Der possessorische Besitzschutz und sein Verhältnis zum petitorischen Recht: Eine materiellrechtliche und zivilprozessuale Betrachtung. Dissertationsschrift 9783161590047, 9783161590054, 316159004X

Der Besitz ist im BGB gegen jede verbotene Eigenmacht geschützt - auch seitens der Person, der ein Recht zum Besitz oder

221 24 3MB

German Pages 294 [319] Year 2020

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Der possessorische Besitzschutz und sein Verhältnis zum petitorischen Recht: Eine materiellrechtliche und zivilprozessuale Betrachtung. Dissertationsschrift
 9783161590047, 9783161590054, 316159004X

Table of contents :
Cover
Titel
Vorwort
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
§ 1 Einleitung
I. Der Besitz als Forschungsgegenstand
II. Ausgangslage: Der Besitzschutz nach §§ 858 ff. BGB und die Aktualität von Selbsthilfe
III. Problemstellung und daraus resultierende Zielsetzung der Arbeit
IV. Methodische Vorüberlegung
1. Der Besitz: Möglichkeit einer Begriffsbestimmung?
2. Terminologie: Possessorische und petitorische Ansprüche
3. Das Verhältnis des Zivilverfahrensrechts und der Zwangsvollstreckung zum materiellen Recht
V. Zum Aufbau und Gang der Untersuchung
§ 2 Der possessorische Besitzschutz aus rechtsgeschichtlicher Perspektive
I. Der Besitzschutz vor Entstehung des BGB
1. Römisches Recht: Die Interdikte
2. Kanonisches Recht: Die Spolienklage
3. Germanisches Recht: Die Gewere
4. Gemeines Recht: Renaissance des römischen Rechts
5. Die frühen Partikularrechtskodifikationen
6. Fazit zur historischen Entwicklung
II. Die Entstehung der Besitzvorschriften des BGB
1. Der Vorentwurf
2. Die Änderungsvorschläge
3. Die Beratung der Ersten Kommission
4. Die Beratung der Zweiten Kommission
5. Fazit
§ 3 Zum Grund des possessorischen Besitzschutzes
I. Vorbemerkung: Die Rechtsnatur des Besitzes
1. Rückschluss von der Rechtsnatur des Besitzes auf den Grund seines Schutzes
2. Judikatur des BVerfG
II. Die verschiedenen Begründungsansätze
1. Schutz des Eigentums
2. Schutz der Kontinuität
3. Schutz der Persönlichkeit
4. Schutz des Rechtsfriedens
5. Kombination von Rechtsfriedens- und Kontinuitätsschutz
6. Ökonomische Analyse des Rechts
III. Eigene Würdigung
1. Kritik an der Eigentumstheorie
2. Kritik an der Ökonomischen Analyse
3. Kritik an der Kontinuitätstheorie
4. Kritik an der reinen Persönlichkeitstheorie
5. Rechtsfriedenstheorie als Basis
6. Eigener Ansatz: Zusammenspiel von Persönlichkeitstheorie und Rechtsfriedenstheorie
a) Das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen als Wurzel der Rechtsfriedenstheorie
b) Das staatliche Gewaltmonopol
c) Zwischenergebnis
d) Rückführung auf die Normen des BGB
aa) Das Notwehrrecht gem. § 859 I BGB als Folge des Angriffs auf die Persönlichkeit
bb) Die Schwäche der Rechtsfriedenstheorie mit Blick auf § 859 II, III BGB?
(1) Besitzschutz als Gewährung echter Selbsthilfe
(2) Gesetzgeberische Intention bei Schaffung von § 859 II, III BGB
(3) Exkurs: Verfassungsgemäßheit des § 859 II, III BGB
(a) Ungerechtfertigte Ungleichbehandlung von Besitz und Eigentum?
(b) § 859 II und III BGB als Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne von Art. 14 I GG
(c) Unverhältnismäßiger Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Störers oder dessen Recht auf körperliche Unversehrtheit?
