2 und § 21 Abs. 4 Satz 2 leben diese jedoch ggf. rückwirkend wieder auf. Der bis dahin nicht ausgeschüttete Betrag ist als Verbindlichkeit der AG auszuweisen.5) III.

Besonderheiten bei rückständigen Einlagen (§ 60 Abs. 2 Satz 1, Satz 2)

4 Sind die Einlagepflichten unterschiedlich erfüllt, bestimmt sich die Gewinnverteilung nach § 60 Abs. 2 Satz 1 und 2. 1.

Vorwegverteilung

5 Den Aktionären gebührt vom Jahresüberschuss gemäß § 60 Abs. 2 Satz 1 zunächst eine 4 %-ige Verzinsung ihrer tatsächlich geleisteten Einlagen als Vorabdividende; Bezugspunkt für die Verteilung sind somit nicht die Nennbeträge, sondern die tatsächlich geleisteten Einlagen, auch bei Sacheinlagen. Einlageleistungen sind auch hier nur die Leistungen auf das Grundkapital.6) Aus welchen Gründen die Leistungen unterschiedlich hoch ausfielen, ist unerheblich; insbesondere werden nicht nur die fälligen Einlagen berücksichtigt (streitig).7) Reicht der Jahresüberschuss hierfür nicht aus, ist der prozentuale Anteil für alle entsprechend zu kürzen (§ 60 Abs. 2 Satz 2). Der hierbei vom Vorstand festzulegende Prozentsatz hat den Gleichbehandlungsgrundsatz zu gewährleisten.8) 2.

Verteilung des Restbetrags

6 Der nach Abzug der 4 %-igen Verzinsung verbleibende Jahresüberschuss wird gemäß § 60 Abs. 2 sodann unter allen Aktionären nach Maßgabe von § 60 Abs. 1, d. h. nach den Nennbeträgen der Aktien, verteilt (siehe oben Rz. 2 f.).9) IV.

Besonderheiten bei unterjähriger Einlageleistung (§ 60 Abs. 2 Satz 3)

7 Wurden die Einlagen innerhalb des vergangenen Geschäftsjahres zu unterschiedlichen Zeitpunkten geleistet, ist dies gemäß § 60 Abs. 2 Satz 3 zu berücksichtigen. Maßgeblich ist mithin nicht die Fälligkeit der Einlage, sondern die tatsächliche Leistung.10) Hierüber wird der Gleichbehandlungsgrundsatz konsequent verwirklicht. Anwendbar ist die Regelung nur im Fall unterschiedlich geleisteter Einlagen gemäß § 60 Abs. 2 Satz 1 und 2, indem die Berechnung der Vorabdividende pro rata temporis erfolgt. Haben alle Aktionäre indessen ihre Einlagen vollständig oder in demselben Verhältnis geleistet, richtet sich die Verteilung nach § 60 Abs. 1, ohne dass die unterschiedliche Leistungszeit beachtlich wäre. Das Gleiche gilt für die Verteilung des nach Ausschüttung der Vorabdividende gemäß § 60 Abs. 2 Satz 1 _____________ 3) 4) 5) 6) 7) 8) 9) 10)

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Allg. M. Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 60 Rz. 7. K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 60 Rz. 6; Bayer in: MünchKomm-AktG, § 60 Rz. 7. K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 60 Rz. 23. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 60 Rz. 3. Abweichend etwa Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 60 Rz. 3. Bayer in: MünchKomm-AktG, § 60 Rz. 11. Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 60 Rz. 15. Bayer in: MünchKomm-AktG, § 60 Rz. 12; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 60 Rz. 5.

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Gewinnverteilung

verbleibenden Gewinns. Die zeitliche Betrachtung der Vorabdividende gilt entsprechend bei Kapitalerhöhungen im letzten Geschäftsjahr, so dass die jungen Aktien unabhängig davon, ob es sich um nicht vollständige oder unterschiedliche Einlageleistungen handelt, zunächst eine auf den Leistungszeitpunkt berechnete Vorabdividende erhalten und erst der darüber hinausgehende Gewinn nach Maßgabe von § 60 Abs. 1 verteilt wird.11) V.

Gestaltungsfreiheit (§ 60 Abs. 3)

Der durch § 60 Abs. 1 und 2 vorgegebene Gewinnverteilungsschlüssel ist für den Vorstand 8 bindend und kann auch nicht ad hoc im Gewinnverwendungsbeschluss der Hauptversammlung geändert werden.12) Eine nachrichtliche Ausweisung des Einzelbetrages schadet nicht, ändert aber auch nicht den beschlossenen Gesamtausschüttungsbetrag. Die Aufschlüsselung in Euro pro Stück hat mangels einer Hauptversammlungskompetenz zur Abänderung der gesetzlichen oder satzungsmäßigen Verteilungsschlüssel nur rechnerische, rein deklaratorische Bedeutung.13) Zulässig ist es jedoch, durch Satzungsregelung von den vorgenannten Grundsätzen abzuweichen.14) In der Praxis sind derartige Regelungen wohl weit verbreitet.15) Schuldrechtliche Vereinbarungen der Aktionäre mit der AG genügen diesen Anforderungen nicht16) und können daher allein auf schuldrechtlicher Grundlage im Verhältnis der hieran beteiligten Aktionäre effektuiert werden. Soll die Gewinnverteilung nachträglich geändert werden, bedarf es einer Satzungsänderung sowie der Zustimmung aller betroffenen, d. h. in ihrem Gewinnbezugsrecht zurückgesetzten Aktionäre (streitig).17) Praktisch anzutreffende zulässige Abweichungen vom gesetzlichen Regelfall sind insbesondere: –

Schaffung von Vorzugsaktien mit besonderem Gewinnrecht (vgl. §§ 139 ff.), insbesondere i. R. sog. Tracking Stocks;18)



Beschränkung des Gewinnrechts einzelner Aktionäre, z. B. bei nicht voll eingezahlten Aktien;19)



Gewinnverteilung unter Berücksichtigung der Nebenleistungen i. S. von § 55;20)



Schaffung einer Umsatzdividende;21)



Einführung einer Öffnungsklausel, wonach die Hauptversammlung alljährlich über eine von der satzungsmäßigen Regelung abweichende Gewinnverteilung beschließen darf.22)

_____________ 11) K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 60 Rz. 11; Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 60 Rz. 28; Bayer in: MünchKomm-AktG, § 60 Rz. 13, 22 ff.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 60 Rz. 5. 12) BGH, Beschl. v. 29.4.2014 – II ZR 262/13, ZIP 2014, 1677, dazu EWiR 2014, 643 (Goslar); Bayer in: MünchKomm-AktG, § 60 Rz. 1; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 60 Rz. 6 (Nichtigkeit nach § 241 Nr. 3). 13) BGH, Beschl. v. 29.4.2014 – II ZR 262/13, ZIP 2014, 1677. 14) Vgl. BGH, Urt. v. 28.6.1982 – II ZR 69/81, BGHZ 84, 303, 311 = ZIP 1982, 959. 15) Vgl. Bayer in: MünchKomm-AktG, § 60 Rz. 4. 16) Vgl. LG Frankfurt, Urt. v. 23.12.2014 – 3-05 O 47/14, ZIP 2015, 931, dazu EWiR 2015, 345 (Wachter); LG Marburg, Urt. v. 25.7.2014 – 5 O 47/14, BeckRS 2015, 07834; Bayer in: MünchKomm-AktG, § 60 Rz. 16; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 60 Rz. 6; weitergehend Koch, AG 2015, 213; Henssler/StrohnLange, GesR, § 58 Rz. 5; Priester, ZIP 2015, 2156. 17) H. M., vgl. Bayer in: MünchKomm-AktG, § 60 Rz. 23; K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 60 Rz. 16; wohl auch BayObLG, Beschl. v. 23.8.2001 – 3Z BR 31/01, NJW-RR 2002, 248 – für die GmbH; abweichend Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 60 Rz. 21 ff. 18) K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 60 Rz. 18; Einzelheiten bei Bayer in: MünchKomm-AktG, § 60 Rz. 20. 19) K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 60 Rz. 18. 20) RG, Urt. v. 19.5.1922 – II 550/21, RGZ 104, 349, 350. 21) K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 60 Rz. 18. 22) Vgl. BayObLG, Beschl. v. 23.8.2001 – 3Z BR 31/01, NJW-RR 2002, 248 – für die GmbH.

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Gewinnverteilung

9 Steuerrechtlich finden unter dem Aspekt des Rechtsmissbrauches nicht alle Abweichungen Anerkennung.23) Wird aufgrund der Satzungsregelung nur teilweise von § 60 abgewichen, gilt die Regelung zur Lückenfüllung weiter.24) Unzulässig ist demgegenüber die Delegation der Gewinnverteilung auf die Verwaltung25) oder auf Dritte;26) auch die Einführung von Präsenzboni für die auf der Hauptversammlung erschienenen Aktionäre ist nicht zulässig (streitig).27) 10 Beim genehmigten Kapital sieht die h. M. eine Spezialregelung gegenüber § 60 Abs. 3 mit der Folge, dass die Gewinnverteilung bzgl. der neuen Aktien durch die Verwaltung festgelegt werden könne.28) Dem ist nicht zu folgen. Aus § 60 Abs. 3 folgt vielmehr umgekehrt, dass die zentrale Frage der Gewinnverteilung der Aktionärskompetenz obliegt und nicht das von §§ 203 ff. delegierte Ob und Wie der Aktienausgabe. Zulässig ist es demgegenüber, im Beschluss über eine ordentliche Kapitalerhöhung zugleich auch satzungsmäßige Modifizierungen i. S. von § 60 Abs. 3 zu treffen. Entgegen der wohl h. M. können derartige Modifizierungen im Wege der qualifizierten Mehrheit (vgl. § 182 Abs. 1) allerdings nicht ohne deren gesonderte Zustimmung in die Rechte der Altaktionäre eingreifen.29) Das (ausschließbare) Bezugsrecht der Aktaktionäre bietet keinen adäquaten Schutz für die Durchbrechung von § 53a. Das gilt insbesondere auch in den Fällen, in denen junge Aktien entgegen der pro rata temporis-Regel gemäß § 60 Abs. 2 Satz 3 (siehe oben Rz. 7) begünstigt werden sollen (streitig).30) Um in diesem Kontext Rechtssicherheit zu erzielen, empfiehlt es sich, die gewünschte Regelung bereits in die Ursprungssatzung aufzunehmen.31) 11 Will ein Aktionär dauerhaft auf den Gewinn verzichten,32) ist dies eingeschränkt möglich: Der Verzicht auf das Gewinnstammrecht ist nach zutreffender Ansicht unzulässig, weil hierüber die Verkehrsfähigkeit der Aktie erheblich eingeschränkt wäre, was dem gesetzlichen Leitbild der AG widerspricht (vgl. zudem das Abspaltungsverbot gemäß § 717 Satz 1 BGB).33) Zulässig ist demgegenüber, dass ein Aktionär (ad personam) auf den jeweils aus dem Gewinnverwendungsbeschluss resultierenden individuellen Gewinnanspruch im Voraus verzichtet (verfügender Erlassvertrag).34) Gemäß § 60 Abs. 1 und Abs. 2 wird dieser zusätzliche Betrag unter den übrigen Aktionäre verteilt.35) Eine vertragliche Zuweisung des Verzichtsbetrags, etwa in Gewinnrücklagen, ist wegen des Vorrangs satzungsmäßiger Modifizierungen gemäß § 60 Abs. 3 nicht möglich (streitig).36) Der Erlass bindet i. Ü. nur den betreffenden Aktionär; nachfolgende Aktienerwerber sind hieran nicht gebunden, weil _____________ 23) 24) 25) 26) 27) 28) 29) 30) 31) 32) 33) 34) 35) 36)

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Vgl. BFH, Urt. v. 28.6.2006 – I R 97/05, DStR 2006, 1938, 1942. Bayer in: MünchKomm-AktG, § 60 Rz. 14. Bayer in: MünchKomm-AktG, § 60 Rz. 16. K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 60 Rz. 14; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 60 Rz. 6. Abweichend K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 60 Rz. 18; Klühs, ZIP 2006, 107, 111; Lenz, NZG 2006, 534; für Namensaktien auch Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 60 Rz. 11. Bayer in: MünchKomm-AktG, § 60 Rz. 17; K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 60 Rz. 15; GrigoleitGrigoleit/Rachlitz, AktG, § 60 Rz. 12 f. Abweichend K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 60 Rz. 17; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 60 Rz. 9, jeweils m. w. N. Abweichend etwa Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 60 Rz. 10 m. w. N.; zum Ganzen auch Henssler/ Glindemann, ZIP 2012, 949. So auch K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 60 Rz. 17. Zu den Motiven Erhart/Riedel, BB 2008, 2266, 2271. Horbach, AG 2001, 78, 82; K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 60 Rz. 21; Bayer in: MünchKommAktG, § 60 Rz. 38. K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 60 Rz. 20; ähnlich Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 60 Rz. 8, 11 (vertraglicher Verzicht); zur praktischen Bedeutung Horbach, AG 2001, 78; König, AG 2001, 399. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 60 Rz. 12. Liberaler Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 60 Rz. 12.

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§ 61

Vergütung von Nebenleistungen

dies auf einen Ausschluss des Gewinnstammrechts hinausliefe und damit das Abspaltungsverbot missachtet würde. VI.

Rechtsfolgen bei Verstößen

Bezieht ein Aktionäre entgegen der Vorgaben von § 60 oder der satzungsmäßigen Modi- 12 fizierungen Gewinn, liegt eine unzulässige Einlagenrückgewähr gemäß § 57 vor, so dass vorbehaltlich des gutgläubigen Gewinnbezugs nach Maßgabe von § 62 Abs. 1 Satz 2 eine Erstattungspflicht besteht.37) Vgl. i. Ü. auch die Vorstandshaftung gemäß § 93 Abs. 3 Nr. 1. _____________ 37) Bayer in: MünchKomm-AktG, § 60 Rz. 35.

§ 61 Vergütung von Nebenleistungen Für wiederkehrende Leistungen, zu denen Aktionäre nach der Satzung neben den Einlagen auf das Grundkapital verpflichtet sind, darf eine den Wert der Leistungen nicht übersteigende Vergütung ohne Rücksicht darauf gezahlt werden, ob ein Bilanzgewinn ausgewiesen wird. Übersicht I. Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt .................................................. 1 II. Vergütung einer Nebenleistung ...... 2 I.

III. Kein Verstoß gegen die Kapitalbindung .............................................. 3

Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt

Die Regelung betrifft die Nebenleistungen i. S. von § 55 und besagt, dass hierfür eine an- 1 gemessene Vergütung ohne Verstoß gegen § 57 Abs. 3 gezahlt werden darf. Die Regelung ist überflüssig, denn der Normzweck, wonach angemessene Gegenleistungen ohne Verstoß gegen § 57 zulässig sind, ließe sich auch über die allgemeinen Lehren verwirklichen.1) Auch das Erfordernis, eine etwaige Gegenleistung in die Satzung aufzunehmen, folgt bereits aus § 55 Abs. 2 Satz 2 (siehe § 55 Rz. 5). II.

Vergütung einer Nebenleistung

Die genannten wiederkehrenden Leistungen beziehen sich auf die Nebenleistungen i. S. von 2 § 55. Diese sind im Ausgangspunkt unentgeltlich zu erbringen; gleichwohl ist die Vereinbarung eines Entgelts zulässig (vgl. § 55 Abs. 1 Satz 2). Ein derartiger Anspruch des Aktionärs gegen die AG ist untrennbar mit der Mitgliedschaft verbunden.2) Indem diese Leistungsbeziehungen zudem zwingend in die Satzung aufzunehmen sind, handelt es sich bei etwaigen Vergütungen stets um Leistungen causa societatis, die der Kapitalbindung gemäß § 57 unterliegen. Sonstige einmalige Leistungen der AG an die Aktionäre sowie schuldrechtliche Drittgeschäfte beurteilen sich allein nach § 57.

_____________ 1)

2)

So auch Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 61 Rz. 2; abweichend K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 61 Rz. 2, der durchaus vertretbar im Hinblick auf den sog. Drittvergleich aus § 61 Rückschlüsse auf die tatbestandliche Konkretisierung von § 57 bei verdeckten Gewinnausschüttungen zieht. Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 61 Rz. 4.

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§ 61

Vergütung von Nebenleistungen

dies auf einen Ausschluss des Gewinnstammrechts hinausliefe und damit das Abspaltungsverbot missachtet würde. VI.

Rechtsfolgen bei Verstößen

Bezieht ein Aktionäre entgegen der Vorgaben von § 60 oder der satzungsmäßigen Modi- 12 fizierungen Gewinn, liegt eine unzulässige Einlagenrückgewähr gemäß § 57 vor, so dass vorbehaltlich des gutgläubigen Gewinnbezugs nach Maßgabe von § 62 Abs. 1 Satz 2 eine Erstattungspflicht besteht.37) Vgl. i. Ü. auch die Vorstandshaftung gemäß § 93 Abs. 3 Nr. 1. _____________ 37) Bayer in: MünchKomm-AktG, § 60 Rz. 35.

§ 61 Vergütung von Nebenleistungen Für wiederkehrende Leistungen, zu denen Aktionäre nach der Satzung neben den Einlagen auf das Grundkapital verpflichtet sind, darf eine den Wert der Leistungen nicht übersteigende Vergütung ohne Rücksicht darauf gezahlt werden, ob ein Bilanzgewinn ausgewiesen wird. Übersicht I. Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt .................................................. 1 II. Vergütung einer Nebenleistung ...... 2 I.

III. Kein Verstoß gegen die Kapitalbindung .............................................. 3

Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt

Die Regelung betrifft die Nebenleistungen i. S. von § 55 und besagt, dass hierfür eine an- 1 gemessene Vergütung ohne Verstoß gegen § 57 Abs. 3 gezahlt werden darf. Die Regelung ist überflüssig, denn der Normzweck, wonach angemessene Gegenleistungen ohne Verstoß gegen § 57 zulässig sind, ließe sich auch über die allgemeinen Lehren verwirklichen.1) Auch das Erfordernis, eine etwaige Gegenleistung in die Satzung aufzunehmen, folgt bereits aus § 55 Abs. 2 Satz 2 (siehe § 55 Rz. 5). II.

Vergütung einer Nebenleistung

Die genannten wiederkehrenden Leistungen beziehen sich auf die Nebenleistungen i. S. von 2 § 55. Diese sind im Ausgangspunkt unentgeltlich zu erbringen; gleichwohl ist die Vereinbarung eines Entgelts zulässig (vgl. § 55 Abs. 1 Satz 2). Ein derartiger Anspruch des Aktionärs gegen die AG ist untrennbar mit der Mitgliedschaft verbunden.2) Indem diese Leistungsbeziehungen zudem zwingend in die Satzung aufzunehmen sind, handelt es sich bei etwaigen Vergütungen stets um Leistungen causa societatis, die der Kapitalbindung gemäß § 57 unterliegen. Sonstige einmalige Leistungen der AG an die Aktionäre sowie schuldrechtliche Drittgeschäfte beurteilen sich allein nach § 57.

_____________ 1)

2)

So auch Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 61 Rz. 2; abweichend K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 61 Rz. 2, der durchaus vertretbar im Hinblick auf den sog. Drittvergleich aus § 61 Rückschlüsse auf die tatbestandliche Konkretisierung von § 57 bei verdeckten Gewinnausschüttungen zieht. Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 61 Rz. 4.

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§ 62 III.

Haftung der Aktionäre beim Empfang verbotener Leistungen Kein Verstoß gegen die Kapitalbindung

3 Die Privilegierung ist daran geknüpft, dass eine angemessene Gegenleistung der AG für die Leistungspflicht des Aktionärs vorliegt.3) Es ist also zu fragen, ob die AG für die Leistung des Aktionärs zu viel entrichtet und damit letztlich eine verbotene verdeckte Gewinnausschüttung vorliegt. Maßgeblich hierfür ist eine konkrete objektive Betrachtung anhand des Marktüblichen (Drittvergleich).4) Satzungsmäßige Festlegungen über die Angemessenheit sind daher insofern unbeachtlich. Würde man dies abweichend beurteilen, könnte über § 61 die Kapitalbindung unterlaufen werden. Konsequenterweise hat der Vorstand bei der Festlegung der Vergütung auch keinen Beurteilungsspielraum im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit § 57 (streitig).5) 4 Handelt es sich hiernach um eine überhöhte Gegenleistung der AG, greift die Privilegierung nicht, und der Leistungsaustausch wird nach den allgemeinen Regeln des § 57 beurteilt. Nach zutreffender Ansicht sind die Rechtsgeschäfte weder schuldrechtlich noch dinglich unwirksam (siehe § 57 Rz. 40). Leistung und überhöhte Gegenleistung sind zu saldieren; der Differenzbetrag ist nach § 62 zu erstatten.6) Der Vorstand haftet ggf. gemäß § 93 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 5 auf Schadensersatz. _____________ 3) 4)

Henssler/Strohn-Lange, GesR, § 58 Rz. 2. RG, Urt. v. 10.4.1901 – I 499/00, RGZ 48, 102, 104 f.; Henssler/Strohn-Lange, GesR, § 58 Rz. 2, Bayer in: MünchKomm-AktG, § 61 Rz. 5; Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 61 Rz. 9; K. Schmidt/LutterFleischer, AktG, § 61 Rz. 3. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 61 Rz. 2. RG, Urt. v. 19.5.1922 – II 550/21, RGZ 104, 349, 350 f.; Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 61 Rz. 12.

5) 6)

§ 62 Haftung der Aktionäre beim Empfang verbotener Leistungen (1) 1Die Aktionäre haben der Gesellschaft Leistungen, die sie entgegen den Vorschriften dieses Gesetzes von ihr empfangen haben, zurückzugewähren. 2Haben sie Beträge als Gewinnanteile bezogen, so besteht die Verpflichtung nur, wenn sie wußten oder infolge von Fahrlässigkeit nicht wußten, daß sie zum Bezuge nicht berechtigt waren. (2) 1Der Anspruch der Gesellschaft kann auch von den Gläubigern der Gesellschaft geltend gemacht werden, soweit sie von dieser keine Befriedigung erlangen können. 2 Ist über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet, so übt während dessen Dauer der Insolvenzverwalter oder der Sachwalter das Recht der Gesellschaftsgläubiger gegen die Aktionäre aus. (3) 1Die Ansprüche nach diesen Vorschriften verjähren in zehn Jahren seit dem Empfang der Leistung. 2§ 54 Abs. 4 Satz 2 findet entsprechende Anwendung. Literatur: Bayer/Scholz, Wirksamkeit von Verpflichtungs- und Erfüllungsgeschäft bei verbotener Einlagenrückgewähr (BGH v. 12.3.2013), AG 2013, 426; Canaris, Die Rückgewähr von Gesellschaftereinlagen durch Zuwendungen an Dritte, in: Festschrift für Robert Fischer, 1979, S. 31; Joost, Grundlagen und Rechtsfolgen der Kapitalerhaltungsregeln im Aktienrecht, ZHR 149 (1985) 419; Leuschner, Öffentliche Umplatzierung, Prospekthaftung und Innenregress, NJW 2011, 3275; Mylich, Rückgewähranspruch einer AG nach Ausschüttung oder Abführung von Scheingewinnen, AG 2011, 765; Riedel, Unzulässige Vermögenszuwendungen und ihre Rechtsfolgen im Recht der Aktiengesellschaft, 2004; Rosengarten, Die Rechtsfolgen eines „verdeckten“ Verstoßes gegen § 57 AktG: Endgültiger Abschied von der Nichtigkeit, ZHR 168 (2004) 70; Servatius, Strukturmaßnahmen als Unternehmensleitung, 2004; Servatius, Über die Beständigkeit des Erstattungsanspruchs wegen Verletzung des Stammkapitals, GmbHR 2000, 1028; Servatius, Nutzungsweise

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§ 62 III.

Haftung der Aktionäre beim Empfang verbotener Leistungen Kein Verstoß gegen die Kapitalbindung

3 Die Privilegierung ist daran geknüpft, dass eine angemessene Gegenleistung der AG für die Leistungspflicht des Aktionärs vorliegt.3) Es ist also zu fragen, ob die AG für die Leistung des Aktionärs zu viel entrichtet und damit letztlich eine verbotene verdeckte Gewinnausschüttung vorliegt. Maßgeblich hierfür ist eine konkrete objektive Betrachtung anhand des Marktüblichen (Drittvergleich).4) Satzungsmäßige Festlegungen über die Angemessenheit sind daher insofern unbeachtlich. Würde man dies abweichend beurteilen, könnte über § 61 die Kapitalbindung unterlaufen werden. Konsequenterweise hat der Vorstand bei der Festlegung der Vergütung auch keinen Beurteilungsspielraum im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit § 57 (streitig).5) 4 Handelt es sich hiernach um eine überhöhte Gegenleistung der AG, greift die Privilegierung nicht, und der Leistungsaustausch wird nach den allgemeinen Regeln des § 57 beurteilt. Nach zutreffender Ansicht sind die Rechtsgeschäfte weder schuldrechtlich noch dinglich unwirksam (siehe § 57 Rz. 40). Leistung und überhöhte Gegenleistung sind zu saldieren; der Differenzbetrag ist nach § 62 zu erstatten.6) Der Vorstand haftet ggf. gemäß § 93 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 5 auf Schadensersatz. _____________ 3) 4)

Henssler/Strohn-Lange, GesR, § 58 Rz. 2. RG, Urt. v. 10.4.1901 – I 499/00, RGZ 48, 102, 104 f.; Henssler/Strohn-Lange, GesR, § 58 Rz. 2, Bayer in: MünchKomm-AktG, § 61 Rz. 5; Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 61 Rz. 9; K. Schmidt/LutterFleischer, AktG, § 61 Rz. 3. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 61 Rz. 2. RG, Urt. v. 19.5.1922 – II 550/21, RGZ 104, 349, 350 f.; Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 61 Rz. 12.

5) 6)

§ 62 Haftung der Aktionäre beim Empfang verbotener Leistungen (1) 1Die Aktionäre haben der Gesellschaft Leistungen, die sie entgegen den Vorschriften dieses Gesetzes von ihr empfangen haben, zurückzugewähren. 2Haben sie Beträge als Gewinnanteile bezogen, so besteht die Verpflichtung nur, wenn sie wußten oder infolge von Fahrlässigkeit nicht wußten, daß sie zum Bezuge nicht berechtigt waren. (2) 1Der Anspruch der Gesellschaft kann auch von den Gläubigern der Gesellschaft geltend gemacht werden, soweit sie von dieser keine Befriedigung erlangen können. 2 Ist über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet, so übt während dessen Dauer der Insolvenzverwalter oder der Sachwalter das Recht der Gesellschaftsgläubiger gegen die Aktionäre aus. (3) 1Die Ansprüche nach diesen Vorschriften verjähren in zehn Jahren seit dem Empfang der Leistung. 2§ 54 Abs. 4 Satz 2 findet entsprechende Anwendung. Literatur: Bayer/Scholz, Wirksamkeit von Verpflichtungs- und Erfüllungsgeschäft bei verbotener Einlagenrückgewähr (BGH v. 12.3.2013), AG 2013, 426; Canaris, Die Rückgewähr von Gesellschaftereinlagen durch Zuwendungen an Dritte, in: Festschrift für Robert Fischer, 1979, S. 31; Joost, Grundlagen und Rechtsfolgen der Kapitalerhaltungsregeln im Aktienrecht, ZHR 149 (1985) 419; Leuschner, Öffentliche Umplatzierung, Prospekthaftung und Innenregress, NJW 2011, 3275; Mylich, Rückgewähranspruch einer AG nach Ausschüttung oder Abführung von Scheingewinnen, AG 2011, 765; Riedel, Unzulässige Vermögenszuwendungen und ihre Rechtsfolgen im Recht der Aktiengesellschaft, 2004; Rosengarten, Die Rechtsfolgen eines „verdeckten“ Verstoßes gegen § 57 AktG: Endgültiger Abschied von der Nichtigkeit, ZHR 168 (2004) 70; Servatius, Strukturmaßnahmen als Unternehmensleitung, 2004; Servatius, Über die Beständigkeit des Erstattungsanspruchs wegen Verletzung des Stammkapitals, GmbHR 2000, 1028; Servatius, Nutzungsweise

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Wolfgang Servatius

Haftung der Aktionäre beim Empfang verbotener Leistungen

§ 62

Überlassung von Betriebsmitteln der GmbH an Gesellschafter als Auszahlung gemäß §§ 30, 31 GmbHG, GmbHR 1998, 723; Thiessen, Zur Neuregelung der Verjährung im Handels- und Gesellschaftsrecht, ZHR 168 (2004) 503; Vetter, E., Geschäfte der AG mit ihren Aktionären und mit dem Vorstand nahestehenden Unternehmen, Der Konzern, 2012, 437; Wiesner, Übergang des Rückgewähranspruchs nach § 62 Abs. 1 AktG auf den Aktienerwerber, in: Festschrift für Thomas Raiser, 2005, S. 471; Witt, Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen § 57 AktG, ZGR 2013, 668.

Übersicht I. Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt .................................................. 1 II. Rückerstattungspflicht (§ 62 Abs. 1) ....................................... 3 1. Gegenstand der Rückerstattung ........ 4 2. Schuldner ............................................ 6 3. Gutgläubiger Gewinnbezug ............... 7 a) Gewinnbezug ................................ 8 b) Gutgläubigkeit .............................. 9 I.

4. Geltendmachung .............................. III. Geltendmachung durch die Gläubiger und in der Insolvenz (§ 62 Abs. 2) ..................................... 1. Verfolgungsrecht der Gläubiger ...... 2. Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters .... IV. Verjährung (§ 62 Abs. 3) ................

10

11 11 13 14

Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt

§ 62 beruht auf Art. 57 der Gesellschaftsrechts-Richtlinie1) und regelt zwingend die Rechts- 1 folgen bei Verstößen gegen das Auszahlungsverbot gemäß § 57. Wegen des doppelten Schutzzwecks dieser Norm (siehe § 57 Rz. 4 f.) kommt die Erstattung nicht nur in Betracht, wenn auf Kosten der Gläubiger Gesellschaftsvermögen ausgekehrt wurde, sondern auch dann, wenn nur die Formalia für die Gewinnverwendung nicht eingehalten wurden.2) Der Anwendungsbereich von § 61 Abs. 1 erstreckt sich so letztlich auf alle Leistungen, die von einem Aktionär entgegen den Vorschriften des AktG erlangt wurden.3) Nach § 62 Abs. 1 Satz 1 hat der Empfänger einer verbotenen Auszahlung diese an die AG zurückzugewähren; § 62 Abs. 1 Satz 2 schwächt die Rückzahlungspflicht insoweit ab, als der gutgläubige Gewinnbezug Bestandskraft hat. Der Rückerstattungsanspruch kann gemäß § 62 Abs. 2 Satz 1 bei Vermögenslosigkeit der AG auch von den Gesellschaftsgläubigern geltend gemacht werden; gemäß § 62 Abs. 2 Satz 2 obliegt die Geltendmachung im Insolvenzverfahren dem Verwalter. Die Rückerstattungspflicht verjährt gemäß § 62 Abs. 3 grundsätzlich in zehn Jahren. Bei Aktionärsdarlehen findet die Regelung keine Anwendung mehr, seitdem der Gesetz- 2 geber diese gemäß § 57 Abs. 1 Satz 4 im Zuge des MoMiG einer materiell-rechtlichen Verstrickung im Vorfeld der Insolvenz entzogen hat (vgl. für die Darlehensrückzahlung nunmehr §§ 39, 135 InsO, siehe hierzu Anh. zu § 57). Im Konzern ist die Rückerstattungspflicht bei verbotenen Rückzahlungen gemäß §§ 57 Abs. 1 Satz 3, 291 Abs. 3 von § 302 verdrängt, wenn ein Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag besteht. Bei faktischen Konzernlagen geht § 311 vor, so dass die Geltendmachung insoweit zeitlich aufgeschoben ist (siehe hierzu § 57 Rz. 39). II.

Rückerstattungspflicht (§ 62 Abs. 1)

Die Rückerstattungspflicht ist die verschuldensunabhängige spezial-gesetzliche Sanktion 3 für Verstöße gegen § 57.4) Einzelheiten bei § 57 Rz. 9 ff. Auch subjektive Merkmale haben _____________ 1) 2) 3) 4)

Richtlinie (EU) 2017/1132 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 14.6.2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts (Gesellschaftsrechts-Richtlinie), ABl. (EU) Nr. L 169/46 v. 30.6.2017. Bayer in: MünchKomm-AktG, § 62 Rz. 38. Vgl. für die Verletzung von Mitteilungspflichten BGH, Urt. v. 5.4.2016 – II ZR 268/14, ZIP 2016, 1919. Zum Sanktionscharakter Servatius, GmbHR 2000, 1028 – für den vergleichbaren § 31 GmbHG.

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Haftung der Aktionäre beim Empfang verbotener Leistungen

bei § 61 Abs. 1 Satz 1 keine Bedeutung (§ 61 Abs. 1 Satz 2 e contrario, vgl. § 57 Rz. 39 und unten Rz. 7 ff.). Nimmt man – mit der heute h. M. (vgl. § 57 Rz. 40) – an, dass das schuldrechtliche und dingliche Geschäft trotz des Verstoßes wirksam bleiben, ist diese Erstattungspflicht die einzige Möglichkeit, den unzulässigen Vermögenstransfer rückgängig zu machen. Es handelt sich insofern um einen gesellschaftsrechtlichen Anspruch eigener Art (ebenso wie § 31 GmbHG);5) die Regelungen des Bereicherungsrechts – insbesondere die Möglichkeit der Entreicherung – finden hierauf keine Anwendung;6) vgl. aber den Schutz beim gutgläubigen Gewinnbezug gemäß § 62 Abs. 1 Satz 2 (siehe unten Rz. 9). Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass eine verbotene Auszahlung zugleich eine unentgeltliche Zuwendung i. S. von § 134 InsO bzw. § 4 AnfG darstellen kann und damit der Insolvenzanfechtung unterliegt.7) Das Verhältnis dieser beiden Regelungskomplexe zueinander ist nach wie vor nicht abschließend geklärt. Vgl. zur Schadensersatzhaftung des Vorstands i. Ü. § 93 Abs. 3 Nr. 1 und 2. 1.

Gegenstand der Rückerstattung

4 Gegenstand der Rückerstattung ist die verbotene Leistung (actus contrarius). Sofern dies möglich ist, richtet sich der Anspruch auf gegenständliche Rückgewähr (streitig).8) Dies betrifft regelmäßig die Fälle, in denen einem Aktionär seitens der AG etwas ohne Gegenleistung zugewendet wurde (z. B. überhöhte Dividende) bzw. der Aktionär sich rechtsgrundlos eigenmächtig bereichert hat (z. B. Entnahme). Die Bedeutung dieses aus dem Wortlaut folgenden Prinzips ist jedoch letztlich gering.9) In vielen Fällen folgt nämlich aus dem begrenzten Schutzzweck der Vermögensbindung lediglich ein Anspruch auf Wertersatz in Geld. Dies gilt einmal, wenn das Empfangene nicht zurückgewährt werden kann;10) zum anderen, wenn die verbotene Auszahlung sich bereits aus einer Saldierung verschiedener Leistungsvorgänge als Geldbetrag ergibt (siehe § 57 Rz. 12). Insbesondere bei verdeckten Gewinnausschüttungen ist vorrangig anhand des Auszahlungsbegriffs zu ermitteln, in welcher Höhe die verbotene Auszahlung wertmäßig erfolgt.11) Die Rückerstattungspflicht richtet sich dann originär auf diesen Geldbetrag. § 57 schützt das Gesellschaftsvermögen nicht gegenständlich, so dass auch die Rückerstattungspflicht nicht zu einer Aufbrechung des Saldierungsgebots führt. Wird daher z. B. eine Sache an einen Aktionär zu einem zu niedrigen Kaufpreis übereignet, kann über § 62 Abs. 1 keine Pflicht zur Rückübereignung begründet werden. 5 Kommt es zwischen der Leistung an den Aktionär und der Geltendmachung des Anspruchs zu Wertverlusten, hat der Zahlungspflichtige diese in Geld auszugleichen.12) Zwischenzeitliche Wertsteigerungen gebühren umgekehrt der AG. Kann eine Leistung nicht gegenständ_____________ 5) RG, Urt. v. 15.12.1941 – II 103/41, RGZ 168, 301; BGH, Urt. v. 14.12.1959 – II ZR 187/57, BGHZ 31, 265; zur ratio legis Koch, AG 2004, 20, 23. 6) Bayer in: MünchKomm-AktG, § 62 Rz. 7. 7) Vgl. BGH, Urt. v. 22.12.2005 – IX ZR 190/02, BGHZ 165, 343, 349 = ZIP 2006, 243, 244 ff.; Mylich, AG 2011, 765, 766 ff. 8) BGH, Urt. v. 17.3.2008 – II ZR 24/07, ZIP 2008, 922 = NZG 2008, 467; BGH, Urt. v. 31.5.2011 – II ZR 141/09 (Dritter Börsengang), ZIP 2011, 1306 = NJW 2011, 2719; BGH, Urt. v. 12.3.2013 – II ZR 179/12, ZIP 2013, 819 = NZG 2013, 496; Bayer in: MünchKomm-AktG, § 62 Rz. 47; Hüffer/KochKoch, AktG, § 62 Rz. 9 („in corpore“); abweichend, für generellen Wertersatz, Joost, ZHR 149 (1985) 419, 420; Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 57 Rz. 23 f.; K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 62 Rz. 18; differenzierend Bayer/Scholz, AG 2013, 426, 427 f. (Wertersatz oder Rückabwicklung). 9) Ähnlich Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 62 Rz. 22. 10) Vgl. für Nutzungsüberlassungen Servatius, GmbHR 1998, 723. 11) Ähnlich Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 62 Rz. 10 – Ersetzungsbefugnis des Aktionärs. 12) BGH, Urt. v. 10.5.1993 – II ZR 74/92, BGHZ 122, 333, 338 f. = ZIP 1993, 917; BGH, Urt. v. 17.3.2008 – II ZR 24/07, ZIP 2008, 922 = NZG 2008, 467.

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Haftung der Aktionäre beim Empfang verbotener Leistungen

§ 62

lich erstattet werden, kommen über §§ 280, 281 BGB auch Schadensersatzansprüche gegen den Aktionär in Betracht.13) Wegen der funktionalen Vergleichbarkeit von Erstattungsund Einlagepflicht folgt eine Verzinsung des Anspruch aus § 62 Abs. 1 in entsprechender Anwendung von § 63 Abs. 2, mithin ohne das Verzugserfordernis (streitig).14) 2.

Schuldner

Die Erstattungspflicht trifft im Ausgangspunkt den Aktionär als Leistungsempfänger. 6 Mehrere Leistungsempfänger haften als Gesamtschuldner.15) Maßgeblich ist der Zeitpunkt des Leistungsempfangs (siehe § 57 Rz. 25 ff., 32 ff.).16) Die nachfolgende Veräußerung der Aktien ändert hieran nichts; der Erwerber haftet nicht.17) Zur Einbeziehung künftiger und ehemaliger Aktionäre in das Auszahlungsverbot siehe § 57 Rz. 33). Es gibt keine Ausfallhaftung der Mitaktionäre (vgl. aber bei der GmbH § 31 Abs. 3 GmbHG). Indem das Auszahlungsverbot gemäß § 57 zum Schutz vor Umgehungen jedoch auch bei Leistungen an Dritte gilt (siehe § 57 Rz. 34 ff.), ist im Hinblick auf die Erstattungspflicht zu differenzieren: Erfolgt die Zurechnung des Dritten wegen eines besonderen Näheverhältnisses zu einem Aktionär (siehe § 57 Rz. 35), sind sowohl der Aktionär als auch der Dritte zur Rückerstattung als Gesamtschuldner verpflichtet.18) Der von der Literatur teilweise vorgenommenen Differenzierung danach, wer die Zahlung veranlasst hat, oder ob der Dritte den Verstoß kannte oder kennen musste, ist nicht zuzustimmen.19) Die Vermögensbindung ist objektiv und lässt für derartige Einschränkungen keinen Raum. Werden Dritte unmittelbar aufgrund ihrer Nähe zur AG einbezogen (so die h. M. vor allem beim atypischen Stillen, siehe § 57 Rz. 36), sind diese konsequenterweise zur Rückerstattung verpflichtet.20) 3.

Gutgläubiger Gewinnbezug

Gemäß § 62 Abs. 1 Satz 2 ist die Rückerstattung beim gutgläubigen Gewinnbezug ausge- 7 schlossen (vgl. für die GmbH insoweit § 32 GmbHG).21) a)

Gewinnbezug

Erforderlich ist, dass die verbotene Auszahlung Gegenstand eines Gewinnverwendungs- 8 beschlusses gemäß § 174 oder einer Abschlagszahlung gemäß § 59 war.22) Andere Zuwendungen, insbesondere verdeckte Gewinnausschüttungen, fallen nicht hierunter, denn die Regelung schützt mittelbar die förmliche Gewinnverwendung. Praktisch bedeutsam ist daher vor allem, wenn ein Gewinnverwendungsbeschluss nichtig oder anfechtbar ist.23) _____________ 13) BGH, Urt. v. 31.5.2011 – II ZR 141/09 (Dritter Börsengang), ZIP 2011, 1306 = NJW 2011, 2719; kritisch Leuschner, NJW 2011, 3275, 3276. 14) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 62 Rz. 11 m. w. N.; abweichend Bayer in: MünchKomm-AktG, § 62 Rz. 60. 15) BGH, Urt. v. 18.6.2007 – II ZR 86/06, BGHZ 173, 1 = ZIP 2007, 1705; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 62 Rz. 9; K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 62 Rz. 17. 16) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 62 Rz. 4. 17) Bayer in: MünchKomm-AktG, § 62 Rz. 25; K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 62 Rz. 12. 18) Vgl. für den Treugeber BGH, Urt. v. 13.11.2007 – XI ZR 294/07, ZIP 2008, 118 = NZG 2008, 106. 19) Gegen eine Heranziehung von Familienangehörigen vor allem Canaris in: FS Fischer, S. 31, 36 ff.; zum Ganzen K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 62 Rz. 15. 20) K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 62 Rz. 14. 21) Zum Ganzen Mylich, AG 2011, 765. 22) Bayer in: MünchKomm-AktG, § 62 Rz. 61; Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 62 Rz. 26. 23) K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 62 Rz. 22.

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§ 62 b)

Haftung der Aktionäre beim Empfang verbotener Leistungen Gutgläubigkeit

9 Der Empfänger ist gutgläubig, wenn er im Leistungszeitpunkt weder Kenntnis noch fahrlässige Unkenntnis davon hatte, dass er zum konkreten Gewinnbezug nicht berechtigt war. Der Maßstab für fahrlässiges Handeln hängt davon ab, ob es sich um einen bloßen privaten Anlegeraktionär handelt oder um einen geschäftserfahrenen Großaktionär.24) Von Ersterem kann man kaum eine Nachforschung erwarten, um die Attraktivität der Aktienanlage nicht allzu sehr zu schmälern.25) Die Beweislast für die Bösgläubigkeit trifft die AG.26) 4.

Geltendmachung

10 Der Anspruch aus § 62 Abs. 1 steht allein der AG zu.27) Eine Geltendmachung gemäß § 147 kommt nicht in Betracht.28) Er ist im Auszahlungszeitpunkt fällig.29) Die Geltendmachung des Erstattungsanspruchs obliegt dem Vorstand (zu den Ausnahmen nach § 62 Abs. 2 siehe unten Rz. 11 ff.). Er ist hierzu unverzüglich nach Kenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen verpflichtet. Unterlässt er dies schuldhaft, haftet er gemäß § 93 Abs. 3 seinerseits der AG gegenüber auf Schadensersatz.30) Eine Befreiung des Aktionärs von der Erstattungspflicht ist gemäß § 66 Abs. 2 Satz 1 unzulässig. Die Aufrechnung durch den Aktionär ist entsprechend § 66 Abs. 1 Satz 2 generell unzulässig (§ 134 BGB); die Aufrechnung durch die AG nur dann, wenn der Gegenanspruch des Aktionärs vollwertig und liquide ist.31) Die Abtretung des Anspruchs an Dritte ist möglich;32) jedoch nur gegen ein dem tatsächlichen Realisationswert entsprechendes Entgelt.33) Verstöße hiergegen lassen jedoch die Wirksamkeit der Abtretung unberührt und wirken sich allenfalls als Schadensersatzpflicht der Vorstandmitglieder aus.34) III.

Geltendmachung durch die Gläubiger und in der Insolvenz (§ 62 Abs. 2)

1.

Verfolgungsrecht der Gläubiger

11 Nach § 62 Abs. 2 Satz 1 kann der Anspruch auch von Gesellschaftsgläubigern geltend gemacht werden, soweit diese für ihre Forderungen gegen die AG von dieser keine Befriedigung erlangen. Voraussetzung ist die fehlende Zahlungsfähigkeit, im Regelfall also die masselose Insolvenz. Die Regelung begründet nach zutreffender Ansicht einen Fall der gesetzlichen Prozessstandschaft;35) der Gläubiger kann zwar im eigenen Namen klagen, muss _____________ 24) OLG Stuttgart, Urt. v. 10.1.2014 – 20 U 8/13, AG 2015, 284, 285 = ZIP 2015, 378, dazu EWiR 2015, 143 (Wachter) – zum Alleinaktionär; K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 62 Rz. 24; Bayer in: MünchKomm-AktG, § 62 Rz. 71 ff.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 62 Rz. 13; zum beachtlichen Rechtsirrtum RG, Urt. v. 2.10.1911 – IV 676/10, RGZ 77, 88, 92. 25) Zur gesetzgeberischen Billigung der rationalen Apathie der Publikumsaktionäre Servatius, Strukturmaßnahmen als Unternehmensleitung, 2003, S. 1906 ff. 26) Bayer in: MünchKomm-AktG, § 62 Rz. 71; Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 62 Rz. 28; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 62 Rz. 14. 27) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 62 Rz. 3. 28) Vgl. OLG Karlsruhe, Urt. V. 14.3.2018 – 11 U 35/17m NZG 2018, 508, Rz. 49 ff. 29) BGH, Urt. v. 24.3.1980 – II ZR 213/77, BGHZ 76, 326, 333 f. = ZIP 1980, 361; BGH, Urt. v. 5.2.1990 – II ZR 114/89, NJW 1990, 1730 = ZIP 1990, 451. 30) Vgl. BGH, Urt. v. 22.12.2005 – IX ZR 190/02, BGHZ 165, 343, 349 = ZIP 2006, 243, 244 ff. 31) Servatius, GmbHR 2000, 1028, 1033 f. 32) BGH, Urt. v. 29.5.2000 – II ZR 118/98, BGHZ 144, 336 = ZIP 2000, 1251. 33) Vgl. BGH, Urt. v. 29.9.1977 – II ZR 157/76, BGHZ 69, 274, 282; BGH, Urt. v. 7.11.1994 – II ZR 270/93, ZIP 1994, 1934, 1939. 34) Vgl. BGH, Urt. v. 29.3.1973 – II ZR 25/70, BGHZ 60, 324, 329 f. 35) Bayer in: MünchKomm-AktG, § 62 Rz. 78; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 62 Rz. 13; abweichend für § 93 Abs. 5 die wohl h. M., vgl. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 93 Rz. 32; Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 62 Rz. 294.

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Folgen nicht rechtzeitiger Einzahlung

§ 63

jedoch Leistung in das Gesellschaftsvermögen verlangen.36) Insbesondere der letztgenannte Aspekt fügt sich zwar nahtlos in die Kapitalbindung ein, lässt jedoch möglicherweise das Verfolgungsrecht praktisch leerlaufen. Ein Gläubiger hat hiernach kaum ein Interesse, den Anspruch geltend zu machen, wenn ihm allenfalls eine Quote gebührt. Vorzugwürdig ist daher, die Anspruchsverfolgung zu belohnen, indem der betreffende Gläubiger sich vorrangig befriedigen kann und nur einen darüber hinausgehenden Erlös an das Gesellschaftsvermögen abführen muss.37) Diese Aufweichung des Prinzips der beim Personenverband aggregierten Kapitalbindung rechtfertigt sich damit, dass die Aktionäre noch mehr davon abgeschreckt werden, sich entgegen § 57 zu bedienen und die AG in die masselose Insolvenz fallen zu lassen (Firmenbestattung). Von der Geltendmachung gemäß § 62 Abs. 2 Satz 1 abzugrenzen ist die ohne weiteres zu- 12 lässige Möglichkeit, dass ein Gläubiger i. R. der Zwangsvollstreckung für eine Forderung gegen die AG die betreffenden Rückerstattungsansprüche verwertet (Pfändung und Überweisung gemäß §§ 829, 835 ZPO). 2.

Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters

Wird über das Vermögen der AG das Insolvenzverfahren eröffnet, ist allein der Insol- 13 venzverwalter gemäß § 80 Abs. 1 InsO zur Geltendmachung des Rückerstattungsanspruchs befugt. § 62 Abs. 2 Satz 2 bezieht sich allein auf das Verfolgungsrecht gemäß § 62 Abs. 2 Satz 1 und stellt klar, dass dieses in der Insolvenz nicht besteht. Im Fall der Eigenverwaltung gemäß §§ 270 ff. InsO obliegt die Geltendmachung allein dem Sachwalter.38) IV.

Verjährung (§ 62 Abs. 3)

Die Rückerstattungspflicht i. S. von § 62 Abs. 1 verjährt gemäß § 62 Abs. 3 Satz 1 in zehn 14 Jahren seit Empfang der Leistung (siehe § 57 Rz. 15 f., 25). Die Verjährungsfrist kann nicht verkürzt, durch Satzungsregelung aber verlängert werden. Wird über das Vermögen der AG das Insolvenzverfahren eröffnet, wird die Verjährung gemäß § 62 Abs. 3 Satz 2 insofern gehemmt, als sie frühestens sechs Monate danach eintritt (Ablaufhemmung). _____________ 36) H. M. vgl. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 62 Rz. 16, Bayer in: MünchKomm-AktG, § 62 Rz. 83 ff.; K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 62 Rz. 28. 37) In diese Richtung bereits BGH, Urt. v. 29.9.1977 – II ZR 157/76, BGHZ 69, 274; wie hier auch Spindler/ Stilz-Cahn, AktG, § 62 Rz. 30 ff.; Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 62 Rz. 7. 38) Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 62 Rz. 8.

§ 63 Folgen nicht rechtzeitiger Einzahlung (1) 1Die Aktionäre haben die Einlagen nach Aufforderung durch den Vorstand einzuzahlen. 2Die Aufforderung ist, wenn die Satzung nichts anderes bestimmt, in den Gesellschaftsblättern bekanntzumachen. (2) 1Aktionäre, die den eingeforderten Betrag nicht rechtzeitig einzahlen, haben ihn vom Eintritt der Fälligkeit an mit fünf vom Hundert für das Jahr zu verzinsen. 2Die Geltendmachung eines weiteren Schadens ist nicht ausgeschlossen. (3) Für den Fall nicht rechtzeitiger Einzahlung kann die Satzung Vertragsstrafen festsetzen.

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Folgen nicht rechtzeitiger Einzahlung

§ 63

jedoch Leistung in das Gesellschaftsvermögen verlangen.36) Insbesondere der letztgenannte Aspekt fügt sich zwar nahtlos in die Kapitalbindung ein, lässt jedoch möglicherweise das Verfolgungsrecht praktisch leerlaufen. Ein Gläubiger hat hiernach kaum ein Interesse, den Anspruch geltend zu machen, wenn ihm allenfalls eine Quote gebührt. Vorzugwürdig ist daher, die Anspruchsverfolgung zu belohnen, indem der betreffende Gläubiger sich vorrangig befriedigen kann und nur einen darüber hinausgehenden Erlös an das Gesellschaftsvermögen abführen muss.37) Diese Aufweichung des Prinzips der beim Personenverband aggregierten Kapitalbindung rechtfertigt sich damit, dass die Aktionäre noch mehr davon abgeschreckt werden, sich entgegen § 57 zu bedienen und die AG in die masselose Insolvenz fallen zu lassen (Firmenbestattung). Von der Geltendmachung gemäß § 62 Abs. 2 Satz 1 abzugrenzen ist die ohne weiteres zu- 12 lässige Möglichkeit, dass ein Gläubiger i. R. der Zwangsvollstreckung für eine Forderung gegen die AG die betreffenden Rückerstattungsansprüche verwertet (Pfändung und Überweisung gemäß §§ 829, 835 ZPO). 2.

Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters

Wird über das Vermögen der AG das Insolvenzverfahren eröffnet, ist allein der Insol- 13 venzverwalter gemäß § 80 Abs. 1 InsO zur Geltendmachung des Rückerstattungsanspruchs befugt. § 62 Abs. 2 Satz 2 bezieht sich allein auf das Verfolgungsrecht gemäß § 62 Abs. 2 Satz 1 und stellt klar, dass dieses in der Insolvenz nicht besteht. Im Fall der Eigenverwaltung gemäß §§ 270 ff. InsO obliegt die Geltendmachung allein dem Sachwalter.38) IV.

Verjährung (§ 62 Abs. 3)

Die Rückerstattungspflicht i. S. von § 62 Abs. 1 verjährt gemäß § 62 Abs. 3 Satz 1 in zehn 14 Jahren seit Empfang der Leistung (siehe § 57 Rz. 15 f., 25). Die Verjährungsfrist kann nicht verkürzt, durch Satzungsregelung aber verlängert werden. Wird über das Vermögen der AG das Insolvenzverfahren eröffnet, wird die Verjährung gemäß § 62 Abs. 3 Satz 2 insofern gehemmt, als sie frühestens sechs Monate danach eintritt (Ablaufhemmung). _____________ 36) H. M. vgl. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 62 Rz. 16, Bayer in: MünchKomm-AktG, § 62 Rz. 83 ff.; K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 62 Rz. 28. 37) In diese Richtung bereits BGH, Urt. v. 29.9.1977 – II ZR 157/76, BGHZ 69, 274; wie hier auch Spindler/ Stilz-Cahn, AktG, § 62 Rz. 30 ff.; Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 62 Rz. 7. 38) Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 62 Rz. 8.

§ 63 Folgen nicht rechtzeitiger Einzahlung (1) 1Die Aktionäre haben die Einlagen nach Aufforderung durch den Vorstand einzuzahlen. 2Die Aufforderung ist, wenn die Satzung nichts anderes bestimmt, in den Gesellschaftsblättern bekanntzumachen. (2) 1Aktionäre, die den eingeforderten Betrag nicht rechtzeitig einzahlen, haben ihn vom Eintritt der Fälligkeit an mit fünf vom Hundert für das Jahr zu verzinsen. 2Die Geltendmachung eines weiteren Schadens ist nicht ausgeschlossen. (3) Für den Fall nicht rechtzeitiger Einzahlung kann die Satzung Vertragsstrafen festsetzen.

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§ 63

Folgen nicht rechtzeitiger Einzahlung Übersicht

I. Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt ................................................. II. Fälligkeit der Resteinlagen (§ 63 Abs. 1) ....................................... 1. Aufforderung durch den Vorstand ...................................... a) Zuständigkeit, Adressat .............. b) Inhalt ............................................ I.

1 2 3 3 7

c) Bekanntmachung .......................... 8 3. Pfändung, Abtretung .......................... 9 4. Insolvenz ........................................... 11 III. Fälligkeitszinsen, Schadensersatz (§ 63 Abs. 2) ..................................... 12 1. Fälligkeitszinsen ............................... 12 2. Weitergehender Schaden .................. 13 IV. Vertragsstrafe (§ 63 Abs. 3) ............ 14

Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt

1 Die Norm regelt gemeinsam mit §§ 64, 65 die Einforderung der Resteinlagen und die Folgen der Nichtleistung. Gemäß § 63 Abs. 1 werden die Resteinlagen mit Aufforderung durch den Vorstand fällig; diese ist allein in den Gesellschaftsblättern bekannt zu machen, soweit die Satzung nichts Abweichendes regelt. Die Fälligkeit ist Voraussetzung für den Beginn der Verjährung nach § 54 Abs. 4.1) Die AG darf vorzeitige Zahlungen eines Aktionärs zurückweisen.2) § 63 Abs. 2 sieht vor, dass fällige Einlageforderungen im Fall der Nichtleistung auch unabhängig vom Verzug mit 5 % zu verzinsen sind und die Geltendmachung eines weiteren Schadens durch die AG nicht ausgeschlossen ist. Gemäß § 63 Abs. 3 kann die Satzung für die Nichtleistung auch Vertragsstrafen vorsehen. II.

Fälligkeit der Resteinlagen (§ 63 Abs. 1)

2 Der Anwendungsbereich von § 63 Abs. 1 bezieht sich nur auf die Resteinlagen (streitig).3) Die Mindesteinlagen sind gemäß § 36a kraft Gesetzes sofort fällig, so dass eine entsprechende Anwendung von § 63 diese Schärfe relativieren würde. Der ggf. darüber hinausgehende eingeforderte Betrag i. S. von § 36 Abs. 2 ist bei der Gründung durch die Gründungssatzung festzulegen bzw. einvernehmlich durch die Gründer außerhalb der Satzung; bei der Kapitalerhöhung obliegt die Festlegung eines die Mindesteinlagen übersteigenden eingeforderten Betrags der Hauptversammlung. Auf Nebenleistungen i. S. von § 55 oder sonstige Ansprüche der AG gegen ihre Aktionäre findet die Regelung keine Anwendung.4) Hier obliegt dem Vorstand nach den allgemeinen Regeln die Geltendmachung der vereinbarten Leistungen. Auf die Erbringung von Sacheinlagen bzw. deren Surrogate ist § 63 Abs. 1 ebenfalls nicht anwendbar, denn hier besteht gemäß § 36a Abs. 2 Satz 1 zwingend sofortige Fälligkeit.5) Auf das (korporative) Agio findet § 63 Abs. 1 auch keine Anwendung, denn hierfür besteht gemäß § 36a Abs. 1 zwingend die sofortige Fälligkeit.6) Für weitere Zuzahlungen, insbesondere ein sog. schuldrechtliches Agio, gilt § 63 Abs. 1 schließlich ebenfalls nicht. Dem Vorstand obliegt insofern jedoch wiederum nach den allgemeinen Regeln die Geltendmachung der vereinbarten Leistungen.

_____________ 1) 2) 3)

4) 5) 6)

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OLG Hamburg, Urt. v. 2.6.2006 – 11 U 244/05, ZIP 2006, 1677 = AG 2007, 500. Vgl. Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 63 Rz. 14. Abweichend für die Anwendung bei Mindesteinlagen, BGH, Urt. v. 5.4.1993 – II ZR 195/91, BGHZ 122, 180, 201 = ZIP 1993, 667; OLG Hamburg, Urt. v. 2.6.2006 – 11 U 244/05, ZIP 2007, 1677 = AG 2007, 500; Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 63 Rz. 1. Bayer in: MünchKomm-AktG, § 63 Rz. 4; Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 63 Rz. 6. Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 63 Rz. 5. Abweichend Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 63 Rz. 2.

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Folgen nicht rechtzeitiger Einzahlung 1.

Aufforderung durch den Vorstand

a)

Zuständigkeit, Adressat

§ 63

Zuständig für die Aufforderung ist der Vorstand als Kollegialorgan (Geschäftsführungs- 3 maßnahme i. S. von § 77). Im Außenverhältnis gegenüber den Aktionären wird die Aufforderung durch Verlautbarung durch die Vorstandsmitglieder in vertretungsbefugter Zahl wirksam (§ 78).7) Im Innenverhältnis kann die Aufforderung an die Zustimmung des Aufsichtsrates gemäß § 111 Abs. 4 Satz 2 gebunden werden; die Hauptversammlung hat zwingend kein Recht auf Einflussnahme (anders bei der GmbH § 46 Nr. 2 GmbHG).8) Die Aufforderung hat sich gemäß § 67 Abs. 2 Satz 1 an die im jeweiligen Zeitpunkt im 4 Aktienregister ausgewiesenen Aktionäre zu richten (nicht voll eingezahlte Aktien sind gemäß § 10 Abs. 2 zwingend Namensaktien). Der Vorstand handelt i. R. seiner allgemeinen Pflichtenbindung gemäß § 93 Abs. 3; er hat kein Ermessen (streitig).9) Letztlich entscheidet daher der aktuelle oder anstehende Kapitalbedarf darüber, ob die Einforderung der Resteinlagen zu Recht erfolgt oder nicht. Hieraus ließe sich zwar ein individuelles Recht der Aktionäre auf schonende Heranziehung begründen, welches einer Inanspruchnahme entgegengehalten werden könnte. Hiergegen spricht jedoch, dass die Handlungsfähigkeit des Vorstands im Interesse einer adäquaten Kapitalausstattung der AG dann zu sehr eingeschränkt wäre.10) Die Pflichtenbindung hat in Bezug auf die Einforderung der Resteinlagen daher nur insoweit Bedeutung, als der Aufsichtsrat gemäß § 84 Abs. 3 personelle Konsequenzen ziehen kann. Im Übrigen ist der Vorstand jedoch bei der Einforderung an den Gleichbehandlungs- 5 grundsatz gemäß § 53a gebunden.11) Er muss daher die Aktionäre gleichbehandeln, indem er die Resteinlagen von allen anteilig einfordert, bezogen auf ihre über den Nennwert der Aktien vermittelte Beteiligung am Grundkapital. Aus sachlichen Gründen ist jedoch eine Abweichung von der gleichmäßigen Heranziehung zulässig. Dies gilt insbesondere, wenn der (akute) Kapitalbedarf nur so effektiv und schnell befriedigt werden kann. Wird gegen das Gleichbehandlungsgebot verstoßen, hat der in Anspruch genommene Aktionär ein Leistungsverweigerungsrecht.12) Etwas anderes gilt nur, wenn die Einlageforderung von einem Gesellschaftsgläubiger gepfändet wurde.13) Nicht geregelt ist die Möglichkeit, dass die Fälligkeit der Resteinlagen durch Satzungsre- 6 gelung herbeigeführt wird. Bei der GmbH ist dies ohne weiteres zulässig. Sieht die Satzung hier konkrete Zahlungstermine vor, tritt die Fälligkeit automatisch ein; einer besonderen Aufforderung durch den Geschäftsführer bedarf es nicht.14) Bei der AG soll diese Möglichkeit wegen der Eigenverantwortlichkeit des Vorstands gemäß § 76 nicht zulässig sein (streitig).15) Dem ist nicht zuzustimmen. Wenn die Aktionäre in der Satzung die so_____________ 7) 8) 9) 10) 11) 12) 13) 14)

15)

Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 63 Rz. 10. K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 63 Rz. 12. Abweichend die h. M., vgl. K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 63 Rz. 13; Bayer in: MünchKommAktG, § 63 Rz. 28; Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 63 Rz. 12. So im Ergebnis auch die ganz h. M., vgl. Bayer in: MünchKomm-AktG, § 63 Rz. 28 m. w. N. RG, Urt. v. 23.10.1914 – II 148/14, RGZ 85, 366 – zur GmbH. H. M., vgl. nur Bayer in: MünchKomm-AktG, § 63 Rz. 31; K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 63 Rz. 15; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 63 Rz. 6. Vgl. zur GmbH BGH, Urt. v. 29.5.1980 – II ZR 142/79, ZIP 1980, 551 = NJW 1980, 2253; Hüffer/ Koch-Koch, AktG, § 63 Rz. 6. Vgl. zur GmbH: OLG Zweibrücken, Urt. v. 11.12.1994 – 8 U 158/93, GmbHR 1996, 122; OLG Celle, Urt. v. 12.5.1997 – 9 U 204/96, GmbHR 1997, 749; OLG Dresden, Urt. v. 17.7.1996 – 12 U 202/96, GmbHR 1997, 947. H. M., vgl. Bayer in: MünchKomm-AktG, § 63 Rz. 27; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 63 Rz. 5; K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 63 Rz. 11; Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 63 Rz. 1.

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§ 63

Folgen nicht rechtzeitiger Einzahlung

fortige vollständige Fälligkeit regeln dürfen, muss dies auch für spätere Zahlungstermine gelten.16) b)

Inhalt

7 Die Aufforderung ist eine geschäftsähnliche Handlung, die die Fälligkeit herbeiführt. Konsequenterweise muss sie hinreichend deutlich sein.17) Dies betrifft: Schuldner (= Inhaber der näher bezeichneten Aktien), Höhe der Forderung, Leistungsmodalitäten (AG als Zahlungsempfänger, Kontoverbindung). Um die Aktionäre nicht sogleich zur Zahlung von Fälligkeitszinsen gemäß § 63 Abs. 2 Satz 1 zu verpflichten (siehe unten Rz. 12), ist es aus Gründen der Treuepflicht der AG gegenüber ihren Aktionären geboten, dass der Vorstand zumindest eine kurze Zeitspanne für die konkrete Zahlung vorsieht (regelmäßig nicht mehr als eine Woche).18) Andererseits ist auch die Angabe eines genauen Zahlungstermins notwendig, damit bei Nichtleistung Schadensersatz ohne vorherige Mahnung geltend gemacht werden kann (siehe unten Rz. 13). c)

Bekanntmachung

8 Die nach § 63 Abs. 1 Satz 2 erforderliche Bekanntmachung ersetzt den individuellen Zugang der Aufforderung bei den Aktionären.19) Im dispositiven gesetzlichen Regelfall bedarf es einer Bekanntmachung im Bundesanzeiger gemäß § 25. Es ist jedoch auch möglich, mittels Satzungsregelung eine andere Bekanntmachungsform vorzuschreiben, z. B. (eingeschriebener) Brief.20) Ein satzungsmäßiger Verzicht auf jegliche Bekanntmachung ist wegen des notwendigen Zugangserfordernisses jedoch unwirksam.21) 3.

Pfändung, Abtretung

9 Wird die Einlageforderung gemäß §§ 829, 835 ZPO gepfändet, kann der Gläubiger nach Überweisung den Betrag auch ohne Aufforderung durch den Vorstand einziehen (streitig).22) Dies bedeutet zwar eine Verkürzung des Aktionärsschutzes; es ist jedoch wegen der regelmäßig bei der Pfändung bestehenden finanziellen Krise der AG hinzunehmen, um den Gläubigerschutz nicht zu beeinträchtigen (insofern gilt letztlich das Gleiche wie bei der Insolvenz, siehe unten Rz. 11). Auf eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes kann sich der in Anspruch genommene Aktionär ebenfalls nicht berufen.23) 10 Wird die Einlageforderung lediglich abgetreten, verbleibt das Recht zur Herbeiführung der Fälligkeit zwingend beim Vorstand, damit das Gebot zur schonenden und gleichmäßigen Heranziehung (siehe oben Rz. 4 f.) nicht leerläuft.24)

_____________ 16) So auch die h. M. bei der Kapitalerhöhung, vgl. BGH, Urt. v. 11.5.2009 – II ZR 137/08, WM 2009, 1199, 1201 = ZIP 2009, 1155, dazu EWiR 2009, 557 (Goslar); Spindler/Stilz-Servatius, AktG, § 185 Rz. 10. 17) Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 63 Rz. 13. 18) Wohl auch K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 63 Rz. 21 – Zahlungsfrist. 19) K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 63 Rz. 18; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 63 Rz. 6. 20) Vgl. BGH, Urt. v. 15.1.1990 – II ZR 164/88, BGHZ 110, 47, 76 f. = ZIP 1990, 156. 21) Bayer in: MünchKomm-AktG, § 63 Rz. 36. 22) Bayer in: MünchKomm-AktG, § 63 Rz. 45; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 63 Rz. 7; abweichend Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 63 Rz. 9. 23) BGH, Urt. v. 29.5.1980 – II ZR 142/79, ZIP 1980, 551 = NJW 1980, 2253 – zur GmbH. 24) Bayer in: MünchKomm-AktG, § 63 Rz. 44; K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 63 Rz. 22.

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Folgen nicht rechtzeitiger Einzahlung 4.

§ 63

Insolvenz

In der Insolvenz obliegt die Einforderungskompetenz gemäß § 80 Abs. 1 InsO dem Ver- 11 walter. Zustimmungsvorbehalte des Aufsichtsrats erlöschen insoweit.25) Der Verwalter muss die ausstehenden Einlagen gemäß § 271 Abs. 3 einziehen, soweit dies zur Gläubigerbefriedigung erforderlich ist. Insoweit gilt auch für ihn der Gleichbehandlungsgrundsatz gemäß § 53a.26) III.

Fälligkeitszinsen, Schadensersatz (§ 63 Abs. 2)

1.

Fälligkeitszinsen

Wird der in der Aufforderung anzugebende Zahlungstermin überschritten, haben die be- 12 treffenden Aktionäre gemäß § 63 Abs. 2 Satz 1 Fälligkeitszinsen i. H. von 5 % p. a. auf den rückständigen Betrag zu zahlen. Der Anspruch ist verschuldensunabhängig und zwingend.27) Nur wenn sich die AG in Annahmeverzug befindet, besteht gemäß § 301 BGB keine Zinspflicht.28) Der Zinsanspruch ist wie die Einlageforderung gemäß § 66 analog gesichert, so dass ein Verzicht oder Erlass unwirksam und die Aufrechnung nur in Ausnahmefällen möglich ist (Einzelheiten bei § 66). Werden die Zahlungstermine zulässigerweise bereits in der Satzung oder im Zeichnungsschein angegeben (siehe oben Rz. 6), ist eine erneute Zahlungsaufforderung entbehrlich.29) 2.

Weitergehender Schaden

Gemäß § 63 Abs. 2 Satz 2 ist die Geltendmachung eines weiteren Schadens nicht ausge- 13 schlossen. Dies betrifft vor allem den Verzugsschaden gemäß §§ 280, 286 BGB, der jedoch verschuldensabhängig ist und grundsätzlich eine Mahnung voraussetzt, welche den jeweiligen Aktionären individuell zugehen muss;30) um Letzteres zu vermeiden, ist der Vorstand zur kalendermäßig bestimmten Zahlungsaufforderung gehalten (siehe oben Rz. 7). Der Verzugsschaden ist vor allem deswegen relevant, weil über § 288 Abs. 4 BGB auch weitergehende Schäden ersatzfähig sind, insbesondere ein entgangener Gewinn (§ 252 BGB). Soweit die AG infolge einer Vertragsstrafe gemäß § 63 Abs. 3 keinen Schaden erlitten hat, ist die Ersatzpflicht entsprechend zu kürzen.31) IV.

Vertragsstrafe (§ 63 Abs. 3)

Gemäß § 63 Abs. 3 kann die Satzung eine Vertragsstrafe für den Fall nicht rechtzeitiger 14 Leistung vorsehen. Im Einzelnen gelten hierfür die §§ 339 ff. BGB, § 348 HGB. Wegen des Vorrangs der §§ 64, 65 darf die Verwirkung der Vertragsstrafe nicht den Verlust der Mitgliedschaft nach sich ziehen.32) Der Ausschluss vom Gewinnbezug ist hingegen zulässig.33) Die Vertragsstrafe kann neben den Ansprüchen gemäß § 63 Abs. 2 geltend gemacht werden.34) _____________ 25) RG, Urt. v. 9.12.1899 – I 334/99, RGZ 45, 153, 155. 26) Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 63 Rz. 28. 27) BGH, Urt. v. 5.4.1993 – II ZR 195/91, BGHZ 122, 180, 201 = ZIP 1993, 667; RG, Urt. v. 6.11.1917 – III 279/17, RGZ 91, 60, 64 f. 28) K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 63 Rz. 23. 29) BGH, Urt. v. 11.5.2009 – II ZR 137/08, WM 2009, 1199, 1201 = ZIP 2009, 1155. 30) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 63 Rz. 8. 31) K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 63 Rz. 25. 32) RG, Urt. v. 25.9.1901 – I 142/01, RGZ 49, 77. 33) Bayer in: MünchKomm-AktG, § 63 Rz. 56. 34) BGH, Urt. v. 25.3.1963 – II ZR 83/62, NJW 1963, 1197.

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§ 64

Ausschluß säumiger Aktionäre

§ 64 Ausschluß säumiger Aktionäre (1) Aktionären, die den eingeforderten Betrag nicht rechtzeitig einzahlen, kann eine Nachfrist mit der Androhung gesetzt werden, daß sie nach Fristablauf ihrer Aktien und der geleisteten Einzahlungen für verlustig erklärt werden. (2) 1Die Nachfrist muß dreimal in den Gesellschaftsblättern bekanntgemacht werden. 2 Die erste Bekanntmachung muß mindestens drei Monate, die letzte mindestens einen Monat vor Fristablauf ergehen. 3Zwischen den einzelnen Bekanntmachungen muß ein Zeitraum von mindestens drei Wochen liegen. 4Ist die Übertragung der Aktien an die Zustimmung der Gesellschaft gebunden, so genügt an Stelle der öffentlichen Bekanntmachungen die einmalige Einzelaufforderung an die säumigen Aktionäre; dabei muß eine Nachfrist gewährt werden, die mindestens einen Monat seit dem Empfang der Aufforderung beträgt. (3) 1Aktionäre, die den eingeforderten Betrag trotzdem nicht zahlen, werden durch Bekanntmachung in den Gesellschaftsblättern ihrer Aktien und der geleisteten Einzahlungen zugunsten der Gesellschaft für verlustig erklärt. 2In der Bekanntmachung sind die für verlustig erklärten Aktien mit ihren Unterscheidungsmerkmalen anzugeben. (4) 1An Stelle der alten Urkunden werden neue ausgegeben; diese haben außer den geleisteten Teilzahlungen den rückständigen Betrag anzugeben. 2Für den Ausfall der Gesellschaft an diesem Betrag oder an den später eingeforderten Beträgen haftet ihr der ausgeschlossene Aktionär. Übersicht I. Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt ................................................. II. Anwendungsbereich ........................ III. Nachfrist, Androhung der Kaduzierung (§ 64 Abs. 1, Abs. 2) ............ IV. Kaduzierung (§ 64 Abs. 3) ............... I.

1 2

1. 2. 3. V.

3 8

Ausschlusserklärung ........................... 8 Bekanntmachung ................................ 9 Rechtsfolgen ..................................... 10 Aktienurkunden (§ 64 Abs. 4 Satz 1) .......................... 12

Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt

1 Die Norm ist zwingend1) und ergänzt die §§ 63, 65. Sie regelt die möglichen Folgen, wenn ein Aktionär seine eingeforderte bzw. fällige Einlageforderung nicht leistet. Das hiernach mögliche Kaduzierungsverfahren verwirklicht mittelbar die effektive Kapitalaufbringung, indem die Aktionäre im Fall der Nichtleistung ihrer Einlagen den Verlust der Aktien befürchten müssen (vgl. darüber hinaus die hiervon abzugrenzende Zwangseinziehung gemäß §§ 237 ff.). Vgl. bei der GmbH die Parallelregelung § 21 GmbHG. Die Durchführung des Kaduzierungsverfahrens obliegt zwingend dem Vorstand (streitig).2) Gemäß § 64 Abs. 1 kann den Aktionären bei Nichtleistung ihrer fälligen Einlagen eine Nachfrist gesetzt werden, mit der die Androhung verbunden ist, dass die Aktien nach erfolglosem Fristablauf für verlustig erklärt werden. Diese Erklärung ist gemäß § 64 Abs. 2 dreimal in _____________ 1) 2)

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BGH, Urt. v. 28.1.2002 – II ZR 259/00, ZIP 2002, 478 = NZG 2002, 333, dazu EWiR 2002, 413 (Milde); Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 64 Rz. 1. H. M., vgl. nur Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 64 Rz. 2; abweichend Bayer in: MünchKomm-AktG, § 64 Rz. 28 f.: Zuständigkeit der Hauptversammlung satzungsmäßig begründbar, was allerdings nicht mit § 23 Abs. 5 in Einklang zu bringen ist.

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§ 64

Ausschluß säumiger Aktionäre

den Gesellschaftsblättern bekannt zu machen. Leistet der betreffende Aktionär hierauf nicht, verliert er gemäß § 64 Abs. 3 seine Mitgliedschaft durch entsprechende Erklärung (Kaduzierung), bleibt jedoch gemäß § 64 Abs. 4 Satz 2 subsidiär zur Leistung der Einlage verpflichtet. Gemäß § 64 Abs. 4 Satz 1 sind für die betreffenden Aktien neue Urkunden auszustellen. II.

Anwendungsbereich

Das Kaduzierungsverfahren knüpft gemäß § 64 Abs. 1 an die nicht rechtzeitige Zahlung des 2 eingeforderten Betrags an. Dies betrifft alle Einlageforderungen i. S. von § 54, einschließlich eines korporativen Agios, unabhängig davon, ob es sich um die (ggf. höheren) Mindesteinlagen (vgl. § 36 Abs. 2) oder die Resteinlagen § 63 handelt. Letztere müssen freilich nach Maßgabe von § 63 fällig gestellt worden sein. Kommt es i. R. einer wirtschaftlichen Neugründung zu erneuten Einlagepflichten, gilt die Regelung insoweit ebenfalls.3) Auf Sacheinlagen ist die Regelung wegen des eindeutigen Wortlauts nicht unmittelbar anwendbar. Stellt sich jedoch z. B. nachträglich heraus, dass die an sich sofort fällige Leistung gemäß § 36a Abs. 2 tatsächlich nicht erbracht wurde oder nicht werthaltig ist, schuldet der Aktionär entsprechend § 9 Abs. 1 GmbHG den Differenzbetrag in Geld, so dass wegen der Nichtleistung auf diese Forderung das Kaduzierungsverfahren eingeleitet werden kann.4) Für Ansprüche aus Vorbelastungshaftung nach Eintragung der AG (siehe § 41 Rz. 11) gilt die Regelung wegen der Vergleichbarkeit mit der Einlagepflicht entsprechend, nicht jedoch für Schadensersatzansprüche gegen die Gründer gemäß § 46. Auf Nebenleistungspflichten i. S. von § 55 und Ansprüche aus § 63 Abs. 2 und 3 (Fälligkeitszinsen, Vertragsstrafe) findet die Regelung ebenfalls keine Anwendung.5) Im Insolvenzverfahren obliegt die Möglichkeit, ein Kaduzierungsverfahren durchzuführen, dem Verwalter.6) III.

Nachfrist, Androhung der Kaduzierung (§ 64 Abs. 1, Abs. 2)

Nicht rechtzeitige Zahlung bedeutet das Verstreichenlassen des Fälligkeitstermins gemäß 3 § 36a bzw. bei den Resteinlagen das Ausbleiben der Zahlung nach Aufforderung des Vorstands gemäß § 63 Abs. 1; auf ein Verschulden des betreffenden Aktionärs kommt es nicht an. Der Vorstand muss – in vertretungsberechtigter Zahl (§ 78) – gemäß § 64 Abs. 1 eine Nachfrist setzen und hierbei androhen, dass die Aktien nach erfolglosem Fristablauf für verlustig erklärt werden. Die Nachfrist darf nicht mit der Einforderung gemäß § 63 verbunden werden.7) Die Nachfrist muss hinreichend deutlich die betroffenen Aktionäre und Einlageforderungen bezeichnen.8) Ob der Vorstand das Kaduzierungsverfahren einleitet oder nicht, entscheidet er auf der 4 Grundlage seiner allgemeinen Pflichtenbindung gemäß § 93 Abs. 2. Er hat hierbei insbesondere kein Ermessen (streitig).9) Gründe, warum bei Nichtleistung ein Kaduzierungsverfahren ausscheidet, dürfte es bei der werbenden AG kaum geben; insbesondere besteht aus Gründen der Schonung der Aktionäre kein Vorrang der Kapitalherabsetzung. Im Liquidationsstadium und in der Insolvenz besteht für die Kaduzierung nur insoweit Raum, als _____________ 3) 4) 5) 6) 7) 8) 9)

LG München I, Urt. v. 30.8.2012 – 5 HK O 5699/11, ZIP 2012, 2152 = BeckRS 2012, 22112. Ähnlich Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 64 Rz. 7. Bayer in: MünchKomm-AktG, § 64 Rz. 11. Vgl. LG München I, Urt. v. 30.8.2012 – 5 HK O 5699/11, ZIP 2012, 2152, 2154 = BeckRS 2012, 22122; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 64 Rz. 2. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 64 Rz. 4. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 64 Rz. 5: Angabe von Serie und Nummer der Aktien sowie Höhe des Zahlungsrückstands. Abweichend die wohl h. M., vgl. nur Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 64 Rz. 2 – unter Bezugnahme auf RG, Urt. v. 3.4.1912 – I 178/11, RGZ 79, 174, 178 – „pflichtgemäßes Ermessen“; ebenso Spindler/ Stilz-Cahn, AktG, § 64 Rz. 19.

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§ 64

Ausschluß säumiger Aktionäre

die betreffenden Einlagen nach Maßgabe von § 271 Abs. 3 zur Gläubigerbefriedigung benötigt werden. Beachtlich ist stets § 53a, so dass der Vorstand unter Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht willkürlich die Anteile einiger Aktionäre kaduzieren darf.10) Die zurückgesetzten Aktionäre können insofern ggf. auf Einstellung des Verfahrens klagen. 5 Bei Ausgestaltung der Länge des Kaduzierungsverfahrens besteht demgegenüber durchaus die Möglichkeit, die Interessen der AG und der betroffenen Aktionäre gegeneinander abzuwägen. So muss die Nachfrist ausreichend lang sein, dass der Aktionär sich erneut um die entsprechenden Mittel bemühen kann; siehe zur Mindestfrist gemäß § 64 Abs. 2 Satz 2 unten Rz. 8. Zeichnet sich von Anfang an ab, dass der Aktionär seine Einlage alsbald leisten wird, ist die Einleitung des Kaduzierungsverfahrens missbräuchlich. Aus der Treuepflicht der AG gegenüber ihren Aktionären folgt zudem, dass das Verfahren zu unterbrechen bzw. gänzlich einzustellen ist, wenn der Aktionär glaubhaft und nachvollziehbar alsbaldige Leistungsbereitschaft angibt.11) 6 Die Nachfrist und Androhung der Kaduzierung müssen gemäß § 64 Abs. 3 Satz 1 dreimal in den Gesellschaftsblättern bekannt gemacht werden, mithin gemäß § 25 im Bundesanzeiger. Aus den Mindestzeiträumen gemäß § 64 Abs. 2 Satz 2 folgt, dass eine Mindestnachfrist von drei Monaten zu setzen ist. Eine zu kurze Frist ist unheilbar unwirksam.12) 7 Bei vinkulierten Namensaktien (§ 68) genügt gemäß § 64 Abs. 3 Satz 4 die einmalige Zahlungsaufforderung an die säumigen Aktionäre (diese ist von der Aufforderung i. S. von § 64 Abs. 1 abzugrenzen); die Nachfrist beträgt hier mindestens einen Monat nach Empfang der Zahlungsaufforderung gemäß § 64 Abs. 1. Aus Beweisgründen ist es ratsam, die Zahlungsaufforderung mittels eingeschriebenen Briefes zuzusenden.13) IV.

Kaduzierung (§ 64 Abs. 3)

1.

Ausschlusserklärung

8 Gemäß § 64 Abs. 3 Satz 1 sind die Aktionäre, die den eingeforderten Betrag nach Ablauf der Nachfrist nicht zahlen, vom Vorstand – in vertretungsberechtigter Zahl (vgl. § 78) – ihrer Aktien und der geleisteten Einzahlungen zugunsten der AG für verlustig zu erklären. Aufgrund des Wortlauts ist der Vorstand hierzu verpflichtet (streitig).14) Die Treuepflicht der AG gegenüber ihren Aktionären kann es jedoch auch hier gebieten, das Verfahren abzubrechen, wenn der Aktionär glaubhaft alsbaldige Zahlungsbereitschaft signalisiert und die Ausschlusserklärung noch nicht bekannt gemacht wurde (siehe unten Rz. 9). Die Erklärung muss die betreffenden Aktien gemäß § 64 Abs. 3 Satz 2 genau bezeichnen und in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Fristablauf erfolgen.15) Wird länger als ein Monat gewartet, ist erneut eine Nachfrist mit entsprechender Androhung zu setzen.16) 2.

Bekanntmachung

9 Die Ausschlusserklärung muss in den Gesellschaftsblättern bekannt gemacht werden, mithin gemäß § 25 im Bundesanzeiger. Eine andere Form der Erklärung ist nicht zulässig.17) _____________ 10) 11) 12) 13) 14)

RG, Urt. v. 23.10.1914 – II 148/14, RGZ 85, 366, 368; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 64 Rz. 2. RG, Urt. v. 7.6.1902 – I 61/02, RGZ 51, 416, 417 – zur GmbH. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 64 Rz. 5. K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 64 Rz. 23. Abweichend die h. M., vgl. Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 64 Rz. 29 – pflichtgemäßes Ermessen; ebenso Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 64 Rz. 5. 15) Bayer in: MünchKomm-AktG, § 64 Rz. 48. 16) K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 64 Rz. 24. 17) BGH, Urt. v. 28.1.2002 – II ZR 259/00, ZIP 2002, 478 = NZG 2002, 333.

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Wolfgang Servatius

§ 65

Zahlungspflicht der Vormänner 3.

Rechtsfolgen

Die wirksame Kaduzierung führt zu einem nicht umkehrbaren Verlust der Mitgliedschaft 10 der betreffenden Aktionäre. Sie haben fortan keine mitgliedschaftlichen Rechte oder Pflichten mehr; die bereits geleisteten Einlagen können sie nicht zurückfordern. Nicht geltend gemachte Gewinnansprüche aus der Vergangenheit können zwar noch geltend gemacht werden; die AG kann hiermit jedoch bis zur Kaduzierung aufrechnen, wozu der Vorstand regelmäßig verpflichtet ist. Gemäß § 64 Abs. 4 Satz 2 bleibt der ausgeschlossene Aktionär Ausfallschuldner für die rückständige Einlage, falls sie i. R. der Verwertung gemäß § 65 nicht aufgebracht wird. Die Ausfallhaftung ist zwingend und durch § 66 abgesichert.18) Die Mitaktionäre haften anders als die Gesellschafter gemäß § 24 GmbHG nicht für den Ausfall. Leistet der Ausfallschuldner den rückständigen Betrag, hat er einen Anspruch auf Wiedereinräumung der Mitgliedschaft ex nunc (streitig).19) Die Aktie bzw. die Mitgliedschaft als solche geht nach zutreffender h. M. jedoch nicht 11 unter, sondern wird bis zur Verwertung gemäß § 65 von der AG treuhänderisch gehalten.20) Insofern unterscheidet sich die Kaduzierung von der Zwangseinziehung gemäß § 237 Abs. 1. Es handelt sich um eigene Aktien i. S. von §§ 71 ff., was im Jahresabschluss gemäß § 160 Abs. 1 Nr. 2 zu erläutern ist. Bis zur Verwertung gemäß § 65 Abs. 3 ruhen gemäß § 71b die Mitgliedschaftsrechte. Die kaduzierten Aktien sind bei §§ 71 ff. zu berücksichtigen (streitig).21) Rechte Dritter an den Aktien (Pfandrecht, Nießbrauch) erlöschen infolge der Kaduzierung, um die Verwertung nach § 65 zu ermöglichen.22) V.

Aktienurkunden (§ 64 Abs. 4 Satz 1)

Mit der Kaduzierung werden alle alten Aktienurkunden nichtig, ohne dass es einer beson- 12 deren Kraftloserklärung bedürfte.23) Ein gutgläubiger Erwerb ist fortan nicht mehr möglich.24) Gemäß § 64 Abs. 4 Satz 1 sind neue Urkunden auszugeben, auf denen außer den vom ausgeschlossenen Aktionär geleisteten Teilzahlungen der rückständige Betrag anzugeben ist. _____________ 18) Vgl. RG, Urt. v. 26.3.1920 – II 413/19, RGZ 98, 277 – zur GmbH. 19) Abweichend die h. M. unter Präventionsaspekten, vgl. Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 63 Rz. 10. 20) Statt anderer Bayer in: MünchKomm-AktG, § 64 Rz. 73; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 64 Rz. 8; abweichend noch BGH, Urt. v. 13.7.1964 – II ZR 110/62, BGHZ 42, 89, 92 = NJW 1964, 1954 – subjektlose Rechte. 21) Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 64 Rz. 8. 22) Allg. M., Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 64 Rz. 40. 23) Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 64 Rz. 45; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 64 Rz. 7. 24) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 64 Rz. 7.

§ 65 Zahlungspflicht der Vormänner (1) 1Jeder im Aktienregister verzeichnete Vormann des ausgeschlossenen Aktionärs ist der Gesellschaft zur Zahlung des rückständigen Betrags verpflichtet, soweit dieser von seinen Nachmännern nicht zu erlangen ist. 2Von der Zahlungsaufforderung an einen früheren Aktionär hat die Gesellschaft seinen unmittelbaren Vormann zu benachrichtigen. 3Daß die Zahlung nicht zu erlangen ist, wird vermutet, wenn sie nicht innerhalb eines Monats seit der Zahlungsaufforderung und der Benachrichtigung des Vormanns eingegangen ist. 4Gegen Zahlung des rückständigen Betrags wird die neue Urkunde ausgehändigt.

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§ 65

Zahlungspflicht der Vormänner 3.

Rechtsfolgen

Die wirksame Kaduzierung führt zu einem nicht umkehrbaren Verlust der Mitgliedschaft 10 der betreffenden Aktionäre. Sie haben fortan keine mitgliedschaftlichen Rechte oder Pflichten mehr; die bereits geleisteten Einlagen können sie nicht zurückfordern. Nicht geltend gemachte Gewinnansprüche aus der Vergangenheit können zwar noch geltend gemacht werden; die AG kann hiermit jedoch bis zur Kaduzierung aufrechnen, wozu der Vorstand regelmäßig verpflichtet ist. Gemäß § 64 Abs. 4 Satz 2 bleibt der ausgeschlossene Aktionär Ausfallschuldner für die rückständige Einlage, falls sie i. R. der Verwertung gemäß § 65 nicht aufgebracht wird. Die Ausfallhaftung ist zwingend und durch § 66 abgesichert.18) Die Mitaktionäre haften anders als die Gesellschafter gemäß § 24 GmbHG nicht für den Ausfall. Leistet der Ausfallschuldner den rückständigen Betrag, hat er einen Anspruch auf Wiedereinräumung der Mitgliedschaft ex nunc (streitig).19) Die Aktie bzw. die Mitgliedschaft als solche geht nach zutreffender h. M. jedoch nicht 11 unter, sondern wird bis zur Verwertung gemäß § 65 von der AG treuhänderisch gehalten.20) Insofern unterscheidet sich die Kaduzierung von der Zwangseinziehung gemäß § 237 Abs. 1. Es handelt sich um eigene Aktien i. S. von §§ 71 ff., was im Jahresabschluss gemäß § 160 Abs. 1 Nr. 2 zu erläutern ist. Bis zur Verwertung gemäß § 65 Abs. 3 ruhen gemäß § 71b die Mitgliedschaftsrechte. Die kaduzierten Aktien sind bei §§ 71 ff. zu berücksichtigen (streitig).21) Rechte Dritter an den Aktien (Pfandrecht, Nießbrauch) erlöschen infolge der Kaduzierung, um die Verwertung nach § 65 zu ermöglichen.22) V.

Aktienurkunden (§ 64 Abs. 4 Satz 1)

Mit der Kaduzierung werden alle alten Aktienurkunden nichtig, ohne dass es einer beson- 12 deren Kraftloserklärung bedürfte.23) Ein gutgläubiger Erwerb ist fortan nicht mehr möglich.24) Gemäß § 64 Abs. 4 Satz 1 sind neue Urkunden auszugeben, auf denen außer den vom ausgeschlossenen Aktionär geleisteten Teilzahlungen der rückständige Betrag anzugeben ist. _____________ 18) Vgl. RG, Urt. v. 26.3.1920 – II 413/19, RGZ 98, 277 – zur GmbH. 19) Abweichend die h. M. unter Präventionsaspekten, vgl. Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 63 Rz. 10. 20) Statt anderer Bayer in: MünchKomm-AktG, § 64 Rz. 73; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 64 Rz. 8; abweichend noch BGH, Urt. v. 13.7.1964 – II ZR 110/62, BGHZ 42, 89, 92 = NJW 1964, 1954 – subjektlose Rechte. 21) Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 64 Rz. 8. 22) Allg. M., Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 64 Rz. 40. 23) Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 64 Rz. 45; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 64 Rz. 7. 24) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 64 Rz. 7.

§ 65 Zahlungspflicht der Vormänner (1) 1Jeder im Aktienregister verzeichnete Vormann des ausgeschlossenen Aktionärs ist der Gesellschaft zur Zahlung des rückständigen Betrags verpflichtet, soweit dieser von seinen Nachmännern nicht zu erlangen ist. 2Von der Zahlungsaufforderung an einen früheren Aktionär hat die Gesellschaft seinen unmittelbaren Vormann zu benachrichtigen. 3Daß die Zahlung nicht zu erlangen ist, wird vermutet, wenn sie nicht innerhalb eines Monats seit der Zahlungsaufforderung und der Benachrichtigung des Vormanns eingegangen ist. 4Gegen Zahlung des rückständigen Betrags wird die neue Urkunde ausgehändigt.

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§ 65

Zahlungspflicht der Vormänner

(2) 1Jeder Vormann ist nur zur Zahlung der Beträge verpflichtet, die binnen zwei Jahren eingefordert werden. 2Die Frist beginnt mit dem Tage, an dem die Übertragung der Aktie zum Aktienregister der Gesellschaft angemeldet wird. (3) 1Ist die Zahlung des rückständigen Betrags von Vormännern nicht zu erlangen, so hat die Gesellschaft die Aktie unverzüglich zum Börsenpreis und beim Fehlen eines Börsenpreises durch öffentliche Versteigerung zu verkaufen. 2Ist von der Versteigerung am Sitz der Gesellschaft kein angemessener Erfolg zu erwarten, so ist die Aktie an einem geeigneten Ort zu verkaufen. 3Zeit, Ort und Gegenstand der Versteigerung sind öffentlich bekanntzumachen. 4Der ausgeschlossene Aktionär und seine Vormänner sind besonders zu benachrichtigen; die Benachrichtigung kann unterbleiben, wenn sie untunlich ist. 5Bekanntmachung und Benachrichtigung müssen mindestens zwei Wochen vor der Versteigerung ergehen. Übersicht I. Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt ................................................. II. Zahlungspflicht der Vormänner (§ 65 Abs. 1, Abs. 2) .......................... 1. Adressaten .......................................... 2. Umfang .............................................. I.

1 2 3 5

3. Geltendmachung ................................ 6 4. Rechtsfolgen ....................................... 8 a) Erwerb der Mitgliedschaft ........... 8 b) Regress .......................................... 9 III. Verkauf der Aktien (§ 65 Abs. 3) ... 10

Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt

1 Die Norm regelt zwingend1) den Abschluss des Kaduzierungsverfahrens und sichert die reale Kapitalaufbringung. Leistet ein Aktionär seine Resteinlage nicht nach Aufforderung gemäß § 63, kann seine Mitgliedschaft gemäß § 64 kaduziert werden mit der Folge, dass er aus der AG ausscheidet. Vgl. bei der GmbH die Parallelregelung § 22 GmbHG. Gemäß § 65 Abs. 1 und Abs. 2 haftet fortan jeder im Aktienregister verzeichnete frühere Aktieninhaber für die ausstehende Resteinlage. Der Vorstand ist im Interesse der Kapitalaufbringung zur Geltendmachung dieser Ansprüche verpflichtet.2) Ist von den Verpflichteten keine Zahlung zu erlangen, hat sich die AG gemäß § 65 Abs. 3 um einen Verkauf der Aktien zu bemühen. Der Vorstand ist zur Eintreibung der rückständigen Einlage gemäß dem Vorgesagten verpflichtet.3) Die ausgeschlossenen Aktionäre haften gemäß § 64 Abs. 4 Satz 2 weiterhin subsidiär für die im Verlauf des Kaduzierungsverfahrens nicht aufgebrachten Einlagen. II.

Zahlungspflicht der Vormänner (§ 65 Abs. 1, Abs. 2)

2 Die Zahlungspflicht der Vormänner kommt nur bei Namensaktien in Betracht; bei Inhaberaktien gibt es gemäß § 10 Abs. 2 keine offenen Resteinlagen. Etwas anderes gilt nur, wenn fälschlich Inhaberaktien ausgegeben wurden.4) Voraussetzung für eine Inanspruchnahme früherer Aktionäre ist die wirksame Durchführung des Kaduzierungsverfahrens gemäß § 64.5) 1.

Adressaten

3 Zur Zahlung rückständiger Einlagen verpflichtet ist gemäß § 65 Abs. 1 Satz 1 jeder im Aktienregister (§ 67) verzeichnete Vormann des gemäß § 64 Abs. 3 ausgeschlossenen Aktio_____________ 1) 2) 3) 4) 5)

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Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 65 Rz. 1. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 65 Rz. 2. K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 64 Rz. 24. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 64 Rz. 3. K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 64 Rz. 24.

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§ 65

Zahlungspflicht der Vormänner

närs. Vgl. zum gemeinschaftlichen Halten von Aktien § 69. Gibt es keinen Vormann, ist sogleich nach § 65 Abs. 3 vorzugehen (siehe unten Rz. 10 ff.). War jemand Aktionär ohne den betreffenden Eintrag ins Aktienregister, trifft ihn die Haftung grundsätzlich nicht.6) Etwas anderes gilt nur dann, wenn die AG unverkörperte Mitgliedschaftsrechte ausgegeben hat oder überhaupt kein Aktienregister angelegt wurde (streitig).7) War die AG selbst Vormann, kann sie wegen Konfusion nicht in Anspruch genommen werden, richtigerweise aber weitere Vormänner (streitig).8) Die Haftung ist keine gesamtschuldnerische; vielmehr erfolgt ein Staffelregress: Die AG hat 4 sich zunächst an den Rechtsvorgänger des ausgeschlossenen Aktionärs zu wenden, um Vollbefriedigung zu erlangen; ist von diesem keine vollständige Befriedigung zu erlangen, haftet der Vormann des Rechtsvorgängers usw.; ein Sprungregress (vgl. Art. 44 WG) ist nicht möglich.9) Gemäß § 65 Abs. 1 Satz 3 wird die Zahlungsunfähigkeit eines Vormanns widerleglich vermutet, wenn der Betreffende nicht innerhalb eines Monats seit der Zahlungsaufforderung und Benachrichtigung geleistet hat. Der unmittelbare Vormann des ausgeschlossenen Aktionärs haftet ohne weiteres nach der wirksamen Kaduzierung; auf die Zahlungsunfähigkeit des ausgeschlossenen Aktionärs kommt es hier nicht an.10) 2.

Umfang

Die Haftung erstreckt sich auf den Betrag der rückständigen Einlage i. S. von § 54;11) die 5 Sicherung der realen Aufbringung gemäß § 66 gilt entsprechend. Haben der Ausgeschlossene oder ein früherer Vormann bereits einen Teil geleistet, ist dies in Abzug zu bringen. Auf Fälligkeitszinsen oder Verzugsschaden (vgl. § 64 Abs. 2) erstreckt sich die Zahlungspflicht nicht; das Gleiche gilt für die Kosten des Kaduzierungsverfahrens.12) Die Leistung hat gemäß § 65 Abs. 1 Satz 4 nur Zug um Zug gegen Aushändigung einer neuen Urkunde zu erfolgen (vgl. § 64 Abs. 4 Satz 1).13) 3.

Geltendmachung

Die Zahlungspflicht entsteht nur aufgrund einer entsprechenden Zahlungsaufforderung 6 durch die AG, vertreten durch den Vorstand (§ 65 Abs. 2 Satz 2). Diese entspricht inhaltlich den Anforderungen gemäß § 63 Abs. 1 und muss daher den rückständigen Betrag genau angeben. Gemäß § 65 Abs. 2 ist jeder Vormann jedoch nur zur Zahlung der Beträge verpflichtet, die innerhalb von zwei Jahren nach der jeweiligen Aktienveräußerung fällig werden i. S. von § 63 Abs. 1. Hierbei handelt es sich um eine von der Verjährung abzugrenzende und von Amts wegen zu berücksichtigende Ausschlussfrist. Konkret bedeutet dies, dass der frühere Inhaber einer teileingezahlten Aktie nicht mehr haftet, wenn der Vorstand länger als zwei Jahre seit der Veräußerung mit der Einforderung zuwartet. War die Fälligstellung gemäß § 63 Abs. 1 hingegen im Veräußerungszeitpunkt bereits erfolgt, haftet der frühere _____________ 6) K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 65 Rz. 8. 7) H. M., vgl. Bayer in: MünchKomm-AktG, § 65 Rz. 23; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 65 Rz. 2; offenlassend BGH, Urt. v. 28.1.2002 – II ZR 259/00, ZIP 2002, 478 = NZG 2002, 333. 8) H. M., vgl. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 65 Rz. 4; abweichend Grigoleit/Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 65 Rz. 3. 9) Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 65 Rz. 19. 10) OLG Köln, Urt. v. 23.1.1987 – 20 U 148/86, WM 1987, 537. 11) Zur Anwendung bei der wirtschaftlichen Neugründung LG München I, Urt. v. 30.8.2012 – 5 HK O 5699/11, ZIP 2012, 2152 = BeckRS 2012, 22122. 12) Allg. M., vgl. K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 65 Rz. 17. 13) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 65 Rz. 6.

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§ 65

Zahlungspflicht der Vormänner

Aktieninhaber bis zur zehnjährigen Verjährung gemäß § 54 Abs. 4 auch über den Zwei-Jahres-Zeitraum hinaus (streitig).14) 7 Gemäß § 65 Abs. 1 Satz 2 hat der Vorstand mit der Zahlungsaufforderung an den Vormann auch dessen unmittelbaren Vormann zu benachrichtigen. Diese Benachrichtigung ist keine Voraussetzung für die Inanspruchnahme des aktuell Haftenden; sie dient vielmehr bloß der Information des subsidiär haftenden Vormanns, damit dieser den aktuell Haftenden zwecks Vermeidung der eigenen Inanspruchnahme zur Leistung drängt.15) 4.

Rechtsfolgen

a)

Erwerb der Mitgliedschaft

8 Leistet ein zur Zahlung verpflichteter Vormann die rückständige Einlage, erwirbt er die Mitgliedschaft kraft Gesetzes, einschließlich der bereits geleisteten Einlagen.16) § 68 gilt insofern nicht. Gemäß § 65 Abs. 1 Satz 4 ist ihm eine neue Aktienurkunde auszuhändigen. Die mit der Kaduzierung erloschenen Rechte Dritter an der Aktie (siehe § 64 Rz. 11) leben mit dem Rechtserwerb des Ausfallschuldners nicht wieder auf. b)

Regress

9 Derjenige, der nach dem Vorgesagten Inhaber einer volleingezahlten Aktie wird, soll nach h. M. Erstattungsansprüche gegen seine Nachmänner und den ausgeschlossenen Aktionär nach bürgerlichem Recht haben.17) Dies dürfte jedoch regelmäßig nur im Verhältnis zum unmittelbaren Nachmann aufgrund einer entsprechenden vertraglichen Abrede der Fall sein. Jenseits dieser Konstellation ist es im Staffelregress angelegt, dass letztlich nur derjenige die Aktien erwirbt, der die Einlage vollständig aufbringt. Indem die Vormänner dies – entgegen § 65 – nicht zu leisten vermochten, ist es nicht geboten, ihnen jetzt Regressansprüche gegen den Ausfallschuldner zuzubilligen. III.

Verkauf der Aktien (§ 65 Abs. 3)

10 Ist der rückständige Betrag nach den § 65 Abs. 1 und Abs. 2 von keinem der Vormänner vollständig zu erlangen, ist der Vorstand unverzüglich18) zum bestmöglichen Verkauf nach Maßgabe von § 65 Abs. 3 verpflichtet. Dies erfolgt zuvörderst durch einen Verkauf über die Börse zum Börsenpreis (vgl. § 24 BörsG) oder i. R. einer öffentlichen Versteigerung am satzungsmäßigen Sitz der AG (vgl. § 383 Abs. 3 BGB), falls sich kein marktgerechter Börsenpreis ermitteln lässt. Zeit, Ort und Gegenstand der Versteigerung sind gemäß § 65 Abs. 3 Satz 3 öffentlich bekannt zu machen, gemäß § 65 Abs. 3 Satz 4 sind der ausgeschlossene Aktionär und seine Vormänner im Regelfall ebenfalls zu informieren. Sofern dies nicht erfolgversprechend ist, kann gemäß § 65 Abs. 3 Satz 3 auch eine andere Verwertungsart gewählt werden, regelmäßig der freihändige Verkauf.19) 11 Der Erwerber wird Aktionär. Bleibt der Kaufpreis hinter der rückständigen Einlage zurück, gilt diese als getilgt.20) Die Kaufpreisschuld des Erwerbers aus § 433 Abs. 2 BGB wird wegen _____________ 14) Für die dreijährige Verjährung gemäß §§ 195, 199 BGB die wohl h. M., vgl. nur K. Schmidt/LutterFleischer, AktG, § 65 Rz. 25; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 65 Rz. 7; Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 65 Rz. 5. 15) Bayer in: MünchKomm-AktG, § 65 Rz. 33. 16) Allg. M., vgl. nur Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 65 Rz. 32; abweichend aber Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 65 Rz. 3. 17) Vgl. nur Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 65 Rz. 36 ff. 18) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 65 Rz. 8. 19) Vgl. zu Behandlung von Verfahrensmängeln Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 65 Rz. 67 ff. 20) Allg. M., vgl. nur K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 65 Rz. 34.

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Wolfgang Servatius

Keine Befreiung der Aktionäre von ihren Leistungspflichten

§ 66

ihrer Ähnlichkeit mit der Einlageforderung entsprechend § 66 abgesichert.21) Die subsidiäre Haftung des ausgeschlossenen Aktionärs und die Ausfallhaftung der Vormänner sollen selbst dann erlöschen, wenn der Kaufpreis hinter der rückständigen Einlageforderung zurückbleibt.22) Dem ist nur in Bezug auf die Vormänner zuzustimmen. Die Haftung des ausgeschlossenen Aktionärs bleibt wegen des eindeutigen Wortlauts von § 64 Abs. 4 Satz 2 auch über den Abschluss des Kaduzierungsverfahrens hinaus bestehen, um diesen bis zur Verjährung gemäß § 54 Abs. 4 zur Leistung zu verpflichten.23) Sind die betreffenden Aktien unverkäuflich, bleibt die AG Inhaberin;24) der Vorstand hat 12 wegen des Gebots der realen Kapitalaufbringung jedoch bis zur Verjährung gemäß § 54 Abs. 4 ggf. erneut zu versuchen, vom ausgeschlossenen Aktionär oder den Vormännern Zahlung zu verlangen oder die Aktien an Dritte zu veräußern.25) Praktisch geboten ist, für derartige Fälle eine Satzungsregelung zur Zwangseinziehung gemäß § 237 vorzusehen. _____________ 21) Mit teilweise abweichender Begründung auch Bayer in: MünchKomm-AktG, § 65 Rz. 96; Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 65 Rz. 64; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 65 Rz. 10; vgl. zur GmbH auch BGH, Urt. v. 17.7.1964 – II ZR 110/62, NJW 1964, 1954. 22) Vgl. K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 65 Rz. 36. 23) So auch Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 65 Rz. 60; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 65 Rz. 10. 24) RG, Urt. v. 11.6.1915 – II 105/15, RGZ 86, 421. 25) Bayer in: MünchKomm-AktG, § 65 Rz. 20, 98; teilweise abweichend Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 65 Rz. 3: Erlöschen wegen Konfusion.

§ 66 Keine Befreiung der Aktionäre von ihren Leistungspflichten (1) 1Die Aktionäre und ihre Vormänner können von ihren Leistungspflichten nach den §§ 54 und 65 nicht befreit werden. 2Gegen eine Forderung der Gesellschaft nach den §§ 54 und 65 ist die Aufrechnung nicht zulässig. (2) Absatz 1 gilt entsprechend für die Verpflichtung zur Rückgewähr von Leistungen, die entgegen den Vorschriften dieses Gesetzes empfangen sind, für die Ausfallhaftung des ausgeschlossenen Aktionärs sowie für die Schadenersatzpflicht des Aktionärs wegen nicht gehöriger Leistung einer Sacheinlage. (3) Durch eine ordentliche Kapitalherabsetzung oder durch eine Kapitalherabsetzung durch Einziehung von Aktien können die Aktionäre von der Verpflichtung zur Leistung von Einlagen befreit werden, durch eine ordentliche Kapitalherabsetzung jedoch höchstens in Höhe des Betrags, um den das Grundkapital herabgesetzt worden ist. Literatur: Hentzen, Zulässigkeit der Verrechnung des Verlustausgleichsanspruchs aus § 302 Abs. 1 AktG im Cash Pool, AG 2006, 133; Fleischer, Vergleiche über Organhaftungs-, Einlageund Drittansprüche der Aktiengesellschaft, AG 2015, 133; Habersack/Weber, Die Einlageforderung als Gegenstand von Aufrechnung, Abtretung, Verpfändung und Pfändung, ZGR 2014, 509; Kersting, Verdeckte Sacheinlage in der Aktiengesellschaft: Erleichterungen durch das MoRiG, AG 2008, 883; Müller, K., Zur Pfändung der Einlageforderung der AG, AG 1971, 1; Müller, K., Zur Abtretung der Einlageforderung der GmbH, GmbHR 1970, 57; Priester, Vergleich über Einlageforderungen – Zustimmungserfordernis der Hauptversammlung, AG 2012, 525; Stobbe, Die Durchsetzung gesellschaftsrechtlicher Ansprüche der insolventen GmbH im Gläubigerinteresse, 2000; Verse, Dirk A., (Gemischte) Sacheinlagen, Differenzhaftung und Vergleich über Einlageforderungen, ZGR 2012, 875.

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Keine Befreiung der Aktionäre von ihren Leistungspflichten

§ 66

ihrer Ähnlichkeit mit der Einlageforderung entsprechend § 66 abgesichert.21) Die subsidiäre Haftung des ausgeschlossenen Aktionärs und die Ausfallhaftung der Vormänner sollen selbst dann erlöschen, wenn der Kaufpreis hinter der rückständigen Einlageforderung zurückbleibt.22) Dem ist nur in Bezug auf die Vormänner zuzustimmen. Die Haftung des ausgeschlossenen Aktionärs bleibt wegen des eindeutigen Wortlauts von § 64 Abs. 4 Satz 2 auch über den Abschluss des Kaduzierungsverfahrens hinaus bestehen, um diesen bis zur Verjährung gemäß § 54 Abs. 4 zur Leistung zu verpflichten.23) Sind die betreffenden Aktien unverkäuflich, bleibt die AG Inhaberin;24) der Vorstand hat 12 wegen des Gebots der realen Kapitalaufbringung jedoch bis zur Verjährung gemäß § 54 Abs. 4 ggf. erneut zu versuchen, vom ausgeschlossenen Aktionär oder den Vormännern Zahlung zu verlangen oder die Aktien an Dritte zu veräußern.25) Praktisch geboten ist, für derartige Fälle eine Satzungsregelung zur Zwangseinziehung gemäß § 237 vorzusehen. _____________ 21) Mit teilweise abweichender Begründung auch Bayer in: MünchKomm-AktG, § 65 Rz. 96; Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 65 Rz. 64; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 65 Rz. 10; vgl. zur GmbH auch BGH, Urt. v. 17.7.1964 – II ZR 110/62, NJW 1964, 1954. 22) Vgl. K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 65 Rz. 36. 23) So auch Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 65 Rz. 60; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 65 Rz. 10. 24) RG, Urt. v. 11.6.1915 – II 105/15, RGZ 86, 421. 25) Bayer in: MünchKomm-AktG, § 65 Rz. 20, 98; teilweise abweichend Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 65 Rz. 3: Erlöschen wegen Konfusion.

§ 66 Keine Befreiung der Aktionäre von ihren Leistungspflichten (1) 1Die Aktionäre und ihre Vormänner können von ihren Leistungspflichten nach den §§ 54 und 65 nicht befreit werden. 2Gegen eine Forderung der Gesellschaft nach den §§ 54 und 65 ist die Aufrechnung nicht zulässig. (2) Absatz 1 gilt entsprechend für die Verpflichtung zur Rückgewähr von Leistungen, die entgegen den Vorschriften dieses Gesetzes empfangen sind, für die Ausfallhaftung des ausgeschlossenen Aktionärs sowie für die Schadenersatzpflicht des Aktionärs wegen nicht gehöriger Leistung einer Sacheinlage. (3) Durch eine ordentliche Kapitalherabsetzung oder durch eine Kapitalherabsetzung durch Einziehung von Aktien können die Aktionäre von der Verpflichtung zur Leistung von Einlagen befreit werden, durch eine ordentliche Kapitalherabsetzung jedoch höchstens in Höhe des Betrags, um den das Grundkapital herabgesetzt worden ist. Literatur: Hentzen, Zulässigkeit der Verrechnung des Verlustausgleichsanspruchs aus § 302 Abs. 1 AktG im Cash Pool, AG 2006, 133; Fleischer, Vergleiche über Organhaftungs-, Einlageund Drittansprüche der Aktiengesellschaft, AG 2015, 133; Habersack/Weber, Die Einlageforderung als Gegenstand von Aufrechnung, Abtretung, Verpfändung und Pfändung, ZGR 2014, 509; Kersting, Verdeckte Sacheinlage in der Aktiengesellschaft: Erleichterungen durch das MoRiG, AG 2008, 883; Müller, K., Zur Pfändung der Einlageforderung der AG, AG 1971, 1; Müller, K., Zur Abtretung der Einlageforderung der GmbH, GmbHR 1970, 57; Priester, Vergleich über Einlageforderungen – Zustimmungserfordernis der Hauptversammlung, AG 2012, 525; Stobbe, Die Durchsetzung gesellschaftsrechtlicher Ansprüche der insolventen GmbH im Gläubigerinteresse, 2000; Verse, Dirk A., (Gemischte) Sacheinlagen, Differenzhaftung und Vergleich über Einlageforderungen, ZGR 2012, 875.

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§ 66

Keine Befreiung der Aktionäre von ihren Leistungspflichten Übersicht

I. Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt ................................................. II. Umfassendes Befreiungsverbot (§ 66 Abs. 1, Abs. 2) .......................... 1. Erfasste Verbindlichkeiten ................ 2. Unzulässige Befreiung ....................... 3. Besonderheiten bei der Aufrechnung .................................................... I.

1 3 4 7

a) Aufrechnung durch den Aktionär ................................. 8 b) Aufrechnung durch die AG ......................................... 10 4. Rechtsfolgen bei Verstößen ............. 14 III. Vorrang der Kapitalherabsetzung (§ 66 Abs. 3) ..................................... 15

8

Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt

1 Die zwingende Norm sichert – dem Wortlaut nach unvollständig – die reale Kapitalaufbringung, indem die Aktionäre gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 von ihrer Einlagepflicht i. S. von § 54 und der Ausfallhaftung gemäß § 65 nicht befreit werden können.1) § 66 Abs. 1 Satz 2 verbietet zusätzlich die Aufrechnung durch den Aktionär mit den genannten Forderungen der AG. § 66 Abs. 2 dehnt die Absicherung auf die Erstattungspflicht gemäß § 62, die Ausfallhaftung des ausgeschlossenen Aktionärs gemäß § 64 Abs. 4 Satz 2 und die Schadensersatzpflicht wegen nicht gehöriger Erbringung von Sacheinlagen aus. § 66 Abs. 3 stellt klar, dass eine Befreiung von den Einlagepflichten der Aktionäre nur durch eine Kapitalherabsetzung herbeigeführt werden kann. 2 Die Norm fügt sich mittlerweile nicht mehr bruchlos in ein geschlossenes System der realen Kapitalaufbringung ein. Indem gemäß § 27 Abs. 4 nunmehr der Austausch der über § 66 gesicherten Einlageforderung gegen eine ungesicherte schuldrechtliche Forderung möglich ist (sog. Hin- und Herzahlen), ist problematisch, ob der über § 66 vermittelte Schutz nicht insgesamt als überzogen erscheint. Die gesetzgeberische Entscheidung, die Kapitalaufbringung zu liberalisieren, ist ernst zu nehmen und darf konsequenterweise nicht durch die Hintertür konterkariert werden. Insoweit ist es konsequent, § 66 da zurückzunehmen, wo es aufgrund jüngerer Neuregelungen einer gesellschafterfreundlicheren Betrachtung bedarf, insbesondere i. R. von § 27 Abs. 4 und § 57 Abs. 1 Satz 4.2) Gleichwohl darf nicht verkannt werden, dass es hierdurch zu einer Verkürzung des Gläubigerschutzes kommt. Es bleibt daher abzuwarten, welche Folgen die Liberalisierung für den Gläubigerschutz und damit die Akzeptanz der Kapitalgesellschaften am Markt letztlich bringt und ob ggf. weitere Korrekturen notwendig sind. II.

Umfassendes Befreiungsverbot (§ 66 Abs. 1, Abs. 2)

3 Der Wortlaut von § 66 Abs. 1 ist nach allgemeiner Meinung zu eng. Die Norm regelt (gemeinsam mit § 66 Abs. 2) ein umfassendes Befreiungsverbot für sämtliche der Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung zurechenbaren Leistungspflichten der Aktionäre. Vgl. auch die Parallelregelung in § 19 Abs. 2 GmbHG. 1.

Erfasste Verbindlichkeiten

4 Unter § 66 Abs. 1 Satz 1 fallen nicht nur Bareinlagepflichten i. S. von § 54 Abs. 1 (Nennbetrag und korporatives Agio)3), sondern auch die Pflicht zur Erbringung von Sachein_____________ 1) 2) 3)

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Nach K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 66 Rz. 1 ist die Norm ein „Eckpfeiler der aktienrechtlichen Finanzverfassung“. So bereits Kersting, AG 2008, 883; vgl. auch Habersack/Weber, ZGR 2014, 509, 517 f. BGH, Urt. v. 6.12.2011 – II ZR 149/10 (Babcock), NZG 2012, 69, 72 = ZIP 2012, 73, dazu EWiR 2012, 129 (Vosberg/Klawa).

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lagen gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 und Satz 2; nicht aber Forderungen aus Sachübernahmen gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2, weil diese nicht auf die Einlagepflicht angerechnet werden sollen (streitig)4). Es spielt keine Rolle, ob die entsprechenden Pflichten aus der Gründung stammen oder anlässlich einer Kapitalerhöhung begründet wurden. Die Differenzhaftung für die Nichtleistung oder Überbewertung von Sacheinlagen entsprechend § 9 Abs. 1 GmbHG,5) die Verlustdeckungshaftung und die Vorbelastungshaftung (siehe hierzu § 41 Rz. 14) fallen wegen ihrer funktionalen Nähe zur Einlagepflicht ebenfalls hierunter. Gemäß § 66 Abs. 2 gilt die Regelung entsprechend für die Ersatzpflicht wegen unzulässiger 5 Einlagenrückgewähr gemäß § 62 und die Ausfallhaftung der Vormänner gemäß § 65. Auf Nebenleistungspflichten i. S. von § 55 findet die Regelung indessen keine Anwendung; ebenso wenig die Ansprüche auf Schadensersatz und Vertragsstrafen gemäß § 63 Abs. 3.6) Eine Ausnahme hiervon macht indessen § 66 Abs. 2 für Schadensersatzansprüche wegen nicht gehöriger Leistung von Sacheinlagen, z. B. wegen Unmöglichkeit, Verzug oder Sachmängeln.7) Eine analoge Anwendung kommt auch bei der Haftung des Kreditinstituts gemäß § 37 Abs. 1 Satz 3 in Betracht.8) Auf die konzernrechtliche Verlustübernahmepflicht gemäß § 302 findet die Regelung keine 6 unmittelbare Anwendung; die h. M. lässt die Aufrechnung auch dort jedoch nur zu, wenn der Gegenanspruch des herrschenden Unternehmens vollwertig ist.9) 2.

Unzulässige Befreiung

Das Befreiungsverbot ist nach traditionell vorherrschender Ansicht weit auszulegen.10) Er- 7 fasst sind sämtliche Gestaltungen, die darauf hinauslaufen, die Einlagepflicht rechtlich oder faktisch zu entwerten. Erforderlich ist jedoch, dass die in Rede stehende Befreiung durch privatautonomes Handeln erfolgt, mithin nicht kraft Gesetzes eintritt.11) Erfasst werden insbesondere: –

Der Erlass und ein negatives Schuldanerkenntnis (§ 397 BGB) sowie hiermit vergleichbare Rechtsgeschäfte;12)



die befreiende Schuldübernahme;13)



ein pactum de non petendo;14)



die Annahme einer Leistung an Erfüllungs statt (§ 364 Abs. 1 BGB)15) – die Leistung erfüllungshalber gemäß § 364 Abs. 2 BGB ist indessen zulässig;

_____________ 4) Abweichend BGH, Urt. v. 20.11.2006 – II ZR 176/05, ZIP 2007, 178. 5) BGH, Urt. v. 6.12.2011 – II ZR 149/10 (Babcock), NZG 2012, 69, 72 = ZIP 2012, 73; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 6.7.2010 – 5 U 205/07, AG 2010, 793; Spindler/Stilz-Servatius, AktG, § 183 Rz. 70 ff. 6) Allg. M., vgl. nur Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 66 Rz. 3. 7) Bayer in: MünchKomm-AktG, § 66 Rz. 63; kritisch Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 66 Rz. 10; ablehnend K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 66 Rz. 20. 8) OLG Hamburg, Urt. v. 2.6.2006 – 11 U 244/06, ZIP 2006, 1677 = DStR 2006, 1713. 9) Vgl. BGH, Urt. v. 10.7.2006 – II ZR 238/04, ZIP 2006, 1488 = NJW 2006, 3279, dazu EWiR 2006, 577 (Lenz). 10) Vgl. nur Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 66 Rz. 3. 11) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 66 Rz. 3. 12) OLG Köln, Urt. v. 13.10.1988 – 1 U 37/88, ZIP 1989, 174, 177 – zur GmbH. 13) Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 66 Rz. 3. 14) K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 66 Rz. 5. 15) OLG Köln, Urt. v. 13.10.1988 – 1 U 37/88, ZIP 1989, 174, 177 – zur GmbH.

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die Stundung ist traditionell unzulässig,16) was wegen der Liberalisierung gemäß § 27 Abs. 4 mittlerweile jedoch abweichend zu beurteilen sein dürfte (siehe oben Rz. 2);



die befreiende Schuldübernahme durch einen Dritten ist ebenfalls nach allgemeiner Meinung unzulässig,17) sollte wegen der Liberalisierung gemäß § 27 Abs. 4 mittlerweile jedoch ebenfalls zulässig sein (siehe oben Rz. 2);



das Gleiche gilt für die Novation;18)



unzulässig sind weiter die Bestellung einer Sicherheit zur Finanzierung der Einlageleistung durch den Aktionär,19)



die Beteiligung der AG an einem Insolvenzplan20) und



die Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts durch den Aktionär.21)



Ein Vergleich gemäß § 779 BGB kann jedoch ausnahmsweise wirksam geschlossen werden, wenn – gerichtlich nachprüfbar – eine erhebliche Unsicherheit über Bestand und Umfang der erfassten Verbindlichkeiten des Aktionärs bestand.22) Ist dies gegeben, bedarf der Vergleich nicht der Zustimmung der Hauptversammlung.23) Auf die Aktionärspflichten aus dem Vergleich ist indessen § 66 wiederum entsprechend anwendbar, so dass insbesondere keine Aufrechnung zulässig ist (siehe unten Rz. 8 ff.).24) Zu bedenken ist ferner, dass der Vergleich den insolvenzrechtlichen Anfechtungstatbeständen (§§ 129 ff. InsO) unterliegt.25)



Der Erwerb nicht voll eingezahlter Aktien durch die AG selbst ist nur gemäß § 71 Abs. 2 Satz 3 zulässig (streitig).26)

3.

Besonderheiten bei der Aufrechnung

a)

Aufrechnung durch den Aktionär

8 Die Aufrechnung eines Aktionärs bzw. Vormanns i. S. von § 65 ist gemäß dem Wortlaut von § 66 Abs. 1 Satz 2 generell unzulässig,27) auch im Insolvenzverfahren.28) Der Anrechnungslösung gemäß § 27 Abs. 3 steht dies nicht entgegen;29) der Widerspruch verdeutlicht _____________ 16) 17) 18) 19) 20) 21) 22)

23)

24) 25) 26) 27) 28) 29)

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Bayer in: MünchKomm-AktG, § 66 Rz. 21. Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 66 Rz. 8. Abweichend die bisher allg. M., vgl. Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 66 Rz. 10. Vgl. OLG Köln, Urt. v. 18.11.1983 – 20 U 71/83, ZIP 1984, 176 = WM 1984, 740 – zur GmbH. K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 66 Rz. 5; abweichend Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 66 Rz. 17. RG, Urt. v. 7.11.1913 – II 370/13, RGZ 83, 266, 268 – zur GmbH. BGH, Urt. v. 6.12.2011 – II ZR 149/10 (Babcock), NZG 2012, 69, 72 = ZIP 2012, 73; RG, Urt. v. 23.4.1912 – II 19/12, RGZ 79, 271, 274 – zur GmbH; BGH, Urt. v. 19.7.2004 – II ZR 65/03, ZIP 2004, 1616, dazu EWiR 2005, 239 (Kuhne) – zur GmbH; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 6.7.2010 – 5 U 205/07, AG 2010, 793; vgl. auch Verse, ZGR 2012, 875. BGH, Urt. v. 6.12.2011 – II ZR 149/10 (Babcock), NZG 2012, 69, 72 = ZIP 2012, 73; Hüffer/KochKoch, AktG, § 66 Rz. 4; abweichend – für Analogie zu §§ 50 Abs. 1, 93 Abs. 4 Satz 3, 117 Abs. 4 – Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 66 Rz. 16; Priester, AG 2012, 525, 526 ff. BGH, Urt. v. 6.12.2011 – II ZR 149/10 (Babcock), NZG 2012, 69, 74 = ZIP 2012, 73. Für eine Bindung des Verwalters aber Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 66 Rz. 4. H. M., vgl. nur Bayer in: MünchKomm-AktG, § 66 Rz. 35; abweichend für ein generelles Verbot noch RG, Urt. v. 26.3.1920 – II 413/19, RGZ 98, 276, 278 – zur GmbH. RG, Urt. v. 27.9.1918 – II 55/18, RGZ 93, 330; BGH, Urt. v. 18.11.1969 – II ZR 83/68, BGHZ 53, 72 – jeweils zur GmbH. BGH, Urt. v. 13.10.1954 – II ZR 182/53, BGHZ 15, 56; OLG Köln, Urt. v. 18.11.1983 – 20 U 71/83, ZIP 1984, 176 = WM 1984, 742 – jeweils zur GmbH. K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 66 Rz. 8; grundlegend anders Habersack/Weber, ZGR 2014, 509, 517 f.

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§ 66

jedoch besonders die zunehmende Entwertung des Gebots der realen Kapitalaufbringung (siehe oben Rz. 2). Gleichwohl rechtfertigt sich der generelle Ausschluss der Aufrechnung seitens des Aktionärs nach wie vor.30) Es soll allenfalls die AG die Dispositionsfreiheit über die Aufrechnung haben, was in engen Grenzen durchaus zulässig ist (siehe sogleich Rz. 10). Das Aufrechnungsverbot gilt selbst dann, wenn der Aktionär vermögenslos ist und die Einlageforderung nicht erfüllen kann; die AG hat sodann das Kaduzierungsverfahren gemäß §§ 64, 65 einzuleiten. Die Abtretung der Einlageforderung an einen Dritten ist zulässig,31) ebenso die Abtretung 9 der Erstattungspflicht gemäß § 62.32) Lässt man beides richtigerweise nur zu, wenn der AG ein vollwertiges Entgelt zufließt,33) beansprucht das Aufrechnungsverbot gemäß § 66 Abs. 1 Satz 2 gegenüber Dritten konsequenterweise keine Geltung.34) b)

Aufrechnung durch die AG

§ 66 Abs. 1 Satz 2 verbietet dem Wortlaut nach nicht die Aufrechnung durch die AG. Um 10 die Kapitalaufbringung effektiv zu verwirklichen und Umgehungen vorzubeugen, bestehen insofern jedoch gleichwohl Einschränkungen: Die Aufrechnung ist nach zutreffender h. M. nur zulässig, wenn die Gegenforderung des Aktionärs bzw. Vormanns i. S. von § 65 vollwertig, fällig und liquide ist.35) Maßgeblich ist eine objektive Beurteilung im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung;36) die Beweislast trägt der Aktionär bzw. Vormann (streitig).37) Das Merkmal der Vollwertigkeit deckt sich zwar mittlerweile mit § 27 Abs. 4 und § 57 11 Abs. 1 Satz 3, ist hier jedoch umgekehrt anzuwenden: Maßgeblich ist, ob der Anspruch des Aktionärs bzw. Vormanns gegen die AG in voller Höhe realisierbar ist und nicht, ob der Aktionär das entsprechende Vermögen hat, um die Einlageforderung zu begleichen. Die Forderung ist liquide, wenn sie in Grund und Höhe unbestritten ist und der AG keine Einreden zustehen.38) Die Einstellung der Einlageforderungen in ein Kontokorrent gemäß § 355 HGB ist unzulässig.39) Fehlt die Vollwertigkeit, ist wegen der funktionalen Vergleichbarkeit mit der verdeckten Sacheinlage die durch § 27 Abs. 3 legitimierte Anrechnungslösung anzuwenden, so dass das Erlöschen der Einlageforderung i. H. des vollwertigen Anteils der Hauptforderung gegen die AG eintritt.40) Eine weitere Ausnahme unabhängig von den vorgenannten Anforderungen soll nach h. M. 12 dann gelten, wenn der Aktionär vermögenslos ist und die Verwertung gemäß § 65 keinen _____________ 30) Abweichend Habersack/Weber, ZGR 2014, 509, 527 ff.; wie hier Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 66 Rz. 5. 31) RG, Urt. v. 7.6.1929 – II 592/28, RGZ 124, 380, 382; BGH, Urt. v. 18.11.1969 – II ZR 83/68, BGHZ 53, 71, 72 – jeweils zur GmbH. 32) BGH, Urt. v. 29.9.1977 – II ZR 157/76, BGHZ 69, 274, 283 f. – zur GmbH. 33) Vgl. BGH, Urt. v. 15.6.1992 – II ZR 229/91, ZIP 1992, 992. 34) Einzelheiten bei Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 66 Rz. 37 ff. 35) BGH, Urt. v. 6.12.2011 – II ZR 149/10 (Babcock), NZG 2012, 69, 74 = ZIP 2012, 73; RG, Urt. v. 22.10.1918 – II 158/18, RGZ 94, 61, 63; BGH, Urt. v. 26.3.1984 – II ZR 14/84, BGHZ 90, 370, 372 = ZIP 1984, 689 – zur GmbH. 36) BGH, Urt. v. 6.12.2011 – II ZR 149/10 (Babcock), NZG 2012, 69, 74 = ZIP 2012, 73; RG, Urt. v. 7.12.1909 – II 101/09, RGZ 72, 266, 268 – zur GmbH. 37) BGH, Urt. v. 6.12.2011 – II ZR 149/10 (Babcock), NZG 2012, 69, 74 f. = ZIP 2012, 73; OLG Stuttgart, Urt. v. 19.12.1986 – 2 U 57/86, NJW 1987, 1032 – zur GmbH; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 66 Rz. 7; abweichend Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 66 Rz. 10, und Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 66 Rz. 33 (Vermutung des Nominalwerts). 38) RG, Urt. v. 20.10.1914 – II 219/14, RGZ 85, 351, 354 – zur GmbH. 39) Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 66 Rz. 35. 40) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 66 Rz. 7; K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 66 Rz. 10; Habersack/Weber, ZGR 2014, 509, 515; abweichend Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 66 Rz. 25; Bayer in: MünchKommAktG, § 66 Rz. 60.

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§ 67

Eintragung im Aktienregister

oder nur wenig Ertrag verspricht.41) Dem ist nicht zuzustimmen, weil das Kaduzierungsverfahren hierdurch gesetzeswidrig umgangen werden könnte (Prognoserisiko!). Bleiben die Verkaufsmöglichkeiten gemäß § 65 zunächst erfolglos, hat die AG die Aktien vielmehr weiter als eigene zu halten und innerhalb der Verjährung nach § 54 Abs. 4 später erneut zu versuchen, die rückständige Einlage gemäß § 65 einzutreiben. 13 Die Abtretung der Einlageforderung an einen Dritten ist zulässig,42) ebenso die Abtretung der Erstattungspflicht gemäß § 62.43) Lässt man beides richtigerweise nur zu, wenn der AG ein vollwertiges Entgelt zufließt,44) ist die Aufrechnung durch die AG auch dann zulässig, wenn die Gegenforderung des Dritten nicht vollwertig, fällig und liquide ist. 4.

Rechtsfolgen bei Verstößen

14 § 66 Abs. 1 ist ein Verbotsgesetz i. S. von § 134 BGB. Die entsprechenden Rechtshandlungen – schuldrechtlich und dinglich – sind hiernach nichtig,45) siehe aber zur Anrechnungslösung bei der Aufrechnung gegen teilweise vollwertige Forderungen oben Rz. 11. Ein etwaiger Hauptversammlungsbeschluss gemäß § 241 Nr. 3. Im Rahmen der ggf. notwendigen Rückabwicklung eines Leistungsaustauschs gemäß §§ 812 ff. BGB gilt § 66 in Bezug auf die erfassten Forderungen weiter, so dass eine automatische Saldierung oder sonstige Erfüllungssurrogate oder Entwertungen unzulässig sind.46) III.

Vorrang der Kapitalherabsetzung (§ 66 Abs. 3)

15 § 66 Abs. 3 stellt klar, dass die Befreiung von den unter § 66 Abs. 1 und Abs. 2 zu fassenden Leistungspflichten nur durch eine ordnungsgemäß durchgeführte Kapitalherabsetzung zulässig ist. Diese Möglichkeit ist indessen in concreto ebenfalls an besondere Voraussetzungen geknüpft: Im Rahmen einer vereinfachten Kapitalherabsetzung gemäß §§ 229 – 236 ist die Befreiung gemäß § 230 generell unzulässig.47) Bei der ordentlichen Kapitalherabsetzung gemäß §§ 222 – 228 bedarf es zusätzlich eines – gemäß § 66 Abs. 3 – zulässigen Erlassvertrages zwischen der AG und dem betreffenden Aktionär.48) Die Kapitalherabsetzung zur Einziehung von Aktien gemäß §§ 237 – 239 führt demgegenüber ohne weiteres zum Erlöschen der Einlagepflicht.49) _____________ 41) Vgl. K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 66 Rz. 13, unter Rückgriff auf BGH, Urt. v. 13.10.1954 – II ZR 182/53, BGHZ 15, 52, 57 – zur GmbH; ebenso wohl BGH, Urt. v. 6.12.2011 – II ZR 149/10 (Babcock), NZG 2012, 69, 74 = ZIP 2012, 73. 42) RG, Urt. v. 7.6.1929 – II 592/28, RGZ 124, 380, 382; BGH, Urt. v. 18.11.1969 – II ZR 83/68, BGHZ 53, 71, 72 – jeweils zur GmbH. 43) BGH, Urt. v. 29.9.1977 – II ZR 157/76, BGHZ 69, 274, 283 f. – zur GmbH. 44) Vgl. BGH, Urt. v. 15.6.1992 – II ZR 229/91, ZIP 1992, 992. 45) RG, Urt. v. 7.6.1929 – II 592/28, RGZ 124, 380, 383; RG, Urt. v. 22.5.1931 – II 299/30, RGZ 133, 81, 83 – zur GmbH. 46) Vgl. OLG Zweibrücken, Urt. v. 17.9.1965 – 1 U 110/65, NJW 1966, 840 f. – zur GmbH. 47) K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 66 Rz. 21. 48) Einzelheiten bei Bayer in: MünchKomm-AktG, § 66 Rz. 30; Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 66 Rz. 47. 49) K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 66 Rz. 23.

§ 67 Eintragung im Aktienregister (1) 1Namensaktien sind unabhängig von einer Verbriefung unter Angabe des Namens, Geburtsdatums und der Adresse des Aktionärs sowie der Stückzahl oder der Aktiennummer und bei Nennbetragsaktien des Betrags in das Aktienregister der Gesellschaft 386

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§ 67

Eintragung im Aktienregister

oder nur wenig Ertrag verspricht.41) Dem ist nicht zuzustimmen, weil das Kaduzierungsverfahren hierdurch gesetzeswidrig umgangen werden könnte (Prognoserisiko!). Bleiben die Verkaufsmöglichkeiten gemäß § 65 zunächst erfolglos, hat die AG die Aktien vielmehr weiter als eigene zu halten und innerhalb der Verjährung nach § 54 Abs. 4 später erneut zu versuchen, die rückständige Einlage gemäß § 65 einzutreiben. 13 Die Abtretung der Einlageforderung an einen Dritten ist zulässig,42) ebenso die Abtretung der Erstattungspflicht gemäß § 62.43) Lässt man beides richtigerweise nur zu, wenn der AG ein vollwertiges Entgelt zufließt,44) ist die Aufrechnung durch die AG auch dann zulässig, wenn die Gegenforderung des Dritten nicht vollwertig, fällig und liquide ist. 4.

Rechtsfolgen bei Verstößen

14 § 66 Abs. 1 ist ein Verbotsgesetz i. S. von § 134 BGB. Die entsprechenden Rechtshandlungen – schuldrechtlich und dinglich – sind hiernach nichtig,45) siehe aber zur Anrechnungslösung bei der Aufrechnung gegen teilweise vollwertige Forderungen oben Rz. 11. Ein etwaiger Hauptversammlungsbeschluss gemäß § 241 Nr. 3. Im Rahmen der ggf. notwendigen Rückabwicklung eines Leistungsaustauschs gemäß §§ 812 ff. BGB gilt § 66 in Bezug auf die erfassten Forderungen weiter, so dass eine automatische Saldierung oder sonstige Erfüllungssurrogate oder Entwertungen unzulässig sind.46) III.

Vorrang der Kapitalherabsetzung (§ 66 Abs. 3)

15 § 66 Abs. 3 stellt klar, dass die Befreiung von den unter § 66 Abs. 1 und Abs. 2 zu fassenden Leistungspflichten nur durch eine ordnungsgemäß durchgeführte Kapitalherabsetzung zulässig ist. Diese Möglichkeit ist indessen in concreto ebenfalls an besondere Voraussetzungen geknüpft: Im Rahmen einer vereinfachten Kapitalherabsetzung gemäß §§ 229 – 236 ist die Befreiung gemäß § 230 generell unzulässig.47) Bei der ordentlichen Kapitalherabsetzung gemäß §§ 222 – 228 bedarf es zusätzlich eines – gemäß § 66 Abs. 3 – zulässigen Erlassvertrages zwischen der AG und dem betreffenden Aktionär.48) Die Kapitalherabsetzung zur Einziehung von Aktien gemäß §§ 237 – 239 führt demgegenüber ohne weiteres zum Erlöschen der Einlagepflicht.49) _____________ 41) Vgl. K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 66 Rz. 13, unter Rückgriff auf BGH, Urt. v. 13.10.1954 – II ZR 182/53, BGHZ 15, 52, 57 – zur GmbH; ebenso wohl BGH, Urt. v. 6.12.2011 – II ZR 149/10 (Babcock), NZG 2012, 69, 74 = ZIP 2012, 73. 42) RG, Urt. v. 7.6.1929 – II 592/28, RGZ 124, 380, 382; BGH, Urt. v. 18.11.1969 – II ZR 83/68, BGHZ 53, 71, 72 – jeweils zur GmbH. 43) BGH, Urt. v. 29.9.1977 – II ZR 157/76, BGHZ 69, 274, 283 f. – zur GmbH. 44) Vgl. BGH, Urt. v. 15.6.1992 – II ZR 229/91, ZIP 1992, 992. 45) RG, Urt. v. 7.6.1929 – II 592/28, RGZ 124, 380, 383; RG, Urt. v. 22.5.1931 – II 299/30, RGZ 133, 81, 83 – zur GmbH. 46) Vgl. OLG Zweibrücken, Urt. v. 17.9.1965 – 1 U 110/65, NJW 1966, 840 f. – zur GmbH. 47) K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 66 Rz. 21. 48) Einzelheiten bei Bayer in: MünchKomm-AktG, § 66 Rz. 30; Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 66 Rz. 47. 49) K. Schmidt/Lutter-Fleischer, AktG, § 66 Rz. 23.

§ 67 Eintragung im Aktienregister (1) 1Namensaktien sind unabhängig von einer Verbriefung unter Angabe des Namens, Geburtsdatums und der Adresse des Aktionärs sowie der Stückzahl oder der Aktiennummer und bei Nennbetragsaktien des Betrags in das Aktienregister der Gesellschaft 386

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§ 67

Eintragung im Aktienregister

einzutragen. 2Der Aktionär ist verpflichtet, der Gesellschaft die Angaben nach Satz 1 mitzuteilen. 3Die Satzung kann Näheres dazu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen Eintragungen im eigenen Namen für Aktien, die einem anderen gehören, zulässig sind. 4Aktien, die zu einem inländischen, EU- oder ausländischen Investmentvermögen nach dem Kapitalanlagegesetzbuch gehören, dessen Anteile oder Aktien nicht ausschließlich von professionellen oder semiprofessionellen Anlegern gehalten werden, gelten als Aktien des inländischen, EU- oder ausländischen Investmentvermögens, auch wenn sie im Miteigentum der Anleger stehen; verfügt das Investmentvermögen über keine eigene Rechtspersönlichkeit, gelten sie als Aktien der Verwaltungsgesellschaft des Investmentvermögens. (2) 1Im Verhältnis zur Gesellschaft gilt als Aktionär nur, wer als solcher im Aktienregister eingetragen ist. 2Jedoch bestehen Stimmrechte aus Eintragungen nicht, die eine nach Absatz 1 Satz 3 bestimmte satzungsmäßige Höchstgrenze überschreiten oder hinsichtlich derer eine satzungsmäßige Pflicht zur Offenlegung, dass die Aktien einem anderen gehören, nicht erfüllt wird. 3Ferner bestehen Stimmrechte aus Aktien nicht, solange ein Auskunftsverlangen gemäß Absatz 4 Satz 2 oder Satz 3 nach Fristablauf nicht erfüllt ist. (3) Geht die Namensaktie auf einen anderen über, so erfolgen Löschung und Neueintragung im Aktienregister auf Mitteilung und Nachweis. (4) 1Die bei Übertragung oder Verwahrung von Namensaktien mitwirkenden Kreditinstitute sind verpflichtet, der Gesellschaft die für die Führung des Aktienregisters erforderlichen Angaben gegen Erstattung der notwendigen Kosten zu übermitteln. 2 Der Eingetragene hat der Gesellschaft auf ihr Verlangen innerhalb einer angemessenen Frist mitzuteilen, inwieweit ihm die Aktien, als deren Inhaber er im Aktienregister eingetragen ist, auch gehören; soweit dies nicht der Fall ist, hat er die in Absatz 1 Satz 1 genannten Angaben zu demjenigen zu übermitteln, für den er die Aktien hält. 3 Dies gilt entsprechend für denjenigen, dessen Daten nach Satz 2 oder diesem Satz übermittelt werden. 4Absatz 1 Satz 4 gilt entsprechend; für die Kostentragung gilt Satz 1. 5Wird der Inhaber von Namensaktien nicht in das Aktienregister eingetragen, so ist das depotführende Institut auf Verlangen der Gesellschaft verpflichtet, sich gegen Erstattung der notwendigen Kosten durch die Gesellschaft an dessen Stelle gesondert in das Aktienregister eintragen zu lassen. 6§ 125 Abs. 5 gilt entsprechend. 7Wird ein Kreditinstitut im Rahmen eines Übertragungsvorgangs von Namensaktien nur vorübergehend gesondert in das Aktienregister eingetragen, so löst diese Eintragung keine Pflichten infolge des Absatzes 2 und nach § 128 aus und führt nicht zur Anwendung von satzungsmäßigen Beschränkungen nach Absatz 1 Satz 3. (5) 1Ist jemand nach Ansicht der Gesellschaft zu Unrecht als Aktionär in das Aktienregister eingetragen worden, so kann die Gesellschaft die Eintragung nur löschen, wenn sie vorher die Beteiligten von der beabsichtigten Löschung benachrichtigt und ihnen eine angemessene Frist zur Geltendmachung eines Widerspruchs gesetzt hat. 2Widerspricht ein Beteiligter innerhalb der Frist, so hat die Löschung zu unterbleiben. (6) 1Der Aktionär kann von der Gesellschaft Auskunft über die zu seiner Person in das Aktienregister eingetragenen Daten verlangen. 2Bei nichtbörsennotierten Gesellschaften kann die Satzung Weiteres bestimmen. 3Die Gesellschaft darf die Registerdaten sowie die nach Absatz 4 Satz 2 und 3 mitgeteilten Daten für ihre Aufgaben im Verhältnis zu den Aktionären verwenden. 4Zur Werbung für das Unternehmen darf sie die Daten nur verwenden, soweit der Aktionär nicht widerspricht. 5Die Aktionäre sind in angemessener Weise über ihr Widerspruchsrecht zu informieren. (7) Diese Vorschriften gelten sinngemäß für Zwischenscheine. Wolfgang Servatius

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Eintragung im Aktienregister

Literatur: Altmeppen, Abschied von der „unwiderlegbar vermuteten“ Mitgliedschaft des Scheingesellschafters in der Kapitalgesellschaft?, ZIP 2009, 345; Baums, Der Eintragungsstopp bei Namensaktien, in: Festschrift für Uwe Hüffer, 2010, S. 15; Bayer, Aktienrechtsnovelle 2012 – Kritische Anmerkungen zum Regierungsentwurf, AG 2012, 141; Bayer/Lieder, Umschreibungsstopp bei Namensaktien vor Durchführung der Hauptversammlung, NZG 2009, 1361; Blasche, Zulässigkeit und Rechtswirkungen der Eintragung eines gemeinschaftlichen Vertreters im Aktienregister, AG 2015, 342; Drygala, Nur noch Namensaktien für die nicht börsennotierten Aktiengesellschaften?, ZIP 2011, 798; Drygala, Namensaktien in freiem Meldebestand, NZG 2004, 893; Grigoleit/Rachlitz, Beteiligungstransparenz aufgrund des Aktienregisters, ZHR 174 (2010) 12; Grumann/Soehlke, Namensaktie und Hauptversammlung, DB 2001, 576; Grunewald, Die Rechtsstellung des Legitimationsaktionärs, ZGR 2015, 347; Happ, Vom Aktienbuch zum elektronischen Aktionärsregister, in: Festschrift für Gerold Bezzenberger, 2000, S. 111; Harnos/ Piroth, Gesetzgeberische Maßnahmen zur Steigerung der Hauptversammlungspräsenzen in Namensaktiengesellschaften, ZIP 2015, 456; Huep, Die Renaissance der Namensaktie – Möglichkeiten und Probleme im geänderten aktienrechtlichen Umfeld, WM 2000, 1623; Hüther, Namensaktien, Internet und die Zukunft der Stimmrechtsvertretung, AG 2001, 68; Kindler, Der Aktionär in der Informationsgesellschaft, NJW 2001, 1678; Kort, Die Errichtung eines Aktienregisters nach § 67 AktG – Leitungsaufgabe, einfache Geschäftsführungsaufgabe oder Vertretungsmaßnahme?, NZG 2005, 963; Lieder, Der Namensaktionär im gesellschaftsrechtlichen Spruchverfahren, NZG 2005, 159; Marsch-Barner, Zur neueren Entwicklung im Recht der Namensaktie, in: Festschrift für Uwe Hüffer, 2010, S. 627; Müller-v. Pilchau, Zur Offenlegungspflicht des Namensaktionärs nach § 67 Abs. 4 AktG – Auskunftsverlangen ohne Sanktionsfolgen?, AG 2011, 775; Noack, Neues Recht für Namensaktionäre, NZG 2008, 721; Noack, Namensaktie und Aktienregister: Einsatz für Investor Relation und Produktmarketing, DB 2001, 27; v. Nussbaum, Zu Nachweisstichtag (record date) und Eintragungssperre bei Namensaktien, NZG 2009, 456; Quass, Nichtigkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen wegen eines Umschreibestopps im Aktienregister?, AG 2009, 432; Reul, Aktuelle Änderungen des Aktienrechts aus notarieller Sicht – Teil 1, ZNotP 2010, 12; Schneider, Die reformierte Namensaktie, in: Festschrift für Klaus J. Hopt, 2010, S. 1327; Schneider/Müller-v. Pilchau, Vollrechtstreuhänder als Namensaktionäre – die Pflicht zur Offenlegung und deren Auslandswirkung, WM 2011, 721; Seibert, Aktienrechtsnovelle NaStraG tritt in Kraft – Übersicht über das Gesetz und Auszüge aus dem Bericht des Rechtsausschusses, ZIP 2001, 53; Wiersch, Relative Gesellschafterstellung im Kapitalgesellschaftsrecht und Gesamtrechtsnachfolge, NZG 2015, 1336; Wiersch, Die Vermutungswirkung von Gesellschafterliste und Aktienregister, ZGR 2015, 591; Wiersch, Korrektur unrichtiger Gesellschafterlisten, GWR 2014, 117; Zetzsche, Die Aktionärslegitimation durch Berechtigungsnachweis – von der Verkörperungs- zur Registertheorie, Der Konzern 2007, 180, 251.

Übersicht I. Bedeutung der Norm ....................... 1 II. Regelungsgehalt ............................... 2 III. Aktienregister (§ 67 Abs. 1) ............ 3 1. Pflichtangaben ................................... 4 2. Freiwillige Angaben ........................... 6 3. Mitteilungspflicht .............................. 7 IV. Wirkung der Eintragung (§ 67 Abs. 2) ................................................ 8 V. Übertragung von Aktien (§ 67 Abs. 3) .............................................. 10

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VI. Mitwirkungspflichten der Kreditinstitute, Auskunftsrecht (§ 67 Abs. 4) ..................................... 11 VII. Löschung unrichtiger Daten (§ 67 Abs. 5) ..................................... 13 VIII. Informationsrecht der Aktionäre, Verwendung von Daten (§ 67 Abs. 6) ..................................... 15 1. Auskunftsanspruch .......................... 15 2. Verwendung der Daten .................... 16

Wolfgang Servatius

§ 67

Eintragung im Aktienregister I.

Bedeutung der Norm

Die Norm regelt zentral die über das Aktienregister vermittelte Beteiligungstransparenz 1 bei Namensaktien und Zwischenscheinen i. S. von § 10. Insgesamt betrachtet ist das gesetzgeberische Anliegen, die AG über die Zusammensetzung des Aktionärskreises zu informieren und dadurch in größerem Maße sinnvolle investor relations zu pflegen, zu begrüßen. Gleichwohl darf nicht verkannt werden, dass § 67 wie auch die §§ 123 ff. Ausdruck der zunehmenden Komplizierung des Aktienrechts ist, was die Herausarbeitung allgemeiner Lehren behindert. Die mittlerweile bei der Binnenorganisation und verbandsinternen Willensbildung einzuhaltenden Formalia sind kaum noch überschaubar und machen die AG als Investitionsform wegen der hieraus resultierenden Rechtsunsicherheit für viele Bereiche auch unattraktiv. Man muss sich daher schon fragen, ob die vor allem auf EUEbene auftretenden Tendenzen, den Aktionärsschutz und die Kapitalverkehrsfreiheit durch detailreiche, dem öffentlichen Recht entlehnte Regeln zu stärken, nicht letztlich das Gegenteil bewirken. Die eigenverantwortliche Direktanlage eines Publikumsaktionärs ohne professionelle Hilfe durch Finanzintermediäre kann daher kaum (noch) als das gesetzgeberisch wünschenswerte Ziel ausgemacht werden. II.

Regelungsgehalt

§ 67 Abs. 1 bestimmt, dass Namensaktien und ihre Inhaber in das Aktienregister der Ge- 2 sellschaft einzutragen sind. Seit der Aktienrechtsnovelle 20161) wird ausdrücklich klargestellt, dass dies auch unabhängig von der Verbriefung gilt. Über § 67 Abs. 2 wird dies effektuiert, denn im Verhältnis zur AG ist nur der eingetragene Aktionär zur Geltendmachung von Rechten legitimiert. § 67 Abs. 3 verlangt von den Aktionären den Nachweis der Übertragung von Aktien, damit das Aktienregister berichtigt werden kann. § 67 Abs. 4 regelt die Umsetzung der Eintragungserfordernisse für den praktisch wichtigen Fall, dass die Aktien bei Kreditinstituten verwahrt werden. Nach § 67 Abs. 5 kann die AG unrichtige Eintragungen im Aktienregister löschen. § 67 Abs. 6 regelt das Informationsrecht der Aktionäre über die Eintragungen und die Möglichkeit der Verwendung dieser Daten durch die AG. Nach § 67 Abs. 7 gilt das Vorgesagte entsprechend für Zwischenscheine i. S. von § 10 Abs. 3. III.

Aktienregister (§ 67 Abs. 1)

Das Aktienregister ist von der AG zu führen, i. d. R. elektronisch (vgl. § 239 Abs. 4 HGB). 3 Die Pflicht ist daran geknüpft, dass Namensaktien oder Zwischenscheine bestehen (§ 10 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2) sowie bei Inhaberaktien, wenn die Sammelurkunde noch nicht hinterlegt ist (§ 10 Abs. 1 Satz 3). Dies gilt seit der Aktienrechtsnovelle 2016 auch dann, wenn die Aktienurkunden nicht verbrieft sind.2) Verantwortlich für die ordnungsgemäße Führung ist der Vorstand als Kollegialorgan.3) Er kann sich hierbei jedoch (auch externer) Hilfe bedienen, ohne hierdurch freilich seine Gesamtverantwortung zu verlieren.4) Die Aktionäre haben einen einklagbaren Anspruch auf Einrichtung und Führung des Aktienregisters.5)

_____________ 1) 2) 3) 4) 5)

Gesetz zur Änderung des Aktiengesetzes (Aktienrechtsnovelle 2016) v. 22.12.2015, BGBl. I 2015, 2565. Davor bereits h. M., vgl. K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 67 Rz. 4 f.; Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 67 Rz. 10, 12; Bayer, AG 2012, 141. OLG München, Urt. v. 4.5.2005 – 23 U 5121/04, NZG 2005, 756, 757 = ZIP 2005, 1070, dazu EWiR 2005, 525 (Bayer/Lieder); OLG Jena, Urt. v. 25.2.2004 – 2 U 635/03, ZIP 2004, 563, 564 f. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 67 Rz. 5; Kindler, NJW 2001, 1678, 1679. Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 67 Rz. 10.

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§ 67 1.

Eintragung im Aktienregister Pflichtangaben

4 Einzutragen sind gemäß § 67 Abs. 1 Satz 1 Name, Geburtsdatum und Adresse des Aktionärs der betreffenden Namensaktie, individualisiert nach Aktiennummer und ggf. Nennbetrag der betreffenden Aktie. Die Angabe einer e-mail-Adresse genügt nicht (streitig).6) Bei juristischen Personen und Gesellschaften sind Firma und Sitz (= Ort der Registrierung) anzugeben. Der gemeinsame Vertreter gemäß § 69 Abs. 1 ist nicht einzutragen.7) Bei Investmentvermögen sieht § 67 Abs. 1 Satz 4 vor, dass trotz der dinglichen Mitberechtigung der Anteilsinhaber an den Aktien (vgl. § 69) nur die (ggf. rechtsfähige) Fondsgemeinschaft bzw. die Verwaltungsgesellschaft eingetragen werden muss. Diese sinnvolle Vereinfachung gilt indessen nur, wenn mindestens ein Anleger eine natürliche Person ist.8) Werden Aktien von einer rechtsfähigen Außen-GbR gehalten, ist neben deren genauer Bezeichnung auch deren jeweils aktueller Gesellschafterkreis einzutragen (streitig);9) auf die Adresse und das Geburtsdatum dieser bloß mittelbar relevanten Umstände erstreckt sich die Eintragungspflicht indessen nicht. Bestehen Unklarheiten über den Aktienbesitz, hat der Vorstand entsprechende Platzhalter zu setzen, um der Vollständigkeit des Aktienregisters Rechnung zu tragen.10) 5 Gemäß § 67 Abs. 1 Satz 3 kann die Satzung bestimmen, unter welchen Voraussetzungen Dritteintragungen zulässig und verpflichtend sind.11) Dies betrifft vornehmlich die Fälle der Legitimationsübertragung des Stimmrechts gemäß § 129 Abs. 3, bei der ein anderer im eigenen Namen die Aktionärsrechte für Rechnung des Aktionärs ausübt.12) Weitere Fälle siehe sogleich Rz. 6. Die Satzung kann die betreffende Eintragungspflicht auch an bestimmte Schwellenwerte knüpfen.13) 2.

Freiwillige Angaben

6 Keine Eintragungspflicht besteht für Nießbrauch, Pfandrecht, Testamentsvollstreckung sowie die Nachlass- und Insolvenzverwaltung. Gleichwohl ist die Eintragung der Gestaltungen zulässig und wegen § 67 Abs. 2 Satz 1 praktisch geboten, damit z. B. der Gewinn an den konkret Berechtigten gezahlt wird.14) Bevollmächtigte und Treugeber können ebenfalls eingetragen werden, was jedoch nicht über § 67 Abs. 2 Satz 1 effektuiert wird.15) Der gemeinschaftliche Vertreter gemäß § 69 kann – neben den Aktionären der Gemeinschaft – ebenfalls ins Aktienregister eingetragen werden und ist dann gegenüber der AG gemäß § 67 Abs. 2 besonders legitimiert.16) 3.

Mitteilungspflicht

7 Gemäß § 67 Abs. 1 Satz 3 ist der Inhaber der Aktie („Aktionär“) verpflichtet, der AG die notwendigen Angaben mitzuteilen, was zugleich einen konkludenten Eintragungsantrag be_____________ 6) Wie hier Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 67 Rz. 14; Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 67 Rz. 7; abweichend die h. M., vgl. Bayer in: MünchKomm-AktG, § 67 Rz. 25 f.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 67 Rz. 7. 7) Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 67 Rz. 19. 8) Hierzu zutreffend kritisch Schneider in: FS Hopt, S. 1327, 1334. 9) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 67 Rz. 7; abweichend K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 67 Rz. 14. 10) Unstreitig, vgl. nur Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 67 Rz. 21. 11) Einzelheiten bei Schneider in: FS Hopt, S. 1327, 1339. 12) Einzelheiten bei K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 67 Rz. 16 ff.; Grigoleit/Rachlitz, ZHR 174 (2010) 12, 13 ff.; Schneider/Müller-v. Pilchau, WM 2011, 721; Grunewald, ZGR 2015, 347, 356. 13) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 67 Rz. 8a. 14) Einzelheiten bei Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 67 Rz. 23 ff. 15) Bayer in: MünchKomm-AktG, § 67 Rz. 103; zum Ganzen Drygala, ZIP 2011, 798. 16) K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 69 Rz. 7; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 69 Rz. 2; Einzelheiten bei Blasche, AG 2015, 342.

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Eintragung im Aktienregister

inhaltet.17) Dies gilt auch, wenn das Stimmrecht auf einen anderen übertragen wurde oder die Aktie dinglich belastet ist.18) Gemäß § 67 Abs. 4 Satz 1 haben die depotführenden Kreditinstitute die betreffenden Mitteilungen zu machen (siehe unten Rz. 11). Bei widersprechenden Erklärungen geht die Äußerung des Aktionärs vor (streitig).19) IV.

Wirkung der Eintragung (§ 67 Abs. 2)

Die wichtigste Effektuierung der durch das Aktienregister vermittelten Beteiligungstrans- 8 parenz folgt aus § 67 Abs. 2 Satz 1. Hiernach gilt im Verhältnis zur AG nur der Eingetragene als Aktionär. Die Regelung entfaltet lediglich eine Legitimationswirkung;20) die Wirksamkeit der dinglichen Übertragung der Aktien richtet sich nach den allgemeinen Regeln (siehe § 68 Rz. 2 ff.). Die Wirkung von § 67 Abs. 2 Satz 1 ist gleichwohl sehr einschneidend: Ist jemand nicht im Aktienregister eingetragen, kann er keine Aktionärsrechte geltend machen; ist jemand zu Unrecht eingetragen, stehen ihm auch die betreffenden Aktionärsrechte zu.21) Dies gilt selbst dann, wenn die Beteiligten Kenntnis von der – formal ordnungsgemäß erfolgten – unrichtigen Eintragung haben.22) Im Kern begründet die ordnungsgemäße Eintragung somit eine unwiderlegliche Vermutung.23) Wird jemand zu Unrecht eingetragen, entbindet dies den wahren Aktieninhaber indessen nicht von seinen mitgliedschaftlichen Pflichten.24) § 67 Abs. 2 Satz 2 sanktioniert die Verstöße gegen die satzungsmäßigen Vorgaben für be- 9 sondere Eintragungen mit einem Stimmverlust. Nach § 67 Abs. 2 Satz 3 gilt das Gleiche, wenn ein Auskunftsverlangen gemäß § 67 Abs. 4 Satz 2 oder Satz 3 nicht erfüllt wird.25) Voraussetzung für beide Sanktionen ist richtigerweise ein Verschulden des betreffenden Aktionärs (streitig).26) Die Beweislast für die Voraussetzungen des Stimmverlusts trägt derjenige, der sich darauf beruft.27) V.

Übertragung von Aktien (§ 67 Abs. 3)

§ 67 Abs. 3 stellt klar, dass das Aktienregister beim Aktionärswechsel nur auf entsprechende 10 Mitteilung i. S. von § 67 Abs. 1 Satz 2 hin zu korrigieren ist. Der Vorstand ist nur in den Fällen der Ersteintragung bei Gründung und Kapitalerhöhung zur Eintragung gleichsam von Amts wegen verpflichtet.28) In der nachfolgenden Zeit besteht eine doppelte Mitteilungspflicht: die des Veräußerers zwecks Eintragung seiner Löschung und die des Erwerbers zwecks Neueintragung.29) Der Nachweis des Übertragungsvorgangs hängt von der jeweili_____________ 17) 18) 19) 20) 21) 22) 23) 24) 25) 26) 27) 28) 29)

Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 67 Rz. 8; vgl. zur Gesamtrechtsnachfolge Wiersch, NZG 2015, 1336. Reul, ZNotP 2010, 12, 14. Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 67 Rz. 24, 83; abweichend Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 67 Rz. 8. Vgl. bereits RG, Urt. v. 27.3.1912 – I 349/11, RGZ 79, 162, 164; nach OLG Jena, Urt. v. 25.2.2004 – 2 U 635/03, ZIP 2004, 563, handelt es sich um eine unwiderlegliche Vermutung. Diese Wirkung relativierend, indem die AG bei unrichtiger Eintragung stets einen Löschungsanspruch der Legitimation entgegen halten könne – Altmeppen, ZIP 2009, 345. Bayer in: MünchKomm-AktG, § 67 Rz. 39 f. H. M., vgl. nur Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 67 Rz. 1; K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 67 Rz. 27 – jeweils m. w. N.; abweichend Altmeppen, ZIP 2009, 345, 351; zum Ganzen Wiersch, ZGR 2015, 591. Vgl. OLG Hamburg, Beschl. v. 1.9.2003 – 11 W 30/03, ZIP 2003, 2301 = NZG 2004, 45, dazu EWiR 2003, 1165 (Leuering); abweichend Wiersch, ZGR 2015, 591, 604 f.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 67 Rz. 15. Vgl. zur satzungsmäßigen Verlängerung der Auskunftsfrist Müller-v. Pilchau, AG 2011, 775, 777. H. M., vgl. nur Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 67 Rz. 15b. K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 67 Rz. 32. OLG Jena, Urt. v. 25.2.2004 – 2 U 635/03, ZIP 2004, 563. Gegen die Annahme einer Pflicht Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 67 Rz. 17; Einzelheiten bei Bayer in: MünchKomm-AktG, § 67 Rz. 79 ff.

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Eintragung im Aktienregister

gen Gestaltung ab; anzugeben sind die Tatsachen und Nachweise, aus denen sich der Erwerbsübergang konkret ergibt.30) Der Vorstand hat die Wirksamkeit der Übertragung nur in Hinblick auf evidente Übertragungshindernisse hin zu überprüfen.31) Im Fall ordnungsgemäßer (doppelten) Mitteilung haben sowohl der Veräußerer als auch der Erwerber einen klagbaren Anspruch gegen die AG auf Umschreibung.32) Siehe zur nachträglichen Löschung unrichtiger Daten gemäß § 67 Abs. 5 unten Rz. 13 f. Um die Durchführung einer Hauptversammlung nach Maßgabe von § 129 Abs. 1 Satz 2 zu ermöglichen (Konkordanz von Teilnehmerverzeichnis und Aktienregister), kann der Vorstand einen Eintragungsstopp verhängen;33) dieser darf kaum länger als sieben Tage andauern und sollte sich auf den Ablauf des Anmeldetages beziehen.34) Satzungsmäßige Vorgaben hierzu sind dringend anzuraten. Vgl. i. Ü. aber zum sog. record date § 129 Abs. 4 Satz 2.35) VI.

Mitwirkungspflichten der Kreditinstitute, Auskunftsrecht (§ 67 Abs. 4)

11 Gemäß § 67 Abs. 4 sind die depotführenden Kreditinstitute und gemäß § 125 Abs. 5 gleichgestellte Institute zur Übermittlung der betreffenden Daten an die AG gegen Kostenerstattung verpflichtet.36) Es handelt sich um eine zwingende gesetzliche Pflicht, die nicht an die Einwilligung des Aktionärs gebunden ist.37) Bei widersprechenden Mitteilungen von Aktionär und Kreditinstitut hat die Äußerung des Aktionärs indessen wegen Art. 14 GG Vorrang (streitig).38) 12 § 67 Abs. 4 Satz 2 – 4 begründet ein gesetzliches Auskunftsrecht, wonach der im Aktienregister eingetragene Aktionär der AG auf deren Verlangen mitzuteilen hat, inwieweit ihm die betreffenden Aktien auch gehören.39) Die Auskunft ist binnen angemessener Frist, regelmäßig wenigstens 14 Tage, zu erteilen.40) In besonderen Fällen kann sich die Frist jedoch wegen Eilbedürftigkeit auch erheblich verkürzen, sofern die betreffenden Aktionäre hierdurch nicht unangemessen benachteiligt werden. Die schuldhafte Nicht- oder Spätererteilung der Auskunft sowie unwahre Angaben können die betreffenden Aktionäre aus § 280 BGB wegen Verletzung ihrer mitgliedschaftlichen Treuepflicht schadensersatzpflichtig machen. Die Auskunftspflicht richtet sich beim Treuhänder indessen nicht auf den Hintermann.41) Die Kosten der Auskunft sind von der AG zu tragen (§ 67 Abs. 4 Satz 1 und 4 Halbs. 2). Vgl. auch die Ordnungswidrigkeit gemäß § 405 Abs. 2a.

_____________ 30) Vgl. BGH, Urt. v. 20.9.2004 – II ZR 288/02 (EMS), BGHZ 160, 253, 257 f. = ZIP 2004, 2093, dazu EWiR 2005, 49 (Noack); Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 67 Rz. 18. 31) Vgl. BGH, Urt. v. 20.9.2004 – II ZR 288/02 (EMS), BGHZ 160, 253, 257 f. = ZIP 2004, 2093. 32) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 67 Rz. 20. 33) BGH, Urt. v. 21.9.2009 – II ZR 174/08, ZIP 2009, 2051 = NZG 2009, 1270. 34) Vgl. v. Nussbaum, NZG 2009, 456, 457; Müller-v. Pilchau, AG 2011, 775; für maximal sechs Tage aufgrund von § 123 Abs. 2: Bayer/Lieder, NZG 2009, 1361; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 67 Rz. 20; K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 67 Rz. 43. 35) Einzelheiten zum Verhältnis von Umschreibestopp und record date bei Harnos/Piroth, ZIP 2015, 456, 458 ff. 36) Vgl. zur Höhe der Kosten § 128 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. § 3 VO über den Ersatz von Aufwendungen der Kreditinstitute v. 17.6.2003, BGBl. I 2003, 885. 37) Henssler/Strohn-Lange, GesR, § 67 AktG Rz. 12. 38) Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 67 Rz. 83; Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 67 Rz. 31; abweichend Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 67 Rz. 21. 39) Einzelheiten bei Marsch-Barner in: FS Hüffer, S. 672, 642 f.; Schneider/Müller-v. Pilchau, WM 2011, 721. 40) Vgl. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 67 Rz. 21. 41) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 67 Rz. 21a – mit rechtspolitischer Kritik.

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Eintragung im Aktienregister VII. Löschung unrichtiger Daten (§ 67 Abs. 5)

§ 67 Abs. 5 begründet bei unrichtigen Eintragungen ins Aktienregister42) eine Löschungs- 13 möglichkeit. Die Regelung gilt, wenn die Eintragung nicht ordnungsgemäß herbeigeführt wurde oder nicht der materiellen Rechtslage entspricht. Der Wortlaut billigt der AG ein Ermessen zu („kann“). Dem ist nicht zu folgen. Im Regelfall ist der Vorstand vielmehr verpflichtet, das Verfahren nach § 67 Abs. 5 einzuleiten und damit eine Klärung der unrichtigen Registerlage herbeizuführen. Jeder, der durch die unrichtige Eintragung in seinen Rechtspositionen beeinträchtigt wird, hat gegen die AG einen klagbaren Anspruch auf Einleitung des Verfahrens.43) Derjenige, dessen Eintragung gelöscht werden soll, und diejenigen, die die Löschung 14 ebenfalls betrifft, sind gemäß § 67 Abs. 5 Satz 1 zuvor anzuhören, und ihnen ist eine angemessene Frist zum Widerspruch zu geben.44) Die Frist beträgt regelmäßig einen Monat.45) Ergeht fristgerecht ein Widerspruch, muss die Löschung zunächst unterbleiben. In diesem Fall hat der Vorstand eine gerichtliche Klärung der Rechtslage herbeizuführen (Feststellungsklage gemäß § 256 ZPO), wenn keine einvernehmliche Lösung zu erzielen ist.46) Kommt es zu keinem Widerspruch oder ergibt die gerichtliche Klärung die Unrichtigkeit der Eintragung, hat der Vorstand diese zu löschen. Diese hat i. R. von § 67 Abs. 2 Satz 1 ex nuncWirkung.47) Der Vormann tritt ab jetzt wieder an die Stelle des gelöschten Aktionärs. VIII. Informationsrecht der Aktionäre, Verwendung von Daten (§ 67 Abs. 6) 1.

Auskunftsanspruch

Gemäß § 67 Abs. 6 Satz 1 hat jeder – gemäß § 67 Abs. 2 Satz 1 eingetragene – Aktionär 15 einen Anspruch gegen die AG auf Auskunft über die über ihn gespeicherten Daten.48) Wer nicht als Aktionär eingetragen ist, hat einen Anspruch auf Mitteilung der Fehlanzeige (streitig).49) Die Satzung kann bei nicht börsennotierten Aktiengesellschaften dieses Auskunftsrecht gemäß § 67 Abs. 6 Satz 2 erweitern, insbesondere im Hinblick auf die Daten anderer Aktionäre.50) Ohne eine derartige satzungsmäßige Erweiterung erstreckt sich das Auskunftsrecht nicht auf die Beteiligungsverhältnisse der AG.51) 2.

Verwendung der Daten

§ 67 Abs. 6 Satz 3 stellt sachgerecht klar, dass die AG die Daten zur effektiven Ausgestal- 16 tung der Binnenorganisation auch verwenden darf, einschließlich sachlich gebotener investor relations-Maßnahmen.52) § 67 Abs. 6 Satz 4 ermöglicht jedoch in datenschutzrechtlich be_____________ 42) Gegen eine analoge Anwendung bei der GmbH: BGH, Urt. v. 30.12.2013 – II ZR 21/12, ZIP 2014, 216, dazu EWiR 2014, 205 (Paefgen/Franke); hierzu Wiersch, GWR 2014, 117; dafür aber OLG München, Beschl. v. 17.7.2015 – 14 W 1132/15, ZIP 2015, 2420, dazu EWiR 2015, 763 (Kleefass). 43) Vgl. OLG Jena, Urt. v. 25.2.2004 – 2 U 635/03, ZIP 2004, 563, 565; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 67 Rz. 27; enger, nur Aktionäre, Bayer in: MünchKomm-AktG, § 67 Rz. 105. 44) Vgl. OLG Zweibrücken, Urt. v. 3.12.1996 – 3 W 171/96, AG 1997, 140; K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 67 Rz. 38. 45) Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 67 Rz. 95. 46) Henssler/Strohn-Lange, GesR, § 67 AktG Rz. 26; ähnlich Bayer in: MünchKomm-AktG, § 67 Rz. 115; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 67 Rz. 25 (Klage auf Rücknahme des Widerspruchs). 47) OLG Jena, Urt. v. 25.2.2004 – 2 U 635/03, ZIP 2004, 563, 566; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 67 Rz. 26. 48) Einzelheiten zur Übermittlung bei Kindler, NJW 2001, 1678. 49) Abweichend Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 67 Rz. 29. 50) Vgl. Seibert, ZIP 2001, 53, 54. 51) Vgl. BGH, Urt. v. 21.6.2010 – II ZR 219/09, ZIP 2010, 2397, 2398. 52) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 67 Rz. 31; Noack, DB 2001, 27, 28.

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§ 68

Übertragung von Namensaktien. Vinkulierung

denklicher Weise auch die Verwendung zu Werbezwecken, was nur durch einen Widerspruch gemäß § 67 Abs. 6 Satz 5 abgewendet werden kann (opting-out).53) Auf die Weitergabe der Informationen an Dritte, etwa zur Marktforschung, sowie an andere Aktionäre erstreckt sich die Erlaubnis gemäß § 67 Abs. 3 Satz 4 indessen nicht.54) _____________ 53) Nicht nachvollziehbar ein generelles Aktionärsinteresse an einer derartigen Verwendung unterstellend Noack, DB 2001, 27, 29. 54) Vgl. BGH, Hinweisbeschl. v. 22.10.2007 – II ZR 184/06, Rz. 4, AG 2008, 164, 165 = ZIP 2008, 218; K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 67 Rz. 69; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 67 Rz. 31.

§ 68 Übertragung von Namensaktien. Vinkulierung (1) 1Namensaktien können auch durch Indossament übertragen werden. 2Für die Form des Indossaments, den Rechtsausweis des Inhabers und seine Verpflichtung zur Herausgabe gelten sinngemäß Artikel 12, 13 und 16 des Wechselgesetzes. (2) 1Die Satzung kann die Übertragung an die Zustimmung der Gesellschaft binden. 2 Die Zustimmung erteilt der Vorstand. 3Die Satzung kann jedoch bestimmen, daß der Aufsichtsrat oder die Hauptversammlung über die Erteilung der Zustimmung beschließt. 4Die Satzung kann die Gründe bestimmen, aus denen die Zustimmung verweigert werden darf. (3) Bei Übertragung durch Indossament ist die Gesellschaft verpflichtet, die Ordnungsmäßigkeit der Reihe der Indossamente, nicht aber die Unterschriften zu prüfen. (4) Diese Vorschriften gelten sinngemäß für Zwischenscheine. Wechselgesetz (WG) (Auszug) Artikel 12 WG [Bedingungsfeindlichkeit; Teilindossament; Indossament an den Inhaber]

(1) 1Das Indossament muß unbedingt sein. 2Bedingungen, von denen es abhängig gemacht wird, gelten als nicht geschrieben. (2) Ein Teilindossament ist nichtig. (3) Ein Indossament an den Inhaber gilt als Blankoindossament. Artikel 13 WG [Form; Blankoindossament]

(1) 1Das Indossament muß auf den Wechsel oder auf ein mit dem Wechsel verbundenes Blatt (Anhang) gesetzt werden. 2Es muß von dem Indossanten unterschrieben werden. (2) 1Das Indossament braucht den Indossatar nicht zu bezeichnen und kann selbst in der bloßen Unterschrift des Indossanten bestehen (Blankoindossament). 2In diesem letzteren Fall muß das Indossament, um gültig zu sein, auf die Rückseite des Wechsels oder auf den Anhang gesetzt werden. Artikel 16 WG [Wechselvermutung]

(1) 1Wer den Wechsel in Händen hat, gilt als rechtmäßiger Inhaber, sofern er sein Recht durch eine ununterbrochene Reihe von Indossamenten nachweist, und zwar auch dann, wenn das letzte ein Blankoindossament ist. 2Ausgestrichene Indossamente gelten hierbei als nicht geschrieben. 3Folgt auf ein Blankoindossament ein weiteres In-

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Übertragung von Namensaktien. Vinkulierung

denklicher Weise auch die Verwendung zu Werbezwecken, was nur durch einen Widerspruch gemäß § 67 Abs. 6 Satz 5 abgewendet werden kann (opting-out).53) Auf die Weitergabe der Informationen an Dritte, etwa zur Marktforschung, sowie an andere Aktionäre erstreckt sich die Erlaubnis gemäß § 67 Abs. 3 Satz 4 indessen nicht.54) _____________ 53) Nicht nachvollziehbar ein generelles Aktionärsinteresse an einer derartigen Verwendung unterstellend Noack, DB 2001, 27, 29. 54) Vgl. BGH, Hinweisbeschl. v. 22.10.2007 – II ZR 184/06, Rz. 4, AG 2008, 164, 165 = ZIP 2008, 218; K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 67 Rz. 69; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 67 Rz. 31.

§ 68 Übertragung von Namensaktien. Vinkulierung (1) 1Namensaktien können auch durch Indossament übertragen werden. 2Für die Form des Indossaments, den Rechtsausweis des Inhabers und seine Verpflichtung zur Herausgabe gelten sinngemäß Artikel 12, 13 und 16 des Wechselgesetzes. (2) 1Die Satzung kann die Übertragung an die Zustimmung der Gesellschaft binden. 2 Die Zustimmung erteilt der Vorstand. 3Die Satzung kann jedoch bestimmen, daß der Aufsichtsrat oder die Hauptversammlung über die Erteilung der Zustimmung beschließt. 4Die Satzung kann die Gründe bestimmen, aus denen die Zustimmung verweigert werden darf. (3) Bei Übertragung durch Indossament ist die Gesellschaft verpflichtet, die Ordnungsmäßigkeit der Reihe der Indossamente, nicht aber die Unterschriften zu prüfen. (4) Diese Vorschriften gelten sinngemäß für Zwischenscheine. Wechselgesetz (WG) (Auszug) Artikel 12 WG [Bedingungsfeindlichkeit; Teilindossament; Indossament an den Inhaber]

(1) 1Das Indossament muß unbedingt sein. 2Bedingungen, von denen es abhängig gemacht wird, gelten als nicht geschrieben. (2) Ein Teilindossament ist nichtig. (3) Ein Indossament an den Inhaber gilt als Blankoindossament. Artikel 13 WG [Form; Blankoindossament]

(1) 1Das Indossament muß auf den Wechsel oder auf ein mit dem Wechsel verbundenes Blatt (Anhang) gesetzt werden. 2Es muß von dem Indossanten unterschrieben werden. (2) 1Das Indossament braucht den Indossatar nicht zu bezeichnen und kann selbst in der bloßen Unterschrift des Indossanten bestehen (Blankoindossament). 2In diesem letzteren Fall muß das Indossament, um gültig zu sein, auf die Rückseite des Wechsels oder auf den Anhang gesetzt werden. Artikel 16 WG [Wechselvermutung]

(1) 1Wer den Wechsel in Händen hat, gilt als rechtmäßiger Inhaber, sofern er sein Recht durch eine ununterbrochene Reihe von Indossamenten nachweist, und zwar auch dann, wenn das letzte ein Blankoindossament ist. 2Ausgestrichene Indossamente gelten hierbei als nicht geschrieben. 3Folgt auf ein Blankoindossament ein weiteres In-

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Übertragung von Namensaktien. Vinkulierung

dossament, so wird angenommen, daß der Aussteller dieses Indossaments den Wechsel durch das Blankoindossament erworben hat. (2) Ist der Wechsel einem früheren Inhaber irgendwie abhanden gekommen, so ist der neue Inhaber, der sein Recht nach den Vorschriften des vorstehenden Absatzes nachweist, zur Herausgabe des Wechsels nur verpflichtet, wenn er ihn in bösem Glauben erworben hat oder ihm beim Erwerb eine grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt. Literatur: Asmus, Die vinkulierte Mitgliedschaft, 2001; Barthelmeß/Braun, Zulässigkeit schuldrechtlicher Verfügungsbeschränkungen über Aktien zugunsten der Aktiengesellschaft, AG 2000, 172; Bayer, Gesetzliche Zuständigkeit der Hauptversammlung zur Übertragung vinkulierter Namensaktien auf einen zukünftigen Mehrheitsaktionär, in: Festschrift für Uwe Hüffer, 2009, S 35; Becker, Der Ausschluß aus der Aktiengesellschaft, ZGR 1986, 383; Blasche, Zulässigkeit und Rechtswirkungen der Eintragung eines gemeinschaftlichen Vertreters im Aktienregister, AG 2015, 342; Burgi, Die vinkulierte Namensaktie und das EU-Beihilferecht, in: Festschrift für Uwe Hüffer, 2010, S. 63; Heller/Timm, Übertragung vinkulierter Namensaktien in der Aktiengesellschaft, NZG 2006, 257; Iversen, Außerbörsliche Übertragung von Aktien und sachenrechtlicher Bestimmtheitsgrundsatz, AG 2008, 736; Kiefner/Happ, Zulässigkeit von Standstill und Lock-up Agreements bei der Aktiengesellschaft, ZIP 2015, 1811; Lieder, Staatliche Sonderrechte in Aktiengesellschaften, ZHR 172 (2008) 306; Lutter, Die Rechte und Pflichten des Vorstands bei der Übertragung vinkulierter Namensaktien, AG 1992, 369; Nodoushani, Die Pauschalzustimmung zur Übertragung vinkulierter Anteile, ZGR 2014, 809; Perwein, Übergabe der Aktienurkunde als Wirksamkeitsvoraussetzung bei der Abtretung von Namensaktien kleiner Publikums-Aktiengesellschaften, AG 2012, 611; Schockenhoff/Culmann, Shareholder Activism in Deutschland, ZIP 2015, 297; Schroeter, Vinkulierte Namensaktien in der europäischen Aktiengesellschaft, AG 2007, 854; Wilhelmi, Übertragung vinkulierter Namensaktien durch den Alleinaktionär, NJW 1952, 324.

Übersicht I. Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt .................................................. 1 II. Übertragung von Aktien (§ 68 Abs. 1) ....................................... 2 1. Inhaberaktien ...................................... 3 2. Namensaktien ..................................... 5 3. Prüfungspflicht der AG ..................... 7 4. Besonderheiten bei der Girosammelverwahrung ............................. 8 III. Vinkulierung (§ 68 Abs. 2) ............... 9 I.

1. Erfasste Erwerbsvorgänge ................ 2. Satzungsregelung .............................. 3. Erklärung der Zustimmung bzw. Verweigerung .................................... 4. Verweigerungsgründe ...................... a) Fehlen einer Satzungsregelung ...................................... b) Satzungsmäßige Vorgaben ........ 5. Rechtsfolgen ..................................... IV. Zwischenscheine (§ 68 Abs. 4) .......

10 12 13 15 15 16 17 18

Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt

Die Regelung ordnet die Namensaktie i. S. von § 10 in wertpapierrechtliche Kategorien ein 1 und begründet die Möglichkeit der Vinkulierung. § 68 Abs. 1 regelt die Übertragung von Namensaktien und stellt klar, dass diese neben der Übertragung gemäß §§ 398, 413 BGB auch durch Indossament übertragen werden können. Die AG hat dann gemäß § 68 Abs. 3 die Ordnungsmäßigkeit der Reihe der Indossamente zu überprüfen. Nach § 68 Abs. 2 kann die Übertragung von Namensaktien aufgrund Satzungsregelung an die Zustimmung der AG gebunden werden (Vinkulierung). Gemäß § 68 Abs. 4 gilt das Vorgesagte auch für Zwischenscheine i. S. von § 10 Abs. 3. II.

Übertragung von Aktien (§ 68 Abs. 1)

Bei der Übertragung der Aktien ist danach zu unterscheiden, um welche Arten es sich 2 handelt – Inhaber- oder Namensaktien – sowie nach der Art der Verbriefung. Wolfgang Servatius

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§ 68 1.

Übertragung von Namensaktien. Vinkulierung Inhaberaktien

3 Inhaberaktien i. S. von § 10 Abs. 1 Alt. 1 werden entsprechend §§ 793 ff. BGB behandelt.1) Sind sie unverbrieft, richtet sich die Übertragung gemäß §§ 413, 398 BGB.2) Ein gutgläubiger (lastenfreier) Aktienerwerb ist nicht möglich.3) Eine Eintragung des Erwerbs ins Aktienregister ist nicht möglich und nötig. 4 Wird die Inhaberaktie einzeln verbrieft (vgl. § 10 Abs. 5), kann die Mitgliedschaft auf unterschiedliche Weise übertragen werden: Zum einen durch Übereignung der Urkunde gemäß §§ 929 ff. BGB, so dass die Mitgliedschaft der Übereignung akzessorisch folgt („Das Recht aus dem Papier folgt dem Recht am Papier“);4) ein gutgläubiger bzw. lastenfreier Erwerb der Mitgliedschaft ist gemäß §§ 932 ff. BGB möglich.5) Zum anderen ist es möglich, die Mitgliedschaft als solches gemäß §§ 413, 398 BGB zu übertragen, so dass das Eigentum an der Urkunde entsprechend § 952 BGB dem Erwerber zufällt („Das Recht am Papier folgt dem Recht aus dem Papier“). Bei dieser Übertragungsart scheidet ein gutgläubiger bzw. lastenfreier Erwerb der Mitgliedschaft aus. 2.

Namensaktien

5 Sind die Namensaktien i. S. von § 10 Abs. 1 Alt. 2 unverbrieft, richtet sich die Übertragung ebenfalls nach §§ 413, 398 BGB. Vgl. zur Wirksamkeit der Übertragung im Verhältnis zur AG das Erfordernis der Eintragung ins Aktienregister gemäß § 67. Ein gutgläubiger (lastenfreier) Aktienerwerb ist nicht möglich.6) Das gilt auch bei einer Eintragung ins Aktienregister.7) 6 Sind die Namensaktien einzeln verbrieft (vgl. § 10 Abs. 5), kann die Übertragung ebenfalls auf unterschiedliche Weise erfolgen: – Möglich ist zum einen die Übertragung der Mitgliedschaft selbst gemäß §§ 413, 398 BGB, so dass das Eigentum an der Urkunde entsprechend § 952 BGB dem Erwerber zufällt („Das Recht am Papier folgt dem Recht aus dem Papier“);8) die Übergabe des Papiers ist jedoch Wirksamkeitsvoraussetzung (streitig).9) Insbesondere kann zur Begründung einer anderen Ansicht auch nicht auf das Aktienregister abgestellt werden, weil dieses andere Funktionen als den Gutglaubensschutz bei Erwerb erfüllt. Bei dieser Übertragungsart scheidet ein gutgläubiger bzw. lastenfreier Erwerb der Mitgliedschaft aus.10) –

Zum anderen ist es gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1 möglich, die Aktien durch Indossament zu übertragen.11) Dies setzt neben der schriftlichen Übertragungserklärung auf der Urkunde gemäß Art. 12, 13 WG nach zutreffender Ansicht auch die Übereignung der Urkunde gemäß §§ 929 ff. BGB voraus.12) Bei dieser Übertragungsart folgt die Mitgliedschaft

_____________ 1) OLG Oldenburg, Urt. v. 25.6.1998 – 1 U 34/98, AG 2000, 367. 2) BGH, Urt. v. 5.4.1993 – II ZR 195/91, BGHZ 122, 180, 196 = ZIP 1993, 667; LG Berlin, Urt. v. 27.8.1993 – 85 O 140/93, AG 1994, 378, 379. 3) K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 68 Rz. 5. 4) BGH, Urt. v. 5.4.1993 – II ZR 195/91, BGHZ 122, 180, 196 = ZIP 1993, 667. 5) K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 68 Rz. 6. 6) K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 68 Rz. 5. 7) Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 68 Rz. 2. 8) RG, Urt. v. 8.11.1911 – I 461/10, RGZ 77, 268, 276. 9) RG, Urt. v. 6.6.1916 – II 62/15, RGZ 88, 290, 292; BGH, Urt. v. 12.12.1957 – II ZR 43/57, NJW 1958, 302, 303; Perwein, AG 2012, 611; abweichend Bayer in: MünchKomm-AktG, § 68 Rz. 30; GrigoleitGrigoleit/Rachlitz, AktG, § 68 Rz. 3. 10) K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 68 Rz. 8. 11) Zum fakultativen Charakter der Norm BGH, Urt. v. 20.9.2004 – II ZR 288/02 (EMS), BGHZ 160, 253, 257 = ZIP 2004, 2093, dazu EWiR 2005, 49 (Noack). 12) BGH, Urt. v. 12.12.1957 – II ZR 43/57, NJW 1958, 302; Einzelheiten zur wechselrechtlichen Übertragung bei Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 68 Rz. 9 ff.

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Übertragung von Namensaktien. Vinkulierung

§ 68

der Übereignung akzessorisch („Das Recht aus dem Papier folgt dem Recht am Papier“); ein gutgläubiger bzw. lastenfreier Erwerb der Mitgliedschaft ist gemäß Art. 16 WG möglich. Vgl. auch hier zur Wirksamkeit der Übertragung im Verhältnis zur AG das Erfordernis der Eintragung ins Aktienregister gemäß § 67. 3.

Prüfungspflicht der AG

Gemäß § 68 Abs. 3 hat der Vorstand i. R. der Eintragung des Aktionärswechsels ins Ak- 7 tienregister gemäß § 67 die Ordnungsmäßigkeit der Reihe der Indossamente zu überprüfen, nicht aber die Unterschriften. Es handelt sich im Ausgangspunkt um eine rein formale Prüfung; bei konkreten Anhaltspunkten muss jedoch auch die Wirksamkeit der Übertragung geprüft werden.13) 4.

Besonderheiten bei der Girosammelverwahrung

Die Aktienurkunden werden bei Inhaber- und Namensaktien regelmäßig bei einer Wert- 8 papiersammelbank verwahrt (vgl. § 5 Abs. 1 DepotG). Oftmals gibt es sogar lediglich eine Sammel- oder Globalurkunde, ohne dass die individuellen Mitgliedschaften einzeln verbrieft sind (vgl. § 10 Abs. 5). Die Aktionäre werden sodann Miteigentümer an der Sammel- bzw. Globalurkunde bzw. am Sammelbestand (vgl. §§ 6 Abs. 1, 9a Abs. 2, 24 Abs. 2 DepotG). Die dingliche Übertragung der Aktienurkunde ist hiernach eine Übertragung des Bruchteilseigentums an der Urkunde gemäß §§ 929, 934 BGB, ggf. ergänzt durch ein Blankoindossament.14) III.

Vinkulierung (§ 68 Abs. 2)

Aktien sind im Grundsatz frei übertragbar.15) Gleichwohl sieht § 68 Abs. 2 vor, dass die 9 dingliche Wirksamkeit der Übertragung von Namensaktien i. S. von § 10 aufgrund einer entsprechenden Satzungsklausel an die Zustimmung der AG geknüpft werden kann. Europarechtlich sind diese Gestaltungen solange unbedenklich, als damit nicht der Einfluss des Staates gesichert werden soll.16) Gemäß § 55 Abs. 1 ist die Begründung von Nebenleistungspflichten von der Vinkulierung abhängig; das Gleiche gilt gemäß § 102 Abs. 2 Satz 2, wenn ein Entsendungsrecht für den Aufsichtsrat bestehen soll. Eine Vinkulierungsklausel ist bereits vor der Aktienverbriefung gültig.17) Von der Vinkulierung abzugrenzen sind schuldrechtliche Nebenabreden der Aktionäre untereinander, insbesondere im Hinblick auf ein Vorkaufsrecht oder eine Andienungspflicht18) sowie Standstill und Lock-up Agreements.19) Derartige Aktionärsvereinbarungen können nicht Satzungsbestandteil werden; § 68 Abs. 2 ist insofern vorrangig (streitig).20) _____________ 13) Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 68 Rz. 22. 14) Zum Ganzen m. w. N. Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 68 Rz. 6; Bayer in: MünchKomm-AktG, § 68 Rz. 5 ff. 15) BGH, Urt. v. 20.9.2004 – II ZR 288/02 (EMS), BGHZ 160, 253, 256 ff. = ZIP 2004, 2093; BVerfG, Beschl. v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, BVerfGE 100, 289, 305 ff. = ZIP 1999, 1436, dazu EWiR 1999, 751 (Neye). 16) Einzelheiten bei Burgi, FS Hüffer, S. 63, 77 f.; Lieder, ZHR 172 (2008) 306, 308 ff. 17) OLG Celle, Urt. v. 24.11.2004 – 9 U 119/04, NZG 2005, 279. 18) Vgl. hierzu BGH, Urt. v. 22.1.2013 – II ZR 80/10, ZIP 2013, 263 = NZG 2013, 220, dazu EWiR 2013, 131 (Seibt); s. oben § 23 Rz. 64 ff. 19) Einzelheiten bei Kiefner/Happ, ZIP 2015, 1811. 20) Wie hier RG, Urt. v. 25.9.1901 – I 142/01, RGZ 49, 77, 79 ff.; abweichend Becker, ZGR 1986, 383, 392 ff.; die Frage offenlassend BGH, Urt. v. 22.1.2013 – II ZR 80/10, Rz. 9, 14, ZIP 2013, 263 = NZG 2013, 220.

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§ 68 1.

Übertragung von Namensaktien. Vinkulierung Erfasste Erwerbsvorgänge

10 § 68 Abs. 2 gilt nur bei der rechtsgeschäftlichen Übertragung, einschließlich der Legitimationsübertragung.21) Die Vererbung von Aktien, der gesetzliche Erwerb und die Gesamtrechtsnachfolge i. R. von Umwandlungsvorgängen fallen nicht hierunter.22) Auf schuldrechtliche Vereinbarungen bezieht sich die Vinkulierung i. S. von § 68 Abs. 2 nicht;23) dies kann auch nicht durch Satzungsregelung vereinbart werden. Die Aktionäre können sich jedoch ohne weiteres untereinander oder Dritten gegenüber schuldrechtlich im Hinblick auf die Übertragung der Aktien binden (vgl. aber § 137 Satz 1 BGB).24) 11 Die Vinkulierung kann auch die Bestellung eines Pfandrechts oder Nießbrauchs umfassen.25) Dies muss jedoch in der Satzung hinreichend deutlich gemacht werden.26) Aus Gründen des Umgehungsschutzes sind ferner die Übertragung der Ausübungsbefugnisse für die Mitverwaltungsrechte hierunter zu fassen, insbesondere die Legitimationsübertragung und Bevollmächtigung zur Stimmrechtsausübung.27) Auch hier ist die Vinkulierungsklausel im Hinblick auf ihre Reichweite (objektiv) auszulegen. Beim Alleinaktionär beansprucht die Vinkulierung keine Geltung.28) Eine etwaige Satzungsregelung kann im Hinblick auf spätere Aktionäre gleichwohl bedeutsam sein. 2.

Satzungsregelung

12 Einschränkungen der freien Übertragbarkeit bedürfen einer eindeutigen Satzungsregelung; bei der nachträglichen Einführung müssen gemäß § 180 Abs. 2 die betroffenen Aktionäre zustimmen.29) Die Satzung kann die Vinkulierung auf bestimmte Erwerbsvorgänge beschränken.30) Die Vinkulierung ist bei Namensaktien bereits vor ihrer Verbriefung möglich.31) Bestehen bei einer AG bislang nur vinkulierte Namensaktien, erstreckt sich dies auch ohne besondere Festsetzung im Kapitalerhöhungsbeschluss auf die neuen Aktien (streitig).32) 3.

Erklärung der Zustimmung bzw. Verweigerung

13 Die Zuständigkeit für die Erteilung oder Versagung der Zustimmung obliegt gemäß § 68 Abs. 2 Satz 2 dem Vorstand (interne Willensbildung gemäß § 77, Willensäußerung gemäß § 78).33) Nach § 119 Abs. 2 kann der Vorstand die Zustimmung der Hauptversammlung _____________ 21) K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 68 Rz. 21. 22) Zum Ganzen Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 68 Rz. 32 ff.; vgl. für Treuhandgestaltungen OLG Köln, Beschl. v. 26.3.2008 – 18 U 7/07, NZG 2008, 839 = ZIP 2008, 1683; zu Umgebungssachverhalten vgl. OLG Naumburg, Urt. v. 22.1.2004 – 7 U 133/03, NZG 2004, 775. 23) RG, Urt. v. 31.3.1931 – II 222/30, RGZ 132, 149, 157; für ein Vorkaufsrecht ebenso LG Offenburg, Urt. v. 8.11.1988 – 2 O 220/88, AG 1989, 134, 137 = ZIP 1988, 1562; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 68 Rz. 11. Vgl., zu den schuldrechtlichen Folgen bei Leistungsstörungen K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 68 Rz. 26. 24) Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 68 Rz. 39; vgl. zur Bindung von Investorenvereinbarungen aber Schockenhoff/ Culmann, ZIP 2015, 297, 305. 25) K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 68 Rz. 20. 26) Abweichend wohl Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 68 Rz. 11. 27) RG, Urt. v. 31.3.1931 – II 220/30, RGZ 132, 149, 158 f.; OLG Naumburg, Urt. v. 22.1.2004 – 7 U 133/03, NZG 2004, 775; Einzelheiten zu möglichen Umgehungen bei Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 68 Rz. 76 ff. 28) So wohl auch OLG München, Urt. v. 4.5.2005 – 23 U 5121/04, NZG 2005, 756 = ZIP 2005, 1070, dazu EWiR 2005, 525 (Bayer/Lieder); abweichend Wilhelmi, NJW 1952, 324. 29) BGH, Urt. v. 20.9.2004 – II ZR 288/02 (EMS), BGHZ 160, 253 = ZIP 2004, 2093. 30) K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 68 Rz. 19; Bayer in: MünchKomm-AktG, § 68 Rz. 57 f. 31) OLG Celle, Urt. v. 24.11.2004 – 9 U 119/04, NZG 2005, 279. 32) Bayer in: MünchKomm-AktG, § 68 Rz. 47; abweichend Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 68 Rz. 43. 33) Zum Ganzen Nodoushani, ZGR 2014, 809.

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Übertragung von Namensaktien. Vinkulierung

§ 68

einholen, um sich vor einer etwaigen Pflichtwidrigkeit zu schützen (streitig).34) Eine Vorlagepflicht in Anlehnung an die Holzmüller-Doktrin besteht indessen richtigerweise nicht, da es in diesem Bereich an der Gefahr eines Mediatisierungseffekts fehlt (streitig).35) Die Satzung kann die Kompetenz gemäß § 68 Abs. 2 Satz 3 dem Aufsichtsrat oder der Hauptversammlung zuweisen. Innerhalb des Aufsichtsrats kann die Entscheidung dann wiederum einem Ausschuss übertragen werden (vgl. § 107 Abs. 3);36) die Hauptversammlung entscheidet mit einfacher Mehrheit (§ 133). Die Übertragung der Entscheidungskompetenz auf Dritte oder einzelne Aktionäre ist unzulässig. Ein Zustimmungsvorbehalt gemäß § 111 Abs. 4 ist nach zweifelhafter h. M. ebenfalls unzulässig.37) Dasselbe soll für die satzungsmäßige Begründung einer anderen kumulativen Zuständigkeit gelten.38) Beides überzeugt wegen der zumeist bloß pauschalen Berufung auf die hieraus resultierende unzulässige Erschwerung indessen kaum, so dass auch derartige Gestaltungen zulässig sein sollten. Entscheiden der Aufsichtsrat oder die Hauptversammlung über die Zustimmung, bedarf 14 es gleichwohl stets der (formlosen)39) Erklärung gegenüber dem betreffenden Aktionär durch den Vorstand (§ 78).40) Der betroffene Aktionär darf bei der Hauptversammlung mitstimmen.41) In der Insolvenz obliegt diese Kompetenz bei nicht voll eingezahlten Aktien dem Verwalter.42) Es bedarf einer ausdrücklichen oder konkludenten Erklärung der Zustimmung, andernfalls ist sie nicht erteilt.43) Eine Satzungsregelung, wonach das Schweigen nach Fristablauf als Zustimmung gilt, birgt Rechtsunsicherheit und verstößt daher gegen § 23 Abs. 5 (streitig).44) Eine konkludente Zustimmung kann jedoch regelmäßig in der Umschreibung des Aktienregisters gesehen werden.45) Die Zustimmung kann im Voraus (Einwilligung) und nachträglich (Genehmigung) erfolgen und ist bis zur Übertragung widerruflich.46) Eine Pauschalzustimmung zur Übertragung ist unzulässig.47) 4.

Verweigerungsgründe

a)

Fehlen einer Satzungsregelung

Enthält die Satzung keine Vorgaben, unter welchen Voraussetzungen die Zustimmung zu 15 erteilen bzw. versagen ist, entscheidet das zur Entscheidung berufene Organ nach pflichtgemäßem Ermessen.48) Hierbei hat eine Abwägung zu erfolgen zwischen dem Interesse _____________ 34) Lutter/Drygala in: KölnKomm-AktG, § 68 Rz. 67; abweichend Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 68 Rz. 23. 35) Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 68 Rz. 23; Lutter/Drygala in: KölnKomm-AktG, § 68 Rz. 68. 36) K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 68 Rz. 27. 37) Bayer in: MünchKomm-AktG, § 68 Rz. 65; Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 68 Rz. 23; K. Schmidt/ Lutter-Bezzenberger, AktG, § 68 Rz. 27. 38) Vgl. LG München I, Beschl. v. 27.2.2017 – 5 HK O 14747/16, Rz. 16 ff., ZIP 2017, 1326 m. w. N. – Zuständigkeit von Vorstand und Hauptversammlung. 39) KG Berlin, Urt. v. 20.12.2002 – 14 U 514/00, AG 2003, 568. 40) OLG Schleswig, Urt. v. 27.2.2014 – 5 U 127/12, ZIP 2014, 1937; Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 68 Rz. 63; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 68 Rz. 15. 41) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 68 Rz. 15. 42) RG, Urt. v. 15.12.1909 – I 252/09, RGZ 72, 290, 292 f. 43) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 68 Rz. 15; K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 68 Rz. 34. 44) A. A. Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 68 Rz. 25. 45) Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 68 Rz. 25. 46) Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 68 Rz. 26. 47) Einzelheiten m. w. N. bei Nodoushani, ZGR 2014, 809, 816 ff., auf 838 ff. auch zu börsenrechtlich relevanten Fungibilitätserklärungen. 48) LG Aachen, Urt. v. 19.5.1992 – 41 O 30/92, AG 1992, 410, 411 = ZIP 1992, 924.

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§ 68

Übertragung von Namensaktien. Vinkulierung

des Aktionärs an der Verkehrsfähigkeit der Aktie und dem Gesellschaftsinteresse an der Person des gegenwärtigen und künftigen Aktionärs.49) Ein genereller Vorrang des Gesellschaftsinteresses lässt sich wegen Art. 14 GG nicht begründen (streitig).50) Vielmehr gilt umgekehrt, dass die AG konkret darlegen muss, warum eine Veräußerung dem Gesellschaftsinteresse zuwider läuft.51) Das Gleichbehandlungsgebot (§ 53a) ist stets zu beachten und kann unter dem Aspekt der Selbstbindung einen Anspruch des Aktionärs auf Zustimmung begründen.52) Der Vorstand hat den betreffenden Aktionären analog § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB die Verweigerungsgründe auf deren Verlangen mitzuteilen (streitig).53) b)

Satzungsmäßige Vorgaben

16 Gemäß § 68 Abs. 2 Satz 4 möglich und aus Gründen der Rechtssicherheit praktisch geboten, sind satzungsmäßige Vorgaben für die Verweigerung der Zustimmung. Der generelle Ausschluss der Veräußerung ist jedoch unzulässig;54) ebenso die Formulierung, dass die Verweigerung bei bestimmten Gestaltungen zwingend zu erfolgen hat (vgl. „darf“).55) Zulässig ist es aber, z. B. bestimmte (wichtige) Verweigerungsgründe katalogartig aufzunehmen oder die Vinkulierung auf andere Weise zu beschränken.56) Auch hier handelt das entscheidende Organ jedoch stets nach pflichtgemäßem Ermessen und hat trotz der satzungsmäßigen Vorgaben im Einzelfall das Interesse des Aktionärs an der Verkehrsfähigkeit der Aktie und das Gesellschaftsinteresse an der Person des gegenwärtigen und künftigen Aktionärs gegeneinander abzuwägen. Auch hier kann das Ermessen trotz eines satzungsmäßigen Versagungsgrundes auf null reduziert und die AG zur Zustimmung verpflichtet sein.57) Wer geltend macht, dass der Vorstand pflichtwidrig handelte, hat dies darzulegen und ggf. zu beweisen; die Erklärung über die Verweigerung bedarf grundsätzlich keiner vom Vorstand darzulegenden sachlichen Rechtfertigung.58) Etwas anderes gilt nur, wenn in der Satzung Vorgaben für die Erteilung der Zustimmung gemacht werden; in diesem Fall muss die AG darlegen und beweisen, dass die dort genannten Verweigerungsgründe vorliegen.59) 5.

Rechtsfolgen

17 Erteilt die AG die Zustimmung, können die Aktien ohne weiteres übertragen werden. Verweigert sie die Zustimmung, ist die Übertragung unwirksam.60) Eine nachträglich erteilte Zustimmung wirkt zurück.61) Im Fall einer rechtswidrigen Verweigerung kann der betref_____________ 49) BGH, Urt. v. 1.12.1986 – II ZR 287/85, NJW 1987, 1019, 1020 = ZIP 1987, 291; Einzelheiten bei K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 68 Rz. 31 ff. 50) Abweichend Lutter, AG 1992, 369, 373. 51) Unter dem Aspekt der Beweislast unstreitig, vgl. nur K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 68 Rz. 38. 52) Vgl. LG Aachen, Urt. v. 19.5.1992 – 41 O 30/92, AG 1992, 410, 412 ff. = ZIP 1992, 924; zur gerichtlichen Durchsetzung, LG Düsseldorf, Urt. v. 17.11.1988 – 32 O 226/87, AG 1989, 332 – zur GmbH. 53) Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 68 Rz. 26: abweichend Lutter/Drygala in: KölnKomm-AktG, § 68 Rz. 67. 54) H. M., vgl. Bayer in: MünchKomm-AktG, § 68 Rz. 62. 55) Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 68 Rz. 53. 56) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 68 Rz. 14. 57) Vgl. BGH, Urt. v. 1.12.1986 – II ZR 287/85, NJW 1987, 1019, 1020 = ZIP 1987, 291. 58) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 68 Rz. 15. 59) K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 68 Rz. 38. 60) BGH, Urt. v. 28.4.1954 – II ZR 8/53, NJW 1954, 1155; BGH, Urt. v. 20.9.2004 – II ZR 288/02 (EMS), BGHZ 160, 253 = ZIP 2004, 2093. 61) Vgl. Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 68 Rz. 71.

400

Wolfgang Servatius

§ 69

Rechtsgemeinschaft an einer Aktie

fende veräußerungswillige Aktionär die AG auf Zustimmung verklagen.62) Wegen Verletzung der Treuepflicht der AG gegenüber ihren Aktionären sind auch Schadensersatzansprüche möglich.63) IV.

Zwischenscheine (§ 68 Abs. 4)

Die Regelung gilt sinngemäß für Zwischenscheine i. S. von § 10 Abs. 3.

18

_____________ 62) Vgl. LG Düsseldorf, Urt. v. 17.11.1988 – 32 O 226/87, AG 1989, 332 – zur GmbH; Hüffer/KochKoch, AktG, § 68 Rz. 16a; K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 68 Rz. 36 ff. 63) H. M., vgl. nur Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 68 Rz. 16a; zurückhaltend OLG München, Urt. v. 28.7.2008 – 7 U 3004/08, NZG 2009, 25 – zur Publikums-KG.

§ 69 Rechtsgemeinschaft an einer Aktie (1) Steht eine Aktie mehreren Berechtigten zu, so können sie die Rechte aus der Aktie nur durch einen gemeinschaftlichen Vertreter ausüben. (2) Für die Leistungen auf die Aktie haften sie als Gesamtschuldner. (3) 1Hat die Gesellschaft eine Willenserklärung dem Aktionär gegenüber abzugeben, so genügt, wenn die Berechtigten der Gesellschaft keinen gemeinschaftlichen Vertreter benannt haben, die Abgabe der Erklärung gegenüber einem Berechtigten. 2Bei mehreren Erben eines Aktionärs gilt dies nur für Willenserklärungen, die nach Ablauf eines Monats seit dem Anfall der Erbschaft abgegeben werden. Literatur: Apfelbaum, Gütergemeinschaft im Gesellschaftsrecht, MittBayNot 2006, 185; Bayer/ Sarakinis, Der gemeinschaftliche Vertreter der Erbengemeinschaft im Aktienrecht, NZG 2018, 561; Blasche, Zulässigkeit und Rechtswirkungen der Eintragung eines gemeinschaftlichen Vertreters im Aktienregister, AG 2015, 342; Mentz/Fröhling, Die Formen der rechtsgeschäftlichen Übertragung von Aktien, NZG 2002, 201.

Übersicht I. Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt .................................................. 1 II. Anwendungsbereich ......................... 2 III. Aktivvertretung (§ 69 Abs. 1) .......... 3 I.

IV. Gesamtschuldnerische Haftung (§ 69 Abs. 2) ....................................... 6 V. Passivvertretung (§ 69 Abs. 3) ......... 7

Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt

Die Norm gewährleistet die Unteilbarkeit von Aktien und Mitgliedschaftsrechten gemäß 1 § 8 Abs. 5 in den Fällen, in denen die Aktien von mehreren Personen gemeinschaftlich gehalten werden (vgl. für die GmbH § 18 GmbHG). Gemäß § 69 Abs. 1 können diese Personen die aus der Aktie resultierenden Mitgliedschaftsrechte nur durch einen gemeinschaftlichen Vertreter ausüben. Diese Regelung bezweckt Rechtssicherheit, steht jedoch auch im Widerspruch zu § 134 Abs. 3 Satz 2, wonach mehrere Vertreter durchaus zulässig sind, und die AG ein Zurückweisungsrecht hat. Gemäß § 69 Abs. 2 haften sie für die Einlageforderungen als Gesamtschuldner. § 69 Abs. 3 ordnet an, dass Erklärungen der AG lediglich gegenüber einem Mitglied der Personengemeinschaft abgegeben werden müssen, sofern hierfür kein gemeinschaftlicher Vertreter bestellt wurde.

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§ 69

Rechtsgemeinschaft an einer Aktie

fende veräußerungswillige Aktionär die AG auf Zustimmung verklagen.62) Wegen Verletzung der Treuepflicht der AG gegenüber ihren Aktionären sind auch Schadensersatzansprüche möglich.63) IV.

Zwischenscheine (§ 68 Abs. 4)

Die Regelung gilt sinngemäß für Zwischenscheine i. S. von § 10 Abs. 3.

18

_____________ 62) Vgl. LG Düsseldorf, Urt. v. 17.11.1988 – 32 O 226/87, AG 1989, 332 – zur GmbH; Hüffer/KochKoch, AktG, § 68 Rz. 16a; K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 68 Rz. 36 ff. 63) H. M., vgl. nur Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 68 Rz. 16a; zurückhaltend OLG München, Urt. v. 28.7.2008 – 7 U 3004/08, NZG 2009, 25 – zur Publikums-KG.

§ 69 Rechtsgemeinschaft an einer Aktie (1) Steht eine Aktie mehreren Berechtigten zu, so können sie die Rechte aus der Aktie nur durch einen gemeinschaftlichen Vertreter ausüben. (2) Für die Leistungen auf die Aktie haften sie als Gesamtschuldner. (3) 1Hat die Gesellschaft eine Willenserklärung dem Aktionär gegenüber abzugeben, so genügt, wenn die Berechtigten der Gesellschaft keinen gemeinschaftlichen Vertreter benannt haben, die Abgabe der Erklärung gegenüber einem Berechtigten. 2Bei mehreren Erben eines Aktionärs gilt dies nur für Willenserklärungen, die nach Ablauf eines Monats seit dem Anfall der Erbschaft abgegeben werden. Literatur: Apfelbaum, Gütergemeinschaft im Gesellschaftsrecht, MittBayNot 2006, 185; Bayer/ Sarakinis, Der gemeinschaftliche Vertreter der Erbengemeinschaft im Aktienrecht, NZG 2018, 561; Blasche, Zulässigkeit und Rechtswirkungen der Eintragung eines gemeinschaftlichen Vertreters im Aktienregister, AG 2015, 342; Mentz/Fröhling, Die Formen der rechtsgeschäftlichen Übertragung von Aktien, NZG 2002, 201.

Übersicht I. Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt .................................................. 1 II. Anwendungsbereich ......................... 2 III. Aktivvertretung (§ 69 Abs. 1) .......... 3 I.

IV. Gesamtschuldnerische Haftung (§ 69 Abs. 2) ....................................... 6 V. Passivvertretung (§ 69 Abs. 3) ......... 7

Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt

Die Norm gewährleistet die Unteilbarkeit von Aktien und Mitgliedschaftsrechten gemäß 1 § 8 Abs. 5 in den Fällen, in denen die Aktien von mehreren Personen gemeinschaftlich gehalten werden (vgl. für die GmbH § 18 GmbHG). Gemäß § 69 Abs. 1 können diese Personen die aus der Aktie resultierenden Mitgliedschaftsrechte nur durch einen gemeinschaftlichen Vertreter ausüben. Diese Regelung bezweckt Rechtssicherheit, steht jedoch auch im Widerspruch zu § 134 Abs. 3 Satz 2, wonach mehrere Vertreter durchaus zulässig sind, und die AG ein Zurückweisungsrecht hat. Gemäß § 69 Abs. 2 haften sie für die Einlageforderungen als Gesamtschuldner. § 69 Abs. 3 ordnet an, dass Erklärungen der AG lediglich gegenüber einem Mitglied der Personengemeinschaft abgegeben werden müssen, sofern hierfür kein gemeinschaftlicher Vertreter bestellt wurde.

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§ 69 II.

Rechtsgemeinschaft an einer Aktie Anwendungsbereich

2 Die Regelung gilt sowohl bei Inhaber- als auch bei Namensaktien. Voraussetzung ist, dass die Aktie von mehreren Personen gemeinschaftlich gehalten werden, mithin die jeweilige Personengemeinschaft im Verhältnis zur AG keine Rechtsfähigkeit besitzt. Dies sind Bruchteilsgemeinschaften (§§ 741 ff. BGB), insbesondere die eheliche Gütergemeinschaft (§§ 1415 ff. BGB),1) sowie die Erbengemeinschaft (§§ 2032 ff. BGB)2). Beim (offenen) Investmentfonds gilt die Regelung indessen nicht, denn §§ 92 ff. KAGB regeln die Befugnisse der Kapitalverwaltungsgesellschaft (streitig).3) Die Anwendung auf juristische Personen, Personenhandelsgesellschaften und die Außen-GbR scheidet wegen deren Rechtsfähigkeit aus (streitig).4) Dies gilt selbst dann, wenn diese Gesellschaften mehrere Vertreter haben (streitig).5) Die AG ist in diesem Fall über § 134 Abs. 3 Satz 2 ausreichend vor widersprüchlichen Erklärungen geschützt. Werden die Aktien von rechtsfähigen Personen in Girosammelverwahrung gehalten, ist die Regelung konsequenterweise ebenfalls nicht anwendbar.6) Liegt eine tatbestandlich erfasste Personengemeinschaft vor, läuft § 69 praktisch leer, wenn ein Beteiligter gegenüber der AG durch die Urkunde oder einen Eintrag im Aktienregister legitimiert ist.7) III.

Aktivvertretung (§ 69 Abs. 1)

3 Wollen die Personen zur wirksamen Ausübung ihrer gemeinschaftlich gehaltenen Mitgliedschaftsrechte gegenüber der AG rechtgeschäftlich handeln, müssen sie hierzu einen gemeinschaftlichen Vertreter bestellen.8) Ihre eigenen Willenserklärungen entfalten insoweit keine Wirkung – weder bei einvernehmlichem Handeln aller noch beim Handeln Einzelner unter dem Aspekt der Notgeschäftsführung (streitig).9) Eine Vollversammlung i. S. von § 121 Abs. 6 liegt jedoch auch dann vor, wenn alle betreffenden Personen ohne den von ihnen bestellten Vertreter anwesend sind.10) Als gemeinschaftlicher Vertreter kann auch eine rechtsfähige Personengesellschaft oder eine juristische Person bestellt werden.11) Die Bestellungserfordernisse richten sich nach dem Recht der jeweiligen Gemeinschaft.12) Bei der Erbengemeinschaft ist der Testamentsvollstrecker, sofern vorhanden, zwingend der gemeinschaftliche Vertreter.13) Eine zeitliche Befristung der Bestellung ist zulässig.14) Der Vertreter kann – neben den Aktionären der Gemeinschaft – ins Aktienregister eingetragen werden und _____________ 1) Vgl. hierzu Apfelbaum, MittBayNot 2006, 185. 2) Hierzu ausführlich Bayer/Sarakinis, NZG 2018, 561. 3) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 69 Rz. 2; K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 69 Rz. 4; abweichend Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 69 Rz. 6. 4) Für eine Anwendung auf die GbR jedoch Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 69 Rz. 4; wie hier Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 69 Rz. 3; K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 69 Rz. 8. 5) Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 69 Rz. 4; abweichend Lutter/Drygala in: KölnKomm-AktG, § 68 Rz. 11 f. 6) Vgl. Mentz/Fröhling, NZG 2002, 201, 204; Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 69 Rz. 3; Hüffer/ Koch-Koch, AktG, § 69 Rz. 2. 7) K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 69 Rz. 2. 8) Die Regelung begründet insofern nur eine Obliegenheit, vgl. Bayer/Sarakinis, NZG 2018, 561. 9) H. M., vgl. nur K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 69 Rz. 9; Henssler/Strohn-Lange, GesR, § 70 AktG Rz. 4; abweichend Bayer in: MünchKomm-AktG, § 69 Rz. 26; Bayer/Sarakinis, NZG 2018, 561, 568 f. 10) KG Berlin, Urt. v. 8.11.1972 – 4 U 698/72, AG 1972, 49, 50. 11) Henssler/Strohn-Lange, GesR, § 70 AktG Rz. 4; Einzelheiten zur möglichen Interessenkollision bei Bayer/ Sarakinis, NZG 2018, 561, 565. 12) Henssler/Strohn-Lange, GesR, § 70 AktG Rz. 4. 13) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 69 Rz. 3; Einzelheiten bei Bayer/Sarakinis, NZG 2018, 561, 570 f. 14) Bayer/Sarakinis, NZG 2018, 561, 564.

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§ 69

Rechtsgemeinschaft an einer Aktie

ist dann gegenüber der AG gemäß § 67 Abs. 2 besonders legitimiert.15) Die Art und Weise der Vertreterbestellung richtet sich nach dem betreffenden bürgerlichen Recht. Aus dem Erfordernis einer Benennung in § 69 Abs. 2 folgt jedoch, dass es sich zwingend um eine Außenvollmacht handeln muss (streitig).16) Über den Umfang der Vertretungsmacht besagt § 69 Abs. 1 nichts.17) Richtigerweise sind daher inhaltliche Beschränkungen zulässig (streitig).18) Die AG wird insofern über § 174 BGB geschützt (vgl. auch das Erfordernis der Urkundsvorlage gemäß § 134 Abs. 3 Satz 3). Die mit der Bestellung des Vertreters einhergehende Bevollmächtigung ist gemäß § 168 Satz 2 BGB frei widerruflich.19) § 69 Abs. 1 ist nach zutreffender Ansicht in Teilen dispositiv. Die Satzung einer AG kann 4 daher für die betreffenden Personenzusammenschlüsse auch zulassen, dass deren Mitglieder ihren Willen gemeinschaftlich nach den jeweils maßgeblichen Regeln bilden und gegenüber der AG erklären (streitig).20) Unzulässig ist es indessen, wenn die Person oder persönlichen Eigenschaften des Vertreters durch Satzungsregelung festgelegt werden; diese richten sich zwingend nach dem jeweiligen Recht der Personengemeinschaften.21) Es ist indessen auch ohne entsprechende Satzungsregelung zulässig, mehrere Personen als gemeinschaftliche Vertreter zu bestellen, was jedoch zwingend deren Gesamtvertretungsmacht nach sich zieht (streitig).22) Der gemeinschaftliche Vertreter ist kraft seiner Bevollmächtigung befugt, die Rechte aus 5 der Aktie mit Wirkung für und gegen die Mitglieder der Gemeinschaft auszuüben. Dies betrifft vor allem die aus der Mitgliedschaft erwachsenden Verwaltungsrechte (vor allem Stimmrecht und Fragerecht, Geltendmachung von Beschlussmängeln, Antragsrechte zugunsten der Minderheit).23) Der Vertreter kann einem eigenen Stimmverbot gemäß § 136 Abs. 1 unterliegen.24) Die dingliche und schuldrechtliche Rechtszuständigkeit wird von § 69 Abs. 1 nicht geregelt. Der Gewinnanspruch steht daher z. B. den beteiligten Personen gemäß ihrer zivilrechtlichen Verbundenheit gemeinschaftlich zu, ohne dass es hierfür eines Vertreters bedürfte; die Ausübung dieser Ansprüche erfolgt indessen durch den gemeinschaftlichen Vertreter.25) Das Gleich gilt für das Bezugsrecht. Auch ist der gemeinschaftliche Vertreter nicht befugt, die Aktie zu übertragen oder zu belasten (Verpfändung, Nießbrauch).26) IV.

Gesamtschuldnerische Haftung (§ 69 Abs. 2)

Gemäß § 69 Abs. 2 haften die Mitglieder einer erfassten Rechtsgemeinschaft für die Leis- 6 tungen auf die Aktie zwingend gesamtschuldnerisch. Dies betrifft die Einlagepflichten i. S. von § 54 sowie sämtliche sonstigen, hiermit mittelbar zusammenhängenden Leistungs_____________ 15) K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 69 Rz. 7; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 69 Rz. 2; Einzelheiten bei Blasche, AG 2015, 342; Bayer/Sarakinis, NZG 2018, 561, 566. 16) Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 69 Rz. 6; abweichend Bayer/Sarakinis, NZG 2018, 561, 563: auch nach außen kundgegebene Innenvollmacht. 17) Einzelheiten bei Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 69 Rz. 15. 18) Abweichend Bayer/Sarakinis, NZG 2018, 561, 564, unter Hinweis aus die Praktikabilität, was jedoch wegen der vielen Schutzmechanismen zugunsten der Gegenseite nicht überzeugt. 19) Bayer/Sarakinis, NZG 2018, 561, 564. 20) Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 69 Rz. 18; abweichend Henssler/Strohn-Lange, GesR, § 69 AktG Rz. 2; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 69 Rz. 6; Bayer/Sarakinis, NZG 2018, 561, 562, 569 f. 21) So für die Erbengemeinschaft auch Bayer/Sarakinis, NZG 2018, 561, 566. 22) Wie hier Bayer/Sarakinis, NZG 2018, 561, 565 f., abweichend unter Hinweis auf § 134 Abs. 3 Satz 2 Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 69 Rz. 4. 23) Bayer/Sarakinis, NZG 2018, 561, 567. 24) Bayer/Sarakinis, NZG 2018, 561, 567. 25) Etwas undeutlich Bayer/Sarakinis, NZG 2018, 561, 567. 26) Bayer/Sarakinis, NZG 2018, 561, 567.

Wolfgang Servatius

403

§ 70

Berechnung der Aktienbesitzzeit

pflichten (vgl. §§ 63 Abs. 2, 65) und Nebenleistungspflichten i. S. von § 55. Die Rückerstattungspflicht gemäß § 62 trifft hingegen nur den konkreten Leistungsempfänger (streitig).27) Die erbrechtlichen Haftungsbeschränkungen haben jedoch Vorrang, so dass sich jeder Erbe über §§ 1975 ff. BGB von einer Inanspruchnahme befreien kann (streitig).28) V.

Passivvertretung (§ 69 Abs. 3)

7 Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 ist im Fall der Passivvertretung zwingend (streitig)29) jedes Mitglied der betreffenden Personengemeinschaften mit Wirkung für und gegen die übrigen empfangsbefugt, wenn kein gemeinschaftlicher Vertreter bestellt wurde (vgl. z. B. für die Nachfrist gemäß § 64 Abs. 2). § 69 Abs. 3 Satz 2 schränkt dies bei Erben jedoch für Willenserklärungen innerhalb des ersten Monats nach dem Erbfall ein.30) _____________ 27) Wie hier Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 69 Rz. 19; abweichend die wohl h. M., vgl. nur K. Schmidt/ Lutter-Bezzenberger, AktG, § 69 Rz. 10; Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 69 Rz. 8. 28) Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 69 Rz. 21; abweichend K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 69 Rz. 10, wenn die Erben ins Aktienregister eingetragen sind; ebenso Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 69 Rz. 7. 29) Abweichend Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 69 Rz. 8. 30) Einzelheiten bei Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 69 Rz. 24.

§ 70 Berechnung der Aktienbesitzzeit 1

Ist die Ausübung von Rechten aus der Aktie davon abhängig, daß der Aktionär während eines bestimmten Zeitraums Inhaber der Aktie gewesen ist, so steht dem Eigentum ein Anspruch auf Übereignung gegen ein Kreditinstitut, Finanzdienstleistungsinstitut oder ein nach § 53 Abs. 1 Satz 1 oder § 53b Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 7 des Gesetzes über das Kreditwesen tätiges Unternehmen gleich. 2Die Eigentumszeit eines Rechtsvorgängers wird dem Aktionär zugerechnet, wenn er die Aktie unentgeltlich, von seinem Treuhänder, als Gesamtrechtsnachfolger, bei Auseinandersetzung einer Gemeinschaft oder bei einer Bestandsübertragung nach § 13 des Versicherungsaufsichtsgesetzes oder § 14 des Gesetzes über Bausparkassen erworben hat. Literatur: Grunewald, Die Rechtsstellung des Legitimationsaktionärs, ZGR 2015, 347.

Übersicht I. Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt ................................................. 1 II. Aktienbesitzzeit ................................ 2 I.

III. Hinzurechnung gemäß § 70 Satz 1 ................................................... 4 IV. Hinzurechnung gemäß § 70 Satz 2 ................................................... 6

Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt

1 Die Norm ergänzt die Regelungen, bei denen es auf eine bestimmte Aktienbesitzzeit ankommt, und führt zur Anrechnung bestimmter Vorerwerbszeiten des Aktionärs. Gemäß § 70 Satz 1 werden zugunsten des Inhabers bzw. des im Aktienregister eingetragenen Aktionärs (vgl. § 67 Abs. 2 Satz 1) dem Aktieneigentum bzw. der Inhaberschaft an Aktien bestimmte Aktienverschaffungsansprüche gegen Kreditinstitute gleichgestellt. § 70 Satz 2 bezieht insofern auch Treuhandgestaltungen und vergleichbare Rechtsverhältnisse ein. Die beiden Hinzurechnungen können auch gestaffelt hintereinander zur Anwendung kommen.1) _____________ 1)

404

Vgl. Bayer in: MünchKomm-AktG, § 70 Rz. 23; K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 70 Rz. 7.

Wolfgang Servatius

§ 70

Berechnung der Aktienbesitzzeit

pflichten (vgl. §§ 63 Abs. 2, 65) und Nebenleistungspflichten i. S. von § 55. Die Rückerstattungspflicht gemäß § 62 trifft hingegen nur den konkreten Leistungsempfänger (streitig).27) Die erbrechtlichen Haftungsbeschränkungen haben jedoch Vorrang, so dass sich jeder Erbe über §§ 1975 ff. BGB von einer Inanspruchnahme befreien kann (streitig).28) V.

Passivvertretung (§ 69 Abs. 3)

7 Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 ist im Fall der Passivvertretung zwingend (streitig)29) jedes Mitglied der betreffenden Personengemeinschaften mit Wirkung für und gegen die übrigen empfangsbefugt, wenn kein gemeinschaftlicher Vertreter bestellt wurde (vgl. z. B. für die Nachfrist gemäß § 64 Abs. 2). § 69 Abs. 3 Satz 2 schränkt dies bei Erben jedoch für Willenserklärungen innerhalb des ersten Monats nach dem Erbfall ein.30) _____________ 27) Wie hier Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 69 Rz. 19; abweichend die wohl h. M., vgl. nur K. Schmidt/ Lutter-Bezzenberger, AktG, § 69 Rz. 10; Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 69 Rz. 8. 28) Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 69 Rz. 21; abweichend K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 69 Rz. 10, wenn die Erben ins Aktienregister eingetragen sind; ebenso Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 69 Rz. 7. 29) Abweichend Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 69 Rz. 8. 30) Einzelheiten bei Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 69 Rz. 24.

§ 70 Berechnung der Aktienbesitzzeit 1

Ist die Ausübung von Rechten aus der Aktie davon abhängig, daß der Aktionär während eines bestimmten Zeitraums Inhaber der Aktie gewesen ist, so steht dem Eigentum ein Anspruch auf Übereignung gegen ein Kreditinstitut, Finanzdienstleistungsinstitut oder ein nach § 53 Abs. 1 Satz 1 oder § 53b Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 7 des Gesetzes über das Kreditwesen tätiges Unternehmen gleich. 2Die Eigentumszeit eines Rechtsvorgängers wird dem Aktionär zugerechnet, wenn er die Aktie unentgeltlich, von seinem Treuhänder, als Gesamtrechtsnachfolger, bei Auseinandersetzung einer Gemeinschaft oder bei einer Bestandsübertragung nach § 13 des Versicherungsaufsichtsgesetzes oder § 14 des Gesetzes über Bausparkassen erworben hat. Literatur: Grunewald, Die Rechtsstellung des Legitimationsaktionärs, ZGR 2015, 347.

Übersicht I. Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt ................................................. 1 II. Aktienbesitzzeit ................................ 2 I.

III. Hinzurechnung gemäß § 70 Satz 1 ................................................... 4 IV. Hinzurechnung gemäß § 70 Satz 2 ................................................... 6

Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt

1 Die Norm ergänzt die Regelungen, bei denen es auf eine bestimmte Aktienbesitzzeit ankommt, und führt zur Anrechnung bestimmter Vorerwerbszeiten des Aktionärs. Gemäß § 70 Satz 1 werden zugunsten des Inhabers bzw. des im Aktienregister eingetragenen Aktionärs (vgl. § 67 Abs. 2 Satz 1) dem Aktieneigentum bzw. der Inhaberschaft an Aktien bestimmte Aktienverschaffungsansprüche gegen Kreditinstitute gleichgestellt. § 70 Satz 2 bezieht insofern auch Treuhandgestaltungen und vergleichbare Rechtsverhältnisse ein. Die beiden Hinzurechnungen können auch gestaffelt hintereinander zur Anwendung kommen.1) _____________ 1)

404

Vgl. Bayer in: MünchKomm-AktG, § 70 Rz. 23; K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 70 Rz. 7.

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§ 70

Berechnung der Aktienbesitzzeit II.

Aktienbesitzzeit

Die von § 70 geregelte Aktienbesitzzeit ist vor allem bei bestimmten Minderheitenrech- 2 ten relevant. Folgende Regelungen setzen etwa einen Aktienbesitz von mindestens drei Monaten voraus: –

§ 142 Abs. 2 Satz 2 (Antrag auf gerichtliche Bestellung von Sonderprüfern zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen),



§ 258 Abs. 2 Satz 4 (Antrag auf gerichtliche Bestellung von Sonderprüfern im Hinblick auf den Jahresabschluss),



§ 265 Abs. 3 Satz 2 (Antrag auf gerichtliche Bestellung oder Abberufung von Abwicklern),



§ 315 Satz 2 (Antrag auf gerichtliche Bestellung von Sonderprüfung beim faktischen Konzern),



§ 318 Abs. 3 Satz 3 und 4 HGB (Antrag auf Ersetzung des von der Hauptversammlung gewählten Abschlussprüfers).

Die Regelung gilt aber entsprechend in den Fällen, in denen es auf einen bestimmten Zeit- 3 punkt der Aktieninhaberschaft ankommt, so dass die tatbestandlich erfassten Hinzurechnungen die jeweilige Aktivlegitimation zu begründen vermögen.2) Relevant ist dies etwa in folgenden Fällen: –

§ 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 (Antrag auf gerichtliche Ermächtigung zur Geltendmachung von Ersatzansprüchen),



§ 245 Nr. 1 (Anfechtungsbefugnis),3)



§ 246a Abs. 2 Nr. 2 (Freigabeverfahren).

III.

Hinzurechnung gemäß § 70 Satz 1

Die Hinzurechnung gemäß § 70 Satz 1 erfasst die Fälle, in denen dem Aktionär gegen eine 4 Verwahrstelle Verschaffungsansprüche auf die betreffenden Aktien zustanden bzw. zustehen.4) Dies betrifft vor allem die Ansprüche gemäß §§ 383 ff. HGB und §§ 18 ff. DepotG, sofern es zum Zwischenerwerb des betreffenden Aktionärs kam oder kommen soll.5) Erfasst sind diese jedoch nur, soweit sie fällig sind bzw. waren6) und sich gegen die genannten Institute oder Unternehmen richten: –

Kreditinstitute (§§ 1 Abs. 1 Satz 1, 2 Abs. 1 KWG),



Finanzdienstleistungsinstitute (§§ 1 Abs. 1a, 2 Abs. 6 KWG),



Unternehmen i. S. von §§ 53 Abs. 1 Satz 1, 53b Abs. 1 Satz 1, Abs. 7 KWG.



Erfasst werden zudem ausländische Einlagenkreditinstitute i. S. von § 1 Abs. 3d Satz 1 KWG und Wertpapierhandelsunternehmen i. S. von § 1 Abs. 3d Satz 2 KWG mit Sitz in einem anderen Staat des EWR und Geschäftstätigkeit oder Zweigstelle im Inland (vgl. § 53b Abs. 1 Satz 1 KWG).7)

_____________ 2) 3) 4) 5) 6) 7)

K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 70 Rz. 2; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 70 Rz. 5; abweichend Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 70 Rz. 2. Vgl. hierzu im Hinblick auf die Hinzurechnung eines Legitimationsaktionärs Grunewald, ZGR 2015, 347, 358 f. Einzelheiten bei K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 70 Rz. 4. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 70 Rz. 3. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 70 Rz. 3. Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 70 Rz. 4.

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§ 71

Erwerb eigener Aktien

5 Die gemäß § 2 Abs. 4 KWG nicht der Bankenaufsicht unterstellten Unternehmen werden nicht von der Regelung erfasst.8) Das Bezugsrecht eines Aktionärs wird nicht von § 70 Satz 1 erfasst, außer in den Fällen des § 186 Abs. 5.9) Im Übrigen ist zu bedenken, dass die Girosammelverwahrung nicht unter § 70 Satz 1 fällt, weil die Aktionärsstellung hier bereits dinglich besteht.10) IV.

Hinzurechnung gemäß § 70 Satz 2

6 Gemäß § 70 Satz 2 ist in bestimmten Fällen zugunsten des jetzigen Aktionärs weiterhin die Hinzurechnung der Besitzzeit des Rechtsvorgängers möglich. Folgende Gestaltungen werden abschließend11) genannt: –

unentgeltlicher Erwerb (§§ 515 ff. BGB, § 2301, §§ 2147 ff. BGB, nicht aber beim zinslosen Wertpapierdarlehen),12)



Erwerb von seinem Treuhänder (eigennützige und uneigennützige Treuhand),13)



Erwerb i. R. einer Gesamtrechtsnachfolge (§§ 1922 ff. BGB, Umwandlungen),



Erwerb i. R. der Auseinandersetzung einer Gemeinschaft, einschließlich der Gesamthandsgemeinschaft (§§ 741 ff. BGB, Erbengemeinschaft, Gütergemeinschaft, Auseinandersetzung von Personengesellschaften),14)



Bestandsübertragungen nach § 14 VAG und § 14 BausparkG.

_____________ 8) H. M., vgl. Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 70 Rz. 4; zu Recht zweifelnd Bayer in: MünchKomm-AktG, § 70 Rz. 6. 9) Vgl. m. w. N. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 70 Rz. 3. 10) K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 70 Rz. 4. 11) Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 70 Rz. 9. 12) K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 70 Rz. 6. 13) Bayer in: MünchKomm-AktG, § 70 Rz. 16. 14) K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 70 Rz. 4.

§ 71 Erwerb eigener Aktien (1) 1Die Gesellschaft darf eigene Aktien nur erwerben, 1. wenn der Erwerb notwendig ist, um einen schweren, unmittelbar bevorstehenden Schaden von der Gesellschaft abzuwenden, 2. wenn die Aktien Personen, die im Arbeitsverhältnis zu der Gesellschaft oder einem mit ihr verbundenen Unternehmen stehen oder standen, zum Erwerb angeboten werden sollen, 3. wenn der Erwerb geschieht, um Aktionäre nach § 305 Abs. 2, § 320b oder nach § 29 Abs. 1, § 125 Satz 1 in Verbindung mit § 29 Abs. 1, § 207 Abs. 1 Satz 1 des Umwandlungsgesetzes abzufinden, 4. wenn der Erwerb unentgeltlich geschieht oder ein Kreditinstitut mit dem Erwerb eine Einkaufskommission ausführt, 5. durch Gesamtrechtsnachfolge, 6. auf Grund eines Beschlusses der Hauptversammlung zur Einziehung nach den Vorschriften über die Herabsetzung des Grundkapitals,

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§ 71

Erwerb eigener Aktien

5 Die gemäß § 2 Abs. 4 KWG nicht der Bankenaufsicht unterstellten Unternehmen werden nicht von der Regelung erfasst.8) Das Bezugsrecht eines Aktionärs wird nicht von § 70 Satz 1 erfasst, außer in den Fällen des § 186 Abs. 5.9) Im Übrigen ist zu bedenken, dass die Girosammelverwahrung nicht unter § 70 Satz 1 fällt, weil die Aktionärsstellung hier bereits dinglich besteht.10) IV.

Hinzurechnung gemäß § 70 Satz 2

6 Gemäß § 70 Satz 2 ist in bestimmten Fällen zugunsten des jetzigen Aktionärs weiterhin die Hinzurechnung der Besitzzeit des Rechtsvorgängers möglich. Folgende Gestaltungen werden abschließend11) genannt: –

unentgeltlicher Erwerb (§§ 515 ff. BGB, § 2301, §§ 2147 ff. BGB, nicht aber beim zinslosen Wertpapierdarlehen),12)



Erwerb von seinem Treuhänder (eigennützige und uneigennützige Treuhand),13)



Erwerb i. R. einer Gesamtrechtsnachfolge (§§ 1922 ff. BGB, Umwandlungen),



Erwerb i. R. der Auseinandersetzung einer Gemeinschaft, einschließlich der Gesamthandsgemeinschaft (§§ 741 ff. BGB, Erbengemeinschaft, Gütergemeinschaft, Auseinandersetzung von Personengesellschaften),14)



Bestandsübertragungen nach § 14 VAG und § 14 BausparkG.

_____________ 8) H. M., vgl. Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 70 Rz. 4; zu Recht zweifelnd Bayer in: MünchKomm-AktG, § 70 Rz. 6. 9) Vgl. m. w. N. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 70 Rz. 3. 10) K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 70 Rz. 4. 11) Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 70 Rz. 9. 12) K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 70 Rz. 6. 13) Bayer in: MünchKomm-AktG, § 70 Rz. 16. 14) K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 70 Rz. 4.

§ 71 Erwerb eigener Aktien (1) 1Die Gesellschaft darf eigene Aktien nur erwerben, 1. wenn der Erwerb notwendig ist, um einen schweren, unmittelbar bevorstehenden Schaden von der Gesellschaft abzuwenden, 2. wenn die Aktien Personen, die im Arbeitsverhältnis zu der Gesellschaft oder einem mit ihr verbundenen Unternehmen stehen oder standen, zum Erwerb angeboten werden sollen, 3. wenn der Erwerb geschieht, um Aktionäre nach § 305 Abs. 2, § 320b oder nach § 29 Abs. 1, § 125 Satz 1 in Verbindung mit § 29 Abs. 1, § 207 Abs. 1 Satz 1 des Umwandlungsgesetzes abzufinden, 4. wenn der Erwerb unentgeltlich geschieht oder ein Kreditinstitut mit dem Erwerb eine Einkaufskommission ausführt, 5. durch Gesamtrechtsnachfolge, 6. auf Grund eines Beschlusses der Hauptversammlung zur Einziehung nach den Vorschriften über die Herabsetzung des Grundkapitals,

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§ 71

Erwerb eigener Aktien

7. wenn sie ein Kreditinstitut, Finanzdienstleistungsinstitut oder Finanzunternehmen ist, aufgrund eines Beschlusses der Hauptversammlung zum Zwecke des Wertpapierhandels. 2Der Beschluß muß bestimmen, daß der Handelsbestand der zu diesem Zweck zu erwerbenden Aktien fünf vom Hundert des Grundkapitals am Ende jeden Tages nicht übersteigen darf; er muß den niedrigsten und höchsten Gegenwert festlegen. 3Die Ermächtigung darf höchstens fünf Jahre gelten; oder 8. aufgrund einer höchstens fünf Jahre geltenden Ermächtigung der Hauptversammlung, die den niedrigsten und höchsten Gegenwert sowie den Anteil am Grundkapital, der zehn vom Hundert nicht übersteigen darf, festlegt. 4Als Zweck ist der Handel in eigenen Aktien ausgeschlossen. 5§ 53a ist auf Erwerb und Veräußerung anzuwenden. 6Erwerb und Veräußerung über die Börse genügen dem. 7Eine andere Veräußerung kann die Hauptversammlung beschließen; § 186 Abs. 3, 4 und § 193 Abs. 2 Nr. 4 sind in diesem Fall entsprechend anzuwenden. 8Die Hauptversammlung kann den Vorstand ermächtigen, die eigenen Aktien ohne weiteren Hauptversammlungsbeschluß einzuziehen. (2) 1Auf die zu den Zwecken nach Absatz 1 Nr. 1 bis 3, 7 und 8 erworbenen Aktien dürfen zusammen mit anderen Aktien der Gesellschaft, welche die Gesellschaft bereits erworben hat und noch besitzt, nicht mehr als zehn vom Hundert des Grundkapitals entfallen. 2Dieser Erwerb ist ferner nur zulässig, wenn die Gesellschaft im Zeitpunkt des Erwerbs eine Rücklage in Höhe der Aufwendungen für den Erwerb bilden könnte, ohne das Grundkapital oder eine nach Gesetz oder Satzung zu bildende Rücklage zu mindern, die nicht zur Zahlung an die Aktionäre verwandt werden darf. 3In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1, 2, 4, 7 und 8 ist der Erwerb nur zulässig, wenn auf die Aktien der Ausgabebetrag voll geleistet ist. (3) 1In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 und 8 hat der Vorstand die nächste Hauptversammlung über die Gründe und den Zweck des Erwerbs, über die Zahl der erworbenen Aktien und den auf sie entfallenden Betrag des Grundkapitals, über deren Anteil am Grundkapital sowie über den Gegenwert der Aktien zu unterrichten. 2Im Falle des Absatzes 1 Nr. 2 sind die Aktien innerhalb eines Jahres nach ihrem Erwerb an die Arbeitnehmer auszugeben. (4) 1Ein Verstoß gegen die Absätze 1 oder 2 macht den Erwerb eigener Aktien nicht unwirksam. 2Ein schuldrechtliches Geschäft über den Erwerb eigener Aktien ist jedoch nichtig, soweit der Erwerb gegen die Absätze 1 oder 2 verstößt. Literatur: van Aerssen, Erwerb eigener Aktien und Wertpapierhandelsgesetz: Neues von der Schnittstelle Gesellschaftsrecht/Kapitalmarktrecht, WM 2000, 391; Baums/Stöcker, Rückerwerb eigener Aktien und WpÜG, in: Festschrift für Herbert Wiedemann, 2002, S. 703; Bednarz, Der Ermächtigungsbeschluss der Hauptversammlung zum Erwerb eigener Aktien, 2006; Berrar/ Schnorbus, Rückerwerb eigener Aktien und Übernahmerecht, ZGR 2003, 59; Bezzenberger, Der Erwerb eigener Aktien durch die AG, 2002; Broichhausen, Mitwirkungskompetenz der Hauptversammlung bei der Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen auf eigene Aktien, NZG 2012, 86; Butzke, Gesetzliche Neuregelungen beim Erwerb eigener Aktien, WM 1995, 1389; Cahn, Die Auswirkungen der Kapitaländerungsrichtlinie auf den Erwerb eigener Aktien, Der Konzern 2007, 385; Fleischer, Statthaftigkeit und Grenzen der Kursstabilisierung, ZIP 2003, 2045; Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 2006; Habersack, Das Andienungs- und Erwerbsrecht bei Erwerb und Veräußerung eigener Anteile, ZIP 2004, 1121; Habersack, Rückerwerbbare Aktien auch für deutsche Gesellschaften!, in: Festschrift für Marcus Lutter, 2000, S. 1329; Huber, Rückkauf eigener Aktien, in: Festschrift für Bruno Kropff, 1997, S. 101; Huber, Zum Aktienerwerb durch ausländische Tochtergesellschaften, in: Festschrift für Konrad Duden, 1977, S. 137; Hüffer, Aktienbezugsrechte als Bestandteil der Vergütung von Vorstands-

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Erwerb eigener Aktien

mitgliedern und Mitarbeitern – gesellschaftsrechtliche Analyse, ZHR 161 (1994) 214; Hüffer, Harmonisierung des aktienrechtlichen Kapitalschutzes, NJW 1979, 1065; Johannemann/Herr, Rückkauf eigener Aktien beim Eigenhandel von Kreditinstituten, BB 2015, 2158; JohannsenRoth, Der Einsatz von Eigenkapitalderivaten beim Erwerb eigener Aktien nach § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG, ZIP 2011, 407; Kallweit/Simons, Aktienrückkauf zum Zweck der Einziehung und Kapitalherabsetzung, AG 2014, 352; Kiem, Der Erwerb eigener Aktien bei der kleinen AG, ZIP 2000, 209; Kocher, Sind Ermächtigungen der Hauptversammlung zur Verwendung eigener Aktien analog § 202 I AktG auf 5 Jahre befristet?, NZG 2010, 172; Kort, Pflichten von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern beim Erwerb eigener Aktien zwecks Vorstandsvergütung, NZG 2008, 823; Kropff, Gesellschaftsrechtliche Auswirkungen der Ausschüttungssperre in § 268 Abs. 8 HGB, in: Festschrift für Uwe Hüffer, 2010, S. 539; Kruchen, Risikoabsicherung aktienbasierter Vergütungen mit eigenen Aktien, AG 2014, 655; Kuhn, Arbitragegeschäfte der Aktienbanken in eigenen Aktien, NJW 1973, 833; Leuering, Der Rückerwerb eigener Aktien im Aktionsverfahren, AG 2007, 337; Martens, Erwerb und Veräußerung eigener Aktien im Börsenhandel, AG 1996, 337; Martens, Der Erwerb eigener Aktien zum Umtausch im Verschmelzungsverfahren, in: Festschrift für Karlheinz Boujong, 1996, S. 335; Mick, Aktien- und bilanzsteuerrechtliche Implikationen beim Einsatz von Eigenkapitalderivaten beim Aktienrückkauf, DB 1999, 1201; Möller, Rückerwerb eigener Aktien, 2005; Oechsler, Die Wertpapierleihe im Anwendungsbereich des § 71 AktG, AG 2010, 526; Oechsler, Die Änderung der Kapitalrichtlinie und der Rückerwerb eigener Aktien, ZHR 170 (2006) 72; Paefgen, Die Gleichbehandlung beim Aktienrückerwerb im Schnittfeld von Gesellschafts- und Übernahmerecht, ZIP 2002, 1509; Paefgen, Eigenkapitalderivate bei Aktienrückkäufen und Managementbeteiligungsmodellen, AG 1999, 67; Reichert/Harbarth, Veräußerung und Einbeziehung eigener Aktien, ZIP 2001, 1441; Rieckers, Ermächtigung des Vorstands zu Erwerb und Einziehung eigener Aktien, ZIP 2009, 700; Saria, Schranken beim Erwerb eigener Aktien nach § 71 I Nr. 8 AktG, NZG 2000, 458; Schulz, Strategien zum Umgang mit eigenen Anteilen bei der Vorbereitung eines Börsengangs, ZIP 2015, 510; Seibt/Brennkamp, Erwerb eigener Aktien und Ad-hoc-Publizitätspflicht, AG 2008, 469; Stallknecht/Schulze-Uebbing, Der Rückerwerb eigener Aktien durch nicht börsennotierte Aktiengesellschaften, AG 2010, 657; Tollkühn, Die Schaffung von Mitarbeiteraktien durch kombinierte Nutzung von genehmigtem Kapital und Erwerb eigener Aktien unter Einschaltung eines Kreditinstituts, NZG 2004, 594; Vetter, J., Gegenleistung beim Erwerb eigener Aktien mittels Call Optionen, AG 2004, 344; Vetter, J., Die Gegenleistung für den Erwerb eigener Aktien, AG 2003, 478; Wagner, Zur aktienrechtlichen Zulässigkeit von Share-Matching-Plänen, BB 2010, 1739; Ziebe, Die Regelung des Erwerbs eigener Aktien in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft, AG 1982, 175; Zöllner, Gerechtigkeit bei der Kapitalerhöhung, AG 2002, 585.

Übersicht I. Bedeutung der Norm ....................... 1 II. Regelungsgehalt ............................... 3 III. Erwerbsverbot ................................... 4 1. Erfasste Gestaltungen ........................ 5 2. Rechtsfolgen ...................................... 7 IV. Ausnahmetatbestände (§ 71 Abs. 1) ....................................... 9 1. Schadensabwehr (§ 71 Abs. 1 Nr. 1) . 10 2. Belegschaftsaktien (§ 71 Abs. 1 Nr. 2) ........................... 13 3. Bedienung von Abfindungsansprüchen (§ 71 Abs. 1 Nr. 3) ...... 15 4. Unentgeltlicher Erwerb, Einkaufskommission (§ 71 Abs. 1 Nr. 4) ..... 17

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5. 6. 7. 8.

a) Unentgeltlicher Erwerb ............. 17 b) Einkaufskommission .................. 18 Gesamtrechtsnachfolge (§ 71 Abs. 1 Nr. 5) ........................... 19 Erwerb zur Einziehung (§ 71 Abs. 1 Nr. 6) ........................... 20 Wertpapierhandel von Kreditinstituten (§ 71 Abs. 1 Nr. 7) .......... 21 Ermächtigung der Hauptversammlung (§ 71 Abs. 1 Nr. 8) ................... 22 a) Vorstandsermächtigung ............. 23 aa) Festlegung des niedrigsten und höchsten Gegenwertes für den Erwerb ......................................... 24

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§ 71

Erwerb eigener Aktien bb) Höchstdauer ............................... 27 cc) Höchstbetrag .............................. 28 dd) Rückerwerbszweck .................... 29 (1) Kompetenz ................................. 29 (2) Beispiele ...................................... 30 (3) Kein Handel mit eigenen Aktien ......................................... 33 b) Erwerb und Veräußerung der eigenen Aktien ..................... 34 aa) Gleichbehandlungsgebot ........... 35 (1) Rückerwerb ................................ 36 (2) Weiterveräußerung ..................... 39 bb) Erwerb und Veräußerung über die Börse ............................. 40 I.

(1) Rückerwerb ................................ (2) Weiterveräußerung .................... V. Weitere Erwerbsschranken (§ 71 Abs. 2) ..................................... 1. Maximaler Erwerb ............................ 2. Rücklagenbildung ............................. 3. Volleinzahlungsgebot ....................... 4. Verdeckte Gewinnausschüttungen .... a) Erwerbspreis ............................... b) Verkaufserlös .............................. VI. Aktionärsinformation (§ 71 Abs. 3 Satz 1) .......................... VII. Rechtsfolgen des zulässigen Erwerbs (§ 71 Abs. 3 Satz 2) ...........

42 43 46 47 48 50 51 52 53 54 56

Bedeutung der Norm

Die Norm ordnet an, in welchen Fällen die AG ausnahmsweise eigene Aktien erwerben 1 darf. Sie wird ergänzt durch die §§ 71a – e, welche das Erwerbsverbot näher konkretisieren und Umgehungssachverhalte mit einbeziehen sowie durch das Zeichnungsverbot gemäß § 56. Das Verbot eigene Aktien zu erwerben und die katalogartigen Ausnahmen hiervon sind zentraler Bestandteil der Kapitalrichtlinie aus dem Jahr 1978 (vgl. Art. 19 – 24a, 39).1) Die hierauf beruhenden §§ 71 – 71e wurden 1978 eingeführt und in der Zwischenzeit mehrfach geändert.2) Der Regelungskomplex war in Deutschland zuvor lediglich rudimentär ausgeprägt; vgl. aber auch § 33 GmbHG. Das zentrale Schutzanliegen der §§ 71 ff. ist ein Doppeltes: Würde man den Erwerb eigener 2 Aktien zulassen, wäre hierdurch bei nicht voll eingezahlten Anteilen die Kapitalaufbringung obsolet, weil die AG Schuldnerin und Gläubigerin der Einlageforderung wäre; vor allem aber würde der Erwerbspreis eine unzulässige Einlagenrückgewähr gemäß § 57 bedeuten. Zum anderen verschieben eigene Aktien das Kompetenzgefüge in der AG, indem der Vorstand als ihr Vertreter Befugnisse erlangt, die an sich den Aktionären in der Hauptversammlung zustehen (sog. Verwaltungsstimmrecht). Insofern bestehen rechtspolitisch dem Grunde nach kaum Bedenken gegen das Verbot und seine Ausnahmen, wenngleich andere Rechtsordnungen dies teilweise liberaler handhaben.3) § 71 ist kein Schutzgesetz zugunsten der Aktionäre i. S. von § 823 Abs. 2 BGB und kann auch nicht zur Begründung eines Unterlassungsanspruchs der Aktionäre gemäß § 1004 BGB gegen die verbotene Aktienausgabe herangezogen werden.4) II.

Regelungsgehalt

§ 71 Abs. 1 begründet ein Erwerbsverbot für eigene Aktien, soweit nicht einer der genann- 3 ten Erlaubnistatbestände eingreift. Liegt eine derartige Erlaubnis nicht vor, ist der Aktienerwerb gemäß § 71 Abs. 4 nicht unwirksam, wohl aber das zugrunde liegende Kausalgeschäft. Aus den verbotenerweise erworbenen eigenen Aktien stehen der AG gemäß § 71b _____________ 1) 2)

3) 4)

Vgl. Hüffer, NJW 1979, 1065, 1069. Überblick über die Entstehungsgeschichte bei K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71 Rz. 10 ff.; zu Umsetzungsdefiziten anlässlich der im Jahr 2006 geänderten früheren Kapitalrichtlinie Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71 Rz. 34. Rechtsvergleichende Hinweise z. B. bei Oechsler in: MünchKomm-AktG, § 71 Rz. 45 ff.; ausführlich zur ökonomischen Betrachtung Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71 Rz. 1 ff. LG Memmingen, Urt. v. 11.8.2010 – 2 HK O 515/10, GWR 2010, 455.

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§ 71

Erwerb eigener Aktien

keine Rechte zu; der Vorstand ist gemäß § 71c verpflichtet, die Aktien alsbald zu veräußern, ansonsten kommt es zur Einziehung gemäß § 237. Das Erwerbsverbot erfasst als Umgehungstatbestände auch die Finanzierung des Anteilserwerbs durch die AG (§ 71a) sowie den Aktienerwerb zurechenbarer Dritter (§ 71d); für die Inpfandnahme eigener Aktien gilt § 71e. § 71 Abs. 2 begrenzt die in § 71 Abs. 1 Nr. 1 – 8 genannten Erlaubnistatbestände im Hinblick auf das Gesamtvolumen der eigenen Aktien, sichert über die Rücklagenpflicht die Kapitalerhaltung und gewährleistet durch das Volleinzahlungsgebot die reale Kapitalaufbringung. § 71 Abs. 3 begründet wesentliche Informationspflichten des Vorstands gegenüber der Hauptversammlung. Bei börsennotierten Aktiengesellschaften sind im Kontext des Erwerbs eigener Aktien ergänzend die kapitalmarktrechtlichen Regelungen gemäß WpHG (Insiderrecht, Ad hoc-Publizität, Markmanipulation) und Safe Harbor-VO zu beachten.5) Vgl. zu §§ 71 ff. auch die Ordnungswidrigkeit gemäß § 405 Abs. 1 Nr. 4. III.

Erwerbsverbot

4 Die AG darf keine eigenen Aktien erwerben, soweit dies nicht durch die Ausnahmetatbestände nach § 71 Abs. 1 und Abs. 2 erlaubt ist. Die Regelung ist zwingend.6) 1.

Erfasste Gestaltungen

5 Die Regelung betrifft nur den derivativen Erwerb existenter eigener Aktien; für die Aktienübernahme (§ 23 Abs. 2 Nr. 2) und Zeichnung (§ 185) gilt § 56. Das Verbot erstreckt sich auf alle Aktien, unabhängig von ihrer Art (Gattung i. S. von § 11, Namens- oder Inhaberaktie i. S. von § 10; Zwischenscheine) oder rechtlichen Ausgestaltung, insbesondere der Verbriefung. Der erfasste Erwerb ist zum einen dinglich zu sehen, mithin die Einräumung der Aktionärsstellung durch Übereignung (§ 929 BGB) oder Abtretung (§§ 398, 413 BGB). Es spielt keine Rolle, wie lange die Rechtsübertragung stattfinden soll.7) Auch die schuldrechtliche causa ist unerheblich (Kauf, Tausch, Schenkung, Leihe bzw. Sachdarlehen,8) Treuhand, Gesamtrechtsnachfolge, Zwangsvollstreckung);9) vgl. aber die hieran unterschiedlich anknüpfenden Erlaubnistatbestände sowie die Unwirksamkeit derartiger Abreden gemäß § 71 Abs. 4 Satz 2 (siehe unten Rz. 56 f.). Es genügt, wenn die AG Mitinhaber der Aktien wird (vgl. § 69);10) für den Aktienerwerb Dritter folgt der Umgehungsschutz aus § 71d; für die Inpfandnahme eigener Aktien gilt § 71e. Die bloße Erlangung von Verfügungsbefugnis über eigene Aktien – z. B. i. R. der Verkaufskommission gemäß § 383 Abs. 1 HGB – fällt nicht unter das Erwerbsverbot.11) 6 Die bloß schuldrechtliche Möglichkeit oder gar Pflicht, eigene Aktien zu erwerben, fällt ebenfalls unter das Verbot, da § 71 Abs. 4 Satz 2 die Unwirksamkeit derartiger Verträge anordnet (streitig).12) Dies gilt entgegen der h. M. auch für das Bezugsrecht i. S. von § 18613) und den Erwerb von Options- oder Wandelschuldanleihen.14) Die genannten Rechte können _____________ 5) 6) 7) 8) 9) 10) 11) 12)

Hierzu ausführlich Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71 Rz. 160 ff. Unstreitig, vgl. nur Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71 Rz. 1. Vgl. zum Sicherungseigentum Oechsler, AG 2010, 526. Auch Pensionsgeschäfte, vgl. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71 Rz. 4. Einzelheiten bei Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71 Rz. 35 ff. Oechsler in: MünchKomm-AktG, § 71 Rz. 73. Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71 Rz. 42; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71 Rz. 6. Oechsler in: MünchKomm-AktG, § 71 Rz. 73; abweichend etwa Mick, DB 1999, 1201, 1202; Hüffer/ Koch-Koch, AktG, § 71 Rz. 4; vgl. zu Call-Optionen Vetter, AG 2003, 478, 479; vgl. auch LG Göttingen, Urt. v. 6.1.1992 – 8 O 123/91, WM 1992, 1373 – keine Erfüllungsansprüche aus nichtigem Vertrag. 13) Abweichend aber Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71 Rz. 42. 14) Abweichend Oechsler in: MünchKomm-AktG, § 71 Rz. 94; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71 Rz. 5; zum Erwerb von Derivaten Johannsen-Roth, ZIP 2011, 407.

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jedoch i. R. eines der Erlaubnistatbestände erworben werden. Dividendenscheine und Genussrechte kann die AG ohne weiteres erwerben.15) 2.

Rechtsfolgen

Kommt es zum verbotenen Erwerb, ist der dingliche Rechtserwerb gemäß § 71 Abs. 4 Satz 1 7 nicht unwirksam. Die AG wird Aktionärin; ihr stehen im Hinblick auf die verbotenerweise erworbenen eigenen Aktien jedoch gemäß § 71b keine Rechte zu. Der Vorstand macht sich nach § 93 Abs. 3 Nr. 3 schadensersatzpflichtig;16) ggf. auch wegen verbotener Einlagenrückgewähr nach § 93 Abs. 3 Nr. 1; vgl. zudem die Ordnungswidrigkeit gemäß § 405 Abs. 1 Nr. 4 lit. a. Der Vorstand ist gemäß § 71c zudem verpflichtet, die Aktien alsbald zu veräußern, ansonsten kommt es zur Einziehung gemäß § 237. Nach § 71 Abs. 4 Satz 2 sind die schuldrechtlichen Geschäfte über den verbotenen Er- 8 werb nichtig (Ausnahmen gemäß §§ 29 Abs. 1 Satz 1, 207 Abs. 1 Satz 1 UmwG). Die AG hat keine Erfüllungsansprüche.17) Der Aktienerwerb ist gemäß §§ 812 ff. BGB rückabzuwickeln.18) Gegen den Veräußerer besteht zudem ein Anspruch aus §§ 57, 61 auf Erstattung des Erwerbspreises. Nach § 71a Abs. 2 sind auch die Rechtsgeschäfte nichtig, die die AG mit einem auf ihre Rechnung handelnden Dritten schließt, wenn der hierdurch geregelte Aktienerwerb gegen die § 71 Abs. 1 und Abs. 2 verstoßen würde (Einzelheiten dort). IV.

Ausnahmetatbestände (§ 71 Abs. 1)

§ 71 Abs. 1 und Abs. 2 sehen wie die Vorgaben der Gesellschaftsrechts-Richtlinie zwingend 9 einen – komplizierten – abschließenden Katalog der Erlaubnistatbestände vor. Die Beweislast für das Vorliegen obliegt demjenigen, der sich darauf beruft.19) 1.

Schadensabwehr (§ 71 Abs. 1 Nr. 1)

Der Erwerb eigener Aktien ist gemäß § 71 Abs. 1 Nr. 1 zulässig, wenn er objektiv20) not- 10 wendig ist, um einen schweren, unmittelbar bevorstehenden Schaden von der AG abzuwenden. Die Regelung ist eng auszulegen. Erforderlich ist, dass die rechtliche Existenz der AG konkret gefährdet ist und der Erwerb der eigenen Aktien aus der ex ante-Perspektive ein – ggf. neben anderen Maßnahmen – zwingend notwendiges und auch objektiv geeignetes Mittel ist, diese Folge abzuwenden.21) Erforderlich ist, dass der Aktienerwerb zur Schadensabwehr ohne vernünftige Alternative ist.22) Ist bereits ein derartiger Schaden eingetreten, kommt die Erlaubnis auch in Betracht, um den Schaden zu beseitigen.23) In diesen engen Grenzen kann es z. B. ausnahmsweise zulässig sein, Stützungskäufe zu 11 tätigen, um die Kreditgefährdung durch einen gezielten Baisseangriff zu vermeiden.24) Die _____________ 15) Oechsler in: MünchKomm-AktG, § 71 Rz. 91; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71 Rz. 5. 16) Vgl. OLG Frankfurt/M., Urt. v. 15.2.2008 – 10 U 90/07, NZG 2008, 836; OLG Stuttgart, Urt. v. 25.11.2009 – 20 U 5/09, ZIP 2009, 2386 = NZG 2010, 141, dazu EWiR 2010, 477 (Becker/Laubinger); Huber in: FS Duden, S. 137, 144 f.; Kort, NZG 2008, 823. 17) LG Göttingen, Urt. v. 6.1.1992 – 8 O 123/91, WM 1992, 1373 f. 18) Einzelheiten bei K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71 Rz. 87. 19) Einzelheiten bei K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71 Rz. 90 ff. 20) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71 Rz. 8. 21) Weitergehend, auch beachtliche, nicht existenzgefährdende Schäden einbeziehend, Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71 Rz. 7; Henssler/Strohn-Lange, GesR, § 71 AktG Rz. 4. 22) Vgl. OLG Hamburg, Urt. v. 18.9.2009 – 11 U 183/07, AG 2010, 502, 505. 23) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71 Rz. 7. 24) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71 Rz. 9.

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bloße Kurspflege ist demgegenüber kein Erlaubnistatbestand,25) die Gewinnerzielung mit dem Handel eigener Aktien erst recht nicht (vgl. insofern auch § 71 Abs. 2 Satz 2, siehe unten Rz. 48 f.). Die drohende Überfremdung der AG genügt ebenfalls nicht (streitig);26) selbst dann nicht, wenn feststeht, dass der künftige Mehrheitsaktionär die AG – legal! – ausplündern oder auflösen möchte (streitig).27) Die Ausübung von Aktionärsrechten ist durch Art. 14 GG geschützt, so dass es kein Eigeninteresse der AG gibt, sich vor Auflösung durch ihre Aktionäre zu wehren. Etwas anderes gilt allenfalls dann, wenn der künftige Aktionär gesetzeswidrig handeln will und damit die Auflösung gemäß § 397 droht. In der Praxis ist wegen der Rechtsunsicherheit, ob ein Erlaubnistatbestand nach § 71 Abs. 1 Nr. 1 vorliegt oder nicht, zu einem Vorgehen nach § 71 Abs. 1 Nr. 8 zu raten, wenn die vorgenannten Maßnahmen sinnvoll erscheinen. 12 Zu den sonstigen Erwerbsgrenzen nach § 71 Abs. 2 siehe unten Rz. 46 ff.; zur Aktionärsinformation siehe Rz. 54 f. Ist der Aktienerwerb hiernach ausnahmsweise zulässig, folgt aus dem generellen Verbot des Erwerbs eigener Aktien die Vorstandspflicht, die Aktien wieder zu veräußern, wenn der Schaden von der AG abgewendet wurde. Einzelheiten siehe bei § 71c Rz. 3. 2.

Belegschaftsaktien (§ 71 Abs. 1 Nr. 2)

13 Nach § 71 Abs. 1 Nr. 2 ist der Erwerb eigener Aktien zulässig, wenn im Zeitpunkt des Erwerbs die objektiv nachvollziehbare Absicht besteht, die Aktien (ggf. ehemaligen) Arbeitnehmern der AG oder eines mit ihr gemäß § 15 verbundenen Unternehmens zum Erwerb anzubieten.28) Erforderlich ist eine ernstliche, durch entsprechenden Vorstandsbeschluss mit Angebotskonditionen konkretisierte Absicht.29) Aktien an Organmitglieder (Vorstand, Aufsichtsrat, Geschäftsführer) werden ausweislich der Gesetzesmotive nicht erfasst.30) Das Gleiche gilt für mit den erfassten Arbeitnehmern vereinbarte Rückübertragungspflichten.31) Insofern kommt jedoch ein Rückerwerb über § 71 Abs. 1 Nr. 8 in Betracht (siehe unten Rz. 22 ff.).32) Zu den sonstigen Erwerbsgrenzen nach § 71 Abs. 2 siehe unten Rz. 46 ff.; zur Aktionärsinformation siehe Rz. 54 ff. 14 Ist der Aktienerwerb hiernach zulässig, hat der Vorstand diese innerhalb eines Jahres an die Arbeitnehmer auszugeben (§ 71 Abs. 3 Satz 2).33) Kommt es hierzu nicht (vollständig), folgt aus dem generellen Verbot des Erwerbs eigener Aktien die Vorstandspflicht, die Aktien wieder zu veräußern.34) Einzelheiten siehe § 71c Rz. 3. Als Alternative zum Rückerwerb eigener Aktien für die Belegschaft bietet sich stets auch die (privilegierte) Kapitalerhöhung unter Bezugsrechtsausschluss gemäß §§ 192 Abs. 2 Nr. 3, 193 Abs. 3 Nr. 4, 202 Abs. 4, 205 _____________ 25) Oechsler in: MünchKomm-AktG, § 71 Rz. 104; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71 Rz. 10; liberaler Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71 Rz. 55. 26) H. M., vgl. nur K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71 Rz. 57; Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71 Rz. 57; abweichend Kuhn, NJW 1973, 833. 27) Abweichend aber Raiser/Veil, KapG, § 19 Rz. 18 für den Fall, dass ein Konkurrent Aktien erwerben will; ähnlich Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71 Rz. 9. 28) Zur Entwicklung ausführlich Hüffer, ZHR 161 (1994) 214, 220 ff.; zu sog. Share Matching-Plänen Wagner, BB 2010, 1739. 29) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71 Rz. 13. 30) OLG Jena, Urt. v. 30.7.2014 – 2 U 920/13, ZIP 2014, 2501; Kort, NZG 2008, 823, 824; vgl. zur unzulässigen Umgehung durch Einschaltung Dritter LG Mainz, Urt. v. 27.8.2004 – 11 HKO 16/04, NZG 2005, 325. 31) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71 Rz. 12. 32) Einzelheiten bei Kruchen, AG 2014, 655. 33) Abweichend Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71 Rz. 13. 34) K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71 Rz. 59; ähnlich Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71 Rz. 13.

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Abs. 5 an.35) Die Ausgabe von Belegschaftsaktien bedarf der betrieblichen Mitbestimmung gemäß § 87 Abs. 1 BetrVG (streitig).36) 3.

Bedienung von Abfindungsansprüchen (§ 71 Abs. 1 Nr. 3)

Ist die AG nach Konzern- oder Umwandlungsrecht zur Abfindung außenstehender Ge- 15 sellschafter (rechtsformneutral!) verpflichtet (§§ 305 Abs. 2, 320 b; §§ 29 Abs. 1, 125 Satz 1 i. V. m. § 29 Abs. 1, 207 Abs. 1 Satz 1 UmwG), darf sie hierzu gemäß § 71 Abs. 1 Nr. 3 eigene Aktien erwerben. Es ist ausreichend, wenn im Zeitpunkt des Erwerbs die objektiv nachvollziehbare Notwendigkeit besteht, die hieraus resultierenden Abfindungsansprüche zu bedienen. Ex ante betrachtet kommt es auf eine realistische Schätzung an. Die Erlaubnis greift nicht erst dann, wenn die an der Umwandlung bzw. Konzernierung beteiligten Gesellschaften die notwendigen Gesellschafterbeschlüsse bereits gefasst haben (streitig).37) Stellt sich nachträglich heraus, dass zu viele Aktien erworben wurden, folgt aus dem Verbot des Erwerbs eigener Aktien die Vorstandspflicht, die Aktien wieder zu veräußern. Einzelheiten siehe § 71c Rz. 3. Zu den sonstigen Erwerbsgrenzen nach § 71 Abs. 2 siehe unten Rz. 46 ff.; zur Aktionärsinformation siehe Rz. 54 ff. Über den Wortlaut von § 71 Abs. 1 Nr. 3 hinaus greift der Erlaubnistatbestand auch in an- 16 deren Fällen:38) Dies betrifft zum einen das Delisting, wenn die AG die Aktien der Austrittswilligen übernimmt.39) Weiterhin erfasst sind auch Abfindungsansprüche i. R. einer Verschmelzung gemäß § 62 UmwG.40) Ist die AG i. R. der Prospekthaftung (§ 45 BörsG) verpflichtet, die Aktien des getäuschten Anlegers zu übernehmen (Naturalrestitution), kann hierauf ebenfalls § 71 Abs. 1 Nr. 3 entsprechend angewendet werden.41) Auch hier gilt, dass der Vorstand verpflichtet ist, die erhaltenen Aktien wieder zu veräußern. Einzelheiten siehe § 71c Rz. 3. Die Erwerbsschranke gemäß § 71 Abs. 2 Satz 2 (siehe unten Rz. 46 f.) gilt allerdings in diesem Rahmen nicht.42) 4.

Unentgeltlicher Erwerb, Einkaufskommission (§ 71 Abs. 1 Nr. 4)

a)

Unentgeltlicher Erwerb

Nach § 71 Abs. 1 Nr. 4 Alt. 1 ist der unentgeltliche Erwerb zulässig. Die praktisch wohl 17 kaum anzutreffenden Fälle sind die Erfüllung eines Schenkungsversprechens (§ 516 BGB) sowie der Erwerb aufgrund Vermächtnisses (§ 1939 BGB).43) Es darf auch nicht mittelbar eine Gegenleistung der AG erfolgen (wirtschaftliche Betrachtung).44) Die ratio legis dieser _____________ 35) Zu den Vor- und Nachteilen instruktiv Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71 Rz. 65. 36) H. M. vgl. Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71 Rz. 63; abweichend Oechsler in: MünchKomm-AktG, § 71 Rz. 142. 37) Abweichend Henssler/Strohn-Lange, GesR, § 71 AktG Rz. 5; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71 Rz. 14. 38) Martens in: FS Boujong, S. 335, 336 ff. 39) K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71 Rz. 67; vgl. hierzu BGH, Urt. v. 25.11.2002 – II ZR 133/01 (Macrotron), BGHZ 153, 47 = ZIP 2003, 387; auf die seit dem Macroton-Urteil des BGH geringe Bedeutung dieser Abfindung hinweisend Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71 Rz. 15a. 40) Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71 Rz. 72. 41) K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71 Rz. 67 unter Hinweis auf OLG Frankfurt/M., Urt. v. 21.2.2006 – 5 U 78/04, AG 2006, 584. Vgl. auch BGH, Urt. v. 9.5.2005 – II ZR 287/02 (EM.TV), NZG 2005, 672 = ZIP 2005, 1270, dazu EWiR 2005, 689 (Bayer/Weinmann); EuGH, Urt. v. 19.12.2013 – C-174/12 (Hirmann), Rz. 27 ff., ZIP 2014, 121. 42) BGH, Urt. v. 9.5.2005 – II ZR 287/02 (EM.TV), NZG 2005, 672 = ZIP 2005, 1270; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71 Rz. 15a. 43) Vgl. zur Schenkung zu Sanierungszwecken Ziebe, AG 1982, 175, 177. 44) Etwaige Steuerlasten der AG infolge des Erwerbs bleiben hingegen unberücksichtigt; Oechsler in: MünchKomm-AktG, § 71 Rz. 166; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71 Rz. 16.

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Ausnahme überzeugt kaum. Zu einer verbotenen Einlagenrückgewähr kann es mangels Gegenleistung zwar nicht kommen; die Gefahr des kompetenzwidrigen Verwaltungsstimmrechts besteht jedoch auch hier. Es ist daher unverständlich, warum der Gesetzgeber in § 71 Abs. 2 nicht weitere Erwerbsgrenzen aufgestellt hat. Gemäß § 71 Abs. 2 Satz 3 ist lediglich der Erwerb nicht voll eingezahlter Aktien unzulässig. Der Vorstand ist jedenfalls i. R. seiner allgemeinen Zweckbindung gehalten, die Aktien alsbald wieder zu verkaufen, um mit dem erzielten Erlös den Unternehmensgegenstand sinnvoll auszuführen (Einzelheiten siehe § 71c Rz. 3). b)

Einkaufskommission

18 Ist die AG ein Kreditinstitut (vgl. § 1 Abs. 1 KWG), ist mittels des Aktienerwerbs auch die Ausführung einer Einkaufskommission zulässig. Die Ausnahme resultiert daraus, dass die AG in diesen Fällen bestimmungsgemäß nur kurzzeitig eigene Aktionärin ist (Durchgangserwerb). Erforderlich ist aber stets, dass der betreffende Kommissionsvertrag (§ 383 Abs. 1 HGB) mit dem Dritten bereits vor dem Erwerb geschlossen wurde, er mithin nur „ausgeführt wird“.45) Bei der Verkaufskommission gilt § 71 insgesamt nicht, weil die AG nur die Verfügungsbefugnis i. S. von § 185 BGB erlangt und damit nicht Aktionärin wird.46) 5.

Gesamtrechtsnachfolge (§ 71 Abs. 1 Nr. 5)

19 Der Aktienerwerb aufgrund Gesamtrechtsnachfolge ist gemäß § 71 Abs. 1 Nr. 5 grenzenlos zulässig. § 71 Abs. 2 sieht insofern keine Erwerbsgrenzen vor; auch nicht voll eingezahlte Aktien dürfen hierüber erworben werden. Erfasst ist ohne weiteres die Erbschaft gemäß § 1922 BGB, was beim Tod des Alleinaktionärs eine „Kein-Mann-Gesellschaft“ begründet. Weitere Fälle sind die Verschmelzung gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG und die Anwachsung gemäß § 140 Abs. 1 Satz 2 HGB.47) Hierbei und bei den darüber hinaus möglichen Fällen nach UmwG (vor allem Spaltung und Ausgliederung) ist eine Einbeziehung zumindest dann abzulehnen, wenn es sich um eine Umgehungskonstellation handelt, die darauf zielt das Erwerbsverbot auszuhöhlen. Die Einzelheiten sind insofern noch nicht abschließend geklärt.48) Der Vorstand ist jedenfalls i. R. seiner allgemeinen Zweckbindung gehalten, die Aktien alsbald wieder zu verkaufen, um mit dem erzielten Erlös den Unternehmensgegenstand sinnvoll auszuführen (Einzelheiten siehe § 71c Rz. 3). 6.

Erwerb zur Einziehung (§ 71 Abs. 1 Nr. 6)

20 Nach § 71 Abs. 1 Nr. 6 ist der Erwerb – grenzenlos, vgl. § 71 Abs. 2 – auch zulässig aufgrund eines vorherigen Hauptversammlungsbeschlusses zur Einziehung der Aktien infolge Kapitalherabsetzung (§§ 222 ff., insbesondere § 237 Abs. 1 Satz 1).49) Welche Aktien erworben werden, kann die Hauptversammlung festlegen; § 53a ist zu beachten.50) Kommt es hiernach nicht zur Einziehung, ist der Vorstand gehalten, die erworbenen Aktien alsbald wieder zu verkaufen. Einzelheiten siehe § 71c Rz. 3. _____________ 45) K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71 Rz. 70; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71 Rz. 17. 46) Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71 Rz. 78; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71 Rz. 17; Henssler/Strohn-Lange, GesR, § 71 AktG Rz. 7. 47) Einhellige Meinung, vgl. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71 Rz. 18; Oechsler in: MünchKomm-AktG, § 71 Rz. 152. 48) Vgl. Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71 Rz. 80. 49) Zur Durchführung im Einzelnen Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71 Rz. 82; Rieckers, ZIP 2009, 700; Kallweit/Simons, AG 2014, 352. 50) Martens, AG 1996, 337.

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Wertpapierhandel von Kreditinstituten (§ 71 Abs. 1 Nr. 7)

Bei Kreditinstituten (§ 1 Abs. 1 KWG), Finanzdienstleistungsinstituten (§ 1 Abs. 1a KWG) 21 und Finanzunternehmen (§ 1 Abs. 3 KWG) ist der Erwerb eigener Aktien aufgrund Hauptversammlungsbeschlusses auch möglich, um hierüber Wertpapierhandel zu betreiben.51) Die Ermächtigung muss sich ausdrücklich auf den Erwerb in den Handelsbestand beziehen (Abgrenzung zu unzulässigen Spekulationsgeschäften)52) und darf höchstens fünf Jahre gelten. Im Beschluss müssen ferner der Mindest- und Höchsterwerbspreis festgelegt werden sowie, dass der hierüber erzielte Handelsbestand der AG 5 % des Grundkapitals am Ende jeden Tages nicht übersteigen darf.53) Diese Obergrenze liegt unterhalb der in der Gesellschaftsrechts-Richtlinie allein maßgeblichen Erwerbshöchstgrenze von 10 % (siehe unten Rz. 28). Spätestens mit Ablauf der Umsetzungsfrist am 15.4.2008 liegt somit in Deutschland in Bezug auf die 5 %-Erwerbsgrenze gemäß § 71 Abs. 1 Nr. 7 eine europarechtswidrige Regelung vor.54) Die Ermächtigung kann daher auch ein größeres Erwerbsvolumen vorsehen. 8.

Ermächtigung der Hauptversammlung (§ 71 Abs. 1 Nr. 8)

Die in der Praxis wichtigste Ausnahme vom Erwerbsverbot begründet § 71 Abs. 1 Nr. 8. 22 Hiernach kann die Hauptversammlung den Vorstand auch ohne gesetzlich vorgeprägte Zielvorgabe zum Erwerb ermächtigen. Der kapitalmarktorientierten AG steht hiermit ein relativ flexibles Instrument bereit, über den gezielten Aktienerwerb und -verkauf Kursschwankungen zum eigenen Vorteil auszunutzen oder auf die Preisbildung an der Börse Einfluss zu nehmen. Der Erwerb muss nicht durch die AG selbst erfolgen, sondern kann gemäß § 71d auch über einen mittelbaren Stellvertreter/Treuhänder oder ein Konzernunternehmen abgewickelt werden. a)

Vorstandsermächtigung

Zwingend erforderlich ist ein Hauptversammlungsbeschluss gemäß § 133, der mit einfa- 23 cher Mehrheit gefasst werden kann.55) Der Beschluss muss im Vorfeld des Erwerbs erfolgen; eine nachträgliche Legalisierung des Erwerbs ist nicht möglich. Inhaltlich muss der Beschluss folgende Vorgaben enthalten: aa)

Festlegung des niedrigsten und höchsten Gegenwertes für den Erwerb

Erforderlich ist die Festlegung des niedrigsten und höchsten Gegenwerts, zu dem der Vor- 24 stand die Aktien erwerben darf. Die Regelung entspricht Art. 60 Abs. 1 lit. a der Gesellschaftsrechts-Richtlinie. Es kann hierbei eine betragsmäßige Fixierung erfolgen („mind. 20 €, höchstens 30 €“); zulässig ist auch, die Obergrenze anhand einer relativen Bezugnahme auf einen hypothetischen (späteren) Börsenkurs festzulegen.56) Sieht man in diesem Erfordernis – wie vielfach57) – eine nicht gerechtfertigte Einengung 25 der an sich gewünschten Flexibilität des Rückerwerbs, wird verkannt, dass § 71 Abs. 1 _____________ 51) Zu den steuerrechtlichen Vorgaben Johannemann/Herr, BB 2015, 2158. 52) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71 Rz. 19b; liberaler K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71 Rz. 49; Kruchen, AG 2014, 655, 660. 53) Einzelheiten bei Butzke, WM 1995, 1389, 1392. 54) Cahn, Der Konzern 2007, 385, 392 f.; Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71 Rz. 34, 87; vgl. auch Oechlser, ZHR 170 (2006) 72, 73 ff. 55) Vgl. zur Ad hoc-Mitteilungspflicht Seibt/Brennkamp, AG 2008, 469. 56) Vgl. LG München I, Urt. v. 18.12.2008 – 5 HKO 11182/08, ZIP 2009, 568 = NZG 2009, 388; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71 Rz. 19e; zum Ganzen Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71 Rz. 109; Vetter, AG 2004, 344. 57) Zur Kritik statt anderer K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71 Rz. 21 – „ziemlich unsinnig“.

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Erwerb eigener Aktien

Nr. 8 eine Ausnahme vom Erwerbsverbot darstellt und nicht den Regelfall. Betrachtet man nämlich die Vermögensinteressen der Aktionäre, begründet der Rückerwerb stets die Gefahr, dass ihre Beteiligung verwässert wird – sei es beim Erwerb der eigenen Aktien durch einen zu hohen Preis, sei es bei der nachträglichen Veräußerung durch einen zu niedrigen Preis. Beiden Gefahren wird natürlich durch die Pflichtenbindung des Vorstands einigermaßen begegnet; gleichwohl ist es wie bei der Kapitalerhöhung wichtig, den Aktionären zumindest die Möglichkeit zu bieten, dem Vorstand engere Vorgaben zu machen (Art. 14 GG). Dies gilt vor allem deswegen, weil hierüber die – im Ausgangspunkt durchaus sinnvolle und nicht stets missbräuchlich ausgenutzte! – Möglichkeit der vorherigen Beschlussanfechtung besteht, was die Minderheit schützt.58) Zudem ist zu bedenken, dass es die Aktionäre ja selbst in der Hand haben, eine adäquate Preisspanne festzulegen; lediglich völlig an den gegebenen und vorhersehbaren Kursentwicklungen vorbeigehende Gestaltungen sollten insofern einen Anfechtungsgrund begründen. Schließlich ist eine maximal 10 %ige Abweichung beim späteren Erwerb durchaus noch als zulässig anzusehen, um die praktische Durchführbarkeit nicht über Gebühr einzuschränken.59) 26 Für die spätere Weiterveräußerung sieht das Gesetz keine Notwendigkeit, den Preis bereits im Hauptversammlungsbeschluss festzusetzen. Der Vorstand hat diesen auf der Grundlage seiner allgemeinen Pflichtenbindung unter Beachtung des Verbots der Einlagenrückgewähr festzusetzen (siehe unten Rz. 51). Die Hauptversammlung kann jedoch im Ermächtigungsbeschluss Vorgaben für die Weiterveräußerung festlegen.60) bb)

Höchstdauer

27 Die Ermächtigung darf auf höchstens fünf Jahre erteilt werden (streitig); andernfalls sind der Beschluss gemäß § 241 Nr. 3 nichtig61) und der hierauf beruhende Aktienerwerb rechtswidrig (zu den Folgen siehe oben Rz. 7 f.). Die Frist entspricht dem neu gefassten Art. 60 Abs. 1 lit. a der Gesellschaftsrechts-Richtlinie; bis zum Jahr 2006 betrug sie 18 Monate, was von der Praxis als unzureichend erachtet wurde. Es ist zulässig, verschiedene Ermächtigungen hintereinander zu beschließen, um so fortlaufend die Möglichkeit zum Aktienrückerwerb zu haben.62) Zu beachten sind insofern jedoch die summenmäßigen Höchstgrenzen von 10 % des Grundkapitals (siehe sogleich Rz. 28 und unten Rz. 47). Die konkret gewollte Frist ist im Hauptversammlungsbeschluss festzulegen.63) cc)

Höchstbetrag

28 Nach § 71 Abs. 1 Nr. 8 darf das durch die Ermächtigung gedeckte Erwerbsvolumen maximal 10 % des Grundkapitals betragen (siehe auch die hiervon abzugrenzende Gesamthöchstgrenze für den Rückerwerb gemäß § 71 Abs. 2 Satz 1, unten Rz. 47). Die Regelung beruht auf der Gesellschaftsrechts-Richtlinie, deren Art. 60 Abs. 1 lit. i den Mitgliedsstaaten die Festlegung einer Höchstgrenze von 10 % des Grundkapitals ermöglicht.64) Maßgeblich ist _____________ 58) Ähnlich Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 6 Rz. 184 – Einschaltung der Hauptversammlung soll für Kontrolle des Erwerbspreises sorgen. 59) Vgl. LG Berlin, Urt. v. 15.11.1999 – 99 O 83/99, AG 2000, 328, 329. 60) Vgl. LG München I, Urt. v. 18.12.2008 – 5 HKO 11182/08, ZIP 2009, 568 = NZG 2009, 388 – für die Weiterveräußerung „nur unwesentlich unter dem aktuellen Börsenkurs“ in Anlehnung an § 186 Abs. 3 Satz 4; ebenso OLG Hamburg, Urt. v. 30.12.2004 – 11 U 98/04, ZIP 2005, 1074 = NZG 2005, 218. 61) Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71 Rz. 107; abweichend Kocher, NZG 2010, 172. 62) Unstreitig, vgl. nur Oechsler in: MünchKomm-AktG, § 71 Rz. 175. 63) K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71 Rz. 19. 64) Richtlinie (EU) 2017/1132 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 14.6.2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts (Gesellschaftsrechts-Richtlinie), ABl. (EU) Nr. L 169/46 v. 30.6.2017.

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§ 71

Erwerb eigener Aktien

die Grundkapitalziffer (§ 23 Abs. 3 Nr. 3) im Zeitpunkt der Beschlussfassung; für eine bereits erfolgte bedingte Kapitalerhöhung gilt § 200 (Zahl der bereits ausgegebenen Aktien).65) Fehlt im Hauptversammlungsbeschluss die Angabe eines maximalen Erwerbsvolumens oder ist das gewählte unzulässig, sind der Beschluss gemäß § 241 Nr. 3 nichtig66) und der hierauf beruhende Aktienerwerb rechtswidrig (zu den Folgen siehe oben Rz. 7 f.). dd)

Rückerwerbszweck

(1)

Kompetenz

Indem das Gesetz keine Vorgaben über die zulässigen Erwerbszwecke macht, kann die 29 Hauptversammlung hierüber weitgehend frei entscheiden. Der Rückerwerbszweck kann entweder im Hauptversammlungsbeschluss festgelegt werden, woran der Vorstand gemäß § 83 Abs. 2 gebunden ist, wenn er von der Ermächtigung Gebrauch macht (zur Entscheidungsfreiheit des Vorstands über das „Ob“ des Rückerwerbs siehe unten Rz. 34). Zulässig ist es auch, den Rückerwerbszweck offenzulassen und ihn der Konkretisierung durch den Vorstand zu überlassen.67) Letzteres erfordert, dass der Vorstand i. R. seiner Pflichtenbindung (kein Ermessen!) entscheidet, ob und wie der Rückerwerb geboten ist, um die Eigenkapitalrendite zu steigern.68) Die Beteiligung des Aufsichtsrats am Rückerwerb kann nach h. M. im Hauptversammlungsbeschluss an die Zustimmung des Aufsichtsrats geknüpft werden.69) Dem ist wegen des Vorrangs von § 111 Abs. 4 aus Gründen der Rechtssicherheit nicht zu folgen.70) (2)

Beispiele

Der wohl wichtigste Rückerwerbszweck ist die sog. Kapitalherabsetzung auf Zeit, um 30 hierüber den fallenden Kurs zu stabilisieren oder eine Steigerung des Börsenkurses herbeizuführen (Kurspflege).71) Zu beachten sind insbesondere bei dieser Möglichkeit jedoch das Verbot, mit eigenen Aktien zu handeln (siehe sogleich Rz. 33) und die verbotene Marktpreismanipulation.72) Möglich ist es auch, dass die rückerworbenen Aktien zur Befriedigung von stock options 31 an Führungskräfte – Vorstand, Arbeitnehmer – verwendet werden, wenn nicht der Weg über die bedingte Kapitalerhöhung gemäß § 193 Abs. 2 Nr. 4 gegangen werden soll. Abweichend vom Regelfall (siehe oben Rz. 29) bedarf es für die Rückerwerbsermächtigung jedoch eines sich ausdrücklich hierauf beziehenden Hauptversammlungsbeschlusses, der vor allem auch die Eckdaten des Aktienoptionsplans umschreibt.73) Über § 71 Abs. 1 Nr. 8 _____________ 65) Einzelheiten bei Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71 Rz. 193. 66) Oechsler in: MünchKomm-AktG, § 71 Rz. 204; Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71 Rz. 103. 67) LG Berlin, Urt. v. 15.11.1999 – 99 O 83/99, AG 2000, 328, 329; K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71 Rz. 17; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71 Rz. 19 f.; Henssler/Strohn-Lange, GesR, § 71 AktG Rz. 11; zweifelnd OLG München, Beschl. v. 28.1.2002 – 7 W 814/01, ZIP 2002, 1353 = AG 2003, 163, dazu EWiR 2002, 1029 (Schwab). 68) Zur Bindung des Vorstands an das Gewinnziel ausführlich Servatius, Strukturmaßnahmen als Unternehmensleitung, 2003, S. 103 ff., 172 ff. 69) Oechsler in: MünchKomm-AktG, § 71 Rz. 207; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71 Rz. 19 f.; LG München I, Urt. v. 18.12.2008 – 5 HKO 11182/08, ZIP 2009, 568 = NZG 2009, 388; LG München I, Urt. v. 5.4.2012 – 5 HK O 20488/11, NZG 2012, 1152, 1153 = ZIP 2012, 2445, dazu EWiR 2013, 193 (Goslar). 70) So auch Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71 Rz. 98. 71) Grundlegend Huber in: FS Kropff, S. 101, 109; vgl. auch Habersack in: FS Lutter, S. 1329. 72) Einzelheiten bei Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71 Rz. 160 ff. 73) Einzelheiten bei K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71 Rz. 47 f.; vgl. auch LG Berlin, Urt. v. 15.11.1999 – 99 O 83/99, AG 2000, 328.

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Erwerb eigener Aktien

dürfen jedoch nicht Aktienoptionspläne für Aufsichtsratsmitglieder bedient werden, weil dies nach dem vergleichbaren § 192 Abs. 2 Nr. 3 unzulässig ist.74) 32 Im Rahmen einer feindlichen Übernahme wird der Rückerwerb gemäß § 71 Abs. 1 Nr. 8 allgemein als zulässiges und probates Abwehrmittel gesehen;75) hierbei ist jedoch § 33 WpÜG zu beachten. Schließlich sieht § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 6 ausdrücklich vor, dass die Hauptversammlung den Vorstand auch im Vorfeld ermächtigen kann, die rückerworbenen Aktien ohne weitere Beschlussfassung einzuziehen (§ 237 Abs. 1).76) Der Rückerwerb kommt auch in Betracht zur Bedienung von Share-Matching-Plänen.77) (3)

Kein Handel mit eigenen Aktien

33 Nach § 71 Abs. 1 Nr. 8 ist der Handel mit eigenen Aktien ausdrücklich als Erwerbszweck ausgeschlossen. Die Konkretisierung dieses Tatbestandsmerkmals ist heftig umstritten.78) Ein verbotener Handel mit eigenen Aktien liegt nur dann vor, wenn der Erwerbszweck darauf zielt, aus der Preisdifferenz zwischen An- und Verkauf Gewinne zu erzielen; er liegt hingegen nicht vor, wenn es darum geht, bereits durch den Ankauf der Aktien die Eigenkapitalrendite der AG zu steigern bzw. die AG vor Schaden zu bewahren. Ist Letzteres der Fall, ist es unschädlich, wenn der spätere Erwerb einen Kursgewinn realisieren lässt. b)

Erwerb und Veräußerung der eigenen Aktien

34 Der Beschluss begründet lediglich eine Ermächtigung; es besteht keine Pflicht des Vorstands, die betreffenden Aktien zu erwerben.79) Letztlich entscheidet der Vorstand daher i. R. seiner allgemeinen Pflichtenbindung (kein Ermessen!) eigenverantwortlich, ob der Erwerb erfolgt oder nicht. Bei der konkreten Ausgestaltung ist diese Pflichtenbindung jedoch durch die von der Hauptversammlung festgelegte Preisspanne präzisiert (siehe oben Rz. 25) sowie ggf. durch die im Beschluss festgelegten Ziele des Rückerwerbs (siehe Rz. 29 ff.). Darüber hinaus gilt Folgendes: aa)

Gleichbehandlungsgebot

35 § 71 Abs. 1 Nr. 8 besagt ausdrücklich, dass § 53a beim Rückerwerb und der späteren Weiterveräußerung gilt.80) Die Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ist jedoch darüber hinaus bei allen Erwerbs- und Veräußerungstatbeständen geboten. (1)

Rückerwerb

36 Über die Geltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes beim Rückerwerb werden verschiedene Schutzzwecke befriedigt: Zum einen sollen nicht einige Aktionäre bevorzugt werden, indem z. B. bei engen Märkten oder fehlender Fungibilität den Begünstigten allein die Möglichkeit geboten wird, sich ihrer Aktienanlage gegen Entschädigung zu entledigen. Darüber hinaus geht es auch darum, dass der Vorstand über § 71 Abs. 1 Nr. 8 nicht in die Lage versetzt wird, Einfluss auf den Aktionärskreis zu nehmen.81) _____________ 74) BGH, Urt. v. 16.2.2004 – II ZR 316/02, BGHZ 158, 122 = ZIP 2004, 613, dazuEWiR 2004, 413 (Lenenbach); K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71 Rz. 49; kritisch Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71 Rz. 19h. 75) Einzelheiten bei Berrar/Schnorbus, ZGR 2003, 59, 100 ff. 76) v. Aerssen, WM 2000, 391, 394. 77) Vgl. Kruchen, AG 2014, 655; J. Wagner, BB 2010, 1739. 78) Überblick bei Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71 Rz. 111. 79) Kiem, ZIP 2000, 209, 211 f. 80) Dies galt bereits vor dessen Einführung, vgl. LG Göttingen, Urt. v. 6.1.1992 – 8 O 123/91, WM 1992, 1373. 81) Einzelheiten bei Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71 Rz. 116 ff.

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Letztlich ist daher – wie umgekehrt beim Ausschluss des Bezugsrechts – erforderlich, dass 37 der Vorstand allen Aktionären ein anteiliges Rückkaufangebot macht. Nehmen dieses nicht genügend Aktionäre an, ist an die Verbleibenden ein weiteres anteiliges Rückkaufangebot zu machen usw. Bei nicht börsennotierten Gesellschaften dürfte dieses – durchaus komplizierte, aber dem Ausnahmecharakter des zulässigen Rückerwerbs gerecht werdende Verfahren – möglich sein; bei börsennotierten Gesellschaften kann von vornherein über die Börse zurückerworben werden (siehe Rz. 40). Über § 53a wird ausreichend Chancengleichheit bewirkt; ein darüber hinausgehendes Andienungsrecht der Aktionäre (individueller Verkaufsanspruch) bedarf es richtigerweise nicht (streitig).82) Die AG kann den Aktionären unter Beachtung von § 53a jedoch ein derartiges Recht einräumen.83) Der Gleichbehandlungsgrundsatz kann durchbrochen werden, wenn es einen sachlichen 38 Grund für die Ungleichbehandlung gibt (§ 53a Rz. 23 ff.). Beim Aktienrückerwerb dürfte hierfür wenig Raum bestehen. Denkbar ist jedoch z. B., dass nicht alle Aktionäre für einen durch das Gesellschaftsinteresse bedingten raschen Rückerwerb bereit stehen oder wenn von vornherein feststeht, dass manche Aktionäre ihre Aktien nicht hergeben werden. Bei börsennotierten Aktiengesellschaften dürfte dies jedoch ausgeschlossen sein.84) Im Hinblick auf den zu zahlenden Erwerbspreis scheidet eine Ungleichbehandlung ebenfalls kategorisch aus. (2)

Weiterveräußerung

Werden die Aktien wieder veräußert, gilt das Gleichbehandlungsgebot spiegelbildlich und 39 entspricht dem bei der Kapitalerhöhung. Auch hier geht es darum, dass der Vorstand nicht einige Aktionäre bevorzugen darf bzw. eigenmächtig Einfluss auf die Zusammensetzung des Aktionärskreises nimmt. Richtigerweise haben daher die Aktionäre im Veräußerungszeitpunkt ein gesetzliches Bezugsrecht analog § 186.85) Der Ausschluss desselben nach den Vorgaben der materiellen Beschlusskontrolle86) ist wegen des ausdrücklichen Verweises auf § 186 Abs. 3 möglich.87) Zum angemessenen Veräußerungspreis siehe unten Rz. 53. bb)

Erwerb und Veräußerung über die Börse

Bei Publikumsgesellschaften kann die Gleichbehandlung der Aktionäre grosso modo über 40 die Börse gewahrt werden. § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 3 erkennt dies an und besagt, dass der Rückerwerb und die Weiterveräußerung der Aktien über die Börse das Gleichbehandlungsgebot wahren. Dies ist im Ausgangspunkt zu begrüßen, denn bei einem funktionierenden und vor allem liquiden Aktienmarkt können die Aktionäre durch Ver- und Zukäufe ihre Interessen mindestens ebenso verwirklichen wie über einen individuell begründeten Anspruch auf Gleichbehandlung. Gleichwohl geht der Wortlaut von § 71 Abs. 1 Nr. 8 zu weit.88) Gibt es für die Aktien der AG kaum einen Handel oder ist der Preis verzerrt, kann die über den Kapitalmarkt verwirklichte Gleichbehandlung nicht gewährleistet werden. Insofern ist die apodiktische Gleichstellung in § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 3 ggf. zu korrigieren. _____________ 82) H. M., vgl. nur Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71 Rz.; abweichend Paefgen, AG 1999, 67, 68 f.; Habersack, ZIP 2004, 1121, 1127. 83) Zum „tranferable put right“ statt anderer K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71 Rz. 29. 84) K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71 Rz. 31. 85) Ganz h. M., vgl. nur K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71 Rz. 145 ff.; teilweise einschränkend Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71 Rz. 130 ff. und 135. 86) Einzelheiten bei Spindler/Stilz-Servatius, AktG, § 186 Rz. 40 ff. 87) Vgl. hierzu im Kontext von Wandelschuldverschreibungen auch Broichhausen, NZG 2012, 86. 88) Kritisch auch Huber in: FS Kropff, S. 101, 113 f.

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41 Eine Pflicht, die Aktien über die Börse zu erwerben oder zu veräußern, besteht auch bei börsennotierten Aktiengesellschaften nicht; möglich und verbreitet sind daher auch hier öffentliche Rückkaufangebote.89) Das WpÜG gilt hierfür nicht.90) (1)

Rückerwerb

42 Der den Gleichbehandlungsgrundsatz wahrende Rückerwerb über die Börse bezieht sich auf alle Marktsegmente im In- und Ausland. Problematisch ist in diesem Zusammenhang allein, wenn die Preisbildung nicht marktgerecht ist und daher eine verdeckte Gewinnausschüttung droht (siehe unten Rz. 51). (2)

Weiterveräußerung

43 Erhebliche Probleme bereitet demgegenüber die in § 71 Abs. 1 Nr. 8 pauschal als den Gleichbehandlungsgrundsatz wahrend genannte Weiterveräußerung über die Börse. Im Kern reduziert sich die Frage darauf, ob die im Veräußerungszeitpunkt vorhandenen Aktionäre ein Vorerwerbsrecht haben oder ob der Vorstand die Aktien auch vollständig an Dritte veräußern darf (eine willkürliche Zuteilung an einzelne Aktionäre verstößt bereits gegen § 53a). Die hierzu vertretenen und nach wie vor sehr kontroversen Meinungen91) decken sich weitgehend mit der vergleichbaren Problematik, ob die Aktionäre bei der Kapitalerhöhung einer börsennotierten AG überhaupt eines gesetzlichen Bezugsrechts bedürfen oder ob ihnen über die Möglichkeit des Zukaufs über die Börse nicht derselbe Schutz zukommt und § 186 daher de lege ferenda entbehrlich ist.92) 44 Richtigerweise ist ein gesetzliches Vorerwerbsrecht auch bei der Weiterveräußerung eigener Aktien anzuerkennen. Hierfür spricht zum einen der Verweis in § 71 Abs. 1 Nr. 8 auf den Bezugsrechtsausschluss gemäß § 186 Abs. 3, der die Existenz eines solchen Rechts voraussetzt. Zudem ist auch die Gefährdungslage der Altaktionäre bei der Kapitalerhöhung mit der bei der Weiterveräußerung eigener Aktien vergleichbar. In beiden Fällen werden die Mitverwaltungsrechte verwässert (§ 71b gilt fortan nicht mehr); in beiden Fällen besteht die Gefahr, dass der Ausgabebetrag bzw. Verkaufspreis zu niedrig ist und es damit auch zu einer vermögensmäßigen Verwässerung kommt. Solange daher der Gesetzgeber bei der Kapitalerhöhung auch für börsennotierte Gesellschaften am gesetzlichen Bezugsrecht festhält, besteht kein Anlass, bei der Weiterveräußerung eigener Aktien anders zu entscheiden. 45 Auf der anderen Seite ist zu bedenken, dass § 186 Abs. 3 Satz 4 einen erleichterten Bezugsrechtsausschluss vorsieht, wenn die Kapitalerhöhung nicht mehr als 10 % des Grundkapitals beträgt und der Ausgabebetrag den Börsenpreis nicht wesentlich unterschreitet.93) Diese Aufweichung des gesetzlichen Bezugsrechts in seiner Form als gesellschaftsrechtlich begründetes Individualrecht der Altaktionäre kann als Versuchsballon verstanden werden, auf das gesetzliche Bezugsrecht bei börsennotierten Aktiengesellschaften irgendwann einmal zu verzichten. Für die hier interessierende Weiterveräußerung eigener Aktien lässt sich jedoch bereits jetzt eine viel weitreichendere Rechtsfolge ableiten: Indem der Rückerwerb maximal 10 % des Grundkapitals betragen darf (§ 71 Abs. 2 Satz 1; siehe Rz. 47), liegt es nahe, die Weiterveräußerung funktional dem erleichterten Bezugsrechtsausschluss gleichzustellen. Hieraus folgt, dass das Vorerwerbsrecht der Aktionäre bei der Weiterveräußerung _____________ 89) Einzelheiten bei Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71 Rz. 123 ff.; K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71 Rz. 26 ff. 90) Ganz h. M., vgl. nur K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71 Rz. 28 m. w. N. 91) Überblick bei Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71 Rz. 130 ff. 92) Vgl. nur Zöllner, AG 2002, 585, 588 ff. 93) Einzelheiten bei Spindler/Stilz-Servatius, AktG, § 186 Rz. 55 ff.

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Erwerb eigener Aktien

unter erleichterten Voraussetzungen ausgeschlossen werden kann, es vor allem keiner sachlichen Rechtfertigung nach Maßgabe der materiellen Beschlusskontrolle bedarf. Zum angemessenen Veräußerungspreis siehe sogleich Rz. 53. V.

Weitere Erwerbsschranken (§ 71 Abs. 2)

§ 71 Abs. 2 sieht für die verschiedenen Erlaubnistatbestände unterschiedlich weite Erwerbs- 46 schranken vor. Darüber hinaus ist stets auch das Verbot verdeckter Gewinnausschüttungen zu beachten. 1.

Maximaler Erwerb

Nach § 71 Abs. 2 Satz 1 darf die AG für maximal 10 % des Grundkapitals i. S. von § 266 47 Abs. 3 A. I. HGB eigene Aktien halten; der missverständliche Wortlaut darf nicht so verstanden werden, dass die Erwerbsgrenze nur die genannten Ausnahmetatbestände betrifft.94) Die Vorschrift ist vielmehr so zu verstehen, dass für die nicht genannten Erlaubnistatbestände (§ 71 Abs. 1 Nr. 4 – 6) zwar keine Obergrenze besteht; wenn jedoch noch Aktien aus einem der genannten Erlaubnistatbestände erworben werden, insgesamt maximal 10 % des Grundkapitals an eigenen Aktien gehalten werden dürfen. Hiervon geht auch § 71c Abs. 2 aus. Aktien zurechenbarer Dritter (§ 71d Satz 1 und 2) werden stets hinzugerechnet (vgl. § 71d Satz 4). Maßgeblicher Zeitpunkt ist grundsätzlich der des dinglichen Erwerbs, wegen § 71 Abs. 4 Satz 2 jedoch ggf. der des früheren schuldrechtlichen Erwerbsgeschäfts.95) Die Rechtsfolgen eines unwirksamen Erwerbs beziehen sich nur auf die eigenen Aktien, die unter Verstoß gegen die Erwerbsgrenze erworben werden. Ein nachträgliches Herabsinken führt keine Heilung herbei.96) 2.

Rücklagenbildung

Eine weitere wichtige Einschränkung des zulässigen Erwerbs eigener Aktien folgt aus § 71 48 Abs. 2 Satz 2. Hiernach ist der Erwerb nur zulässig, wenn die AG im Zeitpunkt des Erwerbs eine ausschüttungsfähige Rücklage i. H. des – angemessenen! – Erwerbspreises bilden könnte. Insofern gilt dasselbe wie bei § 272 Abs. 4 HGB. Hierdurch wird zwar gewährleistet, dass der Erwerbspreis keine Einlagenrückgewähr darstellt; hieraus darf indessen entgegen mancher Stimmen nicht der Schluss gezogen werden, dass eine verdeckte Gewinnausschüttung beim Erwerb eigener Aktien denklogisch ausgeschlossen sei (siehe unten Rz. 51). Ob eine Rücklage ausschüttungsfähig ist, ergibt sich zum einen aus § 150 i. V. m. § 272 HGB. 49 Darüber hinaus schränkt auch § 268 Abs. 8 HGB die Rücklagenauflösung ein.97) Als – angemessene! – Gegenleistung dürfen somit nur Mittel fließen, die dem Jahresüberschuss (§ 158, § 266 Abs. 3 A. V. HGB), dem Gewinnvortrag (§ 266 Abs. 3 A. IV. HGB), den frei verfügbaren Rücklagen (§ 272 Abs. 3, Abs. 4 Satz 3 HGB) oder der Kapitalrücklage gemäß § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB entstammen.98) Ist der Rückerwerb hiernach zulässig, folgt der bilanzielle Ausweis der eigenen Aktien gemäß § 272 Abs. 1a und 1b HGB.99)

_____________ 94) Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71 Rz. 217; abweichend aber Oechsler in: MünchKomm-AktG, § 71 Rz. 308; K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71 Rz. 77. 95) Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71 Rz. 221. 96) Oechsler in: MünchKomm-AktG, § 71 Rz. 414. 97) Vgl. hierzu Kropff in: FS Hüffer, S. 539, 545 ff. 98) OLG München, Beschl. v. 8.5.2012 – 31 Wx 155/12, ZIP 2012, 1075 = NZG 2012, 876, dazu EWiR 2005, 543 (Wachter); Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71 Rz. 224. 99) Einzelheiten bei Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71 Rz. 225.

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§ 71 3.

Erwerb eigener Aktien Volleinzahlungsgebot

50 Gemäß § 71 Abs. 2 Satz 3 ist bei den Erlaubnistatbeständen gemäß § 71 Abs. 1 Nr. 1, 2, 4, 7 und 8 der Erwerb nur zulässig, wenn auf die Aktien der Ausgabebetrag (Nennbetrag und ggf. korporatives Agio, vgl. § 54 Abs. 1) voll geleistet ist.100) Im Umkehrschluss ergibt sich, dass bei den anderen Erlaubnistatbeständen auch ein Erwerb nicht voll eingezahlter Aktien möglich ist. Dies darf indessen nicht zu dem Schluss verleiten, dass in diesen Fällen die Resteinlagepflicht wegen Konfusion erlischt.101) Die Einlagepflicht bleibt vielmehr bestehen, damit der Kapitalschutz nicht erodiert, sondern ein späterer Erwerber die fehlende Einlageleistung erbringen muss. 4.

Verdeckte Gewinnausschüttungen

51 In § 71 wird nicht geregelt, zu welchem Preis die Aktien zurückerworben werden dürfen und welcher Preis bei der Weiterveräußerung zu erzielen ist. Auch § 57 Abs. 1 Satz 1 enthält lediglich den pauschalen Hinweis, dass die Zahlung des Erwerbspreises beim zulässigen Erwerb eigener Aktien keine verbotene Einlagenrückgewähr darstellt. Welche Höhe dieser Preis haben muss, besagt die Regelung indessen nicht. Für beide Gestaltungen ist daher nach den allgemeinen Regeln zu ermitteln, welche Preisbildung zulässig ist und welche nicht.102) Über § 57 hinaus ist der Gleichbehandlungsgrundsatz zu wahren, so dass eine unterschiedliche Preisgestaltung ohne sachliche Differenzierungsgründe ausscheidet. a)

Erwerbspreis

52 Bei allen Erlaubnistatbeständen gemäß § 71 Abs. 1 darf die AG keine überhöhte Gegenleistung für die erworbenen Aktien zahlen. Dies ist entgegen mancher Stimmen in der Literatur trotz der Erwerbsschranke gemäß § 71 Abs. 2 Satz 2 ein wichtiger Aspekt des Kapitalschutzes bei der AG.103) Gibt es für die betreffenden Aktien keinen Marktpreis (Drittvergleich), muss der Wert i. R. einer Unternehmensbewertung ermittelt werden. Wird hiergegen verstoßen, sind nach zweifelhafter h. M. sowohl der Aktienerwerb als auch das schuldrechtliche Kausalgeschäft gemäß § 57 i. V. m. § 134 BGB nichtig (siehe § 57 Rz. 40); aus § 71 Abs. 4 Satz 1 folgt nichts anderes. Der Rückerwerb kann somit auch wegen einer überhöhten Gegenleistung unrechtmäßig sein, obwohl die sonstigen Voraussetzungen von § 71 vorliegen; zu den Folgen siehe oben Rz. 7 f. b)

Verkaufserlös

53 Bei der – im Fall von § 71 Abs. 1 Nr. 8 von vornherein geplanten – späteren Weiterveräußerung der eigenen Aktien gilt ebenfalls das Verbot der (verdeckten) Einlagenrückgewähr. Die Parameter, die zu einem angemessenen Verkaufspreis führen, dürfen jedoch nicht aus dem Gründungsrecht gefolgert werden; geboten ist vielmehr eine entsprechende Heranziehung der Vorgaben bei der Kapitalerhöhung unter Bezugsrechtsausschluss gemäß § 255 Abs. 2 (streitig).104) Die Erwerber müssen einen auf den Erwerbstag bezogenen angemessenen Preis zahlen, der sich aus dem allgemeinen Marktpreis der betreffenden Aktien ergibt _____________ 100) Ausführlich zu Belegschaftsaktien Tollkühn, NZG 2004, 594. 101) Ebenso Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71b Rz. 11 – „ruhendes Forderungsrecht“; Oechsler in: MünchKomm-AktG, § 71b Rz. 16. 102) Zum Ganzen Stallknecht/Schulze-Uebbing, AG 2010, 657. 103) So die h. M., vgl. nur Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71 Rz. 45; abweichend K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71 Rz. 8 unter Hinweis darauf, dass das Entgelt gemäß § 71 Abs. 2 Satz 2 ausschüttungsfähig sei, so dass allenfalls eine gesellschaftsinterne Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in Betracht komme. 104) Abweichend die h. M., vgl. Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71 Rz. 141 m. w. N.

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§ 71a

Umgehungsgeschäfte

(Drittvergleich), hilfsweise aus einer konkreten Unternehmensbewertung. Der hiernach maßgebliche Preis kann auch unter dem geringsten Ausgabebetrag liegen.105) Wird gegen das Gebot der angemessenen Weiterveräußerung verstoßen, macht sich der Vorstand gemäß § 93 Abs. 3 Nr. 1 gegenüber der AG schadensersatzpflichtig. VI.

Aktionärsinformation (§ 71 Abs. 3 Satz 1)

Nach § 71 Abs. 3 Satz 1 hat der Vorstand die Aktionäre bei der nächsten turnusmäßigen 54 oder außerordentlichen Hauptversammlung über den Erwerb eigener Aktien zur Schadensabwehr (§ 71 Abs. 1 Nr. 1) und aufgrund einer Ermächtigung (§ 71 Abs. 1 Nr. 8) zu unterrichten. Die Information erstreckt sich auf die Gründe und den Zweck des Erwerbs, auf die Zahl der erworbenen Aktien und den auf sie entfallenden Betrag des Grundkapitals. Die Information kann mündlich erfolgen. Sie muss hinreichend substantiiert sein; formelhafte Wendungen oder gar der bloße Hinweis auf die Norm genügen nicht.106) Nach h. M. soll die Unterrichtungspflicht auch durch die gemäß § 160 Abs. 1 Nr. 2 not- 55 wendigen Angaben im Lagebericht des Jahresabschlusses erfüllt werden, wenn die Hauptversammlung diesen präsentiert bekommt.107) Dem ist nicht zuzustimmen, weil dies der Bedeutung des Erwerbs nicht hinreichend Rechnung tragen würde. Erforderlich ist vielmehr eine gesonderte Information. VII. Rechtsfolgen des zulässigen Erwerbs (§ 71 Abs. 3 Satz 2) § 71 Abs. 3 Satz 2 verlangt, dass die nach § 71 Abs. 2 Nr. 2 erworbenen Aktien innerhalb 56 eines Jahres an die Arbeitnehmer auszugeben sind. Der Vorstand muss sich hierum i. R. seiner allgemeinen Pflichtenbindung bemühen. Gelingt die Ausgabe nicht, bleibt der Erwerb zwar rechtmäßig, die nicht benötigten Aktien sind jedoch alsbald wieder zu veräußern (Einzelheiten siehe § 71c Rz. 3).108) § 71 Abs. 3 Satz 2 enthält darüber hinaus die für alle Erwerbstatbestände zu verallgemei- 57 nernde Pflicht, dass die AG die – zulässig – erworbenen Aktien nicht länger halten darf als nötig. Der Vorstand hat aufgrund seiner allgemeinen Pflichtenbindung stets zu prüfen, ob die Erwerbsvoraussetzungen nach § 71 Abs. 1 und Abs. 2 noch vorliegen.109) Ist dies nicht mehr gegeben, folgt das Veräußerungsgebot aus § 71c. Selbst wenn die Erlaubnistatbestände noch gegeben sind, besteht jedoch eine Veräußerungspflicht, damit mit dem erzielten Erlös die satzungsmäßige Zwecksetzung wieder anderweitig erfüllt werden kann (Ausnahmecharakter des Erwerbs eigener Aktien!). _____________ 105) So auch Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71 Rz. 140. 106) BGH, Urt. v. 9.2.1987 – II ZR 119/86, BGHZ 101, 1 = ZIP 1987, 1239. 107) Vgl. Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71 Rz. 227 – unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 8/ 1678, S. 15. 108) Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71 Rz. 229. 109) Vgl. OLG Stuttgart, Urt. v. 25.11.2009 – 20 U 5/09, ZIP 2009, 2386 = NZG 2010, 141.

§ 71a Umgehungsgeschäfte (1) 1Ein Rechtsgeschäft, das die Gewährung eines Vorschusses oder eines Darlehens oder die Leistung einer Sicherheit durch die Gesellschaft an einen anderen zum Zweck des Erwerbs von Aktien dieser Gesellschaft zum Gegenstand hat, ist nichtig. 2Dies gilt nicht für Rechtsgeschäfte im Rahmen der laufenden Geschäfte von Kreditinstituten Wolfgang Servatius

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§ 71a

Umgehungsgeschäfte

(Drittvergleich), hilfsweise aus einer konkreten Unternehmensbewertung. Der hiernach maßgebliche Preis kann auch unter dem geringsten Ausgabebetrag liegen.105) Wird gegen das Gebot der angemessenen Weiterveräußerung verstoßen, macht sich der Vorstand gemäß § 93 Abs. 3 Nr. 1 gegenüber der AG schadensersatzpflichtig. VI.

Aktionärsinformation (§ 71 Abs. 3 Satz 1)

Nach § 71 Abs. 3 Satz 1 hat der Vorstand die Aktionäre bei der nächsten turnusmäßigen 54 oder außerordentlichen Hauptversammlung über den Erwerb eigener Aktien zur Schadensabwehr (§ 71 Abs. 1 Nr. 1) und aufgrund einer Ermächtigung (§ 71 Abs. 1 Nr. 8) zu unterrichten. Die Information erstreckt sich auf die Gründe und den Zweck des Erwerbs, auf die Zahl der erworbenen Aktien und den auf sie entfallenden Betrag des Grundkapitals. Die Information kann mündlich erfolgen. Sie muss hinreichend substantiiert sein; formelhafte Wendungen oder gar der bloße Hinweis auf die Norm genügen nicht.106) Nach h. M. soll die Unterrichtungspflicht auch durch die gemäß § 160 Abs. 1 Nr. 2 not- 55 wendigen Angaben im Lagebericht des Jahresabschlusses erfüllt werden, wenn die Hauptversammlung diesen präsentiert bekommt.107) Dem ist nicht zuzustimmen, weil dies der Bedeutung des Erwerbs nicht hinreichend Rechnung tragen würde. Erforderlich ist vielmehr eine gesonderte Information. VII. Rechtsfolgen des zulässigen Erwerbs (§ 71 Abs. 3 Satz 2) § 71 Abs. 3 Satz 2 verlangt, dass die nach § 71 Abs. 2 Nr. 2 erworbenen Aktien innerhalb 56 eines Jahres an die Arbeitnehmer auszugeben sind. Der Vorstand muss sich hierum i. R. seiner allgemeinen Pflichtenbindung bemühen. Gelingt die Ausgabe nicht, bleibt der Erwerb zwar rechtmäßig, die nicht benötigten Aktien sind jedoch alsbald wieder zu veräußern (Einzelheiten siehe § 71c Rz. 3).108) § 71 Abs. 3 Satz 2 enthält darüber hinaus die für alle Erwerbstatbestände zu verallgemei- 57 nernde Pflicht, dass die AG die – zulässig – erworbenen Aktien nicht länger halten darf als nötig. Der Vorstand hat aufgrund seiner allgemeinen Pflichtenbindung stets zu prüfen, ob die Erwerbsvoraussetzungen nach § 71 Abs. 1 und Abs. 2 noch vorliegen.109) Ist dies nicht mehr gegeben, folgt das Veräußerungsgebot aus § 71c. Selbst wenn die Erlaubnistatbestände noch gegeben sind, besteht jedoch eine Veräußerungspflicht, damit mit dem erzielten Erlös die satzungsmäßige Zwecksetzung wieder anderweitig erfüllt werden kann (Ausnahmecharakter des Erwerbs eigener Aktien!). _____________ 105) So auch Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71 Rz. 140. 106) BGH, Urt. v. 9.2.1987 – II ZR 119/86, BGHZ 101, 1 = ZIP 1987, 1239. 107) Vgl. Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71 Rz. 227 – unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 8/ 1678, S. 15. 108) Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71 Rz. 229. 109) Vgl. OLG Stuttgart, Urt. v. 25.11.2009 – 20 U 5/09, ZIP 2009, 2386 = NZG 2010, 141.

§ 71a Umgehungsgeschäfte (1) 1Ein Rechtsgeschäft, das die Gewährung eines Vorschusses oder eines Darlehens oder die Leistung einer Sicherheit durch die Gesellschaft an einen anderen zum Zweck des Erwerbs von Aktien dieser Gesellschaft zum Gegenstand hat, ist nichtig. 2Dies gilt nicht für Rechtsgeschäfte im Rahmen der laufenden Geschäfte von Kreditinstituten Wolfgang Servatius

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§ 71a

Umgehungsgeschäfte

oder Finanzdienstleistungsinstituten sowie für die Gewährung eines Vorschusses oder eines Darlehens oder für die Leistung einer Sicherheit zum Zweck des Erwerbs von Aktien durch Arbeitnehmer der Gesellschaft oder eines mit ihr verbundenen Unternehmens; auch in diesen Fällen ist das Rechtsgeschäft jedoch nichtig, wenn die Gesellschaft im Zeitpunkt des Erwerbs eine Rücklage in Höhe der Aufwendungen für den Erwerb nicht bilden könnte, ohne das Grundkapital oder eine nach Gesetz oder Satzung zu bildende Rücklage zu mindern, die nicht zur Zahlung an die Aktionäre verwandt werden darf. 3Satz 1 gilt zudem nicht für Rechtsgeschäfte bei Bestehen eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrags (§ 291). (2) Nichtig ist ferner ein Rechtsgeschäft zwischen der Gesellschaft und einem anderen, nach dem dieser berechtigt oder verpflichtet sein soll, Aktien der Gesellschaft für Rechnung der Gesellschaft oder eines abhängigen oder eines in ihrem Mehrheitsbesitz stehenden Unternehmens zu erwerben, soweit der Erwerb durch die Gesellschaft gegen § 71 Abs. 1 oder 2 verstoßen würde. Literatur: Drygala, Finanzielle Unterstützung des Aktienerwerbs nach der Reform der Kapitalrichtlinie, Der Konzern 2007, 396; Fleischer, Finanzielle Unterstützung des Aktienerwerbs und Leveraged Buyout, AG 1996, 494; Freitag, „Financial Assistance“ durch die Aktiengesellschaft nach der Reform der Kapitalrichtlinie – (k)ein Freifahrtschein für LBOs?, AG 2007, 157; Habersack, Finanzielle Unterstützung des Aktienerwerbs nach MoMiG, in: Festschrift für Klasu J. Hopt, 2010, S. 725; Habersack, Verdeckte Sacheinlage und Hin- und Herzahlen nach dem ARUG – gemeinschaftsrechtlich betrachtet, AG 2009, 557; Habersack, Die finanzielle Unterstützung des Aktienerwerbs – Überlegungen zu Zweck und Anwendungsbereich des § 71a Abs. 1 Satz 1 AktG, in: Festschrift für Volker Röhricht, 2005, S. 155; Kerber, Die aktienrechtlichen Grenzen der finanziellen Unterstützung des Aktienerwerbs im Buy-out-Verfahren, DB 2004, 1027; Kruchen, Risikoabsicherung aktienbasierter Vergütungen mit eigenen Aktien, AG 2014, 655; Ludwig, Verbotene finanzielle Unterstützung im Sinne des § 71a Abs. 1 Satz 1 AktG ohne rechtsgeschäftliche Beteiligung der Zielgesellschaft?, in: Festgabe für Wilhelm Happ, 2006, S. 131; Oechsler, Das Finanzierungsverbot des § 71a Abs. 1 Satz 1 AktG bei Erwerb eigener Aktien – Schutzzweck und praktische Anwendung, ZIP 2006, 1661; Oechsler, Die Änderung der Kapitalrichtlinie und der Rückerwerb eigener Aktien, ZHR 170 (2006) 72; Riegger, Kapitalgesellschaftsrechtliche Grenzen der Finanzierung von Unternehmensübernahmen durch Finanzinvestoren, ZGR 2008, 233; Servatius, Die besondere Zweckbindung des Stammkapitals bei Drittgeschäften mit Gesellschaftern, DStR 2004, 1176; Singhof, Zur finanziellen Unterstützung des Erwerbs eigener Aktien durch Kreditinstitute, NZG 2002, 745; Westermann, Aktienrechtliche Grenzen einer Übernahme von Umwandlungs- und Kurspflegekosten durch die Gesellschaft, in: Festschrift für Martin Peltzer, 2001, S. 613.

Übersicht I. Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt ................................................. II. Verhältnis zu anderen Vorschriften ...................................... 1. Vermögensbindung gemäß § 57 ....... 2. Hin- und Herzahlen gemäß § 27 Abs. 4 .......................................... III. Verbotene Anteilsfinanzierung (§ 71a Abs. 1) ..................................... 1. Finanzierung des Anteilserwerbs ..... a) Erfasste Finanzierungsgeschäfte ......................................

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1 4 5 6 7 8

b) Erfasster Anteilserwerb ............. 12 c) Erfasste Anteilserwerber ............ 15 2. Sicherheitenbestellung ..................... 16 3. Bereichsausnahmen .......................... 17 4. Rechtsfolgen ..................................... 20 IV. Verbotene Treuhandverhältnisse (§ 71a Abs. 2) .................................... 21 1. Erfasste Rechtsverhältnisse .............. 22 2. Verbotener Aktienerwerb ................ 23 3. Rechtsfolgen bei Verstößen ............. 24

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§ 71a

Umgehungsgeschäfte I.

Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt

Die Norm ergänzt das Verbot des Erwerbs eigener Aktien für Umgehungssachverhalte in 1 Form der finanziellen Unterstützung des Aktienerwerbs (sog. Verbot der financial assistance). Sie beruht auf Art. 64 der Gesellschaftsrechts-Richtlinie.1) § 71a Abs. 1 Satz 1 ordnet zwingend an, dass ein Rechtsgeschäft, durch welches die AG einem anderen den Aktienerwerb finanziert oder Sicherheit bietet, nichtig ist. § 71a Abs. 1 Satz 2 macht hierfür bei Kreditinstituten eine Ausnahme, § 71a Abs. 1 Satz 3 für Rechtsgeschäfte zwischen unternehmensvertraglich gebundenen Gesellschaften. Nach § 71a Abs. 2 ist auch ein Rechtsgeschäft nichtig, wenn hieraus jemand berechtigt oder verpflichtet sein soll, für Rechnung der AG oder eines mit ihr verbundenen Unternehmens Aktien zu erwerben. Der Sache nach geht es weniger um die Fortentwicklung der Schutzzwecke von § 71, son- 2 dern um die Schaffung eines besonderen Tatbestands zum Vermögensschutz der AG.2) Dieser ähnelt funktional § 57, geht jedoch darüber hinaus (siehe unten Rz. 5). Konsequenterweise ist er rechtspolitisch derzeit stark umstritten.3) Praktische Relevanz hat das Verbot der Anteilsfinanzierung vor allem beim sog. leveraged buy-out, bei dem der Erwerber eines Unternehmens den Kaufpreis fremdfinanziert und als Sicherheit das Gesellschaftsvermögen benutzt.4) Darüber hinaus steht die europarechtlich vorgeprägte Norm auch in einem Spannungsfeld zum neu eingeführten § 27 Abs. 4, wonach die Mindesteinlagen wieder darlehensweise an den Aktionär zurückfließen dürfen (siehe unten Rz. 6). Die Reform der Kapitalrichtlinie brachte im Jahr 2006 eine Liberalisierung der maßgeb- 3 lichen europäischen Regelungen.5) Gemäß dem neu gefassten Art. 25 Abs. 1 ist es nunmehr den Mitgliedsstaaten möglich, die Anteilsfinanzierung zu gestatten, wenn das Geschäft zu fairen, marktüblichen Konditionen vorgenommen wird, die Hauptversammlung dies billigt und die finanzielle Unterstützung aus ausschüttungsfähigen Rücklagen geleistet werden könnte. In Deutschland wurde diese Möglichkeit bislang nicht wahrgenommen, so dass es nach wie vor beim strikten Verbot gemäß § 71a Abs. 1 bleibt.6) II.

Verhältnis zu anderen Vorschriften

§ 71a kollidiert sowohl mit § 57 als auch mit der im Zuge der durch das ARUG im Jahr 2009 4 eingeführten Liberalisierung des sog. Hin- und Herzahlens gemäß § 27 Abs. 4. 1.

Vermögensbindung gemäß § 57

Funktional entspricht § 71a Abs. 1 dem bereits durch § 57 verwirklichten Kapitalschutz 5 bei der AG. Beide Regelungen gelten indessen parallel. Soweit daher eine Vermögensleistung an einen Aktionär oder eine diesem zurechenbare Person vorliegt, richtet sich der Sachverhalt auch nach §§ 57, 62 und führt ggf. zu einer doppelt begründeten Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts sowie in Hinblick auf die Rechtsfolgen zur Anspruchskonkurrenz (siehe zur zweifelhaften h. M. im Hinblick auf die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen § 57 dort Rz. 40). Ein wesentlicher Unterschied liegt jedoch darin begründet, dass § 71a Abs. 1 Satz 1 strenger ist als die durch § 57 Abs. 1 Satz 3 mittlerweile gelockerte Vermö_____________ 1) 2) 3) 4) 5) 6)

Richtlinie (EU) 2017/1132 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 14.6.2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts (Gesellschaftsrechts-Richtlinie), ABl. (EU) Nr. L 169/46 v. 30.6.2017. Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71a Rz. 9 – eigenständige Kapitalschutzregelung. Überblick bei Oechsler in: MünchKomm-AktG, § 71a Rz. 5 ff. – „Fundamentalkritik am Gerechtigkeitsgehalt der Norm“. Einzelheiten m. w. N. bei Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71a Rz. 3. Richtlinie 2006/68/EG v. 6.9.2006, ABl. (EU) Nr. L 264/32 v. 25.9.2006. Zur Reform Drygala, Der Konzern 2007, 396, 397 ff.; Einzelheiten zu Umsetzungsfragen bei Oechsler, ZHR 170 (2006) 72, 84; Freitag, AG 2007, 157, 160 ff.

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Umgehungsgeschäfte

gensbindung.7) Während hiernach der Austausch von an sich gebundenem Kapital in eine schuldrechtliche Forderung möglich ist (bilanzielle Betrachtung), ist dies bei der Anteilsfinanzierung gerade ausgeschlossen. Die Finanzierung eines Anteilserwerbs setzt im Paradefall gerade voraus, dass die AG die Leistung irgendwann wieder zurückerhält (§ 488 Abs. 1 Satz 2 BGB). Das gleichwohl bestehende Verbot knüpft daher an etwas anderes an als den bloß summen- oder wertmäßigen Schutz des Gesellschaftsvermögens. Richtigerweise sieht man das Anliegen von § 71a Abs. 1 darin, das Gesellschaftskapital als Betriebsvermögen zu schützen, welches i. R. der satzungsmäßigen Zwecksetzung zu nutzen ist und nicht die individuellen Aktionärsinteressen befriedigen darf.8) Die AG ist regelmäßig keine Bank, deren Geschäftszweck es ist, Darlehen (an ihre Gesellschafter) auszureichen. Umgekehrt ist indessen zu beachten, dass die Privilegierung gemäß § 57 Abs. 1 Satz 2 (siehe § 57 Rz. 38) auch bei der Besicherung des Erwerbs eigener Aktien durch Dritte gemäß § 71a gilt.9) 2.

Hin- und Herzahlen gemäß § 27 Abs. 4

6 Das strikte Verbot der Anteilsfinanzierung kollidiert auch mit § 27 Abs. 4. Hiernach ist es nunmehr zulässig, dass die AG mittels Darlehensausreichung die Einlageleistung des Gründers bzw. Zeichners finanziert. Bei rein nationaler Betrachtung könnte man unter Anwendung der lex posterior-Regel anführen, die Liberalisierung des Kapitalaufbringungsrechts habe Vorrang gegenüber § 71a Abs. 1. Hierbei darf indessen nicht übersehen werden, dass § 27 Abs. 4 europarechtlich fragwürdig ist, wenn es darum geht, dass die Mindesteinlagen wieder an den Aktionär zurückfließen.10) Solange diese Frage nicht abschließend durch den EuGH geklärt ist, spricht Vieles dafür, dass die Hinwendung des Gesetzgebers zur bilanziellen Betrachtung Einschränkungen bedarf.11) Die Einzelheiten hierzu sind derzeit jedoch noch weitgehend ungeklärt. III.

Verbotene Anteilsfinanzierung (§ 71a Abs. 1)

7 Verboten sind Rechtsgeschäfte der AG, die darauf abzielen, einem anderen den Erwerb von Aktien der AG durch die Gewährung eines Vorschusses oder Darlehens oder die Leistung einer Sicherheit zu ermöglichen. Wird hiergegen verstoßen, sind die erfassten Rechtsgeschäfte zwingend nichtig und etwaige Leistungen an die Gesellschaft nach §§ 812 ff. BGB zurückzugewähren. Auf die Frage, ob die AG selbst die betreffenden Aktien gemäß § 71 erwerben dürfte, kommt es bei § 71a nicht an.12) 1.

Finanzierung des Anteilserwerbs

8 Die genannten Finanzierungsformen – Darlehen, Vorschuss – sind nach ganz h. M. nur Regelbeispiele.13) Wenngleich § 71a Abs. 1 rechtspolitisch zunehmend umstritten ist (siehe oben Rz. 5), ist die Schutzrichtung eindeutig, so dass zur Verwirklichung des Vermögensschutzes eine weite Auslegung geboten ist. Erfasst wird jede rechtsgeschäftliche Gestal_____________ 7) 8) 9) 10) 11)

Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71a Rz. 1. Hierzu bereits Servatius, DStR 2004, 1176. BGH, Urt. v. 10.1.2017 – II ZR 94/15, Rz. 25 ff., ZIP 2017, 472. Grundlegend Habersack, AG 2009, 557, 560. So auch Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 71a Rz. 20; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71a Rz. 1; Henssler/Strohn-Lange, GesR, § 71a AktG Rz. 2; abweichend K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71a Rz. 20. 12) Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71a Rz. 3. 13) Vgl. nur Oechsler in: MünchKomm-AktG, § 71a Rz. 19; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71a Rz. 2; nicht nachvollziehbar LG Düsseldorf, Urt. v. 28.10.2005 – 39 O 180/04, ZIP 2006, 516, 518.

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Umgehungsgeschäfte

tung, aufgrund derer bestimmungsgemäß Gesellschaftsvermögen an den Erwerber oder einen ihm gleichzustellenden Dritten fließt, floss oder fließen soll, damit dieser Aktien der AG oder einer mit ihr verbundenen anderen Gesellschaft erwerben kann. a)

Erfasste Finanzierungsgeschäfte

Die Regelung gilt ohne weiteres, wenn die AG einem künftigen Aktionär ein Darlehen ge- 9 währt, welches dieser – wirtschaftlich betrachtet – dafür einsetzt, die Mindest- oder Resteinlagen aufzubringen. Richtigerweise spielt es keine Rolle, ob das Darlehen zeitlich vor oder nach dem Anteilserwerb vereinbart bzw. gewährt wurde (streitig).14) Es ist auch nicht erforderlich, dass die Parteien dies beabsichtigen; der Kapitalschutz bei der AG ist rein objektiv (siehe § 57 Rz. 13), so dass auch hier allein maßgeblich ist, ob zwischen dem Rechtsgeschäft und dem Aktienerwerb ein objektiver Zusammenhang – zeitlich und sachlich – besteht (streitig).15) Ein Liquiditätsabfluss oder eine konkrete Vermögensgefährdung sind nicht erforderlich.16) 10 Das Verbot greift – strenger als nunmehr gemäß § 57 Abs. 1 Satz 3 – auch dann, wenn der Begünstigte solvent ist und die Leistung zurückerstatten kann. Die Norm sanktioniert so eine abstrakte Vermögensgefährdung17) und geht damit über einen bloß bilanzmäßig verwirklichten Kapitalschutz („bilanzielle Betrachtungsweise“) hinaus. Richtigerweise kommt es auch nicht darauf an, dass das Darlehen entgeltlich gewährleistet wurde (streitig).18) Bei der Darlehensgewährung einer AG sind stets Kapital und Zins zu trennen. § 71a bezieht sich wie § 57 auf jeden (drohenden) Vermögensabfluss, ist jedoch mangels Privilegierung gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 strenger. Beim zinslos gewährten Darlehen liegt daher ein Verstoß gegen § 71a Abs. 1 vor, im Hinblick auf die nicht verlangten Zinsen zusätzlich noch ein Verstoß gegen § 57 (siehe dort Rz. 29 f.). Andere Finanzierungsformen, die einem Darlehen oder Vorschuss vergleichbar sind, fallen 11 ebenfalls hierunter. Maßgeblich ist stets, ob sie unmittelbar oder mittelbar einen positiven Finanzierungseffekt aufweisen. Dies gilt namentlich für die entgeltliche oder unentgeltliche Stundung einer bestehenden Forderung,19) die Schuldübernahme (streitig)20) und die stille Beteiligung.21) Das Verbot kann auch i. R. von Umwandlungsfällen, namentlich der Verschmelzung, relevant werden.22) Eine dauerhafte Kapitalüberlassung (Schenkung, verlorener Zuschuss) ist ebenso erfasst, denn der durch die Norm beabsichtigte Vermögensschutz ist hier noch notwendiger als bei der bloß zeitweisen Finanzierung des Anteilserwerbs _____________ 14) Fleischer, AG 1996, 494, 500; Henssler/Strohn-Lange, GesR, § 71a AktG Rz. 6; einschränkend Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71a Rz. 3; die Frage offenlassend BGH, Urt. v. 10.1.2017 – II ZR 94/15, Rz. 27 ff., ZIP 2017, 472. 15) Abweichend Henssler/Strohn-Lange, GesR, § 71a AktG Rz. 6 – Verwendungsabrede erforderlich; ebenso K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71a Rz. 14 – Kenntnis notwendig; ähnlich Spindler/ Stilz-Cahn, AktG, § 71a Rz. 34 – Vermutung einer Absprache bei Vorliegen eines engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhangs; ebenso Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 71a Rz. 17. 16) Oechsler in: MünchKomm-AktG, § 71a Rz. 19; abweichend LG Düsseldorf, Urt. v. 28.10.2005 – 39 O 180/04, ZIP 2006, 516, 518; Habersack in: FS Röhricht, S. 155, 161. 17) Oechsler in: MünchKomm-AktG, § 71a Rz. 19. 18) Abweichend die h. M., vgl. Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71a Rz. 25 m. w. N. 19) Abweichend Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71a Rz. 25 – nur entgeltliche Stundung. 20) K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71a Rz. 12; abweichend LG Düsseldorf, Urt. v. 28.10.2005 – 39 O 180/04, ZIP 2006, 516, 518; zum Ganzen ausführlich Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71a Rz. 47 f. 21) Merkt in: GroßKomm-AktG, § 71a Rz. 35. 22) Einzelheiten bei Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71a Rz. 44 f.; Oechsler in: MünchKomm-AktG, § 71a Rz. 26 f.; K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71a Rz. 19.

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Umgehungsgeschäfte

(streitig).23) Die Übernahme von Kurspflegekosten, insbesondere i. R. eines greenshoe, würde grundsätzlich hierunter fallen, ist jedoch nach zutreffender h. M. wegen der durch andere europäischen Rechtsakte bewirkten Legalisierung dieser Maßnahmen zulässig.24) Eine break fee-Vereinbarung fällt jedoch unter das Verbot, da sie – im Vorfeld des etwaigen Scheiterns der Übernahme – durchaus positive Effekte für den Aktienwerber hat (streitig).25) Dasselbe gilt für Kursgarantien und Verkaufsoptionen (streitig).26) b)

Erfasster Anteilserwerb

12 Das betreffende Rechtsgeschäft muss sich ausweislich des Wortlauts auf den Aktienerwerb beziehen; Zwischenscheine werde ebenfalls erfasst.27) Es kommt daher unproblematisch zum Tragen, wenn der aus dem Vertrag Begünstigte Aktien der AG zeichnet. Richtigerweise kommt hierfür nicht allein der derivative Aktienerwerb in Betracht, sondern auch die Zeichnung i. R. der Gründung oder Kapitalerhöhung.28) Der systematische Zusammenhang mit § 71 spricht zwar vordergründig dagegen. Der vom Erwerbsverbot eigener Aktien emanzipierte Schutzzweck der Regelung (eigenständige Kapitalschutzregelung als Ergänzung zu § 57, siehe oben Rz. 5) zieht es jedoch nach sich, das Finanzierungsverbot umfassend zu verstehen. 13 Darüber hinaus ist es geboten, den Anwendungsbereich entsprechend § 56 Abs. 2 und § 71d Satz 2 dahingehend zu erweitern, dass auch der Erwerb von Aktien oder Anteilen konzernrechtlich mit der AG verbundener Unternehmen erfasst wird (vgl. § 71d Satz 4). Die Finanzierung des Erwerbs von Aktien eines von der AG abhängigen (Tochtergesellschaft) oder eines diese beherrschenden Unternehmens (Muttergesellschaft) ist daher ebenso unzulässig.29) Siehe aber die Bereichsausnahme beim Unternehmensvertrag gemäß § 71a Abs. 1 Satz 3 unten Rz. 19. 14 Geht es indessen um Rechtsgeschäfte, die nicht zumindest mittelbar auf den Erwerb der Mitgliedschaft gerichtet sind, greift das Verbot nicht.30) Die Finanzierung von Schuldverschreibungen, Genuss- und Dividendenrechten ist daher allenfalls nach § 57 verboten. Bei Options- und Wandelanleihen, die letztlich einen Anspruch auf Einräumung der Mitgliedschaft begründen, ist hingegen eine Einbeziehung geboten.31)

_____________ 23) Abweichend Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71a Rz. 38; wohl auch K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71a Rz. 13. 24) Westermann in: FS Peltzer, S. 613, 625 f.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71a Rz. 3; abweichend zum früheren Recht OLG Frankfurt/M., Urt. v. 30.1.1992 – 16 U 120/90, WM 1992, 572, 576; vom BGH offengelassen, Urt. v. 5.7.1993 – II ZR 194/92, AG 1994, 32, 34 = ZIP 1993, 1467. 25) Wie hier K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71a Rz. 12; abweichend die wohl h. M., vgl. nur Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71a Rz. 43; Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 71a Rz. 15; Hüffer/ Koch-Koch, AktG, § 71a Rz. 3. 26) Vgl. LG Göttingen, Urt. v. 6.1.1992 – 8 O 123/91, WM 1992, 1373; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 30.1.1992 – 16 U 120/90, WM 1992, 572; abweichend Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71a Rz. 40; gegen die Einbeziehung von Stillhalteprämien auch Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71a Rz. 2, und Kruchen, AG 2014, 655, 659. 27) Oechsler in: MünchKomm-AktG, § 71a Rz. 15. 28) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71a Rz. 1; abweichend Oechsler in: MünchKomm-AktG, § 71a Rz. 15; K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71a Rz. 20; offenlassend BGH, Urt. v. 10.1.2017 – II ZR 94/15, Rz. 32, ZIP 2017, 472. 29) Wohl ebenso Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71a Rz. 33; vgl. auch K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71a Rz. 18; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71a Rz. 2. 30) Vgl. zu Umwandlungen K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71a Rz. 19. 31) Zum Ganzen Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71a Rz. 32.

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Umgehungsgeschäfte c)

Erfasste Anteilserwerber

§ 71a verbietet schlechthin die Finanzierung eines Anteilserwerbs durch einen Dritten, d. h. 15 nicht die AG selbst. Es kommt also – abweichend von § 57 – nicht darauf an, dass einem Aktionär oder zurechenbaren Dritten ein aus dem Gesellschaftsvermögen stammender Vermögensvorteil zukommt. Im Kern geht es jedoch wie bei § 57 darum, dass das von den künftigen Aktionären aufzubringende Kapital nicht wirtschaftlich betrachtet das der AG ist, weil ansonsten der Kapitalschutz nicht verwirklicht werden könnte. Über eine summenoder wertmäßige Betrachtung allein ließe sich dieses Schutzanliegen jedoch nicht erklären. Geht man nämlich vom Idealfall der Finanzierung aus, steht der AG ein Rückzahlungsanspruch aus § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB zu, was bei einer rein bilanziellen Betrachtung den Kapitalschutz nicht tangieren würde. Indem § 71a jedoch hierüber hinausgeht und gerade diese Gestaltungen explizit verbietet, wird hierdurch anerkannt, dass das Gesellschaftsvermögen durch die satzungsmäßige Zielsetzung gebunden ist und damit nicht zur Verwirklichung individueller Aktionärsinteressen benutzt werden darf.32) Die AG ist – im Regelfall, vgl. die Ausnahmen gemäß § 71a Abs. 1 Satz 2, – keine Bank, die den Aktionären Darlehen gibt.33) Insofern ist das Verbot entgegen der zunehmenden rechtpolitischen Kritik durchaus legitimiert. Zu den Friktionen mit § 27 Abs. 4 siehe oben Rz. 6. 2.

Sicherheitenbestellung

Verboten ist auch, dass die AG den Anteilserwerb durch die Bestellung einer dinglichen 16 oder schuldrechtlichen Sicherheit unterstützt.34) In Folge der zur Verwirklichung des Schutzzwecks erforderlichen weiten Auslegung kommen somit z. B. Bürgschaften, Sicherungsübereignungen oder Grundpfandrechte in Betracht. Erforderlich ist aber ein Zusammenhang zwischen Besicherung und dem Erwerb der Aktien, wonach die Leistung der Gesellschaft objektiv dem Aktienerwerb dient, die Parteien des Finanzierungsgeschäfts dies wissen und die Zweckverknüpfung rechtsgeschäftlich zum Inhalt ihrer Vereinbarung machen.35) Eine solche Abrede ist bei objektivem Sachzusammenhang und zeitlicher Nähe von Aktienerwerb und Finanzierungsgeschäft zu vermuten.36) Allein dass die Finanzierungshilfe in irgendeiner Weise dem „Behalt“ der Aktien dient, genügt dazu aber nicht, weil die Unterstützung eines zahlungsschwachen Aktionärs, der ansonsten seine Anteile verkaufen müsste, nicht mehr im Zusammenhang mit dem Erwerb der Aktien steht.37) 3.

Bereichsausnahmen

§ 71a Abs. 1 Satz 2 und 3 begründen drei Bereichsausnahmen für das Verbot der Anteils- 17 finanzierung und Sicherheitenbestellung gemäß Satz 1. Nach § 71a Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 können einmal Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute (§ 1 Abs. 2 und 1a KWG) i. R. des laufenden Geschäfts den Aktienerwerb finanzieren oder hierfür Sicherheiten bestellen.38) Eine Privilegierung gilt gemäß § 71a Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 weiterhin für den Erwerb von Be- 18 legschaftsaktien für Arbeitnehmer der AG oder eines mit ihr konzernrechtlich verbundenen _____________ 32) 33) 34) 35) 36) 37) 38)

Hierzu bereits Servatius, DStR 2004, 1176; Freitag, AG 2007, 157, 160. Vgl. auch BGH, Urt. v. 13.11.2007 – XI ZR 294/07, ZIP 2008, 118 = NZG 2008, 106. Vgl. BGH, Urt. v. 10.1.2017 – II ZR 94/15, ZIP 2017, 472. BGH, Urt. v. 10.1.2017 – II ZR 94/15, Rz. 28, ZIP 2017, 472. BGH, Urt. v. 10.1.2017 – II ZR 94/15, Rz. 28, ZIP 2017, 472. BGH, Urt. v. 10.1.2017 – II ZR 94/15, Rz. 28, ZIP 2017, 472. Einzelheiten bei Singhof, NZG 2002, 745, 747.

Wolfgang Servatius

429

§ 71a

Umgehungsgeschäfte

Unternehmens (§ 15);39) Organmitglieder sind hiervon nicht erfasst.40) Diese Geschäfte sind wirksam, wenn die Gesellschaft im Zeitpunkt des Erwerbs eine ausschüttungsfähige Rücklage bilden könnte. Maßgeblich für die Höhe der zu bildenden Rücklage ist wie bei § 71 Abs. 2 Satz 2 der konkrete Erwerbspreis der betreffenden Aktien (streitig).41) 19 Schließlich gilt das Verbot gemäß § 71a Abs. 1 Satz 3 auch nicht für Rechtsgeschäfte bei Bestehen eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages i. S. von § 291. Diese Regelung wurde im Zuge des MoMiG im Jahr 2008 eingeführt und ähnelt § 57 Abs. 1 Satz 1. Sie privilegiert jedoch nicht nur sämtliche Vermögenstransfers von einer beherrschten bzw. zur Gewinnabführung verpflichteten AG gegenüber dem Vertragspartner. Übertragen auf das Verbot der Finanzierung des Anteilserwerbs bzw. einer diesem dienenden Sicherheitenbestellung bedeutet sie vielmehr, dass eine beherrschte oder zur Gewinnabführung verpflichtete AG nahezu einschränkungslos nicht durch § 71a Abs. 1 Satz 1 gebunden ist.42) Der konzernrechtliche Schutz gemäß §§ 302, 303 wird hiernach vom Gesetzgeber als ausreichend angesehen, was nur überzeugt, wenn der andere Vertragsteil leistungsfähig ist.43) Im faktischen Konzern gilt demgegenüber § 71a Abs. 1 Satz 1 einschränkungslos und wird nicht durch §§ 311, 317 überlagert (streitig).44) 4.

Rechtsfolgen

20 Liegt ein Verstoß gegen § 71a Abs. 1 vor, ist das Finanzierungsgeschäft nichtig; auf den dinglichen Aktienerwerb hat dies keine Auswirkungen.45) Die Nichtigkeit des Finanzierungsgeschäfts bezieht sich auch allein auf den schuldrechtlichen Teil; der Geldfluss wird hiervon nicht erfasst, weil dies wegen § 935 Abs. 2 BGB ohnehin nicht effektiv wäre (streitig).46) Die AG hat einen Anspruch gegen den Leistungsempfänger auf Rückerstattung der Finanzierungshilfe entsprechend § 62.47) Bei der verbotenen Sicherheitenbestellung bezieht sich die Nichtigkeit nicht nur auf die Sicherungsabrede, sondern auch auf die Sicherheit als solches (streitig).48)

_____________ 39) Vgl. hierzu OLG Frankfurt/M., Urt. v. 22.12.2003 – 19 U 78/03, NZG 2004, 419. 40) LG Mainz, Urt. v. 27.8.2004 – 11 HKO 16/04, NZG 2005, 325; Oechsler in: MünchKomm-AktG, § 71a Rz. 38. 41) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71a Rz. 6; abweichend K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71a Rz. 22: Betrag des durch die AG zu tragenden wirtschaftlichen Risikos, was jedoch kaum zutreffend zu beziffern ist; ebenso Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 71a Rz. 29. 42) Zum Ganzen ausführlich Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71a Rz. 17 ff.; für die Geltung des Verbots auch nach Inkrafttreten der Neuregelung jedoch K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71a Rz. 18; einschränkend, wenn der herrschende Vertragsteil als Erwerber auftritt, Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71a Rz. 6a. 43) Vgl. hierzu Fleischer, AG 1996, 494, 505 f. 44) H. M., vgl. K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71a Rz. 18; Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71a Rz. 22 Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 71a Rz. 21; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71a Rz. 6a; abweichend Brosius, Die finanzielle Unterstützung des Erwerbs eigener Aktien, 2011, S. 230; Habersack in: FS Hopt, S. 725, 742 f. 45) Grigoleit-Grigoleit/Rachlitz, AktG, § 71a Rz. 23. 46) Wie hier die wohl h. M., vgl. Oechsler in: MünchKomm-AktG, § 71a Rz. 31; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71a Rz. 4; abweichend K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71a Rz. 16; Spindler/StilzCahn, AktG, § 71a Rz. 50 m. w. N. 47) Vgl. OLG München, Urt. v. 24.1.2006 – 5 U 4383/05, BeckRS 2008, 07509; enger, nur wenn auch die Voraussetzungen von § 62 vorliegen, Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71a Rz. 4; die Frage offenlassend BGH, Urt. v. 12.9.2006 – XI ZR 296/05, Rz. 14 ff., ZIP 2006, 2119, 2120, dazu EWiR 2007, 97 (Medicus). 48) Abweichend K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71a Rz. 16 – Nichtigkeit nur des Sicherungsvertrages.

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Wolfgang Servatius

§ 71a

Umgehungsgeschäfte IV.

Verbotene Treuhandverhältnisse (§ 71a Abs. 2)

Nach § 71a Abs. 2 erstreckt sich die Nichtigkeit auch auf Rechtsgeschäfte zwischen der 21 AG und einem anderen, wenn dieser hiernach berechtigt oder verpflichtet sein soll, verbotenerweise Aktien der AG oder eines von sich abhängigen oder in ihrem Mehrheitsbesitz stehenden Unternehmens zu erwerben. Die Regelung steht in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit § 71a Abs. 1, sondern sanktioniert vielmehr ähnlich wie § 57, dass die AG aufgrund eines derartigen Geschäfts dem Dritten zum Aufwendungsersatz verpflichtet wäre, mithin das wirtschaftliche Risiko des Aktienerwerbs trägt. Insofern ähnelt die Regelung § 56 Abs. 3. Gegenüber § 71d ist die Norm richtigerweise dadurch abzugrenzen, dass § 71a Abs. 2 den nach § 71 verbotenen Aktienerwerb regelt, § 71d den erlaubten. 1.

Erfasste Rechtsverhältnisse

Erfasst ist jedes Rechtsgeschäft zwischen der AG und einem anderen, aufgrund dessen dieser 22 die Aktien für Rechnung der AG erwerben darf oder muss. Als Sanktionierung potentieller Umgehungstatbestände ist die Regelung weit auszulegen. Hierunter fallen somit sämtliche Treuhandverhältnisse bzw. die Fälle der mittelbaren Stellvertretung (Auftrag, Geschäftsbesorgung, Kommission, auch ohne entsprechende rechtsgeschäftliche Grundlage49); Einzelheiten siehe § 71d Rz. 4). 2.

Verbotener Aktienerwerb

Die Regelung gilt nur, wenn der – hypothetische – Erwerb der Aktien durch die AG selbst 23 nach Maßgabe von § 71 Abs. 1 und 2 unzulässig wäre; das Gleiche gilt für die verbotene Inpfandnahme gemäß § 71d. In Betracht kommt nur der derivative Erwerb von bereits bestehenden Aktien; für die erstmalige Übernahme und Zeichnung gilt § 56 Abs. 2. 3.

Rechtsfolgen bei Verstößen

Liegen diese Voraussetzungen vor, ist das betreffende schuldrechtliche Rechtsgeschäft 24 zwingend nichtig. Der dingliche Aktienerwerb durch den Dritten wird hierdurch indessen nicht berührt. Im Ergebnis führt die Nichtigkeit damit dazu, dass der Dritte aus dem Rechtsgeschäft keine Ansprüche gegen die AG ableiten kann. Dies muss auch gelten, wenn ein Fall der Geschäftsführung ohne Auftrag vorliegt.50) Etwaige Leistungen sind entsprechend § 62 bzw. gemäß §§ 812 ff. BGB zurückzugewähren.51) Das Außenverhältnis wird demgegenüber hierdurch nicht betroffen; der Dritte ist wie bei § 56 Abs. 2 im Verhältnis zur AG so zu behandeln, als wenn er die Aktien auf eigene Rechnung erworben hätte.52) Für das Veräußerungsgebot gemäß § 71c und den Rechteausschluss gemäß § 71b besteht daher kein Bedürfnis (streitig).53) Es besteht auch keine Pflicht, die Aktien an die AG zu übertragen.

_____________ 49) Für die GoA auch Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71a Rz. 8; Henssler/Strohn-Lange, GesR, § 71a AktG Rz. 11; abweichend Oechsler in: MünchKomm-AktG, § 71a Rz. 59. 50) H. M., vgl. K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71a Rz. 25; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71a Rz. 8. 51) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71a Rz. 9; K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71a Rz. 26. 52) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71a Rz. 9; K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71a Rz. 26. 53) K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71a Rz. 26; abweichend Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71a Rz. 9.

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§ 71b

Rechte aus eigenen Aktien

§ 71b Rechte aus eigenen Aktien Aus eigenen Aktien stehen der Gesellschaft keine Rechte zu. Literatur: Berrar/Schnorbus, Rückkauf eigener Aktien und Übernahmerecht, ZGR 2003, 59; Busch, Eigene Aktien in der Kapitalerhöhung, AG 2005, 429; Fleischer/Körber, Der Rückerwerb eigener Aktien und das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, BB 2001, 2589; Krause, Eigene Aktien bei Stimmrechtsmitteilungen und Pflichtangebot, AG 2015, 553.

Übersicht I. Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt ................................................. 1 II. Keine Rechte aus eigenen Aktien ..... 2 I.

III. Anwachsung bei den übrigen Aktionären ......................................... 3 IV. Ruhen der Pflichten .......................... 4

Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt

1 Die Regelung beruht auf Art. 63 der Gesellschaftsrechts-Richtlinie.1) Der Ausschluss von Rechten der AG aus eigenen Aktien sichert zum einen, dass der Vorstand keine Aktionärskompetenzen ausübt. Die Regelung hat insofern einen insbesondere für das Verwaltungsstimmrecht mittels Legitimationszession verallgemeinerungsfähigen Inhalt (sehr umstritten, Einzelheiten siehe § 134). Zum anderen verwirklicht die Norm einen besonderen Vermögensschutz zugunsten der übrigen Aktionäre, indem der AG aus ihren Aktien keine Ansprüche zustehen.2) Über die Pflichten aus den eigenen Aktien besagt die Norm nichts; hier ist jedoch eine spiegelbildliche Betrachtung angezeigt (siehe unten Rz. 4). Die Regelung gilt beim rechtmäßigen und rechtswidrigen Aktienerwerb.3) Sie gilt gemäß § 71d Abs. 1 Satz 4 bei der AG zurechenbaren Dritten entsprechend. Auf in Pfand genommene Aktien findet die Regelung demgegenüber keine Anwendung (Umkehrschluss aus § 71a Abs. 1 Satz 3).4) Etwas anderes gilt nur, wenn zugunsten der AG auch das Gewinnrecht verpfändet wurde.5) II.

Keine Rechte aus eigenen Aktien

2 Der AG stehen während der – stets wirksamen (vgl. § 71 Abs. 4 Satz 1) – Innehabung eigener Aktien keine Verwaltungs- und Vermögensrechte aus den betreffenden Aktien zu.6) Das Ruhen der Mitgliedschaftsrechte kann auch nicht durch Abtretung, Bevollmächtigung oder vergleichbare Gestaltungen umgangen werden.7) Insbesondere gilt die Regelung daher entsprechend, wenn die AG im Wege einer Legitimationszession zur Stimmrechtsausübung befugt sein soll.8) Auch die Abtretung des Dividendenanspruchs oder die Veräußerung von Dividendenscheinen lässt daher in der Person des Dritten keine Gewinnansprüche entstehen.9) Ausnahmen folgen einmal aus § 215, wonach auch eigene Aktien an _____________ 1)

2) 3) 4) 5) 6) 7) 8) 9)

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Nunmehr Art. 63 der Richtlinie (EU) 2017/1132 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 14.6.2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts (Gesellschaftsrechts-Richtlinie), ABl. (EU) Nr. L 169/46 v. 30.6.2017. Vgl. Oechsler in: MünchKomm-AktG, § 71b Rz. 6, freilich im Ergebnis sehr zurückhaltend. Unstreitig, vgl. nur Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71b Rz. 2. Oechsler in: MünchKomm-AktG, § 71b Rz. 7. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71b Rz. 1. Vgl. zu kapitalmarktrechtlichen Implikationen Krause, AG 2015, 553. Unstreitig, vgl. Oechsler in: MünchKomm-AktG, § 71b Rz. 10; Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71b Rz. 8. H. M., teilweise auf § 136 Abs. 2 abstellend, vgl. nur Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71b Rz. 5 m. w. N. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71b Rz. 5.

Wolfgang Servatius

Veräußerung und Einziehung eigener Aktien

§ 71c

der Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln teilnehmen. Für das Bezugsrecht bei der ordentlichen Kapitalerhöhung gilt dies ebenso.10) Soweit es um die Bestimmung von Anteilen des Aktionärs am Grundkapital ankommt (vgl. etwa § 122 Abs. 1 Satz 1), werden die eigenen Aktien ebenfalls mitgezählt, nicht aber, soweit es um das vertretene Kapital geht (vgl. etwa § 179 Abs. 2 Satz 1).11) Mit Weiterveräußerung endet das Ruhen der Mitgliedschaftsrechte – soweit noch möglich – mit Wirkung ex nunc.12) III.

Anwachsung bei den übrigen Aktionären

Die Grundkapitalziffer wird durch § 71b nicht verändert. Soweit es daher auf die Beteiligung 3 einzelner Aktionäre am Grundkapital ankommt, ändert sich nichts (vgl. z. B. § 62 Abs. 1 UmwG). Im Übrigen kommt es zur Anwachsung der ruhenden Vermögens- und Mitverwaltungsrechte bei den übrigen Aktionären.13) Eine Ausnahme hiervon begründet jedoch § 16 Abs. 2 Satz 2 für die konzernrechtlichen Regeln, einschließlich des squeeze out (§ 327a Abs. 2), so dass ein Gesellschafter infolge des von ihm nicht kontrollierbaren Erwerbs eigener Aktien durch die AG nicht unversehens herrschendes Unternehmen wird. Vgl. für die Konzernbilanz § 290 Abs. 4 HGB. Eine weitere Ausnahme sollte zudem im Übernahmerecht gemacht werden, so dass niemand infolge des durch ihn nicht steuerbaren Erwerbs eigener Aktien zur Abgabe eines Pflichtangebots gezwungen wird (streitig).14) Etwas anderes gilt nur, wenn der betreffende Aktionär den Erwerb veranlasst hat und er hierdurch faktisch die 30 %-Schwelle überschreitet. IV.

Ruhen der Pflichten

Für die Pflichten, die während der Innehabung der eigenen Aktien entstehen würden, gilt 4 das Vorgesagte ohne weiteres spiegelbildlich. Die Pflichten, die bereits vor dem Rückerwerb bestanden, insbesondere die Pflicht zur Leistung der Resteinlage, ruhen ebenfalls während der Besitzzeit. Ein Erlöschen wegen Konfusion kommt wegen des Gläubiger- und Aktionärsschutzes nicht in Betracht, so dass der Erwerber eigener Aktien zur Nachleistung verpflichtet ist (streitig).15) _____________ Vgl. Busch, AG 2005, 429, 430 ff.; K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71b Rz. 3. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71b Rz. 4; K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71b Rz. 5. Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71b Rz. 7; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71b Rz. 3. Unstreitig, vgl. nur Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71b Rz. 10; K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71b Rz. 4 f. 14) So vor allem Berrar/Schnorbus, ZGR 2003, 59, 88; Fleischer/Körber, BB 2001, 2589, 2593 f.; unentschieden K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71b Rz. 6, der sich aber zumindest für eine Befreiung von der Angebotspflicht gemäß § 9 Nr. 5 WpÜG ausspricht. 15) Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71b Rz. 11; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71b Rz. 6; abweichend GrigoleitGrigoleit/Rachlitz, AktG, § 71b Rz. 9; K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71b Rz. 6. 10) 11) 12) 13)

§ 71c Veräußerung und Einziehung eigener Aktien (1) Hat die Gesellschaft eigene Aktien unter Verstoß gegen § 71 Abs. 1 oder 2 erworben, so müssen sie innerhalb eines Jahres nach ihrem Erwerb veräußert werden. (2) Entfallen auf die Aktien, welche die Gesellschaft nach § 71 Abs. 1 in zulässiger Weise erworben hat und noch besitzt, mehr als zehn vom Hundert des Grundkapitals, so muß der Teil der Aktien, der diesen Satz übersteigt, innerhalb von drei Jahren nach dem Erwerb der Aktien veräußert werden. Wolfgang Servatius

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Veräußerung und Einziehung eigener Aktien

§ 71c

der Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln teilnehmen. Für das Bezugsrecht bei der ordentlichen Kapitalerhöhung gilt dies ebenso.10) Soweit es um die Bestimmung von Anteilen des Aktionärs am Grundkapital ankommt (vgl. etwa § 122 Abs. 1 Satz 1), werden die eigenen Aktien ebenfalls mitgezählt, nicht aber, soweit es um das vertretene Kapital geht (vgl. etwa § 179 Abs. 2 Satz 1).11) Mit Weiterveräußerung endet das Ruhen der Mitgliedschaftsrechte – soweit noch möglich – mit Wirkung ex nunc.12) III.

Anwachsung bei den übrigen Aktionären

Die Grundkapitalziffer wird durch § 71b nicht verändert. Soweit es daher auf die Beteiligung 3 einzelner Aktionäre am Grundkapital ankommt, ändert sich nichts (vgl. z. B. § 62 Abs. 1 UmwG). Im Übrigen kommt es zur Anwachsung der ruhenden Vermögens- und Mitverwaltungsrechte bei den übrigen Aktionären.13) Eine Ausnahme hiervon begründet jedoch § 16 Abs. 2 Satz 2 für die konzernrechtlichen Regeln, einschließlich des squeeze out (§ 327a Abs. 2), so dass ein Gesellschafter infolge des von ihm nicht kontrollierbaren Erwerbs eigener Aktien durch die AG nicht unversehens herrschendes Unternehmen wird. Vgl. für die Konzernbilanz § 290 Abs. 4 HGB. Eine weitere Ausnahme sollte zudem im Übernahmerecht gemacht werden, so dass niemand infolge des durch ihn nicht steuerbaren Erwerbs eigener Aktien zur Abgabe eines Pflichtangebots gezwungen wird (streitig).14) Etwas anderes gilt nur, wenn der betreffende Aktionär den Erwerb veranlasst hat und er hierdurch faktisch die 30 %-Schwelle überschreitet. IV.

Ruhen der Pflichten

Für die Pflichten, die während der Innehabung der eigenen Aktien entstehen würden, gilt 4 das Vorgesagte ohne weiteres spiegelbildlich. Die Pflichten, die bereits vor dem Rückerwerb bestanden, insbesondere die Pflicht zur Leistung der Resteinlage, ruhen ebenfalls während der Besitzzeit. Ein Erlöschen wegen Konfusion kommt wegen des Gläubiger- und Aktionärsschutzes nicht in Betracht, so dass der Erwerber eigener Aktien zur Nachleistung verpflichtet ist (streitig).15) _____________ Vgl. Busch, AG 2005, 429, 430 ff.; K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71b Rz. 3. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71b Rz. 4; K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71b Rz. 5. Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71b Rz. 7; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71b Rz. 3. Unstreitig, vgl. nur Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71b Rz. 10; K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71b Rz. 4 f. 14) So vor allem Berrar/Schnorbus, ZGR 2003, 59, 88; Fleischer/Körber, BB 2001, 2589, 2593 f.; unentschieden K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71b Rz. 6, der sich aber zumindest für eine Befreiung von der Angebotspflicht gemäß § 9 Nr. 5 WpÜG ausspricht. 15) Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71b Rz. 11; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71b Rz. 6; abweichend GrigoleitGrigoleit/Rachlitz, AktG, § 71b Rz. 9; K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71b Rz. 6. 10) 11) 12) 13)

§ 71c Veräußerung und Einziehung eigener Aktien (1) Hat die Gesellschaft eigene Aktien unter Verstoß gegen § 71 Abs. 1 oder 2 erworben, so müssen sie innerhalb eines Jahres nach ihrem Erwerb veräußert werden. (2) Entfallen auf die Aktien, welche die Gesellschaft nach § 71 Abs. 1 in zulässiger Weise erworben hat und noch besitzt, mehr als zehn vom Hundert des Grundkapitals, so muß der Teil der Aktien, der diesen Satz übersteigt, innerhalb von drei Jahren nach dem Erwerb der Aktien veräußert werden. Wolfgang Servatius

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§ 71c

Veräußerung und Einziehung eigener Aktien

(3) Sind eigene Aktien innerhalb der in den Absätzen 1 und 2 vorgesehenen Fristen nicht veräußert worden, so sind sie nach § 237 einzuziehen. Literatur: Ganske, Das zweite gesellschaftsrechtliche Koordinierungsgesetz vom 13.12.1978, DB 1978, 2461; Lutter, Mindestumfang der Kapitalerhöhung bei der Verschmelzung zur Aufnahme oder Neugründung bei Aktiengesellschaften?, in: Festschrift für Herbert Wiedemann, 2002, S. 1097.

Übersicht I. Normzweck, Regelungsgehalt ........ II. Veräußerung wegen rechtswidrigen Erwerbs (§ 71c Abs. 1) ..................................... 1. Voraussetzungen ............................... 2. Entsprechende Anwendung .............. 3. Rechtsfolge ........................................ I.

1

2 2 3 4

III. Veräußerung wegen Überschreitens der Erwerbsobergrenze (§ 71c Abs. 2) ...................................... 7 1. Voraussetzungen ................................ 7 2. Rechtsfolge ......................................... 8 IV. Einziehung nach Fristablauf (§ 71c Abs. 3) ...................................... 9

Normzweck, Regelungsgehalt

1 § 71c regelt in differenzierter Weise die weitere Behandlung der durch die AG erworbenen eigenen Aktien. Die Norm wurde 1979 eingeführt1) und beruht mittlerweile auf Art. 59, 61 der Gesellschaftsrechts-Richtlinie.2) Die Regelung ist zwingend. Nach § 71c Abs. 1 sind unzulässig erworbene Aktien innerhalb Jahresfrist wieder zu veräußern. § 71c Abs. 2 erweitert dies für den Fall, dass durch einen an sich zulässigen Erwerb die Obergrenze von 10 % des Grundkapitals gemäß § 71 Abs. 2 Satz 1 nachträglich überschritten wird, indem der überschießende Teil innerhalb von spätestens drei Jahren nach dem Erwerb veräußert werden muss. Nach § 71c Abs. 3 sind die rechtswidrig erworbenen oder zu viel gehaltenen Aktien nach Ablauf der vorgenannten Veräußerungsfristen gemäß § 237 einzuziehen. Nach § 71d Satz 4 gilt die Regelung beim Aktienerwerb zurechenbarer Dritter sinngemäß. Die Regelung ist nicht Schutzgesetz i. S. von § 823 Abs. 2 BGB und eröffnet nicht ein Vorgehen nach § 1004 BGB.3) II.

Veräußerung wegen rechtswidrigen Erwerbs (§ 71c Abs. 1)

1.

Voraussetzungen

2 Erforderlich ist, dass Aktien rechtswidrig erworben wurden. Dies ist unproblematisch gegeben, wenn die Voraussetzungen von § 71 Abs. 1 Nr. 1 – 8 beim Erwerb nicht eingehalten wurden. Für Verletzung von § 53a (vgl. § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 3) soll das nicht gelten, weil die Vorgaben der Gesellschaftsrechts-Richtlinie das Veräußerungsgebot hieran ebenfalls nicht knüpfen.4) Dem ist nicht zu folgen. Gleichheitswidrig erworbene Aktien sind rechtswidrig erworbene Aktien, so dass es nicht gerechtfertigt ist, von einem minder schweren Mangel zu sprechen (siehe zur Veräußerung unten Rz. 4).5) Zur problematischen Abgrenzung von § 71c Abs. 1 und Abs. 2 beim Überschreiten der 10 %-Erwerbsgrenze siehe unten Rz. 7). Auf die rechtswidrige Zeichnung i. S. von § 56 ist die Regelung entsprechend anzuwenden.6) _____________ 1) 2) 3) 4) 5) 6)

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Vgl. Ganske, DB 1978, 2461. Richtlinie (EU) 2017/1132 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 14.6.2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts (Gesellschaftsrechts-Richtlinie), ABl. (EU) Nr. L 169/46 v. 30.6.2017. LG Memmingen, Urt. v. 11.8.2010 – 2 HK O 515/10, GWR 2010, 455. Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71c Rz. 2. Ebenso Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71c Rz. 3. Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71c Rz. 3.

Wolfgang Servatius

Veräußerung und Einziehung eigener Aktien 2.

§ 71c

Entsprechende Anwendung

Nicht von § 71c Abs. 1 erfasst ist demgegenüber der Fall, dass der Erwerb ursprünglich 3 zulässig war, die Voraussetzungen jedoch in der Zwischenzeit weggefallen sind. Dies betrifft vor allem den Erwerb zur Schadensabwehr (§ 71 Abs. 1 Nr. 1), den Erwerb zur Ausgabe von Belegschaftsaktien (§ 71 Abs. 1 Nr. 2) und den Erwerb von Aktien zur Bedienung von Abfindungsansprüchen (§ 71 Abs. 1 Nr. 3). Ebenfalls nicht erfasst sind die Fälle, bei denen kein Interesse mehr besteht, die rechtmäßig erworbenen Aktien weiterhin zu halten. Dies betrifft vor allem den Erwerb infolge Gesamtrechtsnachfolge (§ 71 Abs. 1 Nr. 5). In all diesen Gestaltungen folgt aus dem grundsätzlichen Verbot des Erwerbs eigener Aktien jedoch, dass der rechtmäßige Erwerb kein Freibrief ist, die Aktien dauerhaft zu halten. Der Vorstand ist vielmehr in diesen Fällen aufgrund seiner allgemeinen Pflichtenbindung gehalten, die nicht benötigten eigenen Aktien in entsprechender Anwendung von § 71c Abs. 1 alsbald wieder zu veräußern, um mit dem erzielten Erlös den satzungsmäßigen Unternehmensgegenstand zur Verwirklichung des Gewinnziels auszufüllen (streitig).7) Unterlässt er dies pflichtwidrig, macht er sich gegenüber der AG gemäß § 93 Abs. 2 schadensersatzpflichtig (vor allem im Hinblick auf einen entgangenen Gewinn). 3.

Rechtsfolge

Die rechtswidrig erworbenen Aktien sind binnen Jahresfrist zu veräußern (die AG ist gemäß 4 § 71 Abs. 4 Satz 1 wirksam Inhaberin der Aktien geworden). Der Vorstand hat sich hierum ernsthaft zu bemühen und macht sich andernfalls gegenüber der AG schadensersatzpflichtig (entgangener Gewinn wegen gebundenen Kapitals).8) Die Frist beginnt mit dem unzulässigen Erwerb, im Fall des hierauf bezogenen Kausalgeschäfts bereits mit dessen Abschluss (streitig).9) Vgl. die Ordnungswidrigkeit gemäß § 405 Abs. 1 Nr. 4 lit. b, wenn die Aktien nicht angeboten werden. Über die Art und Weise der gebotenen Veräußerung fehlen spezielle Regeln. Da das schuld- 5 rechtliche Kausalgeschäft beim rechtswidrigen Erwerb gemäß § 71 Abs. 4 Satz 2 nichtig ist, ist der Erwerb vorrangig rückgängig zu machen.10) Der ursprüngliche Veräußerer ist freilich im gesetzlichen Regelfall nicht verpflichtet, die Aktien wieder zu übernehmen; Ausnahmen hiervon ermöglicht allein die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht, was bisher noch nicht ausreichend beleuchtet wurde. Lehnt der ursprüngliche Veräußerer den Rückerwerb ab, sind die Aktien vorrangig den übrigen Aktionären anzubieten (siehe sogleich Rz. 7). Vgl. die Berichtspflicht im Lagebericht des Jahresabschlusses gemäß § 160 Abs. 1 Nr. 1 und 2. Nimmt man – wie hier vertreten (siehe oben Rz. 3) – an, dass die Veräußerungspflicht gemäß 6 § 71c Abs. 1 entsprechend gilt, wenn der Erwerb nachträglich unzulässig wird oder die AG kein Interesse mehr an den eigenen Aktien hat, sind die Aktien vorrangig den Aktionären anzubieten (vgl. § 71 Abs. 1 Nr. 8 Sätze 3 – 5).11) Einzelheiten siehe § 71 Rz. 43. _____________ 7) Für das Überschreiten der Frist gemäß § 71 Abs. 3 Satz 2 auch Oechsler in: MünchKomm-AktG, § 71c Rz. 7. Abweichend i. Ü. die h. M., vgl. K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71b Rz. 7; Lutter in: FS Wiedemann, S. 1097, 1107. 8) Vgl. OLG Stuttgart, Urt. v. 25.11.2009 – 20 U 5/09, ZIP 2009, 2386 = NZG 2010, 141, dazu EWiR 2010, 477 (Becker/Laubinger). 9) Ebenso Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71c Rz. 5; abweichend Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71c Rz. 6. 10) Unstreitig, vgl. nur Oechsler in: MünchKomm-AktG, § 71c Rz. 16; Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71c Rz. 8. 11) Vgl. OLG Oldenburg, Urt. v. 17.3.1994 – 1 U 46/93, AG 1994, 417, 418; Oechsler in: MünchKommAktG, § 71c Rz. 20; K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71c Rz. 9 (Erwerbsrecht der Aktionäre entsprechend dem Bezugsrecht); abweichend Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71c Rz. 7.

Wolfgang Servatius

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§ 71d

Erwerb eigener Aktien durch Dritte

III.

Veräußerung wegen Überschreitens der Erwerbsobergrenze (§ 71c Abs. 2)

1.

Voraussetzungen

7 § 71c Abs. 2 verpflichtet den Vorstand auch dann zur Veräußerung, wenn der Erwerb – isoliert betrachtet – zwar rechtmäßig war, er jedoch im Zusammenspiel mit anderen Erwerben dazu führt, dass die AG sowie ggf. die nach § 71d Satz 1 und 2 einzubeziehenden Dritten (vgl. § 71d Satz 3) insgesamt eigene Aktien zu einem Nennbetrag von mehr als 10 % des Grundkapitals halten. Der Wortlaut der Regelung ist indessen sehr missglückt. Richtigerweise ist vorrangig § 71c Abs. 1 anzuwenden, wenn der zulässige Aktienerwerb bereits gemäß § 71 Abs. 2 Satz 1 voraussetzt, dass die 10 %-Grenze nicht überschritten wird.12) Für § 71c Abs. 2 bleibt daher nur Raum, wenn es in der Kombination verschiedener Erwerbstatbestände zu einer Überschreitung kommt. Beispiele hierfür sind das mehrmalige Ausnutzen einer Ermächtigung gemäß § 71 Abs. 1 Nr. 8 oder der Hinzuerwerb im Wege der Gesamtrechtsnachfolge (§ 71 Abs. 1 Nr. 5), obwohl bereits eigene Aktien zum Zweck der Schadensabwehr (§ 71 Abs. 1 Nr. 1) gehalten werden. Bei der Berechnung kommt es stets darauf an, worauf sich die 10 %-Grenze gemäß § 71 Abs. 2 Satz 1 überhaupt bezieht (siehe zur Kontroverse in der Literatur § 71 Rz. 47). 2.

Rechtsfolge

8 Innerhalb von drei Jahren zu veräußern ist nur der Teil der Aktien, der für das Überschreiten der 10 %-Grenze ursächlich ist.13) Die Frist beginnt mit dem jeweiligen Erwerb, der zum Überschreiten der Grenze führt, ggf. gestaffelt (streitig).14) Siehe i. Ü. oben Rz. 4. IV.

Einziehung nach Fristablauf (§ 71c Abs. 3)

9 Kommt es innerhalb der Fristen gemäß § 71c Abs. 1 und Abs. 2 nicht zur Weiterveräußerung, sind die Aktien gemäß § 237 einzuziehen (Einzelheiten dort). Der Vorstand hat den entsprechenden Hauptversammlungsbeschluss unverzüglich nach Fristablauf vorzubereiten;15) vgl. die Ordnungswidrigkeit bei Nichtbeachtung gemäß § 405 Abs. 1 Nr. 4c. Kommt es nicht zur Einziehung, bestehen die Veräußerungsgebote nach § 71c Abs. 1 und 2 ebenso wie in der Vorbereitungsphase des Beschlusses fort.16) _____________ 12) So auch Oechsler in: MünchKomm-AktG, § 71c Rz. 10. 13) Unstreitig, vgl. nur Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71c Rz. 12. 14) Henssler/Strohn-Lange, GesR, § 71c AktG Rz. 5; abweichend Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71c Rz. 5 (Fristbeginn erst mit letztem Erwerbstatbestand). 15) Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71c Rz. 14. 16) Oechsler in: MünchKomm-AktG, § 71c Rz. 24; K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71c Rz. 11; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71c Rz. 8.

§ 71d Erwerb eigener Aktien durch Dritte 1

Ein im eigenen Namen, jedoch für Rechnung der Gesellschaft handelnder Dritter darf Aktien der Gesellschaft nur erwerben oder besitzen, soweit dies der Gesellschaft nach § 71 Abs. 1 Nr. 1 bis 5, 7 und 8 und Abs. 2 gestattet wäre. 2Gleiches gilt für den Erwerb oder den Besitz von Aktien der Gesellschaft durch ein abhängiges oder ein im Mehrheitsbesitz der Gesellschaft stehendes Unternehmen sowie für den Erwerb oder den Besitz durch einen Dritten, der im eigenen Namen, jedoch für Rechnung eines abhängigen oder eines im Mehrheitsbesitz der Gesellschaft stehenden Unternehmens handelt. 3Bei der Berechnung des Anteils am Grundkapital nach § 71 Abs. 2 Satz 1 436

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§ 71d

Erwerb eigener Aktien durch Dritte

III.

Veräußerung wegen Überschreitens der Erwerbsobergrenze (§ 71c Abs. 2)

1.

Voraussetzungen

7 § 71c Abs. 2 verpflichtet den Vorstand auch dann zur Veräußerung, wenn der Erwerb – isoliert betrachtet – zwar rechtmäßig war, er jedoch im Zusammenspiel mit anderen Erwerben dazu führt, dass die AG sowie ggf. die nach § 71d Satz 1 und 2 einzubeziehenden Dritten (vgl. § 71d Satz 3) insgesamt eigene Aktien zu einem Nennbetrag von mehr als 10 % des Grundkapitals halten. Der Wortlaut der Regelung ist indessen sehr missglückt. Richtigerweise ist vorrangig § 71c Abs. 1 anzuwenden, wenn der zulässige Aktienerwerb bereits gemäß § 71 Abs. 2 Satz 1 voraussetzt, dass die 10 %-Grenze nicht überschritten wird.12) Für § 71c Abs. 2 bleibt daher nur Raum, wenn es in der Kombination verschiedener Erwerbstatbestände zu einer Überschreitung kommt. Beispiele hierfür sind das mehrmalige Ausnutzen einer Ermächtigung gemäß § 71 Abs. 1 Nr. 8 oder der Hinzuerwerb im Wege der Gesamtrechtsnachfolge (§ 71 Abs. 1 Nr. 5), obwohl bereits eigene Aktien zum Zweck der Schadensabwehr (§ 71 Abs. 1 Nr. 1) gehalten werden. Bei der Berechnung kommt es stets darauf an, worauf sich die 10 %-Grenze gemäß § 71 Abs. 2 Satz 1 überhaupt bezieht (siehe zur Kontroverse in der Literatur § 71 Rz. 47). 2.

Rechtsfolge

8 Innerhalb von drei Jahren zu veräußern ist nur der Teil der Aktien, der für das Überschreiten der 10 %-Grenze ursächlich ist.13) Die Frist beginnt mit dem jeweiligen Erwerb, der zum Überschreiten der Grenze führt, ggf. gestaffelt (streitig).14) Siehe i. Ü. oben Rz. 4. IV.

Einziehung nach Fristablauf (§ 71c Abs. 3)

9 Kommt es innerhalb der Fristen gemäß § 71c Abs. 1 und Abs. 2 nicht zur Weiterveräußerung, sind die Aktien gemäß § 237 einzuziehen (Einzelheiten dort). Der Vorstand hat den entsprechenden Hauptversammlungsbeschluss unverzüglich nach Fristablauf vorzubereiten;15) vgl. die Ordnungswidrigkeit bei Nichtbeachtung gemäß § 405 Abs. 1 Nr. 4c. Kommt es nicht zur Einziehung, bestehen die Veräußerungsgebote nach § 71c Abs. 1 und 2 ebenso wie in der Vorbereitungsphase des Beschlusses fort.16) _____________ 12) So auch Oechsler in: MünchKomm-AktG, § 71c Rz. 10. 13) Unstreitig, vgl. nur Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71c Rz. 12. 14) Henssler/Strohn-Lange, GesR, § 71c AktG Rz. 5; abweichend Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71c Rz. 5 (Fristbeginn erst mit letztem Erwerbstatbestand). 15) Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71c Rz. 14. 16) Oechsler in: MünchKomm-AktG, § 71c Rz. 24; K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71c Rz. 11; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71c Rz. 8.

§ 71d Erwerb eigener Aktien durch Dritte 1

Ein im eigenen Namen, jedoch für Rechnung der Gesellschaft handelnder Dritter darf Aktien der Gesellschaft nur erwerben oder besitzen, soweit dies der Gesellschaft nach § 71 Abs. 1 Nr. 1 bis 5, 7 und 8 und Abs. 2 gestattet wäre. 2Gleiches gilt für den Erwerb oder den Besitz von Aktien der Gesellschaft durch ein abhängiges oder ein im Mehrheitsbesitz der Gesellschaft stehendes Unternehmen sowie für den Erwerb oder den Besitz durch einen Dritten, der im eigenen Namen, jedoch für Rechnung eines abhängigen oder eines im Mehrheitsbesitz der Gesellschaft stehenden Unternehmens handelt. 3Bei der Berechnung des Anteils am Grundkapital nach § 71 Abs. 2 Satz 1 436

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§ 71d

Erwerb eigener Aktien durch Dritte

und § 71c Abs. 2 gelten diese Aktien als Aktien der Gesellschaft. 4Im übrigen gelten § 71 Abs. 3 und 4, §§ 71a bis 71c sinngemäß. 5Der Dritte oder das Unternehmen hat der Gesellschaft auf ihr Verlangen das Eigentum an den Aktien zu verschaffen. 6Die Gesellschaft hat den Gegenwert der Aktien zu erstatten. Literatur: Brass/Tiedemann, Die zentrale Gegenpartei beim unzulässigen Erwerb eigener Aktien, ZBB 2007, 257; Cahn, Aktien der herrschenden AG im Fondsvermögen abhängiger Investmentgesellschaften, WM 2001, 1929; Zilias/Lanfermann, Die Neuregelung des Erwerbs und Haltens eigener Aktien, WPg 1980, 61.

Übersicht I. Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt .................................................. 1 II. Einzubeziehende Dritte .................... 3 1. Treuhandverhältnis, mittelbare Stellvertretung (§ 71d Satz 1) ............ 4 2. Abhängiges oder in Mehrheitsbesitz stehendes Unternehmen (§ 71d Satz 2) ...................................... 5 III. Erweiterung des Erwerbsverbots .................................. 6 I.

1. Erlaubnistatbestände gemäß § 71 Abs. 1 .......................................... 7 2. Erwerbsgrenzen gemäß § 71 Abs. 2 .......................................... 8 3. Umgehungsschutz nach § 71a ........... 9 IV. Rechtsfolgen des zulässigen Erwerbs ............................................. 10 V. Rechtsfolgen des unzulässigen Erwerbs oder Besitzes ..................... 11 VI. Herausgabeanspruch ....................... 14

Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt

Die Norm beruht weitgehend auf Art. 61 der Gesellschaftsrechts-Richtlinie1) und schützt 1 das Erwerbsverbot gemäß § 71 vor Umgehungen. Nach 71d Satz 1 ist der Erwerb eines Dritten, der für Rechnung der AG handelt, nur zulässig, soweit die AG die Aktien selbst erwerben dürfte; für die Inpfandnahme folgt die Gleichstellung aus § 71e Abs. 1 Satz 1. § 71d Satz 2 erweitert dies für Konzernsachverhalte. Nach § 71d Satz 3 werden die nach dem Vorgesagten einbezogenen Aktien Dritter bei den Erwerbsgrenzen gemäß § 71 Abs. 2 Satz 1 und § 71c Abs. 2 mit berücksichtigt. § 71d Satz 4 besagt, dass die Informationspflichten des Vorstands (§ 71 Abs. 3) und die Rechtsfolgen eines unzulässigen Erwerbs (§ 71 Abs. 4) auch bei Aktien der gemäß § 71d Satz 1 und Satz 2 einzubeziehenden Dritten gelten; das Gleiche gilt für das Verbot der finanziellen Unterstützung des Aktienerwerbs (§ 71a), das Ruhen von Rechten und Pflichten aus den betreffenden Aktien (§ 71b) und das Veräußerungsgebot gemäß § 71c. § 71d Satz 5 begründet einen Anspruch der AG, die von den einzubeziehenden Dritten gehaltenen Aktien übertragen zu bekommen; hierfür hat die AG gemäß § 71d Satz 6 den Gegenwert zu erstatten. Die Regelung ist zum einen von § 56 Abs. 2 und 3 abzugrenzen, die die (erstmalige) 2 Aktienübernahme bzw. Zeichnung von Aktien betreffen. Darüber hinaus besteht eine tatbestandliche Nähe zu § 71a Abs. 2. Hiernach ist ein Rechtsgeschäft zwischen der AG und einem Dritten nichtig, wenn hierüber die AG zum Erwerb eigener Aktien berechtigt oder verpflichtet sein soll und ein Verstoß gegen § 71 Abs. 1 oder Abs. 2 vorliegt. Die – nicht leicht nachvollziehbare – Abgrenzung ist im Ausgangspunkt wie folgt: § 71a Abs. 2 erfasst die Fälle eines gemäß § 71 Abs. 1 und 2 unzulässigen Erwerbs, § 71d die Fälle, in denen die AG die Aktien erwerben dürfte.2) Diese Abgrenzung lässt sich jedoch nicht trennscharf durchführen, so dass in jedem Einzelfall beide Normen zu beachten sind.3) _____________ 1) 2) 3)

Richtlinie (EU) 2017/1132 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 14.6.2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts (Gesellschaftsrechts-Richtlinie), ABl. (EU) Nr. L 169/46 v. 30.6.2017. Vgl. Oechsler in: MünchKomm-AktG, § 71d Rz. 3 f. Vgl. auch Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71d Rz. 4: Abstimmung ist missglückt.

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§ 71d II.

Erwerb eigener Aktien durch Dritte

Einzubeziehende Dritte

3 § 71d Satz 1 erweitert das Erwerbsverbot auf Dritte, die mit der AG über ein Treuhandverhältnis oder konzernrechtlich verbunden sind. 1.

Treuhandverhältnis, mittelbare Stellvertretung (§ 71d Satz 1)

4 Voraussetzung für die Einbeziehung ist, dass der Dritte aufgrund einer entsprechenden Abrede die Aktien für Rechnung der AG erwirbt oder besitzt. Es kommt somit nicht darauf an, dass die Tatbestandsmerkmale bereits beim Aktienerwerb des Dritten gegeben sind. Der schuldrechtliche Rechtsgrund (Auftrag, Geschäftsbesorgung, Kommission) und die Wirksamkeit der Abrede spielen keine Rolle. Maßgebliches Zurechnungskriterium ist allein, ob der AG aus dem betreffenden Rechtsverhältnis kraft Vereinbarung oder Gesetzes Herausgabe- oder Erstattungsansprüche zustehen und sie damit letztlich das wirtschaftliche Risiko trägt.4) Die Regelung bezweckt Umgehungsschutz, so dass eine weite Auslegung geboten ist. 2.

Abhängiges oder in Mehrheitsbesitz stehendes Unternehmen (§ 71d Satz 2)

5 Ebenso erfasst sind der Erwerb oder das Halten von Aktien durch ein von der AG abhängiges (§ 71d Satz 2 Alt. 1) oder in Mehrheitsbesitz stehendes Unternehmen (§ 71d Satz 2 Alt. 2). Auch hierbei kommt es nicht darauf an, dass die Tatbestandsmerkmale bereits zu Beginn des Aktienerwerbs vorliegen (streitig).5) Der Unternehmensbegriff ist rechtstechnisch ungenau. Einbezogen sind Rechtsträger, auf die die betreffende AG rechtlich oder tatsächlich einen beherrschenden Einfluss ausüben kann (vgl. § 17)6) oder die Mehrheit der Stimmrechte oder Kapitalanteile hält (vgl. § 16).7) Diese Zurechnung wird erweitert, wenn ein Dritter für Rechnung eines dieser Unternehmen die Aktien der AG hält (§ 71d Satz 2 Alt. 3; für die Zurechnung gilt dasselbe wie bei § 71d Satz 1, siehe oben Rz. 4). III.

Erweiterung des Erwerbsverbots

6 Im Grundsatz ordnet § 71d an, dass der Erwerb und Besitz von Aktien der AG durch die nach § 71d Satz 1 und Satz 2 zurechenbaren Dritten nur in dem Umfang zulässig sind, in dem die AG selbst Aktien erwerben dürfte. 1.

Erlaubnistatbestände gemäß § 71 Abs. 1

7 § 71d Satz 1 bezieht sich nur auf die Erlaubnistatbestände gemäß § 71 Abs. 1 Nr. 1 – 5, sowie Nr. 7 und 8. Der Aktienerwerb durch die einzubeziehenden Dritten ist daher nur rechtmäßig, wenn die betreffenden Voraussetzungen vorliegen, einschließlich der Prüfung, ob die Innehabung durch die Dritten der Privilegierung nicht entgegensteht. Beim Erwerb zur Schadensabwehr (§ 71 Abs. 1 Nr. 1) kommt es auf den Schaden der AG an, nicht des Dritten.8) Es muss zudem ermittelt werden, warum gerade der Dritte die Aktien erwerben soll, um einen Schaden von der AG abzuwenden. Die Ausgabe von Belegschaftsaktien (§ 71 Abs. 1 Nr. 2) kann jedoch auch damit gerechtfertigt werden, dass diese an eines der in _____________ 4) 5) 6) 7) 8)

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Vgl. K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71d Rz. 2; zur Stellung des zentralen Vertragskontrahenten Brass/Tiedemann, ZBB 2007, 257. Oechsler in: MünchKomm-AktG, § 71d Rz. 27; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71d Rz. 5; abweichend Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71d Rz. 40. Vgl. OLG München, Urt. v. 7.4.1995 – 23 U 6733/94, DStR 1995, 893. Gegen die Erstreckung dieser Erweiterung auf Investmentfonds mit guten Gründen Cahn, WM 2001, 1929; kritisch zur Einbeziehung nach § 16 Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71d Rz. 33. K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71d Rz. 5.

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Erwerb eigener Aktien durch Dritte

§ 71d

§ 71d Satz 2 genannten Konzernunternehmen erfolgen soll; für die Bedienung von Abfindungsansprüchen (§ 71 Abs. 1 Nr. 3) gilt dasselbe.9) Beim Erwerb nach § 71 Abs. 1 Nr. 4 kommt es richtigerweise darauf an, ob der einzubeziehende Dritte die Aktien unentgeltlich erwirbt oder als Kreditinstitut Kommissionsgeschäfte tätigt (streitig).10) Die nach § 71 Abs. 1 Nr. 5 zulässige Gesamtrechtsnachfolge muss beim einzubeziehenden Dritten eintreten.11) Die Ermächtigung zur Einziehung (§ 71 Abs. 1 Nr. 6) wird in § 71d Satz 1 nicht genannt, so dass der Dritte hierfür keinesfalls Aktien erwerben darf. Nach § 71 Abs. 1 Nr. 7 darf jedoch auch ein einzubeziehender Dritter, bei dem die betreffenden Voraussetzungen vorliegen, Aktien im Handelsbestand halten. Die praktisch wichtige Vorstandsermächtigung (§ 71 Abs. 1 Nr. 8) kann sich auch darauf erstrecken, dass ein einzubeziehender Dritter die Aktien erwirbt. 2.

Erwerbsgrenzen gemäß § 71 Abs. 2

Die Erwerbsobergrenze gemäß § 71 Abs. 2 Satz 1 gilt auch für den Erwerb durch einzube- 8 ziehende Dritte. Die von der AG selbst und dem Dritten (vgl. Satz 3) nach Maßgabe von § 71d Satz 1 und 2 gehaltenen Aktien dürfen daher bezogen auf ihren Nennbetrag bzw. rechnerischen Wert 10 % der Grundkapitalziffer der AG nicht übersteigen (Einzelheiten bei § 71 Rz. 47). Darüber hinaus gilt § 71 Abs. 2 Satz 2 entsprechend, so dass der Erwerb und Besitz durch den Dritten nur zulässig sind, soweit die AG (nicht der Dritte!) eine entsprechende auflösungsfähige Rücklage bilden könnte (siehe § 71 Rz. 48); die tatsächliche Rücklagenbildung ist nicht erforderlich.12) Auch das Verbot, bei bestimmten Erwerbstatbeständen keine nicht voll eingezahlten Aktien zu erwerben, gilt für den Dritten (§ 71 Abs. 2 Satz 3; Einzelheiten siehe § 71 Rz. 50). 3.

Umgehungsschutz nach § 71a

Nach § 71d Satz 4 gilt das Verbot der finanziellen Unterstützung des Aktienerwerbs gemäß 9 § 71a Abs. 1 auch beim Erwerb durch Dritte. Dies gilt zum einen für die Fälle, in denen die AG den Aktienerwerb des einzubeziehenden Dritten finanziert; zum anderen auch, wenn ein einzubeziehender Dritter den Aktienerwerb der AG finanziert (Einzelheiten dort). Zur schwierigen Abgrenzung von § 71a Abs. 2 siehe oben Rz. 2. IV.

Rechtsfolgen des zulässigen Erwerbs

Ist der Erwerb nach § 71 Abs. 1 und 2 zulässig, stehen dem einzubeziehenden Dritten gemäß 10 § 71d Satz 4 i. V. m. § 71b keine Rechte und Pflichten an den Aktien zu. Gemäß § 71d Satz 4 i. V. m. § 71 Abs. 3 Satz 1 hat der Vorstand der AG die Hauptversammlung der AG über den Erwerb nach § 71 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 8 zu informieren (siehe § 71 Rz. 54); vgl. für den Jahresabschluss der AG die notwendigen Angaben im Lagebericht gemäß § 160 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2. Wurden Aktien für die Ausgabe von Belegschaftsaktien erworben, sind diese gemäß § 71d Satz 4 i. V. m. § 71 Abs. 3 Satz 2 innerhalb eines Jahres auszugeben; Adressat dieser Pflicht sind richtigerweise wie i. R. von § 71c sowohl die AG wie auch der einzubeziehende Dritte, je nach rechtlicher Einwirkungsmöglichkeit (streitig).13) _____________ 9) K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71d Rz. 5. 10) So Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71d Rz. 3; abweichend K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71d Rz. 5. 11) K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71d Rz. 5. 12) Oechsler in: MünchKomm-AktG, § 71d Rz. 47; ausführlich zum Erwerb bei mehrstufigen Unternehmensverbindungen – Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71d Rz. 42 ff. 13) Abweichend K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71d Rz. 14 – Adressat ist nur die AG; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71d Rz. 15 – Adressat ist die Tochtergesellschaft.

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§ 71d

Erwerb eigener Aktien durch Dritte

Nur so wird gewährleistet, dass das Anliegen nicht durch ein „Kompetenzgerangel“ leerläuft. Wird der Erwerb nachträglich unzulässig, folgt eine Veräußerungspflicht aus § 71d Satz 4 i. V. m. § 71c Abs. 2 („erwerben und besitzen“). Siehe auch den Herausgabeanspruch nach § 71d Satz 5 und Satz 6, unten Rz. 14. V.

Rechtsfolgen des unzulässigen Erwerbs oder Besitzes

11 Sind der Erwerb oder Besitz gemäß § 71d Satz 2 i. V. m. § 71 Abs. 1 und 2 unzulässig, hat dies auf die dingliche Berechtigung des Dritten an den Aktien keine Auswirkungen (§ 71 Abs. 4 Satz 1). Dem Dritten stehen jedoch gemäß § 71d Satz 4 i. V. m. § 71b keine Rechte und Pflichten an den Aktien zu. Vgl. für den Jahresabschluss der AG die notwendigen Angaben im Lagebericht gemäß § 160 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2. 12 Im Hinblick auf das dem Aktienerwerb zugrunde liegende schuldrechtliche Rechtsgeschäft ist zu differenzieren (dies ist wegen der komplizierten Rechtslage alles sehr umstritten): Das zwischen AG und Drittem geschlossene schuldrechtliche Geschäft (z. B. Auftrag, Geschäftsbesorgung, Kommission) ist nicht gemäß § 71 Abs. 4 Satz 2 unwirksam (streitig).14) Vielmehr gilt insofern § 56 Abs. 3 Satz 2 entsprechend, so dass der Dritte im Verhältnis zur AG auf eigene Rechnung handelt, mithin insbesondere keinen Aufwendungsersatzanspruch hat (siehe § 56 Rz. 16). Richtigerweise bezieht sich die durch § 71d Satz 4 i. V. m. § 71 Abs. 1 Satz 4 vermittelte Unwirksamkeit daher nur auf das betreffende Erwerbsgeschäft des Dritten.15) Er ist daher ggf. aus §§ 812 ff. BGB verpflichtet, die Aktien Zug um Zug gegen die erhaltene Gegenleistung herauszugeben. Der Herausgabeanspruch der AG nach § 71d Satz 5 und Satz 6 tritt hierhinter zurück.16) Für Ansprüche aus §§ 57, 62 ist in diesen Konstellationen regelmäßig kein Raum.17) 13 Wird der Erwerb nicht rechtzeitig rückgängig gemacht, ergibt sich aus § 71d Satz 4 i. V. m. § 71c Abs. 2 ein Veräußerungsgebot, aus § 71c Abs. 3 die Pflicht zur Zwangseinziehung (Einzelheiten jeweils dort).18) Adressat der Veräußerungspflicht sind richtigerweise sowohl die AG wie auch der einzubeziehende Dritte, je nach rechtlicher Einwirkungsmöglichkeit (streitig).19) Nur so wird gewährleistet, dass das Anliegen nicht durch ein „Kompetenzgerangel“ leerläuft. Wird der Erwerb nachträglich unzulässig, folgt eine Veräußerungspflicht aus § 71d Satz 4 i. V. m. § 71c Abs. 2 („erwerben und besitzen“). Vgl. zum Herausgabeanspruch nach § 71d Satz 5 und Satz 6 sogleich. VI.

Herausgabeanspruch

14 Nach § 71d Satz 5 hat die AG gegen den einzubeziehenden Dritten einen gesetzlichen Anspruch auf Übertragung der eigenen Aktien. Auf die Rechtmäßigkeit des Erwerbs oder Besitzes kommt es nicht an.20) Der Anspruch ist vor allem relevant, wenn der Aktienerwerb zulässig ist und die AG ein Interesse an der Innehabung hat. Zudem kann der Anspruch _____________ 14) So auch Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71d Rz. 9; abweichend Henssler/Strohn-Lange, GesR, § 71d AktG Rz. 4; differenzierend, auch die Nichtigkeit dieses Geschäfts bejahend, Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71d Rz. 16 ff., insb. Rz. 19 ff. 15) Vgl. LG Göttingen, Urt. v. 6.1.1992 – 8 O 123/91, WM 1992, 1373. 16) K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71d Rz. 17. 17) Oechsler in: MünchKomm-AktG, § 71d Rz. 55; abweichend Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71d Rz. 16; K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71d Rz. 17. 18) K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71d Rz. 17. 19) Wie hier Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71d Rz. 55; abweichend K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71d Rz. 17 – Adressat ist nur die AG; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71d Rz. 15 – Adressat ist die Tochtergesellschaft. 20) Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71d Rz. 58.

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§ 71e

Inpfandnahme eigener Aktien

eingesetzt werden, um beim rechtswidrigen Erwerb der Veräußerungspflicht nach § 71c Abs. 2 nachzukommen. Es handelt sich um einen verhaltenen Anspruch, der ein entsprechendes Verlangen der AG voraussetzt.21) Der Anspruch geht ins Leere, wenn der Veräußerer der Aktien gemäß § 71 Abs. 4 Satz 2 AktG i. V. m. §§ 812 ff. BGB Herausgabe der Aktien verlangen kann.22) Der nach § 71d Satz 6 zu entrichtende Gegenwert der Aktien bemisst sich richtigerweise nach dem aktuellen Wert (streitig).23) _____________ 21) Oechsler in: MünchKomm-AktG, § 71d Rz. 61; ähnlich Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71d Rz. 21: Gestaltungserklärung. 22) Zilias/Lanfermann, WPg 1980, 61, 67. 23) H. M. vgl. Oechsler in: MünchKomm-AktG, § 71d AktG, Rz. 66; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71d Rz. 22; Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71d Rz. 61; abweichend K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71d Rz. 17 – Anschaffungskosten.

§ 71e Inpfandnahme eigener Aktien (1) 1Dem Erwerb eigener Aktien nach § 71 Abs. 1 und 2, § 71d steht es gleich, wenn eigene Aktien als Pfand genommen werden. 2Jedoch darf ein Kreditinstitut oder Finanzdienstleistungsinstitut im Rahmen der laufenden Geschäfte eigene Aktien bis zu dem in § 71 Abs. 2 Satz 1 bestimmten Anteil am Grundkapital als Pfand nehmen. § 71a gilt sinngemäß. (2) 1Ein Verstoß gegen Absatz 1 macht die Inpfandnahme eigener Aktien unwirksam, wenn auf sie der Ausgabebetrag noch nicht voll geleistet ist. 2Ein schuldrechtliches Geschäft über die Inpfandnahme eigener Aktien ist nichtig, soweit der Erwerb gegen Absatz 1 verstößt. Übersicht I. Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt .................................................. 1 II. Zulässige Inpfandnahme (§ 71e Abs. 1) ...................................... 2 1. Erlaubnistatbestände nach § 71 Abs. 1 .......................................... 3 I.

2. Erwerbsgrenzen nach § 71 Abs. 2 .......................................... III. Rechtsfolgen der Verpfändung (§ 71e Abs. 2) ..................................... 1. Zulässige Inpfandnahme .................... 2. Unzulässige Inpfandnahme ...............

4 5 5 6

Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt

Die Regelung beruht auf Art. 66 der Gesellschaftsrechts-Richtlinie1) und stellt in § 71e 1 Abs. 1 Satz 1 die Inpfandnahme eigener Aktien durch die AG oder einzubeziehender Dritter (§ 71d) dem Erwerb gleich, so dass die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen gemäß § 71 Abs. 1 und 2 sinngemäß gelten. § 71e Abs. 1 Satz 2 bestimmt, dass Kreditinstitute abweichend von § 71 Abs. 1 Nr. 7 auch ohne entsprechenden Hauptversammlungsbeschluss eigene Aktien als Pfand nehmen dürfen. Gemäß § 71e Abs. 1 Satz 3 gelten die Umgehungstatbestände des § 71a sinngemäß, was bei der Verpfändung kaum problematisch wird. § 71e Abs. 2 besagt, dass die gegen § 71e Abs. 1 verstoßende Verpfändung nur unwirksam ist, wenn die Aktien nicht voll eingezahlt sind; das schuldrechtliche Kausalgeschäft ist dem_____________ 1)

Richtlinie (EU) 2017/1132 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 14.6.2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts (Gesellschaftsrechts-Richtlinie), ABl. (EU) Nr. L 169/46 v. 30.6.2017.

Wolfgang Servatius

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§ 71e

Inpfandnahme eigener Aktien

eingesetzt werden, um beim rechtswidrigen Erwerb der Veräußerungspflicht nach § 71c Abs. 2 nachzukommen. Es handelt sich um einen verhaltenen Anspruch, der ein entsprechendes Verlangen der AG voraussetzt.21) Der Anspruch geht ins Leere, wenn der Veräußerer der Aktien gemäß § 71 Abs. 4 Satz 2 AktG i. V. m. §§ 812 ff. BGB Herausgabe der Aktien verlangen kann.22) Der nach § 71d Satz 6 zu entrichtende Gegenwert der Aktien bemisst sich richtigerweise nach dem aktuellen Wert (streitig).23) _____________ 21) Oechsler in: MünchKomm-AktG, § 71d Rz. 61; ähnlich Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71d Rz. 21: Gestaltungserklärung. 22) Zilias/Lanfermann, WPg 1980, 61, 67. 23) H. M. vgl. Oechsler in: MünchKomm-AktG, § 71d AktG, Rz. 66; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71d Rz. 22; Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71d Rz. 61; abweichend K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71d Rz. 17 – Anschaffungskosten.

§ 71e Inpfandnahme eigener Aktien (1) 1Dem Erwerb eigener Aktien nach § 71 Abs. 1 und 2, § 71d steht es gleich, wenn eigene Aktien als Pfand genommen werden. 2Jedoch darf ein Kreditinstitut oder Finanzdienstleistungsinstitut im Rahmen der laufenden Geschäfte eigene Aktien bis zu dem in § 71 Abs. 2 Satz 1 bestimmten Anteil am Grundkapital als Pfand nehmen. § 71a gilt sinngemäß. (2) 1Ein Verstoß gegen Absatz 1 macht die Inpfandnahme eigener Aktien unwirksam, wenn auf sie der Ausgabebetrag noch nicht voll geleistet ist. 2Ein schuldrechtliches Geschäft über die Inpfandnahme eigener Aktien ist nichtig, soweit der Erwerb gegen Absatz 1 verstößt. Übersicht I. Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt .................................................. 1 II. Zulässige Inpfandnahme (§ 71e Abs. 1) ...................................... 2 1. Erlaubnistatbestände nach § 71 Abs. 1 .......................................... 3 I.

2. Erwerbsgrenzen nach § 71 Abs. 2 .......................................... III. Rechtsfolgen der Verpfändung (§ 71e Abs. 2) ..................................... 1. Zulässige Inpfandnahme .................... 2. Unzulässige Inpfandnahme ...............

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Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt

Die Regelung beruht auf Art. 66 der Gesellschaftsrechts-Richtlinie1) und stellt in § 71e 1 Abs. 1 Satz 1 die Inpfandnahme eigener Aktien durch die AG oder einzubeziehender Dritter (§ 71d) dem Erwerb gleich, so dass die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen gemäß § 71 Abs. 1 und 2 sinngemäß gelten. § 71e Abs. 1 Satz 2 bestimmt, dass Kreditinstitute abweichend von § 71 Abs. 1 Nr. 7 auch ohne entsprechenden Hauptversammlungsbeschluss eigene Aktien als Pfand nehmen dürfen. Gemäß § 71e Abs. 1 Satz 3 gelten die Umgehungstatbestände des § 71a sinngemäß, was bei der Verpfändung kaum problematisch wird. § 71e Abs. 2 besagt, dass die gegen § 71e Abs. 1 verstoßende Verpfändung nur unwirksam ist, wenn die Aktien nicht voll eingezahlt sind; das schuldrechtliche Kausalgeschäft ist dem_____________ 1)

Richtlinie (EU) 2017/1132 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 14.6.2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts (Gesellschaftsrechts-Richtlinie), ABl. (EU) Nr. L 169/46 v. 30.6.2017.

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§ 71e

Inpfandnahme eigener Aktien

gegenüber wie gemäß § 71 Abs. 4 Satz 2 in jedem Fall nichtig. Vgl. insoweit auch die Ordnungswidrigkeit gemäß § 405 Abs. 1 Nr. 4a. II.

Zulässige Inpfandnahme (§ 71e Abs. 1)

2 Die Inpfandnahme (Verpfändung gemäß §§ 1205 ff. bzw. §§ 1273 ff. BGB) eigener Aktien durch die AG oder gemäß § 71d Sätze 1 und 2 einzubeziehender Dritter ist unzulässig, soweit kein Erlaubnistatbestand vorliegt. Es spielt keine Rolle, ob es um die erstmalige Begründung des Pfandrechts geht oder den Zweiterwerb.2) Gesetzliche Pfandrechte (vgl. § 397 HGB) und die Pfändung i. R. der Zwangsvollstreckung (§ 804 ZPO) fallen jedoch nicht hierunter und sind daher zulässig.3) 1.

Erlaubnistatbestände nach § 71 Abs. 1

3 § 71e Abs. 1 Satz 1 verweist auf die Erlaubnistatbestände gemäß § 71 Abs. 1 und Abs. 2. Die praktische Relevanz wird allgemein darin gesehen, dass die AG von einem Dritten Aktien als Sicherheit nimmt und damit einem Forderungsausfall vorbeugt, was der Schadensabwehr gemäß § 71 Abs. 1 Nr. 1 dienen kann.4) Dies dürfte wegen der hohen Anforderungen an den hiernach zulässigen Aktienerwerb jedoch nur in extremen Ausnahmefällen in Betracht kommen. Bedeutsam ist die Inpfandnahme daher wohl nur in den Fällen des § 71 Abs. 1 Nr. 8, wo es die Hauptversammlung in der Hand hat, die Erwerbszwecke zu definieren. Ein Beschluss zum Aktienerwerb enthält regelmäßig zugleich die Ermächtigung zur Inpfandnahme. Bei Kreditinstituten und Finanzdienstleistungsinstituten sieht § 71e Abs. 1 Satz 2 als gesetzlichen Regelfall vor, dass i. R. der laufenden Geschäfte eine Inpfandnahme auch ohne den ansonsten gemäß § 71 Abs. 1 Nr. 7 erforderlichen Hauptversammlungsbeschluss zulässig ist. 2.

Erwerbsgrenzen nach § 71 Abs. 2

4 § 71 Abs. 2 ist ebenfalls Zulässigkeitsvoraussetzung. Die AG darf – gemeinsam mit anderen verpfändeten oder erworbenen Aktien – keine Aktien als Pfand nehmen, soweit die 10 %Grenze bezogen auf die Grundkapitalziffer überschritten wird. Die Inpfandnahme ist weiterhin nur zulässig, wenn die AG eine auflösbare Rücklage bilden könnte; hierbei ist im Hinblick auf die Höhe, auf den tatsächlichen Realisierungswert, der dem Pfandrecht zugrunde liegenden Forderung, abzustellen (streitig).5) In der Praxis dürfte dies angesichts der durch die hierbei zu berücksichtigende Verpfändung der Aktien kaum praktikabel sein (Zirkelschluss). Nicht voll eingezahlte Aktien dürfen nur in den Fällen des § 71 Abs. 1 Nr. 1, 2, 4, 7 und 8 verpfändet werden. III.

Rechtsfolgen der Verpfändung (§ 71e Abs. 2)

1.

Zulässige Inpfandnahme

5 Ist die Verpfändung nach § 71e Abs. 1 zulässig, stehen der AG aus den betreffenden Aktien gemäß § 71b keine Rechte zu. Dies ist insbesondere relevant, wenn der Gewinnanspruch mitverpfändet werden soll;6) § 1298 BGB gilt nicht analog. Die von der AG in Pfand _____________ 2) 3) 4) 5)

6)

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Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71e Rz. 3. Oechsler in: MünchKomm-AktG, § 71e Rz. 6. Vgl. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71e Rz. 3. K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71e Rz. 5; abweichend Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 71e Rz. 4 – Verkehrswert der Aktien, höchstens gesicherte Forderung. Zum Ganzen auch instruktiv Spindler/ Stilz-Cahn, AktG, § 71e Rz. 12. Oechsler in: MünchKomm-AktG, § 71e Rz. 23.

Wolfgang Servatius

Kraftloserklärung von Aktien im Aufgebotsverfahren

§ 72

genommenen Aktien sind bei den Erwerbsgrenzen gemäß § 71 Abs. 2 Satz 2 und § 71c Abs. 2 mit zu berücksichtigen.7) Die Berichtspflicht gemäß § 160 Abs. 1 Nr. 2 gilt auch bei der Inpfandnahme; ebenso die Berichtspflicht gemäß § 71 Abs. 3 Satz 1.8) 2.

Unzulässige Inpfandnahme

Erfolgt die Verpfändung unter Verstoß gegen § 71e Abs. 1, ist sie nicht unwirksam; etwas 6 anderes gilt nur, wenn der Ausgabebetrag der Aktien noch nicht voll geleistet wurde (§ 71e Abs. 2 Satz 1). Gemäß § 71e Abs. 2 Satz 2 ist demgegenüber ein schuldrechtliches Geschäft über die Inpfandnahme (Sicherungsabrede) in jedem Fall unwirksam. Dies führt dazu, dass der Verpfänder die Bestellung des Pfandrechts kondizieren, mithin Rückgängigmachung verlangen kann. In entsprechender Anwendung von § 71c Abs. 2 ist die AG verpflichtet, bei nachträglichem Überschreiten der Erwerbsgrenze auf eine Beendigung der Verpfändung hinzuwirken (streitig).9) Die Berichtspflicht gemäß § 160 Abs. 1 Nr. 2 gilt auch bei der Inpfandnahme; ebenso die Berichtspflicht gemäß § 71 Abs. 3 Satz 1.10) _____________ 7) K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71e Rz. 9. 8) Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71e Rz. 15. 9) A. A. die wohl h. M. vgl. K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71e Rz. 7 a. E.; für eine vorrangige Veräußerung der erworbenen eigenen Aktien auch Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71e Rz. 17. 10) Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71e Rz. 15.

§ 72 Kraftloserklärung von Aktien im Aufgebotsverfahren (1) 1Ist eine Aktie oder ein Zwischenschein abhanden gekommen oder vernichtet, so kann die Urkunde im Aufgebotsverfahren nach dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit für kraftlos erklärt werden. 2§ 799 Abs. 2 und § 800 des Bürgerlichen Gesetzbuchs gelten sinngemäß. (2) Sind Gewinnanteilscheine auf den Inhaber ausgegeben, so erlischt mit der Kraftloserklärung der Aktie oder des Zwischenscheins auch der Anspruch aus den noch nicht fälligen Gewinnanteilscheinen. (3) Die Kraftloserklärung einer Aktie nach §§ 73 oder 226 steht der Kraftloserklärung der Urkunde nach Absatz 1 nicht entgegen. Literatur: Weppner/Groß-Bölting, Kraftloserklärung nicht eingereichter Aktienurkunden nach Durchführung eines aktienrechtlichen Squeeze out gem. §§ 327a ff. AktG, BB 2012, 2196.

Übersicht I. Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt .................................................. 1 II. Aufgebotsverfahren (§ 72 Abs. 1) ...... 2 I.

III. Gewinnanteilsscheine (§ 72 Abs. 2) ....................................... 3 IV. Konkurrenzen (§ 72 Abs. 3) ............. 4

Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt

Die Regelung ermöglicht der AG die Kraftloserklärung von Aktienurkunden und Zwischen- 1 scheinen mittels Aufgebotsverfahrens. Gemäß § 72 Abs. 1 ist dies möglich, wenn eine Urkunde abhanden gekommen ist; das Verfahren richtet sich nach dem FamFG und orientiert sich an §§ 799 Abs. 2, 800 BGB. Gemäß § 72 Abs. 2 erlöschen mit wirksamer Kraftloserklärung auch die noch nicht fälligen Gewinnanteilsscheine. Die Regelung wird ergänzt

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Kraftloserklärung von Aktien im Aufgebotsverfahren

§ 72

genommenen Aktien sind bei den Erwerbsgrenzen gemäß § 71 Abs. 2 Satz 2 und § 71c Abs. 2 mit zu berücksichtigen.7) Die Berichtspflicht gemäß § 160 Abs. 1 Nr. 2 gilt auch bei der Inpfandnahme; ebenso die Berichtspflicht gemäß § 71 Abs. 3 Satz 1.8) 2.

Unzulässige Inpfandnahme

Erfolgt die Verpfändung unter Verstoß gegen § 71e Abs. 1, ist sie nicht unwirksam; etwas 6 anderes gilt nur, wenn der Ausgabebetrag der Aktien noch nicht voll geleistet wurde (§ 71e Abs. 2 Satz 1). Gemäß § 71e Abs. 2 Satz 2 ist demgegenüber ein schuldrechtliches Geschäft über die Inpfandnahme (Sicherungsabrede) in jedem Fall unwirksam. Dies führt dazu, dass der Verpfänder die Bestellung des Pfandrechts kondizieren, mithin Rückgängigmachung verlangen kann. In entsprechender Anwendung von § 71c Abs. 2 ist die AG verpflichtet, bei nachträglichem Überschreiten der Erwerbsgrenze auf eine Beendigung der Verpfändung hinzuwirken (streitig).9) Die Berichtspflicht gemäß § 160 Abs. 1 Nr. 2 gilt auch bei der Inpfandnahme; ebenso die Berichtspflicht gemäß § 71 Abs. 3 Satz 1.10) _____________ 7) K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71e Rz. 9. 8) Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71e Rz. 15. 9) A. A. die wohl h. M. vgl. K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 71e Rz. 7 a. E.; für eine vorrangige Veräußerung der erworbenen eigenen Aktien auch Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71e Rz. 17. 10) Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 71e Rz. 15.

§ 72 Kraftloserklärung von Aktien im Aufgebotsverfahren (1) 1Ist eine Aktie oder ein Zwischenschein abhanden gekommen oder vernichtet, so kann die Urkunde im Aufgebotsverfahren nach dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit für kraftlos erklärt werden. 2§ 799 Abs. 2 und § 800 des Bürgerlichen Gesetzbuchs gelten sinngemäß. (2) Sind Gewinnanteilscheine auf den Inhaber ausgegeben, so erlischt mit der Kraftloserklärung der Aktie oder des Zwischenscheins auch der Anspruch aus den noch nicht fälligen Gewinnanteilscheinen. (3) Die Kraftloserklärung einer Aktie nach §§ 73 oder 226 steht der Kraftloserklärung der Urkunde nach Absatz 1 nicht entgegen. Literatur: Weppner/Groß-Bölting, Kraftloserklärung nicht eingereichter Aktienurkunden nach Durchführung eines aktienrechtlichen Squeeze out gem. §§ 327a ff. AktG, BB 2012, 2196.

Übersicht I. Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt .................................................. 1 II. Aufgebotsverfahren (§ 72 Abs. 1) ...... 2 I.

III. Gewinnanteilsscheine (§ 72 Abs. 2) ....................................... 3 IV. Konkurrenzen (§ 72 Abs. 3) ............. 4

Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt

Die Regelung ermöglicht der AG die Kraftloserklärung von Aktienurkunden und Zwischen- 1 scheinen mittels Aufgebotsverfahrens. Gemäß § 72 Abs. 1 ist dies möglich, wenn eine Urkunde abhanden gekommen ist; das Verfahren richtet sich nach dem FamFG und orientiert sich an §§ 799 Abs. 2, 800 BGB. Gemäß § 72 Abs. 2 erlöschen mit wirksamer Kraftloserklärung auch die noch nicht fälligen Gewinnanteilsscheine. Die Regelung wird ergänzt

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§ 73

Kraftloserklärung von Aktien durch die Gesellschaft

durch die Kraftloserklärung von Aktien gemäß § 73 und § 226, welche gemäß § 72 Abs. 3 der Kraftloserklärung der Urkunde nicht entgegensteht. II.

Aufgebotsverfahren (§ 72 Abs. 1)

2 Gegenstand des Aufgebotsverfahrens sind Aktienurkunden und Zwischenscheine (vgl. § 10 Abs. 3). Es kommt bei Inhaber- und Namensaktien in Betracht, insbesondere auch nach einem squeeze out.1) Voraussetzung ist, dass diese nicht auffindbar sind oder vernichtet wurden.2) Ist ein Urkundenaustausch gemäß § 74 möglich, geht dieser vor. Das Verfahren richtet sich nach §§ 466 ff. FamFG.3) Es gilt gemäß § 26 FamFG der Amtsermittlungsgrundsatz.4) Die AG ist als Ausstellerin gemäß § 799 Abs. 2 BGB zur Unterstützung des Ausstellers verpflichtet. Gegen die Entscheidung ist die Beschwerde nach § 58 FamFG statthaft.5) Die betreffenden Aktien bzw. Zwischenscheine müssen genau bezeichnet werden.6) Ist der Beschluss bestandskräftig, kann der betreffende Aktionär fortan seine Aktionärsrechte ohne die Vorlage der Urkunde geltend machen.7) Er hat gemäß § 800 BGB einen Anspruch auf Ausstellung einer neuen Urkunde. III.

Gewinnanteilsscheine (§ 72 Abs. 2)

3 Gewinnanteilsscheine fallen nicht unter § 72 Abs. 1; für sie ist die Verlustanzeige gemäß § 804 BGB vorgesehen.8) Gemäß § 72 Abs. 2 erlischt jedoch bei den Gewinnanteilsscheinen mit der Kraftloserklärung gemäß § 72 Abs. 1 auch der Anspruch auf den noch nicht fälligen Gewinn. Für fällige Gewinnanteilsscheine ist das Aufgebotsverfahren nach § 72 Abs. 1 bedeutungslos.9) IV.

Konkurrenzen (§ 72 Abs. 3)

4 Die Aufgebotsverfahren gemäß § 73 und § 226 bleiben auch nach Kraftloserklärung gemäß § 72 Abs. 1 noch möglich. _____________ 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8) 9)

Hierzu Weppner/Groß-Bölting, BB 2012, 2196. OLG Stuttgart, Urt. v. 28.4.1955 – 3 U 3/54, NJW 1955, 1154, 1155. Einzelheiten bei Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 72 Rz. 6. OLG München, Beschl. v. 5.1.2012 – 34 Wx 369/11, ZIP 2012, 1717 = NZG 2012, 181. OLG München, Beschl. v. 5.1.2012 – 34 Wx 369/11, ZIP 2012, 1717 = NZG 2012, 181. OLG München, Beschl. v. 5.1.2012 – 34 Wx 369/11, ZIP 2012, 1717 = NZG 2012, 181. Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 72 Rz. 12. Henssler/Strohn-Lange, GesR, § 72 AktG Rz. 2. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 72 Rz. 6.

§ 73 Kraftloserklärung von Aktien durch die Gesellschaft (1) 1Ist der Inhalt von Aktienurkunden durch eine Veränderung der rechtlichen Verhältnisse unrichtig geworden, so kann die Gesellschaft die Aktien, die trotz Aufforderung nicht zur Berichtigung oder zum Umtausch bei ihr eingereicht sind, mit Genehmigung des Gerichts für kraftlos erklären. 2Beruht die Unrichtigkeit auf einer Änderung des Nennbetrags der Aktien, so können sie nur dann für kraftlos erklärt werden, wenn der Nennbetrag zur Herabsetzung des Grundkapitals herabgesetzt ist. 3 Namensaktien können nicht deshalb für kraftlos erklärt werden, weil die Bezeichnung des Aktionärs unrichtig geworden ist. 4Gegen die Entscheidung des Gerichts ist

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§ 73

Kraftloserklärung von Aktien durch die Gesellschaft

durch die Kraftloserklärung von Aktien gemäß § 73 und § 226, welche gemäß § 72 Abs. 3 der Kraftloserklärung der Urkunde nicht entgegensteht. II.

Aufgebotsverfahren (§ 72 Abs. 1)

2 Gegenstand des Aufgebotsverfahrens sind Aktienurkunden und Zwischenscheine (vgl. § 10 Abs. 3). Es kommt bei Inhaber- und Namensaktien in Betracht, insbesondere auch nach einem squeeze out.1) Voraussetzung ist, dass diese nicht auffindbar sind oder vernichtet wurden.2) Ist ein Urkundenaustausch gemäß § 74 möglich, geht dieser vor. Das Verfahren richtet sich nach §§ 466 ff. FamFG.3) Es gilt gemäß § 26 FamFG der Amtsermittlungsgrundsatz.4) Die AG ist als Ausstellerin gemäß § 799 Abs. 2 BGB zur Unterstützung des Ausstellers verpflichtet. Gegen die Entscheidung ist die Beschwerde nach § 58 FamFG statthaft.5) Die betreffenden Aktien bzw. Zwischenscheine müssen genau bezeichnet werden.6) Ist der Beschluss bestandskräftig, kann der betreffende Aktionär fortan seine Aktionärsrechte ohne die Vorlage der Urkunde geltend machen.7) Er hat gemäß § 800 BGB einen Anspruch auf Ausstellung einer neuen Urkunde. III.

Gewinnanteilsscheine (§ 72 Abs. 2)

3 Gewinnanteilsscheine fallen nicht unter § 72 Abs. 1; für sie ist die Verlustanzeige gemäß § 804 BGB vorgesehen.8) Gemäß § 72 Abs. 2 erlischt jedoch bei den Gewinnanteilsscheinen mit der Kraftloserklärung gemäß § 72 Abs. 1 auch der Anspruch auf den noch nicht fälligen Gewinn. Für fällige Gewinnanteilsscheine ist das Aufgebotsverfahren nach § 72 Abs. 1 bedeutungslos.9) IV.

Konkurrenzen (§ 72 Abs. 3)

4 Die Aufgebotsverfahren gemäß § 73 und § 226 bleiben auch nach Kraftloserklärung gemäß § 72 Abs. 1 noch möglich. _____________ 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8) 9)

Hierzu Weppner/Groß-Bölting, BB 2012, 2196. OLG Stuttgart, Urt. v. 28.4.1955 – 3 U 3/54, NJW 1955, 1154, 1155. Einzelheiten bei Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 72 Rz. 6. OLG München, Beschl. v. 5.1.2012 – 34 Wx 369/11, ZIP 2012, 1717 = NZG 2012, 181. OLG München, Beschl. v. 5.1.2012 – 34 Wx 369/11, ZIP 2012, 1717 = NZG 2012, 181. OLG München, Beschl. v. 5.1.2012 – 34 Wx 369/11, ZIP 2012, 1717 = NZG 2012, 181. Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 72 Rz. 12. Henssler/Strohn-Lange, GesR, § 72 AktG Rz. 2. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 72 Rz. 6.

§ 73 Kraftloserklärung von Aktien durch die Gesellschaft (1) 1Ist der Inhalt von Aktienurkunden durch eine Veränderung der rechtlichen Verhältnisse unrichtig geworden, so kann die Gesellschaft die Aktien, die trotz Aufforderung nicht zur Berichtigung oder zum Umtausch bei ihr eingereicht sind, mit Genehmigung des Gerichts für kraftlos erklären. 2Beruht die Unrichtigkeit auf einer Änderung des Nennbetrags der Aktien, so können sie nur dann für kraftlos erklärt werden, wenn der Nennbetrag zur Herabsetzung des Grundkapitals herabgesetzt ist. 3 Namensaktien können nicht deshalb für kraftlos erklärt werden, weil die Bezeichnung des Aktionärs unrichtig geworden ist. 4Gegen die Entscheidung des Gerichts ist

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Kraftloserklärung von Aktien durch die Gesellschaft

§ 73

die Beschwerde zulässig; eine Anfechtung der Entscheidung, durch die die Genehmigung erteilt wird, ist ausgeschlossen. (2) 1Die Aufforderung, die Aktien einzureichen, hat die Kraftloserklärung anzudrohen und auf die Genehmigung des Gerichts hinzuweisen. 2Die Kraftloserklärung kann nur erfolgen, wenn die Aufforderung in der in § 64 Abs. 2 für die Nachfrist vorgeschriebenen Weise bekanntgemacht worden ist. 3Die Kraftloserklärung geschieht durch Bekanntmachung in den Gesellschaftsblättern. 4In der Bekanntmachung sind die für kraftlos erklärten Aktien so zu bezeichnen, daß sich aus der Bekanntmachung ohne weiteres ergibt, ob eine Aktie für kraftlos erklärt ist. (3) 1An Stelle der für kraftlos erklärten Aktien sind, vorbehaltlich einer Satzungsregelung nach § 10 Abs. 5, neue Aktien auszugeben und dem Berechtigten auszuhändigen oder, wenn ein Recht zur Hinterlegung besteht, zu hinterlegen. 2Die Aushändigung oder Hinterlegung ist dem Gericht anzuzeigen. (4) Soweit zur Herabsetzung des Grundkapitals Aktien zusammengelegt werden, gilt § 226. Literatur: Heider, Einführung der nennwertlosen Aktie in Deutschland anläßlich der Umstellung des Gesellschaftsrechts auf den Euro, AG 1998, 1; Ihrig/Streit, Aktiengesellschaft und Euro, NZG 1998, 201; Seibert, Die Umstellung des Gesellschaftsrechts auf den Euro – Die Gesetzentwürfe der Bundesregierung, ZGR 1998, 1.

Übersicht I. Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt .................................................. 1 II. Kraftloserklärung (§ 73 Abs. 1, Abs. 2) ........................... 2 I.

III. Anspruch auf neue Urkunden (§ 73 Abs. 3) ....................................... 4

Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt

Die Norm ermöglicht in § 73 Abs. 1 die Kraftloserklärung von Aktien, wenn deren Inhalt 1 unrichtig geworden ist. Sie ist abzugrenzen von der Kraftloserklärung wegen Verlust oder Zerstörung der Aktienurkunde gemäß § 72. Nach § 73 Abs. 2 müssen die Aktionäre zur Einreichung ihrer Aktien aufgefordert werden. § 73 Abs. 3 räumt den Aktionären einen Anspruch auf Ausstellung neuer Urkunden ein. Gemäß § 73 Abs. 4 hat das Verfahren nach § 226 bei der Herabsetzung des Grundkapitals Vorrang. II.

Kraftloserklärung (§ 73 Abs. 1, Abs. 2)

Die Einleitung des Verfahrens obliegt dem Vorstand.1) Es kommt gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 2 nur in Betracht, wenn der Inhalt der Urkunden infolge einer Veränderung der rechtlichen Verhältnisse unrichtig geworden ist.2) Auf anfänglich unrichtige Urkunden ist die Regelung entsprechend anwendbar.3) Bezieht sich die Unrichtigkeit auf den Nennbetrag der Aktien, kann eine Kraftloserklärung gemäß § 73 Abs. 1 Satz 2 nur im Zuge der Kapitalherabsetzung durch Denomination gemäß §§ 222 Abs. 4 Satz 1, 229 Abs. 3 erfolgen. Gemäß § 73 Abs. 2 Satz 1 und 2 müssen die betreffenden Aktionäre vor der Kraftloser- 3 klärung vergeblich zum Umtausch der Aktien aufgefordert worden sein. Die Kraftloserklärung erfolgt gemäß § 73 Abs. 2 Satz 3 und 4 durch Bekanntmachung im Bundesanzeiger _____________ 1) 2) 3)

Heider, AG 1998, 1, 6. Einzelheiten bei Ihrig/Streit, NZG 1998, 201, 204; Seibert, ZGR 1998, 1, 18. Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 73 Rz. 7.

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§ 74

Neue Urkunden an Stelle beschädigter oder verunstalteter Aktien

(§ 25); sie ist gerichtlich zu genehmigen.4) Zuständig ist das Registergericht am Satzungssitz (§ 14).5) Es prüft die formalen und materiellen Voraussetzungen von § 73 Abs. 1 und Abs. 2. Mit Kraftloserklärung verlieren die betreffenden Urkunden ihre Eigenschaft als ein die Mitgliedschaft verbriefendes Wertpapier.6) Die Mitgliedschaft als solches bleibt hiervon unberührt.7) III.

Anspruch auf neue Urkunden (§ 73 Abs. 3)

4 Die betreffenden Aktionäre haben gemäß § 73 Abs. 3 einen Anspruch auf Aushändigung bzw. Hinterlegung neuer richtiger Aktienurkunden. Die Aushändigung ist dem Gericht von der AG anzuzeigen. _____________ 4) 5) 6) 7)

Einzelheiten bei Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 73 Rz. 15. Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 73 Rz. 14. K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 73 Rz. 7. BGH, Urt. v. 25.9.1989 – II ZR 53/89, ZIP 1989, 1546 = NJW-RR 1989, 166.

§ 74 Neue Urkunden an Stelle beschädigter oder verunstalteter Aktien oder Zwischenscheine 1

Ist eine Aktie oder ein Zwischenschein so beschädigt oder verunstaltet, daß die Urkunde zum Umlauf nicht mehr geeignet ist, so kann der Berechtigte, wenn der wesentliche Inhalt und die Unterscheidungsmerkmale der Urkunde noch sicher zu erkennen sind, von der Gesellschaft die Erteilung einer neuen Urkunde gegen Aushändigung der alten verlangen. 2Die Kosten hat er zu tragen und vorzuschießen. Übersicht I. Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt ................................................. 1 I.

II. Umtauschverfahren .......................... 2

Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt

1 Die Norm regelt zwingend das Umtauschverfahren für beschädigte oder verunstaltete Aktien oder Zwischenscheine. Es hat Vorrang gegenüber dem Aufgebotsverfahren nach § 72. Für Coupons und Talons gilt allein § 798 BGB. II.

Umtauschverfahren

2 Ist eine Aktie oder ein Zwischenschein (vgl. § 10 Abs. 3) so beschädigt oder verunstaltet, dass sie zur Legitimation des Aktionärs nicht mehr geeignet ist, hat dieser gegen die AG einen Anspruch auf Ausstellung einer neuen Urkunde. Voraussetzung ist jedoch, dass der Inhalt der Urkunde noch sicher zu erkennen ist; ist dies nicht der Fall, kommt nur ein Aufgebotsverfahren gemäß § 72 in Betracht. Der Anspruch ist Zug um Zug gegen Aushändigung der alten Urkunde zu erfüllen. Die AG hat die alte Urkunde zu vernichten. Die Kosten für die Ausstellung der neuen Urkunde hat gemäß § 74 Satz 2 der Aktionär zu tragen und hierfür Vorschuss zu leisten. Verzichtet die AG auf diese Kostenerstattung, liegt hierin eine verbotene Auszahlung i. S. von § 57 Abs. 1.1) _____________ 1)

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Henssler/Strohn-Lange, GesR, § 74 AktG Rz. 3.

Wolfgang Servatius

§ 74

Neue Urkunden an Stelle beschädigter oder verunstalteter Aktien

(§ 25); sie ist gerichtlich zu genehmigen.4) Zuständig ist das Registergericht am Satzungssitz (§ 14).5) Es prüft die formalen und materiellen Voraussetzungen von § 73 Abs. 1 und Abs. 2. Mit Kraftloserklärung verlieren die betreffenden Urkunden ihre Eigenschaft als ein die Mitgliedschaft verbriefendes Wertpapier.6) Die Mitgliedschaft als solches bleibt hiervon unberührt.7) III.

Anspruch auf neue Urkunden (§ 73 Abs. 3)

4 Die betreffenden Aktionäre haben gemäß § 73 Abs. 3 einen Anspruch auf Aushändigung bzw. Hinterlegung neuer richtiger Aktienurkunden. Die Aushändigung ist dem Gericht von der AG anzuzeigen. _____________ 4) 5) 6) 7)

Einzelheiten bei Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 73 Rz. 15. Spindler/Stilz-Cahn, AktG, § 73 Rz. 14. K. Schmidt/Lutter-Bezzenberger, AktG, § 73 Rz. 7. BGH, Urt. v. 25.9.1989 – II ZR 53/89, ZIP 1989, 1546 = NJW-RR 1989, 166.

§ 74 Neue Urkunden an Stelle beschädigter oder verunstalteter Aktien oder Zwischenscheine 1

Ist eine Aktie oder ein Zwischenschein so beschädigt oder verunstaltet, daß die Urkunde zum Umlauf nicht mehr geeignet ist, so kann der Berechtigte, wenn der wesentliche Inhalt und die Unterscheidungsmerkmale der Urkunde noch sicher zu erkennen sind, von der Gesellschaft die Erteilung einer neuen Urkunde gegen Aushändigung der alten verlangen. 2Die Kosten hat er zu tragen und vorzuschießen. Übersicht I. Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt ................................................. 1 I.

II. Umtauschverfahren .......................... 2

Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt

1 Die Norm regelt zwingend das Umtauschverfahren für beschädigte oder verunstaltete Aktien oder Zwischenscheine. Es hat Vorrang gegenüber dem Aufgebotsverfahren nach § 72. Für Coupons und Talons gilt allein § 798 BGB. II.

Umtauschverfahren

2 Ist eine Aktie oder ein Zwischenschein (vgl. § 10 Abs. 3) so beschädigt oder verunstaltet, dass sie zur Legitimation des Aktionärs nicht mehr geeignet ist, hat dieser gegen die AG einen Anspruch auf Ausstellung einer neuen Urkunde. Voraussetzung ist jedoch, dass der Inhalt der Urkunde noch sicher zu erkennen ist; ist dies nicht der Fall, kommt nur ein Aufgebotsverfahren gemäß § 72 in Betracht. Der Anspruch ist Zug um Zug gegen Aushändigung der alten Urkunde zu erfüllen. Die AG hat die alte Urkunde zu vernichten. Die Kosten für die Ausstellung der neuen Urkunde hat gemäß § 74 Satz 2 der Aktionär zu tragen und hierfür Vorschuss zu leisten. Verzichtet die AG auf diese Kostenerstattung, liegt hierin eine verbotene Auszahlung i. S. von § 57 Abs. 1.1) _____________ 1)

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Henssler/Strohn-Lange, GesR, § 74 AktG Rz. 3.

Wolfgang Servatius

§ 75

Neue Gewinnanteilscheine

§ 75 Neue Gewinnanteilscheine Neue Gewinnanteilscheine dürfen an den Inhaber des Erneuerungsscheins nicht ausgegeben werden, wenn der Besitzer der Aktie oder des Zwischenscheins der Ausgabe widerspricht; sie sind dem Besitzer der Aktie oder des Zwischenscheins auszuhändigen, wenn er die Haupturkunde vorlegt. Übersicht I. Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt .................................................. 1 II. Ausgabe von Gewinnanteilsscheinen (§ 75 Halbs. 1) .................... 2 I.

III. Herausgabeanspruch (§ 75 Halbs. 2) .................................... 3

Bedeutung der Norm, Regelungsgehalt

Die Regelung knüpft die Ausgabe neuer Gewinnanteilsscheine an die Zustimmung des 1 betreffenden Aktieninhabers oder Inhabers des Zwischenscheins (vgl. § 10 Abs. 3). Darüber hinaus begründet sie einen Herausgabeanspruch des Aktionärs und Inhabers eines Zwischenscheins gegen die AG im Hinblick auf die hierauf bezogenen Gewinnanteilsscheine. Die Norm entspricht § 805 BGB. II.

Ausgabe von Gewinnanteilsscheinen (§ 75 Halbs. 1)

Der Besitzer eines Erneuerungsscheins für Gewinnanteilsscheine (Talon) muss grundsätzlich 2 nur diesen vorlegen, um neue Gewinnanteilsscheine (Coupons) von der AG zu bekommen.1) Geht der AG jedoch zuvor vom betreffenden Aktionär oder Inhaber des Zwischenscheins ein Widerspruch zu, muss die Ausgabe unterbleiben. Verstößt die AG hiergegen, macht sie sich gegenüber dem Aktionär bzw. Inhaber des Zwischenscheins schadensersatzpflichtig. III.

Herausgabeanspruch (§ 75 Halbs. 2)

Die Gewinnanteilsscheine sind gemäß § 75 Halbs. 2 zwingend dem Besitzer der Aktie 3 oder des Zwischenscheins auszuhändigen, wenn diese dies unter Vorlage der betreffenden Haupturkunde verlangen. Die Haupturkunde hat damit einen Vorrang gegenüber dem Gewinnanteilsschein. Wurden sie bereits zuvor an den Inhaber des Gewinnanteilsscheins ausgegeben, gibt es zivilrechtliche Ausgleichsansprüche. Die AG ist nach Maßgabe von § 75 Halbs. 1 befreit.

_____________ 1)

RG, Urt. v. 9.11.1910 – I 151/10, RGZ 74, 339 – Talon als Legitimationspapier.

Wolfgang Servatius

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Vierter Teil Verfassung der Aktiengesellschaft Erster Abschnitt Vorstand § 76 Leitung der Aktiengesellschaft Simon Link

(1) Der Vorstand hat unter eigener Verantwortung die Gesellschaft zu leiten. (2) 1Der Vorstand kann aus einer oder mehreren Personen bestehen. 2Bei Gesellschaften mit einem Grundkapital von mehr als drei Millionen Euro hat er aus mindestens zwei Personen zu bestehen, es sei denn, die Satzung bestimmt, daß er aus einer Person besteht. 3Die Vorschriften über die Bestellung eines Arbeitsdirektors bleiben unberührt. (3) 1Mitglied des Vorstands kann nur eine natürliche, unbeschränkt geschäftsfähige Person sein. 2Mitglied des Vorstands kann nicht sein, wer 1. als Betreuter bei der Besorgung seiner Vermögensangelegenheiten ganz oder teilweise einem Einwilligungsvorbehalt (§ 1903 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) unterliegt, 2. aufgrund eines gerichtlichen Urteils oder einer vollziehbaren Entscheidung einer Verwaltungsbehörde einen Beruf, einen Berufszweig, ein Gewerbe oder einen Gewerbezweig nicht ausüben darf, sofern der Unternehmensgegenstand ganz oder teilweise mit dem Gegenstand des Verbots übereinstimmt, 3. wegen einer oder mehrerer vorsätzlich begangener Straftaten a) des Unterlassens der Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens (Insolvenzverschleppung), b) nach den §§ 283 bis 283d des Strafgesetzbuchs (Insolvenzstraftaten), c) der falschen Angaben nach § 399 dieses Gesetzes oder § 82 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, d) der unrichtigen Darstellung nach § 400 dieses Gesetzes, § 331 des Handelsgesetzbuchs, § 313 des Umwandlungsgesetzes oder § 17 des Publizitätsgesetzes, e) nach den §§ 263 bis 264a oder den §§ 265b bis 266a des Strafgesetzbuchs zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist; dieser Ausschluss gilt für die Dauer von fünf Jahren seit der Rechtskraft des Urteils, wobei die Zeit nicht eingerechnet wird, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. 3

Satz 2 Nr. 3 gilt entsprechend bei einer Verurteilung im Ausland wegen einer Tat, die mit den in Satz 2 Nr. 3 genannten Taten vergleichbar ist.

(4) 1Der Vorstand von Gesellschaften, die börsennotiert sind oder der Mitbestimmung unterliegen, legt für den Frauenanteil in den beiden Führungsebenen unterhalb des Vorstands Zielgrößen fest. 2Liegt der Frauenanteil bei Festlegung der Zielgrößen unter 30 Prozent, so dürfen die Zielgrößen den jeweils erreichten Anteil nicht mehr unterschreiten. 3Gleichzeitig sind Fristen zur Erreichung der Zielgrößen festzulegen. 4Die Fristen dürfen jeweils nicht länger als fünf Jahre sein.

448

Simon Link

§ 76

Leitung der Aktiengesellschaft

Literatur: Aschenbeck, Personenidentität bei Vorständen in Konzerngesellschaften (Doppelmandat im Vorstand), NZG 2000, 1015; Austmann, Integration der Zielgesellschaft nach Übernahme, ZGR 2009, 277; Bauer/Herzberg, Arbeitsrechtliche Probleme in Konzernen mit Matrixstrukturen, NZA 2011, 713; Bork, Materiell-rechtliche und prozeßrechtliche Probleme des Organstreits zwischen Vorstand und Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft, ZGR 1989, 1; Bungert/ Wansleben, Vertragliche Verpflichtung einer Aktiengesellschaft zur Nichtdurchführung von Kapitalerhöhungen; ZIP 2013, 1841; Diekmann/Fleischmann, Umgang mit Interessenkonflikten in Aufsichtsrat und Vorstand der Aktiengesellschaft, AG 2013, 141; Dreher, Personelle Verflechtungen zwischen den Leitungsorganen von (Versicherungs-) Unternehmen nach Gesellschafts-, Konzern- und Versicherungsaufsichtsrecht, in: Festschrift für Egon Lorenz, 1994, S. 175; Erdmann, Ausländische Staatsangehörige in Geschäftsführungen und Vorständen deutscher GmbHs und AGs, NZG 2002, 503; Fleischer, Gestaltungsgrenzen für Zustimmungsvorbehalte des Aufsichtsrats nach § 111 Abs. 4 S. 2 AktG, BB 2013, 835; Fleischer, Corporate Compliance im aktienrechtlichen Unternehmensverbund, CCZ 2008, 1; Fleischer, Zur Leitungsaufgabe des Vorstands im Aktienrecht, ZIP 2003, 1; Fonk, Zustimmungsvorbehalte des AG- Aufsichtsrats, ZGR 2006, 841; Froesch, Managerhaftung – Risikominimierung durch Delegation?, DB 2009, 722; Fromholzer/Simons, Die Festlegung von Zielgrößen für den Frauenanteil in Aufsichtsrat, Geschäftsleitung und Führungspositionen, AG 2015, 457; Geßler, Bedeutung und Auslegung des § 23 Abs. 5 AktG, in: Festschrift für Martin Luther, 1976, S. 69; Götz, Gesamtverantwortung des Vorstands bei vorschriftswidriger Unterbesetzung, ZIP 2002, 1745; Götz, Leitungssorgfalt und Leitungskontrolle der Aktiengesellschaft hinsichtlich abhängiger Unternehmen, ZGR 1998, 524; Grunewald, Der Einfluss des Aufsichtsrats auf die Geschäftsführung – was ist erwünscht, was ist erlaubt?, ZIP 2016, 2009; Habersack/Kersten, Chancengleiche Teilhabe an Führungspositionen in der Privatwirtschaft – Gesellschaftsrechtliche Dimensionen und verfassungsrechtliche Anforderungen, BB 2014, 2819; Häsemeyer, Der interne Rechtsschutz zwischen Organen, Organmitgliedern und Mitgliedern der Kapitalgesellschaft als Probleme der Prozeßführungsbefugnis, ZHR 144 (1980) 265; Henze, Leitungsverantwortung des Vorstands – Überwachungspflicht des Aufsichtsrats, BB 2000, 209; Heßeler, Der „Ausländer als Geschäftsführer“ – das Ende der Diskussion durch das MoMiG?!, GmbHR 2009, 759; Hoffmann-Becking, VorstandsDoppelmandate im Konzern, ZHR 150 (1986) 570; Hohenstatt/Willemsen/Naber, Zum geplanten Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe an Führungspositionen. Gut gemeint – aber auch gut gemacht?, ZIP 2014, 2220; Hommelhoff, Satzungsmäßige Eignungsvoraussetzungen für Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft, BB 1977, 322; Kiem, Investorenvereinbarung im Lichte des Aktien- und Übernahmerechts, AG 2009, 301; Kort, Vorstandshandeln im Spannungsverhältnis zwischen Unternehmensinteresse und Aktionärsinteressen, AG 2012, 605; Kort, Gemeinwohlbelange beim Vorstandshandeln, NZG 2012, 926; Kort, Interessenkonflikte bei Organmitgliedern der AG, ZIP 2008, 717; Leyendecker-Langner, Rechte und Pflichten des Vorstands bei Kompetenzüberschreitungen des Aufsichtsratsvorsitzenden, NZG 2012, 721; Kremer, Kooperation des Unternehmens mit der Staatsanwaltschaft im Compliance Bereich, in: Festschrift für Uwe H. Schneider, 2012, S. 701; Kremer/Klahold, Compliance-Programme in Industriekonzernen, ZGR 2010, 113; Lutter, Zur Vorbereitung und Durchführung von Grundlagenbeschlüssen in Aktiengesellschaften, in: Festschrift für Hans-Joachim Fleck, 1988, S. 169; Maidl/Kreifels, Beteiligungsverträge und ergänzende Vereinbarungen, NZG 2003, 1091; Martens, Die Organisation des Konzernvorstands, in: Festschrift für Theodor Heinsius, 1991, S. 523; Mense/Klie, Die Quote kommt – aber wie? Konturen der geplanten Neuregelungen zur Frauenquote, GWR 2015, 1; Müller-Michaels/Ringel, Muss sich Ethik lohnen?, AG 2011, 101; Noack, Haftungsfragen bei Vorstandsdoppelmandaten im Konzern, in: Festschrift für Michael Hoffmann-Becking, 2013, S. 847; Olbrich/Krois, Das Verhältnis von „Frauenquote“ und AGG, NZA 2015, 1288; Petersen/ Schulze de la Cruz, Das Stimmverbot nach § 136 I AktG bei der Entlastung von Vorstandsdoppelmandatsträgern, NZG 2012, 453; Priester, Aufstellung und Feststellung des Jahresabschlusses bei unterbesetztem Vorstand, in: Festschrift für Bruno Kropff, 1997, S. 591; Reichert, Business Combination Agreements, Fallgruppen und Problemkreise, ZGR 2015, 1; Röder/Arnold, Zielvorgaben zur Förderung des Frauenanteils in Führungspositionen, NZA 2015, 1281; Säcker/

Simon Link

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§ 76

Leitung der Aktiengesellschaft

Rehm, Grenzen der Mitwirkung des Aufsichtsrats an unternehmerischen Entscheidungen in der Aktiengesellschaft, DB 2008, 2814; Schiessl, Gesellschafts- und mitbestimmungsrechtliche Probleme der Spartenorganisation (Divisionalisierung), ZGR 1992, 64; Schulz/Kuhnke, InsiderCompliance-Richtlinien als Baustein eines umfassenden Compliance-Konzeptes, BB 2012, 143; Schulz/Renz, Der erfolgreiche Compliance-Beauftragte – Leitlinien eines branchenübergreifenden Berufsbildes, BB 2012, 2511; Schulz/Ruf, Zweifelsfragen der neuen Regelungen über die Geschlechterquote im Aufsichtsrat und die Zielgrößen für die Frauenbeteiligung, BB 2015, 1155; Seibt, Geschlechterquote im Aufsichtsrat und Zielgrößen für die Frauenbeteiligung in Organen und Führungsebenen in der Privatwirtschaft, ZIP 2015, 1193; Seibt, Dekonstruktion des Delegationsverbots bei der Unternehmensleitung, in: Festschrift für Karsten Schmidt, 2009, S. 1463; Seibt/Cziupka, 20 Thesen zur Compliance-Verantwortung im System der Organhaftung aus Anlass des Siemens/Neubürger-Urteils, DB 2014, 1598; Seibt/Wollenschläger, Trennungs-Matrixstrukturen im Konzern, AG 2013, 229; Semler, Doppelmandats-Verbund im Konzern – Sachgerechte Organisationsform oder rechtlich unzulässige Verflechtung?, in: Festschrift für Ernst C. Stiefel, 1987, S. 719; Semler, Die Unternehmensplanung in der Aktiengesellschaft, ZGR 1983, 1; Teichmann/Rüb, Die gesetzliche Geschlechterquote in der Privatwirtschaft, BB 2015, 898; Thüsing/Fütterer, Führungsebene im Sinne des § 76 IV AktG, NZG 2015, 778; Wachter, Bestellung eines Nicht-EU-Ausländers zum GmbH-Geschäftsführer setzt nicht die jederzeitige Einreisemöglichkeit voraus, BB 2010, 268; Wasmann/Rothenburg, Praktische Tipps zum Umgang mit der Frauenquote, DB 2015, 291; Weiß, Vorstandsdoppelmandate im faktischen Konzern: Voraussetzungen, Interessenkonflikte, Anstellungsvertrag und Haftung, CB 2014, 97; Westermann, Gesellschaftliche Verantwortung des Unternehmens als Gesellschaftsrechtsproblem, ZIP 1990, 771; Wilsing/Ogorek, Kündigung des Geschäftsführer-Anstellungsvertrags wegen unterlassener Konzernkontrolle, NZG 2010, 216; Wisskirchen/Dannhorn/Bissels, Haftung von Geschäftsführern in Matrixstrukturen von Konzernen, DB 2008, 1139; Witschen, Matrixorganisation und Betriebsverfassung, RdA 2016, 38.

Übersicht I. Regelungsgegenstand und Regelungszweck ................................ 1 II. Grundlagen ....................................... 2 1. Überblick über die Verfassung der AG ................................................ 2 2. Vorstand als notwendiges Organ ...... 3 III. Vorstand als Leitungsorgan (§ 76 Abs. 1) ....................................... 4 1. Leitungsaufgabe als Teil der Geschäftsführungsaufgabe ................ 4 2. Bestimmung des Leitungsbegriffs .... 5 3. Rechtliche Bedeutung der Leitungsaufgabe .................................... 10 a) Eigenverantwortliche Leitung .. 11 aa) Verhältnis zur Hauptversammlung ................................... 12 bb) Verhältnis zum Aufsichtsrat ..... 15 b) Delegation im Bereich von Leitungsaufgaben ....................... 18 c) Eingehen von rechtlichen Verpflichtungen hinsichtlich der Unternehmensleitung ............... 25

450

4. Anforderungen an die Erfüllung der Leitungsaufgabe ......................... 33 a) Unternehmensinteresse ............. 34 aa) Meinungsbild .............................. 34 bb) Stellungnahme ............................ 38 b) Rechtmäßigkeit .......................... 48 5. Konzernrechtliche Fragen ............... 53 a) Vorstand einer herrschenden AG ............................................... 53 b) Vorstand einer abhängigen/ eingegliederten AG .................... 55 c) Vorstandsdoppelmandate .......... 58 IV. Zahl der Vorstandsmitglieder (§ 76 Abs. 2) ..................................... 60 1. Anforderungen von Gesetz und Satzung .............................................. 60 2. Arbeitsdirektor ................................. 61 3. Rechtsfolgen einer verbotswidrigen Besetzung .......................... 62 V. Persönliche Eignungsvoraussetzungen und Bestellungshindernisse (§ 76 Abs. 3) ................ 63

Simon Link

§ 76

Leitung der Aktiengesellschaft 1. Anforderungen laut Gesetz und Satzung ...................................... 63 2. Rechtsfolgen bei Fehlen oder Wegfall der Eignungsvoraussetzungen .......................................... 66 3. Bestellungshindernisse ..................... 68 VI. Verpflichtung zur Festlegung von Zielgrößen für den Frauenanteil in Führungsebenen (§ 76 Abs. 4) ..................................... 72 I.

1. Regelungsgegenstand und Regelungszweck ....................................... 2. Pflicht zur Festlegung von Zielgrößen und Fristen ........................... a) Betroffene Gesellschaften und Führungsebenen ......................... b) Zielgrößen und Fristen .............. c) Berichts- und Veröffentlichungspflichten ........................ 3. Rechtsfolgen bei Verstößen ............

72 73 73 75 79 81

Regelungsgegenstand und Regelungszweck

Die §§ 76 – 78 bilden zusammen die zentralen Regelungen zu Stellung, Aufgaben, Befug- 1 nissen und Binnenorganisation des Vorstands. Dabei werden wesentliche Grundlagen, wie die Aufgabe und Befugnis zur Geschäftsführung sowie die Unabhängigkeit eher vorausgesetzt oder angedeutet, denn ausdrücklich geregelt. § 76 Abs. 1 greift aus der Geschäftsführungsaufgabe die Leitungsfunktion heraus und weist diese dem Vorstand zu. Gleichzeitig regelt die Vorschrift die Unabhängigkeit des Vorstands. § 76 Abs. 2 bestimmt die zahlenmäßige Zusammensetzung des Vorstands. § 76 Abs. 3 normiert persönliche Eignungsvoraussetzungen und Bestellungshindernisse für Vorstandsmitglieder. § 76 Abs. 4 wurde durch das Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen1) neu eingefügt und verpflichtet den Vorstand, Zielgrößen für den Frauenanteil in den beiden obersten Führungsebenen unterhalb des Vorstands festzulegen. II.

Grundlagen

1.

Überblick über die Verfassung der AG

Der Vorstand ist neben Aufsichtsrat und Hauptversammlung eines der drei Organe der 2 AG. Die Hauptversammlung beschließt über wesentliche, gesetzlich vorgegebene Gesellschaftsangelegenheiten und wählt die Aufsichtsratsmitglieder, die ihrerseits die Mitglieder des Vorstands bestellen und überwachen (dualistische Verwaltung der Gesellschaft). Abgesehen von diesen Bestellungs- und Überwachungskompetenzen sind Vorstand und Aufsichtsrat in der AG mit einem großen Maß an Unabhängigkeit ausgestattet. Insbesondere hat die Hauptversammlung kein Weisungsrecht gegenüber Vorstand oder Aufsichtsrat und auch der Aufsichtsrat hat kein Weisungsrecht gegenüber dem Vorstand (siehe unten Rz. 15). Diese Unabhängigkeit der Organe, die nicht satzungsdispositiv ist, macht die AG (zusammen mit dem strengen Kapitalschutz und dem Aktienkonzernrecht) zu einer Gesellschaftsform, die wenig geeignet ist für Konstellationen, in denen die Gesellschafter weitgehenden Einfluss auf die Geschäftsführung nehmen wollen, etwa bei Konzerngesellschaften oder auch in bestimmten Fällen von Joint Ventures. Es ist nicht möglich, für eine AG durch Satzungsgestaltung ein einheitliches Board vorzusehen, dem sowohl Geschäftsführungs- als auch Überwachungsaufgaben zukommen, wie es in anderen Rechtsordnungen, insbesondere im angloamerikanischen Rechtskreis üblich ist. 2.

Vorstand als notwendiges Organ

Die AG muss zwingend ein einziges Organ Vorstand haben, das auch so bezeichnet sein 3 muss.2) Bei der Gründung muss der Vorstand auch ordnungsgemäß besetzt sein, sonst ist _____________ 1)

2)

Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst (GlTeilhG) v. 24.4.2015, BGBl. I 2015, 642 (geändert durch Art. 11 Abs. 1 des Gesetzes v. 11.4.2017, BGBl. I 2017, 802). Hölters-Weber, AktG, § 76 Rz. 2; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 76 Rz. 3.

Simon Link

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§ 76

Leitung der Aktiengesellschaft

die Eintragung gemäß § 38 Abs. 1 Satz 2 abzulehnen.3) Hingegen berührt das spätere Wegfallen sämtlicher Vorstandsmitglieder den Bestand der AG nicht. III.

Vorstand als Leitungsorgan (§ 76 Abs. 1)

1.

Leitungsaufgabe als Teil der Geschäftsführungsaufgabe

4 Der Vorstand ist zuständig für Leitung und Geschäftsführung der AG. Während die Geschäftsführung sehr weit gefasst wird als jede tatsächliche oder rechtliche Tätigkeit für die Gesellschaft,4) bildet die Leitung einen herausgehobenen Teilbereich hieraus,5) für den besondere Regelungen gelten. 2.

Bestimmung des Leitungsbegriffs

5 § 76 Abs. 1 selbst trifft dabei keine ausdrückliche Regelung über den Inhalt der Leitungsaufgabe. Der Leitungsbegriff lässt sich jedoch anhand einzelner gesetzlicher Anordnungen konkretisieren.6) Die Leitungsaufgabe umfasst zunächst Aufgaben, die Organisation und Verwaltung der AG selbst betreffen,7) wie etwa die Pflicht zur Führung eines Aktienregisters. Obwohl im Wortlaut nicht erwähnt, gehören zur Leitungsaufgabe daneben Aufgaben mit Bezug zu dem von der Gesellschaft getragenen Unternehmen entsprechend dem satzungsmäßigen Unternehmensgegenstand.8) 6 Leitungsaufgaben sind zunächst alle Aufgaben, die das Gesetz dem Vorstand als Kollegialorgan zuweist.9) Entsprechende Regelungen finden sich in den §§ 67,10) 83, 90, 91, 92, 110 Abs. 1, 118 Abs. 2, 119 Abs. 2, 121 Abs. 2,11) 124 Abs. 3 Satz 1, 161, 170, 245 Nr. 4 AktG, § 15a Abs. 1 InsO, § 27 Abs. 1 Satz 1 WpÜG.12) Diesen gesetzlich angeordneten Aufgaben ist gemein, dass sie der Funktionsfähigkeit von Gesellschaft und Unternehmen dienen, im öffentlichen Interesse aufgegeben sind oder vornehmlich Gläubigerinteressen sichern.13) 7 Darüber hinaus ist die Leitungsaufgabe dergestalt von der übrigen Geschäftsführung abzugrenzen, dass sie alle mit der unternehmerischen Führungsfunktion verbundenen Aufgaben umfasst.14) Zur Präzisierung kann auf Erkenntnisse der Betriebswirtschaftslehre zu-

_____________ 3) Spindler in: MünchKomm-AktG, § 76 Rz. 7; Grigoleit-Vedder, AktG, § 76 Rz. 3. 4) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 77 Rz. 3. 5) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 76 Rz. 14; Henze, BB 2000, 209, 210; Kort in: GroßKomm-AktG, § 76 Rz. 29; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 76 Rz. 17; a. A.: Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rz. 6. 6) Fleischer, ZIP 2003, 1, 5 f.; Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, § 1 Rz. 6, 31; K. Schmidt/ Lutter-Seibt, AktG, § 76 Rz. 9; Wettich, Vorstandsorganisation in der Aktiengesellschaft, S. 50 ff. 7) Hölters-Weber, AktG, § 76 Rz. 10. 8) Henze, BB 2000, 209; Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, § 1 Rz. 5; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 76 Rz. 6. 9) BGH, Urt. v. 12.11.2001 – II ZR 225/99 (Sachsenmilch III), BGHZ 149, 158, 160 = ZIP 2002, 172, dazu EWiR 2002, 885 (Saenger/Bergjan); Henze, BB 2000, 209, 210; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 76 Rz. 9; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 76 Rz. 9. 10) OLG München, Urt. v. 4.5.2005 – 23 U 5121/04, ZIP 2005, 1070, dazu EWiR 2005, 525 (Bayer/ Lieder). 11) Umfasst auch die Kompetenz zur Rücknahme einer Einberufung zur Hauptversammlung: BGH, Urt. v. 30.6.2015 – II ZR 142/14, BGHZ 206, 143 = ZIP 2015, 2069, dazu EWiR 2015, 661 (Bayer/Scholz). 12) Vgl. Schiessl, ZGR 1992, 64, 67 f. 13) Fleischer, ZIP 2003, 1, 6; Henze, BB 2000, 209, 210. 14) Fleischer, ZIP 2003, 1, 3; Hölters-Weber, AktG, § 76 Rz. 8.

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Simon Link

§ 76

Leitung der Aktiengesellschaft

rückgegriffen werden.15) Demnach sind Teil der Leitungsaufgabe insbesondere die Unternehmensplanung (Zielsetzung, sowie mittel- und langfristige Festlegung der Unternehmenspolitik), Unternehmenskoordinierung oder -strukturierung (Organisation und Koordination der mit Führungsaufgaben ausgestatteten Teilbereiche des Unternehmens und Festlegung der Leitlinien der Markt-, Produkt-, Finanz-, Investitions-, und Personalpolitik), Unternehmenskontrolle (laufende und nachträgliche Kontrolle von Durchführung und Erfolg delegierter Geschäftsführungsaufgaben) einschließlich der Überwachung der Geschäfts- und Ergebnisentwicklung und die Besetzung der oberen Führungsposten.16) Allgemein sind Entscheidungen dann Teil der Leitungsaufgabe, wenn sie für die langfris- 8 tige Entwicklung des Unternehmens und dessen Vermögens-, Finanz- und Ertragslage von erheblicher Bedeutung sind.17) Die Bestimmung des Leitungsbegriffs wird damit maßgeblich von der Größe, Struktur und Komplexität der AG beeinflusst. Je kleiner das Unternehmen ist, desto eher gehören auch Einzelfragen zur Leitungsaufgabe.18) Teil der Leitungsaufgabe ist es auch, das Unternehmen so auszurichten und zu organisie- 9 ren, dass die bei der unternehmerischen Tätigkeit anzuwendenden Gesetze eingehalten und rechtliche Pflichten erfüllt werden (Compliance).19) Dies ergibt sich bereits daraus, dass der Vorstand bei der Ausführung der sonstigen Leitungsaufgaben an Recht und Gesetz gebunden ist. Eine normierte Ausprägung findet dieser Grundsatz in § 130 i. V. m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG. Entscheidend ist allerdings die Frage, welche Anforderungen an die Unternehmensorganisation sich daraus genau ergeben (siehe unten Rz. 10 ff.). 3.

Rechtliche Bedeutung der Leitungsaufgabe

Die Leitung der Gesellschaft ist dem Vorstand durch § 76 Abs. 1 ausdrücklich und exklusiv 10 (vgl. § 111 Abs. 4 Satz 1, § 119 Abs. 2) als Kompetenz, Aufgabe und Verantwortung zugewiesen.20) a)

Eigenverantwortliche Leitung

Von Bedeutung ist zunächst, dass der Vorstand die Leitungsfunktion in eigener Verant- 11 wortung ausübt.21) Insbesondere gilt im Bereich der Leitungsfunktionen die Weisungsfreiheit des Vorstands (siehe hierzu bereits oben Rz. 2).22) Allerdings ist diese Eigenverantwortlichkeit nicht frei von Schranken und insbesondere gegenüber der Hauptversammlung und dem Aufsichtsrat abzugrenzen:

_____________ 15) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 76 Rz. 9; Kort in: GroßKomm-AktG, § 76 Rz. 36, 38; Hölters-Weber, AktG, § 76 Rz. 10. 16) Henze, BB 2000, 209, 210; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 76 Rz. 9; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 76 Rz. 5; Semler, ZGR 1983, 1, 12 ff.; Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rz. 11 ff.; abweichend: Fleischer, ZIP 2003, 1, 6, mit einer Unterteilung in Planungs- und Steuerungsverantwortung, Organisationsverantwortung, Finanzverantwortung, Informationsverantwortung. 17) Hierzu Hölters-Weber, AktG, § 76 Rz. 11. 18) Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, § 16 Rz. 421; Wettich, Vorstandsorganisation in der Aktiengesellschaft, S. 62 ff. 19) Hölters-Weber, AktG, § 76 Rz. 28. 20) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 76 Rz. 4, 7; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 76 Rz. 42; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 76 Rz. 14. 21) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 76 Rz. 57 ff.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 76 Rz. 25 ff.; K. Schmidt/ Lutter-Seibt, AktG, § 76 Rz. 21. 22) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 76 Rz. 25; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 76 Rz. 44; K. Schmidt/ Lutter-Seibt, AktG, § 76 Rz. 21.

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§ 76 aa)

Leitung der Aktiengesellschaft Verhältnis zur Hauptversammlung

12 Die Hauptversammlung legt in der Satzung den Gegenstand des von der Gesellschaft getragenen Unternehmens fest. Dadurch begrenzt sie das Leitungsermessen des Vorstands bei dessen Ausgestaltung und Führung (siehe oben § 23 Rz. 34 ff.). Es dürfen jedoch keine konkreten Vorgaben für die Leitung des Unternehmens gemacht werden.23) 13 Weiterhin kommt der Hauptversammlung die Kompetenz zu, die Verfassung der AG in der Satzung zu regeln und damit den Handlungsspielraum des Vorstands zu begrenzen. Er kann daher keine Maßnahmen ergreifen, die die Grenzen dieser Gesellschaftsverfassung überschreiten oder verändern würden. Dies betrifft etwa die Ausgabe neuer Aktien (§§ 182 ff.), den Rückkauf von Aktien (§§ 71 ff.) und Maßnahmen nach dem UmwG.24) Darüber hinaus kommt der Hauptversammlung nach der sog. Holzmüller-Rechtsprechung eine ungeschriebene Mitwirkungskompetenz zu, „wenn eine von dem Vorstand in Aussicht genommene Umstrukturierung der Gesellschaft an die Kernkompetenz der Hauptversammlung, über die Verfassung der Aktiengesellschaft zu bestimmen, rührt, weil sie Veränderungen nach sich zieht, die denjenigen zumindest nahe kommen, welche allein durch eine Satzungsänderung herbeigeführt werden können.“25) Eine weitere Ausdehnung der ungeschriebenen Hauptversammlungskompetenz auf Maßnahmen unterhalb der Schwelle einer wesentlichen Beeinträchtigung der Mitwirkungsbefugnisse der Aktionäre hat das BVerfG allerdings zu Recht abgelehnt.26) 14 Der Vorstand ist schließlich gemäß § 83 verpflichtet, auf Verlangen der Hauptversammlung Maßnahmen, die in die Zuständigkeit der Hauptversammlung fallen, vorzubereiten und i. R. ihrer Zuständigkeit beschlossene Maßnahmen auszuführen (siehe unten § 83 Rz. 1 ff.). Dies betrifft aber nur den eng umgrenzten Zuständigkeitsbereich der Hauptversammlung und resultiert nicht in einer zusätzlichen Einschränkung der Leitungsmacht des Vorstands.27) Der Vorstand selbst hat nach § 119 Abs. 2 die Möglichkeit, Fragen der Geschäftsführung der Hauptversammlung zur Entscheidung vorzulegen. Daraufhin ergangene Hauptversammlungsbeschlüsse binden den Vorstand (siehe unten § 119 Rz. 7 ff.). Besonderheiten für die Einflussrechte von Aktionären gelten im Falle der Beherrschung der Gesellschaft, insbesondere bei Bestehen eines Beherrschungsvertrags oder einer Eingliederung (siehe unten §§ 291 ff.). bb)

Verhältnis zum Aufsichtsrat

15 Der Aufsichtsrat berät und überwacht den Vorstand bei der Leitung der Gesellschaft und ihres Unternehmens (§ 111 Abs. 1). Maßnahmen der Geschäftsführung können ihm aber gemäß § 111 Abs. 4 Satz 1 nicht übertragen werden. Während die Überwachungsfunktion des Aufsichtsrats traditionell retrospektiv ausgeübt wurde, wird die moderne Aufsichtsratsarbeit mittlerweile als zukunftsorientierte, begleitende Beratung praktiziert.28) Das wesentliche Überwachungsmittel des Aufsichtsrats besteht in seiner Kompetenz, neben den vom Vorstand eigenständig zu erstattenden Berichten (§ 90 Abs. 1, 2) zusätzliche Informationen und Berichte anzufordern (§ 90 Abs. 3), selbst Prüfungen vorzunehmen (§ 111 Abs. 2) sowie Maßnahmen der Geschäftsführung von der vorherigen Zustimmung _____________ 23) OLG Stuttgart, Urt. v. 22.7.2006 – 8 W 271/06, OLGR Stuttgart 2006, 878 = ZIP 2007, 231, dazu EWiR 2007, 257 (Freitag); Spindler in: MünchKomm-AktG, § 76 Rz. 24. 24) Spindler in: MünchKomm-AktG, § 76 Rz. 21. 25) BGH, Urt. v. 26.4.2004 – II ZR 155/02 (Gelatine I), BGHZ 159, 30 = ZIP 2004, 993, dazu EWiR 2004, 573 (Just). S. hierzu näher § 119 Rz. 18 ff. 26) BVerfG, Beschl. v. 7.9.2011 – 1 BvR 1460/10, ZIP 2011, 2094, dazu EWiR 2012, 3 (Nietsch). 27) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 76 Rz. 27; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 76 Rz. 22. 28) Vgl. Grunewald, ZIP 2016, 2009 ff.; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 29 Rz. 26 ff.

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des Aufsichtsrats abhängig zu machen (§ 111 Abs. 4). Letzteres stellt den gravierendsten Eingriff in die Leitungsautonomie des Vorstands dar. Allerdings gewährt der Zustimmungsvorbehalt stets nur ein Vetorecht – die Initiative für zustimmungspflichtige Maßnahmen bleibt beim Vorstand, so dass der Aufsichtsrat ihn nicht zum Tätigwerden veranlassen kann.29) Dabei ist anerkannt, dass der Aufsichtsrat auch im Bereich der Leitungsfunktion (und 16 nicht etwa nur der sonstigen Geschäftsführung) Zustimmungsvorbehalte festlegen darf, also etwa Maßnahmen der Unternehmensplanung (einschließlich des jährlichen Budgets) oder der Unternehmensorganisation (einschließlich der Geschäftsverteilung unter den Vorstandsmitgliedern) von seiner Zustimmung abhängig machen kann.30) Die Zustimmungsvorbehalte müssen aber einzelne Maßnahmen von wesentlicher Bedeutung betreffen und dürfen nicht so weit ausgedehnt werden, dass die Leitungsautonomie und -verantwortung des Vorstands ausgehöhlt wird und er (auch nur in einzelnen Bereichen) nicht mehr eigenständig und selbstverantwortlich tätig werden kann. Insbesondere wäre es unzulässig, alle wichtigen Geschäfte generell für zustimmungspflichtig zu erklären oder den Zustimmungskatalog so zu gestalten, dass er den Großteil der Vorstandsentscheidungen erfassen würde.31) Keinesfalls darf der Aufsichtsrat über Zustimmungsvorbehalte das Tagesgeschäft an sich ziehen.32) Überdehnt der Aufsichtsrat seine Kompetenzen zulasten des Vorstands, steht es in 17 dessen Ermessen, das sich aus wesentlichen Gründen des Unternehmensinteresses sogar zu einer Handlungspflicht verdichten kann, gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen.33) b)

Delegation im Bereich von Leitungsaufgaben

Eine wesentliche Besonderheit der Leitungsaufgabe des Vorstands besteht darin, dass der 18 Delegation sowohl auf einzelne Vorstandsmitglieder als auch auf unternehmensinterne wie -externe Dritte Grenzen gesetzt sind. Zunächst ist die Leitungsaufgabe als solche, d. h. insgesamt nicht delegierbar. Auch bei 19 den einzelnen Komponenten der Leitungsaufgabe verbleibt die Verantwortung für Entscheidungen stets beim Gesamtvorstand.34) Dieser muss also über die wesentlichen Fragen der Unternehmensplanung, -koordinierung, -strukturierung, -kontrolle und -überwachung selbst entscheiden.35) Er kann diese Entscheidungen weder auf einzelne Vorstandsmitglieder i. R. der Geschäftsverteilung noch vertikal an Mitarbeiter der Gesellschaft oder an externe Dritte (Outsourcing) übertragen. Der Kreis dieser dem Gesamtvorstand vorbehaltenen Aufgaben hängt auch von der Be- 20 deutung der jeweiligen Entscheidung im Verhältnis zur Größe der Organisation und des _____________ 29) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 76 Rz. 27; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 3 Rz. 112; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 76 Rz. 22. 30) Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 3 Rz. 118 ff.; Hölters-Weber, AktG, § 76 Rz. 36. 31) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 76 Rz. 58; Fonk, ZGR 2006, 841, 846; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 3 Rz. 112; Säcker/Rehm, DB 2008, 2814, 2816; Hölters-Weber, AktG, § 76 Rz. 36. 32) Fleischer, BB 2013, 835 ff.; Kort in: GroßKomm-AktG, § 76 Rz. 32; Begr. RegE in: Kropff, AktG, S. 96. 33) Bork, ZGR 1989, 1, 19; Fleischer, BB 2013, 835, 843; Leyendecker-Langner, NZG 2012, 721, 723 ff.; a. A.: Häsemeyer, ZHR 144 (1980) 265, 271; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, Vorb. § 76 Rz. 4 f. 34) Kort in: GroßKomm-AktG, § 76 Rz. 34, 49. 35) Kort in: GroßKomm-AktG, § 76 Rz. 49, 49a, 50; Mertens/Cahn in KölnKomm-AktG, § 76 Rz. 45; Schiessl, ZGR 1992, 64, 68; Hölters-Weber, AktG, § 76 Rz. 10.

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Unternehmens ab, so dass nur diejenigen Entscheidungen, die in diesem Kontext von grundlegender Bedeutung sind, zwingend dem Gesamtvorstand vorbehalten sind.36) Dabei ist unklar, ob diese Abgrenzung bereits i. R. der Definition der Leitungsaufgabe erfolgt und alle weniger wichtigen Entscheidungen schon nicht zur Unternehmensleitung gehören37) (siehe oben Rz. 5 ff.), oder ob es innerhalb der Leitungsaufgabe nochmals delegierbare und nicht delegierbare Entscheidungen gibt.38) Da die erste Ansicht eine zumindest etwas trennschärfere Abgrenzung ermöglicht, ist sie vorzugswürdig. 21 Die Vorbereitung und Durchführung von Leitungsaufgaben kann hingegen auf einzelne Vorstandsmitglieder delegiert werden, insbesondere soweit die beauftragten Vorstandsmitglieder die Entscheidungen des Vorstandskollegiums letzten Endes tatsächlich vorbereiten und ausführen.39) Ebenso kann sich der Vorstand der Mitarbeiter des Unternehmens bedienen. In Frage kommen insbesondere Stabsabteilungen der Unternehmensleitung, wie z. B. strategische Planung sowie leitende Mitarbeiter bestimmter Funktionen (etwa Controlling, HR). Der Vorstand muss die eingesetzten Personen sorgfältig auswählen, instruieren und überwachen, um seiner Verantwortung für die Erfüllung der Leitungsaufgaben gerecht zu werden.40) 22 Möglich ist es auch, dass sich der Vorstand für unterstützende Aufgaben unternehmensexterner Dritter bedient.41) Der Unterschied zur unternehmensinternen Delegation besteht darin, dass Personen tätig werden, die nicht den arbeitsrechtlichen Pflichten gegenüber dem Unternehmen und dem Direktionsrecht des Vorstands unterliegen. Deshalb muss das Rechtsverhältnis mit den Dritten so ausgestaltet werden, dass der Vorstand stets Herr der Leitungsaufgabe bleibt und seiner Entscheidungsverantwortung gerecht werden kann.42) Der Vorstand muss also alle wesentlichen Informationen erhalten und seine Rechtsposition muss so ausgestaltet sein, dass er die Aufgaben stets wieder vollständig in das Unternehmen zurückholen kann.43) Es versteht sich, dass der Vorstand auch sonst die eingesetzten Dritten sorgfältig auswählen, instruieren und überwachen sowie darauf achten muss, dass er i. R. der externen Unterstützung allen Vorstandspflichten gerecht wird. Insbesondere muss er, z. B. durch vertragliche Geheimhaltungsregelungen, für eine vertrauliche Behandlung der Informationen sorgen, die die Dritten bei ihrer Arbeit erlangen (§ 93 Abs. 1 Satz 3). 23 Besonders eingeschränkt ist die Delegationsmöglichkeit i. R. der sog. organschaftlichen Funktionen,44) also der Aufgaben, die gesetzlich ausdrücklich dem Gesamtvorstand übertragen sind, wie die Berichtspflichten gegenüber Aufsichtsrat (§ 90) und Hauptversammlung (§ 176), die Rechnungslegung (§ 170 Abs. 1) einschließlich der Erklärung zur Unternehmensführung (§ 161), sowie bestimmte, die Gesellschaft betreffende Tätigkeiten wie die Einberufung der Hauptversammlung (§ 121 Abs. 2 Satz 1), Beschlussvorschläge an die Hauptversammlung (§ 124 Abs. 3 Satz 1) einschließlich des Vorschlags für die Verwendung _____________ 36) Zu den Kriterien s. Henze, BB 2000, 209, 210; Hölters-Weber, AktG, § 76 Rz. 11. 37) So die h. M. Kort in: GroßKomm-AktG, § 76 Rz. 49b; kritisch, aber im Wesentlichen ebenso Hüffer/ Koch-Koch, AktG, § 76 Rz. 9; Überblick bei Spindler in: MünchKomm-AktG, § 76 Rz. 18. 38) So Froesch, DB 2009, 722; Seibt in: FS K. Schmidt, S. 1463, 1464, 1476 ff.; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 76 Rz. 8. 39) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 76 Rz. 20; Hölters-Weber, AktG, § 76 Rz. 8. 40) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 76 Rz. 65; Fleischer, ZIP 2003, 1, 9; Kort in: GroßKomm-AktG, § 76 Rz. 49 ff. 41) Fleischer, ZIP 2003, 1, 11; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 76 Rz. 45; Hölters-Weber, AktG, § 76 Rz. 12. 42) Vgl. Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 76 Rz. 45. 43) Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 76 Rz. 45. 44) Spindler in: MünchKomm-AktG, § 77 Rz. 62.

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des Bilanzgewinns (§ 170 Abs. 2), die Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen (§ 245 Nr. 4) und die Stellung eines Insolvenzantrags (§ 15a InsO).45) Grundsätzlich kann sich der Vorstand auch i. R. der organschaftlichen Funktionen bei der 24 Vorbereitung und Durchführung interner und externer Dritter bedienen.46) In der Regel ist es aber erforderlich, dass der Gesamtvorstand über die jeweilige Maßnahme oder das maßgebliche Dokument (also etwa die Einladung zur Hauptversammlung, den Jahresabschluss etc.) selbst Beschluss fasst. In bestimmten Fällen bedarf es darüber hinaus der Unterzeichnung des relevanten Dokuments durch den Vorstand, ggf. in vertretungsberechtigter Zahl oder durch alle Vorstandsmitglieder (z. B. beim Jahresabschluss, § 245 HGB). c)

Eingehen von rechtlichen Verpflichtungen hinsichtlich der Unternehmensleitung

Im Bereich der Leitungsaufgaben kann der Vorstand sich nicht wie sonst Bindungen 25 gegenüber unternehmensexternen Dritten und insbesondere gegenüber aktuellen oder künftigen Aktionären unterwerfen. Allerdings sind sowohl die Begründung dieser Einschränkung als auch ihre Reichweite unklar. Früher wurde teilweise auf Basis des Postulats der Unveräußerlichkeit der Leitungs- 26 macht ein allgemeines Verbot rechtsgeschäftlicher Vorabbindung des Vorstands angenommen, das auch (weiterhin) in der Literatur vertreten47) oder erwähnt wird.48) Insbesondere nimmt die Rechtsprechung teilweise ein solches Verbot an.49) Allerdings können solche Bindungen im Bereich der Leitungsaufgabe in konkreten Fällen durchaus im Interesse der Gesellschaft liegen. Außerdem sind derart pauschale Postulate geeignet, das eigentliche Problem eher zu überdecken. Dieses besteht nämlich in der Abgrenzung des Bereichs, in dem tatsächlich eine rechtsgeschäftliche Bindung verhindert werden muss.50) Nicht geeignet für eine Differenzierung zwischen zulässigen und unzulässigen Verpflich- 27 tungen erscheint zunächst das Kriterium, ob eine Vereinbarung mit Gesellschaftern oder mit Nichtgesellschaftern getroffen werden soll.51) Gleiches gilt für eine Differenzierung danach, ob der Vorstand Bindungen auch für spätere Vorstände, die ggf. mit anderen Organwaltern besetzt sind, eingeht. Zu solchen Verpflichtungen kommt es auch im sonstigen geschäftlichen Verkehr ständig – und ob eine Bindung die Amtsdauer des derzeitigen Vorstands überdauert ist letztlich eine Frage des Zufalls. Zustimmung verdient vor diesem Hintergrund die Auffassung, nach der ein Selbstbin- 28 dungsverbot des Vorstands nur in eng begrenzten Fällen besteht und i. Ü. die Eingehung unangemessener Selbstbindungen als Pflichtverletzung des Vorstands nach § 93 Abs. 2 zu behandeln ist.52) Ein Verbot der Selbstbindung mit der Folge einer etwaigen Unwirksamkeit des entspre- 29 chenden Rechtsgeschäfts (siehe unten Rz. 30) kommt nach hier vertretener Auffassung nur in folgenden Fällen in Betracht: _____________ 45) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 76 Rz. 9; Kort in: GroßKomm-AktG, § 76 Rz. 35; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 77 Rz. 24; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 77 Rz. 62. 46) Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 77 Rz. 24; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 77 Rz. 62. 47) Lutter in: FS Fleck, S. 169, 184. 48) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 76 Rz. 68; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 76 Rz. 41. 49) LG München I, Urt. v. 5.4.2012 – 5 HK O 20488/11, NZG 2012, 1152, 1153 f. = ZIP 2012, 2445, dazu EWiR 2013, 193 (Goslar); bestätigt durch OLG München, Beschl. v. 14.11.2012 – 7 AktG 2/12, AG 2013, 173, 176 = ZIP 2012, 2439, dazu EWiR 2013, 37 (Goslar). 50) Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 76 Rz. 50. 51) A. A. Korth in: GroßKomm-AktG, § 76 Rz. 151. 52) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 76 Rz. 41a; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 76 Rz. 49 ff.

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Die eingegangene Verpflichtung darf nicht dazu führen, dass die Leitung der Gesellschaft in einem Umfang dem Einfluss eines Dritten unterstellt wird, wie es bei einem Unternehmensvertrag nach den §§ 291 f. der Fall wäre. Solche Vereinbarungen können nur nach den Regelungen der §§ 293 ff. abgeschlossen werden.53) Diese Schwelle ist aber nicht bereits erreicht, wenn der Einfluss nur für einen konkreten Sachverhalt oder einen bestimmten, überschaubaren Zeitraum (etwa die Dauer der Abwicklung einer öffentlichen Übernahme) gewährt wird und konkrete Maßnahmen betrifft, die mit dem Sachverhalt in Zusammenhang stehen. Danach stellt etwa eine Vereinbarung, nach der sich der Vorstand in einer Übernahmesituation für einen bestimmten Zeitraum verpflichtet, keine Maßnahmen vorzunehmen, die die Zahl der ausgegebenen Aktien oder die Höhe des ausgegebenen Grundkapitals verändern, noch keine unzulässige Entäußerung der Leitungsmacht dar.54) Eine solche liegt nur vor, wenn in vergleichbarer Weise wie bei Abschluss eines Unternehmensvertrags die Leitungsstruktur der Gesellschaft verändert wird.55)



Weiterhin darf die eingegangene Verpflichtung nicht in die Kompetenzen anderer Organe eingreifen. So darf der Vorstand keine Verpflichtungen zu Maßnahmen eingehen, die in der Kompetenz des Aufsichtsrats oder der Hauptversammlung liegen.56) Eine Pflicht, die Zahl der ausgegebenen Aktien nicht zu verändern, darf daher dann nicht gelten, wenn die Hauptversammlung eine Kapitalerhöhung beschließt. Keinen solchen Fall stellt es allerdings dar, wenn der Vorstand die Verpflichtung eingeht, Maßnahmen vorzunehmen, die nach § 111 Abs. 4 Satz 2 der Zustimmung des Aufsichtsrats bedürfen, oder solche Maßnahmen durchführt. Derartige Rechtsgeschäfte unterliegen dem Zustimmungsvorbehalt des Aufsichtsrats. Wird dieser missachtet, richten sich die Rechtsfolgen nach den allgemeinen Regeln, die eine Unwirksamkeit des Geschäfts nur in Ausnahmefällen vorsehen (siehe unten § 111 Rz. 18 ff.). Der Vorstand darf auch keine Bindungen eingehen, die dazu führen, dass er gezwungen wäre, gegen rechtliche Pflichten zu verstoßen, bei denen ihm kein unternehmerisches Ermessen zukommt (siehe unten Rz. 48 ff.). Der Vorstand kann sich also etwa nicht dazu verpflichten, die Stellung eines Insolvenzantrags im Falle der Zahlungsunfähigkeit zu unterlassen. Allein der Umstand, dass das Verhalten, zu dem sich der Vorstand verpflichtet hat, zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr das Verhalten sein könnte, das der Vorstand ohne die Verpflichtung im Unternehmensinteresse wählen würde, verhindert hingegen nicht die Selbstbindung. Denn dass es dazu kommen kann, ist dem Eingehen jeglicher Verpflichtung immanent und auch im sonstigen geschäftlichen Verkehr häufig der Fall. Daher kann dieser Umstand auch nicht dazu führen, dass der Vorstand im Bereich der Leitungsaufgaben keine Bindungen eingehen kann. Schließlich darf der Vorstand in den Bereichen keine Bindungen eingehen, in denen Regelungen des AktG oder sonstige Vorschriften dies ausdrücklich untersagen57) oder die Auslegung der Vorschrift zu diesem Ergebnis führt. Ein Beispiel hierfür ist § 187.58)





30 Sind die vorstehend genannten Grenzen verletzt, so ist genau zu prüfen, ob das Eingehen der entsprechenden Verpflichtung unzulässig und wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches _____________ 53) OLG Schleswig, Beschl. v. 27.8.2008 – 2 W 160/05, ZIP 2009, 124 = AG 2009, 374; OLG München, Beschl. v. 24.6.2008 – 31 Wx 83/07, OLGR München 2008, 681 = ZIP 2008, 1330, dazu EWiR 2008, 481 (Goslar); Kort in: GroßKomm-AktG, § 76 Rz. 201; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 76 Rz. 54. 54) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 76 Rz. 78. 55) Kort in: GroßKomm-AktG, § 76 Rz. 200; s. Reichert, ZGR 2015, 1, 10 ff. – zum BCA. 56) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 76 Rz. 41a; zu Investorenvereinbarungen s. Kiem, AG 2009, 301, 306 f., und Maidl/Kreifels, NZG 2003, 1091. 57) Kiem, AG 2009, 301, 307 f. 58) Kiem, AG 2009, 301, 310.

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Verbot nichtig ist.59) Außerhalb dieser Grenzen ist die Verpflichtung hingegen grundsätzlich wirksam und es ist nur zu prüfen, ob der Vorstand seine Pflichten schuldhaft verletzt hat und er daher nach § 93 Abs. 2 zum Schadenersatz verpflichtet ist.60) In Sonderfällen kann aufgrund eines Missbrauchs der Vertretungsmacht auch die eingegangene Verpflichtung unwirksam sein. Ein Instrument, mit dem der Vorstand verhindern kann, durch eine übermäßige vertragli- 31 che Vorabbindung seine Pflichten gegenüber der Gesellschaft zu verletzen, stellt das sog. Fiduciary Out dar.61) Zu diesem Zweck wird in den Vertrag als „Ausweg“ die Abrede aufgenommen, dass die Bindung der Gesellschaft dann nicht gilt, wenn das eigentlich gebotene Verhalten für den Vorstand nach § 93 pflichtwidrig wäre.62) Geht ein Vorstandsmitglied persönlich Verpflichtungen gegenüber Dritten im Hinblick 32 auf seine Amtsführung ein, so bindet diese Verpflichtung nicht die AG selbst. Die Vereinbarung hat dann auch keinen Einfluss auf die Pflichten des Vorstandsmitglieds gegenüber der Gesellschaft. Vielmehr schuldet das Vorstandsmitglied weiterhin die Geschäftsführung mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters (§ 93).63) Steht dem die Drittvereinbarung entgegen, unterliegt das Vorstandsmitglied einer Pflichtenkollision, so dass es u. U. seine Pflichten gegenüber der Gesellschaft oder dem Dritten verletzt und entsprechenden Schadenersatzansprüchen ausgesetzt ist. Der entstehende Interessenkonflikt kann dazu führen, dass das Vorstandsmitglied sein Amt niederlegen muss oder ein Grund für eine außerordentliche Abberufung vorliegt (siehe zur ähnlich gelagerte Problematik von Vorstandsdoppelmandaten unten Rz. 58 f.). 4.

Anforderungen an die Erfüllung der Leitungsaufgabe

Bei der Leitung der Gesellschaft und ihres Unternehmens muss der Vorstand i. R. der durch 33 die Satzung und die Beschlüsse der Hauptversammlung vorgegebenen Verfassung und des Unternehmensgegenstands (siehe oben Rz. 12 ff.) sowie unter Beachtung anwendbaren Rechts (siehe unten Rz. 48 ff.) handeln und sein Handeln am Unternehmensinteresse (siehe unten Rz. 34 ff.) ausrichten. Innerhalb dieses Rahmens liegt die Leitung im Ermessen des Vorstands.64) a)

Unternehmensinteresse

aa)

Meinungsbild

Worin das Unternehmensinteresse einer AG besteht, ist Gegenstand langandauernder 34 wissenschaftlicher Diskussion, die in ihrem Verlauf in unterschiedliche Richtungen tendiert hat, ohne dass eine abschließende Herausbildung einer h. M. abzusehen wäre. Die Diskussion bewegt sich dabei teilweise auf sehr abstrakter Ebene und die einzelnen vertretenen Auffassungen führen meist in der Anwendung auf praktische Sachverhalte zu denselben Ergebnissen.65) _____________ 59) So Hölters-Weber, AktG, § 76 Rz. 16c bei Verstoß gegen die aktienrechtliche Kompetenzordnung. 60) Vgl. Bungert/Wansleben, ZIP 2013, 1841, 1845; Hölters-Weber, AktG, § 76 Rz. 16c. 61) Bungert/Wansleben, ZIP 2013, 1841, 1844 f.; a. A: LG München, Urt. v. 5.4.2012 – 5 HK O 20488/11, NZG 2012, 1152 = ZIP 2012, 2445. 62) Bungert/Wansleben, ZIP 2013, 1841, 1844 f. 63) S. zu diesem Thema Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 76 Rz. 47, 52, die auf Unzulässigkeit wegen Unvereinbarkeit von persönlichen Verpflichtungen und treuhänderischen Amtspflichten abstellen. 64) BGH, Urt. v. 7.3.1994 – II ZR 52/93 (Deutsche Bank), BGHZ 125, 239, 244 = ZIP 1994, 529; Spindler/ Stilz-Fleischer, AktG, § 76 Rz. 59. 65) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 76 Rz. 43 f.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 76 Rz. 28 ff.

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35 Nach einer verbreiteten, teilweise als herrschend bezeichneten66) Auffassung bestimmt sich das Unternehmensinteresse durch einen sachgerechten Ausgleich der mit dem Unternehmen verbundenen Interessen der unterschiedlichen Stakeholder (z. B. Aktionäre, Arbeitnehmer, Kunden, Öffentlichkeit). Unter den Interessen dieser Stakeholder bestehe keine Rangfolge; der Vorstand müsse die Interessen vielmehr gegeneinander abwägen und zu praktischer Konkordanz führen.67) Diese Auffassung beruft sich auf die Gesetzesmaterialien zum AktG.68) Gegen diese Auffassung spricht jedoch, dass die Orientierung an einem breiten Kreis von Stakeholder-Interessen letztlich dazu führt, dass beinahe jedes Vorstandshandeln gerechtfertigt werden kann und damit die Orientierung am Unternehmensinteresse ihre Leitfunktion für die Festlegung der Vorstandspflichten nicht mehr erfüllt.69) 36 Demgegenüber stehen Auffassungen, nach denen das Unternehmensinteresse primär an den Interessen der Aktionäre orientiert ist und diesen den Vorrang gegenüber anderen Stakeholder-Interessen einräumt. Dabei gibt es im Einzelnen unterschiedliche Ausprägungen von einer klaren Vorgabe der Maximierung des Unternehmenswerts für die Aktionäre, also des Shareholder Value, zu der Zielsetzung, den Bestand des Unternehmens zu sichern und für eine dauerhafte Rentabilität zu sorgen.70) 37 Nach a. A. lasse sich aus der Verpflichtung auf das Unternehmensinteresse keine inhaltliche Vorgabe für das Vorstandshandeln herleiten, weil eine brauchbare Definition nicht möglich sei. Maßstab des Vorstandshandelns sei allein die sorgfältige Ermessensausübung.71) bb)

Stellungnahme

38 Zunächst ist die letztgenannte Auffassung abzulehnen, nach der sich aus dem Unternehmensinteresse keine inhaltliche Vorgabe ableitet. Denn eine solche wird durch das Gesetz vorausgesetzt. § 93 Abs. 1 Satz 2 verlangt, der Vorstand müsse, um den Schutz der Business Judgment Rule zu erlangen, vernünftigerweise annehmen dürfen, zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Wenn nicht klar ist, worin das Unternehmensinteresse besteht, fehlt dieser Anforderung der Bezugspunkt. 39 Zutreffend ist, dass das Unternehmensinteresse nicht identisch ist mit der Wertmaximierung aus Sicht bestimmter Aktionäre oder bestimmter Arten von Aktionären. In der typischen Ausprägung der AG sind die Anleger und deren Interessen zu verschieden, als dass hieraus konkrete Vorgaben abgeleitet werden könnten. 40 Vielmehr ist der Auffassung zuzustimmen, nach der das Unternehmensinteresse vorrangig im nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens besteht. Diese Orientierung an der dauerhaften Sicherung von Bestand und Rentabilität des Unternehmens entspricht aus der Sicht des Gesetzgebers den typisierten Interessen der Aktionäre, die an verschiedenen Stellen zum Ausdruck kommen. Zu nennen ist etwa die Ausrichtung der Vorstandsvergütung bei börsennotierten Gesellschaften an der nachhaltigen Unternehmensentwicklung gemäß § 87 Abs. 1 Satz 2. Nach der Regierungsbegründung zum UMAG liegt ein „Handeln zum Wohle der Gesellschaft […] jedenfalls vor, wenn es der langfristigen Ertragsstärkung und Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens und seiner Produkte oder Dienstleistungen dient.“72) Diese Auffassung entspricht auch der Tendenz des Gesetzgebers, die _____________ 66) 67) 68) 69) 70) 71) 72)

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So etwa die 4. Auflage; ebenso Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 76 Rz. 28. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 76 Rz. 28 ff. Begr. RegE in: Kropff, AktG, S. 97; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 76 Rz. 28, 30. Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 76 Rz. 34. Spindler in: MünchKomm-AktG, § 76 Rz. 69. Großmann, Unternehmensziele im Aktienrecht, 1980, S. 61 ff. BT-Drucks. 15/5092, S. 11.

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Einflussrechte der Aktionäre über die Hauptversammlung zu stärken, wie sie etwa in der Kompetenz zur (nicht bindenden) Billigung des Vergütungssystems des Vorstands durch die Hauptversammlung gemäß § 120 Abs. 4 zum Ausdruck kommt. Die Ausrichtung an einem typisierten Gesellschafterinteresse kann u. U. auch dazu führen, dass der Vorstand i. R. seines unternehmerischen Ermessensspielraums gegen die Interessen eines (Haupt-)Aktionärs der Gesellschaft handelt.73) Der Vorrang der dauerhaften Rentabilität ergibt sich auch daraus, dass der Vorstand 41 dem Gesellschaftszweck verpflichtet ist, in dem in der Regel das dauerhafte erwerbswirtschaftliche Interesse des in der Form der AG gegründeten Verbandes der Kapitalgeber zum Ausdruck kommt.74) Auch dem Gesetz ist eine solche Zielvorgabe zu entnehmen, wenn § 91 Abs. 2 den Vorstand dazu verpflichtet, ein Früherkennungssystem für bestandsgefährdende Risiken einzurichten und nach § 87 Abs. 1 Satz 2 zumindest in börsennotierten Gesellschaften die Vorstandsvergütung auf eine nachhaltige Unternehmensentwicklung auszurichten. Zwar ist auch dieser Maßstab für die Ausrichtung des Vorstandshandelns noch sehr weit 42 und bietet kein mathematisch ableitbares Entscheidungsraster, an dem das Vorstandshandeln gemessen werden kann. Dies ist aber auch nicht nötig, denn der Maßstab ist trotz der Konkretisierungsschwierigkeiten geeignet, i. S. des § 93 Abs. 1 Satz 2 zu prüfen, ob der Vorstand sein Handeln zumindest am Unternehmensinteresse ausgerichtet hat. Erforderlich ist also, dass der Vorstand kontinuierlich auf eine bestmögliche Steigerung 43 der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens hinarbeitet. Denn angesichts des Wettbewerbs auf den Beschaffungs-, Absatz- und Finanzierungsmärkten wäre sonst langfristig der Bestand des Unternehmens gefährdet. Der Vorstand muss daher stets auf einen effizienten Ressourceneinsatz, die Profitabilität von Projekten sowie eine langfristige wertorientierte Strategie und Innovationskraft achten. Eine Pflicht des Vorstands, eine kurzfristige Rentabilität zu priorisieren, besteht allerdings nicht. Vielmehr hat der Gesetzgeber deutlich zum Ausdruck gebracht, dass das langfristige Unternehmensinteresse Vorrang haben sollte.75) Hinsichtlich der Berücksichtigung weiterer Stakeholderinteressen ist zu unterscheiden, 44 ob den Vorstand eine Berücksichtigungspflicht trifft oder ob ihm Spielraum zukommt. Zunächst sind die Interessen anderer Stakeholder durch ein enges Netz an gesetzlichen Vorgaben aus verschiedenen Rechtsbereichen geschützt, so dass die Wahrung von Arbeitnehmer-, Gläubiger-, Verbraucher- und Allgemeininteressen angemessen gewährleistet ist.76) In der Regel handelt es sich dabei um zwingendes Recht, das dem Vorstand keinen Ermessensspielraum i. R. der Business Judgment Rule einräumt. Darüber hinaus besteht keine Pflicht des Vorstands, im Interesse anderer Stakeholder zu handeln, es sei denn, dies ist erforderlich, um den Bestand und die dauerhafte Rentabilität des Unternehmens zu fördern. Eine weitergehende Pflicht scheidet schon deshalb aus, weil die Gesellschaft gegen Vorstandsmitglieder keinen immateriellen Schaden geltend machen kann. Ein Vorstandsmitglied verletzt deshalb nicht etwa dadurch seine Pflichten, dass die Gesellschaft keine Parteispenden leistet und keine karitativen Zwecke fördert. Eine Pflicht hierzu kann aber bestehen, wenn eine Missachtung von gesellschaftlichen oder Arbeitnehmerbelangen dazu führen würde, dass dem Unternehmen wirtschaftliche Nachteile etwa durch Streiks _____________ 73) OLG Frankfurt/M., Urt. v. 17.8.2011 – 13 U 100/10, AG 2011, 918, 919 = ZIP 2011, 2008; dazu im Ergebnis zustimmend Kort, AG 2012, 605 ff. 74) OLG Hamm, Urt. v. 10.5.1995 – 8 U 59/94 (Harpener/Omni), AG 1995, 512, 514 = ZIP 1995, 1263; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 76 Rz. 21; Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rz. 27 ff. 75) Vgl. etwa BT-Drucks. 15/5092, S. 11 („langfristige Ertragsstärkung“) sowie § 87 Abs. 1 Satz 2. 76) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 76 Rz. 38; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 76 Rz. 23.

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oder öffentliche Proteste und Blockaden entstehen.77) Auch in derartigen Fällen kommt dem Vorstand ein Ermessensspielraum i. R. der Business Judgment Rule zu. 45 Umgekehrt hat der Vorstand Spielraum bei der Berücksichtigung von Stakeholderinteressen, soweit diese nicht der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zuwiderlaufen. So kann der Vorstand insbesondere Sozialleistungen an Arbeitnehmer gewähren, da Maßnahmen, die der Förderung einer zufriedenen und motivierten Belegschaft dienen, sich in der Regel mit dem Ziel der Sicherung der langfristigen Ertragskraft des Unternehmens decken. Der Vorstand darf auch Mittel für karitative oder sonstige öffentliche Zwecke aufwenden,78) soweit dies dazu dient und geeignet ist, die guten Beziehungen zu Stakeholdern zu fördern, die für erfolgreiches Wirtschaften nötig sind (Corporate Social Responsibility). Dazu gehört die Unterstützung von Kultur, Sport, Politik, Umweltschutz und allgemeinem Sozialwesen, solange sie in einem angemessenen Verhältnis zur Leistungsfähigkeit des Unternehmens steht und seiner sozialen und gesamtwirtschaftlichen Rolle entspricht.79) Dieser Grundsatz hat an Bedeutung gewonnen, weil Unternehmen einem Umfeld ausgesetzt sind, in dem Verstöße gegen die sog. „Good Corporate Citizenship“ durch schnelle Meinungsbildung über neue Medien zu handfesten wirtschaftlichen Nachteilen führen können. 46 Die Berücksichtigung von Stakeholderinteressen ist aber begrenzt auf den Bereich, der mit der langfristigen Ertragsstärkung und Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens komplementär ist.80) Beschließt ein Vorstand, den Unternehmensgewinn für eine Spende zugunsten wohltätiger Zwecke statt wie vorgesehen für die Ausschüttung einer Dividende zu verwenden, und löst er dadurch einen Kursrutsch der Aktien aus, verletzt er grundsätzlich seine Pflichten, wenn die Spende nicht aufgrund besonderer Umstände der Sicherung der langfristigen Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens dient. Nur in Ausnahmefällen dürfte dieser Fall anders zu beurteilen sein, bspw. im Fall von erheblichen Geldzahlungen an Fonds, die der Entschädigung von Opfern früheren Unrechts, an dem das Unternehmen beteiligt war, dienen. 47 Ebenso unzulässig sind Leistungen, die zur Vermögens- und Finanzlage der Gesellschaft in Missverhältnis stehen oder bei denen sich der Vorstand sachwidrig von privaten Präferenzen leiten lässt. In solchen Fällen macht sich der Vorstand schadensersatzpflichtig. Zudem droht eine Strafbarkeit wegen Untreue nach § 266 StGB.81) Um Risiken in diesem Bereich zu vermeiden, sollte der Vorstand sich für Leistungen außerhalb der erwerbswirtschaftlichen Tätigkeit klare Leitlinien auferlegen und für transparente Entscheidungen durch mehr als einen Entscheidungsträger sorgen. b)

Rechtmäßigkeit

48 Bei der Ausübung der Leitungsaufgabe muss der Vorstand die Vorgaben der Satzung und der Beschlüsse der Hauptversammlung sowie geltendes Recht beachten (vgl. unten § 93 Rz. 12). Dabei steht ihm kein Ermessensspielraum zu. _____________ 77) Vgl. dazu BGH, Urt. v. 6.12.2001 – 1 StR 215/01, NZG 2002, 471 = AG 2002, 347, dazu EWiR 2002, 305 (Wessing); Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 76 Rz. 33; s. Darstellung bei Stindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 76 Rz. 31 ff. 78) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 76 Rz. 35; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 76 Rz. 33 ff.; Westermann, ZIP 1990, 771, 775 f. 79) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 76 Rz. 35a; Kort, NZG 2012, 926, 929 f.; Mertens/Cahn in: KölnKommAktG, § 76 Rz. 33 ff.; Müller-Michaels/Ringel, AG 2011, 101, 109 f. 80) Inwieweit z. B. der Erhalt einer unprofitablen Betriebsstätte in einer strukturschwachen Region im Unternehmensinteresse liegt, dürfte stark vom Einzelfall, insbesondere der langfristigen Perspektive und den Möglichkeiten zur Verbesserung der Situation, abhängen. 81) BGH, Urt. v. 6.12.2001 – 1 StR 215/01, NZG 2002, 471, 473 = AG 2002, 347.

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Die Pflicht des Vorstands erschöpft sich nicht allein darin, bei der Umsetzung eigener 49 Maßnahmen geltendes Recht einzuhalten. Er ist vielmehr verpflichtet, das Unternehmen der Gesellschaft so zu organisieren, dass insgesamt i. R. der Aktivitäten des Unternehmens geltendes Recht eingehalten wird. Die wesentlichen Entscheidungen hinsichtlich der Ausrichtung des Unternehmens sind dabei Teil der Leitungsaufgabe (siehe hierzu auch oben Rz. 5 ff.). Die Sicherstellung der Einhaltung von anwendbaren Gesetzen und Regelungen bei der unternehmerischen Tätigkeit wird allgemein als Compliance bezeichnet. Die Aufgabe kann zwar ressortmäßig einem Vorstandsmitglied zugewiesen werden, aber es bleibt auch in diesem Fall bei der Gesamtverantwortung.82) Wesentliche Risikobereiche stellen dabei Kartellverstöße, Korruption, Verstöße gegen 50 Kapitalmarktrecht, Umweltrecht, Außenwirtschaftsrecht und Sanktionen, der Datenschutz sowie Diskriminierung und sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz dar.83) Bei international agierenden Unternehmen können sich darüber hinaus aus ausländischen Normen wie dem Sarbanes Oxley Act und dem Foreign Corrupt Practices Act spezielle Compliance-Pflichten ergeben.84) Allerdings lässt sich die Aufgabe, für rechtmäßiges Verhalten des Unternehmens zu sorgen, nicht auf einzelne, festgelegte Bereiche reduzieren. Vielmehr muss eine allgemeine Ausrichtung auf rechtmäßiges Verhalten erfolgen. Zusätzlich ist kontinuierlich zu prüfen, in welchen Bereichen besondere Risiken bestehen, um geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um diesen zu begegnen. Aus § 93 ergibt sich insofern ab einer gewissen Größe und Risikoexposition der Gesellschaft 51 eine Pflicht des Vorstands, sicherzustellen, dass geeignete Compliance-Systeme in der Gesellschaft und ihren Konzernunternehmen eingerichtet werden (siehe unten § 93 Rz. 13 und Rz. 18.85) Das unternehmerische Ermessen hinsichtlich des „Ob“ der Einrichtung einer Compliance Organisation reduziert sich jedenfalls bei solchen Unternehmen regelmäßig auf null.86) Beim „Wie“ der Ausgestaltung eines entsprechenden Systems besteht dagegen weites Ermessen, das sich nur unter bestimmten Umständen wie einer wachsenden Gefahrenlage, wiederholten Vorkommnissen oder aufgrund von Branchenstandards verengt.87) In der Praxis haben sich typische Elemente eines Compliance Systems herausgebildet, die 52 jedoch nicht schematisch angewandt werden, sondern sich an der konkreten Risikostruktur des Unternehmens ausrichten sollten. Dazu zählt die Einführung von Compliance-Richtlinien, einschließlich der Vorgabe eines bestimmten Verhaltenskodexes, Schulungen, die Einrichtung eines Berichtswesens bis hin zur Etablierung eines „Whistle Blowing“-Systems88) sowie die Bestellung eines Compliance-Beauftragten.89) Auch Amnestieprogramme kommen als wirksames Mittel zur Aufdeckung von Verstößen in Betracht.90) Besonders wichtig ist, dass der unbedingte Wille zu rechtmäßigem und ethischem Verhalten durch den Vorstand selbst klar und überzeugend kommuniziert und vorgelebt wird („tone from the top“). Im Konzern zählt zur Wahrnehmung der konzerndimensionalen Führungsaufgaben regelmäßig auch die Pflicht zur Einrichtung eines konzernweiten Compliance-Systems zur konzern_____________ 82) LG München I, Urt. v. 10.12.2013 – 5 HK O 1387/10 (Siemens/Neubürger), ZIP 2014, 570 = AG 2014, 332, dazu EWiR 2014, 175 (Hahn). 83) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 76 Rz. 11. 84) Vgl. Hölters-Weber, AktG, § 76 Rz. 30. 85) LG München I, Urt. v. 10.12.2013 – 5 HK O 1387/10 (Siemens/Neubürger), ZIP 2014, 570 = AG 2014, 332; Fleischer, CCZ 2008, 1, 5; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 8. 86) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 91 Rz. 47 ff.; Seibt/Cziupka, DB 2014, 1598, 1599 ff. 87) K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 8. 88) Schulz/Kuhnke, BB 2012, 143 ff. 89) Kremer/Klahold, ZGR 2010, 113, 125 f.; Schulz/Renz, BB 2012, 2511 ff. 90) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 76 Rz. 18; Kremer in: FS U. H. Schneider, S. 701, 707 f.

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weiten Verhinderung von Rechtsverstößen.91) Für dessen Ausgestaltung bestehen aber ebenfalls keine konkreten Vorgaben. Vielmehr hängt diese davon ab, welche Organisation der Vorstand für den Konzern insgesamt gewählt hat. 5.

Konzernrechtliche Fragen

a)

Vorstand einer herrschenden AG

53 Inhalt und Umfang einer möglichen Konzernleitungspflicht des Vorstands der herrschenden Gesellschaft sind umstritten.92) Eine besonders umfassende Pflicht wird nur vereinzelt vertreten.93) Die h. M. lehnt eine solche ab, ohne dass Einigkeit hinsichtlich der Intensität der verbleibenden Konzernleitung bestünde.94) Im Fall des faktischen Konzerns steht bereits § 311, der grundsätzlich von der Eigenverantwortung des Vorstands der abhängigen AG ausgeht, einer umfassenden Leitungspflicht entgegen. Für den Vertragskonzern spricht § 308 Abs. 1 ausdrücklich von einer „Berechtigung“ und nicht von einer „Pflicht“, Weisungen zu erteilen.95) Es besteht daher ein weitgehender Ermessensspielraum der Ausgestaltung der konzernweiten Leitungsstrukturen, so dass sich die Obergesellschaft (wenn der Unternehmensgegenstand dies zulässt) auch auf eine passive Beteiligungsverwaltung beschränken kann.96) Zu berücksichtigen ist aber, dass der Beteiligungsbesitz als Bestandteil des Gesellschaftsvermögens dennoch eine sachgerechte unternehmerische Betreuung erfordert und der Vorstand der herrschenden AG insofern bestimmte Führungsaufgaben z. B. im Hinblick auf Planung, Organisation, Finanzen sowie Information hat, die den Konzern betreffen.97) Vorgaben für die Organisation einer von der Gesellschaft geleiteten Unternehmensgruppe können sich auch aus dem Unternehmensgegenstand der Obergesellschaft ergeben. Jedenfalls in der Praxis größerer börsennotierter Gesellschaften ist dieser aber in der Regel mit dem Ziel formuliert, dem Vorstand ebenfalls möglichst großen Freiraum bei der Organisation der Unternehmensgruppe einzuräumen. 54 In der Praxis existiert in Konzernen in der Regel eine vom Aufbau aus rechtlichen Einheiten losgelöste und diese überlagernde Organisationsstruktur. Diese ist meist nicht rein funktional oder divisional aufgebaut. Häufiger findet sich derzeit eine sog. Matrixorganisation.98) Zwar gibt es dafür keine allgemein anerkannte Definition, jedoch handelt es sich nach allgemeinem Verständnis um eine Organisationsform mit mehreren sich kreuzenden Verantwortungshierarchien (typischerweise Aufgliederung zum einen nach Funktionen und zum anderen nach Sparten).99) Das führt dazu, dass die unteren Ebenen jeweils mehr als einen Vorgesetzten haben. Allerdings gibt es in aller Regel nur einen disziplinarisch _____________ 91) 92) 93) 94)

95) 96) 97) 98) 99)

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Vgl. Krieger in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 70 Rz. 27. Zu den Beziehungen zwischen den konzernverbundenen Unternehmen selbst s. insgesamt die §§ 291 ff. Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, 1982, S. 43 ff., 165 ff. K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 76 Rz. 27; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 76 Rz. 86; Schiessl, ZGR 1992, 64, 83; Emmerich/Habersack-Habersack, Konzernrecht, § 311 AktG Rz. 11; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 76 Rz. 44, 45; Mülbert, Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt, 1996, S. 27 ff.; Wilsing/Ogorek, NZG 2010, 216, 217. Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 76 Rz. 87; dagegen für umfassende Leitungspflicht im Vertragskonzern: Götz, ZGR 1998, 524, 526. Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, § 32 Rz. 1267; Altmeppen in: MünchKomm-AktG, § 309 Rz. 54, 56; Martens in: FS Heinsius, S. 523, 531. K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 76 Rz. 27; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 76 Rz. 42; Martens in: FS Heinsius, S. 523, 531. Kort in: GroßKomm-AktG, § 76 Rz. 194; Semler/Peltzer/Kubis-Richter, ArbHdb. Vorstandsmitglieder, § 5 Rz. 27. Semler/Peltzer/Kubis-Richter, ArbHdb. Vorstandsmitglieder, § 5 Rz. 27; Schiessl, ZGR 1992, 64, 65; Witschen, RdA 2016, 38 ff.

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Vorgesetzten, während den anderen Vorgesetzten lediglich ein beschränktes fachliches Weisungsrecht zukommt.100) Darüber hinaus sind Mechanismen zur Auflösung von widersprüchlichen Vorgaben wichtig, um zu vermeiden, dass Konflikte durch den Mitarbeiter auf unterer Ebene gelöst werden müssen. b)

Vorstand einer abhängigen/eingegliederten AG

Der Vorstand einer abhängigen Gesellschaft im faktischen Konzern ist nicht an Weisun- 55 gen der Hauptgesellschaft gebunden und darf ihnen nur folgen, wenn er von einem Einzelausgleich gemäß § 311 ausgehen kann. Er hat die abhängige Gesellschaft weiterhin unter eigener Verantwortung gemäß § 76 Abs. 1 zu leiten.101) Im Vertragskonzern kann das herrschende Unternehmen gemäß § 308 Abs. 1 Weisungen 56 erteilen, die die abhängige Gesellschaft gemäß § 308 Abs. 2 Satz 1 befolgen muss, soweit nicht einer von wenigen Ausnahmefällen vorliegt (siehe unten §§ 291 ff.). Die Leitungsmacht des Vorstands der abhängigen Gesellschaft wird durch den Beherrschungsvertrag überlagert.102) Der Vorstand der abhängigen Gesellschaft ist darüber hinaus auch ohne Weisungen zu einem konzernfreundlichen Verhalten verpflichtet.103) Nur soweit keine Weisungen vorliegen, bleibt Raum für den Vorstand der abhängigen Gesellschaft und insoweit dann auch die Pflicht, die Gesellschaft eigenverantwortlich zu leiten.104) Der Vorstand kann auch mittels seines Direktionsrechts Mitarbeiter der abhängigen Ge- 57 sellschaft veranlassen, Weisungen von Vertretern des herrschenden Unternehmens Folge zu leisten. Auf diesem Weg kann die vorstehend erwähnte, von der gesellschaftsrechtlichen Struktur losgelöste Organisationsstruktur umgesetzt werden. Aus Sicht des Vorstands der abhängigen Gesellschaft besteht aber das Risiko, dass er selbst dafür verantwortlich bleibt und prüfen muss, ob die Weisungen rechtmäßig sind und deshalb eine Befolgungspflicht besteht.105) Das ist in der Praxis schwer umzusetzen. c)

Vorstandsdoppelmandate

Vorstandsdoppelmandate sind aktienrechtlich zulässig, wenn die Zustimmung beider Auf- 58 sichtsräte gemäß § 88 Abs. 1 Satz 2 vorliegt.106) Bei der Ausübung der Leitungsaufgabe können sich jedoch Interessenkonflikte ergeben, die insbesondere in Konzernkonstellationen auftreten. Der Vorstand bleibt immer dazu verpflichtet, die Interessen desjenigen Unternehmens zu verfolgen, in dessen Pflichtenkreis er tätig wird.107) Die Wahrnehmung _____________ 100) Witschen, RdA 2016, 38, 39; zu arbeitsrechtlichen Problemen mit Matrixstrukturen s. Bauer/Herzberg, NZA 2011, 713 ff.; zu Haftungsrisiken und deren Verringerung s. Wisskirchen/Dannhorn/Bissels, DB 2008, 1139 ff. 101) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 76 Rz. 102; OLG Celle, Urt. v. 28.5.2008 – 9 U 184/07, WM 2008, 1745, 1746 = AG 2008, 711. 102) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 76 Rz. 103; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 308 Rz. 7. 103) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 76 Rz. 103; Kort in: GroßKomm-AktG, § 76 Rz. 180; Koppensteiner in: KölnKomm-AktG, § 308 Rz. 71; ähnlich Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 308 Rz. 20 – „Pflicht zu konzernfreundlichem Verhalten“; a. A. Altmeppen in: MünchKomm-AktG, § 308 Rz. 158 f.; Emmerich/ Habersack-Emmerich, Konzernrecht, § 308 AktG Rz. 54; Hölters-Hölters, AktG, § 76 Rz. 56. 104) Spindler in: MünchKomm-AktG, § 76 Rz. 38. 105) Dazu im Einzelnen Seibt/Wollenschläger, AG 2013, 229, 233; Hölters-Leuering/Goertz, AktG, § 308 Rz. 50 ff.; a. A. Altmeppen in: MünchKomm-AktG, § 308 Rz. 76 ff. 106) BGH, Urt. v. 9.3.2009 – II ZR 170/07 (Vorstandsdoppelmandat), BGHZ 180, 105, 110 f. = ZIP 2009, 1162, dazu EWiR 2009, 525 (Blasche); OLG Köln, Urt. v. 24.11.1992 – 22 U 72/92 (Winterthur/ Nordstern), ZIP 1993, 110, 114 = NJW-RR 1993, 804; Dreher in: FS E. Lorenz, S. 175, 183 ff. 107) BGH, Urt. v. 9.3.2009 – II ZR 170/07 (Vorstandsdoppelmandat), BGHZ 180, 105, 110 f. = ZIP 2009, 1162; OLG Stuttgart, Beschl. v. 2.12.2014 – 20 AktG 1/14, ZIP 2015, 1120; Aschenbeck, NZG 2000, 1015, 1021.

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von Organpflichten in einem Pflichtenkreis kann jedoch in keinem Fall deren Verletzung in einem anderen rechtfertigen.108) Für den Vertragskonzern ist die Interessenkollision durch die eingeschränkte Prüfungskompetenz des Vorstands der abhängigen Gesellschaft gemäß § 308 Abs. 2 und den Schutzmechanismus der §§ 302 ff. teilweise gesetzlich geregelt.109) Im faktischen Konzern bleibt es dagegen bei der Unabhängigkeit der beteiligten Gesellschaften; eine gesetzliche Auflösung des Interessenkonflikts findet nicht statt. 59 Nach ganz h. A. besteht kein umfassendes Stimmverbot entsprechend § 34 BGB bei Vorstandsdoppelmandaten im Konzern.110) Verbreitet wird jedoch analog § 136 AktG und § 47 Abs. 4 GmbHG eine Pflicht zur Stimmenthaltung angenommen, wenn der Vorstand der Muttergesellschaft über die Stimmabgabe zur Entlastung des Doppelmandatsträgers in der Hauptversammlung der abhängigen Gesellschaft beschließt.111) Darüber hinaus kann sich das Vorstandsmitglied auch in anderen Fällen der Stimme enthalten, um einer Interessenkollision zu entgehen, sofern dadurch nicht die Funktionsfähigkeit des Vorstands beeinträchtigt wird.112) Lassen sich im Einzelfall schwerwiegende Interessenkonflikte auch dauerhaft nicht vermeiden, muss der Vorstand sein Amt niederlegen oder vom Aufsichtsrat abberufen werden (§ 84 Abs. 3).113) IV.

Zahl der Vorstandsmitglieder (§ 76 Abs. 2)

1.

Anforderungen von Gesetz und Satzung

60 Gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 kann der Vorstand grundsätzlich aus einer oder mehreren Personen bestehen. § 76 Abs. 2 Satz 3 sieht bei einem Grundkapital von mehr als 3 Mio. € mindestens zwei Personen vor, ist jedoch dispositiv. Die Satzung muss gemäß § 23 Abs. 3 Nr. 6 die Zahl der Vorstandsmitglieder oder die Regeln, nach denen diese festgelegt wird, bestimmen. Insofern kann auch eine bloße Mindest- oder Höchstzahl niedergelegt oder zur Entscheidung gänzlich der Aufsichtsrat ermächtigt werden.114) Ebenso möglich ist eine statuarische Regelung, derzufolge die genaue Zahl von der Hauptversammlung bestimmt wird.115) Das Gesetz normiert keine Höchstzahl für Vorstandsmitglieder. Eine Grenze ist im Einzelfall jedoch erreicht, wenn eine einheitliche Leitung gemäß § 76 Abs. 1 nicht mehr möglich ist.116) Nach der Empfehlung in Ziff. 4.2.1. DCGK soll der Vorstand aus mehreren Personen bestehen.

_____________ 108) Altmeppen in: MünchKomm-AktG, § 311 Rz. 99; Hoffmann-Becking, ZHR 150 (1986) 570, 576 f.; Kort in: GroßKomm-AktG, § 76 Rz. 223; zu Haftungsfragen s. im Einzelnen Noack in: FS HoffmannBecking, S. 847. 109) Hölters-Hölters, AktG, § 76 Rz. 58; Aschenbeck, NZG 2000, 1015, 1018; Austmann, ZGR 2009, 277, 288. 110) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 76 Rz. 54; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 76 Rz. 108; a. A. Semler in: FS Stiefel, S. 719, 757 f. 111) Kort in: GroßKomm-AktG, § 76 Rz. 228; Petersen/Schulze de la Cruz, NZG 2012, 453, 456; HöltersHölters, AktG, § 76 Rz. 59. 112) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 76 Rz. 110; Kort in: GroßKomm-AktG, § 76 Rz. 229. 113) Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 149; Kort in: GroßKomm-AktG, § 76 Rz. 230; Kort, ZIP 2008, 717, 719; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 76 Rz. 30; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 76 Rz. 53; Weiß, CB 2014, 97, 99. 114) LG Köln, Urt. v. 10.6.1998 – 91 O 15/98, AG 1999, 137, 138; Kort in: GroßKomm-AktG, § 76 Rz. 237. 115) Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 76 Rz. 105. 116) Kort in: GroßKomm-AktG, § 76 Rz. 239.

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Leitung der Aktiengesellschaft 2.

Arbeitsdirektor

Die Vorschriften über die Bestellung eines Arbeitsdirektors bleiben gemäß § 76 Abs. 2 61 Satz 3 unberührt. Soweit ein Arbeitsdirektor gemäß § 13 Abs. 1 MontanMitbestG, § 13 MontanMitbestErgG oder gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 MitbestG zu bestellen ist, muss der Vorstand somit mindestens aus zwei Mitgliedern bestehen.117) 3.

Rechtsfolgen einer verbotswidrigen Besetzung

Die Rechtsfolgen einer verbotswidrigen Zusammensetzung sind nicht ausdrücklich ge- 62 setzlich geregelt. Eine Überbesetzung ist selten praktisch relevant und führt nicht zur Rechtswidrigkeit der Handlungen der AG gegenüber Dritten.118) Die Organstellung des überzähligen Vorstandsmitglieds bleibt wirksam, die Überbesetzung stellt lediglich einen wichtigen Grund für einen Widerruf der Bestellung dar.119) Bei Unterbesetzung muss der Aufsichtsrat den Vorstand gemäß § 84 unverzüglich wieder vervollständigen.120) Sofern dies nicht erfolgt, kann in dringenden Fällen gemäß § 85 das Gericht auf Antrag das fehlende Mitglied bestellen.121) Ein unterbesetzter Vorstand ist für Aufgaben, die nur der Gesamtvorstand wahrnehmen kann, nicht handlungsfähig.122) Die zu befürwortende Gegenmeinung in der Literatur123), die für den Erhalt der Handlungsfähigkeit plädiert, konnte sich bisher nicht durchsetzen. Nicht beeinträchtigt ist die Handlungsfähigkeit der AG dagegen, soweit ein Vorstandshandeln in vertretungsberechtigter Zahl genügt und diese Zahl noch vorhanden ist.124) V.

Persönliche Eignungsvoraussetzungen und Bestellungshindernisse (§ 76 Abs. 3)

1.

Anforderungen laut Gesetz und Satzung

Gemäß § 76 Abs. 3 Satz 1 können Vorstandsmitglieder nur natürliche, unbeschränkt 63 geschäftsfähige Personen sein. Somit kommen juristische Personen und Personengesellschaften nicht als Vorstandsmitglieder in Betracht. Bei beschränkt geschäftsfähigen Personen genügt auch eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung gemäß §§ 112, 113 BGB nicht.125) Darüber hinaus darf gemäß § 76 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AktG kein Einwilligungsvorbehalt gemäß §§ 1896, 1903 BGB vorliegen. Nationalität und Wohnsitz sind für die Bestellung zum Vorstand einer inländischen AG unerheblich.126) Bezüglich der Geschäftsfähigkeit entscheidet gemäß Art. 7 Abs. 1 EGBGB das Heimatstatut. Strittig ist, ob jederzeit die Möglichkeit bestehen muss, ins Inland einzureisen. Eine frühere Ansicht bejahte dies, da andernfalls keine persönliche Teilnahme an Vorstandssitzungen und keine _____________ 117) 118) 119) 120) 121) 122) 123) 124) 125) 126)

Spindler in: MünchKomm-AktG, § 76 Rz. 102; Grigoleit-Vedder, AktG, § 76 Rz. 39. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 76 Rz. 56. Vgl. Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 76 Rz. 114. BGH, Urt. v. 12.11.2001 – II ZR 225/99 (Sachsenmilch III), BGHZ 149, 158, 161 = ZIP 2002, 172, dazu EWiR 2002, 885 (Saenger/Bergjan). BGH, Urt. v. 12.11.2001 – II ZR 225/99 (Sachsenmilch III), BGHZ 149, 158 = ZIP 2002, 172. BGH, Urt. v. 12.11.2001 – II ZR 225/99 (Sachsenmilch III), BGHZ 149, 158 = ZIP 2002, 172; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 19 Rz. 50. Kort in: GroßKomm-AktG, § 76 Rz. 242; Götz, ZIP 2002, 1745; Priester in: FS Kropff, S. 591, 597. LG Berlin, Beschl. v. 30.10.1990 – 98 T 39/90, AG 1991, 244, 245 = ZIP 1991, 228; Hüffer/KochKoch, AktG, § 76 Rz. 56; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 76 Rz. 99. OLG Hamm, Beschl. v. 13.4.1992 – 15 W 25/92, GmbHR 1992, 671 = DB 1992, 1401 – zur GmbH; Kort in: GroßKomm-AktG, § 76 Rz. 252. OLG Köln, Beschl. v. 30.9.1998 – 2 Wx 22/98, GmbHR 1999, 182, 183, dazu EWiR 1999, 261 (Mankowski) – zur GmbH; Erdmann, NZG 2002, 503 ff.

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persönliche Befassung mit den Angelegenheiten der AG vor Ort möglich sei.127) Nach Erlass des MoMiG kann gemäß §§ 5, 37 Abs. 3 eine Sitzverlegung ins Ausland erfolgen.128) Eine Aufenthalts-, Arbeits- oder Gewerbeerlaubnis im Inland ist daher keine notwendige Voraussetzung.129) 64 Das Vorstandsmitglied muss nach dem Prinzip der Fremdorganschaft kein Aktionär der Gesellschaft sein. Ein Mindest- oder Höchstalter ist gesetzlich nicht bestimmt. Ziff. 5.1.2. Abs. 2 Satz 3 DCGK empfiehlt jedoch die Festlegung einer Altersgrenze. 65 Die Satzung kann zusätzliche Eignungsvoraussetzungen, wie bspw. Altersgrenzen oder berufliche Qualifikationen, vorsehen. Unsachliche Diskriminierungen und strikte Beschränkungen auf Familienmitglieder sind unzulässig.130) Das Auswahlermessen des Aufsichtsrats darf nicht so weit eingeschränkt sein, dass kein Spielraum mehr verbleibt.131) Entgegen einer zu weitgehenden Auffassung in Teilen der Literatur132) haben satzungsmäßige Auswahlrichtlinien nicht nur die Wirkung einer Sollvorschrift, über die sich der Aufsichtsrat nach pflichtgemäßem Ermessen hinwegsetzen kann.133) 2.

Rechtsfolgen bei Fehlen oder Wegfall der Eignungsvoraussetzungen

66 Ein Verstoß gegen die gesetzlichen Voraussetzungen des § 76 Abs. 3 Satz 1 AktG führt zur Nichtigkeit der Bestellung gemäß § 134 BGB.134) Im Fall des späteren Eintritts der Vorstandsunfähigkeit erlischt die Organstellung, ohne dass es einer gesonderten Abberufung bedarf.135) Bei nachfolgendem Wegfall des Bestellungshindernisses lebt die Organstellung nicht wieder auf.136) Es ist eine erneute Bestellung vorzunehmen. Die Löschung der Eintragung des Vorstandsmitglieds im Handelsregister erfolgt von Amts wegen.137) Im Außenverhältnis kommt bei einem weiterhin eingetragenen Mitglied eine Rechtsscheinhaftung gemäß § 15 HGB in Betracht.138) 67 Aus der anfänglichen Verletzung oder dem späteren Wegfall statuarischer Voraussetzungen folgt nicht die Nichtigkeit der Bestellung.139) Der Aufsichtsrat hat in diesem Fall _____________ 127) OLG Köln, Beschl. v. 30.9.1998 – 2 Wx 22/98, GmbHR 1999, 182, 183; OLG Hamm, Beschl. v. 9.8.1999 – 15 W 181/99, ZIP 1999, 1919 – jeweils für die GmbH. 128) Begr. RegE z. MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 29. 129) OLG Düsseldorf, Beschl. v. 16.4.2009 – 3 Wx 85/09, NZG 2009, 678, 679 = ZIP 2009, 1074 = GmbHR 2009, 776, dazu EWiR 2009, 573 (Lamsa); OLG München, Beschl. v. 17.12.2009 – 31 Wx 142/09, ZIP 2010, 126, 127, dazu EWiR 2010, 247 (Schodder); Heßeler, GmbHR 2009, 759; Wachter, BB 2010, 268 f. – jeweils zur GmbH; Kort in: GroßKomm-AktG, § 76 Rz. 253. 130) Spindler in: MünchKomm-AktG, § 76 Rz. 110; May, Die Sicherung des Familieneinflusses auf die Führung der börsengehandelten Aktiengesellschaft, 1992, S. 99 f. 131) Geßler in: FS Luther, S. 82; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 20 Rz. 6. 132) Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 76 Rz. 116; Hommelhoff, BB 1977, 322, 324 f.; Lutter/Krieger/ Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 7 Rz. 341; Grigoleit-Vedder, AktG, § 76 Rz. 54. 133) Spindler in: MünchKomm-AktG, § 76 Rz. 110; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 76 Rz. 37. 134) BayObLG, Beschl. v. 18.7.1991 – BReg. 3 Z 133/90, BB 1991, 1729, 1730; Hölters-Weber, AktG, § 76 Rz. 79. 135) BGH, Urt. v. 1.7.1991 – II ZR 292/90, BGHZ 115, 78, 80 = ZIP 1991, 1002 – zur GmbH; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 20 Rz. 8. 136) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 76 Rz. 140. 137) OLG Naumburg, Beschl. v. 10.11.1999 – 7 Wx 7/99, GmbHR 2000, 378, 379 = ZIP 2000, 622 – zur GmbH. 138) BGH, Urt. v. 1.7.1991 – II ZR 292/90, BGHZ 115, 78, 80 = ZIP 1991, 1002 – zur GmbH; HöltersWeber, AktG, § 76 Rz. 79. 139) Kort in: GroßKomm-AktG, § 76 Rz. 277; für zumindest diskutabel hält die Nichtigkeitsfolge bei offensichtlichem Verstoß dagegen Hölters-Weber, AktG, § 76 Rz. 80.

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das Recht und die Pflicht, die Bestellung mit Wirkung ex nunc aus wichtigem Grund gemäß § 84 Abs. 3 Satz 1 zu widerrufen.140) 3. Bestellungshindernisse In § 76 Abs. 3 Satz 2 und 3 sind drei verschiedene Arten von Bestellungshindernissen geregelt. Ein Verstoß gegen diese Normen führt ebenfalls gemäß § 134 BGB zur Nichtigkeit der Bestellung.141) Bei späterem Eintreten des Ausschlussgrundes erlischt die Organstellung ohne Abberufung.142) Gemäß § 76 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 können Personen, die gemäß § 1896 BGB unter Betreuung stehen und bei Besorgung ihrer Vermögensangelegenheiten ganz oder teilweise einem Einwilligungsvorbehalt gemäß § 1903 BGB unterliegen, nicht Vorstandsmitglieder sein. § 76 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 regelt den Fall eines durch gerichtliches Urteil (§ 70 StGB) oder vollziehbare behördliche Entscheidung auferlegten Berufs- oder Gewerbeverbots. Der Adressat des Verbots kann kein Vorstandsamt wahrnehmen, sofern der Gegenstand des Verbots zumindest teilweise mit dem Unternehmensgegenstand übereinstimmt. Schließlich darf keine Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Straftat aus dem Katalog des § 76 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 vorliegen. Auch vergleichbare, vorsätzlich begangene Straftaten im Ausland stehen gemäß § 76 Abs. 3 Satz 3 einem Vorstandsamt entgegen.143) Der Ausschluss greift für die Dauer von fünf Jahren ab Rechtskraft des Urteils.144) VI.

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Verpflichtung zur Festlegung von Zielgrößen für den Frauenanteil in Führungsebenen (§ 76 Abs. 4) 1. Regelungsgegenstand und Regelungszweck § 76 Abs. 4 normiert eine Pflicht des Vorstands börsennotierter oder mitbestimmter 72 Gesellschaften zur Festlegung von Zielgrößen für den Frauenanteil in den beiden Führungsebenen unterhalb des Vorstands. Die Vorschrift wurde durch das Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst (GlTeilhG) vom 24.4.2015 neu in das Gesetz aufgenommen. Langfristiges Ziel des Gesetzgebers ist eine paritätische Besetzung mit Männern und Frauen.145) § 76 Abs. 4 sieht jedoch keine Mindestzielgröße vor. Bereits durch die Pflicht zur Festlegung und deren Veröffentlichung i. R. der Berichts- und Veröffentlichungspflichten des Unternehmens sollen Defizite aufgedeckt und Verantwortlichkeiten zugewiesen werden.146) Die Norm wurde nicht geschlechtsneutral formuliert, sondern betrifft nur die Festlegung von Zielgrößen für den Frauenanteil.147)

_____________ 140) Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 20 Rz. 9; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 76 Rz. 130. 141) BayObLG, Beschl. v. 16.7.1982 – BReg 3 Z 74/82, BB 1982, 1508 – zur GmbH; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 76 Rz. 126. 142) OLG München, Beschl. v. 3.3.2011 – 31 Wx 51/11, ZIP 2011, 1669; BGH, Urt. v. 1.7.1991 – II ZR 292/90, BGHZ 115, 78, 80 = ZIP 1991, 1002 – jeweils zur GmbH; Hölters-Weber, AktG, § 76 Rz. 79. 143) OLG München, Beschl. v. 18.6.2014 – 31 Wx 250/14, NJW-RR 2014, 1381 = GmbHR 2014, 869 – zur GmbH. 144) Vgl. BGH, Beschl. v. 7.6.2011 – II ZB 24/10, ZIP 2011, 1305 = DNotZ 2011, 790, dazu EWiR 2011, 935 (Melchior) – zur GmbH. 145) Begr. RegE, BT-Drucks. 18/3784, S. 119. 146) Begr. RegE, BT-Drucks. 18/3784, S. 119. 147) Dazu kritisch: Habersack/Kersten, BB 2014, 2819, 2828; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 76 Rz. 66; Fromholzer/Simons, AG 2015, 457, 461.

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2.

Pflicht zur Festlegung von Zielgrößen und Fristen

a)

Betroffene Gesellschaften und Führungsebenen

73 Von der Pflicht des § 76 Abs. 4 betroffen sind nur börsennotierte oder mitbestimmte Aktiengesellschaften. Ob eine Gesellschaft börsennotiert ist, richtet sich nach § 3 Abs. 2 (siehe § 3 Rz. 7). Der „Mitbestimmung“ unterliegen nicht nur Gesellschaften nach dem MitbestG, Montan-MitbestG oder MitbestErgG, sondern auch drittelparitätisch mitbestimmte Gesellschaften.148) Betriebliche Mitbestimmung nach dem BetrVG reicht dagegen nicht aus.149) Gemäß § 278 Abs. 3 trifft die Pflicht des § 76 Abs. 4 auch die Geschäftsführung einer KGaA.150) 74 Die von den Festlegungen des Vorstands betroffenen beiden Führungsebenen unterhalb des Vorstands sind nach der Begründung des Gesetzesentwurfs nicht nach betriebswirtschaftlichen Lehren (Top-Management, Middle-Management und Low-Management) zu definieren, sondern meinen die tatsächlich im konkreten Unternehmen eingerichteten Hierarchieebenen unterhalb des Vorstands.151) Da es für den Unternehmensbegriff jeweils auf die Einzelgesellschaft ankommt, scheidet eine Betrachtung konzernweiter Hierarchieebenen aus.152) Dies bedeutet auch, dass eine Festlegung von Konzernzielen nicht automatisch für die Pflichterfüllung der jeweiligen Einzelgesellschaft ausreicht.153) In einer reinen Holding ohne eine Ebene mit Führungsverantwortung unterhalb des Vorstands besteht keine Festlegungspflicht.154) Bei der Festlegung der Führungsebenen hat das jeweilige Unternehmen einen weiten Gestaltungsspielraum.155) Kriterien der Beurteilung können bspw. das Vorliegen einer Berichtslinie direkt an den Vorstand, Verantwortung für Mitarbeiter oder Budget, Erteilung von Vollmacht und Prokura, Teilnahme an Führungskreissitzungen sowie an Führungskräfte-Beteiligungs- bzw. Bonus-Programmen sein.156) Ob auch Führungskräfte außerhalb Deutschlands erfasst sind, wird in der Literatur unterschiedlich beurteilt.157) Der offene Wortlaut sowie der Zweck der Norm sprechen für eine Einbeziehung. b)

Zielgrößen und Fristen

75 Die Festlegung erfolgt durch Beschluss. Ein Betriebsrat muss gemäß § 92 Abs. 3 BetrVG vor der endgültigen Festlegung informiert werden158). Die Zielgrößen werden üblicherweise in Prozentzahlen ausgedrückt.159) Die Berechnung des Prozentsatzes erfolgt nach den Rundungsregeln des § 96 Abs. 2 Satz 4 (siehe unten § 96 Rz. 12). Auch eine Angabe in absoluten Zahlen ist möglich, bloße Beschreibungen wie „angemessen“ oder durchschnitt_____________ 148) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 76 Rz. 130; Wasmann/Rothenburg, DB 2015, 291, 294. 149) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 76 Rz. 67; Mense/Klie, GWR 2015, 1, 4. 150) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in: BTDrucks. 18/4227, S. 22. 151) Begr. RegE, BT-Drucks. 18/3784, S. 119. 152) Wasmann/Rothenburg, DB 2015, 291, 294. 153) K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 76 Rz. 46. 154) Wasmann/Rothenburg DB 2015, 291, 294. 155) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in: BTDrucks. 18/4227, S. 21; Thüsing/Fütterer, NZG 2015, 778, 779. 156) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 76 Rz. 68; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 76 Rz. 46; Seibt, ZIP 2015, 1193, 1206; Thüsing/Fütterer, NZG 2015, 778, 779; Wasmann/Rothenburg DB 2015, 291, 294. 157) Für Einbeziehung: Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 76 Rz. 68; Fromholzer/Simons, AG 2015, 457, 458; Teichmann/Rüb, BB 2015, 898, 902; a. A. Thüsing/Fütterer, NZG 2015, 778, 781 f. 158) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 76 Rz. 70; a. A. Röder/Arnold, NZA 2015, 1281, 1287 f. 159) Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 18/3784, S. 119.

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lich“ reichen dagegen nicht aus.160) Für die zu erfassenden Führungsebenen kann sowohl eine gemeinsame als auch eine getrennte Festlegung erfolgen.161) Da eine Mindestzielgröße nicht gesetzlich vorgesehen ist, können die Unternehmen sich Zielvorgaben unter Berücksichtigung ihrer Unternehmensstruktur selbst setzen.162) Auch eine Zielgröße Null ist grundsätzlich möglich.163) Es gilt jedoch ein Verschlechterungsverbot. Liegt der Frauenanteil bei der Festlegung 76 der Zielgröße unter 30 %, so dürfen künftige Zielgrößen den jeweils erreichten Anteil gemäß § 76 Abs. 4 Satz 2 nicht mehr unterschreiten. Bei einem Frauenanteil von 30 % oder mehr im Zeitpunkt der Festlegung ist eine Verschlechterung dagegen zulässig.164) Das Verschlechterungsgebot greift erst wieder, wenn der tatsächliche Wert unter 30 % fällt. Für die Festlegung des erreichten Anteils ist der Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Festlegung der Zielvorgaben entscheidend.165) Das Verschlechterungsverbot gilt hingegen nicht im Verhältnis zu einem früher festgelegten Zielwert. Liegt also der tatsächliche Wert unter der zuvor festgelegten Zielgröße, kann diese bis auf den tatsächlichen Wert herabgesetzt werden. Die Zielgrößenvorgabe gemäß § 76 Abs. 4 birgt Unsicherheiten hinsichtlich des Verhält- 77 nisses zum AGG.166) In der Praxis sollte vorsorglich darauf geachtet werden, keine AGGwidrige Formulierung bei der Festsetzung zu verwenden.167) Gemäß § 76 Abs. 4 Satz 3 sind gleichzeitig Fristen für die Erreichung der Zielgrößen 78 festzulegen. Nach der Übergangsvorschrift des § 25 Abs. 1 EGAktG durfte die erstmalig bis spätestens 30.9.2015 festzulegende Frist nicht länger als bis zum 30.6.2017 dauern. Fristen, die für den Zeitraum danach festgelegt werden, dürfen gemäß § 76 Abs. 4 Satz 4 nicht länger als fünf Jahre sein. Eine Änderung der Zielgröße vor Fristablauf ist grundsätzlich zulässig.168) c)

Berichts- und Veröffentlichungspflichten

Börsennotierte Aktiengesellschaften haben in die Erklärung zur Unternehmensführung 79 gemäß § 289a Abs. 2 Nr. 4 HGB die Festlegung der Zielgrößen und die Fristbestimmungen sowie Angaben aufzunehmen, ob die festgesetzte Zielgröße während des Bezugszeitraums erreicht worden ist oder aus welchen Gründen dies nicht der Fall war. Dies entspricht dem „comply-or-explain“-Prinzip des § 161 Abs. 1. Angaben zur Erreichung der gesetzten Zielgrößen sind dabei nur am Ende des Planungszeitraums zu machen, so dass Zwischenberichte nicht erforderlich sind.169) Die Erklärung zur Festlegung und Fristbestimmung erfolgt jährlich. Hat eine Gesellschaft keine Führungsebene unter dem Vorstand und können daher keine Führungsebenen definiert werden, ist dies im Bericht anzugeben.170) _____________ 160) Schulz/Ruf, BB 2015, 1155, 1161. 161) K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 76 Rz. 47; a. A. Fromholzer/Simons, AG 2015, 457, 463; Schulz/Ruf, BB 2015, 1155, 1161. 162) Begr. RegE, BT-Drucks. 18/3784, S. 119. 163) Fromholzer/Simons, AG 2015, 457, 460; Teichmann/Rüb, BB 2015, 898, 902 f. 164) Begr. RegE, BT-Drucks. 18/3784, S. 119. 165) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 76 Rz. 70; Wasmann/Rothenburg, DB 2015, 291, 295. 166) Eingehend: Olbrich/Krois, NZA 2015, 1288 ff. 167) Olbrich/Krois, NZA 2015, 1288, 1290; vgl. auch Hohenstatt/Willemsen/Naber, ZIP 2014, 2220, 2224. 168) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 76 Rz. 69. 169) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in: BTDrucks. 18/4227, S. 26. 170) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in: BTDrucks. 18/4227, S. 22.

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§ 77

Geschäftsführung

80 Die Erklärung zur Unternehmensführung, die die Angaben im Zusammenhang mit § 76 Abs. 4 enthält, ist bei börsennotierten Aktiengesellschaften als Teil des Lageberichts abzugeben. Alle anderen Gesellschaften sind gemäß § 289a Abs. 4 Satz 1 HGB grundsätzlich dazu verpflichtet, die Angaben in einem gesonderten Abschnitt des Lageberichts darzustellen. Die Angaben werden gemäß § 325 Abs. 1, Abs. 2 HGB mit dem Lagebericht im Bundesanzeiger veröffentlicht. Alternativ können diese Gesellschaften gemäß § 289a Abs. 4 Satz 1 Halbs. 2 HGB die Erklärung auf ihrer Internetseite veröffentlichen. Gesellschaften, die nicht zur Offenlegung eines Lageberichts verpflichtet sind, haben nach § 289a Abs. 4 Satz 2, 3 HGB die Wahl zwischen einer Veröffentlichung auf der Internetseite der Gesellschaft oder der Veröffentlichung eines Lageberichts. Auch der Zeitpunkt der Veröffentlichung im Internet fällt mit der Erstellung und Veröffentlichung des Jahresabschlusses zusammen.171) 3.

Rechtsfolgen bei Verstößen

81 Die Nichterreichung der Zielgröße führt zu keinen gesetzlichen Sanktionen. Diese wären nach dem Willen des Gesetzgebers kontraproduktiv, da sie den Fehlanreiz vermitteln würden, sich vorsichtige und wenig ehrgeizige Ziele zu setzen.172) Aufgrund des bewussten Sanktionsverzichts kann sich aus einer Nichterreichung der Zielgröße auch kein Anlass für eine Haftung aus § 93 Abs. 2 oder eine Anfechtung der Entlastung ergeben.173) 82 Eine unterlassene oder fehlerhafte Festsetzung, insbesondere bei einem Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot, stellt zwar eine Pflichtverletzung im Verhältnis zur Gesellschaft dar, eine Haftung wird aber regelmäßig am fehlenden Schaden scheitern.174) Eine vorsätzliche Verletzung der Berichtspflichten nach § 289a HGB ist eine Ordnungswidrigkeit gemäß § 334 Abs. 1 Nr. 3 HGB. Gemäß § 30 Abs. 1 OWiG kann in diesem Fall eine Geldbuße gegen die Gesellschaft verhängt werden. _____________ 171) 172) 173) 174)

Fromholzer/Simons, AG 2015, 457, 465. Begr. RegE, BT-Drucks. 18/3784, S. 120. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 76 Rz. 72. Seibt in: Hohenstatt/Seibt, Geschlechter- und Frauenquote, S. 129.

§ 77 Geschäftsführung (1) 1Besteht der Vorstand aus mehreren Personen, so sind sämtliche Vorstandsmitglieder nur gemeinschaftlich zur Geschäftsführung befugt. 2Die Satzung oder die Geschäftsordnung des Vorstands kann Abweichendes bestimmen; es kann jedoch nicht bestimmt werden, daß ein oder mehrere Vorstandsmitglieder Meinungsverschiedenheiten im Vorstand gegen die Mehrheit seiner Mitglieder entscheiden. (2) 1Der Vorstand kann sich eine Geschäftsordnung geben, wenn nicht die Satzung den Erlaß der Geschäftsordnung dem Aufsichtsrat übertragen hat oder der Aufsichtsrat eine Geschäftsordnung für den Vorstand erläßt. 2Die Satzung kann Einzelfragen der Geschäftsordnung bindend regeln. 3Beschlüsse des Vorstands über die Geschäftsordnung müssen einstimmig gefaßt werden. Literatur: Bezzenberger, Der Vorstandsvorsitzende der Aktiengesellschaft, ZGR 1996, 661; Bürkle, Der Stichentscheid im zweiköpfigen AG-Vorstand, AG 2012, 232; Fleischer, Zur Verantwortlichkeit einzelner Vorstandsmitglieder bei Kollegialentscheidungen im Aktienrecht, BB 2004,

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§ 77

Geschäftsführung

80 Die Erklärung zur Unternehmensführung, die die Angaben im Zusammenhang mit § 76 Abs. 4 enthält, ist bei börsennotierten Aktiengesellschaften als Teil des Lageberichts abzugeben. Alle anderen Gesellschaften sind gemäß § 289a Abs. 4 Satz 1 HGB grundsätzlich dazu verpflichtet, die Angaben in einem gesonderten Abschnitt des Lageberichts darzustellen. Die Angaben werden gemäß § 325 Abs. 1, Abs. 2 HGB mit dem Lagebericht im Bundesanzeiger veröffentlicht. Alternativ können diese Gesellschaften gemäß § 289a Abs. 4 Satz 1 Halbs. 2 HGB die Erklärung auf ihrer Internetseite veröffentlichen. Gesellschaften, die nicht zur Offenlegung eines Lageberichts verpflichtet sind, haben nach § 289a Abs. 4 Satz 2, 3 HGB die Wahl zwischen einer Veröffentlichung auf der Internetseite der Gesellschaft oder der Veröffentlichung eines Lageberichts. Auch der Zeitpunkt der Veröffentlichung im Internet fällt mit der Erstellung und Veröffentlichung des Jahresabschlusses zusammen.171) 3.

Rechtsfolgen bei Verstößen

81 Die Nichterreichung der Zielgröße führt zu keinen gesetzlichen Sanktionen. Diese wären nach dem Willen des Gesetzgebers kontraproduktiv, da sie den Fehlanreiz vermitteln würden, sich vorsichtige und wenig ehrgeizige Ziele zu setzen.172) Aufgrund des bewussten Sanktionsverzichts kann sich aus einer Nichterreichung der Zielgröße auch kein Anlass für eine Haftung aus § 93 Abs. 2 oder eine Anfechtung der Entlastung ergeben.173) 82 Eine unterlassene oder fehlerhafte Festsetzung, insbesondere bei einem Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot, stellt zwar eine Pflichtverletzung im Verhältnis zur Gesellschaft dar, eine Haftung wird aber regelmäßig am fehlenden Schaden scheitern.174) Eine vorsätzliche Verletzung der Berichtspflichten nach § 289a HGB ist eine Ordnungswidrigkeit gemäß § 334 Abs. 1 Nr. 3 HGB. Gemäß § 30 Abs. 1 OWiG kann in diesem Fall eine Geldbuße gegen die Gesellschaft verhängt werden. _____________ 171) 172) 173) 174)

Fromholzer/Simons, AG 2015, 457, 465. Begr. RegE, BT-Drucks. 18/3784, S. 120. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 76 Rz. 72. Seibt in: Hohenstatt/Seibt, Geschlechter- und Frauenquote, S. 129.

§ 77 Geschäftsführung (1) 1Besteht der Vorstand aus mehreren Personen, so sind sämtliche Vorstandsmitglieder nur gemeinschaftlich zur Geschäftsführung befugt. 2Die Satzung oder die Geschäftsordnung des Vorstands kann Abweichendes bestimmen; es kann jedoch nicht bestimmt werden, daß ein oder mehrere Vorstandsmitglieder Meinungsverschiedenheiten im Vorstand gegen die Mehrheit seiner Mitglieder entscheiden. (2) 1Der Vorstand kann sich eine Geschäftsordnung geben, wenn nicht die Satzung den Erlaß der Geschäftsordnung dem Aufsichtsrat übertragen hat oder der Aufsichtsrat eine Geschäftsordnung für den Vorstand erläßt. 2Die Satzung kann Einzelfragen der Geschäftsordnung bindend regeln. 3Beschlüsse des Vorstands über die Geschäftsordnung müssen einstimmig gefaßt werden. Literatur: Bezzenberger, Der Vorstandsvorsitzende der Aktiengesellschaft, ZGR 1996, 661; Bürkle, Der Stichentscheid im zweiköpfigen AG-Vorstand, AG 2012, 232; Fleischer, Zur Verantwortlichkeit einzelner Vorstandsmitglieder bei Kollegialentscheidungen im Aktienrecht, BB 2004,

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Geschäftsführung

2645; Fleischer, Zum Grundsatz der Gesamtverantwortung im Aktienrecht; NZG 2003, 449; Froesch, Managerhaftung – Risikominimierung durch Delegation, DB 2009, 722; Götz, Die Überwachung der Aktiengesellschaft im Lichte jüngerer Unternehmenskrisen, AG 1995, 337; Hoffmann-Becking, Zur rechtlichen Organisation der Zusammenarbeit im Vorstand der AG, ZGR 1998, 497; Hohenegg/Tauschek, Rechtliche Problematik digitaler Signaturverfahren, BB 1997, 1541; Immenga, Zuständigkeiten des mitbestimmten Aufsichtsrats, ZGR 1977, 249; Kust, Zur Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters, WM 1980, 758; Langer/Peters, Rechtliche Möglichkeiten einer unterschiedlichen Kompetenzzuweisung an einzelne Vorstandsmitglieder, BB 2012, 2575; Leuering/Dornhegge, Geschäftsverteilung zwischen GmbH-Geschäftsführern; NZG 2010, 13; Löwisch, Stimmenthaltungen sind keine Nein-Stimmen, BB 1996, 1006; Martens, Der Grundsatz gemeinsamer Vorstandsverantwortung, in: Festschrift für Hans-Joachim Fleck 1988, S. 191; Nietsch, Überwachungspflichten bei Kollegialorganen, ZIP 2013, 1449; Priester, Stichentscheid bei zweiköpfigem Vorstand, AG 1984, 253; Schiessl, Gesellschafts- und mitbestimmungsrechtliche Probleme der Spartenorganisation (Divisionalisierung), ZGR 1992, 64; Schneider, U. H., Die Geschäftsordnung der GmbH-Geschäftsführer – Überlegungen zu einem GmbH-Innenrecht, in: Festschrift für Otto Mühl, 1981, S. 633; Schwark, Spartenorganisation in Großunternehmen und Unternehmensrecht, ZHR 142 (1978) 203; Simons/Hanloser, Vorstandsvorsitzender und Vorstandssprecher, AG 2010, 641; Wicke, Der CEO im Spannungsverhältnis zum Kollegialprinzip – Gestaltungsüberlegungen zur Leitungsstruktur der AG, NJW 2007, 3755; Wolf, Wider eine Misstrauenspflicht im Kollegialorgan Vorstand, VersR 2005, 1042.

Übersicht I. Regelungsgegenstand und Regelungszweck ................................ 1 II. Geschäftsführungsaufgabe des Vorstands ........................................... 2 III. Grundsatz der Gesamtgeschäftsführung (§ 77 Abs. 1 Satz 1) ............. 4 1. Gemeinschaftlicher Vorstandsbeschluss ............................................. 4 2. Zustimmungserklärung ...................... 5 3. Stimmverbote ..................................... 6 I.

4. Wirksamkeit des Beschlusses ............. 7 IV. Abweichende Bestimmungen (§ 77 Abs. 1 Satz 2) ............................ 9 1. Gestaltungsgrenzen .......................... 10 2. Geschäftsverteilung .......................... 14 3. Mehrheitsprinzip .............................. 18 V. Geschäftsordnung (§ 77 Abs. 2) .... 19 1. Erlasskompetenz .............................. 19 2. Form und Regelungsgegenstand ..... 21 3. Mitbestimmte Gesellschaften .......... 23

Regelungsgegenstand und Regelungszweck

Die Vorschrift regelt die Geschäftsführung durch den Vorstand und trifft damit auch eine 1 entsprechende Kompetenzzuweisung.1) Grundsätzlich gilt gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 das Prinzip der Gesamtgeschäftsführung. Da dieser Grundsatz gemäß § 77 Abs. 1 Satz 2 dispositiv ist, können die Satzung oder die Geschäftsordnung in bestimmten Grenzen davon abweichen. § 77 Abs. 2 normiert die Erlasskompetenz und den Regelungsgegenstand hinsichtlich einer Geschäftsordnung für den Vorstand. II.

Geschäftsführungsaufgabe des Vorstands

Geschäftsführung ist jegliches Handeln für die Gesellschaft, sowohl rechtsgeschäftlicher 2 als auch tatsächlicher Art.2) Die Leitung der Gesellschaft ist ein herausgehobener Teil der Geschäftsführung und in § 76 Abs. 1 speziell geregelt (siehe oben § 76 Rz. 4). Abzugrenzen ist die Geschäftsführung von der Vertretung der Gesellschaft gemäß § 78. Die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts im Außenverhältnis gegenüber Dritten hängt von der Vertretungs_____________ 1) 2)

K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 77 Rz. 1; Hölters-Weber, AktG, § 77 Rz. 1. Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, § 1 Rz. 29; Grigoleit-Vedder, AktG, § 77 Rz. 2.

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macht ab, während die Berechtigung des Vorstands im Innenverhältnis eine Frage der Geschäftsführung ist.3) Die Unterscheidung der Geschäftsführung von Grundlagengeschäften, die der Hauptversammlung vorbehalten sind, ist im Aktienrecht aufgrund des Katalogs in § 119 Abs. 1 weniger relevant. Zu den ungeschriebenen Hauptversammlungszuständigkeiten nach der Holzmüller/Gelatine-Rechtsprechung bedarf es aber einer Abgrenzung.4) 3 Eine Kompetenz des Vorstands zur Geschäftsführung beinhaltet bereits § 77.5) Darüber hinaus ergibt sich diese auch aus der Systematik der §§ 83, 90, 91, 92, die dem Vorstand bestimmte Geschäftsführungspflichten zuweisen. III.

Grundsatz der Gesamtgeschäftsführung (§ 77 Abs. 1 Satz 1)

1.

Gemeinschaftlicher Vorstandsbeschluss

4 Besteht der Vorstand aus einer Person, ist diese allein geschäftsführungsberechtigt.6) Bei mehrköpfigen Vorständen sind grundsätzlich sämtliche Vorstandsmitglieder nur gemeinschaftlich zur Geschäftsführung befugt. Dies gilt auch in mitbestimmten Gesellschaften.7) Eine gesetzliche Ausnahmeregelung findet sich in § 121 Abs. 2 Satz 1 für die Einberufung zur Hauptversammlung durch den Vorstand mit einfacher Mehrheitsentscheidung. Im Regelfall des § 76 Abs. 1 Satz 1 ist dagegen ein einstimmiger Beschluss erforderlich.8) Dieser kann ausdrücklich oder konkludent gefasst werden.9) Beschlüsse sind auch fernmündlich oder per E-Mail möglich.10) Eine Protokollierung ist nicht vorgeschrieben, zur Dokumentation der unternehmerischen Entscheidung und deren Grundlagen im Hinblick auf eine mögliche Haftung aber praktisch bedeutsam.11) Angesichts der Anforderungen der Business Judgment Rule ist insbesondere eine sorgfältige Dokumentation der Informationen, die Basis der Entscheidung waren, wichtig, um ggf. nachweisen zu können, dass eine Entscheidung auf angemessener Informationsgrundlage erging. Ein ausdrücklicher Widerspruch gegen eine Geschäftsführungsmaßnahme ist, im Gegensatz zu § 115 Abs. 1 HGB, nicht notwendig. Es genügt die bloße Verweigerung der Zustimmung.12) Bei Gefahr im Verzug kann analog § 115 Abs. 2 HGB, § 744 Abs. 2 BGB ausnahmsweise ein wirksamer Beschluss ohne die Zustimmung eines abwesenden und nicht erreichbaren Vorstandsmitglieds gefasst werden. In diesem Fall muss unverzüglich eine nachträgliche Information erfolgen und das Mitglied kann der Durchführung einer noch nicht abgeschlossenen Maßnahme widersprechen.13) 2.

Zustimmungserklärung

5 Die Zustimmung des einzelnen Vorstandsmitglieds erfolgt durch empfangsbedürftige Willenserklärung, die durch Zugang bei den anderen Vorstandsmitgliedern wirksam wird.14) _____________ 3) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 77 Rz. 3; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 77 Rz. 6. 4) BGH, Urt. v. 25.2.1982 – II ZR 174/80 (Holzmüller), BGHZ 83, 122, 131 = ZIP 1982, 568; BGH, Urt. v. 26.4.2004 – II ZR 154/02 (Gelatine II), ZIP 2004, 1001 = NZG 2004, 575, dazu EWiR 2004, 1161 (Hirte). S. § 119 Rz. 18 ff. 5) K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 77 Rz. 1; Hölters-Weber, AktG, § 77 Rz. 1. 6) Spindler in: MünchKomm-AktG, § 77 Rz. 1. 7) Kort in: GroßKomm-AktG, § 77 Rz. 8; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 22 Rz. 4. 8) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 77 Rz. 6; Hölters-Weber, AktG, § 77 Rz. 5. 9) OLG Frankfurt/M., Urt. v. 15.4.1986 – 3 U 191/84, ZIP 1986, 1244 = AG 1986, 233. 10) Hohenegg/Tauschek, BB 1997, 1541 ff.; Hölters-Weber, AktG, § 77 Rz. 21. 11) K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 77 Rz. 7; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 77 Rz. 25. 12) Priester, AG 1984, 253; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 22 Rz. 3. 13) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 77 Rz. 6; Hölters-Weber, AktG, § 77 Rz. 5. 14) Kort in: GroßKomm-AktG, § 77 Rz. 13; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 77 Rz. 20.

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Da es keiner besonderen Form bedarf, kann die Zustimmungserklärung ausdrücklich oder konkludent abgegeben werden.15) Abweichend von § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB bleibt ein Widerruf auch nach Zugang aus wichtigem Grund möglich, bspw. wenn sich die Verhältnisse seit der Stimmerteilung grundlegend geändert haben.16) Die Zustimmung ist analog §§ 119 ff. BGB anfechtbar.17) Die Anfechtung führt bei Entscheidungserheblichkeit der betroffenen Stimme analog § 142 BGB ex tunc zur Beschlussnichtigkeit.18) Die höchstpersönliche Zustimmungserklärung kann nicht i. R. der Stellvertretung abgegeben werden. Die Überbringung durch einen Boten bleibt hiervon unberührt.19) Die Erklärung ist bedingungsfeindlich.20) Gibt ein Vorstandsmitglied eine Generalzustimmung zu einem unbestimmten Kreis von Geschäften ab, liegt ein unzulässiger Verstoß gegen das Prinzip der Gesamtgeschäftsführung vor.21) 3.

Stimmverbote

Ein umfassendes Stimmverbot analog § 34 BGB bei jedem Interessen- oder Pflichtenkon- 6 flikt besteht nicht.22) Lediglich für Rechtsgeschäfte und Rechtsstreitigkeiten zwischen den Vorstandsmitgliedern und der AG gilt die Norm entsprechend. Da die Vertretung in diesem Verhältnis aber gemäß § 112 ohnehin durch den Aufsichtsrat erfolgt, ist die praktische Relevanz der Norm gering.23) 4.

Wirksamkeit des Beschlusses

Mängel bei der einzelnen Stimmabgabe haben nur Auswirkungen auf die Wirksamkeit des 7 Beschlusses, wenn sie ergebnisrelevant sind.24) Verletzt der Beschluss die Mitwirkungsrechte einzelner Vorstandsmitglieder, kann diesen Mangel nur das betroffene Mitglied selbst geltend machen.25) Dies muss vor dem Hintergrund der Wahrung der Rechtssicherheit zeitnah erfolgen, andernfalls wird der Beschluss wirksam.26) Inhaltliche Verstöße des Beschlusses gegen Gesetz oder Satzung führen dagegen unmittelbar zu dessen Nichtigkeit. Diese kann von jedem Vorstandsmitglied durch Feststellungsklage geltend gemacht werden, nicht dagegen vom Aufsichtsrat oder einzelnen Aktionären.27) Bei Beschlüssen, die inhaltlich gegen Gesetz oder Satzung verstoßen, kann eine Beseiti- 8 gungspflicht bestehen.28) Zunächst muss unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprin_____________ 15) 16) 17) 18) 19) 20)

21) 22) 23) 24) 25) 26) 27) 28)

Grigoleit-Vedder, AktG, § 77 Rz. 5. Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 77 Rz. 24; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 77 Rz. 8, 35. Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 77 Rz. 35; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 77 Rz. 27. Kort in: GroßKomm-AktG, § 77 Rz. 17. Spindler in: MünchKomm-AktG, § 77 Rz. 20; Grigoleit-Vedder, AktG, § 77 Rz. 6. K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 77 Rz. 9; abweichend: Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 77 Rz. 35: Zulässigkeit von Bedingungen, deren Eintritt bei Wirksamwerden der letzten Stimme oder in dem für die Feststellung des Beschlussergebnisses vorgesehenen Zeitpunkt feststeht. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 77 Rz. 7. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 77 Rz. 8; zu Vorstandsdoppelmandaten s. a. § 76 Rz. 59. Semler/Peltzer/Kubis-Richter, ArbHdb. Vorstandsmitglieder, § 5 Rz. 88; Grigoleit-Vedder, AktG, § 77 Rz. 7. Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, § 18 Rz. 521; Hölters-Weber, AktG, § 77 Rz. 26. Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 77 Rz. 28; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 77 Rz. 28. Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 77 Rz. 47; Semler/Peltzer/Kubis-Richter, ArbHdb. Vorstandsmitglieder, § 5 Rz. 92; Hölters-Weber, AktG, § 77 Rz. 26. Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, § 18 Rz. 522; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 77 Rz. 28. OLG Hamm, Urt. v. 10.5.1995 – 8 U 59/94, ZIP 1995, 1263, 1268 = AG 1995, 512; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 22 Rz. 15.

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zips ein eindringlicher Hinweis an die Vorstandskollegen ergehen.29) Weitergehende Maßnahmen sind bei Erforderlichkeit die Unterrichtung des Aufsichtsrats oder als äußerstes Mittel die Einschaltung gesellschaftsfremder Dritter und die Klageerhebung.30) IV.

Abweichende Bestimmungen (§ 77 Abs. 1 Satz 2)

9 Nach § 77 Abs. 1 Satz 2 kann in der Satzung oder der Geschäftsordnung vom Prinzip der Gesamtgeschäftsführung abgewichen werden. Mögliche Gestaltungsformen sind insbesondere die Geschäftsverteilung an einzelne Vorstandsmitglieder oder Ausschüsse sowie die Einführung von Mehrheitsentscheidungen.31) Dem privatautonomen Gestaltungsspielraum sind durch die Regelung des § 77 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2, den Grundsatz der Gleichberechtigung aller Vorstandsmitglieder und den unveräußerlichen Kernbereich bestimmter Leitungsaufgaben Grenzen gesetzt (siehe oben § 76 Rz. 10 ff.). 1.

Gestaltungsgrenzen

10 § 77 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 verhindert die Einführung eines Alleinentscheidungsrechts einzelner oder mehrerer Vorstandsmitglieder gegen die Vorstandsmehrheit. Möglich ist jedoch die statutarische Regelung eines Stichentscheids in Form eines Letztentscheidungsrechts eines Vorstandsmitglieds, bspw. des Vorsitzenden, bei Patt-Situationen.32) Dies gilt auch in der mitbestimmten Gesellschaft.33) Nicht zulässig ist der Stichentscheid dagegen beim zweiköpfigen Vorstand, da hier faktisch ein Alleinentscheidungsrecht eingeführt würde.34) 11 Ein Vetorecht einzelner Vorstandsmitglieder, das diesen erlaubt, Mehrheitsentscheidungen auch endgültig zu blockieren, ist nach h. M. mit § 77 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 vereinbar.35) Hierfür spricht, dass nach dem Grundprinzip der Gesamtgeschäftsführung ein einzelnes Vorstandsmitglied eine Geschäftsführungsmaßnahme ohnehin verhindern kann und die Einführung eines Vetorechts bei Mehrheitsentscheidungen sich daher weniger weit vom gesetzlichen Grundsatz entfernt.36) Die Gegenansicht verweist auf die Schwierigkeit der Unterscheidung zwischen positiven und negativen Entscheidungen und lässt nur ein vertagendes Vetorecht mit aufschiebender Wirkung bis zur nächsten Vorstandsentscheidung zu.37) Bei mitbestimmten Gesellschaften ist ein Vetorecht mit endgültiger Wirkung dagegen aufgrund der Rechte des Arbeitsdirektors gemäß § 33 MitbestG unzulässig, sofern es Personal- Sozial- und sonstige Fragen betrifft, die in seinen Zuständigkeitsbereich fallen.38) Dies gilt auch, wenn dem Arbeitsdirektor für seinen Bereich ebenfalls ein Widerspruchs_____________ 29) 30) 31) 32) 33) 34)

35)

36) 37) 38)

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Fleischer, BB 2004, 2645, 2650; Hölters-Weber, AktG, § 77 Rz. 11. Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 77 Rz. 33 ff.; Kust, WM 1980, 758, 761. Hölters-Weber, AktG, § 77 Rz. 6. Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 77 Rz. 12; Schiessl, ZGR 1992, 64, 70. Langer/Peters, BB 2012, 2575, 2580; kritisch: Grigoleit-Vedder, AktG, § 77 Rz. 12. OLG Karlsruhe, Urt. v. 23.5.2000 – 8 U 233/99, AG 2001, 93, 94 = ZIP 2000, 1578, dazu EWiR 2000, 1085 (Pötter) – zur GmbH; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 77 Rz. 11; Schiessl, ZGR 1992, 64, 70; a. A. Bürkle, AG 2012, 232 ff.; Priester AG 1984, 253 ff. OLG Karlsruhe, Urt. v. 23.5.2000 – 8 U 233/99, AG 2001, 93, 94 = ZIP 2000, 1578 – zur GmbH; Kort in: GroßKomm-AktG, § 77 Rz. 27; Langer/Peters, BB 2012, 2575, 2580; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 77 Rz. 13. Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 77 Rz. 13. Bezzenberger, ZGR 1996, 661, 665 ff.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 77 Rz. 12; Simons/Hanloser, AG 2010, 641, 646 f. BGH, Urt. v. 14.11.1983 – II ZR 33/83, BGHZ 89, 48, 59 = ZIP 1984, 55, 59 – zur GmbH; Ulmer/ Habersack/Henssler-Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 33 MitbestG, Rz. 39 f.; Spindler in: MünchKommAktG, § 77 Rz. 18.

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Geschäftsführung

recht eingeräumt wird.39) Sind diese Bereiche dagegen nicht betroffen, bleibt ein Widerspruchsrecht trotz § 33 MitbestG möglich.40) Leitungsaufgaben als herausgehobener Teil der Geschäftsführung gemäß § 76 Abs. 1 müssen 12 zwingend vom Gesamtvorstand wahrgenommen werden. Lediglich Maßnahmen zur Vorbereitung und Ausführung können auf einzelne Vorstandsmitglieder übertragen werden (siehe oben § 76 Rz. 18 ff.). Der Grundsatz der Gleichberechtigung aller Vorstandsmitglieder ist zu wahren. Ein 13 extremes Ungleichgewicht zwischen den Leitungskompetenzen einzelner Vorstandsmitglieder ist unzulässig.41) Differenzierungen zwischen den einzelnen Positionen der Vorstandsmitglieder bleiben möglich.42) Es darf jedoch keine Vorstandsmitglieder erster und zweiter Klasse geben.43) Hier finden auch Tendenzen in der Praxis hin zum Modell des CEO (Chief Executive Officer) nach US- amerikanischem Vorbild ihre rechtlichen Grenzen (siehe unten § 84 Rz. 46).44) 2.

Geschäftsverteilung

Die Geschäftsverteilung erfolgt in Form der Organisation und Delegation von Geschäfts- 14 führungszuständigkeiten innerhalb des Vorstands.45) Diese gemäß § 77 Abs. 1 Satz 2 zulässige Abweichung vom Prinzip der Gesamtgeschäftsführung findet regelmäßig durch Regelungen in der Geschäftsordnung statt, die gegenüber der Satzung eine höhere Flexibilität aufweist.46) Häufige Formen der Geschäftsverteilung in der Praxis sind die Einzelgeschäftsführung mit funktionsbezogener Beschränkung (bspw. Produktion, Vertrieb, Personal), mit spartenmäßiger Beschränkung (einzelne Unternehmenssparten), mit regionaler Beschränkung (bestimmte Filialen, Länder) und die Matrixorganisation als Mischform in Konzernverhältnissen.47) Trotz der Geschäftsverteilung bleibt es bei dem Grundsatz der Gesamtverantwortung 15 des Vorstands.48) Die Sorgfaltspflicht des Vorstands gemäß § 93 ist dem Inhalt und Ausmaß nach jedoch modifiziert.49) Die übrigen Vorstandsmitglieder haben die einzelgeschäftsführungsbefugten Vorstände zu überwachen und zu kontrollieren.50) Das Maß der Überwachungspflicht hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.51) Grundsätzlich darf der Vorstand auf die ordnungsgemäße Geschäftsführung des im jeweiligen Ressort berechtigten Vorstandsmitglieds vertrauen.52) Einer intensiveren Überwachung bedarf es unter be_____________ 39) 40) 41) 42) 43) 44) 45) 46) 47) 48)

49) 50) 51) 52)

BGH, Urt. v. 14.11.1983 – II ZR 33/83; BGHZ 89, 48, 60 = ZIP 1984, 55, 59 – zur GmbH. Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 77 Rz. 66; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 77 Rz. 18. Hoffmann-Becking, ZGR 1998, 497, 514 ff.; Langer/Peters, BB 2012, 2575, 2577. Wicke, NJW 2007, 3755, 3757. Hoffmann-Becking, ZGR 1998, 497, 515; Langer/Peters, BB 2012, 2575, 2577; Schwark, ZHR 142 (1978) 203, 218. Wicke, NJW 2007, 3755, 3757. Froesch, DB 2009, 722, 723; Langer/Peters, BB 2012, 2575, 2578; Wicke, NJW 2007, 3755. Spindler in: MünchKomm-AktG, § 77 Rz. 37; Hölters-Weber, AktG, § 77 Rz. 27. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 77 Rz. 10. Aktuell hierzu LG Duisburg, Urt. v. 9.11.2016 – 25 O 54/12, juris = BeckRS 2016, 20599; s. a. LG Lüneburg, Urt. v. 30.5.2013 – 7 O 119/12, BeckRS 2013, 11267; grundlegend RGZ 98, 98, 100; Fleischer, NZG 2003, 449; Hoffmann-Becking, ZGR 1998, 497, 506 f. K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 77 Rz. 18. Kort in: GroßKomm-AktG, § 77 Rz. 37; Nietsch, ZIP 2013, 1449, 1452. Dose, Die Rechtsstellung der Vorstandsmitglieder einer AG, 3. Aufl., 1975, S. 122; Fleischer, NZG 2003, 449, 453; Wolf, VersR 2005, 1042, 1043. BGH, Urt. v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95, BGHZ 133, 370, 378 = ZIP 1996, 2017, 2019 f. – zur GmbH; Leuering/Dornhegge, NZG 2010, 13, 15; Hölters-Weber, AktG, § 77 Rz. 36.

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Geschäftsführung

sonderen Umständen wie bei kurzer Amtsdauer,53) Vorliegen konkreter Verdachtsmomente für Fehlentwicklungen54) oder in finanziellen Krisenzeiten.55) 16 Um eine Überwachung zu ermöglichen, bestehen Berichtspflichten der jeweils für ein Ressort zuständigen Vorstandsmitglieder.56) Der Vorstand wiederum hat einen entsprechenden Informationsanspruch.57) Um einen effektiven Informationsaustausch zu gewährleisten, muss ein vorstandsinternes Informationssystem eingerichtet werden.58) 17 Unabhängig von der jeweiligen Ressortverteilung hat jedes Vorstandsmitglied das Recht, einen Beschluss des Gesamtvorstands über eine umstrittene Maßnahme einzufordern.59) Dieses Interventionsrecht kann sich bei schwerwiegenden Bedenken zu einer Handlungspflicht verdichten. Besteht die problematische Situation dennoch fort, ist der Aufsichtsrat zu informieren.60) 3.

Mehrheitsprinzip

18 Eine gängige Abweichung vom Grundsatz der Gesamtgeschäftsführung ist die Einführung von Mehrheitsentscheidungen. Die Satzung oder Geschäftsordnung kann weitere Differenzierungen in Form einfacher oder qualifizierter Mehrheiten, der Bezugsgröße für die Mehrheitsentscheidungen und des Stimmwerts von Enthaltungen treffen.61) Werden entsprechende Details nicht geregelt, ist im Zweifel von einer Entscheidung mit einfacher Mehrheit der anwesenden Vorstandsmitglieder auszugehen.62) Enthaltungen werden grundsätzlich nicht mitgezählt.63) Aus dem aktienrechtlichen Kollegialitätsprinzip folgt, dass überstimmte Vorstandsmitglieder bei der Ausführung des mehrheitlich verabschiedeten und materiell rechtmäßigen Beschlusses loyal mitzuwirken haben.64) V.

Geschäftsordnung (§ 77 Abs. 2)

1.

Erlasskompetenz

19 Der Vorstand kann sich kraft eigener Organisationsautonomie eine Geschäftsordnung geben, eine dahingehende Pflicht besteht jedoch nicht.65) Wenn der Aufsichtsrat gemäß § 77 Abs. 2 Satz 1 von seiner Erlasskompetenz Gebrauch gemacht hat oder die Satzung eine entsprechende Kompetenz vorsieht, tritt das subsidiäre Organisationsrecht des Vorstands dahinter zurück.66) Ziff. 4.2.1 Satz 2 DCGK empfiehlt den Erlass einer Geschäftsordnung für die börsennotierte AG. _____________ 53) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 77 Rz. 51. 54) BGH, Urt. v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95, BGHZ 133, 370, 378 f. = ZIP 1996, 2017, 2020 – zur GmbH; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 22 Rz. 24. 55) OLG Hamburg, Urt. v. 18.2.2000 – 11 U 213/98, AG 2001, 141, 144 = NZG 2000, 1083; OLG Bremen, Urt. v. 18.5.1999 – 3 U 2/98, ZIP 1999, 1671, 1678 = NZG 1999, 724, 726, dazu EWiR 1999, 1057 (Müller). 56) Fleischer, NZG 2003, 449, 452; Martens in: FS Fleck, S. 191; Wolf, VersR 2005, 1042. 57) Hoffmann-Becking, ZGR 1998, 497, 512; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 22 Rz. 25. 58) Fleischer, NZG 2003, 449, 454; Schiessl, ZGR 1992, 64, 69. 59) OLG Hamm, Urt. v. 10.5.1995 – 8 U 59/94, ZIP 1995, 1263, 1265 f. = AG 1995, 512, 513 f.; HöltersWeber, AktG, § 77 Rz. 37. 60) Götz, AG 1995, 337, 339; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 77 Rz. 28. 61) Kort in: GroßKomm-AktG, § 77 Rz. 21; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 77 Rz. 11. 62) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 77 Rz. 12; Kort in: GroßKomm-AktG, § 77 Rz. 21; a. A. K. Schmidt/ Lutter-Seibt, AktG, § 77 Rz. 10. 63) BGH, Urt. v. 25.1.1982 – II ZR 164/81, BGHZ 83, 35 = ZIP 1982, 693, 694; BGH, Urt. v. 12.1.1987 – II ZR 152/86, ZIP 1987, 635, 636 = NJW 1987, 2430 f. – jeweils zum Verein; Löwisch, BB 1996, 1006 f. 64) Hölters-Weber, AktG, § 77 Rz. 9. 65) Grigoleit-Vedder, AktG, § 77 Rz. 15. 66) Hoffmann-Becking, ZGR 1998, 497, 501; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 77 Rz. 19.

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§ 78

Vertretung

Die bindende Regelung von Einzelfragen der Geschäftsordnung ist gemäß § 77 Abs. 2 20 Satz 2 in der Satzung möglich. Schon aus dem Wortlaut der Norm sowie aus dem Selbstorganisationsrecht des Vorstands und Aufsichtsrats ergibt sich, dass detaillierte Vorgaben, die den Inhalt der Geschäftsordnung weitgehend vorwegnehmen, unzulässig sind.67) 2.

Form und Regelungsgegenstand

Beschlüsse des Vorstands über Erlass, Änderung und Aufhebung der Geschäftsordnung 21 erfolgen gemäß § 77 Abs. 2 Satz 3 einstimmig.68) Die Geschäftsordnung muss schriftlich, oder in Textform festgelegt werden. Sie muss nicht eigenhändig unterschrieben werden.69) Erlässt der Aufsichtsrat eine Geschäftsordnung, so entscheidet er gemäß § 108 Abs. 1 durch Beschluss, der in die Sitzungsniederschrift gemäß § 107 Abs. 2 Satz 1 aufzunehmen ist. Ein Verstoß gegen diese Form führt jedoch nicht zur Unwirksamkeit des Beschlusses.70) Inhaltlich muss die Geschäftsordnung die Grenzen der §§ 76 ff. einhalten. Der Rege- 22 lungsgegenstand kann in der Festlegung der geschäftsführenden Tätigkeit einzelner Vorstandsmitglieder und der Zusammenarbeit mit dem Aufsichtsrat liegen.71) Im Geschäftsverteilungsplan sind Ergänzungen möglich, die als Annex der Geschäftsordnung denselben gesetzlichen Bestimmungen unterliegen.72) Die Vorschriften der Geschäftsordnung sind objektiv auszulegen.73) 3.

Mitbestimmte Gesellschaften

Auch in mitbestimmten Gesellschaften hat der Vorstand ein Recht, jedoch keine Pflicht, 23 zum Erlass einer Geschäftsordnung.74) Auch aus § 33 Abs. 2 MitbestG folgt keine entsprechende Pflicht. Die Norm geht lediglich vom Erlass einer Geschäftsordnung als Regelfall aus.75) Inhaltlich muss die zwingende Zuständigkeit des Arbeitsdirektors im Bereich Arbeit und Soziales beachtet werden.76) _____________ Spindler in: MünchKomm-AktG, § 77 Rz. 49; a. A. Immenga, ZGR 1977, 249, 268. Begr. RegE in: Kropff, AktG, S. 99. AusschussB. in: Kropff, AktG, S. 100; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 77 Rz. 21. Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 77 Rz. 68. K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 77 Rz. 24; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 77 Rz. 34. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 77 Rz. 21; Kort in: GroßKomm-AktG, § 77 Rz. 81. Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 77 Rz. 55; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 77 Rz. 24. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 77 Rz. 23; U. H. Schneider in: FS Mühl, S. 633, 639 f. Spindler in: MünchKomm-AktG, § 77 Rz. 53; Hölters-Weber, AktG, § 77 Rz. 52; a. A. Ulmer/Habersack/ Henssler-Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 33 MitbestG Rz. 43. 76) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 77 Rz. 23.

67) 68) 69) 70) 71) 72) 73) 74) 75)

§ 78 Vertretung (1) 1Der Vorstand vertritt die Gesellschaft gerichtlich und außergerichtlich. 2Hat eine Gesellschaft keinen Vorstand (Führungslosigkeit), wird die Gesellschaft für den Fall, dass ihr gegenüber Willenserklärungen abgegeben oder Schriftstücke zugestellt werden, durch den Aufsichtsrat vertreten. (2) 1Besteht der Vorstand aus mehreren Personen, so sind, wenn die Satzung nichts anderes bestimmt, sämtliche Vorstandsmitglieder nur gemeinschaftlich zur Vertretung der Gesellschaft befugt. 2Ist eine Willenserklärung gegenüber der Gesellschaft abzugeben,

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§ 78

Vertretung

Die bindende Regelung von Einzelfragen der Geschäftsordnung ist gemäß § 77 Abs. 2 20 Satz 2 in der Satzung möglich. Schon aus dem Wortlaut der Norm sowie aus dem Selbstorganisationsrecht des Vorstands und Aufsichtsrats ergibt sich, dass detaillierte Vorgaben, die den Inhalt der Geschäftsordnung weitgehend vorwegnehmen, unzulässig sind.67) 2.

Form und Regelungsgegenstand

Beschlüsse des Vorstands über Erlass, Änderung und Aufhebung der Geschäftsordnung 21 erfolgen gemäß § 77 Abs. 2 Satz 3 einstimmig.68) Die Geschäftsordnung muss schriftlich, oder in Textform festgelegt werden. Sie muss nicht eigenhändig unterschrieben werden.69) Erlässt der Aufsichtsrat eine Geschäftsordnung, so entscheidet er gemäß § 108 Abs. 1 durch Beschluss, der in die Sitzungsniederschrift gemäß § 107 Abs. 2 Satz 1 aufzunehmen ist. Ein Verstoß gegen diese Form führt jedoch nicht zur Unwirksamkeit des Beschlusses.70) Inhaltlich muss die Geschäftsordnung die Grenzen der §§ 76 ff. einhalten. Der Rege- 22 lungsgegenstand kann in der Festlegung der geschäftsführenden Tätigkeit einzelner Vorstandsmitglieder und der Zusammenarbeit mit dem Aufsichtsrat liegen.71) Im Geschäftsverteilungsplan sind Ergänzungen möglich, die als Annex der Geschäftsordnung denselben gesetzlichen Bestimmungen unterliegen.72) Die Vorschriften der Geschäftsordnung sind objektiv auszulegen.73) 3.

Mitbestimmte Gesellschaften

Auch in mitbestimmten Gesellschaften hat der Vorstand ein Recht, jedoch keine Pflicht, 23 zum Erlass einer Geschäftsordnung.74) Auch aus § 33 Abs. 2 MitbestG folgt keine entsprechende Pflicht. Die Norm geht lediglich vom Erlass einer Geschäftsordnung als Regelfall aus.75) Inhaltlich muss die zwingende Zuständigkeit des Arbeitsdirektors im Bereich Arbeit und Soziales beachtet werden.76) _____________ Spindler in: MünchKomm-AktG, § 77 Rz. 49; a. A. Immenga, ZGR 1977, 249, 268. Begr. RegE in: Kropff, AktG, S. 99. AusschussB. in: Kropff, AktG, S. 100; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 77 Rz. 21. Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 77 Rz. 68. K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 77 Rz. 24; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 77 Rz. 34. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 77 Rz. 21; Kort in: GroßKomm-AktG, § 77 Rz. 81. Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 77 Rz. 55; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 77 Rz. 24. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 77 Rz. 23; U. H. Schneider in: FS Mühl, S. 633, 639 f. Spindler in: MünchKomm-AktG, § 77 Rz. 53; Hölters-Weber, AktG, § 77 Rz. 52; a. A. Ulmer/Habersack/ Henssler-Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 33 MitbestG Rz. 43. 76) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 77 Rz. 23.

67) 68) 69) 70) 71) 72) 73) 74) 75)

§ 78 Vertretung (1) 1Der Vorstand vertritt die Gesellschaft gerichtlich und außergerichtlich. 2Hat eine Gesellschaft keinen Vorstand (Führungslosigkeit), wird die Gesellschaft für den Fall, dass ihr gegenüber Willenserklärungen abgegeben oder Schriftstücke zugestellt werden, durch den Aufsichtsrat vertreten. (2) 1Besteht der Vorstand aus mehreren Personen, so sind, wenn die Satzung nichts anderes bestimmt, sämtliche Vorstandsmitglieder nur gemeinschaftlich zur Vertretung der Gesellschaft befugt. 2Ist eine Willenserklärung gegenüber der Gesellschaft abzugeben,

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§ 78

Vertretung

so genügt die Abgabe gegenüber einem Vorstandsmitglied oder im Fall des Absatzes 1 Satz 2 gegenüber einem Aufsichtsratsmitglied. 3An die Vertreter der Gesellschaft nach Absatz 1 können unter der im Handelsregister eingetragenen Geschäftsanschrift Willenserklärungen gegenüber der Gesellschaft abgegeben und Schriftstücke für die Gesellschaft zugestellt werden. 4Unabhängig hiervon können die Abgabe und die Zustellung auch unter der eingetragenen Anschrift der empfangsberechtigten Person nach § 39 Abs. 1 Satz 2 erfolgen. (3) 1Die Satzung kann auch bestimmen, daß einzelne Vorstandsmitglieder allein oder in Gemeinschaft mit einem Prokuristen zur Vertretung der Gesellschaft befugt sind. 2 Dasselbe kann der Aufsichtsrat bestimmen, wenn die Satzung ihn hierzu ermächtigt hat. 3Absatz 2 Satz 2 gilt in diesen Fällen sinngemäß. (4) 1Zur Gesamtvertretung befugte Vorstandsmitglieder können einzelne von ihnen zur Vornahme bestimmter Geschäfte oder bestimmter Arten von Geschäften ermächtigen. 2Dies gilt sinngemäß, wenn ein einzelnes Vorstandsmitglied in Gemeinschaft mit einem Prokuristen zur Vertretung der Gesellschaft befugt ist. Literatur: Baumann, Die Kenntnis juristischer Personen des Privatrechts von rechtserheblichen Umständen, ZGR 1973, 284; Beuthien, Gibt es eine organschaftliche Stellvertretung?, NJW 1999, 1142; Bork, Zurechnung im Konzern, ZGR 1994, 237; Buck-Heeb, Wissenszurechnung, Informationsorganisation und Ad-hoc-Mitteilungspflicht bei Kenntnis eines Aufsichtsratsmitglieds, AG 2015, 801; Buck-Heeb, Private Kenntnis in Banken und Unternehmen, WM 2008, 281; Drexl, Wissenszurechnung im Konzern, ZHR 161 (1997) 491; Ekkenga, Insichgeschäfte geschäftsführender Organe im Aktien- und GmbH-Recht unter besonderer Berücksichtigung der Einmann-Gesellschaft, AG 1985, 40; Fleischer, Zur Privatsphäre von GmbH-Geschäftsführern und Vorstandsmitgliedern: Organpflichten, organschaftliche Zurechnung und private Umstände, NJW 2006, 3239; Frels, Überweisung von Vertretungsmacht an einzelne Mitglieder des Vorstands der Aktiengesellschaft, ZHR 122 (1959) 173; Grunewald, Wissenszurechnung bei juristischen Personen, in: Festschrift für Karl Beusch, 1993, S. 301; Heim, Zur Zulässigkeit einer Allgemeinbevollmächtigung von Mitgliedern der Gesamtvertretung einer Kapitalgesellschaft, NJW 1961, 1515; Köhl, Der Prokurist in der unechten Gesamtvertretung, NZG 2005, 197; Roquette, Rechtsfragen zur unechten Gesamtvertretung im Rahmen der gesetzlichen Vertretung von Kapitalgesellschaften, in: Festschrift für Walter Oppenhoff, 1985, S. 335; Sajnovits, Ad-hoc-Publizität und Wissenszurechnung, WM 2016, 765; Schirmer, Kurze Gedanken zu verborgenen Gedanken – Die Wissenszurechnung ist wieder da!, AG 2015, 666; Schwarz, Rechtsfragen der Vorstandsermächtigung gemäß § 78 Abs. 4 AktG, ZGR 2001, 744; Schwarz, Die Gesamtvertreterermächtigung? Ein zivil- und gesellschaftsrechtliches Rechtsinstitut, NZG 2001, 529; Schwintowski, Die Zurechnung des Wissens von Mitgliedern des Aufsichtsrats in einem oder mehreren Unternehmen, ZIP 2015, 617; Verse, Doppelmandate und Wissenszurechnung im Konzern, AG 2015, 413.

Übersicht I. Regelungsgegenstand und Regelungszweck ................................ 1 II. Vertretung durch den Vorstand (§ 78 Abs. 1) ....................................... 2 1. Organschaftliche Vertretung ............ 2 2. Umfang der Vertretungsmacht ......... 5 3. Führungslosigkeit der Gesellschaft (§ 78 Abs. 1 Satz 2) ........................... 9 4. Wissenszurechnung und Willensmängel .............................................. 10 480

5. Haftung der AG für ihre Organe .... 14 6. Gewillkürte Stellvertretung ............. 15 III. Gesetzliche Vertretungsregelung (§ 78 Abs. 2) ..................................... 16 1. Aktivvertretung ................................ 16 2. Passivvertretung ............................... 19 3. Erleichterte Erreichbarkeit ............... 20 IV. Abweichende Regelungen (§ 78 Abs. 3) ..................................... 21 1. Übersicht .......................................... 21

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§ 78

Vertretung 2. Einzelvertretung ............................... 22 3. Unechte Gesamtvertretung ............. 23 4. Gemeinschaftliche Vertretung durch mehrere Vorstandsmitglieder .......................................... 25 I.

V. Einzelermächtigungen (§ 78 Abs. 4) ..................................... 1. Allgemeines ...................................... 2. Erteilung ........................................... 3. Umfang ............................................. 4. Widerruf ............................................

26 26 27 28 29

Regelungsgegenstand und Regelungszweck

§ 78 regelt die organschaftliche Vertretung der Gesellschaft durch den Vorstand. Für die 1 Aktivvertretung gilt gemäß § 78 Abs. 2 Satz 1 das Prinzip der Gesamtvertretung. Abweichungen durch die Satzung oder Gestattung des Aufsichtsrats sind gemäß § 78 Abs. 3 möglich. § 78 Abs. 4 betrifft die Einzelermächtigung zur Vertretung für bestimmte Geschäfte oder bestimmte Arten von Geschäften. Im Rahmen der Passivvertretung der Gesellschaft sind die Vorstände gemäß § 78 Abs. 2 Satz 2 einzelvertretungsbefugt. § 82 regelt Einschränkungen der Vertretungsmacht im Innenverhältnis und deren Uneinschränkbarkeit im Außenverhältnis. II.

Vertretung durch den Vorstand (§ 78 Abs. 1)

1.

Organschaftliche Vertretung

Der Vorstand vertritt die AG gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 gerichtlich und außergerichtlich. 2 Die Vertretungsmacht erlangt er durch die Bestellung.1) Das Handeln des Vorstands wird der AG als eigenes zugerechnet (Organtheorie), er hat gemäß § 26 Abs. 2 Satz 1 BGB die Stellung eines gesetzlichen Vertreters.2) Auch die Vertretungstheorie gelangt zu keinem anderen Ergebnis, der Streit wird allenfalls für einzelne Fragen der Wissenszurechnung relevant.3) Die außergerichtliche Vertretung umfasst den gesamten Privatrechtsverkehr und das 3 Handeln gegenüber Behörden.4) Auch Rechtsgeschäfte mit Aktionären und Organwaltern, die mitgliedschaftliche und organschaftliche Rechtsverhältnisse betreffen, bspw. § 63 Abs. 1 Satz 1, § 68 Abs. 2 Satz 2, § 121 Abs. 2 Satz 1, fallen darunter.5) Die AG ist als juristische Person gemäß § 50 Abs. 1 ZPO parteifähig und nach der Organtheorie auch prozessfähig.6) Grundsätzlich liegt gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 die gerichtliche Vertretung beim Vorstand. Ausnahmen gelten insbesondere gemäß § 112 bei Rechtsstreitigkeiten von Vorstandsmitgliedern mit der AG und bei der Doppelvertretung i. R. von Beschlussmängelklagen gemäß §§ 246 Abs. 2 Satz 2, 249 Abs. 1 Satz 1, 275 Abs. 4 Satz 1.7) Zur korrekten Parteibezeichnung zählt bei gerichtlicher Vertretung die Nennung der 4 Vorstandsmitglieder gemäß §§ 130 Nr. 1, 253 Abs. 4, 313 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Soweit sie die AG vertreten, sind Vorstandsmitglieder als Partei, nicht als Zeugen, zu vernehmen (§ 455 Abs. 1 Satz 1 ZPO).8) _____________ 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8)

BGH, Urt. v. 6.3.1975 – II ZR 80/73, BGHZ 64, 72, 75 = NJW 1975, 1117 – zur GmbH. Beuthien, NJW 1999, 1142 f.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 78 Rz. 3; Hölters-Weber, AktG, § 78 Rz. 3. Vgl. Grigoleit-Vedder, AktG, § 78 Rz. 3. K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 78 Rz. 3; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 78 Rz. 6. Fleischer-Kort, Hdb. VorstandsR, § 2 Rz. 35. BGH, Urt. v. 9.6.1983 – I ZR 73/81, NJW 1984, 668 = MDR 1984, 118; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 78 Rz. 4. Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 78 Rz. 8; Hölters-Weber, AktG, § 78 Rz. 6, mit weiteren Ausnahmen. RGZ 2, 400 f.; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 23 Rz. 5; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 78 Rz. 7.

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§ 78 2.

Vertretung Umfang der Vertretungsmacht

5 Die Vertretungsmacht des Vorstands ist grundsätzlich gemäß § 78 Abs. 1 unbeschränkt und gemäß § 82 Abs. 1 unbeschränkbar. Auch aus dem Unternehmensgegenstand und dem Gesellschaftszweck lassen sich keine Beschränkungen herleiten.9) Die Vertretungsmacht im Außenverhältnis ist von der Geschäftsführungsbefugnis im Innenverhältnis unabhängig (siehe § 77 Rz. 2). Gesetzliche Grenzen der Vertretungsmacht ergeben sich jedoch aus allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften, speziellen aktien- und insolvenzrechtlichen Schranken sowie mitbestimmungsrechtlichen Grenzen bei der Beteiligungsverwaltung. 6 § 181 BGB untersagt die Vornahme von Insichgeschäften. Die in § 181 Alt. 1 BGB geregelte Selbstkontraktion ist im Aktienrecht bereits durch die Sonderregelung des § 112 ausgeschlossen. § 181 Alt. 2 BGB bestimmt darüber hinaus das Verbot der Mehrfachvertretung. Diese ist nur ausnahmsweise zulässig, wenn das Vorstandsmitglied ausschließlich zur Erfüllung einer Verbindlichkeit handelt oder die Mehrfachvertretung entsprechend § 78 Abs. 3 durch Satzung oder den Aufsichtsrat auf Grundlage einer Satzungsermächtigung gestattet ist.10) Die in der Satzung vorgesehene Befreiung ist ins Handelsregister einzutragen.11) Ein bewusstes Zusammenwirken mit dem Vertragspartner zum Nachteil der Gesellschaft (Kollusion) führt gemäß § 138 BGB zur Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts.12) Darüber hinaus kann gemäß § 242 BGB die Berufung auf die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts bei erkennbarem Missbrauch der Vertretungsmacht verwehrt sein.13) 7 Eine aktienrechtliche Beschränkung stellt der bereits angesprochene § 112 dar. Demnach vertritt der Aufsichtsrat die Gesellschaft gegenüber amtierenden, aber auch gegenüber unwirksam bestellten und ehemaligen Vorstandsmitgliedern.14) In den Fällen der §§ 246 Abs. 2 Satz 2, 246 Abs. 3, 249 Abs. 1 Satz 1, 250 Abs. 3, 251 Abs. 3, 253 Abs. 2, 254 Abs. 2 Satz 1, 255 Abs. 3, 256 Abs. 7, 257 Abs. 2 Satz 1, 275 Abs. 4 Satz 1 sind Vorstand und Aufsichtsrat gemeinsam und gemäß §§ 184 Abs. 1, 188 Abs. 1, 195 Abs. 1, 207 Abs. 2 Satz 1, 223, 229 Abs. 3, 237 Abs. 4 Satz 5 der Vorstand und der Aufsichtsratsvorsitzende zur Vertretung der Gesellschaft berufen. Schließlich sind Zustimmungsbefugnisse der Hauptversammlung gemäß §§ 50 Satz 1, 52 Abs. 1 Satz 1, 53 Satz 1, 93 Abs. 4 Satz 3, 116, 117 Abs. 4, 179a Abs. 1, 293 Abs. 1, 295, 309 Abs. 3 Satz 1, 310 Abs. 4, 317 Abs. 4, 318 Abs. 4 zu beachten.15) Die ungeschriebenen Zustimmungsvorbehalte nach der „Holzmüller“Rechtsprechung betreffen dagegen, abgesehen von den o. g. Fällen der Kollusion und des _____________ 9) Grigoleit-Vedder, AktG, § 78 Rz. 6; Vgl. Begr. RegE in: Kropff, AktG, S. 103. 10) BayOblG, Beschl. v. 17.7.1980 – BReg. 1 Z 69/80, BayOblGZ 1980, 209, 213 f. = ZIP 1980, 899; OLG Köln, Beschl. v. 2.10.1992 – 2 Wx 33/92, OLGZ 19993, 167 = NJW 1993, 1018; OLG Düsseldorf, Urt. v. 30.11.2009 – I-3 Wx 195/09, GmbHR 2010, 313, 314 = AG 2010, 295; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 78 Rz. 12; Semler/Peltzer/Kubis-Richter, ArbHdb. Vorstandsmitglieder, § 6 Rz. 46; HöltersWeber, AktG, § 78 Rz. 9; a. A. mit Verweis auf § 112 keine Satzungsermächtigung erforderlich Ekkenga, AG 1985, 40, 42; Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 78 Rz. 25; vermittelnd: Ermächtigung nur dann nicht erforderlich, wenn es um Gestattung im Einzelfall geht KG Berlin, Beschl. v. 21.3.2006 – 1 W 252/05, OLGReport KG 2006, 669 = ZIP 2006, 2085, dazu EWiR 2006, 683 (Theusinger/Liese); Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 78 Rz. 7; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 78 Rz. 75; Wiesner in: MünchHdb. GesR Bd. 4, § 23 Rz. 7; beachte: zusätzlich die Möglichkeit eines Befreiungsbeschlusses der Hauptversammlung Ekkenga, AG 1985, 40, 42. 11) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 78 Rz. 12; Semler/Peltzer/Kubis-Richter, ArbHdb. Vorstandsmitglieder, § 6 Rz. 46. 12) BGH, Urt. v. 28.2.1966 – VII ZR 125/65, NJW 1966, 1911 = BB 1966, 600. 13) BGH, Urt. v. 28.2.1966 – VII ZR 125/65, NJW 1966, 1911= BB 1966, 600; BGH, Urt. v. 25.3.1968 – II ZR 208/64, BGHZ 50, 112 = NJW 1968, 1379. 14) BGH, Urt. v. 13.2.1989 – II ZR 209/88, ZIP 1989, 497 = NJW 1989, 2055; BGH, Urt. v. 1.12.2003 – II ZR 161/02, ZIP 2004, 92 = NJW 2004, 1528, dazu EWiR 2004, 97 (Ziemons). 15) Vgl. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 78 Rz. 8.

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§ 78

Vertretung

erkennbaren Missbrauchs der Vertretungsmacht, nur das Innenverhältnis und nicht die Wirksamkeit der Vertretung.16) Mitbestimmungsrechtliche Grenzen bei der Beteiligungsverwaltung finden sich in § 32 8 MitbestG. Hier ist in bestimmten Fällen die vorherige Befassung des Aufsichtsrats mit der Sache erforderlich, was zu einer Einschränkung der Vertretungsmacht des Vorstands führt.17) 3.

Führungslosigkeit der Gesellschaft (§ 78 Abs. 1 Satz 2)

Durch den i. R. des MoMiG 2008 neu eingeführten § 78 Abs. 1 Satz 2 liegt die Passivver- 9 tretung der Gesellschaft im Fall der Führungslosigkeit beim Aufsichtsrat. Führungslosigkeit besteht, wenn die Gesellschaft keinen organschaftlichen Vertreter hat.18) Ziel der Norm ist, eine Behinderung von Gläubigern durch die missbräuchliche Abberufung des Vorstands zur Vereitelung des Zugangs von Erklärungen und Zustellungen an die Gesellschaft zu verhindern.19) Insbesondere die Zustellung einer Klage gemäß § 170 ZPO wird hierdurch ermöglicht. Die AG ist ohne organschaftlichen Vertreter jedoch nicht prozessfähig, da einen Prozess nur führen kann, wer zur Aktivvertretung befugt ist. Dritte sind insofern durch § 57 ZPO geschützt.20) 4.

Wissenszurechnung und Willensmängel

Die Zurechnung der Kenntnis und des Kennenmüssens bestimmter Umstände an die AG 10 wird dogmatisch entweder in § 166 BGB21) oder § 31 BGB22) verortet. Vor dem Hintergrund der Organtheorie ist die zweite Ansicht für den Vorstand überzeugender. Die maßgeblichen Probleme stellen sich jedoch in ähnlicher Weise. Das Wissen des konkret handelnden Vertreters wird der AG stets zugerechnet.23) Teilweise wurde darüber hinaus aus der Organtheorie gefolgert, dass sämtliches Wissen eines Organwalters an die AG zurechenbar ist, selbst wenn das betreffende Organmitglied am konkreten Rechtsgeschäft nicht mitgewirkt hat oder sogar bereits ausgeschieden war.24) Nach der neueren Rechtsprechung und h. M. kommt es dagegen nicht auf die Organstellung, sondern den Verkehrsschutz und die daraus folgende Pflicht zur ordnungsgemäßen Organisation der gesellschaftsinternen Kommunikation an.25) Entscheidend ist das Gleichstellungsargument, demzufolge der Vertragspartner einer juristischen Person weder schlechter noch besser gestellt sein soll, als derjenige einer natürlichen Person.26) Das Wissen eines unbeteiligten _____________ 16) BGH, Urt. v. 25.2.1982 – II ZR 174/80 (Holzmüller), BGHZ 83, 122, 131 = ZIP 1982, 568; BGH, Urt. v. 26.4.2004 – II ZR 154/02 (Gelatine II), BGHZ, 159, 30, 39 ff. = ZIP 2004, 1001, dazu EWiR 2004, 1161 (Hirte). 17) Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, § 3 Rz. 52. 18) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 78 Rz. 4a; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 23 Rz. 11. 19) Vgl. Begr. RegE z. MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 42; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 78 Rz. 31. 20) BGH, Urt. v. 25.10.2010 – II ZR 115/09, ZIP 2010, 2444 = NZG 2011, 26 – zur GmbH, dazu EWiR 2011, 17 (Zarth); Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 78 Rz. 4a. 21) Baumann, ZGR 1973, 284, 290 ff.; Grigoleit-Vedder, AktG, § 78 Rz. 26. 22) Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 76 Rz. 83; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 78 Rz. 93. 23) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 78 Rz. 56; Sajnovits, WM 2016, 765, 771; Grigoleit-Vedder, AktG, § 78 Rz. 26. 24) BGH, Urt. v. 6.4.1964 – II ZR 75/62, BGHZ 41, 282 = NJW 1964, 1367; BGH, Urt. v. 8.12.1989 – V ZR 246/87, BGHZ 109, 327 = NJW 1990, 975, 976; Grunewald in: FS Beusch, S. 301, 303. 25) BGH, Urt. v. 2.2.1996 – V ZR 239/94, BGHZ 132, 30 = ZIP 1996, 548; BGH, Urt. v. 13.1.2015 – XI ZR 303/12, BGHZ 204, 30 = NJW 2015, 1948, 1949 = ZIP 2015, 420, dazu EWiR 2015, 201 (Simon); Verse, AG 2015, 413, 416 f. 26) BGH, Urt. v. 2.2.1996 – V ZR 239/94, BGHZ 132, 30 = ZIP 1996, 548.

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§ 78

Vertretung

Organwalters oder eines sonstigen unbeteiligten Unternehmensangehörigen wird zugerechnet, wenn es bei ordnungsgemäßer Organisation aktenmäßig festzuhalten, weiterzugeben und vor Vertragsschluss abzufragen war.27) 11 Noch nicht einheitlich geklärt ist der Fall des privat erlangten Wissens.28) Wissen des konkret handelnden Vertreters, auch wenn es privat erlangt wurde, ist stets zuzurechnen, da die private Kenntnis nicht einfach ausgeblendet werden kann.29) Eine Wissensorganisationspflicht besteht hinsichtlich privat erlangter Kenntnis dagegen nach der berechtigten Erwartung des Rechtsverkehrs nur in Ausnahmefällen.30) 12 Strittig ist darüber hinaus die Wissenszurechnung im Konzern. Die Diskussion wird insbesondere im Zusammenhang mit Insiderinformationen geführt.31) Eine pauschale, konzernweite Wissenszurechnung ist aufgrund des Trennungsprinzips mit der h. M. abzulehnen.32) Jedoch können bestimmte Umstände auch im Konzern eine Zurechnung begründen. Dazu zählen insbesondere das Bestehen eines gemeinsamen Datenpools, auf den die Konzerngesellschaften zugreifen können,33) Fälle der Personalunion,34) bspw. bei Vorstandsdoppelmandaten, sowie bei der Auslagerung der Informationsverwaltung der Obergesellschaft oder des gesamten Konzerns auf die abhängige Gesellschaft.35) Abzulehnen ist eine Wissensweiterleitung jedenfalls dann, wenn sie einen Verstoß gegen Verschwiegenheitspflichten begründen würde.36) Dies hat der BGH in seiner Entscheidung vom 26.4.2016 für den Fall der Zurechnung von Wissen, das ein Prokurist einer Bank als Mitglied des Aufsichtsrats einer AG erlangt hat, unter Verweis auf § 116 Satz 2 bestätigt.37) 13 Auf Willensmängel kann sich die AG berufen, wenn sie beim konkret am Rechtsgeschäft beteiligten Vertreter vorlagen. Dies gilt auch für den Gesamtvertreter. Ausgeschlossen ist die Berufung auf den Willensmangel dagegen, wenn ein anderer Gesamtvertreter das irrende Vorstandsmitglied in Kenntnis von dessen Willensmangel pflichtwidrig nicht über den Irrtum aufgeklärt hat.38) 5.

Haftung der AG für ihre Organe

14 Gemäß § 31 BGB haftet die Gesellschaft ohne Exkulpationsmöglichkeit für zum Schadensersatz verpflichtende Handlungen des Vorstands, eines Vorstandsmitglieds oder eines verfassungsmäßig berufenen Vertreters. Die maßgebliche Handlung muss in Ausführung der organschaftlichen Tätigkeit begangen worden sein, was durch eine Überschreitung von Befugnissen im Einzelfall nicht ausgeschlossen wird.39) Bei Vorstandsdoppelmanda_____________ 27) BGH, Urt. v. 13.10.2000 – V ZR 349/99, NJW 2001, 359, 360 = ZIP 2001, 26, dazu EWiR 2001, 705 (Schramm); a. A. bzgl. des Organwalters: Spindler in: MünchKomm-AktG, § 78 Rz. 93. 28) Übersicht zum Meinungsstand: Fleischer, NJW 2006, 3239, 3242. 29) Römmer-Collmann, Wissenszurechnung innerhalb juristischer Personen, 1998, S. 190. 30) Ebenso: Fleischer, NJW 2006, 3239, 3242; weiter: Buck-Heeb, WM 2008, 281, 284 f. 31) Vgl. Buck-Heeb, AG 2015, 801; Schirmer, AG 2015, 666; Schwintowski, ZIP 2015, 617; Verse, AG 2015, 413. 32) Bork, ZGR 1994, 237; Drexl, ZHR 161 (1997) 491, 508; Verse, AG 2015, 413, 420; a. A. Schwintowski, ZIP 2015, 617 ff. 33) BGH, Urt. v. 14.7.1993 – IV ZR 153/92, BGHZ 123, 224 = NJW 1993, 2807. 34) Spindler in: MünchKomm-AktG, § 78 Rz. 99. 35) Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 78 Rz. 44. 36) Buck-Heeb, WM 2008, 281, 285; Verse, AG 2015, 413, 420; a. A. Schwintowski, ZIP 2015, 617 ff.; differenzierend: Schirmer, AG 2015, 666, 668. 37) BGH, Urt. v. 26.4.2016 – XI ZR 108/15, WM 2016, 1031, 1032 ff. = ZIP 2016, 1063, dazu EWiR 2016, 423 (Vetter). 38) Hölters-Weber, AktG, § 78 Rz. 17. 39) BGH, Urt. v. 8.7.1986 – VI ZR 47/85, NJW 1986, 2941 = ZIP 1986, 1179.

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§ 78

Vertretung

ten kommt es darauf an, welcher Gesellschaft die konkrete Handlung zuzuordnen ist.40) § 31 BGB umfasst alle zum Schadensersatz verpflichtenden Handlungen und gilt auch i. R. von Schuldverhältnissen. Auf § 278 BGB muss nicht zurückgegriffen werden.41) Die Norm ist auch auf die Vorgesellschaft anwendbar.42) 6.

Gewillkürte Stellvertretung

Die Vollmachtserteilung an Dritte ist grundsätzlich zulässig und kann nicht durch eine 15 Satzungsregelung ausgeschlossen werden.43) Die gewillkürte Vertretung der Gesellschaft ist durch rechtsgeschäftliche Vertreter gemäß §§ 164 ff. BGB, Prokuristen gemäß §§ 48 ff. HGB und Handlungsbevollmächtigte gemäß § 54 HGB möglich. Vorstandsmitglieder können nach h. M. nicht bevollmächtigt werden.44) Bei der Erteilung der Vertretungsmacht vertritt der Vorstand die AG, die Bevollmächtigten handeln jedoch als Vertreter der Gesellschaft. Hinsichtlich der Offenkundigkeit gelten die Grundsätze des unternehmensbezogenen Rechtsgeschäfts. Danach geht der Wille der Beteiligten im Zweifel dahin, dass der Inhaber des Unternehmens, in dessen Tätigkeitsbereich das rechtsgeschäftliche Handeln fällt, und nicht der für das Unternehmen Handelnde der Vertragspartner werden soll.45) Auch die allgemeinen Grundsätze zur Rechtsscheinvollmacht sind anwendbar.46) Die Satzung oder der Aufsichtsrat können gemäß § 111 Abs. 4 Satz 2 für die Erteilung der Prokura die Zustimmung des Aufsichtsrats vorsehen. Diese wirkt jedoch nur intern und hat keinen Einfluss auf die Wirksamkeit der Bestellung. Sie ist daher auch keine vom Registergericht zu prüfende Eintragungsvoraussetzung.47) Eine Generalvollmacht in Form einer Bevollmächtigung zur Vornahme aller Rechtshandlungen für den Vollmachtgeber ist für die Vertretung der AG grundsätzlich zulässig.48) Sie muss jedoch nach allgemeiner Meinung widerruflich erteilt werden.49) III.

Gesetzliche Vertretungsregelung (§ 78 Abs. 2)

1.

Aktivvertretung

Für die Aktivvertretung gilt gemäß § 78 Abs. 2 Satz 1 beim mehrköpfigen Vorstand das 16 Prinzip der Gesamtvertretung. Dies dient dem größtmöglichen Schutz der Gesellschaft vor übereilten Maßnahmen und Unzulänglichkeiten einzelner Vorstandsmitglieder.50) Eine gesetzliche Ausnahme trifft § 15 Abs. 1 Satz 1 InsO für das Insolvenzantragsrecht aus Gründen des Gläubigerschutzes.

_____________ 40) 41) 42) 43) 44) 45)

46) 47) 48) 49) 50)

BGH, Urt. v. 2.12.2014 – VI ZR 501/13, BeckRS 2014, 23725. Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 78 Rz. 60. Bürgers/Körber-Bürgers, AktG, § 78 Rz. 6; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 78 Rz. 23. Bürgers/Körber-Bürgers, § 78 Rz. 8; Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 78 Rz. 80. BGH, Urt. v. 12.12.1960 – II ZR 255/59, BGHZ 34, 27 = NJW 1961, 506 = GmbHR 1961, 29 – zur GmbH; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 78 Rz. 106. Allgemein zum Grundsatz des unternehmensbezogenen Geschäfts: BGH, Urt. v. 3.2.1975 – II ZR 128/73, BGHZ 64, 11, 14 = NJW 1975, 1166; BGH, Urt. v. 31.7.2012 • X ZR 154/11, NJW 2012, 3368 = DB 2012, 2214, dazu EWiR 2013, 71 (Siebert). Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 78 Rz. 10; Grigoleit-Vedder, AktG, § 78 Rz. 30. BGH, Beschl. v. 14.2.1974 – II ZB 6/73, BGHZ 62, 166 = NJW 1974, 1194 – zur GmbH. BGH, Urt. v. 22.1.1962 – II ZR 11/61, BGHZ 36, 292 = NJW 1962, 738; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 78 Rz. 52; Semler/Peltzer/Kubis-Richter, ArbHdb. Vorstandsmitglieder, § 6 Rz. 29. Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 78 Rz. 78; Wiesner in: MünchHdb. GesR., Bd. 4, § 23 Rz. 28. BGH, Urt. v. 8.7.1986 – VI ZR 47/85, NJW 1986, 2941, 2942 = ZIP 1986, 1179; Spindler in: MünchKommAktG, § 78 Rz. 27; Hölters-Weber, AktG, § 78 Rz. 20.

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§ 78

Vertretung

17 Ist ein Vorstandsmitglied vorübergehend verhindert, kann die AG nicht wirksam vertreten werden.51) Bei Wegfall eines Vorstandsmitglieds besteht die Vertretungsmacht nur fort, wenn die statuarisch oder gesetzlich bestimmte Anzahl an Vorstandsmitgliedern dadurch nicht unterschritten wird.52) 18 Die Art und Weise der Gesamtvertretung ist gesetzlich nicht geregelt. Möglich ist eine gemeinsame Abgabe der Erklärungen, eine getrennte Abgabe inhaltlich übereinstimmender Erklärungen und eine nachträgliche Zustimmung (§ 177 BGB), die auch intern erteilt werden kann.53) Bei formbedürftigen Erklärungen müssen alle Vorstandsmitglieder unterzeichnen. Alternativ muss eine Unterschrift den Hinweis enthalten, dass das unterzeichnende Vorstandsmitglied auch die Vorstandsmitglieder vertreten will, die nicht unterzeichnet haben.54) Nimmt dem Erscheinungsbild der Urkunde nach der Unterzeichner für sich allein die Berechtigung zum Abschluss des vertraglichen Geschäfts in Anspruch, reicht dessen eigene Unterschrift zur Wahrung der Schriftform aus. Im Übrigen hängt die Wirksamkeit der Erklärung von der Vertretungsmacht ab.55) 2.

Passivvertretung

19 Für die Passivvertretung besteht gemäß § 78 Abs. 2 Satz 2 zwingend Einzelvertretungsbefugnis.56) Dies gilt auch, soweit ausnahmsweise der Aufsichtsrat die Gesellschaft vertritt. Im Fall der unechten Gesamtvertretung genügt gemäß § 78 Abs. 3 Satz 3, wenn die Erklärung gegenüber dem Prokuristen als rechtsgeschäftlichem Vertreter abgegeben wird.57) Zustellungen von Klagen können gemäß § 170 Abs. 3 ZPO wirksam an einen Gesamtvertreter bewirkt werden. 3.

Erleichterte Erreichbarkeit

20 Seit Inkrafttreten des MoMiG 2008 muss die AG bei der Anmeldung gemäß §§ 37 Abs. 3 Nr. 1, 39 Abs. 1 eine inländische Geschäftsanschrift angeben. Der dadurch bezweckte Gläubigerschutz58) wird durch § 78 Abs. 2 Satz 3 vervollständigt. Danach besteht eine unwiderlegliche Vermutung der Erreichbarkeit unter der inländischen Geschäftsanschrift, sofern sich dort ein Geschäftslokal befindet oder zumindest ein entsprechender Rechtsschein vorliegt.59) Daneben eröffnet § 78 Abs. 2 Satz 4 die Möglichkeit der Zustellung an den inländischen Empfangsvertreter. Diesen kann die Gesellschaft bestellen und gemäß § 39 Abs. 2 Satz 1 eingetragen lassen. Ist die Zustellung auf den genannten Wegen unmöglich, kommt eine öffentliche Bekanntgabe gemäß § 185 Nr. 2 ZPO in Betracht. IV.

Abweichende Regelungen (§ 78 Abs. 3)

1.

Übersicht

21 Die Regelungen zur Aktivvertretung sind dispositiv. Die Satzung oder der Aufsichtsrat auf Grundlage einer Satzungsermächtigung können gemäß § 78 Abs. 3 Abweichungen _____________ 51) BGH, Urt. v. 12.12.1960 – II ZR 255/59, BGHZ 34, 27, 29 = NJW 1961, 506 = GmbHR 1961, 29 – zur GmbH; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 78 Rz. 11. 52) Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 78 Rz. 65; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 78 Rz. 16. 53) Henssler/Strohn-Dauner-Lieb, GesR, § 78 AktG Rz. 10; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 78 Rz. 12. 54) BGH, Urt. v. 4.11.2009 – XII ZR 86/07, BGHZ 183, 67 = NJW 2010, 1453. 55) BGH, Urt. v. 23.1.2013 – XII ZR 35/11, NJW 2013, 1082, 1083 = MDR 2013, 395. 56) Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 78 Rz. 30; Grigoleit-Vedder, AktG, § 78 Rz. 18. 57) K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 78 Rz. 19; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 78 Rz. 47, 83. 58) Begr. RegE z. MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 35. 59) Vgl. Begr. RegE z. MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 43; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 78 Rz. 29.

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§ 78

Vertretung

vom gesetzlichen Modell der Gesamtvertretung vorsehen. Auch der Aufsichtsrat hat diese Befugnis, sofern sie ihm durch die Satzung eingeräumt wird. Der Aufsichtsrat kann die Regelung gemäß § 107 Abs. 3 Satz 1 einem Ausschuss überlassen. Ein Hauptversammlungsbeschluss reicht dagegen nicht aus.60) Unzulässig ist ein vollständiger Ausschluss einzelner Vorstandsmitglieder von der Vertretung.61) Gängige Gestaltungsformen sind die Einzelvertretung, unechte Gesamtvertretung und gemeinschaftliche Vertretung durch mehrere Vorstandsmitglieder. 2.

Einzelvertretung

§ 78 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 nennt den in der Praxis eher seltenen Fall der Einzelvertretung. 22 Einzelnen oder mehreren Vorstandsmitgliedern kann das Recht eingeräumt werden, die Gesellschaft ohne Mitwirkung anderer Vorstandsmitglieder oder Prokuristen zu vertreten. Werden nur einzelne Vorstandsmitglieder mit Einzelvertretungsbefugnis ausgestattet, so bleibt es für die übrigen beim Grundsatz der Gesamtvertretung.62) Mit § 82 Abs. 1 unvereinbar und daher unzulässig ist eine inhaltliche Beschränkung der Einzelvertretungsmacht auf bestimmte Geschäfte.63) 3.

Unechte Gesamtvertretung

Unechte Gesamtvertretung liegt vor, wenn gemäß § 78 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 einzelne Vor- 23 standsmitglieder gemeinschaftlich mit einem Prokuristen zur Vertretung der Gesellschaft befugt sind. Zweck ist die Erleichterung der Vertretung. Eine bereits eingeräumte Einzelvertretungsmacht eines Vorstandsmitglieds darf hierdurch nicht beschränkt werden.64) Da der Grundsatz der unbeschränkten Leitungsmacht des Vorstands gewahrt werden muss, kann die zwingende Mitwirkung eines Prokuristen für einen Alleinvorstand oder für sämtliche Mitglieder eines mehrköpfigen Vorstands nicht eingeführt werden.65) Der Umfang der Vertretungsmacht des Prokuristen richtet sich nicht nach den §§ 49 ff. 24 HGB, sondern nach dem Umfang der organschaftlichen Vertretungsmacht des Vorstandsmitglieds, § 82 Abs. 2, denn die unechte Gesamtvertretung ist organschaftliche Vertretung durch das handelnde Vorstandsmitglied, die nur an die Mitwirkung des Prokuristen gebunden ist.66) Im Rahmen der Passivvertretung ist gemäß §§ 78 Abs. 3 Satz 3, 78 Abs. 2 Satz 2 die Abgabe einer Willenserklärung gegenüber dem Prokuristen ausreichend.67) 4.

Gemeinschaftliche Vertretung durch mehrere Vorstandsmitglieder

Die gemeinschaftliche Vertretung ist nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt, jedoch allge- 25 mein anerkannt.68) Eine mögliche Ausprägung ist die halbseitige Vertretung, bei der ein Vorstandsmitglied Alleinvertretungsmacht erhält, während die anderen Vorstandsmitglieder _____________ 60) 61) 62) 63) 64) 65) 66) 67) 68)

Spindler in: MünchKomm-AktG, § 78 Rz. 56; Hölters-Weber, AktG, § 78 Rz. 29. Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 78 Rz. 62; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 78 Rz. 14. Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 78 Rz. 66; Fleischer-Kort, Hdb. VorstandsR, § 2 Rz. 53. Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 78 Rz. 37; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 78 Rz. 25. BGH, Urt. v. 31.3.1954 – II ZR 57/53, BGHZ 13, 61, 65 = NJW 1954, 1158; BGH, Urt. v. 6.2.1958 – II ZR 210/56, BGHZ 26, 330, 333 = NJW 1958, 668; Hölters-Weber, AktG, § 78 Rz. 32. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 78 Rz. 16; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 78 Rz. 41; Roquette in: FS Oppenhoff, S. 335, 337 ff. RGZ 134, 303, 306; BGH, Urt. v. 31.3.1954 – II ZR 57/53, BGHZ 13, 61 = NJW 1954, 1158; Spindler/ Stilz-Fleischer, AktG, § 78 Rz. 39; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 78 Rz. 17. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 78 Rz. 17; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 78 Rz. 47, 83. Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 78 Rz. 40 m. w. N.; Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 78 Rz. 69.

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§ 78

Vertretung

zur wirksamen Vertretung dessen Mitwirkung bedürfen.69) Außerdem können verschiedene Vertretungsgruppen eingeführt werden, bei denen jeweils eine begrenzte Anzahl namentlich benannter Vorstandsmitglieder gemeinsam die Gesellschaft vertritt.70) V.

Einzelermächtigungen (§ 78 Abs. 4)

1.

Allgemeines

26 Im Wege der Einzelermächtigung werden einzelne Gesamtvertreter dazu ermächtigt, bestimmte Geschäfte oder bestimmte Arten von Geschäften allein vorzunehmen. Diese Möglichkeit ist in § 78 Abs. 4 Satz 1 normiert und gilt gemäß § 78 Abs. 4 Satz 2 auch für die unechte Gesamtvertretung. Die Einzelermächtigung ist eine Ausübungsermächtigung.71) Hierbei wird das Vorstandsmitglied aufgrund der Gesamtvertretungsermächtigung ermächtigt, die organschaftliche Gesamtvertretungsmacht der ihn ermächtigenden Vorstandsmitglieder im eigenen Namen auszuüben.72) Auch der ermächtigte Prokurist übt entgegen der noch h. M., ebenso wie im Grundfall der gemischten Gesamtvertretung, organschaftliche Vertretungsmacht aus.73) 2.

Erteilung

27 Die Einzelermächtigung wird durch die Vorstandsmitglieder in vertretungsberechtigter Zahl erteilt. Auch der Ermächtigte selbst darf mitwirken.74) Sie bedarf keiner bestimmten Form und kann auch konkludent zustande kommen.75) Entsprechend § 167 BGB ist die Ermächtigung sowohl intern gegenüber dem ermächtigten Vorstandsmitglied oder Prokuristen, als auch extern gegenüber Dritten möglich.76) Prokuristen können bei unechter Gesamtvertretung gemäß § 78 Abs. 4 Satz 2 einerseits Ermächtigte und anderseits auch Ermächtigende sein.77) Die erteilte Einzelermächtigung ist nicht übertragbar.78) 3.

Umfang

28 Die Erteilung einer Generalermächtigung unterliefe den Grundsatz der Gesamtvertretung und ist daher unzulässig und nichtig.79) Gemäß § 78 Abs. 4 Satz 1 ist eine Beschränkung auf bestimmte Geschäfte oder bestimmte Arten von Geschäften notwendig. Eine Ermächtigung zur Abwicklung der gesamten Geschäftsbeziehung einer AG gegenüber ihrer

_____________ 69) BGH, Beschl. v. 14.2.1974 – II ZB 6/73, BGHZ 62, 166, 171 = NJW 1974, 1194, 1195 – zur GmbH; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 78 Rz. 27. 70) Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 78 Rz. 33; Hölters-Weber, AktG, § 78 Rz. 31. 71) Köhl, NZG 2005, 197, 198; Schwarz, NZG 2001, 529, 535; a. A. mit Annahme einer Handlungsvollmacht: RGZ 48, 56, 58; RGZ 80, 180, 182; Heim, NJW 1961, 1515 ff. 72) Schwarz, NZG 2001, 529, 535, 539. 73) Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 78 Rz. 72; Schwarz, NZG 2001, 529, 535 ff.; GrigoleitVedder, AktG, § 78 Rz. 20; Hölters-Weber, AktG, § 78 Rz. 35; a. A. Frels, ZHR 122 (1959) 173, 186; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 78 Rz. 20; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 78 Rz. 61. 74) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 78 Rz. 19; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 78 Rz. 29; a. A. Habersack/ Foerster in: GroßKomm-AktG, § 78 Rz. 74. 75) OLG Köln, Urt. v. 16.11.1976 – 15 U 69/76, OLGZ 1977, 343, 345 – zur GmbH; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 78 Rz. 66. 76) Grigoleit-Vedder, AktG, § 78 Rz. 20; Hölters-Weber, AktG, § 78 Rz. 36. 77) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 78 Rz. 43; Grigoleit-Vedder, AktG, § 78 Rz. 20. 78) Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 78 Rz. 72. 79) BGH, Urt. v. 12.12.1960 – II ZR 255/59, BGHZ 34, 27 = NJW 1961, 506, 507 = GmbHR 1961, 29 – zur GmbH; BGH, Urt. v. 25.11.1985 – II ZR 115/85, ZIP 1986, 501= AG 1986, 259.

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§ 80

Angaben auf Geschäftsbriefen

Hausbank wurde von der Rechtsprechung bspw. als zu weitgehend angesehen.80) Auch eine sog. Ressortermächtigung, bei der ein Vorstandsmitglied zur Vertretung i. R. eines gesamten, ihm intern zugewiesenen Ressorts ermächtigt wird, ist nach h. M. zu weitreichend.81) 4.

Widerruf

Ein Widerruf ist durch einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung jederzeit bis zur 29 Vornahme des Rechtsgeschäfts formlos und ohne Gründe möglich.82) Gegenüber Dritten gelten die §§ 170 bis 173 BGB entsprechend.83) Nach dem Rechtsgedanken des § 116 Abs. 3 Satz 2 HGB hat jeder ein Widerrufsrecht, der bei der Erteilung mitgewirkt hat.84) Entgegen der überwiegenden Ansicht85) können Vorstandsmitglieder, die bei Erteilung der Ermächtigung nicht mitgewirkt haben, aufgrund der dogmatischen Verankerung der Einzelermächtigung als Ausübungsermächtigung dagegen auch nicht in vertretungsberechtigter Zahl einen wirksamen Widerruf vornehmen.86) _____________ 80) Vgl. BGH, Urt. v. 25.11.1985 – II ZR 115/85, ZIP 1986, 501 = AG 1986, 259 – zu einem Abgrenzungsfall hinsichtlich der gebotenen Einschränkung. 81) BGH, Urt. v. 16.11.1987 – II ZR 92/87, ZIP 1988, 370, 371 = WM 1988, 216; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 78 Rz. 46; a. A. Schwarz, ZGR 2001, 744, 761 ff. 82) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 78 Rz. 47; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 78 Rz. 22; Schwarz, ZGR 2001, 744, 774. 83) Hölters-Weber, AktG, § 78 Rz. 38; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 78 Rz. 74. 84) Schwarz, ZGR 2001, 744, 775; Grigoleit-Vedder, AktG, § 78 Rz. 22; a. A. Spindler in: MünchKommAktG, § 78 Rz. 72. 85) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 78 Rz. 22; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 78 Rz. 62; K. Schmidt/ Lutter-Seibt, AktG, § 78 Rz. 31; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 78 Rz. 72. 86) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 78 Rz. 47; Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 78 Rz. 78; Schwarz, ZGR 2001, 744, 776 ff.; kritisch auch: Grigoleit-Vedder, AktG, § 78 Rz. 22.

§ 79 (aufgehoben)

1)

_____________ 1)

Aufgehoben mit Wirkung zum 1.11.2008 durch Art. 5 des Gesetzes v. 23.10.2008 – MoMiG, BGBl. I 2008, 2026.

§ 80 Angaben auf Geschäftsbriefen (1) 1Auf allen Geschäftsbriefen gleichviel welcher Form, die an einen bestimmten Empfänger gerichtet werden, müssen die Rechtsform und der Sitz der Gesellschaft, das Registergericht des Sitzes der Gesellschaft und die Nummer, unter der die Gesellschaft in das Handelsregister eingetragen ist, sowie alle Vorstandsmitglieder und der Vorsitzende des Aufsichtsrats mit dem Familiennamen und mindestens einem ausgeschriebenen Vornamen angegeben werden. 2Der Vorsitzende des Vorstands ist als solcher zu bezeichnen. 3Werden Angaben über das Kapital der Gesellschaft gemacht, so müssen in jedem Falle das Grundkapital sowie, wenn auf die Aktien der Ausgabebetrag nicht vollständig eingezahlt ist, der Gesamtbetrag der ausstehenden Einlagen angegeben werden.

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489

§ 80

Angaben auf Geschäftsbriefen

Hausbank wurde von der Rechtsprechung bspw. als zu weitgehend angesehen.80) Auch eine sog. Ressortermächtigung, bei der ein Vorstandsmitglied zur Vertretung i. R. eines gesamten, ihm intern zugewiesenen Ressorts ermächtigt wird, ist nach h. M. zu weitreichend.81) 4.

Widerruf

Ein Widerruf ist durch einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung jederzeit bis zur 29 Vornahme des Rechtsgeschäfts formlos und ohne Gründe möglich.82) Gegenüber Dritten gelten die §§ 170 bis 173 BGB entsprechend.83) Nach dem Rechtsgedanken des § 116 Abs. 3 Satz 2 HGB hat jeder ein Widerrufsrecht, der bei der Erteilung mitgewirkt hat.84) Entgegen der überwiegenden Ansicht85) können Vorstandsmitglieder, die bei Erteilung der Ermächtigung nicht mitgewirkt haben, aufgrund der dogmatischen Verankerung der Einzelermächtigung als Ausübungsermächtigung dagegen auch nicht in vertretungsberechtigter Zahl einen wirksamen Widerruf vornehmen.86) _____________ 80) Vgl. BGH, Urt. v. 25.11.1985 – II ZR 115/85, ZIP 1986, 501 = AG 1986, 259 – zu einem Abgrenzungsfall hinsichtlich der gebotenen Einschränkung. 81) BGH, Urt. v. 16.11.1987 – II ZR 92/87, ZIP 1988, 370, 371 = WM 1988, 216; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 78 Rz. 46; a. A. Schwarz, ZGR 2001, 744, 761 ff. 82) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 78 Rz. 47; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 78 Rz. 22; Schwarz, ZGR 2001, 744, 774. 83) Hölters-Weber, AktG, § 78 Rz. 38; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 78 Rz. 74. 84) Schwarz, ZGR 2001, 744, 775; Grigoleit-Vedder, AktG, § 78 Rz. 22; a. A. Spindler in: MünchKommAktG, § 78 Rz. 72. 85) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 78 Rz. 22; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 78 Rz. 62; K. Schmidt/ Lutter-Seibt, AktG, § 78 Rz. 31; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 78 Rz. 72. 86) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 78 Rz. 47; Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 78 Rz. 78; Schwarz, ZGR 2001, 744, 776 ff.; kritisch auch: Grigoleit-Vedder, AktG, § 78 Rz. 22.

§ 79 (aufgehoben)

1)

_____________ 1)

Aufgehoben mit Wirkung zum 1.11.2008 durch Art. 5 des Gesetzes v. 23.10.2008 – MoMiG, BGBl. I 2008, 2026.

§ 80 Angaben auf Geschäftsbriefen (1) 1Auf allen Geschäftsbriefen gleichviel welcher Form, die an einen bestimmten Empfänger gerichtet werden, müssen die Rechtsform und der Sitz der Gesellschaft, das Registergericht des Sitzes der Gesellschaft und die Nummer, unter der die Gesellschaft in das Handelsregister eingetragen ist, sowie alle Vorstandsmitglieder und der Vorsitzende des Aufsichtsrats mit dem Familiennamen und mindestens einem ausgeschriebenen Vornamen angegeben werden. 2Der Vorsitzende des Vorstands ist als solcher zu bezeichnen. 3Werden Angaben über das Kapital der Gesellschaft gemacht, so müssen in jedem Falle das Grundkapital sowie, wenn auf die Aktien der Ausgabebetrag nicht vollständig eingezahlt ist, der Gesamtbetrag der ausstehenden Einlagen angegeben werden.

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§ 80

Angaben auf Geschäftsbriefen

Hausbank wurde von der Rechtsprechung bspw. als zu weitgehend angesehen.80) Auch eine sog. Ressortermächtigung, bei der ein Vorstandsmitglied zur Vertretung i. R. eines gesamten, ihm intern zugewiesenen Ressorts ermächtigt wird, ist nach h. M. zu weitreichend.81) 4.

Widerruf

Ein Widerruf ist durch einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung jederzeit bis zur 29 Vornahme des Rechtsgeschäfts formlos und ohne Gründe möglich.82) Gegenüber Dritten gelten die §§ 170 bis 173 BGB entsprechend.83) Nach dem Rechtsgedanken des § 116 Abs. 3 Satz 2 HGB hat jeder ein Widerrufsrecht, der bei der Erteilung mitgewirkt hat.84) Entgegen der überwiegenden Ansicht85) können Vorstandsmitglieder, die bei Erteilung der Ermächtigung nicht mitgewirkt haben, aufgrund der dogmatischen Verankerung der Einzelermächtigung als Ausübungsermächtigung dagegen auch nicht in vertretungsberechtigter Zahl einen wirksamen Widerruf vornehmen.86) _____________ 80) Vgl. BGH, Urt. v. 25.11.1985 – II ZR 115/85, ZIP 1986, 501 = AG 1986, 259 – zu einem Abgrenzungsfall hinsichtlich der gebotenen Einschränkung. 81) BGH, Urt. v. 16.11.1987 – II ZR 92/87, ZIP 1988, 370, 371 = WM 1988, 216; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 78 Rz. 46; a. A. Schwarz, ZGR 2001, 744, 761 ff. 82) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 78 Rz. 47; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 78 Rz. 22; Schwarz, ZGR 2001, 744, 774. 83) Hölters-Weber, AktG, § 78 Rz. 38; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 78 Rz. 74. 84) Schwarz, ZGR 2001, 744, 775; Grigoleit-Vedder, AktG, § 78 Rz. 22; a. A. Spindler in: MünchKommAktG, § 78 Rz. 72. 85) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 78 Rz. 22; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 78 Rz. 62; K. Schmidt/ Lutter-Seibt, AktG, § 78 Rz. 31; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 78 Rz. 72. 86) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 78 Rz. 47; Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 78 Rz. 78; Schwarz, ZGR 2001, 744, 776 ff.; kritisch auch: Grigoleit-Vedder, AktG, § 78 Rz. 22.

§ 79 (aufgehoben)

1)

_____________ 1)

Aufgehoben mit Wirkung zum 1.11.2008 durch Art. 5 des Gesetzes v. 23.10.2008 – MoMiG, BGBl. I 2008, 2026.

§ 80 Angaben auf Geschäftsbriefen (1) 1Auf allen Geschäftsbriefen gleichviel welcher Form, die an einen bestimmten Empfänger gerichtet werden, müssen die Rechtsform und der Sitz der Gesellschaft, das Registergericht des Sitzes der Gesellschaft und die Nummer, unter der die Gesellschaft in das Handelsregister eingetragen ist, sowie alle Vorstandsmitglieder und der Vorsitzende des Aufsichtsrats mit dem Familiennamen und mindestens einem ausgeschriebenen Vornamen angegeben werden. 2Der Vorsitzende des Vorstands ist als solcher zu bezeichnen. 3Werden Angaben über das Kapital der Gesellschaft gemacht, so müssen in jedem Falle das Grundkapital sowie, wenn auf die Aktien der Ausgabebetrag nicht vollständig eingezahlt ist, der Gesamtbetrag der ausstehenden Einlagen angegeben werden.

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§ 80

Angaben auf Geschäftsbriefen

(2) Der Angaben nach Absatz 1 Satz 1 und 2 bedarf es nicht bei Mitteilungen oder Berichten, die im Rahmen einer bestehenden Geschäftsverbindung ergehen und für die üblicherweise Vordrucke verwendet werden, in denen lediglich die im Einzelfall erforderlichen besonderen Angaben eingefügt zu werden brauchen. (3) 1Bestellscheine gelten als Geschäftsbriefe im Sinne des Absatzes 1. 2Absatz 2 ist auf sie nicht anzuwenden. (4) 1Auf allen Geschäftsbriefen und Bestellscheinen, die von einer Zweigniederlassung einer Aktiengesellschaft mit Sitz im Ausland verwendet werden, müssen das Register, bei dem die Zweigniederlassung geführt wird, und die Nummer des Registereintrags angegeben werden; im Übrigen gelten die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 für die Angaben bezüglich der Haupt- und der Zweigniederlassung, soweit nicht das ausländische Recht Abweichungen nötig macht. 2Befindet sich die ausländische Gesellschaft in Abwicklung, so sind auch diese Tatsache sowie alle Abwickler anzugeben. Literatur: Altmeppen, Irrungen und Wirrungen um den täuschenden Rechtsformzusatz und seine Haftungsfolgen, NJW 2012, 2833; Altmeppen, Geschäftsleiterhaftung für Weglassen des Rechtsformzusatzes aus deutsch-europäischer Sicht, ZIP 2007, 889; Bärwaldt/Schabacker, Angaben auf Geschäftspapieren inländischer Zweigniederlassungen ausländischer Kapitalgesellschaften, AG 1996, 461; Einmahl, Die erste gesellschaftsrechtliche Richtlinie des Rates der europäischen Gemeinschaften und ihre Bedeutung für das deutsche Aktienrecht, AG 1969, 131; Glaus/Gabel, Praktische Umsetzung der Anforderungen zu Pflichtangaben in E-Mails, BB 2007, 1744; Haßler, Der vakante Aufsichtsratsvorsitz im Licht von § 80 AktG, BB 2016, 461; Hoeren/Pfaff, Pflichtangaben im elektronischen Geschäftsverkehr aus juristischer und technischer Sicht, MMR 2007, 207; Hüttmann, Mindestangaben auf Geschäftsbriefen und Bestellscheinen einer GmbH & Co. ab dem 1.1.1981, DB 1980, 1884; Kindler, Neue Offenlegungspflichten für Zweigniederlassungen ausländischer Kapitalgesellschaften – Zur Umsetzung der Elften gesellschaftsrechtlichen Richtlinie der EG in deutsches Recht, NJW 1993, 3301; Leuering/Rubel, Pflichtangaben in E-Mails: Der Link ins Internet als Alternative, NJW-Spezial 2008, 47; Otte, Folgen der Trennung von Verwaltungs- und Satzungssitz für die gesellschaftsrechtliche Praxis, BB 2009, 344; Schaffland, Angabepflichten auf Geschäftsbriefen für die GmbH & Co. KG, BB 1980, 1501.

Übersicht I. Regelungsgegenstand und Regelungszweck ................................ II. Geschäftsbriefe ................................. III. Erforderliche Angaben (§ 80 Abs. 1) ................................................ 1. Rechtsform und Sitz der Gesellschaft .................................................. 2. Registergericht und -nummer ........... 3. Organmitglieder ................................ I.

1 2 4 4 5 6

4. Angaben zum Gesellschaftskapital .................................................. 7 IV. Ausnahmen (§ 80 Abs. 2) ................. 8 V. Bestellscheine (§ 80 Abs. 3) ............ 10 VI. Zweigniederlassung ausländischer Aktiengesellschaften (§ 80 Abs. 4) ..................................... 11 VII. Rechtsfolgen bei Verstößen ......... 12

Regelungsgegenstand und Regelungszweck

1 Durch die Angaben gemäß § 80 soll der Rechtsverkehr über wesentliche Gesellschaftsverhältnisse aufgeklärt werden, so dass sich zeitraubende Nachforschungen erübrigen.1) Die Norm ist entsprechend auf die Vorgesellschaft anzuwenden.2) § 80 Abs. 1 verpflichtet _____________ 1) 2)

490

Begr. RegE in: Kropff, AktG, S. 101. Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 80 Rz. 2; Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 80 Rz. 1; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 80 Rz. 3.

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§ 80

Angaben auf Geschäftsbriefen

die Gesellschaft, auf Geschäftsbriefen bestimmte Angaben aufzunehmen. § 80 Abs. 2 sieht Ausnahmen für formularmäßige Mitteilungen und Berichte i. R. einer bestehenden Geschäftsverbindung vor. Auf Bestellscheine bleibt gemäß § 80 Abs. 3 die Regelung zu Geschäftsbriefen anwendbar. Der zuletzt i. R. des MoMiG geänderte § 80 Abs. 4 erstreckt einzelne Publizitätspflichten auch auf ausländische Gesellschaften mit inländischen Zweigniederlassungen. II.

Geschäftsbriefe

Der Begriff ist im Hinblick auf den Publizitätszweck der Norm weit auszulegen.3) Um- 2 fasst sind alle geschäftlichen Mitteilungen der Gesellschaft, gleich welcher Form, die an einen bestimmten außenstehenden Empfänger gerichtet sind.4) Keine geschäftliche Mitteilung liegt bspw. bei persönlichen Glückwunsch- oder Kondo- 3 lenzschreiben vor.5) Nicht betroffen sind mangels eines bestimmten Empfängers Werberundschreiben, öffentliche Bekanntmachungen und Anzeigen, durch die ein unbestimmter Personenkreis angesprochen werden soll.6) Schon aus dem Wortlaut der Norm ergibt sich, dass die äußere Form der Mitteilung nicht entscheidend ist, sondern allein der für den Empfänger persönlich bestimmte Inhalt. Der Regelung unterliegen bspw. auch Preislisten, Rechnungen, Lieferscheine, Auftrags- und Empfangsbestätigungen und Gesprächsprotokolle.7) Sie gilt außerdem für elektronische Mitteilungen, insbesondere E-Mails.8) Nach dem Wortlaut „auf dem Geschäftsbrief“ und zur Wahrung des Publizitätszwecks in der Praxis ist erforderlich, dass die Pflichtangaben im Mailtext selbst enthalten sind, ein Link oder Dateianhang reicht nicht aus.9) SMS mit begrenzter Zeichenzahl fallen aus Praktikabilitätsgründen dagegen nicht unter die Kennzeichnungspflicht.10) Rein innergesellschaftliche Kommunikation unterliegt mangels eines außenstehenden Empfängers nicht § 80, wohl aber die Korrespondenz zwischen verbundenen Unternehmen sowie Mitteilungen an Arbeitnehmer, die das Arbeitsverhältnis begründen, abändern oder beenden.11) III.

Erforderliche Angaben (§ 80 Abs. 1)

1.

Rechtsform und Sitz der Gesellschaft

Es genügt nach ganz h. M. die Bezeichnung „AG“ als Kurzform.12) Ausreichend ist auch, 4 wenn sich die Rechtsform bereits aus der angegeben Firma ergibt.13) Die Angabe des Sitzes der Gesellschaft (§ 5) dient dazu, dem Rechtsverkehr die Ermittlung des allgemeinen _____________ 3) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 80 Rz. 4; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 80 Rz. 2. 4) Bärwaldt/Schabacker, AG 1996, 461, 462; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 80 Rz. 13; HöltersWeber, AktG, § 80 Rz. 3. 5) Bürgers/Körber-Bürgers, § 80 Rz. 3; Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 80 Rz. 6. 6) Begr. RegE in: Kropff, AktG, S. 101. 7) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 80 Rz. 2; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 80 Rz. 8. 8) BGH, Beschl. v. 22.2.2011 – II ZR 301/08, BeckRS 2011, 07102; Begr. RegE z. EHUG, BTDrucks. 16/960, S. 47 f. 9) Hoeren/Pfaff, MMR 2007, 207, 208 f.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 80 Rz. 2; Spindler in: MünchKommAktG, § 80 Rz. 18; a. A. Glaus/Gabel, BB 2007, 1744, 1745; Leuering/Rubel, NJW-Spezial 2008, 47 f. 10) Hoeren/Pfaff, MMR 2007, 207, 208; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 80 Rz. 8; a. A. Spindler/StilzFleischer, AktG, § 80 Rz. 5. 11) Heidel-van Ooy/Ammon, AktR, § 80 AktG Rz. 8; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 80 Rz. 6; Mertens/ Cahn in: KölnKomm-AktG, § 80 Rz. 13. 12) Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 80 Rz. 16; Grigoleit-Vedder, AktG, § 80 Rz. 8; HöltersWeber, AktG, § 80 Rz. 7. 13) Hüttmann, DB 1980, 1884; Schaffland, BB 1980, 1501, 1502; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 80 Rz. 2; a. A. Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 80 Rz. 16.

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491

§ 80

Angaben auf Geschäftsbriefen

Gerichtsstands gemäß § 17 Abs. 1 ZPO zu erleichtern. Maßgeblich ist daher der Satzungssitz, nicht der möglicherweise abweichende Verwaltungssitz.14) Der Ort der Zweigniederlassung oder Betriebstätte genügt nicht.15) 2.

Registergericht und -nummer

5 Die obligatorische Angabe von Registergericht und Nummer der Gesellschaft kann in abgekürzter Form, bspw. „AG München HRB 1234“, erfolgen.16) 3.

Organmitglieder

6 Alle Vorstandsmitglieder und der Vorsitzende des Aufsichtsrats sind unter vollständiger Nennung des Familiennamens und mindestens eines Vornamens anzugeben. Der Vorstandsvorsitzende ist als solcher zu bezeichnen.17) Im Umkehrschluss sind sonstige Ämterbezeichnungen, bspw. die des Arbeitsdirektors, nicht anzugeben und werden teilweise für unzulässig gehalten. Stellvertretende Vorstandsmitglieder (§ 94) sind zu nennen, jedoch ohne Vertreterzusatz.18) Gemäß § 85 gerichtlich bestellte Vorstandsmitglieder sind als Notvorstand zu bezeichnen.19) Bei plötzlicher Vakanz der Position des Aufsichtsratsvorsitzenden sollte bis zur schnellstmöglichen Neuwahl die Stelle als derzeit vakant ausgewiesen werden.20) 4.

Angaben zum Gesellschaftskapital

7 Angaben zum Gesellschaftskapital sind fakultativ. Entscheidet sich die Gesellschaft für eine Angabe, gelten die Anforderungen des § 80 Abs. 1 Satz 3. Wird von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, sind in jedem Fall das Grundkapital und der Gesamtbetrag etwaiger ausstehender Bareinlagen anzugeben. Maßgeblich ist der Ausgabebetrag der Aktien.21) Ausstehende Sacheinlagen unterfallen nicht dem § 80 Abs. 1 Satz 3, sind aber gemäß §§ 3, 5, 5a UWG anzugeben, wenn eine Irreführung des Rechtsverkehrs droht.22) IV.

Ausnahmen (§ 80 Abs. 2)

8 Für die übliche Verwendung von Schriftstücken in Vordruckform, in die nur im Einzelfall erforderliche Angaben eingefügt werden müssen, sieht § 80 Abs. 2 i. R. bestehender Geschäftsverbindungen eine Ausnahme von der Kennzeichnungspflicht vor. Entsprechende Vordrucke können bspw. Auftragsbestätigungen, Lieferscheine, Kontoauszüge und Mahnungen sein.23) Eine ausdrückliche Gegenausnahme besteht gemäß § 80 Abs. 3 dagegen für Bestellscheine. 9 Die Üblichkeit der Verwendung richtet sich nach der jeweiligen Branche und ist im Einzelfall zu ermitteln.24) Eine bestehende Geschäftsverbindung setzt voraus, dass zuvor zumindest _____________ 14) 15) 16) 17) 18) 19) 20) 21) 22) 23) 24)

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Otte, BB 2009, 344, 345. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 80 Rz. 3; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 80 Rz. 8. Grigoleit-Vedder, AktG, § 80 Rz. 8; Hölters-Weber, AktG, § 80 Rz. 8. Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 80 Rz. 17; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 80 Rz. 3. Vgl. BGH, Beschl. v. 10.11.1997 – II ZB 6–97, ZIP 1998, 152 = AG 1998, 137 – zur GmbH; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 80 Rz. 6; a. A. Spindler in: MünchKomm-AktG, § 80 Rz. 10. K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 80 Rz. 4; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 80 Rz. 11. Haßler, BB 2016, 461 ff. Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 80 Rz. 18; Hölters-Weber, AktG, § 80 Rz. 10. Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 80 Rz. 18; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 80 Rz. 7. Spindler in: MünchKomm-AktG, § 80 Rz. 22 mit weiteren Beispielen. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 80 Rz. 5.

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§ 80

Angaben auf Geschäftsbriefen

einmal ein Schriftverkehr unter Vornahme der Angaben gemäß § 80 Abs. 1 stattgefunden hat.25) V.

Bestellscheine (§ 80 Abs. 3)

Bestellscheine sind Vordrucke, mit denen Geschäftspartner der Gesellschaft einen Ver- 10 trag auf Leistung der Gesellschaft anbieten oder annehmen.26) Diese unterfallen nicht der Befreiung des § 80 Abs. 2 und sind daher als Geschäftsbriefe gemäß § 80 Abs. 1 zu behandeln. Hintergrund ist Art. 4 der EU-Publizitätsrichtlinie, der eine entsprechende Ausnahme nicht vorsieht.27) VI.

Zweigniederlassung ausländischer Aktiengesellschaften (§ 80 Abs. 4)

Gemäß § 80 Abs. 4 ist auf allen Geschäftsbriefen und Bestellscheinen der inländischen 11 Zweigniederlassung einer ausländischen AG das Register, bei dem die Zweigniederlassung geführt wird (§ 13d Abs. 1 HGB), und die Nummer des Registereintrags anzugeben. Vorbehaltlich abweichender Vorschriften des ausländischen Rechts, bspw. wenn dieses keine Registereintragung voraussetzt,28) sind die Regelungen des § 80 Abs. 1 bis 3 darüber hinaus sowohl auf die ausländische Haupt- als auch die inländische Zweigniederlassung anwendbar. Diese doppelte Angabepflicht dient der Transparenz und dem Gläubigerschutz.29) Angaben müssen in deutscher Sprache erfolgen.30) Die vollständige ausländische Firma ist jedoch in Originalsprache anzugeben, versehen mit einem erläuternden Klammerzusatz (bspw. „AG nach spanischem Recht“).31) Im Fall einer Abwicklung der ausländischen Gesellschaft sind gemäß § 80 Abs. 4 Satz 2 Angaben zur Tatsache der Abwicklung sowie zu den Namen der Abwickler zu machen. VII. Rechtsfolgen bei Verstößen § 80 ist eine Ordnungsvorschrift.32) Die vorgeschriebenen Angaben sind keine Voraus- 12 setzung für die Gültigkeit von Erklärungen der Gesellschaft. Im Einzelfall kommt bei falschen Angaben jedoch eine Anfechtung gemäß §§ 119 ff. BGB in Betracht.33) Die AG kann einer Haftung aus culpa in contrahendo gemäß §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 BGB ausgesetzt sein.34) Nach h. M. ist § 80 darüber hinaus Schutzgesetz i. S. des § 823 Abs. 2 BGB.35) Das Delikt kann der Gesellschaft nach § 31 BGB zugerechnet werden.36) Eine Verletzung der Angabepflicht kann in schwerwiegenden Fällen einen Verstoß gegen § 3 _____________ 25) Einmahl, AG 1969, 131, 136; Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 80 Rz. 14; Grigoleit-Vedder, AktG, § 80 Rz. 6. 26) Hölters-Weber, AktG, § 80 Rz. 6. 27) Richtlinie 68/151/EWG v. 9.3.1968, ABl. (EG) Nr. L 65/8 ff., neu gefasst durch Richtlinie 2009/101/EG v. 16.9.2009, ABl. (EG) Nr. L 258/11 ff. 28) Vgl. Kindler, NJW 1993, 3301, 3305. 29) Vgl. Begr. RegE z. MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 43. 30) Bärwaldt/Schabacker, AG 1996, 461, 462; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 80 Rz. 16. 31) Bärwaldt/Schabacker, AG 1996, 461; Grigoleit-Vedder, AktG, § 80 Rz. 10. 32) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 80 Rz. 8; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 80 Rz. 11. 33) OLG Hamm, Urt. v. 9.1.1990 – 26 U 21/89, NJW-RR 1990, 523; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 80 Rz. 22. 34) Henssler/Strohn-Dauner-Lieb, GesR, § 80 AktG Rz. 11; Grigoleit-Vedder, AktG, § 80 Rz. 11. 35) LG Detmold, Urt. v. 20.10.1989 – 9 O 402/89, NJW-RR 1990, 995 = GmbHR 1991, 23 – zur GmbH; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 80 Rz. 18; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 80 Rz. 8; a. A. Altmeppen, NJW 2012, 2833, 2836; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 80 Rz. 22. 36) Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 80 Rz. 20.

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493

§ 81

Änderung des Vorstands und der Vertretungsbefugnis seiner Mitglieder

UWG darstellen.37) Werden bereits ausgeschiedene Vorstandsmitglieder im Geschäftsbrief weiter aufgeführt, besteht die Möglichkeit einer Rechtsscheinhaftung der Gesellschaft (siehe oben § 76 Rz. 66). 13 Gemäß § 407 Abs. 1 kann das Registergericht zur Einhaltung der Pflichten aus § 80 Abs. 1 gegenüber den Vorstandsmitgliedern ein Zwangsgeld festsetzen. Bei Angabe eines falschen Rechtsformzusatzes wird darüber hinaus vereinzelt eine persönliche Haftung aus c. i. c. bejaht, wenn der falsche Eindruck entsteht, dem Vertragspartner hafte eine Gesellschaft mit höherer Bonität als dies in Wirklichkeit der Fall ist.38) Dabei wird allerdings nicht ausreichend berücksichtigt, dass die Eigenhaftung der Organmitglieder restriktiv zu handhaben ist und nur bei Inanspruchnahme besonderen Vertrauens bejaht werden kann.39) Richtigerweise nimmt die Rechtsprechung daher eine Rechtsscheinhaftung des Vertreters analog § 179 BGB an, wenn das Vorstandsmitglied die Haftungsbeschränkung der AG (etwa durch irreführende Briefbögen) nicht ausreichend kenntlich gemacht hat.40) Da § 80 ein Schutzgesetz i. S. des § 823 Abs. 2 BGB ist (siehe Rz. 12), haften die für die Irreführung verantwortlichen Vorstandsmitglieder dem Vertragspartner außerdem gemäß § 823 Abs. 2 BGB auf Schadensersatz.41) _____________ 37) Spindler in: MünchKomm-AktG, § 80 Rz. 27; Hölters-Weber, AktG, § 8 Rz. 12. 38) Altmeppen, ZIP 2007, 889, 894 f.; Altmeppen, NJW 2012, 2833, 2837 f. 39) Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 157 f.; für eine restriktive Handhabung – Bejahung von c. i. c. nur in seltenen Ausnahmefällen – auch K. Schmidt/Lutter-Seibt, § 80 Rz. 11. 40) BGH, Urt. v. 12.6.2012 – II ZR 256/11, NJW 2012, 2871 = ZIP 2012, 1659, dazu EWiR 2012, 697 (Heckschen); BGH, Urt. v. 3.2.1975 – II ZR 128/73, BGHZ 64, 11 = NJW 1975, 1166; Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 80 Rz. 21; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 163; a. A. Altmeppen, NJW 2012, 2833 ff. 41) Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 80 Rz. 20.

§ 81 Änderung des Vorstands und der Vertretungsbefugnis seiner Mitglieder (1) Jede Änderung des Vorstands oder der Vertretungsbefugnis eines Vorstandsmitglieds hat der Vorstand zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden. (2) Der Anmeldung sind die Urkunden über die Änderung in Urschrift oder öffentlich beglaubigter Abschrift beizufügen. (3) Die neuen Vorstandsmitglieder haben in der Anmeldung zu versichern, daß keine Umstände vorliegen, die ihrer Bestellung nach § 76 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und 3 sowie Satz 3 entgegenstehen, und daß sie über ihre unbeschränkte Auskunftspflicht gegenüber dem Gericht belehrt worden sind. § 37 Abs. 2 Satz 2 ist anzuwenden. Literatur: Bönner, Zweigniederlassungen ausländischer Gesellschaften in der notariellen Praxis, RNotZ 2015, 253; Fleischer, Organpublizität im Aktien-, Bilanz, und Kapitalmarktrecht, NZG 2006, 561; Frels, Handelsregisterliche Fragen bei der Vorstandsbestellung, AG 1967, 227; Hoger, Offene Rechtsfragen zur Eintragung der inländischen Zweigniederlassung einer Kapitalgesellschaft mit Sitz im Ausland, NZG 2015, 1219; Schaub, Stellvertretung bei Handelsregisteranmeldungen, DStR 1999, 1699; Servatius, Zur Eintragung organschaftlicher Vertretungsmacht ins Handelsregister, NZG 2002, 456.

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§ 81

Änderung des Vorstands und der Vertretungsbefugnis seiner Mitglieder

UWG darstellen.37) Werden bereits ausgeschiedene Vorstandsmitglieder im Geschäftsbrief weiter aufgeführt, besteht die Möglichkeit einer Rechtsscheinhaftung der Gesellschaft (siehe oben § 76 Rz. 66). 13 Gemäß § 407 Abs. 1 kann das Registergericht zur Einhaltung der Pflichten aus § 80 Abs. 1 gegenüber den Vorstandsmitgliedern ein Zwangsgeld festsetzen. Bei Angabe eines falschen Rechtsformzusatzes wird darüber hinaus vereinzelt eine persönliche Haftung aus c. i. c. bejaht, wenn der falsche Eindruck entsteht, dem Vertragspartner hafte eine Gesellschaft mit höherer Bonität als dies in Wirklichkeit der Fall ist.38) Dabei wird allerdings nicht ausreichend berücksichtigt, dass die Eigenhaftung der Organmitglieder restriktiv zu handhaben ist und nur bei Inanspruchnahme besonderen Vertrauens bejaht werden kann.39) Richtigerweise nimmt die Rechtsprechung daher eine Rechtsscheinhaftung des Vertreters analog § 179 BGB an, wenn das Vorstandsmitglied die Haftungsbeschränkung der AG (etwa durch irreführende Briefbögen) nicht ausreichend kenntlich gemacht hat.40) Da § 80 ein Schutzgesetz i. S. des § 823 Abs. 2 BGB ist (siehe Rz. 12), haften die für die Irreführung verantwortlichen Vorstandsmitglieder dem Vertragspartner außerdem gemäß § 823 Abs. 2 BGB auf Schadensersatz.41) _____________ 37) Spindler in: MünchKomm-AktG, § 80 Rz. 27; Hölters-Weber, AktG, § 8 Rz. 12. 38) Altmeppen, ZIP 2007, 889, 894 f.; Altmeppen, NJW 2012, 2833, 2837 f. 39) Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 157 f.; für eine restriktive Handhabung – Bejahung von c. i. c. nur in seltenen Ausnahmefällen – auch K. Schmidt/Lutter-Seibt, § 80 Rz. 11. 40) BGH, Urt. v. 12.6.2012 – II ZR 256/11, NJW 2012, 2871 = ZIP 2012, 1659, dazu EWiR 2012, 697 (Heckschen); BGH, Urt. v. 3.2.1975 – II ZR 128/73, BGHZ 64, 11 = NJW 1975, 1166; Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 80 Rz. 21; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 163; a. A. Altmeppen, NJW 2012, 2833 ff. 41) Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 80 Rz. 20.

§ 81 Änderung des Vorstands und der Vertretungsbefugnis seiner Mitglieder (1) Jede Änderung des Vorstands oder der Vertretungsbefugnis eines Vorstandsmitglieds hat der Vorstand zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden. (2) Der Anmeldung sind die Urkunden über die Änderung in Urschrift oder öffentlich beglaubigter Abschrift beizufügen. (3) Die neuen Vorstandsmitglieder haben in der Anmeldung zu versichern, daß keine Umstände vorliegen, die ihrer Bestellung nach § 76 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und 3 sowie Satz 3 entgegenstehen, und daß sie über ihre unbeschränkte Auskunftspflicht gegenüber dem Gericht belehrt worden sind. § 37 Abs. 2 Satz 2 ist anzuwenden. Literatur: Bönner, Zweigniederlassungen ausländischer Gesellschaften in der notariellen Praxis, RNotZ 2015, 253; Fleischer, Organpublizität im Aktien-, Bilanz, und Kapitalmarktrecht, NZG 2006, 561; Frels, Handelsregisterliche Fragen bei der Vorstandsbestellung, AG 1967, 227; Hoger, Offene Rechtsfragen zur Eintragung der inländischen Zweigniederlassung einer Kapitalgesellschaft mit Sitz im Ausland, NZG 2015, 1219; Schaub, Stellvertretung bei Handelsregisteranmeldungen, DStR 1999, 1699; Servatius, Zur Eintragung organschaftlicher Vertretungsmacht ins Handelsregister, NZG 2002, 456.

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Änderung des Vorstands und der Vertretungsbefugnis seiner Mitglieder

§ 81

Übersicht I. Regelungsgegenstand und Regelungszweck ................................ 1 II. Anmeldepflicht (§ 81 Abs. 1) ........... 2 1. Umfang der Anmeldepflicht .............. 2 a) Änderung der Zusammensetzung des Vorstands ................. 2 b) Änderung der persönlichen Verhältnisse .................................. 3 c) Änderung der Vertretungsbefugnis ......................................... 4 I.

d) Sonderfall: Zweigniederlassung einer ausländischen Kapitalgesellschaft ............................... 5 2. Anmeldeverfahren (§ 81 Abs. 2) ....... 6 a) Zuständigkeit ............................... 6 b) Vertretung .................................... 8 c) Anmeldezeitpunkt ....................... 9 d) Inhalt und Form ......................... 10 III. Versicherungen (§ 81 Abs. 3) ......... 13 IV. Rechtsfolgen der Eintragung ........ 14

Regelungsgegenstand und Regelungszweck

Aus § 81 Abs. 1 folgt die Pflicht, jede Änderung des Vorstands oder der Vertretungsbe- 1 fugnis der Vorstandsmitglieder zur Eintragung ins Handelsregister anzumelden. § 81 Abs. 2 regelt Details zum Anmeldeverfahren. § 81 Abs. 3 betrifft die Versicherung des Fehlens von Bestellungshindernissen im Anmeldezeitpunkt. Die Norm dient der Information des Rechtsverkehrs über die Vorstandsmitglieder und die Vertretungsverhältnisse der Gesellschaft. Um die Rechtsfolgen der Handelsregisterpublizität gemäß § 15 HGB zu vermeiden, ist die Einhaltung der Pflichten des § 81 im eigenen Interesse der AG. Bei börsennotierten Gesellschaften können entsprechende Änderungen des Vorstands neben § 81 auch eine ad-hoc Mitteilungspflicht auslösen.1) II.

Anmeldepflicht (§ 81 Abs. 1)

1.

Umfang der Anmeldepflicht

a)

Änderung der Zusammensetzung des Vorstands

Jede Änderung der personellen Zusammensetzung des Vorstands, unerheblich aus welchem 2 Grund, ist gemäß § 81 Abs. 1 anmeldepflichtig. Davon sind auch stellvertretende Vorstandsmitglieder gemäß § 94 erfasst.2) Ein Wechsel eines Stellvertreters in die Position eines ordentlichen Vorstandsmitglieds oder umgekehrt ist hingegen nicht anzumelden, da der Stellvertretervermerk nicht eintragungsfähig ist.3) Hat sich eine einzutragende Änderung zwischenzeitlich erledigt, besteht nach h. M. keine Eintragungspflicht.4) Scheidet jedoch ein bestelltes Vorstandsmitglied vor Anmeldung der Bestellung aus, sollte, da nach h. M.5) die Vertrauenshaftung gemäß § 15 HGB auch ohne Voreintragung greift, im Interesse der Gesellschaft eine Eintragung erfolgen.6) Nicht anmeldepflichtig ist die Ernennung zum Vorsitzenden oder deren Widerruf, da mit ihr keine Änderung der personellen Zusammensetzung oder der Vertretungsverhältnisse einhergeht.7) _____________ 1)

2) 3) 4) 5) 6) 7)

BGH, Beschl. v. 25.2.2008 – II ZB 9/07 (Musterverfahren DaimlerChrysler), ZIP 2008, 639 = WM 2008, 641, dazu EWiR 2008, 317 (Wilsing/v. d. Linden), noch zu § 15 Abs. 1 WpHG (jetzt geregelt in Art. 17 der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 16.4.2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung), ABl. (EU) Nr. L 173/1). Spindler in: MünchKomm-AktG, § 81 Rz. 4; Hölters-Weber, AktG, § 81 Rz. 3. Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 81 Rz. 3; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 81 Rz. 3. Bürgers/Körber-Bürgers, AktG, § 81 Rz. 1; Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 81 Rz. 5. BGH, Urt. v. 11.11.1991 – II ZR 287/90, ZIP 1992, 29 = AG 1992, 83; Baumbach/Hopt-Hopt, HGB, § 15 Rz. 11. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 81 Rz. 2. Bürgers/Körber-Bürgers, AktG, § 81 Rz. 2; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 81 Rz. 5.

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§ 81 b)

Änderung des Vorstands und der Vertretungsbefugnis seiner Mitglieder Änderung der persönlichen Verhältnisse

3 Der Normzweck des § 81 kann die Eintragung einer Änderung bestimmter persönlicher Verhältnisse des Vorstandsmitglieds erfordern.8) Zur Identitätsfeststellung sind gemäß § 43 Nr. 4 HRV die vollen Personalien (Vorname, Familienname, Geburtsdatum und Wohnort) anzugeben. Eine Eintragung von Änderungen ist insofern zwar zulässig, eine Eintragungspflicht besteht aber nach dem Informationszweck des § 81 nur für den Fall der Namensänderung.9) Da der Doktortitel kein Namensbestandteil ist,10) ist er eintragungsfähig, nicht aber eintragungspflichtig.11) Gleiches gilt für die Ernennung zum Vorstandsvorsitzenden.12) Die Eintragungsfähigkeit der Ernennung des stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden ist dagegen umstritten.13) Sonstige Bezeichnungen, bspw. Generaldirektor, Arbeitsdirektor oder auch Präsident, sind nach ganz h. M. nicht eintragungsfähig.14) c)

Änderung der Vertretungsbefugnis

4 Anzumelden ist jede Änderung der Vertretungsbefugnis. Dazu zählt insbesondere der Wechsel zwischen Einzel- und Gesamtvertretung sowie Regelungen innerhalb der Gesamtvertretung. Erfolgt der Wechsel durch Satzungsänderung, genügt deren Anmeldung gemäß § 181.15) Wenn diese ersatzlos aufgehoben wird, ist jedoch eine Anmeldung des Wiederauflebens der gesetzlichen Vertretungsregeln gemäß § 81 vorzunehmen.16) Auch eine Selbstbefreiung gemäß § 181 BGB ist anmeldepflichtig.17) Die Einzelermächtigung gemäß § 78 Abs. 4 stellt dagegen keine Änderung der allgemeinen Vertretungsbefugnis dar und unterfällt daher nicht § 81 Abs. 1. Zur dogmatischen Einordung der Einzelermächtigung siehe oben § 78 Rz. 26.18) d)

Sonderfall: Zweigniederlassung einer ausländischen Kapitalgesellschaft

5 Nach dem Wortlaut des § 13f Abs. 5 HGB i. V. m. § 81 AktG sind Änderungen der gesetzlichen Vertreter und ihrer Vertretungsbefugnis auch im Fall einer Zweigniederlassung einer ausländischen Kapitalgesellschaft unter Beifügung entsprechender Nachweise anzumelden. Die erforderlichen Nachweise können durch Vorlage eines Gesellschafterbeschlusses, ausländischen Registerauskunft, Bescheinigung eines ausländischen Notars oder gegebenenfalls gutachterlichen Stellungnahme eines deutschen Notars erbracht werden.19)

_____________ 8) 9) 10) 11)

12) 13) 14)

15) 16)

17) 18) 19)

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Hölters-Weber, AktG, § 81 Rz. 5. Fleischer, NZG 2006, 561, 562; Hölters-Weber, AktG, § 81 Rz. 5. BGH, Beschl. v. 4.9.2013 – XII ZB 526/12, NJW 2014, 387 = MDR 2013, 1350. Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 81 Rz. 6; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 81 Rz. 3; a. A. Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 81 Rz. 6; Grigoleit-Vedder, AktG, § 81 Rz. 6; Hölters-Weber, AktG, § 81 Rz. 5. Fleischer, NZG 2006, 561, 562. Vgl. Hölters-Weber, AktG, § 81 Rz. 5. BGH, Beschl. v. 4.4.2017 – II ZB 10/16, ZIP 2017, 1067 = NZG 2017, 734, dazu EWiR 2017, 389 (Paefgen/Sorg); Heidel-Oltmanns, AktR, § 81 AktG Rz. 3; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 81 Rz. 7; Grigoleit-Vedder, AktG, § 81 Rz. 6. Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 81 Rz. 7. Vgl. zur Eintragungspflicht einer gesetzlichen Vertretungsregelung: EuGH, Entscheidung v. 12.11.1974 – 32/74 (Haaga GmbH), Slg. 1974, 1201 = BeckRS 2004, 70770; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 81 Rz. 4; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 81 Rz. 6. BGH, Beschl. v. 28.2.1983 – II ZB 8/82, ZIP 1983, 568 = NJW 1983, 1676 – zur GmbH. Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 81 Rz. 7; a. A. Servatius, NZG 2002, 456, 458. Ausführliche Übersicht bei Bönner, RNotZ 2015, 253, 266 ff.; weiterführend zu aktuellen Fragen im Zusammenhang mit der Eintragung inländischer Zweigniederlassungen: Hoger, NZG 2015, 1219.

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Änderung des Vorstands und der Vertretungsbefugnis seiner Mitglieder 2.

Anmeldeverfahren (§ 81 Abs. 2)

a)

Zuständigkeit

§ 81

Gemäß § 81 Abs. 1 hat der Vorstand die Anmeldung zur Eintragung vorzunehmen. Aus- 6 reichend ist ein Handeln der Vorstandsmitglieder in vertretungsberechtigter Zahl.20) Die Anmeldung kann darüber hinaus auch in Form unechter Gesamtvertretung unter Mitwirkung eines Prokuristen erfolgen. Eine Anmeldung allein durch den Prokuristen oder Handlungsbevollmächtigten genügt dagegen nicht.21) Ein neu eintretendes Vorstandsmitglied ist, wie sich aus § 81 Abs. 3 Satz 1 ergibt, selbst anmeldeberechtigt. Dies gilt auch für einen ausscheidenden (Allein-) Vorstand. Die Anmeldung muss dem Ausscheiden vorausgehen, das aber unter eine entsprechende aufschiebende Bedingung gestellt werden kann.22) Ein bereits ausgeschiedenes Mitglied hat einen Anspruch auf Vornahme der Anmeldung, der durch eine Klage gegen die AG, vertreten durch den Vorstand, geltend gemacht werden kann.23) Gemäß § 894 ZPO wird die entsprechende Willenserklärung zur Anmeldung durch ein rechtskräftiges Urteil ersetzt. Das Registergericht kann den Vorstand darüber hinaus durch ein Zwangsgeld gemäß § 14 HGB zur Anmeldung anhalten. Eine Änderung der Vertretungsbefugnis im Wege der Satzungsänderung wird erst mit 7 Eintragung gemäß § 181 Abs. 3 wirksam und ist daher nach der alten Vertretungsordnung anzumelden.24) b)

Vertretung

Da die Anmeldung keine höchstpersönliche Erklärung ist, kann sich der Vorstand durch 8 einen Bevollmächtigten vertreten lassen.25) Wurde die Vollmacht namens der Gesellschaft wirksam erteilt, so erlischt sie nicht durch Ausscheiden des die Vollmacht unterzeichnenden Vorstands aus der Gesellschaft.26) Gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1 HGB ist zum Zweck der Identitätsprüfung bei der Vollmachtserteilung, abweichend von § 167 Abs. 2 BGB, die gleiche Form wie für die Anmeldung selbst, also die öffentliche Beglaubigung gemäß § 129 BGB i. V. m. §§ 39, 40 BeurkG einzuhalten.27) Der gesetzliche Umfang von Prokura und Handlungsvollmacht reicht als Bevollmächtigung nicht aus (siehe oben Rz. 6). c)

Anmeldezeitpunkt

Grundsätzlich ist die Anmeldung nach Eintritt der jeweiligen Änderung vorzunehmen. 9 Auch eine Anmeldung unter einer zeitnahen aufschiebenden Befristung, bspw. bei einem einverständlich für einen künftigen Zeitpunkt bestellten Vorstandsmitglied, ist nach überwiegender Ansicht zulässig.28) _____________ 20) Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 81 Rz. 8; Hölters-Weber, AktG, § 81 Rz. 7. 21) BayObLG, Beschl. v. 14.4.1982 – BReg. 3 Z 20/82, BB 1982, 1075 = MDR 82, 758; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 16.3.2012 – I-3 Wx 296/11, ZIP 2012, 969 = NJW-Spezial 2012, 561 – zur GmbH. 22) LG Frankenthal, Beschl. v. 20.8.2002 – 1 HK T 6/02, AG 2003, 460; BGH, Beschl. v. 21.6.2011 – II ZB 15/10, ZIP 2011, 1562 = NJW-RR 2011, 1184 = DB 2011, 1798, dazu EWiR 2011, 641 (Wachter) – zur GmbH; OLG Hamm, Beschl. v. 25.1.2013 – 27 W 12/13, MittBayNot 2013, 403, 404 – zur GmbH. 23) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 81 Rz. 5; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 81 Rz. 10; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 81 Rz. 15. 24) K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 81 Rz. 10; Hölters-Weber, AktG, § 81 Rz. 8. 25) BayObLG, Beschl. v. 14.4.1982 – BReg. 3 Z 20/82, BB 1982, 1075 = MDR 1982, 758. 26) OLG Hamm, Beschl. v. 23.2.2012 – I-27 W 175/11, GmbHR 2012, 903 = NotBZ 2012, 420 – zur GmbH; Krafka/Kühn, Registerrecht, Rz. 109. 27) BayObLG, Beschl. v. 14.4.1982 – BReg. 3 Z 20/82, BB 1982, 1075 = MDR 1982, 758; Allg. M., vgl. Schaub, DStR 1999, 1699, 1701 f. 28) Frels, AG 1967, 227 ff.; Krafka/Kühn, Registerrecht, Rz. 78; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 81 Rz. 3; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 81 Rz. 4.

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§ 81 d)

Änderung des Vorstands und der Vertretungsbefugnis seiner Mitglieder Inhalt und Form

10 Inhaltlich muss die Anmeldung die einzutragende Änderung klar bezeichnen.29) Konkrete Angaben zur Vertretungsregelung mit Namensnennung sind nur vorzunehmen, wenn diese vom gesetzlichen Regelfall abweicht.30) Bei einem ausscheidenden Vorstandsmitglied sind keine Gründe anzugeben.31) 11 Zuständig ist das Registergericht des Gesellschaftssitzes, § 14. Gemäß § 12 Abs. 1 HGB hat die Anmeldung elektronisch in öffentlich beglaubigter Form zu erfolgen. Eine notarielle Beurkundung ersetzt gemäß § 129 Abs. 2 BGB die öffentliche Beglaubigung. Urkunden über die Änderung sind gemäß § 81 Abs. 2 in Urschrift oder öffentlich beglaubigter Abschrift beizufügen. Entsprechende Urkunden sind bspw. die Ausfertigung eines Bestellungsbeschlusses des Aufsichtsrats, das Niederlegungsschreiben bei Amtsniederlegung oder die Sterbeurkunde bei Tod eines Vorstandsmitglieds.32) Gemäß § 12 Abs. 2 Satz 2 HGB genügt eine elektronische Aufzeichnung der Urschrift sowie für beglaubigte Abschriften ein elektronisches Zeugnis gemäß § 39a BeurkG.33) Bei begründeten Zweifeln an der sachlichen Richtigkeit der Anmeldedaten kann das Gericht gemäß § 26 FamFG weitere Daten und Nachweise fordern.34) 12 Die Kosten der Eintragung trägt die Gesellschaft und nicht der Vorstand.35) Gegen eine Ablehnung der Eintragung können die Gesellschaft und der Vorstand im Wege der Erinnerung gemäß § 11 RPflG und anschließend mit der Beschwerde vorgehen.36) III.

Versicherungen (§ 81 Abs. 3)

13 Neue Vorstandsmitglieder haben gemäß § 81 Abs. 3 zu versichern, dass keine Umstände vorliegen, die ihrer Bestellung nach § 76 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und Nr. 3 sowie Satz 3 entgegenstehen, und dass sie über ihre unbeschränkte Auskunftspflicht gegenüber dem Gericht gemäß § 53 Abs. 2 BZRG belehrt worden sind. Aus § 81 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 37 Abs. 2 Satz 2 ergibt sich, dass die Belehrung auch durch einen Notar, einen Vertreter eines vergleichbaren rechtsberatenden Berufs wie z. B. einen Rechtsanwalt oder einen Konsularbeamten erfolgen kann. Die Pflicht gemäß § 81 Abs. 3 entspricht derjenigen des Gründungsvorstands gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 und bezweckt die Durchsetzung der in § 76 Abs. 3 normierten Bestellungshindernisse. Die Abgabe der Versicherung ist gemäß § 399 Abs. 1 Nr. 6 strafbewährt und muss daher höchstpersönlich erfolgen; eine Vertretung ist nicht möglich.37) Das Wort „versichern“ ist nicht zwingend zu verwenden, solange sich aus der gewählten Formulierung ergibt, dass es sich um eine eigenverantwortliche Bekundung des Vorstands handelt.38)

_____________ 29) 30) 31) 32) 33) 34) 35) 36) 37) 38)

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Anmeldebeispiel für Änderungen im Vorstand in: Krafka/Kühn, Registerrecht, Rz. 1590. Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 81 Rz. 12; Grigoleit-Vedder, AktG, § 81 Rz. 12. Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 81 Rz. 10. Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 81 Rz. 14. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 81 Rz. 7. BGH, Beschl. v. 21.6.2011 • II ZB 15/10, ZIP 2011, 1562 = NJW-RR 2011, 1184 = DB 2011, 1798, dazu EWiR 2011, 641 (Wachter) – zur GmbH. Spindler in: MünchKomm-AktG, § 81 Rz. 17. Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 81 Rz. 116. Henssler/Strohn-Dauner-Lieb, GesR, § 81 AktG Rz. 12; Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 81 Rz. 12. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 20.4.2012 – 11 Wx 33/12, ZIP 2012, 1028 = GmbHR 2012, 797 – zur GmbH.

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Beschränkungen der Vertretungs- und Geschäftsführungsbefugnis IV.

§ 82

Rechtsfolgen der Eintragung

Die Registereintragung gemäß § 81 hat grundsätzlich nur deklaratorische Wirkung.39) 14 Lediglich bei einer Änderung des Vorstands oder der Vertretungsordnung im Wege einer Satzungsänderung ist deren Eintragung gemäß § 181 Abs. 3 konstitutiv. Eine Rechtsänderung wird im Regelfall somit außerhalb des Handelsregisters wirksam, kann Dritten gemäß § 15 HGB jedoch nicht entgegengehalten werden, solange diesen die Änderung nicht positiv bekannt war. Dies gilt auch bei fehlender Voreintragung (siehe oben Rz. 2). § 15 HGB ist dagegen auf das Verhältnis der Gesellschaftsorgane untereinander oder gegenüber der AG nicht anwendbar.40) _____________ 39) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 81 Rz. 9; Hölters-Weber, AktG, § 81 Rz. 14. 40) Spindler in: MünchKomm-AktG, § 81 Rz. 25.

§ 82 Beschränkungen der Vertretungs- und Geschäftsführungsbefugnis (1) Die Vertretungsbefugnis des Vorstands kann nicht beschränkt werden. (2) Im Verhältnis der Vorstandsmitglieder zur Gesellschaft sind diese verpflichtet, die Beschränkungen einzuhalten, die im Rahmen der Vorschriften über die Aktiengesellschaft die Satzung, der Aufsichtsrat, die Hauptversammlung und die Geschäftsordnungen des Vorstands und des Aufsichtsrats für die Geschäftsführungsbefugnis getroffen haben. Literatur: Beuthien, Vertretungsmacht bei der Vor-GmbH – erweiterbar oder unbeschränkbar?, NJW 1997, 566; Fleischer, Reichweite und Grenzen der unbeschränkten Organvertretungsmacht im Kapitalgesellschaftsrecht, NZG 2005, 529; Götz, Die Sicherung der Rechte der Aktionäre der Konzernobergesellschaft bei Konzernbildung und Konzernleitung, AG 1984, 85; Groß, Zuständigkeit der Hauptversammlung bei Unternehmensbeteiligungen, AG 1994, 266; Poseck, Die Klage des Aufsichtsrats gegen die Geschäftsführung des Vorstands, DB 1996, 2165; Priester, Geschäfte mit Dritten vor Eintragung der AG, ZHR 165 (2001) 383; Rohde/Geschwandtner, Zur Beschränkbarkeit der Geschäftsführungsbefugnis des Vorstands einer Aktiengesellschaft, NZG 2005, 996; Vedder, Neues zum Missbrauch der Vertretungsmacht – Vorsatzerfordernis, Anfechtbarkeit, negatives Interesse, JZ 2008, 1077; Westermann, Organzuständigkeit bei Bildung, Erweiterung und Umorganisation des Konzerns, ZGR 1984, 352.

Übersicht I. Regelungsgegenstand und Regelungszweck ................................ 1 II. Unbeschränkbarkeit der Vertretungsmacht (§ 82 Abs. 1) ............. 2 1. Grundsatz der Unbeschränkbarkeit ................................................. 2 2. Ausnahmen und Grenzen .................. 3 a) Gesetzliche Grenzen .................... 3 b) Ausnahmen ................................... 4 III. Beschränkbarkeit der Geschäftsführungsbefugnis (§ 82 Abs. 2) ........ 7 1. Grundlagen ......................................... 7 2. Beschränkungen ................................. 8

a) Beschränkung durch Satzung ...... 8 b) Beschränkung durch Hauptversammlung .............................. 10 c) Beschränkung durch Aufsichtsrat ...................................... 11 d) Beschränkung durch Geschäftsordnung ........................... 12 e) Gesetzliche Beschränkungen, Beschränkungen durch die Rechtsprechung .......................... 13 3. Rechtsfolgen bei Überschreitung der Geschäftsführungsbefugnis ....... 14

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Beschränkungen der Vertretungs- und Geschäftsführungsbefugnis IV.

§ 82

Rechtsfolgen der Eintragung

Die Registereintragung gemäß § 81 hat grundsätzlich nur deklaratorische Wirkung.39) 14 Lediglich bei einer Änderung des Vorstands oder der Vertretungsordnung im Wege einer Satzungsänderung ist deren Eintragung gemäß § 181 Abs. 3 konstitutiv. Eine Rechtsänderung wird im Regelfall somit außerhalb des Handelsregisters wirksam, kann Dritten gemäß § 15 HGB jedoch nicht entgegengehalten werden, solange diesen die Änderung nicht positiv bekannt war. Dies gilt auch bei fehlender Voreintragung (siehe oben Rz. 2). § 15 HGB ist dagegen auf das Verhältnis der Gesellschaftsorgane untereinander oder gegenüber der AG nicht anwendbar.40) _____________ 39) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 81 Rz. 9; Hölters-Weber, AktG, § 81 Rz. 14. 40) Spindler in: MünchKomm-AktG, § 81 Rz. 25.

§ 82 Beschränkungen der Vertretungs- und Geschäftsführungsbefugnis (1) Die Vertretungsbefugnis des Vorstands kann nicht beschränkt werden. (2) Im Verhältnis der Vorstandsmitglieder zur Gesellschaft sind diese verpflichtet, die Beschränkungen einzuhalten, die im Rahmen der Vorschriften über die Aktiengesellschaft die Satzung, der Aufsichtsrat, die Hauptversammlung und die Geschäftsordnungen des Vorstands und des Aufsichtsrats für die Geschäftsführungsbefugnis getroffen haben. Literatur: Beuthien, Vertretungsmacht bei der Vor-GmbH – erweiterbar oder unbeschränkbar?, NJW 1997, 566; Fleischer, Reichweite und Grenzen der unbeschränkten Organvertretungsmacht im Kapitalgesellschaftsrecht, NZG 2005, 529; Götz, Die Sicherung der Rechte der Aktionäre der Konzernobergesellschaft bei Konzernbildung und Konzernleitung, AG 1984, 85; Groß, Zuständigkeit der Hauptversammlung bei Unternehmensbeteiligungen, AG 1994, 266; Poseck, Die Klage des Aufsichtsrats gegen die Geschäftsführung des Vorstands, DB 1996, 2165; Priester, Geschäfte mit Dritten vor Eintragung der AG, ZHR 165 (2001) 383; Rohde/Geschwandtner, Zur Beschränkbarkeit der Geschäftsführungsbefugnis des Vorstands einer Aktiengesellschaft, NZG 2005, 996; Vedder, Neues zum Missbrauch der Vertretungsmacht – Vorsatzerfordernis, Anfechtbarkeit, negatives Interesse, JZ 2008, 1077; Westermann, Organzuständigkeit bei Bildung, Erweiterung und Umorganisation des Konzerns, ZGR 1984, 352.

Übersicht I. Regelungsgegenstand und Regelungszweck ................................ 1 II. Unbeschränkbarkeit der Vertretungsmacht (§ 82 Abs. 1) ............. 2 1. Grundsatz der Unbeschränkbarkeit ................................................. 2 2. Ausnahmen und Grenzen .................. 3 a) Gesetzliche Grenzen .................... 3 b) Ausnahmen ................................... 4 III. Beschränkbarkeit der Geschäftsführungsbefugnis (§ 82 Abs. 2) ........ 7 1. Grundlagen ......................................... 7 2. Beschränkungen ................................. 8

a) Beschränkung durch Satzung ...... 8 b) Beschränkung durch Hauptversammlung .............................. 10 c) Beschränkung durch Aufsichtsrat ...................................... 11 d) Beschränkung durch Geschäftsordnung ........................... 12 e) Gesetzliche Beschränkungen, Beschränkungen durch die Rechtsprechung .......................... 13 3. Rechtsfolgen bei Überschreitung der Geschäftsführungsbefugnis ....... 14

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§ 82 I.

Beschränkungen der Vertretungs- und Geschäftsführungsbefugnis Regelungsgegenstand und Regelungszweck

1 Gemäß § 82 Abs. 1 ist die Vertretungsbefugnis des Vorstands unbeschränkt und unbeschränkbar. Die Geschäftsführungsbefugnis im Verhältnis zur Gesellschaft kann dagegen gemäß § 82 Abs. 2 durch Satzung, Hauptversammlung, Aufsichtsrat und Geschäftsordnung eingeschränkt werden. Eine Verletzung der Geschäftsführungsbefugnis im Innenverhältnis, dem rechtlichen Dürfen, hat auf die Wirksamkeit der Vertretung im Außenverhältnis, dem rechtlichen Können, keinen Einfluss. Der Grundsatz der Unbeschränkbarkeit dient dem Interesse des Rechtsverkehrs, sich auf die Vertretungsbefugnisse der Gesellschaft verlassen zu können, und damit der Erleichterung des Handelsverkehrs.1) Diese Regelung entspricht auch Art. 9 der Publizitätsrichtlinie.2) II.

Unbeschränkbarkeit der Vertretungsmacht (§ 82 Abs. 1)

1.

Grundsatz der Unbeschränkbarkeit

2 § 82 Abs. 1 normiert für die organschaftliche Vertretungsmacht den Grundsatz der Unbeschränktheit und Unbeschränkbarkeit. § 82 Abs. 1 erfasst Rechtshandlungen des Vorstands gegenüber Dritten sowie korporationsrechtliche Geschäfte, die durch externe Erklärungen Geltung erlangen, bspw. die Zustimmung zur Übertragung vinkulierter Namensaktien gemäß § 68 Abs. 2 Satz 2 oder die Einforderung einer ausstehenden Einlage gemäß § 63 Abs. 1.3) Unerheblich ist dabei, ob der Vorstand außerhalb des Unternehmensgegenstandes oder entgegen einer Beschränkung seiner Geschäftsführungsbefugnis handelt.4) Teilweise wird die Anwendbarkeit des § 82 auch auf die Vorgesellschaft bejaht, da die Vorgesellschaft zum tauglichen Rechts- und Unternehmensträger aufgewertet wurde und daraus ein entsprechendes Verkehrsschutzbedürfnis folge.5) 2.

Ausnahmen und Grenzen

a)

Gesetzliche Grenzen

3 Der Vertretungsmacht sind gesetzlich Grenzen gesetzt.6) Ist eine Vertretungsbefugnis einem anderen Gesellschaftsorgan zugewiesen, bspw. dem Aufsichtsrat gegenüber dem Vorstand gemäß § 112 AktG oder § 32 MitbestG, so verstößt ein Handeln des Vorstands in diesem Fall gegen die aktienrechtliche Kompetenzordnung und ist gemäß § 134 BGB nichtig.7) Sofern das Gesetz die Mitwirkung eines anderen Gesellschaftsorgans vorsieht (§§ 184 Abs. 1, 188 Abs. 1, 195 Abs. 1, 207 Abs. 2, 223, 229 Abs. 3, 237 Abs. 4 Satz 5), führt dessen Fehlen zur schwebenden Unwirksamkeit der Erklärung gemäß §§ 177 ff. BGB.8) Keine Begrenzung der Vertretungsmacht liegt dagegen bei den ungeschriebenen _____________ 1) 2)

3) 4) 5)

6) 7) 8)

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Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 82 Rz. 1; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 82 Rz. 2; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 1 Rz. 21. Richtlinie 68/151/EWG des Rates v. 9.3.1968, ABl. (EG) L 65/8, neu gefasst durch Richtlinie 2009/101/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 16.9.2009 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Art. 48 Abs. 2 des Vertrags im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, ABl. (EG) L 258/11. Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 82 Rz. 4; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 82 Rz. 3; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 1 Rz. 21. Hölters-Weber, AktG, § 82 Rz. 7; Wiesner in: MünchHdb. GesR., Bd. 4, § 23 Rz. 2. Beuthien, NJW 1997, 566 ff.; Bürgers/Körber-Bürgers, AktG, § 82 Rz. 1; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 82 Rz. 6; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 82 Rz. 3; Priester, ZHR 165 (2001) 383, 389; a. A. BGH, Urt. v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129 = ZIP 1981, 394 – zur GmbH; Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 82 Rz. 3. Seyfarth, Vorstandsrecht, § 1 Rz. 22. Habersack in: MünchKomm-AktG, § 112 Rz. 32; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 1 Rz. 22. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 82 Rz. 5; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 1 Rz. 23; Spindler in: MünchKommAktG, § 82 Rz. 25.

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Beschränkungen der Vertretungs- und Geschäftsführungsbefugnis

§ 82

Hauptversammlungszuständigkeiten nach der Holzmüller/Gelatine-Rechtsprechung vor, da das Zustimmungserfordernis hier lediglich intern wirkt.9) b)

Ausnahmen

Ausnahmen vom Grundsatz der unbeschränkten Vertretungsmacht bestehen insbesonde- 4 re bei fehlender Schutzwürdigkeit des Dritten. Nichtig sind gemäß § 138 BGB nach ganz h. M. Rechtsgeschäfte, die durch Kollusion, also bewusstes und gewolltes Zusammenwirken des Vorstands und des Dritten zum Nachteil der Gesellschaft, zustande gekommen sind.10) Beide Geschäftspartner haften gegenüber der Gesellschaft darüber hinaus gemäß §§ 826, 840 BGB auf Schadensersatz.11) Voraussetzung für die Einschränkung aufgrund eines evidenten Missbrauchs der Vertre- 5 tungsmacht ist eine auf massive Verdachtsmomente gegründete objektive Evidenz der Pflichtwidrigkeit des Geschäftspartners.12) Evidenz liegt vor, wenn sich dem Geschäftspartner der Missbrauch der Vollmacht aufdrängen musste.13) Nach der zutreffenden Auffassung des BGH ist es nicht erforderlich, dass es dem Vorstandsmitglied gerade darauf angekommen ist, der Gesellschaft einen Nachteil zuzufügen; ein objektiv pflichtwidriges Handeln genügt.14) Der Gesellschaft muss durch das Rechtsgeschäft auch kein Nachteil entstehen.15) Die Rechtsfolgen bei Vorliegen eines evidenten Missbrauchs der Vertretungsmacht sind umstritten: Nach einer Ansicht kann die AG als Vertretene dem Vertragspartner exceptio doli (§ 242 BGB) entgegenhalten.16) Die zutreffende Ansicht hingegen behandelt den Fall des Missbrauchs der Vertretungsmacht, als hätte der Vertreter gänzlich ohne Vertretungsmacht gehandelt und wendet die §§ 177 ff. BGB analog an.17) Grund ist die höhere Schutzwürdigkeit der Gesellschaft im Vergleich zum Vertragspartner, die ein möglicherweise vorteilhaftes Geschäft genehmigen können muss.18) Ein Mitverschulden der Gesellschaft kann im Verhältnis zum Vertragspartner in analoger Anwendung des § 254 BGB berücksichtigt werden.19) _____________ 9) BGH, Urt. v. 25.2.1982 – II ZR 174/80 (Holzmüller), BGHZ 83, 122, 131 = ZIP 1982, 568; BGH, Urt. v. 26.4.2004 – II ZR 155/02 (Gelatine I), BGHZ, 159, 30, 39 ff. = ZIP 2004, 993, dazu EWiR 2004, 573 (Just); Seyfarth, Vorstandsrecht, § 1 Rz. 21. 10) RGZ 145, 311, 315; BGH, Urt. v. 17.5.1988 – VI ZR 233/87, NJW 1989, 26, 27; BGH, Urt. v. 28.1.2014 – II ZR 371/12, ZIP 2014, 615 = NZG 2014, 389, dazu EWiR 2014, 547 (Backhaus); Habersack/ Foerster in: GroßKomm-AktG, § 82 Rz. 11; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 1 Rz. 23; kritisch Vedder, JZ 2008, 1077, 1081. 11) Fleischer, NZG 2005, 529, 530; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 82 Rz. 45. 12) BGH, Urt. v. 28.4.1992 – XI ZR 164/91, WM 1992, 1362 = NJW-RR 1992, 1135; BGH, Urt. v. 22.6.2004 – XI ZR 90/03, NJW-RR 2004, 1637, 1638 = ZIP 2004, 1742, dazu EWiR 2005, 9 (Haertlein/Marx). 13) BGH, Urt. v. 22.6.2004 – XI ZR 90/03, NJW-RR 2004, 1637, 1638 = ZIP 2004, 1742; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 1 Rz. 25. 14) BGH, Beschl. v. 10.4.2006 – II ZR 337/05, ZIP 2006, 1391 = NJW 2006, 2776 – zur GmbH; Fleischer, NZG 2005, 529, 535; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 1 Rz. 25. 15) BGH, Urt. v. 5.12.1983 – II ZR 56/82, ZIP 1984, 310 = NJW 1984, 1461; BGH, Beschl. v. 10.4.2006 – II ZR 337/05, ZIP 2006, 1391 = NJW 2006, 2776; Fleischer, NZG 2005, 529, 535; a. A. Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 82 Rz. 47. 16) Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 82 Rz. 49; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 82 Rz. 7a. 17) OLG Zweibrücken, Urt. v. 13.3.2001 – 8 U 91/00, NZG 2001, 763; OLG Hamm, Urt. v. 22.8.2005 – 5 U 69/05, NZG 2006, 827; Roth/Altmeppen-Altmeppen, GmbHG, § 37 Rz. 44; K. Schmidt/LutterSeibt, AktG, § 82 Rz. 7; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 1 Rz. 26. 18) Seyfarth, Vorstandsrecht, § 1 Rz. 26. 19) BGH, Urt. v. 25.3.1968 – II ZR 208/64, BGHZ 50, 112 = NJW 1968, 1379; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 82 Rz. 7; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 1 Rz. 26; a. A. Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 82 Rz. 15.

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501

§ 82

Beschränkungen der Vertretungs- und Geschäftsführungsbefugnis

6 Der durch die unbeschränkte Vertretungsmacht bezweckte Verkehrsschutz greift dann nicht, wenn ein Rechtsgeschäft mit nahestehenden Personen vorliegt. In diesem Fall ist § 82 Abs. 1 teleologisch zu reduzieren.20) Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder sind von Amts wegen dazu gehalten, interne Beschränkungen der Geschäftsführungsbefugnis zu beachten und können sich daher nie auf die unbeschränkte Vertretungsmacht gemäß § 82 Abs. 1 berufen.21) Dies gilt unabhängig davon, ob das Rechtsgeschäft in Zusammenhang mit der Organstellung steht und ob der AG ein Schaden entstanden ist.22) Aktionäre haben in der AG weniger intensive Einwirkungs- und Auskunftsrechte bzgl. der Verwaltung als GmbH-Gesellschafter gemäß §§ 37 Abs. 1, 51a GmbHG. § 82 Abs. 1 AktG greift daher, anders als im Fall des GmbH-Gesellschafters, grundsätzlich ein.23) Ausnahmen kommen für den Alleinaktionär oder herrschenden Aktionär in Betracht.24) Sonstige Unternehmensangehörige fallen weiterhin unter den Schutzzweck des § 82 Abs. 1. Für sie gilt lediglich die allgemeine Grenze des Missbrauchs der Vertretungsmacht.25) In Konzernverhältnissen kann sich die Muttergesellschaft nicht auf die unbeschränkte Vertretungsmacht berufen, wenn sie eine Beteiligung von nahezu 100 % an der Tochtergesellschaft hält.26) Bei geringerem Mehrheitsbesitz, im Verhältnis zu Schwestergesellschaften und bei der Vertretung der Muttergesellschaft gegenüber der Tochtergesellschaft ist die Anwendbarkeit des § 82 dagegen nicht kategorisch ausgeschlossen.27) Es bleibt bei der Grenze des Missbrauchs der Vertretungsmacht, die unter Beachtung der Grundsätze zur Wissenszurechnung im Konzern im Einzelfall zu prüfen ist (siehe oben § 78 Rz. 12). III.

Beschränkbarkeit der Geschäftsführungsbefugnis (§ 82 Abs. 2)

1.

Grundlagen

7 Die Geschäftsführungsbefugnis ist gemäß § 82 Abs. 2 beschränkbar. Dies kann durch die Satzung, die Hauptversammlung, den Aufsichtsrat und die Geschäftsordnung erfolgen. Dabei sind wiederum die aktienrechtliche Kompetenzordnung und die eigenverantwortliche Leitung der AG durch den Vorstand zu wahren.28) 2.

Beschränkungen

a)

Beschränkung durch Satzung

8 Der Vorstand ist an den Gesellschaftszweck gebunden (Gewinnerzielung, Sicherstellung der dauerhaften Rentabilität, Sicherstellung des Bestands des Unternehmens).29) 9 Darüber hinaus schränkt der satzungsmäßige Unternehmensgegenstand die Geschäftsführungsbefugnis ein.30) Auch der mittelbare Betrieb gegenstandswidriger Geschäfte über _____________ 20) Fleischer, NZG 2005, 529, 535; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 82 Rz. 13. 21) Fleischer, NZG 2005, 529, 535 f.; Hölters-Weber, AktG, § 82 Rz. 12. 22) BGH, Urt. v. 20.9.1962 – II ZR 209/61, BGHZ 38, 26 = WM 1962, 1260 – zur OHG; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 82 Rz. 14. 23) Spindler in: MünchKomm-AktG, § 82 Rz. 52. 24) Fleischer, NZG 2005, 529, 536. 25) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 82 Rz. 24; Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 82 Rz. 17; a. A. für den Fall einer vertraglichen Verpflichtung zur Kenntnis von Beschränkungen der Geschäftsführungsbefugnis: Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 82 Rz. 15. 26) OLG Celle, Urt. v. 7.3.2001 – 9 U 137/00, ZIP 2001, 613, 616, dazu EWiR 2001, 651 (Windbichler); Fleischer, NZG 2005, 529, 536. 27) Fleischer, NZG 2005, 529, 536. 28) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 82 Rz. 8; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 82 Rz. 8. 29) Hölters-Weber, AktG, § 82 Rz. 17. 30) BGH, Urt. v. 15.1.2013 – II ZR 90/11, ZIP 2013, 455 = NJW 2013, 1958, dazu EWiR 2013, 261 (Vetter).

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Beschränkungen der Vertretungs- und Geschäftsführungsbefugnis

§ 82

Tochterunternehmen ist unzulässig.31) Eine Satzungsermächtigung ist für die Verlagerung unternehmerischer Tätigkeiten auf Tochtergesellschaften sowie den Erwerb und die Veräußerung von Beteiligungen erforderlich.32) Hilfsgeschäfte sind dagegen auch dann zulässig, wenn sie nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Unternehmensgegenstand stehen.33) Grenze der Satzungsautonomie ist der Grundsatz der eigenverantwortlichen Leitung des Vorstands gemäß § 76 Abs. 1. Die Satzung kann den Rahmen der Unternehmenstätigkeit konkretisieren. Unzulässig ist die Regelung einzelner Geschäftstätigkeiten, bspw. bzgl. des Vertriebs konkreter Produkte.34) b)

Beschränkung durch Hauptversammlung

Im Aktienrecht hat die Hauptversammlung keine Weisungsbefugnis gegenüber dem Vor- 10 stand. Eine Pflicht zur Ausführung einer durch die Hauptversammlung beschlossenen Maßnahme besteht nur dann, wenn der Vorstand die Hauptversammlungsentscheidung gemäß § 119 Abs. 2 herbeigeführt hat.35) c)

Beschränkung durch Aufsichtsrat

Gemäß § 111 Abs. 4 Satz 2 können die Satzung oder der Aufsichtsrat bestimmte Geschäf- 11 te von der Zustimmung des Aufsichtsrats abhängig machen. Dieser Zustimmungsvorbehalt kann bei konkreten Maßnahmen auch ad hoc begründet werden.36) Verweigert der Aufsichtsrat die Zustimmung, hat der Vorstand gemäß § 111 Abs. 4 Satz 3 das Recht, eine Entscheidung der Hauptversammlung einzufordern. Ausnahmsweise kommt eine Notbefugnis des Vorstands in Betracht, wenn der Aufsichtsrat die Zustimmung in obstruktiver und unternehmensschädigender Weise verweigert und die Ersatzzustimmung der Hauptversammlung nicht rechtzeitig eingeholt werden kann.37) d)

Beschränkung durch Geschäftsordnung

Gemäß § 82 Abs. 2 kann die Geschäftsführungsbefugnis außerdem durch die Geschäfts- 12 ordnung des Vorstands, die dieser selbst oder der Aufsichtsrat gemäß § 77 Abs. 2 auf Grundlage einer Satzungsermächtigung erlassen kann, beschränkt werden.38) Typischerweise enthält die Geschäftsordnung Regelungen zur Geschäfts- und Ressortverteilung.39) e)

Gesetzliche Beschränkungen, Beschränkungen durch die Rechtsprechung

Neben den gewillkürten Beschränkungen unterliegt die Geschäftsführung auch gesetzli- 13 chen Grenzen. Zunächst stellt jede Beschränkung der Vertretungsbefugnis (hierzu siehe _____________ 31) OLG Hamburg, Urt. v. 5.9.1980 – 11 U 1/80, ZIP 1980, 1000, 1006 = JZ 1981, 231; Groß, AG 1994, 266, 268; Westermann, ZGR 1984, 352, 360 ff. 32) Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 82 Rz. 25; a. A. für den Fall der Ausgliederung: OLG Hamburg, Urt. v. 5.9.1980 – 11 U 1/80, ZIP 1980, 1000, 1006 = JZ 1981, 231; Götz, AG 1984, 85, 89. 33) BGH, Beschl. v. 14.1.2014 – II ZB 5/12 (Porsche), ZIP 2014, 671 = NZG 2014, 423, dazu EWiR 2014, 309 (Bungert/de Raet). 34) OLG Stuttgart, Beschl. v. 22.7.2006 – 8 W 271/06 (Smart/Maybach), OLGR Stuttgart 2006, 878 = NZG 2006, 790, dazu EWiR 2007, 257 (Freitag). 35) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 82 Rz. 35; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 82 Rz. 11; Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 82 Rz. 27; a. A. Rohde/Geschwandtner, NZG 2005, 996 ff. 36) Grigoleit-Tomasic, AktG, § 111 Rz. 46. 37) Heidel-Oltmanns, AktR, § 82 AktG Rz. 10; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 82 Rz. 41, § 76 Rz. 30. 38) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 82 Rz. 36; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 82 Rz. 13. 39) Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 82 Rz. 29.

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§ 83

Vorbereitung und Ausführung von Hauptversammlungsbeschlüssen

oben § 78 Rz. 5 ff.) zugleich eine Einschränkung der Geschäftsführungsbefugnis dar.40) Darüber hinaus normieren die Vorschriften, die der Hauptversammlung oder dem Aufsichtsrat das Entscheidungsrecht zuweisen, sowie die Entscheidungsmöglichkeit des Vorstands beschränkende Vorschriften, wie bspw. §§ 205 Abs. 2 Satz 2, 221, gesetzliche Grenzen der Geschäftsführungsbefugnis. Schließlich handelt es sich auch bei dem in offener Rechtsfortbildung entwickelten Zustimmungserfordernis der Hauptversammlung im Innenverhältnis nach den Holzmüller/Gelatine-Grundsätzen um eine Begrenzung der Geschäftsführungsbefugnis (siehe oben § 76 Rz. 7).41) 3.

Rechtsfolgen bei Überschreitung der Geschäftsführungsbefugnis

14 Eine Überschreitung der Geschäftsführungsbefugnis hat nur in eng begrenzten Ausnahmefällen Einfluss auf die Wirksamkeit der Maßnahme im Außenverhältnis (siehe oben Rz. 3).42) Verstößt der Vorstand gegen eine wirksame Geschäftsführungsbeschränkung, kann er gemäß § 93 Abs. 2 einer Schadenersatzpflicht gegenüber der Gesellschaft unterliegen. Darüber hinaus liegt in dem Verstoß ein möglicher Grund für einen Widerruf der Bestellung gemäß § 84 Abs. 3 und für eine Kündigung des Anstellungsvertrags.43) 15 Ein präventives Vorgehen gegen einen drohenden Verstoß gegen die Geschäftsführungsbefugnis durch eine Unterlassungsklage kommt aufgrund der aktienrechtlichen Kompetenzordnung grundsätzlich nicht in Betracht.44) Eine Ausnahme hiervon ist nur denkbar, wenn der Vorstand aufgrund von Gesetz oder Satzung eine Pflicht zur Vornahme oder Unterlassung einer bestimmten Maßnahme hat und daher in seiner Entscheidung nicht mehr frei ist.45) Eine entsprechende Regelung trifft bspw. § 83 Abs. 2 hinsichtlich der Vorbereitung und Ausführung von Hauptversammlungsbeschlüssen. _____________ 40) Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 82 Rz. 21. 41) BGH, Urt. v. 25.2.1982 – II ZR 174/80 (Holzmüller), BGHZ 83, 122, 131 = ZIP 1982, 568; BGH, Urt. v. 26.4.2004 – II ZR 155/02 (Gelatine I), BGHZ, 159, 30 = ZIP 2004, 993. 42) Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 82 Rz. 30. 43) Bürgers/Körber-Bürgers, § 82 Rz. 12; Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 82 Rz. 30. 44) Poseck, DB 1996, 2165 ff.; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 82 Rz. 47. 45) Hölters-Weber, AktG, § 82 Rz. 25.

§ 83 Vorbereitung und Ausführung von Hauptversammlungsbeschlüssen (1) 1Der Vorstand ist auf Verlangen der Hauptversammlung verpflichtet, Maßnahmen, die in die Zuständigkeit der Hauptversammlung fallen, vorzubereiten. 2Das gleiche gilt für die Vorbereitung und den Abschluß von Verträgen, die nur mit Zustimmung der Hauptversammlung wirksam werden. 3Der Beschluß der Hauptversammlung bedarf der Mehrheiten, die für die Maßnahmen oder für die Zustimmung zu dem Vertrag erforderlich sind. (2) Der Vorstand ist verpflichtet, die von der Hauptversammlung im Rahmen ihrer Zuständigkeit beschlossenen Maßnahmen auszuführen. Literatur: Buck-Heeb, Die Haftung von Mitgliedern des Leitungsorgans bei unklarer Rechtslage, BB 2013, 2247; Fleischer, Vorstandspflichten bei rechtswidrigen Hauptversammlungsbeschlüssen, BB 2005, 2025; Haertlein, Vorstandshaftung wegen (Nicht-)Ausführung eines Gewinnverwen-

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§ 83

Vorbereitung und Ausführung von Hauptversammlungsbeschlüssen

oben § 78 Rz. 5 ff.) zugleich eine Einschränkung der Geschäftsführungsbefugnis dar.40) Darüber hinaus normieren die Vorschriften, die der Hauptversammlung oder dem Aufsichtsrat das Entscheidungsrecht zuweisen, sowie die Entscheidungsmöglichkeit des Vorstands beschränkende Vorschriften, wie bspw. §§ 205 Abs. 2 Satz 2, 221, gesetzliche Grenzen der Geschäftsführungsbefugnis. Schließlich handelt es sich auch bei dem in offener Rechtsfortbildung entwickelten Zustimmungserfordernis der Hauptversammlung im Innenverhältnis nach den Holzmüller/Gelatine-Grundsätzen um eine Begrenzung der Geschäftsführungsbefugnis (siehe oben § 76 Rz. 7).41) 3.

Rechtsfolgen bei Überschreitung der Geschäftsführungsbefugnis

14 Eine Überschreitung der Geschäftsführungsbefugnis hat nur in eng begrenzten Ausnahmefällen Einfluss auf die Wirksamkeit der Maßnahme im Außenverhältnis (siehe oben Rz. 3).42) Verstößt der Vorstand gegen eine wirksame Geschäftsführungsbeschränkung, kann er gemäß § 93 Abs. 2 einer Schadenersatzpflicht gegenüber der Gesellschaft unterliegen. Darüber hinaus liegt in dem Verstoß ein möglicher Grund für einen Widerruf der Bestellung gemäß § 84 Abs. 3 und für eine Kündigung des Anstellungsvertrags.43) 15 Ein präventives Vorgehen gegen einen drohenden Verstoß gegen die Geschäftsführungsbefugnis durch eine Unterlassungsklage kommt aufgrund der aktienrechtlichen Kompetenzordnung grundsätzlich nicht in Betracht.44) Eine Ausnahme hiervon ist nur denkbar, wenn der Vorstand aufgrund von Gesetz oder Satzung eine Pflicht zur Vornahme oder Unterlassung einer bestimmten Maßnahme hat und daher in seiner Entscheidung nicht mehr frei ist.45) Eine entsprechende Regelung trifft bspw. § 83 Abs. 2 hinsichtlich der Vorbereitung und Ausführung von Hauptversammlungsbeschlüssen. _____________ 40) Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 82 Rz. 21. 41) BGH, Urt. v. 25.2.1982 – II ZR 174/80 (Holzmüller), BGHZ 83, 122, 131 = ZIP 1982, 568; BGH, Urt. v. 26.4.2004 – II ZR 155/02 (Gelatine I), BGHZ, 159, 30 = ZIP 2004, 993. 42) Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 82 Rz. 30. 43) Bürgers/Körber-Bürgers, § 82 Rz. 12; Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 82 Rz. 30. 44) Poseck, DB 1996, 2165 ff.; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 82 Rz. 47. 45) Hölters-Weber, AktG, § 82 Rz. 25.

§ 83 Vorbereitung und Ausführung von Hauptversammlungsbeschlüssen (1) 1Der Vorstand ist auf Verlangen der Hauptversammlung verpflichtet, Maßnahmen, die in die Zuständigkeit der Hauptversammlung fallen, vorzubereiten. 2Das gleiche gilt für die Vorbereitung und den Abschluß von Verträgen, die nur mit Zustimmung der Hauptversammlung wirksam werden. 3Der Beschluß der Hauptversammlung bedarf der Mehrheiten, die für die Maßnahmen oder für die Zustimmung zu dem Vertrag erforderlich sind. (2) Der Vorstand ist verpflichtet, die von der Hauptversammlung im Rahmen ihrer Zuständigkeit beschlossenen Maßnahmen auszuführen. Literatur: Buck-Heeb, Die Haftung von Mitgliedern des Leitungsorgans bei unklarer Rechtslage, BB 2013, 2247; Fleischer, Vorstandspflichten bei rechtswidrigen Hauptversammlungsbeschlüssen, BB 2005, 2025; Haertlein, Vorstandshaftung wegen (Nicht-)Ausführung eines Gewinnverwen-

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Vorbereitung und Ausführung von Hauptversammlungsbeschlüssen

§ 83

dungsbeschlusses mit Dividendenausschüttung, ZHR 168 (2004) 437; Hommelhoff, Der aktienrechtliche Organstreit, ZHR 143 (1979) 288; Stodolkowitz, Gerichtliche Durchsetzung von Organpflichten in der Aktiengesellschaft, ZHR 154 (1990) 1; Werner, Ausgewählte Fragen zum Aktienrecht, AG 1972, 93.

Übersicht I. Regelungsgegenstand und Regelungszweck ................................ 1 II. Vorbereitungspflicht (§ 83 Abs. 1) ....................................... 2 1. Gegenstand der Vorbereitungspflicht .................................................. 2 a) Maßnahmen der Hauptversammlung ................................ 2 I.

b) Zustimmungsbedürftige Verträge .............................................. 5 2. Weisungsbeschluss ............................. 6 III. Ausführungspflicht (§ 83 Abs. 2) ....................................... 7 IV. Rechtsfolgen einer Pflichtverletzung ........................................ 11

Regelungsgegenstand und Regelungszweck

§ 83 regelt eine Pflicht des Vorstands zur Vorbereitung und Ausführung von Maßnahmen 1 der Hauptversammlung. Die Norm dient der Wahrung der Kompetenzen der Hauptversammlung, da diese aufgrund ihrer Organisationsschwäche zu den erforderlichen praktischen Maßnahmen selbst nicht in der Lage ist.1) II.

Vorbereitungspflicht (§ 83 Abs. 1)

1.

Gegenstand der Vorbereitungspflicht

a)

Maßnahmen der Hauptversammlung

Gemäß § 83 Abs. 1 ist der Vorstand zur Vorbereitung von Maßnahmen verpflichtet, die 2 in den Zuständigkeitsbereich der Hauptversammlung fallen. Dazu zählen – –

die in § 119 Abs. 1 aufgeführten Beschlussgegenstände, sonstige der Hauptversammlung gesetzlich zugewiesene Entscheidungen, bspw. gemäß §§ 103, 147, 173, 234 Abs. 2, 270 Abs. 2, 274, 319, 320 AktG, §§ 13, 65, 73 UmwG, – Maßnahmen, die der Hauptversammlung kraft ausdrücklicher Satzungsbestimmungen übertragen werden sowie – Fälle der ungeschriebenen Hauptversammlungszuständigkeit bei bestimmten Strukturmaßnahmen nach den Holzmüller-/Gelatine2)-Grundsätzen.3) Für Fragen der Geschäftsführung ist die Hauptversammlung nur zuständig, wenn der 3 Vorstand eine Entscheidung ausdrücklich gemäß § 119 Abs. 2 verlangt. Maßnahmen, für die die Zustimmung der Hauptversammlung nur gesellschaftsinterne Bedeutung hat, aber keine Wirksamkeitsvoraussetzung im Außenverhältnis ist, fallen nicht unter § 83 Abs. 1.4) Der Zweck der Wahrung der Kompetenz der Hauptversammlung greift hier nicht ein, da der Vorstand diese Maßnahmen mit ihrem Beschluss zwar ergreifen darf, nicht _____________ 1) 2) 3) 4)

Begr. RegE in: Kropff, AktG, S. 104. BGH, Urt. v. 25.2.1982 – II ZR 174/80 (Holzmüller), BGHZ 83, 122, 131 = ZIP 1982, 568; BGH, Urt. v. 26.4.2004 – II ZR 155/02 (Gelatine I), BGHZ 159, 30 = ZIP 2004, 993, dazu EWiR 2004, 573 (Just). Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 83 Rz. 6; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 83 Rz. 4; a. A. Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG § 83 Rz. 4. Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 83 Rz. 4; Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 83 Rz. 6; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 83 Rz. 8; Werner, AG 1972, 93, 98 f.; a. A. Mertens/Cahn in: KölnKommAktG, § 83 Rz. 4; Heidel-Oltmanns, AktR, § 83 AktG Rz. 2; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 83 Rz. 5 mit Hinweis darauf, dass die Vorbereitungspflicht für solche Maßnahmen aus der umfassenden Vorbereitungspflicht des Vorstandes folgt.

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aber muss.5) Entsprechende Fälle finden sich bspw. in den §§ 68 Abs. 2 Satz 2, 3, 111 Abs. 4 Satz 3, 221 Abs. 1 bis 3.6) 4 Mit der h. M. ist auch eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs auf die Vorbereitung der Initiativrechte von Minderheiten (z. B. die Bestellung eines Sonderprüfers gemäß §§ 142 Abs. 2 und 4, 258 Abs. 2 Satz 3 oder die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gemäß §§ 147, 309 Abs. 4 Satz 1) abzulehnen, da die Norm die effektive Wahrnehmung von Hauptversammlungskompetenzen bezweckt und nicht die Durchsetzung von Minderheitsverlangen gegen die Hauptversammlung.7) b)

Zustimmungsbedürftige Verträge

5 Gemäß. § 83 Abs. 1 Satz 2 gilt die Vorbereitungspflicht des Vorstands auch für zustimmungsbedürftige Verträge. Dies sind bspw. Unternehmens- und Verschmelzungsverträge gemäß § 293 Abs. 1, §§ 13, 65, 73 UmwG8) und Verträge über den Verzicht oder Vergleich im Hinblick auf Ersatzansprüche, §§ 50, 53 Satz 1, 93 Abs. 4 Satz 3, 116, 117 Abs. 4, 309 Abs. 3, 310 Abs. 4, 317 Abs. 4, 318 Abs. 4, 323 Abs. 1 Satz 2.9) Der Vorstand muss gemäß § 83 Abs. 1 Satz 2 einer Initiative der Hauptversammlung auch dann folgen, wenn er den Abschluss des Vertrages nicht für zweckmäßig hält.10) 2.

Weisungsbeschluss

6 Die Vorbereitungspflicht setzt ein Verlangen der Hauptversammlung voraus, das in Form eines Weisungsbeschlusses gestellt wird.11) Dieser bedarf gemäß § 83 Abs. 1 Satz 3 der jeweils für die Maßnahme oder den Vertrag erforderlichen Mehrheit. Zweck ist die Verhinderung von Vorbereitungshandlungen durch den Vorstand bei Maßnahmen, für die ohnehin keine ausreichende Mehrheit in der Hauptversammlung zu erreichen ist. III.

Ausführungspflicht (§ 83 Abs. 2)

7 Gemäß § 83 Abs. 2 besteht eine Ausführungspflicht des Vorstands für Maßnahmen, die die Hauptversammlung i. R. ihrer Zuständigkeit beschlossen hat. Dies gilt aufgrund der allgemeinen Legalitätspflicht (siehe oben § 76 Rz. 42) des Vorstands und der Regelung des § 93 Abs. 4 Satz 1. Danach tritt eine Haftungsbefreiung nur bei Ausführung eines gesetzmäßigen Hauptversammlungsbeschlusses ein, so dass die Norm nicht für gesetzeswidrige Hauptversammlungsbeschlüsse gilt.12) Der Beschluss darf weder nichtig noch anfechtbar sein. Entsprechend besteht eine Pflicht des Vorstands zur Prüfung und ggf. zur Erhebung einer Anfechtungsklage.13) _____________ 5) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 83 Rz. 2. 6) K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 83 Rz. 5. 7) Bürgers/Körber-Bürgers, AktG, § 83 Rz. 4; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 83 Rz. 9; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 83 Rz. 13; Hölters-Weber, AktG, § 83 Rz. 6; a. A. Grigoleit-Vedder, AktG, § 83 Rz. 3. 8) Vgl. BGH, Urt. v. 5.4.1993 – II ZR 238/91, BGHZ 122, 211 = ZIP 1993, 751 – zu Unternehmensverträgen. 9) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 83 Rz. 5; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 83 Rz. 6. 10) Bürgers/Körber-Bürgers, AktG, § 83 Rz. 3; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 83 Rz. 5; Hüffer/KochKoch, AktG, § 83 Rz. 3; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 83 Rz. 10; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 25 Rz. 131. 11) Begr. RegE in: Kropff, AktG, S. 104; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 83 Rz. 12. 12) Fleischer, BB 2005, 2025; Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 83 Rz. 12; Haertlein, ZHR 168 (2004) 437, 445 ff.; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 83 Rz. 10. 13) K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 83 Rz. 12; Spindler in MünchKomm-AktG § 83 Rz. 18.

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Bestellung und Abberufung des Vorstands

§ 84

Mit Heilung der Nichtigkeit nach § 242 oder dem Ablauf der Anfechtungsfrist ist ein 8 geheilter Beschluss jedoch als wirksam und rechtmäßig anzusehen und folglich ausführungspflichtig.14) Davon ist entgegen der Meinung in Teilen der Literatur15) auch keine Ausnahme für den Fall zu machen, dass der Vorstand es bei einem gesetzes- oder satzungswidrigen Beschluss pflichtwidrig versäumt, diesen gemäß § 245 Nr. 4, 5 anzufechten oder eine Nichtigkeitsklage zu erheben16). Die durch § 242 und § 246 bezweckte Rechtssicherheit erfordert es, dass auch diese Beschlüsse durch die Heilung wirksam und rechtmäßig werden. Durch ihre Ausführung macht sich der Vorstand nicht gemäß § 93 Abs. 2 schadensersatzpflichtig.17) Möglich bleibt jedoch eine Haftung des Vorstandmitglieds aufgrund der unterlassenen Klageerhebung.18) Bei Beschlüssen, deren Rechtswidrigkeit zweifelhaft ist, muss der Vorstand i. R. seiner Pflicht 9 prüfen, ob er diesen anficht und die Ausführung bis zu einer Entscheidung unterlässt. Bei unsicherer Rechtslage kommt ihm in einem solchen Fall ein gewisser Beurteilungsspielraum zu.19) Keine Ausführungspflicht besteht schließlich bei Vorliegen einer untersagenden Gerichtsentscheidung.20) Die Ausführungshandlung selbst kann bspw. im Abschluss eines Vertrages oder der An- 10 meldung zur Eintragung in das Handelsregister liegen.21) IV.

Rechtsfolgen einer Pflichtverletzung

Bei Verletzung einer Vorbereitungs- oder Ausführungspflicht haften die Vorstandsmit- 11 glieder unter den Voraussetzungen des § 93 Abs. 2 gegenüber der Gesellschaft auf Schadensersatz. Darüber hinaus liegt regelmäßig ein wichtiger Grund zur Abberufung gemäß § 84 Abs. 3 und zur fristlosen Kündigung des Anstellungsvertrags vor.22) Die Gesellschaft kann, vertreten durch den Aufsichtsrat, den Vorstand auf die Erfüllung der Pflichten aus § 83 verklagen.23) Die Gegenansicht bejaht stattdessen regelmäßig die Möglichkeit einer Aktionärsklage gegen den Vorstand.24) _____________ 14) 15) 16) 17) 18) 19) 20) 21) 22) 23) 24)

Fleischer, BB 2005, 2025 ff.; Hölters-Weber, AktG, § 83 Rz. 7. Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 83 Rz. 13; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 83 Rz. 24. Fleischer, BB 2005, 2025 ff.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 242 Rz. 7; Hölters-Weber, AktG, § 83 Rz. 7. Fleischer, BB 2005, 2025 ff. Hölters-Weber, AktG, § 83 Rz. 7. Spindler in: MünchKomm-AktG, § 83 Rz. 20; zum Handlungsspielraum Buck-Heeb, BB 2013, 2247. OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 16.2.2004 – 26 W 1/04, NZG 2004, 526; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 83 Rz. 5. Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 83 Rz. 14; Hölters-Weber, AktG, § 83 Rz. 9. Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 83 Rz. 8; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 83 Rz. 13. Heidel-Oltmanns, AktR, § 83 AktG Rz. 6; Wiesner in: MünchHdb. GesR., Bd. 4, § 25 Rz. 134; Hommelhoff, ZHR 143 (1979) 288, 309 f.; Stodolkowitz, ZHR 154 (1990) 1, 9 f. Bürgers/Körber-Bürgers, AktG, § 83 Rz. 6; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 83 Rz. 6; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 83 Rz. 12; für beide Möglichkeiten: K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 83 Rz. 13, 14.

§ 84 Bestellung und Abberufung des Vorstands (1) 1Vorstandsmitglieder bestellt der Aufsichtsrat auf höchstens fünf Jahre. 2Eine wiederholte Bestellung oder Verlängerung der Amtszeit, jeweils für höchstens fünf Jahre, ist zulässig. 3Sie bedarf eines erneuten Aufsichtsratsbeschlusses, der frühestens ein Jahr vor Ablauf der bisherigen Amtszeit gefaßt werden kann. 4Nur bei einer Bestellung auf weniger als fünf Jahre kann eine Verlängerung der Amtszeit ohne neuen Aufsichtsratsbeschluß vorgesehen werden, sofern dadurch die gesamte Amtszeit nicht mehr als Simon Link

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Bestellung und Abberufung des Vorstands

§ 84

Mit Heilung der Nichtigkeit nach § 242 oder dem Ablauf der Anfechtungsfrist ist ein 8 geheilter Beschluss jedoch als wirksam und rechtmäßig anzusehen und folglich ausführungspflichtig.14) Davon ist entgegen der Meinung in Teilen der Literatur15) auch keine Ausnahme für den Fall zu machen, dass der Vorstand es bei einem gesetzes- oder satzungswidrigen Beschluss pflichtwidrig versäumt, diesen gemäß § 245 Nr. 4, 5 anzufechten oder eine Nichtigkeitsklage zu erheben16). Die durch § 242 und § 246 bezweckte Rechtssicherheit erfordert es, dass auch diese Beschlüsse durch die Heilung wirksam und rechtmäßig werden. Durch ihre Ausführung macht sich der Vorstand nicht gemäß § 93 Abs. 2 schadensersatzpflichtig.17) Möglich bleibt jedoch eine Haftung des Vorstandmitglieds aufgrund der unterlassenen Klageerhebung.18) Bei Beschlüssen, deren Rechtswidrigkeit zweifelhaft ist, muss der Vorstand i. R. seiner Pflicht 9 prüfen, ob er diesen anficht und die Ausführung bis zu einer Entscheidung unterlässt. Bei unsicherer Rechtslage kommt ihm in einem solchen Fall ein gewisser Beurteilungsspielraum zu.19) Keine Ausführungspflicht besteht schließlich bei Vorliegen einer untersagenden Gerichtsentscheidung.20) Die Ausführungshandlung selbst kann bspw. im Abschluss eines Vertrages oder der An- 10 meldung zur Eintragung in das Handelsregister liegen.21) IV.

Rechtsfolgen einer Pflichtverletzung

Bei Verletzung einer Vorbereitungs- oder Ausführungspflicht haften die Vorstandsmit- 11 glieder unter den Voraussetzungen des § 93 Abs. 2 gegenüber der Gesellschaft auf Schadensersatz. Darüber hinaus liegt regelmäßig ein wichtiger Grund zur Abberufung gemäß § 84 Abs. 3 und zur fristlosen Kündigung des Anstellungsvertrags vor.22) Die Gesellschaft kann, vertreten durch den Aufsichtsrat, den Vorstand auf die Erfüllung der Pflichten aus § 83 verklagen.23) Die Gegenansicht bejaht stattdessen regelmäßig die Möglichkeit einer Aktionärsklage gegen den Vorstand.24) _____________ 14) 15) 16) 17) 18) 19) 20) 21) 22) 23) 24)

Fleischer, BB 2005, 2025 ff.; Hölters-Weber, AktG, § 83 Rz. 7. Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 83 Rz. 13; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 83 Rz. 24. Fleischer, BB 2005, 2025 ff.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 242 Rz. 7; Hölters-Weber, AktG, § 83 Rz. 7. Fleischer, BB 2005, 2025 ff. Hölters-Weber, AktG, § 83 Rz. 7. Spindler in: MünchKomm-AktG, § 83 Rz. 20; zum Handlungsspielraum Buck-Heeb, BB 2013, 2247. OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 16.2.2004 – 26 W 1/04, NZG 2004, 526; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 83 Rz. 5. Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 83 Rz. 14; Hölters-Weber, AktG, § 83 Rz. 9. Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 83 Rz. 8; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 83 Rz. 13. Heidel-Oltmanns, AktR, § 83 AktG Rz. 6; Wiesner in: MünchHdb. GesR., Bd. 4, § 25 Rz. 134; Hommelhoff, ZHR 143 (1979) 288, 309 f.; Stodolkowitz, ZHR 154 (1990) 1, 9 f. Bürgers/Körber-Bürgers, AktG, § 83 Rz. 6; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 83 Rz. 6; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 83 Rz. 12; für beide Möglichkeiten: K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 83 Rz. 13, 14.

§ 84 Bestellung und Abberufung des Vorstands (1) 1Vorstandsmitglieder bestellt der Aufsichtsrat auf höchstens fünf Jahre. 2Eine wiederholte Bestellung oder Verlängerung der Amtszeit, jeweils für höchstens fünf Jahre, ist zulässig. 3Sie bedarf eines erneuten Aufsichtsratsbeschlusses, der frühestens ein Jahr vor Ablauf der bisherigen Amtszeit gefaßt werden kann. 4Nur bei einer Bestellung auf weniger als fünf Jahre kann eine Verlängerung der Amtszeit ohne neuen Aufsichtsratsbeschluß vorgesehen werden, sofern dadurch die gesamte Amtszeit nicht mehr als Simon Link

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fünf Jahre beträgt. 5Dies gilt sinngemäß für den Anstellungsvertrag; er kann jedoch vorsehen, daß er für den Fall einer Verlängerung der Amtszeit bis zu deren Ablauf weitergilt. (2) Werden mehrere Personen zu Vorstandsmitgliedern bestellt, so kann der Aufsichtsrat ein Mitglied zum Vorsitzenden des Vorstands ernennen. (3) 1Der Aufsichtsrat kann die Bestellung zum Vorstandsmitglied und die Ernennung zum Vorsitzenden des Vorstands widerrufen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. 2Ein solcher Grund ist namentlich grobe Pflichtverletzung, Unfähigkeit zur ordnungsmäßigen Geschäftsführung oder Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung, es sei denn, daß das Vertrauen aus offenbar unsachlichen Gründen entzogen worden ist. 3 Dies gilt auch für den vom ersten Aufsichtsrat bestellten Vorstand. 4Der Widerruf ist wirksam, bis seine Unwirksamkeit rechtskräftig festgestellt ist. 5Für die Ansprüche aus dem Anstellungsvertrag gelten die allgemeinen Vorschriften. (4) Die Vorschriften des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 801-2, veröffentlichten bereinigten Fassung – Montan-Mitbestimmungsgesetz – über die besonderen Mehrheitserfordernisse für einen Aufsichtsratsbeschluß über die Bestellung eines Arbeitsdirektors oder den Widerruf seiner Bestellung bleiben unberührt. Literatur: Arnold/Schansker, Die Zweiwochenfrist des § 626 II BGB bei der außerordentlichen Kündigung vertretungsberechtigter Organmitglieder, NZG 2013, 1172; Bauer, Gesellschaftsrechtliche Sonderregeln bei der Beendigung von Vorstands- und Geschäftsführerverträgen, DB 2003, 811; Bauer, Rechtliche und taktische Probleme bei der Beendigung von Vorstandsverhältnisse, DB 1992, 1413; Bauer/Arnold, AGG-Probleme bei vertretungsberechtigten Organmitgliedern, ZIP 2008, 993; Bauer/Arnold, Vorstandsverträge im Kreuzfeuer der Kritik, DB 2006, 260; Bauer/Arnold/Kramer, Schiedsvereinbarungen mit Geschäftsführern und Vorstandsmitgliedern, AG 2014, 677; Bauer/Krieger, Formale Fehler bei Abberufung und Kündigung vertretungsberechtigter Organmitglieder, ZIP 2004, 1247; Bauer/v. Medem, Spielregeln und Usancen bei der Beendigung von Vorstandsverträgen, NZA 2014, 238; Bayer, Erkrankungen von Vorstandsmitgliedern – Rechtlicher Rahmen, empirische Studie, Empfehlungen an Praxis und Regelsetzer, in: Festschrift für Peter Hommelhoff, 2012, S. 87; Bayer/Lieder, Die Lehre vom fehlerhaften Bestellungsverhältnis, NZG 2012, 1; Besse/Heuser, Zur Vereinbarkeit der vorzeitigen Wiederbestellung von Vorständen mit § 84 I 3 AktG, DB 2012, 2385; Bezzenberger, Der Vorstandsvorsitzende der Aktiengesellschaft, ZGR 1996, 661; Bosse/Hinderer, Vorzeitige Wiederbestellung des Vorstands auf dem Prüfstand, NZG 2011, 605; Bürgers/Theusinger, Die Zulässigkeit einvernehmlicher Aufhebung der Bestellung eines Vorstandsmitglieds bei gleichzeitiger Neubestellung, NZG 2012, 1218; Deilmann/Dornbusch, Drittanstellung im Konzern, NZG 2016, 201; Densch/Kahlo, Zur Ausschlußfrist des § 626 Abs. 2 BGB bei fristloser Kündigung eines GmbH-Geschäftsführers durch die Gesellschafterversammlung, DB 1983, 811; Diekmann/Punte, Aktuelles zur Drittanstellung, Drittvergütung und Haftung von Mitgliedern des Vorstands, WM 2016, 681; Dörrwächter, Die Suspendierung von Vorstandsmitgliedern, NZG 2018, 54; Fischer, Die Fremdgeschäftsführerin und andere Organvertreter auf dem Wege zur Arbeitnehmereigenschaft, NJW 2011, 2329; Fleischer, Vorzeitige Wiederbestellung von Vorstandsmitgliedern: Zulässige Gestaltungsmöglichkeit oder unzulässige Umgehung des § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG?, DB 2011, 861; Fleischer, Gesundheitsprobleme eines Vorstandsmitglieds im Lichte des Aktien- und Kapitalmarktrechts, NZG 2010, 561; Fleischer, Bestellungsdauer und Widerruf der Bestellung von Vorstandsmitgliedern im in- und ausländischen Aktienrecht, AG 2006, 429; Fleischer, Haftungsfreistellung, Prozesskostenersatz und Versicherung für Vorstandsmitglieder – eine rechtsvergleichende Bestandsaufnahme zur Enthaftung des Mana-

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gements, WM 2005, 909; Fleischer, Zur organschaftlichen Treuepflicht der Geschäftsleiter im Aktien- und GmbH-Recht, WM 2003, 1045; Fleischer, Zur Leitungsaufgabe des Vorstands im Aktienrecht, ZIP 2003, 1; Fonk, Vergütungsrelevante Zielvereinbarungen und Vorgaben versus Leitungsbefugnis des Vorstands, ZGR 2011, 321; Fonk., Zur Vertragsgestaltung bei Vorstandsdoppelmandaten, NZG 2010, 368; Fonk., Rechtsfragen nach der Abberufung von Vorstandsmitgliedern und Geschäftsführern, NZG 1998, 408; Forst, Rechtfertigen wertpapieraufsichtsrechtliche Maßnahmen zulasten von Vorstandsmitgliedern deren Abberufung oder die Kündigung des Anstellungsvertrags?, AG 2013, 277; Goette, Leitung, Aufsicht, Haftung – Rolle der Rechtsprechung bei der Sicherung einer modernen Unternehmensführung, in: Festschrift 50 Jahre BGH, 2000, S. 123; Götz, Die vorzeitige Wiederwahl von Vorständen – Kritisches zur Wiederbestellung vor Beginn des Jahreszeitraums des § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG, AG 2002, 305; Grumann/Gillmann, Abberufung und Kündigung von Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft, DB 2003, 770; Habersack, Verkleinerung des Vorstands durch Abberufung aus wichtigem Grund?, DB 2015, 787; Habersack/Wasserbäch, Organhandeln vor Schiedsgerichten, AG 2016, 2; Hoefs/Rentsch, Altersdiskriminierung von Organmitgliedern, DB 2012, 2733; Hoffmann-Becking, Abfindungsleistungen an ausscheidende Vorstandsmitglieder, ZIP 2007, 2101; Hoffmann-Becking, Vorstandsvorsitzender oder CEO?, NZG 2003, 745; Hoffmann-Becking, Zur rechtlichen Organisation der Zusammenarbeit im Vorstand der AG, ZGR 1998, 497; Hoffmann-Becking, Zum einvernehmlichen Ausscheiden von Vorstandsmitgliedern. Bemerkungen im Anschluß an die Entscheidung BGHZ 79, 38 „Poulain/West LB“, in: Festschrift für Walter Stimpel, 1985, S. 589; Hoffmann-Becking/Krieger, Leitfaden zur Anwendung des Gesetzes zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG), NZG Beilage zu Heft 26/2009, S. 1; Hölters/Weber, Vorzeitige Wiederbestellung von Vorstandsmitgliedern, AG 2005, 629; Hüffer, Aktienbezugsrechte als Bestandteil der Vergütung von Vorstandsmitgliedern und Mitarbeitern – gesellschaftsrechtliche Analyse, ZHR 161 (1997) 214; Janzen, Vorzeitige Beendigung von Vorstandsamt und -vertrag, NZG 2003, 468; Jooß, Die Drittanstellung des Vorstandsmitglieds einer AG, NZG 2011, 1130; Kliemt, Altersgrenzen für Vorstandsmitglieder – noch rechtskonform?, RdA 2015, 232; Klöckner, Die Aktiengesellschaft in der Insolvenz – Bestellung und Abberufung des Vorstands, AG 2010, 780; Köhler, Fehlerhafte Vorstandsverträge, NZG 2008, 161; Kort, Ungleichbehandlung von Geschäftsleitungsmitgliedern bei AG und GmbH wegen des Alters, WM 2013, 1049; Krieger, Zahlungen der Aktiengesellschaft im Strafverfahren gegen Vorstandsmitglieder, in: Festschrift für Gerold Bezzenberger, 2000, S. 211; Langer/Peters, Rechtliche Möglichkeiten einer unterschiedlichen Kompetenzzuweisung an einzelne Vorstandsmitglieder, BB 2012, 2575; Leuchten, Zur vorzeitigen Wiederbestellung von Vorständen, NZG 2005, 909; Leuering, Die Zurückweisung von einseitigen Rechtsgeschäften des Aufsichtsrats nach § 174 BGB, NZG 2004, 120; Lutter, Anwendbarkeit der Altersbestimmungen des AGG auf Organpersonen, BB 2007, 725; Martens, Vertretungsorgan und Arbeitnehmerstatus in konzernabhängigen Gesellschaften, in: Festschrift für Marie Luise Hilger und Hermann Stumpf, 1983, S. 437; Mertens, Verfahrensfragen bei Personalentscheidungen des mitbestimmten Aufsichtsrats, ZGR 1983, 189; Messer, Die Abberufung des Vorstands der AG wegen Vertrauensentzugs durch die Hauptversammlung, in: Festschrift für Rudolf Nirk, 1992, S. 681; Mielke, Die Abberufung von Vorstandsmitgliedern wegen Vertrauensentzugs durch die Hauptversammlung – beweis- und verfahrensrechtliche Fragen, BB 2014, 1035; Molk, Zur Insolvenzsicherung der Betriebsrenten von Gesellschafter-Geschäftsführern, ZIP 1980, 422; Paschos/ v. d. Linden, Vorzeitige Wiederbestellung von Vorstandsmitgliedern, AG 2012, 736; Peltzer, Rechtsprobleme beim unfreiwilligen vorzeitigen Ausscheiden von Vorstandsmitgliedern von AG’s und Geschäftsführern von GmbH’s, BB 1976, 1249; Priester, Neufestsetzung der Amtszeit von Vorstandsmitgliedern, ZIP 2012, 1781; Rehbinder, Rechtliche Schranken der Erstattung von Bußgeldern an Organmitglieder und Angestellte, ZHR 148 (1984) 555; Säcker, Rechtsprobleme beim Widerruf der Bestellung von Organmitgliedern und Ansprüche aus fehlerhaften Anstellungsverträgen, in: Festschrift für Gerhard Müller, 1981, S. 745; Schaefer/ Missling, Haftung von Vorstand und Aufsichtsrat, NZG 1998, 441; Schick, Übernahme und Erstattung von Rechtsverteidigungs- und Verfahrenskosten durch eine Aktiengesellschaft im

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Bestellung und Abberufung des Vorstands

Zusammenhang mit Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen Organmitglieder, ZWH 2012, 433; Schmidt, K., Bestellung und Abberufung des Vorstands in der Insolvenz einer Aktiengesellschaft, AG 2011, 1; Schmolke, „Shoot out“-Klauseln und Verpflichtung des Vorstands zur Amtsniederlegung, ZIP 2014, 897; Schmolke, Die Abberufung des Vorstandsmitglieds auf Verdacht, AG 2014, 377; Schockenhoff, Vorstände im Visier aktivistischer Aktionäre, Auswechselung und Vergütungsreduzierung auf Verlangen von Aktionären und Investoren?, ZIP 2017, 1785; Schockenhoff/Topf, Formelle Wirksamkeitsanforderungen an die Abberufung eines Vorstandsmitglieds und die Kündigung seines Anstellungsvertrages, DB 2005, 539; Schrader/ Felsmann, Die Abberufung von Vorstandsmitgliedern wegen Vertrauensentzug, GWR 2017, 393; Schürnbrand, Zur fehlerhaften Berufung von Aufsichtsratsmitgliedern und zur fehlerhaften Abberufung von Vorstandsmitgliedern, NZG 2008, 609; Seibt, Deutscher Corporate Governance Kodex – Antwort auf Zweifelsfragen in der Praxis, AG 2003, 465; Semler, Rechtsvorgabe und Realität der Organzusammenarbeit in der Aktiengesellschaft, in: Festschrift für Marcus Lutter, 2000, S. 721; Simons/Hanloser, Vorstandsvorsitzender und Vorstandssprecher, AG 2010, 641; Stein, Die neue Dogmatik der Wissensverantwortung bei der außerordentlichen Kündigung von Organmitgliedern der Kapitalgesellschaften – Besprechung der Entscheidung BGH ZIP 1998, S. 1269, ZGR 1999, 264; Strohn, Faktische Organe – Rechte, Pflichten, Haftung, DB 2011, 158; Thüsing/Granetzny, Zur Abdingbarkeit des BetrAVG bei Organmitgliedern, NZG 2010, 449; Tschöpe/Wortmann, Der wichtige Grund bei Abberufungen und außerordentlichen Kündigungen von geschäftsführenden Organvertretern, NZG 2009, 161; Vetter, E., Die Drittanstellung von Vorstandsmitgliedern und aktienrechtliche Kompetenzordnung, in: Festschrift für Michael Hoffmann-Becking, 2013, S. 1297; Weber/Dahlbender, Die Verlängerung von Anstellungsverträgen mit Vorständen, DB 1996, 2373; Wedemann, Vorzeitige Wiederbestellung von Vorstandsmitgliedern: Gesetzesumgehung, Rechtsmissbrauch und intertemporale Organtreue auf dem Prüfstand, ZGR 2013, 316; Werner, Ausgewählte Fragen zum Aktienrecht, AG 1990, 1; Westermann, Zur personellen und sachlichen Reichweite von Schiedsvereinbarungen über gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten, in: Festschrift für Wulf Goette, 2011, S. 601; Wicke, Der CEO im Spannungsverhältnis zum Kollegialprinzip – Gestaltungsüberlegungen zur Leitungsstruktur einer Aktiengesellschaft, NJW 2007, 3755; Wiesner, Zum Beginn der Ausschlußfrist des § 626 Abs. 2 BGB bei Kenntniserlangung durch Organmitglieder, BB 1981, 1533; Wilhelm, Selbstwahl eines Aufsichtsratsmitglieds in den Vorstand, NJW 1983, 912; Willemer, Die Neubestellung von Vorstandsmitgliedern vor Ablauf der Amtsperiode, AG 1977, 130; Wilsing/Meyer, Diskriminierungsschutz für Geschäftsführer, NJW 2012, 3211; Wilsing/Paul, BGH: Generelle Zulässigkeit der vorzeitigen Wiederbestellung von Vorstandsmitgliedern, BB 2012, 2455; Zimmermann, Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung und Stimmrechtsausübung, in: Festschrift für Heinz Rowedder, 1994, S. 593; Zöllner, Lohn ohne Arbeit bei Vorstandsmitgliedern, in: Festschrift für Hans-Georg Koppensteiner, 2001, S. 291.

Übersicht I. Regelungsgegenstand und Regelungszweck ................................ 1 II. Bestellung von Vorstandsmitgliedern (§ 84 Abs. 1) ................. 3 1. Allgemeines ........................................ 3 2. Zuständigkeit ..................................... 6 3. Verfahren ........................................... 7 4. Beschlussermessen ............................. 8 5. Amtszeit ........................................... 10 a) Dauer der Bestellung ................. 10 b) Verlängerung und wiederholte Bestellung ................................... 11

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6. Fehlerhafte Organstellung ............... 15 III. Anstellungsvertrag (§ 84 Abs. 1 Satz 5) ............................................... 17 1. Allgemeines ....................................... 17 2. Diskriminierungsverbot ................... 18 3. Drittanstellung ................................. 21 4. Zuständigkeit .................................... 24 5. Dauer des Anstellungsvertrages ...... 26 6. Rechte und Pflichten aus dem Anstellungsvertrag ............................ 30 a) Allgemeines ................................ 30 b) Bezüge ......................................... 31

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Bestellung und Abberufung des Vorstands c) Sonstige Ansprüche ................... 37 d) Pflichten der Vorstandsmitglieder ......................................... 40 IV. Ernennung eines Vorsitzenden (§ 84 Abs. 2) ..................................... 43 1. Ernennung und Widerruf ................. 43 2. Rechtsstellung .................................. 45 3. Vorstandssprecher ............................ 47 V. Widerruf der Bestellung (§ 84 Abs. 3) ..................................... 48 1. Zuständigkeit und Verfahren ........... 49 2. Wichtiger Grund .............................. 51 a) Allgemeine Anforderungen ....... 52 b) Gesetzliche Beispiele .................. 55 aa) Grobe Pflichtverletzung ............ 55 bb) Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung ....... 56 cc) Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung .................... 57 dd) Sonstige Gründe ......................... 59 3. Wirkung des Widerrufs .................... 60 4. Rechtsschutz des Vorstandsmitglieds ............................................ 61 5. Sonstige Beendigungsgründe ........... 63 I.

a) Amtsniederlegung ...................... b) Einvernehmliches Ausscheiden .. 6. Suspendierung .................................. VI. Kündigung des Anstellungsvertrags (§ 84 Abs. 3 Satz 5) ................ 1. Allgemeines ...................................... 2. Zuständigkeit und Verfahren ........... 3. Außerordentliche Kündigung durch die Gesellschaft ...................... a) Allgemeines ................................ b) Vorliegen eines wichtigen Grundes ...................................... c) Kündigungsfrist ......................... d) Rechtsschutz .............................. e) Nachschieben von Gründen ...... 4. Ordentliche Kündigung durch die Gesellschaft ...................................... 5. Kündigung durch das Vorstandsmitglied ............................................. 6. Einvernehmliche Aufhebung ........... VII. Bestellung und Abberufung des Arbeitsdirektors in mitbestimmten Gesellschaften (§ 84 Abs. 4) ....

63 66 67 71 71 72 75 75 76 80 83 84 86 87 89

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Regelungsgegenstand und Regelungszweck

§ 84 regelt die Bestellung und Abberufung der Vorstandsmitglieder durch den Aufsichts- 1 rat. Dieser hat die ausschließliche Personalkompetenz in Vorstandsangelegenheiten, die auch nicht durch eine abweichende Satzungsregelung (§ 23 Abs. 5) modifiziert werden kann.1) Darüber hinaus sichern die Grenzen der Abberufungsmöglichkeit die Unabhängigkeit der Vorstandsmitglieder. Gemäß § 84 Abs. 1 bestellt der Aufsichtsrat die Vorstandsmitglieder für eine Dauer von höchstens fünf Jahren, eine wiederholte Bestellung oder Verlängerung der Amtszeit ist zulässig. Der Aufsichtsrat kann ein Vorstandsmitglied auch zum Vorstandsvorsitzenden ernennen, § 84 Abs. 2. Ein Widerruf der Bestellung setzt gemäß § 84 Abs. 3 einen wichtigen Grund voraus. In mitbestimmten Gesellschaften sind gemäß § 84 Abs. 4 die Regelungen zur Bestellung und Abberufung eines Arbeitsdirektors zu beachten. Nach dem in § 84 Abs. 1 Satz 5 und § 84 Abs. 3 Satz 5 zum Ausdruck kommenden 2 Trennungsprinzip ist zwischen der korporationsrechtlichen Bestellung und dem schuldrechtlichen Anstellungsvertrag zu unterscheiden.2) Beide Rechtsverhältnisse sind grundsätzlich voneinander unabhängig und insbesondere ein Widerruf der aktienrechtlichen Bestellung ist nicht notwendig mit einem Erlöschen des Anstellungsvertrags verbunden. _____________ 1) 2)

Allg. M., vgl. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 84 Rz. 1; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 84 Rz. 1. Ganz h. M.: BGH, Urt. v. 29.5.1989 – II ZR 220/88, NJW 1989, 2683 = ZIP 1989, 1190; BGH, Urt. v. 28.10.2002 – II ZR 146/02, ZIP 2003, 28 = NJW 2003, 351, dazu EWiR 2003, 259 (Frey) – zur GmbH; Begr. RegE in: Kropff, AktG, S. 106; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 84 Rz. 7; Hüffer/KochKoch, AktG, § 84 Rz. 2; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 7 Rz. 331; Mertens/ Cahn in: KölnKomm-AktG, § 84 Rz. 4; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 84 Rz. 5; a. A. – i. S. der Einheitstheorie – Baums, Geschäftsleitervertrag, S. 3 ff.; Bauer, DB 1992, 1413 f.

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§ 84

Bestellung und Abberufung des Vorstands

II.

Bestellung von Vorstandsmitgliedern (§ 84 Abs. 1)

1.

Allgemeines

3 Die Bestellung ist ein mehraktiger Prozess, der alle Handlungen des Aufsichtsrats und des künftigen Vorstandsmitglieds erfasst, die zur Begründung der aktienrechtlichen Stellung als Vorstand erforderlich sind.3) Dazu zählen der Bestellungsbeschluss durch den Aufsichtsrat gemäß § 108, die Erklärung der Bestellung gegenüber dem künftigen Vorstandsmitglied und dessen Annahmeerklärung, die gegenüber dem Aufsichtsrat kundgegeben wird.4) Sowohl die Bestellung als auch die Annahmeerklärung haben rechtsgeschäftlichen Charakter5) und sind gemäß § 130 BGB zugangsbedürftig. 4 Es besteht kein Formbedürfnis, die Erklärungen können auch konkludent, etwa durch Aufnahme der Vorstandstätigkeit, erfolgen.6) Auch eine Bestellung für einen bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft oder eine bedingte Bestellung sind zulässig.7) Die Auffassung, wonach dem Rechtsgedanken des § 84 Abs. 1 Satz 3 folgend der Zeitraum bis zum Eintritt der Bedingung oder bis zum vorherbestimmten Zeitpunkt nicht länger als ein Jahr betragen darf,8) ist abzulehnen. § 84 Abs. 1 Satz 3 dient dazu, eine Umgehung der Höchstbestellungsdauer zu verhindern. Das ist aber bei einer aufschiebenden Bedingung oder Befristung nicht zu besorgen. 5 Die Zuweisung eines bestimmten Geschäftsbereichs ist nicht Teil der Bestellung, sondern der Regelung der Geschäftsordnung.9) In mitbestimmten Gesellschaften ist der Arbeitsdirektor gemäß § 33 MitbestG, § 13 MontanMitbestG, § 13 MitbestErgG dagegen zwingend für den Kernbereich Arbeit und Soziales zuständig.10) Die Frage nach einer entsprechenden Regelung im Anstellungsvertrag ist von der Ressortzuteilung im Bestellungsbeschluss zu trennen (siehe § 83 Rz. 30). 2.

Zuständigkeit

6 Da die Delegation an einen Ausschuss gemäß § 107 Abs. 3 Satz 4 unzulässig ist, beschließt der Aufsichtsrat als Gesamtorgan.11) Diese Zuständigkeit ist zwingend, weder die Satzung noch die Hauptversammlung können Abweichungen vorsehen.12) Eine vorbereitende Tätigkeit durch einen Aufsichtsratsausschuss bleibt jedoch möglich,13) wie sich auch aus Ziff. 5.1.2. Abs. 1 Satz 5 DCGK ergibt. Dabei ist es praxisüblich und zulässig, dass eine _____________ 3) K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 84 Rz. 6; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 84 Rz. 9; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 20 Rz. 12. 4) OLG Nürnberg, Urt. v. 20.12.2013 – 12 U 49/13, NZG 2014, 222, 225 = ZIP 2014, 171 = DB 2014, 709, dazu EWiR 2014, 139 (Wachter); Henssler/Strohn-Dauner-Lieb, GesR, § 84 AktG Rz. 4; Spindler/ Stilz-Fleischer, AktG, § 84 Rz. 5; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 84 Rz. 3; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 84 Rz. 6 – mit Übersicht zum Meinungsstand; Grigoleit-Vedder, AktG, § 84 Rz. 4. 5) BGH, Urt. v. 22.9.1969 – II ZR 144/68, BGHZ 52, 316, 321 = NJW 1970, 33 – zur GmbH; Spindler/ Stilz-Fleischer, AktG, § 84 Rz. 5; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 84 Rz. 4; Hölters-Weber, AktG, § 84 Rz. 3. 6) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 84 Rz. 3; Semler/Peltzer/Kubis-Richter, ArbHdb. Vorstandsmitglieder, § 2 Rz. 30; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 84 Rz. 22. 7) Kort in: GroßKomm-AktG, § 84 Rz. 37; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 84 Rz. 6. 8) Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 20 Rz. 16. 9) Bürgers/Körber-Bürgers, AktG, § 84 Rz. 2; Mertens, ZGR 1983, 189, 196. 10) Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 84 Rz. 3, Hölters-Weber, AktG, § 84 Rz. 4. 11) BGH, Urt. v. 24.11.1980 – II ZR 182/79, BGHZ 79, 38, 42 = NJW 1981, 757 = ZIP 1981, 45; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 84 Rz. 9; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 84 Rz. 5; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 84 Rz. 7; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 84 Rz. 8. 12) Spindler in: MünchKomm-AktG, § 84 Rz. 12. 13) Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 7 Rz. 337.

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Bestellung und Abberufung des Vorstands

§ 84

vorbereitende Auswahl getroffen und dem Plenum schließlich nur ein Vorschlag zur Beschlussfassung vorgelegt wird. Der Ausschuss hat den Gesamtaufsichtsrat i. R. seiner allgemeinen Berichtspflicht gemäß § 107 Abs. 3 Satz 5 in gewissen Abständen über seine Tätigkeit zu informieren.14) Auch nach der Insolvenzeröffnung bleibt der Aufsichtsrat weiter zuständig.15) 3.

Verfahren

Der Aufsichtsrat entscheidet gemäß § 108 durch Beschluss. Eine konkludente Beschluss- 7 fassung, bspw. durch Duldung der Vorstandstätigkeit, genügt nicht.16) In der Einladung zur Aufsichtsratssitzung muss der Beschlussgegenstand hinreichend konkret bezeichnet werden. Im Einzelfall kann ggf. auch ein Verweis auf „Vorstandsangelegenheiten“ ausreichen, um den Mitgliedern deutlich zu machen, dass die Bestellung oder das Ausscheiden eines Vorstandsmitglieds zur Entscheidung ansteht.17) Der Aufsichtsrat trifft seine Entscheidung mit einfacher Mehrheit.18) Für die Bestellung in mitbestimmten Gesellschaften enthält § 31 MitbestG spezielle Reglungen. Ein qualifiziertes Mehrheitserfordernis kann nicht statuiert werden.19) Bei der Besetzung mehrerer Vorstandsposten hat eine gesonderte Abstimmung über jedes Vorstandsmitglied zu erfolgen.20) Eine bestimmte Form, bspw. die notarielle Beurkundung der Beschlussfassung, sieht das Gesetz nicht vor, kann aber in der Satzung oder der Geschäftsordnung festgelegt werden.21) Ein Verstoß hat jedoch keinen Einfluss auf die Wirksamkeit des Bestellungsbeschlusses.22) Nach überwiegender Auffassung unterliegt ein Aufsichtsratsmitglied, das selbst zum Vorstand gewählt werden soll, nach dem Rechtsgedanken der §§ 34, 181 BGB einem Stimmenthaltungsgebot bei der Beschlussfassung.23) 4.

Beschlussermessen

Der Aufsichtsrat übt bei seiner Entscheidung eigenes unternehmerisches Ermessen aus.24) 8 Rechtsgeschäftliche Regelungen, die diese Entscheidungsfreiheit einschränken, sind ge_____________ 14) Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 7 Rz. 337. 15) OLG Nürnberg, Urt. v. 20.3.1990 – 1 U 2275/89 (Maxhütte), ZIP 1991, 1020 = AG 1991, 446, = WM 1991, 1719; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 84 Rz. 9; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 84 Rz. 5; K. Schmidt, AG 2011, 1 ff.; K. Schmidt, AG 2011, 1 ff.; a. A. Hauptversammlungszuständigkeit – Klöckner, AG 2010, 780. 16) BGH, Urt. v. 6.4.1964 – II ZR 75/62, BGHZ 41, 282, 286= NJW 1964, 1367; OLG Dresden, Urt. v. 31.8.1999 – 13 U 1215/99, AG 2000, 43, 44 = ZIP 1999, 1632 = NZG 2000, 426; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 84 Rz. 18. 17) Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 31 Rz. 42; a. A. BGH, Urt. v. 29.5.2000 – II ZR 47/99, WM 2000, 1543, 1544 = ZIP 2000, 1336 = DB 2000, 1959 – zur Verwaltungsratssitzung einer Sparkasse; OLG Stuttgart, Urt. v. 15.4.1985 – 2 U 57/85, ZIP 1985, 539, 541 = WM 1985, 600; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 110 Rz. 19; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 110 Rz. 23; Spindler/StilzFleischer, AktG, § 110 Rz. 19. 18) Kort in: GroßKomm-AktG, § 84 Rz. 33; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 84 Rz. 19; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 20 Rz. 19. 19) Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 84 Rz. 12; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 84 Rz. 10. 20) Bürgers/Körber-Bürgers, AktG, § 84 Rz. 5; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 84 Rz. 19. 21) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 84 Rz. 11; Wiesner in: MünchHdB. GesR, Bd. 4, § 20 Rz. 23. 22) Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 84 Rz. 29; Fleischer-Thüsing, Hdb. VorstandsR, § 4 Rz. 22. 23) Bürgers/Körber-Bürgers, AktG, § 84 Rz. 5; Henssler/Strohn-Dauner-Lieb, GesR, § 84 AktG Rz. 7; Fleischer-Thüsing, Hdb. VorstandsR, § 4 Rz. 22; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 84 Rz. 19; Hölters-Weber, AktG, § 84 Rz. 13; a. A. Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 7 Rz. 347; Matthießen, Stimmrecht und Interessenskollision im Aufsichtsrat, 1989, S. 230 ff.; Mertens, ZGR 1983, 189, 203 ff.; Wilhelm, NJW 1983, 912, 915. 24) OLG Düsseldorf, Beschl. v. 13.7.2015 – I-26 W 16/14, WM 2015, 2053, 2057 = ZIP 2015, 1779; Goette in: FS 50 Jahre BGH, S. 123, 129.

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Bestellung und Abberufung des Vorstands

mäß § 134 BGB nichtig.25) Da das Ermessen des Aufsichtsrats gewahrt werden muss, kann auch die Satzung nur begrenzt verbindliche Eignungsvoraussetzungen bestimmen (siehe oben § 76 Rz. 65). 9 Die in § 76 Abs. 3 geregelten Eignungsvoraussetzungen und Bestellungshindernisse stellen eine gesetzliche Grenze des Auswahlermessens dar. 5.

Amtszeit

a) Dauer der Bestellung 10 Gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 kann eine Bestellung oder Verlängerung der Bestellung für einen Zeitraum von höchstens fünf Jahren erfolgen. Zweck der Norm ist, jedenfalls alle fünf Jahre eine verantwortliche Beratung des Aufsichtsrats über die Weiterbeschäftigung des Vorstands sicherzustellen und eine Trennung nach diesem Zeitraum ohne Erfordernis eines wichtigen Grundes zu ermöglichen.26) Eine Mindestdauer ist gesetzlich nicht vorgesehen. Um die Unabhängigkeit des Vorstands vom Aufsichtsrat zu gewährleisten muss eine Bestellung, die nicht ausnahmsweise der Überbrückung dient, nach h. M. mindestens den Zeitraum von einem Jahr umfassen.27) Da der Gesetzeswortlaut für diese Auffassung jedoch keinen Anhaltspunkt bietet, muss es bei dem Grundsatz bleiben, dass sich die Mindestbestelldauer ausschließlich nach dem Gesellschaftsinteresse richtet.28) Bei Bejahung der Mindestbestelldauer ist eine kürzere Bestellung jedenfalls wirksam, ohne dass es zu einer Verlängerung auf einen angemessenen Zeitraum kommt.29) Im Normalfall hat sich in der Praxis eine Bestelldauer von drei Jahren für die erstmalige Bestellung bei börsennotierten Gesellschaften herausgebildet.30) Liegt im Bestellungsbeschluss keine ausdrückliche Regelung zur Amtsdauer vor, so ist diese gemäß §§ 137, 155 BGB durch Auslegung zu ermitteln. Im Zweifel beträgt sie fünf Jahre.31) Bindende Vorgaben zur Bestelldauer in der Satzung sind unzulässig.32) b)

Verlängerung und wiederholte Bestellung

11 Gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 ist eine Wiederbestellung oder Verlängerung der Amtszeit möglich, jedoch jeweils nur für maximal fünf Jahre. Auch die Wiederbestellung erfolgt durch ausdrücklichen Aufsichtsratsbeschluss, der gemäß § 84 Abs. 1 Satz 3 frühestens ein Jahr vor Ablauf der Amtszeit gefasst werden kann. Ein vorheriger Beschluss ist nichtig.33) Automatische Verlängerungsklauseln sind dann zulässig, wenn sie innerhalb der FünfJahres-Frist wirken, da der Aufsichtsrat auch gleich eine Bestellung für fünf Jahre hätte vornehmen können.34) Weitergehende Verlängerungsklauseln sind aufgrund des Zwecks der gesetzlichen Höchstdauer nichtig.35) _____________ 25) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 84 Rz. 5; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 84 Rz. 11; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 84 Rz. 14. 26) BGH, Urt. v. 11.7.1953 – II ZR 126/52, BGHZ 10, 187 = NJW 1953, 1465; BGH, Urt. v. 17.7.2012 – II ZR 55/11, NZG 2012, 1027, 1029 = ZIP 2012, 1750 = AG 2012, 677, dazu EWiR 2012, 577 (Nikoleyczik). 27) OLG Karlsruhe, Urt. v. 10.7.1972 – 8 U 74/73, AG 1973, 310, 311; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 84 Rz. 24; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 84 Rz. 14; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 84 Rz. 37. 28) Seyfarth, Vorstandsrecht, § 3 Rz. 66, 67. 29) Kort in: GroßKomm-AktG, § 84 Rz. 66; für eine Verlängerung Eckardt, Die Beendigung der Vorstands- und Geschäftsführerstellung in Kapitalgesellschaften, 1989, S. 70 ff. 30) Seyfarth, Vorstandsrecht, § 3 Rz. 67. 31) Grumann/Gillmann, DB 2003, 770; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 84 Rz. 14; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 84 Rz. 44. 32) Kort in: GroßKomm-AktG, § 84 Rz. 64; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 84 Rz. 17. 33) Bauer/Arnold, DB 2006, 260; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 84 Rz. 16. 34) Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 7 Rz. 356; Hölters-Weber, AktG, § 84 Rz. 22. 35) BGH, Urt. v. 11.7.1953 – II ZR 126/52, BGHZ 10, 187 = NJW 1953, 1465; Bürgers/Körber-Bürgers, AktG, § 84 Rz. 10.

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Bestellung und Abberufung des Vorstands

§ 84

Nicht ausdrücklich in § 84 geregelt und umstritten ist die Frage der vorzeitigen Wieder- 12 bestellung in Form einer Neufestsetzung der Amtszeit. Dabei wird die Organstellung bereits früher als ein Jahr vor Ablauf der Amtszeit einvernehmlich aufgehoben, um im Anschluss eine Neubestellung für bis zu fünf Jahre vorzunehmen. Dieses Vorgehen wurde teilweise als unzulässige Gesetzesumgehung angesehen36), oder unter die Voraussetzung des Vorliegens bestimmter Gründe gestellt.37) Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 17.7.2012 die Zulässigkeit einer Wiederbestellung ohne Vorliegen bestimmter Gründe und unabhängig von der Restlaufzeit des Vorstandsmandats bestätigt.38) Die Entscheidung steht nun im Einklang mit der ganz überwiegenden Meinung in der Literatur.39) Eine Grenze ist in Ausnahmefällen bei Rechtsmissbrauch gegeben.40) Dieses Kriterium 13 ist vor dem Hintergrund der grundsätzlichen Zulässigkeit der Wiederbestellung eng auszulegen. Dient die Wiederbestellung nur dazu, die Abschlagszahlung eines Vorstandsmitglieds für den Fall seines späteren Ausscheidens bereits vorab sicherzustellen,41) liegt ein missbräuchliches Vorgehen nahe.42) Allerdings ist in diesen Fällen nicht von einer Unwirksamkeit der Bestellung auszugehen, sondern von einer Pflichtverletzung des Aufsichtsrats, die ggf. Haftungsansprüche auslösen kann. Neben der aktienrechtlichen Zulässigkeit muss der Wiederbestellungsbeschluss schließ- 14 lich im Innenverhältnis i. R. einer pflichtgemäßen Ermessensausübung des Aufsichtsrats liegen. Diese setzt voraus, dass besondere Umstände vorliegen, die eine vorzeitige Wiederbestellung als im Interesse der Gesellschaft geboten erscheinen lassen.43) Eine entsprechende Empfehlung enthält daneben auch Ziff. 5.1.2 Abs. 2 Satz 2 DCGK. Die Anforderungen sind hier jedoch nicht zu hoch anzusetzen. Ausreichend ist bspw. eine Änderung der Geschäftsverteilung im Vorstand, die Ernennung eines Vorstandsmitglieds zum Vorstandsvorsitzenden oder die drohende Abwerbung durch einen Dritten.44) 6.

Fehlerhafte Organstellung

Wenn die Erklärung der Bestellung oder ihrer Annahme an einem rechtsgeschäftlichen 15 Mangel leidet oder ein ordnungsgemäßer Bestellungsbeschluss nicht zustande gekommen ist und das Vorstandsmitglied dennoch für die Gesellschaft tätig wird, liegt eine fehlerhafte Bestellung vor. Das Organverhältnis ist bis zur Geltendmachung des Mangels im Innen-

_____________ 36) OLG Zweibrücken, Urt. v. 3.2.2011 – 4 U 76/10, AG 2011, 304, 305 f. = ZIP 2011, 617 = DB 2011, 754, dazu EWiR 2011, 297 (Paul); Götz, AG 2002, 305, 306; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 84 Rz. 23; Fleischer-Thüsing, Hdb. VorstandsR § 4 Rz. 43. 37) Priester, ZIP 2012, 1781, 1783. 38) BGH, Urt. v. 17.12.2012 – II ZR 55/11, ZIP 2012, 1750 = AG 2012, 677. 39) Besse/Heuser, DB 2012, 2385; Bürgers/Theusinger, NZG 2012, 1218, 1220, 1221; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 84 Rz. 19; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 84 Rz. 8; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 84 Rz. 50; Grigoleit-Vedder, AktG, § 84 Rz. 11; Wedemann, ZGR 2013, 316, 319 f.; Hölters-Weber, AktG, § 84 Rz. 27; Wilsing/Paul, BB 2012, 2455, 2455, 2459; ebenso bereits: Bauer/Arnold, DB 2006, 260, 261; Bauer, DB 2003, 811, 817; Bosse/Hinderer, NZG 2011, 605, 607; Wachter-Eckert, AktG, 2. Aufl., 2014, § 84 Rz. 10; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 84 Rz. 16; Seibt, AG 2003, 465, 474; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 3 Rz. 74; Hölters/Weber, AG 2005, 629, 631 ff.; Werner, AG 1990, 1, 19; Willemer, AG 1977, 130, 132 f. 40) BGH, Urt. v. 17.12.2012 – II ZR 55/11, ZIP 2012, 1750 = AG 2012, 677. 41) Fleischer, DB 2011, 861, 865; Paschos/v. d. Linden, AG 2012, 736, 739; Hölters/Weber, AG 2005, 629, 631. 42) Fleischer, DB 2011, 861, 865; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 84 Rz. 8; Wilsing/Paul, BB 2012, 2455, 2459. 43) Bauer/Arnold, DB 2006, 260, 261; Hölters/Weber, AG 2005, 629, 633 f. 44) Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 7 Rz. 357; Paschos/v. d. Linden, AG 2012, 736, 740; Hölters/Weber, AG 2005, 629, 634; enger: Leuchten, NZG 2005, 909, 911.

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§ 84

Bestellung und Abberufung des Vorstands

und Außenverhältnis als wirksam anzusehen.45) Dies gilt unabhängig von der Kenntnis oder dem Kennenmüssen der Fehlerhaftigkeit der Bestellung.46) Zweck dieser Lehre von der fehlerhaften Organstellung ist vor allem die Vermeidung von Rückabwicklungsschwierigkeiten und die Wahrung der Rechtssicherheit.47) Eine Ausnahme gilt nur für die kraft Gesetzes nicht vorstandsfähigen Personen (siehe oben § 76 Rz. 66).48) Beendet wird die fehlerhafte Organstellung erst durch einen Widerruf oder die Amtsniederlegung. Der Widerruf einer fehlerhaften Bestellung kann jederzeit durch Beschluss des Gesamtaufsichtsrats erfolgen. Das mitbestimmungsrechtliche Verfahren gemäß § 31 MitbestG muss nicht eingehalten werden.49) 16 Fehlt ein Bestellungsbeschluss gänzlich, gelten die genannten Rechtsfolgen nicht. Die wirksame Vertretung im Außenverhältnis richtet sich bei diesem faktischen Organmitglied nach den allgemeinen Grundsätzen der Rechtsscheinvollmacht. Im Innenverhältnis kommt eine Haftung gemäß § 93 Abs. 2 in Betracht (siehe § 93 Rz. 64). III.

Anstellungsvertrag (§ 84 Abs. 1 Satz 5)

1.

Allgemeines

17 Von der aktienrechtlichen Bestellung zu unterscheiden ist die schuldrechtliche Beziehung zwischen dem Vorstandsmitglied und der Gesellschaft. Diese ist regelmäßig als Dienstvertrag ausgestaltet, der eine Geschäftsbesorgung zum Gegenstand hat, so dass die §§ 611 ff., 675 BGB anwendbar sind.50) Der Vertragsschluss erfolgt nach den allgemeinen Grundsätzen und bedarf daher insbesondere des Zugangs der Annahmeerklärung.51) Es besteht kein gesetzliches Formerfordernis.52) Aus Beweisgründen ist die Schriftform aber praktisch relevant.53) Der Anstellungsvertrag kann nicht als Arbeitsvertrag qualifiziert werden, da die Vorstandsmitglieder durch ihre Organstellung selbst Arbeitgeberfunktion ausüben.54) 2.

Diskriminierungsverbot

18 Gemäß § 6 Abs. 3 AGG gelten für Vorstandsmitglieder die Benachteiligungsverbote des zweiten Abschnitts des AGG in Bezug auf die Bedingungen für den Zugang zur Erwerbstätigkeit sowie den beruflichen Aufstieg entsprechend.55) Der Widerruf der Bestellung _____________ 45) Allg. M.: BGH, Urt. v. 6.4.1964 – II ZR 75/62, BGHZ 41, 282, 286 ff. = NJW 1964, 1367; BGH, Urt. v. 19.2.2013 – II ZR 56/12, NJW 2013, 1535, 1538 = ZIP 2013, 720 = AG 2013, 387, dazu EWiR 2013, 333 (Schatz); Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 84 Rz. 12; Kort in: GroßKomm-AktG, § 84 Rz. 83; Strohn, DB 2011, 158 ff. 46) Bayer/Lieder, NZG 2012, 1, 2; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 84 Rz. 30; Hölters-Weber, AktG, § 84 Rz. 30; a. A. Stein, Das faktische Organ, 1984, S. 125, 136 ff. 47) Bayer/Lieder, NZG 2012, 1, 2. 48) OLG Hamm, Beschl. v. 29.12.2010 – I-15 W 659/10, ZIP 2011, 527 = NJW-RR 2011, 772 – zur GmbH; Bayer/Lieder, NZG 2012, 1, 4; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 84 Rz. 20; Fleischer-Thüsing, Hdb. VorstandsR, § 4 Rz. 47. 49) Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 7 Rz. 360; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 84 Rz. 245; Hölters-Weber, AktG, § 84 Rz. 31. 50) BGH, Urt. v. 11.7.1953 – II ZR 126/52, BGHZ 10, 187 = NJW 1953, 1465; BGH, Urt. v. 7.12.1961 – II ZR 117/60, NJW 1962, 340, 343 = BB 1962, 72; Bürgers/Körber-Bürgers, AktG, § 84 Rz. 13. 51) Henssler/Strohn-Dauner-Lieb, GesR, § 84 AktG Rz. 15; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 84 Rz. 56. 52) OLG Stuttgart, Urt. v. 13.3.2002 – 20 U 59/01, AG 2003, 211, 213. 53) Vgl. K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 84 Rz. 27. 54) BGH, Urt. v. 7.12.1961 – II ZR 117/60, NJW 1962, 340, 343 = BB 1962, 72; Grigoleit-Vedder, AktG, § 84 Rz. 17. 55) Zur Anwendbarkeit: BGH, Urt. v. 23.4.2012 – II ZR 163/10, ZIP 2012, 1291 = BB 2012, 1928, dazu EWiR 2012, 437 (Bross) – zur GmbH.

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§ 84

und die Beendigung des Anstellungsvertrags sind dagegen nicht erfasst.56) Im praxisrelevanten Fall der Altersdiskriminierung ist zu differenzieren. Die Vereinbarung einer Höchstaltersgrenze in Anstellungsverträgen, bei deren Erreichen das Vertragsverhältnis automatisch endet, ist eine zulässige Entlassungsbedingung.57) Bei einer Altersgrenze als Einstellungsvoraussetzung handelt es sich dagegen um eine Zugangsbedingung, die dem AGG unterliegt. Dies gilt auch für die Nicht-Vertragsverlängerung, sofern die Position tatsächlich wiederbesetzt wird und der Amtsinhaber sich darauf bewirbt.58) Auch eine Regelung zur Altersgrenze, auf die das AGG anwendbar ist, kann schließlich 19 gemäß § 10 AGG zulässig sein. Ein Mindestalter kann gemäß § 10 Satz 3 Nr. 2 AGG festgelegt werden. Ein Teil der Literatur wendet § 10 Satz 3 Nr. 5 AGG, der die Möglichkeit einer mit dem Renteneintrittsalter übereinstimmenden Höchstaltersgrenze vorsieht, entsprechend auf den Vorstand an.59) Diese Frage ist jedoch höchstrichterlich nicht geklärt und hinsichtlich der beschäftigungspolitischen Zielsetzung der Norm zweifelhaft.60) Daneben könnte § 6 Abs. 1 AGG vor dem Hintergrund des durch Rechtsprechung des EuGH im Fall Danosa61) geprägten, weiten Arbeitnehmerbegriffs im Wege richtlinienkonformer Auslegung auch auf Vorstandsmitglieder einer AG anwendbar sein.62) Vorstandsmitglieder handeln jedoch gemäß § 76 weisungsfrei sowie unter eigener Verantwortung und können gemäß § 84 Abs. 3 nur aus wichtigem Grund abberufen werden. Sie haben daher, auch unter Berücksichtigung der richtlinienkonformen Auslegung, keine Arbeitnehmerstellung.63) Bei einer Verletzung des Diskriminierungsverbots steht dem Bewerber gemäß § 15 Abs. 6 20 AGG zwar kein Anspruch auf Abschluss des Anstellungsvertrags zu. Der Gesellschaft drohen jedoch Schadensersatz und Entschädigungsansprüche gemäß § 15 Abs. 1, 2 AGG. 3.

Drittanstellung

Strittig ist, ob die Begründung von Organ- und Anstellungsverhältnis mit unterschied- 21 lichen juristischen Personen (sog. Drittanstellung) zulässig ist. In der Praxis stellt sich das Problem insbesondere bei Konzernanstellungsverträgen, bei denen der Vertrag nicht mit der Bestellungsgesellschaft, sondern einer konzernverbundenen AG abgeschlossen wird. Auch bei sog. Interim-Managern liegt ein Fall der Drittanstellung vor, sofern das Vertragsverhältnis nicht mit der AG, sondern mit einer Interim-Management-Agentur besteht.64) Nach einer Ansicht ist die Drittanstellung grundsätzlich möglich.65) Auch der BGH ging in seiner Entscheidung vom 28.4.2015 zumindest implizit von der Zulässigkeit _____________ 56) Bauer/Arnold, ZIP 2008, 993, 998 ff.; Lutter, BB 2007, 725, 730. 57) Bauer/Arnold, ZIP 2008, 993, 999; Kliemt, RdA 2015, 232, 234. 58) BGH, Urt. v. 23.4.2012 – II ZR 163/10, ZIP 2012, 1291 = BB 2012, 1928 – zur GmbH; Kliemt, RdA 2015, 232, 234 f. 59) Lutter, BB 2007, 725, 729; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 84 Rz. 32. 60) Kort, WM 2013, 1049, 1053 f. 61) EuGH, Urt. v. 11.11.2010 – C-232/09 (Danosa), ZIP 2010, 2414, dazu EWiR 2011, 27 (Wank). 62) Dahingehend: Bürgers/Körber-Bürgers, AktG, § 76 Rz. 4; Fischer, NJW 2011, 2329, 2331. 63) Bauer/Arnold, NZG 2012, 921, 923; Fleischer, ZIP 2003, 1, 3; Hoefs/Rentsch, DB 2012, 2733, 2738; Kort, WM 2013, 1049, 1057; Wilsing/Meyer, NJW 2012, 3211, 3212. 64) Krieger in: FS Hoffmann-Becking, S. 711 ff. 65) Deilmann/Dornbusch, NZG 2016, 201, 202; Diekmann/Punte, WM 2016, 681, 685; Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, § 11 Rz. 180; Jooß, NZG 2011, 1130 ff.; Krieger in: FS HoffmannBecking, S. 711 ff.; Martens in: FS Hilger/Stumpf, S. 437, 442, 446 ff.; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 84 Rz. 26; E. Vetter in: FS Hoffmann-Becking, S. 1297, 1309; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 21 Rz. 3 ff.

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einer Drittanstellung aus.66) Die Gegenansicht lehnt die Drittanstellung ab, da die schuldrechtliche Verpflichtung aus dem Anstellungsvertrag mit dem Dritten mit der Pflicht zur eigenverantwortlichen Leitung des Vorstands gemäß § 76 Abs. 1 unvereinbar sei.67) 22 Tatsächlich muss bei einer Drittanstellung das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit des Vorstands gewahrt werden.68) Insofern bedarf es einer ausdrücklichen Regelung im Anstellungsvertrag, die die Vorstandstätigkeit von der Weisungsbefugnis des Drittarbeitgebers ausnimmt. Fehlt es an einer solchen, ist aber nicht von einer Unwirksamkeit der Vorstandsbestellung auszugehen. Vielmehr ist das Vorstandsmitglied gegenüber der Gesellschaft verpflichtet, seine Leitungsaufgabe unabhängig und allein im Interesse der Gesellschaft wahrzunehmen. Ist er dazu nicht in der Lage, unterliegt er einem Interessenkonflikt, der eine Abberufung aus wichtigem Grund rechtfertigt. Außerdem setzt sich das Vorstandsmitglied Haftungsrisiken aus, da ihm der Schutz der Business Judgment Rule nicht zugutekommt (siehe unten § 93 Rz. 22). 23 Für den Abschluss des Vertrags einschließlich der Vergütungsfragen ist gemäß §§ 84 Abs. 1 Satz 5, 87 die Zustimmung des Aufsichtsrats erforderlich.69) Dabei ist die Drittvergütung durch den Aufsichtsrat auch auf ihre Angemessenheit zu prüfen. Zwar wird die Gesellschaft bei einer Zahlung der Vergütung durch einen Dritten selbst nicht finanziell belastet, jedoch hat der Aufsichtsrat auch in diesem Fall sicherzustellen, dass die Leistung im Einklang mit dem Unternehmensinteresse steht und insbesondere keinen Anreiz für die Wahrnehmung fremder Interessen gibt.70) Die Kompetenz des Aufsichtsrats zur organschaftlichen Bestellung des Vorstands gemäß § 84 Abs. 1 ist von der Frage der Drittanstellung zu trennen und kann nicht auf Dritte übertragen werden.71) 4.

Zuständigkeit

24 Gemäß § 84 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 ist für den Abschluss des Anstellungsvertrags einschließlich etwaiger Nebenabreden, bspw. bzgl. der Gewährung von Stock Options,72) ausschließlich der Aufsichtsrat zuständig.73) Die Entscheidung ergeht gemäß § 108 durch Beschluss. Zustimmungsvorbehalte der Hauptversammlung oder satzungsmäßige Regelungen über die Gehaltsbemessung sind unzulässig.74) Liegt ein Kompetenzverstoß vor, so ist der Anstellungsvertrag entsprechend § 177 BGB schwebend unwirksam und kann vom Aufsichtsrat genehmigt werden.75) 25 Grundsätzlich ist eine Delegation der Entscheidung an einen Ausschuss möglich.76) Dieser muss aus mindestens drei Mitgliedern bestehen, um eine Umgehung des § 108 Abs. 2 Satz 3 zu verhindern. Es bestehen jedoch Spezialregelungen, die die Zulässigkeit der _____________ 66) BGH, Urt. v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, NZG 2015, 792, 794 = ZIP 2015, 1220 = AG 2015, 535, dazu EWiR 2015, 469 (Theusinger/Schilha). 67) Fonk, NZG 2010, 368, 370; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 84 Rz. 56; Fleischer-Thüsing, Hdb. VorstandsR, § 4 Rz. 67 f.; Hölters-Weber, AktG, § 84 Rz. 41. 68) K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 84 Rz. 26; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 7 Rz. 36. 69) Krieger in: FS Hoffmann-Becking, S. 711, 716 ff.; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 7 Rz. 37. 70) Vgl. Diekmann/Punte, WM 2016, 681, 686. 71) Kort in: GroßKomm-AktG, § 84 Rz. 27; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 84 Rz. 12. 72) Hüffer, ZHR 161 (1997) 214, 232 ff. 73) Vgl. BGH, Urt. v. 6.4.1964 – II ZR 75/62, BGHZ 41, 282 = NJW 1964, 1367. 74) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 84 Rz. 33; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 21 Rz. 20. 75) BGH, Urt. v. 17.4.1967 – II ZR 157/64, BGHZ 47, 341, 345; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 84 Rz. 15; Köhler, NZG 2008, 161, 162; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 21 Rz. 22; a. A. (Nichtigkeit gemäß § 134 BGB) OLG Stuttgart, Urt. v. 20.3.1992 – 2 U 115/90, AG 1993, 85, 86; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 84 Rz. 33; Hölters-Weber, AktG, § 84 Rz. 36. 76) Vgl. BGH, Urt. v. 6.4.1964 – II ZR 75/62, BGHZ 41, 282 = NJW 1964, 1367.

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Delegation in der Praxis erheblich einschränken. So ist gemäß §§ 107 Abs. 3 Satz 4, 87 Abs. 1 die Entscheidung über die Festsetzung der Vergütung dem Aufsichtsratsplenum vorbehalten; entsprechende Entscheidungen sind regelmäßig nur schwer vom Rest des Vertrages trennbar.77) Gleiches gilt für eine Ressortzuteilung im Anstellungsvertrag, da diese die Geschäftsordnung betrifft und damit in die Zuständigkeit des Gesamtaufsichtsrats fällt.78) Die rechtsgeschäftliche Umsetzung eines Aufsichtsratsbeschlusses kann durch ein hierzu bevollmächtigtes Aufsichtsratsmitglied vorgenommen werden.79) 5.

Dauer des Anstellungsvertrages

Die Höchstdauer von fünf Jahren gilt gemäß § 84 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 auch 26 für den Anstellungsvertrag. Wird eine längere Laufzeit vereinbart, so endet der Vertrag mit Ablauf der gesetzlichen Fünf-Jahres-Frist.80) Gemäß § 84 Abs. 1 Satz 5 Halbs. 2 erlaubt jedoch eine Verlängerungsklausel in dem Sinne, dass sich der Anstellungsvertrag jeweils mit der Dauer der Wiederbestellung automatisch verlängert.81) Da die Anforderungen an eine außerordentliche Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB strenger sind als diejenigen für eine Abberufung aus wichtigem Grund gemäß § 84 Abs. 3 Satz 1, endet der Anstellungsvertrag nicht schon mit dem Widerruf der Bestellung.82) Möglich ist jedoch die Verknüpfung von Bestellung und Anstellung durch sog. Koppe- 27 lungs- und Gleichlaufklauseln, nach denen die Beendigung des Anstellungsvertrags durch eine Bedingung gemäß § 158 BGB mit dem Widerruf der Bestellung verbunden ist.83) Fortsetzungsklauseln, nach denen sich der Vertrag automatisch verlängert, sofern nicht innerhalb einer bestimmten Frist gekündigt wurde, sind jedenfalls dann unwirksam, wenn das Vorstandsmitglied über den Fünf-Jahres-Zeitraum hinaus ohne erneuten Aufsichtsratsbeschluss seine vollen Bezüge behalten soll.84) Im Übrigen müssen aufgrund des Trennungsprinzips die Dauer der Bestellung und diejenige des Anstellungsvertrags nicht zwingend gleich bemessen sein. Eine Regelung, die die inhaltsgleiche Fortgeltung des Dienstvertrags nach Fristablauf als Arbeitsvertrag festlegt, ist jedoch unzulässig.85) Sofern eine wirksame Klausel zur Verlängerung des Anstellungsvertrags fehlt, muss für 28 dessen Fortbestand ein Aufsichtsratsbeschluss ergehen. Dieser darf gemäß § 84 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. Abs. 1 Satz 3 frühestens ein Jahr vor Ablauf des Vertrages gefasst werden. Nur ausnahmsweise kann in dem Beschluss zur Wiederbestellung eine konkludente Verlängerung des Anstellungsverhältnisses liegen, was einer Einzelfallprüfung bedarf.86) Die

_____________ 77) 78) 79) 80) 81) 82) 83) 84) 85) 86)

K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 84 Rz. 25. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 84 Rz. 15. Leuering, NZG 2004, 120, 122; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 84 Rz. 73. BAG, Urt. v. 26.8.2009 – 5 AZR 522/08, ZIP 2009, 2073, 2074 = WM 2009, 2387, dazu EWiR 2010, 73 (Pomberg); Hölters-Weber, AktG, § 84 Rz. 43. BGH, Urt. v. 11.7.1953 – II ZR 126/52; BGHZ 10, 187, 194 = NJW 1953, 1465; Krieger, Personalentscheidungen des Aufsichtsrats, 1981, S. 171; Weber/Dahlbender, DB 1996, 2373 f. Bauer/v. Medem, NZA 2014, 238, 239. BGH, Urt. v. 29.5.1989 – II ZR 220/88, NJW 1989, 2683, 2684 = ZIP 1989, 1190; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 21 Rz. 28. BGH, Urt. v. 8.12.1977 – II ZR 219/75, AG 1978, 162 = NJW 1978, 756 = DB 1978, 482; Spindler/ Stilz-Fleischer, AktG, § 84 Rz. 42; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 21 Rz. 27. BAG, Urt. v. 26.8.2009 – 5 AZR 522/08, ZIP 2009, 2073 = WM 2009, 2387. BGH, Urt. v. 12.5.1997 – II ZR 50/96, DStR 1997, 932, 933 = BB 1997, 1327; OLG Schleswig, Urt. v. 16.11.2000 –- 5 U 66/99, NZG 2001, 275, 276 = AG 2001, 651.

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Möglichkeit einer Verlängerung gemäß § 625 BGB durch Weiterbeschäftigung ist aufgrund der Spezialregelung des § 84 Abs. 1 ausgeschlossen.87) 29 Enthält der Vertrag keine ausdrückliche Regelung zur Laufzeit, so ist diese durch Auslegung zu ermitteln. Im Zweifel ist davon auszugehen, dass der Anstellungsvertrag für die Dauer der Bestellung geschlossen ist.88) 6.

Rechte und Pflichten aus dem Anstellungsvertrag

a)

Allgemeines

30 Bereits aus der organschaftlichen Bestellung ergeben sich maßgebliche Rechte und Pflichten des Vorstandsmitglieds. Diese können im schuldrechtlichen Anstellungsvertrag konkretisiert und ergänzt werden. Typische Bestandteile sind Regelungen zu Vergütung, Vertragsdauer, Ressortzuweisung, Urlaubsansprüchen, Auslagenersatz, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Versorgungsbezügen, vertraglichen Wettbewerbsverboten, Überlassung von Erfindungen und Auskunftspflichten nach Vertragsbeendigung.89) Sofern der Anstellungsvertrag einseitig gestellt wurde, unterliegt er der Inhaltskontrolle gemäß §§ 307 ff. BGB.90) Insofern genügt gemäß § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB die einmalige Verwendung des Anstellungsvertrags, da das künftige Vorstandsmitglied nach der Rechtsprechung Verbraucher gemäß § 13 BGB ist.91) b)

Bezüge

31 Zentraler Bestandteil des Anstellungsvertrags sind regelmäßig Regelungen zur Vergütung des Vorstandsmitglieds. Diese setzt sich aus verschiedenen Bestandteilen zusammen. Dazu zählen üblicherweise eine Grundvergütung, eine variable Barvergütung, eine aktienbasierte Vergütung (inzwischen deutlich häufiger in Form von Vergütungskomponenten, die sich zwar nach der Aktienkursentwicklung bemessen, aber nur einen Anspruch auf Barzahlung gewähren; deutlich seltener hingegen in Form von echten Stock Options), Nebenleistungen (bspw. Dienstfahrzeuge, Übernahme von Versicherungsprämien) und Versorgungsleistungen (Übergangsgelder, Abfindungen); siehe unten § 87 Rz. 26.92) Daneben stehen sog. dienstliche Fürsorgeaufwendungen, die bspw. auch Prämien für D&OVersicherungen umfassen.93) 32 Die Bezüge müssen gemäß § 87 Abs. 1 angemessen sein und dürfen die übliche Vergütung ohne besondere Gründe nicht übersteigen. Sie sind bei börsennotierten Gesellschaften an einer nachhaltigen Unternehmensentwicklung auszurichten. Die Regelung stellt eine Einschränkung der Vertragsfreiheit dar. Ein Anspruch auf angemessene Vergütung lässt sich daraus dagegen nicht ableiten.94) Gehaltserhöhungen bedürfen einer entsprechenden Anpassung im Anstellungsvertrag durch Aufsichtsratsbeschluss. Über die Vorgaben des § 87 _____________ 87) Vgl. OLG Schleswig, Urt. v. 16.11.2000 – 5 U 66/99, NZG 2001, 275, 276; Krieger, Personalentscheidungen des Aufsichtsrats, 1981, S. 123; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 84 Rz. 28; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 84 Rz. 80; a. A. (Anwendbarkeit für die Dauer der Wiederbestellung) Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 21 Rz. 24. 88) Kort in: GroßKomm-AktG, § 84 Rz. 332; Hölters-Weber, AktG, § 84 Rz. 43. 89) Ein Muster für einen Anstellungsvertrag findet sich in Happ/Groß-Happ, AktienR, Nr. 8.08. 90) Fleischer-Thüsing, Hdb. VorstandsR, § 4 Rz. 101; Grigoleit-Vedder, AktG, § 84 Rz. 25. 91) BGH, Urt. v. 5.6.1996 – VIII ZR 151/95, BGHZ 133, 71 = DStR 1996, 1615 – zur GmbH; OLG Hamm, Beschl. v. 18.7.2007 – 8 Sch 2/07, AG 2007, 910, 911; Bauer/Arnold/Kramer, AG 2014, 677, 678; a. A. Fleischer-Thüsing, Hdb. VorstandsR, § 4 Rz. 101. 92) Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd.4, § 21 Rz. 36. 93) Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 87 Rz. 20. 94) Hölters-Weber, AktG, § 84 Rz. 45.

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hinausgehende Bezüge sind zwar bis zur Grenze des § 138 BGB wirksam, der Aufsichtsrat macht sich jedoch schadenersatzpflichtig gemäß § 116 Satz 3 (siehe unten § 87 Rz. 47). Vergütungsrelevante Zielvereinbarungen im Dienstvertrag sind grundsätzlich möglich, sofern die eigenverantwortliche Leitung durch den Vorstand gemäß § 76 Abs. 1 gewahrt wird.95) Fehlt eine ausdrückliche Vereinbarung, so kann regelmäßig von einem Anspruch auf die 33 übliche Vergütung gemäß § 612 Abs. 1 BGB ausgegangen werden.96) Dies gilt nicht für Vorstandsmitglieder, die gleichzeitig Hauptgesellschafter sind.97) Ausdrücklich vereinbart werden müssen Versorgungsbezüge (Ruhegeld, Hinterbliebenenbezüge und Leistungen verwandter Art).98) Aus der allgemeinen Fürsorge- und Treupflicht der Gesellschaft ergibt sich dagegen grundsätzlich kein Anspruch auf Versorgungsbezüge, wenn nicht besondere Umstände vorliegen, die nach Treu und Glauben einen Anspruch begründen.99) Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG gelten die §§ 1 bis 16 BetrAVG entsprechend für Personen, die nicht Arbeitnehmer sind, wenn ihnen Leistungen der Alters-, Invaliditätsoder Hinterbliebenenversorgung aus Anlass ihrer Tätigkeit für ein Unternehmen zugesagt worden sind. Nach h. M. fallen hierunter auch Vorstandsmitglieder, sofern diese nicht zusammen mit anderen Organmitgliedern über eine anteilsmäßig bedingte oder anderweitig institutionell verfestigte Mehrheitsmacht verfügen.100) Grundsätzlich verliert das Vorstandsmitglied gemäß § 326 Abs. 1 Satz 1 BGB seinen Ver- 34 gütungsanspruch, wenn ihm die Erfüllung seiner Pflichten aus einem von ihm nicht zu vertretenden Umstand unmöglich wird. Eine Ausnahme hiervon besteht gemäß § 326 Abs. 2 Satz 1 BGB, wenn die Gesellschaft die Unmöglichkeit der Dienstausführung zu vertreten hat oder sich in Annahmeverzug befindet, § 615 Satz 1 BGB.101) Gleiches gilt gemäß § 615 Satz 3 i. V. m. § 615 Satz 1 BGB, wenn die Unmöglichkeit auf Gründen beruht, die in das Betriebsrisiko der Gesellschaft fallen.102) Gemäß §§ 615 Satz 2, 326 Abs. 2 Satz 2 BGB muss sich das Vorstandsmitglied den Wert 35 desjenigen anrechnen lassen, was es infolge des Unterbleibens der Dienstleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Dienste erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. Ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach den Regelungen des EFZG besteht für Vorstandsmitglieder nicht.103) Nach § 616 BGB gilt der Vergütungsanspruch nur fort, wenn der Vorstand für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit _____________ 95) Vgl. zu den Grenzen: Fonk, ZGR 2011, 321, 323. 96) K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 84 Rz. 29; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 21 Rz. 1. 97) OLG Stuttgart, Urt. v. 13.3.2002 – 20 U 59/01, AG 2003, 211, 213; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 84 Rz. 87. 98) BGH, Urt. v. 20.12.1993 – II ZR 217/92, ZIP 1994, 206, 207 = GmbHR 1994, 112 – zur GmbH; Kort in: GroßKomm-AktG, § 84 Rz. 353; Hölters-Weber, AktG, § 84 Rz. 46. 99) BGH, Urt. v. 23.9.1968 – II ZR 94/67, BGHZ 50, 378, 380 = NJW 1968, 2373; Spindler/StilzFleischer, AktG, § 84 Rz. 50; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 84 Rz. 31. 100) BGH, Urt. v. 3.7.2000 – II ZR 381/98, ZIP 2000, 1452, 1454 = AG 2001, 46, dazu EWiR 2001, 559 (Zimmermann); BGH, Urt. 15.7.2002 – II ZR 192/00, ZIP 2002, 1701, 1702 = DStR 2002, 1870; BGH, Urt. v. 25.7.2005 – II ZR 237/03, WM 2005, 1754, 1756 = DStR 2005, 1779; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 84 Rz. 68 ff.; Molk, ZIP 1980, 422, 423 ff.; kritisch Spindler in: MünchKommAktG, § 84 Rz. 217 f.; zur Abdingbarkeit der Regelungen des BetrAVG: Thüsing/Granetzny, NZG 2010, 449 ff. 101) BGH, Urt. v. 28.10.1996 – II ZR 14/96, NJW-RR 1997, 537, 538 = BeckRS 9998, 15286; Fonk, NZG 1998, 408. 102) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 84 Rz. 46; differenzierend: Zöllner in: FS Koppensteiner, S. 291, 295 ff. 103) Fleischer, NZG 2010, 561, 565; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 84 Rz. 92; Fleischer-Thüsing, Hdb. VorstandsR, § 4 Rz. 78; Hölters-Weber, AktG, § 84 Rz. 47; a. A. Kort in: GroßKomm-AktG, § 84 Rz. 416.

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durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert wird. Welche Zeitspanne als verhältnismäßig nicht erheblich anzusehen ist, muss unter Berücksichtigung aller Umstände des Falls beurteilt werden.104) Ob die Frist des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG als Orientierung dient, ist umstritten.105) In der Praxis ist daher eine entsprechende Regelung im Anstellungsvertrag zu empfehlen und auch üblich. 36 Die Bezüge der Vorstandsmitglieder unterliegen dem Pfändungsschutz der §§ 850 ff. ZPO.106) Die Vergütungsansprüche verjähren gemäß §§ 195, 199 BGB in drei Jahren ab dem Schluss des Jahres, in dem das Vorstandsmitglied Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände erlangt hat oder hätte erlangen müssen.107) c)

Sonstige Ansprüche

37 Urlaubsansprüche für Vorstandsmitglieder richten sich nicht nach dem Bundesurlaubsgesetz.108) Maßgeblich sind vielmehr die Regelungen im Anstellungsvertrag. Sofern der Urlaub wegen unverschuldeter Beendigung des Anstellungsvertrages nicht mehr gewährt werden kann, tritt an dessen Stelle ein Abgeltungsanspruch.109) Fehlt eine vertragliche Regelung, so ergibt sich ein Anspruch auf angemessenen, bezahlten Urlaub nach allgemeiner Meinung aus der dienstvertraglichen Fürsorgepflicht der Gesellschaft.110) 38 Gemäß §§ 675 Abs. 1, 669, 670 BGB kann das Vorstandsmitglied Auslagen ersetzt verlangen, die es vernünftigerweise i. R. seiner Geschäftsführungsaufgaben für erforderlich halten durfte.111) Diese müssen ordnungsgemäß belegt werden.112) In der Praxis sind vertragliche Regelungen, bspw. zu Telekommunikations-, Reise- und Bewirtungskosten zu empfehlen. Auch Schäden, die der Vorstand ohne sein Verschulden bei betrieblicher Tätigkeit erlitten hat, sind ersatzfähig.113) Gleiches gilt für Kosten eines Rechtsstreits, soweit dieser in Zusammenhang mit der dienstlichen Tätigkeit steht und das streitige Verhalten des Vorstandmitglieds nicht zugleich eine Pflichtverletzung gegenüber der Gesellschaft darstellt.114) Gemäß § 669 BGB kann das betroffene Vorstandsmitglied im laufenden Verfahren auch einen Kostenvorschuss fordern.115) Durch eine entsprechende Vereinbarung muss sichergestellt werden, dass das Organmitglied den Vorschuss im Fall einer Pflichtverletzung zurückzuzahlen hat.116) Ein Anspruch auf die Übernahme von Geldstrafen, Geldbußen oder Geldauflagen besteht regelmäßig nicht, da in der Geset_____________ 104) Zöllner in: FS Koppensteiner, S. 291, 293. 105) Vgl. Fleischer, NZG 2010, 561, 565; für Orientierung an § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG: Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 21 Rz. 68; a. A. K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 84 Rz. 30; Frist von maximal zwei bis drei Wochen: Hölters-Weber, AktG, § 84 Rz. 47. 106) BGH, Urt. v. 8.12.1977 – II ZR 219/75, AG 1978, 162, 164 = NJW 1978, 756 = DB 1978, 482; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 84 Rz. 26; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 84 Rz. 38. 107) Kort in: GroßKomm-AktG, § 84 Rz. 412; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 84 Rz. 94. 108) Fleischer-Kort, Hdb. VorstandsR, § 4 Rz. 77; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 87 Rz. 87; Zöllner in: FS Koppensteiner, S. 291, 293. 109) Vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 18.12.1998 – 17 U 33/9, NZG 1999, 595, 596 = AG 1999, 468; Spindler/ Stilz-Fleischer, AktG, § 84 Rz. 63. 110) Lücke in: Beck MandatsHdB Vorstand, § 2 Rz. 206; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 84 Rz. 33. 111) Fleischer, WM 2005, 909, 915; Hölters-Weber, AktG, § 84 Rz. 50. 112) Vgl. BGH, Urt. v. 28.10.2002 – II ZR 353/00, NJW 2003, 431, 432 = ZIP 2002, 2254 = DStR 2003, 40. 113) Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 21 Rz. 88. 114) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 84 Rz. 70; Schick, ZWH 2012, 433, 434 ff. 115) BGH, Urt. v. 7.11.1990 – 2 StR 439/90, BGHSt 37, 226, 227 = NJW 1991, 990; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 84 Rz. 93. 116) Fleischer, WM 2005, 909, 915; Schick, ZWH 2012, 433, 438 f.

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zesverletzung zugleich eine Verletzung der Organpflichten des Vorstands liegt.117) Eine freiwillige nachträgliche Übernahme durch die Gesellschaft stellt keine Strafvollstreckungsvereitelung dar,118) ist aktienrechtlich jedoch nur in den Grenzen des § 93 Abs. 4 zulässig.119) Eine Freistellungszusage im Vorfeld ist nichtig.120) Aus § 630 BGB haben Vorstandsmitglieder einen Anspruch auf Zeugniserteilung durch 39 den Aufsichtsrat als Vertreter der Gesellschaft.121) d)

Pflichten der Vorstandsmitglieder

Regelmäßig ergeben sich die Pflichten der Vorstandsmitglieder unmittelbar aus dem Ge- 40 setz. Sie werden durch die organschaftliche Stellung begründet.122) Aus § 76 Abs. 1 folgt zunächst die Pflicht zur eigenverantwortlichen Leitung (siehe oben § 76 Rz. 11). § 90 regelt Berichtspflichten gegenüber dem Aufsichtsrat. Darüber hinaus besteht im Verhältnis zu der Gesellschaft eine Treuepflicht.123) Diese 41 gebietet, dass das Vorstandsmitglied zum Wohl des Unternehmens handelt und nicht seine persönlichen Interessen verfolgt.124) Eine Ausprägung der Treuepflicht stellt das Wettbewerbsverbot gemäß § 88 dar. Das gesetzliche Wettbewerbsverbot gilt zwar nicht über die Amtszeit hinaus. Eine entsprechende Regelung kann aber in gewissen Grenzen vertraglich vereinbart werden.125) Daneben ergibt sich aus der allgemeinen Treuepflicht eine Verschwiegenheitspflicht, die in § 93 Abs. 1 Satz 3 ausdrücklich geregelt ist (siehe unten § 93 Rz. 52). Durch den Anstellungsvertrag werden diese Organpflichten zugleich zu vertraglichen Pflichten.126) Der Anstellungsvertrag enthält darüber hinaus häufig weitere Pflichten, wie das bereits genannte nachvertragliche Wettbewerbsverbot, eine Residenzpflicht, Nebentätigkeitsverbote, das Verbot von Börsen- oder Spekulationsgeschäften, die Pflicht zur Wahrung von Empfehlungen des DCGK sowie bestehender unternehmensinterner Corporate Governance- und Compliance-Richtlinien, u. Ä.127) Bei der Erfüllung dieser Pflichten gilt der Sorgfaltsmaßstab eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters (§ 93 Abs. 1). Bei Beendigung seiner Tätigkeit trifft den Vorstand gemäß §§ 675, 666, 667 BGB eine 42 Rechenschafts- Auskunfts- und Herausgabepflicht.128) Dieses umfasst neben Unterlagen und Gegenständen der Gesellschaft auch unzulässige Zuwendungen Dritter.129) Ein Zurückbehaltungsrecht des Vorstandsmitglieds besteht regelmäßig nicht.130) _____________ 117) 118) 119) 120) 121) 122) 123) 124) 125) 126) 127) 128)

129) 130)

K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 84 Rz. 34; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 21 Rz. 89. BGH, Urt. v. 7.11.1990 – 2 StR 439/90, BGHSt 37, 226 = NJW 1991, 990, 992. Rehbinder, ZHR 148 (1984) 555, 570 ff.; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 84 Rz. 97. Fleischer, WM 2005, 909, 916; Krieger in: FS Bezzenberger, S. 211, 220; Rehbinder, ZHR 148 (1984) 555, 572. BGH, Urt. v. 9.11.1967 – II ZR 64/67, BGHZ 49, 30 = NJW 1968, 396 – zum GmbH Geschäftsführer; Hüffer-Koch, AktG, § 84 Rz. 25; Peltzer, BB 1976, 1249, 1252. K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 84 Rz. 35; Hölters-Weber, AktG, § 84 Rz. 53. BGH, Urt. v. 9.11.1967 – II ZR 64/67, BGHZ 49, 30 = NJW 1968, 396 – zur GmbH; Fleischer, WM 2003, 1045 ff. Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 84 Rz. 76. Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, § 13 Rz. 300, 317. Krieger, Personalentscheidungen des Aufsichtsrats, S. 163 f.; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 84 Rz. 104. Vgl. K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 84 Rz. 36; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 21 Rz. 92. BGH, Hinweisbeschl. v. 7.7.2008 – II ZR 71/07 (Metro), ZIP 2008, 1821 = NZG 2008, 834, dazu EWiR 2008, 737 (Paul); BGH, Urt. v. 3.12.1962 – II ZR 63/60, WM 1963, 161 = MDR 1963, 204; Hölters-Weber, AktG, § 84 Rz. 55. Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 84 Rz. 82. BGH, Urt. v. 3.12.1962 – II ZR 63/60, WM 1963, 161 = MDR 1963, 204; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 84 Rz. 36.

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§ 84

Bestellung und Abberufung des Vorstands

IV.

Ernennung eines Vorsitzenden (§ 84 Abs. 2)

1.

Ernennung und Widerruf

43 Im Fall eines mehrköpfigen Vorstands kann gemäß § 84 Abs. 2 durch den Aufsichtsrat ein Vorsitzender ernannt werden. Dies gilt nach allgemeiner Ansicht auch für die nicht ausdrücklich gesetzlich geregelte Position des stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden.131) Auch eine Doppelbesetzung ist möglich.132) Zwar besteht keine Pflicht zur Bestellung eines Vorsitzenden, für börsennotierte Gesellschaften enthält Ziff. 4.2.1. DCGK jedoch eine dahingehende Empfehlung. Die Satzung kann eine Bestellung weder vorschreiben, noch untersagen.133) Die Voraussetzungen der Ernennung zum Vorsitzenden entsprechen denjenigen zur Bestellung eines Vorstandsmitglieds. Erforderlich ist neben einem Beschluss des Gesamtaufsichtsrats mit einfacher Mehrheit auch die Annahme durch den Ernannten. Dies gilt gemäß § 29 MitbestG auch für mitbestimmte Gesellschaften, § 31 MitbestG kommt nicht zur Anwendung.134) Die Delegation auf einen Ausschuss ist gemäß § 107 Abs. 3 Satz 4 unzulässig. Gemäß § 84 Abs. 3 Satz 1 kann der Aufsichtsrat die Ernennung zum Vorsitzenden bei Vorliegen eines wichtigen Grundes isoliert widerrufen werden. In der Praxis ist ein isolierter Widerruf die absolute Ausnahme.135) 44 Der Vorsitzende ist gemäß § 80 Abs. 1 Satz 2 auf Geschäftsbriefen und gemäß § 285 Nr. 10 Satz 2 HGB im Anhang des Jahresabschlusses zu bezeichnen. Es besteht keine Pflicht zur Anmeldung zum Handelsregister (siehe oben § 81 Rz. 3). Die Eintragung ist nach § 43 Nr. 4 HRV jedoch registerrechtlich zulässig.136) 2.

Rechtsstellung

45 Mangels ausdrücklicher aktienrechtlicher Regelungen richtet sich die Stellung des Vorsitzenden primär nach den allgemeinen Prinzipien der Binnenorganisation von Gremien.137) Dazu zählt die Vorbereitung und Leitung von Sitzungen sowie die Repräsentation des Vorstands als Kollegialorgan nach außen.138) Er hat die Vorstandsarbeit zu koordinieren und zu kontrollieren.139) Eine faktische Vormachtstellung in der Praxis ergibt sich insbesondere durch die Persönlichkeit und Beziehungen des Vorstandsvorsitzenden innerhalb des Unternehmens.140) 46 In rechtlicher Hinsicht können dem Vorsitzenden weitergehende Kompetenzen eingeräumt werden. Einer Entwicklung hin zum Modell des Chief Executive Officer (CEO) nach anglo-amerikanischem Vorbild sind aber insbesondere durch das Prinzip der Gesamtverantwortung (§ 76 Abs. 1) und der Gleichberechtigung der Vorstandsmitglieder _____________ 131) Bürgers/Körber-Bürgers, AktG, § 84 Rz. 21; Semler/v. Schenck-Fonk, ArbHdb. AR, § 10 Rz. 61. 132) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 84 Rz. 87; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 24 Rz. 2; a. A. Spindler in: MünchKomm-AktG, § 84 Rz. 112. 133) Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 84 Rz. 101; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 84 Rz. 112; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 7 Rz. 467; a. A. Krieger, Personalentscheidungen des Aufsichtsrats, 1981, S. 252, 253. 134) Kort in: GroßKomm-AktG, § 84 Rz. 117; Simons/Hanloser, AG 2010, 641, 642. 135) Seyfarth, Vorstandsrecht, § 9 Rz. 8. 136) Bezzenberger, ZGR 1996, 661, 662; streitig für den Fall des stellvertretenden Vorsitzenden, vgl. HöltersWeber, AktG, § 81 Rz. 5. 137) Bezzenberger, ZGR 1996, 661, 662; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 84 Rz. 41; Simons/Hanloser, AG 2010, 641, 642 f. 138) Vgl. Krieger, Personalentscheidungen des Aufsichtsrats, 1981, S. 244 ff.; Simons/Hanloser, AG 2010, 641, 642 f. 139) Wicke, NJW 2007, 3755. 140) Vgl. Semler in: FS Lutter, S. 721, 728.

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Bestellung und Abberufung des Vorstands

§ 84

(§ 77 Abs. 1 Satz 2) Grenzen gesetzt.141) Selbst wenn in der Praxis häufig eine faktische Vorrangstellung des Vorsitzenden vorliegt, sind insbesondere auch aus Haftungsgesichtspunkten die aktienrechtlichen Schranken nicht zu vernachlässigen.142) Zulässig ist i. R. des § 77 Abs. 1 Satz 2 die Einräumung eines Stichentscheids sowie in nicht mitbestimmten Gesellschaften eines Vetorechts durch Satzung oder Geschäftsordnung (siehe oben § 77 Rz. 10, 11). Ein Alleinentscheidungsrecht widerspricht dagegen der ausdrücklichen Regelung des § 77 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2. Im Rahmen der Geschäftsverteilung kann dem Vorsitzenden ein bedeutsames Resort zugeteilt werden (siehe oben § 77 Rz. 14 ff.). Die Bildung eines „Super-Resort“, während die anderen Vorstandsmitglieder mit völlig belanglosen Aufgaben betraut werden, ist dagegen nicht möglich.143) Mit den genannten Prinzipien im deutschen Aktienrecht nicht vereinbar ist ein Weisungsrecht des Vorsitzenden gegenüber anderen Vorstandskollegen.144) 3.

Vorstandssprecher

Solange der Aufsichtsrat keinen Vorstandsvorsitzenden bestellt hat, kann der Vorstand 47 i. R. seiner Geschäftsordnungskompetenzen einen Vorstandssprecher bestimmen.145) Seine Aufgaben liegen in der Sitzungsleitung und Repräsentation.146) Dem Sprecher kann dagegen keine sachliche Koordinations- und Überwachungsfunktion zugeteilt werden.147) V.

Widerruf der Bestellung (§ 84 Abs. 3)

§ 84 Abs. 3 regelt den Widerruf der Bestellung zum Vorstandsmitglied und der Ernen- 48 nung des Vorsitzenden aus wichtigem Grund. Von der Beendigung der Organstellung grundsätzlich unabhängig ist nach der Trennungstheorie das Schicksal des schuldrechtlichen Anstellungsverträge (siehe oben Rz. 2). Gemäß § 84 Abs. 3 Satz 5 gelten für diesen die allgemeinen Vorschiften der §§ 611 ff. BGB. Jedoch kann die Auslegung des Widerrufs zu dem Ergebnis führen, dass darin zugleich eine Kündigung des Anstellungsvertrags liegen soll.148) Zulässig sind auch sog. Koppelungsklauseln, nach denen mit dem Widerruf der Bestellung auch der Anstellungsvertrag endet.149) Nicht gesetzlich geregelt sind das einvernehmliche Ausscheiden, die Amtsniederlegung und die Suspendierung als weitere Beendigungsformen. 1.