(d) Fazit: Gebotene Restriktion
cc) Herstellung des status quo ante gem. § 861 I BGB und § 862 I BGB
dd) Der fehlerhafte Besitzer gem. § 858 II 2 BGB als Anspruchsgegner
ee) Zeitliche Begrenzung des Anspruchs auf ein Jahr gem. § 864 I BGB
ff) § 864 II BGB sowie § 861 II und § 862 II BGB als Fremdkörper im Schutzsystem
(1) Durchbrechung des possessorischen Schutzes gem. § 864 II BGB
(2) Durchbrechung des possessorischen Schutzes bei fehlerhaftem Besitz gem. § 861 II BGB und § 862 II BGB
7. Zusammenfassung der bisherigen Ergebnisse
IV. Die tatsächliche Gewalt über die Sache als Anknüpfungspunkt für den Schutzmechanismus
1. Besitzschutz des Besitzdieners
2. Besitzschutz des Erbenbesitzers
3. Besitzschutz des mittelbaren Besitzers
4. Besitzschutz des sog. Kurzbesitzers
5. Fazit
§ 4 Der Stellenwert des § 863 BGB: Possessorischer Besitzschutz als Sanktionsinstrument
I. § 863 BGB als Ausnahme zum dolo-agit-Einwand
II. Die verschiedenen Zwecke des § 863 BGB
1. Hinweise des historischen Gesetzgebers
a) Motive
b) In Bezug genommene Kodifikationen
aa) Gemeines Recht
bb) Hessischer Entwurf
cc) Bayerischer Entwurf und ABGB
dd) Code de procédure civile
ee) Privatrechtliches Gesetzbuch für den Kanton Zürich
c) Ergebnis der historischen Analyse
2. Beschleunigungszweck: Schnelles Verfahren
3. Präventionszweck: Sanktionierung verbotener Eigenmacht
a) Der Streit um pönale Elemente im Zivilrecht
aa) Sanktion und Prävention als Aufgabe des Strafrechts
bb) Das Zivilrecht als Rechtsordnung unter Gleichen
cc) Ausnahmen im Zivilrecht?
(1) Rechtspolitische Position
(2) „Echte“ Straffunktion von Zivilnormen?
(3) Präventionswirkung von Zivilnormen
(a) Prävention als reine Reflexwirkung
(b) Prävention als ausdrückliches gesetzgeberisches Motiv
(4) Zwischenfazit
b) Der Besitzschutz nach §§ 861 ff. BGB: Paradebeispiel für Präventionsnormen
aa) Keine vermögensrechtliche Kompensation durch §§ 861 f. BGB
bb) Keine Kompensation für den Eingriff in die Persönlichkeit durch §§ 861 f. BGB
cc) Keine andere Ausgestaltung des § 863 BGB trotz entsprechender Vorbilder
c) Einwendungsausschluss als Steuerungsinstrument des BGB
aa) § 393 BGB und § 863 BGB als historisch verwandte Normen
bb) Prozessuale Parallele
4. Ergebnis zum Zweck des § 863 BGB
III. Fortschreibungen des Rechtsgedankens des § 863 BGB im Prozessrecht
1. Der possessorische einstweilige Rechtsschutz
a) Vorüberlegung: Der possessorische Besitzschutz als „materielles Zwischenrecht“?
b) Möglichkeit einer possessorischen Leistungsverfügung
aa) Verzicht auf einen materiellrechtlichen Verfügungsanspruch?
bb) Verbotene Eigenmacht als besonderer Verfügungsgrund
(1) Sanktionierungsgedanke als „anderer Grund“ im Sinne des § 940 ZPO
(2) Die Bedeutung des § 940a ZPO
2. Die vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung
IV. Fazit
§ 5 Das Verhältnis des possessorischen Anspruchs zum petitorischen Anspruch
I. Die Bedeutung des § 864 II BGB
1. Zum unklaren Wortlaut des § 864 II BGB
a) Das Recht an der Sache
b) Die zeitliche Komponente der Norm
2. Widerspruch zum Sanktionsmechanismus der Besitzschutzansprüche
a) Problematische Umgehung des staatlichen Gewaltmonopols
b) Wirtschaftliche Belohnung für die Begehung verbotener Eigenmacht
c) Fazit
3. Friktionen mit der vorläufigen Vollstreckbarkeit
4. Zum Ursprung der Norm
a) Die Gesetzesmaterialien
b) Johows Entwurf unter Bezugnahme auf das gemeine Recht
aa) Der Entwurf Johows
bb) Der Stellenwert des petitorischen Rechts im gemeinen Recht
cc) Folgerungen für die Parteirollen und den Streitgegenstand
c) Begründung des Rechtskrafterfordernisses
d) Fazit zur Gesetzgebungsgeschichte
5. § 864 II BGB als prozessökonomische Regel im materiellrechtlichen Gewand?
a) Die Prozessökonomie im Verfahrensrecht
b) Rechtsgedanke der Prozessökonomie im materiellen Recht?