Zuständigkeit und Verfahren

Wie die Bestellung, erfolgt auch ihr Widerruf durch Beschluss des Aufsichtsrats und Er- 49 klärung gegenüber dem abzuberufenden Vorstandsmitglied, § 108 AktG, § 130 BGB.150) Zuständig für den Widerruf der Bestellung ist gemäß § 84 Abs. 3 Satz 1 der Gesamtaufsichtsrat, da eine Delegation gemäß § 107 Abs. 3 Satz 4 unzulässig ist. In mitbestimmten _____________ Vgl. Hoffmann-Becking, NZG 2003, 745 ff.; Langer/Peters, BB 2012, 2575; Wicke, NJW 2007, 3755 ff. Hoffmann-Becking, NZG 2003, 745. Hoffmann-Becking, NZG 2003, 745, 749; Langer/Peters, BB 2012, 2575, 2581. Wicke, NJW 2007, 3755, 3758. Spindler in: MünchKomm-AktG, § 84 Rz. 115; Hölters-Weber, AktG, § 84 Rz. 60. Hoffmann-Becking, ZGR 1998, 497, 517; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 7 Rz. 468. Hoffmann-Becking, ZGR 1998, 497, 517; Simons/Hanloser, AG 2010, 641, 642, 644. BGH, Urt. v. 24.2.1954 – II ZR 88/53, BGHZ 12, 337, 340 = NJW 1954, 799; BGH, Urt. v. 21.6.1999 – II ZR 27/98, ZIP 1999, 1669 = MDR 1999, 1397; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 84 Rz. 106. 149) Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, § 9 Rz. 130; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 20 Rz. 43. 150) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 84 Rz. 95 f.; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 84 Rz. 47; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 84 Rz. 105 ff.

141) 142) 143) 144) 145) 146) 147) 148)

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§ 84

Bestellung und Abberufung des Vorstands

Gesellschaften ist das Verfahren des § 31 MitbestG einzuhalten. § 84 Abs. 3 Satz 4 findet keine Anwendung, so dass ein fehlerhafter oder fehlender Beschluss zur Nichtigkeit des Widerrufs führt.151) Der Mangel kann entsprechend § 244 aber durch Bestätigungsbeschluss geheilt werden.152) Der Widerruf muss gegenüber dem Vorstandsmitglied erklärt werden. Die Erklärung kann durch einen Bevollmächtigten oder unter Einsatz eines Erklärungsboten erfolgen.153) Das Vorliegen der Vollmacht sollte in der Praxis durch eine von allen Aufsichtsratsmitgliedern unterzeichnete Urkunde oder das originale Aufsichtsratsprotokoll nachgewiesen werden, um eine mögliche Zurückweisung gemäß § 174 BGB zu vermeiden.154) Die Widerrufserklärung ist weder form- noch fristgebunden. Grenze für die Geltendmachung des Widerrufs ist allein die Verwirkung.155) Auch eine formelle Begründung ist nach allgemeiner Ansicht nicht erforderlich.156) 50 Eine vorherige Anhörung des Vorstandsmitglieds schreibt das Gesetz nicht vor.157) Ein entsprechendes Erfordernis kann sich jedoch mittelbar aus § 116 Satz 1 i. V. m. § 93 Abs. 1 Satz 2 ergeben, nach denen der Aufsichtsrat aufgrund einer hinreichenden Tatsachengrundlage entscheiden muss.158) Gemäß § 81 Abs. 1 muss der verbleibende Vorstand das Ausscheiden zum Handelsregister anmelden. Die Eintragung ist zwar nicht konstitutiv, Dritte sind aber durch § 15 HGB geschützt (siehe oben § 81 Rz. 14). 2.

Wichtiger Grund

51 § 84 Abs. 3 Satz 1 setzt das Vorliegen eines wichtigen Grundes voraus. Zweck ist die Sicherung der Unabhängigkeit und Eigenverantwortlichkeit der Unternehmensleitung durch den Vorstand.159) Weder durch Vereinbarung noch durch Satzungsregelung kann das Widerrufsrecht, bspw. durch Einführung gerichtlich nicht überprüfbarer Widerrufsgründe, erweitert werden.160) Auch eine Beschränkung ist unzulässig.161) a)

Allgemeine Anforderungen

52 Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn der Gesellschaft die Fortsetzung des Organverhältnisses mit dem Vorstandsmitglied bis zum Ende der Amtszeit unzumutbar ist.162) Es _____________ 151) OLG Köln, Urt. v. 28.2.2008 – 13 U 3/08, ZIP 2008, 1767 = AG 2008, 458; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 84 Rz. 47; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 84 Rz. 120; a. A. Schürnbrand, NZG 2008, 609, 611. 152) OLG Stuttgart, Urt. v. 13.3.2002 – 20 U 59/01, AG 2003, 211, 212; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 84 Rz. 130. 153) OLG Düsseldorf, Urt. v. 24.2.2012 – I-16 U 177/10, AG 2012, 511 = GWR 2012, 344; Hüffer/KochKoch, AktG, § 84 Rz. 33. 154) OLG Düsseldorf, Urt. v. 17.11.2003 – I 15 U 225/02, ZIP 2004, 1850, 1853 = DB 2004, 920 = AG 2014, 321; Schockenhoff/Topf, DB 2005, 539, 544. 155) Janzen, NZG 2003, 468, 469; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 84 Rz. 121. 156) Semler/v. Schenck-Fonk, ArbHdb. AR, § 10 Rz. 308; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 84 Rz. 106. 157) Janzen, NZG 2003, 468, 469; Kort in: GroßKomm-AktG, § 84 Rz. 131. 158) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 84 Rz. 126; Hölters-Weber, AktG, § 84 Rz. 78. 159) OLG Frankfurt/M., Urt. v. 17.2.2015 – 5 U 111/14 (Commerzbank), NZG 2015, 514, 515 = ZIP 2015, 519, dazu EWiR 2015, 339 (Pattberg); OLG München, Urt. v. 13.10.2005 – 23 U 1949/05, NZG 2006, 313, 314 = ZIP 2006, 712 = AG 2006, 337. 160) Janzen, NZG 2003, 468, 470; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 84 Rz. 48. 161) KG Berlin, Urt. v. 27.9.2004 – 2 U 191/02, NZG 2004, 1165 = AG 2005, 205 – Vereinbarung einer Anhörung, jedoch im konkreten Fall nicht als unzulässige Beschränkung; Spindler in: MünchKommAktG, § 84 Rz. 126. 162) BGH, Hinweisbeschl. v. 23.10.2006 – II ZR 298/05, ZIP 2007, 119 = AG 2007, 125, dazu EWiR 2007, 161 (Krüger/Achsnick); BGH, Urt. v. 19.10.1987 – II ZR 97/87, ZIP 1988, 47, 48 = DB 1988, 225 – zur GmbH; OLG Stuttgart, Hinweisbeschl. v. 28.5.2013 – 20 U 5/12, AG 2013, 599, 603 = ZIP 2013, 1576; OLG München, Urt. v. 28.4.2016 – 23 U 2314/15, BeckRS 2016, 08385 = AG 2016, 592; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 20 Rz. 48.

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Bestellung und Abberufung des Vorstands

§ 84

kommt dabei auf die besonderen Umstände des Einzelfalls an.163) Der wichtige Grund muss nicht notwendig in der Person des Vorstandsmitglieds liegen, insbesondere muss dieses nicht pflichtwidrig oder schuldhaft gehandelt haben.164) § 84 Abs. 3 Satz 2 nennt einzelne Beispiele für das Vorliegen eines wichtigen Grundes, ohne dadurch von der notwendigen Einzelfallprüfung unter Berücksichtigung aller Umstände zu entbinden.165) Die Kriterien für die Beurteilung der Unzumutbarkeit sind umstritten. Nach der Recht- 53 sprechung sind die Interessen der Gesellschaft gegen diejenigen des Vorstandsmitglieds abzuwägen.166) Hierfür spricht vor allem, dass der wichtige Grund für die Abberufung eine Hürde darstellt, die die Unabhängigkeit des Vorstands sichern soll (siehe oben § 76 Rz. 2).167) Die überwiegende Literatur folgt dem insoweit, als persönliche amtsbezogene Vorstandspflichten in der Abwägung zu berücksichtigen sind, räumt dem Gesellschaftsinteresse jedoch einen gewissen Vorrang ein.168) Nach überzeugender Auffassung sind Interessen des Vorstandsmitglieds nur für die Kündigung des Anstellungsvertrages relevant.169) Auf körperschaftlicher Ebene hat das Interesse der Gesellschaft an einer funktionierenden organschaftlichen Vertretung Vorrang.170) Verbleibt nur noch eine kurze Amtszeit, so liegen erhöhte Anforderungen i. R. der Unzumutbarkeit vor.171) Bei der Entscheidung über das Vorliegen eines wichtigen Grundes, der die Abberufung 54 rechtfertigt, kommt dem Aufsichtsrat kein Beurteilungsspielraum zu. Sie unterliegt der vollen gerichtlichen Überprüfung.172) Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob der Aufsichtsrat von der Widerrufsmöglichkeit Gebrauch macht. Insofern besteht gemäß § 84 Abs. 3 Ermessen, da die Entscheidung unter Abwägung der Vor- und Nachteile für die Gesellschaft zu treffen ist.173) _____________ 163) BGH, Hinweisbeschl. v. 23.10.2006 – II ZR 298/05, ZIP 2007, 119 = AG 2007, 125; OLG München, Urt. v. 28.4.2016 – 23 U 2314/15, BeckRS 2016, 08385 = AG 2016, 592; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 7 Rz. 364 f. 164) BGH, Hinweisbeschl. v. 23.10.2006 – II ZR 298/05, ZIP 2007, 119 = AG 2007, 125; OLG Stuttgart, Hinweisbeschl. v. 28.5.2013 – 20 U 5/12, AG 2013, 599, 603 = ZIP 2013, 1576; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 84 Rz. 35. 165) K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 84 Rz. 49a; Hölters-Weber, AktG, § 84 Rz. 73. 166) BGH, Urt. v. 7.6.1962 – II ZR 131/61, WM 1962, 811, 812 = BB 1962, 816; KG Berlin, Urt. v. 3.5.2007 – 23 U 102/06, AG 2007, 745 = BeckRS 2007, 12065; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 17.2.2015 – 5 U 111/14 (Commerzbank), NZG 2015, 514 = ZIP 2015, 519; OLG Stuttgart, Hinweisbeschl. v. 28.5.2013 – 20 U 5/12, AG 2013, 599, 603 = ZIP 2013, 1576. 167) Janzen, NZG 2003, 468, 470; Tschöpe/Wortmann, NZG 2009, 161, 162; Hölters-Weber, AktG, § 84 Rz. 71. 168) Grumann/Gillmann, DB 2003, 770, 771; Janzen, NZG 2003, 468, 470; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 84 Rz. 34; Kort in: GroßKomm-AktG, § 84 Rz. 141; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 84 Rz. 121; Tschöpe/Wortmann, NZG 2009, 161, 162; Hölters-Weber, AktG, § 84 Rz. 71. 169) Fleischer, AG 2006, 429, 439; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 84 Rz. 49; Schmolke, AG 2014, 377, 389 f.; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 19 Rz. 15; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 84 Rz. 128; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 20 Rz. 49. 170) Zum Vorrang von Gesellschaftsinteressen bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegenüber dem Vorstand: BGH, Urt. v. 21.4.1997 – II ZR 175/95 (ARAG/Garmenbeck), BGHZ 135, 244, 245 = ZIP 1997, 883 = AG 1997, 377; Fleischer, AG 2006, 429, 439. 171) BGH, Urt. v. 7.6.1962 – II ZR 131/61, WM 1962, 811, 812 = BB 1962, 816; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 84 Rz. 100; Janzen, NZG 2003, 468, 470. 172) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 84 Rz. 34; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 84 Rz. 49. 173) OLG Stuttgart, Urt. v. 13.3.2002 – 20 U 60/01, NZG 2002, 971; Krieger, Personalentscheidungen des Aufsichtsrats, 1981, S. 140 f.; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 84 Rz. 122; Spindler in: MünchKommAktG, § 84 Rz. 127; Fleischer-Thüsing, Hdb. VorstandsR, § 5 Rz. 13; Hölters-Weber, AktG, § 84 Rz. 72; a. A. Janzen, NZG 2003, 468, 471; Schaefer/Missling, NZG 1998, 441; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 20 Rz. 61.

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§ 84

Bestellung und Abberufung des Vorstands

b)

Gesetzliche Beispiele

aa)

Grobe Pflichtverletzung

55 Eine grobe Pflichtverletzung betrifft erhebliche Verfehlungen und grobe Nachlässigkeiten des Vorstandsmitglieds.174) Dazu zählt die Verletzung grundlegender Gesetzes- und Organpflichten, bspw. durch Beteiligung an strafbaren Handlungen, wobei ein starker Verdacht ausreichen kann,175) die Unterlassung der Errichtung eines Risikofrüherkennungssystems,176) die bewusste Nichtbedienung einer fälligen Darlehensrate,177) die Fälschung von Belegen,178) die unberechtigte Aneignung von Gesellschaftsvermögen179) und die Annahme von Schmiergeldern in Form von „Kick-Backs“180). Ebenso sind Pflichtverletzungen gegenüber anderen Organen oder Organmitgliedern erfasst, bspw. durch Täuschung anderer Vorstandsmitglieder,181) Abschluss von Rechtsgeschäften unter Missachtung der Beteiligungsrechte von Vorstand und Aufsichtsrat,182) mangelnde Offenheit gegenüber dem Aufsichtsrat und Missachtung von Zustimmungsvorbehalten gemäß § 111 Abs. 4183) sowie gravierende Missachtung der Zuständigkeit des Aufsichtsrats für die Aufklärung von Pflichtverletzungen der Vorstandsmitglieder durch einen Vorstand.184) bb)

Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung

56 Die Unfähigkeit zur Geschäftsführung kann auf tatsächlichen oder rechtlichen Gründen beruhen, ohne dass es eines Verschuldens bedarf.185) Als zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung unfähig angesehen wurden z. B. Vorstandsmitglieder, denen notwendige Kenntnisse zur Ausübung des Amts fehlen186) oder die im gewerberechtlichen Sinn unzuverlässig sind, was zu einer Versagung von Genehmigungen für die Gesellschaft führen kann.187) Auch eine lang andauernde Krankheit sowie Suchtprobleme können einen Widerruf begründen.188) Gleiches gilt im Fall eines unheilbaren Zerwürfnisses zwischen Organmitgliedern.189) Wenn die Beibehaltung der Organstellung des betroffenen Vorstandsmitglieds zu einer unmittelbaren Existenzgefährdung führt, kann ausnahmsweise auch der von einem Dritten (bspw. einer kreditgebenden Bank) ausgeübte Druck einen wichtigen Grund für eine Abberufung darstellen, sofern auf andere Weise keine Abhilfe möglich ist.190) Das Abberufungsverlangen eines aktivistischen Aktionärs kommt als _____________ 174) Begr. RegE in: Kropff, AktG, S. 106. 175) BGH, Urt. v. 9.1.1967 – II ZR 226/64, WM 1967, 251 = BB 1967, 229; eischränkend im privaten Bereich, wenn kein erheblicher Imageschaden droht Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 84 Rz. 105. 176) LG Berlin, Urt. v. 3.7.2002 – 2 O 358/01, AG 2002, 682, 683 = BKR 2002, 969. 177) OLG Stuttgart, Hinweisbeschl. v. 28.5.2013 – 20 U 5/12, AG 2013, 599 = ZIP 2013, 1576. 178) OLG Hamm, Urt. v. 7.5.1984 – 8 U 22/84, GmbHR 1985, 119 – zur GmbH. 179) OLG Stuttgart, Urt. v. 13.3.2002 – 20 U 59/01, AG 2003, 211, 213. 180) OLG München, Urt. v. 7.2.2007 – 7 U 4952/06, OLGR München 2007, 440 = AG 2007, 361, 363. 181) OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.5.1982 – 8 U 11/81, DB 1983, 1036 = AG 1982, 225. 182) OLG München, Urt. v. 14.7.2005 – 6 U 5444/04, AG 2005, 776, 777 = ZIP 2005, 1781. 183) BGH, Urt. v. 13.7.1998 – II ZR 131/97, AG 1998, 519 f. = WM 1998, 1779 = NJW-RR 1998, 1409; OLG Stuttgart, Hinweisbeschl. v. 28.5.2013 – 20 U 5/12, AG 2013, 599 = ZIP 2013, 1576. 184) OLG München, Urt. v. 28.4.2016 – 23 U 2314/15, BeckRS 2016, 08385 = AG 2016, 592. 185) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 84 Rz. 106. 186) OLG Stuttgart, Urt. v. 9.10.1956 – 2 W 69/56, GmbHR 1957, 59, 60 – zur GmbH. 187) OLG Stuttgart, Urt. v. 13.3.2002 – 20 U 59/01, AG 2003, 211, 212 f. 188) Bayer in: FS Hommelhoff, S. 87, 93; Fleischer, NZG 2010, 561, 565. 189) BGH, Urt. v. 24.2.1992 – II ZR 79/91, ZIP 1992, 760, 761 f. = MDR 1992, 655 – zur GmbH. 190) OLG München, Urt. v. 13.10.2005 – 23 U 1949/05, NZG 2006, 313 = ZIP 2006, 712 = AG 2006, 337; bestätigt durch BGH, Hinweisbeschl. v. 23.10.2006 – II ZR 298/05, ZIP 2007, 119 = AG 2007, 125.

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wichtiger Grund in Betracht, wenn die als Begründung vorgebrachten Tatsachen bei unabhängiger Prüfung durch den Aufsichtsrat einen solchen rechtfertigen.191) cc)

Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung

Ein Widerruf aufgrund eines Vertrauensentzugs durch die Hauptversammlung gemäß 57 § 84 Abs. 3 Satz 2 setzt kein persönlich vorwerfbares Verhalten des Vorstandsmitglieds voraus; dieses kann sogar objektiv im Recht sein.192) Der Vertrauensentzug darf jedoch nicht auf offensichtlich unsachlichen Gründen basieren. Dies ist der Fall, wenn die Entscheidung der Hauptversammlung auch nach Abwägung aller Umstände willkürlich, haltlos, rechtsmissbräuchlich oder treuwidrig ist.193) Der Beschluss der Hauptversammlung der AG, einem Vorstandsmitglied das Vertrauen zu entziehen, ist nicht schon dann offenbar unsachlich oder willkürlich, wenn sich die Gründe für den Vertrauensentzug als nicht zutreffend erweisen.194) Rechtsmissbräuchlich ist ein Vertrauensentzug bspw., wenn er als Reaktion auf die Weigerung des Vorstands ergeht, einer rechtswidrigen Weisung der Hauptversammlung oder des Hauptaktionärs Folge zu leisten.195) Unsachlich ist es dagegen nicht schon, wenn die Hauptversammlung das Vertrauen wegen unterschiedlicher Auffassungen in Strategie- und geschäftspolitischen Fragen entzieht.196) Die Beweislast für das Vorliegen offenbar unsachlicher Gründe liegt beim Vorstand.197) Der Vertrauensentzug erfolgt durch Beschluss der Hauptversammlung, der dem Wider- 58 ruf vorausgehen muss.198) Eine Entlastungsverweigerung ersetzt nicht den Beschluss über den Vertrauensentzug gemäß § 84 Abs. 3 Satz 2.199) Während die Entlastungsverweigerung sich auf ein vergangenes Verhalten bezieht, betrifft der Vertrauensentzug eine Einschätzung für die Zukunft. Außerdem hätte die Hauptversammlung sonst keine Möglichkeit, die Missbilligung der Amtsführung im vergangenen Geschäftsjahr zum Ausdruck zu bringen, ohne sogleich die Abberufung zu initiieren. Das Stimmverbot des § 136 greift für Vorstandsmitglieder, die zugleich Aktionäre sind, im Fall des Beschlusses über den Vertrauensentzug nicht ein.200) Der Hauptversammlungsbeschluss, mit dem einem Vorstandsmitglied das Vertrauen entzogen wird, muss nicht begründet werden.201) dd)

Sonstige Gründe

Die Aufzählung des § 84 Abs. 3 Satz 2 ist nicht abschließend. Auch sonstige Gründe 59 können einen Widerruf rechtfertigen, sofern sie zu einer Unzumutbarkeit der Fortset_____________ 191) Schockenhoff, ZIP 2017, 1785, 1788 f. 192) BGH, Urt. v. 15.11.2016 – II ZR 215/17, BB 2017, 267 = DStR 2017, 555. 193) BGH, Urt. v. 28.4.1954 – II ZR 211/53, BGHZ 13, 188 = NJW 1954, 998; KG Berlin, Beschl. v. 3.12.2002 – 1 W 363/02, ZIP 2003, 1042, 1046 f. = AG 2003, 500; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 84 Rz. 37; deutlich weitere Auslegung Grigoleit/Vedder, AktG, § 84 Rz. 33 ff. 194) BGH, Urt. v. 15.11.2016 – II ZR 215/17, BB 2017, 267 = DStR 2017, 555; dazu GWR 2017, 396 (Mense/Klie). 195) KG Berlin, Beschl. v. 3.12.2002 – 1 W 363/02, ZIP 2003, 1042, 1046 f. = AG 2003, 500; Messer in: FS Nirk, S. 681, 692. 196) OLG Hamm, Urt. v. 7.7.2010 – I-8 U119/09, AG 2010, 789, 792 = GWR 2010, 401; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 20 Rz. 58. 197) Kort in: GroßKomm-AktG, § 84 Rz. 209; a. A. Mielke, BB 2014, 1035, 1037. 198) KG Berlin, Urt. v. 3.5.2007 – 23 U 102/06, AG 2007, 745 = BeckRS 2007, 12065; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 84 Rz. 128; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 84 Rz. 138; für Ausnahmen in Sonderfällen: Säcker in: FS Müller, S. 745, 751 Fn. 13. 199) Bürgers/Körber-Bürgers, AktG, § 84 Rz. 32; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 84 Rz. 111; K. Schmidt/ Lutter-Seibt, AktG, § 84 Rz. 51; a. A. Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 84 Rz. 127. 200) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 84 Rz. 38; Zimmermann in: FS Rowedder, S. 593, 596 ff. 201) BGH, Urt. v. 15.11.2016 – II ZR 215/17, BB 2017, 267 = DStR 2017, 555; Schrader/Felsmann, GWR 2017, 393, 394.

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529

§ 84

Bestellung und Abberufung des Vorstands

zung des Organverhältnisses mit dem Vorstandsmitglied führen und somit in ihrem Gewicht den genannten Beispielsfällen entsprechen.202) Dies kann bspw. bei einem Einschreiten der BaFin gegen ein Vorstandsmitglied mittels einer Verwarnung oder eines Beschäftigungsverbots gemäß § 87 WpHG203) oder der Zugehörigkeit zu einer verbotenen Partei204) der Fall sein. In engen Grenzen kann auch ein starker, auf objektiven Tatsachen beruhender Verdacht einer unerlaubten Handlung gegenüber der Gesellschaft ausreichen, wenn dadurch das Vertrauen in die Person des Vorstandsmitgliedes zerstört ist und sich dieser nicht unter Vornahme der erforderlichen Ermittlungen ausräumen lässt.205) Kein wichtiger Grund für die Abberufung eines Vorstandsmitglieds während der laufenden Bestellperiode liegt dagegen nach umstrittener Rechtsprechung bei einer vom Aufsichtsrat nach der Satzung zulässig beschlossenen Verkleinerung des Vorstandes vor.206) 3.

Wirkung des Widerrufs

60 Nach § 84 Abs. 3 Satz 4 ist der Widerruf wirksam, bis seine Unwirksamkeit rechtskräftig festgestellt ist. Die Organstellung des Betroffenen endet somit zunächst mit Zugang der Widerrufserklärung, auch wenn kein wichtiger Grund für die Abberufung vorlag. Dies dient der Schaffung von Rechtssicherheit im Unternehmensinteresse.207) Die Norm ist auf den Fall der automatischen Beendigung des Vorstandsamts, bspw. durch befristete Bestellung, analog anwendbar.208) Eine rechtskräftige Entscheidung i. S. des § 84 Abs. 3 Satz 4 liegt nur bei einem Endurteil im Hauptsacheverfahren vor.209) Nach ganz h. M. kommt es dagegen nicht zur vorläufigen Wirksamkeit, wenn der Beschluss des Aufsichtsrats fehlt oder wegen eines Verfahrensmangels ungültig ist.210) Der Widerruf bedarf zwar keiner formalen Begründung, auf Verlangen sind dem Betroffenen die Gründe jedoch analog § 626 Abs. 2 Satz 3 BGB mitzuteilen.211) Das Ausscheiden des Abberufenen ist gemäß § 81 Abs. 1 durch die verbleibenden Vorstandsmitglieder zum Handelsregister anzumelden. 4.

Rechtsschutz des Vorstandsmitglieds

61 Das abberufene Vorstandsmitglied kann gegen die Gesellschaft, vertreten durch den Aufsichtsrat (§ 112), Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit des Widerrufs erheben.212) Formelle Beschlussmängel kann der Aufsichtsrat durch Bestätigungsbeschluss entsprechend § 244 beheben und einer entsprechenden Klage damit die Grundlage entziehen.213) _____________ 202) 203) 204) 205) 206) 207) 208) 209)

210)

211) 212) 213)

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Fleischer, AG 2006, 429, 442. Forst, AG 2013, 277 ff. BGH, Urt. v. 24.2.1954 – II ZR 63/53, BGHZ 12, 337, 342 ff. Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 84 Rz. 112a; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 84 Rz. 36; Schmolke, AG 2014, 377, 382 ff.; Grigoleit/Vedder, AktG, § 84 Rz. 36. OLG Frankfurt/M., Urt. v. 17.2.2015 – 5 U 111/14 (Commerzbank), NZG 2015, 514 = ZIP 2015, 519; a. A. Habersack, DB 2015, 787 ff. K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 84 Rz. 52. LG Berlin, Beschl. v. 30.10.1990 – 98 T 39/90, ZIP 1991, 228, 229; Hölters-Weber, AktG, § 84 Rz. 79. OLG Stuttgart, Urt. v. 15.4.1985 – 2 U 57/85, ZIP 1985, 539, 541 = WM 1985, 600; Bürgers/KörberBürgers, AktG, § 84 Rz. 33; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 84 Rz. 40; Kort in: GroßKomm-AktG, § 84 Rz. 189, 192; kritisch: Grigoleit/Vedder, AktG, § 84 Rz. 38. OLG Köln, Urt. v. 28.2.2008 – 18 U 3/08, ZIP 2008, 1767 = NZG 2008, 635 = AG 2008, 458; OLG Stuttgart, Urt. v. 15.4.1985 – 2 U 57/85, ZIP 1985, 539, 541 = WM 1985, 600; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 84 Rz. 39; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 84 Rz. 142; a. A. Schürnbrand, NZG 2008, 609, 611. Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 84 Rz. 124; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 20 Rz. 62. BGH, Urt. v. 11.5.1981 – II ZR 126/80, ZIP 1981, 858, 859 = BB 1981, 1232. OLG Stuttgart, Urt. v. 13.3.2002 – 20 U 59/01, AG 2003, 211, 212; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 84 Rz. 42.

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Bestellung und Abberufung des Vorstands

§ 84

Wird mit der Klage das Nichtvorliegen eines wichtigen Grundes vorgebracht, handelt es sich dagegen um eine Gestaltungsklage, da ein stattgebendes Urteil bewirkt, dass der Betroffene ex nunc wieder Vorstandsmitglied ist. Widerrufsgründe können durch einen Aufsichtsratsbeschluss nachgeschoben werden, wenn sie bereits bei Erklärung des Widerrufes vorlagen, der Aufsichtsrat hiervon aber keine Kenntnis hatte.214) Lag Kenntnis vor, kann das Widerrufsrecht dagegen verwirkt sein.215) In der Praxis ist für ein wirksames Vorgehen gegen eine Abberufung im Zweifel ein Hauptantrag auf Feststellung der Nichtigkeit des Beschlusses, verbunden mit einem Hilfsantrag auf Erklärung der Unwirksamkeit anzuraten. Einstweiliger Rechtsschutz kommt nur in Betracht, wenn die Unwirksamkeit der Abberufung auf das Fehlen oder die Unwirksamkeit des Aufsichtsratsbeschlusses über den Widerruf der Bestellung gestützt wird (siehe oben Rz. 49).216) Ein betroffenes Vorstandsmitglied kann einem Aufsichtsratsmitglied darüber hinaus nicht im Wege einstweiliger Verfügung untersagen, für den Widerruf der Bestellung zu stimmen.217) Nach überwiegender Ansicht sind aktienrechtliche Bestellungs- und Abberufungsstrei- 62 tigkeiten nicht schiedsfähig.218) Dies ergibt sich aus der abschließenden Zuständigkeitsregelung des AktG für körperschaftliche Entscheidungen. Folgt man der Gegenansicht ist darüber hinaus strittig, ob die Schiedsvereinbarung nur individualvertraglich oder auch in der Satzung getroffen werden kann.219) 5.

Sonstige Beendigungsgründe

a)

Amtsniederlegung

Das Vorstandsmitglied kann sein Amt durch einseitige, empfangsbedürftige und formlose 63 Erklärung gegenüber dem Aufsichtsrat als Vertreter der AG niederlegen.220) Die Niederlegungserklärung wird bereits mit Zugang bei einem Aufsichtsratsmitglied wirksam.221) Handelt es sich um einen Empfänger mit Sitz im Ausland, ist für den Zugang das Ortsrecht des Abgabeorts entscheidend.222) Es muss nicht zeitgleich eine Kündigung des Anstellungsvertrages erfolgen, da auch hier das Trennungsprinzip gilt.223) Die Amtsnieder-

_____________ 214) BGH, Urt. v. 1.12.2003 – II ZR 161/02, BGHZ 157, 151 = ZIP 2004, 92 = AG 2004, 142; OLG Stuttgart, Hinweisbeschl. v. 28.5.2013 – 20 U 5/12, AG 2013, 599, 601 = ZIP 2013, 1576; zulässiges Nachschieben auch ohne erneuten Aufsichtsratsbeschluss vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 24.2.2012 – I16 U 177/10, AG 2012, 511, 513 = GWR 2012, 344; Heidel-Oltmanns, AktR, § 84 AktG Rz. 27. 215) OLG Stuttgart, Hinweisbeschl. v. 28.5.2013 – 20 U 5/12, AG 2013, 599 = ZIP 2013, 1576; Spindler/ Stilz-Fleischer, AktG, § 84 Rz. 133. 216) OLG Köln, Urt. v. 28.2.2008 – 18 U 3/08, ZIP 2008, 1767 = NZG 2008, 635 = AG 2008, 458. 217) OLG München, Urt. v. 16.10.2013 – 7 U 3018/13, ZIP 2013, 2200 = AG 2013, 886. 218) Kort in: GroßKomm-AktG, § 84 Rz. 589; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 84 Rz. 53; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 84 Rz. 143; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 20 Rz. 63; a. A. Bauer/ Arnold/Kramer, AG 2014, 677, 681 f.; Habersack/Wasserbäch, AG 2016, 2, 10 f.; Papmehl, Die Schiedsfähigkeit gesellschaftsrechtlicher Streitigkeiten, 2000, S. 225; Westermann in: FS Goette, S. 601, 606, 608. 219) Dafür: Bauer/Arnold/Kramer, AG 2014, 677, 681 f.; Habersack/Wasserbäch, AG 2016, 2, 10 f. 220) BGH, Urt. v. 14.7.1980 – II ZR 161/79, BGHZ 78, 82, 84 = ZIP 1980, 768 = NJW 1980, 2415 – zur GmbH; BGH, Urt. v. 8.2.1993 – II ZR 58/92, BGHZ 121, 257, 260 = ZIP 1993, 430 = DStR 1993, 485 – zur GmbH; Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, § 10 Rz. 152; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 84 Rz. 44; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 84 Rz. 56. 221) BGH, Urt. v. 17.9.2001 – II ZR 378/99, BGHZ 149, 28, 29 = ZIP 2001, 2227, dazu EWiR 2002, 67 (Wagner); Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 84 Rz. 141. 222) BGH, Beschl. v. 21.6.2011 – II ZB 15/10, ZIP 2011, 1562 = NJW-RR 2011, 1184, dazu EWiR 2011, 641 (Wachter) – zur GmbH. 223) Hoffmann-Becking, ZIP 2007, 2101, 2102; Fleischer-Thüsing, Hdb. VorstandsR, § 5 Rz. 35.

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§ 84

Bestellung und Abberufung des Vorstands

legung kann unter der aufschiebenden Bedingung der Eintragung des Ausscheidens im Handelsregister gestellt werden (siehe oben § 81 Rz. 6).224) 64 Nach überwiegender Meinung ist für die wirksame Amtsniederlegung kein wichtiger Grund erforderlich, da dies dem Gebot der Rechtssicherheit widerspräche und eine erzwungene Amtsführung wenig sinnvoll wäre.225) Ob ein solcher Grund vorliegt hat nur Bedeutung für den Fortbestand des Anstellungsvertrags und mögliche Schadenersatzansprüche gegen das Vorstandsmitglied. Eine Amtsniederlegung kann jedoch bei rechtsmissbräuchlichem Verhalten unwirksam sein.226) Darunter fällt eine Niederlegung zur Unzeit,227) zur Durchsetzung eines modifizierten Anstellungsvertrags oder zur vorzeitigen Neubestellung Vor dem Hintergrund der Möglichkeit der Bestellung eines Notvorstands ist dieses Kriterium jedoch eng auszulegen, da durch eine solche Maßnahme regelmäßig die Handlungsfähigkeit der Gesellschaft wiederhergestellt werden kann.228) 65 Eine vertragliche Verpflichtung zur Amtsniederlegung i. R. einer sog. „shoot out“-Klausel unterläuft nicht das Wahlrecht des Aufsichtsrats aus § 84 Abs. 1, da es eine erneute Bestellung nicht hindert, sondern allenfalls deren Annahme durch den Bestellten.229) Entsprechende Klauseln können jedoch gegen § 84 Abs. 3 verstoßen, sofern sie das Erfordernis eines wichtigen Grundes für den Widerruf der Bestellung umgehen und somit der bezweckten Unabhängigkeit des Vorstands zuwiderlaufen.230) b)

Einvernehmliches Ausscheiden

66 Im gegenseitigen Einvernehmen zwischen dem Gesamtaufsichtsrat und dem Vorstandsmitglied kann ein Ausscheiden jederzeit ohne weiteres, insbesondere ohne wichtigen Grund erfolgen.231) Der Aufsichtsrat handelt durch Beschluss (§ 108), die Entscheidung ist nach dem Rechtsgedanken des § 107 Abs. 3 Satz 4 nicht auf einen Ausschuss übertragbar.232) Bei mitbestimmten Gesellschaften richtet sich das Verfahren entsprechend § 31 Abs. 5 MitbestG nach § 31 Abs. 2 bis 4 MitbestG.233) 6.

Suspendierung

67 Der Begriff Suspendierung umschreibt grundsätzlich eine kurzzeitige, vorübergehende Amtsenthebung.234) Deren Zulässigkeit und Voraussetzungen, insbesondere für eine ein_____________ 224) BGH, Beschl. v. 21.6.2011 • II ZB 15/10, ZIP 2011, 1562 = NJW-RR 2011, 1184 – zur GmbH. 225) BGH, Urt. v. 26.6.1995 – II ZR 109/94, ZIP 1995, 1334 = NJW 1995, 2850 = GmbHR 1995, 653 – zur GmbH; BGH, Urt. v. 8.2.1993 – II ZR 58/92, BGHZ 121, 257 = ZIP 1993, 430 = DStR 1993, 485; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 84 Rz. 45; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 84 Rz. 199; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 84 Rz. 157; Grigoleit/Vedder, AktG, § 84 Rz. 44; a. A.: Kort in: GroßKommAktG, § 84 Rz. 224; Link, Die Amtsniederlegung durch Gesellschaftsorgane 2003, S. 68 ff., 83, 125 ff. 226) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 84 Rz. 143; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 19 Rz. 72; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 84 Rz. 157. 227) OLG Düsseldorf, Beschl. v. 6.12.2000 – 3 Wx 393/00, ZIP 2001, 25 = FGPrax 2001, 82 = DB 2001, 261 – zur GmbH; Henssler/Strohn-Dauner-Lieb, GesR, § 84 AktG Rz. 35; Spindler in: MünchKommAktG, § 84 Rz. 157; Hölters-Weber, AktG, § 84 Rz. 86. 228) Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 20 Rz. 67. 229) OLG Nürnberg, Urt. v. 20.12.2013 – 12 U 49/13, NZG 2014, 222, 225 = ZIP 2014, 171 = DB 2014, 709; Schmolke, ZIP 2014, 897, 903. 230) Dazu eingehend Schmolke, ZIP 2014, 897, 904. 231) OLG Karlsruhe, Urt. v. 13.10.1995 – 10 U 51/95; AG 1996, 224 = WM 1996, 161; Bürgers/KörberBürgers, AktG, § 84 Rz. 35; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 84 Rz. 57. 232) Vgl. BGH, Urt. v. 24.11.1980 – II ZR 182/79, BGHZ 79, 38 = NJW 1981, 757, 758 = ZIP 1981, 45; Hoffmann-Becking in: FS Stimpel, S. 589, 591; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 84 Rz. 158. 233) Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 7 Rz. 376; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 20 Rz. 68. 234) Seyfarth, Vorstandsrecht, § 19 Rz. 78.

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Bestellung und Abberufung des Vorstands

§ 84

seitige Suspendierung, sind umstritten.235) Neben der einseitigen und einvernehmlichen Suspendierung wird auch eine einvernehmliche Dienstbefreiung diskutiert.236) Die einseitige Suspendierung wird teilweise als echter, wenngleich zeitlich begrenzter 68 Widerruf angesehen, für dessen Wirksamkeit und Voraussetzungen das Verfahren des § 84 zu beachten sei.237) Demnach hat die Suspendierung neben der Abberufung keine eigenständige Bedeutung. Nach a. A. liegt eine vorübergehende Enthebung von der Amtsausführung vor, was jedoch ebenfalls nur unter den Voraussetzungen des § 84 Abs. 3 möglich sei.238) Eine dritte Meinung lässt schließlich den hinreichenden Verdacht des Vorliegens eines wichtigen Grundes ausreichen.239) Als Folge bleibt das Vorstandsmitglied formal im Amt, darf seine Organrechte jedoch nicht mehr ausüben.240) Hierfür spricht ein praktisches Interesse an einem vorläufigen Ruhen des Vorstandsamts bis zur Aufklärung der im Raum stehenden Widerrufsgründe.241) Die Dauer von einem Monat sollte die einseitige Suspendierung nur im Ausnahmefall überschreiten.242) Da für die einseitige Suspendierung keine gesetzliche Grundlage besteht und sie im Hinblick auf den Wortlaut und Zweck des § 84 Abs. 3 problematisch erscheint,243) ist die diesbezügliche Entscheidung des Aufsichtsrats der vollen gerichtlichen Kontrolle unterworfen.244) Die Möglichkeit einer einvernehmlichen Suspendierung wird von der h. M. unter den 69 gleichen Voraussetzungen und gleichen Grenzen wie die einseitige Suspendierung bei Zustimmung des Gesamtaufsichtsrats bejaht.245) Insofern ist jedenfalls nicht die von § 84 Abs. 3 geschützte Unabhängigkeit des Vorstands betroffen. Es bleibt jedoch bei erheblichen Unsicherheiten hinsichtlich der konkreten Rechtswirkung der Suspendierung. Die einvernehmliche Dienstbefreiung greift dagegen für einen längeren Zeitraum als die 70 Suspendierung. Sie setzt voraus, dass das Vorstandsmitglied für längere Zeit aus zwingenden Gründen, bspw. durch Krankheit, an der Ausübung seiner Tätigkeit gehindert ist.246) In diesem Fall soll der Betroffene von seiner Tätigkeitspflicht entbunden werden, ohne seine sonstigen Rechte und Pflichten aus dem Vorstandsamt zu verlieren.247) VI.

Kündigung des Anstellungsvertrags (§ 84 Abs. 3 Satz 5)

1.

Allgemeines

Aufgrund des Trennungsprinzips sind der Widerruf der organschaftlichen Bestellung und 71 die Kündigung des schuldrechtlichen Anstellungsvertrags voneinander unabhängig, wie _____________ 235) Dörrwächter, NZG 2018, 54 ff.; Hölters-Weber, AktG, § 84 Rz. 89. 236) Vgl. Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 20 Rz. 72 ff. 237) LG München I, Beschl. v. 27.6.1985 – 5 HKO 9397/85, AG 1986, 142; Spindler in: MünchKommAktG, § 84 Rz. 154 f. 238) OLG München, Urt. v. 17.9.1985 – 7 W 1933/85, AG 1986, 234; Krieger, Personalentscheidungen des Aufsichtsrats, 1981, S. 154 ff.; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 84 Rz. 59. 239) Dörrwächter, NZG 2018, 57; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 84 Rz. 137; Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, § 10 Rz. 150; Kort in: GroßKomm-AktG, § 84 Rz. 238; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 84 Rz. 189. 240) Dörrwächter, NZG 2018, 58; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 84 Rz. 139; Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, § 10 Rz. 150; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 84 Rz. 192. 241) Dörrwächter, NZG 2018, 57; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 84 Rz. 136. 242) Seyfarth, Vorstandsrecht, § 19 Rz. 81; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 20 Rz. 74; für eine Einzelfallbetrachtung Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 84 Rz. 137. 243) Grigoleit-Vedder, AktG, § 84 Rz. 46. 244) Seyfarth, Vorstandsrecht, § 19 Rz. 81. 245) Dörrwächter, NZG 2018, 58; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 84 Rz. 43; Mertens/Cahn in: KölnKommAktG, § 84 Rz. 196; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 20 Rz. 76. 246) Kort in: GroßKomm-AktG, § 84 Rz. 258. 247) Fleischer, NZG 2010, 561, 566; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 20 Rz. 77.

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§ 84

Bestellung und Abberufung des Vorstands

§ 84 Abs. 3 Satz 5 verdeutlicht (siehe oben Rz. 2). Demnach gelten für die Ansprüche des Vorstandsmitglieds aus dem Anstellungsvertrag die allgemeinen Vorschriften. Dies sind insbesondere § 626 BGB für die außerordentliche sowie § 620 BGB für die ordentliche Kündigung. 2.

Zuständigkeit und Verfahren

72 Die Zuständigkeit für die Kündigung des Anstellungsvertrags liegt gemäß §§ 84 Abs. 3 Satz 5, 112 beim Aufsichtsrat als Vertreter der Gesellschaft. Die Entscheidung kann, anders als beim Widerruf der Bestellung, grundsätzlich an einen mindestens dreiköpfigen Ausschuss delegiert werden.248) Dieser darf jedoch nicht dem Bestellungswiderruf vorgreifen, bspw. indem er vor der Entscheidung des Gesamtaufsichtsrats über die Beendigung der Organstellung die Kündigung ausspricht.249) Möglich bleibt eine Kündigung mit der Maßgabe, dass diese dem Vorstand erst nach einem erfolgten Widerruf der Organstellung erklärt wird.250) Gleiches gilt auch für die einvernehmliche Aufhebung des Anstellungsvertrags.251) Sofern i. R. des Ausscheidens des Vorstandsmitglieds eine Abfindungsvereinbarung getroffen wird, ist eine Delegation dagegen unzulässig, da insofern eine Festsetzung von Bezügen vorliegt, für die gemäß § 107 Abs. 3 Satz 4 zwingend der Gesamtaufsichtsrat zuständig ist.252) 73 Der Aufsichtsrat entscheidet durch Beschluss (§ 108) mit einfacher Mehrheit. Dies gilt auch bei mitbestimmten Gesellschaften, da § 31 MitbestG nur den Widerruf der Bestellung betrifft.253) Liegt kein Beschluss vor oder ist dieser nicht ordnungsgemäß zustande gekommen, ist die Kündigung unwirksam.254) Der Beschluss muss hinreichend klar, unbedingt und endgültig sein.255) Obwohl ein konkludenter Beschluss grundsätzlich nicht in Betracht kommt, kann die Entscheidung über die Kündigung im Beschluss über den Widerruf der Bestellung enthalten sein.256) 74 Die Kündigung muss dem betroffenen Vorstandsmitglied gegenüber erklärt werden. Hierbei kann sich der Aufsichtsrat vertreten lassen oder einen Boten einschalten.257) Ebenso wie beim Widerruf der Bestellung sollte eine Urkunde über die Ermächtigung erstellt werden, um eine Zurückweisung gemäß § 174 BGB zu verhindern.258) Die Erklärung bedarf weder einer formellen Begründung, noch der Schriftform, da § 623 BGB nicht anwendbar ist.259) _____________ 248) BGH, Urt. v. 23.10.1975 – II ZR 90/73, BGHZ 65, 190, 192 f. = NJW 1976, 145; OLG Düsseldorf, Urt. v. 17.11.2003 – 15 U 225/02, AG 2014, 321, 322 = ZIP 2004, 1850 = DB 2004, 920; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 84 Rz. 61. 249) BGH, Urt. v. 14.11.1983 – II ZR 33/83, BGHZ 89, 48, 56 = ZIP 1984, 55 = NJW 1984, 733 – zur GmbH; Fleischer-Thüsing, Hdb. VorstandsR, § 5 Rz. 53; Hölters-Weber, AktG, § 84 Rz. 93. 250) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 84 Rz. 146; Hoffmann-Becking in: FS Stimpel, S. 589, 595. 251) BGH, Urt. v. 24.11.1980 – II ZR 182/79, BGHZ 79, 38 = NJW 1981, 757, 758 = ZIP 1981, 45; Hüffer/ Koch-Koch, AktG, § 84 Rz. 49. 252) Hoffmann-Becking/Krieger, NZG 2009, Beil. zu Heft 26, S. 1, 9; Hölters-Weber, AktG, § 84 Rz. 93. 253) Oetker in: GroßKomm-AktG, § 31 MitbestG Rz. 22; Grigoleit-Vedder, AktG, § 84 Rz. 49. 254) OLG Karlsruhe, Urt. v. 28.4.2004 – 7 U 62/03, ZIP 2004, 2377, 2378 f.; Tschöpe/Wortmann, NZG 2009, 85, 88; abweichend für eine Heilungsmöglichkeit analog § 244: Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 84 Rz. 148. 255) OLG Karlsruhe, Urt. v. 28.4.2004 – 7 U 62/03, ZIP 2004, 2377, 2378 f.; Tschöpe/Wortmann, NZG 2009, 85, 88. 256) BGH, Urt. v. 29.3.1973 – II ZR 20/71, BGHZ 60, 333 = NJW 1973, 1122, 1123 f.; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 84 Rz. 162; Hölters-Weber, AktG, § 84 Rz. 92. 257) Bauer/Krieger, ZIP 2004, 1247, 1248; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 84 Rz. 61. 258) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 84 Rz. 149. 259) BGH, Urt. v. 18.6.1984 – II ZR 221/83, NJW 1984, 2689 = ZIP 1984, 947 – zur Genossenschaft; Bauer/Krieger, ZIP 2004, 1247, 1250; Hölters-Weber, AktG, § 84 Rz. 94.

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Bestellung und Abberufung des Vorstands

§ 84

Auf Verlangen müssen dem betroffenen Vorstandsmitglied jedoch gemäß § 626 Abs. 2 Satz 3 BGB die Kündigungsgründe mitgeteilt werden. Grundsätzlich bedarf es keiner Anhörung vor der Kündigung, es sei denn es liegt ein Fall der Verdachtskündigung vor.260) 3.

Außerordentliche Kündigung durch die Gesellschaft

a)

Allgemeines

Soll der Anstellungsvertrag einseitig beendet werden, erfolgt dies in den ganz überwie- 75 genden Fällen durch Kündigung aus wichtigem Grund gemäß § 626 BGB. Dieses Kündigungsrecht ist zwingend und kann nicht durch Satzung oder Vereinbarung beschränkt oder ausgeschlossen werden.261) Gleiches gilt für eine tatsächliche Einschränkung des Kündigungsrechts, bspw. durch Vereinbarung einer Abfindung für den Fall der außerordentlichen Kündigung des Anstellungsvertrags. Entsprechende Regelungen sind gemäß § 134 BGB nichtig.262) b)

Vorliegen eines wichtigen Grundes

Ein wichtiger Grund gemäß § 626 BGB liegt vor, wenn unter Berücksichtigung aller 76 Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der relevanten beiderseitigen Interessen eine Fortsetzung des Anstellungsvertrags bis zu seiner ordentlichen Beendigung für die Gesellschaft unzumutbar ist.263) Es sind insbesondere die Schwere der Pflichtverletzung, der Grad des Verschuldens, die Folgen für die Gesellschaft, die Wiederholungsgefahr sowie soziale Folgen für das betroffene Vorstandsmitglied, dessen Lebensalter und Verdienste zu berücksichtigen.264) Da der wichtige Grund gemäß § 626 BGB nicht zwingend mit demjenigen der Abberufung gemäß § 84 Abs. 3 Satz 1 identisch ist, muss hierbei eine eigene Interessenabwägung bezogen auf das Anstellungsverhältnis erfolgen.265) Zwar ist ein wichtiger Grund zur Kündigung des Anstellungsvertrags stets auch ein wichtiger Grund gemäß § 84 Abs. 3 Satz 1. Umgekehrt erfüllt ein wichtiger Grund zum Widerruf der Bestellung jedoch nicht immer die Voraussetzungen des § 626 BGB.266) Hintergrund ist, dass bei der Beendigung des Anstellungsvertrags insbesondere zu prüfen ist, ob dem Betroffenen die sozialen Folgen der Beendigung des Vorstandsamts zuzumuten sind.267) Durch eine sog. Gleichlaufklausel kann jedoch die Beendigung des Anstellungsvertrags durch eine Bedingung gemäß § 158 BGB mit dem Widerruf der Bestellung verbunden werden (siehe oben Rz. 27). _____________ 260) Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 84 Rz. 164; Fleischer-Thüsing, Hdb. VorstandsR, § 5 Rz. 57; Tschöpe/Wortmann, NZG 2009, 161, 162. 261) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 84 Rz. 51; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 21 Rz. 107. 262) BGH, Urt. v. 3.7.2000 – II ZR 282/98, ZIP 2000, 1442 = NJW 2000, 2983 = DB 2000, 1807 – zur GmbH; BGH, Urt. v. 17.3.2008 – II ZR 239/06, ZIP 2008, 1114 = NJW-RR 2008, 1488, dazu EWiR 2008, 621 (Rohde) – zur Genossenschaft; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 84 Rz. 62; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 84 Rz. 165. 263) BGH, Urt. v. 23.10.1995 – II ZR 130/94, NJW-RR 1996, 156; OLG Celle, Beschl. v. 25.5.2011 – 3 U 65/11, AG 2011, 916, 917; Bürgers/Körber-Bürgers, AktG, § 84 Rz. 38; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 7 Rz. 429. 264) OLG Hamm, Urt. v. 25.11.2009 – 8 U 61/09, GmbHR 2010, 477 = BeckRS 2010, 02823 – zur GmbH; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 84 Rz. 153; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 84 Rz. 153; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 21 Rz. 108. 265) BGH, Urt. v. 29.5.1989 – II ZR 220/88, NJW 1989, 2683 = ZIP 1989, 1190; Tschöpe/Wortmann, NZG 2009, 161. 266) BGH, Urt. v. 29.5.1989 – II ZR 220/88, NJW 1989, 2683 = ZIP 1989, 1190; OLG München, Urt. v. 14.3.2012 – 7 U 681/11, ZIP 2012, 1671 = AG 2012, 753; Kort in: GroßKomm-AktG, § 84 Rz. 482. 267) OLG München, Urt. v. 14.3.2012 – 7 U 681/11, ZIP 2012, 1671 = AG 2012, 753; Hölters-Weber, AktG, § 84 Rz. 96.

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§ 84

Bestellung und Abberufung des Vorstands

77 Bedeutendster Einzelfall eines wichtigen Grundes ist die grobe Pflichtverletzung des Vorstandsmitglieds. Darunter fällt bspw. die unberechtigte Amtsniederlegung,268) das Ausnutzen von Geschäftschancen der Gesellschaft für eigene Zwecke,269) die Fälschung von Belegen und die Annahme von Schmiergeldern,270) die Verletzung von Organisationsund Überwachungspflichten sowie mangelhaftes Risikomanagement.271) Kompetenzverstöße stellen bei einer gewissen Erheblichkeit eine grobe Pflichtverletzung dar.272) Darüber hinaus stellt die Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung einen personenbezogenen Kündigungsgrund dar. Diese liegt insbesondere bei fachlicher Unzulänglichkeit,273) fehlender Eignung in Krisensituationen274) sowie dauerhafter Dienstunfähigkeit wegen Krankheit275) vor. Im Fall des Vertrauensentzugs durch die Hauptversammlung ist für die Frage des wichtigen Grundes gemäß § 626 BGB entscheidend, auf welcher Ursache dieser basiert.276) Eine betriebsbedingte Kündigung kommt nur in Betracht, wenn eine angemessene Beschäftigungsmöglichkeit des Vorstandsmitglieds aufgrund des wirtschaftlichen Niedergangs des Unternehmens wegfällt.277) Eine bloße Verlagerung der Geschäftstätigkeit innerhalb eines Konzerns stellt dagegen keinen wichtigen Grund dar.278) Ein Abberufungsverlangen Dritter (sog. Druckabberufung) kann nur in extremen, gegenüber der Abberufung strengeren Ausnahmefällen einen wichtigen Grund gemäß § 626 BGB darstellen.279) 78 Eine vorherige Abmahnung ist nach ständiger Rechtsprechung nicht erforderlich.280) 79 Der Vorstand übt die Arbeitgeberfunktion aus und ist deshalb nicht auf die Schutz- und Warnfunktion dieser Maßnahme angewiesen.281) Auch aus § 314 Abs. 2 Satz 1 BGB ergibt sich nichts anderes, da insofern ein besonderer Umstand vorliegt, der die sofortige Kündigung rechtfertigt.282) c)

Kündigungsfrist

80 Gemäß § 626 Abs. 2 BGB muss die Kündigung innerhalb von zwei Wochen ab Kenntniserlangung des Kündigungsberechtigten von den maßgebenden Tatsachen erfolgen. _____________ 268) BGH, Urt. v. 14.7.1980 – II ZR 161/79, BGHZ 78, 82, 85 = ZIP 1980, 768 = NJW 1980, 2415; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 84 Rz. 52. 269) BGH, Urt. v. 13.2.1995 – II ZR 225/93, ZIP 1995, 567 = DStR 1995, 695 = BB 1995, 688. 270) OLG München, Urt. v. 7.2.2007 – 7 U 4952/06, OLGR München 2007, 440 = AG 2007, 361. 271) LG Berlin, Urt. v. 3.7.2002 – 2 O 358/01, AG 2002, 682 = BKR 2002, 969; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 84 Rz. 153. 272) BGH, Urt. v. 9.4.2013 – II ZR 273/11, WM 2013, 931, 933 = ZIP 2013, 971 = GWR 2013, 248, dazu EWiR 2013, 371 (Nolting). 273) BGH, Urt. v. 22.4.1982 – VII ZR 160/81, BGHZ 83, 371 = NJW 1982, 1708, 1709 = ZIP 1982, 876; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 21 Rz. 112. 274) OLG München, Urt. v. 13.10.2005 – 23 U 1949/05, NZG 2006, 313 = ZIP 2006, 712 = AG 2006, 337. 275) Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 84 Rz. 160. 276) Kort in: GroßKomm-AktG, § 84 Rz. 497; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 84 Rz. 182. 277) BGH, Urt. v. 21.4.1975 – II ZR 2/73, WM 1975, 761, 762. 278) Vgl. BGH, Urt. v. 28.10.2002 – II ZR 353/00, DStR 2003, 40, 41 ff. = ZIP 2002, 2254 = NJW 2003, 431. 279) LG München I, Urt. v. 15.10.2010 – 5HK O 2122/09, AG 2011, 258 = ZIP 2010, 2451; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 21 Rz. 114. 280) BGH, Urt. v. 10.9.2001 – II ZR 14/00, ZIP 2001, 1957, 1958 = DB 2001, 2438; BGH, Beschl. v. 2.7.2007 – II ZR 71/06, ZIP 2007, 1566 = NZG 2007, 674; OLG Düsseldorf, Urt. v. 2.7.2007 – I-9 U 3/07, AG 2008, 166; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 84 Rz. 66. 281) Seyfarth, Vorstandsrecht, § 20 Rz. 42. 282) So BGH, Beschl. v. 2.7.2007 – II ZR 71/06, ZIP 2007, 1566 = NZG 2007, 674 zu § 314 Abs. 2 Satz 2 BGB a. F., der auf § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB verwies.

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Bestellung und Abberufung des Vorstands

§ 84

Dieser kurze Zeitraum kann in der Praxis erhebliche Probleme bereiten. Eine nicht fristgerechte Kündigung ist unwirksam.283) Die Beweislast für die Einhaltung der Frist liegt bei der Gesellschaft.284) Maßgeblich ist die Kenntnis des Aufsichtsrats als für die Kündigung zuständiges Kollegialorgan, oder eines entsprechend befugten Ausschusses.285) Die Kenntnis einzelner Aufsichtsratsmitglieder oder des Vorsitzenden reicht nicht aus.286) Erlangt ein einzelnes Mitglied Kenntnis, so hat es jedoch unverzüglich den Gesamtaufsichtsrat einzuberufen.287) Die zweiwöchige Frist beginnt mit dem Tag der Aufsichtsratssitzung, sofern diese ohne unangemessene Verzögerung einberufen wurde.288) Andernfalls ist der Zeitpunkt maßgeblich, an dem die Sitzung unter Berücksichtigung der Eilbedürftigkeit hätte einberufen werden können.289) Kenntnis setzt sicheres Wissen über den für die Kündigung maßgeblichen Gesamtsach- 81 verhalt voraus, Kennenmüssen oder grob fahrlässige Unkenntnis genügen nicht.290) Ist zunächst eine weitere Aufklärung und ggf. Anhörung des Betroffenen erforderlich, ist die Zwei-Wochen-Frist jedenfalls dann gehemmt, wenn die weitere Aufklärung mit der gebotenen Beschleunigung betrieben wird.291) Bei mitbestimmten Gesellschaften ergeben sich Besonderheiten durch die Monatsfrist des 82 § 31 Abs. 5, Abs. 3 MitbestG. Findet dieses mehrstufige mitbestimmungsrechtliche Verfahren für den Widerruf der Bestellung Anwendung, kommt es bis zu seinem Abschluss zu einer Hemmung der zweiwöchigen Frist des § 626 Abs. 2 BGB.292) d)

Rechtsschutz

Das betroffene Vorstandsmitglied kann gegen die Kündigung eine Feststellungsklage 83 erheben, die sich gegen die Gesellschaft, vertreten durch den Aufsichtsrat (§ 112), richtet.293) Eine Verbindung mit der Klage gegen den Widerruf der Bestellung ist möglich.294) _____________ 283) Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, § 9 Rz. 138. 284) BGH, Urt. v. 5.4.1990 – IX ZR 16/89, NJW-RR 1990, 1330 = WM 1990, 1028; Hölters-Weber, AktG, § 84 Rz. 102. 285) Vgl. BGH, Urt. v. 15.6.1998 – II ZR 318/96, BGHZ 139, 89 = ZIP 1998, 1269 – zur GmbH; Janzen, NZG 2003, 468, 474; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 84 Rz. 159. 286) BGH, Urt. v. 19.5.1980 – II ZR 169/79, ZIP 1980, 896 = NJW 1981, 166; BGH Urt. v. 10.9.2001 – II ZR 14/00, ZIP 2001, 1957, 1958 = DB 2001, 2438; OLG München, Urt. v. 14.3.2012 – 7 U 681/11, ZIP 2012, 1671 = AG 2012, 753; Densch/Kahlo, DB 1983, 811; Wiesner, BB 1981, 1533, 1536; a. A. noch: BGH, Urt. v. 6.4.1964 – II ZR 75/62, BGHZ 41, 282 = NJW 1964, 1367. 287) BGH Urt. v. 15.6.1998 – II ZR 318/96, BGHZ 139, 89, 92 = ZIP 1998, 1269 – zur GmbH; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 84 Rz. 64; Hölters-Weber, AktG, § 84 Rz. 104. 288) BGH Urt. v. 15.6.1998 – II ZR 318/96, BGHZ 139, 89, 92 = ZIP 1998, 1269 – zur GmbH; BGH, Urt. v. 10.9.2001 – II ZR 14/00, ZIP 2001, 1957, 1958 = DB 2001, 2438 – zur GmbH; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 84 Rz. 54. 289) BGH, Urt. v. 5.4.1990 – IX ZR 16/89, WM 1990, 1028, 1030 = NJW-RR 1990, 1330; Grumann/ Gillmann, DB 2003, 770, 774; Stein, ZGR 1999, 264, 275 ff. 290) BGH, Urt. v. 26.2.1996 – II ZR 114/95, ZIP 1996, 636 = DStR 1996, 676 = WM 1996, 925 – GmbH; BGH, Urt. v. 9.4.2013 – II ZR 273/11, WM 2013, 931 = ZIP 2013, 971 = GWR 2013, 248 – zur GmbH; Fleischer-Thüsing, Hdb. VorstandsR, § 5 Rz. 66. 291) BGH, Urt. v. 26.2.1996 – II ZR 114/95, ZIP 1996, 636 = DStR 1996, 676 = WM 1996, 925 – zur GmbH; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 84 Rz. 175; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 21 Rz. 118. 292) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 84 Rz. 96; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 84 Rz. 33; Krieger, Personalentscheidungen des Aufsichtsrats, 1981, S. 180; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 84 Rz. 121; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 21 Rz. 119; a. A. Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 84 Rz. 174; Kort in: GroßKomm-AktG, § 84 Rz. 525. 293) BGH Urt. v. 9.10.1986 – II ZR 284/85, ZIP 1986, 1381, 1382 = NJW 1987, 254; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 7 Rz. 436. 294) Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 84 Rz. 185; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 84 Rz. 168; im Detail zur Zwei-Wochen-Frist bei außerordentlicher Kündigung Arnold/Schansker, NZG 2013, 1172.

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§ 84

Bestellung und Abberufung des Vorstands

Die Fortzahlung der Bezüge kann im Wege der Leistungsklage geltend gemacht werden, für die sich regelmäßig ein Urkundenprozess (§§ 592 ff. ZPO) empfiehlt, da die Verteidigung der AG hier erheblich eingeschränkt ist.295) Sachlich zuständig sind regelmäßig gemäß § 13 GVG die Zivilgerichte.296) e)

Nachschieben von Gründen

84 Die maßgeblichen Gründe der Kündigung müssen nicht angegeben und dem Betroffenen lediglich auf Verlangen mitgeteilt werden (siehe unten Rz. 60). Nach ständiger Rechtsprechung können die Gründe ohne weitere Beschlussfassung im Rechtsstreit nachgeschoben werden, soweit sie bei Ausspruch der Kündigung objektiv vorlagen und dem kündigenden Gesellschaftsorgan nicht länger als zwei Wochen zuvor bekannt geworden waren.297) Es ist unerheblich, ob die nachgeschobenen Gründe die ursprüngliche Begründung nur ergänzen oder einen völlig neuen Sachverhalt darstellen, auf den die Kündigung nun gestützt wird.298) 85 Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens liegt das Recht zum Nachschieben von Gründen bei dem Insolvenzverwalter. Das Nachschieben ist dabei weder davon abhängig, ob dem die Kündigung aussprechenden Organ die Gründe ursprünglich bekannt waren, noch ist die Frist des § 626 Abs. 2 BGB einzuhalten.299) 4.

Ordentliche Kündigung durch die Gesellschaft

86 Eine ordentliche Kündigung kommt in Betracht, wenn der Anstellungsvertrag auf unbestimmte Zeit abgeschlossen oder diese bei einem befristeten Vertrag vereinbart wurde.300) Sie ist aufgrund der Regelung des § 84 Abs. 3 Satz 1 jedoch nur zulässig, wenn zuvor oder gleichzeitig ein Widerruf der Bestellung stattfindet, da ansonsten faktisch die Beendigung der Bestellung erzwungen werden könnte.301) 5.

Kündigung durch das Vorstandsmitglied

87 Auch der Vorstand kann gegenüber der Gesellschaft, vertreten durch den Aufsichtsrat (§ 112), die Kündigung aus wichtigem Grund erklären. Ein wichtiger Grund ist bspw. der Widerruf der Bestellung ohne wichtigen Grund,302) die Nichtzahlung der Vergütung303) oder die willkürliche Verweigerung der Entlastung304).305) 88 Durch sog. Change of Control-Klauseln können darüber hinaus bestimmte Kündigungsrechte verbunden mit Abfindungsansprüchen zugunsten des Vorstands im Fall eines Kontrollwechsels vereinbart werden.306) _____________ 295) K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 84 Rz. 71; Tschöpe/Wortmann, NZG 2009, 161, 167 f. 296) Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 7 Rz. 436. 297) BGH, Urt. v. 11.7.1978 – II ZR 266/77, WM 1978, 1123; BGH, Urt. v. 13.7.1998 – II ZR 131/97, AG 1998, 519 = WM 1998, 1779 = NJW-RR 1998, 1409; BGH, Urt. v. 1.12.2003 – II ZR 161/02, BGHZ 157, 151 = ZIP 2004, 92, 93 = AG 2004, 142; OLG Düsseldorf, Urt. v. 24.2.2012 – I-16 U 177/10, AG 2012, 511, 512 f. = GWR 2012, 344. 298) BGH, Urt. v. 14.10.1991 – II ZR 239/90, ZIP 1992, 32, 35 = DB 1992, 260 – zur GmbH; Bauer/ Krieger, ZIP 2004, 1247, 1251. 299) BGH, Urt. v. 20.6.2005 – II ZR 18/03, NZA 2005, 1415, 1417 = ZIP 2005, 1365 – zur GmbH. 300) Seyfarth, Vorstandsrecht, § 20 Rz. 16. 301) Hölters-Weber, AktG, § 84 Rz. 110; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 21 Rz. 120. 302) BAG, Urt. v. 8.8.2002 – 8 AZR 574/011, NZG 2002, 1177 = NZA 2002, 1323. 303) BAG, Urt. v. 8.8.2002 – 8 AZR 574/011, NZG 2002, 1177 = NZA 2002, 1323. 304) Hölters-Weber, AktG, § 84 Rz. 108. 305) Vgl. mit weiteren Beispielen: Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 84 Rz. 170. 306) Ausführlich: Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 21 Rz. 55 ff.

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§ 85

Bestellung durch das Gericht 6.

Einvernehmliche Aufhebung

Der Anstellungsvertrag kann jederzeit einvernehmlich aufgehoben werden.307) Aufhebungs- 89 verträge sind von hoher praktischer Relevanz, da sie die einvernehmliche Aufhebung ermöglichen, wenn ein Grund für die außerordentliche Kündigung fehlt, die Gesellschaft und das Vorstandsmitglied die Zusammenarbeit aber bspw. aufgrund persönlicher Differenzen oder eines nicht den Erwartungen entsprechenden Geschäftsverlaufs beenden möchten.308) Über die Aufhebung entscheidet grundsätzlich der Gesamtaufsichtsrat durch Beschluss gemäß § 108, sofern die Zuständigkeit nicht an einen Ausschuss übertragen wurde.309) Um in einer solchen Konstellation die Entscheidungshoheit des Aufsichtsrats über den Widerruf der Bestellung zu wahren, muss der Aufhebungsvertrag unter einer entsprechenden aufschiebenden Bedingung abgeschlossen werden.310) VII. Bestellung und Abberufung des Arbeitsdirektors in mitbestimmten Gesellschaften (§ 84 Abs. 4) § 84 Abs. 4 bezieht sich für die Abberufung des Arbeitsdirektors in montanmitbestimmten 90 Gesellschaften auf die Spezialregelungen des § 13 Abs. 1 Satz 2, Satz 3 MontanMitbestG. Danach kann ein Arbeitsdirektor nicht gegen die Stimmen der Mehrheit der an der Abstimmung beteiligten Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat bestellt oder abberufen werden. Eine Abberufung unter Verletzung des § 13 Abs. 1 Satz 2, Satz 3 MontanMitbestG ist unwirksam.311) _____________ 307) 308) 309) 310) 311)

Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 84 Rz. 172; Kort in: GroßKomm-AktG, § 84 Rz. 573. Seyfarth, Vorstandsrecht, § 20 Rz. 59. Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 84 Rz. 172. Hoffmann-Becking, ZIP 2007, 2101, 2102. K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 84 Rz. 76; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 84 Rz. 208.

§ 85 Bestellung durch das Gericht (1) 1Fehlt ein erforderliches Vorstandsmitglied, so hat in dringenden Fällen das Gericht auf Antrag eines Beteiligten das Mitglied zu bestellen. 2Gegen die Entscheidung ist die Beschwerde zulässig. (2) Das Amt des gerichtlich bestellten Vorstandsmitglieds erlischt in jedem Fall, sobald der Mangel behoben ist. (3) 1Das gerichtlich bestellte Vorstandsmitglied hat Anspruch auf Ersatz angemessener barer Auslagen und auf Vergütung für seine Tätigkeit. 2Einigen sich das gerichtlich bestellte Vorstandsmitglied und die Gesellschaft nicht, so setzt das Gericht die Auslagen und die Vergütung fest. 3Gegen die Entscheidung ist die Beschwerde zulässig; die Rechtsbeschwerde ist ausgeschlossen. 4Aus der rechtskräftigen Entscheidung findet die Zwangsvollstreckung nach der Zivilprozeßordnung statt. Literatur: Mertens, Zulässigkeit der Bestellung eines Arbeitsdirektors nach § 85 trotz vorhandenem Personalvorstand?, AG 1979, 334.

Übersicht I. Regelungsgegenstand und Regelungszweck ................................ 1

II. Voraussetzungen der gerichtlichen Bestellung (§ 85 Abs. 1) .......... 3

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§ 85

Bestellung durch das Gericht 6.

Einvernehmliche Aufhebung

Der Anstellungsvertrag kann jederzeit einvernehmlich aufgehoben werden.307) Aufhebungs- 89 verträge sind von hoher praktischer Relevanz, da sie die einvernehmliche Aufhebung ermöglichen, wenn ein Grund für die außerordentliche Kündigung fehlt, die Gesellschaft und das Vorstandsmitglied die Zusammenarbeit aber bspw. aufgrund persönlicher Differenzen oder eines nicht den Erwartungen entsprechenden Geschäftsverlaufs beenden möchten.308) Über die Aufhebung entscheidet grundsätzlich der Gesamtaufsichtsrat durch Beschluss gemäß § 108, sofern die Zuständigkeit nicht an einen Ausschuss übertragen wurde.309) Um in einer solchen Konstellation die Entscheidungshoheit des Aufsichtsrats über den Widerruf der Bestellung zu wahren, muss der Aufhebungsvertrag unter einer entsprechenden aufschiebenden Bedingung abgeschlossen werden.310) VII. Bestellung und Abberufung des Arbeitsdirektors in mitbestimmten Gesellschaften (§ 84 Abs. 4) § 84 Abs. 4 bezieht sich für die Abberufung des Arbeitsdirektors in montanmitbestimmten 90 Gesellschaften auf die Spezialregelungen des § 13 Abs. 1 Satz 2, Satz 3 MontanMitbestG. Danach kann ein Arbeitsdirektor nicht gegen die Stimmen der Mehrheit der an der Abstimmung beteiligten Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat bestellt oder abberufen werden. Eine Abberufung unter Verletzung des § 13 Abs. 1 Satz 2, Satz 3 MontanMitbestG ist unwirksam.311) _____________ 307) 308) 309) 310) 311)

Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 84 Rz. 172; Kort in: GroßKomm-AktG, § 84 Rz. 573. Seyfarth, Vorstandsrecht, § 20 Rz. 59. Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 84 Rz. 172. Hoffmann-Becking, ZIP 2007, 2101, 2102. K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 84 Rz. 76; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 84 Rz. 208.

§ 85 Bestellung durch das Gericht (1) 1Fehlt ein erforderliches Vorstandsmitglied, so hat in dringenden Fällen das Gericht auf Antrag eines Beteiligten das Mitglied zu bestellen. 2Gegen die Entscheidung ist die Beschwerde zulässig. (2) Das Amt des gerichtlich bestellten Vorstandsmitglieds erlischt in jedem Fall, sobald der Mangel behoben ist. (3) 1Das gerichtlich bestellte Vorstandsmitglied hat Anspruch auf Ersatz angemessener barer Auslagen und auf Vergütung für seine Tätigkeit. 2Einigen sich das gerichtlich bestellte Vorstandsmitglied und die Gesellschaft nicht, so setzt das Gericht die Auslagen und die Vergütung fest. 3Gegen die Entscheidung ist die Beschwerde zulässig; die Rechtsbeschwerde ist ausgeschlossen. 4Aus der rechtskräftigen Entscheidung findet die Zwangsvollstreckung nach der Zivilprozeßordnung statt. Literatur: Mertens, Zulässigkeit der Bestellung eines Arbeitsdirektors nach § 85 trotz vorhandenem Personalvorstand?, AG 1979, 334.

Übersicht I. Regelungsgegenstand und Regelungszweck ................................ 1

II. Voraussetzungen der gerichtlichen Bestellung (§ 85 Abs. 1) .......... 3

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§ 85

Bestellung durch das Gericht

1. Fehlen eines erforderlichen Vorstandsmitglieds ............................ 2. Dringlichkeit ...................................... 3. Bestellungsverfahren ......................... III. Rechtsstellung der gerichtlich bestellten Vorstandsmitglieder ....... I.

3 5 6

1. Allgemeines ......................................... 8 2. Dauer der Bestellung (§ 85 Abs. 2) ....................................... 9 3. Auslagenersatz und Vergütung (§ 85 Abs. 3) ..................................... 10

8

Regelungsgegenstand und Regelungszweck

1 § 85 Abs. 1 regelt die gerichtliche Ersatzbestellung eines Vorstandsmitglieds in dringenden Fällen. § 85 Abs. 2 betrifft die Bestelldauer und § 85 Abs. 3 die Vergütung des gerichtlich bestellten Vorstandsmitglieds. 2 Die Norm dient der Beseitigung einer Unterbesetzung des Vorstands, wenn der Aufsichtsrat seine Bestellungskompetenz gemäß § 84 nicht wahrnimmt. Ziel ist der Erhalt der Handlungs- und Prozessfähigkeit der Gesellschaft.1) § 85 geht dabei als abschließende lex specialis dem § 29 BGB vor.2) II.

Voraussetzungen der gerichtlichen Bestellung (§ 85 Abs. 1)

1.

Fehlen eines erforderlichen Vorstandsmitglieds

3 Erste Voraussetzung von § 85 Abs. 1 ist das Fehlen eines erforderlichen Vorstandsmitglieds. Zu bejahen ist dies bei einem endgültigen Ausscheiden des Vorstandsmitglieds durch Tod, Amtsniederlegung, Widerruf der Bestellung oder Zeitablauf.3) Gleiches gilt bei Nichtigkeit der Bestellung, Nichtbesetzung einer neu geschaffenen Vorstandsposition oder wenn entgegen § 76 Abs. 2 Satz 2 in mitbestimmten Gesellschaften kein Arbeitsdirektor bestellt wird. Außerdem greift § 85 bei einer schweren Krankheit, die die Annahme erlaubt, dass das Mitglied sein Amt gar nicht mehr ausüben kann.4) Wie sich aus einem Umkehrschluss zu § 105 ergibt, genügt dagegen eine bloß vorübergehende Verhinderung nicht.5) Kein Fehlen ist außerdem anzunehmen, wenn die erforderliche Mindestzahl von Vorstandsmitgliedern zwar durch den Aufsichtsrat bestellt wurde, die Wirksamkeit dieser Bestellung aber rechtlich zweifelhaft ist, weil die Wahl einzelner mitwirkender Aufsichtsratsmitglieder mit der Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage angegriffen wurde, über die noch nicht rechtskräftig entschieden wurde.6) 4 Das fehlende Vorstandsmitglied muss für eine Vertretungs- oder Geschäftsführungsmaßnahme erforderlich sein. Dies ist zu bejahen, wenn das Vorstandsmitglied für die Vertretung oder die Durchführung der jeweiligen Maßnahme notwendig ist.7) Etwa bei Aufgaben, die vom Gesamtvorstand wahrzunehmen sind (v. a. Leitungsaufgaben), ist der Vorstand bei Unterbesetzung nicht handlungsfähig (siehe auch § 76 Rz. 62).8) Zur Passivvertretung hingegen genügt gemäß § 78 Abs. 2 Satz 2 bereits ein einzelnes Vorstandsmitglied; auch bei der Aktivvertretung kann vom Grundsatz der Gesamtvertretung durch oder aufgrund _____________ 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8)

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Begr. RegE in: Kropff, AktG, S. 107. Henssler/Strohn-Dauner-Lieb, GesR, § 85 AktG Rz. 1; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 85 Rz. 3. Bürgers/Körber-Bürgers, AktG, § 85 Rz. 2; Hölters-Weber, AktG, § 85 Rz. 2. K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 85 Rz. 2; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 3 Rz. 76; Hölters-Weber, AktG, § 85 Rz. 2; a. A. Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 85 Rz. 2. Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, § 6 Rz. 90; Kort in: GroßKomm-AktG, § 85 Rz. 12; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 3 Rz. 76. OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 28.1.2008 – 20 W 399/07, OLGR Frankfurt 2008, 422 = AG 2008, 419. Bürgers/Körber-Bürgers, AktG, § 85 Rz. 2; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 85 Rz. 2. BGH, Urt. v. 12.11.2001 – II ZR 225/99 (Sachsenmilch III), BGHZ 149, 158, 161 = ZIP 2002, 172, dazu EWiR 2002, 885 (Saenger/Bergjan); Seyfarth, Vorstandsrecht, § 3 Rz. 77.

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§ 85

Bestellung durch das Gericht

der Satzung abgewichen werden (siehe oben § 78 Rz. 21 ff.). Der Vorstandsvorsitzende kann vom Gericht nicht bestellt werden.9) In mitbestimmten Gesellschaften ist die Mitwirkung des Arbeitsdirektors für Entscheidungen im Bereich Arbeit und Soziales stets erforderlich.10) 2.

Dringlichkeit

Dringlichkeit liegt vor, wenn der Aufsichtsrat die Neubestellung nicht oder nicht schnell 5 genug vornimmt und der Gesellschaft, den Aktionären, Arbeitnehmern, Gläubigern oder sonstigen Dritten dadurch erhebliche Nachteile drohen.11) Der Wegfall des Arbeitsdirektors in mitbestimmten Gesellschaften begründet nach h. M. stets Dringlichkeit.12) 3.

Bestellungsverfahren

Die gerichtliche Bestellung erfolgt gemäß § 85 Abs. 1 auf Antrag eines Beteiligten. Dieser 6 muss schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle (§ 25 Abs. 1 FamFG) gestellt werden. Sachlich zuständig ist das Amtsgericht gemäß § 23a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 4 GVG i. V. m. § 375 Nr. 3 FamFG. Örtlich zuständig ist gemäß § 377 FamFG i. V. m. § 14 das Gericht am Sitz der Gesellschaft. Antragsberechtigter Beteiligter ist jeder, der ein schutzwürdiges Interesse an der Bestellung glaubhaft macht (Organmitglieder, Aktionäre, Gläubiger, Geschäftspartner, Arbeitnehmer).13) Mit dem Antrag kann ein für das Gericht unverbindlicher Personalvorschlag verbunden werden.14) Bei der Auswahl des Vorstandsmitglieds muss das Gericht die gesetzlichen Ausschluss- 7 gründe des § 76 Abs. 3 beachten. Gleiches gilt für die statuarischen Eignungsvoraussetzungen, sofern die Dringlichkeit der Notbestellung nicht entgegensteht.15) Ein Verstoß gegen diese satzungsmäßigen Voraussetzungen hat jedoch keinen Einfluss auf die Wirksamkeit der gerichtlichen Bestellung.16) Liegen die Voraussetzungen für eine Ersatzbestellung vor, muss das Gericht dem Antrag stattgeben.17) Die Entscheidung ergeht durch Beschluss, der mit Bekanntgabe (§ 40 FamFG) und Annahme des Amts durch den Bestellten wirksam wird. Der Beschluss ist gemäß § 38 Abs. 3 Satz 1 FamFG zu begründen. Die Bestellung ist gemäß § 81 Abs. 1 zur Eintragung ins Handelsregister anzumelden. Gegen die Entscheidung ist das Rechtsmittel der Beschwerde zulässig (§ 85 Abs. 1 Satz 2, §§ 58 ff. FamFG). Gemäß § 59 Abs. 2 FamFG ist im Falle der Zurückweisung des Antrags der Antragsteller beschwerdebefugt, gemäß § 59 Abs. 1 FamFG bei Stattgabe jeder Beeinträchtigte. Dies sind etwa die AG, die übrigen Vorstandsmitglieder, der Aufsichtsrat, mangels unmittelbarer eigener rechtlicher Betroffenheit jedoch nicht die Aktionäre.18) _____________ 9) Seyfarth, Vorstandsrecht, § 3 Rz. 77. 10) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 85 Rz. 2; Mertens, AG 1979, 334, 343 f.; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 85 Rz. 5. 11) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 85 Rz. 7; Heidel-Oltmanns, AktR, § 85 AktG Rz. 3; Hölters-Weber, AktG, § 85 Rz. 4. 12) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 85 Rz. 7; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 85 Rz. 4; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 20 Rz. 30; a. A. K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 85 Rz. 3; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 85 Rz. 7 – „im Regelfall“; Hölters-Weber, AktG, § 85 Rz. 4. 13) KG Berlin, Beschl. v. 20.2.2007 – 1 W 323/06, AG 2007, 400, 401 = NZG 2007, 475, 476; Hüffer/ Koch-Koch, AktG, § 85 Rz. 4; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 3 Rz. 78. 14) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 85 Rz. 8; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 85 Rz. 14. 15) K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 85 Rz. 6; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 85 Rz. 13; GrigoleitVedder, AktG, § 85 Rz. 6; a. A. Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 85 Rz. 14. 16) K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 85 Rz. 6; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 85 Rz. 14. 17) Kort in: GroßKomm-AktG, § 85 Rz. 48; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 85 Rz. 11. 18) OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 11.10.1955 – W 210/55, NJW 1955, 1929; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 85 Rz. 12; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 85 Rz. 4; Kort in: GroßKomm-AktG, § 85 Rz. 66; a. A. Mertens/ Cahn in: KölnKomm-AktG, § 85 Rz. 13.

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§ 85

Bestellung durch das Gericht

Gegen die Entscheidung des Beschwerdegerichts kann Rechtsbeschwerde zum BGH eingereicht werden, § 133 GVG, wenn sie nach § 70 FamFG statthaft ist. III.

Rechtsstellung der gerichtlich bestellten Vorstandsmitglieder

1.

Allgemeines

8 Die gerichtlich bestellte Person wird mit Annahme der Bestellung ein vollwertiges Vorstandsmitglied mit allen Rechten und Pflichten.19) Die Vertretungsmacht in Form der Allein- oder Gesamtvertretung (§ 78) richtet sich nach derjenigen des ersetzten Vorstandsmitglieds.20) In sachlicher Hinsicht bleibt es bei der Unbeschränktheit und Unbeschränkbarkeit der Vertretungsmacht aus § 82 Abs. 1.21) Die Beschränkung gilt jedoch nicht in der Insolvenz.22) Enthält der Bestellungsbeschluss keine Angaben über Umfang der Geschäftsführungsbefugnis gelten die Regelungen von Gesetz oder Satzung.23) 2.

Dauer der Bestellung (§ 85 Abs. 2)

9 Gemäß § 85 Abs. 2 endet das Amt des Notvorstands spätestens, sobald der Mangel behoben ist, also insbesondere durch ordnungsgemäße Vorstandsbestellung und deren Annahme durch den Bestellten. Die Organstellung endet in diesem Fall von Rechts wegen, es bedarf keiner Abberufung.24) Die Erfüllung der dem Notvorstand übertragenen Aufgabe oder der Entfall der Dringlichkeit allein ist dagegen kein Fall der Mangelbehebung.25) Der gerichtlich bestellte Notvorstand kann vor dem in § 85 Abs. 2 bestimmten Zeitpunkt nur durch das Gericht von Amts wegen bei Vorliegen eines wichtigen Grundes abberufen werden, der Aufsichtsrat ist dagegen hierzu nicht befugt.26) Dieser kann lediglich entsprechend § 112 einen diesbezüglichen Antrag an das Gericht stellen.27) 3.

Auslagenersatz und Vergütung (§ 85 Abs. 3)

10 Die Bestellung gemäß § 85 begründet eine Organstellung, jedoch kein schuldrechtliches Anstellungsverhältnis.28) Gemäß § 85 Abs. 3 Satz 1 hat das gerichtlich bestellte Vorstandsmitglied daher einen Anspruch auf Ersatz angemessener barer Auslagen sowie auf eine Vergütung für seine Tätigkeit. Sofern die AG, vertreten durch den Aufsichtsrat, und das Vorstandsmitglied sich über deren Höhe nicht einigen, wird diese gemäß § 85 Abs. 3 Satz 2 durch das Gericht festgesetzt. Gegen diese Entscheidung ist gemäß § 85 Abs. 3 Satz 3 die Beschwerde zulässig. Eine Rechtsbeschwerde ist dagegen gemäß § 85 Abs.3 Satz 3 Halbs. 2 ausgeschlossen. Aus der rechtskräftigen Festsetzung von Auslagen und Vergütung findet gemäß § 85 Abs. 3 Satz 4 die Zwangsvollstreckung nach den Regelungen der ZPO statt. _____________ 19) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 85 Rz. 5; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 3 Rz. 82; Grigoleit-Vedder, AktG, § 85 Rz. 7; Hölters-Weber, AktG, § 85 Rz. 9. 20) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 85 Rz. 13; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 85 Rz. 15. 21) K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 85 Rz. 9. 22) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 85 Rz. 14; Grigoleit-Vedder, AktG, § 85 Rz. 7. 23) Heidel-Oltmanns, AktR, § 85 AktG Rz. 5. 24) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 85 Rz. 5; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 85 Rz. 10; Hölters-Weber, AktG, § 85 Rz. 10. 25) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 85 Rz. 15; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 85 Rz. 17; HeidelOltmanns, AktR, § 85 AktG Rz. 6. 26) Bürgers/Körber-Bürgers, AktG, § 85 Rz. 7; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 3 Rz. 83; Hölters-Weber, AktG, § 85 Rz. 10. 27) Spindler in: MünchKomm-AktG, § 85 Rz. 22. 28) Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 20 Rz. 33.

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§ 87

Grundsätze für die Bezüge der Vorstandsmitglieder

§ 86 (aufgehoben)

1)

_____________ 1)

Aufgehoben durch Art. 1 des Gesetzes v. 19.7.2002 – TrPublG, BGBl. I 2002, 2681.

§ 87 Grundsätze für die Bezüge der Vorstandsmitglieder (1) 1Der Aufsichtsrat hat bei der Festsetzung der Gesamtbezüge des einzelnen Vorstandsmitglieds (Gehalt, Gewinnbeteiligungen, Aufwandsentschädigungen, Versicherungsentgelte, Provisionen, anreizorientierte Vergütungszusagen wie zum Beispiel Aktienbezugsrechte und Nebenleistungen jeder Art) dafür zu sorgen, dass diese in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben und Leistungen des Vorstandsmitglieds sowie zur Lage der Gesellschaft stehen und die übliche Vergütung nicht ohne besondere Gründe übersteigen. 2Die Vergütungsstruktur ist bei börsennotierten Gesellschaften auf eine nachhaltige Unternehmensentwicklung auszurichten. 3Variable Vergütungsbestandteile sollen daher eine mehrjährige Bemessungsgrundlage haben; für außerordentliche Entwicklungen soll der Aufsichtsrat eine Begrenzungsmöglichkeit vereinbaren. 4Satz 1 gilt sinngemäß für Ruhegehalt, Hinterbliebenenbezüge und Leistungen verwandter Art. (2) 1Verschlechtert sich die Lage der Gesellschaft nach der Festsetzung so, dass die Weitergewährung der Bezüge nach Absatz 1 unbillig für die Gesellschaft wäre, so soll der Aufsichtsrat oder im Falle des § 85 Absatz 3 das Gericht auf Antrag des Aufsichtsrats die Bezüge auf die angemessene Höhe herabsetzen. 2Ruhegehalt, Hinterbliebenenbezüge und Leistungen verwandter Art können nur in den ersten drei Jahren nach Ausscheiden aus der Gesellschaft nach Satz 1 herabgesetzt werden. 3Durch eine Herabsetzung wird der Anstellungsvertrag im übrigen nicht berührt. 4Das Vorstandsmitglied kann jedoch seinen Anstellungsvertrag für den Schluß des nächsten Kalendervierteljahrs mit einer Kündigungsfrist von sechs Wochen kündigen. (3) Wird über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet und kündigt der Insolvenzverwalter den Anstellungsvertrag eines Vorstandsmitglieds, so kann es Ersatz für den Schaden, der ihm durch die Aufhebung des Dienstverhältnisses entsteht, nur für zwei Jahre seit dem Ablauf des Dienstverhältnisses verlangen. Literatur: Annuß/Theusinger, Das VorstAG – Praktische Hinweise zum Umfang mit dem neuen Recht, BB 2009, 2434; Bauer/Arnold, Festsetzung und Herabsetzung der Vorstandsvergütung nach dem VorstAG, AG 2009, 717; Bauer/Baeck/v. Medem, Altersversorgung und Übergangsgeld in Vorstandsanstellungsverträgen, NZG 2010, 721; Bayer/Meier-Wehrsdorfer, Abfindungsleistungen an Manager, AG 2013, 477; Bosse, Das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) – Überblick und Handlungsbedarf, BB 2009, 1650; Brandes, Rückzahlung überhöhter Vorstandsgehälter, ZIP 2013, 1107; Deilmann/Dornbusch, Drittanstellungen im Konzern, NZG 2016, 201; Diekmann/Punte, Aktuelles zu Drittanstellung, Drittvergütung und Haftung von Mitgliedern des AG-Vorstands, WM 2016, 681; Diller, Nachträgliche Herabsetzung von Vorstandsvergütungen und -ruhegeldern nach dem VorstAG, NZG 2009, 1006; Dreher, Change of control-Klauseln bei Aktiengesellschaften, AG 2002, 214; Fleischer, Aufsichtsratsverantwortlichkeit für die Vorstandsvergütung und Unabhängigkeit der Vergütungsberater, BB 2010, 67; Fleischer, Das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG), NZG 2009, 801; Fleischer, Zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung im Aktien-

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§ 87

Grundsätze für die Bezüge der Vorstandsmitglieder

§ 86 (aufgehoben)

1)

_____________ 1)

Aufgehoben durch Art. 1 des Gesetzes v. 19.7.2002 – TrPublG, BGBl. I 2002, 2681.

§ 87 Grundsätze für die Bezüge der Vorstandsmitglieder (1) 1Der Aufsichtsrat hat bei der Festsetzung der Gesamtbezüge des einzelnen Vorstandsmitglieds (Gehalt, Gewinnbeteiligungen, Aufwandsentschädigungen, Versicherungsentgelte, Provisionen, anreizorientierte Vergütungszusagen wie zum Beispiel Aktienbezugsrechte und Nebenleistungen jeder Art) dafür zu sorgen, dass diese in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben und Leistungen des Vorstandsmitglieds sowie zur Lage der Gesellschaft stehen und die übliche Vergütung nicht ohne besondere Gründe übersteigen. 2Die Vergütungsstruktur ist bei börsennotierten Gesellschaften auf eine nachhaltige Unternehmensentwicklung auszurichten. 3Variable Vergütungsbestandteile sollen daher eine mehrjährige Bemessungsgrundlage haben; für außerordentliche Entwicklungen soll der Aufsichtsrat eine Begrenzungsmöglichkeit vereinbaren. 4Satz 1 gilt sinngemäß für Ruhegehalt, Hinterbliebenenbezüge und Leistungen verwandter Art. (2) 1Verschlechtert sich die Lage der Gesellschaft nach der Festsetzung so, dass die Weitergewährung der Bezüge nach Absatz 1 unbillig für die Gesellschaft wäre, so soll der Aufsichtsrat oder im Falle des § 85 Absatz 3 das Gericht auf Antrag des Aufsichtsrats die Bezüge auf die angemessene Höhe herabsetzen. 2Ruhegehalt, Hinterbliebenenbezüge und Leistungen verwandter Art können nur in den ersten drei Jahren nach Ausscheiden aus der Gesellschaft nach Satz 1 herabgesetzt werden. 3Durch eine Herabsetzung wird der Anstellungsvertrag im übrigen nicht berührt. 4Das Vorstandsmitglied kann jedoch seinen Anstellungsvertrag für den Schluß des nächsten Kalendervierteljahrs mit einer Kündigungsfrist von sechs Wochen kündigen. (3) Wird über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet und kündigt der Insolvenzverwalter den Anstellungsvertrag eines Vorstandsmitglieds, so kann es Ersatz für den Schaden, der ihm durch die Aufhebung des Dienstverhältnisses entsteht, nur für zwei Jahre seit dem Ablauf des Dienstverhältnisses verlangen. Literatur: Annuß/Theusinger, Das VorstAG – Praktische Hinweise zum Umfang mit dem neuen Recht, BB 2009, 2434; Bauer/Arnold, Festsetzung und Herabsetzung der Vorstandsvergütung nach dem VorstAG, AG 2009, 717; Bauer/Baeck/v. Medem, Altersversorgung und Übergangsgeld in Vorstandsanstellungsverträgen, NZG 2010, 721; Bayer/Meier-Wehrsdorfer, Abfindungsleistungen an Manager, AG 2013, 477; Bosse, Das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) – Überblick und Handlungsbedarf, BB 2009, 1650; Brandes, Rückzahlung überhöhter Vorstandsgehälter, ZIP 2013, 1107; Deilmann/Dornbusch, Drittanstellungen im Konzern, NZG 2016, 201; Diekmann/Punte, Aktuelles zu Drittanstellung, Drittvergütung und Haftung von Mitgliedern des AG-Vorstands, WM 2016, 681; Diller, Nachträgliche Herabsetzung von Vorstandsvergütungen und -ruhegeldern nach dem VorstAG, NZG 2009, 1006; Dreher, Change of control-Klauseln bei Aktiengesellschaften, AG 2002, 214; Fleischer, Aufsichtsratsverantwortlichkeit für die Vorstandsvergütung und Unabhängigkeit der Vergütungsberater, BB 2010, 67; Fleischer, Das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG), NZG 2009, 801; Fleischer, Zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung im Aktien-

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§ 87

Grundsätze für die Bezüge der Vorstandsmitglieder

recht (Teil II), DStR 2005, 1318; Fleischer/Bauer, Von Vorstandsbezügen, Flugreisen, Festschriften, Firmensponsoring und Festessen: Vorstandshaftung für übermäßige Vergütung und „fringe benefits“, ZIP 2015, 1901; Fonk, Die Zulässigkeit von Vorstandsbezügen dem Grunde nach – Aktienrechtliche Anmerkungen zum Urteil des LG Düsseldorf, NZG 2004, 1057 – Mannesmann, NZG 2005, 248; Gaul, Das Vergütungsvotum der Hauptversammlung nach § 120 Abs. 4 AktG im Lichte der Reform der Aktionärsrechte-Richtlinie, AG 2017, 178; Göcke/Greubel, Herabsetzung der Vorstandsvergütung in der Insolvenz, ZIP 2009, 2086; Götze, Aktienrechtsnovelle – und ein (vorläufiges) Ende!, NZG 2016, 48; Habersack, Vorstands- und Aufsichtsratsvergütung – Grundsatz- und Anwendungsfragen im Lichte der Aktionärsrechterichtlinie, NZG 2018, 127; Hohaus/Weber, Die Angemessenheit der Vorstandsvergütung gem. § 87 AktG nach dem VorstAG, DB 2009, 1515; Hoffmann-Becking, Vorstandsvergütung nach Mannesmann, NZG 2006, 127; Hoffmann-Becking, Rechtliche Anmerkungen zur Vorstandsund Aufsichtsratsvergütung, ZHR 169 (2005) 155; Hoffmann-Becking, Gestaltungsmöglichkeiten bei Anreizsystemen, NZG 1999, 797; Hoffmann-Becking/Krieger, Leitfaden zur Anwendung des Gesetzes zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG), NZG Beilage zu Heft 26/2009, S. 1; Hohenstatt, Das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung, ZIP 2009, 1349; Hohenstatt/Kuhnke, Vergütungsstruktur und variable Vergütungsmodelle für Vorstandsmitglieder nach dem VorstAG, ZIP 2009, 1981; Hohenstatt/Seibt/Wagner, Einbeziehung von Vorstandsmitgliedern in ergebnisabhängige Vergütungssysteme von Konzernobergesellschaften, ZIP 2008, 2289; Hüffer, Unangemessenheit der Vorstandsvergütung als Haftungsrisiko von Aufsichtsratsmitgliedern, in: Festschrift für Hoffmann-Becking, 2013, S. 589; Ihrig/Wandt/ Wittgens, Die angemessene Vorstandsvergütung drei Jahre nach Inkrafttreten des VorstAG, ZIP Beilage zu Heft 40/2012, S. 1; Kalb/Fröhlich, Die Drittvergütung von Vorständen, NZG 2014, 167; van Kann/Eigler, Aktuelle Neuerungen des Corporate Governance Kodex, DStR 2007, 1730; Kling, Die Angemessenheit der Vorstandsvergütung gemäß § 87 AktG n. F., DZWIR 2010, 221; Koch, Die Herabsetzung der Vorstandsbezüge gem. § 87 II AktG nach dem VorstAG, WM 2010, 49; Kort, Herabsetzung von Vorstandsbezügen gem. § 87 II AktG in der Insolvenz der AG, NZG 2015, 369; Kort, Zivilrechtliche Folgen unangemessen hoher Vorstandsvergütung – eine „Mannesmann“-Spätlese, DStR 2007, 1127; Kort, Voraussetzungen der Zulässigkeit einer D&O-Versicherung von Organmitgliedern, DStR 2006, 799; Kort, Das „Mannesmann”-Urteil im Lichte von § 87 AktG, NJW 2005, 333; Korts, Die Vereinbarung von Kontrollwechselklauseln in Vorstandsverträgen, BB 2009, 1876; Lanfermann/Maul, Maßnahmenpaket der Europäischen Kommission zum Gesellschaftsrecht und Corporate Governance, BB 2014, 1283; Leuering, Vorstands- und Aufsichtsratsvergütung in der geänderten Aktionärsrechterichtlinie, NZG 2017, 646; Leuering/Rubner, Vorstandsvergütung: Neue Mitspracherechte der Hauptversammlung, NJW Spezial 2013, 335; Lingemann, Angemessenheit der Vorstandsvergütung – Das VorstAG ist in Kraft, BB 2009, 1918; Louven/Ingwersen, Wie nachhaltig muss Vorstandsvergütung sein?, BB 2013, 1219; Lücke, Die Angemessenheit von Vorstandsbezügen – Der erste unbestimmbare unbestimmte Rechtsbegriff?, NZG 2005, 692; MayerUellner, Zur Zulässigkeit finanzieller Leistungen Dritter an die Mitglieder des Vorstands, AG 2011, 193; Mense/Klie, Deutscher Corporate Governance Kodex 2017 – Auswirkungen der aktuellen Änderungen für die Praxis, BB 2017, 771; Mertens, Vorstandsvergütung in börsennotierten Aktiengesellschaften, AG 2011, 57; Mutter, Zur Anpassung der Vergütung von Aufsichtsräten an den Deutschen Corporate Governance Kodex, ZIP 2002, 1230; Reuter, Die aktienrechtliche Zulässigkeit von Konzernanstellungsverträgen, AG 2011, 274; Säcker/Stenzel, Das zivilrechtliche Schicksal von gegen § 87 I AktG verstoßenden Vergütungsvereinbarungen, JZ 2006, 1151; Schwark, Zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung, in: Festschrift für Thomas Raiser, 2005, S. 377; Seibert, Die Koalitionsarbeitsgruppe „Managervergütungen“: Rechtspolitische Überlegungen zur Beschränkung der Vorstandsvergütung (Ende 2007 bis März 2009), in: Festschrift für Uwe Hüffer, 2010, S. 955; Seibert, Das VorstAG – Regelungen zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung und zum Aufsichtsrat, WM 2009, 1489; Seibert, Finanzmarktkrise, Corporate Governance, Aufsichtsrat, DB 2009, 1167; Semler, Das VorstAG – ein in weiten Teilen überflüssiges Gesetz, in Festschrift für Uwe H. Schneider, 2011, S. 1227;

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Grundsätze für die Bezüge der Vorstandsmitglieder

§ 87

Semler, Rechenschaftslegung im Wandel, in: Festschrift für Wolfgang Dieter Budde, 1995, S. 599; Spindler, Rechtsfolgen einer unangemessenen Vorstandsvergütung, AG 2011, 725; Sünner, Die zukünftige Beschlussfassung der Hauptversammlung über das Vorstandsvergütungssystem, CCZ 2013, 169; Thole/Schmidberger, Die Insolvenzanfechtung von (überhöhten) Gehältern und Vergütungen von Geschäftsleitern und Sanierungsberatern, BB 2014, 3; Thüsing, Das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung, AG 2009, 517; Thüsing, ECLR – Auf der Suche nach dem iustum pretium der Vorstandstätigkeit, ZGR 2003, 457; Tröger, Anreizorientierte Vorstandsvergütung im faktischen Konzern, ZGR 2009, 447; Velte, Say on Pay-Regulierung nach der Neufassung der Richtlinie 2007/36/EU und 2013/34/EU, NZG 2017, 368; Velte, „Nachhaltige“ Vorstandsvergütung bei börsennotierten Aktiengesellschaften – Notwendige Einbeziehung von nichtfinanziellen Leistungsindikatoren?, NZG 2016, 294; Verse, Regulierung der Vorstandsvergütung – mehr Macht für Aktionäre? Überlegungen zur geplanten Reform des say on pay, NZG 2013, 921; Wagner, Nachhaltige Unternehmensentwicklung als Ziel der Vorstandsvergütung, AG 2010, 778; Waldhausen/Schüller, Variable Vergütung von Vorständen und weiteren Führungskräften im AG-Konzern, AG 2009, 179; Weber-Rey, Änderung des Deutschen Corporate Governance Kodex 2009, WM 2009, 2255; Weber-Rey/Buckel, Die Pflichten des Aufsichtsrats bei der Mandatierung des Vergütungsberaters, NZG 2010, 761; Weisner/Kölling, Herausforderung für den Aufsichtsrat: Herabsetzung von Vorstandsbezügen in Zeiten der Krise, NZG 2003, 465; Weller, Die Systemkohärenz des § 87 II AktG – Eingeschränkte Vertragstreue beim Vorstandsvertrag auf Grund Fremdinteressenwahrung, NZG 2010, 7.

Übersicht I. Überblick ............................................ 1 II. Vorgaben der geänderten Aktionärsrechterichtlinie für die Vorstandsvergütung ......................... 3 1. Allgemeines ........................................ 3 2. Vergütungspolitik und deren Genehmigung durch die Hauptversammlung ....................................... 5 3. Vorgaben für die Formulierung der Vergütungspolitik ........................ 9 4. Zusätzliche Erläuterungen ............... 16 5. Materielle Vorgaben für die Vorstandsvergütung ......................... 18 6. Vergütungsbericht ............................ 20 III. Festsetzung der Vorstandsbezüge (§ 87 Abs. 1) ..................................... 21 1. Allgemeines ...................................... 21 2. Erfasste Leistungen .......................... 22 a) Gesamtbezüge (§ 87 Abs. 1 Satz 1) ......................................... 23 b) Versorgungsbezüge (§ 87 Abs. 1 Satz 4) ............................. 26 3. Angemessenheit ............................... 27 a) Gesetzliche Kriterien ................. 30 aa) Aufgaben des Vorstandsmitglieds ..................................... 31 bb) Leistungen des Vorstandsmitglieds ..................................... 32

cc) Lage der Gesellschaft ................. dd) Üblichkeit der Vergütung ......... b) Weitere Kriterien ....................... c) Ausrichtung an einer nachhaltigen Unternehmensentwicklung ................................ d) Begrenzungsmöglichkeit für außerordentliche Entwicklungen ................................. 4. Einzelfragen ...................................... a) Sondervergütungen, Anerkennungsprämien ....................... b) Change of Control-Klauseln ..... 5. Rechtsfolgen einer unangemessenen Vorstandsvergütung für die Organmitglieder ................... IV. Herabsetzung der Vorstandsbezüge (§ 87 Abs. 2) ........................ 1. Allgemeines ...................................... 2. Voraussetzungen (§ 87 Abs. 2 Satz 1) ............................................... 3. Verfahren .......................................... 4. Kündigungsrecht und Rechtsschutz der Vorstandsmitglieder (§ 87 Abs. 2 Satz 4) .......................... V. Beschränkung von Schadensersatzansprüchen bei Insolvenz (§ 87 Abs. 3) .....................................

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§ 87 I.

Grundsätze für die Bezüge der Vorstandsmitglieder Überblick

1 Gemäß § 87 Abs. 1 ist der Aufsichtsrat verpflichtet, für eine angemessene Vorstandsvergütung zu sorgen und die Vergütungsstruktur bei börsennotierten Gesellschaften an einer nachhaltigen Unternehmensentwicklung auszurichten. Nach § 87 Abs. 2 soll der Aufsichtsrat die Bezüge auf eine angemessene Höhe herabsetzen, wenn sich die Lage der Gesellschaft so verschlechtert, dass die volle Weitergewährung der Bezüge unbillig wäre. Kommt es aufgrund Insolvenz zu einer Kündigung des Anstellungsvertrages, werden durch § 87 Abs. 3 mögliche Schadensersatzansprüche des betroffenen Vorstandsmitglieds beschränkt. 2 Die Norm dient dem Schutz der AG, ihrer Aktionäre, Gläubiger und Arbeitnehmer vor übermäßig hohen Vorstandsbezügen.1) § 87 ist dagegen keine Schutznorm zugunsten der Vorstandsmitglieder und gewährt keinen Anspruch auf ein angemessenes Gehalt.2) In der Krise bezweckt die Regelung des § 87 Abs. 2, den Vorstand unter Abweichung von dem Grundsatz „pacta sunt servanda“ i. R. von dessen Treupflicht am Schicksal der Gesellschaft teilhaben zu lassen.3) Die Vorgaben des § 87 beschränken die Vertragsfreiheit und gehen über die allgemeinen Grenzen der §§ 134, 138, 242 BGB hinaus. Durch die Neufassung i. R. des VorstAG mit Wirkung vom 5.8.2009 sollten strengere Kriterien für die Angemessenheit der Bezüge eingeführt und insbesondere eine Orientierung der Vergütungsstruktur an einer langfristigen, nachhaltigen Unternehmensführung erreicht werden.4) Der DCGK enthält in Ziff. 4.2.2. bis 4.2.5. Empfehlungen zur Vorstandsvergütung. In der Fassung vom 7.2.2017 werden diese Ziffern um je eine Empfehlung und Anregung ergänzt. II.

Vorgaben der geänderten Aktionärsrechterichtlinie für die Vorstandsvergütung

1.

Allgemeines

3 Das Europäische Parlament und der Rat haben eine Richtlinie zur Änderung der Aktionärsrechterichtlinie5) verabschiedet,6) wonach diese u. a. um einen neuen Art. 9a („Recht auf Abstimmung über die Vergütungspolitik“) und Art. 9b („Im Vergütungsbericht anzugebende Informationen und Recht auf Abstimmung über den Vergütungsbericht“) ergänzt wird. Die Richtlinie ist bis zum 10.6.2019 in nationales Recht umzusetzen. 4 Der neu in die Aktionärsrechterichtlinie eingefügte Art. 9a enthält Vorgaben für die Vergütung des Vorstands, die nach Art. 1 der Richtlinie für Gesellschaften gilt, deren Aktien zum Handel an einem in einem Mitgliedstaat gelegenen oder dort betriebenen geregelten Markt zugelassen sind. Die EU weitet zugleich die Kompetenz der Hauptversammlung für die Managementvergütung aus.7)

_____________ 1) 2) 3) 4) 5)

6)

7)

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Bürgers/Körber-Bürgers, AktG, § 87 Rz. 1; Deilmann/Dornbusch, NZG 2016, 201, 202; GrigoleitSchwennicke, AktG, § 87 Rz. 1; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 87 Rz. 2. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 87 Rz. 1; Hölters-Weber, AktG, § 84 Rz. 45. BGH, Urt. v. 27.10.2015 – II ZR 296/14, NZG 2016, 264, 265 = ZIP 2016, 310, dazu EWiR 2016, 199 (Seibt); Weller, NZG 2010, 7, 10. Begr. RegE z. VorstAG, BT-Drucks. 16/12278, S. 5 f.; eingehend: Seibert in: FS Hüffer, S. 955 ff. Richtlinie 2007/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 11.7.2007 über die Ausübung bestimmter Rechte von Aktionären in börsennotierten Gesellschaften (Aktionärsrechterichtlinie), ABl. (EU) L 184/17. Richtlinie (EU) 2017/828 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 17.5.2017 zur Änderung der Richtlinie 2007/36/EG im Hinblick auf die Förderung der langfristigen Mitwirkung der Aktionäre, ABl. (EU) L 132/1 (Änderungsrichtlinie). Gaul, AG 2017, 178, 181; Leuering, NZG 2017, 646.

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§ 87

Grundsätze für die Bezüge der Vorstandsmitglieder 2.

Vergütungspolitik und deren Genehmigung durch die Hauptversammlung

Die Gesellschaft muss eine Vergütungspolitik in Bezug auf die Mitglieder der Unter- 5 nehmensleitung erarbeiten, über die die Aktionäre in der Hauptversammlung abstimmen. Grundsätzlich soll diese Abstimmung verbindlich sein.8) Das bedeutet, dass die Vergütung nur entsprechend einer von der Hauptversammlung genehmigten Vergütungspolitik erfolgen darf. Versagt die Hauptversammlung einer neuen Vergütungspolitik die Genehmigung, kann die Vergütung zunächst nur nach der vorherigen, genehmigten Vergütungspolitik, bzw. falls es eine solche nicht gibt, nach der bisherigen Praxis gezahlt werden. In der nächsten Hauptversammlung ist dann eine überarbeitete Vergütungspolitik zur Genehmigung vorzulegen. In Form eines Mitgliedstaatenwahlrechts kann alternativ vorgesehen werden, dass die 6 Entscheidung der Hauptversammlung nur empfehlenden Charakter hat.9) In Mitgliedsstaaten, die von diesem Wahlrecht Gebrauch machen, kann die Vergütung zunächst auch nach einer nicht von der Hauptversammlung gebilligten Vergütungspolitik erfolgen. Auch hier hat aber der Hauptversammlungsbeschluss Bindungswirkung dahingehend, dass im nächsten Jahr eine überarbeitete Vergütungspolitik zur Abstimmung vorgelegt werden muss. Unter außergewöhnlichen Umständen können vorübergehende Abweichungen von der 7 Vergütungspolitik gestattet werden.10) Eine solche außergewöhnliche Situation liegt vor, wenn die Abweichung notwendig ist, um den langfristigen Interessen und der Tragfähigkeit der Gesellschaft insgesamt zu dienen oder um ihre Rentabilität zu gewährleisten. Dies könnte etwa der Fall sein, wenn eine Vakanz im Vorstand besteht und ein neues Mitglied aufgrund besonderer Umstände nur zu Konditionen gewonnen werden kann, die von der Vergütungspolitik abweichen. Allerdings muss die Vergütungspolitik die Vorgehensweise für Abweichungen beschreiben und festlegen, von welchen Teilen abgewichen werden darf (Art. 9a Abs. 4 der Änderungsrichtlinie). Die Vergütungspolitik muss mindestens alle vier Jahre erneut zur Genehmigung vorgelegt 8 werden, sowie im Falle wesentlicher Änderungen.11) Das bedeutet im Umkehrschluss, dass unwesentliche Änderungen auch ohne Zustimmung der Hauptversammlung zulässig sind. (zumindest solange, bis die Hauptversammlung innerhalb des vier-Jahres-Turnus darüber abgestimmt hat). Fraglich erscheint, was gilt, wenn eine früher von der Hauptversammlung gebilligte Vergütungspolitik bei erneuter Vorlage nach vier Jahren nicht mehr genehmigt wird. Nach einer entsprechenden Auslegung des Art. 9a Abs. 2 Unterabs. 3 der Änderungsrichtlinie sollte es dann zulässig sein, auch weiter nach der bisherigen Politik zu vergüten, denn auch bei dieser handelt es sich ja um eine ehemals genehmigte Vergütungspolitik. Lediglich im Folgejahr ist dann eine angepasste neue Vergütungspolitik vorzulegen.12) 3.

Vorgaben für die Formulierung der Vergütungspolitik

Auch inhaltlich macht die Richtlinie Vorgaben für die Vergütungspolitik. Insbesondere 9 regelt Art. 9a Abs. 6 der Änderungsrichtlinie den erforderlichen Konkretisierungsgrad. _____________ 8) Art. 9a Abs. 2 der Richtlinie (EU) 2017/828 zur Änderung der Aktionärsrechterichtlinie, L 132/1. 9) Art. 9a Abs. 3 der Richtlinie (EU) 2017/828 zur Änderung der Aktionärsrechterichtlinie, L 132/1; dazu Habersack, NZG 2018, 127, 132. 10) Art. 9a Abs. 4 der Richtlinie (EU) 2017/828 zur Änderung der Aktionärsrechterichtlinie, L 132/1. 11) Art. 9a Abs. 5 der Richtlinie (EU) 2017/828 zur Änderung der Aktionärsrechterichtlinie, L 132/1. 12) A. A. Leuering/Rubner, NJW Spezial 2013, 335, 336; Verse, NZG 2013, 921, 926.

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ABl. (EU) ABl. (EU) ABl. (EU) ABl. (EU)

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§ 87

Grundsätze für die Bezüge der Vorstandsmitglieder

Danach muss die Vergütungspolitik die verschiedenen festen und variablen Vergütungsbestandteile, einschließlich sämtlicher Boni und anderer Vorteile in jeglicher Form beschreiben und Angaben über ihren jeweiligen relativen Anteil enthalten. 10 Für variable Vergütungsbestandteile müssen klare, umfassende und differenzierte Kriterien für die Gewährung festgelegt und insbesondere die finanziellen und die nicht finanziellen Leistungskriterien sowie die Methoden, mit welchen festgestellt werden soll, inwieweit die Leistungskriterien erfüllt wurden, angegeben werden. Erwähnt werden auch Kriterien im Zusammenhang mit der sozialen Verantwortung der Gesellschaft, die aber nur „gegebenenfalls“ anzugeben, also nicht zwingend sind. Nach dieser Regelung ist es entsprechend der bisherigen Praxis weiterhin zulässig, dass die Erfolgsziele regelmäßig durch den Aufsichtsrat festgelegt werden, da die Erfolgsziele nicht als Bestandteil der Vergütungspolitik genannt sind.13) Sie mit zum Gegenstand der Genehmigung durch die Hauptversammlung zu machen wäre auch (gerade bei vierjährigem Genehmigungsturnus) nicht praktikabel. Dafür spricht auch Erwägungsgrund 29 der Änderungsrichtlinie, wonach die Vergütungspolitik als Rahmen ausgestaltet sein kann, innerhalb dessen sich die Vergütung halten muss. 11 Der Wortlaut der Richtlinie („Wenn die Gesellschaft variable Vergütungsbestandteile gewährt …“14)) zeigt, dass variable Vergütungsbestandteile zwar möglich, aber nicht zwingend sind. Ein Höchstbetrag für die variable Vergütung, wie ihn der Kodex empfiehlt,15) ist von der Richtlinie nicht vorgesehen.16) 12 Bei aktienbezogenen Vergütungen müssen Wartefristen und ggf. Haltepflichten für die erworbenen Aktien präzisiert werden.17) Die Richtlinie macht keine Vorgaben für die erforderliche Dauer der Wartefristen und Haltepflichten sind nur ggf. anzugeben, was bedeutet, dass diese nicht zwingend sind. 13 Als nicht i. e. S. vergütungsbezogene Regelung muss auch die Laufzeit der Verträge der Mitglieder der Unternehmensleitung oder deren Kündigungsfristen sowie die Bedingungen für die Beendigung und die Zahlungen im Zusammenhang mit der Beendigung angegeben werden. Auch hierzu bestehen aber keine inhaltlichen Vorgaben.18) 14 Schließlich müssen die Hauptmerkmale von Zusatzrentensystemen und Vorruhestandsprogrammen aufgenommen werden.19) 15 Abgesehen von den Angaben zu Laufzeit und Beendigung von Anstellungsverträgen dürfte damit die vorzulegende Vergütungspolitik in ihrer Struktur im Wesentlichen dem Vergütungssystem entsprechen, das bislang gemäß § 120 Abs. 4 Satz 1, allerdings unverbindlich, der Hauptversammlung zur Billigung vorgelegt werden konnte und welches nach §§ 289a Abs. 2, _____________ 13) Vgl. zum bisherigen Recht Spindler in: MünchKomm-AktG, § 87 Rz. 95 f.; Hölters-Weber, AktG, § 87 Rz. 31 f., 36 (unter Hinweis auf die zunehmende Bedeutung der Abstimmung der strategischen Ausrichtung des Unternehmens zwischen Vorstand und Aufsichtsrat). 14) Art. 9a Abs. 6 Unterabs. 3 der Richtlinie (EU) 2017/828 zur Änderung der Aktionärsrechterichtlinie, ABl. (EU) L 132/1. 15) Ziff. 4.2.3 DCGK. 16) Der ursprüngliche Kommissionsvorschlag v. 9.4.2014 enthielt noch eine entsprechende Regelung, Art. 9a Abs. 3 Unterabs. 2, COM(2014) 213; vgl. auch, Gaul, AG 2017, 178, 182. 17) Art. 9a Abs. 6 Unterabs. 4 der Richtlinie (EU) 2017/828 zur Änderung der Aktionärsrechterichtlinie, ABl. (EU) L 132/1. 18) Art. 9a Abs. 6 Unterabs. 5 der Richtlinie (EU) 2017/828 zur Änderung der Aktionärsrechterichtlinie, ABl. (EU) L 132/1. 19) Art. 9a Abs. 6 Unterabs. 5 der Richtlinie (EU) 2017/828 zur Änderung der Aktionärsrechterichtlinie, ABl. (EU) L 132/1.

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Grundsätze für die Bezüge der Vorstandsmitglieder

§ 87

315a Abs. 2 HGB im Lagebericht zu beschreiben war, jedenfalls in der Form wie die Offenlegung bislang von börsennotierten Unternehmen in der Regel praktiziert wurde.20) 4.

Zusätzliche Erläuterungen

Zusätzlich zu den Angaben zum Vergütungssystem muss die Vergütungspolitik eine Reihe 16 von Erläuterungen enthalten. Dies betrifft insbesondere die Erläuterung, wie die Vergütungspolitik und insbesondere die Leistungskriterien der variablen Vergütungsbestandteile sowie ggf. eine aktienbasierte Vergütung die Geschäftsstrategie, die langfristigen Interessen und die langfristige Tragfähigkeit der Gesellschaft fördern (Art. 9a Abs. 6 Unterabs. 3 Änderungsrichtlinie). Weiterhin ist zu erläutern, wie die Vergütungs- und Beschäftigungsbedingungen der Beschäftigten der Gesellschaft in die Festlegung der Vergütungspolitik eingeflossen sind (Art. 9a Abs. 6 Unterabs. 2 Änderungsrichtlinie). Außerdem ist das Entscheidungsverfahren für Festlegung, Überprüfung und Umsetzung der Vergütungspolitik, sowie Maßnahmen zur Vermeidung und Behandlung von Interessenkonflikten, einschließlich der Rolle eines etwaigen Vergütungsausschusses oder anderer betroffener Ausschüsse, zu erläutern. Bei Überarbeitungen der Vergütungspolitik sind die Änderungen zu beschreiben und zu erläutern. Außerdem ist darzustellen, wie Abstimmungen und Ansichten der Aktionäre berücksichtigt wurden (Art. 9a Abs. 6 Unterabs. 6 Änderungsrichtlinie). Die Vergütungspolitik muss auf der Website der Gesellschaft veröffentlicht werden und 17 dort für die Dauer ihrer Gültigkeit kostenfrei öffentlich zugänglich bleiben.21) 5.

Materielle Vorgaben für die Vorstandsvergütung

Die Richtlinie macht auch, wenngleich abstrakte, Vorgaben für die inhaltliche Ausgestal- 18 tung der Vergütung. Die Vergütungspolitik muss die Geschäftsstrategie, die langfristigen Interessen und die langfristige Tragfähigkeit der Gesellschaft fördern. Nach Erwägungsgrund 29 der Änderungsrichtlinie sollte die Vergütungspolitik nicht gänzlich oder hauptsächlich an kurzfristige Ziele geknüpft sein. Dies dürfte im Wesentlichen der bisherigen Regelung des § 87 Abs. 1 Satz 2 entsprechen, wonach variable Vergütungsbestandteile eine mehrjährige Bemessungsgrundlage haben sollen.22) Diese wird auch dahingehend verstanden, dass kurzfristige Vergütungsbestandteile nicht überwiegen dürfen (siehe unten § 87 Rz. 39 ff.). Unklar ist die Bedeutung der Vorgabe nach Erwägungsgrund 29 der Änderungsrichtlinie, 19 wonach die Leistung von Mitgliedern der Unternehmensleitung sowohl anhand finanzieller als auch anhand nicht-finanzieller Kriterien, ggf. einschließlich ökologischer, sozialer und Governance-Faktoren bewertet werden sollte. Aus der Formulierung ergibt sich bereits, dass die Einbeziehung ökologischer, sozialer und Governance-Faktoren nicht zwingend ist („gegebenenfalls“). Fraglich ist aber, ob zwingend nicht-finanzielle Leistungskriterien vorhanden sein müssen.23) Diese werden sowohl in Erwägungsgrund 29 als auch in Art. 9a Abs. 6 Unterabs. 3der Änderungsrichtlinie jeweils ohne den Zusatz „gegebenenfalls“ erwähnt. Denkbar wären etwa Kriterien der Mitarbeiter- oder Kundenzufriedenheit sowie Zukunftsinvestitionen in Forschung und Entwicklung oder Rohstoff- und Energieeffizienz.24) _____________ 20) Gaul, AG 2017, 178, 185; Verse, NZG 2013, 921, 922. 21) Art. 9a Abs. 7 der Richtlinie (EU) 2017/828 zur Änderung der Aktionärsrechterichtlinie, ABl. (EU) L 132/1. 22) Lanfermann/Maul, BB 2014, 1283, 1285. 23) So Velte, NZG 2016, 294, 295; s. a. Velte, NZG 2017, 368. 24) Velte, NZG 2016, 294, 298; Wagner, AG 2010, 778 m. weiteren Bsp.

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§ 87 6.

Grundsätze für die Bezüge der Vorstandsmitglieder Vergütungsbericht

20 Art. 9b der Änderungsrichtlinie enthält sodann umfassende Anforderungen an den Vergütungsbericht, über den ebenfalls die Hauptversammlung abstimmt und zwar jährlich jeweils für das letzte Geschäftsjahr25). Diese Abstimmung hat empfehlenden Charakter.26) Die Gesellschaft muss im folgenden Vergütungsbericht darlegen, wie der Abstimmung der Hauptversammlung Rechnung getragen wurde. Als Mitgliedstaatenwahlrecht kann für kleine und mittlere Unternehmen statt der Abstimmung auch eine bloße Erörterung in der Hauptversammlung vorgesehen werden, die aber ebenfalls zu der Pflicht führt, im folgenden Vergütungsbericht darzulegen, wie der Erörterung Rechnung getragen wurde. Ein negatives Votum hat keine Auswirkungen auf die gezahlte Vergütung, und die Abstimmung kann folglich allenfalls als Transparenz- und Darstellungskontrolle eingestuft werden.27) III.

Festsetzung der Vorstandsbezüge (§ 87 Abs. 1)

1.

Allgemeines

21 Zuständig für die Festsetzung der Vorstandsbezüge ist der Gesamtaufsichtsrat. Die Entscheidung kann gemäß § 107 Abs. 3 Satz 4 nicht auf einen Ausschuss übertragen werden. Dieser kann lediglich vorbereitende oder ausführende Aufgaben übernehmen, bspw. durch Sammeln von Informationen, Führen von Verhandlungen mit den Vorstandskandidaten und Ausarbeitung eines Kandidatenvorschlags.28) Sonstige Führungskräfte sind nicht erfasst. Deren Bezüge hat der Vorstand unter Beachtung von § 93 Abs. 1 Satz 1 in angemessener Höhe festzusetzen.29) 2.

Erfasste Leistungen

22 § 87 regelt sowohl die Gesamt- als auch die Versorgungsbezüge für aktive Vorstandsmitglieder und ihre Stellvertreter (§ 94). a)

Gesamtbezüge (§ 87 Abs. 1 Satz 1)

23 Gesamtbezüge sind alle Leistungen, die einem aktiven Vorstandsmitglied mit Rücksicht auf seine Tätigkeit für die Gesellschaft gewährt werden.30) Der Begriff ist also weit zu verstehen. Die Aufzählung im Klammerzusatz des § 87 Abs. 1 Satz 1 (Gehalt, Gewinnbeteiligungen, Aufwandsentschädigungen, Versicherungsentgelte, Provisionen, anreizorientierte Vergütungszusagen wie z. B. Aktienbezugsrechte und Nebenleistungen jeder Art) ist insofern nicht abschließend.31) 24 Unter die im Klammerzusatz genannten Nebenleistungen fallen etwa privat genutzte Kommunikationseinrichtungen, Wohnrechte, die Abordnung von Personal für den privaten Bereich, das Recht zur privaten Nutzung von PKW und Flugzeugen oder die Übernahme _____________ 25) Dazu Habersack, NZG 2018, 127, 132; kritisch zu der Sinnhaftigkeit der umfangreichen inhaltlichen Vorgaben: Gaul, AG 2017, 178, 168; Lanfermann/Maul, BB 2014, 1283, 1285 f. 26) Art. 9b Abs. 4 der Richtlinie (EU) 2017/828 zur Änderung der Aktionärsrechte-Richtlinie, ABl. (EU) L 132/1. 27) Gaul, AG 2017, 178, 184; Leuering, NZG 2017, 646, 649. 28) Annuß/Theusinger, BB 2009, 2434, 2439; Lingemann, BB 2009, 1918, 1922; Thüsing, AG 2009, 517, 524. 29) K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 87 Rz. 4; Hölters-Weber, AktG, § 87 Rz. 4. 30) Hoffmann-Becking, ZHR 169 (2005) 155, 156; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 87 Rz. 22. 31) Hoffmann-Becking/Krieger, NZG Beil. zu Heft 26/2009, S. 1; Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, § 12 Rz. 197.

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Grundsätze für die Bezüge der Vorstandsmitglieder

§ 87

von medizinischen Kosten.32) Ob Beiträge für D&O-Versicherungen Teil der Gesamtbezüge oder dienstliche Fürsorgeaufwendungen der Gesellschaft für den Vorstand sind, ist dagegen umstritten. Diese Frage ist zum einen für die Zuständigkeit zum Abschluss entsprechender Versicherungen und zum anderen für die Geltung der in § 87 geltenden Anforderungen relevant.33) In der Praxis entschärfen Satzungsregelungen häufig das Problem.34) Da Hauptzweck entsprechender Versicherungen die Gewährleistung der Bonität des haftenden Vorstands im Innenverhältnis gegenüber der Gesellschaft ist, fallen diese nach überzeugender Ansicht nicht unter die Gesamtbezüge.35) Leistungszusagen i. R. sog. Change of Control-Klauseln36) werden ebenso wie Abfindungszahlungen bei vorzeitigem Ausscheiden aus dem Amt von § 87 erfasst und müssen dessen Voraussetzungen erfüllen.37) Als Orientierung kann die Grenze von 150 % des Abfindungs-Caps in Ziff. 4.2.3. Abs. 5 DCGK herangezogen werden. Anreizorientierte Vergütungszusagen umfassen Gewinnbeteiligungen, Aktienbezugs- 25 rechte (Stock Options) und sonstige aktienbasierte Vergütungen wie Phantom StockProgramme.38) Auch Drittvergütungen, die dem Vorstandsmitglied für seine Tätigkeit gewährt werden, fallen unter § 87 und zwar unabhängig davon, ob eine Erstattungsvereinbarung vorliegt.39) Dazu zählen insbesondere von Konzerngesellschaften gezahlte Bezüge. Nicht erfasst sind dagegen Zahlungen der AG i. R. von Verkehrsgeschäften mit dem Vorstand, sofern diese einem Drittvergleich standhalten und keine verdeckte Vorstandsvergütung darstellen.40) Vergütungen für eine Tätigkeit in einer Drittgesellschaft, z. B. als Aufsichtsrats- oder Beiratsmitglied, zählen jedoch nicht zu den Gesamtbezügen.41) b)

Versorgungsbezüge (§ 87 Abs. 1 Satz 4)

Bei den Versorgungsbezügen handelt es sich um Leistungen, die ehemaligen Vorstands- 26 mitgliedern oder deren Hinterbliebenen durch die Gesellschaft oder einem Dritten auf deren Rechnung gewährt werden.42) Versorgungsbezüge sind grundsätzlich zulässig, unterliegen gemäß § 87 Abs. 1 Satz 4 jedoch auch dem Angemessenheitsgebot.43) 3.

Angemessenheit

Gemäß § 87 Abs. 1 Satz 1 hat der Aufsichtsrat bei der Festsetzung der Bezüge dafür zu 27 sorgen, dass diese in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben und Leistungen des Vorstandsmitglieds sowie der Lage der Gesellschaft stehen und die übliche Vergütung _____________ 32) LG Essen, Urt. v. 9.9.2013 – 44 O 164/10, ZIP 2015, 1901 = BeckRS 2014, 22313; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 87 Rz. 2; Semler in: FS Schneider, S. 1227, 1229 f. 33) Kort, DStR 2006, 799, 802; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 87 Rz. 24. 34) Mutter, ZIP 2002, 1230, 1231. 35) Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, § 12 Rz. 197; Kort, DStR 2006, 799, 802; Mertens/ Cahn in: KölnKomm-AktG, § 87 Rz. 19 f.; Hölters-Weber, AktG, § 87 Rz. 7; a. A. Schwark in: FS Raiser, S. 377, 380. 36) Dazu ausführlich Hoffmann-Becking, ZHR 169 (2005) 155, 170 ff.; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 21 Rz. 55 ff. 37) Bayer/Meier-Wehrsdorfer, AG 2013, 477, 482; Dreher, AG 2002, 214, 216; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 87 Rz. 14; van Kann/Eigler, DStR 2007, 1730 ff. 38) Hölters-Weber, AktG, § 87 Rz. 5. 39) Diekmann/Punte, WM 2016, 681, 685 (jedoch mit weiteren Angemessenheitskriterien); Mayer-Uellner, AG 2011, 193, 198 f.; a. A. Deilmann/Dornbusch, NZG 2016, 201, 202 ff.; Kalb/Fröhlich, NZG 2014, 167, 169; Reuter, AG 2011, 274, 279. 40) Kort in: GroßKomm-AktG, § 87 Rz. 49 f. 41) K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 87 Rz. 5. 42) Spindler in: MünchKomm-AktG, § 87 Rz. 32. 43) Vgl. dazu ausführlich Bauer/Baeck/v. Medem, NZG 2010, 721 ff.

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§ 87

Grundsätze für die Bezüge der Vorstandsmitglieder

nicht ohne besondere Gründe übersteigen. Diese gesetzlichen Bewertungskriterien sind nicht abschließend.44) Darüber hinaus sind bei der Entscheidung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls weitere Gesichtspunkte heranzuziehen. Bei börsennotierten Gesellschaften enthalten außerdem Ziff. 4.2.2. und Ziff. 4.2.3. DCGK Empfehlungen zur Festlegung einer angemessenen Vergütung. 28 Die Angemessenheitsprüfung hat sowohl die Gesamtbezüge als auch die Versorgungsbezüge zum Gegenstand.45) Der Aufsichtsrat hat dabei die Angemessenheit in einer komplexen Gemengelage von verschiedenen Faktoren im Einzelfall zu beurteilen.46) Dabei kann, bspw. in Krisensituationen, auch eine relativ niedrige Basisvergütung und eine hohe variable Vergütung für das Erreichen eines Turn-Around vereinbart werden.47) Die Angemessenheit ist im Zeitpunkt der Festsetzung der Bezüge zu beurteilen. Soweit nichts anderes vereinbart ist, kann eine nachträgliche Änderung der Umstände nur i. R. einer Anpassung der Vergütung gemäß § 87 Abs. 2 relevant werden.48) Bei der Festlegung der Bezüge handelt es sich um eine unternehmerische Entscheidung des Aufsichtsrats, so dass die Business Judgment Rule gemäß §§ 116 i. V. m. § 93 Abs. 1 Satz 2 gilt.49) Dabei sollten die Entscheidungsprozesse sorgfältig dokumentiert werden, um möglichen Haftungsrisiken vorzubeugen.50) 29 Die Hinzuziehung eines Vergütungsberaters steht regelmäßig im Ermessen des Aufsichtsrats.51) Auch in diesem Fall trifft der Aufsichtsrat jedoch eine eigene Vergütungsentscheidung. Dabei kann er sich auf den Berater nur verlassen, wenn er vernünftigerweise von dessen Unabhängigkeit ausgehen durfte und dessen Empfehlung einer Plausibilitätskontrolle unterzogen hat.52) Gemäß § 120 Abs. 4 Satz 1 kann die Hauptversammlung börsennotierter Gesellschaften über die Billigung des Systems zur Vorstandsvergütung beschließen. Dieser Beschluss begründet jedoch weder Rechte noch Pflichten und lässt insbesondere die Verpflichtung des Aufsichtsrats gemäß § 87 unberührt.53) a)

Gesetzliche Kriterien

30 Nach dem Gesetzeswortlaut hat sich die Angemessenheitsprüfung an folgenden vier Aspekten zu orientieren: –

Aufgaben des Vorstandsmitglieds,



Leistungen des Vorstandsmitglieds,



Lage der Gesellschaft und



Üblichkeit der Vergütung.

_____________ 44) OLG München, Urt. v. 7. 5. 2008 – 7 U 5618/07, ZIP 2008, 1237 = AG 2008, 593; Henssler/StrohnDauner-Lieb, GesR, § 87 AktG Rz. 14; Grigoleit-Schwennicke, AktG, § 87 Rz. 13; Lücke, NZG 2005, 692, 696. 45) Bauer/Baeck/v. Medem, NZG 2010, 721, 725 f.; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 87 Rz. 21; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 87 Rz. 7; a. A. – Durchführung einer getrennten Angemessenheitsprüfung für Gesamtbezüge und Versorgungsbezüge – Hölters-Weber, AktG, § 87 Rz. 9. 46) Thüsing, ZGR 2003, 457, 468. 47) K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 87 Rz. 6; Hölters-Weber, AktG, § 87 Rz. 5. 48) Begr. RegE in: Kropff, AktG, S. 111; Fleischer-Thüsing, Hdb. VorstandsR, § 6 Rz. 4; Hölters-Weber, AktG, § 87 Rz. 18. 49) Fleischer, BB 2010, 67, 70; Hoffmann-Becking, NZG 2006, 127, 128; Grigoleit-Schwennicke, AktG, § 87 Rz. 6. 50) Fleischer, DStR 2005, 1318, 1319. 51) Weber-Rey/Buckel, NZG 2010, 761, 762; Fleischer, BB 2010, 67, 70; Hoffmann-Becking/Krieger, NZG Beil. zu Heft 26/2009, S. 1, 2. 52) Fleischer, BB 2010, 67, 74. 53) Sünner, CCZ 2013, 169.

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Grundsätze für die Bezüge der Vorstandsmitglieder aa)

§ 87

Aufgaben des Vorstandsmitglieds

Die Aufgaben eines Vorstandsmitglieds ergeben sich aus dem Tätigkeitsbereich, der dem 31 Vorstandsmitglied durch Anstellungsvertrag, Satzung oder Geschäftsordnung zugewiesen ist.54) Maßgeblich ist dabei die Art, Umfang und Komplexität der übernommenen Tätigkeit sowie das Maß an Verantwortung.55) Insbesondere die tatsächlich herausgehobene Aufgabenstellung des Vorstandsvorsitzenden kann deutlich höhere Bezüge rechtfertigen.56) Unterschiede in der Vergütung verstoßen dabei nicht gegen die grundsätzliche Gleichberechtigung der Vorstandsmitglieder und deren Gesamtverantwortung.57) bb)

Leistungen des Vorstandsmitglieds

Das Leistungskriterium, das bereits vor seiner ausdrücklichen Normierung für die Ange- 32 messenheitsbeurteilung herangezogen wurde, wurde durch das VorstAG in den Wortlaut des § 87 Abs. 1 aufgenommen.58) Da die Leistung erst nach Festsetzung der Bezüge erfolgt, kann diese bei der Bestellung regelmäßig nur vorausschauend an den zu erfüllenden Aufgaben und den dafür erforderlichen Leistungen des Vorstandsmitglieds ausgerichtet werden.59) Bei Vertragsverlängerungen können auch bereits erbrachte Leistungen als Anhaltspunkt dienen.60) cc)

Lage der Gesellschaft

Für die Lage der Gesellschaft ist deren wirtschaftliche Gesamtsituation entscheidend. 33 Bei Konzernen kommt es auf die Lage des Gesamtkonzerns an. Neben der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage schließt dies auch die zukünftige Entwicklung der Gesellschaft sowie externe Faktoren ein.61) Im Fall des faktischen Konzerns ist umstritten, ob die variable Vergütung des Vorstands einer Tochtergesellschaft an den wirtschaftlichen Erfolg der herrschenden Gesellschaft geknüpft werden kann.62) Eine Ansicht verneint dies unter Hinweis auf drohende Fehlanreize.63) Die zu befürwortende Gegenmeinung hält entsprechende Vereinbarungen unter Verweis auf das Schutzsystem der §§ 311 ff. und den durch das KonTraG geänderten § 192 Abs. 2 Nr. 3 für zulässig.64) Liegt ein Beherrschungsvertrag vor, sei eine entsprechende Konstruktion dagegen unproblematisch möglich.65) Eine wirtschaftlich schlechte Lage der Gesellschaft spricht in der Regel für die Festset- 34 zung moderater Bezüge. Bei laufenden Verträgen kann gemäß § 87 Abs. 2 eine Anpassung der Vergütung geboten sein. Andererseits unterliegt der Vorstand in Krisenfällen häufig einem erhöhten persönlichen Haftungsrisiko. Darüber hinaus drohen Reputationsschä_____________ 54) LG Düsseldorf, Urt. v. 22.7.2004 – XIV 5/03, NJW 2004, 3275, 3277 = ZIP 2004, 2044; Spindler/ Stilz-Fleischer, AktG, § 87 Rz. 10; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 21 Rz. 40. 55) Schwark in: FS Raiser, S. 377, 384; Semler in: FS Budde, S. 599, 601; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 87 Rz. 43. 56) Kort, NJW 2005, 333; Schwark in: FS Raiser, S. 377, 384. 57) Schwark in: FS Raiser, S. 377, 383 ff.; Hölters-Weber, AktG, § 87 Rz. 19. 58) Bosse, BB 2009, 1650; Fleischer, NZG 2009, 801, 802. 59) Hoffmann-Becking, ZHR 169 (2005) 155, 159. 60) Begr. RegE z. VorstAG, BT-Drucks. 16/12278, S. 5; Hölters-Weber, AktG, § 87 Rz. 21. 61) LG Düsseldorf, Urt. v. 22.7.2004 – XIV 5/03, NJW 2004, 3275, 3278= ZIP 2004, 2044; Fleischer, DStR 2005, 1279, 1280; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 87 Rz. 51. 62) Offengelassen in BGH, Beschl. v. 9.11.2009 – II ZR 154/08, ZIP 2009, 2436. 63) OLG München, Urt. v. 7.5.2008 – 7 U 5618/07, ZIP 2008, 1237= AG 2008, 593; Hoffmann-Becking, NZG 1999, 797, 803; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 87 Rz. 11; Tröger, ZGR 2009, 447 ff. 64) Habersack, NZG 2008, 634, 635 (Urteilsanm.); Hohenstatt/Seibt/Wagner, ZIP 2008, 2289, 2291 ff.; Waldhausen/Schüller, AG 2009, 179, 180 f. 65) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 87 Rz. 14; Kort in: GroßKomm-AktG, § 87 Rz. 71.

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§ 87

Grundsätze für die Bezüge der Vorstandsmitglieder

den, sollte eine Rettung des Unternehmens scheitern. Schließlich sind gerade in Krisensituationen besonders qualifizierte Vorstandsmitglieder erforderlich. Vor allem in Sanierungsfällen kann daher die Gewährung höherer Bezüge angemessen sein.66) dd)

Üblichkeit der Vergütung

35 Die Bezüge der Vorstandsmitglieder dürfen die übliche Vergütung nicht ohne besondere Gründe übersteigen. Eine entsprechende Rechtfertigung kann sich aus besonderen Leistungen, besonders hohen Anforderungen an das Vorstandsmitglied oder seine besondere Eignung ergeben.67) Die Üblichkeit der Vergütung allein indiziert jedoch noch nicht ihre Angemessenheit.68) 36 Im Rahmen der horizontalen Vergleichbarkeit sind dabei zunächst die Branchen-, Größenund Landesüblichkeit zu berücksichtigen.69) Die Vergleichsunternehmen müssen derselben Branche angehören sowie eine ähnliche Größe und Komplexität aufweisen.70) Grundsätzlich ist auf die Bundesrepublik Deutschland abzustellen. Bei international ausgerichteten Unternehmen können auch übliche Bezüge im Ausland herangezogen werden. Dies gilt auch dann, wenn davon auszugehen ist, dass das Vorstandsmitglied auch mit ausländischen Unternehmen im Wettbewerb um qualifiziertes Vorstandspersonal steht. Besonderheiten wie höhere Haftungsrisiken und kürzere Vertragslaufzeiten sind in diesem Fall jedoch zu berücksichtigen.71) 37 Darüber hinaus ist auch das Lohn- und Gehaltsgefüge im Unternehmen heranzuziehen (Vertikalität).72) Dadurch soll sichergestellt werden, dass die Vorstandsvergütung nicht Maß und Bezug zu den Vergütungsgepflogenheiten im Unternehmen i. Ü. verliert.73) Starre Vergütungsstaffeln, wie etwa eine Beschränkung auf den 20-fachen Verdienst eines Facharbeiters, konnten sich jedoch nicht durchsetzen und wurden auch im Gesetzgebungsverfahren zum VorstAG abgelehnt.74) Führt die Orientierung an vertikalen Aspekten zu Konflikten mit der horizontalen Angemessenheit, geht letztere vor.75) Gemäß Ziff. 4.2.2. Abs. 2 Satz 3 DCGK soll der Aufsichtsrat das Verhältnis der Vorstandsvergütung zur Vergütung des oberen Führungskreises und der Belegschaft insgesamt auch in der zeitlichen Entwicklung berücksichtigen. Ein Vorschlag zur gesetzlichen Normierung dieser Empfehlung i. R. der Aktienrechtsnovelle 201676) fand keine ausreichende Mehrheit.77) _____________ 66) Fleischer, DStR 2005, 1279, 1280; Hoffmann-Becking, NZG 1999, 797, 798; Thüsing, ZGR 2003, 457, 470. 67) Annuß/Theusinger, BB 2009, 2434, 2435; Hohaus/Weber, DB 2009, 1515, 1516. 68) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses z. VorstAG, BT-Drucks. 16/13433, S. 10; Bauer/Arnold, AG 2009, 717, 719; Fleischer, NZG 2009, 801, 802; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 87 Rz. 3; Lingemann, BB 2009, 1918; Seibert, WM 2009, 1489, 1490; Thüsing, AG 2009, 517, 518; a. A. Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 87 Rz. 15; Hölters-Weber, AktG, § 87 Rz. 24. 69) Begr. RegE z. VorstAG, BT-Drucks. 16/12278, S. 5; Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses z. VorstAG, BT-Drucks. 16/13433, S. 10. 70) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses z. VorstAG, BT-Drucks. 16/13433, S. 10. 71) Bauer/Arnold, AG 2009, 717, 720; Fleischer, NZG 2009, 801, 802; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 87 Rz. 10; einschränkend Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 87 Rz. 16; Kling, DZWIR 2010, 221, 225. 72) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses z. VorstAG, BT-Drucks. 16/13433, S. 10; Seibert, WM 2009, 1489 1490. 73) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses z. VorstAG, BT-Drucks. 16/13433, S. 10. 74) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 87 Rz. 18; Hohenstatt, ZIP 2009, 1349, 1351; Kling, DZWIR 2010, 221, 226; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 87 Rz. 3; Seibert, DB 2009, 1167, 1169. 75) Bauer/Arnold, AG 2009, 717, 720; Hoffmann-Becking/Krieger, NZG Beil. zu Heft 26/2009, S. 1, 2; Kort in: GroßKomm-AktG, § 87 Rz. 92. 76) Gesetz zur Änderung des Aktiengesetzes (Aktienrechtsnovelle 2016) v. 22.12.2015, BGBl. I 2016, 2565. 77) Götze, NZG 2016, 48, 50.

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Grundsätze für die Bezüge der Vorstandsmitglieder b)

§ 87

Weitere Kriterien

Nach ganz h. M. sind neben den gesetzlich normierten Kriterien auch Umstände wie z. B. 38 besondere Fähigkeiten, Kenntnisse, Erfahrungen, Marktwert, Dauer der Zugehörigkeit zur Gesellschaft und die konkrete Verhandlungslage heranzuziehen.78) Die Berücksichtigungsfähigkeit von Familienverhältnissen ist dagegen umstritten.79) c)

Ausrichtung an einer nachhaltigen Unternehmensentwicklung

Bei börsennotierten Gesellschaften hat gemäß § 87 Abs. 1 Satz 2 darüber hinaus eine Aus- 39 richtung der Vergütungsstruktur an einer nachhaltigen Unternehmensentwicklung zu erfolgen. Eine entsprechende Regelung findet sich auch in Art. 4.2.3. Abs. 2 DCGK. Variable Vergütungsbestandteile sollen gemäß § 87 Abs. 1 Satz 3 eine mehrjährige Bemessungsgrundlage haben. Eine derartige Bemessungsgrundlage sollte auch bei nicht börsennotierten Gesellschaften herangezogen werden, obwohl diese nicht ausdrücklich genannt sind. Insofern bestand die Absicht, die Auswahl der geeigneten Instrumente den Eigentümern zu überlassen.80) Während § 87 Abs. 1 Satz 3 die mehrjährige Bemessungsgrundlage nicht weiter spezifiziert, enthält Ziff. 4.2.3 Abs. 2 Satz 2 DCGK in der Fassung vom 7.2.2017 die Empfehlung, die Bemessungsgrundlage im Wesentlichen an zukunftsbezogene Parameter zu knüpfen. Hintergrund ist, dass die Vorstandsmitglieder gerade an der künftigen Entwicklung des Unternehmens partizipieren sollen.81) Aufgrund der Einschränkung des Wortlauts („im Wesentlichen“) ist die Erklärung einer Abweichung nach § 161 nicht erforderlich, wenn teilweise auch vergangenheitsbezogene Parameter berücksichtigt werden. Ziel der Regelung ist, dass die durch den Vorstand zu treffenden Entscheidungen nicht 40 der kurzfristigen Ergebnismaximierung oder der Erreichung anderer unmittelbarer Ziele dienen, sondern vielmehr den langfristigen Bestand des Unternehmens sichern sollen.82) Nachhaltigkeit erfordert daher eine Orientierung am dauerhaften, jedenfalls periodenübergreifenden Erfolg des Unternehmens.83) Ein durch die stichtagsbezogene Betrachtung bestimmter Erfolgsparameter verursachtes „Strohfeuer“ soll dagegen verhindert werden.84) Das Gesetz macht keine konkreten Vorgaben hinsichtlich der Ausgestaltung einer nach- 41 haltigen Vergütungsstruktur. Auch kurzfristige Verhaltensanreize bleiben weiterhin zulässig, sofern sie derart mit langfristigen Anreizen kombiniert werden, dass sie einer nachhaltigen Unternehmensentwicklung nicht zuwiderlaufen.85) Die Vereinbarung von Jahresboni kommt also nach wie vor in Betracht.86) Auch variable Vergütungsbestandteile

_____________ 78) BGH, Urt. v. 14.5.1990 – II ZR 126/89, BGHZ 111, 224, 228 = ZIP 1990, 784 – zur GmbH; Ihrig/ Wandt/Wittgens, ZIP Beil. zu Heft 40/2012, S. 1, 7; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 87 Rz. 14; Thüsing, ZGR 2003, 457, 468. 79) Dafür Bürgers/Körber-Bürgers, AktG, § 87 Rz. 6; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 87 Rz. 4; Thüsing, AG 2009, 517, 518; a. A. Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 87 Rz. 19; Hölters-Weber, AktG, § 87 Rz. 27. 80) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses z. VorstAG, BT-Drucks. 16/13433, S. 10. 81) Mense/Klie, BB 2017, 771, 775. 82) Seyfarth, Vorstandsrecht, § 5 Rz. 65. 83) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 87 Rz. 11; Louven/Ingwersen, BB 2013, 1219; Mertens, AG 2011, 57, 58. 84) Fleischer, NZG 2009, 801, 803; Hohenstatt/Kuhnke, ZIP 2009, 1981, 1982; Mertens, AG 2011, 57, 58; Thüsing, AG 2009, 517, 520. 85) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses z. VorstAG, BT-Drucks. 16/13433, S. 10; Fleischer, NZG 2009, 801, 803; Hohaus/Weber, DB 2009, 1515, 1517; Hohenstatt, ZIP 2009, 1349, 1351; Velte, NZG 2016, 294, 297. 86) Seyfarth, Vorstandsrecht, § 5 Rz. 67.

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§ 87

Grundsätze für die Bezüge der Vorstandsmitglieder

müssen nicht zwingend vereinbart werden.87) Sind diese jedoch im Vergütungssystem vorgesehen, kommt dem Kriterium der Nachhaltigkeit besondere Bedeutung zu. § 87 Abs. 1 Satz 3, der eine mehrjährige Bemessungsgrundlage für variable Vergütungsbestandteile fordert, dient insofern der Konkretisierung des in § 87 Abs. 1 Satz 2 formulierten Leitgedankens.88) Durch die mehrjährige Bemessungsgrundlage darf dabei nicht nur die Auszahlung hinausgeschoben werden, sondern vielmehr müssen die variablen Bestandteile von negativen Entwicklungen im gesamten Bemessungszeitraum beeinflusst werden.89) Zudem enthält Ziff. 4.2.3 Abs. 2 Satz 9 DCGK i. d. F. vom 7.2.2017 nun die Anregung, mehrjährige variable Vergütungsbestandteile nicht vorzeitig auszuzahlen, damit die AG nicht ggf. auf undurchsetzbare Rückforderungen beschränkt ist. 42 Eine konkrete Zeitvorgabe für die Mehrjährigkeit enthält das Gesetz nicht. Teilweise werden bereits zwei Jahre als ausreichend für die Mehrjährigkeit erachtet.90) Andere Autoren sprechen sich für Zeiträume zwischen drei und fünf Jahren aus.91) Aufgrund dieser rechtlichen Unsicherheit und der Praxis, die sich seit 2009 herausgebildet hat, ist eine dreijährige Bemessungsgrundlage empfehlenswert.92) 43 Da § 87 Abs. 1 Satz 3 nur eine Soll-Vorschrift darstellt, müssen nicht sämtliche variable Vergütungsbestandteile eine mehrjährige Bemessungsgrundlage haben. Vielmehr ist dies nur in dem Umfang nötig, der erforderlich ist, um die Ausrichtung auf eine nachhaltige Unternehmensentwicklung zu gewährleisten. Da der fixe Teil der Vergütung keine kurzfristigen Verhaltensanreize setzt, wird als Anhaltspunkt davon ausgegangen, dass die Summe aus fixer und langfristiger variabler Vergütung mindestens 50 % der Gesamtvergütung (ohne Berücksichtigung von Nebenleistungen) ausmachen sollte.93) Bei variablen Vergütungskomponenten ist dabei jeweils auf den Zielbetrag für eine 100 %ige Zielerreichung abzustellen.94) d)

Begrenzungsmöglichkeit für außerordentliche Entwicklungen

44 Für den Fall einer außerordentlichen Entwicklung soll der Aufsichtsrat gemäß § 87 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 bei variablen Vergütungselementen Begrenzungsmöglichkeiten vereinbaren. Ziel ist es zu verhindern, dass der Vorstand von außerordentlichen Entwicklungen (z. B. Unternehmensübernahme, Veräußerung von Unternehmensteilen, Hebung stiller Reserven, externe Einflüsse) ohne Beschränkung profitiert.95) Wie eine Begrenzung konkret ausgestaltet wird, insbesondere ob bestimmte Höchstgrenzen (Cap) vereinbart werden, liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Aufsichtsrats.96) Im Rahmen des § 87 genügt es, wenn der _____________ 87) Annuß/Theusinger, BB 2009, 2434, 2435 f.; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 87 Rz. 12; Thüsing, AG 2009, 517, 520. 88) Annuß/Theusinger, BB 2009, 2434, 2436; Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, § 12 Rz. 222. 89) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses z. VorstAG, BT-Drucks. 16/13433, S. 10. 90) Hoffmann-Becking/Krieger, NZG Beil. zu Heft 26/2009, S. 1, 3; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 87 Rz. 12. 91) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 87 Rz. 31: drei bis fünf Jahre; Seibert, WM 2009, 1489, 1490: drei oder vier Jahre; Thüsing, AG 2009, 517, 521: fünf Jahre; Weber-Rey, WM 2009, 2255, 2259: drei bis fünf Jahre. 92) Seyfarth, Vorstandsrecht, § 5 Rz. 68. 93) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 87 Rz. 33; s. a. Bauer/Arnold, AG 2009, 717, 722 (50 % Festvergütung, 20 % kurzfristig variable und 30 % langfristig variable Bezüge); Hoffmann-Becking/Krieger, NZG Beil. zu Heft 26/2009, S. 1, 2 (langfristiges Vergütungselement pro anno nicht weniger als die Hälfte aller variablen Vergütungselemente); Lingemann, BB 2009, 1918, 1919 (40 % fix, 20 % Jahresboni, 20 % langfristig ausgerichtete Boni, 20 % aktienbasierte Vergütung). 94) Vgl. Hoffmann-Becking/Krieger, NZG Beil. zu Heft 26/2009, S. 1, 2 f. 95) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses z. VorstAG, BT-Drucks. 16/13433, S. 10. 96) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses z. VorstAG, BT-Drucks. 16/13433, S. 10; Hölters-Weber, AktG, § 87 Rz. 39.

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Grundsätze für die Bezüge der Vorstandsmitglieder

§ 87

Aufsichtsrat sich vertraglich vorbehält, einseitig eine Begrenzungsmöglichkeit durchzusetzen.97) Ziff. 4.2.3. Abs. 2 Satz 6 DCGK empfiehlt jedoch betragsmäßige Höchstgrenzen. 4.

Einzelfragen

a)

Sondervergütungen, Anerkennungsprämien

Sondervergütungen, bspw. in Form von Transaktionsboni, sind grundsätzlich zulässig, 45 solange der langfristige Anreizcharakter der Vergütungsstruktur insgesamt gewahrt wird und deren Ziele nicht im Widerspruch zu einer nachhaltigen Unternehmensentwicklung stehen.98) Insbesondere bei nachträglichen Anerkennungsprämien wirkt sich in der Praxis jedoch die Rechtsprechung des BGH im Fall „Mannesmann“ aus. Eine dienstvertraglich vereinbarte Prämie ist demnach in den Grenzen des § 87 möglich. Fehlt eine entsprechende vertragliche Regelung ist eine nachträgliche Anerkennungsprämie dagegen nur zulässig, soweit dem Unternehmen zugleich Vorteile in angemessener Höhe zufließen. Andernfalls liegt eine treupflichtwidrige Schädigung des Gesellschaftsvermögens vor.99) Die ganz überwiegende Meinung in der Literatur lehnt diese Beschränkung auf den zukunftsbezogenen Nutzen der Anerkennungsprämie zu Recht ab.100) In der Praxis sollte die Rechtsprechung des BGH jedoch berücksichtigt und entsprechende Möglichkeiten nachträglicher Abfindungen im Anstellungsvertrag vereinbart werden.101) b)

Change of Control-Klauseln

Für den Fall eines Kontrollwechsels sehen in der Praxis häufig Change of Control- 46 Klauseln ein Sonderkündigungsrecht des Vorstandsmitglieds, verbunden mit einer zuvor fest vereinbarten Leistungszusage vor.102) Sie werden wie Abfindungszahlungen bei vorzeitigem Ausscheiden aus dem Amt von § 87 erfasst und müssen dessen Voraussetzungen erfüllen.103) Für derartige Klauseln sieht Ziff. 4.2.3. Abs. 5 DCGK eine Grenze von 150 % des in Ziff. 4.2.3. Abs. 4 DCGK festgelegten Abfindungs-Cap vor. Auch wenn die Mannesmann-Entscheidung des BGH nicht direkt Change of Control-Klauseln zum Gegenstand hatte, bestehen gewisse Unsicherheiten über die Zulässigkeit der Vereinbarung solcher Klauseln erst i. R. einer konkreten Übernahmesituation.104) 5.

Rechtsfolgen einer unangemessenen Vorstandsvergütung für die Organmitglieder

Ein Verstoß gegen § 87 Abs. 1 führt nicht zur Nichtigkeit des Dienstvertrags, da die Norm 47 kein Verbotsgesetz gemäß § 134 BGB ist.105) Wenn der Aufsichtsrat schuldhaft gegen das _____________ 97) Hohenstatt/Kuhnke, ZIP 2009, 1981, 1988. 98) Fleischer, NZG 2009, 801, 803; Hoffmann-Becking/Krieger, NZG Beil. zu Heft 26/2009, S. 1, 3; Hohenstatt/Kuhnke, ZIP 2009, 1981, 1987; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 87 Rz. 14; Thüsing, AG 2009, 517, 520. 99) Vgl. BGH, Urt. v. 21.12.2005 – 3 StR 470/04, ZIP 2006, 72 = NJW 2006, 522, dazu EWIR 2006, 187 (Reiner). 100) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 87 Rz. 50; Fonk, NZG 2005, 248, 249 f.; Hoffmann-Becking, NZG 2006, 127, 129; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 87 Rz. 7; Kort, NJW 2005, 333, 335; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 87 Rz. 35. 101) Ein Muster für eine derartige Klausel findet sich in Happ/Groß-Happ, AktienR, Nr. 8.08. 102) Hierzu näher: Korts, BB 2009, 1876; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 21 Rz. 55 ff. 103) Bayer/Meier-Wehrsdorfer, AG 2013, 477, 482; Dreher, AG 2002, 214, 216; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 87 Rz. 14; van Kann/Eigler, DStR 2007, 1730 ff. 104) Vgl. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 87 Rz. 9; Kort, AG 2006, 106, 108; Hölters-Weber, AktG, § 87 Rz. 44 f. 105) Kort in: GroßKomm-AktG, § 87 Rz. 331; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 87 Rz. 5; K. Schmidt/ Lutter-Seibt, AktG, § 87 Rz. 17; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 87 Rz. 135; a. A. Säcker/Stenzel, JZ 2006, 1151.

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§ 87

Grundsätze für die Bezüge der Vorstandsmitglieder

Angemessenheitsgebot des § 87 Abs. 1 verstößt, macht er sich gemäß §§ 116 Satz 1, Satz 3 i. V. m. § 93 Abs. 2 schadensersatzpflichtig.106) Darüber hinaus kann auch der Vorstand einer Haftung gemäß § 93 Abs. 2 unterliegen. Die bloße Entgegennahme einer überhöhten Vergütung stellt jedoch grundsätzlich noch keine Verletzung der Treupflicht gegenüber der Gesellschaft dar.107) Eine Haftung ist daher nur in Ausnahmefällen denkbar. Die Berufung auf die Wirksamkeit der Vergütungsvereinbarung kann dem Vorstandsmitglied jedoch im Fall eines Missbrauchs der Vertretungsmacht des Aufsichtsrats verwehrt sein. Dazu muss ihm der Missbrauch bekannt gewesen sein oder sich aufgedrängt haben.108) Bei vorsätzlichem Pflichtverstoß kommt sowohl für den Vorstand als auch den Aufsichtsrat eine Strafbarkeit wegen Untreue gemäß § 266 StGB in Betracht.109) Im Fall einer Insolvenz können die überhöhten Bezüge ggf. angefochten werden.110) IV.

Herabsetzung der Vorstandsbezüge (§ 87 Abs. 2)

1.

Allgemeines

48 Wenn sich die Lage der Gesellschaft nach der Festsetzung verschlechtert und eine Weitergewährung der vollen Bezüge für die Gesellschaft unbillig wäre, soll der Aufsichtsrat diese in angemessener Höhe gemäß § 87 Abs. 2 Satz 1 herabsetzen. Die Anforderungen wurden durch das VorstAG gegenüber der Vorgängervorschrift, die noch eine wesentliche Verschlechterung und eine schwere Unbilligkeit vorsah, verringert. Dadurch sollte die Handlungsschwelle für den Aufsichtsrat deutlich herabgesetzt werden.111) § 87 Abs. 2 ist ein Sonderfall der Störung der Geschäftsgrundlage und durchbricht den Grundsatz pacta sunt servanda.112) Die Vorschrift ist nicht von vornherein verfassungswidrig,113) sollte jedoch vor dem Hintergrund der gemäß Art. 14 GG geschützten Anspruchsposition des Vorstandsmitglieds restriktiv ausgelegt werden.114) Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass eine schlechte Unternehmensentwicklung bereits negativen Einfluss auf die Höhe (richtig ausgestalteter) variabler Vergütungselemente hat und die Bezüge sich insofern ohnehin verringern.115) 2.

Voraussetzungen (§ 87 Abs. 2 Satz 1)

49 Die Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse muss nach der Festsetzung der Bezüge eingetreten sein. Worauf diese beruht ist unerheblich. Sie ist jedenfalls dann gegeben, wenn die Gesellschaft insolvenzreif ist.116) Da die Verschlechterung nach der neuen Fassung des § 87 Abs. 2 Satz 1 nicht mehr wesentlich sein muss, sind auch sonstige _____________ 106) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 87 Rz. 57; Hüffer in: FS Hoffmann-Becking, S. 589, 591; Kort, DStR 2007, 1127, 1132. 107) Brandes, ZIP 2013, 1107, 1108; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 87 Rz. 23; Mertens/Cahn in: KölnKommAktG, § 87 Rz. 5; a. A. Fleischer, DStR 2005, 1318, 1322; Fleischer/Bauer, ZIP 2015, 1901, 1903 f. 108) LG Essen, Urt. v. 9.9.2013 – 44 O 164/10, ZIP 2015, 1901 = BeckRS 2014, 22313; Brandes, ZIP 2013, 1107, 1110 f.; Spindler, AG 2011, 725, 729 f. 109) BGH, Urt. v. 21.12.2005 – 3 StR 470/04, ZIP 2006, 72 = NJW 2006, 522; Spindler, AG 2011, 725, 728. 110) Thole/Schmidberger, BB 2014, 3 ff. 111) Seibert, WM 2009, 1489, 1490. 112) Weller, NZG 2010, 7, 8. 113) Verfassungsrechtliche Bedenken: Hohenstatt, ZIP 2009, 1349, 1352 f. 114) BGH, Urt. v. 27.10.2015 – II ZR 296/14, NZG 2016, 264, 265 = ZIP 2016, 310; OLG Stuttgart, Urt. v. 1.10.2014 – 20 U 3/13, ZIP 2014, 2497 = AG 2015, 128 = NZG 2015, 194, dazu EWiR 2015, 409 (Theusinger/Schilha); K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 87 Rz. 18. 115) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 87 Rz. 60; Hölters-Weber, AktG, § 87 Rz. 50. 116) BGH, Urt. v. 27.10.2015 – II ZR 296/14, NZG 2016, 264, 267= ZIP 2016, 310; Begr. RegE z. VorstAG, BT-Drucks. 16/12278, S. 6.

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Grundsätze für die Bezüge der Vorstandsmitglieder

§ 87

negative Entwicklungen erfasst.117) Es reicht aus, wenn die Gesellschaft aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage in erheblichem Umfang Entlassungen oder Lohnkürzungen vornehmen muss und keine Gewinne mehr ausschütten kann.118) Entscheidend ist die Lage der Gesellschaft, nicht des Konzerns.119) Die Voraussetzungen des § 87 Abs. 2 Satz 1 sind dagegen nicht erfüllt, wenn die wirtschaftlichen Schwierigkeiten schon bei Abschluss des Anstellungsvertrags bekannt waren.120) Gleiches gilt nach der Rechtsprechung, wenn das Vorstandsmitglied die ursprünglichen Erwartungen enttäuscht.121) Entscheidendes Kriterium ist schließlich die Unbilligkeit der Weitergewährung der Bezüge. 50 Dabei kommt es auf die Lage der Gesellschaft an. Allgemeine Stimmungen in der Öffentlichkeit sind nicht relevant.122) Auch die persönlichen Verhältnisse des Vorstandsmitglieds können berücksichtigt werden.123) Das Vorstandsmitglied muss die Verschlechterung nicht pflichtwidrig herbeigeführt haben, sie muss jedoch in die Zeit seiner Vorstandsverantwortung fallen und ihm zurechenbar sein.124) Aufgrund der Gesamtverantwortung des Vorstands kommt es nicht darauf an, in wessen Ressortverantwortung die Verschlechterung fällt.125) Wenn die schlechte Lage bereits zu einem angemessenen Rückgang variabler Vergütungsbestandteile führt, ist die Weiterzahlung der resultierenden Vergütung nicht unbillig. 3.

Verfahren

Die Herabsetzung der Bezüge ist ein einseitiges Gestaltungsrecht der AG, das durch eine 51 Gestaltungserklärung des Aufsichtsrats ausgeübt wird.126) Zuständig ist der Gesamtaufsichtsrat. Die Delegation an einen Ausschuss kommt gemäß § 107 Abs. 3 Satz 4 nicht in Betracht. Der Aufsichtsrat entscheidet gemäß § 108 Abs. 1 durch Beschluss. Die Entscheidung wird mit Kundgabe gegenüber dem Vorstandsmitglied wirksam.127) Bei einem gemäß § 85 gerichtlich bestellten Vorstandsmitglied erfolgt die Herabsetzung gemäß § 87 Abs. 2 Satz 1 durch das Gericht auf Antrag des Aufsichtsrats.128) Nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ist der Insolvenzverwalter zuständig, da es sich um vermögensbezogene Maßnahme handelt.129) Nach dem Wortlaut des § 87 Abs. 2 Satz 1 soll der Aufsichtsrat die Bezüge herabsetzen. 52 Liegen die Voraussetzungen der §§ 116, 93 vor, ergibt sich eine Pflicht des Aufsichtsrats, unter den Gegebenheiten des § 87 Abs. 2 die Bezüge herabzusetzen, es sei denn es liegen besondere Umstände vor, die eine Untätigkeit rechtfertigen.130) In Krisensituationen mag _____________ 117) 118) 119) 120) 121) 122) 123) 124) 125) 126) 127) 128) 129) 130)

Vgl. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 87 Rz. 25. Begr. RegE z. VorstAG, BT-Drucks. 16/12278, S. 6. Diller, NZG 2009, 1006. Kort, NZG 2015, 369, 371; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 87 Rz. 94; Spindler in: MünchKommAktG, § 87 Rz. 171. OLG Frankfurt/M., Urt. v. 25.5.2011 – 7 U 268/08, AG 2011, 790, 792. Bauer/Arnold, AG 2009, 717, 726; Hoffmann-Becking/Krieger, NZG Beil. zu Heft 26/2009, S. 1, 5. Koch, WM 2010, 49, 50; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 87 Rz. 172. Begr. RegE z. VorstAG, BT-Drucks. 16/12278, S. 6; BGH, Urt. v. 27.10.2015 – II ZR 296/14, NZG 2016, 264, 267 ff. = ZIP 2016, 310. Hoffmann-Becking/Krieger, NZG Beil. zu Heft 26/2009, S. 1, 5. BGH, Urt. v. 27.10.2015 – II ZR 296/14, NZG 2016, 264 = ZIP 2016, 310. BGH, Urt. v. 27.10.2015 – II ZR 296/14, NZG 2016, 264 = ZIP 2016, 310. Begr. RegE in: Kropff, AktG, S. 111. Göcke/Greubel, ZIP 2009, 2086, 2088; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 87 Rz. 30; Kort in: GroßKomm-AktG, § 87 Rz. 434; Hölters-Weber, AktG, § 87 Rz. 52a; a. A. Grigoleit-Schwennicke, AktG, § 87 Rz. 39. BGH, Urt. v. 27.10.2015 – II ZR 296/14, NZG 2016, 264, 268 = ZIP 2016, 310; Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses z. VorstAG, BT-Drucks. 16/13433, S. 10; Ihrig/Wandt/Wittgens, ZIP Beil. zu Heft 40/2012, S. 1, 22.

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§ 87

Grundsätze für die Bezüge der Vorstandsmitglieder

ein Interesse daran bestehen, ein für den Turn-Around besonders entscheidendes Vorstandsmitglied zu halten und die aus der Herabsetzung der Bezüge folgende Kündigungsmöglichkeit gemäß § 87 Abs. 2 Satz 4 auszuschließen.131) Hierbei handelt es sich um eine unternehmerische Entscheidung des Aufsichtsrats gemäß § 93 Abs. 1 Satz 2.132) 53 Erforderlich ist die Herabsetzung auf eine angemessene Höhe. Dieser Maßstab ist strenger als die „angemessene Herabsetzung“ nach § 87 a. F.133) Grundsätzlich sind alle Vorstandsmitglieder gleichmäßig zu belasten.134) Die Herabsetzung ist regelmäßig zu befristen, es sei denn, eine nachhaltige Besserung ist auf lange Zeit ausgeschlossen.135) Neben laufenden Bezügen und Ruhegehältern sind auch etwaige Abfindungsansprüche erfasst.136) Eine rückwirkende Herabsetzung ist dagegen nicht möglich. Eine einmal verdiente Tantieme muss auch ausbezahlt werden, wenn sich die Gesellschaft zum Auszahlungszeitpunkt in der Krise befindet.137) 4.

Kündigungsrecht und Rechtsschutz der Vorstandsmitglieder (§ 87 Abs. 2 Satz 4)

54 Durch die Herabsetzung der Bezüge wird der Anstellungsvertrag zwar geändert, bleibt i. Ü. aber vollumfänglich wirksam. Deshalb gewährt § 87 Abs. 2 Satz 4 ein Sonderkündigungsrecht für das betroffene Vorstandsmitglied mit einer Frist von sechs Wochen zum Ende des nächsten Kalendervierteljahres. Das betroffene Vorstandsmitglied kann außerdem gegen die Gesellschaft, vertreten durch den Aufsichtsrat (§ 112), Leistungsklage auf Weitergewährung der bisherigen Bezüge erheben.138) Sofern der Betroffene die Entscheidung des Aufsichtsrats gerichtlich angegriffen hat, kann er sein Kündigungsrecht noch nach rechtskräftiger Feststellung der Rechtmäßigkeit der Herabsetzung der Bezüge ausüben, wenn er die Klage innerhalb der Kündigungsfrist erhoben hat.139) V.

Beschränkung von Schadensersatzansprüchen bei Insolvenz (§ 87 Abs. 3)

55 Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens lässt den Bestand der Anstellungsverträge der Vorstandsmitglieder zunächst unberührt. Gemäß § 113 InsO kann jedoch der Insolvenzverwalter den Vertrag unter Einhaltung der gesetzlichen Frist kündigen. Dem betroffenen Vorstandsmitglied steht in diesem Fall wegen der vorzeitigen Beendigung gemäß § 113 Satz 3 InsO ein Schadenersatzanspruch als Insolvenzgläubiger zu. § 87 Abs. 3 beschränkt diesen Anspruch auf den Schaden, der bis zum Ablauf von zwei Jahren seit Ende des Anstellungsvertrags entsteht. Versorgungsleistungen gemäß § 87 Abs. 1 Satz 4 sind hiervon nicht erfasst.140)

_____________ 131) OLG Karlsruhe, Urt. v. 24.11.2011 – 9 U 18/11, ZIP 2012, 2081 = NZG 2011, 299, 301 = AG 2012, 464; Bauer/Arnold, AG 2009, 717, 727; Bosse, BB 2009, 1650, 1651; Hohenstatt, ZIP 2009, 1349, 1352. 132) Bauer/Arnold, AG 2009, 717, 731; Hoffmann-Becking/Krieger, NZG Beil. zu Heft 26/2009, S. 5. 133) Fleischer, NZG 2009, 801, 804; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 87 Rz. 200. 134) K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 87 Rz. 19a; Weisner/Kölling, NZG 2003, 465, 467. 135) Bauer/Arnold, AG 2009, 717, 727; Hölters-Weber, AktG, § 87 Rz. 51a. 136) Begr. RegE z. VorstAG, BT-Drucks. 16/12278, S. 6; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 87 Rz. 68 ff. 137) Thüsing, AG 2009, 517, 522. 138) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 87 Rz. 75; Hölters-Weber, AktG, § 87 Rz. 54. 139) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 87 Rz. 32; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 87 Rz. 21; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 87 Rz. 214. 140) Kort in: GroßKomm-AktG, § 87 Rz. 484.

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§ 88

Wettbewerbsverbot

§ 88 Wettbewerbsverbot (1) 1Die Vorstandsmitglieder dürfen ohne Einwilligung des Aufsichtsrats weder ein Handelsgewerbe betreiben noch im Geschäftszweig der Gesellschaft für eigene oder fremde Rechnung Geschäfte machen. 2Sie dürfen ohne Einwilligung auch nicht Mitglied des Vorstands oder Geschäftsführer oder persönlich haftender Gesellschafter einer anderen Handelsgesellschaft sein. 3Die Einwilligung des Aufsichtsrats kann nur für bestimmte Handelsgewerbe oder Handelsgesellschaften oder für bestimmte Arten von Geschäften erteilt werden. (2) 1Verstößt ein Vorstandsmitglied gegen dieses Verbot, so kann die Gesellschaft Schadenersatz fordern. 2Sie kann statt dessen von dem Mitglied verlangen, daß es die für eigene Rechnung gemachten Geschäfte als für Rechnung der Gesellschaft eingegangen gelten läßt und die aus Geschäften für fremde Rechnung bezogene Vergütung herausgibt oder seinen Anspruch auf die Vergütung abtritt. (3) 1Die Ansprüche der Gesellschaft verjähren in drei Monaten seit dem Zeitpunkt, in dem die übrigen Vorstandsmitglieder und die Aufsichtsratsmitglieder von der zum Schadensersatz verpflichtenden Handlung Kenntnis erlangen oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müssten. 2Sie verjähren ohne Rücksicht auf diese Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in fünf Jahren von ihrer Entstehung an. Literatur: Armbrüster, Wettbewerbsverbote im Kapitalgesellschaftsrecht, ZIP 1997, 1269; Fleischer, Wettbewerbs- und Betätigungsverbote für Vorstandsmitglieder im Aktienrecht, AG 2005, 336; Fleischer, Gelöste und ungelöste Probleme der gesellschaftsrechtlichen Geschäftschancenlehre, NZG 2003, 985; Korkmaz, Konzernweite nachvertragliche Wettbewerbsverbote für Vorstandsmitglieder, NJOZ 2014, 481; Meyer, Das „Eintrittsrecht“ der Aktiengesellschaft gemäß § 88 Abs. 2 S. 2 AktG, AG 1988, 259.

Übersicht I. Regelungsgegenstand und Regelungszweck ................................ 1 II. Verbotsadressaten ............................. 5 III. Umfang des Verbots ......................... 8 1. Verbotsinhalt ...................................... 8 a) Betrieb eines Handelsgewerbes (§ 88 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1) ............................................ 8 b) Geschäfte im Geschäftszweig der Gesellschaft (§ 88 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2) ............................... 10 I.

c) Vorstandsmitglied, Geschäftsführer oder persönlich haftender Gesellschafter einer anderen Handelsgesellschaft (§ 88 Abs. 1 Satz 2) ............................. 2. Einwilligung des Aufsichtsrats ........ IV. Rechtsfolgen eines Verstoßes (§ 88 Abs. 2) ..................................... 1. Unterlassungsanspruch .................... 2. Schadensersatzanspruch ................... 3. Eintrittsrecht .................................... V. Verjährung (§ 88 Abs. 3) ................

13 14 16 16 17 18 20

Regelungsgegenstand und Regelungszweck

Gemäß § 88 ist es Vorstandsmitgliedern untersagt, in Wettbewerb zu der Gesellschaft zu 1 treten. In § 88 Abs. 1 sind die verbotenen Tätigkeiten genannt. Bei Verstößen gegen das Verbot bestimmt § 88 Abs. 2 einen Schadensersatzanspruch der Gesellschaft sowie alternativ ein Eintrittsrecht in das getätigte Geschäft. § 88 Abs. 3 betrifft schließlich die Verjährung

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§ 88

Wettbewerbsverbot

der Ansprüche der AG. Ziff. 4.3.1 DCGK wiederholt das umfassende gesetzliche Wettbewerbsverbot für den Vorstand einer börsennotierten AG in stark verkürzter Form.1) 2 Die Norm hat einen doppelten Schutzzweck. Zum einen soll der Gesellschaft der volle Arbeitseinsatz ihrer Vorstandsmitglieder zukommen.2) Zum anderen dient die Vorschrift dem Schutz der Gesellschaft vor Wettbewerbshandlungen ihrer Vorstandsmitglieder. 3 Die Regelung des § 88 ist nicht zwingend, es können Verschärfungen und Erleichterungen sowohl im Anstellungsvertrag als auch in der Satzung geregelt werden.3) In der Praxis werden zudem häufig nachvertragliche Wettbewerbsverbote vereinbart.4) 4 Problematisch ist das Verhältnis zur Rechtsfigur der sog. Geschäftschancenlehre.5) Inhalt ist das an Vorstandsmitglieder gerichtete Verbot, Geschäftschancen der Gesellschaft für eigene Zwecke zu nutzen.6) Sowohl die Geschäftschancenlehre als auch das Wettbewerbsverbot sind als selbständige Ausprägungen der Treupflicht der Vorstandsmitglieder einzuordnen.7) Auf der einen Seite ist das Wettbewerbsverbot strenger, weil es im Gegensatz zur Geschäftschancenlehre nicht voraussetzt, dass der Gesellschaft im Einzelfall ein Schaden droht.8) Auf der anderen Seite ist es weniger weitreichend, weil es solche Fälle ausgrenzt, in denen Vorstandsmitglieder Geschäftschancen der Gesellschaft zu privaten Zwecken verwerten. Ist ein Vorstandsverhalten also weder aufgrund vertraglicher Regeln noch wegen des Wettbewerbsverbots nach § 88 unzulässig, kann sich eine Unzulässigkeit aus der Geschäftschancenlehre ergeben.9) II.

Verbotsadressaten

5 Verbotsadressaten des § 88 sind alle – auch die gerichtlich bestellten (§ 85) – Vorstandsmitglieder sowie deren Stellvertreter (§ 94).10) Auch bei fehlerhafter Bestellung gilt das Tätigkeitsverbot.11) § 88 richtet sich hingegen nicht an Aufsichtsratsmitglieder. Das Verbot gilt daher für diese auch dann nicht, wenn sie gemäß § 105 Abs. 2 Satz 4 vorübergehend zu Stellvertretern von fehlenden oder verhinderten Vorstandsmitgliedern bestellt sind.12) Für Abwickler gilt das Wettbewerbsverbot nach ausdrücklicher Anordnung in § 268 Abs. 3 ebenfalls nicht.13) 6 Maßgeblich für die Geltung des Wettbewerbsverbots ist im Grundsatz allein die Amtsstellung unabhängig vom Anstellungsvertrag. Das Wettbewerbsverbot gilt daher ab der Bestellung zum Vorstandsmitglied und endet – unabhängig von den Gründen – mit der Amtsbeendigung.14) _____________ 1) Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder-Bachmann, DCGK, Rz. 1077. 2) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 88 Rz. 1; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 88 Rz. 1; K. Schmidt/LutterSeibt, AktG, § 88 Rz. 1; Krieger/Schneider-Verse, Hdb. Managerhaftung, § 26 Rz. 26.5; HöltersWeber, AktG, § 88 Rz. 1. 3) Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 21 Rz. 67; a. A. für die Abänderungsmöglichkeit in der Satzung Heidel-Oltmans, AktR, § 88 AktG Rz. 6; zu den Grenzen der Zulässigkeit: Spindler in: MünchKommAktG, § 88 Rz. 7; Fleischer, AG 2005, 336, 345 f. 4) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 88 Rz. 42 ff.; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 88 Rz. 16; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 88 Rz. 48 ff.; zu konzernweiten nachvertraglichen Wettbewerbsverboten – Korkmaz, NJOZ 2014, 481 ff. 5) Zu Reichweite und Grenzen der Geschäftschancenlehre – Fleischer, NZG 2003, 985 ff. 6) Seyfarth, Vorstandsrecht, § 10 Rz. 4. 7) Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 88 Rz. 5. 8) Fleischer, AG 2005, 336, 337 f.; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 88 Rz. 5. 9) Seyfarth, Vorstandsrecht, § 10 Rz. 4. 10) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 88 Rz. 7. 11) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 88 Rz. 7; Hölters-Weber, AktG, § 88 Rz. 4. 12) Kort in: GroßKomm-AktG, § 88 Rz. 12 und 14; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 88 Rz. 9. 13) Kort in: GroßKomm-AktG, § 88 Rz. 13. 14) Spindler in: MünchKomm-AktG, § 88 Rz. 10 f.; Hölters-Weber, AktG, § 88 Rz. 5.

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§ 88

Wettbewerbsverbot

Umstritten sind allerdings zwei Konstellationen. Dies betrifft zum einen den Fall des Wider- 7 rufs der Bestellung bei ungekündigtem Anstellungsvertrag. Zum Teil wird bei Weiterzahlung der Vorstandsbezüge von einer Fortgeltung des Wettbewerbsverbots ausgegangen.15) Die Gegenansicht hält die sich aufgrund des fortbestehenden Anstellungsverhältnisses aus der allgemeinen Treupflicht ergebenden schuldrechtlichen Unterlassungspflichten dagegen für ausreichend.16) Unklar sind darüber hinaus die Konsequenzen einer unberechtigten Amtsniederlegung durch das Vorstandsmitglied. Hier ist die wohl h. M. der Auffassung, dass das Verbot weiter gilt.17) Geht das Vorstandsmitglied einer aus wettbewerbsrechtlicher Sicht relevanten Tätigkeit nach, nachdem es sein Mandat nicht einvernehmlich niedergelegt hat, besteht demnach das Risiko eines Verstoßes gegen § 88. III.

Umfang des Verbots

1.

Verbotsinhalt

a)

Betrieb eines Handelsgewerbes (§ 88 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1)

§ 88 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 verbietet den Betrieb eines Handelsgewerbes i. S. der §§ 1 ff. HGB. 8 Da primärer Schutzzweck des Tätigkeitsverbots die Erhaltung der vollen Arbeitskraft der Vorstandsmitglieder ist, kommt es nicht darauf an, ob tatsächlich eine Konkurrenzsituation mit der Gesellschaft eintritt. Verboten ist demnach der Betrieb eines jeden Handelsgewerbes.18) Aus dem gleichen Grund kann sich das Vorstandsmitglied dem Verbot nicht durch Einschaltung eines Strohmanns oder sonstige Umgehungsgestaltungen entziehen.19) Schließlich wird das Tätigkeitsverbot auf Grund des Schutzzwecks teilweise auch auf 9 sonstige gewerbliche und freiberufliche Tätigkeiten erstreckt.20) b)

Geschäfte im Geschäftszweig der Gesellschaft (§ 88 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2)

§ 88 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 verbietet darüber hinaus, dass Vorstandsmitglieder für eigene 10 oder fremde Rechnung Geschäfte machen. Insoweit beschränkt sich das Verbot allerdings auf Geschäfte, die i. R. des Geschäftszweigs der Gesellschaft liegen.21) Dafür kommt es auf den tatsächlichen Geschäftszweig der Gesellschaft an, der ggf. nicht den gesamten satzungsmäßigen Unternehmensgegenstand ausschöpft.22) Davon zu trennen ist die Frage, _____________ 15) OLG Frankfurt/M., Urt. v. 5.11.1999 – 10 U 257/98, AG 2000, 518, 519 = NZG 2000, 738, 739; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 88 Rz. 11; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 21 Rz. 94. 16) Fleischer, AG 2005, 336, 341; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 88 Rz. 10; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 88 Rz. 2; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 88 Rz. 5; Hölters-Weber, AktG, § 88 Rz. 5. 17) Fleischer, AG 2005, 336, 340; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 88 Rz. 12; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 88 Rz. 2; Kort in: GroßKomm-AktG, § 88 Rz. 112; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 88 Rz. 11; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 21 Rz. 94; a. A. Armbrüster, ZIP 1997, 1269 f.; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 88 Rz. 7; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 88 Rz. 5; Fleischer-Thüsing, Hdb. VorstandsR, § 4 Rz. 86. 18) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 88 Rz. 17; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 88 Rz. 3; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 88 Rz. 10. 19) Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 88 Rz. 10; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 88 Rz. 13. 20) OLG Frankfurt/M., Urt. v. 5.11.1999 – 10 U 257/98, AG 2000, 518, 519 = NZG 2000, 738, 739; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 88 Rz. 10; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 88 Rz. 6; a. A. – Begrenzung der Analogie unter Hinweis auf Art. 12 GG – Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 88 Rz. 18; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 88 Rz. 3; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 88 Rz. 12. 21) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 88 Rz. 3. 22) OLG Frankfurt/M., Urt. v. 5.11.1999 – 10 U 257/98, AG 2000, 518, 519 = NZG 2000, 738, 739; BGH, Urt. v. 21.2.1978 – KZR 6/77, BGHZ 70, 331 = NJW, 1978, 1001 – zum insoweit vergleichbaren Fall des § 112 HGB; Kort in: GroßKomm-AktG, § 88 Rz. 28; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 88 Rz. 13; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 88 Rz. 7; a. A. Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 88 Rz. 21; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 88 Rz. 16.

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Wettbewerbsverbot

ob das Wettbewerbsverbot sich auch dann nach dem tatsächlichen Geschäftszweig richtet, wenn dieser über die Satzungsbestimmung hinausgeht.23) 11 Erstreckt wird das Tätigkeitsverbot darüber hinaus auf die Geschäftszweige aller konzernverbundenen Unternehmen.24) Diese Konzerndimension steht im Einklang mit Ziff. 4.3.1 DCGK.25) Voraussetzung ist hingegen nicht, dass tatsächlich eine Konkurrenzsituation mit der Gesellschaft eintritt.26) 12 Über den Wortlaut der Norm hinaus ist es Vorstandsmitgliedern entsprechend ihrer Treupflicht verboten, Geschäftschancen der Gesellschaft wahrzunehmen.27) Unter „Geschäftemachen“ versteht man jede, wenn auch nur spekulative, auf Gewinnerzielung gerichtete Teilnahme am geschäftlichen Verkehr, die nicht nur zur Befriedigung eigener privater Bedürfnisse (wie z. B. der eigenen Vermögensanlage) erfolgt.28) Dabei reicht bereits eine vereinzelte Geschäftstätigkeit aus. c)

Vorstandsmitglied, Geschäftsführer oder persönlich haftender Gesellschafter einer anderen Handelsgesellschaft (§ 88 Abs. 1 Satz 2)

13 Nach § 88 Abs. 1 Satz 2 ist es untersagt, als Vorstandsmitglied, Geschäftsführer oder persönlich haftender Gesellschafter einer anderen Handelsgesellschaft (SE, AG, GmbH, KG, OHG, PartG) tätig zu werden. Zweck ist wiederum, der Gesellschaft die volle Arbeitskraft ihrer Vorstandsmitglieder zu erhalten.29) Auch Doppelmandate innerhalb des Konzerns sind nur mit Zustimmung der Aufsichtsratsgremien beider Gesellschaften zulässig.30) Nach dem Schutzzweck der Norm erscheint außerdem eine Erstreckung auf geschäftsführende Kommanditisten und vergleichbare Positionen in ausländischen Handelsgesellschaften sowie BGB-Gesellschaften geboten.31) Erlaubt ist hingegen die Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied sowie die Beteiligung als Gesellschafter.32) 2.

Einwilligung des Aufsichtsrats

14 Die Vorstandsmitglieder können von den Verboten des § 88 Abs. 1 durch Einwilligung, d. h. durch vorherige Zustimmung (§ 183 BGB), des Aufsichtsrats befreit werden. Voraussetzung dafür ist eine Beschlussfassung des Aufsichtsrats (§ 108 Abs. 1), ein widerspruchsloses Dulden von Verstößen gegen das Wettbewerbsverbot genügt hingegen nicht.33) Ausreichend ist, dass dem jeweiligen Beschluss des Aufsichtsrats sinngemäß eine Einwilligung entnommen _____________ 23) Dies ist in der Literatur umstritten; dafür Kort in: GroßKomm-AktG, § 88 Rz. 28; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 88 Rz. 16; Hölters-Weber, AktG, § 88 Rz. 8; dagegen Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 88 Rz. 13. 24) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 88 Rz. 24; Kort in: GroßKomm-AktG, § 88 Rz. 30; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 88 Rz. 24; Hölters-Weber, AktG, § 88 Rz. 8. 25) Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder-Bachmann, DCGK, Rz. 1079. 26) Henssler/Strohn-Dauner-Lieb, GesR, § 88 AktG Rz. 4; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 88 Rz. 14. 27) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 88 Rz. 3; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 88 Rz. 7. 28) BGH, Urt. v. 17.2.1997 – II ZR 278/95, NJW 1997, 2055, 2056 = ZIP 1997, 1063. 29) Begr. RegE in: Kropff, AktG, S. 112; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 88 Rz. 25. 30) BGH, Urt. v. 9.3.2009 – II ZR 170/07, BGHZ 180, 105 = ZIP 2009, 1162, dazu EWiR 2009, 525 (Blasche); Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 88 Rz. 25; Hölters-Weber, AktG, § 88 Rz. 10. 31) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 88 Rz. 4; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 88 Rz. 15; Hölters-Weber, AktG, § 88 Rz. 11; a. A. für den Kommanditisten K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 88 Rz. 8; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 88 Rz. 21. 32) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 88 Rz. 4; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 88 Rz. 21. 33) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 88 Rz. 27; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 88 Rz. 16; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 88 Rz. 25.

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Wettbewerbsverbot

werden kann.34) So kann die vorbehaltlose Bestellung eines Vorstandsmitglieds trotz Kenntnis einer wettbewerbsrelevanten Tätigkeit eine konkludente Billigung darstellen.35) Eine nachträgliche Genehmigung scheidet wegen des Verbots der Verfügung über Schadensersatzansprüche der Gesellschaft nach § 93 Abs. 4 zwar als Einwilligung aus, kann aber ggf. als eine Einwilligung in gleichartige, zukünftige Tätigkeiten ausgelegt werden.36) Zu beachten ist die Beschränkung des § 88 Abs. 1 Satz 3, nach der die Einwilligung nur 15 für bestimmte Handelsgewerbe oder Handelsgesellschaften oder für bestimmte Arten von Geschäften erteilt werden kann. Dadurch wird die Möglichkeit einer Blankoeinwilligung ausgeschlossen.37) Der Aufsichtsrat muss folglich eine eindeutige Abgrenzung des Umfangs der Einwilligung vornehmen. Bezüglich der Erteilung der Einwilligung steht dem Aufsichtsrat ein Ermessen zu, was zugleich bedeutet, dass er die ordnungsgemäße Sorgfalt gemäß §§ 116 Satz 1, 93 Abs. 1 Satz 1 zu beachten hat.38) IV.

Rechtsfolgen eines Verstoßes (§ 88 Abs. 2)

1.

Unterlassungsanspruch

Rechtsfolge des § 88 ist eine Unterlassungspflicht der Vorstandsmitglieder, die von der 16 Gesellschaft klageweise – auch vorbeugend (§ 259 ZPO) – geltend gemacht werden kann.39) Dabei kommt es nicht auf ein Verschulden des Vorstandsmitglieds an.40) 2.

Schadensersatzanspruch

Verstöße gegen das Wettbewerbsverbot können darüber hinaus Schadensersatzansprüche 17 der Gesellschaft begründen, § 88 Abs. 2. Diese setzen – anders als der Unterlassungsanspruch – ein Verschulden des Vorstandsmitglieds voraus. Dass ein solches fehlt, muss das Vorstandsmitglied entsprechend § 93 Abs. 2 nachweisen.41) Der Schadensersatzanspruch wird inhaltlich durch die §§ 249 ff. BGB determiniert. 3.

Eintrittsrecht

Anstatt Schadensersatz zu verlangen, kann die Gesellschaft von dem Eintrittsrecht des 18 § 88 Abs. 2 Satz 2 Gebrauch machen.42) Rechtsfolge des Verlangens ist, dass der aus der verbotswidrigen Tätigkeit gezogene Gewinn der Gesellschaft zugutekommt, ohne dass ein Schadensnachweis erforderlich wäre.43) Da das Eintrittsrecht an die Stelle des Schadensersatzanspruchs tritt und es dabei ebenfalls um die Sanktionierung von Loyalitätspflichtverstößen geht, ist auch dafür ein Verschulden erforderlich.44) Das Vorstandsmitglied ist gemäß § 666 BGB zur Auskunft und Rechenschaftslegung 19 verpflichtet. Im Gegenzug kann das Vorstandsmitglied gegen die Gesellschaft einen Auf_____________ 34) 35) 36) 37) 38) 39) 40) 41) 42) 43) 44)

Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 88 Rz. 16. Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 88 Rz. 27; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 88 Rz. 25. Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 88 Rz. 17; Hölters-Weber, AktG, § 88 Rz. 12. Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 88 Rz. 26; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 88 Rz. 26. Kort in: GroßKomm-AktG, § 88 Rz. 10; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 88 Rz. 27 f.; HöltersWeber, AktG, § 88 Rz. 13. Kort in: GroßKomm-AktG, § 88 Rz. 11; Hölters-Weber, AktG § 88 Rz. 14. Spindler in: MünchKomm-AktG, § 88 Rz. 29; Hölters-Weber, AktG, § 88 Rz. 14. Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 88 Rz. 34; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 10 Rz. 53. Zum Eintrittsrecht Meyer, AG 1988, 259 ff. K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 88 Rz. 13; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 88 Rz. 32. Kort in: GroßKomm-AktG, § 88 Rz. 74; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 88 Rz. 13; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 10 Rz. 53; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 88 Rz. 33; a. A. Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 88 Rz. 37; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 88 Rz. 7; Mertens/Cahn in: MünchKomm-AktG, § 88 Rz. 23; Hölters-Weber, AktG, § 88 Rz. 16.

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Kreditgewährung an Vorstandsmitglieder

wendungsersatzanspruch geltend machen.45) Eine Außenwirkung gegenüber dem Vertragspartner entfaltet der Eintritt nicht.46) Die Gesellschaft kann auch nach anfänglichem Schadensersatzverlangen noch von dem Eintrittsrecht Gebrach machen, es sei denn, dass das Vorstandsmitglied im Einzelfall bereits schutzwürdig auf diese bestimmte Rechtsfolge vertraut hat.47) V.

Verjährung (§ 88 Abs. 3)

20 § 88 Abs. 3 enthält eine doppelte Verjährungsfrist. Vorgesehen ist eine Frist von drei Monaten, beginnend ab dem Zeitpunkt, zu dem die übrigen Vorstandsmitglieder (einschließlich der stellvertretenden Mitglieder)48) sowie Aufsichtsratsmitglieder Kenntnis von dem Verstoß erlangt haben oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätten erlangen müssen (§ 88 Abs. 3 Satz 1). Spätestens fünf Jahre nach Anspruchsentstehung tritt die Verjährung aber in jedem Fall ein (§ 88 Abs. 2 Satz 2). 21 Für die Anspruchsentstehung kommt es auf die Vornahme der pflichtwidrigen Handlung an, wenn es um eine Tätigkeit im Geschäftszweig der Gesellschaft geht, § 88 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2.49) Bei den anderen Anwendungsfällen des § 88 Abs. 1 entsteht der Anspruch hingegen erst mit Ende der verbotenen (Dauer-)Tätigkeit.50) 22 Der Anwendungsbereich der Verjährungsregelung des § 88 Abs. 3 geht über § 88 Abs. 2 hinaus, d. h. die Regelung gilt auch für andere im Zusammenhang mit der verbotswidrigen Tätigkeit stehende Ansprüche (z. B. Anspruch auf Unterlassung und Vertragsstrafe).51) Allerdings richtet sich die Verjährung von deliktischen Ansprüchen nach den allgemeinen Regeln der §§ 195, 199 BGB.52) _____________ 45) Kort in: GroßKomm-AktG, § 88 Rz. 83; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 88 Rz. 36. 46) BGH, Urteil v. 6.12.1962 – KZR 4/62, Rz. 17, BGHZ 38, 306 = WM 1963, 245 – zur vergleichbaren Vorschrift des § 113 HGB; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 88 Rz. 38; Mertens/Cahn in: KölnKommAktG, § 88 Rz. 25; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 88 Rz. 34. 47) Bürgers/Körber-Bürgers, AktG, § 88 Rz. 11; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 88 Rz. 7; Kort in: GroßKommAktG, § 88 Rz. 96; Hölters-Weber, AktG, § 88 Rz. 18. 48) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 88 Rz. 9. 49) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 88 Rz. 41; Hölters-Weber, AktG, § 88 Rz. 21. 50) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 88 Rz. 41; Kort in: GroßKomm-AktG, § 88 Rz. 102; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 88 Rz. 31; Hölters-Weber, AktG, § 88 Rz. 21. 51) K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 88 Rz. 15; Hölters-Weber, AktG, § 88 Rz. 22. 52) Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 88 Rz. 29; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 88 Rz. 15; a. A. BAG, Urt. v. 28.1.1986 – 3 AZR 449/84, AP HGB § 61 Nr. 2 = VersR 1986, 1224 – zur vergleichbaren Vorschrift des § 61 HGB; differenzierend Kort in: GroßKomm-AktG, § 88 Rz. 182.

§ 89 Kreditgewährung an Vorstandsmitglieder (1) 1Die Gesellschaft darf ihren Vorstandsmitgliedern Kredit nur auf Grund eines Beschlusses des Aufsichtsrats gewähren. 2Der Beschluß kann nur für bestimmte Kreditgeschäfte oder Arten von Kreditgeschäften und nicht für länger als drei Monate im voraus gefaßt werden. 3Er hat die Verzinsung und Rückzahlung des Kredits zu regeln. 4 Der Gewährung eines Kredits steht die Gestattung einer Entnahme gleich, die über die dem Vorstandsmitglied zustehenden Bezüge hinausgeht, namentlich auch die Gestattung der Entnahme von Vorschüssen auf Bezüge. 5Dies gilt nicht für Kredite, die ein Monatsgehalt nicht übersteigen.

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Kreditgewährung an Vorstandsmitglieder

wendungsersatzanspruch geltend machen.45) Eine Außenwirkung gegenüber dem Vertragspartner entfaltet der Eintritt nicht.46) Die Gesellschaft kann auch nach anfänglichem Schadensersatzverlangen noch von dem Eintrittsrecht Gebrach machen, es sei denn, dass das Vorstandsmitglied im Einzelfall bereits schutzwürdig auf diese bestimmte Rechtsfolge vertraut hat.47) V.

Verjährung (§ 88 Abs. 3)

20 § 88 Abs. 3 enthält eine doppelte Verjährungsfrist. Vorgesehen ist eine Frist von drei Monaten, beginnend ab dem Zeitpunkt, zu dem die übrigen Vorstandsmitglieder (einschließlich der stellvertretenden Mitglieder)48) sowie Aufsichtsratsmitglieder Kenntnis von dem Verstoß erlangt haben oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätten erlangen müssen (§ 88 Abs. 3 Satz 1). Spätestens fünf Jahre nach Anspruchsentstehung tritt die Verjährung aber in jedem Fall ein (§ 88 Abs. 2 Satz 2). 21 Für die Anspruchsentstehung kommt es auf die Vornahme der pflichtwidrigen Handlung an, wenn es um eine Tätigkeit im Geschäftszweig der Gesellschaft geht, § 88 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2.49) Bei den anderen Anwendungsfällen des § 88 Abs. 1 entsteht der Anspruch hingegen erst mit Ende der verbotenen (Dauer-)Tätigkeit.50) 22 Der Anwendungsbereich der Verjährungsregelung des § 88 Abs. 3 geht über § 88 Abs. 2 hinaus, d. h. die Regelung gilt auch für andere im Zusammenhang mit der verbotswidrigen Tätigkeit stehende Ansprüche (z. B. Anspruch auf Unterlassung und Vertragsstrafe).51) Allerdings richtet sich die Verjährung von deliktischen Ansprüchen nach den allgemeinen Regeln der §§ 195, 199 BGB.52) _____________ 45) Kort in: GroßKomm-AktG, § 88 Rz. 83; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 88 Rz. 36. 46) BGH, Urteil v. 6.12.1962 – KZR 4/62, Rz. 17, BGHZ 38, 306 = WM 1963, 245 – zur vergleichbaren Vorschrift des § 113 HGB; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 88 Rz. 38; Mertens/Cahn in: KölnKommAktG, § 88 Rz. 25; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 88 Rz. 34. 47) Bürgers/Körber-Bürgers, AktG, § 88 Rz. 11; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 88 Rz. 7; Kort in: GroßKommAktG, § 88 Rz. 96; Hölters-Weber, AktG, § 88 Rz. 18. 48) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 88 Rz. 9. 49) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 88 Rz. 41; Hölters-Weber, AktG, § 88 Rz. 21. 50) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 88 Rz. 41; Kort in: GroßKomm-AktG, § 88 Rz. 102; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 88 Rz. 31; Hölters-Weber, AktG, § 88 Rz. 21. 51) K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 88 Rz. 15; Hölters-Weber, AktG, § 88 Rz. 22. 52) Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 88 Rz. 29; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 88 Rz. 15; a. A. BAG, Urt. v. 28.1.1986 – 3 AZR 449/84, AP HGB § 61 Nr. 2 = VersR 1986, 1224 – zur vergleichbaren Vorschrift des § 61 HGB; differenzierend Kort in: GroßKomm-AktG, § 88 Rz. 182.

§ 89 Kreditgewährung an Vorstandsmitglieder (1) 1Die Gesellschaft darf ihren Vorstandsmitgliedern Kredit nur auf Grund eines Beschlusses des Aufsichtsrats gewähren. 2Der Beschluß kann nur für bestimmte Kreditgeschäfte oder Arten von Kreditgeschäften und nicht für länger als drei Monate im voraus gefaßt werden. 3Er hat die Verzinsung und Rückzahlung des Kredits zu regeln. 4 Der Gewährung eines Kredits steht die Gestattung einer Entnahme gleich, die über die dem Vorstandsmitglied zustehenden Bezüge hinausgeht, namentlich auch die Gestattung der Entnahme von Vorschüssen auf Bezüge. 5Dies gilt nicht für Kredite, die ein Monatsgehalt nicht übersteigen.

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Kreditgewährung an Vorstandsmitglieder

(2) 1Die Gesellschaft darf ihren Prokuristen und zum gesamten Geschäftsbetrieb ermächtigten Handlungsbevollmächtigten Kredit nur mit Einwilligung des Aufsichtsrats gewähren. 2Eine herrschende Gesellschaft darf Kredite an gesetzliche Vertreter, Prokuristen oder zum gesamten Geschäftsbetrieb ermächtigte Handlungsbevollmächtigte eines abhängigen Unternehmens nur mit Einwilligung ihres Aufsichtsrats, eine abhängige Gesellschaft darf Kredite an gesetzliche Vertreter, Prokuristen oder zum gesamten Geschäftsbetrieb ermächtigte Handlungsbevollmächtigte des herrschenden Unternehmens nur mit Einwilligung des Aufsichtsrats des herrschenden Unternehmens gewähren. 3Absatz 1 Satz 2 bis 5 gilt sinngemäß. (3) 1Absatz 2 gilt auch für Kredite an den Ehegatten, Lebenspartner oder an ein minderjähriges Kind eines Vorstandsmitglieds, eines anderen gesetzlichen Vertreters, eines Prokuristen oder eines zum gesamten Geschäftsbetrieb ermächtigten Handlungsbevollmächtigten. 2Er gilt ferner für Kredite an einen Dritten, der für Rechnung dieser Personen oder für Rechnung eines Vorstandsmitglieds, eines anderen gesetzlichen Vertreters, eines Prokuristen oder eines zum gesamten Geschäftsbetrieb ermächtigten Handlungsbevollmächtigten handelt. (4) 1Ist ein Vorstandsmitglied, ein Prokurist oder ein zum gesamten Geschäftsbetrieb ermächtigter Handlungsbevollmächtigter zugleich gesetzlicher Vertreter oder Mitglied des Aufsichtsrats einer anderen juristischen Person oder Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft, so darf die Gesellschaft der juristischen Person oder der Personenhandelsgesellschaft Kredit nur mit Einwilligung des Aufsichtsrats gewähren; Absatz 1 Satz 2 und 3 gilt sinngemäß. 2Dies gilt nicht, wenn die juristische Person oder die Personenhandelsgesellschaft mit der Gesellschaft verbunden ist oder wenn der Kredit für die Bezahlung von Waren gewährt wird, welche die Gesellschaft der juristischen Person oder der Personenhandelsgesellschaft liefert. (5) Wird entgegen den Absätzen 1 bis 4 Kredit gewährt, so ist der Kredit ohne Rücksicht auf entgegenstehende Vereinbarungen sofort zurückzugewähren, wenn nicht der Aufsichtsrat nachträglich zustimmt. (6) Ist die Gesellschaft ein Kreditinstitut oder Finanzdienstleistungsinstitut, auf das § 15 des Gesetzes über das Kreditwesen anzuwenden ist, gelten anstelle der Absätze 1 bis 5 die Vorschriften des Gesetzes über das Kreditwesen. Literatur: Bayer/Scholz, Vertretung durch den Aufsichtsrat nach § 112 AktG und Rechtsirrtümer im Kernbereich des Aktienrechts (§ 112 AktG) – Überlegungen anlässlich des BGH-Urteils vom 28.4.2015 – II ZR 53/14, ZIP 2015, 1853; Deilmann, Kreditgewährung an VorstandsAktionäre, AG 2006, 62; Fleischer, Aktienrechtliche Zweifelsfragen der Kreditgewährung an Vorstandsmitglieder, WM 2004, 1057; Kuhlmann, Die Einwilligung des Aufsichtsrats bei Darlehen und Vorschüssen an Prokuristen einer Aktiengesellschaft, AG 2009, 109; Meincke/Hingst, Der Kreditbegriff im deutschen Recht – de lege lata und de lege ferenda, WM 2011, 633.

Übersicht I. Regelungsgegenstand und Regelungszweck ................................ 1 II. Kreditbegriff ...................................... 3 III. Relevante Kreditnehmer .................. 6 1. Vorstandsmitglieder (§ 89 Abs. 1 Satz 1) ................................................. 6 2. Prokuristen und Generalhandlungsbevollmächtigte (§ 89 Abs. 2) .... 8

3. Nahe Angehörige und Strohmänner (§ 89 Abs. 3) ....................... 4. Gesellschaften bei personeller Verflechtung (§ 89 Abs. 4) .............. IV. Beschlussfassung des Aufsichtsrats ........................................... 1. Kreditgewährung an Vorstandsmitglieder (§ 89 Abs. 1 Satz 2) ........

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10 11 14 14

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§ 89

Kreditgewährung an Vorstandsmitglieder

2. Kreditgewährung an leitende Angestellte und nahestehende Personen ........................................... 17 V. Durchführung der Kreditgewährung ........................................... 18 I.

VI. Rechtsfolgen bei Verstößen (§ 89 Abs. 5) ..................................... 19 VII. Organkredite (§ 89 Abs. 6) ........... 22

Regelungsgegenstand und Regelungszweck

1 § 89 regelt die Kreditvergabe der AG an Vorstandsmitglieder, bestimmte leitende Angestellte und ihnen nahestehende Personen. Zum Zwecke der Transparenz und zur Prävention von Missbrauch und verdeckter Selbstbegünstigung ist danach eine Gewährung von entsprechenden Krediten nur mit Zustimmung des Aufsichtsrats durch Beschluss möglich.1) Der DCGK greift diesen Gedanken in Ziff. 3.9 auf, enthält aber keine darüber hinausgehende Empfehlung.2) 2 Da eine satzungsmäßige Erleichterung der in § 89 festgesetzten Anforderungen den Schutz der AG und ihrer Aktionäre untergraben würde, ist eine entsprechende Regel nichtig.3) Möglich sind allerdings Satzungsbestimmungen, die den Schutz erhöhen, indem sie die Kreditgewährung erschweren oder ausschließen.4) II.

Kreditbegriff

3 Der Schutzzweck des § 89 erfordert eine weite Auslegung des Kreditbegriffs nach einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise, die über den Begriff des BGB (§§ 488, 607 BGB) hinausgeht.5) Umfasst sind daher etwa Geld- und Warenkredite, Darlehen, Wechsel- und Kontokorrentkredite, Bürgschaften, ungewöhnliche Stundungen und Bereitstellungen von Sicherheiten für die Kreditvergabe durch Dritte.6) Die Gestattung einer Entnahme steht der Gewährung eines Kredits gleich, § 89 Abs. 1 Satz 4. Eine Entnahme ist insbesondere die vorfällige Inanspruchnahme von Leistungen, die dem Vorstandsmitglied geschuldet werden, wie Gehalt, Provisionen oder Boni.7) Nicht unter den Kreditbegriff fallen ferner die Vorverlegung der Fälligkeit von Ansprüchen gegen die Gesellschaft und die Entnahme für künftige Auslagen (Reisekostenvorschuss).8) Ob der Kredit der Gesellschaft einen Vorteil bringt oder einem Drittvergleich standhält, ist unerheblich.9) Nicht erst die Gewährung, sondern bereits die Zusage des Kredits steht dabei unter dem Vorbehalt der Einwilligung des Aufsichtsrates.10) _____________ 1) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 89 Rz. 1; Kort in: GroßKomm-AktG, § 89 Rz. 1 f. 2) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 89 Rz. 3; Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder-Kremer, DCGK, Rz. 693. 3) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 89 Rz. 2; Kort in: GroßKomm-AktG, § 89 Rz. 148; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 89 Rz. 3; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 89 Rz. 5. 4) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 89 Rz. 2; Kort in: GroßKomm-AktG, § 89 Rz. 148; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 89 Rz. 5. 5) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 89 Rz. 2; Kort in: GroßKomm-AktG, § 89 Rz. 19; Meincke/Hingst, WM 2011, 633, 634; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 4 Rz. 100. 6) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 89 Rz. 2; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 89 Rz. 4; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 4 Rz. 99. 7) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 89 Rz. 2; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 89 Rz. 15. 8) OLG Stuttgart, Urt. v. 28.7.2004 – 20 U 5/04, OLGR Stuttgart 2004, 548 = ZIP 2004, 2004; Spindler/ Stilz-Fleischer, AktG, § 89 Rz. 7; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 89 Rz. 13; K. Schmidt/LutterSeibt, AktG, § 89 Rz. 4; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 4 Rz. 99. 9) Spindler in: MünchKomm-AktG, § 89 Rz. 9; Hölters-Weber, AktG, § 89 Rz. 4. 10) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 89 Rz. 6; Fleischer, WM 2004, 1057, 1064; Kort in: GroßKomm-AktG, § 89 Rz. 21.

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Kreditgewährung an Vorstandsmitglieder

§ 89

Kleinkredite, die ein Monatsgehalt nicht übersteigen, sind gemäß § 89 Abs. 1 Satz 5 nicht 4 dem Genehmigungsvorbehalt des Aufsichtsrats unterworfen. Diese Ausnahme gilt nach § 89 Abs. 2 Satz 3, Abs. 3 Satz 1 allerdings nur für den in § 89 Abs. 1 – 3 genannten Personenkreis, nicht hingegen für die in § 89 Abs. 4 aufgeführten Konstellationen.11) Ein Monatsgehalt berechnet sich nach dem Bruttojahresgehalt (vor Steuern und Sozialversicherung) einschließlich garantierter Boni und Sachleistungen.12) Bei der maßgeblichen Kreditgröße werden mehrere in einem Geschäftsjahr gewährte Kredite zusammengerechnet.13) Ziff. 3.9 DCGK macht zwar anders als § 89 Abs. 1 Satz 5 keine Ausnahme für Kleinkredite; 5 i. R. einer Comply-or-Explain-Erklärung nach § 161 müssen diese trotzdem nicht erwähnt werden, da die Klausel den Gesetzeswortlaut verknappt umschreibt und keinen empfehlenden Charakter hat (siehe Rz. 1).14) III.

Relevante Kreditnehmer

1.

Vorstandsmitglieder (§ 89 Abs. 1 Satz 1)

§ 89 Abs. 1 Satz 1 erfasst alle amtierenden Vorstandsmitglieder, also auch Stellvertreter 6 (§ 94), gerichtlich bestellte Vorstandsmitglieder (§ 85) und entsandte Aufsichtsratsmitglieder (§ 105 Abs. 2). Außerdem erfasst sind Abwickler (§ 268 Abs. 2) sowie persönlich haftende Gesellschafter einer KGaA (§ 283 Nr. 5). Vorstandsaktionäre, also Vorstandsmitglieder, die zugleich Aktionäre der Gesellschaft 7 sind, unterliegen nicht zusätzlich den Schranken des § 57, da § 89 insoweit eine Spezialregelung enthält.15) Kreditgewährungen unter Beachtung des § 89 müssen deshalb nicht nach § 62 zurückgezahlt werden, auch wenn das gebundene Vermögen der Gesellschaft betroffen ist.16) Der Aufsichtsrat muss allerdings ermessensfehlerfrei handeln; dazu gehört ggf. seine Zustimmung unter den Vorbehalt der Bestellung einer Sicherheit zu stellen.17) 2.

Prokuristen und Generalhandlungsbevollmächtigte (§ 89 Abs. 2)

Der Einwilligungsvorbehalt gilt nach § 89 Abs. 2 Satz 1 auch für Kredite an Prokuristen 8 (§§ 48 ff. HGB) und Generalhandlungsbevollmächtigte (§ 54 Abs. 1 Alt. 1 HGB). Auch Generalbevollmächtigte, deren Befugnisse über die eines Prokuristen oder Generalhandlungsbevollmächtigten hinausgehen, fallen in den Anwendungsbereich der Norm,18) nicht jedoch sonstige leitende Angestellte.19) Gemäß § 89 Abs. 2 Satz 2 muss der Aufsichtsrat der herrschenden AG im Konzern der 9 Kreditvergabe an gesetzliche Vertreter und leitende Angestellte (Prokurist, Generalhandlungsbevollmächtigter oder Generalbevollmächtigter; siehe Rz. 17) eines abhängigen Unternehmens sowie der Kreditvergabe durch das beherrschte Unternehmen zustimmen. Besteht aufgrund der Rechtsform der Gesellschaft kein Aufsichtsrat, so muss in letztgenanntem

_____________ 11) 12) 13) 14) 15) 16) 17) 18) 19)

Kort in: GroßKomm-AktG, § 89 Rz. 57. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 89 Rz. 3; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 4 Rz. 99. Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 89 Rz. 8; Hölters-Weber, AktG, § 89 Rz. 5. Kort in: GroßKomm-AktG, § 89 Rz. 69a; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 89 Rz. 7. Deilmann, AG 2006, 62, 64 f.; Grigoleit-Schwennicke, AktG, § 89 Rz. 6; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 89 Rz 15; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 4 Rz. 104. Deilmann, AG 2006, 62, 65. Deilmann, AG 2006, 62, 65. K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 89 Rz. 10; Hölters-Weber, AktG, § 89 Rz. 10. Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 89 Rz. 17; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 89 Rz. 5.

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§ 89

Kreditgewährung an Vorstandsmitglieder

Fall der entsprechende Funktionsträger des herrschenden Unternehmens über die Kreditvergabe beschließen.20) 3.

Nahe Angehörige und Strohmänner (§ 89 Abs. 3)

10 Um einen effektiven Umgehungsschutz zu gewährleisten, erstreckt § 89 Abs. 3 Satz 1 das Zustimmungserforderniss auch auf Ehegatten, Lebenspartner (§ 1 LPartG) und minderjährige Kinder der gesetzlichen Vertreter und leitenden Angestellten.21) § 89 Abs. 3 Satz 2 erfasst die Kreditvergabe an den mittelbaren Stellvertreter (Strohmann), der für Rechnung einer in § 89 Abs. 2 oder Abs. 3 Satz 1 genannten Person handelt. 4.

Gesellschaften bei personeller Verflechtung (§ 89 Abs. 4)

11 Wenn der gesetzliche Vertreter oder das Aufsichtsratsmitglied einer kreditnehmenden juristische Person (vor allem AG oder GmbH) oder der Gesellschafter einer kreditnehmenden Personengesellschaft (OHG, KG, unternehmerisch tätige GbR)22) gleichzeitig Vorstandsmitglied oder leitender Angestellter der kreditgewährenden AG ist, bedarf nach § 89 Abs. 4 Satz 1 auch die Kreditvergabe an diese juristische Person oder Personengesellschaft der Einwilligung des Aufsichtsrats. Die Kreditvergabe an eine Gesellschaft ist analog auch dann unter das Einwilligungserfordernis gestellt, wenn das Vorstandsmitglied oder der leitende Angestellte der kreditgewährenden AG zugleich eine Tätigkeit in einem Beirat der kreditnehmenden Gesellschaft, der aufsichtsratstypische Aufgaben wahrnimmt, innehat.23) In Kombination mit § 89 Abs. 3 werden zudem Fälle erfasst, in denen nahestehende Personen oder Strohmänner als gesetzliche Vertreter, Aufsichtsratsmitglieder oder Gesellschafter beim Kreditnehmer fungieren.24) 12 Zweck der Vorschrift ist der Schutz vor Umgehung des Einwilligungsvorbehalts durch Zwischenschaltung einer anderen Gesellschaft. Außerdem soll durch Vermeidung einer Vergabe des Kredits zu unangemessenen Konditionen aufgrund von Beeinflussung eines Vorstandsmitglieds der kreditgewährenden AG das Vermögen der kreditgewährenden AG geschützt werden.25) 13 § 89 Abs. 4 Satz 2 nimmt Kredite an verbundene Unternehmen (§ 15) sowie Kredite für die Bezahlung von Waren (nicht Dienstleistungs- und Finanzierungskredite)26) aus dem Anwendungsbereich des Einwilligungsvorbehalts aus, um eine übermäßige Behinderung des gewöhnlichen Geschäftsverkehrs zu vermeiden.27) IV.

Beschlussfassung des Aufsichtsrats

1.

Kreditgewährung an Vorstandsmitglieder (§ 89 Abs. 1 Satz 2)

14 Gemäß § 112 ist der Aufsichtsrat zuständig, die Gesellschaft gegenüber Vorstandsmitgliedern zu vertreten. § 89 Abs. 1 Satz 1 greift die Zuständigkeitszuweisung auf und ergänzt sie _____________ 20) 21) 22) 23)

24) 25) 26) 27)

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Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 89 Rz. 18; Hüffer/Koch-Koch, AktG,§ 89 Rz. 5. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 89 Rz. 6. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 89 Rz. 7. LG Bochum, Urt. v. 27.6.1989 – 12 O 133/88, ZIP 1989, 1557, 1563; Hüffer/Koch-Koch, AktG § 89 Rz. 7; distanziert Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 89 Rz. 10; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 89 Rz. 14. Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 89 Rz. 21; Hölters-Weber, AktG, § 89 Rz. 14. Begr. RegE in: Kropff, AktG, S. 114; Hölters-Weber, AktG, § 89 Rz. 14. Begr. RegE in: Kropff, AktG, S. 115; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 89 Rz. 14; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 89 Rz. 33; Hölters-Weber, AktG, § 89 Rz. 15. Begr. RegE in: Kropff, AktG, S. 115; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 89 Rz. 7.

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Kreditgewährung an Vorstandsmitglieder

§ 89

um das Formerfordernis eines formellen Aufsichtsratsbeschlusses i. S. des § 108.28) Der Aufsichtsrat kann daher der Kreditvergabe nicht konkludent zustimmen.29) Die Beschlussfassung kann aber durch einen Ausschuss erfolgen, dem die Aufgabe gemäß § 107 Abs. 3 übertragen wurde.30) Eine Delegation der Entscheidung auf nur ein einzelnes Aufsichtsratsmitglied hingegen erscheint aufgrund des Kollektivprinzips31) bedenklich.32) Da Kredite nur „auf Grund“ eines Beschlusses gewährt werden können, ist grundsätzlich eine vorherige Zustimmung des Aufsichtsrates i. S. des § 183 BGB erforderlich. Die Rechtsfolgen einer nachträglichen Genehmigung regelt § 89 Abs. 5.33) Zum Gegenstand der Beschlussfassung ist zu beachten, dass der Aufsichtsrat gemäß § 89 15 Abs. 1 Satz 2, Satz 3 jeweils nur bestimmten Kreditgeschäften zustimmen kann, sodass das jeweilige Kreditgeschäft in seinen wesentlichen Zügen (Grund, Höhe, Verzinsung, Rückzahlung, Sicherheiten) festgelegt sein muss.34) Der Kredit muss außerdem ein Kündigungsrecht für die Gesellschaft vorsehen.35) Fehlt ein solches, steht der AG dennoch ein außerordentliches Kündigungsrecht zu, sobald die Bestellung des Vorstandsmitglieds oder dessen Dienstvertrag beendet wird.36) Der Aufsichtsratsbeschluss darf nach § 89 Abs. 1 Satz 2 maximal drei Monate vor der tat- 16 sächlichen Kreditgewährung gefasst werden, um Risiken in Bezug auf Kreditwürdigkeit des Vorstands und finanzielle Lage der Gesellschaft zu beschränken.37) 2.

Kreditgewährung an leitende Angestellte und nahestehende Personen

Bei Kreditgeschäften mit leitenden Angestellten und nahestehenden Personen i. S. von § 89 17 Abs. 2 – 4 wird die Gesellschaft zwar grundsätzlich nicht vom Aufsichtsrat, sondern vom Vorstand vertreten, §§ 78, 112. Allerdings muss der Aufsichtsrat dennoch gemäß § 89 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3, Abs. 4 Satz 1 seine Einwilligung erteilen. Die Anforderungen an den Beschluss entsprechen gemäß § 89 Abs. 2 Satz 3, Abs. 3, Abs. 4 Satz 1 Halbs. 2 den Voraussetzungen für die Zustimmung zu einer Kreditgewährung an Vorstandsmitglieder (siehe Rz. 14 f.). V.

Durchführung der Kreditgewährung

Für die Auszahlung des Kredits ist der Vorstand zuständig, der keine weitere Erlaubnis 18 des Aufsichtsrates braucht.38) Die Kreditgewährung muss drei Monate nach Beschlussfassung durch den Aufsichtsrat erfolgen (siehe Rz. 16 m. w. N.). Bei der Kündigung des Kredits wird die AG durch ihren Aufsichtsrat vertreten, § 112.39) _____________ 28) Zum Verhältnis von § 112 und § 89 – Bayer/Scholz, ZIP 2015, 1853, 1856 f. 29) Begr. RegE in: Kropff, AktG, S. 114; Kort in: GroßKomm-AktG, § 89 Rz. 4; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 4 Rz. 102. 30) BGH, Urt. v. 27.5.1991 – II ZR 87/90, ZIP 1991, 869 = WM 1991, 1258; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 89 Rz. 4; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 4 Rz. 102. 31) Beschlussfassung im Aufsichtsrat erfordert in der Regel drei Mitglieder, BGH, Urt. v. 23.10.1975 – II ZR 90/73, BGHZ 65, 190, 192 f. = NJW 1976, 145; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 32 Rz. 36: Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 107 Rz. 21. 32) Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 89 Rz. 17; a. A. Kuhlmann, AG 2009, 109, 111 f. 33) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 89 Rz. 4; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 4 Rz. 102. 34) K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 89 Rz. 7; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 4 Rz. 102. 35) K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 89 Rz. 7; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 89 Rz. 42. 36) Seyfarth, Vorstandsrecht, § 4 Rz. 102. 37) Fleischer, WM 2004, 1057, 1066; Kuhlmann, AG 2009, 109, 110 f.; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 89 Rz. 43; a. A. Kort in: GroßKomm-AktG, § 89 Rz. 42; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 89 Rz. 18; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 4 Rz. 102. 38) Seyfarth, Vorstandsrecht, § 4 Rz. 102. 39) Seyfarth, Vorstandsrecht, § 4 Rz. 102; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 89 Rz. 46.

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§ 90 VI.

Berichte an den Aufsichtsrat Rechtsfolgen bei Verstößen (§ 89 Abs. 5)

19 Bei einem Verstoß gegen die Kompetenzzuweisung an den Aufsichtsrat (§ 112) ist das Kreditgeschäft nach § 134 BGB nichtig und nach Bereicherungsrecht rückabzuwickeln.40) 20 Sonstige Verstöße gegen die Vorgaben des § 89 führen gemäß § 89 Abs. 5 nicht zur Nichtigkeit des Geschäfts, sondern lediglich dazu, dass der Kredit – ohne Rücksicht auf entgegenstehende Vereinbarungen – sofort zurückzugewähren ist.41) Bei diesem Rückgewähranspruch handelt es sich um eine Ausprägung des vertraglichen Anspruchs, die dessen Fälligkeit vorverlagert,42) so dass die für den Kredit bestellten Sicherheiten auch für den Anspruch aus Absatz 5 haften.43) Ist der Kredit noch nicht ausgezahlt, so kann die Gesellschaft die Leistung verweigern.44) Ein Aufrechnungsverbot besteht dagegen nicht.45) Die Rückzahlungspflicht entfällt, sobald der Aufsichtsrat die Kreditgewährung genehmigt, § 89 Abs. 5 Halbs. 2. 21 Bei ermessensfehlerhafter und damit pflichtwidriger Kreditvergabe ist eine Schadensersatzpflicht des Aufsichtsrats denkbar.46) Bei Nichtbeachtung der Vorschriften des § 89 kann auch der Vorstand der AG sich schadensersatzpflichtig machen, § 93 Abs. 3 Nr. 8. Aufgrund § 93 Abs. 4 Satz 2 und Satz 3 entfallen etwaige Schadensersatzansprüche auch nicht bei Genehmigung des Geschäfts durch den Aufsichtsrat.47) VII. Organkredite (§ 89 Abs. 6) 22 Gemäß § 89 Abs. 6 findet § 89 keine Anwendung, wenn die kreditgewährende AG ein Kredit- oder Finanzdienstleistungsinstitut i. S. der §§ 1, 2 KWG ist, so dass § 15 KWG Anwendung findet. Nur im Falle von § 2 Abs. 4, 5, 7 oder 8 KWG verbleibt es somit bei der Anwendbarkeit des § 89.48) _____________ 40) Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 89 Rz. 22; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 89 Rz. 15; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 4 Rz. 103; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 21 Rz. 135; a. A.: Spindler/StilzFleischer, AktG, § 89 Rz. 23; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 89 Rz. 8. 41) Fleischer, WM 2004, 1057, 1067; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 89 Rz. 8; Mertens/Cahn in: KölnKommAktG, § 89 Rz. 22; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 89 Rz. 15; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 4 Rz. 103. 42) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 89 Rz. 24; Kort in: GroßKomm-AktG, § 89 Rz. 137. 43) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 89 Rz. 8; Kort in: GroßKomm-AktG, § 89 Rz. 137. 44) Fleischer, WM 2004, 1057, 1067; Kort in: GroßKomm-AktG, § 89 Rz. 135; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 4 Rz. 104. 45) BGH, Urt. v. 27.5.1991 – II ZR 87/90, ZIP 1991, 869, 870 = AG 1991, 398, 399; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 89 Rz. 8. 46) Deilmann, AG 2006, 62, 65. 47) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 89 Rz. 8; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 4 Rz. 104. 48) Begr. RegE z. Begleitgesetz zum Gesetz zur Umsetzung von EG-Richtlinien zur Harmonisierung bankund wertpapieraufsichtsrechtlicher Vorschriften, BT-Drucks. 13/7143, S. 33; § 2 Abs. 5 KWG ist inzwischen aufgehoben.

§ 90 Berichte an den Aufsichtsrat (1) 1Der Vorstand hat dem Aufsichtsrat zu berichten über 1. die beabsichtigte Geschäftspolitik und andere grundsätzliche Fragen der Unternehmensplanung (insbesondere die Finanz-, Investitions- und Personalplanung), wobei auf Abweichungen der tatsächlichen Entwicklung von früher berichteten Zielen unter Angabe von Gründen einzugehen ist; 2. die Rentabilität der Gesellschaft, insbesondere die Rentabilität des Eigenkapitals;

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§ 90 VI.

Berichte an den Aufsichtsrat Rechtsfolgen bei Verstößen (§ 89 Abs. 5)

19 Bei einem Verstoß gegen die Kompetenzzuweisung an den Aufsichtsrat (§ 112) ist das Kreditgeschäft nach § 134 BGB nichtig und nach Bereicherungsrecht rückabzuwickeln.40) 20 Sonstige Verstöße gegen die Vorgaben des § 89 führen gemäß § 89 Abs. 5 nicht zur Nichtigkeit des Geschäfts, sondern lediglich dazu, dass der Kredit – ohne Rücksicht auf entgegenstehende Vereinbarungen – sofort zurückzugewähren ist.41) Bei diesem Rückgewähranspruch handelt es sich um eine Ausprägung des vertraglichen Anspruchs, die dessen Fälligkeit vorverlagert,42) so dass die für den Kredit bestellten Sicherheiten auch für den Anspruch aus Absatz 5 haften.43) Ist der Kredit noch nicht ausgezahlt, so kann die Gesellschaft die Leistung verweigern.44) Ein Aufrechnungsverbot besteht dagegen nicht.45) Die Rückzahlungspflicht entfällt, sobald der Aufsichtsrat die Kreditgewährung genehmigt, § 89 Abs. 5 Halbs. 2. 21 Bei ermessensfehlerhafter und damit pflichtwidriger Kreditvergabe ist eine Schadensersatzpflicht des Aufsichtsrats denkbar.46) Bei Nichtbeachtung der Vorschriften des § 89 kann auch der Vorstand der AG sich schadensersatzpflichtig machen, § 93 Abs. 3 Nr. 8. Aufgrund § 93 Abs. 4 Satz 2 und Satz 3 entfallen etwaige Schadensersatzansprüche auch nicht bei Genehmigung des Geschäfts durch den Aufsichtsrat.47) VII. Organkredite (§ 89 Abs. 6) 22 Gemäß § 89 Abs. 6 findet § 89 keine Anwendung, wenn die kreditgewährende AG ein Kredit- oder Finanzdienstleistungsinstitut i. S. der §§ 1, 2 KWG ist, so dass § 15 KWG Anwendung findet. Nur im Falle von § 2 Abs. 4, 5, 7 oder 8 KWG verbleibt es somit bei der Anwendbarkeit des § 89.48) _____________ 40) Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 89 Rz. 22; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 89 Rz. 15; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 4 Rz. 103; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 21 Rz. 135; a. A.: Spindler/StilzFleischer, AktG, § 89 Rz. 23; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 89 Rz. 8. 41) Fleischer, WM 2004, 1057, 1067; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 89 Rz. 8; Mertens/Cahn in: KölnKommAktG, § 89 Rz. 22; K. Schmidt/Lutter-Seibt, AktG, § 89 Rz. 15; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 4 Rz. 103. 42) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 89 Rz. 24; Kort in: GroßKomm-AktG, § 89 Rz. 137. 43) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 89 Rz. 8; Kort in: GroßKomm-AktG, § 89 Rz. 137. 44) Fleischer, WM 2004, 1057, 1067; Kort in: GroßKomm-AktG, § 89 Rz. 135; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 4 Rz. 104. 45) BGH, Urt. v. 27.5.1991 – II ZR 87/90, ZIP 1991, 869, 870 = AG 1991, 398, 399; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 89 Rz. 8. 46) Deilmann, AG 2006, 62, 65. 47) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 89 Rz. 8; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 4 Rz. 104. 48) Begr. RegE z. Begleitgesetz zum Gesetz zur Umsetzung von EG-Richtlinien zur Harmonisierung bankund wertpapieraufsichtsrechtlicher Vorschriften, BT-Drucks. 13/7143, S. 33; § 2 Abs. 5 KWG ist inzwischen aufgehoben.

§ 90 Berichte an den Aufsichtsrat (1) 1Der Vorstand hat dem Aufsichtsrat zu berichten über 1. die beabsichtigte Geschäftspolitik und andere grundsätzliche Fragen der Unternehmensplanung (insbesondere die Finanz-, Investitions- und Personalplanung), wobei auf Abweichungen der tatsächlichen Entwicklung von früher berichteten Zielen unter Angabe von Gründen einzugehen ist; 2. die Rentabilität der Gesellschaft, insbesondere die Rentabilität des Eigenkapitals;

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§ 90

Berichte an den Aufsichtsrat

3. den Gang der Geschäfte, insbesondere den Umsatz, und die Lage der Gesellschaft; 4. Geschäfte, die für die Rentabilität oder Liquidität der Gesellschaft von erheblicher Bedeutung sein können. 2

Ist die Gesellschaft Mutterunternehmen (§ 290 Abs. 1, 2 des Handelsgesetzbuchs), so hat der Bericht auch auf Tochterunternehmen und auf Gemeinschaftsunternehmen (§ 310 Abs. 1 des Handelsgesetzbuchs) einzugehen. 3Außerdem ist dem Vorsitzenden des Aufsichtsrats aus sonstigen wichtigen Anlässen zu berichten; als wichtiger Anlaß ist auch ein dem Vorstand bekanntgewordener geschäftlicher Vorgang bei einem verbundenen Unternehmen anzusehen, der auf die Lage der Gesellschaft von erheblichem Einfluß sein kann. (2) 1Die Berichte nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 bis 4 sind wie folgt zu erstatten: 1. die Berichte nach Nummer 1 mindestens einmal jährlich, wenn nicht Änderungen der Lage oder neue Fragen eine unverzügliche Berichterstattung gebieten; 2. die Berichte nach Nummer 2 in der Sitzung des Aufsichtsrats, in der über den Jahresabschluß verhandelt wird; 3. die Berichte nach Nummer 3 regelmäßig, mindestens vierteljährlich; 4. die Berichte nach Nummer 4 möglichst so rechtzeitig, daß der Aufsichtsrat vor Vornahme der Geschäfte Gelegenheit hat, zu ihnen Stellung zu nehmen. (3) 1Der Aufsichtsrat kann vom Vorstand jederzeit einen Bericht verlangen über Angelegenheiten der Gesellschaft, über ihre rechtlichen und geschäftlichen Beziehungen zu verbundenen Unternehmen sowie über geschäftliche Vorgänge bei diesen Unternehmen, die auf die Lage der Gesellschaft von erheblichem Einfluß sein können. 2Auch ein einzelnes Mitglied kann einen Bericht, jedoch nur an den Aufsichtsrat, verlangen. (4) 1Die Berichte haben den Grundsätzen einer gewissenhaften und getreuen Rechenschaft zu entsprechen. 2Sie sind möglichst rechtzeitig und, mit Ausnahme des Berichts nach Absatz 1 Satz 3, in der Regel in Textform zu erstatten. (5) 1Jedes Aufsichtsratsmitglied hat das Recht, von den Berichten Kenntnis zu nehmen. 2 Soweit die Berichte in Textform erstattet worden sind, sind sie auch jedem Aufsichtsratsmitglied auf Verlangen zu übermitteln, soweit der Aufsichtsrat nichts anderes beschlossen hat. 3Der Vorsitzende des Aufsichtsrats hat die Aufsichtsratsmitglieder über die Berichte nach Absatz 1 Satz 3 spätestens in der nächsten Aufsichtsratssitzung zu unterrichten. Literatur: Böcking/Kiehne, Zur Verantwortlichkeit des Aufsichtsrats, Der Konzern 2010, 296; Brandi, Ermittlungspflicht des Aufsichtsrates über die wirtschaftliche Situation des Unternehmens „am Vorstand vorbei“, ZIP 2000, 173; Burgard/Heimann, Respice finem – Eine Replik, NZG 2014, 1294; Burgard/Heimann, Information des Aufsichtsrats – Kommentar zu OLG Frankfurt v. 1.10.2013 – 5 U 214/12, AG 2014, 360; Cahn, Gesellschaftsinterne Informationspflichten bei Zusammenschluss und Akquisitionsvorhaben, AG 2014, 525; Elsing/Schmidt, Individuelle Informationsrechte von Aufsichtsratsmitgliedern einer Aktiengesellschaft, BB 2002, 1705; Fuchs, Prüfung und Überwachung der unterjährigen Finanzberichte durch den Aufsichtsrat, NZG 2016, 1015; Götz, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats nach dem Transparenz- und Publizitätsgesetz, NZG 2002, 599; Hüffer, Die leitungsbezogene Verantwortung des Aufsichtsrats, NZG 2007, 47; Kropff, Zur Information des Aufsichtsrats über das interne Überwachungssystem, NZG 2003, 346; Kropff, Die Unternehmensplanung im Aufsichtsrat, NZG 1998, 613; Lutter, Der Aufsichtsrat im Konzern, AG 2006, 517; Lutter, Vergleichende Corporate Governance – Die deutsche Sicht, ZGR 2001, 224; Mertens, Zur Berichtspflicht des Vorstands gegenüber dem Aufsichtsrat, AG 1980, 67; Rieger/Rothenfußer, Zusammenwirken von Vorstand und Aufsichtsrat bei wesentli-

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Berichte an den Aufsichtsrat

chen Unternehmensentscheidungen, NZG 2014, 1012; Semler, Die Unternehmensplanung einer Aktiengesellschaft: eine Betrachtung unter rechtlichen Aspekten, ZGR 1983, 1.

Übersicht I. Regelungsgegenstand und Regelungszweck ................................ 1 II. Systematik ......................................... 3 III. Berichtspflichten ohne gesonderte Aufforderung durch den Aufsichtsrat (§ 90 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2) ................................................ 4 1. Beabsichtigte Geschäftspolitik und Unternehmensplanung (§ 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. Abs. 2 Nr. 1) ...................................... 5 a) Berichtsgegenstand ...................... 5 b) Berichtsfrequenz ......................... 8 2. Rentabilität der Gesellschaft (§ 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i. V. m. Abs. 2 Nr. 2) ...................................... 9 a) Berichtsgegenstand ...................... 9 b) Berichtsfrequenz ....................... 11 3. Gang der Geschäfte (§ 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 i. V. m. Abs. 2 Nr. 3) .. 12 a) Berichtsgegenstand .................... 12 b) Berichtsfrequenz ....................... 15 I.

4. Geschäfte von erheblicher Bedeutung (§ 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 i. V. m. Abs. 2 Nr. 4) ........................ 16 a) Berichtsgegenstand .................... 16 b) Berichtsfrequenz ........................ 17 5. Berichte zu Tochter- und Gemeinschaftsunternehmen (§ 90 Abs. 1 Satz 2) ................................................ 19 6. Berichte aus sonstigen wichtigen Anlässen (§ 90 Abs. 1 Satz 3) .......... 20 IV. Anforderungsberichte (§ 90 Abs. 3) ............................................... 22 1. Berichtsgegenstand ........................... 23 2. Berichtsgläubiger und Berichtsschuldner ........................................... 25 V. Anforderungen an Form, Inhalt und Zeitpunkt der Berichte (§ 90 Abs. 4) ............................................... 28 VI. Information innerhalb des Aufsichtsrats (§ 90 Abs. 5) ............. 33 VII. Durchsetzung der Berichtspflichten/Rechtsfolgen bei Verstoß ............................................. 35

Regelungsgegenstand und Regelungszweck

1 Durch § 90 wird der Vorstand zur Berichterstattung an den Aufsichtsrat verpflichtet. Die Vorschrift ermöglicht dem Aufsichtsrat folglich die Überwachung des Vorstandes, für die er nach § 111 zuständig ist. Bezweckt wird dadurch eine präventive Kontrolle von solchen Entscheidungen, die zu langfristigen Verpflichtungen des Unternehmens führen könnten.1) 2 Aufgrund der Berührung öffentlicher Interessen hat § 90 zwingenden Charakter.2) Die Vorschrift ist jedoch nicht abschließend.3) Eine Berichtspflicht des Vorstandes besteht vielmehr stets dann, wenn die Herbeiführung eines obligatorischen oder optionalen Aufsichtsratsbeschlusses beabsichtigt ist; in diesem Fall sind Vorlageberichte zu erstatten.4) Zu beachten ist außerdem, dass es sich bei § 90 nur um einen Mindeststandard handelt, der die Etablierung weitergehender Berichtspflichten nicht ausschließt. Diese können durch den Aufsichtsrat in der Geschäftsordnung für den Vorstand sowie in einer eigenen Informationsordnung festgelegt werden.5) Dies steht auch mit der Empfehlung nach Ziff. 3.4 Abs. 3 DCGK in Einklang. _____________ 1) 2) 3) 4) 5)

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Begr. RegE z. KonTraG, BT-Drucks. 13/9712, S. 15. Hölters-Müller-Michaels, AktG, § 90 Rz. 1; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 90 Rz. 8. Kort in: GroßKomm-AktG, § 90 Rz. 170; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 90 Rz. 4. K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 90 Rz. 3. Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 90 Rz. 13; Hüffer, NZG 2007, 47, 51; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 6 Rz. 317; Lutter, ZGR 2001, 224, 232.

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§ 90

Berichte an den Aufsichtsrat II.

Systematik

§ 90 enthält in Absatz 1 zunächst eine Aufzählung von Berichtsgegenständen, für die im 3 Anschluss in Absatz 2 festgelegt wird, in welchen Zeitabständen eine entsprechende Berichterstattung jeweils stattzufinden hat. Außerdem normiert § 90 Abs. 3 ein Recht des Aufsichtsrats, eine darüber hinausgehende Berichterstattung zu verlangen. Absatz 4 der Vorschrift enthält Anforderungen für die Art und Weise der Berichterstattung. In Absatz 5 werden schließlich die Rechte der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder im Hinblick auf die Berichte festgelegt. III.

Berichtspflichten ohne gesonderte Aufforderung durch den Aufsichtsrat (§ 90 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2)

Über die in Absatz 1 genannten Angelegenheiten hat eine Berichterstattung nach der Ge- 4 setzessystematik ohne vorherige Aufforderung durch den Aufsichtsrat zu erfolgen. Neben den Berichten zur beabsichtigten Geschäftspolitik und Unternehmensplanung zählen zu dieser Fallgruppe auch die Rentabilität der AG, der Gang der Geschäfte und Geschäfte von erheblicher Bedeutung. 1.

Beabsichtigte Geschäftspolitik und Unternehmensplanung (§ 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. Abs. 2 Nr. 1)

a)

Berichtsgegenstand

Eine Berichtspflicht des Vorstandes besteht zunächst für die beabsichtigte Geschäfts- 5 politik und andere grundsätzliche Fragen der Unternehmensplanung. Die Unternehmensplanung erfasst sowohl die kurzfristige als auch die mehrjährige Planung.6) Das konkrete Verhältnis zwischen Geschäftspolitik und Unternehmensplanung ist unklar. Der Wortlaut legt nahe, dass die Unternehmensplanung der Oberbegriff und die Geschäftspolitik ein besonders wichtiger Teilbereich daraus ist.7) Unter die Geschäftspolitik fallen auch die zu ihrer Umsetzung jeweils erforderlichen Maßnahmen.8) § 90 Abs. 1 Satz 1 nennt als konkrete Gegenstände der Berichtspflicht die Finanz-, In- 6 vestitions- und Personalplanung. Dadurch soll aber weder ein Mindestumfang der Berichterstattung festgelegt werden9) noch hat die Auflistung abschließenden Charakter.10) Die Berichtspflicht erstreckt sich auf solche Maßnahmen, die der Vorstand i. R. seiner unmittelbar aus §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 Satz 1 folgenden Leitungsverantwortung ergreift.11) Maßgeblich für Inhalt und Umfang der Berichterstattung sind die Gegebenheiten des jeweiligen Unternehmens, insbesondere seine Größe, Struktur und das Geschäftsfeld.12) Inwieweit § 90 selbst eine Rechtspflicht des Vorstands zur Planung zu entnehmen ist, ist in der Literatur umstritten.13) Nach dem Wortlaut der Norm geht der Gesetzgeber davon aus, dass der Vorstand entsprechende Planungen zu unternehmen hat, da die Berichtspflicht anderenfalls ins Leere liefe. _____________ 6) K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 90 Rz. 8. 7) Kort in: GroßKomm-AktG, § 90 Rz. 23; Heidel-Oltmanns, AktR, § 90 AktG Rz. 2. 8) K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 90 Rz. 9; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 90 Rz. 18; a. A. wohl Kropff, NZG 1998, 613, 614. 9) Spindler in: MünchKomm-AktG, § 90 Rz. 18. 10) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 90 Rz. 4b; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 90 Rz. 8. 11) Ganz h. M.: Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 90 Rz. 4a; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 90 Rz. 12; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 25 Rz. 73. 12) Begr. RegE z. KonTraG, BT-Drucks. 13/9712, S. 15; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 90 Rz. 8; Hölters-Müller-Michaels, AktG, § 90 Rz. 5; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 90 Rz. 18. 13) Zum Streitstand K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 90 Rz. 12.

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§ 90

Berichte an den Aufsichtsrat

7 Der Umfang der Berichtspflicht beschränkt sich dem Wortlaut des § 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 nach auf „grundsätzliche Fragen der Unternehmensplanung“. Erforderlich ist mithin keine Information über Einzelheiten, sondern lediglich über Grundzüge.14) Insbesondere hat aber eine sog. Follow-up Berichterstattung zu erfolgen, d. h. es ist auf Abweichungen gegenüber der ursprünglichen Planung hinzuweisen, sofern über diese ebenfalls vom Vorstand berichtet worden war.15) Dies gilt nicht, wenn die Information auf andere Art und Weise, also z B. in der Presse oder auf einer Betriebsversammlung, gegeben wurde. b)

Berichtsfrequenz

8 § 90 Abs. 2 Nr. 1 sieht vor, dass eine Berichterstattung mindestens einmal jährlich zu erfolgen hat. Allerdings kann ein Bericht auch unabhängig von dieser Mindestvorgabe wegen einer Änderung der Lage oder neuer Fragen erforderlich werden. 2.

Rentabilität der Gesellschaft (§ 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i. V. m. Abs. 2 Nr. 2)

a)

Berichtsgegenstand

9 Der Vorstand hat außerdem über die Rentabilität der Gesellschaft Bericht zu erstatten. Dabei handelt es sich um einen Bericht mit einem spezifischen Zweck: Auf dieser Grundlage soll der Aufsichtsrat die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft beurteilen können, was wiederum für seine Entscheidung über den Jahresabschluss (§ 172 Satz 1) und den Gewinnverwendungsvorschlag an die Hauptversammlung (§ 124 Abs. 3 Satz 1) erforderlich ist.16) Vom Umfang her wird eine Berichterstattung auch zu den einzelnen Bereichen gefordert, d. h. eine Angabe der Zahlen allein für das gesamte Unternehmen genügt nicht.17) 10 Aus dem oben beschriebenen Zweck der Berichterstattung ergibt sich, welche Art von Angaben gemacht werden müssen. Über die konkret im Gesetz bezeichnete Rentabilität des Eigenkapitals (§ 266 Abs. 3 A. HGB) hinaus wird meist die Information über Cash Flow, Umsatzrendite, Return on Investment (ROI), Gesamtkapitalrendite und Rendite größerer Investitionen gefordert.18) Hinzu kommt bei börsennotierten Gesellschaften der Gewinn je Aktie.19) Insgesamt sollte aber der Berichtsgegenstand nicht auf einzelne Messgrößen fixiert werden. Vielmehr ist zu fordern, dass der Vorstand über die wesentlichen Messgrößen berichtet, anhand derer er auch selbst das Unternehmen führt. b)

Berichtsfrequenz

11 § 90 Abs. 2 Nr. 2 stellt für die Berichtspflicht auf die Sitzung des Aufsichtsrats ab, in der über den Jahresabschluss verhandelt wird. Daraus ergibt sich eine jährliche Berichtspflicht.20) _____________ 14) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 90 Rz. 21; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 90 Rz. 13 – mit Verweis auf geringe Bedeutung in der Praxis; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 90 Rz. 19; a. A. Grigoleit-Grigoleit/Tomasic, AktG, § 90 Rz. 16; Lutter, Information und Vertraulichkeit im AR, Rz. 46; differenziernd Semler, ZGR 1983, 1, 16 ff. 15) Götz, NZG 2002, 599, 600; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 90 Rz. 4c; Heidel-Oltmans, AktR, § 90 Rz. 6. 16) K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 90 Rz. 17; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 90 Rz. 36; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 90 Rz. 26. 17) Kort in: GroßKomm-AktG, § 90 Rz. 49; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 90 Rz. 18; Semler, Leitung und Überwachung der AG, Rz. 151. 18) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 90 Rz. 25; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 90 Rz. 5; K. Schmidt/LutterKrieger/Sailer-Coceani, AktG, § 90 Rz. 17; Hölters-Müller-Michaels, AktG, § 90 Rz. 7; Semler/ v. Schenck-v. Schenk, ArbHdb. AR, § 1 Rz. 135 f.; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 25 Rz. 76. 19) Kort in: GroßKomm-AktG, § 90 Rz. 48; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 6 Rz. 204; Fleischer-Pentz, Hdb. VorstandsR, § 16 Rz. 68. 20) Spindler in: MünchKomm-AktG, § 90 Rz. 27.

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§ 90

Berichte an den Aufsichtsrat 3.

Gang der Geschäfte (§ 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 i. V. m. Abs. 2 Nr. 3)

a)

Berichtsgegenstand

Die Berichterstattung über den Gang der Geschäfte umfasst einen Überblick über den 12 Stand der operativen Tätigkeiten des Unternehmens, wozu insbesondere Informationen zu Umsatz, Auftragssituation, Marktentwicklung, Finanz- und Ertragslage sowie Liquidität gehören.21) Welche Informationen konkret erforderlich sind, um dem Aufsichtsrat die Gesamtsituation des Unternehmens vor Augen zu führen, hängt von den Einzelfallumständen ab.22) Inhaltlich muss der Bericht über den Gang der Geschäfte zwar nicht so detailliert sein wie 13 der jährliche Geschäftsbericht.23) Dennoch ist eine sachgerechte und aussagekräftige Berichterstattung erforderlich, was einen ausreichenden Grad der Detaillierung voraussetzt.24) Auch müssen die aktuellen Angaben mit denen des Vorjahres und den Prognosen verglichen werden.25) Ergeben sich dabei besondere Auffälligkeiten, ist eine Erklärung erforderlich. Umstritten ist, ob die Vorlage der unterjährigen Finanzberichte Bestandteil der Berichts- 14 pflicht nach § 90 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 3 ist.26) Dafür spricht, dass sich die nach dieser Vorschrift zu machenden Angaben im Wesentlichen mit den im unterjährigen Finanzbericht enthaltenen Angaben decken. Zudem sei es widersprüchlich, wenn eine Pflicht zur Vorlage an die Öffentlichkeit, aber nicht an den Aufsichtsrat bestünde. Deshalb erscheint eine Vorlage an den Aufsichtsrat vor Veröffentlichung oder jedenfalls in der nächsten Aufsichtsratssitzung nach Veröffentlichung sinnvoll.27) Auch der Kodex sieht in Ziff. 7.1.2 Satz 2 DCGK vor, dass der Vorstand die unterjährigen Finanzinformationen mit dem Aufsichtsrat oder seinem Prüfungsausschuss vor der Veröffentlichung erörtern soll. b)

Berichtsfrequenz

§ 90 Abs. 2 Nr. 3 sieht eine mindestens vierteljährliche Berichterstattung vor. Hinter- 15 grund ist die in § 110 Abs. 3 Satz 1 vorgesehene Frequenz von zwei Aufsichtsratssitzungen pro Kalenderhalbjahr.28) Allerdings ist die in § 90 Abs. 2 Nr. 3 vorgesehene Berichtsfrequenz auch dann einzuhalten, wenn der Aufsichtsrat den Vierteljahresrhythmus für seine Sitzungen nicht beachtet.29) Zudem handelt es sich dabei um eine Mindestanforderung, so dass bei entsprechendem Bedarf eine Berichterstattung auch häufiger geboten sein kann, etwa wenn es unvorhergesehen zu Entwicklungen von erheblicher Tragweite kommt oder auch wenn die Geschäfte in einer bestimmten Branche besonderen Schwankungen unterliegen.30) _____________ 21) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 90 Rz. 27; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 90 Rz. 6; Kort in: GroßKommAktG, § 90 Rz. 58; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 90 Rz. 37. 22) K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 90 Rz. 23. 23) Hölters-Müller-Michaels, AktG, § 90 Rz. 8; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 90 Rz. 28. 24) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 90 Rz. 27; Hölters-Müller-Michaels, AktG, § 90 Rz. 8. 25) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 90 Rz. 27; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 90 Rz. 21; Wiesner in: Münch Hdb. GesR, Bd. 4, § 25 Rz. 77. 26) Dafür: Böcking/Kiehne, Der Konzern 2010, 296, 300 ff.; Fuchs, NZG 2016, 1015, 1018; Fuhrmann/ Linnerz/Pohlmann-Fuchs, DCGK, Ziff. 7 Rz. 106; wohl auch Marsch-Barner/Schäfer-Nonnenmacher, Hdb. börsennotierte AG, § 57 Rz. 12; dagegen: Mock in: KölnKomm-WpHG, § 37w Rz. 134. 27) Fuchs, NZG 2016, 1015, 1018. 28) Spindler in: MünchKomm-AktG, § 90 Rz. 28. 29) K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 90 Rz. 24; Wiesner in: Münch Hdb. GesR, Bd. 4, § 25 Rz. 77. 30) K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 90 Rz. 24; Semler/v. Schenck-v. Schenck, ArbHdb. AR, § 1 Rz. 115.

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§ 90

Berichte an den Aufsichtsrat

4.

Geschäfte von erheblicher Bedeutung (§ 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 i. V. m. Abs. 2 Nr. 4)

a)

Berichtsgegenstand

16 Eine Berichtspflicht besteht außerdem noch im Hinblick auf Geschäfte, die für die Rentabilität oder Liquidität der Gesellschaft von erheblicher Bedeutung sein können. Die Grenze der „erheblichen Bedeutung“ lässt sich nicht abstrakt bestimmen; es kommt auf die Einzelfallumstände, insbesondere Größe, Gegenstand und wirtschaftliche Lage des Unternehmens sowie Risiken und Chancen des Geschäfts an.31) Die Abgrenzung erfolgt nicht anhand der Genehmigungspflicht eines Geschäfts nach § 111 Abs. 4 Satz 2.32) Entscheidend ist vielmehr, ob – positive oder negative – materielle Auswirkungen auf die Rentabilität oder Liquidität zumindest möglich sind.33) b)

Berichtsfrequenz

17 Anders als für die übrigen Berichtsgegenstände sieht § 90 Abs. 2 Nr. 4 keinen festen Turnus für die Berichterstattung vor. Diese hat vielmehr so rechtzeitig zu erfolgen, dass der Aufsichtsrat vor Vornahme des Geschäfts Gelegenheit hat, Stellung zu beziehen. Grund dafür ist, dass die Berichtspflicht stets nur anlassbezogen entsteht, wenn ein Geschäft von erheblicher Bedeutung geplant ist.34) 18 Im Einzelfall kann es geboten sein, das geplante Geschäft sofort abzuschließen. Es hat jedoch – soweit möglich – eine Information des Aufsichtsratsvorsitzenden, jedenfalls aber eine unverzügliche nachträgliche Information zu erfolgen.35) 5.

Berichte zu Tochter- und Gemeinschaftsunternehmen (§ 90 Abs. 1 Satz 2)

19 § 90 Abs. 1 Satz 2 erweitert die in § 90 Abs. 1 Satz 1 genannten Berichtsgegenstände um eine konzernweite Perspektive, da i. R. dieser Berichte auch auf Tochterunternehmen (§ 290 Abs. 1, 2 HGB) und Gemeinschaftsunternehmen (§ 310 Abs. 1 HGB) einzugehen ist. Schließlich kann sich auch aus Vorgängen in diesen Unternehmen eine wesentliche Bedeutung für das Mutterunternehmen selbst ergeben.36) Um eine vollständige Weitergabe solcher Informationen an den Aufsichtsrat zu gewährleisten, war eine Klarstellung durch § 90 Abs. 1 Satz 2 geboten.37) Die entsprechend erforderlichen Informationen hat der Vorstand „von sich aus im Rahmen des nach den gesetzlichen Bestimmungen Zulässigen, des ihm faktisch Möglichen und konkret Zumutbaren“ zu beschaffen. 6.

Berichte aus sonstigen wichtigen Anlässen (§ 90 Abs. 1 Satz 3)

20 § 90 Abs. 1 Satz 3 enthält zusätzlich eine Berichtspflicht an den Aufsichtsratsvorsitzenden aus „sonstigen wichtigen Anlässen“. Ausgehend von den bereits über § 90 Abs. 1 Satz 1 erfassten Fällen ergibt sich daraus eine Pflicht zur Information insbesondere über Ereignisse, die von außen in negativer Weise auf das Unternehmen einwirken. Das können bspw. erhebliche Betriebsstörungen, Liquiditätsprobleme in Folge einer Kreditkündigung, Gefährdung größerer Außenbestände, empfindliche behördliche Auflagen, der Verlust der Hälfte _____________ 31) Begr. RegE in: Kropff, AktG, S. 117; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 90 Rz. 28; K. Schmidt/LutterKrieger/Sailer-Coceani, AktG, § 90 Rz. 26. 32) K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 90 Rz. 26; Hölters-Müller-Michaels, AktG, § 90, Rz. 9; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 90 Rz. 29; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 25 Rz. 78. 33) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 90 Rz. 28; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 90 Rz. 7; Lutter, Information und Vertraulichkeit im AR, Rz. 61; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 90 Rz. 29. 34) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 90 Rz. 10; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 90 Rz. 38. 35) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 90 Rz. 10; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 90 Rz. 29; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 90 Rz. 38. 36) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 90 Rz. 7a. 37) Begr. RegE z. TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 14.

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§ 90

Berichte an den Aufsichtsrat

des Grundkapitals oder schwerwiegender Streit im Vorstand sein.38) Auch hier genügen nach dem Wortlaut der Norm geschäftliche Vorgänge bei einem verbundenen Unternehmen, vorausgesetzt sie können erheblichen Einfluss auf die Gesellschaft selbst haben. Bei der Entscheidung über die Erstattung eines Sonderberichts hat der Vorstand von seinem 21 pflichtgemäßen Ermessen Gebrauch zu machen. Aufgrund des Charakters als Kollegialentscheidung erfolgt ein Bericht nur bei entsprechender einheitlicher Einschätzung im Vorstand. In dieser Konstellation kann aber eine Berechtigung bzw. Verpflichtung der einzelnen Vorstandsmitglieder zur Information des Aufsichtsratsvorsitzenden über die mangelnde Konsensbildung bestehen, so dass dieser entscheiden kann, ob er einen Bericht nach § 90 Abs. 3 verlangt.39) In zeitlicher Hinsicht wird Unverzüglichkeit gemäß § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB gefordert. IV.

Anforderungsberichte (§ 90 Abs. 3)

Das Informationsrecht des Aufsichtsrats aus § 90 Abs. 3 begründet zugleich eine Pflicht, 22 davon angemessen Gebrauch zu machen. Der Aufsichtsrat kann sich nämlich aufgrund dieser ihm zustehenden Informationsmöglichkeit nicht auf eine etwaige fehlende Kenntnis bestimmter Umstände berufen.40) Vielmehr muss er selbst dafür sorgen, dass er die Informationen erhält, die er zur ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Kontrollpflicht benötigt. Unterlässt er dies, kann er gegenüber der Gesellschaft nach § 116 Satz 1 i. V. m. § 93 Abs. 2 zum Schadensersatz verpflichtet sein.41) Der Grundsatz, dass die ausreichende Informationsversorgung des Aufsichtsrats eine gemeinsame Aufgabe von Vorstand und Aufsichtsrat ist, kommt auch in Ziff. 3.4 Abs. 1 DCGK zum Ausdruck. 1.

Berichtsgegenstand

§ 90 Abs. 3 Satz 1 nennt als taugliche Berichtsgegenstände die Angelegenheiten der Ge- 23 sellschaft, ihre rechtlichen und geschäftlichen Beziehungen zu verbundenen Unternehmen (§ 15) sowie geschäftliche Vorgänge bei diesen Unternehmen, die auf die Lage der Gesellschaft von erheblichem Einfluss sein können. Auch wenn daraus zwecks Erfüllung der Überwachungsaufgabe übereinstimmend ein weites 24 Informationsrecht abgeleitet wird,42) ist dieses nicht schrankenlos. Vielmehr ist eine Verweigerung der Berichterstattung möglich. Diese kann zum einen bei konkreten Anhaltspunkten für einen Missbrauch des Informationsrechts geboten sein, z. B. wenn der Aufsichtsrat die Vertraulichkeit der Information nicht angemessen berücksichtigt und dadurch das Gesellschaftsinteresse beeinträchtigt.43) Zum anderen darf der Aufsichtsrat den Vorstand durch sein Informationsrecht nicht schikanieren.44) Darüber hinaus muss der Vorstand solche Informationen nicht erteilen, bei denen schon kein Funktions- oder Ge_____________ 38) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 90 Rz. 8; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 90 Rz. 33; Hölters-Müller-Michaels, AktG, § 90 Rz. 11; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 25 Rz. 79. 39) K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 90 Rz. 35. 40) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 90 Rz. 1; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 90 Rz. 1a. 41) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 90 Rz. 1a („Pflichtrechte“); K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG § 90 Rz. 36; Hölters-Müller-Michaels, AktG, § 90 Rz. 17. 42) Elsing/Schmidt, BB 2002, 1705, 1707; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 90 Rz. 40; K. Schmidt/LutterKrieger/Sailer-Coceani, AktG, § 90 Rz. 37; Hölters-Müller-Michaels, AktG, § 90 Rz. 14; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 1 Rz. 180; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 25 Rz. 81. 43) Begr. RegE z. TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 14; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 90 Rz. 47, 56; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 90 Rz. 12a; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 90 Rz. 45, die jedoch davon ausgehen, dass der Vorstand grds. auf die Verschwiegenheit des Aufsichtsrats vertrauen darf; Hölters-Müller-Michaels, AktG, § 90 Rz. 15. 44) Begr. RegE z. TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 14; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 90 Rz. 47, 56; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 90 Rz. 47.

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sellschaftsbezug besteht45) oder durch die er sich der Gefahr einer Strafverfolgung aussetzen würde.46) Schließlich kommt eine Informationsverweigerung auch dann in Betracht, wenn aus objektiv erheblichen Gründen die möglichst sichere Geheimhaltung bestimmter Informationen geboten ist und zugleich die Kontrollmöglichkeiten des Aufsichtsrats nur im erforderlichen Maße beschränkt werden.47) 2.

Berichtsgläubiger und Berichtsschuldner

25 Das Auskunftsverlangen des § 90 Abs. 3 Satz 1 ist durch den Gesamtaufsichtsrat – auf der Grundlage eines Mehrheitsbeschlusses (§ 108) – zu formulieren.48) Darüber hinaus sieht § 90 Abs. 3 Satz 2 ein entsprechendes Auskunftsrecht des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds vor. Auch in diesem Fall erfolgt die Berichterstattung jedoch an den Gesamtaufsichtsrat. 26 Der Aufsichtsrat wird dabei stets durch seinen Vorsitzenden vertreten. Werden ihm die entsprechenden Informationen erteilt, leitet er diese an die übrigen Mitglieder weiter.49) In der Praxis leitet der Vorstand Regelberichte den einzelnen Aufsichtsratsmitgliedern oft direkt zu. 27 Die Pflicht zur Berichterstattung trifft den Vorstand. Ausreichend für die Entstehung der Pflicht ist gemäß § 78 Abs. 2 Satz 2 analog, dass sich der Aufsichtsrat an eines der Vorstandsmitglieder wendet.50) Ein Recht des Aufsichtsrats, unmittelbar die Mitarbeiter des Unternehmens zu adressieren, gewährt § 90 Abs. 3 nicht.51) Wenn im Einzelfall eine Auskunft von Mitarbeitern erforderlich ist, so ist diese zunächst vom Vorstand einzuholen, der sie sodann an den Aufsichtsrat weiterleitet. Nur ausnahmsweise gilt etwas anderes, wenn nämlich die Einbeziehung des Vorstandes den Zweck des Informationsverlangens vereiteln würde. Das ist insbesondere der Fall, wenn der Verdacht einer groben, durch den Vorstand begangenen Pflichtverletzung im Raum steht.52) In der Praxis geht die Tendenz dahin, die Ansprechpartner zentraler Bereiche (z. B. Recht, Compliance, Interne Revision) in die Sitzungen des Prüfungsausschusses einzubeziehen und auf diese Weise eine direkte Berichterstattung zu ermöglichen.53) V.

Anforderungen an Form, Inhalt und Zeitpunkt der Berichte (§ 90 Abs. 4)

28 In § 90 Abs. 4 Satz 1 ist die allgemeine Vorgabe enthalten, dass die Berichte des Vorstands einer gewissenhaften und getreuen Rechenschaft zu entsprechen haben. Deshalb gilt für die Berichterstattung als Maßnahme der Geschäftsführung auch der allgemeine Sorgfaltsmaßstabs des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters (§ 93 Abs. 1 Satz 1).54) _____________ 45) Elsing/Schmidt, BB 2002, 1705, 1707; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 90 Rz. 48; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 90 Rz. 51. 46) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 90 Rz. 56; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, § 90 Rz. 44. 47) K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, § 90 Rz. 46; Lutter, Information und Vertraulichkeit im AR, Rz. 138 ff; Mertens, AG 1980, 67, 74; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 25 Rz. 93. 48) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 90 Rz. 11; Kort in: GroßKomm-AktG, § 90 Rz. 87. 49) Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 25 Rz. 85 f. 50) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 90 Rz. 11; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 90 Rz. 37; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 90 Rz. 36. 51) Brandi, ZIP 2000, 173, 175; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 90 Rz. 43; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 90 Rz. 11; Kort in: GroßKomm-AktG, § 90 Rz. 94; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 90 Rz. 39; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 6 Rz. 249; Lutter, AG 2006, 517, 520 f.; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 90 Rz. 38; a. A. Kropff, NZG 2003, 346, 348 f.; Leyens, Information des Aufsichtsrats, 2006, S. 182 ff. 52) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 90 Rz. 43; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 90 Rz. 11; Kort in: GroßKommAktG, § 90 Rz. 94 ff.; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 90 Rz. 39; Lutter/Krieger/ Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 6 Rz. 248. 53) Hierzu auch Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 90 Rz. 44; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 111 Rz. 569 ff. 54) K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 90 Rz. 52.

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§ 90

Berichte an den Aufsichtsrat

In inhaltlicher Hinsicht ergibt sich aus § 90 Abs. 4 Satz 1 und aufgrund des Zusammen- 29 hangs mit der Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrates, dass die Berichte wahr und vollständig sowie übersichtlich und klar gegliedert sein müssen.55) Diese Anforderung erstreckt sich auch auf Tatsachen, die zur Beurteilung einer etwaigen Schadensersatzpflicht oder sogar Strafbarkeit des Vorstandes entscheidend sind.56) Aus Transparenzgründen hat der Vorstand Wertungen in erkennbarer Weise von Fakten abzugrenzen57) sowie wesentliche Unstimmigkeiten innerhalb des Vorstands darzustellen.58) Nach § 90 Abs. 4 Satz 2 erfolgt die Berichterstattung in Textform. Dafür genügt gemäß 30 § 126b BGB auch eine einfache E-Mail sowie ein Telefax.59) Eine Ausnahme vom Formerfordernis gilt für die Berichte aus sonstigen wichtigen Anlässen nach § 90 Abs. 1 Satz 3. Entsprechend dem Grundsatz der Formfreiheit kann die Berichterstattung hier in beliebiger Form erfolgen. Die Berichte sind gemäß § 90 Abs. 4 Satz 2 möglichst rechtzeitig zu erstatten. Bei sit- 31 zungsvorbereitenden Berichten bedeutet dies, dass die Aufsichtsratsmitglieder in die Lage versetzt werden müssen, diese vor der Sitzung zu lesen. Im Übrigen hat eine Information so zu erfolgen, dass noch eine Reaktion des Aufsichtsrats möglich ist und dieser nicht vor vollendete Tatsachen gestellt wird.60) Eine Abweichung von dieser zeitlichen Vorgabe ist in Ausnahmefällen denkbar, wenn das Gesellschaftsinteresse dies gebietet, z. B. bei besonderer Eil- oder Geheimhaltungsbedürftigkeit.61) Der Vorstand soll durch diese Vorgaben zur Berichterstattung nämlich nicht bei der Leitung des Unternehmens beeinträchtigt werden, für die es u. U. einer schnellen Reaktion bedarf.62) Umstritten ist die Frage, ab welchem Zeitpunkt über geplante Zusammenschlüsse zu 32 informieren ist. Das OLG Frankfurt am Main lehnte eine mangelhafte Information des Aufsichtsrats im Hinblick auf einen geplanten Zusammenschluss als Anfechtungsgrund für den Beschluss der Hauptversammlung über die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat ab.63) Zwar habe die Unterrichtung gemäß § 90 Abs. 4 Satz 2 möglichst rechtzeitig zu erfolgen, das Gesetz nenne jedoch keine konkreten Fristen. An einem die Anfechtbarkeit begründenden eindeutigen und schweren Gesetzesverstoß soll es fehlen, solange noch keine endgültige Entscheidung getroffen worden sei und der Aufsichtsrat daher noch in einer Sitzung über die Fusion beraten und beschließen könne.64) Die Reaktionen des Schrifttums auf diese Entscheidung gehen weit auseinander.65) _____________ 55) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 90 Rz. 48; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 90 Rz. 13; K. Schmidt/LutterKrieger/Sailer-Coceani, AktG, § 90 Rz. 52; Hölters-Müller-Michaels, AktG, § 90 Rz. 19; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 25 Rz. 90. 56) K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 90 Rz. 54. 57) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 90 Rz. 13; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 90 Rz. 49. 58) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 90 Rz. 48; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 90 Rz. 53. 59) Begr. RegE z. TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 15; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 90 Rz. 13; FleischerPentz, Hdb. VorstandsR, § 16 Rz. 54. 60) Begr. RegE z. TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 15. 61) Begr. RegE z. TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 15; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 90 Rz. 51; Hüffer/ Koch-Koch, AktG, § 90 Rz. 13b; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 90 Rz. 56, 58; Hölters-Müller-Michaels, AktG, § 90 Rz. 19. 62) Begr. RegE z. TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 15. 63) OLG Frankfurt/M., Urt. v. 1.10.2013 – 5 U 214/12 (Deutsche Börse AG), NZG 2014, 1017 ff. = AG 2014, 373 ff. 64) OLG Frankfurt/M., Urt. v. 1.10.2013 – 5 U 214/12 (Deutsche Börse AG), NZG 2014, 1017, 1019 = AG 2014, 373, 374 f. 65) Burgard/Heimann, AG 2014, 360; Burgard/Heimann, NZG 2014, 1294; Cahn, AG 2014, 525; Rieger/ Rothenfußer, NZG 2014, 1012.

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§ 90 VI.

Berichte an den Aufsichtsrat Information innerhalb des Aufsichtsrats (§ 90 Abs. 5)

33 Über das Informationsrecht des Gesamtaufsichtsrats hinaus enthält § 90 in Absatz 5 auch noch Regelungen zu Rechten der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder. Nach § 90 Abs. 5 Satz 1 besteht ein Recht auf Kenntnisnahme von den Berichten. Wie sich im Umkehrschluss aus Satz 2 ergibt, bedeutet das noch nicht zugleich, dass die Berichte auch auszuhändigen sind. Eine Übermittlung hat nur auf Verlangen des Aufsichtsratsmitglieds hin zu erfolgen, sofern dem nicht ein gegenteiliger Beschluss des Aufsichtsrats entgegensteht. Von der Aushändigung des Berichts in Textform an alle oder einzelne Aufsichtsratsmitglieder kann der Aufsichtsrat bspw. aufgrund der besonderen Geheimhaltungsbedürftigkeit der Information absehen.66) Ebenso kann es entsprechend der internen Organisation des Aufsichtsrats sinnvoll sein, den Personenkreis, an den der Bericht übermittelt wird, zu beschränken, z. B. auf die Mitglieder eines bestimmten Ausschusses.67) Das Recht auf Kenntnisnahme nach § 90 Abs. 5 Satz 1 unterliegt hingegen keinen Einschränkungen. Dies gilt jedoch nicht für Vorlageberichte, die auf einer anderen Grundlage als § 90 beruhen.68) 34 § 90 Abs. 5 Satz 3 sieht schließlich für Sonderberichte nach § 90 Abs. 1 Satz 3 vor, dass die Aufsichtsratsmitglieder spätestens in der nächsten Aufsichtsratssitzung zu informieren sind. VII. Durchsetzung der Berichtspflichten/Rechtsfolgen bei Verstoß 35 Die Berichtspflichten gewähren den jeweils Berechtigten klagbare Ansprüche. Dabei handelt es sich grundsätzlich um Ansprüche der Gesellschaft, die durch den Aufsichtsrat (§ 112) gegen die Vorstandsmitglieder (in notwendiger Streitgenossenschaft) geltend gemacht werden.69) Eine Ausnahme stellt das Informationsrecht des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds nach § 90 Abs. 3 Satz 2 dar, welches gegenüber der Gesellschaft besteht, die wiederum durch den Vorstand vertreten wird.70) 36 Bei Verstößen gegen die Berichtspflicht durch den Vorstand ist nach allgemeinen Grundsätzen eine Beendigung des organschaftlichen Verhältnisses durch Abberufung sowie des Anstellungsvertrags durch Kündigung denkbar.71) Darüber hinaus kommen Schadensersatzansprüche nach § 93 Abs. 2 in Betracht. 37 Weiterhin kann gemäß § 407 Abs. 1 ein Ordnungsverfahren gemäß §§ 388 ff. FamFG eingeleitet werden, in dem eine Ordnungsstrafe zuerst angedroht und anschließend ggf. festgesetzt wird.72)

_____________ 66) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 90 Rz. 59; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 90 Rz. 63; Hölters-Müller-Michaels, AktG, § 90 Rz. 20. 67) K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 90 Rz. 63. 68) Ausführlich K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 90 Rz. 65. 69) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 90 Rz. 15; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 90 Rz. 59; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 25 Rz. 61; a. A. – Aufsichtsrat aktivlegitimiert – Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 90 Rz. 70; Lutter, Information und Vertraulichkeit im AR, Rz. 230 ff.; Hölters-Müller-Michaels, AktG, § 90 Rz. 22. 70) BGH, Urt. v. 28.11.1988 – II ZR 57/88, BGHZ 106, 54, 62 = ZIP 1989, 23 = AG 1989, 89; Hüffer/ Koch-Koch, AktG, § 90 Rz. 21; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 90 Rz. 71; a. A. – Klage gegen den Vorstand – LG Bonn, Urt. v. 16.10.1985 – 10 O 166/85, AG 1987, 24; Lutter, Information und Vertraulichkeit im AR, Rz. 237. 71) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 90 Rz. 66; Hölters-Müller-Michaels, AktG, § 90 Rz. 21; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 90 Rz. 48, 63; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 25 Rz. 65. 72) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 90 Rz. 15; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 90 Rz. 65.

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§ 91

Organisation. Buchführung

§ 91 Organisation. Buchführung (1) Der Vorstand hat dafür zu sorgen, daß die erforderlichen Handelsbücher geführt werden. (2) Der Vorstand hat geeignete Maßnahmen zu treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden. Literatur: Berg, Korruption in Unternehmen und Risikomanagement nach § 91 Abs. 2 AktG, AG 2007, 271; Bicker, Compliance – organisatorische Umsetzung im Konzern, AG 2012, 542; Bihr/Kalinowsky, Risikofrüherkennungssysteme bei nicht börsennotierten Aktiengesellschaften – Haftungsfalle für Vorstand, Aufsichtsrat und Wirtschaftsprüfer, DStR 2008, 620; Blasche, Die Mindestanforderungen an ein Risikofrüherkennungs- und Überwachungssystem nach § 91 Abs. 2 AktG, CCZ 2009, 62; Bunting, Das Früherkennungssystem des § 91 Abs. 2 AktG in der Prüfungspraxis – eine kritische Betrachtung des IDW PS 340, ZIP 2012, 357; Eggemann/Konradt, Risikomanagement aus dem Blickwinkel des Wirtschaftsprüfers, BB 2000, 503; Fleischer, Aktienrechtliche Compliance-Pflichten im Praxistest: Das Siemens/Neubürger-Urteil des LG München, NZG 2014, 321; Gernoth, Die Überwachungspflichten des Aufsichtsrats im Hinblick auf das Risiko-Management, DStR 2001, 299; Götz, Das Risikofrüherkennungssystem des § 91 II AktG in rechtlicher Sicht, NJW-Sonderheft für H. Weber 2001, S. 21; Helmrich, Zur Strafbarkeit bei fehlenden oder unzureichenden Risikomanagementsystemen in Unternehmen am Beispiel der AG, NZG 2011, 1252; Hoffmann-Becking, Zur rechtlichen Organisation der Zusammenarbeit im Vorstand der AG, ZGR 1998, 497; Hommelhoff/Mattheus, Risikomanagementsystem im Entwurf des BilMoG als Funktionselement der Corporate Governance, BB 2007, 2787; Huth, Grundsätze ordnungsmäßiger Risikoüberwachung, BB 2007, 2167; Kießling/Kießling, Kontrolle durch Interne Revision in Kreditinstituten, WM 2003, 513; Kless, Beherrschung der Unternehmensrisiken: Aufgaben und Prozesse eines Risikomanagements, DStR 1998, 93; Kremer/ Klahold, Compliance-Programme in Industriekonzernen, ZGR 2010, 113; Lutter, Konzernphilosophie vs. konzernweite Compliance und konzernweites Risikomanagement, in: Festschrift für Wulf Goette, 2011, S. 289; Preußner/Becker, Ausgestaltung von Risikomanagementsystemen durch die Geschäftsleitung, NZG 2002, 846; Schmidbauer, Risikomanagement im Kontext wertorientierter Unternehmensführung – zugleich Erwiderung zu Pollanz, DB 2000, 153; Schneider, U./Schneider, S., Vorstandshaftung im Konzern, AG 2005, 57; Schnorr, Geschäftsleiterhaftung für fehlerhafte Buchführung, ZHR 170 (2006) 9; Schwintowski, Gesellschaftsrechtliche Anforderungen an Vorstandshaftung und Corporate Governance durch das neue System der kartellrechtlichen Legalausnahme, NZG 2005, 200; Spindler, Von der Früherkennung von Risiken zum umfassenden Risikomanagement – zum Wandel des § 91AktG unter europäischem Einfluss, in: Festschrift für Uwe Hüffer, 2010, S. 985; Spindler, Compliance in der multinationalen Bankengruppe, WM 2008, 905; Vetter, Die Änderungen 2007 des Deutschen Corporate Governance Kodex, DB 2007, 1963; Windolph, Risikomanagement und Riskcontrol durch das Unternehmensmanagement nach dem Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG), ius cogens für die treuhänderische Sorge i. S. von § 266 StGB – Untreue?, NStZ 2000, 522.

Übersicht I. Regelungsgegenstand und Regelungszweck ................................ 1 II. Buchführungspflicht (§ 91 Abs. 1) ................................................. 2 1. Adressat der Buchführungspflicht .... 2

2. Gegenstand der Buchführungspflicht .................................................. 3 3. Beginn und Ende der Buchführungspflicht ......................................... 4

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§ 91

Organisation. Buchführung

III. Früherkennung bestandsgefährdender Entwicklungen (§ 91 Abs. 2) ................................................ 1. Allgemeines ........................................ 2. Früherkennung bestandsgefährdender Entwicklungen als Organisationsziel ............................... 3. Konzernweites Früherkennungssystem ................................................. I.

5 5

6 9

4. Geeignete Maßnahmen, insbesondere Einrichtung eines Überwachungssystems .............................. 10 a) Geeignete Maßnahmen .............. 10 b) Überwachungssystem ................ 11 IV. Rechtsfolgen bei Pflichtenverstoß .................................................... 14 1. Zivilrechtliche Haftung .................... 14 2. Strafrechtliche Folgen ...................... 15

Regelungsgegenstand und Regelungszweck

1 Durch § 91 werden zwei zentrale Vorstandspflichten, die sich aus der in § 76 normierten Leitungsaufgabe ergeben, konkretisiert: die Buchführungspflicht des § 91 Abs. 1 und die Pflicht des § 91 Abs. 2 zur Sicherung des Fortbestandes der AG. Im Einklang mit dem Grundsatz der Gesamtverantwortung sind beide Pflichten an den Vorstand als Kollegialorgan gerichtet.1) II.

Buchführungspflicht (§ 91 Abs. 1)

1.

Adressat der Buchführungspflicht

2 Die AG trifft aufgrund ihrer (Form-)Kaufmannseigenschaft nach §§ 238 Abs. 1 HGB i. V. m. § 6 Abs. 1 HGB, § 3 Abs. 1 AktG die Pflicht, Bücher zu führen und darin sowohl ihre Handelsgeschäfte als auch die Lage ihres Vermögens nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung ersichtlich zu machen. Bereits nach allgemeinen Grundsätzen ist der Vorstand das für die Erfüllung dieser Pflicht zuständige Gesellschaftsorgan. Durch § 91 Abs. 1 werden diese Aufgabenzuweisung sowie die Gesamtverantwortung aller Vorstandsmitglieder noch einmal hervorgehoben.2) Zwar wird dadurch die Möglichkeit einer Ressortzuweisung innerhalb des Vorstands nicht insgesamt ausgeschlossen,3) es werden aber aufgrund der Bedeutung der Buchführungspflicht besondere Anforderungen an die Erfüllung der Überwachungspflicht durch die übrigen Vorstandsmitglieder begründet.4) Auch eine Delegation der technischen Durchführung auf Angestellte der Gesellschaft oder externe Dritte bleibt dem Vorstand unbenommen, bewirkt aber wiederum eine Umwandlung der Buchführungspflicht in eine entsprechende Organisations-, Auswahlund Überwachungspflicht (siehe oben § 76 Rz. 22).5) 2.

Gegenstand der Buchführungspflicht

3 Wie die Buchführungspflicht im Einzelnen zu erfüllen ist, ergibt sich aus den entsprechenden handelsrechtlichen Vorschriften der §§ 238 ff. HGB (allgemeine Vorschriften für Kaufleute) i. V. m. §§ 264 ff. HGB (zusätzliche Vorschriften für Kapitalgesellschaften) und ergänzend aus den speziellen aktienrechtlichen Regelungen der §§ 150 ff.6) Dabei hat der Vorstand neben der Verpflichtung, den Jahresabschluss durch sämtliche (auch stellvertretende, § 94) _____________ 1) 2) 3) 4) 5) 6)

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LG Berlin, Urt. v. 3.7.2002 – 2 O 358/01, BKR 2002, 969 = AG 2002, 682; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 91 Rz. 1; Hölters-Müller-Michaels, AktG, § 91 Rz. 1. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 91 Rz. 2; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 91 Rz. 3. Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 91 Rz. 11; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 91 Rz. 7. K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 91 Rz. 3; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 91 Rz. 15; Hölters-Müller-Michaels, AktG, § 91 Rz. 2. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 91 Rz. 3; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 91 Rz. 4; Hölters-Müller-Michaels, AktG, § 91 Rz. 2. Vgl. auch K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, Vor § 150 Rz. 1 ff.

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§ 91

Organisation. Buchführung

Vorstandsmitglieder gemäß § 245 Satz 1 HGB7) zu unterzeichnen auch eine Aufbewahrungspflicht gemäß §§ 238 Abs. 2, 257 ff. HGB8). Letztere kann in elektronischer Form erfüllt werden, mit Ausnahme der Eröffnungsbilanzen und Abschlüsse, § 257 Abs. 3. Für Gesellschaften mit besonderem Geschäftsgegenstand bestehen darüber hinaus Sonderregelungen, so z. B. nach §§ 340 bis 340o HGB für Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute sowie nach §§ 341 bis 341o HGB für Versicherungsunternehmen und Pensionsfonds. 3.

Beginn und Ende der Buchführungspflicht

Die Pflicht zur Buchführung entsteht mit dem ersten buchungspflichtigen Geschäftsvor- 4 fall, d. h. mit dem Entstehen der Einlageforderungen, unabhängig davon, ob bereits eine Eintragung der Gesellschaft erfolgt ist oder ob diese sich noch im Stadium der Vor-AG befindet.9) Für das Erlöschen der Pflicht kommt es hingegen auf die Löschung der Gesellschaft an, nicht auf ihre Auflösung.10) Dabei geht die Buchführungspflicht während Insolvenz bzw. Abwicklung auf den Insolvenzverwalter (§ 155 Abs. 1 Satz 2 InsO) bzw. den Abwickler (§ 268 Abs. 2) über.11) III.

Früherkennung bestandsgefährdender Entwicklungen (§ 91 Abs. 2)

1.

Allgemeines

In § 91 Abs. 2 ist die Pflicht des Vorstands, bestandsgefährdende Entwicklungen frühzei- 5 tig zu erkennen und die dafür notwendigen Maßnahmen, insbesondere die Einrichtung eines Überwachungssystems, zu ergreifen, ausdrücklich normiert. Dadurch wird die Leitungsverantwortung des Vorstands aus §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 hervorgehoben und konkretisiert.12) Ob der Vorstand ein geeignetes und funktionsfähiges Überwachungssystem eingerichtet hat, muss bei börsennotierten Gesellschaften durch den Abschlussprüfer gemäß § 317 Abs. 4 HGB beurteilt werden.13) 2.

Früherkennung bestandsgefährdender Entwicklungen als Organisationsziel

Zweck des § 91 Abs. 2 ist die Feststellung unternehmensbezogener nachteiliger Prozesse 6 im Gegensatz zu statischen Risikozuständen.14) Dazu zählen ausweislich der Gesetzesbegründung insbesondere risikobehaftete Geschäfte (z. B. im Derivatehandel), Unrichtigkeiten der Rechnungslegung und Verstöße gegen gesetzliche Vorschriften.15) Bedrohliche Prozesse sollen so rechtzeitig erkannt werden, dass der Bestandsgefährdung durch geeignete Maßnahmen noch entgegen getreten werden kann.16) _____________ 7) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 91 Rz. 3; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 91 Rz. 5; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 91 Rz. 7. 8) Kort in: GroßKomm-AktG, § 91 Rz. 8; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 91 Rz. 11. 9) Kort in: GroßKomm-AktG, § 91 Rz. 5; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 91 Rz. 5; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 91 Rz. 6. 10) K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 91 Rz. 5; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 91 Rz. 6; a. A. Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 91 Rz. 19; Kort in: GroßKomm-AktG, § 91 Rz. 5 – Abschluss der Liquidation. 11) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 91 Rz. 19; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 91 Rz. 5; Hölters-Müller-Michaels, AktG, § 91 Rz. 3. 12) Begr. RegE z. KonTraG, BT-Drucks. 13/9712, S. 15; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 91 Rz. 29; HöltersMüller-Michaels, AktG, § 91 Rz. 4. 13) Baumbach/Hopt-Hopt/Merkt, HGB, § 317 Rz. 12; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 91 Rz. 6. 14) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 91 Rz. 31; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 91 Rz. 8; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 91 Rz. 20. 15) Begr. RegE z. KonTraG, BT-Drucks. 13/9712, S. 15. 16) Begr. RegE z. KonTraG, BT-Drucks. 13/9712, S. 15; Blasche, CCZ 2009, 62, 63; Spindler in: MünchKommAktG, § 91 Rz. 23.

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Organisation. Buchführung

7 Eine Bestandsgefährdung geht von solchen Vorgängen aus, die die Vermögens-, Finanzund Ertragslage der Gesellschaft dergestalt betreffen können, dass sie ein Insolvenzrisiko hervorrufen oder vertiefen.17) Eine bloße dauerhafte Gefährdung der Unternehmensrentabilität begründet keine Bestandsgefährdung in diesem Sinne.18) 8 Der Vorstand darf die jeweiligen Entwicklungen nicht isoliert betrachten, sondern hat diese in den Gesamtzusammenhang einzuordnen.19) Zum Teil ergibt sich nämlich erst daraus, d. h. in Kombination mit anderen Umständen, eine Bestandsgefährdung. Erforderlich ist daher, dass der Vorstand einen Gesamtüberblick hat und auf dieser Basis in der Lage ist, zu beurteilen, mit welcher Wahrscheinlichkeit welche Szenarien eintreten können. 3.

Konzernweites Früherkennungssystem

9 Inwieweit die Pflicht des § 91 Abs. 2 konzernbezogen ist, ist umstritten. Ausweislich der Regierungsbegründung ist die Überwachungs- und Organisationspflicht bei Mutterunternehmen i. S. des § 290 HGB „im Rahmen der bestehenden gesellschaftsrechtlichen Möglichkeiten konzernweit zu verstehen, sofern von Tochtergesellschaften den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen ausgehen können.“20) Teilweise wird daraus eine Pflicht zur Etablierung eines konzernweiten Überwachungssystems durch das Mutterunternehmen abgeleitet.21) Richtigerweise ist wohl allein entscheidend, ob die Muttergesellschaft in ihrem Bestand gefährdet ist. Durch welche Art von Entwicklungen diese Gefährdung eintritt und worin diese ihren Ursprung nehmen, ist dabei irrelevant. Daher hat die Früherkennung insoweit einen Konzernbezug, als dass sie auch Prozesse mit Ursprung in den Tochtergesellschaften einbezieht.22) Zur Durchsetzung hat der Vorstand alle jeweils zur Verfügung stehenden Einflussmöglichkeiten zu nutzen, d. h. im Vertragskonzern und gegenüber einer eingegliederten Gesellschaft insbesondere das Weisungsrecht gemäß § 308 Abs. 1 Satz 1 bzw. § 323 Abs. 1 Satz 1.23) Hingegen ist die Muttergesellschaft nicht dazu verpflichtet, auf die Erkennung von Bestandsgefährdungen für die Tochtergesellschaften selbst hinzuwirken.24) 4.

Geeignete Maßnahmen, insbesondere Einrichtung eines Überwachungssystems

a)

Geeignete Maßnahmen

10 Die Erfüllung der Pflicht des § 91 Abs. 2 erfordert die Ergreifung von Maßnahmen, die geeignet sind, ein wirkungsvolles Risikofrüherkennungssystem zu etablieren. Die Geeignetheit einer Maßnahme setzt voraus, dass sie nach der Erfahrung eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters für die rechtzeitige Versorgung des Vorstands mit den _____________ 17) Bürgers/Körber-Bürgers, AktG, § 91 Rz. 9; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 91 Rz. 32; nun auch Hüffer/ Koch-Koch, AktG, § 91 Rz. 6. 18) Kort in: GroßKomm-AktG, § 91 Rz. 37; so aber Lange/Wall-Zimmer/Sonneborn, Risikomanagement nach dem KonTraG, 2001, § 1 Rz. 182. 19) K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 91 Rz. 9; Götz, NJW-Sonderheft für H. Weber, 2001, S. 21, 22. 20) Begr. RegE z. KonTraG, BT-Drucks. 13/9712, S. 15. 21) Ballwieser in: Hommelhoff/Hopt/v. Werder, Hdb. Corporate Governance, S. 453; Preußner/Becker, NZG 2002, 846, 847; differenzierend U. Schneider/S. Schneider, AG 2005, 57, 58 f. 22) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 91 Rz. 41; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 91 Rz. 10; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 91 Rz. 18; Hölters-Müller-Michaels, AktG, § 91 Rz. 8; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 91 Rz. 75. 23) K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 91 Rz. 10; Hölters-Müller-Michaels, AktG, § 91 Rz. 8; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 91 Rz. 75; ebenso zum Compliance-System und Risiko-Management Lutter in: FS Goette, S. 289, 293 f. 24) K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 91 Rz. 10.

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Organisation. Buchführung

erforderlichen Informationen sorgt.25) Bezüglich der Beurteilung der Geeignetheit von Maßnahmen im Einzelfall steht dem Vorstand ein unternehmerisches Ermessen zu, bei dessen Ausübung er die relevanten Umstände (z. B. Größe, Branche, Struktur und Kapitalmarktzugang des Unternehmens) in seine Entscheidung einzubeziehen hat.26) b)

Überwachungssystem

Zu beachten ist die Bedeutung des im Gesetz eigenständig aufgeführten Überwachungs- 11 systems. Dabei handelt es sich um ein Kontrollinstrument für die zur Risikoerkennung eingeleiteten Maßnahmen, nicht hingegen um eine solche Maßnahme selbst.27) Hinsichtlich der Ausgestaltung des Überwachungssystems gilt wieder der Grundsatz des weiten Vorstandsermessens. Zentral gesteuerte Controlling- und Revisionsfunktionen werden jedoch ab einer bestimmten Unternehmensgröße als erforderliches Minimum angesehen.28) Wesentliche Elemente sind darüber hinaus eine klar bestimmte Überwachungszuständigkeit sowie eine detaillierte Berichterstattung und Dokumentation.29) Vor allem in der betriebswirtschaftlichen Literatur30) wird aus § 91 Abs. 2 vielfach die 12 Pflicht zur Einrichtung eines umfassenden Risikomanagementsystems abgeleitet. Ein solches umfasst zusätzliche Elemente, die an die Risiko(früh)erkennung anknüpfen und über diese hinausführen (z. B. die Risikosteuerung).31) In eine ähnliche Richtung geht der vom Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) erstellte Prüfungsstandard IDW PS 340, der die Vorgaben zur Prüfung der vom Vorstand nach § 91 Abs. 2 ergriffenen Maßnahmen festlegt. In der juristischen Fachliteratur wird dies jedoch zu Recht als zu weitgehend abgelehnt. Auch hier ist vielmehr das Ermessen des Vorstands zu berücksichtigen.32) Allerdings ergeben sich aus der allgemeinen Pflicht, Bestand und Ertragskraft des Unternehmens zu sichern, Anforderungen an den Umgang mit identifizierten Risiken (wie etwa deren Beobachtung und die Prüfung, wie den Risiken begegnet werden kann), die Elementen umfassender Risikomanagementsysteme entsprechen. Auch die Pflicht, durch Einrichtung eines Compliance-Systems dafür zu sorgen, dass 13 Unternehmensangehörige gesetzliche Bestimmungen sowie unternehmensinterne Richtlinien einhalten, folgt nicht aus § 91 Abs. 2, sondern aus §§ 76, 93 Abs. 1.33) _____________ 25) Baums, Geschäftsleitervertrag, 1987, S. 218, 262 ff.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 91 Rz. 7; K. Schmidt/ Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 91 Rz. 12. 26) Begr. RegE z. KonTraG, BT-Drucks. 13/9712, S. 15; Huth, BB 2007, 2167; Kießling/Kießling, WM 2003, 513, 521; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 91 Rz. 7; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 91 Rz. 12; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 91 Rz. 28; Spindler in: FS Hüffer, S. 985, 993 f. 27) K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 91 Rz. 13; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 91 Rz. 29; a. A. Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 91 Rz. 26. 28) Marsch-Barner/Schäfer-Arnold, Hdb börsennotierte AG, § 19 Rz. 19; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 91 Rz. 36; Grigoleit-Grigoleit/Tomasic, AktG, § 91 Rz. 8. 29) Vgl. LG München I, Urt. v. 5.4.2007 – 5 HK O 15964/06, ZIP 2007, 1951 = NZG 2008, 319; Bürgers/Körber-Bürgers, AktG, § 91 Rz. 11; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 91 Rz. 36; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 91 Rz. 29. 30) Gernoth, DStR 2001, 299 ff.; Hommelhoff/Mattheus, BB 2007, 2787 ff.; Preußner/Becker, NZG 2002, 846 ff.; Schmidbauer, DB 2000, 153 ff.; Spindler, WM 2008, 905, 906 f. 31) Eggemann/Konradt, BB 2000, 503 ff.; Hommelhoff/Mattheus, BB 2007, 2787, 2789; Kless, DStR 1998, 93, 95; Heidel-Oltmanns, AktR, § 91 AktG Rz. 8; Preußner/Becker, NZG 2002, 846, 848. 32) Bunting, ZIP 2012, 357, 358 f.; Hoffmann-Becking, ZGR 1998, 497, 513; Kort in: GroßKomm-AktG, § 91 Rz. 50 ff.; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 91 Rz. 14; Spindler in: MünchKommAktG, § 91 Rz. 29. 33) Umstritten, offengelassen von LG München I, Urteil v. 10.12.2013 – 5 HKO 1387/10, ZIP 2014, 570 = AG 2014, 332, dazu EWiR 2014, 175 (Hahn); wie hier: Bicker, AG 2012, 542, 543; Spindler/StilzFleischer, AktG, § 91 Rz. 47; Fleischer, NZG 2014, 321, 322; Kremer/Klahold, ZGR 2010, 113, 119 f.; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 91 Rz. 37; Vetter, DB 2007, 1963, 1964; a. A. Berg, AG 2007, 271, 274 ff.; Schwintowski, NZG 2005, 200, 201 f.

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§ 92

Vorstandspflichten bei Verlust, Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit

IV.

Rechtsfolgen bei Pflichtenverstoß

1.

Zivilrechtliche Haftung

14 Eine Verletzung der Pflichten des § 91 begründet nach § 93 Abs. 2 Satz 1 einen gesamtschuldnerischen Schadensersatzanspruch der Gesellschaft, der sich gegen die jeweiligen Vorstandsmitglieder richtet. Dritte können aus einem solchen Verstoß mangels Schutzgesetzcharakter von § 91 Abs. 1 und Abs. 2 hingegen keine Ansprüche auf Basis des § 823 Abs. 2 BGB geltend machen.34) 2.

Strafrechtliche Folgen

15 Bei Verstoß gegen die Buchführungspflichten ist darüber hinaus eine Strafbarkeit des Vorstands denkbar. In Betracht kommen §§ 283 Abs. 1 Nr. 5 – 7, Abs. 2 StGB (Bankrott), § 283a StGB (Besonders schwerer Fall des Bankrotts) oder § 283b Abs. 1 Nr. 1 – 3 StGB (Verletzung der Buchführungspflicht). 16 Auch ein Verstoß gegen die Pflicht des § 91 Abs. 2 kann strafrechtliche Folgen haben. Kommt es dadurch zu einem Vermögensschaden der Gesellschaft, kann die Untreuestrafbarkeit nach § 266 StGB eingreifen.35) _____________ 34) Kort in: GroßKomm-AktG, § 91 Rz. 186; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 91 Rz. 20; a. A. für die Buchführungspflicht Schnorr, ZHR 170 (2006) 9, 14 ff. 35) Bihr/Kalinowsky, DStR 2008, 620, 625; Helmrich, NZG 2011, 1252, 1253 f.; Hölters-Müller-Michaels, AktG, § 91 Rz. 11; Windolph, NStZ 2000, 522, 524.

§ 92 Vorstandspflichten bei Verlust, Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit (1) Ergibt sich bei Aufstellung der Jahresbilanz oder einer Zwischenbilanz oder ist bei pflichtmäßigem Ermessen anzunehmen, daß ein Verlust in Höhe der Hälfte des Grundkapitals besteht, so hat der Vorstand unverzüglich die Hauptversammlung einzuberufen und ihr dies anzuzeigen. (2) 1Nachdem die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft eingetreten ist oder sich ihre Überschuldung ergeben hat, darf der Vorstand keine Zahlungen leisten. 2Dies gilt nicht von Zahlungen, die auch nach diesem Zeitpunkt mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind. 3Die gleiche Verpflichtung trifft den Vorstand für Zahlungen an Aktionäre, soweit diese zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen mussten, es sei denn, dies war auch bei Beachtung der in § 93 Abs. 1 Satz 1 bezeichneten Sorgfalt nicht erkennbar. Literatur: Altmeppen, Haftungsrisiken für Organwalter im Vorfeld der Konzerninsolvenz, ZIP 2013, 801; Altmeppen, Insolvenzverschleppungshaftung Stand 2001, ZIP 2001, 2201; Bittmann, Strafrechtliche Folgen des MoMiG, NStZ 2009, 113; Bork, Zum Beginn des Zahlungsverbots gem. § 92 II 1 AktG, NZG 2009, 775; Brand, Insolvenzverursachungshaftung bei aufsteigenden Kreditsicherheiten, NZG 2012, 1374; Gehrlein, Der aktuelle Stand des neuen GmbH-Rechts, Der Konzern 2007, 771; Greulich/Bunnemann, Geschäftsführerhaftung für zur Zahlungsunfähigkeit führende Zahlungen an die Gesellschafter nach § 64 II 3 GmbHG-RefE – Solvenztest im deutschen Recht?, NZG 2006, 681; Greulich/Rau, Zur partiellen Insolvenzverursachungshaftung des GmbH-Geschäftsführers nach § 64 Satz 3 GmbHG-RegE, NZG 2008, 284; Haas, Gewährt die Haftungsnorm in § 64 Satz 3 GmbHG ein Leistungsverweigerungsrecht?, DStR

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Vorstandspflichten bei Verlust, Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit

IV.

Rechtsfolgen bei Pflichtenverstoß

1.

Zivilrechtliche Haftung

14 Eine Verletzung der Pflichten des § 91 begründet nach § 93 Abs. 2 Satz 1 einen gesamtschuldnerischen Schadensersatzanspruch der Gesellschaft, der sich gegen die jeweiligen Vorstandsmitglieder richtet. Dritte können aus einem solchen Verstoß mangels Schutzgesetzcharakter von § 91 Abs. 1 und Abs. 2 hingegen keine Ansprüche auf Basis des § 823 Abs. 2 BGB geltend machen.34) 2.

Strafrechtliche Folgen

15 Bei Verstoß gegen die Buchführungspflichten ist darüber hinaus eine Strafbarkeit des Vorstands denkbar. In Betracht kommen §§ 283 Abs. 1 Nr. 5 – 7, Abs. 2 StGB (Bankrott), § 283a StGB (Besonders schwerer Fall des Bankrotts) oder § 283b Abs. 1 Nr. 1 – 3 StGB (Verletzung der Buchführungspflicht). 16 Auch ein Verstoß gegen die Pflicht des § 91 Abs. 2 kann strafrechtliche Folgen haben. Kommt es dadurch zu einem Vermögensschaden der Gesellschaft, kann die Untreuestrafbarkeit nach § 266 StGB eingreifen.35) _____________ 34) Kort in: GroßKomm-AktG, § 91 Rz. 186; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 91 Rz. 20; a. A. für die Buchführungspflicht Schnorr, ZHR 170 (2006) 9, 14 ff. 35) Bihr/Kalinowsky, DStR 2008, 620, 625; Helmrich, NZG 2011, 1252, 1253 f.; Hölters-Müller-Michaels, AktG, § 91 Rz. 11; Windolph, NStZ 2000, 522, 524.

§ 92 Vorstandspflichten bei Verlust, Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit (1) Ergibt sich bei Aufstellung der Jahresbilanz oder einer Zwischenbilanz oder ist bei pflichtmäßigem Ermessen anzunehmen, daß ein Verlust in Höhe der Hälfte des Grundkapitals besteht, so hat der Vorstand unverzüglich die Hauptversammlung einzuberufen und ihr dies anzuzeigen. (2) 1Nachdem die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft eingetreten ist oder sich ihre Überschuldung ergeben hat, darf der Vorstand keine Zahlungen leisten. 2Dies gilt nicht von Zahlungen, die auch nach diesem Zeitpunkt mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind. 3Die gleiche Verpflichtung trifft den Vorstand für Zahlungen an Aktionäre, soweit diese zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen mussten, es sei denn, dies war auch bei Beachtung der in § 93 Abs. 1 Satz 1 bezeichneten Sorgfalt nicht erkennbar. Literatur: Altmeppen, Haftungsrisiken für Organwalter im Vorfeld der Konzerninsolvenz, ZIP 2013, 801; Altmeppen, Insolvenzverschleppungshaftung Stand 2001, ZIP 2001, 2201; Bittmann, Strafrechtliche Folgen des MoMiG, NStZ 2009, 113; Bork, Zum Beginn des Zahlungsverbots gem. § 92 II 1 AktG, NZG 2009, 775; Brand, Insolvenzverursachungshaftung bei aufsteigenden Kreditsicherheiten, NZG 2012, 1374; Gehrlein, Der aktuelle Stand des neuen GmbH-Rechts, Der Konzern 2007, 771; Greulich/Bunnemann, Geschäftsführerhaftung für zur Zahlungsunfähigkeit führende Zahlungen an die Gesellschafter nach § 64 II 3 GmbHG-RefE – Solvenztest im deutschen Recht?, NZG 2006, 681; Greulich/Rau, Zur partiellen Insolvenzverursachungshaftung des GmbH-Geschäftsführers nach § 64 Satz 3 GmbHG-RegE, NZG 2008, 284; Haas, Gewährt die Haftungsnorm in § 64 Satz 3 GmbHG ein Leistungsverweigerungsrecht?, DStR

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Vorstandspflichten bei Verlust, Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit

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2010, 1991; Hirte, Die „Große GmbH-Reform“ – Ein Überblick über das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG), NZG 2008, 761; Knapp, Auswirkungen des MoMiG auf Aktiengesellschaften und ihre Organmitglieder, DStR 2008, 2371; Knof, Die neue Insolvenzverursachungshaftung nach § 64 Satz 3 RegE-GmbHG (Teil I), DStR 2007, 1536 und (Teil II), DStR 2007, 1580; Knolle/Lojowsky, Gesellschafterdarlehen und Zahlungsunfähigkeit, NZI 2013, 171; Kropff, Nettoausweis des gezeichneten Kapitals und Kapitalschutz, ZIP 2009, 1137; Meyer, Die Verantwortlichkeit des Geschäftsführers für Gläubigerinteressen – Veränderungen durch das MoMiG; BB 2008, 1742; Müller, W., Der Verlust der Hälfte des Grund- oder Stammkapitals – Überlegungen zu den §§ 92 Abs. 1 AktG und 49 Abs. 3 GmbHG, ZGR 1985, 191; Niesert/Hohler, Die Haftung des Geschäftsführers für die Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen und ähnliche Leistungen – Zugleich ein Beitrag zur Auslegung des § 64 Satz 3 GmbHG, NZI 2009, 345; Nolting-Hauff/Greulich, Was von der Insolvenzverursachungshaftung des Geschäftsführers nach § 64 Satz 3 GmbHG bleibt, GmbHR 2013, 169; Plagemann, Beseitigung des Verlusts gem. § 92 I AktG vor Durchführung der Hauptversammlung, NZG 2014, 207; Reuter, „Krisenrecht“ im Vorfeld der Insolvenz – das Beispiel der börsennotierten AG, BB 2003, 1797; Schmidt, K., Übermäßige Geschäftsführerrisiken aus § 64 Abs. 2 GmbHG, § 130a Abs. 3 HGB? Eine Kritik der Praxis zu den Zahlungsverboten bei Insolvenz einer GmbH oder GmbH & Co. KG, ZIP 2005, 2177; Schmidt, K., Verbotene Zahlungen in der Krise von Handelsgesellschaften und die daraus resultierenden Ersatzpflichten, ZHR 168 (2004) 637; Schult, Insolvenzverursachungshaftung des Geschäftsführers: BGH schafft Klarheit, GWR 2012, 549; Strohn, Organhaftung im Vorfeld der Insolvenz, NZG 2011, 1161; Thümmel/Burkhardt, Neue Haftungsrisiken für Vorstände und Aufsichtsräte aus § 57 Abs. 1 AktG und § 92 Abs. 2 Satz 3 AktG in der Neufassung des MoMiG, AG 2009, 885; Wilhelm, Konkursantragspflicht des GmbH-Geschäftsführers und Quotenschaden, ZIP 1993, 1833.

Übersicht I. Verlustanzeigepflicht (§ 92 Abs. 1) ................................................. 1 1. Regelungsgegenstand und Regelungszweck .......................................... 1 2. Verlust i. H. der Hälfte des Grundkapitals ..................................... 3 3. Vorstandspflichten ............................. 6 4. Rechtsfolgen bei Verstoß gegen § 92 Abs. 1 ........................................ 12 II. Zahlungsverbot nach § 92 Abs. 2 Satz 1, Satz 2 ..................................... 13 1. Regelungsgegenstand und Regelungszweck ........................................ 13

2. Voraussetzungen und Ausnahmen ....................................... 3. Rechtsfolgen bei Verstoß ................ III. Zahlungsverbot nach § 92 Abs. 2 Satz 3 ................................................. 1. Regelungsgegenstand und Regelungszweck ....................................... 2. Voraussetzungen und Ausnahme .... 3. Anwendungsbereich ......................... 4. Rechtsfolge des Zahlungsverbots .... 5. Rechtsfolgen bei Verstoß gegen das Zahlungsverbot ..........................

I.

Verlustanzeigepflicht (§ 92 Abs. 1)

1.

Regelungsgegenstand und Regelungszweck

14 18 19 19 20 24 25 26

§ 92 bestimmt die Pflichten des Vorstands bei Eintritt einer Krise der Gesellschaft. § 92 1 Abs. 1 verpflichtet den Vorstand dazu, bei einem Verlust i. H. der Hälfte des Grundkapitals die Hauptversammlung einzuberufen und Verlustanzeige zu erstatten. Dadurch haben die Aktionäre die Möglichkeit, frühzeitig angemessen auf die Unternehmenskrise zu reagieren, vgl. § 118.1) Geeignete Maßnahmen sind vor allem Kapitalveränderungen (§§ 182 ff., _____________ 1)

Habersack in: GroßKomm-AktG, § 92 Rz. 2; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 92 Rz. 1; K. Schmidt/LutterKrieger/Sailer-Coceani, AktG, § 92 Rz. 1.

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§ 92

Vorstandspflichten bei Verlust, Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit

229 ff.), aber auch ein Auflösungsbeschluss (§ 262 Abs. 1 Nr. 2) ist denkbar.2) Der Informationsbedarf ist auch bei der Vor-AG zu bejahen.3) Nicht Zweck, sondern allenfalls Nebenfolge der Einberufung der Hauptversammlung ist die Publizitätswirkung.4) 2 Der Vorstand kann nicht durch Satzung oder Weisung des Aufsichtsrats von seiner Pflicht aus § 92 Abs. 1 befreit werden. Der auf die Information der Aktionäre gerichtete Schutzzweck wird hingegen nicht unterlaufen, wenn die Aktionäre auf die Erfüllung der Vorstandspflicht im konkreten Fall verzichten.5) Das wird insbesondere bei Ein-Mann-Aktiengesellschaften in Betracht kommen.6) 2.

Verlust i. H. der Hälfte des Grundkapitals

3 Die Hälfte des Grundkapitals berechnet sich nicht nach dem eingezahlten, sondern nach dem satzungsmäßigen Grundkapital.7) Nach zutreffender h. M. entsteht die Handlungspflicht, wenn das vorhandene Gesellschaftsvermögen auf die Hälfte des Grundkapitals reduziert ist, unabhängig davon, ob es sich um einen Einzelverlust handelt oder ob der Verlust aus fortlaufenden, sich kumulierenden Verlusten entsteht.8) Die gegenteilige Auffassung, nach der bereits ein einmaliger Jahresfehlbetrag i. S. von § 266 Abs. 3 A. HGB i. H. der Hälfte des Grundkapitals ausreicht, so dass Gewinn- und Kapitalrücklagen unberücksichtigt bleiben,9) steht bereits im Widerspruch zum Wortlaut des § 92. Dieser spricht von einem „Verlust“ und gerade nicht von einem „Jahresfehlbetrag“ (rein bilanzielle Betrachtungsweise).10) Auch das Telos der Norm, die Hauptversammlung zwecks einer Reaktion der Aktionäre zu informieren, spricht für die h. M., weil ein einmaliger Jahresfehlbetrag nicht zwingend Kapitalmaßnahmen nach sich zieht.11) 4 Gesellschaftsvermögen ist die Summe aus Grundkapital, Kapitalrücklage, gesetzlicher und satzungsmäßiger Rücklage, anderen Gewinnrücklagen, Bilanzgewinn (einschließlich Gewinnvortrag) sowie Eigenkapitalanteil in den Sonderposten mit Rücklagenanteil abzüglich des Bilanzverlustes (Verlust und Verlustvortrag).12) Rücklagen für eigene Anteile sind allerdings nicht in die Berechnung mit einzubeziehen.13) Eigenkapitalersetzende Aktionärsdarlehen oder Darlehen mit Rangrücktritt sind bis zum endgültigen Forderungsverzicht des jeweiligen Gläubigers als Fremdkapital zu behandeln.14) _____________ 2) 3) 4) 5)

6) 7) 8)

9) 10) 11) 12)

13) 14)

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Habersack in: GroßKomm-AktG, § 92 Rz. 2; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 92 Rz. 1. Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 92 Rz. 11. K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 92 Rz. 1. K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 92 Rz. 11; ebenso zur Parallelvorschrift im GmbHG – Roth/Altmeppen-Roth, GmbHG, § 49 Rz. 17; Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt-Römermann, GmbHG, § 49 Rz. 127; a. A. Spindler in: MünchKomm-AktG, § 92 Rz. 5. K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 92 Rz. 11. Hölters-Müller-Michaels, AktG, § 92 Rz. 4; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 18 Rz. 98. BGH, Urt. v. 9.10.1958 – II ZR 348/56, BB 1958, 1181 = WM 1958, 1416, 1417; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 92 Rz. 2; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 92 Rz. 3; Kropff, ZIP 2009, 1137, 1144 f; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 18 Rz. 98 f.; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 25 Rz. 101. Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 92 Rz. 15 ff. Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 92 Rz. 7; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 92 Rz. 2. Seyfarth, Vorstandsrecht, § 18 Rz. 99. Grigoleit-Grigoleit/Tomasic, AktG, § 92 Rz. 6; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 92 Rz. 3; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 92 Rz. 9; Müller, ZGR 1985, 191, 207; Hölters-MüllerMichaels, AktG, § 92 Rz. 4. K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 92 Rz. 3; a. A. Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 92 Rz. 9. K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 92 Rz. 3; Müller, ZGR 1985, 191, 207 f.

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Vorstandspflichten bei Verlust, Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit

§ 92

Nach dem Wortlaut des § 92 Abs. 1 erfolgt die Ermittlung des Verlustes auf Grundlage 5 der für die Jahresbilanz geltenden handelsrechtlichen Ansatz- und Bewertungsregeln (§§ 252 ff. HGB).15) Nach § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB sind bei der Bewertung der Vermögensgegenstände der Gesellschaft daher grundsätzlich going-concern-Werte anzusetzen (Fortführungswerte).16) Liquidationswerte sind hingegen maßgebend bei einer negativen Fortführungsprognose.17) Bei der Auflösung stiller Reserven sind ebenfalls die Regeln über den Jahresabschluss anzuwenden.18) 3.

Vorstandspflichten

Da § 92 Abs. 1 auf das „pflichtgemäße Ermessen“ abstellt, muss der Vorstand nicht nur 6 bei Aufstellung der Jahres- oder Zwischenbilanz eine Krisensituation zur Anzeige bringen, sondern er ist fortlaufend dazu verpflichtet, die Vermögens- und Finanzlage zu prüfen („Pflicht zur selbstständigen wirtschaftlichen Selbstprüfung“)19). Ist ein Verlust i. H. der Hälfte des Grundkapitals danach denkbar, hat der Vorstand eine Zwischenbilanz zu erstellen, um die nötige Gewissheit zu schaffen.20) Die Einberufung der Hauptversammlung beschließt der Vorstand gemäß § 121 Abs. 2 7 Satz 1 mit einfacher Mehrheit. Die Pflicht zur Anzeige einer Krisensituation betrifft aber das einzelne, auch fehlerhaft bestellte, Vorstandsmitglied; das von der Krise überzeugte Mitglied muss notfalls darauf drängen, dass der Aufsichtsrat den Vorstand zur Einberufung anhält oder diese selbst vornimmt (vgl. § 111 Abs. 3).21) Liegen die Voraussetzungen des § 92 Abs. 1 vor, ist die Hauptversammlung unverzüglich 8 (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB) einzuberufen, um ihr die Krisensituation anzuzeigen.22) Eine Hinauszögerung der Einberufung, um eine für die Gesellschaft schädliche Publizitätswirkung zu vermeiden, ist nicht möglich. Das gilt nicht nur für börsennotierte Gesellschaften, wenn der eingetretene Verlust nach Art. 17 der Marktmissbrauchsverordnung23) meldepflichtig ist; vielmehr muss die Unverzüglichkeit auch im Falle einer nicht-börsennotierten Gesellschaft gewahrt werden.24) Allerdings hat der Vorstand Zeit, Gegenmaßnahmen zur Beseitigung der Krise vorzubereiten, die er den Aktionären sodann in der Hauptversammlung vorlegt; bei konkreten, erfolgversprechenden Sanierungsverhandlungen ist eine Höchst_____________ 15) Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, § 34 Rz. 1432; K. Schmidt/Lutter-Krieger/SailerCoceani, AktG, § 92 Rz. 4; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 18 Rz. 102. 16) Winkeljohann/Förschle/Deubert-Förschle/Hoffmann, Sonderbilanzen, Kap. P, Rz. 35; K. Schmidt/LutterKrieger/Sailer-Coceani, AktG, § 92 Rz. 4; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 18 Rz. 102. 17) H. M., Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 92 Rz. 8; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 92 Rz. 4; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 18 Rz. 102; einschränkend Habersack/Förster in: GroßKomm-AktG, § 92 Rz. 23. 18) Näher Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 92 Rz. 8; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 92 Rz. 4; K. Schmidt/ Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 92 Rz. 5; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 92 Rz. 9; a. A. Reuter, BB 2003, 1797, 1802. 19) Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, § 34 Rz. 1432. 20) BGH, Urt. v. 20.2.1995 – II ZR 9/94, ZIP 1995, 560, 561 = GmbHR 1995, 299 – zur GmbH; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 92 Rz. 1 – „Kardinalpflicht“; Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, § 34 Rz. 1432, 1433; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 18 Rz. 101. 21) Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 92 Rz. 29; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 92 Rz. 19; Reuter, BB 2003, 1797, 1802; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 18 Rz. 104; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 92 Rz. 17. 22) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 92 Rz. 5; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 18 Rz. 106. 23) Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 16.4.2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung), ABl. (EU) Nr. L 173/1. 24) Habersack in: GroßKomm-AktG, § 92 Rz. 28; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 92 Rz. 9; Plagemann, NZG 2014, 207; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 18 Rz. 107.

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Vorstandspflichten bei Verlust, Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit

frist von drei Wochen in Anlehnung an § 15a Abs. 1, 3 InsO angemessen.25) War der Verlust nur vorübergehend und wurde er vor Durchführung der bereits einberufenen Hauptversammlung wieder ausgeglichen, so kann die Durchführung der Hauptversammlung abgesagt werden.26) 9 Die Verlustanzeige muss als Tagesordnungspunkt bereits in der Einberufung der Hauptversammlung unmissverständlich bekannt gegeben werden.27) Eine Beschlussfassung über Sanierungsmaßnahmen kann ebenfalls in die Tagesordnung aufgenommen werden, eine dahingehende Pflicht besteht jedoch nicht.28) Es gelten die §§ 121 ff. 10 In der Insolvenz ist die Einberufung der Hauptversammlung nicht mehr erforderlich, sofern der Vorstand bereits Insolvenzantrag gestellt hat, da der Informationszweck damit bereits erfüllt ist und die Aktionäre keine Gegenmaßnahmen mehr beschließen können.29) In der Abwicklung einer Gesellschaft, die ihren Geschäftsbetrieb noch fortführt, ist eine Einberufung sinnvoll; bei bloßer Vermögensverwertung nach Einstellung des Geschäftsbetriebs hingegen ist § 92 Abs. 1 nicht mehr anzuwenden.30) 11 Der Vorstand muss den festgestellten Verlust auch dem Aufsichtsratsvorsitzenden nach § 90 Abs. 1 Satz 3 mitteilen (siehe § 90 Rz. 20).31) Außerdem muss er sich gemäß § 93 Abs. 1 um eine Sanierung bemühen. 4.

Rechtsfolgen bei Verstoß gegen § 92 Abs. 1

12 § 401 sanktioniert die Verletzung der Pflicht aus § 92 Abs. 1 als Straftat mit Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe. Die Norm richtet sich an amtierende und faktische Vorstandsmitglieder.32) Außerdem haftet das pflichtwidrig handelnde Vorstandsmitglied der Gesellschaft nach § 93 Abs. 2 auf Schadensersatz; der kausale Schadensnachweis dürfte allerdings nur schwer zu erbringen sein.33) Da die Norm die Information und den Schutz der Aktionäre bezweckt, ist § 92 Abs. 1 kein Schutzgesetz i. S. des § 823 Abs. 2 BGB zugunsten der Gläubiger.34) In Bezug auf die Aktionäre ist der Schutzgesetzcharakter der Vorschrift hingegen umstritten. Nach einer Ansicht gewährt § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 92 Abs. 1 den Aktionären einen Schadensersatzanspruch.35) Eine Qualifikation als Schutzgesetz ist nach richtiger Ansicht jedoch zu verneinen, da

_____________ 25) Habersack in: GroßKomm-AktG, § 92 Rz. 28; für die Heranziehung der Drei-Wochen-Frist als maximale Grenze nur in Einzelfällen K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 92 Rz. 9; zurückhaltend auch Plagemann, NZG 2014, 207; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 18 Rz. 108. 26) K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 92 Rz. 6; a. A. Plagemann, NZG 2014, 207; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 18 Rz. 109. 27) Seyfarth, Vorstandsrecht, § 18 Rz. 110; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 25 Rz. 104. 28) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 92 Rz. 5; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 18 Rz. 111. 29) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 92 Rz. 11; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 92 Rz. 5; K. Schmidt/LutterKrieger/Sailer-Coceani, AktG, § 92 Rz. 10; Plagemann, NZG 2014, 207. 30) Henssler/Strohn-Dauner-Lieb, GesR, § 92 AktG Rz. 8; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 92 Rz. 11; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 92 Rz. 10; Hölters-Müller-Michaels, AktG, § 92 Rz. 12. 31) Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, § 34 Rz. 1435. 32) Seyfarth, Vorstandsrecht, § 18 Rz. 114. 33) Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, § 34 Rz. 1433; K. Schmidt/Lutter-Krieger/SailerCoceani, AktG, § 92 Rz. 12. 34) BGH, Urt. v. 9.7.1979 – II ZR 211/76, NJW 1979, 1829, 1831 = WM 1979, 853; K. Schmidt/LutterKrieger/Sailer-Coceani, AktG, § 92 Rz. 12; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 18 Rz. 116. 35) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 92 Rz. 17; Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 92 Rz. 31; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 92 Rz. 20; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 25 Rz. 105.

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Vorstandspflichten bei Verlust, Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit

§ 92

§ 92 Abs. 1 die Aktionäre nicht individuell, sondern lediglich mittelbar in ihrer Gesamtheit schützen will, um die Handlungsfähigkeit der Hauptversammlung zu garantieren.36) II.

Zahlungsverbot nach § 92 Abs. 2 Satz 1, Satz 2

1.

Regelungsgegenstand und Regelungszweck

Nach Eintritt der Insolvenzreife darf der Vorstand gemäß § 92 Abs. 2 Satz 1, 2 keine 13 Zahlungen mehr vornehmen, die nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind. Dieses Verbot dient dem öffentlichen Interesse, besonders dem Interesse der Gesellschaftsgläubiger an dem Erhalt der verteilungsfähigen Insolvenzmasse und an der Gleichbehandlung bei der Verwertung des Vermögens der insolvenzreifen AG.37) Den gleichen Regelungszweck hat die Parallelvorschrift des § 64 GmbHG, dessen Grundsätze auf § 92 Abs. 2 übertragen werden können.38) 2.

Voraussetzungen und Ausnahmen

Das Zahlungsverbot greift nach Eintritt von Zahlungsunfähigkeit (§ 17 Abs. 2 InsO) oder 14 Überschuldung (§ 19 Abs. 2 InsO) der Gesellschaft. Bei bloß drohender Zahlungsunfähigkeit besteht kein entsprechendes Verbot.39) Um die Insolvenzmasse zu erhalten, ist der Zahlungsbegriff weit auszulegen.40) Erfasst 15 sind alle die Masse schmälernden Leistungen zugunsten einzelner Gläubiger, auch die Lieferung von Waren und die Erbringung von Dienstleistungen.41) Die Begründung einer Verbindlichkeit wird teilweise ebenfalls als Zahlung angesehen, da auch darin ein die Gesellschaft belastender Transfer zu sehen und nur so das Gesellschaftsvermögen ausreichend geschützt sei.42) Da die Eingehung einer Verbindlichkeit ohne unmittelbaren Mittelabfluss jedoch noch nicht zur Schmälerung der Masse führt, liegt keine verbotene Zahlung i. S. von § 92 Abs. 2 vor.43) Die Frage nach dem Zeitpunkt, ab dem das Zahlungsverbot greift, wird uneinheitlich be- 16 antwortet. Teilweise wird auf den Zeitpunkt abgestellt, ab dem die Insolvenzantragspflicht besteht, also drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit, § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO. Schließlich beginne das Auflösungsstadium erst mit Antragstellung und die Sanierungsbemühungen des Vorstands seien sonst stark beeinträchtigt.44) Diese Ansicht ist aber zum einen mit dem Gesetzeswortlaut unvereinbar.45) Zum anderen dürfen Sanierungs_____________ 36) K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 92 Rz. 12; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 92 Rz. 21; Hölters-Müller-Michaels, AktG, § 92 Rz. 28. 37) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 92 Rz. 1; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 92 Rz. 1; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 92 Rz. 23. 38) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 92 Rz. 1. 39) OLG Hamburg, Urt. v. 6.3.2015 – 11 U 222/13, ZIP 2015, 867 = NZG 2015, 756, 758; Bürgers/ Körber-Pelz, AktG, § 92 Rz. 33. 40) BGH, Urt. v. 29.11.1999 – II ZR 273/98, BGHZ 143, 184, 186 = ZIP 2000, 184 – zur GmbH, dazu EWiR 2000, 295 (Noack); Heidel-Michaels/Oltmanns, AktR, § 92 AktG Rz. 9; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 92 Rz. 26. 41) BGH, Urt. v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 194 = ZIP 1994, 1103 – zur GmbH; Hüffer/ Koch-Koch, AktG, § 92 Rz. 32; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 92 Rz. 14; Bürgers/ Körber-Pelz, AktG, § 92 Rz. 33; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 92 Rz. 26. 42) OLG Hamm, Urt. v. 15.10.1979 – 8 U 149/78, ZIP 1980, 280, 282 = KTS 1980, 274; Altmeppen, ZIP 2001, 2201, 2206 ff.; K. Schmidt, ZHR 168 (2004) 637, 667; Wilhelm, ZIP 1993, 1833, 1836. 43) BGH, Urt. v. 30.3.1998 – II ZR 146/96, BGHZ 138, 211, 216 = ZIP 1998, 776 – zur GmbH; K. Schmidt/ Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 92 Rz. 14; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 92 Rz. 26. 44) OLG Düsseldorf, Urt. v. 20.6.1985 – 6 U 78/84, ZIP 1985, 876 = AG 1985, 276, 279; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 92 Rz. 27. 45) Bork, NZG 2009, 775, 776; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 92 Rz. 15.

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Vorstandspflichten bei Verlust, Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit

maßnahmen nach wie vor ergriffen werden, wenn sie unter die Voraussetzungen des § 92 Abs. 2 Satz 2 fallen. Deshalb greift das Zahlungsverbot richtigerweise bereits ab dem Eintritt der Insolvenzreife.46) Subjektiv erforderlich ist lediglich die Erkennbarkeit des Eintritts der Insolvenzreife.47) 17 Ausgenommen vom Zahlungsverbot sind nach § 92 Abs. 2 Satz 2 Zahlungen, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind. Darunter fallen insbesondere diejenigen Leistungen, für die ein entsprechender Gegenwert in das Gesellschaftsvermögen einfließt, denn in diesem Fall bleibt die Insolvenzmasse erhalten und das Gläubigerinteresse gewahrt.48) Mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters sind außerdem Leistungen vereinbar, die innerhalb der Drei-WochenFrist des § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO zum Zwecke eines realistischen Sanierungsversuchs oder zur Erhöhung einer Sanierungschance erbracht werden, insbesondere die notwendige Begleichung von Fixkosten zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs oder von laufenden Miet-, Lohn- und Steuerzahlungen.49) Das marktübliche Entgelt für einen Sanierungsberater unterfällt der Ausnahmeregelung ebenfalls.50) Der Vorstand kann auch weiterhin Steuern an die Finanzbehörden und Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung abführen (vgl. § 266a StGB).51) Das Zahlungsverbot greift auch sonst nicht, soweit die Unterlassung der Zahlung eine Strafbarkeit oder persönliche Haftung eines Vorstandsmitglieds zur Folge hätte.52) 3.

Rechtsfolgen bei Verstoß

18 Bei einem Verstoß gegen § 92 Abs. 2 Satz 1 kann der Vorstand sich gegenüber der Gesellschaft schadensersatzpflichtig machen, § 93 Abs. 3 Nr. 6. Der BGH berechnet den Schaden aufgrund des nach Eintritt der Insolvenzreife abgeflossenen Betrags, ohne Anrechnung desjenigen Betrags, den der Gläubiger, an welchen geleistet wurde, ohnehin aus der Insolvenzmasse erhalten hätte.53) Zur Wahrung der Gesellschaftsinteressen ausreichend und daher sachgerechter wäre allerdings ein Anspruch, der sich nach der tatsächlich eingetretenen Masseschmälerung bemisst und die Insolvenzquote, die auf den gezahlten Be_____________ 46) BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 280/07, NZG 2009, 550, 551 = AG 2009, 404 = ZIP 2009, 860, dazu EWiR 2009, 493 (Kiem/Giershausen); Reuter, BB 2003, 1797, 1803; Strohn, NZG 2011, 1161, 1163. 47) BGH, Urt. v. 29.11.1999 – II ZR 273/98, BGHZ 143, 184, 185 = ZIP 2000, 184 – zur GmbH; FleischerFleischer, Hdb. VorstandsR, § 20 Rz. 58; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 92 Rz. 15; a. A. – Erfordernis positiver Kenntnis von der Insolvenzantragspflicht – OLG Düsseldorf, Urt. v. 20.6.1985 – 6 U 78/84, ZIP 1985, 876, 886 = AG 1985, 276; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 92 Rz. 27. 48) BGH, Urt. v. 18.10.2010 – II ZR 151/09, NZG 2010, 1393, 1395 = ZIP 2010, 2400, dazu EWiR 2011, 353 (Freitag); BGH, Urt. v. 31.3.2003 – II ZR 150/02, NZG 2003, 582, 583 = ZIP 2003, 1005, dazu EWiR 2003, 635 (Blöse); BGH, Urt. v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264, 275 = ZIP 2001, 235, dazu EWiR 2001, 329 (Priester); Fleischer-Fleischer, Hdb. VorstandsR, § 20 Rz. 59; K. Schmidt/ Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 92 Rz. 16. 49) OLG Celle, Urt. v. 23.12.2003 – 9 U 176/03, GmbHR 2004, 568, 569 f. = ZIP 2004, 1210 – zur GmbH, dazu EWiR 2004, 913 (Kind/Schork); Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 92 Rz. 31; K. Schmidt/LutterKrieger/Sailer-Coceani, AktG, § 92 Rz. 16; Reuter, BB 2003, 1797, 1803. 50) BGH, Beschl. v. 5.2.2007 – II ZR 51/06, NZG 2007, 678, 679 = ZIP 2007, 1501; K. Schmidt/LutterKrieger/Sailer-Coceani, AktG, § 92 Rz. 16; Strohn, NZG 2011, 1161, 1166. 51) BGH, Urt. v. 25.1.2011 – II ZR 196/09, ZIP 2011, 422, 423 = NZG 2011, 303, dazu EWiR 2011, 257 (Giedinghagen/Göb); BGH, Urt. v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265, 1266 = WM 2007, 1274, dazu EWiR 2007, 495 (Henkel/Mock); hierzu auch Altmeppen, NJW 2007, 2121 (Urteilsanm.); mit Übersicht über die Rspr. Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 92 Rz. 32. 52) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 92 Rz. 32; Podewils, ZInsO 2008, 813, 814 (Urteilsanm.); Strohn, NZG 2011, 1161, 1167. 53) BGH, Urt. v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264, 278 f. = ZIP 2001, 235 mit Anm. Altmeppen.

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Vorstandspflichten bei Verlust, Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit

§ 92

trag entfallen wäre, berücksichtigt.54) Sind die Voraussetzungen des § 93 Abs. 5 gegeben, können Gesellschaftsgläubiger den Ersatzanspruch direkt gegen den Vorstand geltend machen.55) § 92 Abs. 2 Satz 1 ist außerdem – im Gegensatz zu § 92 Abs. 1 (siehe oben Rz. 12) – ein Schutzgesetz zugunsten der Gesellschaftsgläubiger i. S. von § 823 Abs. 2 BGB.56) Der Aufsichtsrat haftet bei Überwachungsverschulden ebenfalls, §§ 116 Satz 1, 93 Abs. 3 Nr. 6, 92 Abs. 2.57) III. 1.

Zahlungsverbot nach § 92 Abs. 2 Satz 3 Regelungsgegenstand und Regelungszweck

Der durch das MoMiG eingeführte § 92 Abs. 2 Satz 3 verbietet Zahlungen an Aktionäre, 19 die vorhersehbar eine Zahlungsunfähigkeit herbeiführen („Insolvenzverursachungshaftung“)58) und verlagert damit die insolvenzbezogenen Pflichten des Vorstands (vgl. §§ 76, 93) zeitlich vor.59) Damit soll das Gesellschaftsvermögen gesichert und die Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft zum Schutz der Gläubiger gewahrt werden.60) In diesem Sinne erfasst die Norm auch Vermögensverschiebungen, die nicht dem Kapitalerhaltungsgrundsatz unterliegen und verstärkt damit den Schutz des § 57.61) 2. Voraussetzungen und Ausnahme Da die Norm dem Gläubigerschutz dient, ist der Begriff der Zahlung wie bei § 92 Abs. 2 20 Satz 1 weit zu verstehen und nicht auf reine Geldleistungen beschränkt.62) Umfasst sind auch Leistungen der Gesellschaft, die das Gesellschaftsvermögen auf sonstige Weise verringern. Darunter fallen insbesondere Sicherheitsleistungen für Verbindlichkeiten eines Aktionärs, wenn die Inanspruchnahme bereits bei deren Bestellung wahrscheinlich ist und kein gleichwertiger liquidierbarer Rückgriffsanspruch besteht.63) Gegenleistungen des Aktionärs sind nur anzurechnen, wenn sie liquidierbar sind.64) Die Begründung einer Verbindlichkeit gegenüber den Aktionären reicht nicht aus, wohl aber der Verzicht auf die Geltendmachung einer Forderung.65) Der Vorstand muss selbst nicht unmittelbar die Zahlung getätigt haben.66) Ausreichend ist auch eine Leistung durch einen Dritten, die dem Vorstand zurechenbar ist. _____________ 54) K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 92 Rz. 17; Hölters-Müller-Michaels, AktG, § 92 Rz. 29; K. Schmidt, ZIP 2005, 2177 f. 55) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 93 Rz. 80; Hölters-Müller-Michaels, AktG, § 92 Rz. 4. 56) BGH, Urt. v. 9.7.1979 – II ZR 118/77, BGHZ 75, 96, 107 = NJW 1979, 1823; K. Schmidt/LutterKrieger/Sailer-Coceani, AktG, § 92 Rz. 17; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 92 Rz. 37; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 92 Rz. 37. 57) K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 92 Rz. 17. 58) Grigoleit-Grigoleit-Tomasic, AktG, § 92 Rz. 49; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 92 Rz. 18. 59) Bürgers/Körber-Pelz, AktG, § 92 Rz. 33; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 18 Rz. 117. 60) Grigoleit-Grigoleit-Tomasic, AktG, § 92 Rz. 49; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 92 Rz. 1, 19; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 92 Rz. 23. 61) Hirte, NZG 2008, 761, 764 f.; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 92 Rz. 18; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 18 Rz. 117. 62) Begr. RegE z. MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 52, 46; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 92 Rz. 19; Meyer, BB 2008, 1742, 1745 f. – zu § 64 Satz 3 GmbHG; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 18 Rz. 118; Thümmel/Burkhardt, AG 2009, 885, 891. 63) Greulich/Bunnemann, NZG 2006, 681, 684 – zu § 64 GmbHG; K. Schmidt/Lutter-Krieger/SailerCoceani, AktG, § 92 Rz. 19; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 18 Rz. 118. 64) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 92 Rz. 42; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 18 Rz. 118. 65) Seyfarth, Vorstandsrecht, § 18 Rz. 118; a. A. zur Begründung einer Verbindlichkeit: Grigoleit-GrigoleitTomasic, AktG, § 92 Rz. 50. 66) Knof, DStR 2007, 1536, 1538 – zu § 64 Satz 3 GmbHG; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 92 Rz. 20; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 92 Rz. 49.

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§ 92

Vorstandspflichten bei Verlust, Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit

21 Verboten sind insolvenzverursachende Zahlungen an Aktionäre, wobei es unerheblich ist, wie hoch die Beteiligung des Zahlungsempfängers an der Gesellschaft ist.67) Auch Zahlungen an künftige Aktionäre, die mit Blick auf die zukünftige Aktionärsstellung getätigt werden, sind erfasst. Eine teleologische Reduzierung des § 92 Abs. 2 Satz 3 scheidet allerdings auch dann aus, wenn die Leistung an den Aktionär unabhängig von der Aktionärsstellung (z. B. Lohnzahlungen an Arbeitnehmer) erfolgt.68) Stellt die Gesellschaft einer Konzerngesellschaft oder sonst einem Dritten, mit dem der Aktionär wirtschaftlich oder rechtlich eng verbunden ist, Liquidität zur Verfügung, liegt ebenfalls eine Zahlung an den Aktionär vor.69) 22 § 92 Abs. 2 Satz 3 verbietet nur solche Zahlungen, die zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen mussten. Erforderlich ist daher eine unmittelbare Kausalität zwischen der Zahlung und dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit.70) Im Zeitpunkt der Zahlung muss die Zahlungsunfähigkeit zwar noch nicht eingetreten sein; nach der Regierungsbegründung muss sich der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit jedoch zu diesem Zeitpunkt bei normalem Verlauf der Dinge bereits abzeichnen.71) Eine weit verbreitete Ansicht fordert daher eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Zahlungsunfähigkeit.72) Teilweise wird angesichts der einschneidenden Rechtsfolgen bei einem Verstoß gegen das Zahlungsverbot sogar eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit für erforderlich erachtet.73) Die erstgenannte Ansicht wird dem Normzweck, das Gesellschaftsvermögen zu erhalten, aber besser gerecht und ist damit vorzugswürdig.74) Bei der Prognose, die der Vorstand in diesem Zusammenhang zu treffen hat, steht ihm ein Ermessen nach Maßgabe der Business Judgment Rule zu.75) 23 Ähnlich wie § 92 Abs. 2 Satz 2 (siehe oben Rz. 16) sieht § 92 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 2 eine Entlastungsmöglichkeit für den Vorstand vor, wenn dieser die drohende Zahlungsunfähigkeit im Zeitpunkt der Vornahme der Zahlung auch unter Beachtung der in § 93 Abs. 1 Satz 1 bezeichneten Sorgfalt nicht erkennen konnte.76) Die Ausnahme ist vor allem dann relevant, wenn die Insolvenz durch nicht erkennbare äußere Einflüsse verursacht wird.77) Bei Zahlungen einer abhängigen AG an das herrschende Unternehmen im Vertragskonzern kann sich der Vorstand allerdings nicht unter Verweis auf § 57 Abs. 1 Satz 3 exkulpieren, da das Weisungsrecht des § 308 bei existenzgefährdenden Eingriffen nicht gilt.78) 3.

Anwendungsbereich

24 Die praktische Bedeutung der Vorschrift ist beschränkt, da das Zahlungsverbot letztlich einen geringen Anwendungsbereich hat: Der Vorstand hat bei der Prüfung der Verursa_____________ 67) Seyfarth, Vorstandsrecht, § 18 Rz. 119. 68) Seyfarth, Vorstandsrecht, § 18 Rz. 119; a. A. Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 92 Rz. 45. 69) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 92 Rz. 43; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 92 Rz. 20; Mertens/Cahn, in: KölnKomm-AktG, § 92 Rz. 50; Niesert/Hohler, NZI 2009, 345, 349 – zu § 64 Satz 3 GmbHG; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 18 Rz. 118 f. 70) „Ohne Hinzutreten weiterer Kausalbeiträge“, Begr. RegE z. MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 46 – zu § 64 Satz 3 GmbHG; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 92 Rz. 44; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 18 Rz. 120. 71) Begr. RegE z. MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 47. 72) H. L., vgl. Gehrlein, Der Konzern 2007, 771, 795; Knof, DStR 2007, 1536, 1540, 1580 f.; Hüffer/KochKoch, AktG, § 92 Rz. 39; Niesert/Hohler, NZI 2009, 345, 350; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 92 Rz. 44; Wicke, GmbHG, § 64 Rz. 29. 73) Greulich/Rau, NZG 2008, 284, 288; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 18 Rz. 120. 74) K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 92 Rz. 24. 75) K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 92 Rz. 24; Meyer, BB 2008, 1742, 1746; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 18 Rz. 122. 76) K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 92 Rz. 26. 77) Knapp, DStR 2008, 2371, 2373; Knof, DStR 2007, 1580, 1584. 78) OLG Düsseldorf, Beschl. v. 7.6.1990 – 19 W 13/86, ZIP 1990, 1333, dazu EWiR 1990, 951; Krieger in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 71 Rz. 153; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 92 Rz. 27; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 18 Rz. 123.

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Vorstandspflichten bei Verlust, Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit

§ 92

chung einer Zahlungsunfähigkeit fällige und durchsetzbare Ansprüche des Aktionärs in die Liquiditätsbilanz mit einzubeziehen.79) Wenn die Gesellschaft bereits zahlungsunfähig ist, führt eine weitere Zahlung keine Zahlungsunfähigkeit mehr herbei, so dass die Erfüllung solcher Forderungen grundsätzlich nicht unter das Zahlungsverbot des § 92 Abs. 2 Satz 3 fällt.80) Laut BGH verbleiben drei Anwendungsfälle für das Zahlungsverbot: –

die Zahlung stellt die Erfüllung einer Forderung des Gesellschafters dar, die im Liquiditätsstatus nicht zu berücksichtigen ist, also z. B. Forderung mit Rangrücktritt oder eine nicht ernsthaft eingeforderte Forderung,



die Zahlung vergrößert eine bereits bestehende, aber noch unwesentliche Liquiditätslücke auf mindestens 10 % oder



die Zahlung wird von Kreditgebern zum Anlass für eine Kreditrückführung mit der Folge der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft genommen.81)

4.

Rechtsfolge des Zahlungsverbots

Greift das Zahlungsverbot des § 92 Abs. 2 Satz 3, so steht der Gesellschaft ein Leistungs- 25 verweigerungsrecht zu.82) Damit wird der Gefahr vorgebeugt, dass bei sich abzeichnender Zahlungsunfähigkeit von den Gesellschaftern Mittel entnommen werden.83) Das Leistungsverweigerungsrecht entfällt, wenn die drohende Zahlungsunfähigkeit abgewendet werden kann und die Gesellschaft saniert wird.84) 5.

Rechtsfolgen bei Verstoß gegen das Zahlungsverbot

Ein Verstoß gegen § 92 Abs. 2 Satz 3 kann eine Straftat i. S. von § 266 StGB darstellen.85)

26

Die Schadensersatzpflicht der Vorstandsmitglieder gegenüber der Gesellschaft ergibt sich 27 aus § 93 Abs. 3 Nr. 6 i. V. m. § 92 Abs. 2 Satz 3. In der Regel wird der Anspruch durch den Insolvenzverwalter der Gesellschaft geltend gemacht.86) Ersetzbar ist jeder Schaden, der durch den Verstoß entstanden ist, also nicht nur der unmittelbare Liquiditätsabfluss an den Gesellschafter, sondern auch sämtliche sonstige Verluste, für die die eingetretene Zahlungsunfähigkeit kausal ist.87)

_____________ 79) BGH, Urt. v. 9.10.2012 – II ZR 298/11, ZIP 2012, 2391 = GmbHR 2013, 31 – zu § 64 Satz 3 GmbHG, dazu EWiR 2013, 75 (Bork); Grigoleit-Grigoleit-Tomasic, AktG, § 92 Rz. 49; Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, § 36 Rz. 1476. 80) BGH, Urt. v. 9.10.2012 – II ZR 298/11, ZIP 2012, 2391 = GmbHR 2013, 31 – zu § 64 Satz 3 GmbHG; zustimmend Altmeppen, ZIP 2013, 801, 810; Brand, NZG 2012, 1374, 1375; Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, § 36 Rz. 1476; im Einzelnen Knolle/Lojowsky, NZI 2013, 171, 172; Nolting-Hauff/Greulich, GmbHR 2013, 169, 172 f.; Wenzler, GmbHR 2013, 33 f. (Urteilsanm.); a. A. Haas, DStR 2010, 1991, 1992. 81) BGH, Urt. v. 9.10.2012 – II ZR 298/11, ZIP 2012, 2391 = GmbHR 2013, 31 – zu § 64 Satz 3 GmbHG; kritisch Altmeppen, ZIP 2013, 801, 807 ff., der das Zahlungsverbot wegen Insolvenznähe für „gegenstandslos“ hält. 82) BGH, Urt. v. 9.10.2012 – II ZR 298/11, ZIP 2012, 2391 = GmbHR 2013, 31; Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, § 36 Rz. 1476. 83) BGH, Urt. v. 9.10.2012 – II ZR 298/11, ZIP 2012, 2391 = GmbHR 2013, 31; ebenso Lutter/ Hommelhoff-Kleindiek, GmbHG, § 64 Rz. 60; Schult, GWR 2012, 549, 551. 84) BGH, Urt. v. 9.10.2012 – II ZR 298/11, ZIP 2012, 2391 = GmbHR 2013, 31 – zur GmbH. 85) Bittmann, NStZ 2009, 113, 118; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 92 Rz. 33. 86) Seyfarth, Vorstandsrecht, § 18 Rz. 121. 87) K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 92 Rz. 25; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 18 Rz. 121.

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§ 93

Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder

§ 93 Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder (1) 1Die Vorstandsmitglieder haben bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. 2Eine Pflichtverletzung liegt nicht vor, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. 3Über vertrauliche Angaben und Geheimnisse der Gesellschaft, namentlich Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse, die den Vorstandsmitgliedern durch ihre Tätigkeit im Vorstand bekanntgeworden sind, haben sie Stillschweigen zu bewahren. 4Die Pflicht des Satzes 3 gilt nicht gegenüber einer nach § 342b des Handelsgesetzbuchs anerkannten Prüfstelle im Rahmen einer von dieser durchgeführten Prüfung. (2) 1Vorstandsmitglieder, die ihre Pflichten verletzen, sind der Gesellschaft zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens als Gesamtschuldner verpflichtet. 2Ist streitig, ob sie die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters angewandt haben, so trifft sie die Beweislast. 3Schließt die Gesellschaft eine Versicherung zur Absicherung eines Vorstandsmitglieds gegen Risiken aus dessen beruflicher Tätigkeit für die Gesellschaft ab, ist ein Selbstbehalt von mindestens 10 Prozent des Schadens bis mindestens zur Höhe des Eineinhalbfachen der festen jährlichen Vergütung des Vorstandsmitglieds vorzusehen. (3) Die Vorstandsmitglieder sind namentlich zum Ersatz verpflichtet, wenn entgegen diesem Gesetz 1. Einlagen an die Aktionäre zurückgewährt werden, 2. den Aktionären Zinsen oder Gewinnanteile gezahlt werden, 3. eigene Aktien der Gesellschaft oder einer anderen Gesellschaft gezeichnet, erworben, als Pfand genommen oder eingezogen werden, 4. Aktien vor der vollen Leistung des Ausgabebetrags ausgegeben werden, 5. Gesellschaftsvermögen verteilt wird, 6. Zahlungen entgegen § 92 Abs. 2 geleistet werden, 7. Vergütungen an Aufsichtsratsmitglieder gewährt werden, 8. Kredit gewährt wird, 9. bei der bedingten Kapitalerhöhung außerhalb des festgesetzten Zwecks oder vor der vollen Leistung des Gegenwerts Bezugsaktien ausgegeben werden. (4) 1Der Gesellschaft gegenüber tritt die Ersatzpflicht nicht ein, wenn die Handlung auf einem gesetzmäßigen Beschluß der Hauptversammlung beruht. 2Dadurch, daß der Aufsichtsrat die Handlung gebilligt hat, wird die Ersatzpflicht nicht ausgeschlossen. 3 Die Gesellschaft kann erst drei Jahre nach der Entstehung des Anspruchs und nur dann auf Ersatzansprüche verzichten oder sich über sie vergleichen, wenn die Hauptversammlung zustimmt und nicht eine Minderheit, deren Anteile zusammen den zehnten Teil des Grundkapitals erreichen, zur Niederschrift Widerspruch erhebt. 4Die zeitliche Beschränkung gilt nicht, wenn der Ersatzpflichtige zahlungsunfähig ist und sich zur Abwendung des Insolvenzverfahrens mit seinen Gläubigern vergleicht oder wenn die Ersatzpflicht in einem Insolvenzplan geregelt wird. (5) 1Der Ersatzanspruch der Gesellschaft kann auch von den Gläubigern der Gesellschaft geltend gemacht werden, soweit sie von dieser keine Befriedigung erlangen können. 2Dies gilt jedoch in anderen Fällen als denen des Absatzes 3 nur dann, wenn 598

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Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder

§ 93

die Vorstandsmitglieder die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters gröblich verletzt haben; Absatz 2 Satz 2 gilt sinngemäß. 3Den Gläubigern gegenüber wird die Ersatzpflicht weder durch einen Verzicht oder Vergleich der Gesellschaft noch dadurch aufgehoben, daß die Handlung auf einem Beschluß der Hauptversammlung beruht. 4Ist über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet, so übt während dessen Dauer der Insolvenzverwalter oder der Sachwalter das Recht der Gläubiger gegen die Vorstandsmitglieder aus. (6) Die Ansprüche aus diesen Vorschriften verjähren bei Gesellschaften, die zum Zeitpunkt der Pflichtverletzung börsennotiert sind, in zehn Jahren, bei anderen Gesellschaften in fünf Jahren. Literatur: Bachmann, Die Geschäftsleiterhaftung im Fokus von Rechtsprechung und Rechtspolitik, BB 2015, 771; Bachmann, Zehn Thesen zur deutschen Business Judgment Rule, WM 2015, 105; Bachmann, Das „vernünftige“ Vorstandsmitglied – Zum richtigen Verständnis der deutschen Business Judgment Rule (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG), in: Festschrift für Eberhard Stilz, 2014, S. 25; Bachmann, Gutachten E zum 70. Deutschen Juristentag 2014, in: Reform der Organhaftung? Materielles Haftungsrecht und seine Durchsetzung in privaten und öffentlichen Unternehmen, Empfehlung Nr. 9 zur Vorstandshaftung; Bachmann, Reformbedarf bei der Business Judgment Rule, ZHR 177 (2013) 1; Bachmann, Der „Deutsche Corporate Governance Kodex“: Rechtswirkungen und Haftungsrisiken, WM 2002, 2137; Balke/Klein, Vorstandshaftung für fehlerhafte Ausrichtung der Compliance-Organisation, Bedeutung von ComplianceRisikoanalyse und Business Judgement Rule, ZIP 2017, 2038; Balthasar/Hamelmann, Finanzkrise und Vorstandshaftung nach § 93 Abs. 2 AktG: Grenzen der Justiziabilität unternehmerischer Entscheidungen, WM 2010, 589; Bank, Die Verschwiegenheitspflicht von Organmitgliedern in Fällen multipler Organmitgliedschaften, NZG 2013, 801; Bauer, Zur Darlegungs- und Beweislast des Vorstands in organschaftlichen Haftungsprozesse, NZG 2015, 549; Baums, Kurzbeitrag Managerhaftung und Verjährung, ZHR 174 (2010) 593; Baur/Holle, Zur privilegierenden Wirkung der Business Judgment Rule bei Schaffung einer angemessenen Informationsgrundlage – Haften unbefangene Vorstandsmitglieder im Rahmen unternehmerischer Entscheidungen nur für grobe Fehler?, AG 2017, 597; Bayer/Scholz, Haftungsbegrenzung und D&O-Versicherung im Recht der aktienrechtlichen Organhaftung – Grundsatzüberlegungen zum 70. DJT, NZG 2014, 926; Bicker, Legalitätspflicht des Vorstands – ohne Wenn und Aber?, AG 2014, 8; Binder, Mittelbare Einbringung eigener Aktien als Sacheinlage und Informationsgrundlagen von Finanzierungsentscheidungen in Vorstand und Aufsichtsrat, ZGR 2012, 757; Bings, Änderungen des DCGK betreffen Compliance Management Systeme, CCZ 2017, 118; Blasche, Die Anwendung der Business Judgement Rule bei Kollegialentscheidungen und Vorliegen eines Interessenkonflikts bei einem der Vorstandsmitglieder, AG 2010, 692; Bosch/Lange, Unternehmerischer Handlungsspielraum des Vorstandes zwischen zivilrechtlicher Verantwortung und strafrechtlicher Sanktion, JZ 2009, 225; Böttcher, Compliance: DER IDW PS 980 – keine Lösung für alle (Haftungs-)Fälle!, NZG 2011, 1054; Böttcher, Bankvorstandshaftung im Rahmen der SubPrime Krise, NZG 2009, 1047; Brommer, Folgen einer reformierten Aktionärsklage für die Vorstandsinnenhaftung, AG 2013, 121; Cahn, Business Judgement Rule und Rechtsfragen, Der Konzern 2015, 105; Buschmann, EU-Grünbuch zur Corporate Governance: Alter Wein in neuen Schläuchen?, NZG 2011, 87; Cahn, Aufsichtsrat und Business Judgment Rule, WM 2013, 1293; Canaris, Hauptversammlungsbeschlüsse und Haftung der Verwaltungsmitglieder im Vertragskonzern, ZGR 1978, 207; Dauner-Lieb/Tettinger, Vorstandshaftung, D&O-Versicherung, Selbstbehalt, ZIP 2009, 1555; Deilmann/Otte, Verteidigung ausgeschiedener Organmitglieder gegen Schadensersatzklagen – Zugang zu Unterlagen der Gesellschaft, BB 2011, 1291; Diekmann/Fleischmann, Umgang mit Interessenkonflikten in Aufsichtsrat und Vorstand der Aktiengesellschaft, AG 2013, 141; Dietz-Vellmer, Hauptversammlungsbeschlüsse nach § 119 II AktG – geeignetes Mittel zur Haftungsvermeidung für Organe?, NZG 2014, 721; Dietz-Vellmer, Organhaftungsansprüche in der Aktiengesellschaft: Anforderungen an Verzicht oder Vergleich

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§ 93

Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder

durch die Gesellschaft, NZG 2011, 248; Dreher, Ausstrahlungen des Aufsichtsrechts auf das Aktienrecht, ZGR 2010, 496; Dreher, Die kartellrechtliche Bußgeldverantwortlichkeit von Vorstandsmitgliedern – Vorstandshandeln zwischen aktienrechtlichem Legalitätsprinzip und kartellrechtlicher Unsicherheit, in: Festschrift für Horst Konzen, 2006, S. 85 ff.; Eisenberg, Die Sorgfaltspflicht im amerikanischen Gesellschaftsrecht, Der Konzern 2004, 386; Emde, Gesamtverantwortung und Ressortverantwortung im Vorstand der AG, in: Festschrift für Uwe H. Schneider, 2011, S. 295; v. Falkenhausen, Die Haftung außerhalb des Business Judgment Rule – Ist die Business Judgment Rule ein Haftungsprivileg für Vorstände?, NZG 2012, 644; Fischer, Haftung und Abberufung von Bankvorständen, DStR 2007, 1083; Fleischer, Ruinöse Managerhaftung: Reaktionsmöglichkeiten de lege lata und de lege ferenda, ZIP 2014, 1305; Fleischer, Verjährung von Organhaftungsansprüchen: Rechtspraxis – Rechtsvergleichung – Rechtspolitik, AG 2014, 457; Fleischer, Aktienrechtliche Compliance-Pflichten im Praxistest: Das Siemens/ Neubürger-Urteil des LG München I, NZG 2014, 321; Fleischer, Verbotsirrtum und Vertrauen auf Rechtsrat im Europäischen Wettbewerbsrecht, EuZW 2013, 326; Fleischer, Vorstandshaftung und Vertrauen auf anwaltlichen Rat, NZG 2010, 121; Fleischer, Aktuelle Entwicklungen der Managerhaftung, NJW 2009, 2337; Fleischer, Vertrauen von Geschäftsleitern und Aufsichtsratsmitgliedern auf Informationen Dritter, ZIP 2009, 1397; Fleischer, Kompetenzüberschreitungen von Geschäftsleitern im Personen- und Kapitalgesellschaftsrecht. Schaden – rechtmäßiges Alternativverhalten – Vorteilsausgleichung, DStR 2009, 1204; Fleischer, Vorstandspflicht bei rechtswidrigen Hauptversammlungsbeschlüssen, BB 2005, 2025; Fleischer, Die „Business Judgment Rule“: Vom Richterrecht zur Kodifizierung, ZIP 2004, 685; Franz, Der gesetzliche Selbstbehalt in der D&O-Versicherung nach dem VorstAG – Wie weit geht das Einschussloch in der Schutzweste der Manager?, DB 2009, 2764; Freitag/Korch, Die Angemessenheit der Information im Rahmen der Business Judgment Rule (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG), ZIP 2012, 2281; Freund, Konturierungen der Organpflichten von Geschäftsführern und Vorständen, GmbHR 2011, 238; Froesch, Managerhaftung – Risikominimierung durch Delegation?, DB 2009, 722; Gädtke, Impliziertes Verbot der D&O-Selbstbehaltsversicherung?. VersR 2009, 1565; Gädtke/ Wax, D&O-Selbstbehalt auf dem Prüfstand, AG 2010, 851; Goette, Grundsätzliche Verfolgungspflicht des Aufsichtsrats bei sorgfaltswidrig schädigendem Verhalten im AG-Vorstand?, ZHR 176 (2012) 588; Goette, Zur ARAG/GARMENBECK-Doktrin, in: Liber Amicorum für Martin Winter, 2011, S. 153; Goette, Leitung, Aufsicht, Haftung, in: Festschrift 50 Jahre BGH, 2000, S. 123; Grooterhorst, Das Einsichtnahmerecht des ausgeschiedenen Vorstandsmitgliedes in Geschäftsunterlagen im Haftungsfall, AG 2011, 389; Grunewald, Haftungsvereinbarungen zwischen Aktiengesellschaft und Vorstandsmitgliedern, AG 2013, 813; Guntermann, Der Gesamtschuldnerregress unter Vorstandsmitgliedern, AG 2017, 606; Habersack, Perspektiven der aktienrechtlichen Organhaftung, ZHR 177 (2013) 782; Habersack, Die Legalitätspflicht des Vorstandes in der AG, in: Festschrift für Uwe H. Schneider, 2011, S. 429; Habersack, Managerhaftung, in: Karlsruher Forum 2009: Managerhaftung, S. 5; Habersack, Gesteigerte Überwachungspflichten des Leiters eines „sachnahen“ Vorstandsressorts?, WM 2005, 2360; Habersack/ Schürnbrand, Die Rechtsnatur der Haftung aus §§ 93 Abs. 3 AktG, 43 Abs. 3 GmbHG, WM 2005, 957; Habscheid, Prozessuale Probleme hinsichtlich der „Geltendmachung von Gläubigerrechten“ durch den Konkursverwalter beim Konkurs einer Aktiengesellschaft (§ 93 Abs. 5 AktG), in: Festschrift für Friedrich Weber, 1975, S. 197; Haertlein, Vorstandshaftung wegen (Nicht)Ausführung eines Gewinnverwendungsbeschlusses mit Dividendenausschüttung, ZHR 168 (2004) 437; Handelsrechtsausschuss des DAV, Stellungnahme zur Verlängerung der Verjährungsfrist der aktienrechtlichen Organhaftung nach Art. 5 und 6 des Referentenentwurfs für ein Restrukturierungsgesetz, NZG 2010, 897; Harbath, Unternehmerisches Ermessen des Vorstands im Interessenkonflikt, in: Festschrift für Peter Hommelhoff, 2012, S. 323 Harbarth/ Jaspers, Verlängerung der Verjährung von Organhaftungsansprüchen durch das Restrukturierungsgesetz, NZG 2011, 368; Harzenetter, der Selbstbehalt in der D&O-Versicherung nach dem VorstAG und der Neufassung des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCKG), DStR 2010, 653; Hasselbach, Haftungsfreistellung für Vorstandsmitglieder, NZG 2016, 890; Hasselbach/Ebbinghaus, Anwendung der Business Judgement Rule bei unklarer Rechtslage, AG

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Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder

§ 93

2014, 873; Hasselbach/Seibel, Die Freistellung von Vorstandsmitgliedern und leitenden Angestellten von der Haftung für Kartellrechtsverstöße, AG 2008, 770; Hauschka, Ermessensentscheidungen bei der Unternehmensführung, GmbHR 2007, 11; Hefermehl, Zur Haftung der Vorstandsmitglieder bei Ausführung von Hauptversammlungsbeschlüssen, in: Festschrift für Wolfgang Schilling, 1973, S. 159; v. Hein, Vom Vorstandsvorsitzenden zum CEO?, ZHR 166 (2002) 464; Heyers, Gestaltungsperspektiven aktienrechtlicher Organhaftung am Beispiel der Regressansprüche der Gesellschaft infolge von Kartellordnungswidrigkeiten, WM 2016, 581; Hirte/Stoll, Die Enthaftung insolventer Geschäftsleiter und Aufsichtsratsmitglieder durch Abwendungsvergleich, ZIP 2010, 253; Hoffmann, Existenzvernichtende Haftung von Vorständen und Aufsichtsräten?, NJW 2012, 1393; Hohenstatt, Das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung, ZIP 2009, 1349; Holle, Rechtsbindung und Business Judgment Rule, AG 2011, 778; Hopt, Die Verantwortlichkeit von Vorstand und Aufsichtsrat: Grundsatz und Praxisprobleme – unter besonderer Berücksichtigung der Banken, ZIP 2013, 1793; Horn, Die Haftung des Vorstands der AG nach § 93 AktG und die Pflichten des Aufsichtsrats, ZIP 1997, 1129; Jaeger/Balke, Zu den Auswirkungen des VorstAG auf bestehende Vorstandsdienstverträge, ZIP 2010, 1471; Junker/Biederbick, Dürfen Organmitglieder auf den Rat der Rechtsabteilung hören?, AG 2012, 898; van Kann, Zwingender Selbstbehalt bei der D&O-Versicherung – Gut gemeint, aber auch gut gemacht? – Änderungsbedarf an D&O-Versicherungen durch das VorstAG, NZG 2009, 1010; Kerst, Haftungsmanagement durch die D&O-Versicherung nach Einführung des aktienrechtlichen Selbstbehaltes in § 93 Abs. 2 Satz 3 AktG, WM 2010, 594; Kindler, Vorstands- und Geschäftsführerhaftung mit Augenmaß – über einige neuere Grundsatzentscheidungen des II. Zivilsenats des BGH zu §§ 93 AktG und 43 GmbH, in: Festschrift für Wulf Goette, 2011, S. 231; Klöhn, Geschäftsleiterhaftung und unternehmensinterner Rechtsrat – wie unabhängig sind Unternehmensjuristen?, DB 2013, 1535; Koch, Begriff und Rechtsfolgen von Interessenkonflikten und Unabhängigkeit im Aktienrecht, ZGR 2014, 697; Koch, Regressreduzierung im Kapitalgesellschaftsrecht – eine Sammelreplik, AG 2014, 513; Koch, Die Anwendung der Business Judgment Rule bei Interessenkonflikten innerhalb des Vorstands, in: Festschrift für Franz Jürgen Säcker, 2011, S. 403; Koch, Einführung eines obligatorischen Selbstbehalts in der D&O-Versicherung durch das VorstAG, AG 2009, 637; Koch, Das Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG), ZGR 2006, 769; Koch/Dinkel, Die zivilrechtliche Haftung von Vorständen für unternehmerische Entscheidungen – Die geplante Kodifizierung der Business Judgment Rule im Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts, NZG 2004, 441; Kocher, Zur Reichweite der Business Judgment Rule, CCZ 2009, 215; Krekeler, Gesellschaftsrechtliche Aspekte dse Risikomanagements, ZBB 2012, 351; Krieger, Wie viele Rechtsberater braucht ein Geschäftsleiter?, ZGR 2012, 496; Lange, Die D&O-Selbstbehalt-Versicherung, RuS 2010, 92; Lange, Die Selbstbehaltvereinbarungspflicht gem. § 93 Abs. 2 Satz 3 AktG n. F., VersR 2009, 1011; Langenbucher, Vorstandshaftung und Legalitätspflicht in regulierten Branchen, ZBB/JBB 2013, 16; Lorenz, Der Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Restrukturierung und geordneten Abwicklung von Kreditinstituten – Überblick und erste Einordnung, NZG 2010, 1046; Löbbe/Fischbach, Die Business Judgment Rule bei Kollegialentscheidungen des Vorstands, AG 2014, 717; Lutter, Zum Beschluss des Aufsichtsrats über den Verzicht auf eine Haftungsklage gegen den Vorstand, in: Festschrift für Michael Hoffmann-Becking, 2013, S. 747; Lutter, Bankenkrise und Organhaftung, ZIP 2009, 197; Lutter, Die Business Judgment Rule und ihre praktische Anwendung, ZIP 2007, 841; Lutter, Verhaltenspflichten von Organmitgliedern bei Interessenskonflikten, in: Festschrift für Hans-Joachim Priester, 2007, S. 417; Lutter, Interessenkonflikte und Business Judgment Rule, in: Festschrift für Claus-Wilhelm Canaris, Bd. 2, 2007, S. 245; Marsch-Barner, Vorteilsausgleich bei der Schadensersatzhaftung nach § 93 AktG, ZHR 173 (2009) 723; Mense/Klie, Deutscher Corporate Governance Kodex 2017 – Auswirkungen der aktuellen Änderungen für die Praxis, BB 2017, 771; Merkt/Mylich, Einlage eigener Aktien und Rechtsrat durch den Aufsichtsrat – Zwei aktienrechtliche Fragen im Lichte der ISION-Entscheidung des BGH, NZG 2012, 525; Meyer, Compliance-Verantwortlichkeit von Vorstandsmitgliedern – Legalitätsprinzip und Risikomanagement, DB 2014, 1063; Moosmayer, Mode-

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§ 93

Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder

thema oder Pflichtprogramm guter Unternehmensführung? – Zehn Thesen zu Compliance, NJW 2012, 3013; Müller, Geschäftsleiterhaftung und Vertrauen auf fachkundigen Rat, DB 2014, 1301; Olbrich/Kassing, Der Selbstbehalt in der D&O Versicherung: Gesetzliche Neuregelung lässt viele Fragen offen, BB 2009, 1659; Paefgen, Organhaftung: Bestandsaufnahme und Zukunftsperspektiven, AG 2014, 554; Paefgen, Die Darlegungs- und Beweislast bei der Business Judgment Rule, NZG 2009, 891; Peltzer, Mehr Ausgewogenheit bei der Vorstandshaftung, in: Festschrift für Michael Hoffmann-Becking, 2013, S. 861; Redeke, Zu den Organpflichten bei bestandsgefährdenden Risiken, ZIP 2010, 159; Reichert, Existenzgefährdung bei der Durchsetzung von Organhaftungsansprüchen, ZHR 177 (2013) 756; Säcker, Gesellschafts- und dienstvertragsrechtliche Fragen bei Inanspruchnahme der Kronzeugenregelung, WuW 2009, 362; Schäfer, Die Binnenhaftung von Vorstand und Aufsichtsrat nach der Renovierung durch das UMAG, ZIP 2005, 1253; v. Schenk, Handlungsbedarf bei der D&O-Versicherung, NZG 2015, 494; Schneider, Uwe H., Anwaltlicher Rat zu unternehmerischen Entscheidungen bei Rechtsunsicherheit, DB 2011, 99; Schöne/Petersen, Regressansprüche gegen (ehemalige) Vorstandsmitglieder – quo vadis?, AG 2012, 700; Schnorbus/Klormann, Verzicht des Vorstands auf die Einrede der Verjährung nach § 93 Abs. 4 AktG und die Verfolgungspflicht des Aufsichtsrats nach ARAG/ Garmenbeck, NZG 2015, 938; Scholderer, Unabhängigkeit und Interessenkonflikte der Aufsichtsratsmitglieder, Systematik, Kodexänderung, Konsequenzen, NZG 2012, 168; Scholz, Die Haftung bei Verstößen gegen die Business Judgement Rule, AG 2015, 222; Schulz, ComplianceManagement im Unternehmen – Grundfragen, Herausforderungen und Orientierungshilfen, BB 2017, 1475; Schürnbrand, Überwachung des insolvenzrechtlichen Zahlungsverbots durch den Aufsichtsrat, NZG 2010, 1207; Schwab, Vorstandsregress und Streitverkündung, NZG 2013, 521; Seibert, Das VorstAG – Regelungen zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung und zum Aufsichtsrat, WM 2009, 1489; Seibt, Deutscher Corporate Governance Kodex und Entsprechens-Erklärung (§ 161 AktG-E), AG 2002, 249; Seibt/Cziupka, 20 Thesen zur ComplianceVerantwortung im System der Organhaftung aus Anlass des Siemens/Neubürger-Urteils, DB 2014, 1598; Seibt/Wollenschläger, Revision des Europäischen Transparenzregimes: Regelung der TRL 2013 und Umsetzungsbedarf, ZIP 2014, 545; Selter, Haftungsrisiken von Vorstandsmitgliedern bei fehlendem und von Aufsichtsratsmitgliedern bei vorhandenem Fachwissen, AG 2012, 11; Servatius, Strukturmaßnahmen als Unternehmensleitung: die Vorstandspflichten bei unternehmerischen Entscheidungen der Hauptversammlung, 2004; Strohn, Beratung der Geschäftsleitung durch Spezialisten als Ausweg aus der Haftung?, ZHR 176 (2012) 137; Thole, Managerhaftung für Gesetzesverstöße – Die Legalitätspflicht des Vorstands gegenüber seiner Aktiengesellschaft, ZHR 173 (2009) 504; Thüsing, Das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung, AG 2009, 517; Thüsing/Traut, Angemessener Selbstbehalt bei D&O-Versicherungen, NZA 2010, 140; Verse, Compliance im Konzern – Zur Legalitätskontrollpflicht der Geschäftsleiter einer Konzernobergesellschaft, ZHR 175 (2011) 401; Vetter, Aktienrechtliche Organhaftung und Satzungsautonomie – Überlegungen de lege ferenda, NZG 2014, 921; Wagner, Die Rolle der Rechtsabteilung bei fehlenden Rechtskenntnissen der Mitglieder von Vorstand und Geschäftsführung, BB 2012, 651; Wahlers/Wolff, Individualabreden zur Verhinderung der drohenden Verjährung von Organhaftungsansprüchen, AG 2011, 605; Weiß/Buchner, Wird das UMAG die Haftung und Inanspruchnahme der Unternehmensleiter verändern?, WM 2005, 162; Wicke, Der CEO im Spannungsverhältnis zum Kollegialprinzip – Gestaltungsüberlegungen zur Leitungsstruktur der AG, NJW 2007, 3755; Zimmermann, Kartellrechtliche Bußgelder gegen Aktiengesellschaft und Vorstand: Rückgriffsmöglichkeiten, Schadensumfang und Verjährung, WM 2008, 433.

Übersicht I. Allgemeines ....................................... 1 II. Anwendungsbereich, zwingender Charakter .......................................... 2 III. Verhaltenspflichten und Sorgfaltsmaßstab (§ 93 Abs. 1) ................ 6

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1. Allgemeines ......................................... 6 2. Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters (§ 93 Abs. 1 Satz 1) ............................ 7

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Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder a) Allgemeine Pflichten für das Handeln des Vorstands ................ 7 b) Legalitätspflicht .......................... 12 c) Organisationspflicht .................. 13 d) Organisationspflicht i. R. der Legalitätspflicht .......................... 18 3. Sorgfaltspflichten bei unternehmerischen Entscheidungen – Business Judgment Rule ................... 22 a) Unternehmerische Entscheidung ............................................ 26 b) Angemessene Informationen .... 31 aa) Auswahl von Informationsquellen ......................................... 31 bb) Unterstützung bei der Schaffung der Informationsgrundlage .......... 34 (1) Fachliche Qualifikation ............. 35 (2) Unabhängigkeit .......................... 36 (3) Umfassende Information .......... 39 (4) Plausibilitätskontrolle ................ 40 c) Im guten Glauben zum Wohl der Gesellschaft .......................... 42 d) Handeln ohne Sonderinteresse und sachfremde Einflüsse .......... 46 4. Organschaftliche Treupflicht .......... 51 5. Verschwiegenheitspflicht (§ 93 Abs. 1 Satz 3) .................................... 52 a) Vertrauliche Angaben und Geheimnisse der Gesellschaft .... 53 b) Umfang und Grenzen der Verschwiegenheitspflicht ................. 56 I.

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c) Rechtsfolgen bei Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht .................................. 62 IV. Schadensersatzpflicht (§ 93 Abs. 2) ............................................... 63 1. Haftungsadressaten .......................... 64 2. Pflichtverletzung .............................. 65 3. Verschulden ...................................... 67 4. Schaden und Kausalität .................... 70 5. Regressreduzierung .......................... 74 6. Darlegungs- und Beweislast (§ 93 Abs. 2 Satz 2) .......................... 75 7. D&O-Versicherung (§ 93 Abs. 2 Satz 3) .......................... 77 V. Sondertatbestände des § 93 Abs. 3 ................................................ 80 VI. Haftungsausschluss, Verzicht und Vergleich (§ 93 Abs. 4) ............ 81 1. Haftungsausschluss durch Hauptversammlungsbeschluss ................... 81 2. Verzicht und Vergleich .................... 85 VII. Anspruchsverfolgung ................... 91 1. Durch den Aufsichtsrat ................... 91 2. Durch Aktionäre .............................. 92 3. Durch Gesellschaftsgläubiger (§ 93 Abs. 5) ..................................... 93 VIII. (§ 93 Abs. 6) .................................. 99 IX. Allgemeines zur Schadensersatzpflicht des Vorstands gegenüber der Gesellschaft und gegenüber Dritten ............................................ 102

Allgemeines

§ 93 Abs. 1 regelt die allgemeinen Pflichten der Vorstandsmitglieder bei der Ausübung ihres 1 Amtes und die dabei anzuwendende Sorgfalt. Daneben gewährt § 93 Abs. 2 der Gesellschaft einen Anspruch auf Schadenersatz gegen Vorstandsmitglieder, die ihre Sorgfaltspflichten verletzen. Daneben verlangt er, dass bei Abschluss einer D&O-Versicherung für die Vorstandsmitglieder ein Selbstbehalt vorgesehen wird. § 93 Abs. 3 enthält einen Katalog von Sondertatbeständen, bei deren Vorliegen Vorstandsmitglieder schadensersatzpflichtig sind. Liegt dem Vorstandshandeln ein gesetzmäßiger Beschluss der Hauptversammlung zugrunde, scheidet gemäß § 93 Abs. 4 eine Schadensersatzpflicht aus. § 93 Abs. 4 beschränkt darüber hinaus die Möglichkeiten der Gesellschaft zum Vergleich über und Verzicht auf Schadensersatzansprüche. Die unmittelbare Anspruchsverfolgung durch die Gesellschaftsgläubiger ist gemäß § 93 Abs. 5 unter bestimmten Voraussetzungen möglich. § 93 Abs. 6 statuiert schließlich für Ansprüche von nicht-börsennotierten Gesellschaften eine Verjährungsfrist von fünf, für börsennotierte Gesellschaften von zehn Jahren. II.

Anwendungsbereich, zwingender Charakter

Da § 93 für Vorstandsmitglieder gilt, beginnt die Haftung im Zeitpunkt der Aufnahme 2 der Vorstandstätigkeit mit Wissen des Aufsichtsrats, unabhängig davon, wann der AnstelSimon Link

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§ 93

Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder

lungsvertrag in Kraft tritt.1) Wird das Vorstandsamt wirksam beendet, endet auch die Haftung nach § 93.2) Ein fehlerhaft bestelltes Vorstandsmitglied unterliegt bei Tätigwerden für die AG ebenfalls der Haftung aus § 93.3) 3 § 93 gewährt grundsätzlich allein der Gesellschaft Ansprüche gegenüber den Vorstandsmitgliedern.4) Dem einzelnen Aktionär stehen aus dieser Norm keine Rechte gegenüber dem Vorstand zu.5) § 93 gilt auch nicht als Schutzgesetz i. S. des § 823 Abs. 2 BGB.6) 4 Auch innerhalb von Konzernbeziehungen gilt § 93.7) Kommt es zu nachteiligen Veranlassungen des Vorstands einer abhängigen Gesellschaft durch das herrschende Unternehmen, greifen jedoch weitgehend Sondervorschriften ein (§§ 310, 318, 323 Abs. 1 Satz 2 und 3).8) Der Vorstand des herrschenden Unternehmens haftet gegenüber der abhängigen Gesellschaft nach §§ 309, 317, 323 Abs. 1 Satz 2 und 3.9) Dem herrschenden Unternehmen haftet aber der eigene Vorstand nach § 93. 5 Da § 93 zwingendes Recht darstellt, kann von dieser Norm weder durch die Satzung noch durch einen Aufsichtsratsbeschluss oder den Anstellungsvertrag abgewichen werden.10) Weder eine Erleichterung noch eine Verschärfung der Haftung sind möglich.11) De lege ferenda ist zu erwägen, eine Regelung der Haftung in der Satzung, etwa in Form von Höchstbeträgen zuzulassen12) (zur Diskussion um eine Haftungserleichterung siehe unten Rz. 74 m. w. N.). III.

Verhaltenspflichten und Sorgfaltsmaßstab (§ 93 Abs. 1)

1.

Allgemeines

6 Nach § 93 Abs. 1 Satz 1 müssen die Vorstandsmitglieder bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anwenden. Diese Regelung erfüllt eine Doppelfunktion.13) Zum einen legt sie die objektiven Verhaltenspflichten des Vorstandes bei dessen Amtsführung fest.14) Zum anderen regelt sie den Verschuldensmaßstab, der i. R. des § 93 Abs. 2 Anwendung findet (siehe unten Rz. 67). § 93 Abs. 1 Satz 2 enthält die Business Judgment Rule, die dem Vorstand unter bestimmten Voraussetzungen einen Handlungsspielraum eröffnet, innerhalb dessen er nicht befürchten _____________ 1) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 351; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 11, 13. 2) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 93 Rz. 37; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 2. 3) BGH, Urt. v. 6.4.1964 – II ZR 75/62, BGHZ 41, 282 = NJW 1964, 1367 f.; Hopt/Roth in: GroßKommAktG, § 93 Rz. 358. 4) Hölters-Hölters, AktG, § 93 Rz. 6; Krieger/Schneider-Krieger, Hdb. Managerhaftung, § 3 Rz. 3.2; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 1, 267. 5) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rz. 308; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 93 Rz. 61. 6) BGH, Urt. v. 13.4.1994 – II ZR 16/93, BGHZ 125, 366, 375 = ZIP 1994, 867, 870; Hüffer/KochKoch, AktG, § 93 Rz. 61; Fleischer-Spindler, Hdb. VorstandsR, § 13 Rz. 41. 7) K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 4. 8) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 93 Rz. 3; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 10. 9) K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 4. 10) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 47; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 11; Vetter, NZG 2014, 921, 922. 11) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rz. 4, 5; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 3; a. A. Hoffmann, NJW 2012, 1393, 1395, der sich für eine Haftungsbegrenzung im Anstellungsvertrag ausspricht. 12) Bachmann, Gutachten E zum 70. DJT 2014, Empfehlung Nr. 9 zur Vorstandshaftung. 13) Bürgers/Körber-Bürgers, AktG, § 93 Rz. 2; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 93 Rz. 11; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 8 Rz. 27. 14) Fleischer-Fleischer, Hdb. VorstandsR, § 7 Rz. 1; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 6.

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Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder

§ 93

muss, sich durch eine Sorgfaltspflichtverletzung haftbar zu machen. § 93 Abs. 1 Satz 3 enthält die Vertraulichkeitspflicht, die eine besonders geregelte Ausprägung der Sorgfaltspflicht darstellt. 2.

Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters (§ 93 Abs. 1 Satz 1)

a)

Allgemeine Pflichten für das Handeln des Vorstands

Die Sorgfaltspflicht des § 93 Abs. 1 Satz 1 ist zunächst in Anknüpfung an § 76 zu sehen. 7 Danach hat der Vorstand die AG in eigener Verantwortung zu leiten und dabei i. R. des in der Satzung festgelegten Unternehmensgegenstands das Unternehmensinteresse zu fördern. Insbesondere hat er nach hier vertretener Auffassung den nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens und dessen dauerhafte Rentabilität anzustreben (siehe oben § 76 Rz. 40). § 93 Abs. 1 Satz 1 legt nun fest, dass er dies mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters zu tun hat, der nicht eigene, sondern gleich einem Treuhänder fremde Vermögensinteressen wahrnimmt.15) Deshalb muss er seine Entscheidungen an den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit ausrichten.16) Bei der Beurteilung der Sorgfalt des Vorstands ist auf ein Unternehmen der konkreten 8 Art abzustellen,17) so dass die wirtschaftliche Situation, die Art der Tätigkeit sowie die Größe des Unternehmens zu berücksichtigen sind. In verschiedenen Einzelnormen wird die Pflicht zur sorgfältigen Unternehmensführung bereits konkretisiert (z. B. §§ 76 Abs. 1, 80, 81, 83, 88, 90, 91, 92 AktG, § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO).18) Es versteht sich, dass der Vorstand nicht vorsätzlich zum Schaden der Gesellschaft 9 handeln oder sich bei seinen Entscheidungen von sachfremden Gesichtspunkten leiten lassen darf.19) Er muss die profitable Entwicklung des Unternehmens fördern und Schaden von ihm abwenden. Dazu gehört es in der Regel, dass der Vorstand Ansprüche, die der Gesellschaft zukommen, auch geltend macht,20) es sei denn, dies liegt im Einzelfall nicht im Interesse des Unternehmens, etwa weil die Durchsetzung nicht wirtschaftlich wäre oder Nachteile auslösen würde, die den Wert des Anspruchs überkompensieren, wie z. B. der drohende Verlust eines Kunden. Die Sorgfaltspflicht des Vorstands ist ein normativer Maßstab. Eine eventuelle tatsächliche 10 Unfähigkeit des Geschäftsleiters führt nicht dazu, dass das Vorstandsmitglied von seiner Verantwortlichkeit frei würde.21) Auch Nachlässigkeiten, die bei anderen Unternehmen gängig sind, entlasten den Vorstand nicht.22) Hat aber ein Vorstandsmitglied besondere _____________ 15) BGH, Urt. v. 20.2.1995 – II ZR 143/93, BGHZ 129, 30, 34 = ZIP 1995, 591, 592 – zum GmbHGeschäftsführer; OLG Koblenz, Urt. v. 10.6.1991 – 6 U 1650/89, ZIP 1991, 870, 871; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 58; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 93 Rz. 4. 16) K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 10; vgl. auch Heidel-U. Schmidt, AktR, § 93 AktG Rz. 139. 17) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 93 Rz. 4; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 6. 18) K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 6; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 21. 19) BGH, Urt. v. 27.9.1956 – II ZR 144/55, BGHZ 21, 354, 357 = WM 1956, 1753, 1754. 20) BGH, Urt. v. 9.12.1991 – II ZR 43/91, BGHR GmbHG § 43 Abs. 3 Kapitalersatz 1 = ZIP 1992, 108, 109 – zur GmbH; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 199; Mertens/Cahn in: KölnKommAktG, § 93 Rz. 89. 21) BGH, Urt. v. 14.3.1983 – II ZR 103/82, LM Nr. 11 § 43 GmbHG = ZIP 1983, 824; BGH, Urt. v. 20.2.1995 – II ZR 143/93, BGHZ 129, 30, 34 = ZIP 1995, 591, 592; Hölters-Hölters, AktG, § 93 Rz. 27; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 59. 22) Böttcher, NZG 2009, 1047, 1052. Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 25.

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§ 93

Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder

Fähigkeiten und Kenntnisse, so muss es diese auch zur Anwendung bringen und verletzt seine Sorgfaltspflicht, wenn es dies nicht tut.23) 11 Bei der Beurteilung der Sorgfaltspflichten ist nach einer ex-ante-Betrachtung die Situation zum Zeitpunkt der Vorstandsentscheidung maßgeblich.24) Wenn der Vorstand eine Entscheidung für ein bestimmtes Vorgehen sorgfältig getroffen hat, haftet er nicht dafür, dass sich diese Entscheidung später dennoch als falsch erweist.25) b)

Legalitätspflicht

12 Nach einhelliger Auffassung ist der Vorstand stets verpflichtet, bei seiner Unternehmensführung anwendbares Recht einzuhalten, die Geschäftsführung durch den Vorstand muss also rechtmäßig sein.26) Diese Legalitätspflicht umfasst die ganze Bandbreite der Rechtsnormen, die die AG einhalten muss.27) Selbst wenn ein Rechtsbruch der Gesellschaft einen Vorteil wie bspw. eine Erhöhung des Gewinns auslösen würde (sog. nützlicher Rechtsbruch), bleibt es bei der Legalitätspflicht des Vorstands.28) Neben den gesetzlichen Vorschriften sind die Satzung und Geschäftsordnung29) sowie Hauptversammlungsbeschlüsse30) und damit die aktienrechtliche Kompetenzordnung ebenso zu beachten wie alle sonstigen in- und ausländischen gesetzlichen Vorschriften, die für die Gesellschaft Anwendung finden.31) c)

Organisationspflicht

13 Die Sorgfaltspflicht des § 93 Abs. 1 gilt nicht nur dann, wenn der Vorstand selbst Maßnahmen ergreift oder Entscheidungen trifft (wie z. B. über eine Investition, eine Änderung des Produktangebots oder ein Entwicklungsprojekt), sondern auch bei der Ausfüllung seiner Organisationspflicht: Je größer das Unternehmen der Gesellschaft ist, desto mehr tritt die Aufgabe in den Vordergrund, dieses durch Bildung einer Organisationsstruktur mit Zuständigkeiten, Verantwortlichkeiten, Berichtslinien und Überwachungsund Kontrollmechanismen so zu organisieren, dass der Unternehmenszweck i. R. des Unternehmensgegenstands effektiv verfolgt werden kann.32) Bei dieser Aufgabe kommt _____________ 23) BGH, Urt. v. 20.2.1995 – II ZR 143/93, BGHZ 129, 30, 34 = ZIP 1995, 591; Hölters-Hölters, AktG, § 93 Rz. 27; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 12 a. E.; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 25. 24) BGH, Urt. v. 3.3.2008 – II ZR 124/06 (UMTS), BGHZ 175, 365 = ZIP 2008, 785, 786; BGH, Urt. v. 1.12.2008 – II ZR 102/07 (MPS), BGHZ 179, 71 = ZIP 2009, 70, 72, dazu EWiR 2009, 129 (Blasche); LG Essen, Urt. v. 25.4.2012 – 41 O 45/10 (Arcandor), ZIP 2012, 2061, 2062 = NZG 2012, 1307, 1309, dazu EWiR 2012, 645 (Redeke); Habersack, ZIP 2006, 1327, 1330 (Urteilsanm.); Spindler in: MünchKommAktG, § 93 Rz. 25. 25) Eisenberg, Der Konzern 2004, 386, 394; Fleischer-Fleischer, Hdb. VorstandsR, § 7 Rz. 46; Spindler/StilzFleischer, AktG, § 93 Rz. 60; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 19; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 26. 26) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 93 Rz. 6; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 63; Thole, ZHR 173 (2009) 504, 509 f. 27) Fischer, DStR 2007, 1083, 1086; Habersack in: FS Uwe H. Schneider, S. 429, 432; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 8 Rz. 30. 28) Fleischer, NJW 2009, 2337, 2338; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 7. 29) K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 7; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 13; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 73. 30) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 74. 31) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rz. 23; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 7; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 8 Rz. 31; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 25 Rz. 27. 32) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 151, 153; Krekeler, ZBB 2012, 351, 352 f.; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 8 Rz. 114; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 25 Rz. 8.

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Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder

§ 93

dem Vorstand das Geschäftsleiterermessen nach der Business Judgment Rule zu (siehe hierzu unten Rz. 22).33) Eine ordnungsgemäße Unternehmensorganisation erfordert in der Regel eine angemessene 14 Unternehmensplanung und -steuerung, ein zweckmäßiges System der Berichterstattung sowie ein effektives Controlling.34) Der Vorstand muss durch die gewählte Organisation in die Lage versetzt werden, sich jederzeit ein Bild von der wirtschaftlichen und finanziellen Situation der Gesellschaft zu machen, so dass er seine Pflichten erfüllen kann.35) Die Einrichtung eines Erkennungssystems für bestandsgefährdende Risiken nach § 91 Abs. 2 ist eine konkrete Ausprägung dieser Organisationspflicht.36) Nicht einheitlich beantwortet wird in der Literatur die Frage, welche Rolle die Einhaltung 15 betriebswirtschaftlicher Standards für die Erfüllung der Organisationspflicht hat.37) Zuzustimmen ist zunächst der Auffassung, dass die Sorgfaltspflicht des Vorstands nicht die Umsetzung eines bestimmten betriebswirtschaftlichen Organisationsmodells erfordert.38) Ein solches Petitum scheitert schon daran, dass die betriebswirtschaftliche Forschung verschiedene Organisationsmodelle zur Auswahl stellt und deren Erkenntnisse im Laufe der Zeit einem Wandel unterliegen. Auch ist die theoretische Forschung stark ausdifferenziert. Sehr komplexe Organisationssysteme wird der Vorstand kleinerer und mittlerer Unternehmen so anpassen müssen, dass sie für die eigene Gesellschaft praktikabel sind. Deshalb verbietet es sich auch im Falle von Fehlentwicklungen, das praktisch eingesetzte Modell am theoretischen Ideal zu messen. Umgekehrt wird auch bestritten, dass die Anwendung eines bestimmten Managementsys- 16 tems den Vorstand entlasten könne, da sonst die Beweislastregel des § 93 Abs. 2 ausgehebelt würde.39) Dem ist in dieser Form nicht zuzustimmen.40) Zwar ist es richtig, dass nicht ein bestimmtes Modell unreflektiert übernommen werden kann. Aber wenn der Vorstand ein in Theorie und Praxis für ein bestimmtes Organisationsproblem anerkanntes Modell einsetzt und dabei geprüft hat, ob dieses auch den Besonderheiten und der Situation des eigenen Unternehmens angemessen ist, so hat er gerade die Anforderungen erfüllt, die § 93 Abs. 1 Satz 1 an ihn stellt. Indem er dies darlegt und ggf. beweist, kommt der Vorstand gerade der Darlegungs- und Beweislast nach, die § 92 Abs. 2 ihm auferlegt. Für einen solchen Beweis kann auch eine Zertifizierung oder das Testat eines Wirtschaftsprüfers bedeutend sein.41) Im Umkehrschluss heißt das nicht, dass eine Zertifizierung oder Testat zwingend erforderlich sind. _____________ 33) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 153, 156; Kort, in: GroßKomm-AktG, § 91 Rz. 66; Krekeler, ZBB 2012, 351, 354; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rz. 69. 34) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rz. 52, 54; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 9; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 25 Rz. 20. 35) BGH, Urt. v. 19.6.2012 – II ZR 243/11, ZIP 2012, 1557, 1558 – zur GmbH, dazu EWiR 2012, 559 (Schodder); Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 153. 36) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rz. 55; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 8 Rz. 115; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 98. 37) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 36; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 38. 38) Böttcher, NZG 2011, 1054, 1055 f.; Bürgers/Körber-Bürgers, AktG, § 91 Rz. 12; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rz. 62; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 36 ff., 86; Hüffer/Koch-Koch, § 76 Rz. 17; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 91 Rz. 10; Moosmayer, NJW 2012, 3013, 3016 f.; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 30, 38; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 91 Rz. 31. 39) Bürgers/Körber-Bürgers, AktG, § 91 Rz. 12; Fleischer-Spindler, Hdb. VorstandsR, § 19 Rz. 66; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 30; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 91 Rz. 71. 40) So wohl auch Dörner/Horváth/Kagermann-Hommelhoff/Mattheus, Praxis des Risikomanagements, S. 13 f., die von einer Vermutungswirkung sprechen. 41) Anders Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 30.

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§ 93

Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder

17 Hinsichtlich der Bedeutung des DCGK ist der h. M. zu folgen, wonach die Empfehlungen und Anregungen des Kodex nicht den Sorgfaltsmaßstab des § 93 konkretisieren. Folgt das Unternehmen einer Kodexempfehlung nicht, bedeutet dies daher keinen Sorgfaltsverstoß.42) Umgekehrt führt die Einhaltung des Kodex auch nicht zu einer Vermutung sorgfaltsgemäßen Handelns.43) Hierfür sind die Kodexempfehlungen in aller Regel zu abstrakt. d)

Organisationspflicht i. R. der Legalitätspflicht

18 Auch die Legalitätspflicht wandelt sich in einer arbeitsteiligen Organisation in die Pflicht, das Unternehmen so zu organisieren, dass anwendbare Rechtsvorschriften eingehalten werden.44) Was dazu erforderlich ist, hängt vom konkreten Unternehmen ab. 19 Es bedarf hier einer Abgrenzung von der absoluten Geltung der Legalitätspflicht, die keiner Abwägung der Vor- und Nachteile eines Rechtsverstoßes zugänglich ist, wenn der Vorstand selbst handelt (siehe hierzu oben Rz. 12). Bei der Aufgabe, das Unternehmen so zu organisieren, dass Rechtsverstöße vermieden werden, gilt zwar ebenfalls ein absolutes Verbot, Rechtsverstöße zu tolerieren. Im Übrigen muss der Vorstand aber im Einzelfall entscheiden, welche Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, um rechtmäßiges Verhalten der Organisation sicherzustellen.45) Je nach Tätigkeitsbereich des Unternehmens, Vertriebsmodellen, Präsenz in korruptionsanfälligen Absatzmärkten etc. bestehen große Unterschiede bei den erforderlichen Präventionsmaßnahmen. 20 Da keine Organisation denkbar ist, die alle Rechtsverstöße zuverlässig ausschließt, ist die Ausgestaltung der Organisation zur Einhaltung von Rechtsvorschriften einer Abwägung von Aufwand und Nutzen zugänglich. Der Vorstand muss mit der Sorgfalt des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters entscheiden, welche Maßnahmen erforderlich und sinnvoll sind, um Rechtsverstöße des Unternehmens zu vermeiden.46) Dabei ist ihm nach hier vertretener Auffassung ein Beurteilungsspielraum nach den Grundsätzen der Business Judgment Rule zuzubilligen.47) Die Anwendung anerkannter Compliance-Systeme unter Berücksichtigung der Besonderheiten des jeweiligen Unternehmens ist geeignet, die Einhaltung der Sorgfaltsanforderungen des § 93 Abs. 1 nachzuweisen. Ab einer gewissen Größe und Risikoexposition der Gesellschaft wird der Vorstand aus § 93 auch verpflichtet sein, ein Compliance-System einzurichten.48) 21 Der DCGK empfiehlt in Ziff. 4.1.3 i. d. F. vom 7.2.2017, ein Compliance-ManagementSystem einzurichten und dessen Grundzüge offenzulegen. Die genaue Ausgestaltung dieses Compliance-Management-Systems liegt dabei grundsätzlich im unternehmerischen Ermessen des Vorstands.49) Die Offenlegung des Systems kann bspw. an geeigneter Stelle im _____________ 42) Bachmann, WM 2002, 2137, 2138 f.; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 33; Hüffer/KochKoch, AktG, § 93 Rz. 27; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 7; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 31. 43) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rz. 48; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 34; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 31.; a. A. Seibt, AG 2002, 249, 251. 44) Schulz, BB 2017, 1475, 1478; vgl. auch Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, § 22 Rz. 590 ff.; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 93 Rz. 67; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 8 Rz. 35 ff., 39. 45) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 133 f. 46) Seyfarth, Vorstandsrecht, § 8 Rz. 39. 47) Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, § 22 Rz. 593; Schulz, BB 2017, 1475, 1478; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 8 Rz. 40. 48) Bachmann, ZIP 2014, 579, 580 (Urteilsanm.); Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 91 Rz. 47; K. Schmidt/ Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 8. 49) Fleischer, NZG 2014, 321, 324; Meyer, DB 2014, 1063, 1065; Schulz, BB 2017, 1475, 1478; Seibt/ Cziupka, DB 2014, 1598, 1599 f.; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 91 Rz. 66.

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Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder

§ 93

Geschäftsbericht erfolgen.50) Darüber hinaus soll für Beschäftigte gemäß Ziff. 4.1.3 Satz 3 DCGK in der Fassung vom 7.2.2017 ein Whistleblower-System eingerichtet werden. Ein derartiges System kann entweder durch Schaffung von internen Strukturen oder durch Rückgriff auf einen externen Dienstleister etabliert werden.51) Die Öffnung des Whistleblower-Systems für Dritte ist lediglich als Anregung ausgestaltet. 3.

Sorgfaltspflichten bei unternehmerischen Entscheidungen – Business Judgment Rule

Eine Pflichtverletzung des Vorstandsmitglieds scheidet nach der in § 93 Abs. 1 Satz 2 nor- 22 mierten Business Judgment Rule aus, wenn das Vorstandsmitglied auf Grundlage angemessener Informationen davon ausgehen durfte, zum Wohl der Gesellschaft zu handeln. Dieser Grundsatz wurde 2005 durch das UMAG52) in das Aktienrecht aufgenommen.53) In der Rechtsprechung des BGH war das Interesse am Schutz eines weiten unternehmerischen Handlungsspielraums als Basis des unternehmerischen Handelns bereits zuvor anerkannt.54) Die Business Judgment Rule erfüllt die Funktion, zu verhindern, dass im Falle von 23 nachteiligen Entwicklungen in der rückschauenden Aufarbeitung durch die Gerichte die Haftung des Vorstands doch zu einer Erfolgshaftung gerät.55) Denn obwohl anerkannt ist, dass die Einhaltung der Sorgfaltsanforderungen aus der ex-ante-Sicht zu beurteilen ist (siehe oben Rz. 11), ist dies in der Praxis nicht ganz leicht umzusetzen. Wenn es zu einer gerichtlichen Entscheidung kommt, hat sich bereits erwiesen, dass die ursprüngliche Entscheidung des Vorstands falsch war und zu einem Schaden für die Gesellschaft geführt hat. Das erscheint in der rückschauenden Perspektive stets viel vorhersehbarer, als es zum Entscheidungszeitpunkt tatsächlich war (sog. Hindsight-Bias).56) Dieses Problem wird noch durch die Beweislastregel des § 92 Abs. 2 verschärft. Deshalb bildet die Business Judgment Rule ein Gegengewicht, indem sie bei Vorliegen ihrer Voraussetzungen dem Vorstand einen gerichtlich nicht nachprüfbaren Beurteilungsspielraum einräumt, innerhalb dessen er nicht haftet, auch wenn sich die getroffene Entscheidung später als falsch erweist und es zu einem Schaden für die Gesellschaft kommt.57) Tatbestandlich setzt die Business Judgment Rule folgendes voraus:58) –

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eine unternehmerische Entscheidung des Vorstands;



auf Basis angemessener Informationen;



im guten Glauben zum Wohl der Gesellschaft;



Handeln ohne Sonderinteressen und sachfremde Einflüsse.

_____________ 50) Bings, CCZ 2017, 118, 119; Mense/Klie, BB 2017, 771, 773 f. 51) Mense/Klie, BB 2017, 771, 774. 52) Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts v. 22.9.2005 (UMAG), BGBl. I 2005, 2802. 53) Begr. RegE z. UMAG, BR-Drucks. 3/05, S. 18 f. 54) BGH, Urt. v. 21.4.1997 – II ZR 175/95 (ARAG/Garmenbeck), BGHZ 135, 244, 253 = ZIP 1997, 883, 885 f.; BGH, Urt. v. 3.12.2001 – II ZR 308/99, ZIP 2002, 213, 214 = DB 2002, 473, dazu EWiR 2002, 341 (Schäfer) – zur Genossenschaft; Henssler/Strohn-Dauner-Lieb, GesR, § 93 AktG Rz. 17; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 36. 55) Vgl. Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 61. 56) Balke/Klein, ZIP 2017, 2038, 2043; Bürgers/Körber-Bürgers, AktG, § 93 Rz. 9; Hopt/Roth in: GroßKommAktG, § 93 Rz. 61 und 63. 57) Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, § 38 Rz. 1523; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 18 f. 58) Die beiden letztgenannten sind nach der Gesetzesbegründung implizit normierte Tatbestandsmerkmale, Begr. RegE z. UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 11 f.; zur sachlichen Unbefangenheit eingehend: Koch in: FS Säcker, S 403, 405 ff.

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Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder

25 Schon die Pflichtverletzung, nicht erst das Verschulden, scheidet aus, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 93 Abs. 1 Satz 2 erfüllt sind. Die Norm hat also einen materiellrechtlichen Inhalt und dient nicht nur der Regelung der Beweislast.59) Umgekehrt liegt nicht bereits dann eine Pflichtverletzung des Vorstands vor, wenn sein Handeln nicht den Anforderungen der Business Judgment Rule entspricht.60) In diesem Fall muss die Pflichtverletzung unter Berücksichtigung der Beweislastregel zulasten des Vorstandsmitglieds gemäß § 93 Abs. 2 Satz 2 durch das Gericht festgestellt werden.61) a)

Unternehmerische Entscheidung

26 Die Business Judgment Rule ist nur im Falle einer unternehmerischen Entscheidung des Vorstands anwendbar. Voraussetzung ist also, dass der Vorstand die Freiheit hat, zwischen verschiedenen Handlungsalternativen zu wählen und nach unternehmerischer Zweckmäßigkeit zu entscheiden.62) Daran fehlt es gerade bei rechtlich gebundenen Entscheidungen. Hier trifft der Vorstand keine bewusste unternehmerische Entscheidung, sondern muss dem Normbefehl folgen.63) 27 Die Pflichtaufgaben des Vorstands (z. B. §§ 83, 90, 91 Abs. 1, 92, 124 Abs. 3, 131, 161, 170 Abs. 1) unterfallen als gebundene Entscheidungen nicht der Business Judgment Rule.64) In diese Entscheidungskategorie fallen auch Pflichten, die sich aus der Satzung, dem Anstellungsvertrag oder der Geschäftsordnung ergeben.65) 28 Nach hier vertretener Auffassung verbleibt dem Vorstand stets ein eigener Gestaltungsspielraum, wenn es darum geht, die Unternehmensorganisation so auszurichten, dass rechtlichen Vorgaben entsprochen wird. Auch wenn das Gesetz konkret bestimmte Organisationsmaßnahmen, wie etwa die Einrichtung eines Frühwarnsystems i. S. des § 91 Abs. 2, verlangt, bleibt dem Vorstand somit ein Beurteilungs- oder Ermessensspielraum für die konkrete Ausgestaltung.66) 29 In diesen Fällen ist die Anwendbarkeit der Business Judgment Rule umstritten.67) Teilweise wird die unmittelbare Anwendung des § 93 Abs. 1 Satz 2 aufgrund des Wortlauts und Sinn und Zwecks der Norm abgelehnt, zugleich aber von einem vergleichbaren, auf anderer Grundlage beruhenden, Beurteilungsspielraum ausgegangen. Vertreter dieser Auffassung halten die Business Judgment Rule insofern nur für eine Teilkodifizierung unternehmerischer Entscheidungen.68) Den Vorzug verdient die erstgenannte Auffassung, da dem Vorstand i. R. seiner Aufgaben ein Ermessensspielraum verbleibt und sein Han-

_____________ 59) K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 14; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 19. 60) Bachmann, WM 2015, 105, 107; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 20; Spindler in: MünchKommAktG, § 93 Rz. 40; a. A. Scholz, AG 2015, 222, 223 ff. 61) Bachmann in: FS Stilz, S. 25, 27 f.; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 14. 62) Lutter, ZIP 2007, 841, 843. 63) Begr. RegE z. UMAG, BR-Drucks. 3/05, S. 19; Lutter, ZIP 2007, 841, 843; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 21. 64) Koch, ZGR 2006, 769, 784 f.; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 15; Weiß/ Buchner, WM 2005, 162, 163. 65) Begr. RegE z. UMAG, BR-Drucks. 3/05, S. 19; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 74, 79; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 93 Rz. 16; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 21. 66) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rz. 69; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 22. 67) Überblick bei Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 75 f. 68) Bicker, AG 2014, 8 f.; Cahn, WM 2013, 1293, 1294; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rz. 69a; Habersack in: FS Uwe H. Schneider, S. 429, 436 f.; Habersack, in: Karlsruher Forum 2009, S. 28 f.; Holle, AG 2011, 778 ff.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 93 Rz. 11; Paefgen, AG 2014, 554, 558 ff.

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Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder

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deln somit gerade nicht durch das Gesetz oder eine andere Rechtsquelle gebunden ist. Deshalb ist es als unternehmerisches Handeln zu qualifizieren.69) Auch wenn der Vorstand im Falle einer unklaren oder umstrittenen Rechtslage eine 30 Entscheidung treffen muss, sollte die Business Judgment Rule Anwendung finden.70) Die Situation entspricht aus haftungsrechtlicher Sicht derjenigen, dass er eine unternehmerische Entscheidung fällt, da es gerade mehrere Rechtsmeinungen gibt, die gut vertretbar sind, und damit das Risiko einer abweichenden Beurteilung durch die Gerichte im Nachhinein besteht.71) Die Entscheidung des Vorstands bei unklarer Rechtslage ist folglich genau wie die unternehmerische Entscheidung im engeren Sinne mit Unsicherheit behaftet, so dass der Schutz der Business Judgment Rule gewährt werden sollte. Dabei ist es dann auch nicht erforderlich, dass der Vorstand einer sog. „am besten vertretbaren“ Rechtsauffassung (die es in der Praxis in vielen Fällen nicht gibt) folgt.72) Lediglich in Fällen, in denen eine etablierte, obergerichtlich gefestigte Rechtsprechung besteht, bedarf es wohl besonderer Gründe und besonders sorgfältiger Abwägung der damit verbundenen Risiken, wenn sich der Vorstand entscheidet, dieser nicht zu folgen.73) Liegen diese Voraussetzungen vor, handelt der Vorstand dann nach hier vertretener Auffassung dennoch i. R. des ihm zukommenden Ermessensspielraums. b)

Angemessene Informationen

aa)

Auswahl von Informationsquellen

§ 93 Abs. 1 Satz 2 findet nur Anwendung, wenn die als Entscheidungsgrundlage erforder- 31 lichen Informationen sorgfältig ermittelt74) und gründlich vorbereitet wurden.75) Diese Voraussetzung ist aus Sicht des jeweiligen Vorstandsmitglieds zu beurteilen.76) Im Zeitpunkt der Entscheidung muss das Vorstandsmitglied die Information vernünftigerweise als angemessen eingeschätzt haben. Da der Wortlaut der Norm eine angemessene Information verlangt, genügt eine Informationseinholung, die der konkreten Entscheidungssituation unter Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden Zeit und der Zugänglichkeit der Informationen gerecht wird.77) Die vom BGH aufgestellte Anforderung, die Geschäftsleitung habe „in der konkreten Entscheidungssituation alle verfügbaren Informationsquellen _____________ 69) Bachmann, ZIP 2014, 579, 580 f. (Urteilsanm.); Bachmann, ZHR 177 (2013) 1, 8 f.; Balke/Klein, ZIP 2017, 2038, 2043; Hasselbach/Ebbinghaus, AG 2014, 873, 875 ff.; Hauschka, GmbHR 2007, 11, 12 f.; Hopt in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 75 f.; Kocher, CCZ 2009, 215, 217 ff.; Mertens/Cahn in: KölnKommAktG, § 93 Rz. 19; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 20; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 45; v. Falkenhausen, NZG 2012, 644, 647. 70) Cahn, Der Konzern 2015, 105, 106 ff.; Hasselbach/Ebbinghaus, AG 2014, 873, 882; K. Schmidt/LutterKrieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 16; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 22. 71) K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 16. 72) K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 16; a. A. Langenbucher, ZBB/JBB 2013, 16, 22. 73) BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09 (Ision), ZIP 2011, 2097 = NZG 2011, 1271, dazu EWiR 2011, 793 (Vetter); Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rz. 31; Haertlein, ZHR 168 (2004) 437, 463; Hopt/ Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 138; Thole, ZHR 173 (2009) 504, 524. 74) BGH, Beschl. v. 14.7.2008 – II ZR 202/07, ZIP 2008, 1675, 1676 f. = NJW 2008, 3361, 3362 f.; – zur GmbH; BGH, Beschl. v. 3.11.2008 – II ZR 236/07, ZIP 2009, 223 = AG 2009, 117 – zur Genossenschaft; Fleischer-Fleischer, Hdb. VorstandsR, § 7 Rz. 58. 75) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rz. 70. 76) Begr. RegE z. UMAG, BR-Drucks. 3/05, S. 20 f.; BGH, Beschl. v. 3.11.2008 – II ZR 236/07, ZIP 2009, 223 = AG 2009, 117. 77) Begr. RegE z. UMAG, BR-Drucks. 3/05, S. 20; OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 15.6.2011 – 21W 18/11 (Commerzbank/Dresdner Bank), ZIP 2011, 1764 = AG 2011, 755, dazu EWiR 2011, 725 (Mock); Baur/Holle, AG 2017, 597, 603; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 17; Lutter, ZIP 2007, 841, 844 f.; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 93 Rz. 33.

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§ 93

Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder

tatsächlicher und rechtlicher Art“ auszuschöpfen,78) geht deshalb zu weit.79) Vielmehr ist dem Vorstand gerade auch bei der Frage der Angemessenheit der Informationsgrundlage ein Beurteilungsspielraum zuzubilligen.80) 32 Dies ist schon deshalb erforderlich, um Tendenzen in der Rechtsprechung entgegenzuwirken, die die Business Judgment Rule durch überzogene Anforderungen an die Informationsgrundlage81) auszuhebeln drohen.82) Denn ebenso wie es in der rückblickenden Beurteilung immer so wirkt, als habe sich aufdrängen müssen, dass die vom Vorstand getroffene Entscheidung zu einem Schaden für das Unternehmen führen wird, wird sich rückblickend immer auch noch eine weitere Informationsquelle finden, die, wäre sie nur ausgeschöpft worden, die Fehleinschätzung des Vorstands offensichtlich hätte werden lassen. 33 Vor dem Hintergrund der strengen Position des BGH (die allerdings auch Raum für die Berücksichtigung der konkreten Entscheidungssituation lässt)83) wird es sich aber in der Praxis dennoch empfehlen, alle greifbaren Informationsquellen, deren Nutzung im konkreten Fall möglich und vertretbar ist, heranzuziehen. Ebenso große Bedeutung kommt der Dokumentation der genutzten Informationsquellen zu. Denn dafür, dass die Informationsgrundlage angemessen war, trägt der Vorstand die Beweislast und gerade dieser Beweis lässt sich im Nachhinein schwer führen, wenn der Entscheidungsprozess nicht hinreichend dokumentiert wurde.84) In der Praxis bietet es sich insbesondere an, die der Entscheidung zugrunde liegenden Informationen in ausführlichen Vorstandsvorlagen zu dokumentieren. bb)

Unterstützung bei der Schaffung der Informationsgrundlage

34 Bei der Beschaffung der Informationen, die Grundlage seiner Entscheidung sind, kann sich der Vorstand durch Mitarbeiter des Unternehmens sowie durch externe Berater unterstützen lassen. Wenn er selbst nicht über die erforderliche Sachkunde verfügt, ist er hierzu sogar verpflichtet.85) Es gelten dann die allgemeinen Grundsätze der Delegation von Geschäftsführungsaufgaben. Der Vorstand muss seine Ratgeber sorgfältig auswählen, und instruieren und deren Arbeit in geeigneter Form kontrollieren. Besonders differenzierte Anforderungen hat die Rechtsprechung für die Einholung von Rechtsrat durch den Vorstand entwickelt.86) Diese dürften, ggf. in vereinfachter Form, für jede Einholung von _____________ 78) BGH, Beschl. v. 14.7.2008 – II ZR 202/07, ZIP 2008, 1675, 1676 = NJW 2008, 3361, 3362. 79) So auch Goette in: FS 50 Jahre BGH, S. 123, 140 f.; kritisch hierzu Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rz. 75; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 93 Rz. 20; vgl. auch Kindler in: FS Goette, S. 231, 232 f.; noch weitergehend Freitag/Korch, ZIP 2012, 2281, 2284 f., die die Business Judgment Rule auch auf die Informationsgrundlage anwenden wollen. 80) OLG Celle, Urt. v. 28.5.2008 – 9 U 184/07, WM 2008, 1745, 1746= AG 2008, 711; Bosch/Lange, JZ 2009, 225, 231; Schäfer, ZIP 2005, 1253, 1258; Heidel-U. Schmidt, AktR, § 93 AktG Rz. 87. 81) BGH, Urt. v. 22.2.2011 – II ZR 146/09, NZG 2011 549, 551 = ZIP 2011, 766; BGH, Urt. v. 18.6.2013 – II ZR 86/11, Rz. 30, ZIP 2013, 1712 = GmbhR 2013, 1044, dazu EWiR 2013, 775 (Weipert) – zur GmbH. 82) K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 17. 83) Koch in: MünchHdb. GesR, Bd. 7, § 30 Rz. 15; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 48. 84) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 81, 125, 438. 85) BGH, Urt. v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265, 1266 f. = NJW 2007, 2118, 2120, dazu EWiR 2007, 495 (Henkel/Mock); BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09 (Ision), ZIP 2011, 2097, 2099 = AG 2011, 876, 877; BGH, Urt. v. 27.3.2012 – II ZR 171/10, ZIP 2012, 1174, 1175 = WM 2012, 1124, 1126, dazu EWiR 2012, 457 (Wackerbarth); Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 108. 86) BGH, Urt. v. 20.09.2011 – II ZR 234/09 (Ision), ZIP 2011, 2097, 2099 = AG 2011, 876, 877 f.; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 139.

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Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder

§ 93

Expertenrat gelten.87) Danach muss der Vorstand einen sachlich qualifizierten Berater auswählen, der in der Lage ist, seinen Rat zu erteilen, ohne dabei von Eigeninteressen beeinflusst zu werden. Dabei kann es sich auch um unternehmensinterne Mitarbeiter handeln.88) Er muss den Berater so umfassend informieren, dass er seine Aufgabe erfüllen kann. Den erteilten Rat muss der Vorstand einer Plausibilitätskontrolle unterziehen. (1)

Fachliche Qualifikation

Ob der Ratgeber tatsächlich über die erforderliche Fachkompetenz verfügt, muss der Vor- 35 stand im Hinblick auf die von ihm eingeschaltete Auskunftsperson individuell und kritisch überprüfen bzw. hinterfragen.89) Dennoch ist es nicht erforderlich, dass die fachliche Geeignetheit durch eine Formalqualifikation, wie die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Berufsgruppe oder einen Fachanwaltstitel, nachgewiesen wird.90) (2)

Unabhängigkeit

Die Unabhängigkeit des Ratgebers setzt grundsätzlich voraus, dass kein Interessenkon- 36 flikt vorliegt.91) Eine Abhängigkeit ist nicht bereits dadurch indiziert, dass ein anwaltlicher Berater bereits vorab mit dem Fall befasst war92) oder der Ratgeber regelmäßig durch die AG beauftragt wird.93) Insofern kann es jedoch angezeigt sein, stichprobenartig Gegenmeinungen einzuholen. Ergeben sich Anhaltspunkte dafür, die an der Objektivität des Ratgebers Zweifel aufkommen lassen, müssen weitere Anwälte eingeschaltet werden.94) Grundsätzlich verfügt auch die Rechtsabteilung selbst über die notwendige Unabhängig- 37 keit.95) Die „wirtschaftliche Abhängigkeit“ der Unternehmensjuristen von der AG als Arbeitgeber kann im Zweifel nicht anders zu beurteilen sein als bei externen Rechtsanwaltskanzleien, die von einem Unternehmen als wichtigem Groß- oder Dauermandant abhängen.96) Jedenfalls ist der Unternehmensjurist arbeitsvertraglich verpflichtet, Schaden von der Gesellschaft abzuwehren und unterliegt im Falle von strafrechtlich relevantem Verhalten der Strafverfolgung.97) Eine kritische Prüfung der Unabhängigkeit im Einzelfall ist dennoch angezeigt.98) Die Entlastungswirkung, die einem externen Ratgeber zukommt, wird in der Regel als höher eingestuft, da keine Weisungsabhängigkeit besteht.99) Dieser Grundsatz scheint sich auf europäischer Ebene verstärkt durchzusetzen.100) _____________ 87) Kritisch Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 110. 88) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 109, 139. 89) OLG Stuttgart, Urt. v. 25.11.2009 – 20 U 5/09, ZIP 2009, 2386, 2389 = WM 2010, 120, 123, dazu EWiR 2010, 477 (Becker/Laubinger); Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 35. 90) Binder, ZGR 2012, 757, 770; Müller, DB 2014, 1301, 1302. 91) Fleischer, ZIP 2009, 1397, 1403; Merkt/Mylich, NZG 2012, 525, 528; Selter, AG 2012, 11, 14 f. 92) Krieger, ZGR 2012, 496, 500 f.; a. A. Hölters-Hölters, AktG, § 93 Rz. 249b; Strohn, ZHR 176 (2012) 137, 139 f. 93) Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 80. 94) Krieger, ZGR 2012, 496, 501. 95) Fleischer, ZIP 2009, 1397, 1403; Junker/Biederbick, AG 2012, 898 ff.; Krieger, ZGR 2012, 496, 502; Selter, AG 2012, 11, 14 f.; Strohn, ZHR 176 (2012) 137, 140 f.; Wagner, BB 2012, 651, 655 f.; zurückhaltender Hölters-Hölters, AktG, § 93 Rz. 249b; Uwe H. Schneider, DB 2011, 99, 102; Vetter, EWiR 2011, 793, 794 (Urteilsanm.). 96) Freund, GmbHR 2011, 238, 240; Junker/Biederbick, AG 2012, 898, 902. 97) Fleischer, NZG 2010, 121, 123; Klöhn, DB 2013, 1535, 1538 f.; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 80. 98) Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 35. 99) Hölters-Hölters, AktG, § 93 Rz. 249b. 100) Vgl. EuGH, Urt. v. 14.9.2010 – C-550/07 P (Akzo Nobel), NJW 2010, 3557, 3560 = ZIP 2010, 1941, 1943 (zum Anwaltsprivileg), dazu EWiR 2010, 835 (Engelhoven/Todt); EuGH, Schlussanträge GA Juliane Kokott v. 28.2.2013 im Verfahren C-681/11 (Schenker), NZKart 2013, 147, 150; kritisch dazu Fleischer, EuZW 2013, 326, 329.

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§ 93

Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder

38 Da jeder interne wie externe Experte bei der Erteilung seines Rates auch wirtschaftliche Ziele verfolgt und nicht seinen Auftrag verlieren bzw. auch den nächsten Auftrag für sich gewinnen bzw. seinen Arbeitsplatz behalten will, lässt sich eine gewisse Tendenz, ein (vermeintlich) gewünschtes Ergebnis zu liefern, nie gänzlich ausschließen. Gerade deshalb sollte der Fokus stärker darauf gelegt werden, dass der jeweilige Berater ernsthaft und glaubhaft dahingehend instruiert wird, dass eine unvoreingenommene Prüfung der zur Begutachtung stehenden Frage zu erfolgen hat.101) (3)

Umfassende Information

39 Des Weiteren muss der Vorstand den Ratgeber vorab informieren und dazu umfassend die für die anstehende Begutachtung relevanten Verhältnisse der Gesellschaft offenlegen und die erforderlichen Unterlagen zur Verfügung stellen.102) Gibt der Vorstand Informationen nicht heraus, weil er sie für unwichtig erachtete, gereicht ihm dies nicht zum Nachteil, wenn ihm dies nicht vorwerfbar ist.103) (4)

Plausibilitätskontrolle

40 Darüber hinaus entfaltet der eingeholte Rat nur dann haftungsausschließende Wirkung, wenn der Vorstand diesen einer Plausibilitätskontrolle unterzieht.104) In der Ision-Entscheidung hielt der BGH die nur mündliche gegebene Auskunft für ungeeignet, weil sich, ungeachtet der Frage, ob die Plausibilitätskontrolle durchgeführt worden war, nicht feststellen ließ, ob diese Auskunft überhaupt einer solchen Kontrolle zugänglich war.105) Ohnehin empfiehlt sich eine schriftliche Dokumentation zu Beweiszwecken.106) Der Umfang der offengelegten Informationen, der zur Verfügung gestellt wurde, sollte in einem schriftlichen Gutachten aus den gleichen Gründen dokumentiert werden.107) 41 Auch die Plausibilitätsprüfung als solche müssen die Vorstandsmitglieder im Einzelfall darlegen und beweisen.108) Insofern bietet sich die Erörterung der Auskunft in der Vorstandssitzung, in der über die Maßnahme entschieden wird, und eine Protokollierung der Diskussion an.109) Wie hoch die Anforderungen an die Plausibilitätskontrolle des Vorstands sind, ist umstritten. Nach einer Ansicht müsse sich der Vorstand nach seinem laienhaften Verständnis von der Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit der Auskunft überzeugen.110) Bei Widersprüchen, oberflächlicher Bearbeitung, mangelhafter Gewichtung unterschiedlicher Interessen oder nicht erkennbarer Berücksichtigung ober- und höchstrichterlicher Rechtsprechung sei die Plausibilität abzulehnen. Bei Zugrundelegung eines laienhaften Verständnisses als Ausgangspunkt für die Plausibilitätskontrolle erscheint es hingegen überzeugender, keine überhöhten Anforderungen an diese Kontrolle zu stellen. Kommt der Vorstand zum Ergebnis, dass der Ratgeber die gestellte Frage unter Berücksichtigung _____________ 101) In diese Richtung auch BGH, Urt. v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, Rz. 36, ZIP 2015, 1220, 1223 = AG 2015, 535. 102) BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09 (Ision), ZIP 2011, 2097, 2099 = AG 2011, 876, 877; BGH, Urt. v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265, 1267 = NJW 2007, 2118; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 8 Rz. 35. 103) Fleischer, NZG 2010, 121, 124; zurückhaltender Strohn, ZHR 176 (2012) 137, 139. 104) BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09 (Ision), ZIP 2011, 2097, 2099 f. = AG 2011, 876, 877 f.; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 8 Rz. 36; kritisch dazu Krieger, ZGR 2012, 496, 502. 105) BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09 (Ision), ZIP 2011, 2097, 2100 = AG 2011, 876, 878. 106) Fleischer, NZG 2010, 121, 125; Krieger, ZGR 2012, 496, 498, 502 f.; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 8 Rz. 37. 107) Strohn, ZHR 176 (2012) 137, 139. 108) BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09 (Ision), ZIP 2011, 2097, 2100 = AG 2011, 876, 878. 109) Seyfarth, Vorstandsrecht, § 8 Rz. 37. 110) Strohn, ZHR 176 (2012) 137, 142.

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Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder

§ 93

aller relevanten Aspekte beantwortet und ist die konkret geplante Maßnahme auch von der Antwort erfasst, ist der Prüfpflicht Genüge getan.111) Insbesondere Rechtsauskünfte müssen nicht vom Vorstand selbst auf ihre rechtliche Richtigkeit hin kontrolliert werden.112) c)

Im guten Glauben zum Wohl der Gesellschaft

Ein Handeln zum Wohle der Gesellschaft liegt vor, wenn dieses der langfristigen Ertrags- 42 stärkung und Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens und seiner Produkte und Dienstleistungen dient.113) Ob dies der Fall ist, lässt sich mit Sicherheit erst in der Rückschau feststellen. Für die Beurteilung der Vorstandsverantwortung kommt es indes allein auf die ex-ante-Sicht an.114) Ein Handeln zum Wohle der Gesellschaft schließt nicht aus, dass der Vorstand bei seinen 43 Entscheidungen auch Risiken eingeht. Teilweise wird dabei das Eingehen existenzgefährdender Risiken grundsätzlich als mit dem Wohl der Gesellschaft unvereinbar angesehen.115) So eingängig die dabei verwendeten Formeln klingen mögen („Denn kein Vorstand handelt sorgfaltsmäßig, wenn er Risiken für sein Unternehmen eingeht, die, wenn sie sich verwirklichen, zum Untergang des Unternehmens führen.“)116), so wenig vermögen sie in dieser Pauschalität zu überzeugen.117) Jede Kausalkette lässt sich bei entsprechenden Annahmen so fortsetzen, dass am Ende der Untergang des Unternehmens droht. Gerade (aber nicht nur) in Krisenzeiten findet sich der Vorstand häufig in einer Situation, in der alle zur Verfügung stehenden Handlungsalternativen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eine Existenzbedrohung beinhalten. Diese Fälle können mit einem pauschalen Verbot, existenzgefährdende Risiken einzugehen, nicht angemessen bewältigt werden. Überzeugend ist es vielmehr, zu verlangen, dass der Vorstand mit existenzgefährdenden 44 Risiken mit der Sorgfalt des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters umgeht.118) Das bedeutet, dass er sie vermeiden wird, wenn es nicht wirtschaftliche Gründe gibt, die die Eingehung rechtfertigen und dass er, wenn die Existenz des Unternehmens bedroht ist, besonderes sorgfältig die verschiedenen Handlungsalternativen untersucht und abwägt, den Grad der Wahrscheinlichkeit des Risikoeintritts berücksichtigt und verfügbare Absicherungsmöglichkeiten ausschöpft.119) Der Handelnde muss selbst davon ausgehen, zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Ist 45 das nicht der Fall, greift die Business Judgment Rule nicht ein, selbst wenn objektiv eine Entscheidung im Interesse der Gesellschaft getroffen wird.120) In diesem Fall besteht keine Schutzwürdigkeit.121) Allerdings dürfte sich dann in der Regel auch keine Haftungsfrage stellen.122) _____________ 111) Müller, DB 2014, 1301, 1304 f.; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 8 Rz. 37. 112) BGH, Urt. v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, ZIP 2015, 1220, 1223 = AG 2015, 535, 537; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 8 Rz. 37. 113) Begr. RegE z. UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 11; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 93 Rz. 23; Koch, ZGR 2006, 769, 790; Schäfer, ZIP 2005, 1253, 1258. 114) Begr. RegE z. UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 11; Weiss/Buchner, WM 2005, 162, 164. 115) Lutter, ZIP 2009, 197, 198 f.; Lutter, ZIP 2007, 841, 844; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 93 Rz. 24. 116) OLG Düsseldorf, Beschl. v. 9.12.2009 – I-6 W 45/09, ZIP 2010, 28, 32 = AG 2010, 126. 117) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 93 Rz. 27. 118) K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 18. 119) Balthasar/Hamelmann, WM 2010, 589, 590; Böttcher, NZG 2009, 1047, 1048 f.; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 88; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 18 f.; Redeke, ZIP 2010, 159 ff. 120) Vgl. Begr. RegE z. UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 11. 121) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rz. 76. 122) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 93 Rz. 24.

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§ 93 d)

Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder Handeln ohne Sonderinteresse und sachfremde Einflüsse

46 Nach der Gesetzesbegründung darf nur derjenige annehmen, zum Wohle der Gesellschaft zu handeln, dessen Handeln nach seiner eigenen Überzeugung frei ist von Sonderinteressen und sachfremden Einflüssen.123) Daran fehle es in der Regel, wenn sich ein Vorstandsmitglied in einem Interessenkonflikt befindet.124) Wird die Anwendbarkeit der Business Judgment Rule jedoch bereits pauschal abgelehnt, sobald ein Interessenkonflikt objektiv besteht,125) bleibt kein Beurteilungsspielraum dafür, ob sich der Interessenkonflikt tatsächlich ausgewirkt hat. Interessengerechtere Ergebnisse lassen sich erzielen, wenn bei der Prüfung der Vorstandsentscheidung ein besonderes Augenmerk darauf gelegt wird, ob das Vorstandsmitglied dennoch von einer Entscheidung zum Wohle der Gesellschaft ausgehen durfte.126) 47 Abzulehnen ist die Auffassung127) es komme bei einem objektiv bestehenden Interessenkonflikt auf die Kenntnis der Konfliktlage nicht an,128) denn in diesen Fällen werde die unternehmerische Entscheidung nicht beeinflusst. Davon zu trennen ist freilich die Frage der Beweislast hinsichtlich der Unkenntnis, welche beim Vorstandsmitglied liegt.129) 48 Nach der Gesetzesbegründung liegt ein Interessenkonflikt offensichtlich dann vor, wenn ein Handeln zum eigenen Nutzen oder zu dem Geschäftsleiter nahestehenden Personen oder Gesellschaften vorliegt.130) Zur Konkretisierung der Gruppe der nahe stehenden Personen kann eine Orientierung an § 89 Abs. 3 Satz 1 AktG, § 15 Abs. 1 Satz 1 KWG, § 1795 Abs. 1 BGB, § 138 Abs. 1 InsO erfolgen.131) Darüber hinaus ist die Frage, ob ein Interessenkonflikt vorliegt im Einzelfall wertend danach zu bestimmen, ob eine Relevanzschwelle überschritten wird. Ohne dieses Erfordernis würde der Business Judgment Rule der Anwendungsbereich genommen.132) 49 Nicht überzeugend ist schließlich die Auffassung, nach der bei Kollegialentscheidungen der von den Übrigen unerkannte Interessenkonflikt eines Vorstandsmitglied die anderen Vorstandsmitglieder infiziere, so dass niemand sich auf die Business Judgment Rule berufen könne.133) Dafür gibt es schon keinen Anhaltspunkt im Wortlaut.134) Vielmehr widerspricht die Auffassung der individuellen Perspektive („annehmen durfte"). 50 Ein konfliktbefangenes Vorstandsmitglied muss den Interessenkonflikt gegenüber dem Gesamtvorstand offenlegen und sich, soweit möglich, der Beteiligung an der Entscheidung enthalten, um sich nicht Haftungsrisiken auszusetzen, ohne vom Schutz der Business Judgment Rule zu profitieren.135) Erfolgt dies nicht, können die anderen Vorstandsmit_____________ 123) 124) 125) 126) 127) 128) 129) 130) 131) 132) 133) 134) 135)

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Begr. RegE z. UMAG, BR-Drucks. 3/05, S. 20. Begr. RegE z. UMAG, BR-Drucks. 3/05, S. 20; Fleischer, ZIP 2004, 685, 690 f.; Lutter, ZIP 2007, 841, 844. Lutter in: FS Priester, S. 417, 422 f.; Lutter, ZIP 2007, 841, 844; Koch in: FS Säcker, S. 403, 405 f. K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 17; Krieger/Schneider-Krieger, Hdb. der Managerhaftung, § 3 Rz. 3.15. Lutter in: FS Priester, S. 417, 422 f. Harbath in: FS Hommelhoff, S. 323, 329 f.; Löbbe/Fischbach, AG 2014, 717, 727; Koch, ZGR 2014, 697, 703 f. Koch, ZGR 2014, 697, 704; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 93 Rz. 29. Begr. RegE z. UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 11. Harbath in: FS Hommelhoff, S. 323, 330 f.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 93 Rz. 25. Harbath in: FS Hommelhoff, S. 323, 333 ff.; Koch, ZGR 2014, 697, 706 f. Lutter in: FS Canaris, Bd. 2, S. 245, 248 f.; Blasche, AG 2010, 692, 695 f.; Scholderer, NZG 2012, 168, 175. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 93 Rz. 26. Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rz. 72a.

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Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder

§ 93

glieder das befangene Vorstandsmitglied von der Entscheidung ausschließen.136) Entgegen einer insoweit vertretenen Ansicht137) verlieren aber auch die übrigen Vorstandsmitglieder nicht den Schutz der Business Judgment Rule, wenn ein solcher Ausschluss unterbleibt. Denn wenn sie selbst weiterhin annehmen dürfen, bei ihrer Entscheidung zum Wohle der Gesellschaft zu handeln, gibt es keinen Grund für eine solche Haftungsverschärfung.138) In prozessualer Hinsicht trifft die übrigen Vorstandsmitglieder allerdings eine erhöhte Darlegungslast dafür, dass die Argumente des befangenen Vorstandsmitglieds im Vorfeld der Abstimmung besonders kritisch geprüft wurden.139) 4.

Organschaftliche Treupflicht

Aus dem Organverhältnis lässt sich eine Treupflicht gegenüber der Gesellschaft ableiten, 51 der die Vorstandsmitglieder unterliegen.140) Das Wettbewerbsverbot gemäß § 88 Abs. 1 und die Verschwiegenheitspflicht nach § 93 Abs. 1 Satz 3 werden als gesetzliche Ausprägung der Treupflicht verstanden.141) Die Treupflicht fordert im Grundsatz ein loyales Verhalten von den Vorstandsmitgliedern gegenüber der Gesellschaft und die Wahrung der Gesellschaftsinteressen.142) Daraus folgt die Verpflichtung, in den Geschäftskreis der Gesellschaft fallende Geschäftschancen für die Gesellschaft und weder zum eigenen Vorteil noch für nahe stehende Dritte zu nutzen.143) Demgemäß sollen die Vorstandsmitglieder Interessenkonflikte grundsätzlich vermeiden.144) Bei der Aushandlung der eigenen Anstellungsverträge dürfen die Vorstandsmitglieder jedoch ihre eigenen Interessen verfolgen.145) Alle anderen Geschäfte, die der Vorstand mit der Gesellschaft tätigt, müssen aufgrund der Treupflicht einem Drittvergleich standhalten.146) Wenn der Aufsichtsrat nach Prüfung der Geschäftschance auf Basis vollständiger Informationen zum Ergebnis gelangt, dass der Gesellschaft kein Nachteil entsteht, kann er dem Vorstandsmitglied die Nutzung der Geschäftschance analog § 88 Abs. 1 erlauben.147) 5.

Verschwiegenheitspflicht (§ 93 Abs. 1 Satz 3)

Nach § 93 Abs. 1 Satz 3 haben Vorstandsmitglieder über vertrauliche Angaben und Ge- 52 heimnisse der Gesellschaft, namentlich Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse, die den Vorstandsmitgliedern durch ihre Tätigkeit imVorstand bekanntgeworden sind, Stillschweigen zu bewahren. Die Verschwiegenheitspflicht ergibt sich aus der organschaftlichen Treu_____________ 136) 137) 138) 139) 140)

141) 142) 143)

144) 145) 146) 147)

Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 93 Rz. 26. Koch in: FS Säcker, S. 403, 414 ff.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 93 Rz. 26. Löbbe/Fischbach, AG 2014, 717, 727 f.; Hölters-Hölters, AktG, § 93 Rz. 38. Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rz. 72a. BGH, Urt. v. 9.11.1967 – II ZR 64/67, BGHZ 49, 30 = WM 1968, 613, und BGH, Urt. v. 23.9.1985 – II ZR 257/84, ZIP 1985, 1482, 1483 = NJW 1986, 584, 585 – jeweils zur GmbH; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 93 Rz. 28; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 93 Rz. 95; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 108. Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rz. 113; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 108. Hölters-Hölters, AktG, § 93 Rz. 115; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 145; K. Schmidt/LutterKrieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 21. BGH, Urt. v. 23.9.1985 – II ZR 246/84, ZIP 1985, 1484 f. = NJW 1986, 585 f. – zur GmbH; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 21; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 25 Rz. 41. Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 108; zum Umgang mit Interessenkonflikten Diekmann/ Fleischmann, AG 2013, 141, 145 ff. Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 243 ff.; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 93 Rz. 108. Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rz. 135; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 21. Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 93 Rz. 105; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 25 Rz. 44.

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Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder

pflicht (siehe hierzu oben Rz. 51). und kann weder durch Satzung, noch Geschäftsordnung oder Anstellungsvertrag eingeschränkt148) oder erweitert149) werden, da sie gesetzlich zwingend ist. Verpflichtet sind sämtliche Vorstandsmitglieder, auch die gerichtlich bestellten (§ 85 Abs. 1), stellvertretenden (§ 94) und entsandten (§ 105 Abs. 2) Mitglieder.150) Die Pflicht richtet sich auch an faktische Organmitglieder151) und geht über die Beendigung des Mandats hinaus.152) Die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht wird durch kapitalmarktrechtliche (z. B. Art. 14 lit. c MMVO153)), wettbewerbsrechtliche (z. B. § 17 UWG) und datenschutzrechtliche (z. B. §§ 27 ff. BDSG) Vorschriften ergänzt.154) a)

Vertrauliche Angaben und Geheimnisse der Gesellschaft

53 Geheimnisse der Gesellschaft sind Tatsachen, die nicht offenkundig, sondern nur einem begrenzten Personenkreis bekannt sind und subjektiv nach dem (geäußerten oder mutmaßlichen) Willen der Gesellschaft nicht bekannt werden sollen und hinsichtlich derer objektiv ein berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung besteht.155) Das Vorstandsermessen bei der Bestimmung des Geheimhaltungswillens findet seine Grenze in dem objektiven Bedürfnis nach Geheimhaltung; der Vorstand darf die Verschwiegenheitspflicht nicht „wegdefinieren“.156) Die Nennung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen ist nicht abschließend; erfasst sind technische Daten (z. B. Produktionsabläufe und Forschungsergebnisse), kaufmännisch-betriebswirtschaftliche Informationen (z. B. Kundendaten und Unternehmensplanungen) sowie gesellschaftsinterne Vorgänge (z. B. Verlauf und Ergebnisse von Vorstands- und Aufsichtsratssitzungen)157).158) 54 Vertrauliche Angaben umfassen darüber hinausgehend alle, auch offenkundige Informationen, bzgl. derer die Gesellschaft ein Interesse daran hat, dass sie nicht weitergegeben werden.159) Die Abgrenzung zum Geheimnis ist vor allem für den Tatbestand des § 404 relevant, der sich nur auf die Offenlegung von Geheimnissen bezieht.160) 55 Die Geheimnisse und vertraulichen Angaben müssen den Vorstandsmitgliedern durch ihre Tätigkeit im Vorstand bekannt geworden sein. Ausreichend ist insoweit allerdings, dass die Vorstandsmitgliedschaft im weitesten Sinne ursächlich für die Kenntnis war.161) _____________ 148) K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 22; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 126. 149) BGH, Urt. v. 5.6.1975 – II ZR 156/73, BGHZ 64, 325 = NJW 1975, 1412 f.; K. Schmidt/LutterKrieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 21. 150) K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 22; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 8 Rz. 87. 151) Bürgers/Körber-Bürgers/Israel, AktG, § 93 Rz. 47; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rz. 161. 152) Begr. RegE in: Kropff, AktG, S. 123; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 22; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 93 Rz. 122. 153) Verordnung Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 16.4.2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung – MMVO), ABl. (EU) L 173/1, zuletzt geändert durch Art. 2 ÄndVO (EU) 2016/1033 v. 23.6.2016, ABl. (EU) L 175/1. 154) Seyfarth, Vorstandsrecht, § 8 Rz. 86. 155) BGH, Urt. v. 5.6.1975 – II ZR 156/73, BGHZ 64, 325, 329 = NJW 1975, 1412; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 283; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 117; a. A. Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, § 14 Rz. 342, soweit es um das Erfordernis eines berechtigten wirtschaftlichen Interesses an der Geheimhaltung geht; darauf komme es nicht an, wenn die Tatsache vom Vorstand als Geheimnis qualifiziert worden sei. 156) Seyfarth, Vorstandsrecht, § 8 Rz. 88. 157) BGH, Urt. v. 5.6.1975 – II ZR 156/73, BGHZ 64, 325 = NJW 1975, 1412, 1413; Spindler/StilzFleischer, AktG, § 93 Rz. 164. 158) Seyfarth, Vorstandsrecht, § 8 Rz. 88. 159) Fleischer-Körber, Hdb. VorstandsR, § 10 Rz. 9; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 24; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 8 Rz. 89. 160) Fleischer-Körber, Hdb. VorstandsR, § 10 Rz. 9; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 8 Rz. 89. 161) Seyfarth, Vorstandsrecht, § 8 Rz. 90; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 122.

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Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder

§ 93

Aufgrund ihrer allgemeinen organschaftlichen Treupflicht (siehe hierzu oben Rz. 51) können die Vorstandsmitglieder zum Wohle der Gesellschaft jedoch auch dazu verpflichtet sein, Informationen vertraulich zu behandeln, die sie privat oder in anderen Funktion (z. B. als Aufsichtsratsmitglied einer anderen Gesellschaft) erlangt haben.162) b)

Umfang und Grenzen der Verschwiegenheitspflicht

Die Verschwiegenheitspflicht gilt grundsätzlich gegenüber jedermann, also insbesondere 56 im Verhältnis zu Aktionären, Arbeitnehmern, Betriebsräten, Wettbewerbern, Geschäftspartnern und der allgemeinen Öffentlichkeit.163) Es gibt allerdings einige gesetzliche Ausnahmen. Aktionären müssen Auskünfte etwa gemäß §§ 131, 175 Abs. 2, 176 Abs. 1 erteilt werden. Dem Betriebsrat stehen Auskunftsrechte nach §§ 90, 92, 99, 111 BetrVG zu, während der Wirtschaftsausschuss solche Rechte nach §§ 106 Abs. 2, 108 Abs. 5 BetrVG und die Arbeitnehmer nach § 110 BetrVG geltend machen können. Keine Pflicht zur Verschwiegenheit existiert außerdem innerhalb des Vorstands sowie 57 gegenüber dem Aufsichtsrat in Bezug auf Auskunfts- und Berichtspflichten, da die Aufsichtsratsmitglieder gemäß § 116 Satz 1 und 2 der gleichen Verschwiegenheitspflicht unterliegen. Auch der Abschlussprüfer (vgl. § 320 Abs. 2 HGB) und die Prüfstelle für Rechnungslegung i. S. von § 342b HGB sind von der Verschwiegenheitspflicht ausgenommen. Die bei der Prüfstelle Beschäftigten haben im Gegenzug eine eigene Verschwiegenheitspflicht nach § 342c HGB.164) Im Vertragskonzern besteht gegenüber dem herrschenden Unternehmen keine Verschwie- 58 genheitspflicht; vielmehr ist das abhängige Unternehmen bei entsprechender Weisung sogar zur Informationsweitergabe verpflichtet.165) Auch im faktischen Konzern ist der Vorstand berechtigt, Informationen an das herrschende Unternehmen weiterzugeben, ohne gegen § 93 Abs. 1 Satz 3 zu verstoßen.166) Allerdings gelten für die Informationserteilung die §§ 311 ff., so dass es zur Haftung kommt, wenn durch die Informationserteilung für das abhängige Unternehmen ein Nachteil entsteht, der nicht ausgeglichen wird.167) Bei Mitgliedschaft in Organen mehrerer Gesellschaften, die nicht miteinander verbunden sind, besteht keine Auskunftspflicht, für Informationen der jeweils anderen Gesellschaft, so dass die Informationsweitergabe hier nicht erlaubt ist.168) Kapitalmarktrechtliche Auskunftspflichten ergeben sich darüber hinaus aus Art. 17 MMVO, 59 § 26 WpHG und §§ 21 ff. WpHG. Schließlich gibt es eine Reihe weiterer behördlicher Auskunftsrechte von Behörden wie etwa der BaFin.169) Eine Offenbarung von Informationen ist erlaubt, wenn die Gesellschaft ein überwiegendes 60 Interesse daran hat.170) Davon ist auszugehen, wenn anderenfalls ein Geschäft nicht zustandekommt oder die Informationen i. R. von Darlehensverträgen mit Banken oder konzernverbundenen Unternehmen sowie i. R. von Verhandlungen über einen Sozialplan relevant _____________ 162) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 289; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 24; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 8 Rz. 90. 163) K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 26; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 8 Rz. 91. 164) K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 26; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 8 Rz. 92. 165) K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 26; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 25 Rz. 47. 166) Hölters-Hölters, AktG, § 93 Rz. 148; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 93 Rz. 42. 167) Hölters-Hölters, AktG, § 93 Rz. 148; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 26; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 25 Rz. 47; vgl. auch Verse, ZHR 175 (2011) 401, 420 f. 168) Bank, NZG 2013, 801, 803. 169) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 93 Rz. 33; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 26. 170) Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 93 Rz. 120; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 8 Rz. 93.

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§ 93

Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder

sind.171) Auch wenn die Gesellschaft zur Vorbereitung einer Kapitalerhöhung Gespräche mit einem Großaktionär führt172) oder die Informationen zur Durchführung einer Due Diligence durch einen Kaufinteressenten erforderlich ist, ist die Offenlegung zulässig.173) Haben die preiszugebenden Informationen grundsätzliche Bedeutung für die Gesellschaft, so ist eine Entscheidung des Gesamtvorstands über die Offenbarung erforderlich.174) 61 Ist die Einhaltung der Verschwiegenheitspflicht dem einzelnen Vorstandsmitglied unzumutbar, etwa bei einem Rechtsstreit zwischen Gesellschaft und Vorstandsmitglied, wird die Verschwiegenheitspflicht ebenfalls begrenzt.175) c)

Rechtsfolgen bei Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht

62 Die verbotene Offenlegung von Geheimnissen der Gesellschaft ist eine Straftat nach § 404. Möglich ist Tateinheit mit § 17 UWG und bei börsennotierten Aktiengesellschaften mit § 119 Abs. 3 Nr. 3 WpHG i. V. m. Art. 14 lit. c MMVO. Der Verstoß kann außerdem ein wichtiger Grund zur Abberufung des pflichtwidrig handelnden Vorstandsmitglieds sein, § 84 Abs. 3 Satz 1, sowie zur Kündigung des Anstellungsvertrages, § 626 BGB.176) Eine Schadensersatzpflicht gegenüber der Gesellschaft kann sich aus § 93 Abs. 2 ergeben. IV.

Schadensersatzpflicht (§ 93 Abs. 2)

63 Vorstandsmitglieder haften der Gesellschaft im Innenverhältnis (Organinnenhaftung) im Falle einer Pflichtverletzung gemäß § 93 Abs. 2 auf Schadensersatz (zu weiteren Anspruchsgrundlagen und der Möglichkeit einer Organaußenhaftung siehe unten § 93 Rz. 102). Dies gilt gemäß § 48 Satz 2 auch schon vor Eintragung der Gesellschaft.177) Mehrere Vorstandsmitglieder, die ihre Pflichten verletzt haben, sind dabei Gesamtschuldner nach §§ 421 ff. BGB.178) Diese Regelung ist zwingend und kann nicht durch Satzung oder Dienstvertrag gemildert oder verschärft werden.179) 1.

Haftungsadressaten

64 Der Haftungstatbestand richtet sich an sämtliche Vorstandsmitglieder, also auch gerichtlich bestellte (§ 85), stellvertretende (§ 94) und entsandte (§ 105 Abs. 2) Mitglieder.180) Haftbar sind zudem fehlerhaft bestellte181) oder faktische182) Organmitglieder, die für die Gesellschaft tätig geworden sind. Die Haftbarkeit beginnt mit der Amtszeit; Eintragung _____________ 171) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 303; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 8 Rz. 93. 172) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 303. 173) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rz. 170; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 304 ff.; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 27. 174) Seyfarth, Vorstandsrecht, § 8 Rz. 93; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 169. 175) Spindler/Stilz-Fleischer, Akt23G, § 93 Rz. 168; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 8 Rz. 93. 176) BGH, Urt. v. 13.7.1998 – II ZR 131/97, AG 1998, 519, 520 = NZG 1998, 726; Spindler/StilzFleischer, AktG, § 84 Rz. 172; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 29; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 8 Rz. 93. 177) Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 4. 178) Zum Gesamtschuldnerregress vgl. Guntermann, AG 2017, 606 ff. 179) K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 3; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 26 Rz. 2. 180) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 344; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rz. 177. 181) BGH, Urt. v. 6.4.1964 – II ZR 75/62, BGHZ 41, 282 = NJW 1964, 1367; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 93 Rz. 37; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 5 f.; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 15. 182) BGH, Urt. v. 21.3.1988 – II ZR 194/87, BGHZ 104, 44 = ZIP 1988, 771, 772 f.; BGH, Urt. v. 25.2.2002 – II ZR 196/00, BGHZ 150, 61 = ZIP 2002, 848, 851, dazu EWiR 2002, 679 (Blöse) – zur GmbH; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rz. 182 ff.; Hölters-Hölters, AktG, § 93 Rz. 229; Hopt/ Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 362 ff.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 93 Rz. 38; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 18; a. A. Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 93 Rz. 43.

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Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder

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des Mitglieds in das Handelsregister oder Abschluss des Dienstvertrags sind nicht ausschlaggebend.183) Nach einer weit verbreiteten Ansicht verlängert sich der haftungsrelevante Zeitraum nach Amtsende so lange, wie das Vorstandsmitglied seine Funktion tatsächlich noch ausübt.184) Aufgrund des eindeutigen Wortlauts der Vorschrift („Vorstandsmitglieder, die ihre Pflichten verletzen […]“) muss die Haftbarkeit mit dem Ende der Organstellung jedoch ebenfalls enden.185) Lediglich in Bezug auf Pflichten, die ihrerseits nach Ende der Amtszeit fortbestehen (vor allem Treu- und Verschwiegenheitspflichten, siehe oben Rz. 51 ff.) haftet das ehemalige Vorstandsmitglied weiter.186) Eine ggf. einschlägige Haftung als faktisches Organmitglied bleibt unberührt. 2.

Pflichtverletzung

Die Norm setzt eine Pflichtverletzung durch den Vorstand voraus. Dabei enthält das 65 AktG keine abschließende Aufzählung der Pflichten des Vorstands.187) Zentral sind die Leitungspflicht aus § 76 Abs. 1 und die Sorgfalts-, Treu- und Verschwiegenheitspflichten des § 93 Abs. 1, aber auch eine Verletzung weitergehender Pflichten aus dem Anstellungsvertrag fällt in den Anwendungsbereich der Norm.188) Kein Haftungsanspruch besteht hingegen bei einer Verletzung von Pflichten, die in keinem sachlichen Zusammenhang mit den organschaftlichen Aufgaben des Vorstandsmitglieds stehen.189) Bei einem mehrköpfigen Vorstand kommt es für die Frage, ob ein bestimmtes Vorstands- 66 mitglied haftet, darauf an, ob dieses konkrete Vorstandsmitglied seine Pflichten verletzt hat. Allerdings gilt grundsätzlich eine Gesamtverantwortung der Vorstandsmitglieder, nach der jedes Vorstandsmitglied grundsätzlich für die gesamte Geschäftsführung durch den Vorstand und dabei eingetretene Pflichtverletzungen verantwortlich ist.190) Im Falle zulässiger horizontaler oder vertikaler Delegation werden die Pflichten der Vorstandsmitglieder jedoch modifiziert:191) –

Im Falle einer Geschäftsverteilung (zur Geschäftsverteilung sowie zu Inhalt und Umfang der Aufsichtspflicht siehe oben § 77 Rz. 14 ff.) im Vorstand kann sich jedes einzelne Vorstandsmitglied grundsätzlich darauf verlassen, dass die anderen Vorstandsmitglieder ihre Geschäftsbereiche mit der erforderlichen Sorgfalt führen. Verletzt das zuständige Vorstandsmitglied seine Sorgfaltspflichten, so stellt dies nicht automatisch einen Sorgfaltspflichtverstoß der übrigen Vorstandsmitglieder dar. Allerdings gilt dies nur, solange die übrigen Vorstandsmitglieder sich auf die ordnungsgemäße Amtsführung des zuständigen Vorstands berechtigterweise verlassen können.192) Erlangen sie Kenntnis von Hinweisen oder Anhaltspunkten, dass diese nicht gewährleistet sein könnte, lebt die Gesamtverantwortung wieder auf und die unzuständigen Vorstands-

_____________ 183) Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 8. 184) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rz. 179; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 14. 185) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 93 Rz. 37; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 9; a. A. Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 26 Rz. 9. 186) Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 9. 187) Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 11. 188) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rz. 201; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 93 Rz. 40; K. Schmidt/'LutterKrieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 31; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 11 f. 189) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rz. 202; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 93 Rz. 65. 190) Froesch, DB 2009, 722, 723 f.; Krieger/Schneider-Krieger, Hdb. Managerhaftung, § 3 Rz. 3.16; Schmidt/ Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 32; Wicke, NJW 2007, 3755, 3756. 191) Emde in: FS Uwe H. Schneider, S. 295 ff.; Froesch, DB 2009, 722, 724 f.; Hopt/Roth in: GroßKommAktG, § 93 Rz. 374; Hölters-Hölters, AktG, § 93 Rz. 236. 192) Allg. zivilrechtlicher Vertrauensgrundsatz, BGH, Urt. v. 8.7.1985 – II ZR 198/84, NJW 1986, 54, 55 = ZIP 1985, 1135 – zur GmbH; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 163, 375; Wicke, NJW 2007, 3755, 3756; im Einzelnen auch Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, § 37 Rz. 1510.

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§ 93

Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder

mitglieder sind verpflichtet, den Hinweisen nachzugehen, Verdachtsmomente aufzuklären und Missstände auszuräumen. Andernfalls haften sie auch für Schäden aufgrund von Fehlern in anderen Geschäftsbereichen.193) Abzulehnen ist eine gegenüber diesen Grundsätzen gesteigerte Verantwortung der „sachnahen“ Vorstandsmitglieder194) oder des Vorstandsvorsitzenden.195) Um von der sich aus einer Geschäftsverteilung ergebenden Haftungsprivilegierung zu profitieren, sollten Vorstandsmitglieder darauf achten, dass diese Geschäftsverteilung klar definiert und dokumentiert ist.196) –

Bei vertikaler Delegation auf nachgeordnete Ebenen schuldet der Vorstand eine sorgfältige und ordnungsgemäße Organisation der nachgeordneten Bereiche, der Auswahl der zuständigen Mitarbeiter (auf der Ebene unmittelbar unterhalb des Vorstands) sowie deren Anleitung und Überwachung.197) Besonders wichtig ist es in der Praxis auch hier, Anhaltspunkten für Fehlentwicklungen unverzüglich und entschlossen nachzugehen. In vielen Fällen, in denen Vorstandsmitglieder für Schäden haftbar gemacht werden, bestand der Sorgfaltspflichtverstoß der Vorstandsmitglieder vor allem darin, dass dies nicht geschehen ist.198)



Besonderheiten gelten im Bereich der Leitungsaufgaben (§ 76 Abs. 1), da die Leitung der Gesellschaft stets dem Gesamtvorstands obliegt und hier nur eine eingeschränkte horizontale und vertikale Delegation zulässig ist (siehe § 76 Rz. 18).199) Eine fehlende Pflichtverletzung einzelner Mitglieder aufgrund mangelnder Zuständigkeit ist daher im Bereich der Leitungsaufgaben weitestgehend ausgeschlossen.200)

3.

Verschulden

67 Das Vorstandsmitglied muss die Pflichtverletzung verschuldet haben, also vorsätzlich oder fahrlässig die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters gemäß § 93 Abs. 1 Satz 1 verletzt haben. § 93 Abs. 1 Satz 1 erfüllt insoweit eine Doppelfunktion, als die Norm nicht nur einen objektiven Verhaltensmaßstab festlegt, sondern auch den erforderlichen Verschuldensmaßstab umschreibt.201) Auch leichte Fahrlässigkeit reicht aus.202) Eine vertragliche Beschränkung der Haftung kommt de lege lata angesichts ihrer gläubigerschützenden Funktion nicht in Betracht.203) § 93 Abs. 1 Satz 1 umschreibt einen typisierten Sorgfaltsmaßstab, so dass das Vorstandsmitglied dem Anspruch nicht entgegenhalten kann, ihm hätten die nötigen persönlichen Fähigkeiten gefehlt.204) Im Gegensatz dazu _____________ 193) BGH, Urt. v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95, BGHZ 133, 370 = ZIP 1996, 2017 – zur GmbH; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 376; Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 32. 194) Dreher, ZGR 2010, 496, 526; Habersack, WM 2005, 2360, 2363 f.; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 377; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 93 Rz. 42; a. A. VG Frankfurt/M., Urt. v. 8.7.2004 – 1 E 7363/03 (I), WM 2004, 2157 = AG 2005, 264. 195) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 77 Rz. 56; v. Hein, ZHR 166 (2002) 464, 487 ff.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 93 Rz. 42; a. A. Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 377. 196) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 438; Lutter, ZIP 2007, 841, 846. 197) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 165; Krekeler, ZBB 2012, 351, 353; Krieger/SchneiderE. Vetter, Hdb. Managerhaftung, § 22 Rz. 22.102. 198) LG München I, Urt. v. 10.12.2013 – 5 HK O 1387/10, ZIP 2014, 570 = NZG 2014, 345 (Neubürger), dazu EWiR 2014, 175 (Hahn). 199) Krieger/Schneider-Krieger, Hdb. Managerhaftung, § 3 Rz. 3.16; Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 32. 200) Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 32. 201) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 43; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 93 Rz. 5. 202) Fleischer-Fleischer, Hdb. VorstandsR, § 11 Rz. 56; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 38. 203) Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 38. 204) BGH, Urt. v. 28.10.1971 – II ZR 49/70, WM 1971, 1548, 1549; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 177; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 93 Rz. 43; Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 34; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 26 Rz. 15.

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Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder

§ 93

erhöht spezielles Fachwissen ggf. den Sorgfaltsmaßstab.205) Reicht das eigene Fachwissen nicht aus, ist ein entsprechender Rat einzuholen (siehe hierzu oben § 93Rz. 34 ff.).206) Aufgrund der Doppelfunktion des Sorgfaltsmaßstabs des § 93 Abs. 1 Satz 1 scheidet bei 68 sorgfaltsgemäßem Verhalten des Vorstands bereits die Pflichtverletzung aus. Da gleichzeitig auch der Verschuldensmaßstab ein objektiver ist, so dass individuelle Schwächen nicht zum Entfallen des Verschuldens führen, spielt das Verschuldenserfordernis in der Praxis keine signifikante Rolle.207) –

Lediglich der Verbotsirrtum wird als Konstellation anerkannt, in der der Vorsatz entfallen kann.208) War der Verbotsirrtum vermeidbar, etwa weil das Vorstandsmitglied sich nicht sachkundig hat beraten lassen, kommt allerdings noch eine Haftung wegen Fahrlässigkeit in Betracht, es sei denn die Einholung qualifizierten Rechtsrats war im Einzelfall nicht möglich, weil sofortiges Handeln erforderlich war.209)



Im Rahmen des Verschuldenserfordernisses wird außerdem der Fall diskutiert, dass das Vorstandsmitglied Rechtsrat eingeholt hat, jedoch falsch beraten wurde und deshalb gegen geltendes Recht verstoßen hat. In diesem Fall liegt kein Verschulden des Vorstandsmitglieds vor, wenn die bereits vorstehend dargestellten Kriterien (siehe oben Rz. 34 ff.) an Auswahl und Instruktion des Beraters und Plausibilisierung der Ergebnisse eingehalten wurden.210) Allerdings kann man fragen, ob es dann nicht auch wieder bereits an der objektiven Pflichtverletzung im Verhältnis zur Gesellschaft fehlt.211) Jedenfalls wenn der Vorstand unter Einhaltung der Sorgfaltsanforderungen der Rechtsprechung Rechtsrat eingeholt und auf Basis einer vertretbaren Rechtsauffasung eine Entscheidung getroffen hat, die aber aufgrund bestehender rechtlicher Unsicherheit später von einem Gericht anders beurteilt wird, liegt nach hier vertretener Auffassung schon keine Pflichtverletzung vor (siehe hierzu bereits oben Rz. 30 und Rz. 68).



Das gleiche gilt, wenn der Vorstand mit der Sorgfalt des gewissenhaften und ordnungsgemäßen Geschäftsleiters eine Organisation zur Vermeidung von Rechtsverstößen eingerichtet hat und es dann dennoch zu Rechtsverstößen kommt (siehe hierzu bereits oben Rz. 19 f.).

Vorausgesetzt wird eigenes Verschulden.212) Eine Zurechnung des Verschuldens anderer 69 Vorstandsmitglieder, Mitarbeiter der Gesellschaft oder externer Berater kommt nicht in Betracht. § 278 BGB ist ebenso wenig anwendbar wie § 831 BGB, da die handelnden Personen Erfüllungs- bzw. Verrichtungsgehilfen der Gesellschaft und nicht des Vorstandsmitglieds sind.213) _____________ 205) BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09 (Ision), ZIP 2011, 2097, 2101 = NZG 2011, 1271, 1274; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 34. 206) BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09 (Ision), ZIP 2011, 2097, 2099 = NZG 2011, 1271, 1272 f; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 34. 207) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rz. 205; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 392; a. A. Hüffer-Koch, AktG, § 93 Rz. 43 f. 208) Bachmann, WM 2015, 105, 109; Harnos, Geschäftsleiterhaftung bei unklarer Rechtslage, 2013, S. 149 f.; Heidel-U. Schmidt, AktR, § 93 AktG Rz. 105; vgl. auch Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rz. 205 a. E. 209) BGH, Urt. v. 27.3.2012 – II ZR 171/10, ZIP 2012, 1174 = WM 2012, 1124; Heidel-U. Schmidt, AktR, § 93 AktG Rz. 105; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 139 f. 210) OLG Stuttgart, Urt. v. 28.10.1997 – 12 U 83/97, GmbHR 1998, 89, 90 = NZG 1998, 232 – zur GmbH; Hölters-Hölters, AktG, § 93 Rz. 249. 211) A. A. – für eine Behandlung auf Ebene des Verschuldens – Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 93 Rz. 44. 212) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 384; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 93 Rz. 46; K. Schmidt/ Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 35; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 179. 213) Fleischer-Fleischer, Hdb. VorstandsR, § 11 Rz. 57; Henssler/Strohn-Dauner/Lieb, GesR, § 93 AktG Rz. 33; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 384.

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Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder

4. Schaden und Kausalität 70 Der zu ersetzende Schaden der Gesellschaft berechnet sich nach den allgemeinen Regeln der §§ 249 ff. BGB.214) Danach ist grundsätzlich derjenige Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn die Pflichtverletzung nicht stattgefunden hätte, wozu der Wert des Gesellschaftsvermögens vor und nach dem schädigenden Ereignis zu vergleichen ist.215) Ersatzpflichtig sind der entgangene Gewinn der Gesellschaft (§ 252 BGB) sowie alle Mittelabflüsse ohne adäquate Gegenleistung, also insbesondere Zahlungen, die der Vorstand zu privaten Zwecken getätigt hat, oder Beratungs- und Rechtsanwaltskosten aufgrund angemessener Honorarvereinbarung, die zum Zwecke der Schadensermittlung und Rechtsverfolgung entstanden sind.216) 71 Inwiefern Bußgelder, die der Gesellschaft aufgrund des Pflichtverstoßes durch den Vorstand auferlegt wurden, einen umfänglich erstattungsfähigen Schaden darstellen, ist umstritten217) und durch die Rechtsprechung noch nicht eindeutig geklärt: Das LAG Düsseldorf hat zwar einen erstattungsfähigen Schaden im Fall von Kartellrechtsbußen gemäß § 81 GWB, die auch eine Gewinnabschöpfung beinhalten und sich sowohl gegen das Unternehmen als auch gegen die handelnde Person richten können, abgelehnt.218) Dieses Teilurteil wurde allerdings kürzlich vom BAG aufgehoben und zur erneuten Entscheidung an das LAG zurückverwiesen, ohne dass eine Klärung in der Sache stattgefunden hätte.219) 72 Häufig erleidet die Gesellschaft durch den Pflichtenverstoß des Vorstands nicht nur einen Verlust, sondern erlangt zugleich einen Vorteil, wie hohe Gewinne aus kartellrechtswidrigen Absprachen oder Zinsvorteile aus Zinsderivatgeschäften.220) Um einen windfall profit der Gesellschaft zu vermeiden, ist in solchen Fällen eine Vorteilsausgleichung vorzunehmen.221) Danach müssen Vorteile der Gesellschaft, die in adäquat kausalem Zusammenhang mit dem Schadensereignis stehen, berücksichtigt werden, soweit dies dem Geschädigten zumutbar ist und den Schädiger nicht unbillig entlastet.222) Der Schaden reduziert sich folglich um den erzielten Vorteil.223) 73 Der Schaden muss nach allgemeinen Grundsätzen kausal durch die Pflichtwidrigkeit herbeigeführt worden sein.224) Danach fehlt es an einem kausalen Schaden, wenn das Vorstands_____________ 214) OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.11.1996 – 6 U 11/95, AG 1997, 231, 237 = ZIP 1997, 27; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 93 Rz. 47; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rz. 213; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 50. 215) Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 36. 216) Soweit eine Abrechnung nach RVG im Einzelfall unüblich ist, OLG München, Urt. v. 21.7.2010 – 7 U 1879/10, ZIP 2011, 868 = AG 2011, 204 = AnwBl 2010, 719, dazu EWiR 2011, 265 (Redeke); Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 53. 217) Für eine Erstattungspflicht Horn, ZIP 1997, 1129, 1136; Dreher in: FS Konzen, S. 85, 103 ff.; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 37; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 54; a. A. Marsch-Barner, ZHR 173 (2009), 723, 730; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 93 Rz. 56; Krieger/ Schneider-Wilsing, Hdb. Managerhaftung, § 31 Rz. 31.36 f.; Zimmermann, WM 2008, 433, 437. 218) LAG Düsseldorf, Urt. v. 20.1.2015 – 16 Sa 459/14, ZIP 2015, 829 = WM 2015, 1863, dazu EWiR 2015, 313 (Faerber/Engelhoven) – zur GmbH. 219) Pressemitteilung Nr. 30/17 zum BAG, Urt. v. 29.6.2017 – 8 AZR 189/15, ZIP 2017, 2424, dazu EWiR 2017, 735 (Bunte). 220) Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 56. 221) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rz. 38; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 38; Krieger/Schneider-Wilsing, Hdb. Managerhaftung, § 31 Rz. 31.325 ff.; Marsch-Barner, ZHR 173 (2009) 723, 729 f.; Zimmermann, WM 2008, 433, 439.; a. A. Säcker, WuW 2009, 362, 368. 222) BGH, Urt. v. 17.5.1984 – VII ZR 169/82, BGHZ 91, 206 = NJW 1984, 2457, 2458; K. Schmidt/LutterKrieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 38; Heidel-U. Schmidt, AktR, § 93 AktG Rz. 102. 223) BGH, Urt. v. 15.1.2013 – II ZR 90/11 (Corealcredit Bank), ZIP 2013, 455 = NJW 2013, 1958 = AG 2013, 259, dazu EWiR 2013, 261 (E. Vetter); Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 93 Rz. 49; K. Schmidt/ Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 38. 224) K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 40; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 58.

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Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder

§ 93

mitglied darlegen kann, dass der Schaden auch bei rechtmäßigem Alternativverhalten mit Sicherheit eingetreten wäre.225) Allerdings kann der Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens bei Verstößen gegen Kompetenz-, Organisations- und Verfahrensregeln ausgeschlossen sein.226) Nachdem der BGH zunächst davon ausging, dass dieser Einwand für derartige Fallgruppen nicht geltend gemacht werden könne,227) weist er in jüngeren Entscheidungen nun darauf hin, dass ein Kompetenzverstoß nicht stets automatisch einen Schadensersatzanspruch begründe.228) Die überwiegende Literatur hält den Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens für diese Fallgruppen weiterhin für ausgeschlossen, da ansonsten der Schutzzweck der Normen unterlaufen würde und die Nichterfüllung von Vorstandspflichten sanktionslos bliebe.229) 5.

Regressreduzierung

In der Literatur findet sich seit einigen Jahren eine breite Diskussion zur Erforderlichkeit 74 von Haftungserleichterungen für Vorstandsmitglieder.230) Über die Notwendigkeit einer solchen Erleichterung wird kaum gestritten; geteilt sind die Meinungen vielmehr nur über die Art und den Umfang einer Haftungsbegrenzung.231) Diskutiert wird u. a. – in Anlehnung an den innerbetrieblichen Schadensausgleich – eine Regressreduzierung232) sowie eine summenmäßige Begrenzung des Schadensersatzanspruchs aufgrund der Fürsorgepflicht der Gesellschaft gegenüber dem Vorstandsmitglied.233) Da § 93 ausdrücklich eine unbeschränkte Organhaftung normiert, ist eine verpflichtende und universal geltende Haftungsbeschränkung de lege lata allerdings nicht durchführbar.234) Prozedural hat der Aufsichtsrat zwar ein gewisses Ermessen bei der Geltendmachung der Ansprüche gegen die Vorstandsmitglieder.235) Wünschenswert wäre aber die materielle Möglichkeit einer Haftungsmilderung etwa durch eine Regelung in der Satzung der Gesellschaft.236)

_____________ 225) BGH, Urt. v. 4.11.2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152, 280 = ZIP 2002, 2314, 2315 f., dazu EWiR 2003, 225 (Schimmer); Fleischer-Fleischer, Hdb. VorstandsR, § 11 Rz. 64; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 58. 226) Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 59. 227) BGH, Urt. v. 25.2.1991 – II ZR 76/90, NJW 1991, 1681, 1682 = ZIP 1991, 509 = AG 1991, 235; BGH, Urt. v. 25.3.1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114, 127, 135 = ZIP 1991, 653 = NJW 1991, 1830. 228) BGH, Urt. v. 21.7.2008 – II ZR 39/07, ZIP 2008, 1818 = NZG 2008, 783; BGH, Urt. v. 10.12.2007 – II ZR 289/06, ZIP 2008, 694 = NZG 2008, 316 – jeweils zur GmbH. 229) Blasche, WM 2011, 343, 348; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 416; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 93 Rz. 55; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 174; a. A. Spindler/StilzFleischer, AktG, § 93 Rz. 216; Fleischer, DStR 2009, 1204, 1208 f.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 93 Rz. 50; unklar K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 40. 230) Bayer/Scholz, NZG 2014, 926; Heyers, WM 2016, 581; Spindler, AG 2013, 889; Wagner, ZHR 178 (2014) 227. 231) Vgl. Heyers, WM 2016, 581, 582; Koch, AG 2014, 513, 515; gegen eine Haftungsbegrenzung etwa Schöne/Petersen, AG 2012, 700 ff. 232) Casper, ZHR 176 (2012) 617, 639; Hoffmann, NJW 2012, 1393, 1396 f.; Koch, AG 2012, 429, 435 ff.; Hopt, ZIP 2013, 1793, 1804; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 398 ff.; Spindler, AG 2013, 889, 894 f. 233) Bachmann, ZIP 2014, 579, 582 (Urteilsanm.); Brommer, AG 2013, 121, 127 ff.; Casper, ZHR 176 (2012) 617, 636 ff.; Fleischer, ZIP 2014, 1305, 1307; Grunewald, AG 2013, 813, 815 ff.; Heyers, WM 2016, 581, 585 ff.; Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, § 38 Rz. 1534 f.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 93 Rz. 51 ff.; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 93 Rz. 38; Peltzer in: FS Hoffmann-Becking, S. 861, 865; Seibt/Wollenschläger, ZIP 2014, 545, 552 f. 234) K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 3, 39; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 143. 235) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 111 Rz. 37 f.; Paefgen, AG 2014, 554, 571. 236) Heyers, WM 2016, 581, 582; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 3.

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§ 93 6.

Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder Darlegungs- und Beweislast (§ 93 Abs. 2 Satz 2)

75 Die Beweispflichtigkeit der Gesellschaft beschränkt sich auf den Nachweis eines Schadens in bestimmter Höhe, eines – potenziell pflichtwidrigen237) – Verhaltens des jeweiligen Vorstandsmitglieds sowie der dazwischen bestehenden Kausalität.238) Sodann obliegt es aufgrund der Beweislastumkehr des § 92 Abs. 2 Satz 2 dem Vorstandsmitglied, Beweis dafür zu erbringen, dass es an einer Pflichtwidrigkeit bzw. einem Verschulden fehlt oder der Schaden auch bei rechtmäßigem Alternativverhalten eingetreten wäre.239) Dabei bezieht sich die Beweislastumkehr auch auf die Business Judgment Rule aus § 93 Abs. 1 Satz 2.240) Weitere Beweiserleichterungen für die Gesellschaft ergeben sich bei einem Verstoß gegen die in § 93 Abs. 3 aufgeführten Sondertatbestände (siehe unten Rz. 80). 76 Die dargestellte Verteilung der Darlegungs- und Beweislast gilt ebenso für ausgeschiedene Vorstandsmitglieder.241) Das ist insofern problematisch, als diese keinen Einblick mehr in die Gesellschaftsunterlagen haben, der für eine angemessene Verteidigung aber gerade erforderlich ist. Gelöst wird dieses Problem, indem den ausgeschiedenen Vorstandsmitgliedern ein auf § 810 BGB sowie der Treupflicht der Gesellschaft beruhendes Einsichtsrecht zugestanden wird.242) 7.

D&O-Versicherung (§ 93 Abs. 2 Satz 3)

77 Das Haftungsrisiko kann über eine sog. D&O-Versicherung versichert werden („Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung für Organmitglieder juristischer Personen“).243) Dafür schließt die Gesellschaft eine Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung mit der Versicherungsgesellschaft ab, die aber stets gemäß § 93 Abs. 2 Satz 3 einen Selbstbehalt für die begünstigten Organmitglieder vorsehen muss. Dadurch wird dem Präventionscharakter der durch das VorstAG eingeführten Vorschrift Rechnung getragen.244) Für das Eingreifen des Versicherungsschutzes gilt nach der Kautelarpraxis der Gestaltung der D&O-Versicherung das sog. claims-made-Prinzip, d. h. es kommt darauf an, ob im Zeit_____________ 237) Zu den konkreten Anforderungen vgl. OLG Nürnberg, Beschl. v. 28.10.2014 – 12 U 567/13, ZIP 2015, 430 = AG 2015, 91, dazu EWiR 2015, 343 (Pläster); Bachmann, BB 2015, 771, 774 f.; Bauer, NZG 2015, 549. 238) St. Rspr., BGH, Urt. v. 4.11.2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152, 280 = ZIP 2002, 2314, dazu EWiR 2003, 225 (Schimmer) – für die GmbH; BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 280/07, ZIP 2009, 860 = AG 2009, 404, dazu EWiR 2009, 493 (Kiem/Giershausen); BGH, Urt. v. 15.1.2013 – II ZR 90/11 (Corealcredit Bank), ZIP 2013, 455 = NJW 2013, 1958 = AG 2013, 259; Deilmann/Otte, BB 2011, 1291; Hüffer/KochKoch, AktG, § 93 Rz. 53; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 185. 239) St. Rspr., BGH, Urt. v. 4.11.2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152, 280 = ZIP 2002, 2314 – für die GmbH; BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 280/07, ZIP 2009, 860 = AG 2009, 404; BGH, Urt. v. 15.1.2013 – II ZR 90/11 (Corealcredit Bank), ZIP 2013, 455 = NJW 2013, 1958 = AG 2013, 259; Buschmann, NZG 2011, 87, 88; Deilmann/Otte, BB 2011, 1291; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 93 Rz. 53; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 40 f.; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 185. 240) Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 93 Rz. 141; Lutter, ZIP 2007, 841, 846; Koch/Dinkel, NZG 2004, 441, 447 f.; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 41; a. A. Paefgen, NZG 2009, 891 ff.; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 42. 241) BGH, Urt. v. 4.11.2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152, 280 = ZIP 2002, 2314 – für die GmbH; HöltersHölters, AktG, § 93 Rz. 270. 242) BGH, Urt. v. 4.11.2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152, 280 = ZIP 2002, 2314 – für die GmbH; Grooterhorst, AG 2011, 389, 393 ff.; Hölters-Hölters, AktG, § 93 Rz. 270; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 93 Rz. 56; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 93 Rz. 147. 243) Der Begriff der D&O-Versicherung kommt aus der US-amerikanischen Terminologie der Directors‘ and Officers‘ Liability Insurance. 244) Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses z. VorstAG, BT-Drucks. 16/13433, S. 11; Hüffer/KochKoch, AktG, § 93 Rz. 58.

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Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder

§ 93

punkt der Geltendmachung ein gültiger Versicherungsvertrag besteht.245) § 93 Abs. 2 Satz 3 sieht für den obligatorischen Selbstbehalt eine Mindesthöhe von 10 % des jeweiligen Schadens bis zum 1,5-fachen der festen jährlichen Vergütung des Vorstandsmitglieds pro Jahr vor.246) Zu beachten ist die Übergangsregelung des § 23 Abs. 1 EGAktG. Daraus ergibt sich, dass die Regelung des § 93 Abs. 2 Satz 3 auch auf Altverträge anzuwenden ist, wenn daraus nach dem 1.7.2010 Ansprüche erhoben werden. Folgt aus dem Altvertrag allerdings eine Verpflichtung zum Abschluss einer D&O-Versicherung ohne Selbstbehalt, so hat diese Gesellschaft diese nach § 23 Abs. 1 Satz 2 EGAktG weiterzuführen.247) Wird der Vorstandsvertrag anschließend verlängert, so muss darin ein Selbstbehalt vorgesehen werden.248) Klärungsbedürftig ist weiterhin die Frage, welche Rechtsfolgen der Abschluss einer Ver- 78 sicherung ohne Selbstbehalt nach sich zieht. Die Literatur qualifiziert § 93 Abs. 2 Satz 3 überwiegend nicht als Verbotsgesetz i. S. des § 134 BGB, sondern sieht in der Vorschrift eine bloße Vorgabe für das gesellschaftsrechtliche Innenverhältnis.249) Liegt im Abschluss einer Versicherung ohne Selbstbehalt eine Pflichtverletzung, kommt eine entsprechende Haftung des handelnden Organs in Betracht.250) In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach der Versicherbarkeit des Selbstbe- 79 halts. Da eine solche Absicherung gesetzlich nicht ausgeschlossen ist, ist die grundsätzliche Zulässigkeit zwar anerkannt,251) jedoch wird dies in rechtspolitischer Hinsicht überwiegend kritisch gesehen.252) Jedenfalls eine Gestaltung, nach der die Gesellschaft die Prämien für die Eigenversicherung unmittelbar trägt, ist nicht gestattet.253) Insofern ist fraglich, welche Auswirkungen dieses Verbot auf das sog. Anrechnungsmodell hat.254) Das Modell sieht vor, dass die Selbstbehalts-Versicherung zwischen Vorstand und Versicherer mit dem gleichen Versicherer abgeschlossen wird, wie die D&O-Versicherung als solche. Der Versicherer rechnet in dieser Konstellation Leistungen aus der Selbstbehalts-Versicherung auf die Versicherungssumme der D&O-Versicherung an, mit der Folge, dass die Prämienzahlungen des Vorstandsmitglieds sinken. § 93 Abs. 2 Satz 3 schließt aber auch eine _____________ 245) OLG München, Urt. v. 8.5.2009 – 25 U 5136/08, NZG 2009, 714 = GWR 2009, 174 – zur Angemessenheit des Anspruchserhebungsprinzips; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 93 Rz. 58b; v. Schenk, NZG 2015, 494, 495 f. 246) Weiterführend zum Selbstbehalt: Dauner-Lieb/Tettinger, ZIP 2009, 1555; Franz, DB 2009, 2764; Harzenetter, DStR 2010, 653; van Kann, NZG 2009, 1010; Kerst, WM 2010, 594; Koch, AG 2009, 637; Olbrich/Kassing, BB 2009, 1659. 247) Hölters-Hölters, AktG, § 93 Rz. 408; Jaeger/Balke, ZIP 2010, 1471, 1479; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 93 Rz. 59; Lange, VersR 2009, 1011, 1013; Seibert, WM 2009, 1489, 1492. 248) Hölters-Hölters, AktG, § 93 Rz. 408; Lange, VersR 2009, 1011, 1013; Koch, AG 2009, 637, 640; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 93 Rz. 250. 249) Dauner-Lieb/Tettinger, ZIP 2009, 1555, 1556; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rz. 252; Hohenstatt, ZIP 2009, 1349, 1354; Kerst, WM 2010, 594, 600 f.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 93 Rz. 59; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 93 Rz. 249; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 25 Rz. 58; Thüsing/Traut, NZA 2010, 140 f.; a. A. Gädtke, VersR 2009, 1565, 1567 ff.; Koch, AG 2009, 637, 639. 250) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rz. 253; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 25 Rz. 58. 251) Gädtke/Wax, AG 2010, 851, 852; Kerst, WM 2010, 594, 602; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG § 93 Rz. 52; Lange, VersR 2009, 1011, 1022 f.; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 59; Thüsing/Traut, NZA 2010, 140, 142 f. 252) Thüsing, AG 2009, 517, 526; Thüsing/Traut, NZA 2010, 140, 142 f.; a. A. Hohenstatt, ZIP 2009, 1349, 1354; Olbrich/Kassing, BB 2009, 1659, 1662. 253) Harzenetter, DStR 2010, 653, 658; Kerst, WM 2010, 594, 602; Koch, AG 2009, 637, 645 f.; K. Schmidt/ Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 52; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 25 Rz. 59; Thüsing/Traut, NZA 2010, 140, 142 f. 254) Gädtke/Wax, AG 2010, 851, 853 f.; Lange, RuS 2010, 92, 95 ff.; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 205.

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§ 93

Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder

mittelbare Finanzierung des Selbstbehalts durch die Gesellschaft aus, so dass das Modell nicht mit dieser Norm vereinbar sein dürfte.255) V.

Sondertatbestände des § 93 Abs. 3

80 In § 93 Abs. 3 ist ein Katalog an besonders gravierenden Pflichtverletzungen, insb. Verstöße gegen Vorschriften mit kapitalschützendem Charakter,256) normiert, die eine Schadensersatzpflicht begründen. Die h. M. sieht darin jeweils eigenständige Anspruchsgrundlagen, die ein Verschulden des Vorstandsmitglieds erfordern.257) Eigenständige Bedeutung erlangt die Vorschrift dadurch, dass ein Schaden der Gesellschaft widerleglich vermutet wird.258) Der Vorstand muss zu seiner Enthaftung also nachweisen, dass tatsächlich kein Schaden entstanden ist. Ein Rückzahlungs- oder Einlagenleistungsanpsruch genügt insofern nicht, sondern es bedarf des tatsächlichen Zuflusses der Mittel.259) Auch auf die Business Judgment Rule kann der Vorstand sich insoweit nicht berufen.260) Eine Rechtfertigung der Verwirklichung eines der in § 93 Abs. 3 genannten Tatbestände ist ausgeschlossen. –

§ 93 Abs. 3 Nr. 1: Verstöße gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr aus § 57 Abs. 1 und § 230;



§ 93 Abs. 3 Nr. 2: Auszahlung von Zinsen oder Gewinnanteilen an Aktionäre unter Verstoß gegen §§ 57 Abs. 2 und 3, 58 Abs. 4, 233; § 93 Abs. 3 Nr. 3: Zeichnung, Erwerb, Pfandnahme oder Einzug eigener Aktien der Gesellschaft oder einer anderen Gesellschaft unter Verletzung von §§ 56, 71 ff. und 237 ff.; § 93 Abs. 3 Nr. 4: Ausgabe von Inhaberaktien vor der vollen Leistung des Ausgabebetrages unter Verstoß gegen § 10 Abs. 2; erfasst ist ebenfalls die Leistung einer nach § 27 Abs. 2 unwirksamen Sacheinlage;261) § 93 Abs. 3 Nr. 5: Verteilung von Gesellschaftsvermögen unter Verstoß gegen §§ 57 Abs. 3, 225 Abs. 2, 230, 233, 237 Abs. 2, 271, 272; § 93 Abs. 3 Nr. 6: Zahlungen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, unter Verstoß gegen § 92 Abs. 2; § 93 Abs. 3 Nr. 7: Zahlung unzulässiger Vergütungen an Aufsichtsratsmitglieder unter Verstoß gegen §§ 113, 114; § 93 Abs. 3 Nr. 8: Gesetzwidrige Kreditvergabe unter Verstoß gegen §§ 89, 115; § 93 Abs. 3 Nr. 9: Ausgabe von Bezugsaktien bei einer bedingten Kapitalerhöhung, außerhalb des festgesetzten Zwecks oder vor Erhalt der vollen Leistung des Gegenwerts unter Verstoß gegen § 199 Abs. 1.

– –

– – – – –

_____________ 255) Lange, RuS 2010, 92, 97 f.; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 205; wohl auch K. Schmidt/ Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 52; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 25 Rz. 60; a. A. Gädtke/ Wax, AG 2010, 851, 853 f. 256) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 93 Rz. 68; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 93 Rz. 125; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 15. 257) Hölters-Hölters, AktG, § 93 Rz. 273; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 221; a. A. – verschuldensunabhängiger Folgenbeseitigungsanspruch – Habersack/Schürnbrand, WM 2005, 957; Schürnbrand, NZG 2010, 1207, 1209. 258) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 442, 343; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 57; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 17; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 222. 259) BGH, Urt. v. 29.9.2008 – II ZR 234/07, ZIP 2008, 2217 = NZG 2008, 908, dazu EWiR 2009, 23 (Kort) – zur GmbH; Habersack/Schürnbrand, WM 2005, 957, 958; K. Schmidt/Lutter-Krieger/SailerCoceani, AktG, § 93 Rz. 57; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 93 Rz. 134; Spindler in: MünchKommAktG, § 93 Rz. 222. 260) Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 16. 261) BGH, Urt. v. 18.2.2008 – II ZR 132/06, BGHZ 175, 265 = ZIP 2008, 788, dazu EWiR 2008, 513 (Weipert).

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§ 93

VI. Haftungsausschluss, Verzicht und Vergleich (§ 93 Abs. 4) 1. Haftungsausschluss durch Hauptversammlungsbeschluss Eine Haftung des Vorstandes gegenüber der Gesellschaft tritt nach § 93 Abs. 4 Satz 1 nicht 81 ein, soweit sein Handeln auf einem gesetzmäßigen Beschluss der Hauptversammlung beruht. Hintergrund dieser Vorschrift ist, dass der Vorstand nach § 83 Abs. 2 zur Ausführung der von der Hauptversammlung i. R. ihrer Zuständigkeit beschlossenen Maßnahmen verpflichtet ist.262) Diese Ausnahme von der Haftung des Vorstandes wird überwiegend als eine Ausprägung des Arglisteinwands nach § 242 BGB eingeordnet.263) Der Haftungsausschluss reicht nur so weit wie die Folgepflicht des Vorstands aus dieser Norm,264) weshalb sich im Einzelfall Abgrenzungsschwierigkeiten ergeben können.265) Auch in Fällen, in denen der Vorstand von sich aus gemäß § 119 Abs. 2 eine Entscheidung der Hauptversammlung einholt, greift die Haftungsentlastung.266) Auch bei einer Hauptversammlungsentscheidung im Falle einer Vorlage nach § 111 Abs. 4 Satz 3 nach Verweigerung der Aufsichtsratszustimmung handelt es sich um einen Beschluss, der sich unter § 93 Abs. 4 Satz 1 subsumieren lässt.267) Voraussetzung für das Eingreifen des Haftungsausschlusses ist eine entsprechende vor- 82 herige Beschlussfassung durch die Hauptversammlung; eine nachträgliche Billigung genügt nicht, denn dann „beruht“ das Verhalten des Vorstandes nicht wie gefordert auf dem Beschluss.268) Als ausreichend gilt, wenn der Vorstand sein Handeln von vorneherein unter den Vorbehalt der nachträglichen Zustimmung stellt.269) Weitere Voraussetzung für den Haftungsausschluss ist, dass es sich um einen formellen Hauptversammlungsbeschluss handelt; informelle Meinungsäußerungen oder Empfehlungen einzelner, aber auch aller Aktionäre sind unbeachtlich.270) Teilweise wird für solche Fälle zwar angenommen, dass gegen die Geltendmachung des Ersatzanspruchs der Einwand unzulässiger Rechtsausübung vorgebracht werden kann.271) Diesem Ansatz ist allerdings nicht zu folgen, da ansonsten das Formalitätserfordernis ausgehebelt würde.272) Schließlich muss der Hauptversammlungsbeschluss die Anforderung der Gesetzmäßigkeit erfüllen, darf also weder nichtig noch anfechtbar sein.273) Mit Eintritt der Heilungswirkung274) bzw. mit Ablauf der _____________ 262) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 470; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 93 Rz. 149; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 59; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 121. 263) Canaris, ZGR 1978, 207, 209; Hölters-Hölters, AktG, § 93 Rz. 294; Servatius, Strukturmaßnahmen als Unternehmensleitung, 2004, S. 377; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 121; dogmatisch a. A. Mertens/ Cahn in: KölnKomm-AktG, § 93 Rz. 149. 264) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 471; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 93 Rz. 149. 265) Dietz-Vellmer, NZG 2014, 721 ff.; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 471 ff. 266) Fleischer, BB 2005, 2025, 2028; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 122. 267) Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 122; a. A. Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 240. 268) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 477; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 93 Rz. 153; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 123. 269) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 477; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 59. 270) OLG Köln, Urt. v. 25.10.2012 – 18 U 37/12, NZG 2013, 872 = AG 2013, 396; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rz. 266; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 93 Rz. 73; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 60; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 93 Rz. 150. 271) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rz. 266; Hölters-Hölters, AktG, § 93 Rz. 295; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 93 Rz. 150. 272) K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 60; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 239. 273) Hölters-Hölters, AktG, § 93 Rz. 300; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rz. 268; K. Schmidt/LutterKrieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 61. 274) BGH, Urt. v. 6.10.1960 – II ZR 150/58, BGHZ 33, 175 = NJW 1961, 26; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rz. 270; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 482; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 61; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 238; a. A. Mertens/Cahn in: KölnKommAktG, § 93 Rz. 155.

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§ 93

Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder

Anfechtungsfrist275) werden zunächst nichtige oder anfechtbare Beschlüsse jedoch gesetzmäßig und können Grundlage eines Haftungsausschlusses sein. Zu einer Schadensersatzpflicht des Vorstandes kann es in diesen Konstellationen dennoch kommen, wenn er es pflichtwidrig unterlassen hat, Nichtigkeits- oder Anfechtungsklage gegen den Beschluss zu erheben.276) 83 Auch wenn ein vorheriger, formeller und gesetzmäßiger Hauptversammlungsbeschluss vorliegt, kann im Einzelfall die haftungsausschließende Wirkung zu verneinen sein, wenn der Beschluss vom Vorstand pflichtwidrig herbeigeführt wurde. Das ist insbesondere bei unrichtiger oder unvollständiger Information der Hauptversammlung anzunehmen.277) Hätte die Hauptversammlung trotz der mangelhaften Information die Schädlichkeit des Beschlusses erkennen können, scheidet eine Anrechnung nach den Grundsätzen des Mitverschuldens nach § 254 BGB analog aus.278) 84 Wie § 93 Abs. 4 Satz 2 klarstellt, hat die Billigung des Vorstandshandelns durch den Aufsichtsrat keinen Ausschluss der Ersatzpflicht zur Folge. 2.

Verzicht und Vergleich

85 § 93 Abs. 4 Satz 3 enthält Vorgaben für den Verzicht auf den Vergleich über Ersatzansprüche der Gesellschaft. Erfasst sind alle Ansprüche der Gesellschaft, egal aus welchem Rechtsgrund, sofern ein innerer Zusammenhang zur Organstellung des Anspruchsgegners bejaht werden kann.279) 86 Erforderlich ist in jedem Fall ein zustimmender formeller Beschluss der Hauptversammlung.280)Dadurch soll verhindert werden, dass Vorstand und Aufsichtsrat sich aufgrund kollegialer Rücksichtnahme gegenseitig entlasten.281) Mangels anderweitiger Regelung kann der Beschluss gemäß § 133 mit einfacher Stimmenmehrheit gefasst werden.282) Dabei sind betroffene Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder gemäß § 136 Abs. 1 nicht stimmberechtigt. 87 Darüber hinaus darf gemäß § 93 Abs. 4 Satz 3 nicht von einer Aktionärsminderheit, deren Anteile zusammen 10 % des Grundkapitals erreichen, gegen den Beschluss Widerspruch zur Niederschrift erhoben werden.283) Dadurch wurde ursprünglich das Minderheitsrecht auf Geltendmachung von Ersatzansprüchen aus § 147 a. F. abgesichert. Da dieses mittler_____________ 275) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 486; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 61; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 237. 276) Hölters-Hölters, AktG, § 93 Rz. 300, 301; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 485, 487; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 61; a. A. Casper, Die Heilung nichtiger Beschlüsse im Kapitalgesellschaftsrecht, 1998, S. 188 f. 277) Canaris, ZGR 1978, 207, 213; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rz. 272; Hefermehl in: FS Schilling, S. 159, 172 f.; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 488; K. Schmidt/Lutter-Krieger/SailerCoceani, AktG, § 93 Rz. 62. 278) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rz. 272; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 488; Mertens/ Cahn in: KölnKomm-AktG, § 93 Rz. 154; a. A. Canaris, ZGR 1978, 207, 209. 279) OLG München, Urt. v. 30.3.2017 – 23 U 3159/16, juris; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 129. 280) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rz. 278; Hasselbach, NZG 2016, 890, 891 ff.; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 511. 281) BGH, Urt. v. 8.7.2014 – II ZR 174/13, BGHZ 202, 26 = ZIP 2014, 1728 = NZG 2014, 1058, dazu EWiR 2014, 609 (Maier-Reimer); Hasselbach/Seibel, AG 2008, 770, 772; Hölters-Hölters, AktG, § 93 Rz. 306; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 252. 282) Dietz-Vellmer, NZG 2011, 248, 250; Hirte/Stoll, ZIP 2010, 253, 254; Spindler in: MünchKomm-AktG § 93 Rz. 252. 283) K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 67.

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Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder

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weile abgeschafft wurde, wäre auch eine Aufhebung des Widerspruchsrechts sinnvoll.284) Als zeitliche Einschränkung sieht § 93 Abs. 4 Satz 3 vor, dass der Beschluss erst nach Ablauf von drei Jahren ab Anspruchsentstehung gefasst werden kann. Dadurch soll sichergestellt werden, dass die Hauptversammlung den Beschluss nur in Kenntnis möglichst aller Auswirkungen des pflichtwidrigen Verhaltens fasst.285) Allerdings liegt es ggf. auch schon vor Ablauf der Frist im Interesse der Gesellschaft sowie der Organmitglieder, durch Abschluss eines Vergleichs eine Klärung der Rechtslage herbeizuführen.286) Daher wird in der Literatur teilweise eine Abschaffung der Frist gefordert.287) Für die Fristberechnung sind die allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Vorschriften der 88 §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB maßgeblich.288) Auf die Kenntnis oder das Kennenmüssen kommt es nicht an.289) Auch ist unerheblich, ob und inwieweit das Ausmaß des Schadens überhaupt schon abgeschätzt werden kann.290) Allerdings formuliert § 93 Abs. 4 Satz 4 eine Ausnahme von der zeitlichen Beschränkung für den Fall, dass der Ersatzpflichtige zahlungsunfähig ist und sich zur Abwendung des Insolvenzverfahrens mit seinen Gläubigern vergleicht oder dass die Ersatzpflicht in einem Insolvenzplan geregelt wird. Ein Verzicht erfolgt typischerweise in Form eines Erlassvertrages gemäß § 397 Abs. 1 89 BGB oder eines negativen Schuldanerkenntnisses gemäß § 397 Abs. 2 BGB.291) Er führt zu einem Erlöschen des Schadensersatzanspruchs der Gesellschaft. Ein Vergleich bewirkt eine Minderung des Schadensersatzanspruchs der Höhe nach. Erfasst wird nicht nur der prozessuale, sondern auch der außergerichtliche Vergleich nach § 779 BGB.292) Dazu zählen insbesondere auch Abfindungsvereinbarungen, die eine ein- oder beidseitige Anspruchserledigung vorsehen.293) Darüber hinaus sind die Voraussetzungen des § 93 Abs. 4 Satz 3 und 4 auch auf solche Rechtshandlungen anzuwenden, die einem Verzicht oder Vergleich wirtschaftlich gleichkommen.294) Das betrifft z. B. einen Klageverzicht nach § 306 ZPO, ein Anerkenntnis nach § 307 ZPO sowie ein pactum de non petendo oder eine Stundung.295) Aufgrund ihrer vergleichbaren wirtschaftlichen Folgen ist auch eine vor Fristablauf getroffene Schiedsgutachtenvereinbarung zwischen Vorstand und Gesellschaft erfasst.296) Hingegen erstreckt sich der Anwendungsbereich des § 93 Abs. 4 Satz 3 nicht _____________ 284) Handelsrechtsausschuss des DAV, NZG 2010, 897, 899 f.; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 67; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 253; a. A. Hopt/Roth in: GroßKommAktG, § 93 Rz. 514. 285) Begr. RegE in: Kropff, AktG, S. 123; Hasselbach/Seibel, AG 2008, 770, 772; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 93 Rz. 76; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 93 Rz. 278; K. Schmidt/Lutter-Krieger/SailerCoceani, AktG, § 93 Rz. 65. 286) K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 65. 287) Handelsrechtsausschuss des DAV, NZG 2010, 897, 899 f.; Dietz-Vellmer, NZG 2011, 248, 249; Habersack, ZHR 177 (2013) 782, 804 f.; Hopt, ZIP 2013, 1793, 1802 f.; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 93 Rz. 164; a. A. Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rz. 284a; Fleischer, WM 2005, 909, 918 f. 288) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 520; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 251. 289) Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 251; Hirte/Stoll, ZIP 2010, 253, 254. 290) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 520; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 251. 291) Hölters-Hölters, AktG, § 93 Rz. 308; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 93 Rz. 170. 292) Hölters-Hölters, AktG, § 93 Rz. 308; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 93 Rz. 170; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 129. 293) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 527; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 64. 294) OLG München, Urt. v. 30.3.2017 – 23 U 3159/16, juris. 295) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rz. 287; Hölters-Hölters, AktG, § 93 Rz. 309; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 527; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 64; Mertens/ Cahn in: KölnKomm-AktG, § 93 Rz. 171. 296) OLG München, Urt. v. 30.3.2017 – 23 U 3159/16, juris, dazu GWR 2017, 357 (Stretz).

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§ 93

Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder

auf sonstige Verfügungen über den Ersatzanspruch, wie Abtretungen, Verpfändungen und Aufrechnungen, es sei denn, darin liegt eine Umgehung der Regelung.297) 90 Werden die Anforderungen des § 93 Abs. 4 Satz 3 nicht gewahrt, ist die jeweilige Rechtshandlung nichtig.298) Eine rückwirkende Heilung bei Nichteinhaltung der Frist ist nicht möglich, so dass das Rechtsgeschäft erneut vorgenommen werden muss.299) VII. Anspruchsverfolgung 1.

Durch den Aufsichtsrat

91 Nach § 112 ist der Aufsichtsrat für die Vertretung der Gesellschaft gegenüber Vorstandsmitgliedern zuständig. Somit fällt auch die Inanspruchnahme wegen Schadensersatzansprüchen in seinen Zuständigkeitsbereich. Dabei ist zu beachten, dass der BGH seit der ARAG/Garmenbeck-Entscheidung eine entsprechende Pflicht des Aufsichtsrats annimmt, bei deren Verletzung eine eigene Haftung des Aufsichtsrats droht.300) Diese Pflicht steht jedoch unter dem Vorbehalt entgegenstehender gewichtiger Gründe des Unternehmenswohls, d. h. der Aufsichtsrat kann von der Geltendmachung absehen, wenn er zu dem Ergebnis kommt, dass die gegen eine Rechtsverfolgung sprechenden Gründe mindestens gleichwertig sind.301) Solche entgegenstehenden Gründe können bspw. negative Auswirkungen auf die Geschäftstätigkeit, das Ansehen302) oder das Betriebsklima der Gesellschaft sowie eine Behinderung der Vorstandstätigkeit sein.303) Die Schonung des Vorstandsmitglieds bzw. dessen Familie ist hingegen kein beachtlicher Grund.304) Berücksichtigungsfähig ist u. U. die Erwägung, dass eine unterlassene Geltendmachung möglicherweise eine erhöhte Kooperationsbereitschaft des Vorstandsmitglieds bewirkt.305) Bei der Entscheidungsfindung kommt dem Aufsichtsrat ein Ermessen mit der Privilegierung nach der Business Judgment Rule zu.306) 2.

Durch Aktionäre

92 Die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen kann von den Aktionären durch Hauptversammlungsbeschluss gemäß § 147 Abs. 1 erzwungen werden. Einer Aktionärsminderheit, deren Anteile 1 % am Grundkapital oder 1.000.000 € erreichen, steht das Klagezulassungsverfahren nach § 148 offen (siehe unten § 148 Rz. 3 ff.). _____________ 297) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 530; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 263. 298) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rz. 288; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 533; Mertens/ Cahn in: KölnKomm-AktG, § 93 Rz. 174. 299) Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 135; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 254. 300) BGH, Urt. v. 21.4.1997 – II ZR 175/95 (ARAG/Garmenbeck), BGHZ 135, 244, 251 ff. = ZIP 1997, 883; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rz. 291; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 46; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 77; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 190. 301) BGH, Urt. v. 21.4.1997 – II ZR 175/95 (ARAG/Garmenbeck), BGHZ 135, 244, 251 ff. = ZIP 1997, 883; Hölters-Hölters, AktG, § 93 Rz. 292; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 46; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 80. 302) Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 111 Rz. 60. 303) Hölters-Hölters, AktG, § 93 Rz. 292. 304) BGH, Urt. v. 21.4.1997 – II ZR 175/95 (ARAG/Garmenbeck), BGHZ 135, 244, 251 ff. = ZIP 1997, 883. 305) Habersack, ZHR 177 (2013) 782, 787; Hasselbach/Seibel, AG 2008, 770, 774; K. Schmidt/LutterKrieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 46; a. A. Hölters-Hölters, AktG, § 93 Rz. 292. 306) Goette, ZHR 176 (2012) 588, 608 ff.; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 46; Reichert, ZHR 177 (2013) 756, 768; Spindler, AG 2013, 889, 898; a. A. Koch, NZG 2014, 934; Lutter in: FS Hoffmann-Becking, S. 747, 752 f.

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Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder

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3. Durch Gesellschaftsgläubiger (§ 93 Abs. 5) Obwohl grundsätzlich der Aufsichtsrat für die Geltendmachung der Ersatzansprüche zuständig ist, sieht § 93 Abs. 5 eine entsprechende Möglichkeit auch für die Gesellschaftsgläubiger vor – wenn auch nur unter bestimmten Voraussetzungen. Zweck der Vorschrift ist eine Erleichterung der Gläubigerbefriedigung. Diese müssten anderenfalls zuerst gegen die Gesellschaft vorgehen und anschließend den Ersatzanspruch der Gesellschaft gegenüber dem Vorstand nach §§ 829, 835 ZPO pfänden und sich überweisen lassen.307) Dogmatisch wird in der Vorschrift überwiegend ein eigener materieller Anspruch des Gläubigers gesehen.308) Die Minderansicht nimmt eine Prozessstandschaft an.309) Dagegen spricht jedoch zum einen, dass die Vorschrift den Gläubigern gerade ermöglicht, Zahlung an sich selbst und nicht nur an die Gesellschaft zu verlangen.310) Darüber hinaus ließe sich auf der Grundlage einer Prozessstandschaft nicht erklären, warum der Gläubiger auch dann einen Anspruch hat, wenn der Gesellschaft z. B. infolge eines Vergleichs oder Verzichts ein solcher nicht mehr zusteht.311) Voraussetzung für die Anspruchsgeltendmachung ist das Bestehen einer fälligen Forderung gegen die Gesellschaft, für die der Gläubiger keine Befriedigung durch die Gesellschaft erlangen kann. Das ist bereits dann anzunehmen, wenn die Gesellschaft objektiv nicht zahlen kann, ohne dass zwingend vorab erfolglose Vollstreckungsversuche unternommen werden müssten.312) Bloße Zahlungsunwilligkeit reicht hingegen nicht aus.313) Auf Rechtsgrund und Entstehungszeitpunkt des Anspruchs kommt es nicht an, solange er auf Geldleistung gerichtet ist bzw. in eine solche übergehen kann.314) Für die erforderliche Schwere der Pflichtverletzung ist nach der Art des Ersatzanspruchs zu differenzieren. § 93 Abs. 5 Satz 2 fordert für andere als die Fälle des Absatzes 3 eine gröbliche Verletzung der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters. Folglich ist zumindest grobe Fahrlässigkeit erforderlich.315) Aus der Formulierung ergibt sich zugleich, dass für die Sondertatbestände des § 93 Abs. 3 leichte Fahrlässigkeit ausreicht.316) § 93 Abs. 5 Satz 3 sieht vor, dass die Ersatzpflicht gegenüber den Gläubigern nicht durch Verzicht, Vergleich oder Hauptversammlungsbeschluss der AG aufgehoben werden kann. Liegt ein rechtmäßiger Hauptversammlungsbeschluss i. S. des § 83 Abs. 2 vor, ist allerdings zu beachten, dass es bereits an einem pflichtwidrigen Verhalten des Vorstandes fehlt, mithin schon kein Ersatzanspruch entsteht.317) Umstritten ist, ob sich die Anwend_____________ 307) Hölters-Hölters, AktG, § 93 Rz. 322; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 93 Rz. 80; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 93 Rz. 179; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 267. 308) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rz. 294; Hölters-Hölters, AktG, § 93 Rz. 322; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 549; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 68; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 107. 309) OLG Frankfurt/M., Urt. v. 21.10.1976 – 1 U 19/76, WM 1977, 59, 62; LG Köln, Urt. v. 13.1.1976 – 3 O 243/75, AG 1976, 105, 106; Habscheid in: FS Weber, S. 197, 202 ff. 310) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rz. 294; Grigoleit-Grigoleit/Tomasic, AktG, § 93 Rz. 82; Hopt/ Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 551. 311) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rz. 294; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 551; Mertens/ Cahn in: KölnKomm-AktG, § 93 Rz. 180. 312) K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 69; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 93 Rz. 82; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 93 Rz. 182. 313) Grigoleit-Grigoleit/Tomasic, AktG, § 93 Rz. 80; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 559; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 107; Heidel-U. Schmidt, AktR, § 93 AktG Rz. 151. 314) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 556; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 93 Rz. 182; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 268. 315) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 561; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 93 Rz. 182; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 269. 316) Hölters-Hölters, AktG, § 93 Rz. 327; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 223, 269. 317) K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 71; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 280.

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Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder

barkeit des Absatzes 5 Satz 3 auf Vergleiche nach Absatz 4 Satz 4 erstreckt, die zur Abwendung bzw. Beseitigung des Insolvenzverfahrens abgeschlossen werden. Nach dem Wortlaut ist das zwar grundsätzlich zu bejahen.318) Überwiegend wird aber unter Verweis auf den Zweck der Vorschrift eine Wirkung des Vergleichs auch gegenüber den Gläubigern angenommen, um die Gläubiger der AG nicht besser zu stellen. 98 Kommt es zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Gesellschaftsvermögen, so verlieren die Gläubiger ihre Aktivlegitimation.319) Das Recht zur Geltendmachung der Ersatzansprüche geht nach § 93 Abs. 5 Satz 4 auf den Insolvenz- bzw. Sachwalter über. VIII. Verjährung (§ 93 Abs. 6) 99 § 93 Abs. 6 legt die Verjährungsfrist auf fünf bzw. zehn Jahre fest. Voraussetzung für das Eingreifen der durch das Restrukturierungsgesetz320) eingeführten zehnjährigen Frist ist, dass die Gesellschaft zum Zeitpunkt der Pflichtverletzung börsennotiert war321) und ein Anspruch betroffen ist, der bei Inkrafttreten des Gesetzes am 15.12.2010 noch nicht verjährt war322). Die Verjährungsverlängerung wird in der Literatur überwiegend kritisch gesehen. Sie bewirkt in Kombination mit der Beweislastumkehr nicht nur eine unzumutbare Härte für die Vorstandsmitglieder,323) sondern auch eine fragwürde Differenzierung zwischen börsennotierten und nicht börsennotierten Unternehmen.324) 100 Die Berechnung der Verjährungsfrist richtet sich nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2.325) Maßgeblich für den Beginn ist gemäß § 200 BGB die Anspruchsentstehung, unabhängig von der Kenntniserlangung.326) Der Anspruch entsteht nicht vor Beendigung des pflichtwidrigen Handelns. Eine Bezifferbarkeit des Schadens ist nicht erforderlich.327) Liegt das pflichtwidrige Verhalten in einem Unterlassen, beginnt die Verjährung, sobald dadurch ein Schaden entstanden ist. Bewirkt ein andauerndes Unterlassen jedoch eine Schadensvertiefung, kommt es auf den Abschluss des Unterlassens an.328) Auch für Hemmung und Neubeginn der Verjährung sind die allgemeinen Regeln der §§ 203 ff. BGB maßgeblich.329) _____________ 318) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 543: K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 71; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 93 Rz. 185; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 93 Rz. 281. 319) Bürgers/Körber-Bürgers, AktG, § 93 Rz. 46; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rz. 300. 320) Gesetz zur Restrukturierung und geordneten Abwicklung von Kreditinstituten, zur Errichtung eines Restrukturierungsfonds für Kreditinstitute und zur Verlängerung der Verjährungsfrist der aktienrechtlichen Organhaftung (Restrukturierungsgesetz) v. 9.12.2010, BGBl. I 2010, 1900. 321) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rz. 302a; Harbarth/Jaspers, NZG 2011, 368, 372; K. Schmidt/ Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 74; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 67. 322) Fleischer, AG 2014, 457, 459; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rz. 302a; K. Schmidt/LutterKrieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 74. 323) Fleischer, AG 2014, 457, 459, 467; Handelsrechtsausschuss des DAV, NZG 2010, 897; Hüffer/KochKoch, AktG, § 93 Rz. 85; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 75; Lorenz, NZG 2010, 1046, 1052. 324) Baums, ZHR 174 (2010) 593 f.; Handelsrechtsausschuss des DAV, NZG 2010, 897, 898; K. Schmidt/ Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 75. 325) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 93 Rz. 87; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 93 Rz. 200. 326) BGH, Urt. v. 29.9.2008 – II ZR 234/07, ZIP 2008, 2217, 2219 = NZG 2008, 908; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 68. 327) Hölters-Hölters, AktG, § 93 Rz. 336; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 586; K. Schmidt/LutterKrieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 77; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 69. 328) Hölters-Hölters, AktG, § 93 Rz. 337; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 591 f.; K. Schmidt/ Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 77. 329) OLG Stuttgart, Urt. v. 25.11.2009 – 20 U 5/09, ZIP 2009, 2386 = WM 2010, 120, dazu EWiR 2010, 477 (Becker/Laubinger); Hölters-Hölters, AktG, § 93 Rz. 338; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 598.

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Stellvertreter von Vorstandsmitgliedern

§ 94

Inwieweit die Verjährungsfrist des Absatzes 6 zwingenden Charakter hat, wird in der 101 neueren Literatur diskutiert. Nachdem zunächst ganz überwiegend davon ausgegangen wurde, dass weder eine Verlängerung noch eine Verkürzung der Frist in Betracht käme,330) wird das mittlerweile bezweifelt. Zwar kann die Verjährung richtigerweise nicht durch Vertrag verkürzt werden.331) Erwogen wird insbesondere aber die Möglichkeit der Verjährungsverlängerung für bereits entstandene Ansprüche.332) Teilweise werden darüber hinaus individualvertragliche Vereinbarungen über eine Verjährungsverlängerung insgesamt für zulässig gehalten.333) Gegen eine Verlängerung innerhalb der Grenzen des § 202 Abs. 2 von 30 Jahren bestehen keine Bedenken.334) Zum Zwecke der Rechtssicherheit empfiehlt sich ggf. als Alternative ein Verzicht auf die Einrede der Verjährung oder eine außergerichtliche Hemmung nach §§ 203 ff. BGB.335) Eine Zustimmung der D&O-Versicherung kann nach den Versicherungsbedingungen erforderlich sein, so dass es in jeden Fall empfehlenswert ist, den Verzicht mit der Versicherung abzustimmen.336) IX.

Allgemeines zur Schadensersatzpflicht des Vorstands gegenüber der Gesellschaft und gegenüber Dritten

In erster Linie ist die Haftung des Vorstands auf Schadensersatz als Organinnenhaftung 102 ausgestaltet, d. h. die Vorstandsmitglieder haften gegenüber der Gesellschaft aus § 93 Abs. 2. Aufgrund des abgeschlossenen Dienstvertrages kommt außerdem eine vertragliche Haftung aus § 280 BGB in Betracht, die aber neben der aktienrechtlichen Spezialregelung keine eigenständige Bedeutung hat.337) Eine Haftung gegenüber Dritten (Organaußenhaftung) kann aufgrund vertraglicher, vertragsähnlicher und deliktsrechtlicher Anspruchsgrundlagen bestehen.338) Auch steuerrechtliche und sozialversicherungsrechtliche Haftungstatbestände sind denkbar. _____________ 330) Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 93 Rz. 199. 331) Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 67. 332) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 585; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 93 Rz. 88; K. Schmidt/ Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 77; Schnorbus/Klormann, NZG 2015, 938, 939; Schwab, NZG 2013, 521, 526; Wahlers/Wolff, AG 2011, 605, 606 ff. 333) In diese Richtung Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rz. 303g. 334) Schwab, NZG 2013, 521, 526; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 67 und 74. 335) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 93 Rz. 88; Wahlers/Wolff, AG 2011, 605, 609 ff. 336) Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 74. 337) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 93 Rz. 36; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 1. 338) Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 3.

§ 94 Stellvertreter von Vorstandsmitgliedern Die Vorschriften für die Vorstandsmitglieder gelten auch für ihre Stellvertreter. Gemäß § 94 gelten die Vorschriften für die Vorstandsmitglieder auch für ihre Stellvertreter. 1 Mit dem Begriff des „Stellvertreters“ ist hier kein Stellvertreter i. S. der §§ 164 ff. BGB gemeint, sondern ein vollwertiges, mit sämtlichen Rechten und Pflichten ausgestattetes Vorstandsmitglied, das dem ordentlichen Vorstandsmitglied im Außenverhältnis gleich steht und sich von diesem nur begrifflich, nicht aber rechtlich unterscheidet.1) Das stellvertretende Vorstandsmitglied trägt volle Leitungsverantwortung mit allen Konsequenzen _____________ 1)

Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, § 8 Rz. 112; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 94 Rz. 1; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 3 Rz. 59 f.

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Stellvertreter von Vorstandsmitgliedern

§ 94

Inwieweit die Verjährungsfrist des Absatzes 6 zwingenden Charakter hat, wird in der 101 neueren Literatur diskutiert. Nachdem zunächst ganz überwiegend davon ausgegangen wurde, dass weder eine Verlängerung noch eine Verkürzung der Frist in Betracht käme,330) wird das mittlerweile bezweifelt. Zwar kann die Verjährung richtigerweise nicht durch Vertrag verkürzt werden.331) Erwogen wird insbesondere aber die Möglichkeit der Verjährungsverlängerung für bereits entstandene Ansprüche.332) Teilweise werden darüber hinaus individualvertragliche Vereinbarungen über eine Verjährungsverlängerung insgesamt für zulässig gehalten.333) Gegen eine Verlängerung innerhalb der Grenzen des § 202 Abs. 2 von 30 Jahren bestehen keine Bedenken.334) Zum Zwecke der Rechtssicherheit empfiehlt sich ggf. als Alternative ein Verzicht auf die Einrede der Verjährung oder eine außergerichtliche Hemmung nach §§ 203 ff. BGB.335) Eine Zustimmung der D&O-Versicherung kann nach den Versicherungsbedingungen erforderlich sein, so dass es in jeden Fall empfehlenswert ist, den Verzicht mit der Versicherung abzustimmen.336) IX.

Allgemeines zur Schadensersatzpflicht des Vorstands gegenüber der Gesellschaft und gegenüber Dritten

In erster Linie ist die Haftung des Vorstands auf Schadensersatz als Organinnenhaftung 102 ausgestaltet, d. h. die Vorstandsmitglieder haften gegenüber der Gesellschaft aus § 93 Abs. 2. Aufgrund des abgeschlossenen Dienstvertrages kommt außerdem eine vertragliche Haftung aus § 280 BGB in Betracht, die aber neben der aktienrechtlichen Spezialregelung keine eigenständige Bedeutung hat.337) Eine Haftung gegenüber Dritten (Organaußenhaftung) kann aufgrund vertraglicher, vertragsähnlicher und deliktsrechtlicher Anspruchsgrundlagen bestehen.338) Auch steuerrechtliche und sozialversicherungsrechtliche Haftungstatbestände sind denkbar. _____________ 330) Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 93 Rz. 199. 331) Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 67. 332) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 93 Rz. 585; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 93 Rz. 88; K. Schmidt/ Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 93 Rz. 77; Schnorbus/Klormann, NZG 2015, 938, 939; Schwab, NZG 2013, 521, 526; Wahlers/Wolff, AG 2011, 605, 606 ff. 333) In diese Richtung Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 93 Rz. 303g. 334) Schwab, NZG 2013, 521, 526; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 67 und 74. 335) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 93 Rz. 88; Wahlers/Wolff, AG 2011, 605, 609 ff. 336) Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 74. 337) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 93 Rz. 36; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 1. 338) Seyfarth, Vorstandsrecht, § 23 Rz. 3.

§ 94 Stellvertreter von Vorstandsmitgliedern Die Vorschriften für die Vorstandsmitglieder gelten auch für ihre Stellvertreter. Gemäß § 94 gelten die Vorschriften für die Vorstandsmitglieder auch für ihre Stellvertreter. 1 Mit dem Begriff des „Stellvertreters“ ist hier kein Stellvertreter i. S. der §§ 164 ff. BGB gemeint, sondern ein vollwertiges, mit sämtlichen Rechten und Pflichten ausgestattetes Vorstandsmitglied, das dem ordentlichen Vorstandsmitglied im Außenverhältnis gleich steht und sich von diesem nur begrifflich, nicht aber rechtlich unterscheidet.1) Das stellvertretende Vorstandsmitglied trägt volle Leitungsverantwortung mit allen Konsequenzen _____________ 1)

Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, § 8 Rz. 112; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 94 Rz. 1; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 3 Rz. 59 f.

Simon Link

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§ 95

Zahl der Aufsichtsratsmitglieder

(§ 93).2) Lediglich die Geschäftsführungsbefugnis des stellvertretenden Mitglieds im Innenverhältnis (§ 77) kann beschränkt werden, indem festgelegt wird, dass es für bestimmte Fälle nur bei Fehlen oder Verhinderung eines ordentlichen Mitglieds zuständig ist.3) Die Bestellung zum stellvertretenden Vorstandsmitglied bringt daher nicht mehr als eine hierarchische Unterordnung zum Ausdruck.4) In der Praxis ist eine Bestellung zum stellvertretenden Mitglied selten.5) 2 Wenn der hierarchischen Abstufung sachliche Erwägungen zugrunde liegen (z. B. Dauer der Betriebszugehörigkeit, Dienstalter, Erfahrung), kann auch der Arbeitsdirektor in mitbestimmten Gesellschaften zum stellvertretenden Vorstandsmitglied ernannt werden.6) 3 Es gelten für stellvertretende Mitglieder keine Besonderheiten, insbesondere Bestellung und Widerruf, aber auch die „Beförderung“ zum ordentlichen Vorstandsmitglied erfolgen nach den allgemeinen Bestimmungen des § 84.7) Erforderlich ist mithin ein Beschluss des Gesamtaufsichtsrats.8) Die Ernennung eines bisher stellvertretenden zum ordentlichen Vorstandsmitglied unterliegt in mitbestimmten Gesellschaften allerdings nicht den besonderen Regeln des § 31 Abs. 2 – 4 MitbestG.9) 4 Die stellvertretenden Mitglieder sind im Handelsregister einzutragen (§ 81 Abs. 1). Allerdings ist ein Stellvertretervermerk weder erforderlich noch zulässig.10) Auch auf den Geschäftsbriefen sind die stellvertretenden Vorstandsmitglieder anzugeben, wiederum ohne einen entsprechenden Zusatz.11) _____________ 2) K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 94 Rz. 3; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 3 Rz. 60; einschränkend Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 94 Rz. 7; Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, § 8 Rz. 113. 3) Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, § 8 Rz. 112; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 7 Rz. 477; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 3 Rz. 59. 4) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 94 Rz. 2; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 3 Rz. 60. 5) Seyfarth, Vorstandsrecht, § 3 Rz. 60. 6) Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 94 Rz. 9; Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 94 Rz. 14; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 94 Rz. 4; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 94 Rz. 4. 7) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 94 Rz. 3; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 3 Rz. 59. 8) K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 94 Rz. 3; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 3 Rz. 60; einschränkend Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 94 Rz. 7; Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, § 8 Rz. 113. 9) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 94 Rz. 5; Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 94 Rz. 13; Ihrig/ Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, § 8 Rz. 113; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 94 Rz. 4; a. A.: Seyfarth, Vorstandsrecht, § 3 Rz. 59. 10) BGH, Beschl. v. 10.11.1997 – II ZB 6/97, ZIP 1998, 152 = NJW 1998, 1071; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 94 Rz. 8; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 3 Rz. 60. 11) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 94 Rz. 9; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 3 Rz. 60; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 24 Rz. 26.

Zweiter Abschnitt Aufsichtsrat § 95 Zahl der Aufsichtsratsmitglieder Werner Paul Schick

1

Der Aufsichtsrat besteht aus drei Mitgliedern. 2Die Satzung kann eine bestimmte höhere Zahl festsetzen. 3Die Zahl muß durch drei teilbar sein, wenn dies zur Erfüllung mitbe-

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Werner Paul Schick

§ 95

Zahl der Aufsichtsratsmitglieder

(§ 93).2) Lediglich die Geschäftsführungsbefugnis des stellvertretenden Mitglieds im Innenverhältnis (§ 77) kann beschränkt werden, indem festgelegt wird, dass es für bestimmte Fälle nur bei Fehlen oder Verhinderung eines ordentlichen Mitglieds zuständig ist.3) Die Bestellung zum stellvertretenden Vorstandsmitglied bringt daher nicht mehr als eine hierarchische Unterordnung zum Ausdruck.4) In der Praxis ist eine Bestellung zum stellvertretenden Mitglied selten.5) 2 Wenn der hierarchischen Abstufung sachliche Erwägungen zugrunde liegen (z. B. Dauer der Betriebszugehörigkeit, Dienstalter, Erfahrung), kann auch der Arbeitsdirektor in mitbestimmten Gesellschaften zum stellvertretenden Vorstandsmitglied ernannt werden.6) 3 Es gelten für stellvertretende Mitglieder keine Besonderheiten, insbesondere Bestellung und Widerruf, aber auch die „Beförderung“ zum ordentlichen Vorstandsmitglied erfolgen nach den allgemeinen Bestimmungen des § 84.7) Erforderlich ist mithin ein Beschluss des Gesamtaufsichtsrats.8) Die Ernennung eines bisher stellvertretenden zum ordentlichen Vorstandsmitglied unterliegt in mitbestimmten Gesellschaften allerdings nicht den besonderen Regeln des § 31 Abs. 2 – 4 MitbestG.9) 4 Die stellvertretenden Mitglieder sind im Handelsregister einzutragen (§ 81 Abs. 1). Allerdings ist ein Stellvertretervermerk weder erforderlich noch zulässig.10) Auch auf den Geschäftsbriefen sind die stellvertretenden Vorstandsmitglieder anzugeben, wiederum ohne einen entsprechenden Zusatz.11) _____________ 2) K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 94 Rz. 3; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 3 Rz. 60; einschränkend Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 94 Rz. 7; Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, § 8 Rz. 113. 3) Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, § 8 Rz. 112; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 7 Rz. 477; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 3 Rz. 59. 4) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 94 Rz. 2; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 3 Rz. 60. 5) Seyfarth, Vorstandsrecht, § 3 Rz. 60. 6) Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 94 Rz. 9; Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 94 Rz. 14; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 94 Rz. 4; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 94 Rz. 4. 7) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 94 Rz. 3; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 3 Rz. 59. 8) K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 94 Rz. 3; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 3 Rz. 60; einschränkend Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 94 Rz. 7; Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, § 8 Rz. 113. 9) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 94 Rz. 5; Habersack/Foerster in: GroßKomm-AktG, § 94 Rz. 13; Ihrig/ Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, § 8 Rz. 113; K. Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, AktG, § 94 Rz. 4; a. A.: Seyfarth, Vorstandsrecht, § 3 Rz. 59. 10) BGH, Beschl. v. 10.11.1997 – II ZB 6/97, ZIP 1998, 152 = NJW 1998, 1071; Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 94 Rz. 8; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 3 Rz. 60. 11) Spindler/Stilz-Fleischer, AktG, § 94 Rz. 9; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 3 Rz. 60; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 24 Rz. 26.

Zweiter Abschnitt Aufsichtsrat § 95 Zahl der Aufsichtsratsmitglieder Werner Paul Schick

1

Der Aufsichtsrat besteht aus drei Mitgliedern. 2Die Satzung kann eine bestimmte höhere Zahl festsetzen. 3Die Zahl muß durch drei teilbar sein, wenn dies zur Erfüllung mitbe-

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Zahl der Aufsichtsratsmitglieder

stimmungsrechtlicher Vorgaben erforderlich ist. 4Die Höchstzahl der Aufsichtsratsmitglieder beträgt bei Gesellschaften mit einem Grundkapital bis zu

1.500.000 Euro neun,

von mehr als

1.500.000 Euro fünfzehn,

von mehr als

10.000.000 Euro einundzwanzig.

5

Durch die vorstehenden Vorschriften werden hiervon abweichende Vorschriften des Mitbestimmungsgesetzes vom 4. Mai 1976 (BGBl. I S. 1153), des Montan-Mitbestimmungsgesetzes und des Gesetzes zur Ergänzung des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 801-3, veröffentlichten bereinigten Fassung – Mitbestimmungsergänzungsgesetz – nicht berührt.

Literatur: Bayer/Scholz, Der Verzicht auf die Dreiteilbarkeit der Mitgliederzahl des Aufsichtsrats nach der Neufassung des § 95 Satz 3 AktG, ZIP 2016, 193; Harbarth/v. Plettenberg, Aktienrechtsnovelle 2016: Punktuelle Fortentwicklung des Aktienrechts, AG 2016, 145; Ihrig/Wandt, Die Aktienrechtsnovelle 2016, BB 2016, 6; Oetker, Der Anwendungsbereich des Statusverfahrens nach den §§ 97 ff. AktG, ZHR 149 (1985) 575; Paschos/Goslar, Die Aktienrechtsnovelle 2016 – Ein Überblick, NJW 2016, 359; Söhner, Die Aktienrechtsnovelle 2016, ZIP 2016, 151.

Übersicht I. Gegenstand und Zweck der Norm ............................................ 1 II. Satzungsregelungen .......................... 4 I.

III. Vorrang mitbestimmungsrechtlicher Vorschriften ............................ 8 IV. Rechtsfolgen eines Verstoßes .......... 9

Gegenstand und Zweck der Norm

Die Norm setzt den Aufsichtsrat als zwingend notwendiges Organ voraus,1) regelt die 1 Zahl seiner Mitglieder und begrenzt die Satzungsautonomie. Die zahlenmäßige Zusammensetzung des Aufsichtsrats hängt von der Größe des Unternehmens und dem anzuwendenden Mitbestimmungsstatut ab. Nach der gesetzlichen Grundregel des § 95 Satz 1 i. V. m. Satz 2 besteht der Aufsichtsrat aus mindestens drei Mitgliedern. An diese Mindestzahl knüpft die Beschlussfähigkeit des Aufsichtsrats gemäß § 108 Abs. 2 Satz 3 an. Die Norm schränkt die Gestaltungsmöglichkeiten der Hauptversammlung und der Satzung 2 auf die Größe des Aufsichtsrats ein; zudem soll die Effektivität der Aufsichtsratstätigkeit gesichert werden, indem unabdingbare Höchstzahlen festgelegt werden.2) Der Aufsichtsrat ist ein notwendiges Organ jeder AG; weder die Satzung noch die Haupt- 3 versammlung kann ihn abschaffen. Eine AG darf nur einen Aufsichtsrat haben, der auch als solcher bezeichnet sein muss.3) II.

Satzungsregelungen

Nach § 95 Satz 2 kann die Satzung eine bestimmte höhere Zahl als drei festsetzen; niedrige- 4 re und variable Zahlen (Mindest- bzw. Höchstzahlen) sind unzulässig.4) Nach dem durch die _____________ 1) 2) 3) 4)

Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 95 Rz. 33; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 95 Rz. 1. Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 95 Rz. 31 und 32; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 95 Rz. 1; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 95 Rz. 1. Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 95 Rz. 35 und 37; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 95 Rz. 5; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 95 Rz. 1. Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 95 Rz. 60; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 95 Rz. 9; Hüffer/ Koch-Koch, AktG, § 95 Rz. 3.

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Zahl der Aufsichtsratsmitglieder

Aktienrechtsnovelle 20165) geänderten Satz 3 muss die höhere Zahl nicht mehr generell durch drei teilbar sein; die Dreiteilbarkeit der Mitgliederzahl beschränkt sich auf die Fälle, in denen dies zur Erfüllung mitbestimmungsrechtlicher Vorgaben, mithin § 4 Abs. 1 DrittelbG, erforderlich ist.6) Nicht-mitbestimmte AG können die Größe des Aufsichtsrats, oberhalb der Mindestanzahl von drei Mitgliedern und unter Beachtung von Satz 4, nach ihrem Ermessen festlegen.7) Fehlende Aufsichtsratsmitglieder können auf Antrag des Vorstands, der anderen Aufsichtsratsmitglieder oder eines Aktionärs nach § 104 gerichtlich bestellt werden (siehe dort Rz. 2 ff. zu den weiteren Einzelheiten). 5 Die gesetzlichen Höchstmitgliederzahlen (§ 95 Satz 4) beziehen sich auf das nach außen wirksam gewordene Grundkapital: Erhöhungen des Grundkapitals sind erst zu berücksichtigen, wenn die Aktien ausgegeben wurden (siehe § 200 für die bedingte Kapitalerhöhung) oder die Kapitalerhöhung eingetragen wurde (siehe § 203 i. V. m. § 189 für das genehmigte Kapital bzw. § 211 für die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln).8) Einzurechnen sind sämtliche Mitglieder, Ersatzmitglieder erst dann, wenn das zu ersetzende Mitglied weggefallen ist (§ 101 Abs. 3 Satz 2). Ehrenvorsitzende oder Ehrenmitglieder sind nicht zu berücksichtigen.9) 6 Wird durch eine Satzungsänderung während der laufenden Amtsperiode die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder verringert, führt dies nicht zum automatischen Ausscheiden überzähliger Mitglieder aus ihrem Amt.10) In einer nicht der Mitbestimmung unterliegenden Gesellschaft kann die Hauptversammlung gemäß § 103 Abs. 1 Mitglieder vorzeitig ohne weiteren Grund abberufen.11) Durch eine Satzungsänderung während einer laufenden Amtsperiode dürfen die gewählten Arbeitnehmervertreter nicht in ihrer Rechtsstellung beeinträchtigt werden.12) Eine Abberufung der Mitglieder eines nach DrittelbG gebildeten Aufsichtsrats vor Ablauf ihrer Amtsperiode scheidet mit Blick auf § 103 Abs. 4, § 12 DrittelbG aus.13) Dies gilt entsprechend für die Anteilseignervertreter der mitbestimmten Gesellschaft,14) da andernfalls nicht das Verhältnis zwischen Anteilseigner- und Arbeitnehmervertretern gewahrt werden kann.15) Die Regeln des Statusverfahrens nach §§ 97 ff. sind bei den auf Satzungsrecht beruhenden Größenveränderungen des Aufsichtsrats nicht anwendbar.16) _____________ 5) Gesetz zur Änderung des Aktiengesetzes v. 22.12.2015 – Aktienrechtsnovelle 2016, BGBl. I 2015, 2565, in Kraft getreten am 31.12.2015; s. dazu etwa Söhner, ZIP 2016, 151 ff.; Paschos/Goslar, NJW 2016, 359 ff. 6) Bayer/Scholz, ZIP 2016, 193; Ihrig/Wandt, BB 2016, 6, 12; Harbarth/v. Plettenberg, AG 2016, 145, 149; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 95 Rz. 3. 7) Harbarth/v. Plettenberg, AG 2016, 145, 149; Hüffer/Koch-Koch, AktG § 95 Rz. 3. 8) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 95 Rz. 64; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 95 Rz. 13. 9) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 95 Rz. 65; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 95 Rz. 14. 10) BAG, Beschl. v. 3.10.1989 – 1 ABR 12/88, WM 1990, 633, 635; LAG Düsseldorf, Beschl. v. 18.12.1987 – 10 Ta BV 132/87, AG 1989, 66, 67 f.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 95 Rz. 5. 11) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 95 Rz. 5; a. A. Oetker, ZHR 149 (1985) 575, 586. 12) OLG Dresden, Beschl. v. 18.2.1997 – 14 W 1396/96, ZIP 1997, 589, 591; LAG Düsseldorf, Beschl. v. 18.12.1987 – 10 Ta BV 132/87, AG 1989, 66, 67 f. 13) Dafür aber: Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 95 Rz. 5 m. w. N.; s. a. BAG, Beschl. v. 3.10.1989 – 1 ABR 12/88, WM 1990, 633, 635 f.; a. A.: Habersack in: MünchKomm-AktG, § 95 Rz. 19. 14) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 95 Rz. 19; Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 95 Rz. 20. 15) Hölters-Simons, AktG, § 95 Rz. 14 – Gruppenparität. 16) OLG Hamburg, Beschl. v. 26.8.1988 – 11 W 53/88, ZIP 1988, 1191, 1192; LAG Düsseldorf, Beschl. v. 18.12.1987 – 10 Ta BV 132/87, AG 1989, 66, 67 f.; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 95 Rz. 18 f.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 95 Rz. 5; a. A. BAG, Beschl. v. 3.10.1989 – 1 ABR 12/88, WM 1990, 633, 635 f.; Oetker, ZHR 149 (1985) 575, 582 ff.

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§ 95

Zahl der Aufsichtsratsmitglieder

Im Falle des Unterschreitens der Schwellenzahlen des § 95 Satz 4 durch eine Kapitalher- 7 absetzung (§§ 222 ff. oder 229 ff.) ist ebenfalls danach zu unterscheiden, ob die Gesellschaft der Mitbestimmung unterliegt oder nicht. Bei einer nicht der Mitbestimmung unterliegenden Gesellschaft gelten die vorstehenden Ausführungen zur Satzungsänderung entsprechend. Kontrovers beurteilt wird, ob bei mitbestimmten Gesellschaften ein Statusverfahren durchzuführen ist.17) III.

Vorrang mitbestimmungsrechtlicher Vorschriften

Der in § 95 Satz 5 erwähnte Vorrang mitbestimmungsrechtlicher Vorschriften18) hat wegen 8 deren Spezialität nur klarstellende Funktion.19) Nach diesen Vorschriften gelten von § 95 Sätze 1 bis 4 abweichende Regelungen. Es ist nicht auf das Grundkapital abzustellen; vielmehr hängt die Größe des Aufsichtsrats von der Arbeitnehmeranzahl ab (siehe etwa § 7 MitbestG) und es gelten andere Mindest- und Höchstzahlen für die Aufsichtsratsmitglieder.20) Im Geltungsbereich des MitbestG gelten gerade Mitgliederzahlen (§ 7 MitbestG: 12, 16 oder 20), nach dem MontanMitbestG bzw. des MitbestErgG liegt die Höchstzahl bei 21 Mitgliedern (siehe im Einzelnen § 96 Rz. 5 ff.).21) IV.

Rechtsfolgen eines Verstoßes

Verstoßen Satzungsbestimmungen gegen die gesetzlichen Regeln (zu kleine oder un- 9 bestimmte Mitgliederzahl, Verstoß gegen Höchstzahl oder Dreiteilbarkeit trotz mitbestimmungsrechtlichem Erfordernis) führt dies zur Nichtigkeit der entsprechenden Satzungsbestimmung (nach § 134 BGB bzw. § 241 Nr. 3 bei Satzungsänderung).22) Bei Verstößen gegen § 95 Satz 2 oder Satz 3 ist auf die Grundregel des § 95 Satz 1 zurückzugreifen, so dass der Aufsichtsrat aus drei Mitgliedern zu bestehen hat. Wird gegen § 95 Satz 4 verstoßen, gilt stattdessen die jeweilige gesetzliche Höchstzahl.23) Bei auf Basis nichtiger Satzungsbestimmungen erfolgten Wahlen sind nach § 250 Abs. 1 10 Nr. 3 die Wahlbeschlüsse nur nichtig, wenn die in Satz 4 oder Satz 5 höchst zulässige Mitgliederzahl überschritten wird.24) Bei Einzelwahlen sind die drei zuerst gewählten Mitglieder als gültig gewählt anzusehen, während bei Block- oder Listenwahl die Wahl insgesamt nichtig ist, sofern sich keine zeitliche Reihenfolge ermitteln lässt.25) Wählt die Hauptversammlung trotz Fehlens einer entsprechenden Satzungsbestimmung 11 mehr als drei Aufsichtsratsmitglieder, so tritt Nichtigkeit nur ein, wenn auch die gesetzliche Höchstzahl überschritten wird (§ 250 Abs. 1 Nr. 3). Andernfalls ist die Wahl nur anfechtbar (§§ 243, 251).26) Ein Unterschreiten der gesetzlichen Mindestzahl von drei Mitgliedern führt zur Beschluss- 12 unfähigkeit (§ 108 Abs. 2 Satz 3). _____________ 17) Für Statusverfahren: Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 95 Rz. 5; Oetker, ZHR 149 (1985) 575, 582; ablehnend Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 28 Rz. 61. 18) LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 8.2.2010 – 1 HK O 8471/09, ZIP 2010, 372, 373, dazu EWiR 2010, 337 (Linnerz). 19) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 95 Rz. 15; Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 95 Rz. 9. 20) Hopt/Roth in: Großkomm-AktG, § 95 Rz. 67; Ulmer/Habersack/Henssler-Henssler, MitbestR, § 7 MitbestG Rz. 14 ff. 21) Ausführlich dazu: Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 95 Rz. 68 ff.; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 28 Rz. 17 ff. 22) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 95 Rz. 22; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 95 Rz. 71; a. A. Stein, ZGR 1994, 472, 488 – Anfechtbarkeit. 23) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 95 Rz. 22; Hölters-Simons, AktG, § 95 Rz. 21. 24) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 95 Rz. 22; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 95 Rz. 7. 25) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 95 Rz. 78; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 95 Rz. 24. 26) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 95 Rz. 80 f.; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 95 Rz. 25.

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§ 96

Zusammensetzung des Aufsichtsrats

§ 96 Zusammensetzung des Aufsichtsrats (1) Der Aufsichtsrat setzt sich zusammen bei Gesellschaften, für die das Mitbestimmungsgesetz gilt, aus Aufsichtsratsmitgliedern der Aktionäre und der Arbeitnehmer, bei Gesellschaften, für die das Montan-Mitbestimmungsgesetz gilt, aus Aufsichtsratsmitgliedern der Aktionäre und der Arbeitnehmer und aus weiteren Mitgliedern, bei Gesellschaften, für die die §§ 5 bis 13 des Mitbestimmungsergänzungsgesetzes gelten, aus Aufsichtsratsmitgliedern der Aktionäre und der Arbeitnehmer und aus einem weiteren Mitglied, bei Gesellschaften, für die das Drittelbeteiligungsgesetz gilt, aus Aufsichtsratsmitgliedern der Aktionäre und der Arbeitnehmer, bei Gesellschaften für die das Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung vom 21. Dezember 2006 (BGBl. I S. 3332) gilt, aus Aufsichtsratsmitgliedern der Aktionäre und der Arbeitnehmer, bei den übrigen Gesellschaften nur aus Aufsichtsratsmitgliedern der Aktionäre. (2) 1Bei börsennotierten Gesellschaften, für die das Mitbestimmungsgesetz, das MontanMitbestimmungsgesetz oder das Mitbestimmungsergänzungsgesetz gilt, setzt sich der Aufsichtsrat zu mindestens 30 Prozent aus Frauen und zu mindestens 30 Prozent aus Männern zusammen. 2Der Mindestanteil ist vom Aufsichtsrat insgesamt zu erfüllen. 3 Widerspricht die Seite der Anteilseigner- oder Arbeitnehmervertreter auf Grund eines mit Mehrheit gefassten Beschlusses vor der Wahl der Gesamterfüllung gegenüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden, so ist der Mindestanteil für diese Wahl von der Seite der Anteilseigner und der Seite der Arbeitnehmer getrennt zu erfüllen. 4Es ist in allen Fällen auf volle Personenzahlen mathematisch auf- beziehungsweise abzurunden. 5Verringert sich bei Gesamterfüllung der höhere Frauenanteil einer Seite nachträglich und widerspricht sie nun der Gesamterfüllung, so wird dadurch die Besetzung auf der anderen Seite nicht unwirksam. 6Eine Wahl der Mitglieder des Aufsichtsrats durch die Hauptversammlung und eine Entsendung in den Aufsichtsrat unter Verstoß gegen das Mindestanteilsgebot ist nichtig. 7Ist eine Wahl aus anderen Gründen für nichtig erklärt, so verstoßen zwischenzeitlich erfolgte Wahlen insoweit nicht gegen das Mindestanteilsgebot. 8Auf die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer sind die in Satz 1 genannten Gesetze zur Mitbestimmung anzuwenden. (3) 1Bei börsennotierten Gesellschaften, die aus einer grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgegangen sind und bei denen nach dem Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung das Aufsichts- oder Verwaltungsorgan aus derselben Zahl von Anteilseigner- und Arbeitnehmervertretern besteht, müssen in dem Aufsichts- oder Verwaltungsorgan Frauen und Männer jeweils mit einem Anteil von mindestens 30 Prozent vertreten sein. 2Absatz 2 Satz 2, 4, 6 und 7 gilt entsprechend. (4) Nach anderen als den zuletzt angewandten gesetzlichen Vorschriften kann der Aufsichtsrat nur zusammengesetzt werden, wenn nach § 97 oder nach § 98 die in der Bekanntmachung des Vorstands oder in der gerichtlichen Entscheidung angegebenen gesetzlichen Vorschriften anzuwenden sind. Literatur: Fromholzer/Simons, Die Festlegung von Zielgrößen für den Frauenanteil in Aufsichtsrat, Geschäftsleitung und Führungspositionen, AG 2015, 457; Göz, Statusverfahren bei

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§ 96

Zusammensetzung des Aufsichtsrats

Änderungen in der Zusammensetzung des Aufsichtsrats, ZIP 1998, 1523; Grobe, Die Geschlechterquote für Aufsichtsrat und Vorstand, AG 2015, 289; Habersack/Kersten, Chancengleiche Teilhabe an Führungspositionen in der Privatwirtschaft – Gesellschaftsrechtliche Dimensionen und verfassungsrechtliche Anforderungen, BB 2014, 2819; Herb, Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe an Führungspositionen – Umsetzung in der Praxis, DB 2015, 964; Hohenstatt/Naber, Zum geplanten Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe an Führungspositionen. Gut gemeint – aber auch gut gemacht?, ZIP 2014, 2220; Jannott/Gressinger, Heilende Kraft des Kontinuitätsprinzips oder Perpetuierung nichtiger Aufsichtsratswahlen?, BB 2013, 2120; Kraack/Steiner, Der Widerspruch gegen die Gesamterfüllung der festen Geschlechterquote im Aufsichtsrat, ZIP 2018, 49; Lutter, Das neue „Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts“, AG 1994, 429; Seibt, Schwellenwertzurechnung von Arbeitnehmern ausländischer Konzernunternehmen bei der Unternehmensmitbestimmung, DB 2016, 1743; Seibt, Geschlechterquote im Aufsichtsrat und Zielgrößen für die Frauenbeteiligung in Organen und Führungsebenen in der Privatwirtschaft, ZIP 2015, 1193; Stolzenberg, Vereinbarkeit des deutschen Mitbestimmungsgesetzes mit EU-Recht – Schlussanträge des Generalanwalts, DB 2017, 1077; Stüber, Frauenquote: Der Praxisleitfaden und weitere aktuelle Entwicklungen, BB 2015, 2243; Teichmann/Rüb, Die gesetzliche Geschlechterquote in der Privatwirtschaft, BB 2015, 898; Teichmann/Rüb, Der Regierungsentwurf zur Geschlechterquote in Aufsichtsrat und Vorstand, BB 2015, 259; Wasmann/Rothenburg, Praktische Tipps zum Umgang mit der Frauenquote, DB 2015, 291; Weber/Kiefner/Jobst, Die Nichtberücksichtigung ausländischer Arbeitnehmer bei der Berechnung der mitbestimmungsrechtlichen Schwellenwerte im Lichte von Art. 3 GG, AG 2018, 140.

Übersicht I. Gegenstand und Zweck der Norm ............................................ 1 II. Zusammensetzung des Aufsichtsrats (§ 96 Abs. 1) ............... 2 1. Aufsichtsrat ohne Arbeitnehmervertreter nach dem AktG ................... 3 2. Drittelbeteiligungsgesetz – DrittelbG ............................................ 4 3. Paritätisch besetzter Aufsichtsrat nach dem Mitbestimmungsgesetz – MitbestG .......................................... 5 4. Montan-Mitbestimmungsgesetz – MontanMitbestG ............................. 6 5. Mitbestimmungsergänzungsgesetz – MitbestErgG .................................... 7 I.

6. Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung – MgVG .............................................. 8 7. Europarechtskonformität des deutschen Mitbestimmungsrechts .... 9 III. Geschlechterquote (§ 96 Abs. 2, Abs. 3) ......................... 11 1. Grundsatz der Gesamterfüllung ...... 12 2. Widerspruchsmöglichkeit ................ 13 3. Rechtsfolgen bei Verstößen ............ 14 4. Sonderregelung in § 96 Abs. 3 ......... 16 5. Berichtspflicht .................................. 17 6. Übergangsregelung .......................... 18 IV. Änderung der Zusammensetzung des Aufsichtsrats (§ 96 Abs. 4) ........ 19

Gegenstand und Zweck der Norm

§ 96 Abs. 1 enthält eine Aufzählung der mitbestimmungsrechtlichen Regelungen und ver- 1 bindet so das Aktienrecht mit den Regelungen über die Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat.1) Das Gesetz zur Geschlechterquote2) soll die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern fördern und enthält Neuregelungen zur _____________ 1) 2)

Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 96 Rz. 4; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 96 Rz. 1. Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im Öffentlichen Dienst v. 24.4.2015, BGBl. I 2015, 642, s. hierzu auch den vom BMFSFJ am 10.8.2015 veröffentlichten Praxisleitfaden zum Gesetz, abrufbar unter www.bmfsfj.de/ zielsicher (Abrufdatum: 29.5.2018).

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§ 96

Zusammensetzung des Aufsichtsrats

Zusammensetzung des Aufsichtsrats.3) In § 96 wurden in Absatz 2 und 3 Regelungen zur festen Geschlechterquote eingefügt. § 96 Abs. 4 bezweckt die Schaffung von Rechtssicherheit, indem der Aufsichtsrat nur aufgrund eines Statusverfahrens nach §§ 97 – 99 anders als bisher zusammengesetzt werden kann.4) II.

Zusammensetzung des Aufsichtsrats (§ 96 Abs. 1)

2 Die Vorschriften über die Zusammensetzung des Aufsichtsrats sind zwingend.5) Nach § 96 Abs. 1 hängt die Zusammensetzung des Aufsichtsrats vom Mitbestimmungsstatut ab (zur Frage der Europarechtsvereinbarkeit des deutschen Mitbestimmungsrecht siehe nachfolgend unter Rz. 9 f.) und es sind die folgenden Fälle der Zusammensetzung zu unterscheiden. 1.

Aufsichtsrat ohne Arbeitnehmervertreter nach dem AktG

3 Hat eine nach dem 10.8.1994 eingetragene AG6) weniger als 500 Arbeitnehmer oder ist sie ein Tendenzunternehmen (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 DrittelbG, § 1 Abs. 4 MitbestG) besteht der Aufsichtsrat gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 DrittelbG bzw. § 1 Abs. 4 MitbestG nur aus Anteilseignervertretern.7) Unterliegt eine AG mithin keinem Mitbestimmungsgesetz, werden die Aufsichtsratsmitglieder nach § 101 von der Hauptversammlung gewählt. 2.

Drittelbeteiligungsgesetz – DrittelbG

4 Die Drittelbeteiligung gilt für nicht unter das MitbestG, MontanmitbestG oder MitbestErgG fallende Gesellschaften mit weniger als 2.000 Beschäftigten (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 DrittelbG), sofern nicht eine, unter vorstehender Rz. 3 dargelegte Konstellation vorliegt. Bei einer vor dem 10.8.1994 eingetragenen AG, die keine Familiengesellschaft ist, besteht ein Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmer nur, wenn die Gesellschaft mindestens fünf Arbeitnehmer hat.8) Der Aufsichtsrat ist dann nach § 4 Abs. 1 DrittelbG zu zwei Dritteln mit Vertretern der Aktionäre und zu einem Drittel mit Vertretern der Arbeitnehmer zu besetzen. Sind nur ein oder zwei Arbeitnehmervertreter zu wählen, so müssen diese dem Unternehmen angehören (§ 4 Abs. 2 Satz 1 DrittelbG).9) Sind auf Seiten der Arbeitnehmer mehr als zwei Plätze zu besetzen, so müssen mindestens zwei Vertreter dem Unternehmen angehören (§ 4 Abs. 2 Satz 2 DrittelbG); die anderen Arbeitnehmervertreter können unternehmensexterne Personen, z. B. Gewerkschaftsangestellte sein. In Konzernen _____________ 3) 4) 5) 6)

7)

8) 9)

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Näher Raiser/Veil, KapG, § 15 Rz. 22; Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 96 Rz. 3 f.; zweifelnd: Teichmann/ Rüb, BB 2015, 898. Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 96 Rz. 5; Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 96 Rz. 2. Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 96 Rz. 7; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 96 Rz. 3. Mit Wirkung von diesem Datum wurde durch das Gesetz für kleine AG und zur Deregulierung des Aktienrechts v. 2.8.1994 (BGBl. I, 1961) die Regelung eingeführt, dass auf AG mit weniger als 500 beschäftigten Arbeitnehmern die Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat keine Anwendung findet; für vor dem 10.8.1994 eingetragene AG galt dies nur, wenn es sich um Familiengesellschaften handelte; s. dazu Lutter, AG 1994, 429, 445. Vgl. Raiser/Veil, KapG, § 15 Rz. 20; ausführlich zum Aufsichtsrat mit Drittelbeteiligung: HoffmannBecking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 28 Rz. 9 ff.; insbesondere zur Differenzierung zwischen Altund Neugesellschaften: Habersack in: MünchKomm-AktG, § 96 Rz. 18; zur Verfassungsmäßigkeit der drittelparitätischen Mitbestimmung in kleiner Alt-AG: BVerfG, Beschl. v. 9.1.2014 – 1 BvR 2344/11, ZIP 2014, 464, 465 ff., dazu EWiR 2014, 239 (Büdenbender) (Vorinstanz: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.7.2011 – I-26 W 7/10 (AktE), ZIP 2011, 1564, 1565 f.). BGH, Beschl. v. 7.2.2012 – II ZB 14/11, ZIP 2012, 669, 670, dazu EWiR 2012, 311 (Klasen); OLG Jena, Beschl. v. 14.6.2011 – 6 W 47/11, ZIP 2011, 1257, 1258 f., dazu EWiR 2011, 635 (Winstel). ArbG Wuppertal, Beschl. v. 6.9.2011 – 7 BV 36/11, ZIP 2012, 1079, 1080 = AG 2012, 522, 523, dazu EWiR 2012, 381 (Mückl).

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Zusammensetzung des Aufsichtsrats

§ 96

werden die Arbeitnehmer abhängiger Unternehmen bei der Berechnung der Schwelle von 500 Arbeitnehmern mitgezählt, sofern ein Beherrschungsvertrag besteht oder die Tochtergesellschaft eingegliedert ist (§ 2 Abs. 2 DrittelbG).10) 3.

Paritätisch besetzter Aufsichtsrat nach dem Mitbestimmungsgesetz – MitbestG

Nach dem MitbestG setzt sich der Aufsichtsrat einer Gesellschaft, die in der Regel11) 5 mehr als 2.000 Arbeitnehmer beschäftigt (§ 1 Abs. 1 MitbestG) in Abhängigkeit von den in § 7 Abs. 1 MitbestG genannten Schwellenwerten bei der Arbeitnehmerzahl aus je sechs, acht oder zehn Anteilseigner- und Arbeitnehmervertretern zusammen (§ 7 Abs. 2 und 4 MitbestG).12) Das MitbestG verteilt die Sitze der Arbeitnehmervertreter unter die Arbeiter, Angestellten, leitenden Angestellten und Gewerkschaftsvertreter. Sind insgesamt sechs oder acht Mitglieder zu wählen, so müssen sich darunter zwei Vertreter der Gewerkschaften befinden, bei zehn Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer drei (§ 7 Abs. 2, 4 MitbestG). Ein weiterer Sitz ist den leitenden Angestellten vorbehalten; die übrigen drei, fünf oder sechs Sitze werden von Arbeitern und Angestellten nach dem Verhältnis ihres Anteils an der gesamten Belegschaft besetzt (§ 15 MitbestG). Im Unterordnungskonzern werden die in den abhängigen Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer bei der Ermittlung der Schwelle von 2.000 Arbeitnehmern gemäß § 5 MitbestG mitgerechnet.13) 4.

Montan-Mitbestimmungsgesetz – MontanMitbestG

Im Anwendungsbereich des § 1 MontanMitbestG setzt sich der in der Regel elfköpfige 6 Aufsichtsrat aus je vier Vertretern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer sowie drei weiteren Mitgliedern (Vertretern des öffentlichen Interesses) zusammen (§ 4 Abs. 1 MontanMitbestG). Durch die Satzung kann bei einem Nennkapital von mehr als 10 Mio. € die Zahl der Mitglieder auf 15 oder bei einem Nennkapital von mehr als 25 Mio. € auf 21 erhöht werden. (§ 9 MontanMitbestG).14) 5.

Mitbestimmungsergänzungsgesetz – MitbestErgG

Im Anwendungsbereich des MitbestErgG (§§ 1, 3 MitbestErgG) besteht der fünfzehn- 7 köpfige Aufsichtsrat aus je sieben Vertretern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer sowie einem weiteren „neutralen“ Mitglied. Von den Arbeitnehmervertretern müssen fünf im Konzern beschäftigt sein. Ein den leitenden Angestellten vorbehaltener Sitz ist nicht vorgesehen. Die restlichen zwei Sitze stehen den im Konzern vertretenen Gewerkschaften zu (§§ 5, 6 MitbestErgG).15)

_____________ 10) Raiser/Veil, KapG, § 15 Rz. 20; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 96 Rz. 19; zum „Konzern im Konzern“ s. Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 28 Rz. 12. 11) S. dazu Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, BT-Drucks. 7/4845, S. 4: Durch die Anwendung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs soll es ermöglicht werden, „auch bevorstehende Veränderungen in der Beschäftigungszahl einzufangen“; LG Köln, Beschl. v. 12.1.2012 – 91 O 69/12, BeckRS 2012, 05768: Prognose über einen Zeitraum von 17 – 20 Monaten erforderlich. 12) Im Einzelnen Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 28 Rz. 17 ff.; Raiser/Veil, KapG, § 15 Rz. 20. 13) Näher Habersack in: MünchKomm-AktG, § 96 Rz. 5 m. w. N.; zum „Konzern im Konzern“ s. HoffmannBecking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 28 Rz. 12. 14) Im Einzelnen Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 28 Rz. 26 ff., 32 f.; Raiser/Veil, KapG, § 15 Rz. 20; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 96 Rz. 12. 15) Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 28 Rz. 29 ff., 35 (a. E.); Raiser/Veil, KapG, § 15 Rz. 20 f.

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§ 96 6.

Zusammensetzung des Aufsichtsrats Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung – MgVG

8 Das MgVG vom 21.12.2006 regelt die Mitbestimmung der aus einer grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgegangenen Gesellschaft mit Sitz im Inland (§§ 1 Abs. 1 Satz 1, 3 Abs. 1 Satz 1 MgVG). Die Zahl der Arbeitnehmervertreter richtet sich entweder nach der Vereinbarung (§ 22 Abs. 1 Nr. 3 MgVG) oder sie bemisst sich – wenn diese sog. Verhandlungslösung scheitert – nach der höchsten Zahl der Sitze, die den Arbeitnehmervertretern vor der Verschmelzung zustanden (§ 24 Abs. 1 Satz 2 MgVG).16) 7.

Europarechtskonformität des deutschen Mitbestimmungsrechts

9 Die bislang ganz h. A. folgt dem „Territorialitätsprinzip“ und geht davon aus, dass der Geltungsbereich des deutschen Mitbestimmungsrechts (nach DrittelbG oder MitbestG) sich auf Unternehmen beschränkt, die ihren Sitz im Geltungsbereich des Grundgesetzes haben.17) Dementsprechend sind Arbeitnehmer ausländischer Konzernunternehmen für die Schwellenwertberechnung (§ 1 Abs. 1 DrittelbG, § 1 Abs. 1 MitbestG) nicht mitzuzählen. Zudem sind Arbeitnehmer ausländischer Konzernunternehmen vom aktiven und passiven Wahlrecht bei der Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat ausgeschlossen. 10 Nachdem Instanzgerichte die Europarechtskonformität divergierend beurteilten,18) hat das KG Berlin dem EuGH Ende 2015 die Frage vorgelegt, ob der Ausschluss des aktiven und passiven Wahlrechts der Arbeitnehmer ausländischer Konzernunternehmen gegen EURecht verstößt.19) Das OLG Frankfurt am Main hat die Europarechtswidrigkeit für nicht offenkundig ausgeschlossen gehalten und daher ein Statusverfahren, in dem es um die Frage des Mitzählens von Arbeitnehmern ausländischer Konzernunternehmen geht, ausgesetzt.20) Der EuGH hat mit Urteil vom 18.7.2017 die Vorlagefrage des KG Berlin dahingehend entschieden, dass das MitbestG mit dem Recht der Europäischen Union vereinbar ist.21) Damit ist die für die Praxis erhebliche Unsicherheit über die Europarechts-

_____________ 16) Im Einzelnen Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG/DrittelbG, § 6 MitbestG Rz. 21; Habersack in: MünchKommAktG, § 96 Rz. 23 f. 17) Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, BT-Drucks. 7/4845, S. 4; LG Frankfurt/M., Beschl. v. 21.12.2017 – 3-05 O 85/17, ZIP 2018, 128, 129; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 96 Rz. 4a; Weber/ Kiefner/Jobst, AG 2018, 140, 147 m. w. N. 18) LG Frankfurt/M., Beschl. v. 16.2.2015 – 3-16 O 1/14, ZIP 2015, 634, 635, dazu EWiR 2015, 245 (Wansleben) (für Berücksichtigung der Arbeitnehmer ausländ. Konzernunternehmen); LG Berlin, Beschl. v. 1.6.2015 – 102 O 65/14, ZIP 2015, 1291, 1293 (kein aktives und passives Wahlrecht der Arbeitnehmer ausländischer Konzernunternehmen). 19) KG Berlin, Beschl. v. 16.10.2015 – 14 W 89/15 (TUI), ZIP 2015, 2172, 2173 f., dazu EWiR 2015, 761 (Giedinghagen/Angelé). 20) OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 17.6.2016 – 21 W 91/15 (Deutsche Börse), ZIP 2016, 2223; s. a. OLG München, Beschl. v. 20.2.2017 – 31 Wx 321/15, ZIP 2017, 476, 477 (das LG München I, Beschl. v. 27.8.2015 – 5 HK O 20285/14, ZIP 2015, 1929, 1930 f., hatte die Europarechtskonformität des Mitbestimmungsrechts bejaht); nach dem Urteil des EuGH v. 18.7.2017 hat das OLG München die Beschwerde gegen den vorgenannten Beschluss des LG München I als nicht begründet zurückgewiesen (OLG München, Beschl. v. 6.3.2018 – 31 Wx 321/15, ZIP 2017, 457 = Beck RS 2018, 2631); s. a. OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 25.5.2018 – 21 W 32/18 (STADA AG), ZIP 2018, 1175, 1176 ff. 21) EuGH, Urt. v. 18.7.2017 – C-566/15 (Erzberger), ZIP 2017, 1413, dazu EWiR 2017, 489 (Schilha); zuvor hatten sich sowohl die Europäische Kommission (s. deren Pressemitteilung, abrufbar unter www.europa.eu/rapid/press-release_STATEMENT-17-141_de.htm [Abrufdatum: 29.5.2018], als auch der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen (EuGH, GA (Saugmandsgaard Øe), Schlussanträge v. 4.5.2017 – C-566/15 (Erzberger), ZIP 2017, 961; Stolzenberg, DB 2017, 1077) für die Europarechtskonformität des deutschen Mitbestimmungsrechts ausgesprochen; s. dazu Weber/Kiefner/Jobst, AG 2018, 140, 147 f. m. w. N.

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§ 96

konformität des deutschen Mitbestimmungsrechts und dessen konkrete Anwendung22) beseitigt worden. III.

Geschlechterquote (§ 96 Abs. 2, Abs. 3)

Durch das Gesetz zur Geschlechterquote23) (siehe hierzu auch § 111 Rz. 24 ff.) ist in § 96 11 Abs. 2 eine Regelung eingefügt worden, die eine feste – gender-neutral formulierte – Geschlechterquote ohne Qualifikationsvorbehalt und ohne Härtefallregelung24) vorsieht. Für Aufsichtsräte von Unternehmen, die börsennotiert sind (§ 3 Abs. 2) und der paritätischen Mitbestimmung (nach dem MitbestG, dem Montan-MitbestG oder dem MitbestErgG) unterliegen,25) gilt nach Absatz 2 Satz 1 eine Geschlechterquote von 30 %. Beide Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen.26) 1.

Grundsatz der Gesamterfüllung

Die 30 %-Quote gilt nach Absatz 2 Satz 2 grundsätzlich für den gesamten Aufsichtsrat als 12 Organ (Gesamterfüllung). Im Falle der Gesamterfüllung berechnet sich die Quote nach der Gesamtanzahl der Aufsichtsratsmitglieder.27) Sofern die Ermittlung von 30 % der Gesamtanzahl keine glatte Zahl ergibt, ist nach Absatz 2 Satz 4 mathematisch auf- oder abzurunden. Bei getrennter Berechnung wird die Quote für die jeweilige Bank berechnet und getrennt gerundet.28) 2.

Widerspruchsmöglichkeit

Der Gesamterfüllung kann jedoch nach Absatz 2 Satz 3 von der Anteilseigner- oder der 13 Arbeitnehmerseite vor jeder Wahl widersprochen werden, so dass jede Bank die Mindestquote für diese Wahl gesondert zu erfüllen hat (Getrennterfüllung). Nach § 96 Abs. 2 Satz 3 ist ein Mehrheitsbeschluss der jeweiligen Bank erforderlich, ein Widerspruch einzelner Mitglieder genügt nicht.29) Auch ein Verzicht auf den Widerspruch ist möglich. Da der Widerspruch und der Verzicht gestaltende Wirkung haben, sind sie bis zur Wahl unwiderruflich.30) Der Widerspruch ist für jede Wahl (erneut) gegenüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden zu erklären,31) wobei die zeitliche Grenze hierfür nicht klar definiert ist.32) Für die Praxis empfiehlt es _____________ 22) Näher dazu Seibt, DB 2016, 1743, 1744, vor dem Urteil des EuGH v. 18.7.2017 – C-566/15 (Erzberger), ZIP 2017, 1413. 23) Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im Öffentlichen Dienst v. 24.4.2015, BGBl. I 2015, 642, s. hierzu auch den vom BMFSFJ am 10.8.2015 veröffentlichten Praxisleitfaden zum Gesetz, abrufbar unter www.bmfsfj.de/ zielsicher (Abrufdatum: 29.5.2018). 24) Zur Kritik hieran aus verfassungs- und europarechtlicher Sicht: Habersack/Kersten, BB 2014, 2819, 2822 ff.; Hohenstatt/Naber, ZIP 2014, 2220, 2222 ff.; Seibt, ZIP 2015, 1193 f. (Regelung unterliegt vor allem wegen des Fehlens einer Härtefallregelung erheblichen Zweifeln der Verfassungs- und Unionsrechtsmäßigkeit); Teichmann/Rüb, BB 2015, 259, 261 f.; relativierend: Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 96 Rz. 4. 25) Nach dem Kontinuitätsgrundatz (§ 96 Abs. 4) werden nur solche Gesellschaften erfasst, deren Aufsichtsrat tatsächlich nach Maßgabe dieser Mitbestimmungsgesetze zusammengesetzt ist; auf einen (normativen) Soll-Zustand kommt es nicht an; vgl. Seibt, ZIP 2015, 1193, 1194; Fromholzer/Simons, AG 2015, 457, 458; s. a. Stüber, BB 2015, 2243, 2246. 26) Begr. RegE, BT-Drucks. 18/3784, S. 43. 27) Begr. RegE, BT-Drucks. 18/3784, S. 120; in der Begr. RegE, BT-Drucks. 18/3784, S. 44 ff., werden im Einzelnen die (rechnerischen) Auswirkungen der Quotenvergabe je nach betroffenen Mitbestimmungsregelungen dargelegt. 28) Begr. RegE, BT-Drucks. 18/3784, S. 120, näher Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 96 Rz. 35. 29) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, BT Drucks. 18/4227, S. 24. 30) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, BT Drucks. 18/4227, S. 25. 31) Begr. RegE, BT-Drucks. 18/3784, S. 120. 32) Näher hierzu Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 96 Rz. 16; Herb, DB 2015, 964, 965.

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§ 96

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sich, die Formulierung „vor der Wahl“ so zu verstehen, dass der Widerspruch „vor Beginn der Wahl“ erfolgen muss, um nicht in ein bereits eingeleitetes oder gar abgeschlossenes Wahlverfahren einzugreifen.33) Für den Fall des zeitlichen Auseinanderfallens der Wahlen auf Anteilseigner- und Arbeitnehmerseite wird im Wege der Auslegung angenommen, dass der Widerspruch vor der Wahl der anderen (zuerst wählenden) Seite auszuüben ist.34) Eine generelle (Vorab-)Regelung zum Widerspruch durch die Satzung oder die Geschäftsordnung des Aufsichtsrats ist nicht möglich; für Form und Frist des Widerspruchs sowie die Vertretung gegenüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden gilt dies nicht35) – eine Regelung der Verfahrensfragen zum Widerspruch ist mithin zulässig und zu empfehlen.36) Der Widerspruch ist auch zu einem späteren Zeitpunkt noch möglich, hat dann aber nach § 96 Abs. 2 Satz 5 keine Auswirkungen auf die Wirksamkeit einer bereits erfolgten Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern. Bei der nächsten zeitlich danach erfolgten Bestellung muss die 30%-Quote dann jeweils von beiden Bänken getrennt erfüllt werden.37) 3.

Rechtsfolgen bei Verstößen

14 Eine Wahl oder Entsendung von Aufsichtsratsmitgliedern, die gegen die Regelungen der 30 %-Quote verstößt, ist nach § 96 Abs. 2 Satz 6 nichtig. Durch § 96 Abs. 2 Satz 7 soll verhindert werden, dass eine ursprünglich quotenkonforme Wahl oder Entsendung nachträglich unwirksam wird, weil eine Wahl aus anderen Gründen für nichtig erklärt wird.38) Im Fall der Blockwahl zum Aufsichtsrat ist die gesamte Wahl hinsichtlich des überrepräsentierten Geschlechts nichtig, wenn sie nicht zur Erfüllung der Mindestquote führt. Der dem unterrepräsentierten Geschlecht angehörende Kandidat ist aber wirksam gewählt. Es empfiehlt sich daher die Einzelwahl der Aufsichtsratsmitglieder, wie sie auch schon der DCGK empfiehlt (Ziff. 5.4.3 Satz 1).39) 15 Bei Einzelwahlen zum Aufsichtsrat durch die Hauptversammlung ist der Wahlbeschluss nichtig, der in der chronologischen Abfolge als erster das Mindestanteilsgebot verletzt, ggf. sind auch die folgenden, unter Verletzung der Mindestquote beschlossenen Wahlen nichtig.40) Die für das unterrepräsentierte Geschlecht vorgesehenen Plätze bleiben rechtlich unbesetzt („leerer Stuhl“). 4.

Sonderregelung in § 96 Abs. 3

16 Die Regelungen zur Geschlechterquote gelten nach § 96 Abs. 3 auch für börsennotierte Gesellschaften mit paritätischer Mitbestimmung, die aus einer grenzüberschreitenden Ver_____________ 33) Da nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 der Wahlvorschlag hierzu Angaben enthalten muss, empfiehlt es sich für die Anteilseignerseite als Grenze den Zeitpunkt des Beschlusses über den Wahlvorschlag zu sehen (s. K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 96 Rz. 45) und für die Arbeitnehmerseite auf die Unternehmensmitteilung über die Mitgliederzahl nach der einschlägigen Wahlordnung abzustellen (so Grobe, AG 2015, 289, 292 f.); die 1., 2. und 3. Wahlordnung zum MitbestG sehen in § 2 Abs. 1 Nr. 3 und 4 jeweils Angaben zum Frauenanteil im Aufsichtsrat und zur Gesamt- bzw. Getrennterfüllung vor; s. a. Seibt, ZIP 2015, 1193, 1198; Hölters-Simons, AktG, § 96 Rz. 56. 34) K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 96 Rz. 46; ausführlich zu dieser Frage: Kraack/Steiner, ZIP 2018, 49, 50 ff. 35) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, BT-Drucks. 18/4227, S. 25 f., und zwar explizit auch durch eine Geschäftsordnung der Bänke; s. dazu auch Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 96 Rz. 33 a. E. 36) Kraack/Steiner, ZIP 2018, 49, 59 f.; Hölters-Simons, AktG, § 96 Rz. 57; Teichmann/Rüb, BB 2015, 898, 899. 37) Ausführlich dazu Begr. RegE, BT-Drucks. 18/3784, S. 121; Teichmann/Rüb, BB 2015, 898, 899. 38) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, BT-Drucks. 18/4227, S. 25. 39) Begr. RegE, BT-Drucks. 18/3784, S. 122. 40) Begr. RegE, BT-Drucks. 18/3784, S. 121; s. dazu Wasmann/Rothenburg, DB 2015, 291, 292 f.

646

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Zusammensetzung des Aufsichtsrats

§ 96

schmelzung hervorgegangen (MgVG) sind.41) Durch § 96 Abs. 3 Satz 2 wird klargestellt, dass wegen der fehlenden Verweisung auf Absatz 2 Satz 3 der Grundsatz der Gesamterfüllung gilt.42) 5.

Berichtspflicht

Über die Erfüllung der Mindestquote bzw. über die Nichterfüllung und die Gründe hier- 17 für ist innerhalb der Erklärung zur Unternehmensführung (§ 289f Abs. 2 Nr. 5 lit. a HGB) zu berichten.43) 6.

Übergangsregelung

Nach § 25 Abs. 2 EGAktG ist die Mindestquote nach § 96 Abs. 2 bei erforderlich wer- 18 denden Neuwahlen und Entsendungen ab dem 1.1.2016 zu beachten. Reicht die Anzahl der nachzubesetzenden Posten nicht aus, um die Mindestquote zu erreichen, sind diese allein durch Vertreter des unterrepräsentierten Geschlechts zu besetzen. Bestehende Mandate können bis zu ihrem regulären Ende wahrgenommen werden (§ 25 Abs. 2 Satz 3 EGAktG). IV.

Änderung der Zusammensetzung des Aufsichtsrats (§ 96 Abs. 4)

Die Zusammensetzung des Aufsichtsrats nach anderen als den bisher angewandten Vor- 19 schriften bedarf der Durchführung eines Statusverfahrens.44) Solange das in den §§ 97 – 99 geregelte Verfahren nicht abgeschlossen ist, gilt aus Gründen der Rechtssicherheit der Aufsichtsrat nach § 96 Abs. 4 als richtig zusammengesetzt und der bestehende Aufsichtsrat bleibt rechtmäßig im Amt (Kontinuitätsgrundsatz).45) Hierdurch wird dessen Arbeitsfähigkeit und die Wirksamkeit der Beschlüsse sichergestellt.46) Dies gilt auch im Falle des Eintritts der Mitbestimmungsfreiheit infolge eines dauerhaften Absinkens der Arbeitnehmerzahl unter 500.47) Verstöße gegen § 96 Abs. 4 führen zur Nichtigkeit der Wahl der Aufsichtsratsmitglieder 20 nach § 250 Abs. 1 Nr. 1.48) Auf die Wahl der Arbeitnehmervertreter ist diese Vorschrift nach h. M. entsprechend anzuwenden.49)

_____________ 41) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, BT-Drucks. 18/4227, S. 25; ausführlich dazu Seibt, ZIP 2015, 1193, 1201 f.; Wasmann/Rothenburg, DB 2015, 291, 293. 42) Seibt, ZIP 2015, 1193, 1202; Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 96 Rz. 43. 43) Begr. RegE, BT-Drucks. 18/3784, S. 133, wonach die Angabe, „wie viele Mitglieder jeden Geschlechts in dem Aufsichtsrat auf jeder Bank vertreten sind“, empfohlen wird; durch das Gesetz zur Stärkung der nichtfinanziellen Berichterstattung der Unternehmen in ihren Lage- und Konzernlageberichten (CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz) v. 11.4.2017, BGBl. I 2017, 802, wurde der bisherige § 289a HGB zu § 289f HGB. 44) OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 2.11.2010 – 20 W 362/10, ZIP 2011, 21, 22, dazu EWiR 2011, 101 (Seibt); ausführlich dazu Göz, ZIP 1998, 1523 ff. 45) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 96 Rz. 32; Raiser/Veil, KapG, § 15 Rz. 28. 46) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 96 Rz. 32; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 96 Rz. 54. 47) OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 2.11.2010 – 20 W 362/10, ZIP 2011, 21, 22. 48) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 96 Rz. 32; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 96 Rz. 56; Jannott/ Gressinger, BB 2013, 2120. 49) Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG/DrittelbG, § 22 MitbestG Rz. 21; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 96 Rz. 56.

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§ 97

Bekanntmachung über die Zusammensetzung des Aufsichtsrats

§ 97 Bekanntmachung über die Zusammensetzung des Aufsichtsrats (1) 1Ist der Vorstand der Ansicht, daß der Aufsichtsrat nicht nach den für ihn maßgebenden gesetzlichen Vorschriften zusammengesetzt ist, so hat er dies unverzüglich in den Gesellschaftsblättern und gleichzeitig durch Aushang in sämtlichen Betrieben der Gesellschaft und ihrer Konzernunternehmen bekanntzumachen. 2In der Bekanntmachung sind die nach Ansicht des Vorstands maßgebenden gesetzlichen Vorschriften anzugeben. 3Es ist darauf hinzuweisen, daß der Aufsichtsrat nach diesen Vorschriften zusammengesetzt wird, wenn nicht Antragsberechtigte nach § 98 Abs. 2 innerhalb eines Monats nach der Bekanntmachung im Bundesanzeiger das nach § 98 Abs. 1 zuständige Gericht anrufen. (2) 1Wird das nach § 98 Abs. 1 zuständige Gericht nicht innerhalb eines Monats nach der Bekanntmachung im Bundesanzeiger angerufen, so ist der neue Aufsichtsrat nach den in der Bekanntmachung des Vorstands angegebenen gesetzlichen Vorschriften zusammenzusetzen. 2Die Bestimmungen der Satzung über die Zusammensetzung des Aufsichtsrats, über die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder sowie über die Wahl, Abberufung und Entsendung von Aufsichtsratsmitgliedern treten mit der Beendigung der ersten Hauptversammlung, die nach Ablauf der Anrufungsfrist einberufen wird, spätestens sechs Monate nach Ablauf dieser Frist insoweit außer Kraft, als sie den nunmehr anzuwendenden gesetzlichen Vorschriften widersprechen. 3Mit demselben Zeitpunkt erlischt das Amt der bisherigen Aufsichtsratsmitglieder. 4Eine Hauptversammlung, die innerhalb der Frist von sechs Monaten stattfindet, kann an Stelle der außer Kraft tretenden Satzungsbestimmungen mit einfacher Stimmenmehrheit neue Satzungsbestimmungen beschließen. (3) Solange ein gerichtliches Verfahren nach §§ 98, 99 anhängig ist, kann eine Bekanntmachung über die Zusammensetzung des Aufsichtsrats nicht erfolgen. Literatur: Göz, Statusverfahren bei Änderungen in der Zusammensetzung des Aufsichtsrats, ZIP 1998, 1523; Nießen/Sandhaus, Das Statusverfahren, NJW-Spezial 2008, 687; Oetker, Der Anwendungsbereich des Statusverfahrens nach den §§ 97 ff. AktG, ZHR 149 (1985) 575; Parmentier, Das Statusverfahren beim Formwechsel in eine Aktiengesellschaft, AG 2006, 476.

Übersicht I. Gegenstand und Zweck der Norm .................................................. 1 II. Bekanntmachungspflicht des Vorstands (§ 97 Abs. 1) .................... 2 III. Wirkungen der Bekanntmachung ............................................ 5 I.

1. Keine fristgemäße Anrufung des Gerichts ........................................ 6 2. Fristgerechte Anrufung ...................... 7 IV. Bekanntmachungssperre (§ 97 Abs. 3) ....................................... 8

Gegenstand und Zweck der Norm

1 Die Norm regelt gemeinsam mit den §§ 98 und 99 das Statusverfahren, das der Rechtssicherheit dient und im Zusammenwirken mit § 96 Abs. 2 (Kontinuitätsgrundsatz) die Arbeitsfähigkeit des bestehenden Aufsichtsrats ermöglichen soll.1) Es kann entweder nach § 97 Abs. 1 durch Bekanntmachung in den Gesellschaftsblättern oder nach § 98 Abs. 1 durch Antrag bei Gericht eingeleitet werden. _____________ 1)

648

Ausführlich zum Zweck des Statusverfahrens: Oetker, ZHR 149 (1985) 575, 576 f.; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 28 Rz. 54 ff.; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 97 Rz. 1.

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Bekanntmachung über die Zusammensetzung des Aufsichtsrats II.

§ 97

Bekanntmachungspflicht des Vorstands (§ 97 Abs. 1)

Nach § 97 Abs. 1 Satz 1 ist der Vorstand zur Bekanntmachung verpflichtet, wenn der 2 Aufsichtsrat nach Ansicht des Vorstands nicht nach den zutreffenden Vorschriften zusammengesetzt ist.2) Zuständig ist allein der Vorstand als Organ.3) Der Vorstand entscheidet hierüber durch Beschluss, der entweder einstimmig (§ 77 Abs. 1 Satz 1) oder mit der in der Satzung oder Geschäftsordnung vorgesehenen Mehrheit gefasst werden muss.4) Die Bekanntmachungspflicht kann sich daraus ergeben, dass die richtige Zusammen- 3 setzung des amtierenden Aufsichtsrats zweifelhaft ist oder dass er aufgrund von Änderungen der tatsächlichen Umstände anders als bisher zusammengesetzt werden muss. Die Änderung der maßgeblichen Vorschriften kann insbesondere aus einer veränderten Mitarbeiteranzahl,5) einer Über- oder Unterschreitung relevanter Schwellenwerte (etwa § 7 Abs. 1 MitbestG)6) oder einer Änderung der Unternehmensstruktur (etwa Verlust der Montanunternehmenseigenschaft, vgl. § 1 Abs. 3 MontanMitbestG) resultieren. Nach einer Satzungsänderung ist jedoch kein Statusverfahren durchzuführen7) (siehe dazu § 95 Rz. 6 f.). Die Bekanntmachung mit dem in § 97 Abs. 1 Satz 2 und 3 vorgesehenen Bestandteilen 4 muss unverzüglich vorgenommen werden, also ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 BGB).8) Die Einholung eines Rechtsgutachtens oder die Konsultation der nach § 98 Abs. 2 Antragsberechtigten ist kein schuldhaftes Zögern.9) Die Bekanntmachung kann mit Blick auf den Wortlaut der Norm („ist“) und aus Gründen der Rechtssicherheit erst mit dem Eintritt der tatsächlichen Änderung der Arbeitnehmerzahl erfolgen, nicht bereits in deren Vorfeld.10) Die Angabe der Vorschriften, nach denen der Aufsichtsrat gebildet werden soll, muss möglichst genau sein, da die genannten Vorschriften die Grundlage für die künftige Bestellung des Aufsichtsrats bilden.11) Die Bekanntmachung muss im Bundesanzeiger erfolgen (§ 25). Zudem ist sie in sämtlichen inländischen12) Betrieben der Gesellschaft und ihrer Konzernunternehmen in der Form auszuhängen, dass sie allen Wahlberechtigten zugänglich ist.13)

_____________ 2) Göz, ZIP 1998, 1523; Hopt/Roth/Peddinghaus in: GroßKomm-AktG, § 97 Rz. 27; Nießen/Sandhaus, NJW-Special 2008, 687; Parmentier, AG 2006, 476, 479 f. 3) Hopt/Roth/Peddinghaus in: GroßKomm-AktG, § 97 Rz. 32 und 34; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 28 Rz. 63. 4) Hopt/Roth/Peddinghaus in: GroßKomm-AktG, § 97 Rz. 33; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 97 Rz. 18. 5) OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 2.11.2010 – 20 W 362/10, ZIP 2011, 21, 22 f., dazu EWiR 2011, 101 (Seibt). 6) OLG Düsseldorf, Beschl. v. 20.6.1978 – 19 W 3/78, DB 1978, 1358, 1359; a. A. Göz, ZIP 1998, 1523, 1525 f. 7) OLG Hamburg, Beschl. v. 26.8.1988 – 11 W 53/88, ZIP 1988, 1191, 1193; LAG Düsseldorf, Beschl. v. 18.12.1987 – 10 Ta BV 132/87, AG 1989, 66, 67; Göz, ZIP 1988, 1523, 1525; Habersack in: MünchKommAktG, § 97 Rz. 14; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 97 Rz. 3. 8) Hopt/Roth/Peddinghaus in: GroßKomm-AktG, § 97 Rz. 43; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 28 Rz. 66. 9) Hopt/Roth/Peddinghaus in: GroßKomm-AktG, § 97 Rz. 43; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 97 Rz. 20. 10) Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 28 Rz. 66; Hölters-Simons, AktG, § 99 Rz. 20; a. A. Habersack in: MünchKomm-AktG, § 97 Rz. 20. 11) Oetker, ZHR 149 (1985) 575, 590 ff., 592; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 97 Rz. 23. 12) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 97 Rz. 21; Hopt/Roth/Peddinghaus in: GroßKomm-AktG, § 97 Rz. 46 f. 13) Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG/DrittelbG, § 6 MitbestG Rz. 12; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 97 Rz. 21.

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§ 98 III.

Gerichtliche Entscheidung über die Zusammensetzung des Aufsichtsrats Wirkungen der Bekanntmachung

5 Die Wirkungen der Bekanntmachung sind abhängig davon, ob das nach § 98 Abs. 1 zuständige Gericht innerhalb der Monatsfrist angerufen wird. Maßgeblich für den Beginn der Monatsfrist ist aus Gründen der Rechtssicherheit die Bekanntmachung im Bundesanzeiger und nicht der Aushang in den Betrieben.14) 1.

Keine fristgemäße Anrufung des Gerichts

6 Wird das zuständige Gericht (§ 98 Abs. 1) nicht innerhalb der Monatsfrist angerufen, so steht nach Fristablauf fest, dass der Aufsichtsrat nach den in der Bekanntmachung genannten Vorschriften neu zu bilden ist (§ 97 Abs. 2 Satz 1). Sämtliche amtierende Aufsichtsratsmitglieder verlieren ihr Mandat erst mit Ende der ersten Hauptversammlung, die nach Ablauf der Monatsfrist einberufen wird, spätestens aber sechs Monate nach Fristablauf (§ 97 Abs. 2 Satz 2 und 3). Widersprechende Satzungsbestimmungen treten zum gleichen Zeitpunkt außer Kraft, so dass die Satzung anzupassen ist. 2.

Fristgerechte Anrufung

7 Wird fristgerecht ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 98 Abs. 1) gestellt, so ist diese maßgeblich und die Bekanntmachung wird unwirksam15). Bis zur rechtskräftigen Entscheidung gelten die bisherigen Regelungen fort und es bleibt bei der bestehenden Aufsichtsratszusammensetzung16). IV.

Bekanntmachungssperre (§ 97 Abs. 3)

8 Während der Anhängigkeit eines gerichtlichen Verfahrens (§ 98 Abs. 1) ist eine Bekanntmachung des Vorstands ausgeschlossen bzw. eine gleichwohl veranlasste Bekanntmachung ist rechtlich unerheblich.17) Nach rechtskräftiger Entscheidung kann der Vorstand wieder eine Bekanntmachung nach § 97 Abs. 1 veranlassen, auch wenn keine neuen Umstände vorliegen.18) _____________ 14) Göz, ZIP 1998, 1523, 1524; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 28 Rz. 64. 15) LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 23.7.1971 – 4 AR 8/69, AG 1972, 21; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 97 Rz. 6. 16) LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 23.7.1971 – 4 AR 8/69, AG 1972, 21; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 97 Rz. 6. 17) Hopt/Roth/Peddinghaus in: GroßKomm-AktG, § 97 Rz. 73; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 97 Rz. 7. 18) So Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 97 Rz. 7; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 97 Rz. 39 (allerdings eine Präklusionswirkung annehmend, soweit Tatsachen in früheren Verfahren vorgebracht wurden oder hätten vorgebracht werden können); a. A. Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 97 Rz. 36.

§ 98 Gerichtliche Entscheidung über die Zusammensetzung des Aufsichtsrats (1) Ist streitig oder ungewiss, nach welchen gesetzlichen Vorschriften der Aufsichtsrat zusammenzusetzen ist, so entscheidet darüber auf Antrag ausschließlich das Landgericht, in dessen Bezirk die Gesellschaft ihren Sitz hat. (2) 1Antragsberechtigt sind 1. der Vorstand, 2. jedes Aufsichtsratsmitglied, 650

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§ 98 III.

Gerichtliche Entscheidung über die Zusammensetzung des Aufsichtsrats Wirkungen der Bekanntmachung

5 Die Wirkungen der Bekanntmachung sind abhängig davon, ob das nach § 98 Abs. 1 zuständige Gericht innerhalb der Monatsfrist angerufen wird. Maßgeblich für den Beginn der Monatsfrist ist aus Gründen der Rechtssicherheit die Bekanntmachung im Bundesanzeiger und nicht der Aushang in den Betrieben.14) 1.

Keine fristgemäße Anrufung des Gerichts

6 Wird das zuständige Gericht (§ 98 Abs. 1) nicht innerhalb der Monatsfrist angerufen, so steht nach Fristablauf fest, dass der Aufsichtsrat nach den in der Bekanntmachung genannten Vorschriften neu zu bilden ist (§ 97 Abs. 2 Satz 1). Sämtliche amtierende Aufsichtsratsmitglieder verlieren ihr Mandat erst mit Ende der ersten Hauptversammlung, die nach Ablauf der Monatsfrist einberufen wird, spätestens aber sechs Monate nach Fristablauf (§ 97 Abs. 2 Satz 2 und 3). Widersprechende Satzungsbestimmungen treten zum gleichen Zeitpunkt außer Kraft, so dass die Satzung anzupassen ist. 2.

Fristgerechte Anrufung

7 Wird fristgerecht ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 98 Abs. 1) gestellt, so ist diese maßgeblich und die Bekanntmachung wird unwirksam15). Bis zur rechtskräftigen Entscheidung gelten die bisherigen Regelungen fort und es bleibt bei der bestehenden Aufsichtsratszusammensetzung16). IV.

Bekanntmachungssperre (§ 97 Abs. 3)

8 Während der Anhängigkeit eines gerichtlichen Verfahrens (§ 98 Abs. 1) ist eine Bekanntmachung des Vorstands ausgeschlossen bzw. eine gleichwohl veranlasste Bekanntmachung ist rechtlich unerheblich.17) Nach rechtskräftiger Entscheidung kann der Vorstand wieder eine Bekanntmachung nach § 97 Abs. 1 veranlassen, auch wenn keine neuen Umstände vorliegen.18) _____________ 14) Göz, ZIP 1998, 1523, 1524; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 28 Rz. 64. 15) LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 23.7.1971 – 4 AR 8/69, AG 1972, 21; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 97 Rz. 6. 16) LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 23.7.1971 – 4 AR 8/69, AG 1972, 21; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 97 Rz. 6. 17) Hopt/Roth/Peddinghaus in: GroßKomm-AktG, § 97 Rz. 73; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 97 Rz. 7. 18) So Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 97 Rz. 7; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 97 Rz. 39 (allerdings eine Präklusionswirkung annehmend, soweit Tatsachen in früheren Verfahren vorgebracht wurden oder hätten vorgebracht werden können); a. A. Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 97 Rz. 36.

§ 98 Gerichtliche Entscheidung über die Zusammensetzung des Aufsichtsrats (1) Ist streitig oder ungewiss, nach welchen gesetzlichen Vorschriften der Aufsichtsrat zusammenzusetzen ist, so entscheidet darüber auf Antrag ausschließlich das Landgericht, in dessen Bezirk die Gesellschaft ihren Sitz hat. (2) 1Antragsberechtigt sind 1. der Vorstand, 2. jedes Aufsichtsratsmitglied, 650

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Gerichtliche Entscheidung über die Zusammensetzung des Aufsichtsrats

§ 98

3. jeder Aktionär, 4. der Gesamtbetriebsrat der Gesellschaft oder, wenn in der Gesellschaft nur ein Betriebsrat besteht, der Betriebsrat, 5. der Gesamt- oder Unternehmenssprecherausschuss der Gesellschaft oder, wenn in der Gesellschaft nur ein Sprecherausschuss besteht, der Sprecherausschuss, 6. der Gesamtbetriebsrat eines anderen Unternehmens, dessen Arbeitnehmer nach den gesetzlichen Vorschriften, deren Anwendung streitig oder ungewiß ist, selbst oder durch Delegierte an der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern der Gesellschaft teilnehmen, oder, wenn in dem anderen Unternehmen nur ein Betriebsrat besteht, der Betriebsrat, 7. der Gesamt- oder Unternehmenssprecherausschuss eines anderen Unternehmens, dessen Arbeitnehmer nach den gesetzlichen Vorschriften, deren Anwendung streitig oder ungewiss ist, selbst oder durch Delegierte an der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern der Gesellschaft teilnehmen, oder, wenn in dem anderen Unternehmen nur ein Sprecherausschuss besteht, der Sprecherausschuss, 8. mindestens ein Zehntel oder einhundert der Arbeitnehmer, die nach den gesetzlichen Vorschriften, deren Anwendung streitig oder ungewiß ist, selbst oder durch Delegierte an der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern der Gesellschaft teilnehmen, 9. Spitzenorganisationen der Gewerkschaften, die nach den gesetzlichen Vorschriften, deren Anwendung streitig oder ungewiß ist, ein Vorschlagsrecht hätten, 10. Gewerkschaften, die nach den gesetzlichen Vorschriften, deren Anwendung streitig oder ungewiß ist, ein Vorschlagsrecht hätten. 2

Ist die Anwendung des Mitbestimmungsgesetzes oder die Anwendung von Vorschriften des Mitbestimmungsgesetzes streitig oder ungewiß, so sind außer den nach Satz 1 Antragsberechtigten auch je ein Zehntel der wahlberechtigten in § 3 Abs. 1 Nr. 1 des Mitbestimmungsgesetzes bezeichneten Arbeitnehmer oder der wahlberechtigten leitenden Angestellten im Sinne des Mitbestimmungsgesetzes antragsberechtigt. (3) Die Absätze 1 und 2 gelten sinngemäß, wenn streitig ist, ob der Abschlußprüfer das nach § 3 oder § 16 des Mitbestimmungsergänzungsgesetzes maßgebliche Umsatzverhältnis richtig ermittelt hat.

(4) 1Entspricht die Zusammensetzung des Aufsichtsrats nicht der gerichtlichen Entscheidung, so ist der neue Aufsichtsrat nach den in der Entscheidung angegebenen gesetzlichen Vorschriften zusammenzusetzen. 2§ 97 Abs. 2 gilt sinngemäß mit der Maßgabe, daß die Frist von sechs Monaten mit dem Eintritt der Rechtskraft beginnt. Literatur: Hellwig/Behme, Die Verpflichtung von Vorstand und Aufsichtsrat zur Einleitung des Statusverfahrens (§§ 97, 98 AktG), in: Festschrift für Peter Hommelhoff, 2012, S. 343; Simons, Ungeklärte Zuständigkeitsfragen bei gesellschaftsrechtlichen Auseinandersetzungen, NZG 2012, 609.

Übersicht I. Gegenstand und Zweck der Norm .................................................. 1 II. Antragsverfahren (§ 98 Abs. 1) ....... 2 III. Antragsberechtigung (§ 98 Abs. 2) ................................................. 5

IV. Sinngemäße Geltung bei Streit über das maßgebliche Umsatzverhältnis (§ 98 Abs. 3) ..................... 7 V. Gerichtliche Entscheidung und Durchführungspflicht (§ 98 Abs. 4) ....................................... 8

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§ 98 I.

Gerichtliche Entscheidung über die Zusammensetzung des Aufsichtsrats Gegenstand und Zweck der Norm

1 Die Norm enthält zusammen mit § 99 die Regelungen über den gerichtlichen Teil des Statusverfahrens. Durch das Statusverfahren soll auch bei Unklarheit über die für die Zusammensetzung des Aufsichtsrats anwendbaren Vorschriften stets ein beschlussfähiger Aufsichtsrat sichergestellt und die Anwendung der zutreffenden Vorschriften für die Zusammensetzung des Aufsichtsrats gewährleistet werden.1) Das besondere gerichtliche Verfahren soll eine Zuständigkeitsaufspaltung zwischen ordentlicher und Arbeitsgerichtsbarkeit verhindern, sowie Widerspruchsfreiheit und Verfahrensbeschleunigung erreichen.2) II.

Antragsverfahren (§ 98 Abs. 1)

2 Für die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens nach den §§ 98 und 99 ist ein Antrag erforderlich, der den Antragsteller und das Antragsziel erkennen lassen muss. Der Antrag, der keinen besonderen Formvorschriften unterliegt, muss auf eine Änderung in der Zusammensetzung des Aufsichtsrats gerichtet sein.3) 3 Der Antrag ist nach § 98 Abs. 1 Satz 1 nur zulässig, wenn Ungewissheit oder Streit über die maßgeblichen Vorschriften für die Zusammensetzung des Aufsichtsrats herrscht.4) Ist weder streitig noch ungewiss, nach welchen gesetzlichen Vorschriften der Aufsichtsrat zusammenzusetzen ist, muss der Vorstand nach § 97 tätig werden, wenn er der Auffassung ist, dass die Zusammensetzung des Aufsichtsrats nicht der Rechtslage entspricht. Ist jedoch von vornherein streitig oder ungewiss, nach welchen Vorschriften der Aufsichtsrat zusammenzusetzen ist, kann nach § 98 Abs. 1 unmittelbar eine gerichtliche Entscheidung beantragt werden.5) 4 Das LG, in dessen Bezirk die Gesellschaft ihren Sitz (§ 5) hat, ist sachlich und örtlich ausschließlich zuständig (§ 98 Abs. 1); die Kammer für Handelssachen ist – sofern beim LG gebildet – funktional zuständig (§§ 71 Abs. 2 Nr. 4 lit. b, 94, 95 Abs. 2 Nr. 2 GVG).6) III.

Antragsberechtigung (§ 98 Abs. 2)

5 Die Antragsberechtigten sind in § 98 Abs. 2 abschließend aufgezählt.7) 6 Die dort genannten einzelnen Antragsberechtigten können unabhängig davon, ob der Vorstand ein Bekanntmachungsverfahren nach § 97 eingeleitet hat, tätig werden.8) Der Vorstand selbst ist nach § 98 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ebenfalls antragsberechtigt. Insoweit gelten die Ausführungen zu den Voraussetzungen der Bekanntmachung nach § 97 entsprechend (siehe § 97 Rz. 2 ff.). Ändern sich die für die Aufsichtsratszusammensetzung anzuwendenden Vorschriften oder setzt sich der Aufsichtsrat nach nicht (mehr) zutreffenden Vorschriften _____________ 1) 2) 3) 4) 5) 6)

7) 8)

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OLG Düsseldorf, Beschl. v. 10.10.1995 – 19 W 5/95, ZIP 1995, 1752, 1753; Hopt/Roth/Peddinghaus in: GroßKomm-AktG, § 98 Rz. 3; K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 98 Rz. 1. Begr. RegE, BT Drucks. IV/171, S. 135; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 98 Rz. 1. Habersack in: MünchKomm-AktG, § 98 Rz. 3 f.; Hopt/Roth/Peddinghaus in: GroßKomm-AktG, § 98 Rz. 5. LAG Düsseldorf, Beschl. v. 18.12.1987 – 10 Ta BV 132/87, AG 1989, 66, 67; Habersack in: MünchKommAktG, § 98 Rz. 5; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 98 Rz. 3. BAG, Beschl. v. 16.4.2008 – 7 ABR 6/07, ZIP 2008, 1630, 1632; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 98 Rz. 5. K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 98 Rz. 2; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 98 Rz. 9; Spindler/ Stilz-Spindler, AktG, § 98 Rz. 4; a. A. Simons, NZG 2012, 609, 610; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 98 Rz. 2 (nur auf Antrag). K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 98 Rz. 5; Bürgers/Körber-Bürgers/Israel, AktG, § 98 Rz. 4. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 98 Rz. 3; Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 98 Rz. 5.

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§ 99

Verfahren

zusammen, so ist es primär die Pflicht des Vorstands nach § 98 oder § 97 tätig zu werden; ihn trifft dann eine Antragspflicht, deren Verletzung zu einer Haftung nach § 93 führen kann.9) IV.

Sinngemäße Geltung bei Streit über das maßgebliche Umsatzverhältnis (§ 98 Abs. 3)

Nach § 98 Abs. 3 gelten die Absätze 1 und 2 sinngemäß, wenn die Ermittlung des maßgebli- 7 chen Umsatzverhältnisses nach §§ 3, 16 MitbestErgG streitig ist. Die behauptete Unrichtigkeit muss für die Zusammensetzung des Aufsichtsrats relevant sein; ansonsten fehlt es am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis.10) V.

Gerichtliche Entscheidung und Durchführungspflicht (§ 98 Abs. 4)

Hinsichtlich der Folgen der rechtskräftigen Entscheidung ist zu differenzieren. Weist das 8 Gericht den Antrag ab, so verändert sich die Zusammensetzung des Aufsichtsrats nicht. Der Aufsichtsrat bleibt im Amt. Der Vorstand muss lediglich die gerichtliche Entscheidung zum Handelsregister einreichen (§ 99 Abs. 5 Satz 3).11) Entscheidet das Gericht, dass andere als die bisher angewandten Vorschriften anzuwen- 9 den sind, so ist der Aufsichtsrat nach den in dem Beschluss für maßgeblich erklärten Vorschriften zusammenzusetzen (§ 98 Abs. 4 Satz 1). Es gilt eine Anpassungsfrist von sechs Monaten ab Eintritt der Rechtskraft (§ 98 Abs. 4 Satz 2 i. V. m. § 97 Abs. 2).12) Zudem muss der Vorstand die gerichtliche Entscheidung zum Handelsregister einreichen (§ 99 Abs. 5 Satz 3). Der Aufsichtsrat ist neu zu bestellen, wofür der Vorstand insbesondere eine Hauptversammlung einberufen und Vorschläge für Satzungsänderungen unterbreiten muss.13) _____________ 9) Hopt/Roth/Peddinghaus in: GroßKomm-AktG, § 98 Rz. 38; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 98 Rz. 13; Hellwig/Behme in: FS Hommelhoff, S. 343, 363 f. 10) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 98 Rz. 24; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 98 Rz. 6. 11) Hopt/Roth/Peddinghaus in: GroßKomm-AktG, § 98 Rz. 48; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 98 Rz. 6. 12) Hopt/Roth/Peddinghaus in: GroßKomm-AktG, § 98 Rz. 49; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 98 Rz. 6. 13) Hopt/Roth/Peddinghaus in: GroßKomm-AktG, § 98 Rz. 49; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 98 Rz. 6.

§ 99 Verfahren (1) Auf das Verfahren ist das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit anzuwenden, soweit in den Absätzen 2 bis 5 nichts anderes bestimmt ist. (2) 1Das Landgericht hat den Antrag in den Gesellschaftsblättern bekanntzumachen. 2 Der Vorstand und jedes Aufsichtsratsmitglied sowie die nach § 98 Abs. 2 antragsberechtigten Betriebsräte, Sprecherausschüsse, Spitzenorganisationen und Gewerkschaften sind zu hören. (3) 1Das Landgericht entscheidet durch einen mit Gründen versehenen Beschluss. 2 Gegen die Entscheidung des Landgerichts findet die Beschwerde statt. 3Sie kann nur auf eine Verletzung des Rechts gestützt werden; § 72 Abs. 1 Satz 2 und § 74 Abs. 2 und 3 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit sowie § 547 der Zivilprozessordnung gelten sinngemäß. 4 Die Beschwerde kann nur durch die Einreichung einer von einem Rechtsanwalt unterzeichneten Beschwerdeschrift eingelegt werden. 5Die Landesregierung kann durch Rechtsverordnung die Entscheidung über die Beschwerde für die Bezirke mehrerer

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Verfahren

zusammen, so ist es primär die Pflicht des Vorstands nach § 98 oder § 97 tätig zu werden; ihn trifft dann eine Antragspflicht, deren Verletzung zu einer Haftung nach § 93 führen kann.9) IV.

Sinngemäße Geltung bei Streit über das maßgebliche Umsatzverhältnis (§ 98 Abs. 3)

Nach § 98 Abs. 3 gelten die Absätze 1 und 2 sinngemäß, wenn die Ermittlung des maßgebli- 7 chen Umsatzverhältnisses nach §§ 3, 16 MitbestErgG streitig ist. Die behauptete Unrichtigkeit muss für die Zusammensetzung des Aufsichtsrats relevant sein; ansonsten fehlt es am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis.10) V.

Gerichtliche Entscheidung und Durchführungspflicht (§ 98 Abs. 4)

Hinsichtlich der Folgen der rechtskräftigen Entscheidung ist zu differenzieren. Weist das 8 Gericht den Antrag ab, so verändert sich die Zusammensetzung des Aufsichtsrats nicht. Der Aufsichtsrat bleibt im Amt. Der Vorstand muss lediglich die gerichtliche Entscheidung zum Handelsregister einreichen (§ 99 Abs. 5 Satz 3).11) Entscheidet das Gericht, dass andere als die bisher angewandten Vorschriften anzuwen- 9 den sind, so ist der Aufsichtsrat nach den in dem Beschluss für maßgeblich erklärten Vorschriften zusammenzusetzen (§ 98 Abs. 4 Satz 1). Es gilt eine Anpassungsfrist von sechs Monaten ab Eintritt der Rechtskraft (§ 98 Abs. 4 Satz 2 i. V. m. § 97 Abs. 2).12) Zudem muss der Vorstand die gerichtliche Entscheidung zum Handelsregister einreichen (§ 99 Abs. 5 Satz 3). Der Aufsichtsrat ist neu zu bestellen, wofür der Vorstand insbesondere eine Hauptversammlung einberufen und Vorschläge für Satzungsänderungen unterbreiten muss.13) _____________ 9) Hopt/Roth/Peddinghaus in: GroßKomm-AktG, § 98 Rz. 38; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 98 Rz. 13; Hellwig/Behme in: FS Hommelhoff, S. 343, 363 f. 10) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 98 Rz. 24; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 98 Rz. 6. 11) Hopt/Roth/Peddinghaus in: GroßKomm-AktG, § 98 Rz. 48; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 98 Rz. 6. 12) Hopt/Roth/Peddinghaus in: GroßKomm-AktG, § 98 Rz. 49; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 98 Rz. 6. 13) Hopt/Roth/Peddinghaus in: GroßKomm-AktG, § 98 Rz. 49; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 98 Rz. 6.

§ 99 Verfahren (1) Auf das Verfahren ist das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit anzuwenden, soweit in den Absätzen 2 bis 5 nichts anderes bestimmt ist. (2) 1Das Landgericht hat den Antrag in den Gesellschaftsblättern bekanntzumachen. 2 Der Vorstand und jedes Aufsichtsratsmitglied sowie die nach § 98 Abs. 2 antragsberechtigten Betriebsräte, Sprecherausschüsse, Spitzenorganisationen und Gewerkschaften sind zu hören. (3) 1Das Landgericht entscheidet durch einen mit Gründen versehenen Beschluss. 2 Gegen die Entscheidung des Landgerichts findet die Beschwerde statt. 3Sie kann nur auf eine Verletzung des Rechts gestützt werden; § 72 Abs. 1 Satz 2 und § 74 Abs. 2 und 3 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit sowie § 547 der Zivilprozessordnung gelten sinngemäß. 4 Die Beschwerde kann nur durch die Einreichung einer von einem Rechtsanwalt unterzeichneten Beschwerdeschrift eingelegt werden. 5Die Landesregierung kann durch Rechtsverordnung die Entscheidung über die Beschwerde für die Bezirke mehrerer

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Verfahren

Oberlandesgerichte einem der Oberlandesgerichte oder dem Obersten Landesgericht übertragen, wenn dies der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung dient. 6Die Landesregierung kann die Ermächtigung auf die Landesjustizverwaltung übertragen. (4) 1Das Gericht hat seine Entscheidung dem Antragsteller und der Gesellschaft zuzustellen. 2Es hat sie ferner ohne Gründe in den Gesellschaftsblättern bekanntzumachen. 3 Die Beschwerde steht jedem nach § 98 Abs. 2 Antragsberechtigten zu. 4Die Beschwerdefrist beginnt mit der Bekanntmachung der Entscheidung im Bundesanzeiger, für den Antragsteller und die Gesellschaft jedoch nicht vor der Zustellung der Entscheidung. (5) 1Die Entscheidung wird erst mit der Rechtskraft wirksam. 2Sie wirkt für und gegen alle. 3Der Vorstand hat die rechtskräftige Entscheidung unverzüglich zum Handelsregister einzureichen. (6) 1Die Kosten können ganz oder zum Teil dem Antragsteller auferlegt werden, wenn dies der Billigkeit entspricht. 2Kosten der Beteiligten werden nicht erstattet. Literatur: Jänig/Leißring, FamFG: Neues Verfahren für Streitigkeiten in AG und GmbH, ZIP 2010, 110; Simons, Die Änderungen des Aktiengesetzes durch das 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz, AG 2014, 182.

Übersicht I. Gegenstand und Zweck der Norm .................................................. II. Gerichtliches Verfahren .................. 1. Antragserfordernis ............................ 2. Amtsermittlungsgrundsatz ............... I.

1 2 3 4

3. Anhörung und Entscheidung ............ 5 4. Rechtsmittel ........................................ 8 III. Wirksamkeit und Rechtsfolgen (§ 99 Abs. 5) ....................................... 9 IV. Kosten (§ 99 Abs. 6) ........................ 11

Gegenstand und Zweck der Norm

1 Die Norm regelt das gerichtliche Verfahren, in dem auf Antrag (§ 98 Abs. 1) über die Zusammensetzung des Aufsichtsrats zu entscheiden ist. Der Zweck der Norm ist es insbesondere, dieses Verfahren dem Amtsermittlungsgrundsatz des § 26 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) zu unterstellen.1) II.

Gerichtliches Verfahren

2 Nach § 99 Abs. 1 gelten für das gerichtliche Statusverfahren primär die in § 99 Abs. 2 – 6 enthaltenen Regelungen und subsidiär die Bestimmungen des FamFG.2) 1.

Antragserfordernis

3 Für die Einleitung des Verfahrens gilt der Dispositionsgrundsatz; nach § 98 Abs. 1 Satz 1 ist ein Antrag erforderlich, der bis zur Rechtskraft der Entscheidung zurückgenommen werden kann (§ 22 Abs. 1 Satz 1 FamFG).3) Hierfür ist die Einwilligung der Gesellschaft bis zum Erlass der Endentscheidung nicht erforderlich (Umkehrschluss zu § 22 Abs. 1

_____________ 1) 2) 3)

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Habersack in: MünchKomm-AktG, § 99 Rz. 1, 12; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 99 Rz. 1; zum FamFGVerfahren ausführlich: Jänig/Leißring, ZIP 2010, 110 ff. Habersack in: MünchKomm-AktG, § 99 Rz. 6; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 99 Rz. 3; zum Verhältnis der Vorschriften: Jänig/Leißring, ZIP 2010, 110, 112. OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 8.4.2009 – 20 W 106/09, NZG 2009, 1185; zur alten Rechtslage OLG Düsseldorf, Beschl. v. 28.8.1979 – 3 W 202/79, NJW 1980, 349.

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§ 99

Verfahren

Satz 2 FamFG).4) Ein Anwaltszwang besteht nicht.5) Nach § 99 Abs. 2 Satz 1 hat das Gericht den Antrag in den Gesellschaftsblättern (§ 25) bekannt zu machen. 2.

Amtsermittlungsgrundsatz

Mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung endet die Dispositionsbefugnis der Par- 4 teien und es gilt nach § 99 Abs. 1 i. V. m. § 26 FamFG der Amtsermittlungsgrundsatz. Die Gerichte sind berechtigt und verpflichtet, von Amts wegen Tatsachen zu ermitteln, in die Verhandlung einzubringen und den Sachverhalt festzustellen.6) Dies enthebt die Beteiligten jedoch nicht von der Verpflichtung durch eingehende Tatsachendarstellung an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken.7) 3.

Anhörung und Entscheidung

Nach § 99 Abs. 2 Satz 2 steht dem Vorstand als Organ und jedem einzelnen Aufsichts- 5 ratsmitglied ein Anhörungsrecht zu; die Betriebsräte, Sprecherausschüsse, Spitzenorganisationen und Gewerkschaften, die nach § 98 Abs. 2 antragsbefugt sind, sind ebenfalls anzuhören. Nach allgemeinen Grundsätzen sind auch alle Personen, die durch das Verfahren unmittelbar betroffen sind, auf ihr Verlangen anzuhören.8) Das Gericht entscheidet nach § 99 Abs. 3 Satz 1 durch Beschluss, der, weil gegen ihn die 6 Beschwerde eröffnet ist, mit Gründen zu versehen ist. Das Gericht hat den Beschluss mit Gründen dem Antragsteller und der Gesellschaft zu- 7 zustellen (§ 99 Abs. 4 Satz 1). Zudem muss das Gericht den Beschluss ohne Gründe in den Gesellschaftsblättern bekannt machen, mithin nach § 25 zumindest im Bundesanzeiger. 4.

Rechtsmittel

Der mit Gründen zu versehende Beschluss des LG gemäß § 99 Abs. 3 Satz 1 kann mit 8 dem Rechtsmittel der Beschwerde angegriffen werden, die nur auf Verletzung des Rechts gestützt werden kann (§ 99 Abs. 3 Satz 3).9) Die Beschwerde ist nach § 64 Abs. 1 FamFG beim LG einzulegen. Hierfür gilt die Monatsfrist des § 63 Abs. 1 FamFG (§ 99 Abs. 4 Satz 4). Es besteht gemäß § 99 Abs. 3 Satz 8 und 9 die Möglichkeit der Verfahrenskonzentration, die einige Bundesländer ausgenutzt haben.10) Nach § 99 Abs. 4 Satz 3 ist beschwerdebefugt, wer gemäß § 98 Abs. 2 antragsberechtigt ist. Die Gesellschaft selbst ist ebenfalls beschwerdeberechtigt (§ 99 Abs. 4 Satz 4).11) _____________ 4) OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 8.4.2009 – 20 W 106/09, NZG 2009, 1185; Jänig/Leißring, ZIP 2010, 110, 115; Hölters-Simons, AktG, § 99 Rz. 5. 5) OLG Düsseldorf, Beschl. v. 2.8.1994 – 19 W 1/93, AG 1995, 85, 86; Hölters-Simons, AktG, § 99 Rz. 7. 6) Zur Amtsermittlungspflicht und zum Umfang der Ermittlungstätigkeit: BGH, Beschl. v. 21.6.2011 – II ZB 15/10, ZIP 2011, 1562, 1563, dazu EWiR 2011, 641 (Wachter). 7) OLG Hamburg, Beschl. v. 4.7.2017 – 11 W 19/17, Rz. 22, AG 2018, 87, 88 = ZIP 2017, 1621; LG Köln, Beschl. v. 12.1.2012 – 91 O 69/11, BeckRS 2012, 05768. 8) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 99 Rz. 14; zu den Beteiligten im Einzelnen: Jänig/Leißring, ZIP 2010, 110, 113 f. 9) OLG Hamburg, Beschl. v. 4.7.2017 – 11 W 19/17, Rz. 21, AG 2018, 87 = ZIP 2017, 1621; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 99 Rz. 21; zur Unzulässigkeit der Beschwerde nach Erledigung des Statusverfahrens: BGH, Beschl. v. 27.1.2015 – II ZB 7/14, ZIP 2015, 655, 656, dazu EWiR 2015, 463 (v. d. Linden). 10) Bayern: OLG München, VO v. 16.11.2004, GVBl. I S. 471; NRW: OLG Düsseldorf, VO v. 31.5.2005, GV NRW 2005 S. 625; Rheinland-Pfalz: OLG Zweibrücken, VO v. 22.11.1985, GVBl. S. 267. 11) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 99 Rz. 19; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 99 Rz. 8.

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§ 100 III.

Persönliche Voraussetzungen für Aufsichtsratsmitglieder Wirksamkeit und Rechtsfolgen (§ 99 Abs. 5)

9 Nach § 99 Abs. 5 Satz 1 tritt die Wirksamkeit der gerichtlichen Entscheidung über die auf die Aufsichtsratszusammensetzung anzuwendenden Vorschriften (§ 98 Abs. 3) mit Rechtskraft ein, d. h. mit Ablauf der Beschwerdefrist (Monatsfrist, § 63 Abs. 1 FamFG). Bis dahin gilt die Aufsichtsratszusammensetzung als richtig und wird die Rechtsstellung der amtierenden Aufsichtsratsmitglieder nicht berührt.12) 10 Nach § 99 Abs. 5 Satz 2 hat die rechtskräftige Entscheidung Inter omnes-Wirkung. Sie ist gemäß § 99 Abs. 5 Satz 3 vom Vorstand unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern, (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB) zum Handelsregister einzureichen. IV.

Kosten (§ 99 Abs. 6)

11 Nach § 99 Abs. 6 Satz 2 sind die außergerichtlichen Kosten der Beteiligten (etwa Anwaltsgebühren) von diesen selbst zu tragen. Für die Gerichtskosten (die allgemein im GNotKG geregelt sind13) ist die Gesellschaft nach § 23 Nr. 10 GNotKG grundsätzlich Kostenschuldnerin, weil die gerichtliche Entscheidung vorwiegend in ihrem Interesse liegt. Nach § 99 Abs. 6 Satz 1 können ausnahmsweise die Kosten aus Billigkeitserwägungen ganz oder teilweise dem Antragsteller auferlegt werden, etwa bei offensichtlich unzulässigen oder unbegründeten Anträgen.14) _____________ 12) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 99 Rz. 24; Hölters-Simons, AktG, § 99 Rz. 19. 13) Durch das 2. KostRMoG wurde die bisher in § 99 Abs. 6 a. F. enthaltene Kostenhaftung in das GNotKG übertragen, vgl. Bormann/Diehn/Sommerfeldt-Sommerfeldt, GNotKG, § 23 Rz. 13; ausführlich dazu Simons, AG 2014, 182 ff. 14) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 99 Rz. 27; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 99 Rz. 12; Simons, AG 2014, 182, 183.

§ 100 Persönliche Voraussetzungen für Aufsichtsratsmitglieder (1) 1Mitglied des Aufsichtsrats kann nur eine natürliche, unbeschränkt geschäftsfähige Person sein. 2Ein Betreuter, der bei der Besorgung seiner Vermögensangelegenheiten ganz oder teilweise einem Einwilligungsvorbehalt (§ 1903 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) unterliegt, kann nicht Mitglied des Aufsichtsrats sein. (2) 1Mitglied des Aufsichtsrats kann nicht sein, wer 1. bereits in zehn Handelsgesellschaften, die gesetzlich einen Aufsichtsrat zu bilden haben, Aufsichtsratsmitglied ist, 2. gesetzlicher Vertreter eines von der Gesellschaft abhängigen Unternehmens ist, 3. gesetzlicher Vertreter einer anderen Kapitalgesellschaft ist, deren Aufsichtsrat ein Vorstandsmitglied der Gesellschaft angehört, oder 4. in den letzten zwei Jahren Vorstandsmitglied derselben börsennotierten Gesellschaft war, es sei denn, seine Wahl erfolgt auf Vorschlag von Aktionären, die mehr als 25 Prozent der Stimmrechte an der Gesellschaft halten. 2 Auf die Höchstzahl nach Satz 1 Nr. 1 sind bis zu fünf Aufsichtsratssitze nicht anzurechnen, die ein gesetzlicher Vertreter (beim Einzelkaufmann der Inhaber) des herrschenden Unternehmens eines Konzerns in zum Konzern gehörenden Handelsgesellschaften, die gesetzlich einen Aufsichtsrat zu bilden haben, inne hat. 3Auf die Höchstzahl

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§ 100 III.

Persönliche Voraussetzungen für Aufsichtsratsmitglieder Wirksamkeit und Rechtsfolgen (§ 99 Abs. 5)

9 Nach § 99 Abs. 5 Satz 1 tritt die Wirksamkeit der gerichtlichen Entscheidung über die auf die Aufsichtsratszusammensetzung anzuwendenden Vorschriften (§ 98 Abs. 3) mit Rechtskraft ein, d. h. mit Ablauf der Beschwerdefrist (Monatsfrist, § 63 Abs. 1 FamFG). Bis dahin gilt die Aufsichtsratszusammensetzung als richtig und wird die Rechtsstellung der amtierenden Aufsichtsratsmitglieder nicht berührt.12) 10 Nach § 99 Abs. 5 Satz 2 hat die rechtskräftige Entscheidung Inter omnes-Wirkung. Sie ist gemäß § 99 Abs. 5 Satz 3 vom Vorstand unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern, (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB) zum Handelsregister einzureichen. IV.

Kosten (§ 99 Abs. 6)

11 Nach § 99 Abs. 6 Satz 2 sind die außergerichtlichen Kosten der Beteiligten (etwa Anwaltsgebühren) von diesen selbst zu tragen. Für die Gerichtskosten (die allgemein im GNotKG geregelt sind13) ist die Gesellschaft nach § 23 Nr. 10 GNotKG grundsätzlich Kostenschuldnerin, weil die gerichtliche Entscheidung vorwiegend in ihrem Interesse liegt. Nach § 99 Abs. 6 Satz 1 können ausnahmsweise die Kosten aus Billigkeitserwägungen ganz oder teilweise dem Antragsteller auferlegt werden, etwa bei offensichtlich unzulässigen oder unbegründeten Anträgen.14) _____________ 12) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 99 Rz. 24; Hölters-Simons, AktG, § 99 Rz. 19. 13) Durch das 2. KostRMoG wurde die bisher in § 99 Abs. 6 a. F. enthaltene Kostenhaftung in das GNotKG übertragen, vgl. Bormann/Diehn/Sommerfeldt-Sommerfeldt, GNotKG, § 23 Rz. 13; ausführlich dazu Simons, AG 2014, 182 ff. 14) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 99 Rz. 27; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 99 Rz. 12; Simons, AG 2014, 182, 183.

§ 100 Persönliche Voraussetzungen für Aufsichtsratsmitglieder (1) 1Mitglied des Aufsichtsrats kann nur eine natürliche, unbeschränkt geschäftsfähige Person sein. 2Ein Betreuter, der bei der Besorgung seiner Vermögensangelegenheiten ganz oder teilweise einem Einwilligungsvorbehalt (§ 1903 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) unterliegt, kann nicht Mitglied des Aufsichtsrats sein. (2) 1Mitglied des Aufsichtsrats kann nicht sein, wer 1. bereits in zehn Handelsgesellschaften, die gesetzlich einen Aufsichtsrat zu bilden haben, Aufsichtsratsmitglied ist, 2. gesetzlicher Vertreter eines von der Gesellschaft abhängigen Unternehmens ist, 3. gesetzlicher Vertreter einer anderen Kapitalgesellschaft ist, deren Aufsichtsrat ein Vorstandsmitglied der Gesellschaft angehört, oder 4. in den letzten zwei Jahren Vorstandsmitglied derselben börsennotierten Gesellschaft war, es sei denn, seine Wahl erfolgt auf Vorschlag von Aktionären, die mehr als 25 Prozent der Stimmrechte an der Gesellschaft halten. 2 Auf die Höchstzahl nach Satz 1 Nr. 1 sind bis zu fünf Aufsichtsratssitze nicht anzurechnen, die ein gesetzlicher Vertreter (beim Einzelkaufmann der Inhaber) des herrschenden Unternehmens eines Konzerns in zum Konzern gehörenden Handelsgesellschaften, die gesetzlich einen Aufsichtsrat zu bilden haben, inne hat. 3Auf die Höchstzahl

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Persönliche Voraussetzungen für Aufsichtsratsmitglieder

§ 100

nach Satz 1 Nr. 1 sind Aufsichtsratsämter im Sinne der Nummer 1 doppelt anzurechnen, für die das Mitglied zum Vorsitzenden gewählt worden ist. (3) Die anderen persönlichen Voraussetzungen der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer sowie der weiteren Mitglieder bestimmen sich nach dem Mitbestimmungsgesetz, dem Montan-Mitbestimmungsgesetz, dem Mitbestimmungsergänzungsgesetz, dem Drittelbeteiligungsgesetz und dem Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung. (4) Die Satzung kann persönliche Voraussetzungen nur für Aufsichtsratsmitglieder fordern, die von der Hauptversammlung ohne Bindung an Wahlvorschläge gewählt oder auf Grund der Satzung in den Aufsichtsrat entsandt werden. (5) Bei Gesellschaften, die kapitalmarktorientiert im Sinne des § 264d des Handelsgesetzbuchs, die CRR-Kreditinstitute im Sinne des § 1 Absatz 3d Satz 1 des Kreditwesengesetzes, mit Ausnahme der in § 2 Absatz 1 Nummer 1 und 2 des Kreditwesengesetzes genannten Institute, oder die Versicherungsunternehmen im Sinne des Artikels 2 Absatz 1 der Richtlinie 91/674/EWG des Rates vom 19. Dezember 1991 über den Jahresabschluß und den konsolidierten Abschluß von Versicherungsunternehmen (ABl. L 374 vom 31.12.1991, S. 7), die zuletzt durch die Richtlinie 2006/46/EG (ABl. L 224 vom 16.8.2006, S. 1) geändert worden ist, sind, muss mindestens ein Mitglied des Aufsichtsrats über Sachverstand auf den Gebieten Rechnungslegung oder Abschlussprüfung verfügen; die Mitglieder müssen in ihrer Gesamtheit mit dem Sektor, in dem die Gesellschaft tätig ist, vertraut sein. Literatur: Bachmann, Zur Umsetzung einer Frauenquote im Aufsichtsrat, ZIP 2011, 1131; Bauer/ Arnold, AGG und Organmitglieder – Klares und Unklares vom BGH, NZG 2012, 921; Behme/ Zickgraf, Anforderungen an die Qualifikationen von Aufsichtsratsmitgliedern nach dem Abschlussprüfungsreformgesetz (AReG), AG 2016, R 132; Brandi/Gieseler, Der Aufsichtsrat in Kreditinstituten, NZG 2012, 1321; Bungert/Wansleben, Wechsel eines Vorstandsmitglieds in den Aufsichtsrat, DB 2012, 2617; Diekmann/Fleischmann, Umgang mit Interessenkonflikten in Aufsichtsrat und Vorstand der Aktiengesellschaft, AG 2013, 141; Dreher, Die Gesamtqualifikation des Aufsichtsrats, in: Festschrift für Michael Hoffmann-Becking, 2013, S. 313; v. Falkenhausen/ Kocher, Wie wird der unabhängige Finanzexperte in den Aufsichtsrat gewählt? – Praktische Fragen der Umsetzung des BilMoG, ZIP 2009, 1601; Florstedt, Die Unabhängigkeit des Aufsichtsratsmitglieds vom kontrollierenden Aktionär, ZIP 2013, 337; Fromholzer/Hauser, Verschärfte Anforderungen und Haftungsrisiken für Aufsichtsräte nach dem RegE des Abschlussprüfungsreformgesetzes, DB 2016, 401; Gruber, Der unabhängige Finanzexperte im Aufsichtsrat nach dem Referentenentwurf des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes, NZG 2008, 12; Habersack, Aufsichtsrat und Prüfungsausschuss nach dem BilMoG, AG 2008, 98; Hasselbach/ Jakobs, Die Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern, BB 2013, 643; Hirte, Frauenquote oder Frauenförderung?, Der Konzern 2013, 367; Hirte, Geschlechterquoten in Aufsichtsrat und Vorstand, Der Konzern 2011, 519; Hoffmann-Becking, Unabhängigkeit im Aufsichtsrat, NZG 2014, 801; Hohenstatt/Naber, Diskriminierungsschutz für Organmitglieder: Konsequenzen für die Vertragsgestaltung. Zugleich Besprechung BGH v. 23.4.2012, ZIP 2012, 1989; Hüffer, Zur Wahl von Beratern des Großaktionärs in den Aufsichtsrat der Gesellschaft, ZIP 2010, 1979; Jaspers, Höchstgrenzen für Aufsichtsratsmandate nach Aktienrecht und DCGK, AG 2011, 154; Koch, Begriff und Rechtsfolgen von Interessenkonflikten und Unabhängigkeit im Aktienrecht, ZGR 2014, 697; Kremer/v. Werder, Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern: Konzept, Kriterien und Kandidateninformationen, AG 2013, 340; Krieger, Der Wechsel vom Vorstand in den Aufsichtsrat, in: Festschrift für Uwe Hüffer, 2010, S. 510; Löbbe/Fischbach, Wechsel von Vorstandsmitgliedern in den Aufsichtsrat auf Initiative der Verwaltungsorgane der Gesellschaft, AG 2012, 580; Lutter, Anwendbarkeit der Altersbestimmungen des AGG auf Organpersonen, BB 2007, 725; Lutter/Kirschbaum, Zum Wettbewerber im Aufsichtsrat, ZIP 2005, 103; Mader,

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§ 100

Persönliche Voraussetzungen für Aufsichtsratsmitglieder

Die internationale Besetzung des Aufsichtsrats einer deutschen Aktiengesellschaft, ZGR 2014, 430; Merkelbach, Professionalisierung des Aufsichtsrats – CRD IV wirft ihren Schatten voraus, Der Konzern 2013, 227; Nodoushani, Das neue Anforderungsprofil für Aufsichtsräte von Unternehmen von öffentlichem Interesse, AG 2016, 381; Opitz, Zur Fortbildungsverantwortung von Vorstand und Aufsichtsrat. Zugleich ein Beitrag zu §§ 25c und 25d KWG i. d. F. von Art. 1 Nr. 48 CRD IV-UmsetzungsGE, BKR 2013, 177; Ringleb/Kremer/Lutter/v. Werder, Die Kodex-Änderungen vom Mai 2012, NZG 2012, 1081; Roth, Unabhängige Aufsichtsratsmitglieder, ZHR 175 (2011) 605; Spindler, Die Empfehlungen der EU für den Aufsichtsrat und ihre deutsche Umsetzung im Corporate Governance Kodex, ZIP 2005, 2033; Staake, Arbeitnehmervertreter als unabhängige Aufsichtsratsmitglieder?, NZG 2016, 853; Staake, Der unabhängige Finanzexperte im Aufsichtsrat, ZIP 2010, 1013; Teichmann/Rüb, Die gesetzliche Geschlechterquote in der Privatwirtschaft, BB 2015, 898; Wasse, Die Internationalisierung des Aufsichtsrats – Herausforderungen in der Praxis, AG 2011, 685; Wirth, Anforderungsprofil und Inkompatibilitäten für Aufsichtsratsmitglieder, ZGR 2005, 327.

Übersicht I. Zweck der Norm ............................... 1 II. Persönliche Voraussetzungen (§ 100 Abs. 1) ..................................... 2 III. Gesetzliche Hinderungsgründe (§ 100 Abs. 2) ..................................... 6 IV. Persönliche Voraussetzungen für Arbeitnehmervertreter (§ 100 Abs. 3) ................................... 12 I.

V. Regelungen der Satzung (§ 100 Abs. 4) ................................... 13 VI. Finanzexperte/Vertrautheit mit dem Sektor (§ 100 Abs. 5) ....... 15 VII. Rechtsfolgen bei Verstößen ......... 19

Zweck der Norm

1 Durch die in § 100 geregelten persönlichen Voraussetzungen für Aufsichtsratsmitglieder soll eine effektive Überwachungstätigkeit gewährleistet werden.1) Zudem soll der übermäßigen Konzentration von Aufsichtsratsmandaten entgegengewirkt werden. Da die Norm nicht abschließend ist, sind auch Anforderungen an die persönlichen Voraussetzungen oder Hinderungsgründe zu beachten, die sich aus anderen Vorschriften ergeben.2) II.

Persönliche Voraussetzungen (§ 100 Abs. 1)

2 Da das Amt des Aufsichtsratsmitglieds persönliches Tätigwerden voraussetzt (siehe auch § 111 Abs. 6; siehe unten § 111 Rz. 27), schließt § 100 Abs. 1 aus, dass eine juristische Person Aufsichtsratsmitglied werden kann.3) Aufsichtsratsmitglied kann nur eine natürliche Person sein, die unbeschränkt geschäftsfähig ist und nicht als Betreuer einem Einwilligungsvorbehalt (der in Abs. 1 Satz 2 beschriebenen Art) unterliegt.4) Darüber hinaus enthält § 100 Abs. 1 aber keine weiteren persönlichen Bestellungsvoraussetzungen, wie etwa besondere Sachkunde.5) Nach dem AktG ist es nicht erforderlich, dass das Aufsichtsratsmitglied Aktionär ist, es muss nicht Deutscher sein oder seinen Wohnsitz in Deutschland haben.6) _____________ 1) 2) 3) 4) 5) 6)

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Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 100 Rz. 10; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 100 Rz. 1. Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 100 Rz. 66 ff.; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 100 Rz. 35. Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 100 Rz. 16 f.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 100 Rz. 2, stellt auf die persönliche Verantwortlichkeit ab. Näher dazu Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 100 Rz. 18; Hölters-Simons, AktG, § 100 Rz. 7. Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 100 Rz. 20; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd 4, § 30 Rz. 4; Wirth, ZGR 2005, 327, 336 ff. Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 30 Rz. 3; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 100 Rz. 19; Wasse, AG 2011, 685 ff.: zu den praktischen Problemen bei ausländischen Aufsichtsratsmitgliedern.

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Persönliche Voraussetzungen für Aufsichtsratsmitglieder

§ 100

Die Unabhängigkeit ist ebenfalls nicht als Bestellungsvoraussetzung gesetzlich vorgeschrie- 3 ben.7) Die in § 100 Abs. 5 a. F. enthaltene Sonderregelung für kapitalmarktorientierte Gesellschaften, die die Unabhängigkeit des Finanzexperten vorsah, ist durch das Abschlussprüfungsreformgesetz (AReG) gestrichen worden8) (siehe dazu unten Rz. 15 f.). Für Aufsichtsratsmitglieder von beaufsichtigten Versicherungsunternehmen und Kreditinstituten enthalten § 7a Abs. 4 Satz 1 VAG bzw. §§ 25d Abs. 1, 36 Abs. 3 Satz 1 KWG zusätzliche persönliche Anforderungen.9) Das Gesetz enthält kein generelles Verbot der Wahl eines Organmitglieds eines Konkurrenten in den Aufsichtsrat.10) Der Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK) empfiehlt jedoch, dass dem Aufsichtsrat „eine nach seiner Einschätzung angemessene Anzahl unabhängiger Mitglieder angehören“ soll (Ziff. 5.4.2 Satz 1) und Aufsichtsratsmitglieder keine Organfunktion oder Beratungsaufgaben bei wesentlichen Wettbewerbern des Unternehmens wahrnehmen sollen (Ziff. 5.4.2 Satz 4).11) Nach Ziff. 5.4.1 Abs. 4 DCGK i. d. F. vom 7.2.2017 soll über die nach Einschätzung des Aufsichtsrats angemessene Zahl unabhängiger Mitglieder der Anteilseigner und die Namen dieser Mitglieder im Corporate Governance Bericht informiert werden. Der BGH hat mangels gesetzlicher Vorgaben Leitlinien zur individuellen Qualifikation 4 von Aufsichtsratsmitgliedern entwickelt; jedes Aufsichtsratsmitglied muss „diejenigen Mindestkenntnisse und -fähigkeiten besitzen oder sich aneignen, die es braucht, um alle normalerweise anfallenden Geschäftsvorgänge auch ohne fremde Hilfe verstehen und sachgerecht beurteilen zu können“.12) Hierbei handelt es sich primär um einen generellen Maßstab für die bei der Amtsausübung anzuwendende Sorgfalt und nicht um das Rechtsgebot einer besonderen Sachkunde als Bestellungsvoraussetzung.13) Nach dem DCGK (Ziff. 5.4.1 Abs. 1) ist der Aufsichtsrat so zusammenzusetzen, dass seine Mitglieder insgesamt über die erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und fachlichen Erfahrungen verfügen.14) Die in der Öffentlichkeit vermehrt geäußerten Forderungen nach einer verbindlichen Ge- 5 schlechterquote im Aufsichtsrat15) sind im Aktienrecht durch das Gesetz zur Geschlechter-

_____________ 7) OLG Köln, Urt. v. 31.1.2013 – 18 U 21/12, ZIP 2013, 516, 517, dazu EWiR 2013, 163 (v. Falkenhausen); Habersack in: MünchKomm-AktG, § 100 Rz. 14 und 78; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 100 Rz. 3; Hoffmann-Becking, NZG 2014, 801, 805 f.; Koch, ZGR 2014, 697 ff.; s. aber auch LG Hannover, Urt. v. 17.3.2010 – 23 O 124/09 (Koerfer), ZIP 2010, 833, 837, dazu EWiR 2010, 345 (Reger/Theusinger), zur Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern i. S. des DCGK; ablehnend Hüffer, ZIP 2010, 1979, 1980 ff. 8) S. dazu Fromholzer/Hauser, DB 2016, 401 f.; Nodoushani, AG 2016, 381, 383 f. 9) S. dazu: Brandi/Gieseler, NZG 2012, 1321, 1325 ff.; Dreher in: FS Hoffmann-Becking, S. 313, 325 ff.; Merkelbach, Der Konzern 2013, 227, 228 ff.; Opitz, BKR 2013, 177, 181 ff. 10) Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd 4, § 30 Rz. 6; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 100 Rz. 73 ff.; Hüffer, ZIP 2010, 1979, 1983; Wirth, ZGR 2005, 327, 343 ff., 346; s. aber auch Lutter/ Kirschbaum, ZIP 2005, 103, 104 ff.; K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 100 Rz. 27 f. 11) S. dazu Kremer/v. Werder, AG 2013, 340 ff.; Ringleb/Kremer/Lutter/v. Werder, NZG 2012, 1081, 1087; Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 144; Florstedt, ZIP 2013, 337, 338 ff.; Hasselbach/Jakobs, BB 2013, 643 ff.; Hoffmann-Becking, NZG 2014, 801, 805 f.; Roth, ZHR 175 (2011) 605, 635 f.; Staake, NZG 2016, 853, 855 (zur Unabhängigkeit der Arbeitnehmervertreter); Spindler, ZIP 2005, 2033 ff. (zur EU-Empfehlung v. 15.2.2005 (2005/162/EG) und deren Umsetzung im DCGK). 12) BGH, Urt. v. 15.11.1982 – II ZR 27/82 (Hertie), BGHZ 85, 293, 295 f. = ZIP 1983, 55, 56; s. a. LG Hannover, Urt. v. 17.3.2010 – 23 O 124/09 (Koerfer) ZIP 2010, 833; s. dazu und zum Verhältnis von Einzel- und Gesamtqualifikation Dreher in: FS Hoffmann-Becking, S. 313, 315 ff. 13) Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 30 Rz. 4; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 100 Rz. 20 ff. 14) Insoweit handelt es sich gemäß dem Verständnis der Kodexkommission um die Darstellung der gesetzlichen Anforderungen, Ringleb/Kremer/Lutter/v. Werder, NZG 2010, 1161, 1165. 15) S. dazu Bachmann, ZIP 2011, 1131 ff.; Hirte, Der Konzern 2013, 367 ff.; Raiser/Veil, KapG, § 15 Rz. 17.

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§ 100

Persönliche Voraussetzungen für Aufsichtsratsmitglieder

quote16) (siehe hierzu § 96 Rz. 11 ff. und § 111 Rz. 24 ff.) im April 2015 aufgegriffen worden.17) Der DCGK enthielt bereits seit 2010 eine Empfehlung zur angemessenen Beteiligung von Frauen,18) die durch das Gesetz zur Frauenquote entbehrlich und daher 2015 gestrichen wurde. III.

Gesetzliche Hinderungsgründe (§ 100 Abs. 2)

6 Neben den gesetzlichen Hinderungsgründen in § 105 Abs. 1 (siehe dazu § 105 Rz. 3 f.) sind die in § 100 Abs. 2 geregelten gesetzlichen Hinderungsgründe zu beachten. Nach § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ist nicht wählbar, wer bereits zehn Aufsichtsratsmandate in Handelsgesellschaften innehat, die gesetzlich einen Aufsichtsrat zu bilden haben (Höchstzahl von Aufsichtsratsmandaten). Von der wörtlich zu verstehenden Regelung werden Mandate in Genossenschaften, Kommanditgesellschaften und GmbH, die nicht unter die Mitbestimmungsgesetze fallen, sowie in ausländischen Gesellschaften nicht erfasst.19) 7 Nach dem Konzernprivileg gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 werden bis zu fünf Aufsichtsratssitze nicht angerechnet, die ein gesetzlicher Vertreter (Vorstandsmitglieder und Geschäftsführer) der herrschenden Gesellschaft eines Konzerns in einem Konzernunternehmen wahrnimmt.20) 8 Nach § 100 Abs. 2 Satz 3 sind auf die nach § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 zulässige Mandatshöchstzahl Vorsitzmandate doppelt anzurechnen (Doppelzählung von Aufsichtsratsvorsitzmandaten). Für die in einem Konzernunternehmen wahrgenommenen Mandate verbleibt es bei § 100 Abs. 2 Satz 2.21) Die Doppelzählung gilt nicht für Mandate als stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender.22) 9 Die gesetzlichen Vertreter eines von der Gesellschaft abhängigen Unternehmens sind nach § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ausgeschlossen, da ansonsten die Kontrollierten zu Kontrolleuren gemacht würden bzw. hierin ein Verstoß gegen das „natürliche Organisationsgefälle“ läge.23) Die gesetzlichen Vertreter einer anderen Kapitalgesellschaft, deren Aufsichtsrat ein Vorstandsmitglied der Gesellschaft angehört, sind nach § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ebenfalls ausgeschlossen (Verbot der Überkreuzverflechtung).24)

_____________ 16) Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im Öffentlichen Dienst v. 24.4.2015, BGBl. I 2015, 642, s. hierzu auch den vom BMFSFJ am 10.8.2015 veröffentlichten Praxisleitfaden zum Gesetz, abrufbar unter www.bmfsfj.de/ zielsicher (Abrufdatum: 29.5.2018). 17) Auf europäischer Ebene hat die EU-Kommission einen entsprechenden Richtlinienvorschlag vorgelegt; Richtlinienvorschlag der EU-Kommission zur Gewährleistung einer ausgewogenen Vertretung von Frauen und Männern unter den nicht geschäftsführenden Direktoren/Aufsichtsratsmitgliedern börsennotierter Gesellschaften und über damit zusammenhängenden Maßnahmen (KOM (2012) 614); s. dazu Teichmann/Rüb, BB 2015, 898. 18) Die vom Aufsichtsrat für seine Zusammensetzung zu benennenden konkreten Ziele „sollen insbesondere eine angemessene Beteiligung von Frauen vorsehen“ (Ziff. 5.4.1 Abs. 2 Satz 2 i. d. F. v. 26.5.2010); s. dazu Bachmann, ZIP 2011, 1131, 1132 f.; Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder-Kremer, DCGK, Rz. 1341 ff. 19) H. M., s. Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 30 Rz. 14; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 100 Rz. 10; für Einbeziehung von ausländischen Aufsichtsratsmandaten in ausländischen Gesellschaften: Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 100 Rz. 39; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 100 Rz. 19; ausführlich zum Meinungsstreit: Jaspers, AG 2011, 154, 155 f.; Mader, ZGR 2014, 430, 432 ff. 20) Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 30 Rz. 15; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 100 Rz. 40 ff. 21) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 100 Rz. 45; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 100 Rz. 12. 22) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 100 Rz. 46; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 100 Rz. 12. 23) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 100 Rz. 51; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 100 Rz. 27. 24) Ausführlich hierzu: Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 100 Rz. 58 ff.; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 30 Rz. 21 f.

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Persönliche Voraussetzungen für Aufsichtsratsmitglieder

§ 100

Nach der im Jahr 2009 eingeführten Regelung des § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 kann nicht 10 Aufsichtsratsmitglied sein, wer in den letzten zwei Jahren Vorstandsmitglied derselben börsennotierten Gesellschaft war, es sei denn, die Wahl erfolgt auf Vorschlag von Aktionären mit mindestens 25 % der Stimmrechte. Durch diese Karenzzeit soll verhindert werden, dass ein ehemaliges Vorstandsmitglied die Bereinigung strategischer Fehler oder die Beseitigung von Unregelmäßigkeiten aus der eigenen Vorstandszeit unterbindet.25) Die Regelung ist auf börsennotierte Gesellschaften beschränkt, da nur hier ein systematisches Kontrolldefizit durch die Eigentümergesamtheit angenommen wird.26) Die Karenzzeit gilt nicht, wenn das Aufsichtsratsmitglied aufgrund eines Aktionärsvor- 11 schlags gewählt wird, der dem 25 %-Quorum genügt.27) Für die Anwendbarkeit der in § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 vorgesehenen Ausnahme bei Vorliegen des Quorums kommt es aber nicht auf eine besondere Eigentümerstruktur an, insbesondere gilt sie auch für Gesellschaften in Streubesitz.28) Der Vorschlag muss nicht Wahlvorschlag i. S. des § 127 sein.29) Ausreichend ist es auch, wenn er an den Aufsichtsrat gerichtet wird („als Vorschlag gemäß § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4“) und der Aufsichtsrat sich dem anschließt;30) dies sollte in die Einberufung der Hauptversammlung aufgenommen werden.31) IV.

Persönliche Voraussetzungen für Arbeitnehmervertreter (§ 100 Abs. 3)

Für die Arbeitnehmervertreter und die weiteren Mitglieder des Aufsichtsrats gelten nach 12 § 100 Abs. 3 die dort genannten („anderen“) persönlichen Wählbarkeitsvoraussetzungen. Einerseits wird hierdurch klargestellt, dass diese Wählbarkeitsvoraussetzungen auch aktienrechtlich verbindlich sind.32) Anderseits wird klargestellt, dass die Hinderungsgründe des § 100 Abs. 2 auch für diesen Personenkreis gelten.33) Als besondere Wählbarkeitsvoraussetzungen sind insbesondere die Vorgaben des MitbestG zur Unternehmensangehörigkeit sowie zur Zahl der unternehmens- und gewerkschaftsangehörigen Arbeitnehmervertreter und zum Vertreter der leitenden Angestellten zu nennen, die sich entsprechend auch im MontanmitbestG (§§ 4 Abs. 2, 6) und MitbestErgG (§§ 6 ff.) finden (das DrittelbG enthält Vorgaben nur zur Unternehmensangehörigkeit).34) Für Arbeitnehmervertreter, die im Zuge einer grenzüberschreitenden Verschmelzung nach dem MgVG ein Mandat übernehmen sollen, sind §§ 25 Abs. 3 Satz 2, 8 MgVG zu beachten.35) Die Mitgliedschaft im Betriebsrat ist kein Hinderungsgrund für die Wahl zum Aufsichtsrat.36)

_____________ 25) 26) 27) 28) 29) 30)

31) 32) 33) 34) 35) 36)

Begr. RegE VorstAG, BT-Drucks. 16/13433, S. 11. Begr. RegE VorstAG, BT-Drucks. 16/13433, S. 11. Begr. RegE VorstAG, BT-Drucks. 16/13433, S. 11. Löbbe/Fischbach, AG 2012, 580, 581; Bungert/Wansleben, DB 2012, 2617, 2618. S. a. Löbbe/Fischbach, AG 2010, 580, 581 f.; Bungert/Wansleben, DB 2012, 2617, 2618. Krieger in: FS Hüffer, S. 521, 525 und 530 ff.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 100 Rz. 18; eingehend zu den Praxisfragen bei der Umsetzung: Löbbe/Fischbach, AG 2012, 580, 581 ff.; zu den möglichen Vorgehensweisen: Bungert/Wansleben, DB 2012, 2617, 2618 ff. Bungert/Wansleben, DB 2012, 2617, 2620; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 100 Rz. 18. Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 100 Rz. 96; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 100 Rz. 19. Habersack in: MünchKomm-AktG, § 100 Rz. 49; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 100 Rz. 19. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 100 Rz. 19; Raiser/Veil, KapG, § 15 Rz. 35. Habersack in: MünchKomm-AktG, § 100 Rz. 50; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 100 Rz. 19. Habersack in: MünchKomm-AktG, § 100 Rz. 50; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 1 Rz. 20 (a. E.).

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§ 100 V.

Persönliche Voraussetzungen für Aufsichtsratsmitglieder Regelungen der Satzung (§ 100 Abs. 4)

13 Für Arbeitnehmervertreter kann die Satzung nach § 100 Abs. 4 persönliche Voraussetzungen nicht vorsehen,37) zulässig ist dies jedoch für die Vertreter der Aktionäre. Allerdings dürfen die inhaltlichen Konkretisierungen nicht so weit gehen, dass die freie Auswahl durch die Hauptversammlung beschränkt wird.38) Zulässig als Voraussetzung sind etwa das Festlegen eines Mindest- oder Höchstalters39) oder grundsätzlich einer besonderen beruflichen Qualifikation.40) Die Wahl von Arbeitnehmervertretern zu Aufsichtsratsmitgliedern der Aktionäre ist zulässig.41) Nach dem DCGK (Ziff. 5.4.1 Abs. 2) soll eine Altersgrenze für Aufsichtsratsmitglieder festgelegt werden; hierbei besteht Gestaltungsspielraum, weshalb die Festlegung durch Aufsichtsratsbeschluss, Bestimmung in der Geschäftsordnung für den Aufsichtsrat oder in der Satzung erfolgen kann.42) 14 Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG)43) ist grundsätzlich auch auf Mitglieder des Aufsichtsrats anwendbar, da diese als Mitglieder eines Gesellschaftsorgans vom Wortlaut des § 6 Abs. 3 AGG erfasst werden.44) Um der Gefahr einer (unzulässigen) Altersdiskriminierung vorzubeugen, sollte in der Praxis eine nach dem Kodex gemäß Ziff. 5.4.1 Abs. 2 festzulegende Altersgrenze für Aufsichtsratsmitglieder nicht die Regelaltersgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung unterschreiten.45) VI.

Finanzexperte/Vertrautheit mit dem Sektor (§ 100 Abs. 5)

15 Durch das Abschlussprüfungsreformgesetz (AReG)46) ist in § 100 Abs. 5 das Erfordernis der Unabhängigkeit des Finanzexperten gestrichen und der Anwendungsbereich erweitert worden. Nicht nur für Gesellschaften i. S. des § 264d HGB (kapitalmarktorientierte Kapitalgesellschaften), sondern auch für bestimmte (in Abs. 5 genannte) Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen, die „Unternehmen von öffentlichem Interesse“ sind,47) gelten besondere persönliche Voraussetzungen für die Mitglieder des Aufsichtsrats und des Prüfungsausschusses (siehe dazu § 107 Rz. 15). Es muss mindestens ein Aufsichtsratsmitglied _____________ 37) BGH, Urt. v. 21.2.1963 – II ZR 76/62, BGHZ 39, 116, 122 f. 38) Ausführlich dazu: Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 100 Rz. 103 ff.; Habersack in: MünchKommAktG, § 100 Rz. 41 ff. 39) Raiser/Veil, KapG, § 15 Rz. 36; Lutter, BB 2007, 725, 730 f. – zur Berücksichtigung des Altersdiskriminierungsverbots des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG). 40) Ausführlich dazu: Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 100 Rz. 103 ff.; Habersack in: MünchKommAktG, § 100 Rz. 41 ff. 41) BGH, Urt. v. 3.7.1975 – II ZR 35/79, AG 1975, 242, 244; s. dazu Raiser/Veil, KapG, § 15 Rz. 36. 42) Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder-Kremer, DCGK, Rz. 1323 f. 43) Gesetz zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung v. 14.8.2006, Art. 1 AGG, BGBl. I, 2006, 1897 (am 18.8.2006 in Kraft getreten). 44) Lutter, BB 2007, 725, 730. 45) Der BGH hat i. R. einer Entscheidung zum Diskriminierungsschutz nach dem AGG für einen GmbH-Geschäftsführer ausdrücklich offengelassen, ob eine Altersgrenze für Organmitglieder auch unterhalb von 65 Jahren bestimmt werden darf, BGH, Urt. v. 23.4.2012 – II ZR 163/10, Rz. 57, BGHZ 193, 110, 125 = ZIP 2012, 1291, dazu EWiR 2012, 437 (Bross); s. hierzu auch Bauer/Arnold, NZG 2012, 921, 925; Lutter, BB 2007, 725, 730, geht ausdrücklich davon aus, dass eine entsprechend Ziff. 5.4.1 festgelegte Altersgrenze gegen das AGG verstoßen kann; Kremer/Bachmann/Lutter/ v. Werder-Kremer, DCGK, Rz. 1325, empfehlen, dass die Altersgrenze für Aufsichtsratsmitglieder (deutlich) höher als die für Vorstandsmitglieder sein und nicht unterhalb des Renteneintrittsalters angesetzt sein sollte; ablehnend: Hohenstatt/Naber, ZIP 2012, 1989, 1999. 46) Gesetz zur Umsetzung der prüfungsbezogenen Regelungen der Richtlinie 2014/56/EU sowie zur Ausführung der entsprechenden Vorgaben der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 im Hinblick auf die Abschlussprüfung bei Unternehmen von öffentlichem Interesse (Abschlussprüfungsreformgesetz – AReG) v. 10.5.2016, BGBl. I 2016, 1142. 47) Begr. RegE, BT-Drucks. 18/7219, S. 56; ausführlich dazu Nodoushani, AG 2016, 381, 382 f.

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Persönliche Voraussetzungen für Aufsichtsratsmitglieder

§ 100

über Sachverstand (alternativ) auf den Gebieten Rechnungslegung oder Abschlussprüfung verfügen.48) Zudem wurde in § 100 Abs. 5 das Erfordernis neu eingefügt, dass die Aufsichtsratsmit- 16 glieder in ihrer Gesamtheit mit dem Sektor vertraut sein müssen, in dem die Gesellschaft tätig ist. Da für die Vertrautheit mit dem Sektor auf die Mitglieder „in ihrer Gesamtheit“ abgestellt wird, ist es nicht erforderlich, dass jedes einzelne Mitglied über sektorspezifische Kenntnisse verfügt.49) Unter „Sektor“ ist das Geschäftsfeld zu verstehen,50) und zwar i. S. einer Zuordnung des geschäftlichen Tätigkeitsfelds der Gesellschaft zu einer bestimmten Branche (etwa Automobilbranche, Großhandel).51) Obwohl das EURecht und das AktG die Unabhängigkeit nicht mehr verlangen, hat die Regierungskommission DCGK an der Empfehlung zur Unabhängigkeit festgehalten.52) Nach Ziff. 5.3.2 Abs. 3 Satz 2 DCGK soll der Vorsitzende des Prüfungsausschusses unabhängig sein. Der für den Finanzexperten erforderliche Sachverstand setzt voraus, dass das Aufsichts- 17 ratsmitglied beruflich mit Rechnungslegung oder Abschlussprüfung befasst ist oder war.53) Die Rechtsprechung folgt dem54) und verlangt als Voraussetzung für den erforderlichen Sachverstand, dass das betreffende Vorstandsmitglied fachlich in der Lage sein muss, die vom Vorstand gegebenen Informationen kritisch zu hinterfragen;55) es ist aber nicht erforderlich, dass der Finanzexperte seine Kenntnisse in Rechnungslegung oder Abschlussprüfung durch eine schwerpunktmäßige Tätigkeit in einem dieser Bereiche erlangt haben muss.56) Nach der Übergangsvorschrift in § 12 Abs. 5 EGAktG müssen § 100 Abs. 5 (und § 107 18 Abs. 7) i. d. F. des AReG so lange nicht angewandt werden, wie alle Mitglieder des Aufsichtsrats und des Prüfungsausschusses vor dem 17.6.2016 bestellt worden sind. VII. Rechtsfolgen bei Verstößen Gemäß § 250 Abs. 1 Nr. 4 führen Verstöße gegen § 100 Abs. 1 oder 2, die nicht vor 19 Beginn der Amtszeit beseitigt werden, zur Nichtigkeit des Wahlbeschlusses der Hauptversammlung.57) Tritt nach Beginn der Amtszeit ein Hinderungsgrund nach § 100 Abs. 1 oder § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 oder 3 ein, so erlischt die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat kraft Gesetzes. Das Fehlen von Satzungsanforderungen nach § 100 Abs. 4 führt zur Anfechtbarkeit der Wahl nach § 251 Abs. 1.58) Soweit die Vorgaben des § 100 Abs. 5 (a. F.) zum (unabhängigen) Finanzexperten nicht 20 beachtet wurden, führte dies nach der Rechtsprechung zur Anfechtbarkeit des Wahlbe_____________ 48) 49) 50) 51) 52) 53) 54) 55) 56) 57) 58)

Ausführlich dazu Staake, ZIP 2010, 1013, 1014 ff.; Habersack, AG 2008, 98, 104 ff. Begr. RegE, BT-Drucks. 18/7219, S. 56; ausführlich dazu Nodoushani, AG 2016, 381, 385. Begr. RegE, BT-Drucks. 18/7219, S. 65: Beide Begriffe werden synonym verwendet. Behme/Zickgraf, AG 2016, R 132, 133; Nodoushani, AG 2016, 381, 386. S. dazu Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder-Kremer, DCGK, Rz. 1299. Begr. BilMoG, BT-Drucks. 16/10067, S. 102; s. dazu Habersack, AG 2008, 98, 104 ff. OLG München, Beschl. v. 28.4.2010 – 23 U 5517/09, ZIP 2010, 1082, 1083, dazu EWiR 2010, 591 (Mense). Kritisch zu dieser, die präventive Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats vernachlässigenden Sicht: Scheffler, AG 2010, R 368. OLG München, Hinw.-Beschl. v. 28.4.2010 – 23 U 5517/09, ZIP 2010, 1082, 1083 f.; LG München I, Urt. v. 5.11.2009 – 5 HKO 15312/09, ZIP 2010, 627. Habersack in: MünchKomm-AktG, § 100 Rz. 42; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 100 Rz. 27; HoffmannBecking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 30 Rz. 30. Habersack in: MünchKomm-AktG, § 100 Rz. 43; Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 100 Rz. 53.

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§ 101

Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder

schlusses.59) In der Literatur wird dies teilweise abgelehnt und zutreffend damit begründet, dass § 100 Abs. 5 eine Anforderung für die Zusammensetzung des Organs enthält und keine persönliche Voraussetzung für Aufsichtsratsmitglieder, die daher auch nicht auf den einzelnen Wahlbeschluss durchschlägt.60) _____________ 59) LG München I, Urt. v. 26.2.2010 – 5 HKO 14083/09, ZIP 2010, 2098, 2101; a. A. K. Schmidt/LutterDrygala, AktG, § 100 Rz. 62; ausführlich zu den Umsetzungsfragen und dem Anfechtungsrisiko: v. Falkenhausen/Kocher, ZIP 2009, 1601 ff.; zum Streitstand Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 30 Rz. 30. 60) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 100 Rz. 28; Gruber, NZG 2008, 12, 14; a. A. Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 100 Rz. 73 (Anfechtbarkeit) m. w. N.; s. a. Staake, ZIP 2010, 1013, 1018.

§ 101 Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder (1) 1Die Mitglieder des Aufsichtsrats werden von der Hauptversammlung gewählt, soweit sie nicht in den Aufsichtsrat zu entsenden oder als Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer nach dem Mitbestimmungsgesetz, dem Mitbestimmungsergänzungsgesetz, dem Drittelbeteiligungsgesetz oder dem Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung zu wählen sind. 2An Wahlvorschläge ist die Hauptversammlung nur gemäß §§ 6 und 8 des Montan-Mitbestimmungsgesetzes gebunden. (2) 1Ein Recht, Mitglieder in den Aufsichtsrat zu entsenden, kann nur durch die Satzung und nur für bestimmte Aktionäre oder für die jeweiligen Inhaber bestimmter Aktien begründet werden. 2Inhabern bestimmter Aktien kann das Entsendungsrecht nur eingeräumt werden, wenn die Aktien auf Namen lauten und ihre Übertragung an die Zustimmung der Gesellschaft gebunden ist. 3Die Aktien der Entsendungsberechtigten gelten nicht als eine besondere Gattung. 4Die Entsendungsrechte können insgesamt höchstens für ein Drittel der sich aus dem Gesetz oder der Satzung ergebenden Zahl der Aufsichtsratsmitglieder der Aktionäre eingeräumt werden. (3) 1Stellvertreter von Aufsichtsratsmitgliedern können nicht bestellt werden. 2Jedoch kann für jedes Aufsichtsratsmitglied mit Ausnahme des weiteren Mitglieds, das nach dem Montan-Mitbestimmungsgesetz oder dem Mitbestimmungsergänzungsgesetz auf Vorschlag der übrigen Aufsichtsratsmitglieder gewählt wird, ein Ersatzmitglied bestellt werden, das Mitglied des Aufsichtsrats wird, wenn das Aufsichtsratsmitglied vor Ablauf seiner Amtszeit wegfällt. 3Das Ersatzmitglied kann nur gleichzeitig mit dem Aufsichtsratsmitglied bestellt werden. 4Auf seine Bestellung sowie die Nichtigkeit und Anfechtung seiner Bestellung sind die für das Aufsichtsratsmitglied geltenden Vorschriften anzuwenden. Literatur: Arnold/Gayk, Auswirkungen der fehlerhaften Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern – Handlungsempfehlungen für die Unternehmenspraxis, DB 2013, 1830; Austmann/Rühle, Wahlverfahren bei mehreren für einen Aufsichtsratsvorsitz vorgeschlagenen Kandidaten, AG 2011, 805; Buckel/Vogel, Die angegriffene Wahl des Aufsichtsrats – Gutglaubensschutz statt Rechtsfigur des fehlerhaften Organs, ZIP 2014, 58; Dietz, Zulässigkeit einer Blockabstimmung der Hauptversammlung der AG, BB 2004, 452; Fuhrmann, Die Blockabstimmung in der Hauptversammlung, ZIP 2004, 2081; Lieder, Die Rechtsstellung von Aufsichtsratsmitgliedern bei fehlerhafter Wahl, ZHR 178 (2014) 282; Linnerz, Unzulässige Blockwahl des Aufsichtsrats bei Antrag auf Einzelwahl eines in der Hauptversammlung anwesenden Aktionärs, BB 2004, 963; Mutter, Plädoyer für die Listenwahl von Aufsichtsräten, AG 2004, 305; Ramm, Gegenantrag

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§ 101

Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder

schlusses.59) In der Literatur wird dies teilweise abgelehnt und zutreffend damit begründet, dass § 100 Abs. 5 eine Anforderung für die Zusammensetzung des Organs enthält und keine persönliche Voraussetzung für Aufsichtsratsmitglieder, die daher auch nicht auf den einzelnen Wahlbeschluss durchschlägt.60) _____________ 59) LG München I, Urt. v. 26.2.2010 – 5 HKO 14083/09, ZIP 2010, 2098, 2101; a. A. K. Schmidt/LutterDrygala, AktG, § 100 Rz. 62; ausführlich zu den Umsetzungsfragen und dem Anfechtungsrisiko: v. Falkenhausen/Kocher, ZIP 2009, 1601 ff.; zum Streitstand Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 30 Rz. 30. 60) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 100 Rz. 28; Gruber, NZG 2008, 12, 14; a. A. Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 100 Rz. 73 (Anfechtbarkeit) m. w. N.; s. a. Staake, ZIP 2010, 1013, 1018.

§ 101 Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder (1) 1Die Mitglieder des Aufsichtsrats werden von der Hauptversammlung gewählt, soweit sie nicht in den Aufsichtsrat zu entsenden oder als Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer nach dem Mitbestimmungsgesetz, dem Mitbestimmungsergänzungsgesetz, dem Drittelbeteiligungsgesetz oder dem Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung zu wählen sind. 2An Wahlvorschläge ist die Hauptversammlung nur gemäß §§ 6 und 8 des Montan-Mitbestimmungsgesetzes gebunden. (2) 1Ein Recht, Mitglieder in den Aufsichtsrat zu entsenden, kann nur durch die Satzung und nur für bestimmte Aktionäre oder für die jeweiligen Inhaber bestimmter Aktien begründet werden. 2Inhabern bestimmter Aktien kann das Entsendungsrecht nur eingeräumt werden, wenn die Aktien auf Namen lauten und ihre Übertragung an die Zustimmung der Gesellschaft gebunden ist. 3Die Aktien der Entsendungsberechtigten gelten nicht als eine besondere Gattung. 4Die Entsendungsrechte können insgesamt höchstens für ein Drittel der sich aus dem Gesetz oder der Satzung ergebenden Zahl der Aufsichtsratsmitglieder der Aktionäre eingeräumt werden. (3) 1Stellvertreter von Aufsichtsratsmitgliedern können nicht bestellt werden. 2Jedoch kann für jedes Aufsichtsratsmitglied mit Ausnahme des weiteren Mitglieds, das nach dem Montan-Mitbestimmungsgesetz oder dem Mitbestimmungsergänzungsgesetz auf Vorschlag der übrigen Aufsichtsratsmitglieder gewählt wird, ein Ersatzmitglied bestellt werden, das Mitglied des Aufsichtsrats wird, wenn das Aufsichtsratsmitglied vor Ablauf seiner Amtszeit wegfällt. 3Das Ersatzmitglied kann nur gleichzeitig mit dem Aufsichtsratsmitglied bestellt werden. 4Auf seine Bestellung sowie die Nichtigkeit und Anfechtung seiner Bestellung sind die für das Aufsichtsratsmitglied geltenden Vorschriften anzuwenden. Literatur: Arnold/Gayk, Auswirkungen der fehlerhaften Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern – Handlungsempfehlungen für die Unternehmenspraxis, DB 2013, 1830; Austmann/Rühle, Wahlverfahren bei mehreren für einen Aufsichtsratsvorsitz vorgeschlagenen Kandidaten, AG 2011, 805; Buckel/Vogel, Die angegriffene Wahl des Aufsichtsrats – Gutglaubensschutz statt Rechtsfigur des fehlerhaften Organs, ZIP 2014, 58; Dietz, Zulässigkeit einer Blockabstimmung der Hauptversammlung der AG, BB 2004, 452; Fuhrmann, Die Blockabstimmung in der Hauptversammlung, ZIP 2004, 2081; Lieder, Die Rechtsstellung von Aufsichtsratsmitgliedern bei fehlerhafter Wahl, ZHR 178 (2014) 282; Linnerz, Unzulässige Blockwahl des Aufsichtsrats bei Antrag auf Einzelwahl eines in der Hauptversammlung anwesenden Aktionärs, BB 2004, 963; Mutter, Plädoyer für die Listenwahl von Aufsichtsräten, AG 2004, 305; Ramm, Gegenantrag

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§ 101

Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder

und Vorschlagsliste – Zur Gestaltung des aktienrechtlichen Verfahrens für die Wahlen zum Aufsichtsrat, NJW 1991, 2753; Segna, Blockabstimmung und Bestellungshindernisse bei der Aufsichtsratswahl, DB 2004, 1135; Verse, Aktienrechtliche Entsendungsrechte am Maßstab des Gleichbehandlungsgrundsatzes und der Kapitalverkehrsfreiheit, ZIP 2008, 1754.

Übersicht I. Grundlagen ........................................ 1 II. Wahl durch die Hauptversammlung (§ 101 Abs. 1) ............................ 3 1. Tagesordnung der Hauptversammlung ............................................ 4 I.

2. Abstimmung in der Hauptversammlung ............................................ 5 III. Entsendung (§ 101 Abs. 2) ............... 8 IV. Ersatzmitglieder (§ 101 Abs. 3) ..... 10 V. Fehlerhafte Bestellung ................... 11

Grundlagen

Die Norm regelt die Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern, und bezweckt die Verzah- 1 nung von Aktien- und Mitbestimmungsrecht.1) Die Bestellung erfolgt nach § 101 Abs. 1 Satz 1 grundsätzlich durch die Hauptversammlung, sofern keine Entsendungsrechte nach § 101 Abs. 2 eingreifen oder die Arbeitnehmervertreter nach den mitbestimmungsrechtlichen Vorschriften gewählt werden.2) § 101 Abs. 2 enthält die Regularien für die Entsendung von Aufsichtsratsmitgliedern. Ausgehend vom Verbot der Bestellung von Stellvertretern in § 101 Abs. 3 Satz 1 erlaubt § 101 Abs. 3 Satz 2 die Bestellung von Ersatzmitgliedern, die nachrücken, wenn ein Aufsichtsratsmitglied vorzeitig ausscheidet.3) Der Begriff der Bestellung wird als Oberbegriff sowohl für die Wahl, sei es durch die Hauptversammlung oder nach dem Mitbestimmungsrecht (siehe etwa § 9 MitbestG – Wahl durch Delegierte oder unmittelbar durch die Arbeitnehmer, § 5 Abs. 1 DrittelbG), als auch für die Entsendung von Aufsichtsratsmitgliedern verwendet.4) Die Wahl der Arbeitnehmervertreter wird außerhalb des AktG in den in § 101 Abs. 1 Satz 1 genannten Gesetzen geregelt,5) was zugleich aktienrechtlich anerkannt wird.6) Zwischen dem einzelnen Aufsichtsratsmitglied und der Gesellschaft besteht ein Verhält- 2 nis korporationsrechtlicher Art, dessen Inhalt sich aus dem Gesetz, der Satzung und den ausfüllenden Hauptversammlungsbeschlüssen ergibt.7) Daneben besteht kein Anstellungsverhältnis (ein Aushandeln der Vertragsbedingungen kommt insbesondere nicht in Betracht); auch die persönlichen Rechte und Pflichten (wie etwa der Vergütungsanspruch) sind dem korporationsrechtlichen Verhältnis zuzuordnen.8)

_____________ 1) 2) 3) 4) 5)

6) 7) 8)

Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 101 Rz. 6; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 101 Rz. 1 f. Habersack in: MünchKomm-AktG, § 101 Rz. 1; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 101 Rz. 3. Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 101 Rz. 8; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 101 Rz. 1. Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 30 Rz. 34; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 101 Rz. 3. S. dazu etwa Ulmer/Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, Teil I MitbestG, Vorbem. § 9 MitbestG und Teil II DrittelbG, und die dort enthaltenen Kommentierungen der Arbeitnehmervertreter-Wahlen; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 28 Rz. 11 ff.; Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 101 Rz. 48; Raiser/Veil, KapG, § 15 Rz. 39 ff. Habersack in: MünchKomm-AktG, § 101 Rz. 2; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 30 Rz. 34. Habersack in: MünchKomm-AktG, § 101 Rz. 67; Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 101 Rz. 8 f.; Hüffer/ Koch-Koch, AktG, § 101 Rz. 2 (ein Doppelnatur-Verhältnis korporations- und schuldrechtlicher Art). LG München I, Urt. v. 27.12.2012 – 5 HK O 9109/12, ZIP 2013, 217, dazu EWiR 2013, 567 (Jänig/ Schiemzik); Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 101 Rz. 2; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 12 Rz. 842; offengelassen in: BGH, Hinw.-Beschl. v. 7.7.2008 – II ZR 71/07, Rz. 3, ZIP 2008, 1821, dazu EWiR 2008, 737 (Paul).

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§ 101 II.

Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder Wahl durch die Hauptversammlung (§ 101 Abs. 1)

3 Das AktG geht – vorbehaltlich der in § 101 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 genannten Ausnahmen – vom Grundsatz der Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder durch die Hauptversammlung aus.9) Die Aufsichtsratsmitglieder der Aktionäre werden von der Hauptversammlung mit einfacher Mehrheit gewählt (§ 101 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 133), sofern die Satzung nicht eine qualifizierte Mehrheit vorsieht oder Erleichterungen nach § 133 Abs. 2 enthält.10) Die Aktionäre sind hierbei nicht an Wahlvorschläge gebunden; Ausnahmen bestehen nur nach den in § 101 Abs. 1 Satz 2 genannten Vorschriften. 1.

Tagesordnung der Hauptversammlung

4 Die Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern ist als Gegenstand der Tagesordnung bekannt zu machen. Hierbei ist nach § 124 Abs. 2 Satz 1 anzugeben, nach welchen gesetzlichen Vorschriften sich der Aufsichtsrat zusammensetzt und ob die Hauptversammlung an Wahlvorschläge gebunden ist. Gelten für die Wahl die Voraussetzungen des § 96 Abs. 2 zur Geschlechterquote muss die Bekanntmachung auch Angaben zu einem etwaigen Widerspruch gegen die Gesamterfüllung (§ 96 Abs. 2 Satz 3) und zum Mindestanteilsgebot (§ 96 Abs. 2 Satz 1) enthalten (§ 124 Abs. 2 Satz 2). Der Aufsichtsrat hat der Hauptversammlung einen – nicht bindenden – Wahlvorschlag zu unterbreiten (§ 124 Abs. 3 Satz 1). Sofern der Aufsichtsrat auch aus Arbeitnehmervertretern zu bestehen hat, sind diese bei der Abstimmung über den Wahlvorschlag nicht stimmberechtigt (§ 124 Abs. 3 Satz 5). Bei börsennotierten Gesellschaften ist die nach § 125 Abs. 1 Satz 5 geltende Pflicht zu Informationen über andere Mandate der Kandidaten zu beachten. 2.

Abstimmung in der Hauptversammlung

5 Der Leiter der Hauptversammlung bestimmt – sofern die Satzung hierzu keine Vorgaben enthält – die Wahlmodalitäten, insbesondere die Abstimmungsreihenfolge. Ein Beschluss der Hauptversammlung, der eine bestimmte Abstimmungsreihenfolge festlegt, bindet den Leiter der Hauptversammlung.11) 6 Wenn mehrere Aufsichtsratsmitglieder zu wählen sind, kann dies im Wege der Einzelwahl, aber auch als Block- oder Listenwahl erfolgen. In Ziff. 5.4.3 Satz 1 DCGK wird Einzelwahl empfohlen. Durch die Satzung kann der Leiter der Hauptversammlung zur Anordnung der Listenwahl ermächtigt werden; diese Satzungsregelung kann nicht durch einen Geschäftsordnungsantrag einzelner Aktionäre außer Kraft gesetzt werden.12) Den gegen die Zulässigkeit der Listenwahl bei Fehlen einer Satzungsregelung grundsätzlich erhobenen Bedenken13) kann nicht gefolgt werden.14) Nach der Rechtsprechung des BGH ist die Listenwahl zulässig, wenn der Versammlungsleiter zuvor darauf hinweist, dass durch (mehrheitliche) Ablehnung der Beschlussvorlage eine Einzelabstimmung herbeigeführt werden kann und kein anwesender Aktionär Einwände gegen diese Verfahrens-

_____________ Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 101 Rz. 13; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 101 Rz. 7. BGH, Urt. v. 13.3.1980 – II ZR 54/78, BGHZ 76, 191, 193. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 101 Rz. 5; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 101 Rz. 5. BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 185/07, ZIP 2009, 460, 465; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 17.7.2007 – 5 U 229/05, ZIP 2007, 1463, 1464; s. a. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 101 Rz. 6; zum Wahlverfahren bei mehreren für einen Aufsichtsratsvorsitz vorgeschlagenen Kandidaten: Austmann/Rühle, AG 2011, 805 ff. 13) Ramm, NJW 1991, 2753, 2754; s. dazu LG München I, Urt. v. 15.4.2004 – 5 HK O 10813/03, ZIP 2004, 853, 854; Fuhrmann, ZIP 2004, 2081, 2082 ff.; Mutter, AG 2004, 305. 14) S. Mutter, AG 2004, 305 f.

9) 10) 11) 12)

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Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder

§ 101

weise erhebt.15) Sofern ein anwesender Aktionär Einwände erhebt, ist streitig, ob der Versammlungsleiter dann sofort zur Einzelabstimmung übergehen muss16) oder ob dies als Verfahrensantrag über die Durchführung der Einzelabstimmung zu werten ist, der zunächst – vor dem Sachantrag – zur Abstimmung zu stellen ist.17) Der zweiten Auffassung ist zu folgen, was schon daraus folgt, dass selbst im ausdrücklich geregelten Fall des § 120 Abs. 1 Satz 2 der bloße Widerspruch eines Aktionärs nicht genügt, um die Einzelentlastung zu erzwingen.18) Noch weitergehend wird es teilweise als zulässig angesehen, dass der Versammlungsleiter unmittelbar über die Liste abstimmen lässt und dabei darauf hinweist, dass der Verfahrensantrag auf Einzelabstimmung bei Annahme des Listenvorschlags inzident abgelehnt ist.19) Dies erscheint in Anbetracht des verbreiteten Verständnisses20) der vorstehend erwähnten Rechtsprechung des BGH unter Aspekten der Risikoabwägung als nicht ratsam. Die Wahl eines Aufsichtsratsmitglieds wird erst dann wirksam, wenn der Gewählte die 7 Wahl annimmt.21) Die Annahme kann konkludent durch Aufnahme der Amtstätigkeit, aber auch schon vorab oder in der Hauptversammlung gegenüber dem Versammlungsleiter erklärt werden.22) Nach der Hauptversammlung kann die Annahme auch gegenüber dem Vorstand erklärt werden.23) Bis zur Annahme ist die Wahl schwebend unwirksam.24) Die Wahl kann auch aufschiebend befristet (zu einem späteren Termin) erfolgen.25) Eine aufschiebend bedingte Wahl ist ebenfalls zulässig, wenn der Eintritt der aufschiebenden Bedingung aus Sicht der Gesellschaft eindeutig feststellbar ist.26) III.

Entsendung (§ 101 Abs. 2)

Das Entsendungsrecht eröffnet bestimmten (auch juristischen) Personen mit großem 8 Interesse an der Gesellschaft eine besondere Einflussmöglichkeit, indem sie Personen ihres Vertrauens in den Aufsichtsrat entsenden können.27) Es bedarf einer satzungsmäßigen Grundlage (in der ursprünglichen Satzung oder durch spätere Satzungsänderung).28) Bei den in § 101 Abs. 2 Satz 1 vorgesehenen beiden Möglichkeiten für die Einräumung eines Entsendungsrechts durch die Satzung handelt es sich in der ersten Alternative um ein höchstpersönliches, nicht übertragbares Recht des namentlich benannten Aktionärs und in der _____________ 15) BGH, Urt. v. 21.7.2003 – II ZR 109/02, ZIP 2003, 1788, 1789; LG München I, Urt. v. 15.4.2004 – 5 HKO 10813/03, ZIP 2004, 853, 854; ausführlich dazu: Fuhrmann, ZIP 2004, 2081 ff. 16) So das Verständnis von Segna, DB 2004, 1135, 1137; Linnerz, BB 2004, 963, 964. 17) S. Dietz, BB 2004, 452, 455 (li. Sp.) und 457; Fuhrmann, ZIP 2004, 2081, 2085. 18) S. Mutter, AG 2004, 305; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 30 Rz. 43. 19) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 101 Rz. 7; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 30 Rz. 43 (a. E.), sieht dies als „im Regelfall“ als zulässig an. 20) So das Verständnis von Segna, DB 2004, 1135, 1137; Linnerz, BB 2004, 963, 964. 21) BGH, Urt. v. 17.4.1967 – II ZR 157/64, AG 1967, 233, 235; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 30 Rz. 46. 22) Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 30 Rz. 22; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 101 Rz. 8. 23) Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 30 Rz. 22; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 101 Rz. 8. 24) Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 30 Rz. 46; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 101 Rz. 61. 25) Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 30 Rz. 67; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 101 Rz. 90. 26) Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 30 Rz. 67; Hölters-Simons, AktG, § 102 Rz. 6 (unzulässig ist wegen § 101 Abs. 3 Satz 3 eine auf das vorzeitige Ausscheiden eines bereits bestellten Aufsichtsratsmitglieds bedingte Wahl). 27) BGH, Urt. v. 29.1.1962 – II ZR 1/61, BGHZ 36, 296, 307; Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 101 Rz. 49; Raiser/Veil, KapG, § 15 Rz. 42. 28) Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 30 Rz. 49; Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 101 Rz. 50.

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§ 101

Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder

zweiten Alternative um ein übertragbares Inhaberentsendungsrecht.29) Ohne die Zustimmung des Berechtigten kann das Sonderrecht in beiden Alternativen nicht entzogen werden (§ 35 BGB). Ein Entsendungsrecht kann auch in einer mitbestimmten Gesellschaft durch satzungsändernden Hauptversammlungsbeschluss eingeführt werden.30) 9 Das Entsendungsrecht wird durch Erklärung des Entsendungsberechtigten gegenüber dem Vorstand ausgeübt, eine besondere Form ist hierfür nicht vorgeschrieben.31) Entsandte Aufsichtsratsmitglieder haben die gleichen Rechte und Pflichten wie gewählte Aufsichtsratsmitglieder, sie unterliegen insbesondere nicht den Weisungen des Entsendungsberechtigten.32) IV.

Ersatzmitglieder (§ 101 Abs. 3)

10 Zwar können gemäß § 101 Abs. 3 Satz 1 keine Stellvertreter von Aufsichtsratsmitgliedern bestellt werden, es kann jedoch nach § 101 Abs. 3 Satz 2 für ein Aufsichtsratsmitglied gleichzeitig ein Ersatzmitglied bestellt werden, und zwar sowohl für Aktionärsvertreter als auch für Arbeitnehmervertreter.33) Hierbei ist anerkannt, dass ein Ersatzmitglied auch für mehrere bestimmte Aufsichtsratsmitglieder bestellt werden kann, so dass es dann in den Aufsichtsrat nachrückt, wenn eines der bestimmten Aufsichtsratsmitglieder ausscheidet.34) Die bestimmten Aufsichtsratsmitglieder müssen derselben Gruppe (etwa gewählte oder entsandte Anteilseignervertreter oder jeweilige Arbeitnehmervertreter) angehören, d. h. nach denselben Vorschriften gewählt werden.35) Das Ersatzmitglied wird nur dann Aufsichtsratsmitglied, wenn das Aufsichtsratsmitglied, für das er bestellt wurde, vor Ablauf der Amtszeit ausscheidet.36) Eine Annahme ist hierfür nicht erforderlich, da das Ersatzmitglied schon durch die Annahme der Wahl antizipiert die Annahme des Amtes erklärt hat.37) Während seiner Amtszeit hat das Ersatzmitglied dieselbe Rechtsstellung wie die anderen Aufsichtsratsmitglieder.38) Bestimmt die Satzung nichts anderes, so richtet sich die Amtszeit des nachgerückten Ersatzmitglieds nach der des zu ersetzenden Aufsichtsratsmitglieds; die Höchstdauer ergibt sich aus § 102 Abs. 2.39) V.

Fehlerhafte Bestellung

11 Die Wahl eines Aufsichtsratsmitglieds durch die Hauptversammlung kann gemäß §§ 241 Nr. 1, 2 und 5, 250 nichtig und nach § 251 anfechtbar sein; für die Arbeitnehmervertreter _____________ 29) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 101 Rz. 110; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 101 Rz. 93. 30) OLG Hamm, Urt. v. 31.3.2008 – 8 U 222/07 (ThyssenKrupp), ZIP 2008, 1530, 1532 f., dazu EWiR 2008, 449 (Ogorek) und Verse, ZIP 2008, 1754, 1755 ff. (auch zur Vereinbarkeit des Entsendungsrecht mit Europarecht und Grundgesetz); bestätigt durch BGH, Beschl. v. 8.6.2009 – II ZR 111/08, ZIP 2009, 1566, dazu EWiR 2010, 103 (Nikoleyczik). 31) Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 30 Rz. 51; Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 101 Rz. 69. 32) BGH, Urt. v. 29.1.1962 – II ZR 1/61, BGHZ 36, 296, 306. 33) Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 30 Rz. 53; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 101 Rz. 13. 34) BGH, Urt. v. 15.2.1986 – II ZR 18/86 (Heidelberger Zement), BGHZ 99, 211, 214 = ZIP 1987, 366, 367; näher dazu: Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 14 Rz. 1053 ff. 35) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 101 Rz. 183; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 30 Rz. 54; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 14 Rz. 1052. 36) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 101 Rz. 193 und 205; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 30 Rz. 56. 37) Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 30 Rz. 56; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 101 Rz. 15. 38) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 101 Rz. 207; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 14 Rz. 1059. 39) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 101 Rz. 197 f.; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 30 Rz. 56.

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§ 102

Amtszeit der Aufsichtsratsmitglieder

gelten die Sonderregeln des Mitbestimmungsrechts.40) Ist die Wahl eines Aufsichtsratsmitglieds nichtig oder wird sie für nichtig erklärt, finden für die Pflichten, die Haftung und die Vergütung die Grundsätze der fehlerhaften Bestellung Anwendung.41) Dies gilt jedoch nach Auffassung des BGH nicht für die Stimmabgabe und Beschlussfassung im Aufsichtsrat; das Aufsichtsratsmitglied, dessen Wahl nichtig ist oder für nichtig erklärt wird, wird insoweit wie ein Nichtmitglied behandelt (siehe dazu auch § 108 Rz. 22).42) Zwar wird diese Auffassung des BGH (teilweise sehr) kritisch gesehen, sie ist aber für die Praxis maßgeblich.43) Danach begründet allein die Mitwirkung des nichtig bestellten Aufsichtsratsmitglieds noch nicht die Nichtigkeit eines Beschlusses. Wenn die Stimme nicht ursächlich für die Beschlussfassung geworden ist (die erforderliche Mehrheit auch so erreicht wurde), bleibt der Beschluss wirksam. Wäre der Beschluss jedoch nicht ohne dessen Stimme zustande gekommen, ist der Beschluss nichtig.44) Soweit Aufsichtsratsbeschlüsse gegenüber außenstehenden Dritten vollzogen wurden, sind Dritte, die die Nichtigkeit nicht kennen oder kennnen müssen, dadurch geschützt, dass sie auf die Handlungsbefugnis desjenigen vertrauen dürfen, der die Aufsichtsratsbeschlüsse vollzieht.45) _____________ 40) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 101 Rz. 68; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 101 Rz. 20; Spindler/StilzSpindler, AktG, § 101 Rz. 110. 41) BGH, Urt. v. 3.7.2006 – II ZR 151/04, Rz. 14, BGHZ 168, 188 = ZIP 2006, 1529; s. dazu Spindler/ Stilz-Spindler, AktG, § 101 Rz. 111. 42) BGH, Urt. v. 19.2.2013 – II ZR 56/12, Rz. 20 f., BGHZ 196, 195 = ZIP 2013, 720, 722, dazu EWiR 2013, 333 (Schatz); ausführlich zum Ganzen: Lieder, ZHR 178 (2014) 282, 285 ff. 43) S. dazu Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 101 Rz. 22 (mit ausführlicher Darstellung des Streitstands in Rz. 20 f.); Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 101 Rz. 114 ff.; Arnold/Gayk, DB 2013, 1830, 1831 ff.; Buckel/ Vogel, ZIP 2014, 58, 59 ff. 44) BGH, Urt. v. 19.2.2013 – II ZR 56/12, Rz. 21, BGHZ 196, 195 = ZIP 2013, 720, 722. 45) BGH, Urt. v. 19.2.2013 – II ZR 56/12, Rz. 22, BGHZ 196, 195 = ZIP 2013, 720, 722.

§ 102 Amtszeit der Aufsichtsratsmitglieder (1) 1Aufsichtsratsmitglieder können nicht für längere Zeit als bis zur Beendigung der Hauptversammlung bestellt werden, die über die Entlastung für das vierte Geschäftsjahr nach dem Beginn der Amtszeit beschließt. 2Das Geschäftsjahr, in dem die Amtszeit beginnt, wird nicht mitgerechnet. (2) Das Amt des Ersatzmitglieds erlischt spätestens mit Ablauf der Amtszeit des weggefallenen Aufsichtsratsmitglieds. Literatur: Blasche, Satzungsregelungen zur Amtszeit der Aufsichtsratsmitglieder, AG 2017, 112.

Übersicht I. Gegenstand und Zweck der Norm .... 1 II. Höchstdauer der Amtszeit (§ 102 Abs. 1) ..................................... 2 I.

III. Amtszeit der Ersatzmitglieder (§ 102 Abs. 2) ..................................... 8

Gegenstand und Zweck der Norm

§ 102 Abs. 1 legt die Höchstdauer der Amtszeit der Aufsichtsratsmitglieder fest. Hierdurch 1 soll eine zu lange Bindung an ein Aufsichtsratsmitglied verhindert werden, ohne die Wieder-

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§ 102

Amtszeit der Aufsichtsratsmitglieder

gelten die Sonderregeln des Mitbestimmungsrechts.40) Ist die Wahl eines Aufsichtsratsmitglieds nichtig oder wird sie für nichtig erklärt, finden für die Pflichten, die Haftung und die Vergütung die Grundsätze der fehlerhaften Bestellung Anwendung.41) Dies gilt jedoch nach Auffassung des BGH nicht für die Stimmabgabe und Beschlussfassung im Aufsichtsrat; das Aufsichtsratsmitglied, dessen Wahl nichtig ist oder für nichtig erklärt wird, wird insoweit wie ein Nichtmitglied behandelt (siehe dazu auch § 108 Rz. 22).42) Zwar wird diese Auffassung des BGH (teilweise sehr) kritisch gesehen, sie ist aber für die Praxis maßgeblich.43) Danach begründet allein die Mitwirkung des nichtig bestellten Aufsichtsratsmitglieds noch nicht die Nichtigkeit eines Beschlusses. Wenn die Stimme nicht ursächlich für die Beschlussfassung geworden ist (die erforderliche Mehrheit auch so erreicht wurde), bleibt der Beschluss wirksam. Wäre der Beschluss jedoch nicht ohne dessen Stimme zustande gekommen, ist der Beschluss nichtig.44) Soweit Aufsichtsratsbeschlüsse gegenüber außenstehenden Dritten vollzogen wurden, sind Dritte, die die Nichtigkeit nicht kennen oder kennnen müssen, dadurch geschützt, dass sie auf die Handlungsbefugnis desjenigen vertrauen dürfen, der die Aufsichtsratsbeschlüsse vollzieht.45) _____________ 40) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 101 Rz. 68; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 101 Rz. 20; Spindler/StilzSpindler, AktG, § 101 Rz. 110. 41) BGH, Urt. v. 3.7.2006 – II ZR 151/04, Rz. 14, BGHZ 168, 188 = ZIP 2006, 1529; s. dazu Spindler/ Stilz-Spindler, AktG, § 101 Rz. 111. 42) BGH, Urt. v. 19.2.2013 – II ZR 56/12, Rz. 20 f., BGHZ 196, 195 = ZIP 2013, 720, 722, dazu EWiR 2013, 333 (Schatz); ausführlich zum Ganzen: Lieder, ZHR 178 (2014) 282, 285 ff. 43) S. dazu Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 101 Rz. 22 (mit ausführlicher Darstellung des Streitstands in Rz. 20 f.); Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 101 Rz. 114 ff.; Arnold/Gayk, DB 2013, 1830, 1831 ff.; Buckel/ Vogel, ZIP 2014, 58, 59 ff. 44) BGH, Urt. v. 19.2.2013 – II ZR 56/12, Rz. 21, BGHZ 196, 195 = ZIP 2013, 720, 722. 45) BGH, Urt. v. 19.2.2013 – II ZR 56/12, Rz. 22, BGHZ 196, 195 = ZIP 2013, 720, 722.

§ 102 Amtszeit der Aufsichtsratsmitglieder (1) 1Aufsichtsratsmitglieder können nicht für längere Zeit als bis zur Beendigung der Hauptversammlung bestellt werden, die über die Entlastung für das vierte Geschäftsjahr nach dem Beginn der Amtszeit beschließt. 2Das Geschäftsjahr, in dem die Amtszeit beginnt, wird nicht mitgerechnet. (2) Das Amt des Ersatzmitglieds erlischt spätestens mit Ablauf der Amtszeit des weggefallenen Aufsichtsratsmitglieds. Literatur: Blasche, Satzungsregelungen zur Amtszeit der Aufsichtsratsmitglieder, AG 2017, 112.

Übersicht I. Gegenstand und Zweck der Norm .... 1 II. Höchstdauer der Amtszeit (§ 102 Abs. 1) ..................................... 2 I.

III. Amtszeit der Ersatzmitglieder (§ 102 Abs. 2) ..................................... 8

Gegenstand und Zweck der Norm

§ 102 Abs. 1 legt die Höchstdauer der Amtszeit der Aufsichtsratsmitglieder fest. Hierdurch 1 soll eine zu lange Bindung an ein Aufsichtsratsmitglied verhindert werden, ohne die Wieder-

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§ 102

Amtszeit der Aufsichtsratsmitglieder

wahl gesetzlich auszuschließen.1) Nach § 102 Abs. 2 hängt die Amtszeit eines Ersatzmitglieds von der des weggefallenen Aufsichtsratsmitglieds ab. § 102 Abs. 1 gilt für den ersten Aufsichtsrat (§ 30) nicht. Dessen Mitglieder können nicht länger als bis zur Beendigung der Hauptversammlung bestellt werden, die über die Entlastung für das erste Voll- oder Rumpfgeschäftsjahr beschließt (§ 30 Abs. 3 Satz 1).2) Bei § 102 handelt es sich insofern um zwingendes Recht (§ 23 Abs. 5), als von der Höchstdauer nicht abgewichen werden kann.3) Für Arbeitnehmervertreter, die bei einer Sachgründung gemäß § 30 Abs. 3 bestellt werden, gilt § 30 Abs. 3 Satz 1 nicht (§ 31 Abs. 5). II.

Höchstdauer der Amtszeit (§ 102 Abs. 1)

2 Durch § 102 Abs. 1 wird die Höchstdauer für die Bestellung zum Aufsichtsratsmitglied für die einzelnen Aufsichtsratsmitglieder festgelegt, nicht für das Organ.4) Geht man bei der Berechnung der Höchstdauer davon aus, dass das Geschäftsjahr, in dem die Amtszeit beginnt, nicht mitgerechnet wird, zählen die folgenden vier Geschäftsjahre und die Zeit bis zur Hauptversammlung, die über die Entlastung für das vierte Geschäftsjahr beschließt, hinzu; damit beträgt die Höchstdauer in der Regel etwa fünf Jahre.5) 3 Maßgeblich für die Berechnung des Beginns der Höchstdauer ist der Zeitpunkt des Beginns der Amtszeit (siehe dazu § 101 Rz. 7), nicht der Bestellung.6) 4 Im gesetzlichen Regelfall erlischt das Amt eines Aufsichtsratsmitglieds mit dem Ende der Hauptversammlung, die über die Entlastung für das vierte Geschäftsjahr nach dem Beginn der Amtszeit beschließt (§ 102 Abs. 1 Satz 1). Streitig ist, wann die Amtszeit endet, wenn nicht rechtzeitig über die Entlastung der Aufsichtsratsmitglieder beschlossen wird.7) Teilweise wird angenommen, dass dann trotz des zwingenden Charakters des § 102 Abs. 1 die Stellung als Aufsichtsratsmitglied so lange bestehe, bis ein Beschluss über die Entlastung gefasst worden sei.8) Nach der Rechtsprechung des BGH endet die Amtszeit des betroffenen Aufsichtsratsmitglieds spätestens in dem Zeitpunkt, in dem die Hauptversammlung über die Entlastung für das vierte Geschäftsjahr seit Amtsbeginn hätte beschließen müssen,9) mithin nach Ablauf von acht Monaten seit Ende des vierten Geschäftsjahres (§ 120 Abs. 1 Satz 1) nach Amtsbeginn.10) 5 Die Höchstdauer der Amtszeit der Aufsichtsratsmitglieder kann durch die Satzung11) oder bei der Bestellung kürzer festgesetzt werden.12) Die einzelnen Aufsichtsratsmitglieder können hierbei unterschiedlich behandelt werden.13) _____________ 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8) 9) 10) 11) 12) 13)

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Hopt/Roth/Peddinghaus in: GroßKomm-AktG, § 102 Rz. 3; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 102 Rz. 2. Hopt/Roth/Peddinghaus in: GroßKomm-AktG, § 102 Rz. 5; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 102 Rz. 1. Hopt/Roth/Peddinghaus in: GroßKomm-AktG, § 102 Rz. 4; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 102 Rz. 1. Hopt/Roth/Peddinghaus in: GroßKomm-AktG, § 102 Rz. 8; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 102 Rz. 2. Hopt/Roth/Peddinghaus in: GroßKomm-AktG, § 102 Rz. 8; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 30 Rz. 68. Hopt/Roth/Peddinghaus in: GroßKomm-AktG, § 102 Rz. 9 und 30; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 30 Rz. 67. Ausführlich dazu: Hopt/Roth/Peddinghaus in: GroßKomm-AktG, § 102 Rz. 11 f.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 102 Rz. 3. AG Essen, Urt. v. 4.6.1969 – HRB 400, MDR 1970, 336; Frodermann/Jannott-Henning, Hdb. Aktienrecht, Kap. 8 Rz. 52. BGH, Urt. v. 24.6.2002 – II ZR 296/01, ZIP 2002, 1619, 1620, dazu EWiR 2003, 45 (Pötter). Hopt/Roth/Peddinghaus in: GroßKomm-AktG, § 102 Rz. 12; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 30 Rz. 68; OLG München, Beschl. v. 9.11.2009 – 31 Wx 136/09, NZG 2009, 1430, 1431. Ausführlich dazu: Blasche, AG 2017, 112, 113 ff. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 102 Rz. 4; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 30 Rz. 69. BGH, Urt. v. 15.12.1986 – II ZR 18/86 (Heidelberger Zement), BGHZ 99, 211, 215 = ZIP 1987, 367, 368.

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Abberufung der Aufsichtsratsmitglieder

§ 103

Die Wiederbestellung von ausscheidenden Aufsichtsratsmitgliedern ist zulässig, und zwar 6 auch eine wiederholte Wiederbestellung.14) Die vorzeitige Wiederbestellung von Aufsichtsratsmitgliedern ist dagegen grundsätzlich nur möglich, wenn die neue Amtsdauer einschließlich der Restlaufzeit der laufenden Amtsperiode die gesetzliche Höchstfrist nicht übersteigt.15) Für die Arbeitnehmervertreter gelten nach den mitbestimmungsrechtlichen Vorschriften 7 die Regelungen des § 102 und der Satzung.16) Enthält die Satzung keine Regelung, gilt die in § 102 Abs. 1 als Höchstdauer bestimmte Amtszeit auch für die Arbeitnehmervertreter.17) Die Hauptversammlung kann nicht eine Verkürzung ihrer Amtszeit beschließen.18) Bei unterschiedlicher Amtszeit werden die Arbeitnehmervertreter für die Dauer der längsten in der Satzung vorgesehenen Amtszeit gewählt.19) III.

Amtszeit der Ersatzmitglieder (§ 102 Abs. 2)

Nach § 102 Abs. 2 ist die Amtszeit des nachrückenden Ersatzmitglieds auf die Rest- 8 amtszeit des weggefallenen Aufsichtsratsmitglieds begrenzt. Von der Regelung des § 102 Abs. 2 kann hinsichtlich der Höchstdauer nicht abgewichen werden.20) Allerdings kann innerhalb der Höchstdauer die Amtszeit abweichend geregelt werden (kürzere Amtszeit). Insbesondere kann festgelegt werden, dass die Amtszeit eines Ersatzmitglieds mit dem Ende der nächsten Hauptversammlung, in der eine Nachwahl stattfinden soll, endet.21) _____________ 14) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 102 Rz. 20; Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 102 Rz. 18. 15) Näher dazu: Habersack in: MünchKomm-AktG, § 102 Rz. 20; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 102 Rz. 6; K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 102 Rz. 12. 16) K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 102 Rz. 11; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 30 Rz. 73. 17) K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 102 Rz. 11; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 30 Rz. 73. 18) K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 102 Rz. 11; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 30 Rz. 73. 19) Hopt/Roth/Peddinghaus in: GroßKomm-AktG, § 102 Rz. 59; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 102 Rz. 8. 20) Hopt/Roth/Peddinghaus in: GroßKomm-AktG, § 102 Rz. 51; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 102 Rz. 15. 21) Hopt/Roth/Peddinghaus in: GroßKomm-AktG, § 102 Rz. 52; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 14 Rz. 1056.

§ 103 Abberufung der Aufsichtsratsmitglieder (1) 1Aufsichtsratsmitglieder, die von der Hauptversammlung ohne Bindung an einen Wahlvorschlag gewählt worden sind, können von ihr vor Ablauf der Amtszeit abberufen werden. 2Der Beschluß bedarf einer Mehrheit, die mindestens drei Viertel der abgegebenen Stimmen umfaßt. 3Die Satzung kann eine andere Mehrheit und weitere Erfordernisse bestimmen. (2) 1Ein Aufsichtsratsmitglied, das auf Grund der Satzung in den Aufsichtsrat entsandt ist, kann von dem Entsendungsberechtigten jederzeit abberufen und durch ein anderes ersetzt werden. 2Sind die in der Satzung bestimmten Voraussetzungen des Entsendungsrechts weggefallen, so kann die Hauptversammlung das entsandte Mitglied mit einfacher Stimmenmehrheit abberufen.

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Abberufung der Aufsichtsratsmitglieder

§ 103

Die Wiederbestellung von ausscheidenden Aufsichtsratsmitgliedern ist zulässig, und zwar 6 auch eine wiederholte Wiederbestellung.14) Die vorzeitige Wiederbestellung von Aufsichtsratsmitgliedern ist dagegen grundsätzlich nur möglich, wenn die neue Amtsdauer einschließlich der Restlaufzeit der laufenden Amtsperiode die gesetzliche Höchstfrist nicht übersteigt.15) Für die Arbeitnehmervertreter gelten nach den mitbestimmungsrechtlichen Vorschriften 7 die Regelungen des § 102 und der Satzung.16) Enthält die Satzung keine Regelung, gilt die in § 102 Abs. 1 als Höchstdauer bestimmte Amtszeit auch für die Arbeitnehmervertreter.17) Die Hauptversammlung kann nicht eine Verkürzung ihrer Amtszeit beschließen.18) Bei unterschiedlicher Amtszeit werden die Arbeitnehmervertreter für die Dauer der längsten in der Satzung vorgesehenen Amtszeit gewählt.19) III.

Amtszeit der Ersatzmitglieder (§ 102 Abs. 2)

Nach § 102 Abs. 2 ist die Amtszeit des nachrückenden Ersatzmitglieds auf die Rest- 8 amtszeit des weggefallenen Aufsichtsratsmitglieds begrenzt. Von der Regelung des § 102 Abs. 2 kann hinsichtlich der Höchstdauer nicht abgewichen werden.20) Allerdings kann innerhalb der Höchstdauer die Amtszeit abweichend geregelt werden (kürzere Amtszeit). Insbesondere kann festgelegt werden, dass die Amtszeit eines Ersatzmitglieds mit dem Ende der nächsten Hauptversammlung, in der eine Nachwahl stattfinden soll, endet.21) _____________ 14) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 102 Rz. 20; Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 102 Rz. 18. 15) Näher dazu: Habersack in: MünchKomm-AktG, § 102 Rz. 20; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 102 Rz. 6; K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 102 Rz. 12. 16) K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 102 Rz. 11; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 30 Rz. 73. 17) K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 102 Rz. 11; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 30 Rz. 73. 18) K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 102 Rz. 11; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 30 Rz. 73. 19) Hopt/Roth/Peddinghaus in: GroßKomm-AktG, § 102 Rz. 59; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 102 Rz. 8. 20) Hopt/Roth/Peddinghaus in: GroßKomm-AktG, § 102 Rz. 51; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 102 Rz. 15. 21) Hopt/Roth/Peddinghaus in: GroßKomm-AktG, § 102 Rz. 52; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 14 Rz. 1056.

§ 103 Abberufung der Aufsichtsratsmitglieder (1) 1Aufsichtsratsmitglieder, die von der Hauptversammlung ohne Bindung an einen Wahlvorschlag gewählt worden sind, können von ihr vor Ablauf der Amtszeit abberufen werden. 2Der Beschluß bedarf einer Mehrheit, die mindestens drei Viertel der abgegebenen Stimmen umfaßt. 3Die Satzung kann eine andere Mehrheit und weitere Erfordernisse bestimmen. (2) 1Ein Aufsichtsratsmitglied, das auf Grund der Satzung in den Aufsichtsrat entsandt ist, kann von dem Entsendungsberechtigten jederzeit abberufen und durch ein anderes ersetzt werden. 2Sind die in der Satzung bestimmten Voraussetzungen des Entsendungsrechts weggefallen, so kann die Hauptversammlung das entsandte Mitglied mit einfacher Stimmenmehrheit abberufen.

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Abberufung der Aufsichtsratsmitglieder

(3) 1Das Gericht hat auf Antrag des Aufsichtsrats ein Aufsichtsratsmitglied abzuberufen, wenn in dessen Person ein wichtiger Grund vorliegt. 2Der Aufsichtsrat beschließt über die Antragstellung mit einfacher Mehrheit. 3Ist das Aufsichtsratsmitglied auf Grund der Satzung in den Aufsichtsrat entsandt worden, so können auch Aktionäre, deren Anteile zusammen den zehnten Teil des Grundkapitals oder den anteiligen Betrag von einer Million Euro erreichen, den Antrag stellen. 4Gegen die Entscheidung ist die Beschwerde zulässig. (4) Für die Abberufung der Aufsichtsratsmitglieder, die weder von der Hauptversammlung ohne Bindung an einen Wahlvorschlag gewählt worden sind noch auf Grund der Satzung in den Aufsichtsrat entsandt sind, gelten außer Absatz 3 das Mitbestimmungsgesetz, das Montan-Mitbestimmungsgesetz, das Mitbestimmungsergänzungsgesetz, das Drittelbeteiligungsgesetz, das SE-Beteiligungsgesetz und das Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung. (5) Für die Abberufung eines Ersatzmitglieds gelten die Vorschriften über die Abberufung des Aufsichtsratsmitglieds, für das es bestellt ist. Literatur: Decher, Loyalitätskonflikte der Repräsentanten der öffentlichen Hand im Aufsichtsrat – Bemerkungen aus Anlaß des Falles HEW/Jansen, ZIP 1990, 277; Hoffmann/Kirchhoff, Zur Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern durch das Gericht nach § 103 Abs. 3 S. 1 AktG, in: Festschrift für Karl Beusch, 1993, S. 377; Hüffer, Zur Wahl von Beratern des Großaktionärs in den Aufsichtsrat der Gesellschaft, ZIP 2010, 1979; Lutter, Defizite für eine effiziente Aufsichtsratstätigkeit und gesetzliche Möglichkeiten der Verbesserung, ZHR 159 (1995) 287; Rieble, Altersgrenze und Arbeitnehmermandat, Der Aufsichtsrat 2013, 92; Singhof, Die Amtsniederlegung durch das Aufsichtsratsmitglied einer Aktiengesellschaft, AG 1998, 318; Wardenbach, Niederlegung des Aufsichtsratsmandats bei Interessenkollision, AG 1999, 74; Wirth, Anforderungsprofil und Inkompatibilitäten für Aufsichtsratsmitglieder, ZGR 2005, 327.

Übersicht I. Gegenstand und Zweck der Norm .... 1 II. Abberufung durch die Hauptversammlung (§ 103 Abs. 1) ................. 3 III. Rechtsfolgen der Abberufung ......... 9 IV. Abberufung entsandter Aufsichtsratsmitglieder (§ 103 Abs. 2) ............ 10 V. Gerichtliche Abberufung aus wichtigem Grund (§ 103 Abs. 3) ... 12 I.

VI. Abberufung nach mitbestimmungsrechtlichen Vorschriften (§ 103 Abs. 4) ................................... 14 VII. Ersatzmitglieder (§ 103 Abs. 5) .... 15 VIII. Sonstige Beendigung der Amtszeit ........................................... 16 IX. Deutscher Corporate Governance Kodex (DCGK) ................................. 18

Gegenstand und Zweck der Norm

1 Die Norm enthält zusammenfassend die Regelungen über die vorzeitige Beendigung des Aufsichtsratsmandats gegen den Willen des betroffenen Aufsichtsratsmitglieds kraft Ausübung eines Gestaltungsrechts (Abberufung).1) Die Amtsbeendigung wird nicht abschließend geregelt. Das Amt des Aufsichtsratsmitglieds kann auch noch aus anderen Gründen enden.2) In § 103 Abs. 1 wird die Abberufung durch die Hauptversammlung, in § 103 Abs. 2 und Abs. 5 die Abberufung eines entsandten Mitglieds bzw. eines Ersatzmitglieds sowie in § 103 Abs. 3 die gerichtliche Abberufung geregelt. Für die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat gelten nach § 103 Abs. 4 die mitbestimmungsrechtlichen Regelungen. _____________ 1) 2)

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Habersack in: MünchKomm-AktG, § 108 Rz. 1; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 103 Rz. 1. Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 103 Rz. 5; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 103 Rz. 3.

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Abberufung der Aufsichtsratsmitglieder

§ 103

Sie können aber auch aus wichtigem Grund nach § 103 Abs. 3 gerichtlich abberufen werden (siehe Rz. 12). Durch die Norm soll dem jeweiligen Bestellungsberechtigten das Recht zur jederzeitigen und 2 anlassunabhängigen Abberufung gewährt werden.3) II.

Abberufung durch die Hauptversammlung (§ 103 Abs. 1)

Nach § 103 Abs. 1 kann die Hauptversammlung4) die von ihr ohne Bindung an einen Wahl- 3 vorschlag (§ 101 Abs. 1 Satz 2) gewählten Aufsichtsratsmitglieder vorzeitig abberufen. Dies erfasst die Aufsichtsratsmitglieder der Aktionäre sowie die Mitglieder des ersten Aufsichtsrats (§ 30).5) Für den nach § 103 Abs. 1 Satz 2 erforderlichen Beschluss gelten die allgemeinen Regelungen 4 der §§ 121 ff., insbesondere das Bekanntmachungserfordernis des § 124 Abs. 4 Satz 1; die Abberufung muss ordnungsgemäß als Gegenstand der Tagesordnung angekündigt werden.6) Der Beschlussvorschlag bedarf entsprechend § 124 Abs. 3 Satz 5 nur der Stimmen der Anteilseignervertreter.7) Die Abberufung durch die Hauptversammlung erfordert keinen wichtigen oder sachlichen 5 Grund, sondern nur eine entsprechende Beschlussfassung mit der erforderlichen Mehrheit.8) Da die Aufsichtsratsmitglieder das Vertrauen der Hauptversammlung haben sollen, genügt der in der Abberufung zu sehende Vertrauensentzug für die Amtsbeendigung.9) Die Verweigerung der Entlastung genügt jedoch nicht.10) Der Abberufungsbeschluss bedarf nach § 103 Abs. 1 Satz 2 der Mehrheit von mindestens 6 drei Vierteln der abgegebenen Stimmen. Ein Stimmverbot nach § 136 Abs. 1 besteht für das betroffene Aufsichtsratsmitglied, das zugleich Aktionär ist, nicht.11) Nach § 103 Abs. 1 Satz 3 kann die Satzung (auch für amtierende Aufsichtsratsmitglieder) das 7 Mehrheitserfordernis des § 103 Abs. 1 Satz 2 verschärfen oder – bis hin zur einfachen Stimmenmehrheit – abmildern und auch auf Stimmen- oder Kapitalmehrheit abstellen.12) Durch die Satzung kann ein von der gesetzlichen Regelung (§ 103 Abs. 1 Satz 2) abweichendes Mehrheitserfordernis nur einheitlich für alle von der Hauptversammlung gewählten Aufsichtsratsmitglieder angeordnet werden.13) Die Abberufung wird mit ihrem Zugang bei dem betroffenen Aufsichtsratsmitglied wirk- 8 sam. Wenn das betroffene Aufsichtsratsmitglied in der Hauptversammlung anwesend ist, _____________ 3) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 103 Rz. 2; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 103 Rz. 4. 4) Hierbei handelt es sich um ihr ausschließliches Recht, das die Hauptversammlung nicht übertragen kann; s. Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 103 Rz. 11; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 103 Rz. 10. 5) S. Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 103 Rz. 8 – auch zum neutralen Mitglied nach dem MitbestG bzw. MitbestErgG; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 103 Rz. 9. 6) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 103 Rz. 12; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 103 Rz. 3. 7) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 103 Rz. 12; Hölters-Simons, AktG, § 103 Rz. 14. 8) KG Berlin, Beschl. v. 3.12.2002 – 1 W 363/02, ZIP 2003, 1042, 1049; Kort in: EWiR § 103 AktG 1/97, 145 f. (OLG Düsseldorf): keine materielle Beschlusskontrolle des Beschlusses nach § 103 Abs. 1; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 103 Rz. 12. 9) KG Berlin, Beschl. v. 3.12.2002 – 1 W 362/02, ZIP 2003, 1042, 1049; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 103 Rz. 3; K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 103 Rz. 3. 10) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 103 Rz. 3; Semler/v. Schenck-Wagner, ArbHdb. AR, § 2 Rz. 47. 11) K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 103 Rz. 4; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 103 Rz. 13; Hüffer/ Koch-Koch, AktG, § 103 Rz. 4. 12) K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 103 Rz. 5; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 103 Rz. 4. 13) BGH, Urt. v. 15.12.1986 – II ZR 18/86 (Heidelberger Zement), BGHZ 99, 211, 215 f. = ZIP 1987, 366, 368.

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§ 103

Abberufung der Aufsichtsratsmitglieder

erfolgt der Zugang mit der Feststellung des Beschlussergebnisses.14) Ob gegenüber dem nicht in der Hauptversammlung anwesenden betroffenen Aufsichtsratsmitglied die Abberufung nur durch den Vorstand (§ 78)15) oder ob diese auch durch den Aufsichtsratsvorsitzenden erklärt werden kann,16) ist streitig.17) Aus Nachweis- und Vorsichtsgründen sollte die Abberufung durch den Vorstand in vertretungsberechtigter Zahl in schriftlicher Form erklärt und auch vom Aufsichtsratsvorsitzenden unterzeichnet werden. III.

Rechtsfolgen der Abberufung

9 Durch die wirksame Abberufung wird das Mandat beendet, alle damit verbundenen Rechte und Pflichten enden, soweit sie nicht nachwirken (etwa Verschwiegenheitspflicht).18) Ein etwaiger Vergütungsanspruch gegenüber der Gesellschaft erlischt zwingend.19) Das ausscheidende Aufsichtsratsmitglied ist entsprechend § 667 BGB zur Herausgabe aller in seinem Besitz befindlichen Unterlagen der Gesellschaft verpflichtet.20) Entsprechende Regelungen in der Satzung oder Geschäftsordnung sind zulässig.21) IV.

Abberufung entsandter Aufsichtsratsmitglieder (§ 103 Abs. 2)

10 Zur Abberufung entsandter Aufsichtsratsmitglieder ist grundsätzlich der Entsendungsberechtigte (§ 101 Abs. 1) jederzeit berechtigt (§ 103 Abs. 2 Satz 1). Ein sachlicher Grund ist nicht erforderlich; es genügt der Vertrauensentzug.22) 11 Die Hauptversammlung darf nach § 103 Abs. 2 Satz 2 ausnahmsweise ein entsandtes Aufsichtsratsmitglied mit einfacher Stimmenmehrheit abberufen, wenn die in der Satzung vorgesehenen Voraussetzungen des Entsendungsrechts weggefallen sind.23) V.

Gerichtliche Abberufung aus wichtigem Grund (§ 103 Abs. 3)

12 Nach § 103 Abs. 3 kann jedes Aufsichtsratsmitglied, gleichgültig, ob es ein gewählter oder entsandter Vertreter der Arbeitnehmer oder der Aktionäre ist, aber auch ein gerichtlich bestelltes Aufsichtsratsmitglied, gerichtlich aus wichtigem Grund abberufen werden.24) Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dessen weiteres Verbleiben bis zum Ablauf der Amtszeit für die Gesellschaft unzumutbar ist.25) Die Abberufung ist als „ultima ratio“ nur bei groben Pflichtverletzungen gerechtfertigt. Dies ist anhand einer Einzelfallbetrachtung unter Berücksichtigung des Interesses der Gesellschaft an einem funktionsfähigen _____________ 14) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 103 Rz. 5; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 103 Rz. 19. 15) S. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 103 Rz. 5; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 103 Rz. 19. 16) S. Bürgers/Körber-Bürgers/Israel, AktG, § 103 Rz. 3; Semler/v. Schenck-Wagner, ArbHdb. AR, § 2 Rz. 47 a. E. 17) S. hierzu Habersack in: MünchKomm-AktG, § 103 Rz. 19; nach Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 30 Rz. 84 ist es „gleichgültig, durch wen und auf welchem Weg“ der Zugang erfolgt. 18) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 103 Rz. 20; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 103 Rz. 6. 19) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 103 Rz. 21; K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 103 Rz. 7. 20) BGH, Hinw.-Beschl. v. 7.7.2008 – II ZR 71/07, ZIP 2008, 1821, 1822. 21) BGH, Hinw.-Beschl. v. 7.7.2008 – II ZR 71/07, ZIP 2008, 1821, 1822; OLG Düsseldorf, Urt. v. 22.3.2007 – I-6 U 119/06, ZIP 2007, 1608, 1609. 22) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 103 Rz. 29; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 103 Rz. 23. 23) Ausführlich dazu K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 103 Rz. 11; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 103 Rz. 40. 24) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 103 Rz. 46; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 30 Rz. 87. 25) OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 1.10.2007 – 20 W 141/07, ZIP 2008, 1382, 1383; OLG Stuttgart, Beschl. v. 7.11.2006 – 8 W 388/06, AG 2007, 218, 219; OLG Hamburg, Beschl. v. 23.1.1990 – 11 W 92/89, ZIP 1990, 311, 313, ausführlich dazu Decher, ZIP 1990, 277 ff.

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Abberufung der Aufsichtsratsmitglieder

§ 103

Aufsichtsrat zu ermitteln.26) Hierfür ist ein Verschulden (oder gar eine Schädigungsabsicht) nicht erforderlich, es kann aber bei der Beurteilung der Schwere der Pflichtverletzung relevant sein; fahrlässiges Verhalten (etwa einmalige „fahrlässige“ Verletzung der Verschwiegenheitspflicht) kann nur bei wiederholtem Verstoß eine gerichtliche Abberufung begründen.27) Es kann die bewusste Verletzung der Verschwiegenheitsverpflichtung durch ein Aufsichtsratsmitglied28) oder die (wiederholte) Anmaßung von Kontrollbefugnissen, die dem Aufsichtsrat als Organ zustehen, durch ein einzelnes Aufsichtsratsmitglied29) ein wichtiger Grund für die gerichtliche Abberufung sein. Teilweise wird in der Literatur ein wichtiger Grund auch im Falle der Tätigkeit eines Aufsichtsratsmitglieds für ein Konkurrenzunternehmen angenommen.30) Diese Auffassung hat sich in der Rechtsprechung und Literatur nicht durchgesetzt.31) Sie ist abzulehnen, weil im AktG für Aufsichtsratsmitglieder kein Wettbewerbsverbot vorgesehen ist (siehe auch § 105 Abs. 2 Satz 4) und das AktG für mögliche Interessen- und Pflichtenkollisionen ein abgestuftes Instrumentarium situationsgerechter Sanktionen bereithält.32) Die gerichtliche Abberufung erfordert einen Antrag. Antragsberechtigt ist nach § 103 13 Abs. 3 Satz 1 ausschließlich der Aufsichtsrat, eine Übertragung auf einen Ausschuss ist nicht zulässig.33) Nach § 103 Abs. 3 Satz 2 bedarf der Beschluss des Aufsichtsrats über den Antrag zwingend der einfachen Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Das betroffene Aufsichtsratsmitglied unterliegt entsprechend § 34 BGB einem Stimmverbot (Verbot des Richtens in eigener Sache).34) Zuständig für das gerichtliche Abberufungsverfahren ist das Amtsgericht am Sitz der Gesellschaft (§ 23a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 4 GVG, §§ 375 Nr. 3, 377 Abs. 1 FamFG, § 14 AktG), wobei innerhalb eines Landgerichtsbezirks das Amtsgericht am Sitz des jeweiligen Landgerichts zuständig ist (§ 376 Abs. 1 FamFG; vorbehaltl. Ausnahmen nach § 376 Abs. 2 FamFG). VI.

Abberufung nach mitbestimmungsrechtlichen Vorschriften (§ 103 Abs. 4)

Nach § 103 Abs. 4 gelten für die Abberufung von Arbeitnehmervertretern (einschließlich 14 des weiteren Mitglieds nach dem Montan-MitbestG) die speziellen mitbestimmungsrechtlichen Vorschriften (§ 23 MitbestG, § 11 Montan-MitbestG, § 10m MontanMitbestErgG,

_____________ 26) OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 1.10.2007 – 20 W 141/07, ZIP 2008, 1382, 1383; OLG Hamburg, Beschl. v. 23.1.1990 – 11 W 92/89, ZIP 1990, 311, 314. 27) AG München, Beschl. v. 2.5.1985 – HRB 2211, ZIP 1985, 1139, 1140; so wohl auch OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 1.10.2007 – 20 W 141/07, ZIP 2008, 1382, 1383; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 30 Rz. 88. 28) OLG Stuttgart, Beschl. v. 7.11.2006 – 8 W 388/06, AG 2007, 218, 219. 29) OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 1.10.2007 – 20 W 141/07, ZIP 2008, 1382, 1383 f. 30) Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 1 Rz. 21 ff. (bei einer Konkurrenzsituation in zentralen Tätigkeitsbereichen); Lutter, ZHR 159 (1995) 287, 303; s. a. K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 103 Rz. 17. 31) OLG Schleswig, Beschl. v. 26.4.2004 – 2 W 46/04, ZIP 2004, 1143, 1144, dazu EWiR 2004, 949 (Lenz); Hüffer, ZIP 2010, 1979, 1983 m. w. N. 32) S. OLG Schleswig, Beschl. v. 26.4.2004 – 2 W 46/04, ZIP 2004, 1143, 1144; Hüffer, ZIP 2010, 1979, 1983 m. w. N.; Wirth, ZGR 2005, 327, 343 ff.; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 30 Rz. 6; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 103 Rz. 13b. 33) Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 30 Rz. 87; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 103 Rz. 47. 34) BayObLG, Beschl. v. 28.3.2003 – 3 Z BR 199/02, ZIP 2003, 1194, 1196; OLG Stuttgart, Urt. v. 30.5.2007 – 20 U 14/06, AG 2007, 873, 876 = ZIP 2007, 1217; so auch überwiegend die Lit.: Hopt/ Roth in: GroßKomm-AktG, § 103 Rz. 49; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 30 Rz. 87; a. A.: Hoffmann/Kirchhoff in: FS Beusch, S. 377, 380.

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§ 103

Abberufung der Aufsichtsratsmitglieder

§ 12 DrittelbG, § 26 Abs. 1 MgVG). Diese Aufsichtsratsmitglieder können nur gemäß § 103 Abs. 3 oder nach den mitbestimmungsrechtlichen Vorschriften abberufen werden.35) VII. Ersatzmitglieder (§ 103 Abs. 5) 15 Da § 103 Abs. 1 bis 4 für nachgerückte Ersatzmitglieder ohnehin gelten, bezieht sich § 103 Abs. 5 auf die Abberufung vor dem Nachrücken in den Aufsichtsrat.36) Ersatzmitglieder können gemäß § 103 Abs. 4 nach den Regelungen abberufen werden, die für das Aufsichtsratsmitglied gelten, für das es als Ersatzmitglied bestellt ist. VIII. Sonstige Beendigung der Amtszeit 16 Da § 103 insoweit nicht abschließend ist, kann die Amtszeit eines Aufsichtsratsmitglieds auch aus sonstigen Gründen enden. Hier sind persönliche Gründe, wie etwa das Versterben des Aufsichtsratsmitglieds, die erfolgreiche Wahlanfechtung (§ 251), der Eintritt der in § 100 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 genannten Ausschlussgründe und der Verlust von Wählbarkeitsvoraussetzungen bei Arbeitnehmervertretern (§§ 24 Abs. 1, 7 Abs. 2 MitbestG)37) sowie aus den Verhältnissen der Gesellschaft resultierende Gründe, etwa die Durchführung eines Statusverfahrens, Vollbeendigung, Verschmelzung und Formwechsel zu nennen.38) 17 Die gesetzlich nicht geregelte Amtsniederlegung ist auch ohne wichtigen Grund zulässig und wirksam, auch wenn sie zur Unzeit erfolgt (kann dann aber pflichtwidrig sein und zur Schadensersatzpflicht führen).39) Sie ist als empfangsbedürftige Willenserklärung gegenüber dem Vorstand40) oder der Hauptversammlung41) abzugeben. Wird sie gegenüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden42) erklärt, so wird sie erst wirksam, wenn die Niederlegungserklärung dem Vorstand weitergeleitet wurde und sie damit zugegangen ist.43) Durch die Satzung kann die Form und der Empfänger der Niederlegungserklärung geregelt werden.44) IX.

Deutscher Corporate Governance Kodex (DCGK)

18 Der DCGK enthält in Ziff. 5.5.3 Satz 2 eine Empfehlung, wonach wesentliche und nicht nur vorübergehende Interessenkonflikte in der Person eines Aufsichtsratsmitglieds zur _____________ 35) Ausführlich dazu: Habersack in: MünchKomm-AktG, § 103 Rz. 51 ff.; Hölters-Simons, AktG, § 103 Rz. 42 ff. 36) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 103 Rz. 81; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 103 Rz. 15. 37) Erfasst werden die unternehmensangehörigen Aufsichtsratsmitglieder, für die von den Gewerkschaften vorgeschlagenen Aufsichtsratsmitglieder gelten nur die allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Vorgaben, s. Ulmer/Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, 3. Aufl., § 24 Rz. 4; zu den Voraussetzungen und Grenzen einer Verlängerung des Arbeitsverhältnisses mit Blick auf die daraus resultierende Nichtbeendigung des Aufsichtsratsmandats: Rieble, Der Aufsichtsrat 2013, 92 ff. 38) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 103 Rz. 16; Singhof, AG 1998, 318, 319 f.; Semler/v. Schenck-Wagner, ArbHdb. AR, § 2 Rz. 56. 39) Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 30 Rz. 80; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 103 Rz. 17; Semler/v. Schenck-Wagner, ArbHdb. AR, § 2 Rz. 51; Singhof, AG 1998, 318, 323; Wardenbach, AG 1999, 74, 75 f. 40) S. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 103 Rz. 17; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 30 Rz. 81; Singhof, AG 1998, 318, 326. 41) S. für die Amtsniederlegung eines von der Hauptversammlung gewählten Mitglieds: Semler/v. SchenckWagner, ArbHdb. AR, § 2 Rz. 54; Singhof, AG 1998, 318, 326. 42) S. Bürgers/Körber-Bürgers/Israel, AktG, § 103 Rz. 18, a. A.: Habersack in: MünchKomm-AktG, § 103 Rz. 61. 43) OLG Stuttgart, Urt. v. 1.7.2009 – 20 U 8/08, DB 2009, 1521, 1523 f. = ZIP 2010, 1295 (LS); Semler/ v. Schenck-Wagner, ArbHdb. AR, § 2 Rz. 54; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 103 Rz. 17. 44) LG Flensburg, Urt. v. 7.4.2004 – 6 O 17/03, AG 2004, 623, 624; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 103 Rz. 62; Singhof, AG 1998, 318, 325.

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§ 104

Bestellung durch das Gericht

Beendigung des Mandats führen sollen. Dies ist nicht als Empfehlung zur Art und Weise oder zum Zeitpunkt der Mandatsbeendigung zu verstehen,45) mag aber als Orientierungsleitlinie hilfreich sein. _____________ 45) Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder-Kremer, DCGK, Rz. 1480 f.

§ 104 Bestellung durch das Gericht (1) 1Gehört dem Aufsichtsrat die zur Beschlußfähigkeit nötige Zahl von Mitgliedern nicht an, so hat ihn das Gericht auf Antrag des Vorstands, eines Aufsichtsratsmitglieds oder eines Aktionärs auf diese Zahl zu ergänzen. 2Der Vorstand ist verpflichtet, den Antrag unverzüglich zu stellen, es sei denn, daß die rechtzeitige Ergänzung vor der nächsten Aufsichtsratssitzung zu erwarten ist. 3Hat der Aufsichtsrat auch aus Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer zu bestehen, so können auch den Antrag stellen 1. der Gesamtbetriebsrat der Gesellschaft oder, wenn in der Gesellschaft nur ein Betriebsrat besteht, der Betriebsrat, sowie, wenn die Gesellschaft herrschendes Unternehmen eines Konzerns ist, der Konzernbetriebsrat, 2. der Gesamt- oder Unternehmenssprecherausschuss der Gesellschaft oder, wenn in der Gesellschaft nur ein Sprecherausschuss besteht, der Sprecherausschuss sowie, wenn die Gesellschaft herrschendes Unternehmen eines Konzerns ist, der Konzernsprecherausschuss, 3. der Gesamtbetriebsrat eines anderen Unternehmens, dessen Arbeitnehmer selbst oder durch Delegierte an der Wahl teilnehmen, oder, wenn in dem anderen Unternehmen nur ein Betriebsrat besteht, der Betriebsrat, 4. der Gesamt- oder Unternehmenssprecherausschuss eines anderen Unternehmens, dessen Arbeitnehmer selbst oder durch Delegierte an der Wahl teilnehmen, oder, wenn in dem anderen Unternehmen nur ein Sprecherausschuss besteht, der Sprecherausschuss, 5. mindestens ein Zehntel oder einhundert der Arbeitnehmer, die selbst oder durch Delegierte an der Wahl teilnehmen, 6. Spitzenorganisationen der Gewerkschaften, die das Recht haben, Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer vorzuschlagen, 7. Gewerkschaften, die das Recht haben, Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer vorzuschlagen. 4

Hat der Aufsichtsrat nach dem Mitbestimmungsgesetz auch aus Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer zu bestehen, so sind außer den nach Satz 3 Antragsberechtigten auch je ein Zehntel der wahlberechtigten in § 3 Abs. 1 Nr. 1 des Mitbestimmungsgesetzes bezeichneten Arbeitnehmer oder der wahlberechtigten leitenden Angestellten im Sinne des Mitbestimmungsgesetzes antragsberechtigt. 5Gegen die Entscheidung ist die Beschwerde zulässig. (2) 1Gehören dem Aufsichtsrat länger als drei Monate weniger Mitglieder als die durch Gesetz oder Satzung festgesetzte Zahl an, so hat ihn das Gericht auf Antrag auf diese Zahl zu ergänzen. 2In dringenden Fällen hat das Gericht auf Antrag den Aufsichtsrat auch vor Ablauf der Frist zu ergänzen. 3Das Antragsrecht bestimmt sich nach Absatz 1. 4Gegen die Entscheidung ist die Beschwerde zulässig.

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§ 104

Bestellung durch das Gericht

Beendigung des Mandats führen sollen. Dies ist nicht als Empfehlung zur Art und Weise oder zum Zeitpunkt der Mandatsbeendigung zu verstehen,45) mag aber als Orientierungsleitlinie hilfreich sein. _____________ 45) Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder-Kremer, DCGK, Rz. 1480 f.

§ 104 Bestellung durch das Gericht (1) 1Gehört dem Aufsichtsrat die zur Beschlußfähigkeit nötige Zahl von Mitgliedern nicht an, so hat ihn das Gericht auf Antrag des Vorstands, eines Aufsichtsratsmitglieds oder eines Aktionärs auf diese Zahl zu ergänzen. 2Der Vorstand ist verpflichtet, den Antrag unverzüglich zu stellen, es sei denn, daß die rechtzeitige Ergänzung vor der nächsten Aufsichtsratssitzung zu erwarten ist. 3Hat der Aufsichtsrat auch aus Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer zu bestehen, so können auch den Antrag stellen 1. der Gesamtbetriebsrat der Gesellschaft oder, wenn in der Gesellschaft nur ein Betriebsrat besteht, der Betriebsrat, sowie, wenn die Gesellschaft herrschendes Unternehmen eines Konzerns ist, der Konzernbetriebsrat, 2. der Gesamt- oder Unternehmenssprecherausschuss der Gesellschaft oder, wenn in der Gesellschaft nur ein Sprecherausschuss besteht, der Sprecherausschuss sowie, wenn die Gesellschaft herrschendes Unternehmen eines Konzerns ist, der Konzernsprecherausschuss, 3. der Gesamtbetriebsrat eines anderen Unternehmens, dessen Arbeitnehmer selbst oder durch Delegierte an der Wahl teilnehmen, oder, wenn in dem anderen Unternehmen nur ein Betriebsrat besteht, der Betriebsrat, 4. der Gesamt- oder Unternehmenssprecherausschuss eines anderen Unternehmens, dessen Arbeitnehmer selbst oder durch Delegierte an der Wahl teilnehmen, oder, wenn in dem anderen Unternehmen nur ein Sprecherausschuss besteht, der Sprecherausschuss, 5. mindestens ein Zehntel oder einhundert der Arbeitnehmer, die selbst oder durch Delegierte an der Wahl teilnehmen, 6. Spitzenorganisationen der Gewerkschaften, die das Recht haben, Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer vorzuschlagen, 7. Gewerkschaften, die das Recht haben, Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer vorzuschlagen. 4

Hat der Aufsichtsrat nach dem Mitbestimmungsgesetz auch aus Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer zu bestehen, so sind außer den nach Satz 3 Antragsberechtigten auch je ein Zehntel der wahlberechtigten in § 3 Abs. 1 Nr. 1 des Mitbestimmungsgesetzes bezeichneten Arbeitnehmer oder der wahlberechtigten leitenden Angestellten im Sinne des Mitbestimmungsgesetzes antragsberechtigt. 5Gegen die Entscheidung ist die Beschwerde zulässig. (2) 1Gehören dem Aufsichtsrat länger als drei Monate weniger Mitglieder als die durch Gesetz oder Satzung festgesetzte Zahl an, so hat ihn das Gericht auf Antrag auf diese Zahl zu ergänzen. 2In dringenden Fällen hat das Gericht auf Antrag den Aufsichtsrat auch vor Ablauf der Frist zu ergänzen. 3Das Antragsrecht bestimmt sich nach Absatz 1. 4Gegen die Entscheidung ist die Beschwerde zulässig.

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§ 104

Bestellung durch das Gericht

(3) Absatz 2 ist auf einen Aufsichtsrat, in dem die Arbeitnehmer ein Mitbestimmungsrecht nach dem Mitbestimmungsgesetz, dem Montan-Mitbestimmungsgesetz oder dem Mitbestimmungsergänzungsgesetz haben, mit der Maßgabe anzuwenden, 1. daß das Gericht den Aufsichtsrat hinsichtlich des weiteren Mitglieds, das nach dem Montan-Mitbestimmungsgesetz oder dem Mitbestimmungsergänzungsgesetz auf Vorschlag der übrigen Aufsichtsratsmitglieder gewählt wird, nicht ergänzen kann, 2. daß es stets ein dringender Fall ist, wenn dem Aufsichtsrat, abgesehen von dem in Nummer 1 genannten weiteren Mitglied, nicht alle Mitglieder angehören, aus denen er nach Gesetz oder Satzung zu bestehen hat. (4) 1Hat der Aufsichtsrat auch aus Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer zu bestehen, so hat das Gericht ihn so zu ergänzen, daß das für seine Zusammensetzung maßgebende zahlenmäßige Verhältnis hergestellt wird. 2Wenn der Aufsichtsrat zur Herstellung seiner Beschlußfähigkeit ergänzt wird, gilt dies nur, soweit die zur Beschlußfähigkeit nötige Zahl der Aufsichtsratsmitglieder die Wahrung dieses Verhältnisses möglich macht. 3Ist ein Aufsichtsratsmitglied zu ersetzen, das nach Gesetz oder Satzung in persönlicher Hinsicht besonderen Voraussetzungen entsprechen muß, so muß auch das vom Gericht bestellte Aufsichtsratsmitglied diesen Voraussetzungen entsprechen. 4 Ist ein Aufsichtsratsmitglied zu ersetzen, bei dessen Wahl eine Spitzenorganisation der Gewerkschaften, eine Gewerkschaft oder die Betriebsräte ein Vorschlagsrecht hätten, so soll das Gericht Vorschläge dieser Stellen berücksichtigen, soweit nicht überwiegende Belange der Gesellschaft oder der Allgemeinheit der Bestellung des Vorgeschlagenen entgegenstehen; das gleiche gilt, wenn das Aufsichtsratsmitglied durch Delegierte zu wählen wäre, für gemeinsame Vorschläge der Betriebsräte der Unternehmen, in denen Delegierte zu wählen sind. (5) Die Ergänzung durch das Gericht ist bei börsennotierten Gesellschaften, für die das Mitbestimmungsgesetz, das Montan-Mitbestimmungsgesetz oder das Mitbestimmungsergänzungsgesetz gilt, nach Maßgabe des § 96 Absatz 2 Satz 1 bis 5 vorzunehmen. (6) Das Amt des gerichtlich bestellten Aufsichtsratsmitglieds erlischt in jedem Fall, sobald der Mangel behoben ist. (7) 1Das gerichtlich bestellte Aufsichtsratsmitglied hat Anspruch auf Ersatz angemessener barer Auslagen und, wenn den Aufsichtsratsmitgliedern der Gesellschaft eine Vergütung gewährt wird, auf Vergütung für seine Tätigkeit. 2Auf Antrag des Aufsichtsratsmitglieds setzt das Gericht die Auslagen und die Vergütung fest. 3Gegen die Entscheidung ist die Beschwerde zulässig; die Rechtsbeschwerde ist ausgeschlossen. 4Aus der rechtskräftigen Entscheidung findet die Zwangsvollstreckung nach der Zivilprozeßordnung statt. Literatur: Drehsen, Massenhafte Beteiligung bei gerichtlicher Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern nach § 104 Abs. 1 AktG, AG 2015, 775; Fett/Theusinger, Die gerichtliche Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern – Einsatzmöglichkeiten und Fallstricke, AG 2010, 425; Jänig/Leißring, FamFG: Neues Verfahren für Streitigkeiten in AG und GmbH, ZIP 2010, 110; Lutter/Kirschbaum, Zum Wettbewerber im Aufsichtsrat, ZIP 2005, 103; Niewarra/Servatius, Die gerichtliche Ersatzbestellung im Aufsichtsrat, in: Festschrift für Johannes Semler, 1993, S. 217; Schnittker/Grau, Aufsichtsratswahlen und Ersatzbestellung von Aufsichtsratsmitgliedern im Wechsel des Mitbestimmungsmodells, NZG 2007, 486; Schwab, Die Freigabe der angefochtenen Aufsichtsratswahl analog § 104 Abs. 2 AktG, AG 2015, 195; Wandt, Der Antrag auf gerichtliche Bestellung eines Aufsichtsratsmitglieds bei AG und SE, AG 2016, 877; Wirth, Anforderungsprofil und Inkompatibilitäten für Aufsichtsratsmitglieder, ZGR 2005, 327.

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§ 104

Bestellung durch das Gericht Übersicht I. Gegenstand und Zweck der Norm .................................................. 1 II. Ergänzung zur Behebung der Beschlussunfähigkeit (§ 104 Abs. 1) .... 2 III. Ergänzung des unterbesetzten Aufsichtsrats (§ 104 Abs. 2, Abs. 3) ................................................. 6 IV. Beschränkungen der gerichtlichen Auswahl (§ 104 Abs. 4) ....... 10 1. Berücksichtigung der Gruppenverhältnisse (§ 104 Abs. 4 Satz 1 und 2) ................................................ 11 I.

2. Besondere persönliche Voraussetzungen (§ 104 Abs. 4 Satz 3) ........... 3. Beachtung von Vorschlagsrechten (§ 104 Abs. 4 Satz 4) ........................ 4. Beachtung der Geschlechterquote (§ 104 Abs. 5) ................................... V. Ende des Amts gerichtlich bestellter Aufsichtsratsmitglieder (§ 104 Abs. 6) ............................. VI. Auslagenersatz und Vergütung (§ 104 Abs. 7) ...................................

12 13 14

15 16

Gegenstand und Zweck der Norm

Die Norm enthält die Regelungen für die Ergänzung des nicht beschlussfähigen (§ 104 1 Abs. 1) und des unterbesetzten (§ 104 Abs. 2) Aufsichtsrats. § 104 Abs. 3 und Abs. 4 enthalten die zu beachtenden mitbestimmungsrechtlichen Besonderheiten, § 104 Abs. 5 enthält einen klarstellenden Verweis auf die einzuhaltende Mindestquote (siehe unten Rz. 14), § 104 Abs. 6 und Abs. 7 regeln die Amtsdauer und Rechte gerichtlich bestellter Aufsichtsratsmitglieder. Auch im Insolvenzverfahren können § 104 Abs. 1 und Abs. 2 zur Anwendung kommen.1) Die Norm bezweckt, die Handlungs- und Funktionsfähigkeit des Aufsichtsrats zu gewährleisten.2) Es soll die Handlungsfähigkeit des Aufsichtsrats sichergestellt werden, sofern der Aufsichtsrat notwendiges Organ ist. Eine Anwendung auf Gesellschaften mit lediglich fakultativem Aufsichtsrat (GmbH) kommt nicht in Betracht.3) II.

Ergänzung zur Behebung der Beschlussunfähigkeit (§ 104 Abs. 1)

Nach § 104 Abs. 1 Satz 1 erfolgt die gerichtliche Bestellung, wenn dem Aufsichtsrat nicht 2 die zur Beschlussfähigkeit erforderliche Zahl von Mitgliedern angehört. Voraussetzung für die gerichtliche Ergänzung nach § 104 Abs. 1 Satz 1 ist die Beschlussunfähigkeit des Aufsichtsrats; diese ist nach § 108 Abs. 2 zu beurteilen. Der Vorstand ist berechtigt und nach § 104 Abs. 1 Satz 2 auch verpflichtet einen Ergänzungsantrag zu stellen, wenn die rechtzeitige Ergänzung nicht vor der nächsten Aufsichtsratssitzung zu erwarten ist.4) Der Antrag ist unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB) nach Eintritt der Beschlussfähigkeit zu stellen.5) Antragsberechtigt sind neben dem Vorstand auch jedes Aufsichtsratsmitglied und jeder 3 Aktionär (§ 104 Abs. 1 Satz 1), die Gesellschaft selbst jedoch nicht,6) sowie bei mitbestimmten Gesellschaften die in § 104 Abs. 1 Satz 3 Genannten; durch § 104 Abs. 1 Satz 4 wird die _____________ 1) 2)

3)

4) 5) 6)

KG Berlin, Beschl. v. 4.8.2005 – 1 W 397/03, ZIP 2005, 1553, 1555; OLG Dresden, Beschl. v. 10.8.2005 – 2 U 290/05, ZIP 2005, 1845, 1846, dazu EWiR 2006, 483 (Luttermann). VerfGH Bayern, Beschl. v. 24.8.2005 – Vf. 80-VI-04, AG 2006, 209, 210; OLG Hamm, Beschl. v. 16.12.2010 – 15 W 538/10, ZIP 2011, 372, 374; OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 8.9.2014 – 20 W 148/14, ZIP 2015, 170, 172, dazu EWiR 2015, 103 (Bachmann). OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 19.11.2013 – 20 W 335/13, ZIP 2014, 826 f.; OLG Hamm, Beschl. v. 20.1.2000 – 15 W 46/00, AG 2000, 476, 477 = ZIP 2000, 927, dazu EWiR 2000, 463 (Schaaf); Habersack in: MünchKomm-AktG, § 104 Rz. 4; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 104 Rz. 1. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 104 Rz. 3; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 104 Rz. 14. Habersack in: MünchKomm-AktG, § 104 Rz. 14; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 104 Rz. 30. OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 8.9.2014 – 20 W 148/14, ZIP 2015, 170, 171; näher dazu Wandt, AG 2016, 877, 887 f.

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Antragsberechtigung im Geltungsbereich des Mitbestimmungsgesetzes nochmals erweitert.7) Die Vorstandsmitglieder müssen in vertretungsberechtigter Zahl handeln; ein Vorstandsmitglied kann den Antrag auch gemeinsam mit einem Prokuristen stellen, wenn die Satzung unechte Gesamtvertretung vorsieht (§ 78 Abs. 3).8) Stellen die Arbeitnehmervertreter den Antrag, so sind sie auch zur Kostentragung verpflichtet.9) Zur Vermeidung der Gefahr einer dauerhaften Entmündigung des eigentlich für die Wahl zuständigen Organs, sollte die gerichtliche Bestellung eines Aufsichtsratsmitglieds grundsätzlich bis zum nächsten regulären Bestellungstermin (also nächste Hauptversammlung für Anteilseignervertreter bzw. nächste Belegschaftswahl für Arbeitnehmervertreter) befristet werden.10) Auch der DCGK enthält die Empfehlung (Ziff. 5.4.3 Satz 2), dass der Antrag auf gerichtliche Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern der Anteilseigner bis zur nächsten Hauptversammlung befristet sein soll.11) 4 Das Gericht wählt das Aufsichtsratsmitglied grundsätzlich ohne Bindung an den Antrag nach pflichtgemäßem Ermessen aus,12) welches den Beschränkungen des § 104 Abs. 4 Satz 1 – 4 und den sonstigen gesetzes- und satzungsmäßigen Bestellungsvoraussetzungen unterliegt. Im Übrigen hat das Gericht seine Entscheidung an den Interessen der Gesellschaft auszurichten.13) Nach der Rechtsprechung steht es der gerichtlichen Bestellung nach § 104 Abs. 2 nicht grundsätzlich entgegen, wenn der vorgeschlagene Kandidat zugleich Organmitglied eines konkurrierenden Unternehmens ist.14) Das OLG Hamm hält es aber für unbedenklich, wenn das Gericht sich bei seiner Ermessensausübung davon leiten lässt, dass die Bestellung einer neutralen Person zum Aufsichtsratsmitglied als sinnvoll erachtet wird. Hierbei sollen auch die Unabhängigkeitskriterien nach Ziff. 5.4.2 DCGK herangezogen werden können.15) 5 Das Verfahren zur Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern nach § 104 ist ein Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit (unternehmensrechtliches Verfahren nach §§ 375 Nr. 3, _____________ 7) Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 30 Rz. 63; ausführlich zu den Verfahrensbeteiligten nach dem FamFG: Drehsen, AG 2015, 775 ff. 8) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 104 Rz. 16; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 104 Rz. 28; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 104 Rz. 3. 9) OLG Düsseldorf, Beschl. v. 1.2.1994 – 10 W 1/94, AG 1994, 424; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 30 Rz. 63. 10) OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 15.5.2017 – 20 W 147/17, ZIP 2017, 2262; Hölters-Simons, AktG, § 104 Rz. 32. 11) S. dazu Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder-Kremer, DCGK, Rz. 1404 („zur Stärkung der Legitimation der Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat und zur besseren Durchsetzung des Aktionärsrechts auf Wahl der Anteilseignervertreter“); Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 30 Rz. 65; Hölters-Simons, AktG, § 104 Rz. 32. 12) OLG Stuttgart, Beschl. v. 24.2.2017 – 20 W 8/16, ZIP 2017, 671 = Der Konzern 2017, 301, dazu EWiR 2017, 361 (Séché/Theusinger); OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 8.9.2014 – 20 W 148/14, ZIP 2015, 170, 172; OLG Bamberg, Beschl. v. 19.2.2014 – 8 W 2/14, ZIP 2014, 2035, dazu EWiR 2014, 707 (Theusinger/Schilha); OLG Hamm, Beschl. v. 28.5.2013 – I-27 W 35/13, ZIP 2013, 2008 f., dazu EWiR 2014, 7 (Rahlmeyer); OLG Schleswig, Beschl. v. 26.4.2004 – 2 W 46/04, ZIP 2004, 1143, dazu EWiR 2004, 949 (Lenz); AG Berlin-Charlottenburg, Beschl. v. 5.11.2004 – HRB 93752, AG 2005, 133, insbesondere zur Berücksichtigung der hypothetischen Bestellung durch das primär zuständige Gremium. 13) OLG Bamberg, Beschl. v. 19.2.2014 – 8 W 2/14, ZIP 2014, 2035; OLG Hamm, Beschl. v. 28.5.2013 – I-27 W 35/13, ZIP 2013, 2008; OLG Schleswig, Beschl. v. 26.4.2004 – 2 W 46/04, ZIP 2004, 1143, 1144. 14) So für den Fall eines Vorstandsmitglieds: OLG Schleswig, Beschl. v. 26.4.2004 – 2 W 46/04, ZIP 2004, 1143, 1144; kritisch hierzu: Lutter/Kirschbaum, ZIP 2005, 103, 104 f.; ausführlich zum Ganzen: Wirth, ZGR 2005, 327, 343 ff.; für den Fall eines Aufsichtsratsmitglieds: OLG Stuttgart, Beschl. v. 24.2.2017 – 20 W 8/16, ZIP 2017, 671 = Der Konzern 2017, 301, 302 f. 15) OLG Hamm, Beschl. v. 28.5.2013 – I-27 W 35/13, ZIP 2013, 2008, 2009 (obwohl das OLG auch ausdrücklich annimmt, dass der DCGK die Gerichte nicht bindet).

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Bestellung durch das Gericht

376 f. FamFG).16) Als Rechtsmittel gegen die gerichtliche Entscheidung ist gemäß § 58 Abs. 1 FamFG i. V. m. § 104 Abs. 1 Satz 5, Abs. 2 Satz 4 AktG die Beschwerde statthaft.17) Das Beschwerdegericht ist bei der Überprüfung der Ermessensentscheidung des Registergerichts nicht auf Ermessensfehler beschränkt, sondern kann sein Ermessen an die Stelle des Amtsgerichts setzen.18) III.

Ergänzung des unterbesetzten Aufsichtsrats (§ 104 Abs. 2, Abs. 3)

In nicht mitbestimmten Gesellschaften kann der Aufsichtsrat gerichtlich ergänzt werden, 6 wenn die durch Gesetz oder Satzung festgelegte Mitgliederzahl länger als drei Monate unterschritten wird (§ 104 Abs. 2 Satz 1) oder ein dringender Fall vorliegt (§ 104 Abs. 2 Satz 2). Nach der Rechtsprechung scheidet eine vorsorgliche gerichtliche Bestellung eines Aufsichtsratsmitglieds, dessen Wahl durch die Hauptversammlung durch Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklagen angefochten wurde, in analoger Anwendung dieser Vorschrift mangels planwidriger Regelungslücke aus.19) Sofern der Aufsichtsrat nach den in § 104 Abs. 3 genannten Mitbestimmungsgesetzen 7 (nicht nach dem DrittelbG) quasi paritätisch zusammengesetzt ist, liegt bei Unterbesetzung stets ein dringender Fall vor (§ 104 Abs. 3 Nr. 2). Hierbei ist das weitere Mitglied ausgenommen. Das weitere Mitglied kann nicht gerichtlich bestellt werden (§ 104 Abs. 3 Nr. 1). Die Antragsberechtigung für den erforderlichen Antrag ergibt sich aus § 104 Abs. 1, es be- 8 steht aber keine Verpflichtung zur Antragstellung.20) Dringende Fälle nach § 104 Abs. 2 Satz 2 liegen dann vor, wenn Entscheidungen an- 9 stehen, die für den Bestand oder die Struktur der Gesellschaft von wesentlicher Bedeutung sind;21) auch andere wesentliche Entscheidungen (Bestellung oder Abberufung von Vorstandsmitgliedern) fallen hierunter, wenn nach der konkreten Zusammensetzung des Aufsichtsrats einseitige Durchsetzungschancen einer Interessengruppe bestehen oder bloße Zufallsergebnisse zu erwarten sind.22) IV.

Beschränkungen der gerichtlichen Auswahl (§ 104 Abs. 4)

Über die gerichtliche Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern entscheidet das Gericht 10 grundsätzlich nach pflichtgemäßem Ermessen ohne Bindung an Anträge; es sind aber die sich aus § 104 Abs. 4 ergebenden Beschränkungen zu beachten,23) wie etwa die Vorschriften zur Parität, zum Gruppenproporz zwischen Arbeitnehmern, leitenden Angestellten und Gewerkschaftsvertretern (§ 104 Abs. 4 Sätze 1 und 2) sowie die sonstigen gesetz- und satzungsmäßigen Bestellungsvoraussetzungen (insbes. besondere persönliche _____________ 16) OLG Hamm, Beschl. v. 16.12.2010 – 15 W 538/10, ZIP 2011, 372, 373; Jänig/Leißring, ZIP 2010, 110, 111; Drehsen, AG 2015, 775. 17) OLG Hamm, Beschl. v. 16.12.2010 – 15 W 538/10, ZIP 2011, 372, 373; Jänig/Leißring, ZIP 2010, 110, 117 und 119. 18) OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 8.9.2014 – 20 W 148/14, ZIP 2015, 170, 173. 19) OLG Köln, Beschl. v. 23.3.2011 – 2 Wx 41/11, ZIP 2011, 522, dazu EWiR 2011, 201 (v. d. Linden); a. A. Schwab, AG 2015, 195, 198 ff. 20) Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 30 Rz. 63; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 104 Rz. 24 und 30. 21) AG Wuppertal, Beschl. v. 23.11.1970 – HRB 2057, DB 1971, 764; BayVerfGH, Entsch. v. 24.8.2005 – Vf. 80/VI-04, AG 2006, 209, 210; ausführlich dazu: Habersack in: MünchKomm-AktG, § 104 Rz. 27; Hölters-Simons, AktG, § 104 Rz. 14 ff. 22) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 104 Rz. 10; a. A. Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 104 Rz. 30. 23) OLG Stuttgart, Beschl. v. 24.2.2017 – 20 W 8/16, ZIP 2017, 671 = Der Konzern 2017, 301; OLG Hamm, Beschl. v. 28.5.2013 – I-27 W 35/13, ZIP 2013, 2008, 2009; BayObLG, Beschl. v. 20.8.1997 – 3Z BR 193/97, ZIP 1997, 1883, 1884.

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Bestellung durch das Gericht

Voraussetzungen nach § 104 Abs. 4 Satz 3) und Vorgaben für Vorschlagsrechte (§ 104 Abs. 4 Satz 4).24) 1.

Berücksichtigung der Gruppenverhältnisse (§ 104 Abs. 4 Satz 1 und 2)

11 Die Einschränkungen des § 104 Abs. 4 Satz 1 und 2 sind zu beachten, wenn der Aufsichtsrat auch aus Arbeitnehmervertretern zu bestehen hat. Insoweit sind etwa § 7 Abs. 1 MitbestG, § 4 Abs. 1 MontanMitbestG, § 5 MitbestErgG, § 4 Abs. 1 DrittelbG und §§ 22 ff. MgVG zur Parität sowie die §§ 7 Abs. 2 und 15 Abs. 2 MitbestG zu nennen.25) Der Aufsichtsrat ist dann so zu ergänzen, dass das für seine Zusammensetzung vorgesehene zahlenmäßige Verhältnis hergestellt wird (§ 104 Abs. 4 Satz 1). Sofern der Aufsichtsrat zur Herstellung der Beschlussfähigkeit ergänzt wird, gilt dies grundsätzlich ebenfalls. Hier sind jedoch Fälle denkbar, in denen das zahlenmäßige Verhältnis nicht hergestellt werden kann (etwa wenn nur ein Aufsichtsratsmitglied zu bestellen ist). Innerhalb von § 104 Abs. 4 geht dann Satz 2 dem Satz 1 mit dem Ergebnis vor, dass ein Mitglied der benachteiligten Seite zu bestellen ist.26) 2.

Besondere persönliche Voraussetzungen (§ 104 Abs. 4 Satz 3)

12 Über nach Gesetz oder Satzung erforderliche besondere Voraussetzungen muss auch das gerichtlich zu bestellende Aufsichtsratsmitglied verfügen, und zwar in beiden Ergänzungsfällen (Abs. 1 und 2).27) Hier sind insbesondere die Wählbarkeitsvoraussetzungen für Arbeitnehmervertreter (§§ 7 Abs. 2, 15 Abs. 1 MitbestG) sowie die §§ 100 Abs. 1 und 2, 105 zu nennen.28) Ehemalige Vorstandsmitglieder (börsennotierter Gesellschaften) können nur gerichtlich bestellt werden, wenn der Antrag von 25 % der Aktionäre gestellt wurde (§ 101 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4).29) Die Qualifikationen als (unabhängiger) Finanzexperte nach § 100 Abs. 530) oder entsprechend den Empfehlungen des DCGK31) zählen nicht zu den Voraussetzungen i. S. des § 104 Abs. 4 Satz 3. 3.

Beachtung von Vorschlagsrechten (§ 104 Abs. 4 Satz 4)

13 Ist ein Aufsichtsratsmitglied zu ersetzen, bei dessen Wahl eine Spitzenorganisation der Gewerkschaften, eine Gewerkschaft oder die Betriebsräte ein Vorschlagsrecht haben, so soll das Gericht nach § 104 Abs. 4 Satz 4 deren Vorschläge berücksichtigen, sofern nicht überwiegende Belange der Gesellschaft oder der Allgemeinheit entgegenstehen.32) Liegen kon_____________ 24) S. dazu OLG Stuttgart, Beschl. v. 24.2.2017 – 20 W 8/16, ZIP 2017, 671 f. = Der Konzern 2017, 301; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 104 Rz. 31; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 104 Rz. 14. 25) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 104 Rz. 32; s. a. Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG/DrittelbG, § 6 MitbestG Rz. 47. 26) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 104 Rz. 32; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 104 Rz. 12. 27) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 104 Rz. 33; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 104 Rz. 13. 28) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 104 Rz. 33; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 104 Rz. 13. 29) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 104 Rz. 33, Fn. 83; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 104 Rz. 13; Fett/ Theusinger, AG 2010, 425, 432. 30) Hölters-Simons, AktG, § 104 Rz. 28; Wasse, AG 2011, 685, 686 f.; a. A. Habersack in: MünchKommAktG, § 104 Rz. 33 (soweit die Gesellschaft einen solchen Experten nicht hat); Fett/Theusinger, AG 2010, 425, 432; nach dem Entfall des Kriteriums der „Unabhängigkeit“ (s. dazu § 100 Rz. 3) sind im Antrag jedenfalls diesbezügliche Ausführungen entbehrlich; s. dazu Wandt, AG 2016, 877, 883. 31) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 104 Rz. 33 und § 100 Rz. 11 f. sowie 51 ff., Hölters-Simons, AktG, § 104 Rz. 28. 32) OLG Stuttgart, Beschl. v. 24.2.2017 – 20 W 8/16, ZIP 2017, 671 = Der Konzern 2017, 301; BayObLG, Beschl. v. 20.8.1997 – 3Z BR 193/97, ZIP 1997, 1883, 1884; OLG München, Beschl. v. 12.7.2006 – 31 Wx 47/06, ZIP 2006, 1770, 1771.

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Unvereinbarkeit der Zugehörigkeit zum Vorstand und zum Aufsichtsrat

§ 105

kurrierende Vorschläge vor, steht es im Ermessen des Gerichts, welcher der vorgeschlagenen Kandidaten zum Aufsichtsratsmitglied bestellt wird.33) 4.

Beachtung der Geschlechterquote (§ 104 Abs. 5)

In § 104 Abs. 5 ist durch das Gesetz zur Geschlechterquote34) ausdrücklich klargestellt 14 worden,35) dass bei den dort genannten Gesellschaften im Falle der gerichtlichen Ergänzung der Aufsichtsratsmitglieder gemäß § 104 Abs. 1 – 4 das Gericht ebenfalls an die Einhaltung der Mindestquote gemäß § 96 Abs. 2 Satz 1 – 5 gebunden ist.36) V.

Ende des Amts gerichtlich bestellter Aufsichtsratsmitglieder (§ 104 Abs. 6)

Das Amt eines gerichtlich bestellten Aufsichtsratsmitglieds endet automatisch, wenn der 15 Mangel behoben ist (§ 104 Abs. 6), etwa wenn die Hauptversammlung ein neues Mitglied gewählt und dieses die Wahl angenommen hat.37) Eines weiteren gerichtlichen Aktes (etwa Abberufung) bedarf es dann nicht mehr.38) Die gerichtliche Bestellung endet kraft Gesetzes, sobald der Aufsichtsrat wieder beschlussfähig ist (§ 104 Abs. 1) oder die Unterbesetzung entfallen ist (§ 104 Abs. 2). VI.

Auslagenersatz und Vergütung (§ 104 Abs. 7)

Nach § 104 Abs. 7 Satz 1 hat das gerichtlich bestellte Aufsichtsratsmitglied jedenfalls gegen 16 die Gesellschaft Anspruch auf Ersatz angemessener Auslagen und auch auf angemessene Vergütung.39) Hierüber kann das Gericht auf Antrag entscheiden (§ 104 Abs. 7 Satz 2).40) _____________ 33) OLG Stuttgart, Beschl. v. 24.2.2017 – 20 W 8/16, ZIP 2017, 671, 672 = Der Konzern 2017, 301; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 104 Rz. 14; für Berücksichtigung des mutmaßlichen Willens des grundsätzlich bestellungsberechtigten Gremiums: Habersack in: MünchKomm-AktG, § 104 Rz. 35 m. w. N.; dem nicht folgend und für die Bestellung eines „neutralen“ Mitglieds: OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 8.9.2014 – 20 W 148/14, ZIP 2015, 170, 174. 34) Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im Öffentlichen Dienst v. 24.4.2015, BGBl. I 2015, 642. 35) Begr. RegE, BT-Drucks. 18/3784, S. 122. 36) Begr. RegE, BT-Drucks. 18/3784, S. 122; näher dazu: Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 104 Rz. 14a; Wandt, AG 2016, 877, 884; Seibt, ZIP 2015, 1193, 1201. 37) OLG München, Beschl. v. 12.7.2006 – 31 Wx 47/06, ZIP 2006, 1770, 1771. 38) BayObLG, Beschl. v. 9.7.2004 – 3Z BR 099/04, ZIP 2004, 2190, 2191. 39) Hölters-Simons, AktG, § 104 Rz. 36 ff.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 104 Rz. 17. 40) Ausführlich hierzu: Habersack in: MünchKomm-AktG, § 104 Rz. 54 ff.; Hölters-Simons, AktG, § 104, Rz. 37.

§ 105 Unvereinbarkeit der Zugehörigkeit zum Vorstand und zum Aufsichtsrat (1) Ein Aufsichtsratsmitglied kann nicht zugleich Vorstandsmitglied, dauernd Stellvertreter von Vorstandsmitgliedern, Prokurist oder zum gesamten Geschäftsbetrieb ermächtigter Handlungsbevollmächtigter der Gesellschaft sein. (2) 1Nur für einen im voraus begrenzten Zeitraum, höchstens für ein Jahr, kann der Aufsichtsrat einzelne seiner Mitglieder zu Stellvertretern von fehlenden oder verhinderten Vorstandsmitgliedern bestellen. 2Eine wiederholte Bestellung oder Verlängerung der Amtszeit ist zulässig, wenn dadurch die Amtszeit insgesamt ein Jahr nicht übersteigt. 3Während ihrer Amtszeit als Stellvertreter von Vorstandsmitgliedern können Werner Paul Schick

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Unvereinbarkeit der Zugehörigkeit zum Vorstand und zum Aufsichtsrat

§ 105

kurrierende Vorschläge vor, steht es im Ermessen des Gerichts, welcher der vorgeschlagenen Kandidaten zum Aufsichtsratsmitglied bestellt wird.33) 4.

Beachtung der Geschlechterquote (§ 104 Abs. 5)

In § 104 Abs. 5 ist durch das Gesetz zur Geschlechterquote34) ausdrücklich klargestellt 14 worden,35) dass bei den dort genannten Gesellschaften im Falle der gerichtlichen Ergänzung der Aufsichtsratsmitglieder gemäß § 104 Abs. 1 – 4 das Gericht ebenfalls an die Einhaltung der Mindestquote gemäß § 96 Abs. 2 Satz 1 – 5 gebunden ist.36) V.

Ende des Amts gerichtlich bestellter Aufsichtsratsmitglieder (§ 104 Abs. 6)

Das Amt eines gerichtlich bestellten Aufsichtsratsmitglieds endet automatisch, wenn der 15 Mangel behoben ist (§ 104 Abs. 6), etwa wenn die Hauptversammlung ein neues Mitglied gewählt und dieses die Wahl angenommen hat.37) Eines weiteren gerichtlichen Aktes (etwa Abberufung) bedarf es dann nicht mehr.38) Die gerichtliche Bestellung endet kraft Gesetzes, sobald der Aufsichtsrat wieder beschlussfähig ist (§ 104 Abs. 1) oder die Unterbesetzung entfallen ist (§ 104 Abs. 2). VI.

Auslagenersatz und Vergütung (§ 104 Abs. 7)

Nach § 104 Abs. 7 Satz 1 hat das gerichtlich bestellte Aufsichtsratsmitglied jedenfalls gegen 16 die Gesellschaft Anspruch auf Ersatz angemessener Auslagen und auch auf angemessene Vergütung.39) Hierüber kann das Gericht auf Antrag entscheiden (§ 104 Abs. 7 Satz 2).40) _____________ 33) OLG Stuttgart, Beschl. v. 24.2.2017 – 20 W 8/16, ZIP 2017, 671, 672 = Der Konzern 2017, 301; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 104 Rz. 14; für Berücksichtigung des mutmaßlichen Willens des grundsätzlich bestellungsberechtigten Gremiums: Habersack in: MünchKomm-AktG, § 104 Rz. 35 m. w. N.; dem nicht folgend und für die Bestellung eines „neutralen“ Mitglieds: OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 8.9.2014 – 20 W 148/14, ZIP 2015, 170, 174. 34) Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im Öffentlichen Dienst v. 24.4.2015, BGBl. I 2015, 642. 35) Begr. RegE, BT-Drucks. 18/3784, S. 122. 36) Begr. RegE, BT-Drucks. 18/3784, S. 122; näher dazu: Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 104 Rz. 14a; Wandt, AG 2016, 877, 884; Seibt, ZIP 2015, 1193, 1201. 37) OLG München, Beschl. v. 12.7.2006 – 31 Wx 47/06, ZIP 2006, 1770, 1771. 38) BayObLG, Beschl. v. 9.7.2004 – 3Z BR 099/04, ZIP 2004, 2190, 2191. 39) Hölters-Simons, AktG, § 104 Rz. 36 ff.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 104 Rz. 17. 40) Ausführlich hierzu: Habersack in: MünchKomm-AktG, § 104 Rz. 54 ff.; Hölters-Simons, AktG, § 104, Rz. 37.

§ 105 Unvereinbarkeit der Zugehörigkeit zum Vorstand und zum Aufsichtsrat (1) Ein Aufsichtsratsmitglied kann nicht zugleich Vorstandsmitglied, dauernd Stellvertreter von Vorstandsmitgliedern, Prokurist oder zum gesamten Geschäftsbetrieb ermächtigter Handlungsbevollmächtigter der Gesellschaft sein. (2) 1Nur für einen im voraus begrenzten Zeitraum, höchstens für ein Jahr, kann der Aufsichtsrat einzelne seiner Mitglieder zu Stellvertretern von fehlenden oder verhinderten Vorstandsmitgliedern bestellen. 2Eine wiederholte Bestellung oder Verlängerung der Amtszeit ist zulässig, wenn dadurch die Amtszeit insgesamt ein Jahr nicht übersteigt. 3Während ihrer Amtszeit als Stellvertreter von Vorstandsmitgliedern können Werner Paul Schick

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§ 105

Unvereinbarkeit der Zugehörigkeit zum Vorstand und zum Aufsichtsrat

die Aufsichtsratsmitglieder keine Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied ausüben. 4Das Wettbewerbsverbot des § 88 gilt für sie nicht. Literatur: Heidbüchel, Das Aufsichtsratsmitglied als Vorstandsvertreter, WM 2004, 1317; Lange, Der Wechsel aus dem Vorstand in den Aufsichtsrat, NZG 2004, 265; Wirth, Anforderungsprofil und Inkompatibilitäten für Aufsichtsratsmitglieder, ZGR 2005, 327.

Übersicht I. Gegenstand und Zweck der Norm .................................................. 1 II. Inkompatibilität von Vorstandsund Aufsichtsratsmandat ................ 3 III. Rechtsfolgen von Verstößen ........... 6 I.

IV. Vertretung eines Vorstandsmitglieds durch ein Aufsichtsratsmitglied (§ 105 Abs. 2) ...................... 7 V. Rechtsstellung des Stellvertreters .............................................................. 9

Gegenstand und Zweck der Norm

1 Durch die in § 105 Abs. 1 vorgesehene Unvereinbarkeit des Aufsichtsratsmandats mit der Vorstandsmitgliedschaft und bestimmter leitender Positionen (Prokurist gemäß §§ 48 f. HGB oder zum gesamten Geschäftsbetrieb ermächtigter Handlungsbevollmächtigter gemäß § 54 Abs. 1 Alt. 1 HGB) der Gesellschaft wird die Funktionstrennung von Vorstand und Aufsichtsrat personell abgesichert.1) 2 § 105 Abs. 2 lässt es als Ausnahmefall zu, dass Aufsichtsratsmitglieder für einen begrenzten Zeitraum zu Stellvertretern von Mitgliedern und auch des Vorsitzenden des Vorstands bestellt werden. Hierdurch soll die Entscheidungsfreiheit des Aufsichtsrats insoweit geschützt werden, als die vorübergehende Besetzung einer Vakanz durch ein Aufsichtsratsmitglied ermöglicht wird und eine überstürzte Neubesetzung unterbleiben kann.2) II.

Inkompatibilität von Vorstands- und Aufsichtsratsmandat

3 Die gleichzeitige Mitgliedschaft in Vorstand und Aufsichtsrat ist unzulässig.3) Unzulässig ist auch die gleichzeitige Ausübung des Aufsichtsratsmandats sowie die Tätigkeit als Prokurist oder als zum gesamten Geschäftsbetrieb ermächtigter Handlungsbevollmächtigter der Gesellschaft. Die Beschränkung der Unvereinbarkeit auf Vorstandsmitglieder, Prokuristen und Bevollmächtigte mit Generalhandlungsvollmacht nach § 54 Abs. 1 Alt. 1 HGB dient der Rechtsklarheit.4) Angestellte der Gesellschaft, die andere als die in § 105 Abs. 1 ausdrücklich genannten Funktionen ausüben, können Mitglieder des Aufsichtsrats sein. § 6 Abs. 2 Satz 1 MitbestG enthält für dem MitbestG unterliegende Gesellschaften eine Ausnahme; abweichend von § 105 Abs. 1 sind danach auch Prokuristen als Aufsichtsratsmitglied der Arbeitnehmer wählbar, wenn sie dem Vorstand nicht unmittelbar unterstellt sind und die Prokura nicht für den gesamten Geschäftsbereich des Vorstands ausüben dürfen.5) 4 Die Unvereinbarkeitsregel des § 105 Abs. 1 gilt nur für die gleichzeitige Tätigkeit in Vorstand und Aufsichtsrat. Nicht erfasst wird die aufeinander folgende Mitgliedschaft in Vorstand und Aufsichtsrat. § 105 Abs. 1 ist auf den Wechsel vom Vorstand in den Aufsichtsrat derselben Gesellschaft nicht analog anzuwenden.6) Bei börsennotierten Gesell_____________ 1) 2) 3) 4) 5) 6)

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Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 105 Rz. 6; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 105 Rz. 1. Habersack in: MünchKomm-AktG, § 105 Rz. 2; Hölters-Simons, AktG, § 105 Rz. 1. Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 105 Rz. 19; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 105 Rz. 9. Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 105 Rz. 30 ff.; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 105 Rz. 6. Habersack in: MünchKomm-AktG, § 105 Rz. 16; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 105 Rz. 38. LG München I, Urt. v. 15.4.2004 – 5 HK O 10813/03, ZIP 2004, 853, 855; Wirth, ZGR 2005, 327, 341.

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Unvereinbarkeit der Zugehörigkeit zum Vorstand und zum Aufsichtsrat

§ 105

schaften (§ 3 Abs. 2) ist aber die Karenzzeit nach § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 zu beachten (siehe dazu § 100 Rz. 10 f.). Der DCGK enthält für börsennotierte Gesellschaften in Ziff. 5.4.2 Satz 3 (nicht mehr als zwei ehemalige Vorstandsmitglieder) und Ziff. 5.4.4 Satz 2 (Wechsel in Aufsichtsratsvorsitz als begründungspflichtige Ausnahme) weitere einschränkende Empfehlungen.7) Aus § 105 Abs. 1 folgt kein Verbot von Doppelmandaten im Konzern.8) Die Unverein- 5 barkeitsregel gilt nur innerhalb derselben Gesellschaft.9) Vorstandsmitglieder der herrschenden Gesellschaft können dem Aufsichtsrat der abhängigen Gesellschaft angehören.10) Umgekehrt ist allerdings das Verbot des § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 zu beachten; eine Mitgliedschaft des gesetzlichen Vertreters einer abhängigen Gesellschaft im Aufsichtsrat der herrschenden Gesellschaft ist als Verstoß gegen das „natürliche Organisationsgefälle“ unzulässig.11) III.

Rechtsfolgen von Verstößen

Es gilt das Prioritätsprinzip, weshalb die neue Rechtsstellung nicht ohne vorherige Be- 6 endigung der alten Rechtsstellung angetreten werden kann. Dabei ist zu unterscheiden, ob ein Aufsichtsratsmitglied zum Vorstandsmitglied, Prokuristen oder Bevollmächtigten mit Generalhandlungsvollmacht bestellt wurde oder ob jemand ungeachtet dieser Funktion zum Aufsichtsratsmitglied bestellt wurde.12) Ein amtierendes Vorstandsmitglied kann nur dann wirksam zum Aufsichtsratsmitglied bestellt werden, wenn es spätestens zum vorgesehenen Zeitpunkt des Amtsantritts aus dem Vorstand ausscheidet, etwa durch Niederlegung; für einen Prokuristen oder einen Generalhandlungsbevollmächtigten gilt dies entsprechend.13) Andernfalls ist die Bestellung nichtig, und zwar auch mit Blick auf den Wahlbeschluss entsprechend § 250 Abs. 1 Nr. 4.14) Soweit in der Annahme der Bestellung zum Aufsichtsratsmitglied die konkludente Niederlegung des Vorstandsmandats gesehen wird,15) kann dem nur dann gefolgt werden, wenn entsprechende konkrete Hinweise ersichtlich sind.16) Wird ein amtierendes Aufsichtsratsmitglied zum Vorstandsmitglied oder zu dem in § 105 Abs. 1 genannten leitenden Angestellten bestellt und legt es sein Aufsichtsratsmandat nicht bis spätestens mit Beginn des vorgesehenen Amtsantritts nieder, so ist bei gewollter Verknüpfung die Bestellung gemäß § 134 BGB nichtig.17) Ist die Aufgabe der Aufsichtsratsmitgliedschaft gewollt, ist die Bestellung bis zu dessen Niederlegung schwebend unwirksam; die Bestellung zum Vorstandsmitglied, Prokuristen oder Handlungsbevollmächtigten wird dann endgültig unwirksam, wenn die entsprechende Funktion ohne Niederlegung angetreten wird.18) _____________ 7) S. dazu Habersack in: MünchKomm-AktG, § 105 Rz. 7 f.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 105 Rz. 2. 8) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 105 Rz. 27; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 105 Rz. 10. 9) LG München I, Urt. v. 9.6.2005 – 5 HK O 10154/04, ZIP 2005, 1555; Habersack in: MünchKommAktG, § 105 Rz. 10; Hölters-Simons, AktG § 105 Rz. 10. 10) § 105 Abs. 1 betrifft nicht Vorstandsdoppelmandate, s. Habersack in: MünchKomm-AktG, § 105 Rz. 10; ausführlich dazu Seyfarth, Vorstandsrecht, § 7 Rz. 1 ff. 11) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 105 Rz. 10; Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 105 Rz. 7. 12) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 105 Rz. 18; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 105 Rz. 6. 13) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 105 Rz. 19; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 105 Rz. 23 und 40. 14) Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 105 Rz. 8; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 105 Rz. 19. 15) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 105 Rz. 19; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 105 Rz. 24. 16) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 105 Rz. 19; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 105 Rz. 24; a. A. Mertens in: KölnKomm-AktG, § 105 Rz. 8. 17) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 105 Rz. 21 und 39; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 105 Rz. 6; a. A. Habersack in: MünchKomm-AktG, § 105 Rz. 20. 18) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 105 Rz. 39; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 105 Rz. 6.

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§ 106 IV.

Bekanntmachung der Änderungen im Aufsichtsrat Vertretung eines Vorstandsmitglieds durch ein Aufsichtsratsmitglied (§ 105 Abs. 2)

7 Fehlt ein Vorstandsmitglied oder ist es verhindert, kann der Aufsichtsrat nach § 105 Abs. 2 einzelne seiner Mitglieder zu Stellvertretern des betroffenen Vorstandsmitglieds bestellen. 8 Das zu vertretende Vorstandsmitglied, das auch ein stellvertretendes i. S. des § 94 sein kann,19) muss fehlen oder verhindert sein. Ein Vorstandsmitglied fehlt, wenn die gesetzlich vorgeschriebene oder durch Satzung bzw. Geschäftsordnung vorgesehene Fest- oder Höchstzahl unterschritten ist, wobei auch stellvertretende Vorstandsmitglieder mitzuzählen sind.20) Es genügt aber auch, wenn ein in der Geschäftsordnung des Vorstands vorgesehener Vorstandsposten nicht besetzt ist oder wenn ein bereits amtierendes Vorstandsmitglied wegfällt. Eine Verhinderung liegt vor, wenn ein Vorstandsmitglied infolge Krankheit, Abwesenheit oder aus sonstigen Gründen nicht nur vorübergehend an der Amtsausübung gehindert ist.21) V.

Rechtsstellung des Stellvertreters

9 Das entsandte Aufsichtsratsmitglied wird Vorstandsmitglied, bleibt i. Ü. jedoch unter Ruhen seines Mandats zugleich Aufsichtsratsmitglied; es kann gemäß § 105 Abs. 2 Satz 3 seine Aufsichtsratstätigkeit nicht ausüben. Es behält aber sein Aufsichtsratsmandat, weshalb im Aufsichtsrat keine Vakanz entsteht.22) 10 Das bestellte Aufsichtsratsmitglied tritt in die Rechtsstellung des fehlenden oder verhinderten Vorstandsmitglieds ein. Die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis entspricht ebenfalls der des fehlenden oder verhinderten Vorstandsmitglieds, soweit der Bestellungsbeschluss keine andere Regelung enthält.23) Das als Stellvertreter eines Vorstandsmitglieds bestellte Aufsichtsratsmitglied hat alle Rechte und Pflichten eines Vorstandsmitglieds mit Ausnahme des Wettbewerbsverbots (§ 105 Abs. 2 Satz 4);24) es ist aber kein Stellvertreter i. S. des § 94 oder des § 164 BGB.25) 11 Die Bestellung nach § 105 Abs. 2 Satz 1 ist zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden und einzutragen (§ 81).26) _____________ 19) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 105 Rz. 23; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 105 Rz. 7; Spindler/StilzSpindler, AktG, § 105 Rz. 23. 20) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 105 Rz. 7; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 105 Rz. 50; gegen Mitzählen stellv. Vorstandsmitglieder: Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 105 Rz. 25. 21) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 105 Rz. 25; Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 105 Rz. 24. 22) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 105 Rz. 35; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 29 Rz. 14. 23) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 105 Rz. 65; Habersack in: MünchKomm-AktG, AktG, § 105 Rz. 34. 24) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 105 Rz. 65; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 105 Rz. 34. 25) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 105 Rz. 65; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 29 Rz. 15. 26) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 105 Rz. 62; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 105 Rz. 32 f.

§ 106 Bekanntmachung der Änderungen im Aufsichtsrat Der Vorstand hat bei jeder Änderung in den Personen der Aufsichtsratsmitglieder unverzüglich eine Liste der Mitglieder des Aufsichtsrats, aus welcher Name, Vorname, ausgeübter Beruf und Wohnort der Mitglieder ersichtlich ist, zum Handelsregister einzureichen; das Gericht hat nach § 10 des Handelsgesetzbuchs einen Hinweis darauf bekannt zu machen, dass die Liste zum Handelsregister eingereicht worden ist. 686

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§ 106 IV.

Bekanntmachung der Änderungen im Aufsichtsrat Vertretung eines Vorstandsmitglieds durch ein Aufsichtsratsmitglied (§ 105 Abs. 2)

7 Fehlt ein Vorstandsmitglied oder ist es verhindert, kann der Aufsichtsrat nach § 105 Abs. 2 einzelne seiner Mitglieder zu Stellvertretern des betroffenen Vorstandsmitglieds bestellen. 8 Das zu vertretende Vorstandsmitglied, das auch ein stellvertretendes i. S. des § 94 sein kann,19) muss fehlen oder verhindert sein. Ein Vorstandsmitglied fehlt, wenn die gesetzlich vorgeschriebene oder durch Satzung bzw. Geschäftsordnung vorgesehene Fest- oder Höchstzahl unterschritten ist, wobei auch stellvertretende Vorstandsmitglieder mitzuzählen sind.20) Es genügt aber auch, wenn ein in der Geschäftsordnung des Vorstands vorgesehener Vorstandsposten nicht besetzt ist oder wenn ein bereits amtierendes Vorstandsmitglied wegfällt. Eine Verhinderung liegt vor, wenn ein Vorstandsmitglied infolge Krankheit, Abwesenheit oder aus sonstigen Gründen nicht nur vorübergehend an der Amtsausübung gehindert ist.21) V.

Rechtsstellung des Stellvertreters

9 Das entsandte Aufsichtsratsmitglied wird Vorstandsmitglied, bleibt i. Ü. jedoch unter Ruhen seines Mandats zugleich Aufsichtsratsmitglied; es kann gemäß § 105 Abs. 2 Satz 3 seine Aufsichtsratstätigkeit nicht ausüben. Es behält aber sein Aufsichtsratsmandat, weshalb im Aufsichtsrat keine Vakanz entsteht.22) 10 Das bestellte Aufsichtsratsmitglied tritt in die Rechtsstellung des fehlenden oder verhinderten Vorstandsmitglieds ein. Die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis entspricht ebenfalls der des fehlenden oder verhinderten Vorstandsmitglieds, soweit der Bestellungsbeschluss keine andere Regelung enthält.23) Das als Stellvertreter eines Vorstandsmitglieds bestellte Aufsichtsratsmitglied hat alle Rechte und Pflichten eines Vorstandsmitglieds mit Ausnahme des Wettbewerbsverbots (§ 105 Abs. 2 Satz 4);24) es ist aber kein Stellvertreter i. S. des § 94 oder des § 164 BGB.25) 11 Die Bestellung nach § 105 Abs. 2 Satz 1 ist zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden und einzutragen (§ 81).26) _____________ 19) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 105 Rz. 23; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 105 Rz. 7; Spindler/StilzSpindler, AktG, § 105 Rz. 23. 20) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 105 Rz. 7; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 105 Rz. 50; gegen Mitzählen stellv. Vorstandsmitglieder: Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 105 Rz. 25. 21) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 105 Rz. 25; Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 105 Rz. 24. 22) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 105 Rz. 35; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 29 Rz. 14. 23) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 105 Rz. 65; Habersack in: MünchKomm-AktG, AktG, § 105 Rz. 34. 24) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 105 Rz. 65; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 105 Rz. 34. 25) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 105 Rz. 65; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 29 Rz. 15. 26) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 105 Rz. 62; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 105 Rz. 32 f.

§ 106 Bekanntmachung der Änderungen im Aufsichtsrat Der Vorstand hat bei jeder Änderung in den Personen der Aufsichtsratsmitglieder unverzüglich eine Liste der Mitglieder des Aufsichtsrats, aus welcher Name, Vorname, ausgeübter Beruf und Wohnort der Mitglieder ersichtlich ist, zum Handelsregister einzureichen; das Gericht hat nach § 10 des Handelsgesetzbuchs einen Hinweis darauf bekannt zu machen, dass die Liste zum Handelsregister eingereicht worden ist. 686

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Bekanntmachung der Änderungen im Aufsichtsrat

§ 106

Literatur: Noack, Neue Publizitätspflichten und Publizitätsmedien für Unternehmen – eine Bestandsaufnahme nach EHUG und TUG, WM 2007, 377; Wachter, Liste der Aufsichtsratsmitglieder, AG 2016, 776; Zöllner, Vereinheitlichung der Informationswege bei Aktiengesellschaften?, NZG 2003, 354.

Übersicht I. Gegenstand und Zweck der Norm .................................................. 1 II. Pflicht zur Einreichung einer Liste ..................................................... 3 I.

III. Gerichtliche Bekanntmachung ....... 6 IV. Wirkung der Bekanntmachung ....... 7

Gegenstand und Zweck der Norm

Die Norm sieht bei jeder Änderung in den Personen der Aufsichtsratsmitglieder die 1 Pflicht zur unverzüglichen Einreichung einer aktuellen Aufsichtsratsliste anstelle der bis Ende 2006 vorgesehenen Pflicht zur Bekanntmachung von Wechseln im Aufsichtsrat vor.1) Dies bezweckt die (übersichtliche) Publizität von personellen Änderungen im Aufsichtsrat.2) Die Beschränkung auf eine Hinweisbekanntmachung soll der Entlastung der Unternehmen von Bürokratieaufwand dienen und geht davon aus, dass die Liste der Aufsichtsratsmitglieder ohne weiteres elektronisch einsehbar ist.3) Durch die anschließende Hinweisbekanntmachung des Gerichts (§ 10 HGB) über die Ein- 2 reichung der Liste wird dem Rechtsverkehr die Möglichkeit der Kenntnisnahme der personellen Zusammensetzung des Aufsichtsrats gegeben, und zwar durch Einsichtnahme im elektronischen Handelsregister. II.

Pflicht zur Einreichung einer Liste

Bei jeder Änderung der personellen Zusammensetzung muss der Vorstand unverzüglich, 3 mithin ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB), eine Liste der Aufsichtsratsmitglieder elektronisch zum Handelsregister einreichen.4) Änderung ist jedes Ausscheiden und Eintreten (etwa aufgrund Wahl, Entsendung oder gerichtlicher Bestellung), aber auch bloßes Ausscheiden (etwa aufgrund Niederlegung oder Versterben).5) Die bloße Wiederwahl eines amtierenden Aufsichtsratsmitglieds, die Verlängerung der Amtszeit oder Änderungen des Namens, Berufs oder Wohnorts lösen keine Einreichungspflicht aus.6) Die erforderliche „Änderung in den Personen der Aufsichtsratsmitglieder“ liegt bei einer Veränderung im (stellvertretenden) Vorsitz des Aufsichtsrats ebenfalls nicht vor.7) Auch Änderungen in der Zusammensetzung von Ausschüssen begründen nicht die Pflicht nach § 106.8) Die einzureichende aktuelle Liste muss den Namen und Vornamen sowie den ausgeübten 4 Beruf und den Wohnort sämtlicher Aufsichtsratsmitglieder enthalten.9) Die Liste gibt _____________ 1) 2) 3)

4) 5) 6) 7) 8) 9)

Noack, WM 2007, 377 f.; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 106 Rz. 2; zur alten Rechtslage: Zöllner, NZG 2003, 354, 356. K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 106 Rz. 1; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 106 Rz. 1. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung – BR-Drucks. 16/960 – Entwurf eines Gesetzes über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister (EHUG), BT-Drucks. 16/2781, S. 88. Habersack in: MünchKomm-AktG, § 106 Rz. 6 und 10; Noack, WM 2007, 377, 378. Habersack in: MünchKomm-AktG, § 106 Rz. 6 f.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 106 Rz. 2. Habersack in: MünchKomm-AktG, § 106 Rz. 6; Wachter, AG 2016, 776, 779 f. (zweifelnd bei Namensänderungen). Habersack in: MünchKomm-AktG, § 106 Rz. 6; Wachter, AG 2016, 776, 779 f. Habersack in: MünchKomm-AktG, § 106 Rz. 6; Wachter, AG 2016, 776, 779 f. Habersack in: MünchKomm-AktG, § 106 Rz. 9; Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 106 Rz. 7.

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§ 107

Innere Ordnung des Aufsichtsrats

immer nur den aktuellen Stand der personellen Zusammensetzung des Aufsichtsrats wieder.10) Ausgeschiedene Aufsichtsratsmitglieder sind nicht anzugeben. 5 Der Vorstand muss bei der Einreichung in vertretungsberechtigter Zahl handeln; unechte Gesamtvertretung ist möglich.11) Die Einreichung muss in elektronischer Form (§ 12 Abs. 2 HGB) erfolgen und kann nach § 14 HGB durch Zwangsgeldfestsetzung erzwungen werden.12) Da die Einreichung den Vorstand als Urheber erkennen lassen muss, sollte die Liste vom Vorstand unterzeichnet werden.13) III.

Gerichtliche Bekanntmachung

6 Abweichend von der früher geltenden Regelung (Bekanntmachung durch Vorstand unter Einreichung eines Belegs zum Handelsregister) hat das Gericht lediglich eine Hinweisbekanntmachung (§ 10 HGB) über die Einreichung der Liste vorzunehmen.14) Die Liste ist nach § 9 HGB einsehbar. IV.

Wirkung der Bekanntmachung

7 Die Einreichung der Liste und die Hinweisbekanntmachung haben bloße Informationsfunktion. Da keine Eintragung im Handelsregister erfolgt, greift auch der Schutz des § 15 HGB nicht ein.15) _____________ Noack, WM 2007, 377; Wachter, AG 2016, 776. Habersack in: MünchKomm-AktG, § 106 Rz. 10; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 106 Rz. 7. K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 106 Rz. 2; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 106 Rz. 6 und 11. Hölters-Simons, AktG, § 106 Rz. 7; a. A. Habersack in: MünchKomm-AktG, § 106 Rz. 10 (Liste muss keine Unterschriften enthalten). 14) K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 106 Rz. 1 und 5; Noack, WM 2007, 377, 378. 15) K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 106 Rz. 6; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 106 Rz. 13. 10) 11) 12) 13)

§ 107 Innere Ordnung des Aufsichtsrats (1) 1Der Aufsichtsrat hat nach näherer Bestimmung der Satzung aus seiner Mitte einen Vorsitzenden und mindestens einen Stellvertreter zu wählen. 2Der Vorstand hat zum Handelsregister anzumelden, wer gewählt ist. 3Der Stellvertreter hat nur dann die Rechte und Pflichten des Vorsitzenden, wenn dieser verhindert ist. (2) 1Über die Sitzungen des Aufsichtsrats ist eine Niederschrift anzufertigen, die der Vorsitzende zu unterzeichnen hat. 2In der Niederschrift sind der Ort und der Tag der Sitzung, die Teilnehmer, die Gegenstände der Tagesordnung, der wesentliche Inhalt der Verhandlungen und die Beschlüsse des Aufsichtsrats anzugeben. 3Ein Verstoß gegen Satz 1 oder Satz 2 macht einen Beschluß nicht unwirksam. 4Jedem Mitglied des Aufsichtsrats ist auf Verlangen eine Abschrift der Sitzungsniederschrift auszuhändigen. (3) 1Der Aufsichtsrat kann aus seiner Mitte einen oder mehrere Ausschüsse bestellen, namentlich, um seine Verhandlungen und Beschlüsse vorzubereiten oder die Ausführung seiner Beschlüsse zu überwachen. 2Er kann insbesondere einen Prüfungsausschuss bestellen, der sich mit der Überwachung des Rechnungslegungsprozesses, der Wirksamkeit des internen Kontrollsystems, des Risikomanagementsystems und des internen Revisionssystems sowie der Abschlussprüfung, hier insbesondere der Auswahl und der Unabhängigkeit des Abschlussprüfers und der vom Abschlussprüfer zusätzlich erbrachten Leistungen, befasst. 3Der Prüfungsausschuss kann Empfehlungen oder Vorschläge zur Gewährleistung der Integrität des Rechnungslegungsprozesses 688

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§ 107

Innere Ordnung des Aufsichtsrats

immer nur den aktuellen Stand der personellen Zusammensetzung des Aufsichtsrats wieder.10) Ausgeschiedene Aufsichtsratsmitglieder sind nicht anzugeben. 5 Der Vorstand muss bei der Einreichung in vertretungsberechtigter Zahl handeln; unechte Gesamtvertretung ist möglich.11) Die Einreichung muss in elektronischer Form (§ 12 Abs. 2 HGB) erfolgen und kann nach § 14 HGB durch Zwangsgeldfestsetzung erzwungen werden.12) Da die Einreichung den Vorstand als Urheber erkennen lassen muss, sollte die Liste vom Vorstand unterzeichnet werden.13) III.

Gerichtliche Bekanntmachung

6 Abweichend von der früher geltenden Regelung (Bekanntmachung durch Vorstand unter Einreichung eines Belegs zum Handelsregister) hat das Gericht lediglich eine Hinweisbekanntmachung (§ 10 HGB) über die Einreichung der Liste vorzunehmen.14) Die Liste ist nach § 9 HGB einsehbar. IV.

Wirkung der Bekanntmachung

7 Die Einreichung der Liste und die Hinweisbekanntmachung haben bloße Informationsfunktion. Da keine Eintragung im Handelsregister erfolgt, greift auch der Schutz des § 15 HGB nicht ein.15) _____________ Noack, WM 2007, 377; Wachter, AG 2016, 776. Habersack in: MünchKomm-AktG, § 106 Rz. 10; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 106 Rz. 7. K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 106 Rz. 2; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 106 Rz. 6 und 11. Hölters-Simons, AktG, § 106 Rz. 7; a. A. Habersack in: MünchKomm-AktG, § 106 Rz. 10 (Liste muss keine Unterschriften enthalten). 14) K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 106 Rz. 1 und 5; Noack, WM 2007, 377, 378. 15) K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 106 Rz. 6; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 106 Rz. 13. 10) 11) 12) 13)

§ 107 Innere Ordnung des Aufsichtsrats (1) 1Der Aufsichtsrat hat nach näherer Bestimmung der Satzung aus seiner Mitte einen Vorsitzenden und mindestens einen Stellvertreter zu wählen. 2Der Vorstand hat zum Handelsregister anzumelden, wer gewählt ist. 3Der Stellvertreter hat nur dann die Rechte und Pflichten des Vorsitzenden, wenn dieser verhindert ist. (2) 1Über die Sitzungen des Aufsichtsrats ist eine Niederschrift anzufertigen, die der Vorsitzende zu unterzeichnen hat. 2In der Niederschrift sind der Ort und der Tag der Sitzung, die Teilnehmer, die Gegenstände der Tagesordnung, der wesentliche Inhalt der Verhandlungen und die Beschlüsse des Aufsichtsrats anzugeben. 3Ein Verstoß gegen Satz 1 oder Satz 2 macht einen Beschluß nicht unwirksam. 4Jedem Mitglied des Aufsichtsrats ist auf Verlangen eine Abschrift der Sitzungsniederschrift auszuhändigen. (3) 1Der Aufsichtsrat kann aus seiner Mitte einen oder mehrere Ausschüsse bestellen, namentlich, um seine Verhandlungen und Beschlüsse vorzubereiten oder die Ausführung seiner Beschlüsse zu überwachen. 2Er kann insbesondere einen Prüfungsausschuss bestellen, der sich mit der Überwachung des Rechnungslegungsprozesses, der Wirksamkeit des internen Kontrollsystems, des Risikomanagementsystems und des internen Revisionssystems sowie der Abschlussprüfung, hier insbesondere der Auswahl und der Unabhängigkeit des Abschlussprüfers und der vom Abschlussprüfer zusätzlich erbrachten Leistungen, befasst. 3Der Prüfungsausschuss kann Empfehlungen oder Vorschläge zur Gewährleistung der Integrität des Rechnungslegungsprozesses 688

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§ 107

Innere Ordnung des Aufsichtsrats

unterbreiten. 4Die Aufgaben nach Absatz 1 Satz 1, § 59 Abs. 3, § 77 Abs. 2 Satz 1, § 84 Abs. 1 Satz 1 und 3, Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1, § 87 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 und 2, § 111 Abs. 3, §§ 171, 314 Abs. 2 und 3 sowie Beschlüsse, daß bestimmte Arten von Geschäften nur mit Zustimmung des Aufsichtsrats vorgenommen werden dürfen, können einem Ausschuß nicht an Stelle des Aufsichtsrats zur Beschlußfassung überwiesen werden. 5 Dem Aufsichtsrat ist regelmäßig über die Arbeit der Ausschüsse zu berichten. (4) Richtet der Aufsichtsrat einer Gesellschaft, die kapitalmarktorientiert im Sinne des § 264d des Handelsgesetzbuchs, die CRR-Kreditinstitut im Sinne des § 1 Absatz 3d Satz 1 des Kreditwesengesetzes, mit Ausnahme der in § 2 Absatz 1 Nummer 1 und 2 des Kreditwesengesetzes genannten Institute, oder die Versicherungsunternehmen im Sinne des Artikels 2 Absatz 1 der Richtlinie 91/674/EWG ist, einen Prüfungsausschuss im Sinn des Absatzes 3 Satz 2 ein, so müssen die Voraussetzungen des § 100 Absatz 5 erfüllt sein. Literatur: Arbeitskreis Externe und Interne Überwachung der Unternehmung (AKEIÜ) der Schmalenbach-Gesellschaft für Betriebswirtschaft e. V., Auswirkungen der Abschlussprüfungsreform auf den Prüfungsausschuss, DB 2017, 47; Behme/Zickgraf, Anforderungen an die Qualifikationen von Aufsichtsratsmitgliedern nach dem Abschlussprüfungsreformgesetz (AReG), AG 2016, R 132; Blöink/Woodtli, Reform der Abschlussprüfung: Die Umsetzung der prüfungsbezogenen Vorgaben im RegE eines Abschlussprüfungsreformgesetzes (AReG), Der Konzern 2016, 75; Börsig/Löbbe, Die gewandelte Rolle des Aufsichtsrats, in: Festschrift für Michael Hoffmann-Becking, 2013, S. 125; Döring/Grau, Verfahren und Mehrheitserfordernisse für die Bestellung und Abwahl des Aufsichtsratsvorsitzenden in mitbestimmten Unternehmen, NZG 2010, 1328; Dreher/Hoffmann, Die Wirksamkeitsprüfung durch den Prüfungsausschuss nach § 107 Abs. 3 Satz 2 AktG, ZGR 2016, 445; Drinhausen/Marsch-Barner, Die Rolle des Aufsichtsratsvorsitzenden in der börsennotierten Aktiengesellschaft, AG 2014, 337; Fleischer/Bauer/ Wansleben, Investorenkontakte des Aufsichtsrats. Zulässigkeit und Grenzen, DB 2015, 360; Foerster, Beweislastverteilung und Einsichtsrecht bei Inanspruchnahme ausgeschiedener Organmitglieder, ZHR 176 (2012) 221; Fromholzer/Hauser, Verschärfte Anforderungen und Haftungsrisiken für Aufsichtsräte nach dem RegE des Abschlussprüfungsreformgesetzes, DB 2016, 401; Gesell, Prüfungsausschuss und Aufsichtsrat nach dem BilMoG, ZGR 2011, 361; Grunewald, Der Einfluss des Aufsichtsrats auf die Geschäftsführung – was ist erwünscht, was ist erlaubt?, ZIP 2016, 2009; Habersack, Aufsichtsrat und Prüfungsausschuss nach dem BilMoG, AG 2008, 98; Hasselbach/Seibel, Ad-hoc-Ausschüsse des Aufsichtsrats, AG 2012, 114; Hirt/Hopt/Mattheus, Dialog zwischen dem Aufsichtsrat und Investoren, AG 2016, 725; Hoffmann-Becking, Der Aufsichtsrat der AG und sein Vorsitzender in der Hauptversammlung, NZG 2017, 281; Koch, Investorengespräche des Aufsichtsrats, AG 2017, 129; Leuering/Rubel, Aufsichtsrat und Prüfungsausschuss nach dem BilMoG, NJW-Spezial 2008, 559; Mannert/Kramarsch, Der Vergütungsausschuss – ein Novum in Industrieunternehmen, Der Aufsichtsrat 2015, 112; Nodoushani, Das neue Anforderungsprofil für Aufsichtsräte von Unternehmen von öffentlichem Interesse, AG 2016, 381; Nonnenmacher/Wemmer/v. Werder, Anforderungen an Prüfungsausschüsse – Leitfaden für Prüfungsausschüsse nach der Abschlussprüfungsreform 2016, DB 2016, 2826; Plagemann, Koordinierung der Aufsichtsratsarbeit bei überschneidenden Aufgabenzuweisungen, NZG 2014, 1404; Probst/Theisen, Die Rolle des Aufsichtsrat bei der Unternehmensberichterstattung – Ergebnisse der 14. Panel-Befragung, Der Aufsichtsrat 2014, 154; Redenius-Hövermann, Zusammenarbeit zwischen Aufsichtsrat und Abschlussprüfer im Sinne guter Corporate Governance, WPg 2017, 349; Rodewald/Ternick, Babylon im Unternehmen – rechtlicher Rahmen für die Sprache in Aufsichtsrat, Vorstand und Hauptversammlung, BB 2011, 910; Roth, Information und Organisation des Aufsichtsrats, ZGR 2012, 343; v. Schenck, Der Aufsichtsrat und sein Vorsitzender – Eine Regelungslücke, AG 2010, 649; Schlitt, Der aktive Aufsichtsratsvorsitzende, DB 2005, 2007; Semler, Ausschüsse des Aufsichtsrats, AG 1988, 60; Theisen, Protokollformen im Aufsichtsrat, Der Aufsichtsrat 2014, 56; Vetter, Shareholders Communication – Wer spricht mit den institutionellen Investoren?, AG 2016, 873; Vetter, Der Prüfungsausschuss in

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§ 107

Innere Ordnung des Aufsichtsrats

der AG nach dem BilMoG, ZGR 2010, 751; Weiss, Mitbestimmung im Konzern – zur praxisgerechten Anwendung und Reform des § 32 MitbestG, Der Konzern 2004, 590.

Übersicht I. Gegenstand und Zweck der Norm .................................................. II. Bestellung des Aufsichtsratsvorsitzenden und seiner Stellvertreter (§ 107 Abs. 1) .......................... 1. Wahl durch den Aufsichtsrat ............ 2. Anmeldung zum Handelsregister (§ 107 Abs. 1 Satz 2) ......................... I.

1

2 2 5

3. Amtszeit .............................................. 7 III. Aufgaben und Befugnisse des Aufsichtsratsvorsitzenden ................ 9 IV. Sitzungsniederschriften (§ 107 Abs. 2) ................................... 10 V. Ausschüsse des Aufsichtsrats (§ 107 Abs. 3, Abs. 4) ....................... 13 VI. Geschäftsordnung ........................... 19

Gegenstand und Zweck der Norm

1 Die Norm regelt nicht umfassend die innere Ordnung des Aufsichtsrats, sondern nur Teilaspekte. Die innere Ordnung des Aufsichtsrats ist teilweise in anderen Vorschriften (insbesondere §§ 108 – 110) geregelt oder in § 107 bewusst offengelassen, so dass Einzelheiten der inneren Ordnung in der Satzung oder Geschäftsordnung des Aufsichtsrats geregelt werden können.1) II.

Bestellung des Aufsichtsratsvorsitzenden und seiner Stellvertreter (§ 107 Abs. 1)

1.

Wahl durch den Aufsichtsrat

2 Nach § 107 Abs. 1 Satz 1 wählt der Aufsichtsrat aus seiner Mitte einen Vorsitzenden und einen oder mehrere Stellvertreter. Wenn die Satzung nichts anderes bestimmt, bedarf der Wahlbeschluss der einfachen Stimmenmehrheit.2) Die Satzung kann hierfür die relative Mehrheit genügen lassen. Der Kandidat ist bei der Wahl nicht vom Stimmrecht ausgeschlossen.3) Die Wahl bedarf zu ihrer Wirksamkeit der Annahme. Sowohl der Aufsichtsrat als auch die Hauptversammlung können den Titel eines Ehrenvorsitzenden verleihen; hierdurch werden jedoch keine Rechte eines Aufsichtsratsmitglieds begründet.4) 3 Nur der Aufsichtsrat kann die Wahl vornehmen, eine Übertragung – etwa auf die Hauptversammlung – ist nicht zulässig.5) Wenn der Aufsichtsrat seiner Verpflichtung nach § 107 Abs. 1 Satz 1 nicht nachkommt, kann die Hauptversammlung nicht an dessen Stelle treten.6) Besteht die Vakanz im Aufsichtsratsvorsitz seit mehr als drei Monaten, kann eine gerichtliche Ersatzbestellung analog § 104 Abs. 2 erfolgen.7) Nach Ziff. 5.4.3 Satz 3 des DCGK sollen Kandidatenvorschläge für den Aufsichtsratsvorsitz den Aktionären bekannt gegeben werden. Diese Empfehlung wird wegen der damit verbundenen Gefährdung der Wahlfreiheit der Aufsichtsratsmitglieder sowie des Beratungsgeheimnisses als verfehlt angesehen,8) ist für die Praxis börsennotierter (bzw. der in § 161 Abs. 1 Satz 2 genannten) _____________ 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8)

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Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 107 Rz. 3 und 6; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 107 Rz. 1; Semler/ v. Schenck-Mutter, Der Aufsichtsrat, § 107 Rz. 1 f. Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 31 Rz. 9; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 107 Rz. 3. Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 31 Rz. 9; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 107 Rz. 31. Ausführlich dazu: Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 11 Rz. 685 f.; Hüffer/KochKoch, AktG, § 107 Rz. 12. Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 31 Rz. 8; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 107 Rz. 17. Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 31 Rz. 8; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 107 Rz. 3. Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 31 Rz. 8; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 107 Rz. 3b; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 11 Rz. 660 und 673. Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 11 Rz. 663; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 31 Rz. 10; a. A.: Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder-Kremer, DCGK, Rz. 1406.

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§ 107

Innere Ordnung des Aufsichtsrats

Gesellschaften aber mit Blick auf die gemäß § 161 Abs. 1 abzugebende Entsprechenserklärung („comply or explain“) relevant. Das MitbestG enthält zwingende Sonderregelungen, nach denen die Wahl des Vor- 4 sitzenden und seines Stellvertreters im ersten Wahlgang einer Mehrheit von zwei Dritteln der Sollstärke bedarf (§ 27 Abs. 1 MitbestG); im Falle des Scheiterns auch nur eines Kandidaten stimmen im dann erforderlichen zweiten Wahlgang die Arbeitnehmer- und Anteilseignervertreter getrennt ab und es genügt jeweils die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen (§ 27 Abs. 2 MitbestG).9) Die Wahl weiterer Stellvertreter ist in mitbestimmten Gesellschaften ebenfalls grundsätzlich zulässig; jedoch ist eine Satzungsbestimmung wegen Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz unzulässig, wonach der weitere Stellvertreter ein Aktionärsvertreter sein muss.10) 2.

Anmeldung zum Handelsregister (§ 107 Abs. 1 Satz 2)

Der Vorstand hat nach § 107 Abs. 1 Satz 2 den Aufsichtsratsvorsitzenden und den Stell- 5 vertreter zum Handelsregister anzumelden; sind mehrere Stellvertreter gewählt worden, sind alle anzumelden. Der Vorstand muss in vertretungsberechtigter Zahl handeln, unechte Gesamtvertretung ist zulässig.11) Für die Anmeldung genügt Schriftform, öffentliche Beglaubigung der Unterschriften ist nicht erforderlich.12) In der Anmeldung sind die Namen des Vorsitzenden und seines bzw. seiner Stellvertreter anzugeben. Ob auch die Angabe der Anschriften erforderlich ist, wird unterschiedlich beurteilt.13) Da bei der Einreichung der Liste der Aufsichtsratsmitglieder nach § 106 bereits der Wohnort anzugeben ist (siehe § 106 Rz. 4)14) und nicht ersichtlich ist, warum dies nochmals erfolgen soll bzw. warum § 107 Abs. 1 Satz 2 strengere Anforderungen stellen soll, genügt die Angabe der Namen.15) Zudem sprechen Aspekte der persönlichen Sicherheit der Gewählten gegen die Angabe der Anschriften. Nach § 80 Abs. 1 Satz 1 ist der Vorsitzende des Aufsichtsrats auf allen Geschäftsbriefen 6 anzugeben. 3.

Amtszeit

Die Wahl des Aufsichtsratsvorsitzenden und seines bzw. seiner Stellvertreter erfolgt 7 grundsätzlich für die Dauer ihrer Amtszeit als Aufsichtsratsmitglied, sofern die Satzung oder der Wahlbeschluss nicht etwas anderes vorsieht. Mit dem Ausscheiden aus dem Aufsichtsrat endet die Amtszeit automatisch.16) Die Abberufung des Vorsitzenden ist durch Beschluss des Aufsichtsrats, der derselben 8 Mehrheit wie die Wahl bedarf, jederzeit möglich.17) Für die Abberufung aus wichtigem Grund genügt einfache Mehrheit; bei der Abstimmung hierüber ist der Vorsitzende vom Stimmrecht ausgeschlossen.18) _____________ 9) Ausführlich hierzu: Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 31 Rz. 28 ff.; Döring/Grau, NZG 2010, 1328 f.; Raiser/Veil, KapG, § 15 Rz. 52. 10) BGH, Urt. v. 25.2.1982 – II ZR 123/81 (Siemens), BGHZ 83, 106, 111 f. = ZIP 1982, 434, 436; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 107 Rz. 42; Raiser/Veil, KapG, § 15 Rz. 52. 11) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 107 Rz. 11; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 107 Rz. 40. 12) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 107 Rz. 42; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 31 Rz. 14 a. E. 13) Dafür Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 107 Rz. 11; ablehnend Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 107 Rz. 42 a. E. 14) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 106 Rz. 2; Hölters-Simons, AktG, § 106 Rz. 5. 15) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 107 Rz. 42. 16) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 107 Rz. 7; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 107 Rz. 35 und 40. 17) Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 11 Rz. 667 und 676; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 107 Rz. 7; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 31 Rz. 16. 18) Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 11 Rz. 667; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 31 Rz. 16.

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§ 107 III.

Innere Ordnung des Aufsichtsrats Aufgaben und Befugnisse des Aufsichtsratsvorsitzenden

9 Die Aufgaben und Befugnisse des Aufsichtsratsvorsitzenden sind im Gesetz nicht umfassend und teilweise nur verstreut geregelt.19) Sie sind grundsätzlich solche, die dem Vorsitzenden eines Kollegialorgans im Interesse der Handlungs- und Funktionsfähigkeit des Organs üblicherweise zustehen.20) Dem Aufsichtsratsvorsitzenden obliegt insbesondere die Vorbereitung, Einberufung und Leitung der Aufsichtsratssitzungen sowie die Koordination der Arbeit des Plenums und der Ausschüsse (vgl. auch Ziff. 5.2 Abs. 1 Satz 2 DCGK). Zudem ist er ständiges Bindeglied und Informationsvermittler zwischen Vorstand und Aufsichtsrat, ihm kommt eine Sonderrolle im Berichtssystem zu (§ 90 Abs. 1 Satz 3, Abs. 5 Satz 3).21) Der DCGK empfiehlt zudem, dass der Aufsichtsratsvorsitzende regelmäßig mit dem Vorstand Fragen der Strategie, der Planung, der Geschäftsentwicklung, der Risikolage, des Risikomanagements und der Compliance des Unternehmens beraten solle (Ziff. 5.2 Abs. 3 Satz 1 DCGK).22) Dem Aufsichtsratsvorsitzenden wird in der Regel durch die Satzung die Leitung der Hauptversammlung übertragen; jedenfalls aber erläutert er nach § 176 Abs. 1 Satz 2 den Bericht des Aufsichtsrats.23) Ihm obliegen häufig Repräsentationsaufgaben für das Unternehmen, zudem ist es nicht unüblich bzw. wird von ihm teilweise erwartet, dass er neben oder gemeinsam mit dem Vorstand Kontakte mit institutionellen Anlegern pflegt.24) Mit Blick auf die zunehmend steigenden Anforderungen und Erwartungen an den Aufsichtsratsvorsitzenden,25) die aber in den ihm kraft Gesetzes zustehenden Aufgaben und Befugnissen nicht hinreichend berücksichtigt sind, erscheint deren Ausweitung durch gesetzliche Änderungen erwägenswert.26) Der DCGK ist 2017 um eine Anregung ergänzt worden, wonach der Aufsichtsratsvorsitzende in „angemessenem Rahmen“ bereit sein sollte, „mit Investoren über aufsichtsratsspezifische Themen Gespräche zu führen“ (Ziff. 5.2 Abs. 2).27) Diese Anregung des DCGK ist mit Blick auf die Erwartungen institutioneller Investoren28) und die gelebte Praxis vieler Aktiengesellschaften29) nachvollziehbar, wirft aber Fragen grundsätzlicher Art auf30) und ist daher teilweise _____________ 19) 20) 21) 22) 23) 24) 25) 26) 27)

28) 29) 30)

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Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 31 Rz. 19; v. Schenck, AG 2010, 649, 650 ff. Habersack in: MünchKomm-AktG, § 107 Rz. 43; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 107 Rz. 5. S. dazu: v. Schenck, AG 2010, 649, 650; Schlitt, DB 2005, 2007, 2008. Näher dazu Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder-Kremer, DCGK, Rz. 1272 ff. v. Schenck, AG 2010, 649, 650; Schlitt, DB 2005, 2007, 2008; ausführlich zur Bestimmung des Versammlungsleiters: Hoffmann-Becking, NZG 2017, 281 ff. Näher dazu Börsig/Löbbe in: FS Hoffmann-Becking, S. 125, 145 ff.; Drinhausen/Marsch-Barner, AG 2014, 337, 349 f. Ausführlich dazu: Börsig/Löbbe in: FS Hoffmann-Becking, S. 125, 143 ff.; zurückhaltend: Hüffer/KochKoch, AktG, § 107 Rz. 8. S. dazu v. Schenck, AG 2010, 649, 651 ff. Ausführlich hierzu: Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder-Kremer, DCGK, Rz. 1269 ff.; zuvor wurden von der Arbeitsgruppe „Developing Shareholder Communication“ in AG 2016, R 300 ff., Leitsätze für den Dialog zwischen Investoren und Aufsichtsrat veröffentlicht; ausführlich dazu Hirt/Hopt/Mattheus, AG 2016, 725, 729 ff. Näher dazu Börsig/Löbbe in: FS Hoffmann-Becking, S. 125, 145; Fleischer/Bauer/Wansleben, DB 2015, 360, 362; Drinhausen/Marsch-Barner, AG 2014, 337, 349. Nach einer Umfrage von Probst/Theisen, Der Aufsichtsrat 2014, 154, 155, stehen jedoch viele Aufsichtsratsvorsitzende der neuen Ziff. 5.2. Abs. 2 auch ablehnend gegenüber. S. dazu Stellungnahme der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung (VGR), AG 2017, 1, 4 f.; Vetter, AG 2016, 873, 874 ff.; generell Investorenkontakte des Aufsichtsrats ablehnend, da dieser ein „reines Innenorgan“ sei: Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 1 Rz. 40 und § 6 Rz. 284, s. dort aber auch § 11 Rz. 683; Fleischer/Bauer/Wansleben, DB 2015, 360, 362 f., legen überzeugend dar, dass allein aus der Einordnung des Aufsichtsrats als Binnenorgan ein Verbot der Investorenkontakte nicht zweifelsfrei hergeleitet werden kann; s. a. Grunewald, ZIP 2016, 2009, 2010 f; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 107 Rz. 34a m. w. N.

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§ 107

Innere Ordnung des Aufsichtsrats

deutlich kritisiert worden.31) Gleichwohl ist im Ergebnis der im Vordringen befindlichen Meinung zu folgen, wonach der Aufsichtsrat über seinen Vorsitzenden mit Investoren zu Gegenständen kommunizieren darf, für die allein der Aufsichtsrat zuständig ist (aufsichtsratsspezifische Themen).32) Hierbei sind aber die allgemeinen gesellschafts- und kapitalmarktrechtlichen Schranken (wie etwa Verschwiegenheitspflicht, Gleichbehandlungsgebot und Verbot der Weitergabe von Insiderinformationen) zu beachten.33) IV.

Sitzungsniederschriften (§ 107 Abs. 2)

Die nach § 107 Abs. 2 Satz 1 von jeder Aufsichtsratssitzung anzufertigende Niederschrift 10 (Protokoll) ist vom Aufsichtsratsvorsitzenden zu unterzeichnen, der sie jedoch nicht selbst anfertigen muss. Es ist als verfahrensleitende Anordnung des Vorsitzenden zulässig, die Fertigung der Niederschrift einem Protokollführer zu übertragen, der selbst kein Aufsichtsratsmitglied sein muss (etwa Justitiar der Gesellschaft), sofern der Aufsichtsrat dem nicht durch Mehrheitsbeschluss widerspricht.34) Eine Ermächtigung in der Satzung oder Geschäftsordnung ist für die Hinzuziehung eines Protokollführers nicht erforderlich. Der Mindestinhalt der Niederschrift ergibt sich aus der zwingenden Regelung des § 107 11 Abs. 2 Satz 2. Insbesondere sind die gefassten Beschlüsse aufzunehmen, und zwar im vollen Wortlaut und unter Angabe des Abstimmungsergebnisses. Zudem muss der wesentliche Inhalt der Verhandlungen in der Niederschrift enthalten sein. Ein Wortprotokoll ist insoweit nicht erforderlich, es genügt eine zusammenfassende Darstellung der tragenden Aspekte.35) Es ist nicht erforderlich, die Diskussionsbeiträge namentlich zuzuordnen; allerdings hat jedes Aufsichtsratsmitglied das Recht eine Erklärung zu Protokoll abzugeben.36) Die Abfassung des Protokolls in einer Fremdsprache wird als zulässig erachtet, wobei es einer Übersetzung bedarf, wenn ein Aufsichtsratsmitglied die Protokollsprache nicht beherrscht.37) Ein unrichtiges Protokoll ist formlos zu berichtigen. Über Berichtigungswünsche entscheidet der Aufsichtsratsvorsitzende, da er für den Inhalt verantwortlich ist, und nicht der Aufsichtsrat durch Beschluss.38) Der Aufsichtsratsvorsitzende kann jedoch das Meinungsbild bei einer etwaigen Berichtigung beachten.39) Nach § 107 Abs. 2 Satz 3 führen Verstöße gegen Satz 1 und Satz 2 nicht zur Unwirksamkeit eines Beschlusses, die Niederschrift hat keine konstitutive Bedeutung. Die unterzeichnete Niederschrift ist eine Beweisurkunde.40) _____________ 31) S. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 107 Rz. 34a; Koch, AG 2017, 129, 131 ff. und 140 („die geplante Kodexänderung 2017 als äußerst bedenklich anzusehen ist“); Vetter, AG 2016, 873, 874 ff.; Austmann/ Seyfarth, Börsenzeitung v. 26.11.2016, S. 13. 32) Fleischer/Bauer/Wansleben, DB 2015, 360, 364 ff.; Grunewald, ZIP 2016, 2009, 2011; Hirt/Hopt/ Mattheus, AG 2016, 725, 730 ff.; K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 107 Rz. 25; Roth, ZGR 2012, 343, 369; Stellungnahme der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung (VGR), AG 2017, 1, 4 f.; Drinhausen/ Marsch-Barner, AG 2014, 337, 349. 33) Ausführlich dazu: Fleischer/Bauer/Wansleben, DB 2015, 360, 365 ff.; Hirt/Hopt/Mattheus, AG 2016, 725, 735 ff.; s. a. Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder-Kremer, DCGK, Rz. 1270. 34) Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 31 Rz. 54; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 107 Rz. 175; a. A. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 107 Rz. 13 – Widerspruch eines Aufsichtsratsmitglieds soll genügen. 35) OLG München, Urt. v. 29.10.1980 – 7 U 2481/80, ZIP 1981, 293, 295; Habersack in: MünchKommAktG, § 107 Rz. 79; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 107 Rz. 183; zu praxisrelevanten Details s. Theisen, Der Aufsichtsrat 2014, 56. 36) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 107 Rz. 184 f.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 107 Rz. 14. 37) Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 31 Rz. 53; Rodewald/Ternick, BB 2011, 910, 911. 38) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 107 Rz. 188; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 107 Rz. 82. 39) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 107 Rz. 188; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 107 Rz. 82. 40) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 107 Rz. 190; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 107 Rz. 84.

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§ 107

Innere Ordnung des Aufsichtsrats

12 Die Regelung des § 107 Abs. 2 Satz 4, wonach jedes Aufsichtsratsmitglied das Recht auf eine Abschrift hat, ist zwingend. Ausgeschiedene Aufsichtsratsmitglieder haben analog § 667 BGB die i. R. ihrer Amtsführung erlangten Unterlagen der Gesellschaften – auch Duplikate und Kopien – an die Gesellschaft herauszugeben, was auch entsprechend in der Geschäftsordnung geregelt werden kann.41) Die Interessen des ausgeschiedenen Aufsichtsratsmitglieds werden dadurch geschützt, dass es im Falle des Vorwurfs einer Pflichtverletzung durch die Gesellschaft von dieser Einsichtnahme in die dafür maßgeblichen Unterlagen verlangen kann42) (siehe dazu auch § 116 Rz. 11). V.

Ausschüsse des Aufsichtsrats (§ 107 Abs. 3, Abs. 4)

13 Die Bildung von Ausschüssen wird durch § 107 Abs. 3 Satz 1 zugelassen und vom DCGK empfohlen (Ziff. 5.3.1 Satz 1). Es können vorbereitende, überwachende und auch – in den Grenzen des § 107 Abs. 3 Satz 4 – beschließende Ausschüsse gebildet werden.43) Alle in § 107 Abs. 3 Satz 4 genannten Aufgaben können nicht an Ausschüsse zur Beschlussfassung bzw. Entscheidung übertragen werden. Der Aufsichtsrat entscheidet ohne Bindung an Vorgaben der Satzung oder der Hauptversammlung aufgrund seiner Organisationsautonomie über die Bildung von Ausschüssen mit einfacher Mehrheit.44) Der Aufsichtsrat kann durch einen Beschluss, mit der gleichen Mehrheit, die der Delegationsbeschluss bedarf, die delegierte Entscheidungsbefugnis wieder an sich ziehen.45) 14 Ein Ausschuss muss mindestens zwei Mitglieder haben, wobei beschließenden Ausschüssen mindestens drei Mitglieder angehören müssen.46) Die Ausschüsse sind primär nach dem Eignungsprinzip zu bilden bzw. zu besetzen, wobei aber auch das Diskriminierungsverbot zu beachten ist.47) In dem MitbestG unterfallenden Gesellschaften sind die Ausschüsse nicht zwingend paritätisch zu besetzen,48) Arbeitnehmervertreter können auch völlig von der Teilnahme an einem Ausschuss ausgeschlossen werden, wenn hierfür im Einzelfall ein sachlicher Grund besteht.49) Sie dürfen nicht allein aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit, ohne dass hierfür im Einzelfall sachliche Gründe vorhanden sind, aus grundsätzlichen Erwägungen von einem Ausschuss ausgeschlossen werden.50) Im _____________ 41) BGH, Beschl. v. 7.7.2008 – II ZR 71/07 (Metro), Rz. 7 f., ZIP 2008, 1821, dazu EWiR 2008, 737 (Paul), die Frage der Erstreckung der Herausgabepflicht auch auf Duplikate und Kopien zwar offenlassend; zugleich weist der BGH aber in einem obiter dictum darauf hin, „dass für die Verpflichtung zur Herausgabe von Duplikaten die gleichen […] Gründe sprechen wie für die Herausgabe der Originale“ (BGH, Beschl. v. 7.7.2008 – II ZR 71/07 (Metro), Rz. 9, ZIP 2008, 1821, 1822). 42) BGH, Beschl. v. 7.7.2008 – II ZR 71/07 (Metro), ZIP 2008, 1821, 1822; s. dazu auch Foerster, ZHR 176 (2012) 221, 232; Semler/v. Schenck-v. Schenck, Der Aufsichtsrat, § 116 Rz. 857. 43) S. dazu Semler, AG 1988, 60, 61 f.; Semler/v. Schenck-Mutter, Der Aufsichtsrat, § 107 Rz. 251 ff.; zur Möglichkeit der Bildung von Ad-hoc-Ausschüssen: Hasselbach/Seibel, AG 2012, 114 ff.; zum Vergütungsausschuss in einem Industrieunternehmen: Mannert/Kramarsch, Der Aufsichtsrat 2015, 112 f. 44) BGH, Urt. v. 17.5.1993 – II ZR 89/92 (Hamburg-Mannheimer), BGHZ 122, 342, 355 = ZIP 1993, 1079, 1083; s. a. Semler/v. Schenck-Mutter, Der Aufsichtsrat, § 107 Rz. 286 m. w. N. 45) BGH, Urt. v. 14.11.1983 – II ZR 33/83, BGHZ 89, 48, 55 f. = ZIP 1984, 55, 57; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 32 Rz. 4; a. A.: Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 107 Rz. 19, der einen besonderen Verfahrensbeschluss verlangt. 46) BGH, Urt. v. 23.10.1975 – II ZR 90/73, BGHZ 65, 190, 192 f.; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 11 Rz. 764; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 107 Rz. 21. 47) Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 11 Rz. 765; Raiser/Veil, KapG, § 15 Rz. 78. 48) BGH, Urt. v. 25.2.1982 – II ZR 102/81, BGHZ 83, 144, 148 = ZIP 1982, 440, 441. 49) BGH, Urt. v. 17.5.1993 – II ZR 89/92 (Hamburg-Mannheimer), BGHZ 122, 342, 355 ff. = ZIP 1993, 1079, 1083 ff.; OLG München, Urt. v. 27.1.1995 – 23 U 4282/94, ZIP 1995, 1753, 1754; Lutter/ Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 11 Rz. 766. 50) BGH, Urt. v. 17.5.1993 – II ZR 89/92 (Hamburg-Mannheimer), BGHZ 122, 342, 358 = ZIP 1993, 1079, 1084; OLG München, Urt. v. 27.1.1995 – 23 U 4282/94, ZIP 1995, 1753, 1754.