II. § 864 II BGB in der konkreten Rechtsanwendung
1. Vorbemerkung: Prozessuale Ausgangslage
a) Klage aus dem Besitzrecht bei vorausgegangenem Entzug des Besitzes
aa) Feststellungsklage
bb) Leistungsklage
cc) Bewertung
b) Klage aus dem Besitzrecht bei vorausgegangener Störung des Besitzes
2. „Sofortige Durchsetzbarkeit“ des petitorischen Rechts?
a) Umgehung des Vollstreckungsrechts bei petitorischem Feststellungsurteil nach Entziehung des Besitzes
aa) Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO
bb) Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO
b) Lösungsansatz: „Sofortige Durchsetzbarkeit“?
c) Hinfälligkeit des Problems bei petitorischem Leistungsurteil?
aa) Kein praktischer Wert der Gewährung von Vollstreckungsschutz bei Herausgabeurteil
bb) Keine Vorteile im Hinblick auf § 767 ZPO
cc) Fazit
d) Abschließendes Lösungsmodell zur Prüfung der „sofortigen Durchsetzbarkeit“ im Rahmen des § 864 II BGB
aa) Mögliche Einwände gegen die Prüfung der „sofortigen Durchsetzbarkeit“
bb) Vollstreckungsschutz als Erfordernis des Grundrechtsschutzes
cc) Verfassungskonforme Auslegung
dd) Maßgeblicher Zeitpunkt für die hypothetische Prüfung
ee) Nachträglich entstandene Einwendungen im Sinne des § 767 ZPO
ff) Fazit
3. Analoge Anwendung von § 864 II BGB auf die Begehung verbotener Eigenmacht nach Rechtskraft des Urteils
a) Argumente für eine Analogie in zeitlicher Hinsicht
b) Argumente gegen eine Analogie in zeitlicher Hinsicht
aa) Gesetzeshistorie: Keine planwidrige Regelungslücke
bb) Ausdehnung der ohnehin schon problematischen Regelung
c) Zwingende analoge Anwendung in Fällen der Besitzstörung?
d) Fazit
4. Vollstreckungsrechtliches Patt bei vorläufiger Vollstreckbarkeit
a) Problembeschreibung anhand eines Fallbeispiels
b) Lösungsansätze
aa) Analoge Anwendung von § 864 II BGB auf nicht rechtskräftige Urteile
bb) Lösung auf vollstreckungsrechtlicher Ebene
c) Bewertung
aa) Ablehnung der analogen Anwendung des § 864 II BGB auf nicht rechtskräftige Urteile
(1) Fehlende Voraussetzungen für eine Analogiebildung
(2) Wirtschaftliche Belohnung für die Begehung verbotener Eigenmacht
(3) Dogmatische Widersprüche
(4) Ausweitung der Gefahr der Umgehung des Vollstreckungsschutzes
bb) Ablehnung der „Vollstreckungslösung“ wegen möglicher Unbilligkeit zulasten des petitorisch Berechtigten
d) Eigener Vorschlag: § 890 ZPO als Mittel zur Auflösung des Patts
aa) Das Verschuldenserfordernis in § 890 ZPO
bb) Das Verschuldenserfordernis als Einfallstor für materielle Wertungen
e) Ergebnis
5. Die Auswirkung einer petitorischen einstweiligen Verfügung
a) Analoge Anwendung von § 864 II BGB
b) Gestattungswirkung der einstweiligen Verfügung
c) Einstweilige Verfügung als übergeordneter Hoheitsakt mit rechtserzeugendem Inhalt
aa) Literatur
bb) Ältere Rechtsprechung
d) Bewertung
aa) Argumente gegen die analoge Anwendung von § 864 II BGB
bb) Argumente gegen die Gestattungswirkung
cc) Argumente gegen den besonderen rechtserzeugenden Inhalt einer petitorischen Verfügung
(1) Möglichkeit einer petitorischen „Behaltensverfügung“ nach eigenmächtiger Besitzentziehung?
(2) Möglichkeit einer petitorischen Unterlassungsverfügung nach eigenmächtiger Besitzentziehung?