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§ 107

Innere Ordnung des Aufsichtsrats

Geltungsbereich des DrittelbG dürfen die Arbeitnehmervertreter nicht ohne sachlichen Grund von der Mitwirkung an sämtlichen Ausschüssen ausgeschlossen werden.51) Die ausdrückliche Erwähnung des Prüfungsausschusses52) in § 107 Abs. 3 Satz 2 hat le- 15 diglich klarstellende Bedeutung.53) Bei börsennotierten Gesellschaften ist dessen Bildung weitgehend üblich54) und entspricht der Empfehlung in Ziff. 5.3.2 Abs. 1 DCGK.55) § 107 Abs. 4 wurde durch das Abschlussprüfungsreformgesetz – AReG56) neu gefasst und enthält für den Prüfungsausschuss einer kapitalmarktorientierten Gesellschaft (§ 264d HGB) oder eines dort genannten Kreditinstituts oder Versicherungsunternehmens („Unternehmen von öffentlichem Interesse“) die Vorgabe, dass ein gemäß § 107 Abs. 3 Satz 2 eingerichteter Prüfungsausschuss die Voraussetzungen des § 100 Abs. 5 (siehe hierzu § 100 Rz. 15 f.) erfüllen muss; das Erfordernis eines unabhängigen Mitglieds des Prüfungsausschusses ist entfallen.57) Es muss nicht nur ein Mitglied über Sachverstand auf den Gebieten Rechnungslegung und Abschlussprüfung verfügen, auch die Gesamtheit der Mitglieder muss Sektorkenntnisse haben.58) Die in § 107 Abs. 3 Satz 2 genannten Aufgaben des Prüfungsausschusses müssen ihm nicht zwingend zugewiesen werden, sie können auch weiter beim Plenum verbleiben bzw. ins Plenum zurückgeholt werden; umgekehrt können dem Prüfungsausschuss aber auch weitere Aufgaben, wie etwa die Überwachung der Compliance (siehe auch Ziff. 5.3.2 Abs. 1 DCGK), zugewiesen werden.59) In einer Gesellschaft, die dem MitbestG unterliegt, ist nach § 27 Abs. 3 MitbestG zwin- 16 gend ein Vermittlungsausschuss zu bilden.60) Bei einer dem MitbestG unterliegenden Gesellschaft kann ein Ausschuss zur Ausübung der Beteiligungsrechte gemäß § 32 MitbestG _____________ 51) Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 11 Rz. 767; LG Frankfurt/M., Urt. v. 19.12.1995 – 2/14 O 183/95, ZIP 1996, 1661, 1663 f. – die Bildung eines Personalausschusses ohne Arbeitnehmervertreter ist unzulässig und die entsprechende Wahl nichtig. 52) Allg. zum Prüfungsausschuss und dessen Aufgaben: Nonnenmacher/Wemmer/v. Werder, DB 2016, 2826 ff.; Vetter, ZGR 2010, 751 ff.; Börsig/Löbbe in: FS Hoffmann-Becking, S. 125, 147 ff.; Gesell, ZGR 2011, 361, 363 ff.; Habersack, AG 2008, 98 ff. 53) Reg. Begr. zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Bilanzrechts (Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz – BilMoG), BT-Drucks. 16/10067, S. 102; Habersack, AG 2008, 98, 100 f.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 107 Rz. 22; s. a. Dreher/Hoffmann, ZGR 2016, 445, 457 („der Ausschuss bildet damit eine gesetzliche Option“). 54) S. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 107 Rz. 22; Dreher/Hoffmann, ZGR 2016, 445, 457; Kremer/Bachmann/ Lutter/v. Werder-Kremer, DCGK, Rz. 1286 (a. E.). 55) Vetter, ZGR 2010, 751, 759 ff.; Leuering/Rubel, NJW-Spezial 2008, 559; Redenius-Hövermann, WPg 2017, 349, 355 f. 56) Gesetz zur Umsetzung der prüfungsbezogenen Regelungen der Richtlinie 2014/56/EU sowie zur Ausführung der entsprechenden Vorgaben der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 im Hinblick auf die Abschlussprüfung bei Unternehmen von öfffentlichem Interesse (Abschlussprüfungsreformgesetz – AReG) v. 10.5.2016, BGBl. I 2016, 1142; s. dazu Blöink/Woodtli, Der Konzern 2016, 75 ff. 57) Arbeitskreis Externe und Interne Überwachung der Unternehmung (AKEIÜ) der SchmalenbachGesellschaft für Betriebswirtschaft e. V., DB 2017, 47; Nodoushani, AG 2016, 381, 382 ff.; s. zu den Anforderungen an die Besetzung des Prüfungsausschusses: Nonnenmacher/Wemmer/v. Werder, DB 2016, 2826, 2828 f. 58) Begr. RegE, BT-Drucks. 18/7219, S. 57; s. dazu auch Behme/Zickgraf, AG 2016, R 132; Fromholzer/ Hauser, DB 2016, 401, 402; Arbeitskreis Externe und Interne Überwachung der Unternehmung (AKEIÜ) der Schmalenbach-Gesellschaft für Betriebswirtschaft e. V., DB 2017, 47, 48; Nodoushani, AG 2016, 381, 384 ff.; Redenius-Hövermann, WPg 2017, 349, 350 f. und 356. 59) Begr. RegE eines Gesetzes zur Modernisierung des Bilanzrechts (Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz – BilMoG), BT-Drucks. 16/10067, S. 102; s. a. Blöink/Woodtli, Der Konzern 2016, 75, 82 f.; Börsig/ Löbbe in: FS Hoffmann-Becking, S. 125, 147 f.; Gesell, ZGR 2011, 361, 370 f.; Vetter, ZGR 2010, 751, 761 und 778; näher zu den Aufgaben des Prüfungsausschusses Dreher/Hoffmann, ZGR 2016, 445, 458 ff. 60) S. dazu Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 107 Rz. 348; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 107 Rz. 112.

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§ 107

Innere Ordnung des Aufsichtsrats

gebildet werden („Beteiligungsausschuss“).61) Die wohl h. M. verlangt insoweit unter Berufung auf den Wortlaut des § 32 Abs. 1 Satz 2 MitbestG („Mehrheit der Stimmen der Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseigner“) aber, dass dem Ausschuss die Mehrheit sämtlicher Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseigner angehört.62) Auch wenn diese primär auf den Wortlaut gestützte Argumentation nicht vollends zu überzeugen vermag,63) erscheint es aus Vorsichtsgründen ratsam, ihr in der Praxis zu folgen. 17 Für die Arbeitsweise und insbesondere die Beschlussfassung der Ausschüsse gelten die Regelungen für den Gesamtaufsichtsrat entsprechend64) (siehe dazu § 108 Rz. 2 ff.). § 107 Abs. 2 gilt für die Protokollierung der Sitzungen der Ausschüsse,65) und zwar grundsätzlich auch die Regelung des Absatzes 2 Satz 4 über die Aushändigung von Abschriften.66) Für das Teilnahmerecht ist § 109 maßgeblich (siehe § 109 Rz. 1 ff.). Dem Aufsichtsratsvorsitzenden kann durch die Satzung oder Geschäftsordnung für den Fall, dass er einem Ausschuss angehört und sich bei einer Abstimmung Stimmengleichheit ergibt, ein Zweitstimmrecht eingeräumt werden.67) 18 Die Arbeit der eingesetzten Ausschüsse ist durch das Plenum des Aufsichtsrats zu überwachen, wofür es in der Regel genügt, wenn sich das Plenum in regelmäßigen Abständen berichten lässt und sich so einen allgemeinen Eindruck von der Aufgabenerfüllung durch den Ausschuss verschafft.68) § 107 Abs. 3 Satz 5 soll die regelmäßige Berichterstattungspflicht des Ausschusses gegenüber dem Plenum sicherstellen; es genügt eine zusammenfassende Berichterstattung – auch in Form von Ergebnisberichten69) (siehe auch Ziff. 5.3.1 Satz 2 DCGK: regelmäßige Berichterstattung des Ausschussvorsitzenden über die Ausschussarbeit). VI.

Geschäftsordnung

19 Unter Beachtung der zwingenden gesetzlichen Regelungen kann der Aufsichtsrat mit einfacher Mehrheit eine Geschäftsordnung für den Aufsichtsrat beschließen und dort Regelungen für seine Organisation (etwa zu Einberufung und Verlauf der Sitzung sowie zur Abstimmung oder zur Sitzungssprache)70) treffen, sofern diese nicht bereits zulässigerweise _____________ 61) Ausführlich zu dessen Aufgaben: Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 8 Rz. 497 ff. 62) Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 29 Rz. 69; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 8 Rz. 500. 63) Weiss, Der Konzern 2004, 590, 598, und Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, Anh. § 117B § 32 MitbestG Rz. 21 und Rz. 18, lehnen diese mit überzeugender Argumentation ab (Ratio des § 32 MitbestG und Grundprinzip der Beschlussfassung im Aufsichtsrat sprechen gegen die h. M.). 64) K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 107 Rz. 49; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 107 Rz. 147. 65) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 107 Rz. 75; Hölters-Hambloch-Gesinn/Gesinn, AktG, § 107 Rz. 73. 66) Sofern das Aufsichtsratsmitglied nicht von der Ausschusssitzung ausgeschlossen wurde, s. Habersack in: MünchKomm-AktG, § 107 Rz. 87; Hölters-Hambloch-Gesinn/Gesinn, AktG, § 107 Rz. 84. 67) BGH, Urt. v. 25.2.1982 – II ZR 123/81 (Siemens), BGHZ 83, 106, 117 ff. = ZIP 1982, 434, 438; BGH, Urt. v. 25.2.1982 – II ZR 102/81, BGHZ 83, 144, 147 ff. = ZIP 1982, 440, 441; BGH, Urt. v. 17.5.1993 – II ZR 89/92 (Hamburg/Mannheimer), BGHZ 122, 342, 354 ff. = ZIP 1993, 1079, 1084. 68) Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 11 Rz. 748; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 32 Rz. 42. 69) Begr. RegE eines Gesetzes zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität (TransPuG), BT-Drucks. 14/8769, S. 16; näher zur Berichterstattung bzw. deren Ausgestaltung Plagemann, NZG 2014, 1404, 1409; Semler/v. Schenck-Mutter, Der Aufsichtsrat, § 107 Rz. 374 ff. 70) Eine Regelung zur Durchführung der Sitzung in einer Fremdsprache in der Geschäftsordnung bzw. die Anordnung dessen durch den Versammlungsleiter wird als zulässig erachtet, wenn dies zweckmäßig erscheint und erforderlichenfalls eine Simultanübersetzung und die Vorlage der Sitzungsunterlagen in deutscher Sprache gewährleistet ist; s. dazu Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 31 Rz. 53; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 11 Rz. 704.

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§ 108

Beschlußfassung des Aufsichtsrats

in der Satzung enthalten sind.71) Der DCGK empfiehlt in Ziff. 5.1.3 den Erlass einer Geschäftsordnung. Da nur der Aufsichtsrat über die Bildung und Besetzung von Ausschüssen zu entscheiden hat, sind die entsprechenden Regelungen oft in der Geschäftsordnung für den Aufsichtsrat enthalten.72) Die vom Aufsichtsrat erlassene Geschäftsordnung gilt solange, bis der Aufsichtsrat sie ändert oder aufhebt;73) sie bleibt auch vom Mitgliederwechsel oder dem Ende der Amtsperiode unberührt.74) Im Einzelfall kann der Aufsichtsrat von der von ihm erlassenen Geschäftsordnung – auch ohne förmlichen Durchbrechungsbeschluss – abweichen, und zwar durch entsprechenden Mehrheitsbeschluss.75) Dagegen können Verstöße gegen Geschäftsordnungsregelungen der Satzung zur Nichtigkeit des Aufsichtsratsbeschlusses führen.76) _____________ 71) Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 11 Rz. 652 f.; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 107 Rz. 165; s. dazu die Muster-Geschäftsordnungen von Hoffmann-Becking in: Beck’sches Formb. BHW, X. 17 und X. 18. 72) S. dazu Hoffmann-Becking in: Beck’sches Formb. BHW, X. 17 und X. 18. 73) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 107 Rz. 35; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 11 Rz. 653. 74) OLG Hamburg, Urt. v. 23.7.1982 – 11 U 179/80, AG 1983, 21, 22; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 31 Rz. 5; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 11 Rz. 653. 75) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 107 Rz. 35 a. E.; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 31 Rz. 4. 76) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 107 Rz. 166; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 11 Rz. 653.

§ 108 Beschlußfassung des Aufsichtsrats (1) Der Aufsichtsrat entscheidet durch Beschluß. (2) 1Die Beschlußfähigkeit des Aufsichtsrats kann, soweit sie nicht gesetzlich geregelt ist, durch die Satzung bestimmt werden. 2Ist sie weder gesetzlich noch durch die Satzung geregelt, so ist der Aufsichtsrat nur beschlußfähig, wenn mindestens die Hälfte der Mitglieder, aus denen er nach Gesetz oder Satzung insgesamt zu bestehen hat, an der Beschlußfassung teilnimmt. 3In jedem Fall müssen mindestens drei Mitglieder an der Beschlußfassung teilnehmen. 4Der Beschlußfähigkeit steht nicht entgegen, daß dem Aufsichtsrat weniger Mitglieder als die durch Gesetz oder Satzung festgesetzte Zahl angehören, auch wenn das für seine Zusammensetzung maßgebende zahlenmäßige Verhältnis nicht gewahrt ist. (3) 1Abwesende Aufsichtsratsmitglieder können dadurch an der Beschlußfassung des Aufsichtsrats und seiner Ausschüsse teilnehmen, daß sie schriftliche Stimmabgaben überreichen lassen. 2Die schriftlichen Stimmabgaben können durch andere Aufsichtsratsmitglieder überreicht werden. 3Sie können auch durch Personen, die nicht dem Aufsichtsrat angehören, übergeben werden, wenn diese nach § 109 Abs. 3 zur Teilnahme an der Sitzung berechtigt sind. (4) Schriftliche, fernmündliche oder andere vergleichbare Formen der Beschlussfassung des Aufsichtsrats und seiner Ausschüsse sind vorbehaltlich einer näheren Regelung durch die Satzung oder eine Geschäftsordnung des Aufsichtsrats nur zulässig, wenn kein Mitglied diesem Verfahren widerspricht. Literatur: Arnold/Gayk, Auswirkungen der fehlerhaften Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern – Handlungsempfehlungen für die Unternehmenspraxis, DB 2013, 1830; Baums, Der fehler-

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§ 108

Beschlußfassung des Aufsichtsrats

in der Satzung enthalten sind.71) Der DCGK empfiehlt in Ziff. 5.1.3 den Erlass einer Geschäftsordnung. Da nur der Aufsichtsrat über die Bildung und Besetzung von Ausschüssen zu entscheiden hat, sind die entsprechenden Regelungen oft in der Geschäftsordnung für den Aufsichtsrat enthalten.72) Die vom Aufsichtsrat erlassene Geschäftsordnung gilt solange, bis der Aufsichtsrat sie ändert oder aufhebt;73) sie bleibt auch vom Mitgliederwechsel oder dem Ende der Amtsperiode unberührt.74) Im Einzelfall kann der Aufsichtsrat von der von ihm erlassenen Geschäftsordnung – auch ohne förmlichen Durchbrechungsbeschluss – abweichen, und zwar durch entsprechenden Mehrheitsbeschluss.75) Dagegen können Verstöße gegen Geschäftsordnungsregelungen der Satzung zur Nichtigkeit des Aufsichtsratsbeschlusses führen.76) _____________ 71) Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 11 Rz. 652 f.; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 107 Rz. 165; s. dazu die Muster-Geschäftsordnungen von Hoffmann-Becking in: Beck’sches Formb. BHW, X. 17 und X. 18. 72) S. dazu Hoffmann-Becking in: Beck’sches Formb. BHW, X. 17 und X. 18. 73) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 107 Rz. 35; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 11 Rz. 653. 74) OLG Hamburg, Urt. v. 23.7.1982 – 11 U 179/80, AG 1983, 21, 22; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 31 Rz. 5; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 11 Rz. 653. 75) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 107 Rz. 35 a. E.; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 31 Rz. 4. 76) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 107 Rz. 166; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 11 Rz. 653.

§ 108 Beschlußfassung des Aufsichtsrats (1) Der Aufsichtsrat entscheidet durch Beschluß. (2) 1Die Beschlußfähigkeit des Aufsichtsrats kann, soweit sie nicht gesetzlich geregelt ist, durch die Satzung bestimmt werden. 2Ist sie weder gesetzlich noch durch die Satzung geregelt, so ist der Aufsichtsrat nur beschlußfähig, wenn mindestens die Hälfte der Mitglieder, aus denen er nach Gesetz oder Satzung insgesamt zu bestehen hat, an der Beschlußfassung teilnimmt. 3In jedem Fall müssen mindestens drei Mitglieder an der Beschlußfassung teilnehmen. 4Der Beschlußfähigkeit steht nicht entgegen, daß dem Aufsichtsrat weniger Mitglieder als die durch Gesetz oder Satzung festgesetzte Zahl angehören, auch wenn das für seine Zusammensetzung maßgebende zahlenmäßige Verhältnis nicht gewahrt ist. (3) 1Abwesende Aufsichtsratsmitglieder können dadurch an der Beschlußfassung des Aufsichtsrats und seiner Ausschüsse teilnehmen, daß sie schriftliche Stimmabgaben überreichen lassen. 2Die schriftlichen Stimmabgaben können durch andere Aufsichtsratsmitglieder überreicht werden. 3Sie können auch durch Personen, die nicht dem Aufsichtsrat angehören, übergeben werden, wenn diese nach § 109 Abs. 3 zur Teilnahme an der Sitzung berechtigt sind. (4) Schriftliche, fernmündliche oder andere vergleichbare Formen der Beschlussfassung des Aufsichtsrats und seiner Ausschüsse sind vorbehaltlich einer näheren Regelung durch die Satzung oder eine Geschäftsordnung des Aufsichtsrats nur zulässig, wenn kein Mitglied diesem Verfahren widerspricht. Literatur: Arnold/Gayk, Auswirkungen der fehlerhaften Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern – Handlungsempfehlungen für die Unternehmenspraxis, DB 2013, 1830; Baums, Der fehler-

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Beschlußfassung des Aufsichtsrats

hafte Aufsichtsratsbeschluß, ZGR 1983, 300; Buckel/Vogel, Die angegriffene Wahl des Aufsichtsrats – Gutglaubensschutz statt Rechtsfigur des fehlerhaften Organs, ZIP 2014, 58; Fleischer, Fehlerhafte Aufsichtsratsbeschlüsse: Rechtsdogmatik – Rechtsvergleichung, DB 2013, 160 (Teil 1), und DB 2013, 217 (Teil 2); Habersack, Aktienrecht und Internet, ZHR 165 (2001) 172; Hoffmann-Becking, Schriftliche Beschlussfassung des Aufsichtsrats und schriftliche Stimmabgabe abwesender Aufsichtsratsmitglieder, in: Festgabe für Wilhelm Happ, 2006, S. 81; Jürgenmeyer, Satzungsklauseln über qualifizierte Beschlussmehrheiten im Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft, ZGR 2007, 112; Kindl, Beschlussfassung des Aufsichtsrats und neue Medien zur Änderung des § 108 Abs. 4 AktG, ZHR 166 (2002) 335; Miettinen/Villeda, Abstimmungsformen des Aufsichtsrats, AG 2007, 346; Priester, Stimmverbot beim dreiköpfigen Aufsichtsrat, AG 2007, 190; Scholderer/v. Werder, Dissens im Aufsichtsrat – Beurteilung alternativer Verhaltensoptionen aus Sicht guter Corporate Governance, ZGR 2017, 865; Seibert, Aktienrechtsnovelle NaStraG tritt in Kraft – Übersicht über das Gesetz und Auszüge aus dem Bericht des Rechtsausschusses, ZIP 2001, 53; Vetter, Anfechtung der Wahl der Aufsichtsratsmitglieder, Bestandsschutzinteresse der AG und die Verantwortung der Verwaltung, ZIP 2012, 701; Wittgens/Vollertsen, Gruppenvorbesprechungen im Aufsichtsrat – Zulässigkeit, Zweckmäßigkeit, Praxisfragen, AG 2015, 261.

Übersicht I. Gegenstand und Zweck der Norm .................................................. 1 II. Entscheidung durch Beschluss (§ 108 Abs. 1) ..................................... 2 1. Gegenstand und Rechtsnatur des Beschlusses ......................................... 2 2. Verfahren der Beschlussfassung ....... 5 3. Stimmrecht und Stimmrechtsausschluss ......................................... 10 I.

III. Beschlussfähigkeit (§ 108 Abs. 2) ................................... 12 IV. Schriftliche Stimmabgabe (§ 108 Abs. 3) ................................... 16 V. Beschlussfassung ohne Sitzung (§ 108 Abs. 4) ................................... 18 VI. Fehlerhafte Aufsichtsratsbeschlüsse ......................................... 19

Gegenstand und Zweck der Norm

1 Die Norm regelt zusammenfassend die Beschlussfassung des Aufsichtsrats. Das Beschlusserfordernis des § 108 Abs. 1 ist i. S. einer ausdrücklichen Beschlussfassung zu verstehen. Hiermit soll Rechtssicherheit erreicht werden, die bei stillschweigender Beschlussfassung nicht gewährleistet wäre.1) Durch den durch das Namensaktiengesetz (NaStraG)2) neu gefassten § 108 Abs. 4 soll eine Beschlussfassung mittels moderner Medien erleichtert werden.3) II.

Entscheidung durch Beschluss (§ 108 Abs. 1)

1.

Gegenstand und Rechtsnatur des Beschlusses

2 Das Erfordernis ausdrücklicher Beschlussfassung des § 108 Abs. 1 bezieht sich auf Entscheidungen des Aufsichtsrats und seiner Ausschüsse. Eine Entscheidung liegt immer dann vor, wenn ein Organwille gebildet wird.4) Dies ist bei der Abgabe von Willenserklärungen (§ 112) oder sonstigen dem Aufsichtsrat obliegenden Erklärungen (siehe etwa §§ 59 _____________ 1) 2) 3) 4)

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Habersack in: MünchKomm-AktG, § 108 Rz. 1; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 108 Rz. 20 f. Gesetz zur Namensaktie und zur Erleichterung der Stimmrechtsausübung (Namensaktiengesetz – NaStraG) v. 18.1.2001, BGBl. I 2001, 123. Seibert, ZIP 2001, 53, 54. Habersack in: MünchKomm-AktG, § 108 Rz. 8; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 108 Rz. 15 ff.; zur Vorbereitung der Beschlussfassung durch Gruppenvorbesprechungen: Wittgens/Vollertsen, AG 2015, 261 ff.; s. dazu auch K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 108 Rz. 5; allgemein zu Willensbildung und Dissens im Aufsichtsrat: Scholderer/v. Werder, ZGR 2017, 865 ff.

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Beschlußfassung des Aufsichtsrats

Abs. 3, 88 Abs. 1, 89 Abs. 1, 2 und 5, 111 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 4 Satz 2) und insbesondere bei der Entscheidung über einen Antrag eines oder mehrerer Aufsichtsratsmitglieder der Fall.5) Ein Beschluss ist das Ergebnis der Willensbildung des Organs durch Abstimmung über 3 einen Antrag. Er ist ein mehrseitiges, aber nicht vertragliches Rechtsgeschäft eigener Art.6) Der Aufsichtsrat und seine Ausschüsse können nur durch ausdrückliche Beschlussfassung 4 entscheiden; eine konkludente Beschlussfassung ist nicht möglich.7) Allerdings kann bei Vorliegen eines ausdrücklichen Beschlusses ein etwaiger konkludenter Erklärungsgehalt nach den Regeln der Auslegung ausnahmsweise von Relevanz sein.8) 2.

Verfahren der Beschlussfassung

Eine Beschlussfassung setzt die Beschlussfähigkeit voraus und erfordert grundsätzlich 5 einen Antrag, eine Verhandlung, die Abstimmung und die Feststellung des Abstimmungsergebnisses.9) Durch den Antrag wird der Beschlussgegenstand konkretisiert.10) Jedes Aufsichtsratsmitglied kann einen Antrag stellen.11) Neben der den Normalfall bildenden offenen Abstimmung ist auch die geheime Abstim- 6 mung zulässig.12) Letztere kommt insbesondere bei Personalentscheidungen in Betracht. Dem Aufsichtsratsvorsitzenden obliegt die Auswahl der Abstimmungsart, wobei für dessen Entscheidung über diese Verfahrensfrage das Gesellschaftsinteresse maßgeblich ist.13) Für die Beschlüsse des Aufsichtsrats genügt (entsprechend § 32 Abs. 1 Satz 3 BGB bzw. 7 § 29 Abs. 1 MitbestG) grundsätzlich die Mehrheit der abgegebenen Stimmen (einfache Mehrheit).14) Stimmenthaltungen werden (anders als bei der Feststellung der Beschlussfähigkeit, siehe dazu Rz. 12 ff.) nicht mitgezählt und gelten nicht als Nein-Stimmen.15) Ausnahmen von diesem Grundsatz ergeben sich aus den Mitbestimmungsgesetzen (siehe etwa § 29 Abs. 2, § 31 Abs. 4 Satz 2 und insbesondere § 31 Abs. 2 MitbestG).16) Die Satzung (und nicht die Geschäftsordnung des Aufsichtsrats) kann – sofern die Ge- 8 sellschaft nicht den Mitbestimmungsgesetzen unterliegt – Abweichungen vom Grundsatz der einfachen Mehrheit vorsehen, etwa das Recht zum Stichentscheid durch den Auf_____________ 5) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 108 Rz. 8; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 108 Rz. 16. 6) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 108 Rz. 11; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 108 Rz. 12; Hüffer/ Koch-Koch, AktG, § 108 Rz. 3; die Rspr. tendiert wohl ebenfalls in diese Richtung, s. BGH, Urt. v. 15.11.1993 – II ZR 235/92, BGHZ 124, 111, 122 = ZIP 1993, 1862, 1865. 7) BGH, Urt. v. 19.12.1988 – II ZR 74/88, ZIP 1989, 294, 295 m. w. N.; OLG München, Urt. v. 5.3.2015 – 23 U 2384/14, ZIP 2015, 870, 871, dazu EWiR 2015, 271 (Vetter); LG Frankfurt/M., Urt. v. 9.3.2004 – 315 O 107/03, NZG 2004, 672, dazu EWiR 2004, 625 (Kort); Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 108 Rz. 20 f.; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 108 Rz. 12. 8) BGH, Urt. v. 19.12.1988 – II ZR 74/88, ZIP 1989, 294, 295 m. w. N.; BGH, Urt. v. 17.12.2001 – II ZR 288/99, ZIP 2002, 216, 217, dazu EWiR 2002, 317 (Zetzsche); OLG München, Urt. v. 5.3.2015 – 23 U 2384/14, ZIP 2015, 870, 871; LG München I, Urt. v. 28.8.2008 – 5 HKO 2522/08, NZG 2009, 143, 144 f.; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 108 Rz. 22; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 108 Rz. 13. 9) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 108 Rz. 25. 10) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 108 Rz. 17. 11) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 108 Rz. 17; Hölters-Hambloch-Gesinn/Gesinn, AktG, § 108 Rz. 11. 12) Ganz h. M., s. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 108 Rz. 5; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 108 Rz. 18. 13) H. M., s. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 108 Rz. 5a; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 108 Rz. 18. 14) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 108 Rz. 20; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 108 Rz. 6; zu Satzungsklauseln über qualifizierte Beschlussmehrheiten: Jürgenmeyer, ZGR 2007, 112 ff. 15) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 108 Rz. 20; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 108 Rz. 6. 16) Ausführlich hierzu Habersack in: MünchKomm-AktG, § 108 Rz. 21 f.; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 11 Rz. 734 f.

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sichtsratsvorsitzenden oder seinen Stellvertreter oder die Behandlung von Stimmenthaltungen als Ja- oder Nein-Stimmen. Die Einräumung eines Vetorechts ist hingegen unzulässig.17) § 108 Abs. 1 ist jedoch abschließend, sofern es um Entscheidungen geht, die der Aufsichtsrat kraft Gesetzes zu treffen hat; die Satzung kann hierfür keine Abweichungen vom Erfordernis der einfachen Mehrheit vorsehen.18) 9 Die Beschlussfeststellung durch Ermittlung der Ja- und Nein-Stimmen sowie der Stimmenthaltungen und Aufnahme des Beschlussergebnisses in die Niederschrift obliegt allein dem Aufsichtsratsvorsitzenden, der die Beschlussfassung leitet.19) Eine förmliche Beschlussfeststellung ist für Beschlüsse i. R. einer Sitzung nicht zwingend erforderlich und hat keine konstituierende Wirkung.20) Der Aufsichtsratsvorsitzende muss prüfen, ob Stimmverbote vorliegen.21) Dessen Entscheidung über die insoweit sich stellenden Rechtsfragen unterliegt nicht der Kontrolle durch den Aufsichtsrat und kann nicht durch Mehrheitsbeschluss revidiert werden,22) während ansonsten die verfahrensleitenden Entscheidungen des Aufsichtsratsvorsitzenden durch einfachen Beschluss des Aufsichtsrats aufgehoben oder geändert werden können.23) Die Vertagung eines oder mehrerer Tagesordnungspunkte kann durch Mehrheitsbeschluss des Aufsichtsrats erfolgen oder – wenn die Satzung oder die Geschäftsordnung dies vorsieht – durch den Aufsichtsratsvorsitzenden.24) 3.

Stimmrecht und Stimmrechtsausschluss

10 Jedem Aufsichtsratsmitglied steht – vorbehaltlich eines satzungsmäßigen oder gesetzlichen Rechts zum Stichentscheid25) – eine Stimme zu.26) 11 Für die Frage, ob ein Stimmrechtsausschluss vorliegt, ist die Regelung des § 34 BGB entsprechend anzuwenden.27) Mithin greift ein Stimmverbot bei Beschlüssen ein, die die Vornahme eines Rechtsgeschäfts mit dem Aufsichtsratsmitglied oder die Einleitung oder Erledigung eines Rechtsstreits zwischen ihm und der Gesellschaft betreffen. Weitgehend anerkannt ist auch das Verbot des Richtens in eigener Sache, das eingreift, wenn es um Maßnahmen geht, die sich gegen das Aufsichtsratsmitglied selbst richten.28) Bei der Beschlussfassung über die Wahl eines Aufsichtsratsmitglieds zum Aufsichtsratsvorsitzenden, _____________ 17) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 108 Rz. 25; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 11 Rz. 733; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 108 Rz. 8. 18) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 108 Rz. 24; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 108 Rz. 36; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 108 Rz. 8; a. A. Jürgenmeyer, ZGR 2007, 112, 134 f. 19) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 108 Rz. 26; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 31 Rz. 54a. 20) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 108 Rz. 26; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 31 Rz. 58. 21) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 108 Rz. 26; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 31 Rz. 58. 22) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 108 Rz. 26; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 31 Rz. 58; a. A.: Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 107 Rz. 94. 23) Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 11 Rz. 704 ff.; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 31 Rz. 47, 49, 52 und 54. 24) Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 31 Rz. 85; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 11 Rz. 705 und 724. 25) Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 31 Rz. 66 und 68; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 11 Rz. 733. 26) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 108 Rz. 28; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 11 Rz. 733. 27) BGH, Urt. v. 2.4.2007 – II ZR 325/05, Rz. 13, ZIP 2007, 1056, 1058; Hopt/Roth in: GroßKommAktG, § 108 Rz. 54; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 108 Rz. 29. 28) OLG Stuttgart, Urt. v. 30.5.2007 – 20 U 14/06, AG 2007, 873, 876 = ZIP 2007, 1217 (LS); Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 108 Rz. 54; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 108 Rz. 32.

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zu dessen Stellvertreter oder zum Mitglied eines Aufsichtsratsausschusses darf das betreffende Aufsichtsratsmitglied mitstimmen.29) Dies gilt nach zutreffender Ansicht auch für die Beschlussfassung über die eigene Wahl zum Mitglied des Vorstands,30) wobei die inzwischen wohl h. M. (siehe hierzu § 84 Rz. 7 a. E.) hier jedoch von einem Stimmverbot ausgeht.31) III.

Beschlussfähigkeit (§ 108 Abs. 2)

Nach § 108 Abs. 2 Satz 1 ist für die Beschlussfähigkeit des Aufsichtsrats primär die Sat- 12 zung maßgeblich. Enthält diese insoweit keine Regelung und greift auch keine gesetzliche Regelung ein, erfordert die Beschlussfähigkeit des Aufsichtsrats nach § 108 Abs. 2 Satz 2, dass mindestens die Hälfte seiner Mitglieder an der Abstimmung teilnimmt. Jedenfalls müssen aber nach der zwingenden Regel des § 108 Abs. 2 Satz 3 mindestens drei Mitglieder teilnehmen. Bei einem dreiköpfigen Aufsichtsrat führt das Stimmverbot eines Mitglieds nicht zur Beschlussunfähigkeit des Aufsichtsrats; das betreffende Aufsichtsratsmitglied „kann und muss“ durch Stimmenthaltung an der Beschlussfassung teilnehmen.32) Die bloße Unterbesetzung führt nach der ebenfalls zwingenden Regel des § 108 Abs. 2 13 Satz 4 auch dann nicht zur Beschlussunfähigkeit, wenn die Gruppenparität nicht gewahrt ist. Die Mitbestimmungsgesetze enthalten besondere Regeln für die Beschlussfähigkeit, die 14 innerhalb des jeweiligen Geltungsbereichs zu beachten sind (siehe etwa § 28 Satz 1 MitbestG oder §§ 10 MontanMitbestG, 11 MitbestErgG).33) Eine Teilnahme an der Beschlussfassung liegt nicht nur bei Abgabe einer Ja- oder Nein- 15 Stimme vor, sondern auch bei einer Stimmenthaltung, wobei hierfür die Stimmbotschaft nach § 108 Abs. 3 oder Teilnahme nach § 108 Abs. 4 genügt.34) IV.

Schriftliche Stimmabgabe (§ 108 Abs. 3)

§ 108 Abs. 3 lässt die Teilnahme an der Beschlussfassung des Aufsichtsrats oder seiner 16 Ausschüsse mittels schriftlicher Stimmabgabe („Stimmbotschaft“) als Ausgleich für das Verbot der Stellvertretung (§ 111 Abs. 5) zu.35) Die in § 108 Abs. 3 Satz 2 und 3 zugelassenen Stimmboten dürfen keinen eigenen Entscheidungsspielraum haben; die Stimmbotschaft beschränkt sich auf die Überreichung einer fremden Erklärung.36) Es ist streitig, ob für die Stimmbotschaft das Erfordernis eigener Namensunterschrift gilt 17 oder ob auch Telegramm, Telefax oder E-Mail genügen. Mit der Einfügung des § 108 Abs. 4 steht die strenge Auffassung, die an dem Erfordernis der eigenen Namensunterschrift fest_____________ 29) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 108 Rz. 56; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 108 Rz. 32. 30) Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 7 Rz. 343 und § 11 Rz. 731; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 31 Rz. 70. 31) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 108 Rz. 56; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 108 Rz. 9; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 108 Rz. 32. 32) BGH, Urt. v. 2.4.2007 – II ZR 325/05, Rz. 13, ZIP 2007, 1056, 1058; kritisch zur Methodik: Hüffer/ Koch-Koch, AktG, § 108 Rz. 16; s. a. Priester, AG 2007, 190 ff. 33) S. hierzu Habersack in: MünchKomm-AktG, § 108 Rz. 35 und 39 f.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 108 Rz. 17 f.; Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG/DrittelbG, § 28 MitbestG Rz. 1 f. 34) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 108 Rz. 36 f.; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 11 Rz. 716, 725 und 728. 35) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 108 Rz. 49; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 31 Rz. 83. 36) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 108 Rz. 50 und 56; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 11 Rz. 726.

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hält,37) nicht in Einklang bzw. erscheint sie nicht sinnvoll38), weshalb von einer analogen Anwendung des § 108 Abs. 4 i. R. des § 108 Abs. 3 auszugehen ist39). V.

Beschlussfassung ohne Sitzung (§ 108 Abs. 4)

18 § 108 Abs. 4 ermöglicht die Beschlussfassung des Aufsichtsrats ohne eine Präsenzsitzung, etwa schriftlich, fernmündlich oder in anderer vergleichbarer Form (etwa per E-Mail oder i. R. einer Videokonferenz). Das in § 108 Abs. 4 ausdrücklich genannte Widerspruchsrecht jedes Aufsichtsratsmitglieds kann durch eine Regelung in der Satzung oder Geschäftsordnung gänzlich ausgeschlossen werden, die die konkret vorgesehene Art der Beschlussfassung erlaubt.40) Für Aufsichtsratsausschüsse ist eine entsprechende spezielle Regelung erforderlich.41) Die Satzung oder die Geschäftsordnung kann die Beschlussfassung ohne Sitzung auch erschweren.42) Ob und unter welchen Voraussetzungen eine gemischte Beschlussfassung, bei der die Aufsichtsratsmitglieder die Stimme in der Sitzung und weitere abwesende Aufsichtsratsmitglieder auf andere Weise abgeben (auch nachträglich), zulässig ist, wird nicht einheitlich beantwortet.43) Derartige Beschlussfassungen sind zulässig, sofern kein Aufsichtsratsmitglied (auch kein abwesendes) widerspricht (es sei denn, das Widerspruchsrecht wurde durch die Satzung oder Geschäftsordnung ausgeschlossen). Sie sollte in der Satzung oder Geschäftsordnung ausdrücklich erlaubt und geregelt werden.44) VI.

Fehlerhafte Aufsichtsratsbeschlüsse

19 Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH sind Aufsichtsratsbeschlüsse, die gegen zwingendes Gesetzes- oder Satzungsrecht verstoßen gemäß §§ 134, 138 BGB grundsätzlich nichtig.45) 20 Mit Blick auf die Nichtigkeitsfolge wird jedoch nach Art und Schwere des Beschlussmangels differenziert.46) Schwerwiegende Mängel führen zur uneingeschränkten Nichtigkeit, auf die sich jeder Betroffene unbefristet und formlos berufen kann. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Beschlussinhalt gegen zwingende Vorschriften des Gesetzes oder der Satzung _____________ 37) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 108 Rz. 52 f.; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 11 Rz. 725. 38) Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 31 Rz. 91; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 108 Rz. 20. 39) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 108 Rz. 20; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 31 Rz. 91; Hoffmann-Becking in: Festgabe Happ, S. 81, 89 f. 40) Kindl, ZHR 166 (2002) 335, 338 ff.; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 108 Rz. 66 f.; s. a. Seibert, ZIP 2001, 53, 54. 41) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 108 Rz. 66; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 108 Rz. 128. 42) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 108 Rz. 68; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 31 Rz. 97; K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 108 Rz. 26. 43) Zweifelnd Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 108 Rz. 23; für Zulässigkeit auch ohne statutarische Ermächtigung: Habersack in: MünchKomm-AktG, § 108 Rz. 71; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 31 Rz. 93. 44) Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 11 Rz. 729; so im Ergebnis auch: Hüffer/KochKoch, AktG, § 108 Rz. 23; s. a. Kindl, ZHR 166 (2002) 335, 343; Miettinen/Villeda, AG 2007, 346, 348; K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 108 Rz. 28. 45) BGH, Urt. v. 17.5.1993 – II ZR 89/92 (Hamburg-Mannheimer), BGHZ 122, 342, 347, 351 f. = ZIP 1993, 1079, 1081, 1082; BGH, Urt. v. 21.4.1997 – II ZR 175/95 (ARAG/Garmenbeck), BGHZ 135, 244, 247 = ZIP 1997, 883, 884; BGH, Urt. v. 29.5.2000 – II ZR 47/99, ZIP 2000, 1336, 1337 (zum Verwaltungsrat einer Sparkasse); so auch überwiegend das Schrifttum, s. Habersack in: MünchKommAktG, § 108 Rz. 73; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 11 Rz. 737; für analoge Anwendung der §§ 241 ff.: Baums, ZGR 1983, 300, 305 ff. 46) BGH, Urt. v. 17.5.1993 – II ZR 89/92 (Hamburg-Mannheimer), BGHZ 122, 342, 351 f. = ZIP 1993, 1079, 1082; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 108 Rz. 26 f.

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verstößt (Inhaltsmangel).47) Nichtigkeit des Aufsichtsratsbeschlusses liegt auch bei wesentlichen Verfahrensfehlern vor, wie etwa bei Verstößen gegen die Vorschriften zur Beschlussfähigkeit oder zum Abstimmungsverfahren.48) Reine Ordnungsverstöße bzw. unwesentliche Verfahrensverstöße führen nicht zur uneingeschränkten Nichtigkeit. Dies gilt etwa für die Teilnahme einer nicht gemäß § 109 berechtigten Person an einer Aufsichtsratssitzung49) oder für Protokollmängel (siehe § 107 Abs. 2 Satz 3).50) Ein Verfahrensmangel führt auch dann nicht zur Beschlussnichtigkeit, wenn er – etwa durch Beschluss des Aufsichtsrats, Verzicht oder Genehmigung – geheilt wurde.51) Mängel der einzelnen Stimmabgabe schlagen nur dann auf das Beschlussergebnis durch, 21 wenn der Beschluss ohne die betreffende Stimme nicht oder nicht so gefasst worden wäre.52) Nach der Rechtsprechung des BGH führt die Mitwirkung von Nichtmitgliedern an 22 Aufsichtsratsbeschlüssen nicht generell zu deren Nichtigkeit, sondern es kommt auf die Kausalität für die Beschlussfähigkeit und das Beschlussergebnis an.53) Eine erfolgreiche Klage gegen Aufsichtsratswahlen kann zur Nichtigkeit von Aufsichtsratsbeschlüssen führen, wenn der Beschluss von der Stimme des Aufsichtsratsmitglieds abhängt, dessen Wahl erfolgreich angefochten wird.54) Der BGH lehnt insoweit die Anwendbarkeit der Lehre vom faktischen Organ55) ab, betrachtet aber im Einzelfall, ob die Rückabwicklung eines Aufsichtsratsbeschlusses den berechtigten Interessen der Beteiligten widerspricht56) (siehe dazu auch oben § 101 Rz. 11). Die klageweise Geltendmachung der Nichtigkeit kann durch Feststellungsklage gemäß 23 § 256 ZPO erfolgen, die gegen die Gesellschaft zu richten ist und die ein Feststellungsinteresse erfordert.57) Klagebefugt ist jedes Aufsichtsratsmitglied58) und – je nach Inhalt des _____________ 47) BGH, Urt. v. 17.5.1993 – II ZR 89/92 (Hamburg-Mannheimer), BGHZ 122, 342, 351 = ZIP 1993, 1079, 1082; s. a. Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 31 Rz. 116 f.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 108 Rz. 27. 48) BGH, Urt. v. 17.5.1993 – II ZR 89/92 (Hamburg-Mannheimer), BGHZ 122, 342, 351 = ZIP 1993, 1079, 1082; s. a. Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 31 Rz. 116 f.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 108 Rz. 27. 49) BGH, Urt. v. 17.4.1967 – II ZR 157/64, BGHZ 47, 341, 349 f.; s. dazu Habersack in: MünchKommAktG, § 108 Rz. 76. 50) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 108 Rz. 79; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 11 Rz. 740. 51) S. etwa OLG München, Beschl. v. 12.1.2017 – 23 U 3582/16, ZIP 2017, 372, 373; ausführlich dazu Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 108 Rz. 167 ff.; s. a. Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 31 Rz. 117. 52) BGH, Urt. v. 17.4.1967 – II ZR 157/64, BGHZ 47, 341, 346; ausführlich dazu: Habersack in: MünchKomm-AktG, § 108 Rz. 75; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 11 Rz. 736. 53) BGH, Urt. v. 17.4.1967 – II ZR 157/64, BGHZ 47, 341, 346; BGH, Urt. v. 19.2.2013 – II ZR 56/12, Rz. 21, BGHZ 196, 195 = ZIP 2013, 720, dazu EWiR 2013, 333 (Schatz); s. a. Drygala/Gehling, ZIP 2014, 1253. 54) BGH, Urt. v. 19.2.2013 – II ZR 56/12, BGHZ 196, 195 = ZIP 2013, 720, 721. 55) Dafür: Habersack in: MünchKomm-AktG, § 101 Rz. 70; a. A. OLG Köln, Urt. v. 28.2.2008 – 18 U 3/08, ZIP 2008, 1767, 1768; Vetter, ZIP 2012, 701, 707 ff.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 101 Rz. 22 geht zutreffend davon aus, dass mit der vorgenannten Entscheidung des BGH diese Diskussion „ein vorläufiges Ende gefunden haben“ dürfte. 56) BGH, Urt. v. 19.2.2013 – II ZR 56/12, BGHZ 196, 195 = ZIP 2013, 720, 722; ausführlich dazu Arnold/Gayk, DB 2013, 1830 ff.; Buckel/Vogel, ZIP 2014, 58 ff. 57) BGH, Urt. v. 17.5.1993 – II ZR 89/92 (Hamburg-Mannheimer), BGHZ 122, 342, 351 = ZIP 1993, 1079, 1082; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 108 Rz. 26 und 30; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 108 Rz. 85. 58) BGH Urt. v. 21.4.1997 – II ZR 175/95 (ARAG/Garmenbeck), BGHZ 135, 244, 247 = ZIP 1997, 883, 884; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 11 Rz. 742.

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§ 109

Teilnahme an Sitzungen des Aufsichtsrats und seiner Ausschüsse

betreffenden Beschlusses – auch ein einzelnes Vorstandsmitglied.59) Weiter ist der Beitritt eines Aufsichtsratsmitglieds auf Seiten der Gesellschaft im Prozess mit einem Vorstandsmitglied über dessen Abberufung zulässig.60) Im Falle der erfolgreichen Anfechtung einer Aufsichtsratswahl führt die Beendigung des Amts durch Niederlegung dann zum Wegfall des Rechtsschutzinteresses, wenn die Nichtigerklärung keinen Einfluss auf die Rechtsbeziehungen der Gesellschaft, der Aktionäre sowie der Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder hat.61) 24 Die Mangelhaftigkeit des Aufsichtsratsbeschlusses ist unverzüglich geltend zu machen, etwa durch formlose Erklärung gegenüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden.62) Für die Erhebung der Feststellungsklage gilt keine Frist, insbesondere nicht die Monatsfrist des § 246; es kann aber Verwirkung eintreten.63) Ein Gebot zumutbarer Beschleunigung folgt nach Auffassung der Literatur auch aus der organschaftlichen Treuepflicht der Aufsichtsratsmitglieder.64) Vergleichsverhandlungen über die Bereinigung eines fehlerhaften Beschlusses stehen einer Verwirkung wohl (analog § 203 BGB) entgegen.65) _____________ 59) Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 11 Rz. 742; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 108 Rz. 85. 60) BGH, Zwischenurt. v. 29.1.2013 – II ZB 1/11, ZIP 2013, 483, 484, dazu EWiR 2013, 301 (Deiß). 61) BGH, Urt. v. 19.2.2013 – II ZR 56/12, BGHZ 196, 195 = ZIP 2013, 720, 721. 62) BGH, Urt. v. 17.5.1993 – II ZR 89/92 (Hamburg-Mannheimer), BGHZ 122, 342, 352 = ZIP 1993, 1079, 1082. 63) BGH, Urt. v. 15.11.1993 – II ZR 235/92, BGHZ 124, 111 = ZIP 1993, 1862, 1863; OLG Düsseldorf, Urt. v. 22.6.1995 – 6 U 104/94, ZIP 1995, 1183, 1187; LG Frankfurt/M., Urt. v. 19.12.1995 – 2/14 O 183/95, ZIP 1996, 1661, 1663, erachtet eine Überlegungszeit von rund drei Monaten als angemessen und nicht als illoyale Verzögerung. 64) Fleischer, DB 2013, 217, 222. 65) BGH, Urt. v. 17.5.1993 – II ZR 89/92 (Hamburg-Mannheimer), BGHZ 122, 342, 352 = ZIP 1993, 1079.

§ 109 Teilnahme an Sitzungen des Aufsichtsrats und seiner Ausschüsse (1) 1An den Sitzungen des Aufsichtsrats und seiner Ausschüsse sollen Personen, die weder dem Aufsichtsrat noch dem Vorstand angehören, nicht teilnehmen. 2Sachverständige und Auskunftspersonen können zur Beratung über einzelne Gegenstände zugezogen werden. (2) Aufsichtsratsmitglieder, die dem Ausschuß nicht angehören, können an den Ausschußsitzungen teilnehmen, wenn der Vorsitzende des Aufsichtsrats nichts anderes bestimmt. (3) Die Satzung kann zulassen, daß an den Sitzungen des Aufsichtsrats und seiner Ausschüsse Personen, die dem Aufsichtsrat nicht angehören, an Stelle von verhinderten Aufsichtsratsmitgliedern teilnehmen können, wenn diese sie hierzu in Textform ermächtigt haben. (4) Abweichende gesetzliche Vorschriften bleiben unberührt. Literatur: Böttcher, Unzulässige Besetzung von Aufsichtsräten, NZG 2012, 809; Dreher, Direktkontakte des Aufsichtsrats in der Aktiengesellschaft zu dem Vorstand nachgeordneten Mitarbeitern, in: Festschrift für Peter Ulmer, 2003, S. 87; Hörst, Zur BAV-Verlautbarung „Satzungsbestimmungen über Vorstands- und Aufsichtsratssitzungen“, NVersZ 2002, 390; Lutter, Ehrenämter im Aktien- und GmbH-Recht, ZIP 1984, 645; Marsch-Barner, Zur Information des Aufsichtsrates durch Mitarbeiter des Unternehmens, in: Festschrift für Eberhard Schwark, 2009,

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Teilnahme an Sitzungen des Aufsichtsrats und seiner Ausschüsse

betreffenden Beschlusses – auch ein einzelnes Vorstandsmitglied.59) Weiter ist der Beitritt eines Aufsichtsratsmitglieds auf Seiten der Gesellschaft im Prozess mit einem Vorstandsmitglied über dessen Abberufung zulässig.60) Im Falle der erfolgreichen Anfechtung einer Aufsichtsratswahl führt die Beendigung des Amts durch Niederlegung dann zum Wegfall des Rechtsschutzinteresses, wenn die Nichtigerklärung keinen Einfluss auf die Rechtsbeziehungen der Gesellschaft, der Aktionäre sowie der Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder hat.61) 24 Die Mangelhaftigkeit des Aufsichtsratsbeschlusses ist unverzüglich geltend zu machen, etwa durch formlose Erklärung gegenüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden.62) Für die Erhebung der Feststellungsklage gilt keine Frist, insbesondere nicht die Monatsfrist des § 246; es kann aber Verwirkung eintreten.63) Ein Gebot zumutbarer Beschleunigung folgt nach Auffassung der Literatur auch aus der organschaftlichen Treuepflicht der Aufsichtsratsmitglieder.64) Vergleichsverhandlungen über die Bereinigung eines fehlerhaften Beschlusses stehen einer Verwirkung wohl (analog § 203 BGB) entgegen.65) _____________ 59) Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 11 Rz. 742; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 108 Rz. 85. 60) BGH, Zwischenurt. v. 29.1.2013 – II ZB 1/11, ZIP 2013, 483, 484, dazu EWiR 2013, 301 (Deiß). 61) BGH, Urt. v. 19.2.2013 – II ZR 56/12, BGHZ 196, 195 = ZIP 2013, 720, 721. 62) BGH, Urt. v. 17.5.1993 – II ZR 89/92 (Hamburg-Mannheimer), BGHZ 122, 342, 352 = ZIP 1993, 1079, 1082. 63) BGH, Urt. v. 15.11.1993 – II ZR 235/92, BGHZ 124, 111 = ZIP 1993, 1862, 1863; OLG Düsseldorf, Urt. v. 22.6.1995 – 6 U 104/94, ZIP 1995, 1183, 1187; LG Frankfurt/M., Urt. v. 19.12.1995 – 2/14 O 183/95, ZIP 1996, 1661, 1663, erachtet eine Überlegungszeit von rund drei Monaten als angemessen und nicht als illoyale Verzögerung. 64) Fleischer, DB 2013, 217, 222. 65) BGH, Urt. v. 17.5.1993 – II ZR 89/92 (Hamburg-Mannheimer), BGHZ 122, 342, 352 = ZIP 1993, 1079.

§ 109 Teilnahme an Sitzungen des Aufsichtsrats und seiner Ausschüsse (1) 1An den Sitzungen des Aufsichtsrats und seiner Ausschüsse sollen Personen, die weder dem Aufsichtsrat noch dem Vorstand angehören, nicht teilnehmen. 2Sachverständige und Auskunftspersonen können zur Beratung über einzelne Gegenstände zugezogen werden. (2) Aufsichtsratsmitglieder, die dem Ausschuß nicht angehören, können an den Ausschußsitzungen teilnehmen, wenn der Vorsitzende des Aufsichtsrats nichts anderes bestimmt. (3) Die Satzung kann zulassen, daß an den Sitzungen des Aufsichtsrats und seiner Ausschüsse Personen, die dem Aufsichtsrat nicht angehören, an Stelle von verhinderten Aufsichtsratsmitgliedern teilnehmen können, wenn diese sie hierzu in Textform ermächtigt haben. (4) Abweichende gesetzliche Vorschriften bleiben unberührt. Literatur: Böttcher, Unzulässige Besetzung von Aufsichtsräten, NZG 2012, 809; Dreher, Direktkontakte des Aufsichtsrats in der Aktiengesellschaft zu dem Vorstand nachgeordneten Mitarbeitern, in: Festschrift für Peter Ulmer, 2003, S. 87; Hörst, Zur BAV-Verlautbarung „Satzungsbestimmungen über Vorstands- und Aufsichtsratssitzungen“, NVersZ 2002, 390; Lutter, Ehrenämter im Aktien- und GmbH-Recht, ZIP 1984, 645; Marsch-Barner, Zur Information des Aufsichtsrates durch Mitarbeiter des Unternehmens, in: Festschrift für Eberhard Schwark, 2009,

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S. 219; Schneider, Gemeinsame Sitzungen und gemeinsame Beschlussfassung von Aufsichtsräten im Konzern?, in: Festschrift für Horst Konzen, 2006, S. 881; Schneider, Die Teilnahme von Vorstandsmitgliedern an Aufsichtsratssitzungen, ZIP 2002, 873; Schnorbus/Ganzer, Gemeinsame Sitzungen von Aufsichtsorganen innerhalb eines Konzerns, AG 2013, 445.

Übersicht I. Gegenstand und Zweck der Norm .................................................. 1 II. Sitzungsteilnahme (§ 109 Abs. 1) .... 3 III. Teilnahme an Ausschusssitzungen (§ 109 Abs. 2) ..................................... 6 I.

IV. Teilnahme von ermächtigten Personen (§ 109 Abs. 3) .................... 8 V. Abweichende gesetzliche Vorschriften (§ 109 Abs. 4) ..................... 9

Gegenstand und Zweck der Norm

§ 109 Abs. 1 Satz 1 enthält den Grundsatz,1) dass Personen, die weder Aufsichtsrats- 1 noch Vorstandsmitglieder sind, an den Sitzungen des Aufsichtsrats und seiner Ausschüsse nicht teilnehmen sollen. § 109 Abs. 1 Satz 2 erlaubt unter gewissen Voraussetzungen die Teilnahme von Sachverständigen und Auskunftspersonen. Die Beschränkung der Teilnahmemöglichkeiten von Nichtorganmitgliedern dient der Sicherung der Organisationsverfassung, zudem soll die Vertraulichkeit der Aufsichtsratsberatungen hierdurch gewährleistet werden.2) § 109 Abs. 2 behandelt das Teilnahmerecht von Aufsichtsratsmitgliedern an Sitzungen 2 von Ausschüssen, denen sie nicht angehören. Nach § 109 Abs. 3 kann die Satzung die Teilnahme ermächtigter Personen anstelle von verhinderten Aufsichtsratsmitgliedern zulassen. II.

Sitzungsteilnahme (§ 109 Abs. 1)

§ 109 Abs. 1 Satz 1 enthält die zwingende Grundregel, dass an den Aufsichtsratssitzungen 3 keine Personen teilnehmen sollen, die nicht Mitglieder des Aufsichtsrats oder des Vorstands sind.3) Aufsichtsratsmitglieder haben ein grundsätzlich unentziehbares Teilnahmerecht kraft Amtes. Nur ausnahmsweise kann der Aufsichtsrat beschließen, ein Aufsichtsratsmitglied von der Sitzungsteilnahme auszuschließen, wenn andernfalls wichtige Gesellschaftsbelange gefährdet werden (etwa durch konkret belegbaren Geheimnisverrat).4) Vorstandsmitglieder haben zwar kein eigenes Teilnahmerecht kraft Gesetzes, die Sat- 4 zung kann ihnen aber ein Teilnahmerecht derart einräumen, dass der Aufsichtsratsvorsitzende oder der Aufsichtsrat im Einzelfall anders entscheiden können.5) Sofern der Aufsichtsratsvorsitzende oder der Aufsichtsrat dies wünschen, sind die Vorstandsmitglieder zur Teilnahme verpflichtet.6) Regelmäßige Teilnahme der Vorstandsmitglieder an den Auf-

_____________ 1) 2) 3)

4) 5) 6)

Schneider in: FS Konzen, S. 881, 885, versteht § 109 Abs. 1 Satz 1 als Ordnungsvorschrift; so wohl auch die Rspr., s. BGH, Urt. v. 17.4.1967 – II ZR 157/64, BGHZ 47, 341, 349 f. BGH, Beschl. v. 30.1.2012 – II ZB 20/11, Rz. 16, ZIP 2012, 472, 473, dazu EWiR 2012, 219 (Vetter); Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 109 Rz. 5 f.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 109 Rz. 1. BGH, Beschl. v. 30.1.2012 – II ZB 20/11, Rz. 15, ZIP 2012, 472, 473; Lutter, ZIP 1984, 645, 652; Böttcher, NZG 2012, 809; zur Frage der Zulässigkeit von gemeinsamen Sitzungen von Aufsichtsräten innerhalb eines Konzerns: Schnorbus/Ganzer, AG 2013, 445, 446 ff. Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 11 Rz. 700; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 109 Rz. 10. Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 11 Rz. 702; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 109 Rz. 3. Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 11 Rz. 702; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 31 Rz. 52.

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Teilnahme an Sitzungen des Aufsichtsrats und seiner Ausschüsse

sichtsratssitzungen ist üblich und grundsätzlich sachgerecht.7) Allerdings soll der Aufsichtsrat bei Bedarf auch ohne sie tagen (so auch die Empfehlung in Ziff. 3.6 Abs. 2 DCGK). Personen, die nicht Aufsichtsrats- oder Vorstandsmitglied sind, haben kein Teilnahmerecht nach § 109 Abs. 1 Satz 1; dies gilt auch für ehemalige Mitglieder (etwa Ehrenvorsitzende des Aufsichtsrats).8) 5 Nach § 109 Abs. 1 Satz 2 können Sachverständige und Auskunftspersonen zur Beratung einzelner Gegenstände zugelassen werden. Die Begriffe „Sachverständige und Auskunftspersonen“ sind weit auszulegen. Sachverständiger ist jeder, der eine spezifische Sachkunde besitzt.9) Als Auskunftsperson kommt jede Person in Betracht, die über bestimmte Vorgänge aus ihrer Tätigkeit für die Gesellschaft berichten soll oder von der sich der Aufsichtsrat eine Information verspricht.10) Zulässig ist auch die Hinzuziehung eines Protokollführers oder anderer Hilfskräfte (Dolmetscher).11) Die Entscheidung über die Zulassung trifft vorbehaltlich abweichender Mehrheitsentscheidungen des Aufsichtsrats der Aufsichtsratsvorsitzende.12) Nehmen Dritte unzulässigerweise an einer Sitzung teil, so berührt dies nicht die Wirksamkeit der in der Sitzung gefassten Beschlüsse.13) III.

Teilnahme an Ausschusssitzungen (§ 109 Abs. 2)

6 Während Aufsichtsratsmitglieder, die einem Ausschuss angehören, zur Teilnahme an dessen Sitzungen berechtigt und verpflichtet sind, haben die dem Ausschuss nicht angehörenden Aufsichtsratsmitglieder nach § 109 Abs. 2 nur grundsätzlich ein Teilnahmerecht. Der Aufsichtsratsvorsitzende, nicht aber der jeweilige Ausschussvorsitzende, kann festlegen, dass sie nicht teilnehmen dürfen. Hierfür sind im Einzelfall sachliche Gründe erforderlich;14) ein genereller Ausschluss (etwa durch die Geschäftsordnung oder die Satzung) wird als Verstoß gegen die Wertung des § 109 Abs. 2 gesehen und daher allenfalls für einzelne Ausschüsse als zulässig erachtet.15) Der Aufsichtsratsvorsitzende kann von der Teilnahme an der Personalausschusssitzung mit der Begründung ausschließen, dass dort vertrauliche Themen behandelt werden sollen.16) Als Rechtsschutzmöglichkeit betroffener Aufsichtsratsmitglieder kommt eine Feststellungsklage gegen die Gesellschaft, vertreten durch den Vorstand, in Betracht.17) 7 Die einem Ausschuss nicht angehörenden, aber nach § 102 Abs. 2 teilnehmenden Aufsichtsratsmitglieder haben grundsätzlich ein Recht auf Einsichtnahme in alle Unterlagen, _____________ 7) Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 11 Rz. 702; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 109 Rz. 3; Schneider, ZIP 2002, 873, 875 f.; zu Besonderheiten bei Versicherungsunternehmen bzw. zur abweichenden Auffassung der Aufsicht: Hörst, NVersZ 2002, 390 ff. 8) Lutter, ZIP 1984, 645, 651 f.; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 109 Rz. 12. 9) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 109 Rz. 17; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 109 Rz. 5. 10) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 109 Rz. 18; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 109 Rz. 5; zu Mitarbeitern als Auskunftsperon des Aufsichtsrats und zur Zulässigkeit von Direktkontakten des Aufsichtsrats mit Mitarbeitern: Dreher in: FS Ulmer, S. 87, 97 f.; Marsch-Barner in: FS Schwark, S. 219, 223 f. 11) Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 11 Rz. 703; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 109 Rz. 5, sofern kein Aufsichtsratsmitglied widerspricht; a. A. bzgl. Widerspruchsrecht: Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 31 Rz. 54. 12) Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 31 Rz. 52; Semler/v. Schenck-Semler, ArbHdb. AR, § 4 Rz. 78. 13) BGH, Urt. v. 17.4.1967 – II ZR 157/64, BGHZ 47, 341, 349 f.; OLG München, Urt. v. 12.1.2017 – 23 U 3582/16, ZIP 2017, 372, 374, dazu EWiR 2017, 233 (Goslar); Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 109 Rz. 4. 14) LG München I, Urt. v. 26.7.2007 – 12 O 8466/07, BB 2007, 2473, 2474 f. = NZG 2008, 348, dazu EWiR 2008, 193, 194 (Peus). 15) LG München I, Urt. v. 26.7.2007 – 12 O 8466/07, BB 2007, 2473, 2474 f. = NZG 2008, 348; Semler/ v. Schenck-Gittermann, ArbHdb. AR, § 6 Rz. 161; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 109 Rz. 6. 16) LG München I, Urt. v. 26.7.2007 – 12 O 8466/07, BB 2007, 2473, 2474 f. = NZG 2008, 348. 17) LG München I, Urt. v. 26.7.2007 – 12 O 8466/07, BB 2007, 2473, 2474 f. = NZG 2008, 348.

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Einberufung des Aufsichtsrats

die Grundlage der Ausschussberatungen sind, sowie auf Einsicht in die Ausschussprotokolle.18) Diese Einsichtsrechte entfallen aber, wenn der Aufsichtsratsvorsitzende ein Aufsichtsratsmitglied nach § 109 Abs. 2 von der Teilnahme ausschließt;19) entsprechend § 109 Abs. 2 kann auch nur die Protokolleinsicht ausgeschlossen werden.20) IV.

Teilnahme von ermächtigten Personen (§ 109 Abs. 3)

Die nach § 109 Abs. 3 zulässige Ermächtigung von Personen, die dem Aufsichtsrat nicht 8 angehören, muss lediglich Textform (§ 126b BGB) haben, d. h. es genügen unterschriftslose Erklärungen (etwa E-Mail oder Telefax).21) Die Satzung muss die Regelung über die Zulassung ermächtigter Personen selbst treffen, sie kann nicht etwa dem Aufsichtsratsvorsitzenden übertragen bzw. überlassen werden.22) Das Teilnahmerecht gibt nur Recht auf Anwesenheit, nicht aber ein eigenes Rede- und Antragsrecht; die Stimmabgabe des verhinderten Aufsichtsratsmitglieds ist nach Maßgabe des § 108 Abs. 3 Satz 3 zulässig.23) Die ermächtigte Person kann – wie das Aufsichtsratsmitglied selbst – nach § 109 Abs. 2 ausgeschlossen werden.24) V.

Abweichende gesetzliche Vorschriften (§ 109 Abs. 4)

Die nach § 109 Abs. 4 unberührt bleibenden abweichenden gesetzlichen Vorschriften sind 9 insbesondere aufsichtsrechtliche Sonderbestimmungen, die ein Teilnahme- und Rederecht für Vertreter der Aufsichtsbehörden begründen (etwa § 44 Abs. 4 KWG, § 306 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VAG).25) _____________ 18) OLG Hamburg, Urt. v. 25.5.1984 – 11 U 183/83, AG 1984, 248, 251; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 11 Rz. 788; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 109 Rz. 6. 19) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 109 Rz. 73; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 11 Rz. 788. 20) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 109 Rz. 73; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 11 Rz. 788. 21) Näher zur Textform: Begr. RegE eines Gesetzes zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr v. 14.12.2000, BT-Drucks. 14/4987, S. 18 f. 22) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 109 Rz. 40; Semler/v. Schenck-Gittermann, Der Aufsichtsrat, § 109 Rz. 63; a. A. Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 109 Rz. 40. 23) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 109 Rz. 38; Semler/v. Schenck-Gittermann, Der Aufsichtsrat, § 109 Rz. 58 und 65. 24) Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 109 Rz. 28; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 109 Rz. 35 und 38. 25) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 109 Rz. 92; Semler/v. Schenck-Gittermann, Der Aufsichtsrat, § 109 Rz. 66; zu den aufsichtsrechtlichen Vorgaben der BaFin für die Teilnahme von Vorstandsmitgliedern, s. Schneider in: FS Konzen, S. 881, 884 f.

§ 110 Einberufung des Aufsichtsrats (1) 1Jedes Aufsichtsratsmitglied oder der Vorstand kann unter Angabe des Zwecks und der Gründe verlangen, daß der Vorsitzende des Aufsichtsrats unverzüglich den Aufsichtsrat einberuft. 2Die Sitzung muß binnen zwei Wochen nach der Einberufung stattfinden. (2) Wird dem Verlangen nicht entsprochen, so kann das Aufsichtsratsmitglied oder der Vorstand unter Mitteilung des Sachverhalts und der Angabe einer Tagesordnung selbst den Aufsichtsrat einberufen.

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Einberufung des Aufsichtsrats

die Grundlage der Ausschussberatungen sind, sowie auf Einsicht in die Ausschussprotokolle.18) Diese Einsichtsrechte entfallen aber, wenn der Aufsichtsratsvorsitzende ein Aufsichtsratsmitglied nach § 109 Abs. 2 von der Teilnahme ausschließt;19) entsprechend § 109 Abs. 2 kann auch nur die Protokolleinsicht ausgeschlossen werden.20) IV.

Teilnahme von ermächtigten Personen (§ 109 Abs. 3)

Die nach § 109 Abs. 3 zulässige Ermächtigung von Personen, die dem Aufsichtsrat nicht 8 angehören, muss lediglich Textform (§ 126b BGB) haben, d. h. es genügen unterschriftslose Erklärungen (etwa E-Mail oder Telefax).21) Die Satzung muss die Regelung über die Zulassung ermächtigter Personen selbst treffen, sie kann nicht etwa dem Aufsichtsratsvorsitzenden übertragen bzw. überlassen werden.22) Das Teilnahmerecht gibt nur Recht auf Anwesenheit, nicht aber ein eigenes Rede- und Antragsrecht; die Stimmabgabe des verhinderten Aufsichtsratsmitglieds ist nach Maßgabe des § 108 Abs. 3 Satz 3 zulässig.23) Die ermächtigte Person kann – wie das Aufsichtsratsmitglied selbst – nach § 109 Abs. 2 ausgeschlossen werden.24) V.

Abweichende gesetzliche Vorschriften (§ 109 Abs. 4)

Die nach § 109 Abs. 4 unberührt bleibenden abweichenden gesetzlichen Vorschriften sind 9 insbesondere aufsichtsrechtliche Sonderbestimmungen, die ein Teilnahme- und Rederecht für Vertreter der Aufsichtsbehörden begründen (etwa § 44 Abs. 4 KWG, § 306 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VAG).25) _____________ 18) OLG Hamburg, Urt. v. 25.5.1984 – 11 U 183/83, AG 1984, 248, 251; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 11 Rz. 788; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 109 Rz. 6. 19) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 109 Rz. 73; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 11 Rz. 788. 20) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 109 Rz. 73; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 11 Rz. 788. 21) Näher zur Textform: Begr. RegE eines Gesetzes zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr v. 14.12.2000, BT-Drucks. 14/4987, S. 18 f. 22) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 109 Rz. 40; Semler/v. Schenck-Gittermann, Der Aufsichtsrat, § 109 Rz. 63; a. A. Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 109 Rz. 40. 23) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 109 Rz. 38; Semler/v. Schenck-Gittermann, Der Aufsichtsrat, § 109 Rz. 58 und 65. 24) Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 109 Rz. 28; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 109 Rz. 35 und 38. 25) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 109 Rz. 92; Semler/v. Schenck-Gittermann, Der Aufsichtsrat, § 109 Rz. 66; zu den aufsichtsrechtlichen Vorgaben der BaFin für die Teilnahme von Vorstandsmitgliedern, s. Schneider in: FS Konzen, S. 881, 884 f.

§ 110 Einberufung des Aufsichtsrats (1) 1Jedes Aufsichtsratsmitglied oder der Vorstand kann unter Angabe des Zwecks und der Gründe verlangen, daß der Vorsitzende des Aufsichtsrats unverzüglich den Aufsichtsrat einberuft. 2Die Sitzung muß binnen zwei Wochen nach der Einberufung stattfinden. (2) Wird dem Verlangen nicht entsprochen, so kann das Aufsichtsratsmitglied oder der Vorstand unter Mitteilung des Sachverhalts und der Angabe einer Tagesordnung selbst den Aufsichtsrat einberufen.

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Einberufung des Aufsichtsrats

(3) 1Der Aufsichtsrat muss zwei Sitzungen im Kalenderhalbjahr abhalten. 2In nichtbörsennotierten Gesellschaften kann der Aufsichtsrat beschließen, dass eine Sitzung im Kalenderhalbjahr abzuhalten ist. Literatur: Bauer/Krieger, Formale Fehler bei Abberufung und Kündigung vertretungsberechtigter Organmitglieder, ZIP 2004, 1247; Burgard/Heimann, Information des Aufsichtsrats, AG 2014, 360; Götz, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats nach dem Transparenz- und Publizitätsgesetz, NZG 2002, 599; Knigge, Änderungen des Aktienrechts durch das Transparenz- und Publizitätsgesetz, WM 2002, 1729; Seibert, Das „TransPuG“, NZG 2002, 608.

Übersicht I. Gegenstand und Zweck der Norm .................................................. II. Einberufung durch den Aufsichtsratsvorsitzenden (§ 110 Abs. 1) ..................................... 1. Zuständigkeit ..................................... 2. Form und Frist .................................. I.

1

3 3 4

3. Inhalt ................................................... 5 4. Einberufungsmängel ........................... 6 III. Recht auf Einberufung (§ 110 Abs. 1) ..................................... 7 IV. Selbsthilferecht (§ 110 Abs. 2) ......... 9 V. Anzahl der Sitzungen (§ 110 Abs. 3) ............................................... 11

Gegenstand und Zweck der Norm

1 Die Norm regelt – wenn auch nicht umfassend – die Einberufung des Aufsichtsrats; die Zuständigkeit des Aufsichtsratsvorsitzenden wird hierbei vorausgesetzt.1) § 110 Abs. 1 gewährt jedem Aufsichtsratsmitglied oder dem Vorstand ein Recht auf Einberufung, § 110 Abs. 2 enthält ein Selbsteinberufungsrecht. Bezweckt wird hierdurch die Sicherstellung einer effektiven Überwachungstätigkeit.2) In § 110 Abs. 3 wird die Mindestanzahl von Aufsichtsratssitzungen geregelt. 2 Durch die Satzung können die Modalitäten der Einberufung und eine höhere Sitzungsfrequenz geregelt werden; die Einberufung kann erleichtert werden. Im Übrigen ist die Norm insoweit zwingend, als die Satzung die Anforderungen an die Einberufung nicht verschärfen und von dem Mindestturnus nach § 110 Abs. 3 nicht befreien kann.3) II.

Einberufung durch den Aufsichtsratsvorsitzenden (§ 110 Abs. 1)

1.

Zuständigkeit

3 Wenn der Aufsichtsratsvorsitzende, von dessen Zuständigkeit das Gesetz ausgeht, (vorübergehend) verhindert ist, obliegt seinem Stellvertreter die Einberufung nach § 107 Abs. 1 Satz 3. Sind beide verhindert, kann entsprechend § 110 Abs. 2 ein Aufsichtsratsmitglied oder der Vorstand den Aufsichtsrat einberufen.4) Die Einberufung ist kein Rechtsgeschäft, sondern innergesellschaftliche Verfahrenshandlung, die der Aufsichtsratsvorsitzende im eigenen Namen und nicht als Vertreter der AG vornimmt.5) Sofern kein Einberufungsverlangen nach § 110 Abs. 1 vorliegt und der Mindestturnus nach § 110 Abs. 3 gewahrt ist, entscheidet der Aufsichtsratsvorsitzende nach pflichtgemäßem Er_____________ 1) 2) 3) 4) 5)

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Habersack in: MünchKomm-AktG, § 110 Rz. 1; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 110 Rz. 1. Habersack in: MünchKomm-AktG, § 110 Rz. 2; s. a. Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 110 Rz. 3. K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 110 Rz. 2; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 110 Rz. 1; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 110 Rz. 6 und 53 f. Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 11 Rz. 690; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 110 Rz. 10; K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 110 Rz. 3. BGH, Urt. v. 30.3.1987 – II ZR 180/86, BGHZ 100, 264, 267 = NJW 1987, 2580, 2581 = ZIP 1987, 1117; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 110 Rz. 15; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 110 Rz. 2.

Werner Paul Schick

§ 110

Einberufung des Aufsichtsrats

messen über die Einberufung; mithin ist das Wohl der Gesellschaft maßgebend.6) Zulässig und teilweise üblich ist es auch, dass der Aufsichtsratsvorsitzende den Vorstand beauftragt, in seinem Namen zur Sitzung einzuladen.7) 2.

Form und Frist

Die Satzung oder die Geschäftsordnung des Aufsichtsrats kann die Modalitäten der Ein- 4 berufung mangels gesetzlicher Bestimmungen regeln. Sofern dort keine Regelungen getroffen werden,8) kann in jeder Weise, auch mündlich oder telefonisch, einberufen werden; die Frist bis zum Sitzungstag muss jedoch angemessen sein.9) Teilweise wird angenommen, dass die Einberufungsfrist wegen § 110 Abs. 1 Satz 2 nicht länger als zwei Wochen sein dürfe.10) Letzteres überzeugt nicht, da § 110 Abs. 1 Satz 2 nur den Fall des Einberufungsverlangens betrifft.11) 3.

Inhalt

Die Einberufung muss den Ort und den Zeitpunkt sowie die Gegenstände der Tages- 5 ordnung angeben.12) Die Mitteilung von konkreten Beschlussvorschlägen (Anträgen) wird zwar nicht als Voraussetzung einer ordnungsgemäßen Einberufung angesehen, wohl aber als Amtspflicht des Aufsichtsratsvorsitzenden, wobei deren Mitteilung nicht bereits mit der Einberufung erfolgen muss.13) Die Umschreibung der Beschlussvorschläge (Anträge) sollte hinreichend präzis sein, um den Aufsichtsratsmitgliedern eine sachgerechte Vorbereitung der Sitzung und eine Entscheidung über ihre Teilnahme zu ermöglichen.14) Während in der Literatur teilweise angenommen wird, dass auch allgemeine Bezeichnungen (etwa „Vorstandsangelegenheiten“) für eine wirksame Beschlussfassung ausreichen können,15) genügt dies nach der Rechtsprechung16) und nach zutreffender Ansicht17) nicht. _____________ 6) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 110 Rz. 7; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 110 Rz. 12. 7) Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, § 31 Rz. 38; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 11 Rz. 692. 8) K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 110 Rz. 8; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 110 Rz. 15. 9) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 110 Rz. 16; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 110 Rz. 3; K. Schmidt/ Lutter-Drygala, AktG, § 110 Rz. 9. 10) Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 11 Rz. 692; a. A. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 110 Rz. 3. 11) K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 110 Rz. 9; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 110 Rz. 16; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 110 Rz. 3; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 31 Rz. 39, geht davon aus, dass sich im Ausnahmefall des § 110 Abs. 1 Satz 2 auch ohne ausdrückliche Regelung die Frist auf zwei Wochen verkürzt. 12) K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 110 Rz. 10; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 31 Rz. 40; s. aber auch Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 110 Rz. 4 („Mitteilung förmlicher Tagesordnung“ nicht Voraussetzung ordnungsgemäßer Einberufung). 13) K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 110 Rz. 11; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 31 Rz. 42; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 11 Rz. 694; Burgard/Heimann, AG 2014, 360, 366. 14) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 110 Rz. 19; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 110 Rz. 23; Burgard/Heimann, AG 2014, 360, 366; s. a. Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 31 Rz. 42. 15) Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 31 Rz. 42 m. w. N: „je nach den Umständen“. 16) OLG Stuttgart, Urt. v. 15.4.1985 – 2 U 57/85, BB 1985, 879, 880; BGH, Urt. v. 29.5.2000 – II ZR 49/99, ZIP 2000, 1336, 1337 – zur Verwaltungsratssitzung einer Sparkasse; s. a. Bauer/Krieger, ZIP 2004, 1247, 1250; BGH, Urt. v. 2.7.2007 – II ZR 111/05, Rz. 38 f., ZIP 2007, 1942, 1945 – zum Vereinsrecht. 17) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 110 Rz. 23; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 110 Rz. 19; Burgard/Heimann, AG 2014, 360, 366.

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§ 110 4.

Einberufung des Aufsichtsrats Einberufungsmängel

6 Einberufungsmängel führen als Verfahrensverstöße grundsätzlich zur Nichtigkeit der Beschlüsse, sofern nicht gleichwohl alle Aufsichtsratsmitglieder anwesend waren.18) Als Nichtigkeitsgründe kommen eine unangemessen kurze Ladungsfrist, fehlende Angabe von Ort/Zeit der Sitzung oder die unterbliebene bzw. nicht rechtzeitige Mitteilung der Tagesordnung in Betracht.19) Über nicht bzw. nicht rechtzeitig oder nicht konkret genug angegebene Beschlussgegenstände kann nur abgestimmt werden, wenn kein anwesendes Aufsichtsratsmitglied widerspricht; nicht anwesenden Mitgliedern ist Gelegenheit zur nachträglichen Stimmabgabe zu geben.20) III.

Recht auf Einberufung (§ 110 Abs. 1)

7 Jedes einzelne Aufsichtsratsmitglied kann nach § 110 Abs. 1 Satz 1 unter Angabe des Zwecks und der Gründe verlangen, dass der Aufsichtsratsvorsitzende unverzüglich den Aufsichtsrat einberuft.21) Das Einberufungsrecht besteht auch, wenn der Beschlussgegenstand auf einen Ausschuss delegiert ist; insoweit kommt es nicht darauf an, ob das Aufsichtsratsmitglied dem Ausschuss angehört.22) Dem Vorstand steht das Einberufungsrecht nur als Organ zu.23) 8 Das Einberufungsverlangen nach § 110 Abs. 1 Satz 1 bedarf keiner Form.24) Der anzugebende Zweck ist der Gegenstand, über den in der Aufsichtsratssitzung beschlossen oder verhandelt werden soll.25) Die Gründe der Einberufung sind die Umstände, die die Sitzung erforderlich machen.26) Das Einberufungsrecht umfasst auch das Recht auf Ergänzung der Tagesordnung einer bereits einberufenen Sitzung.27) Das Einberufungsrecht kann durch die Satzung nur erleichtert, aber nicht beschränkt werden.28) IV.

Selbsthilferecht (§ 110 Abs. 2)

9 § 110 Abs. 2 begründet ein Selbsthilferecht, wenn einem Einberufungsverlangen gemäß § 110 Abs. 1 Satz 1 nicht entsprochen wird.29) Es steht dem einzelnen Aufsichtsratsmitglied zu.30) Der Vorstand kann nur als Organ die Einberufung verlangen.31) 10 Die Einberufung muss den üblichen Anforderungen genügen. Zudem sind die Voraussetzungen für das Selbsthilferecht, insbesondere das vergebliche Einberufungsverlangen, _____________ 18) K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 110 Rz. 12; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 110 Rz. 5; OLG München, Urt. v. 12.1.2017 – 23 U 3582/16, ZIP 2017, 372, 373. 19) K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 110 Rz. 12; nach Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 110 Rz. 5, stellt die unterbliebene Mitteilung einer förmlichen Tagesordnung oder von Beschlussanträgen keinen Nichtigkeitsgrund dar. 20) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 110 Rz. 24; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 110 Rz. 21; OLG München, Urt. v. 12.1.2017 – 23 U 3582/16, ZIP 2017, 372, 373. 21) OLG Braunschweig, Beschl. v. 14.6.2012 – Ws 44/12, Ws 45/12, ZIP 2012, 1860, 1862; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 110 Rz. 26; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 110 Rz. 22. 22) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 110 Rz. 26; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 110 Rz. 22. 23) K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 110 Rz. 4; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 110 Rz. 23. 24) K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 110 Rz. 8; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 110 Rz. 24. 25) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 110 Rz. 27; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 110 Rz. 6. 26) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 110 Rz. 27; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 110 Rz. 6. 27) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 110 Rz. 29; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 110 Rz. 26. 28) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 110 Rz. 30; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 110 Rz. 29. 29) K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 110 Rz. 13; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 110 Rz. 8. 30) OLG Braunschweig, Beschl. v. 14.6.2012 – Ws 44/12, Ws 45/12, ZIP 2012, 1860, 1862; Götz, NZG 2002, 599, 601; Seibert, NZG 2002, 608, 610. 31) K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 110 Rz. 13; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 110 Rz. 8.

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Werner Paul Schick

Aufgaben und Rechte des Aufsichtsrats

§ 111

dessen Inhalt und Zugang sowie das Untätigbleiben des Aufsichtsratsvorsitzenden anzugeben.32) Die Zwei-Wochen-Frist des § 110 Abs. 1 Satz 2 gilt für die Einberufung qua Selbsthilferecht nicht.33) V.

Anzahl der Sitzungen (§ 110 Abs. 3)

Die Regelung des § 110 Abs. 3, die zwei Aufsichtsratssitzungen je Kalenderhalbjahr vor- 11 sieht, ist für börsennotierte Gesellschaften (§ 3 Abs. 2) zwingend (§ 110 Abs. 3 Satz 1), bei nicht-börsennotierten Gesellschaften kann der Aufsichtsrat nach § 110 Abs. 3 Satz 2 hierüber mit einfacher Mehrheit disponieren.34) Bei gesteigerten Überwachungspflichten des Aufsichtsrats aufgrund einer Krise der Gesellschaft (siehe hierzu § 111 Rz. 6), kann eine deutlich höhere Anzahl an Sitzungen für die Erfüllung der erforderlichen Überwachungstätigkeit erforderlich sein.35) Nach § 110 Abs. 3 muss der Aufsichtsrat die Sitzungen „abhalten“. Hierdurch wird klar- 12 gestellt, dass Aufsichtsratssitzungen auch in Form einer Telefon- oder Videokonferenz durchgeführt werden können.36) Mit Blick auf § 108 Abs. 4 müssen die Satzung oder die Geschäftsordnung ein Verfahren vorsehen, damit der Widerspruch eines einzelnen Aufsichtsratsmitglieds hiergegen unbeachtlich bleibt.37) _____________ 32) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 110 Rz. 35; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 110 Rz. 9. 33) K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 110 Rz. 15; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 110 Rz. 36; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 31 Rz. 46. 34) K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 110 Rz. 18; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 110 Rz. 41; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 31 Rz. 35. 35) S. hierzu: LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 18.10.2007 – 1 HK O 6564/07, BeckRS 2008, 01960, dazu EWiR 2007, 705 (Wilsing/Siebmann). 36) Götz, NZG 2002, 599, 601; Knigge, WM 2002, 1729, 1732; Seibert, NZG 2002, 608, 610; a. A. K. Schmidt/ Lutter-Drygala, AktG, § 110 Rz. 20. 37) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 108 Rz. 66 ff.; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 31 Rz. 95; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 110 Rz. 11.

§ 111 Aufgaben und Rechte des Aufsichtsrats (1) Der Aufsichtsrat hat die Geschäftsführung zu überwachen. (2) 1Der Aufsichtsrat kann die Bücher und Schriften der Gesellschaft sowie die Vermögensgegenstände, namentlich die Gesellschaftskasse und die Bestände an Wertpapieren und Waren, einsehen und prüfen. 2Er kann damit auch einzelne Mitglieder oder für bestimmte Aufgaben besondere Sachverständige beauftragen. 3Er erteilt dem Abschlußprüfer den Prüfungsauftrag für den Jahres- und den Konzernabschluß gemäß § 290 des Handelsgesetzbuchs. 4Er kann darüber hinaus eine externe inhaltliche Überprüfung der nichtfinanziellen Erklärung oder des gesonderten nichtfinanziellen Berichts (§ 289b des Handelsgesetzbuchs), der nichtfinanziellen Konzernerklärung oder des gesonderten nichtfinanziellen Konzernberichts (§ 315b des Handelsgesetzbuchs) beauftragen. (3) 1Der Aufsichtsrat hat eine Hauptversammlung einzuberufen, wenn das Wohl der Gesellschaft es fordert. 2Für den Beschluß genügt die einfache Mehrheit. (4) 1Maßnahmen der Geschäftsführung können dem Aufsichtsrat nicht übertragen werden. 2Die Satzung oder der Aufsichtsrat hat jedoch zu bestimmen, daß bestimmte Arten von Geschäften nur mit seiner Zustimmung vorgenommen werden dürfen. Werner Paul Schick

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Aufgaben und Rechte des Aufsichtsrats

§ 111

dessen Inhalt und Zugang sowie das Untätigbleiben des Aufsichtsratsvorsitzenden anzugeben.32) Die Zwei-Wochen-Frist des § 110 Abs. 1 Satz 2 gilt für die Einberufung qua Selbsthilferecht nicht.33) V.

Anzahl der Sitzungen (§ 110 Abs. 3)

Die Regelung des § 110 Abs. 3, die zwei Aufsichtsratssitzungen je Kalenderhalbjahr vor- 11 sieht, ist für börsennotierte Gesellschaften (§ 3 Abs. 2) zwingend (§ 110 Abs. 3 Satz 1), bei nicht-börsennotierten Gesellschaften kann der Aufsichtsrat nach § 110 Abs. 3 Satz 2 hierüber mit einfacher Mehrheit disponieren.34) Bei gesteigerten Überwachungspflichten des Aufsichtsrats aufgrund einer Krise der Gesellschaft (siehe hierzu § 111 Rz. 6), kann eine deutlich höhere Anzahl an Sitzungen für die Erfüllung der erforderlichen Überwachungstätigkeit erforderlich sein.35) Nach § 110 Abs. 3 muss der Aufsichtsrat die Sitzungen „abhalten“. Hierdurch wird klar- 12 gestellt, dass Aufsichtsratssitzungen auch in Form einer Telefon- oder Videokonferenz durchgeführt werden können.36) Mit Blick auf § 108 Abs. 4 müssen die Satzung oder die Geschäftsordnung ein Verfahren vorsehen, damit der Widerspruch eines einzelnen Aufsichtsratsmitglieds hiergegen unbeachtlich bleibt.37) _____________ 32) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 110 Rz. 35; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 110 Rz. 9. 33) K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 110 Rz. 15; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 110 Rz. 36; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 31 Rz. 46. 34) K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 110 Rz. 18; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 110 Rz. 41; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 31 Rz. 35. 35) S. hierzu: LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 18.10.2007 – 1 HK O 6564/07, BeckRS 2008, 01960, dazu EWiR 2007, 705 (Wilsing/Siebmann). 36) Götz, NZG 2002, 599, 601; Knigge, WM 2002, 1729, 1732; Seibert, NZG 2002, 608, 610; a. A. K. Schmidt/ Lutter-Drygala, AktG, § 110 Rz. 20. 37) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 108 Rz. 66 ff.; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 31 Rz. 95; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 110 Rz. 11.

§ 111 Aufgaben und Rechte des Aufsichtsrats (1) Der Aufsichtsrat hat die Geschäftsführung zu überwachen. (2) 1Der Aufsichtsrat kann die Bücher und Schriften der Gesellschaft sowie die Vermögensgegenstände, namentlich die Gesellschaftskasse und die Bestände an Wertpapieren und Waren, einsehen und prüfen. 2Er kann damit auch einzelne Mitglieder oder für bestimmte Aufgaben besondere Sachverständige beauftragen. 3Er erteilt dem Abschlußprüfer den Prüfungsauftrag für den Jahres- und den Konzernabschluß gemäß § 290 des Handelsgesetzbuchs. 4Er kann darüber hinaus eine externe inhaltliche Überprüfung der nichtfinanziellen Erklärung oder des gesonderten nichtfinanziellen Berichts (§ 289b des Handelsgesetzbuchs), der nichtfinanziellen Konzernerklärung oder des gesonderten nichtfinanziellen Konzernberichts (§ 315b des Handelsgesetzbuchs) beauftragen. (3) 1Der Aufsichtsrat hat eine Hauptversammlung einzuberufen, wenn das Wohl der Gesellschaft es fordert. 2Für den Beschluß genügt die einfache Mehrheit. (4) 1Maßnahmen der Geschäftsführung können dem Aufsichtsrat nicht übertragen werden. 2Die Satzung oder der Aufsichtsrat hat jedoch zu bestimmen, daß bestimmte Arten von Geschäften nur mit seiner Zustimmung vorgenommen werden dürfen. Werner Paul Schick

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Aufgaben und Rechte des Aufsichtsrats

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Verweigert der Aufsichtsrat seine Zustimmung, so kann der Vorstand verlangen, daß die Hauptversammlung über die Zustimmung beschließt. 4Der Beschluß, durch den die Hauptversammlung zustimmt, bedarf einer Mehrheit, die mindestens drei Viertel der abgegebenen Stimmen umfaßt. 5Die Satzung kann weder eine andere Mehrheit noch weitere Erfordernisse bestimmen. (5) 1Der Aufsichtsrat von Gesellschaften, die börsennotiert sind oder der Mitbestimmung unterliegen, legt für den Frauenanteil im Aufsichtsrat und im Vorstand Zielgrößen fest. 2 Liegt der Frauenanteil bei Festlegung der Zielgrößen unter 30 Prozent, so dürfen die Zielgrößen den jeweils erreichten Anteil nicht mehr unterschreiten. 3Gleichzeitig sind Fristen zur Erreichung der Zielgrößen festzulegen. 4Die Fristen dürfen jeweils nicht länger als fünf Jahre sein. 5Soweit für den Aufsichtsrat bereits eine Quote nach § 96 Absatz 2 gilt, sind die Festlegungen nur für den Vorstand vorzunehmen. (6) Die Aufsichtsratsmitglieder können ihre Aufgaben nicht durch andere wahrnehmen lassen. Literatur: Arnold, Verantwortung und Zusammenwirken des Vorstands und Aufsichtsrats bei Compliance-Untersuchungen, ZGR 2014, 76; Börsig/Löbbe, Die gewandelte Rolle des Aufsichtsrats – 7 Thesen zur Corporate Governance Entwicklung in Deutschland, in: Festschrift für Michael Hoffmann-Becking, 2013, S. 125; Casper, Hat die grundsätzliche Verfolgungspflicht des Aufsichtsrats im Sinne des ARAG/Garmenbeck-Urteils ausgedient?, ZHR 176 (2012) 612; Dreher, Direktkontakte des Aufsichtsrats in der Aktiengesellschaft zu dem Vorstand nachgeordneten Mitarbeitern, in: Festschrift für Peter Ulmer, 2003, S. 87; v. Falkenhausen, Der Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft als Geschäftsführungs- und Vertretungsorgan, ZIP 2015, 956; Fischbach, Hauptversammlungsvorlagen des Aufsichtsrats, AG 2013, 1153; Fleischer, Gestaltungsgrenzen für Zustimmungsvorbehalte des Aufsichtsrats nach § 111 Abs. 4 S. 2 AktG, BB 2013, 835; Fonk, Zustimmungsvorbehalte des AG-Aufsichtsrats, ZGR 2006, 841; Fromholzer/ Simons, Die Festlegung von Zielgrößen für den Frauenanteil in Aufsichtsrat, Geschäftsleitung und Führungspositionen, AG 2015, 457; Goette, Grundsätzliche Verfolgungspflicht des Aufsichtsrats bei sorgfaltswidrig schädigendem Verhalten im AR-Vorstand?, ZHR 176 (2012) 588; Goette, Zur ARAG/Garmenbeck-Doktrin, in: Gedächtnisschrift für Martin Winter, 2011, S. 155; Grunewald, Der Einfluss des Aufsichtsrats auf die Geschäftsführung – was ist erwünscht, was ist erlaubt?, ZIP 2016, 2009; Habersack, 19 Jahre „ARAG/Garmenbeck“ – und viele Fragen offen, NZG 2016, 321; Habersack, Corporate Governance-Belange und Arbeitnehmerbelange im Rahmen des § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG, ZHR 178 (2014) 131; Habersack, Grund und Grenzen der Compliance-Verantwortung des Aufsichtsrats der AG, AG 2014, 1; Henze, Prüfungs- und Kontrollaufgaben des Aufsichtsrates in der Aktiengesellschaft – Die Entscheidungspraxis des Bundesgerichtshofes, NJW 1998, 3309; Herb, Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe an Führungspositionen-Umsetzung in der Praxis, DB 2015, 964; Hoffmann, Urteilsbildungs- und Verhinderungspflicht des Aufsichtsrats, AG 2012, 478; Hoffmann-Becking, Übernahme von Geldbußen gegen Vorstandsmitglieder durch die Gesellschaft, ZGR 2015, 618; HoffmannBecking, Das Recht des Aufsichtsrats zur Prüfung durch Sachverständige nach § 111 Abs. 2 Satz 2 AktG, ZGR 2011, 136; Hopt, Die Verantwortlichkeit von Vorstand und Aufsichtsrat: Grundsatz und Praxisprobleme – unter besonderer Berücksichtigung der Banken, ZIP 2013, 1793; Kajüter, Nichtfinanzielle Berichterstattung nach dem CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz, DB 2017, 617; Koch, Die Überwachung des Aufsichtsrats durch den Vorstand, ZHR 180 (2016) 578; Koch, Keine Ermessensspielräume bei der Entscheidung über die Inanspruchnahme von Vorstandsmitgliedern, AG 2009, 93; Kocher/Schneider, Zuständigkeitsfragen im Rahmen der Ad-hoc-Publizität, ZIP 2013, 1607; Lanfermann, Prüfung der CSR-Berichterstattung durch den Aufsichtsrat, BB 2017, 747; Lutter, Professionalisierung des Aufsichtsrats, DB 2009, 775; Lutter, Der Aufsichtsrat im Konzern, AG 2006, 517; Mayer/Richter, Konzerndimensionale Auskunfts- und Überwachungspflichten der Obergesellschaft bei Rechtsverstößen der Tochtergesellschaft, AG 2018, 220; Mock, Berichterstattung über Corporate Social Responsibility nach dem

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Aufgaben und Rechte des Aufsichtsrats

CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz, ZIP 2017, 1195; Mutter, „Haftungsfalle“ Geschäftsordnung, Der Aufsichtsrat 2016, 130; Paefgen, Die Inanspruchnahme pflichtvergessener Vorstandsmitglieder als unternehmerische Ermessensentscheidung des Aufsichtsrats, AG 2008, 761; Reichert, „ARAG/ Garmenbeck“ im Praxistest, ZIP 2016, 1189; Roth, Information und Organisation des Aufsichtsrats, ZGR 2012, 343; Roth, Möglichkeiten vorstandsunabhängiger Information des Aufsichtsrats, AG 2004, 1; Säcker/Rehm, Grenzen der Mitwirkung des Aufsichtsrats an unternehmerischen Entscheidungen in der Aktiengesellschaft, DB 2008, 2814; Scheffler, Rolle des Aufsichtsrats bei der Vermeidung und Überwindung von Unternehmenskrisen, BB 2014, 2859; Schlitt, Der aktive Aufsichtsratsvorsitzende, DB 2005, 2007; Schneider/Schneider, Der Aufsichtsrat zwischen Kontinuität und Wandel, AG 2015, 621; Schüppen, Wirtschaftsprüfer und Aufsichtsrat – alte Fragen und aktuelle Entwicklungen, ZIP 2012, 1317; Seibt, CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz: Berichterstattung über nichtfinanzielle Aspekte der Geschäftstätigkeit, DB 2016, 2707; Seibt, Geschlechterquote im Aufsichtsrat und Zielgrößen für die Frauenbeteiligung in Organen und Führungsebenen in der Privatwirtschaft, ZIP 2015, 1193; Selter, Übernahme von Geldauflagen durch die AG zugunsten ihrer Vorstandsmitglieder, ZIP 2015, 714; Seyfarth, Vorstandsrecht, 1. Aufl., 2016; Simons, Die Wahl des Abschlussprüfers durch die Hauptversammlung, WPg 2018, 713; Streyl/Schaper, Kompetenzverteilung und Haftung bei Strukturmaßnahmen in der AG und im Konzern, ZIP 2017, 410; Theisen/Probst, Die Rolle des Aufsichtsrats in der Krise – Ergebnisse einer aktuellen Panel-Untersuchung der Aufsichtsratspraxis, DB 2016, 1; Timm, Die Mitwirkung des Aufsichtsrates bei unternehmensstrukturellen Entscheidungen – Grenzen der Aufsichtsrats- und Verwaltungszuständigkeiten in der Aktiengesellschaft –, DB 1980, 1201; Vetter, Shareholders Communication – Wer spricht mit den institutionellen Investoren?, AG 2016, 873; Wachenfeld-Teschner/ Royla, Das neue Marktmissbrauchsrecht, WPg 2017, 259; Wassmann/Rothenburg, Praktische Tipps zum Umgang mit der Frauenquote, DB 2015, 291; Zwissler, Grundsätze für die Erstellung und Überprüfung von Zustimmungskatalogen, Der Aufsichtsrat 2015, 72.

Übersicht I. Gegenstand und Zweck der Norm .................................................. 1 II. Überwachungsaufgabe ...................... 3 1. Geschäftsführung als Gegenstand der Überwachung (§ 111 Abs. 1) ...... 3 2. Überwachungsaufgabe ....................... 5 3. Mittel der Überwachung .................... 7 4. Organpflicht ....................................... 9 5. Überwachung im Konzern .............. 12 III. Einsichts- und Prüfungsrecht (§ 111 Abs. 2 Satz 1, Satz 2) ............ 13 I.

IV. Abschlussprüfung (§ 111 Abs. 2 Satz 3, Satz 4) ............ V. Einberufung einer außerordentlichen Hauptversammlung (§ 111 Abs. 3) ................................... VI. Zustimmungsvorbehalte (§ 111 Abs. 4) ................................... VII. Festlegung von Zielgrößen für den Frauenanteil (§ 111 Abs. 5) ..... VIII. Persönliche Wahrnehmung (§ 111 Abs. 6) ...................................

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16 18 24 27

Gegenstand und Zweck der Norm

§ 111 enthält die wichtigsten Aufgaben und Rechte des Aufsichtsrats. Diese werden je- 1 doch nicht umfassend und abschließend umschrieben.1) Zweck der Norm ist die Hervorhebung der Überwachungsfunktion des Aufsichtsrats und zugleich die Abgrenzung der Kompetenzen gegenüber dem Vorstand und der Hauptversammlung.2) _____________ 1)

2)

Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 111 Rz. 23; zu den weiteren gesetzlichen Zuständigkeiten des Aufsichtsrats s. Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 29 Rz. 1 ff.; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 8 Rz. 481 ff. BGH, Urt. v. 25.3.1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114, 127, 130 = ZIP 1991, 653, 654; BGH, Urt. v. 20.9.2010 – II ZR 78/09, Rz. 12, BGHZ 187, 60 = ZIP 2010, 1988, dazu EWiR 2010, 713 (Vetter); BGH, Beschl. v. 6.11.2012 – II ZR 111/12, ZIP 2012, 2438, dazu EWiR 2013, 229 (Heidel/Schatz); Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 111 Rz. 1; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 111, Rz. 1.

Werner Paul Schick

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§ 111

Aufgaben und Rechte des Aufsichtsrats

2 Durch das Gesetz zur Geschlechterquote3) (siehe hierzu auch § 96 Rz. 11 ff.) ist § 111 in Absatz 5 um Regelungen ergänzt worden, die eine Verpflichtung zur Festlegung von Zielgrößen für den Frauenanteil vorsehen. Absatz 2 ist durch das CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz4) um einen neuen Satz 4 ergänzt worden. II.

Überwachungsaufgabe

1.

Geschäftsführung als Gegenstand der Überwachung (§ 111 Abs. 1)

3 Der Aufsichtsrat hat in erster Linie die Geschäftsführung des Vorstands zu überwachen.5) Der Begriff der Geschäftsführung stimmt nicht mit dem in § 77 überein. Der Aufsichtsrat hat nicht jedwede Maßnahme des Vorstands zu überwachen, sondern nur diejenigen, die der Leitung der Gesellschaft (§ 76 Abs. 1) zuzuordnen sind.6) Er ist aber nicht verpflichtet, auch die Durchführung der Leitungsentscheidungen im Einzelnen zu verfolgen und die gesamte Geschäftsführung en detail zu prüfen und zu überwachen.7) Die den Überwachungsgegenstand bildenden Leitungs- und Führungsentscheidungen können insbesondere anhand der Informations- und Berichtspflichten nach § 90 konkretisiert werden.8) 4 Den zu überwachenden Personenkreis bildet der nach § 90 primär berichtspflichtige Vorstand, der Aufsichtsrat ist nicht verpflichtet, die Tätigkeit von nachgeordneten Mitarbeitern (leitenden Angestellten) zu überwachen; in der Regel ist er auch nicht befugt, direkt und „am Vorstand vorbei“ Auskünfte von leitenden Angestellten einzuholen.9) Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn der begründete Verdacht besteht, dass der Vorstand unrichtig oder unvollständig berichtet, oder eine direkte Berichtslinie etwa des Leiters der internen Revision odes des Chief Compliance Officers10) zum Aufsichtsrat oder zum Prüfungsausschuss besteht11) (siehe auch unten Rz. 13 a. E.). 2.

Überwachungsaufgabe

5 Die Überwachungsaufgabe bezieht sich nicht nur auf abgeschlossene Vorgänge, sondern erstreckt sich auch auf grundsätzliche Fragen der künftigen Geschäftspolitik.12) Die _____________ 3) Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst v. 24.4.2015, BGBl. I 2015, 642. 4) Gesetz zur Stärkung der nichtfinanziellen Berichterstattung der Unternehmen in ihren Lage- und Konzernlageberichten (CSR-RL-Umsetzungsgesetz) v. 11.4.2017, BGBl. I 2017, 802; näher dazu Seibt, DB 2016, 2707 ff.; Kajüter, DB 2017, 617 ff. 5) BGH, Beschl. v. 26.11.2015 – 3 StR 17/15 (Nürburgring), Rz. 53, ZIP 2016, 966, 967, dazu EWiR 2016, 551 (Brammsen); Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 3 Rz. 65; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 111 Rz. 24, 150. 6) Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 3 Rz. 65; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 111 Rz. 2 f.; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 29 Rz. 26. 7) Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 29 Rz. 27; Krieger/Schneider-Krieger, Hdb. Managerhaftung, § 3 Rz. 24; Raiser/Veil, KapG, § 15 Rz. 1; s. a. OLG Stuttgart, Urt. v. 29.2.2012 – 20 U 3/11 (Piëch), ZIP 2012, 625, 627, dazu EWiR 2012, 303 (Lieder). 8) Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 29 Rz. 27; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 3 Rz. 66; Raiser/Veil, KapG, § 15 Rz. 2. 9) Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 29 Rz. 29; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 90 Rz. 11 und § 111 Rz. 21; Semler/v. Schenck-Schütz, Der Aufsichtsrat, § 111 Rz. 394. 10) Ausführlich zur Compliance-Verantwortung des Aufsichtsrats, Habersack, AG 2014, 1 ff.; Arnold, ZGR 2014, 76, 85 ff., zu den Aufgaben des Aufsichtsrats bei Compliance-Untersuchungen. 11) Ausführlich dazu Dreher in: FS Ulmer, S. 87, 90 ff.; Börsig/Löbbe in: FS Hoffmann-Becking, S. 125, 137 f.; Habersack, AG 2014, 1, 6 f. 12) BGH, Urt. v. 25.3.1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114, 127, 129 f. = ZIP 1991, 653, 654; BGH, Beschl. v. 26.11.2015 – 3 StR 17/15 (Nürburgring), Rz. 53, ZIP 2016, 966, 967 (Überwachungsaufgabe bezieht sich auf abgeschlossene sowie laufende Geschäfte und Maßnahmen).

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Aufgaben und Rechte des Aufsichtsrats

§ 111

Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats enthält die Pflicht, den Vorstand in übergeordneten Fragen der Unternehmensführung zu beraten.13) Der Aufsichtsrat ist auch mitunternehmerisches Organ der Gesellschaft,14) das zukunftsorientiert als Berater aktiv in die künftige Geschäftspolitik einbezogen wird,15) was auch seinen Niederschlag im DCGK findet (Ziff. 5.1.1).16) Die Kontrolle der Geschäftsführung ist nicht nur auf eine Rechtmäßigkeitskontrolle be- 6 schränkt, sondern muss auch die Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit einbeziehen.17) In der Normallage der Gesellschaft beschränkt sich die Intensität dieser Zweckmäßigkeitsund Wirtschaftlichkeitskontrolle auf die Überwachung durch den Aufsichtsrat (Plausibilitätskontrolle);18) er muss erst dann eingreifen, wenn eine Maßnahme des Vorstands als unvertretbar erscheint.19) Die Überwachungstätigkeit des Aufsichtsrats muss sich mit steigender Risikolage20) der Gesellschaft und insbesondere in der Krise intensivieren.21) Es bleibt aber auch dann für den Aufsichtsrat beim Geschäftsführungsverbot des § 111 Abs. 4 Satz 1.22) Die „begleitende“ Überwachung in der Normallage der Gesellschaft verändert sich bei Verschlechterung der Lage bzw. in der Krise in eine unterstützende Überwachung mit großer Kontrolldichte.23) Es ist dann eine intensivere Überwachungstätigkeit erforderlich24) und der Aufsichtsrat ist etwa zu Nachfragen verpflichtet.25) Bei besonders bedeutsamen und bei mit besonderen Risiken verbundenen Geschäften gehört es zu den Überwachungspflichten des Aufsichtsrats, dass er sich insoweit kundig macht; der Aufsichtsrat hat selbständig den relevanten Sachverhalt vollständig und richtig zu erfassen, der Aufsichtsrat ist dann zur eigenständigen Risikoanalyse verpflichtet.26) Diese _____________ 13) BGH, Urt. v. 25.3.1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114, 127 (1. LS) = ZIP 1991, 653; BGH, Urt. v. 4.7.1994 – II ZR 197/93, BGHZ 126, 340, 344 = ZIP 1994, 1216, 1217; s. a. Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 3 Rz. 103 ff. 14) Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 2 Rz. 58; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 111 Rz. 13 und 39 f. 15) BGH, Urt. v. 21.4.1997 – II ZR 175/95 (ARAG/Garmenbeck), BGHZ 135, 244, 255 = ZIP 1997, 883, 886; zur begleitenden Mitgestaltung der unternehmerischen Tätigkeit des Vorstands i. S. einer präventiven Kontrolle durch den Aufsichtsrat: BGH, Urt. v. 25.3.1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114, 127, 129 f. = ZIP 1991, 653, 654; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 3 Rz. 103; Hopt/ Roth in: GroßKomm-AktG, § 111 Rz. 58 ff.; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 1 Rz. 161. 16) S. dazu Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder-Lutter, DCGK, Rz. 507 und Rz. 1217 ff.; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 111 Rz. 777 f. 17) BGH, Urt. v. 25.3.1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114, 127, 129 f. = ZIP 1991, 653, 654; Lutter/Krieger/ Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 3 Rz. 89 f.; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 29 Rz. 31. 18) BGH, Urt. v. 2.4.2007 – II ZR 325/05, ZIP 2007, 1057, 1060; Hoffmann, AG 2012, 478, 479; Lutter/ Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 3 Rz. 93 ff. 19) Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 3 Rz. 93; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 111 Rz. 15. 20) Zur Intensivierung der Überwachungspflicht bei besonders bedeutenden bzw. risikoreichen Derivatgeschäften: OLG Stuttgart, Urt. v. 29.2.2012 – 20 U 3/11 (Piëch), ZIP 2012, 625, 627; s. a. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 9.12.2009 – I-6 W 45/09, ZIP 2010, 28, 32 f.; Krieger/Schneider-Krieger, Hdb. Managerhaftung, § 3 Rz. 26. 21) Näher dazu: Habersack in: MünchKomm-AktG, § 116 Rz. 45 f.; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 29 Rz. 34; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 3 Rz. 95 ff.; Raiser/Veil, KapG, § 15 Rz. 3; Scheffler, BB 2014, 2859, 2860 f. 22) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 111 Rz. 43 u. 46; Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 111 Rz. 26. 23) Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 3 Rz. 95; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 111 Rz. 15; Scheffler, BB 2014, 2859, 2860; s. a. Theisen/Probst, DB 2016, 1, 5 ff. 24) OLG Stuttgart, Beschl. v. 19.6.2012 – 20 W 1/12, ZIP 2012, 1965, 1968, dazu EWiR 2013, 227 (Schodder); OLG Düsseldorf, Urt. v. 31.5.2012 – I-16 U 176/10, ZIP 2012, 2299, 2302, dazu EWiR 2013, 65 (v. d. Linden). 25) OLG Düsseldorf, Beschl. v. 9.12.2009 – I-6 W 45/09, ZIP 2010, 28, 33. 26) BGH, Beschl. v. 6.11.2012 – II ZR 111/12, ZIP 2012, 2438, 2439; OLG Stuttgart, Urt. v. 29.2.2012 – 20 U 3/11 (Piëch), ZIP 2012, 625, 627; kritisch hierzu Hoffmann, AG 2012, 478, 482 ff.

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§ 111

Aufgaben und Rechte des Aufsichtsrats

Pflicht trifft nicht nur den Aufsichtsrat als Gesamtorgan, sondern auch jedes einzelne Aufsichtsratsmitglied persönlich.27) 3.

Mittel der Überwachung

7 In § 111 werden dem Aufsichtsrat folgende Rechte zur Wahrnehmung der Überwachungsaufgabe eingeräumt: – –

Recht zur Einsichtnahme und Prüfung (§ 111 Abs. 2); Recht zur Einberufung einer außerordentlichen Hauptversammlung (§ 111 Abs. 3);

Recht (und Verpflichtung) zur Anordnung von Zustimmungsvorbehalten (§ 111 Abs. 4 Satz 2).28) 8 Als weitere Mittel der Überwachung sind –

die Einholung der Berichte nach § 90 und die inhaltliche Auseinandersetzung hiermit die Personalkompetenz nach § 84, der Erlass und die Anpassung der Geschäftsordnung für den Vorstand (§ 77 Abs. 2 Satz 1) bzw. der Geschäftsverteilung,29) – die Prüfung des Jahres- und Konzernabschlusses (§ 171) sowie – die Prüfung und die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegenüber Vorstandsmitgliedern30) zu nennen. Der Aufsichtsrat ist in der Regel zur Durchsetzung von Ersatzansprüchen gegen Vorstandsmitglieder verpflichtet; insoweit steht ihm kein Ermessen zu.31) Auf die aussichtsreiche Anspruchsverfolgung kann der Aufsichtsrat nur ausnahmsweise verzichten, wenn gewichtige Gründe des Gesellschaftswohls dagegen sprechen und sie die Gründe für eine Rechtsverfolgung überwiegen oder ihnen zumindest gleichwertig sind32) (siehe hierzu auch § 93 Rz. 91). Dagegen kommt die Übernahme einer Geldstrafe, Geldbuße oder Geldauflage, die gegen ein Vorstandsmitglied verhängt wurde, durch die Gesellschaft allein aufgrund einer Entscheidung des Aufsichtsrats nicht in jedem Fall in Betracht; die Hauptversammlung muss entsprechend § 93 Abs. 4 Satz 3 einer Übernahme der Sanktion zustimmen, sofern eine Pflichtverletzung des Vorstandsmitglieds vorliegt.33) – – –

4.

Organpflicht

9 Durch § 111 Abs. 1 wird der Aufsichtsrat als Organ34) zur Überwachung der Geschäftsführung verpflichtet. Eine Delegation auf einen Ausschuss oder einzelne Aufsichtsrats_____________ 27) OLG Stuttgart, Urt. v. 29.2.2012 – 20 U 3/11 (Piëch), ZIP 2012, 625, 628; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 111 Rz. 15; differenzierend Krieger/Schneider-Krieger, Hdb. Managerhaftung, § 3 Rz. 28. 28) Ausführlich dazu Säcker/Rehm, DB 2008, 2814 ff. 29) Näher hierzu Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 3 Rz. 109 und § 7 Rz. 453 ff. 30) BGH, Urt. v. 21.4.1997 – II ZR 175/95 (ARAG/Garmenbeck), BGHZ 135, 244, 254 = ZIP 1997, 883, 885; ausführlich dazu Henze, NJW 1998, 3309 ff.; Koch, AG 2009, 93 ff., Paefgen, AG 2008, 761 ff. 31) BGH, Urt. v. 21.4.1997 – II ZR 175/95 (ARAG/Garmenbeck), BGHZ 135, 244, 255 f. = ZIP 1993, 883, 886; Koch, AG 2009, 93, 97 und 101; Henze, NJW 1998, 3309, 3310; Caspar, ZHR 176 (2012) 617, 620 ff.; a. A. Paefgen, AG 2008, 761, 762 ff.; s. aber auch Goette in: GS Winter, S. 155, 161 ff., 163; Goette, ZHR 176 (2012) 588, 592 ff.; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 7 Rz. 449; näher zum Ganzen: Habersack, NZG 2016, 321, 322 ff.; Reichert, ZIP 2016, 1189, 1190 ff. 32) BGH, Urt. v. 21.4.1997 – II ZR 175/95 (ARAG/Garmenbeck), BGHZ 135, 244, 256 = ZIP 1993, 883, 886; Henze, NJW 1998, 3309, 3310; Goette in: GS Winter, S. 155, 163 ff.; Hopt, ZIP 2013, 1793, 1803 f.; Hüffer/ Koch-Koch, AktG, § 111 Rz. 7 ff.; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 7 Rz. 449. 33) BGH, Urt. v. 8.7.2014 – II ZR 174/13, BGHZ 202, 26 = ZIP 2014, 1728, 1729. dazu EWiR 2014, 609 (Maier-Reimer); näher dazu: Hoffmann-Becking, ZGR 2015, 618, 621 ff.; Selter, ZIP 2015, 714, 715 ff. 34) BGH, Urt. v. 28.11.1988 – II ZR 57/88, BGHZ 106, 54, 63 = ZIP 1989, 23, 25; BGH, Urt. v. 25.3.1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114, 127, 130 = ZIP 1991, 653, 654.

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Aufgaben und Rechte des Aufsichtsrats

§ 111

mitglieder ist daher grundsätzlich nicht zulässig.35) Die fehlende Verweisung auf § 111 Abs. 1 in § 107 Abs. 3 Satz 3 steht dem nicht entgegen.36) Es ist aber zulässig und in Anbetracht der Fülle der Aufgaben des Aufsichtsrats ratsam, dass sich der Aufsichtsrat für einzelne und begrenzte Aspekte der Überwachungsaufgabe der Hilfe eines Ausschusses oder einzelner seiner Mitglieder bedient.37) Hiervon bleibt aber die Gesamtverantwortung des Organs unberührt.38) Die Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats erstreckt sich auch auf das vom Vorstand 10 eingerichtete Compliance-System (s. dazu auch Ziff. 4.1.3 DCGK) bzw. die ergriffenen Compliance-Maßnahmen.39) Ausgehend von der Compliance Verantwortung des Vorstands hat der Aufsichtsrat die Pflicht zu überwachen, dass der Vorstand dieser Verantwortung nachkommt und Pflichtverletzungen des Vorstands aufgedeckt, abgestellt und geahndet werden.40) Nach Ziff. 3.4 Abs. 2 Satz 1 DCGK wird der Aufsichtsrat über alle für das Unternehmen relevante Fragen der Compliance informiert.41) Kommt der Aufsichtsrat seiner Pflicht zur sorgfältigen und gewissenhaften Überwachung 11 des Vorstands nicht nach, so kommt eine Haftung der Aufsichtsratsmitglieder nach § 116 Satz 1 i. V. m. § 93 Abs. 2 in Betracht. Umgekehrt kann der Aufsichtsrat seine Pflichten auch dadurch verletzen, dass er den Vorstand mit zu großem Eifer überwacht bzw. unverhältnismäßige Maßnahmen veranlasst, die nicht mehr im Unternehmensinteresse liegen.42) 5.

Überwachung im Konzern

Dem Aufsichtsrat obliegt die Überwachung der Führung der Geschäfte der Konzernober- 12 gesellschaft durch deren Vorstand; er ist nicht „Konzernaufsichtsrat“.43) Da die nachgeordneten Gesellschaften jedoch zum Vermögen der Gesellschaft gehören, ist der Aufsichtsrat der Konzernobergesellschaft verpflichtet, die Entwicklung der Konzerngesellschaften zu beobachten und die konzernleitenden Einflussnahmen des Vorstands der Obergesellschaft zu überwachen (insbesondere, wenn aufgrund von Unternehmensverträgen ein Haftungsverbund besteht).44) Als Instrument der Überwachung kommen insoweit insbesondere Zustimmungsvorbehalte in Betracht (siehe dazu unten Rz. 18 ff.). _____________ 35) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 111 Rz. 49; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 111 Rz. 108. 36) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 111 Rz. 49 und § 107 Rz. 133; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 111 Rz. 17. 37) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 111 Rz. 49; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 111 Rz. 17; v. Falkenhausen, ZIP 2015, 956, 958 ff. 38) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 111 Rz. 49; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 111 Rz. 17; Lutter/Krieger/ Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 3 Rz. 75 ff. 39) Arnold, ZGR 2014, 76, 85 f.; Habersack, AG 2014, 1, 2 f.; eingehend zur Compliance-Verantwortung des Vorstands: LG München I, Urt. v. 10.12.2013 – 5 HK O 1387/10, ZIP 2014, 570, 574 ff., dazu EWiR 2014, 175 (Hahn) und LG Stuttgart, Urt. v. 19.12.2017 – 31 O 33/16 KfH, Rz. 252 ff., AG 2018, 240, 252 ff., zur Compliance im Konzern bzw. zur konzerndimensionalen Risikoerfassung; kritisch hierzu Mayer/Richter, AG 2018, 220, 221 ff. 40) Näher dazu Habersack, AG 2014, 1, 2; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 3 Rz. 75 ff., zum Verhältnis der Pflichten des Vorstands und Aufsichtsrats insoweit: LG München I, Urt. v. 10.12.2013 – 5 HK O 1387/10, ZIP 2014, 570, 578. 41) Hierbei handelt es sich um eine Beschreibung der Rechtslage und nicht um eine Empfehlung; vgl. Habersack, AG 2014, 1, 2; ausführlich zu den Informationsmöglichkeiten des Aufsichtsrats: Arnold, ZGR 2014, 76, 86 ff.; zu den Überwachungsinstrumenten: Habersack, AG 2014, 1, 6 ff. 42) Koch, ZHR 180 (2016) 578, 586 u. 611; s. a. Leyendecker-Langner, NZG 2012, 721 ff., zu Kompetenzüberschreitungen des Aufsichtsratsvorsitzenden. 43) Lutter, AG 2006, 517 f.; Hoffmann-Becking, ZHR 159 (1995) 325, 331 ff.; Semler/v. Schenck-Schütz, Der Aufsichtsrat, § 111 Rz. 313 f.; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 1 Rz. 159; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 111 Rz. 18; sehr weitgehend LG Stuttgart, Urt. v. 19.12.2017 – 31 O 33/16 KfH, Rz. 134 f., AG 2018, 240, 246; kritisch hierzu Mayer/Richter, AG 2018, 220, 222 f. 44) Lutter, AG 2006, 517 f.; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 29 Rz. 30; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 1 Rz. 159; ausführlich zum Ganzen: Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 4 Rz. 141 ff.; Semler/v. Schenck-Schütz, Der Aufsichtsrat, § 111 Rz. 316 ff.

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§ 111 III.

Aufgaben und Rechte des Aufsichtsrats Einsichts- und Prüfungsrecht (§ 111 Abs. 2 Satz 1, Satz 2)

13 Das in § 111 Abs. 2 Satz 1 enthaltene Einsichts- und Prüfungsrecht ist (unter Beachtung des erforderlichen sachlichen Bezugs zur Gesellschaft) weit und beschränkt sich nicht auf die exemplarisch genannten Gegenstände. Es steht nur dem Gesamtaufsichtsrat zu.45) Der Aufsichtsratsvorsitzende und das einzelne Aufsichtsratsmitglied haben kein eigenes Einsichts- und Prüfungsrecht. Der Aufsichtsrat kann es aber an einzelne Mitglieder (§ 111 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1) oder einen Ausschuss delegieren. Hierfür und zur Ausübung des Rechts ist ein Aufsichtsratsbeschluss erforderlich.46) Nach § 111 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 kann der Aufsichtsrat auch besondere Sachverständige mit der Wahrnehmung bestimmter Aufgaben beauftragen. Es muss sich um bestimmte Einzelaufgaben handeln. Die Beauftragung muss inhaltlich und zeitlich begrenzt sein.47) Zur Beauftragung ist ein Beschluss des Aufsichtsrats bzw. des ermächtigten Ausschusses erforderlich.48) § 111 Abs. 2 Satz 2 begründet nicht nur die Geschäftsführungsbefugnis im Hinblick auf die Beauftragung eines Sachverständigen, sondern auch gesetzliche Vertretungsmacht zur Erteilung von Prüfungsaufträgen an Sachverständige im Namen der AG, einschließlich der Befugnis zur gerichtlichen Vertretung.49) Soweit ein Zusammenhang mit dem Einsichts- und Prüfungsrecht nach § 111 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 besteht, kann der Aufsichtsrat auch ausnahmsweise berechtigt sein, Angestellte des Unternehmens direkt zu befragen (siehe dazu auch oben Rz. 4 a. E.).50) IV.

Abschlussprüfung (§ 111 Abs. 2 Satz 3, Satz 4)

14 Durch die Zuweisung der Zuständigkeit für die Erteilung des Prüfungsauftrags an den Aufsichtsrat in § 111 Abs. 2 Satz 3 wird die Unabhängigkeit des Abschlussprüfers vom Vorstand betont. Zugleich wird hierdurch unterstrichen, dass der Prüfer den Aufsichtsrat bei der Wahrnehmung seiner Überwachungsaufgabe zu unterstützen hat.51) Von der Erteilung des Prüfungsauftrags zu unterscheiden ist die Bestellung des Abschlussprüfers, die der Hauptversammlung der Gesellschaft (§ 119 Abs. 1 Nr. 4) bzw. des Mutterunternehmens (§ 318 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 HGB) obliegt.52) 15 Der durch das CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz53) in § 111 Abs. 2 neu eingefügte Satz 4 gibt dem Aufsichtsrat das Recht (neben der Befugnis zur Erteilung des Prüfungsauftrags nach § 111 Abs. 2 Satz 3) eine freiwillige Überprüfung der nichtfinanziellen Erklärung oder des gesonderten nichtfinanziellen Berichts zu beauftragen, damit der Aufsichtsrat seine eigene Pflicht zur Prüfung der nichtfinanziellen Berichterstattung (§ 171 _____________ 45) OLG Stuttgart, Urt. v. 30.5.2007 – 20 U 14/06, AG 2007, 873, 877 = ZIP 2007, 1217 (LS); Schlitt, DB 2005, 2007, 2010; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 111 Rz. 20. 46) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 111 Rz. 62 und 71; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 111 Rz. 419 f. 47) BGH, Urt. v. 15.11.1982 – II ZR 27/82 (Hertie), BGHZ 85, 293, 296 = ZIP 1983, 55, 56; HoffmannBecking, ZGR 2011, 136, 148. 48) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 111 Rz. 86; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 111 Rz. 22. 49) BGH, Urt. v. 20.3.2018 – II ZR 359/16, Rz. 13 ff., ZIP 2018, 926, 927 ff., dazu EWiR 2018, 357 (v. Falkenhausen). 50) Ausführlich dazu Hoffmann-Becking, ZGR 2011, 136, 152 f.; Dreher in: FS Ulmer, S. 87, 94 ff.; Arnold, ZGR 2014, 76, 90 ff.; Habersack, AG 2014, 1, 6 f.; Roth, AG 2004, 1, 8 ff.; Roth, ZGR 2012, 343, 371 ff.; Schneider/Schneider, AG 2015, 621, 623; Semler/v. Schenck-Schütz, Der Aufsichtsrat, § 111 Rz. 394. 51) RegE eines Gesetzes zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG), BTDrucks. 13/9712, S. 16; ausführlich zum Verhältnis von Prüfer und Aufsichtsrat bzw. Prüfungsausschuss: Schüppen, ZIP 2012, 1317 ff; Ebke in: MünchKomm-HGB, § 316 Rz. 32, 34. 52) Näher dazu Simsons, WPg 2018, 713 ff. 53) Gesetz zur Stärkung der nichtfinanziellen Berichterstattung der Unternehmen in ihren Lage- und Konzernlageberichten (CSR-RL-Umsetzungsgesetz) v. 11.4.2017, BGBl. I 2017, 802.

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Abs. 1 Satz 4, siehe dazu § 171 Rz. 9) sachgerecht erfüllen kann.54) Die (eigene) Prüfungspflicht des Aufsichtsrats resultiert aus dem Umstand, dass vom Abschlussprüfer nach § 317 Abs. 2 Satz 5 HGB nur das Vorliegen der nichtfinanziellen (Konzern-)Erklärung oder des gesonderten nichtfinanziellen (Konzern-)Berichts geprüft wird, nicht aber deren Inhalt.55) Nach der Übergangsvorschrift in § 26i EGAktG ist Absatz 2 Satz 4 erstmals auf Lage- und Konzernlageberichte anzuwenden, die sich auf ein nach dem 31.12.2016 beginnendes Geschäftsjahr beziehen. V.

Einberufung einer außerordentlichen Hauptversammlung (§ 111 Abs. 3)

Wenn das Wohl der Gesellschaft es erfordert, hat der Aufsichtsrat nach § 111 Abs. 3 Satz 1 16 eine außerordentliche Hauptversammlung einzuberufen. Auf diesem Weg kann der Aufsichtsrat Beschlüsse über Angelegenheiten aus dem Zuständigkeitsbereich der Hauptversammlung (§ 119 Abs. 1) initiieren56) sowie ihr Gelegenheit geben, Geschäftsführungsfragen zu erörtern oder Vorstandsmitgliedern das Vertrauen zu entziehen (wichtiger Grund zur Abberufung gemäß § 84 Satz 2).57) Das Recht zur Einberufung steht dem Aufsichtsrat als Organ zu und kann nach § 107 17 Abs. 3 Satz 3 nicht an einen Aufsichtsratsausschuss delegiert werden.58) VI.

Zustimmungsvorbehalte (§ 111 Abs. 4)

§ 111 Abs. 4 Satz 1 regelt zwingend, dass dem Aufsichtsrat keine Maßnahmen der Ge- 18 schäftsführung übertragen werden können.59) Hierdurch wird insbesondere auch ausgeschlossen, dass der Aufsichtsrat dem Vorstand Weisungen erteilen kann.60) Die nach § 111 Abs. 4 Satz 2 vorzusehenden Zustimmungsvorbehalte sind Instrumente vorbeugender Überwachung, durch die der Aufsichtsrat an der Geschäftsführung partizipiert.61) § 111 Abs. 4 Satz 2 relativiert insoweit Satz 1.62) Die Zustimmungsvorbehalte sind durch die Satzung oder den Aufsichtsrat zu bestimmen. 19 § 111 Abs. 4 Satz 2 enthält selbst keine inhaltlichen Vorgaben für die zustimmungspflichtigen Geschäfte. Hierzu können etwa wesentliche Geschäfte bzw. solche von grundlegender Bedeutung gehören, wie insbesondere Entscheidungen oder Maßnahmen, die die Vermögens-, Finanz- oder Ertragslage des Unternehmens grundlegend verändern.63) Der Aufsichtsrat hat dementsprechend nach pflichtgemäßem Ermessen die Zustimmungsvorbe_____________ 54) Bericht des Rechtsausschusses, BT Drucks. 18/11450, S. 52; näher dazu Kajüter, DB 2017, 617, 624; Lanfermann, BB 2017, 747, 749; zu den Berichtspflichten nach dem CSR-RL-Umsetzungsgesetz: Mock, ZIP 2017, 1195 ff. 55) S. dazu Kajüter, DB 2017, 617, 623 f.; Seibt, DB 2016, 2707, 2713 f.; Lanfermann, BB 2017, 747, 749. 56) Zur Frage der Zulässigkeit einer Hauptversammlungsvorlage durch den Aufsichtsrat analog § 119 Abs. 2: Fischbach, ZIP 2013, 1153, 1154 ff. 57) Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 3 Rz. 136; a. A. hinsichtlich der Erörterung von Geschäftsführungsfragen: Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 111 Rz. 31. 58) K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 111 Rz. 45; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 111 Rz. 32. 59) Ausführlich dazu und insbesondere zur Frage zur Zulässigkeit von Gesprächen des Aufsichtsratsvorsitzenden mit Investoren: Grunewald, ZIP 2016, 2009, 2010 f.; Vetter, AG 2016, 873 ff. (s. a. § 107 Rz. 9 a. E.). 60) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 111 Rz. 557; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 111 Rz. 97. 61) BGH, Urt. v. 11.12.2006 – II ZR 243/05, Rz. 9 und 12, ZIP 2007, 224; BGH, Urt. v. 21.4.1997 – II ZR 175/95 (ARAG/Garmenbeck), BGHZ 135, 244, 255 = ZIP 1997, 883, 886; Habersack in: MünchKommAktG, § 111 Rz. 100; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 29 Rz. 51; Lutter/Krieger/ Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 3 Rz. 101; Habersack, ZHR 178 (2014) 131 f. 62) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 111 Rz. 99; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 111 Rz. 33; Habersack, ZHR 178 (2014) 131, 132. 63) In diese Richtung gehen die Äußerungen im RegE eines Gesetzes zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität (TransPuG), BT-Drucks. 14/8769, S. 17 (re. Sp.); Lutter, DB 2009, 775 und 777; ausführlich dazu Fleischer, BB 2013, 835, 838 ff.; zur Frage der Grenzen des Zustimmungsvorbehalts bei Beschlüssen nach § 83: Streyl/Schaper, ZIP 2017, 410, 411 ff.; Timm, DB 1980, 1201, 1203 ff.

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halte unternehmensbezogen festzulegen.64) Durch die Satzung kann die Befugnis des Aufsichtsrats zur Festlegung von Zustimmungsvorbehalten nicht beschränkt werden.65) 20 Der Aufsichtsrat kann zwar über die in der Satzung vorgesehenen Zustimmungsvorbehalte hinausgehen und weitere bestimmen, darf aber nicht durch die Satzung bestimmte Vorbehalte leerlaufen lassen, etwa durch General-Vorabzustimmung.66) Der Aufsichtsrat kann nach pflichtgemäßem Ermessen – zumindest für besonders bedeutende Geschäfte – auch ad hoc einen Zustimmungsvorbehalt beschließen;67) dieses Ermessen kann sich zu einer Pflicht verdichten, wenn so eine gesetzwidrige Geschäftsführungsmaßnahme des Vorstands verhindert werden kann.68) Bei der Konkretisierung der Zustimmungsvorbehalte muss eine Relevanz des vorbehaltspflichtigen Geschäfts für die Ertragsaussichten oder die Risikoexposition der Gesellschaft bestehen.69) Die Zustimmungsvorbehalte müssen sich auf „bestimmte Arten von Geschäften“ beziehen, dürfen mithin nicht so weit gehen, dass die eigenverantwortliche Unternehmensleitung des Vorstands in Frage gestellt wird.70) Auslegungsbedürftige Generalklauseln sind unzulässig. Erforderlich ist eine konkrete Bezeichnung der zustimmungsbedürftigen Maßnahme oder Entscheidung, sie muss für den Vorstand eindeutig erkennbar sein.71) Generalklauselartig formulierte Zustimmungsvorbehalte (etwa für alle „wesentlichen Geschäfte“) sind daher unzulässig.72) 21 Zustimmungsvorbehalte des Aufsichtsrats einer Konzernobergesellschaft können auch konzernbezogen sein, und zwar dann, wenn dies ausdrücklich so festgelegt wurde73) oder wenn sich die konzernweite Geltung durch Auslegung ergibt.74) Im letzteren Fall muss der Vorstand der Konzernobergesellschaft dafür sorgen, dass die betroffenen Maßnahmen nur mit seiner Billigung vorgenommen werden dürfen, damit der Aufsichtsrat die Möglichkeit hat, sein Mitwirkungsrecht auszuüben.75) Bei der Geltung bzw. der Durchsetzbarkeit von Zustimmungsvorbehalten ist nach der Art der Konzernierung und der Rechtsform der Untergesellschaft zu differenzieren – während im Vertrags- oder Eingliederungskonzern hierfür das Weisungsrecht (§§ 308, 323) zur Verfügung steht, hängt die Geltung bzw. Durchsetzbarkeit im faktischen Konzern von der Rechtsform der Tochtergesellschaft ab.76) _____________ 64) Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 3 Rz. 115; Säcker/Rehm, DB 2008, 2814 ff.; Zwissler, Der Aufsichtsrat 2015, 72, 73 mit Praxisbsp. 65) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 111 Rz. 103; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 3 Rz. 114. 66) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 111 Rz. 103; K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 111 Rz. 51. 67) BGH, Urt. v. 15.11.1993 – II ZR 235/92, BGHZ 124, 111, 127 = ZIP 1993, 1862, 1867; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 111 Rz. 102 und 115. 68) BGH, Urt. v. 15.11.1993 – II ZR 235/92, BGHZ 124, 111, 127 = ZIP 1993, 1862, 1867; Fleischer, BB 2013, 835, 839. 69) Fleischer, BB 2013, 835, 840; Fonk, ZGR 2006, 841, 846 f.; Zwissler, Der Aufsichtsrat 2015, 72, 73. 70) Fleischer, BB 2013, 835, 838 m. w. N.; Fonk, ZGR 2006, 841, 846. 71) OLG Düsseldorf, Urt. v. 15.1.2015 – I-6 U 48/14, AG 2016, 410, 411 = ZIP 2016, 171, dazu EWiR 2016, 45 (Wilsing/Kleemann); Habersack in: MünchKomm-AktG, § 111 Rz. 106; Mutter, Der Aufsichtsrat 2016, 130. 72) OLG Düsseldorf, Urt. v. 15.1.2015 – I-6 U 48/14, AG 2016, 411 f.; Habersack in: MünchKommAktG, § 111 Rz. 106; K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 111 Rz. 55. 73) Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 4 Rz. 159; Semler/v. Schenck-Schütz, Der Aufsichtsrat, § 111 Rz. 544 f.; Lutter, AG 2006, 517, 520; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 111 Rz. 52 f. 74) Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 29 Rz. 57; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 4 Rz. 160 (dafür bei Investitionen und Unternehmensverträgen; ablehnend bei Personalentscheidungen und Prokuraerteilungen in Untergesellschaften); Semler/v. Schenck-Schütz, Der Aufsichtsrat, § 111 Rz. 549; kritisch hierzu Fonk, ZGR 2006, 841, 852 f.; zur Frage wie sich das Bestimmtheitserfordernis für Zustimmungsvorbehalte (s. dazu vorstehend Rz. 20) mit der konzernweiten Auslegung verträgt: Hüffer/ Koch-Koch, AktG, § 111 Rz. 53; s. aber auch Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 111 Rz. 97. 75) Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 29 Rz. 57 (a. E.); Semler/v. Schenck-Rodewig, ArbHdb. AR, § 8 Rz. 94; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 111 Rz. 93. 76) Ausführlich dazu: Semler/v. Schenck-Schütz, Der Aufsichtsrat, § 111 Rz. 553 ff.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 111 Rz. 54; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 4 Rz. 160 f.

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Über die Erteilung der Zustimmung entscheidet der Aufsichtsrat durch Beschluss. Eine 22 Delegation an einen Ausschuss ist grundsätzlich zulässig, da § 107 Abs. 3 Satz 3 nur die Begründung von Zustimmungsvorbehalten betrifft.77) Grundsätzlich ist vorherige Zustimmung erforderlich.78) Nach h. M. kann hiervon bei eilbedürftigen Geschäften ausnahmsweise abgewichen werden, wenn der Vorstand davon ausgehen kann, dass sich die Aufsichtsratsmehrheit mit dem Geschäft einverstanden erklären wird.79) Dies ist mit dem Charakter der Zustimmungsvorbehalte als präventivem Überwachungsinstrument schwer zu vereinbaren und sollte daher nur in ganz eng begrenzten Ausnahmen erfolgen. Jedenfalls sollte dann aber der Aufsichtsratsvorsitzende informiert und um seine Stellungnahme gebeten werden.80) Stimmt er zu, kommt die Vornahme des Geschäfts in Betracht. Andernfalls sollte es unterbleiben.81) Mit Blick auf eine etwaige Pflicht zur Ad hoc-Publizität nach Art. 17 EU-Marktmiss- 23 brauchsverordnung (MAR)82) stellt sich (insbesondere bei Vorstandspersonalmaßnahmen)83) die Frage, ob insoweit eine (originäre) Zuständigkeit des Aufsichtsrats angenommen werden kann, weil dieser die (potentiell) veröffentlichungspflichtigen Insiderinformationen im Gegensatz zum Vorstand kennt. Hier wird teilweise eine teleologische Reduktion von § 111 Abs. 4 Satz 1 befürwortet und die Zuständigkeit für die Entscheidung über die Ad hoc-Publizitätspflicht und ggf. deren Aufschub auf den Aufsichtsrat übertragen, soweit der Aufsichtsrat gegenüber dem Vorstand einen Informationsvorsprung hat, der – im Interesse des Unternehmens – nicht durch Informationsweiterleitung an den Vorstand abgebaut wird;84) dies kommt insbesondere bei Vorstandspersonalmaßnahmen in Betracht. In der Praxis sollte diese Zuständigkeitsfrage sorgfältig betrachtet werden, vielfach mag die Einbindung von wenigen Vorstandsmitgliedern (in vertretungsberechtigter Zahl) in Betracht kommen und damit die Entscheidung über die Selbstbefreiung (eventuell unter Einbindung des hierfür eingerichteten Gremiums) im üblichen Ablauf. VII. Festlegung von Zielgrößen für den Frauenanteil (§ 111 Abs. 5) Nach dem Gesetz zur Geschlechterquote85) (siehe dazu auch § 96 Rz. 11 ff.) ist der Auf- 24 sichtsrat von Gesellschaften, die börsennotiert sind oder der Mitbestimmung (auch nach dem DrittelbeteiligungsG)86) unterliegen, verpflichtet, für den Frauenanteil im Aufsichtsrat _____________ 77) K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 111 Rz. 50; eine Ausnahme besteht für die Zustimmung zur Unternehmensplanung, s. Habersack in: MünchKomm-AktG, § 111 Rz. 125. 78) Fonk, ZGR 2006, 841, 868; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 3 Rz. 124. 79) Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 29 Rz. 46; Fonk, ZGR 2006, 841, 870; a. A. Habersack in: MünchKomm-AktG, § 108 Rz. 124 m. w. N. 80) Fonk, ZGR 2006, 841, 870 f.; s. a. Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 111 Rz. 682; Hüffer/KochKoch, AktG, § 111 Rz. 47; Semler/v. Schenck-Schütz, Der Aufsichtsrat, § 111 Rz. 563. 81) Fonk, ZGR 2006, 841, 871; für eine Eilzuständigkeit des Aufsichtsratspräsidiums: Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 111 Rz. 683. 82) Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des EU-Parlaments und des Rates vom 16.4.2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung), ABl. (EU) 2014, Nr. L 173/1 (MMVO oder MAR); inhaltlich geändert durch Art. 56 Verordnung (EU) 2016/1011 des EU-Parlaments und des Rates v. 8.6.2016, ABl. (EU) 2016, Nr. L 171/1 (Benchmark-Verordnung) sowie hinsichtlich Übersetzungsfehlern geändert durch Berichtigungen der MMVO v. 21.10.2016, ABl. (EU) 2016, Nr. L 287/320, v. 15.11.2016, ABl. (EU) 2016, Nr. L 306/43 und v. 21.12.206, ABl. (EU) 2016, Nr. L 348/83; näher zur MAR: WachenfeldTeschner/Royla, WPg 2017, 259 ff. 83) Beispielhaft sei das vorzeitige Ausscheiden des Vorstandsvorsitzenden der Daimler AG erwähnt, s. dazu BGH, Beschl. v. 23.4.2013 – II ZB 7/09, ZIP 2013, 1165, dazu EWiR 2013, 433 (Seibt). 84) Näher dazu: Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 8 Rz. 513; Kocher/Schneider, ZIP 2013, 1607, 1611; Ihrig/Kranz, BB 2013, 451, 456; Drinhausen/Marsch-Barner, AG 2014, 337, 334. 85) Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst v. 24.4.2015, BGBl. I 2015, 642. 86) Seibt, ZIP 2015, 1193, 1204; Fromholzer/Simons, AG 2015, 457, 458; Wasmann/Rothenburg, DB 2015, 291, 293 f.

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und im Vorstand Zielgrößen und Fristen für deren Erreichen festzulegen. Die Gesellschaften haben hierbei einen großen Ermessensspielraum, sie können sich bei den Zielvorgaben an den eigenen Unternehmensstrukturen ausrichten.87) Insbesondere kann auch eine Zielgröße von 100 % oder 0 % festgelegt werden.88) Aus der Pflicht zur Festlegung von Zielgrößen ergibt sich inzident der Auftrag an den Aufsichtsrat den Frauenanteil im Aufsichtsrat und im Vorstand festzustellen.89) Der Status quo ist die Ausgangsgröße für die Festlegung.90) Eine Mindestzielgröße ist zwar nicht vorgesehen,91) allerdings ist das Verschlechterungsverbot zu beachten: Liegt der Frauenanteil unter 30 %, so darf die Zielgröße nicht hinter dem Status quo zurückbleiben. Liegt der Status quo hingegen über 30 %, darf die Zielgröße diesen auch wieder unterschreiten. Fällt der Frauenanteil dann tatsächlich unter 30 %, so darf die nächste festzulegende Zielgröße nicht mehr hinter diesen Status quo zurückfallen.92) § 111 Abs. 5 Satz 5 stellt klar, dass keine Zielgröße für einen Aufsichtsrat festgelegt werden muss, wenn für ihn bereits die Mindestquote nach § 96 Abs. 2 gilt. 25 Die Pflicht zur Festlegung von Zielgrößen ist gesellschafts- und nicht konzernbezogen.93) Die Pflicht zur Festlegung von Zielgrößen und Fristen für deren Erreichen obliegt dem Aufsichtsrat, der dies mangels Delegationsverbots in § 107 Abs. 3 Satz 3 auf einen Ausschuss delegieren kann;94) für dem KWG unterfallende Gesellschaften bleibt der Nominierungsausschuss gemäß § 25d Abs. 11 KWG zuständig.95) 26 Die Festlegung der Zielgrößen und der Fristen erfordert einen Beschluss96) des Aufsichtsrats97) bzw. des zuständigen Ausschusses. Verletzt der Aufsichtsrat diese Pflicht, so kann dies eine Schadensersatzpflicht nach §§ 93 Abs. 2 Satz 1, 116 nach sich ziehen.98) Nach § 25 Abs. 1 EGAktG müssen die Festlegungen erstmals zum 30.9.2015 erfolgen. Die erstmals festzulegende Frist darf nicht länger als bis zum 30.6.2017 dauern. Die folgenden Fristen dürfen jeweils nicht länger als fünf Jahre sein.99) In der Erklärung zur Unternehmensführung ist nach § 289f Abs. 2 Nr. 4 HGB (bzw. nach § 289f Abs. 4 HGB in einem gesonderen Abschnitt des Lageberichts oder in einer Erklärung) darüber zu berichten, ob die Zielgrößen erreicht wurden bzw. auf welchen Gründen die Nichterreichung beruht. Die Verfehlung der Zielgrößen selbst bleibt sanktionslos,100) es muss aber transparent berichtet werden.101) _____________ 87) Begr. RegE, BT-Drucks. 18/3784, S. 123; s. a. S. 7 und 11 des vom BMFSFJ am 10.8.2015 veröffentlichten Praxisleitfadens zum Gesetz zur Geschlechterquote, abrufbar unter www.bmfsfj.de/zielsicher (Abrufdatum: 29.5.2018). 88) Begr. RegE, BT-Drucks. 18/3784, S. 123; s. a S. 8 des vom BMFSFJ am 10.8.2015 veröffentlichten Praxisleitfadens zum Gesetz zur Geschlechterquote, abrufbar unter www.bmfsfj.de/zielsicher (Abrufdatum: 29.5.2018). 89) Begr. RegE, BT-Drucks. 18/3784, S. 123. 90) Begr. RegE, BT-Drucks. 18/3784, S. 123. 91) Begr. RegE, BT-Drucks. 18/3784, S. 123. 92) Begr. RegE, BT-Drucks. 18/3784, S. 123; s. a. S. 9 des vom BMFSFJ am 10.8.2015 veröffentlichten Praxisleitfadens zum Gesetz zur Geschlechterquote, abrufbar unter www.bmfsfj.de/zielsicher (Abrufdatum: 29.5.2018); ausführlich zum Verschlechterungsverbot: Fromholzer/Simons, AG 2015, 457, 459 ff. 93) Fromholzer/Simons, AG 2015, 457, 458; Seibt, ZIP 2015, 1193, 1204. 94) Fromholzer/Simons, AG 2015, 457, 459; Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 111 Rz. 77a. 95) Begr. RegE, BT-Drucks. 18/3784, S. 124; Semler/v. Schenck-Schütz, Der Aufsichtsrat, § 111 Rz. 588. 96) Begr. RegE, BT-Drucks. 18/3784, S. 124. 97) Zur Frage, ob das Aufsichtsratsplenum beschließt oder – wegen fehlender Mitwirkungsbefugnisse des Aufsichtsrats bei der Arbeitnehmervertreterwahl bzw. § 124 Abs. 3 Satz 5 – nur die Anteilseignervertreter, s. Herb, DB 2015, 964, 968. 98) Begr. RegE, BT-Drucks. 18/3784, S. 123; kritisch hierzu Semler/v. Schenck-Schütz, Der Aufsichtsrat, § 111 Rz. 601. 99) Begr. RegE, BT-Drucks. 18/3784, S. 123; Semler/v. Schenck-Schütz, Der Aufsichtsrat, § 111 Rz. 600. 100) S. a. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 111 Rz. 58; Seibt, ZIP 2015, 1193, 1207. 101) Begr. RegE, BT-Drucks. 18/3784, S. 132.

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Vertretung der Gesellschaft gegenüber Vorstandsmitgliedern

§ 112

VIII. Persönliche Wahrnehmung (§ 111 Abs. 6) Nach § 111 Abs. 6 können die Aufsichtsratsmitglieder ihre Aufgaben nicht durch andere 27 wahrnehmen lassen, sie müssen ihre Pflichten persönlich und eigenverantwortlich erfüllen.102) Hiermit korrespondiert, dass Stellvertreter von Aufsichtsratsmitgliedern nicht bestellt werden dürfen (§ 101 Abs. 3 Satz 1). Das Aufsichtsratsamt ist höchstpersönlich auszuüben.103) Gesetzliche Ausnahmen hiervon sind § 109 Abs. 3 (Teilnahme ermächtigter Personen an Sitzungen) sowie § 108 Abs. 3 (Möglichkeit der Überreichung schriftlicher Stimmabgaben abwesender Aufsichtsratsmitglieder). _____________ 102) BGH, Urt. v. 15.11.1982 – II ZR 27/82 (Hertie), BGHZ 85, 293 = ZIP 1983, 55, 56; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 111 Rz. 743; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 111 Rz. 59 f. 103) K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 111 Rz. 65; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 111 Rz. 132; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 111 Rz. 743.

§ 112 Vertretung der Gesellschaft gegenüber Vorstandsmitgliedern 1

Vorstandsmitgliedern gegenüber vertritt der Aufsichtsrat die Gesellschaft gerichtlich und außergerichtlich. 2§ 78 Abs. 2 Satz 2 gilt entsprechend.

Literatur: Bauer/Krieger, Formale Fehler bei Abberufung und Kündigung vertretungsberechtigter Organmitglieder, ZIP 2004, 1247; Bayer/Scholz, Vertretung des Aufsichtsrats nach § 112 AktG und Rechtsirrtümer im Kernbereich des Aktienrechts, ZIP 2015, 1853; Cahn, Die Vertretung der Aktiengesellschaft durch den Aufsichtsrat, in: Festschrift für Michael Hoffmann-Becking, 2013, S. 247; Eßwein, § 112 AktG: Universalnorm für die Vermeidung von Interessenkonfliken? Ein Plädoyer für die Rückbesinnung auf den Wortlaut, AG 2015, 151; Fleischer, Vorstandshaftung und Rechtsirrtum über die Vertretungskompetenz beim Abschluss eines Interim-ManagementVertrags, DB 2015, 1764; Krieger, Interim Manager im Vorstand der AG, in: Festschrift Hoffmann-Becking, 2013, S. 711; Köhler, Fehlerhafte Vorstandsverträge, NZG 2008, 171; Nägele/ Böhm, Praxisrelevante Probleme der Vertretung nach § 112 AktG, BB 2005, 2197; Rupietta, Die Vertretung der Aktiengesellschaft gegenüber dem Vorstand, NZG 2007, 801; Schwab, Die Vertretung der Aktiengesellschaft gegenüber ausgeschiedenen Vorstandsmitgliedern im Liquidationsstadium, ZIP 2006, 1478; Theusinger/Guntermann, Wann vertritt der Aufsichtsrat die AG – Neues vom BGH zu § 112 AktG, AG 2017, 1; Werner, Aktuelle Probleme der Vertretung der Aktiengesellschaft durch den Aufsichtsrat nach § 112 AktG, Der Konzern 2008, 639.

Übersicht I. Zweck der Norm ............................... 1 II. Vertretung gegenüber Vorstandsmitgliedern .............................. 2 III. Sachliche Reichweite ........................ 4 IV. Ausübung der Vertretungsmacht .................................................. 5 I.

1. 2. 3. V. 1. 2.

Gesamtaufsichtsrat ............................. Delegation ........................................... Nachweis der Vertretungsmacht ....... Rechtsfolgen von Verstößen ........... Materielle Rechtsfolgen ..................... Prozessuale Vertretung ......................

5 6 7 8 8 9

Zweck der Norm

Die Norm soll eine unvoreingenommene, von sachfremden Erwägungen unbeeinflusste 1 Vertretung der Gesellschaft gegenüber Vorstandsmitgliedern sicherstellen.1) Die Anwend_____________ 1)

St. Rspr., s. BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 282/07, ZIP 2009, 717, 718; BGH, Urt. v. 16.10.2006 – II ZR 7/05, ZIP 2006, 2213, 2214; BGH, Urt. v. 1.12.2003 – II ZR 161/02, BGHZ 157, 151, 153 f. = ZIP 2004, 92, dazu EWiR 2004, 97 (Ziemons).

Werner Paul Schick

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Vertretung der Gesellschaft gegenüber Vorstandsmitgliedern

§ 112

VIII. Persönliche Wahrnehmung (§ 111 Abs. 6) Nach § 111 Abs. 6 können die Aufsichtsratsmitglieder ihre Aufgaben nicht durch andere 27 wahrnehmen lassen, sie müssen ihre Pflichten persönlich und eigenverantwortlich erfüllen.102) Hiermit korrespondiert, dass Stellvertreter von Aufsichtsratsmitgliedern nicht bestellt werden dürfen (§ 101 Abs. 3 Satz 1). Das Aufsichtsratsamt ist höchstpersönlich auszuüben.103) Gesetzliche Ausnahmen hiervon sind § 109 Abs. 3 (Teilnahme ermächtigter Personen an Sitzungen) sowie § 108 Abs. 3 (Möglichkeit der Überreichung schriftlicher Stimmabgaben abwesender Aufsichtsratsmitglieder). _____________ 102) BGH, Urt. v. 15.11.1982 – II ZR 27/82 (Hertie), BGHZ 85, 293 = ZIP 1983, 55, 56; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 111 Rz. 743; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 111 Rz. 59 f. 103) K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 111 Rz. 65; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 111 Rz. 132; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 111 Rz. 743.

§ 112 Vertretung der Gesellschaft gegenüber Vorstandsmitgliedern 1

Vorstandsmitgliedern gegenüber vertritt der Aufsichtsrat die Gesellschaft gerichtlich und außergerichtlich. 2§ 78 Abs. 2 Satz 2 gilt entsprechend.

Literatur: Bauer/Krieger, Formale Fehler bei Abberufung und Kündigung vertretungsberechtigter Organmitglieder, ZIP 2004, 1247; Bayer/Scholz, Vertretung des Aufsichtsrats nach § 112 AktG und Rechtsirrtümer im Kernbereich des Aktienrechts, ZIP 2015, 1853; Cahn, Die Vertretung der Aktiengesellschaft durch den Aufsichtsrat, in: Festschrift für Michael Hoffmann-Becking, 2013, S. 247; Eßwein, § 112 AktG: Universalnorm für die Vermeidung von Interessenkonfliken? Ein Plädoyer für die Rückbesinnung auf den Wortlaut, AG 2015, 151; Fleischer, Vorstandshaftung und Rechtsirrtum über die Vertretungskompetenz beim Abschluss eines Interim-ManagementVertrags, DB 2015, 1764; Krieger, Interim Manager im Vorstand der AG, in: Festschrift Hoffmann-Becking, 2013, S. 711; Köhler, Fehlerhafte Vorstandsverträge, NZG 2008, 171; Nägele/ Böhm, Praxisrelevante Probleme der Vertretung nach § 112 AktG, BB 2005, 2197; Rupietta, Die Vertretung der Aktiengesellschaft gegenüber dem Vorstand, NZG 2007, 801; Schwab, Die Vertretung der Aktiengesellschaft gegenüber ausgeschiedenen Vorstandsmitgliedern im Liquidationsstadium, ZIP 2006, 1478; Theusinger/Guntermann, Wann vertritt der Aufsichtsrat die AG – Neues vom BGH zu § 112 AktG, AG 2017, 1; Werner, Aktuelle Probleme der Vertretung der Aktiengesellschaft durch den Aufsichtsrat nach § 112 AktG, Der Konzern 2008, 639.

Übersicht I. Zweck der Norm ............................... 1 II. Vertretung gegenüber Vorstandsmitgliedern .............................. 2 III. Sachliche Reichweite ........................ 4 IV. Ausübung der Vertretungsmacht .................................................. 5 I.

1. 2. 3. V. 1. 2.

Gesamtaufsichtsrat ............................. Delegation ........................................... Nachweis der Vertretungsmacht ....... Rechtsfolgen von Verstößen ........... Materielle Rechtsfolgen ..................... Prozessuale Vertretung ......................

5 6 7 8 8 9

Zweck der Norm

Die Norm soll eine unvoreingenommene, von sachfremden Erwägungen unbeeinflusste 1 Vertretung der Gesellschaft gegenüber Vorstandsmitgliedern sicherstellen.1) Die Anwend_____________ 1)

St. Rspr., s. BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 282/07, ZIP 2009, 717, 718; BGH, Urt. v. 16.10.2006 – II ZR 7/05, ZIP 2006, 2213, 2214; BGH, Urt. v. 1.12.2003 – II ZR 161/02, BGHZ 157, 151, 153 f. = ZIP 2004, 92, dazu EWiR 2004, 97 (Ziemons).

Werner Paul Schick

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§ 112

Vertretung der Gesellschaft gegenüber Vorstandsmitgliedern

ung der Norm ist erforderlich, um der abstrakten Gefahr einer Interessenkollision zu begegnen, nämlich der fehlenden Unabhängigkeit der selbst involvierten Mitglieder des Vertretungsorgans.2) § 112 trägt der Besorgnis Rechnung, dass der Vorstand bei einem Geschäft mit einem Vorstandsmitglied nicht die erforderliche Unabhängigkeit aufbringt.3) Bei der Normanwendung ist im Interesse der Rechtssicherheit auf eine typisierende Betrachtung abzustellen.4) § 112 ist zwingend, enthält aber keine abschließende Regelung der Vertretungsbefugnis des Aufsichtsrats gegenüber Dritten5) (wie etwa § 111 Abs. 2 Satz 2 und 3 zeigen). II. Vertretung gegenüber Vorstandsmitgliedern 2 Die in § 112 normierte Vertretung der Gesellschaft durch den Aufsichtsrat gilt gegenüber amtierenden und ausgeschiedenen Vorstandsmitgliedern.6) Für die Anwendung auf ausgeschiedene Vorstandsmitglieder ist es ausreichend, dass die Angelegenheit ihren Ursprung in der Vorstandstätigkeit hat.7) Für die Vertretung einer durch Formwechsel oder Umwandlung einer GmbH entstandenen Gesellschaft im Prozess mit einem ehemaligen Geschäftsführer gilt ebenfalls § 112.8) In einem Rechtsstreit mit einer Vorstandswitwe über Ansprüche aus einer Versorgungszusage greift diese Vertretungsregel.9) Ebenso erfasst werden Geschäfte im Vorfeld der Bestellung10) sowie die Kündigungsschutzklage des Vorstandsmitglieds aus einem ruhenden Dienstverhältnis.11) Der Aufsichtsrat ist für die Entscheidungen über die Vorstandsvergütung und für den Abschluss der die Vergütung regelnden Verträge nach § 84 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. Satz 1, §§ 87, 112 zuständig, und zwar auch dann, wenn sie nicht vom Vorstandsmitglied selbst, sondern mit einem Dritten abgeschlossen werden und mit diesem eine Vergütung für die Vorstandstätigkeit vereinbart wird.12) Diese Zuständigkeit für Dritt-Anstellungsverträge gilt auch beim Abschluss eines Interim-Management-Vertrags.13) Jüngst hat der BGH entschie_____________ 2) BAG, Urt. v. 4.7.2001 – 2 AZR 142/00, AG 2002, 458, 459 = NZG 2002, 392, 393; BGH, Urt. v. 22.4.1991 – II ZR 151/90, ZIP 1991, 796; näher dazu Habersack in: MünchKomm-AktG, § 112 Rz. 1 und 13; Cahn in: FS Hoffmann-Becking, S. 247, 249 f. 3) BGH, Urt. v. 12.3.2013 – II ZR 179/12, Rz. 10, BGHZ 196, 312 = ZIP 2013, 819, dazu EWiR 2013, 297 (Wilsing/Meyer). 4) BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 282/07, ZIP 2009, 717, 718; BGH, Urt. v. 22.4.1991 – II ZR 151/90, ZIP 1991, 796; BAG, Urt. v. 20.9.2016 – 3 AZR 77/15, Rz. 52, NZG 2017, 69, 75. 5) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 112 Rz. 3 f.; Semler/v. Schenck-v. Schenck, Der Aufsichtsrat, § 112 Rz. 3 f. 6) BGH, Beschl. v. 14.5.2013 – II ZB 1/11, Rz. 22, ZIP 2013, 1274, 1276, dazu EWiR 2013, 565 (Wenzel); BGH, Urt. v. 16.10.2006 – II ZR 7/05, ZIP 2006, 2213, 2214; BGH, Urt. v. 1.12.2003 – II ZR 161/02, BGHZ 157, 151, 153 f. = ZIP 2004, 92; BGH, Urt. v. 22.4.1991 – II ZR 151/90 = ZIP 1991, 796; BAG, Urt. v. 20.9.2016 – 3 AZR 77/15, Rz. 53, NZG 2017, 69, 75; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 112 Rz. 12; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 112 Rz. 2. 7) BGH, Urt. v. 7.7.1993 – VIII ZR 2/92, ZIP 1993, 1380, 1381; näher dazu Habersack in: MünchKommAktG, § 112 Rz. 13; Schwab, ZIP 2006, 1478, 1479. 8) BGH, Urt. v. 1.12.2003 – II ZR 161/02, BGHZ 157, 151, 153 f. = ZIP 2004, 92; BGH, Urt. v. 28.4.1997 – II ZR 282/95, ZIP 1997, 1108; OLG München, Urt. v. 17.3.2011 – 23 U 3673/10, BeckRS 2011, 06228; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 112 Rz. 12. 9) BGH, Urt. v. 16.10.2006 – II ZR 7/05, ZIP 2006, 2213, 2214. 10) BGH, Urt. v. 13.1.1958 – II ZR 212/56, BGHZ 26, 236, 238; OLG Brandenburg, Urt. v. 14.1.2015 – 7 U 68/13, AG 2015, 428, 429; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 112 Rz. 11; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 112 Rz. 2. 11) BAG, Urt. v. 4.7.2001 – 2 AZR 142/00, AG 2002, 458, 459 = NZG 2002, 392, 393 f.; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 112 Rz. 13; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 112 Rz. 2. 12) BGH, Urt. v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, Rz. 24, ZIP 2015, 1220, 1222, dazu EWiR 2015, 469 (Theusinger/ Schilha); OLG München, Beschl. v. 12.1.2017 – 23 U 3582/16, ZIP 2017, 372, 376, dazu EWiR 2017, 233 (Goslar); grundlegend zur Kompetenz für Anstellungsvertrag und Vergütungsfragen: BGH, Hinweisbeschl. v. 17.5.2011 – II ZR 32/10, BeckRS 2011, 19847. 13) BGH, Urt. v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, Rz. 24, ZIP 2015, 1220, 1222; näher dazu: Fleischer, DB 2015, 1764, 1765; Bayer/Scholz, ZIP 2015, 1853, 1854 ff.; Krieger in: FS Hoffmann-Becking, S. 711, 716 f. (zur Zuständigkeitsfrage) und S. 711 ff. (allgemein zu Interim-Management-Verträgen).

724

Werner Paul Schick

Vertretung der Gesellschaft gegenüber Vorstandsmitgliedern

§ 112

den, dass die Gesellschaft nicht i. S. von § 112 Satz 1 gegenüber einem Vorstandsmitglied handelt, wenn Gesellschaft und Vorstandsmitglied keine gegenläufigen, sondern parallele Willenserklärungen gegenüber einem Dritten abgeben.14) Die Norm findet keine Anwendung, wenn ein Vorstandsmitglied als Vertreter einer Ge- 3 sellschaft auftritt, an der es zwar beteiligt ist, aber zwischen ihm und der Gesellschaft keine wirtschaftliche Identität besteht.15) Von wirtschaftlicher Identität und damit von einer Geltung des § 112 ist etwa dann auszugehen, wenn das Vorstandsmitglied deren Alleingesellschafter ist;16) eine Erstreckung auf Konstellationen, in denen das Vorstandsmitglied maßgeblich beteiligt ist, kommt aus Gründen der Rechtssicherheit nicht in Betracht.17) Jedenfalls im Fall der (bloßen) Minderheitsbeteiligung (24,99 %) eines Vorstandsmitglieds ist § 112 nicht anwendbar.18) III.

Sachliche Reichweite

Die Vertretungsmacht des Aufsichtsrats erstreckt sich auf alle Rechtsgeschäfte sowie 4 Rechtsstreitigkeiten (Aktiv- und Passivprozesse) mit Vorstandsmitgliedern und auch auf die Verfolgung von Ersatzansprüchen der Gesellschaft gegenüber Vorstandsmitgliedern.19) Es gibt keine Bagatellgrenze,20) jedoch eine Ausnahme bei Geschäften mit ehemaligen Vorstandsmitgliedern, die keinen Bezug zur früheren Vorstandstätigkeit haben (sog. neutrale Geschäfte).21) Ist ein besonderer Vertreter zur Geltendmachung von Ersatzansprüchen bestellt, verdrängt § 147 Abs. 2 die Zuständigkeit des Aufsichtsrats nach § 112.22) Der Aufsichtsrat ist auch für bestimmte Hilfsgeschäfte zur Vertretung befugt: Wenn der Aufsichtsrat gemäß § 111 Abs. 2 Satz 2 einen besonderen Sachverständigen im Namen der Gesellschaft beauftragt hat, dann hat er auch die Befugnis zur gerichtlichen Vertretung der Gesellschaft gegenüber dem Sachverständigen in einem Verfahren, das im Hinblick auf eine Streitigkeit aus dem Auftragsverhältnis geführt wird.23) § 112 ist insoweit nicht abschließend, aus § 111 Abs. 2 Satz 2 folgt nicht nur die Geschäftsführungsbefugnis, sondern auch die Vertretungsbefugnis des Aufsichtsrats, und zwar auch für die _____________ 14) BGH, Urt. v. 25.7.2017 – II ZR 235/15, Rz. 34, ZIP 2017, 1902, dazu EWiR 2018, 167 (Seulen/Dölves); s. dazu Theusinger/Guntermann, AG 2017, 798, 800 und 801. 15) OLG München, Urt. v. 10.5.2012 – 14 U 2175/11, ZIP 2012, 1024, 1025 f., dazu EWiR 2012, 403 (Just); OLG Saarbrücken, Urt. v. 30.11.2000 – 8 U 71/00 – 15, AG 2001, 483, 484 = NZG 2001, 414; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 112 Rz. 9; ausführlich dazu Werner, Der Konzern 2008, 639, 640 ff.; Rupietta, NZG 2007, 801, 802 ff.; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 1 Rz. 208. 16) OLG Brandenburg, Urt. v. 14.1.2015 – 7 U 68/13, AG 2015, 428, 429; OLG Saarbrücken, Urt. v. 11.10.2012 – 8 U 22/11 – 6, ZIP 2012, 2205, 2206, auch für ein ehemaliges Vorstandsmitglied; offenlassend und grundsätzlich ablehnend OLG München, Urt. v. 10.5.2012 – 14 U 2175/11, ZIP 2012, 1024, 1025 f.; näher dazu Eßwein, AG 2015, 152. 17) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 112 Rz. 9; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 112 Rz. 4; Rupietta, NZG 2007, 801, 803; Werner, Der Konzern 2008, 639, 641 f. 18) BGH, Urt. v. 12.3.2013 – II ZR 179/12, Rz. 9, BGHZ 196, 312 = ZIP 2013, 819; OLG München, Urt. v. 10.2.2012 – 14 U 2175/11, ZIP 2012, 1024, 1025 f.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 112 Rz. 4; ausführlich und kritisch dazu Semler/v. Schenck-v. Schenck, Der Aufsichtsrat, § 112 Rz. 42. 19) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 112 Rz. 5; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 7 Rz. 440 und 447; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 112 Rz. 17. 20) BGH, Urt. v. 20.3.1958 – II ZR 2/57, BGHZ 27, 51, 54 = NJW 1958, 787; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 7 Rz. 441; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 112 Rz. 5. 21) BAG, Urt. v. 20.9.2016 – 3 AZR 77/15, Rz. 54, NZG 2017, 69, 76; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 7 Rz. 442; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 112 Rz. 15; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 1 Rz. 210. 22) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 112 Rz. 5; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 112 Rz. 1; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 1 Rz. 205. 23) BGH, Urt. v. 20.3.2018 – II ZR 359/16, Rz. 18, ZIP 2018, 926, 928, dazu EWiR 2018, 357 (v. Falkenhausen).

Werner Paul Schick

725

§ 112

Vertretung der Gesellschaft gegenüber Vorstandsmitgliedern

gerichtliche Vertretung.24) Nach § 112 Satz 2 gilt § 78 Abs. 2 Satz 2 entsprechend, wodurch die Passivvertretung geregelt wird.25) IV.

Ausübung der Vertretungsmacht

1.

Gesamtaufsichtsrat

5 Die Vertretungsbefugnis nach § 112 (Aktivvertretung) steht dem Gesamtaufsichtsrat zu, wobei die erforderliche interne Willensbildung eines ausdrücklichen Beschlusses des Aufsichtsrats bedarf, der mit zumindest einfacher Mehrheit getroffen werden muss.26) Hiervon ist die Erklärung im Außenverhältnis zu unterscheiden, wozu das einzelne Aufsichtsratsmitglied, aber auch der Aufsichtsratsvorsitzende ermächtigt werden kann – etwa durch die Satzung, die Geschäftsordnung des Aufsichtsrats oder durch Aufsichtsratsbeschluss.27) Die bloße Bevollmächtigung eines Aufsichtsratsmitglieds zu einem Vertragsabschluss der Gesellschaft vermag jedoch nicht den erforderlichen Zustimmungsbeschluss des Aufsichtsrats zum Rechtsgeschäft zu ersetzen.28) Durch § 112 Satz 2 wird die entsprechende Anwendung des § 78 Abs. 2 Satz 2 für die Passivvertretung geregelt, d. h. es genügt die Abgabe der Erklärung gegenüber einem Aufsichtsratsmitglied.29) 2.

Delegation

6 Die Vertretungsbefugnis nach § 112 kann für die nach § 107 Abs. 3 delegierbaren Aufgaben auf einen Aufsichtsratsausschuss – nicht aber an einzelne Aufsichtsratsmitglieder oder den Aufsichtsratsvorsitzenden – übertragen werden.30) Die in § 107 Abs. 3 Satz 3 als nicht übertragbar genannten Aufgaben (etwa die Bestellung der Vorstandsmitglieder oder die Festsetzung ihrer Vergütung) sind auch mit Blick auf die Vertretungsbefugnis nicht delegierbar.31) Einzelne Vorstandsmitglieder einschließlich des Aufsichtsratsvorsitzenden können jedoch als Erklärungsvertreter zur Kundgabe der Beschlüsse bevollmächtigt werden.32) 3.

Nachweis der Vertretungsmacht

7 Bei der – in der Praxis eher selten vorkommenden – Vertretung durch den (Gesamt-)Aufsichtsrat wird regelmäßig ein besonderer Nachweis nicht erforderlich sein. Soweit eine Kundgabe der Willenserklärung durch einzelne Aufsichtsratsmitglieder, durch den Aufsichtsratsvorsitzenden oder durch Dritte erfolgt, ist ein Nachweis der Vertretungsmacht _____________ 24) BGH, Urt. v. 20.3.2018 – II ZR 359/16, Rz. 13 und 15 f., ZIP 2018, 926, 927, dazu EWiR 2018, 357 (v. Falkenhausen). 25) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 112 Rz. 2; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 112 Rz. 10. 26) BGH, Beschl. v. 14.5.2013 – II ZB 1/11, Rz. 22, ZIP 2013, 1274, 1277; s. a. BGH, Zwischenurt. v. 29.1.2013 – II ZB 1/11, ZIP 2013, 483, 484, dazu EWiR 2013, 301 (Deiß); OLG München, Urt. v. 5.3.2015 – 23 U 2384/14, ZIP 2015, 870, 871, dazu EWiR 2015, 271 (Vetter); Habersack in: MünchKommAktG, § 112 Rz. 20; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 112 Rz. 7; Koehler, NZG 2008, 161. 27) OLG Düsseldorf, Urt. v. 17.11.2003 – I-15 U 225/02, ZIP 2004, 1850, 1851 f.; Bauer/Krieger, ZIP 2004, 1247, 1248; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 7 Rz. 444 und 370; Hüffer/ Koch-Koch, AktG, § 112 Rz. 7; nach Habersack in: MünchKomm-AktG, § 112 Rz. 20, soll es auch genügen, wenn sich die Ermächtigung zur Kundgabe aus den Umständen oder einer entsprechenden dauernden Übung ergibt. 28) OLG München, Urt. v. 19.12.2012 – 7 U 1711/12, ZIP 2013, 210, 211. 29) Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 7 Rz. 447; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 112 Rz. 10. 30) OLG Düsseldorf, Urt. v. 17.11.2003 – I-15 U 225/02, ZIP 2004, 1850, 1851; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 7 Rz. 444 und 370; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 112 Rz. 8; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 1 Rz. 211. 31) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 112 Rz. 87; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 112 Rz. 22. 32) OLG Düsseldorf, Urt. v. 17.11.2003 – I-15 U 225/02, ZIP 2004, 1850, 1851 f.; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 7 Rz. 438; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 112 Rz. 8.

726

Werner Paul Schick

Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder

§ 113

geboten, etwa durch die Vorlage der Geschäftsordnung, der Niederschrift des Beschlusses33) oder einer besonderen Ermächtigungsurkunde.34) V.

Rechtsfolgen von Verstößen

1.

Materielle Rechtsfolgen

Die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen § 112 sind in Rechtsprechung und Literatur um- 8 stritten.35) Nach der (früher) überwiegenden Ansicht enthält § 112 eine zwingende gesetzliche Kompetenzzuweisung, weshalb hiergegen verstoßende Rechtsgeschäfte gemäß § 134 BGB als nichtig erachtet werden.36) Eine zunehmend vertretene Auffassung wendet die §§ 177 ff. BGB an und kommt so zur schwebenden Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts und der Möglichkeit der rückwirkenden Genehmigung (§ 184 Abs. 1 BGB) durch den Aufsichtsrat.37) 2.

Prozessuale Vertretung

Wenn die Gesellschaft in einem Prozess unter Verstoß gegen § 112 nicht vom Aufsichts- 9 rat vertreten, so ist die Klage unzulässig.38) Der Aufsichtsrat kann die Prozessführung durch den Vorstand genehmigen und als gesetzlicher Vertreter in den Prozess eintreten.39) _____________ 33) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 112 Rz. 29; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 112 Rz. 100. 34) So OLG Düsseldorf, Urt. v. 17.11.2003 – I-15 U 225/02, ZIP 2004, 1850, 1852, auch für den Aufsichtsratsvorsitzenden unter Anwendung von § 174 Satz 1 BGB; ablehnend insoweit Bauer/Krieger, ZIP 2004, 1247, 1249. 35) Ausdrücklich offengelassen von BGH, Urt. v. 7.7.1993 – VIII ZR 2/92, ZIP 1993, 1380, 1381; BGH, Urt. v. 17.3.2008 – II ZR 239/06, ZIP 2008, 1114, 1115, dazu EWiR 2008, 621 (Rohde), – zur Parallelvorschrift des § 39 GenG beim Aufsichtsrat einer Genossenschaft; ausführlich dazu Werner, Der Konzern 2008, 639, 642 ff.; Köhler, NZG 2008, 161, 162 ff.; Nägele/Böhm, BB 2005, 2197, 2198 ff. 36) OLG Hamburg, Urt. v. 16.5.1986 – 11 U 238/85, ZIP 1986, 1249, 1251; OLG Stuttgart, Urt. v. 20.3.1992 – 2 U 115/90, AG 1993, 85, 86; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 21 Rz. 104; Spindler/ Stilz-Spindler, AktG, § 112 Rz. 45; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 1 Rz. 211. 37) OLG Karlsruhe, Urt. v. 13.10.1995 – 10 U 51/95, AG 1996, 224, 225 f. – für Genehmigung eines vom Aufsichtsratsvorsitzenden geschlossenen Vertrag; BGH, Beschl. v. 14.5.2013 – II ZB 1/11, Rz. 23, ZIP 2013, 1274, 1277; OLG München, Urt. v. 18.10.2007 – 23 U 5786/06, ZIP 2008, 220, 222; Lutter/ Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 7 Rz. 445; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 112 Rz. 32; Köhler, NZG 2008, 161, 162 ff. 38) BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 282/07, ZIP 2009, 717, 718; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 23.6.2010 – 4 U 196/09, AG 2010, 918; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 112 Rz. 33. 39) BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 282/07, ZIP 2009, 717, 718; BGH, Urt. v. 22.4.1991 – II ZR 151/90, ZIP 1991, 796; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 112 Rz. 34; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 112 Rz. 13.

§ 113 Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder (1) 1Den Aufsichtsratsmitgliedern kann für ihre Tätigkeit eine Vergütung gewährt werden. 2Sie kann in der Satzung festgesetzt oder von der Hauptversammlung bewilligt werden. 3Sie soll in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben der Aufsichtsratsmitglieder und zur Lage der Gesellschaft stehen. 4Ist die Vergütung in der Satzung festgesetzt, so kann die Hauptversammlung eine Satzungsänderung, durch welche die Vergütung herabgesetzt wird, mit einfacher Stimmenmehrheit beschließen. (2) 1Den Mitgliedern des ersten Aufsichtsrats kann nur die Hauptversammlung eine Vergütung für ihre Tätigkeit bewilligen. 2Der Beschluß kann erst in der Hauptversammlung gefaßt werden, die über die Entlastung der Mitglieder des ersten Aufsichtsrats beschließt.

Werner Paul Schick

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Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder

§ 113

geboten, etwa durch die Vorlage der Geschäftsordnung, der Niederschrift des Beschlusses33) oder einer besonderen Ermächtigungsurkunde.34) V.

Rechtsfolgen von Verstößen

1.

Materielle Rechtsfolgen

Die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen § 112 sind in Rechtsprechung und Literatur um- 8 stritten.35) Nach der (früher) überwiegenden Ansicht enthält § 112 eine zwingende gesetzliche Kompetenzzuweisung, weshalb hiergegen verstoßende Rechtsgeschäfte gemäß § 134 BGB als nichtig erachtet werden.36) Eine zunehmend vertretene Auffassung wendet die §§ 177 ff. BGB an und kommt so zur schwebenden Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts und der Möglichkeit der rückwirkenden Genehmigung (§ 184 Abs. 1 BGB) durch den Aufsichtsrat.37) 2.

Prozessuale Vertretung

Wenn die Gesellschaft in einem Prozess unter Verstoß gegen § 112 nicht vom Aufsichts- 9 rat vertreten, so ist die Klage unzulässig.38) Der Aufsichtsrat kann die Prozessführung durch den Vorstand genehmigen und als gesetzlicher Vertreter in den Prozess eintreten.39) _____________ 33) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 112 Rz. 29; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 112 Rz. 100. 34) So OLG Düsseldorf, Urt. v. 17.11.2003 – I-15 U 225/02, ZIP 2004, 1850, 1852, auch für den Aufsichtsratsvorsitzenden unter Anwendung von § 174 Satz 1 BGB; ablehnend insoweit Bauer/Krieger, ZIP 2004, 1247, 1249. 35) Ausdrücklich offengelassen von BGH, Urt. v. 7.7.1993 – VIII ZR 2/92, ZIP 1993, 1380, 1381; BGH, Urt. v. 17.3.2008 – II ZR 239/06, ZIP 2008, 1114, 1115, dazu EWiR 2008, 621 (Rohde), – zur Parallelvorschrift des § 39 GenG beim Aufsichtsrat einer Genossenschaft; ausführlich dazu Werner, Der Konzern 2008, 639, 642 ff.; Köhler, NZG 2008, 161, 162 ff.; Nägele/Böhm, BB 2005, 2197, 2198 ff. 36) OLG Hamburg, Urt. v. 16.5.1986 – 11 U 238/85, ZIP 1986, 1249, 1251; OLG Stuttgart, Urt. v. 20.3.1992 – 2 U 115/90, AG 1993, 85, 86; Wiesner in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 21 Rz. 104; Spindler/ Stilz-Spindler, AktG, § 112 Rz. 45; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 1 Rz. 211. 37) OLG Karlsruhe, Urt. v. 13.10.1995 – 10 U 51/95, AG 1996, 224, 225 f. – für Genehmigung eines vom Aufsichtsratsvorsitzenden geschlossenen Vertrag; BGH, Beschl. v. 14.5.2013 – II ZB 1/11, Rz. 23, ZIP 2013, 1274, 1277; OLG München, Urt. v. 18.10.2007 – 23 U 5786/06, ZIP 2008, 220, 222; Lutter/ Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 7 Rz. 445; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 112 Rz. 32; Köhler, NZG 2008, 161, 162 ff. 38) BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 282/07, ZIP 2009, 717, 718; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 23.6.2010 – 4 U 196/09, AG 2010, 918; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 112 Rz. 33. 39) BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 282/07, ZIP 2009, 717, 718; BGH, Urt. v. 22.4.1991 – II ZR 151/90, ZIP 1991, 796; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 112 Rz. 34; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 112 Rz. 13.

§ 113 Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder (1) 1Den Aufsichtsratsmitgliedern kann für ihre Tätigkeit eine Vergütung gewährt werden. 2Sie kann in der Satzung festgesetzt oder von der Hauptversammlung bewilligt werden. 3Sie soll in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben der Aufsichtsratsmitglieder und zur Lage der Gesellschaft stehen. 4Ist die Vergütung in der Satzung festgesetzt, so kann die Hauptversammlung eine Satzungsänderung, durch welche die Vergütung herabgesetzt wird, mit einfacher Stimmenmehrheit beschließen. (2) 1Den Mitgliedern des ersten Aufsichtsrats kann nur die Hauptversammlung eine Vergütung für ihre Tätigkeit bewilligen. 2Der Beschluß kann erst in der Hauptversammlung gefaßt werden, die über die Entlastung der Mitglieder des ersten Aufsichtsrats beschließt.

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§ 113

Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder

(3) 1Wird den Aufsichtsratsmitgliedern ein Anteil am Jahresgewinn der Gesellschaft gewährt, so berechnet sich der Anteil nach dem Bilanzgewinn, vermindert um einen Betrag von mindestens vier vom Hundert der auf den geringsten Ausgabebetrag der Aktien geleisteten Einlagen. 2Entgegenstehende Festsetzungen sind nichtig. Literatur: Böcking/Bundle/Althoff/Hanke/Wirth/Schmid/Hönsch/Fischer/Kaspar/Meier/Reich/ Stüwe, Aufsichtsratsvergütung im Dax, MDax, SDax und TecDax 2014 – 2016 – Entwicklung und Denkanstöße, Der Konzern 2018, 1; Buckel, Die unterjährige Herabsetzung der Aufsichtsratsvergütung, AG 2013, 451; Dreher, Die Besteuerung der Prämienleistungen bei gesellschaftsfinanzierten Directors and Officers-Versicherungen, DB 2001, 996; Gaul, Ungelöste Fragen des Auslagenersatzes für Aufsichtsratsmitglieder in Zeiten schwindender Vergütungsakzeptanz, AG 2017, 877; Fonk, Auslagenersatz für Aufsichtsratsmitglieder, NZG 2009, 761; Habersack, Die erfolgsabhängige Vergütung des Aufsichtsrats und ihre Grenzen, ZGR 2004, 721; HoffmannBecking, Rechtliche Anmerkungen zur Vorstands- und Aufsichtsratsvergütung, ZHR 169 (2005) 155; Klein, Die Änderungen des Deutschen Corporate Governance Kodex 2012 aus Sicht der Unternehmenspraxis, AG 2012, 805; Kort, Rechtsfragen der Höhe und Zusammensetzung der Vergütung von Mitgliedern des Aufsichtsrats einer AG, in: Festschrift für Uwe Hüffer, 2010, S. 483; Krieger, Gewinnabhängige Aufsichtsratsvergütung, in: Festschrift für Volker Röhricht, 2005, S. 349; Maser/Göttle, Rechtlicher Rahmen für die Vergütung des Aufsichtsrats, NZG 2013, 201; Notthoff, Rechtliche Fragestellungen im Zusammenhang mit dem Abschluss einer Director’s & Officer’s-Versicherung, NJW 2003, 1350; v. Preen/Pacher/Bannas, Woher kommt der Strukturwandel bei der Aufsichtsratsvergütung?, DB 2014, 1633; Reichard/Kaubisch, Sitzungsgeld für Telefon- und Videokonferenzen des Aufsichtsrats?, AG 2013, 150; Ringleb/Kremer/Lutter/ v. Werder, Die Kodex-Änderungen vom Mai 2012, NZG 2012, 1081; Schick, Übernahme und Erstattung von Rechtsverteidigungs- und Verfahrenskosten durch eine Aktiengesellschaft im Zusammenhang mit Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen Organmitglieder, ZWH 2012, 433; Simons, Aufsichtsratssitzungen-Aufsichtsratsbeschlüsse-Sitzungsgeld, AG 2013, 547; Theusinger/Liese, Nebenleistungen an Aufsichtsratsmitglieder und der (unnötige) Ruf nach dem Gesetzgeber, CCZ 2008, 190; Thüsing/Veil, Die Kosten des Aufsichtsrats im aktienrechtlichen Vergütungsregime, AG 2008, 359; Vetter, Aufsichtsratsvergütung und Verträge mit Aufsichtsratsmitgliedern, ZIP 2008, 1; Vetter, Stock Options für Aufsichtsräte – ein Widerspruch?, AG 2004, 234; Wettich, (Teil-)Verzicht eines Aufsichtsratsmitglieds auf die ihm zustehende Aufsichtsratsvergütung, NZG 2009, 852; Wittgens/Vollertsen, Gruppenvorbesprechungen im Aufsichtsrat – Zulässigkeit, Zweckmäßigkeit, Praxisfragen, AG 2015, 261.

Übersicht I. Gegenstand und Zweck der Norm .................................................. II. Rechtsgrund/Arten und Bestandteile der Vergütung ................. III. Festsetzung und Bewilligung der Aufsichtsratsvergütung (§ 113 Abs. 1 Satz 2) ..................................... 1. Satzung oder Hauptversammlungsbeschluss .................................... I.

1 2

8 8

2. Angemessene Vergütung (§ 113 Abs. 1 Satz 3) ........................ 12 3. Herabsetzung der Vergütung durch Satzungsänderung (§ 113 Abs. 1 Satz 4) ........................ 13 IV. Vergütung des ersten Aufsichtsrats (§ 113 Abs. 2) .................. 14 V. Berechnung des Gewinnanteils (§ 113 Abs. 3) ................................... 15 VI. Rechtsfolgen von Verstößen .......... 16

Gegenstand und Zweck der Norm

1 Nach § 113 Abs. 1 kann eine Aufsichtsratsvergütung nur dann gewährt werden, soweit sie in der Satzung festgesetzt oder von der Hauptversammlung bewilligt wurde, zudem gilt das Angemessenheitsgebot (§ 113 Abs. 1 Satz 3). § 113 Abs. 2 enthält für den ersten Aufsichtsrat eine abweichende Regelung, nach der nur die Hauptversammlung eine Vergütung 728

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Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder

§ 113

bewilligen kann. § 113 Abs. 3 enthält eine zwingende Regelung für die Bemessung einer gewinnabhängigen Aufsichtsratsvergütung. Der Zweck der Norm ist es, die Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder auf eine vernünftige Höhe zu begrenzen, was insbesondere durch die Begrenzungsvorschrift des § 113 Abs. 1 Satz 3, aber auch durch die alleinige Entscheidungszuständigkeit der Aktionäre (§ 113 Abs. 1 Satz 2) erreicht werden soll.1) § 113 steht im engen Zusammenhang mit § 114 bzw. wird durch diese Vorschrift flankiert.2) II.

Rechtsgrund/Arten und Bestandteile der Vergütung

Kraft Gesetzes besteht zwar kein Vergütungsanspruch der Aufsichtsratsmitglieder (§ 612 2 BGB ist nicht anwendbar), nach § 113 Abs. 1 kann jedoch durch die Satzung oder die Hauptversammlung eine angemessene Vergütung gewährt werden.3) Rechtsgrund ist das kooperationsrechtliche Verhältnis.4) Entsprechend dem Grundsatz der gleichen Rechte und Pflichten steht allen Aufsichtsratsmitgliedern und auch den Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat die gleiche (festgesetzte) Vergütung zu.5) In der Verwendung der Vergütung ist das Aufsichtsratsmitglied frei, daher wird auch die (teilweise) Abführung der Aufsichtsratsvergütung (bzw. die teilweise Abführungspflicht) an eine gewerkschaftsnahe Organisation oder an den Dienstherrn (durch Beamte, die auf Veranlassung einer Behörde in den Aufsichtsrat bestellt wurden) als zulässig erachtet.6) § 113 enthält einen weiten Rahmen für die Ausgestaltung der Aufsichtsratsvergütung.7) Auf 3 dieser Grundlage wird üblicherweise eine feste Vergütung gewährt, die teilweise noch durch einen gewinn- bzw. erfolgsabhängigen (variablen) Vergütungsbestandteil ergänzt wird.8) Beide Vergütungsarten sind zulässig, wobei § 113 Abs. 3 für die Berechnung eines Gewinnanteils zwingende Vorgaben enthält (siehe dazu Rz. 15). Die Empfehlung einer erfolgsorientierten Aufsichtsratsvergütung ist im DCGK seit der Fassung vom 15.5.2012 nicht mehr enthalten.9) Wird allerdings eine erfolgsorientierte Vergütung zugesagt, so empfiehlt der DCGK, diese auf eine nachhaltige Unternehmensentwicklung auszurichten (Ziff. 5.4.6 Abs. 2 Satz 2); eine an der Dividende nur für das abgelaufene Geschäftsjahr ausgerichtete erfolgsorientierte Aufsichtsratsvergütung ist mithin nicht mehr kodexkonform.10) Nach der Mobilcom-Ent_____________ 1) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 113 Rz. 3 f.; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 113 Rz. 2. 2) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 113 Rz. 2; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 33 Rz. 44; Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 113 Rz. 62. 3) Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 12 Rz. 842; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 33 Rz. 10; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 113 Rz. 2. 4) Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 12 Rz. 842; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 113 Rz. 9 und 16; s. a. Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 33 Rz. 10. 5) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 113 Rz. 10; Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG/DrittelbG, § 25 MitbestG Rz. 108; Semler/v. Schenck-v. Schenck, Der Aufsichtsrat, § 113 Rz. 35. 6) BAG, Urt. v. 21.5.2015 – 8 AZR 956/13, ZIP 2015, 2186, 2189 f. (zur Abführungspflicht eines Gewerkschaftsvertreters); Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder-Kremer, DCGK, Rz. 1430; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 113 Rz. 11; Semler/v. Schenck-v. Schenck, Der Aufsichtsrat, § 113 Rz. 25; ausführlich zum Verzicht auf Aufsichtsratsvergütung: Wettich, NZG 2009, 852 ff. 7) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 113 Rz. 32; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 33 Rz. 11. 8) Semler/v. Schenck-Wagner, ArbHdb. AR, § 11 Rz. 29 ff.; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 113 Rz. 10; v. Preen/Pacher/Bannas, DB 2014, 1633 ff., zu den Gründen hierfür. 9) Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder-Kremer, DCGK, Rz. 1439 (die Regierungskommission reagierte auf die Praxis gerade großer börsennotierter Gesellschaften; so schafften etwa die Siemens AG, die Allianz AG und die EON AG die variable Aufsichtsratsvergütung im Jahre 2011 vollständig ab, wobei als Begründung zutreffend der Umstand aufgeführt wurde, dass der Kontrollfunktion des Aufsichtsrats – insbesondere in der Krise – eher eine fester Vergütung entspricht. Die Tendenz zur Umstellung auf Fixvergütung hält seitdem an); s. a. Klein, AG 2012, 805, 812 (Fn. 86); die Vergütungsstudie von Böcking/Bundle/Althoff/Hanke/Wirth/Schmid/Hönsch/Fischer/Kaspar/Meier/Reich/Stüwe, Der Konzern 2018, 1, 3, 4 f. und 6, bestätigt diese Entwicklung. 10) S. dazu Ringleb/Kremer/Lutter/v. Werder, NZG 2012, 1081, 1088; Kremer/Bachmann/Lutter/v. WerderKremer, DCGK, Rz. 1440.

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§ 113

Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder

scheidung des BGH11) ist von der Unzulässigkeit der Vergütung in Form von eigenen Aktien oder Stock Options auszugehen,12) da die Ausrichtung des Aufsichtsratsvergütung auf den Aktienkurs als der Kontrollfunktion des Aufsichtsrats abträglich angesehen wird.13) Ob sich aus dieser Entscheidung auch die Unzulässigkeit von schuldrechtlichen Abbildungen von Aktien (Phantom Stocks) oder von Aktienoptionen (Wertsteigerungsrechten) erstreckt, ist nicht eindeutig.14) Für die Praxis erscheint aufgrund der bestehenden Rechtsunsicherheit die Wahl dieser Vergütungsformen für den Aufsichtsrat wenig ratsam.15) 4 Wenn weder die Satzung eine Vergütung vorsieht noch die Hauptversammlung eine solche bewilligt hat, so ist die Aufsichtsratstätigkeit unentgeltlich; ein Anspruch auf übliche Vergütung gemäß § 612 besteht nicht.16) Unabhängig hiervon kommt jedoch ein Anspruch auf Auslagenersatz entsprechend §§ 670, 675 BGB in Betracht.17) Der Ersatz angemessener Auslagen ist keine Vergütung nach § 113.18) Erstattungsfähig sind die im Zusammenhang mit der Aufsichtsratstätigkeit stehenden, angemessenen Auslagen, die das Aufsichtsratsmitglied den Umständen nach für erforderlich halten durfte.19) Solche Auslagen können etwa anlässlich der Aufsichtsratssitzungen anfallende Reise-, Übernachtungs-, Verpflegungs- und Telekommunikationskosten sein.20) Für die Angemessenheit der Aufwendungen können die Gepflogenheit des Vorstands hinsichtlich des gewählten Standards als Maßstab dienen.21) Zu erstatten sind auch Aufwendungen im Zusammenhang mit der Vorbereitung der Sitzungen (etwa für die getrennten Vorbesprechungen der Aktionärs- und Arbeitnehmervertreter,22) siehe dazu auch Ziff. 3.6 Abs. 1 DCGK). Da die Aufsichtsratsmitglieder diejenigen Fähigkeiten und Kenntnisse besitzen müssen, die erforderlich sind, um die anfallenden Geschäftsvorgänge auch ohne fremde Hilfe verstehen und sachgerecht beurteilen zu können,23) können die Kosten für die Hinzuziehung von sachverständigen Beratern _____________ 11) BGH, Urt. v. 16.2.2004 – II ZR 316/02 (Mobilcom), BGHZ 158, 122, 125 ff. = ZIP 2004, 613, 614 f., dazu EWiR 2004, 413 (Lenenbach). 12) Näher dazu: Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 12 Rz. 849 ff.; Semler/v. SchenckWagner, ArbHdb. AR, § 11 Rz. 38 ff.; Habersack, ZGR 2004, 721, 722 ff.; kritisch bzw. einschränkend: Hoffmann-Becking, ZHR 169 (2005) 155, 179 f.; Vetter, AG 2004, 234, 236 ff.; Kort in: FS Hüffer, S. 483, 499 f. 13) BGH, Urt. v. 16.2.2004 – II ZR 316/02 (Mobilcom), BGHZ 158, 122, 127 = ZIP 2004, 613, 614. 14) Für Zulässigkeit: Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 113 Rz. 47; zweifelnd: Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 12 Rz. 851; ablehnend: Habersack in: MünchKomm-AktG, § 113 Rz. 19, jeweils m. w. N. 15) Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 12 Rz. 851 ff.; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 113 Rz. 47 („nicht zu empfehlen“); Semler/v. Schenck-v. Schenck, Der Aufsichtsrat, § 113 Rz. 73. 16) Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 33 Rz. 10 f.; Semler/v. Schenck-Wagner, ArbHdb. AR, § 11 Rz. 1 (Fn. 2); Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 113 Rz. 9. 17) Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 12 Rz. 845; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 33 Rz. 13; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 113 Rz. 21; Fonk, NZG 2009, 761, 762, sieht analoge Anwendung von § 104 Abs. 4 Satz 1 als Rechtsgrundlage. 18) Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, § 33 Rz. 13; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 113 Rz. 21. 19) Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 12 Rz. 845; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, § 33 Rz. 13; Semler/v. Schenck-v. Schenck, Der Aufsichtsrat, § 113 Rz. 108 f.; zur Frage der Übernahme von Rechtsverteidigungs- und Verfahrenskosten: Schick, ZWH 2012, 433 ff. 20) Ausführlich hierzu: Fonk, NZG 2009, 761, 762; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 113 Rz. 22 ff.; speziell zu den Reisekosten: Thüsing/Veil, AG 2008, 359 ff. 21) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 113 Rz. 19; Semler/v. Schenck-Wagner, ArbHdb.AR, § 11 Rz. 84; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, § 33 Rz. 14, der auch die Gepflogenheiten des Aufsichtsratsmitglieds bei seinen übrigen beruflichen Aufgaben insoweit einbezieht (kritisch dazu Fonk, NZG 2009, 761, 765). 22) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 113 Rz. 19; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, § 33 Rz. 14; Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG/DrittelbG, § 25 MitbestG Rz. 106; Wittgens/Vollertsen, AG 2015, 261, 268. 23) BGH, Urt. v. 15.11.1982 – II ZR 27/82 (Hertie), BGHZ 85, 293, 295 f. = ZIP 1983, 55, 56; s. dazu auch § 100 Rz. 4.

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Werner Paul Schick

Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder

§ 113

durch Aufsichtsratsmitglieder nur ausnahmsweise erstattungsfähig sein.24) Die Kosten für Aus- und Fortbildungsmaßnahmen sind jedenfalls zu erstatten, wenn es um den Erwerb von Spezialkenntnissen geht.25) Im Lichte der Empfehlung in Ziff. 5.4.5 Abs. 2 Satz 2 DCGK zur angemessenen Unterstützung solcher Maßnahmen durch die Gesellschaft und der stetig steigenden Anforderungen an die Qualifikation der Aufsichtsratsmitglieder sollte hinsichtlich etwaiger Fortbildungsmaßnahmen ein eher großzügiger Maßstab angewendet werden.26) Besonderheiten gelten für den Aufsichtsratsvorsitzenden, bei dem eine Erstattungspflicht von Büro- und Kommunikations- sowie Repräsentationskosten in Betracht kommt;27) für den Aufsichtsratsvorsitzenden gehören auch die Kosten eines angemessenen Personenschutzes zu den durch das Amt veranlassten Aufwendungen, sofern er aufgrund seiner besonderen Position erhöhten Sicherheitsrisiken ausgesetzt ist. Die Frage, wer über die Erstattungsfähigkeit von Auslagen entscheidet, wird unterschied- 5 lich beantwortet.28) Die wohl h. M. lehnt die Zuständigkeit des Vorstands ab und nimmt zutreffend die alleinige Zuständigkeit des Aufsichtsrats an, um jegliche Einflussnahme des Vorstands auf den Aufsichtsrat auszuschließen.29) Die in der Praxis häufig gewährten Sitzungsgelder sind, sofern es sich nicht um eine 6 pauschale Abgeltung tatsächlicher Kosten handelt, Vergütung und kein Auslagenersatz. Sitzungsgelder bedürfen daher einer Festsetzung in der Satzung oder einer Bewilligung durch die Hauptversammlung.30) Dies gilt auch für Nebenleistungen, die ebenfalls Vergütungsbestandteile sind.31) Ob ein Sitzungsgeld nicht nur für Präsenzsitzungen, sondern auch für Telefon- oder Videokonferenzen gezahlt werden darf, wird uneinheitlich beurteilt.32) Zumindest wenn die Satzung der Gesellschaft sowohl Präsenzsitzungen als auch die Durchführung von Sitzungen in sonstiger Weise (etwa Telefon- oder Videokonferenz) vorsieht, erscheint die Zahlung von Sitzungsgeld auch dafür zulässig.33) Eine klarstellende Regelung in der Satzung ist jedoch zu empfehlen. Die Zahlung der Prämie für eine D&O-Versicherung (Directors & Officers Liability 7 Insurance bzw. Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung für Organmitglieder) zugunsten _____________ 24) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 113 Rz. 19 (wenn im Einzelfall das „Wohl der Gesellschaft eine sofortige Beratung eines oder mehrerer Aufsichtsratsmitglieder“ erfordert); Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 12 Rz. 845; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, § 33 Rz. 14; Semler/v. Schenckv. Schenck, Der Aufsichtsrat, § 113 Rz. 135 f. und 137 (in Situationen, die eine besondere Expertise erfordern); Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG/DrittelbG, § 25 MitbestG Rz. 106 (Erstattungspflicht besteht nicht, „sofern es sich um Fragen handelt, deren Beurteilung von jedem Aufsichtsratsmitglied erwartet werden muss“). 25) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 113 Rz. 20; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 12 Rz. 846; Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 113 Rz. 10; Gaul, AG 2017, 877, 883. 26) S. dazu auch Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 12 Rz. 846; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 113 Rz. 2 e). 27) Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, § 33 Rz. 14; Fonk, NZG 2009, 761, 768 f. m. w. N.; Semler/ v. Schenck-Wagner, ArbHdb.AR, § 11 Rz. 80; etwas zurückhaltender: Habersack in: MünchKommAktG, § 113 Rz. 25. 28) S. dazu Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 113 Rz. 25 ff.; Schick, ZWH 2012, 433, 437 f.; Gaul, AG 2017, 877, 879 f. 29) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 113 Rz. 26; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 113 Rz. 26; Schick, ZWH 2012, 433, 437 f.; a. A.: Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 113, Rz. 2 c); Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, § 33 Rz. 16 (Entscheidungsbefugnis des Vorstands annehmend, wobei aber in „Zweifelsfällen“ eine Stellungnahme des Aufsichtsratsvorsitzenden bzw. des Aufsichtsrats einzuholen sei); Semler/v. Schenck-v. Schenck, Der Aufsichtsrat, § 113 Rz. 140 ff. 30) Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 33 Rz. 18; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 113 Rz. 11 und 21 a. E.; zu strafrechtlichen Konsequenzen bei rechtswidriger Abrechnung von Sitzungsgeldern: OLG Braunschweig, Beschl. v. 14.6.2012 – Ws 44/12, Ws 45/12, ZIP 2012, 1860, 1861 ff. 31) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 113 Rz. 2; ausführlich hierzu: Theusinger/Liese, CCZ 2008, 190 ff. 32) Reichard/Kaubisch, AG 2013, 150 ff.; Simons, AG 2013, 547 ff. 33) So zutreffend Simons, AG 2013, 547, 553; s. aber auch Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 108 Rz. 24.

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§ 113

Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder

der Aufsichtsratsmitglieder ist zulässig und stellt keine Vergütung dar.34) Die Gesellschaft unterhält die D&O-Versicherung zumindest auch im eigenen Interesse, um im Schadensfall auf einen ausreichend zahlungsfähigen Schuldner (die D&O-Versicherung bzw. das Versicherungskonsortium) zugreifen zu können.35) Eine Zustimmung der Hauptversammlung zum Abschluss der D&O-Versicherung bzw. zur Prämienzahlung ist daher nicht erforderlich.36) III.

Festsetzung und Bewilligung der Aufsichtsratsvergütung (§ 113 Abs. 1 Satz 2)

1.

Satzung oder Hauptversammlungsbeschluss

8 Sowohl bei einer Festsetzung in der Satzung als auch bei einer Bewilligung durch die Hauptversammlung muss die Aufsichtsratsvergütung hinreichend bestimmt bzw. beziffert sein.37) Es genügt die Angabe eines Gesamtbetrags, auch wenn dessen Aufteilung auf die einzelnen Mitglieder nach der Satzungsbestimmung dem Aufsichtsrat überlassen wird.38) 9 Eine in der Satzung festgesetzte Aufsichtsratsvergütung wird mit Eintragung der Satzungsänderung in das Handelsregister wirksam (§ 181 Abs. 3), so dass in der Regel Änderungen erst mit Beginn des nächsten Geschäftsjahres wirken.39) Eine Rückwirkung auf den Beginn des laufenden Geschäftsjahres kann die Satzungsregelung jedoch entfalten, soweit die bisherige Aufsichtsratsvergütung erhöht wird.40) Zur Frage, ob dies auch für eine Herabsetzung gilt, siehe nachfolgend unter Rz. 13. 10 Die Hauptversammlung kann die Aufsichtsratsvergütung vor, während oder – wie in der Regel – nach Ablauf des Geschäftsjahres bewilligen.41) Eine ohne konkreten Bezug auf ein Geschäftsjahr beschlossene Aufsichtsratsvergütung (Grundsatzbeschluss) gilt im Zweifel nicht nur für ein Geschäftsjahr, sondern bis die Hauptversammlung etwas Abweichendes beschließt.42) 11 Eine feste Vergütung ist – vorbehaltlich einer abweichenden Regelung – nach Ende des jeweiligen Geschäftsjahres fällig. Eine gewinn- oder dividendenabhängige Vergütung ist erst nach dem Hauptversammlungsbeschluss zur Gewinnverwendung fällig.43) _____________ 34) Dies entspricht auch der steuerlichen Behandlung, vgl. Erlass des Finanzministeriums Niedersachsen – im Einvernehmen mit dem BMF und den Finanzbehörden der anderen Bundesländer – v. 25.1.2002, DB 2002, 399 f.; ausführlich dazu Dreher, DB 2001, 996. 35) Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 33 Rz. 19; Semler/v. Schenck-v. Schenck, Der Aufsichtsrat, § 113 Rz. 82; Vetter, ZIP 2008, 1, 8; Notthoff, NJW 2003, 1350, 1354; differenzierend: Habersack in: MünchKomm-AktG, § 113 Rz. 13. 36) So für die in der Praxis den Regelfall bildenden Ausgestaltung der D&O-Versicherung: Lutter/ Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 13 Rz. 1038; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 113 Rz. 13; Semler/v. Schenck-v. Schenck, Der Aufsichtsrat, § 113 Rz. 84; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 33 Rz. 19, geht davon aus, dass es sich um einen Bestandteil der angemessenen Ausstattung bzw. um Fürsorgeaufwand der Gesellschaft handelt, jeweils m. w. N. 37) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 113 Rz. 29 und 35; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 113 Rz. 3. 38) Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 33 Rz. 20; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 113 Rz. 29; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 113 Rz. 91 f. 39) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 113 Rz. 32; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 113 Rz. 86; Semler/v. Schenck-v. Schenck, Der Aufsichtsrat, § 113 Rz. 152. 40) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 113 Rz. 32; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 113 Rz. 86. 41) Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 33 Rz. 21; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 113 Rz. 35. 42) Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 33 Rz. 21; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 113 Rz. 3; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 113 Rz. 35. 43) Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 33 Rz. 26; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 113 Rz. 44; Semler/v. Schenck-v. Schenck, Der Aufsichtsrat, § 113 Rz. 88 f.

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Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder 2.

§ 113

Angemessene Vergütung (§ 113 Abs. 1 Satz 3)

Nach § 113 Abs. 1 Satz 3 soll die Aufsichtsratsvergütung in einem angemessenen Ver- 12 hältnis zu den Aufgaben der Aufsichtsratsmitglieder und der Lage der Gesellschaft stehen. Diese Sollvorschrift enthält keine inhaltliche Vorgabe, sondern eine Begrenzung der Höhe.44) Bei der Höhe der Vergütung ist der Grundsatz der Gleichbehandlung zu beachten, weshalb unterschiedlich hohe Vergütungen nur zulässig sind, wenn sie sachlich gerechtfertigt sind.45) Mithin darf insbesondere dem Aufsichtsratsvorsitzenden und dem Stellvertreter oder für den Vorsitz und die Mitgliedschaft in Ausschüssen eine höhere Vergütung gewährt werden (funktionsbezogene Differenzierung).46) Dies entspricht auch der Empfehlung in Ziff. 5.4.6 Abs. 1 Satz 2 des DCGK zur Berücksichtigung des Vorsitzes und des stellvertretenden Vorsitzes im Aufsichtsrat und des Vorsitzes und der Mitgliedschaft in Ausschüssen bei der Festlegung der Aufsichtsratsvergütung.47) 3.

Herabsetzung der Vergütung durch Satzungsänderung (§ 113 Abs. 1 Satz 4)

Nach § 113 Abs. 1 Satz 4 genügt für die Herabsetzung einer in der Satzung festgesetzten 13 Vergütung zwingend die einfache Stimmenmehrheit.48) Wirksam wird die Herabsetzung erst mit der Eintragung im Handelsregister (§ 181 Abs. 3).49) Eine von der Hauptversammlung bewilligte Aufsichtsratsvergütung kann durch einen neuen Beschluss herabgesetzt werden. Die Herabsetzung wirkt grundsätzlich nicht zurück.50) Ob während eines laufenden Geschäftsjahres mit Wirkung für dieses herabgesetzt werden kann, wird unterschiedlich beurteilt.51) Zumindest für eine variable (etwa gewinn- oder dividendenabhängige) Vergütung erscheint dies zulässig,52) während es für die feste Vergütung ausgeschlossen ist,53) da der Anspruch auf diese bereits mit Beginn des Geschäftsjahres entstanden ist.54) Teilweise wird auch die Zulässigkeit der unterjährigen Herabsetzung der variablen und der festen Aufsichtsratsvergütung mit ex nunc-Wirkung zum Zeitpunkt der Eintragung des Herabsetzungsbeschlusses angenommen.55) _____________ 44) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 113 Rz. 4; K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 113 Rz. 9; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 113 Rz. 41. 45) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 113 Rz. 67 ff.; Semler/v. Schenck-Wagner, ArbHdb. AR, § 11 Rz. 14. 46) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 113 Rz. 4; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 113 Rz. 39 f.; Lutter/Krieger/ Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 12 Rz. 843; Semler/v. Schenck-v. Schenck, Der Aufsichtsrat, § 113 Rz. 38. 47) S. dazu Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder-Kremer, DCGK, Rz. 1432 ff.; Semler/v. Schenck-v. Schenck, Der Aufsichtsrat, § 113 Rz. 37. 48) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 113 Rz. 6; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 113 Rz. 33. 49) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 113 Rz. 6; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 113 Rz. 34; Buckel, AG 2013, 451 f. 50) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 113 Rz. 6; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 113 Rz. 96; Buckel, AG 2013, 451, 452. 51) Die Zulässigkeit der unterjährigen Herabsetzung grundsätzlich ablehnend: Habersack in: MünchKommAktG, § 113 Rz. 34; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 113 Rz. 52. 52) LG München I, Urt. v. 27.12.2012 – 5 HK O 9109/12, ZIP 2013, 217, 218, dazu EWiR 2013, 567 (Jänig/Schiemzik); LG Magdeburg, Urt. v. 22.10.1929 – 1 S 532/29, JW 1930, 288; KG Berlin, Urt. v. 16.5.1938 – 9. U. 1297.38, Soziale Praxis 1938, 1066; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 113 Rz. 6; HoffmannBecking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 33 Rz. 23; Semler/v. Schenck-v. Schenck, Der Aufsichtsrat, § 113 Rz. 158. 53) Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 33 Rz. 28; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 113 Rz. 6. 54) LG München, Urt. v. 30.8.2012 – 5 HK O 1378/12, ZIP 2012, 2209, 2211 f., dazu EWiR 2013, 33 (Wolf); Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 33 Rz. 28; Semler/v. Schenck-v. Schenck, Der Aufsichtsrat, § 113 Rz. 157. 55) Buckel, AG 2013, 451, 453 ff.; Maser/Göttle, NZG 2013, 201, 202.

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§ 114 IV.

Verträge mit Aufsichtsratsmitgliedern Vergütung des ersten Aufsichtsrats (§ 113 Abs. 2)

14 Eine Vergütung für die Mitglieder des ersten nach § 30 bestellten Aufsichtsrats kann nur von der Hauptversammlung, die über ihre Entlastung beschließt, bewilligt werden. Hierdurch soll der Einfluss der Gründer möglichst ausgeschaltet werden.56) V.

Berechnung des Gewinnanteils (§ 113 Abs. 3)

15 Nach der zwingenden Regelung in § 113 Abs. 3 Satz 1 gilt für eine gewinnabhängige Aufsichtsratsvergütung der dort festgelegte Berechnungsmodus.57) In der Praxis üblicher sind erfolgsabhängige Vergütungskomponenten, die nicht an den Jahresgewinn oder die Dividende anknüpfen, sondern auf das Konzernergebnis bzw. darauf bezogene Kennzahlen (etwa Ergebnis je Aktie) oder auf das Ergebnis mehrerer Geschäftsjahre abstellen.58) Wenn auch die Zulässigkeit solcher Gestaltungen nicht völlig zweifelsfrei ist,59) wird man diese Vorgehensweise als zulässig erachten können.60) VI.

Rechtsfolgen von Verstößen

16 Verstöße gegen die zwingenden Zuständigkeitsregelungen des § 113 führen grundsätzlich zur Nichtigkeit;61) Umgehungen der Regelungen des § 113 sind ebenfalls unzulässig (Abfindungen an ausscheidende Vorstandsmitglieder, die in den Aufsichtsrat gewählt werden sollen, sind jedoch keine Umgehung, sofern sie sich nur auf die restliche Vorstandsvergütung beziehen und keinen Bezug zur Aufsichtsratstätigkeit haben).62) Verstöße gegen das Angemessenheitsgebot des § 113 Abs. 1 Satz 3 führen zur Anfechtbarkeit.63) Auszahlungen von Vergütungen an Aufsichtsratsmitglieder, denen keine oder eine unwirksame Vergütungsfestsetzung durch die Satzung oder die Hauptversammlung zugrunde liegt, sind nach Bereicherungsgrundsätzen zurückzugewähren.64) _____________ 56) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 113 Rz. 8; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 33 Rz. 39. 57) Zur Kritik an dieser Regelung, die nicht i. R. der Aufhebung der früheren entsprechenden Regelung zur Vorstandstantieme ebenfalls aufgehoben wurde; Krieger in: FS Röhricht, S. 349, 365 ff.; HoffmannBecking, ZHR 169 (2005) 155, 177. 58) S. Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 12 Rz. 856; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 113 Rz. 16. 59) Hoffmann-Becking, ZHR 169 (2005) 155, 174 ff. 60) Krieger in: FS Röhricht, S. 349, 359 ff.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 113 Rz. 11; K. Schmidt/LutterDrygala, AktG, § 113 Rz. 28. 61) BGH, Urt. v. 25.3.1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114, 127, 129 = ZIP 1991, 653, 654; BGH, Urt. v. 2.4.2007 – II ZR 325/05, Rz. 15, ZIP 2007, 1056, 1058 f.; Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 113 Rz. 60. 62) Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 113 Rz. 60; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 113 Rz. 2. 63) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 113 Rz. 5; Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 113 Rz. 62. 64) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 113 Rz. 112; Semler/v. Schenck-Wagner, ArbHdb. AR, § 11 Rz. 11 f.

§ 114 Verträge mit Aufsichtsratsmitgliedern (1) Verpflichtet sich ein Aufsichtsratsmitglied außerhalb seiner Tätigkeit im Aufsichtsrat durch einen Dienstvertrag, durch den ein Arbeitsverhältnis nicht begründet wird, oder durch einen Werkvertrag gegenüber der Gesellschaft zu einer Tätigkeit höherer Art, so hängt die Wirksamkeit des Vertrags von der Zustimmung des Aufsichtsrats ab. (2) 1Gewährt die Gesellschaft auf Grund eines solchen Vertrags dem Aufsichtsratsmitglied eine Vergütung, ohne daß der Aufsichtsrat dem Vertrag zugestimmt hat, so hat das Aufsichtsratsmitglied die Vergütung zurückzugewähren, es sei denn, daß der 734

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§ 114 IV.

Verträge mit Aufsichtsratsmitgliedern Vergütung des ersten Aufsichtsrats (§ 113 Abs. 2)

14 Eine Vergütung für die Mitglieder des ersten nach § 30 bestellten Aufsichtsrats kann nur von der Hauptversammlung, die über ihre Entlastung beschließt, bewilligt werden. Hierdurch soll der Einfluss der Gründer möglichst ausgeschaltet werden.56) V.

Berechnung des Gewinnanteils (§ 113 Abs. 3)

15 Nach der zwingenden Regelung in § 113 Abs. 3 Satz 1 gilt für eine gewinnabhängige Aufsichtsratsvergütung der dort festgelegte Berechnungsmodus.57) In der Praxis üblicher sind erfolgsabhängige Vergütungskomponenten, die nicht an den Jahresgewinn oder die Dividende anknüpfen, sondern auf das Konzernergebnis bzw. darauf bezogene Kennzahlen (etwa Ergebnis je Aktie) oder auf das Ergebnis mehrerer Geschäftsjahre abstellen.58) Wenn auch die Zulässigkeit solcher Gestaltungen nicht völlig zweifelsfrei ist,59) wird man diese Vorgehensweise als zulässig erachten können.60) VI.

Rechtsfolgen von Verstößen

16 Verstöße gegen die zwingenden Zuständigkeitsregelungen des § 113 führen grundsätzlich zur Nichtigkeit;61) Umgehungen der Regelungen des § 113 sind ebenfalls unzulässig (Abfindungen an ausscheidende Vorstandsmitglieder, die in den Aufsichtsrat gewählt werden sollen, sind jedoch keine Umgehung, sofern sie sich nur auf die restliche Vorstandsvergütung beziehen und keinen Bezug zur Aufsichtsratstätigkeit haben).62) Verstöße gegen das Angemessenheitsgebot des § 113 Abs. 1 Satz 3 führen zur Anfechtbarkeit.63) Auszahlungen von Vergütungen an Aufsichtsratsmitglieder, denen keine oder eine unwirksame Vergütungsfestsetzung durch die Satzung oder die Hauptversammlung zugrunde liegt, sind nach Bereicherungsgrundsätzen zurückzugewähren.64) _____________ 56) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 113 Rz. 8; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 33 Rz. 39. 57) Zur Kritik an dieser Regelung, die nicht i. R. der Aufhebung der früheren entsprechenden Regelung zur Vorstandstantieme ebenfalls aufgehoben wurde; Krieger in: FS Röhricht, S. 349, 365 ff.; HoffmannBecking, ZHR 169 (2005) 155, 177. 58) S. Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 12 Rz. 856; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 113 Rz. 16. 59) Hoffmann-Becking, ZHR 169 (2005) 155, 174 ff. 60) Krieger in: FS Röhricht, S. 349, 359 ff.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 113 Rz. 11; K. Schmidt/LutterDrygala, AktG, § 113 Rz. 28. 61) BGH, Urt. v. 25.3.1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114, 127, 129 = ZIP 1991, 653, 654; BGH, Urt. v. 2.4.2007 – II ZR 325/05, Rz. 15, ZIP 2007, 1056, 1058 f.; Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 113 Rz. 60. 62) Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 113 Rz. 60; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 113 Rz. 2. 63) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 113 Rz. 5; Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 113 Rz. 62. 64) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 113 Rz. 112; Semler/v. Schenck-Wagner, ArbHdb. AR, § 11 Rz. 11 f.

§ 114 Verträge mit Aufsichtsratsmitgliedern (1) Verpflichtet sich ein Aufsichtsratsmitglied außerhalb seiner Tätigkeit im Aufsichtsrat durch einen Dienstvertrag, durch den ein Arbeitsverhältnis nicht begründet wird, oder durch einen Werkvertrag gegenüber der Gesellschaft zu einer Tätigkeit höherer Art, so hängt die Wirksamkeit des Vertrags von der Zustimmung des Aufsichtsrats ab. (2) 1Gewährt die Gesellschaft auf Grund eines solchen Vertrags dem Aufsichtsratsmitglied eine Vergütung, ohne daß der Aufsichtsrat dem Vertrag zugestimmt hat, so hat das Aufsichtsratsmitglied die Vergütung zurückzugewähren, es sei denn, daß der 734

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§ 114

Verträge mit Aufsichtsratsmitgliedern

Aufsichtsrat den Vertrag genehmigt. 2Ein Anspruch des Aufsichtsratsmitglieds gegen die Gesellschaft auf Herausgabe der durch die geleistete Tätigkeit erlangten Bereicherung bleibt unberührt; der Anspruch kann jedoch nicht gegen den Rückgewähranspruch aufgerechnet werden. Literatur: Cahn, Beratungsverträge mit Aufsichtsratsmitgliedern, Der Konzern 2012, 501; v. Falkenkausen, Der Anwalt im Aufsichtsrat, Interessenkonflikte und Unabhängigkeit – Gesellschaftsrecht und anwaltliches Berufsrecht, ZIP 2013, 862; Fischer, Der Rückgewähranspruch bei Beraterverträgen mit Aufsichtsratsmitgliedern, BB 2015, 1411; Hoffmann-Becking, Beratungsverträge mit Aufsichtsratsmitgliedern – grenzenlose Anwendung des § 114 AktG?, in: Festschrift für Karsten Schmidt, 2009, S. 657; Ihrig, Vergütungszahlungen auf einen Beratungsvertrag mit einem Aufsichtsratsmitglied vor Zustimmung des Aufsichtsrats, ZGR 2013, 417; Kanzler, Rückabwicklung von Beratungsverträgen in der Aktiengesellschaft, AG 2013, 554; Lutter/ Kremer, Die Beratung der Gesellschaft durch Aufsichtsratsmitglieder, ZGR 1992, 87; Peltzer, Beratungsverträge der Gesellschaft mit Aufsichtsratsmitgliedern, ZIP 2007, 305; Ruoff, Der richtige Umgang mit Beratungsaufträgen an Aufsichtsratsmitglieder nach dem Fresenius-Urteil des BGH, BB 2013, 899; Spindler, Beratungsverträge mit Aufsichtsratsmitgliedern – Vorabzustimmung oder nachträgliche Genehmigung, NZG 2011, 334.

Übersicht I. Gegenstand und Zweck der Norm .................................................. 1 II. Zustimmungserfordernis (§ 114 Abs. 1) ..................................... 3 1. Dienst- und Werkverträge, insbesondere Beraterverträge ............. 3 2. Bestimmtheitserfordernis .................. 4 I.

III. Leistungen außerhalb der Aufsichtsratstätigkeit .............................. 5 1. Abgrenzungskriterien ........................ 5 2. Altverträge .......................................... 6 3. Umgehungsschutz ............................. 7 4. Zustimmung des Aufsichtsrats .......... 9 IV. Rechtsfolgen fehlender Zustimmung (§ 114 Abs. 2) ................ 11

Gegenstand und Zweck der Norm

§ 114 Abs. 1 unterwirft Dienst- oder Werkverträge höherer Art (insbesondere Beratungs- 1 verträge) zwischen einem Aufsichtsratsmitglied und der vom Vorstand vertretenen Gesellschaft einem Zustimmungserfordernis und damit einer präventiven Kontrolle durch den Aufsichtsrat.1) Die Norm ist im Zusammenhang mit § 113 und der dort geregelten alleinigen Zuständigkeit der Hauptversammlung für die Aufsichtsratsvergütung (vorbehaltlich einer bereits in der Satzung enthaltenen Regelung) zu sehen.2) Es sollen im Interesse der Aktionäre und der Gläubiger der Gesellschaft sowohl eine „Selbstbedienung“ der Aufsichtsratsmitglieder als auch eine Kompetenz des Vorstands ausgeschlossen werden, über die Vergütung der Mitglieder des Überwachungsorgans zu befinden; § 114 flankiert diesen Schutzzweck und soll Umgehungen des § 113 verhindern.3) § 114 Abs. 2 regelt den Rückgewähranspruch der Gesellschaft bei fehlender Zustimmung nach § 114 Abs. 1. _____________ 1)

2)

3)

Ausführlich zum Normzweck: Hoffmann-Becking in: FS K. Schmidt, S. 657 ff.; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 114 Rz. 2 ff.; Semler/v. Schenck-v. Schenck, Der Aufsichtsrat, § 114 Rz. 1 ff.; s. a. Peltzer, ZIP 2007, 305, 309. BGH, Urt. v. 10.7.2012 – II ZR 48/11 (Fresenius), Rz. 13, ZIP 2012, 1807, 1808, dazu EWiR 2012, 647 (Hoffmann-Theinert); OLG Nürnberg, Urt. v. 8.3.2017 – 12 U 927/15, Rz. 49, BeckRS 2017, 108720 = NZI 2017, 679, dazu EWiR 2017, 717 (Pätzold/Zönnchen); K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 114 Rz. 3; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 114 Rz. 3; Semler/v. Schenck-v. Schenck, Der Aufsichtsrat, § 114 Rz. 2. BGH, Urt. v. 10.7.2012 – II ZR 48/11 (Fresenius), Rz. 13, ZIP 2012, 1807, 1808; BGH, Urt. v. 3.7.2006 – II ZR 151/04 (IFA), BGHZ 168, 188, 193 = ZIP 2006, 1529, 1531; ausführlich und kritisch zum herrschenden Verständnis des Normzwecks: Cahn, Der Konzern 2012, 501 ff.

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§ 114

Verträge mit Aufsichtsratsmitgliedern

2 Der DCGK empfiehlt in Ziff. 5.4.6 Abs. 3 Satz 2, die von der Gesellschaft an Aufsichtsratsmitglieder gezahlten Vergütungen oder gewährten Vorteile für persönlich erbrachte Leistungen, insbesondere Beratungs- und Vermittlungsleistungen, im Anhang oder im Lagebericht individualisiert anzugeben. Diese Empfehlung zielt auf eine präventive Wirkung ab – durch Transparenz soll Missbrauch verhindert werden.4) II.

Zustimmungserfordernis (§ 114 Abs. 1)

1.

Dienst- und Werkverträge, insbesondere Beraterverträge

3 Nach § 114 Abs. 1 zustimmungspflichtig sind Dienstverträge und Werkverträge, durch die das Aufsichtsratsmitglied sich zu Tätigkeiten höherer Art verpflichtet. Die Anforderungen an eine Tätigkeit höherer Art sind nicht zu überspannen. In der Praxis werden gesonderte Verträge mit einem Aufsichtsratsmitglied in aller Regel eine Tätigkeit höherer Art beinhalten.5) Ausdrücklich ausgenommen von der Zustimmungspflicht sind Dienstverträge, die ein Arbeitsverhältnis begründen. Hierdurch wird sichergestellt, dass die Arbeitsverträge der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat nicht dem Zustimmungserfordernis nach § 114 Abs. 1 unterliegen; dies gilt aber nicht, wenn neben dem Arbeitsvertrag ein weiteres Rechtsverhältnis begründet werden soll.6) 2.

Bestimmtheitserfordernis

4 Der Inhalt des Vertrags (insbesondere die speziellen Beratungsgegenstände), der dem Aufsichtsrat zur Zustimmung vorgelegt wird, und das vorgesehene Entgelt müssen so konkret bezeichnet werden, dass sich der Aufsichtsrat ein eigenständiges Urteil über Art und Umfang der Leistung des Aufsichtsratsmitglieds sowie über die Höhe und Angemessenheit der dafür vorgesehenen Vergütung bilden kann.7) Einem Vertrag, der nicht hinreichend konkret gegenüber dem Aufsichtsrat offengelegt wird, kann nicht nach § 114 Abs. 1 zugestimmt werden.8) III.

Leistungen außerhalb der Aufsichtsratstätigkeit

1.

Abgrenzungskriterien

5 Da ein entgeltlicher Vertrag zwischen Aufsichtsratsmitglied und Gesellschaft, der eine Organtätigkeit des Aufsichtsratsmitglieds zum Inhalt hat, bereits gemäß § 134 BGB wegen Verstoßes gegen § 113 Abs. 1 nichtig ist, erfasst § 114 Abs. 1 nur Verträge über Leistungen des Aufsichtsratsmitglieds außerhalb des organschaftlichen Pflichtenkreises.9) Nur soweit es um Tätigkeiten des Aufsichtsratsmitglieds geht, die außerhalb seiner Organ_____________ 4) 5)

6) 7)

8)

9)

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Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder-Kremer, DCGK, Rz. 1446; s. dazu auch OLG Nürnberg, Urt. v. 8.3.2017 – 12 U 927/15, Rz. 49, BeckRS 2017, 108720 = AG 2018, 166, 168. OLG Nürnberg, Urt. v. 8.3.2017 – 12 U 927/15, Rz. 51, BeckRS 2017, 108720 = AG 2018, 166, 168; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 114 Rz. 10; K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 114 Rz. 5, geht davon aus, dass diese Einschränkung praktisch nicht von Relevanz ist; zu grundsätzlichen Fragen der Mitgliedschaft eines Anwalts im Aufsichtsrat einer AG: v. Falkenhausen, ZIP 2013, 862 ff. K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 114 Rz. 6; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 114 Rz. 19 a. E.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 111 Rz. 5. BGH, Urt. v. 3.7.2006 – II ZR 151/04 (IFA), BGHZ 168, 188, 197 f. = ZIP 2006, 1529, 1533; BGH, Urt. v. 4.7.1994 – II ZR 197/93, BGHZ 126, 340, 344 f. = ZIP 1994, 1216, 1217; OLG Nürnberg, Urt. v. 8.3.2017 – 12 U 927/15, Rz. 73 f., BeckRS 2017, 108720 = NZI 2017, 679. OLG Nürnberg, Urt. v. 8.3.2017 – 12 U 927/15, Rz. 51, BeckRS 2017, 108720 = AG 2018, 166, 170; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 33 Rz. 42; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 114 Rz. 25. BGH, Urt. v. 10.7.2012 – II ZR 48/11 (Fresenius), Rz. 13, ZIP 2012, 1807, 1808; BGH, Urt. v. 2.4.2007 – II ZR 325/05, ZIP 2007, 1056, 1059; BGH, Urt. v. 20.11.2006 – II ZR 279/05, BGHZ 170, 60, 65 = ZIP 2007, 22, 23, dazu EWiR 2007, 99 (Drygala) – ständ. Rspr.

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Verträge mit Aufsichtsratsmitgliedern

§ 114

pflichten liegen, kommt überhaupt eine Zustimmung des Aufsichtsrats nach § 114 Abs. 1 in Betracht.10) Nach ständiger Rechtsprechung des BGH beschränkt sich dies auf Fragen eines besonderen Fachgebiets („spezielle Einzelfragen“), die eine besondere Beratungstiefe erfordern und daher nicht Teil der Beratungsaufgabe des Aufsichtsratsmitglieds sind.11) Weiter wird verlangt, dass der Vertrag eindeutige Feststellungen ermöglichen muss, ob die nach dem Vertrag zu vergütenden Leistungen außer- oder innerhalb des organschaftlichen Pflichtenkreises des Aufsichtsratsmitglieds liegen und ob der Vertrag nicht verdeckte Sonderzuwendungen einschließt.12) Die Anforderungen der Rechtsprechung zum Bestimmtheitserfordernis sind streng, insbesondere führen allgemeine und unpräzise Ausführungen zu der vereinbarten Tätigkeit dazu, dass keine Genehmigungsfähigkeit nach § 114 Abs. 1 in Frage kommt.13) 2.

Altverträge

Nach dem Wortlaut des § 114 wird der Abschluss der dort genannten Verträge mit 6 amtierenden Aufsichtsratsmitgliedern erfasst. Darüber hinaus ist § 114 aber auch auf vor der Bestellung zum Aufsichtsratsmitglied abgeschlossene Verträge anwendbar.14) Auch vor der Übernahme des Aufsichtsratsmandats abgeschlossene Altverträge bedürfen der Zustimmung des Aufsichtsrats nach § 114 Abs. 1, ohne diese verlieren sie für die Dauer des Aufsichtsratsmandats ihre Wirkung.15) 3.

Umgehungsschutz

Auch ein Vertrag über Dienst- oder Werkleistungen höherer Art zwischen der Gesell- 7 schaft und einem Unternehmen, dessen alleiniger Gesellschafter das Aufsichtsratsmitglied ist oder an dem das Aufsichtsratsmitglied beteiligt ist, unterliegt den Kontrollmechanismen des § 114, wenn dem Aufsichtsratsmitglied mittelbare Zuwendungen zufließen, bei denen es sich nicht nur um ganz geringfügige Leistungen handelt oder die im Vergleich zur Aufsichtsratsvergütung einen vernachlässigenswerten Umfang haben.16) Insbesondere der Abschluss eines Beratungsvertrages mit einer Anwalts- oder Steuerbera_____________ 10) BGH, Urt. v. 20.11.2006 – II ZR 279/05, Rz. 13, BGHZ 170, 60 = ZIP 2007, 22, 23; s. a. Lutter/ Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 12 Rz. 859; Lutter/Kremer, ZGR 1992, 87, 96 ff.; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 114 Rz. 22. 11) BGH, Urt. v. 25.3.1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114, 127, 132 = ZIP 1991, 653, 655 f.; BGH, Urt. v. 4.7.1994 – II ZR 197/93, BGHZ 126, 340, 344 f. = ZIP 1994, 1216, 1217; s. a. OLG Köln, Urt. v. 31.1.2013 – 18 U 21/12, ZIP 2013, 516, 518, dazu EWiR 2013, 163 (v. Falkenhausen). 12) BGH, Urt. v. 10.7.2012 – II ZR 48/11 (Fresenius), Rz. 13, ZIP 2012, 1807, 1808; BGH, Urt. v. 2.4.2007 – II ZR 325/05, ZIP 2007, 1056, 1059; BGH, Urt. v. 20.11.2006 – II ZR 279/05, BGHZ 170, 60, 65 = ZIP 2007, 22, 23; s. a. OLG Köln, Urt. v. 31.1.2013 – 18 U 21/12, ZIP 2013, 516, 518 – ständ. Rspr. 13) BGH, Urt. v. 20.11.2006 – II ZR 279/05, Rz. 13, BGHZ 170, 60 = ZIP 2007, 22, 23; s. a. OLG Köln, Urt. v. 31.1.2013 – 18 U 21/12, ZIP 2013, 516, 518; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 12 Rz. 862; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 114 Rz. 25. 14) BGH, Urt. v. 4.7.1994 – II ZR 197/93, BGHZ 126, 340, 346 f. = ZIP 1994, 1216, 1218; BGH, Urt. v. 2.7.1998 – IX ZR 63/97, ZIP 1999, 1801, 1803; OLG Nürnberg, Urt. v. 8.3.2017 – 12 U 927/15, Rz. 60, BeckRS 2017, 108720 = AG 2018, 166, 169; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 114 Rz. 10; K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 114 Rz. 12; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 12 Rz. 861. 15) BGH, Urt. v. 2.4.2007 – II ZR 325/05, ZIP 2007, 1056, 1059; BGH, Urt. v. 25.3.1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114, 127, 133 f. = ZIP 1991, 653, 655 f.; BGH, Urt. v. 4.7.1994 – II ZR 197/93, BGHZ 126, 340, 348 = ZIP 1994, 1216, 1218; BGH, Urt. v. 3.7.2006 – II ZR 151/04 (IFA), BGHZ 168, 188, 199 = ZIP 2006, 1529, 1533. 16) BGH, Urt. v. 10.7.2012 – II ZR 48/11 (Fresenius), Rz. 14, ZIP 2012, 1807, 1809; BGH, Urt. v. 20.11.2006 – II ZR 279/05, BGHZ 170, 60, 62 f. = ZIP 2007, 22, 23; BGH, Urt. v. 2.4.2007 – II ZR 325/05, ZIP 2007, 1056, 1058; kritisch hierzu: Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 33 Rz. 51; Ihrig, ZGR 2013, 417, 434 f.; ablehnend: Cahn, Der Konzern 2012, 501, 504 ff.

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§ 114

Verträge mit Aufsichtsratsmitgliedern

tungssozietät, der das Aufsichtsratsmitglied angehört, kann mithin in den Anwendungsbereich der Norm fallen.17) Dies folgt nach der Rechtsprechung des BGH daraus, dass der Sinn und Zweck der §§ 113, 114, die unabhängige Wahrnehmung der organschaftlichen Überwachungsfunktion zu gewährleisten, auch in diesem Fall berührt ist.18) 8 Ob sich § 114 auch generell auf Verträge von Aufsichtsratsmitgliedern mit verbundenen Unternehmen erstreckt, ist umstritten.19) Zwar enthält § 114 insoweit anders als § 115 Abs. 1 Satz 2 keine ausdrückliche Regelung, der Schutzzweck der Norm spricht jedoch dafür, sie zum Schutz vor Umgehungen auch dann anzuwenden, wenn der Vertrag nach seinem Inhalt auch unmittelbar mit der Muttergesellschaft hätte abgeschlossen werden können oder andere konkrete Indizien für eine missbräuchliche Umgehung sprechen.20) Nach dem Schutzzweck der Norm bedürfen Beratungsverträge von Aufsichtsratsmitgliedern oder deren Sozietäten mit von der Gesellschaft abhängigen Unternehmen einer Zustimmung des Aufsichtsrats, wenn der Vorstand in der Lage ist, den Vertragsschluss mit dem abhängigen Unternehmen zu beeinflussen, wovon in der Regel nach §§ 17 f. auszugehen ist.21) 4.

Zustimmung des Aufsichtsrats

9 Nach bisher h. M. kann die Zustimmung zu einem von § 114 erfassten Beratungsvertrag als (vorherige) Einwillligung oder (nachträgliche) Genehmigung erteilt werden.22) Demgegenüber nimmt der BGH grundsätzlich in der Fresenius-Entscheidung an, dass eine Vergütungszahlung durch den Vorstand nur rechtmäßig ist, wenn eine vorherige Zustimmung des Aufsichtsrats erfolgt ist.23) Der Beratungsvertrag ist bis zur Entscheidung über die Genehmigung nach § 114 Abs. 2 Satz 1 schwebend unwirksam, weshalb noch kein Zahlungsanspruch besteht bzw. der Vorstand noch nicht zahlen darf.24) An der Rechtswidrigkeit einer gleichwohl geleisteten Zahlung ändert sich nach der Auffassung des BGH auch dann nichts, wenn der Aufsichtsrat den Vertrag genehmigt hat.25) 10 Der Aufsichtsrat entscheidet über die Zustimmung durch Beschluss (§ 108 Abs. 1); das betroffene Aufsichtsratsmitglied ist vom Stimmrecht ausgeschlossen.26) Eine Delegation _____________ 17) S. dazu BGH, Urt. v. 2.4.2007 – II ZR 325/05, ZIP 2007, 1056, 1058; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 15.2.2011 – 5 U 30/10 (Fresenius), ZIP 2011, 425, 426 f., dazu EWiR 2011, 203 (Linnerz); kritisch hierzu: Hoffmann-Becking in: FS K. Schmidt, S. 657, 663 f.; Cahn, Der Konzern 2012, 501, 504 f. 18) BGH, Urt. v. 20.11.2006 – II ZR 279/05, BGHZ 170, 60, 64 = ZIP 2007, 22, 23; BGH, Urt. v. 2.4.2007 – II ZR 325/05, ZIP 2007, 1056, 1058; zustimmend: Habersack in: MünchKomm-AktG, § 114 Rz. 14; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 12 Rz. 876. 19) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 114 Rz. 16 f.; Spindler, NZG, 2011, 334, 336. 20) Cahn, Der Konzern 2012, 501, 502 f.; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 33 Rz. 52; Spindler, NZG, 2011. 334, 336; noch weitergehend: Habersack in: MünchKomm-AktG, § 114 Rz. 17; a. A. Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 114 Rz. 15 ff.; s. a. OLG Hamburg, Urt. v. 17.1.2007 – 11 U 48/06, ZIP 2007, 814, 818 f. 21) BGH, Urt. v. 10.7.2012 – II ZR 48/11 (Fresenius), Rz. 16, ZIP 2012, 1807, 1809; s. a. Ihrig, ZGR 2013, 417, 435; ablehnend: Cahn, Der Konzern 2012, 501, 502 f. 22) OLG München, Urt. v. 13.10.2005 – 23 U 1949/05, AG 2006, 337, 338 = ZIP 2006, 712; K. Schmidt/ Lutter-Drygala, AktG, § 114 Rz. 17; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 12 Rz. 863. 23) BGH, Urt. v. 10.7.2012 – II ZR 48/11 (Fresenius), Rz. 16, ZIP 2012, 1807, 1809 f.; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 15.2.2011 – 5 U 30/10 (Fresenius), ZIP 2011, 425, 426 f., dazu Drygala, ZIP 2011, 427 ff.; Spindler, NZG, 2011, 334 ff. 24) BGH, Urt. v. 10.7.2012 – II ZR 48/11 (Fresenius), Rz. 19, ZIP 2012, 1807, 1809; so auch: Spindler, NZG 2011, 334, 336 f.; ablehnend: Cahn, Der Konzern 2012, 501, 507 f. 25) BGH, Urt. v. 10.7.2012 – II ZR 48/11 (Fresenius), Rz. 19 f., ZIP 2012, 1807, 1809; a. A. Cahn, Der Konzern 2012, 501, 507 f. 26) BGH, Urt. v. 2.4.2007 – II ZR 325/05, Rz. 13, ZIP 2007, 1056, 1058; OLG Nürnberg, Urt. v. 8.3.2017 – 12 U 927/15, Rz. 62, BeckRS 2017, 108720 = AG 2018, 166, 169; Habersack in: MünchKommAktG, § 114 Rz. 30; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 12 Rz. 864.

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Kreditgewährung an Aufsichtsratsmitglieder

§ 115

auf einen Ausschuss ist zulässig, da § 114 in § 107 Abs. 3 Satz 3 nicht genannt wird.27) Insbesondere mit Blick auf die Fresenius-Entscheidung des BGH empfiehlt es sich, einen Ausschuss entsprechend zu ermächtigen.28) IV.

Rechtsfolgen fehlender Zustimmung (§ 114 Abs. 2)

Bei fehlender oder verweigerter Zustimmung hat das betroffene Aufsichtsratsmitglied eine 11 gleichwohl bereits erhaltene Vergütung zurückzugewähren (Rückgewähranspruch nach § 114 Abs. 2 Satz 1).29) Dieser aktienrechtliche Rückgewährungsanspruch wird sofort fällig.30) Das betroffene Aufsichtsratsmitglied kann gegen den Rückgewähranspruch nicht mit dem eigenen Bereicherungsanspruch aufrechnen (§ 114 Abs. 2 Satz 2), sondern allenfalls mit anderen Forderungen.31) Der Rückgewährungsanspruch verjährt nach den allgemeinen Regeln (§§ 195, 199 BGB); die Verjährungsfrist gemäß §§ 116, 93 Abs. 6 i. V. m. Abs. 3 Nr. 7 betrifft nur Schadensersatzansprüche gegen Aufsichtsratsmitglieder wegen Mitwirkung an der Gewährung unzulässiger Vergütungen.32) Sofern der Vorstand den Rückgewährungsanspruch nicht geltend macht, kommt eine 12 Schadensersatzpflicht der Vorstandsmitglieder nach § 93 Abs. 2 in Betracht.33) Nach § 93 Abs. 3 Nr. 7 machen die Mitglieder des Vorstands bzw. des Aufsichtsrats sich schadensersatzpflichtig, wenn entgegen § 114 eine Vergütung gewährt bzw. daran mitgewirkt34) wird. _____________ 27) BGH, Urt. v. 10.7.2012 – II ZR 48/11 (Fresenius), Rz. 21, ZIP 2012, 1807, 1810; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 114 Rz. 8; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 114 Rz. 30; a. A. Cahn, Der Konzern 2012, 501, 503. 28) S. dazu Ihrig, ZGR 2013, 417, 420 f.; Ruoff, BB 2013, 899, 902. 29) Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 12 Rz. 877; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 114 Rz. 31; ausführlich dazu Kanzler, AG 2013, 554 ff.; Fischer, BB 2015, 1411, 1415 ff. 30) K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 114 Rz. 20; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 114 Rz. 32 und 34; Fischer, BB 2015, 1411, 1415. 31) BGH, Urt. v. 4.7.1994 – II ZR 197/93, BGHZ 126, 340, 349 f. = ZIP 1994, 1216, 1219. Habersack in: MünchKomm-AktG, § 114 Rz. 34; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 114 Rz. 57. 32) BGH, Urt. v. 3.7.2006 – II ZR 151/04 (IFA), Rz. 21, BGHZ 168, 188, 200 = ZIP 2006, 1529. 33) Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 114 Rz. 24; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 114 Rz. 56. 34) BGH, Urt. v. 3.7.2006 – II ZR 151/04 (IFA), BGHZ 168, 188, 200 = ZIP 2006, 1529, 1533; OLG Nürnberg, Urt. v. 8.3.2017 – 12 U 927/15, Rz. 85 und 90, BeckRS 2017, 108720 = AG 2018, 166, 170; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 114 Rz. 36; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 114 Rz. 62.

§ 115 Kreditgewährung an Aufsichtsratsmitglieder (1) 1Die Gesellschaft darf ihren Aufsichtsratsmitgliedern Kredit nur mit Einwilligung des Aufsichtsrats gewähren. 2Eine herrschende Gesellschaft darf Kredite an Aufsichtsratsmitglieder eines abhängigen Unternehmens nur mit Einwilligung ihres Aufsichtsrats, eine abhängige Gesellschaft darf Kredite an Aufsichtsratsmitglieder des herrschenden Unternehmens nur mit Einwilligung des Aufsichtsrats des herrschenden Unternehmens gewähren. 3Die Einwilligung kann nur für bestimmte Kreditgeschäfte oder Arten von Kreditgeschäften und nicht für länger als drei Monate im voraus erteilt werden. 4Der Beschluß über die Einwilligung hat die Verzinsung und Rückzahlung des Kredits zu regeln. 5Betreibt das Aufsichtsratsmitglied ein Handelsgewerbe als Einzelkaufmann, so ist die Einwilligung nicht erforderlich, wenn der Kredit für die Bezahlung von Waren gewährt wird, welche die Gesellschaft seinem Handelsgeschäft liefert.

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Kreditgewährung an Aufsichtsratsmitglieder

§ 115

auf einen Ausschuss ist zulässig, da § 114 in § 107 Abs. 3 Satz 3 nicht genannt wird.27) Insbesondere mit Blick auf die Fresenius-Entscheidung des BGH empfiehlt es sich, einen Ausschuss entsprechend zu ermächtigen.28) IV.

Rechtsfolgen fehlender Zustimmung (§ 114 Abs. 2)

Bei fehlender oder verweigerter Zustimmung hat das betroffene Aufsichtsratsmitglied eine 11 gleichwohl bereits erhaltene Vergütung zurückzugewähren (Rückgewähranspruch nach § 114 Abs. 2 Satz 1).29) Dieser aktienrechtliche Rückgewährungsanspruch wird sofort fällig.30) Das betroffene Aufsichtsratsmitglied kann gegen den Rückgewähranspruch nicht mit dem eigenen Bereicherungsanspruch aufrechnen (§ 114 Abs. 2 Satz 2), sondern allenfalls mit anderen Forderungen.31) Der Rückgewährungsanspruch verjährt nach den allgemeinen Regeln (§§ 195, 199 BGB); die Verjährungsfrist gemäß §§ 116, 93 Abs. 6 i. V. m. Abs. 3 Nr. 7 betrifft nur Schadensersatzansprüche gegen Aufsichtsratsmitglieder wegen Mitwirkung an der Gewährung unzulässiger Vergütungen.32) Sofern der Vorstand den Rückgewährungsanspruch nicht geltend macht, kommt eine 12 Schadensersatzpflicht der Vorstandsmitglieder nach § 93 Abs. 2 in Betracht.33) Nach § 93 Abs. 3 Nr. 7 machen die Mitglieder des Vorstands bzw. des Aufsichtsrats sich schadensersatzpflichtig, wenn entgegen § 114 eine Vergütung gewährt bzw. daran mitgewirkt34) wird. _____________ 27) BGH, Urt. v. 10.7.2012 – II ZR 48/11 (Fresenius), Rz. 21, ZIP 2012, 1807, 1810; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 114 Rz. 8; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 114 Rz. 30; a. A. Cahn, Der Konzern 2012, 501, 503. 28) S. dazu Ihrig, ZGR 2013, 417, 420 f.; Ruoff, BB 2013, 899, 902. 29) Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 12 Rz. 877; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 114 Rz. 31; ausführlich dazu Kanzler, AG 2013, 554 ff.; Fischer, BB 2015, 1411, 1415 ff. 30) K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 114 Rz. 20; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 114 Rz. 32 und 34; Fischer, BB 2015, 1411, 1415. 31) BGH, Urt. v. 4.7.1994 – II ZR 197/93, BGHZ 126, 340, 349 f. = ZIP 1994, 1216, 1219. Habersack in: MünchKomm-AktG, § 114 Rz. 34; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 114 Rz. 57. 32) BGH, Urt. v. 3.7.2006 – II ZR 151/04 (IFA), Rz. 21, BGHZ 168, 188, 200 = ZIP 2006, 1529. 33) Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 114 Rz. 24; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 114 Rz. 56. 34) BGH, Urt. v. 3.7.2006 – II ZR 151/04 (IFA), BGHZ 168, 188, 200 = ZIP 2006, 1529, 1533; OLG Nürnberg, Urt. v. 8.3.2017 – 12 U 927/15, Rz. 85 und 90, BeckRS 2017, 108720 = AG 2018, 166, 170; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 114 Rz. 36; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 114 Rz. 62.

§ 115 Kreditgewährung an Aufsichtsratsmitglieder (1) 1Die Gesellschaft darf ihren Aufsichtsratsmitgliedern Kredit nur mit Einwilligung des Aufsichtsrats gewähren. 2Eine herrschende Gesellschaft darf Kredite an Aufsichtsratsmitglieder eines abhängigen Unternehmens nur mit Einwilligung ihres Aufsichtsrats, eine abhängige Gesellschaft darf Kredite an Aufsichtsratsmitglieder des herrschenden Unternehmens nur mit Einwilligung des Aufsichtsrats des herrschenden Unternehmens gewähren. 3Die Einwilligung kann nur für bestimmte Kreditgeschäfte oder Arten von Kreditgeschäften und nicht für länger als drei Monate im voraus erteilt werden. 4Der Beschluß über die Einwilligung hat die Verzinsung und Rückzahlung des Kredits zu regeln. 5Betreibt das Aufsichtsratsmitglied ein Handelsgewerbe als Einzelkaufmann, so ist die Einwilligung nicht erforderlich, wenn der Kredit für die Bezahlung von Waren gewährt wird, welche die Gesellschaft seinem Handelsgeschäft liefert.

Werner Paul Schick

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§ 115

Kreditgewährung an Aufsichtsratsmitglieder

(2) Absatz 1 gilt auch für Kredite an den Ehegatten, Lebenspartner oder an ein minderjähriges Kind eines Aufsichtsratsmitglieds und für Kredite an einen Dritten, der für Rechnung dieser Personen oder für Rechnung eines Aufsichtsratsmitglieds handelt. (3) 1Ist ein Aufsichtsratsmitglied zugleich gesetzlicher Vertreter einer anderen juristischen Person oder Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft, so darf die Gesellschaft der juristischen Person oder der Personenhandelsgesellschaft Kredit nur mit Einwilligung des Aufsichtsrats gewähren; Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt sinngemäß. 2Dies gilt nicht, wenn die juristische Person oder die Personenhandelsgesellschaft mit der Gesellschaft verbunden ist oder wenn der Kredit für die Bezahlung von Waren gewährt wird, welche die Gesellschaft der juristischen Person oder der Personenhandelsgesellschaft liefert. (4) Wird entgegen den Absätzen 1 bis 3 Kredit gewährt, so ist der Kredit ohne Rücksicht auf entgegenstehende Vereinbarungen sofort zurückzugewähren, wenn nicht der Aufsichtsrat nachträglich zustimmt. (5) Ist die Gesellschaft ein Kreditinstitut oder Finanzdienstleistungsinstitut, auf das § 15 des Gesetzes über das Kreditwesen anzuwenden ist, gelten anstelle der Absätze 1 bis 4 die Vorschriften des Gesetzes über das Kreditwesen. Literatur: Dreher, Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmitgliedern von Aktiengesellschaften, JZ 1990, 896; Hoffmann-Becking, Unabhängigkeit im Aufsichtsrat, NZG 2014, 80; Fleischer, Aktienrechtliche Zweifelsfragen der Kreditgewährung an Vorstandsmitglieder, WM 2004, 1057.

Übersicht I. Gegenstand und Zweck der Norm .................................................. 1 II. Einwilligung des Aufsichtsrats ....... 2 I.

III. Rückgewähranspruch bei fehlerhafter oder fehlender Einwilligung (§ 115 Abs. 4) .............. 4

Gegenstand und Zweck der Norm

1 Die Norm betrifft die Kreditvergabe der Gesellschaft an Aufsichtsratsmitglieder. Sie soll Missbräuchen, wie insbesondere der unangemessenen Beeinflussung einzelner Aufsichtsratsmitglieder durch Kreditvergabe in unangemessener Höhe bzw. zu unüblichen Konditionen, vorbeugen, um deren Unabhängigkeit zu sichern.1) Daher werden Kreditbeziehungen mit den Aufsichtsratsmitgliedern zwar nicht verboten, aber transparent gemacht und an strenge Regeln gebunden.2) II.

Einwilligung des Aufsichtsrats

2 Der Begriff „Kreditgewährung“ ist weit auszulegen. Neben Darlehen werden auch unübliche Stundungen oder Garantien, Bürgschaften und die Gewährung anderer Sicherheiten außerhalb des üblichen Rahmens erfasst.3) Erfasst wird die Kreditgewährung an ein Aufsichtsratsmitglied (§ 115 Abs. 1 Satz 1) oder eine nahe stehende Person (§ 115 Abs. 2).4) _____________ 1)

2) 3) 4)

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Habersack in: MünchKomm-AktG, § 115 Rz. 2; Hoffmann-Becking, NZG 2014, 801, 803; Hüffer/ Koch-Koch, AktG, § 115 Rz. 1; ausführlich zu der entsprechenden Norm für Vorstandsmitglieder, § 89 AktG (Parallelnorm): Fleischer, WM 2004, 1057 ff. Habersack in: MünchKomm-AktG, § 115 Rz. 2; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 12 Rz. 879. K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 115 Rz. 3; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 115 Rz. 7; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 12 Rz. 879. Habersack in: MünchKomm-AktG, § 115 Rz. 9 und 11; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 33 Rz. 56.

Werner Paul Schick

Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder

§ 116

Kreditgeber muss die Gesellschaft (§ 115 Abs. 1 Satz 1) oder ein herrschendes oder abhängiges Unternehmen (§ 115 Abs. 1 Satz 2) sein. Die Kreditgewährung an Aufsichtsratsmitglieder bedarf der vorab zu erteilenden Zu- 3 stimmung (Einwilligung) durch ausdrücklichen Beschluss des Aufsichtsrats (des herrschenden Unternehmens, § 115 Abs. 1 Satz 25))6), an dem das durch die Kreditgewährung begünstigte Aufsichtsratsmitglied nicht teilnehmen darf.7) Anstelle des Aufsichtsrats kann ein Ausschuss gemäß § 107 Abs. 3 entscheiden.8) Die Einwilligung kann nicht pauschal und höchstens für drei Monate im Voraus erteilt werden (§ 115 Abs. 1 Satz 3).9) Es müssen die Verzinsung und die Rückzahlung festgelegt werden (§ 115 Abs. 1 Satz 4). § 115 Abs. 3 Satz 1 erstreckt das Einwilligungserfordernis auf Kredite an eine juristische Person, deren Vertretungsorgan ein Aufsichtsratsmitglied angehört, oder eine Personenhandelsgesellschaft, deren Gesellschafter ein Aufsichtsratsmitglied ist.10) Bei der Durchführung des Kredits wird die Gesellschaft durch den Vorstand vertreten, § 78 Abs. 1.11) Gewährte Kredite sind im Anhang anzugeben (§§ 285 Nr. 9 lit. c, 314 Abs. 1 Nr. 6 lit. c HGB). III.

Rückgewähranspruch bei fehlerhafter oder fehlender Einwilligung (§ 115 Abs. 4)

Ein Verstoß gegen § 115 Abs. 1 bis 3 lässt die Wirksamkeit des gewährten Kredits unbe- 4 rührt; der Kredit ist nach § 115 Abs. 4 sofort zurückzugewähren.12) Die Genehmigung (nachträgliche Zustimmung, § 184 Abs. 1 BGB) der Kreditgewährung durch ausdrücklichen Beschluss des Aufsichtsrats unter Beachtung von § 115 Abs. 1 Satz 3 und Satz 4 lässt nach § 115 Abs. 4 die Rückgewährpflicht entfallen.13) _____________ 5) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 115 Rz. 13; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 33 Rz. 56. 6) K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 115 Rz. 9; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 115 Rz. 16 f. 7) Semler/v. Schenck-v. Schenck, Der Aufsichtsrat, § 115 Rz. 37; Dreher, JZ 1990, 896, 897 und 901. 8) K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 115 Rz. 9; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 115 Rz. 17. 9) K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 115 Rz. 9; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 115 Rz. 17. 10) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 115 Rz. 12; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 115 Rz. 17. 11) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 115 Rz. 16; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 115 Rz. 28. 12) K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 115 Rz. 11; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 115 Rz. 19. 13) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 115 Rz. 19; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 115 Rz. 33.

§ 116 Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder 1

Für die Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder gilt § 93 mit Ausnahme des Absatzes 2 Satz 3 über die Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder sinngemäß. 2Die Aufsichtsratsmitglieder sind insbesondere zur Verschwiegenheit über erhaltene vertrauliche Berichte und vertrauliche Beratungen verpflichtet. 3Sie sind namentlich zum Ersatz verpflichtet, wenn sie eine unangemessene Vergütung festsetzen (§ 87 Absatz 1). Literatur: Annuß/Theusinger, Das VorstAG – Praktische Hinweise zum Umgang mit dem neuen Recht, BB 2009, 2434; Binder, Mittelbare Einbringung eigener Aktien als Sacheinlage und Informationsgrundlagen von Finanzierungsentscheidungen in Vorstand und Aufsichtsrat, ZGR 2012, 757; Buck-Heeb, Wissenszurechnung, Informationsorganisation und Ad-hoc-Mitteilungspflicht bei Kenntnis eines Aufsichtsratsmitglieds, AG 2015, 801; Diekmann/Fleischmann, Umgang mit Interessenkonflikten in Aufsichtsrat und Vorstand der Aktiengesellschaft, AG 2013, 141; Fleischer,

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Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder

§ 116

Kreditgeber muss die Gesellschaft (§ 115 Abs. 1 Satz 1) oder ein herrschendes oder abhängiges Unternehmen (§ 115 Abs. 1 Satz 2) sein. Die Kreditgewährung an Aufsichtsratsmitglieder bedarf der vorab zu erteilenden Zu- 3 stimmung (Einwilligung) durch ausdrücklichen Beschluss des Aufsichtsrats (des herrschenden Unternehmens, § 115 Abs. 1 Satz 25))6), an dem das durch die Kreditgewährung begünstigte Aufsichtsratsmitglied nicht teilnehmen darf.7) Anstelle des Aufsichtsrats kann ein Ausschuss gemäß § 107 Abs. 3 entscheiden.8) Die Einwilligung kann nicht pauschal und höchstens für drei Monate im Voraus erteilt werden (§ 115 Abs. 1 Satz 3).9) Es müssen die Verzinsung und die Rückzahlung festgelegt werden (§ 115 Abs. 1 Satz 4). § 115 Abs. 3 Satz 1 erstreckt das Einwilligungserfordernis auf Kredite an eine juristische Person, deren Vertretungsorgan ein Aufsichtsratsmitglied angehört, oder eine Personenhandelsgesellschaft, deren Gesellschafter ein Aufsichtsratsmitglied ist.10) Bei der Durchführung des Kredits wird die Gesellschaft durch den Vorstand vertreten, § 78 Abs. 1.11) Gewährte Kredite sind im Anhang anzugeben (§§ 285 Nr. 9 lit. c, 314 Abs. 1 Nr. 6 lit. c HGB). III.

Rückgewähranspruch bei fehlerhafter oder fehlender Einwilligung (§ 115 Abs. 4)

Ein Verstoß gegen § 115 Abs. 1 bis 3 lässt die Wirksamkeit des gewährten Kredits unbe- 4 rührt; der Kredit ist nach § 115 Abs. 4 sofort zurückzugewähren.12) Die Genehmigung (nachträgliche Zustimmung, § 184 Abs. 1 BGB) der Kreditgewährung durch ausdrücklichen Beschluss des Aufsichtsrats unter Beachtung von § 115 Abs. 1 Satz 3 und Satz 4 lässt nach § 115 Abs. 4 die Rückgewährpflicht entfallen.13) _____________ 5) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 115 Rz. 13; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 33 Rz. 56. 6) K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 115 Rz. 9; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 115 Rz. 16 f. 7) Semler/v. Schenck-v. Schenck, Der Aufsichtsrat, § 115 Rz. 37; Dreher, JZ 1990, 896, 897 und 901. 8) K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 115 Rz. 9; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 115 Rz. 17. 9) K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 115 Rz. 9; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 115 Rz. 17. 10) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 115 Rz. 12; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 115 Rz. 17. 11) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 115 Rz. 16; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 115 Rz. 28. 12) K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 115 Rz. 11; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 115 Rz. 19. 13) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 115 Rz. 19; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 115 Rz. 33.

§ 116 Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder 1

Für die Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder gilt § 93 mit Ausnahme des Absatzes 2 Satz 3 über die Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder sinngemäß. 2Die Aufsichtsratsmitglieder sind insbesondere zur Verschwiegenheit über erhaltene vertrauliche Berichte und vertrauliche Beratungen verpflichtet. 3Sie sind namentlich zum Ersatz verpflichtet, wenn sie eine unangemessene Vergütung festsetzen (§ 87 Absatz 1). Literatur: Annuß/Theusinger, Das VorstAG – Praktische Hinweise zum Umgang mit dem neuen Recht, BB 2009, 2434; Binder, Mittelbare Einbringung eigener Aktien als Sacheinlage und Informationsgrundlagen von Finanzierungsentscheidungen in Vorstand und Aufsichtsrat, ZGR 2012, 757; Buck-Heeb, Wissenszurechnung, Informationsorganisation und Ad-hoc-Mitteilungspflicht bei Kenntnis eines Aufsichtsratsmitglieds, AG 2015, 801; Diekmann/Fleischmann, Umgang mit Interessenkonflikten in Aufsichtsrat und Vorstand der Aktiengesellschaft, AG 2013, 141; Fleischer,

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§ 116

Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder

Aufsichtsratsverantwortlichkeit für die Vorstandsvergütung und Unabhängigkeit der Vergütungsberater, BB 2010, 67; Fleischer, Das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG), NZG 2009, 801; Foerster, Beweislastverteilung und Einsichtrecht bei Inanspruchnahme ausgeschiedener Organmitglieder, ZHR 176 (2012) 221; Harbarth/v. Plettenberg, Aktienrechtsnovelle 2016: Punktuelle Fortentwicklung des Aktienrechts, AG 2016, 145; Hauptmann, Rechte und Pflichten des ausgeschiedenen Aufsichtsratsmitglieds, AG 2017, 329; Helmrich/Eidam, Untreue durch Verzicht auf Schadensersatzansprüche gegen (ehemalige) Führungskräfte einer Aktiengesellschaft?, ZIP 2011, 257; Hoffmann, Urteilsbildungs- und Verhinderungspflicht des Aufsichtsrats, AG 2012, 478; Hoffmann-Becking, Unabhängigkeit im Aufsichtsrat, NZG 2014, 801; HoffmannBecking, Der Aufsichtsrat im Konzern, ZHR 159 (1995) 325; Hoffmann-Becking/Krieger, Leitfaden zur Anwendung des Gesetzes zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG), NZG Beil. zu Heft 26/2009, S. 1; Hopt, Die Verantwortlichkeit von Vorstand und Aufsichtsrat: Grundsatz und Praxisprobleme – unter besonderer Berücksichtigung der Banken, ZIP 2013, 1793; Ihrig/ Wandt, Die Aktienrechtsnovelle 2016, BB 2016, 6; Ihrig/Wandt/Wittgens, Die angemessene Vorstandsvergütung drei Jahre nach Inkrafttreten des VorstAG, Grundsätze, Leitlinien und Zweifelsfragen in der Praxis – eine Bestandsaufnahme, ZIP Beil. zu Heft 40/2012, S. 1; Koch, Wissenszurechnung aus dem Aufsichtsrat, ZIP 2015, 1757; Koch, Begriff und Rechtsfolgen von Interessenkonflikten und Unabhängigkeit im Aktienrecht, ZGR 2014, 697; Lutter, Verhaltenspflichten von Organmitgliedern bei Interessenkonflikten in: Festschrift für Hans-Joachim Priester, 2007, S. 417; Lutter, Der Aufsichtsrat im Konzern, AG 2006, 517; Lutter, Zum unternehmerischen Ermessen des Aufsichtsrats, ZIP 1995, 441; Lutter/Quack, Mitbestimmung und Schadensabwehr, in: Festschrift für Thomas Raiser, 2005, S. 259; Merkt/Mylich, Einlage eigener Aktien und Rechtsrat durch den Aufsichtsrat, NZG 2012, 525; Mülbert/Sajnovits, Verschwiegenheitspflichten von Aufsichtsratsmitgliedern als Schranken der Wissenszurechnung, NJW 2016, 2540; Mutter/Gayk, Wie die Verbesserung der Aufsichtsratsarbeit – wider jede Vernunft – die Haftung verschärft, ZIP 2003, 1773; Säcker/Boesche, Vom Gutsherren zum Gutsverwalter: Wandlungen im Aufsichtsratsrecht unter besonderer Berücksichtigung des Mannesmann-Urteils, BB 2006, 897; Schwintowski, Die Zurechnung des Wissens von Mitgliedern des Aufsichtsrats in einem oder mehreren Unternehmen, ZIP 2015, 617; Seibert, Das VorstAG – Regelungen zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung und zum Aufsichtsrat, WM 2009, 1489; Spindler, Kommunale Mandatsträger in Aufsichtsräten – Verschwiegenheitspflicht und Weisungsgebundenheit, ZIP 2011, 689; Veil, Weitergabe von Informationen durch den Aufsichtsrat an Aktionäre und Dritte, ZHR 172 (2008) 239; Wilsing/v. d. Linden, Selbstbefreiung des Aufsichtsrat vom Gebot der Gremienvertraulichkeit, ZHR 178 (2014) 419; Windbichler, Arbeitnehmerinteressen im Unternehmen und gegenüber dem Unternehmen – Eine Zwischenbilanz, AG 2004, 190; Ziegelmeier, Die Systematik der Haftung von Aufsichtsratsmitgliedern gegenüber der Gesellschaft, ZGR 2007, 144; Ziemons, Rechtsanwälte im Aufsichtsrat – im Dickicht von Berufsrecht, Aktienrecht und Corporate Governance Kodex, ZGR 2016, 839.

Übersicht I. Gegenstand und Zweck der Norm .................................................. 1 II. Sorgfaltspflicht der Aufsichtsratsmitglieder (§ 116 Satz 1) ............ 2 I.

III. Treuepflicht und Verschwiegenheitspflicht (§ 116 Satz 2) ................. 4 IV. Schadensersatzpflicht ..................... 13 V. Verjährung ....................................... 16

Gegenstand und Zweck der Norm

1 In § 116 Satz 1 wird für die Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder lediglich auf die sinngemäße Anwendung der gesamten Parallelnorm für den Vorstand (§ 93 mit Ausnahme des Abs. 2 Satz 3) verwiesen. Insoweit sind jedoch die unterschiedlichen Aufgaben von Vorstand und Aufsichtsrat, insbesondere die Konzeption des Aufsichtsratsmandats als Nebentätigkeit zu berücksichtigen.1) Da § 93 Abs. 2 Satz 3 _____________ 1)

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Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 116 Rz. 11; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 116 Rz. 1.

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Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder

§ 116

ausdrücklich nicht anzuwenden ist, muss die D&O-Versicherung für Aufsichtsratsmitglieder keinen Selbstbehalt enthalten.2) Der DCGK empfiehlt jedoch in Ziff. 3.8 Abs. 3 die Vereinbarung eines der Regelung in § 93 Abs. 2 Satz 3 entsprechenden Selbstbehalts für den Aufsichtsrat.3) § 116 Satz 2 betont die Verpflichtung zur Verschwiegenheit. § 116 Satz 3 hebt die Schadensersatzpflicht der Aufsichtsratsmitglieder bei Festsetzung unangemessener Vergütung des Vorstands deklaratorisch hervor.4) II.

Sorgfaltspflicht der Aufsichtsratsmitglieder (§ 116 Satz 1)

Bei der sinngemäßen Anwendung des § 93 Abs. 1 Satz 1 ist auf die Sorgfalt eines ordent- 2 lichen und gewissenhaften Aufsichtsratsmitglieds – mithin eines Überwachers (§ 111 Abs. 1) – abzustellen.5) Die Sorgfaltspflicht bei der Überwachung der Geschäftsführung nach § 111 Abs. 1 bezieht sich nicht nur auf eine in die Vergangenheit gerichtete Kontrolle der Vorstandstätigkeit; die Überwachung ist auch präventiv angelegt und wirkt in die Zukunft.6) Die Kontrolle erstreckt sich nicht nur auf abgeschlossene Sachverhalte, sondern auch auf grundsätzliche Fragen der künftigen Geschäftspolitik (siehe dazu § 111 Rz. 5).7) Sie ist nicht nur auf eine Rechtmäßigkeitsprüfung beschränkt, sondern muss die Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Geschäftsführung einbeziehen.8) Jedenfalls bei besonders bedeutenden und riskanten Geschäften (zur daraus resultierenden Intensivierung der Überwachungspflicht siehe § 111 Rz. 6) darf der Aufsichtsrat sich nicht auf die bloße Entgegennahme der Informationen des Vorstands beschränken; jedes Aufsichtsratsmitglied trifft die Pflicht zur selbständigen und eigenverantwortlichen Risikoanalyse.9) Kann ein Aufsichtsratsmitglied diese Risikoeinschätzung (etwa bei komplexen Derivatgeschäften) nicht selbst vornehmen, vermag hieraus auch die Pflicht resultieren, auf die Hinzuziehung sachkundiger externer Berater durch den Aufsichtsrat hinzuwirken.10) Befindet die Gesellschaft sich in einer Situation, in der alle vorherigen Aufsichtsratsmitglieder ihre Mandate niedergelegt haben, so steigen auch die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht eines neuen Aufsichtsratsmitglieds; es hat dann etwa die Pflicht, sich zeitnah durch Vorlage der Sitzungsprotokolle über die Beschlusslage des bisherigen Aufsichtsrats zu informieren.11) Für alle Aufsichtsratsmitglieder gilt ein typisierter Verschuldensmaßstab, unabhängig von 3 ihren persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten12); er gilt für die Anteilseigner- und Arbeit_____________ 2) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG), BT-Drucks. 16/13433, S. 11 f.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 116 Rz. 13. 3) Dazu: Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder-Bachmann, DCGK, Rz. 690 f.; Fleischer, NZG 2009, 801, 806. 4) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 116 Rz. 9; Fleischer, NZG 2009, 801, 804. 5) LG Dortmund, Urt. v. 1.8.2001 – 20 O 143/93, AG 2002, 97, 98, dazu EWiR 2002, 463 (Borges); Hopt/ Roth in: GroßKomm-AktG, § 116 Rz. 11; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 33 Rz. 72. 6) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 116 Rz. 107; Raiser/Veil, KapG, § 15 Rz. 126; s. a. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 9.12.2009 – I-6 W 45/09, ZIP 2010, 28, 31 – dort wird eine Pflichtverletzung des Aufsichtsrats damit begründet, dass er Geschäfte des Vorstands, die gegen den Unternehmenszweck verstoßen, nicht hätte „zulassen dürfen“. 7) BGH, Urt. v. 25.3.1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114, 127, 129 f. = ZIP 1991, 653, 654. 8) BGH, Urt. v. 25.3.1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114, 127, 129 f. = ZIP 1991, 653, 654. 9) OLG Stuttgart, Urt. v. 29.2.2012 – 20 U 3/11 (Piëch), ZIP 2012, 625, 627, dazu EWiR 2012, 303 (Lieder); Hoffmann, AG 2012, 478, 482 ff.; BGH, Beschl. v. 6.11.2012 – II ZR 111/12, ZIP 2012, 2438, 2439, dazu EWiR 2013, 229 (Heidel/Schatz). 10) OLG Stuttgart, Urt. v. 29.2.2012 – 20 U 3/11 (Piëch), ZIP 2012, 625, 628; s. dazu Henze, Der Aufsichtsrat 2013, 12, 13 (Urteilsanm.); BGH, Beschl. v. 6.11.2012 – II ZR 111/12, ZIP 2012, 2438, 2439. 11) OLG Düsseldorf, Urt. v. 6.11.2014 – I-6 U 16/14, ZIP 2015, 1586, 1588, dazu EWiR 2015, 509 (Redeke). 12) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 116 Rz. 3; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 13 Rz. 1009; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 116 Rz. 70.

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Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder

nehmervertreter im Aufsichtsrat in gleicher Weise.13) Jedes Aufsichtsratsmitglied muss über den Mindeststandard an Kenntnissen und Fähigkeiten verfügen oder sich aneignen, der zum Verständnis aller normalerweise anfallenden Geschäftsvorgänge erforderlich ist.14) Darüber hinaus sind jedoch Differenzierungen zulässig, d. h. aufgrund einer besonderen Funktion (Ausschussmitgliedschaft, Vorsitz des Aufsichtsrats oder eines Ausschusses, Finanzexperte nach § 100 Abs. 5)15) können für einzelne Aufsichtsratsmitglieder höhere Anforderungen gelten.16) Diese Aufsichtsratsmitglieder haben für die Kenntnisse und Fähigkeiten einzustehen, die die jeweilige besondere Funktion erfordert; verfügen sie nicht hierüber, trifft sie ein Übernahmeverschulden.17) Umstritten ist, ob die individuelle Leistungsfähigkeit bzw. Kenntnisse eine Haftung begründen oder verschärfen können.18) Da die besonderen individuellen Kenntnisse und Fähigkeiten gerade der erklärte Anlass für die Wahl in den Aufsichtsrat waren, haben die jeweiligen Aufsichtsratsmitglieder auch hierfür einzustehen.19) Ein Aufsichtsratsmitglied, das über beruflich erworbene Spezialkenntnisse (etwa als Rechtsanwalt) verfügt, unterliegt einem erhöhten Sorgfaltsmaßstab, soweit diese betroffen sind.20) III.

Treuepflicht und Verschwiegenheitspflicht (§ 116 Satz 2)

4 Die Aufsichtsratsmitglieder trifft eine Treue- und Verschwiegenheitspflicht. Die Treuepflicht verpflichtet sie, sich i. R. ihrer Aufsichtsratstätigkeit der Gesellschaft gegenüber loyal zu verhalten und das Unternehmensinteresse zu wahren, insbesondere andere Interessen dahinter zurückzustellen.21) Maßstab ist das Wohl der Gesellschaft (§ 116 Satz 1 i. V. m. § 93 Abs. 1 Satz 2). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass das Aufsichtsratsmandat als Nebentätigkeit ausgeübt wird, woraus Interessenkonflikte resultieren können.22) Dies ist etwa dann der Fall, wenn das Aufsichtsratsmitglied „hauptberuflich“ Vorstandsmitglied einer anderen Gesellschaft ist. 5 Die Literatur hat mit Blick auf mögliche Konfliktsituationen Fallgruppen gebildet und Lösungsvorschläge für die jeweilige Konfliktsituation entwickelt.23) Im Grundsatz gilt, _____________ 13) BGH, Urt. v. 15.11.1982 – II ZR 27/82 (Hertie), BGHZ 85, 293, 295 f. = ZIP 1983, 55, 56; Hüffer/ Koch-Koch, AktG, § 116 Rz. 3; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 116 Rz. 23. 14) BGH, Urt. v. 15.11.1982 – II ZR 27/82 (Hertie), BGHZ 85, 293, 295 f. = ZIP 1983, 55, 56; Hüffer/ Koch-Koch, AktG, § 116 Rz. 3; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 13 Rz. 1009; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 116 Rz. 24; zur Verschwiegenheitspflicht kommunaler Mandatsträger: Spindler, ZIP 2011, 689, 690 ff. 15) S. dazu K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 116 Rz. 37; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 33 Rz. 75. 16) BGH, Urt. v. 17.5.1993 – II ZR 89/02, ZIP 1993, 1079, 1085 – Kreditausschuss einer Großbank; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 116 Rz. 27; Mutter/Gayk, ZIP 1993, 1773, 1775 – Prüfungsausschuss; Raiser/ Veil, KapG, § 15 Rz. 112. 17) Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 13 Rz. 1008; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 116 Rz. 27 und 70; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 116 Rz. 4. 18) So BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09 (Ision), Rz. 28 a. E., ZIP 2011, 2097, 2102, dazu EWiR 2011, 793 (Vetter); LG Hamburg, Urt. v. 16.12.1980 – 80229/79, ZIP 1981, 194, 197; OLG Düsseldorf, Urt. v. 8.3.1984 – 6 U 75/83, ZIP 1984, 825, 830; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 13 Rz. 1008; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 116 Rz. 28; a. A. Hopt/Roth in: GroßKommAktG, § 116 Rz. 52; Mutter/Gayk, ZIP 2003, 1773, 1775. 19) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 116 Rz. 28; Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 116 Rz. 17; Semler/ v. Schenck-v. Schenck, Der Aufsichtsrat, § 116 Rz. 553. 20) BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09 (Ision), Rz. 28, ZIP 2011, 2097, 2102; zustimmend: Binder, ZGR 2012, 757, 774 f.; Merkt/Mylich, NZG 2012, 525, 530; Hopt, ZIP 2013, 1793, 1798. 21) BGH, Urt. v. 21.12.1979 – II ZR 244/78 (Schaffgotsch), NJW 1980, 1629; OLG Hamburg, Beschl. v. 23.1.1990 – 11 W 92/89 (HEW/Jansen), ZIP 1990, 311, 312 f.; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 116 Rz. 173. 22) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 116 Rz. 44; Raiser/Veil, KapG, § 15 Rz. 115; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 33 Rz. 78; s. a. Koch, ZGR 2014, 697, 700 f. und 707 f. 23) Lutter in: FS Priester, S. 417, 418 ff.; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 12 Rz. 894 ff.; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 33 Rz. 78; Hoffmann-Becking, NZG 2014, 801, 807 f.; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 116 Rz. 190 ff.

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dass Interessenkollisionen das Aufsichtsratsmitglied nicht entlasten. Es bleibt verpflichtet, allein das Wohl der Gesellschaft zu wahren.24) Die Aufsichtsratsmitglieder sind jedoch gehalten, ihre Mitwirkung im Aufsichtsrat unter Berücksichtigung des konkreten Konflikts zu beschränken.25) In konkreten Entscheidungssituationen erscheint (vom Maß des Konflikts abhängig) ein differenziertes Vorgehen zweckmäßig, um den (potentiellen) Interessenkonflikt adäquat zu berücksichtigen bzw. die Mitwirkung im Aufsichtsrat angemessen zu beschränken. Insoweit kommen die Offenlegung des (potentiellen) Interessenkonflikts,26) eine Stimmenthaltung bei einer Abstimmung im Aufsichtsrat, ein Verzicht auf Zugang zu den Informationen zu dem konfliktbelasteten Gegenstand bzw. auf Sitzungsteilnahme bei deren Behandlung im Aufsichtsrat sowie ein vorübergehendes Ruhenlassen des Mandats in Betracht.27) Als Ultima Ratio bleibt die Niederlegung eines der kollidierenden Mandate28), was der DCGK für wesentliche und nicht nur vorübergehende Interessenkonflikte empfiehlt (Ziff. 5.5.3 Satz 2).29) Die gerichtliche Abberufung des Aufsichtsratsmitglieds aus wichtigem Grund (§ 103 Abs. 3) kommt in gravierenden Fällen pflichtwidrigen Verhaltens in Frage.30) In dem Bericht des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung (§ 171 Abs. 2) soll nach dem DCGK über aufgetretene Interessenkonflikte und deren Behandlung berichtet werden (Ziff. 5.5.3 Satz 1 DCGK).31) Für die Arbeitnehmervertreter ergeben sich systemimmanente Interessen- bzw. Pflich- 6 tenkollisionen, da sie nach den Mitbestimmungsgesetzen die Arbeitnehmer und Gewerkschaften repräsentieren.32) Die Arbeitnehmervertreter haben sich bei ihrer Aufsichtsratstätigkeit ausschließlich am Wohle des Unternehmens zu orientieren.33) Die Teilnahme an Tarifverhandlungen (etwa als Verhandlungsführer der Gewerkschaften) sowie die passive Beteiligung an (rechtmäßigen) Arbeitskämpfen wird zutreffend als mit der Aufsichtsratstätigkeit (noch) vereinbar erachtet, eine aktive Beteiligung tendenziell jedoch nicht.34) Die Verschwiegenheitspflicht folgt aus § 116 Satz 1 i. V. m. § 93 Abs. 1 Satz 3 bzw. (dog- 7 matisch) aus der Treuepflicht der Aufsichtsratsmitglieder35) und umfasst nicht allgemein _____________ 24) BGH, Urt. v. 21.12.1979 – II ZR 244/78 (Schaffgotsch), NJW 1980, 1629. 25) Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 12 Rz. 898 ff.; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 33 Rz. 79; Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 145 ff. (Interessenkonflikte sind zugunsten der Gesellschaft aufzulösen). 26) S. a. die diesbezügliche Empfehlung in Ziff. 5.5.2 des DCGK. 27) Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 13 Rz. 1003; Semler/v. Schenck-v. Schenck, ArbHdb. AR, § 5 Rz. 127. 28) LG Hannover, Beschl. v. 12.3.2009 – 21 T 2/09, ZIP 2009, 761, 762; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 13 Rz. 900; Semler/v. Schenck-v. Schenck, ArbHdb. AR, § 5 Rz. 127. 29) S. dazu Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder-Kremer, DCGK, Rz. 1480 f. 30) OLG Hamburg, Beschl. v. 23.1.1990 – 11 W 92/89 (HEW/Jansen), ZIP 1990, 311, 312 f.; Lutter/ Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 12 Rz. 930. 31) Nach BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 185/07, ZIP 2009, 460, 464, ist die Entsprechenserklärung gemäß § 161 unrichtig, wenn hiergegen verstoßen wird; näher dazu: Kremer/Bachmann/Lutter/v. WerderKremer, DCGK, Rz. 1474 ff.; Semler/v. Schenck-v. Schenck, Der Aufsichtsrat, § 116 Rz. 466. 32) Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 12 Rz. 895; Raiser/Veil, KapG, § 15 Rz. 115 und 120; Windbichler, AG 2004, 190 ff. 33) Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 33 Rz. 82; Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 116 Rz. 205; Raiser/Veil, KapG, § 15 Rz. 122; Lutter/Quack in: FS Raiser, S. 259, 264 f. 34) So überwiegend das gesellschaftsrechtliche Schrifttum: Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 12 Rz. 908; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 33 Rz. 82; Semler/v. Schenckv. Schenck, Der Aufsichtsrat, § 116 Rz. 214 f.; a. A. die Lit. zum MitbestG, vgl. Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG/DrittelbG, § 25 MitbestG Rz. 150 f. (Organisation, Führung und Teilnahme an rechtmäßigen Streiks grundsätzlich zulässig); Ulmer/Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 26 MitbestG Rz. 30 (allerdings wird Initiierung oder aktive Leitung als unzulässig erachtet, wenn hierbei Kenntnisse aus dem Aufsichtsrat genutzt würden); s. a. Lutter/Quack in: FS Raiser, S. 259, 266 f. 35) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 116 Rz. 45; Zieglmeier, ZGR 2007, 144, 158.

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bekannte (offenkundige) Tatsachen, an deren Geheimhaltung ein objektives Interesse des Unternehmens besteht.36) Sie ist das funktionsnotwendige Korrelat zur Pflicht des Vorstands, den Aufsichtsrat umfassend nach § 90 AktG zu informieren.37) § 116 Satz 2 betont besonders die Pflicht zur Verschwiegenheit über erhaltene vertrauliche Berichte und Beratungen. Dies hat klarstellenden Charakter bzw. Appellfunktion und enthält Beispiele für die Gegenstände der Verschwiegenheitspflicht, wie sich aus dem Wort „insbesondere“ ergibt.38) Die Verschwiegenheitspflicht erfasst jede vertrauliche Information und insbesondere den gesamten Inhalt und Verlauf der Beratungen des Aufsichtsrats und seiner Ausschüsse.39) Das Beratungsgeheimnis umfasst die Gegenstände und den Gang der Beratungen (einschließlich der Stellungnahmen der Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder) sowie das Abstimmungsergebnis und das Abstimmungsverhalten.40) Die Verschwiegenheitspflicht besteht gegenüber allen nicht zu den Organmitgliedern der Gesellschaft gehörenden Personen (etwa für in den Aufsichtsrat gewählte Bankenvertreter gegenüber der Bank).41) Für Umstände, die unter die Verschwiegenheitspflicht nach § 116 Satz 1 i. V. m. § 93 Abs. 1 Satz 3 fallen, scheidet auch eine Wissenszurechnung aus.42) 8 Für Konzernsachverhalte43) ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Verschwiegenheitspflicht (zu den weiteren Pflichten des Aufsichtsrats der Obergesellschaft, siehe § 111 Rz. 12) auch für die Geheimnisse und vertraulichen Angaben der Konzernunternehmen gilt, und zwar auch für ein Aufsichtsratsmitglied, das von einem herrschenden Unternehmen in den Aufsichtsrat des abhängigen Unternehmens gewählt (oder entsandt) wurde, gegenüber dem herrschenden Unternehmen.44) Für den Aufsichtsrat eines abhängigen Unternehmens wird jedoch von der wohl h. M. angenommen, dass dessen Verschwiegenheitspflicht insoweit gelockert ist, als eine Informationsweitergabe an den Vorstand der herrschenden Gesellschaft zulässig ist.45) Hiergegen wird eingewandt, dass die _____________ 36) BGH, Urt. v. 5.6.1975 – II ZR 156/73, BGHZ 64, 325, 329; BGH, Urt. v. 26.4.2016 – XI ZR 108/15, ZIP 2016, 1063, 1066, dazu EWiR 2016, 423 (Vetter). 37) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 116 Rz. 45; Raiser/Veil, KapG, § 15 Rz. 97; Zieglmeier, ZGR 2007, 144, 158; s. a. OLG München, Urt. v. 14.3.2012 – 7 U 681/11, ZIP 2012, 1671: ein Verstoß gegen das Gebot der Offenheit gegenüber dem Aufsichtsrat vermag die Abberufung eines Vorstandsmitglieds nach § 84 Abs. 3 zu rechtfertigen. 38) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 116 Rz. 10; Veil, ZHR 172 (2008) 239, 242. 39) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 116 Rz. 10; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 116 Rz. 52 und 54. 40) BGH, Urt. v. 5.7.1975 – II ZR 156/73 (Bayer), BGHZ 64, 325, 330 und 332 („vor allem die Stimmabgabe und die Stellungnahme anderer Aufsichtsratsmitglieder“); BGH, Beschl. v. 14.1.2014 – II ZB 5/12, Rz. 76 f., ZIP 2014, 671, 678, dazu EWiR 2014, 309 (Bungert/de Raet); OLG Düsseldorf, Beschl. v. 13.7.2015 – I-26 W 16/14, ZIP 2015, 1779, 1781; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 33 Rz. 51. 41) BGH, Urt. v. 26.4.2016 – XI ZR 108/15, Rz. 32, ZIP 2016, 1063, 1066; BGH, Urt. v. 26.4.2016 – XI ZR 110/15, Rz. 31, BKR 2016, 345, 348. 42) BGH, Urt. v. 26.4.2016 – XI ZR 108/15, Rz. 32, ZIP 2016, 1063, 1066; BGH, Urt. v. 26.4.2016 – XI ZR 110/15, Rz. 31, BKR 2016, 345, 348; näher dazu: Mülbert/Sajnovits, NJW 2016, 2540 ff.; ausführlich zur Wissenszurechnung aus dem Aufsichtsrat: Schwintowski, ZIP 2015, 617 ff.; Koch, ZIP 2015, 1757 ff.; Buck-Heeb, AG 2015, 801 ff. 43) Ausführlich zum Aufsichtsrat im Konzern: Lutter, AG 2006, 517 ff.; Hoffmann-Becking, ZHR 159 (1995) 325 ff. 44) Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 6 Rz. 281; Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 116 Rz. 121; Semler/v. Schenck-v. Schenck, Der Aufsichtsrat, § 116 Rz. 462 f.; Habersack in: MünchKommAktG, § 116 Rz. 57; s. a. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 116 Rz. 12. 45) Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 6 Rz. 282; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 116 Rz. 12; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 107 Rz. 42, K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 116 Rz. 37 (soweit es der einheitlichen Leitung des Konzerns dient); a. A.: Habersack in: MünchKomm-AktG, § 116 Rz. 57; Semler/v. Schenck-v. Schenck, Der Aufsichtsrat, § 116 Rz. 463.

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Informationserteilung Sache des Vorstands ist.46) Für die Praxis bietet sich als Ausweg an, dass der Vorstand des abhängigen Unternehmens sein Einverständnis mit der Informationsweitergabe erklärt.47) Die Verschwiegenheitspflicht gilt für Anteilseigner- und Arbeitnehmervertreter im 9 Aufsichtsrat gleichermaßen,48) es gibt keine gespaltene Vertraulichkeit.49) Sie ist abschließend geregelt und darf durch Regelungen in der Satzung oder Geschäftsordnung weder abgemildert noch verschärft werden.50) Zulässig sind jedoch das Gesetz erläuternde Hinweise bzw. Richtlinien.51) Die Aufsichtsratsmitglieder verfügen über keinen Beurteilungsspielraum bei der Frage, ob eine Information nach § 116 geheimhaltungspflichtig ist. Entscheidend ist die objektiv am Interesse der Gesellschaft ausgerichtete Beurteilung,52) die gerichtlich voll nachprüfbar ist.53) Da es nicht disponibel ist, welche Informationen der Geheimhaltungspflicht unterliegen, ist auch eine im Vorhinein erklärte bereichsweite Befreiung eines Aufsichtsratsmitglieds weder ausdrücklich noch konkludent möglich.54) Die Offenlegung von Informationen, die der Verschwiegenheitspflicht unterfallen, kann 10 in bestimmten (Konflikt-)Situationen im Interesse der Gesellschaft sein.55) Da die Weitergabe von Informationen und die Informationspolitik Aufgaben des Vorstands sind, wird angenommen, dass dieser auch für die Entscheidung über die Offenlegung zuständig ist.56) Allein dem Vorstand als „Herrn der Geschäftsgeheimnisse“57) obliegt es, im Einzelfall nach sorgfältiger Interessenabwägung für eine Offenlegung zu optieren und vertrauliche Angaben oder Geheimnisse öffentlich zu machen.58) Der BGH geht jedoch auch davon aus, dass der Aufsichtsrat sich von der Verschwiegenheitspflicht des § 116 Satz 2 „in gewissen Grenzen“ selbst befreien kann.59) Diese Kompetenz ist dem Aufsichtsrat als Ge_____________ 46) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 116 Rz. 57; dies konzediert grundsätzlich auch Hüffer/KochKoch, AktG, § 116 Rz. 12; s. a. BGH, Urt. v. 26.4.2016 – XI ZR 108/15, Rz. 35, ZIP 2016, 1063, 1067: Allein der Vorstand ist „Herr der Geschäftsgeheimnisse“. 47) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 116 Rz. 12; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 107 Rz. 42 (Fn. 141). 48) Zur partiellen Durchbrechung durch § 394 AktG zugunsten der Vertreter von Gebietskörperschaften: Spindler, ZIP 2011, 689, 691 ff.; zu Rechtsanwälten im Aufsichtsrat und dem auch dann geltenden Vorrang der aktienrechtlichen Verschwiegenheitspflicht: Ziemons, ZGR 2016, 839, 855 f. 49) OLG Stuttgart, Beschl. v. 7.11.2006 – 8 W 388/06, AG 2007, 218, 219; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 33 Rz. 58; Semler/v. Schenck-v. Schenck, Der Aufsichtsrat, § 116 Rz. 416. 50) BGH, Urt. v. 5.6.1975 – II ZR 156/73 (Bayer), BGHZ 64, 325, 326 f. = NJW 1975, 1412. 51) BGH, Urt. v. 5.6.1975 – II ZR 156/73 (Bayer), BGHZ 64, 325, 328 = NJW 1975, 1412, 1413; s. dazu: Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 33 Rz. 66 f.; Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 116 Rz. 96. 52) BGH, Urt. v. 5.6.1975 – II ZR 156/73 (Bayer), BGHZ 64, 325, 329 = NJW 1975, 1412, 1413; OLG Stuttgart, Beschl. v. 7.11.2006 – 8 W 388/06, AG 2007, 218, 219; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 33 Rz. 50; Veil, ZHR 172 (2008) 239, 244. 53) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 116 Rz. 11 a. E.; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 116 Rz. 53; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 33 Rz. 62. 54) BGH, Urt. v. 26.4.2016 – XI ZR 108/15, Rz. 34, ZIP 2016, 1063, 1067; BGH, Urt. v. 26.4.2016 – XI ZR 110/15, Rz. 33, BKR 2016, 348. 55) Ausführlich dazu: Semler/v. Schenck-v. Schenck, Der Aufsichtsrat, § 116 Rz. 471 ff.; s. a. Lutter/Krieger/ Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 6 Rz. 283. 56) Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des AR, § 6 Rz. 284; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 116 Rz. 62 (u. U. nach Einholung der Zustimmung des Aufsichtsrats). 57) BGH, Urt. v. 5.6.1975 – II ZR 156/73 (Bayer), BGHZ 64, 325, 329 = NJW 1975, 1412, 1413. 58) BGH, Urt. v. 26.4.2016 – XI ZR 110/15, Rz. 34, BKR 2016, 345, 348. 59) BGH, Urt. v. 23.4.2012 – II ZR 163/10, Rz. 40, BGHZ 193, 110 = ZIP 2012, 1291, 1294, dazu EWiR 2012, 437 (Bross); s. a. BGH, Urt. v. 19.2.2013 – II ZR 56/12, Rz. 30, ZIP 2013, 720, 723, dazu EWiR 2013, 333 (Schatz); ausführlich und kritisch zu diesen Entscheidungen insoweit: Wilsing/v. d. Linden, ZHR 178 (2014) 419, 426 ff.

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samtorgan zuzubilligen, wenn die Geheimnisse in seine Sphäre fallen, weshalb etwa die Frage der Offenlegung von Aufsichtsratsprotokollen von ihm zu entscheiden ist.60) 11 Die Verschwiegenheitspflicht gilt unbefristet, d. h. auch nach Ausscheiden aus dem Aufsichtsrat darf das (ehemalige) Aufsichtsratsmitglied die während seiner Amtszeit erlangten Informationen nicht preisgeben.61) Nach dem Ausscheiden ist das Aufsichtsratsmitglied verpflichtet, alle in seinem Besitz befindlichen Geschäftsunterlagen (einschließlich Duplikate und Kopien) zurückzugeben62) (siehe dazu auch § 107 Rz. 12). Sollte die Gesellschaft das ausgeschiedene Aufsichtsratsmitglied wegen einer Pflichtverletzung in Anspruch nehmen, muss die Gesellschaft ihm Einsicht in die dafür maßgeblichen Unterlagen gewähren63) (entsprechend § 810 BGB)64). 12 Spezialgesetzliche Grenzen der Verschwiegenheitspflicht für Vertreter von Gebietskörperschaften enthalten die §§ 394, 395.65) Im Rahmen der Aktienrechtsnovelle 2016 wurde ein neuer Satz 3 in § 394 eingefügt.66) Danach kann die Berichtspflicht, die nach § 394 Satz 1 dazu führt, dass diese Aufsichtsratsmitglieder keiner Verschwiegenheitspflicht unterliegen, auf Gesetz, Satzung oder dem Aufsichtsrat in Textform mitgeteilten Rechtsgeschäft beruhen können (zu den Einzelheiten siehe § 394 Rz. 4 ff.) IV.

Schadensersatzpflicht

13 Verletzen Aufsichtsratsmitglieder ihre Pflichten, so sind sie gemäß § 116 Satz 1 i. V. m. § 93 als Gesamtschuldner der Gesellschaft zum Schadensersatz verpflichtet. Die in § 116 Satz 1 vorgesehene sinngemäße Anwendung des § 93 gilt für die Haftung der Aufsichtsratsmitglieder. Auf die Ausführungen zur Haftung der Vorstandsmitglieder wird daher verwiesen (siehe § 93 Rz. 63 ff.). Für die Aufsichtsratsmitglieder gilt auch § 93 Abs. 1 Satz 2 und damit die dort kodifizierte „Business Judgment Rule“ (siehe dazu § 93 Rz. 22 ff.), soweit der Aufsichtsrat eine unternehmerische Entscheidung trifft.67) Hier sind etwa die Zustimmung zu zustimmungspflichtigen Geschäften nach § 111 Abs. 4 Satz 268) und die Personalentscheidungen des Aufsichtsrats (Auswahl der Vorstandsmitglieder)69) sowie die

_____________ 60) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 116 Rz. 240; Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 116 Rz. 102; ähnlich Habersack in: MünchKomm-AktG, § 116 Rz. 62 (nach Maßgabe der funktionalen Zuständigkeit des Aufsichtsrats). 61) OLG Koblenz, Beschl. v. 5.3.1987 – 6 W 38/87, WM 1987, 480, 481 = ZIP 1987, 637; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 116 Rz. 15 und 50; Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 116 Rz. 108. 62) BGH, Beschl. v. 7.7.2008 – II ZR 71/07 (Metro), Rz. 3 und 7, ZIP 2008, 1821, 1822, dazu EWiR 2008, 737 (Paul); Habersack in: MünchKomm-AktG, § 116 Rz. 15 und 50; Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 116 Rz. 108; kritisch dazu Semler/v. Schenck-v. Schenck, Der Aufsichtsrat, § 116 Rz. 857. 63) BGH, Beschl. v. 7.7.2008 – II ZR 71/07 (Metro), Rz. 5, ZIP 2008, 1821, 1822; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 25.9.1979 – 5 U 210/78, DB 1979, 2476 f.; s. a. Hauptmann, AG 2017, 329, 335. 64) OLG Frankfurt/M., Urt. v. 25.9.1979 – 5 U 210/78, DB 1979, 2476 f.; näher dazu Foerster, ZHR 176 (2012) 221, 232 f. 65) Hopt/Roth in: GroßKomm-AktG, § 116 Rz. 278. 66) S. dazu Harbarth/v. Plettenberg, AG 2016, 145, 154; Ihrig/Wandt, BB 2016, 6, 13 f. 67) K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 116 Rz. 11; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 116 Rz. 39 ff.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 116 Rz. 5; Raiser/Veil, KapG, § 15 Rz. 93. 68) Lutter, ZIP 1995, 441, 442; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 116 Rz. 41; Semler/v. Schenckv. Schenck, Der Aufsichtsrat, § 116 Rz. 304. 69) Lutter, ZIP 1995, 441, 442; Habersack in: MünchKomm-AktG, § 116 Rz. 41; Semler/v. Schenck-v. Schenck, Der Aufsichtsrat, § 116 Rz. 304; s. a. OLG München, Urt. v. 12.1.2017 – 23 U 3582/16, ZIP 2017, 372, 374, dazu EWiR 2017, 233 (Goslar): „breites, eigenes unternehmerisches Ermessen“ des Aufsichtsrats bei der Entscheidung über die Bestellung.

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Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder

§ 116

Festsetzung der Vorstandsbezüge70) zu nennen. Eine unternehmerische Entscheidung liegt dagegen nicht vor, wenn der Aufsichtsrat nach den Grundsätzen der ARAG/GarmenbeckEntscheidung des BGH71) zur Verfolgung von Ersatzansprüchen gegen Vorstandsmitglieder verpflichtet ist72) (siehe dazu § 111 Rz. 8). § 116 Satz 3 hebt die Schadensersatzpflicht der Aufsichtsratsmitglieder bei Festsetzung 14 einer unangemessenen Vergütung (Verstoß gegen § 87 Abs. 1) deklaratorisch hervor.73) Die angemessene Festsetzung der Vorstandsvergütung gehörte auch vor Einfügung dieser Norm durch das VorstAG74) bereits zu den Organpflichten des Aufsichtsrats.75) Die Pflichten des Aufsichtsrats bei der Festsetzung der Vorstandsvergütung ergeben sich aus § 87 Abs. 1 (siehe dazu § 87 Rz. 3 ff.); eine Billigung des Vergütungssystems nach § 120 Abs. 4 lässt eine etwaige Haftung des Aufsichtsrats unberührt.76) Da § 116 Satz 3 nur deklaratorische Bedeutung hat, bleibt eine Haftung für Sorgfaltspflichtverletzungen bei der Vergütungsherabsetzung nach § 87 Abs. 2 unberührt; sie ergibt sich aus §§ 116 Satz 1, 93 Abs. 2.77) Die Ersatzpflicht nach §§ 116, 93 besteht nur gegenüber der Gesellschaft (Innenhaftung); 15 eine Haftung gegenüber Aktionären oder Dritten (Außenhaftung) kann sich etwa aus § 117 Abs. 2 sowie aus Deliktsrecht (insbesondere nach §§ 826, 830 BGB) ergeben.78) Letzteres kommt auch in Betracht, wenn der Aufsichtsrat vorsätzlich strafbares oder sittenwidriges Handeln des Vorstands veranlasst oder unterstützt.79) V.

Verjährung

Ersatzansprüche aus Sorgfaltspflichtverletzungen gegen Aufsichtsratsmitglieder verjähren 16 nach §§ 116 Satz 1, 93 Abs. 6 in fünf Jahren, bei börsennotierten Gesellschaften (und Kreditinstituten, § 52a Abs. 1 KWG) in zehn Jahren (maßgeblich ist die Börsennotierung im Zeitpunkt der Pflichtverletzung).80) _____________ 70) Fleischer, BB 2010, 67, 70; Ihrig/Wandt/Wittgens, ZIP Beil. zu Heft 40/2012, S. 1, 29 (innerhalb des gesetzlich vorgegebenen Rahmens); Semler/v. Schenck-v. Schenck, Der Aufsichtsrat, § 116 Rz. 304 und 524; a. A. Habersack in: MünchKomm-AktG, § 116 Rz. 41; das LG München I, Beschl. v. 29.3.2007 – 5 HK O 12931/06, AG 2007, 458 = ZIP 2007, 1664, dazu EWiR 2007, 481 (Kort), geht von einem weiten Beurteilungs- und Ermessensspielraum des Aufsichtsrats bei der Beurteilung der Angemessenheit der Vorstandsbezüge aus. 71) BGH, Urt. v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, 254 f. = ZIP 1997, 883, 886; s. Helmrich/ Eidam, ZIP 2011, 257 ff. (zu etwaigen strafrechtlichen Aspekten eines Verfolgungsverzichts). 72) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 116 Rz. 42 (allerdings komme dem Aufsichtsrat insoweit ein gewisser Beurteilungsspielraum zu, als er zu prüfen habe, ob Interessen der Gesellschaft den Verzicht auf die Anspruchsverfolgung rechtfertigen); Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 116 Rz. 5; a. A. Semler/ v. Schenck-v. Schenck, Der Aufsichtsrat, § 116 Rz. 308. 73) Ihrig/Wandt/Wittgens, ZIP Beil. zu Heft 40/2012, S. 1, 29 (innerhalb des gesetzlich vorgegebenen Rahmens); Seibert, WM 2009, 1489, 1491; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 116 Rz. 18. 74) Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) v. 31.7.2009, BGBl. I, 2015, 2509, ausführlich dazu Hoffmann-Becking/Krieger, NZG Beil. zu Heft 26/2009, S. 1 ff.; Ihrig/Wandt/ Wittgens, ZIP Beil. zu Heft 40/2012, S. 2 ff. 75) Annuß/Theusinger, BB 2009, 2434, 2440; ausführlich zu den Voraussetzungen für die Gewährung von Sondervergütungen unter Berücksichtigung des Mannesmann-Urteils: Säcker/Boesche, BB 2006, 897 ff. 76) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 116 Rz. 42a; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 116 Rz. 13. 77) Habersack in: MünchKomm-AktG, § 116 Rz. 42a; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 116 Rz. 13; Semler/ v. Schenck-v. Schenck, Der Aufsichtsrat, § 116 Rz. 523. 78) K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 116 Rz. 50; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 116 Rz. 14; ausführlich dazu: Habersack in: MünchKomm-AktG, § 116 Rz. 75 ff.; Semler/v. Schenck-v. Schenck, Der Aufsichtsrat, § 116 Rz. 740 ff. 79) OLG Düsseldorf, Urt. v. 23.6.2008 – I-9 U 22/08, ZIP 2008, 1922, 1923; K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 116 Rz. 50; kritisch dazu Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 116 Rz. 14. 80) Semler/v. Schenck-v. Schenck, Der Aufsichtsrat, § 116 Rz. 714; Spindler/Stilz-Spindler, AktG, § 116 Rz. 175.

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§ 117

Schadenersatzpflicht

Dritter Abschnitt Benutzung des Einflusses auf die Gesellschaft § 117 Schadenersatzpflicht Dirk Kocher

(1) 1Wer vorsätzlich unter Benutzung seines Einflusses auf die Gesellschaft ein Mitglied des Vorstands oder des Aufsichtsrats, einen Prokuristen oder einen Handlungsbevollmächtigten dazu bestimmt, zum Schaden der Gesellschaft oder ihrer Aktionäre zu handeln, ist der Gesellschaft zum Ersatz des ihr daraus entstehenden Schadens verpflichtet. 2Er ist auch den Aktionären zum Ersatz des ihnen daraus entstehenden Schadens verpflichtet, soweit sie, abgesehen von einem Schaden, der ihnen durch Schädigung der Gesellschaft zugefügt worden ist, geschädigt worden sind. (2) 1Neben ihm haften als Gesamtschuldner die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats, wenn sie unter Verletzung ihrer Pflichten gehandelt haben. 2Ist streitig, ob sie die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters angewandt haben, so trifft sie die Beweislast. 3Der Gesellschaft und auch den Aktionären gegenüber tritt die Ersatzpflicht der Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats nicht ein, wenn die Handlung auf einem gesetzmäßigen Beschluß der Hauptversammlung beruht. 4Dadurch, daß der Aufsichtsrat die Handlung gebilligt hat, wird die Ersatzpflicht nicht ausgeschlossen. (3) Neben ihm haftet ferner als Gesamtschuldner, wer durch die schädigende Handlung einen Vorteil erlangt hat, sofern er die Beeinflussung vorsätzlich veranlaßt hat. (4) Für die Aufhebung der Ersatzpflicht gegenüber der Gesellschaft gilt sinngemäß § 93 Abs. 4 Satz 3 und 4. (5) 1Der Ersatzanspruch der Gesellschaft kann auch von den Gläubigern der Gesellschaft geltend gemacht werden, soweit sie von dieser keine Befriedigung erlangen können. 2Den Gläubigern gegenüber wird die Ersatzpflicht weder durch einen Verzicht oder Vergleich der Gesellschaft noch dadurch aufgehoben, daß die Handlung auf einem Beschluß der Hauptversammlung beruht. 3Ist über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet, so übt während dessen Dauer der Insolvenzverwalter oder der Sachwalter das Recht der Gläubiger aus. (6) Die Ansprüche aus diesen Vorschriften verjähren in fünf Jahren. (7) Diese Vorschriften gelten nicht, wenn das Mitglied des Vorstands oder des Aufsichtsrats, der Prokurist oder der Handlungsbevollmächtigte durch Ausübung 1. der Leitungsmacht auf Grund eines Beherrschungsvertrags oder 2. der Leitungsmacht einer Hauptgesellschaft (§ 319), in die die Gesellschaft eingegliedert ist, zu der schädigenden Handlung bestimmt worden ist. Literatur: Hoffmann, Grenzen der Einflussnahme auf Unternehmensleitungsentscheidungen durch Kreditgläubiger, WM 2012, 10; Kocher, Strategien im Umgang mit aktivistischen Aktionären und Investoren in Deutschland, DB 2016, 2887; Prütting, J., Der Vermögensschutz von Gesellschaften gegenüber externer Einflussnahme – geprüft am Beispiel der GmbH, ZGR 2015, 849; Redeke, Zur Verlängerung der Verjährungsfristen für Organhaftungsansprüche, BB 2010, 910; Schockenhoff/Culmann, Shareholder Activism in Deutschland, ZIP 2015, 297; Thaeter/Guski, Shareholder Activism: Gesellschaftsrechtliche Schranken aktiven Aktionärsverhaltens, AG 2007, 301; Ulmer, Das Sonderrecht der §§ 311 ff. AktG und sein Verhältnis zur allgemeinen aktienrechtlichen Haftung für Schädigungen der AG, in: Festschrift für Uwe Hüffer, 2010, S. 999.

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§ 117

Schadenersatzpflicht Übersicht I. Bedeutung und Rechtsnatur ............ 1 II. Haftung wegen schädigender Beeinflussung (§ 117 Abs. 1) ............ 3 1. Benutzung von Einfluss ..................... 3 2. Schaden der Gesellschaft und/oder von Aktionären ................................... 4 3. Rechtswidrigkeit und Vorsatz ........... 5 4. Rechtsdurchsetzung ........................... 7 III. Mithaftung (§ 117 Abs. 2, Abs. 3) ...... 8 I.

1. Der Verwaltung (§ 117 Abs. 2) ......... 8 2. Des Nutznießers (§ 117 Abs. 3) ..... 10 IV. Haftungsmodalitäten (§ 117 Abs. 4, Abs. 6) .................................. 11 1. Verzicht/Vergleich (§ 117 Abs. 4) ................................... 11 2. Verjährung (§ 117 Abs. 6) ............... 12 V. Ausnahmen (§ 117 Abs. 7) ............. 13 VI. Konkurrenzen ................................. 14

Bedeutung und Rechtsnatur

Die praktische Bedeutung der Norm ist verschwindend,1) obgleich versucht wird, einen 1 gegenüber dem Konzernrecht eigenständigen Anwendungsbereich zu erschließen.2) Überwiegend wird § 117 dem Deliktsrecht zugeordnet,3) mit der Folge, dass §§ 393, 830, 840 2 BGB Anwendung finden.4) Schutzzweck ist der Schutz des Gesellschaftsvermögens und des Aktionärsvermögens5) sowie die Autonomie der Willensbildung in der Gesellschaft.6) II.

Haftung wegen schädigender Beeinflussung (§ 117 Abs. 1)

1.

Benutzung von Einfluss

Unter „Einfluss auf die Gesellschaft“ versteht man eine rechtliche oder tatsächliche 3 Machtstellung, die zur Durchsetzung gesellschaftsfremder Interessen geeignet ist,7) unabhängig davon, woraus diese entspringt.8) Der mögliche Täterkreis beschränkt sich nicht auf Gesellschafter; auch Organe, Funktionsträger und Repräsentanten der Arbeitnehmer der Gesellschaft, Kreditgeber,9) Lieferanten,10) und sonstige Gläubiger, politische Amtsinhaber oder dem Organmitglied/leitenden Angestellten persönlich verbundene Individuen sind tauglich.11) Sowohl juristische als auch natürliche Personen kommen in Betracht.12) In _____________ 1) Vgl. Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 117 Rz. 1; Schockenhoff/Culmann, ZIP 2015, 297, 307; Thaeter/ Guski, AG 2007, 301, 304. Für analoge Anwendung von Abs. 1 auf die GmbH J. Prütting, ZGR 2015, 849, 868 ff. 2) So für ausländische, in Deutschland notierte Kapitalgesellschaften (etwa britische PLCs) i. S. eines „Sonderkonzernrechts“ und zur denkbaren Erstreckung auf andere Kapitalgesellschaftsformen i. S. eines „Auffangkonzernrechts“ Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 117 Rz. 33, 34. 3) BGH, Urt. v. 22.6.1992 – II ZR 178/90, ZIP 1992, 1464, 1471; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 117 Rz. 4; Kort in: GroßKomm-AktG, § 117 Rz. 19 u. 94 f.; a. A. Voigt, Haftung aus Einfluss auf die Aktiengesellschaft (§§ 117, 309, 317 AktG), 2004, S. 80 ff. – Haftung aus Sonderverbindung in Form einer organhaftungsähnlichen Verantwortlichkeit des Einflussnehmers. 4) Bürgers/Körber-Israel, AktG, § 117 Rz. 1; K. Schmidt/Lutter-Witt, AktG, § 117 Rz. 2; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 117 Rz. 5. 5) Allg. M., vgl. nur Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 117 Rz. 5 m. w. N. 6) K. Schmidt/Lutter-Witt, AktG, § 117 Rz. 1. 7) Allg. M., vgl. etwa Heidel-Walchner, AktR, § 117 AktG Rz. 5; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 117 Rz. 10. 8) Vgl. K. Schmidt/Lutter-Witt, AktG, § 117 Rz. 6; ausführlich Spindler in: MünchKomm-AktG, § 117 Rz. 16 ff. 9) Hoffmann, WM 2012, 10, 13. 10) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 117 Rz. 3. 11) K. Schmidt/Lutter-Witt, AktG, § 117, Rz. 6; zur umstrittenen Frage, ob weisungsabhängig handelnde Angestellte Täter sein können ablehnend Kort in: GroßKomm-AktG, § 117 Rz. 102, da sie nicht „[w]er“ i. S. der Norm, sondern nur ein Werkzeug, seien, mit einschränkendem Verweis auf haftungsrechtliche Privilegierungen im Außenverhältnis; bejahend Spindler in: MünchKomm-AktG, § 117 Rz. 11. 12) Grigoleit-Grigoleit/Tomasic, AktG, § 117 Rz. 8; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 117 Rz. 10.

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§ 117

Schadenersatzpflicht

jüngster Zeit wird das Thema im Zusammenhang mit aktivistischen Aktionären diskutiert, ist auch dort aber nur in seltenen Extremfällen einschlägig.13) Der Einfluss muss im Sinne einer Instrumentalisierung der Machtstellung benutzt werden.14) Regelfall ist die Einflussnahme auf einzelne Verwaltungsmitglieder15) oder auf das gesamte Organ.16) Die Einflussnahmehandlung muss zumindest mitursächlich werden für das Handeln der Organmitglieder, Prokuristen oder Handlungsbevollmächtigten. Sie erfordert kein missbräuchliches oder verwerfliches Verhalten,17) das über die Rechtswidrigkeit (siehe unten Rz. 5) hinausgeht. 2.

Schaden der Gesellschaft und/oder von Aktionären

4 Die Einflussnahme muss kausal werden für einen nach dem allgemeinen Schadensrecht zu ermittelnden Schaden bei der Gesellschaft (§ 117 Abs. 1 Satz 1) und/oder den Aktionären (§ 117 Abs. 1 Satz 2),18) bei letzteren jedoch nur, soweit er über den durch Wertverlust der Aktien verursachten Schaden hinausgeht.19) 3.

Rechtswidrigkeit und Vorsatz

5 Es ist umstritten, ob die Rechtswidrigkeit der Einflussnahme durch die Tatbestandsmäßigkeit indiziert wird20) oder ob sie gesondert festzustellen ist.21) Letztgenannter Auffassung ist zu folgen, da bei offenen Tatbeständen die Rechtswidrigkeit stets im Wege einer besonderen Wertung ermittelt werden muss.22) Es soll eine umfassende Interessenabwägung stattfinden. Gegenüberzustellen sind auf der einen Seite die Vermögensinteressen der Gesellschaft bzw. ihrer Aktionäre sowie auf der anderen Seite sonstige Gesellschafts- und Unternehmensbelange.23) Die Rechtswidrigkeit entfällt regelmäßig, wenn sich das beeinflusste Verwaltungsmitglied oder -organ pflichtgemäß verhalten hat. Zu seinen Gunsten, nicht aber zu denjenigen des Einflussnehmenden, findet die Business Judgment Rule Anwendung.24) Die Rechtswidrigkeit kann sich jedoch selbst bei pflichtgemäßem Handeln des Beeinflussten daraus ergeben, dass die Art und Weise der Einflussnahme missbräuchlich oder verwerflich ist.25) 6 Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz – dolus eventualis genügt – bzgl. aller objektiven Tatbestandsmerkmale. Der in Absatz 1 geforderte Vorsatz muss das Wissen, _____________ 13) Schockenhoff/Culmann, ZIP 2015, 297, 307; Thaeter/Guski, AG 2007, 301 ff.; Kocher, DB 2016, 2887, 2889. 14) Kort in: GroßKomm-AktG, § 117 Rz. 128; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 117 Rz. 3. 15) Grigoleit-Grigoleit/Tomasic, AktG, § 117 Rz. 9; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 117 Rz. 17. 16) Damit geht die Beeinflussung einzelner Organmitglieder einher, vgl. Spindler in: MünchKomm-AktG, § 117 Rz. 21; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 117 Rz. 4. 17) Hölters-Leuering/Goertz, AktG, § 117 Rz. 4; K. Schmidt/Lutter-Witt, AktG, § 117 Rz. 7. 18) Henssler/Strohn-Henssler, GesR, § 117 AktG Rz. 2; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 117 Rz. 27. 19) BGH, Urt. v. 4.3.1985 – II ZR 271/83, ZIP 1985, 607, 607. 20) Kort in: GroßKomm-AktG, § 117 Rz. 154, welchem zufolge die Rechtswidrigkeit der Einflussnahme durch eine pflichtwidrige Handlung des Beeinflussten indiziert wird; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 117 Rz. 22 f.; mit Einschränkungen Spindler in: MünchKomm-AktG, § 117 Rz. 31 m. w. N. 21) So etwa Hoffmann, WM 2012, 10, 13; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 117 Rz. 6 m. w. N. Hier ist noch streitig, ob eine solche Feststellung stets erforderlich ist oder nur in Fällen, in denen dem handelnden Organmitglied/leitenden Angestellten keine Pflichtwidrigkeit vorgeworfen werden kann, vgl. auch K. Schmidt/Lutter-Witt, AktG, § 117 Rz. 10; Grigoleit-Grigoleit/Tomasic, AktG, § 117 Rz. 10 ff., die die Pflichtwidrigkeit als zusätzliches Tatbestandsmerkmal einordnen. 22) Vgl. nur Palandt-Sprau, BGB, § 823 Rz. 25. 23) Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 117 Rz. 23. 24) Allg. M., vgl. etwa Kort in: GroßKomm-AktG, § 117 Rz. 153; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 117 Rz. 24; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 117 Rz. 34. 25) Kort in: GroßKomm-AktG, § 117 Rz. 155; Hölters-Leuering/Goertz, AktG, § 117 Rz. 6; ungeachtet der Einordnung der Pflichtwidrigkeit als zusätzliches Tatbestandsmerkmal so auch Grigoleit-Grigoleit/ Tomasic, AktG, § 117 Rz. 13.

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§ 117

Schadenersatzpflicht

Einfluss auf die Gesellschaft zu haben, den Willen, diesen Einfluss zur Bestimmung des Verwaltungsmitglieds zu einem Handeln oder Unterlassen zu benutzen, und das Bewusstsein, dass dieses Handeln oder Unterlassen objektiv gegen die Pflichten des verleiteten Verwaltungsmitglieds verstößt, umfassen. Wissen um die Pflichtwidrigkeit des Verwaltungshandelns begrenzt die Haftung insbesondere in den Fällen, in denen der Einflussnehmer berechtigte eigene Interessen verfolgt.26) Die Beweislast liegt beim Anspruchssteller, eine Beweislastumkehr wie in § 117 Abs. 2 Satz 2 ist nicht vorgesehen. Einige Stimmen plädieren in Ausnahmefällen für eine Vermutung des Schädigungsvorsatzes, wenn beim Einflussnehmenden eine Vorteilserlangung in Höhe des Schadens der Gesellschaft gegeben ist.27) Dies ist jedoch zu pauschal. 4.

Rechtsdurchsetzung

Ersatzansprüche der Gesellschaft sind vom Vorstand geltend zu machen, soweit sie sich 7 nicht (auch) gegen den Vorstand richten; insoweit ist der Aufsichtsrat zuständig (§ 112).28) Soweit diese Organe nicht tätig werden, können die Aktionäre nach §§ 147, 148 vorgehen.29) Hat ein Aktionär einen unmittelbaren Anspruch nach § 117 Abs. 1 Satz 2, so kann er direkt gegen den Einflussinhaber vorgehen.30) Nach § 117 Abs. 5 können Gläubiger den Ersatzanspruch der Gesellschaft geltend machen, wenn sie gegenüber der Gesellschaft ausfallen. III.

Mithaftung (§ 117 Abs. 2, Abs. 3)

1.

Der Verwaltung (§ 117 Abs. 2)

Neben dem Einflussnehmenden haften die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichts- 8 rats gesamtschuldnerisch (§ 421 BGB), wenn sie ihre Pflichten verletzt haben, sich nicht exkulpieren können (§ 117 Abs. 2 Satz 2) und ihr Handeln nicht auf einem gesetzmäßigen Hauptversammlungsbeschluss beruht (§ 117 Abs. 2 Satz 3). Eine Billigung des Aufsichtsrats ist unbeachtlich (§ 117 Abs. 2 Satz 4). Eine Freistellung von der Haftung gemäß § 117 Abs. 2 im Anstellungsvertrag oder in der Satzung scheidet parallel zur Unmöglichkeit der Haftungsfreistellung bei Vorstandspflichtverletzungen aus.31) Beim Fehlen einer Haupttat (etwa für den Fall fehlenden Vorsatzes beim Einflussnehmer) wird die Mithaftung des vorsätzlich handelnden Verwaltungsmitglieds im Wege einer teleologischen Extension der Vorschrift erwogen, um die beim Wegfall der Haupttat ansonsten entstehende Haftungslücke zu schließen.32) Die Voraussetzungen der Mithaftung entsprechen denen der §§ 93, 116, sodass die Norm 9 in der Praxis allein i. R. der Ansprüche der Aktionäre gemäß § 117 Abs. 1 Satz 2 relevant ist, deren Voraussetzungen ebenso erfüllt sein müssen.33) Ein Vorteil gegenüber den §§ 93, 116 besteht in der gesamtschuldnerischen Haftung auch des beeinflussten Verwaltungsmitglieds und des Einflussnehmenden. _____________ 26) Spindler in: MünchKomm-AktG, § 117 Rz. 40. 27) Kort in: GroßKomm-AktG, § 117 Rz. 162; K. Schmidt/Lutter-Witt, AktG, § 117 Rz. 13; für eine Vermutung im Einzelfall, nicht dagegen generell Hölters-Leuering/Goertz, AktG, § 117 Rz. 10; Mertens/ Cahn in: KölnKomm-AktG, § 117 Rz. 24; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 117 Rz. 43. 28) Vgl. statt aller K. Schmidt/Lutter-Witt, AktG, § 117 Rz. 20. 29) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 117 Rz. 8; K. Schmidt/Lutter-Witt, AktG, § 117 Rz. 5; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 117 Rz. 48. 30) Zur Abgrenzung von bloßen Reflexschäden und unmittelbaren Schäden der Aktionäre s. Spindler in: MünchKomm-AktG, § 117 Rz. 54. 31) Kort in: GroßKomm-AktG, § 117 Rz. 195; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 117 Rz. 58. 32) Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 117 Rz. 28. 33) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 117 Rz. 10; Spindler/Stilz-Schall, AktG, § 117 Rz. 27.

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§ 117 2.

Schadenersatzpflicht Des Nutznießers (§ 117 Abs. 3)

10 Die Vorschrift bewirkt eine Verschärfung der Anstifterhaftung nach § 830 Abs. 2 BGB (siehe oben Rz. 2). Der „Vorteil“ muss materieller Natur sein, wobei die Höhe sowie die Stoffgleichheit mit dem Schaden der Gesellschaft irrelevant sind.34) Die „Veranlassung“ setzt voraus, dass vorsätzlich eine Einflussnahme und fahrlässig eine Pflichtwidrigkeit eines Verwaltungsmitglieds samt deren schädigenden Folgen herbeigeführt werden.35) Der Vorsatz muss indes nicht die Erlangung eines Vorteils umfassen.36) Im Gegensatz zu § 830 Abs. 2 BGB besteht die Haftung auch gegenüber den Aktionären (§ 117 Abs. 1 Satz 2). IV.

Haftungsmodalitäten (§ 117 Abs. 4, Abs. 6)

1.

Verzicht/Vergleich (§ 117 Abs. 4)

11 Anwendung finden § 93 Abs. 4 Satz 3 und 4, soweit es um Ersatzansprüche der Gesellschaft (nicht der Aktionäre nach § 117 Abs. 1 Satz 2) geht. 2.

Verjährung (§ 117 Abs. 6)

12 Verjährung tritt ein nach fünf Jahren ab Anspruchsentstehung, § 200 BGB. Eine Berufung auf Verjährung scheidet aus, wenn der Schuldner die Geltendmachung von Ansprüchen arglistig verhindert hat.37) Die Verjährungsfrist von Organhaftungsansprüchen wurde zwar i. R. von § 93 Abs. 6 für börsennotierte Gesellschaften auf zehn Jahre verlängert,38) nicht aber hinsichtlich der Ansprüche aus § 117. Der Übertragung der Zehn-Jahres-Frist in § 93 Abs. 6 auf § 117 Abs. 6 steht das Gesetzgebungsverfahren entgegen.39) Die Frist des § 117 Abs. 6 wird umgekehrt nicht auf Ansprüche aus Treuepflichtverletzung oder aus allgemeinem Deliktsrecht (§ 823 BGB) angewendet, die gemäß §§ 195, 199 BGB regelmäßig verjähren.40) V.

Ausnahmen (§ 117 Abs. 7)

13 Eine Haftung nach § 117 ist ausgeschlossen, wenn die Einflussnahme unmittelbar oder mittelbar und rechtmäßig aufgrund Eingliederung oder eines Beherrschungsvertrags (§ 291 Abs. 1) erfolgt.41) VI.

Konkurrenzen

14 § 311 verdrängt § 117; das Verhältnis zu § 317 ist umstritten,42) jedoch hat dies praktisch keine Relevanz, da § 317 wesentlich geringere Anforderungen an eine Ersatzpflicht stellt als § 117. § 117 ist neben §§ 823 Abs. 1, 826 BGB und neben §§ 93, 116 anwendbar. Auch eine Haftung aus Treuepflichtverletzung kommt in Betracht, wenn der Einflussinhaber Aktionär der geschädigten Gesellschaft ist. § 117 ist kein Schutzgesetz i. S. des § 823 Abs. 2 BGB.43) _____________ 34) Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 117 Rz. 27 mit dem Hinweis, der Vorteil brauche kein Sondervorteil i. S. des § 101 Abs. 2 Satz 2 AktG 1937 zu sein. 35) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 117 Rz. 11; Mertens/Cahn in: KölnKomm-AktG, § 117 Rz. 28; Spindler in: MünchKomm-AktG, § 117 Rz. 63. 36) Kort in: GroßKomm-AktG, § 117 Rz. 221. 37) Heidel-Walchner, AktR, § 117 AktG Rz. 17; K. Schmidt/Lutter-Witt, AktG, § 117 Rz. 28. 38) Restrukturierungsgesetz v. 9.12.2010, BGBl. I 2010, 1900; vgl. hierzu ausführlich Redeke, BB 2010, 910. 39) K. Schmidt/Lutter-Witt, AktG, § 117 Rz. 28a. 40) Kort in: GroßKomm-AktG, § 117 Rz. 235 f. 41) Hier gelten Sondervorschriften (§§ 300 ff., 322, 324), K. Schmidt/Lutter-Witt, AktG, § 117 Rz. 30. 42) Vgl. zum Streitstand Heidel-Walchner, AktR, § 117 AktG Rz. 21. 43) Vgl. zum Ganzen K. Schmidt/Lutter-Witt, AktG, § 117 Rz. 32 ff.

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§ 118

Allgemeines

Vierter Abschnitt Hauptversammlung Erster Unterabschnitt Rechte der Hauptversammlung § 118 Allgemeines (1) 1Die Aktionäre üben ihre Rechte in den Angelegenheiten der Gesellschaft in der Hauptversammlung aus, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt. 2Die Satzung kann vorsehen oder den Vorstand dazu ermächtigen vorzusehen, dass die Aktionäre an der Hauptversammlung auch ohne Anwesenheit an deren Ort und ohne einen Bevollmächtigten teilnehmen und sämtliche oder einzelne ihrer Rechte ganz oder teilweise im Wege elektronischer Kommunikation ausüben können. (2) Die Satzung kann vorsehen oder den Vorstand dazu ermächtigen vorzusehen, dass Aktionäre ihre Stimmen, auch ohne an der Versammlung teilzunehmen, schriftlich oder im Wege elektronischer Kommunikation abgeben dürfen (Briefwahl). (3) 1Die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats sollen an der Hauptversammlung teilnehmen. 2Die Satzung kann jedoch bestimmte Fälle vorsehen, in denen die Teilnahme von Mitgliedern des Aufsichtsrats im Wege der Bild- und Tonübertragung erfolgen darf. (4) Die Satzung oder die Geschäftsordnung gemäß § 129 Abs. 1 kann vorsehen oder den Vorstand oder den Versammlungsleiter dazu ermächtigen vorzusehen, die Bild- und Tonübertragung der Versammlung zuzulassen. Literatur: Arnold, Aktionärsrechte und Hauptversammlung nach dem ARUG, Der Konzern 2009, 88; Arnold/Carl/Götze, Aktuelle Fragen bei der Durchführung der Hauptversammlung, AG 2011, 349; Besse, Online-Hauptversammlung und Versammlungsleitung – welche rechtlichen Fragen gilt es zu klären?, AG 2012, R 358; Drinhausen/Keinath, Referentenentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Aktionärsrichtlinie (ARUG) – Ein Beitrag zur Modernisierung der Hauptversammlung, BB 2008, 1238; Hoffmann-Becking, Der Aufsichtsrat der AG und sein Vorsitzender in der Hauptversammlung, NZG 2017, 281; Kocher, Der Einfluss festgelegter Stimmen auf Hauptversammlungen, BB 2014, 2317; Krause/Jenderek, Rechtsprobleme einer fremdsprachigen deutschen Hauptversammlung, NZG 2007, 246; Linnerz/Hoppe, Die Form der Anmeldung zur Hauptversammlung – eine in der Praxis unterschätzte Formalie?, BB 2016, 1098; Noack, Briefwahl und Online-Teilnahme an der Hauptversammlung: der neue § 118 AktG, WM 2009, 2289; v. Nussbaum, Neue Wege zur Online-Hauptversammlung durch das ARUG, GWR 2009, 215; Ott, Die Hauptversammlung einer Einpersonen-Aktiengesellschaft, RNotZ 2014, 423; Paschos/Goslar, Der Referentenentwurf des Gesetzes zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) aus. Sicht der Praxis, AG 2008, 605; Schüppen/Tretter, Hauptversammlungssaison 2009 – Satzungsgestaltung in Zeiten des Trommelfeuers, Überlegungen und Formulierungsvorschläge von MoMiG bis ARUG, ZIP 2009, 493; Seibert/Florstedt, Der Regierungsentwurf des ARUG – Inhalt und wesentliche Änderungen gegenüber dem Referentenentwurf, ZIP 2008, 2145; Simons, Die Online-Abstimmung in der Hauptversammlung, NZG 2017, 567; Spindler, Gesellschaftsrecht und Digitalisierung, ZGR, 2018, 17; Zöllter-Petzold, Zum Teilnahmerecht des Vorstands und des Aufsichtsrats an Vollversammlungen einer Aktiengesellschaft, NZG 2013, 607.

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§ 118

Allgemeines Übersicht

I. Bedeutung ......................................... 1 II. Teilnahmerecht (§ 118 Abs. 1, Abs. 2) ................................................ 2 1. Präsenzaktionäre (§ 118 Abs. 1 Satz 1) ................................................. 2 a) Grundlagen .................................. 2 b) Rechtsinhaberschaft .................... 3 c) Gewillkürte Stellvertretung ........ 4 d) Legitimationszession ................... 6 e) Satzungsmäßige Gestaltungsmöglichkeiten .............................. 7 f) Amtswalter und gesetzliche Vertreter ....................................... 8 g) Rechtsinhalt und Schranken ....... 9 h) Rechtsfolgen von Verletzungen und Durchsetzung des Teilnahmerechts ............................... 12 2. Online-Aktionäre (§ 118 Abs. 1 Satz 2) ............................................... 13 I.

a) Grundsätzliches .......................... 13 b) Elektronische Kommunikation .............................................. 14 c) Umfang der Rechteeinräumung ...................................... 15 d) Anfechtbarkeit ........................... 16 3. Briefwahl (§ 118 Abs. 2) .................. 17 III. Teilnahmerecht Sonstiger (§ 118 Abs. 3) ................................... 18 1. Verwaltungsmitglieder ..................... 18 a) Teilnahmerecht und -pflicht ...... 18 b) Rechtsfolgen der Verletzung des Teilnahmerechts/der Teilnahmepflicht ........................ 21 2. Dritte ................................................. 23 IV. Übertragung der Hauptversammlung in Bild und Ton (§ 118 Abs. 4) ................................... 24

Bedeutung

1 Nach § 118 Abs. 1 Satz 1 ist die Hauptversammlung das Willensbildungsorgan der Aktionäre. Kernvoraussetzung ist die tatsächliche Versammlung der Aktionäre. Zur Steigerung der Beteiligungsquote der Aktionäre hat sich das Hauptversammlungsrecht indes von der Präsenzpflicht der Aktionäre entfernt. II.

Teilnahmerecht (§ 118 Abs. 1, Abs. 2)

1.

Präsenzaktionäre (§ 118 Abs. 1 Satz 1)

a)

Grundlagen

2 Das Teilnahmerecht der Aktionäre ist unentziehbar (siehe aber auch Rz. 3) und stimmrechtsunabhängig; es hat keine ausdrückliche Regelung erfahren, sondern wird als Ausfluss aus dem Mitgliedschaftsrecht selbstverständlich vorausgesetzt. Eine Teilnahmepflicht der Aktionäre besteht nicht und lässt sich auch nicht durch die Satzung begründen.1) b)

Rechtsinhaberschaft

3 Maßgeblich für die Rechtsinhaberschaft ist die formale Stellung als Aktionär, nicht die wirtschaftliche Berechtigung an der Aktie.2) So steht das Teilnahmerecht etwa dem Treuhänder und nicht dem Treugeber zu.3) Auch die Inhaberschaft an sog. isolierten Spitzen berechtigt zur Teilnahme bis zum Abschluss des Zusammenlegungsverfahrens nach einer Kapitalherabsetzung, nicht aber sog. ADRs (American Depositary Receipts). In diesem Fall werden die bei einer Depotbank hinterlegten Aktien von Zertifikaten repräsentiert, die bloß verbriefte schuldrechtliche Ansprüche darstellen und keine originären Mitglied_____________ 1) 2) 3)

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Allg. M., vgl. etwa Kubis in: MünchKomm-AktG, § 118 Rz. 98; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 118 Rz. 37 – nur bei Abschluss eines Stimmbindungsvertrags mit einem Dritten. Spindler/Stilz-Hoffmann, AktG, § 118 Rz. 11. Mülbert in: GroßKomm-AktG, § 118 Rz. 69.

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§ 118

Allgemeines

schaftsrechte.4) Bei gesetzlicher Untersagung der Rechteausübung, also in Fällen der §§ 20 Abs. 7, 21 Abs. 4 Satz 1, 56 Abs. 3 Satz 3, 71b, 71d, 71e, 328 Abs. 1 Satz 1 AktG, § 44 WpHG und § 59 WpÜG, entfällt das Teilnahmerecht. c)

Gewillkürte Stellvertretung

Die Bevollmächtigung eines Vertreters zur Teilnahme ist zulässig. Streitig ist, ob die Teil- 4 nahmevollmacht analog § 134 Abs. 3 Satz 3 in Textform zu erfolgen hat, soweit die Satzung dies nicht regelt.5) Die Parallele zu § 134 Abs. 3 Satz 3 ergibt sich daraus, dass die Stimmrechtsausübung durch einen Vertreter und dessen Teilnahme an der Hauptversammlung eng miteinander verknüpft sind. Vor Geltung des ARUG wurde vertreten, dass die Erteilung einer Stimmrechtsvollmacht zwangsläufig die Teilnahmevollmacht umfasst.6) Dies gilt nunmehr aufgrund der Möglichkeit der Briefwahl (siehe unten Rz. 17) nicht mehr uneingeschränkt. In der Regel wird aber trotzdem davon auszugehen sein, dass eine formgerechte Stimmrechtsvollmacht gemäß § 134 Abs. 3 Satz 1 die Ermächtigung zur Teilnahme an der Hauptversammlung enthält, sofern aus ihr nicht ausdrücklich etwas anderes hervorgeht. Nach Verfechtern der Formfreiheit sei eine konkludente Bevollmächtigung, etwa durch Übergabe der Eintrittskarte, möglich.7) Praktisch spricht hiergegen, dass die Gesellschaft regelmäßig Einlasskontrollen durchführen wird, bei denen sich der Teilnehmer auszuweisen hat. In der Praxis sollte daher stets eine Vollmacht in Textform erteilt werden. Außer für Fälle gesetzlicher oder organschaftlicher Gesamtvertretung wird überwiegend 5 vertreten, dass eine Erhöhung der Teilnehmerzahl durch Vertretung nicht zulässig sei; die gleichzeitige Teilnahme von Aktionär und Vertreter sei ausgeschlossen.8) Durch die Neufassung des § 134 Abs. 3 Satz 2 geht der Gesetzgeber an sich von der Möglichkeit der Vervielfältigung von Vollmachten aus. Daraus folgt zum einen, dass die bloße Bevollmächtigung eines Vertreters das Teilnahmerecht des Aktionärs nicht ausschließt.9) Zum anderen ist auch die gewillkürte Gesamtvertretung zulässig. Erscheinen mehrere Einzelvertreter, darf die Gesellschaft jedoch alle bis auf einen zurückweisen (§ 134 Abs. 3 Satz 2). Im Fall der gesetzlichen Gesamtvertretung bedarf der allein erschienene Gesamtvertreter einer (Unter-)Vollmacht der übrigen Gesamtvertreter und hat in Ermangelung einer solchen kein Teilnahmerecht.10) d)

Legitimationszession

Neben der Bevollmächtigung eines oder mehrerer Vertreter besteht die Möglichkeit der 6 Legitimationszession. Hierbei wird ein Dritter ermächtigt (§ 185 BGB), sämtliche Mitgliedschaftsrechte des Aktionärs einschließlich des Teilnahmerechts als fremdes Recht im eigenen Namen auszuüben (siehe dazu näher § 129 Rz. 31 f.). Nach allgemeiner Ansicht ist die Einschaltung mehrerer Legitimationsaktionäre zwecks Repräsentation jeweils eines Teils des Aktienbestandes zulässig.11) _____________ 4) Kubis in: MünchKomm-AktG, § 118 Rz. 53; Mülbert in: GroßKomm-AktG, § 118 Rz. 91. 5) Gegen das Textformerfordernis Spindler/Stilz-Hoffmann, AktG, § 118 Rz. 13; dafür K. Schmidt/LutterSpindler, AktG, § 118 Rz. 30; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 118 Rz. 60. 6) So immer noch Kubis in: MünchKomm-AktG, § 118 Rz. 60. 7) Spindler/Stilz-Hoffmann, AktG, § 118 Rz. 13. 8) Grigoleit-Herrler, AktG, § 118 Rz. 18; Spindler/Stilz-Hoffmann, AktG, § 118 Rz. 14; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 118 Rz. 60 m. w. N.; a. A. K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 118 Rz. 31; Mülbert in: GroßKomm-AktG, § 118 Rz. 73. 9) Kiefner/Friebel, NZG 2011, 887, 888. 10) Insoweit zutreffend Kubis in: MünchKomm-AktG, § 118 Rz. 61. 11) Vgl. nur Kubis in: MünchKomm-AktG, § 118 Rz. 63.

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§ 118 e)

Allgemeines Satzungsmäßige Gestaltungsmöglichkeiten

7 Die Satzung kann Anforderungen an den Nachweis der Teilnahmeberechtigung stellen.12) Der satzungsmäßige Ausschluss der Legitimationszession ist umstritten. Teilweise wird darin bei der börsennotierten AG im Hinblick auf die Stimmrechtsausübung eine unzulässige Fungibilitätsbeschränkung gesehen,13) teilweise wird auf einen Widerspruch zu § 129 Abs. 3 hingewiesen, der die Stimmrechtsübertragung erlaubt.14) Die überwiegende Meinung bejaht indes die Möglichkeit ihres Ausschlusses in der Satzung.15) Satzungsmäßige Anforderungen an die Person des Vertreters sind kritisch zu beurteilen.16) Spätestens mit Erlass der Aktionärsrechterichtlinie,17) wonach es ausdrücklich auch den Gesellschaften nicht mehr ermöglicht werden darf, Einschränkungen bzgl. der Person des Stimmrechtsvertreters vorzusehen, dürfte eine solche Regelung bei börsennotierten AG gegen Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie verstoßen.18) Die pauschale satzungsmäßige Begrenzung der Anzahl gewillkürter Vertreter auf eine Person ist für den Fall, dass ein Aktionär Aktien in mehr als einem Depot hält, gemäß Art. 10 Abs. 2 Satz 3 der Richtlinie europarechtswidrig.19) f)

Amtswalter und gesetzliche Vertreter

8 Diese (etwa Testamentsvollstrecker, Insolvenzverwalter und Geschäftsführer) sind ohne weiteres teilnahmeberechtigt. Problemen beim Nachweis ihrer Stellung dürfte mit einfachen Abschriften etwa des Testamentsvollstreckerzeugnisses oder des Bestellungsbeschlusses zum Insolvenzverwalter abgeholfen sein.20) g)

Rechtsinhalt und Schranken

9 Das Teilnahmerecht umfasst das Recht auf physische Präsenz, d. h. das Recht auf ungehinderten Zugang zum und Aufenthalt im Versammlungssaal bis zum Versammlungsende, das Rederecht sowie das Recht auf Gehör, das Beschlussantragsrecht und das Recht auf Einsicht in das Teilnehmerverzeichnis.21) 10 Das Zugangsrecht umfasst die Auffindbarkeit des Versammlungssaals, die tatsächliche Zugangsmöglichkeit sowie den Einlass ohne überlange Wartezeiten. Behindertengerechte Zugangsmöglichkeiten müssen vorhanden sein,22) wenn auch nur auf Anfrage. Zulässig sind Eingangskontrollen unter Prüfung der Identität und der Vertretungsverhältnisse,23) _____________ 12) 13) 14) 15) 16) 17)

18)

19) 20) 21) 22) 23)

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Spindler/Stilz-Hoffmann, AktG, § 118 Rz. 13; Henssler/Strohn-Liebscher, GesR, § 118 AktG Rz. 18. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 134 Rz. 32. So Happ/Groß-Ludwig, AktienR, Nr. 10.13 Rz. 1.4; Spindler/Stilz-Hoffmann, AktG, § 118 Rz. 32. Vgl. etwa Kubis in: MünchKomm-AktG, § 118 Rz. 67 m. w. N. – „unproblematisch“; Tröger in: KölnKomm-AktG, § 134 Rz. 237. Vgl. OLG Stuttgart, Beschl. v. 28.5.1990 – 8 W 203/90, NJW-RR 1990, 1316, 1317; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 134 Rz. 45 – keine Vorgaben zur Person des Bevollmächtigten. Richtlinie 2007/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 11.7.2007 über die Ausübung bestimmter Rechte von Aktionären in börsennotierten Gesellschaften, ABl. (EU) Nr. L 184/17 v. 14.7.2007. OLG Braunschweig, Beschl. v. 27.8.2013 – 2 W 142/12, Rz. 22, BeckRS 2014, 20216; GrigoleitHerrler, AktG § 134 Rz. 31; Spindler/Stilz-Hoffmann, AktG, § 118 Rz. 32; zur früheren Rechtslage bereits OLG Stuttgart, Beschl. v. 28.5.1990 – 8 W 203/90, NJW-RR 1990, 1316, 1316 f. K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 118 Rz. 31; anders noch Kubis in: MünchKomm-AktG, § 118 Rz. 67 – ebenfalls „unproblematisch“. Vgl. Kubis in: MünchKomm-AktG, § 123 Rz. 43. Vgl. K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 118 Rz. 25. Vgl. Kubis in: MünchKomm-AktG, § 118 Rz. 65; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 118 Rz. 25. Vgl. AG München, Urt. v. 14.12.1994 – 263 C 23327/94, AG 1995, 335; vgl. auch Kubis in: MünchKommAktG, § 118 Rz. 69.

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§ 118

Allgemeines

jedoch sind Taschen-/Gepäckkontrollen mit einem Durchleuchtungsgerät vorzunehmen; erst im Falle eines konkreten Verdachts darf eine Einsichtnahme in die Tasche/das Gepäckstück erfolgen.24) Der Besitz einer Eintrittskarte ist keine Teilnahmevoraussetzung.25) Unzulässig ist die Zutrittsverweigerung für Begleitpersonen, auf die der Aktionär aus gesundheitlichen Gründen oder aufgrund von Verständnisproblemen nicht verzichten kann, z. B. Dolmetscher im Fall ausländischer, allein fremdsprachiger Aktionäre.26) Sonstigen (fachlichen) Assistenzpersonen muss kein Zutritt gewährt werden. Soweit die Gesellschaft Nebenräume wie einen Catering-Bereich oder Raucherzonen zum Präsenzbereich erklärt,27) ist keine Übertragung der Hauptversammlung in diese Räume durch Lautsprecher erforderlich. Bei fehlender Beschallung dieser Nebenräume sind gefasste Beschlüsse nicht anfechtbar.28) Die Versammlungssprache ist deutsch, wenn nicht das Einvernehmen aller Teilnehmer hin- 11 sichtlich einer anderen Versammlungssprache besteht; das Rederecht ist somit in deutscher Sprache auszuüben. Teilnehmer haben weder Anspruch auf Zulassung anderssprachiger Wortbeiträge noch auf Bereitstellung eines Dolmetschers.29) h)

Rechtsfolgen von Verletzungen und Durchsetzung des Teilnahmerechts

Verletzungen des Zugangsrechts oder des Anwesenheitsrechts berechtigen zur Beschluss- 12 anfechtung nach § 243 Abs. 1 (§ 245 Nr. 2).30) Eine Beschlussanfechtung wegen Verletzung des Rede- oder Antragsrechts setzt dagegen nach einer Literaturansicht stets einen Widerspruch zur Niederschrift voraus (§ 245 Nr. 1).31) Wird vorab bekannt, dass eine Verletzung des Teilnahmerechts bevorsteht, so kann hiergegen im Wege der Leistungsklage vorgegangen bzw. eine einstweilige Verfügung erwirkt werden.32) Schadensersatzansprüche kommen in Betracht, wenn der Aktionär einen Schaden erleidet, der nicht durch eine Anfechtungsklage abgewendet werden konnte.33) Ob daneben die Feststellungsklage gemäß § 256 ZPO zulässig ist, ist von der Rechtsprechung nicht geklärt und in der Literatur umstritten.34) 2.

Online-Aktionäre (§ 118 Abs. 1 Satz 2)

a)

Grundsätzliches

Die Satzung kann vorsehen oder den Vorstand ermächtigen, dass Aktionäre auch „online“ 13 an der Hauptversammlung teilnehmen und sämtliche oder einzelne ihrer Rechte ausüben _____________ 24) 25) 26) 27) 28) 29) 30) 31)

32) 33) 34)

OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 16.2.2007 – 5 W 43/06, ZIP 2007, 629, 630. Arnold/Carl/Götze, AG 2011, 349, 353. Vgl. Kubis in: MünchKomm-AktG, § 118 Rz. 69. Zur ausreichenden Raumkapazität vgl. Spindler/Stilz-Hoffmann, AktG, § 118 Rz. 15. Zu alldem BGH, Beschl. v. 8.10.2013 – II ZR 329/12, ZIP 2013, 2257 mit Anm. v. Falkenhausen = NZG 2013, 1430, dazu EWiR 2014, 5 (Goslar). Allg. M., vgl. Kubis in: MünchKomm-AktG, § 118 Rz. 77 m. w. N.; insgesamt kritisch Krause/ Jenderek, NZG 2007, 246, 247. BGH, Urt. v. 11.11.1965 – II ZR 122/63, NJW 1966, 43, 44; vgl. auch Spindler/Stilz-Hoffmann, AktG, § 118 Rz. 16 f. Spindler/Stilz-Hoffmann, AktG, § 118 Rz. 17; a. A. LG München I, Urt. v. 11.12.2008 – 5 HKO 15201/08, ZIP 2009, 663, 665 – Widerspruch nur bei Nachfrage des Versammlungsleiters erforderlich, ob alle Fragen beantwortet seien; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 118 Rz. 79 – Widerspruch nie erforderlich. Vgl. Kubis in: MünchKomm-AktG, § 118 Rz. 72 m. w. N; Mülbert in: GroßKomm-AktG, § 118 Rz. 81. Mülbert in: GroßKomm-AktG, § 118 Rz. 82. Dafür Mülbert in: GroßKomm-AktG, § 118 Rz. 81; ablehnend Kubis in: MünchKomm-AktG, § 118 Rz. 72; K Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 118 Rz. 36.

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§ 118

Allgemeines

können.35) In überschießender Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie gelten die Regelungen zur Online-Teilnahme unabhängig von der Börsennotierung.36) Online-Aktionäre sind als Teilnehmer in das Teilnehmerverzeichnis aufzunehmen und zweckmäßigerweise als solche kenntlich zu machen. Hiervon strikt zu unterscheiden ist die Frage, inwieweit die Rechteausübung in der Hauptversammlung selbst durch elektronische Hilfsmittel erfolgen kann.37) b)

Elektronische Kommunikation

14 Es handelt sich um einen offenen Begriff, der nicht etwa nur die sog. „Zwei-Wege-Direktverbindung“ umfasst,38) sondern auch die Möglichkeit der Bild- und Tonübertragung (§ 118 Abs. 4) oder einen Internetdialog zur Stimmrechtsausübung.39) Auch eine Ausübung des Fragerechts per E-Mail ist nach Wahl der Gesellschaft denkbar.40) c)

Umfang der Rechteeinräumung

15 Einer Satzungsregelung bzw. Vorstandsermächtigung nach § 118 Abs. 1 Satz 2 zugänglich sind sämtliche mitgliedschaftlichen Rechte in beliebiger Kombination. Hinsichtlich des „Ob“ und des „Wie“ der Rechte, die den Aktionären bei einer Online-Teilnahme eingeräumt werden, besteht ein weiter Spielraum.41) Wird indes den Aktionären die aktive Teilnahme gänzlich verwehrt, liegt eine bloße Online-Übertragung vor, deren Zulässigkeit sich nicht nach § 118 Abs. 1 Satz 2, sondern nach § 118 Abs. 4 richtet.42) Den online teilnehmenden Aktionären kann nach der Regierungsbegründung zum ARUG das Widerspruchsrecht zur Niederschrift per Satzung entzogen werden.43) § 53a steht dem nicht entgegen.44) Angesichts der Tragweite der Entscheidung sollte dies in der Satzung festgelegt werden,45) ohne dass dies Wirksamkeitsvoraussetzung wäre. d)

Anfechtbarkeit

16 Hier ist § 243 Abs. 3 Nr. 1 zu beachten, wonach eine durch eine technische Störung (etwa der Ausfall von Lautsprechern, Kameras oder Monitoren im Versammlungsraum oder der zur Online-Übertragung genutzten Technik)46) verursachte Rechtsverletzung grundsätzlich nicht zur Anfechtung berechtigt. Die Norm beschränkt das Anfechtungsrecht auf Fälle grober Fahrlässigkeit, also der vorwerfbaren Verletzung des unmittelbar einleuch_____________ 35) Ausführlich dazu Noack, WM 2009, 2289, und allgemeiner Spindler, ZGR 2018, 17 ff.; bisher wagen aber nur wenige Gesellschaften den Schritt zum Angebot einer wirklichen Online-Teilnahme, Besse, AG 2012, R 358. 36) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 118 Rz. 10; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 118 Rz. 51. 37) Dazu ausführlich Simons, NZG 2017, 567. 38) So aber Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 118 Rz. 10. 39) Noack, WM 2009, 2289, 2293; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 118 Rz. 56. 40) v. Nussbaum, GWR 2009, 215, 215. 41) Begr. RegE z. ARUG, BT-Drucks. 16/11642, S. 26; Spindler/Stilz-Hoffmann, AktG, § 118 Rz. 36; HeidelKrenek/Pluta, AktR, § 118 AktG Rz. 9a; nach Seibert/Florstedt, ZIP 2008, 2145, 2146, kann die Satzungsregelung sämtliche Verwaltungsnebenrechte der Aktionäre betreffen. 42) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 118 Rz. 55. 43) Begr. RegE z. ARUG, BT-Drucks. 16/11642, S. 26; außerdem Noack, WM 2009, 2289, 2293; Spindler/ Stilz-Hoffmann, AktG, § 118 Rz. 36; a. A. Heidel-Krenek/Pluta, AktR, § 118 AktG Rz. 9e; K. Schmidt/ Lutter-Spindler, AktG, § 118 Rz. 60 – teleologische Reduktion von § 245 Nr. 1 in diesen Fällen. 44) So wiederum Begr. RegE z. ARUG, BT-Drucks. 16/11642, S. 26; Spindler/Stilz-Hoffmann, AktG, § 118 Rz. 36 m. w. N. 45) Vgl. den Formulierungsvorschlag bei Schüppen/Tretter, ZIP 2009, 493, 495. 46) Kubis in: MünchKomm-AktG, § 118 Rz. 91.

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§ 118

Allgemeines

tenden Mindestmaßes technischer und organisatorischer Sorgfalt durch die AG bzw. ihrer Erfüllungsgehilfen.47) Hierfür trägt der anfechtende Aktionär die Beweislast.48) 3.

Briefwahl (§ 118 Abs. 2)

Gemäß § 118 Abs. 2 kann in der Satzung vorgesehen bzw. der Vorstand ermächtigt werden 17 vorzusehen, dass Aktionäre ihr Stimmrecht schriftlich oder im Wege elektronischer Kommunikation (z. B. per E-Mail oder Internetdialog) ausüben dürfen,49) wobei Textform i. S. des § 126b BGB genügt.50) Im Unterschied zur Online-Teilnahme nehmen Briefwähler nicht an der Hauptversammlung teil; sie sind daher nicht in das Teilnehmerverzeichnis aufzunehmen.51) Dagegen zählen Briefwahlstimmen zum vertretenen Grundkapital.52) Soll Briefwahl angeboten werden, so empfiehlt sich die Verwendung standardisierter Formulare, die zwingend zu verwenden sind (ob im Ausdruck oder elektronisch).53) Der DCGK empfahl früher in Ziff. 2.3.1, dass diese Formulare leicht erreichbar auf der Internetseite der AG zugänglich gemacht werden sollen. Zur Anmeldung siehe § 123 Rz. 4 ff. Die Satzung sollte neben der Festlegung eines Briefwahlzeitraums regeln bzw. den Vorstand ermächtigen, festzulegen, ob und wie abgegebene Briefwahlstimmen widerrufen werden können.54) Briefwähler können auf die Änderung von Beschlussvorschlägen in der Hauptversammlung nicht reagieren, was aber deren Änderungsmöglichkeiten richtigerweise nicht einschränkt (siehe § 124 Rz. 35).55) III.

Teilnahmerecht Sonstiger (§ 118 Abs. 3)

1.

Verwaltungsmitglieder

a)

Teilnahmerecht und -pflicht

Anders als Aktionäre unterliegen die Verwaltungsmitglieder einer grundsätzlichen („sollen“) 18 Teilnahmepflicht,56) die höchstpersönlich zu erfüllen ist. Dieser Grundsatz kann für Aufsichtsratsmitglieder gemäß § 118 Abs. 3 Satz 2 durch die Satzung eingeschränkt werden. Teilnahmepflichtig sind alle amtierenden und stellvertretenden (§ 94) Vorstandsmitglieder sowie sämtliche Aufsichtsratsmitglieder, d. h. auch Arbeitnehmervertreter. Soweit das Verwaltungsmitglied aus wichtigem Grund an der Teilnahme gehindert ist, liegt keine vorwerfbare Pflichtverletzung vor.57) Wichtige Gründe sind insbesondere schwere Krankheit _____________ 47) Hüffer/Schäfer in: MünchKomm-AktG, § 243 Rz. 110, wobei von einigen Stimmen das Verschuldenskriterium kritisiert und eine Sphärenaufteilung bevorzugt wird, vgl. Arnold, Der Konzern 2009, 88, 92; Drinhausen/Keinath, BB 2008, 1238, 1240; Paschos/Goslar, AG 2008, 605, 610 f. 48) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 243 Rz. 44. 49) Diese Möglichkeit wird in der Praxis von zahlreichen Aktionären genutzt, vgl. Arnold/Carl/Götze, AG 2011, 349, 357. 50) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 118 Rz. 58; vgl. auch Begr. RegE z. ARUG, BT-Drucks. 16/11642, S. 27; implizit auch Spindler/Stilz-Hoffmann, AktG, § 118 Rz. 42. 51) Vgl. Noack, WM 2009, 2289, 2291; Grigoleit-Herrler, AktG, § 118 Rz. 11. 52) Begr. RegE z. ARUG, BT-Drucks. 16/11642, S. 27. 53) Vgl. hierzu v. Nussbaum, GWR 2009, 215, 215 f. 54) Vgl. Grigoleit-Herrler, AktG, § 118 Rz. 13; ausführlich zum Widerruf der Stimmabgabe Wicke, Einf. in das Recht der Hauptversammlung, S. 28. 55) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 118 Rz. 18; Kocher, BB 2014, 2317, 2319 ff. 56) Mülbert in: GroßKomm-AktG, § 118 Rz. 48; a. A nur Ott, RNotZ 2014, 423, 424. Zur regelmäßig nicht anzunehmenden Teilnahmepflicht ausgeschiedener Verwaltungsmitglieder vgl. Kubis in: MünchKommAktG, § 118 Rz. 99, sowie Mülbert in: GroßKomm-AktG, § 118 Rz. 60. 57) Allg. M., vgl. nur K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 118 Rz. 41 m. w. N.; Spindler/Stilz-Hoffmann, AktG, § 118 Rz. 22.

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761

§ 118

Allgemeines

oder eine unaufschiebbare Dienstreise.58) Bei Terminkollisionen ist bei Vorstandsmitgliedern ein strengerer Maßstab anzulegen als bei Aufsichtsratsmitgliedern, die dringenden Verpflichtungen i. R. ihrer hauptberuflichen Tätigkeit Vorrang einräumen können.59) Zu Besonderheiten bei Vollversammlungen siehe § 121 Rz. 38. 19

Die Teilnahmepflicht von Aufsichtsratsmitgliedern kann durch die Satzung dergestalt eingeschränkt werden, dass ihnen in bestimmten Fällen die Teilnahme ohne physische Präsenz durch Bild- und Tonübertragung ermöglicht wird. Die Satzung selbst muss die Ausnahmetatbestände nennen.60) Erforderlich ist stets eine beidseitige und kumulative Übertragung von Bild und Ton.61)

20

Das Rederecht steht Verwaltungsmitgliedern zu, ist jedoch durch ihre organschaftlichen und im Fall von Vorstandsmitgliedern auch anstellungsvertraglichen Geheimhaltungspflichten eingeschränkt.62) Ein eigenes Beschlussantragsrecht steht den einzelnen Verwaltungsmitgliedern hinsichtlich Sachanträgen dagegen nicht zu, da sie an die Beschlussanträge des jeweiligen Gesamtorgans (§ 124 Abs. 3) gebunden sind.63) Richtigerweise sind sie aber zur Stellung von Geschäftsordnungsanträgen berechtigt und können natürlich, wenn sie zugleich Aktionäre sind, in dieser Eigenschaft mit allen Aktionärsrechten auftreten.64) b)

Rechtsfolgen der Verletzung des Teilnahmerechts/der Teilnahmepflicht

21 Wird ein Verwaltungsmitglied zu Unrecht in seinem Teilnahmerecht beschränkt, so kommt eine Anfechtung der Beschlüsse nach § 245 Nr. 4 durch den Gesamtvorstand oder nach § 245 Nr. 5 durch das einzelne Verwaltungsmitglied grundsätzlich in Betracht.65) Ferner kann das Amt aus wichtigem Grund niedergelegt werden.66) 22 Verletzt ein Verwaltungsmitglied seine Teilnahmepflicht, so hat dies keine unmittelbaren beschlussrechtlichen Konsequenzen, jedoch kann bei Fernbleiben eines Vorstandsmitglieds ggf. eine Anfechtbarkeit gefasster Beschlüsse wegen einer Verletzung des Auskunftsrechts im Raum stehen, wenn eine Frage deswegen nicht beantwortet werden konnte.67) Auch kann dies im Einzelfall eine Abberufung aus wichtigem Grund sowie Schadensersatzansprüche der Gesellschaft nach sich ziehen.68) 2.

Dritte

23 Der Abschlussprüfer hat eine Teilnahmepflicht nur in den Fällen von § 176 Abs. 2 Satz 1 AktG; i. Ü. steht ihm auch kein Teilnahmerecht zu.69) Anderes gilt in Fällen der Feststellung _____________ 58) 59) 60) 61) 62)

63) 64) 65) 66) 67) 68) 69)

762

Vgl. Mülbert in: GroßKomm-AktG, § 118 Rz. 55 m. w. N. Kubis in: MünchKomm-AktG, § 118 Rz. 101 m. w. N.; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 118 Rz. 42. Kubis in: MünchKomm-AktG, § 118 Rz. 104; Grigoleit-Herrler, AktG, § 118 Rz. 20. Begr. RegE z. TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 19; Spindler/Stilz-Hoffmann, AktG, § 118 Rz. 23. So zutreffend Kubis in: MünchKomm-AktG, AktG, § 118 Rz. 100 m. w. N.; kritisch in Bezug darauf, von einer „Einschränkung“ des Rederechts zu sprechen Spindler/Stilz-Hoffmann, AktG, § 118 Rz. 20 Fn. 53. K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 118 Rz. 40 m. w. N.; Mülbert in: GroßKomm-AktG, § 118 Rz. 51. Ausführlich zum Ganzen Hoffmann-Becking, NZG 2017, 281, 286 f. Zur Verletzung des Teilnahmerechts im Falle einer Vollversammlung siehe unten § 121 Rz. 38. Kubis in: MünchKomm-AktG, § 118 Rz. 102; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 118 Rz. 43. K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 118 Rz. 44; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 118 Rz. 21; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 118 Rz. 102. Allg. M., vgl. nur Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 118 Rz. 21. Heidel-Krenek/Pluta, AktR, § 118 AktG Rz. 46; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 118 Rz. 105; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 118 Rz. 46.

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§ 119

Rechte der Hauptversammlung

des Jahresabschlusses durch die Hauptversammlung (§ 176 Abs. 2 Satz 1). Zur Beratung des Vorstands ist eine vom Versammlungsleiter zuzulassende Teilnahme des Abschlussprüfers jedoch sinnvoll. In diversen Spezialgesetzen wird Vertretern von Aufsichtsbehörden ein Teilnahmerecht eingeräumt (vgl. z. B. § 44 Abs. 4 und 5 KWG, § 83 Abs. 1 Nr. 5 VAG). Die Zulassung von Gästen wie z. B. Medienvertretern liegt im Ermessen des Versammlungsleiters, soweit nicht die Satzung oder die Geschäftsordnung anderes vorsieht und dazu z. B. den Vorstand ermächtigt.70) Streitig ist, ob dagegen eine Letztentscheidung der Hauptversammlung möglich ist.71) Ein aktienrechtliches Teilnahmerecht des beurkundenden Notars wird zu Recht abgelehnt, da er lediglich aufgrund eines Geschäftsbesorgungsvertrags für die Gesellschaft tätig wird.72) Ähnliches gilt für vom Vorstand beauftragte Berater, die als Hilfskräfte der Verwaltung ebenfalls von Gästen zu unterscheiden sind.73) IV.

Übertragung der Hauptversammlung in Bild und Ton (§ 118 Abs. 4)

Die Satzung oder die Geschäftsordnung können vorsehen oder den Vorstand oder den 24 Versammlungsleiter dazu ermächtigen, die Bild- und Tonübertragung der Hauptversammlung zuzulassen. Dies erfasst nur die einseitige Übertragung des Geschehens und dessen Aufzeichnung.74) Auch wenn diese Möglichkeit in der Satzung oder der Geschäftsordnung vorgesehen ist, folgt daraus kein Anspruch der einzelnen Aktionäre auf eine solche Übertragung.75) Ein Widerspruchsrecht von Aktionären etwa im Hinblick auf die Betroffenheit des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bei der Übertragung ihrer Redebeiträge kann jedenfalls per Satzung ausgeschlossen werden.76) Ohne weiteres zulässig ist die offengelegte Übertragung ins Foyer oder ein Back-Office. _____________ 70) Hoffmann-Becking, NZG 2017, 281, 287; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 118 Rz. 48 m. w. N. 71) Ausführlich hierzu Hoffmann-Becking, NZG 2017, 281, 287 f. 72) Vgl. etwa Kubis in: MünchKomm-AktG, § 118 Rz. 107 m. w. N.; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 118 Rz. 47; Hoffmann-Becking, NZG 2017, 281, 287. 73) Hoffmann-Becking, NZG 2017, 281, 287. 74) Vgl. Spindler/Stilz-Hoffmann, AktG, § 118 Rz. 44. 75) Begr. RegE z. TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 19; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 118 Rz. 118. 76) Spindler/Stilz-Hoffmann, AktG, § 118 Rz. 45; Heidel-Krenek/Pluta, AktR, § 118 AktG Rz. 50.

§ 119 Rechte der Hauptversammlung (1) Die Hauptversammlung beschließt in den im Gesetz und in der Satzung ausdrücklich bestimmten Fällen, namentlich über 1. die Bestellung der Mitglieder des Aufsichtsrats, soweit sie nicht in den Aufsichtsrat zu entsenden oder als Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer nach dem Mitbestimmungsgesetz, dem Mitbestimmungsergänzungsgesetz, dem Drittelbeteiligungsgesetz oder dem Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung zu wählen sind; 2. die Verwendung des Bilanzgewinns; 3. die Entlastung der Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats; 4. die Bestellung des Abschlußprüfers; 5. Satzungsänderungen;

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§ 119

Rechte der Hauptversammlung

des Jahresabschlusses durch die Hauptversammlung (§ 176 Abs. 2 Satz 1). Zur Beratung des Vorstands ist eine vom Versammlungsleiter zuzulassende Teilnahme des Abschlussprüfers jedoch sinnvoll. In diversen Spezialgesetzen wird Vertretern von Aufsichtsbehörden ein Teilnahmerecht eingeräumt (vgl. z. B. § 44 Abs. 4 und 5 KWG, § 83 Abs. 1 Nr. 5 VAG). Die Zulassung von Gästen wie z. B. Medienvertretern liegt im Ermessen des Versammlungsleiters, soweit nicht die Satzung oder die Geschäftsordnung anderes vorsieht und dazu z. B. den Vorstand ermächtigt.70) Streitig ist, ob dagegen eine Letztentscheidung der Hauptversammlung möglich ist.71) Ein aktienrechtliches Teilnahmerecht des beurkundenden Notars wird zu Recht abgelehnt, da er lediglich aufgrund eines Geschäftsbesorgungsvertrags für die Gesellschaft tätig wird.72) Ähnliches gilt für vom Vorstand beauftragte Berater, die als Hilfskräfte der Verwaltung ebenfalls von Gästen zu unterscheiden sind.73) IV.

Übertragung der Hauptversammlung in Bild und Ton (§ 118 Abs. 4)

Die Satzung oder die Geschäftsordnung können vorsehen oder den Vorstand oder den 24 Versammlungsleiter dazu ermächtigen, die Bild- und Tonübertragung der Hauptversammlung zuzulassen. Dies erfasst nur die einseitige Übertragung des Geschehens und dessen Aufzeichnung.74) Auch wenn diese Möglichkeit in der Satzung oder der Geschäftsordnung vorgesehen ist, folgt daraus kein Anspruch der einzelnen Aktionäre auf eine solche Übertragung.75) Ein Widerspruchsrecht von Aktionären etwa im Hinblick auf die Betroffenheit des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bei der Übertragung ihrer Redebeiträge kann jedenfalls per Satzung ausgeschlossen werden.76) Ohne weiteres zulässig ist die offengelegte Übertragung ins Foyer oder ein Back-Office. _____________ 70) Hoffmann-Becking, NZG 2017, 281, 287; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 118 Rz. 48 m. w. N. 71) Ausführlich hierzu Hoffmann-Becking, NZG 2017, 281, 287 f. 72) Vgl. etwa Kubis in: MünchKomm-AktG, § 118 Rz. 107 m. w. N.; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 118 Rz. 47; Hoffmann-Becking, NZG 2017, 281, 287. 73) Hoffmann-Becking, NZG 2017, 281, 287. 74) Vgl. Spindler/Stilz-Hoffmann, AktG, § 118 Rz. 44. 75) Begr. RegE z. TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 19; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 118 Rz. 118. 76) Spindler/Stilz-Hoffmann, AktG, § 118 Rz. 45; Heidel-Krenek/Pluta, AktR, § 118 AktG Rz. 50.

§ 119 Rechte der Hauptversammlung (1) Die Hauptversammlung beschließt in den im Gesetz und in der Satzung ausdrücklich bestimmten Fällen, namentlich über 1. die Bestellung der Mitglieder des Aufsichtsrats, soweit sie nicht in den Aufsichtsrat zu entsenden oder als Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer nach dem Mitbestimmungsgesetz, dem Mitbestimmungsergänzungsgesetz, dem Drittelbeteiligungsgesetz oder dem Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung zu wählen sind; 2. die Verwendung des Bilanzgewinns; 3. die Entlastung der Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats; 4. die Bestellung des Abschlußprüfers; 5. Satzungsänderungen;

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§ 119

Rechte der Hauptversammlung

6. Maßnahmen der Kapitalbeschaffung und der Kapitalherabsetzung; 7. die Bestellung von Prüfern zur Prüfung von Vorgängen bei der Gründung oder der Geschäftsführung; 8. die Auflösung der Gesellschaft. (2) Über Fragen der Geschäftsführung kann die Hauptversammlung nur entscheiden, wenn der Vorstand es verlangt. Literatur: Altmeppen, Gestreckter Nachteilsausgleich bei Benachteiligung der faktisch abhängigen AG durch Hauptversammlungsbeschluss nach § 119 Abs. 2 AktG, ZIP 2016, 441; Arnold, Mitwirkungsbefugnisse der Aktionäre nach Gelatine und Macrotron, ZIP 2005, 1573; Bayer, Delisting: Korrektur der Frosta-Rechtsprechung durch den Gesetzgeber, NZG 2015, 1169; Brellochs, Der Rückzug von der Börse nach „Frosta“, AG 2014, 633; Dietz-Vellmer, Hauptversammlungsbeschlüsse nach § 119 Abs. 2 AktG – ein geeignetes Mittel zur Haftungsvermeidung für Organe?, NZG 2014, 721; Ekkenga/Schneider, B., „Holzmüller“ und seine Geburtsfehler – hier: Die angebliche Schrankenlosigkeit der Vertretungsmacht des Mutter-Vorstands im Konzern, ZIP 2017, 1053; v. Falkenhausen, Enthaftung durch Hauptversammlungsbeschluss – Kann § 93 IV Satz 1 AktG den Vorstand vor Haftung schützen?, NZG 2016, 601; Feldhaus, Der Verkauf von Unternehmensteilen einer Aktiengesellschaft und die Notwendigkeit einer außerordentlichen Hauptversammlung, BB 2009, 562; Fleischer, Ungeschriebene Hauptversammlungszuständigkeiten im Aktienrecht, NJW 2004, 2335; Goette, Organisation und Zuständigkeit im Konzern, AG 2006, 522; Goj, Ungeschriebenes Hauptversammlungserfordernis beim Beteiligungserwerb?, 2017; Groß, Die Neuregelung des Anlegerschutzes beim Delisting, AG 2015, 812; Habersack, Mitwirkungsrechte der Aktionäre nach Macrotron und Gelatine, AG 2005, 137, 141; Hofmeister, Veräußerung und Erwerb von Beteiligungen bei der Aktiengesellschaft: Denkbare Anwendungsfälle der Gelatine-Rechtsprechung?, NZG 2008, 47; Kiefner, Beteiligungserwerb und ungeschriebene Hauptversammlungszuständigkeit, ZIP 2011, 545; Kleinhenz/ Leyendecker, Voraussetzungen und Reichweite der Haftungsbefreiung nach § 93 Abs. 4 S. 1 AktG bei M&A-Transaktionen, BB 2012, 861; Kocher/Seiz, Das neue Delisting nach § 39 Abs. 2 – 6 BörsG, DB 2016, 153; Koppensteiner, Holzmüller auf dem Prüfstand des BGH, Der Konzern 2004, 381; v. d. Linden, Kann die Satzung eine Börsennotierung vorschreiben?, NZG 2015, 176; Priester, Aktionärsentscheid zum Unternehmenserwerb, AG 2011, 654; Rousseau/ Wasse, Der Beschluss der Hauptversammlung über die Verwendung eines Bilanzverlustes, NZG 2010, 535; Schockenhoff, Delisting – Karlsruhe locuta, causa finita?, ZIP 2013, 2429; Scholz, Zurück ins „Macrotron“-Zeitalter durch Satzungsregelung?, BB 2015, 2248; Stephan/Strenger, Die Zuständigkeit der Hauptversammlung bei Strukturveränderungen – ein anlassbedingter Vorschlag, AG 2017, 346; Strohn, Zur Zuständigkeit der Hauptversammlung bei Zusammenschlussvorhaben unter Gleichen, ZHR 182 (2018) 114; Weißhaupt, Holzmüller-Informationspflichten nach den Erläuterungen des BGH in Sachen „Gelatine“, AG 2004, 585.

Übersicht I. Regelungsgehalt und Bedeutung ... II. Zuständigkeitskatalog (§ 119 Abs. 1) ................................................ 1. Regelmäßig wiederkehrende Maßnahmen ....................................... 2. Strukturmaßnahmen .......................... 3. Sonderfälle .......................................... III. Zuständigkeit in Geschäftsführungsangelegenheiten (§ 119 Abs. 2) ..................................... 1. Allgemeines ........................................

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1 3 3 4 6

7 7

a) Begriff der Geschäftsführungsangelegenheiten ................... 7 b) Grundsatz: Keine Zuständigkeit .................................... 8 c) Vertretungszuständigkeit ............ 9 2. Voraussetzungen der Hauptversammlungskompetenz ................ 11 3. Beschlussfassung .............................. 13 4. Beschlusswirkung ............................. 14 IV. Ungeschriebene Hauptversammlungszuständigkeiten ............ 18

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§ 119

Rechte der Hauptversammlung 1. Überblick .......................................... 18 2. Reichweite ......................................... 19 a) Qualitativ .................................... 19 b) Quantitativ ................................. 21 I.

3. 4. 5. 6.

Einzelfälle ......................................... Informationspflichten ...................... Beschlussfassung .............................. Rechtsfolgen von Verstößen ...........

26 31 33 34

Regelungsgehalt und Bedeutung

§ 119 legt die Zuständigkeit der Hauptversammlung fest und grenzt ihren Kompetenzbe- 1 reich gegenüber dem der anderen Organe ab. Der Zweck der Norm liegt somit in der Machtverteilung zwischen den Organen, Nebeneffekt ist die Enthaftung des Vorstands gemäß § 93 Abs. 4 Satz 1.1) Die Kompetenzen der Hauptversammlung lassen sich abschließend aus dem Gesetz (wenn 2 auch nicht aus § 119) ableiten (Enumerationsprinzip, zu Ausnahmen siehe Rz. 18 ff.).2) Ihr steht kein Recht zu, Kompetenzen an sich zu ziehen (keine Kompetenz-Kompetenz).3) Die Kompetenzordnung des § 119 ist satzungsfest4) und gebietet Zurückhaltung bei der Annahme ungeschriebener Hauptversammlungskompetenzen.5) II.

Zuständigkeitskatalog (§ 119 Abs. 1)

1.

Regelmäßig wiederkehrende Maßnahmen

§ 119 Abs. 1 Nr. 1 nennt die Bestellung der Mitglieder des Aufsichtsrats nach § 101 Abs. 1, 3 soweit keine Entsendung (§ 101 Abs. 2) oder Wahl nach den Mitbestimmungsgesetzen erfolgt. § 119 Abs. 1 Nr. 2 betrifft die Hauptversammlungszuständigkeit nach § 174 Abs. 1, den Beschluss über die Verwendung des Bilanzgewinns. Beschlussvorschläge über die Verwendung eines etwaigen Bilanzverlustes sollten vermieden werden, da ohnehin ein automatischer Verlustvortrag erfolgt und der Hauptversammlung kein Entscheidungsspielraum verbleibt.6) § 119 Abs. 1 Nr. 3 nennt die Entlastung der Verwaltungsmitglieder nach § 120 Abs. 1, § 119 Abs. 1 Nr. 4 die Bestellung des Abschlussprüfers nach § 318 Abs. 1 HGB. 2.

Strukturmaßnahmen

§ 119 Abs. 1 Nr. 5 betrifft Satzungsänderungen, § 179; § 119 Abs. 1 Nr. 6 nennt Kapital- 4 maßnahmen nach §§ 182 ff. und §§ 222 ff. § 119 Abs. 1 Nr. 8 betrifft die Auflösung der Gesellschaft, § 262 Abs. 1 Nr. 2. Weitere Strukturmaßnahmen sind insbesondere im Umwandlungsgesetz (§§ 65 Abs. 1, 73, 5 193 Abs. 1, 226 ff. UmwG), aber auch im AktG (§§ 71 Abs. 1 Nr. 8, 179a Abs. 1, 274 Abs. 1, 319, 320, 327a) der Hauptversammlungszuständigkeit zugewiesen. Auch §§ 33 Abs. 2, 33a Abs. 2 Nr. 1, 33c Abs. 1 und 2 WpÜG enthalten eine solche. Daneben sind einige ungeschriebene Hauptversammlungskompetenzen anerkannt, siehe Rz. 18 ff. 3.

Sonderfälle

Hierunter sind sämtliche Maßnahmen zu verstehen, die nicht als regelmäßig wiederkehrende 6 oder als Strukturmaßnahmen einzustufen sind.7) § 119 Abs. 1 Nr. 7 nennt die Bestellung von Sonderprüfern, § 142 Abs. 1. Weitere Hauptversammlungszuständigkeiten finden sich etwa in §§ 50, 52 Abs. 1, 84 Abs. 3, 103 Abs. 1 und § 147 Abs. 1 und 2. _____________ 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7)

So ganz h. A., vgl. nur K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 119 Rz. 1 m. w. N. Bungert in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 35 Rz. 10. Vgl. nur Heidel-Krenek/Pluta, AktR, § 119 AktG Rz. 4; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 119 Rz. 9. K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 119 Rz. 2. Spindler/Stilz-Hoffmann, AktG, § 119 Rz. 1. Vgl. Rousseau/Wasse, NZG 2010, 535, 536. K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 119 Rz. 12; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 119 Rz. 8.

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§ 119 III.

Rechte der Hauptversammlung Zuständigkeit in Geschäftsführungsangelegenheiten (§ 119 Abs. 2)

1.

Allgemeines

a)

Begriff der Geschäftsführungsangelegenheiten

7 Erfasst sind sämtliche tatsächliche oder rechtliche Tätigkeiten, die unmittelbar auf die Verfolgung des Gesellschaftszwecks gerichtet sind und die originär der Kompetenz des Vorstands unterfallen, d. h. für die weder eine gesetzliche Zuständigkeit des Aufsichtsrats besteht noch eine geschriebene oder ungeschriebene gesetzliche Hauptversammlungskompetenz.8) Auch bereits abgeschlossene Maßnahmen können der Hauptversammlung vorgelegt werden,9) allerdings ist hierbei Vorsicht geboten: Mangels der erforderlichen Kausalität („beruhen“, § 93 Abs. 4 Satz 1) zwischen der Maßnahme und dem Hauptversammlungsbeschluss kann keine Enthaftung nach § 93 Abs. 4 Satz 1 mehr eintreten (siehe näher § 93 Rz. 82).10) Ferner darf mit letzterem weder eine nach § 120 unzulässige Entlastung für Einzelmaßnahmen (siehe § 120 Rz. 6) noch ein vorsorglicher Regressverzicht erstrebt werden. Dagegen entfällt die Ersatzpflicht gegenüber der Gesellschaft durch eine Vorlage in dem Fall, dass ein vom Vorstand durchgeführter Vertragsschluss noch unter dem Zustimmungsvorbehalt der Hauptversammlung steht.11) b)

Grundsatz: Keine Zuständigkeit

8 Geschäftsführungsangelegenheiten unterfallen der Zuständigkeit des Vorstands; es besteht im Grundsatz keine Hauptversammlungszuständigkeit. Die Hauptversammlung kann eine solche auch nicht durch Beschluss begründen. Dies gilt auch in der Ein-Personen-AG.12) c)

Vertretungszuständigkeit

9 Auch hier gilt der allgemeine Grundsatz, dass der Vorstand die Gesellschaft vertritt (§ 78 Abs. 1). Ausnahmen bestehen bei rein verbandsinternen Maßnahmen, für die die Hauptversammlung organschaftliche Vertretungsmacht ausübt. Hierzu zählen die Bestellung und Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern, die Entlastung von Organmitgliedern und die Bestellung von besonderen Vertretern nach § 147 Abs. 2.13) Darüber hinaus hat die Hauptversammlung bei der Bestellung von Sonderprüfern eine rechtsgeschäftliche Vertretungsbefugnis.14) 10 Keine Vertretungsbefugnis besteht in Fällen, in denen eine Maßnahme des Vorstands intern nur mit Zustimmung der Hauptversammlung wirksam wird oder in denen ein Vertrags-

_____________ 8) Vgl. Kubis in: MünchKomm-AktG, § 119 Rz. 24; zu den äußerst geringen Gestaltungsmöglichkeiten in der Satzung vgl. Mülbert in: GroßKomm-AktG, § 119 Rz. 190. 9) Vgl. BGH, Urt. v. 15.1.2001 – II ZR 124/99 (Altana/Milupa), ZIP 2001, 416, 417. 10) Vgl. Spindler/Stilz-Hoffmann, AktG, § 119 Rz. 15; a. A. für den Fall, dass der abgeschlossene Vertrag unter dem Rücktrittsvorbehalt der Nichtzustimmung der Hauptversammlung steht, Kleinhenz/Leyendecker, BB 2012, 861, 862 f.; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 119 Rz. 25, mit der Einschränkung, dass den Vorstand dann das Risiko eines abweichenden Beschlusses trifft. 11) Vgl. BGH, Urt. v. 15.1.2001 – II ZR 124/99 (Altana/Milupa), ZIP 2001, 416, 417; v. Falkenhausen, NZG 2016, 601, 602 m. w. N. 12) Ganz h. M., vgl. nur K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 119 Rz. 14 m. w. N. 13) Vgl. Kubis in: MünchKomm-AktG, § 119 Rz. 19 m. w. N.; Mülbert in: GroßKomm-AktG, Vor §§ 118 – 147 Rz. 23 m. w. N. 14) Vgl. Bürgers/Körber-Reger, AktG, § 119 Rz. 11; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 119 Rz. 19; K. Schmidt/ Lutter-Spindler, AktG, § 142 Rz. 35; für organschaftliche Vertretungsbefugnis auch in diesem Fall Mülbert in: GroßKomm-AktG, Vor §§ 118 – 147 Rz. 22.

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Dirk Kocher

§ 119

Rechte der Hauptversammlung

schluss unter der aufschiebenden Bedingung der Zustimmung der Hauptversammlung steht.15) 2.

Voraussetzungen der Hauptversammlungskompetenz

Maßnahmen aus seinem Zuständigkeitsbereich16) kann der Vorstand grundsätzlich nach 11 freiem Ermessen der Hauptversammlung vorlegen. Erforderlich ist ein Beschluss des Kollegialorgans mit der nach § 77 erforderlichen Mehrheit.17) Verweigert der Aufsichtsrat die erforderliche Zustimmung zu einer Geschäftsführungsmaßnahme des Vorstands (§ 111 Abs. 4 Satz 3), kann dieser die Maßnahme ohne nochmalige vorherige Anrufung des Aufsichtsrats der Hauptversammlung zur Billigung vorlegen, jedoch gilt in diesen Fällen das qualifizierte Mehrheitserfordernis nach § 111 Abs. 4 Satz 4.18) Der Vorstand hat der Hauptversammlung einen Beschlussvorschlag nach § 124 Abs. 3 Satz 1 12 zu unterbreiten (siehe § 124 Rz. 18 f.).19) Ferner sind der Hauptversammlung sämtliche Informationen zur Verfügung zu stellen, die für die sachgerechte Willensbildung benötigt werden.20) 3.

Beschlussfassung

Notwendig ist grundsätzlich die einfache Mehrheit, § 133 Abs. 1.21) Etwas anderes gilt in 13 Fällen des § 111 Abs. 4 Satz 3. Inhaltlich ist die Hauptversammlung nicht in dem Sinne an den Beschlussvorschlag des Vorstands gebunden, dass sie ihn nur annehmen oder ablehnen kann. Vielmehr kann sie Änderungen am Beschlussvorschlag des Vorstands vornehmen.22) 4.

Beschlusswirkung

Dem Hauptversammlungsbeschluss kommt prinzipiell keine Außenwirkung zu.

14

Gegenüber dem Vorstand entfaltet der Hauptversammlungsbeschluss grundsätzlich Bin- 15 dungswirkung, § 83 Abs. 2.23) Sobald der Hauptversammlung einmal eine Geschäftsführungsmaßnahme vorgelegt wurde, erfährt der Vorstand folglich einen Kontrollverlust. Keine Bindungswirkung entfalten gesetzeswidrige, also nichtige und anfechtbare Beschlüsse, 16 letztere jedenfalls, soweit sie fristgemäß angefochten wurden, und Beschlüsse, deren Vollzug gesetzeswidrig wäre.24) Durch Herbeiführung eines Hauptversammlungsbeschlusses kann der Vorstand ferner 17 gemäß § 93 Abs. 4 Satz 1 seine Haftung gegenüber der Gesellschaft ausschließen (siehe _____________ 15) Vgl. BGH, Urt. v. 15.1.2001 – II ZR 124/99 (Altana/Milupa), ZIP 2001, 416, 418; Bürgers/Körber-Reger, AktG, § 119 Rz. 11; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 119 Rz. 19; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 118 Rz. 13 – intern zustimmungsbedürftige Maßnahmen; zu ungeschriebenen Hauptversammlungszuständigkeiten BGH, Urt. v. 26.4.2004 – II ZR 155/02 (Gelatine), ZIP 2004, 993 mit Anm. Altmeppen, dazu EWiR 2004, 573 (Just) und ebenso unten Rz. 18 ff. 16) Kubis in: MünchKomm-AktG, § 119 Rz. 24 m. w. N.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 119 Rz. 13. 17) Vgl. nur K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 119 Rz. 16 m. w. N.; Mülbert in: GroßKomm-AktG, § 119 Rz. 198. 18) Kubis in: MünchKomm-AktG, § 119 Rz. 26; ebenso Spindler/Stilz-Hoffmann, AktG, § 119 Rz. 14. 19) Spindler/Stilz-Hoffmann, AktG, § 119 Rz. 13. 20) BGH, Urt. v. 15.1.2001 – II ZR 124/99 (Altana/Milupa), ZIP 2001, 416, 417. 21) Vgl. nur K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 119 Rz. 23 m. w. N. 22) Spindler/Stilz-Hoffmann, AktG, § 119 Rz. 17; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 119 Rz. 26. 23) Allg. M., vgl. nur Kubis in: MünchKomm-AktG, § 119 Rz. 27; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 119 Rz. 25. 24) Kubis in: MünchKomm-AktG, § 119 Rz. 27; ohne Hinweis auf die Notwendigkeit einer fristgemäßen Anfechtung entsprechender Beschlüsse K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 119 Rz. 25 m. w. N.

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§ 119

Rechte der Hauptversammlung

schon Rz. 7).25) Die Hauptversammlung ist zu diesem Zweck vor Beschlussfassung umfassend zu informieren (siehe näher Rz. 31 f.). Nichtige Beschlüsse können den Vorstand ebenso wenig befreien wie solche „Enthaftungsbeschlüsse“, zu deren Anfechtung der Vorstand verpflichtet ist. Die bloße Anfechtbarkeit des Beschlusses durch den Vorstand ist für seine Haftungsbefreiung hingegen unschädlich.26) IV.

Ungeschriebene Hauptversammlungszuständigkeiten

1.

Überblick

18 Vom BGH zunächst auf § 119 Abs. 2 gestützt (Ermessensschrumpfung)27) und entgegen der Annahme einer Gesetzesanalogie zu gesetzlich geregelten Mitwirkungsbefugnissen,28) werden ungeschriebene Hauptversammlungszuständigkeiten nunmehr als das „Ergebnis offener Rechtsfortbildung“ bezeichnet.29) In der Literatur wird dies zum Teil kritisiert.30) Für die Praxis hat die Frage eine untergeordnete Bedeutung. 2.

Reichweite

a)

Qualitativ

19 Nach der sog. Holzmüller-Entscheidung des BGH gibt es „grundlegende Entscheidungen, die durch die Außenvertretungsmacht des Vorstands, seine gemäß § 82 Abs. 2 AktG begrenzte Geschäftsführungsbefugnis wie auch durch den Wortlaut der Satzung formal noch gedeckt sind, gleichwohl aber so tief in die Mitgliedsrechte der Aktionäre und deren im Anteilseigentum verkörpertes Vermögensinteresse eingreifen, dass der Vorstand vernünftigerweise nicht annehmen kann, er dürfe sie in ausschließlich eigener Verantwortung treffen, ohne die Hauptversammlung zu beteiligen“.31) Diese Aussage wurde näher konkretisiert durch die sog. Gelatine-Rechtsprechung32) aus dem Jahr 2004. So stellte der BGH klar, dass derlei Hauptversammlungskompetenzen nur „ausnahmsweise und in engen Grenzen“ anzuerkennen seien.33) Der Schutzzweck liege darin, die Aktionäre vor Eingriffen in ihre Mitgliedsrechte, die ihren Auswirkungen nach an die Notwendigkeit einer Satzungsänderung heranreichten, zu schützen. Ein solcher Eingriff kann, muss aber nicht in der Mediatisierung des Einflusses der Aktionäre liegen.34) Zugleich solle der Schutz der Anteilseigner vor einer „nachhaltigen Schwächung des Wertes ihrer Beteiligung“ durch grundlegende Entscheidungen des Vorstands gewährleistet werden.35) _____________ 25) Allg. M., s. Dietz-Vellmer, NZG 2014, 721, 725 ff.; Spindler/Stilz-Hoffmann, AktG, § 119 Rz. 18; Mülbert in: GroßKomm-AktG, § 119 Rz. 210. 26) Ausführlich zu alledem v. Falkenhausen, NZG 2016, 601, 603 f. m. w. N., der allerdings gerade keine Anfechtungspflicht des Vorstands anerkennt. 27) BGH, Urt. v. 25.2.1982 – II ZR 174/80 (Holzmüller), ZIP 1982, 568, 571. 28) BGH, Urt. v. 26.4.2004 – II ZR 155/02 (Gelatine), ZIP 2004, 993, 997 mit Anm. Altmeppen, m. w. N. 29) BGH, Urt. v. 26.4.2004 – II ZR 155/02 (Gelatine), ZIP 2004, 993, 997 mit Anm. Altmeppen, sowie BGH, Urt. v. 26.4.2004 – II ZR 154/02 (Gelatine II), NZG 2004, 575, 578 = ZIP 2004, 1001, dazu EWiR 2004, 1161 (Hirte). 30) So etwa bei Arnold, ZIP 2005, 1573, 1575; Fleischer, NJW 2004, 2335, 2337; Koppensteiner, Der Konzern 2004, 381, 385 f.; Weißhaupt, AG 2004, 585, 586; vgl. auch K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 119 Rz. 29. 31) BGH, Urt. v. 25.2.1982 – II ZR 174/80 (Holzmüller), ZIP 1982, 568, 571. 32) BGH, Urt. v. 26.4.2004 – II ZR 155/02 (Gelatine), ZIP 2004, 993 mit Anm. Altmeppen, sowie BGH, Urt. v. 26.4.2004 – II ZR 154/02 (Gelatine II), NZG 2004, 575 = ZIP 2004, 1001. 33) BGH, Urt. v. 26.4.2004 – II ZR 155/02 (Gelatine), ZIP 2004, 993 mit Anm. Altmeppen, sowie BGH, Urt. v. 26.4.2004 – II ZR 154/02 (Gelatine II), NZG 2004, 575 = ZIP 2004, 1001. 34) So zutreffend Goette, AG 2006, 522, 525. 35) BGH, Urt. v. 26.4.2004 – II ZR 155/02 (Gelatine), ZIP 2004, 993, 996 mit Anm. Altmeppen, sowie BGH, Urt. v. 26.4.2004 – II ZR 154/02 (Gelatine II), NZG 2004, 575, 577 = ZIP 2004, 1001.

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§ 119

Rechte der Hauptversammlung

Somit bedarf es zunächst einer grundlegenden Strukturentscheidung für die Gesellschaft, 20 die etwa mit umwandlungsrechtlichen Vorgängen oder dem Abschluss von Unternehmensverträgen vergleichbar ist.36) b)

Quantitativ

In einem zweiten Schritt ermittelt der BGH, ob die Maßnahme zu einer „nachhaltigen 21 Schwächung des Wertes“ der Beteiligung der Aktionäre führt. Dies ist regelmäßig erst dann der Fall, „wenn der Bereich, auf den sich die Maßnahme erstreckt, in seiner Bedeutung für die Gesellschaft die Ausmaße der Ausgliederung in dem vom Senat entschiedenen HolzmüllerFall erreicht“;37) die dort vorgenommene Maßnahme betraf ca. 80 % des Substanzwerts der Gesellschaft. Betroffen war der „wertvollste Betriebszweig“.38) Dem folgend wird in der Literatur ein Schwellenwert von ca. 75 – 80 %, allerdings 22 bezogen auf diverse Parameter, angenommen.39) Dabei ist noch ungeklärt, auf welche Größen sich der Schwellenwert zu beziehen hat. Jeden- 23 falls ist eine Gesamtwürdigung der Umstände notwendig.40) Herangezogen werden zumeist die Ertragskraft, die Bilanzsumme und die Umsatzerlöse41) und das Ergebnis vor Zinsen und Steuern,42) daneben auch die Mitarbeiterzahl,43) das Anlagevermögen und das Eigenkapital.44) In zeitlicher Hinsicht ist der Zeitpunkt der Durchführung der Maßnahme maßgeblich.45) Im Ausgangspunkt müssen sich diese Größen auf die Gesellschaft – und nicht den 24 gesamten Konzern – beziehen.46) Etwas anderes gilt, sofern die Strukturmaßnahme mehrere Tochtergesellschaften einer Konzernobergesellschaft betrifft. Die selbständige Betrachtung einzelner Konzerngesellschaften ist dann nicht mehr sinnvoll; vielmehr ist hinsichtlich der Strukturmaßnahme eine konsolidierte Betrachtung anzustellen.47) Probleme können sich in diesem Fall bei der Berechnung des Schwellenwertes ergeben. 25 Konzern- und Einzelabschlüsse sind für diese Zwecke nach demselben Standard (HGB bzw. IFRS) aufzustellen bzw. dahingehend überzuleiten. Zudem stellt sich die Frage, inwieweit Binnenumsätze im Konzern zu berücksichtigen sind. 3.

Einzelfälle

Der BGH selbst nannte als zustimmungspflichtige Maßnahmen ursprünglich die Ausgrün- 26 dung eines Betriebs auf eine Tochtergesellschaft sowie die anschließende Durchführung einer Kapitalerhöhung auf Ebene der Tochtergesellschaft, den dortigen Abschluss von _____________ 36) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 119 Rz. 30. 37) BGH, Urt. v. 26.4.2004 – II ZR 155/02 (Gelatine), ZIP 2004, 993, 998 mit Anm. Altmeppen, sowie BGH, Urt. v. 26.4.2004 – II ZR 154/02 (Gelatine II), NZG 2004, 575, 579 = ZIP 2004, 1001. 38) BGH, Urt. v. 25.2.1982 – II ZR 174/80 (Holzmüller), ZIP 1982, 568, 571. 39) Vgl. K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 119 Rz. 32; Spindler/Stilz-Hoffmann, AktG, § 119 Rz. 27; Fuhrmann, AG 2004, 339, 341; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 119 Rz. 25. 40) So OLG Stuttgart, Urt. v. 13.7.2005 – 20 U 1/05, ZIP 2005, 1415, 1418; vgl. auch Bürgers/KörberReger, AktG, § 119 Rz. 21, und Semler/Stengel-Schlitt, UmwG, Anh. § 173 Rz. 35. 41) So OLG Hamm, Urt. v. 19.11.2007 – 8 U 216/07 (Arcandor), ZIP 2008, 832, 834, dazu EWiR 2008, 227 (v. d. Linden/Ogorek); OLG Stuttgart, Urt. v. 13.7.2005 – 20 U 1/05, ZIP 2005, 1415, 1418. 42) LG München I, Urt. v. 8.6.2006 – 5 HK 5025/06, ZIP 2006, 2036, 2040. 43) OLG Hamm, Urt. v. 19.11.2007 – 8 U 216/07 (Arcandor), ZIP 2008, 832, 834; LG München I, Urt. v. 8.6.2006 – 5 HK 5025/06, ZIP 2006, 2036, 2040. 44) So OLG Stuttgart, Urt. v. 13.7.2005 – 20 U 1/05, ZIP 2005, 1415, 1418. 45) Ohne weitere Begr. implizit BGH, Urt. v. 26.4.2004 – II ZR 155/02 (Gelatine), ZIP 2004, 993, 994 mit Anm. Altmeppen. 46) Vgl. etwa OLG Stuttgart, Urt. v. 13.7.2005 – 20 U 1/05, ZIP 2005, 1415, 1418; K. Schmidt/LutterSpindler, AktG, § 119 Rz. 32; a. A. Semler/Stengel-Schlitt, UmwG, Anh. § 173 Rz. 35; Feldhaus, BB 2009, 562, 567 f. 47) Vgl. LG München I, Urt. v. 8.6.2006 – 5 HK 5025/06, ZIP 2006, 2036, 2040.

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Rechte der Hauptversammlung

Unternehmensverträgen48) sowie die Auflösung oder die Übertragung des gesamten Gesellschaftsvermögens (§ 179a).49) Ferner wurde die „Umhängung“ einer Tochtergesellschaft unter eine andere Tochtergesellschaft aufgrund des damit verbundenen „weiteren Mediatisierungseffekts“50) als – bei entsprechender wirtschaftlicher Bedeutung – zustimmungspflichtig eingestuft. Maßnahmen auf der Ebene bestehender Enkelgesellschaften sollen dagegen keine Zustimmungspflicht auslösen, da die Aktionäre der Obergesellschaft „auch zuvor nur beschränkten Einfluss hatten“.51) 27 Die Fallgruppe der Veräußerung von Beteiligungen und Unternehmensteilen unterliegt nach heute überwiegender Ansicht unabhängig von ihrer Größenordnung keiner Zustimmungspflicht.52) Der BGH hat in seiner Entscheidung Stuttgarter Hofbräu geurteilt, dass die Veräußerung einer Beteiligung mangels Mediatisierungseffekt nicht unter die Holzmüller-Doktrin fällt. Dieses Ergebnis verhindert einen Wertungswiderspruch zu § 179a, der die Veräußerung des gesamten Vermögens voraussetzt. Ein teilweise vorgebrachter Desinvestitionseffekt53) infolge einer Veräußerung unterhalb des maßgeblichen Schwellenwerts (siehe Rz. 22) kann vor dem Hintergrund des § 179a keine Hauptversammlungskompetenz begründen. Hauptversammlungspflichtig wird eine Veräußerung gemäß § 179, wenn die Satzung an den geänderten Unternehmensgegenstand anzupassen ist oder ein Fall des § 179a Abs. 1 Satz 1 vorliegt.54) Demgegenüber kann auch nicht mit einer „Teilliquidation“ argumentiert werden. 28 Strittig ist der Erwerb von Beteiligungen.55) Ein Urteil des LG Frankfurt am Main, wonach der Erwerb der Zustimmung der Hauptversammlung bedurfte,56) wurde aufgehoben.57) Der BGH hat die Frage offengelassen.58) Richtigerweise ist sie grundsätzlich zu verneinen. 28a Aktuell ist der Merger of Equals in die Diskussion geraten. Er wird zum Teil selbst dann als hauptverhandlungspflichtig angesehen, wenn die AG formal Zielgesellschaft ist und _____________ 48) BGH, Urt. v. 25.2.1982 – II ZR 174/80 (Holzmüller), ZIP 1982, 568, 573. 49) BGH, Urt. v. 25.2.1982 – II ZR 174/80 (Holzmüller), ZIP 1982, 568, 574. 50) BGH, Urt. v. 26.4.2004 – II ZR 155/02 (Gelatine), ZIP 2004, 993 mit Anm. Altmeppen, sowie BGH, Urt. v. 26.4.2004 – II ZR 154/02 (Gelatine II), NZG 2004, 575 = ZIP 2004, 1001. 51) OLG Hamm, Urt. v. 19.11.2007 – 8 U 216/07 (Arcandor), ZIP 2008, 832, 833 f., dazu EWiR 2008, 227, 228 (v. d. Linden/Ogorek). 52) BVerfG, Beschl. v. 7.9.2011 – 1 BvR 1460/10 (Strabag), ZIP 2011, 2094, dazu EWiR 2012, 3 (Nietsch); OLG Hamm, Urt. v. 19.11.2007 – 8 U 216/07 (Arcandor), ZIP 2008, 832, 834 f., dazu EWiR 2008, 227, 228 (v. d. Linden/Ogorek); ferner in einem obiter dictum OLG Stuttgart, Urt. v. 13.7.2005 – 20 U 1/05, ZIP 2005, 1415, 1418; bestätigt durch BGH, Beschl. v. 20.11.2006 – II ZR 226/05, ZIP 2007, 24 mit Anm. v. Falkenhausen = DStR 2007, 586; aus der Literatur vgl. etwa Feldhaus, BB 2009, 562, 567; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 119 Rz. 22; Bürgers/Körber-Reger, AktG, § 119 Rz. 16; K. Schmidt/ Lutter-Spindler, AktG, § 119 Rz. 35; v. Falkenhausen, ZIP 2007, 24, 25 f. (Urteilsanm.); Hofmeister, NZG 2008, 47, 50; Goette, AG 2006, 522, 527 m. w. N.; a. A. Spindler/Stilz-Hoffmann, AktG, § 119 Rz. 30 ff. mit dem Hinweis, dass es im vorstehend aufgeführten BGH-Beschluss lediglich um die Veräußerung von 50 % der Kommanditanteile an einer Tochtergesellschaft ging. 53) Spindler/Stilz-Hoffmann, AktG, § 119 Rz. 31 f. 54) Ausführlich v. Falkenhausen, ZIP 2007, 24, 26 (Urteilsanm.). 55) Dazu Kiefner, ZIP 2011, 545; Priester, AG 2011, 654; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 119 Rz. 34. Rechtspolitisch für eine Ausdehnung auf wesentliche Aktiv- und Passivtransaktionen Stephan/Strenger, AG 2017, 346 ff. 56) LG Frankfurt/M., Urt. v. 15.12.2009 – 3-5 O 208/09, ZIP 2010, 429, 431 m. w. N. (inzwischen aufgehoben durch OLG Frankfurt/M., Urt. v. 7.12.2010 – 5 U 29/10, ZIP 2011, 75, s. Fn. 57); dem Urteil des LG Frankfurt/M. zustimmend Spindler/Stilz-Hoffmann, AktG, § 119 Rz. 30b. In diese Richtung auch Goj, Ungeschriebenes Hauptversammlungserfordernis beim Beteiligungswert?, 2017, u. a. S. 341. 57) OLG Frankfurt/M., Urt. v. 7.12.2010 – 5 U 29/10, ZIP 2011, 75, dazu EWiR 2011, 33 (Nikoleyczik/ Wahl); bestätigt durch BGH, Beschl. v. 7.2.2012 – II ZR 253/10, ZIP 2012, 515, dazu WuB II A § 120 AktG 1.12 (Wilhelm). 58) BGH, Beschl. v. 7.2.2012 – II ZR 253/10, ZIP 2012, 515, dazu WuB II A § 120 AktG 1.12 (Wilhelm).

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§ 119

Rechte der Hauptversammlung

die Satzung eine entsprechende Konzernklausel enthält.59) Das ist sowohl für den Unternehmensgegenstand als auch für die ungeschriebene Zuständigkeit abzulehnen, da die Beteiligung an der AG von deren Tätigkeit zu unterscheiden ist und die Aktionäre letztlich durch die Annahme des Übernahmeangebots doch entscheiden können.60) Für die Praxis weniger relevant ist die Frage, ob der Börsengang der Gesellschaft (IPO) der 29 Zustimmungspflicht unterliegt, da in der überwiegenden Mehrheit der Fälle ein Kapitalerhöhungsbeschluss seitens der Hauptversammlung zu fassen sein wird, neben dem ein weiterer Zustimmungsbeschluss zum Börsengang jedenfalls nicht erforderlich ist.61) Die Anforderungen an das Delisting sind inzwischen in § 39 Abs. 2 bis 6 BörsG geregelt. 30 Ein darauf gerichteter Emittentenantrag setzt ein Angebot zum Erwerb aller betroffenen Wertpapiere voraus, das nach den maßgeblichen WpÜG-Vorschriften zu veröffentlichen ist. Ein Hauptversammlungsbeschluss ist nicht erforderlich, eine Vorlage gemäß § 119 Abs. 2 bleibt dem Vorstand aber unbenommen.62) Unklar ist, ob Börsenordnungen einen Hauptversammlungsbeschluss fordern können. Dem ist entgegenzutreten, da sich der Gesetzgeber klar gegen eine Zuständigkeit der Hauptversammlung entschieden hat.63) Aus diesem Grund ist richtigerweise auch die Zulässigkeit einer satzungsmäßigen Festlegung der Börsennotierung einer AG oder eine Festschreibung der Macrotron-Grundsätze in der Satzung zu verneinen, sodass das Delisting keine Satzungsänderung erfordert.64) 4.

Informationspflichten

Auch bei ungeschriebenen Zuständigkeiten hat der Vorstand der Hauptversammlung 31 sämtliche Informationen mitzuteilen, die für eine sachgerechte Entscheidung erforderlich sind. § 124 Abs. 2 Satz 2 ist analog anzuwenden,65) sodass der wesentliche Inhalt zustimmungsbedürftiger Verträge bekannt zu machen ist (siehe § 124 Rz. 12 ff.). Eine Berichtspflicht, etwa in Analogie zu den §§ 186 Abs. 4, 293a, wird dagegen nur dann in Betracht kommen, wenn nur ein Konzept zur Abstimmung gebracht werden soll, das noch nicht hinreichend in Vertragsentwürfe umgesetzt ist.66) Ein danach zu erstellender Bericht ist auszulegen und auf Verlangen zu versenden.67) Soweit bereits Verträge vorliegen, ist es nach Ansicht der BGH eine Frage des Einzelfalls, 32 ob diese auszulegen und auf Verlangen an die Aktionäre zu versenden sind.68) Maßstab ist, ob den Aktionären ohne Kenntnisnahme von dem Vertragstext eine „verantwortliche Entscheidung“ zuzumuten sei; dies gilt erst recht, wenn die Wirksamkeit des Vertrages von der Zustimmung der Hauptversammlung abhängt.69) _____________ 59) Strohn, ZHR 182 (2018) 114, 148 ff. 60) Zutreffend Paschos/Goslar, Börsenzeitung v. 19.5.2018, S. 9, abrufbar unter https://de.lw.com/thoughtLeadership/Hauptversammlungen-in-%C3%9Cbernahmen-au%C3%9Fen-vor (Abrufdatum: 30.5.2018). 61) Vgl. Kubis in: MünchKomm-AktG, § 119 Rz. 84; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 119 Rz. 23. 62) Kocher/Seiz, DB 2016, 153, 158. 63) Groß, AG 2015, 812, 813 f.; Kocher/Seiz, DB 2016, 153, 158; a. A. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 119 Rz. 39. 64) Wie hier Groß, AG 2015, 812, 814; Kocher/Seiz, DB 2016, 153, 158; Spindler/Stilz-Hoffmann, AktG, § 119 Rz. 48a; Scholz, BB 2015, 2248; v. d. Linden, NZG 2015, 176; Bayer, NZG 2015, 1169, 1178; a. A. bzgl. Satzungsfestlegung aber Habersack, AG 2005, 137, 141; Schockenhoff, ZIP 2013, 2429, 2434; Arnold, ZIP 2005, 1573, 1576; Brellochs, AG 2014, 633, 638; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 119 Rz. 93, der auch von erfolgreichen Handelsregistereintragungen bestimmter Satzungsklauseln berichtet. 65) OLG Schleswig, Urt. v. 8.12.2005 – 5 U 57/04 (MobilCom), ZIP 2006, 421, 424; LG Frankfurt/M., Urt. v. 12.12.2000 – 3/5 O 149/99, DB 2001, 751, 751 f. 66) Vgl. K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 119 Rz. 44 m. w. N.; eine generelle Berichtspflicht ablehnend auch OLG München, Urt. v. 14.2.2001 – 7 U 6019/99, ZIP 2001, 700, 703 f., dazu EWiR 2001, 459 (Mutter), bestätigt durch BGH, Urt. v. 25.11.2002 – II ZR 133/01 (Macrotron), ZIP 2003, 387, 391. 67) Vgl. K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 119 Rz. 44 m. w. N.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 119 Rz. 28. 68) BGH, Urt. v. 15.1.2001 – II ZR 124/99 (Altana/Milupa), ZIP 2001, 416, 418. 69) BGH, Urt. v. 15.1.2001 – II ZR 124/99 (Altana/Milupa), ZIP 2001, 416, 418.

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771

§ 120 5.

Entlastung; Votum zum Vergütungssystem Beschlussfassung

33 Maßnahmen, die der ungeschriebenen Hauptversammlungszuständigkeit nach HolzmüllerGrundsätzen unterliegen, bedürfen eines mit einfacher Stimmenmehrheit sowie Dreiviertelmehrheit des vertretenen Grundkapitals gefassten Beschlusses.70) 6.

Rechtsfolgen von Verstößen

34 Grundsätzlich wird die Vertretungsmacht des Vorstands durch eine Kompetenzverletzung nicht berührt. Im Innenverhältnis drohen dem Vorstand (§ 93 Abs. 2) und ggf. auch dem Aufsichtsrat (§ 116) Schadensersatzpflichten.71) Weiterhin kann eine Abberufung des Vorstands folgen (§ 84 Abs. 3 Satz 2) sowie ein Unterlassungsanspruch72) gegen ihn begründet sein. Sofern nach der Holzmüller-Doktrin eine Vorlagepflicht gegenüber der Hauptversammlung besteht, kommt bei deren Verletzung die Unwirksamkeit der Strukturmaßnahme im Außenverhältnis unter dem Gesichtspunkt des Missbrauchs der Vertretungsmacht durch den Vorstand in Betracht.73) Dazu muss der Vertragspartner eindeutige Hinweise auf die Verletzung der Hauptversammlungskompetenz ignorieren oder kollusiv mit dem Vorstand zusammenwirken. Vor dem Hintergrund einer üblichen due diligence bei Unternehmenstransaktionen kann ein Käufer ggf. konkrete Anhaltspunkte für eine Kompetenzverletzung haben.74) _____________ 70) BGH, Urt. v. 26.4.2004 – II ZR 155/02 (Gelatine), ZIP 2004, 993, 998 mit Anm. Altmeppen, m. w. N., sowie BGH, Urt. v. 26.4.2004 – II ZR 154/02 (Gelatine II), NZG 2004, 575, 579 = ZIP 2004, 1001; dies wurde in der Literatur vielfach kritisiert, ist im Rechtsfortbildungskonzept des BGH jedoch folgerichtig und somit für die Praxis geklärt, vgl. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 119 Rz. 29 m. w. N. 71) Spindler/Stilz-Hoffmann, AktG, § 119 Rz. 53; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 119 Rz. 26. 72) OLG Hamm, Urt. v. 19.11.2007 – 8 U 216/07 (Arcandor), ZIP 2008, 832, 832 f. 73) Erweiternd in Fälle von Kapitalmaßnahmen bei Töchtern oder deren Gründung Ekkenga/B. Schneider, ZIP 2017, 1053 ff. 74) Spindler/Stilz-Hoffmann, AktG, § 119 Rz. 52.

§ 120 Entlastung; Votum zum Vergütungssystem (1) 1Die Hauptversammlung beschließt alljährlich in den ersten acht Monaten des Geschäftsjahrs über die Entlastung der Mitglieder des Vorstands und über die Entlastung der Mitglieder des Aufsichtsrats. 2Über die Entlastung eines einzelnen Mitglieds ist gesondert abzustimmen, wenn die Hauptversammlung es beschließt oder eine Minderheit es verlangt, deren Anteile zusammen den zehnten Teil des Grundkapitals oder den anteiligen Betrag von einer Million Euro erreichen. (2) 1Durch die Entlastung billigt die Hauptversammlung die Verwaltung der Gesellschaft durch die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats. 2Die Entlastung enthält keinen Verzicht auf Ersatzansprüche. (3) Die Verhandlung über die Entlastung soll mit der Verhandlung über die Verwendung des Bilanzgewinns verbunden werden. (4) 1Die Hauptversammlung der börsennotierten Gesellschaft kann über die Billigung des Systems zur Vergütung der Vorstandsmitglieder beschließen. 2Der Beschluss begründet weder Rechte noch Pflichten; insbesondere lässt er die Verpflichtungen des Aufsichtsrats nach § 87 unberührt. 3Der Beschluss ist nicht nach § 243 anfechtbar. Literatur: Bachmann, Die Einmann-AG, NZG 2001, 961; Bedkowski/Kocher, Termin der ordentlichen Hauptversammlung nach EHUG und TUG, AG 2007, 341; v. Falkenhausen/Kocher,

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§ 120 5.

Entlastung; Votum zum Vergütungssystem Beschlussfassung

33 Maßnahmen, die der ungeschriebenen Hauptversammlungszuständigkeit nach HolzmüllerGrundsätzen unterliegen, bedürfen eines mit einfacher Stimmenmehrheit sowie Dreiviertelmehrheit des vertretenen Grundkapitals gefassten Beschlusses.70) 6.

Rechtsfolgen von Verstößen

34 Grundsätzlich wird die Vertretungsmacht des Vorstands durch eine Kompetenzverletzung nicht berührt. Im Innenverhältnis drohen dem Vorstand (§ 93 Abs. 2) und ggf. auch dem Aufsichtsrat (§ 116) Schadensersatzpflichten.71) Weiterhin kann eine Abberufung des Vorstands folgen (§ 84 Abs. 3 Satz 2) sowie ein Unterlassungsanspruch72) gegen ihn begründet sein. Sofern nach der Holzmüller-Doktrin eine Vorlagepflicht gegenüber der Hauptversammlung besteht, kommt bei deren Verletzung die Unwirksamkeit der Strukturmaßnahme im Außenverhältnis unter dem Gesichtspunkt des Missbrauchs der Vertretungsmacht durch den Vorstand in Betracht.73) Dazu muss der Vertragspartner eindeutige Hinweise auf die Verletzung der Hauptversammlungskompetenz ignorieren oder kollusiv mit dem Vorstand zusammenwirken. Vor dem Hintergrund einer üblichen due diligence bei Unternehmenstransaktionen kann ein Käufer ggf. konkrete Anhaltspunkte für eine Kompetenzverletzung haben.74) _____________ 70) BGH, Urt. v. 26.4.2004 – II ZR 155/02 (Gelatine), ZIP 2004, 993, 998 mit Anm. Altmeppen, m. w. N., sowie BGH, Urt. v. 26.4.2004 – II ZR 154/02 (Gelatine II), NZG 2004, 575, 579 = ZIP 2004, 1001; dies wurde in der Literatur vielfach kritisiert, ist im Rechtsfortbildungskonzept des BGH jedoch folgerichtig und somit für die Praxis geklärt, vgl. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 119 Rz. 29 m. w. N. 71) Spindler/Stilz-Hoffmann, AktG, § 119 Rz. 53; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 119 Rz. 26. 72) OLG Hamm, Urt. v. 19.11.2007 – 8 U 216/07 (Arcandor), ZIP 2008, 832, 832 f. 73) Erweiternd in Fälle von Kapitalmaßnahmen bei Töchtern oder deren Gründung Ekkenga/B. Schneider, ZIP 2017, 1053 ff. 74) Spindler/Stilz-Hoffmann, AktG, § 119 Rz. 52.

§ 120 Entlastung; Votum zum Vergütungssystem (1) 1Die Hauptversammlung beschließt alljährlich in den ersten acht Monaten des Geschäftsjahrs über die Entlastung der Mitglieder des Vorstands und über die Entlastung der Mitglieder des Aufsichtsrats. 2Über die Entlastung eines einzelnen Mitglieds ist gesondert abzustimmen, wenn die Hauptversammlung es beschließt oder eine Minderheit es verlangt, deren Anteile zusammen den zehnten Teil des Grundkapitals oder den anteiligen Betrag von einer Million Euro erreichen. (2) 1Durch die Entlastung billigt die Hauptversammlung die Verwaltung der Gesellschaft durch die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats. 2Die Entlastung enthält keinen Verzicht auf Ersatzansprüche. (3) Die Verhandlung über die Entlastung soll mit der Verhandlung über die Verwendung des Bilanzgewinns verbunden werden. (4) 1Die Hauptversammlung der börsennotierten Gesellschaft kann über die Billigung des Systems zur Vergütung der Vorstandsmitglieder beschließen. 2Der Beschluss begründet weder Rechte noch Pflichten; insbesondere lässt er die Verpflichtungen des Aufsichtsrats nach § 87 unberührt. 3Der Beschluss ist nicht nach § 243 anfechtbar. Literatur: Bachmann, Die Einmann-AG, NZG 2001, 961; Bedkowski/Kocher, Termin der ordentlichen Hauptversammlung nach EHUG und TUG, AG 2007, 341; v. Falkenhausen/Kocher,

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§ 120

Entlastung; Votum zum Vergütungssystem

Erste Erfahrungen mit dem Vergütungsvotum der Hauptversammlung, AG 2010, 623; Fleischer/ Bedkowski, „Say on Pay“ im deutschen Aktienrecht: Das neue Vergütungsvotum der Hauptversammlung nach § 120 Abs. 4 AktG, AG 2009, 677; v. d. Linden, Inhalts- und Verfahrensfehler von Entlastungsbeschlüssen, ZIP 2013, 2343; Mutter/Kruchen, Stimmverbote bei Beschlüssen nach § 120 Abs. 4 AktG?, AG-Report 2010, 78; Reichard, Anfechtung von Entlastungsbeschlüssen wegen treuwidrig erteilter Entlastung, GWR 2015, 377; Scholz, Gesamtverantwortung, Gesamtentlastung – Gesamtnichtigkeit?, AG 2017, 612; Verse, Regulierung der Vorstandsvergütung – mehr Macht für die Aktionäre? Überlegungen zur geplanten Reform des say on pay, NZG 2013, 921; Vetter, Der kraftlose Hauptversammlungsbeschluss über das Vorstandsvergütungssystem nach § 120 Abs. 4 AktG, ZIP 2009, 2136.

Übersicht I. Bedeutung und Regelungsgehalt .... 1 II. Der Entlastungsbeschluss (§ 120 Abs. 1 – 3) ............................................ 2 1. Zuständigkeit und Frist (§ 120 Abs. 1) ................................................. 2 2. Verfahren (§ 120 Abs. 3) ................... 4 3. Gesamtentlastung (§ 120 Abs. 1 Satz 1) und Einzelentlastung (§ 120 Abs. 1 Satz 2) .......................... 5 a) Gesamtentlastung (§ 120 Abs. 1 Satz 1) ............................... 5 b) Einzelentlastung (§ 120 Abs. 1 Satz 2)/Teilentlastung .................. 6 I.

4. Beschlussfassung ................................ 7 5. Stimmverbote (§ 136 Abs. 1) ............. 8 6. Inhalt und Wirkung (§ 120 Abs. 2) ..................................... 9 a) Positiver Entlastungsbeschluss ........................................... 9 b) Verweigerung der Entlastung .... 10 7. Anfechtbarkeit .................................. 11 a) Inhaltsfehler ............................... 11 b) Verfahrensfehler ......................... 12 III. Billigung des Vorstandsvergütungssystems (§ 120 Abs. 4) ....... 13

Bedeutung und Regelungsgehalt

Trotz seiner fehlenden rechtlichen Wirkung hat der Entlastungsbeschluss große Bedeutung 1 für die Organmitglieder; bei großen Publikumsgesellschaften kommt die hohe Öffentlichkeitswirkung einer verweigerten Entlastung hinzu. Der Entlastungsbeschluss bzw. seine Verweigerung stellen den praktisch häufigsten Anlass für aktienrechtliche Anfechtungsklagen dar.1) II.

Der Entlastungsbeschluss (§ 120 Abs. 1 – 3)

1.

Zuständigkeit und Frist (§ 120 Abs. 1)

Zuständig ist allein die Hauptversammlung. Ist der Vorstand zugleich Alleinaktionär, ist 2 wegen des Stimmverbots aus § 136 Abs. 1 AktG (siehe näher Rz. 8) kein Entlastungsbeschluss zu fassen.2) Übrige Vorstände und Aufsichtsräte kann ein Alleinaktionär aber durch Einzelbeschlüsse (§ 120 Abs. 1 Satz 2) entlasten.3) Die Acht-Monats-Frist entspricht der Frist des § 175 Abs. 1 Satz 2 zur Einberufung der 3 ordentlichen Hauptversammlung auf einen Zeitpunkt in dieser Frist (bei der SE beträgt sie nach Art. 54 Abs. 1 SE-VO nur sechs Monate). Unberührt bleibt hiervon freilich der Zeitpunkt der Einberufung der ordentlichen Hauptversammlung nach § 175 Abs. 1 Satz 1.4) _____________ 1) 2)

3) 4)

Kubis in: MünchKomm-AktG, § 120 Rz. 2 m. w. N. H. M., vgl. etwa Spindler/Stilz-Hoffmann, AktG, § 120, Rz. 3; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 120 Rz. 14; gegen die Annahme eines Stimmverbots und stattdessen für eine teleologische Reduktion Mülbert in: GroßKomm-AktG, § 120 Rz. 135; a. A. Bachmann, NZG 2001, 961, 968. Kubis in: MünchKomm-AktG, § 120 Rz. 3; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 120 Rz. 14. Dazu und zu den resultierenden Problemen Bedkowski/Kocher, AG 2007, 341 ff.

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§ 120

Entlastung; Votum zum Vergütungssystem

Eine Fristüberschreitung hat keine unmittelbaren Konsequenzen, sie führt insbesondere nicht zu einer Anfechtbarkeit der verspätet gefassten Entlastungsbeschlüsse.5) Ein Aktionär kann die Einhaltung der Frist nicht erzwingen.6) 2.

Verfahren (§ 120 Abs. 3)

4 Die Entscheidung über die Entlastung soll gemäß § 120 Abs. 3 im gleichen Hauptversammlungstermin wie der Gewinnverwendungsbeschluss gefasst werden. Ein Verstoß gegen dieses Verbindungsgebot bleibt allerdings ohne Rechtsfolgen.7) Der Beschlussvorschlag kann auf Erteilung oder Verweigerung der Entlastung oder auf Vertagung der Entlastungsentscheidung lauten.8) Eine Vertagung kommt vor allem bei laufenden Ermittlungen oder Sonderprüfungen in Betracht.9) Die Vertagung muss dabei nicht bis zu einem bestimmten Zeitpunkt erfolgen. Die Verwaltung muss vielmehr bei jeder Hauptversammlung prüfen, ob inzwischen genug Klarheit eingetreten ist, um über die Entlastung zu entscheiden. Ist das nicht der Fall, muss richtigerweise nicht jedes Jahr erneut eine Vertagung beschlossen werden. 3.

Gesamtentlastung (§ 120 Abs. 1 Satz 1) und Einzelentlastung (§ 120 Abs. 1 Satz 2)

a)

Gesamtentlastung (§ 120 Abs. 1 Satz 1)

5 Hierbei handelt es sich um die Entlastung sämtlicher Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieder in einem Abstimmungsgang und ohne Differenzierungsmöglichkeit; dies stellt den gesetzlichen Regelfall dar.10) Die Entlastung ist für jedes Gremium gesondert anzukündigen und zu beschließen, eine gemeinsame Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat unter einem gemeinsamen Tagesordnungspunkt ohne Differenzierungsmöglichkeit der Aktionäre ist unzulässig und anfechtbar.11) Entlastungszeitraum ist regelmäßig das letzte abgeschlossene Geschäftsjahr.12) Soll hiervon abgewichen werden, ist dies durch eine entsprechende Klarstellung in der Tagesordnung deutlich zu machen.13) b)

Einzelentlastung (§ 120 Abs. 1 Satz 2)/Teilentlastung

6 Die gesonderte personenbezogene Abstimmung mit Differenzierungsmöglichkeit über einzelne Mitglieder des Vorstands oder Aufsichtsrats erfolgt, wenn die Hauptversammlung dies beschließt, ein Minderheitenquorum es beantragt14) oder wenn der Versammlungsleiter dies bestimmt.15) Ein Antrag zur Einzelentlastung kann auch bereits mit dem Vorschlag der Verwaltung gemäß § 124 Abs. 3 Satz 1 bekannt gemacht werden.16) Auch _____________ 5) 6) 7) 8)

9) 10) 11) 12) 13) 14) 15) 16)

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Vgl. Spindler/Stilz-Hoffmann, AktG, § 120, Rz. 5; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 120 Rz. 17. Kubis in: MünchKomm-AktG, § 120 Rz. 5; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 120 Rz. 17. Allg. M., vgl. nur Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 120 Rz. 14; Bürgers/Körber-Reger, AktG, § 120 Rz. 16. K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 120 Rz. 20 m. w. N.; Happ/Groß-Ludwig, AktienR, Nr. 10.03 Rz. 11.2; a. A. Spindler/Stilz-Hoffmann, AktG, § 120 Rz. 6 m. w. N., wonach nur ein positiv auf Erteilung der Entlastung gerichteter Antrag zulässig sein soll, eine Vertagung komme nur innerhalb der Acht-Monats-Frist in Betracht. Vgl. nur Marsch-Barner/Schäfer-Marsch-Barner, Hdb. börsennotierte AG, § 31 Rz. 18. Vgl. etwa OLG München, Urt. v. 17.3.1995 – 23 U 5930/94, NJW-RR 1996, 159, 160; implizit auch LG München I, Urt. v. 15.4.2004 – 5 HK O 10813/03, ZIP 2004, 853, 854. Allg. M., vgl. etwa OLG München, Beschl. v. 13.9.2005 – 7 U 2759/05, WM 2006, 1486; Mülbert in: GroßKomm-AktG, § 120 Rz. 118 m. w. N. K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 120 Rz. 21 m. w. N. Vgl. LG Frankfurt/M., Urt. v. 30.4.2004 – 3/9 O 107/03, AG 2005, 51, 52. Kubis in: MünchKomm-AktG, § 120 Rz. 20. Bei diesem Antrag entfaltet das Stimmverbot des § 136 Abs. 1 (siehe unten Rz. 8) keine Wirkung, OLG München, Urt. v. 17.3.1995 – 23 U 5930/94, NJW-RR 1996, 159, 159. So ausdrücklich BGH, Urt. v. 21.9.2009 – II ZR 174/08, NZG 2009, 1270, 1271 = ZIP 2009, 2051 m. w. N., dazu EWiR 2010, 1 (Priester). Vgl. auch Scholz, AG 2017, 612. Heidel-Krenek/Pluta, AktR, § 120 AktG Rz. 18.

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Entlastung; Votum zum Vergütungssystem

§ 120

die Einzelentlastung kann in einem Abstimmungsgang erfolgen. Wird ein Antrag auf Einzelentlastung gestellt, ohne dass das Quorum erreicht ist, kann richtigerweise auch direkt über die Gesamtentlastung abgestimmt werden verbunden mit dem Hinweis, dass bei deren Ablehnung Einzelentlastung erfolgt.17) Nicht zulässig ist eine Teilentlastung nur für Einzelmaßnahmen, wohingegen umgekehrt eine Ausklammerung von Einzelmaßnahmen aus der generellen Entlastung umstritten ist.18) 4.

Beschlussfassung

Die Beschlussfassung erfolgt mit einfacher Mehrheit, wenn nicht in der Satzung eine 7 größere Mehrheit vorgesehen ist (§ 133 Abs. 1). 5.

Stimmverbote (§ 136 Abs. 1)

Es ist zwischen Einzel- und Gesamtentlastung zu unterscheiden. Bei Gesamtentlastung 8 trifft das Stimmverbot des § 136 Abs. 1 alle Aktionäre, die Mitglieder des zu entlastenden (nicht hingegen eines anderen)19) Organs sind. Bei Einzelentlastung darf ein Aktionär nie bei seiner eigenen Entlastung mitstimmen. Weiterhin geht die Rechtsprechung davon aus, dass ein Aktionär einem Stimmverbot auch hinsichtlich anderer Organmitglieder unterliegt, wenn er an einem Vorgang beteiligt war, der dem zu entlastenden Organmitglied als Pflichtverletzung vorgeworfen wird.20) Ohne eine solche Mitwirkung darf ein Aktionär bei der Entlastung übriger Organmitglieder mit abstimmen.21) 6.

Inhalt und Wirkung (§ 120 Abs. 2)

a)

Positiver Entlastungsbeschluss

Im Entlastungsbeschluss liegt die Erklärung der Hauptversammlung, sie billige die Tätigkeit der Verwaltung als im Großen und Ganzen gesetzes- und satzungsmäßig.22) Damit gehen jedoch keine statusrechtlichen Folgen einher, sodass etwa eine Abberufung durch den Aufsichtsrat i. R. des § 84 Abs. 3 Satz 1 weiterhin möglich bleibt.23) Auch tritt keine Enthaftung ein. b)

9

Verweigerung der Entlastung

Ebenso wenig hat die Verweigerung der Entlastung unmittelbare statusrechtliche Konse- 10 quenzen: Weder liegt darin ein Vertrauensentzug i. S. des § 84 Abs. 3 Satz 2 noch ein Votum nach § 103 Abs. 1.24) Eine Amtsniederlegung durch das betroffene Organmitglied und die Kündigung seines Anstellungsvertrags aus wichtigem Grund sind bei willkürlicher Entlastungsverweigerung möglich.25) Abzulehnen ist dagegen die Ansicht, der Vorstand _____________ 17) Das ist freilich sehr streitig, vgl. zum Meinungsstand Scholz, AG 2017, 612, 616 Fn. 28. 18) Kubis in: MünchKomm-AktG, § 120 Rz. 23 f. m. w. N. 19) H. M., Arnold in: MünchKomm-AktG, § 136 Rz. 9; Spindler/Stilz-Hoffmann, § 120 Rz. 21 m. w. N.; implizit ebenso Mülbert in: GroßKomm-AktG, § 120 Rz. 134. 20) BGH, Urt. v. 21.9.2009 – II ZR 174/08, NZG 2009, 1270, 1271 f. = ZIP 2009, 2051; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 136 Rz. 8 m. w. N.; a. A. Spindler/Stilz-Hoffmann, AktG, § 120 Rz. 20. 21) BGH, Urt. v. 21.9.2009 – II ZR 174/08, NZG 2009, 1270, 1272 = ZIP 2009, 2051; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 136 Rz. 20 m. w. N. 22) Vgl. nur BGH, Urt. v. 25.11.2002 – II ZR 133/01 (Macrotron), ZIP 2003, 387, 388 f.; BGH, Urt. v. 18.10.2004 – II ZR 250/02 (Thyssen/Krupp), ZIP 2004, 2428, 2429, dazu EWiR 2005, 241 (F. Wagner). 23) Kubis in: MünchKomm-AktG, § 120 Rz. 31; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 120 Rz. 49. 24) Allg. M., vgl. nur Hölters-Drinhausen, AktG, § 120 Rz. 29; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 120 Rz. 37 f. m. w. N. 25) Vgl. BGH, Urt. v. 20.5.1985 – II ZR 165/84, ZIP 1985, 1325, 1326 (hier zur GmbH); HöltersDrinhausen, AktG, § 120 Rz. 30; Spindler/Stilz-Hoffmann, AktG, § 120 Rz. 38 m. w. N.; weitergehend Kubis in: MünchKomm-AktG, § 120 Rz. 37, für den das Kriterium der Willkür bedeutungslos ist.

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§ 120

Entlastung; Votum zum Vergütungssystem

sei in diesem Fall zur Amtsniederlegung ohne Kündigung seines Anstellungsvertrags zwecks Fortzahlung seiner Bezüge berechtigt.26) Dies ist mangels Annahmeverzug der Gesellschaft regelmäßig mit allgemeinem Dienstvertragsrecht (§§ 614, 615 BGB) unvereinbar, sodass die Amtsniederlegung des Vorstands immer mit der Kündigung seines Anstellungsvertrages einhergehen muss.27) Rechtsschutz gegen die Entlastungsverweigerung besteht mangels Rechtswirkung nicht. Wenn die Gesellschaft konkrete Ansprüche gegen ein Verwaltungsmitglied erhoben hat, ist zu deren Abwehr die Erhebung einer negativen Feststellungsklage statthaft.28) 7.

Anfechtbarkeit

a)

Inhaltsfehler

11 Ein Entlastungsbeschluss ist trotz des an sich bestehenden Ermessensspielraums der Hauptversammlung inhaltlich gesetzeswidrig und damit nach § 243 Abs. 1 anfechtbar, wenn Gegenstand der Entlastung ein Verhalten ist, das eindeutig einen schwerwiegenden Gesetzes- oder Satzungsverstoß darstellt.29) Diese BGH-Formel legt zugleich den Maßstab für die Relevanz i. S. des § 243 Abs. 1 fest.30) An der Eindeutigkeit fehlt es, wenn Vorstand und Aufsichtsrat sich nicht über eine zweifelsfreie Gesetzeslage hinweggesetzt haben, die Gesetzmäßigkeit des in Frage stehenden Verhaltens umstritten und nicht gerichtlich geklärt ist.31) Der Rechtsverstoß muss von den Teilnehmern der Hauptversammlung erkannt werden oder zumindest auf Grundlage der vorhandenen Informationen erkennbar gewesen sein.32) Praxisfälle sind u. a. die Abgabe einer in einem nicht unwesentlichen Punkt unrichtigen Entsprechenserklärung oder das Versäumnis, eine in einem nicht unwesentlichen Punkt unrichtig gewordene Entsprechenserklärung zu korrigieren;33) dazu können auch die Missachtung der Überwachungspflicht durch den Aufsichtsrat und die Gefährdung der Kreditwürdigkeit der Gesellschaft durch öffentliche Kritik an der Geschäftspolitik gehören.34) Die Entlastung eines zur Zeit des Versäumnisses bereits ausgeschiedenen Aufsichtsratsmitglieds kann jedoch nicht aufgrund dieses Versäumnisses angefochten werden.35) Findet eine Gesamtentlastung statt, führt ein Anfechtungsgrund in der Person nur eines Organmitglieds richtigerweise nur zur Teilanfechtbarkeit des Beschlusses.36) b)

Verfahrensfehler

12 Ein Entlastungsbeschluss ist (vorbehaltlich der i. R. des § 243 Abs. 4 zu prüfenden Relevanz) wegen eines Verfahrensfehlers anfechtbar bei Verstößen gegen die Rechnungslegungs-, Rechenschafts- und Auskunftspflichten aus § 175 und § 176 sowie gegen die _____________ 26) So aber Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 120 Rz. 16; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 120 Rz. 37. 27) Ausführlich Spindler/Stilz-Hoffmann, AktG, § 120 Rz. 39. 28) Vgl. BGH, Urt. v. 20.5.1985 – II ZR 165/84, ZIP 1985, 1325, 1327 (hier zur GmbH); HöltersDrinhausen, AktG, § 120 Rz. 34. 29) BGH, Urt. v. 25.11.2002 – II ZR 133/01 (Macrotron), ZIP 2003, 387, 388; BGH, Urt. v. 18.10.2004 – II ZR 250/02 (Thyssen/Krupp), ZIP 2004, 2428, 2429. 30) Kubis in: MünchKomm-AktG, § 120 Rz. 56. 31) BGH, Beschl. v. 7.2.2012 – II ZR 253/10, ZIP 2012, 515, dazu WuB II A § 120 AktG 1.12 (Wilhelm). 32) OLG Stuttgart, Urt. v. 17.11.2010 – 20 U 2/10, ZIP 2010, 2349; OLG Köln, Urt. v. 9.7.2009 – 18 U 167/08, ZIP 2009, 1999, 2000, dazu EWiR 2010, 105 (Blasche). 33) BGH, Urt. v. 21.9.2009 – II ZR 174/08, ZIP 2009, 2051, 2053 f. = NZG 2009, 1270; BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 185/07 (Kirch/Deutsche Bank), ZIP 2009, 460, 465, dazu EWiR 2010, 343 (Herchen). 34) BGH, Beschl. v. 6.11.2012 – II ZR 111/12 (Piëch), ZIP 2012, 2438, 2439, dazu EWiR 2013, 229 (Heidel/Schatz). 35) Vgl. BGH, Hinweisbeschl. v. 7.12.2009 – II ZR 63/08, ZIP 2010, 879, 880, dazu EWiR 2010, 441 (Kort). 36) Ausführlich hierzu Scholz, AG 2017, 612, 613 ff.

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Dirk Kocher

Entlastung; Votum zum Vergütungssystem

§ 120

Auskunftspflichten des § 131.37) Eine trotz wirksam beantragter Einzelentlastung durchgeführte Gesamtentlastung führt ebenso wie die gemeinsame Entlastung von Aufsichtsrat und Vorstand (siehe dazu Rz. 5) zur Anfechtbarkeit.38) III.

Billigung des Vorstandsvergütungssystems (§ 120 Abs. 4)

Nach § 120 Abs. 4 kann die Hauptversammlung der börsennotierten Gesellschaft über die 13 Billigung des Systems zur Vergütung des Vorstands beschließen. Hierbei handelt es sich um einen rein konsultativen Beschluss, der nach § 120 Abs. 4 Satz 2 keine Rechtsfolgen entfaltet. Ein Gesetzgebungsvorschlag, wonach dieses Vergütungsvotum der Hauptversammlung verbindlich werden sollte,39) ist gescheitert und wurde auch im Zuge der Aktienrechtsnovelle 2016 nicht umgesetzt.40) Die am 3.4.2017 endgültig durch den Rat verabschiedete Richtlinie zur Änderung der Aktionärsrechterichtlinie führt allerdings einen neuen Art. 9a in die Aktionärsrechterichtlinie41) ein. Dieser sieht vor, dass die Hauptversammlung börsennotierter Aktiengesellschaften mindestens in einem Vier-JahresTurnus über die „Vergütungpolitik“ der Gesellschaft abstimmen soll. Die Auswirkungen auf das deutsche Aktienrecht im Einzelnen bleiben abzuwarten; die Umsetzung durch den deutschen Gesetzgeber ist noch nicht absehbar. Art. 9a Abs. 2 Satz 1 sieht allerdings vor, dass dieses Votum verbindlich sein muss. Beschlussgegenstand ist die Billigung des „Vergütungssystems“, also des Gesamtkon- 14 zepts, und nicht einzelner Elemente oder gar einzelner Gehälter. Der Begriff entspricht dem in § 289 Abs. 2 Nr. 4 HGB und Ziff. 4.2.2., 4.2.3, 4.2.5 DCGK verwendeten.42) Das der Hauptversammlung durch den Aufsichtsrat vorzustellende System ist auch durch diesen zu erarbeiten.43) Der Begriff des Vergütungssystems umfasst alle Vergütungsbestandteile, also fixe Vergütung, variable Vergütung, Altersversorgung und sonstige nennenswerte Geldvorteile; ebenso erfasst sind Abfindungen (§ 289 Abs. 2 Nr. 5 i. V. m. § 285 Nr. 9 HGB, vgl. auch § 87 Abs. 1 Satz 1 AktG).44) Der DCGK empfiehlt eine Aufschlüsselung, die auch einen Betrag in Euro als den jeweilig maximal erreichbaren Gesamtbezug angibt; auch die Angabe der niedrigsten erreichbaren Vergütung wird empfohlen.45) Eine Teilbilligung kommt nicht in Betracht.46) Voraussetzung für ein Votum der Hauptversammlung ist ein diesbezüglicher Tagesord- 15 nungspunkt sowie ein Beschlussvorschlag der Verwaltung (§ 124 Abs. 3 Satz 1) oder ein Antrag einer Aktionärsminderheit, die sich nach § 122 Abs. 2 Satz 1 bestimmt.47) Es besteht _____________ 37) Dem BGH zufolge (Urt. v. 18.10.2004 – II ZR 250/02 (Thyssen/Krupp), ZIP 2004, 2428, 2429) ist der Beschluss anfechtbar, wenn „das Auskunftsbegehren auf Vorgänge von einigem Gewicht gerichtet ist, die für die Beurteilung der Vertrauenswürdigkeit der Verwaltung von Bedeutung sind“. 38) Kubis in: MünchKomm-AktG, § 120 Rz. 54. 39) Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zum in 2013 geplanten VorstKoG, BTDrucks. 17/14214, S. 7, wobei sich die Bindungswirkung aus der Streichung des bisherigen § 120 Abs. 4 Satz 2 ergeben sollte; ausführlich dazu Verse, NZG 2013, 921. 40) Aktienrechtsnovelle 2016, BGBl. I 2015, 2565; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 120 Rz. 20; Henssler/ Strohn-Liebscher, GesR, § 120 AktG Rz. 17. 41) Richtlinie 2007/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v 11.7.2007 über die Ausübung bestimmter Rechte von Aktionären in börsennotierten Gesellschaften (Aktionärsrechterichtlinie), ABl. (EU) Nr. L 184/17 v. 14.7.2007. 42) Fleischer/Bedkowski, AG 2009, 677, 682; Vetter, ZIP 2009, 2136, 2137 f. 43) Vgl. Spindler/Stilz-Hoffmann, AktG, § 120 Rz. 53; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 120 Rz. 45. 44) Vetter, ZIP 2009, 2136, 2138; vgl. auch K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 120 Rz. 60. 45) Ziff. 4.2.5 DCGK. 46) v. Falkenhausen/Kocher, AG 2010, 623, 627; Fleischer/Bedkowski, AG 2009, 677, 683. 47) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 120 Rz. 22; v. Falkenhausen/Kocher, AG 2010, 623, 626.

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§ 121

Allgemeines

weder eine Pflicht zur Aufnahme in die Tagesordnung48) noch zur – auch nicht jährlichen – Beschlussfassung.49) 16 Eine Anfechtung nach § 243 kommt nicht in Betracht (§ 120 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 2). Dieser Anfechtungsausschluss erfasst nicht nur materielle Mängel, sondern auch Verfahrensfehler.50) Nach überwiegender Literaturansicht ist eine Nichtigkeitsklage ausgeschlossen, sofern sie sich nicht auf Kompetenzüberschreitungen der Hauptversammlung bezieht.51) _____________ 48) 49) 50) 51)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zum VorstAG, BT-Drucks. 16/13433, S. 12. Spindler/Stilz-Hoffmann, AktG, § 120 Rz. 54. v. Falkenhausen/Kocher, AG 2010, 623, 628 m. w. N.; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 120 Rz. 49. Kubis in: MünchKomm-AktG, § 120 Rz. 49; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 120 Rz. 24 m. w. N.; a. A. (Nichtigkeitsklage immer statthaft) Grigoleit-Herrler, AktG, § 120 Rz. 28; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 120 Rz. 65.

Zweiter Unterabschnitt Einberufung der Hauptversammlung § 121 Allgemeines (1) Die Hauptversammlung ist in den durch Gesetz oder Satzung bestimmten Fällen sowie dann einzuberufen, wenn das Wohl der Gesellschaft es fordert. (2) 1Die Hauptversammlung wird durch den Vorstand einberufen, der darüber mit einfacher Mehrheit beschließt. 2Personen, die in das Handelsregister als Vorstand eingetragen sind, gelten als befugt. 3Das auf Gesetz oder Satzung beruhende Recht anderer Personen, die Hauptversammlung einzuberufen, bleibt unberührt. (3) 1Die Einberufung muss die Firma, den Sitz der Gesellschaft sowie Zeit und Ort der Hauptversammlung enthalten. 2Zudem ist die Tagesordnung anzugeben. 3Bei börsennotierten Gesellschaften hat der Vorstand oder, wenn der Aufsichtsrat die Versammlung einberuft, der Aufsichtsrat in der Einberufung ferner anzugeben: 1. die Voraussetzungen für die Teilnahme an der Versammlung und die Ausübung des Stimmrechts sowie gegebenenfalls den Nachweisstichtag nach § 123 Absatz 4 Satz 2 und dessen Bedeutung; 2. das Verfahren für die Stimmabgabe a) durch einen Bevollmächtigten unter Hinweis auf die Formulare, die für die Erteilung einer Stimmrechtsvollmacht zu verwenden sind, und auf die Art und Weise, wie der Gesellschaft ein Nachweis über die Bestellung eines Bevollmächtigten elektronisch übermittelt werden kann sowie b) durch Briefwahl oder im Wege der elektronischen Kommunikation gemäß § 118 Abs. 1 Satz 2, soweit die Satzung eine entsprechende Form der Stimmrechtsausübung vorsieht; 3. die Rechte der Aktionäre nach § 122 Abs. 2, § 126 Abs. 1, den §§ 127, 131 Abs. 1; die Angaben können sich auf die Fristen für die Ausübung der Rechte beschränken, wenn in der Einberufung im Übrigen auf weitergehende Erläuterungen auf der Internetseite der Gesellschaft hingewiesen wird; 4. die Internetseite der Gesellschaft, über die die Informationen nach § 124a zugänglich sind. 778

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§ 121

Allgemeines

weder eine Pflicht zur Aufnahme in die Tagesordnung48) noch zur – auch nicht jährlichen – Beschlussfassung.49) 16 Eine Anfechtung nach § 243 kommt nicht in Betracht (§ 120 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 2). Dieser Anfechtungsausschluss erfasst nicht nur materielle Mängel, sondern auch Verfahrensfehler.50) Nach überwiegender Literaturansicht ist eine Nichtigkeitsklage ausgeschlossen, sofern sie sich nicht auf Kompetenzüberschreitungen der Hauptversammlung bezieht.51) _____________ 48) 49) 50) 51)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zum VorstAG, BT-Drucks. 16/13433, S. 12. Spindler/Stilz-Hoffmann, AktG, § 120 Rz. 54. v. Falkenhausen/Kocher, AG 2010, 623, 628 m. w. N.; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 120 Rz. 49. Kubis in: MünchKomm-AktG, § 120 Rz. 49; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 120 Rz. 24 m. w. N.; a. A. (Nichtigkeitsklage immer statthaft) Grigoleit-Herrler, AktG, § 120 Rz. 28; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 120 Rz. 65.

Zweiter Unterabschnitt Einberufung der Hauptversammlung § 121 Allgemeines (1) Die Hauptversammlung ist in den durch Gesetz oder Satzung bestimmten Fällen sowie dann einzuberufen, wenn das Wohl der Gesellschaft es fordert. (2) 1Die Hauptversammlung wird durch den Vorstand einberufen, der darüber mit einfacher Mehrheit beschließt. 2Personen, die in das Handelsregister als Vorstand eingetragen sind, gelten als befugt. 3Das auf Gesetz oder Satzung beruhende Recht anderer Personen, die Hauptversammlung einzuberufen, bleibt unberührt. (3) 1Die Einberufung muss die Firma, den Sitz der Gesellschaft sowie Zeit und Ort der Hauptversammlung enthalten. 2Zudem ist die Tagesordnung anzugeben. 3Bei börsennotierten Gesellschaften hat der Vorstand oder, wenn der Aufsichtsrat die Versammlung einberuft, der Aufsichtsrat in der Einberufung ferner anzugeben: 1. die Voraussetzungen für die Teilnahme an der Versammlung und die Ausübung des Stimmrechts sowie gegebenenfalls den Nachweisstichtag nach § 123 Absatz 4 Satz 2 und dessen Bedeutung; 2. das Verfahren für die Stimmabgabe a) durch einen Bevollmächtigten unter Hinweis auf die Formulare, die für die Erteilung einer Stimmrechtsvollmacht zu verwenden sind, und auf die Art und Weise, wie der Gesellschaft ein Nachweis über die Bestellung eines Bevollmächtigten elektronisch übermittelt werden kann sowie b) durch Briefwahl oder im Wege der elektronischen Kommunikation gemäß § 118 Abs. 1 Satz 2, soweit die Satzung eine entsprechende Form der Stimmrechtsausübung vorsieht; 3. die Rechte der Aktionäre nach § 122 Abs. 2, § 126 Abs. 1, den §§ 127, 131 Abs. 1; die Angaben können sich auf die Fristen für die Ausübung der Rechte beschränken, wenn in der Einberufung im Übrigen auf weitergehende Erläuterungen auf der Internetseite der Gesellschaft hingewiesen wird; 4. die Internetseite der Gesellschaft, über die die Informationen nach § 124a zugänglich sind. 778

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§ 121

Allgemeines

(4) 1Die Einberufung ist in den Gesellschaftsblättern bekannt zu machen. 2Sind die Aktionäre der Gesellschaft namentlich bekannt, so kann die Hauptversammlung mit eingeschriebenem Brief einberufen werden, wenn die Satzung nichts anderes bestimmt; der Tag der Absendung gilt als Tag der Bekanntmachung. (4a) Bei börsennotierten Gesellschaften, die nicht ausschließlich Namensaktien ausgegeben haben oder welche die Einberufung den Aktionären nicht unmittelbar nach Absatz 4 Satz 2 übersenden, ist die Einberufung spätestens zum Zeitpunkt der Bekanntmachung solchen Medien zur Veröffentlichung zuzuleiten, bei denen davon ausgegangen werden kann, dass sie die Information in der gesamten Europäischen Union verbreiten. (5) 1Wenn die Satzung nichts anderes bestimmt, soll die Hauptversammlung am Sitz der Gesellschaft stattfinden. 2Sind die Aktien der Gesellschaft an einer deutschen Börse zum Handel im regulierten Markt zugelassen, so kann, wenn die Satzung nichts anderes bestimmt, die Hauptversammlung auch am Sitz der Börse stattfinden. (6) Sind alle Aktionäre erschienen oder vertreten, kann die Hauptversammlung Beschlüsse ohne Einhaltung der Bestimmungen dieses Unterabschnitts fassen, soweit kein Aktionär der Beschlußfassung widerspricht. (7) 1Bei Fristen und Terminen, die von der Versammlung zurückberechnet werden, ist der Tag der Versammlung nicht mitzurechnen. 2Eine Verlegung von einem Sonntag, einem Sonnabend oder einem Feiertag auf einen zeitlich vorausgehenden oder nachfolgenden Werktag kommt nicht in Betracht. 3Die §§ 187 bis 193 des Bürgerlichen Gesetzbuchs sind nicht entsprechend anzuwenden. 4Bei nichtbörsennotierten Gesellschaften kann die Satzung eine andere Berechnung der Frist bestimmen. Literatur: Bayer/Hoffmann, Der Ort der Hauptversammlung, AG 2013, R 23; Blasche, Zur Erforderlichkeit eines Versammlungsleiters bei der Einpersonen-Aktiengesellschaft, AG 2017, 16; Bungert, Hauptversammlungen deutscher Aktiengesellschaften und Auslandsbezug, AG 1995, 26; Bungert/Leyendecker-Langner, Hauptversammlungen im Ausland, BB 2015, 268; Florstedt, Fristen und Termine im Recht der Hauptversammlung, ZIP 2010, 761; Kocher, Rechtsgeschäftliche Vertretung von Kapitalgesellschaften in Vollversammlungen anderer Kapitalgesellschaften, NZG 2016, 1220; Kocher, BGH: Absage einer Hauptversammlung – Anfechtungsbefugnis des Vorstands, BB 2015, 2636; Kocher/Lönner, Anfechtungsrisiken wegen unklarer Vorbesitzzeit beim Ergänzungsverlangen?, BB 2010, 1675; Mohamed, Der Berechtigungsnachweis für die Hauptversammlung in neuem Gewande – von der Legitimationsmethodik 2.0 über die Aktienrechtsnovelle 2016, ZIP 2016, 1100; Mohamed, Die Sprachverwirrung in der ausländisch geprägten Hauptversammlung von AG oder SE, NZG 2015, 1263; Quass, Nichtigkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen wegen eines Umschreibestopps im Aktienregister?, AG 2009, 432; Schroeder/Pussar, Neues Anfechtungsrisiko bei der HV-Einberufung: Fristen für Ergänzungsverlangen, BB 2010, 717; Söhner, Die Aktienrechtsnovelle 2016, ZIP 2016, 151; Terbrack, L’etat c’est moi – oder: Von der trügerischen Allherrlichkeit des Alleinaktionärs bei Hauptversammlungen, RNotZ 2012, 221; Wandt, Was und wann? – Die Auswirkungen der Aktienrechtsnovelle 2016 auf die Einberufung der Hauptversammlung, NZG 2016, 367; Zöllter-Petzoldt, Zum Teilnahmerecht des Vorstands und des Aufsichtsrats an Vollversammlungen einer Aktiengesellschaft, NZG 2013, 607.

Übersicht I. Regelungsgehalt, Bedeutung ........... 1 II. Einberufungsgründe (§ 121 Abs. 1) ..................................... 2 1. Gesetzliche Einberufungsgründe ...... 2 a) Ausdrückliche gesetzliche Einberufungspflicht ..................... 2

b) Einberufungspflicht aufgrund Hauptversammlungszuständigkeit ........................................... 3 2. Satzungsmäßige Einberufungsgründe ................................................. 4 3. Einberufung zum Wohl der Gesellschaft ........................................ 5

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4. Fakultative Einberufung .................... 6 5. Rechtsfolgen eines Verstoßes ........... 7 III. Einberufungsberechtigung (§ 121 Abs. 2) ..................................... 9 1. Vorstand (§ 121 Abs. 2 Satz 1, Satz 2) ................................................. 9 2. Andere Personen (§ 121 Abs. 2 Satz 3) ............................................... 11 3. Rechtsfolgen eines Verstoßes ......... 14 IV. Inhalt der Einberufung (§ 121 Abs. 3) ................................... 15 1. Allgemeines ...................................... 15 2. Basisangaben für alle Gesellschaften (§ 121 Abs. 3 Satz 1, Satz 2) ............ 17 3. Pflichtangaben für börsennotierte Gesellschaften (§ 121 Abs. 3 Satz 3) ............................................... 18 a) § 121 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 .......... 18 b) § 121 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 .......... 19 c) § 121 Abs. 3 Satz 3 Nr. 3 .......... 21 d) § 121 Abs. 3 Satz 3 Nr. 4 .......... 22 4. Rechtsfolgen eines Verstoßes ......... 23 I.

V. Bekanntmachung (§ 121 Abs. 4, Abs. 4a) ............................................. 24 1. Bekanntmachung in den Gesellschaftsblättern (§ 121 Abs. 4 Satz 1) .................................... 24 2. Einberufung durch eingeschriebenen Brief (§ 121 Abs. 4 Satz 2, Satz 3) ................................................ 25 a) Namentlich bekannte Aktionäre .................................... 25 b) Eingeschriebener Brief ............... 26 c) Tag der Bekanntmachung .......... 27 3. Zuleitung an Medien (§ 121 Abs. 4a) ............................................. 28 4. Rechtsfolgen bei Verstößen ............. 29 VI. Ort der Hauptversammlung (§ 121 Abs. 5) ................................... 30 VII. Zeit der Hauptversammlung ........ 34 VIII. Vollversammlung (§ 121 Abs. 6) ................................... 35 IX. Berechnung von Fristen und Terminen (§ 121 Abs. 7) ................. 39 X. Absage der Hauptversammlung .... 40

Regelungsgehalt, Bedeutung

1 § 121 gilt auch für gesonderte Versammlungen (§ 138 Satz 2), für Übernahmesachverhalte ist § 16 Abs. 3, 4 WpÜG zu beachten. Soweit die Aktien zum Börsenhandel zugelassen sind, sind auch §§ 48 ff. WpHG zu beachten. Die Regelungen des § 121 sind zwingend, soweit in der Satzung nichts anders vorgesehen ist (§ 23 Abs. 5, zu den Möglichkeiten siehe Rz. 4, 13, 26 und 30 ff.). II.

Einberufungsgründe (§ 121 Abs. 1)

1.

Gesetzliche Einberufungsgründe

a)

Ausdrückliche gesetzliche Einberufungspflicht

2 Die Hauptversammlung ist einzuberufen, soweit das Gesetz dies ausdrücklich anordnet, namentlich in den Fällen der §§ 92 Abs. 1, § 120 Abs. 1 Satz 1, 122 Abs. 1 Satz 1, 175 Abs. 1 und § 327a Abs. 1; ferner z. B. gemäß § 44 Abs. 5 KWG, § 3 Abs. 1 BausparkG, § 83 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 VAG und § 3 PfandBG. b)

Einberufungspflicht aufgrund Hauptversammlungszuständigkeit

3 Eine Einberufungspflicht ergibt sich mittelbar in den Fällen, in denen das Gesetz eine Beschlussfassung durch die Hauptversammlung vorsieht (siehe § 119 Rz. 3 ff.) sowie in Fällen ungeschriebener Hauptversammlungszuständigkeit (siehe § 119 Rz. 18 ff.). Steht ein vom Vorstand mit einem Dritten geschlossener Vertrag unter dem Vorbehalt der Zustimmung der Hauptversammlung, wird zwar eine vertragliche Einberufungspflicht des Vorstands begründet, die jedoch mangels gesetzlicher oder satzungsmäßiger Zuständigkeit der Hauptversammlung nicht an § 121 zu messen ist.1) _____________ 1)

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Kubis in: MünchKomm-AktG, § 121 Rz. 11 m. w. N; vgl. auch K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 121 Rz. 11.

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§ 121

Allgemeines 2.

Satzungsmäßige Einberufungsgründe

Dem Satzungsgeber sind hier durch die gesetzliche Kompetenzordnung enge Grenzen 4 gesetzt (§ 23 Abs. 5).2) Möglich ist, der Hauptversammlung die Zustimmung zur Übertragung vinkulierter Namensaktien vorzubehalten (§ 68 Abs. 2 Satz 3) sowie das Quorum des § 122 Abs. 1 abzusenken. 3.

Einberufung zum Wohl der Gesellschaft

Diese Variante hat kaum praktische Relevanz.3) Auch eine beschlusslose Hauptversamm- 5 lung ist denkbar, auch wenn hier eine Einberufungspflicht zum Wohl der Gesellschaft in aller Regel nicht bestehen wird.4) 4.

Fakultative Einberufung

Der Vorstand kann die Hauptversammlung einberufen in den Fällen des § 111 Abs. 4 6 Satz 3 und des § 119 Abs. 2. Dies ist auch zulässig zur Einholung eines Meinungsbildes ohne Beschlussfassung, ohne dass dazu eine Pflicht besteht.5) 5.

Rechtsfolgen eines Verstoßes

Kommt der Vorstand seiner Einberufungspflicht nicht nach, stellt dies eine Pflichtverlet- 7 zung (§ 93) dar und kann Schadensersatzansprüche der Gesellschaft auslösen. In diesem Fall hat nach § 111 Abs. 3 der Aufsichtsrat die Hauptversammlung einzuberufen, ist ansonsten aber möglicherweise ebenfalls gegenüber der Gesellschaft zum Schadensersatz verpflichtet (§§ 93, 116).6) Aktionäre haben keine direkten Schadensersatzansprüche.7) Die Einberufung der Hauptversammlung kann von Aktionären nicht im Wege der Leistungsklage durchgesetzt werden, es ist vielmehr nach § 122 Abs. 1 zu verfahren.8) Wird die ordentliche Hauptversammlung nicht einberufen, kann das Registergericht ein Zwangsgeld festsetzen (§§ 407, 175). Wird die Hauptversammlung grundlos einberufen, bleibt dies ohne Auswirkung auf die 8 möglicherweise dennoch gefassten Beschlüsse.9) III.

Einberufungsberechtigung (§ 121 Abs. 2)

1.

Vorstand (§ 121 Abs. 2 Satz 1, Satz 2)

Der Vorstand, der hierüber – abweichend von § 77 Abs. 1 – zwingend10) mit einfacher 9 Mehrheit beschließt, beruft die Hauptversammlung ein. Bei der Beschlussfassung muss der Vorstand ordnungsgemäß besetzt sein, ansonsten ist der Einberufungsbeschluss un_____________ 2) Hölters-Drinhausen, AktG, § 121 Rz. 9; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 121 Rz. 9 m. w. N. 3) Vgl. Kubis in: MünchKomm-AktG, § 121 Rz. 9; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 121 Rz. 5. 4) Für die h. M. Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 121 Rz. 10; im Detail Noack/Zetzsche in: KölnKommAktG, § 121 Rz. 28. 5) Vgl. Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 121 Rz. 11 m. w. N. Teilweise wird die fakultative Einberufung auch als gesetzlicher Einberufungsgrund angesehen, vgl. Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 121 Rz. 22. 6) Butzke in: GroßKomm-AktG, § 121 Rz. 31; vgl. auch K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 121 Rz. 17. 7) Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 121 Rz. 30; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 121 Rz. 98; a. A. in Bezug auf Fälle verspäteter Dividendenzahlung K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 121 Rz. 17. 8) Kubis in: MünchKomm-AktG, § 121 Rz. 13; vgl. zur fehlenden Zulässigkeit einer diesbezüglichen Feststellungsklage LG Frankfurt/M., Urt. v. 3.4.2001 – 3/5 O 109/00, AG 2001, 491, 492. 9) Kubis in: MünchKomm-AktG, § 121 Rz. 14; Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 121 Rz. 17. 10) Vgl. Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 121 Rz. 13 m. w. N. Abweichend hiervon soll nach Kubis in: MünchKomm-AktG, § 121 Rz. 18, dann ein einstimmiger Beschluss erforderlich sein, wenn die Hauptversammlung allein zur Vorlage einer Geschäftsführungsfrage nach § 119 Abs. 2 einberufen werden soll.

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wirksam. Ob in der Folge in der Hauptversammlung gefasste Beschlüsse nichtig oder bloß anfechtbar sind, ist nicht abschließend geklärt.11) Eine BGH-Entscheidung,12) in der Hauptversammlungsbeschlüsse nach Vorschlägen eines unterbesetzten Vorstands gemäß § 124 Abs. 3 als anfechtbar eingestuft wurden, deutet darauf hin, dass auch aus der Einberufung eines fehlerhaft besetzten Vorstands allenfalls die Anfechtbarkeit der gefassten Beschlüsse resultiert.13) Der Vorstand hat über alle Eckdaten der einzuberufenden Hauptversammlung wie Ort, Zeit und Tagesordnung zu beschließen.14) 10 § 121 Abs. 2 Satz 2 sieht vor, dass in das Handelsregister als Vorstand eingetragene Personen als zur Mitwirkung an der Beschlussfassung befugt gelten. Die fehlende Befugnis zur Mitwirkung an der Einberufungsentscheidung wird demnach unwiderlegbar und unabhängig von Gutgläubigkeit fingiert.15) Daraus folgt indessen weder ein Recht noch eine Pflicht des nicht mehr amtierenden, aber noch eingetragenen Vorstandsmitglieds zur Mitwirkung an der Beschlussfassung.16) Unberührt bleibt die Mitwirkungsberechtigung nicht eingetragener, aber wirksam bestellter Vorstandsmitglieder.17) Die Fiktion greift ein, wenn die Handelsregistereintragung bei Bekanntmachung der Einberufung im Bundesanzeiger besteht.18) 2.

Andere Personen (§ 121 Abs. 2 Satz 3)

11 Durch § 121 Abs. 2 Satz 3 werden keine selbstständigen Einberufungsrechte begründet, sondern die Norm verweist auf vorhandene Einberufungszuständigkeiten im Gesetz oder der Satzung.19) 12 So hat nach § 111 Abs. 3 unter den dort genannten Voraussetzungen (bei der SE nach Art. 54 Abs. 2 SE-VO wohl auch ohne sie) neben dem Vorstand der Aufsichtsrat ein gesetzliches Recht, die Hauptversammlung einzuberufen (siehe schon Rz. 7), wobei eine Delegation auf einen Ausschuss nicht in Frage kommt, § 107 Abs. 3 Satz 3. Aus der nichtigen Wahl des gesamten Aufsichtsrats folgt die Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit (siehe oben Rz. 9) nachfolgender Hauptversammlungsbeschlüsse, wenn die Einberufung durch den Aufsichtsrat erfolgte. Dasselbe gilt für die nichtige Wahl einzelner Mitglieder, sofern hierdurch die Stimmenmehrheit im Aufsichtsrat oder dessen Beschlussfähigkeit entfällt.20) Eine angefochtene, aber noch nicht für nichtig erklärte Wahl eines Aufsichtsratsmitglieds führt nicht zur Anfechtbarkeit der Hauptversammlungsbeschlüsse (näher _____________ 11) Für die Nichtigkeit LG Münster, Urt. v. 3.12.1997 – 21 O 161/97, AG 1998, 344, 344; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 121 Rz. 29 m. w. N.; für die Anfechtbarkeit LG Heilbronn, Urt. v. 19.11.1999 – 3 KfH O 227/99, AG 2000, 373, 374 f.; Heidel-Müller, AktR, § 121 AktG Rz. 11; K. Schmidt in: GroßKomm-AktG, § 243 Rz. 29; gegen jedwede Fehlerhaftigkeit der gefassten Hauptversammlungsbeschlüsse Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 121 Rz. 57 f. 12) BGH, Urt. v. 12.11.2001 – II ZR 225/99, ZIP 2002, 172, dazu EWiR 2002, 885 (Saenger/Bergjan). 13) Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 121 Rz. 57. 14) Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 121 Rz. 34. 15) Allg. M., vgl. statt vieler Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 121 Rz. 7; zur umstrittenen Frage, ob dies auch im Fall der fehlenden Geschäftsfähigkeit des Vorstandsmitglieds gilt, bejahend Kubis in: MünchKommAktG, § 121 Rz. 30; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 121 Rz. 14 m. w. N; K. Schmidt in: GroßKommAktG, § 241 Rz. 44; im Ergebnis auch Noack/Zetsche in: KölnKomm-AktG, § 121 Rz. 60; verneinend Butzke in: GroßKomm-AktG, § 241 Rz. 28. 16) OLG Frankfurt/M., Urt. v. 10.5.1988 – 5 U 285/86, NJW-RR 1989, 546, 547 f.; K. Schmidt/LutterZiemons, AktG, § 121 Rz. 20. 17) Kubis in: MünchKomm-AktG, § 121 Rz. 20 m. w. N.; Hölters-Drinhausen, AktG, § 121 Rz. 15. 18) Zukünftig steht, sofern kein Fall von § 26h Abs. 3 Satz 1 EGAktG vorliegt, nur noch der Bundesanzeiger als Gesellschaftsblatt offen (§ 25), Wandt, NZG 2016, 367, 371. 19) Butzke in: GroßKomm-AktG, § 121 Rz. 30. 20) Kubis in: MünchKomm-AktG, § 121 Rz. 28; Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 121 Rz. 59.

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Allgemeines

§ 124 Rz. 37 f.).21) Ferner einberufungsberechtigt sind Abwickler (§ 268 Abs. 2) und Minderheitsaktionäre, soweit sie vom Gericht gemäß § 122 ermächtigt sind. Ebenfalls zu nennen sind aufsichtsrechtliche Einberufungsbefugnisse (z. B. § 44 Abs. 5 KWG), obschon die Aufsichtsbehörde nicht selbst die Hauptversammlung einberufen, sondern dies nur vom Vorstand verlangen kann. Dem Insolvenzverwalter steht kein Einberufungsrecht zu.22) Die Satzung kann weiteren Personen, z. B. Aktionären oder Aktionärsgruppen, gesell- 13 schaftsfremden Dritten oder einzelnen Mitgliedern des Vorstands bzw. des Aufsichtsrats eine Einberufungsbefugnis einräumen.23) 3.

Rechtsfolgen eines Verstoßes

Erfolgt die Einberufung durch Nichtberechtigte, so sind darauf hin gefasste Hauptversamm- 14 lungsbeschlüsse gemäß § 241 Nr. 1 nichtig, sofern kein Fall der Vollversammlung vorliegt (§ 121 Abs. 6). IV.

Inhalt der Einberufung (§ 121 Abs. 3)

1.

Allgemeines

Hinsichtlich des Bekanntmachungsinhalts wird zwischen börsennotierten (§ 3 Abs. 2) 15 und nicht börsennotierten Gesellschaften differenziert. Letztere haben zwar nur noch die Basisangaben des § 121 Abs. 3 Satz 1 und 2 zu machen; es entfallen somit Angaben zu Teilnahmebedingungen auch für im Freiverkehr notierte Gesellschaften.24) Eine solche Vorgehensweise wirft jedoch mehr Fragen auf Seiten der Aktionäre auf und ist daher nicht zu empfehlen. Jedenfalls die Teilnahmebedingungen sollten angegeben werden. Die in § 121 Abs. 3 genannten Angaben sind zwingend, jedoch nicht abschließend. Ferner 16 sind die Angaben nach § 124 Abs. 2 und 3 zu machen; Emittenten i. S. des § 2 Abs. 13 WpHG unterliegen ferner den Veröffentlichungspflichten des § 49 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WpHG.25) 2.

Basisangaben für alle Gesellschaften (§ 121 Abs. 3 Satz 1, Satz 2)

Zu nennen sind die Firma (§ 4), der Sitz (§ 5) bzw. bei Doppelsitz beide Sitze, der Termin 17 (Datum und Uhrzeit) und die Adresse des Sitzungssaals.26) Die Dauer der Hauptversammlung muss nicht angegeben werden,27) außer es können ersichtlich nicht an einem Tag sämtliche Tagesordnungspunkte behandelt werden; in diesem Fall soll bereits in der Einberufung deutlich zu machen sein, dass die Hauptversammlung zwei oder mehr Tage in Anspruch nehmen wird.28) Zur Zeit der Hauptversammlung siehe Rz. 34. Anzugeben _____________ 21) Vgl. BGH, Urt. v. 19.2.2013 – II ZR 56/12, NZG 2013, 456, 458 = ZIP 2013, 720 = BB 2013, 1166 mit Anm. Kocher, dazu EWiR 2013, 333 (Schatz); Kubis in: MünchKomm-AktG, § 121 Rz. 28. 22) Allg. M., Hölters-Drinhausen, AktG, § 121 Rz. 17; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 121 Rz. 25; Noack/ Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 121 Rz. 48. 23) Vgl. etwa Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 121 Rz. 17 m. w. N. Wird einem einzelnen Vorstandsmitglied in der Satzung Einberufungsbefugnis erteilt, führt dies nicht etwa dazu, dass nicht mehr das Gesamtorgan, sondern nur noch das einzelne Mitglied einberufungsberechtigt wäre (so aber Kubis in: MünchKommAktG, § 121 Rz. 26); vielmehr tritt die Einberufungsberechtigung des einzelnen Mitglieds neben die des Gesamtorgans, vgl. Butzke in: GroßKomm-AktG, § 121 Rz. 30. 24) Heidel-Müller, AktR, § 121 AktG Rz. 23, mit Hinweis darauf, dass diese freiwillig erfolgen können. 25) Vgl. Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 121 Rz. 18 f.; Grigoleit-Herrler, AktG, § 121 Rz. 10. 26) Allg. M., vgl. nur Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 121 Rz. 9. 27) OLG Koblenz, Urt. v. 26.4.2001 – 6 U 746/95, ZIP 2001, 1093, 1093. 28) LG Frankfurt/M., Urt. v. 28.11.2006 – 3-5 O 93/06, ZIP 2007, 1861, 1863; LG Mainz, Urt. v. 14.4.2005 – 12 HK O 82/04, NZG 2005, 819, 819.

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ist ferner die Tagesordnung mit den Informationen nach § 124 Abs. 2 und Beschlussvorschlägen, § 124 Abs. 3. Grundsätzlich ist die Gesellschaft an die angekündigte Tagesordnung gebunden und muss aufgeführte Punkte behandeln, darf aber keine Beschlüsse zu unangekündigten Themen fassen (zu Ausnahmen s. Rz. 35).29) Die Pflicht zur inhaltlichen Auseinandersetzung mit Tagesordnungspunkten entfällt bei ihrer Absetzung, die den Grundsätzen einer Absage der Hauptversammlung folgt (dazu Rz. 40 ff.).30) Dementsprechend kann nach ihrem Beginn nur die Hauptversammlung selbst bekannt gemachte Tagesordnungspunkte absetzen. 3.

Pflichtangaben für börsennotierte Gesellschaften (§ 121 Abs. 3 Satz 3)

a)

§ 121 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1

18 Anzugeben sind von der gesetzlichen Regelung abweichende31) Satzungsbestimmungen zur Anmeldung (§ 123 Abs. 2) und Legitimation (§ 123 Abs. 3), wobei die inhaltlich zutreffende Wiedergabe ausreicht.32) Ferner sind der Nachweisstichtag (§ 123 Abs. 4 Satz 2) datumsmäßig sowie dessen Bedeutung zu nennen.33) Ungeklärt ist, ob zu den Pflichtangaben auch ein Umschreibestopp bei Namensaktien zählt (sofern von der Gesellschaft vorgesehen),34) dessen Angabe sich vorsichtshalber und aus praktischen Gründen empfiehlt. b)

§ 121 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2

19 Gemäß § 121 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 lit. a ist das Verfahren für die Stimmabgabe durch Bevollmächtigte anzugeben. Hier sind die Form der Vollmachtserteilung und die Art und Weise der Übermittlung (§ 134 Abs. 3 Satz 4) an die Gesellschaft zu nennen. Soweit Formulare für die Beauftragung gesellschaftsbenannter Stimmrechtsvertreter zwingend zu benutzen sind, ist auf sie hinzuweisen.35) 20 § 121 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 lit. b schreibt vor, dass Angaben zum Verfahren für die Stimmabgabe im Wege der Briefwahl (§ 118 Abs. 2) oder der Online-Teilnahme (§ 118 Abs. 1 Satz 2) zu machen sind, wenn die Satzung oder der Vorstand aufgrund Satzungsermächtigung diese Verfahren vorsieht. Ist dies nicht der Fall, ist eine Negativanzeige nicht notwendig.36) c)

§ 121 Abs. 3 Satz 3 Nr. 3

21 In der Einberufung sind zumindest die Fristen für die Ausübung der Aktionärsrechte aus §§ 122 Abs. 2, 126 Abs. 1, 127 und 131 Abs. 1 datumsmäßig (bei § 131 Abs. 1 gibt es _____________ 29) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 121 Rz. 26; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 121 Rz. 45 – weitergehend Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 121 Rz. 9 – schon die Behandlung unangekündigter Themen ist unzulässig; zum Beschlussfassungsverbot gemäß § 124 Abs. 4 siehe dort Rz. 39 ff. 30) K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 121 Rz. 110; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 121 Rz. 83; Hüffer/ Koch-Koch, AktG, § 121 Rz. 18; zur Absetzung in Fällen des § 122 Abs. 2 siehe dort Rz. 23. 31) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 121 Rz. 37 m. w. N. 32) OLG Stuttgart, Beschl. v. 1.12.2008 – 20 W 12/08, AG 2009, 204, 210. 33) Begr. RegE z. ARUG, BT-Drucks. 16/11642, S. 28; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 121 Rz. 38. 34) Dagegen Quass, AG 2009, 432, 436 ff. m. w. N.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 121 Rz. 10 m. w. N.; dafür LG Köln, Beschl. v. 5.12.2008 – 82 O 91/08, NZG 2009, 467, 468 f.; Kubis in: MünchKommAktG, § 121 Rz. 64. 35) Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 121 Rz. 102. Den Aktionären börsennotierter Gesellschaften kann bei der Bevollmächtigung gesellschaftsbenannter Stimmvertreter die Verwendung bestimmter Vollmachtsformulare vorgegeben werden, während die Aktionäre eine Vollmacht nach § 134 Abs. 3 Satz 3 stets in Textform erteilen können und eine zwingende Verwendung bestimmter Formulare nicht vorgeschrieben werden kann, vgl. Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 121 Rz. 40. 36) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 121 Rz. 43 m. w. N.; vgl. ferner Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 121 Rz. 10c.

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Allgemeines

keine Frist, so dass diese auch nicht mit Datum zu bezeichnen ist) anzugeben bzw. darauf hinzuweisen, wenn die Rechtsausübung nicht fristgebunden ist. Im Übrigen kann auf die Internetseite der Gesellschaft verwiesen werden, wenn dort nähere Angaben zu den genannten Aktionärsrechten zu finden sind.37) Die Vorbesitzzeit des § 122 Abs. 1 Satz 3 ist richtigerweise keine Frist i. S. des § 121 Abs. 3 Satz 3 Nr. 3,38) wobei aufgrund des Wortlauts („weitergehende Erläuterungen“) zumindest ein Hinweis auf die Vorbesitzzeit auf der Internetseite für erforderlich gehalten wird.39) Eine datumsmäßige Angabe ist nicht erforderlich. d)

§ 121 Abs. 3 Satz 3 Nr. 4

Schließlich ist die Internetseite der Gesellschaft, auf der die Informationen nach § 124a 22 zugänglich sind, anzugeben. Die Angabe des genauen Pfads ist nicht gefordert.40) 4.

Rechtsfolgen eines Verstoßes

Fehlen Basisangaben nach § 121 Abs. 3 Satz 1, sind gleichwohl gefasste Beschlüsse nichtig, 23 § 241 Nr. 1, es sei denn, die Voraussetzungen des § 121 Abs. 6 (Vollversammlung) lagen vor. Wird entgegen § 121 Abs. 3 Satz 2 die Tagesordnung nicht angegeben, so darf nach § 124 Abs. 4 Satz 1 nicht Beschluss gefasst werden. Verstöße hiergegen sowie gegen § 121 Abs. 3 Satz 3 begründen bei Relevanz die Anfechtbarkeit nach § 243 Abs. 1.41) V.

Bekanntmachung (§ 121 Abs. 4, Abs. 4a)

1.

Bekanntmachung in den Gesellschaftsblättern (§ 121 Abs. 4 Satz 1)

Hierbei handelt es sich um den gesetzlichen Regelfall der Bekanntmachung, der stets ge- 24 wählt werden kann,42) selbst wenn die Gesellschaft Namensaktien ausgegeben hat (Umkehrschluss zu Abs. 4a). Durch die Satzung lassen sich zusätzliche Anforderungen an die Bekanntmachung begründen, Erleichterungen sind nicht zulässig (§ 23 Abs. 5 Satz 1).43) Emittenten i. S. des § 2 Abs. 13 WpHG haben ferner § 49 WpHG zu beachten. Die Einberufung muss nach § 121 Abs. 4 Satz 1 in den Bundesanzeiger eingerückt werden (vgl. die Neuregelung zum Bundesanzeiger als alleiniges Gesellschaftsmedium in § 25). Für Altsatzungen gilt weiterhin die Pflicht zur Einberufung in etwaigen weiteren Gesellschaftsblättern (§ 26h Abs. 3 Satz 1 EGAktG); seit dem 1.2.2016 ist jedoch nicht die Publikation des letzten Blattes, sondern allein die Bekanntmachung im Bundesanzeiger für die Bekanntmachung (und einen etwaigen Fristbeginn und etwaige weitere Rechtsfolgen) maßgeblich (§ 26h Abs. 3 Satz 2 EGAktG).44) _____________ 37) Vgl. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 121 Rz. 10d; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 121 Rz. 68; Noack/ Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 121 Rz. 106. 38) Streitig, so jedenfalls Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 121 Rz. 10d m. w. N.; Bürgers/Körber-Reger, AktG, § 121 Rz. 13d; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 121 Rz. 45; Empfohlen wird daher, bis zur gerichtlichen Klärung die Haltedauer datumsmäßig konkret zu benennen, vgl. Kocher/Lönner, BB 2010, 1675, 1679; ebenso Schroeder/Pussar, BB 2010, 717, 718 f. Für die SE stellt sich diese Problematik nicht, da eine vergleichbare Haltefrist von Art. 56 SE-VO, § 50 Abs. 2 SEAG nicht vorgesehen ist, vgl. auch Kubis in: MünchKomm-AktG, Art. 55, 56 SE-VO Rz. 19. 39) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 121 Rz. 10d; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 121 Rz. 46. 40) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 121 Rz. 47; Grigoleit-Herrler, AktG, § 121 Rz. 18. 41) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 121 Rz. 11; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 121 Rz. 104. 42) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 121 Rz. 11a; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 121 Rz. 74. 43) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 121 Rz. 51; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 121 Rz. 74. 44) Butzke in: GroßKomm-AktG, § 121 Rz. 87; so bereits zur alten Rechtslage K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 121 Rz. 74.

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2.

Einberufung durch eingeschriebenen Brief (§ 121 Abs. 4 Satz 2, Satz 3)

a)

Namentlich bekannte Aktionäre

25 Sind der Gesellschaft die Aktionäre namentlich bekannt, kann sie statt durch Bekanntmachung in den Gesellschaftsblättern oder durch eingeschriebenen Brief zur Hauptversammlung laden. Bei Namensaktien gilt gegenüber der Gesellschaft gemäß § 67 Abs. 2 nur der im Aktienregister Eingetragene als Aktionär, sodass eine Ladung nach § 121 Abs. 4 Satz 2 auf dieser Basis vorgenommen werden kann. Bei Inhaberaktien ist dagegen fast immer die Bekanntmachung nach § 121 Abs. 4 Satz 1 zu empfehlen.45) b)

Eingeschriebener Brief

26 Die Satzung kann hier Erleichterungen, etwa eine Ladung per Fax oder E-Mail, vorsehen.46) Wurde hiervon nicht Gebrauch gemacht, ist die Einberufung durch eingeschriebenen Brief zu übermitteln. Ein Rückschein ist nicht erforderlich, jedoch ist unklar, ob ein Einwurfeinschreiben ausreicht.47) Zweckmäßig ist daher eine Versendung als Übergabeeinschreiben.48) Unabhängig von der Zustellungsart genügt für die Erklärung selbst Textform (§ 126b BGB).49) c)

Tag der Bekanntmachung

27 Gemäß § 121 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 gilt der Tag der Absendung, also der Tag der Aufgabe der Briefe beim Beförderungsunternehmen,50) als der Tag der Bekanntmachung. Maßgeblich ist der Tag der Aufgabe des letzten Briefes.51) 3.

Zuleitung an Medien (§ 121 Abs. 4a)

28 Soweit die Bekanntmachung nach § 121 Abs. 4 Satz 1 erfolgt und die Gesellschaft börsennotiert ist, hat sie die Einberufung spätestens im Zeitpunkt der Bekanntmachung solchen Medien zur Veröffentlichung zuzuleiten, bei denen davon ausgegangen werden kann, dass sie die Informationen in der gesamten Europäischen Union verbreiten (vgl. § 3a WpAIV). Die Neufassung von Abs. 4a stellt klar, dass diese Pflicht nicht besteht, falls entweder nur Namensaktien ausgegeben wurden oder alle Aktionäre (auch solche von Inhaberaktien) die Einberufung mittels eingeschriebenem Brief erhalten (§ 122 Abs. 4 Satz 2, siehe dazu Rz. 25).52) Teilweise werden diese Ausnahmen von der Zuleitungspflicht für europarechtswidrig gehalten,53) sodass sich auch weiterhin eine Zuleitung an entsprechende Medien empfehlen kann.54) _____________ 45) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 121 Rz. 11d; Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 121 Rz. 139. 46) Begr. RegE z. Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr, BT-Drucks. 14/4987, S. 30; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 121 Rz. 11 f. 47) Dafür zumindest LG Mannheim, Urt. v. 8.3.2007 – 23 O 10/06, NZG 2008, 111, 112 (hier zur GmbH). 48) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 121 Rz. 60; Grigoleit-Herrler, AktG, § 121 Rz. 22. 49) Vgl. Begr. RegE z. Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr, BT-Drucks. 14/4987, S. 30. 50) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 121 Rz. 63 m. w. N.; Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 121 Rz. 150. 51) Allg. M., vgl. nur Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 121 Rz. 63 m. w. N.; Hölters-Drinhausen, AktG, § 121 Rz. 36. 52) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 121 Rz. 11i; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 121 Rz. 123. 53) Ausführlich Söhner, ZIP 2016, 151, 155 m. w. N.; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 121 Rz. 123, 89 im Hinblick auf Art. 5 Abs. 2 Unterabs. 2 der Aktionärsrechterichtlinie; a. A. Spindler/StilzRieckers, AktG, § 121 Rz. 66 – europarechtskonform. 54) Wandt, NZG 2016, 367, 371.

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§ 121

Allgemeines 4.

Rechtsfolgen bei Verstößen

Wird gegen die Bekanntmachungspflichten aus Abs. 4 verstoßen, folgt daraus gemäß § 241 29 Nr. 1 die Nichtigkeit der in der Hauptversammlung gefassten Beschlüsse.55) Genehmigen die nicht geladenen Aktionäre die Beschlüsse, kann die Nichtigkeit nicht mehr geltend gemacht werden (§ 242 Abs. 2 Satz 4).56) Ein Verstoß gegen Absatz 4a führt weder zur Nichtigkeit (§ 241) noch zur Anfechtbarkeit (§ 243 Abs. 3 Nr. 2) der Beschlüsse, jedoch ist § 405 Abs. 3a Nr. 1 (Ordnungswidrigkeit) einschlägig.57) VI.

Ort der Hauptversammlung (§ 121 Abs. 5)

Soweit die Satzung nichts anderes vorsieht, soll die Hauptversammlung am Sitz (§ 5) der 30 Gesellschaft stattfinden. Bei Doppelsitz kommen beide Orte in Frage.58) Sind Aktien der Gesellschaft zum Handel im regulierten Markt einer deutschen Börse59) zugelassen, so kann die Hauptversammlung auch am Sitz der Börse stattfinden. Auch ohne Satzungsregelung ist ein Abweichen von diesen Orten möglich, wenn hierfür ein sachlicher Grund vorliegt, z. B. Mangel eines geeigneten Versammlungslokals o. Ä.60) Die Zielgesellschaft eines öffentlichen Angebots kann jeden Versammlungsort wählen (§ 16 Abs. 4 WpÜG). Verboten ist eine Satzungsregelung, die die Auswahl des Ortes gänzlich in das Ermessen des 31 Einberufenden stellt. So sind zumindest geographische Vorgaben zur Eingrenzung auf eine überschaubare Anzahl an Orten notwendig.61) Es ist nicht erforderlich, dass die Gesellschaft am satzungsmäßigen Versammlungsort eine Zweigniederlassung o. Ä. unterhält.62) Die Abhaltung der Hauptversammlung im Ausland ist auch für börsennotierte Gesell- 32 schaften möglich, wenn die Satzung dies vorsieht, diese Bestimmung am Teilnahmeinteresse der Aktionäre ausgerichtet (zumutbar) und die Gleichwertigkeit einer möglichen Beurkundung gewährleistet ist.63) Nach der Judikatur sprechen eine weite Anreise der Aktionäre sowie mangelnder Bezug des Versammlungsorts zum Tätigkeitsbereich der Ge_____________ 55) Bekanntgabefehler aufgrund von Versäumnissen eines Aktionärs etwa in Form unterbliebener Mitteilung einer Adressänderung erfüllen nicht die Voraussetzungen von § 241 Nr. 1, Kubis in: MünchKommAktG, § 121 Rz. 87. 56) Diese Situation ist abzugrenzen von derjenigen in § 121 Abs. 6, dazu Rz. 35 ff. 57) Kubis in: MünchKomm-AktG, § 121 Rz. 86; Henssler/Strohn-Liebscher, GesR, § 121 AktG Rz. 21. 58) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 121 Rz. 12; Grigoleit-Herrler, AktG, § 121 Rz. 24. 59) Die Einbeziehung in den Freiverkehr genügt also nicht, vgl. Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 121 Rz. 71 m. w. N.; Butzke in: GroßKomm-AktG, § 121 Rz. 116. 60) Entscheidend ist, dass der Ort für sämtliche Gesellschafter günstiger zu erreichen ist als der Satzungssitz, vgl. OLG Dresden, Urt. v. 13.6.2001 – 13 U 2639/00 (Sachsenmilch), ZIP 2001, 1539, 1541; LG Frankfurt/M., Urt. v. 2.10.2007 – 3-5 O 177/07 (Nanoinvests), ZIP 2007, 2034, 2035. 61) BGH, Urt. v. 21.10.2014 – II ZR 330/13, BB 2015, 142, 143 mit Anm. Görtz = ZIP 2014, 2494, dazu EWiR 2015, 3 (Kiem/Reutershan) – hier hat der BGH eine Satzungsregelung beanstandet, welcher zufolge die Hauptversammlung in mehr als 60 europäischen Städten abgehalten werden konnte; Hüffer/ Koch-Koch, AktG, § 121 Rz. 13; Bungert/Leyendecker-Langner, BB 2015, 268, 269; Praxisbspw. zur Satzungsgestaltung bei Bayer/Hoffmann, AG 2013, R 23. 62) Vgl. Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 121 Rz. 73 m. w. N.; Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 121 Rz. 180 m. w. N. 63) BGH, Urt. v. 21.10.2014 – II ZR 330/13, BB 2015, 142, 143 mit Anm. Görtz = ZIP 2014, 2494; vgl. jeweils m. w. N. Grigoleit-Herrler, AktG, § 121 Rz. 27; Bürgers/Körber-Reger, AktG, § 121 Rz. 24. Die Beurkundung kann im Ausland von Konsularbeamten (§ 10 Abs. 2 KonsG) oder von ausländischen Personen vorgenommen werden, die – das Urteil nennt diesen nicht explizit – den Anforderungen des Art. 11 Abs. 1 EGBGB genügen, BGH, Urt. v. 21.10.2014 – II ZR 330/13, BB 2015, 142, 143 mit Anm. Görtz = ZIP 2014, 2494. Zu den Auswirkungen des vorstehend genannten BGH-Urteils auf das Abhalten der Hauptversammlung oder einzelner Redebeiträge in einer Fremdsprache Mohamed, NZG 2015, 1263.

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sellschaft gegen eine Ausrichtung am Aktionärsinteresse.64) Implizit scheint der BGH allein auf das Interesse deutscher Aktionäre abzustellen, was angesichts zunehmend grenzüberschreitender Aktionärskreise nicht unbedingt sachgerecht ist.65) Daneben sind hier insbesondere die allgemeinen Anforderungen an die Bestimmbarkeit des Hauptversammlungsorts (siehe Rz. 30) zu beachten. 33 Als Rechtsfolge sind sowohl der satzungsändernde Beschluss zur Festlegung eines unzulässigen Hauptversammlungsortes66) wie auch dort gefasste Beschlüsse anfechtbar.67) Werden letztere nicht angefochten, sind sie wirksam und ggf. vom Registergericht einzutragen.68) Ob es auch eine unzulässige, aber nicht angefochtene Satzungsregelung zum Hauptversammlungsort einzutragen hat, ist ungeklärt.69) Enthält eine eingetragene Satzungsregelung ein zu weites Ermessen, ist eine darauf gestützte Einberufungsentscheidung (und die dort dann gefassten Beschlüsse) jedenfalls dann nicht zu beanstanden, wenn das Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt wurde. VII. Zeit der Hauptversammlung 34 Die Zulässigkeit der Einberufung in zeitlicher Hinsicht richtet sich nach Zumutbarkeit und Verkehrsanschauung.70) Als Richtschnur gilt, dass die Hauptversammlung an Werkund Samstagen sowie zu gewöhnlichen Geschäftszeiten anzusetzen ist.71) Nach überwiegender Auffassung darf eine für einen Tag einberufene Hauptversammlung nach Mitternacht –jedenfalls bei Zumutbarkeit – fortgesetzt werden.72) Mehrtägige, am Folgetag nach Unterbrechung fortgesetzte, Hauptversammlungen sind nur bei entsprechender Einberufung zulässig (siehe Rz. 17). Bei unzumutbarer Festlegung der Hauptversammlungszeit oder grundloser Überlänge droht keine Nichtigkeit gefasster Beschlüsse, im Einzelfall aber deren Anfechtbarkeit.73) VIII. Vollversammlung (§ 121 Abs. 6) 35 Sind sämtliche Aktionäre (also auch solche ohne Stimmrecht)74) erschienen oder vertreten, ist die Einhaltung der §§ 121 – 128 sowie hierauf verweisender Normen entbehrlich, soweit kein Widerspruch gegen die Beschlussfassung erhoben wird. Dies gilt ebenso, wenn es nur einen Aktionär gibt (sog. Ein-Personen-AG).75) Außerhalb dieser ausdrücklich ausgenom_____________ 64) BGH, Urt. v. 21.10.2014 – II ZR 330/13, BB 2015, 142, 143 mit Anm. Görtz = ZIP 2014, 2494. Die Literatur hält insbesondere einen durch den Versammlungsort bedingten wesentlichen finanziellen Mehraufwand für unzulässig, Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 121 Rz. 15 m. w. N.; Spindler/StilzRieckers, AktG, § 121 Rz. 73 f. 65) Bungert/Leyendecker-Langner, BB 2015, 268, 269. 66) BGH, Urt. v. 21.10.2014 – II ZR 330/13, BB 2015, 142, 142 mit Anm. Görtz = ZIP 2014, 2494. 67) Kubis in: MünchKomm-AktG, § 121 Rz. 93, K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 121 Rz. 99. 68) Kubis in: MünchKomm-AktG, § 121 Rz. 93; allgemein Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 243 Rz. 51 ff. 69) Dagegen OLG Hamburg, Beschl. v. 7.5.1993 – 2 Wx 55/91, ZIP 1993, 921, 923; Kubis in: MünchKommAktG, § 121 Rz. 93; dafür K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 121 Rz. 99; Bungert, AG 1995, 26, 33. 70) OLG Koblenz, Urt. v. 23.11.2000 – 6 U 1434/95, ZIP 2001, 1095, 1096, dazu EWiR 2001, 205 (Hasselbach); Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 121 Rz. 68 f. 71) Bei Publikumsgesellschaften scheiden auch der 24.12. und der 31.12. aus, so Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 121 Rz. 69. 72) Dafür OLG Koblenz, Urt. v. 26.4.2001 – 6 U 746/95, ZIP 2001, 1093, 1093; OLG München, Urt. v. 28.9.2011 – 7 U 711/11 (HRE), AG 2011, 840, 842 = ZIP 2011, 1955, dazu EWiR 2012, 23 (MaierReimer/Seulen); Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 121 Rz. 17 m. w. N.; dagegen etwa Kubis in: MünchKommAktG, § 121 Rz. 35. 73) Henssler/Strohn-Liebscher, GesR, § 121 AktG Rz. 28; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 121 Rz. 35. 74) Kubis in: MünchKomm-AktG, § 121 Rz. 96 m. w. N.; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 121 Rz. 101. 75) Unstreitig, vgl. etwa Terbrack, RNotZ 2012, 221, 221 f.

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menen Vorschriften führt die Vollversammlung aber zu weiteren Spezialproblemen (etwa i. R. von § 130 und § 118 Abs. 3).76) Nicht nur, aber v. a. bei der Einpersonen-AG stellt sich bei vielen Vorschriften auch außerhalb dieses Unterabschnitts die Frage, ob und wie sie einzuhalten sind.77) Richtigerweise sind in jeder Vollversammlung alle Vorschriften verzichtbar, die ausschließlich dem Aktionärsschutz dienen. Dazu gehören z. B. die §§ 52 Abs. 2 Satz 2 ff., 183 Abs. 1 Satz 2, 186 Abs. 2 und 4 sowie 203 Abs. 2 Satz 2.78) Für das Vorliegen einer Vollversammlung reicht das zufällige Zusammentreffen79) aller 36 Aktionäre ebenso wenig aus wie die Beschlussfassung im Umlaufverfahren80) oder per Briefwahl.81) Die Online-Teilnahme (siehe § 118 Rz. 13 ff.) ist hingegen ausreichend.82) Zulässig ist außerdem die Stellvertretung (siehe dazu auch Rz. 37) sowie der Einsatz von Legitimationsaktionären.83) Die Anwesenheit aller Aktionäre kann nach Teilen der Literatur mittels Teilnehmerverzeichnis (§ 129) nachgewiesen werden,84) während andere auf ein etwaiges notarielles Protokoll verweisen.85) Das Widerspruchsrecht der Aktionäre kann jeweils bis zur Verkündung der einzelnen 37 Abstimmungsergebnisse ausgeübt werden und bezieht sich allein auf die (konkrete) Beschlussfassung an sich, nicht auf den Inhalt gefasster Beschlüsse.86) Ist eine juristische Person Aktionär, kann ihr Widerspruchsrecht sowie den Verzicht darauf nach zutreffender Ansicht nicht nur von gesetzlichen, sondern auch von rechtsgeschäftlich bevollmächtigten Vertretern, insbesondere von Prokuristen, ausgeübt werden.87) In der Praxis empfiehlt sich vorsichtshalber gleichwohl eine ausdrückliche Bevollmächtigung zum Widerspruch und zum Verzicht hierauf. Die Ausübung des Widerspruchsrechts hindert den Aktionär andererseits nicht an der Stimmabgabe zu den Beschlüssen.88) Ein Widerspruch i. S. des § 121 Abs. 6 kann zugleich den von § 245 Nr. 1 vorausgesetzten Widerspruch darstellen, wenn er zur Niederschrift erklärt wurde.89) Es ist streitig, ob Vorstand und Aufsichtsrat im Vorfeld der Vollversammlung zu in- 38 formieren sind.90) Für die Praxis empfiehlt sich jedenfalls zur Vermeidung einer denkba_____________ 76) Zum Teilnahmerecht von Vorstand und Aufsichtsrat und diesbezüglichen Benachrichtigungspflichten vgl. § 118 Rz. 18 ff. 77) Dazu ausführlich Blasche, AG 2017, 16 ff. 78) Ähnlich Noack/Zetsche in: KölnKomm-AktG, § 121 Rz. 216 und 218. 79) Kubis in: MünchKomm-AktG, § 121 Rz. 95; Noack/Zetsche in: KölnKomm-AktG, § 121 Rz. 202. Hier ist allerdings die Abgrenzung zu einer durchaus zulässigen Spontanversammlung sehr schwierig. 80) Butzke in: GroßKomm-AktG, § 121 Rz. 134; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 121 Rz. 85. 81) Gemäß § 118 Abs. 2 nehmen Briefwähler nicht an der Hauptversammlung teil; Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 121 Rz. 204; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 121 Rz. 102. 82) Heidel-Müller, AktR, § 121 AktG Rz. 49; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 121 Rz. 96. 83) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 121 Rz. 20; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 121 Rz. 96. 84) Kubis in: MünchKomm-AktG, § 121 Rz. 97; weniger deutlich auch Butzke in: GroßKomm-AktG, § 121 Rz. 137 („zuverlässige Grundlage“). 85) Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 121 Rz. 205; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 120 Rz. 22. 86) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 121 Rz. 21; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 121 Rz. 97. 87) Kocher, NZG 2016, 1220, 1221 f.; a. A. zur Vollversammlung der GmbH gemäß § 51 Abs. 3 GmbHG: LG Duisburg, Urt. v. 15.1.2016 – 22 O 100/15, NZG 2016, 1229 – nur gesetzliche Vertreter einer juristischen Person können auf Form und Frist der Einberufung der Gesellschafterversammlung verzichten. 88) Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 121 Rz. 209. 89) Vgl. Kubis in: MünchKomm-AktG, § 121 Rz. 97. 90) Dafür, jedoch unter Annahme einer praktischen Sanktionslosigkeit von Verstößen Zöllter-Petzold, NZG 2013, 607; Butzke in: GroßKomm-AktG, § 121 Rz. 144; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 121 Rz. 88; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 121 Rz. 98; dagegen offenbar Noack-Zetzsche in: KölnKommAktG, § 121 Rz. 206.

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§ 121

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ren Beschlussanfechtung eine solche Unterrichtung, wo sie möglich ist.91) Ob hieraus eine Anfechtbarkeit resultiert, ist umstritten,92) richtigerweise aber zu verneinen, da der Gesamtheit der Aktionäre die Möglichkeit zur freien Willensbildung zustehen muss. IX.

Berechnung von Fristen und Terminen (§ 121 Abs. 7)

39 Diese für börsennotierte Gesellschaften zwingende Vorschrift (§ 121 Abs. 7 Satz 4) stellt klar, dass der Tag der Hauptversammlung bei Fristen und Terminen,93) die von ihr an zurückberechnet werden, nicht mitgezählt wird. Die Anwendung der §§ 187 – 193 BGB wird ausgeschlossen (§ 121 Abs. 7 Satz 3), die Verlegung von einem Sonntag, einem Sonnabend oder Feiertag auf einen Werktag wird ausgeschlossen (§ 121 Abs. 7 Satz 2). X.

Absage der Hauptversammlung

40 Der BGH hat in jüngerer Zeit zu den Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Absage einer Hauptversammlung Stellung genommen.94) Danach ist stets das einberufende Organ (in der Regel also der Vorstand) für eine Absage zuständig, auch wenn die Einberufung einem Minderheitsverlangen folgte (§ 122 Abs. 1). Zeitlich besteht die Kompetenz aber nur vor Beginn der Hauptversammlung, also bevor sich die erschienenen Aktionäre zur in der Einberufung angegebenen Uhrzeit im Versammlungsraum eingefunden haben.95) Danach können ausschließlich die Aktionäre eine Absage beschließen. In der Praxis empfiehlt sich zur Vermeidung von Aktionärsbeschwerden dennoch weiterhin die förmliche Eröffnung der Hauptversammlung. 41 Eine Absage durch das zuständige Organ ist auch dann wirksam, wenn sie pflichtwidrig erfolgte.96) Die Minderheit kann somit auf die gerichtliche Ermächtigung zur selbständigen Einberufung nach § 122 Abs. 3 (siehe § 122 Rz. 26 ff.) angewiesen sein. 42 Infolge einer unwirksamen (etwa kompetenzwidrigen) Absage ist das Teilnahmerecht derjenigen Aktionäre verletzt, die die Unwirksamkeit nicht erkennen konnten und infolgedessen auf ihre Teilnahme verzichtet haben. Anschließend gefasste Beschlüsse sind nicht nichtig, aber gemäß § 243 Abs. 1 anfechtbar.97) Das Anfechtungsrecht besteht sogar zugunsten des Vorstands, auch wenn dieser mittels unwirksamer Absage die Anfechtbarkeit begründet hat und damit eine Minderheiteninitiative vereitelt wird.98) Ein Ausschluss der Anfechtungsbefugnis ist jedoch denkbar, wenn der Vorstand zur Herbeiführung der Anfechtbarkeit gerade darauf abzielt, die verfahrensmäßige Rechtswidrigkeit eines ihm inhaltlich nicht genehmen Beschlusses herbeizuführen.99)

_____________ 91) Grigoleit-Herrler, AktG, § 121 Rz. 33. 92) Zöllter-Petzold, NZG 2013, 607, 610 f. m. w. N. – der Meinungsstand entspricht dem in Fn. 90. 93) Ein Termin ist nach der Gesetzesbegründung eine juristische Sekunde, die auf 0:00 Uhr des errechneten Tages fällt, vgl. Begr. RegE z. ARUG, BT-Drucks. 16/11642, S. 28. 94) BGH, Urt. v. 30.6.2015 – II ZR 142/14, ZIP 2015, 2069, dazu EWiR 2015, 661 (Bayer/Scholz). 95) Die förmliche Eröffnung der Hauptversammlung ist nach dem BGH nicht maßgeblich, BGH, Urt. v. 30.6.2015 – II ZR 142/14, ZIP 2015, 2069, 2072; a. A. aus Gründen der Rechtssicherheit Kocher, BB 2015, 2636, 2642; außerdem Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 121 Rz. 117; Kubis in: MünchKommAktG, § 121 Rz. 103. 96) Zustimmend Kocher, BB 2015, 2636, 2642. 97) BGH, Urt. v. 30.6.2015 – II ZR 142/14, ZIP 2015, 2069, 2074. 98) BGH, Urt. v. 30.6.2015 – II ZR 142/14, ZIP 2015, 2069, 2074. 99) Kocher, BB 2015, 2636, 2642.

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§ 122

Einberufung auf Verlangen einer Minderheit

§ 122 Einberufung auf Verlangen einer Minderheit (1) 1Die Hauptversammlung ist einzuberufen, wenn Aktionäre, deren Anteile zusammen den zwanzigsten Teil des Grundkapitals erreichen, die Einberufung schriftlich unter Angabe des Zwecks und der Gründe verlangen; das Verlangen ist an den Vorstand zu richten. 2Die Satzung kann das Recht, die Einberufung der Hauptversammlung zu verlangen, an eine andere Form und an den Besitz eines geringeren Anteils am Grundkapital knüpfen. 3Die Antragsteller haben nachzuweisen, dass sie seit mindestens 90 Tagen vor dem Tag des Zugangs des Verlangens Inhaber der Aktien sind und dass sie die Aktien bis zur Entscheidung des Vorstands über den Antrag halten. 4§ 121 Absatz 7 ist entsprechend anzuwenden. (2) 1In gleicher Weise können Aktionäre, deren Anteile zusammen den zwanzigsten Teil des Grundkapitals oder den anteiligen Betrag von 500.000 Euro erreichen, verlangen, daß Gegenstände auf die Tagesordnung gesetzt und bekanntgemacht werden. 2Jedem neuen Gegenstand muss eine Begründung oder eine Beschlussvorlage beiliegen. 3Das Verlangen im Sinne des Satzes 1 muss der Gesellschaft mindestens 24 Tage, bei börsennotierten Gesellschaften mindestens 30 Tage vor der Versammlung zugehen; der Tag des Zugangs ist nicht mitzurechnen. (3) 1Wird dem Verlangen nicht entsprochen, so kann das Gericht die Aktionäre, die das Verlangen gestellt haben, ermächtigen, die Hauptversammlung einzuberufen oder den Gegenstand bekanntzumachen. 2Zugleich kann das Gericht den Vorsitzenden der Versammlung bestimmen. 3Auf die Ermächtigung muß bei der Einberufung oder Bekanntmachung hingewiesen werden. 4Gegen die Entscheidung ist die Beschwerde zulässig. 5Die Antragsteller haben nachzuweisen, dass sie die Akten bis zur Entscheidung des Gerichts halten. (4) Die Gesellschaft trägt die Kosten der Hauptversammlung und im Fall des Absatzes 3 auch die Gerichtskosten, wenn das Gericht dem Antrag stattgegeben hat. Literatur: Bayer/Scholz/Weiß, Anmeldung und Berechtigungsnachweis bei Einberufung einer Hauptversammlung durch die Aktionärsminderheit gem. § 122 Abs. 3 AktG, AG 2013, 742; Cziupka/Kraack, Der „untaugliche Versuch“ der Absage einer auf Minderheitsverlangen einberufenen Hauptversammlung, DNotZ 2016, 15; Florstedt, Fristen und Termine im Recht der Hauptversammlung, ZIP 2010, 761; Halberkamp/Gierke, Das Recht der Aktionäre auf Einberufung einer Hauptversammlung, NZG 2004, 494; Hoffmann-Becking, Der Aufsichtsrat der AG und sein Vorsitzender in der Hauptversammlung, NZG 2017, 281; Kocher, Zur Bedeutung von Beschlussvorschlägen der Verwaltung für die Fassung und Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen, AG 2013, 406; König/Römer, Reichweite aktien- und kapitalmarktrechtlicher Rechtsausübungshindernisse, NZG 2004, 944; Reger, Keine Pflicht des Vorstands zur Ablehnung rechtsmissbräuchlicher Einberufungsverlangen, NZG 2013, 536; Theusinger/Schilha, Gerichtliche Bestimmung eines unparteiischen Versammlungsleiters für einzelne Tagesordnungspunkte der Hauptversammlung, NZG 2016, 56; Weber, Absage einer auf ein Aktionärsverlangen einberufenen Hauptversammlung und Abhaltung einer Hauptversammlung durch die Aktionäre, NZG 2013, 890.

Übersicht I. Regelungsgehalt, Bedeutung ........... 1 II. Einberufungsverlangen (§ 122 Abs. 1) ................................................. 2 1. Aktionärseigenschaft .......................... 2

2. 3. 4. 5.

Quorum .............................................. 4 Mindestbesitzzeit ............................... 5 Antrag und Adressat .......................... 8 Rücknahme des Verlangens ............. 14

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§ 122

Einberufung auf Verlangen einer Minderheit

6. Fehlende Rücknahme der Aktionärsminderheit/Absage ................... 7. Satzungsregelungen ......................... III. Ergänzungsverlangen (§ 122 Abs. 2) .............................................. 1. Allgemeines ...................................... 2. Aktionärseigenschaft, Quorum ...... 3. Mindestbesitzzeit ............................ 4. Antrag, Adressat, Frist .................... 5. Rücknahme des Ergänzungsverlangens .............................................. 6. Rechtsfolge ...................................... 7. Satzungsregelungen ......................... I.

15 16 17 17 18 19 20 23 24 25

IV. Gerichtliche Geltendmachung (§ 122 Abs. 3) und Kosten (§ 122 Abs. 4) ............................................... 26 1. Zuständigkeit .................................... 27 2. Antragsberechtigung ........................ 28 3. Antragsfrist ....................................... 29 4. Entscheidung des Gerichts .............. 30 5. Versammlungsleiter .......................... 31 6. Erledigung ......................................... 32 7. Rechtsbehelf ..................................... 33 8. Einberufung durch die Aktionäre .... 34 9. Kosten (§ 122 Abs. 4) ...................... 35

Regelungsgehalt, Bedeutung

1 Die Norm erlaubt einer qualifizierten Aktionärsminderheit, die Einberufung der Hauptversammlung (§ 122 Abs. 1) bzw. Ergänzung der Tagesordnung (§ 122 Abs. 2) zu verlangen und dies ggf. gerichtlich durchzusetzen (§ 122 Abs. 3). § 122 ermöglicht somit die Ausübung mitgliedschaftlicher Aktionärsrechte und dient dem Minderheitenschutz.1) II.

Einberufungsverlangen (§ 122 Abs. 1)

1.

Aktionärseigenschaft

2 Es kommt ausschließlich auf das Teilnahmerecht, nicht auf das Stimmrecht an. Daher können auch Inhaber von Vorzugsaktien, nicht voll eingezahlter (§ 134 Abs. 2) oder verpfändeter2) bzw. mit einem Nießbrauch belasteter3) Aktien sowie einem Stimmverbot unterliegende4) Aktionäre die Einberufung der Hauptversammlung verlangen, nicht jedoch die Inhaber von Aktien, aus denen dem Inhaber qua Gesetz zeitweise keine Rechte zustehen (vgl. z. B. §§ 20 Abs. 7, 21 Abs. 4, § 71d i. V. m. § 71b, § 44 WpHG, § 59 WpÜG).5) 3 Stellvertretung ist zulässig, jedoch muss sich die Vollmacht auf die Einberufung beziehen; sofern eine Stimmrechtsvollmacht nicht dahingehend auszulegen ist, genügt sie nicht.6) Legitimationsaktionäre sind ebenso wie Insolvenz- und Nachlassverwalter, Testamentsvollstrecker7) und Abwesenheitspfleger8) von Aktionären berechtigt, die Einberufung zu verlangen. 2.

Quorum

4 Die Einberufung bedarf eines Quorums von 5 % des Grundkapitals. Bezugsgröße ist zunächst das im Handelsregister eingetragene Grundkapital (dieses Quorum gilt nach Art. 55 _____________ 1) 2) 3)

4) 5) 6) 7) 8)

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Vgl. OLG München, Beschl. v. 9.11.2009 – 31 Wx 134/09, AG 2010, 84, 85; OLG Stuttgart, Beschl. v. 25.11.2008 – 8 W 370/08, AG 2009, 169, 170. Einhellig Butzke in: GroßKomm-AktG, § 122 Rz. 10; Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 122 Rz. 23, Kubis in: MünchKomm-AktG, § 122 Rz. 3. So generell Kubis in: MünchKomm-AktG, § 122 Rz. 3; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 122 Rz. 2; für den Fall, dass dem Aktionär nach den den Nießbrauch regelnden Vereinbarungen das Stimmrecht zusteht ebenso Bungert in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 26 Rz. 21, und Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 122 Rz. 23, was nach Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 122 Rz. 6, der Fall ist. OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 26.3.1986 – 20 W 202/85, NJW-RR 1986, 781, 781; Spindler/StilzRieckers, AktG, § 122 Rz. 6 m. w. N. Vgl. König/Römer, NZG 2004, 944, 945; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 122 Rz. 7 m. w. N. Hölters-Drinhausen, AktG, § 122 Rz. 4; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 122 Rz. 5. Kubis in: MünchKomm-AktG, § 122 Rz. 5; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 122 Rz. 7. OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 26.3.1986 – 20 W 202/85, NJW-RR 1986, 781.

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Einberufung auf Verlangen einer Minderheit

§ 122

Abs. 1 SE-VO i. V. m. § 50 Abs. 1 SEAG auch für die SE). Eigene Aktien sind deswegen genauso wie solche, deren Stimmrechte ruhen, nicht abzusetzen.9) Bereits beschlossene, aber noch nicht im Handelsregister eingetragene Kapitalerhöhungen sind nicht zu berücksichtigen, soweit die Eintragung konstitutiv ist. Ausgegebene Bezugsaktien aus bedingtem Kapital sind dagegen schon vor Eintragung zu berücksichtigen.10) In der Praxis sind insbesondere Veränderungen des Grundkapitals durch Ausübung von Bezugsrechten aus Aktienoptionen relevant. Nachdem solche Veränderungen zumindest bei börsennotierten Gesellschaften nach § 26a und § 49 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WpHG zu veröffentlichen sind, erhält der Aktionär hiervon Kenntnis. Auf welche Weise der Aktionär das Quorum erreicht, spielt keine Rolle. Dieses kann z. B. auch über eine Wertpapierleihe beschafft werden. Die Ausgestaltung als Minderheitenrecht hindert nicht die Geltendmachung durch einen Mehrheitsaktionär.11) 3.

Mindestbesitzzeit

Die Antragsteller haben nachzuweisen, dass sie bereits 90 Tage vor dem Tag des Zugangs 5 des Verlangens beim Vorstand Inhaber der Aktien waren und diese bis zu dessen Entscheidung behalten werden. Die Berechnung der Neunzig-Tage-Frist hat dabei entsprechend § 121 Abs. 7 (siehe § 121 Rz. 39) zu erfolgen. Daneben gilt zur Berechnung der Aktienbesitzzeit die allgemeine Regelung des § 70. Bei der SE ist dieses Erfordernis nicht übernommen (Art. 55 SE-VO i. V. m. § 50 Abs. 1 SEAG). Das Quorum muss bis zur Entscheidung des Vorstands über das Einberufungsverlan- 6 gen gehalten werden. Lehnt der Vorstand die Einberufung ab und verfahren die Aktionäre nach § 122 Abs. 3, so muss das Quorum bis zur gerichtlichen Entscheidung über den Antrag vorliegen. Die gesetzliche Neuregelung in Abs. 3 Satz 5 meint die rechtskräftige Entscheidung über den Antrag.12) Offen bleibt hingegen die Frage, ob das Quorum auch zum Zeitpunkt der Einberufung durch die vom Gericht ermächtigten Aktionäre noch gegeben sein muss.13) Für den Begriff des Antragsstellers ist auf die antragstellenden Aktionäre und ihre Ge- 7 samtrechtsnachfolger abzustellen; eine Auswechslung ist nicht zulässig.14) Der Nachweis ist durch Bescheinigung des depotführenden Instituts zu erbringen, bei Namensaktien ist die Eintragung im Aktienregister maßgeblich.15) Eine Bevollmächtigung ist in Textform nachzuweisen.16)

_____________ 9) Halberkamp/Gierke, NZG 2004, 494, 495; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 122 Rz. 7. 10) Hölters-Drinhausen, AktG, § 122 Rz. 5; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 122 Rz. 7. 11) Zu § 122 Abs. 2 auch OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 19.6.2017 – 5 U 150/16, ZIP 2017, 1714, 1716, dazu EWiR 2017, 653 (v. d. Linden). 12) K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 122 Rz. 53; so auch bereits nach alter Rechtslage, OLG Düsseldorf, Beschl. v. 16.1.2004 – I-3 Wx 290/03, ZIP 2004, 314, 314, dazu EWiR 2004, 261 (Vetter); Noack/ Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 122 Rz. 30. 13) Dafür Butzke in: GroßKomm-AktG, § 122 Rz. 100; dafür zu § 122 a. F. Noack/Zetzsche in: KölnKommAktG, § 122 Rz. 109; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 122 Rz. 62; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 122 Rz. 59; dagegen Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 122 Rz. 12; dagegen zu § 122 a. F. Kubis in: MünchKomm-AktG, § 122 Rz. 67 – „Nachbesitzzeit“ bis zur Umsetzung der Ermächtigungsentscheidung nicht vorgeschrieben. 14) OLG Düsseldorf, Beschl. v. 16.1.2004 – I-3 Wx 290/03, ZIP 2004, 314, 314 f. 15) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 122 Rz. 3; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 122 Rz. 15 m. w. N. 16) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 122 Rz. 14 m. w. N.

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§ 122 4.

Einberufung auf Verlangen einer Minderheit Antrag und Adressat

8 Der Antrag ist schriftlich (§ 126 BGB) an die Gesellschaft, vertreten durch den Vorstand, zu richten.17) Mitzuteilen sind der Zweck und die Gründe für das Einberufungsverlangen (beachte bei der SE Art. 55 Abs. 2 SE-VO: „Punkte für die Tagesordnung“). 9 „Gründe“ bezeichnet allein die Eilbedürftigkeit, nicht weshalb die Hauptversammlung überhaupt befasst werden soll.18) „Zweck“ bezeichnet die Beschlussgegenstände, über die die Hauptversammlung konkret entscheiden soll.19) 10 Zulässige Beschlussgegenstände sind solche, die in den Kompetenzbereich der Hauptversammlung fallen,20) nicht auf die Fassung eines gesetzes- oder satzungswidrigen Beschlusses gerichtet sind und sich nicht als rechtsmissbräuchlich21) darstellen.22) 11 Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens kann die Einberufung der Hauptversammlung gemäß § 122 Abs. 1 Satz 1 nicht mehr verlangt werden, soweit die Hauptversammlung wegen der Vorschrift des § 276a InsO über einen Gegenstand keinen Beschluss fassen kann und insoweit unzuständig ist.23) Ist hingegen keine Eigenverwaltung angeordnet, so bleiben die Kompetenzen der Gesellschaftsorgane im sog. insolvenzneutralen Bereich unberührt.24) In diesen Bereich fällt beispielsweise die Wahl von Aufsichtsratsmitglieder und deren Abberufung.25) 12 Streitig ist, ob rein informatorische Hauptversammlungen ohne Beschlussfassung einberufen werden dürfen. Bejaht wird dies jedenfalls für Fälle der §§ 92, 175 Abs. 1 Satz 2.26) Ansonsten wird es zwar bei der Einberufung beschlussloser Hauptversammlungen regelmäßig an der vielfach geforderten Dringlichkeit fehlen,27) was aber keine pauschale Verneinung dieses Rechts rechtfertigt,28) sondern im Einzelfall zu prüfen ist. Zudem wird _____________ 17) K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 122 Rz. 15 f. m. w. N.; elektronische Form (§ 126a BGB) genügt nach überwiegender Ansicht ebenso, nicht aber Textform (§ 126b BGB), Hüffer/Koch-Koch, § 122 Rz. 4 m. w. N. Zu Adressat und Antragsgegner in der Insolvenz vgl. AG München, Beschl. v. 19.3.2018 – HRB 226715, AG 2018, 415 f. = ZIP 2018, 741, und LG München I, Beschl. v. 19.4.2018 – 5 HK O 5426/18, ZIP 2018, 875 f. 18) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 122 Rz. 4; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 122 Rz. 13 m. w. N. 19) OLG Köln, Beschl. v. 15.6.1959 – 8 W 61/59, WM 1959, 1402, 1403 (zu § 106 AktG 1937); Kubis in: MünchKomm-AktG, § 122 Rz. 13 m. w. N. 20) Die Hauptversammlungskompetenz ist auch in Holzmüller-/Gelatine-Fällen betroffen, wenn der Vorstand eine tatsächlich darunter fallende Maßnahme ohne Hauptversammlungsbeschluss durchzuführen beabsichtigt, das Initiativrecht des Vorstands bleibt jedoch unberührt, Henssler/Strohn-Liebscher, GesR, § 122 AktG Rz. 6; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 122 Rz. 22 m. w. N. Dazu auch Strohn, ZHR 182 (2018) 114, 124 ff. 21) Vgl. hierzu OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.6.2014 – 11 Wx 49/14, ZIP 2015, 125, 126 f., dazu EWiR 2015, 43 (Theusinger/Kraft); OLG Düsseldorf, Urt. v. 5.7.2012 – I-6 U 69/11, AG 2013, 264, 266; OLG München, Beschl. v. 9.11.2009 – 31 Wx 134/09, AG 2010, 84, 85. 22) Kubis in: MünchKomm-AktG, § 122 Rz. 15 ff.; Reger, NZG 2013, 536, 536 m. w. N.; Spindler/StilzRieckers, AktG, § 122 Rz. 21 ff. m. w. N.; ausführlich Halberkamp/Gierke, NZG 2004, 494, 497 ff. 23) AG Montabaur, Beschl. v. 19.6.2012 – HRB 20744, ZIP 2012, 1307, 1308; Klöhn, NZG 2013, 81, 83 m. w. N. 24) OLG Düsseldorf, Beschl. v. 11.4.2013 – 3 Wx 36/13, ZIP 2013, 1022, 1023. 25) OLG Düsseldorf, Beschl. v. 11.4.2013 – 3 Wx 36/13, ZIP 2013, 1022, 1023; zum insolvenzneutralen Bereich, s. Koch in: MünchKomm-AktG, § 264 Rz. 66 ff. 26) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 122 Rz. 21 m. w. N.; Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 122 Rz. 61 wollen eine beschlusslose Hauptversammlung auch zur Beratung eines Übernahmeangebots (§ 16 Abs. 3 WpÜG) zulassen. 27) Butzke in: GroßKomm-AktG, § 122 Rz. 23; kritisch ebenso Kubis in: MünchKomm-AktG, § 122 Rz. 16, der zudem mit zusätzlichem Zeit- und Kostenaufwand argumentiert; Butzke in: GroßKommAktG, § 122 Rz. 23; ebenfalls eher ablehnend OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.6.2014 – 11 Wx 49/14, ZIP 2015, 125, 127. 28) Hölters-Drinhausen, AktG, § 122 Rz. 11; Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 122 Rz. 62 – zumindest für börsenferne Gesellschaften.

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Einberufung auf Verlangen einer Minderheit

§ 122

damit die Vorstandskompetenz gespiegelt, beschlusslose Hauptversammlungen einzuberufen (siehe § 121 Rz. 5 f.). § 124 Abs. 2 Satz 2 ist zu beachten. Genügt das Verlangen den gesetzlichen Anforderungen, so ist die Hauptversammlung ein- 13 zuberufen; der Vorstand hat den damit verbundenen Kostenaufwand nicht im Hinblick auf seine Sinnhaftigkeit zu hinterfragen (zur Ausnahme des Rechtsmissbrauchs siehe Rz. 10).29) 5.

Rücknahme des Verlangens

Die Aktionärsminderheit kann ihr Verlangen jederzeit zurücknehmen.30) Die Rücknahme 14 macht das Verlangen gegenstandslos, wenn nicht eine Einberufung der Hauptversammlung schon erfolgt ist.31) Ist eine Einberufung bei Rücknahme bereits erfolgt, ist der Vorstand dagegen berechtigt (nicht aber verpflichtet), die Hauptversammlung abzusagen.32) 6.

Fehlende Rücknahme der Aktionärsminderheit/Absage

Auch wenn es an einer Rücknahme des Einberufungsverlangens mangelt, so hat der Vor- 15 stand nach dem BGH bis zum Beginn der Hauptversammlung die Kompetenz zur Absage, da er formal gesehen das einberufende Organ ist (siehe dazu § 121 Rz. 40).33) Bei einer unwirksamen Absage des Vorstands nach Beginn der Hauptversammlung (siehe § 121 Rz. 40 ff.) und dem nachfolgenden Verlassen der Hauptversammlung durch Aktionäre ist fraglich, ob der Vorstand dem Minderheitsverlangen zur Einberufung „entsprochen“ hat, da in diesem Fall die Anrufung des Gerichts gemäß Absatz 3 ausgeschlossen wäre.34) 7.

Satzungsregelungen

Nach § 122 Abs. 1 Satz 2 sind Erleichterungen, insbesondere bzgl. der Form des Antrags, 16 zulässig, nicht aber Erschwerungen.35) III.

Ergänzungsverlangen (§ 122 Abs. 2)

1.

Allgemeines

Die Anberaumung beschlussloser Gegenstände kann hier im Gegensatz zum Einberufungs- 17 verlangen unstreitig verlangt werden.36) Dies ergibt sich aus einem Vergleich mit dem Wortlaut von Absatz 2 Satz 1 a. F., der noch „Gegenstände zur Beschlussfassung“ vorausgesetzt hat.37) _____________ 29) OLG Düsseldorf, Urt. v. 5.7.2012 – I-6 U 69/11, AG 2013, 264, 266; mit Einschränkungen zustimmend Reger, NZG 2013, 536, 537. 30) Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 122 Rz. 52; vgl. auch Weber, NZG 2013, 890, 891. 31) Kubis in: MünchKomm-AktG, § 122 Rz. 14; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 122 Rz. 20. 32) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 122 Rz. 4; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 122 Rz. 14; Spindler/StilzRieckers, AktG, § 122 Rz. 20; a. A. Semler/Volhard/Reichert-Reichert/Balke, ArbHdb. HV, § 4 Rz. 46 – Pflicht des Vorstands zur Absage der einberufenen Hauptversammlung, wenn er nicht diese zum Wohle der Gesellschaft für erforderlich hält. 33) BGH, Urt. v. 30.6.2015 – II ZR 142/14, ZIP 2015, 2069, 2071, dazu EWiR 2015, 661 (Bayer/Scholz); ausführlich Cziupka/Kraatz, DNotZ 2016, 15 ff. 34) Gegen ein solches „Entsprechen“ unter Verweis auf den Schutzzweck von § 122 im Fall der wirksamen Absage der einberufenen Hauptversammlung Cziupka/Kraatz, DNotZ 2016, 15, 20. 35) Begr. RegE z. Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr, BT-Drucks. 14/4987, S. 30; Halberkamp/Gierke, NZG 2004, 494, 496; Grigoleit-Herrler, AktG, § 122 Rz. 10. 36) Florstedt, ZIP 2010, 761, 765; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 122 Rz. 35 m. w. N. 37) Hölters-Drinhausen, AktG, § 122 Rz. 18.

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§ 122 2.

Einberufung auf Verlangen einer Minderheit Aktionärseigenschaft, Quorum

18 Erforderlich ist ein Quorum von 5 % des Grundkapitals oder eines anteiligen Nennbetrags (§ 8 Abs. 3 Satz 3) von 500.000 € (für die SE nach Art. 56 SE-VO i. V. m. § 50 Abs. 2 SEAG). Die Ausgestaltung als Minderheitenrecht hindert nicht die Geltendmachung durch einen Mehrheitsaktionär.38) 3.

Mindestbesitzzeit

19 Auch i. R. des Ergänzungsverlangens gilt nunmehr die Neunzig-Tage-Frist vor dem Tag des Zugangs beim Vorstand (siehe näher Rz. 5). Bei der Berechnung der Besitzzeit gilt wiederum § 70. Bei der SE ist dieses Erfordernis nicht übernommen (Art. 56 SE-VO i. V. m. § 50 Abs. 2 SEAG). 4.

Antrag, Adressat, Frist

20 Zu Form und Adressat siehe Rz. 8 ff. Gemäß § 122 Abs. 2 Satz 2 muss jedem neuen Beschlussgegenstand eine Begründung oder Beschlussvorlage beiliegen.39) Dem Wortlaut entsprechend („oder“) wird überwiegend angenommen, dass auch beim Verlangen nach Beschlussgegenständen eine Begründung ausreichend und keine Beschlussvorlage erforderlich ist.40) Teilweise wird vorgebracht, die Anforderungen an die Begründung entsprechen denen des § 126 Abs. 1,41) was dem Gesetzeswortlaut jedoch nicht zu entnehmen ist. 21 Das Ergänzungsverlangen muss der Gesellschaft spätestens zu dem in § 122 Abs. 2 Satz 3 genannten Zeitpunkt zugehen, d. h. bei börsennotierten Gesellschaften mindestens 30 Tage, bei sonstigen Gesellschaften mindestens 24 Tage vor der Hauptversammlung. Für die Fristberechnung gilt § 121 Abs. 7. Es bleibt dem Vorstand jedoch unbenommen, verfristete Anträge gleichwohl unverzüglich nach Zugang (§ 124 Abs. 1 Satz 1) der Tagesordnung hinzuzufügen.42) Ansonsten sind verspätete Anträge nach bestrittener Ansicht bei der nächsten Hauptversammlung zu berücksichtigen, sofern dies inhaltlich noch sinnvoll erscheint.43) Das ist jedoch zu weitgehend. 22 Zu den Schranken eines Ergänzungsverlangens gilt das oben Ausgeführte mit der Maßgabe, dass an die Annahme des Rechtsmissbrauchs höhere Anforderungen zu stellen sind, da im Fall eines Ergänzungsverlangens die Hauptversammlung ohnehin stattfindet, sodass für die Gesellschaft weniger Mehraufwand entsteht.44) 5.

Rücknahme des Ergänzungsverlangens

23 Die Rücknahme folgt grundsätzlich denselben Regeln wie bei der Einberufung (siehe Rz. 14).45) Erfolgt sie bis zur Bekanntgabe des Ergänzungsverlangens, ist der Vorstand _____________ 38) OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 19.6.2017 – 5 U 150/16, ZIP 2017, 1714, 1716. 39) Henssler/Strohn-Liebscher, GesR, § 122 AktG Rz. 9; einschränkend Kubis in: MünchKomm-AktG, § 122 Rz. 32, der die Begründungspflicht nur bei beschlusslosen Gegenständen bejaht und bei Beschlussgegenständen eine Beschlussvorlage für erforderlich hält. 40) Kocher, AG 2013, 406, 407; Grigoleit-Herrler, AktG, § 122 Rz. 12; Heidel-Müller, AktR, § 122 AktG Rz. 26; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 122 Rz. 41; a. A. K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 122 Rz. 45; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 122 Rz. 32. 41) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 122 Rz. 41a. 42) Vgl. nur Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 122 Rz. 46 – bloße Organisationsfrist. 43) KG, Beschl. v. 3.12.2002 – 1 W 363/02, ZIP 2003, 1042, 1044; Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 122 Rz. 46, a. A. Butzke in: GroßKomm-AktG, § 122 Rz. 59; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 122 Rz. 42; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 122 Rz. 41, mit der Begründung, Ergänzungsverlangen bezögen sich stets auf eine bestimmte Hauptversammlung. 44) LG Frankfurt/M., Beschl. v. 10.12.2003 – 3-16 T 17/03, DB 2004, 300; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 122 Rz. 45 m. w. N. 45) Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 122 Rz. 52; Grigoleit-Herrler, AktG, § 122 Rz. 13.

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Einberufung auf Verlangen einer Minderheit

§ 122

zur Streichung des Tagesordnungspunktes berechtigt, danach nur noch die Hauptversammlung.46) Begründet wird diese Einschränkung mit möglichen Vorbereitungen der Aktionäre (etwa Briefwählern) für die Abstimmung über den bekannt gemachten Tagesordnungspunkt und einer daraus folgenden denkbaren Ergebnisverzerrung, wenn von mehreren zusammenhängenden Tagesordnungspunkten einer gestrichen wird.47) 6.

Rechtsfolge

Der Vorstand muss die Veröffentlichung des Ergänzungsverlangens gemäß § 124 Abs. 1 24 Satz 1 und § 124a Satz 2 unverzüglich vornehmen.48) Fraglich ist, ob der Zeitpunkt eines Record Date nach § 123 Abs. 4 ein Enddatum für eine spätest mögliche Veröffentlichung setzt. Bei börsennotierten Aktiengesellschaften wird aus Art. 6 Abs. 4 Satz 1 Aktionärsrechterichtlinie abgeleitet, dass eine Veröffentlichung nach dem Record Date nicht mehr zulässig ist.49) Bei nicht börsennotierten Aktiengesellschaften mit satzungsmäßigem Record Date (siehe § 123 Rz. 14) gilt dies hingegen nicht, sondern es bleibt bei § 121 Abs. 1 BGB, da sonst aufgrund der bei börsenfernen Aktiengesellschaften sechs Tage länger bestehenden Möglichkeit des Ergänzungsantrags keine Zeit mehr zur Prüfung bliebe.50) Die Minderheit hat nach überwiegender Ansicht das Recht zur inhaltlichen Diskussion der aufgenommenen Tagesordnungspunkte.51) 7.

Satzungsregelungen

Auch hier kann die Satzung nur Erleichterungen zugunsten der Aktionäre vorsehen.52) IV.

25

Gerichtliche Geltendmachung (§ 122 Abs. 3) und Kosten (§ 122 Abs. 4)

Ausdruck des Minderheitenschutzes ist die Möglichkeit der gerichtlichen Durchsetzung 26 der Rechte aus Absatz 1 und 2, sofern der Vorstand seiner Einberufungs- oder Ergänzungspflicht nicht nachkommt. Neben der Ermächtigung der Minderheit zur Einberufung der Hauptversammlung kann das Gericht ihren Vorsitzenden festlegen. 1.

Zuständigkeit

Die Zuständigkeit liegt beim AG (§ 23a Abs. 2 Nr. 4 GVG i. V. m. § 375 Nr. 3 FamFG), 27 für die örtliche Zuständigkeit sind §§ 376 Abs. 1, 377 FamFG zu beachten.53) 2.

Antragsberechtigung

Antragsberechtigt sind die Aktionäre, die das Verlangen nach § 122 Abs. 1 oder 2 vorge- 28 bracht haben, sowie ihre Gesamtrechtsnachfolger.54) Solange das Quorum erfüllt ist, ist _____________ 46) Butzke in: GroßKomm-AktG, § 122 Rz. 72; Hüffer/Koch-Koch, § 122 Rz. 9a; Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 122 Rz. 53. 47) Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 122 Rz. 53. 48) Kubis in: MünchKomm-AktG, § 122 Rz. 34. 49) Vgl. v. d. Linden, EWiR 2017, 653 m. w. N. 50) OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 19.6.2017 – 5 U 150/16, ZIP 2017, 1714, 1715 f.; dazu v. d. Linden, EWiR 2017, 653. a. A. noch die Vorinstanz: LG Frankfurt/M., Urt. v. 27.10.2016 – 3-5 O 157/16, AG 2017, 366, 366 f. = ZIP 2017, 377. 51) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 122 Rz. 9a m. w. N. 52) Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 122 Rz. 39; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 122 Rz. 40. 53) Kubis in: MünchKomm-AktG, § 122 Rz. 44; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 122 Rz. 54. 54) Nach überwiegender Ansicht aufgrund des zwischenzeitlich bestehenden Verweises auf § 142 Abs. 2 Satz 2 nicht Einzelrechtsnachfolger, Kubis in: MünchKomm-AktG, § 122 Rz. 45; ohne Begründung ebenso Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 122 Rz. 50 m. w. N.

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§ 122

Einberufung auf Verlangen einer Minderheit

es unschädlich, wenn einzelne Aktionäre den Antrag nicht unterstützen, die ursprünglich das Einberufungs- oder Ergänzungsverlangen mitgetragen haben.55) 3.

Antragsfrist

29 Eine Antragsfrist ist nicht vorgesehen, jedoch kann übermäßiges Zuwarten zur Unzulässigkeit des Antrags führen.56) 4.

Entscheidung des Gerichts

30 Die Entscheidung erfolgt durch Beschluss (§ 38 Abs. 1 Satz 1 FamFG). Dem Gericht steht kein Ermessen zu, d. h. bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 122 Abs. 1 bzw. 2 ist dem Antrag stattzugeben.57) 5.

Versammlungsleiter

31 Auf Anregung oder von Amts wegen bestimmt das Gericht den Versammlungsleiter (§ 122 Abs. 3 Satz 2). Einen anderen als den satzungsmäßigen darf es nur bestimmen, wenn bei diesem konkrete Anhaltspunkte bestehen, er werde die Versammlung nicht neutral leiten.58) Im Falle des § 122 Abs. 2 wird er nur bei den Tagesordnungspunkten tätig, die Gegenstand des Minderheitsverlangens sind.59) Das Gericht soll über den Wortlaut hinaus („zugleich“) auch unabhängig von der Entsprechung des Minderheitsverlangens und Einberufung der Hauptversammlung durch den Vorstand isoliert einen Versammlungsleiter bestimmen können, wenn sich nach der Einberufung die Befangenheit des eigentlich vorgesehenen Versammlungsleiters offenbart.60) 6.

Erledigung

32 Wenn die Hauptversammlung zwischenzeitlich entsprechend dem Verlangen gesetzes- und satzungsgemäß einberufen und durchgeführt worden ist, tritt im gerichtlichen Verfahren gemäß § 122 Abs. 1 bis 3 die Hauptsacheerledigung ein.61) 7.

Rechtsbehelf

33 Gemäß § 122 Abs. 3 Satz 4 ist die Beschwerde (§ 63 FamFG) zulässig, deren Einlegung allerdings keinen Suspensiveffekt auslöst.62) 8.

Einberufung durch die Aktionäre

34 Gibt das Gericht dem Antrag statt, so können die Aktionäre die Einberufung und Vorbereitung in eigenem Namen vornehmen63) und haben in der Einberufung bzw. in der Be_____________ 55) LG Duisburg, Beschl. v. 21.8.2003 – 21 T 6/02, ZIP 2004, 76, 77. 56) Ganz h. M., vgl. nur Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 122 Rz. 53 m. w. N.; Grigoleit-Herrler, AktG, § 122 Rz. 14. 57) OLG München, Beschl. v. 9.11.2009 – 31 Wx 134/09, AG 2010, 84, 85; OLG Stuttgart, Beschl. v. 25.11.2008 – 8 W 370/08, AG 2009, 169, 170; AG Stuttgart, Beschl. v. 15.3.2006 – HRB 19360, AG 2006, 514, 514. 58) Hoffmann-Becking, NZG 2017, 281, 283 m. w. N. 59) Vgl. K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 122 Rz. 58 m. w. N.; Heidel-Müller, AktR, § 122 AktG Rz. 32; ausführlich hierzu Theusinger/Schilha, NZG 2016, 56 ff. 60) OLG Hamburg, Beschl. v. 16.12.2011 – 11 W 89/11, AG 2012, 294, 295; sehr weitergehend OLG Köln, Urt. v. 9.3.2017 – 18 U 19/16, ZIP 2017, 1211 = AG 2017, 351 m. N., dazu EWiR 2017, 393 (Klaaßen-Kaiser/Bünten). Ausführlich Hoffmann-Becking, NZG 2017, 281, 283. 61) BGH, Beschl. v. 8.5.2012 – II ZB 17/11, ZIP 2012, 1313, 1314, dazu EWiR 2012, 581 (Kort). 62) Umkehrschluss aus § 64 Abs. 3 FamFG, Kubis in: MünchKomm-AktG, § 122 Rz. 64; ebenso Noack/ Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 122 Rz. 107. 63) Hölters-Drinhausen, AktG, § 122 Rz. 24; Heidel-Müller, AktR, § 122 AktG Rz. 34.

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Frist, Anmeldung zur Hauptversammlung, Nachweis

§ 123

kanntmachung auf die Gerichtsentscheidung hinzuweisen (§ 122 Abs. 3 Satz 3); ansonsten droht die Anfechtbarkeit gefasster Beschlüsse nach § 243 Abs. 1.64) Hierbei genügt die Angabe „aufgrund gerichtlicher Ermächtigung“.65) Die Form der Einberufung richtet sich nach den §§ 121, 123 und 124.66) Nach neuer Gesetzeslage ist zwar geklärt, dass das Quorum jedenfalls zum Zeitpunkt der Gerichtsentscheidung bestehen muss, nicht aber, ob dies auch noch zum Zeitpunkt der Einberufung durch die Aktionäre erforderlich ist (siehe ausführlich Rz. 6). Zur Einberufung sind nur die den Antrag stellenden Aktionäre und ihre Gesamtrechtsnachfolger berechtigt.67) Eine vom Gericht etwa gesetzte Ausübungsfrist (vgl. für die SE Art. 55 Abs. 3 S. 1 SE-VO) ist einzuhalten; ohne eine solche haben die Aktionäre in angemessener Zeit die Einberufung bzw. Anpassung der Tagesordnung vorzunehmen.68) Unterläuft den ermächtigten Aktionären ein Einberufungsfehler, der zur Nichtigkeit der in der folgenden Hauptversammlung gefassten Beschlüsse führt, verbraucht dies nach der Rechtsprechung des BGH69) die Ermächtigung nicht, um die Aktionäre nicht auf eine erneute gerichtliche Ermächtigung zu verweisen. Offen ist, wie dies bei bloßer Anfechtbarkeit von Beschlüssen gesehen würde. 9.

Kosten (§ 122 Abs. 4)

Die Gesellschaft trägt letztlich die Kosten der Hauptversammlung; dies kann nicht durch 35 Hauptversammlungsbeschluss ausgeschlossen werden.70) Die Aktionäre müssen Verträge im eigenen Namen abschließen, haben aber einen Freistellungsanspruch gegen die Gesellschaft.71) Die Gerichtskosten können der Gesellschaft auferlegt werden, wenn das Gericht dem 36 Minderheitsverlangen stattgibt. Andernfalls kann das Gericht nach § 81 FamFG verfahren und die Gerichtskosten nach billigem Ermessen teilen. Außergerichtliche Kosten sind grundsätzlich von jedem Beteiligten selbst zu tragen, das Gericht kann jedoch aus Billigkeitsgründen nach § 81 FamFG verfahren.72) _____________ 64) Henssler/Strohn-Liebscher, GesR, § 122 AktG Rz. 13; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 122 Rz. 66 m. w. N. 65) Ganz h. M., vgl. nur K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 122 Rz. 60 m. w. N.; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 122 Rz. 66 m. w. N. 66) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG; § 122 Rz. 64 m. w. N.; vgl. auch K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 122 Rz. 61. 67) Vgl. K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 122 Rz. 59 m. w. N.; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 122 Rz. 67; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 122 Rz. 66. Zur Möglichkeit, eine einstweilige Verfügung auf Vornahme der Maßnahmen nach §§ 124, 125 gegen die AG zu erwirken vgl. LG München I, Beschl. v. 19.4.2018 – 5 HK O 5426/18, ZIP 2018, 875 f. 68) Kubis in: MünchKomm-AktG, § 122 Rz. 68. 69) BGH, Urt. v. 10.10.2017 – II ZR 375/15, ZIP 2017, 2245, 2251 f. 70) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 122 Rz. 69; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 122 Rz. 73. 71) Ganz h. M., vgl. nur Kubis in: MünchKomm-AktG, § 122 Rz. 73 m. w. N. 72) Vgl. Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 122 Rz. 70 f. m. w. N.; Grigoleit-Herrler, AktG, § 122 Rz. 19.

§ 123 Frist, Anmeldung zur Hauptversammlung, Nachweis (1) 1Die Hauptversammlung ist mindestens dreißig Tage vor dem Tage der Versammlung einzuberufen. 2Der Tag der Einberufung ist nicht mitzurechnen. (2) 1Die Satzung kann die Teilnahme an der Hauptversammlung oder die Ausübung des Stimmrechts davon abhängig machen, dass die Aktionäre sich vor der Versammlung anmelden. 2Die Anmeldung muss der Gesellschaft unter der in der Einberufung hierfür mitgeteilten Adresse mindestens sechs Tage vor der Versammlung zugehen. Dirk Kocher

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Frist, Anmeldung zur Hauptversammlung, Nachweis

§ 123

kanntmachung auf die Gerichtsentscheidung hinzuweisen (§ 122 Abs. 3 Satz 3); ansonsten droht die Anfechtbarkeit gefasster Beschlüsse nach § 243 Abs. 1.64) Hierbei genügt die Angabe „aufgrund gerichtlicher Ermächtigung“.65) Die Form der Einberufung richtet sich nach den §§ 121, 123 und 124.66) Nach neuer Gesetzeslage ist zwar geklärt, dass das Quorum jedenfalls zum Zeitpunkt der Gerichtsentscheidung bestehen muss, nicht aber, ob dies auch noch zum Zeitpunkt der Einberufung durch die Aktionäre erforderlich ist (siehe ausführlich Rz. 6). Zur Einberufung sind nur die den Antrag stellenden Aktionäre und ihre Gesamtrechtsnachfolger berechtigt.67) Eine vom Gericht etwa gesetzte Ausübungsfrist (vgl. für die SE Art. 55 Abs. 3 S. 1 SE-VO) ist einzuhalten; ohne eine solche haben die Aktionäre in angemessener Zeit die Einberufung bzw. Anpassung der Tagesordnung vorzunehmen.68) Unterläuft den ermächtigten Aktionären ein Einberufungsfehler, der zur Nichtigkeit der in der folgenden Hauptversammlung gefassten Beschlüsse führt, verbraucht dies nach der Rechtsprechung des BGH69) die Ermächtigung nicht, um die Aktionäre nicht auf eine erneute gerichtliche Ermächtigung zu verweisen. Offen ist, wie dies bei bloßer Anfechtbarkeit von Beschlüssen gesehen würde. 9.

Kosten (§ 122 Abs. 4)

Die Gesellschaft trägt letztlich die Kosten der Hauptversammlung; dies kann nicht durch 35 Hauptversammlungsbeschluss ausgeschlossen werden.70) Die Aktionäre müssen Verträge im eigenen Namen abschließen, haben aber einen Freistellungsanspruch gegen die Gesellschaft.71) Die Gerichtskosten können der Gesellschaft auferlegt werden, wenn das Gericht dem 36 Minderheitsverlangen stattgibt. Andernfalls kann das Gericht nach § 81 FamFG verfahren und die Gerichtskosten nach billigem Ermessen teilen. Außergerichtliche Kosten sind grundsätzlich von jedem Beteiligten selbst zu tragen, das Gericht kann jedoch aus Billigkeitsgründen nach § 81 FamFG verfahren.72) _____________ 64) Henssler/Strohn-Liebscher, GesR, § 122 AktG Rz. 13; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 122 Rz. 66 m. w. N. 65) Ganz h. M., vgl. nur K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 122 Rz. 60 m. w. N.; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 122 Rz. 66 m. w. N. 66) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG; § 122 Rz. 64 m. w. N.; vgl. auch K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 122 Rz. 61. 67) Vgl. K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 122 Rz. 59 m. w. N.; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 122 Rz. 67; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 122 Rz. 66. Zur Möglichkeit, eine einstweilige Verfügung auf Vornahme der Maßnahmen nach §§ 124, 125 gegen die AG zu erwirken vgl. LG München I, Beschl. v. 19.4.2018 – 5 HK O 5426/18, ZIP 2018, 875 f. 68) Kubis in: MünchKomm-AktG, § 122 Rz. 68. 69) BGH, Urt. v. 10.10.2017 – II ZR 375/15, ZIP 2017, 2245, 2251 f. 70) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 122 Rz. 69; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 122 Rz. 73. 71) Ganz h. M., vgl. nur Kubis in: MünchKomm-AktG, § 122 Rz. 73 m. w. N. 72) Vgl. Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 122 Rz. 70 f. m. w. N.; Grigoleit-Herrler, AktG, § 122 Rz. 19.

§ 123 Frist, Anmeldung zur Hauptversammlung, Nachweis (1) 1Die Hauptversammlung ist mindestens dreißig Tage vor dem Tage der Versammlung einzuberufen. 2Der Tag der Einberufung ist nicht mitzurechnen. (2) 1Die Satzung kann die Teilnahme an der Hauptversammlung oder die Ausübung des Stimmrechts davon abhängig machen, dass die Aktionäre sich vor der Versammlung anmelden. 2Die Anmeldung muss der Gesellschaft unter der in der Einberufung hierfür mitgeteilten Adresse mindestens sechs Tage vor der Versammlung zugehen. Dirk Kocher

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§ 123

Frist, Anmeldung zur Hauptversammlung, Nachweis

3

In der Satzung oder in der Einberufung auf Grund einer Ermächtigung durch die Satzung kann eine kürzere, in Tagen zu bemessende Frist vorgesehen werden. 4Der Tag des Zugangs ist nicht mitzurechnen. 5Die Mindestfrist des Absatzes 1 verlängert sich um die Tage der Anmeldefrist. (3) Die Satzung kann bestimmen, wie die Berechtigung zur Teilnahme an der Versammlung oder zur Ausübung des Stimmrechts nachzuweisen ist; Absatz 2 Satz 5 gilt in diesem Fall entsprechend. (4) 1Bei Inhaberaktien börsennotierter Gesellschaften reicht ein durch das depotführende Institut in Textform erstellter besonderer Nachweis des Anteilsbesitzers aus. 2Der Nachweis hat sich bei börsennotierten Gesellschaften auf den Beginn des 21. Tages vor der Versammlung zu beziehen und muss der Gesellschaft unter der in der Einberufung hierfür mitgeteilten Adresse mindestens sechs Tage vor der Versammlung zugehen. 3In der Satzung oder in der Einberufung auf Grund einer Ermächtigung durch die Satzung kann eine kürzere, in Tagen zu bemessende Frist vorgesehen werden. 4Der Tag des Zugangs ist nicht mitzurechnen. 5Im Verhältnis zur Gesellschaft gilt für die Teilnahme an der Versammlung oder für die Ausübung des Stimmrechts als Aktionär nur, wer den Nachweis erbracht hat. (5) Bei Namensaktien börsennotierter Gesellschaften folgt die Berechtigung zur Teilnahme an der Versammlung oder zur Ausübung des Stimmrechts gemäß § 67 Absatz 2 Satz 1 aus der Eintragung im Aktienregister. Literatur: Bayer/Lieder, Umschreibungsstopp bei Namensaktien vor Durchführung der Hauptversammlung, NZG 2009, 1361; Bayer/Scholz/Weiß, Anmeldung und Berechtigungsnachweis bei Einberufung einer Hauptversammlung durch die Aktionärsminderheit gem. § 122 Abs. 3 AktG, AG 2013, 742; Bedkowski/Kocher, Termin der ordentlichen Hauptversammlung nach EHUG und TUG, AG 2007, 342; Götze/Nartowska, Der Regierungsentwurf der Aktienrechtsnovelle 2014 – Anmerkungen aus der Praxis, NZG 2015, 298; Grobecker, Beachtenswertes zur Hauptversammlungssaison, NZG 2010, 165; Grunewald, Die Rechtsstellung des Legitimationsaktionärs, ZGR 2015, 347; Linnerz/Hoppe, Die Form der Anmeldung zur Hauptversammlung – eine in der Praxis unterschätzte Formalie?, BB 2016, 1098; Mohamed, Der Berechtigungsnachweis für die Hauptversammlung in neuem Gewande – von der Legitimationsmethodik 2.0 über die Aktienrechtsnovelle 2016, ZIP 2016, 1100; Noack, Briefwahl und Online-Teilnahme an der Hauptversammlung: der neue 118 AktG, WM 2009, 2289; v. Nussbaum, Zu Nachweisstichtag (record date) und Eintragungssperre bei Namensaktien, NZG 2009, 456.

Übersicht I. Regelungsgehalt und Bedeutung ... 1 II. Einberufungsfrist (§ 123 Abs. 1) ..... 2 1. Dauer .................................................. 2 2. Fristberechnung ................................. 3 III. Anmeldung (§ 123 Abs. 2) ............... 4 1. Anmeldeerfordernis ........................... 4 2. Anmeldefrist ...................................... 6 IV. Legitimation (§ 123 Abs. 3) ............. 7 1. Grundsätzliches ................................. 7 2. Satzungsregelungen für börsenferne Gesellschaften ........................ 12 a) Allgemeines ............................... 12 b) Satzungsfreiheit ......................... 13

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V. Modifikationen für börsennotierte Gesellschaften (§ 123 Abs. 4, Abs. 5) .................................. 14 1. Allgemeines ....................................... 14 2. Berechtigungsnachweis bei Inhaberaktien (§ 123 Abs. 4) ........... 15 a) Form des Nachweises (§ 123 Abs. 4 Satz 1) .................. 15 b) Record Date (§ 123 Abs. 4 Satz 2) ......................................... 16 3. Berechtigungsnachweis bei Namensaktien (§ 123 Abs. 5) .......... 22 VI. Rechtsfolgen von Verstößen .......... 25

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Frist, Anmeldung zur Hauptversammlung, Nachweis I.

§ 123

Regelungsgehalt und Bedeutung

§ 123 regelt die Einberufungsfrist für die Hauptversammlung (§ 123 Abs. 1), Möglichkeiten 1 und Grenzen von satzungsmäßigen Anmeldeerfordernissen (§ 123 Abs. 2) und Teilnahmerechtsnachweisen (§ 123 Abs. 3 bis 5). Normzweck ist es, den Aktionären ausreichend Zeit für ihre Vorbereitung zu gewähren und sie vor übermäßig strengen Teilnahmebedingungen zu bewahren.1) Gleichzeitig soll richtigerweise der AG eine rechtssichere Berechtigungskontrolle ermöglicht werden. II.

Einberufungsfrist (§ 123 Abs. 1)

1.

Dauer

Die Einberufungsfrist beträgt mindestens 30 Tage; soweit in der Satzung ein Anmelde- 2 erfordernis gemäß § 123 Abs. 2 vorgesehen ist, verlängert sich diese Mindestfrist nach § 123 Abs. 2 Satz 5 um die in Abs. 2 Satz 2 bestimmte oder per Satzung verkürzte Anmeldefrist. Eine Verkürzung der Einberufungsfrist auf 14 Tage ist in § 16 Abs. 4 WpÜG für Übernahmesachverhalte vorgesehen. Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 3 FMStBG ist die Einberufung einer Hauptversammlung, die über Kapitalerhöhungen i. R. einer Rekapitalisierung nach § 7 FMStFG entscheiden soll, spätestens am 21. Tag vor der Hauptversammlung zu bewirken. Soweit die nach §§ 61 Satz 1, 63 Abs. 1, 125 Satz 1 UmwG i. V. m. § 123 Abs. 1 AktG maßgebliche Dreißig-Tages-Frist kürzer ist als die in Art. 6, 11 Abs. 1 der Fusionsrichtlinie2) und Art. 4, 9 Abs. 1 der Spaltungsrichtlinie3) vorgesehene Monatsfrist, ist letztere maßgeblich.4) Eine Ausdehnung der Frist auf mehr als zehn bis zwölf Wochen wird zum Teil kritisch gesehen und vom Vorliegen einer besonderen Rechtfertigung abhängig gemacht; ggf. kann der Vergessensgefahr mit einer Erinerungsbekanntmachung vorgebeugt werden.5) 2.

Fristberechnung

Diese richtet sich nach § 121 Abs. 7. Der Tag der Hauptversammlung ist nicht mitzurech- 3 nen. Dasselbe gilt nach § 123 Abs. 1 Satz 2 für den Tag der Einberufung. Die Einberufung ist somit spätestens zum Ablauf (24:00 Uhr) des 31. Tages vor der Hauptversammlung zu bewirken.6) Maßgeblich ist die Bekanntmachung im Bundesanzeiger (§ 25) bzw. die Absendung von Einschreiben gemäß § 121 Abs. 4 Satz 2 (siehe § 121 Rz. 25).7) III.

Anmeldung (§ 123 Abs. 2)

1.

Anmeldeerfordernis

Die Satzung kann ein solches für die Teilnahme an der Hauptversammlung oder die Stimm- 4 rechtsausübung vorsehen. Zulässig ist eine Regelung, wonach die Anmeldung mit einem Berechtigungsnachweis zu verbinden ist.8) § 123 Abs. 2 differenziert nicht zwischen Namens- und Inhaberaktien, sodass für beide ein Anmeldeerfordernis begründet werden kann.9) Soweit die Satzung keine Regelung zur Form der Anmeldung trifft, ist sie formlos _____________ 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8) 9)

Allg. M., vgl. nur Kubis in: MünchKomm-AktG, § 123 Rz. 1; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 123 Rz. 1. Dritte Richtlinie 78/855/EWG des Rates v. 9.10.1978 gemäß Art. 54 Abs. 3 lit. g des Vertrages betreffend die Verschmelzung von Aktiengesellschaften, ABl. (EG) Nr. L 295/36 v. 20.10.1978. Sechste Richtlinie 82/891/EWG des Rates v. 17.12.1982 gemäß Art. 54 Abs. 3 lit. g des Vertrages betreffend die Spaltung von Aktiengesellschaften, ABl. (EG) Nr. L 378/47 v. 31.12.1982. Vgl. Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 123 Rz. 5 m. w. N.; Grigoleit-Herrler, AktG, § 123 Rz. 3; Hüffer/ Koch-Koch, AktG, § 123 Rz. 2. Näher hierzu Bedkowski/Kocher, AG 2007, 342, 344 f. Begr. RegE z. ARUG, BT-Drucks. 16/11642, S. 29. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 123 Rz. 2; Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 123 Rz. 43 ff. Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 123 Rz. 8; Bürgers/Körber-Reger, AktG, § 123 Rz. 6. Vgl. Begr. RegE z. UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 13.

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§ 123

Frist, Anmeldung zur Hauptversammlung, Nachweis

möglich.10) Ob ein in der Einberufung ohne Satzungsgrundlage vorgesehenes Formerfordernis für die Anmeldung zur Anfechtbarkeit gefasster Beschlüsse führt, ist ungeklärt.11) Jedenfalls bei Bestehen eines Legitimationserfordernisses (z. B. § 123 Abs. 4 bei Inhaberaktien), dessen Form auf die Anmeldung erstreckt wird, ist das mangels Erschwernisses zu verneinen. Auch muss der Gesellschaft auch bei Namensaktien eine Identitätsprüfung ermöglicht werden. Die Satzung darf an die Form keine übermäßigen Anforderungen stellen (z. B. notarielle Beglaubigung).12) Die Anmeldung durch einen Stellvertreter ist möglich.13) Legitimationsaktionäre müssen sich bei Namensaktien im Namen des Aktionärs anmelden, sofern sie nicht selbst im Aktienregister eingetragen sind.14) 5 Sieht die Satzung für die Stimmrechtsausübung ein Anmeldeerfordernis vor, so gilt dies im Grundsatz neben der Online-Teilnahme (siehe § 118 Rz. 13 ff.) auch für die Briefwahl, soweit die Satzung die Briefwahl nicht hiervon ausnimmt.15) In der Anforderung der Briefwahlunterlagen kann eine konkludente Anmeldung jedenfalls zur Briefwahl zu sehen sein.16) Wird die Briefwahl über einen Internetdialog ermöglicht, werden hierfür regelmäßig Zugangsdaten notwendig sein, die dem Briefwähler erst nach Anmeldung übersandt werden. 2.

Anmeldefrist

6 Gemäß § 123 Abs. 2 Satz 2 beträgt die Anmeldefrist mindestens sechs Tage vor der Hauptversammlung, wenn nicht die Satzung gemäß § 123 Abs. 2 Satz 3 eine kürzere Frist vorsieht. Die Anmeldefrist ist nach § 121 Abs. 7 zu berechnen. Der Tag des Zugangs ist dabei nicht mitzurechnen (§ 123 Abs. 2 Satz 4). Die Anmeldung muss daher der Gesellschaft spätestens am siebten Tage vor dem Tag der Hauptversammlung zugehen.17) Die Gesellschaft kann (muss aber nicht) verspätete Anmeldungen unter Wahrung der Gleichbehandlung akzeptieren.18) IV.

Legitimation (§ 123 Abs. 3)

1.

Grundsätzliches

7 § 123 Abs. 3 eröffnet die Möglichkeit, in der Satzung zu bestimmen, wie sich Teilnehmer an der Hauptversammlung als Aktionäre zu legitimieren haben. Von dieser allgemeinen Regel sind Inhaber- und Namensaktien erfasst.19) Abs. 4 und 5 regeln jeweils Einzelheiten zu beiden Aktienformen, die für börsennotierte Gesellschaften gelten. Abs. 3 gilt ohne Abänderung nur für nicht börsennotierte Gesellschaften.20) Gemäß § 123 Abs. 3 ist nur teilnahme- und stimmberechtigt, wer den Nachweis in der in der Satzung vorgesehenen Form erbracht hat.21) _____________ 10) Linnerz/Hoppe, BB 2016, 1098, 1099; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 123 Rz. 9 m. w. N. 11) Hierzu Linnerz/Hoppe, BB 2016, 1098, 1101. 12) Hölters-Drinhausen, AktG, § 123 Rz. 8; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 123 Rz. 11 – Schriftform zulässig; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 123 Rz. 9. 13) Grigoleit-Herrler, AktG, § 123 Rz. 5; zu Ausnahmen von der grundsätzlich zu wahrenden Offenheit bei der Vertretung von Inhaberaktien vgl. Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 123 Rz. 10. 14) Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 123 Rz. 99; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 123 Rz. 10 – im Teilnehmerverzeichnis erscheint allein der Legitimationsaktionär. 15) Vgl. Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 123 Rz. 12; Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 123 Rz. 93. 16) Vgl. Noack, WM 2009, 2289, 2291; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 123 Rz. 12 m. w. N. 17) Hölters-Drinhausen, AktG, § 123 Rz. 6; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 123 Rz. 13. 18) Vgl. z. B. Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 123 Rz. 125 f. 19) Henssler/Strohn-Liebscher, GesR, § 123 AktG Rz. 7; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 123 Rz. 9. 20) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 123 Rz. 9. 21) Zu Spaltgesellschaften s. BGH, Urt. v. 25.9.1989 – II ZR 53/89, ZIP 1989, 1546.

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Frist, Anmeldung zur Hauptversammlung, Nachweis

§ 123

Soweit die Satzung keine Regelung zum Berechtigungsnachweis trifft, hat sich nach allge- 8 meinen Grundsätzen derjenige, der Rechte ausüben möchte, als Berechtigter zu legitimieren, soweit nicht der andere Teil die entsprechenden Unterlagen vorhalten muss.22) Zu differenzieren ist nach verbrieften und unverbrieften Aktien. Handelt es sich um 9 verbriefte Inhaberaktien, so genügt jedenfalls die Vorlage der Aktienurkunde; sie ist indes nicht erforderlich. Ausreichend ist ebenfalls die Vorlage einer Bescheinigung des depotführenden Kreditinstituts.23) Bei verbrieften Namensaktien gilt im Ausgangspunkt die Eintragung ins Aktienregister gemäß § 67 Abs. 2 (zur Satzungsfreiheit börsenferner Gesellschaften siehe Rz. 13). Für unverbriefte Aktien – gleich ob Namens- oder Inhaberaktien – gilt, dass ein Nach- 10 weis der Zeichnung nicht erforderlich ist, da die Gesellschaft diesbezügliche Unterlagen vorzuhalten hat.24) Dagegen haben sowohl der Einzel- als auch der Gesamtrechtsnachfolger den Nachweis ihrer Berechtigung zu führen. Bei Abtretungen ist dieser Nachweis durch eine lückenlose Kette von Abtretungsurkunden zu erbringen.25) Eine Rechtsnachfolge durch Erbschaft kann durch Vorlage eines Erbscheins nachgewiesen werden (§ 2365 BGB), umwandlungsrechtliche Vorgänge durch Vorlage des Handelsregisterauszugs.26) Voraussetzung des Stimmrechts ist grundsätzlich die vollständige Erbringung der Einlage, 11 § 134 Abs. 2 Satz 1. Der Aktionär hat diesbezüglich jedoch nicht Nachweis zu führen, da die Gesellschaft über diese Information verfügt.27) 2.

Satzungsregelungen für börsenferne Gesellschaften

a)

Allgemeines

Hierbei handelt es sich um sämtliche Gesellschaften, die nicht börsennotiert i. S. des § 3 12 Abs. 2 sind, insbesondere also auch Gesellschaften, deren Aktien nur im Freiverkehr gehandelt werden.28) b)

Satzungsfreiheit

Im Rahmen der allgemeinen Grenzen besteht weitgehende Satzungsfreiheit hinsichtlich 13 der Legitimationsanforderungen für Inhaber- und Namensaktien.29) Nach v. a. für Namensaktien bestrittener Ansicht kann die nicht börsennotierte Gesellschaft für beide Aktienformen erhöhte Nachweiserfordernisse stellen30) wie etwa Hinterlegungsanforderungen

_____________ 22) Vgl. etwa Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 123 Rz. 19; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 123 Rz. 3. 23) Allg. M., Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 123 Rz. 21; Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 123 Rz. 150; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 123 Rz. 19. 24) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 123 Rz. 22 m. w. N.; Grigoleit-Herrler, AktG, § 123 Rz. 12. 25) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 123 Rz. 3; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 123 Rz. 20 m. w. N.; Noack/ Zetsche in: KölnKomm-AktG, § 123 Rz. 134. 26) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 123 Rz. 22 m. w. N.; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 123 Rz. 42. 27) Vgl. Kubis in: MünchKomm-AktG, § 123 Rz. 21 m. w. N.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 123 Rz. 3. 28) Vgl. Heider in: MünchKomm-AktG, § 3 Rz. 38 m. w. N. 29) Vgl. OLG Stuttgart, Hinweisbeschl. v. 12.10.2007 – 20 U 13/07, ZIP 2008, 182, 182; Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses z. RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5693, S. 17: „Nicht börsennotierte Gesellschaften sollen demgegenüber hinsichtlich der Anforderungen an den Nachweis und den ‚Record Date’ völlige Satzungsautonomie behalten“. 30) Götze/Nartowska, NZG 2015, 298, 301; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 123 Rz. 10; a. A. im Hinblick auf Namensaktien Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 123 Rz. 20, 24 – erhöhte satzungsmäßige Nachweiserfordernisse seien bis auf die Festlegung eines Nachweisstichtages unzulässig, da nur dieser in der Gesetzesbegründung genannt sei.

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§ 123

Frist, Anmeldung zur Hauptversammlung, Nachweis

oder die Vorlage von Aktienurkunden.31) Zulässig ist auch die Regelung eines Nachweisstichtages („Record Date“).32) V.

Modifikationen für börsennotierte Gesellschaften (§ 123 Abs. 4, Abs. 5)

1.

Allgemeines

14 Der Berechtigungsnachweis unterliegt bei börsennotierten Gesellschaften den Maßgaben der Absätze 4 und 5. Soweit dort keine Regelungen getroffen werden, besteht Satzungsfreiheit in den Grenzen des Absatzes 3 (siehe Rz. 13).33) 2.

Berechtigungsnachweis bei Inhaberaktien (§ 123 Abs. 4)

a)

Form des Nachweises (§ 123 Abs. 4 Satz 1)

15 Ein in Textform (§ 126b BGB)34) erstellter besonderer Nachweis des Anteilsbesitzes durch das depotführende Institut ist zum Nachweis der Aktionärseigenschaft ausreichend; dies gilt in jedem Fall unabhängig von Bestehen und Ausgestaltung einer Satzungsregelung.35) Depotführende Institute sind in- und ausländische Kredit- oder Finanzdienstleistungsinstitute i. S. des § 1 Abs. 1 und 1a KWG.36) In der Satzung bestimmte alternative Legitimationsformen sind möglich.37) Dies ist insbesondere dann zweckmäßig, wenn Einzel- oder Sammelurkunden ausgegeben wurden, die privat verwahrt werden.38) Vom Erfordernis der Textform kann abgewichen werden, jedoch ist eine Erschwernis nicht zulässig.39) Weitere Sprachen neben der deutschen, in der/denen der Nachweis erbracht werden kann, können in der Satzung festgelegt werden.40) b)

Record Date (§ 123 Abs. 4 Satz 2)

16 Gesetzlich geregelt ist ein Nachweisstichtag (Record Date) nur für Inhaberaktien. Er fällt auf den 21. Tag vor Beginn der Hauptversammlung. Dies ist der Stichtag, auf den sich der Legitimationsnachweis zu beziehen hat. Eine Sonderregelung trifft § 7 Abs. 1 Satz 4 FMStBG für Hauptversammlungen, die über eine Rekapitalisierung nach § 7 FMStFG Beschluss zu fassen haben: Stichtag ist hier der 18. Tag vor der Hauptversammlung. Dies gilt für sämtliche Formen des Legitimationsnachweises, nicht nur die Bescheinigung des depotführenden Instituts gemäß § 123 Abs. 4 Satz 1.41) 17 Die Bedeutung der Regelung erschließt sich aus einer Zusammenschau mit § 123 Abs. 4 Satz 5. Als Inhaber sämtlicher versammlungsbezogener Rechte (nicht nur des Teilnahme_____________ 31) Kubis in: MünchKomm-AktG, § 123 Rz. 23; bei Fehlen einer Verbriefung kann das Hinterlegungserfordernis den Nachweis durch das depotführende Kreditinstitut genügen lassen, vgl. Henssler/StrohnLiebscher, GesR, § 123 AktG Rz. 8. 32) Unstreitig, Begr. RegE z. Aktienrechtsnovelle 2016, BT-Drucks. 18/4349, S. 23. 33) Böttcher/Carl/Schmidt/Seibert-Schmidt, Die Aktienrechtsnovelle, § 6 Rz. 73. 34) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 123 Rz. 11. 35) Vgl. OLG München, Beschl. v. 17.1.2008 – 7 U 2358/07, AG 2008, 508; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 13.1.2009 – 5 U 13/08, ZIP 2009, 1763, 1764. 36) Begr. RegE z. UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 13. 37) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 123 Rz. 11; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 123 Rz. 28 – kein gesetzlicher Zwang zur Depotverwahrung. 38) Vgl. K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 123 Rz. 44 m. w. N. 39) Begr. RegE z. UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 13 f.; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 123 Rz. 29b. 40) Begr. RegE z. UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 13 f.; nach h. M. muss die Gesellschaft zumindest auch englische Nachweise annehmen, Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 123 Rz. 173; Spindler/StilzRieckers, AktG, § 123 Rz. 29b. 41) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses z. RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5693, S. 17.

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Frist, Anmeldung zur Hauptversammlung, Nachweis

§ 123

rechts) wird danach grundsätzlich unwiderleglich vermutet, wer zu Beginn des Stichtags Aktionär war und im Besitz eines geeigneten, auf diesen Stichtag ausgestellten Nachweises ist.42) Spätere Änderungen sind unerheblich. Umstritten ist, ob auch der Gesamtrechtsnachfolger als Nachweiserbringer anzuerkennen ist.43) Bei Einzelrechtsnachfolge empfiehlt sich eine Vollmacht des Verkäufers. Umstritten bleibt, welche Befugnisse die Gesellschaft bei Zweifeln an der Richtigkeit des Nachweises hat, was v. a. bei Fremdbesitz immer wieder eine Rolle spielt.44) Auf den Stichtag und seine Bedeutung ist in der Einberufung gemäß § 121 Abs. 3 Satz 3 18 Nr. 1 hinzuweisen.45) Für die Berechnung des Stichtags gilt § 121 Abs. 7, d. h. der Tag der Hauptversammlung 19 ist nicht mitzuzählen (§ 121 Abs. 7 Satz 1). Eine Verlegung des Termins findet nicht statt, wenn er auf einen Samstag, Sonntag oder Feiertag fällt (§ 121 Abs. 7 Satz 2). Maßgeblich für den Beginn des Stichtags ist die Ortszeit am Sitz der Gesellschaft.46) Der Nachweis muss nicht am Stichtag ausgestellt werden; eine spätere Ausstellung, die 20 sich auf den Stichtag bezieht, ist ausreichend. Nicht genügend ist dagegen eine Ausstellung des Nachweises vor dem Stichtag.47) Die Falschausstellung und das Gebrauchen einer gefälschten Bescheinigung sind in § 402 unter Strafe gestellt. Der Nachweis muss der Gesellschaft unter der in der Einberufung zu diesem Zweck mit- 21 geteilten Adresse gemäß Absatz 4 Satz 2 mindestens sechs Tage vor der Hauptversammlung zugehen, sofern nicht die Satzung oder die Einberufung aufgrund einer Satzungsermächtigung eine kürzere Frist für ausreichend erklärt.48) Dies entspricht der Anmeldefrist (siehe Rz. 6). 3.

Berechtigungsnachweis bei Namensaktien (§ 123 Abs. 5)

Die Teilnahme- und Stimmrechtsberechtigung folgt bei Namensaktien börsennotierter 22 Gesellschaften aus der Eintragung im Aktienregister gemäß § 67 Abs. 2. Dieser Umstand ist im Gegensatz zum zeitlichen Bezugspunkt der Eintragung indisponibel. Ein Record Date wurde anders als bei Inhaberaktien nicht eingeführt,49) darf jedoch per 23 Satzung festgelegt werden.50) Dies wird u. a. mit der Erweiterung des Anwendungsbereiches von Absatz 3 auf Namensaktien begründet.51) Der für § 67 Abs. 2 maßgebliche Zeitpunkt kann somit vorverlagert werden. _____________ 42) Vgl. Begr. RegE z. UMAG, BT-Drucks. 15/5092. S. 14; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 123 Rz. 34; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 123 Rz. 35 f. m. w. N. 43) Dagegen Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 123 Rz. 12a; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 123 Rz. 55; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 123 Rz. 38; dafür Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 123 Rz. 38; Noack/ Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 123 Rz. 201; wohl auch Grigoleit-Herrler, AktG, § 123 Rz. 19. 44) Hierzu z. B. Mohamed, ZIP 2016, 1100; Grunewald, ZGR 2015, 347. 45) Nach OLG Frankfurt/M., Urt. v. 21.7.2009 – 5 U 139/08, Rz. 30, NZG 2009, 1068, 1069, ist ein Hinweis auf den Regelungsgehalt von § 123 Abs. 4 Satz 5 n. F. nicht erforderlich; dem dürfte im Hinblick auf § 121 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 nicht zu folgen sein. Nach OLG München, Beschl. v. 17.1.2008 – 7 U 2358/07, AG 2008, 508, 508, ist jedenfalls die wörtliche Wiedergabe des § 123 Abs. 4 Satz 5 n. F. nicht erforderlich. 46) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 123 Rz. 33; Grigoleit-Herrler, AktG, § 123 Rz. 17. 47) K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 123 Rz. 47 m. w. N.; Hölters-Drinhausen, AktG, § 123 Rz. 13. 48) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 123 Rz. 13. 49) Zum Gesetzesverfahren i. R. der Aktienrechtsnovelle 2016 s. Begr. RegE, BT-Drucks. 18/4349, S. 23 f.; der vorgeschlagene § 123 Abs. 6 ist später weggefallen, vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz z. RegE Aktienrechtsnovelle 2016, BT-Drucks. 18/6681, S. 11. 50) A. A. K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 123 Rz. 36, wonach § 67 Abs. 2 seine Wirkung am Tag der Hauptversammlung entfaltet, sodass kein davon abweichendes Datum maßgeblich sein kann. 51) Böttcher/Carl/Schmidt/Seibert-Schmidt, Die Aktienrechtsnovelle, § 6 Rz. 74; zur alten Rechtslage bereits OLG Stuttgart, Beschl. v. 3.12.2008 – 20 W 12/08, AG 2009, 204, 211; v. Nussbaum, NZG 2009, 456, 456 f.

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§ 123

Frist, Anmeldung zur Hauptversammlung, Nachweis

24 Eine ähnliche Wirkung erzielt auch ein Umschreibestopp.52) Eine daraus resultierende Veränderungssperre des Aktienregisters bedarf nach einer Literaturansicht einer Satzungsregelung oder einer dort festgeschriebenen Vorstandsermächtigung.53) Der Umschreibestopp verhindert im Vorfeld der Hauptversammlung die unzulässige Mehrfachausübung von Stimmrechten etwa in dem Fall, dass angemeldeten Aktionären Eintrittskarten ausgehändigt wurden, anschließend aber Dritte im Aktionärsregister eingetragen werden und damit ebenfalls teilnehmen dürften.54) Der Beginn des Umschreibestopps sollte dabei zweckmäßigerweise durch den Anmeldeschluss55) bzw. den Ablauf der Zugangsfrist für den Legitimationsnachweis56) bestimmt werden.57) Eine kürzere Dauer des Umschreibestopps ist jedoch zulässig.58) Die maximal zulässige Dauer des Umschreibestopps umfasst nach Einführung des ARUG die sechs Tage vor der Hauptversammlung59), wobei der Tag der Hauptversammlung und der Tag des Zugangs der Anmeldung nicht mitzurechnen sind.60) VI.

Rechtsfolgen von Verstößen

25 Eine Verlängerung der in § 123 Abs. 2 Satz 3 vorgesehenen Anmeldefrist oder der in § 123 Abs. 4 Satz 3 vorgesehenen Zugangsfrist führen zur Anfechtbarkeit der in der Hauptversammlung gefassten Beschlüsse, wenn Anmeldungen/Nachweise, die der Gesellschaft innerhalb der gesetzlichen oder satzungsmäßigen Frist zugehen, wegen ihrer vermeintlichen Verspätung in der Hauptversammlung nicht mehr berücksichtigt werden.61) Werden sie dagegen berücksichtigt und wird somit gegen das Teilnahmerecht des Aktionärs nicht verstoßen, fehlt es an der nach § 243 Abs. 1 erforderlichen Relevanz.62) 26 Die Verkürzung der genannten Fristen in der Einberufung ohne entsprechende Satzungsermächtigung soll dagegen nach verbreiteter Ansicht nicht zu einer Anfechtbarkeit der gefassten Beschlüsse führen.63) Zur Rechtslage vor dem ARUG entschied das OLG München allerdings, dass eine Verkürzung der Anmeldefrist in der Einberufung ohne entsprechende Satzungsregelung zur Beschlussanfechtbarkeit führt.64) In der Praxis empfiehlt es sich daher, die Fristen in der Einberufung nur zu verkürzen, wenn hierfür eine Satzungsermächtigung besteht. _____________ 52) Zur Zulässigkeit BGH, Urt. v. 21.9.2009 – II ZR 174/08, NZG 2009, 1270 = ZIP 2009, 2051, dazu EWiR 2010, 1 (Priester); Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 123 Rz. 32; Henssler/Strohn-Liebscher, GesR, § 123 AktG Rz. 9. 53) K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 123 Rz. 35; Grigoleit-Herrler, AktG, § 123 Rz. 23 – Satzungsregelung notwendig; a. A. zu Recht Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 123 Rz. 237 f.; Spindler/ Stilz-Rieckers, AktG, § 123 Rz. 32 – keine separate statutarische Ermächtigung erforderlich, sofern nach der Satzung die Anmeldefrist mindestens so lang wie die Legitimationsfrist ist. 54) Vgl. v. Nussbaum, NZG 2009, 456, 457. 55) Grobecker, NZG 2010, 165, 166; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 67 Rz. 20; v. Nussbaum, NZG 2009, 456, 457. 56) Vgl. Bayer/Lieder, NZG 2009, 1361, 1363. 57) BGH, Urt. v. 21.9.2009 – II ZR 174/08, NZG 2009, 1270, 1271 = ZIP 2009, 2051; Henssler/StrohnLiebscher, GesR, § 123 AktG Rz. 9; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 123 Rz. 32. 58) v. Nussbaum, NZG 2009, 456, 457; Bayer/Lieder, NZG 2009, 1361, 1363; vgl. Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 123 Rz. 239. 59) Grigoleit-Herrler, AktG, § 123 Rz. 23. 60) Bayer/Lieder, NZG 2009, 1361, 1363. 61) Vgl. Kubis in: MünchKomm-AktG, § 123 Rz. 50; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 123 Rz. 45 m. w. N. 62) Bürgers/Körber-Reger, AktG, § 123 Rz. 19. 63) Butzke in: GroßKomm-AktG, § 123 Rz. 36 u. 103; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 123 Rz. 50 m. w. N.; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 123 Rz. 45. 64) OLG München, Urt. v. 26.3.2008 – 7 U 4782/07, WM 2008, 1072, 1073 = ZIP 2008, 975 (LS).

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Bekanntmachung von Ergänzungsverlangen; Vorschläge zur Beschlussfassung

§ 124

Die unrechtmäßige Verweigerung der Teilnahme eines Aktionärs führt prinzipiell zur 27 Anfechtbarkeit gefasster Beschlüsse. Anderes kann sich ergeben, wenn die Depotbank die Anmeldung oder Nachweiserbringung verspätet vornimmt und daher eine berechtigte Teilnahmeverweigerung vorliegt.65) Umgekehrt kann die Zulassung von Nichtberechtigten bei deren Stimmabgabe, sofern sie ausschlaggebend für gefasste Beschlüsse waren,66) oder einem Redebeitrag vorbehaltlich der dann schwierigen Relevanzprüfung i. S. des § 243 Abs. 1 ebenfalls zur Anfechtbarkeit führen.67) _____________ 65) Kubis in: MünchKomm-AktG, § 123 Rz. 51; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 123 Rz. 46 – Relevanz zu verneinen. 66) Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 123 Rz. 84 – „Zünglein an der Waage“; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 243 Rz. 19. 67) Kubis in: MünchKomm-AktG, § 123 Rz. 52; Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 123 Rz. 85.

§ 124 Bekanntmachung von Ergänzungsverlangen; Vorschläge zur Beschlussfassung (1) 1Hat die Minderheit nach § 122 Abs. 2 verlangt, dass Gegenstände auf die Tagesordnung gesetzt werden, so sind diese entweder bereits mit der Einberufung oder andernfalls unverzüglich nach Zugang des Verlangens bekannt zu machen. 2§ 121 Abs. 4 gilt sinngemäß; zudem gilt bei börsennotierten Gesellschaften § 121 Abs. 4a entsprechend. 3Bekanntmachung und Zuleitung haben dabei in gleicher Weise wie bei der Einberufung zu erfolgen. (2) 1Steht die Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern auf der Tagesordnung, so ist in der Bekanntmachung anzugeben, nach welchen gesetzlichen Vorschriften sich der Aufsichtsrat zusammensetzt; ist die Hauptversammlung an Wahlvorschläge gebunden, so ist auch dies anzugeben. 2Die Bekanntmachung muss bei einer Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern börsennotierter Gesellschaften, für die das Mitbestimmungsgesetz, das Montan-Mitbestimmungsgesetz oder das Mitbestimmungsergänzungsgesetz gilt, ferner enthalten: 1. Angabe, ob der Gesamterfüllung nach § 96 Absatz 2 Satz 3 widersprochen wurde, und 2. Angabe, wie viele der Sitze im Aufsichtsrat mindestens jeweils von Frauen und Männern besetzt sein müssen, um das Mindestanteilsgebot nach § 96 Absatz 2 Satz 1 zu erfüllen. 3

Soll die Hauptversammlung über eine Satzungsänderung oder über einen Vertrag beschließen, der nur mit Zustimmung der Hauptversammlung wirksam wird, so ist auch der Wortlaut der vorgeschlagenen Satzungsänderung oder der wesentliche Inhalt des Vertrags bekanntzumachen. (3) 1Zu jedem Gegenstand der Tagesordnung, über den die Hauptversammlung beschließen soll, haben der Vorstand und der Aufsichtsrat, zur Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern und Prüfern nur der Aufsichtsrat, in der Bekanntmachung Vorschläge zur Beschlußfassung zu machen. 2Bei Gesellschaften, die kapitalmarktorientiert im Sinne des § 264d des Handelsgesetzbuchs, die CRR-Kreditinstitute im Sinne des § 1 Absatz 3d Satz 1 des Kreditwesensgesetzes, mit Ausnahme der in § 2 Absatz 1 Nummer 1 und 2 des Kreditwesensgesetzes genannten Institute, oder die Versicherungsunternehmen im Sinne des Artikels 2 Absatz 1 der Richtlinie 91/674/EWG sind, ist der Vorschlag des Aufsichtsrats zur Wahl des Abschlussprüfers auf die Empfehlung des Prü-

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§ 124

Die unrechtmäßige Verweigerung der Teilnahme eines Aktionärs führt prinzipiell zur 27 Anfechtbarkeit gefasster Beschlüsse. Anderes kann sich ergeben, wenn die Depotbank die Anmeldung oder Nachweiserbringung verspätet vornimmt und daher eine berechtigte Teilnahmeverweigerung vorliegt.65) Umgekehrt kann die Zulassung von Nichtberechtigten bei deren Stimmabgabe, sofern sie ausschlaggebend für gefasste Beschlüsse waren,66) oder einem Redebeitrag vorbehaltlich der dann schwierigen Relevanzprüfung i. S. des § 243 Abs. 1 ebenfalls zur Anfechtbarkeit führen.67) _____________ 65) Kubis in: MünchKomm-AktG, § 123 Rz. 51; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 123 Rz. 46 – Relevanz zu verneinen. 66) Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 123 Rz. 84 – „Zünglein an der Waage“; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 243 Rz. 19. 67) Kubis in: MünchKomm-AktG, § 123 Rz. 52; Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 123 Rz. 85.

§ 124 Bekanntmachung von Ergänzungsverlangen; Vorschläge zur Beschlussfassung (1) 1Hat die Minderheit nach § 122 Abs. 2 verlangt, dass Gegenstände auf die Tagesordnung gesetzt werden, so sind diese entweder bereits mit der Einberufung oder andernfalls unverzüglich nach Zugang des Verlangens bekannt zu machen. 2§ 121 Abs. 4 gilt sinngemäß; zudem gilt bei börsennotierten Gesellschaften § 121 Abs. 4a entsprechend. 3Bekanntmachung und Zuleitung haben dabei in gleicher Weise wie bei der Einberufung zu erfolgen. (2) 1Steht die Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern auf der Tagesordnung, so ist in der Bekanntmachung anzugeben, nach welchen gesetzlichen Vorschriften sich der Aufsichtsrat zusammensetzt; ist die Hauptversammlung an Wahlvorschläge gebunden, so ist auch dies anzugeben. 2Die Bekanntmachung muss bei einer Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern börsennotierter Gesellschaften, für die das Mitbestimmungsgesetz, das Montan-Mitbestimmungsgesetz oder das Mitbestimmungsergänzungsgesetz gilt, ferner enthalten: 1. Angabe, ob der Gesamterfüllung nach § 96 Absatz 2 Satz 3 widersprochen wurde, und 2. Angabe, wie viele der Sitze im Aufsichtsrat mindestens jeweils von Frauen und Männern besetzt sein müssen, um das Mindestanteilsgebot nach § 96 Absatz 2 Satz 1 zu erfüllen. 3

Soll die Hauptversammlung über eine Satzungsänderung oder über einen Vertrag beschließen, der nur mit Zustimmung der Hauptversammlung wirksam wird, so ist auch der Wortlaut der vorgeschlagenen Satzungsänderung oder der wesentliche Inhalt des Vertrags bekanntzumachen. (3) 1Zu jedem Gegenstand der Tagesordnung, über den die Hauptversammlung beschließen soll, haben der Vorstand und der Aufsichtsrat, zur Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern und Prüfern nur der Aufsichtsrat, in der Bekanntmachung Vorschläge zur Beschlußfassung zu machen. 2Bei Gesellschaften, die kapitalmarktorientiert im Sinne des § 264d des Handelsgesetzbuchs, die CRR-Kreditinstitute im Sinne des § 1 Absatz 3d Satz 1 des Kreditwesensgesetzes, mit Ausnahme der in § 2 Absatz 1 Nummer 1 und 2 des Kreditwesensgesetzes genannten Institute, oder die Versicherungsunternehmen im Sinne des Artikels 2 Absatz 1 der Richtlinie 91/674/EWG sind, ist der Vorschlag des Aufsichtsrats zur Wahl des Abschlussprüfers auf die Empfehlung des Prü-

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fungsausschusses zu stützen. 3Satz 1 findet keine Anwendung, wenn die Hauptversammlung bei der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern nach § 6 des Montan-Mitbestimmungsgesetzes an Wahlvorschläge gebunden ist, oder wenn der Gegenstand der Beschlußfassung auf Verlangen einer Minderheit auf die Tagesordnung gesetzt worden ist. 4Der Vorschlag zur Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern oder Prüfern hat deren Namen, ausgeübten Beruf und Wohnort anzugeben. 5Hat der Aufsichtsrat auch aus Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer zu bestehen, so bedürfen Beschlüsse des Aufsichtsrats über Vorschläge zur Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern nur der Mehrheit der Stimmen der Aufsichtsratsmitglieder der Aktionäre; § 8 des Montan-Mitbestimmungsgesetzes bleibt unberührt. (4) 1Über Gegenstände der Tagesordnung, die nicht ordnungsgemäß bekanntgemacht sind, dürfen keine Beschlüsse gefaßt werden. 2Zur Beschlußfassung über den in der Versammlung gestellten Antrag auf Einberufung einer Hauptversammlung, zu Anträgen, die zu Gegenständen der Tagesordnung gestellt werden, und zu Verhandlungen ohne Beschlußfassung bedarf es keiner Bekanntmachung. Literatur: Arnold/Carl/Götze, Aktuelle Fragen bei der Durchführung der Hauptversammlung, AG 2011, 349; Blöink/Wolter, AReG-RegE – Überblick über die Änderungen gegenüber dem Referentenentwurf, BB 2016, 107; Deilmann/Messerschmidt, Vorlage von Verträgen an die Hauptversammlung, NZG 2004, 977; Florstedt, Fristen und Termine im Recht der Hauptversammlung, ZIP 2010, 761; Groß, Vorbereitung und Durchführung von Hauptversammlungsbeschlüssen zu Erwerb oder Veräußerung von Unternehmensbeteiligungen, AG 1996, 111; Heinze, Wen trifft die Vorschlagspflicht bei der Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern?, AG 2011, 540; Hoppe, Hauptversammlungssaison 2017: Rechte und Pflichten des Versammlungsleiters bei Wahlentscheidungen der Hauptversammlung, NZG 2017, 361; Kocher, Der Einfluss festgelegter Stimmen auf Hauptversammlungen, BB 2014, 2317; Kocher, Zur Bedeutung von Beschlussvorschlägen der Verwaltung für die Fassung und Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen, AG 2013, 406; Lanfermann, Prüferauswahl nach der EU-Abschlussprüferreform, BB 2014, 2348; Lanfermann/Maul, Gründe für die Nichtigkeit des Jahresabschlusses nach § 256 AktG im Licht der EU-Abschlussprüferreform, BB 2015, 1003; v. d. Linden, Beschlussvorschläge an die Hauptversammlung bei Einberufung aufgrund eines Mehrheitsverlangens, AG 2016, 280; Meder, Die Mitwirkung des Vorstands am Kandidatenauswahlverfahren für Aufsichtsratswahlen, DStR 2008, 1242; Meyer/Mattheus, Das Abschlussprüfungsreformgesetz (AReG) – Neuerungen für Prüfungsausschüsse, DB 2016, 695; Petersen/Zwirner/Boecker, Das AReG wurde verabschiedet, DStR 2016, 984; Quick, bschlussprüfungsreformgesetz (AReG) – Kritische Würdigung zentraler Neuregelungen, DB 2016, 1205; Schilha, Neues Anforderungsprofil, mehr Aufgaben und erweitere Haftung für den Aufsichtsrat nach Inkrafttreten der Abschlussprüferreform, ZIP 2016, 1316; Schilha/Wolf, Bestätigung von Gewinnverwendungsbeschluss und Aufsichtsratswahl durch die Hauptversammlung, NZG 2014, 337; Scholz, Unzulässigkeit der Hauptversammlung gem § 124 IV AktG, AG 2008, 11; Schüppen, Die europäische Abschlussprüferreform und ihre Implementierung in Deutschland, NZG 2016, 247; Schürnbrand, Rechtsfolgen von Verstößen gegen die EU-Verordnung zur Abschlussprüfung, AG 2016, 70; Seibt/Scholz, Wahlkandidaten der Gesellschaft für den Aufsichtsrat, AG 2016, 739; Slavik, Ausgewählte Probleme der aktienrechtlichen Sonderprüfung, WM 2017, 1684; Thum/Klofat, Der ungetreue Aufsichtsrat – Handlungsmöglichkeiten des Vorstands bei Pflichtverletzungen des Aufsichtsrats, NZG 2010, 1087.

Übersicht I. Regelungsgehalt und Bedeutung ... 1 II. Ergänzungsverlangen (§ 124 Abs. 1) ................................................ 3

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III. Pflichtangaben bei besonderen Beschlussgegenständen (§ 124 Abs. 2) ................................................. 7

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Bekanntmachung von Ergänzungsverlangen; Vorschläge zur Beschlussfassung 1. Aufsichtsratswahlen (§ 124 Abs. 2 Satz 1, Satz 2) ..................................... 7 2. Satzungsänderungen (§ 124 Abs. 2 Satz 3 Alt. 1) ..................................... 11 3. Zustimmungsbedürftige Verträge (§ 124 Abs. 2 Satz 3 Alt. 2) .............. 12 4. Analoge Anwendung von § 124 Abs. 2 Satz 3 ..................................... 15 IV. Beschlussvorschläge (§ 124 Abs. 3) ............................................... 18 1. Grundsatz ......................................... 18 2. Ausnahmen und Besonderheiten ..... 20 a) Vorschlagspflicht nur des Aufsichtsrats ............................... 20 I.

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b) Beschlussvorschlag zur Wahl des Abschlussprüfers ................. c) Angaben zur Person von Aufsichtsratsmitgliedern oder Prüfern und Sonderbeschlussrecht der Aktionärsvertreter ..... d) Keine Vorschlagspflicht ............. 3. Bindungswirkung ............................. 4. Rechtsfolgen von Verstößen ........... V. Unzulässige Beschlussfassung (§ 124 Abs. 4 Satz 1) ........................ VI. Bekanntmachungsfreie Gegenstände (§ 124 Abs. 4 Satz 2) ............

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29 33 35 37 39 40

Regelungsgehalt und Bedeutung

§ 124 Abs. 1 betrifft die Bekanntmachung von Minderheitsverlangen, § 124 Abs. 2 die Be- 1 kanntmachung bei besonderen Beschlussgegenständen mit Sonderregeln für mitbestimmte börsennotierte Gesellschaften. § 124 Abs. 3 betrifft Beschlussvorschläge der Verwaltung und § 124 Abs. 4 die Bindungswirkung der bekannt gemachten Tagesordnung. Die Norm dient der rechtzeitigen Information der Aktionäre und soll sie in die Lage ver- 2 setzen, zu entscheiden, ob sie an der Hauptversammlung teilnehmen wollen, sowie sich sachgemäß darauf vorzubereiten.1) II.

Ergänzungsverlangen (§ 124 Abs. 1)

Ergänzungsverlangen einer Minderheit nach § 122 Abs. 2 sind mit der Einberufung zur 3 Hauptversammlung bekannt zu machen, wenn sie der Gesellschaft zu diesem Zeitpunkt bereits vorliegen. Andernfalls hat die Bekanntmachung separat und unverzüglich (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB) nach Zugang zu erfolgen. Dem Vorstand sind in der Regel drei Tage zur rechtlichen Prüfung des Ergänzungsverlangens zuzubilligen.2) Zur Frage, ob die Veröffentlichung vor einem Record Date erfolgen muss siehe § 122 Rz. 24. Für Übernahmefälle gilt § 16 Abs. 4 Satz 7 WpÜG, wonach bei Einberufung der Haupt- 4 versammlung der Zielgesellschaft (vgl. § 16 Abs. 3 WpÜG) die dort genannten Unterlagen zugänglich und bekannt zu machen sind. Eine Bekanntmachung der Kurzfassung des Ergänzungsverlangens genügt; jedoch ist der Volltext zugänglich zu machen und in der Bekanntmachung auf die Fundstelle des Volltextes zu verweisen.3) Für die Bekanntmachung nach § 124 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 gilt § 121 Abs. 4 sinngemäß, 5 sodass sie entweder durch Veröffentlichung im Bundesanzeiger (vgl. § 25) oder, soweit die Aktionäre namentlich bekannt sind, durch eingeschriebenen Brief erfolgen könnte. Jedoch ist gemäß § 124 Abs. 1 Satz 3 die Bekanntmachungsform zu wählen, die bereits für die Einberufung selbst gewählt wurde. _____________ 1) 2) 3)

Allg. M., vgl. nur BGH, Urt. v. 25.11.2002 – II ZR 49/01 (Hypo-Vereinsbank), ZIP 2003, 290, 292, dazu EWiR 2003, 199 (Bayer/Fischer). Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 124 Rz. 22; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 124 Rz. 4 – drei bis vier Tage; unter Bezugnahme auf die Gesetzeshistorie Florstedt, ZIP 2010, 761, 765 m. w. N. Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 124 Rz. 8 m. w. N.; Angerer/Geibel/Süßmann-Geibel/Süßmann, WpÜG, § 16 Rz. 88 ff.; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 124 Rz. 74, der jedoch darauf hinweist, dass die Erleichterungen nicht für sämtliche Minderheitsverlangen i. S. von § 124 Abs. 1 Satz 1 gelten; Butzke in: GroßKomm-AktG, § 124 Rz. 20, welchem zufolge Ergänzungsverlangen nach § 122 Abs. 2 der Regelung nicht unterfallen sollen.

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§ 124

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6 Ferner gilt für börsennotierte Gesellschaften § 121 Abs. 4a entsprechend. Danach haben Gesellschaften, die nicht ausschließlich Namensaktien ausgegeben und durch eingeschriebenen Brief geladen haben, die Einberufung spätestens zum Zeitpunkt der Bekanntmachung solchen Medien zur Veröffentlichung zuzuleiten, bei denen davon ausgegangen werden kann, dass sie die Information in der gesamten Europäischen Union verbreiten. Siehe § 121 Rz. 28 zu den dazu bestehenden Diskussionen. III.

Pflichtangaben bei besonderen Beschlussgegenständen (§ 124 Abs. 2)

1.

Aufsichtsratswahlen (§ 124 Abs. 2 Satz 1, Satz 2)

7 In der Bekanntmachung4) ist zunächst anzugeben, nach welchen gesetzlichen Vorschriften sich der Aufsichtsrat zur Zeit der Einberufung5) zusammensetzt, also §§ 96 ff., ggf. i. V. m. einem der Mitbestimmungsgesetze. Mängel hierbei sind nach der Rechtsprechung des BGH i. d. R. anfechtungsrelevant.6) Die Wiedergabe des Gesetzestextes oder eine Begründung sind nicht erforderlich.7) Zwar wird eine Pflicht zur Angabe von Satzungsbestimmungen durch § 124 Abs. 2 Satz 1 nicht begründet, da sich dieser nur auf gesetzliche Vorschriften bezieht, ein Verweis auch auf einschlägige Satzungsbestimmungen ist gleichwohl zweckmäßig.8) 8 Die Bindung der Hauptversammlung an Wahlvorschläge ist in der Bekanntmachung nur anzugeben, sofern sie besteht (§ 124 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2). Sie kann sich gemäß § 101 Abs. 1 Satz 2 aus §§ 6, 8 des Montan-MitbestG bzw. bei der SE aus § 36 Abs. 4 Satz 2 SEBG ergeben. Eine Negativanzeige ist nicht mehr erforderlich. 9 Ist die Geschlechterquote nach § 96 Abs. 2 zu erfüllen, ist eine Angabe zum möglichen Widerspruch zur Gesamterfüllung i. S. des § 96 Abs. 2 Satz 3 gemäß § 124 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 obligatorisch. Das Erfordernis sowohl einer Positiv- als auch einer Negativanzeige ergibt sich aus einem Vergleich mit dem abweichenden Wortlaut des § 124 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 n. F., der bloß zur Positivanzeige verpflichtet (siehe Rz. 8).9) 10 Daneben ist gemäß § 124 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 die konkrete Zahl der Männer und Frauen anzugeben, die dem Aufsichtsrat zur Erfüllung der Geschlechterquote mindestens angehören müssen.10) 2.

Satzungsänderungen (§ 124 Abs. 2 Satz 3 Alt. 1)

11 Bekannt zu machen ist der Wortlaut der beabsichtigten Satzungsänderung. Wird der Gegenstand der Satzungsänderung hierdurch nicht hinreichend kenntlich, etwa weil die Wiedergabe des Wortlauts aus sich heraus nicht verständlich ist, ist es nach einer Ansicht in der Rechtsprechung erforderlich, zusätzlich den wesentlichen Inhalt der Satzungsänderung bekannt zu machen.11) _____________ 4) Die Angaben müssen in der Einberufung gemacht werden, eine separate Veröffentlichung genügt nicht, vgl. etwa Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 124 Rz. 10 m. w. N. 5) Butzke in: GroßKomm-AktG, § 124 Rz. 26; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 124 Rz. 12. 6) BGH, Urt. 10.10.2017 – II ZR 375/15, ZIP 2017, 2245, 2252 f., dazu EWiR 2018, 39 (Seibt) – mit der Ausnahme einer Anfechtung durch den Vorstand, dem dies ohnehin bekannt sein muss. 7) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 124 Rz. 11. 8) Grigoleit-Herrler, AktG, § 124 Rz. 4; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 124 Rz. 47; strenger Noack/ Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 124 Rz. 33, wonach eine Nennung von Satzungsbestimmungen im Falle einer ansonsten bestehender Irreführungsgefahr bei Angabe nur der gesetzlichen Vorschriften verpflichtend ist. 9) Vgl. K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 124 Rz. 94; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 124 Rz. 6a. 10) K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 124 Rz. 95 ff., mit Formulierungsbsp. 11) So OLG Celle, Urt. v. 15.7.1992 – 9 U 65/91, AG 1993, 178, 179; gegen Annahme einer entsprechenden Pflicht Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 124 Rz. 16; mit Hinweis auf rechtliche Gefahren Kubis in: MünchKomm-AktG, § 124 Rz. 20.

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Bekanntmachung von Ergänzungsverlangen; Vorschläge zur Beschlussfassung 3.

§ 124

Zustimmungsbedürftige Verträge (§ 124 Abs. 2 Satz 3 Alt. 2)

Hierzu zählen neben den qua Gesetzes und qua ungeschriebener Hauptversammlungs- 12 kompetenz (siehe § 119 Rz. 18 ff.) zustimmungsbedürftigen Verträgen auch vom Vorstand nach § 119 Abs. 2 vorgelegte Verträge.12) Die Bekanntmachungspflicht gilt über den Wortlaut hinaus für Entwürfe13), Änderungen14) und nach bestrittener Ansicht auch für die Beendigung15) zustimmungsbedürftiger Verträge. Bekannt zu machen ist der wesentliche Inhalt. Was diesen ausmacht, ist in der Praxis oft 13 streitig.16) Die Wiedergabe des vollständigen Wortlauts befreit nach hL von der Pflicht zur Bekanntmachung des wesentlichen Inhalts.17) Aufgrund der vorgenannten Meinungsverschiedenheiten in diesem Punkt empfiehlt es sich gleichwohl, sowohl den Vertrag als auch seinen wesentlichen Inhalt zu veröffentlichen. Komplexe Vertragswerke sind im Vorstandsbericht zu erläutern.18) Soll nicht der vollständige Wortlaut wiedergegeben werden, so sind zumindest die Vertragsparteien und die Hauptleistungspflichten, Gewährleistungsbestimmungen, für die Gesellschaft nachteilige Wettbewerbsverbote oder Vertragsstrafen, ferner die ggf. vorhandenen Regelungen zum Schutz von Minderheitsaktionären sowie bei Dauerschuldverhältnissen zur Vertragsbeendigung zu nennen.19) Strittig ist die Bekanntmachungspflicht bei Rechtswahlklauseln und Schiedsgerichtsvereinbarungen.20) Nur die Bekanntmachung des wesentlichen Inhalts hat in deutscher Sprache zu erfolgen.21) 4.

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Analoge Anwendung von § 124 Abs. 2 Satz 3

Nach bisher h. M. ist im Fall von Kapitalerhöhungen mit Bezugsrechtsausschluss der ge- 15 mäß § 186 Abs. 4 Satz 2 erforderliche Vorstandsbericht bzw. dessen wesentlicher Inhalt analog § 124 Abs. 2 Satz 3 Alt. 2 bekannt zu machen.22) Ferner wird überwiegend angenommen, dass Konzept und wesentlicher Inhalt von Struktur- 16 maßnahmen, die nach der Holzmüller/Gelatine-Doktrin zustimmungsbedürftig sind (siehe _____________ 12) Vgl. BGH, Urt. v. 15.1.2001 – II ZR 124/99 (Altana/Milupa), ZIP 2001, 416, 417 f.; OLG Schleswig, Urt. v. 8.12.2005 – 5 U 57/04 (MobilCom), ZIP 2006, 421, 424. 13) Groß, AG 1996, 111, 114; Grigoleit-Herrler, AktG, § 124 Rz. 8; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 124 Rz. 23; Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 124 Rz. 49. 14) Es genügt, die Änderungen bzw. ihren wesentlichen Inhalt bekannt zu machen, sofern sie ohne den Gesamtkontext bzw. das Grundwerk verständlich sind, BGH, Urt. v. 15.6.1992 – II ZR 18/91, ZIP 1992, 1227, 1231; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 124 Rz. 19. Bei einer Aufspaltung der Gesamtvereinbarung auf verschiedene Verträge bezieht sich das Zustimmungserfordernis auf sämtliche dieser Verträge, vgl. BGH, Urt. v. 16.11.1981 – II ZR 150/80, ZIP 1982, 172, 177; dies gilt auch für das Bekanntmachungserfordernis, vgl. OLG Schleswig, Urt. v. 8.12.2005 – 5 U 57/04 (MobilCom), ZIP 2006, 421, 426. 15) Kubis in: MünchKomm-AktG, § 124 Rz. 23; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 124 Rz. 13; Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 124 Rz. 49; a. A. Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 124 Rz. 19. 16) Vgl. Kubis in: MünchKomm-AktG, § 124 Rz. 24 ff. 17) So etwa Deilmann/Messerschmidt, NZG 2004, 977, 979; Grigoleit-Herrler, AktG, § 124 Rz. 9; K. Schmidt/ Lutter-Ziemons, AktG, § 124 Rz. 60; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 124 Rz. 20 m. w. N.; a. A. Kubis in: MünchKomm-AktG, § 124 Rz. 25. 18) K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 124 Rz. 60; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 124 Rz. 20. 19) Vgl. Kubis in: MünchKomm-AktG, § 124 Rz. 24; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 124 Rz. 21. 20) Dafür LG München I, Urt. v. 31.1.2008 – 5 HK O 19782/06, BB 2008, 522, 522; Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 124 Rz. 55; dagegen Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 124 Rz. 14; Spindler/StilzRieckers, AktG, § 124 Rz. 21. 21) Vgl. Kubis in: MünchKomm-AktG, § 124 Rz. 24 m. w. N; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 124 Rz. 20. 22) Vgl. BGH, Urt. v. 9.11.1992 – II ZR 230/91, ZIP 1992, 1728, 1733; LG Berlin, Urt. v. 13.12.2004 – 101 O 124/04, DB 2005, 1320, 1321; Grigoleit-Herrler, AktG, § 124 Rz. 10; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 124 Rz. 63; ablehnend Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 124 Rz. 23; Kubis in: MünchKommAktG, § 124 Rz. 27, unter Berufung auf die Fassung des § 186 Abs. 4 Satz 2 seit Erlass des ARUG.

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§ 124

Bekanntmachung von Ergänzungsverlangen; Vorschläge zur Beschlussfassung

§ 119 Rz. 26 ff.), aber zu ihrer Umsetzung keines Vertragsschlusses bedürfen, analog § 124 Abs. 2 Satz 3 Alt. 2 bekannt zu machen sind.23) 17 Eine Analogie von Absatz 2 Satz 3 für die Auflegung eines Aktienoptionsprogramms oder die Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen bzw. Genussrechten wird nach ganz h. M. abgelehnt.24) IV.

Beschlussvorschläge (§ 124 Abs. 3)

1.

Grundsatz

18 Grundsätzlich obliegt nach § 124 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 sowohl dem Vorstand als auch dem Aufsichtsrat die Pflicht, zu jedem Gegenstand der Tagesordnung einen Beschlussvorschlag zu machen. In der Praxis wird regelmäßig ein einheitlicher Beschlussvorschlag erfolgen, jedoch hat jedes Organ hierüber separat Beschluss zu fassen.25) Ein Verstoß führt nach bestrittener Meinung zur Anfechtbarkeit der daraufhin gefassten Hauptversammlungsbeschlüsse (siehe näher Rz. 37 ff.).26) 19 Beschlussvorschläge sind in der Form von Anträgen zu formulieren.27) Alternativ- und Eventualvorschläge sind zulässig.28) 2.

Ausnahmen und Besonderheiten

a)

Vorschlagspflicht nur des Aufsichtsrats

20 Ausnahmsweise unterbreitet nach § 124 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 nur der Aufsichtsrat Beschlussvorschläge, wenn die Hauptversammlung über die Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern29) oder Prüfern entscheiden soll. Der DCGK empfiehlt zusätzlich die Bekanntgabe der Kandidatenvorschläge für den Aufsichtsratsvorsitz (Ziff. 5.4.3). Prüfer sind der Abschlussbzw. Konzernabschlussprüfer (§ 318 Abs. 1 HGB), der Sonderprüfer (§ 142 Abs. 1) und der Prüfer i. S. des § 115 Abs. 5 WpHG. Das ausschließliche Vorschlagsrecht gilt nur für die Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern, nicht aber für ihre Abberufung.30) Falls nach angefochtener Aufsichtsratswahl ein Bestätigungsbeschluss gemäß § 244 gefasst wird, darf entsprechend Absatz 3 Satz 1 nur der Aufsichtsrat (die identischen) Beschlussvorschläge _____________ 23) OLG München, Urt. v. 14.2.2001 – 7 U 6019/99, ZIP 2001, 700, 703, dazu EWiR 2001, 459 (Mutter); LG Stuttgart, Urt. v. 9.10.2000 – 7 KfH O 66/2000, ZIP 2000, 2110, 2112, dazu EWiR 2000, 1087 (Luttermann); Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 124 Rz. 11 m. w. N.; a. A. Noack/Zetzsche in: KölnKommAktG, § 124 Rz. 54. 24) Kubis in: MünchKomm-AktG, § 124 Rz. 29; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 124 Rz. 25 – anderweitige gesetzliche Informationspflichten ausreichend. 25) Die Beschlussfassung durch eines der Organe über den Vorschlag ist auch nach dessen Bekanntmachung aber vor der Hauptversammlung noch möglich, wenn beide Organe übereinstimmen, vgl. OLG Stuttgart, Beschl. v. 21.12.2012 – 20 AktG 1/12, ZIP 2013, 170, dazu EWiR 2013, 263 (Nikoleyczik/ Gubitz). 26) K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 124 Rz. 22; a. A. Kubis in: MünchKomm-AktG, § 124 Rz. 59, der davon ausgeht, dass nur ein Beschlussvorschlag erforderlich sei, wenn eines der Organe seiner Beschlussvorschlagspflicht nicht nachkommt; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 124 Rz. 47; generell zu Verstößen gegen § 124 Abs. 3 Satz 1 BGH, Urt. v. 12.11.2001 – II ZR 225/99, ZIP 2002, 172, 173, dazu EWiR 2002, 885 (Saenger/Bergjan); OLG München, Beschl. v. 28.1.2002 – 7 W 814/01, ZIP 2002, 1353, 1354, dazu EWiR 2002, 1029 (Schwab). 27) Allg. M., vgl. nur Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 124 Rz. 26 m. w. N. 28) So die h. M., vgl. etwa Kubis in: MünchKomm-AktG, § 124 Rz. 40 m. w. N.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 124 Rz. 17; gegen die Zulässigkeit von Alternativanträgen K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 124 Rz. 17. 29) Hierzu näher Meder, DStR 2008, 1242 ff. auch bezüglich der Grenzen einer Vorstandseinbindung. 30) Heinze, AG 2011, 540, 541 f.; Grigoleit-Herrler, AktG, § 124 Rz. 15; trotz Zweifeln im Ergebnis auch Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 124 Rz. 18.

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Bekanntmachung von Ergänzungsverlangen; Vorschläge zur Beschlussfassung

§ 124

machen.31) Eine Vorstandsinitiative zur Abberufung einzelner oder sämtlicher Aufsichtsratsmitglieder kann nach einer Literaturansicht wirksam sein, wenn der Aufsichtsrat zuvor Gelegenheit zur Abgabe eines Beschlussvorschlags hatte.32) b)

Beschlussvorschlag zur Wahl des Abschlussprüfers

Im Fall der in § 124 Abs. 3 Satz 2 genannten Unternehmen und Institutionen hat der 21 Aufsichtsrat seinen Vorschlag auf die Empfehlung des Prüfungsausschusses zu stützen. Das sollte in der Einladung entsprechend angegebenen werden, auch wenn es das Gesetz nicht vorschreibt (zu Ausnahmen siehe unten Rz. 24). Außerdem sind die seit dem 17.6.2016 unmittelbar geltenden europarechtlichen Vorgaben der AbschlussprüferVO33) zu beachten. Die Komplexität der Prüferauswahl steigt dadurch. Durch das AReG34) wurde § 124 Abs. 3 Satz 2 in persönlicher Hinsicht von kapitalmarkt- 22 nahen Gesellschaften (§ 264d HGB) auf CRR-Kreditinstitute35) sowie Versicherungsunternehmen erweitert. Dies deckt sich mit dem Anwendungsbereich der AbschlussprüferVO, die für „Unternehmen von öffentlichen Interesse“ gilt,36) sog. Public Interest Entities (PIEs). Die Einrichtung eines Prüfungsausschusses ist nach wie vor nicht zwingend, sondern nur 23 von Ziff. 5.3.2 DCGK empfohlen.37) Zu beachten ist, dass wegen der umfangreichen Mitgliedsstaatenwahlrechte38) auch trotz der jüngsten (europa-)rechtlichen Neuerungen – vorbehaltlich des § 25d Abs. 9 KWG bei Kreditinstituten – unverändert keine Pflicht zur Einrichtung eines Prüfungsausschusses besteht.39) Eine solche trifft nur Unternehmen, die § 324 Abs. 1 HGB unterfallen; insbesondere bei Aktiengesellschaften, die Unternehmen von öffentlichem Interesse im oben genannten Sinne sind, ist dies wegen § 100 Abs. 5 nicht der Fall.40) Für solche PIEs mit gesetzlich zwingend zu bildendem Aufsichtsoder Verwaltungsrat besteht gemäß § 107 Abs. 3 Satz 2 weiterhin ein Wahlrecht zur Bestel_____________ 31) LG Frankfurt/M., Urt. v. 12.11.2013 – 3-05 O 151/13, ZIP 2013, 2405, 2407; Schilha/Wolf, NZG 2014, 337, 338. 32) Thum/Klofat, NZG 2010, 1087, 1089 f. m. w. N. 33) Verordnung (EU) Nr. 537/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 16.4.2014 über spezifische Anforderungen an die Abschlussprüfung bei Unternehmen von öffentlichem Interesse und zur Aufhebung des Beschlusses 2005/909/EG der Kommission, ABl. (EU) Nr. L 158/77 v. 27.5.2014. 34) Abschlussprüfungsreformgesetz v. 10.5.2016, BGBl. I 2016, 1142. 35) Vgl. zum Begriff Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 26.6.2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 646/2012, ABl. (EU) Nr. L 176/1 v. 27.6.2013 – Kreditinstitute, die Einlagengeschäft betreiben; so auch Butzke in: GroßKomm-AktG, § 124 Rz. 90 Fn. 152. 36) Art. 3 der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 i. V. m. Art. 2 Nr. 13 der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 17.5.2006 über Abschlussprüfungen von Jahresabschlüssen und konsolidierten Abschlüssen, zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 84/253/EWG des Rates, ABl. (EU) Nr. L 157/87 v. 9.6.2006; vom Wahlrecht zur Erweiterung des Kreises der Adressaten um besonders bedeutsame Unternehmen hat Deutschland keinen Gebrauch gemacht. 37) Ebenso Butzke in: GroßKomm-AktG, § 124 Rz. 90. 38) Vgl. Art. 39, konkret Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/43/EG (Abschlussprüferrichtlinie), der i. R. der EU-Abschlussprüferreform neugefasst wurde durch die Richtlinie 2014/56/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 16.4.2014 zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG über Abschlussprüfungen von Jahresabschlüssen und konsolidierten Abschlüssen, ABl. (EU) Nr. L 158/196 v. 27.5.2014. 39) Heidel/Schall-Schüppen, HGB, § 324 Rz. 1a; ebenso Lanfermann, BB 2014, 2348, 2350; Schilha, ZIP 2016, 1316, 1320; implizit Meyer/Mattheus, DB 2016, 695, 697; Quick, DB 2016, 1205, 1211; Bürgers/KörberReger, AktG, § 124 Rz. 18a; vgl. auch den Gegenschluss zur Begr. RegE z. AReG, BT-Drucks. 18/7219, S. 56, wonach die Aufgabenzuweisung zur Abgabe der o. g. Empfehlung (nur) den „eingesetzten“ Prüfungsausschuss trifft. 40) Näher zu den von der Regelung erfassten Unternehmen Koller/Kindler/Roth/Morck-Morck, HGB, § 324 Rz. 2 f.; Heidel/Schall-Schüppen, HGB, § 324 Rz. 5 ff.

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§ 124

Bekanntmachung von Ergänzungsverlangen; Vorschläge zur Beschlussfassung

lung eines Prüfungsausschusses.41) Für die weiteren Anforderungen kommt es darauf an, ob es sich um eine nach Art. 17 AbschlussprüferVO zulässige Erneuerung eines Prüfungsmandats innerhalb der Frist von zehn Jahren handelt oder nicht. Bei einer zulässigen Erneuerung verlangt Art. 16 Abs. 2 AbschlussprüferVO nur eine Empfehlung des Prüfungsausschusses wie § 124 Abs. 3 Satz 2. Handelt es sich nicht um eine zulässige Erneuerung, sondern um eine Neuvergabe oder um eine Wiederbestellung im elften Jahr zur Verlängerung der Frist auf 20 Jahre nach § 318 Abs. 1a Satz 1 HGB, sind die folgenden Besonderheiten zu beachten: 24 Existiert ein Prüfungsausschuss, richtet sich das Zustandekommen der in § 124 Abs. 3 Satz 2 genannten Empfehlung bei einer Neuvergabe unmittelbar nach Art. 16 Abs. 2 bis 5 AbschlussprüferVO. Dadurch soll die Grundlage für eine fundierte Auswahlentscheidung der Hauptversammlung geschaffen werden.42) Die Empfehlung ist mit einer Begründung zu versehen und muss zwei Vorschläge für das Prüfungsmandat samt diesbezüglicher begründeter Präferenz des Prüfungsausschusses enthalten (Art. 16 Abs. 2 AbschlussprüferVO). Ab dem in Art. 41 Abs. 4 AbschlussprüferVO genannten Zeitpunkt liegt ihr, außer bei kleinen und mittleren Unternehmen i. S. von Art. 16 Abs. 4 AbschlussprüferVO, ein formelles Ausschreibungsverfahren zugrunde (Einzelheiten siehe Art. 16 Abs. 3 Unterabs. 1 AbschlussprüferVO)43). Für dieses ist der Prüfungsausschuss zuständig (Art. 16 Abs. 3 Unterabs. 2 AbschlussprüferVO). Über den Wortlaut des AktG hinaus sind nach Art. 16 Abs. 5 AbschlussprüferVO Teil des Beschlussvorschlags des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung auch die Empfehlung, Vorschläge und Präferenz des Prüfungsausschusses; zudem sind vom Aufsichtsrat die Gründe für eine etwaige Abweichung von der Präferenz des Prüfungsausschusses anzugeben (Art. 16 Abs. 5 AbschlussprüferVO).44) Der Aufsichtsrat ist nicht an die Präferenz des Prüfungsausschusses gebunden. Seit jeher besteht Einigkeit, dass auch keine Bindung an die Empfehlung insgesamt besteht.45) Die in der Vergangenheit umstrittene Frage, ob eine Abweichung hiervon – nunmehr also von den beiden Vorschlägen des Prüfungsausschusses als Gesamtheit – in der Einberufung oder in der Hauptversammlung durch den Aufsichtsrat zu begründen ist,46) wurde im Zuge der EU-Abschlussprüferreform zwar nicht explizit beantwortet. Müssen dem Gesetz zufolge jedoch schon Gründe dafür angeführt werden, dass der Präferenz des Prüfungsausschusses nicht gefolgt wird, so gilt dies aber wohl erst recht (a minori ad maius) für die vollständige Abweichung von dessen Empfehlung. Der vorgeschlagene Prüfer muss in jedem Fall am Ausschreibungsverfahren gemäß Art. 16 Abs. 3 AbschlussprüferVO teilgenommen haben, Art. 16 Abs. 5 Unterabs. 2 Satz 2 AbschlussprüferVO. _____________ 41) Anschaulich Lanfermann, BB 2014, 2348, 2348 f.; Heidel/Schall-Schüppen, HGB, § 324 Rz. 3. 42) Lanfermann/Maul, BB 2015, 1003, 1006; Meyer/Mattheus, DB 2016, 695, 697; Schürnbrand, AG 2016, 70, 76; a. A. Handelsrechtsausschuss des DAV, NZG 2015, 752, 753. 43) Ausführlich Meyer/Mattheus, DB 2016, 695, 697. 44) Die frühere Auseinandersetzung über dessen Notwendigkeit (vgl. Butzke in: GroßKomm-AktG, § 124 Rz. 90 Fn. 155 f.) ist damit zugunsten einer Begründungspflicht entschieden worden. 45) Butzke in: GroßKomm-AktG, § 124 Rz. 91; so ebenfalls schon vor der EU-Abschlussprüferreform Begr. RegE z. BilMoG, BT-Drucks. 16/10067, S. 103; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 124 Rz. 22; Spindler/ Stilz-Rieckers, AktG, § 124 Rz. 33; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 124 Rz. 35. Eine dementsprechende Schlussfolgerung lässt sich nunmehr aus Art. 16 Abs. 5 Unterabs. 2 Satz 2 AbschlussprüferVO ziehen. 46) Dafür Hölters-Drinhausen, AktG, § 124 Rz. 15; dagegen Kubis in: MünchKomm-AktG, § 124 Rz. 46; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 124 Rz. 33; für Begründungspflicht im Beschlussvorschlag Begr. RegE z. BilMoG, BT-Drucks. 16/10067, S. 103; für Mitteilung in der Einberufung und Begründung in der Hauptversammlung K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 124 Rz. 35. Vor diesem Hintergrund war auch schon früher sicherheitshalber zu empfehlen, eine entsprechende Angabe aufzunehmen.

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Bekanntmachung von Ergänzungsverlangen; Vorschläge zur Beschlussfassung

§ 124

Anders gestaltet sich das Verfahren in den Fällen, in denen kein Prüfungsausschuss ein- 25 gerichtet wurde. Dann bleibt es bei der Gesamtverantwortung des Aufsichtsrats.47) Dies erfordert einige Adaptionen, die im Einzelnen noch unklar bzw. umstritten sind. So übernimmt der Aufsichtsrat die Funktionen des Prüfungsausschusses hinsichtlich der in Art. 16 Abs. 3 AbschlussprüferVO geregelten Ausschreibung. Sein Beschlussvorschlag an die Hauptversammlung erfolgt demgegenüber zumindest im Ausgangspunkt ohne den ansonsten verpflichtenden Einbezug der Empfehlung des Prüfungsausschusses und der zugehörigen Dokumentation in Gestalt der Vorschläge und der Präferenz des Prüfungsausschusses. Fraglich ist aber, ob der Aufsichtsrat seinen Vorschlag zu begründen hat. Eine Empfehlung 26 oder gar eine Präferenz des Prüfungsausschusses, von der nur in begründeter Form abgewichen werden könnte, sind von vornherein nicht einschlägig. Es besteht jedoch wegen der in Art. 16 Abs. 2 Unterabs. 2 AbschlussprüferVO vorgesehenen Begründung der Empfehlung, die über Art. 16 Abs. 5 Unterabs. 1 AbschlussprüferVO Teil des Beschlussvorschlages des Aufsichtsrats wird, möglicherweise eine vom Aufsichtsrat ersatzweise zu erfüllende originäre Begründungspflicht hinsichtlich der Prüferauswahl. Hiergegen ließe sich zunächst einwenden, die Begründung seitens des Prüfungsausschusses diene nur der Unterstützung der Aufsichtsratsmitglieder bei ihrer Entscheidung über den Beschlussvorschlag. In systematischer Hinsicht ist aber festzustellen, dass – wenn ein Prüfungsausschuss existiert – nach der gesetzlichen Regelung der Hauptversammlung stets irgendeine Begründung für den letztlich vorgeschlagenen Prüfer mitgeteilt wird: Entweder geschieht dies vermittels der Präsentation der begründeten Empfehlung oder, indem der Aufsichtsrat von letzterer in begründeter Weise abweicht. Der Hauptversammlung sollte daher jedenfalls bis zur Klärung der Frage auch in der vorliegenden Konstellation – durch den Aufsichtsrat – eine Begründung für die Prüferauswahl geliefert werden. Zum Teil wird weitergehend vertreten, dass der Aufsichtsrat in sinngemäßer Anwendung von Art. 16 Abs. 2 AbschlussprüferVO zwecks Gewährleistung einer echten Auswahlentscheidung selbst mindestens zwei Vorschläge inkl. begründeter Präferenz für das Prüfungsmandat unterbreiten muss.48) Das findet richtigerweise keine Stütze in der AbschlussprüferVO, sollte aber bis zur Klärung der Frage in der Praxis aus Vorsichtsgründen durchgeführt werden. Im Fall eines Verstoßes gegen die genannten Anforderungen des Art. 16 Abschlussprü- 27 ferVO ist nach § 318 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 HGB das Ersetzungsverfahren eröffnet; zudem wird in § 256 Abs. 1 Nr. 3 lit. d klargestellt, dass eine Missachtung der Vorgaben der AbschlussprüferVO keine Nichtigkeit des Jahresabschlusses auslöst.49) Eine Beschlussanfechtung ist damit in diesem Zusammenhang wegen des Vorrangs des Ersetzungsverfahrens ausgeschlossen, § 243 Abs. 3 Nr. 3.50) Daneben werden die Vorschriften der AbschlussprüferVO teilweise auch als Verbotsgesetze i. S. von § 134 BGB in Erwägung gezogen.51) Das kann aber richtigerweise nicht zu einer Beschlussnichtigkeit der Wahl führen. Schließlich wurden mit § 405 Abs. 3b – 3d (i. V. m. § 404a) für die Verletzung von Pflichten durch Mitglieder von Aufsichtsrat und Prüfungsausschuss52) von PIEs im Zusammenhang mit der Bestellung des Abschlussprüfers Ordnungswidrigkeiten- bzw. _____________ 47) Bürgers/Körber-Israel, AktG, § 107 Rz. 26a; Heidel/Schall-Schüppen, HGB, § 324 Rz. 3. 48) Schilha, ZIP 2016, 1316, 1327; Schüppen, NZG 2016, 247, 251 f.; Hoppe, NZG 2017, 361, 366. 49) Vgl. Blöink/Wolter, BB 2016, 107, 108; Schürnbrand, AG 2016, 70, 77, der die Ungleichbehandlung von Verstößen gegen andere Normen als Art. 16 AbschlussprüferVO kritisiert. 50) Zumindest die Anfechtbarkeit des Hauptversammlungsbeschlusses als Folge auch von Verstößen gegen einzelne Vorgaben von Art. 16 Abs. 3 AbschlussprüferVO wäre ansonsten als zu weitgehend angesehen worden, so etwa Lanfermann/Maul, BB 2015, 1003, 1006. 51) Schürnbrand, AG 2016, 70, 71. 52) Eine Sanktionierung von Mitgliedern des Vorstandes bzw. der Geschäftsführung wurde nicht vorgesehen, so Meyer/Mattheus, DB 2016, 695, 698.

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Straftatbestände geschaffen.53) Ausgesprochene Sanktionen werden nach § 69 Abs. 1a WPO von der Abschlussprüferaufsichtsstelle offengelegt (Naming and Shaming). Liegen die Voraussetzungen von § 70 StGB vor, kann durch das Gericht zudem ein Berufsverbot verhängt werden.54) 28 Unbeschadet der Entstehung des Vorschlags zur Wahl des Abschlussprüfers hat die EUAbschlussprüferreform schon im Vorfeld dessen Auswirkungen auf die Frage, welche Abschlussprüfer überhaupt in Betracht kommen, indem sie die Unternehmen unter bestimmten Umständen zum periodischen Wechsel derselben verpflichtet, sog. externe Rotation. Darüber hinaus werden u. a. Anforderungen an die Qualifikation von Mitgliedern des Prüfungsausschusses bzw. des Aufsichtsrats statuiert und die Erbringung von Nichtprüfungsleistungen durch Abschlussprüfer wird weiteren qualitativen wie quantitativen Restriktionen unterworfen.55) c)

Angaben zur Person von Aufsichtsratsmitgliedern oder Prüfern und Sonderbeschlussrecht der Aktionärsvertreter

29 Inhaltlich ergibt sich gemäß § 124 Abs. 3 Satz 4 die Besonderheit, dass der Vorschlag zur Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern oder Prüfern deren Namen, ausgeübten Beruf und Wohnort (ausreichend ist die Nennung der politischen Gemeinde)56) anzugeben hat. Der Begriff des „ausgeübten Berufs“ ist im Hinblick auf den Normzweck so auszulegen, dass die Aktionäre eine Vorstellung von der Eignung der Kandidaten für die Aufsichtsratstätigkeit bekommen können sollen.57) So ist etwa die Bezeichnung „Rechtsanwalt“ nicht genügend, sondern vielmehr ist auch die Angabe der Kanzlei erforderlich, für die der Nominierte tätig ist.58) Soll eine Gesellschaft Prüfer werden, ergibt sich der „Beruf“ aus ihrer (statt des „Namens“ anzugebenden) Firma und ist nicht gesondert zu nennen.59) 30 Die Angaben überschneiden sich teilweise mit Mitteilungspflichten nach § 125 (siehe § 125 Rz. 5 ff.), sodass sie regelmäßig bereits im Zuge der Einberufung erfüllt werden. Der DCGK empfiehlt in Ziff. 5.4.1 Abs. 6 bei Bekanntgabe der Wahlvorschläge die Offenlegung der persönlichen und geschäftlichen Beziehungen der Kandidaten zum Unternehmen, zu seinen Organen oder zu wesentlich an der Gesellschaft beteiligten Aktionären (dazu Ziff. 5.4.1 Abs. 8). In Abs. 6 von Ziff. 5.4.1 wird die Beifügung eines Lebenslaufs empfohlen; hierfür genügt richtigerweise ein Einstellen des Lebenslaufs ins Internet und ein Verweis hierauf in der Einladung. 31 Neuerdings wird geltend gemacht, dass die Aufsichtsratskandidaten vor dem Hintergrund ihres persönlichen Risikomanagements und der faktischen Notwendigkeit, ihre Eignung zu untersuchen, gemäß § 109 Abs. 1 Satz 2 vereinzelt Aufsichtsratssitzungen beiwohnen _____________ 53) Dies gilt für PIEs jeglicher Rechtsform, s. z. B. §§ 87 Abs. 1 – 3, 86 GmbHG, §§ 152 Abs. 1a, 151a GenG sowie §§ 332 Abs. 4a – 4c, 331 Abs. 2a VAG, §§ 20 Abs. 2a – 2c, 19a PublG. Bei Kreditinstituten sind die §§ 340n Abs. 2a, 340m Abs. 2 HGB, bei Versicherungsunternehmen die §§ 341n Abs. 2a, 341m Abs. 2 HGB zu beachten. Für Gesellschaften, die § 324 HGB unterfallen („alleinstehender“ bzw. „isolierter“ Prüfungsausschuss), gelten insoweit die inhaltsgleichen §§ 334 Abs. 2a, 333a HGB. 54) Zu Einzelheiten Meyer/Mattheus, DB 2016, 695, 699; Schüppen, NZG 2016, 247, 254. 55) Zu alldem Petersen/Zwirner/Boecker, DStR 2016, 984; Quick, DB 2016, 1205; Schilha, ZIP 2016, 1316, 1317. 56) Allg. M., Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 124 Rz. 38; Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 124 Rz. 75; kritisch Kubis in: MünchKomm-AktG, § 124 Rz. 43 – abzustellen ist auf den regelmäßigen Einsatzort bei der Ausübung der hauptamtlichen Tätigkeit. 57) Vgl. Begr. RegE z. KonTraG, BT-Drucks. 13/9712, S. 17. 58) Vgl. Begr. RegE z. KonTraG, BT-Drucks. 13/9712, S. 17; LG Hannover, Urt. v. 17.3.2010 – 23 O 124/09, ZIP 2010, 833, 838 f.; dazu EWiR 2010, 345 (Reger/Theusinger); kritisch Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 124 Rz. 38. 59) Kubis in: MünchKomm-AktG, § 124 Rz. 47; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 124 Rz. 39.

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und – sofern Vertraulichkeit vertraglich gewährleistet ist – über Vorgänge informiert werden dürfen, die für die Kandidaten zwecks Beurteilung des Risikoprofils des zu übernehmenden Postens relevant sind.60) Hinsichtlich des Verfahrens bei der Beschlussfassung des Aufsichtsrats über seinen Be- 32 schlussvorschlag zur Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern ist gemäß § 124 Abs. 3 Satz 5 im mitbestimmten Aufsichtsrat zu beachten, dass die Aufsichtsratsmitglieder der Aktionäre ein Sonderbeschlussrecht haben.61) § 8 Montan-MitbestG bleibt unberührt. d)

Keine Vorschlagspflicht

Ist die Hauptversammlung nach § 6 Montan-MitbestG an Wahlvorschläge gebunden oder 33 wurde ein Gegenstand aufgrund eines Minderheitsverlangens nach § 122 auf die Tagesordnung gesetzt, sind weder der Vorstand noch der Aufsichtsrat verpflichtet, einen Beschlussvorschlag hierzu zu machen, § 124 Abs. 3 Satz 3. Im letzteren Fall bleibt es der Verwaltung jedoch unbenommen, eigene Beschlussvorschläge zu formulieren.62) In der Rechtsprechung wird die Frage, ob § 124 Abs. 3 Satz 3 auch für Ergänzungsverlangen 34 einer Mehrheit gilt, uneinheitlich beantwortet.63) Die Literatur streitet insbesondere darum, ob das Übertragungsverlangen eines Mehrheitsaktionärs i. R. von § 327a unter § 124 Abs. 3 Satz 3 Alt. 2 fällt.64) Vorsichtshalber sollte die Verwaltung daher eigene Beschlussvorschläge veröffentlichen (siehe Rz. 18). 3.

Bindungswirkung

Bekannt gemachte Beschlussvorschläge müssen in der Hauptversammlung nicht zur Ab- 35 stimmung gestellt, sondern können fallengelassen werden.65) Eine Bindung an den Wortlaut des bekannt gemachten Änderungsvorschlags dergestalt, dass dieser nur angenommen oder abgelehnt werden kann, besteht nicht. Vielmehr kann die Hauptversammlung zu dem Beschlussgegenstand in den Grenzen von § 124 Abs. 4 auch einen abweichenden Wortlaut beschließen.66) Abweichende Anträge sind nach leicht überwiegender Auffassung unabhängig davon zulässig, ob sich seit der Bekanntmachung Änderungen der Sach- und Rechtslage ergeben haben.67) Auch bei im Vorfeld der Hauptversammlung festgelegten Stimmen (etwa mittels Briefwahl, Weisungen an Stimmrechtsvertreter oder Beauftragung einer Bank) ist es nach richtiger Ansicht nicht geboten, die Abweichungsmöglichkeiten einzuschränken, da sich Aktionäre hinreichend gegen das Verfallen ihrer Stimme schützen können.68) Eine Grenze ist jedoch – abgesehen von Absatz 4 – bei rechtsmissbräuch_____________ 60) 61) 62) 63)

64)

65)

66) 67)

68)

Ausführlich Seibt/Scholz, AG 2016, 739, 743 ff. Vgl. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 124 Rz. 26; Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 124 Rz. 79. Kubis in: MünchKomm-AktG, § 124 Rz. 32 m. w. N.; Butzke in: GroßKomm-AktG, § 124 Rz. 63. Dafür OLG Düsseldorf, Urt. v. 5.7.2012 – I-6 U 69/11, AG 2013, 264; dagegen LG Köln, Urt. v. 3.11.2010 – 91 O 4/10, BeckRS 2015, 14961; zusammenfassend (auch unter Inbezugnahme unveröffentlichter Urteile) v. d. Linden, AG 2016, 280, 281f. Dafür Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 124 Rz. 80, Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 124 Rz. 41; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 124 Rz. 40; v. d. Linden, AG 2016, 280, 283 f.; dagegen Grunewald in: MünchKomm-AktG, § 327a Rz. 12. OLG Stuttgart, Urt. v. 21.12.1993 – 10 U 48/93, AG 1994, 411, 415; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 124 Rz. 48 m. w. N.; mit Einschränkungen für Briefwahlfälle Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 124 Rz. 62. OLG Celle, Urt. v. 15.7.1992 – 9 U 65/91, AG 1993, 178, 179. OLG Hamm, Urt. v. 28.2.2005 – 8 W 6/05, AG 2005, 361, 363; Kocher, AG 2013, 406, 410; Spindler/ Stilz-Rieckers, AktG, § 124 Rz. 26 m. w. N.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 124 Rz. 17 m. w. N.; a. A. OLG Stuttgart, Urt. v. 21.12.1993 – 10 U 48/93, ZIP 1995, 1515, 1522; Arnold/Carl/Götze, AG 2011, 349, 354; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 124 Rz. 78 m. w. N. – nur unter o. g. Voraussetzungen zulässig. Ausführlich Kocher, AG 2013, 406, 411; a. A. Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 124 Rz. 62.

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lichem Vorgehen der Verwaltung zu ziehen, das darauf abzielt, vorher abgegebene Stimmen auszuhebeln.69) 36 Ungeklärt ist, ob Opposition aus Reihen der Aktionäre einen zulässigen Abweichungsgrund darstellt.70) In diesen Fällen empfiehlt es sich für die Verwaltung, abweichende Anträge durch Aktionäre stellen zu lassen und sich diesen anzuschließen. Redaktionelle Änderungen zwischen Beschlussvorschlag und Antrag sind nicht zu beanstanden.71) 4.

Rechtsfolgen von Verstößen

37 Die jedenfalls früher h. M. hat die Anfechtbarkeit von Verstößen gegen § 124 Abs. 3 regelmäßig bejaht, etwa wenn der Vorstand zu Aufsichtsratswahlen Beschlussvorschläge verfasst (siehe Rz. 20)72) oder solche von einem fehlerhaft besetzten Organ unterbreitet wurden.73) Die Gegenansicht nimmt dies nur bei im Einzelfall festgestellter Relevanz des Verstoßes gegen § 124 Abs. 2 bzw. Abs. 3 für die Aktionärsrechte an.74) 38 Der BGH hat für die nur angefochtene Wahl eines Aufsichtsratsmitglieds entschieden, dass Beschlussvorschläge des Aufsichtsrates bis zur Nichtigerklärung der Wahl wirksam sind, da bis dahin eine ordnungsgemäße Organbesetzung vorliege und der Wahlbeschluss erst rückwirkend unwirksam werde.75) Dabei lehnt der BGH, anders als ein Großteil der Literatur, jedoch eine Anwendung der Lehre vom faktischen Organ ab, was in der Praxis etwa zur Folge hat, dass sich der von einem potenziell fehlerhaft gewählten Aufsichtsrat bestellte Vorstand seinerseits nicht auf die vereinbarte Vertragslaufzeit berufen kann.76) V.

Unzulässige Beschlussfassung (§ 124 Abs. 4 Satz 1)

39 Bekanntmachungsfehler, also Verstöße gegen § 124 Abs. 1 bis 3, führen grundsätzlich zur Anfechtbarkeit dennoch gefasster Hauptversammlungsbeschlüsse. Nicht anwesende Aktionäre sind gemäß § 245 Nr. 2 Alt. 3 anfechtungsbefugt. Der Versammlungsleiter kann gleichwohl die Beschlussfassung zulassen, um eine Wiederholung der Hauptversammlung zu vermeiden, wenn das Anfechtungsrisiko gering erscheint oder es unwahrscheinlich ist, dass der Bekanntmachungsfehler für das Beschlussergebnis relevant wird.77) VI.

Bekanntmachungsfreie Gegenstände (§ 124 Abs. 4 Satz 2)

40 Keiner Bekanntmachung bedürfen Anträge auf Vertagung, auf Einberufung einer weiteren Hauptversammlung mit neuer Tagesordnung,78) sowie Verhandlungen ohne Beschluss_____________ 69) Kocher, AG 2013, 406, 411; vgl. auch Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 124 Rz. 26. 70) Dafür Kubis in: MünchKomm-AktG, § 124 Rz. 49; dagegen K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 124 Rz. 79. 71) LG Stuttgart, Urt. v. 8.11.1991 – 2 KfH O 135/91, WM 1992, 58, 61; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 124 Rz. 49. 72) BGH, Urt. v. 25.11.2002 – II ZR 49/01 (Hypo-Vereinsbank), ZIP 2003, 290, 291 f.; Schürnbrand, AG 2016, 70, 77; a. A. Kocher, AG 2013, 406, 413, unter Hinweis auf die in der Praxis typischerweise gegebene Beteiligung des Vorstands bei der Auswahl von Aufsichtsratskandidaten und Abschlussprüfern. 73) BGH, Urt. v. 12.11.2001 – II ZR 225/99, ZIP 2002, 172, 173. 74) Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 124 Rz. 88 ff.; ausführlich zu Einzelfällen Kocher, AG 2013, 406, 412; Scholz, AG 2008, 11, 14 f. 75) BGH, Urt. v. 19.2.2013 – II ZR 56/12, BB 2013, 1166, 1169 mit Anm. Kocher = ZIP 2013, 720 = NZG 2013, 456, dazu EWiR 2013, 333 (Schatz). 76) Ausführlich zu Problematik und Praxisfolgen Kocher, BB 2013, 1166, 1170 (Urteilsanm.). 77) Vgl. etwa LG Berlin, Urt. v. 17.2.2003 – 99 O 111/02, ZIP 2003, 1352, 1353; Butzke in: GroßKommAktG, § 124 Rz. 101. 78) Allg. M., vgl. nur K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 124 Rz. 71 m. w. N.; Noack/Zetzsche in: KölnKommAktG, § 124 Rz. 93.

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fassung; Letzteres gilt nicht in Fällen des § 92 Abs. 1, des § 17579) und soweit dies gesetzlich angeordnet ist, wie etwa im Fall des § 145 Abs. 6 Satz 5. Ferner bekanntmachungsfrei sind Anträge zu Gegenständen der Tagesordnung. Streitig 41 ist, ob zwecks Ermittlung der Grenze für die Beschlussfassung auf den einzelnen Tagesordnungspunkt oder den nicht zur Tagesordnung gehörenden ausformulierten Beschlussvorschlag nach § 124 Abs. 3 abzustellen ist. Nach h. A. soll letzterer lediglich Zusatzinformationen bieten und nicht den Beschlussgegenstand eingrenzen.80) Gleichwohl folgt aus dem Beschlussvorschlag eine Erwartungshaltung der Aktionäre hinsichtlich des Beschlussgegenstands, sodass vom Beschlussvorschlag nicht überraschend abgewichen werden darf.81) Ferner ist umstritten, ob durch eine Bezugnahme auf den Vorschlagstext in der Tages- 42 ordnung die Beschlussfassung auf den Vorschlag beschränkt wird.82) Dem ist entgegenzuhalten, dass dadurch das Gegenantragsrecht der Aktionäre (§ 126 Abs. 1) auf die Ablehnung beschränkt und somit ausgehöhlt würde. Der Vorschlagstext ist vielmehr zur Konkretisierung heranzuziehen, soweit dies erforderlich ist, um den genannten Überraschungsschutz der Aktionäre sicherzustellen.83) Um das Gegenantragsrecht nicht auszuhöhlen, findet auch keine zusätzliche Begrenzung durch Erfordernisse eines Vorstandsberichts (vgl. z. B. § 186 Abs. 4 Satz 2) oder einer Wortlautbekanntmachung (vgl. z. B. § 124 Abs. 2 Satz 3) statt, die für den Inhalt eines in der Hauptversammlung gestellten Gegenantrages natürlich nicht mehr erfüllt werden könnten. Zu den bekanntmachungsfreien Anträgen zu Gegenständen der Tagesordnung zählen 43 Geschäftsordnungsanträge,84) Anträge zur Verwendung des Bilanzgewinns, Gegenanträge und sachlich ergänzende Anträge85). Dazu werden nach abzulehnender h. A. z. B. Sonderprüfungsanträge i. R. des Entlastungsantrags gezählt.86) Umstritten ist die Reichweite von § 124 Abs. 4 Satz 2 Alt. 2 bei Satzungsänderungen. 44 Die Konkretisierung des Tagesordnungspunkts „Satzungsänderung“ im Beschlussvorschlag grenzt jedoch nach richtiger Auffassung die zulässigen Beschlussmöglichkeiten jedenfalls thematisch ein.87) Bei Verstoß gegen die Beschlussgrenzen von § 124 Abs. 4 sind gefasste Beschlüsse vor- 45 behaltlich der Relevanz und mit Ausnahme der Zustimmung aller Aktionäre bei einer Vollversammlung (§ 121 Abs. 6) anfechtbar.88) _____________ 79) Vgl. Kubis in: MünchKomm-AktG, § 124 Rz. 71; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 124 Rz. 87. 80) OLG Celle, Urt. v. 15.7.1992 – 9 U 65/91, AG 1993, 178, 179; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 124 Rz. 8 m. w. N.; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 121 Rz. 53. 81) Kocher, AG 2013, 406, 407 f. (dort auch zahlreiche Nachweise zur Kasuistik). 82) Dafür Hölters-Drinhausen, AktG, § 124 Rz. 16; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 124 Rz. 51; dagegen Kocher, AG 2013, 406, 407. 83) Kocher, AG 2013, 406, 407. 84) Butzke in: GroßKomm-AktG, § 124 Rz. 115 f. 85) Kubis in: MünchKomm-AktG, § 124 Rz. 64 ff.; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 124 Rz. 52 ff. 86) OLG Brandenburg, Urt. v. 6.6.2001 – 7 U 145/00, AG 2003, 328, 329; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 124 Rz. 73 f.; Details bei Slavik, WM 2017, 1684, 1684 f.; ausführlich zur Gegenauffassung Kocher, AG 2013, 406, 409. 87) Kocher, AG 2013, 406, 408 m. w. N.; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 124 Rz. 54a; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 124 Rz. 8 – Präzisierung durch Beschlussvorschlag; a. A. Kubis in: MünchKomm-AktG, § 124 Rz. 65 – beim Tagesordnungspunkt „Satzungsänderung“ ist jeder abweichende Antrag von § 124 Abs. 4 Satz 2 Alt. 2 erfasst. 88) Allg. M., BGH, Urt. v. 20.9.2004 – II ZR 288/02, ZIP 2004, 2093, 2093, dazu EWiR 2005, 49 (Noack); Kubis in: MünchKomm-AktG, § 124 Rz. 52 f. m. w. N.

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§ 124a

Veröffentlichungen auf der Internetseite der Gesellschaft

§ 124a Veröffentlichungen auf der Internetseite der Gesellschaft 1

Bei börsennotierten Gesellschaften müssen alsbald nach der Einberufung der Hauptversammlung über die Internetseite der Gesellschaft zugänglich sein: 1. der Inhalt der Einberufung; 2. eine Erläuterung, wenn zu einem Gegenstand der Tagesordnung kein Beschluss gefasst werden soll;

3. die der Versammlung zugänglich zu machenden Unterlagen; 4. die Gesamtzahl der Aktien und der Stimmrechte im Zeitpunkt der Einberufung, einschließlich getrennter Angaben zur Gesamtzahl für jede Aktiengattung; 5. gegebenenfalls die Formulare, die bei Stimmabgabe durch Vertretung oder bei Stimmabgabe mittels Briefwahl zu verwenden sind, sofern diese Formulare den Aktionären nicht direkt übermittelt werden. 2 Ein nach Einberufung der Versammlung bei der Gesellschaft eingegangenes Verlangen von Aktionären im Sinne von § 122 Abs. 2 ist unverzüglich nach seinem Eingang bei der Gesellschaft in gleicher Weise zugänglich zu machen.

Literatur: Drinhausen/Keinath, BB-Rechtsprechungs- und Gesetzgebungsreport zum Hauptversammlungsrecht 2009, BB 2010, 3; Förster, Aktionärsrechte in der Hauptversammlung – quo vaditis?, AG 2011, 362; Hecker/Bröcker, Die CSR-Berichtspflicht in der Hauptversammlungssaison 2018, AG 2017, 761; Höreth/Linnerz, Die Terminplanung der Hauptversammlung nach ARUG – Handlungsempfehlungen für die Praxis, GWR 2010, 155; Horn, Änderungen bei der Vorbereitung und Durchführung der Hauptversammlung nach dem Referentenentwurf zum ARUG, ZIP 2008, 1558; v. Nussbaum, Neue Wege zur Online-Hauptversammlung durch das ARUG, GWR 2009, 215; Paschos/Goslar, Der Regierungsentwurf des Gesetzes zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG), AG 2009, 14.

Übersicht I. Regelungsgehalt und Bedeutung ... 1 II. Relevante Informationen und Unterlagen ........................................ 3 I.

III. Modalitäten ........................................ 9 IV. Rechtsfolgen von Verstößen .......... 12

Regelungsgehalt und Bedeutung

1 Die Vorschrift setzt Art. 5 Abs. 4 der Aktionärsrechterichtlinie um. Bei börsennotierten Gesellschaften müssen alsbald (siehe unten Rz. 9) nach der Einberufung bestimmte Unterlagen und Informationen über die Internetseite der Gesellschaft zugänglich sein. Diese wird so „zum zentralen Medium des Informationsaustauschs zwischen Gesellschaft und Aktionär“.1) 2 Der DCGK geht etwas darüber hinaus, indem danach die Unterlagen auf der Internetseite „leicht erreichbar“ sein sollen (Ziff. 2.3.1). II.

Relevante Informationen und Unterlagen

3 Der Wortlaut („über die Internetseite“) ist so zu verstehen, dass die Informationen tatsächlich auf der Internetseite der Gesellschaft zugänglich sein müssen; eine Verlinkung auf eine _____________ 1)

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Begr. RegE z. ARUG, BT-Drucks. 16/11642, S. 30.

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Veröffentlichungen auf der Internetseite der Gesellschaft

§ 124a

Drittseite ist unzureichend.2) Zugänglich zu machen ist zunächst der Inhalt der Einberufung (§ 124a Satz 1 Nr. 1); dieser bestimmt sich nach § 121 Abs. 3. Erfasst sind auch die Beschlussvorschläge der Verwaltung nach § 124 Abs. 3.3) Die Einberufung nach § 124a Satz 1 Nr. 1 kann bereits Angaben nach den nachfolgenden Nummern enthalten. Eine doppelte Wiedergabe ist dann nicht notwendig. Beschlusslose Tagesordnungspunkte sind vom Vorstand als einberufendem Organ (§ 121 4 Abs. 2)4) zu erläutern (§ 124a Satz 1 Nr. 2), d. h. deren Inhalt kurz zu beschreiben, um den fehlenden Beschlussvorschlag zu kompensieren.5) Auf der Internetseite sind ferner gemäß § 124a Satz 1 Nr. 3 sämtliche Unterlagen einzu- 5 stellen, die der Hauptversammlung je nach den anstehenden Tagesordnungspunkten nach den Vorschriften des AktG und anderer Gesetze zugänglich zu machen sind.6) § 124a Satz 1 Nr. 4 sieht vor, dass die Gesamtzahl der Aktien (unter Einrechnung 6 eigener Aktien)7) und der Stimmrechte im Zeitpunkt der Einberufung, einschließlich getrennter Angaben zur Gesamtzahl für jede Aktiengattung, zu nennen ist. Dies entspricht weitgehend der Veröffentlichungspflicht aus § 49 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WpHG, der in der Praxis bereits durch Wiedergabe der Gesamtzahl der Aktien und der Stimmrechte in der Einberufung nachgekommen wird.8) Soweit die Gesellschaft Formulare vorhält, die bei der Stimmabgabe durch Vertretung oder 7 mittels Briefwahl zu verwenden sind, sind auch diese zugänglich zu machen, wenn sie nicht direkt an die Aktionäre übermittelt werden (§ 124a Satz 1 Nr. 5). Nur verbindlich zu benutzende Formulare sind erfasst.9) Die Bereitstellung von Internetdialogen ist zulässig und genügend.10) Auch Ergänzungsverlangen nach § 122 Abs. 2 sind auf der Internetseite zugänglich zu 8 machen (§ 124a Satz 2). III.

Modalitäten

Die in § 124a Satz 1 genannten Informationen und Unterlagen sind „alsbald“ nach der 9 Einberufung der Hauptversammlung auf der Website einzustellen. Die Verwendung dieses nicht legaldefinierten Begriffs hat in der Literatur zu Recht Kritik erfahren.11) Nach der Gesetzesbegründung bedeutet „alsbald“, dass die Informationen nach der Bekanntmachung im Bundesanzeiger auf die Unternehmenswebsite eingestellt werden müssten, was aber erfahrungsgemäß schon wegen der betriebsinternen Abläufe und der erforderlichen Technik

_____________ 2) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 124a Rz. 5; unter Verweis auf die Art. 5 Abs. 4 der Aktionärsrechterichtlinie und Ziff. 2.3.1 DCGK Kubis in: MünchKomm-AktG, § 124a Rz. 5. 3) Begr. RegE z. ARUG, BT-Drucks. 16/11642, S. 30. 4) Es ist umstritten, ob dies auch gilt, wenn Aktionäre aufgrund gerichtlicher Ermächtigung nach § 122 Abs. 3 die Hauptversammlung einberufen, dafür Horn, ZIP 2008, 1558, 1561 Fn. 43; dagegen Spindler/ Stilz-Rieckers, AktG, § 124a Rz. 9. 5) Vgl. Horn, ZIP 2008, 1558, 1561; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 124a Rz. 2. 6) Z. B. §§ 52 Abs. 2 Satz 2, 175 Abs. 2 Satz 1, 176 Abs. 1 Satz 1, 179a Abs. 2 Satz 1, 293f Abs. 1, 319 Abs. 3 Satz 1, 327c Abs. 3 AktG, § 63 Abs. 1 UmwG. Zum nichtfinanziellen Bericht in diesem Zusammenhang Hecker/Bröcker, AG 2017, 761, 768. 7) Begr. RegE z. ARUG, BT-Drucks. 16/11642, S. 30. 8) Vgl. Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 124a Rz. 13; Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 124a Rz. 30. 9) Begr. RegE z. ARUG, BT-Drucks. 16/11642, S. 30. 10) Höreth/Linnerz, GWR 2010, 155; v. Nussbaum, GWR 2009, 215, 218; Paschos/Goslar, AG 2009, 14, 17. 11) Vgl. Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 124a Rz. 4 m. w. N.; Paschos/Goslar, AG 2009, 14, 17.

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§ 125

Mitteilungen für die Aktionäre und an Aufsichtsratsmitglieder

eine gewisse Zeit benötige.12) Ein Einstellen am Tag nach Veröffentlichung der Einberufung im Bundesanzeiger wird überwiegend als ausreichend erachtet (siehe aber auch Rz. 10).13) 10 Zu beachten ist, dass durch die Zugänglichmachung auf der Internetseite die Auslegungsund Zusendungspflichten der Gesellschaft nach vielen Vorschriften entfallen,14) aber nur wenn die betreffenden Unterlagen schon ab der Einberufung zur Verfügung stehen. 11 Ergänzungsverlangen nach § 122 Abs. 2 sind unverzüglich (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB) nach ihrem Eingang bei der Gesellschaft auf der Internetseite einzustellen (§ 124a Satz 2). Dem Vorstand steht eine angemessene Frist zur Prüfung des Ergänzungsverlangens zu (siehe § 124 Rz. 3).15) IV.

Rechtsfolgen von Verstößen

12 Verstöße gegen § 124a führen nicht zur Anfechtbarkeit gleichwohl gefasster Hauptversammlungsbeschlüsse, § 243 Abs. 3 Nr. 2.16) Die Anfechtbarkeit gemäß § 243 Abs. 1 kann sich aber aus Verstößen gegen Auslegungs- und Zusendungspflichten der Gesellschaft (siehe Rz. 10) ergeben, sofern die entsprechenden Unterlagen nicht ab dem Zeitpunkt der Einberufung auf der Internetseite der AG zugänglich gemacht werden.17) Verstöße gegen § 124a stellen eine Ordnungswidrigkeit dar, § 405 Abs. 3a Nr. 2. _____________ 12) Begr. RegE z. ARUG, BT-Drucks. 16/11642, S. 30. 13) Drinhausen/Keinath, BB 2010, 3, 5; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 124a Rz. 4, der in Ausnahmefällen auch zwei bis drei Tage nach der Einberufung ausreichen lässt. 14) Vgl. z. B. §§ 52 Abs. 2 Satz 4, 175 Abs. 2 Satz 4, 179a Abs. 2 Satz 3, 293f Abs. 3, 319 Abs. 3 Satz 3, 327c Abs. 5 AktG, § 63 Abs. 4 UmwG; kritisch zur Pflicht der Aktionäre, sich angesichts erweiterter Internetauftritte der Unternehmen über das Internet selbst mit Informationen zu versorgen, Förster, AG 2011, 362, 368 f. 15) Drinhausen/Keinath, BB 2010, 3, 5; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 124a Rz. 17. 16) Vgl. auch Begr. RegE z. ARUG, BT-Drucks. 16/11642, S. 30. 17) Dazu etwa Hennrichs/Pöschke in: MünchKomm-AktG, § 175 Rz. 23, 43.

§ 125 Mitteilungen für die Aktionäre und an Aufsichtsratsmitglieder (1) 1Der Vorstand hat mindestens 21 Tage vor der Versammlung den Kreditinstituten und den Vereinigungen von Aktionären, die in der letzten Hauptversammlung Stimmrechte für Aktionäre ausgeübt oder die die Mitteilung verlangt haben, die Einberufung der Hauptversammlung mitzuteilen. 2Der Tag der Mitteilung ist nicht mitzurechnen. 3Ist die Tagesordnung nach § 122 Abs. 2 zu ändern, so ist bei börsennotierten Gesellschaften die geänderte Tagesordnung mitzuteilen. 4In der Mitteilung ist auf die Möglichkeiten der Ausübung des Stimmrechts durch einen Bevollmächtigten, auch durch eine Vereinigung von Aktionären, hinzuweisen. 5Bei börsennotierten Gesellschaften sind einem Vorschlag zur Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern Angaben zu deren Mitgliedschaft in anderen gesetzlich zu bildenden Aufsichtsräten beizufügen; Angaben zu ihrer Mitgliedschaft in vergleichbaren in- und ausländischen Kontrollgremien von Wirtschaftsunternehmen sollen beigefügt werden. (2) 1Die gleiche Mitteilung hat der Vorstand den Aktionären zu machen, die es verlangen oder zu Beginn des 14. Tages vor der Versammlung als Aktionär im Aktienregister der Gesellschaft eingetragen sind. 2Die Satzung kann die Übermittlung auf den Weg elektronischer Kommunikation beschränken. (3) Jedes Aufsichtsratsmitglied kann verlangen, daß ihm der Vorstand die gleichen Mitteilungen übersendet. 822

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§ 125

Mitteilungen für die Aktionäre und an Aufsichtsratsmitglieder

eine gewisse Zeit benötige.12) Ein Einstellen am Tag nach Veröffentlichung der Einberufung im Bundesanzeiger wird überwiegend als ausreichend erachtet (siehe aber auch Rz. 10).13) 10 Zu beachten ist, dass durch die Zugänglichmachung auf der Internetseite die Auslegungsund Zusendungspflichten der Gesellschaft nach vielen Vorschriften entfallen,14) aber nur wenn die betreffenden Unterlagen schon ab der Einberufung zur Verfügung stehen. 11 Ergänzungsverlangen nach § 122 Abs. 2 sind unverzüglich (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB) nach ihrem Eingang bei der Gesellschaft auf der Internetseite einzustellen (§ 124a Satz 2). Dem Vorstand steht eine angemessene Frist zur Prüfung des Ergänzungsverlangens zu (siehe § 124 Rz. 3).15) IV.

Rechtsfolgen von Verstößen

12 Verstöße gegen § 124a führen nicht zur Anfechtbarkeit gleichwohl gefasster Hauptversammlungsbeschlüsse, § 243 Abs. 3 Nr. 2.16) Die Anfechtbarkeit gemäß § 243 Abs. 1 kann sich aber aus Verstößen gegen Auslegungs- und Zusendungspflichten der Gesellschaft (siehe Rz. 10) ergeben, sofern die entsprechenden Unterlagen nicht ab dem Zeitpunkt der Einberufung auf der Internetseite der AG zugänglich gemacht werden.17) Verstöße gegen § 124a stellen eine Ordnungswidrigkeit dar, § 405 Abs. 3a Nr. 2. _____________ 12) Begr. RegE z. ARUG, BT-Drucks. 16/11642, S. 30. 13) Drinhausen/Keinath, BB 2010, 3, 5; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 124a Rz. 4, der in Ausnahmefällen auch zwei bis drei Tage nach der Einberufung ausreichen lässt. 14) Vgl. z. B. §§ 52 Abs. 2 Satz 4, 175 Abs. 2 Satz 4, 179a Abs. 2 Satz 3, 293f Abs. 3, 319 Abs. 3 Satz 3, 327c Abs. 5 AktG, § 63 Abs. 4 UmwG; kritisch zur Pflicht der Aktionäre, sich angesichts erweiterter Internetauftritte der Unternehmen über das Internet selbst mit Informationen zu versorgen, Förster, AG 2011, 362, 368 f. 15) Drinhausen/Keinath, BB 2010, 3, 5; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 124a Rz. 17. 16) Vgl. auch Begr. RegE z. ARUG, BT-Drucks. 16/11642, S. 30. 17) Dazu etwa Hennrichs/Pöschke in: MünchKomm-AktG, § 175 Rz. 23, 43.

§ 125 Mitteilungen für die Aktionäre und an Aufsichtsratsmitglieder (1) 1Der Vorstand hat mindestens 21 Tage vor der Versammlung den Kreditinstituten und den Vereinigungen von Aktionären, die in der letzten Hauptversammlung Stimmrechte für Aktionäre ausgeübt oder die die Mitteilung verlangt haben, die Einberufung der Hauptversammlung mitzuteilen. 2Der Tag der Mitteilung ist nicht mitzurechnen. 3Ist die Tagesordnung nach § 122 Abs. 2 zu ändern, so ist bei börsennotierten Gesellschaften die geänderte Tagesordnung mitzuteilen. 4In der Mitteilung ist auf die Möglichkeiten der Ausübung des Stimmrechts durch einen Bevollmächtigten, auch durch eine Vereinigung von Aktionären, hinzuweisen. 5Bei börsennotierten Gesellschaften sind einem Vorschlag zur Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern Angaben zu deren Mitgliedschaft in anderen gesetzlich zu bildenden Aufsichtsräten beizufügen; Angaben zu ihrer Mitgliedschaft in vergleichbaren in- und ausländischen Kontrollgremien von Wirtschaftsunternehmen sollen beigefügt werden. (2) 1Die gleiche Mitteilung hat der Vorstand den Aktionären zu machen, die es verlangen oder zu Beginn des 14. Tages vor der Versammlung als Aktionär im Aktienregister der Gesellschaft eingetragen sind. 2Die Satzung kann die Übermittlung auf den Weg elektronischer Kommunikation beschränken. (3) Jedes Aufsichtsratsmitglied kann verlangen, daß ihm der Vorstand die gleichen Mitteilungen übersendet. 822

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Mitteilungen für die Aktionäre und an Aufsichtsratsmitglieder

§ 125

(4) Jedem Aufsichtsratsmitglied und jedem Aktionär sind auf Verlangen die in der Hauptversammlung gefassten Beschlüsse mitzuteilen. (5) Finanzdienstleistungsinstitute und die nach § 53 Abs. 1 Satz 1 oder § 53b Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 7 des Gesetzes über das Kreditwesen tätigen Unternehmen sind den Kreditinstituten gleichgestellt. Literatur: Evers/Fett, Der Versand der Mitteilung nach § 125 AktG, NZG 2012, 530; Schröer, Angabe von Aufsichtsratsmandaten im Anhang des Jahresabschlusses nach dem KonTraG, ZIP 1999, 1163; Schütze, Die Berücksichtigung ausländischer Aufsichtsratsmandate im Rahmen von § 100 Abs. 1 Nr. 1 Aktiengesetz, AG 1967, 342.

Übersicht I. Regelungsgegenstand, Bedeutung .......................................... 1 II. Mitteilungspflichten im Vorfeld der Hauptversammlung ................... 2 1. Mitteilungsempfänger ........................ 2 2. Mitteilungsinhalt ................................ 5 3. Form und Frist ................................. 11 a) Mitteilungen nach § 125 Abs. 1, Abs. 5 ............................. 11 b) Mitteilungen nach § 125 Abs. 2 .... 12 I.

c) Mitteilungen nach § 125 Abs. 3 .......................................... 4. Rechtsfolgen ..................................... III. Mitteilungspflichten nach der Hauptversammlung (§ 125 Abs. 4) ................................... 1. Mitteilungsempfänger ...................... 2. Mitteilungsinhalt .............................. 3. Form und Frist ................................. 4. Rechtsfolge bei Verstößen ...............

13 14

15 15 16 17 18

Regelungsgegenstand, Bedeutung

Der Zweck der Norm ist die Information der Aktionäre. II.

Mitteilungspflichten im Vorfeld der Hauptversammlung

1.

Mitteilungsempfänger

1

Mitteilungsempfänger sind zunächst Kreditinstitute (§ 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 KWG), Finanz- 2 dienstleistungsinstitute i. S. des Absatzes 5 und Aktionärsvereinigungen, d. h. auf Dauer angelegte Personenzusammenschlüsse, deren Hauptzweck darin besteht, Aktionärsrechte in organisierter Form auszuüben,1) sofern sie in der letzten (ordentlichen oder außerordentlichen) Hauptversammlung Stimmrechte für Aktionäre ausgeübt oder die Mitteilung verlangt haben.2) Ob Stimmrechte ausgeübt wurden, hat die Gesellschaft anhand des Teilnehmerverzeichnisses zu prüfen.3) Das Mitteilungsverlangen kann formlos erfolgen, eine Frist besteht nicht.4) Ein Verlangen vor jeder Hauptversammlung wird nach bestrittener Ansicht nicht mehr für erforderlich gehalten, vielmehr sei ein Dauerverlangen möglich.5) Ferner sind Mitteilungsempfänger gemäß § 125 Abs. 2 Inhaber von Namensaktien, die zu 3 Beginn des 14. Tages vor der Hauptversammlung im Aktienregister eingetragen sind, sowie _____________ 1) 2)

3) 4) 5)

Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 125 Rz. 10 m. w. N.; Grigoleit-Herrler, AktG, § 125 Rz. 2. Kubis in: MünchKomm-AktG, AktG, § 125 Rz. 7 m. w. N., und dem Hinweis, dass es sich im Fall von Aktionärsvereinigungen bei den Aktionären, für die gehandelt wurde, nicht notwendigerweise um ihre Mitglieder handeln muss. Allg. M., vgl. nur Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 125 Rz. 8 m. w. N. Kubis in: MünchKomm-AktG, § 125 Rz. 5 m. w. N.; Grigoleit-Herrler, AktG, § 125 Rz. 3. K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 125 Rz. 27; Grigoleit-Herrler, AktG, § 125 Rz. 3; Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 125 Rz. 126; ablehnend Hölters-Drinhausen, AktG, § 125 Rz. 2; Hüffer/KochKoch, AktG, § 125 Rz. 2; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 125 Rz. 5; Bürgers/Körber-Reger, AktG, § 125 Rz. 3; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 125 Rz. 9.

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§ 125

Mitteilungen für die Aktionäre und an Aufsichtsratsmitglieder

sonstige Aktionäre, die die Mitteilung verlangen. Aktionäre können Mitteilungen i. S. eines „Dauerauftrags“ für jede Hauptversammlung verlangen.6) 4 Auch Mitglieder des Aufsichtsrats sind gemäß § 125 Abs. 3 auf Verlangen mitteilungsberechtigt. Eine einmalige Äußerung des Verlangens durch die Aufsichtsratsmitglieder für deren gesamte Amtszeit ist möglich.7) 2.

Mitteilungsinhalt

5 Gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 ist die Einberufung der Hauptversammlung so, wie sie tatsächlich erfolgte (§ 121 Abs. 4), mit dem in § 121 Abs. 3 i. V. m. § 124 Abs. 3 und ggf. § 124 Abs. 2 vorgesehenen Inhalt zu übermitteln, eine Kurzfassung ist nicht ausreichend.8) Börsennotierte Gesellschaften haben nach § 125 Abs. 1 Satz 3 im Falle eines zulässigen Ergänzungsverlangens nach § 122 Abs. 2 auch die geänderte Tagesordnung mitzuteilen. Wird einem verfristeten Ergänzungsverlangen stattgegeben, so ist auch die daraufhin geänderte Tagesordnung mitzuteilen.9) 6 Weiter ist gemäß § 125 Abs. 1 Satz 4 darauf hinzuweisen, dass der Aktionär sich auch durch eine Aktionärsvereinigung vertreten lassen kann. Solch ein gesonderter Hinweis ist richtigerweise entbehrlich, wenn er schon in den Teilnahmebedingungen enthalten ist. Da die Rechtslage hierzu noch ungeklärt ist, empfiehlt es sich für die Praxis, einen entsprechenden Hinweis i. S. des § 125 Abs. 1 Satz 4 in der Mitteilung aufzunehmen. 7 Gemäß § 125 Abs. 1 Satz 5 Halbs. 1 haben börsennotierte Gesellschaften (§ 3 Abs. 2) Vorschlägen zur Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern Angaben zu deren Mitgliedschaft in anderen gesetzlich zu bildenden Aufsichtsräten beizufügen.10) Hiermit sind nur nach deutschem Recht zu bildende Aufsichtsräte gemeint.11) Erfasst sind die bei der AG, der KGaA und der SE sowie nach dem Mitbestimmungsrecht12) vorgeschriebenen Aufsichtsräte. 8 Maßgeblicher Zeitpunkt für das Bestehen der genannten Mitgliedschaften ist die Abfassung des Wahlvorschlags.13) Änderungen in diesem Zusammenhang können bis zur Mitteilungsabfassung berücksichtigt oder aber danach auf der Hauptversammlung mitgeteilt werden.14) 9 Weiter sollen gemäß § 125 Abs. 1 Satz 5 Halbs. 2 auch Angaben zur Mitgliedschaft in vergleichbaren in- und ausländischen Kontrollgremien von Wirtschaftsunternehmen – nicht also von karitativen oder wissenschaftlichen Einrichtungen15) – gemacht werden. _____________ 6) Allg. M., vgl. Hölters-Drinhausen, AktG, § 125 Rz. 4; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 125 Rz. 14; Noack/ Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 125 Rz. 131; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 125 Rz. 33; Spindler/ Stilz-Rieckers, AktG, § 125 Rz. 13. 7) So h. M., vgl. nur Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 125 Rz. 16; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 125 Rz. 34 m. w. N.; Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 125 Rz. 146. 8) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 125 Rz. 16; Grigoleit-Herrler, AktG, § 125 Rz. 8; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 125 Rz. 5. 9) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 125 Rz. 17; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 125 Rz. 11. 10) Die überzeugende h. L. will die Pflicht der Gesellschaft auf Fälle begrenzen, in denen der Wahlvorschlag von der Verwaltung kommt, etwa Hölters-Drinhausen, AktG, § 125 Rz. 10; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 125 Rz. 6; Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 125 Rz. 41; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 125 Rz. 20; a. A. unter Hinweis auf das Ziel umfassender Transparenz Kubis in: MünchKomm-AktG, § 125 Rz. 13. 11) Schröer, ZIP 1999, 1163, 1163 m. w. N.; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 125 Rz. 14; a. A. Schütze, AG 1967, 342. 12) § 6 Abs. 1 MitbestG, § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 DrittelbG, § 3 Abs. 1 Montan-MitbestG, § 3 Abs. 1 Satz 2 Montan-MitbestGErgG. 13) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 125 Rz. 21 m. w. N.; a. A. Kubis in: MünchKomm-AktG, § 125 Rz. 14, welchem zufolge der Tag der Übersendung der Mitteilung nach § 125 Abs. 1 maßgeblich ist. 14) Begr. RegE z. KonTraG, BT-Drucks. 13/9712, S. 17. 15) Begr. RegE z. KonTraG, BT-Drucks. 13/9712, S. 17; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 125 Rz. 6.

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Mitteilungen für die Aktionäre und an Aufsichtsratsmitglieder

§ 125

Maßgeblich ist hierbei die funktionelle Vergleichbarkeit, d. h. die Kompetenzen des Gremiums.16) Ein Unterlassen dieser Angaben führt nicht zur Anfechtbarkeit der in der Hauptversammlung gefassten Beschlüsse.17) In der Praxis sind die nach § 125 Abs. 1 Satz 5 erforderlichen Informationen regelmäßig 10 in der Einberufung enthalten. Eine doppelte Erwähnung ist nicht erforderlich. 3.

Form und Frist

a)

Mitteilungen nach § 125 Abs. 1, Abs. 5

Mitteilungen nach § 125 Abs. 1, 5 können schriftlich oder elektronisch erfolgen; es ge- 11 nügt die Übermittlung eines Exemplars, die Vervielfältigung obliegt dem Empfänger.18) Die Mitteilung ist spätestens 21 Tage vor der Hauptversammlung zu bewirken, wobei gemäß § 125 Abs. 1 Satz 2 der Tag der Mitteilung nicht mitzurechnen ist. Für die Fristberechnung gilt § 121 Abs. 7.19) Für Übernahmesachverhalte gilt § 16 Abs. 4 Satz 5 WpÜG.20) b)

Mitteilungen nach § 125 Abs. 2

Mitteilungen nach § 125 Abs. 2 können ebenfalls schriftlich oder elektronisch erfolgen, 12 soweit der Aktionär Letzterem zustimmt.21) Nach § 125 Abs. 2 Satz 2 kann die Satzung die Übermittlung auf elektronische Kommunikation beschränken. Auch bei Vorliegen einer entsprechenden Satzungsklausel hat der Aktionär gemäß § 49 Abs. 3 Nr. 1 lit. d WpHG aber der elektronischen Übermittlung zuzustimmen, wenn der Emittent deutscher Herkunft (§ 2 Abs. 13 WpHG) ist.22) Die Frist des § 125 Abs. 1 gilt nicht, was bereits daraus deutlich wird, dass es für die Mitteilung an Namensaktionäre darauf ankommt, wer zu Beginn des 14. Tages vor der Hauptversammlung im Aktienregister eingetragen ist (siehe Rz. 3).23) Ganz überwiegend wird daher auf § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB zurückgegriffen, sodass die Mitteilung unverzüglich nach dem 14. Tage vor Beginn der Hauptversammlung erfolgen muss.24) Eine Nichteinhaltung der Frist ist unbeachtlich, wenn dem Aktionär noch genügend Zeit zur Vorbereitung auf die Hauptversammlung bleibt.25) c)

Mitteilungen nach § 125 Abs. 3

Es ist umstritten, ob hier durch die Beibehaltung des Wortes „übersendet“ Papierform er- 13 forderlich ist.26) Dies ist abzulehnen; eine elektronische Übermittlung ist zulässig. Zur Frist gilt das oben Gesagte (siehe Rz. 12) entsprechend. _____________ Schröer, ZIP 1999, 1163, 1165; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 125 Rz. 22 m. w. N. Kubis in: MünchKomm-AktG, § 125 Rz. 41 m. w. N.; Hölters-Drinhausen, AktG, § 125 Rz. 14. Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 125 Rz. 23; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 125 Rz. 35. Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 125 Rz. 28; Grigoleit-Herrler, AktG, § 125 Rz. 17. Vgl. hierzu Kubis in: MünchKomm-AktG, § 125 Rz. 52. Vgl. Evers/Fett, NZG 2012, 530, 534; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 125 Rz. 11. Vgl. Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 125 Rz. 25; Grigoleit-Herrler, AktG, § 125 Rz. 15. Kubis in: MünchKomm-AktG, § 125 Rz. 29 m. w. N.; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 125 Rz. 30a m. w. N. 24) Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 125 Rz. 91, die ab diesem Zeitpunkt eine Versendungsfrist von weniger als 24 Stunden annehmen; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 125 Rz. 43; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 125 Rz. 29. 25) Kubis in: MünchKomm-AktG, § 125 Rz. 42. 26) So etwa Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 125 Rz. 27 m. w. N.; a. A. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 125 Rz. 16; bei Einwilligung elektronische Mitteilung möglich: K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 125 Rz. 36; Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 125 Rz. 80.

16) 17) 18) 19) 20) 21) 22) 23)

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§ 125 4.

Mitteilungen für die Aktionäre und an Aufsichtsratsmitglieder Rechtsfolgen

14 Eine Verletzung des § 125 Abs. 1 Satz 1 bis 5 Halbs. 1 und § 125 Abs. 2 und 3 begründet eine Beschlussanfechtbarkeit, wenn sie für das Zustandekommen relevant war.27) Irrelevant ist ein Verstoß gegen Mitteilungspflichten, wenn ein fiktiver Durchschnittsaktionär trotz Kenntnis des Fehlers dem Beschlussantrag zugestimmt hätte.28) Zu bejahen ist die Relevanz in der Regel beim vollständigen Unterlassen der Mitteilung gemäß § 125 Abs. 1, nicht aber beim versehentlichen Unterlassen der Mitteilung an einzelne Aktionäre oder AR-Mitglieder.29) Zu Verstößen gegen § 125 Abs. 1 Satz 5 Halbs. 2 siehe Rz. 9. III.

Mitteilungspflichten nach der Hauptversammlung (§ 125 Abs. 4)

1.

Mitteilungsempfänger

15 Mitteilungsempfänger sind diejenigen Aufsichtsratsmitglieder und Aktionäre, die dies verlangen. Das Verlangen kann formlos erfolgen.30) 2.

Mitteilungsinhalt

16 Mitteilungsinhalt sind die von der Hauptversammlung gefassten Beschlüsse zu Sachanträgen.31) Die Mitteilung konkreter Abstimmungsergebnisse ist nicht erforderlich, aber unschädlich. Reine Verfahrensbeschlüsse sind nicht mitzuteilen.32) Die Pflicht tritt bei börsennotierten Gesellschaften neben § 130 Abs. 6. 3.

Form und Frist

17 Die Mitteilung kann schriftlich oder elektronisch erfolgen, wobei § 49 Abs. 3 Nr. 1 lit. d WpHG zu beachten ist. Die Mitteilung hat unverzüglich (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB) zu erfolgen. Die Frist des § 130 Abs. 6 hat keine Maßstabsfunktion, da diese die Veröffentlichung der konkreten Abstimmungsergebnisse betrifft, welche nach § 125 Abs. 4 gerade nicht mitzuteilen sind.33) 4.

Rechtsfolge bei Verstößen

18 Ein Verstoß gegen § 125 Abs. 4 führt nicht zur Anfechtbarkeit von Beschlüssen, da das nachträgliche Unterlassen einer Mitteilung dafür nicht ursächlich geworden ist. Jedoch könnte die materielle Präklusionsfrist des § 246 Abs. 1 für Aktionäre verlängert werden, die nicht anwesend oder vertreten waren auch das ist aus Gründen der Rechtssicherheit richtigerweise abzulehnen. Auch Schadensersatzansprüche von Aktionären gemäß § 280 Abs. 1 BGB sind möglich.34) _____________ 27) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 125 Rz. 19; Grigoleit-Herrler, AktG, § 125 Rz. 21. 28) Kubis in: MünchKomm-AktG, § 125 Rz. 39; ähnlich Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 125 Rz. 156 – Maßstab ist ein die Treuepflicht achtender Aktionär, nicht ein Querulant. 29) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 125 Rz. 40; ausführlich Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 125 Rz. 156 ff. 30) Henssler/Strohn-Liebscher, GesR, § 125 AktG Rz. 11; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 125 Rz. 50. 31) Grigoleit-Herrler, AktG, § 125 Rz. 20; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 125 Rz. 36. 32) Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 125 Rz. 181; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 125 Rz. 36. 33) Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 125 Rz. 184; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 125 Rz. 35; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 125 Rz. 36; a. A. wohl K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 125 Rz. 51; Heidel-Müller, AktR, § 125 AktG Rz. 29, mit dem Hinweis auf fehlenden Mehraufwand seitens der Gesellschaft und die erleichterte Prüfung der Erfolgsaussichten von Anfechtungsklagen durch Aktionäre, was überflüssigen Anfechtungen vorbeuge. 34) Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 125 Rz. 189 f.

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§ 126

Anträge von Aktionären

§ 126 Anträge von Aktionären (1) 1Anträge von Aktionären einschließlich des Namens des Aktionärs, der Begründung und einer etwaigen Stellungnahme der Verwaltung sind den in § 125 Abs. 1 bis 3 genannten Berechtigten unter den dortigen Voraussetzungen zugänglich zu machen, wenn der Aktionär mindestens 14 Tage vor der Versammlung der Gesellschaft einen Gegenantrag gegen einen Vorschlag von Vorstand und Aufsichtsrat zu einem bestimmten Punkt der Tagesordnung mit Begründung an die in der Einberufung hierfür mitgeteilte Adresse übersandt hat. 2Der Tag des Zugangs ist nicht mitzurechnen. 3Bei börsennotierten Gesellschaften hat das Zugänglichmachen über die Internetseite der Gesellschaft zu erfolgen. 4§ 125 Abs. 3 gilt entsprechend. (2) 1Ein Gegenantrag und dessen Begründung brauchen nicht zugänglich gemacht zu werden, 1. soweit sich der Vorstand durch das Zugänglichmachen strafbar machen würde, 2. wenn der Gegenantrag zu einem gesetz- oder satzungswidrigen Beschluß der Hauptversammlung führen würde, 3. wenn die Begründung in wesentlichen Punkten offensichtlich falsche oder irreführende Angaben oder wenn sie Beleidigungen enthält, 4. wenn ein auf denselben Sachverhalt gestützter Gegenantrag des Aktionärs bereits zu einer Hauptversammlung der Gesellschaft nach § 125 zugänglich gemacht worden ist, 5. wenn derselbe Gegenantrag des Aktionärs mit wesentlich gleicher Begründung in den letzten fünf Jahren bereits zu mindestens zwei Hauptversammlungen der Gesellschaft nach § 125 zugänglich gemacht worden ist und in der Hauptversammlung weniger als der zwanzigste Teil des vertretenen Grundkapitals für ihn gestimmt hat, 6. wenn der Aktionär zu erkennen gibt, daß er an der Hauptversammlung nicht teilnehmen und sich nicht vertreten lassen wird, oder 7. wenn der Aktionär in den letzten zwei Jahren in zwei Hauptversammlungen einen von ihm mitgeteilten Gegenantrag nicht gestellt hat oder nicht hat stellen lassen. 2

Die Begründung braucht nicht zugänglich gemacht zu werden, wenn sie insgesamt mehr als 5.000 Zeichen beträgt. (3) Stellen mehrere Aktionäre zu demselben Gegenstand der Beschlußfassung Gegenanträge, so kann der Vorstand die Gegenanträge und ihre Begründungen zusammenfassen.

Literatur: Ihrig/Wagner, Rechtsfragen bei der Vorbereitung von Hauptversammlungen börsennotierter Gesellschaften, in: Festschrift für Sebastian Spiegelberger, 2009, S. 722; Mutter, Gegenanträge – was sind 5.000 Zeichen?, ZIP 2002, 1759; Noack, Das neue Recht der Gegenanträge nach § 126 AktG, BB 2003, 1393; Sasse, § 126 AktG – Rechtsunsicherheiten bei der Behandlung von Gegenanträgen, NZG 2004, 153.

Übersicht I. Regelungsgehalt, Bedeutung ........... 1 II. Zugänglichmachung von Gegenanträgen .............................................. 2 1. Voraussetzungen ................................ 2 2. Zugänglichmachung ........................... 8

III. Ausnahmen von der Pflicht zur Zugänglichmachung (§ 126 Abs. 2) ................................................. 9 IV. Zusammenfassungsrecht des Vorstands (§ 126 Abs. 3) ................. 16 V. Rechtsfolgen von Verstößen ......... 17

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§ 126 I.

Anträge von Aktionären Regelungsgehalt, Bedeutung

1 Die Regelung dient der frühzeitigen Information der Aktionäre über angekündigte Gegenanträge zu Beschlussvorschlägen der Verwaltung.1) Für Übernahmesachverhalte gilt § 16 Abs. 4 Satz 7 WpÜG. II.

Zugänglichmachung von Gegenanträgen

1.

Voraussetzungen

2 Antragsberechtigt sind sämtliche Aktionäre, deren Rechte nicht ruhen.2) Maßgeblicher Zeitpunkt ist der Eingang des Antrags bei der Gesellschaft.3) Eine offene Stellvertretung ist zulässig.4) Ebenso sind Legitimationsaktionäre i. R. ihrer Ermächtigung antragsberechtigt.5) Der Aktionär hat innerhalb der Frist des § 126 Abs. 1 einen zeitnahen Legitimationsnachweis zu erbringen, sofern seine Aktionärsstellung der Gesellschaft nicht bekannt ist.6) Will die Gesellschaft einen Gegenantrag wegen fehlender Legitimation nicht veröffentlichen, muss sie den Aktionär zuvor darauf hinweisen und ihm Gelegenheit geben, die Unterlagen fristgerecht zu komplettieren. 3 Ein Gegenantrag liegt vor, wenn der Aktionär einem Beschlussvorschlag der Verwaltung zu einem bestimmten Tagesordnungspunkt (zu Wahlvorschlägen vgl. auch § 127) einen inhaltlich abweichenden Beschlussantrag entgegensetzt.7) Dies ist dann nicht der Fall, wenn der Aktionär lediglich beantragt, gegen den Verwaltungsvorschlag zu stimmen. Streitig ist die Einstufung lediglich ablehnender Gegenanträge, sofern das Gesetz einen Sachbeschluss zwingend vorsieht (z. B. über die Gewinnverwendung oder Vorstandsentlastung). Während auch hier die Qualität eines Gegenantrags zum Teil verneint wird,8) will die wohl h. L. durch Auslegung das etwaige Ziel ermitteln, die Hauptversammlung zu einer „irgendwie andersartigen“ Sachentscheidung zu veranlassen und damit einen Gegenantrag annehmen.9) In der Praxis empfiehlt sich hier ob der ungeklärten Rechtslage vorsorglich eine Veröffentlichung. Nicht publizitätspflichtig sind bedingte oder alternative Gegenanträge,10) wohl aber Haupt- und Hilfsgegenanträge.11) Weiterhin soll die Pflicht zur Zugänglichmachung in Fällen der Konkretisierung eines Verwaltungsvorschlags durch einen Aktionär, bei der Unterstützung eines von mehreren alternativen Vorschlägen sowie bei der Beantragung der Vertagung eines Tagesordnungspunktes bestehen.12) _____________ 1) Allg. M., vgl. etwa K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 126 Rz. 1; Grigoleit-Herrler, AktG, § 126 Rz. 1. 2) K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 126 Rz. 13; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 126 Rz. 5. 3) Vgl. Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 126 Rz. 5 m. w. N.; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 126 Rz. 4. 4) Vgl. Kubis in: MünchKomm-AktG, § 126 Rz. 5 m. w. N.; a. A. entgegen dem klaren Wortlaut der Norm K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 126 Rz. 16 – auch mittelbare Stellvertretung zumindest durch institutionelle Stimmrechtsvertreter zulässig. 5) Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 126 Rz. 19; Butzke in: GroßKomm-AktG, § 126 Rz. 10. 6) Nicht zwingend zeitgleich mit dem Gegenantrag, vgl. Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 126 Rz. 7 m. w. N. 7) Vgl. Kubis in: MünchKomm-AktG, § 126 Rz. 9 m. w. N.; Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 126 Rz. 22 f. 8) Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 126 Rz. 25 f.; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 126 Rz. 7, wonach der Gegenantrag überdies ein Sachantrag sein muss, ebenda, Rz. 9. 9) Kubis in: MünchKomm-AktG, § 126 Rz. 12; Grigoleit-Herrler, AktG, § 126 Rz. 5; Spindler/StilzRieckers, AktG, § 126 Rz. 8 m. w. N. 10) Allg. M., Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 126 Rz. 10; Hölters-Drinhausen, AktG, § 126 Rz. 14 u. 6; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 126 Rz. 7; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 126 Rz. 13. 11) Kubis in: MünchKomm-AktG, § 126 Rz. 13; Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 126 Rz. 29. 12) Kubis in: MünchKomm-AktG, § 126 Rz. 13.

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§ 126

Anträge von Aktionären

Teilweise wird für börsennotierte Gesellschaften unter Berufung auf Art. 6 Abs. 1 Unte- 4 rabs. 1 lit. b der Aktionärsrechterichtlinie, wonach von Aktionären Beschlussvorschläge zu allen Punkten der Tagesordnung gemacht werden können, eine europarechtskonforme Auslegung erwogen: Die Pflicht zur Zugänglichmachung bestehe auch, wenn die Verwaltung zu Tagesordnungspunkten eines Minderheitenverlangens (§ 122) keine Beschlussvorschläge unterbreitet.13) Der Gegenantrag ist zu begründen, wofür maximal 5.000 Zeichen (siehe Rz. 15) in An- 5 spruch genommen werden dürfen, wenn der Aktionär eine Zugänglichmachung auch der Begründung wünscht (§ 126 Abs. 2 Satz 2). Der Gegenantrag muss nicht schriftlich gestellt werden, es genügt Textform und Über- 6 mittlung per Fax, E-Mail u. Ä.14) Gibt die Gesellschaft eine Adresse für die Übermittlung von Gegenanträgen an, so handelt es sich hierbei um die ausschließliche Zugangsmöglichkeit für diese; eine Übermittlung an sonstige E-Mail-Adressen bzw. Faxnummern bzw. die Versendung an sonstige Niederlassungen der Gesellschaft scheidet dann aus.15) Gegenanträge müssen der Gesellschaft spätestens 14 Tage vor der Hauptversammlung 7 zugehen, wobei der Tag des Zugangs nach § 126 Abs. 2 nicht mitzurechnen ist. Die Fristberechnung richtet sich nach § 121 Abs. 7. Nach Fristablauf übermittelte Gegenanträge müssen nicht, können jedoch von der Gesellschaft freiwillig zugänglich gemacht werden.16) 2.

Zugänglichmachung

Börsennotierte Gesellschaften haben Gegenanträge auf ihrer Internetseite zugänglich zu 8 machen (§ 126 Abs. 1 Satz 3), nicht börsennotierte Gesellschaften können die Gegenanträge auch im Bundesanzeiger (§ 25) veröffentlichen oder den Berechtigten individuell zusenden.17) Aufsichtsratsmitglieder können stets die Übersendung der Gegenanträge verlangen (§ 126 Abs. 1 Satz 4). Liegen die Voraussetzungen dafür vor, so hat die Zugänglichmachung unverzüglich nach Eingang und Prüfung des jeweiligen Gegenantrags sowie ggf. nach Verfassung einer Stellungnahme der Verwaltung zu erfolgen.18) III.

Ausnahmen von der Pflicht zur Zugänglichmachung (§ 126 Abs. 2)

§ 126 Abs. 2 Satz 1 enthält eine abschließende19) Aufzählung von Gründen, bei deren 9 Vorliegen ein ansonsten ordnungsgemäß übermittelter Gegenantrag nicht zugänglich gemacht werden muss. Praktisch relevant sind vor allem die Ausschlussgründe des § 126 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3.20) Für börsennotierte Gesellschaften wird z. T. eine (in ihrer Reichweite umstrittene) einschränkende Auslegung propagiert, um den Vorgaben der Aktionärsrechterichtlinie zu entsprechen: Während Absatz 2 uneingeschränkt für die _____________ 13) Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 126 Rz. 27 f.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 126 Rz. 2 m. w. N. 14) Grigoleit-Herrler, AktG, § 126 Rz. 8 m. w. N. 15) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 126 Rz. 15 f. m. w. N., wonach allerdings im Fall von nur einer E-MailAdresse oder nur einer Fax-Nummer nach – zu hinterfragender – h. M. ein Zugang am Verwaltungssitz (per Post oder durch Aushändigung) weiterhin möglich sein soll. 16) Ausführlich Ihrig/Wagner in: FS Spiegelberger, 2009, S. 722, 728 f.; ebenso Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 126 Rz. 18; Grigoleit-Herrler, AktG, § 126 Rz. 9; Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 126 Rz. 44 – Gleichbehandlungsgrundsatz gemäß § 53a ist zu berücksichtigen. 17) Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 126 Rz. 59 ff. m. w. N.; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 126 Rz. 27. 18) Allg. M., vgl. etwa K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 126 Rz. 29 m. w. N.; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 126 Rz. 24 m. w. N. 19) LG Frankfurt/M., Urt. v. 20.1.1992 – 3/1 O 169/91, AG 1992, 235, 236. 20) Vgl. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 126 Rz. 8 f.

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§ 126

Anträge von Aktionären

Antragsbegründung gelte, seien zumindest Absatz 2 Satz 1 Nr. 6 und 7 auf den Gegenantrag selbst nicht anzuwenden.21) 10 Nach § 126 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 muss ein Gegenantrag nicht zugänglich gemacht werden, soweit sich der Vorstand hierdurch strafbar machen würde. Dies ist weit auszulegen und erfasst auch Ordnungswidrigkeiten.22) Aufgrund des von den anderen Ziffern abweichenden Wortlauts („soweit“ statt „wenn“) ist der Vorstand verpflichtet, zur Strafbarkeit führende Passagen zu streichen, soweit dies ohne Sinnentstellung möglich ist, und die gekürzte Fassung zugänglich zu machen.23) 11 Gemäß § 126 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 müssen Gegenanträge, die auf die Fassung eines gesetzesoder satzungswidrigen Beschlusses gerichtet sind, nicht zugänglich gemacht werden. Hier handelt es sich um Beschlüsse, die bei ihrem Zustandekommen nichtig oder anfechtbar wären, unabhängig davon, ob dies auf formellen oder materiellen Beschlussmängeln beruht.24) 12 Die Zugänglichmachung kann gemäß § 126 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ferner unterbleiben, wenn die Begründung oder der Gegenantrag selbst25) in wesentlichen Punkten offensichtlich falsche oder irreführende Angaben oder Beleidigungen enthält. Der Wortlaut erlaubt es, den Gegenantrag in diesen Fällen insgesamt nicht zugänglich zu machen („wenn“ statt „soweit“). Dies ist zu begrüßen, da die Vorschrift infolge ihrer Beschränkung auf „wesentliche Punkte“ ohnehin nur schwerwiegende Fälle erfasst. § 126 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Alt. 1 umfasst nur Angaben zu Tatsachen, die den Kern der Begründung ausmachen.26) Für die Wesentlichkeit der Tatsachen ist entscheidend, dass ein verständiger Durchschnittsaktionär bei der Entscheidung über seine Stimmabgabe durch sie beeinflusst würde.27) Die Angaben müssen für den unbefangenen, mit den Verhältnissen nicht vertrauten Leser offensichtlich falsch oder irreführend sein.28) Beleidigungen (§ 185 StGB) sowie üble Nachrede (§ 186 StGB) und Verleumdungen (§ 187 StGB) lassen die Pflicht zur Zugänglichmachung auch dann entfallen, wenn sie nicht wesentliche Punkte der Begründung betreffen, es sei denn, der Aktionär kann ein berechtigtes Interesse (§ 193 StGB) glaubhaft machen oder den Wahrheitsbeweis erbringen (§§ 186, 187 StGB).29) 13 Nicht ernst gemeinte Gegenanträge müssen nach § 126 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 nicht zugänglich gemacht werden. Maßstab ist, ob der Aktionär unzweifelhaft zu erkennen gibt, dass er nicht an der Hauptversammlung teilnehmen und sich nicht vertreten lassen wird,30) _____________ 21) Grigoleit-Herrler, AktG, § 126 Rz. 13; Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 126 Rz. 70; strenger K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 126 Rz. 33 ff. – Nr. 3 bis 7 nicht anwendbar; im Ergebnis eine richtlinienkonforme Auslegung ablehnend Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 126 Rz. 27a. 22) Butzke in: GroßKomm-AktG, § 126 Rz. 57; Hölters-Drinhausen, AktG, § 126 Rz. 15; Spindler/StilzRieckers, AktG, § 126 Rz. 28; a. A. Kubis in: MünchKomm-AktG, § 126 Rz. 29 – Beschränkung auf Straftaten. 23) Kubis in: MünchKomm-AktG, § 126 Rz. 29; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 126 Rz. 28 m. w. N. 24) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 126 Rz. 29; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 126 Rz. 30; HöltersDrinhausen, AktG, § 126 Rz. 16. 25) Allg. M., vgl. Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 126 Rz. 31 m. w. N.; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 126 Rz. 40 m. w. N. 26) Allg. M., vgl. etwa K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 126 Rz. 40 m. w. N.; Kubis in: MünchKommAktG, § 126 Rz. 34 m. w. N. 27) Grigoleit-Herrler, AktG, § 126 Rz. 14; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 126 Rz. 32. 28) OLG Stuttgart, Urt. v. 1.12.1994 – 13 U 46/94, ZIP 1995, 378, 379; Grigoleit-Herrler, AktG, § 126 Rz. 14. 29) Allg. M., vgl. etwa Kubis in: MünchKomm-AktG, § 126 Rz. 35 m. w. N. 30) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 126 Rz. 39; Grigoleit-Herrler, AktG, § 126 Rz. 14; weiter Kubis in: MünchKomm-AktG, § 126 Rz. 35 – Publizitätspflicht entfällt auch, wenn Antragsteller aus Rechtsgründen nicht an der Hauptversammlung teilnehmen kann; dies ablehnend K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 126 Rz. 43.

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§ 126

Anträge von Aktionären

denn dort müssen die Anträge mündlich gestellt werden. Unterhalb der Schwelle der eindeutigen Erkennbarkeit liegt nur eine Ankündigung vor. Auch die Zugänglichmachung rein destruktiver Gegenanträge i. S. des § 126 Abs. 2 14 Satz 1 Nr. 4, 5 und 7 kann unterbleiben.31) Bei überlanger Begründung kann gemäß § 126 Abs. 2 Satz 2 eine Zugänglichmachung 15 der Begründung, nicht aber des Gegenantrags als solchem, unterbleiben. Überlang ist die Begründung, wenn sie mehr als 5.000 Zeichen umfasst. Hierzu zählen Satzzeichen und nach bestrittener Ansicht auch Leerzeichen.32) Der Vorstand hat nach h. L. ein Recht zur sinnwahrenden Kürzung, nicht aber zur Zugänglichmachung nur der ersten 5.000 Zeichen.33) Da der Wortlaut („wenn“) das Recht gewährt, die Begründung insgesamt nicht zugänglich zu machen, ist eine Kürzung weder notwendig noch empfehlenswert. IV.

Zusammenfassungsrecht des Vorstands (§ 126 Abs. 3)

Stellen mehrere Aktionäre zu demselben Beschlussgegenstand Gegenanträge, so kann der 16 Vorstand diese Anträge und ihre Begründungen zusammenfassen, auch wenn sie inhaltlich voneinander abweichen.34) Voraussetzung ist, dass die Gegenanträge in ihrem Kern erhalten bleiben und dass bei Abweichungen eine Zuordnung zum betreffenden Aktionär nach wie vor möglich ist.35) Teilweise wird vertreten, Absatz 3 sei wegen Verstoßes gegen die Aktionärsrechterichtlinie für börsennotierte Gesellschaften nicht anzuwenden.36) Zur Vermeidung der Anfechtbarkeit von Beschlüssen (siehe Rz. 17) ist dieses Recht jedenfalls mit Vorsicht anzuwenden. V.

Rechtsfolgen von Verstößen

Unterbleibt die Zugänglichmachung eines Gegenantrags zu Unrecht, so führt dies bei 17 Relevanz zur Anfechtbarkeit des betroffenen Hauptversammlungsbeschlusses gemäß § 243 Abs. 1. Dasselbe gilt für eine Zusammenfassung der Gegenanträge bzw. ihrer Begründungen unter Verstoß gegen § 126 Abs. 3. Die Relevanz ist hierbei jeweils im Einzelfall zu prüfen.37) Sofern ein inhaltlich identischer Gegenantrag zugänglich gemacht wurde, wird es hieran fehlen, nicht aber, wenn ein Gegenantrag samt Begründung gar nicht zugänglich gemacht wurde.38) Zu beachten ist außerdem die Beweislastverteilung: Verstöße gegen § 126 Abs. 1 muss der Aktionär, das Vorliegen einer Ausnahme nach § 126 Abs. 2 die Gesellschaft darlegen und beweisen.39) _____________ 31) K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 126 Rz. 44. 32) Vgl. Mutter, ZIP 2002, 1759, 1759; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 126 Rz. 40; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 126 Rz. 41 m. w. N.; a. A. Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 126 Rz. 108; Hüffer/KochKoch, AktG, § 126 Rz. 9. 33) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 126 Rz. 9; Bürgers/Körber-Reger, AktG, § 126 Rz. 24; Spindler/StilzRieckers, AktG, § 126 Rz. 42 m. w. N; a. A. Heidel-Müller, AktR, § 126 AktG Rz. 33 – auch Zugänglichmachung der ersten 5.000 Zeichen möglich; a. A. Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 126 Rz. 107 – auch keine Berechtigung zur Kürzung; wie letztgenannte Kubis in: MünchKomm-AktG, § 126 Rz. 40. 34) Kubis in: MünchKomm-AktG, § 126 Rz. 42 f.; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 126 Rz. 43. 35) K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 126 Rz. 46; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 126 Rz. 44; Noack/ Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 126 Rz. 112. 36) Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 126 Rz. 110; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 126 Rz. 47; a. A. Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 126 Rz. 43. 37) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 126 Rz. 45 m. w. N. 38) Ausführlich Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 126 Rz. 114 ff. 39) Hölters-Drinhausen, AktG, § 126 Rz. 26; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 126 Rz. 48.

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§ 127

Wahlvorschläge von Aktionären

§ 127 Wahlvorschläge von Aktionären 1

Für den Vorschlag eines Aktionärs zur Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern oder von Abschlußprüfern gilt § 126 sinngemäß. 2Der Wahlvorschlag braucht nicht begründet zu werden. 3Der Vorstand braucht den Wahlvorschlag auch dann nicht zugänglich zu machen, wenn der Vorschlag nicht die Angaben nach § 124 Absatz 3 Satz 4 und § 125 Abs. 1 Satz 5 enthält. 4Der Vorstand hat den Vorschlag eines Aktionärs zur Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern börsennotierter Gesellschaften, für die das Mitbestimmungsgesetz, das Montan-Mitbestimmungsgesetz oder das Mitbestimmungsergänzungsgesetz gilt, mit folgenden Inhalten zu versehen: 1. Hinweis auf die Anforderungen des § 96 Absatz 2, 2. Angabe, ob der Gesamterfüllung nach § 96 Absatz 2 Satz 3 widersprochen wurde und 3. Angabe, wie viele der Sitze im Aufsichtsrat mindestens jeweils von Frauen und Männern besetzt sein müssen, um das Mindestanteilsgebot nach § 96 Absatz 2 Satz 1 zu erfüllen. Literatur: Rahlmeyer, Die Stellungnahme der Verwaltung zu Wahlvorschlägen von Aktionären gem. § 127 AktG, ZIP 2015, 1958.

1 Die Norm ergänzt § 126 dahingehend, dass den in § 125 Abs. 1 – 3 genannten Berechtigten auch Vorschläge seitens der Aktionäre zur Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern oder Abschlussprüfern zugänglich zu machen sind. Sie dient wie § 126 der Information der Aktionäre. 2 Abweichend von § 126 Abs. 1 Satz 1 ist eine Begründung des Wahlvorschlags nicht erforderlich (Satz 2). Gemäß Satz 3 muss der Vorstand den Wahlvorschlag neben den Fällen des § 126 Abs. 2 auch dann nicht zugänglich machen, wenn der Vorschlag die von § 124 Abs. 3 Satz 4 und § 125 Abs. 1 Satz 5 geforderten Angaben nicht enthält. Der Aktionär hat also den Namen, Beruf und Wohnort des Kandidaten (siehe dazu § 124 Rz. 29) anzugeben sowie bei einer börsennotierten Gesellschaft, ob die zur Wahl vorgeschlagene Person Mitglied in anderen gesetzlich zu bildenden Aufsichtsräten ist. Angaben zur Mitgliedschaft in vergleichbaren in- und ausländischen Kontrollgremien „sollen“, müssen aber nicht gemacht werden.1) 3 Anders als i. R. von § 126 wird teilweise für verpflichtend gehalten bzw. zur Vermeidung eines Anfechtungsrisikos empfohlen, dass Stellungnahmen zu Wahlvorschlägen ausschließlich vom Aufsichtsrat abgegeben werden.2) 4 § 127 Satz 4 wurde im Zuge des Gesetzes für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen eingefügt.3) Wahlvorschläge von Aktionären sind hiernach um die abstrakten Anforderungen des § 96 Abs. 2 (siehe § 96 Rz. 11) durch den Vorstand – also nicht durch den Aktionär – zu ergänzen. Teilweise wird vertreten, § 127 Satz 4 wegen der etwas abweichenden Anforderungen für Wahlvorschläge des Aufsichtsrats in § 124 Abs. 2 Satz 24) teleologisch „auf Null“ zu reduzieren.5) Zu den Hinweisen bzgl. eines etwaigen Widerspruchs gegen die Gesamterfüllung und zur Aufsichtsrats-Besetzung siehe § 96 Rz. 13. _____________ 1) 2) 3) 4) 5)

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Vgl. Heidel-Müller, AktR, § 127 AktG Rz. 6; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 127 Rz. 6. Rahlmeyer, ZIP 2015, 1958, 1959 f.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 127 Rz. 1. Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst v. 24.4.2015, BGBl. I 2015, 642. Dort entfallen die Pflicht zur Ergänzung des Vorschlags um die abstrakten Anforderungen des § 96 Abs. 2 sowie das Erfordernis zur Eingliederung der Zusatzangaben in den Wahlvorschlag (Angabe in der Bekanntmachung reicht aus). K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 127 Rz. 11 f.; ablehnend Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 127 Rz. 2.

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§ 127a

Aktionärsforum

§ 127a Aktionärsforum (1) Aktionäre oder Aktionärsvereinigungen können im Aktionärsforum des Bundesanzeigers andere Aktionäre auffordern, gemeinsam oder in Vertretung einen Antrag oder ein Verlangen nach diesem Gesetz zu stellen oder in einer Hauptversammlung das Stimmrecht auszuüben. (2) Die Aufforderung hat folgende Angaben zu enthalten: 1. den Namen und eine Anschrift des Aktionärs oder der Aktionärsvereinigung, 2. die Firma der Gesellschaft, 3. den Antrag, das Verlangen oder einen Vorschlag für die Ausübung des Stimmrechts zu einem Tagesordnungspunkt, 4. den Tag der betroffenen Hauptversammlung. (3) Die Aufforderung kann auf eine Begründung auf der Internetseite des Auffordernden und dessen elektronische Adresse hinweisen. (4) Die Gesellschaft kann im Bundesanzeiger auf eine Stellungnahme zu der Aufforderung auf ihrer Internetseite hinweisen. (5) Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung die äußere Gestaltung des Aktionärsforums und weitere Einzelheiten insbesondere zu der Aufforderung, dem Hinweis, den Entgelten, zu Löschungsfristen, Löschungsanspruch, zu Missbrauchsfällen und zur Einsichtnahme zu regeln. Literatur: Bayer/Hoffmann, Aktionärsforum im Dornröschenschlaf, AG 2013, R 61; Seibert, Aktionärsforum und Aktionärsforumsverordnung nach § 127a AktG, AG 2006, 16; Spindler, Die Reform der Hauptversammlung und der Anfechtungsklage durch das UMAG, NZG 2005, 825.

Übersicht I. Regelungsgehalt und Bedeutung .... 1 II. Aufforderung im Aktionärsforum (§ 127a Abs. 1) ........................ 4 III. Inhalt der Aufforderung (§ 127a Abs. 2) .................................... 8 I.

IV. Begründung der Aufforderung (§ 127a Abs. 3) ................................. 10 V. Stellungnahme der Gesellschaft (§ 127a Abs. 4) ................................. 12

Regelungsgehalt und Bedeutung

Das Aktionärsforum ist eine Rubrik des Bundesanzeigers (erreichbar über www.bundes- 1 anzeiger.de). Die Ausgestaltung ist durch die Verordnung über das Aktionärsforum nach § 127a des AktG1) näher geregelt. Zweck ist es, die Kommunikation unter den Aktionären sowie deren Stimmrechtsaus- 2 übung zu erleichtern; dies soll das Erreichen von Schwellenwerten zur Ausübung von Minderheitenrechten (z. B. §§ 122, 142 Abs. 2, 148 Abs. 2 Satz 2) begünstigen und dadurch zu einer verbesserten Eigentümerkontrolle führen.2)

_____________ 1) 2)

Verordnung über das Aktionärsforum nach § 127a des AktG v. 22.11.2005 (AktFoV), BGBl. I 2005, 3193. Vgl. Begr. RegE z. UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 15.

Dirk Kocher

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§ 127a

Aktionärsforum

3 Das Aktionärsforum ist misslungen und in der Praxis quasi bedeutungslos.3) Es haben sich stattdessen private Foren gebildet,4) die anders als das Aktionärsforum kostenlos sind (siehe Rz. 7) und nicht den hier beschriebenen Restriktionen unterliegen. 4

5

6

7

II. Aufforderung im Aktionärsforum (§ 127a Abs. 1) Im Aktionärsforum dürfen nur Aufforderungen veröffentlicht werden und keine Begründungen, Stellungnahmen oder sonstige Meinungsäußerungen.5) Hinweise darauf sind jedoch zulässig (§ 127a Abs. 3 und 4, siehe dazu auch Rz. 10). Eintragungen sind in Deutsch oder Englisch abzufassen (§ 1 Abs. 2 Satz 2 AktFoV). Die Aufforderung im Aktionärsforum stellt für sich noch kein abgestimmtes Verhalten i. S. des § 34 Abs. 2 WpHG und § 30 Abs. 2 WpÜG dar. Gegenstand einer Aufforderung kann die Stellung eines Antrags oder eines Verlangens nach dem AktG sein. Andere Gesetze bleiben außer Betracht.6) Zudem kann die Aufforderung auf die Ausübung des Stimmrechts gerichtet sein. Zur Veröffentlichung einer Aufforderung sind gemäß § 127a Abs. 1 nur Aktionäre oder Aktionärsvereinigungen (siehe dazu § 125 Rz. 2) berechtigt. Zum Nachweis genügt eine Versicherung gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 AktFoV, sofern keine Zweifel vorliegen. In diesem Fall kann der Betreiber die Vorlage von Nachweisen in Schrift- oder Textform verlangen (§ 3 Abs. 2 Satz 2 AktFoV). Vor Veröffentlichung ist die Registrierung unter Angabe der in § 3 Abs. 1 AktFoV genannten Informationen erforderlich.7) Auf die Veröffentlichung hat der Aktionär keinen Anspruch;8) sie erfolgt aufgrund eines Vertrages mit dem Bundesanzeiger gegen ein Entgelt (i. H. v. derzeit pauschal 25 € für eine Eintragung).9) Die bloße Einsichtnahme ist jederzeit für jedermann kostenfrei und ohne Registrierung möglich, § 7 Abs. 1 Satz 1 AktFoV.

III. Inhalt der Aufforderung (§ 127a Abs. 2) 8 § 127a Abs. 2 Nr. 1 bis 4 zählen den notwendigen Inhalt einer Aufforderung auf. Dieser Aufzählung fügt § 3 Abs. 3 Satz 1 AktFoV die Angabe einer E-Mail-Adresse sowie die Erklärung hinzu, ob der Auffordernde als Aktionär oder als Aktionärsvereinigung handelt. 9 Ist eine Aufforderung missbräuchlich (Regelbeispiele in § 3 Abs. 5 Satz 1 AktFoV), wird sie unverzüglich gelöscht, § 3 Abs. 5 Satz 2 AktFoV. IV. Begründung der Aufforderung (§ 127a Abs. 3) 10 Die Aufforderung darf selbst keine Begründung umfassen, aber mittels einer Verlinkung unmittelbar (vgl. § 5 Abs. 1 Satz 1 AktFoV) auf eine Begründung auf der Internetseite des Auffordernden verweisen und dessen E-Mail-Adresse angeben.10) _____________ 3) Bayer/Hoffmann, AG 2013, R 61, R 62; Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 127a Rz. 2. 4) Bayer/Hoffmann, AG 2013, R 61, R 62; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 127a Rz. 2 – Chat Boards privater Wirtschaftsdienste. 5) Bürgers/Körber-Reger, AktG, § 127a Rz. 2. 6) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 127a Rz. 11a; weiteres Verständnis dagegen bei Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 127a Rz. 39, und bei Kubis in: MünchKomm-AktG, § 127a Rz. 5 – Norm ist auch auf vergleichbare Situationen in Spezialgesetzen anzuwenden. 7) Eine Identitätsüberprüfung – etwa durch Postident-Verfahren, wie vorgeschlagen von Spindler, NZG 2005, 825, 828 – erfolgt bei der Registrierung nicht; sie ist auch nicht erforderlich, vgl. Seibert, AG 2006, 16, 18. 8) Begr. RegE z. UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 16; der Bundesanzeigers soll aber aufgrund seiner Monopolstellung einem Kontrahierungszwang unterliegen, so Grigoleit-Herrler, AktG, § 127a Rz. 1. 9) Vgl. die Preisliste für das „Aktionärsforum“ im Bundesanzeiger (Stand: 2.3.2017), abrufbar unter: https:// www.bundesanzeiger.de/ebanzwww/i18n/doc//D049Preisliste.pdf?document=D59&language=de (Abrufdatum: 30.5.2018). 10) Begr. RegE z. UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 15 u. 16; kritisch zur Einschränkung auf Internet und elektronische Adresse Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 127a Rz. 4.

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Dirk Kocher

§ 128

Übermittlung der Mitteilungen

Hat die Gesellschaft rechtliche Bedenken gegen die dort veröffentlichte Begründung und 11 möchte gegen diese vorgehen, so stehen ihr die allgemeinen Abwehransprüche und prozessualen Rechtsbehelfe zur Verfügung.11) Die Situation ist vergleichbar mit gesellschaftskritischen Äußerungen eines Aktionärs in sonstigen Foren.12) V.

Stellungnahme der Gesellschaft (§ 127a Abs. 4)

Zu der Aufforderung kann die Gesellschaft nicht unmittelbar im Bundesanzeiger Stellung 12 nehmen; sie kann dies jedoch durch eine Verlinkung, die unmittelbar auf die Seite führt, die eine Stellungnahme enthält.13) Auch bei Löschung der Aufforderung kann dieser Hinweis bei einem berechtigten Interesse der Gesellschaft bestehen bleiben.14) _____________ 11) Begr. RegE z. UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 16. 12) Begr. RegE z. UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 16; dementsprechend Bürgers/Körber-Reger, AktG, § 127a Rz. 7; Spindler, NZG 2005, 825, 828; zum Vorgehen gegen den Betreiber des Bundesanzeigers Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 127a Rz. 26, 23. 13) Begr. RegE z. UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 16. 14) Bürgers/Körber-Reger, AktG, § 127a Rz. 8.

§ 128 Übermittlung der Mitteilungen (1) 1Hat ein Kreditinstitut zu Beginn des 21. Tages vor der Versammlung für Aktionäre Inhaberaktien der Gesellschaft in Verwahrung oder wird es für Namensaktien, die ihm nicht gehören, im Aktienregister eingetragen, so hat es die Mitteilungen nach § 125 Abs. 1 unverzüglich an die Aktionäre zu übermitteln. 2Die Satzung der Gesellschaft kann die Übermittlung auf den Weg elektronischer Kommunikation beschränken; in diesem Fall ist das Kreditinstitut auch aus anderen Gründen nicht zu mehr verpflichtet. (2) Die Verpflichtung des Kreditinstituts zum Ersatz eines aus der Verletzung des Absatzes 1 entstehenden Schadens kann im voraus weder ausgeschlossen noch beschränkt werden. (3) 1Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie und dem Bundesministerium der Finanzen durch Rechtsverordnung vorzuschreiben, dass die Gesellschaft den Kreditinstituten die Aufwendungen für 1. die Übermittlung der Angaben gemäß § 67 Abs. 4 und 2. die Vervielfältigung der Mitteilungen und für ihre Übersendung an die Aktionäre zu ersetzen hat. 2Es können Pauschbeträge festgesetzt werden. 3Die Rechtsverordnung bedarf nicht der Zustimmung des Bundesrates. (4) § 125 Abs. 5 gilt entsprechend. Literatur: Burmeister, Weitergabe-, Mitteilungspflichten und Stimmrechtsvollmacht für Kreditinstitute (§§ 128, 135 AktG), AG 1976, 262; Seibert, Die neue „Verordnung über den Ersatz von Aufwendungen der Kreditinstitute“, ZIP 2003, 1270.

Übersicht I. Regelungsgehalt, Bedeutung ........... 1 III. Rechtsfolgen von Verstößen II. Übermittlung von Mitteilungen (§ 128 Abs. 2) ..................................... 7 (§ 128 Abs. 1) ..................................... 3 IV. Verordnungsermächtigungen 1. Übermittlungspflicht ......................... 3 (§ 128 Abs. 3) ..................................... 9 2. Rechtsnatur und Umfang der Übermittlungspflicht ......................... 5 Dirk Kocher

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§ 128

Übermittlung der Mitteilungen

Hat die Gesellschaft rechtliche Bedenken gegen die dort veröffentlichte Begründung und 11 möchte gegen diese vorgehen, so stehen ihr die allgemeinen Abwehransprüche und prozessualen Rechtsbehelfe zur Verfügung.11) Die Situation ist vergleichbar mit gesellschaftskritischen Äußerungen eines Aktionärs in sonstigen Foren.12) V.

Stellungnahme der Gesellschaft (§ 127a Abs. 4)

Zu der Aufforderung kann die Gesellschaft nicht unmittelbar im Bundesanzeiger Stellung 12 nehmen; sie kann dies jedoch durch eine Verlinkung, die unmittelbar auf die Seite führt, die eine Stellungnahme enthält.13) Auch bei Löschung der Aufforderung kann dieser Hinweis bei einem berechtigten Interesse der Gesellschaft bestehen bleiben.14) _____________ 11) Begr. RegE z. UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 16. 12) Begr. RegE z. UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 16; dementsprechend Bürgers/Körber-Reger, AktG, § 127a Rz. 7; Spindler, NZG 2005, 825, 828; zum Vorgehen gegen den Betreiber des Bundesanzeigers Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 127a Rz. 26, 23. 13) Begr. RegE z. UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 16. 14) Bürgers/Körber-Reger, AktG, § 127a Rz. 8.

§ 128 Übermittlung der Mitteilungen (1) 1Hat ein Kreditinstitut zu Beginn des 21. Tages vor der Versammlung für Aktionäre Inhaberaktien der Gesellschaft in Verwahrung oder wird es für Namensaktien, die ihm nicht gehören, im Aktienregister eingetragen, so hat es die Mitteilungen nach § 125 Abs. 1 unverzüglich an die Aktionäre zu übermitteln. 2Die Satzung der Gesellschaft kann die Übermittlung auf den Weg elektronischer Kommunikation beschränken; in diesem Fall ist das Kreditinstitut auch aus anderen Gründen nicht zu mehr verpflichtet. (2) Die Verpflichtung des Kreditinstituts zum Ersatz eines aus der Verletzung des Absatzes 1 entstehenden Schadens kann im voraus weder ausgeschlossen noch beschränkt werden. (3) 1Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie und dem Bundesministerium der Finanzen durch Rechtsverordnung vorzuschreiben, dass die Gesellschaft den Kreditinstituten die Aufwendungen für 1. die Übermittlung der Angaben gemäß § 67 Abs. 4 und 2. die Vervielfältigung der Mitteilungen und für ihre Übersendung an die Aktionäre zu ersetzen hat. 2Es können Pauschbeträge festgesetzt werden. 3Die Rechtsverordnung bedarf nicht der Zustimmung des Bundesrates. (4) § 125 Abs. 5 gilt entsprechend. Literatur: Burmeister, Weitergabe-, Mitteilungspflichten und Stimmrechtsvollmacht für Kreditinstitute (§§ 128, 135 AktG), AG 1976, 262; Seibert, Die neue „Verordnung über den Ersatz von Aufwendungen der Kreditinstitute“, ZIP 2003, 1270.

Übersicht I. Regelungsgehalt, Bedeutung ........... 1 III. Rechtsfolgen von Verstößen II. Übermittlung von Mitteilungen (§ 128 Abs. 2) ..................................... 7 (§ 128 Abs. 1) ..................................... 3 IV. Verordnungsermächtigungen 1. Übermittlungspflicht ......................... 3 (§ 128 Abs. 3) ..................................... 9 2. Rechtsnatur und Umfang der Übermittlungspflicht ......................... 5 Dirk Kocher

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§ 128

Übermittlung der Mitteilungen

I. Regelungsgehalt, Bedeutung 1 Die Norm betrifft die Übermittlungspflicht der Kreditinstitute und gleichgestellter Finanzdienstleister (§ 128 Abs. 4) bzgl. der Mitteilungen nach § 125 Abs. 1 an Aktionäre, für die zum Record Date Inhaberaktien verwahrt werden oder für die das Institut im Fall von Namensaktien nicht nur vorübergehend im Aktienregister eingetragen ist, vgl. § 67 Abs. 4 Satz 7. Namensaktionäre, die selbst im Aktienregister eingetragen sind, erhalten die Einberufungsmitteilungen i. S. des § 125 Abs. 1 bereits nach § 125 Abs. 2, sofern dessen Voraussetzungen erfüllt sind (siehe § 125 Rz. 3). 2 Zweck der Norm ist die Unterrichtung der anonymen Aktionäre, die die Gesellschaft nicht selbst informieren kann.1) II. 1.

Übermittlung von Mitteilungen (§ 128 Abs. 1) Übermittlungspflicht

3 Die Übermittlungspflicht besteht für alle inländischen Kreditinstitute und gemäß § 128 Abs. 4, § 125 Abs. 5 auch für Finanzdienstleistungsinstitute und für gleichgestellte Unternehmen, d. h. insbesondere Zweigstellen ausländischer Kreditinstitute. Für ausländische Kreditinstitute besteht keine Übermittlungspflicht. Die Pflichten von Aktionärsvereinigungen werden nicht von § 128, sondern von § 135 Abs. 8 geregelt. Eine Übermittlungspflicht der Kreditinstitute besteht auch, wenn diese Zwischenverwahrer sind und die Aktien einer Wertpapiersammelbank (z. B. Clearstream Banking AG) zur Erstverwahrung gegeben wurden (vgl. § 3 DepotG). Die Übermittlungspflicht besteht gegenüber den Aktionären, die zu Beginn des 21. Tages vor der Hauptversammlung (Record Date) dem Kreditinstitut Inhaberaktien in Verwahrung gegeben haben, oder gegenüber Namensaktionären, für die das Kreditinstitut im Aktienregister eingetragen ist. Im letzteren Fall gilt die VierzehnTages-Frist des § 125 Abs. 2 Satz 1: Hier sollte bei § 125 Abs. 1 Alt. 1 ein Gleichlauf mit dem in § 123 Abs. 4 Satz 2 maßgeblichen Stichtag für Inhaberaktien hergestellt werden.2) Diese Intention wird nach allgemeiner Ansicht auch auf Namensaktien ausgedehnt. Rechtstechnisch ist dafür i. R. von § 128 eine Analogie zur Vierzehn-Tages-Frist des § 125 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 erforderlich.3) Die Aktienrechtsnovelle 2016 hat nicht zur Einführung eines Record Date für Namensaktien geführt.4) 4 Die Entstehung der Übermittlungspflicht setzt zusätzlich einzig voraus, dass der Mitteilungsschuldner die Mitteilungen von der Gesellschaft erhält.5) Soweit das Kreditinstitut oder das gleichgestellte Unternehmen die Mitteilung nicht erhält, ist der Übermittlungspflicht eine Anforderungspflicht vorgeschaltet.6) 2.

Rechtsnatur und Umfang der Übermittlungspflicht

5 Es handelt sich um eine gesetzliche Pflicht der Kreditinstitute und gleichgestellten Unternehmen, die weder durch AGB noch individualvertraglich im Depotvertrag abbedungen werden kann.7) _____________ 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7)

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Vgl. Heidel-Müller, AktR, § 128 AktG Rz. 2 f.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 128 Rz. 1. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses z. RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5693, S. 17. Grigoleit-Herrler, AktG, § 128 Rz. 5; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 128 Rz. 3; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 128 Rz. 12. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz z. RegE Aktienrechtsnovelle 2016, BT-Drucks. 18/6681, S. 11 f. Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 128 Rz. 14. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 128 Rz. 8 m. w. N.; Grigoleit-Herrler, AktG, § 128 Rz. 6; Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 128 Rz. 54. K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 128 Rz. 9 m. w. N.; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 128 Rz. 13; Grigoleit-Herrler, AktG, § 128 Rz. 7; a. A. in Bezug auf individualvertraglichen Verzicht Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 128 Rz. 93 f.

Dirk Kocher

Geschäftsordnung; Verzeichnis der Teilnehmer

§ 129

Zu übermitteln sind die Mitteilungen nach § 125 Abs. 1, die weder auf ihre Vollständig- 6 keit8) noch auf ihre inhaltliche Richtigkeit zu prüfen sind.9) Im Fall evident unvollständiger Mitteilungen ist das Kreditinstitut gehalten, den ausstehenden Teil anzufordern.10) Der Mitteilungsschuldner kann sich elektronischer Kommunikationsformen bedienen, wenn der Aktionär zustimmt oder ein Hauptversammlungsbeschluss nach § 128 Abs. 1 Satz 2 vorliegt. § 49 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 WpHG ist nicht anwendbar.11) III.

Rechtsfolgen von Verstößen (§ 128 Abs. 2)

§ 128 Abs. 2 verbietet einen Ausschluss von Schadensersatzansprüchen im Vorhinein. Solche 7 können sich entweder gemäß § 280 Abs. 1 BGB oder aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 128 ergeben.12) § 243 Abs. 3 Nr. 2 schließt die Anfechtbarkeit von in der Hauptversammlung gefassten 8 Beschlüssen ausdrücklich aus. IV.

Verordnungsermächtigungen (§ 128 Abs. 3)

Von der Verordnungsermächtigung des § 128 Abs. 3 Satz 1 wurde Gebrauch gemacht durch 9 Erlass der Verordnung über den Ersatz von Aufwendungen der Kreditinstitute.13) Danach kann ein Kreditinstitut von der Gesellschaft Pauschbeträge und Porto verlangen, genauso bei elektronischen Mitteilungen, die preiswerter sind. Gemäß § 128 Abs. 4 i. V. m. § 125 Abs. 5 sind auch Finanzdienstleister erstattungsberechtigt.14) _____________ 8) So aber Ziff. 12 Abs. 5 Satz 1 der Bekanntmachung des Bundesaufsichtsamts für das Kreditwesen über die Anforderungen an die Ordnungsgemäßheit des Depotgeschäfts und der Erfüllung von Wertpapierlieferungsverpflichtungen v. 21.12.1998; für eine Vollständigkeitsprüfung allenfalls in engen Grenzen Grigoleit-Herrler, AktG, § 128 Rz. 8. 9) Butzke in: GroßKomm-AktG, § 128 Rz. 38; Hölters-Drinhausen, AktG, § 128 Rz. 8; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 128 Rz. 9; Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 128 Rz. 52; Bürgers/KörberReger, AktG, § 128 Rz. 8. 10) Burmeister, AG 1976, 262, 264; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 128 Rz. 17; ablehnend Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 128 Rz. 52. 11) So Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 128 Rz. 23; Grigoleit-Herrler, AktG, § 128 Rz. 9; Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 128 Rz. 76; a. A. K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 128 Rz. 24; Bürgers/ Körber-Reger, AktG, § 128 Rz. 11a; trotz Zweifeln auch Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 128 Rz. 7. 12) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 128 Rz. 9; Grigoleit-Herrler, AktG, § 128 Rz. 10. 13) Verordnung über den Ersatz von Aufwendungen der Kreditinstitute v. 17.6.2003, BGBl. I 2003, 885; vgl. hierzu Seibert, ZIP 2003, 1270. 14) Kubis in: MünchKomm-AktG, § 128 Rz. 27.

Dritter Unterabschnitt Verhandlungsniederschrift. Auskunftsrecht § 129 Geschäftsordnung; Verzeichnis der Teilnehmer Thomas Wachter

(1) 1Die Hauptversammlung kann sich mit einer Mehrheit, die mindestens drei Viertel des bei der Beschlußfassung vertretenen Grundkapitals umfaßt, eine Geschäftsordnung mit Regeln für die Vorbereitung und Durchführung der Hauptversammlung geben. 2 In der Hauptversammlung ist ein Verzeichnis der erschienenen oder vertretenen Aktionäre und der Vertreter von Aktionären mit Angabe ihres Namens und Wohnorts sowie bei Nennbetragsaktien des Betrags, bei Stückaktien der Zahl der von jedem vertretenen Aktien unter Angabe ihrer Gattung aufzustellen. Thomas Wachter

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Geschäftsordnung; Verzeichnis der Teilnehmer

§ 129

Zu übermitteln sind die Mitteilungen nach § 125 Abs. 1, die weder auf ihre Vollständig- 6 keit8) noch auf ihre inhaltliche Richtigkeit zu prüfen sind.9) Im Fall evident unvollständiger Mitteilungen ist das Kreditinstitut gehalten, den ausstehenden Teil anzufordern.10) Der Mitteilungsschuldner kann sich elektronischer Kommunikationsformen bedienen, wenn der Aktionär zustimmt oder ein Hauptversammlungsbeschluss nach § 128 Abs. 1 Satz 2 vorliegt. § 49 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 WpHG ist nicht anwendbar.11) III.

Rechtsfolgen von Verstößen (§ 128 Abs. 2)

§ 128 Abs. 2 verbietet einen Ausschluss von Schadensersatzansprüchen im Vorhinein. Solche 7 können sich entweder gemäß § 280 Abs. 1 BGB oder aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 128 ergeben.12) § 243 Abs. 3 Nr. 2 schließt die Anfechtbarkeit von in der Hauptversammlung gefassten 8 Beschlüssen ausdrücklich aus. IV.

Verordnungsermächtigungen (§ 128 Abs. 3)

Von der Verordnungsermächtigung des § 128 Abs. 3 Satz 1 wurde Gebrauch gemacht durch 9 Erlass der Verordnung über den Ersatz von Aufwendungen der Kreditinstitute.13) Danach kann ein Kreditinstitut von der Gesellschaft Pauschbeträge und Porto verlangen, genauso bei elektronischen Mitteilungen, die preiswerter sind. Gemäß § 128 Abs. 4 i. V. m. § 125 Abs. 5 sind auch Finanzdienstleister erstattungsberechtigt.14) _____________ 8) So aber Ziff. 12 Abs. 5 Satz 1 der Bekanntmachung des Bundesaufsichtsamts für das Kreditwesen über die Anforderungen an die Ordnungsgemäßheit des Depotgeschäfts und der Erfüllung von Wertpapierlieferungsverpflichtungen v. 21.12.1998; für eine Vollständigkeitsprüfung allenfalls in engen Grenzen Grigoleit-Herrler, AktG, § 128 Rz. 8. 9) Butzke in: GroßKomm-AktG, § 128 Rz. 38; Hölters-Drinhausen, AktG, § 128 Rz. 8; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 128 Rz. 9; Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 128 Rz. 52; Bürgers/KörberReger, AktG, § 128 Rz. 8. 10) Burmeister, AG 1976, 262, 264; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 128 Rz. 17; ablehnend Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 128 Rz. 52. 11) So Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 128 Rz. 23; Grigoleit-Herrler, AktG, § 128 Rz. 9; Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 128 Rz. 76; a. A. K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 128 Rz. 24; Bürgers/ Körber-Reger, AktG, § 128 Rz. 11a; trotz Zweifeln auch Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 128 Rz. 7. 12) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 128 Rz. 9; Grigoleit-Herrler, AktG, § 128 Rz. 10. 13) Verordnung über den Ersatz von Aufwendungen der Kreditinstitute v. 17.6.2003, BGBl. I 2003, 885; vgl. hierzu Seibert, ZIP 2003, 1270. 14) Kubis in: MünchKomm-AktG, § 128 Rz. 27.

Dritter Unterabschnitt Verhandlungsniederschrift. Auskunftsrecht § 129 Geschäftsordnung; Verzeichnis der Teilnehmer Thomas Wachter

(1) 1Die Hauptversammlung kann sich mit einer Mehrheit, die mindestens drei Viertel des bei der Beschlußfassung vertretenen Grundkapitals umfaßt, eine Geschäftsordnung mit Regeln für die Vorbereitung und Durchführung der Hauptversammlung geben. 2 In der Hauptversammlung ist ein Verzeichnis der erschienenen oder vertretenen Aktionäre und der Vertreter von Aktionären mit Angabe ihres Namens und Wohnorts sowie bei Nennbetragsaktien des Betrags, bei Stückaktien der Zahl der von jedem vertretenen Aktien unter Angabe ihrer Gattung aufzustellen. Thomas Wachter

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§ 129

Geschäftsordnung; Verzeichnis der Teilnehmer

(2) 1Sind einem Kreditinstitut oder einer in § 135 Abs. 8 bezeichneten Person Vollmachten zur Ausübung des Stimmrechts erteilt worden und übt der Bevollmächtigte das Stimmrecht im Namen dessen, den es angeht, aus, so sind bei Nennbetragsaktien der Betrag, bei Stückaktien die Zahl und die Gattung der Aktien, für die ihm Vollmachten erteilt worden sind, zur Aufnahme in das Verzeichnis gesondert anzugeben. 2 Die Namen der Aktionäre, welche Vollmachten erteilt haben, brauchen nicht angegeben zu werden. (3) 1Wer von einem Aktionär ermächtigt ist, im eigenen Namen das Stimmrecht für Aktien auszuüben, die ihm nicht gehören, hat bei Nennbetragsaktien den Betrag, bei Stückaktien die Zahl und die Gattung dieser Aktien zur Aufnahme in das Verzeichnis gesondert anzugeben. 2Dies gilt auch für Namensaktien, als deren Aktionär der Ermächtigte im Aktienregister eingetragen ist. (4) 1Das Verzeichnis ist vor der ersten Abstimmung allen Teilnehmern zugänglich zu machen. 2Jedem Aktionär ist auf Verlangen bis zu zwei Jahren nach der Hauptversammlung Einsicht in das Teilnehmerverzeichnis zu gewähren. (5) § 125 Abs. 5 gilt entsprechend. Literatur: Austmann, Verfahrensanträge in der Hauptversammlung, in: Festschrift für Michael Hoffmann-Becking, 2013, S. 45; Blasche, Zur Erforderlichkeit eines Versammlungsleiters bei der Einpersonen-Aktiengesellschaft, AG 2017, 16; Drinhausen/Marsch-Barner, Zur Rechtsstellung des Aufsichtsratsvorsitzenden als Leiter der Hauptversammlung einer börsennotierten Gesellschaft, AG 2014, 757; Faßbender, Die Hauptversammlung der Aktiengesellschaft aus notarieller Sicht, RNotZ 2009, 425; Hoffmann-Becking, Der Aufsichtsrat der AG und sein Vorsitzender in der Hauptversammlung, NZG 2017, 281; Hoppe, Hauptversammlungssaison 2017: Rechte und Pflichten des Versammlungsleiters bei Wahlentscheidungen der Hauptversammlung, NZG 2017, 361; Ihrig, Zur Entscheidungskompetenz der Hauptversammlung in Fragen der Versammlungsleitung, in: Festschrift für Wulf Goette, 2011, S. 205; Kocher/Feigen, Hilfspersonen des Versammlungsleiters, NZG 2015, 620; Kremer, Zur Praxis der Hauptversammlungsleitung, in: Festschrift für Michael Hoffmann-Becking, 2013, S. 697; v. d. Linden, Die Abwahl des Versammlungsleiters – Irrwege, Umwege, Auswege, DB 2017, 1371; v. d. Linden, Haftung für Fehler bei der Leitung der Hauptversammlung, NZG 2013, 208; Noack, Die Legitimationsübertragung – eine dubiose Rechtsfigur, in: Festschrift für Eberhard Stilz, 2014, S. 439; Piroth, Die Klarstellung zur Mitteilungspflicht des Legitimationsaktionärs im Rahmen des geplanten Kleinanlegerschutzgesetzes, AG 2015, 10; Poelzig, Die Haftung des Leiters der Hauptversammlung – Grundlage, Grenzen und Durchsetzung der Haftung, AG 2015, 476; Richter, Unterliegt der im Aktienregister eingetragene Legitimationsaktionär den Mitteilungspflichten aus den §§ 21 ff. WpHG?, WM 2013, 2296 (Teil I) und WM 2013, 2337 (Teil II); Rieckers, Nachlese zur Hauptversammlungssaison 2017 und Ausblick auf 2018, DB 2018, 2720 (Teil 1) und DB 2018, 2786 (Teil 2); Rieckers, Nachlese zur Hauptversammlungssaison 2016 und Ausblick auf 2017, DB 2015, 2526; Schatz, Beschlussvereitelung durch den Versammlungsleiter und Reaktionsmöglichkeiten der Aktionäre, AG 2015, 696; Schürnbrand, Rechtsstellug und Verantwortlichkeit des Leiters der Hauptversammlung, NZG 2014, 1211; Terbrack, L’etat c’est moi – oder: Von der trügerischen Allherrlichkeit des Alleinaktionärs bei Hauptversammlungen, RNotZ 2012, 221; Theusinger/Schilha, Gerichtliche Bestimmung eines unparteiischen Versammlungsleiters für einzelne Tagesordnungspunkte der. Hauptversammlung, NZG 2016, 56; Theusinger/Schilha, Die Leitung der Hauptversammlung – eine Aufgabe frei von Haftungsrisiken?, BB 2015, 131; Weber, Absage einer auf ein Aktionärsverlangen einberufenen Hauptversammlung und Abhaltung einer Hauptversammlung durch die Aktionäre, NZG 2013, 890; Wettich, Aktuelle Entwicklungen und Trends in der Hauptversammlungssaison 2015 und Ausblick auf 2016, AG 2015, 681; Wicke, Amtsbeendigung des Hauptversammlungsleiters, NZG 2018, 161.

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Geschäftsordnung; Verzeichnis der Teilnehmer

§ 129

Übersicht I. Überblick ............................................ 1 II. Geschäftsordnung (§ 129 Abs. 1 Satz 1) ................................................. 3 1. Ermächtigung ..................................... 3 2. Inhalt der Geschäftsordnung ............. 4 3. Verfahren bei Erlass einer Geschäftsordnung ................................... 9 4. Verstöße gegen die Geschäftsordnung ............................................. 13 III. Teilnehmerverzeichnis (§ 129 Abs. 1 Satz 2 – Abs. 5) ...................... 14 1. Zweck des Teilnehmerverzeichnisses ......................................... 14 2. Aufstellung des Teilnehmerverzeichnisses ......................................... 16 3. Inhalt des Teilnehmerverzeichnisses.... 23 a) Überblick .................................... 23 I.

b) Eigenbesitz ................................. c) Vollmachtsbesitz ........................ d) Fremdbesitz ................................ e) Sonstiger Inhalt .......................... 4. Publizität des Teilnehmerverzeichnisses ................................... a) In der Hauptversammlung ........ b) Nach der Hauptversammlung .... 5. Verstöße im Zusammenhang mit dem Teilnehmerverzeichnis ............. IV. Versammlungsleitung .................... 1. Allgemeines ...................................... 2. Versammlungsleiter .......................... a) Person des Versammlungsleiters .......................................... b) Befugnisse des Versammlungsleiters ..................................

24 29 31 33 34 34 35 37 40 40 41 41 43

Überblick

Im dritten Unterabschnitt (§§ 129 bis 132) des vierten Abschnitts des AktG sind einzelne 1 Fragen der Durchführung der Hauptversammlung geregelt. Die einleitende Vorschrift des § 129 betrifft dabei vor allem zwei Fragenbereiche: zum einen die Ermächtigung der Hauptversammlung zur Schaffung einer Geschäftsordnung (§ 129 Abs. 1 Satz 1) und zum anderen die Verpflichtung zur Führung eines Teilnehmerverzeichnisses (§ 129 Abs. 1 Satz 2 bis Abs. 5). Die Vorschrift ist zwingend.1) Für Sonderbeschlüsse und Sonderversammlungen gelten die Regelungen entsprechend (§ 138 Satz 2). Die Vorschrift ist mehrfach geändert worden,2) zuletzt durch das ARUG3) (redaktionelle 2 Folgeänderung in § 129 Abs. 2 Satz 1: Änderung der Verweisung von § 135 Abs. 9 AktG a. F. in § 135 Abs. 9 AktG n. F.). II.

Geschäftsordnung (§ 129 Abs. 1 Satz 1)

1.

Ermächtigung

Die Hauptversammlung kann sich eine Geschäftsordnung mit Regeln für die Vorbereitung 3 und Durchführung der Hauptversammlung geben (§ 129 Abs. 1 Satz 1). Die Regelung hat allerdings lediglich deklaratorische Bedeutung. Bereits vor der Einführung der Vorschrift im Jahr 19984) war allgemein anerkannt, dass die Hauptversammlung in einer Geschäftsordnung Verfahrensregeln zum Ablauf der Hauptversammlung niederlegen kann.5) Die Vorschrift wird vielfach als überflüssig6) angesehen. _____________ 1) 2) 3) 4) 5) 6)

Teilweise weitergehend im Hinblick auf § 129 Abs. 4 AktG Kubis in: MünchKomm-AktG, § 129 Rz. 46; Spindler/Stilz-Wicke, AktG, § 129 Rz. 17. S. die Nachweise bei Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 129 Rz. 1; Spindler/Stilz-Wicke, AktG, § 129 Rz. 18. Art. 1 Nr. 18 des Gesetzes zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG), BGBl. I 2009, 2479; s. dazu BT-Drucks. 16/11642, S. 47 und S. 49 ff. Art. 1 Nr. 18 des Gesetzes zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) v. 27.4.1998, BGBl. I 1998, 78; s. dazu BT-Drucks. 13/9712, S. 19. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 129 Rz. 1a. So K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 129 Rz. 1; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 129 Rz. 3.

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§ 129 2.

Geschäftsordnung; Verzeichnis der Teilnehmer Inhalt der Geschäftsordnung

4 Inhaltlich betrifft die Geschäftsordnung die Vorbereitung und Durchführung der Hauptversammlung (§ 129 Abs. 1 Satz 1). Allerdings ist der mögliche Inhalt der Geschäftsordnung durch die zwingenden Vorgaben des Aktienrechts in mehrfacher Hinsicht beschränkt.7) Die Geschäftsordnung steht in der Normenhierarchie unter dem AktG und der Satzung und darf diesen daher nicht widersprechen (siehe auch § 23 Abs. 5).8) Darüber hinaus darf die Geschäftsordnung die Leitungs- und Ordnungsbefugnisse des Versammlungsleiters nicht beschränken, da ihm diese nicht von der Hauptversammlung gewährt werden, sondern kraft seines Amtes zustehen. Schließlich darf die Geschäftsordnung auch nicht in die Rechte der Aktionäre eingreifen (wie etwa das Teilnahme-, Stimm- oder Auskunftsrecht). Aufgrund dieser ungeschriebenen Grenzen haben Geschäftsordnungen für die Hauptversammlung in der Praxis nur eine geringe Bedeutung (anders als die Geschäftsordnungen für den Vorstand oder den Aufsichtsrat).9) 5 Beispiele für zulässige Regelungen in der Geschäftsordnung einer Hauptversammlung sind etwa:10) –

Zulassung von Bild- und Tonübertragungen der Versammlung (§ 118 Abs. 4),



Ermächtigung des Versammlungsleiters zur Beschränkung des Frage- und Rederechts der Aktionäre (§ 131 Abs. 2 Satz 2),



Bestimmung des Versammlungsleiters (soweit nicht bereits durch die Satzung vorgegeben),



Zulassung von Gästen und Vertretern der Medien zur Hauptversammlung,



Teilnahmerecht des Abschlussprüfers an der Hauptversammlung (über § 176 Abs. 2 hinausgehend),



Behandlung einzelner Tagesordnungspunkte,



Eröffnung, Unterbrechung, Fortsetzung, Vertagung oder Schließung der Hauptversammlung.

6 Allerdings ist auch in diesen Fällen eine Regelung in einer Geschäftsordnung keineswegs immer sinnvoll, weil sie zu einer ungewollten Selbstbindung der Verwaltung führt und zudem die richtige Entscheidung in der jeweiligen Situation unter Umständen erschwert. 7 Unzulässig wären dagegen etwa folgende Regelungen in der Geschäftsordnung einer Hauptversammlung:11) –

Ausübung allgemeiner Ordnungsbefugnisse des Versammlungsleiters,



Sicherheitskontrollen,



Einberufung der Hauptversammlung (siehe §§ 121 bis 128),



Ausübung des Stimmrechts (§§ 133 bis 135).

8 Eine Regelung durch die Geschäftsordnung ist insbesondere auch in den Fällen unzulässig, in denen der Gesetzgeber eine Regelungsmöglichkeit durch die Satzung (z. B. §§ 121 _____________ 7) Hölters-Drinhausen, AktG, § 129 Rz. 4. 8) Missverständlich insoweit die amtliche Gesetzesbegründung in BT-Drucks. 13/9712, S. 19 f. 9) Hölters-Drinhausen, AktG, § 129 Rz. 1; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 129 Rz. 1a; Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 129 Rz. 3; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 129 Rz. 4. 10) Bürgers/Körber-Reger, AktG, § 129 Rz. 7; Hölters-Drinhausen, AktG, § 129 Rz. 5; K. Schmidt/LutterZiemons, AktG, § 129 Rz. 6; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 129 Rz. 12; Spindler/Stilz-Wicke, AktG, § 129 Rz. 10. – Weitergehend teilweise die in der amtlichen Gesetzesbegründung genannten Bsp., BTDrucks. 13/9712, S. 19. 11) Hölters-Drinhausen, AktG, § 129 Rz. 6; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, § 129 Rz. 5.

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Geschäftsordnung; Verzeichnis der Teilnehmer

§ 129

Abs. 5 Satz 1, 122 Abs. 1 Satz 2, § 123 Abs. 2 und 3, 134 Abs. 4), aber eben nicht auch durch die Geschäftsordnung vorgesehen hat (Umkehrschluss aus §§ 118 Abs. 4 und 131 Abs. 2 Satz 2).12) Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn die Satzung ausdrücklich eine Ermächtigung für eine Regelung in einer Geschäftsordnung vorsieht.13) 3.

Verfahren bei Erlass einer Geschäftsordnung

Der Erlass einer Geschäftsordnung erfolgt durch Beschluss der Hauptversammlung. 9 Der Beschluss der Hauptversammlung bedarf einer Mehrheit, die mindestens drei Viertel des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals umfasst (§ 129 Abs. 1 Satz 1) und der einfachen Mehrheit der abgegebenen Stimmen (§ 133 Abs. 1). Die Satzung kann (anders als etwa für satzungsändernde Beschlüsse, § 179 Abs. 2 Satz 2) keine andere Kapitalmehrheit vorsehen und auch keine weiteren Erfordernisse aufstellen (siehe § 179 Abs. 2 Satz 3). Der Beschluss der Hauptversammlung bedarf stets der notariellen Beurkundung (§ 130 Abs. 1). Mit der Einberufung der Hauptversammlung ist der Vorschlag zur Beschlussfassung über 10 die Geschäftsordnung bekannt zu machen (§§ 121 Abs. 3 und 4 sowie 124 Abs. 3 und 4). Die vorgeschlagene Geschäftsordnung ist i. Ü. weder im Wortlaut14) noch ihrem wesentlichen Inhalt nach15) gesondert bekannt zu machen (siehe § 124 Abs. 2 Satz 2).16) Denn die Geschäftsordnung ist mit der Satzung bzw. einem zustimmungsbedürftigen Vertrag nicht vergleichbar. Der Inhalt der Geschäftsordnung muss den Aktionären auch nicht über die Internetseite der Gesellschaft zugänglich gemacht werden (siehe etwa §§ 175 Abs. 2, 124a).17) Die Geschäftsordnung ist nicht zum Handelsregister einzureichen (siehe demgegenüber für die Satzung, §§ 37 Abs. 4 Nr. 1, 181). Für die (vollständige oder teilweise) Änderung oder Aufhebung einer Geschäftsordnung 11 gelten dieselben Verfahrensregeln und Mehrheitserfordernisse wie für deren erstmaligen Erlass.18) Die gesetzliche Regelung ist (entgegen einer weit verbreiteten Meinung) nicht auf den erstmaligen Erlass einer neuen Geschäftsordnung beschränkt (siehe Gesetzeswortlaut „Geschäftsordnung … geben“ in § 129 Abs. 1 Satz 1). Eine punktuelle Durchbrechung der Geschäftsordnung ist im Einzelfall mit einer qualifi- 12 zierten Mehrheit möglich.19) 4.

Verstöße gegen die Geschäftsordnung

Ein Beschluss der Hauptversammlung, der unter Verstoß gegen die Bestimmungen der Ge- 13 schäftsordnung gefasst worden ist, kann grundsätzlich nicht angefochten werden. Denn eine Beschlussanfechtung ist nur wegen Verletzung des Gesetzes oder der Satzung, nicht _____________ 12) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 129 Rz. 1c; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 129 Rz. 4. 13) A. A. allerdings Bürgers/Körber-Reger, AktG, § 129 Rz. 5; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 129 Rz. 4; Spindler/Stilz-Wicke, AktG, § 129 Rz. 4. 14) Dafür Bürgers/Körber-Reger, AktG, § 129 Rz. 8; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 129 Rz. 10. 15) Dafür Hölters-Drinhausen, AktG, § 129 Rz. 8; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 129 Rz. 1d; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 129 Rz. 9. 16) Zutreffend Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 129 Rz. 20. 17) So aber Kubis in: MünchKomm-AktG, § 129 Rz. 9; Spindler/Stilz-Wicke, AktG, § 129 Rz. 11; dagegen zu Recht Hölters-Drinhausen, AktG, § 129 Rz. 8. 18) Wie hier K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 129 Rz. 12; anders die h. M. in Bezug auf die vollständige Aufhebung – nur einfache Mehrheit erforderlich – Bürgers/Körber-Reger, AktG, § 129 Rz. 10; HöltersDrinhausen, AktG, § 129 Rz. 9; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 129 Rz. 1e; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 129 Rz. 10. 19) Ebenso K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 129 Rz. 11; anders aber die wohl überwiegende Meinung, Hölters-Drinhausen, AktG, § 129 Rz. 10; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 129 Rz. 11.

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§ 129

Geschäftsordnung; Verzeichnis der Teilnehmer

aber auch der Geschäftsordnung möglich (§ 243 Abs. 1).20) Etwas anderes gilt aber dann, wenn in dem Verstoß gegen die Geschäftsordnung zugleich auch ein Verstoß gegen das Gesetz oder die Satzung zu sehen ist (z. B. § 53a).21) III.

Teilnehmerverzeichnis (§ 129 Abs. 1 Satz 2 – Abs. 5)

1.

Zweck des Teilnehmerverzeichnisses

14 In der Hauptversammlung ist ein Teilnehmerverzeichnis aufzustellen (§ 129 Abs. 1 Satz 2). Nach der amtlichen Gesetzesbegründung hat das Teilnehmerverzeichnis vor allem den Zweck festzuhalten, welche Personen (als Aktionär, Bevollmächtigte oder Fremdbesitzer) an der Hauptversammlung teilgenommen haben.22) In der Praxis dient das Teilnehmerverzeichnis vor allem auch als Präsenzliste und ermöglicht somit insbesondere die Feststellung der Beschlussfähigkeit, die Ermittlung des Abstimmungsergebnisses (z. B. beim Subtraktionsverfahren) und die Kontrolle von gesetzlichen Stimmrechtsausschlüssen (z. B. nach §§ 20 Abs. 7, 21 Abs. 4, 71b oder § 136 Abs. 1). Darüber hinaus lässt sich anhand des Teilnehmerverzeichnisses feststellen, ob den anwesenden Personen ein Rede- und Fragerecht zusteht (oder sie bspw. nur als Gast an der Hauptversammlung teilnehmen). Der Vorstand kann anhand des Teilnehmerverzeichnisses zudem feststellen, welchen Kreditinstituten bzw. Aktionärsvereinigungen er die Einberufung der Hauptversammlung mitteilen muss (§ 125 Abs. 1 Satz 1). 15 Nicht bezweckt (und auch nicht erreicht), wird dagegen die Transparenz der Beteiligungsverhältnisse (insbesondere weil in den Fällen des § 129 Abs. 2 und Abs. 3 die Aktionäre im Teilnehmerverzeichnis nicht aufgeführt werden).23) 2.

Aufstellung des Teilnehmerverzeichnisses

16 Ein Teilnehmerverzeichnis ist in jeder Hauptversammlung aufzustellen, und zwar auch dann, wenn es sich um eine Vollversammlung24) oder eine Einmann-AG25) handelt. 17 Das AktG regelt nur, dass in der Hauptversammlung ein Teilnehmerverzeichnis aufzustellen ist (§ 129 Abs. 1 Satz 2), lässt aber offen, wer dafür zuständig ist. Die Frage ist umstritten.26) Richtigerweise sind die Gesellschaft (vertreten durch den Vorstand)27) und der Versammlungsleiter gemeinsam für die Aufstellung des Teilnehmerverzeichnisses verantwortlich. Der Gesellschaft obliegt die Pflicht zur Vorbereitung der Hauptversammlung. Damit muss sie auch die technischen und organisatorischen Voraussetzungen für die Aufstellung des Teilnehmerverzeichnisses schaffen. Der Versammlungsleiter muss dagegen die _____________ 20) Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, AktG, § 129 Rz. 28 ff.; a. A. – unter Hinweis darauf, dass die GO auf einer gesetzlichen Grundlage in Gestalt von § 129 Abs. 1 Satz 1 AktG beruht – K. Schmidt/LutterZiemons, AktG, § 129 Rz. 14; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 129 Rz. 14. 21) Hölters-Drinhausen, AktG, § 129 Rz. 11; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 129 Rz. 1g. 22) Hölters-Drinhausen, AktG, § 129 Rz. 2; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 129 Rz. 1; Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 129 Rz. 32 ff.; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 129 Rz. 2; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 129 Rz. 1 f.; Spindler/Stilz-Wicke, AktG, § 129 Rz. 16. 23) Weitergehend Kubis in: MünchKomm-AktG, § 129 Rz. 1 und 22. 24) Allg. M., s. nur Hölters-Drinhausen, AktG, § 129 Rz. 14; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 129 Rz. 5. 25) K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 129 Rz. 17; a. A. aber die ganz h. M. Hölters-Drinhausen, AktG, § 129 Rz. 14; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 129 Rz. 5; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 129 Rz. 15. 26) Offengelassen von BGH, Urt. v. 30.6.2015 – II ZR 142/14, Rz. 34, ZIP 2015, 2069 mit Anm. Schüppen, dazu EWiR 2015, 661 (Bayer/Scholz). S. zum Streitstand und für eine differenzierende Lösung HöltersDrinhausen, AktG, § 129 Rz. 15; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 129 Rz. 6 f. 27) Dafür Bürgers/Körber-Reger, AktG, § 129 Rz. 17; Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 129 Rz. 81; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 129 Rz. 15; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 129 Rz. 16; Spindler/ Stilz-Wicke, AktG, § 129 Rz. 20 f.

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Geschäftsordnung; Verzeichnis der Teilnehmer

§ 129

korrekte Führung des Teilnehmerverzeichnisses in der Hauptversammlung sicherstellen. Dabei kann er sich der von der Gesellschaft bereitgestellten Hilfsmittel bedienen. Das Teilnehmerverzeichnis ist „in der Hauptversammlung“ aufzustellen (§ 129 Abs. 1 Satz 2). 18 Üblich und zulässig ist es aber, mit der Aufstellung des Teilnehmerverzeichnisses bereits vor der Hauptversammlung zu beginnen (auf der Grundlage der erfolgten Anmeldungen, Hinterlegungen oder Eintragungen im Aktienregister).28) Denn spätestens „vor der ersten Abstimmung“ muss die Aufstellung des Teilnehmerverzeichnisses abgeschlossen sein (§ 129 Abs. 4 Satz 1).29) Gegebenenfalls muss der Versammlungsleiter die Hauptversammlung bis zur Fertigstellung des Teilnehmerverzeichnisses unterbrechen. Änderungen im Kreis der Teilnehmer (z. B. vorzeitiges Verlassen der Hauptversammlung 19 oder nachträgliches Erscheinen von Aktionären) sind in Nachträgen zum Teilnehmerverzeichnis festzuhalten. Eine Aktualisierung des Teilnehmerverzeichnisses ist insbesondere vor Beginn jeder Abstimmung erforderlich.30) Das bei Beginn der Versammlung erstellte Teilnehmerverzeichnis und die späteren Nachträge bilden zusammen ein einheitliches Teilnehmerverzeichnis. Das Teilnehmerverzeichnis kann schriftlich oder elektronisch geführt werden.31) Das ge- 20 setzliche Einsichtsrecht muss allerdings auch nach der Hauptversammlung noch gewährleistet sein (§ 129 Abs. 4 Satz 2). Das Teilnehmerverzeichnis muss stets so geführt werden, dass es für einen Einsicht nehmenden Aktionär übersichtlich und verständlich ist (Rechtsgedanke § 238 Abs. 1 HGB). Eine Unterzeichnung des Teilnehmerverzeichnisses (durch den Versammlungsleiter oder 21 eine andere Person) ist gesetzlich nicht vorgesehen und auch nicht erforderlich. Den beurkundenden Notar treffen in Bezug auf das Teilnehmerverzeichnis keine Prüfungs-, 22 Kontroll- oder Überwachungspflichten.32) Denn das Teilnehmerverzeichnis muss nicht beurkundet und der Niederschrift auch nicht als Anlage beigefügt werden (siehe § 130 Abs. 2 und 3). Fehler bei der Aufstellung des Teilnehmerverzeichnisses können daher auch nicht zur Nichtigkeit des Hauptversammlungsbeschlusses (nach § 241 Nr. 2) führen (allerdings kann der Beschluss anfechtbar sein, § 243 Abs. 1). Der Notar darf die Beurkundung auch dann nicht ablehnen, wenn das Teilnehmerverzeichnis ganz fehlt oder nach seiner Auffassung fehlerhaft ist (siehe § 4 BeurkG und § 14 Abs. 2 BNotO). 3.

Inhalt des Teilnehmerverzeichnisses

a)

Überblick

Im Teilnehmerverzeichnis sind Aktionäre (Eigenbesitz, „E“), Bevollmächtigte (Vollmachts- 23 besitz, „V“) und Fremdbesitzer (Fremdbesitz, „F“) mit unterschiedlichen Angaben aufzuführen (§ 129 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, 3 und 5). _____________ 28) Hölters-Drinhausen, AktG, § 129 Rz. 17. 29) Weitergehend K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 129 Rz. 19 – Teilnehmerverzeichnis muss bereits vor Beginn der Aussprache aufgestellt und zugänglich sein. 30) K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 129 Rz. 20; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 129 Rz. 19 f.; Spindler/ Stilz-Wicke, § 129 Rz. 24; mit gewissen Einschränkungen auch Hölters-Drinhausen, AktG, § 129 Rz. 18; Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 129 Rz. 75 f. 31) Hölters-Drinhausen, AktG, § 129 Rz. 19; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 129 Rz. 18. 32) K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 129 Rz. 16; weitergehend allerdings die h. M., wonach dem Notar zumindest eine summarische Rechtmäßigkeitsprüfung bzw. eine Plausibilitätskontrolle obliegt, Bürgers/ Körber-Reger, AktG, § 129 Rz. 18; Hölters-Drinhausen, AktG, § 129 Rz. 16; Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 129 Rz. 83 f.; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 129 Rz. 17 und 20; Spindler/StilzWicke, AktG, § 129 Rz. 22.

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§ 129 b)

Geschäftsordnung; Verzeichnis der Teilnehmer Eigenbesitz

24 In das Teilnehmerverzeichnis sind die erschienenen und vertretenen Aktionäre sowie die Vertreter von Aktionären aufzunehmen (sog. Eigenbesitz, § 129 Abs. 1 Satz 2). 25 Erschienene Aktionäre sind die Aktionäre, die ihre Aktien im eigenen Namen halten. Als erschienen gelten auch Aktionäre, die online an der Hauptversammlung teilnehmen (§ 118 Abs. 1 Satz 2), nicht dagegen auch die Aktionäre, die ihr Stimmrecht i. R. der Briefwahl ausüben (§ 118 Abs. 2).33) Treuhandverhältnisse sind im Teilnehmerverzeichnis nicht besonders anzugeben.34) 26 „Vertretene Aktionäre“ meint diejenigen Aktionäre, die aufgrund offener Stellvertretung von einer anderen Person vertreten werden. In diesem Fall ist sowohl der offene Stellvertreter als auch der vertretene Aktionär in das Teilnehmerverzeichnis aufzunehmen (§ 129 Abs. 1 Satz 2 und Umkehrschluss aus § 129 Abs. 2 Satz 2). Im Falle offener Stellvertretung gehören die Aktien zum Eigenbesitz (und nicht zum Vollmachtsbesitz wie im Falle der verdeckten Stellvertretung). 27 Anzugeben ist jeweils der (Vor-35) und Nach-)Name und der Wohnort des Aktionärs (und im Falle der offenen Stellvertretung auch zusätzlich des Vertreters) (§ 129 Abs. 1 Satz 2). Nicht (zwingend) anzugeben sind dagegen der Beruf, das Geburtsdatum oder die vollständige Wohnanschrift. Bei Gesellschaften sind an Stelle von Name und Wohnort die Firma und der Sitz anzugeben. Bei einem Wohnort bzw. Sitz im Ausland ist aus Gründen der Transparenz auch die Angabe des entsprechenden Staates geboten.36) 28 Ferner sind Angaben zum Umfang des Aktienbesitzes und zur Gattung der Aktien erforderlich (§ 129 Abs. 1 Satz 2). Bei Nennbetragsaktien (siehe § 8 Abs. 2) ist der gesamte Nennbetrag, bei Stückaktien (siehe § 8 Abs. 3) die Zahl der Aktien anzugeben (siehe auch § 134 Abs. 1 Satz 1). Bei Aktien unterschiedlicher Gattungen (§ 11) – und nur dann – ist im Hinblick auf etwaige Sonderbeschlüsse (siehe z. B. §§ 179 Abs. 3, 182 Abs. 2 Satz 2, 222 Abs. 2 Satz 2) zusätzlich die jeweilige Gattung anzugeben. c)

Vollmachtsbesitz

29 In Fällen der offenen Stellvertretung ist im Teilnehmerverzeichnis sowohl die Person des Vertreters als auch des Aktionärs offen zu legen (§ 129 Abs. 1 Satz 2). Dagegen ist es in Fällen der verdeckten Stellvertretung (Handeln im Namen dessen, den es angeht) ausreichend, nur die Person des Bevollmächtigten (und nicht auch die des Aktionärs) im Teilnehmerverzeichnis anzugeben (sog. Vollmachtsbesitz, § 129 Abs. 2 Satz 2). Eine solche verdeckte Stellvertretung ist allerdings nur durch Kreditinstitute (§ 129 Abs. 2 Satz 1, siehe auch § 135 Abs. 5 Satz 2), Aktionärsvereinigungen (§ 135 Abs. 8) und Finanzdienstleister (§ 129 Abs. 5, § 125 Abs. 5) zulässig. Gleichgestellt sind darüber hinaus die von der Gesellschaft benannten Stimmrechtsvertreter37) (siehe § 134 Abs. 3 Satz 5).38) In allen anderen Fällen ist nur eine offene Stellvertretung möglich. 30 Im Teilnehmerverzeichnis ist die verdeckte Stellvertretung gesondert anzugeben (in der Praxis meist abgekürzt „V“, § 129 Abs. 2 Satz 2). Allerdings ist nicht jeder Vollmachtsbe_____________ 33) Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 129 Rz. 47 und 49; Spindler/Stilz-Wicke, AktG, § 129 Rz. 31. 34) Hölters-Drinhausen, AktG, § 129 Rz. 25; Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 129 Rz. 46. 35) Hölters-Drinhausen, AktG, § 129 Rz. 20; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 129 Rz. 23; a. A. Spindler/ Stilz-Wicke, AktG, § 129 Rz. 26. 36) Hölters-Drinhausen, AktG, § 129 Rz. 20; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 129 Rz. 24; Spindler/StilzWicke, AktG, § 129 Rz. 26; a. A. K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 129 Rz. 25. 37) Zur Stimmrechtsausübung durch einen von der Gesellschaft benannten, aber nicht bei dieser tätigen Stimmrechtsvertreter s. OLG Hamm, Urt. v. 8.10.2012 – I-8 U 270/11, ZIP 2013, 1024. 38) Hölters-Drinhausen, AktG, § 129 Rz. 23; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 129 Rz. 31.

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Geschäftsordnung; Verzeichnis der Teilnehmer

§ 129

sitz einzeln aufzuführen. Vielmehr können wert- und gattungsgleiche Aktien zusammengefasst werden, wenn ein Bevollmächtigter mehrere Aktionäre vertritt.39) In Bezug auf die erforderlichen Angaben zum Umfang des Aktienbesitzes gelten die gleichen Anforderungen wie beim Eigenbesitz (§ 129 Abs. 2 Satz 1). d)

Fremdbesitz

Bei der (offenen und verdeckten) Stellvertretung handelt der Vertreter jeweils im fremden 31 Namen. Davon zu unterscheiden ist der Fall der sog. Legitimationsübertragung, bei der der Aktionär eine (beliebige) andere Person (nicht aber ein Kreditinstitut, § 135 Abs. 1 Satz 1) zeitlich befristet ermächtigt (§ 185 BGB), das (fremde) Stimmrecht im eigenen Namen auszuüben.40) Die Legitimationszession ist gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt, wird aber im Gesetz als zulässig vorausgesetzt (siehe § 129 Abs. 3, § 135 Abs. 6). Als Fall des Fremdbesitzes wird auch die Ausübung des Stimmrechts durch einen Testamentsvollstrecker oder einen Insolvenzverwalter angesehen.41) Im Teilnehmerverzeichnis ist die Legitimationsübertragung anzugeben (meist gekenn- 32 zeichnet als „F“, § 129 Abs. 3 Satz 1). Dabei wird nur der Legitimationsaktionär,42) nicht aber auch der übertragende Aktionär selbst aufgeführt. In Bezug auf den Aktienbesitz sind die gleichen Angaben wie beim Vollmachtsbesitz zu machen. Dies gilt auch für die Möglichkeit Aktien mehrerer Aktionäre zusammenzufassen, wenn für diese nur ein Legitimationsaktionär handelt.43) Die Legitimationsübertragung ist im Teilnehmerverzeichnis auch dann anzugeben, wenn der Legitimationsaktionär bereits im Aktienregister eingetragen ist (§ 129 Abs. 3 Satz 2 als Klarstellung gegenüber § 67 Abs. 2).44) e)

Sonstiger Inhalt

Weitere Angaben sind im Teilnehmerverzeichnis zwar möglich, aber weder erforderlich 33 noch üblich. Insbesondere sind keine Angaben zu machen zu etwaigen Stimmverboten, Belastungen von Aktien mit Nießbrauchs- oder Pfandrechten oder zur Leistung der Einlagen (siehe § 134 Abs. 2).45) 4.

Publizität des Teilnehmerverzeichnisses

a)

In der Hauptversammlung

Das Teilnehmerverzeichnis ist vor der ersten Abstimmung46) (gleich welcher Art) allen 34 Teilnehmern (schriftlich oder elektronisch) zugänglich zu machen (§ 129 Abs. 4 Satz 1).47) _____________ 39) Hölters-Drinhausen, AktG, § 129 Rz. 24; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 129 Rz. 32; a. A. K. Schmidt/ Lutter-Ziemons, AktG, § 129 Rz. 26. 40) Zur Anfechtungsbefugnis des wahren Aktionärs im Falle einer Legitimationsübertragung s. LG Frankfurt/M., Urt. v. 18.12.2012 – 3-05 O 96/12, ZIP 2013, 119. Zustimmend Bayer/Scholz, NZG 2013, 721, 722 f. – Zur Anfechtung eines Hauptversammlungsbeschlusses wegen der Ausübung des Stimmrechts durch einen nicht ausreichend ermächtigten Legitimationsaktionär s. OLG Bremen, Beschl. v. 16.8.2012 – 2 U 51/12 (AktG), ZIP 2013, 460. Ablehnend Bayer/Scholz, NZG 2013, 721, 723 f. 41) Hölters-Drinhausen, AktG, § 129 Rz. 25; Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 129 Rz. 62. 42) Allgemein zur Rechtsstellung des Legitimationsaktionärs s. Bayer/Scholz, NZG 2013, 721; Grunewald, ZGR 2015, 347; Noack in: FS Stilz, S. 439 ff. 43) Hölters-Drinhausen, AktG, § 129 Rz. 27; Spindler/Stilz-Wicke, AktG, § 129 Rz. 28; a. A. – trotz des identischen Wortlauts „gesondert anzugeben“ in § 129 Abs. 2 und 3 AktG – Kubis in: MünchKommAktG, § 129 Rz. 34. 44) Zur (nicht bestehenden) Mitteilungspflicht von Legitimationsaktionären nach § 21 Abs. 1 WpHG s. die Klarstellung durch Art. 3 Nr. 5 des Kleinanlegerschutzgesetzes v. 3.7.2015, BGBl. I 2015, 1114. Ausführlich dazu Piroth, AG 2015, 10; Wettich, AG 2015, 681, 682. 45) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 129 Rz. 4. 46) A. A. K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 129 Rz. 19 und 31 – vor Beginn der Aussprache. 47) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 129 Rz. 13.

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§ 129

Geschäftsordnung; Verzeichnis der Teilnehmer

Zugangsberechtigt sind nicht nur Aktionäre und deren Vertreter, sondern alle Teilnehmer, d. h. auch die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats, der Abschlussprüfer und der beurkundende Notar (nicht aber auch Gäste und Vertreter der Medien).48) Nachdem das Teilnehmerverzeichnis zugänglich gemacht worden ist, kann umgehend mit der Abstimmung begonnen werden.49) Das Teilnehmerverzeichnis muss bis zum Ende der Hauptversammlung zugänglich bleiben. b)

Nach der Hauptversammlung

35 Nach der Hauptversammlung muss die Gesellschaft jedem Aktionär (nicht auch Dritten) auf die Dauer von zwei Jahren Einsicht in das Teilnehmerverzeichnis gewähren (§ 129 Abs. 4 Satz 2). Die Einsichtsgewährung kann schriftlich oder elektronisch erfolgen. Ausreichend wäre es demnach grundsätzlich auch, das Teilnehmerverzeichnis den Aktionären über die Internetseite der Gesellschaft zugänglich zu machen. Gleichwohl sollte dies aus Gründen des Daten- und Persönlichkeitsschutzes im Regelfall nicht geschehen (siehe auch § 30a Abs. 1 Nr. 3 WpHG für börsennotierte Gesellschaften).50) Zur Einsichtnahme berechtigt sind alle Aktionäre, die im Teilnehmerverzeichnis als solche aufgeführt sind oder im Zeitpunkt des Einsichtsverlangens Aktionäre sind.51) 36 Im Handelsregister kann das Teilnehmerverzeichnis heute nicht mehr abgerufen werden (§ 9 Abs. 1 HGB). Das Teilnehmerverzeichnis ist der Niederschrift über die Hauptversammlung nicht mehr als Anlage beizufügen (siehe § 130 Abs. 3), so dass das Handelsregister insoweit auch keine Publizitätswirkung mehr hat (§ 130 Abs. 5). Etwas anderes gilt nur dann, wenn das Teilnehmerverzeichnis der Niederschrift ausnahmsweise freiwillig beigefügt worden ist. 5.

Verstöße im Zusammenhang mit dem Teilnehmerverzeichnis

37 Verstöße gegen die Pflicht zur Aufstellung und Führung des Teilnehmerverzeichnisses machen die Beschlüsse der Hauptversammlung anfechtbar (§ 243 Abs. 1).52) Eine Anfechtungsklage ist allerdings nur dann begründet, wenn der Beschluss (ausnahmsweise) auf dem fehlenden, unvollständigen oder falschen Teilnehmerverzeichnis beruht.53) 38 Bei schuldhaften Pflichtverletzungen können darüber hinaus auch Schadensersatzansprüche anderer Teilnehmer (nicht aber der Gesellschaft selbst) bestehen (§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 129 AktG). 39 Wer als Aktionär oder Aktionärsvertreter die in das Teilnehmerverzeichnis aufzunehmenden Angaben vorsätzlich nicht oder nicht richtig macht, begeht eine Ordnungswidrigkeit (§ 405 Abs. 2 AktG i. V. m. § 10 OWiG). Daraus können sich zudem Schadensersatzansprüche ergeben (§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 405 Abs. 2 AktG). IV.

Versammlungsleitung

1.

Allgemeines

40 Der Ablauf der Hauptversammlung ist im AktG nur kursorisch geregelt (siehe §§ 118 ff.). In der Satzung bzw. der Geschäftsordnung finden sich meist gleichfalls nur wenige Rege_____________ 48) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 129 Rz. 13; großzügiger – Ermessen des Versammlungsleiters – HöltersDrinhausen, AktG, § 129 Rz. 29; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 129 Rz. 35. 49) Hölters-Drinhausen, AktG, § 129 Rz. 30; Spindler/Stilz-Wicke, AktG, § 129 Rz. 32; a. A. Kubis in: MünchKomm-AktG, § 129 Rz. 37 – Mindestfrist von 15 Minuten. 50) S. Bürgers/Körber-Reger, AktG, § 129 Rz. 31; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 129 Rz. 33. 51) Hölters-Drinhausen, AktG, § 129 Rz. 31. 52) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 129 Rz. 16; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 129 Rz. 42 f.; Spindler/StilzWicke, AktG, § 129 Rz. 36. 53) S. dazu OLG Hamburg, Urt. v. 19.5.1989 – 11 U 62/89, AG 1990, 394, dazu EWiR 1990, 731 (Großfeld).

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Geschäftsordnung; Verzeichnis der Teilnehmer

§ 129

lungen zur Durchführung der Hauptversammlung. In der Praxis haben sich über die Jahre verschiedene Grundsätze entwickelt, die heute allgemein anerkannt sind.54) Eine zentrale Bedeutung kommt dabei dem Versammlungsleiter zu. 2. a)

Versammlungsleiter Person des Versammlungsleiters

Das Aktienrecht geht zu Recht davon aus, dass jede55) Hauptversammlung einen Ver- 41 sammlungsleiter (siehe §§ 118 Abs. 4, 131 Abs. 2 Satz 2) bzw. einen Vorsitzenden (siehe § 130 Abs. 2 Satz 1) haben muss. Zur Person des Versammlungsleiters und dessen Befugnissen fehlt es allerdings an einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung (Ausnahme: § 122 Abs. 3 Satz 2, für den Fall der Einberufung der Hauptversammlung auf Verlangen einer Minderheit)56).57) In der Praxis enthält die Satzung meist eine Regelung, wonach der Vorsitzende des Auf- 42 sichtsrats58) die Hauptversammlung leitet.59) Findet sich in der Satzung ausnahmsweise keine solche Regelung, wird der Versammlungsleiter durch die Hauptversammlung gewählt.60) Dabei übernimmt in der Regel61) der älteste anwesende Aktionär (bzw. nach a. A. der Vorsitzende des Vorstands)62) den Vorsitz und führt die Wahl des Versammlungsleiters durch.63) Der beurkundende Notar kann in keinem Fall als Leiter der Hauptversammlung tätig werden (siehe auch § 3 Abs. 1 Nr. 1 BeurkG).64) Eine Abwahl des Versammlungsleiters kommt nur65) bei Vorliegen eines wichtigen Grundes66) (mit qualifizierter Kapitalmehrheit) in Betracht. _____________ 54) Instruktiv dazu u. a. Butzke, Hauptversammlung der AG; Höreth/Linnerz, Geschäftsordnungsanträge in Hauptversammlungen; Schaaf, Die Praxis der Hauptversammlung; Semler/Volhard/Reichert, ArbHdb. HV. 55) Zur Erforderlichkeit eines Versammlungsleiters bei der Einpersonen-AG s. Blasche, AG 2017, 16. 56) S. dazu OLG Köln, Urt. v. 16.6.2015 – 18 Wx 1/15, NZG 2015, 1118, dazu EWiR 2015, 599 (Schatz). Ausführlich dazu Schatz, AG 2015, 696; Theusinger/Schilha, NZG 2016, 56. 57) Zur Entscheidungskompetenz der Hauptversammlung in Fragen der Versammlungsleitung Ihrig in: FS Goette, S. 205 ff. 58) Ausführlich zur Versammlungsleitung durch den Vorsitzenden des Aufsichtsrats Drinhausen/MarschBarner, AG 2014, 757; Hoffmann-Becking, NZG 2017, 281. 59) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 129 Rz. 18; grds. kein Satzungsverstoß bei partieller Übertragung der Versammlungsleitung während eines Tagesordnungspunkts wegen der Gefahr der Interessenkollision – LG Frankfurt/M., Urt. v. 19.6.2008 – 3/5 O 158/07, NZG 2009, 149. – A. A. OLG Köln, Urt. v. 28.2.2008 – 18 U 3/08, ZIP 2008, 1767 für eine Einpersonen-AG. Zu Recht kritisch dazu Terbrack, RNotZ 2012, 221. 60) Dabei kann der Vorstandsvorsitzende in der Regel nicht zum Versammlungsleiter gewählt werden, OLG Hamburg, Urt. v. 19.5.1989 – 11 U 62/89, AG 1990, 394, dazu EWiR 1990, 731 (Großfeld). – Zur Wahl des Versammlungsleiters durch die Hauptversammlung s. a. LG Frankfurt/M., Urt. v. 12.3.2013 – 3-05 O 114/12, ZIP 2013, 1425. Ausführlich dazu Weber, NZG 2013, 890. 61) K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 129 Rz. 39. 62) Bürgers/Körber-Reger, AktG, § 129 Rz. 38; Hölters-Drinhausen, AktG, § 129 Anh. Rz. 2. 63) Zur etwaigen Haftung des Versammlungsleiters s. v. d. Linden, NZG 2013, 208. 64) BGH, Urt. v. 21.10.2014 – II ZR 330/13, ZIP 2014, 2494, dazu EWiR 2015, 3 (Kiem/Reutershahn); KG Berlin, Urt. v. 6.12.2010 – 23 AktG 1/10, NZG 2011, 305. 65) Generell gegen die Möglichkeit einer Abwahl (sofern die Satzung keine Öffnungsklausel enthält) v. d. Linden, DB 2017, 1371 m. w. N. 66) S. dazu OLG Köln, Urt. v. 9.3.2017 – 18 U 19/16 (Strabag), ZIP 2017, 1211, dazu EWiR 2017, 393 (Klaaßen-Kaiser/Bünten) (Az. d. BGH: II ZR 94/17) – Verpflichtung der Aktionärsmehrheit zur Abwahl aufgrund Treuepflicht gegenüber der Minderheit bei offenbaren und evidenten Leitungsfehlern des Versammlungsleiters, wie etwa Leitung der Hauptversammlung zu einem Tagesordnungspunkt, der die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen ihn selbst betrifft; OLG Stuttgart, Urt. v. 8.7.2015 – 20 U 2/14, DB 2015, 3007 = GWR 2015, 363 mit Anm. Reichard (Az. d. BGH: II ZR 241/15) – Vorliegen eines wichtigen Grundes verneint für ein mögliches Fehlverhalten außerhalb der Hauptversammlung, ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Marktmanipulation und behauptete charakterliche Defizite; OLG Suttgart, Beschl. v. 2.12.2014 – 20 AktG 1/14, ZIP 2015, 1120 – Redezeitbeschränkung durch Versammlungsleiter ist kein wichtiger Grund für dessen Abberufung. Ausführlich zum Ganzen Hoppe, NZG 2017, 361 f.; v. d. Linden, DB 2017, 1371; Rieckers, DB 2017, 2720, 2724 f.; Schatz/Stein, NJW-Spezial 2016, 335; Wicke, NZG 2018, 161.

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§ 129 b)

Geschäftsordnung; Verzeichnis der Teilnehmer Befugnisse des Versammlungsleiters

43 Dem Versammlungsleiter stehen grundsätzlich alle Befugnisse zu, die zu einer sachgerechten Durchführung der Hauptversammlung erforderlich sind.67) Dazu gehören insbesondere sämtliche Leitungs- und Ordnungsbefugnisse.68) 44 Die Leitungsbefugnisse umfassen u. a. die Eröffnung,69) Schließung und Unterbrechung der Hauptversammlung, die sachgerechte Erledigung aller Punkte der Tagesordnung (und zwar grundsätzlich in der Reihenfolge, wie sie in der Einberufung aufgeführt sind, siehe § 121 Abs. 3 Satz 2),70) die Organisation der Aussprache (meist in der Form der Generaldebatte) einschließlich der Festlegung der Reihenfolge der Redner, der Erteilung und Entziehung des Wortes, der Bestimmung der Redezeit, die Durchführung einer ordnungsgemäßen Abstimmung und die Feststellung der Ergebnisse der Abstimmung über die einzelnen Beschlüsse. 45 Der Versammlungsleiter kann zudem alle Ordnungsmaßnahmen ergreifen, die im jeweiligen Einzelfall für die Durchführung der Hauptversammlung geboten sind. Die einzelnen Ordnungsmaßnahmen können sich dabei sowohl gegen alle Teilnehmer oder auch nur gezielt gegen einzelne (störende) Teilnehmer der Hauptversammlung richten. Allgemeine Ordnungsmaßnahmen sind bspw. die Bestimmung des Versammlungsraums,71) die Beschränkung der Redezeit, die Schließung der Rednerliste,72) die Anordnung eines Rauchverbots, das Verbot von Bild- und Tonaufnahmen oder Sicherheitsmaßnahmen im Versammlungssaal73). Gegen einzelne Aktionäre sind u. a. folgende Ordnungsmaßnahmen möglich: Beschränkung der Redezeit,74) Ordnungsruf, Wortentzug, Saalverweis,75) Hausverbot. Bei allen Ordnungsmaßnahmen ist stets der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Die jeweilige Ordnungsmaßnahme muss somit stets sachlich erforderlich sein, im konkreten Einzelfall das mildeste mögliche Mittel darstellen und auf der Grundlage einer umfassenden Güterabwägung verhältnismäßig sein. In der Praxis empfiehlt es sich Ordnungsmaßnahmen vorher stets deutlich anzudrohen. _____________ 67) Grundlegend BGH, Urt. v. 11.11.1965 – II ZR 122/63, BGHZ 44, 245 = WM 1965, 1207; ausführlich dazu u. a. Heidel-Heidel, AktR, Vor §§ 129 – 132 AktG Rz. 16 ff.; Hölters-Drinhausen, AktG, Anh. § 129 Rz. 6 ff.; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 129 Rz. 54 ff. – Zur Zulässigkeit der Hinzuziehung von Hilfspersonen s. Kocher/Feigen, NZG 2015, 620. 68) Zur Verantwortlichkeit des Versammlungsleiters für einen rechtlich geordneten Verfahrensablauf s. a. BGH, Urt. v. 21.10.2014 – II ZR 330/13, ZIP 2014, 2494, dazu EWiR 2015, 3 (Kiem/Reutershahn). 69) Einschließlich auch der Einlasskontrolle, so BGH, Urt. v. 30.6.2015 – II ZR 142/14, Rz. 34, ZIP 2015, 2069 mit Anm. Schüppen, dazu EWiR 2015, 661 (Bayer/Scholz). 70) Zur Entscheidung über die Reihenfolge der Abstimmung nach der Sachdienlichkeit – vorbehaltlich § 137 AktG – s. LG München I, Urt. v. 31.3.2016 – 5 HK O 14432/14, ZIP 2016, 973, dazu EWiR 2016, 463 (v. d. Linden); LG Frankfurt/M., Urt. v. 19.6.2008 – 3/5 O 158/07, NZG 2009, 149. 71) S. dazu BGH, Beschl. v. 8.12.2013 – II ZR 329/12, DB 2014, 827 = MittBayNot 2014, 546 mit Anm. Beck (keine Beeinträchtigung des Teilnahmerechts der Aktionäre wegen unzureichender Übertragung der Hauptversammlung in den Catering-Bereich); OLG Frankfurt/M., Urt. v. 16.12.2014 – 5 U 24/14 (Az. d. BGH: II ZR 21/15), ZIP 2015, 1020. 72) Zur notwendigen Gleichbehandlung aller Aktionäre (§ 53a) in diesem Zusammenhang s. OLG Frankfurt/M., Urt. v. 12.11.2013 – 5 U 14/13, ZIP 2013, 2403, dazu EWiR 2014, 413 (Schilha/Wolf). 73) S. dazu OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 16.2.2007 – 5 W 43/06, ZIP 2007, 629 – Anfechtung sämtlicher Hauptversammlungsbeschlüsse wegen überzogener Sicherheitskontrollen – körperliche Durchsuchungen und Taschenkontrollen – im Zugangsbereich zum Versammlungssaal. 74) Grundlegend BGH, Urt. v. 8.2.2010 – II ZR 94/08 (Redezeitbeschränkung), ZIP 2010, 575, dazu EWiR 2010, 235 (Priester); ausführlich dazu u. a. Herrler, DNotZ 2010, 331; Jerczynski, NJW 2010, 1566; Kersting, NZG 2010, 446; Krause, BB 2010, 852; Nagel/Ziegenhahn, WM 2010, 1005; Wilsing/v. d. Linden, DB 2010, 1277, und OLG Frankfurt/M., Urt. v. 16.12.2014 – 5 U 24/14, ZIP 2015, 1020 (Az. d. BGH: II ZR 21/15). 75) S. dazu etwa BGH, Urt. v. 11.11.1965 – II ZR 122/63, BGHZ 44, 245 = WM 1965, 1207; OLG Bremen, Beschl. v. 18.1.2007 – 2 U 113/06, AG 2007, 550.

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§ 130

Niederschrift

Dem Versammlungsleiter können bei der Durchführung der Hauptversammlung Fehler 46 unterlaufen. Schäden können sich daraus insbesondere dann ergeben, wenn Beschlüsse angefochten werden oder die Hauptversammlung wiederholt werden muss. Eine organschaftliche Haftung des Versammlungsleiters scheidet aus, da der Versammlungsleiter kein Organ der Gesellschaft ist (siehe §§ 93, 116 AktG).76) Dies gilt auch dann, wenn ein Mitglied des Aufsichtsrats die Versammlungsleitung übernommen hat. Eine Haftung des Versammlungsleiters kann sich nur aus allgemeinem Delikts- oder Schuldrecht ergeben. Eine schuldhafte Pflichtverletzung wird dabei aber nur selten vorliegen, da dem Versammlungsleiter ein weites Ermessen zusteht. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass der Versammlungsleiter seine Entscheidungen oft unter großem Zeitdruck und in angespannter Atmosphäre treffen muss. _____________ 76) LG Ravensburg, Urt. v. 8.5.2014 – 7 O 51/13 KfH 1, ZIP 2014, 1632, dazu EWiR 2014, 551 (v. d. Linden). Ausführlich zum Ganzen Poelzig, AG 2015, 476; Schürnbrand, NZG 2014, 1211; Theusinger/Schilha, BB 2015, 131.

§ 130 Niederschrift (1) 1Jeder Beschluß der Hauptversammlung ist durch eine über die Verhandlung notariell aufgenommene Niederschrift zu beurkunden. 2Gleiches gilt für jedes Verlangen einer Minderheit nach § 120 Abs. 1 Satz 2, § 137. 3Bei nichtbörsennotierten Gesellschaften reicht eine vom Vorsitzenden des Aufsichtsrats zu unterzeichnende Niederschrift aus, soweit keine Beschlüsse gefaßt werden, für die das Gesetz eine Dreivierteloder größere Mehrheit bestimmt. (2) 1In der Niederschrift sind der Ort und der Tag der Verhandlung, der Name des Notars sowie die Art und das Ergebnis der Abstimmung und die Feststellung des Vorsitzenden über die Beschlußfassung anzugeben. 2Bei börsennotierten Gesellschaften umfasst die Feststellung über die Beschlussfassung für jeden Beschluss auch 1. die Zahl der Aktien, für die gültige Stimmen abgegeben wurden, 2. den Anteil des durch die gültigen Stimmen vertretenen Grundkapitals am eingetragenen Grundkapital, 3. die Zahl der für einen Beschluss abgegebenen Stimmen, Gegenstimmen und gegebenenfalls die Zahl der Enthaltungen. 3 Abweichend von Satz 2 kann der Versammlungsleiter die Feststellung über die Beschlussfassung für jeden Beschluss darauf beschränken, dass die erforderliche Mehrheit erreicht wurde, falls kein Aktionär eine umfassende Feststellung gemäß Satz 2 verlangt. (3) Die Belege über die Einberufung der Versammlung sind der Niederschrift als Anlage beizufügen, wenn sie nicht unter Angabe ihres Inhalts in der Niederschrift aufgeführt sind. (4) 1Die Niederschrift ist von dem Notar zu unterschreiben. 2Die Zuziehung von Zeugen ist nicht nötig. (5) Unverzüglich nach der Versammlung hat der Vorstand eine öffentlich beglaubigte, im Falle des Absatzes 1 Satz 3 eine vom Vorsitzenden des Aufsichtsrats unterzeichnete Abschrift der Niederschrift und ihrer Anlagen zum Handelsregister einzureichen. (6) Börsennotierte Gesellschaften müssen innerhalb von sieben Tagen nach der Versammlung die festgestellten Abstimmungsergebnisse einschließlich der Angaben nach Absatz 2 Satz 2 auf ihrer Internetseite veröffentlichen. Thomas Wachter

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§ 130

Niederschrift

Dem Versammlungsleiter können bei der Durchführung der Hauptversammlung Fehler 46 unterlaufen. Schäden können sich daraus insbesondere dann ergeben, wenn Beschlüsse angefochten werden oder die Hauptversammlung wiederholt werden muss. Eine organschaftliche Haftung des Versammlungsleiters scheidet aus, da der Versammlungsleiter kein Organ der Gesellschaft ist (siehe §§ 93, 116 AktG).76) Dies gilt auch dann, wenn ein Mitglied des Aufsichtsrats die Versammlungsleitung übernommen hat. Eine Haftung des Versammlungsleiters kann sich nur aus allgemeinem Delikts- oder Schuldrecht ergeben. Eine schuldhafte Pflichtverletzung wird dabei aber nur selten vorliegen, da dem Versammlungsleiter ein weites Ermessen zusteht. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass der Versammlungsleiter seine Entscheidungen oft unter großem Zeitdruck und in angespannter Atmosphäre treffen muss. _____________ 76) LG Ravensburg, Urt. v. 8.5.2014 – 7 O 51/13 KfH 1, ZIP 2014, 1632, dazu EWiR 2014, 551 (v. d. Linden). Ausführlich zum Ganzen Poelzig, AG 2015, 476; Schürnbrand, NZG 2014, 1211; Theusinger/Schilha, BB 2015, 131.

§ 130 Niederschrift (1) 1Jeder Beschluß der Hauptversammlung ist durch eine über die Verhandlung notariell aufgenommene Niederschrift zu beurkunden. 2Gleiches gilt für jedes Verlangen einer Minderheit nach § 120 Abs. 1 Satz 2, § 137. 3Bei nichtbörsennotierten Gesellschaften reicht eine vom Vorsitzenden des Aufsichtsrats zu unterzeichnende Niederschrift aus, soweit keine Beschlüsse gefaßt werden, für die das Gesetz eine Dreivierteloder größere Mehrheit bestimmt. (2) 1In der Niederschrift sind der Ort und der Tag der Verhandlung, der Name des Notars sowie die Art und das Ergebnis der Abstimmung und die Feststellung des Vorsitzenden über die Beschlußfassung anzugeben. 2Bei börsennotierten Gesellschaften umfasst die Feststellung über die Beschlussfassung für jeden Beschluss auch 1. die Zahl der Aktien, für die gültige Stimmen abgegeben wurden, 2. den Anteil des durch die gültigen Stimmen vertretenen Grundkapitals am eingetragenen Grundkapital, 3. die Zahl der für einen Beschluss abgegebenen Stimmen, Gegenstimmen und gegebenenfalls die Zahl der Enthaltungen. 3 Abweichend von Satz 2 kann der Versammlungsleiter die Feststellung über die Beschlussfassung für jeden Beschluss darauf beschränken, dass die erforderliche Mehrheit erreicht wurde, falls kein Aktionär eine umfassende Feststellung gemäß Satz 2 verlangt. (3) Die Belege über die Einberufung der Versammlung sind der Niederschrift als Anlage beizufügen, wenn sie nicht unter Angabe ihres Inhalts in der Niederschrift aufgeführt sind. (4) 1Die Niederschrift ist von dem Notar zu unterschreiben. 2Die Zuziehung von Zeugen ist nicht nötig. (5) Unverzüglich nach der Versammlung hat der Vorstand eine öffentlich beglaubigte, im Falle des Absatzes 1 Satz 3 eine vom Vorsitzenden des Aufsichtsrats unterzeichnete Abschrift der Niederschrift und ihrer Anlagen zum Handelsregister einzureichen. (6) Börsennotierte Gesellschaften müssen innerhalb von sieben Tagen nach der Versammlung die festgestellten Abstimmungsergebnisse einschließlich der Angaben nach Absatz 2 Satz 2 auf ihrer Internetseite veröffentlichen. Thomas Wachter

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Niederschrift

Literatur: Blasche, Zur Erforderlichkeit eines Versammlungsleiters bei der Einpersonen-Aktiengesellschaft, AG 2017, 16; Bungert/Leyendeckert-Langner, Hauptversammlungen im Ausland, DB 2015, 268; Drinhausen/Marsch-Barner, Zur Rechtsstellung des Aufsichtsratsvorsitzenden als Leiter der Hauptversammlung einer börsennotierten Gesellschaft, AG 2014, 757; Gotthardt/ Krengel, Beurkundungspflicht des Squeeze-Out-Beschlusses?, NZG 2016, 1411; Habersack, Beschlussfeststellung oder Beurkundung der Niederschrift – Wann wird der Hauptversammlungsbeschluss wirksam?, ZIP 2016, Beilage zu Heft 22, S. 23; Hauschild, Protokollierung im Rampenlicht, notar 2015, 271; Herrler, Berichtigungsmöglichkeiten bei fehlenden Pflichtangaben in der Hauptversammlungsniederschrift, NJW 2018, 585; Herrler, Anforderungen an den satzungsmäßigen Versammlungsort – Hauptversammlung im. Ausland?, ZGR 2015, 918; Hoffmann-Becking, Der Aufsichtsrat der AG und sein Vorsitzender in der Hauptversammlung, NZG 2017, 281; Leuering/Rubner, Beschlussfassungen mittels Additions- und Subtraktionsmethode, NJWSpezial 2016, 591; Mielke/Riechmann, Niederschrift der Hauptversammlung einer nicht börsennotierten AG nach § 130 AktG, BB 2014, 387; Ott, Die Hauptversammlung einer EinpersonenAktiengesellschaft, RNotZ 2014, 423; Polte/Haider-Giangreco, Die Vollversammlung der Aktiengesellschaft, AG 2014, 729; Reger/Schilha, Neues zur Hauptversammlungsniederschrift – Protokollierung der Abstimmung und nachträgliche Protokollberichtigung, AG 2018, 65; Weber, Von der Identitätskontrolle zur materiellen Richtigkeit die neuen notariellen Prüfpflichten im Grundbuch- und Registerverkehr, RNotZ 2017, 427; Wicke, Amtsbeendigung des Hauptversammlungsleiters, NZG 2018, 161; Wicke, Gemischte Protokollierung der Hauptversammlung einer nichtbörsennotierten AG, DB 2015, 1770.

Übersicht I. Überblick ........................................... 1 II. Beurkundungspflicht (§ 130 Abs. 1) .............................................. 10 1. Umfang der Beurkundungspflicht ..... 10 a) Beschlüsse der Hauptversammlung (§ 130 Abs. 1 Satz 1) ............ 10 b) Minderheitsverlangen (§ 130 Abs. 1 Satz 2) ............................. 11 c) Sonstige Beurkundungspflichten ..................................... 12 2. Urkundsperson ................................ 14 a) Notar .......................................... 14 b) Vorsitzender des Aufsichtsrats (§ 130 Abs. 1 Satz 3) ................. 25 3. Verstöße gegen die Beurkundungspflicht ..................................... 32 III. Inhalt der Niederschrift (§ 130 Abs. 2) .............................................. 34 1. Aktienrechtlicher Mindestinhalt der Niederschrift (§ 130 Abs. 2) ..... 34 a) Ort und Tag der Verhandlung ..... 34 I.

b) c) d) e)

Name des Notars ....................... 38 Art der Abstimmung .................. 40 Ergebnis der Abstimmung ......... 44 Feststellung über die Beschlussfassung ............................. 51 f) Unterschrift des Notars (§ 130 Abs. 4) ......................................... 57 2. Beurkundungsrechtliche Angaben in der Niederschrift .......................... 60 3. Verstöße gegen die Beurkundungspflicht ...................................... 63 IV. Anlagen zur Niederschrift (§ 130 Abs. 3) ............................................... 64 1. Einberufungsbelege .......................... 64 2. Sonstige zwingende Anlagen ........... 70 3. Fakultative Anlagen .......................... 71 V. Handelsregisterpublizität der Niederschrift (§ 130 Abs. 5) ........... 72 VI. Veröffentlichung der Abstimmungsergebnisse im Internet (§ 130 Abs. 6) ................................... 76

Überblick

1 Über jeden Beschluss der Hauptversammlung ist eine Niederschrift zu errichten und zum Handelsregister einzureichen. Auf diese Weise soll die Willensbildung in der Hauptversammlung für jedermann rechtssicher dokumentiert werden und die Einhaltung der

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gesetzlichen Regelungen für die Durchführung von Hauptversammlungen gewährleistet werden.1) Jeder Beschluss der Hauptversammlung ist durch eine über die Verhandlung notariell auf- 2 genommene Niederschrift zu beurkunden (§ 130 Abs. 1 Satz 1). Gleiches gilt für bestimmte Verlangen einer Minderheit von Aktionären (§ 130 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 120 Abs. 1 Satz 2 und § 137). Das notarielle Hauptversammlungsprotokoll ist eine öffentliche Urkunde (§ 415 ZPO).2) Die Beurkundung dient der Vermeidung von späteren Streitigkeiten über die Beschlussfassung und schafft für alle Beteiligten Rechtssicherheit. Ergänzend zu der im Aktienrecht vorgesehenen Beurkundungspflicht gelten die allgemeinen Vorschriften des Beurkundungsrechts über die Errichtung notarieller Niederschriften (§§ 36 ff. i. V. m. § 59 BeurkG). Bei nicht börsennotierten AG (§ 3 Abs. 2) kann die Niederschrift über die Hauptver- 3 sammlung an Stelle des Notars auch vom Vorsitzenden des Aufsichtsrats errichtet werden, soweit keine Beschlüsse gefasst werden, für die gesetzlich (zwingend oder fakultativ) mindestens eine Dreiviertel-Mehrheit erforderlich ist (§ 130 Abs. 1 Satz 3). Die vom Vorsitzenden des Aufsichtsrats errichtete Niederschrift ist keine öffentliche Urkunde (§ 286 ZPO, nicht § 416 ZPO, da es sich um keine Erklärungen des Aufsichtsratsvorsitzenden handelt).3) Das Aktienrecht schreibt für die Niederschrift bestimmte Mindestangaben (wie insbesondere 4 Ort und Tag der Verhandlung, Name des Notars, Art und Ergebnis der Abstimmung und Feststellung des Vorsitzenden über die Beschlussfassung) zwingend vor (§ 130 Abs. 2 Satz 1). Bei börsennotierten Gesellschaften sind bei der Feststellung über die Beschlussfassung ergänzende Regelungen zu berücksichtigen (§ 130 Abs. 2 Satz 2 und 3). Der Niederschrift sind die Belege über die Einberufung der Hauptversammlung als Anlage beizufügen, wenn sie nicht ohnehin in der Niederschrift selbst aufgeführt sind (§ 130 Abs. 3). Die Niederschrift ist (nur) vom Notar zu unterzeichnen (§ 130 Abs. 4). Im Interesse der Publizität der Hauptversammlungsbeschlüsse hat der Vorstand unver- 5 züglich nach der Versammlung eine vollständige Abschrift der Niederschrift und ihrer Anlagen zum Handelsregister einzureichen (§ 130 Abs. 5). Dort ist sie für jedermann einsehbar (§ 9 Abs. 1 HGB). Börsennotierte Gesellschaften (§ 3 Abs. 2) müssen zusätzlich innerhalb von sieben Tagen 6 nach der Hauptversammlung die festgestellten Abstimmungsergebnisse und bestimmte weitere Angaben auf ihrer Internetseite veröffentlichen (§ 130 Abs. 6). Die Vorschrift über die Hauptversammlungsniederschrift ist zwingend.4) Für Sonderbe- 7 schlüsse und Sonderversammlungen gelten die Regelungen entsprechend (§ 138 Satz 2).

_____________ 1)

2) 3) 4)

Grundlegend BGH, Urt. v. 10.10.2017, II ZR 375/15, ZIP 2017, 2245, dazu EWiR 2018, 39 (Seibt), ausführlich dazu Herrler, NJW 2018, 585; Reger/Schilha, AG 2018, 65; BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 185/07 (Kirch/Deutsche Bank), BGHZ 180, 9 = ZIP 2009, 460 mit Anm. Mutter, dazu EWiR 2009, 461 (Staake). Ferner BGH, Urt. v. 21.10.2014 – II ZR 330/13, ZIP 2014, 2494, dazu EWiR 2015, 3 (Kiem/Reutershahn). Bürgers/Körber-Reger, AktG, § 130 Rz. 1; Hölters-Drinhausen, AktG, § 130 Rz. 1; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 130 Rz. 1; Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 130 Rz. 3 ff.; K. Schmidt/ Lutter-Ziemons, AktG, § 130 Rz. 1 f.; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 130 Rz. 1; Spindler/Stilz-Wicke, AktG, § 130 Rz. 1 und 4. Zur formellen Beweiswirkung der notariellen Niederschrift über die Hauptversammlung s. BGH, Urt. v. 8.11.1993 – II ZR 26/93, ZIP 1993, 1867, dazu EWiR 1994, 111 (Rittner). Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 130 Rz. 1; Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 130 Rz. 5. Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 130 Rz. 37 ff.; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 130 Rz. 86; Spindler/Stilz-Wicke, AktG, § 130 Rz. 1.

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8 Von der gesetzlich vorgesehenen Niederschrift über die Hauptversammlung sind von der Gesellschaft erstellte stenographische Protokolle sowie Bild- und Tonaufzeichnungen zu unterscheiden.5) 9 Die Vorschrift wurde zuletzt durch das ARUG6) um bestimmte Sonderregelungen für börsennotierte AG ergänzt (§ 130 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 sowie § 130 Abs. 6). Im Rahmen der Aktienrechtsnovelle 20167) wurde eine redaktionelle Unklarheit der Neuregelung (§ 130 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2) behoben. II.

Beurkundungspflicht (§ 130 Abs. 1)

1.

Umfang der Beurkundungspflicht

a)

Beschlüsse der Hauptversammlung (§ 130 Abs. 1 Satz 1)

10 Die Beurkundungspflicht umfasst alle Beschlüsse der Hauptversammlung (§ 130 Abs. 1 Satz 1), und zwar unabhängig von Art, Inhalt und Ergebnis.8) Der Beurkundung bedürfen insbesondere auch Beschlüsse von Vollversammlungen9) und Einmann-AG.10) Eine notarielle Niederschrift ist nur dann nicht erforderlich, wenn in einer Hauptversammlung (ausnahmsweise) keinerlei Beschlüsse gefasst werden (und auch keine Minderheitsverlangen gestellt werden, § 130 Abs. 1 Satz 2). Allerdings empfiehlt sich schon aus Beweisgründen auch in diesen Fällen die Aufnahme einer (privatschriftlichen) Niederschrift. b)

Minderheitsverlangen (§ 130 Abs. 1 Satz 2)

11 Der Beurkundung bedürfen zudem auch die Minderheitsverlangen nach Einzelentlastung von Mitgliedern des Vorstands oder des Aufsichtsrats (§§ 120 Abs. 1 Satz 2, 130 Abs. 1 Satz 2) sowie Anträge zur Wahl von Mitgliedern des Aufsichtsrats (§§ 137, 130 Abs. 1 Satz 2). Die Beurkundungspflicht besteht auch dann, wenn über das Minderheitsverlangen in der Hauptversammlung kein Beschluss gefasst wird. Andere Minderheitsverlangen (z. B. nach § 147 Abs. 1) müssen nicht (zwingend) beurkundet werden.11) c)

Sonstige Beurkundungspflichten

12 Neben Beschlüssen der Hauptversammlung und bestimmten Minderheitsverlangen müssen auch bestimmte andere Erklärungen in die Niederschrift aufgenommen werden. Gesetzlich vorgesehen ist dies insbesondere für nicht beantwortete Fragen von Aktionären (§ 131 Abs. 5)12) und Widersprüchen von Aktionären13) (§ 245 Nr. 1 sowie u. a. §§ 50 Satz 1, 93 _____________ 5) Kubis in: MünchKomm-AktG, § 130 Rz. 88 ff. Zum Anspruch des Aktionärs auf auszugsweise Aushändigung einer Abschrift eines solchen stenografischen Wortprotokolls oder Tonbandmitschnitts s. BGH, Urt. v. 19.9.1994 – II ZR 248/92, BGHZ 127, 107 = ZIP 1994, 1597, dazu EWiR 1995, 13 (Hirte). 6) Art. 1 Nr. 19 des Gesetzes zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG), BGBl. I 2009, 2479. S. dazu BT-Drucks. 16/11642, S. 47 f. 7) Art. 1 Nr. 14 des Gesetzes zur Änderung des Aktiengesetzes (Aktienrechtsnovelle 2016), BGBl. I 2015, 2565. S. a. Einf. Rz. 21. 8) Hölters-Drinhausen, AktG, § 130 Rz. 5; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 130 Rz. 2; Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 130 Rz. 109 ff.; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 130 Rz. 3 f.; Spindler/Stilz-Wicke, AktG, § 130 Rz. 5. 9) Zur Vollversammlung s. Polte/Haider-Giangreco, AG 2014, 729. 10) Zur Hauptversammlung einer Einpersonen-AG s. Blasche, AG 2017, 16; Ott, RNotZ 2014, 423. 11) Bürgers/Körber-Reger, AktG, § 130 Rz. 5. 12) S. dazu OLG Stuttgart, Beschl. v. 3.12.2008 – 20 W 12/08, AG 2009, 204. 13) Ausführlich dazu Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 130 Rz. 228 ff. Zur formellen Beweiswirkung der notariellen Niederschrift in Bezug auf die Einlegung eines Widerspruchs gegen den Beschluss der Hauptversammlung s. BGH, Urt. v. 8.11.1993 – II ZR 26/93, ZIP 1993, 1867, dazu EWiR 1994, 111 (Rittner); OLG Jena, Urt. v. 30.7.2014 – 2 U 920/13, ZIP 2014, 2501.

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Abs. 4 Satz 3, 116, 302 Abs. 3 Satz 3, 309 Abs. 3 Satz 1, 317 Abs. 4, 318 Abs. 4, 323 Abs. 1 Satz 2 AktG; §§ 29 Abs. 1 Satz 1, 122i Abs. 1 Satz 1, 207 Abs. 1 UmwG14) oder § 318 Abs. 3 Satz 2 HGB). Der notariellen Beurkundung bedürfen darüber hinaus im Einzelfall auch bestimmte 13 Zustimmungserklärungen (z. B. nach § 285 Abs. 2 und 3) oder Verzichtserklärungen (z. B. nach §§ 8 Abs. 3, 9 Abs. 3, 16 Abs. 3 Satz 2 UmwG). Dabei sind allerdings zwingend die Vorschriften für die Beurkundung von Willenserklärungen einzuhalten (§§ 6 ff. BeurkG), so dass regelmäßig eine gesonderte Urkunde (neben dem Hauptversammlungsprotokoll) zu errichten ist. Die Aufnahme der Willenserklärungen in die Niederschrift über die Hauptversammlung ist nicht ausreichend (sofern diese nicht ausnahmsweise nach den Vorschriften über die Beurkundung von Willenserklärungen errichtet wird). 2.

Urkundsperson

a)

Notar

Im Regelfall muss die Niederschrift von einem Notar aufgenommen werden (§ 130 14 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. §§ 36 ff. BeurkG). Der Notar wird grundsätzlich von der Gesellschaft, vertreten durch den Vorstand beauftragt (Ausnahme: Beauftragung durch Minderheitsaktionäre oder den Aufsichtsrat15) als Annexkompetenz). Die Kosten der Beurkundung sind von der Gesellschaft zu tragen (§§ 4, 22 ff. GNotKG und § 122 Abs. 4 AktG sowie §§ 105 ff. GNotKG). Die Hauptversammlung hat auf die Person des Notars keinerlei Einfluss und kann ihn insbesondere auch nicht abwählen.16) Bei Hauptversammlungen von großen börsennotierten AG werden teilweise zwei Notare 15 mit der Beurkundung beauftragt.17) Das ist grundsätzlich zulässig.18) Jeder Notar errichtet dann eine eigene Urkunde. Die Zuständigkeit zwischen beiden Notaren muss allerdings im Vorfeld eindeutig voneinander abgegrenzt werden, um zu verhindern, dass über ein und dieselbe Hauptversammlung zwei sich möglicherweise widersprechende Niederschriften errichtet werden. Denkbar ist bspw., dass ein Notar die Beschlüsse beurkundet und ein zweiter Notar eine Niederschrift über etwaige nicht beantwortete Fragen und Widersprüche von Aktionären errichtet.19) Bei längeren Hauptversammlungen ist auch eine sukzessive Beurkundung durch mehrere Notare möglich. Für den Fall, dass der erste Notar die Niederschrift über die Hauptversammlung nicht fertigstellen kann (z. B. aus gesundheitlichen Gründen), kann (vorsorglich) auch ein zweiter Notar mit der Beurkundung der Hauptversammlung beauftragt werden. Die örtliche Zuständigkeit des Notars ergibt sich aus den Vorschriften der Bundesno- 16 tarordnung über den Amtssitz und Amtsbezirk (§§ 10, 11 BNotO). Verstöße gegen diese _____________ 14) Zur Notwendigkeit eines Widerspruchs gegen einen Verschmelzungsbeschluss nach § 20 UmwG s. OLG München, Beschl. v. 3.2.2010 – 31 Wx 135/09, ZIP 2010, 326 = DNotZ 2011, 142 mit Anm. Priester, dazu EWiR 2010, 507 (Heckschen). 15) S. LG Frankfurt/M., Beschl. v. 16.8.2013 – 3-05 O 178/13, NZG 2014, 1232 mit Anm. Rahlmeyer/ Groh. 16) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 130 Rz. 7. – Zur Niederschlagung von Notarkosten wegen unrichtiger Beurkundung eines Hauptversammlungsbeschlusses LG Berlin, Beschl. v. 16.9.2013 – 82 OH 5/13, 82 OH 80/13, ZIP 2013, 2464. 17) Zur Zulässigkeit der Beurkundung einer Hauptversammlung durch einen Notar unter Mitwirkung eines Rechtsanwalts s. OLG Frankfurt/M., Urt. v. 16.12.2014 – 5 U 24/14 (Az. d. BGH: II ZR 21/15), ZIP 2015, 1020. 18) Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 130 Rz. 64 ff.; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 130 Rz. 33 f.; Spindler/Stilz-Wicke, AktG, § 130 Rz. 23a. 19) S. dazu OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 6.4.2009 – 5 W 8/09, AG 2010, 39.

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Vorschriften werden ggf. berufsrechtlich sanktioniert, stehen der Wirksamkeit der Beurkundung aber nicht entgegen (§ 2 BeurkG). 17 Hauptversammlungen im Inland20) können durch ausländische Notare nicht wirksam beurkundet werden. Die Durchführung von Hauptversammlungen im Ausland ist grundsätzlich unzulässig. In der Satzung kann aber ein Hauptversammlungsort im Ausland bestimmt werden; das Teilnahmerecht der Aktionäre darf dadurch aber nicht unzumutbar beeinträchtigt werden.21) 18 Im Einzelfall kann ein Notar aufgrund gesetzlicher Mitwirkungsverbote an der Beurkundung einer Hauptversammlung gehindert sein (siehe § 3 BeurkG).22) Ein etwaiger Verstoß hat aber nicht die Unwirksamkeit der Beurkundung zur Folge. 19 Die Pflichten des Notars bei Errichtung der Niederschrift richten sich nach den allgemeinen Vorschriften des Beurkundungsgesetzes (§§ 36 ff. BeurkG).23) Dabei handelt es sich um ein Tatsachenprotokoll. Die Vorschriften über die Beurkundung von Willenserklärungen (§§ 6 ff. BeurkG) finden somit keine Anwendung.24) Der Notar muss somit die Identität der Beteiligten, des Versammlungsleiters oder eines widersprechenden Aktionärs25) nicht prüfen (siehe § 10 BeurkG).26) Vollmachten und sonstige Vertretungsnachweise (siehe § 12 BeurkG) muss der Notar weder prüfen noch der Niederschrift beifügen.27) Der Notar muss die Niederschrift nicht vorlesen (siehe § 13 BeurkG). Die Niederschrift muss weder von den Beteiligten noch vom Versammlungsleiter genehmigt oder unterschrieben werden (siehe § 13 BeurkG), sondern nur vom Notar (§ 130 Abs. 4 Satz 1). 20 Die Niederschrift ist grundsätzlich in deutscher Sprache zu errichten (§ 5 Abs. 1 BeurkG). Die Beurkundung in einer fremden Sprache kommt nur dann in Betracht, wenn (neben dem Versammlungsleiter und den Aktionären28) auch der Notar dieser Sprache hinreichend kundig ist (§ 5 Abs. 2 BeurkG, § 15 Abs. 1 Satz 2 BNotO).29) Dem Handelsregister muss allerdings auch dann (zusätzlich) eine Übersetzung der Niederschrift in deutscher Sprache (siehe § 488 Abs. 3 Satz 1 FamFG, § 184 Satz 1 GVG und § 2 EGGVG) eingereicht werden (§ 130 Abs. 5), da andernfalls die Publizitätsfunktion des Handelsregisters beeinträchtigt wäre (siehe auch § 11 HGB).30) Feststellungen zur Sprachkundigkeit der Beteiligten (und des Versammlungsleiters) muss der Notar nicht in die Niederschrift aufnehmen (siehe § 16 Abs. 1 BeurkG). Der Notar muss auch keine Übersetzung vornehmen. Allerdings wird die Gesellschaft in derartigen Fällen schon deshalb einen Dolmetscher _____________ 20) Anders für den Fall der Beurkundung im Ausland bei Gleichwertigkeit der ausländischen Urkundsperson BGH, Urt. v. 21.10.2014 – II ZR 330/13, ZIP 2014, 2494, dazu EWiR 2015, 3 (Kiem/Reutershahn). 21) BGH, Urt. v. 21.10.2014 – II ZR 330/13, ZIP 2014, 2494, dazu EWiR 2015, 3 (Kiem/Reutershahn). Ausführlich dazu u. a. Bungert/Leyendeckert-Langner, DB 2015, 268; Herrler, ZGR 2015, 918. 22) Dazu Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 130 Rz. 9 f.; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 130 Rz. 39 ff.; Spindler/Stilz-Wicke, AktG, § 130 Rz. 19 f. 23) Ein praxisbezogener Leitfaden für die notarielle Betreuung einer Publikumshauptversammlung findet sich bei Hauschild, notar 2015, 271. 24) Zur Zulässigkeit der Beurkundung nach §§ 36 ff. BeurkG bei einer Einmanngesellschaft (hier einer GmbH) s. OLG Celle, Beschl. v. 13.2.2017 – 9 W 13/17, ZIP 2017, 1623. 25) Allerdings ist der Notar zur Feststellung der Identität befugt, s. OLG München, Beschl. v. 3.2.2010 – 31 Wx 135/09, ZIP 2010, 326 = DNotZ 2011, 142 mit Anm. Priester, dazu EWiR 2010, 507 (Heckschen). 26) Hölters-Drinhausen, AktG, § 130 Rz. 14. S. aber auch Bürgers/Körber-Reger, AktG, § 130 Rz. 26; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 130 Rz. 34 – Pflicht zur Prüfung der Legitimation des Versammlungsleiters. 27) Henssler/Strohn-Liebscher, GesR, § 130 AktG Rz. 8; Spindler/Stilz-Wicke, AktG, § 130 Rz. 16. 28) Anders insoweit wohl K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 130 Rz. 51. 29) Hölters-Drinhausen, AktG, § 130 Rz. 14. 30) Hölters-Drinhausen, AktG, § 130 Rz. 14. A. A. Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 130 Rz. 299; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 130 Rz. 51.

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zur Hauptversammlung hinzuziehen, um eine sprachlich bedingte Einschränkung der Aktionärsrechte zu vermeiden. Der Notar muss die Niederschrift in der Hauptversammlung aufnehmen (dort aber 21 nicht unbedingt fertigstellen).31) Die Aufzeichnungen können handschriftlich (auch in Steno) oder mittels technischer Hilfsmittel (z. B. Notebook) erfolgen. Der Notar muss die Aufzeichnungen nicht selbst vornehmen, sondern kann sich dabei auch von Mitarbeitern unterstützen lassen. Nicht ausreichend sind dagegen bloße Bild- oder Tonaufnahmen (z. B. mittels Diktiergerät), da dies keine eigenen Aufzeichnungen des Notars sind.32) Zulässig und üblich ist es, dass der Notar die Niederschrift bereits vor der Hauptversammlung vorbereitet (insbesondere auf der Grundlage der Einladung sowie der Tagesordnung) und sie dann während der Hauptversammlung entsprechend dem tatsächlichen Geschehen ergänzt und abändert.33) Der Notar kann die Niederschrift am Ende der Hauptversammlung handschriftlich unterzeichnen (muss dies aber nicht tun). Regelmäßig wird der Notar die Niederschrift erst nach Rückkehr ins Büro (einige Tage später) endgültig fertigstellen und unterzeichnen. Rechtlich maßgeblich ist stets nur die Niederschrift, die der Notar unterzeichnet und willentlich nach außen gegeben hat.34) Vorher handelt es sich lediglich um einen internen Entwurf, den der Notar auch noch (ohne Bindung an § 44a BeurkG) ändern und ergänzen kann. Nach Fertigstellung der Niederschrift kann der Notar im Interesse der Richtigkeitsge- 22 währ noch offensichtliche Unrichtigkeiten35) (nach § 44a Abs. 2 BeurkG)36) und inhaltliche Fehler (nach § 44a Abs. 3 BeurkG) berichtigen.37) Eine Mitwirkung des Versammlungsleiters oder der Aktionäre ist für die Berichtigung nicht erforderlich. Eine zeitliche Grenze für die Berichtigung besteht nicht. Eine Berichtigung ist grundsätzlich auch dann noch möglich, wenn sich der Notar der Urkunde bereits entäußert hat. Das Interesse des Rechtsverkehrs an richtigen Urkunden überwiegt den Vertrauensschutz am Fortbestand von falschen Urkunden. Bei der Beurkundung einer Hauptversammlung obliegen dem Notar grundsätzlich keine 23 Prüfungs- und Belehrungspflichten (insbesondere § 17 BeurkG gilt nur bei der Beurkundung von Willenserklärungen nach §§ 6 ff. BeurkG und nicht für Niederschriften nach §§ 36 ff. BeurkG).38) Der Notar ist insbesondere auch nicht der Berater des Versammlungsleiters, einzelner Aktionäre oder der Gesellschaft (auch wenn er von dieser beauftragt worden ist). Als unabhängiger Träger eines öffentlichen Amtes (§ 1 BNotO) _____________ 31) Grundlegend zum Ganzen BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 185/07 (Kirch/Deutsche Bank), BGHZ 180, 9 = ZIP 2009, 460 mit Anm. Mutter, dazu EWiR 2009, 461 (Staake), und OLG Frankfurt/M., Urt. v. 26.6.2012 – 5 U 144/09, BB 2012, 2327 mit Anm. Reger/Wolf. 32) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 130 Rz. 11; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 130 Rz. 16. Weitergehend K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 130 Rz. 48 – Diktiergeräte als Gedächtnisstütze zulässig. 33) Hölters-Drinhausen, AktG, § 130 Rz. 14; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 130 Rz. 11; Spindler/StilzWicke, AktG, § 130 Rz. 23. 34) Zur Frage, ob der Beschluss schon mit seiner Feststellung oder erst mit der Beurkundung der Niederschrift wirksam wird s. Habersack, ZIP 2016, Beilage zu Heft 22/2016, S. 23; Hoffmann-Becking, NZG 2017, 281, 289. Im Ergebnis muss die Beurkundung auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung zurückwirken (Rechtsgedanke des § 184 Abs. 1 BGB). 35) S. dazu LG Köln, Urt. v. 20.5.2016 – 82 O 123/15, RNotZ 2016, 612 (fehlende Angaben zur Art der Abstimmung sind keine offensichtliche Unrichtigkeit). 36) § 44a BeurkG wurde zuletzt geändert durch Art. 2 Nr. 8 des Gesetzes zur Neuordnung der Aufbewahrung von Notariatsunterlagen und Einrichtung des Elektronischen Urkundenarchivs bei der Bundesnotarkammer sowie zur Änderung weiterer Gesetze, BGBl. I 2017, 1396. 37) Grundlegend BGH, Urt. v. 10.10.2017 – II ZR 375/15, ZIP 2017, 2245, dazu EWiR 2018, 39 (Seibt), ausführlich dazu Herrler, NJW 2018, 585; Reger/Schilha, AG 2018, 65. 38) BGH, Urt. v. 21.10.2014 – II ZR 330/13, ZIP 2014, 2494, dazu EWiR 2015, 3 (Kiem/Reutershahn).

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wird der Notar (i. R. seiner Möglichkeiten) allerdings darauf hinwirken, dass die Hauptversammlung ordnungsgemäß durchgeführt wird und rechtlich wirksame Beschlüsse gefasst werden. Entsprechende Hinweispflichten können insbesondere bei ganz offensichtlichen Rechtsverstößen bestehen.39) Dagegen ist der Notar grundsätzlich nicht verpflichtet, die Ordnungsmäßigkeit der Einberufung der Hauptversammlung, die Ermittlung der Abstimmungsergebnisse40) oder die Einhaltung von Stimmverboten zu überprüfen.41) 24 Der Notar darf die Beurkundung nur dann ablehnen, wenn mit dem Beschluss (bzw. seiner Durchführung) erkennbar unerlaubte oder unredliche Zwecke verfolgt werden (§ 4 BeurkG, § 14 Abs. 2 BNotO).42) In allen anderen Fällen ist der Notar grundsätzlich zur Beurkundung verpflichtet. Insbesondere kann der Notar die Beurkundung nicht deshalb ablehnen, weil der Beschluss (tatsächlich oder vermeintlich) nichtig bzw. anfechtbar ist (§§ 241 ff.). Etwaige Bedenken kann der Notar dem Versammlungsleiter aber mitteilen und ggf. auch in der Niederschrift vermerken (Rechtsgedanke von § 17 Abs. 2 Satz 2 BeurkG). b)

Vorsitzender des Aufsichtsrats (§ 130 Abs. 1 Satz 3)

25 Bei nicht börsennotierten AG kann43) die Niederschrift an Stelle des Notars ausnahmsweise auch vom Vorsitzenden des Aufsichtsrats errichtet werden, soweit keine Beschlüsse gefasst werden, für die das Gesetz (zwingend oder satzungsdispositiv) eine Dreivierteloder größere Mehrheit vorsieht (§ 130 Abs. 1 Satz 3).44) 26 Die Vorschrift gilt nur für nicht börsennotierte AG (§ 3 Abs. 2). Aufgrund zwingender europäischer Vorgaben sind damit auch nicht börsennotierte SE mit Sitz in Deutschland erfasst (Art. 10 und 53 SE-VO).45) 27 An die Stelle des beurkundenden Notars tritt der Vorsitzende des Aufsichtsrats, hilfsweise dessen Stellvertreter (§ 130 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 107 Abs. 1). Dies gilt – aufgrund des eindeutigen Gesetzeswortlauts (siehe einerseits § 130 Abs. 1 Satz 3, Abs. 5 und andererseits § 131 Abs. 2 Satz 2) – auch dann, wenn der Vorsitzende des Aufsichtsrats ausnahmsweise nicht Versammlungsleiter ist.46) _____________ 39) BGH, Urt. v. 21.10.2014 – II ZR 330/13, ZIP 2014, 2494, dazu EWiR 2015, 3 (Kiem/Reutershahn). – S. a. LG Berlin, Beschl. v. 16.9.2013 – 82 OH 5/13 u. a., ZIP 2013, 2464 (zumindest summarische Rechtmäßigkeitskontrolle der Beschlüsse: fehlerhafte Beurkundung bei einem bedingten Kapital im Nennbetrag über der Hälfte des Grundkapitals). 40) S. BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 185/07 (Kirch/Deutsche Bank), BGHZ 180, 9 = ZIP 2009, 460 mit Anm. Mutter, dazu EWiR 2009, 461 (Staake) (keine Verpflichtung des Notars zur Überwachung und Protokollierung der Stimmenauszählung); OLG Hamburg, Urt. v. 8.8.2003 – 11 U 45/03, ZIP 2003, 2076, dazu EWiR 2003, 1169 (Korsten) – keine Verpflichtung des Notars an der Stimmauszählung mitzuwirken und diese zu kontrollieren; OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.3.2003 – 16 U 79/02, ZIP 2003, 1147, dazu EWiR 2003, 737 (Sustmann) – keine Verpflichtung des Notars zur Überwachung der Stimmauszählung. 41) Weitergehend allerdings die h. M., mit Unterschieden im Detail Bürgers/Körber-Reger, AktG, § 130 Rz. 26 f.; Heidel-Terbrack/Lohr, AktR, § 130 AktG Rz. 19 ff.; Henssler/Strohn-Liebscher, GesR, § 130 AktG Rz. 8; Hölters-Drinhausen, AktG, § 130 Rz. 15 f.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 130 Rz. 12; Noack/ Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 130 Rz. 43 ff.; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 130 Rz. 45 ff.; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 130 Rz. 31 ff.; Spindler/Stilz-Wicke, AktG, § 130 Rz. 28 ff. 42) BGH, Urt. v. 21.10.2014 – II ZR 330/13, ZIP 2014, 2494, dazu EWiR 2015, 3 (Kiem/Reutershahn). 43) Zur Verpflichtung des Notars, auf die Kosten der Beurkundung hinzuweisen, wenn die Beteiligten in einem Fall des § 130 Abs. 1 Satz 3 ausdrücklich die Beurkundung der Hauptversammlung wünschen, s. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 6.12.2001 – 10 W 108/01, RNotZ 2002, 60. 44) Ausführlich dazu Drinhausen/Marsch-Barner, AG 2014, 757; Hoffmann-Becking, NZG 2017, 281. 45) Hölters-Drinhausen, AktG, § 130 Rz. 26; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 130 Rz. 38. A. A. Spindler/ Stilz-Wicke, AktG, § 130 Rz. 37. 46) K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 130 Rz. 36. A. A. die h. M., Bürgers/Körber-Reger, AktG, § 130 Rz. 30, 34 und 49; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 130 Rz. 14e; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 130 Rz. 28. Offengelassen von OLG Köln, Urt. v. 28.2.2008 – 18 U 3/08, ZIP 2008, 1767.

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Die Zuständigkeit des Aufsichtsratsvorsitzenden setzt voraus, dass die Hauptversamm- 28 lung keine Beschlüsse fasst, für die das Gesetz (nicht die Satzung) „eine Dreiviertel- oder größere Mehrheit bestimmt“ (§ 130 Abs. 1 Satz 3). Angesichts des offenen Gesetzeswortlauts ist umstritten, ob damit eine Dreiviertel-Kapitalmehrheit (z. B. §§ 52 Abs. 5, 129 Abs. 1 Satz 1, 179 Abs. 2 Satz 1, 179a Abs. 1, 182 Abs. 1 Satz 1, 186 Abs. 3 Satz 2, 193 Abs. 1 Satz 1, 202 Abs. 2 Satz 2, 207 Abs. 2, 221 Abs. 1 Satz 2, 222 Abs. 1 Satz 1, 229 Abs. 3, 237 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 1, 262 Abs. 1 Nr. 2, 274 Abs. 1 Satz 2, 293 Abs. 1 Satz 2, 295 Abs. 1 Satz 2, 319 Abs. 2 Satz 2, 320 Abs. 1 Satz 3) oder eine DreiviertelStimmenmehrheit (z. B. §§ 103 Abs. 1 Satz 2, 111 Abs. 4 Satz 4, 141 Abs. 3 Satz 2) gemeint ist. Die amtliche Gesetzesbegründung47) geht (allerdings ohne nähere Erörterung der Problematik) davon aus, dass es auf die „Dreiviertelmehrheit des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals“ ankommt.48) Dies kann jedoch nicht überzeugen.49) Nach dem Normzweck soll eine notarielle Beurkundung nur bei einfachen Routinebeschlüssen kleinerer AG entfallen, da dann eine rechtliche Betreuung durch den Notar entbehrlich erscheint. Dies passt aber nicht für die Fälle, in denen das Gesetz eine Dreiviertel-Stimmenmehrheit vorgesehen hat. Aus Gründen der Rechtssicherheit sollte die Niederschrift daher nur dann vom Vorsitzenden des Aufsichtsrats errichtet werden, wenn für die Beschlüsse weder eine Dreiviertel-Stimmenmehrheit noch eine Dreiviertel-Kapitalmehrheit erforderlich ist. Noch nicht abschließend geklärt ist bislang die Frage, ob bei Grundlagenbeschlüssen der 29 Hauptversammlung i. S. der Holzmüller/Gelatine-Rechtsprechung eine Beurkundung durch einen Notar zwingend erforderlich ist.50) Nachdem der BGH entschieden hat, dass für solche Beschlüsse eine Dreiviertel-Kapitalmehrheit erforderlich ist,51) muss eine Zuständigkeit des Aufsichtsratsvorsitzenden ausscheiden. Zudem handelt es sich bei den Holzmüller/GelatineFällen typischerweise gerade um weitreichende (und meist auch streitanfällige) Umstrukturierungsmaßnahmen, so dass eine Beurkundung durch einen (unabhängigen) Notar (schon aus Gründen der Beweissicherung) sachlich geboten erscheint.52) Kontrovers diskutiert wird schließlich die Frage, ob die Niederschrift einer Hauptver- 30 sammlung, auf der sowohl beurkundungspflichtige als auch sonstige Beschlüsse gefasst werden, in ein notarielles und ein privatschriftliches Protokoll aufgespalten werden kann. Der BGH sieht eine solche Aufspaltung u. a. unter Hinweis auf den Gesetzeswortlaut (§ 130 Abs. 1 Satz 3: „soweit“) als zulässig an.53) Dies erscheint wenig sachgerecht. Der Normzweck – Transparenz der Beschlussfassungen in der Hauptversammlung – wird durch die Aufspaltung erheblich beeinträchtigt. Zudem besteht die Gefahr, dass sich die beiden Niederschriften in einzelnen Punkten inhaltlich widersprechen würden. Der Gedanke der Handelsregisterpublizität (siehe § 130 Abs. 5) gebietet gleichfalls die Errich_____________ 47) BT-Drucks. 12/6721, S. 9. 48) So auch die h. M., OLG Karlsruhe, Urt. v. 9.10.2013 – 7 U 33/13, ZIP 2014, 376 sowie Bürgers/ Körber-Reger, AktG, § 130 Rz. 32; Hölters-Drinhausen, AktG, § 130 Rz. 1; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 130 Rz. 14b. 49) Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 130 Rz. 144. Wohl auch Spindler/Stilz-Wicke, AktG, § 130 Rz. 38. 50) Zu Squeeze-Out-Beschlüssen nach §§ 327a, 327e AktG s. Gotthardt/Krengel, NZG 2016, 1411, die eine Beurkundungspflicht mangels Vorliegen eines Grundlagenbeschlusses ablehnen. 51) BGH, Urt. v. 26.4.2004 – II ZR 155/02 (Gelatine I), BGHZ 159, 30 = ZIP 2004, 993, dazu EWiR 2004, 573 (Just) sowie BGH, Urt. v. 26.4.2004 – II ZR 154/02 (Gelatine II), ZIP 2004, 1001, dazu EWiR 2004, 1161 (Hirte). 52) Bürgers/Körber-Reger, AktG, § 130 Rz. 32; Hölters-Drinhausen, AktG, § 130 Rz. 23; Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 130 Rz. 146 f.; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 130 Rz. 35; Spindler/StilzWicke, AktG, § 130 Rz. 39. A. A. Henssler/Strohn-Liebscher, GesR, § 130 AktG Rz. 11; Hüffer/KochKoch, AktG, § 130 Rz. 14c; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 130 Rz. 25. 53) BGH, Urt. v. 19.5.2015 – II ZR 176/14, ZIP 2015, 1429, dazu EWiR 2015, 501 (Kiem/Rommelfanger). – Zustimmend u. a. Bürgers/Körber-Reger, AktG, § 130 Rz. 33.

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tung einer einheitlichen Niederschrift. Richtigerweise kann somit nur eine einheitliche (notarielle) Niederschrift über alle Beschlüsse einer Hauptversammlung errichtet werden.54) 31 Errichtet der Vorsitzende des Aufsichtsrats die Niederschrift über die Beschlüsse einer Hauptversammlung obwohl er dafür nicht zuständig war, sind die Beschlüsse aufgrund eines Beurkundungsmangels nichtig (§ 130 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 241 Nr. 2). 3.

Verstöße gegen die Beurkundungspflicht

32 Verstöße gegen die gesetzliche Beurkundungspflicht von Beschlüssen der Hauptversammlung haben grundsätzlich deren Nichtigkeit zur Folge (§ 130 Abs. 1 i. V. m. § 241 Nr. 2).55) Ausnahmen kommen allenfalls dann in Betracht, wenn das Abstimmungsergebnis zweifelsfrei feststeht.56) Bei eintragungsbedürftigen Beschlüssen der Hauptversammlung ist eine Heilung durch die Eintragung im Handelsregister möglich (§ 242 Abs. 1). 33 Die Nichtigkeitsfolge gilt nur für Beschlüsse der Hauptversammlung (siehe § 241: „Beschluss der Hauptversammlung“), nicht dagegen auch für Minderheitsverlangen oder Widersprüche, die nicht oder nicht ordnungsgemäß beurkundet worden sind.57) Allerdings wird ihr Nachweis durch die fehlende Beurkundung erheblich erschwert. III.

Inhalt der Niederschrift (§ 130 Abs. 2)

1.

Aktienrechtlicher Mindestinhalt der Niederschrift (§ 130 Abs. 2)

a)

Ort und Tag der Verhandlung

34 In jeder Niederschrift ist stets der Ort und Tag der Verhandlung anzugeben (§ 130 Abs. 2 Satz 1; siehe auch § 37 Abs. 2 BeurkG). 35 Mit dem Ort ist die politische Gemeinde gemeint, in der die Hauptversammlung stattfindet. Die Angabe der vollständigen Postanschrift des Versammlungsorts ist in der Niederschrift nicht erforderlich, da diese bereits in der Einberufung enthalten ist (§ 121 Abs. 3 Satz 1).58) Allerdings kann die genaue Angabe des Veranstaltungsorts (unter Umständen einschließlich des Stockwerks, der Raumnummer, etc.) nützlich sein, um die Übereinstimmung zwischen der Einladung und der tatsächlichen Versammlung nachweisbar zu dokumentieren. 36 Der Tag der Hauptversammlung ist kalendermäßig anzugeben. Die ergänzende Angabe des Wochentages ist zulässig, aber nicht erforderlich. Die Uhrzeit der Hauptversammlung ist in der Niederschrift (anders als bei der Einberufung, § 121 Abs. 3 Satz 1) nicht zwingend anzugeben.59) Allerdings ist es weithin üblich, den tatsächlichen Beginn sowie das Ende der Hauptversammlung in die Niederschrift aufzunehmen.60) Dauert die Hauptversammlung ausnahmsweise mehrere Tage, ist dies in der Niederschrift anzugeben. In diesem Fall muss aus der Niederschrift auch ersichtlich sein, an welchem Tag ein Beschluss gefasst worden ist. _____________ 54) Kritisch u. a. auch Weiler, MittBayNot 2016, 256; Wettich, AG 2015, 681, 685 f.; Wicke, DB 2015, 1770. 55) Hölters-Drinhausen, AktG, § 130 Rz. 47. Zur Nichtigkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses, wenn die privatschriftliche Niederschrift nicht vom Vorsitzenden des Aufsichtsrats, sondern von dem alleinigen Aktionär unterzeichnet worden ist, s. OLG Köln, Urt. v. 28.2.2008 – 18 U 3/08, ZIP 2008, 1767. 56) So jetzt BGH, Urt. v. 10.10.2017 – II ZR 375/15, ZIP 2017, 2245, dazu EWiR 2018, 39 (Seibt), ausführlich dazu Herrler, NJW 2018, 585; Reger/Schilha, AG 2018, 65 (insoweit teilweise Aufgabe von BGH, Urt. v. 4.7.1994 – II ZR 114/93, ZIP 1994, 1171, dazu EWiR 1994, 1051 (Petzoldt)). 57) Kubis in: MünchKomm-AktG, § 130 Rz. 77 ff. 58) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 130 Rz. 15; Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 130 Rz. 93. A. A. Hölters-Drinhausen, AktG, § 130 Rz. 27; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 130 Rz. 1 f.; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 130 Rz. 41. 59) A. A. Kubis in: MünchKomm-AktG, § 130 Rz. 42. 60) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 130 Rz. 15. BGH, Urt. v. 30.6.2015 – II ZR 142/14, Rz. 34, ZIP 2015, 2069 mit Anm. Schüppen, dazu EWiR 2015, 661 (Bayer/Scholz) – wonach eine förmliche Eröffnung der Hauptversammlung nicht erforderlich ist.

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Nicht in der Niederschrift anzugeben ist dagegen der Ort und/oder Tag der Errichtung 37 bzw. der Fertigstellung der Niederschrift.61) Dies ist auch nicht üblich. b)

Name des Notars

Das Aktienrecht verlangt, dass in der Niederschrift der Name des Notars angegeben wird 38 (§ 130 Abs. 2 Satz 1). Dabei sind Vor- und Nachname anzugeben.62) Beurkundungsrechtlich ist zusätzlich die Bezeichnung des Notars erforderlich (§ 37 Abs. 1 Nr. 1 BeurkG). Neben dem Namen wird daher regelmäßig auch die Amtsbezeichnung (z. B. Notar oder Notarvertreter) und der Amtssitz angegeben. Bei privatschriftlichen Niederschriften ist an Stelle des Namens des Notars der Name des 39 Vorsitzenden des Aufsichtsrats anzugeben (§ 130 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 Satz 3). c)

Art der Abstimmung

In der Niederschrift ist die Art der Abstimmung anzugeben (§ 130 Abs. 2 Satz 1).63) Mit 40 der Art der Abstimmung ist die Beschreibung des Vorgangs gemeint, wie der Beschluss in der Versammlung zustande gekommen ist. Anzugeben ist, wie abgestimmt worden ist (z. B. mündlich, schriftlich, durch Handaufheben oder andere Betätigung). Die Angabe der Art der Abstimmung ist aus Gründen der Rechtssicherheit und Beweissicherung in allen Fällen zwingend. Die bloße Angabe, dass die Abstimmungen in der vom Versammlungsleiter bestimmten Form erfolgt sind, genügt nicht. In der Praxis wird die Art der Abstimmung meist vom Versammlungsleiter festgelegt, sofern die Satzung nicht ausnahmsweise entsprechende Vorgaben enthält. Zur Art der Abstimmung gehören i. d. R. auch Angaben darüber, wie die Stimmenauszäh- 41 lung konkret erfolgt ist (z. B. durch Stimmzähler oder mittels einer EDV-Anlage) und wie die Stimmenzahl der einzelnen Aktionäre ermittelt worden ist (z. B. durch Barcodes auf den Stimmabschnitten).64) Der Rechtsgrund für die gewählte Abstimmungsart muss dagegen in der Niederschrift 42 nicht angegeben werden.65) Der Inhalt der Niederschrift ist im Gesetz abschließend vorgegeben. Eine Erweiterung über den Wortlaut hinaus ist angesichts der einschneidenden Folgen von Beurkundungsmängeln unzulässig. Nicht zwingend festzuhalten ist in der Niederschrift, ob und welche Maßnahmen ergriffen 43 worden sind, um die Beachtung der Stimmverbote (z. B. nach § 136) sicherzustellen.66) In der Praxis ist dies aber vielfach üblich. _____________ 61) BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 185/07 (Kirch/Deutsche Bank), BGHZ 180, 9 = ZIP 2009, 460 mit Anm. Mutter, dazu EWiR 2009, 461 (Staake). 62) K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 130 Rz. 7. A. A. – Nachname ausreichend, wenn keine Verwechslungsgefahr besteht – Bürgers/Körber-Reger, AktG, § 130 Rz. 13; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 130 Rz. 16; Spindler/Stilz-Wicke, AktG, § 130 Rz. 44. 63) Grundlegend BGH, Urt. v. 10.10.2017 – II ZR 375/15, ZIP 2017, 2245, dazu EWiR 2018, 39 (Seibt), ausführlich dazu Herrler, NJW 2018, 585; Reger/Schilha, AG 2018, 65. 64) Hölters-Drinhausen, AktG, § 130 Rz. 30 f.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 130 Rz. 18; Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 130 Rz. 156 ff.; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 130 Rz. 10; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 130 Rz. 46 ff. Einschränkend dagegen Spindler/Stilz-Wicke, AktG, § 130 Rz. 45 f. 65) BGH, Urt. v. 10.10.2017 – II ZR 375/15, ZIP 2017, 2245, dazu EWiR 2018, 39 (Seibt), ausführlich dazu Herrler, NJW 2018, 585; Reger/Schilha, AG 2018, 65. 66) Hölters-Drinhausen, AktG, § 130 Rz. 30. A. A. die h. M., Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 130 Rz. 18; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 130 Rz. 10; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 130 Rz. 50; Spindler/ Stilz-Wicke, AktG, § 130 Rz. 46.

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§ 130 d)

Niederschrift Ergebnis der Abstimmung

44 Zum zwingenden Inhalt der Niederschrift über die Hauptversammlung gehört das Ergebnis der Abstimmung (§ 130 Abs. 2 Satz 1). Dies umfasst alle Angaben, die für die nachprüfbare Ermittlung des Abstimmungsergebnisses erforderlich sind. Zahlreiche Einzelheiten waren lange Zeit umstritten.67) In einer Grundsatzentscheidung aus dem Jahr 2017 hat der BGH nunmehr einige Streitfragen geklärt.68) 45 Danach gehört zum Abstimmungsergebnis zunächst das rechtliche Ergebnis der Abstimmung, d. h. die Annahme oder Ablehnung eines Beschlusses. 46 Darüber hinaus umfasst das Ergebnis der Abstimmung aber auch das zahlenmäßige Ergebnis der Abstimmung, d. h. die Anzahl der Ja- und Nein-Stimmen.69) Dies folgt aus dem Zweck der Beurkundung. Unklarheiten über das Ergebnis der Abstimmung lassen sich nur dann vermeiden, wenn in der Niederschrift auch die für und gegen einen Beschluss abgegebenen Stimmen festgehalten werden. Das zahlenmäßige Ergebnis der Abstimmung muss in allen Fällen in der Niederschrift angegeben werden. Dies gilt gleichermaßen für die Beurkundung von Beschlüssen der Hauptversammlung von börsennotierten und nicht börsennotierten Aktiengesellschaften. Bei börsennotierten Aktiengesellschaften kann der Versammlungsleiter zwar von der Feststellung des zahlenmäßigen Abstimmungsergebnisses absehen (§ 130 Abs. 2 Satz 3). Der Notar muss das zahlenmäßige Abstimmungsergebnis aber auch in solchen Fällen zwingend in die Niederschrift aufnehmen. 47 In der Niederschrift ist somit zunächst anzugeben, wie das Abstimmungsergebnis ermittelt worden ist (z. B. Subtraktions-70) oder Additionsverfahren).71) Sodann ist stets die Anzahl der Ja-Stimmen und der Nein-Stimmen anzugeben.72) Bei Anwendung des Subtraktionsverfahrens sind zusätzlich die Enthaltungen, die ungültigen und die gesperrten Stimmen sowie die aktuelle Präsenz anzugeben. 48 Nicht ausreichend ist dagegen die prozentuale Angabe der Ja- und Nein-Stimmen (z. B. 90 % dafür und 10 % dagegen).73) Das Ergebnis der Abstimmung muss in der Niederschrift vielmehr stets in Zahlen angegeben werden. 49 Bei Beschlüssen, bei denen neben der Stimmenmehrheit zusätzlich eine Kapitalmehrheit erforderlich ist, ist neben der Anzahl der Stimmen zusätzlich (nicht anstelle) auch das durch _____________ 67) S. dazu im Einzelnen Bürgers/Körber-Reger, AktG, § 130 Rz. 13; Hölters-Drinhausen, AktG, § 130 Rz. 31; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 130 Rz. 19; Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 130 Rz. 168 ff.; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 130 Rz. 12; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 130 Rz. 53 ff.; Spindler/ Stilz-Wicke, AktG, § 130 Rz. 48 ff. 68) BGH, Urt. v. 10.10.2017 – II ZR 375/15, ZIP 2017, 2245, dazu EWiR 2018, 39 (Seibt), ausführlich dazu Herrler, NJW 2018, 585; Reger/Schilha, AG 2018, 65. 69) BGH, Urt. v. 10.10.2017 – II ZR 375/15, ZIP 2017, 2245, dazu EWiR 2018, 39 (Seibt), ausführlich dazu Herrler, NJW 2018, 585; Reger/Schilha, AG 2018, 65. 70) Zur Zulässigkeit der Wahl der Subtraktionsmethode durch den Versammlungsleiter s. LG München I, Urt. v. 31.3.2016 – 5 HK O 14432/15, ZIP 2016, 973, dazu EWiR 2016, 463 (v. d. Linden). – Zur Additions- und Subtraktionsmethode s. a. den Überblick bei Leuering/Rubner, NJW-Spezial 2016, 591. 71) Zur Nichtigkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses mangels Angabe, ob die Stimmauszählung mittels Additions- oder Subtraktionsverfahren erfolgt ist, s. LG München I, Urt. v. 30.8.2012 – 5 HK O 1378/12, ZIP 2012, 2209, dazu EWiR 2013, 33 (Wolf). – Keine Verletzung des Teilnahmerechts des Aktionärs bei fehlender Übertragung der Hauptversammlung in Präsenzbereich BGH, Beschl. v. 8.10.2013 – II ZR 329/12, ZIP 2013, 2257 mit Anm. v. Falkenhausen, dazu EWiR 2014, 3 (Goslar). 72) S. dazu BGH, Urt. v. 4.7.1994 – II ZR 114/93, ZIP 1994, 1171, dazu EWiR 1994, 1051 (Petzoldt) – Nichtigkeit einer Aufsichtsratswahl, wenn in der notariellen Niederschrift statt des Ergebnisses der Abstimmung nach Stimmen lediglich die Kapitalbeträge angegeben werden, die für und gegen einen bestimmten Wahlvorschlag gestimmt haben. 73) BGH, Urt. v. 10.10.2017 – II ZR 375/15, ZIP 2017, 2245, dazu EWiR 2018, 39 (Seibt), ausführlich dazu Herrler, NJW 2018, 585; Reger/Schilha, AG 2018, 65.

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sie vertretene Grundkapital aufzuführen (sofern das Stimmgewicht der Aktien nicht ohnehin proportional zum Kapitalanteil ist). Bei einer getrennten Abstimmung nach Aktiengattungen muss in der Niederschrift auch 50 das Ergebnis der einzelnen Abstimmungen getrennt voneinander angegeben werden.74) e)

Feststellung über die Beschlussfassung

Schließlich ist in jeder Niederschrift die Feststellung des Vorsitzenden über die Beschluss- 51 fassung anzugeben (§ 130 Abs. 2 Satz 1). Damit ist die ausdrückliche Feststellung gemeint, ob der dem Beschluss zugrunde liegende Antrag angenommen oder abgelehnt worden ist.75) Die Feststellung des Vorsitzenden ist für die Wirksamkeit der Beschlussfassung von konstitutiver Bedeutung.76) Dies bedeutet: Unterbleibt die Feststellung (bewusst oder versehentlich), ist der Beschluss auch dann nicht wirksam zustande gekommen, wenn an sich die erforderliche Mehrheit erreicht worden ist. Umgekehrt gilt der Beschluss aufgrund der förmlichen Feststellung auch dann als wirksam zustande gekommen, wenn er tatsächlich nicht (oder mit einem anderen Inhalt) gefasst worden ist.77) In der Niederschrift ist die Feststellung des Vorsitzenden (und nicht etwa die des Notars) 52 aufzunehmen (siehe Gesetzeswortlaut § 130 Abs. 2 Satz 1: „Feststellung des Vorsitzenden“).78) Eigene Feststellungen des Notars über die Beschlussfassung sind allenfalls dann zusätzlich in die Niederschrift aufzunehmen, wenn sie diejenigen des Vorsitzenden ergänzen (z. B. wenn der Versammlungsleiter auf die Feststellung der Zahl der Ja- und Nein-Stimmen verzichtet, § 130 Abs. 2 Satz 3) oder davon abweichen (z. B. weil der Notar die Feststellung des Vorsitzenden als unzutreffend ansieht, dieser aber trotz Hinweis daran festhält).79) Bei börsennotierten AG (§ 3 Abs. 2) muss die Feststellung des Vorsitzenden über die 53 Beschlussfassung (aufgrund der wenig geglückten80) Änderung durch das ARUG) grundsätzlich auch folgende zusätzliche Angaben umfassen (§ 130 Abs. 2 Satz 2), die dementsprechend auch in die Niederschrift aufgenommen werden müssen: –

§ 130 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1: Die Zahl der Aktien, für die gültige Stimmen abgegeben wurden81) (nicht dagegen auch die Gesamtzahl der gültigen Stimmen).82)

_____________ 74) K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 130 Rz. 12. A. A. Hölters-Drinhausen, AktG, § 130 Rz. 33; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 130 Rz. 20. Differenzierend Spindler/Stilz-Wicke, AktG, § 130 Rz. 49. 75) Der Wortlaut des Beschlusses muss nicht zwingend in das Protokoll selbst aufgenommen werden; s. dazu OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 10.5.2010 – 20 W 115/10, MittBayNot 2011, 165 – zulässige Bezugnahme auf den Beleg über die Einberufung, Abs. 3 Halbs. 1; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 15.12.2008 – 6 W 24/08, ZIP 2009, 518 – zulässige Bezugnahme auf den in der Anlage beigefügten Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag. S. aber auch LG Frankfurt/M., Beschl. v. 26.8.2008 – 3/5 O 339/07, ZIP 2008, 1723, dazu EWiR 2009, 35 (Goslar) – Nichtigkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses aufgrund nicht ausreichend konkreter Bezugnahme auf den Beschlussvorschlag. 76) Hölters-Drinhausen, AktG, § 130 Rz. 34; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 130 Rz. 22 f.; Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 130 Rz. 183 ff.; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 130 Rz. 14; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 130 Rz. 59; Spindler/Stilz-Wicke, AktG, § 130 Rz. 52. 77) Für die Beschlussfeststellung des Versammlungsleiters einer GmbH-Gesellschafterversammlung gilt § 130 AktG weder unmittelbar noch analog, s. dazu KG, Beschl. v. 12.10.2015 – 22 W 74/15, ZIP 2016, 422. 78) S. dazu OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.3.2003 – 16 U 79/02, ZIP 2003, 1147, dazu EWiR 2003, 737 (Sustmann) – keine Verpflichtung des Notars zu eigenen Feststellungen über das Abstimmungsergebnis; LG Frankfurt/M., Urt. v. 19.6.2008 – 3/5 O 158/07, NZG 2009, 149. 79) Bürgers/Körber-Reger, AktG, § 130 Rz. 16; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 130 Rz. 60; Spindler/StilzWicke, AktG, § 130 Rz. 51. Weitergehend Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 130 Rz. 21. 80) Ähnlich die Einschätzung von K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 130 Rz. 16 – „misslungen“; Spindler/ Stilz-Wicke, AktG, § 130 Rz. 53 – „wenig sinnvollen“. 81) Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 130 Rz. 198 ff.; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 130 Rz. 17. 82) So Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 130 Rz. 23a.

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§ 130 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2: Der Anteil des durch die gültigen Stimmen vertretenen Grundkapitals am eingetragenen Grundkapital. Durch die Aktienrechtsnovelle 201683) wurde klargestellt, dass es insoweit auf das gesamte Grundkapital gemäß der Satzung und nicht etwa auf das bei der Beschlussfassung vertretene Grundkapital ankommt.84) Dies entspricht auch den Vorgaben der Aktionärsrechterichtlinie.85)



§ 130 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3: Die Zahl der für einen Beschluss abgegebenen (gültigen) Stimmen (Ja-Stimmen), Gegenstimmen (Nein-Stimmen) und ggf. die Zahl der Enthaltungen (letzteres nur bei Anwendung des Subtraktionsverfahrens).86)

54 Nach dem Wortlaut der Aktionärsrechterichtlinie ist zusätzlich die Anzahl der abgegebenen gültigen Stimmen anzugeben. In der amtlichen Regierungsbegründung wird darauf hingewiesen, dass sich diese Zahl aus der Addition der Ja- und Nein-Stimmen ergibt.87) 55 Falls kein Aktionär eine detaillierte Feststellung über die Beschlussfassung verlangt, kann sich der Versammlungsleiter für jeden Beschluss auf die Feststellung beschränken, dass die erforderliche Mehrheit erreicht worden ist (§ 130 Abs. 2 Satz 3). Allerdings sind die Abstimmungsergebnisse auch dann vollständig (d. h. einschließlich der Angaben nach § 130 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 bis Nr. 3) auf der Internetseite zu veröffentlichen (§ 130 Abs. 6). Unberührt bleibt zudem die für alle Gesellschaften geltende Verpflichtung, das Abstimmungsergebnis in die Niederschrift aufzunehmen (§ 130 Abs. 2 Satz 1).88) Dies setzt nicht voraus, dass das Abstimmungsergebnis vom Vorsitzenden in der Hauptversammlung auch tatsächlich mündlich verlautbart worden ist.89) 56 Die vereinfachte Feststellungsform steht zudem unter dem Vorbehalt, dass kein Aktionär eine umfassende Feststellung über die Beschlussfassung verlangt (§ 130 Abs. 2 Satz 3 a. E). Dabei ist ungeklärt, wie lange ein Aktionär ein solches Verlangen stellen kann. Um das vereinfachte Feststellungsverfahren nicht völlig leerlaufen zu lassen, muss der Aktionär eine umfassende Feststellung spätestens dann verlangen, wenn der Vorsitzende die Feststellung vornimmt.90) Nachdem es teilweise aber als zulässig angesehen wird, dass ein Aktionär auch noch nach erfolgter Feststellung durch den Versammlungsleiter ein solches Verlangen stellt,91) sollte in der Praxis von dem vereinfachten Feststellungsverfahren nur zurückhaltend Gebrauch gemacht werden.

_____________ 83) Art. 1 Nr. 14 des Gesetzes zur Änderung des Aktiengesetzes (Aktienrechtsnovelle 2016), BGBl. I 2015, 2565. S. Einf., Rz. 21. 84) S. dazu u. a. Rieckers, DB 2016, 2526, 2527. 85) S. Art. 14 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2007/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rats v. 11.7.2007 über die Ausübung bestimmter Rechte von Aktionären in börsennotierten Gesellschaften (Aktionärsrechterichtlinie), ABl. (EG) Nr. L 184/17 v. 14.7.2007 – „den Anteil des durch diese Stimmen vertretenen Grundkapitals“. 86) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 130 Rz. 23a; Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 130 Rz. 206 f.; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 130 Rz. 18. – S. dazu BGH, Urt. v. 10.10.2017 – II ZR 375/15, ZIP 2017, 2245, dazu EWiR 2018, 39 (Seibt), ausführlich dazu Herrler, NJW 2018, 585; Reger/Schilha, AG 2018, 65. 87) Begr. RegE z. ARUG, BT-Drucks. 16/11642, S. 32. 88) BGH, Urt. v. 10.10.2017 – II ZR 375/15, ZIP 2017, 2245, dazu EWiR 2018, 39 (Seibt), ausführlich dazu Herrler, NJW 2018, 585; Reger/Schilha, AG 2018, 65. 89) Nicht abschließend geklärt ist bislang, ob die bloße Projektion der ausführlichen Beschlussergebnisse ausreichend ist. Dafür wohl Leitzen, ZIP 2010, 1065; Wilm, DB 2010, 1686, 1691. 90) So wohl Reul, ZNotP 2010, 44, 47; Spindler/Stilz-Wicke, AktG, § 130 Rz. 54. Noch weiter einschränkend Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 130 Rz. 213 – nur bis zum Beginn der Stimmenzählung. 91) So wohl Grobecker, NZG 2010, 165, 169; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 130 Rz. 21.

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Unterschrift des Notars (§ 130 Abs. 4)

Die Niederschrift ist vom Notar zu unterschreiben (§ 130 Abs. 4 Satz 1).92) Die Unter- 57 schrift muss eigenhändig erfolgen (§§ 37 Abs. 3, 13 Abs. 3 Satz 1 BeurkG). Die Unterschrift mit dem Nachnamen ist ausreichend (siehe § 1 Satz 2 DONot). Bei der Unterschrift ist auch die Amtsbezeichnung anzugeben (§§ 37 Abs. 3, 13 Abs. 3 Satz 2 BeurkG und § 1 Satz 2 DONot). Zeugen müssen nicht hinzugezogen werden (§ 130 Abs. 4 Satz 2). Die zusätzliche Unterzeichnung der Niederschrift durch den Versammlungsleiter ist nicht erforderlich, aber unüblich. Die Unterschrift kann erst nach Beendigung der Hauptversammlung erfolgen. Dann aber 58 sollte die Unterzeichnung – schon im Hinblick auf etwa eintretende Verhinderungsfälle (z. B. Unfalltod, Krankheit) – möglichst unverzüglich erfolgen. Dies schließt nicht aus, dass der Notar die Niederschrift (bzw. deren Entwurf) nach der Hauptversammlung im Büro nochmals ergänzt, diese Reinschrift dann unterschreibt und sodann als Niederschrift im Rechtssinn an die Beteiligten aushändigt.93) Wird die Niederschrift ausnahmsweise vom Vorsitzenden des Aufsichtsrats errichtet, ist 59 sie von ihm (und dem jeweiligen Versammlungsleiter) zu unterschreiben (§ 130 Abs. 4 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 Satz 3).94) Die Hinzuziehung von Zeugen ist auch in diesem Fall entbehrlich (§ 130 Abs. 4 Satz 2). 2.

Beurkundungsrechtliche Angaben in der Niederschrift

Das Aktienrecht sieht vor, dass in der Niederschrift über die Hauptversammlung zwingend 60 bestimmte Angaben enthalten sein müssen (§ 130 Abs. 2; siehe darüber hinaus auch oben Rz. 36 ff.). Eine Verpflichtung zur Aufnahme weiterer Angaben in die notarielle Niederschrift kann sich für den Notar insbesondere aus den Bestimmungen des Beurkundungsgesetzes ergeben (§§ 36 ff. BeurkG). Bei der Niederschrift muss es sich um einen Bericht des Notars über seine Wahrnehmungen in der Hauptversammlung handeln (§ 37 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BeurkG). Dabei sind allerdings keineswegs alle Wahrnehmungen in der Niederschrift aufzunehmen, sondern nur solche, die für die Beschlüsse der Hauptversammlung unmittelbar von Bedeutung sein können.95) Denn die Niederschrift über die Hauptversammlung ist kein Wortprotokoll, sondern ein Ergebnisprotokoll.96) Die Entscheidung darüber, welche Tatsachen in die Niederschrift aufgenommen werden, liegt im pflichtgemäßen Ermessen des beurkundenden Notars. Bei der Ermessensausübung wird sich der Notar in der Regel vor allem daran orientieren, ob und inwieweit das Hauptversammlungsprotokoll als öffentliche Urkunde (§ 415 ZPO) später für Zwecke der Beweissicherung von Bedeutung sein kann (z. B. im Hinblick auf spätere Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen). In der Praxis werden bspw. folgende Tatsachen oftmals in Hauptversammlungsnieder- 61 schriften aufgenommen:97) Person des Versammlungsleiters, Namen der anwesenden Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats (siehe § 130 Abs. 3 Satz 1), Uhrzeit des Beginns _____________ 92) Das Fehlen der Unterschrift führt auch bei der Ein-Mann-AG zur Nichtigkeit der Beschlüsse, so OLG Stuttgart, Beschl. v. 21.3.2014 – 20 U 8/13, ZIP 2015, 378. 93) S. dazu auch oben Rz. 19 ff. m. w. N.; zu beurkundungsrechtlichen Fragen ausführlich Winkler, BeurkG, § 37 Rz. 18 ff. und 32 ff. sowie § 44a Rz. 5 ff., 15 ff. und 36 ff., jeweils m. w. N. 94) Zur alleinigen Unterzeichnung der Niederschrift durch den Versammlungsleiter s. OLG Karlsruhe, Urt. v. 9.10.2013 – 7 U 33/13, ZIP 2014, 376. Ausführlich dazu Beck, AG 2014, 275. 95) Ähnlich Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 130 Rz. 5 m. w. N zum Streitstand. 96) BGH, Urt. v. 19.9.1994 – II ZR 248/92, BGHZ 127, 107 = ZIP 1994, 1597, dazu EWiR 1995, 13 (Hirte). 97) S. dazu Hölters-Drinhausen, AktG, § 130 Rz. 10; Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 130 Rz. 254 ff.; K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 130 Rz. 27; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 130 Rz. 61; Spindler/ Stilz-Wicke, AktG, § 130 Rz. 13.

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Niederschrift

und Endes der Hauptversammlung (sowie etwaiger Unterbrechungen), allgemeine Hinweise des Versammlungsleiters zum Ablauf der Hauptversammlung, Hinweise auf die in der Hauptversammlung ausliegenden Unterlagen (wie Teilnehmerverzeichnis, Jahresabschluss, Berichte des Vorstands und des Aufsichtsrats etc.), Feststellungen des Versammlungsleiters zur ordnungsgemäßen Einberufung der Hauptversammlung, allgemeine oder individuelle Ordnungsmaßnahmen des Versammlungsleiters (wie etwa Beschränkung der Redezeit, Wortentzug, Saalverweis, Anordnung des Endes der Debatte), förmliche Anträge von einzelnen Aktionären samt darüber jeweils getroffener Entscheidung, Namen und Reihenfolge der einzelnen Redner, Schluss der Generaldebatte samt Hinweis darauf, dass keine offenen Fragen mehr bestehen, Hinweise zum Abstimmungsverfahren und zur Beachtung von Stimmrechtsverboten. 62 Für privatschriftliche Hauptversammlungsniederschriften des Aufsichtsratsvorsitzenden gelten die Bestimmungen des Beurkundungsrechts naturgemäß nicht unmittelbar. Aufgrund der mit der Niederschrift bezweckten Dokumentation und Transparenz ist eine sinngemäße Anwendung im Regelfall jedoch sachgerecht. 3.

Verstöße gegen die Beurkundungspflicht

63 Verstöße gegen den aktienrechtlich zwingend vorgesehenen Inhalt der Beschlussniederschrift (§ 130 Abs. 2 Satz 1; nicht dagegen auch § 130 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3) haben grundsätzlich die Nichtigkeit der Beschlüsse zur Folge (§ 241 Nr. 2).98) Dagegen haben etwaige Verstöße gegen das Beurkundungsgesetz, die Bundesnotarordnung oder die Dienstordnung der Notare weder die Nichtigkeit (§ 241 Nr. 2 i. V. m. § 130 Abs. 2 Satz 1) noch die Anfechtbarkeit der Beschlüsse zur Folge (§ 243 Abs. 1). Bei schuldhaftem Verhalten kommen unter Umständen jedoch Amtshaftungsansprüche in Betracht (§ 19 BNotO). IV.

Anlagen zur Niederschrift (§ 130 Abs. 3)

1.

Einberufungsbelege

64 Der Niederschrift sind die Belege über die Einberufung der Versammlung als Anlage beizufügen, sofern sie nicht bereits in der Niederschrift selbst unter Angabe ihres Inhalts aufgeführt worden sind (§ 130). 65 Als Nachweis für die ordnungsgemäße Einberufung ist grundsätzlich ein Ausdruck aus dem (elektronischen) Bundesanzeiger beizufügen (siehe § 121 Abs. 4 Satz 1 i. V. m. § 25). Sind die Aktionäre der Gesellschaft namentlich bekannt und erfolgt die Einberufung mit eingeschriebenem Brief, ist der Niederschrift das Einladungsschreiben samt Nachweis über den Versand per Einschreiben beizufügen (siehe § 121 Abs. 4 Satz 2). Lässt die Satzung eine Einberufung durch E-Mail oder Telefax zu (siehe § 121 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2), sind der Niederschrift die entsprechenden Sendeberichte etc. beizufügen. 66 Die entsprechenden Einberufungsnachweise sind der Niederschrift als Anlage beizufügen und mit dieser durch Schnur und Siegel zu verbinden (siehe §§ 37 Abs. 1 Satz 2, 44 BeurkG, § 30 Abs. 2 DONot).99) Das Beifügen von Originalen ist gesetzlich nicht vorgesehen100) und in vielen Fällen auch gar nicht möglich. _____________ 98) S. dazu BGH, Urt. v. 10.10.2017 – II ZR 375/15, ZIP 2017, 2245, dazu EWiR 2018, 39 (Seibt), ausführlich dazu Herrler, NJW 2018, 585; Reger/Schilha, AG 2018, 65 (dort auch zu Ausnahmen von der Nichtigkeit), teilweise unter Aufgabe von BGH, Urt. v. 4.7.1994 – II ZR 114/93, ZIP 1994, 1171, dazu EWiR 1994, 1051 (Petzoldt). 99) Zur Zulässigkeit der Bezugnahme auf den Inhalt einer vorgeschlagenen Satzungsänderung (Abs. 3 Halbs. 1, § 124 Abs. 2 Satz 2) s. OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 10.5.2010 – 20 W 115/10, MittBayNot 2011, 165. 100) K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 130 Rz. 57. A. A. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 130 Rz. 24.

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Die Einberufungsbelege müssen der Niederschrift nicht beigefügt werden, wenn sie in der 67 Niederschrift selbst aufgeführt sind (§ 130 Abs. 3 Halbs. 2). Die Ordnungsmäßigkeit der Einberufung muss in diesem Fall anhand der Niederschrift feststellbar sein. Die wörtliche Wiedergabe der Einberufungsbelege ist dabei nicht zwingend, aber vielfach zweckmäßig. Im Falle einer Vollversammlung kann auf die Einberufung verzichtet werden (§ 121 Abs. 6), 68 so dass der Niederschrift auch keine entsprechenden Nachweise beigefügt oder in ihr aufgeführt werden müssen. Eine Verletzung der Pflicht zur Beifügung der Einberufungsbelege führt nicht zur Nich- 69 tigkeit der Hauptversammlungsbeschlüsse (§ 241 Nr. 2 erwähnt § 130 Abs. 3 gerade nicht). Die Beschlüsse werden dadurch auch nicht anfechtbar. Denn ein bereits gefasster Beschluss kann nicht auf einem zeitlich nachfolgenden Gesetzesverstoß beruhen (§ 243 Abs. 1). 2.

Sonstige zwingende Anlagen

In Einzelfällen sind der Niederschrift aufgrund besonderer gesetzlicher Vorgaben weitere 70 Anlagen101) beizufügen. Beispiele dafür sind etwa: Nachgründungsverträge (§ 52 Abs. 2 Satz 7), Verträge über die Vermögensübertragung im Ganzen (§ 179a Abs. 2 Satz 6), Unternehmensverträge (§ 293g Abs. 2 Satz 2),102) Verträge über die Verschmelzung, Spaltung oder Vermögensübertragung nach dem Umwandlungsgesetz (§§ 13 Abs. 3 Satz 2, 125 Satz 1, 176 Abs. 1 UmwG). 3.

Fakultative Anlagen

Darüber hinaus können der Niederschrift freiwillig weitere Anlagen zu Beweiszwecken 71 beigefügt werden, wie etwa das Teilnehmerverzeichnis, der Jahres- und Konzernabschluss nebst Lagebericht, Berichte des Aufsichtsrats und/oder des Vorstands,103) die Rede des Vorsitzenden des Vorstands auf der Hauptversammlung, Schriftstücke von Aktionären über (unbeantwortete) Fragen, u. a. m. V.

Handelsregisterpublizität der Niederschrift (§ 130 Abs. 5)

Unverzüglich (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB)104) nach der Hauptversammlung ist eine vollständi- 72 ge Abschrift der Niederschrift samt aller Anlagen elektronisch zum Handelsregister einzureichen (§ 130 Abs. 5 i. V. m. § 12 Abs. 2 HGB).105) Das Handelsregister kann die Erfüllung dieser Verpflichtung ggf. mittels Zwangsgeld durchsetzen (§ 14 HGB i. V. m. §§ 388 ff. FamFG).106) Die Pflicht zur Einreichung der Hauptversammlungsniederschrift besteht unabhängig von der Verpflichtung zur Anmeldung von etwaigen Satzungsänderungen, Kapitalmaßnahmen oder Umwandlungen.107) _____________ 101) Dabei handelt es sich nicht um Anlagen i. S. des BeurkG, s. dazu DNotI-Report 2016, 1 (im Zusammenhang mit § 293g Abs. 2 Satz 2 AktG). 102) S. dazu BGH, Beschl. v. 30.1.1992 – II ZB 15/91, ZIP 1992, 395, dazu EWiR 1992, 423 (Kort). 103) Zur Berücksichtigung von beigefügten Vorstandsberichten bei der Auslegung von Hauptversammlungsbeschlüssen s. BGH, Beschl. v. 30.1.1995 – II ZR 132/93, ZIP 1995, 372, dazu EWiR 1995, 359 (Hirte). 104) Bürgers/Körber-Reger, AktG, § 130 Rz. 49; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 130 Rz. 27. A. A. K. Schmidt/ Lutter-Ziemons, AktG, § 130 Rz. 63 – im Hinblick auf die Anfechtungsfrist nach § 246 Abs. 1. 105) Die Einreichungspflicht wird in der Praxis allerdings vielfach nicht beachtet, s. zu statistischen Daten Bayer/Hofmann, AG 2016, R 63. 106) LG Frankfurt/M., Urt. v. 19.6.2008 – 3/5 O 158/07, NZG 2009, 149 – keine Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit der Beschlüsse bei Verstoß gegen Einreichungspflicht nach Absatz 5. 107) Zum Fortbestand der Einreichungspflicht bei einer ungeplant beschlusslosen Haupversammlung s. Mielke/Riechmann, BB 2014, 387.

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§ 130

Niederschrift

73 Für die Einreichung der Niederschrift beim Handelsregister ist stets der Vorstand der Gesellschaft zuständig. In der Praxis wird der Vorstand der Gesellschaft mit der Einreichung allerdings regelmäßig den beurkundenden Notar beauftragen. Ein Prüfvermerk des Notars (§ 378 Abs. 3 FamFG)108) ist insoweit nicht erforderlich, da es sich bei der Einreichung der Niederschrift um keine „Anmeldung in Registersachen“ handelt. 74 Die Form der einzureichenden Niederschrift richtet sich nach der Person des Protokollführers. Im Falle der notariellen Beurkundung ist beim Handelsregister eine öffentlich beglaubigte Abschrift (§ 42 BeurkG) oder eine Ausfertigung der Niederschrift (§§ 47 ff. BeurkG) einzureichen. Der Beglaubigungs- bzw. Ausfertigungsvermerk ist vom Notar zu unterschreiben. Bei Erstellung eines privatschriftlichen Protokolls genügt dagegen die Einreichung einer einfachen Abschrift der Niederschrift. Der Aufsichtsratsvorsitzende muss die Abschrift (zusätzlich zum Original, siehe § 130 Abs. 4 Satz 1) unterzeichnen. 75 Die Niederschrift wird beim Handelsregister (grundsätzlich ohne weitere Prüfung)109) in den elektronischen Registerordner aufgenommen und kann dort von jedermann (auch ohne berechtigtes Interesse) eingesehen werden (§ 9 Abs. 1 HGB). Darüber hinaus können auch Ausdrucke oder Abschriften der Niederschrift verlangt werden (§ 9 Abs. 4 HGB). Die Gesellschaft ist dagegen nicht verpflichtet, den Aktionären Abschriften der Niederschrift zu erteilen (siehe § 810 BGB). Der beurkundende Notar darf grundsätzlich nur der Gesellschaft (nicht aber den Aktionären oder einzelnen Organmitgliedern) Abschriften der Niederschrift erteilen (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 BeurkG; zu Ausnahmen siehe §§ 111 Abs. 3 und 122 AktG). VI.

Veröffentlichung der Abstimmungsergebnisse im Internet (§ 130 Abs. 6)

76 Börsennotierte Gesellschaften (§ 3 Abs. 2) müssen zudem innerhalb von sieben Tagen (§§ 187 ff. BGB) nach der Hauptversammlung die festgestellten Abstimmungsergebnisse auf ihrer Internetseite veröffentlichen (§ 130 Abs. 6). Die Regelung wurde erstmals durch das ARUG110) eingeführt und geht auf die europäische Aktionärsrechterichtlinie zurück (Art. 14 Abs. 2). Die Abstimmungsergebnisse sind auch dann auf der Internetseite der Gesellschaft zu veröffentlichen, wenn die vollständige Hauptversammlungsniederschrift (in der auch das Ergebnis der Abstimmung enthalten ist) bereits zum Handelsregister eingereicht und dort für jedermann einsehbar ist. Etwaige Verstöße gegen die Internetpublizität bleiben allerdings ohne jede Sanktion und machen die zuvor gefassten Beschlüsse auch nicht anfechtbar. 77 Der Veröffentlichungspflicht unterliegen die festgestellten Abstimmungsergebnisse einschließlich der detaillierten Angaben über die Beschlussfassung (nach § 130 Abs. 2 Satz 2). Diese Angaben sind auch dann auf der Internetseite zu veröffentlichen, wenn sich der Versammlungsleiter in der Hauptversammlung auf die Feststellung beschränkt hat, dass für jeden Beschluss die erforderliche Mehrheit erreicht worden ist (§ 130 Abs. 6 verlangt die Angaben nach § 130 Abs. 2 Satz 2, ohne für den Fall der vereinfachten Feststellung nach § 130 Abs. 2 Satz 3 eine Ausnahme vorzusehen).111) _____________ 108) Die Änderung von § 378 Abs. 3 FamFG ist durch Art. 4 Nr. 5 lit. b des Gesetzes zur Neuordnung der Aufbewahrung von Notariatsunterlagen und zur Einrichtung des Elektronischen Urkundenarchivs bei der Bundesnotarkammer sowie zur Änderung weiterer Gesetze, BGBl. I 2017, 1396, erfolgt und am 9.6.2017 in Kraft getreten. Ausführlich dazu Attenberger, MittBayNot 2017, 335; Diehn/Rachlitz, DNotZ 2017, 487; Heinemann, ZNotP 2017, 166; Weber, RNotZ 2017, 427; Zimmer, NJW 2017, 1909. 109) Henssler/Strohn-Liebscher, GesR, § 130 AktG Rz. 24; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 130 Rz. 28. 110) Art. 1 Nr. 19 lit. b des Gesetzes zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG), BGBl. I 2009, 2479. S. dazu BT-Drucks. 16/11642, S. 48. 111) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 130 Rz. 23b und 29a.

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§ 131

Auskunftsrecht des Aktionärs

Die gesetzliche Veröffentlichungspflicht bezieht sich nur auf die festgestellten Abstim- 78 mungsergebnisse. Die Bereitstellung weiterer Informationen auf der Internetseite der Gesellschaft (wie etwa des Wortlauts der gefassten Beschlüsse, siehe § 125 Abs. 4,112) oder des Wortlauts der geänderten Satzung, siehe § 181 Abs. 1 Satz 2) ist möglich, aber nicht zwingend erforderlich. _____________ 112) K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 130 Rz. 69.

§ 131 Auskunftsrecht des Aktionärs (1) 1Jedem Aktionär ist auf Verlangen in der Hauptversammlung vom Vorstand Auskunft über Angelegenheiten der Gesellschaft zu geben, soweit sie zur sachgemäßen Beurteilung des Gegenstands der Tagesordnung erforderlich ist. 2Die Auskunftspflicht erstreckt sich auch auf die rechtlichen und geschäftlichen Beziehungen der Gesellschaft zu einem verbundenen Unternehmen. 3Macht eine Gesellschaft von den Erleichterungen nach § 266 Absatz 1 Satz 3, § 276 oder § 288 des Handelsgesetzbuchs Gebrauch, so kann jeder Aktionär verlangen, dass ihm in der Hauptversammlung über den Jahresabschluss der Jahresabschluss in der Form vorgelegt wird, die er ohne diese Erleichterung hätte. 4Die Auskunftspflicht des Vorstands eines Mutterunternehmens (§ 290 Abs. 1, 2 des Handelsgesetzbuchs) in der Hauptversammlung, der der Konzernabschluss und der Konzernlagebericht vorgelegt werden, erstreckt sich auch auf die Lage des Konzerns und der in den Konzernabschluss einbezogenen Unternehmen. (2) 1Die Auskunft hat den Grundsätzen einer gewissenhaften und getreuen Rechenschaft zu entsprechen. 2Die Satzung oder die Geschäftsordnung gemäß § 129 kann den Versammlungsleiter ermächtigen, das Frage- und Rederecht des Aktionärs zeitlich angemessen zu beschränken, und Näheres dazu bestimmen. (3) 1Der Vorstand darf die Auskunft verweigern, 1. soweit die Erteilung der Auskunft nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung geeignet ist, der Gesellschaft oder einem verbundenen Unternehmen einen nicht unerheblichen Nachteil zuzufügen; 2. soweit sie sich auf steuerliche Wertansätze oder die Höhe einzelner Steuern bezieht; 3. über den Unterschied zwischen dem Wert, mit dem Gegenstände in der Jahresbilanz angesetzt worden sind, und einem höheren Wert dieser Gegenstände, es sei denn, daß die Hauptversammlung den Jahresabschluß feststellt; 4. über die Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden, soweit die Angabe dieser Methoden im Anhang ausreicht, um ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft im Sinne des § 264 Abs. 2 des Handelsgesetzbuchs zu vermitteln; dies gilt nicht, wenn die Hauptversammlung den Jahresabschluß feststellt; 5. soweit sich der Vorstand durch die Erteilung der Auskunft strafbar machen würde; 6. soweit bei einem Kreditinstitut oder Finanzdienstleistungsinstitut Angaben über angewandte Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden sowie vorgenommene Verrechnungen im Jahresabschluß, Lagebericht, Konzernabschluß oder Konzernlagebericht nicht gemacht zu werden brauchen;

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Auskunftsrecht des Aktionärs

Die gesetzliche Veröffentlichungspflicht bezieht sich nur auf die festgestellten Abstim- 78 mungsergebnisse. Die Bereitstellung weiterer Informationen auf der Internetseite der Gesellschaft (wie etwa des Wortlauts der gefassten Beschlüsse, siehe § 125 Abs. 4,112) oder des Wortlauts der geänderten Satzung, siehe § 181 Abs. 1 Satz 2) ist möglich, aber nicht zwingend erforderlich. _____________ 112) K. Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, § 130 Rz. 69.

§ 131 Auskunftsrecht des Aktionärs (1) 1Jedem Aktionär ist auf Verlangen in der Hauptversammlung vom Vorstand Auskunft über Angelegenheiten der Gesellschaft zu geben, soweit sie zur sachgemäßen Beurteilung des Gegenstands der Tagesordnung erforderlich ist. 2Die Auskunftspflicht erstreckt sich auch auf die rechtlichen und geschäftlichen Beziehungen der Gesellschaft zu einem verbundenen Unternehmen. 3Macht eine Gesellschaft von den Erleichterungen nach § 266 Absatz 1 Satz 3, § 276 oder § 288 des Handelsgesetzbuchs Gebrauch, so kann jeder Aktionär verlangen, dass ihm in der Hauptversammlung über den Jahresabschluss der Jahresabschluss in der Form vorgelegt wird, die er ohne diese Erleichterung hätte. 4Die Auskunftspflicht des Vorstands eines Mutterunternehmens (§ 290 Abs. 1, 2 des Handelsgesetzbuchs) in der Hauptversammlung, der der Konzernabschluss und der Konzernlagebericht vorgelegt werden, erstreckt sich auch auf die Lage des Konzerns und der in den Konzernabschluss einbezogenen Unternehmen. (2) 1Die Auskunft hat den Grundsätzen einer gewissenhaften und getreuen Rechenschaft zu entsprechen. 2Die Satzung oder die Geschäftsordnung gemäß § 129 kann den Versammlungsleiter ermächtigen, das Frage- und Rederecht des Aktionärs zeitlich angemessen zu beschränken, und Näheres dazu bestimmen. (3) 1Der Vorstand darf die Auskunft verweigern, 1. soweit die Erteilung der Auskunft nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung geeignet ist, der Gesellschaft oder einem verbundenen Unternehmen einen nicht unerheblichen Nachteil zuzufügen; 2. soweit sie sich auf steuerliche Wertansätze oder die Höhe einzelner Steuern bezieht; 3. über den Unterschied zwischen dem Wert, mit dem Gegenstände in der Jahresbilanz angesetzt worden sind, und einem höheren Wert dieser Gegenstände, es sei denn, daß die Hauptversammlung den Jahresabschluß feststellt; 4. über die Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden, soweit die Angabe dieser Methoden im Anhang ausreicht, um ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft im Sinne des § 264 Abs. 2 des Handelsgesetzbuchs zu vermitteln; dies gilt nicht, wenn die Hauptversammlung den Jahresabschluß feststellt; 5. soweit sich der Vorstand durch die Erteilung der Auskunft strafbar machen würde; 6. soweit bei einem Kreditinstitut oder Finanzdienstleistungsinstitut Angaben über angewandte Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden sowie vorgenommene Verrechnungen im Jahresabschluß, Lagebericht, Konzernabschluß oder Konzernlagebericht nicht gemacht zu werden brauchen;

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Auskunftsrecht des Aktionärs

7. soweit die Auskunft auf der Internetseite der Gesellschaft über mindestens sieben Tage vor Beginn und in der Hauptversammlung durchgängig zugänglich ist. 2

Aus anderen Gründen darf die Auskunft nicht verweigert werden.

(4) 1Ist einem Aktionär wegen seiner Eigenschaft als Aktionär eine Auskunft außerhalb der Hauptversammlung gegeben worden, so ist sie jedem anderen Aktionär auf dessen Verlangen in der Hauptversammlung zu geben, auch wenn sie zur sachgemäßen Beurteilung des Gegenstands der Tagesordnung nicht erforderlich ist. 2Der Vorstand darf die Auskunft nicht nach Absatz 3 Satz 1 Nr. 1 bis 4 verweigern. 3Sätze 1 und 2 gelten nicht, wenn ein Tochterunternehmen (§ 290 Abs. 1, 2 des Handelsgesetzbuchs), ein Gemeinschaftsunternehmen (§ 310 Abs. 1 des Handelsgesetzbuchs) oder ein assoziiertes Unternehmen (§ 311 Abs. 1 des Handelsgesetzbuchs) die Auskunft einem Mutterunternehmen (§ 290 Abs. 1, 2 des Handelsgesetzbuchs) zum Zwecke der Einbeziehung der Gesellschaft in den Konzernabschluß des Mutterunternehmens erteilt und die Auskunft für diesen Zweck benötigt wird. (5) Wird einem Aktionär eine Auskunft verweigert, so kann er verlangen, daß seine Frage und der Grund, aus dem die Auskunft verweigert worden ist, in die Niederschrift über die Verhandlung aufgenommen werden. Literatur: Angerer, Die Beschränkung des Rede- und Fragerechts des Aktionärs in der Hauptversammlung, ZGR 2011, 27; Bredol, „Noch offene Fragen?“ – Zur Nachfrageobliegenheit des Aktionärs auf der Hauptversammlung, NZG 2012, 613; Decher, Die Information der Aktionäre über die Unternehmensbewertung bei Strukturmaßnahmen in der Hauptversammlungs- und Gerichtspraxis, in: Festschrift für Michael Hoffmann-Becking, 2013, S. 295; Fleischer, Anforderungen an Anfechtungskläger im Aktienrecht: Widerspruchserfordernis – Verbot widersprüchlichen Verhaltens – Rügeobliegenheit?, in: Festschrift für Eberhard Stilz, 2014, S. 143 ff.; Haggeney/Hausmanns, Der Einfluss von Geheimhaltungsvereinbarungen auf die Informationsrechte des Aktionärs und des GmbH-Gesellschafters, NZG 2016, 814; Hirt/Hopt/Mattheus, Dialog zwischen dem Aufsichtsrat und Investoren, AG 2016, 725; Hoffmann-Becking, Der Aufsichtsrat der AG und sein Vorsitzender in der Hauptversammlung, NZG 2017, 281; Koch, Investorengespräche des Aufsichtsrats, AG 2017, 129; Kocher/Lönner, Erforderlichkeit, Nachfrageobliegenheiten und Greminevertraulichkeit – Begrenzungen des Auskunftsrechts in der Hauptversammlung, AG 2014, 81; Kubis, Auskunft ohne Grenzen? – Europarechtliche Einflüsse auf den Informationsanspruch nach § 131 AktG, ZGR 2014, 608; Lieder, Auskunftsrecht und Auskunftserzwingung, NZG 2014, 601; Moser, Verantwortlichkeit von Vorstandsmitgliedern bei Verletzung des Auskunftsrechts nach § 131 AktG, NZG 2017, 1419; Reger, Neues zum Auskunftsrecht in der Hauptversammlung, NZG 2013, 48; Stöber, Das Auskunftsrecht der Aktionäre und seine Beschränkungen im Lichte des Europarechts, DStR 2014, 1680; Teichmann, Fragerecht und Aktionärsrechterichtlinie, NZG 2014, 401.

Übersicht I. Überblick ........................................... 1 II. Auskunftsanspruch (§ 131 Abs. 1 – 3) ........................................... 5 1. Auskunftsberechtigter ....................... 5 2. Auskunftsverpflichteter .................... 6 3. Auskunftsverlangen ........................... 7 4. Gegenstand des Auskunftsanspruchs ............................................. 10 a) Angelegenheiten der Gesellschaft .......................................... 10

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b) Erforderlichkeit .......................... 12 c) Rechtsmissbrauch ....................... 17 5. Auskunftserteilung ........................... 18 a) Mündliche Auskunftserteilung in der Hauptversammlung ......... 18 b) Schriftliche Vorlage eines Jahresabschlusses ........................ 21 6. Recht zur Auskunftsverweigerung (§ 131 Abs. 3) ................................... 22 a) Allgemeines ................................ 22

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§ 131

Auskunftsrecht des Aktionärs b) Einzelne Auskunftsverweigerungsgründe ................................ 23 III. Erweiterte Auskunftspflicht (§ 131 Abs. 4) ................................... 30 IV. Rechtsfolgen bei Auskunftsverweigerung ................................... 33 I.

1. 2. 3. 4. V.

Aufnahme in die Niederschrift ........ Auskunftserzwingungsverfahren .... Anfechtungsklage ............................. Schadensersatzansprüche ................. Satzungsregelung des Rede- und Fragerechts (§ 131 Abs. 2 Satz 2) ....

33 36 37 38 41

Überblick

Jeder Aktionär ist berechtigt, in der Hauptversammlung Auskunft über die Angelegenhei- 1 ten der Gesellschaft zu verlangen.1) Der Auskunftsanspruch soll gewährleisten, dass jeder Aktionär die Informationen erhält, die er für eine sachgerechte Ausübung seiner Mitgliedschaftsrechte (wie etwa der Ausübung des Stimmrechts, der Erhebung einer Anfechtungsklage oder der Einleitung einer Sonderprüfung) benötigt.2) Das Auskunftsrecht ist ein (eigennütziges) Individualrecht jedes einzelnen Aktionärs, das nur in der Hauptversammlung (und nicht außerhalb) geltend gemacht werden kann.3) Der Vorstand erteilt die Auskunft dann aber nicht nur dem einzelnen Aktionär, sondern gleichermaßen allen Teilnehmern der Hauptversammlung (siehe § 131 Abs. 4 und § 53a). Das Auskunftsrecht ist Bestandteil des Mitgliedschaftsrechts und kann ohne die Aktie nicht übertragen werden. Jedem Aktionär ist auf Verlangen in der Hauptversammlung vom Vorstand Auskunft über 2 die Angelegenheiten der Gesellschaft zu geben, soweit sie zur sachgemäßen Beurteilung des Gegenstands der Tagesordnung erforderlich ist (§ 131 Abs. 1 Satz 1). Das Auskunftsrecht erstreckt sich auch auf die Beziehungen der Gesellschaft zu verbundenen Unternehmen (§ 131 Abs. 1 Sätze 2 bis 4). Der Vorstand hat die Auskunft nach den Grundsätzen einer gewissenhaften und getreuen Rechenschaft zu erteilen (§ 131 Abs. 2 Satz 1). In bestimmten Fällen, die im Gesetz abschließend geregelt sind, steht dem Vorstand ein Auskunftsverweigerungsrecht zu (§ 131 Abs. 3). Ein über die Tagesordnung der Hauptversammlung hinausgehender Auskunftsanspruch besteht aus Gründen der Gleichbehandlung aller Aktionäre dann, wenn einem Aktionär außerhalb der Hauptversammlung eine bestimmte Auskunft erteilt worden ist (§ 131 Abs. 4). Ein Aktionär, dem eine Auskunft nicht oder nicht vollständig erteilt worden ist, kann verlangen, dass die Frage und der Grund der Auskunftsverweigerung in der Niederschrift über die Verhandlung aufgenommen werden (§ 131 Abs. 5 i. V. m. § 130 Abs. 1). Die Regelung über das Auskunftsrecht des einzelnen Aktionärs ist grundsätzlich zwingend4) 3 und abschließend.5) Die Satzung oder die Geschäftsordnung kann den Versammlungsleiter aber ermächtigen, das Frage und Rederecht des Aktionärs zeitlich angemessen zu beschränken (§ 131 Abs. 2 Satz 2).6) Unberührt bleiben die Auskunftsrechte von Aktionären _____________ 1) 2)

3) 4) 5) 6)

Grundlegend BVerfG, Beschl. v. 20.9.1999 – 1 BvR 636/95 (Daimler Benz/Wenger), ZIP 1999, 1798, dazu EWiR 1999, 1033 (Luttermann). Decher in: GroßKomm-AktG, § 131 Rz. 7 ff.; Bürgers/Körber-Reger, AktG, § 131 Rz. 1; HöltersDrinhausen, AktG, § 131 Rz. 1; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 131 Rz. 1; Kersting in: KölnKomm-AktG, § 131 Rz. 6 ff.; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 131 Rz. 1; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 131 Rz. 1 ff.; Spindler/Stilz-Siems, AktG, § 131 Rz. 2. Tendenziell weitergehend Heidel-Heidel, AktR, § 131 AktG Rz. 1 ff. – der vor allem die Rechenschaftspflicht der Verwaltung gegenüber den Aktionären als Eigentümern der Gesellschaft betont. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 131 Rz. 2; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 131 Rz. 4. Kersting in: KölnKomm-AktG, § 131 Rz. 57 ff. Für die Zulässigkeit einer Erweiterung dagegen Spindler/ Stilz-Siems, AktG, § 131 Rz. 4 ff. – auch zu rechtspolitischen Erwägungen. S. dazu Noack/Zetzsche in: KölnKomm-AktG, § 130 Rz. 24 ff.; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 131 Rz. 8; Spindler/Stilz-Siems, AktG, § 131 Rz. 5 ff. Eingeführt durch Art. 1 Nr. 9 des Gesetzes zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG), BGBl. I 2005, 2802. S. dazu BT-Drucks. 15/5092, S. 17 f.

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§ 131

Auskunftsrecht des Aktionärs

in bestimmten Sondersituationen (z. B. nach §§ 293g Abs. 3, 295 Abs. 1 Satz 2, 319 Abs. 3 Satz 5, 320 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 4 Satz 3, 326; §§ 64 Abs. 2, 73 UmwG). 4 Die Vorschrift wurde in den letzten Jahren mehrfach geändert, insbesondere durch das UMAG7) (Einfügung von § 131 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 Nr. 7). Das ARUG8) hat unmittelbar zu keiner Änderung des gesetzlichen Auskunftsrechts geführt. Bei der Gesetzesauslegung ist allerdings zu berücksichtigen, dass nach der europäischen Aktionärsrechterichtlinie9) jedem Aktionär auf der Hauptversammlung zu Punkten der Tagesordnung ein Fragerecht zusteht.10) Im Rahmen der Aktienrechtsnovelle 201611) wurde ein Redaktionsversehen (unrichtige Verweisung in § 131 Abs. 1 Satz 3 auf § 266 Abs. 1 Satz 2 HGB) berichtigt.12) II.

Auskunftsanspruch (§ 131 Abs. 1 – 3)

1.

Auskunftsberechtigter

5 Das Auskunftsrecht steht jedem Aktionär zu (§ 131 Abs. 1 Satz 1).13) Auf die Höhe der Beteiligung kommt es nicht an. Auskunftsberechtigt sind insbesondere auch Aktionäre, die nicht stimmberechtigt sind (z. B. nach §§ 134 Abs. 2, 136, 139 ff.). Das Auskunftsrecht ist nicht höchstpersönlich, sondern kann auch von einem (offenen oder verdeckten) Vertreter des Aktionärs oder einem Legitimationsaktionär (siehe § 129 Abs. 3) ausgeübt werden. Der Aktionär (oder sein Vertreter) muss allerdings an der Hauptversammlung (persönlich, online14) oder durch einen Vertreter) teilnehmen, da das Auskunftsrecht nur dort besteht. Dritten (z. B. Gästen der Hauptversammlung oder Vertretern der Medien) steht dagegen kein Auskunftsrecht zu. 2.

Auskunftsverpflichteter

6 Die Auskunft ist von der Gesellschaft, vertreten durch den Vorstand zu erteilen (§ 131 Abs. 1 Satz 1).15) Der Vorstand entscheidet grundsätzlich einstimmig (§ 77 Abs. 1 Satz 1 und 2) über die Auskunftserteilung oder -verweigerung. Der Vorstand kann sich bei der Erteilung der Auskunft der Unterstützung Dritter (z. B. von Mitarbeitern, Rechtsanwälten, Mitgliedern des Aufsichtsrats16) oder des Abschlussprüfers, siehe dazu § 176 Abs. 2 Satz 3 AktG i. V. m. § 323 HGB) bedienen. Zur Auskunft verpflichtet ist aber stets nur die Gesellschaft und nicht etwa (auch) der Versammlungsleiter, die Mitglieder des Aufsichtsrats oder ein besonderer Vertreter (§ 147)17).18) _____________ 7) Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG), BGBl. I 2005, 2802. 8) Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG), BGBl. I 2009, 2479. 9) S. Art. 9 (Fragerecht) der Richtlinie 2007/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rats v. 11.7.2007 über die Ausübung bestimmter Rechte von Aktionären in börsennotierten Gesellschaften (Aktionärsrechterichtlinie), ABl. (EG) Nr. L 184/17 v. 14.7.2007. 10) Grundlegend dazu BGH, Beschl. v. 5.11.2013 – II ZB 28/12 (Deutsche Bank), ZIP 2013, 2554 mit Anm. Kersting, dazu EWiR 2014, 37 (E. Vetter). 11) Art. 1 Nr. 15 des Gesetzes zur Änderung des Aktiengesetzes (Aktienrechtsnovelle 2016), BGBl. I 2015, 2565. S. a. Einf., Rz. 21. 12) Zu Reformvorschlägen umfassend Decher in: GroßKomm-AktG, § 131 Rz. 35 ff. und 42 ff. 13) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 131 Rz. 13 ff. 14) Ausführlich dazu Kersting in: KölnKomm-AktG, § 131 Rz. 521 ff.; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 131 Rz. 108 ff. 15) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 131 Rz. 16 ff. 16) Zu Auskünften durch den Aufsichtsratsvorsitzenden s. Hoffmann-Becking, NZG 2017, 281, 285 f. 17) LG München I, Beschl. v. 28.7.2008 – 5 HK O 12504/08, ZIP 2008, 1588, dazu EWiR 2009, 65 (Verhoeven). Kersting in: KölnKomm-AktG, § 131 Rz. 73. A. A. Heidel-Heidel, AktR, § 131 AktG Rz. 17a. 18) Bürgers/Körber-Reger, AktG, § 131 Rz. 5; Hölters-Drinhausen, AktG, § 131 Rz. 6.

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§ 131

Auskunftsrecht des Aktionärs 3.

Auskunftsverlangen

Eine Verpflichtung der Gesellschaft zur Auskunftserteilung besteht nur dann, wenn ein 7 Aktionär dies auf der Hauptversammlung (und nicht außerhalb) verlangt (§ 131 Abs. 1 Satz 1). Besondere Formerfordernisse für das Auskunftsverlangen bestehen nicht und können in der Satzung auch nicht vorgesehen werden.19) In der Regel wird die Auskunft auf der Hauptversammlung mündlich verlangt. Schriftliche Auskunftsverlangen müssen in der Hauptversammlung mündlich wiederholt werden.20) Denn die Information der anderen Teilnehmer der Hauptversammlung bliebe ohne die Kenntnis der Fragen zwangsläufig unvollständig. Zudem bestünde die Gefahr, dass der zeitliche Rahmen der Hauptversammlung durch die Übergabe von umfangreichen Auskunftsbegehren (die dann mündlich zu beantworten wären) gesprengt werden könnte. Der Grundsatz der Mündlichkeit ist auch bei online gestellten Fragen zu beachten. Die Auskunft muss stets ausdrücklich verlangt werden, um spätere Streitigkeiten über (tatsächliche oder angebliche) konkludente Auskunftsbegehren von vornherein auszuschließen.21) Kein Auskunftsverlangen sind insbesondere Zwischenrufe während der Generaldebatte oder bloß rhetorische Fragen. Das Auskunftsverlangen muss nicht begründet werden. Zeitlich muss das Auskunftsverlangen stets vor der Abstimmung über den jeweiligen Tagesordnungspunkt gestellt werden. Der Aktionär muss sein Auskunftsverlangen in deutscher Sprache geltend machen. Aus- 8 führungen in einer fremden Sprache sind nur dann möglich, wenn neben dem Versammlungsleiter auch alle Aktionäre und der Protokollführer der fremden Sprache ausreichend mächtig sind. Im Einzelfall muss sich der fremdsprachige Aktionär selbst (und nicht etwa die Gesellschaft) um einen Dolmetscher bemühen. Grundsätzlich ist es möglich, dass ein Aktionär, der von der Gesellschaft zunächst eine 9 bestimmte Auskunft verlangt hat, später darauf verzichtet. Ein ausdrücklicher Verzicht wird allerdings nur selten erfolgen. Ein konkludenter Verzicht (z. B. durch vorzeitiges Verlassen der Hauptversammlung, Schweigen auf die Frage des Versammlungsleiters nach unbeantworteten Fragen)22) ist möglich, sollte in der Praxis aber gleichwohl nur ausnahmsweise angenommen werden.23) _____________ 19) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 131 Rz. 3; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 131 Rz. 24. 20) Zutreffend OLG München, Beschl. v. 10.4.2013 – 7 AktG 1/13 (Siemens/Osram), ZIP 2013, 931, dazu EWiR 2013, 563 (Ruppert) – nicht genügend ist die bloße Behauptung, die Erläuterungen zum Abspaltungs- und Übernahmevertrag seien auf den Toiletten wegen der dröhnenden Heißluft-Händetrockner nicht zu verstehen gewesen; OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 19.9.2006 – 20 W 55/05, AG 2007, 451 – Übergabe eines 24 Seiten umfassenden handschriftlichen Fragenkatalogs nicht ausreichend, wenn die Fragen nicht auch mündlich in der Hauptversammlung gestellt werden. Ebenso Bürgers/Körber-Reger, AktG, § 131 Rz. 6; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 131 Rz. 8; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 131 Rz. 27. Einschränkend dagegen – grundsätzlich auch ausreichend, wenn die Fragen den anderen Aktionären auf andere Weise zugänglich gemacht werden K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 131 Rz. 24; Spindler/ Stilz-Siems, AktG, § 131 Rz. 19. 21) Bürgers/Körber-Reger, AktG, § 131 Rz. 6; Hölters-Drinhausen, AktG, § 131 Rz. 13; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 131 Rz. 24. Großzügiger dagegen – auch konkludentes Auskunftsverlangen ausreichend – Heidel-Heidel, AktR, § 131 AktG Rz. 11; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 131 Rz. 23. – Zur Nachfrageobliegenheit des Aktionärs BGH, Beschl. v. 5.11.2013 – II ZB 28/12 (Deutsche Bank), ZIP 2013, 2554 mit Anm. Kersting, dazu EWiR 2014, 37 (E. Vetter). 22) S. dazu etwa OLG München, Beschl. v. 10.4.2013 – 7 AktG 1/13 (Siemens/Osram), ZIP 2013, 931, dazu EWiR 2013, 563 (Ruppert); OLG Köln, Urt. v. 28.7.2012 – 18 U 213/10, ZIP 2011, 2102, dazu EWiR 2011, 761 (Morell); dazu auch Bredol, NZG 2012, 613; OLG Stuttgart, Beschl. v. 3.12.2008 – 20 W 12/08, AG 2009, 204; LG Mainz, Beschl. v. 13.7.1987 – 10 HO 141/86, WM 1987, 1129, dazu EWiR 1988, 9 (Semler). – Ausführlich zu Schranken des Auskunftsrechts aufgrund rechtsmissbräuchlichen bzw. treuwidrigen Verhaltens des Aktionärs Decher in: GroßKomm-AktG, § 131 Rz. 434 ff. 23) Hölters-Drinhausen, AktG, § 131 Rz. 14; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 131 Rz. 8; K. Schmidt/LutterSpindler, AktG, § 131 Rz. 27; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 131 Rz. 30 ff. Einschränkend zum konkludenten Verzicht auf das Auskunftsrecht Heidel-Heidel, AktR, § 131 AktG Rz. 16.

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§ 131

Auskunftsrecht des Aktionärs

4.

Gegenstand des Auskunftsanspruchs

a)

Angelegenheiten der Gesellschaft

10 Das Auskunftsrecht betrifft (nur) die Angelegenheiten der Gesellschaft (§ 131 Abs. 1 Satz 1). Damit sind alle Angelegenheiten umfasst, die die Gesellschaft oder ihre Tätigkeit unmittelbar (z. B. ihre Vermögens-, Finanz- oder Ertragslage, die rechtlichen Verhältnisse, die Geschäftspolitik) oder mittelbar (z. B. Unternehmensbeteiligungen, Kundenund Lieferantenbeziehungen, bestimmte persönliche Angelegenheiten von Organmitgliedern24) berühren.25) Nicht um Angelegenheiten der Gesellschaft geht es bspw. bei Fragen nach persönlichen Auffassungen von Mitgliedern des Aufsichtsrats oder Fragen nach der Struktur der Aktionäre der Gesellschaft. In der Praxis wird ein Auskunftsanspruch eines Aktionärs allerdings kaum jemals daran scheitern, dass er keine Angelegenheit der Gesellschaft betrifft.26) 11 Die Auskunftspflicht erstreckt sich insbesondere auch auf die rechtlichen und geschäftlichen Beziehungen der Gesellschaft zu verbundenen Unternehmen (§ 131 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. §§ 15 ff.)27) sowie konsolidierten Konzernunternehmen (§ 131 Abs. 1 Satz 4).28) b)

Erforderlichkeit

12 Das Auskunftsrecht des Aktionärs besteht nur soweit, als es zur sachgemäßen Beurteilung des Gegenstands der Tagesordnung erforderlich ist (§ 131 Abs. 1 Satz 1).29) Mit dieser Einschränkung sollen insbesondere Missbräuche des Auskunftsrechts verhindert werden. Gleichzeitig soll eine ordnungsgemäße Durchführung der Hauptversammlung gewährleistet werden. 13 Die Erforderlichkeit einer begehrten Auskunft muss stets im Zusammenhang mit dem konkreten Tagesordnungspunkt beurteilt werden. Maßgebend ist nicht die Auffassung des Aktionärs, der die Auskunft verlangt, sondern das Urteil eines objektiv denkenden Durchschnittsaktionärs.30)

_____________ 24) Zu Auskünften über die berufliche Qualifikation von Organmitgliedern in der Hauptversammlung s. OLG Düsseldorf, Urt. v. 22.11.2012 – I-6 U 18/12, AG 2013, 759. 25) S. dazu Bürgers/Körber-Reger, AktG, § 131 Rz. 7 ff.; Kersting in: KölnKomm-AktG, § 131 Rz. 90 ff.; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 131 Rz. 28; Spindler/Stilz-Siems, AktG, § 131 Rz. 23 ff. 26) Zutreffend Kersting in: KölnKomm-AktG, § 131 Rz. 94 – keine Abgrenzungskraft des Tatbestandsmerkmals. Ähnlich auch Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 131 Rz. 11. 27) Ausführlich zum Ganzen u. a. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 131 Rz. 13 ff.; Kersting in: KölnKomm-AktG, § 131 Rz. 249 ff.; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 131 Rz. 37 ff. Zum umstrittenen Verhältnis des Auskunftsanspruchs zum Abhängigkeitsbericht nach §§ 312 ff. AktG s. einerseits OLG Stuttgart, Urt. v. 11.8.2004 – 20 U 3/04, AG 2005, 94 – Auskunftsanspruch wird durch Abhängigkeitsbericht nicht verdrängt-, und andererseits OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 6.1.2003 – 20 W 449/93, ZIP 2003, 761 – Inhalt des Abhängigkeitsberichts gehört nicht zu den Angelegenheiten einer abhängigen Gesellschaft. 28) Dazu u. a. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 131 Rz. 20a und Rz. 20b; Kersting in: KölnKomm-AktG, § 131 Rz. 254 ff.; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 131 Rz. 42. 29) BGH, Beschl. v. 14.1.2014 – II ZB 5/12 (Porsche), ZIP 2014, 671, dazu EWiR 2014, 309 (Bungert/ de Raet); BGH, Beschl. v. 5.11.2013 – II ZB 28/12 (Deutsche Bank), ZIP 2013, 2554 mit Anm. Kersting, dazu EWiR 2014, 37 (E. Vetter); BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 185/07 (Kirch/Deutsche Bank), BGHZ 180, 9 = ZIP 2009, 460 mit Anm. Mutter, dazu EWiR 2009, 461 (Staake); BGH, Urt. v. 18.10.2004 – II ZR 250/02, BGHZ 160, 385 = ZIP 2004, 2428, dazu EWiR 2005, 241 (Wagner). – Ausführlich zum Ganzen u. a. Kocher/Lönner, AG 2014, 81; Kubis, ZGR 2014, 608, 609; Lieder, NZG 2014, 601; Stöber, DStR 2014, 1680; Teichmann, NZG 2014, 401. 30) OLG Frankfurt/M., Urt. v. 26.6.2012 – 5 U 144/09, BB 2012, 2327 mit Anm. Reger/Wolf; BayObLG, Beschl. v. 30.11.1995 – 3Z BR 161/93, AG 1996, 180, dazu EWiR 1996, 673 (Hirte).

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Auskunftsrecht des Aktionärs

Die Rechtsprechung hat bspw. in folgenden Einzelfällen eine Auskunft für erforderlich 14 gehalten:31) Zurückstellung der Rechtsverfolgung gegen frühere Vorstände trotz festgestelltem Fehlverhaltens,32) Buchwert von Anteilen an in- und ausländischen Kapitalgesellschaften,33) Verkaufspreis eines Grundstücks, wenn dieser im Verhältnis zum Grundkapital und Gewinn der Gesellschaft von bedeutendem Umfang ist,34) Gesamtumfang eines problembehafteten Immobilienengagements,35) Höhe der Gesamtvergütung von Führungskräften,36) und Mandate von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern in anderen Unternehmen.37) Als nicht erforderlich angesehen wurde demgegenüber etwa die Auskunft über die Einzel- 15 vergütung von Mitarbeitern, die Tagesordnung von Sitzungen des Aufsichtsrats oder Personalentscheidungen in Tochtergesellschaften.38) Nicht erforderlich ist die Auskunft insbesondere auch dann, wenn sich die entsprechenden 16 Informationen bereits aus dem Jahresabschluss ergeben (siehe dazu insbesondere die Angaben im Lagebericht, § 289 HGB, und im Anhang zum Jahresabschluss nach § 285 HGB, z. B. zu den Bezügen gemäß §§ 285 Nr. 9, 289 Abs. 2 Nr. 5 HGB oder zu Beteiligungen nach §§ 285 Nr. 11, 289 Abs. 4 Nr. 3 HGB). c)

Rechtsmissbrauch

Für die Geltendmachung des Auskunftsrechts gelten die allgemeinen Schranken des Rechts- 17 missbrauchs (§§ 226, 242 BGB).39) Ein Rechtsmissbrauch kann bspw. vorliegen, wenn ein Aktionär durch eine Überzahl von Fragen versucht, die ordnungsgemäße Durchführung der Hauptversammlung zu gefährden.40) Kein Rechtsmissbrauch soll dagegen vorliegen, wenn ein Aktionär bereits vor der Auskunftserteilung fest zu einer bestimmten Stimmabgabe entschlossen ist. _____________ 31) Weitere Nachweise zu den zahlreichen von der Rspr. entschiedenen Einzelfällen finden sich u. a. bei Decher in: GroßKomm-AktG, § 131 Rz. 154 ff. und Anhang nach Rz. 539 (Kasuistik); Bürgers/Körber-Reger, AktG, § 131 Rz. 13 f.; Heidel-Heidel, AktR, § 131 AktG Rz. 85 ff. (ABC); Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 131 Rz. 17 ff.; Kersting in: KölnKomm-AktG, § 131 Rz. 150 ff. und Rz. 186 ff.; K. Schmidt/LutterSpindler, AktG, § 131 Rz. 44 ff.; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 131 Rz. 46 ff. und Rz. 163 ff. (ABC); Spindler/Stilz-Siems, AktG, § 131 Rz. 30 ff. 32) OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.2.2015 – I-26 W 14/14 (IKB), ZIP 2015, 925, dazu EWiR 2015, 601 (Rahlmeyer/v. Eiff). 33) BayObLG, Beschl. v. 30.11.1995 – 3Z BR 161/93, AG 1996, 180, dazu EWiR 1996, 673 (Hirte). 34) BayObLG, Beschl. v. 20.3.1996 – 3Z BR 324/95, ZIP 1996, 1251 – Verkaufspreis i. H. v. ca. 20 Mio. DM bei einem Jahresüberschuss von ca. 2 Mio. DM und einem Grundkapital von ca. 30 Mio. DM. 35) Zur Verschmelzung Bayerische Hypotheken- und Wechselbank AG und Bayerische Vereinsbank AG BayObLG, Beschl. v. 21.3.2001 – 3Z BR 318/00, AG 2001, 424; OLG München, Urt. v. 4.7.2001 – 7 U 5285/00, AG 2002, 294, dazu EWiR 2002, 599 (Leuring). 36) Zur Gesamtvergütung von Mitgliedern eines Group Executive Committee der Deutschen Bank AG – nicht aber die Höhe der Vergütung von einzelnen Mitgliedern dieses Gremiums – s. OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 30.1.2006 – 20 W 52/05, ZIP 2006, 614, und OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 30.1.2006 – 20 W 56/05, ZIP 2006, 610; zum Gesamtbetrag der Vergütung des Vorstands aus Aufsichtsrats- und Beiratstätigkeiten in Konzernunternehmen s. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 5.11.1987 – 19 W 6/87, ZIP 1987, 1555, dazu EWiR 1987, 1153 (Meyer-Landrut). 37) BayObLG, Beschl. v. 30.11.1995 – 3Z BR 161/93, AG 1996, 180, dazu EWiR 1996, 673 (Hirte). 38) OLG Düsseldorf, Beschl. v. 13.7.2015 – I-26 W 16/14, ZIP 2015, 1779 – jedenfalls dann kein Auskunftsanspruch des Aktionärs der Muttergesellschaft, sofern keine begründeten Anhaltspunkte für einen schwerwiegenden und eindeutigen Gesetzesverstoß vorliegen. 39) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 131 Rz. 33 ff.; Kersting in: KölnKomm-AktG, § 131 Rz. 379 ff.; K. Schmidt/ Lutter-Spindler, AktG, § 131 Rz. 91 ff. A. A. Heidel-Heidel, AktR, § 131 AktG Rz. 41 ff. – generell gegen die Möglichkeit eines Missbrauchs des Auskunftsrechts. 40) S. aber LG München I, Beschl. v. 28.5.2010 – 5 HK O 14307/07, ZIP 2010, 2148, dazu EWiR 2011, 103 (Kort) – kein Rechtsmissbrauch bei 54 Fragen, die vier Tage vor der Hauptversammlung übermittelt worden sind und sich konkret auf einen Unternehmensvertrag beziehen.

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Auskunftsrecht des Aktionärs

5.

Auskunftserteilung

a)

Mündliche Auskunftserteilung in der Hauptversammlung

18 Die Auskunft muss in der Hauptversammlung mündlich erteilt werden (Ausnahmen: § 131 Abs. 1 Satz 3: Vorlage des Jahresabschlusses, und § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7: Zugänglichmachen auf der Internetseite der Gesellschaft).41) Im Einzelfall kann die Auskunftserteilung aber auch durch die Vorlage von Dokumenten erfolgen, wenn dies dem Informationsbedürfnis des Aktionärs besser gerecht wird (z. B. bei umfangreichen Zahlen und Daten).42) Inhaltlich muss die Auskunft wahr, vollständig und richtig sein (§ 131 Abs. 2 Satz 1; siehe auch § 90 Abs. 4 Satz 1).43) Art und Umfang der erforderlichen Auskunftserteilung richten sich stets nach dem jeweiligen Verlangen des einzelnen Aktionärs. Allgemeine Fragen dürfen auch allgemein beantwortet werden. Ein Aktionär, der seine Frage nicht als ausreichend beantwortet ansieht, muss konkret nachfragen und mitteilen, in welchen Punkten er nähere Auskünfte wünscht.44) Vieles hängt dabei allerdings von den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab. 19 Zeitlich muss die Auskunftserteilung nicht unmittelbar nach dem entsprechenden Verlangen des Aktionärs erfolgen. Vielmehr ist es üblich und zulässig, mehrere Fragen zusammenzufassen und dann blockweise zu beantworten.45) 20 Das Auskunftsrecht erstreckt sich nicht nur auf Fragen, die der Vorstand in der Hauptversammlung spontan aus eigenem Wissen beantworten kann. Der Vorstand ist vielmehr verpflichtet, sich sorgfältig und umfassend auf die Hauptversammlung vorzubereiten (siehe § 93 Abs. 1 Satz 1).46) Der Umfang der erforderlichen Vorbereitung orientiert sich an der konkreten Tagesordnung und den sonstigen Umständen der jeweiligen Hauptversammlung (z. B. Ankündigungen von einzelnen Aktionären, Berichten in der Presse, Erfahrungen aus früheren Hauptversammlungen). Der Vorstand hat durch entsprechende personelle und sachliche Vorkehrungen sicherzustellen, dass ihm in der Hauptversammlung möglichst kurzfristig alle zur Beantwortung von Fragen erforderlichen Informationen zur Verfügung stehen (Back Office).47) Dies gilt aber nicht für ungewöhnliche oder fernliegende Fragen. Falls eine Auskunftserteilung in der Hauptversammlung im Einzelfall nicht (abschließend) möglich ist, erlischt das Auskunftsrecht wegen Unmöglichkeit (§ 275 Abs. 1 BGB).48) In der Praxis ist es allerdings vielfach üblich, dass sich die Gesellschaft und der Aktionär in solchen Fällen auf eine schriftliche Beantwortung der Fragen _____________ 41) S. BGH, Urt. v. 30.3.1967 – II ZR 245/63, NJW 1967, 1462 – zum grundsätzlichen Anspruch eines Aktionärs auf Verlesung von Vertragsurkunden in der Hauptversammlung; OLG München, Urt. v. 11.6.2015 – 23 U 4375/14, ZIP 2015, 1680, dazu EWiR 2015, 731 (Ruppert) – ausnahmsweise Anspruch auf Verlesung eines Vertrages, wenn konkrete Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der mündlichen Auskünfte vorliegen. 42) Großzügiger Spindler/Stilz-Siems, AktG, § 131 Rz. 68 – Auskunft muss generell nicht notwendigerweise mündlich gegeben werden. 43) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 131 Rz. 59 ff.; Kersting in: KölnKomm-AktG, § 131 Rz. 265 ff. Plakativ, aber zutreffend Heidel-Heidel, AktR, § 131 AktG Rz. 1 55 – kein Recht zur Lüge. 44) Grundlegend dazu BGH, Beschl. v. 5.11.2013 – II ZB 28/12 (Deutsche Bank), ZIP 2013, 2554 mit Anm. Kersting, dazu EWiR 2014, 37 (E. Vetter). Ausführlich zum Ganzen u. a. Kocher/Lönner, AG 2014, 81; Kubis, ZGR 2014, 609; Lieder, NZG 2014, 601; Stöber, DStR 2014, 1680; Teichmann, NZG 2014, 401. 45) Allg. M., s. nur Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 131 Rz. 22. Kritisch dazu Heidel-Heidel, AktR, § 131 AktG Rz. 12. 46) Bürgers/Körber-Reger, AktG, § 131 Rz. 15; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 131 Rz. 9; K. Schmidt/LutterSpindler, AktG, § 131 Rz. 64 f. Sehr weitgehend insoweit Heidel-Heidel, AktR, § 131 AktG Rz. 14. 47) Grundlegend BGH, Urt. v. 7.4.1960 – II ZR 143/58, BGHZ 32, 159 = NJW 1960, 1150. 48) Ebenso im Ergebnis Hölters-Drinhausen, AktG, § 131 Rz. 37; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 131 Rz. 10. A. A. Heidel-Heidel, AktR, § 131 AktG Rz. 20 – Auskunft ist nach der Hauptversammlung schriftlich nachzuholen.

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Auskunftsrecht des Aktionärs

nach der Hauptversammlung (aber möglichst rechtzeitig vor Ablauf der Zweiwochenfrist nach § 132 Abs. 2 Satz 2) verständigen (zu den Folgen siehe § 131 Abs. 4). b)

Schriftliche Vorlage eines Jahresabschlusses

Jeder Aktionär kann verlangen, dass ihm ein vollständiger Jahresabschluss vorgelegt wird, 21 wenn eine kleine oder mittelgroße Gesellschaft (§ 267 Abs. 1 und 2 HGB) einen verkürzten Jahresabschluss aufgestellt hat (§ 131 Abs. 1 Satz 3).49) Die Vorlage des Jahresabschlusses kann auch dann verlangt werden, wenn sie für die Beurteilung der Gegenstände der Tagesordnung nicht erforderlich ist. 6.

Recht zur Auskunftsverweigerung (§ 131 Abs. 3)

a)

Allgemeines

In bestimmten Fällen ist der Vorstand der Gesellschaft berechtigt – und im Hinblick auf 22 seine gesetzliche Verpflichtung zur Verschwiegenheit, § 93 Abs. 1 Satz 3 auch verpflichtet – die Auskunft zu verweigern (§ 131 Abs. 3 Satz 1).50) Über die Verweigerung der Auskunft entscheidet der Vorstand grundsätzlich einstimmig (§ 77 Abs. 1 Sätze 1 und 2). Der Vorstand sollte seine Entscheidung, die Auskunft zu verweigern (kurz) begründen (siehe auch § 131 Abs. 5).51) Das Bestehen eines Auskunftsverweigerungsrechts unterliegt in vollem Umfang der gerichtlichen Nachprüfung. Dem Vorstand steht dabei kein Ermessen zu. Die Gründe, die zur Auskunftsverweigerung berechtigen, sind im Gesetz abschließend geregelt (§ 131 Abs. 3 Satz 2). Allgemeine Hinweise auf den Datenschutz, das Bankgeheimnis,52) das Persönlichkeitsrecht des Vorstands oder eine Interessenkollision begründen kein Recht zur Auskunftsverweigerung. b)

Einzelne Auskunftsverweigerungsgründe53)

§ 131 Abs. 3 Nr. 1 (Nachteilszufügung): Der Vorstand darf die Auskunft verweigern, 23 soweit die Erteilung der Auskunft nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung geeignet ist, der Gesellschaft oder einem verbundenen Unternehmen (§§ 15 ff.) einen nicht unerheblichen Nachteil zuzufügen.54) Nachteil meint nicht nur einen Schaden (§§ 249 ff. BGB), sondern auch jede gewichtige Beeinträchtigung von Interessen der Gesellschaft.55) Maßgebend ist stets eine Abwägung der mit der Auskunftserteilung verbundenen Vorund Nachteile. Ein etwaiger Schaden aufgrund der Verletzung von vertraglich begründeten Geheimhaltungspflichten stellt grundsätzlich keinen relevanten Nachteil dar, da die Gesell_____________ 49) Durch Art. 1 Nr. 15 der Aktienrechtsnovelle 2016, BGBl. I 2015, 2565, ist in § 131 Abs. 1 Satz 3 AktG klargestellt worden, dass sich der Verweis richtig u. a. auf § 266 Abs. 1 Satz 3 HGB bezieht. 50) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 131 Rz. 70 ff. 51) S. dazu BGH, Beschl. v. 14.1.2014 – II ZB 5/12 (Porsche), ZIP 2014, 671, dazu EWiR 2014, 309 (Bungert/de Raet) – wonach die Gesellschaft die Umstände, die ein Auskunftsverweigerungsrecht begründen zwar nicht darlegen und beweisen, aber zumindest plausibel machen muss. 52) S. LG Frankfurt/M., Beschl. v. 24.1.2005 – 3/5 O 61/03 (Deutsche Bank/Kirch), ZIP 2005, 1275. 53) Tendenziell für eine einschränkende Auslegung der Auskunftsverweigerungsgründe – Heidel-Heidel, AktR, § 131 AktG Rz. 56 ff. 54) S. dazu u. a. BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 185/07 (Kirch/Deutsche Bank), BGHZ 180, 9 = ZIP 2009, 460 mit Anm. Mutter, dazu EWiR 2009, 461 (Staake); BGH, Urt. v. 29.11.1982 – II ZR 88/81, BGHZ 86, 1 = ZIP 1983, 163, dazu EWiR 1991, 633 (Hirte). 55) Zur Auskunftsverweigerung aus Gründen der Vertraulichkeit s. BGH, Beschl. v. 14.1.2014 – II ZB 5/12 (Porsche), ZIP 2014, 671, dazu EWiR 2014, 309 (Bungert/de Raet) – zur Zusammenarbeit zwischen Vorstand und Aufsichtsrat; BGH, Beschl. v. 5.11.2013 – II ZB 28/12 (Deutsche Bank), ZIP 2013, 2554 mit Anm. Kersting, dazu EWiR 2014, 37 (E. Vetter) – zu vertraulichen Sitzungen des Aufsichsrats und seiner Ausschüsse.

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Auskunftsrecht des Aktionärs

schaft das Auskunftsrecht der Aktionäre sonst durch entsprechende Vereinbarungen aushöhlen könnte. 24 § 131 Abs. 3 Nr. 2 (Steuern): Die Auskunft darf ferner verweigert werden, soweit sie sich auf steuerliche Wertansätze oder die Höhe einzelner Steuern bezieht. Nach der amtlichen Gesetzesbegründung soll mit dieser Vorschrift dem Irrtum der Aktionäre vorgebeugt werden, dass der steuerliche Gewinn der Gesellschaft auch zur Ausschüttung zur Verfügung steht. Nicht bezweckt wird dagegen der Schutz des Steuergeheimnisses der Gesellschaft. 25 § 131 Abs. 3 Nr. 3 (Stille Reserven): Der Vorstand muss grundsätzlich keine Auskünfte in Bezug auf stille Reserven erteilen. Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn die aktuelle Hauptversammlung gerade über die Feststellung des Jahresabschlusses beschließt (siehe §§ 172 f. und 286 Abs. 1). Mit der Regelung soll verhindert werden, dass Aktionäre, Wettbewerber oder Vertragspartner Informationen über das Bestehen und den Umfang etwaiger stiller Reserven (oder auch stiller Lasten) erhalten. Die Regelung ist verfassungsgemäß. 26 § 131 Abs. 3 Nr. 4 (Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden): Über Bilanzierungsund Bewertungsmethoden muss keine Auskunft erteilt werden, soweit die Angaben im Anhang zum Jahresabschluss ausreichen, um den Aktionären ein sachgerechtes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage zu vermitteln (siehe §§ 264 Abs. 2, 284 Abs. 2 Nr. 1 HGB).56) Ziel der Regelung ist (ähnlich wie bei § 131 Abs. 3 Nr. 3) der Schutz von Informationen vor Wettbewerbern und Vertragspartnern. 27 § 131 Abs. 3 Nr. 5 (Strafbarkeit): Der Vorstand kann die Auskunft auch dann verweigern, wenn er sich dadurch (im In- oder Ausland)57) strafbar machen würde.58) Erfasst sind alle Straftaten, gleich welcher Art und Begehungsform, und über den Wortlaut hinaus auch Ordnungswidrigkeiten. Allerdings begründet eine mögliche Verletzung der Geheimnispflicht (nach § 404) kein Auskunftsverweigerungsrecht, da ansonsten § 131 Abs. 3 Nr. 1 (Vorliegen eines Nachteils für die Gesellschaft) umgangen werden könnte. Zudem bestünde die Gefahr, dass das Auskunftsrecht des Aktionärs aufgrund des weiten Schutzes von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen weitgehend leerlaufen könnte.59) Die kapitalmarktrechtlichen Straf- und Bußgeldvorschriften, die Verstöße gegen das Insiderrecht sanktionieren (siehe §§ 14 Abs. 1 Nr. 2, 15 Abs. 1, 38 Abs. 1 Nr. 2 und 39 Abs. 2 Nr. 3 WpHG), begründen im Ergebnis kein Auskunftsverweigerungsrecht.60) Insiderinformationen sind unverzüglich zu veröffentlichen (§ 15 Abs. 1 WpHG), ggf. rechtzeitig vor der Hauptversammlung. Nach Erfüllung der Ad-hoc Publizität sind auch in der Hauptversammlung entsprechende Auskünfte zu erteilen. 28 § 131 Abs. 3 Nr. 6 (Kreditinstitute): Der Vorstand eines Kredit- oder Finanzdienstleistungsinstituts (§§ 1, 2 KWG) muss keine Auskunft erteilen, soweit die Gesellschaft von _____________ 56) S. dazu BGH, Urt. v. 9.2.1987 – II ZR 119/86, BGHZ 101, 1 = ZIP 1987, 1239, dazu EWiR 1987, 1057 (Claussen) – zur Auskunftserteilung durch eine in der Rechtsform der AG geführten Bank. 57) Ähnlich Kersting in: KölnKomm-AktG, § 131 Rz. 355 – bei Vergleichbarkeit der ausländischen und deutschen Strafvorschriften. Anders aber die h. M., die in diesen Fällen regelmäßig Nr. 1 – Nachteil für die Gesellschaft wegen Strafverfolgung der Organe im Ausland – anwenden will, s. Kubis in: MünchKommAktG, § 131 Rz. 118. 58) S. dazu LG Hannover, Beschl. v. 19.8.2009 – 23 O 90/09, AG 2009, 914. 59) So die ganz h. M., s. nur Kersting in: KölnKomm-AktG, § 131 Rz. 352. 60) Kersting in: KölnKomm-AktG, § 131 Rz. 45 ff. und Rz. 353. Im Ergebnis ebenso Hölters-Drinhausen, AktG, § 131 Rz. 34; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 131 Rz. 84; Spindler/Stilz-Siems, AktG, § 131 Rz. 50 – jeweils unter Hinweis darauf, dass die Auskunftserteilung in der Hauptversammlung nicht unbefugt sei. A. A. dagegen Henssler/Strohn-Liebscher, GesR, § 131 AktG Rz. 17; wohl auch Kubis in: MünchKomm-AktG, § 131 Rz. 117.

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gesetzlich vorgesehenen Bilanzierungserleichterungen tatsächlich Gebrauch gemacht hat (siehe §§ 340 – 340f HGB). Eine Interessenabwägung im Einzelfall ist nicht erforderlich. § 131 Abs. 3 Nr. 7 (Internetseite): Seit Inkrafttreten des UMAG61) besteht zudem ein Aus- 29 kunftsverweigerungsrecht für den Fall, dass die Auskunft auf der Internetseite der Gesellschaft über mindestens sieben Tage vor Beginn und in der Hauptversammlung durchgängig zugänglich ist. Zweck der Vorschrift ist es, die Hauptversammlung von typischen Standardfragen (FAQ = Frequently Asked Questions) sowie dem Vortrag von Zahlen und Daten zu entlasten und dadurch Zeit für eine inhaltliche Diskussion zu gewinnen.62) Der Vorstand kann (nicht muss) diese Möglichkeit auch in den Fällen nutzen, in denen Aktionäre ihre Fragen bereits vorab (mindestens sieben Tage vor der Hauptversammlung) bei der Gesellschaft einreichen. Zusätzliche und vertiefende Fragen, die an die auf der Internetseite bereit gestellten Informationen anknüpfen, sind allerdings unverändert zulässig. III.

Erweiterte Auskunftspflicht (§ 131 Abs. 4)

Aus Gründen der Gleichbehandlung aller Aktionäre (§ 53a) steht jedem Aktionär in der 30 Hauptversammlung ein erweitertes Auskunftsrecht zu, wenn einem anderen Aktionär außerhalb der Hauptversammlung eine Auskunft erteilt worden ist (§ 131 Abs. 4 Satz 1).63) Die Erweiterung des Auskunftsrechts besteht darin, dass es in diesem Fall auf die Erforderlichkeit der Auskunft nicht ankommt und dem Vorstand verschiedene Rechte zur Auskunftsverweigerung von vornherein nicht zustehen (§ 131 Abs. 4 Satz 2). Das erweiterte Auskunftsrecht setzt voraus, dass die Gesellschaft einem Aktionär, und 31 zwar gerade wegen seiner Eigenschaft als Aktionär, außerhalb der Hauptversammlung eine Auskunft erteilt hat. Der Vorstand der Gesellschaft (nicht etwa der Aufsichtsrat64) oder ein Dritter) muss einem Aktionär bewusst und gezielt eine bestimmte Information erteilt haben. Die Auskunftserteilung muss gerade deswegen erfolgt sein, weil der Empfänger Aktionär der Gesellschaft ist. Ist jemand nicht nur Aktionär, sondern steht auch in anderen Beziehungen zur Gesellschaft (z. B. als Rechts- oder Steuerberater, als Kreditinstitut, oder als Mitglied des Aufsichtsrats) kommt es darauf an, was der entscheidende Anlass für die Auskunftserteilung war.65) Bei Unternehmensverkäufen erfolgt die Informationserteilung in aller Regel nicht an den (gegenwärtigen oder künftigen) Aktionär, sondern i. R. eines gesonderten Transaktionsprozesses an den Verkäufer oder Käufer.66) In Konzernkonstellationen erfolgt die Informationsweitergabe an die Muttergesellschaft regelmäßig nicht aufgrund von deren Aktionärseigenschaft, sondern vielmehr aufgrund von deren Konzernleitungsfunktion (siehe auch § 131 Abs. 4 Satz 3). _____________ 61) Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG), BGBl. I 2005, 2802. S. dazu BT-Drucks. 15/5092, S. 17 f. 62) Skeptisch zur Effizienz der Regelung u. a. K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 131 Rz. 88; Spindler/ Stilz-Siems, AktG, § 131 Rz. 54. 63) Dazu Kersting in: KölnKomm-AktG, § 131 Rz. 426 ff.; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 131 Rz. 95 ff.; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 131 Rz. 125 ff. 64) LG Frankfurt/M., Beschl. v. 16.2.2016 – 3-05 O 132/15, ZIP 2016, 1535, dazu EWiR 2016, 557 (Priester) – kein Nachinformationsanspruch der übrigen Aktionäre nach Teilnahme eines Aktionärs an Aufsichtsratssitzung. Allgemein zu der umstrittenen Frage, ob die erweiterte Auskunftspflicht auch bei Auskunftserteilung durch den Aufsichtsrat i. R. von Investorengesprächen besteht s. einerseits (bejahend) Koch, AG 2017, 129, 138 f., und andererseits (verneinend) Hirt/Hopt/Mattheus, AG 2016, 725, 739. 65) Zum Vorrang von § 327b Abs. 1 Satz 2 (Squeeze Out) gegenüber § 131 Abs. 4 s. bspw. LG München I, Urt. v. 28.8.2008 – 5 HKO 12861/07, ZIP 2008, 2124, dazu EWiR 2009, 33 (Linnerz), LG München I, Beschl. v. 24.4.2008 – 5 HK O 23244/07, ZIP 2008, 1635. 66) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 131 Rz. 37.

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§ 131

Auskunftsrecht des Aktionärs

32 Der erweiterte Auskunftsanspruch besteht nur dann, wenn ein Aktionär diesen in (einer der nächsten) Hauptversammlungen (ausdrücklich) geltend macht (siehe § 131 Abs. 4 Satz 1: „auf dessen Verlangen“). Der Vorstand ist somit nicht von sich aus verpflichtet, allen Aktionären die gleichen Auskünfte zukommen zu lassen. Verlangt ein Aktionär eine entsprechende Auskunft, muss diese in gleicher Weise wie sie auch außerhalb der Hauptversammlung erteilt worden ist, in der Hauptversammlung wiederholt werden. Die praktische Bedeutung solcher Aktionärsverlangen ist allerdings gering, weil bis zur nächsten Hauptversammlung viele Informationen ohnehin bekannt geworden sind bzw. vielfach auch ihre Relevanz verloren haben. IV.

Rechtsfolgen bei Auskunftsverweigerung

1.

Aufnahme in die Niederschrift

33 Wird einem Aktionär eine Auskunft verweigert, kann er verlangen, dass seine Frage und der Grund der Auskunftsverweigerung67) in die Niederschrift über die Verhandlung aufgenommen werden (§ 131 Abs. 5 i. V. m. § 130 Abs. 1; siehe auch § 258 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 zur Protokollierung von Fragen im Zusammenhang mit einem unvollständigen Anhang zum Jahresabschluss).68) Die Regelung dient der Beweissicherung.69) Es soll vermieden werden, dass es nach der Hauptversammlung zu Streitigkeiten darüber kommt, ob und aus welchem Grund der Vorstand die Beantwortung einer Frage verweigert hat.70) 34 Der Anspruch auf Protokollierung setzt voraus, dass der Aktionär in der Hauptversammlung eine Auskunft verlangt hat (§ 131 Abs. 1 Satz 1), ihm diese aber verweigert wurde. In die Niederschrift ist dann die Frage des Aktionärs (nicht unbedingt auch die Antwort des Vorstands) und der Grund der Auskunftsverweigerung (sofern der Vorstand einen solchen mitgeteilt hat) aufzunehmen (§ 131 Abs. 5). Dabei ist der Notar im Allgemeinen weder in der Lage noch dazu verpflichtet, die Fragen wörtlich mitzuschreiben. Er muss sich diese von dem Aktionär auch nicht diktieren lassen. Vielmehr entscheidet der Notar nach pflichtgemäßem Ermessen über das im Einzelfall sachgerechte Verfahren. Im Interesse der Vollständigkeit und Richtigkeit der Niederschrift kann der Notar insbesondere auch verlangen, dass ihm der Aktionär die unbeantworteten Fragen in Schriftform übergibt.71) 35 Der Aktionär kann das Verlangen auf Aufnahme in die Niederschrift jederzeit bis zum Ende der Hauptversammlung stellen. 2.

Auskunftserzwingungsverfahren

36 Ein Aktionär, der der Auffassung ist, dass ihm eine Auskunft zu Unrecht verweigert worden ist, kann beim zuständigen LG einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung über das Auskunftsrecht stellen (§ 132). Mit dem Auskunftserzwingungsverfahren soll der Aktionär seine Auskunft schnell und effektiv durchsetzen können. Eine auf Auskunft gerichtete Leistungsklage ist daneben ausgeschlossen. _____________ 67) Zur Nichtaufnahme der Gründe der Auskunftsverweigerung in der Niederschrift auf Verlangen des Vorstands s. BGH, Beschl. v. 14.1.2014, II ZB 5/12 (Porsche), ZIP 2014, 671, dazu EWiR 2014, 309 (Bungert/de Raet). 68) Zur Pflicht des Notars, auf Verlangen eines Aktionärs die gestellte Frage und den Umstand der Auskunftsverweigerung in die Niederschrift aufzunehmen s. OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 8.11.2012 – 21 W 33/11, ZIP 2012, 2502, dazu EWiR 2013, 67 (Widder/Klabun), dazu Reger, NZG 2013, 48. 69) Kersting in: KölnKomm-AktG, § 131 Rz. 514; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 131 Rz. 107. 70) S. dazu LG Hannover, Beschl. v. 19.8.2009 – 23 O 90/09, AG 2009, 914. 71) Hölters-Drinhausen, AktG, § 131 Rz. 43. Wohl auch Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 131 Rz. 43; K. Schmidt/ Lutter-Spindler, AktG, § 131 Rz. 107. A. A. Heidel-Heidel, AktR, § 131 AktG Rz. 82; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 131 Rz. 148.

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§ 131

Auskunftsrecht des Aktionärs 3.

Anfechtungsklage

Ein Beschluss der Hauptversammlung kann wegen einer Auskunftsverweigerung ange- 37 fochten werden (§ 243 Abs. 1 und Abs. 4).72) Bei der in der Praxis üblichen Gesamtaussprache sind regelmäßig alle Beschlüsse anfechtbar, und nicht nur der Beschluss, zu dem die Auskunft konkret verweigert worden ist. 4.

Schadensersatzansprüche

Bei einer schuldhaften Verletzung der Auskunftspflicht können Schadensersatzansprüche 38 der Gesellschaft gegen den Vorstand in Betracht kommen (§ 93). Unrichtige oder falsche Auskünfte in der Hauptversammlung können darüber hinaus 39 strafbar sein (§ 400 Abs. 1 Nr. 1) und Schadensersatzansprüche von Aktionären begründen (§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG). Handelt der Vorstand nur fahrlässig (und nicht auch vorsätzlich) scheiden Schadensersatzansprüche der Aktionäre aus, da das Auskunftsrecht nur die Informationsinteressen der Aktionäre (und nicht auch deren Vermögensinteressen) schützt.73) Schließlich können falsche oder unvollständige Auskünfte auch Anlass für eine Sonder- 40 prüfung sein (siehe §§ 142, 258, 315). V.

Satzungsregelung des Rede- und Fragerechts (§ 131 Abs. 2 Satz 2)

Die Satzung (oder seltener die Geschäftsordnung) kann den Versammlungsleiter ermächti- 41 gen, das Frage- und Rederecht des Aktionärs zeitlich angemessen zu beschränken, und Näheres dazu zu bestimmen (§ 131 Abs. 2 Satz 2).74) Die Regelung ist durch das UMAG in das Aktienrecht eingeführt worden, um die missbräuchliche Ausübung des Frage- und Rederechts durch einzelne Aktionäre zu beschränken und die Hauptversammlung insgesamt wieder attraktiver zu machen.75) Von dieser Ermächtigung haben zwischenzeitlich alle größeren Publikumsgesellschaften (allerdings in stark unterschiedlichem Umfang)76) Gebrauch gemacht. Die Vorschrift ermächtigt nicht nur zu einer pauschalen Beschränkung des Frage- und 42 Rederechts, sondern auch zu konkreten zeitlichen Vorgaben.77) Der BGH hat bspw. eine Satzungsregelung als zulässig angesehen, in der der Versammlungsleiter ermächtigt worden ist, die Rede- und Fragezeit eines Aktionärs je Wortmeldung grundsätzlich auf 15 Minuten zu beschränken. Zulässig sind darüber hinaus auch gewisse Vorgaben zur _____________ 72) S. dazu BGH, Urt. v. 10.7.2012 – II ZR 48/11 (Fresenius), ZIP 2012, 1807; BGH, Urt. v. 18.10.2004 – II ZR 250/02, BGHZ 160, 385 = ZIP 2004, 2428, dazu EWiR 2005, 241 (Wagner). Allgemein Kersting in: KölnKomm-AktG, § 131 Rz. 541 ff.; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 131 Rz. 116. 73) A. A. – § 131 AktG als Schutzgesetz von § 823 Abs. 2 BGB – insbesondere Heidel-Heidel, AktR, § 131 AktG Rz. 5b. 74) Kersting in: KölnKomm-AktG, § 131 Rz. 270 ff.; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 131 Rz. 66 ff. 75) Art. 1 Nr. 9 des Gesetzes zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG), BGBl. I 2005, 2802. S. dazu BT-Drucks. 15/5092, S. 17 f. 76) Im Schrifttum ist umstritten, ob und inwieweit detaillierte Satzungsregelungen zweckmäßig sind. Dafür u. a. Herrler, DNotZ 2010, 331; Jerczynski, NJW 2010, 1566; Krause, BB 2010, 849, 852; Nagel/ Ziegenhahn, WM 2010, 1005. – Dagegen u. a. Angerer, ZGR 2011, 27; Kersting, NZG 2010, 446; Wilsing/ v. d. Linden, DB 2010, 1277. 77) Grundlegend BGH, Urt. v. 8.2.2010 – II ZR 94/08 (Redezeitbeschränkung), BGHZ 184, 239 = ZIP 2010, 575, dazu EWiR 2010, 235 (Priester). Ausführlich dazu u. a. Herrler, DNotZ 2010, 331; Jerczynski, NJW 2010, 1566; Kersting, NZG 2010, 446; Krause, BB 2010, 852; Nagel/Ziegenhahn, WM 2010, 1005; Wilsing/v. d. Linden, DB 2010, 1277. S. ferner BGH, Beschl. v. 8.12.2013 – II ZR 329/12, ZIP 2013, 2257 = MittBayNot 2014, 546 mit Anm. Beck, dazu EWiR 2014, 5 (Goslar); OLG Frankfurt/M., Urt. v. 16.12.2014 – 5 U 24/14, ZIP 2015, 1020 (Az. d. BGH: II ZR 21/15).

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§ 132

Gerichtliche Entscheidung über das Auskunftsrecht

Gesamtdauer einer Hauptversammlung (siehe auch Ziff. 2.2.4 des DCGK, der für eine ordentliche Hauptversammlung im Normalfall von einer Gesamtdauer von vier bis sechs Stunden ausgeht78) und zum Schluss der Debatte um 22:30 Uhr. Allgemein anerkanntes Leitbild ist die eintägige Hauptversammlung. 43 Ein Versammlungsleiter, der nach der Satzung zu entsprechenden Beschränkungen des Frage- und Rederechts ermächtigt ist, muss davon im jeweiligen Einzelfall stets nach pflichtgemäßem Ermessen Gebrauch machen.79) Dabei muss er sich insbesondere an den Geboten der Sachdienlichkeit, der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung orientieren. _____________ 78) Statistische Informationen zur tatsächlichen Dauer von Hauptversammlungen finden sich bei v. Werder/ Böhme, DB 2011, 1285, 1287 ff. 79) S. dazu OLG Frankfurt/M., Urt. v. 26.6.2012 – 5 U 144/09, BB 2012, 2327 mit Anm. Reger/Wolf.

§ 132 Gerichtliche Entscheidung über das Auskunftsrecht (1) Ob der Vorstand die Auskunft zu geben hat, entscheidet auf Antrag ausschließlich das Landgericht, in dessen Bezirk die Gesellschaft ihren Sitz hat. (2) 1Antragsberechtigt ist jeder Aktionär, dem die verlangte Auskunft nicht gegeben worden ist, und, wenn über den Gegenstand der Tagesordnung, auf den sich die Auskunft bezog, Beschluß gefaßt worden ist, jeder in der Hauptversammlung erschienene Aktionär, der in der Hauptversammlung Widerspruch zur Niederschrift erklärt hat. 2 Der Antrag ist binnen zwei Wochen nach der Hauptversammlung zu stellen, in der die Auskunft abgelehnt worden ist. (3) 1§ 99 Abs. 1, 3 Satz 1, 2 und 4 bis 6 sowie Abs. 5 Satz 1 und 3 gilt entsprechend. 2Die Beschwerde findet nur statt, wenn das Landgericht sie in der Entscheidung für zulässig erklärt. 3§ 70 Abs. 2 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist entsprechend anzuwenden. (4) 1Wird dem Antrag stattgegeben, so ist die Auskunft auch außerhalb der Hauptversammlung zu geben. 2Aus der Entscheidung findet die Zwangsvollstreckung nach den Vorschriften der Zivilprozeßordnung statt. (5) Das mit dem Verfahren befaßte Gericht bestimmt nach billigem Ermessen, welchem Beteiligten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen sind. Literatur: Simons, Die Änderungen des Aktiengesetzes durch das 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz, AG 2014, 182; Werner, Vorläufiger Rechtsschutz zur Durchsetzung von gesellschafterlichen Informationsansprüchen gegen die GmbH, GmbHR 2016, 1252.

Übersicht I. Überblick ........................................... 1 II. Zuständigkeit .................................... 5 III. Antrag ................................................ 6 1. Allgemeines zu Antragsstellung ....... 6 2. Antragsberechtigung ......................... 7 3. Antragsfrist ...................................... 10 I.

IV. Gerichtsverfahren ........................... 11 1. Verfahrensgrundsätze ....................... 11 2. Gerichtliche Entscheidung ............... 12 3. Folgen der gerichtlichen Entscheidung .......................................... 14 4. Verfahrenskosten .............................. 16

Überblick

1 Für den Fall, dass ein Auskunftsverlangen eines Aktionärs in der Hauptversammlung (§ 131) nicht erfüllt worden ist, kann dieser seinen Auskunftsanspruch gegen die Gesell880

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§ 132

Gerichtliche Entscheidung über das Auskunftsrecht

Gesamtdauer einer Hauptversammlung (siehe auch Ziff. 2.2.4 des DCGK, der für eine ordentliche Hauptversammlung im Normalfall von einer Gesamtdauer von vier bis sechs Stunden ausgeht78) und zum Schluss der Debatte um 22:30 Uhr. Allgemein anerkanntes Leitbild ist die eintägige Hauptversammlung. 43 Ein Versammlungsleiter, der nach der Satzung zu entsprechenden Beschränkungen des Frage- und Rederechts ermächtigt ist, muss davon im jeweiligen Einzelfall stets nach pflichtgemäßem Ermessen Gebrauch machen.79) Dabei muss er sich insbesondere an den Geboten der Sachdienlichkeit, der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung orientieren. _____________ 78) Statistische Informationen zur tatsächlichen Dauer von Hauptversammlungen finden sich bei v. Werder/ Böhme, DB 2011, 1285, 1287 ff. 79) S. dazu OLG Frankfurt/M., Urt. v. 26.6.2012 – 5 U 144/09, BB 2012, 2327 mit Anm. Reger/Wolf.

§ 132 Gerichtliche Entscheidung über das Auskunftsrecht (1) Ob der Vorstand die Auskunft zu geben hat, entscheidet auf Antrag ausschließlich das Landgericht, in dessen Bezirk die Gesellschaft ihren Sitz hat. (2) 1Antragsberechtigt ist jeder Aktionär, dem die verlangte Auskunft nicht gegeben worden ist, und, wenn über den Gegenstand der Tagesordnung, auf den sich die Auskunft bezog, Beschluß gefaßt worden ist, jeder in der Hauptversammlung erschienene Aktionär, der in der Hauptversammlung Widerspruch zur Niederschrift erklärt hat. 2 Der Antrag ist binnen zwei Wochen nach der Hauptversammlung zu stellen, in der die Auskunft abgelehnt worden ist. (3) 1§ 99 Abs. 1, 3 Satz 1, 2 und 4 bis 6 sowie Abs. 5 Satz 1 und 3 gilt entsprechend. 2Die Beschwerde findet nur statt, wenn das Landgericht sie in der Entscheidung für zulässig erklärt. 3§ 70 Abs. 2 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist entsprechend anzuwenden. (4) 1Wird dem Antrag stattgegeben, so ist die Auskunft auch außerhalb der Hauptversammlung zu geben. 2Aus der Entscheidung findet die Zwangsvollstreckung nach den Vorschriften der Zivilprozeßordnung statt. (5) Das mit dem Verfahren befaßte Gericht bestimmt nach billigem Ermessen, welchem Beteiligten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen sind. Literatur: Simons, Die Änderungen des Aktiengesetzes durch das 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz, AG 2014, 182; Werner, Vorläufiger Rechtsschutz zur Durchsetzung von gesellschafterlichen Informationsansprüchen gegen die GmbH, GmbHR 2016, 1252.

Übersicht I. Überblick ........................................... 1 II. Zuständigkeit .................................... 5 III. Antrag ................................................ 6 1. Allgemeines zu Antragsstellung ....... 6 2. Antragsberechtigung ......................... 7 3. Antragsfrist ...................................... 10 I.

IV. Gerichtsverfahren ........................... 11 1. Verfahrensgrundsätze ....................... 11 2. Gerichtliche Entscheidung ............... 12 3. Folgen der gerichtlichen Entscheidung .......................................... 14 4. Verfahrenskosten .............................. 16

Überblick

1 Für den Fall, dass ein Auskunftsverlangen eines Aktionärs in der Hauptversammlung (§ 131) nicht erfüllt worden ist, kann dieser seinen Auskunftsanspruch gegen die Gesell880

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Gerichtliche Entscheidung über das Auskunftsrecht

§ 132

schaft gerichtlich durchsetzen (§ 132). Das Auskunftserzwingungsverfahren richtet sich nach den Grundsätzen der freiwilligen Gerichtsbarkeit (§ 132 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 99 Abs. 1) und soll eine schnelle (§ 132 Abs. 2 Satz 2), kostengünstige (§ 132 Abs. 5) und sachgerechte Entscheidung ermöglichen. Die an sich statthafte Leistungsklage auf Auskunftserteilung wird durch das Klageerzwingungsverfahren verdrängt.1) Neben dem Auskunftserzwingungsverfahren steht dem Aktionär (unter den Vorausset- 2 zungen des § 243 Abs. 4) auch die Möglichkeit der Anfechtungsklage gegen die auf der Hauptversammlung gefassten Beschlüsse offen (§ 243 Abs. 1). Beide Rechtsmittel sind unabhängig voneinander, insbesondere muss der Aktionär vor Erhebung einer Anfechtungsklage nicht zunächst ein Auskunftserzwingungsverfahren einleiten.2) Der Entscheidung im Auskunftserzwingungsverfahren über das (Nicht)Bestehen eines Auskunftsanspruchs kommt keine Bindungswirkung für den Anfechtungsprozess zu (siehe auch § 132 Abs. 3 Satz 1, der gerade nicht auf § 99 Abs. 5 Satz 2 verweist).3) In der Praxis wird von den Aktionären regelmäßig Anfechtungsklage erhoben; demgegenüber hat das Auskunftserzwingungsverfahren nur eine vergleichsweise geringe Bedeutung erlangt.4) Für das Auskunftserzwingungsverfahren ist ausschließlich das LG zuständig, in dessen 3 Bezirk die Gesellschaft ihren Sitz hat (§ 132 Abs. 1). Antragsberechtigt sind Aktionäre, denen in der Hauptversammlung eine Auskunft verweigert worden ist oder die gegen einen Beschluss der Hauptversammlung Widerspruch erklärt haben (§ 132 Abs. 2 Satz 2). Der Antrag ist binnen zwei Wochen nach der Hauptversammlung zu stellen (§ 132 Abs. 2 Satz 2). Das Verfahren richtet sich nach den Grundsätzen der freiwilligen Gerichtsbarkeit (§ 132 Abs. 3 i. V. m. § 99 Abs. 1). Das LG entscheidet über den Antrag durch Beschluss. Wird dem Antrag des Aktionärs stattgegeben, kann ihm die Auskunft auch außerhalb der Hauptversammlung erteilt werden (§ 132 Abs. 4 Satz 1). Der Anspruch auf Auskunftserteilung kann auch im Wege der Zwangsvollstreckung durchgesetzt werden (§ 132 Abs. 4 Satz 2). Falls der Antrag des Aktionärs abgelehnt wird, ist eine Beschwerde nur dann statthaft, wenn sie vom LG zugelassen worden ist. Die Kosten des Verfahrens richten sich nach den gesetzlichen Bestimmungen der Kostenordnung (§ 132 Abs. 5). Die Vorschrift wurde zuletzt durch das Zweite Kostenrechtsmodernisierungsgesetz5) (Auf- 4 hebung von § 132 Abs. 5 Satz 1 bis 6) sowie das FGG-Reformgesetz6) geändert (u. a. § 132 Abs. 1, 3 und Abs. 5). Im GmbH-Recht gilt die Vorschrift weitgehend entsprechend (§ 51b GmbHG). _____________ 1)

2)

3)

4)

5)

6)

Decher in: GroßKomm-AktG, § 132 Rz. 11 ff.; Hölters-Drinhausen, AktG, § 132 Rz. 1; Hüffer/KochKoch, AktG, § 132 Rz. 1; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 132 Rz. 1; Spindler/Stilz-Siems, AktG, § 132 Rz. 1 ff. Grundlegend BGH, Urt. v. 29.11.1982 – II ZR 88/81, BGHZ 86, 1 = ZIP 1983, 163, dazu EWiR 1991, 633 (Hirte). Bürgers/Körber-Reger, AktG, § 132 Rz. 1; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 132 Rz. 2; Kersting in: KölnKomm-AktG, § 132 Rz. 9 ff.; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 132 Rz. 43 ff.; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 132 Rz. 60 ff. BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 185/07 (Kirch/Deutsche Bank), BGHZ 180, 9 = ZIP 2009, 460 mit Anm. Mutter, dazu EWiR 2009, 461 (Staake). Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 132 Rz. 2; Kersting in: KölnKommAktG, § 132 Rz. 11 ff.; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 132 Rz. 45; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 132 Rz. 61. A. A. Hölters-Drinhausen, AktG, § 132 Rz. 2 – unter Hinweis auf die Gefahr divergierender Entscheidungen. Anders die Einschätzung von Kersting in: KölnKomm-AktG, § 132 Rz. 1 – durchaus erhebliche praktische Bedeutung, die allerdings zurückgegangen ist; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 132 Rz. 2 – häufig genutzter Rechtsbehelf; Spindler/Stilz-Siems, AktG, § 132 Rz. 2 – rechtstatsächlich hohe Bedeutung. Art. 27 Nr. 2 des Zweiten Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz – 2. KostRMoG), BGBl. I 2013, 2586. S. dazu Simons, AG 2014, 182, 185, und § 1 Abs. 2 Nr. 1 GNotKG und Vorb. 1.3.5 Nr. 2a, KV Nr. 13500. Art. 74 des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG), BGBl. I 2008, 2586.

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§ 132 II.

Gerichtliche Entscheidung über das Auskunftsrecht Zuständigkeit

5 Für das Auskunftserzwingungsverfahren ist ausschließlich das LG zuständig, in dessen Bezirk die Gesellschaft ihren Sitz hat (§ 132 Abs. 1 i. V. m. §§ 5, 14). Besteht bei dem LG eine Kammer für Handelssachen, ist diese funktionell zuständig (§§ 71 Abs. 2 Nr. 4 lit. b, 94, 95 Abs. 2 Nr. 2 GVG). Dies gilt allerdings nur, wenn deren Zuständigkeit auch beantragt wird (§§ 96 Abs. 1, 98, 101 Abs. 1 Satz 1 GVG).7) Örtlich zuständig ist das LG, in dessen Bezirk die Gesellschaft ihren Sitz hat (§§ 5, 14). Die Landesregierungen können die Zuständigkeit bei einem LG konzentrieren (§ 71 Abs. 4 GVG; in Bayern z. B. beim LG München I und beim LG Nürnberg-Fürth).8) III.

Antrag

1.

Allgemeines zu Antragsstellung

6 Das Gericht entscheidet nur auf Antrag (§ 132 Abs. 2 Satz 1). Der Antrag kann formlos gestellt werden (§ 132 Abs. 3 Satz 1, § 99 Abs. 1 und 3 AktG i. V. m. §§ 10, 25 FamFG). Es besteht kein Anwaltszwang. Antragsgegner ist die Gesellschaft, vertreten durch den Vorstand (§ 78 Abs. 1, und – anders als bei § 246 Abs. 2 Satz 2 – nicht auch durch den Aufsichtsrat).9) Aus dem Antrag muss inhaltlich hervorgehen, dass der Antragsteller eine gerichtliche Entscheidung über die verweigerte Auskunft wünscht (siehe § 23 Abs. 1 FamFG).10) Das Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag entfällt, wenn die Gesellschaft dem Aktionär die gewünschte Auskunft vor der Beendigung des Verfahrens erteilt.11) Eine Rücknahme des Antrags ist bis zur gerichtlichen Entscheidung jederzeit möglich (§ 22 FamFG; § 269 ZPO findet insoweit keine Anwendung). 2.

Antragsberechtigung

7 Antragsberechtigt sind grundsätzlich nur Aktionäre, die auch an der Hauptversammlung (persönlich, online12) oder durch einen Vertreter) teilgenommen haben (§ 132 Abs. 2 Satz 1). Der Antragsteller muss während des gesamten Verfahrens seit der Hauptversammlung Aktionär sein und bleiben.13) Vertreter des Aktionärs sind grundsätzlich nicht selbst antragsberechtigt.14) Der Aktionär kann den Vertreter aber zur Antragsstellung bevollmächtigen (siehe aber § 10 Abs. 2 FamFG). Legitimationsaktionäre (§ 129 Abs. 2) sind selbst antragsberechtigt, sofern dies inhaltlich von der Ermächtigung umfasst ist.15)

_____________ 7) Kersting in: KölnKomm-AktG, § 132 Rz. 23; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 132 Rz. 3. A. A. Bürgers/Körber-Reger, AktG, § 132 Rz. 2. 8) S. die vollständige Übersicht bei Kersting in: KölnKomm-AktG, § 132 Rz. 21; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 132 Rz. 4; Spindler/Stilz-Siems, AktG, § 132 Rz. 5. 9) Spindler/Stilz-Siems, AktG, § 132 Rz. 14. 10) BayObLG, Beschl. v. 30.11.1995 – 3Z BR 161/93, AG 1996, 180, dazu EWiR 1996, 673 (Hirte). 11) LG München I, Beschl. v. 28.5.2010 – 5 HK O 14307/07, ZIP 2010, 2148, dazu EWiR 2011, 103 (Kort). 12) Hölters-Drinhausen, AktG, § 132 Rz. 6; Kersting in: KölnKomm-AktG, § 132 Rz. 34. 13) S. LG München I, Beschl. v. 26.8.2010 – 5 HK O 19003/09 (Hypo Real Estate), AG 2011, 219 – Rechtsschutzbedürfnis entfällt, wenn Aktionär seine Rechtsstellung aufgrund Wirksamwerdens eines Squeeze-out-Beschlusses nach § 12 Abs. 4 Satz 1 FMStBG verliert. Allgemein Hölters-Drinhausen, AktG, § 132 Rz. 5; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 132 Rz. 7. 14) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 132 Rz. 5; Kersting in: KölnKomm-AktG, § 132 Rz. 32; K. Schmidt/LutterSpindler, AktG, § 132 Rz. 7. 15) Bürgers/Körber-Reger, AktG, § 132 Rz. 3; Hölters-Drinhausen, AktG, § 132 Rz. 5; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 132 Rz. 10; Kersting in: KölnKomm-AktG, § 132 Rz. 31; K. Schmidt/LutterSpindler, AktG, § 132 Rz. 7. Anders wohl Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 132 Rz. 5.

882

Thomas Wachter

Gerichtliche Entscheidung über das Auskunftsrecht

§ 132

Antragsberechtigt ist jeder Aktionär, dem eine verlangte Auskunft in der Hauptver- 8 sammlung nicht (oder nicht vollständig oder nicht richtig16) erteilt worden ist (§ 132 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1).17) Die Antragsberechtigung ist nicht davon abhängig, dass die Auskunftsverweigerung in der Niederschrift über die Hauptversammlung aufgenommen worden ist (§ 131 Abs. 5). Antragsberechtigt ist darüber hinaus jeder Aktionär, der in der Hauptversammlung Wider- 9 spruch zur Niederschrift (§ 130 Abs. 1) erklärt hat, wenn über den Gegenstand der Tagesordnung, auf den sich die Auskunft bezog, ein Beschluss gefasst worden ist (§ 132 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2). Damit sind auch solche Aktionäre antragsberechtigt, die auf der Hauptversammlung selbst keine Auskunft verlangt haben. 3.

Antragsfrist

Der Antrag ist binnen zwei Wochen nach der Hauptversammlung zu stellen, in der die Aus- 10 kunft abgelehnt worden ist (§ 132 Abs. 2 Satz 2 AktG i. V. m. § 16 Abs. 2 FamFG). Verspätete Anträge sind unbegründet. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nicht möglich (§ 17 FamFG gilt hier nicht).18) IV.

Gerichtsverfahren

1.

Verfahrensgrundsätze

Das Auskunftserzwingungsverfahren ist ein streitiges Verfahren, das sich weitgehend 11 nach den Grundsätzen der freiwilligen Gerichtsbarkeit richtet (§ 132 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 99 Abs. 1). Es gilt der Amtsermittlungsgrundsatz (§ 26 FamFG).19) Die Beteiligten sind allerdings zur Mitwirkung und Verfahrensförderung verpflichtet (§ 27 FamFG). Die Entscheidung des Vorstands über die Auskunftsverweigerung unterliegt in vollem Umfang der gerichtlichen Nachprüfung. Das Verfahren ist grundsätzlich nicht öffentlich (§ 170 Abs. 1 GVG).20) 2.

Gerichtliche Entscheidung

Das LG entscheidet über den Antrag21) durch einen mit Gründen versehenen Beschluss 12 (§ 132 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 99 Abs. 3 Satz 1 AktG und § 38 FamFG). Die Entscheidung wird erst mit Rechtskraft wirksam (§ 132 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 99 Abs. 5 Satz 1 AktG und § 45 FamFG). Die Entscheidung muss nicht in den Gesellschaftsblättern veröffentlicht werden (siehe § 99 Abs. 4 Satz 2, auf den in § 132 Abs. 3 Satz 1 nicht verwiesen wird), aber aus Gründen der Publizität zum Handelsregister eingereicht werden (§ 132 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 99 Abs. 5 Satz 3 AktG und § 9 HGB). _____________ 16) Wie hier dagegen LG München I, Beschl. v. 28.5.2010 – 5 HK O 14307/07, ZIP 2010, 2148, dazu EWiR 2011, 103 (Kort). Hölters-Drinhausen, AktG, § 132 Rz. 5; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 132 Rz. 4a; Kersting in: KölnKomm-AktG, § 132 Rz. 6 und Rz. 36; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 132 Rz. 9; Kubis in: MünchKomm-AktG, § 132 Rz. 15; Spindler/Stilz-Siems, AktG, § 132 Rz. 10. A. A. allerdings KG Berlin, Beschl. v. 16.7.2009 – 23 W 69/08, ZIP 2010, 698, dazu EWiR 2010, 237 (Theusinger). 17) BayObLG, Beschl. v. 30.11.1995 – 3Z BR 161/93, AG 1996, 180, dazu EWiR 1996, 673 (Hirte). 18) Bürgers/Körber-Reger, AktG, § 132 Rz. 4; Hölters-Drinhausen, AktG, § 132 Rz. 7; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 132 Rz. 5; Spindler/Stilz-Siems, AktG, § 132 Rz. 11. 19) Ausführlich dazu Kersting in: KölnKomm-AktG, § 132 Rz. 60 ff. 20) Henssler/Strohn-Liebscher, GesR, § 132 AktG Rz. 6; Spindler/Stilz-Siems, AktG, § 132 Rz. 18. A. A. Bürgers/Körber-Reger, AktG, § 132 Rz. 6; Kersting in: KölnKomm-AktG, § 132 Rz. 55 f. – unter Hinweis auf Art. 6 Abs. 1 EMRK, und wohl auch K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 132 Rz. 1. 21) Zur erforderlichen inhaltlichen Identität des Auskunftsbegehrens Kersting in: KölnKomm-AktG, § 132 Rz. 39 ff.

Thomas Wachter

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§ 133

Grundsatz der einfachen Stimmenmehrheit

13 Gegen den Beschluss des LG ist das Rechtsmittel der Beschwerde statthaft, sofern das LG diese zugelassen hat (§ 132 Abs. 2 i. V. m. § 99 Abs. 3 Satz 2 AktG und § 70 Abs. 2 FamFG).22) Eine Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht vorgesehen. Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats (§ 63 Abs. 1 FamFG) beim LG einzulegen (§ 64 Abs. 1 FamFG). Die Beschwerdeschrift muss von einem Rechtsanwalt unterzeichnet sein (§ 132 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 99 Abs. 3 Satz 4). Über die Beschwerde entscheidet das OLG (§ 119 Abs. 1 Nr. 2 GVG und § 132 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 99 Abs. 3 Satz 5 AktG: in Bayern z. B. zentral das OLG München). Gegen dessen Entscheidung besteht die Möglichkeit der Rechtsbeschwerde zum BGH (§§ 70 ff. FamFG und § 133 GVG).23) 3.

Folgen der gerichtlichen Entscheidung

14 Wird dem Antrag des Aktionärs stattgegeben, ist ihm die verlangte Auskunft zu geben (§ 132 Abs. 4 Satz 1). Dabei kann der Aktionär wählen, ob ihm die Gesellschaft die Auskunft unmittelbar nach Rechtskraft der Entscheidung außerhalb der Hauptversammlung (siehe § 132 Abs. 4 Satz 1; Folge: § 131 Abs. 4) oder erst in der nächsten Hauptversammlung erteilen soll. 15 Verweigert die Gesellschaft die Auskunftserteilung kann aus der gerichtlichen Entscheidung nach Eintritt der Rechtskraft die Zwangsvollstreckung betrieben werden (§ 132 Abs. 4 Satz 2 AktG i. V. m. §§ 794 Abs. 1 Nr. 3, 888 ZPO). Eine vorläufige Vollstreckung ist auch gegen Sicherheitsleistung nicht möglich. 4.

Verfahrenskosten

16 Über die Kosten des Verfahrens entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen (§ 132 Abs. 5 und Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 99 Abs. 1 AktG und § 81 FamFG). Rechtsanwaltskosten sind dabei nicht zwingend zu erstatten (§ 80 Satz 2 FamFG i. V. m. § 91 Abs. 1 Satz 2 ZPO, nicht auch § 91 Abs. 2 ZPO).24) _____________ 22) Zur Möglichkeit der Berichtigung, wenn die Beschwerde versehentlich nicht zugelassen worden ist s. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 12.5.2014 – I-26 W 7/14, NZG 2015, 204. 23) Zur Rechtsbeschwerde s. BGH, Beschl. v. 14.1.2014 – II ZB 5/12 (Porsche), ZIP 2014, 671, dazu EWiR 2014, 309 (Bungert/de Raet). 24) Hölters-Drinhausen, AktG, § 132 Rz. 1; Kersting in: KölnKomm-AktG, § 132 Rz. 116.

Vierter Unterabschnitt Stimmrecht § 133 Grundsatz der einfachen Stimmenmehrheit Boris Dürr

(1) Die Beschlüsse der Hauptversammlung bedürfen der Mehrheit der abgegebenen Stimmen (einfache Stimmenmehrheit), soweit nicht Gesetz oder Satzung eine größere Mehrheit oder weitere Erfordernisse bestimmen. (2) Für Wahlen kann die Satzung andere Bestimmungen treffen. Literatur: Austmann/Rühle, Wahlverfahren bei mehreren für einen Aufsichtsratssitz vorgeschlagenen Kandidaten, AG 2011, 805; Bachmann, Die Einmann-AG, NZG 2001, 961; Fassbender, Die Hauptversammlung der Aktiengesellschaft aus notarieller Sicht, RNotZ 2009, 425; Flume, Die Rechtsprechung des II. Senats des BGH zur Treuepflicht des GmbH-Gesellschafters und des

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Boris Dürr

§ 133

Grundsatz der einfachen Stimmenmehrheit

13 Gegen den Beschluss des LG ist das Rechtsmittel der Beschwerde statthaft, sofern das LG diese zugelassen hat (§ 132 Abs. 2 i. V. m. § 99 Abs. 3 Satz 2 AktG und § 70 Abs. 2 FamFG).22) Eine Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht vorgesehen. Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats (§ 63 Abs. 1 FamFG) beim LG einzulegen (§ 64 Abs. 1 FamFG). Die Beschwerdeschrift muss von einem Rechtsanwalt unterzeichnet sein (§ 132 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 99 Abs. 3 Satz 4). Über die Beschwerde entscheidet das OLG (§ 119 Abs. 1 Nr. 2 GVG und § 132 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 99 Abs. 3 Satz 5 AktG: in Bayern z. B. zentral das OLG München). Gegen dessen Entscheidung besteht die Möglichkeit der Rechtsbeschwerde zum BGH (§§ 70 ff. FamFG und § 133 GVG).23) 3.

Folgen der gerichtlichen Entscheidung

14 Wird dem Antrag des Aktionärs stattgegeben, ist ihm die verlangte Auskunft zu geben (§ 132 Abs. 4 Satz 1). Dabei kann der Aktionär wählen, ob ihm die Gesellschaft die Auskunft unmittelbar nach Rechtskraft der Entscheidung außerhalb der Hauptversammlung (siehe § 132 Abs. 4 Satz 1; Folge: § 131 Abs. 4) oder erst in der nächsten Hauptversammlung erteilen soll. 15 Verweigert die Gesellschaft die Auskunftserteilung kann aus der gerichtlichen Entscheidung nach Eintritt der Rechtskraft die Zwangsvollstreckung betrieben werden (§ 132 Abs. 4 Satz 2 AktG i. V. m. §§ 794 Abs. 1 Nr. 3, 888 ZPO). Eine vorläufige Vollstreckung ist auch gegen Sicherheitsleistung nicht möglich. 4.

Verfahrenskosten

16 Über die Kosten des Verfahrens entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen (§ 132 Abs. 5 und Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 99 Abs. 1 AktG und § 81 FamFG). Rechtsanwaltskosten sind dabei nicht zwingend zu erstatten (§ 80 Satz 2 FamFG i. V. m. § 91 Abs. 1 Satz 2 ZPO, nicht auch § 91 Abs. 2 ZPO).24) _____________ 22) Zur Möglichkeit der Berichtigung, wenn die Beschwerde versehentlich nicht zugelassen worden ist s. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 12.5.2014 – I-26 W 7/14, NZG 2015, 204. 23) Zur Rechtsbeschwerde s. BGH, Beschl. v. 14.1.2014 – II ZB 5/12 (Porsche), ZIP 2014, 671, dazu EWiR 2014, 309 (Bungert/de Raet). 24) Hölters-Drinhausen, AktG, § 132 Rz. 1; Kersting in: KölnKomm-AktG, § 132 Rz. 116.

Vierter Unterabschnitt Stimmrecht § 133 Grundsatz der einfachen Stimmenmehrheit Boris Dürr

(1) Die Beschlüsse der Hauptversammlung bedürfen der Mehrheit der abgegebenen Stimmen (einfache Stimmenmehrheit), soweit nicht Gesetz oder Satzung eine größere Mehrheit oder weitere Erfordernisse bestimmen. (2) Für Wahlen kann die Satzung andere Bestimmungen treffen. Literatur: Austmann/Rühle, Wahlverfahren bei mehreren für einen Aufsichtsratssitz vorgeschlagenen Kandidaten, AG 2011, 805; Bachmann, Die Einmann-AG, NZG 2001, 961; Fassbender, Die Hauptversammlung der Aktiengesellschaft aus notarieller Sicht, RNotZ 2009, 425; Flume, Die Rechtsprechung des II. Senats des BGH zur Treuepflicht des GmbH-Gesellschafters und des

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Grundsatz der einfachen Stimmenmehrheit

Aktionärs, ZIP 1996, 651; Fuhrmann, Die Blockabstimmung in der Hauptversammlung, ZIP 2004, 2081; Hartmann, Vollmachtlose Vertretung in der Hauptversammlung?, DNotZ 2002, 253; Hoffmann, Einzelentlastung, Gesamtentlastung und Stimmverbote im Aktienrecht, NZG 2010, 290; Leuering/Prüm, Das Quorum in der Hauptversammlung, NJW-Spezial 2017, 79 – 80; Max, Die Leitung der Hauptversammlung, AG 1991, 77; Noack, ARUG: das nächste Stück der Aktienrechtsreform in Permanenz, NZG 2008, 441; Ott, Die Hauptversammlung einer Einpersonen-Aktiengesellschaft, RNotZ 2014, 423; Ramm, Gegenantrag und Vorschlagsliste – Zur Gestaltung des aktienrechtlichen Verfahrens für die Wahlen zum Aufsichtsrat, NJW 1991, 2753; Semler/Asmus, Der stimmrechtslose Beschluss, NZG 2004, 881.

Übersicht I. Regelungsgegenstand und -zweck ................................................. 1 II. Beschlüsse der Hauptversammlung ........................................... 2 1. Begriff und Rechtsnatur ..................... 2 2. Beschlussarten .................................... 4 3. Zustandekommen des Beschlusses ...... 7 a) Überblick und Beschlussfähigkeit ........................................ 7 b) Beschlussantrag, Antragsberechtigung und Abstimmungsvorgang ............................................ 9 I.

c) Stimmrechtsausübung, Stimmabgabe und Widerruf ................................................ d) Ermittlung des Abstimmungsergebnisses .................................. e) Beschlussfeststellung und Protokollierung .......................... III. Mehrheitserfordernisse nach Gesetz und Satzung ........................ IV. Wahlen ..............................................

13 16 18 23 28

Regelungsgegenstand und -zweck

§ 133 regelt das Zustandekommen von Hauptversammlungsbeschlüssen und findet immer 1 Anwendung, wenn die Hauptversammlung Beschlüsse fasst. Regelungszweck ist die Festlegung des Mehrheitserfordernisses sowie der Grenzen abweichender Satzungsregelungen. Die Norm definiert für Hauptversammlungsbeschlüsse das Prinzip der einfachen Mehrheit, wobei die Mehrheit der abgegebenen Stimmen und nicht die Mehrheit der Aktionäre (so § 32 Abs. 1 Satz 3 BGB) oder die Mehrheit des Grundkapitals zählt. Die Satzung kann größere Mehrheiten oder weitere Erfordernisse vorschreiben, die einfache Stimmenmehrheit kann aber nicht unterschritten werden.1) Etwas anderes gilt gemäß § 133 Abs. 2 bei Wahlen, hier kann die Satzung auch niedrigere Mehrheitsanforderungen (z. B. relative Mehrheit) vorsehen. § 133 wird teilweise durch andere Vorschriften dahingehend modifiziert, dass entgegen § 133 Abs. 1 eine Verschärfung des Mehrheitserfordernisses nicht zulässig ist (siehe Rz. 25). II.

Beschlüsse der Hauptversammlung

1.

Begriff und Rechtsnatur

Ein Hauptversammlungsbeschluss dient der Bildung und Äußerung des Willens der Haupt- 2 versammlung. § 133 Abs. 1 spricht von Beschlüssen der Hauptversammlung, ohne den Begriff zu definieren. Die h. M. definiert den Beschluss als Rechtsgeschäft eigener Art, welches weder Vertrag, noch einseitiges Rechtsgeschäft ist.2) Ein Rechtsgeschäft liegt vor, weil Aktionäre ihre Rechtsverhältnisse und die der AG durch Beschluss regeln wollen. Um einen Vertrag handelt es sich nicht, da die Stimmabgaben nicht auf Konsensbildung _____________ 1) 2)

K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 133 Rz. 1; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 133 Rz. 1. LG München, Urt. v. 4.10.2007 – 5 HK O 12615/07, ZIP 2007, 2024; im Ergebnis ähnlich BGH, Urt. v. 15.11.1993 – II ZR 235/92, ZIP 1993, 1862; K. Schmidt, GesR, § 15 I. 2a.

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§ 133

Grundsatz der einfachen Stimmenmehrheit

durch korrespondierende Willenserklärungen, sondern auf die Entscheidung durch Feststellung des Mehrheitswillens gerichtet sind.3) Da der Beschluss Rechtsgeschäft ist, sind die für Rechtsgeschäfte geltenden Vorschriften in §§ 104 ff. BGB grundsätzlich anwendbar. Nicht anwendbar sind aber § 181 BGB sowie die Regelungen zur Anfechtung in §§ 119 ff., 142 f. BGB und zur Nichtigkeit in §§ 125, 134, 138 BGB, welche durch die Sonderregelungen in §§ 241 ff. verdrängt werden.4) Anwendung finden wiederum § 141 Abs. 1 BGB und § 139 BGB, da §§ 241 ff. hierzu keine Sonderregelungen enthalten.5) § 141 Abs. 2 BGB ist nicht anwendbar, weil keine Vertrag vorliegt. Auch die Vorschriften über den Zugang von Willenserklärungen in §§ 130 ff. BGB gelten nicht, da Beschlüsse nicht empfangsbedürftig sind, sondern mit Feststellung wirksam werden.6) 3 Für Hauptversammlungsbeschlüsse gilt wie für materielle Satzungsbestandteile das Prinzip der objektiven Auslegung, §§ 133, 157 BGB finden daher keine Anwendung. Allerdings können die zu § 157 BGB entwickelten Grundsätze über die Auslegung von im Verkehr gebräuchlichen Klauseln bei der Auslegung herangezogen werden.7) Maßgebend ist weder der wirkliche Wille des Abstimmenden noch der objektive Empfängerhorizont der an der Hauptversammlung teilnehmenden Aktionäre, sondern die objektive Verkehrsauffassung.8) Vorbereitungshandlungen, z. B. Vorstandsberichte, und andere mit der Beschlussfassung zusammenhängende Umstände können bei der Auslegung berücksichtigt werden, sofern sie nach außen gelangt sind.9) Die Auslegung ist gerichtlich uneingeschränkt revisibel.10) 2.

Beschlussarten

4 Die h. M. unterscheidet positive und negative Beschlüsse. Ein positiver Beschluss liegt vor, wenn der gestellte Antrag mit den erforderlichen Mehrheiten angenommen wird. Ein negativer Beschluss liegt vor, wenn die erforderliche Mehrheit nicht zustande kommt und der Antrag abgelehnt wird. Dies gilt auch, wenn der Antrag wegen gleicher Zahl von Jaund Nein-Stimmen scheitert (Patt-Situation). Auch den Antrag ablehnende Beschlüsse sind formelle Hauptversammlungsbeschlüsse. Auch bei Patt-Situation liegt ein formeller Beschluss vor, da das Mehrheitserfordernis nach § 133 Abs. 1 nur für positive Beschlüsse gilt.11) Bedeutung erlangt die Beschluss-Eigenschaft bei gescheiterten Anträgen, wegen der Geltung der §§ 241 ff., insbesondere hinsichtlich der Erfordernisse der Anfechtungsklage, um gegen den Beschluss vorzugehen. 5 Während die Unterscheidung zwischen positivem und negativem Beschluss das formelle Beschlussergebnis betrifft, lassen sich Beschlüsse auch hinsichtlich ihres positiven oder negativen materiellen Inhalts unterscheiden. Entscheidend ist die Formulierung des Antrags. Auch negativ formulierte Anträge, bei denen die Annahme des Beschlusses den Status Quo erhält – z. B. ein Antrag auf Nichtentlastung des Vorstands – sind zulässig.12) Allerdings führt die Ablehnung eines negativen Antrages nicht zu einem materiellen Beschluss mit positivem Inhalt; die Ablehnung der Nichtentlastung führt also nicht zur Ent_____________ 3) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 133 Rz. 3; Hölters-Hirschmann, AktG, § 133 Rz. 3. 4) Grundmann in: GroßKomm-AktG, § 133 Rz. 15; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 133 Rz. 5. 5) BGH, Urt. v. 25.1.1988 – II ZR 148/87, ZIP 1988, 432 = NJW 1988, 1214; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 133 Rz. 4. 6) Zöllner in: KölnKomm-AktG, § 133 Rz. 43, 47; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 133 Rz. 4. 7) LG München, Urt. v. 4.10.2007 – 5 HK O 12615/07, ZIP 2007, 2024; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 133 Rz. 5. 8) Grundmann in: GroßKomm-AktG, § 133 Rz. 50; Austmann in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 40 Rz. 3. 9) BGH, Beschl. v. 30.1.1995 – II ZR 132/93, ZIP 1995, 648; Hölters-Hirschmann, AktG, § 133 Rz. 3. 10) Grundmann in: GroßKomm-AktG, § 133 Rz. 50; Austmann in MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 40 Rz. 3. 11) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 133 Rz. 5; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 133 Rz. 5. 12) Austmann in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 40 Rz. 5; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 133 Rz. 7.

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Grundsatz der einfachen Stimmenmehrheit

§ 133

lastung. Ein materieller Beschluss setzt unabhängig davon, ob es sich um einen positiv oder negativ formulierten Antrag handelt, die Annahme des Antrags voraus.13) Enthalten sich alle Aktionäre der Stimme oder wird der Antrag nicht zugelassen oder auf sonstige Weise ohne Abstimmung übergangen, liegt weder ein formeller noch ein materieller Hauptversammlungsbeschluss vor. Es fehlt an einer Willensbildung der Hauptversammlung, weshalb auch nicht von einem negativen Beschluss gesprochen werden kann. Hauptversammlungsbeschlüsse i. S. von § 133 Abs. 1 sind nur Beschlüsse der Hauptver- 6 sammlung selbst. Sonderbeschlüsse bestimmter Aktionärsgruppen nach § 138 sind keine Hauptversammlungsbeschlüsse.14) Gleichwohl finden auf sie nach § 138 Satz 2 die für Hauptversammlungsbeschlüsse geltenden Regelungen und damit das Mehrheitserfordernis des § 133 Abs. 1 Anwendung. 3.

Zustandekommen des Beschlusses

a)

Überblick und Beschlussfähigkeit

Voraussetzung für einen fehlerfreien Hauptversammlungsbeschluss ist – neben der 7 ordnungsgemäßen Einberufung (§§ 121 ff.) und der Beschlussfähigkeit der Versammlung – ein vom Versammlungsleiter zur Beschlussfassung gestellter Antrag, über den die in der Hauptversammlung anwesenden Aktionäre abstimmen sowie die Feststellung des Beschlussergebnisses durch den Versammlungsleiter und entsprechende Protokollierung durch den Notar oder Aufsichtsratsvorsitzenden gemäß § 130 Abs. 1. Bei Einmann-AG gelten Ausnahmen (siehe Rz. 9, 18 und Rz. 22).15) Für die Beschlussfähigkeit der Hauptversammlung enthält das AktG keine besonderen 8 Anforderungen. Die Teilnahme eines Aktionärs mit einer stimmberechtigten Aktie genügt.16) Eine Ausnahme bildet § 52 Abs. 5 Satz 2, der für Nachgründungsfälle die Teilnahme eines Viertels des Grundkapitals voraussetzt (siehe dort § 52 Rz. 41). Die Satzung kann eine totale oder quotale Mindestpräsenz als weiteres Erfordernis i. S. von § 133 Abs. 1 bestimmen, was unter Umständen bei personalistisch strukturierten AG, nicht aber bei Publikumsgesellschaften, zweckmäßig ist.17) Verlangt die Satzung eine Mindestpräsenz, zählen nur stimmberechtigte Aktien. Wenn die Mindestpräsenz höher als die Gesamtzahl der stimmberechtigten Aktien ist, genügt aber die Anwesenheit aller stimmberechtigten Aktien.18) Bei Bestehen einer Mindestpräsenz muss der Versammlungsleiter zu Beginn einer Versammlung die Beschlussfähigkeit prüfen, wobei die nicht stimmberechtigten Aktionäre und „beschlussunwilligen Gesellschafter“ herauszurechnen sind. Die Beschlussfähigkeit der Hauptversammlung muss – vorbehaltlich anderweitiger Anordnungen durch den Satzungsgeber – nicht nur zu Versammlungsbeginn, sondern auch während der Fortdauer der Versammlung und jeder einzelnen Beschlussfassung gegeben sein.19) b)

Beschlussantrag, Antragsberechtigung und Abstimmungsvorgang

Der Hauptversammlungsbeschluss setzt einen vom Versammlungsleiter zur Abstimmung 9 gestellten Antrag voraus. Ohne Antrag geht die Beschlussfassung ins Leere. Der Antrag _____________ Arnold in: MünchKomm-AktG, § 133 Rz. 9; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 133 Rz. 8. Hölters-Hirschmann, AktG, § 133 Rz. 5; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 133 Rz. 5. Bachmann, NZG 2001, 961 ff. Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 133 Rz. 10 – mit Hinweis auf indirekte Mindestpräsenzen in § 52 Abs. 5 und § 319. 17) Marsch-Barner/Schäfer-Marsch-Barner, Hdb. börsennotierte AG, § 34 Rz. 131. 18) Grundmann in: GroßKomm-AktG, § 133 Rz. 56; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 133 Rz. 11. 19) Leuering/Prüm, Das Quorum in der Hauptversammlung, NJW-Spezial 2017, 79 – 80.

13) 14) 15) 16)

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ist in der Hauptversammlung zu stellen.20) Über einen im Vorfeld angekündigten, aber in der Hauptversammlung nicht gestellten Antrag kann nicht abgestimmt werden. Entbehrlich ist ein formaler Antrag bei der Einmann-AG oder bei Anwesenheit nur eines stimmberechtigten Aktionärs.21) Der Antrag muss so formuliert sein, dass die Abstimmung durch „Ja“ oder „Nein“ möglich ist.22) Die Formulierung des Antrages entscheidet über den Inhalt des Beschlusses, der Beschluss selbst betrifft nur Annahme oder Ablehnung des Antrages. Anträge sind daher so zu formulieren, dass bei positiver Beschlussfassung kein Zweifel am Willen der Hauptversammlung aufkommen kann. Der Antrag ist keine Willenserklärung i. S. von § 116 BGB. Erklärungs- oder Willensmängel haben daher keine Auswirkungen auf die Wirksamkeit des Beschlusses.23) 10 Über den Antrag darf nur abgestimmt werden, wenn der jeweilige Beschlussgegenstand gemäß § 124 Abs. 4 Satz 1 bekannt gemacht wurde. Der Beschluss ist anfechtbar, wenn der Antrag nicht durch den ordnungsgemäß bekannt gemachten Beschlussgegenstand gedeckt ist.24) Dadurch werden abwesende Aktionäre vor Beschlüssen geschützt, mit denen sie nicht rechnen mussten. 11 Antragsberechtigt sind alle an der Hauptversammlung teilnehmenden Aktionäre und Aktionärsvertreter sowie die Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat. Das Antragsrecht des Aktionärs ist Ausfluss seines Teilnahmerechts an der Hauptversammlung, so dass auch Aktionäre ohne Stimmrecht antragsberechtigt sind.25) Beschlussvorschläge können durch die Verwaltung (§ 124 Abs. 3), durch Aktionäre (§§ 122 Abs. 2, 126 Abs. 1) oder aus der Mitte der Hauptversammlung (§ 124 Abs. 4 Satz 2) unterbreitet werden. 12 Bei mehreren Anträgen hat sich die Reihenfolge der Abstimmung – vorbehaltlich der Satzung oder Geschäftsordnung der Hauptversammlung – nach Effizienz- und Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten zu richten. Daher ist über Verfahrensanträge regelmäßig vor den materiellen Anträgen abzustimmen. Bei mehreren Anträgen zu einem Beschlussgegenstand hat der Antrag Vorrang, für den eine Mehrheit zu erwarten ist. Die Entscheidung liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Versammlungsleiters.26) Blockabstimmung über mehrere zusammenhängende Sachfragen – z. B. Zustimmung zu mehreren Unternehmensverträgen – sind jedenfalls zulässig, wenn der Versammlungsleiter zuvor klarstellt, dass bei mehrheitlicher Ablehnung des Blockantrages eine Einzelabstimmung erfolgt und kein anwesender Aktionär dem Verfahren widerspricht.27) Widerspricht ein Aktionär, kann die Hauptversammlung die Blockwahl beschließen.28) Besonderheiten gelten beim Entlastungsbeschluss, da das Gesetz die Gesamtentlastung als Regelfall vorgibt (siehe § 120 Rz. 5). Der Versammlungsleiter kann aber nach freiem Ermessen Einzelentlastung einzelner oder aller Organmitglieder anordnen.29) Eine Verpflichtung zur Durchführung der Einzelentlastung _____________ 20) 21) 22) 23) 24) 25) 26)

Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 133 Rz. 14. Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 133 Rz. 12; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 133 Rz. 9. Arnold in: MünchKomm-AktG, § 133 Rz. 16; Bürgers/Körber-Holzborn, AktG, § 133 Rz. 4. Austmann in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 40 Rz. 4; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 133 Rz. 12. K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 133 Rz. 11. Grundmann in: GroßKomm-AktG, § 133 Rz. 49; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 133 Rz. 9. LG Hamburg, Urt. v. 8.6.1995 – 405 O 203/94, AG 1996, 233; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 133 Rz. 19; LG München I, Urt. v. 31.3.2016 – 5 HK O 14432/15, ZIP 2016, 973, dazu EWiR 2016, 463 (v. d. Linden), hierzu auch Schulteis, GWR 2016, 398 (Urteilsanm.). 27) BGH, Urt. v. 21.7. 2003 – II ZR 109/02, ZIP 2003, 1788, dazu EWiR 2003, 1113 (Radlmayr); LG München I, Urt. v. 15.4.2004 – 5 HK O 10813/03, ZIP 2004, 853; nach OLG München, Urt. v. 27.8.2008 – 7 U 5678/07, ZIP 2008, 1916 – ist der Hinweis des Versammlungsleiters entbehrlich. 28) LG München I, Urt. v. 15.4.2004 – 5 HK O 10813/03, ZIP 2004, 853. 29) BGH, Beschl. v. 7.12.2009 – II ZR 63/08, ZIP 2010, 879, dazu EWiR 2010, 441 (Kort); BGH, Urt. v. 21.9.2009 – II ZR 174/08, ZIP 2009, 2051, dazu EWiR 2010, 1 (Priester); Hoffmann, NZG 2010, 290, 291; a. A. Bungertin: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 35 Rz. 24; einschränkend auch OLG München, Urt. v. 17.03.1995 – 23 U 5930/94, NJW-RR 1996, 159.

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besteht vorbehaltlich der Satzung oder Geschäftsordnung der Hauptversammlung gemäß § 120 Abs. 1 Satz 2 nur, wenn die Hauptversammlung oder ein Aktionärsquorum es verlangt. c)

Stimmrechtsausübung, Stimmabgabe und Widerruf

An der Beschlussfassung dürfen nur stimmberechtigte Aktionäre mitwirken. Nach § 12 13 Abs. 1 Satz 1 gewährt jede Aktie eine Stimme; einzige Ausnahme sind stimmrechtslose Vorzugsaktien nach § 139. Eine Abspaltung des Stimmrechts von der Aktie ist unzulässig, weshalb das Stimmrecht nicht isoliert übertragen werden kann (Abspaltungsverbot).30) Die Stimmrechtsausübung durch Dritte mittels Vollmacht ist zulässig (siehe § 134 Rz. 16 und § 135 Rz. 2). Die Stimmabgabe durch einen vollmachtlosen Vertreter ist nichtig und wird nicht durch eine nachträgliche Genehmigung geheilt.31) Stimmbindungsverträge oder andere Vereinbarungen, in denen der Aktionäre sich verpflichtet sein Stimmrecht in bestimmter Weise auszuüben, sind – mit Einschränkungen – zulässig (siehe § 136 Rz. 21 ff.). Das Stimmrecht kann gemäß § 20 Abs. 7, § 71b, § 134 Abs. 2, § 136 Abs. 1, § 328 sowie §§ 33 ff. WpHG oder §§ 35, 59 WpÜG ausgeschlossen sein. Daneben können auch nicht geregelte „bewegliche Schranken“ aus der Treuepflicht und dem Gleichbehandlungsgebot eingreifen.32) Zwar sind Aktionäre bei der Entscheidung über ihre Stimmrechtsausübung grundsätzlich frei, aus der Treuepflicht kann sich aber ausnahmsweise eine Pflicht für ein bestimmtes Stimmverhalten – z. B. Zustimmung zu erforderlichen Kapital- oder Sanierungsmaßnahmen – ergeben.33) Unter Verstoß gegen einen Stimmrechtsausschluss oder gegen bewegliche Schranken abgegebene Stimmen sind nichtig34) (siehe § 136 Rz. 20). Das Stimmrecht kann für jede Aktie separat ausgeübt werden; Aktionäre mit mehreren 14 Aktien können daher teils mit Ja, teils mit Nein stimmen.35) Zulässig ist insbesondere die unterschiedliche Ausübung der Stimmrechte für mehrere Vollmachtgeber durch einen gemeinsamen Bevollmächtigten. Die uneinheitliche Stimmabgabe bei mehreren Stimmen aus einer Aktie (Mehrstimmrechte) ist unzulässig.36) Die Ausübung des Stimmrechts erfolgt durch Stimmabgabe in der Hauptversammlung 15 (zur Form der Stimmabgabe: siehe § 134 Rz. 27 ff.). Der Aktionär kann für den Antrag (Ja-Stimme) oder dagegen (Nein-Stimme) stimmen oder sich der Stimme enthalten. Eine Stimmenthaltung gilt nicht als Stimmabgabe.37) Die Stimmabgabe ist eine Willenserklärung, §§ 104 ff. daher anwendbar, wobei die Anwendbarkeit der §§ 119 ff. BGB nicht abschließend geklärt ist.38) Die Stimmabgabe wird nach § 130 Abs. 1 BGB mit Zugang beim Versammlungsleiter bzw. nach § 164 Abs. 3 BGB beim Abstimmungshelfer als dessen Vertreter wirksam.39) Bei Online-Teilnahme oder Briefwahl wird die Stimmabgabe mit Zugang bei der Gesellschaft wirksam.40) Mit dem Zugang ist der Aktionär an seine Stimmabgabe gebunden und ein Widerruf gemäß § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB ist ausgeschlossen. Der Auffassung, ein _____________ 30) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 133 Rz. 14; Hölters-Hirschmann, AktG, § 133 Rz. 15. 31) Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 39 Rz. 50; Semler/Asmus, NZG 2004, 881, 891; a. A. Hartmann, DNotZ 2002, 253 ff.; für Einmann-AG auch Bachmann, NZG 2001, 961, 969. 32) LG Berlin, Urt. v. 9.9.2011 – 100 O 35/11, ZIP 2012, 1034 = BeckRS 2012, 11054; Zöllner in: KölnKomm-AktG, § 133 Rz. 233 ff.; K. Schmidt, GesR, § 21 II. 3. 33) BGH, Urt. v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, ZIP 1995, 819; dazu Flume, ZIP 1996, 661. 34) Semler/Asmus, NZG 2004, 881. 35) Zöllner in: KölnKomm-AktG, § 133 Rz. 100 ff.; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 133 Rz. 19. 36) Arnold in: MünchKomm-AktG, § 133 Rz. 27; Hölters-Hirschmann, AktG, § 133 Rz. 21. 37) BGH, Urt. v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, ZIP 1995, 819; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 133 Rz. 15. 38) Kritisch Heidel-Pluta, AktR, § 133 AktG Rz. 7; ausführlich Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 133 Rz. 21. 39) Heidel-Pluta, AktR, § 133 AktG Rz. 7; Austmann in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 40 Rz. 16. 40) Ausführlich dazu: Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 133 Rz. 20; Noack, NZG 2008, 441, 445.

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Widerruf aus wichtigem Grund sei auch nach Zugang möglich,41) ist nicht zu folgen, da eine Begründung für die Abweichung vom Wortlaut des § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht existiert.42) d)

Ermittlung des Abstimmungsergebnisses

16 Nach erfolgter Abstimmung ist das Abstimmungsergebnis zu ermitteln. Die Ermittlung des Abstimmungsergebnisses ist Aufgabe des Versammlungsleiters, der Hilfspersonen und technische Hilfsmittel einsetzen darf. Bei der Ermittlung des Abstimmungsergebnisses sind nur gültige Stimmen zu berücksichtigen. Wegen Stimmrechtsauschluss bzw. treuwidriger Stimmabgabe (siehe Rz. 13) oder wegen allgemeiner Willensmängel nichtige sowie wegen fehlender Eindeutigkeit oder formaler Fehler bei der Stimmabgabe (z. B. handschriftlicher Stimmzettel statt vorgesehener Stimmkarte) ungültige Stimmen, sind nicht zu berücksichtigen.43) Der Versammlungsleiter ist berechtigt, die Gültigkeit der Stimme zu prüfen und ungültige Stimmen zurückzuweisen. Eine Pflicht zur Zurückweisung besteht nur bei offensichtlicher Nichtigkeit oder Ungültigkeit.44) Werden nichtige oder ungültige Stimmen zu Unrecht mitgezählt und waren sie für das Beschlussergebnis entscheidend, ist der Beschuss anfechtbar. Wäre er auch ohne fehlerhafte Stimmen zustande gekommen, ist er uneingeschränkt wirksam. Auch ein „stimmloser“ Beschluss, bei dem alle Stimmen nichtig oder ungültig waren, ist nur anfechtbar und wird mit Ablauf der Anfechtungsfrist endgültig rechtskräftig.45) 17 Für die Stimmauszählung stehen zwei Methoden zur Verfügung. Bei der Additionsmethode werden Ja-Stimmen und Nein-Stimmen ausgezählt. Bei der Subtraktionsmethode regelmäßig nur Nein-Stimmen und Enthaltungen. Die Ja-Stimmen werden dann durch Abzug der Nein-Stimmen und der Enthaltungen von der Präsenz ermittelt. Dadurch gelten nicht abgegebene Stimmen als Ja-Stimmen, worauf der Versammlungsleiter ausdrücklich hinweisen muss.46) Die Subtraktionsmethode ist gesetzeskonform und bedeutet keine Verletzung des Sachlichkeitsgebots durch den Versammlungsleiter.47) Voraussetzung für ein korrektes Ergebnis ist bei der Subtraktionsmethode, dass die Präsenz vor jeder Beschlussfassung exakt festgestellt wird.48) Der Festlegung des Präsenzbereichs und der Einund Ausgangskontrolle kommt daher gesteigerte Bedeutung zu. Dabei kann nach überzeugender, aber umstrittener Auffassung auch der außerhalb des eigentlichen Versammlungssaal liegende Bereich (Buffet, Waschräume etc.) als Präsenzbereich definiert werden.49) Welcher Zeitpunkt für die Präsenzfeststellung maßgeblich ist – die besseren Argumente sprechen dafür, auf das Ende des Abstimmungsvorgangs abzustellen – ist nicht abschlie_____________ 41) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 133 Rz. 18. 42) Arnold in MünchKomm-AktG, § 133 Rz. 26 (anders noch Volhard in der Vorauflage); Austmann in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 40 Rz. 16; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 133 Rz. 21; Heidel-Pluta, AktR, § 133 AktG Rz. 7; Hölters-Hirschmann, AktG, § 133 Rz. 20; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 133 Rz. 19. 43) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 133 Rz. 29; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 133 Rz. 28. 44) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 133 Rz. 27; Marsch-Barner/Schäfer-Marsch-Barner, Hdb. börsennotierte AG, § 34 Rz. 108. 45) BGH, Urt. v. 24.4.2006 – II ZR 30/05, ZIP 2006, 1134, dazu EWiR 2006, 449 (Wilsing/Goslar); OLG Dresden, Urt. v. 11.1.2005 – 2 U 1728/04, ZIP 2005, 573, dazu EWiR 2005, 369 (Theusinger/Klein); LG Berlin, Urt. v. 9.9.2011 – 100 O 35/11, ZIP 2012, 1034 = BeckRS 2012, 11054; Spindler/StilzRieckers, AktG, § 133 Rz. 50; a. A. Semler/Asmus, NZG 2004, 881. 46) Grundmann in: GroßKomm-AktG, § 133 Rz. 130; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 133 Rz. 24. 47) LG München I, Urt. v. 31.3.2016 – 5 HK O 14432/15, ZIP 2016, 973, dazu EWiR 2016, 463 (v. d. Linden), hierzu auch Schulteis, GWR 2016, 398 (Urteilsanm.). 48) OLG Hamm, Urt. v. 27.5.2003 – 27 U 106/02, NZG 2003, 924, OLG Frankfurt/M., Urt. v. 21.3.2006 – 10 U 17/05, ZIP 2007, 232; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 133 Rz. 24. 49) Bejahend Hölters-Hirschmann, AktG, § 133 Rz. 28 und Max, AG 1991, 77 ff.; zurückhaltend Arnold in: MünchKomm-AktG, § 133 Rz. 32; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 133 Rz. 24.

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ßend geklärt.50) Während der Abstimmung hinzukommende Aktionäre sollten in die Präsenzliste aufgenommen und ihre Stimmen berücksichtigt werden. Sofern Aktionäre den Präsenzbereich während der Abstimmung verlassen, ohne zuvor eine Stimme abgegeben oder einen Dritten bevollmächtigt zu haben, sind sie aus der Präsenzliste zu streichen. Der Versammlungsleiter bzw. die Auslasskontrolle sollte die Aktionäre auf diese Handhabung hinweisen. Aus Vorsichtsgründen sollten Präsenzveränderungen während des Abstimmungsvorgangs aber vermieden werden. Da die Subtraktionsmethode wegen der erforderlichen Präsenzfeststellung fehleranfälliger ist, empfiehlt sich bei kritischen Hauptversammlungen die Additionsmethode. Zumal das Problem der langen Auszähldauer durch elektronische Abstimmgeräte an Bedeutung verloren hat. Unabhängig von praktischen Gesichtspunkten sind sowohl Additionsmethode als auch Subtraktionsmethode zulässig.51) Die Auswahl obliegt – vorbehaltlich von Satzung, Geschäftsordnung der Hauptversammlung oder eines Hauptversammlungsbeschlusses – dem Versammlungsleiter.52) e)

Beschlussfeststellung und Protokollierung

Nachdem das Abstimmungsergebnis ermittelt wurde, muss der Versammlungsleiter den ge- 18 fassten Beschluss feststellen. Die Feststellung hat konstitutive Wirkung, der Beschluss gilt erst mit seiner Feststellung als gefasst. Dies gilt grundsätzlich auch bei einer Vollversammlung i. S. des § 121 Abs. 6. Eine formale Feststellung ist entbehrlich, wenn nur ein einziger Aktionär an der Hauptversammlung teilnimmt, also insbesondere bei der Einmann-AG.53) Damit der Versammlungsleiter den Beschluss feststellen kann, muss er die für den Beschlussgegenstand nach Gesetz und Satzung erforderliche Mehrheit ermitteln54) und vergleichen, ob die erforderliche Mehrheit für den Beschlussantrag gestimmt hat (siehe dazu Rz. 22 ff.). Die Beschlussfeststellung erfolgt, indem der Versammlungsleiter das Beschlussergebnis 19 gegenüber der Hauptversammlung verkündet. Eine Feststellung ist auch erforderlich, wenn der Beschluss abgelehnt und daher kein materieller Beschluss (siehe Rz. 5) gefasst wurde.55) Zur Feststellung muss der Versammlungsleiter das Ergebnis der Beschlussfassung verkünden. Er muss mitteilen, ob die erforderliche Mehrheit erreicht bzw. der Beschlussantrag angenommen oder die Mehrheit nicht erreicht bzw. der Beschlussantrag abgelehnt wurde. Teilweise werden auch Angaben über die Gesamtzahl der abgegebenen Stimmen sowie der Ja- und Nein-Stimmen für erforderlich erachtet.56) Nachdem § 130 Abs. 2 Satz 2 nunmehr für börsennotierte Gesellschaften ausdrücklich die Angabe konkreter Abstimmungsergebnisse verlangt (siehe § 130 Rz. 53 ff.), gilt im Umkehrschluss, dass bei nicht börsennotierten Gesellschaften die konkreten Abstimmungsergebnisse nicht ver_____________ 50) Vgl. Gutachten des DNotI, DNotI-Report 2002, 169 ff.; Semler/Volhard/Reichert-Pickert, ArbHdb. HV, § 9 Rz. 53 ff. 51) BGH, Beschl. v. 19.9.2002 – V ZB 37/02, ZIP 2003, 437, 438 ff., dazu EWiR 2003, 39 (Eckardt); OLG Hamm, Urt. v. 27.5.2003 – 27 U 106/02, NZG 2003, 924; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 21.3.2006 – 10 U 17/05, ZIP 2007, 232; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 133 Rz. 24; Bürgers/Körber-Holzborn, AktG, § 133 Rz. 12. 52) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 133 Rz. 22; Grundmann in: GroßKomm-AktG, § 133 Rz. 94; abw. Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 133 Rz. 24, der Vorgaben durch Satzung, Geschäftsordnung oder Hauptversammlungsbeschluss für unzulässig erachtet. 53) Grundmann in: GroßKomm-AktG, § 133 Rz. 132; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 133 Rz. 48; Ott, Die Hauptversammlung einer Einpersonen-Aktiengesellschaft, RNotZ 2014, 423, 426 f. 54) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 133 Rz. 50; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 133 Rz. 75. 55) Heidel-Pluta, AktR, § 133 AktG Rz. 3. 56) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 133 Rz. 38 mit Hinweis auf BGH, Urt. v. 4.7.1994 – II ZR 114/93, ZIP 1994, 1171, die Entscheidung behandelt jedoch die erforderlichen Angaben in der notariellen Niederschrift und nicht die Angaben bei der Feststellung durch den Versammlungsleiter.

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kündet werden müssen.57) Die freiwillige Verkündung konkreter Ergebnisse ist aber zulässig. Bei börsennotierten Gesellschaften sind konkrete Angaben nach § 130 Abs. 2 Satz 3 entbehrlich, wenn kein Aktionär eine umfassende Feststellung verlangt. 20 Sofern der Beschluss angenommen wird, muss die Feststellung hinsichtlich des materiellen Inhalts des Beschlusses eindeutig sein. Es genügt wenn auf den bekannt gemachten Beschlussvorschlag Bezug genommen wird, die Verlesung des vollständigen Wortlauts ist nicht erforderlich.58) Zusätzliche Angaben über die materiellen Folgen des Beschlusses oder sonstige erläuternde Angaben sind zulässig, aber nicht erforderlich. 21 Mit Feststellung des Beschlusses durch den Versammlungsleiter gilt der Beschluss als mit dem verkündeten Inhalt gefasst. Da die Feststellung konstitutiv wirkt, gilt dies auch wenn die Feststellung des Versammlungsleiters vom tatsächlichen Beschluss abweicht.59) Ein fälschlicherweise festgestellter Beschluss ist – sofern kein Nichtigkeitsgrund vorliegt – wirksam und kann nur durch eine Anfechtungsklage beseitigt werden. Sofern der Versammlungsleiter zu Unrecht die Ablehnung des Beschlusses festgestellt hat, kann das tatsächliche Beschlussergebnis durch Anfechtungs- und Beschlussfeststellungsklage hergestellt werden, ohne dass es eines neuen Hauptversammlungsbeschlusses bedarf.60) 22 Jeder festgestellte Beschluss muss in einer Niederschrift über die Hauptversammlung protokolliert werden. Bei börsennotierten Gesellschaften muss die Protokollierung durch einen Notar erfolgen, bei nicht börsennotierten Gesellschaften genügt gemäß § 130 Abs. 1 Satz 3 unter Umständen eine Protokollierung durch den Versammlungsleiter (siehe § 130 Rz. 25 ff.). Zweck der Protokollierung ist die Dokumentation der Willensbildung der Aktionäre.61) Die Protokollierung ist konstitutiver Teil der Beschlussfeststellung. Der Beschluss wird erst durch Unterzeichnung der Niederschrift durch die zuständige Person wirksam.62) Der Inhalt der Niederschrift und die beizufügenden Anlagen müssen den Anforderungen des § 130 Abs. 2 und 3 genügen. Bei einer Einmann-AG gelten reduzierte Anforderungen.63) III.

Mehrheitserfordernisse nach Gesetz und Satzung

23 Voraussetzung für das Zustandekommen eines materiellen Hauptversammlungsbeschlusses ist, dass der Beschlussantrag mit erforderlicher Mehrheit angenommen wird. Nach § 133 Abs. 1 ist – abgesehen von Wahlbeschlüssen (siehe Rz. 27) – stets mindestens die Mehrheit der abgegebenen Stimmen (einfache Mehrheit) erforderlich. Die Satzung kann nach § 133 Abs. 1 höhere Anforderungen festlegen, ein Unterschreiten der einfachen Mehrheit ist nicht zulässig. Grundsätzlich genügt einfache Mehrheit, wenn weder Gesetz noch Satzung zusätzliche Erfordernisse aufstellen. Nur bei „Holzmüller-Beschlüssen“ verlangt die Rechtsprechung zusätzlich eine Kapitalmehrheit (siehe § 119 Rz. 33). Bei den meisten Beschlussgegenständen lässt das Gesetz die einfache Mehrheit ausreichen.64) _____________ 57) So auch Fassbender, RNotZ 2009, 425, 444; Happ/Groß-Zimmermann, AktienR, Nr. 10.17 Rz. 37 m. w. N. 58) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 133 Rz. 49. 59) Arnold in: MünchKomm-AktG, § 133 Rz. 73; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 133 Rz. 50. 60) BGH, Urt. v. 13.3.1980 – II ZR 54/78, NJW 1980, 1465, 1467 f.; K. Schmidt, GesR, § 28 IV e) bb). 61) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 133 Rz. 51; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 41 Rz. 1. 62) BGH, Urt. v. 4.7.1994 – II ZR 114/93, ZIP 1994, 1171; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 133 Rz. 48. 63) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 133 Rz. 44; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 41 Rz. 10. 64) Vgl. Übersicht bei Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 133 Rz. 32.

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Die einfache Mehrheit ist erreicht, wenn die Zahl der gültigen Ja-Stimmen die Zahl der 24 gültigen Nein-Stimmen um wenigstens eine Stimme übersteigt. Bei Gleichstand zwischen Ja- und Nein-Stimmen (Patt) gilt der Antrag als abgelehnt. Stimmenthaltungen gelten nicht als abgegebene Stimmen und sind daher bei der Feststellung der Mehrheit nicht zu berücksichtigen und gelten insbesondere nicht als Nein-Stimmen.65) Ebenso sind nichtige oder ungültige Stimmen unbeachtlich (siehe Rz. 12). Das Gesetz oder die Satzung können zusätzliche Erfordernisse vorsehen, die bei einzelnen 25 Beschlussgegenständen zur stets erforderlichen einfachen Mehrheit hinzutreten. Das Gesetz kennt qualifizierte Stimmenmehrheit (§ 103 Abs. 1 Satz 2), Einstimmigkeit (z. B. § 233 Abs. 1 UmwG), einfache oder qualifizierte Kapitalmehrheit (§ 179 Abs. 2), Zustimmung einzelner oder aller Aktionäre (§ 180), Zustimmung bestimmter Aktionärsgruppen durch Sonderbeschluss (§ 141) sowie das Unterbleiben eines Widerspruchs durch ein bestimmtes Quorum (§ 93 Abs.4 Satz 3). Das häufigste zusätzliche Erfordernis ist die zusätzliche Kapitalmehrheit.66) Bei Kapitalmehrheit stellt das Gesetz nicht auf eingetragenes oder in der Hauptversammlung vertretenes Grundkapital, sondern auf „in der Beschlussfassung“ vertretenes Grundkapital ab. In der Beschlussfassung vertreten sind Aktien, für die bei der Beschlussfassung eine gültige Stimme abgegeben wird.67) Enthaltungen, nicht abgegebene, nichtige oder ungültige Stimmen zählen nicht. Sind stimmrechtslose Vorzugsaktien stimmberechtigt (siehe § 140 Rz. 8 ff.) und wird das Stimmrecht ausgeübt, gelten sie als in der Beschlussfassung vertreten. Die Satzung kann grundsätzlich beliebig zusätzliche Erfordernisse schaffen, diese er- 26 weitern und ergänzen. Insbesondere kann die Satzung die erforderliche Mehrheit bis zur Einstimmigkeit anheben. Die Erhöhung der Mehrheitserfordernisse ist aber ausgeschlossen, soweit das Gesetz ausdrücklich die einfache Mehrheit vorgibt (§§ 103 Abs. 2 Satz 2, 113 Abs. 1 Satz 4, 142 Abs. 1 Satz 1, 147 Abs. 1).68) Neben höheren Mehrheitserfordernissen oder zusätzlicher Kapitalmehrheiten kann die Satzung auch ein Zustimmungserfordernis aller Aktionäre vorsehen; nicht aber Zustimmungsvorbehalte zugunsten einzelner Aktionäre, anderer Organe oder Dritter.69) Auch zusätzliche materielle Anforderungen, z. B. Erfordernis sachlicher Rechtfertigung oder das Aushebeln des Mehrheitsprinzips durch Los- oder Stichentscheid bei Pattsituation, sind unzulässig.70) Die Satzung kann aber Mindestteilnehmerquoten für die Hauptversammlung oder die Beschlussfassung festlegen (siehe Rz. 8). Auch die Reduzierung gesetzlich geregelter zusätzlicher Erfordernisse durch die Satzung 27 ist teilweise möglich, z. B. bei § 179 Abs. 2 Satz 1 oder § 182 Abs. 1 Satz 2. Die allgemeine Klausel, wonach Hauptversammlungsbeschlüsse „soweit zulässig mit einfacher Mehrheit gefasst werden“ reicht dafür aber nach h. M. nicht; sofern eine Satzungsklausel nicht eindeutig ist, gilt im Zweifel die gesetzliche Regelung.71)

_____________ 65) 66) 67) 68)

BGH, Urt. v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, ZIP 1995, 819; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 133 Rz. 12. Vgl. Übersicht bei Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 133 Rz. 37. Grundmann in: GroßKomm-AktG, § 133 Rz. 108; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 133 Rz. 30. Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 133 Rz. 44; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 133 Rz. 15; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 133 Rz. 60. 69) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 133 Rz. 36; Grundmann in: GroßKomm-AktG, § 133 Rz. 123; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 133 Rz. 64. 70) Arnold in: MünchKomm-AktG, § 133 Rz. 65; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 133 Rz. 46. 71) BGH, Urt. v. 29.6.1987 – II ZR 242/86, 1987, 1176 = NJW 1988, 260; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 133 Rz. 45.

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§ 133 IV.

Grundsatz der einfachen Stimmenmehrheit Wahlen

28 Für Wahlbeschlüsse gelten gleiche Vorgaben wie für sonstige Hauptversammlungsbeschlüsse, insbesondere auch das Prinzip der einfachen Stimmenmehrheit (§ 133 Abs. 1). Gemäß § 133 Abs. 2 kann die Satzung aber für Wahlen andere Bestimmungen treffen, insbesondere auch eine geringere Mehrheit als einfache Stimmenmehrheit genügen lassen. Wahlentscheidungen i. S. von § 133 Abs. 2 sind grundsätzlich alle Personalentscheidungen durch die Hauptversammlung. § 133 Abs. 2 gilt also für die Aufsichtsratswahl (§101 Abs. 1), die Wahl des Abschlussprüfers (§ 318 HGB) und die Wahl des Abwicklers (§ 265 Abs. 2).72) Auch die Wahl zum Sonderprüfer (§ 142 Abs. 1) und zum besonderen Vertreter (§ 147 Abs. 1) sind Personalentscheidungen, da aber das Gesetz in diesen Fällen ausdrücklich das Erfordernis der einfachen Stimmenmehrheit regelt, kann die Satzung weder höhere (siehe Rz. 25) noch niedrigere Mehrheiten anordnen. Da nach h. M. die ausdrückliche Anordnung der einfachen Stimmenmehrheit in einer Spezialregelung der allgemeinen Erlaubnis zur statutarischen Festlegung höherer Mehrheitserfordernisse in § 133 Abs. 1 vorgeht, muss dies auch für die allgemeine Erlaubnis zur statutarischen Festlegung niedrigerer Mehrheitserfordernisse bei Wahlen in § 133 Abs. 2 gelten. 29 Der weite Rahmen des § 133 Abs. 2 erlaubt grundsätzlich Satzungsregelungen, die vom Einstimmigkeitserfordernis bis zur relativen Mehrheit reichen.73) Bei Wahl durch relative Mehrheit ist der Kandidat gewählt, für den die meisten Stimmen abgegeben wurden, auch wenn absolut betrachtet, die Mehrheit gegen ihn gestimmt hat.74) Die Satzung kann bei Stimmengleichheit einen Losentscheid vorsehen.75) Die Zulässigkeit der Einführung eines Stichentscheids durch einzelne Personen ist umstritten. Die h. M. hält jedenfalls den Stichentscheid durch außenstehende Dritte für unzulässig, da die Wahl anderenfalls fremdbestimmt wäre.76) Außerdem steht solchen Klauseln der Grundsatz „kein Stimmrecht ohne Aktie“ (siehe § 12 Rz. 3) entgegen. Ob die Satzung ein Stichentscheidungsrecht eines Aktionärs vorsehen kann, ist strittig. Ein satzungsmäßiges Stichentscheidungsrecht zugunsten eines bestimmten Aktionärs ist nach richtiger Auffassung unzulässig, da das Verbot der Mehrstimmrechte (§ 12 Abs. 2) unterlaufen würde.77) Teilweise wird ein Stichentscheid durch den Versammlungsleiter für zulässig erachtet, sofern dieser Aktionär ist.78) Alternativ wird die Wahl des zum Stichentscheid befugten Aktionärs durch die Hauptversammlung vorgeschlagen.79) Im Ergebnis erscheint die Einführung eines Losentscheids – ggf. mit vorgeschaltetem zweitem Wahlgang80) – als sinnvollster Weg zur Lösung von Patt-Situationen. Nach h. M. ist auch die Verhältniswahl, bei der in einem Wahlgang gleichzeitig mehrere Personen in der Reihenfolge der für sie abgegebenen Stimmen gewählt

_____________ 72) Hölters-Hirschmann, AktG, § 133 Rz. 44. 73) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 133 Rz. 50; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 133 Rz. 91; Austmann in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 40 Rz. 83. 74) Zöllner in: KölnKomm-AktG, § 133 Rz. 173. 75) BGH, Urt. v. 14.11.1988 –II ZR 82/88, ZIP 1989, 163 = NJW 1989, 904; Zöllner in: KölnKommAktG, § 133 Rz. 172; a. A. nur Heidel-Pluta, AktR, § 133 AktG Rz. 14 – ohne nähere Begründung. 76) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 133 Rz. 55; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 133 Rz. 92; HöltersHirschmann, AktG, § 133 Rz. 46; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 133 Rz. 32; Heidel-Pluta, AktR, § 133 AktG Rz. 14; a. A. Austmann in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 40 Rz. 84. 77) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 133 Rz. 55; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 133 Rz. 51; a. A. Zöllner in: KölnKomm-AktG, § 133 Rz. 172; differenzierend Arnold in: MünchKomm-AktG, § 133 Rz. 92. 78) Grundmann in: GroßKomm-AktG, § 133 Rz. 126; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 133 Rz. 51. 79) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 133 Rz. 51. 80) So der Vorschlag von K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 133 Rz. 52.

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Grundsatz der einfachen Stimmenmehrheit

§ 133

werden, zulässig.81) Dadurch wird die Chance erhöht, dass auch Vertreter von Minderheitsaktionären gewählt werden. Verbreitet und auch zulässig (siehe Rz. 11) ist die sog. Listenwahl bzw. Blockwahl.82) 30 Die Zulässigkeit kann durch Satzung bestätigt werden.83) Bei der Listenwahl wird mit einer Abstimmung über die Besetzung aller vakanter Posten entschieden; die Wahl kann nur einheitlich für alle Kandidaten angenommen oder abgelehnt werden. Findet ein Listenwahlantrag keine Mehrheit, muss über den Kandidaten per Einzelwahl abgestimmt werden.84) Ein Aktionär hat keinen Anspruch auf Einzelwahl; er kann nur gegen den Listenwahlantrag stimmen und durch mehrheitliche Ablehnung des Listenwahlantrages die Einzelwahl herbeiführen. Ein entsprechender Hinweis des Versammlungsleiters ist nicht erforderlich, sollte aber aus Vorsichtsgründen erfolgen.85) Für börsennotierte Gesellschaften enthält Ziff. 5.4.3 Satz 1 DCGK die Empfehlung Aufsichtsratswahlen per Einzelwahl durchzuführen. Werden bei der Wahl für den Aufsichtsrat mehrere Kandidaten für eine freie Position 31 vorgeschlagen, entscheidet der Versammlungsleiter über das Wahlverfahren nach pflichtgemäßem Ermessen. Dabei ist insbesondere der aktienrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten, der verlangt, dass bei Abstimmungen grundsätzlich jede Stimme die gleichen Erfolgschancen hat. Ein Verstoß führt zur Anfechtbarkeit des Wahlbeschlusses. Der Versammlungsleiter kann als Erstes denjenigen Vorschlag zur Abstimmung stellen, dem er die größten Erfolgsaussichten einräumt.86) Insbesondere beim Sukzessivwahlverfahren besteht eine immanente Gefahr der Ungleich- 32 behandlung, da die Abstimmungsreihenfolge das Wahlergebnis beeinflussen kann. Das Alternativwahlverfahren verstößt nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, jedoch besteht dabei ein erhöhtes Risiko, dass keine der zur Abstimmung gestellten Kandidaten die erforderliche Mehrheit der abgegebenen Stimmen (in der Regel einfache Mehrheit) erhält. Die Simultanwahl stellt daher das rechtssicherste und in der Regel auch zweckmäßigste Abstimmungsverfahren dar.87) Bei der Simultanwahl handelt es sich um eine Einzelwahl, die in einem Abstimmungsvor- 33 gang zusammengefasst wird, ohne dass dies etwas am Charakter der Einzelwahl ändert. Die Simultanwahl verletzt nicht Ziff. 5.4.3. des DCGK und führt nicht zur Anfechtbarkeit des Wahlbeschlusses, auch wenn Einzelwahl angekündigt war.88)

_____________ 81) Zöllner in: KölnKomm-AktG, § 133 Rz. 174 ff.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 133 Rz. 33; K. Schmidt/ Lutter-Spindler, AktG, § 133 Rz. 54; Heidel-Pluta, AktR, § 133 AktG Rz. 15; a. A. Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 30 Rz. 15; a. A. Mertens in: KölnKomm-AktG, § 101 Rz. 23. 82) BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 185/07, ZIP 2009, 460, 465 mit Anm. Mutter, dazu EWiR 2010, 343 (Herchen); Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 133 Rz. 57; Fuhrmann, ZIP 2004, 2081, 2085; vgl. auch BGH, Urt. v. 21.7.2003 – II ZR 109/02, ZIP 2003, 1788 – Zulässigkeit von Blockabstimmungen; a. A. Ramm, NJW 1991, 2753, 2754. 83) BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 185/07, ZIP 2009, 460, 465 mit Anm. Mutter. 84) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 133 Rz. 57. 85) BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 185/07, ZIP 2009, 460, 465 mit Anm. Mutter; OLG München, Urt. v. 27.8.2008 – 7 U 5678/07, ZIP 2008, 1916; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 133 Rz. 58; Fuhrmann, ZIP 2004, 2081; a. A. LG München, Urt. v. 15.4.2004 – 5 HK O 10813/03, ZIP 2004, 853; offenlassend BGH, Urt. v. 21.7.2003 – II ZR 109/02, ZIP 2003, 1788. 86) LG München I, Urt. v. 31.3.2016 – 5 HK O 14432/15, ZIP 2016, 973, dazu EWiR 2016, 463 (v. d. Linden), hierzu auch Schulteis, GWR 2016, 398 (Urteilsanm.). 87) Austmann/Rühle, AG 2011, 805. 88) LG München I, Urt. v. 31.3.2016 – 5 HK O 14432/15, ZIP 2016, 973, dazu EWiR 2016, 463 (v. d. Linden), hierzu auch Schulteis, GWR 2016, 398 (Urteilsanm.).

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§ 134

Stimmrecht

§ 134 Stimmrecht (1) 1Das Stimmrecht wird nach Aktiennennbeträgen, bei Stückaktien nach deren Zahl ausgeübt. 2Für den Fall, daß einem Aktionär mehrere Aktien gehören, kann bei einer nichtbörsennotierten Gesellschaft die Satzung das Stimmrecht durch Festsetzung eines Höchstbetrags oder von Abstufungen beschränken. 3Die Satzung kann außerdem bestimmen, daß zu den Aktien, die dem Aktionär gehören, auch die Aktien rechnen, die einem anderen für seine Rechnung gehören. 4Für den Fall, daß der Aktionär ein Unternehmen ist, kann sie ferner bestimmen, daß zu den Aktien, die ihm gehören, auch die Aktien rechnen, die einem von ihm abhängigen oder ihn beherrschenden oder einem mit ihm konzernverbundenen Unternehmen oder für Rechnung solcher Unternehmen einem Dritten gehören. 5Die Beschränkungen können nicht für einzelne Aktionäre angeordnet werden. 6Bei der Berechnung einer nach Gesetz oder Satzung erforderlichen Kapitalmehrheit bleiben die Beschränkungen außer Betracht. (2) 1Das Stimmrecht beginnt mit der vollständigen Leistung der Einlage. 2Entspricht der Wert einer verdeckten Sacheinlage nicht dem in § 36a Abs. 2 Satz 3 genannten Wert, so steht dies dem Beginn des Stimmrechts nicht entgegen; das gilt nicht, wenn der Wertunterschied offensichtlich ist. 3Die Satzung kann bestimmen, daß das Stimmrecht beginnt, wenn auf die Aktie die gesetzliche oder höhere satzungsmäßige Mindesteinlage geleistet ist. 4In diesem Fall gewährt die Leistung der Mindesteinlage eine Stimme; bei höheren Einlagen richtet sich das Stimmenverhältnis nach der Höhe der geleisteten Einlagen. 5Bestimmt die Satzung nicht, daß das Stimmrecht vor der vollständigen Leistung der Einlage beginnt, und ist noch auf keine Aktie die Einlage vollständig geleistet, so richtet sich das Stimmenverhältnis nach der Höhe der geleisteten Einlagen; dabei gewährt die Leistung der Mindesteinlage eine Stimme. 6Bruchteile von Stimmen werden in diesen Fällen nur berücksichtigt, soweit sie für den stimmberechtigten Aktionär volle Stimmen ergeben. 7Die Satzung kann Bestimmungen nach diesem Absatz nicht für einzelne Aktionäre oder für einzelne Aktiengattungen treffen. (3) 1Das Stimmrecht kann durch einen Bevollmächtigten ausgeübt werden. 2Bevollmächtigt der Aktionär mehr als eine Person, so kann die Gesellschaft eine oder mehrere von diesen zurückweisen. 3Die Erteilung der Vollmacht, ihr Widerruf und der Nachweis der Bevollmächtigung gegenüber der Gesellschaft bedürfen der Textform, wenn in der Satzung oder in der Einberufung auf Grund einer Ermächtigung durch die Satzung nichts Abweichendes und bei börsennotierten Gesellschaften nicht eine Erleichterung bestimmt wird. 4Die börsennotierte Gesellschaft hat zumindest einen Weg elektronischer Kommunikation für die Übermittlung des Nachweises anzubieten. 5 Werden von der Gesellschaft benannte Stimmrechtsvertreter bevollmächtigt, so ist die Vollmachtserklärung von der Gesellschaft drei Jahre nachprüfbar festzuhalten; § 135 Abs. 5 gilt entsprechend. (4) Die Form der Ausübung des Stimmrechts richtet sich nach der Satzung. Literatur: Bayer/Scholz, Der Legitimationsaktionär – Aktuelle Fragen aus der gerichtlichen Praxis, NZG 2013, 721; Bunke, Fragen der Vollmachtserteilung nach §§ 134, 135 AktG, AG 2002, 57; Götze, Erteilung von Stimmrechtsvollmachten nach dem ARUG, NZG 2010, 93; Grundmann/ Winkler, Das Aktionärsstimmrecht in Europa und der Kommissionsvorschlag zur Stimmrechtsausübung in börsennotierten Gesellschaften, ZIP 2006, 1421; Habersack, Aktienrecht und Internet, ZHR 165 (2001) 172; Hoffmann, Einzelentlastung, Gesamtentlastung und Stimmverbote im Aktienrecht, NZG 2010, 290; Horn, Änderungen bei der Vorbereitung und Durchführung der Hauptversammlung nach dem Referentenentwurf zum ARUG, ZIP 2008, 1558; Kiefner/Friebel,

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§ 134

Stimmrecht

Stimmrechtsausübung in der Hauptversammlung durch den Vollmachtgeber trotz fortbestehender Bevollmächtigung eines Vertreters?, NZG 2011, 887; Kindler, Der Aktionär in der Informationsgesellschaft, NJW 2001, 1678; v. d. Linden, Wer entscheidet über die Form der Stimmrechtsausübung in der Hauptversammlung, NZG 2012, 930; Martens, Stimmrechtsbeschränkung und Stimmbindungsvertrag im Aktienrecht, AG 1993, 495; Max, Die Leitung der Hauptversammlung, AG 1991, 77; v. Nussbaum, Neue Wege zur Online-Hauptversammlung durch das ARUG, GWR 2009, 215; Otto, Die Verteilung der Kontrollprämie bei Übernahme von Aktiengesellschaften und die Funktion des Höchststimmrechts, AG 1994, 167; Schockenhoff, Proxy Fights, NZG 2015, 657; Wettich, Aktuelle Entwicklungen in der Hauptversammlungssaison 2011 und Ausblick auf 2012, NZG 2011, 721.

Übersicht I. Regelungsgegenstand und -zweck ................................................. 1 II. Stimmkraft ......................................... 3 1. Grundsatz ........................................... 3 2. Höchststimmrechte ........................... 4 a) Überblick ...................................... 4 b) Einführung durch die Satzung ..... 5 c) Ausgestaltung ............................... 8 d) Zurechnung .................................. 9 III. Entstehung des Stimmrechts ......... 12 1. Grundsatz ......................................... 12 2. Abweichende Satzungsregelung ...... 13 3. Auffangregelung ............................... 14 I.

IV. Ausübung des Stimmrechts durch Dritte ..................................... 1. Stimmrechtsinhaber ......................... 2. Stimmrechtsvollmacht, Abspaltungsverbot ................................ a) Person des Bevollmächtigten, Proxy-Voting ............................. b) Erteilung, Erlöschen und Widerruf ..................................... c) Form und Nachweis .................. d) Ermächtigung zur Ausübung des Stimmrechts, Legitimationszession ................................ V. Form der Stimmrechtsausübung ..

15 15 16 18 20 22

26 27

Regelungsgegenstand und -zweck

§ 134 regelt die Stimmrechtsausübung. Das Bestehen des Stimmrechts als unverzichtbares 1 und unentziehbares Recht jedes Inhabers stimmberechtigter Aktien ergibt sich aus § 12 Abs. 1 (siehe § 12 Rz. 2). § 134 enthält ergänzende Regelungen zur Stimmkraft, Entstehung des Stimmrechts, Stimmrechtsausübung durch Dritte und zur Form der Stimmabgabe. Die Vorschrift ist zwingender Natur, so dass sie, mit Ausnahme der ausdrücklich gere- 2 gelten Gestaltungsfreiheit bei formellen Anforderungen an Stimmvollmachten (§ 134 Abs. 3 Satz 3) und der Form der Stimmabgabe (§ 134 Abs. 4), durch die Satzung weder ergänzt noch modifiziert werden kann.1) Insbesondere kann die Satzung keine zusätzlichen Stimmverbote, z. B. bei Verstoß gegen Satzungspflichten, einführen.2) Greift ein Stimmverbot oder Stimmrechtsausschluss (siehe § 133 Rz. 13 und § 136 Rz. 4 ff.), ist § 134 suspendiert. Auf stimmrechtslose Vorzugsaktien (§ 139 Abs. 1) findet § 134 keine Anwendung. II.

Stimmkraft

1.

Grundsatz

§ 134 Abs. 1 regelt die Stimmkraft der Aktien, wobei das Gesetz den Begriff der Stimm- 3 kraft nicht kennt. Die h. M. definiert „Stimmkraft“ als das Gewicht der einzelnen Aktie _____________ 1) 2)

K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 134 Rz. 3; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 134 Rz. 1. Heidel-Pluta, AktR, § 134 AktG Rz. 5; vgl. dazu auch ÖstOGH, Urt. v. 30.8.2000 – 6 Ob 167/00b, NZG 2001, 322.

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§ 134

Stimmrecht

bei Abstimmungen in der Hauptversammlung.3) § 134 Abs. 1 Satz 1 bestimmt als Grundsatz, dass sich das Stimmrecht bei Nennbetragsaktien (§ 8 Abs. 2) nach den Aktiennennbeträgen und bei Stückaktien (§ 8 Abs. 3) nach der Zahl der Aktien bemisst. Die Stimmkraft aus stimmberechtigten Aktien richtet sich daher proportional nach dem Umfang der kapitalmäßigen Beteiligung (Proportionalitätsgrundsatz; zu Ausnahmen siehe Rz. 4 und 12 ff.).4) Bei Stückaktien, die gemäß § 8 Abs. 3 Satz 2 zwingend einen gleichen Anteil am Grundkapital repräsentieren, gilt der Grundsatz „one share, one vote“. Bei Nennbetragsaktien gilt dies, wenn alle Aktien auf den gleichen Nennbetrag lauten. Existieren Aktien mit unterschiedlichen Nennbeträgen (siehe § 8 Rz. 7) entfällt auf jede Aktie mit dem niedrigsten Nennbetrag eine Stimme und auf Aktien mit höheren Nennbeträgen jeweils das entsprechende Vielfache.5) Lassen sich höhere Nennbeträge nicht durch den niedrigsten Nennbetrag teilen, gewährt der größte gemeinsame Divisor eine Stimme. Der Proportionalitätsgrundsatz gilt nicht bei stimmrechtslosen Vorzugsaktien (§ 139 Abs. 1), bei Aktien mit Mehrstimmrecht sowie bei satzungsmäßigen Höchststimmrechten (§ 134 Abs. 1 Satz 2). 2.

Höchststimmrechte

a)

Überblick

4 § 134 Abs. 1 Satz 2 gestattet nicht börsennotierten Gesellschaften die Einführung von Höchststimmrechten. Bei börsennotierten Gesellschaften (§ 3 Abs. 2) sind Höchststimmrechte nicht zulässig. Sofern Aktien nur im Freiverkehr (§ 48 BörsG) gehandelt werden, sind Höchststimmrechte zulässig, da die Gesellschaft nicht als börsennotiert gilt (siehe § 3 Rz. 7). Die Existenz von Höchststimmrechten, aber auch die Beschränkung auf nicht börsennotierte Gesellschaften, sind rechtspolitisch umstritten.6) Werden Höchststimmrechte missachtet, ist die Stimmabgabe insoweit unwirksam und der Beschluss anfechtbar.7) Nach § 134 Abs. 1 Satz 6 gelten Höchststimmrechte nicht bei Kapitalmehrheiten. b)

Einführung durch die Satzung

5 Höchststimmrechte können gemäß § 134 Abs. 2 Satz 1 nur durch Satzung begründet werden. Eine diesbezügliche Ermächtigung von Vorstand oder Aufsichtsrat ist unzulässig; Gleiches gilt, wenn die Hauptversammlung die Einführung von Höchststimmrechten beschließt, dem Vorstand aber die Entscheidung über die Anmeldung zum Handelsregister überlässt.8) Höchststimmrechte können durch die Gründungssatzung oder Satzungsänderung eingeführt werden, wobei Letzteres nach h. M. auch dann keiner Zustimmung einzelner Aktionäre bedarf, wenn deren Beteiligung bereits den zukünftigen Höchstbetrag übersteigt.9) Die Einführung bedarf auch keiner sachlichen Rechtfertigung.10) _____________ 3) 4) 5) 6) 7) 8) 9)

10)

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K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 134 Rz. 6; Bürgers/Körber-Holzborn, AktG, § 134 Rz. 3. Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 134 Rz. 6; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 134 Rz. 4. Arnold in: MünchKomm-AktG, § 134 Rz. 5 mit Bsp.; Hölters-Hirschmann, AktG, § 134 Rz. 8. K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 134 Rz. 16; Grundmann/Winkler, ZIP 2006, 1421; Otto, AG 1994, 167. Hölters-Hirschmann, AktG, § 134 Rz. 22; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 134 Rz. 14. LG Frankfurt/M., Urt. v. 29.1.1990 – 3/1 O 109/89, ZIP 1990, 1406 = AG 1990, 169; HoffmannBecking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 39 Rz. 15. BGH, Urt. v. 19.12.1977 – II ZR 136/76, NJW 1978, 540; OLG Düsseldorf, Urt. v. 21.6.1976 – 6 U 276/75, AG 1976, 215; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 134 Rz. 12; a. A. Zöllner in: KölnKomm-AktG, § 134 Rz. 48; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 134 Rz. 21 – aber nur bei Ungleichbehandlung der Aktionäre. Hölters-Hirschmann, AktG, § 134 Rz. 19; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 134 Rz. 13.

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§ 134

Stimmrecht

Wenn das Höchststimmrecht nur für bestimmte Aktiengattung eingeführt wird (siehe 6 Rz. 8), bedarf es gemäß § 179 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 eines zustimmenden Sonderbeschlusses dieser Gattung, der mit einfacher Stimmenmehrheit und 3/4-Mehrheit des vertretenen Grundkapitals (der jeweiligen Gattung) zustande kommt.11) Höchststimmrechte können durch Satzungsänderung aufgehoben werden. Der Beschluss 7 bedarf der qualifizierten Mehrheit nach § 179 Abs. 2, weitere Erfordernisse bestehen vorbehaltlich abweichender Satzungsregelung nicht.12) Soll nur für eine bestimmte Gattung das geltende Höchststimmrecht aufgehoben werden, bedarf es gemäß § 179 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 eines zustimmenden Sonderbeschlusses jeder bislang begünstigten Gattung.13) c)

Ausgestaltung

Höchststimmrechte können für alle oder nur für bestimmte Beschlussgegenstände gelten.14) 8 Als Obergrenze können bei Nennbetragsaktien ein bestimmter Gesamtnennbetrag oder bei Stückaktien eine bestimmte Gesamtzahl an Aktien festgelegt werden. Alternativ kann auch auf den Anteil am Grundkapital abgestellt werden. Anknüpfungspunkt muss aber stets die Beteiligungshöhe des Aktionärs an der Gesellschaft sein.15) Ein Anknüpfungspunkt, der nicht die Beteiligung betrifft (z. B. Umsatz) ist unzulässig. Beim Betrag der Obergrenze gelten keine Beschränkungen. Sogar die Beschränkung jedes Aktionärs auf eine Stimme ist zulässig („one man, one vote“). Möglich ist auch ein stufenweises Entfallen der Stimmrechte.16) Unzulässig sind allerdings Abstufungen, bei denen sich das Stimmrecht ab einer gewissen Schwelle wieder erhöht.17) Die Beschränkung durch Höchststimmrechte betrifft den Aktionär und nicht die Aktien. Werden die Aktien übertragen, müssen die Voraussetzungen also beim Erwerber neu geprüft werden.18) Ein Höchststimmrecht, welches nur bestimmte Aktionäre erfasst, ist gemäß § 134 Abs. 1 Satz 5 unzulässig; zulässig sind aber nach h. M. Höchststimmrechte nur für bestimmte Aktiengattungen.19) d)

Zurechnung

§ 134 Abs. 1 Satz 3 und Satz 4 ermächtigen den Satzungsgeber durch die Gründungs- 9 satzung oder durch Satzungsänderung die Zurechnung der Aktien Dritter vorzusehen, um die Umgehung von Höchststimmrechten zu verhindern. Das Gesetz sieht keine Zurechnung vor. Durch Aufspaltung des Aktienbesitzes auf mehrere Personen kann daher das Höchststimmrecht umgangen werden. Die Zurechnung aufgrund allgemeiner Grundsätze scheidet nach h. M. ebenso aus wie die analoge Anwendung des § 134 Abs. 1 Satz 3 und Satz 4.20) Die Satzung kann nur die in § 134 Abs. 1 genannten und keine anderen Zurechnungstatbestände begründen. _____________ 11) 12) 13) 14) 15) 16) 17) 18) 19) 20)

Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 134 Rz. 27; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 134 Rz. 23. Grundmann in: GroßKomm-AktG, § 134 Rz. 64; Bürgers/Körber-Holzborn, AktG, § 134 Rz. 7. Arnold in: MünchKomm-AktG, § 134 Rz. 23; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 134 Rz. 14. K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 134 Rz. 19; Hölters-Hirschmann, AktG, § 134 Rz. 12; HeidelPluta, AktR, § 134 AktG Rz. 14. Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 134 Rz. 15; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 134 Rz. 6. Arnold in MünchKomm-AktG, Rz. 9, Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 134 Rz. 16 – jeweils mit Bsp. Zöllner in: KölnKomm-AktG, § 134 Rz. 87 ff.; Bürgers/Körber-Holzborn, AktG, § 134 Rz. 5. K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 134 Rz. 13. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 134 Rz. 12; Arnold in MünchKomm-AktG, Rz. 12; a. A. Zöllner in: KölnKomm-AktG, § 134 Rz. 115 ff. Arnold in: MünchKomm-AktG, § 134 Rz. 14; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 134 Rz. 28; a. A. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 134 Rz. 12.

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Stimmrecht

10 § 134 Abs. 1 Satz 3 erlaubt die Zurechnung von Aktien, die ein Dritter für Rechnung des Aktionärs hält. Entscheidend ist, dass nicht der Dritte, sondern der Aktionär das wirtschaftliche Risiko aus den Aktien trägt.21) Da es auf das wirtschaftliches Risiko ankommt, führen Stimmbindungsverträge nur ausnahmsweise zur Zurechnung.22) § 134 Abs. 1 Satz 4 gestattet das einem unternehmerischen Aktionär Aktien zugerechnet werden, die einem von ihm abhängigen, ihn beherrschenden oder mit ihm konzernverbundenen Unternehmen oder für Rechnung solcher Unternehmen einem Dritten gehören. § 134 Abs. 1 Satz 4 ist eng auszulegen.23) Die Zurechnung kann nur bei Abhängigkeit gemäß § 17 bzw. Beherrschung gemäß § 18 greifen. Eine Mehrheitsbeteiligung alleine genügt nicht, aber die Vermutung des § 17 Abs. 2 gilt unabhängig davon, ob Satzung darauf verweist.24) 11 Folge der Zurechnung ist die Addition der Stimmen aus den zugerechneten Aktien. Die Stimmrechte der betroffenen Aktionäre werden dann gekürzt bis insgesamt die Obergrenze des Höchststimmrechts gewahrt ist. Die Kürzung erfolgt proportional, sofern sich die Betroffenen nicht vor Feststellung des Abstimmungsergebnisses auf eine andere Kürzung einigen.25) III.

Entstehung des Stimmrechts

1.

Grundsatz

12 Gemäß § 134 Abs. 2 Satz 1 entsteht das Stimmrecht mit vollständiger Leistung der Einlage. Die Vorschrift gilt bei Bar- und Sacheinlagen. Damit das Stimmrecht entsteht, muss der gesamte Ausgabebetrag einschließlich des Aufgeldes (§ 9 Abs. 2) geleistet sein; die Leistung nur des eingeforderten Betrages gemäß § 36 AktG genügt vorbehaltlich abweichender Satzungsregelung gemäß § 134 Abs. 2 Satz 3 nicht.26) Die Einlageleistung muss den Vorgaben aus § 54 Abs. 2 und 3 entsprechen und zur freien Verfügung des Vorstandes (siehe § 36 Rz. 15 ff.) stehen. In welcher Höhe die Einlage aufgrund Gesetz, Satzung, Kapitalerhöhungsbeschluss oder Einforderung durch den Vorstand fällig war, spielt keine Rolle, ausschlaggebend ist der tatsächlich eingezahlte Betrag.27) Nach § 134 Abs. 2 Satz 2 gelten verdeckte Sacheinlagen auch bei fehlender Werthaltigkeit als geleistet. Nur wenn eine Überbewertung offensichtlich, also ohne zusätzliche Nachforschungen und ohne jeden Zweifel feststellbar ist, entsteht das Stimmrecht nicht.28) 2.

Abweichende Satzungsregelung

13 Die Satzung kann festlegen, dass das Stimmrecht bereits mit Leistung der gesetzlichen Mindesteinlage gemäß § 36a Abs. 1 oder höherer satzungsmäßiger Mindesteinlage entsteht. Die Satzungsregelung gilt dann zwingend für alle Aktionäre. Sonderregeln sind gemäß § 134 Abs. 2 Satz 7 weder für einzelne Aktionäre noch für Aktionärsgattungen zulässig. Die Satzungsregelung muss an die gesetzliche oder satzungsmäßige Mindesteinlage

_____________ K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 134 Rz. 25; Martens, AG 1993, 495, 500. Arnold in: MünchKomm-AktG, § 134 Rz. 18; Martens, AG 1993, 495, 499. Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 39 Rz. 11; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 134 Rz. 11. Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 134 Rz. 23; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 134 Rz. 26. K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 134 Rz. 27; Hölters-Hirschmann, AktG, § 134 Rz. 17. Hölters-Hirschmann, AktG, § 134 Rz. 23; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 134 Rz. 3. Arnold in: MünchKomm-AktG, § 134 Rz. 3; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 134 Rz. 5; a. A. Hüffer/ Koch-Koch, AktG, § 134 Rz. 16. 28) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 134 Rz. 31; Hölters-Hirschmann, AktG, § 134 Rz. 25.

21) 22) 23) 24) 25) 26) 27)

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Stimmrecht

anknüpfen – andere Beträge können nicht als Maßstab dienen.29) Macht die Satzung davon Gebrauch, richtet sich die Stimmkraft nach der geleisteten Einlage, wobei es nicht auf die Fälligkeit der Einlage ankommt (siehe Rz. 2). Nach § 134 Abs. 2 Satz 4 gewährt dann der Mindesteinlagebetrag eine Stimme und über die Mindesteinlage hinausgehende Einlagen gewähren wiederum je tatsächlich eingezahltem Mindesteinlagebetrag eine weitere Stimme.30) § 134 Abs. 2 Satz 4 ist zwingend und kann nicht durch die Satzung modifiziert werden. Stimmbruchteile verfallen nach § 134 Abs. 2 Satz 6, soweit sich nicht mehrere Bruchteile bei einem Aktionär zu einer weiteren Stimme aufaddieren lassen.31) 3.

Auffangregelung

Hat kein Aktionär seine Einlage voll geleistet und regelt die Satzung kein vorzeitiges Ent- 14 stehen des Stimmrechts, greift die Auffangregelung des § 134 Abs. 2 Satz 5. Um Beschlussunfähigkeit zu vermeiden, gilt dann das Stimmrecht nach der Höhe der geleisteten Einlage. Die Mindesteinlage gewährt jeweils eine Stimme, darüber hinausgehende Einlagen gewähren wiederum je Mindesteinlagebetrag weitere Stimmen. Sobald ein Aktionär seine Einlage voll leistet, tritt die Auffangregelung außer Kraft und teileingezahlte Aktien verlieren ihr Stimmrecht. IV.

Ausübung des Stimmrechts durch Dritte

1.

Stimmrechtsinhaber

Stimmrechtsinhaber ist grundsätzlich der Inhaber der Aktie, auch wenn Aktien nur treu- 15 händerisch oder mittels Aktienleihe übertragen wurden.32) Bei Verpfändung verbleibt das Stimmrecht beim Aktionär; ebenso beim Nießbrauch (streitig).33) Halten mehrere Personen gemeinschaftlich Aktien, kann das Stimmrecht nur durch einen gemeinschaftlichen Vertreter ausgeübt werden (§ 69 Abs. 1). Betroffen sind Bruchteils-, Erben- und eheliche Gütergemeinschaften, nicht aber Personengesellschaften und juristische Personen, bei denen Stimmrecht durch organschaftliche Vertreter ausgeübt wird. Organschaftliche Vertretung ist keine Stimmrechtsausübung durch Bevollmächtigten i. S. von § 134 Abs. 3.34) Gesetzliche Vertreter, z. B. Eltern, Vormund, Pfleger. Insolvenzverwalter und andere Amtswalter, üben das Stimmrecht im eigenen Namen aus.35) 2.

Stimmrechtsvollmacht, Abspaltungsverbot

Das Stimmrecht ist kein höchstpersönliches Recht, so dass § 134 Abs. 3 daher Stimm- 16 rechtsvollmachten uneingeschränkt zulässt. Die Einschaltung eines Stimmboten ist aber unzulässig,36) ebenso die Vertretung ohne Vertretungsmacht (siehe § 133 Rz. 13). Durch Satzung kann die Möglichkeit zur Bevollmächtigung eines Vertreters weder ausgeschlossen _____________ 29) Zöllner in: KölnKomm-AktG, § 134 Rz. 144 ff.; Bürgers/Körber-Holzborn, AktG, § 134 Rz. 14; Hüffer/ Koch-Koch, AktG, § 134 Rz. 19; a. A. K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 134 Rz. 36; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 39 Rz. 4. 30) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 134 Rz. 19. 31) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 134 Rz. 34; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 134 Rz. 34. 32) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 134 Rz. 7. 33) OLG Koblenz, Urt. v. 16.1.1992 – 6 U 963/91, ZIP 1992, 844 = NJW 1992, 2163; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 39 Rz. 11; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 134 Rz. 41; K. Schmidt/LutterSpindler, AktG, § 134 Rz. 8. 34) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 134 Rz. 44 – auch zum Teilnahmerecht und Legitimationsnachweis. 35) Hölters-Hirschmann, AktG, § 134 Rz. 60; Bürgers/Körber-Holzborn, AktG, § 134 Rz. 24. 36) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 134 Rz. 70; Hölters-Hirschmann, AktG, § 134 Rz. 62.

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noch eine Bevollmächtigung vorgeschrieben werden.37) Eine Beschränkung ergibt sich aus dem Abspaltungsverbot (siehe § 133 Rz. 13), weshalb unwiderrufliche Stimmrechtsvollmachten unzulässig sind.38) Dies gilt auch bei Treuhandverhältnissen (streitig).39) Die Stimmrechtsausübung durch Vertreter wirkt gemäß § 164 Abs. 1 Satz 1 BGB für und gegen den Vertretenen. Verstößt die Ausübung des Stimmrechts gegen gesellschaftsrechtliche Treuepflichten, muss sich der Aktionär dies zurechnen lassen.40) 17 Der Umfang der Vollmacht ist durch Auslegung zu ermitteln. Sofern die Vollmacht keine Beschränkung enthält, ist der Bevollmächtigte in der Hauptversammlung zu allen Rechtshandlungen berechtigt, zu denen der Aktionär berechtigt wäre. Die Vollmacht kann aber beschränkt werden, z. B. auf bestimmte Beschlussgegenstände.41) Der Aktionär kann dem Vertreter konkrete Weisungen zur Stimmrechtsausübung, aber auch zur Stellung von Anträgen, etc., erteilen. Weisungen bedürfen nicht der für Vollmachten geltenden Formerfordernisse. a)

Person des Bevollmächtigten, Proxy-Voting

18 Das Gesetz enthält keine Vorgaben zur Person des Bevollmächtigten; jede natürliche oder juristische Person kann bevollmächtigt werden. Eine Satzungsbestimmung, die die Bevollmächtigung von weiteren Voraussetzungen abhängig macht, widerspricht § 23 Abs. 5 und verletzt damit zwingendes Recht.42) Der Bevollmächtigte muss nicht, kann aber Mitaktionär sein. Die AG selbst oder ihre Organe können nicht bevollmächtigt werden (siehe § 136 Rz. 26); wohl aber einzelne Organmitglieder.43) Mehrfachvertretung ist zulässig; der Vertreter muss nicht von § 181 BGB befreit sein, da dieser bei Beschlussfassungen nicht greift (siehe § 133 Rz. 2). Nach überzeugender Auffassung kann die Satzung die Auswahlfreiheit bei der Person des Bevollmächtigten nicht einschränken; insbesondere eine Beschränkung auf Mitaktionäre ist unzulässig.44) Der Aktionär unterliegt aber bei der Auswahl der Treuepflicht; die Bevollmächtigung einer unzumutbaren Person, z. B. eines direkten Wettbewerbers, kann ausnahmsweise unzulässig sein.45) Die Bevollmächtigung mehrerer Vertreter ist zulässig,46) die Gesellschaft kann aber nach § 134 Abs. 3 Satz 2 einen oder mehrere zurückweisen, solange sie zumindest einen Vertreter zulässt. § 134 Abs. 3 Satz 2 stellt dabei auf den Aktionär und nicht auf die Aktie ab, so dass auch ein Aktionär mit mehreren Aktien nur Anspruch auf Zulassung eines Vertreters hat.47) Dies gilt auch für gesamtvertretungsbefugte Bevollmächtigte; wird nur einer von ihnen zugelassen, müssen die anderen ihm Untervollmacht erteilen. Die Satzung kann Regelungen zur Behandlung _____________ 37) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 134 Rz. 58; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 134 Rz. 45; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 134 Rz. 21. 38) Rieckers in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 17 Rz. 10; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 134 Rz. 49. 39) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 134 Rz. 49; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 134 Rz. 40; Hüffer/ Koch-Koch, AktG, § 134 Rz. 21. 40) Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 37 Rz. 22; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 134 Rz. 66. 41) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 134 Rz. 66. 42) OLG Braunschweig, Beschl. v. 27.8.2013 – 2 W 142/12, BeckRS 2014, 20216. 43) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 134 Rz. 50; weitergehend Grundmann in: GroßKomm-AktG, § 134 Rz. 91, der auch Bevollmächtigung eines Organs für zulässig erachtet. 44) OLG Stuttgart, Urt. v. 28.5.1990 – 8 W 203/90, AG 1991, 69, 70; OLG Braunschweig, Beschl. v. 27.8.2013 – 2 W 142/12, BeckRS 2014, 20216; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 134 Rz. 58; Spindler/ Stilz-Rieckers, AktG, § 134 Rz. 51; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 134 Rz. 25. 45) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 134 Rz. 57. 46) Für Einzelheiten vgl. K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 134 Rz. 59 ff. 47) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 134 Rz. 64; a. A. K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 134 Rz. 60.

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mehrerer Bevollmächtigter enthalten oder sogar die Bevollmächtigung mehrerer Personen vollständig ausschließen.48) Bei gesetzlicher oder organschaftlicher Gesamtvertretungsbefugnis gilt das Recht zur Zurückweisung nach § 134 Abs. 3 Satz 2 nicht – die Gesellschaft muss mindestens die zur Vertretung erforderliche Zahl zulassen.49) Dies gilt nicht, wenn die Satzung ausdrücklich Abweichendes bestimmt.50) Nach § 134 Abs. 3 Satz 5 kann auch ein von der Gesellschaft benannter Stimmrechtsvertre- 19 ter bevollmächtigt werden (Proxy-Voting). Nach Ziff. 1.3 DCGK sollen börsennotierte Gesellschaften einen Stimmrechtsvertreter benennen. Die Frage, ob die Verwaltung aktiv Vollmachten einwerben darf, ist noch nicht abschließend geklärt.51) Die AG kann einen oder mehrere Stimmrechtsvertreter benennen. Die Benennung muss für die konkrete Hauptversammlung erfolgen. Mitarbeiter der Gesellschaft können als Stimmrechtsvertreter benannt werden,52) Organmitgliedern nach zutreffender h. M. wegen § 136 Abs. 2 nicht.53) Umstritten ist, ob die Bevollmächtigung des Stimmrechtsvertreters mit der Weisung zur Stimmrechtsausübung verbunden sein muss. Sofern ein Arbeitnehmer der AG zum Stimmrechtsvertreter benannt wird, ist im Hinblick auf § 136 Abs. 2 die Weisungserteilung zwingend.54) Bei einem unabhängigen Stimmrechtsvertreter ist Weisung möglich, aber nicht erforderlich.55) Die Weisung kann als Einzelweisung für den jeweiligen Beschlussgegenstand oder als generelle Weisung, z. B. Abstimmung gemäß Verwaltungsvorschlägen, erfolgen. Aktives Einwerben von Vollmachten für Stimmrechtsvertreter durch die AG ist unzulässig – die Übersendung von Vollmachtsvordrucken aber gestattet.56) Die Ausübung der Vollmacht durch Stimmvertreter richtet sich nach § 135 Abs. 5 Sätze 1 – 3, so dass auch verdeckte Stimmrechtsausübung (siehe § 135 Rz. 22) zulässig ist.57) Wenn die Vollmacht nichts anderes bestimmt, wird das Stimmrecht gemäß § 134 Abs. 3 Satz 5 i. V. m. § 135 Abs. 5 Satz 2 durch den Stimmrechtsvertreter der AG im Namen dessen, den es angeht, ausgeübt. Die Vollmacht muss von der Gesellschaft nach § 134 Abs. 3 Satz 5 drei Jahre nachprüfbar festgehalten werden; eine elektronische Speicherung genügt.58) Die Frist berechnet sich nach §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. BGB und beginnt am Tag der Hauptversammlung.59) b)

Erteilung, Erlöschen und Widerruf

Die Vollmacht kann als Innenvollmacht (§ 167 Abs. 1 Alt. 1 BGB) gegenüber dem Ver- 20 treter oder als Außenvollmacht (§ 167 Abs. 1 Alt. 2 BGB) gegenüber der AG erteilt werden. _____________ 48) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 134 Rz. 64 m. w. N.; a. A. Grundmann in: GroßKomm-AktG, § 134 Rz. 106. 49) Hölters-Hirschmann, AktG, § 134 Rz. 59; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 134 Rz. 30. 50) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 134 Rz. 65; a. A. Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 37 Rz. 17. 51) Schockenhoff, NZG 2015, 657. 52) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 134 Rz. 26b; Bürgers/Körber-Holzborn, AktG, § 134 Rz. 21; a. A. Kindler, NJW 2001, 1678. 53) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 134 Rz. 63 f.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 134 Rz. 26b; a. A. Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 134 Rz. 54. 54) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 134 Rz. 63; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 134 Rz. 26b; Bunke, AG 2002, 57; a. A. Bürgers/Körber-Holzborn, AktG, § 134 Rz. 22; differenzierend Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 134 Rz. 54 ff.; auch die Begr. RegE z. ARUG (BT-Drucks. 16/11642, S. 32) geht vom Weisungserfordernis aus. 55) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 134 Rz. 56; a. A. Habersack, ZHR 165 (2001) 172, 188. 56) Grundmann in: GroßKomm-AktG, § 134 Rz. 124; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 134 Rz. 65. 57) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 134 Rz. 66; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 134 Rz. 61; Hüffer/ Koch-Koch, AktG, § 134 Rz. 26c. 58) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 134 Rz. 66; Bunke, AG 2002, 57, 67. 59) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 134 Rz. 60; Bürgers/Körber-Holzborn, AktG, § 134 Rz. 22.

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Die Vollmacht kann jederzeit vor und auch noch während der Hauptversammlung erteilt werden.60) Die Vollmacht kann für eine oder mehrere Hauptversammlungen erteilt werden, jedoch muss feststellbar sein, dass die Vertretung in der jeweiligen Hauptversammlung erfasst ist. Auch die unbefristete Vollmacht ist zulässig, solange der Widerruf nicht ausgeschlossen wird (siehe Rz. 21). Eine gültige Vollmacht hindert den Aktionär nicht daran, an Stelle des Bevollmächtigten selbst an der Hauptversammlung teilzunehmen.61) Eine gesonderte Anmeldung des Bevollmächtigten ist nicht erforderlich, die Anmeldung des Aktionärs gilt auch für den Bevollmächtigten und umgekehrt.62) Eine Generalvollmacht deckt regelmäßig die Vertretung in Hauptversammlungen ab.63) Gleiches gilt für die Prokura, wenn die Aktien nicht ausnahmsweise eindeutig dem Privatvermögen des Kaufmanns zuzuordnen sind.64) Sofern die Stimmrechtsausübung zu den im Handelsgewerbe gewöhnlichen Geschäften gehört, ist auch eine Generalhandlungsvollmacht ausreichend (§ 54 Abs. 1 Alt. 1 HGB).65) 21 Das Erlöschen der Vollmacht bestimmt sich nach dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis (§ 168 Satz 1 BGB). Je nach den Umständen erlischt die Vollmacht durch Zweckerreichung, Zeitablauf oder Bedingungseintritt. Die Vollmacht kann jederzeit nach §§ 168 ff. BGB widerrufen werden (Formerfordernisse: siehe Rz. 22 ff. ), da unwiderrufliche Vollmachten nicht zulässig sind.66) Vollmachtsurkunden entfalten nach § 172 Abs. 2 BGB Außenwirkung, sofern der Widerruf nicht bekannt war oder bekannt sein musste. c)

Form und Nachweis

22 Die Erteilung der Vollmacht sowie der Widerruf und Nachweis bedürfen nach § 134 Abs. 3 Satz 3 grundsätzlich der Textform. Textform bedeutet, dass die Vollmacht in einer Urkunde oder in einer anderen zur dauerhaften Widergabe in Schriftzeichen geeigneten Form erteilt werden muss (§ 126b BGB). Dies umfasst alle in Papier oder auf elektronischen Speichermedien verkörperte Erklärungen, insbesondere Telefax, E-Mail, SMS, USB-Stick, CD/DVD und Bildschirmformulare.67) Für Prokuristen gilt das Textformerfordernis nicht, wenn die Prokura im Handelsregister eingetragen ist (§ 15 Abs. 2 HGB). Die Satzung kann gemäß § 134 Abs. 3 Satz 3 vom Textformerfordernis abweichen oder eine Ermächtigung enthalten, dass in der Einberufung Abweichendes festgesetzt werden kann. Die Satzung darf die Festlegung nicht vollständig ins Ermessen des Einberufenden stellen, sondern muss einen Rahmen für abweichende Regelungen vorgeben.68) Bei börsennotierten Gesellschaften (siehe § 3 Rz. 7) sind gemäß § 134 Abs. 3 Satz 3 nur Formerleichterungen zulässig, bei nicht börsennotierten AG auch Formerschwerungen (Schriftform, Vorgabe von Vollmachtsformularen).69) Die Zulassung mündlicher Vollmachten ist aus europarechtlicher Sicht sowie aus Gründen der Beweissicherheit fraglich.70) In Übernahmesituationen müssen mögliche Erleichterungen gewährt werden (§ 16 Abs. 4 Satz 4 WpÜG). _____________ 60) 61) 62) 63) 64) 65) 66) 67) 68)

OLG Frankfurt/M., Urt. v. 15.6.2010 – 5 U 144/09, ZIP 2010, 1390. Kiefner/Friebel, NZG 2011, 887. BGH, Urt. v. 19.7.2011 – II ZR 124/10, ZIP 2011, 1813, dazu EWiR 2011, 689 (Linnerz). Arnold in: MünchKomm-AktG, § 134 Rz. 64; Zöllner in: KölnerKomm-AktG, § 134 Rz. 173 ff. Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 134 Rz. 67; Hölters-Hirschmann, AktG, § 134 Rz. 42. Grundmann in: GroßKomm-AktG, § 134 Rz. 108; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 134 Rz. 22. Ausführlich Kiefner/Friebel, NZG 2011, 887 ff. Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 134 Rz. 70; Horn, ZIP 2008, 1558, 1565; Götze, NZG 2010, 93, 94. Bürgers/Körber-Holzborn, AktG, § 134 Rz. 18; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 134 Rz. 73; Bunke, AG 2002, 58, 63. 69) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 134 Rz. 45; Götze, NZG 2010, 93, 95; v. Nussbaum, GWR 2009, 215. 70) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 134 Rz. 45; Götze, NZG 2010, 93, 95.

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Die Einhaltung der Form ist Voraussetzung für die Wirksamkeit der Vollmacht.71) Die Wahrung einer strengeren Form genügt immer.72) Die Nichtbeachtung der erforderlichen Form führt zur Unwirksamkeit der Stimmabgabe. Der betroffene Beschluss ist anfechtbar, wenn unwirksame Stimmen für das Beschlussergebnis ausschlaggebend waren (siehe § 133 Rz. 13). Sieht die Satzung keine entsprechende Formerleichterung vor, kann aufgrund des Textformerfordernisses im Erscheinen des Aktionärs in der Hauptversammlung nicht der konkludente Widerruf der einem Stimmrechtsvertreter erteilten Vollmacht gesehen werden. Vielmehr müssen die gesetzlichen und satzungsmäßigen Formvorschriften eingehalten werden.73) Die Gesellschaft kann verlangen, dass der Vertreter seine Vollmacht nachweist.74) Bei 23 Untervollmacht kann ein Nachweis für Vollmacht und Untervollmacht verlangt werden. Zuständig für die Überprüfung ist in der Hauptversammlung der Versammlungsleiter und außerhalb derselben, der Vorstand.75) Die Satzung kann vorgeben, wie der Nachweis zu erbringen ist.76) Trifft die Satzung keine Regelung, greift § 174 BGB (analog), so dass der Nachweis bei Vollmachten in Textform durch Vorlage der verkörperten Erklärung (siehe Rz. 22), z. B. durch Vorzeigen der E-Mail oder SMS per Mobiltelefon, und bei satzungsmäßigem Schriftformerfordernis durch Vorlage der Vollmachtsurkunde erfolgt.77) Verlangt werden kann nur die Vorlage, nicht die Übergabe zum Verbleib. Dies gilt auch für die in der Hauptversammlung erteilten Vollmachten.78) Die Satzung kann regeln, dass die Vollmacht übergeben werden muss.79) Nach § 134 Abs. 3 Satz 4 müssen börsennotierte Gesellschaften zumindest einen elektronischen Kommunikationsweg zur Nachweisübermittlung anbieten (z. B. E-Mail; Fax genügt nicht).80) Bei gesetzlichen Vertretern und Prokuristen erfolgt der Nachweis der Legitimation durch beglaubigten Handelsregisterauszug.81) Bei der Bevollmächtigung von Kreditinstituten i. S. von § 135 ist kein Nachweis erforderlich. Nicht abschließend geklärt ist, welche Kommunikationskanäle die Gesellschaft anbieten 24 muss; problematisch ist insofern, ob anderenfalls eine Vollmachtserteilung bzw. ein Vollmachtsnachweis per E-Mail oder SMS an eine beliebige E-Mail-Adresse oder Mobiltelefonnummer der AG ausreicht.82) Rein vorsorglich sollte die AG daher für gängige Kommunikationsmittel jeweils einen Kommunikationskanal vorgeben. Nach überzeugender Auffassung kann in der Einberufung die Nutzung der Kommunikationskanäle ab einem Zeitpunkt während oder kurz vor der Hauptversammlung ausgeschlossen werden.83) _____________ 71) OLG Hamm, Urt. v. 2.11.2000 – 27 U 1/00, ZIP 2000, 2302, dazu EWiR 2001, 979 (Priester); Bürgers/ Körber-Holzborn, AktG, § 134 Rz. 18. 72) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 134 Rz. 69; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 134 Rz. 23. 73) Ausführlich Kiefner/Friebel, NZG 2011, 887, 890. 74) LG München, Urt. v. 30.7.2009 – 5 HKO 16915/08, AG 2010, 47; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 134 Rz. 24. 75) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 134 Rz. 55; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 134 Rz. 76. 76) Begr. RegE, BT-Drucks. 14/4051, S. 15 rechte Sp.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 134 Rz. 24; Bürgers/ Körber-Holzborn, AktG, § 134 Rz. 20. 77) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 134 Rz. 75; Hölters-Hirschmann, AktG, § 134 Rz. 44; Götze, NZG 2010, 93, 95. 78) OLG Köln, Urt. v. 6.6.2012 – 18 U 240/11, ZIP 2012, 1458, 1459, dazu EWiR 2012, 773 (Goslar); LG Köln, Urt. v. 7.9.2011 – 91 O 162/09, BeckRS 2013, 09069. 79) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 134 Rz. 75; a. A. Grundmann in: GroßKomm-AktG, § 134 Rz. 112. 80) Begr. RegE z. ARUG, BT-Drucks. 16/11642, S. 32 – was aber nicht überzeugt. 81) Arnold in: MünchKomm-AktG, § 134 Rz. 64. 82) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 134 Rz. 44; Götze, NZG 2010, 93, 94. 83) Wettich, NZG 2011, 721, 723.

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Stimmrecht

25 Erbringt der Vertreter nicht den geforderten Nachweis, kann er von der Teilnahme an der Hauptversammlung ausgeschlossen werden, muss es aber nicht. Der Versammlungsleiter kann einen nicht hinreichend legitimierten Vertreter nach h. M. zur Hauptversammlung zulassen und nachträgliche Legitimierung verlangen.84) Wird der Vertreter mangels Nachweis zurückgewiesen, ist ein nachträglicher Nachweis nicht mehr möglich.85) Erschwert die AG die Vollmachtserteilung oder deren Nachweis ohne ausreichende Grundlage in der Satzung, führt dies in der Regel zu Anfechtbarkeit. d)

Ermächtigung zur Ausübung des Stimmrechts, Legitimationszession

26 Eine weitere Möglichkeit zur Ausübung des Stimmrechts durch Dritte ist die Legitimationszession. Diese begründet keine Vertretungsmacht, sondern – ähnlich wie § 185 Abs. 1 BGB – die Befugnis, das Stimmrecht aus fremden Aktien im eigenen Namen auszuüben. § 134 Abs. 3 gilt daher nicht. Die Legitimationszession ist nicht gesetzlich geregelt, aber durch § 129 Abs. 3 anerkannt. Sie stellt eine Ausnahme vom Abspaltungsverbot dar. Sie kann (jedenfalls bei nicht börsennotierten Gesellschaften) durch Satzungsregelung ausgeschlossen werden.86) Zur Erteilung der Ermächtigung wird der Besitz an den Aktien übertragen, während das Eigentum beim Aktionär verbleibt. Der Ermächtigte wird Fremdbesitzer, gilt gegenüber der Gesellschaft als Vollrechtsinhaber und wird bei Namensaktien als Fremdbesitzer im Aktienregister eingetragen.87) Der Ermächtigte muss die Stellung als Legitimationsaktionär offenlegen (§ 129 Abs. 3). Angaben zum Aktionär sind nicht erforderlich, auch nicht der Nachweis der Ermächtigung durch den Aktionär, da ansonsten der Sinn der Legitimationsübertragung, die Anonymität des Aktionärs, verloren ginge.88) Kreditinstitute dürfen bei Inhaberaktien nicht als Legitimationsaktionäre fungieren (§ 135 Abs. 1). Gleiches gilt in der Regel für den Stimmrechtsvertreter der Gesellschaft, sofern es sich um einen Dritten handelt.89) V.

Form der Stimmrechtsausübung

27 Die Form der Stimmabgabe ist nicht gesetzlich geregelt, sondern richtet sich gemäß § 134 Abs. 4 nach der Satzung. Die Satzung kann die Form der Stimmabgabe selber konkret festlegen oder anordnen, wer für die Festlegung zuständig sein soll. Typischerweise ermächtigt die Satzung den Versammlungsleiter. Die Entscheidung des Versammlungsleiters kann dann nicht von der Hauptversammlung geändert werden.90) Enthält die Satzung keine Vorgaben, kann die Festlegung durch die Geschäftsordnung der Hauptversammlung erfolgen. Existiert keine Regelung ist der Versammlungsleiter für die Festlegung zuständig.91) In diesem Fall kann aber die Hauptversammlung eine andere Form

_____________ 84) OLG Hamm, Urt. v. 2.11.2000 – 27 U 1/00, ZIP 2000, 2302; OLG Düsseldorf, Urt. v. 11.7.1991 – 6 U 59/91, AG 2001, 444; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 134 Rz. 55; Bürgers/Körber-Holzborn, AktG, § 134 Rz. 20. 85) OLG Frankfurt/M., Urt. v. 1.9.2009 – 5 U 6/09; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 134 Rz. 55. 86) Zöllner in: KölnKomm-AktG, § 134 Rz. 237; Zulässigkeit des Ausschlusses bei börsennotierten Gesellschaften streitig vgl. Hüffer, AktG, § 134 Rz. 32. 87) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 134 Rz. 46; Semler/Volhard/Reichert-Jacob, ArbHdb. HV, § 13 Rz. 88 f., zur Stellung des Legitimationsaktionärs im Anfechtungsprozess vgl. Bayer/Scholz, NZG 2013, 721. 88) Zöllner in: KölnKomm-AktG, § 134 Rz. 235. 89) OLG Hamm, Urt. v. 8.10.2012 – I-8 U 217/11, ZIP 2013, 1024; LG Dortmund, Urt. v. 15.9.2011 – 18 O 33/10, BeckRS 2012, 00096. 90) Arnold in: MünchKomm-AktG, § 134 Rz. 86; Heidel-Pluta, AktR, § 134 AktG Rz. 37. 91) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 134 Rz. 80; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 134 Rz. 34.

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Ausübung des Stimmrechts durch Kreditinstitute und geschäftsmäßig Handelnde

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der Stimmabgabe beschließen.92) Der Versammlungsleiter ist ohne entsprechendes Verlangen nicht verpflichtet, eine Entscheidung der Hauptversammlung herbeizuführen.93) Ein Anspruch eines Aktionärs auf eine bestimmte Form besteht nicht. Für die Form der Stimmabgabe kommt jedes Verfahren in Betracht, das eine zuverlässige 28 und zweifelsfreie Ermittlung des Abstimmungsergebnisses sicherstellt.94) Die Entscheidung liegt im pflichtgemäßem Ermessen der zuständigen Stelle. Dabei ist neben der Zuverlässigkeit der Ergebnisermittlung vor allem auch der erforderliche Zeitaufwand zu berücksichtigen.95) Durch das ARUG96) sind, neben der Stimmabgabe in der physischen Hauptversammlung gemäß § 118 Abs. 2, mit der Online-Stimmabgabe und der Briefwahl weitere Möglichkeiten der Stimmabgabe hinzugekommen (siehe § 118 Rz. 13 ff.). Sowohl offene (Handzeichen, Zuruf) wie auch verdeckte (Stimmkarten, Televoter) Ab- 29 stimmungen sind zulässig. Die Entscheidung liegt im Ermessen des Versammlungsleiters. Bei offener Abstimmung sehen andere Teilnehmer der Hauptversammlung wie die Aktionäre abstimmen, bei verdeckter Abstimmung nicht. Von der verdeckten Abstimmung ist die geheime Abstimmung zu unterscheiden. Während bei verdeckter Abstimmung zumindest die AG sieht, wie die Aktionäre abgestimmt haben, ist dies bei geheimer Abstimmung nicht der Fall. Die Zulässigkeit der geheimen Abstimmung ist streitig.97) Jedenfalls besteht kein Anspruch der Aktionäre auf eine geheime Abstimmung.98) _____________ 92) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 134 Rz. 72; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 134 Rz. 81; Max, AG 1991, 77, 87; a. A. v. d. Linden, NZG 2012, 930. 93) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 134 Rz. 80; Bürgers/Körber-Holzborn, AktG, § 134 Rz. 27. 94) Arnold in: MünchKomm-AktG, § 134 Rz. 88; Semler/Volhard/Reichert-Fischer, ArbHdb. HV, § 11 Rz. 194. 95) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 134 Rz. 73; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 134 Rz. 35. 96) Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) v. 30.7.2009, BGBl. I 2009, 2479. 97) Für Zulässigkeit: Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 134 Rz. 35; tendenziell auch Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 134 Rz. 82; kritisch K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 134 Rz. 75 f.; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 134 Rz. 92. 98) Zöllner in: KölnKomm-AktG, § 134 Rz. 247; Hölters-Hirschmann, AktG, § 134 Rz. 65; Hüffer/KochKoch, AktG, § 134 Rz. 35.

§ 135 Ausübung des Stimmrechts durch Kreditinstitute und geschäftsmäßig Handelnde (1) 1Ein Kreditinstitut darf das Stimmrecht für Aktien, die ihm nicht gehören und als deren Inhaber es nicht im Aktienregister eingetragen ist, nur ausüben, wenn es bevollmächtigt ist. 2Die Vollmacht darf nur einem bestimmten Kreditinstitut erteilt werden und ist von diesem nachprüfbar festzuhalten. 3Die Vollmachtserklärung muss vollständig sein und darf nur mit der Stimmrechtsausübung verbundene Erklärungen enthalten. 4Erteilt der Aktionär keine ausdrücklichen Weisungen, so kann eine generelle Vollmacht nur die Berechtigung des Kreditinstituts zur Stimmrechtsausübung 1. entsprechend eigenen Abstimmungsvorschlägen (Absätze 2 und 3) oder 2. entsprechend den Vorschlägen des Vorstands oder des Aufsichtsrats oder für den Fall voneinander abweichender Vorschläge den Vorschlägen des Aufsichtsrats (Absatz 4) vorsehen. 5Bietet das Kreditinstitut die Stimmrechtsausübung gemäß Satz 4 Nr. 1 oder Nr. 2 an, so hat es sich zugleich zu erbieten, im Rahmen des Zumutbaren und bis auf Widerruf einer Aktionärsvereinigung oder einem sonstigen Vertreter nach Wahl des Aktionärs die zur Stimmrechtsausübung erforderlichen Unterlagen zuzuleiten. 6Das Boris Dürr

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Ausübung des Stimmrechts durch Kreditinstitute und geschäftsmäßig Handelnde

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der Stimmabgabe beschließen.92) Der Versammlungsleiter ist ohne entsprechendes Verlangen nicht verpflichtet, eine Entscheidung der Hauptversammlung herbeizuführen.93) Ein Anspruch eines Aktionärs auf eine bestimmte Form besteht nicht. Für die Form der Stimmabgabe kommt jedes Verfahren in Betracht, das eine zuverlässige 28 und zweifelsfreie Ermittlung des Abstimmungsergebnisses sicherstellt.94) Die Entscheidung liegt im pflichtgemäßem Ermessen der zuständigen Stelle. Dabei ist neben der Zuverlässigkeit der Ergebnisermittlung vor allem auch der erforderliche Zeitaufwand zu berücksichtigen.95) Durch das ARUG96) sind, neben der Stimmabgabe in der physischen Hauptversammlung gemäß § 118 Abs. 2, mit der Online-Stimmabgabe und der Briefwahl weitere Möglichkeiten der Stimmabgabe hinzugekommen (siehe § 118 Rz. 13 ff.). Sowohl offene (Handzeichen, Zuruf) wie auch verdeckte (Stimmkarten, Televoter) Ab- 29 stimmungen sind zulässig. Die Entscheidung liegt im Ermessen des Versammlungsleiters. Bei offener Abstimmung sehen andere Teilnehmer der Hauptversammlung wie die Aktionäre abstimmen, bei verdeckter Abstimmung nicht. Von der verdeckten Abstimmung ist die geheime Abstimmung zu unterscheiden. Während bei verdeckter Abstimmung zumindest die AG sieht, wie die Aktionäre abgestimmt haben, ist dies bei geheimer Abstimmung nicht der Fall. Die Zulässigkeit der geheimen Abstimmung ist streitig.97) Jedenfalls besteht kein Anspruch der Aktionäre auf eine geheime Abstimmung.98) _____________ 92) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 134 Rz. 72; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 134 Rz. 81; Max, AG 1991, 77, 87; a. A. v. d. Linden, NZG 2012, 930. 93) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 134 Rz. 80; Bürgers/Körber-Holzborn, AktG, § 134 Rz. 27. 94) Arnold in: MünchKomm-AktG, § 134 Rz. 88; Semler/Volhard/Reichert-Fischer, ArbHdb. HV, § 11 Rz. 194. 95) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 134 Rz. 73; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 134 Rz. 35. 96) Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) v. 30.7.2009, BGBl. I 2009, 2479. 97) Für Zulässigkeit: Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 134 Rz. 35; tendenziell auch Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 134 Rz. 82; kritisch K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 134 Rz. 75 f.; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 134 Rz. 92. 98) Zöllner in: KölnKomm-AktG, § 134 Rz. 247; Hölters-Hirschmann, AktG, § 134 Rz. 65; Hüffer/KochKoch, AktG, § 134 Rz. 35.

§ 135 Ausübung des Stimmrechts durch Kreditinstitute und geschäftsmäßig Handelnde (1) 1Ein Kreditinstitut darf das Stimmrecht für Aktien, die ihm nicht gehören und als deren Inhaber es nicht im Aktienregister eingetragen ist, nur ausüben, wenn es bevollmächtigt ist. 2Die Vollmacht darf nur einem bestimmten Kreditinstitut erteilt werden und ist von diesem nachprüfbar festzuhalten. 3Die Vollmachtserklärung muss vollständig sein und darf nur mit der Stimmrechtsausübung verbundene Erklärungen enthalten. 4Erteilt der Aktionär keine ausdrücklichen Weisungen, so kann eine generelle Vollmacht nur die Berechtigung des Kreditinstituts zur Stimmrechtsausübung 1. entsprechend eigenen Abstimmungsvorschlägen (Absätze 2 und 3) oder 2. entsprechend den Vorschlägen des Vorstands oder des Aufsichtsrats oder für den Fall voneinander abweichender Vorschläge den Vorschlägen des Aufsichtsrats (Absatz 4) vorsehen. 5Bietet das Kreditinstitut die Stimmrechtsausübung gemäß Satz 4 Nr. 1 oder Nr. 2 an, so hat es sich zugleich zu erbieten, im Rahmen des Zumutbaren und bis auf Widerruf einer Aktionärsvereinigung oder einem sonstigen Vertreter nach Wahl des Aktionärs die zur Stimmrechtsausübung erforderlichen Unterlagen zuzuleiten. 6Das Boris Dürr

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§ 135 Ausübung des Stimmrechts durch Kreditinstitute und geschäftsmäßig Handelnde Kreditinstitut hat den Aktionär jährlich und deutlich hervorgehoben auf die Möglichkeiten des jederzeitigen Widerrufs der Vollmacht und der Änderung des Bevollmächtigten hinzuweisen. 7Die Erteilung von Weisungen zu den einzelnen Tagesordnungspunkten, die Erteilung und der Widerruf einer generellen Vollmacht nach Satz 4 und eines Auftrags nach Satz 5 einschließlich seiner Änderung sind dem Aktionär durch ein Formblatt oder Bildschirmformular zu erleichtern. (2) 1Ein Kreditinstitut, das das Stimmrecht auf Grund einer Vollmacht nach Absatz 1 Satz 4 Nr. 1 ausüben will, hat dem Aktionär rechtzeitig eigene Vorschläge für die Ausübung des Stimmrechts zu den einzelnen Gegenständen der Tagesordnung zugänglich zu machen. 2Bei diesen Vorschlägen hat sich das Kreditinstitut vom Interesse des Aktionärs leiten zu lassen und organisatorische Vorkehrungen dafür zu treffen, dass Eigeninteressen aus anderen Geschäftsbereichen nicht einfließen; es hat ein Mitglied der Geschäftsleitung zu benennen, das die Einhaltung dieser Pflichten sowie die ordnungsgemäße Ausübung des Stimmrechts und deren Dokumentation zu überwachen hat. 3 Zusammen mit seinen Vorschlägen hat das Kreditinstitut darauf hinzuweisen, dass es das Stimmrecht entsprechend den eigenen Vorschlägen ausüben werde, wenn der Aktionär nicht rechtzeitig eine andere Weisung erteilt. 4Gehört ein Vorstandsmitglied oder ein Mitarbeiter des Kreditinstituts dem Aufsichtsrat der Gesellschaft oder ein Vorstandsmitglied oder ein Mitarbeiter der Gesellschaft dem Aufsichtsrat des Kreditinstituts an, so hat das Kreditinstitut hierauf hinzuweisen. 5Gleiches gilt, wenn das Kreditinstitut an der Gesellschaft eine Beteiligung hält, die nach § 33 des Wertpapierhandelsgesetzes meldepflichtig ist, oder einem Konsortium angehörte, das die innerhalb von fünf Jahren zeitlich letzte Emission von Wertpapieren der Gesellschaft übernommen hat. (3) 1Hat der Aktionär dem Kreditinstitut keine Weisung für die Ausübung des Stimmrechts erteilt, so hat das Kreditinstitut im Falle des Absatzes 1 Satz 4 Nr. 1 das Stimmrecht entsprechend seinen eigenen Vorschlägen auszuüben, es sei denn, dass es den Umständen nach annehmen darf, dass der Aktionär bei Kenntnis der Sachlage die abweichende Ausübung des Stimmrechts billigen würde. 2Ist das Kreditinstitut bei der Ausübung des Stimmrechts von einer Weisung des Aktionärs oder, wenn der Aktionär keine Weisung erteilt hat, von seinem eigenen Vorschlag abgewichen, so hat es dies dem Aktionär mitzuteilen und die Gründe anzugeben. 3In der eigenen Hauptversammlung darf das bevollmächtigte Kreditinstitut das Stimmrecht auf Grund der Vollmacht nur ausüben, soweit der Aktionär eine ausdrückliche Weisung zu den einzelnen Gegenständen der Tagesordnung erteilt hat. 4Gleiches gilt in der Versammlung einer Gesellschaft, an der es mit mehr als 20 Prozent des Grundkapitals unmittelbar oder mittelbar beteiligt ist; für die Berechnung der Beteiligungsschwelle bleiben mittelbare Beteiligungen im Sinne des § 35 Absatz 3 bis 6 des Wertpapierhandelsgesetzes außer Betracht. (4) 1Ein Kreditinstitut, das in der Hauptversammlung das Stimmrecht auf Grund einer Vollmacht nach Absatz 1 Satz 4 Nr. 2 ausüben will, hat den Aktionären die Vorschläge des Vorstands und des Aufsichtsrats zugänglich zu machen, sofern dies nicht anderweitig erfolgt. 2Absatz 2 Satz 3 sowie Absatz 3 Satz 1 bis 3 gelten entsprechend. (5) 1Wenn die Vollmacht dies gestattet, darf das Kreditinstitut Personen, die nicht seine Angestellten sind, unterbevollmächtigen. 2Wenn es die Vollmacht nicht anders bestimmt, übt das Kreditinstitut das Stimmrecht im Namen dessen aus, den es angeht. 3 Ist die Briefwahl bei der Gesellschaft zugelassen, so darf das bevollmächtigte Kreditinstitut sich ihrer bedienen. 4Zum Nachweis seiner Stimmberechtigung gegenüber der Gesellschaft genügt bei börsennotierten Gesellschaften die Vorlegung eines Berechtigungsnachweises gemäß § 123 Abs. 3; im Übrigen sind die in der Satzung für die Ausübung des Stimmrechts vorgesehenen Erfordernisse zu erfüllen.

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Ausübung des Stimmrechts durch Kreditinstitute und geschäftsmäßig Handelnde

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(6) 1Ein Kreditinstitut darf das Stimmrecht für Namensaktien, die ihm nicht gehören, als deren Inhaber es aber im Aktienregister eingetragen ist, nur auf Grund einer Ermächtigung ausüben. 2Auf die Ermächtigung sind die Absätze 1 bis 5 entsprechend anzuwenden. (7) Die Wirksamkeit der Stimmabgabe wird durch einen Verstoß gegen Absatz 1 Satz 2 bis 7, die Absätze 2 bis 6 nicht beeinträchtigt. (8) Die Absätze 1 bis 7 gelten sinngemäß für Aktionärsvereinigungen und für Personen, die sich geschäftsmäßig gegenüber Aktionären zur Ausübung des Stimmrechts in der Hauptversammlung erbieten; dies gilt nicht, wenn derjenige, der das Stimmrecht ausüben will, gesetzlicher Vertreter, Ehegatte oder Lebenspartner des Aktionärs oder mit ihm bis zum vierten Grad verwandt oder verschwägert ist. (9) Die Verpflichtung des Kreditinstituts zum Ersatz eines aus der Verletzung der Absätze 1 bis 6 entstehenden Schadens kann im Voraus weder ausgeschlossen noch beschränkt werden. (10) § 125 Abs. 5 gilt entsprechend. Literatur: Bunke, Fragen der Vollmachtserteilung zur Stimmrechtsvertretung nach §§ 134, 135 AktG, AG 2002, 57; Grundmann, Das neue Depotstimmrecht nach der Fassung im Regierungsentwurf zum ARUG, BKR 2009, 31; Heermann, Stimmrechtsvertretung in der Hauptversammlung und Schadensersatzhaftung, ZIP 1994, 1243; Marsch-Barner, Neuere Entwicklungen im Vollmachtsstimmrecht der Banken, in: Festschrift für Martin Peltzer, 2001, S. 261; Schmidt, J., Banken(voll)macht im Wandel der Zeit – Das ARUG als (vorläufiger?) Schlussstein einer wechselvollen Geschichte –, WM 2009, 2350; Schulte/Bode, Offene Fragen zur Form der Vollmachtserteilung an Vertreter i. S. d. § 135 AktG, AG 2008, 730; Ziemons, Der Regierungsentwurf der Aktienrechtsnovelle 2012 und die Hauptversammlung. Reichen Klarstellungen und Randkorrekturen oder besteht weiterer Regelungsbedarf?, NZG 2012, 212.

Übersicht I. Regelungsgegenstand und -zweck ................................................. 1 II. Vollmachtserfordernis bei fremden Aktien (§ 135 Abs. 1) ................................................. 2 1. Sachlicher Anwendungsbereich ......... 2 2. Anforderungen an Vollmachtserklärung, Form, Widerruf ................ 4 3. Ausübung des Stimmrechts mit und ohne Weisung .............................. 7 4. Verhaltens- und Hinweispflichten .... 9 III. Stimmrechtsausübung gemäß eigenen Vorschlägen (§ 135 Abs. 2, Abs. 3) .................................. 10 1. Unterbreitung eigener Abstimmungsvorschläge (§ 135 Abs. 2 Satz 1, Satz 2) ................................... 11 2. Hinweis- und Meldepflichten (§ 135 Abs. 2 Sätze 3 – 5) .................. 14 3. Bindung an eigene Abstimmungsvorschläge (§ 135 Abs. 3 Satz 1, Satz 2) ............................................... 17

4. Erfordernis von Einzelweisungen (§ 135 Abs. 3 Satz 3, Satz 4) ............ IV. Stimmrechtsausübung gemäß Verwaltungsvorschlägen (§ 135 Abs. 4) ............................................... V. Art und Weise der Vollmachtsausübung (§ 135 Abs. 5), Legitimation .................................... VI. Fremde Namensaktien, Legitimationsübertragung (§ 135 Abs. 6) ................................... VII. Rechtsfolgen (§ 135 Abs. 7) und Sanktionen (§ 135 Abs. 9) ...... VIII. Erweiterung des persönlichen Anwendungsbereichs (§ 135 Abs. 8, Abs. 10) ................................ 1. Aktionärsvereinigungen und geschäftsmäßig Handelnde (§ 135 Abs. 8) .................................................. 2. Gleichstellung Finanzdienstleister und ausländische Unternehmen (§ 135 Abs. 10) .................................

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§ 135 Ausübung des Stimmrechts durch Kreditinstitute und geschäftsmäßig Handelnde I.

Regelungsgegenstand und -zweck

1 § 135 regelt ergänzend zu § 134 Abs. 3 das sog. Depotstimmrecht der Banken und anderer geschäftsmäßig Handelnder. Ziel ist die Erhöhung der Hauptversammlungspräsenz und damit die Verstärkung der Kontrollfunktion der Hauptversammlung.1) II.

Vollmachtserfordernis bei fremden Aktien (§ 135 Abs. 1)

1.

Sachlicher Anwendungsbereich

2 Gemäß § 135 Abs. 1 Satz 1 darf ein Kreditinstitut das Stimmrecht aus fremden Aktien nur aufgrund einer Vollmacht ausüben. Eine Legitimationsübertragung ist unzulässig.2) Der Begriff des Kreditinstituts entspricht der Definition in §§ 1, 2 KWG. Auch ausländische Kreditinstitute fallen darunter, da die Ausübung des Stimmrechts aus Aktien einer deutschen Gesellschaft wegen des maßgeblichen Gesellschaftsstatuts deutschem Recht unterliegt.3) § 135 Abs. 3 findet aber nur Anwendung, wenn das ausländische Kreditinstitut eine inländische Zweigniederlassung i. S. des § 53 KWG unterhält, da die darin vorausgesetzte Mitteilungspflicht bei ausländischen Instituten nicht besteht (siehe § 128 Rz. 3).4) 3 § 135 Abs. 1 Satz 1 betrifft das Stimmrecht aus fremden Aktien. Die Regelung greift nur, wenn das Kreditinstitut nicht Inhaber der Aktien ist bzw. bei Gesellschaften mit Namensaktien nicht als Inhaber im Aktienregister eingetragen ist. Für Stimmrechte aus Eigenbesitz des Kreditinstituts gilt § 135 nicht. 2.

Anforderungen an Vollmachtserklärung, Form, Widerruf

4 Die Vollmacht kann formlos erteilt werden.5) Nach h. M. kann die Satzung Formerfordernisse (z. B. Schriftform) vorsehen,6) bei börsennotierten Gesellschaften aber wegen § 134 Abs. 3 Satz 3 keine über die Textform hinausgehende (siehe § 134 Rz. 22). Bestimmt die Satzung allgemein, dass die Vollmacht der Textform bedarf, gilt dies im Zweifel auch für die Depotvollmacht.7) Die Vollmachtserklärung darf nicht mit Erklärungen verbunden sein, die nicht die Stimmrechtsausübung betreffen (§ 135 Abs. 1 Satz 3), also insbesondere nicht in Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthalten sein. Die Vollmacht darf aber mit der Weisung für die Abstimmung oder die Gestattung der Unterbevollmächtigung verbunden werden. Nach § 135 Abs. 1 Satz 2 muss die Vollmacht vom Kreditinstitut nachprüfbar festgehalten werden, z. B. durch physische Aufbewahrung oder elektronische Speicherung. Es genügt jede Art der Verkörperung, die (ggf. mittels geeigneter Geräte) gelesen oder gehört werden kann.8)

_____________ 1) 2) 3) 4) 5)

6)

7) 8)

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Arnold in: MünchKomm-AktG, § 135 Rz. 5; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 135 Rz. 1. Spindler/Stilz-Riekers, AktG, § 135 Rz. 14; Hölters-Hirschmann, AktG, § 135 Rz. 6. Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 39 Rz. 55; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 135 Rz. 4. K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 135 Rz. 6; a. A. Spindler/Stilz-Riekers, AktG, § 135 Rz. 12. Spindler/Stilz-Riekers, AktG, § 135 Rz. 17; Hölters-Hirschmann, AktG, § 135 Rz. 7; a. A. Grundmann, BKR 2009, 31, 37; scheinbar auch K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 135 Rz. 8 – jedoch mit Widerspruch zu Rz. 18; a. A. Ziemons, NZG 2012, 212, 213, die im Nichtverlangen der Textform einen Verstoß gegen Art. 11 Abs. 2 Satz 1 Aktionärsrechterichtlinie sieht und daher eine Nachbesserung durch die Aktienrechtsnovelle fordert. OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.12.2008 – I-17 U 63/08, AG 2009, 535; LG Frankfurt/M., Urt. v. 28.10.2008 – 3-5 O 113/08, ZIP 2009, 1622; LG Krefeld, Urt. v. 20.8.2008 – 11 O 14/08, NZG 2009, 265; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 135 Rz. 9; Schulte/Bode, AG 2008, 730; a. A. Spindler/Stilz-Riekers, AktG, § 135 Rz. 18; offengelassen in OLG Frankfurt/M., Urt. v. 7.7.2009 – 5 U 152/08, NZG 2010, 185. LG Berlin, Urt. v. 11.3.2009 – 100 O 17/07, BB 2009, 1265; a. A. Bunke, AG 2002, 57. K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 135 Rz. 17 f.; Spindler/Stilz-Riekers, AktG, § 135 Rz. 20 ff.

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Ausübung des Stimmrechts durch Kreditinstitute und geschäftsmäßig Handelnde

§ 135

Verlangt etwa die Einladung zur Hauptversammlung dennoch für die Bevollmächtigung 5 des Kreditinstituts die Beachtung einer Form, liegt darin ein Gesetzesverstoß, welcher jedoch mangels Relevanz nicht schon für sich genommen zur Anfechtbarkeit aller gefassten Beschlüsse führt. Erst recht kann hierin kein Nichtigkeitsgrund gesehen werden.9) Nach § 135 Abs. 1 Satz 2 muss die Vollmacht einem bestimmtem Kreditinstitut erteilt 6 werden. Es kann, muss aber nicht das depotführende Institut sein. Unzulässig sind Blanko-, Inhaber- oder Alternativvollmachten zugunsten mehrerer Kreditinstitute.10) Die Vollmacht muss vollständig sein, also neben dem Namen des Kreditinstitut auch den des Vollmachtgebers und die Vollmachtserklärung enthalten, § 135 Abs. 1 Satz 3. Eine Bezeichnung der Aktien ist nicht erforderlich – die Angabe des Depots genügt.11) Ergänzungen durch das Kreditinstitut sind unzulässig.12) Die Bevollmächtigung kann unbefristet erfolgen, ist aber jederzeit widerruflich (§§ 167 ff. BGB). Der Widerruf erfolgt durch formlose Erklärung gegenüber dem Kreditinstitut oder der Gesellschaft vor oder in der Hauptversammlung. 3.

Ausübung des Stimmrechts mit und ohne Weisung

Das Kreditinstitut ist bei der Stimmrechtsausübung an eine rechtzeitige Weisung des Ak- 7 tionärs gebunden. Die Weisung erfolgt rechtzeitig, wenn sie regelmäßig noch in der Hauptversammlung berücksichtigt werden kann.13) Das Kreditinstitut kann eine angemessene Ausschlussfrist zur Erteilung der Weisung setzen (streitig).14) Die Weisung ist an kein Formerfordernis gebunden, muss aber inhaltlich klar formuliert sein.15) Die Weisung kann nur die Ausübung des Stimmrechts als Ja-Stimme, Nein-Stimme oder Enthaltung betreffen. Eine Weisung zur Stellung von Anträgen ist nicht möglich.16) Bei nicht angekündigten Anträgen (Gegen-, Verfahrensanträge) ist durch Auslegung zu ermitteln, ob eine Weisung vorliegt.17) Eine Abweichung von der Weisung ist zulässig, wenn anzunehmen ist, dass der Aktionär bei Kenntnis der Sachlage dies billigen würde.18) Eine Pflicht zum Abweichen besteht nur, wenn die weisungsgemäße Stimmangabe erkennbar den Interessen des Aktionärs widerspricht.19) Liegt keine konkrete Weisung vor, darf das Kreditinstitut das Stimmrecht nach § 135 Abs. 1 8 Satz 4 nur ausüben, wenn die Vollmacht eine Stimmrechtsausübung gemäß eigenen Abstimmungsvorschlägen oder gemäß den Vorschlägen der Verwaltung vorsieht (generelle Vollmacht). Das Kreditinstitut kann eine oder beide Varianten anbieten.20) Dann gelten § 135 Abs. 1 Satz 5 sowie für eigene Vorschläge zudem § 135 Abs. 2 und Abs. 3 (siehe Rz. 10 ff.) oder für Vorschläge der Verwaltung § 135 Abs. 4 (siehe Rz. 20). Nach § 135 Abs. 1 Satz 5 muss das Kreditinstitut anbieten, die zur Stimmrechtsvertretung erforderlichen Unterlagen _____________ 9) BGH, Urt. v. 19.7.2011 – II ZR 124/10, ZIP 2011, 1813, dazu EWiR 2011, 689 (Linnerz); KG Berlin, Urt. v. 21.9.2009 – 23 U 46/09, NZG 2009, 1389, 1390, dazu EWiR 2010, 37 (Willburger). 10) Zöllner in: KölnKomm-AktG, § 135 Rz. 117 ff.; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 135 Rz. 11, Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 135 Rz. 6. 11) Begr. RegE z. NaStraG, BT-Drucks. 14/4051, S. 15; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 135 Rz. 9a. 12) Hölters-Hirschmann, AktG, § 135 Rz. 8; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 135 Rz. 9a. 13) Arnold in: MünchKomm-AktG, § 135 Rz. 94, 77; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 135 Rz. 29. 14) Spindler/Stilz-Riekers, AktG, § 135 Rz. 67; die h. M. hält eine Ausschlussfrist für unzulässig – z. B. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 135 Rz. 24. 15) Arnold in: MünchKomm-AktG, § 135 Rz. 93; Bürgers/Körber-Holzborn, AktG, § 135 Rz. 20. 16) Hüffer/Koch-Koch, AktG § 135 Rz. 24; Spindler/Stilz-Riekers, AktG, § 135 Rz. 65. 17) Spindler/Stilz-Riekers, AktG, § 135 Rz. 73 ff. – mit Fallbsp.; Bürgers/Körber-Holzborn, AktG, § 135 Rz. 20. 18) LG Düsseldorf, Urt. v. 4.6.1991 – 10 O 187/89, AG 1991, 409; Heermann, ZIP 1994, 1243, 1246. 19) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 135 Rz. 32; Spindler/Stilz-Riekers, AktG, § 135 Rz. 79. 20) Begr. RegE z. ARUG, BT-Drucks. 16/11642, S. 50; Hölters-Hirschmann, AktG, § 135 Rz. 9; J. Schmidt, WM 2009, 2350.

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§ 135 Ausübung des Stimmrechts durch Kreditinstitute und geschäftsmäßig Handelnde bis auf Widerruf einer Aktionärsvereinigung oder – nach Wahl des Aktionärs – einem sonstigen Vertreter zuzuleiten. Die Auswahl der Aktionärsvereinigung oder des Vertreters obliegt dem Aktionär; das Kreditinstitut kann einen Vorschlag unterbreiten, muss es aber nicht. Wird die Vollmacht an eine Aktionärsvereinigungen bzw. Dritten nicht gesondert erteilt, liegt in der Weiterleitung der Unterlagen zugleich eine konkludente Vollmacht.21) Eine Pflicht zur Weiterleitung der Unterlagen besteht aber nur i. R. des Zumutbaren.22) 4.

Verhaltens- und Hinweispflichten

9 Nach § 135 Abs. 1 Satz 6 muss das Kreditinstitut die Aktionäre jährlich und deutlich auf die Möglichkeit des jederzeitigen Widerrufs der Vollmacht und die Einsetzung eines anderen Bevollmächtigten hinweisen. Bietet ein Kreditinstitut die Stimmrechtsausübung nach § 135 Abs. 1 Satz 4 an, muss es nach § 135 Abs. 1 Satz 7 ein Formblatt oder Bildschirmformular bereithalten, um dem Aktionär die Abgabe von vertretungsrelevanten Erklärungen zu erleichtern. Das Formular muss dem Aktionär die eindeutige Erteilung bzw. den Widerruf von Einzelweisungen, einer generellen Weisung und eines Weiterleitungsauftrages ermöglichen.23) Verstöße gegen diese Pflichten beeinflussen weder die Wirksamkeit der Vollmacht noch die Wirksamkeit der Stimmabgabe (siehe Rz. 26). III.

Stimmrechtsausübung gemäß eigenen Vorschlägen (§ 135 Abs. 2, Abs. 3)

10 § 135 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 gestattet es Kreditinstituten, die Stimmrechtsausübung nach eigenen Abstimmungsvorschlägen anzubieten. Eine Verpflichtung dazu besteht nicht. 1.

Unterbreitung eigener Abstimmungsvorschläge (§ 135 Abs. 2 Satz 1, Satz 2)

11 Wenn das Kreditinstitut die Stimmrechtsvertretung nach eigenen Vorschlägen anbieten will, muss es gemäß § 135 Abs. 2 Satz 1 den Aktionären eigene Vorschläge für alle Gegenstände der Tagesordnung, bei denen eine Beschlussfassung vorgesehen ist, zugänglich machen. Eine Übersendung in Papierform ist nicht erforderlich, es reicht die auffindbare Veröffentlichung auf der Homepage des Kreditinstituts oder die Übersendung per E-Mail bzw. in ein elektronisches Bankpostfach.24) Die Vorschläge sind rechtzeitig zugänglich zu machen, damit der Aktionär Zeit hat, diese zu prüfen und gegen die Variante der Einzelweisung, abzuwägen.25) 12 Inhaltlich müssen Abstimmungsvorschläge § 135 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 genügen. Demnach hat das Kreditinstitut die Vorschläge am Interesse der Aktionäre auszurichten; Eigeninteressen dürfen keine Berücksichtigung finden. Maßgeblich ist ein typisches, auf langfristige Wertsteigerung gerichtetes Aktionärsinteresse.26) Die Vorschläge können schlicht auf Zustimmung, Ablehnung oder Enthaltung lauten; das Kreditinstitut kann aber auch eigene Gegenanträge stellen und dazu Abstimmungsvorschläge unterbreiten.27) 13 In organisatorischer Hinsicht fordert § 135 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 Vorkehrungen zur Absicherung der Abstimmungsvorschläge gegen Eigeninteressen aus anderen Geschäftsbereichen. Die zuständigen Mitarbeiter müssen die Vorschläge unabhängig von anderen Ge_____________ 21) Begr. RegE z. ARUG, BT-Drucks. 16/11642, S. 51; Spindler/Stilz-Riekers, AktG, § 135 Rz. 35. 22) Spindler/Stilz-Riekers, AktG, § 135 Rz. 37; Heidel-Pluta, AktR, § 135 AktG Rz. 8; J. Schmidt, WM 2009, 2350. 23) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 135 Rz. 22; Hölters-Hirschmann, AktG, § 135 Rz. 14. 24) Begr. RegE z. ARUG, BT-Drucks. 16/11642, S. 34; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 135 Rz. 34. 25) Spindler/Stilz-Riekers, AktG, § 135 Rz. 50; Hölters-Hirschmann, AktG, § 135 Rz. 17. 26) Bungertin: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 36 Rz. 74; Semler/Volhard/Reichert-Schlitt/Becker, ArbHdb. HV, § 4 Rz. 282; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 135 Rz. 20. 27) Spindler/Stilz-Riekers, AktG, § 135 Rz. 49.

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Ausübung des Stimmrechts durch Kreditinstitute und geschäftsmäßig Handelnde

§ 135

schäftsbereichen, wie etwa dem Kredit- und Emissionsgeschäft oder der Beteiligungsverwaltung ausarbeiten, und dürfen keiner Weisungsbindung unterliegen.28) Das Kreditinstitut muss gemäß § 135 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 ein Mitglied der Geschäftsleitung benennen, dass die Einhaltung der Pflichten bei Aufstellung der Vorschläge und der Stimmrechtsausübung sowie die dazugehörige Dokumentation überwacht. Die Wahl des „Compliance Officers“ erfolgt durch die Geschäftsleitung oder in deren Geschäftsordnung.29) 2.

Hinweis- und Meldepflichten (§ 135 Abs. 2 Sätze 3 – 5)

Das Kreditinstitut hat nach § 135 Abs. 2 Satz 3 zusammen mit den Abstimmungsvor- 14 schlägen stets darauf hinzuweisen, dass es gemäß seiner Vorschläge abstimmen wird, wenn der Aktionär nicht rechtzeitig (siehe Rz. 7) andere Weisungen erteilt. Gehört ein Vorstandmitglied oder Mitarbeiter des Kreditinstituts dem Aufsichtsrat der 15 Gesellschaft oder umgekehrt, ein Vorstandsmitglied oder Mitarbeiter der Gesellschaft dem Aufsichtsrat des Kreditinstituts, an, hat das Kreditinstitut dies dem Aktionär gemäß § 135 Abs. 2 Satz 4 mitzuteilen. Wird das Kreditinstitut nicht als AG geführt, gilt dies für vergleichbare Funktionsträger (z. B. Geschäftsführer bei GmbH) entsprechend.30) Bei ehemaligen Vorstandsmitgliedern und Mitarbeitern greift § 135 Abs. 2 Satz 4 nicht.31) Hält das Kreditinstitut an der Gesellschaft meldepflichtige Beteiligungen i. S. des § 33 16 WpHG, muss darauf hingewiesen werden (§ 135 Abs. 2 Satz 5 Alt. 1). Bei Berechnung der Beteiligungshöhe ist § 34 WpHG anwendbar, wobei die Vollmachtsstimmrechte – mangels eigenem Ermessen – dem Kreditinstitut nicht zuzurechen sind.32) Mitzuteilen ist der überschrittene Schwellenwert des § 33 WpHG, nicht die genaue Beteiligungshöhe.33) Die Hinweispflicht besteht auch, wenn das Kreditinstitut zeitlich die letzte Emission von Wertpapieren der Gesellschaft übernommen oder geführt hat und diese maximal fünf Jahre zurückliegt (§ 135 Abs. 2 Satz 5 Alt. 2). Die Art der Emission (Aktien, Anleihen, sonstige Wertpapiere) ist unbedeutend, ebenso der Umfang der Beteiligung des Kreditinstituts.34) Maßgeblicher Zeitpunkt für den Beginn der Frist ist das Ende der Emissionstätigkeit. 3.

Bindung an eigene Abstimmungsvorschläge (§ 135 Abs. 3 Satz 1, Satz 2)

Das Kreditinstitut ist an die eigenen Abstimmungsvorschläge genauso gebunden wie an 17 Weisungen des Aktionärs (§ 135 Abs. 3 Satz 1). Eine Abweichung vom Abstimmungsvorschlag ist jedoch nach § 135 Abs. 3 Satz 1 (der § 665 Satz 1 BGB nachgebildet wurde) zulässig, wenn anzunehmen ist, dass Aktionär bei Kenntnis der Sachlage dies billigen würde. Eine Pflicht zur Abweichung besteht nur, wenn die Interessen des Aktionärs dies erfordern (siehe Rz. 7). Die Abweichung von Vorschlägen muss nach § 135 Abs. 3 Satz 2 unverzüglich gegenüber dem Aktionär berichtet und begründet werden. 4.

Erfordernis von Einzelweisungen (§ 135 Abs. 3 Satz 3, Satz 4)

Die Ausübung des Stimmrechts in eigener Hauptversammlung ist dem Kreditinstitut 18 nach § 135 Abs. 3 Satz 3 nur gestattet, soweit der Aktionär Einzelweisungen erteilt hat. _____________ Begr. RegE z. KonTraG, BT-Drucks. 13/9712, S. 18; ausführlich Marsch-Barner in: FS Peltzer, S. 261, 266 f. Spindler/Stilz-Riekers, AktG, § 135 Rz. 55; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 135 Rz. 22. Arnold in: MünchKomm-AktG, § 135 Rz. 89; Zöllner in: KölnKomm-AktG, § 135 Rz. 381 ff. Begr. RegE z. KonTraG, BT-Drucks. 13/9712, S. 19; Hölters-Hirschmann, AktG, § 135 Rz. 22. Begr. RegE z. ARUG, BT-Drucks. 16/11642, S. 34; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 135 Rz. 26. Anders wohl Begr.RegE z. KonTraG, BT-Drucks. 13/9712, S. 19; wie hier Spindler/Stilz-Riekers, AktG, § 135 Rz. 60. 34) Spindler/Stilz-Riekers, AktG, § 135 Rz. 61; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 135 Rz. 27.

28) 29) 30) 31) 32) 33)

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§ 135 Ausübung des Stimmrechts durch Kreditinstitute und geschäftsmäßig Handelnde Ein faktisches Verwaltungsstimmrecht soll verhindert werden. „Einzelweisung“ bedeutet nicht, dass zu jedem Beschlussgegenstand eine gesonderte Weisung ergehen muss, es genügt auch eine Weisung, dass bei allen Beschlussgegenstände für den Verwaltungsvorschlag zu stimmen ist.35) 19 Ist das Kreditinstitut am Grundkapital der Gesellschaft mit mehr als 20 % beteiligt, darf es das Vollmachtstimmrecht nach § 135 Abs. 3 Satz 4 ebenfalls nur ausüben, soweit Einzelweisungen der Aktionäre vorliegen. Maßgeblich ist die Beteiligung am Grundkapital der AG im Zeitpunkt der Hauptversammlung. Bei der Berechnung sind auch mittelbare Beteiligungen sowie von Dritten für das Kreditinstitut gehaltene Aktien gemäß § 16 Abs. 4 einzubeziehen.36) Die Regelung will eine Einflusskumulation aus eigenem Stimmrecht und Vollmachtsstimmrecht verhindern. IV.

Stimmrechtsausübung gemäß Verwaltungsvorschlägen (§ 135 Abs. 4)

20 Bietet das Kreditinstitut die Stimmrechtsausübung gemäß den Vorschlägen von Vorstand und Aufsichtsrat nach § 135 Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 an, muss es grundsätzlich dem Aktionär die Vorschläge zugänglich machen. Dies gilt nicht, sofern wie üblich die Einberufung der Hauptversammlung auf der Homepage der Gesellschaft (§ 124a) oder im elektronischen Bundesanzeiger veröffentlicht wurde.37) Wenn das Kreditinstitut für die Möglichkeit der Kenntnisnahme zu sorgen hat, gelten die Hinweispflichten des § 135 Abs. 2 Satz 3 (siehe Rz. 14) sowie die Rechenschaftspflicht des § 135 Abs. 3 Satz 1 bis 3 (siehe Rz. 17). Die Einschränkung hinsichtlich der Stimmrechtsvertretung bei eigener Beteiligung des Kreditinstituts gemäß § 135 Abs. 3 Satz 4 (siehe Rz. 19) greift hingegen nicht. V.

Art und Weise der Vollmachtsausübung (§ 135 Abs. 5), Legitimation

21 Nach § 135 Abs. 5 Satz 1 ist die Erteilung einer Untervollmacht durch das Kreditinstitut an eigene Angestellte stets zulässig, Untervollmachten an Dritte hingegen nur, wenn die Vollmacht dies ausdrücklich gestattet. Auch die Untervollmacht an den von der Gesellschaft benannten Stimmrechtsvertreter ist nach h. M. zulässig.38) 22 § 135 Abs. 5 Satz 2 legt fest, dass die Vollmacht im Regelfall „im Namen dessen, den es angeht“ ausgeübt wird. Dadurch wird die Anonymität des Aktionärs gewahrt; offengelegt wird nur, dass das Kreditinstitut als Vertreter handelt. Dadurch wird der Ersatz für die Legitimationsübertragung geschaffen und das Kreditinstitut das Recht zur Geheimhaltung eingeräumt.39) Auch besteht keine Pflicht die Vollmachtserteilung gegenüber der Gesellschaft nachzuweisen; die Legitimation des Kreditinstituts erfolgt bei börsennotierten Gesellschaften durch einen Berechtigungsnachweis nach § 123 Abs. 4 (siehe § 123 Rz. 15). Aus dem Teilnehmerverzeichnis ist aber wegen § 129 Abs. 2 ersichtlich, ob das Kreditinstitut für eigene Aktien oder Vollmachtsbesitz handelt. Zulässig ist auch offene Stimmabgabe im Namen des Aktionärs.40) Gemäß § 135 Abs. 5 Satz 3 darf das Kreditinstitut das Vollmachtstimmrecht auch mittels Briefwahl ausüben, sofern die Satzung dies zulässt. 23 Das Kreditinstitut, welches Stimmrechte für Aktionäre ausübt, muss sich gegenüber der Gesellschaft legitimieren. Bei börsennotierten Gesellschaften genügt gemäß § 135 Abs. 5 _____________ 35) 36) 37) 38) 39)

K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 135 Rz. 42; Spindler/Stilz-Riekers, AktG, § 135 Rz. 87. Begr. RegE z. KonTraG, BT-Drucks. 13/9712, S. 20; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 135 Rz. 34. Begr. RegE z. ARUG, BT-Drucks. 16/11642, S. 34; Heidel-Pluta, AktR, § 135 AktG Rz. 18. Spindler/Stilz-Riekers, AktG, § 135 Rz. 42; a. A. K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 135 Rz. 19. BGH, Urt. v. 20.3.1995 – II ZR 205/94 (Girmes), ZIP 1995, 819 = NJW 1995, 1739; Hüffer/KochKoch, AktG, § 135 Rz. 40. 40) Begr. RegE z. ARUG, BT-Drucks. 16/11642, S. 35; Spindler/Stilz-Riekers, AktG, § 135 Rz. 94.

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Ausübung des Stimmrechts durch Kreditinstitute und geschäftsmäßig Handelnde

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Satz 4 stets die Vorlage einer Bankbescheinigung i. S. des § 123 Abs. 4. Ansonsten gelten nach § 135 Abs. 5 Satz 4 die gleichen Anforderungen wie bei Eigenbesitz. Insofern kann die Satzung andere Legitimationsanforderungen festlegen.41) VI.

Fremde Namensaktien, Legitimationsübertragung (§ 135 Abs. 6)

Die Stimmrechtsausübung für fremde Namensaktien, für die das Kreditinstitut als Inhaber 24 im Aktienregister eingetragen ist, ist gemäß § 135 Abs. 6 Satz 1 aufgrund einer Ermächtigung (Legitimationsübertragung) möglich. Durch Eintragung im Aktienregister gilt das Kreditinstitut gegenüber der Gesellschaft gemäß § 67 Abs. 2 als Aktionär und ist damit zur Stimmrechtsausübung legitimiert.42) Das Kreditinstitut kann daher in eigenem Namen auftreten, der Aktionär bleibt anonym. Da das Kreditinstitut gegenüber der Gesellschaft als Aktionär gilt, kann dieser keine Vollmacht erteilen. Die Legitimationsübertragung erfolgt stattdessen gemäß § 135 Abs. 6 Satz 1 mittels Zession i. S. von § 129 Abs. 3. Für die Erteilung und Ausübung der Ermächtigung gelten nach § 135 Abs. 6 Satz 2 die gleichen Rechte und Pflichten wie für die Erteilung und Ausübung des Vollmachtstimmrechts. Ausnahme ist der Verzicht auf die Benennung des Aktionärs. Die Ermächtigung bedarf keiner besonderen Form.43) Die Stimmrechtsausübung darf auch bei fremden Namensaktien nur nach Einzelweisung oder gemäß eigener Abstimmungsvorschläge oder den Vorschlägen der Verwaltung erfolgen.44) Wegen der Weisungsgebundenheit ist das Kreditinstitut trotz Eintragung im Aktienregister nicht nach §§ 33, 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 WpHG meldepflichtig.45) Ist nicht das Kreditinstitut, sondern der Aktionär selbst im Aktienregister eingetragen, so 25 ist die Vertretung nur durch Vollmacht unter Benennung des Aktionärs möglich;46) eine anonyme Vertretung nach § 135 Abs. 5 Satz 2 ist ausgeschlossen. VII. Rechtsfolgen (§ 135 Abs. 7) und Sanktionen (§ 135 Abs. 9) Nach § 135 Abs. 7 beeinträchtigen Verstöße gegen die § 135 Abs. 1 – 6 grundsätzlich 26 nicht die Wirksamkeit der Stimmrechtsausübung. Einzig ein Verstoß gegen § 135 Abs. 1 Satz 1 schlägt auf die Wirksamkeit der Stimmabgabe durch; fehlt die Vollmacht komplett, ist die Stimmabgabe unwirksam und der Hauptversammlungsbeschluss anfechtbar, sofern die betroffenen Stimmen für das Abstimmungsergebnis relevant waren (siehe § 134 Rz. 22).47) Ein Verstoß kann ferner gemäß § 405 Abs. 3 Nr. 4 und 5 eine Ordnungswidrigkeit darstellen. Ein Verstoß gegen die § 135 Abs. 1–6 kann einen Schadensersatzanspruch des Aktionärs 27 wegen Verletzung des Depotvertrages oder des mit der Vollmacht verbundenen Auftrages (§ 280 Abs. 1 BGB), wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) und nach h. M. auch aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 135 ergeben.48) Ein im Vorhinein vereinbarter Ausschluss oder die Beschränkung der Schadensersatzpflicht des Kreditinstituts ist gemäß § 135 Abs. 9 nicht möglich. Dies entspricht § 128 Abs. 2 und soll einen formularmäßigen Haftungsausschluss in Geschäftsbedingungen des Depotvertrages oder im Voll_____________ 41) 42) 43) 44) 45) 46) 47)

K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 135 Rz. 25. Arnold in: MünchKomm-AktG, § 135 Rz. 181; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 135 Rz. 50. Begr. RegE z. NaStraG, BT-Drucks. 14/4051, S. 16. Spindler/Stilz-Riekers, AktG, § 135 Rz. 100. Begr. RegE z. NaStraG, BT-Drucks. 14/4051, S. 16; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 135 Rz. 51. Heidel-Pluta, AktR, § 135 AktG Rz. 25; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 135 Rz. 45. Grundmann in: GroßKomm-AktG, § 135 Rz. 108; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 39 Rz. 66; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 135 Rz. 46. 48) Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 39 Rz. 64; ob § 135 Schutzgesetz ist, ist streitig, vgl. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 135 Rz. 51.

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§ 135 Ausübung des Stimmrechts durch Kreditinstitute und geschäftsmäßig Handelnde machtsvordruck vermeiden.49) Nachträgliche Vereinbarungen über entstandene Schadensersatzansprüche als Vergleich oder Erlassvertrag (§ 397 BGB) sind zulässig. 28 Vom Wortlaut gilt § 135 Abs. 9 nur für Kreditinstitute und gleichgestellte Institute i. S. des § 135 Abs. 10. Eine Analogie für Aktionärsvereinigungen und geschäftsmäßig Handelnde (§ 135 Abs. 8) scheidet nach zutreffender, aber umstrittener Auffassung aus.50) VIII. Erweiterung des persönlichen Anwendungsbereichs (§ 135 Abs. 8, Abs. 10) 1.

Aktionärsvereinigungen und geschäftsmäßig Handelnde (§ 135 Abs. 8)

29 Nach § 135 Abs. 8 sind Aktionärsvereinigungen und Personen, die sich geschäftsmäßig gegenüber Aktionären zur Ausübung des Stimmrechts in der Hauptversammlung erbieten, hinsichtlich der Stimmrechtsausübung, den Kreditinstituten gleichgestellt. Dadurch soll auch bei wiederholt agierenden Stimmrechtsvertretern sichergestellt werden, dass sich die Stimmrechtsausübung am Willen und den Weisungen der Aktionäre orientiert.51) Der Begriff der Aktionärsvereinigung wird auch in § 125 Abs. 1 verwendet, ist aber nicht definiert; die h. M. versteht darunter einen auf Dauer angelegten, mitgliedschaftlichen Zusammenschluss von Personen mit dem Zweck, Aktionärsrechte in organisierter Form auszuüben.52) Geschäftsmäßiges Handeln setzt Wiederholungsabsicht und Entgeltlichkeit voraus;53) wobei sich die Geschäftsmäßigkeit auf das Sich-Erbieten (z. B. durch Abstimmungsvorschläge) und nicht auf die Stimmrechtsausübung bezieht.54) Nicht erfasst sind daher Anwälte und Vermögensverwalter, die nicht aktiv an Kunden herantreten,55) sowie als Stimmrechtsvertreter eingesetzte Mitarbeiter der Gesellschaft.56) Demgegenüber fällt ein sonstiger von der Gesellschaft benannter, geschäftsmäßiger Stimmrechtsvertreter in den Anwendungsbereich des § 135 Abs. 8.57) 30 Von der Gleichstellung mit Kreditinstituten werden gemäß § 135 Abs. 8 Halbs. 2 nicht erfasst: Gesetzlicher Vertreter, Ehegatte/Lebenspartner des Aktionärs oder mit Personen, die mit diesem bis zum vierten Grade verwandt (§ 1589 Satz 3 BGB) oder verschwägert (§ 1590 BGB) sind. Grund dafür ist, dass nach Ansicht des Gesetzgebers bei diesen Personen die Wahrung der Aktionärsinteressen selbstverständlich ist.58) 31 Für die von § 135 Abs. 8 erfassten Personen und Institutionen, gelten die § 135 Abs. 1 – 7 sinngemäß. Voraussetzung für eine wirksame Bevollmächtigung ist auch hier eine schriftliche Vollmacht nach Maßgabe des § 135 Abs. 1. Ausgeübt wird die Vollmacht gemäß § 135 Abs. 5, regelmäßig also im Namen dessen, den es angeht. Hinsichtlich Weisungen gelten § 135 Abs. 3 Sätze 1 – 3. Die Weiterleitungspflicht nach § 135 Abs. 1 Satz 5 gilt jedoch nicht, wenn die Vereinigung selber Adressat einer Weiterleitung war.59) _____________ 49) Begr. RegE in: Kropff, AktG, S. 200; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 135 Rz. 191. 50) Grundmann in: GroßKomm-AktG, § 135 Rz. 29a; Spindler/Stilz-Riekers, AktG, § 135 Rz. 112; a. A. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 135 Rz. 51. 51) Begr. RegE in: Kropff, AktG, S. 199. 52) Grundmann in: GroßKomm-AktG, § 135 Rz. 24; Hölters-Hirschmann, AktG, § 135 Rz. 38. 53) BGH, Urt. v. 20.3.1995 – II ZR 205/94 (Girmes), ZIP 1995, 818 = NJW 1995, 1739; Zöllner in: KölnKomm-AktG, § 135 Rz. 739 ff. 54) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 135 Rz. 63; Grundmann in: GroßKomm-AktG, § 135 Rz. 26. 55) BGH, Urt. v. 20.3.1995 – II ZR 205/94 (Girmes), ZIP 1995, 819 = NJW 1995, 1739; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 135 Rz. 36; a. A. wohl Heidel-Pluta, AktR, § 135 AktG Rz. 28. 56) Arnold in: MünchKomm-AktG, § 135 Rz. 40. 57) OLG Hamm, Urt. v. 8.10.2012 – I-8 U 270/11, ZIP 2013, 1024 = NZG 2013, 302; eingeschränkt Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 135 Rz. 106a. 58) Begr. RegE in: Kropff, AktG, S. 199. 59) Hölters-Hirschmann, AktG, § 135 Rz. 41.

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Boris Dürr

§ 136

Ausschluß des Stimmrechts 2.

Gleichstellung Finanzdienstleister und ausländische Unternehmen (§ 135 Abs. 10)

Finanzdienstleistungsinstitute i. S. der §§ 1 Abs. 1a, 2 Abs. 6 KWG, ausländische Unter- 32 nehmen, die im Inland Zweigstelle betreiben (§ 53 Abs. 1 Satz 1 KWG) bzw. ausländische Unternehmen mit Sitz in EWR-Mitgliedstaat, die keine Zweigstelle im Inland betreiben, ihre Dienste aber im Inland anbieten (§ 53 Abs. 1 Satz 1, Abs. 7 KWG) werden über die Verweiskette der §§ 135 Abs. 10, 125 Abs. 5 ebenfalls vom Anwendungsbereich des § 135 erfasst. Die Vorschrift soll sicherstellen, dass konkurrierende Dienstleistungsanbieter, die Versammlungsrechte von Aktionären wahrnehmen, auch den gleichen Pflichten wie Kreditinstitute unterliegen.

§ 136 Ausschluß des Stimmrechts (1) 1Niemand kann für sich oder für einen anderen das Stimmrecht ausüben, wenn darüber Beschluß gefaßt wird, ob er zu entlasten oder von einer Verbindlichkeit zu befreien ist oder ob die Gesellschaft gegen ihn einen Anspruch geltend machen soll. 2 Für Aktien, aus denen der Aktionär nach Satz 1 das Stimmrecht nicht ausüben kann, kann das Stimmrecht auch nicht durch einen anderen ausgeübt werden. (2) 1Ein Vertrag, durch den sich ein Aktionär verpflichtet, nach Weisung der Gesellschaft, des Vorstands oder des Aufsichtsrats der Gesellschaft oder nach Weisung eines abhängigen Unternehmens das Stimmrecht auszuüben, ist nichtig. 2Ebenso ist ein Vertrag nichtig, durch den sich ein Aktionär verpflichtet, für die jeweiligen Vorschläge des Vorstands oder des Aufsichtsrats der Gesellschaft zu stimmen. Literatur: Altmeppen, Gibt es Stimmverbote in der Einmann-Gesellschaft?, NJW 2009, 3757; Bachmann, Die Einmann-AG, NZG 2001, 961; Faerber/Garbe, Stimmverbote bei indirekten Interessenkonflikten, GWR 2012, 219; Fischer, Entlastung von Vorständen bei Personenidentität in Konzerngesellschaften, NZG 1999, 192; Geßler, Die Behandlung von Stimmrechtsverboten in der Hauptversammlung, BB 1962, 1182; Grunsky, Stimmrechtsbeschränkungen in der Hauptversammlung, ZIP 1991, 778; Habersack, Grenzen der Mehrheitsherrschaft in Stimmrechtskonsortien, ZHR 164 (2000) 1; Heller, Richten in eigener Sache – Stimmrechtsausschluss bei Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern?, NZG 2009, 1170; Hoffmann, Einzelentlastung, Gesamtentlastung und Stimmverbote im Aktienrecht, NZG 2010, 290; Hügel/Klepsch, Entlastung und Stimmverbot bei Personenidentität im Konzern, NZG 2005, 905; Mayer, Grenzen von Aktionärsvereinbarungen, MittBayNot 2006, 281; Otto, Gebundene Aktien: Vertragliche Beschränkungen der Ausübung und Übertragbarkeit von Mitgliedschaftsrechten zugunsten der AG, AG 1991, 369; Petersen/Schulze De la Cruz, Das Stimmverbot nach § 136 I AktG bei der Entlastung von Vorstandsdoppelmandatsträgern, NZG 2012, 453; Schmidt, K., „Schutzgemeinschaftsvertrag II“: ein gesellschaftsrechtliches Lehrstück über Stimmrechtskonsortien Rechtssystematisches und Rechtspraktisches zum Urteil des BGH v. 24.11.2008 – II ZR 116/08, ZIP 2009, 216, ZIP 2009, 737; Villeda, Stimmrechtsausschluss nach § 136 AktG und § 47 GmbHG für Drittgesellschaften, ihre Organmitglieder und Gesellschafter, AG 2013, 57; Wank, Der Stimmrechtsausschluß im GmbH-Recht in der neueren Rechtsprechung des BGH, ZGR 1979, 222; Wertenbruch, Beschlussfassung und Pflichtverletzungen im Stimmrechtskonsortium, NZG 2009, 645.

Übersicht I. Regelungsgegenstand und -zweck ................................................. 1

II. Stimmverbot (§ 136 Abs. 1) ............. 4 1. Verbotsadressaten .............................. 5

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§ 136

Ausschluß des Stimmrechts 2.

Gleichstellung Finanzdienstleister und ausländische Unternehmen (§ 135 Abs. 10)

Finanzdienstleistungsinstitute i. S. der §§ 1 Abs. 1a, 2 Abs. 6 KWG, ausländische Unter- 32 nehmen, die im Inland Zweigstelle betreiben (§ 53 Abs. 1 Satz 1 KWG) bzw. ausländische Unternehmen mit Sitz in EWR-Mitgliedstaat, die keine Zweigstelle im Inland betreiben, ihre Dienste aber im Inland anbieten (§ 53 Abs. 1 Satz 1, Abs. 7 KWG) werden über die Verweiskette der §§ 135 Abs. 10, 125 Abs. 5 ebenfalls vom Anwendungsbereich des § 135 erfasst. Die Vorschrift soll sicherstellen, dass konkurrierende Dienstleistungsanbieter, die Versammlungsrechte von Aktionären wahrnehmen, auch den gleichen Pflichten wie Kreditinstitute unterliegen.

§ 136 Ausschluß des Stimmrechts (1) 1Niemand kann für sich oder für einen anderen das Stimmrecht ausüben, wenn darüber Beschluß gefaßt wird, ob er zu entlasten oder von einer Verbindlichkeit zu befreien ist oder ob die Gesellschaft gegen ihn einen Anspruch geltend machen soll. 2 Für Aktien, aus denen der Aktionär nach Satz 1 das Stimmrecht nicht ausüben kann, kann das Stimmrecht auch nicht durch einen anderen ausgeübt werden. (2) 1Ein Vertrag, durch den sich ein Aktionär verpflichtet, nach Weisung der Gesellschaft, des Vorstands oder des Aufsichtsrats der Gesellschaft oder nach Weisung eines abhängigen Unternehmens das Stimmrecht auszuüben, ist nichtig. 2Ebenso ist ein Vertrag nichtig, durch den sich ein Aktionär verpflichtet, für die jeweiligen Vorschläge des Vorstands oder des Aufsichtsrats der Gesellschaft zu stimmen. Literatur: Altmeppen, Gibt es Stimmverbote in der Einmann-Gesellschaft?, NJW 2009, 3757; Bachmann, Die Einmann-AG, NZG 2001, 961; Faerber/Garbe, Stimmverbote bei indirekten Interessenkonflikten, GWR 2012, 219; Fischer, Entlastung von Vorständen bei Personenidentität in Konzerngesellschaften, NZG 1999, 192; Geßler, Die Behandlung von Stimmrechtsverboten in der Hauptversammlung, BB 1962, 1182; Grunsky, Stimmrechtsbeschränkungen in der Hauptversammlung, ZIP 1991, 778; Habersack, Grenzen der Mehrheitsherrschaft in Stimmrechtskonsortien, ZHR 164 (2000) 1; Heller, Richten in eigener Sache – Stimmrechtsausschluss bei Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern?, NZG 2009, 1170; Hoffmann, Einzelentlastung, Gesamtentlastung und Stimmverbote im Aktienrecht, NZG 2010, 290; Hügel/Klepsch, Entlastung und Stimmverbot bei Personenidentität im Konzern, NZG 2005, 905; Mayer, Grenzen von Aktionärsvereinbarungen, MittBayNot 2006, 281; Otto, Gebundene Aktien: Vertragliche Beschränkungen der Ausübung und Übertragbarkeit von Mitgliedschaftsrechten zugunsten der AG, AG 1991, 369; Petersen/Schulze De la Cruz, Das Stimmverbot nach § 136 I AktG bei der Entlastung von Vorstandsdoppelmandatsträgern, NZG 2012, 453; Schmidt, K., „Schutzgemeinschaftsvertrag II“: ein gesellschaftsrechtliches Lehrstück über Stimmrechtskonsortien Rechtssystematisches und Rechtspraktisches zum Urteil des BGH v. 24.11.2008 – II ZR 116/08, ZIP 2009, 216, ZIP 2009, 737; Villeda, Stimmrechtsausschluss nach § 136 AktG und § 47 GmbHG für Drittgesellschaften, ihre Organmitglieder und Gesellschafter, AG 2013, 57; Wank, Der Stimmrechtsausschluß im GmbH-Recht in der neueren Rechtsprechung des BGH, ZGR 1979, 222; Wertenbruch, Beschlussfassung und Pflichtverletzungen im Stimmrechtskonsortium, NZG 2009, 645.

Übersicht I. Regelungsgegenstand und -zweck ................................................. 1

II. Stimmverbot (§ 136 Abs. 1) ............. 4 1. Verbotsadressaten .............................. 5

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§ 136

Ausschluß des Stimmrechts

a) Aktionäre, Vertreter, Legitimationsaktionäre, Treuhänder .... 5 b) Beteiligung von Drittgesellschaften ...................................... 10 aa) Stimmverbote gegen Gesellschafter ....................................... 11 bb) Stimmverbote gegen Organmitglieder ................................... 12 cc) Stimmverbote gegen Drittgesellschaft ................................. 13 2. Objektive Voraussetzungen des Stimmverbots ................................... 14 a) Entlastung .................................. 15 b) Befreiung von einer Verbindlichkeit ........................................ 17 I.

c) Geltendmachung von Ansprüchen ...................................... 18 3. Rechtsfolgen ..................................... 19 III. Stimmbindungsverträge (§ 136 Abs. 2) ................................... 21 1. Zulässigkeit von Stimmbindungsverträgen ........................................... 21 a) Allgemeines ................................ 21 b) Inhaltliche Ausgestaltung .......... 24 2. Nichtigkeit von Stimmbindungen nach § 136 Abs. 2 .............................. 26 a) Allgemeines ................................ 26 b) Tatbestandliche Voraussetzungen ......................................... 27 c) Rechtsfolgen der Nichtigkeit .... 29

Regelungsgegenstand und -zweck

1 § 136 regelt in Absatz 1 Stimmverbote für Fälle des „Richtens in eigener Sache“ und in Absatz 2 die Nichtigkeit von Stimmbindungsverträgen, durch die der Verwaltung zulasten der Aktionäre Einfluss auf deren Abstimmungsfreiheit eingeräumt würde. Die Regelungen des § 136 sind zwingend (§ 23 Abs. 5). 2 § 136 Abs. 1 bezweckt die Neutralisierung von gesellschaftsfremden Partikularinteressen bei der Stimmabgabe. Die einzelne Stimmabgabe sowie der Hauptversammlungsbeschluss sollen sich primär am Gesellschaftsinteresse, und nicht an Eigeninteressen der Abstimmenden orientieren.1) Zwar ist es grundsätzlich gestattet, die Stimmabgabe auch an Eigeninteressen auszurichten; das Gesellschaftsinteresse soll aber nicht ausgeblendet werden. Für bestimmte Situationen, in denen das Gesellschaftsinteresse gegenüber den Partikularinteressen zu sehr in den Hintergrund zu geraten droht, enthält § 136 Abs. 1 daher ein Stimmverbot (weitere Stimmrechtsausschlussgründe siehe § 133 Rz. 13). 3 § 136 Abs. 2 verhindert, dass die Gesellschaft oder deren Verwaltung Einfluss auf die Willensbildung der Hauptversammlung hat. Die Vorschrift sichert die Gewaltenteilung zwischen den Organen und trägt dem Principal-Agent-Konflikt Rechnung. II.

Stimmverbot (§ 136 Abs. 1)

4 Das Stimmverbot des § 136 Abs. 1 setzt die Erfüllung des persönlichen und sachlichen Anwendungsbereiches voraus. Ausgeschlossen ist ein Stimmverbot bei der Einmann-AG, da kein dem § 136 Abs. 1 zugrunde liegender Interessengegensatz besteht.2) Gleiches gilt, wenn alle stimmberechtigten Aktionäre einem Stimmverbot unterliegen, da sonst kein Beschluss gefasst werden könnte.3) Das Stimmverbot darf nicht durch bewusste Gestaltungen ausgehebelt werden. Bei der vorübergehender Übertragung von Aktien kann das Stimmverbot in Ausnahmefällen, wenn eine Umgehungsabsicht offensichtlich ist, auch den Erwerber treffen.4) _____________ 1) 2)

3) 4)

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Zöllner in: KölnKomm-AktG, § 136 Rz. 2; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 136 Rz. 1. BGH, Beschl. v. 12.7.2011 – II ZR 58/10 (HVB/UniCredit), ZIP 2011, 1508; BGH, Urt. v. 24.10.1988 – II ZB 7/88, ZIP 1989, 29; OLG München, Urt. v. 3.3.2010 – 7 U 4744/09, ZIP 2010, 725, dazu EWiR 2010, 305 (Goslar/v. d. Linden); Altmeppen, NJW 2009, 3757 ff.; Bachmann, NZG 2001, 961, 968; a. A. bei Abberufung des besonderen Vertreters gemäß § 147 – Lutter, ZIP 2009, 2203 (Anm. zu LG München v. 27.8.2009 – 5 HKO 21656/08). Grundmann in: GroßKomm-AktG, § 136 Rz. 19; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 136 Rz. 7. OLG München, Urt. v. 26.1.2011 – 7 U 3764/10; GWR 2011, 113 mit Anm. Köhl; LG Potsdam, Urt. v. 30.9.2009 – 52 O 67/08, GWR 2010, 142 mit Anm. Karrer.

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§ 136

Ausschluß des Stimmrechts 1.

Verbotsadressaten

a)

Aktionäre, Vertreter, Legitimationsaktionäre, Treuhänder

Adressat des Stimmverbots ist zunächst der Aktionär selbst. Für ihn gilt das Verbot auch, 5 wenn er das Stimmrecht für Dritte ausüben will und auch, wenn er nach Weisung handelt.5) Zu berücksichtigen sind dabei insbesondere bei konzernverbundenen AG vorkommende so genannte Vorstandsdoppelmandate, bei denen ein Vorstandsmitglied einer Obergesellschaft zugleich dem Vorstand der Untergesellschaft angehört.6) Wird das Stimmrecht durch Dritte ausgeübt, kann der Ausschlusstatbestand beim Ver- 6 treter oder beim Vertretenen bestehen. Nach § 136 Abs. 1 Satz 1 darf derjenige, der einem Stimmverbot unterliegt auch keine Stimmrechte aus fremden Aktien ausüben – auch nicht bei Weisungsgebundenheit. Dies gilt auch, wenn der Vertreter selbst kein Aktionär ist, aber als solcher einem Stimmverbot unterläge.7) Nach § 136 Abs. 1 Satz 2 kann der von der Stimmabgabe ausgeschlossene Aktionär sein Stimmrecht nicht durch einen Dritten ausüben lassen, auch wenn dieser keinem Stimmverbot unterliegt und weisungsfrei abstimmt.8) Die Stimmverbote des § 136 Abs. 1 erfassen neben der offenen Vertretung auch jede andere Form der Stimmrechtsausübung „für einen anderen“, wie –

verdeckte Vertretung beim Depotstimmrecht (§ 135 Abs. 5 Satz 2),



Untervertretung, Legitimationsübertragung (§ 129 Abs. 3),



Testamentsvollstreckung (§ 2205 BGB) und



Treuhand.9)

Bei der Stimmrechtsvertretung durch Kreditinstitute greift keines der Stimmverbote, so- 7 fern das Stimmrecht nach ausdrücklicher Weisung des Depotinhabers ausgeübt wird.10) Stehen Aktien mehreren Berechtigten gemeinschaftlich zu (Bruchteilsgemeinschaft 8 gemäß §§ 741 ff. BGB; Gütergemeinschaft gemäß §§ 1415 ff. BGB; Erbengemeinschaft gemäß §§ 2032 ff. BGB), greift das Stimmverbot eines Mitberechtigten nur, wenn der Betroffene maßgeblichen Einfluss auf die Stimmabgabe aus den Aktien hat.11) Ebenso greift bei Stimmbindungsverträgen das Stimmverbot eines Aktionärs für andere Mitglieder des Stimmpools, wenn der Betroffene maßgeblichen Einfluss auf die Stimmabgabe hat.12) Erfüllt ein Ehepartner, Lebensgefährte, Elternteil oder Abkömmling eines Aktionärs einen 9 Tatbestand des § 136 Abs. 1, so gilt nicht automatisch auch für den Aktionär ein Stimmverbot.13) Im Einzelfall kann jedoch ein Stimmverbot greifen, wenn Aktien zur Umgehung des Stimmverbots auf eine nahestehende Person übertragen wurden.14)

_____________ Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 136 Rz. 22; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 136 Rz. 31. Ausführlich Petersen/Schulze De la Cruz, NZG 2012, 453, 455 ff. Zöllner in: KölnKomm-AktG, § 136 Rz. 64 ff.; Hölters-Hirschmann, AktG, § 136 Rz. 22. LG Köln, Urt. v. 17.12.1997 – 91 O 131/97, ZIP 1998, 153; dazu Fischer, NZG 1999, 192. K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 136 Rz. 10; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 136 Rz. 29. Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 136 Rz. 39; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 39 Rz. 34. Arnold in: MünchKomm-AktG, § 136 Rz. 52; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 136 Rz. 19. Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 136 Rz. 36; Grundmann in: GroßKomm-AktG, § 136 Rz. 23. BGH, Urt. v. 16.2.1981 – II ZR 168/79, ZIP 1981, 399 = NJW 1981, 1512; BGH, Urt. v. 13.1.2003 – II ZR 227/00, ZIP 2003, 395, dazu EWiR 2003, 329 (Wilhelmi); BGH, Urt. v. 7.2.2012 – II ZR 230/09, ZIP 2012, 917; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 136 Rz. 20. 14) OLG Saarbrücken, Urt. v. 7.2.2007 – 1 U 243/06, BeckRS 2007, 04034; OLG Hamm, Urt. v. 1.9.2010 – I-8 U 118/09, ZIP 2011, 88 (LS) = AG 2011, 90, dazu EWiR 2011, 69 (Dürr); Arnold in: MünchKommAktG, § 136 Rz. 35.

5) 6) 7) 8) 9) 10) 11) 12) 13)

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§ 136 b)

Ausschluß des Stimmrechts Beteiligung von Drittgesellschaften

10 Interessenkollisionen können auch bei Beteiligung von Drittgesellschaften entstehen. Dabei stellen sich Zurechnungsfragen zwischen Drittgesellschaft und deren Gesellschafter und Organmitgliedern. Die rechtliche Selbständigkeit der Drittgesellschaft darf nicht vorschnell missachtet werden.15) Eine Zurechnung kann nur erfolgen, wenn die Gefahr einer von Sonderinteressen überlagerten Stimmrechtsausübung vergleichbar evident ist, als wenn die betroffene Person selbst Aktionär wäre. Entscheidend ist der Zweck des § 136, die Willensbildung nicht durch gesellschaftsfremde Interessen beeinträchtigen zu lassen, so dass unabhängig von der Rechtsform die tatsächliche Möglichkeit der Einflussnahme entscheidet.16) aa)

Stimmverbote gegen Gesellschafter

11 Unterliegen Gesellschafter der Drittgesellschaft einem Stimmverbot, greift dies auf die Drittgesellschaft durch, wenn die betroffenen Gesellschafter maßgeblichen Einfluss auf die Drittgesellschaft ausüben und ihr Stimmverhalten beeinflussen können.17) Ob ein maßgeblicher Einfluss vorliegt, ist durch eine Gesamtbetrachtung der Verhältnisse der Drittgesellschaft zu bestimmen. Da § 136 schon vor der abstrakten Gefahr schützen will, kommt es insofern nur auf die Möglichkeit der Einflussnahme an, also unabhängig vom tatsächlich ausgeübten Einfluss.18) Alleingesellschafter, einziger geschäftsführender Gesellschafter einer OHG oder einziger Komplementär einer KG besitzen stets maßgeblichen Einfluss, so dass das Stimmverbot auf die Drittgesellschaft durchgreift. Gleiches gilt, wenn das Stimmverbot sämtliche Gesellschafter der Drittgesellschaft betrifft. Sind nicht alle Gesellschafter betroffen, ist zunächst zu fragen, ob die betroffenen Gesellschafter die Drittgesellschaft i. S. des § 17 beherrschen.19) § 17 dient nur als Maßstab, auf eine Unternehmerstellung kommt es nicht an. Bei einer Mehrheitsbeteiligung gilt die widerlegliche Vermutung des § 17 Abs. 2.20) Eine Minderheitsbeteiligung oder die Stellung als einer von mehreren geschäftsführenden Gesellschaftern einer Personengesellschaft vermitteln alleine noch keinen maßgeblichen Einfluss. Entscheidend ist stets die Frage, ob die vom Stimmverbot betroffenen Personen einen gesicherten Einfluss auf die Ausübung des Stimmrechts haben. bb)

Stimmverbote gegen Organmitglieder

12 Die Stimmverbote für Organmitglieder einer Drittgesellschaft schlagen auf diese durch, wenn das betroffene Mitglied maßgeblichen Einfluss auf die Stimmrechtsausübung hat.21) Dies trifft auf alleinige gesetzliche Vertreter regelmäßig zu, auf Mitglieder von Kollegialorganen nur, wenn die befangenen Mitglieder rechtlich in der Lage sind, das Kollegialorgan _____________ 15) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 136 Rz. 16. 16) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 136 Rz. 25; a. A. Wank, ZGR 1979, 222. 17) OLG Hamm, Urt. v. 1.9.2010 – I-8 U 118/09, ZIP 2011, 88 (LS) = AG 2011, 90, dazu EWiR 2011, 69 (Dürr); OLG Karlsruhe, Urt. v. 23.5.2000 – 8 U 233/99, ZIP 2000, 1578, dazu EWiR 2000, 1085 (Pötter); Grundmann in: GroßKomm-AktG, § 136 Rz. 24. 18) OLG Hamm, Urt. v. 1.9.2010 – I-8 U 118/09, ZIP 2011, 88 (LS) = AG 2011, 90, dazu EWiR 2011, 69 (Dürr); Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 136 Rz. 27. 19) OLG Hamm, Urt. v. 1.9.2010 I-8 U 118/09, ZIP 2011, 88 (LS) = AG 2011, 90, dazu EWiR 2011, 69 (Dürr); Heidel-Pluta, AktR, § 136 AktG Rz. 18; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 136 Rz. 11. 20) Hölters-Hirschmann, AktG, § 136 Rz. 28; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 136 Rz. 27; a. A. HeidelPluta, AktR, § 136 AktG Rz. 18. 21) BGH, Urt. v. 29.1.1962 – II ZR 1/61, NJW 1962, 864; OLG Karlsruhe, Urt. v. 23.5.2000 – 8 U 233/99, ZIP 2000, 1578; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 136 Rz. 16; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 136 Rz. 14; Villeda, AG 2013, 57 ff.

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§ 136

Ausschluß des Stimmrechts

zu beherrschen oder seine Entscheidung zu bestimmen.22) Ob maßgeblicher Einfluss besteht, muss im Einzelfall anhand des Einflusses des Organs sowie des Gewichts der vom Stimmverbot betroffenen Mitglieder in dem Organ beurteilt werden. Ein Stimmverbot von Aufsichtsratsmitgliedern der Drittgesellschaft schlägt nur in Ausnahmefällen auf diese durch, z. B. wenn eine deutliche Mehrheit des Aufsichtsrats befangen ist.23) Ist bei mehrgliedrigem Vorstand nur eine Minderheit der Mitglieder befangen, so besteht das Stimmverbot der Drittgesellschaft nur, wenn die befangenen Organmitglieder alleine über die Stimmrechtsausübung entscheiden.24) Ist eine Mehrheit der Vorstandsmitglieder befangen, unterliegt die Drittgesellschaft einem Stimmverbot.25) Nach h. M. kann durch Ausschluss der befangenen Mitglieder von der internen Willensbildung des Organs ein Stimmverbot der Drittgesellschaft vermieden werden.26) Aus Vorsichtsgründen sollte die Befangenheit offengelegt und die betroffenen Mitglieder von der Abstimmung ausgeschlossen werden. Besondere Sorgfalt ist bei Vorstandsdoppelmandaten geboten.27) cc)

Stimmverbote gegen Drittgesellschaft

Eine Drittgesellschaft kann selbst einem Stimmverbot nach § 136 Abs. 1 unterliegen, z. B. 13 wenn über die Einleitung eines Rechtsstreits gegen sie abgestimmt wird. Ob neben der Drittgesellschaft auch ihre Gesellschafter und Organmitglieder dem Stimmverbot unterliegen, muss unter Berücksichtigung des Zwecks des § 136 Abs. 1 beantwortet werden. Das Stimmverbot der Drittgesellschaft strahlt daher auf die Gesellschafter oder Organmitglieder aus, wenn eine gesellschaftsrechtlich fundierte Interessenverknüpfung zur Drittgesellschaft besteht, die das Interesse des Aktionärs an der AG übersteigt.28) Dies wird typischer Weise bei einer engen wirtschaftlichen Verbindung zwischen Aktionär und Drittgesellschaft vorliegen.29) Von dieser ist auszugehen, wenn wirtschaftliche Risiken der Drittgesellschaft auf deren Gesellschafter durchschlagen, wie bei persönlich haftenden Gesellschaftern oder wenn alle Anteile an der Drittgesellschaft von dem betreffenden Aktionär gehalten werden.30) Besteht nur eine Mehrheitsbeteiligung, sind die Gesamtumstände des Einzelfalls maßgebend; also insbesondere, ob das Interesse des Betroffenen an der Drittgesellschaft insgesamt sein Interesse an der AG überwiegt.31) 2.

Objektive Voraussetzungen des Stimmverbots

Objektiv setzt das Stimmverbot nach § 136 Abs. 1 voraus, dass einer der drei definierten 14 Tatbestände erfüllt ist. Die tatbestandlichen Grenzen sind das Ergebnis bewusster gesetzgeberischer Entscheidung. Die Satzung kann nach h. M. keine zusätzlichen Stimmver_____________ 22) Arnold in: MünchKomm-AktG, § 136 Rz. 47; Hölters-Hirschmann, AktG, § 136 Rz. 30. 23) OLG Hamburg, Urt. v. 19.9.1980 – 11 U 42/80, DB 1981, 80; LG Wuppertal, Urt. v. 15.11.1966 – O 93/66, AG 1967, 139, 140 – kein Stimmverbot bei fünf von zehn Aufsichtsratsmitgliedern. 24) LG Berlin, Urt. v. 25.01.2013 – 94 O 105/11; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 136 Rz. 48; DNotIGutachten, DNotI-Report 2008, 177. 25) LG Köln, Urt. v. 17.12.1997 – 91 O 131/97, ZIP 1998, 153; dazu Fischer NZG 1999, 192, 194 f. 26) OLG Karlsruhe, Urt. v. 23.5.2000 – 8 U 233/99, ZIP 2000, 1578; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 136 Rz. 29. 27) LG Köln, Urt. v. 17.12.1997 – 91 O 131/97, ZIP 1998, 153; Hügel/Klepsch, NZG 2005, 905. 28) Arnold in: MünchKomm-AktG, § 136 Rz. 49; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 136 Rz. 15; Hüffer/ Koch-Koch, AktG, § 136 Rz. 12. 29) BGH, Urt. v. 10.2.1977 – II ZR 81/76, NJW 1977, 850, 851; BGH, Urt. v. 7.2.2012 – II ZR 230/09, ZIP 2012, 917; Villeda, AG 2013, 57. 30) BGH, Urt. v. 10.2.1977 – II ZR 81/76, NJW 1977, 850, 851; BGH, Urt. v. 7.2.2012 – II ZR 230/09, ZIP 2012, 917; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 136 Rz. 15. 31) Zöllner in: KölnKomm-AktG, § 136 Rz. 74 ff.

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§ 136

Ausschluß des Stimmrechts

botstatbestände vorsehen (siehe § 133 Rz. 13).32) Auch die Erweiterung auf andere Interessenkollisionen mittels Gesamtanalogie ist aufgrund des abschließenden Charakters der Norm ausgeschlossen.33) Auch die h. M. hält aber eine Einzelanalogie bzw. „normzweckkonforme Auslegung der Tatbestände“ für möglich, wenn eine Interessenkollision vorliegt, die einem der Fälle des § 136 Abs. 1 in qualitativer und quantitativer Hinsicht gleichkommt.34) Wegen des grundsätzlich abschließenden Charakters des § 136 Abs. 1 sollte mit einer Einzelanalogie zurückhaltend umgegangen werden. Bei Abberufung eines Aufsichtsratsmitgliedes nach § 103 Abs. 1 ist das Stimmverbot analog § 136 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 abzulehnen.35) Ebenso greift bei der Aufsichtsratswahl (§ 101 Abs. 1), dem Vertrauensentzug gegen den Vorstand oder die Zustimmung zur Übertragung vinkulierter Namensaktien (§ 68 Abs. 2 Satz 3) kein Stimmverbot.36) Für Beschlüsse über Rechtsgeschäfte mit Aktionären scheidet eine analoge Anwendung des § 136 Abs. 1 ebenfalls aus.37) Ein Stimmverbot aufgrund Einzelanalogie besteht aber bei der Vertagung von Beschlussgegenständen, bei denen das Stimmverbot greifen würde.38) Eine teleologische Reduktion für den Fall, dass trotz objektiver Erfüllung eines Stimmverbotstatbestandes sich der Interessengegensatz nicht auswirkt, z. B. wenn das Vorstandsmitglied gegen eine Entlastung des Vorstands stimmt, ist abzulehnen.39) a)

Entlastung

15 Nach § 136 Abs. 1 Satz 1 trifft denjenigen ein Stimmverbot, über dessen Entlastung beschlossen wird. Dies gilt auch, wenn das zu entlastende Organmitglied nicht mehr im Amt ist.40) Unerheblich ist, ob der Beschlussgegenstand in der Tagesordnung als Entlastung bezeichnet wurde, solange es inhaltlich um die Entlastung geht. Entlastung bedeutet entsprechend § 120 die Billigung der in der Vergangenheit liegenden Verwaltungstätigkeit der Organmitglieder. Für den Vertrauensentzug nach § 84 Abs. 3 gilt das Stimmverbot nicht.41) 16 In der Praxis üblich und zulässig ist die Gesamtentlastung aller Mitglieder eines Organs. In diesem Fall trifft das Stimmverbot alle Mitglieder des Organs, um dessen Entlastung es geht. Wird über die Entlastung der Organmitglieder getrennt abgestimmt (§ 120 Abs. 1 Satz 2), so trifft nur das Organmitglied ein Stimmverbot, um dessen Entlastung es geht.42) Die anderen Organmitglieder unterliegen bei der Einzelentlastung nur ausnahmsweise einem Stimmverbot, wenn eine konkrete Möglichkeit besteht, dass sie an einer Pflichtverletzung mitgewirkt haben, die dem zu entlastenden Organmitglied vorgeworfen wird.43) Hierzu müssen konkrete Tatsachen vorgetragen werden, bloße Verdächtigungen reichen nicht _____________ 32) 33) 34) 35)

36) 37) 38) 39) 40) 41) 42) 43)

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DNotI, Gutachten, DNotI-Report 2008, 177. K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 136 Rz. 29; a. A. K. Schmidt, GesR, § 28 IV. b) dd). Zöllner in: KölnKomm-AktG, § 136 Rz. 53 ff.; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 136 Rz. 16. Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 136 Rz. 19; a. A. Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 30 Rz. 58; differenzierend K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 136 Rz. 30 sowie Heller, NZG 2009, 1170, 1171. Arnold in: MünchKomm-AktG, § 136 Rz. 24 f., 27; a. A. Zöllner in: KölnKomm-AktG, § 136 Rz. 56. Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 136 Rz. 17; Hüffer/Koch-Koch, Rz. 18; a. A. wohl K. Schmidt, GesR, § 21 II. 2. b). Bürgers/Körber-Holzborn, AktG, § 136 Rz. 3; differenzierend Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 136 Rz. 19. OLG Hamm, Urt. v. 1.9.2010 – I-8 U 118/09, ZIP 2011, 88 (LS) = AG 2011, 90 – zu § 142, dazu EWiR 2011, 69 (Dürr). Arnold in: MünchKomm-AktG, § 136 Rz. 6; Bürgers/Körber-Holzborn, AktG, § 136 Rz. 3. Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 136 Rz. 7; Bürgers/Körber-Holzborn, AktG, § 136 Rz. 3. BGH, Urt. v. 21.9.2009 – II ZR 174/08, ZIP 2009, 2051, dazu EWiR 2010, 1 (Priester); Hüffer/KochKoch, AktG, § 136 Rz. 20; Hoffmann, NZG 2010, 290. BGH, Urt. v. 21.9.2009 – II ZR 174/08, ZIP 2009, 2051; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 136 Rz. 8.

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Ausschluß des Stimmrechts

aus.44) Nach den gleichen Grundsätzen gilt ein Stimmverbot von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern bei der Entlastung des jeweils anderen Organs nur bei der Gefahr einer Mitwirkung an einer Pflichtverletzung des anderen Organs.45) b)

Befreiung von einer Verbindlichkeit

Nach § 136 Abs. 1 Satz 1 unterliegt der Aktionär einem Stimmverbot, wenn über seine Be- 17 freiung von einer Verbindlichkeit gegenüber der Gesellschaft abgestimmt wird. Das Stimmverbot greift, wenn die Hauptversammlung aufgrund einer Vorlage des Vorstandes (§ 119 Abs. 2) mit der Entscheidung befasst ist. Ohne Bedeutung sind dabei die Art der Verbindlichkeit (Handeln, Dulden, Unterlassen) und deren Rechtsgrund (Gesellschafts-, Organ-, Schuldverhältnis). „Befreiung von einer Verbindlichkeit“ ist weit zu verstehen, darunter fällt jedes Rechtsgeschäft, das den Aktionär endgültig (z. B. Erlass) oder vorübergehend (z. B. Stundung) von seiner Leistungspflicht befreit.46) Eine Kapitalherabsetzung zur Befreiung der Aktionäre von der Einlageschuld (§§ 66 Abs. 3, 222 ff., 237 ff.) fällt jedoch nicht darunter, auch nicht bei ungleicher Höhe der Einlageschuld.47) Hat ein Aktionär für eine Verbindlichkeit Sicherheit geleistet, gilt auch für ihn ein Stimmverbot, da er (indirekt) von einer Leistungsverpflichtung befreit wird.48) c)

Geltendmachung von Ansprüchen

Nach § 136 Abs. 1 Satz 1 unterliegt der Aktionär einem Stimmverbot, wenn die Hauptver- 18 sammlung über die Geltendmachung eines gegen ihn gerichteten Anspruches beschließt. Das Stimmverbot greift, wenn die Hauptversammlung aufgrund der Vorlage des Vorstandes (§ 119 Abs. 2) oder aufgrund Gesetz (§ 147 Abs. 1) entscheidet. Der Rechtsgrund des Anspruches ist unerheblich. Die Geltendmachung erfolgt durch jede gerichtliche (z. B. Klage) oder außergerichtliche (z. B. Mahnung) Maßnahme zur Anspruchsverfolgung. Auch vorbereitende Maßnahmen wie die Bestellung eines besonderen Vertreters (§ 147 Abs. 3)49) oder die Beauftragung eines Rechtsanwalts bzw. eines Gutachters sowie den Rechtsstreit beendende Maßnahmen, wie Klagerücknahme oder Vergleich, werden erfasst.50) Wird über Ansprüche gegen mehrere Aktionäre gemeinsam beschlossen, sind alle vom Stimmverbot betroffen. Wird über die Ansprüche einzeln abgestimmt, gilt das Stimmverbot nur für die Aktionäre, über deren Inanspruchnahme konkret beschlossen wird; besteht aber ein enger Zusammenhang (z. B. Gesamtschuld, etwa bei gemeinschaftlich begangenen Verfehlungen), erstreckt sich das Stimmverbot auch auf die mittelbar betroffenen Aktionäre.51) Aufgrund gleicher Interessenlage gilt das Stimmverbot entsprechend, wenn die Gesellschaft Beklagte ist; das Stimmrecht des klagenden Aktionärs ist daher ausgeschlossen, wenn über die Abwehr oder Anerkennung seiner Ansprüche entschieden wird.52) _____________ 44) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 136 Rz. 20; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 136 Rz. 8. 45) Arnold in: MünchKomm-AktG, § 136 Rz. 9; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 136 Rz. 25. 46) Grundmann in: GroßKomm-AktG, § 136 Rz. 35; Hölters-Hirschmann, AktG, § 136 Rz. 16; Hüffer/ Koch-Koch, AktG, § 136 Rz. 22. 47) Hölters-Hirschmann, AktG, § 136 Rz. 17; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 136 Rz. 12. 48) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 136 Rz. 11; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 136 Rz. 37. 49) BGH, Urt. v. 20.1.1986 – II ZR 73/85, NJW 1986, 2051, 2053 = ZIP 1986, 429 – zu § 47 Abs. 4 GmbHG; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 136 Rz. 23. 50) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 136 Rz. 12; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 136 Rz. 14; Heidel-Pluta, AktR, § 136 AktG Rz. 13. 51) BGH, Urt. v. 7.2.2012 – II ZR 230/09, ZIP 2012, 917; Grundmann in: GroßKomm-AktG, § 136 Rz. 37; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 136 Rz. 12. 52) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 136 Rz. 28; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 136 Rz. 13.

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§ 136 3.

Ausschluß des Stimmrechts Rechtsfolgen

19 Das Stimmverbot betrifft nur das Stimmrecht, das Recht auf Teilnahme an der Hauptversammlung und zur Antragstellung bleibt unberührt. Betroffene Aktionäre dürfen sich nicht an der Abstimmung beteiligen; eine Pflicht zur Offenlegung des Stimmverbots besteht jedoch nicht.53) Beim Subtraktionsverfahren (siehe § 133 Rz. 17) werden die betroffenen Stimmen bei der Präsenzfeststellung nicht berücksichtigt oder als Enthaltung gezählt.54) Die Aktien zählen nicht zum bei Beschlussfassung vertretenen Grundkapital und bleiben daher bei der Ermittlung der Stimmen- oder Kapitalmehrheit unberücksichtigt.55) Der Versammlungsleiter ist nur bei offensichtlichem Stimmverbot verpflichtet, den Betroffenen von der Stimmabgabe auszuschließen.56) Bei konkretem Verdacht besteht allerdings eine Nachforschungspflicht.57) Im Zweifel empfiehlt es sich, betroffene Stimmen zur Abstimmung zuzulassen. Dies birgt zwar auch Anfechtungsrisiken (siehe Rz. 20), jedoch trägt – anders als bei Nichtzulassung der Aktien – der Kläger die Beweislast für das Stimmverbot.58) 20 Verbotswidrig abgegebene Stimmen sind gemäß § 134 BGB nichtig und damit unbeachtlich. Werden die Stimmen dennoch gezählt, ist der betroffene Beschluss anfechtbar, wenn die Stimmen für das Beschlussergebnis maßgebend waren (siehe § 133 Rz. 16).59) Ein Aktionär, der schuldhaft trotz Stimmverbot abstimmt, ist gemäß §§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 136 Abs. 1 AktG sowie gemäß § 826 zum Schadensersatz verpflichtet. Ferner kann bei Einschaltung Dritter eine Ordnungswidrigkeit nach § 405 Abs. 3 Nr. 5 vorliegen. Eine Haftung des Versammlungsleiters – z. B. nach §§ 93, 116 (analog) – kommt allenfalls bei Nichtberücksichtigung ganz offensichtlicher Stimmverbote in Betracht.60) III.

Stimmbindungsverträge (§ 136 Abs. 2)

1.

Zulässigkeit von Stimmbindungsverträgen

a)

Allgemeines

21 Durch Stimmbindungsverträge verpflichten sich Aktionäre, ihr Stimmrecht in bestimmter Weise auszuüben. Einzige gesetzliche Regelung zur Stimmbindung ist § 136 Abs. 2, der die Stimmbindung an Weisungen der Gesellschaft oder Ihrer Organe untersagt. Die generelle Zulässigkeit von Stimmbindungsverträgen ist jedoch anerkannt.61) Die Satzung kann Beschränkungen oder ein Verbot von Stimmbindungsverträgen enthalten.62) Außerdem kann der Vertrag wegen Verstoß gegen Treuepflicht63) oder nach §§ 134, 138 BGB

_____________ 53) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 136 Rz. 40; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 136 Rz. 55. 54) Arnold in: MünchKomm-AktG, § 136 Rz. 55; zu Recht weist Geßler, BB 1962, 1182, darauf hin, dass die Wertung als Enthaltung insbesondere bei Entlastungsbeschlüssen einen falschen Eindruck erweckt. 55) Arnold in: MünchKomm-AktG, § 136 Rz. 58. 56) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 136 Rz. 41; Grunsky, ZIP 1991, 778, 779. 57) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 136 Rz. 33; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 136 Rz. 57. 58) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 136 Rz. 41; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 136 Rz. 58; Grunsky, ZIP 1991, 778, 781. 59) BGH, Urt. v. 12.12.2005 – II ZR 253/03, ZIP 2006, 227, dazu EWiR 2006, 161 (Bork); LG München, Urt. v. 15.4.2004 – 5 HKO 10813/03, ZIP 2004, 853; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 39 Rz. 29; DNotI, Gutachten, DNotI-Report, 2008, 177. 60) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 136 Rz. 34; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 136 Rz. 43. 61) BGH, Urt. v. 25.9.1986 – II ZR 272/85, ZIP 1987, 103; BGH, Urt. v. 24.11.2008 – II ZR 116/08, ZIP 2009, 216, dazu EWiR 2009, 173 (Göz); Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 39 Rz. 42; Mayer, MittBayNot 2006, 281, 286. 62) Grundmann in: GroßKomm-AktG, § 136 Rz. 81; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 136 Rz. 65. 63) BGH, Urt. v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, ZIP 1995, 819; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 136 Rz. 48.

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§ 136

Ausschluß des Stimmrechts

nichtig sein, z. B. bei Stimmkauf gemäß § 134 BGB i. V. m. § 405 Abs. 3 Nr. 6, 7.64) Stimmbindungsverträge bedürfen keiner besonderen Form – § 23 Abs. 1 greift nicht. Der Zweck von Stimmbindungsverträgen ist zumeist die Einflusssicherung von Familien- 22 stämmen bzw. Gründungsaktionären oder die Kontrolle eines Treuhänders. Stimmbindungsverträge haben rein schuldrechtlichen Charakter und gelten nur zwischen den Parteien. Gegenüber der Gesellschaft entfalten sie keine Wirkung. Die Stimmabgabe bleibt auch bei Verstoß gegen die Stimmbindung gültig.65) Durch vertragswidrige Stimmabgabe wird auch die Wirksamkeit des Beschlusses nicht berührt; dies gilt nach zutreffender Ansicht auch, wenn die Parteien des Stimmbindungsvertrages personenidentisch mit den Aktionären der Hauptgesellschaft sind.66) Die vertragsbrüchigen Aktionäre sind aber zur Mitwirkung an der Rückgängigmachung sowie zum Schadensersatz verpflichtet. Zwischen den Parteien begründen Stimmbindungsverträge klagbare Erfüllungsansprüche, die nach § 894 ZPO vollstreckbar sind.67) Die Vollstreckung scheitert jedoch meist aus zeitlichen Gründen, da die Stimmabgabe in der Hauptversammlung erfolgen muss. Bei klarer Rechtslage und schutzwürdigem Interesse ist nach h. M. ein vertragskonformes Stimmverhalten auch durch einstweiligen Rechtsschutz durchsetzbar.68) Präventiv lässt sich das vertragskonforme Stimmverhalten durch die Vereinbarung einer Vertragsstrafe, durch Festlegung eines gemeinsamen Stimmrechtsvertreters für alle Parteien des Stimmpools oder durch Einbringung der Aktien in das Gesellschaftsvermögen sichern.69) Bei börsennotierten Gesellschaften (siehe § 3 Rz. 7) ist zu beachten, dass Stimmbindungs- 23 verträge regelmäßig die Zurechnung der Stimmrechte nach § 34 WpHG bzw. § 30 Abs. 2 WpÜG auslösen und daher zu Mitteilungspflichten nach § 33 WpHG und bei Erreichen der 30 %-Schwelle zu einem Pflichtangebot nach § 35 WpÜG führen können. Wenn die Satzung § 33b Abs. 2 WpÜG für anwendbar erklärt, ist die Wirkung von Stimmbindungsverträgen bei laufendem Übernahmeverfahren teilweise suspendiert. b)

Inhaltliche Ausgestaltung

Stimmbindungsverträge könne weitgehend frei ausgestaltet werden. Auch die Verpflichtung 24 zur Nichtausübung des Stimmrechts – z. B. Entherrschungsvertrag zur Vermeidung einer Konsolidierung – ist zulässig (Stimmrechtsausschlussvertrag).70) Stimmbindungsverträge können für den Einzelfall oder auf Dauer geschlossen werden. Die Stimmbindung kann einseitig oder wechselseitig sein. Gilt die Stimmbindung wechselseitig und ist auf Dauer angelegt, bilden die Parteien regelmäßig eine Innen-GbR (Pool-, Konsortial- oder Schutzgemeinschaftsvertrag).71) Werden Aktien in das Gesellschaftsvermögen eingebracht, ent_____________ 64) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 136 Rz. 48; Bürgers/Körber-Holzborn, AktG, § 136 Rz. 23. 65) Hölters-Hirschmann, AktG, § 133 Rz. 37; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 136 Rz. 49. 66) Für Anfechtbarkeit: BGH, Urt. v. 20.1.1983 – II ZR 243/81, ZIP 1983, 297; BGH, Urt. v. 27.10.1986 – II ZR 240/85, ZIP 1987, 293; K. Schmidt, ZIP 2009, 737, 743; dagegen OLG Stuttgart, Urt. v. 7.2.2001 – 20 U 52/97, BB 2001, 794, 797; Mayer, MittBayNot 2006, 281, 282. 67) BGH, Urt. v. 29.5.1967 – II ZR 105/66, BGHZ 48, 163; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 39 Rz. 48 f. 68) OLG Koblenz, Urt. v. 25.10.1990 – 6 U 238/90, NJW 1991, 1119; OLG Stuttgart, Urt. v. 20.2.1987 – 2 U 202/86, NJW 1987, 2449; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 39 Rz. 48 f.; HöltersHirschmann, AktG, § 133 Rz. 39; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 136 Rz. 64 – auch m. N. zur Gegenauffassung. 69) Mayer, MittBayNot 2006, 281; Habersack, ZHR 164 (2000) 1; K. Schmidt, ZIP 2009, 737. 70) Hölters-Hirschmann, AktG, § 133 Rz. 36; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 136 Rz. 45; Hüffer/KochKoch, AktG, § 136 Rz. 25. 71) BGH, Urt. v. 24.11.2008 – II ZR 116/08, ZIP 2009, 216; K. Schmidt, ZIP 2009, 737; Mayer, MittBayNot 2006, 281; Wertenbruch, NZG 2009, 645, 646, Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 136 Rz. 46.

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§ 136

Ausschluß des Stimmrechts

steht eine Außen-GbR, die dann Inhaber des Stimmrechts ist.72) Die Stimmbindung kann für alle oder nur für bestimmte Beschlussgegenstände vereinbart werden. 25 Die Stimmrechtsausübung kann im Vertrag konkret festgelegt oder an die Weisung einer bestimmten Person gebunden werden. Die Stimmbindung kann auch gegenüber Nichtaktionären bestehen, darin liegt weder eine Verstoß gegen das Abspaltungsverbot noch eine Verletzung der Treupflicht.73) Unzulässig ist die Bindung der Stimmrechtsausübung an Weisungen der Gesellschaft oder ihrer Organe (siehe Rz. 27). Stimmbindungsverträge können auch ein Verfahren zur Koordination der Stimmabgabe vorsehen, z. B. Abstimmung in der Poolversammlung. Der Stimmbindungsvertrag kann dabei für die Abstimmung in der Poolversammlung ein einfaches Mehrheitserfordernis vorsehen und zwar auch bezüglich solcher Beschlussgegenstände, die in der Hauptversammlung einer qualifizierten Mehrheit bedürfen.74) Der Beschluss innerhalb des Stimmpools kann jedoch im Einzelfall wegen Verstoßes gegen die Treupflicht unwirksam sein.75) 2.

Nichtigkeit von Stimmbindungen nach § 136 Abs. 2

a)

Allgemeines

26 Gemäß § 136 Abs. 2 sind Verträge, durch die sich der Aktionär verpflichtet, sein Stimmrecht nach Weisung der Gesellschaft oder deren Organen auszuüben, nichtig. Zweck ist es, zu verhindern, dass die Verwaltung das Abstimmverhalten in der Hauptversammlung beeinflusst und dadurch die Kontrollfunktion der Hauptversammlung beseitigt wird.76) § 136 Abs. 2 gilt immer, wenn der Vertrag eine Weisungsbefugnis der AG oder deren Verwaltung vorsieht, unabhängig davon ob die AG oder die Verwaltung selbst Vertragspartei ist. Auch eine Vereinbarung, durch die sich Aktionäre untereinander verpflichten, gemäß den Vorschlägen der Verwaltung zu stimmen, ist nichtig.77) Wegen § 136 Abs. 2 ist auch die Bevollmächtigung der AG oder ihrer Organe zur Stimmrechtsausübung unzulässig.78) b)

Tatbestandliche Voraussetzungen

27 Nichtig ist gemäß § 136 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 ein Vertrag, mit dem sich ein Aktionär verpflichtet, sein Stimmrecht nach Weisung der Gesellschaft auszuüben. Dies gilt unabhängig davon, ob die Weisungen von Organen, Prokuristen oder anderen Vertretern erteilt werden sollen.79) Gemäß § 136 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 sind auch Verträge unzulässig, durch die sich der Aktionär den Weisungen des Vorstandes oder des Aufsichtsrats unterwirft. In Abgrenzung zu § 136 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 sind darunter Verträge zu verstehen, in denen die Organmitglieder nicht die Gesellschaft als solche, sondern das jeweilige Organ repräsentieren.80) Die Vereinbarung, durch die einzelnen Organmitgliedern ein Weisungsrecht eingeräumt wird, ist zulässig, solange nicht mit Umgehungsabsicht gehandelt wird.81) Schließlich wird vom Verbot des § 136 Abs. 1 auch die Bindung an Weisungen eines abhängigen Unternehmens _____________ 72) Arnold in: MünchKomm-AktG, § 136 Rz. 62; Wertenbruch, NZG 2009, 645, 646. 73) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 136 Rz. 50; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 133 Rz. 27; BGH, Beschl. v. 15.7.2014 – II ZR 375/13. 74) BGH, Urt. v. 24.11.2008 – II ZR 116/08, ZIP 2009, 216; K. Schmidt, ZIP 2009, 737; a. A. Habersack, ZHR 164 (2000) 1, 12 ff.; Mayer, MittBayNot 2006, 281, 287. 75) BGH, Urt. v. 24.11.2008 – II ZR 116/08, ZIP 2009, 216; K. Schmidt, ZIP 2009, 737. 76) Begr. RegE in: Kropff, AktG, S. 201. 77) Arnold in: MünchKomm-AktG, § 136 Rz. 76; Wertenbruch, NZG 2009, 645, 647. 78) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 136 Rz. 58; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 136 Rz. 45. 79) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 136 Rz. 40; Zöllner in: KölnKomm-AktG, § 136 Rz. 134 ff. 80) Arnold in: MünchKomm-AktG, § 136 Rz. 77; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 136 Rz. 43. 81) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 136 Rz. 53; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 136 Rz. 26; a. A. HeidelPluta, AktR, § 136 AktG Rz. 26.

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Boris Dürr

Abstimmung über Wahlvorschläge von Aktionären

§ 137

erfasst (§ 136 Abs. 2 Satz 1 Alt. 3). Für den Begriff des abhängigen Unternehmens gilt § 17.82) Auch wenn im Gesetz nicht genannt, ist die Bindung der Stimmabgabe an Weisungen der Organe abhängiger Unternehmen ebenfalls als nichtig anzusehen.83) Nichtig sind auch Vereinbarungen, die eindeutig einer Umgehung des Verbotstatbestandes dienen, wie etwa Vorschaltgesellschaften.84) Ebenso ist die Bindung an eine Stimmpoolentscheidung nichtig, wenn die Organmitglieder das Abstimmungsergebnis im Stimmpool aufgrund vertraglicher Bestimmungen maßgeblich beeinflussen können; dies gilt selbst dann, wenn die Organmitglieder die Mehrheit der im Stimmpool gebundenen Aktien halten.85) § 136 Abs. 2 Satz 2 untersagt schließlich auch die vertragliche Bindung des Aktionärs an 28 von der Verwaltung eingebrachte Abstimmungsvorschläge. Davon werden nicht nur die nach § 124 Abs. 3 Satz 1 vorab publizierten, sondern auch die erst in der Hauptversammlung eingebrachten Abstimmungsvorschläge der Verwaltung erfasst.86) c)

Rechtsfolgen der Nichtigkeit

Rechtsfolge eines Verstoßes gegen § 136 Abs. 2 ist die Nichtigkeit der Weisungsbin- 29 dung gemäß § 134 BGB. Die Gültigkeit des übrigen Vertragsinhalts bestimmt sich nach § 139 BGB. Zur Absicherung einer unwirksamen Stimmbindung vereinbarte Schadensersatzersatzansprüche oder Vertragsstrafen sind gemäß § 344 stets nichtig.87) Die Stimmabgabe ist allerdings trotz der Nichtigkeit des Stimmbindungsvertrages wirksam, sofern ihr nicht ein eigener Mangel (siehe § 133 Rz. 13) anhaftet.88) _____________ 82) Grundmann in: GroßKomm-AktG, § 136 Rz. 77; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 136 Rz. 78. 83) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 136 Rz. 42; Zöllner in: KölnKomm-AktG, § 136 Rz. 139 f. 84) Arnold in: MünchKomm-AktG, § 136 Rz. 85; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 136 Rz. 44; Otto, AG 1991, 369. 85) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 136 AktG Rz. 57; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 136 Rz. 86; a. A. Zöllner in: KölnKomm-AktG, § 136 Rz. 138; Bürgers/Körber-Holzborn, AktG, § 136 Rz. 25. 86) Zöllner in: KölnKomm-AktG, § 136 Rz. 141; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 136 Rz. 55. 87) Begr. RegE in: Kropff, AktG, S. 201; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 136 Rz. 78. 88) OLG Nürnberg, Urt. v. 17.1.1996 – 12 U 2801/91, AG 1996, 228; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 136 Rz. 29; Otto, AG 1991, 369.

§ 137 Abstimmung über Wahlvorschläge von Aktionären Hat ein Aktionär einen Vorschlag zur Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern nach § 127 gemacht und beantragt er in der Hauptversammlung die Wahl des von ihm Vorgeschlagenen, so ist über seinen Antrag vor dem Vorschlag des Aufsichtsrats zu beschließen, wenn es eine Minderheit der Aktionäre verlangt, deren Anteile zusammen den zehnten Teil des vertretenen Grundkapitals erreichen. Übersicht I. Regelungsgegenstand und -zweck ................................................. 1 I.

II. Voraussetzungen der Abstimmungspriorität .................................. 2 III. Rechtsfolgen ...................................... 6

Regelungsgegenstand und -zweck

§ 137 regelt den Vorrang von Aktionärsanträgen bei der Aufsichtsratswahl vor dem Be- 1 schlussvorschlag des Aufsichtsrats. Durch die Priorität in der Abstimmungsreihenfolge

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Abstimmung über Wahlvorschläge von Aktionären

§ 137

erfasst (§ 136 Abs. 2 Satz 1 Alt. 3). Für den Begriff des abhängigen Unternehmens gilt § 17.82) Auch wenn im Gesetz nicht genannt, ist die Bindung der Stimmabgabe an Weisungen der Organe abhängiger Unternehmen ebenfalls als nichtig anzusehen.83) Nichtig sind auch Vereinbarungen, die eindeutig einer Umgehung des Verbotstatbestandes dienen, wie etwa Vorschaltgesellschaften.84) Ebenso ist die Bindung an eine Stimmpoolentscheidung nichtig, wenn die Organmitglieder das Abstimmungsergebnis im Stimmpool aufgrund vertraglicher Bestimmungen maßgeblich beeinflussen können; dies gilt selbst dann, wenn die Organmitglieder die Mehrheit der im Stimmpool gebundenen Aktien halten.85) § 136 Abs. 2 Satz 2 untersagt schließlich auch die vertragliche Bindung des Aktionärs an 28 von der Verwaltung eingebrachte Abstimmungsvorschläge. Davon werden nicht nur die nach § 124 Abs. 3 Satz 1 vorab publizierten, sondern auch die erst in der Hauptversammlung eingebrachten Abstimmungsvorschläge der Verwaltung erfasst.86) c)

Rechtsfolgen der Nichtigkeit

Rechtsfolge eines Verstoßes gegen § 136 Abs. 2 ist die Nichtigkeit der Weisungsbin- 29 dung gemäß § 134 BGB. Die Gültigkeit des übrigen Vertragsinhalts bestimmt sich nach § 139 BGB. Zur Absicherung einer unwirksamen Stimmbindung vereinbarte Schadensersatzersatzansprüche oder Vertragsstrafen sind gemäß § 344 stets nichtig.87) Die Stimmabgabe ist allerdings trotz der Nichtigkeit des Stimmbindungsvertrages wirksam, sofern ihr nicht ein eigener Mangel (siehe § 133 Rz. 13) anhaftet.88) _____________ 82) Grundmann in: GroßKomm-AktG, § 136 Rz. 77; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 136 Rz. 78. 83) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 136 Rz. 42; Zöllner in: KölnKomm-AktG, § 136 Rz. 139 f. 84) Arnold in: MünchKomm-AktG, § 136 Rz. 85; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 136 Rz. 44; Otto, AG 1991, 369. 85) Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 136 AktG Rz. 57; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 136 Rz. 86; a. A. Zöllner in: KölnKomm-AktG, § 136 Rz. 138; Bürgers/Körber-Holzborn, AktG, § 136 Rz. 25. 86) Zöllner in: KölnKomm-AktG, § 136 Rz. 141; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 136 Rz. 55. 87) Begr. RegE in: Kropff, AktG, S. 201; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 136 Rz. 78. 88) OLG Nürnberg, Urt. v. 17.1.1996 – 12 U 2801/91, AG 1996, 228; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 136 Rz. 29; Otto, AG 1991, 369.

§ 137 Abstimmung über Wahlvorschläge von Aktionären Hat ein Aktionär einen Vorschlag zur Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern nach § 127 gemacht und beantragt er in der Hauptversammlung die Wahl des von ihm Vorgeschlagenen, so ist über seinen Antrag vor dem Vorschlag des Aufsichtsrats zu beschließen, wenn es eine Minderheit der Aktionäre verlangt, deren Anteile zusammen den zehnten Teil des vertretenen Grundkapitals erreichen. Übersicht I. Regelungsgegenstand und -zweck ................................................. 1 I.

II. Voraussetzungen der Abstimmungspriorität .................................. 2 III. Rechtsfolgen ...................................... 6

Regelungsgegenstand und -zweck

§ 137 regelt den Vorrang von Aktionärsanträgen bei der Aufsichtsratswahl vor dem Be- 1 schlussvorschlag des Aufsichtsrats. Durch die Priorität in der Abstimmungsreihenfolge

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§ 137

Abstimmung über Wahlvorschläge von Aktionären

soll die Erfolgsaussicht des Aktionärsantrages verbessert werden.1) Dazu greift § 137 in die Befugnisse des Versammlungsleiters ein, der vorbehaltlich abweichender Regelungen in der Satzung oder Geschäftsordnung die Abstimmungsreihenfolge bestimmt (siehe § 133 Rz. 12). Bei Verhältniswahlen greift § 137 nicht, da über alle Anträge zeitgleich abgestimmt wird.2) II.

Voraussetzungen der Abstimmungspriorität

2 Voraussetzung für die Anwendung des § 137 ist das Vorliegen eines Wahlvorschlages eines Aktionärs nach § 127. Der Wahlvorschlag kann auch von einem nicht stimmberechtigten Aktionär stammen.3) Es muss aber nach § 126 ein mitteilungspflichtiger Vorschlag sein. Der Wahlvorschlag muss also spätestens vierzehn Tage vor der Hauptversammlung bei der Gesellschaft eingehen (siehe § 126 Rz. 7). Der Wahlvorschlag bedarf gemäß § 127 Abs. 2 keiner Begründung. Eine Erklärung des Aktionärs, dass er in der Hauptversammlung dem Wahlvorschlag des Aufsichtsrats widersprechen werde, ist nicht mehr erforderlich.4) 3 Weitere unverzichtbare Voraussetzung ist die Stellung des Wahlantrages in der Hauptversammlung. Er muss von dem Aktionär gestellt werden, der den Wahlvorschlag eingereicht hat und muss sich auf den oder die vorgeschlagenen Kandidaten beziehen.5) Vertretung, einschließlich Stimmvertretung ist dabei zulässig.6) 4 Zusätzlich muss auch die Priorität des Aktionärsantrages verlangt werden; der Wahlantrag allein verpflichtet den Hauptversammlungsleiter weder zur vorherigen Abstimmung noch von sich aus den Wunsch nach der Priorität zu erfragen.7) Das Prioritätsverlangen muss nicht von der Person stammen, die den Wahlantrag gestellt hat, sondern kann von jedem in der Hauptversammlung anwesenden Aktionär oder Aktionärsvertreter gestellt werden.8) Das Verlangen muss von einer Minderheit von wenigstens 10 % des vertretenen Grundkapitals gestützt werden. Zum vertretenen Grundkapital gehören nur stimmberechtigte Aktien.9) Liegt ein Prioritätsverlangen vor, muss der Versammlungsleiter ermitteln, ob das 10 %-Quorum erreicht wurde. Er muss aber nach zutreffender Auffassung nicht nach weiterer Unterstützung für das Minderheitsverlangen fragen oder darüber abstimmen lassen.10) Auch ein Mehrheitsverlangen bewirkt den Prioritätszwang des § 137. 5 Die Satzung kann die Abstimmungspriorität nach § 137 an geringere, nicht aber an strengere Voraussetzungen knüpfen.11) III.

Rechtsfolgen

6 Sind die Voraussetzungen des § 137 erfüllt, ist der Wahlvorschlag des Aktionärs zwingend vor den Wahlvorschlägen des Aufsichtsrats zur Abstimmung zu stellen. Liegen mehrere Vor_____________ 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8) 9) 10) 11)

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Ausschussbericht in: Kropff, AktG, S. 201 f.; kritisch insoweit Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 137 Rz. 1. Zöllner in: KölnKomm-AktG, § 137 Rz. 6; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 137 Rz. 2. K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 137 Rz. 2. Begr. RegE z. TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 20; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 137 Rz. 4; so nunmehr auch Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 137 Rz. 2; anders noch K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 137 Rz. 4, der aber die Neufassung des § 126 übersieht. LG Dortmund, Urt. v. 26.9.1966 – 10 O 191/66, AG 1968, 390; Bürgers/Körber-Holzborn, AktG, § 137 Rz. 3; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 137 Rz. 2. Heidel-Pluta, AktR, § 137 AktG Rz. 5; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 137 Rz. 4. K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 137 Rz. 5; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 137 Rz. 3; HöltersHirschmann, AktG, § 137 Rz. 4. Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 137 Rz. 6; Zöllner in: KölnKomm-AktG, § 137 Rz. 10 ff. Arnold in: MünchKomm-AktG, § 137 Rz. 10; Heidel-Pluta, AktR, § 137 AktG Rz. 7. Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 137 Rz. 7; Bürgers/Körber-Holzborn, AktG, § 137 Rz. 4; a. A. K. Schmidt/ Lutter-Spindler, AktG, § 137 Rz. 6; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 137 Rz. 3; Arnold in: MünchKommAktG, § 137 Rz. 11. Arnold in: MünchKomm-AktG, § 137 Rz. 5; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 137 Rz. 1.

Boris Dürr

Gesonderte Versammlung. Gesonderte Abstimmung

§ 138

schläge desselben Aktionärs vor, können diese gemeinsam zur Abstimmung gestellt werden.12) Ist über die Vorschläge verschiedener Aktionäre abzustimmen, liegt die Festlegung der Reihenfolge im Ermessen des Versammlungsleiters; es verbleibt jedoch bei der Priorität gegenüber dem Vorschlag des Aufsichtsrats.13) Ein Verstoß gegen § 137 führt nur zur Anfechtbarkeit der Wahlbeschlüsse nach § 251 Abs. 1 Satz 1, sofern der Beschluss auf dem Gesetzesverstoß beruht.14) Bei eindeutigen Mehrheitsverhältnissen bleibt daher ein Verstoß gegen § 137 zumeist sanktionslos.15) _____________ 12) OLG Hamburg, v. 31.5.1968 – 11 U 30/68, AG 1968, 332; Hölters-Hirschmann, AktG, § 137 Rz. 5; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 137 Rz. 4. 13) Arnold in: MünchKomm-AktG, § 137 Rz. 16; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 137 Rz. 8. 14) Hölters-Hirschmann, AktG, § 137 Rz. 6; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 137 Rz. 4. 15) LG München I, Urt. v. 31.3.2016 – 5 HK O 14432/15, ZIP 2016, 973, dazu EWiR 2016, 463 (v. d. Linden), hierzu auch Schulteis, GWR 2016, 398 (Urteilsanm.).

Fünfter Unterabschnitt Sonderbeschluß § 138 Gesonderte Versammlung. Gesonderte Abstimmung 1

In diesem Gesetz oder in der Satzung vorgeschriebene Sonderbeschlüsse gewisser Aktionäre sind entweder in einer gesonderten Versammlung dieser Aktionäre oder in einer gesonderten Abstimmung zu fassen, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt. 2 Für die Einberufung der gesonderten Versammlung und die Teilnahme an ihr sowie für das Auskunftsrecht gelten die Bestimmungen über die Hauptversammlung, für die Sonderbeschlüsse die Bestimmungen über Hauptversammlungsbeschlüsse sinngemäß. 3 Verlangen Aktionäre, die an der Abstimmung über den Sonderbeschluß teilnehmen können, die Einberufung einer gesonderten Versammlung oder die Bekanntmachung eines Gegenstands zur gesonderten Abstimmung, so genügt es, wenn ihre Anteile, mit denen sie an der Abstimmung über den Sonderbeschluß teilnehmen können, zusammen den zehnten Teil der Anteile erreichen, aus denen bei der Abstimmung über den Sonderbeschluß das Stimmrecht ausgeübt werden kann. Literatur: Fuchs, Aktiengattungen, Sonderbeschlüsse und gesellschaftsrechtliche Treuepflicht, in: Festschrift für Ulrich Immenga, 2004, S. 589; Loges/Distler, Gestaltungsmöglichkeiten durch Aktiengattungen, ZIP 2002, 467.

Übersicht I. Regelungsgegenstand und -zweck ................................................. 1 II. Erfordernis eines Sonderbeschlusses .............................................. 4 III. Gesonderte Versammlung oder gesonderte Abstimmung .................. 6 I.

IV. Beschlussfassungsverfahren ............. 7 1. Gesonderte Abstimmung .................. 9 2. Gesonderte Versammlung ............... 10 3. Minderheitsverlangen ....................... 11

Regelungsgegenstand und -zweck

§ 138 regelt das Verfahren zur Fassung von Sonderbeschlüssen. Sonderbeschlüsse sind 1 Beschlüsse, an denen im Gegensatz zu Hauptversammlungsbeschlüssen nicht alle AktioBoris Dürr

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Gesonderte Versammlung. Gesonderte Abstimmung

§ 138

schläge desselben Aktionärs vor, können diese gemeinsam zur Abstimmung gestellt werden.12) Ist über die Vorschläge verschiedener Aktionäre abzustimmen, liegt die Festlegung der Reihenfolge im Ermessen des Versammlungsleiters; es verbleibt jedoch bei der Priorität gegenüber dem Vorschlag des Aufsichtsrats.13) Ein Verstoß gegen § 137 führt nur zur Anfechtbarkeit der Wahlbeschlüsse nach § 251 Abs. 1 Satz 1, sofern der Beschluss auf dem Gesetzesverstoß beruht.14) Bei eindeutigen Mehrheitsverhältnissen bleibt daher ein Verstoß gegen § 137 zumeist sanktionslos.15) _____________ 12) OLG Hamburg, v. 31.5.1968 – 11 U 30/68, AG 1968, 332; Hölters-Hirschmann, AktG, § 137 Rz. 5; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 137 Rz. 4. 13) Arnold in: MünchKomm-AktG, § 137 Rz. 16; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 137 Rz. 8. 14) Hölters-Hirschmann, AktG, § 137 Rz. 6; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 137 Rz. 4. 15) LG München I, Urt. v. 31.3.2016 – 5 HK O 14432/15, ZIP 2016, 973, dazu EWiR 2016, 463 (v. d. Linden), hierzu auch Schulteis, GWR 2016, 398 (Urteilsanm.).

Fünfter Unterabschnitt Sonderbeschluß § 138 Gesonderte Versammlung. Gesonderte Abstimmung 1

In diesem Gesetz oder in der Satzung vorgeschriebene Sonderbeschlüsse gewisser Aktionäre sind entweder in einer gesonderten Versammlung dieser Aktionäre oder in einer gesonderten Abstimmung zu fassen, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt. 2 Für die Einberufung der gesonderten Versammlung und die Teilnahme an ihr sowie für das Auskunftsrecht gelten die Bestimmungen über die Hauptversammlung, für die Sonderbeschlüsse die Bestimmungen über Hauptversammlungsbeschlüsse sinngemäß. 3 Verlangen Aktionäre, die an der Abstimmung über den Sonderbeschluß teilnehmen können, die Einberufung einer gesonderten Versammlung oder die Bekanntmachung eines Gegenstands zur gesonderten Abstimmung, so genügt es, wenn ihre Anteile, mit denen sie an der Abstimmung über den Sonderbeschluß teilnehmen können, zusammen den zehnten Teil der Anteile erreichen, aus denen bei der Abstimmung über den Sonderbeschluß das Stimmrecht ausgeübt werden kann. Literatur: Fuchs, Aktiengattungen, Sonderbeschlüsse und gesellschaftsrechtliche Treuepflicht, in: Festschrift für Ulrich Immenga, 2004, S. 589; Loges/Distler, Gestaltungsmöglichkeiten durch Aktiengattungen, ZIP 2002, 467.

Übersicht I. Regelungsgegenstand und -zweck ................................................. 1 II. Erfordernis eines Sonderbeschlusses .............................................. 4 III. Gesonderte Versammlung oder gesonderte Abstimmung .................. 6 I.

IV. Beschlussfassungsverfahren ............. 7 1. Gesonderte Abstimmung .................. 9 2. Gesonderte Versammlung ............... 10 3. Minderheitsverlangen ....................... 11

Regelungsgegenstand und -zweck

§ 138 regelt das Verfahren zur Fassung von Sonderbeschlüssen. Sonderbeschlüsse sind 1 Beschlüsse, an denen im Gegensatz zu Hauptversammlungsbeschlüssen nicht alle AktioBoris Dürr

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§ 138

Gesonderte Versammlung. Gesonderte Abstimmung

näre, sondern nur bestimmte Aktionäre oder Aktionärsgruppen mitwirken. Zum Erfordernis von Sonderbeschlüssen trifft § 138 keine Aussage, sondern verweist insoweit auf Gesetz und Satzung. Das Gesetz verlangt für manche Hauptversammlungsbeschlüsse und Geschäftsführungsmaßnahmen die Zustimmung bestimmter Aktionäre oder Aktionärsgruppen, die darüber mittels Sonderbeschluss entscheiden. Die Satzung kann weitere Maßnahmen dem Erfordernis eines Sonderbeschlusses unterstellen. 2 Das Erfordernis eines Sonderbeschlusses bezweckt den Schutz der betroffenen Aktionäre und Aktionärsgruppen vor Mehrheitsentscheidungen der Hauptversammlung und Maßnahmen des Vorstandes, die besondere Rechte oder Interessen der betroffenen Aktionäre oder Aktionärsgruppen tangieren.1) Teilweise kann sich aus dem Schutzzweck eine Zustimmungspflicht der zum Sonderbeschluss berufenen Aktionäre ergeben.2) 3 Materiellrechtlich liegt im Sonderbeschluss eine Zustimmungserklärung gemäß § 182 BGB, die zeitlich vor (§ 183 BGB) oder nach (§ 184 BGB) dem Hauptversammlungsbeschluss oder der Geschäftsführungsmaßnahme erteilt werden kann.3) Der Sonderbeschluss ist Wirksamkeitsvoraussetzung für die Maßnahme, der zugestimmt werden soll. Solange kein zustimmender Sonderbeschluss vorliegt, ist der entsprechende Hauptversammlungsbeschluss schwebend unwirksam (siehe § 133 Rz. 25) bzw. die Vertretungsmacht des Vorstandes suspendiert.4) Bezieht sich der Sonderbeschluss auf einen fehlerhaften Hauptversammlungsbeschluss, genügt eine Neufassung oder Bestätigung des Hauptversammlungsbeschlusses; ein neuer Sonderbeschluss ist nicht erforderlich.5) II.

Erfordernis eines Sonderbeschlusses

4 Grundsätzlich bestehen zwei Gruppen von Maßnahmen, die einen Sonderbeschluss erfordern. Einerseits kann ein positiver Sonderbeschluss Voraussetzung für die Wirksamkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses sein.6) Andererseits bedürfen bestimmte konzernrechtliche Verwaltungsmaßnahmen der Zustimmung der außenstehenden Aktionäre.7) Neben den ausdrücklich genannten Fällen bestehen keine weiteren gesetzlichen Sonderbeschlusserfordernisse; eine analoge Anwendung scheidet aus.8) 5 Weitere Sonderbeschlusserfordernisse können durch Satzung eingeführt werden. Der Regelungsspielraum der Satzung ist jedoch durch die Satzungsstrenge beschränkt. Für Maßnahmen, bei denen das Gesetz ausdrücklich die einfache Mehrheit genügen lässt, kann die Satzung keinen zusätzlichen Sonderbeschluss verlangen (siehe § 133 Rz. 25 f.). Für Strukturmaßnahmen darf die Satzung aber Sonderbeschlüsse vorsehen.9) III.

Gesonderte Versammlung oder gesonderte Abstimmung

6 Ein Sonderbeschluss kann per gesonderter Abstimmung in einer Hauptversammlung oder in gesonderter Versammlung gefasst werden. Die Auswahl obliegt vorbehaltlich eines _____________ 1) 2) 3) 4) 5) 6)

7) 8) 9)

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Arnold in: MünchKomm-AktG, § 138 Rz. 2; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 138 Rz. 3; Heidel-von Ooy, AktR, § 138 AktG Rz. 2. Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 138 Rz. 4; ausführlich dazu Fuchs in: FS Immenga, S. 589, 601 ff. Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 138 Rz. 7; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 138 Rz. 3. Arnold in: MünchKomm-AktG, § 138 Rz. 4; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 138 Rz. 4. Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 138 Rz. 8; Bürgers/Körber-Holzborn, AktG, § 138 Rz. 2. §§ 141, 179 Abs. 3, 182 Abs. 2, 193 Abs. 1 Satz 3, 202 Abs. 2 Satz 4, 221 Abs. 1 Satz 4 und Abs. 3, 222 Abs. 2, 229 Abs. 3, 237 Abs. 2 Satz 1, 295 Abs. 2 AktG; §§ 65 Abs. 2, 73, 125 Satz 1, 135 Abs. 1 Satz 1, 178 Abs. 1, 179 Abs. 1, 233 Abs. 2 Satz 2, 240 Abs. 1 Satz 1, 252 Abs. 1 Satz 1 UmwG. §§ 296 Abs. 2, 297 Abs. 2, 302 Abs. 3 Satz 3, 309 Abs. 3 Satz 1, 310 Abs. 4, 317 Abs. 4, 318 Abs. 4. OLG Celle, Urt. v. 28.6.1972 – 9 U 155/71, DB 1972, 1816, 1819; OLG Düsseldorf, Urt. v. 7.6.1990 – 19 W 13/86, ZIP 1990, 1333; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 138 Rz. 4. K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 138 Rz. 8; Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 138 Rz. 13 f.

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Gesonderte Versammlung. Gesonderte Abstimmung

§ 138

konkreten Minderheitsverlangens nach § 138 Satz 3 (siehe Rz. 11) demjenigen, der die Einberufungskompetenz für die Hauptversammlung hat, in der Regel dem Vorstand (§ 121 Abs. 2 i. V. m. § 138 Satz 2).10) Die Hauptversammlung kann die Entscheidung nicht revidieren.11) Für die Aufhebung oder Beschränkung des Vorzuges der Vorzugsaktionäre ohne Stimmrecht oder die Ausgabe neuer Vorzugsaktien, die bereits bestehenden Vorzugsaktien gleichstehen oder vorgehen, verlangt § 141 Abs. 3 Satz 1 zwingend eine gesonderte Versammlung. Ferner kann eine gesonderte Versammlung erforderlich sein, wenn mit der Zustimmung zu einer Verwaltungsmaßnahme nicht bis zur nächsten Hauptversammlung gewartet werden kann.12) Ansonsten werden Sonderbeschlüsse meist per gesonderter Abstimmung gefasst, da dies einfacher und kostengünstiger ist. IV.

Beschlussfassungsverfahren

Für Sonderbeschlüsse gelten gemäß § 138 Satz 2 die Regelungen über Hauptversamm- 7 lungsbeschlüsse entsprechend, und zwar unabhängig davon, ob der Sonderbeschluss in gesonderter Abstimmung oder gesonderter Versammlung gefasst wird. Sonderbeschlüsse sind auch als mehrseitige nichtvertragliche Rechtsgeschäfte eigener Art einzustufen, weshalb auf die Ausführungen zu den Hauptversammlungsbeschlüssen verwiesen werden kann (siehe § 133 Rz. 7 ff.). Insbesondere gilt der Grundsatz der einfachen Mehrheit nach § 133 Abs. 1, sofern nicht Gesetz oder Satzung für bestimmte Sonderbeschlüsse höhere Anforderungen enthalten, z. B. § 141 Abs. 3 Satz 2 oder § 182 Abs. 2 Satz 3.13) Für fehlerhafte Sonderbeschlüsse gelten die Vorschriften über Nichtigkeit und Anfecht- 8 barkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen gemäß §§ 241 ff. entsprechend. Eine Nichtigkeitsklage können alle Aktionäre erheben, eine Anfechtungsklage neben Vorstand und Organmitgliedern gemäß § 245 Nr. 4, 5, nur die beim Sonderbeschluss stimmberechtigten Aktionäre, sofern sie die Voraussetzungen des § 245 Nr. 1 bis 3 erfüllen.14) 1.

Gesonderte Abstimmung

Sofern nicht zwingend eine gesonderte Versammlung vorgeschrieben ist, genügt eine 9 gesonderte Abstimmung durch die betroffenen Aktionäre i. R. der Hauptversammlung. Eine gesonderte Abstimmung ist als eigener Tagesordnungspunkt der Hauptversammlung anzusetzen und als solcher gemäß § 124 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 138 Satz 2 anzukündigen. Die Ankündigung des Gegenstandes zur Beschlussfassung durch die Hauptversammlung reicht nicht.15) Beim Sonderbeschluss nicht stimmberechtigte Aktionäre sind als Teilnehmer der Hauptversammlung berechtigt, bei der Aussprache und Abstimmung über den Sonderbeschluss im Versammlungsraum zu bleiben.16) Zur Mitwirkung bei der gesonderten Abstimmung berechtigte Aktionäre sind im Teilnehmerverzeichnis (§ 129) kenntlich zu machen. In der Niederschrift (§ 130) ist aufzunehmen, welche Vorkehrungen getroffen wurden, damit keine unberechtigten Personen an der Abstimmung teilnehmen, z. B. durch die Ausgabe gesonderter Stimmkarten.17) _____________ 10) 11) 12) 13) 14) 15) 16) 17)

Zöllner in: KölnKomm-AktG, § 138 Rz. 5; Austmann in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 40 Rz. 66. Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 138 Rz. 20; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 138 Rz. 12. Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 138 Rz. 13; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 138 Rz. 3. Übersicht qualifizierter Mehrheitserfordernisse bei Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 138 Rz. 20 f. Arnold in: MünchKomm-AktG, § 138 Rz. 37. Zöllner in: KölnKomm-AktG, § 138 Rz. 10; Loges/Distler, ZIP 2002, 467. Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 138 Rz. 13; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 138 Rz. 21. K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 138 Rz. 14; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 138 Rz. 12; Hüffer/ Koch-Koch, AktG, § 138 Rz. 5.

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§ 139 2.

Wesen Gesonderte Versammlung

10 Für die gesonderte Versammlungen gelten gemäß § 138 Satz 2 hinsichtlich Einberufung, Teilnahme und Auskunftsrecht die Bestimmungen für die Hauptversammlung entsprechend. Diese Auflistung ist nicht abschließend, vielmehr finden alle für die Hauptversammlung relevanten gesetzlichen oder satzungsmäßigen Vorschriften auf die gesonderte Versammlung Anwendung.18) Adressat der Einberufung sowie Teilnahme- und Auskunftsberechtigte sind die beim Sonderbeschluss stimmberechtigten Aktionäre.19) Die Einberufung der gesonderten Versammlung kann zusammen mit der Einberufung der Hauptversammlung veröffentlicht werden, ist aber räumlich und textlich von dieser zu trennen.20) Ein Auskunfts- und Fragerecht besteht nur, soweit es zur sachgemäßen Beurteilung des Gegenstandes der Sonderversammlung erforderlich ist; die §§ 295 Abs. 2 Satz 2, 296 Abs. 2, 297 Abs. 2 enthalten erweiterte Informationsrechte. Die Leitung der gesonderten Versammlung erfolgt mangels anderweitiger Bestimmung durch denjenigen, dem auch die Leitung der Hauptversammlung obliegt.21) 3.

Minderheitsverlangen

11 Nach § 138 Satz 3 kann eine Minderheit von 10 % der zur Sonderabstimmung zugelassenen Aktien die Einberufung einer gesonderten Versammlung oder die Bekanntmachung eines Gegenstandes zur gesonderten Abstimmung verlangen. Daneben findet auch § 122 ergänzend Anwendung, so dass nach §§ 122 Abs. 1 und 2 i. V. m. § 138 Satz 2 eine Minderheit von 5 % des Grundkapitals die Einberufung der gesonderten Versammlung und nach § 122 Abs. 2 i. V. m. § 138 Satz 2 eine Minderheit, deren Anteil am Grundkapital 500.000 € erreicht, die Ankündigung von Gegenständen zur gesonderten Abstimmung verlangen kann. Über § 122 können auch Aktionäre, die nicht an dem Sonderbeschluss mitwirken, einen Sonderbeschluss herbeiführen.22) Sowohl das Quorum nach § 138 Satz 3 als auch das Quorum nach § 122 können grundsätzlich zwischen gesonderter Versammlung und gesonderter Abstimmung wählen. Hat der Versammlungsleiter die Entscheidung bereits getroffen, kann aber nur noch die Minderheit nach § 138 Satz 3 einen Verfahrenswechsel herbeiführen.23) _____________ 18) 19) 20) 21) 22) 23)

Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 138 Rz. 21; Austmann in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 40 Rz. 66. Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 138 Rz. 15 f.; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 138 Rz. 16. Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 138 Rz. 23; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 138 Rz. 4. K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 138 Rz. 17; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 138 Rz. 27 f. Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 138 Rz. 35; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 138 Rz. 22. Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 138 Rz. 23.

Sechster Unterabschnitt Vorzugsaktien ohne Stimmrecht § 139 Wesen (1) 1Für Aktien, die mit einem Vorzug bei der Verteilung des Gewinns ausgestattet sind, kann das Stimmrecht ausgeschlossen werden (Vorzugsaktien ohne Stimmrecht). 2 Der Vorzug kann insbesondere in einem auf die Aktie vorweg entfallenden Gewinnanteil (Vorabdividende) oder einem erhöhten Gewinnanteil (Mehrdividende) bestehen. 3 Wenn die Satzung nichts anderes bestimmt, ist eine Vorabdividende nachzuzahlen.

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§ 139 2.

Wesen Gesonderte Versammlung

10 Für die gesonderte Versammlungen gelten gemäß § 138 Satz 2 hinsichtlich Einberufung, Teilnahme und Auskunftsrecht die Bestimmungen für die Hauptversammlung entsprechend. Diese Auflistung ist nicht abschließend, vielmehr finden alle für die Hauptversammlung relevanten gesetzlichen oder satzungsmäßigen Vorschriften auf die gesonderte Versammlung Anwendung.18) Adressat der Einberufung sowie Teilnahme- und Auskunftsberechtigte sind die beim Sonderbeschluss stimmberechtigten Aktionäre.19) Die Einberufung der gesonderten Versammlung kann zusammen mit der Einberufung der Hauptversammlung veröffentlicht werden, ist aber räumlich und textlich von dieser zu trennen.20) Ein Auskunfts- und Fragerecht besteht nur, soweit es zur sachgemäßen Beurteilung des Gegenstandes der Sonderversammlung erforderlich ist; die §§ 295 Abs. 2 Satz 2, 296 Abs. 2, 297 Abs. 2 enthalten erweiterte Informationsrechte. Die Leitung der gesonderten Versammlung erfolgt mangels anderweitiger Bestimmung durch denjenigen, dem auch die Leitung der Hauptversammlung obliegt.21) 3.

Minderheitsverlangen

11 Nach § 138 Satz 3 kann eine Minderheit von 10 % der zur Sonderabstimmung zugelassenen Aktien die Einberufung einer gesonderten Versammlung oder die Bekanntmachung eines Gegenstandes zur gesonderten Abstimmung verlangen. Daneben findet auch § 122 ergänzend Anwendung, so dass nach §§ 122 Abs. 1 und 2 i. V. m. § 138 Satz 2 eine Minderheit von 5 % des Grundkapitals die Einberufung der gesonderten Versammlung und nach § 122 Abs. 2 i. V. m. § 138 Satz 2 eine Minderheit, deren Anteil am Grundkapital 500.000 € erreicht, die Ankündigung von Gegenständen zur gesonderten Abstimmung verlangen kann. Über § 122 können auch Aktionäre, die nicht an dem Sonderbeschluss mitwirken, einen Sonderbeschluss herbeiführen.22) Sowohl das Quorum nach § 138 Satz 3 als auch das Quorum nach § 122 können grundsätzlich zwischen gesonderter Versammlung und gesonderter Abstimmung wählen. Hat der Versammlungsleiter die Entscheidung bereits getroffen, kann aber nur noch die Minderheit nach § 138 Satz 3 einen Verfahrenswechsel herbeiführen.23) _____________ 18) 19) 20) 21) 22) 23)

Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 138 Rz. 21; Austmann in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 40 Rz. 66. Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 138 Rz. 15 f.; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 138 Rz. 16. Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 138 Rz. 23; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 138 Rz. 4. K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 138 Rz. 17; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 138 Rz. 27 f. Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 138 Rz. 35; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 138 Rz. 22. Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, § 138 Rz. 23.

Sechster Unterabschnitt Vorzugsaktien ohne Stimmrecht § 139 Wesen (1) 1Für Aktien, die mit einem Vorzug bei der Verteilung des Gewinns ausgestattet sind, kann das Stimmrecht ausgeschlossen werden (Vorzugsaktien ohne Stimmrecht). 2 Der Vorzug kann insbesondere in einem auf die Aktie vorweg entfallenden Gewinnanteil (Vorabdividende) oder einem erhöhten Gewinnanteil (Mehrdividende) bestehen. 3 Wenn die Satzung nichts anderes bestimmt, ist eine Vorabdividende nachzuzahlen.

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Wesen

(2) Vorzugsaktien ohne Stimmrecht dürfen nur bis zur Hälfte des Grundkapitals ausgegeben werden. Literatur: Götze, Aktienrechtsnovelle – und ein (vorläufiges) Ende!, NZG 2016, 48; Götze/ Nartowska, Der Regierungsentwurf der Aktienrechtsnovelle 2014 – Anmerkungen aus der Praxis, NZG 2015, 298; Ihrig/Streit, Aktiengesellschaft und Euro, NZG 1998, 201; Jung/Wachtler, Die Kursdifferenz zwischen Stamm- und Vorzugsaktien, AG 2001, 513; Müller-Eising, Aktienrechtsnovelle 2011 – Änderungen zur Vorzugsaktie und zum bedingten Kapital für Wandelanleihen, GWR 2010, 591; Reckinger, Vorzugsaktien in der Bundesrepublik, AG 1983, 216; Sieger/ Hasselbach, „Tracking Stock“ im deutschen Aktien- und Kapitalmarktrecht, AG 2001, 391; Söhner, Die Aktienrechtsnovelle 2016, ZIP 2016, 151; Stöber, Die Aktienrechtsnovelle 2016, DStR 2016, 611; Vocke, Einberufung und Durchführung der Hauptversammlung bei fehlerhaften Satzungsbestimmungen, NZG 2010, 1249.

Übersicht I. Regelungsgegenstand und -zweck ................................................. 1 II. Stimmrechtslose Vorzugsaktien ...... 4 1. Entstehung .......................................... 4 2. Stimmrechtsausschluss ....................... 6 3. Voraussetzungen des Stimmrechtsausschlusses .............................. 7 I.

a) Formen des Gewinnvorzugs ....... 8 b) Nachzahlungsanspruch als optionale Gestaltungsform ........ 13 III. Höchstgrenze für die Ausgabe von stimmrechtslosen Vorzugsaktien (§ 139 Abs. 2) ....................... 20 IV. Rechtsfolgen bei Verstößen ........... 22

Regelungsgegenstand und -zweck

§ 139 definiert stimmrechtslose Vorzugsaktien, legt den Gewinnvorzug als Voraussetzung 1 fest, damit das Stimmrecht ausgeschlossen werden kann, und bestimmt die Höchstgrenze für die Ausgabe stimmrechtsloser Aktien. § 139 regelt die Bedingungen für den Stimmrechtsausschluss abschließend und zwingend (§ 23 Abs. 5), eine Abweichung ist weder durch Satzung noch durch Hauptversammlungsbeschluss möglich.1) Die Zulässigkeit stimmrechtsloser Aktien ergibt sich aus § 12 Abs. 1 Satz 2. Die §§ 139 ff. regeln die konkrete Ausgestaltung. Diese Vorschriften gelten nur für stimmrechtslose Vorzugsaktien, nicht für ebenfalls zulässige (siehe § 60 Rz. 8), stimmberechtigte Vorzugsaktien.2) Stimmrechtslose Vorzugsaktien bilden eine Gattung i. S. des § 11. Zweck des § 139 ist es, der Gesellschaft eine Möglichkeit zur Eigenkapitalfinanzierung 2 zu eröffnen, ohne dass dies die Mehrheitsverhältnisse beeinflusst.3) In der Praxis erfolgt die Ausgabe von stimmrechtslosen Vorzugsaktien z. B. i. R. eines Börsenganges zur Sicherung des Einflusses der Altaktionäre.4) Der Stimmrechtsausschluss führt dabei meistens, aber nicht immer zu einem Kursabschlag gegenüber den stimmberechtigten Aktien.5) Seit der Gesetzesänderung durch die Aktienrechtsnovelle 2016 ist die Nachzahlbarkeit 3 des Gewinnvorzugs bei stimmrechtslosen Vorzugsaktien eine mögliche, aber nicht zwingende Gestaltungsmöglichkeit.6) Sinn und Zweck ist die Flexibilisierung der Finanzierungsmöglichkeiten der Aktiengesellschaft, insbesondere die Erleicherung der Eigenkapitalausstattung.7) _____________ 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7)

Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 139 Rz. 5; Heidel-Roth, AktR, § 139 AktG Rz. 1. Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 139 Rz. 1. Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 139 Rz. 6; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 139 Rz. 2 K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 139 Rz. 2. Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 139 Rz. 6; Jung/Wachtler, AG 2001, 513 ff. Söhner, ZIP 2016, 151 ff.; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 139 Rz. 12. S. BR-Drucks. 22/15, S. 9, 24 f.

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Wesen

II.

Stimmrechtslose Vorzugsaktien

1.

Entstehung

4 Stimmrechtslose Vorzugsaktien können durch Ausgabe neuer Aktien bei der Gründung oder Kapitalerhöhung geschaffen werden (zur Abschaffung stimmrechtsloser Vorzugsaktien siehe § 141 Rz. 3). Waren bisher nur Stammaktien ausgegeben oder sollen die auszugebenden Vorzugsaktien eine andere Ausstattung als die bereits vorhandenen Vorzugsaktien aufweisen, müssen die Vorzugsaktien als neue Gattung sowie ihre Ausstattung (Nenn- und Ausgabebetrag, Stimmrechtsausschluss und nachzahlbarer Gewinnvorzug) in der Gründungssatzung bzw. dem Kapitalerhöhungsbeschluss geregelt sein.8) Für den Kapitalerhöhungsbeschluss gilt bei stimmrechtslosen Vorzugsaktien nach § 182 Abs. 1 Satz 2 die Besonderheit, dass die Satzung das Mehrheitserfordernis nur erhöhen und nicht herabsetzen kann (siehe § 182 Rz. 12). Neue Vorzugsaktien können auch aus genehmigtem Kapital geschaffen werden, dann ist § 204 Abs. 2 zu beachten (siehe § 204 Rz. 8). Bei Verschmelzungen und sonstigen Umwandlungen unter Beteiligung eines Rechtsträgers mit stimmrechtslosen Vorzugsaktien, kann nach § 23 UmwG die Verpflichtung zur Ausgabe stimmrechtsloser Vorzugsaktien bestehen. 5 Alternativ zur Schaffung neuer Aktien können auch bestehende Stammaktien durch satzungsändernden Beschluss in Vorzugsaktien umgewandelt werden. Die Zulässigkeit ergibt sich aus § 141 Abs. 2 Satz 2. Dazu ist neben dem Hauptversammlungsbeschluss mit satzungsändernder Mehrheit nach § 179 Abs. 2 aufgrund des Eingriffs in das Stimmrecht der Aktionäre, die Zustimmung jedes einzelnen vom Stimmrechtsentzug betroffenen Aktionärs erforderlich (zum Fall der Umwandlung von Vorzugs- in Stammaktien siehe § 141 Rz. 10).9) Zudem ist aufgrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes (§ 53a) die Zustimmung jedes einzelnen Stammaktionärs erforderlich, dessen Aktien nicht in Vorzugsaktien umgewandelt werden.10) Die Einzelzustimmung ist obsolet, wenn allen Stammaktionären die Wandlung des gleichen Anteils ihrer Stammaktien in stimmrechtslose Vorzugsaktien angeboten wird.11) Ebenso ist die Einzelzustimmung entbehrlich, soweit die Ausgabe der betroffenen Aktien unter Vorbehalt der späteren Umwandlung erfolgt ist.12) Fehlt die Zustimmung eines Stammaktionärs so ist der Beschluss, wenn seine Aktien nicht umgewandelt werden, anfechtbar, wenn sie umgewandelt werden, schwebend unwirksam.13) 2.

Stimmrechtsausschluss

6 Nach § 139 kann das Stimmrecht ausgeschlossen werden, wenn die Aktien im Gegenzug mit einem Vorzug bei der Gewinnverteilung ausgestattet werden. Sonstige aus der Mitgliedschaft erwachsende Rechte bleiben unberührt (siehe § 140 Rz. 2). Ferner lebt das Stimmrecht wieder auf, wenn die Vorzugsdividende nicht korrekt gezahlt wird (siehe § 140 Rz. 8 ff.). Der Stimmrechtsausschluss kann zeitlich befristet oder unter Bedingung erfolgen.14) Das Stimmrecht kann nur ganz oder gar nicht ausgeschlossen werden. Ein Stimmrechtsausschluss nur für bestimmte Beschlussgegenstände oder ein in der Stimm_____________ 8) Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 139 Rz. 33. 9) BGH, Urt. v. 19.12.1977 – II ZR 136/76 (Mannesmann), NJW 1978, 540; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 139 Rz. 15 f. 10) Arnold in: MünchKomm-AktG, § 139 Rz. 6; Heidel-Roth, AktR, § 139 AktG Rz. 19. 11) Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 139 Rz. 41; Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 139 Rz. 37. 12) Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 139 Rz. 38; Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 139 Rz. 40. 13) Arnold in: MünchKomm-AktG, § 139 Rz. 6. 14) Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 139 Rz. 31; a. A. K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 139 Rz. 5, der die auflösende Bedingung für unzulässig hält.

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Wesen

kraft herabgesetztes Stimmrecht ist ausgeschlossen.15) Der Stimmrechtsausschluss gilt uneingeschränkt auch bei Grundlagenbeschlüssen wie z. B. beim Squeeze out-Beschluss – eine teleologische Reduktion ist auch verfassungsrechtlich nicht geboten.16) 3.

Voraussetzungen des Stimmrechtsausschlusses

Zwingende Voraussetzung für die Zulässigkeit des Stimmrechtsausschlusses ist die Ein- 7 räumung eines Gewinnvorzugs. a)

Formen des Gewinnvorzugs

Nach früherer Rechtslage bedeutete Gewinnvorzug ausschließlich Vorrang vor den 8 Stammaktionären bei der Verteilung des jährlichen Bilanzgewinns i. S. des § 58.17) Vom Gewinnvorzug in diesem Sinne zu unterscheiden ist die sog. Mehr- oder Zusatzdividende. Beim Gewinnvorzug erhalten die Vorzugsaktionäre nicht zwingend eine höhere Dividende als Stammaktionäre, sie sind jedoch privilegiert, wenn der Bilanzgewinn nicht ausreicht, um allen Aktionären eine Dividende i. H. des Vorzuges auszuschütten.18) Die Mehr- bzw. Zusatzdividende stellt demgegenüber eine festgelegte zusätzliche Dividende gegenüber Stammaktionären dar.19) Zusatzdividenden können in der Satzung geregelt werden, ebenso jede andere Aufteilung des nach Gewinnvorzug verbleibenden Gewinns zwischen Vorzugs- und Stammaktionären. Auch die Limitierung der Vorzugsaktien auf den Vorzugsbetrag ist zulässig („Limitierte Vorzugsaktie“).20) Reicht der Bilanzgewinn aus, um an alle Aktionäre eine Dividende i. H. des Vorzugsbetrags auszuschütten und existiert keine abweichende Verteilungsregel in der Satzung, sind Stamm- und Vorzugsaktien gleichmäßig am Gewinn beteiligt. § 139 Abs. 1 Satz 2 ermöglicht verschiedene Gestaltungsformen des Gewinnvorzugs. Er 9 nennt beispielhaft einen auf die Vorzugsaktien vorweg entfallenden Gewinnanteil (Vorabdividende) oder einen erhöhten Gewinnanteil (Mehrdividende). Seit der Aktienrechtsnovelle 2016 ist nunmehr die Gewährung einer Mehrdividende nicht nur kumulativ, sondern auch alternativ zu der Gewährung einer Vorabdividende möglich.21) Folglich genügt die Ausstattung der Vorzugsaktionäre mit einer Mehrdividende, um einen Stimmrechtsausschluss zu rechtfertigen.22) Der Vorzug muss sich auf den Bilanzgewinn beziehen. Ein Vorzug bei der Liquidation 10 oder sonstige Vorrechte können zusätzlich gewährt werden, sind aber weder erforderlich noch für sich genommen ausreichend, um den Stimmrechtsausschluss zu rechtfertigen.23) Der Gewinnvorzug muss nur vor gewöhnlichen Stammaktionären bestehen; existieren zusätzlich mit Gewinnvorzug ausgestattete, stimmberechtigte Aktien oder eine weitere Gattung stimmrechtslose Vorzugsaktien, muss hierzu kein Vorzug bestehen (siehe § 141 _____________ 15) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 139 Rz. 4; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 139 Rz. 7. 16) BVerfG, Beschl. v. 28.8.2007 – 1 BvR 861/06, ZIP 2007, 1987, dazu EWiR 2007, 673 (Ogorek); Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 139 Rz. 17. 17) Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 139 Rz. 10. 18) Reicht der Bilanzgewinn nur für eine Dividende von 2 € je Aktie, bestehen aber Vorzugsaktien mit Vorzug i. H. von 3 €, sind zunächst an jede Vorzugsaktie 3 € auszuschütten und nur der verbleibende Bilanzgewinn unter allen Aktionären zu verteilen. Reicht der Bilanzgewinn zur Auszahlung von 3 € an alle Aktionäre, entfaltet der Gewinnvorzug keine Wirkung. 19) Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 139 Rz. 19; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 139 Rz. 14. 20) Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 139 Rz. 14; Reckinger, AG 1983, 216, 217 f. – jeweils mit Bsp. 21) Stöber, DStR 2016, 611. 22) Götze/Nartowska, NZG 2015, 298, 303; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 139 Rz. 6. 23) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 139 Rz. 10; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 139 Rz. 5; Reckinger, AG 1983, 216, 218.

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Rz. 12 ff.). Das Verhältnis verschiedener Gattungen von Vorzugsaktien muss in der Satzung geregelt werden, andernfalls sind verschiedene Gattungen gleich zu behandeln.24) Ein Gewinnvorzug in Form von Sachdividenden ist zulässig und zwar unabhängig davon, ob die Stammaktionäre auch Sachdividenden erhalten.25) 11 Der schuldrechtliche Zahlungsanspruch der Vorzugsaktionäre entsteht erst mit dem Gewinnverwendungsbeschluss der Hauptversammlung.26) Zuvor hat auch der Vorzugsaktionär keinen Anspruch auf Ausschüttung der Dividende. Trotz Gewinnvorzug sind Vorzugsaktionäre nur zu bedienen, soweit eine Gewinnausschüttung erfolgt und nicht der gesamte Bilanzgewinn in Rücklagen eingestellt oder auf neue Rechnung vorgetragen wird.27) Ob und in welcher Höhe eine Ausschüttung erfolgt, unterliegt jedoch gemäß § 174 Abs. 1 allein der Beschlussfassung der stimmberechtigten Aktionäre in der Hauptversammlung; Vorzugsaktien i. S. von § 139 sind dabei nicht stimmberechtigt (siehe § 140 Rz. 2). Vor „Aushungerung“ sind Vorzugsaktionäre über § 254 geschützt. Die Hauptversammlung beschließt aber nur, ob eine Dividende ausgeschüttet wird. Die Verteilung der Dividende unter den Aktionären, insbesondere zwischen Vorzugs- und Stammaktionären richtet sich zwingend nach § 60 und der Satzung; die Hauptversammlung kann davon nicht abweichen. Verletzt der Gewinnverwendungsbeschluss den Vorrang der Vorzugsaktionäre, ist er wegen Verletzung der Satzung gemäß § 243 Abs. 1 anfechtbar. 12 Zur Höhe des Gewinnvorzuges enthält das Gesetz keine Vorgaben, insbesondere gibt es keine gesetzliche Mindesthöhe. Der Vorzugsbetrag kann bei Einführung der Vorzugsaktien frei festgelegt werden.28) Da der Vorzug u. U. aus dem Bilanzgewinn späterer Jahre nachzuzahlen ist (siehe § 140 Rz. 21 ff.), muss seine absolute Höhe jederzeit objektiv bestimmbar sein und darf z. B. nicht mit der Höhe des Bilanzgewinns verknüpft werden.29) Zulässig und üblich sind Regelungen, die pro Vorzugsaktie einen festen Euro-Betrag, einen festen Prozentsatz vom Nennbetrag bzw. bei Stückaktien vom anteiligen Grundkapital, gewähren.30) Auch eine Orientierung an objektiv feststellbaren variablen Bezugsgrößen, z. B. Basiszinssatz oder Rendite von Bundesanleihen ist zulässig. Der Vorzug bezieht sich im Zweifel auf das volle Geschäftsjahr. Bei Rumpfgeschäftsjahren ist vorbehaltlich einer abweichenden Regelung auch der Vorzug pro rata temporis zu kürzen. Andernfalls würden Vorzugsaktionäre unberechtigt bevorzugt.31) b)

Nachzahlungsanspruch als optionale Gestaltungsform

13 § 139 Abs. 1 a. F. verlangte einen dauerhaft „nachzuzahlenden“ Gewinnvorzug. Der in einem Jahr nicht bzw. unvollständig gezahlte Vorzug musste in darauf folgenden Jahren vollständig nachgezahlt werden, bevor die Dividende an die Stammaktionäre ausgeschüttet wurde.32) Dadurch wurde verhindert, dass die Vorzugsdividende durch Bilanzierung oder Thesaurierung ausgehebelt wurde.33) _____________ 24) Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 139 Rz. 16. 25) Heidel-Roth, AktR, § 139 AktG Rz. 8. 26) BGH, Urt. v. 15.4.2010 – IX ZR 188/09, ZIP 2010, 1039, dazu EWiR 2010, 465 (Mock); BGH, Urt. v. 8.10.1952 – II ZR 313/51, NJW 1952, 1370; Hölters-Hirschmann, AktG, § 139 Rz. 7. 27) Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 39 Rz. 20; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 139 Rz. 12. 28) Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 139 Rz. 15; Hölters-Hirschmann, AktG, § 139 Rz. 9. 29) Arnold in: MünchKomm-AktG, § 139 Rz. 12; Sieger/Hasselbach, AG 2001, 391, 395. 30) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 139 Rz. 13; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 139 Rz. 11; Ihrig/Streit, NZG 1998, 201, 206. 31) Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 139 Rz. 13; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 139 Rz. 10. 32) Arnold in: MünchKomm-AktG, § 139 Rz. 15. 33) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 139 Rz. 15.

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Wesen

Gemäß § 139 Abs. 1 Satz 3 n. F. dürfen Vorzugsaktien nunmehr auch ohne zwingend 14 nachzuzahlenden Vorzug ausgegeben werden. Durch den Entfall der Nachzahlungspflicht soll ausweislich der Gesetzesbegründung insbesondere Kreditinstituten mehr Flexibilität in ihrer Eigenkapitalausstattung ermöglicht werden.34) Der Nachzahlungsanspruch kann durch Satzungsregelung ausgeschlossen werden. Soweit 15 Vorzugsaktien bei Inkrafttreten der Gesetzesänderung bereits ausgegeben waren, bleibt es bei der Nachzahlungspflicht. Eine entsprechende nachträgliche Satzungsänderung bedürfte gemäß § 141 der Zustimmung der betroffenen Vorzugsaktionäre.35) Eine Mehrdividende ist dagegen nicht kraft Gesetzes nachzahlbar; die Satzung kann aber in diesem Fall die Nachzahlbarkeit anordnen.36) Bislang nicht abschließend geklärt ist, inwieweit die Ausgestaltung einer optionalen Nach- 16 zahlungspflicht in derselben Weise eingeschränkt werden kann, wie dies bislang für die zwingende Nachzahlungspflicht angenommen wurde. So wurde nach alter Rechtslage eine Beschränkung der Nachzahlungspflicht auf Teile des Vorzuges für unzulässig erachtet.37) Auch eine zeitliche Streckung oder prozentuale Begrenzung der Nachzahlung war nicht möglich.38) Der Gewinnvorzug musste dauerhaft nachzuzahlen sein; ein entstandener Nachzahlungsanspruch durfte nicht befristet sein und verjährte nicht.39) Zulässig war aber die Befristung des Nachzahlungsrechts an sich, wobei mit Fristablauf das Stimmrecht wieder auflebte.40) Ebenso war nach h. M. eine aufschiebende Bedingung zulässig, wonach das Stimmrecht auflebte, wenn eine bestimmte Zahl von Jahren kein Gewinnvorzug gestellt wurde.41) Da nunmehr eine Nachzahlung umfänglich ausgeschlossen werden kann, wird man wohl 17 folgern können, dass bloße Beschränkungen erst recht möglich sind; z. B. betragsmäßige Beschränkung, zeitliche Streckung, Befristung oder auflösende Bedingung der Nachzahlungspflicht.42) Zu beachten ist aber, dass das Bestehen eines Nachzahlungsrechts Auswirkungen auf das Wiederaufleben des Stimmrechts nach § 140 Abs. 2 hat (siehe § 140 Rz. 8 ff.). Die oben genannten zulässigen Beschränkungen können aber keine Rechtfertigung für die Privilegierung der Stammaktionäre in Form des zeitlich verzögerten Wiederauflebens des Stimmrechts nach § 140 Abs. 2 Satz 1 darstellen. So sollte das Stimmrecht im Fall eines höhenmäßig oder zeitlich beschränkten optionalen Nachzahlungsanspruches unmittelbar mit Ausfall des Vorzugs nach § 140 Abs. 2 Satz 2 wieder aufleben.43) Im Fall der Bedingung oder Befristung ist hingegen eine klare Zuordnung der zeitlichen Abschnitte mit und ohne Nachzahlung zu § 140 Abs. 2 Satz 1 und 2 möglich. Zu unterscheiden ist ferner zwischen selbstständigen und unselbstständigen Nachzah- 18 lungsrechten (siehe § 140 Rz. 22, 23). Grundsätzlich ist das Nachzahlungsrecht, wie auch das Vorzugsrecht selbst, als unselbstständiges, mitgliedschaftliches Recht ausgestaltet, vgl.

_____________ 34) 35) 36) 37) 38) 39) 40) 41) 42) 43)

Begr. RegE, BT-Drucks. 18/4349, S. 25. Götze, NZG 2016, 48. Stöber, DStR 2016, 611; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 139 Rz. 12. Arnold in: MünchKomm-AktG, § 139 Rz. 17; Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 139 Rz. 25. Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 139 Rz. 21; Hölters-Hirschmann, AktG, § 139 Rz. 14. Arnold in: MünchKomm-AktG, § 139 Rz. 18. Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 139 Rz. 32. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 139 Rz. 13; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. AG, § 39 Rz. 24. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 139 Rz. 14. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 139 Rz. 14 m. w. N.

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Wesen

§ 140 Abs. 344) und muss als solches – im Fall der Vorabdividende – nicht explizit in der Satzung enthalten sein.45) Der Nachzahlungsanspruch bildet zusammen mit dem jeweils aktuellen Vorzugsanspruch eine einheitliche Forderung.46) Der Gewinnvorzug und Nachzahlungsanspruch aus einer Aktie sind zwingend gleichrangig.47) Dennoch empfiehlt sich aus buchhalterischen Gründen die vorrangige Befriedigung älterer Ansprüche.48) 19 Anspruch auf Nachzahlung hat grundsätzlich nur derjenige, der bei der Beschlussfassung über die Gewinnverteilung Aktionär ist. Erst mit dem Gewinnverwendungsbeschluss wandelt sich das mitgliedschaftliche Recht auf Nachzahlung zu einem Zahlungsanspruch gegen die Gesellschaft.49) Das AktG sieht keine Verzinsung des Nachzahlungsanspruches vor. Verzugszinsen fallen nicht an, da der Zahlungsanspruch erst mit dem Gewinnverwendungsbeschluss entsteht.50) III.

Höchstgrenze für die Ausgabe von stimmrechtslosen Vorzugsaktien (§ 139 Abs. 2)

20 Nach § 139 Abs. 2 dürfen stimmrechtslose Vorzugsaktien nur bis zur Hälfte des Grundkapitals ausgegeben werden. Dadurch soll verhindert werden, dass Stammaktionäre die Gesellschaft beherrschen, obwohl die Vorzugsaktionäre die Mehrheit des Kapitals halten.51) Dementsprechend gelten die Beschränkungen nach § 139 Abs. 2 nur für stimmrechtslose Vorzugsaktien; stimmberechtigte Vorzugsaktien unterliegen keinen betragsmäßigen Beschränkungen.52) Entscheidend ist das Verhältnis des von den stimmrechtslosen Vorzugsaktien repräsentierten Grundkapitals zu dem von den stimmberechtigten Aktien repräsentierten Grundkapital. Maßgebend ist nach h. M. nicht der eingezahlte Betrag,53) sondern der Nominalbetrag des Grundkapitals ohne Rücksicht darauf, ob das Stimmrecht nach § 134 Abs. 2 bereits ausgeübt werden kann.54) Bei Abstellen auf den eingezahlten Betrag würde sich ein zulässiges Verhältnis von Vorzugs- zu Stammaktien ständig verschieben. Die damit verbundene Rechtsunsicherheit ist nicht hinnehmbar, da die Ausgabe stimmrechtsloser Vorzugsaktien im öffentlichen Interesse begrenzt ist und bei Verstoß gegen diese Begrenzung der Hauptversammlungsbeschluss § 241 Nr. 3 nichtig ist.55) Eigene Aktien werden bei der Berechnung der Schwelle des § 139 Abs. 2 mitgezählt.56) 21 Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bestimmung des Verhältnisses von Stamm- zu Vorzugsaktien gemäß § 139 Abs. 2 ist die Ausgabe der Vorzugsaktien. Entscheidend ist, dass zum Zeitpunkt der Ausgabe von Vorzugsaktien stimmberechtigtes Grundkapital in mindestens gleicher Höhe besteht.57) Wird stimmberechtigtes Kapital nachträglich soweit _____________ 44) BGH, Urt. v. 8.10.1952 – II ZR 313/51, NJW 1952, 1370; BGH, Urt. v. 15.4.2010 – IX ZR 188/09, ZIP 2010, 1039; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 139 Rz. 18; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 39 Rz. 24. 45) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 139 Rz. 16. 46) Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 139 Rz. 23. 47) Arnold in: MünchKomm-AktG, § 139 Rz. 23; Heidel-Roth, AktR, § 139 AktG Rz. 14. 48) Arnold in: MünchKomm-AktG, § 139 Rz. 20. 49) Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 139 Rz. 23; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 139 Rz. 16. 50) Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 139 Rz. 25. 51) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 139 Rz. 25; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 139 Rz. 21. 52) Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 139 Rz. 49. 53) So Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 139 Rz. 45. 54) Arnold in: MünchKomm-AktG, § 139 Rz. 26; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 139 Rz. 25. 55) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 139 Rz. 21. 56) Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 139 Rz. 47. 57) Arnold in: MünchKomm-AktG, § 139 Rz. 27.

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Wesen

herabgesetzt, dass dadurch die Grenze des § 139 Abs. 1 überschritten würde, muss zugleich auch das stimmrechtslose Vorzugskapital so weit herabgesetzt werden, dass die Vorgabe des § 139 Abs. 2 gewahrt bleibt. Dies gebietet insoweit der im öffentlichen Interesse liegende Regelungszweck (siehe Rz. 15)58) Ansonsten ist der Herabsetzungsbeschluss gemäß § 241 Nr. 3 nichtig. IV.

Rechtsfolgen bei Verstößen

Enthält die Gründungssatzung oder der Hauptversammlungsbeschluss einen Stimm- 22 rechtsausschluss für bestimmte Aktien, ohne zugleich einen Gewinnvorzug einzuräumen, führt dies gemäß § 241 Nr. 3 zur Nichtigkeit.59) Das Registergericht hat die Eintragung abzulehnen, § 38 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Nr. 2. Kommt es dennoch zur Eintragung, hindert der Satzungsmangel nicht die Entstehung der Gesellschaft bzw. der Aktien.60) Allerdings ist der Stimmrechtsausschluss nichtig und die Inhaber der Vorzugsaktien sind voll stimmberechtigt.61) Eine Heilung nach § 242 Abs. 2 tritt aber drei Jahre nach Registereintragung ein. Nach teilweise vertretener Auffassung sollen die Vorzugsaktien bei fehlendem Gewinnvorzug trotz Heilung stimmberechtigt bleiben, da das Gesetz keine stimmrechtslosen Aktien ohne Vorzug kennt.62) Diese Auffassung führt zu adäquaten Ergebnissen, ist aber dogmatisch kaum zu begründen. Nach dem Wortlaut von § 242 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 241 Nr. 3 können gerade auch inhaltlich grob rechtswidrige Hauptversammlungsbeschlüsse geheilt werden und dadurch Rechtslagen geschaffen werden, die normalerweise aktienrechtlich nicht zulässig sind.63) Daher erscheint es überzeugender mit der Heilung nach § 242 Abs. 2 Satz 1 den bisher wegen der Nichtigkeit nicht (auch nicht vorläufig) wirkenden Stimmrechtsausschluss wirksam werden zu lassen.64) Betroffene Aktien sind im Falle einer fehlenden Festlegung des Gewinnvorzuges stimmrechtlose Aktien ohne Gewinnvorzug. Trotz Heilung bleibt die Möglichkeit der Amtslöschung nach § 242 Abs. 2 Satz 5 AktG i. V. m. § 398 FamFG. Unabhängig von der Heilung haben betroffene Aktionäre aus der Treuepflicht einen Anspruch gegen ihre Mitaktionäre auf Mitwirkung an einer Korrektur der fehlerhaften Regelung.65) Auch ein Verstoß gegen § 139 Abs. 2 durch die Gründungssatzung oder den Hauptver- 23 sammlungsbeschluss führt nach § 241 Nr. 3 (analog) zur Nichtigkeit, da die Ausgabe stimmrechtsloser Vorzugsaktien im öffentlichen Interesse begrenzt ist.66) Die betroffenen Aktien sind daher zunächst stimmberechtigt. Tritt Heilung nach § 242 Abs. 2 Satz 1 (analog) ein, wird der Fehler geheilt und der Stimmrechtsausschluss wirksam. Auch hier besteht die Möglichkeit der Amtslöschung und ein Anspruch der Aktionäre untereinander auf Korrektur (siehe Rz. 17).

_____________ 58) 59) 60) 61) 62) 63) 64) 65) 66)

Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 139 Rz. 46; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 139 Rz. 26. Hölters-Hirschmann, AktG, § 139 Rz. 28. Arnold in: MünchKomm-AktG, § 139 Rz. 29. Arnold in: MünchKomm-AktG, § 139 Rz. 29; Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 139 Rz. 42. Heidel-Roth, AktR, § 139 AktG Rz. 21. Vocke, NZG 2010, 1249, 1252. Im Ergebnis wohl auch Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 139 Rz. 44. Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 139 Rz. 44. Hölters-Hirschmann, AktG, § 139 Rz. 29; Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 139 Rz. 40.

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§ 140

Rechte der Vorzugsaktionäre

§ 140 Rechte der Vorzugsaktionäre (1) Die Vorzugsaktien ohne Stimmrecht gewähren mit Ausnahme des Stimmrechts die jedem Aktionär aus der Aktie zustehenden Rechte. (2) 1Ist der Vorzug nachzuzahlen und wird der Vorzugsbetrag in einem Jahr nicht oder nicht vollständig gezahlt und im nächsten Jahr nicht neben dem vollen Vorzug für dieses Jahr nachgezahlt, so haben die Aktionäre das Stimmrecht, bis die Rückstände gezahlt sind. 2Ist der Vorzug nicht nachzuzahlen und wird der Vorzugsbetrag in einem Jahr nicht oder nicht vollständig gezahlt, so haben die Vorzugsaktionäre das Stimmrecht, bis der Vorzug in einem Jahr vollständig gezahlt ist. 3Solange das Stimmrecht besteht, sind die Vorzugsaktien auch bei der Berechnung einer nach Gesetz oder Satzung erforderlichen Kapitalmehrheit zu berücksichtigen. (3) Soweit die Satzung nichts anderes bestimmt, entsteht dadurch, dass der nachzuzahlende Vorzugsbetrag in einem Jahr nicht oder nicht vollständig gezahlt wird, noch kein durch spätere Beschlüsse über die Gewinnverteilung bedingter Anspruch auf den rückständigen Vorzugsbetrag. Literatur: Pentz, Acting in Concert – Ausgewählte Einzelprobleme zur Zurechnung und zu den Rechtsfolgen, ZIP 2003, 1478; Werner, Die Beschlussfassung der Inhaber stimmrechtsloser Vorzugsaktien, AG 1971, 69.

Übersicht I. Regelungsgegenstand und -zweck ................................................ 1 II. Rechtsstellung stimmrechtsloser Vorzugsaktionäre (§ 140 Abs. 1) ..... 2 1. Grundsatz ........................................... 2 2. Verwaltungsrechte ............................. 3 3. Vermögensrechte ............................... 6 III. Aufleben des Stimmrechts (§ 140 Abs. 2) ................................................ 8 1. Voraussetzungen ............................... 9 2. Maßgeblicher Zeitpunkt .................. 13 3. Folgen des Auflebens des Stimmrechts ................................................ 16 I.

a) Umfang des Stimmrechts .......... 17 b) Berechnung von Kapitalmehrheiten ........................................... 19 4. Wiedererlöschen des Stimmrechts mit Nachzahlung .............................. 20 IV. Nachzahlungsrecht (§ 140 Abs. 3) ............................................... 21 1. Unselbstständiges Nachzahlungsrecht ................................................... 22 2. Selbstständiges Nachzahlungsrecht kraft Satzung ........................... 23 3. Behandlung in der Insolvenz ........... 24

Regelungsgegenstand und -zweck

1 § 140 konkretisiert die Rechtsstellung der Inhaber stimmrechtsloser Vorzugsaktien und ergänzt insofern § 139. § 140 Abs. 1 stellt klar, dass Vorzugsaktionären – außer dem Stimmrecht – alle sonstigen Mitgliedschaftsrechte gleich einem Stammaktionär ungeschmälert zustehen. § 140 Abs. 2 lässt bei Ausfall des Gewinnvorzuges das Stimmrecht wieder aufleben und sichert so die Zahlung des Gewinnvorzuges als zentraleren Rechtfertigungsgrund für den Stimmrechtsausschluss.1) § 140 Abs. 3 definiert schließlich die Rechtsnatur des Nachzahlungsanspruchs.

_____________ 1)

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K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 140 Rz. 1.

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§ 140

Rechte der Vorzugsaktionäre II.

Rechtsstellung stimmrechtsloser Vorzugsaktionäre (§ 140 Abs. 1)

1.

Grundsatz

§ 140 Abs. 1 stellt klar, dass stimmrechtslose Vorzugsaktien – mit Ausnahme des Stimm- 2 rechts – alle Mitgliedschaftsrechte gewähren, die den übrigen Aktionären zustehen.2) Die Satzung kann Rechte der Vorzugsaktionäre beschränken, allerdings nur in den Grenzen des § 23 Abs. 5 und nur im gleichen Umfang wie die Rechte der Stammaktionäre.3) § 140 Abs. 1 spricht nur von Rechten, jedoch gilt Entsprechendes auch für die Aktionärspflichten.4) Im Ergebnis unterliegen Vorzugsaktionäre allen aktienrechtlichen Vorschriften, die nicht das Stimmrecht betreffen oder voraussetzen.5) Mitteilungspflichten der §§ 20, 21 gelten für Vorzugsaktien uneingeschränkt, da sie an Aktienbesitz und nicht an Stimmrecht anknüpfen. Im Gegenzug gelten Mitteilungspflichten nach §§ 33 ff. WpHG und Vorschriften zum Pflichtangebot nach § 35 WpÜG erst, wenn das Stimmrecht nach § 140 Abs. 2 auflebt.6) Vorschriften zur Kapitalaufbringung und -erhaltung, Nachgründungsvorschriften (§§ 52 f.) und gesetzliche Beschränkungen für den Erwerb eigener Aktien (§§ 71 ff.) gelten für Vorzugsaktien uneingeschränkt.7) 2.

Verwaltungsrechte

Mit Ausnahme des Stimmrechts haben Vorzugsaktionäre sämtliche Verwaltungsrechte. 3 Vorzugsaktionäre sind uneingeschränkt zur Teilnahme an der Hauptversammlung berechtigt.8) In der Hauptversammlung haben sie alle mit der Teilnahme verbundenen Befugnisse, insbesondere Rede- und Auskunftsrechte (§ 131). Sie können Widerspruch zum Protokoll erklären (§ 245 Nr. 1) und auch Nichtigkeits- und Anfechtungsklage (§§ 241 ff.) erheben. Dabei sind sie nicht auf die Geltendmachung von Rechtsgutsverletzungen, ihrer eigenen Rechte beschränkt.9) Vorzugsaktionären stehen auch im Vorfeld der Hauptversammlung sämtliche Informations- (§ 125 Abs. 2) und Einsichtsrechte (§ 120 Abs. 3), sowie das Recht auf Erteilung von Abschriften (§ 175 Abs. 2 und 3) zu. Von der Beschlussfassung sind Vorzugsaktien ausgeschlossen, ausgenommen Sonderfälle 4 wie § 180 und Sonderbeschlüsse nach § 141 Abs. 1 und 2.10) Solange das Stimmrecht nicht auflebt, werden nicht stimmberechtigte Aktien bei der Berechnung von Stimmen- und Kapitalmehrheiten, auch hinsichtlich vertretenen Grundkapitals, nicht mitgezählt.11) Minderheitenrechte stehen den Vorzugsaktionären zu, sofern sie nicht an das Stimm- 5 recht, sondern an die quotale Beteiligung am Grundkapital anknüpfen. Vorzugsaktionäre sind bei Berechung der Quoten zur Geltendmachung von Minderheitsrechten, wie z. B. den Antrag auf Bestellung eines Sonderprüfers (§§ 142 Abs. 2 und Abs. 4, 258 Abs. 2, 315), die Abwahl des Abschlussprüfers (§ 318 Abs. 3 HGB), sowie den Verzicht auf oder die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen gegen die Gründer oder Organmitglieder (§§ 50, 93 Abs. 4, 116, 117 Abs. 4, 147 Abs. 2, 148 Abs. 1, 302 Abs. 3) zu berücksich_____________ Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 140 Rz. 5; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 140 Rz. 2. Arnold in: MünchKomm-AktG, § 140 Rz. 5; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 140 Rz. 3. Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 140 Rz. 3. BGH, Urt. v. 5.10.1992 – II ZR 172/91, ZIP 1992, 1542 = NJW 1993, 57. Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 140 Rz. 4; Pentz, ZIP 2003, 1478, 1482. Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 140 Rz. 5; Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 140 Rz. 5. OLG Frankfurt/M., Urt. v. 30.9.1987 – 21 U 92/86, AG 1988, 304; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 39 Rz. 25. 9) BGH, Urt. v. 5.10.1992 – II ZR 172/91, ZIP 1992, 1542 = NJW 1993, 57; Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 140 Rz. 10. 10) Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 140 Rz. 7; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 140 Rz. 6. 11) Umkehrschluss zu § 140 Abs. 2 Satz 2. 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8)

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§ 140

Rechte der Vorzugsaktionäre

tigen.12) Von Bedeutung ist ferner das Recht zur Teilnahme an einem Minderheitsverlangen auf Einberufung einer Hauptversammlung nach § 122 Abs. 1 und zur Bekanntmachung von Beschlussgegenständen nach § 122 Abs. 2. Weiterhin können Vorzugsaktionäre auch an Minderheitsverlangen nach Einzelabstimmung über die Entlastung von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern (§ 120 Abs. 1 Satz 2) und an nach vorgezogener Abstimmung über Vorschläge von Aktionären zur Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern (§ 137) mitwirken, da die Rechte der Meinungsbildung in der Hauptversammlung dienen, von der der Vorzugsaktionär, wie etwa das Rede- und Fragerecht zeigt, nicht ausgeschlossen ist.13) 3.

Vermögensrechte

6 Während Vorzugsaktionäre bei den Verwaltungsrechten wegen fehlendem Stimmrecht schlechter gestellt sind als Stammaktionäre, sind sie bei den Vermögensrechten durch den Gewinnvorzug bevorteilt (siehe § 139 Rz. 8 ff.). 7 Sofern die Satzung nicht anderes bestimmt, stehen Vorzugsaktionären die gleichen Vermögensrechte wie den Stammaktionären zu. Sie haben das Bezugsrecht bei Kapitalerhöhungen (§ 186) und bei der Ausgabe von Wandel-/Gewinnschuldverschreibungen oder Genussrechten (§ 221 Abs. 4). Das Bezugsrecht bei Kapitalerhöhungen besteht unabhängig davon, ob nur Stammaktien, nur Vorzugsaktien oder Stamm- und Vorzugsaktien ausgegeben werden. Wird nur eine Gattung ausgegeben, so haben alle Aktionäre, auch die der anderen Gattungen, ein Bezugsrecht.14) Werden Aktien mehrerer Gattungen ausgegeben, haben alle Aktionäre ein Mischbezugsrecht auf junge Aktien aller Gattungen.15) In der Praxis wird aber das Bezugsrecht des Aktionärs regelmäßig auf die eigene Aktiengattung beschränkt (sog. „gekreuzter Bezugsrechtsausschluss“), um das Verhältnis der Gattungen und damit das Stimmrechtsverhältnis zu erhalten. Der für jede Gattung vorliegende, teilweise Bezugsrechtsausschluss ist aufgrund des legitimen Interesses an der Wahrung der Beteiligungs- und Stimmverhältnisse gerechtfertigt (siehe § 186 Rz. 23).16) III.

Aufleben des Stimmrechts (§ 140 Abs. 2)

8 Nach § 139 Abs. 1 müssen stimmrechtslose Vorzugsaktien mit einem Gewinnvorzug ausgestattet sein. Das allein genügt nicht, um einen Ausgleich für den Stimmverlust zu gewährleisten, da der Vorzugsanspruch vom Bilanzgewinn und Gewinnverwendungsbeschluss abhängig ist (siehe § 139 Rz. 11). Folgerichtig regelt das Gesetz das Aufleben des Stimmrechts bei Ausbleiben des Gewinnvorzuges (§ 140 Abs. 2). 1.

Voraussetzungen

9 Nachdem durch die Gesetzesänderung der Aktienrechtsnovelle 2016 die Nachzahlungspflicht als zwingende Voraussetzung des Stimmrechtsausschlusses von Vorzugsaktionären entfallen ist (siehe § 139 Rz. 13), unterscheidet nunmehr § 140 Abs. 2 für das Aufleben des Stimmrechts zwischen nachzuzahlenden und nicht nachzuzahlenden Vorzügen. 10 Für Erstere lebt das Stimmrecht der Vorzugsaktien nach § 140 Abs. 2 Satz 1 wie bisher auf, wenn der Gewinnvorzug in einem Geschäftsjahr nicht oder nicht vollständig gezahlt _____________ 12) 13) 14) 15) 16)

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Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 140 Rz. 11 f.; Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 140 Rz. 9. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 140 Rz. 3; a. A. Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 140 Rz. 11. Arnold in: MünchKomm-AktG, § 140 Rz. 4. Arnold in: MünchKomm-AktG, § 140 Rz. 4; a. A. Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 140 Rz. 17. LG München, Urt. v. 2.4.1992 – 5 HKO 8840/91, ZIP 1992, 1741; LG Tübingen, Urt. v. 15.11.1990 – 2 HO 116 und 174/89, ZIP 1991, 169 = AG 1991, 406.

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§ 140

Rechte der Vorzugsaktionäre

wird und im Folgegeschäftsjahr die Nachzahlung oder der neue Gewinnvorzug nicht vollständig geleistet werden.17) Bei nicht nachzuzahlenden Vorzügen lebt das Stimmrecht gemäß § 140 Abs. 2 Satz 2 11 hingegen auf, sobald der Vorzug in einem Jahr nicht oder nicht vollständig gezahlt wurde. Entgegen der alten Rechtslage kann bei entsprechender Satzungsregelung bereits das Aus- 12 bleiben von Mehrdividenden zum Stimmrechtsausschluss führen (siehe § 139 Rz. 9).18) Der Grund für die Nichtzahlung des Gewinnvorzuges spielt keine Rolle, sofern er nicht aus der Sphäre des Aktionärs stammt.19) Letzteres ist der Fall, wenn der Aktionär die Annahme der Zahlung verweigert, eine andere Leistung als die geschuldete an Erfüllung statt annimmt (§ 364 Abs. 1 BGB) oder den Anspruch ausdrücklich stundet.20) 2.

Maßgeblicher Zeitpunkt

Das Stimmrecht der Vorzugsaktionäre lebt im Fall eines nachzuzahlenden Vorzugs auf, 13 sobald feststeht, dass die Vorzugsrechte (Gewinnvorzug und Nachzahlungsrecht) zum zweiten Mal in Folge nicht vollständig gezahlt werden.21) Reicht der Bilanzgewinn nicht aus, um den Gewinnvorzug vollständig zu zahlen, entsteht das Stimmrecht mit Feststellung des Jahresabschlusses, also regelmäßig mit Billigung durch den Aufsichtsrat nach § 172. Die Vorzugsaktionäre sind dann bereits in der Hauptversammlung stimmberechtigt, in der dieser Jahresabschluss vorgelegt wird.22) Besteht ein ausreichender Bilanzgewinn, soll dieser aber in Rücklagen eingestellt oder vorgetragen werden, lebt das Stimmrecht auf, wenn die Hauptversammlung den Gewinnverwendungsbeschluss gefasst hat, nicht aber bereits mit Vorlage des Beschlussvorschlages der Verwaltung. Entscheidend ist die Feststellung des Abstimmungsergebnisses durch den Versammlungsleiter und nicht die Beurkundung der Niederschrift durch den Notar nach § 130 Abs. 1 (streitig).23) Sofern in der Hauptversammlung nach Feststellung des Gewinnverwendungsbeschlusses noch weitere Beschlüsse gefasst werden, sind Vorzugsaktionäre daher stimmberechtigt. Besteht ein Gewinnverwendungsbeschluss, aber verweigert der Vorstand die Auszahlung, lebt das Stimmrecht im Zeitpunkt der Verweigerung auf.24) Im Falle eines nicht nachzuzahlenden Vorzugs sind die vorstehend genannten Ausfüh- 14 rungen grundsätzlich entsprechend anzuwenden; das Stimmrecht lebt hier aber schon dann vollständig wieder auf, wenn feststeht, dass der Gewinnvorzug in einem Jahr nicht oder nicht vollständig bedient werden kann.25) Im Ergebnis ergibt sich danach für Aktionäre mit nachzuzahlendem Vorzug eine um ein Jahr längere Wartezeit bis zum Wiederaufleben ihres Stimmrechts. Im Fall der Kombination nachzuzahlender und nicht nachzuzahlender Vorzüge (etwa nicht 15 nachzahlbare Mehr- und nachzahlbare Vorabdividende) lebt das Stimmrecht bereits durch den ersten teilweisen Ausfall des nicht nachzahlbaren Teils auf; dieses erlischt dann aber _____________ Arnold in: MünchKomm-AktG, § 140 Rz. 9; Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 140 Rz. 23. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 140 Rz. 4. Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 140 Rz. 22. Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 140 Rz. 18; Heidel-Roth, AktR, § 140 AktG Rz. 5. Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 39 Rz. 26. Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 140 Rz. 23; Butzke, Hauptversammlung der AG, Rz. E 31. Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 140 Rz. 22; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 140 Rz. 5; a. A. Arnold in: MünchKomm-AktG, § 140 Rz. 10. 24) Hölters-Hirschmann, AktG, § 140 Rz. 11. 25) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 140 Rz. 5. 17) 18) 19) 20) 21) 22) 23)

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§ 140

Rechte der Vorzugsaktionäre

in dem Jahr wieder, in dem der nicht nachzahlbare Teil ungeachtet bestehender Rückstände erstmals wieder gezahlt wird.26) 3.

Folgen des Auflebens des Stimmrechts

16 Ist das Stimmrecht der Vorzugsaktionäre bereits aufgelebt bzw. besteht aufgrund zu fassender Beschlüsse die Möglichkeit, dass es auflebt, ist darauf nach § 121 Abs. 3 Satz 2 in der Einberufung hinzuweisen.27) Die Aktionäre sollen sich auf die Hauptversammlung vorbereiten können und müssen daher wissen, ob sie in der Hauptversammlung stimmberechtigt sind oder nicht. Fehlt der Hinweis auf das Aufleben des Stimmrechts, sind gefasste Beschlüsse auch von nicht erschienenen Vorzugsaktionären anfechtbar, §§ 243 Abs. 1, 245 Nr. 2. Eine Eintragung des Auflebens des Stimmrechts in das Handelsregister ist weder erforderlich noch zulässig. Das Aufleben des Stimmrechts führt im Falle eines nachzuzahlenden Vorzugs nicht zum Erlöschen des Nachzahlungsanspruchs. Vorzugsaktionäre haben auch während des Auflebens ihres Stimmrechts einen Anspruch auf Zahlung des Vorzugs.28) a)

Umfang des Stimmrechts

17 Sind die Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 erfüllt, so sind die Vorzugsaktionäre im gleichen Umfang (zur Stimmkraft siehe § 134 Rz. 3) und bei denselben Beschlussgegenständen wie Stammaktionäre stimmberechtigt.29) Dies gilt insbesondere auch für den Gewinnverwendungsbeschluss. Ein etwaiges allgemeines Höchststimmrecht (siehe § 134 Rz. 4 ff.) gilt daher auch für Vorzugsaktionäre. Unzulässig ist aber ein spezielles Höchststimmrecht nur für Vorzugsaktionäre, da deren Stimmrecht gesetzliche Folge der Nichtzahlung des Vorzugs ist, und somit nicht zur Disposition des Satzungsgebers steht.30) 18 Trotz Aufleben des Stimmrechts bleiben Vorzugsaktien eine eigene Aktiengattung. Vom Gesetz vorgesehene Sonderbeschlüsse (§§ 141 Abs. 1, Abs. 2, 182 Abs. 2, 222 Abs. 2) sind daher auch dann nicht entbehrlich, wenn Vorzugsaktionäre bei den zugrunde liegenden Hauptversammlungsbeschlüssen mitgestimmt haben.31) b)

Berechnung von Kapitalmehrheiten

19 Bei Berechnung von Kapitalmehrheiten sind stimmrechtslose Vorzugsaktien grundsätzlich nicht zu berücksichtigen (siehe § 133 Rz. 24). Ist aber das Stimmrecht der Vorzugsaktionäre aufgelebt, sind Vorzugsaktien gemäß § 140 Abs. 2 Satz 2 bei der Berechnung von Kapitalmehrheiten genau so wie Stammaktien mitzuzählen. 4.

Wiedererlöschen des Stimmrechts mit Nachzahlung

20 Das Stimmrecht erlischt gemäß § 140 Abs. 2 automatisch, sobald sämtliche Rückstände nachgezahlt wurden.32) Erforderlich ist die tatsächliche Nachzahlung; ein bloßer Beschluss über die Nachzahlung führt noch nicht zum Erlöschen des Stimmrechts.33) Die _____________ 26) 27) 28) 29) 30) 31) 32)

Begr. RegE, BT-Drucks. 18/4349, S. 26; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 140 Rz. 5. Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 140 Rz. 26; Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 140 Rz. 26. Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 140 Rz. 30. Arnold in: MünchKomm-AktG, § 140 Rz. 14; Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 140 Rz. 27. Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 140 Rz. 27. Hölters-Hirschmann, AktG, § 140 Rz. 11; Werner, AG 1971, 69, 75. Arnold in: MünchKomm-AktG, § 140 Rz. 15; Hoffmann-Becking in: MünchHdb. GesR, Bd. 4, § 39 Rz. 26. 33) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 140 Rz. 22; Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 140 Rz. 30.

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Boris Dürr

§ 140

Rechte der Vorzugsaktionäre

Nachzahlung muss den vollen Gewinnvorzug des aktuellen Geschäftsjahrs und bei einem nachzuzahlenden Vorzug alle Nachzahlungsansprüche aus vorangegangenen Geschäftsjahren umfassen. In der Hauptversammlung, in der die für eine Nachzahlung erforderlichen Gewinnverwendungsbeschlüsse gefasst werden, sind die Vorzugsaktionäre in diesem Fall somit noch stimmberechtigt.34) Bei einem nicht nachzuzahlenden Vorzug erlischt das Stimmrecht wieder, wenn dieser im laufenden Geschäftsjahr befriedigt wird.35) IV.

Nachzahlungsrecht (§ 140 Abs. 3)

§ 140 Abs. 3 legt als Grundregel fest, dass bei mit einer Nachzahlungspflicht ausgestatteten 21 Vorzugsaktien der Nachzahlungsanspruch der Vorzugsaktionäre im Zweifel ein unselbstständiges Recht ist. Durch Satzung kann er aber auch als selbstständiger Zahlungsanspruch ausgestaltet werden. 1.

Unselbstständiges Nachzahlungsrecht

Der Nachzahlungsanspruch ist von Gesetzes wegen ein der Mitgliedschaft anhängendes, 22 unselbstständiges Recht. Bis der Gewinnverwendungsbeschluss gefasst ist, bleibt das Nachzahlungsrecht unselbstständiger Bestandteil der Vorzugsaktie.36) Als solches kann es nicht selbstständig nach §§ 398 ff. BGB übertragen werden, sondern geht bei Übertragung der Aktien mit über.37) Solange das Nachzahlungsrecht noch nicht durch den Gewinnverwendungsbeschluss zu einer Forderung erstarkt, unterliegt es der Disposition der Hauptversammlung und kann von dieser – vorbehaltlich eines zustimmenden Sonderbeschlusses der betroffenen Vorzugsaktionäre gemäß § 141 Abs. 1 – entzogen oder beschränkt werden.38) Entzieht die Hauptversammlung den Vorzugsaktionären das Nachzahlungsrecht vollständig, lebt deren Stimmrecht dauerhaft wieder auf. 2.

Selbstständiges Nachzahlungsrecht kraft Satzung

Abweichend vom gesetzlichen Regelfall kann die Satzung das Nachzahlungsrecht gemäß 23 § 140 Abs. 3 auch als selbstständiges Recht ausgestalten. Die Selbstständigkeit des Nachzahlungsanspruchs setzt aber eine ausdrückliche und eindeutige Satzungsregelung voraus.39) In diesem Fall entsteht der Nachzahlungsanspruch mit dem Ausfall des Vorzugs als selbstständiger schuldrechtlicher Anspruch unter der aufschiebenden Bedingung eines späteren Gewinnverwendungsbeschlusses.40) Der Anspruch ist selbstständig nach §§ 398 ff. BGB übertragbar und geht im Zweifel bei Übertragung der Aktie nicht mit über.41) Der einmal entstandene selbstständige Nachzahlungsanspruch kann den Vorzugsaktionären nicht mehr gemäß § 141 Abs. 1 entzogen, sondern nur noch durch Vereinbarung mit dem einzelnen Vorzugsaktionär beeinträchtigt werden.42) Der Hauptversammlung bleibt nur _____________ 34) Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 140 Rz. 30; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 140 Rz. 22. 35) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 140 Rz. 7. 36) BGH, Urt. v. 15.4.2010 – IX ZR 188/09, ZIP 2010, 1039 = GWR 2010, 328 mit Anm. Schneider, dazu EWiR 2010, 465 (Mock); Hölters-Hirschmann, AktG, § 140 Rz. 10. 37) Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 140 Rz. 31; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 140 Rz. 9; HeidelRoth, AktR, § 140 AktG Rz. 5. 38) BGH, Urt. v. 22.4.1953 – II ZR 72/53, NJW 1952, 1370; OLG Stuttgart, Urt. v. 23.1.1995 – 5 U 117/94, AG 1995, 283; Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 140 Rz. 32; Hölters-Hirschmann, AktG, § 140 Rz. 18. 39) Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 140 Rz. 35; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 140 Rz. 26. 40) BGH, Urt. v. 22.4.1953 – II ZR 72/53, NJW 1952, 1370; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 140 Rz. 10. 41) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 140 Rz. 25; Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 140 Rz. 32. 42) OLG Stuttgart, Urt. v. 23.1.1995 – 5 U 117/94, AG 1995, 283; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 140 Rz. 17.

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§ 141

Aufhebung oder Beschränkung des Vorzugs

die Möglichkeit auf Ausschüttung des Gewinnes zu verzichten und somit die Bedingung, unter der der selbstständige Nachzahlungsanspruch steht, zu unterbinden.43) Die Selbstständigkeit des Nachzahlungsrechts kann wegen der Möglichkeit des Auseinanderfallens von Aktieninhaberschaft und Nachzahlungsanspruch insbesondere in Sanierungsfällen zu erheblichen praktischen Schwierigkeiten führen.44) 3.

Behandlung in der Insolvenz

24 Der selbstständige Nachzahlungsanspruch ist Gläubigerforderung nach § 38 InsO, wobei er nach h. M. erst nach den nachrangigen Forderungen gemäß § 39 InsO befriedigt werden darf.45) Im Insolvenzplan erlischt er vorbehaltlich abweichender Regelung gemäß §§ 227 Abs. 1, 254 InsO.46) Demgegenüber ist die Auswirkung eines Insolvenzplans auf das unselbstständige Nachzahlungsrecht nach § 140 Abs. 3 umstritten. Der BGH sieht in der unselbstständigen Nachzahlungsforderung keine Gläubigerforderung nach § 38 InsO, behandelt sie aber wie eine nachrangige Insolvenzforderung.47) _____________ 43) 44) 45) 46)

Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 140 Rz. 34. Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 140 Rz. 36; Hölters-Hirschmann, AktG, § 140 Rz. 19. BGH, Urt. v. 15.4.2010 – IX ZR 188/09, ZIP 2010, 1039, 1041 = GWR 2010, 328 mit Anm. Schneider. BGH, Urt. v. 15.4.2010 – IX ZR 188/09, ZIP 2010, 1039, 1041 = GWR 2010, 328 mit Anm. Schneider; Heidel-Roth, AktR, § 140 AktG Rz. 12. 47) BGH, Urt. v. 15.4.2010 – IX ZR 188/09, ZIP 2010, 1039, 1041 = GWR 2010, 328 mit Anm. Schneider, mit begründeter dogmatischer Kritik, aber im Ergebnis wohl zustimmend; a. A. OLG Düsseldorf, Urt. v. 30.9.2009 – 6 U 166/08, ZIP 2009, 2350; Heidel-Roth, AktR, § 140 AktG Rz. 12; unklar Spindler/StilzBormann, AktG, § 140 Rz. 36 – § 227 InsO soll anwendbar sein; nach Beendigung des Insolvenzplans sollen unselbstständige Nachforderungsrechte aber geltend gemacht werden können.

§ 141 Aufhebung oder Beschränkung des Vorzugs (1) Ein Beschluß, durch den der Vorzug aufgehoben oder beschränkt wird, bedarf zu seiner Wirksamkeit der Zustimmung der Vorzugsaktionäre. (2) 1Ein Beschluß über die Ausgabe von Vorzugsaktien, die bei der Verteilung des Gewinns oder des Gesellschaftsvermögens den Vorzugsaktien ohne Stimmrecht vorgehen oder gleichstehen, bedarf gleichfalls der Zustimmung der Vorzugsaktionäre. 2 Der Zustimmung bedarf es nicht, wenn die Ausgabe bei Einräumung des Vorzugs oder, falls das Stimmrecht später ausgeschlossen wurde, bei der Ausschließung ausdrücklich vorbehalten worden war und das Bezugsrecht der Vorzugsaktionäre nicht ausgeschlossen wird. (3) 1Über die Zustimmung haben die Vorzugsaktionäre in einer gesonderten Versammlung einen Sonderbeschluß zu fassen. 2Er bedarf einer Mehrheit, die mindestens drei Viertel der abgegebenen Stimmen umfaßt. 3Die Satzung kann weder eine andere Mehrheit noch weitere Erfordernisse bestimmen. 4Wird in dem Beschluß über die Ausgabe von Vorzugsaktien, die bei der Verteilung des Gewinns oder des Gesellschaftsvermögens den Vorzugsaktien ohne Stimmrecht vorgehen oder gleichstehen, das Bezugsrecht der Vorzugsaktionäre auf den Bezug solcher Aktien ganz oder zum Teil ausgeschlossen, so gilt für den Sonderbeschluß § 186 Abs. 3 bis 5 sinngemäß. (4) Ist der Vorzug aufgehoben, so gewähren die Aktien das Stimmrecht.

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§ 141

Aufhebung oder Beschränkung des Vorzugs

die Möglichkeit auf Ausschüttung des Gewinnes zu verzichten und somit die Bedingung, unter der der selbstständige Nachzahlungsanspruch steht, zu unterbinden.43) Die Selbstständigkeit des Nachzahlungsrechts kann wegen der Möglichkeit des Auseinanderfallens von Aktieninhaberschaft und Nachzahlungsanspruch insbesondere in Sanierungsfällen zu erheblichen praktischen Schwierigkeiten führen.44) 3.

Behandlung in der Insolvenz

24 Der selbstständige Nachzahlungsanspruch ist Gläubigerforderung nach § 38 InsO, wobei er nach h. M. erst nach den nachrangigen Forderungen gemäß § 39 InsO befriedigt werden darf.45) Im Insolvenzplan erlischt er vorbehaltlich abweichender Regelung gemäß §§ 227 Abs. 1, 254 InsO.46) Demgegenüber ist die Auswirkung eines Insolvenzplans auf das unselbstständige Nachzahlungsrecht nach § 140 Abs. 3 umstritten. Der BGH sieht in der unselbstständigen Nachzahlungsforderung keine Gläubigerforderung nach § 38 InsO, behandelt sie aber wie eine nachrangige Insolvenzforderung.47) _____________ 43) 44) 45) 46)

Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 140 Rz. 34. Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 140 Rz. 36; Hölters-Hirschmann, AktG, § 140 Rz. 19. BGH, Urt. v. 15.4.2010 – IX ZR 188/09, ZIP 2010, 1039, 1041 = GWR 2010, 328 mit Anm. Schneider. BGH, Urt. v. 15.4.2010 – IX ZR 188/09, ZIP 2010, 1039, 1041 = GWR 2010, 328 mit Anm. Schneider; Heidel-Roth, AktR, § 140 AktG Rz. 12. 47) BGH, Urt. v. 15.4.2010 – IX ZR 188/09, ZIP 2010, 1039, 1041 = GWR 2010, 328 mit Anm. Schneider, mit begründeter dogmatischer Kritik, aber im Ergebnis wohl zustimmend; a. A. OLG Düsseldorf, Urt. v. 30.9.2009 – 6 U 166/08, ZIP 2009, 2350; Heidel-Roth, AktR, § 140 AktG Rz. 12; unklar Spindler/StilzBormann, AktG, § 140 Rz. 36 – § 227 InsO soll anwendbar sein; nach Beendigung des Insolvenzplans sollen unselbstständige Nachforderungsrechte aber geltend gemacht werden können.

§ 141 Aufhebung oder Beschränkung des Vorzugs (1) Ein Beschluß, durch den der Vorzug aufgehoben oder beschränkt wird, bedarf zu seiner Wirksamkeit der Zustimmung der Vorzugsaktionäre. (2) 1Ein Beschluß über die Ausgabe von Vorzugsaktien, die bei der Verteilung des Gewinns oder des Gesellschaftsvermögens den Vorzugsaktien ohne Stimmrecht vorgehen oder gleichstehen, bedarf gleichfalls der Zustimmung der Vorzugsaktionäre. 2 Der Zustimmung bedarf es nicht, wenn die Ausgabe bei Einräumung des Vorzugs oder, falls das Stimmrecht später ausgeschlossen wurde, bei der Ausschließung ausdrücklich vorbehalten worden war und das Bezugsrecht der Vorzugsaktionäre nicht ausgeschlossen wird. (3) 1Über die Zustimmung haben die Vorzugsaktionäre in einer gesonderten Versammlung einen Sonderbeschluß zu fassen. 2Er bedarf einer Mehrheit, die mindestens drei Viertel der abgegebenen Stimmen umfaßt. 3Die Satzung kann weder eine andere Mehrheit noch weitere Erfordernisse bestimmen. 4Wird in dem Beschluß über die Ausgabe von Vorzugsaktien, die bei der Verteilung des Gewinns oder des Gesellschaftsvermögens den Vorzugsaktien ohne Stimmrecht vorgehen oder gleichstehen, das Bezugsrecht der Vorzugsaktionäre auf den Bezug solcher Aktien ganz oder zum Teil ausgeschlossen, so gilt für den Sonderbeschluß § 186 Abs. 3 bis 5 sinngemäß. (4) Ist der Vorzug aufgehoben, so gewähren die Aktien das Stimmrecht.

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Aufhebung oder Beschränkung des Vorzugs

Literatur: Altmeppen, Umwandlung von Vorzugsaktien in Stammaktien gegen Zuzahlung, NZG 2005, 771; Kiem, Die Stellung der Vorzugsaktionäre bei Umwandlungsmaßnahmen, ZIP 1997, 1627; Krauel/Weng, Das Erfordernis von Sonderbeschlüssen Stimmrechtsloser Vorzugsaktionäre bei Kapitalerhöhungen und Kapitalherabsetzungen, AG 2003, 561; Roth, G., Die Berechnung der Garantiedividende von Vorzugsaktien im Rahmen von Unternehmensverträgen, Der Konzern, 2005, 685; Werner, Die Beschlussfassung der Inhaber stimmrechtsloser Vorzugsaktien, AG 1971, 69.

Übersicht I. Regelungsgegenstand und -zweck ................................................. 1 II. Aufhebung oder Beschränkung des Vorzugs (§ 141 Abs. 1) ............... 3 1. Satzungsändernder Beschluss der Hauptversammlung ..................... 3 2. Beeinträchtigung des Vorzugs ........... 4 a) Geschützter Vorzug i. S. des § 141 Abs. 1 ............................ 4 b) Unmittelbare Beeinträchtigung .............................................. 6 c) Mittelbare Beeinträchtigung ........ 7 3. Konkurrierende Normen ................. 11 III. Ausgabe neuer Vorzugsaktien (§ 141 Abs. 2) ................................... 12 I.

1. Zustimmungsbedürftige Beschlüsse ......................................... 2. Entbehrlichkeit der Zustimmung .... IV. Sonderbeschluss der Vorzugsaktionäre (§ 141 Abs. 3) .................. 1. Gesonderte Versammlung (§ 141 Abs. 3 Satz 1) .................................... 2. Erforderliche Mehrheit (§ 141 Abs. 3 Satz 2) .................................... 3. Bezugsrechtsausschluss (§ 141 Abs. 3 Satz 4) .................................... V. Stimmrecht nach Aufhebung des Vorzugs (§ 141 Abs. 4) .............

13 15 18 20 21 22 23

Regelungsgegenstand und -zweck

Nach § 141 Abs. 1 bedarf ein Beschluss, durch den der Vorzug aufgehoben oder be- 1 schränkt wird, der Zustimmung der Vorzugsaktionäre. Nach § 141 Abs. 2 gilt Entsprechendes, wenn neu auszugebende Vorzugsaktien bereits bestehenden Vorzugsaktien gleichstehen oder vorgehen sollen. § 141 Abs. 1 betrifft die Änderung der Satzungsregelung zu bestehenden Vorzugsaktien, § 141 Abs. 2 die Kapitalmaßnahmen bei denen neue Vorzugsaktien geschaffen werden. § 141 Abs. 3 bestimmt schließlich, dass in beiden Fällen ein Eingriff in die Rechte der Vorzugsaktionäre nur mit deren Zustimmung durch Sonderbeschluss mit ¾-Mehrheit zulässig ist. § 141 Abs. 4 bestimmt, dass im Falle der Aufhebung des Vorzuges bei den betroffenen Aktien das Stimmrecht entsteht. § 141 bezweckt den Schutz der Vorzugsaktionäre vor Aufhebung, Beschränkung oder 2 sonstigen Beeinträchtigung ihres Vorzuges. Die Norm ist lex specialis zu § 35 BGB, sodass es keiner Einzelzustimmung der Vorzugsaktionäre bedarf.1) Sie ist mit Ausnahme des Satzungsvorbehalts in § 141 Abs. 2 Satz 2 zwingend und kann durch die Satzung weder aufgehoben, noch ergänzt werden.2) Abweichende Regelungen sind nichtig (§ 23 Abs. 5).3) § 141 gilt nur für stimmrechtslose Vorzugsaktien; werden die Rechte stimmberechtigter Vorzugsaktien beeinträchtigt, ergibt sich das Erfordernis eines Sonderbeschlusses nicht aus § 141, sondern aus § 179 Abs. 3.4)

_____________ 1) 2) 3) 4)

Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 141 Rz. 49; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 141 Rz. 1. Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 141 Rz. 9; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 141 Rz. 1. Arnold in: MünchKomm-AktG, § 141 Rz. 1; Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 141 Rz. 1. Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 141 Rz. 2.

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§ 141

Aufhebung oder Beschränkung des Vorzugs

II.

Aufhebung oder Beschränkung des Vorzugs (§ 141 Abs. 1)

1.

Satzungsändernder Beschluss der Hauptversammlung

3 Nach § 141 Abs. 1 bedarf der Beschluss, der den Gewinnvorzug aufhebt oder beschränkt, der Zustimmung der Vorzugsaktionäre. Der Beschluss i. S. des § 141 Abs. 1 muss satzungsändernder Beschluss sein, da der Gewinnvorzug zwingend in der Satzung enthalten sein muss (siehe § 139 Rz. 4 f.). Somit gelten §§ 179 ff. Vorzugsaktionäre haben bei dem Beschluss kein Stimmrecht, es sei denn das Stimmrecht ist gemäß § 140 Abs. 2 aufgelebt (siehe § 140 Rz. 8 ff.).5) Kein Zustimmungserfordernis nach § 141 Abs. 1 besteht, wenn der Vorzug aufgrund einer Befristung oder Bedingung wegfällt.6) Ein Vorbehalt in der Satzung, wonach die Hauptversammlung den Vorzug später zustimmungsfrei aufheben, beschränken oder sonst wie beeinträchtigen darf, ist aber unzulässig, da anderenfalls die Regelung des § 141 Abs. 1 unter Verstoß gegen § 23 Abs. 5 umgangen werden könnte.7) 2.

Beeinträchtigung des Vorzugs

a)

Geschützter Vorzug i. S. des § 141 Abs. 1

4 Durch den satzungsändernden Beschluss der Hauptversammlung muss der Vorzug beeinträchtigt sein. Zustimmungsbedürftig i. S. des § 141 Abs. 1 sind nach h. M. nur Beeinträchtigungen der Bestandteile des Vorzugs, die gemäß § 139 Abs. 1 den Stimmrechtsausschluss rechtfertigen (siehe § 139 Rz. 7 f.). Erfasst sind also Beeinträchtigungen jeder Form eines Gewinnvorzugs, seit der Aktienrechtsnovelle 2016 auch der Mehrdividende (siehe § 139 Rz. 9). Da die Nachzahlungspflicht im Zuge der Aktienrechtsnovelle 2016 als zwingende Voraussetzung des Stimmrechtsausschlusses aufgegeben wurde (siehe § 139 Rz. 13 f.), besteht Unklarheit, wie Beeinträchtigungen des Nachzahlungsanspruchs zu behandeln sind. Teilweise wird vertreten, auf die weniger strengen Anforderungen des § 179 Abs. 3 zurückzugreifen. Die Gegenansicht wendet für die Aufhebung § 141 an, da das Bestehen eines Nachzahlungsanspruchs maßgeblich für den Zeitpunkt ist, in dem das Stimmrecht bei Ausfall des Vorzugs nach § 140 Abs. 2 wieder auflebt.8) 5 Nicht von § 141 Abs. 1 erfasst sind die Beeinträchtigung einer Liquidationspräferenz oder sonstiger zusätzlicher Verwaltungs-, oder Entsendungsrechte.9) Diese werden abschließend durch § 179 Abs. 3 geschützt.10) Nach heute ganz h. M. soll dies auch für den Vorzug hinsichtlich des Liquidationserlöses gelten.11) b)

Unmittelbare Beeinträchtigung

6 Das Zustimmungserfordernis des § 141 Abs. 1 gilt nur für unmittelbar in den Vorzug selbst eingreifende Beschlüsse. Mittelbare Eingriffe (z. B. durch Kapitalmaßnahmen) fallen allenfalls unter § 141 Abs. 2.12) Eine unmittelbare Beeinträchtigung setzt die Aufhebung oder Verschlechterung der satzungsmäßigen Festsetzungen zu den Vorzugsaktien voraus, z. B. _____________ 5) Heidel-Roth, AktR, § 141 AktG Rz. 2; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 141 Rz. 4; HöltersHirschmann, AktG, § 141 Rz. 4. 6) Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 141 Rz. 19; Werner, AG 1971, 69, 70. 7) Hölters-Hirschmann, AktG, § 141 Rz. 15. 8) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 141 Rz. 3 m. w. N. 9) Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 141 Rz. 9; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 141 Rz. 12; Hölters-Hirschmann, Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 141 Rz. 5. 10) Arnold in: MünchKomm-AktG, § 141 Rz. 4; Heidel-Roth, AktR, § 141 AktG Rz. 2; Hölters-Hirschmann, AktG, § 141 Rz. 6. 11) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 141 Rz. 3 m. w. N. 12) OLG Frankfurt/M., Urt. v. 23.12.1992 – 21 U 143/91, DB 1993, 272, dazu EWiR 1994, 1157 (Noack); Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 141 Rz. 4.

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Aufhebung oder Beschränkung des Vorzugs

§ 141

durch Absenkung des Vorzugsbetrages oder der zugesicherten Verzinsung.13) Die Ausnahmeregelung des § 141 Abs. 2 Satz 2 gilt nur für Beeinträchtigungen des Vorzugs i. S. von § 141 Abs. 2 Satz 1. Für unmittelbare Eingriffe i. S. des § 141 Abs. 1 gilt der Satzungsvorbehalt nicht.14) c)

Mittelbare Beeinträchtigung

Mittelbare Folgen eines Beschlusses, die sich nur wirtschaftlich auswirken, sind zustim- 7 mungsfrei, sofern nicht § 141 Abs. 2 greift. Die Regelung in § 141 Abs. 2 ist für mittelbare Beeinträchtigungen des Vorzugs abschließend.15) Mangels unmittelbarer Beeinträchtigung des Vorzugs bedarf z. B. die Änderung des Liquidationsbeschluss nach § 262 Abs. 1 Nr. 2 keiner Zustimmung der Vorzugsaktionäre.16) Gleiches gilt für sonstige nicht direkt den Vorzug betreffende Satzungsänderungen, die Ermächtigung zum Erwerb eigener Aktien, die Zustimmung zu Gewinnabführungsverträgen,17) Beschlüsse im Zusammenhang mit umwandlungsrechtlichen Maßnahmen18) sowie Beschlüsse über einen Squeeze out,19) eine Eingliederung oder ein Delisting.20) Bei Kapitalerhöhungen durch Ausgabe von Stammaktien liegt keine unmittelbare Beein- 8 trächtigung vor; dies gilt für die reguläre Kapitalerhöhung wie auch für die Kapitalerhöhungen aus bedingtem oder genehmigtem Kapital.21) Auch die Ausgabe von konkurrierenden Vorzugsaktien tangiert den Vorzug nicht unmittelbar, ein durch größere Anzahl an Vorzugsaktionären bedingter wirtschaftlicher Nachteil bei der Gewinnausschüttung ist nur mittelbare Beeinträchtigung.22) Bei einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln muss wegen § 216 Abs. 1 der Vorzug der alten Vorzugsaktien so angepasst werden, dass der auf die Vorzugsaktien entfallende Anteil am Gewinn durch die Kapitalerhöhung nicht verändert wird (siehe § 216 Rz. 2); ein Sonderbeschluss nach § 141 Abs. 1 ist aber nicht erforderlich, da die Vorzugsaktionäre im Ergebnis nicht schlechter gestellt werden und daher kein Eingriff in den Vorzug vorliegt.23) Auch bei der Kapitalherabsetzung liegt keine unmittelbare Beeinträchtigung vor, auch 9 nicht wenn die Vorzugsaktionäre wirtschaftlich stärker benachteiligt sind als die Stammaktionäre, weil der Vorzug an den Nennwert bzw. das anteilige Grundkapital gekoppelt ist.24) Da § 222 Abs. 2 mehrere stimmberechtigte Aktiengattungen voraussetzt, kann auch diese Norm nicht zur Begründung eines Zustimmungserfordernisses herangezogen wer-

_____________ 13) Hölters-Hirschmann, AktG, § 141 Rz. 8; Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 141 Rz. 7 – mit weiteren Bsp. 14) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 141 Rz. 7; Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 141 Rz. 18; HeidelRoth, AktR, § 141 AktG Rz. 4; Werner, AG 1971, 69, 71. 15) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 141 Rz. 6. 16) OLG Frankfurt/M., Urt. v. 23.12.1992 – 21 U 143/91, DB 1993, 272, dazu EWiR 1994, 1157 (Noack); Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 141 Rz. 6. 17) OLG Düsseldorf, Urt. v. 14.1.2005 – 16 U 59/04, ZIP 2005, 441 = NZG 2005, 347, dazu EWiR 2005, 495 (Wilsing); G. Roth, Der Konzern, 2005, 685. 18) OLG Schleswig, Beschl. v. 15.10.2007 – 5 W 50/07, ZIP 2007, 2162; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 141 Rz. 6; a. A. Kiem, ZIP 1997, 1627, der § 141 bei Umwandlungen teilweise für anwendbar hält. 19) BVerfG, Beschl. v. 28.8.2007 – 1 BvR 861/06, ZIP 2007, 1987, dazu EWiR 2007, 673 (Ogorek). 20) Ausführlich zu den genannten Fällen: Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 141 Rz. 9. 21) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 141 Rz. 13; Krauel/Wenig, AG 2003, 561. 22) Arnold in: MünchKomm-AktG, § 141 Rz. 9; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 141 Rz. 13. 23) OLG Stuttgart, Urt. v. 11.2.1992 – 10 U 313/90, AG 1993, 94; Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 141 Rz. 11. 24) Arnold in: MünchKomm-AktG, § 141 Rz. 11; a. A. Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 141 Rz. 13a.

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§ 141

Aufhebung oder Beschränkung des Vorzugs

den.25) Auch die Zusammenlegung von Aktien gemäß § 222 Abs. 4 setzt keinen zustimmenden Sonderbeschlusses voraus, da der Vorzug nicht unmittelbar betroffen ist.26) Wenn aber die Hauptversammlung aufgrund entsprechender Satzungsermächtigung eine Zwangseinziehung der Aktien beschließt, ist nach h. M. ein Sonderbeschluss nach § 141 Abs. 1 erforderlich.27) 10 Bei zwangsweiser Umwandlung von Vorzugsaktien in Stammaktien bedarf der Hauptversammlungsbeschluss der Zustimmung der Vorzugsaktionäre per Sonderbeschluss nach § 141 Abs. 1. Erfolgt die Umwandlung mit Zustimmung des Vorzugsaktionärs, ist dadurch die strengere Form des § 35 BGB erfüllt und ein Sonderbeschluss entbehrlich.28) 3.

Konkurrierende Normen

11 § 141 Abs. 1 konkurriert mit einer Reihe anderer aktienrechtlicher Vorschriften. Soweit § 141 Abs. 1 einschlägig ist, liegt stets auch eine für Vorzugsaktionäre nachteilige Veränderung i. S. des § 179 Abs. 3 vor. § 141 Abs. 1 verdrängt aber als lex specialis § 179 Abs. 3.29) §§ 222 Abs. 2 und 182 Abs. 2 führen schon tatbestandlich zu keiner Überschneidung, da sie ausweislich ihres Wortlauts nur für stimmberechtigte Aktien gelten, während § 141 Abs. 1 stimmrechtslose Aktien voraussetzt. Dies gilt auch bei Aufleben des Stimmrechts nach § 140 Abs. 2, da die Aktien auch dann nicht zur Gattung der stimmberechtigten Aktien zählen.30) Gleiches gilt für § 65 Abs. 2 UmwG, da dort ebenfalls nur die Zustimmung jeder Gattung stimmberechtigter Aktien verlangt wird. III.

Ausgabe neuer Vorzugsaktien (§ 141 Abs. 2)

12 § 141 Abs. 2 erfasst bestimmte mittelbare Beeinträchtigungen des gewährten Vorzugs. Nach § 141 Abs. 2 Satz 1 bedürfen Beschlüsse über die Ausgabe von Vorzugsaktien, die bei der Verteilung des Gewinns oder des Gesellschaftsvermögens den bestehenden stimmrechtslosen Vorzugsaktien vorgehen oder gleichstehen, der Zustimmung der Vorzugsaktionäre. Durch Ausgabe neuer Vorzugsaktien steigt die Zahl der Vorzugsberechtigten, so dass der Bilanzgewinn eventuell nicht mehr ausreicht, um alle Vorzüge voll zu bedienen. Der Zustimmungsvorbehalt gilt aber nicht bei jeder mittelbaren Beeinträchtigung, sondern nur in den ausdrücklich genannten Fällen, § 141 Abs. 2 ist abschließend.31) 1.

Zustimmungsbedürftige Beschlüsse

13 § 141 Abs. 2 Satz 1 gilt nur bei der Neuausgabe von Vorzugsaktien; erfasst sind sowohl stimmrechtslose als auch stimmberechtigte Vorzugsaktien.32) Bei der Ausgabe von Stammaktien gilt der Zustimmungsvorbehalt mangels Beeinträchtigung des Vorzugs nicht.33) Die Ausgabe neuer Vorzugsaktien erfolgt regelmäßig durch Kapitalerhöhung. Bei regulärer _____________ 25) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 141 Rz. 16; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 141 Rz. 9; Krauel/Wenig, AG 2003, 561. 26) OLG Frankfurt/M., Urt. v. 23.12.1992 – 21 U 143/91, DB 1993, 272, dazu EWiR 1994, 1157 (Noack); K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 141 Rz. 15; a. A. Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 141 Rz. 14; Heidel-Roth, AktR, § 141 AktG Rz. 6. 27) Arnold in: MünchKomm-AktG, § 141 Rz. 14; Heidel-Roth, AktR, § 141 AktG Rz. 6; a. A. Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 141 Rz. 24, wonach § 141 Abs. 1 durch § 222 Abs. 2 verdrängt wird. 28) Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 141 Rz. 19; Altmeppen, NZG 2005, 771. 29) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 141 Rz. 20; Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 141 Rz. 14. 30) Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 141 Rz. 12; Hölters-Hirschmann, AktG, § 141 Rz. 17. 31) Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 141 Rz. 26; Heidel-Roth, AktR, § 141 AktG Rz. 6. 32) Arnold in: MünchKomm-AktG, § 141 Rz. 22. 33) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 141 Rz. 26; Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 141 Rz. 28.

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Aufhebung oder Beschränkung des Vorzugs

§ 141

Kapitalerhöhung (§§ 182 ff.) bedarf der Kapitalerhöhungsbeschluss, bei bedingtem (§§ 192 ff.) und genehmigtem Kapital (§§ 202 ff.) bereits der Beschluss über die Schaffung des Kapitals der Zustimmung durch die Vorzugsaktionäre. Beim genehmigten Kapital muss die Ermächtigung nach § 204 Abs. 2 ausdrücklich vorsehen, dass gleichstehende oder vorrangige Vorzugsaktien ausgegeben werden dürfen. Auch die Umwandlung von Stamm- in Vorzugsaktien ist unter § 141 Abs. 2 zu subsumieren, da das bisher bestehende Vorzugsrecht dadurch in zumindest ähnlichem Maße beeinträchtigt wird wie durch Ausgabe neuer Vorzugsaktien.34) Die Neufassung der §§ 182 Abs. 2, 222 Abs. 2 seit dem Jahr 2012 lässt die Vorschrift ausweislich der Fraktionsbegründung unberührt.35) Das Zustimmungserfordernis besteht nur, wenn neu ausgegebene Aktien bestehenden Vor- 14 zugsaktien bei Verteilung von Gewinn oder Gesellschaftsvermögen gleichstehen oder vorgehen. § 141 Abs. 2 ist nur einschlägig, wenn ein bestehendes Vorrecht beeinträchtigt wird. Sofern neue und alte Vorzugsaktien unterschiedliche Vorrechte gewähren (z. B. Gewinnvorzug der alten und Liquidationsvorzug der neuen Aktien), ist die Zustimmung entbehrlich, da kein bestehender Vorzug beeinträchtigt wird.36) Die Höhe der einzelnen Vorzüge ist unbedeutend, ausschlaggebend ist das Rangverhältnis. Daher schadet ein höherer Vorzug der neuen Aktien nicht, sofern der Vorzug der alten Vorzugsaktionäre vorrangig ausgeschüttet wird.37) § 141 Abs. 2 Satz 1 greift immer dann, wenn die neuen Aktien voroder gleichrangig sind.38) 2.

Entbehrlichkeit der Zustimmung

Nach § 141 Abs. 2 Satz 2 ist die Zustimmung ausnahmsweise entbehrlich, wenn die Ausgabe 15 gleich- oder vorrangiger Aktien bei der Einräumung des Vorzugs bzw. Ausschluss des Stimmrechts ausdrücklich vorbehalten wurde und das Bezugsrecht der Vorzugsaktionäre nicht ausgeschlossen wird. Die Norm gilt nur für mittelbare Beeinträchtigung i. S. des § 141 Abs. 2 Satz 1, nicht für unmittelbare Beschränkung i. S. des § 141 Abs. 1 (siehe Rz. 6). Der Vorbehalt muss spätestens bei Ausschluss des Stimmrechts der Vorzugsaktien ausdrück- 16 lich und hinreichend deutlich in der Satzung aufgenommen werden. Es reicht aus, wenn die Aufnahme des Vorbehalts in der gleichen Hauptversammlung wie die Einführung der Vorzugsaktien bzw. der Stimmrechtsausschluss beschlossen werden.39) Auch die nachträgliche Einführung eines Vorbehalts ist möglich und lässt das Zustimmungserfordernis nach § 141 Abs. 2 entfallen. Die nachträgliche Einführung des Vorbehalts bedarf aber wiederum eines Sonderbeschlusses der Vorzugsaktionäre nach § 141 Abs. 2.40) Der Satzungsvorbehalt muss eindeutig und ohne das Erfordernis einer Auslegung verständlich formuliert sein.41) Die Ausnahme des § 141 Abs. 2 Satz 2 setzt voraus, dass das gesetzliche Bezugsrecht der 17 Vorzugsaktionäre nach § 186 Abs. 1 nicht ausgeschlossen wird. Beschließt die Hauptversammlung einen Bezugsrechtsausschluss bzw. eine Ermächtigung des Vorstands zum Bezugsrechtsausschluss (siehe § 203 Rz. 11 ff.) oder gilt dieser kraft Gesetz (siehe § 192 Rz. 4), ist die Zustimmung der Vorzugsaktionäre gemäß § 141 Abs. 2 Satz 1 erforderlich. _____________ 34) Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 141 Rz. 43; Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 141 Rz. 28; Hüffer/ Koch-Koch, AktG, § 141 Rz. 13. 35) Fraktionsbegr. BT Drucks. 12/6721, S. 10; Hüffer/Koch-Koch, § 141 Rz. 12. 36) Arnold in: MünchKomm-AktG, § 141 Rz. 23; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 141 Rz. 28. 37) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 141 Rz. 29. 38) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 141 Rz. 15. 39) Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 141 Rz. 41. 40) K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 141 Rz. 42; Hölters-Hirschmann, AktG, § 141 Rz. 17. 41) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 141 Rz. 16.

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§ 141

Aufhebung oder Beschränkung des Vorzugs

Dies gilt auch bei nur teilweisem Ausschluss oder sonstiger Beschränkungen des Bezugsrechts.42) IV.

Sonderbeschluss der Vorzugsaktionäre (§ 141 Abs. 3)

18 Soweit die Zustimmung der Vorzugsaktionäre zu einem Hauptversammlungsbeschluss gemäß § 141 Abs. 1 oder Abs. 2 erforderlich ist, haben Vorzugsaktionäre darüber durch Sonderbeschluss i. S. des § 138 zu entscheiden. § 141 Abs. 3 enthält besondere formelle Anforderungen für diesen Sonderbeschluss. Soweit § 141 Abs. 3 keine Regelung enthält, kommt ergänzend § 138 zur Anwendung. 19 Das Erfordernis eines unter § 141 Abs. 3 fallenden Beschlusses ergibt sich abschließend aus § 141 Abs. 1 oder Abs. 2. Auf sonstige Sonderbeschlüsse (z. B. § 179 Abs. 3) findet § 141 Abs. 3 keine Anwendung.43) Das Aufleben des Stimmrechts nach § 140 Abs. 2 macht den Sonderbeschluss nicht entbehrlich.44) Bei einer Einmann-AG ist ein Sonderbeschluss nicht erforderlich.45) Solange der Sonderbeschluss fehlt, ist der Hauptversammlungsbeschluss schwebend unwirksam; mit endgültiger Versagung der Zustimmung tritt endgültige die Unwirksamkeit des Beschlusses ein (siehe § 138 Rz. 8). 1.

Gesonderte Versammlung (§ 141 Abs. 3 Satz 1)

20 § 141 Abs. 3 Satz 1 bestimmt, dass der Sonderbeschluss in gesonderter Versammlung gefasst werden muss. Anders als sonstige Sonderbeschlüsse i. S. des § 138 kann der Beschluss nach § 141 Abs. 1 oder Abs. 2 nicht in gesonderte Abstimmung in der Hauptversammlung gefasst werden. Dadurch soll eine freie Willensbildung der Vorzugsaktionäre gewährleistet sein.46) Der Vorstand und der Aufsichtsrat müssen an den gesonderten Versammlungen teilnehmen (§ 118 Abs. 2 analog). Existieren mehrere Gattungen Vorzugsaktien, muss jede Gattung eine gesonderte Versammlung durchführen.47) Die Einberufung der Versammlungen kann in gemeinsamer Einladung erfolgen, auch zusammen mit der Einladung zur Hauptversammlung, solange eindeutig erkennbar ist, dass es sich um eine eigenständige Versammlung handelt (siehe § 138 Rz. 10). Zur gesonderten Versammlung haben neben Vorstand und Aufsichtsrat nur die jeweils betroffenen Vorzugsaktionäre Zutritt.48) Im Übrigen richtet sich die Vorbereitung und Durchführung der gesonderten Versammlung gemäß § 138 Satz 2 nach den für die Hauptversammlung geltenden Vorschriften. 2.

Erforderliche Mehrheit (§ 141 Abs. 3 Satz 2)

21 Abweichend von § 133 Abs. 1 bestimmt § 141 Abs. 3 Satz 2 zwingend, dass der Sonderbeschluss der Vorzugsaktionäre einer Mehrheit von mindestens drei Vierteln der abgegebenen Stimmen bedarf. Höchststimmenrechte gelten bei Sonderbeschlüssen nach § 141 Abs. 3 nicht.49) Das Mehrheitserfordernis ist gemäß § 141 Abs. 3 Satz 3 zwingend, die Satzung kann weder höhere oder niedrigere Mehrheit noch weitere Erfordernisse vorgeben.50) _____________ 42) 43) 44) 45) 46) 47) 48) 49) 50)

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Arnold in: MünchKomm-AktG, § 141 Rz. 32; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 141 Rz. 32. Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 141 Rz. 49. Arnold in: MünchKomm-AktG, § 141 Rz. 16. Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 141 Rz. 45; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 141 Rz. 18; Heidel-Roth, AktR, § 141 AktG Rz. 15. K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 141 Rz. 35; Arnold in: Münch Komm-AktG, § 141 Rz. 34. Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 141 Rz. 53; a. A. Heidel-Roth, AktR, § 141 AktG Rz. 15. Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 141 Rz. 54; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 141 Rz. 19; Heidel-Roth, AktR, § 141 AktG Rz. 15. Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 141 Rz. 55; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 141 Rz. 20; a. A. Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 141 Rz. 53. Arnold in: MünchKomm-AktG, § 141 Rz. 35; Hölters-Hirschmann, AktG, § 141 Rz. 29.

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§ 142

Bestellung der Sonderprüfer 3.

Bezugsrechtsausschluss (§ 141 Abs. 3 Satz 4)

Nach § 141 Abs. 3 Satz 4 gelten für den Sonderbeschluss § 186 Abs. 3 bis 5 sinngemäß, 22 wenn im Beschluss über die Ausgabe der Vorzugsaktien das Bezugsrecht der Vorzugsaktionäre ganz oder zum Teil ausgeschlossen wird. Der Sonderbeschluss muss dann neben der Zustimmung zur Ausgabe der Vorzugsaktien auch ausdrücklich die Zustimmung zum Bezugsrechtsausschluss enthalten.51) Bereits in der Tagesordnung bzw. im Beschlussvorschlag muss klar ersichtlich sein, dass über beides abgestimmt wird.52) Neben der Dreiviertel-Stimmenmehrheit des § 141 Abs. 3 Satz 2 bedarf der Sonderbeschluss dann auch der für den Bezugsrechtsausschluss erforderlichen Dreiviertel-Kapitalmehrheit des § 186 Abs. 3 Satz 2.53) V.

Stimmrecht nach Aufhebung des Vorzugs (§ 141 Abs. 4)

Der Stimmrechtsausschluss bei Vorzugsaktien kann nach § 139 Abs. 1 nur durch nachzu- 23 zahlenden Gewinnvorzug ausgeglichen werden. Demgemäß regelt § 141 Abs. 4, dass Aktien ein Stimmrecht gewähren, wenn der Vorzug wieder aufgehoben wird. Mit Vorzug i. S. des § 141 Abs. 4 ist Gewinnvorzug und Nachzahlungsrecht gemeint. Sofern diese nicht mehr bestehen, lebt das Stimmrecht also kraft Gesetz dauerhaft wieder auf.54) Bei Aufhebung durch Satzungsänderung (siehe Rz. 3) entsteht das Stimmrecht mit deren Wirksamwerden (siehe § 181 Rz. 39); im Falle einer Befristung oder Bedingung lebt das Stimmrecht mit Erfüllung der Bedingung bzw. Ablauf der Frist wieder auf.55) Anders als § 141 Abs. 1 und Abs. 2 gilt § 141 Abs. 4 nicht, wenn der Vorzug nur be- 24 schränkt wird. Da das Stimmrecht in Abweichung zu § 140 Abs. 2 in den Fällen des § 141 Abs. 4 mit endgültiger Wirkung wieder auflebt, die Vorzugsaktien zu Stammaktien werden und die §§ 139 ff. keine Anwendung mehr finden.56) _____________ 51) 52) 53) 54) 55) 56)

Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 141 Rz. 55; Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 141 Rz. 57. Arnold in: MünchKomm-AktG, § 141 Rz. 38; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 141 Rz. 37. K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 141 Rz. 37; Heidel-Roth, AktR, § 141 AktG Rz. 19. K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 141 Rz. 38; Werner, AG 1971, 69, 76. Hölters-Hirschmann, AktG, § 141 Rz. 31. Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 141 Rz. 66; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 141 Rz. 22.

Siebenter Unterabschnitt Sonderprüfung. Geltendmachung von Ersatzansprüchen § 142 Bestellung der Sonderprüfer Thomas Zwissler

(1) 1Zur Prüfung von Vorgängen bei der Gründung oder der Geschäftsführung, namentlich auch bei Maßnahmen der Kapitalbeschaffung und Kapitalherabsetzung, kann die Hauptversammlung mit einfacher Stimmenmehrheit Prüfer (Sonderprüfer) bestellen. 2Bei der Beschlußfassung kann ein Mitglied des Vorstands oder des Aufsichtsrats weder für sich noch für einen anderen mitstimmen, wenn die Prüfung sich auf Vorgänge erstrecken soll, die mit der Entlastung eines Mitglieds des Vorstands oder des Aufsichtsrats oder der Einleitung eines Rechtsstreits zwischen der Gesellschaft und einem Mitglied des Vorstands oder des Aufsichtsrats zusammenhängen. 3 Für ein Mitglied des Vorstands oder des Aufsichtsrats, das nach Satz 2 nicht mitstimmen kann, kann das Stimmrecht auch nicht durch einen anderen ausgeübt werden.

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Bestellung der Sonderprüfer 3.

Bezugsrechtsausschluss (§ 141 Abs. 3 Satz 4)

Nach § 141 Abs. 3 Satz 4 gelten für den Sonderbeschluss § 186 Abs. 3 bis 5 sinngemäß, 22 wenn im Beschluss über die Ausgabe der Vorzugsaktien das Bezugsrecht der Vorzugsaktionäre ganz oder zum Teil ausgeschlossen wird. Der Sonderbeschluss muss dann neben der Zustimmung zur Ausgabe der Vorzugsaktien auch ausdrücklich die Zustimmung zum Bezugsrechtsausschluss enthalten.51) Bereits in der Tagesordnung bzw. im Beschlussvorschlag muss klar ersichtlich sein, dass über beides abgestimmt wird.52) Neben der Dreiviertel-Stimmenmehrheit des § 141 Abs. 3 Satz 2 bedarf der Sonderbeschluss dann auch der für den Bezugsrechtsausschluss erforderlichen Dreiviertel-Kapitalmehrheit des § 186 Abs. 3 Satz 2.53) V.

Stimmrecht nach Aufhebung des Vorzugs (§ 141 Abs. 4)

Der Stimmrechtsausschluss bei Vorzugsaktien kann nach § 139 Abs. 1 nur durch nachzu- 23 zahlenden Gewinnvorzug ausgeglichen werden. Demgemäß regelt § 141 Abs. 4, dass Aktien ein Stimmrecht gewähren, wenn der Vorzug wieder aufgehoben wird. Mit Vorzug i. S. des § 141 Abs. 4 ist Gewinnvorzug und Nachzahlungsrecht gemeint. Sofern diese nicht mehr bestehen, lebt das Stimmrecht also kraft Gesetz dauerhaft wieder auf.54) Bei Aufhebung durch Satzungsänderung (siehe Rz. 3) entsteht das Stimmrecht mit deren Wirksamwerden (siehe § 181 Rz. 39); im Falle einer Befristung oder Bedingung lebt das Stimmrecht mit Erfüllung der Bedingung bzw. Ablauf der Frist wieder auf.55) Anders als § 141 Abs. 1 und Abs. 2 gilt § 141 Abs. 4 nicht, wenn der Vorzug nur be- 24 schränkt wird. Da das Stimmrecht in Abweichung zu § 140 Abs. 2 in den Fällen des § 141 Abs. 4 mit endgültiger Wirkung wieder auflebt, die Vorzugsaktien zu Stammaktien werden und die §§ 139 ff. keine Anwendung mehr finden.56) _____________ 51) 52) 53) 54) 55) 56)

Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 141 Rz. 55; Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 141 Rz. 57. Arnold in: MünchKomm-AktG, § 141 Rz. 38; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 141 Rz. 37. K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 141 Rz. 37; Heidel-Roth, AktR, § 141 AktG Rz. 19. K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 141 Rz. 38; Werner, AG 1971, 69, 76. Hölters-Hirschmann, AktG, § 141 Rz. 31. Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 141 Rz. 66; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 141 Rz. 22.

Siebenter Unterabschnitt Sonderprüfung. Geltendmachung von Ersatzansprüchen § 142 Bestellung der Sonderprüfer Thomas Zwissler

(1) 1Zur Prüfung von Vorgängen bei der Gründung oder der Geschäftsführung, namentlich auch bei Maßnahmen der Kapitalbeschaffung und Kapitalherabsetzung, kann die Hauptversammlung mit einfacher Stimmenmehrheit Prüfer (Sonderprüfer) bestellen. 2Bei der Beschlußfassung kann ein Mitglied des Vorstands oder des Aufsichtsrats weder für sich noch für einen anderen mitstimmen, wenn die Prüfung sich auf Vorgänge erstrecken soll, die mit der Entlastung eines Mitglieds des Vorstands oder des Aufsichtsrats oder der Einleitung eines Rechtsstreits zwischen der Gesellschaft und einem Mitglied des Vorstands oder des Aufsichtsrats zusammenhängen. 3 Für ein Mitglied des Vorstands oder des Aufsichtsrats, das nach Satz 2 nicht mitstimmen kann, kann das Stimmrecht auch nicht durch einen anderen ausgeübt werden.

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Bestellung der Sonderprüfer

(2) 1Lehnt die Hauptversammlung einen Antrag auf Bestellung von Sonderprüfern zur Prüfung eines Vorgangs bei der Gründung oder eines nicht über fünf Jahre zurückliegenden Vorgangs bei der Geschäftsführung ab, so hat das Gericht auf Antrag von Aktionären, deren Anteile bei Antragstellung zusammen den hundertsten Teil des Grundkapitals oder einen anteiligen Betrag von 100.000 Euro erreichen, Sonderprüfer zu bestellen, wenn Tatsachen vorliegen, die den Verdacht rechtfertigen, dass bei dem Vorgang Unredlichkeiten oder grobe Verletzungen des Gesetzes oder der Satzung vorgekommen sind; dies gilt auch für nicht über zehn Jahre zurückliegende Vorgänge, sofern die Gesellschaft zur Zeit des Vorgangs börsennotiert war. 2Die Antragsteller haben nachzuweisen, dass sie seit mindestens drei Monaten vor dem Tag der Hauptversammlung Inhaber der Aktien sind und dass sie die Aktien bis zur Entscheidung über den Antrag halten. 3Für eine Vereinbarung zur Vermeidung einer solchen Sonderprüfung gilt § 149 entsprechend. (3) Die Absätze 1 und 2 gelten nicht für Vorgänge, die Gegenstand einer Sonderprüfung nach § 258 sein können. (4) 1Hat die Hauptversammlung Sonderprüfer bestellt, so hat das Gericht auf Antrag von Aktionären, deren Anteile bei Antragstellung zusammen den hundertsten Teil des Grundkapitals oder einen anteiligen Betrag von 100.000 Euro erreichen, einen anderen Sonderprüfer zu bestellen, wenn dies aus einem in der Person des bestellten Sonderprüfers liegenden Grund geboten erscheint, insbesondere, wenn der bestellte Sonderprüfer nicht die für den Gegenstand der Sonderprüfung erforderlichen Kenntnisse hat, seine Befangenheit zu besorgen ist oder Bedenken wegen seiner Zuverlässigkeit bestehen. 2Der Antrag ist binnen zwei Wochen seit dem Tage der Hauptversammlung zu stellen. (5) 1Das Gericht hat außer den Beteiligten auch den Aufsichtsrat und im Fall des Absatzes 4 den von der Hauptversammlung bestellten Sonderprüfer zu hören. 2Gegen die Entscheidung ist die Beschwerde zulässig. 3Über den Antrag gemäß den Absätzen 2 und 4 entscheidet das Landgericht, in dessen Bezirk die Gesellschaft ihren Sitz hat. (6) 1Die vom Gericht bestellten Sonderprüfer haben Anspruch auf Ersatz angemessener barer Auslagen und auf Vergütung für ihre Tätigkeit. 2Die Auslagen und die Vergütung setzt das Gericht fest. 3Gegen die Entscheidung ist die Beschwerde zulässig; die Rechtsbeschwerde ist ausgeschlossen. 4Aus der rechtskräftigen Entscheidung findet die Zwangsvollstreckung nach der Zivilprozeßordnung statt. (7) Hat die Gesellschaft Wertpapiere im Sinne des § 2 Absatz 1des Wertpapierhandelsgesetzes ausgegeben, die an einer inländischen Börse zum Handel im regulierten Markt zugelassen sind, so hat im Falle des Absatzes 1 Satz 1 der Vorstand und im Falle des Absatzes 2 Satz 1 das Gericht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht die Bestellung des Sonderprüfers und dessen Prüfungsbericht mitzuteilen; darüber hinaus hat das Gericht den Eingang eines Antrags auf Bestellung eines Sonderprüfers mitzuteilen. (8) Auf das gerichtliche Verfahren nach den Absätzen 2 bis 6 sind die Vorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit anzuwenden, soweit in diesem Gesetz nichts anderes bestimmt ist. Literatur: Bachmann, Sonderprüfung trotz interner Ermittlung, ZIP 2018, 101; Bayer/Hoffmann, Hauptversammlungsbeschlüsse zu Sonderprüfungen 2011, AG 2012, R 272; Habersack, Zweck und Gegenstand der Sonderprüfung nach § 142 AktG, in: Festschrift für Herbert Wiedemann, 2002, S. 889; Hüffer, Verwaltungskontrolle und Rechtsverfolgung durch Sonderprüfer und beson-

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Bestellung der Sonderprüfer

dere Vertreter (§§ 142, 147 Abs. 2 AktG), ZHR 174 (2010) 642; Marsch-Barner, Freiwillige Sonderprüfungen, in: Festschrift für Theodor Baums, Bd. II, 2017, S. 775; Müller-Michaels/ Wingerter, Die Wiederbelebung der Sonderprüfung durch die Finanzkrise: IKB und die Folgen, AG 2010, 903; Schneider, Die aktienrechtliche Sonderprüfung im Konzern, AG 2008, 305; Slavik, Ausgewählte Probleme der aktienrechtlichen Sonderprüfung, WM 2017, 1684; Trölitsch/Gunßer, Grenzen der gerichtlichen Anordnung von Sonderprüfungen nach § 142 Abs. 2 AktG, AG 2008, 833; Wilsing/Neumann, Die Neuregelung der aktienrechtlichen Sonderprüfung nach dem Inkrafttreten des UMAG, DB 2006, 31.

Übersicht I. Allgemeines ....................................... 1 II. Bestellung von Sonderprüfern durch die Hauptversammlung (§ 142 Abs. 1) ..................................... 3 1. Prüfungsfähige Sachverhalte .............. 3 a) Vorgänge der Gründung .............. 4 b) Vorgänge der Geschäftsführung ......................................... 5 c) Ungeschriebene Schranken? ........ 7 2. Beschluss der Hauptversammlung, Stimmverbote (§ 142 Abs. 1 Satz 2, Satz 3) ..................................... 8 3. Annahme der Bestellung, Auftragserteilung und -beendigung ....... 13 III. Bestellung von Sonderprüfern durch das Gericht (§ 142 Abs. 2) ... 14 1. Formelle Voraussetzungen .............. 15 2. Materielle Voraussetzungen ............ 16 3. Entscheidung des Gerichts .............. 18 I.

4. Vereinbarungen zur Vermeidung der Sonderprüfung (§ 142 Abs. 2 Satz 3) ............................................... 5. Annahme der Bestellung, Auftragserteilung und -beendigung ....... IV. Verhältnis zu anderen Prüfungsvorgängen, insbes. Vorrang der Sonderprüfung nach § 258 (§ 142 Abs. 3) ............................................... V. Ersetzung von Sonderprüfern durch das Gericht (§ 142 Abs. 4) ... VI. Verfahrensgrundsätze und Rechtsmittel (§ 142 Abs. 5) ............ VII. Auslagenersatz und Vergütung (§ 142 Abs. 6) ................................... VIII. Mitteilungen an die BaFin (§ 142 Abs. 7) ................................... IX. Verfahrensregeln des FamFG (§ 142 Abs. 8) ...................................

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21 22 24 25 26 27

Allgemeines

Die Sonderprüfung dient der Kontrolle der Verwaltung durch die Aktionäre. Sie ist da- 1 rauf gerichtet, die tatsächlichen Grundlagen von Pflichtverletzungen und Ersatzansprüchen der Gesellschaft gegen ihre Gründer und Verwaltungsmitglieder aufzuklären.1) Als Teil des gesetzlichen Systems der Organhaftung hat die Sonderprüfung zuletzt zunehmend Beachtung gefunden.2) Sie verleiht der von der Rechtsprechung ausgebauten Haftungsandrohung gegen Verwaltungsmitglieder bei Nichtverfolgung von Schadensersatzansprüchen3) zusätzlichen Nachdruck und wirkt insoweit auch präventiv. Zu einem Instrument des Minderheitenschutzes wird die Sonderprüfung durch die An- 2 tragsrechte für qualifizierte Aktionärsminderheiten in § 142 Abs. 2 und 4. _____________ 1) 2)

3)

Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 142 Rz. 8. Die Zahl der Fälle, in denen Anträge auf Durchführung einer Sonderprüfung gestellt und eine Sonderprüfung im Anschluss auch tatsächlich durchgeführt wurde, blieb dennoch überschaubar. Vgl. Bayer/Hoffmann, AG 2012, R 272. Weitere Bsp. bei Heidel-Wilsing/v. d. Linden, AktR, § 142 AktG Rz. 7. Zum Phänomen der sog. „freiwilligen“ Sonderprüfungen, die von der Verwaltung auf Drängen von Aktionärsminderheiten oder zur Abwehr öffentlichkeitswirksamer Sonderprüfungen durchgeführt werden: Marsch-Barner in: FS Baums, Bd. II, S. 775 ff.; Rieckers/Vetter in: KölnKomm-AktG, § 142 Rz. 79 ff. BGH, Urt. v. 21.4.1997 – II ZR 175/95 (ARAG/Garmenbeck), BGHZ 135, 244, 254 ff. = ZIP 1997, 883.

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§ 142

Bestellung der Sonderprüfer

II.

Bestellung von Sonderprüfern durch die Hauptversammlung (§ 142 Abs. 1)

1.

Prüfungsfähige Sachverhalte

3 Gegenstand einer Sonderprüfung sind Vorgänge der Gründung oder der Geschäftsführung. Gemeint sind gegenständlich abgrenzbare Sachverhalte, wobei die Anforderungen an die Bestimmtheit des zur Überprüfung zu stellenden Vorgangs nicht überspannt werden dürfen.4) Unzulässig sind hingegen Sonderprüfungen zur Gründung insgesamt oder zur gesamten Geschäftsführung in bestimmten Zeitabschnitten5) sowie Prüfungen, die auf eine Feststellung der Pflichtwidrigkeit oder des Bestehens von Ansprüchen i. S. einer rechtlichen Würdigung abzielen.6) Solche erweiterten Prüfungen kann die Hauptversammlung zwar beschließen. Die für Sonderprüfungen geltenden Vorschriften finden auf derart erweiterte Prüfungen jedoch keine Anwendung. Insbesondere gelten dort weder die Stimmrechtsbeschränkungen gemäß § 142 Abs. 1 Sätze 2 und 37) (siehe zu diesen unten Rz. 9 ff.) noch die Regelungen über Prüfungsrechte des Sonderprüfers nach § 145.8) Die Sonderprüfung nach § 258 ist stets vorrangig (siehe dazu unten Rz. 21). a)

Vorgänge der Gründung

4 Als Vorgänge der Gründung kommen alle die Gründung betreffenden Sachverhalte aus der Zeit bis zur Eintragung der Gesellschaft in Betracht. Nachgründungsvorgänge i. S. von § 52 sind ebenfalls erfasst.9) Die Tatsache, dass eine Pflichtprüfung der Gründung oder der Nachgründung nach §§ 33 Abs. 2, 52 Abs. 4 stattgefunden hat oder noch stattfinden muss, hindert die Durchführung einer Sonderprüfung zu bestimmten Einzelaspekten nicht.10) b)

Vorgänge der Geschäftsführung

5 Das Sachgebiet der Geschäftsführung ist im Zusammenhang mit der Sonderprüfung in einem umfassenden Sinne zu verstehen. Erfasst ist der gesamte Verantwortungsbereich des Vorstandes einschließlich aller Vorgänge im Konzern, soweit die Gesellschaft deren wirtschaftliche Folgen (mit)zutragen hat,11) darüber hinaus jede Tätigkeit des Aufsichtsrates, soweit sie mit der Geschäftsführung im Zusammenhang steht. Unerheblich ist, ob der Vorgang auf ein wirksam bestelltes Organ(mitglied) oder eine lediglich faktisch als Organ der Gesellschaft handelnde Person zurückzuführen ist.12) Ob Vorstand oder Aufsichtsrat selbst gehandelt oder Dritte in deren Verantwortungsbereich tätig waren, ist für die Zulässigkeit der Sonderprüfung nur insoweit erheblich, als bei Aufgabendelegation die Pflichtverletzung oder andere Anspruchsvoraussetzungen eines Schadensersatzanspruches _____________ 4) LG Frankfurt/M., Urt. v. 12.3.2013 – 3-05 O 114/12, ZIP 2013, 1425, 1427; OLG Celle, Beschl. v. 8.11.2017 – 9 W 86/17, ZIP 2017, 2301, 2302; Rieckers/Vetter in: KölnKomm-AktG, § 142 Rz. 101 ff.; Slavik, WM 2017, 1684, 1686; Bachmann, ZIP 2018, 101, 104. 5) RG, Urt. v. 1935 – II 198/34, RGZ 1393 f.; OLG Düsseldorf, Urt. v. 15.2.1991 – 16 U 130/90, WM 1992, 14, 22; OLG Hamburg, Urt. v. 23.12.2010 – 11 U 185/09, ZIP 2011, 1209, 1211 ff., dazu EWiR 2011, 581 (Mock). 6) Arnold in: MünchKomm-AktG, § 142 Rz. 17. In der Praxis sind solche Anträge dennoch häufig anzutreffen. Vgl. hierzu auch KG Berlin, Beschl. v. 5.1.2012 – 2 W 95/11, ZIP 2012, 672, 674, dazu EWiR 2012, 369 (Jänig); Rieckers/Vetter in: KölnKomm-AktG, § 142 Rz. 24 f.; Bachmann, ZIP 2018, 101, 103. 7) OLG Hamburg, Urt. v. 23.12.2010 – 11 U 185/09, ZIP 2011, 1209, 1211. 8) Spindler/Stilz-Mock, AktG, § 142 Rz. 57. 9) Arnold in: MünchKomm-AktG, § 142 Rz. 19. Nachgründungsvorgänge sind in der Regel auch Vorgänge der Geschäftsführung. Gleiches gilt hinsichtlich einer etwaigen Geschäftstätigkeit des Vorstandes für die Vor-AG. Hier wie dort ist die Einordnung im Detail jedoch ohne sachliche Bedeutung. 10) Arnold in: MünchKomm-AktG, § 142 Rz. 19; Habersack in: FS Wiedemann, S. 889, 899. 11) OLG Düsseldorf, Urt. v. 15.1.2010 – I-17 U 6/09, ZIP 2010, 990, 992; Schneider, AG 2008, 305 ff. 12) Habersack in: FS Wiedemann, S. 889, 899.

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§ 142

Bestellung der Sonderprüfer

fraglich sein können (zu den hieraus folgenden Schranken siehe unten Rz. 7). Jahresabschluss und Lagebericht können als solche gar nicht, einzelne Posten derselben nur in engen Grenzen und unter Beachtung des Vorrangs einer Sonderprüfung nach § 258 zum Gegenstand der Sonderprüfung gemacht werden.13) Maßnahmen und Entscheidungen der Hauptversammlung zu Geschäftsführungsfragen (z. B. gemäß § 119 Abs. 2) können ebenfalls Gegenstand einer Sonderprüfung sein; die Beschlussmängelklage bleibt allerdings vorrangig.14) Als Geschäftsführungsmaßnahmen i. S. von § 142 Abs. 1 ausdrücklich genannt sind Maß- 6 nahmen der Kapitalbeschaffung (§§ 182 ff.) und Kapitalherabsetzung (§§ 222 ff.). Gegenstand der Sonderprüfung können hier jedoch nur Vorbereitungs- und Durchführungsmaßnahmen sein, nicht die Beschlussfassung durch die Hauptversammlung selbst.15) c)

Ungeschriebene Schranken?

Ansätze, den Kreis der prüfungsfähigen Sachverhalte in zeitlicher oder sonstiger Hinsicht 7 zu beschränken, finden im Gesetz keine Stütze. Anträge auf Durchführung von Sonderprüfungen können jedoch als rechtsmissbräuchlich zurückgewiesen werden, wenn ihnen erkennbar ein schutzwürdiges Interesse fehlt (z. B. wegen offensichtlicher Verjährung möglicher Ansprüche oder internen Ermittlungen der Gesellschaft, deren Veröffentlichung unmittelbar bevorsteht).16) Wird ein mißbräuchlicher Antrag von der Verwaltung bzw. dem Versammlungsleiter zur Abstimmung gestellt bzw. zugelassen und von der Hauptversammlung durch Mehrheitsbeschluss bestätigt, ist der Beschluss anfechtbar (§ 243 Abs. 1) aber nicht nichtig. 2.

Beschluss der Hauptversammlung, Stimmverbote (§ 142 Abs. 1 Satz 2, Satz 3)

Die Hauptversammlung entscheidet über einen Antrag auf Sonderprüfung durch Beschluss. 8 Dieser hat neben der eigentlichen Anordnung der Sonderprüfung und dem konkret zu bezeichnenden Prüfungsgegenstand (zum Prüfungsgegenstand siehe Rz. 3) auch die Person des Sonderprüfers festzulegen, d. h. namentlich zu benennen.17) Der Antrag auf Sonderprüfung muss grundsätzlich zur Tagesordnung angekündigt werden (§ 124 Abs. 1 Satz 1).18) Als Antrag zum Tagesordnungspunkt „Entlastung“ ist er zwar bekanntmachungsfrei (§ 124 Abs. 4 Satz 2), doch beschränkt sich der zulässige Prüfungsumfang dann auf Vorgänge aus der Zeit des Entlastungszeitraums und auf solche Vorgänge aus anderen Zeiträumen, die erkennbar in den Entlastungszeitraum hineinwirken.19) Antragberechtigt ist neben den Aktionären auch die Verwaltung. Für die Beschlussfassung selbst ist die einfache Stimmenmehrheit (§ 133 Abs. 1) ausreichend. Höhere Anforderungen können nicht bestimmen werden, auch nicht in der Satzung (§ 23 Abs. 5). _____________ 13) Gleiches gilt für den Konzernabschluss, den Lagebericht und den Konzernlagebericht. Vgl. Spindler/Stilz-Mock, AktG, § 142 Rz. 52. 14) Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 142 Rz. 14. 15) Hüffer/Koch-Koch, AktG, 13. Aufl., § 142 Rz. 7. 16) Rieckers/Vetter in: KölnKomm-AktG, § 142 Rz. 151; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 142 Rz. 29; Hüffer/Koch-Koch, AktG, 13. Aufl., § 142 Rz. 8; Hüffer, ZHR 174 (2010) 642, 658 f. Zum Verhältnis zwischen Sonderprüfung und internen Ermittlungen der Gesellschaft OLG Celle, Beschl. v. 8.11.2017 – 9 W 86/17, ZIP 2017, 2301, dazu EWiR 2017, 749 (Mock); Bachmann, ZIP 2018, 101, 104 ff. 17) Arnold in: MünchKomm-AktG, § 142 Rz. 49. 18) Dabei sind die Quoren für den Antrag auf Einberufung einer Hauptversammlung durch die Minderheit (§ 122 Abs. 1) und den Antrag auf Ergänzung der Tagesordnung (§ 122 Abs. 2) zu beachten. Vgl. Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 142 Rz. 26. 19) Arnold in: MünchKomm-AktG, § 142 Rz. 46. Vgl. auch OLG Brandenburg, Urt. v. 10.11.2010 – 7 U 164/09, BeckRS 2010, 28564.

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Bestellung der Sonderprüfer

9 Für Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat (auch ehemalige) gelten besondere Stimmverbote, die über jene des § 136 hinausgehen. In sachlicher Hinsicht greift das Stimmverbot immer dann ein, wenn ein zulässiger Sonderprüfungsantrag i. S. von § 142 Abs. 1 Satz 1 (siehe dazu oben Rz. 3 ff.) zur Abstimmung gestellt ist20) und die Sonderprüfung Vorgänge umfasst, die mit der Entlastung eines gegenwärtigen oder früheren Mitglieds des Vorstands oder des Aufsichtsrats oder der Einleitung eines Rechtstreits zwischen der Gesellschaft und einem der genannten Organmitglieder zusammenhängt. Der persönliche Anwendungsbereich ist nicht auf das konkret betroffene Organmitglied beschränkt, sondern umfassend. Über den Gesetzeswortlaut hinaus findet das Stimmverbot auf ehemalige Organmitglieder Anwendung, wenn Vorgänge aus der Zeit ihrer Amtszeit geprüft werden sollen.21) Designierte Organmitglieder werden vom Stimmverbot des § 142 Abs. 1 Sätze 2 und 3 nicht erfasst.22) 10 Ein vom Stimmverbot betroffenes Organmitglied darf Stimmrechte weder für sich selbst noch aufgrund Vollmacht für andere Aktionäre ausüben (§ 142 Abs. 1 Satz 2). Das Stimmrecht des vom Stimmverbot betroffenen Organmitglieds kann auch nicht durch Dritte ausgeübt werden (§ 142 Abs. 1 Satz 3). 11 Entsprechende Anwendung findet das Stimmverbot auf Aktionäre, die von einem dem Stimmverbot unterliegenden Organmitglied beherrscht werden.23) Eine Erstreckung auf Aktionäre ohne Organstellung findet nicht statt, auch nicht bei beherrschendem Einfluss des Aktionärs auf die Gesellschaft und ihre Organmitglieder.24) 12 Stimmen, die unter Verstoß gegen das Stimmverbot abgegeben werden, sind unbeachtlich,25) Beschlüsse, die auf solchen Stimmen beruhen, anfechtbar. Die Überschreitung des zulässigen Prüfungsgegenstands führt zur Nichtigkeit des Beschlusses, wenn feststeht, dass Gegenstand der Beschlussfassung keine erweiterte Prüfung (siehe oben Rz. 3 ff.), sondern eine Sonderprüfung im Rechtssinne war.26) Eine fehlende Spezifizierung des Prüfungsgegenstands führt zur Anfechtbarkeit des Beschlusses.27) 3.

Annahme der Bestellung, Auftragserteilung und -beendigung

13 Die Bestellung zum Sonderprüfer wird mit Annahme der Bestellung durch den gewählten Sonderprüfer wirksam. Die Annahmeerklärung kann auch schon vor der Beschlussfassung abgegeben werden. Eine Auftragserteilung i. S. des Abschlusses eines gesonderten Prüfungsvertrages, der dann auch die Vergütung regelt, ist üblich,28) aber nicht zwingend. Die Kompetenz zur Vertretung der Gesellschaft gegenüber dem Sonderprüfer liegt vorrangig bei der Hauptversammlung, die einen Vertreter ihrer Wahl bestimmen kann; subsi-

_____________ 20) 21) 22) 23) 24)

25) 26) 27) 28)

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OLG Hamburg, Urt. v. 23.12.2010 – 11 U 185/09, ZIP 2011, 1209, 1211. RG, Urt. v. 24.10.1933, RGZ 142, 123, 132; Spindler/Stilz-Mock, AktG, § 142 Rz. 82. LG München I, Urt. v. 26.2.2010 – 5 HK O 14083/09, ZIP 2010, 2098. Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 142 Rz. 32. OLG Frankfurt/M., Urt. v. 22.3.2007 – 12 U 77/06, BeckRS 2008, 13889; OLG Düsseldorf, Urt. v. 5.7.2012 – I-6 U 69/11, AG 2013, 264, 267 = NZG 2013, 546; OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.1.2006 – I-16 U 137/04, AG 2006, 202, 205 f.; LG München I, Urt. v. 30.12.2010 – 5 HK O 21707/09, ZIP 2011, 2203 = AG 2011, 760; LG München I, Urt. v. 28.8.2008 – 5 HK O 2522/08, ZIP 2008, 420; Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 142 Rz. 32; Spindler/Stilz-Mock, AktG, § 142 Rz. 85 m. w. N. Die unzulässige Stimmabgabe ist zugleich eine Ordnungswidrigkeit, § 405 Abs. 3. Spindler/Stilz-Mock, AktG, § 142 Rz. 88, allerdings ohne die hier vorgenommene Differenzierung. Spindler/Stilz-Mock, AktG, § 142 Rz. 88. Zum weiteren Inhalt Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 142 Rz. 42. Fehlt es an besonderen Vereinbarungen, so bestimmt sich die Vergütung nach § 632 Abs. 1 und 2 BGB.

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§ 142

Bestellung der Sonderprüfer

diär greift die Vertretungsmacht des Vorstandes (§ 318 Abs. 1 Satz 4 HGB).29) Der Auftrag endet mit Erfüllung durch Vorlage des Prüfungsberichts (§ 145 Abs. 6). Eine vorzeitige Beendigung ist möglich,30) insbesondere als Folge einer gerichtlichen Entscheidung nach § 142 Abs. 4 oder einer entsprechenden Beschlussfassung der Hauptversammlung, die sowohl die Aufhebung der Sonderprüfung insgesamt als auch die Abberufung des Sonderprüfers (und ggf. Neubestellung eines anderen Sonderprüfers) bestimmen kann.31) III.

Bestellung von Sonderprüfern durch das Gericht (§ 142 Abs. 2)

Für qualifizierte Minderheiten besteht nach § 142 Abs. 2 die Möglichkeit, die Durchführung 14 einer Sonderprüfung durch das Gericht anordnen zu lassen. 1.

Formelle Voraussetzungen

Das Gericht wird nur auf Antrag tätig (zur Bestimmung des zuständigen Gerichts siehe 15 unten Rz. 24). Der Antrag ist statthaft, wenn zuvor die Hauptversammlung über die Sonderprüfung entschieden und diese abgelehnt hat. Gleichgestellt sind Fälle, in denen die Hauptversammlung trotz ordnungsgemäßer Antragstellung keinen Beschluss fasst, ein bereits gefasster positiver Beschluss später aufgehoben wird32) oder der von der Hauptversammlung bestellte Sonderprüfer die gesetzlichen Anforderungen (§ 143) nicht erfüllt. Eine Antragsfrist sieht das Gesetz nicht vor. Überlanges Zuwarten kann aber zu Missbrauchseinwand führen. Die Antragsberechtigung ist gegeben, wenn der Antragsteller allein oder gemeinsam mit weiteren Antragstellern mindestens 1 % oder einen anteiligen Betrag von 100.000 € am Grundkapital hält. Das Quorum muss bereits drei Monate vor der Hauptversammlung bestanden haben und bis zur Entscheidung des Gerichts ununterbrochen fortbestehen, was von dem bzw. den Antragsteller(n) im Verfahren nachzuweisen ist (§ 142 Abs. 2, Satz 2).33) Der zulässige Prüfungsgegenstand ist gegenüber § 142 Abs. 1 eingeschränkt. Das Gericht kann keine Sonderprüfung zu Vorgängen der Geschäftsführung anordnen, die gerechnet ab dem Tag der Hauptversammlung mehr als fünf Jahre zurückliegen. War die Gesellschaft zur Zeit des zu prüfenden Vorgangs börsennotiert, beträgt der maßgebliche Zeitraum zehn Jahre (§ 142 Abs. 2, Satz 1). Dabei ist es ausreichend, wenn der zeitlich letzte Teil des Vorgangs in den Fünf- bzw. Zehn-JahresZeitraum hineinragt.34) Die zeitliche Beschränkung sollte auch für Gründungsvorgänge gelten. Ein besonderes Rechtsschutzinteresse fordert das Gesetz nicht, ein allgemeines Rechtschutzinteresse muss jedoch gegeben sein. Das ist nicht der Fall, wenn die behaupteten Tatsachen hinreichend bekannt35) oder unstreitig sind oder das Antragsrecht in sonstiger Weise zu gesetzesfremden Zwecken missbraucht wird.36) _____________ 29) Streitig, vgl. Hüffer/Koch-Koch, AktG, 13. Aufl., § 142 Rz. 11 m. w. N. Für alleinige Vertretungskompetenz des Vorstandes Spindler/Stilz-Mock, AktG, § 142 Rz. 95, sowie Arnold in: MünchKommAktG, § 142 Rz. 49 f., beide ebenfalls m. w. N. 30) Einzelheiten hierzu bei Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 142 Rz. 43 ff. Zur entsprechenden Anwendung von § 318 Abs. 4 Satz 2 HGB bei nachträglichem Wegfall des Sonderprüfers Spindler/StilzMock, AktG, § 142 Rz. 183 ff. 31) OLG Düsseldorf, Urt. v. 5.7.2012 – I-6 U 69/11, AG 2013, 264 = NZG 2013, 546. Zu den Folgen für den Vergütungsanspruch des Sonderprüfers: OLG Düsseldorf, Urt. v. 25.3.2011 – I-22 U 162/10, BeckRS 2011, 11600. 32) OLG Düsseldorf, Beschl. v. 9.12.2009 – I-6 W 45/09, ZIP 2010, 28, 29, dazu EWiR 2010, 171 (Mutter/ Quinke). 33) Zur Berechnung des Quorums und zum Nachweis des Berechtigung: Heidel-Wilsing/v. d. Linden, AktR, § 142 AktG Rz. 33 f.; Wilsing/Neumann, DB 2006, 31, 32 f. 34) OLG Düsseldorf, Beschl. v. 9.12.2009 – I-6 W 45/09, ZIP 2010, 28, 29. 35) LG München I, Beschl. v. 9.6.2016 – 17 HK O 6754/15, NZG 2016, 1342. 36) KG Berlin, Beschl. v. 5.1.2012 – 2 W 95/11, ZIP 2012, 672.

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§ 142 2.

Bestellung der Sonderprüfer Materielle Voraussetzungen

16 Dem Antrag auf Sonderprüfung ist stattzugeben, wenn Tatsachen vorliegen, die den Verdacht rechtfertigen, dass Unredlichkeiten oder grobe Verletzungen des Gesetzes oder der Satzung vorliegen. Die Tatsachen, auf die sich der Antrag stützt, müssen dargelegt d. h. ausreichend substantiiert vorgetragen werden. Beweis oder Glaubhaftmachung sind nicht erforderlich. An die Überzeugung des Gerichts vom Vorliegen der Tatsachen sind dann aber hohe Anforderungen zu stellen.37) Bloße Verdächtigungen oder Vermutungen sind von vornherein nicht ausreichend.38) Das Gericht kann von Amts wegen Ermittlungen anstellen (§ 26 FamFG). Inhaltliche Abweichungen zwischen Antrag und abgelehntem Hauptversammlungsbeschluss sind unschädlich, sofern der Antrag auf Teile des abgelehnten Beschlusses beschränkt oder sonst von ihm umfasst ist.39) Bezüglich der Person des Sonderprüfers gilt das Identitätserfordernis nicht; das Gericht ist an diesbezügliche Vorschläge ohnehin nicht gebunden.40) 17 Anknüpfend an die Gesetzesbegründung wird über den Gesetzeswortlaut hinaus die Verhältnismäßigkeit als Korrektiv postuliert.41) Eine Sonderprüfung soll dann nicht stattfinden, wenn die Kosten oder etwaige sonstige negative Auswirkungen der Sonderprüfung für die Gesellschaft außer Verhältnis zu dem durch das Fehlverhalten ausgelösten oder aufgrund einer Publizität der Ereignisse möglichen Schaden stehen.42) Der Forderung nach einem Korrektiv für unverhältnismäßige Anträge ist zuzustimmen. Ziel seiner Anwendung sollte insbesondere die Wahrung der Ermessensspielräume der Verwaltung bei der Entscheidung über die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen sein. Die Darlegungslast für Umstände, die eine Unverhältnismäßigkeit des Antrags begründen, ist der Gesellschaft zuzuordnen. 3.

Entscheidung des Gerichts

18 Das Gericht entscheidet durch Beschluss, der den Prüfungsgegenstand konkret zu bezeichnen und den Sonderprüfer namentlich zu benennen hat. Hinsichtlich der Person des Sonderprüfers ist das Gericht an Vorschläge der Beteiligten nicht gebunden.43) 4.

Vereinbarungen zur Vermeidung der Sonderprüfung (§ 142 Abs. 2 Satz 3)

19 Trifft die Gesellschaft Vereinbarungen zur Vermeidung einer Sonderprüfung, sind diese entsprechend den Regelungen in § 149 zu veröffentlichen. Die Verpflichtung trifft aber nur börsennotierte Gesellschaften (§ 3 Abs. 2; siehe auch § 149 Rz. 2).44) _____________ 37) OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 15.6.2011 – 21 W 18/11, ZIP 2011, 1764, 1765, dazu EWiR 2011, 725 (Mock); OLG München, Beschl. v. 8.6.2011 – 31 Wx 81/10, ZIP 2011, 1364, dazu EWiR 2011, 691 (Theusinger/Schilha). 38) OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 15.6.2011 – 21 W 18/11, ZIP 2011, 1764, 1765; OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 13.1.2011 – 21 W 16/11, Rz. 27, juris („qualifizierter Verdacht“ ausreichend); OLG München, Beschl. v. 8.6.2011 – 31 Wx 81/10, ZIP 2011, 1364, 1365. 39) Streitig, vgl. Rieckers/Vetter in: KölnKomm-AktG, § 142 Rz. 213; gegen Zulässigkeit jeglicher Beschränkung Arnold in: MünchKomm-AktG, § 142 Rz. 84 m. w. N. 40) A. A. – Identitätserfordernis auch hinsichtlich der Person des Sonderprüfers – LG Frankfurt/M., Beschl. v. 23.2.2016 – 3-16 O 2/15, ZIP 2016, 575 f.; Heidel-Wilsing/v. d. Linden, AktR, § 142 AktG Rz. 25. 41) Begr. RegE z. UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 18; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 9.12.2009 – I-6 W 45/09, ZIP 2010, 28, 30; Hüffer/Koch-Koch, AktG, 13. Aufl., § 142 Rz. 21. 42) Zur Verhältnismäßigkeitsprüfung Heidel-Wilsing/v. d. Linden, AktR, § 142 AktG Rz. 32; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 142 Rz. 89. Spindler/Stilz-Mock, AktG, § 142 Rz. 132 ff.; Trölitsch/Gunßer, AG 2008, 833, 837 f.; Müller-Michaels/Wingerter, AG 2010, 903, 909 f.; Rieckers/Vetter in: KölnKomm-AktG, § 142 Rz. 299 ff.; Kamm, Die aktienrechtliche Sonderprüfung gemäß §§ 142 ff. AktG, 2015, S. 134 ff. 43) Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 142 Rz. 66. A. A. LG Frankfurt/M., Beschl. v. 23.2.2016 – 3-16 O 2/15, ZIP 2016, 575. 44) Wilsing/Neumann, DB 2006, 31, 33.

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Thomas Zwissler

§ 142

Bestellung der Sonderprüfer 5.

Annahme der Bestellung, Auftragserteilung und -beendigung

Die Wirksamkeit der Bestellung bedarf auch im Falle einer Bestellung des Sonderprüfers 20 durch das Gericht der Annahme. Anders als bei einer Bestellung durch die Hauptversammlung ist die Auftragsbeendigung aber der Disposition der Beteiligten entzogen. § 142 Abs. 4 findet auf den gerichtlich bestellten Sonderprüfer keine Anwendung. Gegen den Bestellungsbeschluss ist das Rechtsmittel der Beschwerde statthaft (§ 142 Abs. 5 Satz 2). Bei einem nachträglichen Wegfall des Sonderprüfers kann die Neubestellung eines Sonderprüfers nach den Regeln des § 318 Abs. 4 Satz 2 HGB beantragt werden.45) IV.

Verhältnis zu anderen Prüfungsvorgängen, insbes. Vorrang der Sonderprüfung nach § 258 (§ 142 Abs. 3)

Das AktG kennt eine Reihe weiterer Prüfungsvorgänge,46) deren Verhältnis zueinander 21 nur teilweise ausdrücklich geregelt ist. –

Im Verhältnis zur Sonderprüfung nach § 258 ist die Sonderprüfung nach § 142 Abs. 1 und 2 subsidiär (§ 142 Abs. 3).47)



Parallelität besteht zur Gründungsprüfung (§ 33), zu Prüfungen durch den Aufsichtsrat (§ 111 Abs. 2), zur konzernrechtlichen Sonderprüfung (§ 315) und zur Abschlussprüfung (§§ 316 ff. HGB).



Von der Sonderprüfung verdrängt wird aufgrund gesetzlicher Anordnung (§ 342b Abs. 3 HGB, § 107 Abs. 3 WpHG) das Enforcement-Verfahren (§§ 342b ff. HGB; §§ 106 ff. WpHG).

V.

Ersetzung von Sonderprüfern durch das Gericht (§ 142 Abs. 4)

Die Sonderprüfung soll als Instrument des Minderheitenschutzes nicht dadurch entwertet 22 werden, dass die Mehrheit einen ihr zwar genehmen, objektiv aber ungeeigneten Prüfer durchsetzt. Die wie bei § 142 Abs. 2 definierte qualifizierte Minderheit erhält daher durch § 142 Abs. 4 eine Möglichkeit, den von der Hauptversammlung gewählten Sonderprüfer48) per Gerichtsbeschluss durch einen (oder mehrere) andere(n) Prüfer ersetzen zu lassen. Eine Ersetzung des Sonderprüfers durch das Gericht kommt nur in Betracht, wenn in 23 der Person des von der Hauptversammlung bestellten Prüfers Gründe vorliegen, die diesen Schritt geboten erscheinen lassen, insbesondere bei fehlender fachlicher Eignung, Besorgnis der Befangenheit oder Bedenken gegen die Zuverlässigkeit, ebenso bei Nichterfüllung der Anforderungen nach § 143. Das Gericht entscheidet nur auf Antrag, der innerhalb von zwei Wochen gerechnet ab dem Tag der Hauptversammlung zu stellen ist.49) Diese Antragsfrist ist eine materielle Ausschlussfrist. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist bei Fristüberschreitung daher nicht möglich. _____________ 45) Einzelheiten hierzu bei Spindler/Stilz-Mock, AktG, § 142 Rz. 183 ff.; Lieder in: MünchHdb. GesR, Bd. 7, § 26 Rz. 155. 46) Übersicht bei Spindler/Stilz-Mock, AktG, § 142 Rz. 21 ff; Rieckers/Vetter in: KölnKomm-AktG, § 142 Rz. 60 ff. 47) Zur Abgrenzung in Fällen einer „Überbewertung“: LG München I, Urt. v. 30.12.2010 – 5 HK O 21707/09, ZIP 2011, 2203 = AG 2011, 760; Zum Vorrang der Sonderprüfung nach § 258 auch LG Frankfurt/M., Beschl. v. 23.2.2016 – 3-16 O 2/15, ZIP 2016, 575, 576 f. 48) Auf den gerichtlich bestellten Sonderprüfer findet § 142 Abs. 4 keine Anwendung. 49) Eine Verschiebung des Fristbeginns auf den Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Bestellung des Sonderprüfers ist nicht angezeigt. Arnold in: MünchKomm-AktG, § 142 Rz. 118; a. A. Spindler/Stilz-Mock, AktG, § 142 Rz. 172.

Thomas Zwissler

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§ 143 VI.

Auswahl der Sonderprüfer Verfahrensgrundsätze und Rechtsmittel (§ 142 Abs. 5)

24 Sachlich und örtlich zuständiges Gericht für Entscheidungen nach § 142 Abs. 2 und 4 ist das LG (Kammer für Handelssachen) am Sitz der Gesellschaft (§ 142 Abs. 5 Satz 3). Das Gericht hat bei seinen Entscheidung nicht nur die Beteiligten (Antragsteller und Gesellschaft, diese vertreten durch den Vorstand), sondern auch den Aufsichtsrat und im Falle einer Entscheidung nach § 142 Abs. 4 den von der Hauptversammlung gewählten Sonderprüfer zu hören. Gegen die Entscheidungen des Gerichts ist das Rechtsmittel der Beschwerde statthaft (§ 142 Abs. 5 Satz 2). VII. Auslagenersatz und Vergütung (§ 142 Abs. 6) 25 Für den gerichtlich bestellten Sonderprüfer begründet § 142 Abs. 6 einen gesetzlichen Anspruch auf Auslagenersatz und Vergütung, deren Höhe jeweils durch das Gericht festgesetzt wird. Zum alleinigen Schuldner bestimmt § 142 Abs. 6 die Gesellschaft. VIII. Mitteilungen an die BaFin (§ 142 Abs. 7) 26 Mittelungspflichten gegenüber der BaFin bestehen bei Gesellschaften, die Wertpapiere i. S. des § 2 Abs. 1 WpHG ausgegeben haben. Die Mitteilungspflicht erstreckt sich inhaltlich auf die Tatsache der Bestellung eines Sonderprüfers und den Sonderprüfungsbericht. Die Tatsache des Eingangs eines Antrags auf Bestellung von Sonderprüfern ist nur in den Fällen des § 142 Abs. 2 mitteilungspflichtig. Adressaten der Mitteilungspflichten sind in den Fällen einer Bestellung von Sonderprüfern durch die Hauptversammlung (§ 142 Abs. 1) der Vorstand, bei den Anträgen auf gerichtliche Bestellung (§ 142 Abs. 2) das Gericht. IX.

Verfahrensregeln des FamFG (§ 142 Abs. 8)

27 § 142 Abs. 8 stellt klar, dass auf die gerichtlichen Verfahren gemäß § 142 Abs. 2 – 6 die Vorschriften des FamFG Anwendung finden, wobei die aktienrechtlichen Sondervorschriften Vorrang genießen.

§ 143 Auswahl der Sonderprüfer (1) Als Sonderprüfer sollen, wenn der Gegenstand der Sonderprüfung keine anderen Kenntnisse fordert, nur bestellt werden 1. Personen, die in der Buchführung ausreichend vorgebildet und erfahren sind; 2. Prüfungsgesellschaften, von deren gesetzlichen Vertretern mindestens einer in der Buchführung ausreichend vorgebildet und erfahren ist. (2) 1Sonderprüfer darf nicht sein, wer nach § 319 Abs. 2, 3, § 319a Abs. 1, § 319b des Handelsgesetzbuchs nicht Abschlußprüfer sein darf oder während der Zeit, in der sich der zu prüfende Vorgang ereignet hat, hätte sein dürfen. 2Eine Prüfungsgesellschaft darf nicht Sonderprüfer sein, wenn sie nach § 319 Abs. 2, 4, § 319a Abs. 1, § 319b des Handelsgesetzbuchs nicht Abschlußprüfer sein darf oder während der Zeit, in der sich der zu prüfende Vorgang ereignet hat, hätte sein dürfen. Literatur: Slavik, Ausgewählte Probleme der aktienrechtlichen Sonderprüfung, WM 2017, 1684.

Übersicht I. Zweck der Norm ............................... 1 II. Fachliche Eignung (§ 143 Abs. 1) ................................................ 2 962

III. Unabhängigkeit (§ 143 Abs. 2) ........ 3 IV. Rechtsfolgen bei Verstoß ................. 4

Thomas Zwissler

§ 143 VI.

Auswahl der Sonderprüfer Verfahrensgrundsätze und Rechtsmittel (§ 142 Abs. 5)

24 Sachlich und örtlich zuständiges Gericht für Entscheidungen nach § 142 Abs. 2 und 4 ist das LG (Kammer für Handelssachen) am Sitz der Gesellschaft (§ 142 Abs. 5 Satz 3). Das Gericht hat bei seinen Entscheidung nicht nur die Beteiligten (Antragsteller und Gesellschaft, diese vertreten durch den Vorstand), sondern auch den Aufsichtsrat und im Falle einer Entscheidung nach § 142 Abs. 4 den von der Hauptversammlung gewählten Sonderprüfer zu hören. Gegen die Entscheidungen des Gerichts ist das Rechtsmittel der Beschwerde statthaft (§ 142 Abs. 5 Satz 2). VII. Auslagenersatz und Vergütung (§ 142 Abs. 6) 25 Für den gerichtlich bestellten Sonderprüfer begründet § 142 Abs. 6 einen gesetzlichen Anspruch auf Auslagenersatz und Vergütung, deren Höhe jeweils durch das Gericht festgesetzt wird. Zum alleinigen Schuldner bestimmt § 142 Abs. 6 die Gesellschaft. VIII. Mitteilungen an die BaFin (§ 142 Abs. 7) 26 Mittelungspflichten gegenüber der BaFin bestehen bei Gesellschaften, die Wertpapiere i. S. des § 2 Abs. 1 WpHG ausgegeben haben. Die Mitteilungspflicht erstreckt sich inhaltlich auf die Tatsache der Bestellung eines Sonderprüfers und den Sonderprüfungsbericht. Die Tatsache des Eingangs eines Antrags auf Bestellung von Sonderprüfern ist nur in den Fällen des § 142 Abs. 2 mitteilungspflichtig. Adressaten der Mitteilungspflichten sind in den Fällen einer Bestellung von Sonderprüfern durch die Hauptversammlung (§ 142 Abs. 1) der Vorstand, bei den Anträgen auf gerichtliche Bestellung (§ 142 Abs. 2) das Gericht. IX.

Verfahrensregeln des FamFG (§ 142 Abs. 8)

27 § 142 Abs. 8 stellt klar, dass auf die gerichtlichen Verfahren gemäß § 142 Abs. 2 – 6 die Vorschriften des FamFG Anwendung finden, wobei die aktienrechtlichen Sondervorschriften Vorrang genießen.

§ 143 Auswahl der Sonderprüfer (1) Als Sonderprüfer sollen, wenn der Gegenstand der Sonderprüfung keine anderen Kenntnisse fordert, nur bestellt werden 1. Personen, die in der Buchführung ausreichend vorgebildet und erfahren sind; 2. Prüfungsgesellschaften, von deren gesetzlichen Vertretern mindestens einer in der Buchführung ausreichend vorgebildet und erfahren ist. (2) 1Sonderprüfer darf nicht sein, wer nach § 319 Abs. 2, 3, § 319a Abs. 1, § 319b des Handelsgesetzbuchs nicht Abschlußprüfer sein darf oder während der Zeit, in der sich der zu prüfende Vorgang ereignet hat, hätte sein dürfen. 2Eine Prüfungsgesellschaft darf nicht Sonderprüfer sein, wenn sie nach § 319 Abs. 2, 4, § 319a Abs. 1, § 319b des Handelsgesetzbuchs nicht Abschlußprüfer sein darf oder während der Zeit, in der sich der zu prüfende Vorgang ereignet hat, hätte sein dürfen. Literatur: Slavik, Ausgewählte Probleme der aktienrechtlichen Sonderprüfung, WM 2017, 1684.

Übersicht I. Zweck der Norm ............................... 1 II. Fachliche Eignung (§ 143 Abs. 1) ................................................ 2 962

III. Unabhängigkeit (§ 143 Abs. 2) ........ 3 IV. Rechtsfolgen bei Verstoß ................. 4

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§ 144

Verantwortlichkeit der Sonderprüfer I.

Zweck der Norm

Die Norm soll gewährleisten, dass nur fachlich geeignete (§ 143 Abs. 1) und unabhängige 1 (§ 143 Abs. 2) Personen zu Sonderprüfern bestellt werden. II.

Fachliche Eignung (§ 143 Abs. 1)

Das Gesetz verweist zur fachlichen Eignung vorrangig auf Kenntnisse in der Buchführung. 2 Eine Sonderprüfung kann aber auch ganz andere Themen betreffen. Dann sind die fachlichen Kenntnisse hierzu ausschlaggebend. Sollen keine Einzelpersonen, sondern Prüfungsgesellschaften bestellt werden, ist hinsichtlich der Eignung auf deren gesetzliche Vertreter abzustellen. Bei der Beurteilung der fachlichen Eignung ist zu berücksichtigen, dass der Sonderprüfer grundsätzlich und ohne besondere Gestattung befugt ist, Prüfungsgehilfen und hier insbesondere Fachkräfte mit besonderen Qualifikationen beizuziehen (§ 323 Abs. 1 HGB). Je nach Bedeutung der fachfremden Fragestellungen kann jedoch auch die Bestellung mehrerer Prüfer mit unterschiedlichen Qualifikationen angezeigt sein.1) III.

Unabhängigkeit (§ 143 Abs. 2)

Zur Gewährleistung der Unabhängigkeit des Sonderprüfers verweist § 143 Abs. 2 auf die 3 Regelungen für Abschlussprüfer (§ 319 Abs. 2 und 3, § 319a Abs. 1 und § 319b HGB). Der Sonderprüfer muss diese Eignungsvoraussetzungen im Zeitpunkt seiner Bestellung und zugleich für den Zeitraum erfüllen, der Gegenstand der Prüfung ist. Wer in dem zu prüfenden Zeitpunkt nicht hätte Abschlussprüfer sein können, darf auch nicht zum Sonderprüfer bestellt werden. IV.

Rechtsfolgen bei Verstoß

Die Rechtsfolgen bei Verstößen gegen § 143 Abs. 1 und 2 sind umstritten.2) Bei einer Bestel- 4 lung des Sonderprüfers durch die Hauptversammlung führt ein Verstoß gegen § 143 Abs. 1 zur Anfechtbarkeit des Beschlusses, ein Verstoß gegen § 143 Abs. 2 ebenfalls.3) Bei einer gerichtlichen Bestellung des Sonderprüfers führen Verstöße zur Rechtswidrigkeit des Gerichtsbeschlusses. Dieser ist dann im Wege der Beschwerde (§ 142 Abs. 5) angreifbar. Prüfungsverträge zwischen der Gesellschaft und einem Sonderprüfer, der einem Bestellungs- 5 verbot unterliegt, sind nichtig (§ 134 BGB).4) _____________ 1) 2) 3) 4)

Spindler/Stilz-Mock, AktG, § 143 Rz. 6; Rieckers/Vetter in: KölnKomm-AktG, § 143 Rz. 21 ff. Kritisch zur Bestellung von Rechtsanwälten als Sonderprüfer Slavik, WM 2017, 1684, 1687. Überblick zum Meinungsstand bei Spindler/Stilz-Mock, AktG, § 143 Rz. 38 ff. Für Nichtigkeit z. B. Heidel-Wilsing/v. d. Linden, AktR, § 143 AktG Rz. 5; Rieckers/Vetter in: KölnKomm-AktG, § 143 Rz. 152. Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 143 Rz. 24; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 143 Rz. 27.

§ 144 Verantwortlichkeit der Sonderprüfer § 323 des Handelsgesetzbuchs über die Verantwortlichkeit des Abschlußprüfers gilt sinngemäß. Übersicht I. Pflichten des Sonderprüfers ............. 1

II. Haftungsmaßstab und Haftungsgrenzen ..................................... 2

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§ 144

Verantwortlichkeit der Sonderprüfer I.

Zweck der Norm

Die Norm soll gewährleisten, dass nur fachlich geeignete (§ 143 Abs. 1) und unabhängige 1 (§ 143 Abs. 2) Personen zu Sonderprüfern bestellt werden. II.

Fachliche Eignung (§ 143 Abs. 1)

Das Gesetz verweist zur fachlichen Eignung vorrangig auf Kenntnisse in der Buchführung. 2 Eine Sonderprüfung kann aber auch ganz andere Themen betreffen. Dann sind die fachlichen Kenntnisse hierzu ausschlaggebend. Sollen keine Einzelpersonen, sondern Prüfungsgesellschaften bestellt werden, ist hinsichtlich der Eignung auf deren gesetzliche Vertreter abzustellen. Bei der Beurteilung der fachlichen Eignung ist zu berücksichtigen, dass der Sonderprüfer grundsätzlich und ohne besondere Gestattung befugt ist, Prüfungsgehilfen und hier insbesondere Fachkräfte mit besonderen Qualifikationen beizuziehen (§ 323 Abs. 1 HGB). Je nach Bedeutung der fachfremden Fragestellungen kann jedoch auch die Bestellung mehrerer Prüfer mit unterschiedlichen Qualifikationen angezeigt sein.1) III.

Unabhängigkeit (§ 143 Abs. 2)

Zur Gewährleistung der Unabhängigkeit des Sonderprüfers verweist § 143 Abs. 2 auf die 3 Regelungen für Abschlussprüfer (§ 319 Abs. 2 und 3, § 319a Abs. 1 und § 319b HGB). Der Sonderprüfer muss diese Eignungsvoraussetzungen im Zeitpunkt seiner Bestellung und zugleich für den Zeitraum erfüllen, der Gegenstand der Prüfung ist. Wer in dem zu prüfenden Zeitpunkt nicht hätte Abschlussprüfer sein können, darf auch nicht zum Sonderprüfer bestellt werden. IV.

Rechtsfolgen bei Verstoß

Die Rechtsfolgen bei Verstößen gegen § 143 Abs. 1 und 2 sind umstritten.2) Bei einer Bestel- 4 lung des Sonderprüfers durch die Hauptversammlung führt ein Verstoß gegen § 143 Abs. 1 zur Anfechtbarkeit des Beschlusses, ein Verstoß gegen § 143 Abs. 2 ebenfalls.3) Bei einer gerichtlichen Bestellung des Sonderprüfers führen Verstöße zur Rechtswidrigkeit des Gerichtsbeschlusses. Dieser ist dann im Wege der Beschwerde (§ 142 Abs. 5) angreifbar. Prüfungsverträge zwischen der Gesellschaft und einem Sonderprüfer, der einem Bestellungs- 5 verbot unterliegt, sind nichtig (§ 134 BGB).4) _____________ 1) 2) 3) 4)

Spindler/Stilz-Mock, AktG, § 143 Rz. 6; Rieckers/Vetter in: KölnKomm-AktG, § 143 Rz. 21 ff. Kritisch zur Bestellung von Rechtsanwälten als Sonderprüfer Slavik, WM 2017, 1684, 1687. Überblick zum Meinungsstand bei Spindler/Stilz-Mock, AktG, § 143 Rz. 38 ff. Für Nichtigkeit z. B. Heidel-Wilsing/v. d. Linden, AktR, § 143 AktG Rz. 5; Rieckers/Vetter in: KölnKomm-AktG, § 143 Rz. 152. Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 143 Rz. 24; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 143 Rz. 27.

§ 144 Verantwortlichkeit der Sonderprüfer § 323 des Handelsgesetzbuchs über die Verantwortlichkeit des Abschlußprüfers gilt sinngemäß. Übersicht I. Pflichten des Sonderprüfers ............. 1

II. Haftungsmaßstab und Haftungsgrenzen ..................................... 2

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§ 145 I.

Rechte der Sonderprüfer. Prüfungsbericht Pflichten des Sonderprüfers

1 Das Gesetz verweist zur Pflichtenstellung des Sonderprüfers auf die Vorschriften für Abschlussprüfer (§ 323 HGB). In der Sache umfasst dies die Verpflichtung zur gewissenhaften und unparteiischen Prüfung (§ 323 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 HGB), die Pflicht zur Verschwiegenheit (§ 323 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 HGB) und das Verbot, Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse der geprüften Gesellschaft anderweitig zu verwenden (§ 323 Abs. 1 Satz 2 HGB). II.

Haftungsmaßstab und Haftungsgrenzen

2 Sonderprüfer haften der Gesellschaft auf Schadensersatz, wenn sie ihre Pflichten vorsätzlich oder fahrlässig verletzen (§ 323 Abs. 1 Satz 3 HGB).1) Ist ein verbundenes Unternehmen geschädigt, besteht die Haftung auch diesem gegenüber. Für fahrlässig verursachte Schäden gelten die Haftungshöchstgrenzen des § 323 Abs. 2 (nicht börsennotierte Gesellschaften: 1 Mio. €, börsennotierten Gesellschaften: 4 Mio. €).2) Die Ersatzpflicht ist einschließlich ihrer Voraussetzungen und Grenzen zwingend und kann auch vertraglich nicht beschränkt werden (§ 323 Abs. 4 HGB). _____________ 1) 2)

Zusätzlich gelten für den Sonderprüfer die Strafvorschriften der §§ 403, 404. Spindler/Stilz-Mock, AktG, § 144 Rz. 26. Für eine Einschränkung dahingehend, die Haftungshöchstgrenze einheitlich bei 1 Mio. € anzusetzen: Arnold in: MünchKomm-AktG, § 144 Rz. 15; Hölters-Hirschmann, AktG, § 144 Rz. 6.

§ 145 Rechte der Sonderprüfer. Prüfungsbericht (1) Der Vorstand hat den Sonderprüfern zu gestatten, die Bücher und Schriften der Gesellschaft sowie die Vermögensgegenstände, namentlich die Gesellschaftskasse und die Bestände an Wertpapieren und Waren, zu prüfen. (2) Die Sonderprüfer können von den Mitgliedern des Vorstands und des Aufsichtsrats alle Aufklärungen und Nachweise verlangen, welche die sorgfältige Prüfung der Vorgänge notwendig macht. (3) Die Sonderprüfer haben die Rechte nach Absatz 2 auch gegenüber einem Konzernunternehmen sowie gegenüber einem abhängigen oder herrschenden Unternehmen. (4) Auf Antrag des Vorstands hat das Gericht zu gestatten, dass bestimmte Tatsachen nicht in den Bericht aufgenommen werden, wenn überwiegende Belange der Gesellschaft dies gebieten und sie zur Darlegung der Unredlichkeiten oder groben Verletzungen gemäß § 142 Abs. 2 nicht unerlässlich sind. (5) 1Über den Antrag gemäß Absatz 4 entscheidet das Landgericht, in dessen Bezirk die Gesellschaft ihren Sitz hat. 2§ 142 Abs. 5 Satz 2, Abs. 8 gilt entsprechend. (6) 1Die Sonderprüfer haben über das Ergebnis der Prüfung schriftlich zu berichten. 2 Auch Tatsachen, deren Bekanntwerden geeignet ist, der Gesellschaft oder einem verbundenen Unternehmen einen nicht unerheblichen Nachteil zuzufügen, müssen in den Prüfungsbericht aufgenommen werden, wenn ihre Kenntnis zur Beurteilung des zu prüfenden Vorgangs durch die Hauptversammlung erforderlich ist. 3Die Sonderprüfer haben den Bericht zu unterzeichnen und unverzüglich dem Vorstand und zum Handelsregister des Sitzes der Gesellschaft einzureichen. 4Auf Verlangen hat der Vorstand jedem Aktionär eine Abschrift des Prüfungsberichts zu erteilen. 5Der Vorstand hat den Be-

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§ 145 I.

Rechte der Sonderprüfer. Prüfungsbericht Pflichten des Sonderprüfers

1 Das Gesetz verweist zur Pflichtenstellung des Sonderprüfers auf die Vorschriften für Abschlussprüfer (§ 323 HGB). In der Sache umfasst dies die Verpflichtung zur gewissenhaften und unparteiischen Prüfung (§ 323 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 HGB), die Pflicht zur Verschwiegenheit (§ 323 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 HGB) und das Verbot, Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse der geprüften Gesellschaft anderweitig zu verwenden (§ 323 Abs. 1 Satz 2 HGB). II.

Haftungsmaßstab und Haftungsgrenzen

2 Sonderprüfer haften der Gesellschaft auf Schadensersatz, wenn sie ihre Pflichten vorsätzlich oder fahrlässig verletzen (§ 323 Abs. 1 Satz 3 HGB).1) Ist ein verbundenes Unternehmen geschädigt, besteht die Haftung auch diesem gegenüber. Für fahrlässig verursachte Schäden gelten die Haftungshöchstgrenzen des § 323 Abs. 2 (nicht börsennotierte Gesellschaften: 1 Mio. €, börsennotierten Gesellschaften: 4 Mio. €).2) Die Ersatzpflicht ist einschließlich ihrer Voraussetzungen und Grenzen zwingend und kann auch vertraglich nicht beschränkt werden (§ 323 Abs. 4 HGB). _____________ 1) 2)

Zusätzlich gelten für den Sonderprüfer die Strafvorschriften der §§ 403, 404. Spindler/Stilz-Mock, AktG, § 144 Rz. 26. Für eine Einschränkung dahingehend, die Haftungshöchstgrenze einheitlich bei 1 Mio. € anzusetzen: Arnold in: MünchKomm-AktG, § 144 Rz. 15; Hölters-Hirschmann, AktG, § 144 Rz. 6.

§ 145 Rechte der Sonderprüfer. Prüfungsbericht (1) Der Vorstand hat den Sonderprüfern zu gestatten, die Bücher und Schriften der Gesellschaft sowie die Vermögensgegenstände, namentlich die Gesellschaftskasse und die Bestände an Wertpapieren und Waren, zu prüfen. (2) Die Sonderprüfer können von den Mitgliedern des Vorstands und des Aufsichtsrats alle Aufklärungen und Nachweise verlangen, welche die sorgfältige Prüfung der Vorgänge notwendig macht. (3) Die Sonderprüfer haben die Rechte nach Absatz 2 auch gegenüber einem Konzernunternehmen sowie gegenüber einem abhängigen oder herrschenden Unternehmen. (4) Auf Antrag des Vorstands hat das Gericht zu gestatten, dass bestimmte Tatsachen nicht in den Bericht aufgenommen werden, wenn überwiegende Belange der Gesellschaft dies gebieten und sie zur Darlegung der Unredlichkeiten oder groben Verletzungen gemäß § 142 Abs. 2 nicht unerlässlich sind. (5) 1Über den Antrag gemäß Absatz 4 entscheidet das Landgericht, in dessen Bezirk die Gesellschaft ihren Sitz hat. 2§ 142 Abs. 5 Satz 2, Abs. 8 gilt entsprechend. (6) 1Die Sonderprüfer haben über das Ergebnis der Prüfung schriftlich zu berichten. 2 Auch Tatsachen, deren Bekanntwerden geeignet ist, der Gesellschaft oder einem verbundenen Unternehmen einen nicht unerheblichen Nachteil zuzufügen, müssen in den Prüfungsbericht aufgenommen werden, wenn ihre Kenntnis zur Beurteilung des zu prüfenden Vorgangs durch die Hauptversammlung erforderlich ist. 3Die Sonderprüfer haben den Bericht zu unterzeichnen und unverzüglich dem Vorstand und zum Handelsregister des Sitzes der Gesellschaft einzureichen. 4Auf Verlangen hat der Vorstand jedem Aktionär eine Abschrift des Prüfungsberichts zu erteilen. 5Der Vorstand hat den Be-

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§ 145

Rechte der Sonderprüfer. Prüfungsbericht

richt dem Aufsichtsrat vorzulegen und bei der Einberufung der nächsten Hauptversammlung als Gegenstand der Tagesordnung bekanntzumachen. Literatur: Bungert/Rothfuchs, Vorbereitung und Durchführung der Sonderprüfung nach § 142 Abs. 2 AktG in der Praxis, DB 2011, 1677; Hüffer, Verwaltungskontrolle und Rechtsverfolgung durch Sonderprüfer und besondere Vertreter (§§ 142, 147 Abs. 2 AktG), ZHR 174 (2010) 642; Mock, Schutzinteressen der Aktiengesellschaft und ihrer Aktionäre bei der Sonderprüfung, ZIP 2018, 201; Schneider, Die aktienrechtliche Sonderprüfung im Konzern, AG 2008, 305; Slavik, Ausgewählte Probleme der aktienrechtlichen Sonderprüfung, WM 2017, 1684; Wilsing/v. d. Linden/ Ogorek, Gerichtliche Inhaltskontrolle von Sonderprüfungsberichten, NZG 2010, 729.

Übersicht I. Allgemeines ....................................... 1 II. Rechte des Sonderprüfers ................. 2 1. Einsicht und Prüfung von Unterlagen und Vermögensgegenständen (§ 145 Abs. 1) .............................. 3 I.

2. Aufklärungen und Nachweise (§ 145 Abs. 2, Abs. 3) ........................ 5 3. Rechte des Sonderprüfers bei Verletzung von Mitwirkungspflichten .............................................. 7 III. Prüfungsbericht (§ 145 Abs. 4 – 6) ..... 8

Allgemeines

Die Sonderprüfung erfolgt durch Ermittlung und Bewertung von Sachverhalten durch 1 den Prüfer. Um diese Arbeit zu unterstützen, begründet das Gesetz mit § 145 Abs. 1 bis 3 Prüfungs- und Auskunftsrechte. Die Terminologie darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Sonderprüfer kein Organ der Gesellschaft ist1) und seine Handlungssphäre nicht durch eigene, selbständig durchsetzbare Ansprüche, sondern mittels reflexartig wirkender Mitwirkungspflichten der Gesellschaftsorgane bestimmt wird (zur Durchsetzung der Mitwirkungspflichten siehe unten Rz. 7). Ergebnis der Prüfungstätigkeit ist der Prüfungsbericht, dessen Inhalt und Publizität durch § 145 Abs. 4 bis 6 bestimmt wird. II.

Rechte des Sonderprüfers

Die Sonderprüfung ist als Buchprüfung konzipiert.2) Die Rechte des Sonderprüfers um- 2 fassen daher die Einsicht und Prüfung von Unterlagen (§ 145 Abs. 1) sowie Aufklärungen und Nachweise (§ 145 Abs. 2 und 3). 1.

Einsicht und Prüfung von Unterlagen und Vermögensgegenständen (§ 145 Abs. 1)

Das Gesetz verpflichtet den Vorstand, dem Sonderprüfer die Prüfung der Bücher und 3 Schriften der Gesellschaft sowie der Vermögensgegenstände zu gestatten. Der Vorstand hat dabei nicht nur den Zugang zu Unterlagen (einschließlich EDV) und Vermögensgegenständen zu ermöglichen, sondern die Prüfungshandlungen bei Bedarf durch Bereitstellung von Arbeitsmitteln (z. B. Büroräume und technische Hilfsmittel) zu unterstützen. Auf die Erforderlichkeit der Prüfungshandlung kommt es nicht an. Der Vorstand kann ein Prüfungsbegehren jedoch zurückweisen, wenn kein Zusammenhang zum Prüfungsgegenstand besteht, was im Streitfall vom Vorstand zu beweisen ist. Das Prüfungsrecht des Sonderprüfers erstreckt sich nicht auf die Bücher und Schriften 4 und auch nicht auf die Vermögensgegenstände von Konzerngesellschaften. Diese Ein_____________ 1) 2)

Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 142 Rz. 41; Hüffer, ZHR 174 (2010) 642, 677. Hüffer, ZHR 174 (2010) 642, 668; Hinweise zur praktischen Handhabung aus Sicht der betroffenen Gesellschaft bei Bungert/Rothfuchs, DB 2011, 1677, 1678 ff.

Thomas Zwissler

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§ 145

Rechte der Sonderprüfer. Prüfungsbericht

schränkung ist keine planwidrige Lücke, sondern vom Gesetzgeber bewusst so gewollt und entsprechend zu respektieren.3) Benötigt der Sonderprüfer Informationen zu Konzerngesellschaften, kann er diese nur in Ausübung seines Auskunftsrecht nach § 145 Abs. 2 und 3 einfordern (siehe unten Rz. 6). 2.

Aufklärungen und Nachweise (§ 145 Abs. 2, Abs. 3)

5 Der Sonderprüfer kann von den Mitgliedern des Vorstandes und des Aufsichtsrates Aufklärungen und Nachweise verlangen. Gemeint sind erläuternde Darstellungen von Vorgängen und Sachverhalten aus Sicht des Organmitglieds. Die Mitwirkungspflicht der Organmitglieder ist weitreichend und kann nur insoweit verweigert werden, als sich das betreffende Organmitglied durch seine Mitwirkungshandlung strafbar machen oder sich der Gefahr einer Strafverfolgung aussetzen würde. Einen Nachweis zur Notwendigkeit des Aufklärungsverlangens kann das Organmitglied nicht fordern, wohl aber eine Plausibilisierung.4) Informationen, die dem Organmitglied zwar nicht vorliegen, auf die es jedoch Zugriff hat, muss sich das Organmitglied beschaffen. Dies ist vor allem bedeutsam für den Vorstand, der etwaige Ansprüche der Gesellschaft auf Auskunftserteilung gegen Mitarbeiter und ehemalige Organmitglieder geltend machen muss. Letztere unterliegen nicht der Mitwirkungspflicht nach § 145 Abs. 2 und 3, schulden der Gesellschaft aber Auskunft aus nachwirkender organschaftlicher Treuepflicht.5) 6 Mitwirkungspflichten nach § 145 Abs. 2 bestehen auch für Organmitglieder von inländischen Konzernunternehmen (§ 18) sowie Organmitglieder von abhängigen und herrschenden Unternehmen (§ 17).6) Soweit Personengesellschaften oder Einzelunternehmen betroffen sind, trifft die Mitwirkungspflicht die geschäftsführungsberechtigten Gesellschafter bzw. den Inhaber. 3.

Rechte des Sonderprüfers bei Verletzung von Mitwirkungspflichten

7 Die Möglichkeiten des Sonderprüfers, Mitwirkungspflichten der Organmitglieder durchzusetzen, sind beschränkt. Eigene Erfüllungsansprüche stehen ihm nicht zu. Gegen Mitglieder des Vorstandes kann jedoch eine Ordnungsstrafe nach § 407 Abs. 1 beantragt werden.7) Eine unzureichende Mitwirkungsbereitschaft kann der Sonderprüfer im Bericht vermerken und daraus Schlüsse ziehen. Im Falle nachhaltiger Blockadehaltung kann der Sonderprüfer den Prüfungsauftrag kündigen. III.

Prüfungsbericht (§ 145 Abs. 4 – 6)

8 Der Sonderprüfer hat als Ergebnis seiner Tätigkeit einen schriftlichen Prüfungsbericht vorzulegen (§ 145 Abs. 6 Satz 1). In der Regel umfasst der Bericht neben der Darstellung des Sachverhalts eine Beurteilung desselben. Derartige Bewertungen sind im Bericht nachvollziehbar zu begründen. 9 In den Bericht sind alle Angaben aufzunehmen, deren Kenntnis zur Beurteilung des zu prüfenden Vorgangs durch die Hauptversammlung erforderlich sind (§ 145 Abs. 6 Satz 2). _____________ 3) 4) 5) 6) 7)

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Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 145 Rz. 25; Hüffer, ZHR 174 (2010) 642, 668 f.; a. A. Schneider, AG 2008, 305, 309 f. Spindler/Stilz-Mock, AktG, § 145 Rz. 16. Arnold in: MünchKomm-AktG, § 145 Rz. 21. Spindler/Stilz-Mock, AktG, § 145 Rz. 19. Zur Problematik der Durchsetzung von Mitwirkungspflichten gegenüber Organmitgliedern ausländischer Konzernunternehmen Rieckers/Vetter in: KölnKomm-AktG, § 145 Rz. 73 ff. Lieder in: MünchHdb. GesR, Bd. 7, § 26 Rz. 158 ff.; Slavik, WM 2017, 1684, 1692 f.

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§ 146

Kosten

Geheimhaltungsinteressen der Gesellschaft treten insoweit zurück.8) Entsprechend gibt es auch keine Ausnahme für Tatsachen, deren Bekanntwerden für die Gesellschaft oder einem mit ihr verbundenen Unternehmen nachteilig ist oder sein kann. Ob die Angaben wirklich erforderlich sind, kann der Vorstand zur Überprüfung durch das Gericht stellen (§ 145 Abs. 3).9) Zuständig ist das LG am Sitz der Gesellschaft (§ 145 Abs. 5). Das Gericht darf die Nichtaufnahme bestimmter Tatsachen allerdings nur anordnen, wenn Angaben nicht nur nicht erforderlich sind, sondern zusätzlich überwiegende Belange der Gesellschaft dies gebieten. Gegen die Entscheidung des Gerichts ist das Rechtsmittel der Beschwerde statthaft (§ 145 Abs. 5 Satz 2, § 142 Abs. 5 Satz 2). Der mit Unterschrift versehene Prüfungsbericht ist nach Fertigstellung unverzüglich an 10 den Vorstand zu übermitteln und bei dem zuständigen Registergericht (§ 14) einzureichen (§ 145 Abs. 6 Satz 3).10) Betreibt die Gesellschaft das Schwärzungsverfahren nach § 145 Abs. 3, handelt der Prüfer auch dann noch unverzüglich, wenn er mit der Einreichung seines Berichts bei dem zuständigen Registergericht zuwartet, bis eine Entscheidung des Gerichts vorliegt. Anderenfalls würde der Zweck des Schwärzungsverfahrens verfehlt.11) Der Vorstand hat den Bericht sodann dem Aufsichtsrat vorzulegen und den Bericht bei der Einberufung der nächsten Hauptversammlung als Gegenstand der Tagesordnung bekannt zu machen (§ 145 Abs. 6 Satz 5). Ob die Einberufung einer außerordentlichen Hauptversammlung angezeigt ist, entscheidet der Vorstand nach pflichtgemäßem Ermessen. Die Aktionäre haben Anspruch auf Erteilung einer Abschrift des Prüfungsberichts (§ 145 Abs. 6 Satz 4). _____________ 8) BVerfG, Beschl. v. 20.12.2017 – 1 BvR 2754/17, ZIP 2018, 119, 122; Mock, ZIP 2018, 201, 203 f. 9) Sog. „Schwärzungsverfahren“. Vgl. hierzu Wilsing/v. d. Linden/Ogorek, NZG 2010, 729 ff. 10) Zur Bedeutung von Sonderprüfungsberichten im Zivilprozess Spindler/Stilz-Mock, AktG, § 145 Rz. 61; Lieder in: MünchHdb. GesR, Bd. 7, § 26 Rz. 172; Rieckers/Vetter in: KölnKomm-AktG, § 145 Rz. 179 ff. 11) OLG Düsseldorf, Beschl. v. 26.11.2015 – I-3 Wx 134/14, ZIP 2016, 1022.

§ 146 Kosten 1

Bestellt das Gericht Sonderprüfer, so trägt die Gesellschaft die Gerichtskosten und die Kosten der Prüfung. 2Hat der Antragsteller die Bestellung durch vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtigen Vortrag erwirkt, so hat der Antragsteller der Gesellschaft die Kosten zu erstatten. Übersicht I. Zweck und Anwendungsbereich der Norm ............................................ 1 II. Kostenlast der Gesellschaft .............. 3 I.

III. Kostenerstattungspflicht der Antragsteller ...................................... 4

Zweck und Anwendungsbereich der Norm

Die Regelung betrifft die Zuweisung der Kostenlast an die Gesellschaft. Damit soll sicher- 1 gestellt werden, dass berechtigte Anträge nicht aufgrund eines Kostenrisikos unterbleiben (§ 146 Satz 1). Gleichzeitig soll Missbräuchen entgegengewirkt werden (§ 146 Satz 2). Die Vorschrift gilt nur für die gerichtliche Bestellung von Sonderprüfern. Bei der Bestel- 2 lung von Sonderprüfern durch die Hauptversammlung folgt die Kostentragungspflicht der Gesellschaft aus dem Auftragsverhältnis mit dem Sonderprüfer (siehe hierzu oben

Thomas Zwissler

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§ 146

Kosten

Geheimhaltungsinteressen der Gesellschaft treten insoweit zurück.8) Entsprechend gibt es auch keine Ausnahme für Tatsachen, deren Bekanntwerden für die Gesellschaft oder einem mit ihr verbundenen Unternehmen nachteilig ist oder sein kann. Ob die Angaben wirklich erforderlich sind, kann der Vorstand zur Überprüfung durch das Gericht stellen (§ 145 Abs. 3).9) Zuständig ist das LG am Sitz der Gesellschaft (§ 145 Abs. 5). Das Gericht darf die Nichtaufnahme bestimmter Tatsachen allerdings nur anordnen, wenn Angaben nicht nur nicht erforderlich sind, sondern zusätzlich überwiegende Belange der Gesellschaft dies gebieten. Gegen die Entscheidung des Gerichts ist das Rechtsmittel der Beschwerde statthaft (§ 145 Abs. 5 Satz 2, § 142 Abs. 5 Satz 2). Der mit Unterschrift versehene Prüfungsbericht ist nach Fertigstellung unverzüglich an 10 den Vorstand zu übermitteln und bei dem zuständigen Registergericht (§ 14) einzureichen (§ 145 Abs. 6 Satz 3).10) Betreibt die Gesellschaft das Schwärzungsverfahren nach § 145 Abs. 3, handelt der Prüfer auch dann noch unverzüglich, wenn er mit der Einreichung seines Berichts bei dem zuständigen Registergericht zuwartet, bis eine Entscheidung des Gerichts vorliegt. Anderenfalls würde der Zweck des Schwärzungsverfahrens verfehlt.11) Der Vorstand hat den Bericht sodann dem Aufsichtsrat vorzulegen und den Bericht bei der Einberufung der nächsten Hauptversammlung als Gegenstand der Tagesordnung bekannt zu machen (§ 145 Abs. 6 Satz 5). Ob die Einberufung einer außerordentlichen Hauptversammlung angezeigt ist, entscheidet der Vorstand nach pflichtgemäßem Ermessen. Die Aktionäre haben Anspruch auf Erteilung einer Abschrift des Prüfungsberichts (§ 145 Abs. 6 Satz 4). _____________ 8) BVerfG, Beschl. v. 20.12.2017 – 1 BvR 2754/17, ZIP 2018, 119, 122; Mock, ZIP 2018, 201, 203 f. 9) Sog. „Schwärzungsverfahren“. Vgl. hierzu Wilsing/v. d. Linden/Ogorek, NZG 2010, 729 ff. 10) Zur Bedeutung von Sonderprüfungsberichten im Zivilprozess Spindler/Stilz-Mock, AktG, § 145 Rz. 61; Lieder in: MünchHdb. GesR, Bd. 7, § 26 Rz. 172; Rieckers/Vetter in: KölnKomm-AktG, § 145 Rz. 179 ff. 11) OLG Düsseldorf, Beschl. v. 26.11.2015 – I-3 Wx 134/14, ZIP 2016, 1022.

§ 146 Kosten 1

Bestellt das Gericht Sonderprüfer, so trägt die Gesellschaft die Gerichtskosten und die Kosten der Prüfung. 2Hat der Antragsteller die Bestellung durch vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtigen Vortrag erwirkt, so hat der Antragsteller der Gesellschaft die Kosten zu erstatten. Übersicht I. Zweck und Anwendungsbereich der Norm ............................................ 1 II. Kostenlast der Gesellschaft .............. 3 I.

III. Kostenerstattungspflicht der Antragsteller ...................................... 4

Zweck und Anwendungsbereich der Norm

Die Regelung betrifft die Zuweisung der Kostenlast an die Gesellschaft. Damit soll sicher- 1 gestellt werden, dass berechtigte Anträge nicht aufgrund eines Kostenrisikos unterbleiben (§ 146 Satz 1). Gleichzeitig soll Missbräuchen entgegengewirkt werden (§ 146 Satz 2). Die Vorschrift gilt nur für die gerichtliche Bestellung von Sonderprüfern. Bei der Bestel- 2 lung von Sonderprüfern durch die Hauptversammlung folgt die Kostentragungspflicht der Gesellschaft aus dem Auftragsverhältnis mit dem Sonderprüfer (siehe hierzu oben

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§ 147

Geltendmachung von Ersatzansprüchen

§ 142 Rz. 13). Eine Erstattung dieser Kosten kommt lediglich i. R. von Schadensersatzansprüchen in Betracht. II.

Kostenlast der Gesellschaft

3 Schuldner der Gerichtskosten für die Verfahren nach § 142 Abs. 2 und 4 ist die Gesellschaft. Dies gilt unabhängig vom Bestehen eines Erstattungsanspruchs nach § 146 Satz 2. Gleiches gilt für die Kosten des Sonderprüfers nach § 142 Abs. 6 (Auslagen und Vergütung). Außergerichtliche Kosten tragen die Beteiligten grundsätzlich selbst. Das Gericht kann jedoch aus Gründen der Billigkeit Abweichendes bestimmen (§ 81 FamFG). III.

Kostenerstattungspflicht der Antragsteller

4 Die Gesellschaft hat gegen den Antragsteller einen Anspruch auf Kostenerstattung, wenn die Bestellung des Sonderprüfers durch vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtigen Vortrag erwirkt wurde. Schadensersatzansprüche nach allgemeinen Regeln und hier insbesondere aufgrund Treuepflichtverletzung bleiben unberührt, allerdings nur unter Berücksichtigung des qualifizierten Verschuldensmaßstabes aus § 146 Satz 2.1) _____________ 1)

Arnold in: MünchKomm-AktG, § 146 Rz. 15; Heidel-Wilsing/v. d. Linden, AktR, § 146 AktG Rz. 3; Rieckers/Vetter in: KölnKomm-AktG, § 146 Rz. 40 f., 43.

§ 147 Geltendmachung von Ersatzansprüchen (1) 1Die Ersatzansprüche der Gesellschaft aus der Gründung gegen die nach den §§ 46 bis 48, 53 verpflichteten Personen oder aus der Geschäftsführung gegen die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats oder aus § 117 müssen geltend gemacht werden, wenn es die Hauptversammlung mit einfacher Stimmenmehrheit beschließt. 2Der Ersatzanspruch soll binnen sechs Monaten seit dem Tage der Hauptversammlung geltend gemacht werden. (2) 1Zur Geltendmachung des Ersatzanspruchs kann die Hauptversammlung besondere Vertreter bestellen. 2Das Gericht (§ 14) hat auf Antrag von Aktionären, deren Anteile zusammen den zehnten Teil des Grundkapitals oder den anteiligen Betrag von einer Million Euro erreichen, als Vertreter der Gesellschaft zur Geltendmachung des Ersatzanspruchs andere als die nach den §§ 78, 112 oder nach Satz 1 zur Vertretung der Gesellschaft berufenen Personen zu bestellen, wenn ihm dies für eine gehörige Geltendmachung zweckmäßig erscheint. 3Gibt das Gericht dem Antrag statt, so trägt die Gesellschaft die Gerichtskosten. 4Gegen die Entscheidung ist die Beschwerde zulässig. 5 Die gerichtlich bestellten Vertreter können von der Gesellschaft den Ersatz angemessener barer Auslagen und eine Vergütung für ihre Tätigkeit verlangen. 6Die Auslagen und die Vergütung setzt das Gericht fest. 7Gegen die Entscheidung ist die Beschwerde zulässig; die Rechtsbeschwerde ist ausgeschlossen. 8Aus der rechtskräftigen Entscheidung findet die Zwangsvollstreckung nach der Zivilprozeßordnung statt. Literatur: Bayer, Anforderungen an die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen den herrschenden Aktionär gem. § 147 AktG durch die Minderheit, AG 2016, 637; Bernau, Konzernrechtliche Ersatzansprüche als Gegenstand des Klageerzwingungsverfahrens nach § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG, AG 2011, 894; Binder, Das Informationsstatut des besonderen Vertreters (§ 147 Abs. 2 AktG), ZHR 176 (2012) 380; Decher, Die Kontrolle der Verwaltung durch Sonderprüfer, besondere Vertreter und Aktionärsklage, in: Festschrift für Theodor Baums,

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§ 147

Geltendmachung von Ersatzansprüchen

§ 142 Rz. 13). Eine Erstattung dieser Kosten kommt lediglich i. R. von Schadensersatzansprüchen in Betracht. II.

Kostenlast der Gesellschaft

3 Schuldner der Gerichtskosten für die Verfahren nach § 142 Abs. 2 und 4 ist die Gesellschaft. Dies gilt unabhängig vom Bestehen eines Erstattungsanspruchs nach § 146 Satz 2. Gleiches gilt für die Kosten des Sonderprüfers nach § 142 Abs. 6 (Auslagen und Vergütung). Außergerichtliche Kosten tragen die Beteiligten grundsätzlich selbst. Das Gericht kann jedoch aus Gründen der Billigkeit Abweichendes bestimmen (§ 81 FamFG). III.

Kostenerstattungspflicht der Antragsteller

4 Die Gesellschaft hat gegen den Antragsteller einen Anspruch auf Kostenerstattung, wenn die Bestellung des Sonderprüfers durch vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtigen Vortrag erwirkt wurde. Schadensersatzansprüche nach allgemeinen Regeln und hier insbesondere aufgrund Treuepflichtverletzung bleiben unberührt, allerdings nur unter Berücksichtigung des qualifizierten Verschuldensmaßstabes aus § 146 Satz 2.1) _____________ 1)

Arnold in: MünchKomm-AktG, § 146 Rz. 15; Heidel-Wilsing/v. d. Linden, AktR, § 146 AktG Rz. 3; Rieckers/Vetter in: KölnKomm-AktG, § 146 Rz. 40 f., 43.

§ 147 Geltendmachung von Ersatzansprüchen (1) 1Die Ersatzansprüche der Gesellschaft aus der Gründung gegen die nach den §§ 46 bis 48, 53 verpflichteten Personen oder aus der Geschäftsführung gegen die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats oder aus § 117 müssen geltend gemacht werden, wenn es die Hauptversammlung mit einfacher Stimmenmehrheit beschließt. 2Der Ersatzanspruch soll binnen sechs Monaten seit dem Tage der Hauptversammlung geltend gemacht werden. (2) 1Zur Geltendmachung des Ersatzanspruchs kann die Hauptversammlung besondere Vertreter bestellen. 2Das Gericht (§ 14) hat auf Antrag von Aktionären, deren Anteile zusammen den zehnten Teil des Grundkapitals oder den anteiligen Betrag von einer Million Euro erreichen, als Vertreter der Gesellschaft zur Geltendmachung des Ersatzanspruchs andere als die nach den §§ 78, 112 oder nach Satz 1 zur Vertretung der Gesellschaft berufenen Personen zu bestellen, wenn ihm dies für eine gehörige Geltendmachung zweckmäßig erscheint. 3Gibt das Gericht dem Antrag statt, so trägt die Gesellschaft die Gerichtskosten. 4Gegen die Entscheidung ist die Beschwerde zulässig. 5 Die gerichtlich bestellten Vertreter können von der Gesellschaft den Ersatz angemessener barer Auslagen und eine Vergütung für ihre Tätigkeit verlangen. 6Die Auslagen und die Vergütung setzt das Gericht fest. 7Gegen die Entscheidung ist die Beschwerde zulässig; die Rechtsbeschwerde ist ausgeschlossen. 8Aus der rechtskräftigen Entscheidung findet die Zwangsvollstreckung nach der Zivilprozeßordnung statt. Literatur: Bayer, Anforderungen an die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen den herrschenden Aktionär gem. § 147 AktG durch die Minderheit, AG 2016, 637; Bernau, Konzernrechtliche Ersatzansprüche als Gegenstand des Klageerzwingungsverfahrens nach § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG, AG 2011, 894; Binder, Das Informationsstatut des besonderen Vertreters (§ 147 Abs. 2 AktG), ZHR 176 (2012) 380; Decher, Die Kontrolle der Verwaltung durch Sonderprüfer, besondere Vertreter und Aktionärsklage, in: Festschrift für Theodor Baums,

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§ 147

Geltendmachung von Ersatzansprüchen

Bd. I, 2017, S. 279; Fabritius, Der besondere Vertreter gemäß § 147 Abs. 2 AktG, in: Gedächtnisschrift für Michael Gruson, 2009, S. 133; Hirte/Mock, Die Abberufung des besonderen Vertreters durch den Alleinaktionär, DB 2010, 775; Hüffer, Verwaltungskontrolle und Rechtsverfolgung durch Sonderprüfer und besondere Vertreter (§§ 142, 147 Abs. 2 AktG), ZHR 174 (2010) 642; Humrich, Die vermeintlichen Informationsrechte des besonderen Vertreters nach § 147 II AktG, NZG 2014, 441; Kling, Der Besondere Vertreter im Aktienrecht, ZGR 2009, 190; Kocher/ Lönner, Anforderungen an Bestimmtheit und Verdachtsmomente bei Beschlüssen über die Bestellung eines besonderen Vertreters nach § 147 AktG, ZIP 2016, 653; Lochner/Beneke, Der Besondere Vertreter in Hauptversammlung und Prozess: aktuelle Praxisfragen, ZIP 2015, 2010; Mock, Informationsbeschaffung durch den besonderen Vertreter, ZHR 181 (2017) 688; Mock, Der besondere Vertreter zwischen gesetzlicher Vertretung, eigener Klagebefugnis und Nebenintervention, AG 2015, 652; Mock, Berichts-, Auskunfts- und Publizitätspflichten des besonderen Vertreters, AG 2008, 839; Nietsch, Klageinitiative und besondere Vertretung in der Aktiengesellschaft, ZGR 2011, 589; Rieckers, Nachlese zur Hauptversammlungssaison 2016 und Ausblick auf 2017, DB 2016, 2526; Rieckers, Nachlese zur Hauptversammlungssaison 2015 und Ausblick auf 2016, DB 2015, 2131; Schneider, Der mühsame Weg der Durchsetzung der Organhaftung durch den besonderen Vertreter nach § 147 AktG, ZIP 2013, 1985; Westermann, Der besondere Vertreter im Aktienrecht, AG 2009, 237.

Übersicht I. Allgemeines ....................................... 1 II. Begründung einer Pflicht zur Geltendmachung von Ersatzansprüchen (§ 147 Abs. 1) .................... 2 1. Ersatzansprüche ................................. 2 2. Beschluss der Hauptversammlung .... 3 3. Rechtsfolgen der Beschlussfassung ................................................ 5 III. Besondere Vertreter (§ 147 Abs. 2) ................................................. 7 1. Bestellung durch die Hauptversammlung (§ 147 Abs. 2 Satz 1) ........ 7 I.

2. Bestellung durch das Gericht (§ 147 Abs. 2 Sätze 2 – 8) ................... 8 3. Rechtsstellung und Aufgaben des besonderen Vertreters, Vergütung .... 12 a) Rechte des besonderen Vertreters .......................................... 14 b) Pflichten des besonderen Vertreters .................................... 16 c) Auslagenersatz und Vergütung ................................... 17 4. Beendigung des Amtes ..................... 18

Allgemeines

Die Geltendmachung von Ersatzansprüchen aus der Gründung oder der Geschäftsführung 1 ist an sich Sache des Vorstands, soweit der Vorstand selbst betroffen ist Sache des Aufsichtsrats. Die zur Rechtsverfolgung berufenen Organe dürfen von der Geltendmachung und Durchzusetzen von Ansprüchen nur in Ausnahmefällen absehen.1) Die damit verbundene Haftungsandrohung allein ist jedoch nicht ausreichend, um Solidarisierungstendenzen der Gründer und Organmitglieder untereinander zu verhindern. Als zusätzliches Korrektiv soll hier § 147 wirken. Die Vorschrift weist der Hauptversammlung die Befugnis zu, über das „ob“ einer Anspruchsverfolgung letztverbindlich selbst zu entscheiden (§ 147 Abs. 1) und die Vertretung der Gesellschaft in die Hände eines besonderen Vertreters zu legen (§ 147 Abs. 2). Dabei kann Letzteres auch von einer qualifizierten Minderheit verlangt und durchgesetzt werden (§ 147 Abs. 2 Satz 2).

_____________ 1)

BGH, Urt. v. 21.4.1997 – II ZR 175/95 (ARAG/Garmenbeck), BGHZ 135, 244, 254 ff. = ZIP 1997, 883.

Thomas Zwissler

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§ 147

Geltendmachung von Ersatzansprüchen

II.

Begründung einer Pflicht zur Geltendmachung von Ersatzansprüchen (§ 147 Abs. 1)

1.

Ersatzansprüche

2 Die Vorschrift betrifft nur Ersatzansprüche, d. h. alle Schadensersatzansprüche aus der Gründung und der Geschäftsführung, letztere auch soweit sie sich gegen ehemalige Organmitglieder richten, daneben auch Ausgleichs- und Herausgabeansprüche samt zugehöriger Hilfsansprüche auf Auskunft oder Rechenschaft, Unterlassungsansprüche und konzernrechtliche Ersatzansprüche.2) Stets muss es sich um Ansprüche der Gesellschaft handeln. Nicht erfasst sind Ansprüche der Gesellschaft gegen Aktionäre wegen Verstößen gegen das Kapitalerhaltungsgebot (z. B. aus § 62 AktG)3) sowie Erfüllungsansprüche, auch nicht Ansprüche aus Einlagepflichten gegen Aktionäre. 2.

Beschluss der Hauptversammlung

3 Der Beschluss der Hauptversammlung begründet die Pflicht der Gesellschaft, Ersatzansprüche geltend zu machen und sie notfalls im Wege der Klage durchzusetzen. Der Beschluss muss die Ansprüche konkret benennen. Dabei ist umstritten, welchen Anforderungen der Hauptversammlungsbeschluss in Bezug auf die Konkretisierung der geltend zu machenden Ersatzansprüche genügen muss. Ausreichend ist in jedem Fall ein auf überwiegend wahrscheinliche Tatsachen gestützter Sachverhalt, der konkrete Anhaltpunkte für das Vorliegen einer Pflichtverletzung des Anspruchsgegners umfasst4) und aus dem sich schlüssig das Bestehen der geltend zu machenden Ansprüche ergibt5) Nach a. A. ist dem Konkretisierungserfordernis bereit dann genügt, wenn im Falle einer späteren Klageerhebung durch den besonderen Vertreter festgestellt werden kann, ob der Gegenstand der Klage mit den von der Hauptversammlung gemeinten Ansprüchen übereinstimmt.6) Nicht in jedem Fall zwingend erforderlich – aber dennoch empfehlenswert – ist die Benennung der Anspruchsgegner, die Bezifferung der Ansprüche und die Benennung der Anspruchsgrundlagen.7) 4 Für den Beschluss ist eine einfache Mehrheit (§ 133 Abs. 1) ausreichend. Im Übrigen gelten die allgemeinen Regeln. Die Ankündigung zur Tagesordnung nach § 124 Abs. 4 Satz 2 ist grundsätzlich erforderlich und nur dann entbehrlich, wenn die Vorlage eines Sonderprüfungsberichts zur Tagesordnung angemeldet ist und sich die Ersatzansprüche _____________ 2)

3) 4)

5)

6)

7)

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Wie hier z. B. OLG Köln, Urt. v. 9.3.2017 – 18 U 19/16 (Strabag), ZIP 2017, 1211, 1217 f.; OLG München, Urt. v. 27.8.2008 – 7 U 5678/07, ZIP 2008, 1916, 1918 f.; Spindler/Stilz-Mock, AktG, § 147 Rz. 12 ff.; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 147 Rz. 26 ff. m. w. N. Speziell zur Einbeziehung konzernrechtlicher Ersatzansprüche Bernau, AG 2011, 894; Hüffer/Koch-Koch, AktG, 13. Aufl., § 147 Rz. 3; gegen deren Einbeziehung Kling, ZGR 2009, 190, 202 ff.; Hölters-Hirschmann, AktG, § 147 Rz. 3. OLG Karlsruhe, Urt. v. 14.3.2018 – 11 U 35/17, ZIP 2018, 627, 631. Zum Erfordernis einer Pflichtverletzung LG Köln, Urt. v. 14.1.2016 – 91 O 31/15, ZIP 2016, 162, 164; LG Stuttgart, Urt. v. 27.10.2009 – 32 O 5/09 KfH, ZIP 2010, 329; Rieckers, DB 2016, 2526, 2530; Decher in: FS Baums, Bd. I, S. 279, 296 ff. LG Köln, Urt. v. 14.1.2016 – 91 O 31/15, ZIP 2016, 162 (aufgehoben durch OLG Köln, Urt. v. 9.3.2017 – 18 U 19/16 (Strabag), ZIP 2017, 1211; LG Stuttgart, Urt. v. 27.10.2009 – 32 O 5/09 KfH, ZIP 2010, 329; KG Berlin, Beschl. v. 25.8.2011 – 25 W 63/11, ZIP 2012, 1029. Zustimmend Kocher/ Lönner, ZIP 2016, 653, 656 f. OLG Köln, Urt. v. 9.3.2017 – 18 U 19/16 (Strabag), ZIP 2017, 1211, 1216; OLG München, Urt. v. 27.8.2008 – 7 U 5678/07, ZIP 2008, 1916, 1919 ff.; Vgl. auch LG Duisburg, Urt. v. 16.4.2013 – 22 O 12/13, ZIP 2013, 1379. Hüffer/Koch-Koch, AktG, 13. Aufl., § 147 Rz. 5 ff. Bzgl. der Benennung der Anspruchsgegner enger OLG München, Urt. v. 27.8.2008 – 7 U 5678/07, ZIP 2008, 1916, 1920 f., ebenso Kling, ZGR 2009, 190, 200.

Thomas Zwissler

Geltendmachung von Ersatzansprüchen

§ 147

aus dem Bericht ergeben. Soweit sie Anspruchsgegner sind, unterliegen Aktionäre dem Stimmverbot aus § 136.8) 3.

Rechtsfolgen der Beschlussfassung

Der Beschluss bindet die Gesellschaft und ihre Organe, lässt die gesetzliche Kompetenz- 5 ordnung i. Ü. aber unberührt. Die Anspruchsdurchsetzung bleibt somit Aufgabe des Vorstands bzw. des Aufsichtsrats. § 147 Abs. 1 Satz 2 gibt für die Geltendmachung eine Frist von sechs Monaten gerechnet ab dem Tag der Hauptversammlung vor (§§ 187, 188 BGB). Die Frist betrifft allerdings nur das Innenverhältnis. Das Verstreichenlassen der Frist ist eine Pflichtverletzung und kann zur Schadensersatzpflicht der Organmitglieder führen. Unklar ist, ob Vorstand bzw. Aufsichtsrat berechtigt bleiben, entsprechend der sich erge- 6 benden Prozesslage Vergleiche zu schließen oder von der weiteren Anspruchsverfolgung ganz abzusehen. Beides ist zu bejahen, wenn Umstände vorliegen, die eine solche Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung des Votums der Hauptversammlung richtig erscheinen lassen. Die Beschränkungen aus §§ 93 Abs. 4 Satz 3, 116 bleiben unberührt. III.

Besondere Vertreter (§ 147 Abs. 2)

1.

Bestellung durch die Hauptversammlung (§ 147 Abs. 2 Satz 1)

Die Hauptversammlung kann die Geltendmachung von Ersatzansprüchen an einen oder 7 mehrere besondere Vertreter übertragen. Besondere persönliche Anforderungen regelt das Gesetz nicht. In Betracht kommen allerdings nur natürliche Personen.9) Die Bestellung von Aktionären ist zulässig, solange sie nicht selbst Anspruchsgegner sind. Die Kandidatur begründet für sich allein kein Stimmverbot. Die Bestellung wird wirksam mit Annahme durch die gewählte Person. Mit der Bestellung sind die geltend zu machenden Ansprüche konkret zu benennen.10) Zum Konkretisierungserfordernis siehe oben Rz. 3. 2.

Bestellung durch das Gericht (§ 147 Abs. 2 Sätze 2 – 8)

Für qualifizierte Minderheiten besteht nach § 147 Abs. 2 Satz 2 die Möglichkeit, beson- 8 dere Vertreter durch das Gericht bestellen zu lassen. Eine erstmalige Bestellung kommt dabei ebenso in Betracht wie die Ersetzung eines nach § 147 Abs. 2 Satz 1 von der Hauptversammlung bestellten Vertreters. Das Gericht wird nur auf Antrag tätig. Zuständig ist das AG am Sitz der Gesellschaft 9 (§ 14 AktG; §§ 375 Nr. 3, 376 Abs. 1, 377 Abs. 1 FamFG).11) Die Antragsberechtigung ist gegeben, wenn der Antragsteller allein oder gemeinsam mit weiteren Antragstellern mindestens 1 % oder einen anteiligen Betrag von 100.000 € am Grundkapital hält. Der Anteilsbesitz ist gegenüber dem Gericht nachzuweisen.12) Die Antragsteller können Vorschläge hinsichtlich der Person des besonderen Vertreters unterbreiten. Das Gericht ist _____________ 8) Zu Mißbrauchsgefahren, wenn sich die Ansprüche gegen das herrschende Unternehmen oder einen herrschenden Privataktionär richten Rieckers/Vetter in: KölnKomm-AktG, § 147 Rz. 206; Bayer, AG 2016, 637, 642; Hüffer, ZHR 174 (2010) 642, 649. Zur Einschränkung des Stimmverbots durch Zergliederung des Beschlussantrags nach Anspruchsgegnern Lochner/Beneke, ZIP 2015, 2010, 2013 f. (ablehnend). 9) Bezzenberger in: GroßKomm-AktG, § 147 Rz. 43. A. A. – Bestellung juristischer Personen ebenfalls möglich – Rieckers/Vetter in: KölnKomm-AktG, § 147 Rz. 292 ff.; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 147 Rz. 59. 10) Hüffer, ZHR 174 (2010) 642, 666 m. w. N. 11) Landesregierungen können allerdings eine Sonderzuständigkeit regeln, § 376 Abs. 2 Satz 1 und 2 FamFG. Vgl. auch Spindler/Stilz-Mock, AktG, § 147 Rz. 65. 12) Spindler/Stilz-Mock, AktG, § 147 Rz. 59.

Thomas Zwissler

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§ 147

Geltendmachung von Ersatzansprüchen

hieran jedoch nicht gebunden.13) Weitere Voraussetzung ist das Vorliegen eines Hauptversammlungsbeschlusses nach § 147 Abs. 1. 10 Das Gericht hat einen besonderen Vertreter zu bestellen, wenn ihm dies für die Geltendmachung der Ersatzansprüche zweckmäßig erscheint. Dies wird insbesondere dann der Fall sein, wenn zuständige Organmitglieder oder von der Hauptversammlung bestellte Vertreter einem Interessenkonflikt unterliegen und/oder durch vorangegangenes Verhalten gezeigt haben, dass sie die Ersatzansprüche nicht mit der erforderlichen Konsequenz zu verfolgen bereit sind. Die Ersetzung eines von der Hauptversammlung nach § 147 Abs. 2 Satz 1 bestellten Vertreters ist insbesondere dann angezeigt, wenn durch ihn eine grob unsachgemäße Anspruchsverfolgung zu befürchten ist.14) 11 Das Gericht entscheidet durch Beschluss. Die Gerichtskosten sind bei einem stattgebenden Beschluss der Gesellschaft aufzuerlegen (§ 147 Abs. 2 Satz 3). Darüber hinaus kann das Gericht eine Regelung zu den außergerichtlichen Kosten treffen (§ 81 FamFG). Gegen den Bestellungsbeschluss des Gerichts ist das Rechtsmittel der Beschwerde statthaft (§ 147 Abs. 2 Satz 4). Ein durch den Beschluss etwa abberufener Vertreter ist hierbei selbst beschwerdeberechtigt (§ 59 Abs. 1 FamFG). 3.

Rechtsstellung und Aufgaben des besonderen Vertreters, Vergütung

12 Der besondere Vertreter hat den Status eines gesetzlichen Vertreters der Gesellschaft, allerdings eingeschränkt auf seinen Tätigkeitsbereich, d. h. eingeschränkt auf die Geltendmachung bestimmter Ersatzansprüche. Die häufig anzutreffende Bezeichnung als Organ15) ist keineswegs zwingend und letztendlich auch ohne Erkenntniswert. Rechte und Pflichten des besonderen Vertreters können nicht schematisch, sondern nur funktional und in vorsichtiger Einzelanalogie zu den Rechten und Pflichten von Vorstand und Aufsichtsrat entwickelt werden. 13 Der Aufgabenbereich des besonderen Vertreters ist mit der „Geltendmachung“ von Ersatzansprüchen nur sehr allgemein beschrieben.16) Die sich aus dieser Unbestimmtheit des Gesetzeswortlauts ergebenden Abgrenzungsfragen sind bisher nur zum Teil aufgearbeitet.17) Richtigerweise kann und muss der besondere Vertreter die den Ersatzansprüchen zugrunde liegenden Sachverhalte zunächst prüfen; er ist verpflichtet, sich die für die Geltendmachung der Ansprüche notwendigen Informationen zu beschaffen,18) darf sich dabei aber nicht als „Quasi-Sonderprüfer“ instrumentalisieren lassen.19) Der besondere Vertreter ist zur Geltendmachung der Ansprüche verpflichtet, auch wenn die Prozessaussichten gering sind.20) _____________ 13) OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 9.10.2003 – 20 W 487/02, NJW-RR 2004, 686, 687; AG Nürtingen, Beschl. v. 14.10.1993 – G. Reg. I 1160/93, AG 1995, 287 f. = ZIP 1994, 785. 14) KG Berlin, Beschl. v. 16.12.2011 – 25 W 92/11, FGPrax 2012, 76. 15) Z. B. BGH, Urt. v. 27.9.2011 – II ZR 225/08, ZIP 2011, 2195; LG München I, Urt. v. 6.9.2007 – 5 HK O 12570/07, ZIP 2007, 1809, 1812. Vgl. hierzu auch Hüffer, ZHR 174 (2010) 642, 677. 16) Fabritius in: GS Gruson, S. 133, 141 ff. 17) Ausführlich hierzu Hüffer, ZHR 174 (2010) 642, 677; Nietsch, ZGR 2011, 589, 610 ff.; Fabritius in: GS Gruson, S. 133, 141 ff.; Spindler/Stilz-Mock, AktG, § 147 Rz. 83 ff. 18) Mock, ZHR 181 (2017) 688, 691 ff. 19) Zu dieser Gefahr und den einschlägigen Abgrenzungsschwierigkeiten Decher in: FS Baums, Bd. I, S. 279, 290 ff.; Rieckers, DB 2015, 2131, 2134, und Rieckers, DB 2016, 2526, 2530. Zur Abgrenzung der Tätigkeitsbereiche von Sonderprüfern nach § 142 AktG und besonderen Vertretern nach § 147 AktG: Kling, ZGR 2009, 190, 216. Für unterschiedliche Reichweite der Informations- und Einsichtsrechte von Sonderprüfer und besonderem Vertreter: LG Duisburg, Urt. v. 16.4.2013 – 22 O 12/13, ZIP 2013, 1379, 1380, dazu EWiR 2013, 701 (Mock). 20) Streitig, zum Meinungstand in Rspr. und Literatur Schneider, ZIP 2013, 1985, 1989 f. Vgl. auch Spindler/ Stilz-Mock, AktG, § 147 Rz. 84 ff.; Westermann, AG 2009, 237, 239 f.; Mock, ZHR 181 (2017) 688, 693 f.

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Geltendmachung von Ersatzansprüchen a)

§ 147

Rechte des besonderen Vertreters

Der besondere Vertreter vertritt die Gesellschaft bei der Geltendmachung der Ersatzan- 14 sprüche. In diesem Zusammenhang steht ihm ein eigenes Auskunfts- und Prüfungsrecht zu, welches im Namen der AG direkt gegenüber Mitgliedern des Vorstands, des Aufsichtsrats und Mitarbeitern der Gesellschaft ausgeübt werden kann.21) Das Auskunftsrecht kann einen Anspruch auf Vorlage von Bestandsverzeichnissen umfassen, wenn dem besonderen Vertreter die Kenntnisse über konkret vorhandene Unterlagen fehlen.22) Er hat jedoch kein allgemeines Recht auf Teilnahme an der Hauptversammlung und dort allenfalls dann ein Rederecht, wenn die Berichterstattung über seine Arbeit Gegenstand der Tagesordnung ist.23) Seine Rechte kann der besondere Vertreter im Klageverfahren oder im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes24) durchsetzen. Im Anfechtungsstreit um den Beschluss zu seiner Bestellung kann er die Gesellschaft nicht vertreten, sondern lediglich auf Seiten der Gesellschaft als Nebenintervenient auftreten.25) Als Vertreter der Gesellschaft ist der besondere Vertreter ermächtigt, den Streit mit den 15 Organmitgliedern durch Vergleich zu beenden, allerdings nur unter Berücksichtigung der Beschränkungen aus §§ 93 Abs. 4 Satz 3, 116.26) b)

Pflichten des besonderen Vertreters

Der besondere Vertreter unterliegt innerhalb seines Aufgabenbereichs der gleichen Pflicht- 16 bindung wie ein Vorstand. Er ist insbesondere zur Verschwiegenheit verpflichtet und hat den Sorgfaltsmaßstab des § 93 zu beachten.27) c)

Auslagenersatz und Vergütung

Die Regelungen über Auslagenersatz und Vergütung des besonderen Vertreters entspre- 17 chen jenen über die Vergütung für den Sonderprüfer nach § 142 (siehe dort Rz. 13 und 25). Zu den Auslagen zählen auch die Kosten eines etwaigen Gerichtsverfahrens.28)

_____________ 21) OLG Köln, Urt. v. 4.12.2015 – 18 U 149/15, ZIP 2015, 2470; LG Heidelberg, Urt. v. 4.12.2015 – 11 O 37/15 KfH, ZIP 2016, 471, 472, dazu EWiR 2016, 169 (Lochner). A. A. – Ansprüche nur gegen die Gesellschaft – OLG München, Urt. v. 28.11.2007 – 7 U 4498/07, ZIP 2008, 73, 79. Für Erstreckung der Reichweite des Auskunftsanspruchs auf Personen, die der Gesellschaft zur Auskunft und Rechnungslegung verpflichtet sind – Heidel-Lochner, AktR, § 147 AktG Rz. 24a; für unmittelbares Befragungsrecht auch Schneider, ZIP 2013, 1985, 1987. Zur Verteilung der Parteirollen Kling, ZGR 2009, 190, 220 ff.; Spindler/Stilz-Mock, AktG, § 147 Rz. 104 ff. Ein Informationrecht generell ablehnend Humrich, NZG 2014, 441. 22) LG Duisburg, Teilurt. v. 9.6.2016 – 22 O 50/16, ZIP 2016, 1970. 23) LG München I, Beschl. v. 28.7.2008 – 5 HK O 12504/08, ZIP 2008, 1588, 1589 f.; Kling, ZGR 2009, 190, 219 f.; für umfassendes Teilnahme- und Rederecht Spindler/Stilz-Mock, AktG, § 147 Rz. 109. Zur dogmatischen Verortung der Informationsrechte des besonderen Vertreters Binder, ZHR 176 (2012) 380. 24) Vgl. z. B. OLG Köln, Urt. v. 4.12.2015 – 18 U 149/15, ZIP 2015, 2470; LG Duisburg, Teilurt. v. 9.6.2016 – 22 O 50/16, ZIP 2016, 1970. 25) BGH, Beschl. v. 28.4.2015 – II ZB 19/14, ZIP 2015, 1286, dazu EWiR 2015, 503 (Wilsing/Kleemann). Zustimmend Mock, AG 2015, 652, 656. Ein Beitrittsrecht ablehnend noch OLG München, Urt. v. 7.10.2008 – 7 W 1034/08, ZIP 2008, 2173, 2174; Rieckers/Vetter in: KölnKomm-AktG, § 147 Rz. 684. 26) Streitig, vgl. Kling, ZGR 2009, 190, 207 f.; Spindler/Stilz-Mock, AktG, § 147 Rz. 87; Schneider, ZIP 2013, 1985, 1990 27) Spindler/Stilz-Mock, AktG, § 147 Rz. 92 ff.; Mock, AG 2008, 839 ff. 28) Zu den praktischen Schwierigkeiten der Verfahrensfinanzierung Schneider, ZIP 2013, 1985, 1988 f.

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§ 148 4.

Klagezulassungsverfahren Beendigung des Amtes

18 Das Amt des besonderen Vertreters endet mit dem Abschluss seiner Tätigkeit, der Amtsniederlegung oder Tod.29) Ein von der Hauptversammlung bestellter besonderer Vertreter kann zudem durch einfachen Hauptversammlungsbeschluss abberufen werden.30) Eines wichtigen Grundes bedarf es hierfür nicht.31) Ein durch das Gericht bestellter besonderer Vertreter kann auf Antrag von Aktionären nach § 147 Abs. 2 Satz 2 durch das Gericht ersetzt werden. _____________ 29) Zum Sonderfall der Amtsbeendigung aufgrund umwandlungsrechtlicher Vorgänge, die zum Erlöschen des Rechtsträgers sowie der Ämter seiner Organe führen OLG Köln, Beschl. v. 14.12.2017 – 18 AktG 1/17 (Strabag), ZIP 2017, 2468, dazu EWiR 2018, 139 (Goslar). 30) OLG München, Urt. v. 3.3.2010 – 7 U 4744/09, ZIP 2010, 725, dazu EWiR 2010, 305 (Goslar/ v. d. Linden); Spindler/Stilz-Mock, AktG, § 147 Rz. 113. Zur Anfechtungsbefugnis des besonderen Vertreters bei einer Abberufung durch Hauptversammlungsbeschluss Hirte/Mock, DB 2010, 775. 31) OLG München, Urt. v. 3.3.2010 – 7 U 4744/09, ZIP 2010, 725, 728 m. w. N.; a. A. Heidel-Lochner, AktR, § 147 AktG Rz. 30.

§ 148 Klagezulassungsverfahren (1) 1Aktionäre, deren Anteile im Zeitpunkt der Antragstellung zusammen den einhundertsten Teil des Grundkapitals oder einen anteiligen Betrag von 100.000 Euro erreichen, können die Zulassung beantragen, im eigenen Namen die in § 147 Abs. 1 Satz 1 bezeichneten Ersatzansprüche der Gesellschaft geltend zu machen. 2Das Gericht lässt die Klage zu, wenn 1. die Aktionäre nachweisen, dass sie die Aktien vor dem Zeitpunkt erworben haben, in dem sie oder im Falle der Gesamtrechtsnachfolge ihre Rechtsvorgänger von den behaupteten Pflichtverstößen oder dem behaupteten Schaden auf Grund einer Veröffentlichung Kenntnis erlangen mussten, 2. die Aktionäre nachweisen, dass sie die Gesellschaft unter Setzung einer angemessenen Frist vergeblich aufgefordert haben, selbst Klage zu erheben, 3. Tatsachen vorliegen, die den Verdacht rechtfertigen, dass der Gesellschaft durch Unredlichkeit oder grobe Verletzung des Gesetzes oder der Satzung ein Schaden entstanden ist, und 4. der Geltendmachung des Ersatzanspruchs keine überwiegenden Gründe des Gesellschaftswohls entgegenstehen. (2) 1Über den Antrag auf Klagezulassung entscheidet das Landgericht, in dessen Bezirk die Gesellschaft ihren Sitz hat, durch Beschluss. 2Ist bei dem Landgericht eine Kammer für Handelssachen gebildet, so entscheidet diese anstelle der Zivilkammer. 3 Die Landesregierung kann die Entscheidung durch Rechtsverordnung für die Bezirke mehrerer Landgerichte einem der Landgerichte übertragen, wenn dies der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung dient. 4Die Landesregierung kann die Ermächtigung auf die Landesjustizverwaltung übertragen. 5Die Antragstellung hemmt die Verjährung des streitgegenständlichen Anspruchs bis zur rechtskräftigen Antragsabweisung oder bis zum Ablauf der Frist für die Klageerhebung. 6Vor der Entscheidung hat das Gericht dem Antragsgegner Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. 7Gegen die Entscheidung findet die sofortige Beschwerde statt. 8Die Rechtsbeschwerde ist

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§ 148 4.

Klagezulassungsverfahren Beendigung des Amtes

18 Das Amt des besonderen Vertreters endet mit dem Abschluss seiner Tätigkeit, der Amtsniederlegung oder Tod.29) Ein von der Hauptversammlung bestellter besonderer Vertreter kann zudem durch einfachen Hauptversammlungsbeschluss abberufen werden.30) Eines wichtigen Grundes bedarf es hierfür nicht.31) Ein durch das Gericht bestellter besonderer Vertreter kann auf Antrag von Aktionären nach § 147 Abs. 2 Satz 2 durch das Gericht ersetzt werden. _____________ 29) Zum Sonderfall der Amtsbeendigung aufgrund umwandlungsrechtlicher Vorgänge, die zum Erlöschen des Rechtsträgers sowie der Ämter seiner Organe führen OLG Köln, Beschl. v. 14.12.2017 – 18 AktG 1/17 (Strabag), ZIP 2017, 2468, dazu EWiR 2018, 139 (Goslar). 30) OLG München, Urt. v. 3.3.2010 – 7 U 4744/09, ZIP 2010, 725, dazu EWiR 2010, 305 (Goslar/ v. d. Linden); Spindler/Stilz-Mock, AktG, § 147 Rz. 113. Zur Anfechtungsbefugnis des besonderen Vertreters bei einer Abberufung durch Hauptversammlungsbeschluss Hirte/Mock, DB 2010, 775. 31) OLG München, Urt. v. 3.3.2010 – 7 U 4744/09, ZIP 2010, 725, 728 m. w. N.; a. A. Heidel-Lochner, AktR, § 147 AktG Rz. 30.

§ 148 Klagezulassungsverfahren (1) 1Aktionäre, deren Anteile im Zeitpunkt der Antragstellung zusammen den einhundertsten Teil des Grundkapitals oder einen anteiligen Betrag von 100.000 Euro erreichen, können die Zulassung beantragen, im eigenen Namen die in § 147 Abs. 1 Satz 1 bezeichneten Ersatzansprüche der Gesellschaft geltend zu machen. 2Das Gericht lässt die Klage zu, wenn 1. die Aktionäre nachweisen, dass sie die Aktien vor dem Zeitpunkt erworben haben, in dem sie oder im Falle der Gesamtrechtsnachfolge ihre Rechtsvorgänger von den behaupteten Pflichtverstößen oder dem behaupteten Schaden auf Grund einer Veröffentlichung Kenntnis erlangen mussten, 2. die Aktionäre nachweisen, dass sie die Gesellschaft unter Setzung einer angemessenen Frist vergeblich aufgefordert haben, selbst Klage zu erheben, 3. Tatsachen vorliegen, die den Verdacht rechtfertigen, dass der Gesellschaft durch Unredlichkeit oder grobe Verletzung des Gesetzes oder der Satzung ein Schaden entstanden ist, und 4. der Geltendmachung des Ersatzanspruchs keine überwiegenden Gründe des Gesellschaftswohls entgegenstehen. (2) 1Über den Antrag auf Klagezulassung entscheidet das Landgericht, in dessen Bezirk die Gesellschaft ihren Sitz hat, durch Beschluss. 2Ist bei dem Landgericht eine Kammer für Handelssachen gebildet, so entscheidet diese anstelle der Zivilkammer. 3 Die Landesregierung kann die Entscheidung durch Rechtsverordnung für die Bezirke mehrerer Landgerichte einem der Landgerichte übertragen, wenn dies der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung dient. 4Die Landesregierung kann die Ermächtigung auf die Landesjustizverwaltung übertragen. 5Die Antragstellung hemmt die Verjährung des streitgegenständlichen Anspruchs bis zur rechtskräftigen Antragsabweisung oder bis zum Ablauf der Frist für die Klageerhebung. 6Vor der Entscheidung hat das Gericht dem Antragsgegner Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. 7Gegen die Entscheidung findet die sofortige Beschwerde statt. 8Die Rechtsbeschwerde ist

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§ 148

Klagezulassungsverfahren

ausgeschlossen. 9Die Gesellschaft ist im Zulassungsverfahren und im Klageverfahren beizuladen. (3) 1Die Gesellschaft ist jederzeit berechtigt, ihren Ersatzanspruch selbst gerichtlich geltend zu machen; mit Klageerhebung durch die Gesellschaft wird ein anhängiges Zulassungs- oder Klageverfahren von Aktionären über diesen Ersatzanspruch unzulässig. 2Die Gesellschaft ist nach ihrer Wahl berechtigt, ein anhängiges Klageverfahren über ihren Ersatzanspruch in der Lage zu übernehmen, in der sich das Verfahren zur Zeit der Übernahme befindet. 3Die bisherigen Antragsteller oder Kläger sind in den Fällen der Sätze 1 und 2 beizuladen. (4) 1Hat das Gericht dem Antrag stattgegeben, kann die Klage nur binnen drei Monaten nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung und sofern die Aktionäre die Gesellschaft nochmals unter Setzung einer angemessenen Frist vergeblich aufgefordert haben, selbst Klage zu erheben, vor dem nach Absatz 2 zuständigen Gericht erhoben werden. 2 Sie ist gegen die in § 147 Abs. 1 Satz 1 genannten Personen und auf Leistung an die Gesellschaft zu richten. 3Eine Nebenintervention durch Aktionäre ist nach Zulassung der Klage nicht mehr möglich. 4Mehrere Klagen sind zur gleichzeitigen Verhandlung und Entscheidung zu verbinden. (5) 1Das Urteil wirkt, auch wenn es auf Klageabweisung lautet, für und gegen die Gesellschaft und die übrigen Aktionäre. 2Entsprechendes gilt für einen nach § 149 bekannt zu machenden Vergleich; für und gegen die Gesellschaft wirkt dieser aber nur nach Klagezulassung. (6) 1Die Kosten des Zulassungsverfahrens hat der Antragsteller zu tragen, soweit sein Antrag abgewiesen wird. 2Beruht die Abweisung auf entgegenstehenden Gründen des Gesellschaftswohls, die die Gesellschaft vor Antragstellung hätte mitteilen können, aber nicht mitgeteilt hat, so hat sie dem Antragsteller die Kosten zu erstatten. 3Im Übrigen ist über die Kostentragung im Endurteil zu entscheiden. 4Erhebt die Gesellschaft selbst Klage oder übernimmt sie ein anhängiges Klageverfahren von Aktionären, so trägt sie etwaige bis zum Zeitpunkt ihrer Klageerhebung oder Übernahme des Verfahrens entstandene Kosten des Antragstellers und kann die Klage nur unter den Voraussetzungen des § 93 Abs. 4 Satz 3 und 4 mit Ausnahme der Sperrfrist zurücknehmen. 5 Wird die Klage ganz oder teilweise abgewiesen, hat die Gesellschaft den Klägern die von diesen zu tragenden Kosten zu erstatten, sofern nicht die Kläger die Zulassung durch vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtigen Vortrag erwirkt haben. 6Gemeinsam als Antragsteller oder als Streitgenossen handelnde Aktionäre erhalten insgesamt nur die Kosten eines Bevollmächtigten erstattet, soweit nicht ein weiterer Bevollmächtigter zur Rechtsverfolgung unerlässlich war. Literatur: Bork, Prozessrechtliche Notizen zum UMAG, ZIP 2005, 66; Haar/Grechnig, Minderheitenquorum und Mehrheitsmacht bei der Aktionärsklage – Bessere Corporate Governance durch Abschaffung der Beteiligungsschwelle gem. § 148 Abs. 1 Satz 1 AktG, AG 2013, 653; Habersack, Perspektiven der aktienrechtlichen Organhaftung, ZHR 177 (2013) 782; Koch, Die Pflichtenstellung des Aufsichtsrats nach Zulassung der Aktionärsklage, in: Festschrift für Uwe Hüffer, 2010, S. 447; Paschos/Neumann, Die Neuregelung des UMAG im Bereich der Durchsetzung von Haftungsansprüchen der Aktiengesellschaft gegen Organmitglieder, DB 2005, 1779; Peltzer, Das Zulassungsverfahren nach § 148 AktG wird von der Praxis nicht angenommen!, in: Festschrift für U. H. Schneider, 2011, S. 953; Schmolke, Die Aktionärsklage nach § 148 AktG, ZGR 2011, 398; Schröer, Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen Organmitglieder nach UMAG, ZIP 2005, 2081; Vetter, Reformbedarf bei der Aktionärsklage nach § 148 AktG, in: Festschrift für Michael Hoffmann-Becking, 2013, S. 1317.

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§ 148

Klagezulassungsverfahren Übersicht

I. Allgemeines ....................................... II. Verhältnis zu anderen Verfahren, insbesondere Subsidiarität (§ 148 Abs. 3) ..................................... III. Klagezulassungsverfahren (§ 148 Abs. 1, Abs. 2) ................................... 1. Formelle Voraussetzungen ............... 2. Materielle Voraussetzungen .............. 3. Verfahrensregeln (§ 148 Abs. 2 Sätze 1 – 4, 6 – 8) und Kosten (§ 148 Abs. 6 Sätze 1 – 3) ................... 4. Verjährungshemmung (§ 148 Abs. 2 Satz 5) ..................................... IV. Klageverfahren ................................. I.

1

2 3 3 4

6 8 9

1. Aufforderung zur Klageerhebung und Eintrittsrecht der Gesellschaft (§ 148 Abs. 4 Satz 1, Abs. 3) ................ 9 a) Aufforderung zur Klageerhebung ....................................... 9 b) Eintrittsrecht der Gesellschaft (§ 148 Abs. 4 Satz 1, Abs. 3) ....... 10 2. Klagefrist (§ 148 Abs. 4 Satz 1) und Wegfall des Quorumserfordernisses ............................................ 11 3. Verfahrensregeln (§ 148 Abs. 2 Sätze 1 – 4, 6 – 8), Urteilswirkung (§ 148 Abs. 5) und Kosten (§ 148 Abs. 6 Satz 5, Satz 6) ........................ 13

Allgemeines

1 Mit § 148 AktG wird einer qualifizierten Aktionärsminderheit die Möglichkeit eröffnet, Ersatzansprüche der Gesellschaft i. R. einer gesetzlichen Prozessstandschaft, d. h. im eigenen Namen geltend zu machen und gerichtlich durchzusetzen. Voraussetzung dieser Sonderform der actio pro socio ist die Zulassung der Klage durch das Gericht, über die i. R. eines der eigentlichen Klage vorgeschalteten Klagezulassungsverfahrens entschieden wird. Die Anforderungen an die Zulassung der Klage hat der Gesetzgeber bewusst hoch angesetzt, um missbräuchlichen Klagen entgegenzuwirken.1) II.

Verhältnis zu anderen Verfahren, insbesondere Subsidiarität (§ 148 Abs. 3)

2 Das Klagezulassungsverfahren und das sich ggf. anschließende Klageverfahren zur Anspruchsverfolgung stehen neben den sachlich nahestehenden Minderheitenrechten aus § 142 (Sonderprüfung) und § 147 (Geltendmachung von Ersatzansprüchen durch besonderen Vertreter).2) Gegenüber der Anspruchsverfolgung durch die Gesellschaft3) sind die Verfahren nach § 148 jedoch subsidiär. Dies gilt auch dann, wenn die Gesellschaft erst nach Einleitung des Klagezulassungsverfahrens selbst Klage erhebt (siehe auch unten Rz. 9).4) Zulassungs- oder Klageverfahren werden mit Klageerhebung durch die Gesellschaft unzulässig (§ 148 Abs. 3).5) Zum Eintrittsrecht der Gesellschaft in ein bereits anhängiges Klageverfahren siehe unten Rz. 10. III.

Klagezulassungsverfahren (§ 148 Abs. 1, Abs. 2)

1.

Formelle Voraussetzungen

3 Das Gericht (§ 148 Abs. 2 Satz 1) wird nur auf Antrag tätig. Der Antrag muss darauf gerichtet sein, Ersatzansprüche der Gesellschaft i. S. des § 147 Abs. 1 Satz 1 (siehe Rz. 2) _____________ 1)

2) 3) 4) 5)

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Die praktische Bedeutung des Klagezulassungsverfahrens ist daher bis heute gering geblieben. Zur Kritik am gesetzgeberischen Konzept Peltzer in: FS U. H. Schneider, S. 953 ff.; Schmolke, ZGR 2011, 398 ff.; Haar/Grechnig, AG 2013, 653. Zur Reformdiskussion Vetter in: FS Hoffmann-Becking, S. 1317 ff.; Habersack, ZHR 177 (2013) 782, 789 ff. Vgl. ausführlich hierzu Spindler/Stilz-Mock, AktG, § 148 Rz. 28 ff. Eine Anspruchsverfolgung durch die Gesellschaft liegt auch dann vor, wenn deren Vertretung durch ein besonderen Vertreter (§ 147 AktG) besorgt wird. Zur Pflicht des Aufsichtsrates bzw. Vorstands, nach erfolgreichem Klagezulassungsverfahren selbst Klage zu erheben Spindler/Stilz-Mock, AktG, § 148 Rz. 124; Koch in: FS Hüffer, S. 447 ff. Bork, ZIP 2005, 66, 67.

Thomas Zwissler

§ 148

Klagezulassungsverfahren

gegen den Vorstand oder den Aufsichtsrat gelten machen zu wollen. Antragsgegner ist nicht die Gesellschaft, sondern das in Anspruch zu nehmende Organmitglied. Antragsberechtigung ist gegeben, wenn der Antragsteller allein oder gemeinsam mit weiteren Antragstellern mindestens 1 % oder einen anteiligen Betrag von 100.000 € am Grundkapital hält. Zusätzlich müssen die Antragsteller nachweisen, dass die das Quorum bildenden Aktien zu einem Zeitpunkt erworben wurden, als ihnen die behaupteten Pflichtverletzungen und der geltend zu machende Schaden unbekannt waren und auch nicht aufgrund einer Veröffentlichung bekannt sein mussten.6) Die Antragsteller müssen die Gesellschaft unter Setzung einer angemessenen Frist aufgefordert haben, selbst Klage zu erheben (§ 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2). Statthaft ist der Antrag zudem nur, solange die Gesellschaft den in Rede stehenden Ersatzanspruch nicht selbst rechtshängig gemacht hat (§ 148 Abs. 3). Ein besonderes Rechtsschutzinteresse fordert das Gesetz nicht, das allgemeine Rechtsschutzinteresse muss jedoch gegeben sein. Das ist nicht der Fall, wenn das Antragsrecht zu gesetzesfremden Zwecken missbraucht wird. Eine Antragsfrist sieht das Gesetz nicht vor. Überlanges Zuwarten kann jedoch zur Verjährung der Ersatzansprüche führen. 2.

Materielle Voraussetzungen

Dem Antrag auf Zulassung der Klage ist stattzugeben, wenn Tatsachen vorliegen, die den 4 Verdacht rechtfertigen, dass Unredlichkeiten oder grobe Verletzungen des Gesetzes oder der Satzung vorliegen und der Gesellschaft hierdurch ein Schaden entstanden ist (§ 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3). Darüber hinaus dürfen der Geltendmachung der Ersatzansprüche keine überwiegenden Gründe des Gesellschaftswohls entgegenstehen (§ 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4). Solche Gründe können darin bestehen, dass die Schadenssumme im Verhältnis zum Gesamtaufwand der Durchführung des Klageverfahrens gering oder die Beitreibbarkeit der Ansprüche ganz oder zumindest teilweise fraglich ist.7) Tatsachen, auf die sich der Zulassungsantrag stützt, müssen nicht glaubhaft gemacht werden. 5 Bloße Verdächtigungen sind jedoch nicht ausreichend. Das Gericht kann Tatsachenaufklärung betreiben, allerdings nur in den Grenzen der ZPO.8) 3.

Verfahrensregeln (§ 148 Abs. 2 Sätze 1 – 4, 6 – 8) und Kosten (§ 148 Abs. 6 Sätze 1 – 3)

Das Klagezulassungsverfahren ist ein ZPO-Verfahren.9) Sofern durch Rechtsverordnung 6 keine Sonderzuständigkeit begründet wurde, ist das LG (Kammer für Handelssachen) am Sitz der Gesellschaft zuständig (§ 148 Abs. 2 Sätze 1 bis 4). Dem Antragsgegner ist Gelegenheit zu Stellungnahme zu geben (§ 148 Abs. 2 Satz 6). Die Gesellschaft ist nicht Antragsgegner und im Zulassungsverfahren (und auch im Klageverfahren) lediglich beizuladen (§ 148 Abs. 2 Satz 8). Das Gericht entscheidet durch Beschluss (§ 148 Abs. 2 Satz 1). Rechtsmittel ist die sofortige Beschwerde nach §§ 567 ff. ZPO (§ 148 Abs. 2 Satz 7); die Rechtsbeschwerde ist ausgeschlossen (§ 148 Abs. 2 Satz 8). Eine Verfahrensbeendigung durch Vergleich ist möglich, allerdings nur mit Wirkung inter partes. Aktionäre können insbesondere nicht über Ersatzansprüche verfügen, da diese stets der Gesellschaft zustehen. Wegen des Charakters des Zulassungsverfahrens als dem Klageverfahren vorgeschalteten 7 Verfahren sieht § 148 Abs. 6 besondere Regeln für die Kostenverteilung vor. Wird der Antrag abgewiesen, trägt der Antragsteller die Kosten allein (§ 148 Abs. 6 Satz 1). § 148 _____________ 6) 7) 8) 9)

Zur Berechnung des Quorums und zum Nachweis des Berechtigung: Heidel-Lochner, AktR, § 148 AktG, Rz. 4 ff. Paschos/Neumann, DB 2005, 1779, 1781; Arnold in: MünchKomm-AktG, § 148 Rz. 45 ff. Heidel-Lochner, AktR, § 148 AktG Rz. 22; Lieder in: MünchHdb. GesR, Bd. 7, § 30 Rz. 52. Begr. RegE z. UMAG, BT-Drucks. 15/5092.

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§ 148

Klagezulassungsverfahren

Abs. 6 Satz 2 gewährt jedoch einen (materiell-rechtlichen) Erstattungsanspruch gegen die Gesellschaft, wenn die Abweisung auf entgegenstehenden Gründen des Gesellschaftswohls beruht, welche die Gesellschaft vor Antragstellung nicht mitgeteilt hatte, obwohl ihr dies möglich gewesen wäre (§ 148 Abs. 6 Satz 2). Der Erstattungsanspruch ist bei mehreren Antragstellern auf die Kosten eines Bevollmächtigten beschränkt, sofern nicht ein weiterer Bevollmächtigter zur Rechtsverfolgung unerlässlich war (§ 148 Abs. 6 Satz 6). Wird dem Zulassungsantrag stattgegeben, wird über die Kosten im Endurteil des Klageverfahrens entschieden. 4.

Verjährungshemmung (§ 148 Abs. 2 Satz 5)

8 Der Antrag im Klagezulassungsverfahren hemmt (§ 209 BGB) die Verjährung der Ersatzansprüche (§ 148 Abs. 2 Satz 5). Die Hemmungswirkung greift bis zur rechtskräftigen Antragsabweisung oder – wenn dem Antrag stattgegeben wird – bis zum Ablauf der dreimonatigen Klagefrist nach § 148 Abs. 4 Satz 1 (§ 148 Abs. 2 Satz 5). IV.

Klageverfahren

1.

Aufforderung zur Klageerhebung und Eintrittsrecht der Gesellschaft (§ 148 Abs. 4 Satz 1, Abs. 3)

a)

Aufforderung zur Klageerhebung

9 Die Anspruchsverfolgung durch die Gesellschaftsorgane bleibt auch nach erfolgreichem Klagezulassungsverfahren vorrangig. Daher haben die kraft Gerichtsbeschluss klageberechtigten Aktionäre die Gesellschaft erneut unter Fristsetzung zur Klageerhebung aufzufordern (§ 148 Abs. 4 Satz 1). Die Aufforderung ist eine Zulässigkeitsvoraussetzung für die Haftungsklage. b)

Eintrittsrecht der Gesellschaft (§ 148 Abs. 4 Satz 1, Abs. 3)

10 Wegen der Pflichtensituation und der hohen materiellen Anforderungen im Klagezulassungsverfahren wird sich die Gesellschaft häufig schon nach Beendigung des Klagezulassungsverfahrens dafür entscheiden, die Anspruchsverfolgung von nun an selbst zu betreiben.10) Entscheidet sich die Gesellschaft anders, so kann sie die Anspruchsverfolgung dennoch bis zum rechtkräftigen Abschluss des Klageverfahrens durch eine eigene Klage an sich ziehen (§ 148 Abs. 3 Satz 1). Alternativ kann sie in eine durch die Aktionäre betriebene Haftungsklage eintreten (§ 148 Abs. 3 Satz 2). In beiden Fällen sind die Aktionäre zum Verfahren beizuladen (§ 148 Abs. 3 Satz 3). Die den Aktionären bis zum Zeitpunkt der Klageerhebung bzw. des Eintritts in das Verfahren entstandenen Kosten trägt die Gesellschaft (§ 148 Abs. 6 Satz 4). Eine Klagerücknahme ist der Gesellschaft nur noch unter den Voraussetzungen des § 93 Abs. 4 Satz 3 und 4 mit Ausnahme der dreijährigen Sperrfrist, d. h. nur noch mit Zustimmung der Hauptversammlung gestattet (§ 148 Abs. 6 Satz 4). Die Möglichkeit der Verfahrensbeendigung durch Vergleich bleibt unberührt, wobei die Beschränkungen des § 93 Abs. 4 Satz 3 und 4 hier umfassend zu berücksichtigen sind.11) 2.

Klagefrist (§ 148 Abs. 4 Satz 1) und Wegfall des Quorumserfordernisses

11 Nach erfolgreichem Klagezulassungsverfahren kann die Klage nur innerhalb einer Frist von drei Monaten erhoben werden (§ 148 Abs. 4 Satz 1). Die Frist beginnt mit Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung im Klagezulassungsverfahren. Die Klagefrist ist eine Zulässigkeitsvoraussetzung für die Haftungsklage. _____________ 10) Zur Pflichtensituation von Aufsichtsrat und Vorstand nach erfolgreichem Klagezulassungsverfahren Schröer, ZIP 2005, 2081, 2086 f.; Koch in: FS Hüffer, S. 447 ff. 11) A. A. – Einhaltung der Dreijahresfrist entbehrlich – Paschos/Neumann, DB 2005, 1779, 1785.

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Thomas Zwissler

Bekanntmachungen zur Haftungsklage

§ 149

Anders als beim Klagezulassungsverfahren muss das Quorum für die Haftungsklage nicht 12 mehr erfüllt sein. Weiterhin zu fordern ist jedoch die Aktionärseigenschaft der Kläger.12) 3.

Verfahrensregeln (§ 148 Abs. 2 Sätze 1 – 4, 6 – 8), Urteilswirkung (§ 148 Abs. 5) und Kosten (§ 148 Abs. 6 Satz 5, Satz 6)

Das für das Klagezulassungsverfahren zuständige Gericht (siehe oben Rz. 6) bleibt auch für 13 die Haftungsklage zuständig. Klagegegner sind die Organmitglieder, gegen die sich die Ersatzansprüche richten, wobei die Klage nur auf Leistung an die Gesellschaft lauten kann (§ 148 Abs. 4 Satz 2). Eine Nebenintervention durch andere Aktionäre ist ab der Entscheidung über die Klagezulassung nicht mehr möglich (§ 148 Abs. 4 Satz 3). Mehrere Klagen von Aktionären sind zur gleichzeitigen Verhandlung und Entscheidung zu verbinden (§ 148 Abs. 4 Satz 4). Die Gesellschaft ist nicht Beklagte, dafür aber (wie schon im Zulassungsverfahren) beizuladen (§ 148 Abs. 2 Satz 8). Das Gericht entscheidet durch Urteil (§ 300 ZPO). Dieses wirkt für und gegen die Gesellschaft und alle Aktionäre (§ 148 Abs. 5 Satz 1). Eine Verfahrensbeendigung durch Vergleich ist möglich, wobei der Vergleich hier nicht 14 nur inter partes, sondern gegen die Gesellschaft und alle Aktionäre wirkt (§ 148 Abs. 5 Satz 2). Wie die Gesellschaft haben aber auch die klagenden Aktionäre die Beschränkungen des § 93 Abs. 4 Sätze 3 und 4 zu beachten.13) Ausgenommen bleibt lediglich die dreijährige Sperrfrist des des § 93 Abs. 4 Satz 3, deren Einhaltung hier in entsprechender Anwendung von § 148 Abs. 6 Satz 4 nicht erforderlich ist. § 148 Abs. 6 sieht besondere Regeln für die Kostenverteilung vor.14) Wird die Klage ab- 15 gewiesen, tragen die Kläger die Kosten des Klageverfahrens allein. § 148 Abs. 6 Satz 5 gewährt jedoch einen (materiell-rechtlichen) Erstattungsanspruch gegen die Gesellschaft, der nur dann ausgeschlossen ist, wenn die Kläger die Zulassung der Klage durch vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtigen Vortrag erwirkt haben. Der Erstattungsanspruch ist bei mehreren Klägern auf die Kosten eines Bevollmächtigten beschränkt, sofern nicht ein weiterer Bevollmächtigter zur Rechtsverfolgung unerlässlich war (§ 148 Abs. 6 Satz 6). In seinem Endurteil hat das Gericht auch über die Kosten des Klagezulassungsverfahrens zu entscheiden, sofern dieses erfolgreich war (§ 148 Abs. 6 Satz 3). _____________ 12) Spindler/Stilz-Mock, AktG, § 148 Rz. 144. 13) Paschos/Neumann, DB 2005, 1779, 1785. 14) Schröer, ZIP 2005, 2081, 2087 f.

§ 149 Bekanntmachungen zur Haftungsklage (1) Nach rechtskräftiger Zulassung der Klage gemäß § 148 sind der Antrag auf Zulassung und die Verfahrensbeendigung von der börsennotierten Gesellschaft unverzüglich in den Gesellschaftsblättern bekannt zu machen. (2) 1Die Bekanntmachung der Verfahrensbeendigung hat deren Art, alle mit ihr im Zusammenhang stehenden Vereinbarungen einschließlich Nebenabreden im vollständigen Wortlaut sowie die Namen der Beteiligten zu enthalten. 2Etwaige Leistungen der Gesellschaft und ihr zurechenbare Leistungen Dritter sind gesondert zu beschreiben und hervorzuheben. 3Die vollständige Bekanntmachung ist Wirksamkeitsvoraussetzung für alle Leistungspflichten. 4Die Wirksamkeit von verfahrensbeendigenden Prozesshandlungen bleibt hiervon unberührt. 5Trotz Unwirksamkeit bewirkte Leistungen können zurückgefordert werden. Thomas Zwissler

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Bekanntmachungen zur Haftungsklage

§ 149

Anders als beim Klagezulassungsverfahren muss das Quorum für die Haftungsklage nicht 12 mehr erfüllt sein. Weiterhin zu fordern ist jedoch die Aktionärseigenschaft der Kläger.12) 3.

Verfahrensregeln (§ 148 Abs. 2 Sätze 1 – 4, 6 – 8), Urteilswirkung (§ 148 Abs. 5) und Kosten (§ 148 Abs. 6 Satz 5, Satz 6)

Das für das Klagezulassungsverfahren zuständige Gericht (siehe oben Rz. 6) bleibt auch für 13 die Haftungsklage zuständig. Klagegegner sind die Organmitglieder, gegen die sich die Ersatzansprüche richten, wobei die Klage nur auf Leistung an die Gesellschaft lauten kann (§ 148 Abs. 4 Satz 2). Eine Nebenintervention durch andere Aktionäre ist ab der Entscheidung über die Klagezulassung nicht mehr möglich (§ 148 Abs. 4 Satz 3). Mehrere Klagen von Aktionären sind zur gleichzeitigen Verhandlung und Entscheidung zu verbinden (§ 148 Abs. 4 Satz 4). Die Gesellschaft ist nicht Beklagte, dafür aber (wie schon im Zulassungsverfahren) beizuladen (§ 148 Abs. 2 Satz 8). Das Gericht entscheidet durch Urteil (§ 300 ZPO). Dieses wirkt für und gegen die Gesellschaft und alle Aktionäre (§ 148 Abs. 5 Satz 1). Eine Verfahrensbeendigung durch Vergleich ist möglich, wobei der Vergleich hier nicht 14 nur inter partes, sondern gegen die Gesellschaft und alle Aktionäre wirkt (§ 148 Abs. 5 Satz 2). Wie die Gesellschaft haben aber auch die klagenden Aktionäre die Beschränkungen des § 93 Abs. 4 Sätze 3 und 4 zu beachten.13) Ausgenommen bleibt lediglich die dreijährige Sperrfrist des des § 93 Abs. 4 Satz 3, deren Einhaltung hier in entsprechender Anwendung von § 148 Abs. 6 Satz 4 nicht erforderlich ist. § 148 Abs. 6 sieht besondere Regeln für die Kostenverteilung vor.14) Wird die Klage ab- 15 gewiesen, tragen die Kläger die Kosten des Klageverfahrens allein. § 148 Abs. 6 Satz 5 gewährt jedoch einen (materiell-rechtlichen) Erstattungsanspruch gegen die Gesellschaft, der nur dann ausgeschlossen ist, wenn die Kläger die Zulassung der Klage durch vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtigen Vortrag erwirkt haben. Der Erstattungsanspruch ist bei mehreren Klägern auf die Kosten eines Bevollmächtigten beschränkt, sofern nicht ein weiterer Bevollmächtigter zur Rechtsverfolgung unerlässlich war (§ 148 Abs. 6 Satz 6). In seinem Endurteil hat das Gericht auch über die Kosten des Klagezulassungsverfahrens zu entscheiden, sofern dieses erfolgreich war (§ 148 Abs. 6 Satz 3). _____________ 12) Spindler/Stilz-Mock, AktG, § 148 Rz. 144. 13) Paschos/Neumann, DB 2005, 1779, 1785. 14) Schröer, ZIP 2005, 2081, 2087 f.

§ 149 Bekanntmachungen zur Haftungsklage (1) Nach rechtskräftiger Zulassung der Klage gemäß § 148 sind der Antrag auf Zulassung und die Verfahrensbeendigung von der börsennotierten Gesellschaft unverzüglich in den Gesellschaftsblättern bekannt zu machen. (2) 1Die Bekanntmachung der Verfahrensbeendigung hat deren Art, alle mit ihr im Zusammenhang stehenden Vereinbarungen einschließlich Nebenabreden im vollständigen Wortlaut sowie die Namen der Beteiligten zu enthalten. 2Etwaige Leistungen der Gesellschaft und ihr zurechenbare Leistungen Dritter sind gesondert zu beschreiben und hervorzuheben. 3Die vollständige Bekanntmachung ist Wirksamkeitsvoraussetzung für alle Leistungspflichten. 4Die Wirksamkeit von verfahrensbeendigenden Prozesshandlungen bleibt hiervon unberührt. 5Trotz Unwirksamkeit bewirkte Leistungen können zurückgefordert werden. Thomas Zwissler

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§ 149

Bekanntmachungen zur Haftungsklage

(3) Die vorstehenden Bestimmungen gelten entsprechend für Vereinbarungen, die zur Vermeidung eines Prozesses geschlossen werden. Literatur: Schröer, Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen Organmitglieder nach UMAG, ZIP 2005, 2081.

Übersicht I. Zweck der Norm ............................... II. Bekanntmachungspflichten ............ 1. Rechtskräftige Zulassung (§ 149 Abs. 1) .................................... 2. Verfahrensbeendigung (§ 149 Abs. 1, Abs. 2) ........................ I.

1 2 3 4

3. Vereinbarungen zur Prozessvermeidung (§ 149 Abs. 3) ................. 5 III. Besondere Rechtswirkungen der Bekanntmachung (§ 149 Abs. 2 Sätze 3 – 5) ............................... 6 IV. Durchsetzung der Bekanntmachungspflichten ............................ 7

Zweck der Norm

1 Die Einleitung und Beendigung von Zulassungsverfahren und Haftungsklagen nach § 148 soll bei börsennotierten Gesellschaften durch Publizität transparent gemacht werden. Die Regelung soll der Information der übrigen Aktionäre dienen, vor allem aber Missbräuchen entgegenwirken.1) II.

Bekanntmachungspflichten

2 Die Bekanntmachungspflicht richtet sich an die Gesellschaft, die die Bekanntmachung zu veranlassen hat. Bekanntmachungsmedium sind die Gesellschaftsblätter, mindestens also der Bundesanzeiger (§ 25 Satz 1). Etwaige Bekanntmachungspflichten sind unverzüglich zu erfüllen. Publizitätspflichtig sind nur börsennotierte Gesellschaften (§ 3 Abs. 2). 1.

Rechtskräftige Zulassung (§ 149 Abs. 1)

3 Die Bekanntmachungspflicht besteht erst dann, wenn einem Zulassungsantrag nach § 148 stattgegeben wurde und die Entscheidung rechtskräftig geworden ist. Zu veröffentlichen ist dann der vollständige Wortlaut des Zulassungsantrages. Eine Veröffentlichungspflicht nach § 149 besteht generell nicht, wenn der Zulassungsantrag zurückgewiesen wurde.2) 2.

Verfahrensbeendigung (§ 149 Abs. 1, Abs. 2)

4 Bekanntmachungspflichtig sind die Beendigung des Zulassungsverfahrens und (praktisch bedeutsamer) die Beendigung des Haftungsprozesses selbst.3) Inhaltliche Vorgaben für die Bekanntmachung regelt § 149 Abs. 2. Danach sind anzugeben die Art der Verfahrensbeendigung (z. B. Urteil, Vergleich, Klagerücknahme, Erledigung der Hauptsache, usw.), alle mit ihr in Verbindung stehenden Vereinbarungen sowie die Namen der Beteiligten einschließlich ihrer Vertreter.4) Etwaige Leistungen der Gesellschaft und ihr zurechenbare Leistungen Dritter sind gesondert zu beschreiben und zu veröffentlichen (§ 149 Abs. 2 Satz 2). 3.

Vereinbarungen zur Prozessvermeidung (§ 149 Abs. 3)

5 § 149 Abs. 3 erweitert die Bekanntmachungspflicht auf Vereinbarungen, die zur Vermeidung eines Prozesses geschlossen werden, z. B. Vereinbarungen über die Nichtbeantra_____________ 1) 2) 3) 4)

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Schröer, ZIP 2005, 2081, 2088 ff. Heidel-Lochner, AktR, § 149 AktG Rz. 3. Begr. RegE z. UMAG, BT-Drucks. 15/5092 S. 24. Begr. RegE z. UMAG, BT-Drucks. 15/5092 S. 25; Spindler/Stilz-Mock, AktG, § 149 Rz. 11.

Thomas Zwissler

Bekanntmachungen zur Haftungsklage

§ 149

gung eines Zulassungsantrages, dessen Rücknahme oder der Verzicht auf Klageerhebung nach erfolgreichem Zulassungsantrag. Bei der Veröffentlichung sind die inhaltlichen Anforderungen des § 149 Abs. 2 zu beachten. III.

Besondere Rechtswirkungen der Bekanntmachung (§ 149 Abs. 2 Sätze 3 – 5)

Die Bekanntmachung ist Wirksamkeitserfordernis für im Zuge der Verfahrensbeendi- 6 gung vereinbarte Leistungspflichten der Gesellschaft (§ 149 Abs. 2 Satz 3). Die Gesellschaft darf vor der Bekanntmachung nicht leisten. Für dennoch erbrachte Leistungen fehlt der Rechtsgrund, d. h. die Leistungen können zurückgefordert werden (§ 149 Abs. 2 Satz 5). § 814 BGB und § 818 Abs. 3 BGB finden auf diesen Rückforderungsanspruch keine Anwendung. Die Wirksamkeit der verfahrensbeendigenden Prozesshandlungen bleibt durch die Regelung in § 149 Abs. 2 Sätze 3 und 5 unberührt (§ 149 Abs. 2 Satz 4). IV.

Durchsetzung der Bekanntmachungspflichten

Antragsteller bzw. klagende Aktionäre nach § 148 sollen einen individuellen, selbständig 7 einklagbaren Anspruch auf Bekanntmachung haben.5) Die Möglichkeit der Zwangsgeldfestsetzung (§ 407 Abs. 1) ist für die Bekanntmachungspflichten nach § 149 nicht gegeben.

_____________ 5)

Begr. RegE z. UMAG, BT-Drucks. 15/5092 S. 25.

Thomas Zwissler

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Fünfter Teil Rechnungslegung. Gewinnverwendung Erster Abschnitt Jahresabschluss und Lagebericht. Entsprechenserklärung § 150 Gesetzliche Rücklage. Kapitalrücklage Thomas Kantenwein

(1) In der Bilanz des nach den §§ 242, 264 des Handelsgesetzbuchs aufzustellenden Jahresabschlusses ist eine gesetzliche Rücklage zu bilden. (2) In diese ist der zwanzigste Teil des um einen Verlustvortrag aus dem Vorjahr geminderten Jahresüberschusses einzustellen, bis die gesetzliche Rücklage und die Kapitalrücklagen nach § 272 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 des Handelsgesetzbuchs zusammen den zehnten oder den in der Satzung bestimmten höheren Teil des Grundkapitals erreichen. (3) Übersteigen die gesetzliche Rücklage und die Kapitalrücklagen nach § 272 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 des Handelsgesetzbuchs zusammen nicht den zehnten oder den in der Satzung bestimmten höheren Teil des Grundkapitals, so dürfen sie nur verwandt werden 1. zum Ausgleich eines Jahresfehlbetrags, soweit er nicht durch einen Gewinnvortrag aus dem Vorjahr gedeckt ist und nicht durch Auflösung anderer Gewinnrücklagen ausgeglichen werden kann; 2. zum Ausgleich eines Verlustvortrags aus dem Vorjahr, soweit er nicht durch einen Jahresüberschuß gedeckt ist und nicht durch Auflösung anderer Gewinnrücklagen ausgeglichen werden kann. (4) 1Übersteigen die gesetzliche Rücklage und die Kapitalrücklagen nach § 272 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 des Handelsgesetzbuchs zusammen den zehnten oder den in der Satzung bestimmten höheren Teil des Grundkapitals, so darf der übersteigende Betrag verwandt werden 1. zum Ausgleich eines Jahresfehlbetrags, soweit er nicht durch einen Gewinnvortrag aus dem Vorjahr gedeckt ist; 2. zum Ausgleich eines Verlustvortrags aus dem Vorjahr, soweit er nicht durch einen Jahresüberschuß gedeckt ist; 3. zur Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln nach den §§ 207 bis 220. 2

Die Verwendung nach den Nummern 1 und 2 ist nicht zulässig, wenn gleichzeitig Gewinnrücklagen zur Gewinnausschüttung aufgelöst werden.

Literatur: v. Falkenhausen, Ausschüttungssperren für die Kapitalrücklage – Eine rechtspolitische Betrachtung von § 150 III und IV AktG, NZG 2009, 1096; Henze, Reichweite und Grenzen des aktienrechtlichen Grundsatzes der Vermögensbindung – Ergänzung durch die Rechtsprechung zum Existenz vernichtenden Eingriff, AG 2004, 405.

Übersicht I. Allgemeines ....................................... 1 1. Struktur der Regelung. Bezug zur handelsrechtlichen Bilanz .................................................. 1 982

2. Regelungszweck und Funktionsweise .................................................... 3 3. Wirtschaftliche Bewertung der Vorschrift ............................................ 6

Thomas Kantenwein

§ 150

Gesetzliche Rücklage. Kapitalrücklage II. Bildung der Rücklage (§ 150 Abs. 1, Abs. 2) ......................... 7 1. Handlungspflicht für Vorstand ......... 7 2. Einstellung in die gesetzliche Rücklage .............................................. 8 III. Verwendung der Rücklage (§ 150 Abs. 3, Abs. 4) ....................... 15 1. Verwendung des Pflichtbetrages, sog. „Mindestreserve“ (§ 150 Abs. 3) ................................... 16

2. Verwendung des sog. übersteigenden Betrages (§ 150 Abs. 4) ............. IV. Verstoß gegen die Vorschrift ........ 1. Verstoß gegen Gläubigerschutz (Heilung nach drei Jahren) .............. 2. Gläubigerschutz ist nicht verletzt (Heilung nach sechs Monaten) .......

I.

Allgemeines

1.

Struktur der Regelung. Bezug zur handelsrechtlichen Bilanz

18 21 23 24

Die gesetzliche Rücklage i. S. des § 150 Abs. 1 ist eine Unterposition der in § 266 Abs. 3 1 HGB unter A., III. geregelten Gewinnrücklage.1) Diese wird gemäß § 272 Abs. 3 HGB aus dem Jahresergebnis gebildet. Sie ist Bestandteil der auf der Passivseite unter A ausgewiesenen Position Eigenkapital. Sie ist als selbständiger Posten in der Bilanz auszuweisen (§ 266 Abs. 3 A. III. 1 HGB).2) Die AG und die KGaA (§ 278 Abs. 3) sind verpflichtet, in diese Rücklage 5 % des um einen Verlustvortrag aus dem Vorjahr geminderten Jahresüberschusses einzustellen. Diese Einstellung ist vorzunehmen bis die Summe aus der gesetzlichen Rücklage und der Kapitalrücklage nach § 272 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 HGB zusammen den zehnten Teil des Grundkapitals oder einen in der Satzung bestimmten höheren Teil erreicht (Höchstbetrag). Bei der Berechnung des Höchstbetrages werden also die gesetzliche Rücklage und die Kapitalrücklage zusammengefasst (oft auch als Reservefonds bezeichnet).3) Die Kapitalrücklagen nach § 272 Abs. 2 HGB und die Rücklagen für eigene Aktien 2 (§ 272 Abs. 4 HGB) sind gleichfalls gesetzlich vorgeschrieben, sind jedoch nicht Teil der gesetzlichen Rücklage. 2.

Regelungszweck und Funktionsweise

Während die in § 150 Abs. 1 angeordnete Einstellung in die Rücklage zulasten des Jahres- 3 ergebnisses die Ausschüttung der Rücklagebeträge verhindert4) und diese Beträge der Disposition durch die Hauptversammlung entzieht, wird durch die in § 150 Abs. 3 und 4 abschließend aufgezählten Alternativen der Verwendung der Rücklage deren eigentlicher Zweck angesprochen, nämlich Vorsorge zu treffen vor einem Kapitalverzehr durch Jahresfehlbeträge oder Verluste. Damit erreicht die Vorschrift zweierlei, sie führt zur Thesaurierung und bewirkt eine vor- 4 sorgliche Finanzierung von Jahresfehlbeträgen bzw. Verlusten. Die Verwendung der Rücklage (siehe unten Rz. 15) führt zu einer bilanziellen Sanierung im Fall eines Jahresfehlbetrages bzw. eines Bilanzverlusts.

_____________ 1) 2) 3) 4)

Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 150 Rz. 2. Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung, § 150 AktG Rz. 3. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 150 Rz. 1; Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung, § 150 AktG Rz. 2; Hennrichs/Pöschke in: MünchKomm-AktG, § 150 Rz. 3. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 150 Rz. 1; Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung, § 150 AktG Rz. 4 und Rz. 17; Hennrichs/Pöschke in: MünchKomm-AktG, § 150 Rz. 4; K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 150 Rz. 3; Spindler/Stilz-Euler/Sabel, AktG, § 150 Rz. 2.

Thomas Kantenwein

983

§ 150

Gesetzliche Rücklage. Kapitalrücklage

5 Damit schafft die Vorschrift den Aufbau und die Erhaltung einer gesetzlichen Rücklage i. S. einer Ausschüttungssperre und dadurch einen Verrechnungsposten für eventuell spätere Verluste. Sie dient damit der Kapitalerhaltung.5) 3.

Wirtschaftliche Bewertung der Vorschrift

6 Die gesetzliche Einstellungspflicht beschränkt sich auf 10 % oder den in der Satzung bestimmten höheren Teil des Grundkapitals. Das durchschnittliche Grundkapital der DaxUnternehmen betrug im Jahr 2010 rund 1.740 Mio. €. Ein Zehntel dieses durchschnittlichen Grundkapitals stellt die vom Aktiengesetz verlangte maximale Rücklage dar und diese beträgt somit rund 174 Mio. €. Der durchschnittliche Umsatz der Dax-Unternehmen im selben Kalenderjahr betrug rund 40.282 Mio. €, d. h. die gesetzlich vorgegebene durchschnittliche Rücklagenhöhe beläuft sich auf rund 0,4 % des durchschnittlichen Umsatzes eines Jahres. Diese Relation macht die Bewertung von Hennrichs/Pöschke6) deutlich, der die Bedeutung der Rücklage für den Kapitalschutz als nicht groß einstuft.7) Er weist zudem darauf hin, dass der gesetzliche Mindestbetrag von 10 % des Grundkapitals nicht einmal ausreicht, um eine inflationäre Entwertung des Grundkapitals auszugleichen. II.

Bildung der Rücklage (§ 150 Abs. 1, Abs. 2)

1.

Handlungspflicht für Vorstand

7 Die Bildung der Rücklage erfolgt „in der Bilanz des nach den §§ 242, 264 des Handelsgesetzbuches aufzustellenden Jahresabschlusses“. Sie ist also Teil der Aufstellung des Jahresabschlusses. Verpflichtet ist somit der Vorstand (§ 264 Abs. 1 Satz 1 HGB).8) Die Hauptversammlung kann nach § 150 Abs. 2 weitere Beträge im Beschluss über die Verwendung des Bilanzgewinns in die gesetzliche Rücklage einstellen. Diese Zuweisung wird dann aber erst im folgenden Jahresabschluss berücksichtigt.9) 2.

Einstellung in die gesetzliche Rücklage

8 Die in § 150 Abs. 2 genannte Einstellung des zwanzigsten Teils des Jahresüberschusses ist zwingend. Die Einstellung darf weder geringer noch höher sein. Diese gesetzliche Regelung ist der Satzungshoheit der Gesellschaft entzogen.10) 9 Die Bemessungsgrundlage „Jahresüberschuss“ ist um einen Verlustvortrag aus dem Vorjahr zu kürzen. Sie ist durch einen Gewinnvortrag aus dem Vorjahr jedoch nicht zu erhöhen.11) 10 Gesellschaften, die einen Gewinnabführungs-, Teilgewinnabführungs- oder einen Beherrschungsvertrag abgeschlossen haben, bilden die Rücklage nach den Regeln des § 300.12) _____________ 5) Henze, AG 2004, 405. 6) Hennrichs/Pöschke in: MünchKomm-AktG, § 150 Rz. 6; vgl. auch K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 150 Rz. 3. 7) Vgl. v. Falkenhausen, NZG 2009, 1096, 1096. 8) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 150 Rz. 4; Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung, § 150 AktG Rz. 46; Hennrichs/Pöschke in: MünchKomm-AktG, § 150 Rz. 11; K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 150 Rz. 4. 9) Spindler/Stilz-Euler/Sabel, AktG, § 150 Rz. 17. 10) Ekkenga in: KölnKomm-AktG, § 150 Rz. 15; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 150 Rz. 7; Adler/Düring/ Schmaltz, Rechnungslegung, § 150 AktG Rz. 29 und 33; Hennrichs/Pöschke in: MünchKomm-AktG, § 150 Rz. 7 und Rz. 13; K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 150 Rz. 5. 11) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 150 Rz. 5; Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung, § 150 AktG Rz. 23; Hennrichs/Pöschke in: MünchKomm-AktG, § 150 Rz. 12; K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 150 Rz. 5; Spindler/Stilz-Euler/Sabel, AktG, § 150 Rz. 9. 12) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 150 Rz. 5; Hennrichs/Pöschke in: MünchKomm-AktG, § 150 Rz. 9; K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 150 Rz. 5.

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Thomas Kantenwein

Gesetzliche Rücklage. Kapitalrücklage

§ 150

Die Einstellung erfolgt so lange, bis die gesetzliche Obergrenze erreicht ist. Diese ist er- 11 reicht, wenn die Summe aus der gesetzlichen Rücklage und der Kapitalrücklage nach § 272 Abs. 2 Nr. 1 – 3 HGB den zehnten Teil des Grundkapitals erreicht hat. Nach Kapitalerhöhung ist das neu eingetragene Kapital maßgeblich. Bei Kapitalherab- 12 setzung kann es dazu kommen, dass die Obergrenze bereits überschritten ist. Dann bleiben die bereits zugeführten Beträge aber gebunden i. R. der Verwendungsregelung des § 150 Abs. 4.13) Anders als die Höhe der Zuführung (1/20 des Jahresüberschusses) kann die Obergrenze 13 durch Satzung erhöht (also nicht verringert) werden bis maximal zur Höhe des Grundkapitals, denn § 150 Abs. 3 Satz 1 spricht von einem „höheren Teil des Grundkapitals“.14) Was auf die Obergrenze angerechnet wird, ist abschließend durch das Gesetz geregelt, 14 nämlich die Kapitalrücklagen nach § 272 Abs. 2 Nr. 1 – 3, also nicht diejenigen nach Nr. 4, d. h. Zuzahlungen der Gesellschafter in das Eigenkapital mindern also die Einstellungspflicht nicht. Obschon nicht dem Wortlaut zu entnehmen, ist die Zuführung in die Kapitalrücklage bei Kapitalherabsetzung (§§ 229, 232, 237 Abs. 5) ebenfalls in die gesetzliche Obergrenze hinzuzurechnen.15) Gesellschaften, die einen Gewinnabführungs-, Teilgewinnabführungs- oder einen Beherrschungsvertrag abgeschlossen haben, bauen die Rücklage ebenfalls bis zum 10. Teil des Grundkapitals auf (§ 300). (Zum Ausweis in der Gewinn- und Verlustrechnung siehe § 158 Abs. 1 Nr. 4 und unten § 158 Rz. 3 und 4). III.

Verwendung der Rücklage (§ 150 Abs. 3, Abs. 4)

Es ist zu unterscheiden zwischen der Verwendung der Rücklage, soweit diese den nach § 150 15 Abs. 2 vorgeschriebenen Betrag noch nicht erreicht hat (Verwendung Pflichtbetrag) und der Verwendung derjenigen Teile der Rücklage, die den vorgeschriebenen Betrag übersteigen (Verwendung des sog. übersteigenden Betrages). (Zum Ausweis in der Gewinnund Verlustrechnung siehe § 158 Abs. 1 Nr. 3 und unten § 158 Rz. 3 und 4). 1.

Verwendung des Pflichtbetrages, sog. „Mindestreserve“ (§ 150 Abs. 3)

Das Gesetz lässt hier den Ausgleich eines Jahresfehlbetrages zu (keine Pflicht zum Aus- 16 gleich), allerdings nur subsidiär nach dessen Ausgleich durch etwaigen Gewinnvortrag oder durch Auflösung anderer Gewinnrücklagen. Unter dem Begriff „andere Gewinnrücklagen“ sind sämtliche Gewinnrücklagen der Gesellschaft zu verstehen. Gewinnrücklagen, die eigentlich nicht zum Ausgleich eines Jahresfehlbetrages, sondern für andere Zwecke bestimmt sind, müssen ebenfalls zum Ausgleich eines Jahresfehlbetrages verwendet werden vor einer Verwendung der gesetzlichen Rücklage.16) Die Rücklage für eigene Anteile dient ebenfalls dem Kapitalerhalt durch Neutralisierung solcher eigenen Aktien, ist ihrerseits gesetzlich vorgeschrieben (§§ 266 Abs. 3 A. III. 2., 272 Abs. 4 HGB) und darf nicht zum Ausgleich eines Jahresfehlbetrages verwendet werden.17) _____________ 13) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 150, Rz. 6; Hennrichs/Pöschke in: MünchKomm-AktG, § 150 Rz. 16; K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 150 Rz. 7 – Grenze kann auch allein durch Kapitalrücklagen erreicht werden; Spindler/Stilz-Euler/Sabel, AktG, § 150 Rz. 13. 14) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 150 Rz. 7; Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung, § 150 AktG Rz. 30; Hennrichs/Pöschke in: MünchKomm-AktG, § 150 Rz. 19; K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 150 Rz. 9. 15) Hennrichs/Pöschke in: MünchKomm-AktG, § 150 Rz. 18 ff., bezeichnet diese Meinung als allgemein und zutreffend; Spindler/Stilz-Euler/Sabel, AktG, § 150 Rz. 12. 16) Hennrichs/Pöschke in: MünchKomm-AktG, § 150 Rz. 28; Ekkenga in: KölnKomm-AktG, § 150 Rz. 31. 17) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 150 Rz. 9; Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung, § 150 AktG Rz. 52 ff.; Hennrichs/Pöschke in: MünchKomm-AktG, § 150 Rz. 30; K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 150 Rz. 13.

Thomas Kantenwein

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§ 150

Gesetzliche Rücklage. Kapitalrücklage

17 Nachgeordnet zu der Verwendung zum Ausgleich eines Fehlbetrages darf die gesetzliche Rücklage zum Ausgleich eines Verlustvortrages aus dem Vorjahr verwendet werden (§ 150 Abs. 3 Nr. 2). Auch in diesem Fall geht die Auflösung anderer Gewinnrücklagen vor.18) 2.

Verwendung des sog. übersteigenden Betrages (§ 150 Abs. 4)

18 Übersteigt die Summe aus der gesetzlichen Rücklage und der Kapitalrücklage nach § 272 Abs. 2 Nr. 1 – 3 HGB den Pflichtbetrag (den zehnten oder den in der Satzung bestimmten höheren Teil des Grundkapitals), so darf der übersteigende Betrag (Mehrbetrag) zusätzlich zu dem oben dargestellten Ausgleich eines Jahresfehlbetrages oder dem Ausgleich eines Verlustvortrages auch zu einer Kapitalerhöhung nach den §§ 207 bis 220 verwendet werden.19) 19 Der Mehrbetrag darf auch dann zum Ausgleich eines Jahresfehlbetrages oder zum Ausgleich eines Verlustvortrages aus dem Vorjahr verwendet werden, wenn hierfür auch andere Gewinnrücklagen aufgelöst werden könnten. Die Verwendung des Mehrbetrages ist also nicht nur subsidiär zulässig.20) 20 Etwas anderes gilt dann, wenn der Mehrbetrag zum Ausgleich eines Jahresfehlbetrages oder eines Verlustvortrages verwendet wird und gleichzeitig Gewinnrücklagen aufgelöst werden sollen, um damit dann eine Gewinnausschüttung durchzuführen. Nach der Begründung des Regierungsentwurfs soll durch diese Restriktion verhindert werden, dass Gewinnausschüttungen auf Kosten der Rücklage – wenn auch eines Mehrbetrages – erfolgen.21) IV.

Verstoß gegen die Vorschrift

21 Bei Verstoß gegen die Vorschrift ist der festgestellte Jahresabschluss nichtig (§ 256 Abs. 1). Es ist aber zu unterscheiden zwischen einem einfachen Verstoß und einem Verstoß gegen den Gläubigerschutz. Je nach dieser Unterscheidung findet eine Heilung nach sechs Monaten (§ 256 Abs. 1 Nr. 4) oder nach drei Jahren (§ 256 Abs. 1 Nr. 1) statt. 22 Nichtigkeit führt dazu, dass die Gesellschaft ihre Rechnungslegungspflicht noch nicht erfüllt hat, da der gegen § 150 verstoßende Jahresabschluss rechtlich ein Nullum ist. Heilung bedeutet, dass die Nichtigkeit nicht mehr geltend gemacht werden kann. Der Jahresabschluss wird dann rückwirkend gültig. 1.

Verstoß gegen Gläubigerschutz (Heilung nach drei Jahren)

23 Dem Gläubigerschutz dienen die Pflicht der Einstellung in die Rücklage (§ 150 Abs. 2) und die Verwendungsbeschränkungen (§ 150 Abs. 3 und 4). Im Falle des Verstoßes tritt Nichtigkeit des Jahresabschlusses ein, mit Heilung gemäß § 256 Abs. 6 erst nach drei Jahren.22) _____________ 18) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 150 Rz. 10; Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung, § 150 AktG Rz. 59 ff.; K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 150 Rz. 14. 19) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 150 Rz. 12; Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung, § 150 AktG Rz. 65 ff.; Hennrichs/Pöschke in: MünchKomm-AktG, § 150 Rz. 34; K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 150 Rz. 15; Spindler/Stilz-Euler/Sabel, AktG, § 150 Rz. 28. 20) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 150 Rz. 8 und Rz. 11; Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung, § 150 AktG Rz. 63 f.; Hennrichs/Pöschke in: MünchKomm-AktG, § 150 Rz. 33; K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 150 Rz. 16. 21) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 150 Rz. 8. 22) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 150 Rz. 13; Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung, § 150 AktG Rz. 71 ff.; Hennrichs/Pöschke in: MünchKomm-AktG, § 150 Rz. 37.

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Thomas Kantenwein

§ 152

Vorschriften zur Bilanz 2.

Gläubigerschutz ist nicht verletzt (Heilung nach sechs Monaten)

Wird mehr als der zwanzigste Teil des Jahresüberschusses eingestellt oder wird die gesetz- 24 liche Obergrenze überschritten, so liegt Nichtigkeit des Jahresabschlusses vor, allerdings mit Heilung nach sechs Monaten (§ 256 Abs. 1 Nr. 4 und Heilung nach § 256 Abs. 6).23) _____________ 23) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 150 Rz. 13; Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung, § 150 AktG Rz. 71 ff.; Hennrichs/Pöschke in: MünchKomm-AktG, § 150 Rz. 38 f.

§ 150a (aufgehoben) Die Vorschrift regelte die Rücklage für eigene Aktien.1) Nunmehr geregelt in §§ 266 1 Abs. 3 A. III. 2., 272 Abs. 4 HGB. _____________ 1)

Aufgehoben durch Art. 2 BiRiLiG v. 19.12.1985, BGBl. I 1985, 2355.

§ 151 (aufgehoben) Die Vorschrift regelte die Gliederung der Jahresbilanz.1) Nunmehr geregelt in § 266 HGB. _____________ 1)

Aufgehoben durch Art. 2 BiRiLiG v. 19.12.1985, BGBl. I 1985, 2355.

§ 152 Vorschriften zur Bilanz (1) 1Das Grundkapital ist in der Bilanz als gezeichnetes Kapital auszuweisen. 2Dabei ist der auf jede Aktiengattung entfallende Betrag des Grundkapitals gesondert anzugeben. 3Bedingtes Kapital ist mit dem Nennbetrag zu vermerken. 4Bestehen Mehrstimmrechtsaktien, so sind beim gezeichneten Kapital die Gesamtstimmenzahl der Mehrstimmrechtsaktien und die der übrigen Aktien zu vermerken. (2) Zu dem Posten „Kapitalrücklage“ sind in der Bilanz oder im Anhang gesondert anzugeben 1. der Betrag, der während des Geschäftsjahrs eingestellt wurde; 2. der Betrag, der für das Geschäftsjahr entnommen wird. (3) Zu den einzelnen Posten der Gewinnrücklagen sind in der Bilanz oder im Anhang jeweils gesondert anzugeben 1. die Beträge, die die Hauptversammlung aus dem Bilanzgewinn des Vorjahrs eingestellt hat; 2. die Beträge, die aus dem Jahresüberschuß des Geschäftsjahrs eingestellt werden; 3. die Beträge, die für das Geschäftsjahr entnommen werden. (4) 1Die Absätze 1 bis 3 sind nicht anzuwenden auf Aktiengesellschaften, die Kleinstkapitalgesellschaften im Sinne des § 267a des Handelsgesetzbuchs sind, wenn sie von

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§ 152

Vorschriften zur Bilanz 2.

Gläubigerschutz ist nicht verletzt (Heilung nach sechs Monaten)

Wird mehr als der zwanzigste Teil des Jahresüberschusses eingestellt oder wird die gesetz- 24 liche Obergrenze überschritten, so liegt Nichtigkeit des Jahresabschlusses vor, allerdings mit Heilung nach sechs Monaten (§ 256 Abs. 1 Nr. 4 und Heilung nach § 256 Abs. 6).23) _____________ 23) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 150 Rz. 13; Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung, § 150 AktG Rz. 71 ff.; Hennrichs/Pöschke in: MünchKomm-AktG, § 150 Rz. 38 f.

§ 150a (aufgehoben) Die Vorschrift regelte die Rücklage für eigene Aktien.1) Nunmehr geregelt in §§ 266 1 Abs. 3 A. III. 2., 272 Abs. 4 HGB. _____________ 1)

Aufgehoben durch Art. 2 BiRiLiG v. 19.12.1985, BGBl. I 1985, 2355.

§ 151 (aufgehoben) Die Vorschrift regelte die Gliederung der Jahresbilanz.1) Nunmehr geregelt in § 266 HGB. _____________ 1)

Aufgehoben durch Art. 2 BiRiLiG v. 19.12.1985, BGBl. I 1985, 2355.

§ 152 Vorschriften zur Bilanz (1) 1Das Grundkapital ist in der Bilanz als gezeichnetes Kapital auszuweisen. 2Dabei ist der auf jede Aktiengattung entfallende Betrag des Grundkapitals gesondert anzugeben. 3Bedingtes Kapital ist mit dem Nennbetrag zu vermerken. 4Bestehen Mehrstimmrechtsaktien, so sind beim gezeichneten Kapital die Gesamtstimmenzahl der Mehrstimmrechtsaktien und die der übrigen Aktien zu vermerken. (2) Zu dem Posten „Kapitalrücklage“ sind in der Bilanz oder im Anhang gesondert anzugeben 1. der Betrag, der während des Geschäftsjahrs eingestellt wurde; 2. der Betrag, der für das Geschäftsjahr entnommen wird. (3) Zu den einzelnen Posten der Gewinnrücklagen sind in der Bilanz oder im Anhang jeweils gesondert anzugeben 1. die Beträge, die die Hauptversammlung aus dem Bilanzgewinn des Vorjahrs eingestellt hat; 2. die Beträge, die aus dem Jahresüberschuß des Geschäftsjahrs eingestellt werden; 3. die Beträge, die für das Geschäftsjahr entnommen werden. (4) 1Die Absätze 1 bis 3 sind nicht anzuwenden auf Aktiengesellschaften, die Kleinstkapitalgesellschaften im Sinne des § 267a des Handelsgesetzbuchs sind, wenn sie von

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Gläubigerschutz ist nicht verletzt (Heilung nach sechs Monaten)

Wird mehr als der zwanzigste Teil des Jahresüberschusses eingestellt oder wird die gesetz- 24 liche Obergrenze überschritten, so liegt Nichtigkeit des Jahresabschlusses vor, allerdings mit Heilung nach sechs Monaten (§ 256 Abs. 1 Nr. 4 und Heilung nach § 256 Abs. 6).23) _____________ 23) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 150 Rz. 13; Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung, § 150 AktG Rz. 71 ff.; Hennrichs/Pöschke in: MünchKomm-AktG, § 150 Rz. 38 f.

§ 150a (aufgehoben) Die Vorschrift regelte die Rücklage für eigene Aktien.1) Nunmehr geregelt in §§ 266 1 Abs. 3 A. III. 2., 272 Abs. 4 HGB. _____________ 1)

Aufgehoben durch Art. 2 BiRiLiG v. 19.12.1985, BGBl. I 1985, 2355.

§ 151 (aufgehoben) Die Vorschrift regelte die Gliederung der Jahresbilanz.1) Nunmehr geregelt in § 266 HGB. _____________ 1)

Aufgehoben durch Art. 2 BiRiLiG v. 19.12.1985, BGBl. I 1985, 2355.

§ 152 Vorschriften zur Bilanz (1) 1Das Grundkapital ist in der Bilanz als gezeichnetes Kapital auszuweisen. 2Dabei ist der auf jede Aktiengattung entfallende Betrag des Grundkapitals gesondert anzugeben. 3Bedingtes Kapital ist mit dem Nennbetrag zu vermerken. 4Bestehen Mehrstimmrechtsaktien, so sind beim gezeichneten Kapital die Gesamtstimmenzahl der Mehrstimmrechtsaktien und die der übrigen Aktien zu vermerken. (2) Zu dem Posten „Kapitalrücklage“ sind in der Bilanz oder im Anhang gesondert anzugeben 1. der Betrag, der während des Geschäftsjahrs eingestellt wurde; 2. der Betrag, der für das Geschäftsjahr entnommen wird. (3) Zu den einzelnen Posten der Gewinnrücklagen sind in der Bilanz oder im Anhang jeweils gesondert anzugeben 1. die Beträge, die die Hauptversammlung aus dem Bilanzgewinn des Vorjahrs eingestellt hat; 2. die Beträge, die aus dem Jahresüberschuß des Geschäftsjahrs eingestellt werden; 3. die Beträge, die für das Geschäftsjahr entnommen werden. (4) 1Die Absätze 1 bis 3 sind nicht anzuwenden auf Aktiengesellschaften, die Kleinstkapitalgesellschaften im Sinne des § 267a des Handelsgesetzbuchs sind, wenn sie von

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Vorschriften zur Bilanz 2.

Gläubigerschutz ist nicht verletzt (Heilung nach sechs Monaten)

Wird mehr als der zwanzigste Teil des Jahresüberschusses eingestellt oder wird die gesetz- 24 liche Obergrenze überschritten, so liegt Nichtigkeit des Jahresabschlusses vor, allerdings mit Heilung nach sechs Monaten (§ 256 Abs. 1 Nr. 4 und Heilung nach § 256 Abs. 6).23) _____________ 23) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 150 Rz. 13; Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung, § 150 AktG Rz. 71 ff.; Hennrichs/Pöschke in: MünchKomm-AktG, § 150 Rz. 38 f.

§ 150a (aufgehoben) Die Vorschrift regelte die Rücklage für eigene Aktien.1) Nunmehr geregelt in §§ 266 1 Abs. 3 A. III. 2., 272 Abs. 4 HGB. _____________ 1)

Aufgehoben durch Art. 2 BiRiLiG v. 19.12.1985, BGBl. I 1985, 2355.

§ 151 (aufgehoben) Die Vorschrift regelte die Gliederung der Jahresbilanz.1) Nunmehr geregelt in § 266 HGB. _____________ 1)

Aufgehoben durch Art. 2 BiRiLiG v. 19.12.1985, BGBl. I 1985, 2355.

§ 152 Vorschriften zur Bilanz (1) 1Das Grundkapital ist in der Bilanz als gezeichnetes Kapital auszuweisen. 2Dabei ist der auf jede Aktiengattung entfallende Betrag des Grundkapitals gesondert anzugeben. 3Bedingtes Kapital ist mit dem Nennbetrag zu vermerken. 4Bestehen Mehrstimmrechtsaktien, so sind beim gezeichneten Kapital die Gesamtstimmenzahl der Mehrstimmrechtsaktien und die der übrigen Aktien zu vermerken. (2) Zu dem Posten „Kapitalrücklage“ sind in der Bilanz oder im Anhang gesondert anzugeben 1. der Betrag, der während des Geschäftsjahrs eingestellt wurde; 2. der Betrag, der für das Geschäftsjahr entnommen wird. (3) Zu den einzelnen Posten der Gewinnrücklagen sind in der Bilanz oder im Anhang jeweils gesondert anzugeben 1. die Beträge, die die Hauptversammlung aus dem Bilanzgewinn des Vorjahrs eingestellt hat; 2. die Beträge, die aus dem Jahresüberschuß des Geschäftsjahrs eingestellt werden; 3. die Beträge, die für das Geschäftsjahr entnommen werden. (4) 1Die Absätze 1 bis 3 sind nicht anzuwenden auf Aktiengesellschaften, die Kleinstkapitalgesellschaften im Sinne des § 267a des Handelsgesetzbuchs sind, wenn sie von

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§ 152

Vorschriften zur Bilanz

der Erleichterung nach § 266 Absatz 1 Satz 4 des Handelsgesetzbuchs Gebrauch machen. 2 Kleine Aktiengesellschaften im Sinne des § 267 Absatz 1 des Handelsgesetzbuchs haben die Absätze 2 und 3 mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Angaben in der Bilanz zu machen sind. Literatur: Zwirner, MicroBilG, Bilanzierungs- und Offenlegungserleichterungen für Kleinstkapitalgesellschaften, BB 2012, 223.

Übersicht I. Regelungsgegenstand ...................... II. Ausweis des Grundkapitals (§ 152 Abs. 1) ..................................... 1. Ausweis des Grundkapitals als gezeichnetes Kapital (§ 152 Abs. 1 Satz 1) ......................... 2. Gesonderte Ausweise und Vermerke beim gezeichneten Kapital ..... I.

1 3

3

a) Aktiengattungen ........................... 4 b) Bedingtes Kapital .......................... 5 c) Mehrstimmrechtsaktien ............... 7 III. Gesonderte Angaben zu Rücklagen ........................................... 8 1. Kapitalrücklage (§ 152 Abs. 2) .......... 9 2. Gewinnrücklagen (§ 152 Abs. 3) ..... 13

4

Regelungsgegenstand

1 § 266 Abs. 3 A. HGB regelt den Ausweis des Eigenkapitals als eine Zusammenfassung von –

I. Gezeichnetes Kapital,



II. Kapitalrücklage,



III. Gewinnrücklage,



IV. Gewinnvortrag/Verlustvortrag,



V. Jahresüberschuss/Jahresfehlbetrag.

2 Weiteres zum Eigenkapital regelt § 272 HGB bzgl. des Eigenkapitalausweises in der Bilanz (und §§ 284 ff. HGB bzgl. der Angaben zum Eigenkapital im Anhang). Diese Vorschriften ergänzt § 152 mit rechtsformspezifischen Regeln zur Bilanz sowie zum Anhang für die AG und für die KGaA. Ausweisbesonderheiten beim Kapitalausweis der KGaA sind unter § 286 Abs. 2 geregelt. Weitere Besonderheiten gelten seit dem 29.12.2012 für Kleinstkapitalgesellschaften (§ 152 Abs. 4).1) II.

Ausweis des Grundkapitals (§ 152 Abs. 1)

1.

Ausweis des Grundkapitals als gezeichnetes Kapital (§ 152 Abs. 1 Satz 1)

3 Der erste Posten im Ausweis des Eigenkapitals auf der Passivseite der Bilanz (§ 266 Abs. 3 A. HGB) ist das gezeichnete Kapital. Dabei handelt es sich um das Grundkapital i. S. des § 23 Abs. 3 Nr. 3. Das Grundkapital ergibt sich aus der Bestimmung in der Satzung (§ 23 Abs. 3 Nr. 3) und zwar in der am Bilanzstichtag im Handelsregister eingetragenen Höhe. Eine noch nicht im Handelsregister eingetragene Grundkapitalerhöhung darf noch nicht ausgewiesen werden.2) Dieser Kapitalbetrag, der nach § 23 Abs. 3 Nr. 3 als Grundkapital bezeichnet ist, wird in der Bilanz nicht mit dem Begriff Grundkapital, sondern mit dem Begriff gezeichnetes Kapital ausgewiesen.3)

_____________ 1) 2) 3)

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Zwirner, BB 2012, 223 ff. Heidel-Steiner, AktR, § 152 AktG Rz. 4. Spindler/Stilz-Euler/Sabel, AktG, § 152 Rz. 2.

Thomas Kantenwein

§ 152

Vorschriften zur Bilanz 2.

Gesonderte Ausweise und Vermerke beim gezeichneten Kapital

a)

Aktiengattungen

Jede Aktiengattung ist gesondert anzugeben. Aktien mit gleichen Rechten bilden nach 4 § 11 Satz 2 eine Gattung. Aktiengattungen sind z. B. Stammaktien und stimmrechtslose Vorzugsaktien (§ 12 Abs. 1). Dagegen ist die Unterscheidung in Inhaberaktien oder auf den Namen lautende Aktien nach § 10 Abs. 1 unerheblich, da damit keine unterschiedlichen Rechte verbunden sind. b)

Bedingtes Kapital

Bedingtes Kapital ist mit dem Nennbetrag anzugeben. Daraus soll erkennbar werden, 5 welche Erhöhung des Grundkapitals ohne weitere Befassung durch die Hauptversammlung möglich ist.4) Durch diese Ausweisvorschriften kann die Summe der Vermerke das gezeichnete Kapital 6 übersteigen. Beispiel: A. Eigenkapital I. Gezeichnetes Kapital davon in Stammaktien davon in stimmrechtslosen Vorzugsaktien bedingtes Kapital c)

10 Mio. € 5 Mio. € 5 Mio. € 2 Mio. €5)

Mehrstimmrechtsaktien

Für die nach § 5 EGAktG noch bestehenden Mehrstimmrechtsaktien aus früheren Sat- 7 zungsregelungen ist beim gezeichneten Kapital die Gesamtstimmenzahl der Mehrstimmrechtsaktien einerseits und der übrigen Aktien andererseits zu vermerken. Möglich, aber nicht vorgeschrieben, ist dabei auch ein Vermerk für den Fall, dass das Mehrstimmrecht sich nur auf bestimmte Beschlussgegenstände bezieht.6) III.

Gesonderte Angaben zu Rücklagen

Die Darstellung der nachfolgenden Angaben ist in der Bilanz oder im Anhang vorzuneh- 8 men. Das Wahlrecht ist für alle Angaben einheitlich auszuüben.7) 1.

Kapitalrücklage (§ 152 Abs. 2)

Die unterjährigen Veränderungen der Kapitalrücklage nach Einstellungen und Entnahmen 9 sind jeweils gesondert anzugeben. Sie dürfen also nicht saldiert werden. Es empfiehlt sich die Darstellung im Anhang vorzunehmen, um auf dieser Weise in einer besseren Übersichtlichkeit den Anfangsbestand, die Einstellungen während des Geschäftsjahrs, die Entnahmen während des Geschäftsjahrs und den Endbestand für jeden einzelnen Posten der Kapital-

_____________ 4) 5) 6) 7)

Brönner in: GroßKomm-AktG, § 152 Rz. 18; Heidel-Steiner, AktR, § 152 AktG Rz. 5 – 7. Bsp. bei Heidel-Steiner, AktR, § 152 AktG Rz. 9; Spindler/Stilz-Euler/Sabel, AktG, § 152 Rz. 6, eigenes Bsp. bei Spindler/Stilz-Euler/Sabel, AktG, § 152 Rz. 20. Spindler/Stilz-Euler/Sabel, AktG, § 152 Rz. 7 – 9; K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 152 Rz. 5. Spindler/Stilz-Euler/Sabel, AktG, § 152 Rz. 21 – dort auch Bsp. für eine übersichtliche Darstellung, s. a. Brönner in: GroßKomm-AktG, § 152 Rz. 29 ff.

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§ 153

(aufgehoben)

und Gewinnrücklage zu erhalten. Es sollen die Bewegungen der Kapitalrücklage im Einzelnen dargestellt werden.8) 10 Die Einstellungen können sich z. B. aus den Zuweisungen nach § 272 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 HGB oder aus aktienrechtlichen Maßnahmen, wie z. B. die vereinfachte Kapitalherabsetzung (§ 232) oder bei der Kapitalherabsetzung durch Einziehung von Aktien (§ 237) ergeben. Der Rechtsgrund für die unterjährigen Einstellungen in die Kapitalrücklage ergibt sich also nicht aus § 252, sondern aus anderen Vorschriften.9) 11 Dies gilt auch für die ebenfalls anzugebenden Beträge, die der Rücklage im Geschäftsjahr entnommen wurden (siehe aber Restriktionen aus § 150 Abs. 3 und 4, siehe § 150 Rz. 16 – 20). 12 Der korrespondierende Ausweis in der Gewinn- und Verlustrechnung ist in § 158 geregelt (siehe § 158 Rz. 6). 2.

Gewinnrücklagen (§ 152 Abs. 3)

13 Die beiden betroffenen Fälle der Einstellung in die Gewinnrücklage, nämlich aus dem Bilanzgewinn des Vorjahrs (§ 152 Abs. 3 Nr. 1) oder aus dem Jahresüberschuss des Geschäftsjahrs (§ 152 Abs. 3 Nr. 2) sind im Wortlaut des § 152 Abs. 3 ausreichend klar dargestellt. Es handelt sich also um Fälle der Einstellung sowohl durch Beschluss der Hauptversammlung, als auch durch Entscheidung des Vorstandes und Aufsichtsrates.10) 14 Die ebenfalls angabepflichtigen Entnahmen für das Geschäftsjahr können z. B. zum Ausgleich eines Jahresfehlbetrages, zur Gewinnausschüttung oder zur Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln erfolgen (i. R. der Restriktionen des § 150 Abs. 3 und 4, siehe § 150 Rz. 16 – 20).11) _____________ 8) Brönner in: GroßKomm-AktG, § 152 Rz. 22; Spindler/Stilz-Euler/Sabel, AktG, § 152 Rz. 10; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 152 Rz. 6. 9) Spindler/Stilz-Euler/Sabel, AktG, § 152 Rz. 11. 10) Spindler/Stilz-Euler/Sabel, AktG, § 152 Rz. 16; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 152 Rz. 7. 11) K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 152 Rz. 7.

§ 153 (aufgehoben) 1 Die Vorschrift regelte die Wertansätze für Gegenstände des Anlagevermögens.1) Nunmehr geregelt in §§ 248, 253 Abs. 1, 269, 279 ff. HGB. _____________ 1)

Aufgehoben durch Art. 2 BiRiLiG v. 19.12.1985, BGBl. I 1985, 2355.

§ 154 (aufgehoben) 1 Die Vorschrift regelte die Abschreibungen und Wertberichtigungen des Anlagevermögens.1) Nunmehr geregelt in §§ 253 Abs. 2, 4 – 5, 254, 279 ff. HGB. _____________ 1)

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Aufgehoben durch Art. 2 BiRiLiG v. 19.12.1985, BGBl. I 1985, 2355.

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§ 153

(aufgehoben)

und Gewinnrücklage zu erhalten. Es sollen die Bewegungen der Kapitalrücklage im Einzelnen dargestellt werden.8) 10 Die Einstellungen können sich z. B. aus den Zuweisungen nach § 272 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 HGB oder aus aktienrechtlichen Maßnahmen, wie z. B. die vereinfachte Kapitalherabsetzung (§ 232) oder bei der Kapitalherabsetzung durch Einziehung von Aktien (§ 237) ergeben. Der Rechtsgrund für die unterjährigen Einstellungen in die Kapitalrücklage ergibt sich also nicht aus § 252, sondern aus anderen Vorschriften.9) 11 Dies gilt auch für die ebenfalls anzugebenden Beträge, die der Rücklage im Geschäftsjahr entnommen wurden (siehe aber Restriktionen aus § 150 Abs. 3 und 4, siehe § 150 Rz. 16 – 20). 12 Der korrespondierende Ausweis in der Gewinn- und Verlustrechnung ist in § 158 geregelt (siehe § 158 Rz. 6). 2.

Gewinnrücklagen (§ 152 Abs. 3)

13 Die beiden betroffenen Fälle der Einstellung in die Gewinnrücklage, nämlich aus dem Bilanzgewinn des Vorjahrs (§ 152 Abs. 3 Nr. 1) oder aus dem Jahresüberschuss des Geschäftsjahrs (§ 152 Abs. 3 Nr. 2) sind im Wortlaut des § 152 Abs. 3 ausreichend klar dargestellt. Es handelt sich also um Fälle der Einstellung sowohl durch Beschluss der Hauptversammlung, als auch durch Entscheidung des Vorstandes und Aufsichtsrates.10) 14 Die ebenfalls angabepflichtigen Entnahmen für das Geschäftsjahr können z. B. zum Ausgleich eines Jahresfehlbetrages, zur Gewinnausschüttung oder zur Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln erfolgen (i. R. der Restriktionen des § 150 Abs. 3 und 4, siehe § 150 Rz. 16 – 20).11) _____________ 8) Brönner in: GroßKomm-AktG, § 152 Rz. 22; Spindler/Stilz-Euler/Sabel, AktG, § 152 Rz. 10; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 152 Rz. 6. 9) Spindler/Stilz-Euler/Sabel, AktG, § 152 Rz. 11. 10) Spindler/Stilz-Euler/Sabel, AktG, § 152 Rz. 16; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 152 Rz. 7. 11) K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 152 Rz. 7.

§ 153 (aufgehoben) 1 Die Vorschrift regelte die Wertansätze für Gegenstände des Anlagevermögens.1) Nunmehr geregelt in §§ 248, 253 Abs. 1, 269, 279 ff. HGB. _____________ 1)

Aufgehoben durch Art. 2 BiRiLiG v. 19.12.1985, BGBl. I 1985, 2355.

§ 154 (aufgehoben) 1 Die Vorschrift regelte die Abschreibungen und Wertberichtigungen des Anlagevermögens.1) Nunmehr geregelt in §§ 253 Abs. 2, 4 – 5, 254, 279 ff. HGB. _____________ 1)

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Aufgehoben durch Art. 2 BiRiLiG v. 19.12.1985, BGBl. I 1985, 2355.

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(aufgehoben)

und Gewinnrücklage zu erhalten. Es sollen die Bewegungen der Kapitalrücklage im Einzelnen dargestellt werden.8) 10 Die Einstellungen können sich z. B. aus den Zuweisungen nach § 272 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 HGB oder aus aktienrechtlichen Maßnahmen, wie z. B. die vereinfachte Kapitalherabsetzung (§ 232) oder bei der Kapitalherabsetzung durch Einziehung von Aktien (§ 237) ergeben. Der Rechtsgrund für die unterjährigen Einstellungen in die Kapitalrücklage ergibt sich also nicht aus § 252, sondern aus anderen Vorschriften.9) 11 Dies gilt auch für die ebenfalls anzugebenden Beträge, die der Rücklage im Geschäftsjahr entnommen wurden (siehe aber Restriktionen aus § 150 Abs. 3 und 4, siehe § 150 Rz. 16 – 20). 12 Der korrespondierende Ausweis in der Gewinn- und Verlustrechnung ist in § 158 geregelt (siehe § 158 Rz. 6). 2.

Gewinnrücklagen (§ 152 Abs. 3)

13 Die beiden betroffenen Fälle der Einstellung in die Gewinnrücklage, nämlich aus dem Bilanzgewinn des Vorjahrs (§ 152 Abs. 3 Nr. 1) oder aus dem Jahresüberschuss des Geschäftsjahrs (§ 152 Abs. 3 Nr. 2) sind im Wortlaut des § 152 Abs. 3 ausreichend klar dargestellt. Es handelt sich also um Fälle der Einstellung sowohl durch Beschluss der Hauptversammlung, als auch durch Entscheidung des Vorstandes und Aufsichtsrates.10) 14 Die ebenfalls angabepflichtigen Entnahmen für das Geschäftsjahr können z. B. zum Ausgleich eines Jahresfehlbetrages, zur Gewinnausschüttung oder zur Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln erfolgen (i. R. der Restriktionen des § 150 Abs. 3 und 4, siehe § 150 Rz. 16 – 20).11) _____________ 8) Brönner in: GroßKomm-AktG, § 152 Rz. 22; Spindler/Stilz-Euler/Sabel, AktG, § 152 Rz. 10; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 152 Rz. 6. 9) Spindler/Stilz-Euler/Sabel, AktG, § 152 Rz. 11. 10) Spindler/Stilz-Euler/Sabel, AktG, § 152 Rz. 16; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 152 Rz. 7. 11) K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 152 Rz. 7.

§ 153 (aufgehoben) 1 Die Vorschrift regelte die Wertansätze für Gegenstände des Anlagevermögens.1) Nunmehr geregelt in §§ 248, 253 Abs. 1, 269, 279 ff. HGB. _____________ 1)

Aufgehoben durch Art. 2 BiRiLiG v. 19.12.1985, BGBl. I 1985, 2355.

§ 154 (aufgehoben) 1 Die Vorschrift regelte die Abschreibungen und Wertberichtigungen des Anlagevermögens.1) Nunmehr geregelt in §§ 253 Abs. 2, 4 – 5, 254, 279 ff. HGB. _____________ 1)

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Aufgehoben durch Art. 2 BiRiLiG v. 19.12.1985, BGBl. I 1985, 2355.

Thomas Kantenwein

Vorschriften zur Gewinn- und Verlustrechnung

§ 158

§ 155 (aufgehoben) Die Vorschrift regelte die Wertansätze für Gegenstände des Umlaufvermögens.1) Nun- 1 mehr geregelt in §§ 253 Abs. 3 – 5, 254, 255, 279 ff. HGB. _____________ 1)

Aufgehoben durch Art. 2 BiRiLiG v. 19.12.1985, BGBl. I 1985, 2355.

§ 156 (aufgehoben) Die Vorschrift regelte die Ansätze von Passivposten.1) Nunmehr geregelt in §§ 250 1 Abs. 3, 253 Abs. 1 Satz 2, 268 Abs. 6, 283 HGB. _____________ 1)

Aufgehoben durch Art. 2 BiRiLiG v. 19.12.1985, BGBl. I 1985, 2355.

§ 157 (aufgehoben) Die Vorschrift regelte die die Gliederung der GuV.1) Nunmehr bis Gliederungsposten 1 28 a. F. in § 275 HGB geregelt und ab Gliederungsposten 29 a. F. in § 158 (siehe nachfolgende Kommentierung). _____________ 1)

Aufgehoben durch Art. 2 BiRiLiG v. 19.12.1985, BGBl. I 1985, 2355.

§ 158 Vorschriften zur Gewinn- und Verlustrechnung (1) 1Die Gewinn- und Verlustrechnung ist nach dem Posten „Jahresüberschuß/Jahresfehlbetrag“ in Fortführung der Numerierung um die folgenden Posten zu ergänzen: 1. Gewinnvortrag/Verlustvortrag aus dem Vorjahr 2. Entnahmen aus der Kapitalrücklage 3. Entnahmen aus Gewinnrücklagen a) aus der gesetzlichen Rücklage b) aus der Rücklage für Anteile an einem herrschenden oder mehrheitlich beteiligten Unternehmen c) aus satzungsmäßigen Rücklagen d) aus anderen Gewinnrücklagen 4. Einstellungen in Gewinnrücklagen a) in die gesetzliche Rücklage b) in die Rücklage für Anteile an einem herrschenden oder mehrheitlich beteiligten Unternehmen c) in satzungsmäßige Rücklagen d) in andere Gewinnrücklagen 5. Bilanzgewinn/Bilanzverlust. Thomas Kantenwein

991

Vorschriften zur Gewinn- und Verlustrechnung

§ 158

§ 155 (aufgehoben) Die Vorschrift regelte die Wertansätze für Gegenstände des Umlaufvermögens.1) Nun- 1 mehr geregelt in §§ 253 Abs. 3 – 5, 254, 255, 279 ff. HGB. _____________ 1)

Aufgehoben durch Art. 2 BiRiLiG v. 19.12.1985, BGBl. I 1985, 2355.

§ 156 (aufgehoben) Die Vorschrift regelte die Ansätze von Passivposten.1) Nunmehr geregelt in §§ 250 1 Abs. 3, 253 Abs. 1 Satz 2, 268 Abs. 6, 283 HGB. _____________ 1)

Aufgehoben durch Art. 2 BiRiLiG v. 19.12.1985, BGBl. I 1985, 2355.

§ 157 (aufgehoben) Die Vorschrift regelte die die Gliederung der GuV.1) Nunmehr bis Gliederungsposten 1 28 a. F. in § 275 HGB geregelt und ab Gliederungsposten 29 a. F. in § 158 (siehe nachfolgende Kommentierung). _____________ 1)

Aufgehoben durch Art. 2 BiRiLiG v. 19.12.1985, BGBl. I 1985, 2355.

§ 158 Vorschriften zur Gewinn- und Verlustrechnung (1) 1Die Gewinn- und Verlustrechnung ist nach dem Posten „Jahresüberschuß/Jahresfehlbetrag“ in Fortführung der Numerierung um die folgenden Posten zu ergänzen: 1. Gewinnvortrag/Verlustvortrag aus dem Vorjahr 2. Entnahmen aus der Kapitalrücklage 3. Entnahmen aus Gewinnrücklagen a) aus der gesetzlichen Rücklage b) aus der Rücklage für Anteile an einem herrschenden oder mehrheitlich beteiligten Unternehmen c) aus satzungsmäßigen Rücklagen d) aus anderen Gewinnrücklagen 4. Einstellungen in Gewinnrücklagen a) in die gesetzliche Rücklage b) in die Rücklage für Anteile an einem herrschenden oder mehrheitlich beteiligten Unternehmen c) in satzungsmäßige Rücklagen d) in andere Gewinnrücklagen 5. Bilanzgewinn/Bilanzverlust. Thomas Kantenwein

991

Vorschriften zur Gewinn- und Verlustrechnung

§ 158

§ 155 (aufgehoben) Die Vorschrift regelte die Wertansätze für Gegenstände des Umlaufvermögens.1) Nun- 1 mehr geregelt in §§ 253 Abs. 3 – 5, 254, 255, 279 ff. HGB. _____________ 1)

Aufgehoben durch Art. 2 BiRiLiG v. 19.12.1985, BGBl. I 1985, 2355.

§ 156 (aufgehoben) Die Vorschrift regelte die Ansätze von Passivposten.1) Nunmehr geregelt in §§ 250 1 Abs. 3, 253 Abs. 1 Satz 2, 268 Abs. 6, 283 HGB. _____________ 1)

Aufgehoben durch Art. 2 BiRiLiG v. 19.12.1985, BGBl. I 1985, 2355.

§ 157 (aufgehoben) Die Vorschrift regelte die die Gliederung der GuV.1) Nunmehr bis Gliederungsposten 1 28 a. F. in § 275 HGB geregelt und ab Gliederungsposten 29 a. F. in § 158 (siehe nachfolgende Kommentierung). _____________ 1)

Aufgehoben durch Art. 2 BiRiLiG v. 19.12.1985, BGBl. I 1985, 2355.

§ 158 Vorschriften zur Gewinn- und Verlustrechnung (1) 1Die Gewinn- und Verlustrechnung ist nach dem Posten „Jahresüberschuß/Jahresfehlbetrag“ in Fortführung der Numerierung um die folgenden Posten zu ergänzen: 1. Gewinnvortrag/Verlustvortrag aus dem Vorjahr 2. Entnahmen aus der Kapitalrücklage 3. Entnahmen aus Gewinnrücklagen a) aus der gesetzlichen Rücklage b) aus der Rücklage für Anteile an einem herrschenden oder mehrheitlich beteiligten Unternehmen c) aus satzungsmäßigen Rücklagen d) aus anderen Gewinnrücklagen 4. Einstellungen in Gewinnrücklagen a) in die gesetzliche Rücklage b) in die Rücklage für Anteile an einem herrschenden oder mehrheitlich beteiligten Unternehmen c) in satzungsmäßige Rücklagen d) in andere Gewinnrücklagen 5. Bilanzgewinn/Bilanzverlust. Thomas Kantenwein

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Vorschriften zur Gewinn- und Verlustrechnung

§ 158

§ 155 (aufgehoben) Die Vorschrift regelte die Wertansätze für Gegenstände des Umlaufvermögens.1) Nun- 1 mehr geregelt in §§ 253 Abs. 3 – 5, 254, 255, 279 ff. HGB. _____________ 1)

Aufgehoben durch Art. 2 BiRiLiG v. 19.12.1985, BGBl. I 1985, 2355.

§ 156 (aufgehoben) Die Vorschrift regelte die Ansätze von Passivposten.1) Nunmehr geregelt in §§ 250 1 Abs. 3, 253 Abs. 1 Satz 2, 268 Abs. 6, 283 HGB. _____________ 1)

Aufgehoben durch Art. 2 BiRiLiG v. 19.12.1985, BGBl. I 1985, 2355.

§ 157 (aufgehoben) Die Vorschrift regelte die die Gliederung der GuV.1) Nunmehr bis Gliederungsposten 1 28 a. F. in § 275 HGB geregelt und ab Gliederungsposten 29 a. F. in § 158 (siehe nachfolgende Kommentierung). _____________ 1)

Aufgehoben durch Art. 2 BiRiLiG v. 19.12.1985, BGBl. I 1985, 2355.

§ 158 Vorschriften zur Gewinn- und Verlustrechnung (1) 1Die Gewinn- und Verlustrechnung ist nach dem Posten „Jahresüberschuß/Jahresfehlbetrag“ in Fortführung der Numerierung um die folgenden Posten zu ergänzen: 1. Gewinnvortrag/Verlustvortrag aus dem Vorjahr 2. Entnahmen aus der Kapitalrücklage 3. Entnahmen aus Gewinnrücklagen a) aus der gesetzlichen Rücklage b) aus der Rücklage für Anteile an einem herrschenden oder mehrheitlich beteiligten Unternehmen c) aus satzungsmäßigen Rücklagen d) aus anderen Gewinnrücklagen 4. Einstellungen in Gewinnrücklagen a) in die gesetzliche Rücklage b) in die Rücklage für Anteile an einem herrschenden oder mehrheitlich beteiligten Unternehmen c) in satzungsmäßige Rücklagen d) in andere Gewinnrücklagen 5. Bilanzgewinn/Bilanzverlust. Thomas Kantenwein

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§ 158

Vorschriften zur Gewinn- und Verlustrechnung

2

Die Angaben nach Satz 1 können auch im Anhang gemacht werden.

(2) 1Von dem Ertrag aus einem Gewinnabführungs- oder Teilgewinnabführungsvertrag ist ein vertraglich zu leistender Ausgleich für außenstehende Gesellschafter abzusetzen; übersteigt dieser den Ertrag, so ist der übersteigende Betrag unter den Aufwendungen aus Verlustübernahme auszuweisen. 2Andere Beträge dürfen nicht abgesetzt werden. (3) Die Absätze 1 und 2 sind nicht anzuwenden auf Aktiengesellschaften, die Kleinstkapitalgesellschaften im Sinne des § 267a des Handelsgesetzbuchs sind, wenn sie von der Erleichterung nach § 275 Absatz 5 des Handelsgesetzbuchs Gebrauch machen. Übersicht I. Regelungsgegenstand ...................... II. Einzelne Ergänzungen der Gewinn- und Verlustrechnung nach § 158 Abs. 1 .............................. 1. Gewinnvortrag/Verlustvortrag (§ 158 Abs. 1 Nr. 1) ........................... 2. Entnahmen aus der Kapitalrücklage (§ 158 Abs. 1 Nr. 2) ................... 3. Entnahmen aus Gewinnrücklagen (§ 158 Abs. 1 Nr. 3) ........................... I.

1

5 5 6

4. Einstellungen in Gewinnrücklagen (§ 158 Abs. 1 Nr. 4) ......................... 10 5. Bilanzgewinn/Bilanzverlust (§ 158 Abs. 1 Nr. 5) ......................... 11 6. Weitere in § 158 Abs. 1 nicht aufgeführte Posten ........................... 12 III. Ausweis von Ausgleichszahlungen nach § 158 Abs. 2 .......... 13

8

Regelungsgegenstand

1 Die Vorschrift des § 158 enthält rechtsformspezifische Ergänzungen der Gewinn- und Verlustrechnung für die AG und für die KGaA zu § 275 Abs. 2 und 3 HGB. § 275 Abs. 2 HGB regelt bei Anwendung des Gesamtkostenverfahrens die Gliederung der Gewinn- und Verlustrechnung bis hin zum Ausweis von Jahresüberschuss und Jahresfehlbetrag unter der GuV-Gliederungsziffer 20. § 275 Abs. 3 HGB regelt denselben Inhalt für das Umsatzkostenverfahren bis hin zum Jahresüberschuss/Jahresfehlbetrag in der GuV-Gliederungsziffer 19. § 158 Abs. 1 entwickelt die Gewinn- und Verlustrechnung, ausgehend von dem Posten Jahresüberschuss/Jahresfehlbetrag bis zum Bilanzgewinn/Bilanzverlust unter Einbeziehung von Entnahmen aus der Kapitalrücklage sowie Entnahmen und Einstellungen in die Gewinnrücklage. Das so ermittelte Ergebnis „Bilanzgewinn/Bilanzverlust“ ist identisch mit dem Posten „Bilanzgewinn/Bilanzverlust“ wie er sich aus der Bilanz bei Anwendung des § 268 Abs. 1 Satz 2 HGB ergibt. 2 § 158 Abs. 1 lässt den Ausweis der geforderten Angaben auch im Anhang zu. Bei Ausweis im Anhang erfolgen die Kürzungen und Hinzurechnungen entsprechend der Gliederung in § 158 Abs. 1.1) 3 § 158 Abs. 2 und 3 fordert den Bilanzausweis von Einstellungen und Entnahmen zu den Rücklageposten Kapitalrücklage und Gewinnrücklage. Auch dort ist ein Ausweis im Anhang zugelassen. Die Ausweispflichten nach den § 158 Abs. 2 und 3 und nach § 158 Abs. 1 stehen selbständig nebeneinander.2) 4 In der Regel empfiehlt sich wegen der Übersichtlichkeit der Ausweis im Anhang und zwar sowohl für die Bilanz als auch für die Gewinn- und Verlustrechnung. Auch wenn Angaben dabei doppelt gemacht werden, sollten die Angaben für beide Bereiche, die Bilanz _____________ 1) 2)

992

Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 158 Rz. 7; Brönner in: GroßKomm-AktG, § 158 Rz. 26. K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 158 Rz. 2; Brönner in: GroßKomm-AktG, § 158 Rz. 2.

Thomas Kantenwein

Vorschriften zur Gewinn- und Verlustrechnung

§ 158

wie die GuV, in vollständiger Form erfolgen, obschon unter bestimmten Bedingungen doppelte Angaben als entbehrlich angesehen werden.3) II.

Einzelne Ergänzungen der Gewinn- und Verlustrechnung nach § 158 Abs. 1

1.

Gewinnvortrag/Verlustvortrag (§ 158 Abs. 1 Nr. 1)

Der Gewinnvortrag ist der Restbetrag, der im Vorjahr verbleibt nach Ausschüttungen an 5 Aktionäre, nach Einstellungen in die Gewinnrücklage oder nach anderer Verwendung i. R. des § 158 Abs. 3. Der Gewinnvortrag/Verlustvortrag ergibt sich aus dem Verwendungsbeschluss der Hauptversammlung über das Ergebnis des Vorjahres (§ 174 Abs. 2 Nr. 4). Der auszuweisende Verlustvortrag entspricht dem Bilanzverlust, wie er im Vorjahresabschluss ausgewiesen ist.4) 2.

Entnahmen aus der Kapitalrücklage (§ 158 Abs. 1 Nr. 2)

Erfolgt die Entnahme aus der Kapitalrücklage zur Abdeckung von Verlusten (was zulässig 6 wäre i. R. von § 150 Abs. 3 und 4), so ist diese Entnahme in der GuV bzw. im Anhang darzustellen. Erfolgt sie jedoch zur Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln (wofür sie nach § 150 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 verwendet werden darf), erfolgt keine Darstellung in der GuV, sondern ein Ausweis nach § 152 Abs. 2 Nr. 2, denn hier findet dann lediglich eine Umbuchung dieses Betrages innerhalb der Haben-Positionen der Passiv-Seite statt (PassivTausch) und keine Verwendung i. S. einer Bilanzverkürzung. Einstellungen in Kapitalrücklagen sind keine Ergebnisverwendung, sondern einlageähn- 7 lich und werden deshalb in der GuV nicht dargestellt.5) 3.

Entnahmen aus Gewinnrücklagen (§ 158 Abs. 1 Nr. 3)

Die Entnahmen aus Gewinnrücklagen werden getrennt nach den Untertypen der Gewinn- 8 rücklage dargestellt und zwar die Entnahme aus der gesetzlichen Rücklage (§ 150 Abs. 3 und 4); aus der Rücklage für Anteile an einem herrschenden oder mehrheitlich beteiligtem Unternehmen (§ 272 Abs. 4 Satz 4 HGB); aus satzungsmäßigen Rücklagen sowie aus anderen Gewinnrücklagen.6) Wie bei den Entnahmen aus der Kapitalrücklage für Zwecke der Kapitalerhöhung, so sind 9 auch ggf. zulässige Entnahmen aus der Gewinnrücklage für Zwecke der Kapitalerhöhung nicht in der GuV darzustellen. 4.

Einstellungen in Gewinnrücklagen (§ 158 Abs. 1 Nr. 4)

Einstellungen in Gewinnrücklagen sind getrennt nach vier Unterfällen der Gewinnrück- 10 lage (siehe oben Rz. 8) darzustellen. Dabei ist zu unterscheiden zwischen solchen Einstellungen, die vom Vorstand bei der Aufstellung des Jahresabschlusses durchgeführt werden. Diese sind in der GuV darzustellen. Anders bei solchen Einstellungen, die von der Hauptversammlung durch Gewinnverwendungsbeschluss erfolgen. Diese können noch nicht in dem Jahresabschluss, sondern erst im Folgeabschluss dargestellt werden und zwar dort in der Bilanz nach § 152 Abs. 3 Nr. 1.7) _____________ 3) 4) 5) 6) 7)

Brönner in: GroßKomm-AktG, § 158 Rz. 27; K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 158 Rz. 2. Brönner in: GroßKomm-AktG, § 158 Rz. 5; K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 158 Rz. 4; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 158 Rz. 2. K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 158 Rz. 5; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 158 Rz. 3. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 158 Rz. 4; Brönner in: GroßKomm-AktG, § 158 Rz. 5 bis 12. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 158 Rz. 5; Brönner in: GroßKomm-AktG, § 158 Rz. 13 bis 18.

Thomas Kantenwein

993

§ 159 5.

(aufgehoben) Bilanzgewinn/Bilanzverlust (§ 158 Abs. 1 Nr. 5)

11 Der Sinn des § 158 ist es, eine Überleitungsrechnung vom Gewinnvortrag/Verlustvortrag aus dem Vorjahr einerseits und andererseits zum Bilanzgewinn/Bilanzverlust des Geschäftsjahres so, wie dieser nach § 268 Abs. 1 Satz 2 HGB in der Bilanz ausgewiesen ist, darzustellen. Der Bilanzgewinn/Bilanzverlust ist demnach das rechnerische Ergebnis aus den Zu- und Abrechnungen des § 158 Abs. 1 Nr. 2 bis 4. 6.

Weitere in § 158 Abs. 1 nicht aufgeführte Posten

12 Die GuV kann auch im Zusammenhang mit einer Kapitalherabsetzung berührt werden. So schreibt § 240 Satz 1 einen gesonderten Posten für den „Ertrag aus der Kapitalherabsetzung“ vor und zwar nach dem Posten „Entnahmen aus Gewinnrücklagen“.8) III.

Ausweis von Ausgleichszahlungen nach § 158 Abs. 2

13 Nach § 277 Abs. 3 Satz 2 HGB sind Gewinne und Aufwendungen bei Gewinnabführungsverträgen (§§ 291 Abs. 1, 292 Abs. 1 Nr. 2) gesondert in der GuV auszuweisen. Für das herrschende Unternehmen führt diese Vorschrift zur gesonderten Darstellung eines Ertrages aus einem Gewinnabführungs- oder Teilgewinnabführungsvertrag. 14 Hat das herrschende Unternehmen Ausgleichszahlungen für außenstehende Gesellschafter zu erbringen, so sind diese Ausgleichszahlungen ergebniswirksam. Deren Darstellung in der GuV des herrschenden Unternehmens regelt § 158 Abs. 2. Die Darstellung erfolgt durch gesonderten Ausweis in der GuV und zwar ist der Ausgleich für außenstehende Gesellschafter vom empfangenen Ertrag abzusetzen. Wenn dieser Ausgleich den Ertrag übersteigt, so ist nur der übersteigende Betrag unter den Aufwendungen aus einer Verlustübernahme in der GuV auszuweisen.9) 15 Besonderheiten gelten seit dem 29.12.2012 für Kleinstkapitalgesellschaften (§ 158 Abs. 3). _____________ 8) 9)

Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung, § 158 AktG Rz. 23 ff. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 158 Rz. 9; Brönner in: GroßKomm-AktG, § 158 Rz. 28.

§ 159 (aufgehoben) 1 Die Vorschrift regelte einen Vermerk der Pensionszahlungen.1) Nunmehr zur Passivierungspflicht § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB. _____________ 1)

Aufgehoben durch Art. 2 BiRiLiG v. 19.12.1985, BGBl. I 1985, 2355.

§ 160 Vorschriften zum Anhang (1) In jedem Anhang sind auch Angaben zu machen über 1. den Bestand und den Zugang an Aktien, die ein Aktionär für Rechnung der Gesellschaft oder eines abhängigen oder eines im Mehrheitsbesitz der Gesellschaft stehenden Unternehmens oder ein abhängiges oder im Mehrheitsbesitz der Gesellschaft stehendes Unternehmen als Gründer oder Zeichner oder in Ausübung eines bei einer bedingten Kapitalerhöhung eingeräumten Umtausch- oder Bezugsrechts übernom994

Thomas Kantenwein

§ 159 5.

(aufgehoben) Bilanzgewinn/Bilanzverlust (§ 158 Abs. 1 Nr. 5)

11 Der Sinn des § 158 ist es, eine Überleitungsrechnung vom Gewinnvortrag/Verlustvortrag aus dem Vorjahr einerseits und andererseits zum Bilanzgewinn/Bilanzverlust des Geschäftsjahres so, wie dieser nach § 268 Abs. 1 Satz 2 HGB in der Bilanz ausgewiesen ist, darzustellen. Der Bilanzgewinn/Bilanzverlust ist demnach das rechnerische Ergebnis aus den Zu- und Abrechnungen des § 158 Abs. 1 Nr. 2 bis 4. 6.

Weitere in § 158 Abs. 1 nicht aufgeführte Posten

12 Die GuV kann auch im Zusammenhang mit einer Kapitalherabsetzung berührt werden. So schreibt § 240 Satz 1 einen gesonderten Posten für den „Ertrag aus der Kapitalherabsetzung“ vor und zwar nach dem Posten „Entnahmen aus Gewinnrücklagen“.8) III.

Ausweis von Ausgleichszahlungen nach § 158 Abs. 2

13 Nach § 277 Abs. 3 Satz 2 HGB sind Gewinne und Aufwendungen bei Gewinnabführungsverträgen (§§ 291 Abs. 1, 292 Abs. 1 Nr. 2) gesondert in der GuV auszuweisen. Für das herrschende Unternehmen führt diese Vorschrift zur gesonderten Darstellung eines Ertrages aus einem Gewinnabführungs- oder Teilgewinnabführungsvertrag. 14 Hat das herrschende Unternehmen Ausgleichszahlungen für außenstehende Gesellschafter zu erbringen, so sind diese Ausgleichszahlungen ergebniswirksam. Deren Darstellung in der GuV des herrschenden Unternehmens regelt § 158 Abs. 2. Die Darstellung erfolgt durch gesonderten Ausweis in der GuV und zwar ist der Ausgleich für außenstehende Gesellschafter vom empfangenen Ertrag abzusetzen. Wenn dieser Ausgleich den Ertrag übersteigt, so ist nur der übersteigende Betrag unter den Aufwendungen aus einer Verlustübernahme in der GuV auszuweisen.9) 15 Besonderheiten gelten seit dem 29.12.2012 für Kleinstkapitalgesellschaften (§ 158 Abs. 3). _____________ 8) 9)

Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung, § 158 AktG Rz. 23 ff. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 158 Rz. 9; Brönner in: GroßKomm-AktG, § 158 Rz. 28.

§ 159 (aufgehoben) 1 Die Vorschrift regelte einen Vermerk der Pensionszahlungen.1) Nunmehr zur Passivierungspflicht § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB. _____________ 1)

Aufgehoben durch Art. 2 BiRiLiG v. 19.12.1985, BGBl. I 1985, 2355.

§ 160 Vorschriften zum Anhang (1) In jedem Anhang sind auch Angaben zu machen über 1. den Bestand und den Zugang an Aktien, die ein Aktionär für Rechnung der Gesellschaft oder eines abhängigen oder eines im Mehrheitsbesitz der Gesellschaft stehenden Unternehmens oder ein abhängiges oder im Mehrheitsbesitz der Gesellschaft stehendes Unternehmen als Gründer oder Zeichner oder in Ausübung eines bei einer bedingten Kapitalerhöhung eingeräumten Umtausch- oder Bezugsrechts übernom994

Thomas Kantenwein

§ 159 5.

(aufgehoben) Bilanzgewinn/Bilanzverlust (§ 158 Abs. 1 Nr. 5)

11 Der Sinn des § 158 ist es, eine Überleitungsrechnung vom Gewinnvortrag/Verlustvortrag aus dem Vorjahr einerseits und andererseits zum Bilanzgewinn/Bilanzverlust des Geschäftsjahres so, wie dieser nach § 268 Abs. 1 Satz 2 HGB in der Bilanz ausgewiesen ist, darzustellen. Der Bilanzgewinn/Bilanzverlust ist demnach das rechnerische Ergebnis aus den Zu- und Abrechnungen des § 158 Abs. 1 Nr. 2 bis 4. 6.

Weitere in § 158 Abs. 1 nicht aufgeführte Posten

12 Die GuV kann auch im Zusammenhang mit einer Kapitalherabsetzung berührt werden. So schreibt § 240 Satz 1 einen gesonderten Posten für den „Ertrag aus der Kapitalherabsetzung“ vor und zwar nach dem Posten „Entnahmen aus Gewinnrücklagen“.8) III.

Ausweis von Ausgleichszahlungen nach § 158 Abs. 2

13 Nach § 277 Abs. 3 Satz 2 HGB sind Gewinne und Aufwendungen bei Gewinnabführungsverträgen (§§ 291 Abs. 1, 292 Abs. 1 Nr. 2) gesondert in der GuV auszuweisen. Für das herrschende Unternehmen führt diese Vorschrift zur gesonderten Darstellung eines Ertrages aus einem Gewinnabführungs- oder Teilgewinnabführungsvertrag. 14 Hat das herrschende Unternehmen Ausgleichszahlungen für außenstehende Gesellschafter zu erbringen, so sind diese Ausgleichszahlungen ergebniswirksam. Deren Darstellung in der GuV des herrschenden Unternehmens regelt § 158 Abs. 2. Die Darstellung erfolgt durch gesonderten Ausweis in der GuV und zwar ist der Ausgleich für außenstehende Gesellschafter vom empfangenen Ertrag abzusetzen. Wenn dieser Ausgleich den Ertrag übersteigt, so ist nur der übersteigende Betrag unter den Aufwendungen aus einer Verlustübernahme in der GuV auszuweisen.9) 15 Besonderheiten gelten seit dem 29.12.2012 für Kleinstkapitalgesellschaften (§ 158 Abs. 3). _____________ 8) 9)

Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung, § 158 AktG Rz. 23 ff. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 158 Rz. 9; Brönner in: GroßKomm-AktG, § 158 Rz. 28.

§ 159 (aufgehoben) 1 Die Vorschrift regelte einen Vermerk der Pensionszahlungen.1) Nunmehr zur Passivierungspflicht § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB. _____________ 1)

Aufgehoben durch Art. 2 BiRiLiG v. 19.12.1985, BGBl. I 1985, 2355.

§ 160 Vorschriften zum Anhang (1) In jedem Anhang sind auch Angaben zu machen über 1. den Bestand und den Zugang an Aktien, die ein Aktionär für Rechnung der Gesellschaft oder eines abhängigen oder eines im Mehrheitsbesitz der Gesellschaft stehenden Unternehmens oder ein abhängiges oder im Mehrheitsbesitz der Gesellschaft stehendes Unternehmen als Gründer oder Zeichner oder in Ausübung eines bei einer bedingten Kapitalerhöhung eingeräumten Umtausch- oder Bezugsrechts übernom994

Thomas Kantenwein

§ 160

Vorschriften zum Anhang

men hat; sind solche Aktien im Geschäftsjahr verwertet worden, so ist auch über die Verwertung unter Angabe des Erlöses und die Verwendung des Erlöses zu berichten; 2. den Bestand an eigenen Aktien der Gesellschaft, die sie, ein abhängiges oder im Mehrheitsbesitz der Gesellschaft stehendes Unternehmen oder ein anderer für Rechnung der Gesellschaft oder eines abhängigen oder eines im Mehrheitsbesitz der Gesellschaft stehenden Unternehmens erworben oder als Pfand genommen hat; dabei sind die Zahl dieser Aktien und der auf sie entfallende Betrag des Grundkapitals sowie deren Anteil am Grundkapital, für erworbene Aktien ferner der Zeitpunkt des Erwerbs und die Gründe für den Erwerb anzugeben. Sind solche Aktien im Geschäftsjahr erworben oder veräußert worden, so ist auch über den Erwerb oder die Veräußerung unter Angabe der Zahl dieser Aktien, des auf sie entfallenden Betrags des Grundkapitals, des Anteils am Grundkapital und des Erwerbs- oder Veräußerungspreises, sowie über die Verwendung des Erlöses zu berichten; 3. die Zahl der Aktien jeder Gattung, wobei zu Nennbetragsaktien der Nennbetrag und zu Stückaktien der rechnerische Wert für jede von ihnen anzugeben ist, sofern sich diese Angaben nicht aus der Bilanz ergeben; davon sind Aktien, die bei einer bedingten Kapitalerhöhung oder einem genehmigten Kapital im Geschäftsjahr gezeichnet wurden, jeweils gesondert anzugeben; 4. das genehmigte Kapital; 5. die Zahl der Bezugsrechte gemäß § 192 Absatz 2 Nummer 3; 6. (aufgehoben) 7. das Bestehen einer wechselseitigen Beteiligung unter Angabe des Unternehmens; 8. das Bestehen einer Beteiligung, die nach § 20 Abs. 1 oder Abs. 4 dieses Gesetzes oder nach § 33 Absatz 1 oder Absatz 2 des Wertpapierhandelsgesetzes mitgeteilt worden ist; dabei ist der nach § 20 Abs. 6 dieses Gesetzes oder der nach § 40 Absatz 1 des Wertpapierhandelsgesetzes veröffentlichte Inhalt der Mitteilung anzugeben. (2) Die Berichterstattung hat insoweit zu unterbleiben, als es für das Wohl der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder erforderlich ist. (3) 1Absatz 1 Nummer 1 und 3 bis 8 ist nicht anzuwenden auf Aktiengesellschaften, die kleine Kapitalgesellschaften im Sinne des § 267 Absatz 1 des Handelsgesetzbuchs sind. 2Absatz 1 Nummer 2 ist auf diese Aktiengesellschaften mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Gesellschaft nur Angaben zu von ihr selbst oder durch eine andere Person für Rechnung der Gesellschaft erworbenen und gehaltenen eigenen Aktien machen muss und über die Verwendung des Erlöses aus der Veräußerung eigener Aktien nicht zu berichten braucht. Literatur: Emmerich/Naumann, Zur Behandlung von Genussrechten im Jahresabschluss von Kapitalgesellschaften, WPg 1994, 677; Hirte, Genußscheine mit Eigenkapitalcharakter in der Aktiengesellschaft, ZIP 1988, 477; Kessler/Suchan, Erwerb eigener Aktien und dessen handelsbilanzielle Behandlung, BB 2000, 2529; Schülen, Die Aufstellung des Anhangs, WPg 1987, 223.

Übersicht I. Regelungsgegenstand ....................... 1 II. Anhangangaben nach den einzelnen Vorschriften des § 160 Abs. 1 ........................................ 4 1. Vorratsaktien (§ 160 Abs. 1 Nr. 1) ........................... 4

2. Eigene Aktien (§ 160 Abs. 1 Nr. 2) ........................... 6 3. Aktiengattungen (§ 160 Abs. 1 Nr. 3) ......................... 10 4. Genehmigtes Kapital (§ 160 Abs. 1 Nr. 4) ......................... 11

Thomas Kantenwein

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§ 160

Vorschriften zum Anhang

5. Bezugsrechte gemäß § 192 Abs. 2 Nr. 3 (§ 160 Abs. 1 Nr. 5) ............... 12 6. Genussrechte, Rechte aus Besserungsscheinen und ähnliche Rechte (§ 160 Abs. 1 Nr. 6) ......................... 13 I.

7. Wechselseitige Beteiligungen (§ 160 Abs. 1 Nr. 7) ......................... 15 8. Mitgeteilte Beteiligungen (§ 160 Abs. 1 Nr. 8) ......................... 16 9. Schutzklausel (§ 160 Abs. 2) ............ 17

Regelungsgegenstand

1 Die Vorschrift ergänzt rechtsformspezifisch für die AG und für die KGaA die HGB-Vorschriften zum Anhang (§§ 284 ff. HGB).1) Die Anhang-Angaben werden um die Pflichtangaben des § 160 Abs. 1 Nr. 1 – 8 erweitert. Diese Angaben betreffen im Wesentlichen die Aktien der Gesellschaft. Nach § 240 Satz 3, § 261 Abs. 1 Satz 3 und 4 sind weitere Pflichtangaben notwendig. Wahlweise (neben gesondertem Ausweis in der Bilanz) Anhang-Angaben sind in §§ 58 Abs. 2a, 152 Abs. 2 und 3 sowie 158 Abs. 1 geregelt. 2 Die Angaben haben nach den allgemeinen Grundsätzen der §§ 284 ff. HGB klar, übersichtlich, vollständig und richtig zu erfolgen. Der Grundsatz der Wesentlichkeit greift nicht, d. h. die Angabepflicht erstreckt sich auch auf Sachverhalte mit unwesentlichem Inhalt. Die einzelnen Pflichtangaben können auch abweichend von der Reihenfolge der Nr. 1 bis 8 des § 160 Abs. 1 erfolgen. Die Angaben sind jährlich pflichtig. Ein Vorjahresverweis ist unzulässig. Soweit entsprechende Sachverhalte nicht vorliegen, ist keine Angabe i. S. einer „Fehlanzeige“ notwendig.2) 3 § 160 Abs. 2 hebt die Angabepflicht für den Fall auf, dass dies für das Wohl der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder erforderlich ist. Besonderheiten gelten seit dem 29.12.2012 für Kleinstkapitalgesellschaften (§ 160 Abs. 3). II.

Anhangangaben nach den einzelnen Vorschriften des § 160 Abs. 1

1.

Vorratsaktien (§ 160 Abs. 1 Nr. 1)

4 Die Angabepflicht bezieht sich auf die Verbotsvorschriften des § 56 Abs. 2 und 3. Angabepflichtig sind Bestand, Zugang und Verwertung von Vorratsaktien in Fällen des § 56 Abs. 2 und § 56 Abs. 3. 5 Die Angaben sind aufzuschlüsseln in Zahl, Gesamtnennbetrag und Aktiengattung sowie die Alternative der Ausgabe dieser Vorratsaktien nach Gründung, Kapitalerhöhung, Ausübung eines Umtauschrechtes oder Bezugsrechtes. Streitig ist, ob auch der Übernehmende zu identifizieren ist.3) Die Verwertung solcher Aktien im Geschäftsjahr löst eine weitere Angabepflicht aus und zwar sind der Erlös und die Verwendung des Erlöses anzugeben. Dabei gilt als Verwertung nicht nur ein entgeltlicher, sondern auch ein unentgeltlicher Vorgang durch Dritte, durch die AG selbst oder durch den Gründer oder Zeichner auf dessen eigene Rechnung.4)

_____________ 1) 2) 3)

4)

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Schülen, WPg 1987, 223 ff. K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 152 Rz. 1; Brönner in: GroßKomm-AktG, § 160 Rz. 4; Hüffer/ Koch-Koch, AktG, § 160 Rz. 3; Spindler/Stilz-Euler/Sabel, AktG, § 160 Rz. 2 ff. K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 152 Rz. 2; Brönner in: GroßKomm-AktG, § 160 Rz. 9 – für namentliche Aufführung der oder des Übernehmers ohne ausdrückliche Erwähnung im Gesetz seine Angaben dann zu machen, wenn dies für die Beurteilung der Verhältnisse der Gesellschaft zweckmäßig ist. K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 152 Rz. 2; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 160 Rz. 6; Spindler/ Stilz-Euler/Sabel, AktG, § 160 Rz. 6.

Thomas Kantenwein

§ 160

Vorschriften zum Anhang 2.

Eigene Aktien (§ 160 Abs. 1 Nr. 2)

Zu berichten ist über den Bestand an eigenen Aktien, den die Gesellschaft erworben oder 6 als Pfand genommen hat. Im Detail sind anzugeben –

die Anzahl dieser Aktien,



der auf diese Aktien entfallende Betrag des Grundkapitals sowie



der prozentuale Anteil am Grundkapital.

Im Jahr des Erwerbs solcher Aktien sind der Zeitpunkt des Erwerbs und die Gründe für 7 den Erwerb anzugeben. Hinsichtlich der Inpfandnahme ist die Angabe von Zeitpunkt und Grund nicht vorgeschrieben. Für Erwerbe und für Veräußerungen innerhalb des Geschäftsjahres ist über diesen Er- 8 werb und über diese Veräußerung zusätzlich zu berichten und zwar –

über die Zahl dieser Aktien,



der auf diese Aktien entfallende Betrag des Grundkapitals,



der prozentuale Anteil am Grundkapital und



der Erwerbs- bzw. Veräußerungspreis und im Fall der Veräußerung über die Verwendung des Erlöses.5)

In diesem Sinne berichtspflichtig ist es auch, wenn nicht nur der Bestand an eigenen Aktien 9 der Gesellschaft selbst, sondern auch –

der Aktienbestand eines abhängigen oder im Mehrheitsbesitz der Gesellschaft stehenden Unternehmens oder



die Aktien, die ein anderer für Rechnung der Gesellschaft oder für Rechnung eines abhängigen oder eines im Mehrheitsbesitz stehenden Unternehmens erworben oder als Pfand genommen hat.6)

3.

Aktiengattungen (§ 160 Abs. 1 Nr. 3)

Über die Aktiengattungen sind dann Angaben zu machen, wenn sich diese Angaben nicht 10 schon aus der Bilanz ergeben. Die Anzahl der Aktien jeder Gattung (§ 11 Satz 2) sind anzugeben. Bei Nennbetragsaktien ist der Nennbetrag anzugeben. Solche Aktien, die bei einer bedingten Kapitalerhöhung (§§ 192 ff.) oder bei genehmigtem Kapital (§§ 202 ff.) im Geschäftsjahr gezeichnet worden sind, sind gesondert anzugeben.7) 4.

Genehmigtes Kapital (§ 160 Abs. 1 Nr. 4)

Die Vorschrift verpflichtet zu Angaben über das genehmigte Kapital, wobei der Nennbe- 11 trag und der den Vorstand ermächtigende Beschluss der Hauptversammlung nach Datum und Inhalt angegeben werden.8)

_____________ 5) 6)

7) 8)

Kessler/Suchan, BB 2000, 2529, 2533. Mit weiteren Details: Spindler/Stilz-Euler/Sabel, AktG, § 160 Rz. 8, s. a. Umgehungsgeschäfte oder Verfügungsmacht ohne rechtliches Eigentum; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 160 Rz. 7 f. – dort auch zu ergänzenden Angaben. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 160 Rz. 10; K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 152 Rz. 5; Spindler/ Stilz-Euler/Sabel, AktG, § 160 Rz. 15. K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 152 Rz. 6; Spindler/Stilz-Euler/Sabel, AktG, § 160 Rz. 19 und 21.

Thomas Kantenwein

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§ 160 5.

Vorschriften zum Anhang Bezugsrechte gemäß § 192 Abs. 2 Nr. 3 (§ 160 Abs. 1 Nr. 5)

12 Angabepflichtig ist die Zahl der noch nicht ausgeübten Bezugsrechte. In entsprechender Anwendung sind die Wandelschuldverschreibungen und solche Wertpapiere, die Bezugsrechte verbriefen, wie z. B. Optionsanleihen, anzugeben. Die Angabe hat die Gattung dieser Wertpapiere, deren Anzahl und das durch diese Wertpapiere verbriefte Recht anzugeben.9) 6.

Genussrechte, Rechte aus Besserungsscheinen und ähnliche Rechte (§ 160 Abs. 1 Nr. 6)

13 Unter diese Angabepflicht fallen solche Rechte, die mit dem Gewinn der Gesellschaft verbunden sind. Ähnliche Rechte in diesem Sinn sind also solche Rechtspositionen, die sich am Gewinn oder am Liquidationserlös der Gesellschaft bemessen. Sinn des § 160 Abs. 1 Nr. 6 ist es, Informationen über zukünftige Gewinnbelastungen zu geben. Diese Rechte sind nach Art und Zahl darzustellen. Gesondert ist über die im Geschäftsjahr neu entstandenen Rechte zu berichten.10) 14 Die Vorschrift ist eine Rechtsfolgebestimmung bei vorhandenen Genussrechten. Sie sagt nichts aus zu dessen Zulässigkeit.11) 7.

Wechselseitige Beteiligungen (§ 160 Abs. 1 Nr. 7)

15 Zu berichten ist über die Tatsache einer wechselseitigen Beteiligung unter Angabe des betroffenen Unternehmens. Die Vorschrift verlangt ihrem Wortlaut nach keine Information über die Höhe der wechselseitigen Beteiligung.12) 8.

Mitgeteilte Beteiligungen (§ 160 Abs. 1 Nr. 8)

16 Diese Vorschrift greift dann ein, wenn der Gesellschaft Beteiligungen tatsächlich mitgeteilt worden sind. Maßgeblich ist der Inhalt dieser Mitteilung an die Gesellschaft. Hat die Gesellschaft keine Mitteilung erhalten, dann entsteht auch keine Berichtspflicht, auch dann nicht, wenn der Gesellschaft die Beteiligung bekannt ist.13) 9.

Schutzklausel (§ 160 Abs. 2)

17 Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 muss und darf über die Berufung auf die Schutzklausel nicht berichtet werden.14)

_____________ 9) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 160 Rz. 12 f.; K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 152 Rz. 7; Spindler/ Stilz-Euler/Sabel, AktG, § 160 Rz. 23. 10) K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 152 Rz. 8; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 160 Rz. 16; Spindler/ Stilz-Euler/Sabel, AktG, § 160 Rz. 26; Emmerich/Naumann, WPg 1994, 677. 11) Hirte, ZIP 1988, 477, 481. 12) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 160 Rz. 17; Spindler/Stilz-Euler/Sabel, AktG, § 160 Rz. 30. 13) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 160 Rz. 18; K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 152 Rz. 10; Spindler/ Stilz-Euler/Sabel, AktG, § 160 Rz. 32. 14) Brönner in: Großkomm-AktG, § 160 Rz. 40; K. Schmidt/Lutter-Kleindiek, AktG, § 152 Rz. 1.

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Erklärung zum Corporate Governance Kodex

§ 161

§ 161 Erklärung zum Corporate Governance Kodex (1) 1Vorstand und Aufsichtsrat der börsennotierten Gesellschaft erklären jährlich, dass den vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz im amtlichen Teil des Bundesanzeigers bekannt gemachten Empfehlungen der „Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex“ entsprochen wurde und wird oder welche Empfehlungen nicht angewendet wurden oder werden und warum nicht. 2Gleiches gilt für Vorstand und Aufsichtsrat einer Gesellschaft, die ausschließlich andere Wertpapiere als Aktien zum Handel an einem organisierten Markt im Sinn des § 2 Absatz 11 des Wertpapierhandelsgesetzes ausgegeben hat und deren ausgegebene Aktien auf eigene Veranlassung über ein multilaterales Handelssystem im Sinn des § 2 Absatz 8 Satz 1 Nummer 8 des Wertpapierhandelsgesetzes gehandelt werden. (2) Die Erklärung ist auf der Internetseite der Gesellschaft dauerhaft öffentlich zugänglich zu machen. Literatur: Abram, Ansprüche von Anlegern wegen Verstoßes gegen Publizitätspflichten oder den Deutschen Corporate Governance Kodex?, NZG 2003, 307; Bachmann, Der „Deutsche Corporate Governance Kodex“: Rechtswirkungen und Haftungsrisiken, WM 2002, 2137; Bartz/ v. Werder, Die aktuellen Änderungen des Deutschen Corporate Governance Kodex, DB 2017, 769; Baur/Holle. Ergänzungen und Anpassungen des Deutschen Corporate Governance Kodex 2017, NZG 2017, 170; Bayer, Grundsatzfragen der Regulierung der aktienrechtlichen Corporate Governance, NZG 2013, 1; Berg/Stöcker, Anwendungs- und Haftungsfragen zum Deutschen Corporate Governance Kodex, WM 2002, 1569; Borges, Selbstregulierung im Gesellschaftsrecht – zur Bindung an Corporate Governance-Kodizes, ZGR 2003, 508; Bredol, Anwendbarkeit von § 161 AktG auf börsennotierte Aktiengesellschaften im Regelinsolvenzverfahren, ZInsO 2011, 2062; Buchta, Die Haftung des Vorstands einer Aktiengesellschaft – aktuelle Entwicklungen in Gesetzgebung und Rechtsprechung, Teil II, DStR 2003, 740; Claussen/Bröcker, Der Corporate Governance Kodex aus der Perspektive der kleinen und mittleren Börsen-AG, DB 2002, 1199; DAI, Stellungnahme zur Konsultation der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex zu den vorgeschlagenen Kodexanpassungen 2017, abrufbar unter https://www.dcgk.de/de/konsultationen/eingereichte-stellungnahmen.html?file=files/dcgk/ usercontent/de/Konsultationen/2016/Stellungnahmen%202016/161215 %20Stellungnahme %20DAI.pdf (Abrufdatum: 30.5.2018); Ederle, Die jährliche Entsprechenserklärung und die Mär von der Selbstbindung, NZG 2010, 655; Erhardt/Nowak, Die Durchsetzung von CorporateGovernance-Regeln, AG 2002, 336; Ettinger/Grützediek, Haftungsrisiken im Zusammenhang mit der Abgabe der Entsprechenserklärung gem. § 161 AktG, AG 2003, 353; Gelhausen/Hönsch, Folgen der Änderung des Deutschen Corporate Governance Kodex für die Entsprechenserklärung, AG 2003, 367; Goslar/v. d. Linden, Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen aufgrund fehlerhafter Entsprechenserklärungen zum Deutschen Corporate Governance Kodex, DB 2009, 1691; Goslar/v. d. Linden, § 161 AktG und die Anfechtbarkeit von Entlastungsbeschlüssen, NZG 2009, 1337; Handelsrechtsausschuss des DAV, Stellungnahme zu den Vorschlägen der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex zu den Kodexanpassungen und Änderungen für 2017, NZG 2017, 57; Hecker/Peters, Die Änderungen des DCGK im Jahr 2010, BB 2010, 2251; Heckelmann, Drum prüfe, wer sich ewig bindet – Zeitliche Grenzen der Entsprechenserklärung nach § 161 AktG und des Deutschen Corporate Gorvernance Kodex, WM 2008, 2146; Hoffmann-Becking, Organe: Strukturen und Verantwortlichkeiten insbesondere im monistischen System, ZGR 2004, 355; Hoffmann-Becking/Krieger, Nochmals: Pflicht zur umgehenden Änderung der Entsprechenserklärung zum Kodex nach Inkrafttreten des BilMoG? ZIP 2009, 904; Hohenstatt, Neue Vorgaben zur Vorstandsvergütung im Deutschen Corporate Governance Kodex?, ZIP 2016, 2255; Hütten, Unternehmenseigener

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§ 161

Erklärung zum Corporate Governance Kodex

Corporate-Governance-Kodex – Zulässigkeit und Sinnhaftigkeit in Zeiten von TransPuG und deutschem Kodex, BB 2002, 1740; Ihrig/Wagner, Corporate Governance: Kodex-Erklärung und ihre unterjährige Korrektur, BB 2002, 2509; Kiefner, Fehlerhafte Entsprechenserklärung und Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen, NZG 2011, 201; Kiethe, Falsche Erklärung nach § 161 AktG – Haftungsverschärfung für Vorstand und Aufsichtsrat, NZG 2003, 559; Kirschbaum, Deutscher Corporate Governance Kodex überarbeitet, DB 2005, 1473; Kirschbaum/ Wittmann, Selbstregulierung im Gesellschaftsrecht – Der Deutsche Corporate Governance Kodex, JuS 2005, 1062; Knapp, Die Entwicklung des Rechts des Aufsichtsrats im Jahr 2010 – Aktuelles für die Praxis aus Gesetzgebung und Rechtsprechung (Teil 1), DStR 2011, 177; Kocher, Die Diversity-Empfehlung des neuen Corporate-Governance-Kodex, BB 2010, 264; Körner, Comply or disclose: Erklärung nach § 161 AktG und Außenhaftung des Vorstands, NZG 2004, 1148; Lutter, Die Erklärung zum Corporate Governance Kodex gem. § 161 AktG – Pflichtverstöße und Binnenhaftung von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern, ZHR 166 (2002) 523; Mense/Klie, Deutscher Corporate Governance Kodex 2017 – Auswirkungen der aktuellen Änderungen für die Praxis, BB 2017, 771; Mense/Klie, Geplante Kodex-Änderungen für 2017 – Investorengespräche des Aufsichtsratsvorsitzenden und Compliance im Fokus der KodexKommission, GWR 2017, 1; Mülbert/Wilhelm, Grundfragen des Deutschen Corporate Governance Kodex und der Entsprechenserklärung nach § 161 AktG, ZHR 176 (2012) 286; Mutter, Überlegungen zur Justiziabilität von Entsprechenserklärungen nach § 161 AktG, ZGR 2009, 788; Mutter, Pflicht zur umgehenden Abgabe einer Entsprechenserklärung mit Inkrafttreten des BilMoG – eine versteckte Konsequenz der Entscheidung des BGH vom 16. Februar 2009?, ZIP 2009, 750; Nikoleyczik/Graßl, Überarbeitung des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) – Die Änderungsvorschläge der Regierungskommission aus der Plenarsitzung vom 13.10.2016, NZG 2017, 161; Nowak/Rott/Mahr, Wer den Kodex nicht einhält, den bestraft der Kapitalmarkt, ZGR 2005, 252; Peltzer, Der Bericht der Corporate Governance Kommission an die Bundesregierung, NZG 2011, 281; Peltzer, Corporate Governance Codices als zusätzliche. Pflichtenbestimmungen für den Aufsichtsrat, NZG 2002, 10; Pfitzer/Oser/Wader, Die Entsprechens-Erklärung nach § 161 AktG – Checkliste für Vorstände und Aufsichtsräte zur Einhaltung der Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex, DB 2002, 1120; Rosengarten/ Schneider, Die „jährliche“ Abgabe der Entsprechenserklärung nach § 161 AktG, ZIP 2009, 1837; Schüppen, To comply or not to comply – that´s the question!, ZIP 2002, 1269; Schüppen, Der Kodex – Chancen für den Deutschen Kapitalmarkt!, DB 2002, 1117; Seibt, Deutscher Corporate Governance Kodex: Antworten auf Zweifelsfragen der Praxis, AG 2003, 465; Seibt, Deutscher Corporate Governance Kodex und Entsprechens-Erklärung (§ 161 AktG-E), AG 2002, 249; Semler/Wagner, Deutscher Corporate Governance Kodex – Die Entsprechenserklärung und Fragen der gesellschaftsinternen Umsetzung, NZG 2003, 553; Spindler, Zur Zukunft der Corporate Governance Kommission und des § 161 AktG, NZG 2011, 1007; Strieder, Offene Punkte bei der Entsprechenserklärung zum Corporate Governance Kodex, DB 2004, 1325; Teichmann, Gestaltungsfreiheit im monistischen Leitungssystem der Europäischen Aktiengesellschaft, BB 2004, 53; Ulmer, Der Deutsche Corporate Governance Kodex – ein neues Regulierungsinstrument für börsennotierte Aktiengesellschaften, ZHR 166 (2002) 150; VGR, Stellungnahme zu den Vorschlägen der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex zu den KodexAnpassungen und -Änderungen für 2017, abrufbar unter https://www.dcgk.de/de/konsultationen/ eingereichte-stellungnahmen.html?file=files/dcgk/usercontent/de/Konsultationen/2016/ Stellungnahmen%202016/161212 %20Stellungnahme%20VGR.pdf (Abrufdatum: 30.5.2018); Weitnauer, Haftung für die Außendarstellung des Unternehmens, DB 2003, 1719; v. Werder, Der Deutsche Corporate Governance Kodex – Grundlagen und Einzelbestimmungen, DB 2002, 801; v. Werder/Talaulicar, Kodex Report 2010: Die Akzeptanz der Empfehlungen und Anregungen des Deutschen Corporate Governance Kodex, DB 2010, 853; v. Werder/Talaulicar, Kodex Report 2009: Die Akzeptanz der Empfehlungen und Anregungen des Deutschen Corporate Governance Kodex, DB 2009, 689; Wernsmann/Gatzka, Der Deutsche Corporate Governance Kodex und die Entsprechenserklärung nach § 161 AktG, NZG 2011, 1001; Wilsing/ v. d. Linden, Compliance-Management, Investorengespräche, Unabhängigkeit und ein morali-

1000

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§ 161

Erklärung zum Corporate Governance Kodex

scher Imperativ – Gedanken zur Kodexnovelle 2017, DStR 2017, 1046; Wilsing/v. d. Linden, Personalwechsel, Zeitplanung und Bericht des Aufsichtsrats – Gedanken zur Kodexnovelle 2015, DStR 2015, 1980; Wilsing/v. d. Linden, Vorstandsvergütung und ihre Transparenz – Gedanken zur Kodexnovelle 2013, DStR 2013, 1291; Wilsing/v. d. Linden, Unabhängigkeit, Interessenkonflikte und Vergütung von Aufsichtsratsmitgliedern – Gedanken zur Kodexnovelle 2012, DStR 2012, 1391.

Übersicht I. II. 1. 2.

Zweck und Wirkung der Norm ....... 1 Rechtliche Einzelheiten ................... 6 Normadressat ..................................... 6 Erklärung durch Vorstand und Aufsichtsrat ...................................... 10 a) Wissenserklärung (Vergangenheitsbezogene Erklärung) .......... 11 b) Zukunftsorientierte Erklärung ... 12 3. Delegation der Erklärung ................. 14 4. Hauptversammlung/Anfechtung von Beschlüssen bei Verstoß gegen § 161 ....................................... 15 5. Selbstbindung auf Widerruf ............. 16 6. Haftung der Organmitglieder ......... 18 7. Auswirkungen des DCGK auf die Abschlussprüfung (IDW PS 345) ... 22 III. Entsprechenserklärung ................... 23 1. Beschlussfassung über Erklärungsinhalt ................................................. 24 I.

a) Beschlussfassung im Vorstand ... b) Beschlussfassung im Aufsichtsrat ...................................... 2. Zwei Beschlüsse, eine Erklärung ..... 3. Inhalt der Erklärung ......................... 4. Abgabe der Erklärung, Turnus ........ a) Jährliche Erklärung .................... b) Unterjährige Erklärung .............. 5. Veröffentlichung (§ 161 Abs. 2) ..... a) Internet ....................................... b) Weitere Publizität ...................... IV. Erklärung zur Unternehmensführung nach § 289a HGB ............. V. Aktuelle Entwicklungen des DCGK .............................................. 1. Neuerungen in der Präambel ........... 2. Neue Empfehlungen ........................ 3. Neue Anregungen ............................

25 26 27 29 31 31 32 33 33 34 35 36 38 41 50

Zweck und Wirkung der Norm

§ 161 fordert die Erklärung der Gesellschaftsorgane Vorstand und Aufsichtsrat darüber, 1 ob sie die empfehlenden Teile (erkennbar durch die Formulierung „soll“)1) des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK), wie er jeweils im Bundesanzeiger bekannt gemacht ist, entsprechen (Entsprechenserklärung).2) Vorstand und Aufsichtsrat erklären jährlich, dass den Empfehlungen entsprochen wurde oder wird oder welche Empfehlungen nicht angewendet wurden oder werden und warum nicht. Die Erklärung hat somit einen Vergangenheitsbezug sowie einen Bezug zur Gegenwart und Zukunft. Hinsichtlich der Vergangenheit ist eine wahrheitsgemäße Wissenserklärung der Organe 2 abzugeben. Diese Erklärung bezieht sich auf die Kodexfassung, die im Zeitpunkt der letzten Erklärung gültig war. Bei unterjähriger Kodexänderung innerhalb des rückwärtsgerichteten Berichtszeitraumes ist auch diese Fassung ab deren Gültigkeit einzubeziehen.3) Hinsichtlich der Gegenwart und Zukunft ist eine Absichtserklärung abzugeben und in- 3 nerhalb einer dauerhaften Zugänglichkeit dieser Erklärung aktuell zu halten. Diese Erklärung bezieht sich auf die Kodex-Fassung, die zum Erklärungszeitpunkt gültig ist. Es ist jeder_____________ 1) 2)

3)

Baur/Holle, NZG 2017, 170, 170. Checklisten zur Unterscheidung von Empfehlungen und Anregungen s. IDW, Prüfungsstandard, Auswirkungen des Deutschen Corporate-Governance-Kodex auf die Abschlussprüfung (IDW PS 345), Stand: 10.7.2017, IDW Life 2017, 1036, 1047; Schüppen, DB 2002, 1117, 1118; Pfitzer/Oser/Wader, DB 2002, 1120, 1123. Heidel-Wittmann/Kirschbaum, AktR, § 161 AktG Rz. 57.

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§ 161

Erklärung zum Corporate Governance Kodex

zeit möglich von der erklärten Absicht (auch nur teilweise) abzurücken, insoweit besteht keine Selbstbindung. In diesem Fall besteht aber eine Pflicht, sich erneut über die aktualisierte Absicht zu erklären (vgl. hierzu Rz. 16 f., 19 und 32). 4 Der Inhalt der Erklärung (§ 161 Abs. 1 Satz 1) sowie deren Verfügbarkeit für die Aktionäre, nämlich die dauerhafte Zugänglichkeit (§ 161 Abs. 2), sind durch die Norm geregelt. Die Regelung will so die Publizität der Entsprechenserklärung in ihrer Aktualität erreichen. Sie will daneben die Empfehlungen des DCGK, die ja selbst keine Gesetzeskraft haben, in ihrer Durchsetzung unterstützen.4) Die Regelung bezweckt damit also auch eine Verbesserung der Unternehmensführung und deren Kontrolle. 5 Die Empfehlungen des DCGK stellen keine staatliche Rechtssetzung dar.5) Sie haben auch nicht den Charakter von Handelsbräuchen i. S. des § 346 HGB.6) Sie haben jedoch einen Geltungsanspruch, wobei davon ausgegangen wird, dass die Erwartung und die Beurteilung des Kapitalmarktes zu einer Durchsetzung der Empfehlungen führen.7) Die gelegentlich veröffentlichten Zahlen über die positive Entsprechung zeigen, dass diese Erwartung eingetreten ist.8) Andererseits liegen Untersuchungen zur Frage vor, ob die Entsprechung positive oder die Nichtentsprechung negative Wirkung auf die Börsenperformance der AG hat. Danach ist keine eindeutige Forderung oder „Abstrafung“ bei der Börsenperformance festzustellen.9) II.

Rechtliche Einzelheiten

1.

Normadressat

6 Die Norm verpflichtet die genannten Organe von börsennotierten Aktiengesellschaften (Legaldefinition des § 3 Abs. 2: Gesellschaften, deren Aktien im amtlichen oder geregelten Markt gehandelt werden, auch an einer vergleichbaren ausländischen Börse. Nicht aber Freiverkehr).10) 7 § 161 bezieht sich nicht ausdrücklich auf deutsche Gesellschaften, aber der DCGK richtet sich an „deutsche börsennotierte Gesellschaften“ bzw. an „deutsche Aktiengesellschaften“.11) 8 § 161 Abs. 1 Satz 2 erweitert den Adressatenkreis auf Aktiengesellschaften, die bestimmte dort genannte Wertpapiere ausgegeben haben. Betroffen sind auch die Organe der börsennotierten KGaA (§ 278) und der SE,12) wobei wegen der strukturellen Unterschiede bei der KGaA und der SE Abweichungen zum Kodex notwendig sind. _____________ 4) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 161 Rz. 1; Peltzer, NZG 2011, 281; Hecker/Peters, BB 2010, 2251, 2257. 5) Heidel-Wittmann/Kirschbaum, AktR, § 161 AktG Rz. 3; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 161 Rz. 3; zur Verfassungsmäßigkeit des DCGK und des § 161 AktG s. Wernsmann/Gatzka, NZG 2011, 1001; Bechmann, WM 2002, 2137, 2142. 6) Heidel-Wittmann/Kirschbaum, AktR, § 161 AktG Rz. 3. 7) Die Vorteilhaftigkeit dieser Art von Verbindlichkeit/Unverbindlichkeit untersucht Borges, ZGR 2003, 509, 534. 8) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 161 Rz. 3; differenzierter: C Leyens in: GroßKomm-AktG, § 161 Rz. 48 ff.; v. Werder/Talaulicar, DB 2009, 689, 690 und DB 2010, 853; Hecker/Peters, BB 2010, 2251, 2257 sprechen von reputationsbasiertem Sanktionsmechanismus des DCGK; Kocher, BB 2010, 264, 266 – zur Missverständlichkeit von Kodexempfehlungen; Kirschbaum/Wittmann, JuS 2005, 1062, 1065. 9) Erhardt/Nowak, AG 2002, 336; Nowak/Rott/Mahr, ZGR 2005, 252, 278; Claussen/Bröcker, DB 2002, 1199, 1200. 10) Heidel-Wittmann/Kirschbaum, AktR, § 161 AktG Rz. 10. 11) Heidel-Wittmann/Kirschbaum, AktR, § 161 AktG Rz. 12; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 161 Rz. 6a, 9; a. A. Claussen/Bröcker, DB 2002, 1199, 1204 – für Gesellschaften ausländischen Rechts mit deutscher Börsennotierung. 12) Hoffmann-Becking, ZGR 2004, 355, 364; Teichmann, BB 2004, 53, 55.

1002

Thomas Kantenwein

Erklärung zum Corporate Governance Kodex

§ 161

Wurde über die betroffene Gesellschaft das Regelinsolvenzverfahren eröffnet, lässt dies 9 die Erklärungspflicht aus § 161 AktG unberührt.13) Gerade mit Blick auf das mögliche Ziel, im Insolvenzverfahren das Unternehmen durch Maßnahmen zu fördern und zu sanieren, aber auch weil die Gesellschaft bis zu ihrer Abwicklung weiterhin Geschäfte tätigt, gibt es keinen Grund von der Pflicht zur Entsprechenserklärung eine Ausnahme zu machen.14) 2.

Erklärung durch Vorstand und Aufsichtsrat

Der DCGK gibt Empfehlungen für den Vorstand, den Aufsichtsrat und für Vorstand 10 und Aufsichtsrat.15) Die Erklärung wird jedoch von Vorstand und Aufsichtsrat abgegeben und zwar als deren originäre Pflicht und in deren eigenem Namen.16) a)

Wissenserklärung (Vergangenheitsbezogene Erklärung)

Beide Organe haben die Verantwortung für die Richtigkeit der Entsprechenserklärung.17) 11 Die Organe tragen mit ihrem Wissen zur Erklärung bei, wobei sie sich gegenseitig vertrauen dürfen, es sei denn, es liegen konkrete entgegenstehende Anhaltspunkte vor.18) b)

Zukunftsorientierte Erklärung

Einzelne Empfehlungen richten sich an nur eines der beiden Organe, einzelne Empfeh- 12 lungen dagegen an beide Organe. Daraus ergeben sich die Zuständigkeit und die Kompetenz zur Erklärung selbst. Die Vorschrift bringt nicht zum Ausdruck, dass sie die Verantwortungsbereiche des jeweiligen Organs durchbrechen will. Demnach muss jedes Organ den Erklärungsinhalt in seinem Bereich durchsetzen können.19) Allerdings verpflichtet die Norm beide Organe zu der zukunftsorientierten Erklärung. Zur Abstimmung unter den Organen siehe unten Rz. 27. Mit der zukunftsorientierten Erklärung geben Vorstand und Aufsichtsrat gleichzeitig eine 13 Entscheidung bekannt. In dieser Entscheidung haben sie das Interesse des Unternehmens in freier Verantwortung zu berücksichtigen.20) Die Entscheidung kann negative Effekte auf dem Kapitalmarkt haben.21) Vorstand und Aufsichtsrat bewegen sich hier in ihrem Pflichtgefüge nach § 93 (Vorstand) und § 116 (Aufsichtsrat). Die Entscheidungsbefugnis von Vorstand und Aufsichtsrat ist dann reduziert, wenn Satzung, Geschäftsordnung oder Anstellungsvertrag des Vorstands Empfehlungen des Kodex beinhalten.22) 3.

Delegation der Erklärung

Die Norm verpflichtet ihrem Wortlaut nach die Organe Vorstand und Aufsichtsrat. 14 Hieraus wird geschlossen, dass die Zuständigkeit nicht delegiert werden kann, also auch _____________ 13) Mülbert/Wilhelm, ZHR 176 (2012) 286, 309; a. A. für teleologische Reduktion: Bredol, ZInsO 2011, 2062. 14) C Leyens in: GroßKomm-AktG, § 161 Rz. 142. 15) Tabellarische Übersicht zum Adressat bei Lutter in: KölnKomm-AktG, § 161 Rz. 75. 16) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 161 Rz. 6; Heidel-Wittmann/Kirschbaum, AktR, § 161 AktG Rz. 14; W. Goette in: MünchKomm-AktG, § 161 Rz. 57. 17) BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 185/07 (Kirch/Deutsche Bank), BGHZ 180, 9 = ZIP 2009, 460, dazu EWiR 2009, 343 (H. Herchen). 18) Heidel-Wittmann/Kirschbaum, AktR, § 161 AktG Rz. 15; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 161 Rz. 14. 19) Heidel-Wittmann/Kirschbaum, AktR, § 161 AktG Rz. 16; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 161 Rz. 20. 20) Heidel-Wittmann/Kirschbaum, AktR, § 161 AktG Rz. 44. 21) Werder, DB 2002, 801, 810. 22) Ulmer, ZHR 166 (2002) 150, 174.

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§ 161

Erklärung zum Corporate Governance Kodex

nicht auf einen Ausschuss.23) Davon zu unterscheiden ist der Vorschlag von Ihrig/Wagner für Zwecke unterjähriger kurzfristiger Erklärungsabgabe und insbesondere angesichts der Schwierigkeit, den Gesamtaufsichtsrat kurzfristig einzuberufen, einen Ausschuss bereitzuhalten.24) Eine Delegation nur auf den Aufsichtsratsvorsitzenden entspricht aber nicht der in § 161 festgelegten Verantwortung des Gesamtaufsichtsrats.25) Häufig vorzufinden ist ein Corporate Governance-Beauftragter, der beauftragt ist, die Einhaltung der beschlossenen Grundsätze sicherzustellen.26) 4.

Hauptversammlung/Anfechtung von Beschlüssen bei Verstoß gegen § 161

15 Der Inhalt der Erklärung ist nicht von einem Votum der Hauptversammlung abhängig.27) Umgekehrt können Beschlüsse der Hauptversammlung, die einer zukunftsorientierten Absichtserklärung widersprechen, zur Anfechtbarkeit der Beschlüsse führen,28) wenn der Verstoß im konkreten Einzelfall Gewicht hat. Eine Justiziabilität von Entsprechenserklärungen ergibt sich i. R. der Anfechtung von Beschlüssen der Hauptversammlung, insbesondere der Anfechtung des Entlastungsbeschlusses von Vorstand und/oder Aufsichtsrat.29) 5.

Selbstbindung auf Widerruf

16 Absichtserklärungen binden Vorstand und Aufsichtsrat bis zu einem abweichenden Beschluss, der dann auch bekannt gegeben werden muss. Hierzu besteht eine Pflicht zur unterjährigen Aktualisierung der Entsprechenserklärung (siehe Rz. 32).30) Deshalb wird hier von Selbstbindung auf Widerruf gesprochen.31) 17 Bis zu einem Widerruf gehört es zu den Sorgfaltspflichten des Vorstands (§ 93) und des Aufsichtsrats (§ 116), der zukunftsorientierten Erklärung zu folgen (siehe unten Rz. 18 zu schadensersatzrechtlichen Folgen). Dementsprechend ist auch die Einhaltung der abgegebenen Erklärungen zu überwachen. 6.

Haftung der Organmitglieder

18 Eine haftungsbegründende Verletzung von Sorgfaltspflichten könnte bei der Erklärungsabgabe oder nach Abgabe der Erklärung vorliegen. In Frage kommt im Wesentlichen –

eine Haftung der Organmitglieder gegenüber der Gesellschaft (Innenhaftung),



eine Haftung der Organmitglieder gegenüber außenstehenden Dritten, insbesondere gegenüber Anlegern (Außenhaftung), sowie

_____________ Lutter in: KölnKomm-AktG, § 161 Rz. 41 f.; K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 161 Rz. 26. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 161 Rz. 13; einschr.: Ihrig/Wagner, BB 2002, 2509, 2512. W. Goette in: MünchKomm-AktG, § 161 Rz. 67. Seibt, AG 2003, 465, 469. C. Leyens in: GroßKomm-AktG, § 161 Rz. 155; Semler/Wagner, NZG 2003, 553, 555. BGH, Urt. v. 21.9.2009 – II ZR 174/08, BB 2009, 2725 – Umschreibungsstopp; Kiefner, NZG 2011, 201, 208; BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 185/07 (Kirch/Deutsche Bank), BGHZ 180, 9 = ZIP 2009, 640; Goslar/v. d. Linden, NZG 2009, 1337; Goslar/v. d. Linden, DB 2009, 1691 – Besprechung des Urteils und zugleich systematische Erörterung des Themenkomplexes; Kirschbaum, ZIP 2007, 2362, 2364 (Urteilsanm.) – jedes Abweichen vom Erklärten ein Verstoß gegen § 161; C Leyens in: GroßKommAktG, § 161 Rz. 468. 29) BGH, Beschl. v. 14.5.2013 – II ZR 196/12, AG 2013, 643; Mutter, ZGR 2009, 788, 795; zur Nichtigkeit verschiedener typischer Aktivitäten vgl. Spindler, NZG 2011, 1007. 30) C. Leyens in: GroßKomm-AktG, § 161 Rz. 375. 31) Kirschbaum/Wittmann, JuS 2005, 1062, 1066; Ihrig/Wagner, BB 2002, 789, 791; Rosengarten/Schneider, ZIP 2009, 1837, 1843; C. Leyens in: GroßKomm-AktG, § 161 Rz. 377; a. A. Ederle, NZG 2010, 655, keine Pflicht zur unterjährigen Anpassung; ebenfalls gegen Zukunftsbezogenheit und gegen Aktualisierungspflicht Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1273.

23) 24) 25) 26) 27) 28)

1004

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Erklärung zum Corporate Governance Kodex –

§ 161

eine Haftung der Gesellschaft gegenüber Dritten, insbesondere gegenüber Anlegern.32)

Haftungsrelevant dürfte insbesondere sein, von solchen Empfehlungen abzuweichen, die 19 in der zuletzt abgegebenen Entsprechenserklärung anerkannt worden waren, ohne eine aktualisierte Erklärung abzugeben.33) Dabei liegt der Anknüpfungspunkt nicht in der Abweichung an sich, denn die Organe können mangels Bindungswirkung jederzeit von der Entsprechenserklärung abweichen.34) Die Pflichtverletzung liegt vielmehr darin, dass die dann erforderliche unterjährige Aktualisierung der Absichten verspätet, unrichtig oder gar nicht erfolgt.35) Bei einer Haftung der Organmitglieder gegenüber der Gesellschaft (Innenhaftung) muss 20 der Gesellschaft ein Schaden entstanden sein.36) Dabei kann es sich um eine Verschlechterung der Finanzierungsbedingungen der Gesellschaft handeln.37) Bei einer Haftung der Organmitglieder gegenüber Dritten (Außenhaftung) müssten die 21 Voraussetzungen einer deliktischen Haftung (§ 823 BGB) oder einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung (§ 826 BGB) oder einer Prospekthaftung vorliegen.38) Eine Haftung der Gesellschaft gegenüber Außenstehenden, etwa wegen fehlerhafter Entsprechenserklärung oder wegen Abweichung von anerkannten Empfehlungen ohne Aktualisierung der Entsprechenserklärung, könnte nach den Haftungsregeln des WpHG (§§ 97 und 98) in Frage kommen.39) 7.

Auswirkungen des DCGK auf die Abschlussprüfung (IDW PS 345)

Da die Entsprechenserklärung selbst nicht Bestandteil des Abschlusses ist, ist ihre inhalt- 22 liche Aussage auch nicht Gegenstand der Abschlussprüfung. Dementsprechend ist es nicht Aufgabe des Abschlussprüfers zur prüfen, ob und inwieweit den Verhaltensempfehlungen des DCGK tatsächlich entsprochen wurde und ob Abweichungen von diesen Empfehlungen zutreffend in der Entsprechenserklärung dargestellt sind.40) III.

Entsprechenserklärung

Zu unterscheiden ist die Beschlussfassung in den von § 161 angesprochenen Organen 23 Vorstand und Aufsichtsrat einerseits und die Erklärung der Gesellschaft (Inhalt, Abgabezeitpunkt, Erklärungsturnus, Veröffentlichung, Begründung unterjährige Erklärung) andererseits. _____________ 32) Zur Haftung für nicht abgegebene oder fehlerhafte Entsprechenserklärungen: Mülbert/Wilhelm, ZHR 176 (2012) 286 ff., 298 ff. 33) OLG München, Urt. v. 6.8.2008 – 7 U 5628/07, ZIP 2009, 133 = NZG 2009, 508; LG Hannover, Urt. v. 17.3.2010 – 23 O 124/09 (Schoeffler/Continental), n. rkr. (Az. d. OLG Celle: 99 U 578/10), ZIP 2010, 833 = NZG 2010, 744, dazu EWiR 2010, 345 (Reger/Theusinger); Schaal in: MünchKommAktG, § 161 Rz. 111; Heidel-Wittmann/Kirschbaum, AktR, § 161 AktG Rz. 80; a. A. Ederle, NZG 2010, 655; Knapp, DStR 2011, 177; Hecker/Peters, BB 2010, 2251 – mit Rspr.-Übersicht. 34) C. Leyens in: GroßKomm-AktG, § 161 Rz. 524; Abram, NGZ 2003, 307, 308. 35) C. Leyens in: GroßKomm-AktG, § 161 Rz. 527. 36) Lutter in: KölnKomm-AktG, § 161 Rz. 167; Berg/Stöcker, WM 2002, 1569, 1575; Kiethe, NZG 2003, 559, 562. 37) Lutter in: KölnKomm-AktG, § 161 Rz. 154. 38) W. Goette in: MünchKomm-AktG, § 161 Rz. 101 und 102; Heidel-Wittmann/Kirschbaum, AktR, § 161 AktG Rz. 83; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 161 Rz. 30; Körner, NZG 2004, 1148, 1149; Kiethe, NZG 2003, 559; Peltzer, NZG 2002, 10; Claussen/Bröcker, DB 2002, 1199, 1205; Weitnauer, DB 2003, 1719, 1720 ff. 39) Lutter in: KölnKomm-AktG, § 161 Rz. 189; Seibt, AG 2002, 249, 257; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 161 Rz. 28, 29; Körner, NZG 2004, 1148; Kiethe, NZG 2003, 559, 565; systematische Übersicht über Haftung und Schaden Ettinger/Grützediek, AG 2003, 353 ff. 40) S. im Einzelnen IDW, Prüfungsstandard (IDW PS 345), Stand: 10.7.2017, IDW Life 2017, 1036, 1040.

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§ 161 1.

Erklärung zum Corporate Governance Kodex Beschlussfassung über Erklärungsinhalt

24 Die Beschlussfassung ist durch § 161 nicht in ihrem Zustandekommen geregelt. Denkbar ist, dass Vorstand und Aufsichtsrat jeweils für sich selbst beschließen. Eine gemeinsame Beschlussfassung ist ebenfalls möglich.41) Auch bei gemeinsamer Beschlussfassung wird es in der Regel zu einer getrennten Vorabwillensbildung in den beiden Gesamtorganen kommen.42) a)

Beschlussfassung im Vorstand

25 Der Vorstand beschließt entsprechend seinen Abstimmungsregeln. Lässt die Satzung oder die Geschäftsordnung dies zu, so ist die Entscheidung durch Mehrheitsbeschluss möglich. Spricht der Kodex einzelne Vorstandsmitglieder an, so ist eine negative Erklärung abzugeben, wenn nicht alle Mitglieder des Vorstandes zustimmen.43) Eine negative Erklärung ist auch abzugeben, wenn die Wissenserklärung nicht einstimmig beschlossen werden kann.44) b)

Beschlussfassung im Aufsichtsrat

26 Auch hier erfolgt die Abstimmung nach den allgemeinen Regeln, d. h. mit einfacher Mehrheit nach § 108 Abs. 1. Auch hier ist eine negative Erklärung abzugeben, wenn für die Wissenserklärung oder für die individuellen Empfehlungen des Kodex keine Einstimmigkeit zustande kommt. Dies gilt nicht für die individuellen Empfehlungen an den Aufsichtsratsvorsitzenden. Über diese entscheidet der Gesamtaufsichtsrat entsprechend seinen Beschlussregeln.45) 2.

Zwei Beschlüsse, eine Erklärung

27 Dem Wortlaut der Vorschrift nach erfolgt im Außenverhältnis eine einheitliche Entsprechungserklärung. Dies ist allerdings streitig.46) Soll eine einheitliche Erklärung abgegeben werden, dann ist eine Zusammenführung der Beschlüsse von Vorstand und Aufsichtsrat notwendig (Erzielung einer Übereinstimmung vor der jeweiligen Beschlussfassung; gemeinsame Sitzung von Vorstand und Aufsichtsrat; Erreichen einer Übereinstimmung über die Vorsitzenden). Können sich Vorstand und Aufsichtsrat nicht auf eine einheitliche Erklärung einigen, dann ist eine negative Erklärung zu veröffentlichen.47) Im Rahmen der Begründung der negativen Erklärung wird dann wohl der Dissens zwischen den Organen offen zu legen sein. Im Rahmen der zukunftsorientierten Absichtserklärung entscheidet das jeweils angesprochene Organ eigenständig, d. h. hier bedarf es keiner Abstimmung zwischen den Organen.48) 28 Ein organisatorisches Problem kann sich ergeben bei unterjährigen Korrekturerklärungen. Dort kann sich die Frage stellen, ob mit der Korrekturerklärung bis zu einer nächsten ordentlichen oder bis zur Entscheidung einer hierfür einberufenen Aufsichtsratssitzung zugewartet werden kann. Es empfiehlt sich in diesem Falle, eine eigene Erklärung des Vorstandes, um zu vermeiden, dass eine abgegebene frühere Erklärung unzutreffend stehen _____________ 41) 42) 43) 44) 45) 46) 47) 48)

Heidel-Wittman/Kirschbaum, AktR, § 161 AktG Rz. 20; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 161 Rz. 11. Ulmer, ZHR 166 (2002) 150, 173. Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1271. Heidel-Wittmann/Kirschbaum, AktR, § 161 AktG Rz. 21. Heidel-Wittmann/Kirschbaum, AktR, § 161 AktG Rz. 23, 24. Strieder, DB 2004, 1326. Semler/Wagner, NZG 2003, 553, 555. Strieder, DB 2004, 1325, 1327; Heidel-Wittmann/Kirschbaum, AktR, § 161 AktG Rz. 55.

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Thomas Kantenwein

Erklärung zum Corporate Governance Kodex

§ 161

bleibt, weil die Abgabe einer gemeinsamen Korrekturerklärung beider Organe nicht schneller möglich ist.49) 3.

Inhalt der Erklärung

Die Norm verlangt eine Erklärung über den Umfang, in dem die Empfehlungen des Kodex 29 entsprochen wurde und wird. Des Weiteren ist zu erklären, warum es zu Abweichungen von Empfehlungen kam oder erst noch kommt. Weitere Erklärungen sind auch zu den Anregungen des Kodex möglich und vom Kodex 30 selbst empfohlen (Ziff. 3.10). Ergänzende Angaben oder Erläuterungen sind zulässig. Sie dürfen jedoch die Verständlichkeit der Entsprechenserklärung nicht einschränken.50) Wurde im Berichtsjahr der Kodex geändert, dann bezieht sich die Erklärung auf beide Kodexfassungen, was die vergangenheitsorientierte Wissenserklärung beinhaltet. Die Erklärung kann die Übernahme sämtlicher Kodexempfehlungen beinhalten, sie kann die vollständige Abwahl des Kodex beinhalten oder sie kann einzelne Kodexempfehlungen ablehnen.51) Die Erklärung muss konkrete Aussagen zum DCGK machen. Nur über solche Abweichungen vom Kodex ist zu berichten, die nicht ganz unwesentlich sind.52) Erklärungspflichtig sind auf jeden Fall solche Informationen, die zur sachgerechten Ausübung der Teilnahme- und Mitgliedschaftsrechte des Aktionärs notwendig sind.53) Streitig ist, ob über Sachverhalte Erklärungen abzugeben sind, die bereits aus öffentlichen Quellen bekannt sind.54) Bei Nichtbefolgung von Empfehlungen können erläuternde Angaben notwendig sein.55) Abweichungen von Empfehlungen sind zu begründen, d. h. diesbezüglich sind die Überlegungen des betreffenden Organs aufzudecken.56) Der Kapitalmarkt soll sich eine Vorstellung von der Entscheidung des Organs machen können. Hierzu sind Argumente aus der Entscheidungsbildung des Organs notwendig. Der zugrunde liegende Sachverhalt ist darzustellen.57) Es kann jedoch genügen, auf einen eigenen bewährten Kodex zu verweisen mit der Begründung, dass dieser besser zu der bereits bestehenden Unternehmenskultur passe.58) 4.

Abgabe der Erklärung, Turnus

a)

Jährliche Erklärung

§ 161 schreibt eine jährliche Erklärung vor. Damit ist ein jährlich wiederkehrender Turnus 31 gemeint.59) Die Erklärung ist also binnen Jahresfrist, allerdings nicht notwendigerweise taggenau, zu wiederholen.60) Dies entspricht verbreiteter Praxis, obschon der Wortlaut des § 161 keine Vorgabe macht, wann und für welchen Zeitraum die Erklärung abzugeben _____________ Seibt, AG 2002, 249, 252; Hütten, BB 2002, 1740. Heidel-Wittmann/Kirschbaum, AktR, § 161 AktG Rz. 61. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 161 Rz. 17. BGH, Urt. v. 21.9.2009 – II ZR 174/08, Rz. 18, ZIP 2009, 2051, dazu EWiR 2010, 1 (Priester). Heidel-Wittmann/Kirschbaum, AktR, § 161 AktG Rz. 61. K. Schmidt/Lutter-Spindler, AktG, § 161 Rz. 43. Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 161 Rz. 17 – dort auch zu namentlicher Nennung von Organmitgliedern. Heidel-Wittmann/Kirschbaum, AktR, § 161 AktG Rz. 63. Heidel-Wittmann/Kirschbaum, AktR, § 161 AktG Rz. 63 und Bsp. in Fn. 108. W. Goette in: MünchKomm-AktG, § 161 Rz. 54. BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 185/07 (Kirch/Deutsche Bank), BGHZ 180, 9 = ZIP 2009, 460; Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1271; Kirschbaum, DB 2005, 1473, 1474; Rosengarten/Schneider, ZIP 2009, 1837. 60) BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 185/07 (Kirch/Deutsche Bank), BGHZ 180, 9 = ZIP 2009, 460; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 161 Rz. 15; Kirschbaum, DB 2005, 1473.

49) 50) 51) 52) 53) 54) 55) 56) 57) 58) 59)

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§ 161

Erklärung zum Corporate Governance Kodex

ist. Es empfiehlt sich, mit der vergangenheitsbezogenen Erklärung den Zeitraum seit der letzten Erklärung abzudecken. Die Erklärung erfolgt schriftlich, um dann nach § 325 Abs. 1 Satz 1 HGB zum Handelsregister eingereicht werden zu können. In der Regel wird die Erklärung durch die Vorsitzenden der beiden Gesamtorgane unterzeichnet. Dadurch entsteht ein Original der Erklärung.61) b)

Unterjährige Erklärung

32 Bei der Prüfung einer unterjährigen Erklärungspflicht ist zu differenzieren: –

Keine unterjährige Erklärung ist dann notwendig, wenn der Kodex geändert wurde.62) Die zuletzt abgegebene Erklärung bezog und bezieht sich auf den damaligen Kodexstand.



Die unterjährige Befolgung von Kodexempfehlungen entgegen der zuletzt bekundeten Absicht ist ebenfalls nicht unterjährig zu erklären.



Auch bedarf es keiner unterjährigen Erklärung nach personellen Wechseln in den Organen Vorstand und Aufsichtsrat, soweit dem keine Änderung der Kodexumsetzung nachfolgt, weil die neu hinzugetretenen Organteile sich der bisherigen Erklärung anschließen.63)



Bei einer nach der letzten Erklärung wirksam werdenden Änderung des Kodex ist nach h. A. keine neue Erklärung erforderlich. Stattdessen wird in der Praxis bei der nachfolgenden Entsprechenserklärung eine Aussage sowohl zum alten, wie zum neuen Kodex gemacht. Möglich ist auch diejenige Fassung des Kodex zugrunde zu legen, die bei Abgabe der letzten Entsprechenserklärung galt.64)



Unterjährige Erklärungen sind dann pflichtig, wenn Vorstand oder Aufsichtsrat entgegen der zuletzt abgegebenen Erklärung eine Empfehlung nicht beachten oder beachten wollen.65) Dies folgt daraus, dass die Erklärung auch einen Zukunftsbezug hat. Hat die Änderung Einfluss auf die Entscheidung der Anleger, so ist eine Ad-hocPublizität nach § 17 MMVO (vgl. § 15 WPHG a. F.) zu prüfen.66)

5.

Veröffentlichung (§ 161 Abs. 2)

a)

Internet

33 Die Veröffentlichung hat auf der Internetseite der Gesellschaft zu erfolgen.67) Die vom Gesetz vorgeschriebene Dauerhaftigkeit wird hierdurch erreicht. Die Gesellschaft ist ver_____________ 61) Seibt, AG 2002, 249, 253. 62) Heckelmann, WM 2008, 2146, 2148. 63) Lutter in: KölnKomm-AktG, § 161 Rz. 68; Seibt, AG 2003, 465, 468; Gelhausen/Hönsch, AG 2003, 367 ff. 64) Lutter in: KölnKomm-AktG, § 161 Rz. 94; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 161 Rz. 15. 65) BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 185/07 (Kirch/Deutsche Bank), BGHZ 180, 9, Rz. 19 = ZIP 2009, 460; BGH, Urt. v. 21.9.2009 – II ZR 174/08, ZIP 2009, 2051, Rz. 16; Lutter, ZHR 166 (2002) 523, 534; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 161 Rz. 20; Rosengarten/Schneider, ZIP 2009, 1837, 1843 f.; HoffmannBecking/Krieger, ZIP 2009, 904 gegen Mutter, ZIP 2009, 750; OLG München, Urt. v. 6.8.2008 – 7 U 5628/07, ZIP 2009, 133 = NZG 2009, 508, dazu EWiR 2009, 259 (Pluskat); Kirschbaum/Wittmann, JuS 2005, 1062, 1067; Buchta, DStR 2003, 740, 741; Semler/Wagner, NZG 2003, 553, 556; Seibert, BB 2002, 581, 583; Kirschbaum, DB 2005, 1473, 1474; W. Goette in: MünchKomm-AktG, § 161 Rz. 84; a. A. Seibt, AG 2002, 249, 254; Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1273; ebenfalls a. A. Ederle, NZG 2010, 655; Heckelmann, WM 2008, 2146, 2148. 66) Lutter, ZHR 166 (2002) 523, 535; Nowak/Rott/Mahr, ZGR 2005, 252, 279. 67) Heidel-Wittmann/Kirschbaum, AktR, § 161 AktG Rz. 35; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 161 Rz. 23; W. Goette in: MünchKomm-AktG, § 161 Rz. 79.

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Erklärung zum Corporate Governance Kodex

§ 161

pflichtet, den Zugriff „unter gewöhnlichen Umständen“ zu ermöglichen.68) Der Kodex empfiehlt sie dort fünf Jahre lang zugänglich zu halten (Ziff. 3.10 des DCGK i. d. F. vom 7.2.2017). b)

Weitere Publizität

Neben der Darstellung im Internet erfolgt die Offenlegung der Entsprechenserklärung 34 im Bundesanzeiger und die Einreichung beim Handelsregister (§ 325 Abs. 2 HGB). Bei der Angabe im Anhang zum Jahresabschluss ist die Internetadresse, unter der die Erklärung zugänglich ist, anzugeben (§ 285 Nr. 16 HGB).69) Beim Anhang zum Konzernabschluss sind für alle in den Abschluss einbezogenen börsennotierten Gesellschaften die Internetadressen anzugeben (§ 314 Abs. 1 Nr. 8 HGB).70) Der DCGK empfiehlt die Darstellung im Geschäftsbericht. IV.

Erklärung zur Unternehmensführung nach § 289a HGB

Die Erklärung zur Unternehmensführung nach § 289a HGB ist auch von solchen AG 35 vorzunehmen, die die Erklärung nach § 161 abzugeben haben. Die Erklärung zur Unternehmensführung ist weitergehend als die Erklärung nach § 161. Sie erstreckt sich auch auf individuelle Regeln zur Corporate Gorvernance und beschreibt die Arbeitsweise der Gesamtorgane Vorstand und Aufsichtsrat.71) Die Publizität der Erklärung zur Unternehmensführung erfolgt durch Darstellung im Lagebericht. Sie muss nicht, aber kann auf der Internetseite verfügbar gehalten werden. Hinsichtlich der Entsprechenserklärung verbleibt es jedoch bei der Veröffentlichung auf der Internetseite.72) V.

Aktuelle Entwicklungen des DCGK

Der Kodex vom 15.5.2012 wurde zuletzt am 5.5.2015 und nun wieder am 7.2.2017 geän- 36 dert.73) Die größten Veränderungen aus 2015 betrafen das Thema Vorstandsvergütung, das in letzter Zeit auch Gegenstand einer breiten öffentlichen Diskussion ist und auch 2017 wieder Gegenstand der Veränderungen war. Diese Veränderungen bezogen sich darüber hinaus schwerpunktmäßig auf den Bereich Compliance und Whistleblowing, den Prüfungsausschuss sowie die Rechnungslegung.74) Der Kodex enthält nun nach 15 Jahren seines Bestehens insgesamt 125 eigenständige Rege- 37 lungen, nämlich 115 Empfehlungen sowie 10 Anregungen: 1.

Neuerungen in der Präambel

Die Präambel enthält nun als Leitbotschaft, zu verstehen als Beschreibung,75) den Hinweis 38 „Diese Prinzipien verlangen nicht nur Legalität, sondern auch ethisch fundiertes eigenverant-

_____________ Lutter, ZHR 166 (2002) 523, 528; Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1272. Heidel-Wittmann/Kirschbaum, AktR, § 161 AktG Rz. 40. Heidel-Wittmann/Kirschbaum, AktR, § 161 AktG Rz. 40. Heidel-Wittmann/Kirschbaum, AktR, § 161 AktG Rz. 38. Heidel-Wittmann/Kirschbaum, AktR, § 161 AktG Rz. 35; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 161 Rz. 24a. Zu den letzten Änderungen s. Wilsing/v. d. Linden, DStR 2012, 1391; DStR 2013, 1291; DStR 2015, 1980; DStR 2017, 1046. 74) Mense/Klie, BB 2017, 771, 772; Wilsing/v. d. Linden, DStR 2017, 1046; Mense/Klie, GWR 2017, 1; Bartz/v. Werder, DB 2017, 769. 75) Wilsing/v. d. Linden, DStR 2017, 1046.

68) 69) 70) 71) 72) 73)

Thomas Kantenwein

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§ 161

Erklärung zum Corporate Governance Kodex

wortliches Verhalten (Leitbild des Ehrbaren Kaufmanns).“76) (Präambel Abs. 8 Satz 7 DCGK). Eine rechtliche Verpflichtung zu ethischem Verhalten ist dieser Formulierung nicht zu entnehmen.77) 39 Absatz 3 DCGK richtet sich erstmals an institutionelle Anleger.78) Der Kodex erwartet von ihnen, „dass sie ihre Eigentumsrechte aktiv und verantwortungsvoll auf der Grundlage von transparenten und die Nachhaltigkeit berücksichtigenden Grundsätzen ausüben“. 40 Die beiden Neuregelungen in der Präambel sind weder Empfehlung noch Anregung.79) Sie richten sich nicht an die Gesellschaftsorgane.80) Ihre Umsetzung erscheint weder in der Entsprechenserklärung noch in dem Corporate Governance Bericht nach Ziff. 3.10 DCGK.81) 2.

Neue Empfehlungen

41 Ziff. 4.1.3 Satz 2 DCGK – Compliance-Management: Es wird empfohlen, dass der Vorstand für angemessene und an der Risikolage des Unternehmens ausgerichtete Maßnahmen sorgt.82) Er soll die Grundzüge dieses Compliance-Management-Systems offenlegen.83) Diese Offenlegung kann auf der Internetseite erfolgen.84) 42 Ziff 4.1.3 Satz 3 Halbs. 1 DCGK – Whistleblowing: Es wird empfohlen, den Beschäftigten in geschützer Form Hinweise auf Rechtsverstöße im Unternehmen zu ermöglichen (siehe hierzu unten die Anregung in Ziff. 4.1.3 Satz 3 Halbs. 2 bzgl. unternehmensfremden Dritten), z. B. durch die Einrichtung einer sog. Whistleblower-Hotline.85) 43 Ziff. 4.2.3 Abs. 2 Satz 3 DCGK – Vorstandsvergütung:86) Es wird empfohlen, dass die mehrjährige Bemessungsgrundlage für variable Vergütungsbestandteile im Wesentlichen zukunftsbezogen sein soll, wobei durch die Formulierung „im Wesentlichen“ ausdrücklich Raum für Abweichungen gelassen wird.87) Es wird verwiesen auf die Neuanregung in Ziff. 4.2.3. Abs. 2 Satz 9 DCGK (siehe unten): mehrjährige variable Vergütungsbestandteile sollten nicht vorzeitig ausbezahlt werden. 44 Ziff. 5.4.1 Abs. 2 DCGK – Zusammensetzung des Aufsichtsrats: Es wird empfohlen, dass der Aufsichtsrat ein „Kompetenzprofil für das Gesamtgremium“ festlegt. Dies ist eine Zusammenstellung der Kenntnisse und Fähigkeiten, welche die Aufsichtsratsmitglieder abdecken sollen.88) Zur Festlegung dieses Kompetenzprofils braucht es einen Beschluss _____________ 76) Kritisch hier Stellungnahme DAI, Stellungnahme zur Konsultation der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex 2017, § 2.1, das Bedenken aufgrund der Unbestimmtheit der Begrifflichkeit „ethisch“ hat; ebenso Stellungnahme des Handelsrechtsausschusses des DAV, NZG 2017, 57; Wilsing/v. d. Linden, DStR 2017, 1046. 77) Bartz/v. Werder, DB 2017, 769. 78) Nikoleyczik/Graßl, NZG 2017, 161, 162. 79) Stellungnahme DAI, Stellungnahme zur Konsultation der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex 2017, § 2.2; Nikoleyczik/Graßl, NZG 2017, 161, 162. 80) Wilsing/v. d. Linden, DStR 2017, 1046, 1047; Mense/Klie, BB 2017, 771, 772. 81) Mense/Klie, BB 2017, 771, 772; Wilsing/v. d. Linden, DStR 2017, 1046, 1047; Bartz/v. Werder, DB 2017, 769, 770. 82) Dazu auch: Baur/Holle, NZG 2017, 170. 83) Nikoleyczik/Graßl, NZG 2017, 161, 163; Mens/Klie, GWR 2017, 1, 3; Mense/Klie, BB 2017, 771, 772. 84) Heidel-Wittmann/Kirschbaum, AktR, § 161 AktG Rz. 35; Wilsing/v. d. Linden, DStR 2017, 1046, 1047. 85) Mense/Klie, GWR 2017, 1, 3; Mense/Klie, BB 2017, 771, 774. 86) Ausführlich dazu Hohenstatt, ZIP 2016, 2255, 2256. 87) Mense/Klie, BB 2017, 771, 777; Wilsing/v. d. Linden, DStR 2017, 1046, 1047; Mense/Klie, GWR 2017, 1, 4. 88) Wilsing/v. d. Linden, DStR 2017, 1046, 1048; Bartz/v. Werder, DB 2017, 769, 772.

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Thomas Kantenwein

Erklärung zum Corporate Governance Kodex

§ 161

des Aufsichtsrates.89) Schon bisher waren zu berücksichtigen: internationale Tätigkeit, potentielle Interessenkonflikte, festzulegende Altersgrenze, Vielfalt, Regelgrenze für die Dauer der Gremienzugehörigkeit.90) Ziff 5.4.1 Abs. 4 Satz 1, 2 DCGK – Wahlvorschläge und Berichterstattung: Es wird emp- 45 fohlen, bei Wahlvorschlägen die Ausfüllung des Komeptenzprofils für das Gesamtgremium anzustreben (Ziff. 5.4.1 Abs. 4 Satz 1 DCGK). Der Aufsichtsrat muss keinen konkreten Besetzungserfolg herbeiführen (kann er auch nicht, da die Hauptvesammlung entscheidet)91). Der Corporate-Governance-Bericht soll über den Stand der Umsetzung informieren (Ziff. 5.4.1 Abs. 4 Satz 2 DCGK). Ziff. 5.4.1 Abs. 4 Satz 3 DCGK – Nennung unabhängiger Aufsichtsratsmitglieder: Es 46 wird empfohlen, die unabhängigen Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseignerseite namentlich aufzuführen.92) Ziff. 5.4.1 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 1 DCGK – Bereitstellen von Lebensläufen: Es wird emp- 47 fohlen, dem Wahlvorschlag des Aufsichtsrats einen Lebenslauf beizufügen mit relevanten Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen. Der Lebenslauf wird wohl in die Einberufung der Hauptversammlung aufzunehmen sein.93) Nach Ziff. 5.4.1 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 DCGK soll der Lebenslauf und eine Übersicht über wesentliche Tätigkeiten neben dem Aufsichtsratsmandat für alle Aufsichtsratsmitglieder jährlich aktualisiert auf der Internetseite des Unternehmens veröffentlich werden. Ziff. 5.4.2 Satz 1 Halbs. 2 DCGK – Zusammensetzung des Aufsichtsrates: Es wird emp- 48 fohlen, bei der Zusammensetzung des Aufsichtsrates die Eigentümerstruktur mit zu berücksichtigen.94) Ziff. 7.1.1 Satz 2 DCGK – Unterjährige Finanzinformationen:95) Es wird empfohlen, die 49 Aktionäre unterjährig neben dem Halbjahresfinanzbericht in geeigneter Form über die Geschäftsentwicklung zu informieren. Dazu gehört auch die Information über wesentliche Veränderungen der Geschäftsaussichten sowie der Risikosituation. 3.

Neue Anregungen

Ziff. 4.1.3 Satz 3 DCGK – Hinweisgebersystem:96) Es wird angeregt, auch (unternehmens- 50 externen) Dritten die Nutzung eines Whistleblower-Systems mit Hinweisgeberschutz zu ermöglichen. _____________ 89) Kremer/Bachmann/Luther/v. Werder-Kremer, DCGK, Rz. 1339; Wilsing/v. d. Linden, DStR 2017, 1046, 1048. 90) Mense/Klie, GWR 2017, 1, 3. 91) Wilsing/v. d. Linden, DStR 2017, 1046, 1048. 92) Bei einer Festlegung hinsichtlich der „Abhängigkeit“ Probleme sehend: DAI, Stellungnahme zur Konsultation der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex 2017, § 2.7.4; ebenso Wilsing/v. d. Linden, DStR 2017, 1046, 1048; den Diskussionsstand darstellend: Nikoleyczik/Graßl, NZG 2017, 161, 167. 93) Bartz/v. Werder, DB 2017, 769, 773; DAI, Stellungnahme zur Konsultation der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex 2017, § 2.7.5. 94) Ablehnend aber z. B. DAI, Stellungnahme zur Konsultation der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex 2017, § 2.7.2. 95) Skeptisch: VGR, Stellungnahme zu den Vorschlägen der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex 2017, S. 11; den Diskussionsstand darstellend: Nikoleyczik/Graßl, NZG 2017, 161, 168. 96) Ausfürlich dazu Baur/Holle, NZG 2017, 170, 173; ebenso Mense/Klie, BB 2017, 771, 774; kritisch VGR, Stellungnahme zu den Vorschlägen der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex 2017, S. 6; DAI, Stellungnahme zur Konsultation der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex 2017, § 2.4.2.

Thomas Kantenwein

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§§ 162–169

(aufgehoben)

51 Ziff. 4.2.3 Abs. 2 Satz 9 DCGK – Vorstandsvergütung:97) Es wird angeregt, mehrjährige, variable Bestandteile der Vorstandsvergütung nicht vorzeitig auszubezahlen. 52 Ziff. 5.2. Abs. 2 DCGK – Investorendialog:98) Es wird angeregt, mit Investoren Gespräche über aufsichtsratsspezifische Themen zu führen (im angemessenen Rahmen). _____________ 97) Ausführlich dazu Stellungnahme des Handelsrechtsausschusses des DAV, NZG 2017, 57, 58; kritisch VGR, Stellungnahme zu den Vorschlägen der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex 2017, S. 7; ebenso Hohenstatt, ZIP 2016, 2255, 2256. 98) Die Befassung mit diesem Thema grundsätzlich begrüßend DAI, Stellungnahme zur Konsultation der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex 2017, § 2.6; Ausführlich Mense/Klie, GWR 2017, 1, 2; ebenso Stellungnahme des Handelsrechtsausschusses des DAV, NZG 2017, 57, 59.

Zweiter Abschnitt Prüfung des Jahresabschlusses Erster Unterabschnitt Prüfung durch Abschlußprüfer §§ 162–169 (aufgehoben)

1)

_____________ 1)

Aufgehoben durch Gesetz zur Durchführung der Vierten, Siebenten und Achten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts v. 19.12.1985 (Bilanzrichtliniengesetz – BiRiLiG), BGBl. I 1985, 2355.

Zweiter Unterabschnitt Prüfung durch den Aufsichtsrat § 170 Vorlage an den Aufsichtsrat Michael Bormann

(1) 1Der Vorstand hat den Jahresabschluß und den Lagebericht unverzüglich nach ihrer Aufstellung dem Aufsichtsrat vorzulegen. 2Satz 1 gilt entsprechend für einen Einzelabschluss nach § 325 Abs. 2a des Handelsgesetzbuchs sowie bei Mutterunternehmen (§ 290 Abs. 1, 2 des Handelsgesetzbuchs) für den Konzernabschluss und den Konzernlagebericht. 3Nach Satz 1 vorzulegen sind auch der gesonderte nichtfinanzielle Bericht (§ 289b des Handelsgesetzbuchs) und der gesonderte nichtfinanzielle Konzernbericht (§ 315b des Handelsgesetzbuchs), sofern sie erstellt wurden. (2) 1Zugleich hat der Vorstand dem Aufsichtsrat den Vorschlag vorzulegen, den er der Hauptversammlung für die Verwendung des Bilanzgewinns machen will. 2Der Vorschlag ist, sofern er keine abweichende Gliederung bedingt, wie folgt zu gliedern: 1. 2. 3. 4.

Verteilung an die Aktionäre Einstellung in Gewinnrücklagen Gewinnvortrag Bilanzgewinn

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……… ……… ……… ………

Michael Bormann

§§ 162–169

(aufgehoben)

51 Ziff. 4.2.3 Abs. 2 Satz 9 DCGK – Vorstandsvergütung:97) Es wird angeregt, mehrjährige, variable Bestandteile der Vorstandsvergütung nicht vorzeitig auszubezahlen. 52 Ziff. 5.2. Abs. 2 DCGK – Investorendialog:98) Es wird angeregt, mit Investoren Gespräche über aufsichtsratsspezifische Themen zu führen (im angemessenen Rahmen). _____________ 97) Ausführlich dazu Stellungnahme des Handelsrechtsausschusses des DAV, NZG 2017, 57, 58; kritisch VGR, Stellungnahme zu den Vorschlägen der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex 2017, S. 7; ebenso Hohenstatt, ZIP 2016, 2255, 2256. 98) Die Befassung mit diesem Thema grundsätzlich begrüßend DAI, Stellungnahme zur Konsultation der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex 2017, § 2.6; Ausführlich Mense/Klie, GWR 2017, 1, 2; ebenso Stellungnahme des Handelsrechtsausschusses des DAV, NZG 2017, 57, 59.

Zweiter Abschnitt Prüfung des Jahresabschlusses Erster Unterabschnitt Prüfung durch Abschlußprüfer §§ 162–169 (aufgehoben)

1)

_____________ 1)

Aufgehoben durch Gesetz zur Durchführung der Vierten, Siebenten und Achten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts v. 19.12.1985 (Bilanzrichtliniengesetz – BiRiLiG), BGBl. I 1985, 2355.

Zweiter Unterabschnitt Prüfung durch den Aufsichtsrat § 170 Vorlage an den Aufsichtsrat Michael Bormann

(1) 1Der Vorstand hat den Jahresabschluß und den Lagebericht unverzüglich nach ihrer Aufstellung dem Aufsichtsrat vorzulegen. 2Satz 1 gilt entsprechend für einen Einzelabschluss nach § 325 Abs. 2a des Handelsgesetzbuchs sowie bei Mutterunternehmen (§ 290 Abs. 1, 2 des Handelsgesetzbuchs) für den Konzernabschluss und den Konzernlagebericht. 3Nach Satz 1 vorzulegen sind auch der gesonderte nichtfinanzielle Bericht (§ 289b des Handelsgesetzbuchs) und der gesonderte nichtfinanzielle Konzernbericht (§ 315b des Handelsgesetzbuchs), sofern sie erstellt wurden. (2) 1Zugleich hat der Vorstand dem Aufsichtsrat den Vorschlag vorzulegen, den er der Hauptversammlung für die Verwendung des Bilanzgewinns machen will. 2Der Vorschlag ist, sofern er keine abweichende Gliederung bedingt, wie folgt zu gliedern: 1. 2. 3. 4.

Verteilung an die Aktionäre Einstellung in Gewinnrücklagen Gewinnvortrag Bilanzgewinn

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……… ……… ……… ………

Michael Bormann

§§ 162–169

(aufgehoben)

51 Ziff. 4.2.3 Abs. 2 Satz 9 DCGK – Vorstandsvergütung:97) Es wird angeregt, mehrjährige, variable Bestandteile der Vorstandsvergütung nicht vorzeitig auszubezahlen. 52 Ziff. 5.2. Abs. 2 DCGK – Investorendialog:98) Es wird angeregt, mit Investoren Gespräche über aufsichtsratsspezifische Themen zu führen (im angemessenen Rahmen). _____________ 97) Ausführlich dazu Stellungnahme des Handelsrechtsausschusses des DAV, NZG 2017, 57, 58; kritisch VGR, Stellungnahme zu den Vorschlägen der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex 2017, S. 7; ebenso Hohenstatt, ZIP 2016, 2255, 2256. 98) Die Befassung mit diesem Thema grundsätzlich begrüßend DAI, Stellungnahme zur Konsultation der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex 2017, § 2.6; Ausführlich Mense/Klie, GWR 2017, 1, 2; ebenso Stellungnahme des Handelsrechtsausschusses des DAV, NZG 2017, 57, 59.

Zweiter Abschnitt Prüfung des Jahresabschlusses Erster Unterabschnitt Prüfung durch Abschlußprüfer §§ 162–169 (aufgehoben)

1)

_____________ 1)

Aufgehoben durch Gesetz zur Durchführung der Vierten, Siebenten und Achten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts v. 19.12.1985 (Bilanzrichtliniengesetz – BiRiLiG), BGBl. I 1985, 2355.

Zweiter Unterabschnitt Prüfung durch den Aufsichtsrat § 170 Vorlage an den Aufsichtsrat Michael Bormann

(1) 1Der Vorstand hat den Jahresabschluß und den Lagebericht unverzüglich nach ihrer Aufstellung dem Aufsichtsrat vorzulegen. 2Satz 1 gilt entsprechend für einen Einzelabschluss nach § 325 Abs. 2a des Handelsgesetzbuchs sowie bei Mutterunternehmen (§ 290 Abs. 1, 2 des Handelsgesetzbuchs) für den Konzernabschluss und den Konzernlagebericht. 3Nach Satz 1 vorzulegen sind auch der gesonderte nichtfinanzielle Bericht (§ 289b des Handelsgesetzbuchs) und der gesonderte nichtfinanzielle Konzernbericht (§ 315b des Handelsgesetzbuchs), sofern sie erstellt wurden. (2) 1Zugleich hat der Vorstand dem Aufsichtsrat den Vorschlag vorzulegen, den er der Hauptversammlung für die Verwendung des Bilanzgewinns machen will. 2Der Vorschlag ist, sofern er keine abweichende Gliederung bedingt, wie folgt zu gliedern: 1. 2. 3. 4.

Verteilung an die Aktionäre Einstellung in Gewinnrücklagen Gewinnvortrag Bilanzgewinn

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……… ……… ……… ………

Michael Bormann

§ 170

Vorlage an den Aufsichtsrat

(3) 1Jedes Aufsichtsratsmitglied hat das Recht, von den Vorlagen und Prüfungsberichten Kenntnis zu nehmen. 2Die Vorlagen und Prüfungsberichte sind auch jedem Aufsichtsratsmitglied oder, soweit der Aufsichtsrat dies beschlossen hat, den Mitgliedern eines Ausschusses zu übermitteln. Literatur: Arbeitskreis Bilanzrecht, Stellungnahme zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der nichtfinanziellen Berichterstattung der Unternehmen in ihren Lage- und Konzernlageberichten (CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz), NZG 2016, 1337; Bormann, Zusammenspiel von Abschlussprüfung und Prüfung durch den Aufsichtsrat, DStR 2011, 368; Bormann/ Gucht, Übermittlung des Prüfungsberichts an den Aufsichtsrat – ein Beitrag zu § 170 Abs. 3 S. 2 AktG; BB 2003, 1887; Fleischer, Corporate Social Responsibility, AG 2017, 509; Götz, Die Überwachung der Aktiengesellschaft im Lichte jüngerer Unternehmenskrisen, AG 1995, 337; Hennrichs, CSR-Umsetzung – Neue Pflichten für Aufsichtsräte, NZG 2017, 841; Hillmer, Nichtfinanzielle Berichterstattung in der Unternehmenspraxis, ZCG 2018, 138; Hommelhoff, Aktuelle Impulse aus dem europäischen Unternehmensrecht: Eine Herausforderung für Deutschland, NZG 2015, 1329; Hommelhoff, Die neue Position des Abschlussprüfers im Kraftfeld der aktienrechtlichen Organisationsverfassung (Teil I), BB 1998, 2567; Hommelhoff, Die Autarkie des Aufsichtsrats, ZGR 1983, 551; Hommelhoff, Gesellschaftsrechtliche Fragen im Entwurf eines Bilanzrichtlinien-Gesetzes – Bemerkungen zur Umsetzung der 4. EG-(Bilanz-)Richtlinie, BB 1981, 944; Lenz/Ostrowski, Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich durch die Institution Abschlußprüfung, BB 1997, 1523; Lutter, Defizite für eine effiziente Aufsichtsratstätigkeit und gesetzliche Möglichkeiten der Verbesserung, ZHR 159 (1995) 287; Pfeifer/Wulf, CSR-RichtlinieUmsetzungsgesetz: Neue Herausforderungen für Unternehmensleitung und Aufsichtsrat, ZCG 2017, 181; Spießhofer, Corporate Social Responsibility – „Indienstnahme“ von Unternehmen für gesellschaftspolitische Aufgaben, in: VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2016, 2017, S. 61; Velte, Beschränkung der Informationsrechte des Aufsichtsrats in Bezug auf die Rechnungslegungsunterlagen des Vorstands und den Prüfungsbericht des Abschlussprüfers, NZG 2009, 737.

Übersicht I. Überblick ............................................ 1 II. Vorlage des (Jahres)Abschlusses (§ 170 Abs. 1) und nichtfinanzieller Berichte ......................................... 3 III. Vorlage des Vorschlags zur Gewinnverwendung (§ 170 Abs. 2) ................................... 12 I.

IV. Informationsrechte der Aufsichtsratsmitglieder (§ 170 Abs. 3) ................................... 15 V. Folgen bei Verletzung des § 170 Abs. 1 – 3 ................................. 22

Überblick

§ 170 sichert die Prüfung des (Jahres-)Abschlusses durch den Aufsichtsrat nach § 171 1 verfahrensmäßig ab. Hierzu schreibt § 170 Abs. 1 fest, welche Unterlagen dem Aufsichtsrat durch den Vorstand vorzulegen sind, weshalb von diesen Unterlagen auch als „Vorstandsvorlagen“ gesprochen wird. Erst diese Vorlageverpflichtung (im Zusammenspiel mit der Verpflichtung zur Vorlage des Prüfungsbericht des Abschlussprüfers nach § 321 Abs. 5 Satz 2 HGB) ermöglicht dem Aufsichtsrat eine eigene Prüfung des (Jahres)Abschlusses.1) Durch die Verpflichtung den (Jahres)Abschluss unverzüglich vorzulegen, stellt § 170 Abs. 1 zudem sicher, dass die Hauptversammlung innerhalb der Acht-Monats-Frist des § 175 Abs. 1 Satz 1 durchgeführt wird. § 170 Abs. 2 verpflichtet den Vorstand, den an die Hauptversammlung gerichteten Vorschlag zur Gewinnverwendung zuvor dem Aufsichtsrat vorzulegen. § 170 Abs. 3 stellt klar, dass jedes Aufsichtsratsmitglied das Recht hat, von den in _____________ 1)

Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 170 Rz. 1.

Michael Bormann

1013

§ 170

Vorlage an den Aufsichtsrat

§ 170 Abs. 1 genannten Unterlagen sowie dem Prüfungsbericht Kenntnis zu nehmen und nur der Anspruch auf Übermittlung der genannten Unterlagen beschränkt werden kann. 2 Wesentliche Änderungen hat § 170 seit 1965 nicht erfahren. Die wesentlichste materielle Änderung erfolgte durch das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich im Jahre 1998 (KonTraG).2) Aufgrund der durch das KonTraG bezweckten Stärkung der Rolle des Abschlussprüfers übermittelt dieser seinen Prüfungsbericht nicht mehr an den Vorstand, der diesen nach § 170 Abs. 1 an den Aufsichtsrat weiterleitet, sondern direkt an den Aufsichtsrat, § 321 Abs. 5 Satz 2 HGB. Folgerichtig wird der Prüfungsbericht in § 170 Abs. 1 nicht mehr erwähnt. Die Pflicht zur Vorlage nichtfianzieller Berichte wurde 2017 im Zuge der Umsetzung der CRS-Richtlinie3) in nationales Recht4) eingeführt. II.

Vorlage des (Jahres)Abschlusses (§ 170 Abs. 1) und nichtfinanzieller Berichte

3 Nach § 170 Abs. 1 vorzulegen sind zunächst der Jahresabschluss bestehend aus Bilanz, GuV und Anhang (§§ 242 Abs. 3, 264 Abs. 1 Satz 1 HGB) sowie der Lagebericht. Ist die Gesellschaft zur Aufstellung eines Abhängigkeitsberichts verpflichtet, ist auch dieser vorzulegen, § 314 Abs. 1. Eine originäre Aufstellungspflicht lässt sich aus § 170 Abs. 1 nicht ableiten: Ist die Gesellschaft nach allgemeinen Vorschriften nicht zur Aufstellung der in § 170 Abs. 1 genannten Unterlagen verpflichtet, etwa weil es sich um eine kleine Gesellschaft i. S. des § 267 Abs. 1 HGB handelt oder die Gesellschaft von den Erleichterungen des § 264 Abs. 3 HGB Gebrauch macht, so entfällt mit der Aufstellungs- auch die Vorlagepflicht. 4 Korrespondierend mit der Prüfungspflicht nach § 171 Abs. 1 und 4 sind neben dem Jahresabschluss auch ein von der Gesellschaft aufzustellender Einzel- oder Konzernabschluss vorzulegen, letzterer gemeinsam mit dem Konzernlagebericht. Da der Einzelabschluss nach § 325 Abs. 2a HGB den Jahresabschluss nicht generell, sondern nur für Zwecke der Veröffentlichung nach § 325 HGB ersetzt, wird die Vorlage des Jahresabschlusses auch bei der Aufstellung und Vorlage eines Einzelabschlusses nicht entbehrlich. Die Vorlage des Rentabilitätsberichts (§ 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2) ist zwar gesetzlich nicht vorgeschrieben, ist aber dennoch zweckmäßig.5) 5 Die Pflicht zur Vorlage der aufgrund der CRS-Richtlinie eingeführten nichtfinanziellen Berichte nach Satz 3 steht in einem inneren Zusammenhang mit der Prüfungspflicht nach § 171 Abs. 1 Satz 4.6) Anders als in der Begründung zu § 171 angenommen,7) verlangt Art. 33 der CSR-Richtlinie indes keine Prüfung der nichtfinanziellen Berichterstattung durch den Aufsichtsrat.8) Nach der CSR-Richtlinie ist allein sicherzustellen, dass die nichtfinanzielle Berichterstattung erstellt und offengelegt wird.

_____________ 2) 3)

4)

5) 6) 7) 8)

Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) v. 27.4.1998, BGBl. I 1998, 786, s. hierzu auch die Begr. RegE, BT-Drucks. 13/9712. Richtlinie 2014/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 22.10.2014 zur Änderung der Richtlinie 2013/34/EU im Hinblick auf de Angabe nichtfinanzieller und die Diversität betreffender Informationen durch bestimmte große Unternehmen und Gruppen (CSR-Richtlinie), ABl. (EU) Nr. L 330/1 v. 15.11.2014 und Nr. L 369/79 v. 24.12.2014. Gesetz zur Stärkung der nichtfinanziellen Berichterstattung der Unternehmen in ihren Lage- und Konzernlageberichten (CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz) v. 11.4.2017, BGBl. I 2017, 802, s. hierzu Begr. RegE, BT-Drucks. 18/9982. Spindler/Stilz-Euler/Klein, AktG, § 170 Rz. 19. Begr. RegE, BT-Drucks. 18/9982, S. 65. Begr. RegE, BT-Drucks. 18/9982, S. 65. Gegen eine Prüfungspflicht denn auch Arbeitskreis Bilanzrecht, NZG 2016, 1337 ff.

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Michael Bormann

§ 170

Vorlage an den Aufsichtsrat

Auch wenn die Umsetzung der CRS-Richtlinie9) in Deutschland den Schluss nahelegt, es 6 handele sich allein um eine (untergeordnete) Ergänzung der handelsrechtlichen Berichtspflichten, so sollte die Wirkung der CRS-Richtlinie nicht unterschätzt werden:10) In der Sache ist sie gerichtet auf eine weitreichende Verhaltensänderung der betroffenen Unternehmen. Künftig reicht es nicht mehr, dass die Unternehmen die einschlägigen (Schutz)Gesetze einhalten, sich aber i. Ü. am Shareholder Value ausrichten. Vielmehr erwartet der (europäische) Gesetzgeber eine umfassende Ausrichtung am Stakeholder Value.11) Damit wird freilich an den Grundfesten des Gesellschaftsrechts gerüttelt, nämlich an der Frage, welchem Zweck Unternehmen zu dienen haben.12) Dass der Gesetzgeber – in diesem Fall der europäische – dabei verstärkt auf sog. soft law zurückgreift, dürfte insbesondere darin begründet sein, dass er so den Einflussbereich seiner Rechtsakte über sein eigenes Territorium und die dort ansässigen Unternehmen hinaus ausweiten kann (etwa auf territoriumsfremde Tochtergesellschaften oder Vertragspartner) und sich die Prüfungsmassstäbe von selbst und ohne demokratische Legitimierung definieren (und faktisch verschärfen).13) Vorzulegen sind die Berichte nur dann, wenn sie erstellt wurden. Die Notwendigkeit dieser 7 Vorlagepflicht folgt aus der nicht stringenten Regelung zur nichtfinanziellen Berichterstattung in §§ 289b, 315b HGB. Zwar sind nach den jeweiligen Absätzen 1 die Lageberichte um eine „nichtfinanzielle (Konzern)Erklärung“ zu ergänzen. Allerdings kann auf eine solche Ergänzung verzichtet werden, wenn ein gesonderter nichtfinanzieller (Konzern)Bericht veröffentlicht wird, §§ 289b Abs. 3, 315b Abs. 3 HGB. Während die Lageberichte – und damit auch die in ihnen enthaltenen nichtfinanziellen Berichte – bereits nach Satz 1 vorzulegen sind, bedürfte es für die gesonderten Berichte einer ausdrücklichen Normierung der Vorlagepflicht. Sollten Unternehmen, die nicht nach §§ 289b Abs. 1, 315b Abs. 1 HGB zur nichtfinanziellen 8 Berichterstattung verpflichtet sind, gleichwohl freiwillig über nichtfinanzielle Belange berichten wollen,14) so dürfte für diese Berichterstattung die Vorlage- und Prüfungspflicht der §§ 170, 171 jedenfalls dann gelten, wenn diese Berichterstattung im Lagebericht oder einem die Kriterien der §§ 289b Abs. 3, 315b Abs. 3 HGB erfüllenden Bericht genügt. Sollen Vorlage und Prüfung vermieden werden, ist sicherzustellen, dass die Berichterstattung außerhalb des Lageberichts erfolgt und der Lagebericht auch keine Bezugnahme auf den Bericht (§§ 289b Abs. 3 Nr. 2 lit. b, 315b Abs. 3 Nr. 2 lit. b HGB) enthält. Zur Vorlage verpflichtet ist der Gesamtvorstand. Damit hat der Weiterleitung zwangs- 9 läufig ein mit einfacher Mehrheit gefasster Vorstandsbeschluss voranzugehen.15) Eine Unterzeichnung der Vorstandsvorlagen ist demgegenüber nicht erforderlich.16) Physisch kann _____________ 9) Gesetz zur Stärkung der nichtfinanziellen Berichterstattung der Unternehmen in ihren Lage- und Konzernlageberichten (CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz) v. 11.4.2017, BGBl. I 2017, 802, s. hierzu Begr. RegE, BT-Drucks. 18/9982. 10) S. a. Fleischer, AG 2017, 509, 510, der davor warnt, CSR als Modeerscheinung abzutun. 11) Kritisch Hommelhoff, NZG 2015, 1329, 1330 f.; weniger kritisch indes Fleischer, AG 2017, 509, 522 f; Nietsch, NZG 2016, 1330, 1334; Pfeifer/Wulf, ZCG 2017, 181, 183 f.; Spießhofer in VGR 2016, S. 61, 69 f. In Erwägungsgrund 18 der CRS-Richtlinie ist denn auch ausdrücklich die Rede davon, dass indirekt Druck auf die Unternehmen aufgebaut werden soll. 12) Ausführlich auch zur Historie Fleischer, AG 2017, 509, 510 ff. 13) Instruktiv Spießhofer in: VGR 2016, S. 61 ff. 14) Jedenfalls in der Vergangenheit waren derartige freiwillige Berichte unterhalb der Dax 30-Unternehmen nicht besonders beliebt, vgl. Hennrichs, NZG 2017, 841 f.; s. aber auch Hillmer, ZCG 2018, 138 f. 15) Wie hier Hennrichs/Pöschke in: MünchKomm-AktG, § 170 Rz. 30. Einen Beschluss für überflüssig haltend Ekkenga in: KölnKomm-AktG, § 170 Rz. 10; Grigoleit-Zellner/Grigoleit, AktG, § 170 Rz. 4. 16) OLG Stuttgart, Urt. v. 1.7.2009 – 20 U 8/08 (Hugo Boss AG), Rz. 172 ff., juris = ZIP 2010, 1295; Hennrichs/Pöschke in: MünchKomm-AktG, § 170 Rz. 17.

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die Weiterleitung durch den Vorstandsvorsitzenden oder ein vom Gesamtvorstand beauftragtes Vorstandsmitglied oder auch durch einen Dritten erfolgen.17) 10 Empfänger der Vorstandsvorlagen ist der Aufsichtsrat als Organ, nicht aber seine einzelnen Mitglieder. Beim Empfang der Vorlagen wird der Aufsichtsrat vorbehaltlich anderweitiger Festlegungen durch seinen Vorsitzenden vertreten.18) Gegen eine (ausdrückliche) Beauftragung des Vorstandes, die Vorlagen direkt an die einzelnen Aufsichtsratsmitglieder zu übersenden, sind keine Einwendungen zu erheben.19) 11 Zu erfolgen hat die Vorlage unverzüglich nach Aufstellung. Folglich hat die Weiterleitung der Vorstandsvorlagen an den Aufsichtsrat nicht im Anschluss an die Abschlussprüfung zu erfolgen, sondern zeitgleich mit der Weiterleitung der Unterlagen an den Abschlussprüfer.20) Sollen bereits an den Aufsichtsrat weitergeleitete Unterlagen wieder geändert werden, so sind die geänderten Unterlagen dem Aufsichtsrat unmittelbar im Anschluss an die Änderung durch den Vorstand weiterzuleiten und nicht erst nach ihrer Prüfung durch den Abschlussprüfer.21) Zudem empfiehlt es sich zur Vermeidung von Doppelprüfungen, den Aufsichtsrat frühzeitig über eine geplante Änderung der bereits versendeten Unterlagen zu informieren. Aufgrund dieser Änderungsmöglichkeit verbietet es sich, von einer „Parallelprüfung“ zu sprechen.22) Gegenstand der Prüfung durch den Aufsichtsrat ist indes der vom Abschlussprüfer geprüfte Abschluss, weshalb nach der Gesetzessystematik auch die Abschlussprüfung beendet sein muss, bevor der Aufsichtsrat mit seiner Prüfung beginnt.23) Gleichwohl bleibt es dem Aufsichtsrat unbenommen, bereits den nicht vom Abschlussprüfer geprüften Abschluss zu prüfen; er geht dann allerdings das Risiko ein, dass der Abschluss noch geändert wird und er die Prüfung von vorne beginnen muss. Aufgrund der unterschiedlichen Fristen für die Vorlage des Jahres-, des Konzern- und des Einzelabschlusses sind diese nicht gemeinsam dem Aufsichtsrat vorzulegen; vielmehr hat der Vorstand die jeweils aufgestellten Abschlüsse vorzulegen.24) Liegt die Bilanz des Jahresabschlusses vor, der Anhang oder der Lagebericht indes noch nicht, so ist der Vorstand nicht verpflichtet, die Bilanz bereits vorzulegen.25) III.

Vorlage des Vorschlags zur Gewinnverwendung (§ 170 Abs. 2)

12 Da der Aufsichtsrat auch den Gewinnverwendungsvorschlag des Vorstands zu prüfen hat (§ 171 Abs. 1 Satz 1), ist es nur konsequent, dass der Vorstand diesen Vorschlag auch dem Aufsichtsrat vorzulegen hat. Dabei begründet § 170 Abs. 2 nicht nur ein Recht, sondern auch eine Pflicht des Vorstandes: Er hat seine Vorstellungen zur Gewinnverwendung zu äußern, selbst wenn er von dem ihm in der Satzung i. V. m. § 58 Abs. 2 und 2a _____________ 17) Spindler/Stilz-Euler/Klein, AktG, § 170 Rz. 21, Grigoleit-Zellner/Grigoleit, AktG, § 170 Rz. 4. 18) Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung, § 170 AktG Rz. 8; Henssler/Strohn-Vetter, GesR, § 170 AktG Rz. 4; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 170 Rz. 4. 19) Hennrichs/Pöschke in: MünchKomm-AktG, § 170 Rz. 32; Spindler/Stilz-Euler/Klein, AktG, § 170 Rz. 24. Ebenso für die Zuleitung des Prüfungsberichts OLG Stuttgart, Urt. v. 1.7.2009 – 20 U 8/08 (Hugo Boss AG), Rz. 198, juris = ZIP 2010, 1295. 20) Wie hier Hölters-Waclawik, AktG, § 170 Rz. 12; Grigoleit-Zellner/Grigoleit, AktG, § 170 Rz. 5. Zum zeitlichen Ablauf von Aufstellung und Prüfung s. Bormann in: MünchKomm-BilanzR, § 316 HGB Rz. 28. 21) Unklar K. Schmidt/Lutter-Drygala, AktG, § 170 Rz. 3 und Spindler/Stilz-Euler/Klein, AktG, § 170 Rz. 8, die offenbar davon ausgehen, dass die Unterlagen erst nach der Nachtragsprüfung weiterzuleiten sind. 22) So aber Hölters-Waclawik, AktG, § 170 Rz. 12. 23) Bormann, DStR 2011, 368, 369; zustimmend Spindler/Stilz-Euler/Klein, AktG, § 170 Rz. 8. 24) Hennrichs/Pöschke in: MünchKomm-AktG, § 170 Rz. 35. 25) Grigoleit-Zellner/Grigoleit, AktG, § 170 Rz. 5.

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eingeräumten Recht zur Einstellung von Beiträgen in die Rücklage keinen Gebrauch macht. Bei seinem Gewinnverwendungsvorschlag hat der Vorstand auf etwaige Ausschüttungssperren (§ 268 Abs. 8 HGB) hinzuweisen.26) Die in § 170 Abs. 2 Satz 2 vorgegebene Gliederung folgt dem „Additionsverfahren“, d. h. 13 sie listet zunächst die Einzelpositionen der Gewinnverwendung auf und addiert diese Positionen anschließend zum Gesamtgewinn. Diese Gliederungsvorgabe ist insofern befremdlich, als § 174 Abs. 2 für den Gewinnverwendungsbeschluss der Hauptversammlung den umgekehrten Weg geht und mit dem Gesamtgewinn anfängt („Substraktionsverfahren“). Ein Anspruch der Aktionäre auf Auszahlung der Dividende entsteht indes erst mit dem Gewinnverwendungsbeschluss. Damit steht der Gewinnverwendungsbeschluss über dem Gewinnverwendungsvorschlag des Vorstandes, weshalb viel dafür spricht, dass auch beim Gewinnverwendungsvorschlag des Vorstandes eine Gliederung nach dem Substraktionsverfahren zulässig ist.27) Unabhängig vom angewendeten Verfahren – wird einer der vorgesehenen Posten nicht bedient, so kann er entweder entfallen oder leer bleiben. Soll es (auch) zu einer Sachdividende kommen, so ist besonderer Augenmerk auf die Bestimmung des Wertes der Ausschüttung zu legen.28) Als Einzelposten sieht § 170 Abs. 2 Satz 2 die Verteilung an die Aktionäre, die Einstellun- 14 gen in die Gewinnrücklagen, den Gewinnvortrag und den Bilanzgewinn vor. Unter „Verteilung an die Aktionäre“ ist der insgesamt an die Aktionäre zu verteilende Gewinn auszuweisen. Eine Aufschlüsselung in einen an Vorzugs- und einen an Stammaktionäre auszuschüttenden Betrag mag zwar wünschenswert sein, ist aber nicht erforderlich.29) Die Verteilung der Dividende unter den Aktionären richtet sich ausschließlich nach § 60 sowie den ergänzenden Satzungsregeln und ist der Disposition der Hauptversammlung entzogen.30) Unter den Einstellungen in die Gewinnrücklage sind nur die Beträge anzugeben, die aufgrund eines Hauptversammlungsbeschlusses in die Gewinnrücklagen eingestellt werden, nicht aber die nach § 58 Abs. 2 und 2a in die Gewinnrücklagen eingestellten Beträge. IV.

Informationsrechte der Aufsichtsratsmitglieder (§ 170 Abs. 3)

§ 170 Abs. 3 Satz 1 räumt jedem Aufsichtsratsmitglied das unentziehbare31) Recht ein, die 15 Vorstandsvorlagen (zum Begriff siehe oben Rz. 1) und die diesen Vorstandsvorlagen zuzuordnenden Prüfungsberichte (§§ 321, 317 Abs. 4, 318 Abs. 6 Satz 4 HGB) zur Kenntnis zu nehmen. Dabei werden auch die Prüfungsberichte freiwilliger Abschlussprüfungen von § 170 Abs. 3 erfasst;32) etwas anderes mag allein gelten, wenn sich aus der zugrunde liegenden Verpflichtung zur freiwilligen Abschlussprüfung ausdrücklich etwas anderes ergibt. Für eine Kenntnisnahme genügt es, dass die Aufsichtsratsmitglieder die betreffenden Unterlagen in den Räumlichkeiten der Gesellschaft einsehen, prüfen und Notizen fertigen können.33) Weder ist erforderlich, dass die Aufsichtsratsmitglieder Kopien anfertigen, noch _____________ 26) Spindler/Stilz-Euler/Klein, AktG, § 170 Rz. 33. 27) So bereits Hölters-Waclawik, AktG, § 170 Rz. 15. 28) Ausführlich Ekkenga in: KölnKomm-AktG, § 174 Rz. 24 ff.; Hennrichs/Pöschke in: MünchKommAktG, § 170 Rz. 63 ff. 29) So aber fälschlich Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 170 Rz. 7; Spindler/Stilz-Euler/Klein, AktG, § 170 Rz. 33. 30) Vgl. Henze in: GroßKomm-AktG, § 60 Rz 33; Lutter in: KölnKomm-AktG, § 60 Rz 28; Spindler/Stilz-Bormann, AktG, § 139 Rz. 17. 31) Hennrichs/Pöschke in: MünchKomm-AktG, § 170 Rz. 107; Grigoleit-Zellner/Grigoleit, AktG, § 170 Rz. 11; Hommelhoff, ZGR 1983, 551, 579. 32) Ebenso Hölters-Waclawik, AktG, § 170 Rz. 24, wenn auch ohne die hier vertretene Einschränkung. 33) Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 170 Rz. 12; Hölters-Waclawik, AktG, § 170 Rz. 29; Hennrichs/Pöschke in: MünchKomm-AktG, § 170 Rz. 108; Velte, NZG 2009, 737, 737.

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dass sie sachkundige Dritte hinzuziehen können.34) Sofern der Vorstand eine Stellungnahme zu einzelnen Passagen des Prüfungsberichts des Abschlussprüfers abgibt, wird diese nicht Teil des Prüfungsberichts und ist dem Aufsichtsrat direkt (ohne Umweg über den Abschlussprüfer) zuzuleiten.35) Bestehen zwischen Vorstand und Abschlussprüfer unüberbrückbare Meinungsverschiedenheiten, kann der Vorstand verpflichtet sein, hierüber an den Aufsichtsrat zu berichten, § 90 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1.36) 16 § 170 Abs. 3 Satz 1 enthält keine Regelung dazu, wann und wie lange die Möglichkeit der Einsichtnahme bestehen muss. Dabei ergibt sich aus der Wertung des § 170 Abs. 1, dass sowohl die Vorstandsvorlagen als auch der Prüfungsbericht unmittelbar nach ihrer Fertigstellung einsehbar sein müssen. Auch wenn die Abschlussprüfung beendet sein kann, ohne dass ein unterzeichneter Prüfungsbericht vorliegt,37) so hat der Aufsichtsrat seiner Prüfung doch den unterzeichneten Prüfungsbericht zugrunde zu legen.38) Wie lange den Aufsichtsratsmitgliedern die Möglichkeit zur Einsichtnahme zu geben ist, ergibt sich aus der Funktion des Rechts auf Einsichtnahme. Die Einsichtnahme hat die Funktion, den Aufsichtsratsmitgliedern eine ordnungsgemäße Vorbereitung der Bilanzsitzung des Aufsichtsrates zu ermöglichen. Damit sollten die Unterlagen jedenfalls für die Dauer der Ladungsfrist zur Einsichtnahme ausliegen; eine Zurverfügungstellung als Tischvorlage ist in keinem Fall ausreichend.39) Erfordert die Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrates im Anschluss an die Bilanzsitzung eine nochmalige Einsichtnahme in die Unterlagen, so ist diese zu gewähren. 17 § 170 Abs. 3 Satz 2 gewährt den Aufsichtsratsmitgliedern zudem ein Recht auf Übermittlung der Vorstandsvorlagen und des Prüfungsberichts. Erfüllt wird dieses Recht durch den Aufsichtsratsvorsitzenden, der die (vom Vorstand und Abschlussprüfer erhaltenen) Unterlagen weiterleitet. Eines ausdrücklichen Verlangens seitens der Aufsichtsratsmitglieder bedarf es hierfür nicht (mehr).40) Ein Recht, die Unterlagen dauerhaft behalten zu dürfen, ist mit dem Recht auf Übermittlung nicht verbunden. Vielmehr kann der Aufsichtsrat beschließen oder in seiner Geschäftsordnung regeln, dass die Unterlagen nach der Bilanzsitzung zurückzugeben sind.41) Auch kann die Satzung eine entsprechende Rückgabe anordnen. Ob auch ohne eine ausdrückliche Regelung eine Rückgabeverpflichtung aufgrund der §§ 666 f. BGB besteht,42) erscheint fraglich. Jedenfalls wird man nicht davon ausgehen können, dass die Aufsichtsratsmitglieder die Unterlagen ohne eine ausdrückliche Regelung unaufgefordert unmittelbar nach der Bilanzsitzung wieder zurückzugeben haben. 18 Dem Wortlaut nach kann der Aufsichtsrat auch beschließen, die Unterlagen allein den Mitgliedern eines Ausschusses zu übermitteln. Ihre Rechtfertigung findet diese Möglichkeit der Beschränkung im Geheimhaltungsinteresse der Gesellschaft.43) Mit Blick auf _____________ 34) Zur Hinzuziehung eines Sachverständigen BGH, Urt. v. 15.11.1982 – II ZR 27/82, BGHZ 85, 293 = NJW 1983, 991, 992 = ZIP 1983, 55. 35) Henssler/Strohn-Vetter, GesR, § 170 AktG Rz. 2; Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 170 Rz. 2. 36) So auch Hüffer/Koch-Koch, AktG, § 170 Rz. 2. 37) Hierzu OL