(a) Voraussetzungen einer Unterlassungsverfügung nach geltender zivilprozessualer Dogmatik
(b) Analyse der Entscheidungen des OLG Stuttgart 10 U 141/11 und 10 W 47/11
(aa) Inhalt der Entscheidung OLG Stuttgart 10 U 141/11
(bb) Inhalt der Entscheidung OLG Stuttgart 10 W 47/11
(cc) Bewertung
(3) Fazit
e) Ergebnis zu den Auswirkungen einer petitorischen Verfügung auf den possessorischen Anspruch
6. Die Inzidentprüfung als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens aus § 864 II BGB?
7. Fazit zum Verhältnis des § 863 BGB zu § 864 II BGB
III. Reichweite des § 863 BGB in weiteren Fällen
1. Geltendmachung von Zurückbehaltungsrechten
2. § 1361a und § 1361b BGB als leges speciales?
3. Hinfälligkeit des Besitzschutzanspruchs durch Pfändung aufgrund titulierter Geldforderung
IV. Gesamtfazit
§ 6 Die petitorische Widerklage
I. Die Entwicklung der Rechtsprechung
1. RGZ 23, 396
2. RGZ 50, 8
3. BGHZ 53, 166
4. BGHZ 73, 355
5. BGH NJW 1979, 1359
6. Zusammenfassung
II. Die Ansichten in der Literatur
III. Plädoyer gegen die Zulässigkeit der petitorischen Widerklage
1. Die Funktion der Widerklage in der ZPO
2. Der „Zusammenhang“ gem. § 33 ZPO
3. Dogmatische Verankerung des Verbots einer petitorischen Widerklage
a) Unzulässigkeit der petitorischen Widerklage aufgrund fehlenden Zusammenhangs?
b) Eigenständiges Widerklage-Verbot aus übergeordneten materiellrechtlichen Gründen
aa) Gesetzeshistorie
(1) CPO
(2) BGB
(3) Fazit
bb) Systematik
cc) Telos des Besitzschutzes
(1) Beschleunigte Entscheidung
(a) Die nur scheinbar unproblematische Lösung über § 301 ZPO
(b) Inkonsistenz bei der Kostenentscheidung
(2) Präventionswirkung und das Erschleichen prozessualer Privilegien
(a) Gebühren
(b) Gerichtsstand
(3) Spannungsfeld zwischen materiellem Recht und Verfahrensrecht
dd) Keine Gefährdung der hinter der Widerklage stehenden Grundsätze
(1) Prozessökonomie
(2) Entscheidungseinklang
(3) Waffengleichheit
c) Zwischenfazit
4. Ausnahmen
IV. Zulässigkeit eines petitorischen Widerantrags analog § 33 ZPO?
1. Zulässigkeit eines Widerantrags im einstweiligen Verfügungsverfahren
2. Zulässigkeit einer petitorischen Feststellungsgegenverfügung
3. Fazit
V. Resümee zur petitorischen Widerklage
§ 7 Erlöschen der Besitzschutzansprüche bei Rechtsmissbrauch des possessorischen Klägers
I. § 242 BGB als Einfallstor für die Grundrechte
II. Voraussetzungen für die Bejahung von Rechtsmissbrauch
1. Höherwertige Grundrechte außerhalb der Wertung des § 863 BGB
2. Das Eigentumsgrundrecht innerhalb der Wertung des § 863 BGB
a) § 229 BGB zur vorgeschalteten Vermeidung einer Rechtsvereitelung
b) Nachträgliche Gefahr einer Rechtsvereitelung oder unbilligen Härte
aa) Objektive Kriterien für unbillige Härte
bb) Subjektive Kriterien für unbillige Härte
c) Ergebniskorrektur über das Zwangsvollstreckungsrecht?
III. Fazit
§ 8 Possessorischer Besitzschutz de lege ferenda
I. Annäherung an eine lex ferenda
1. Anknüpfungspunkte für Verbesserungen
2. Selbsthilfe als aktuelles und künftiges gesellschaftliches Problem?
II. Europäischer Rechtsvergleich
1. Possessorischer Besitzschutz in den kontinental-europäischen Rechtsordnungen
a) Deutschsprachige Länder
aa) Schweiz
(1) Definition von Besitz
(2) Ausgestaltung des possessorischen Besitzschutzes und Verhältnis zum petitorischen Recht
(3) Strafrechtliche Sanktionierung von Selbsthilfe
bb) Österreich
(1) Definition von Besitz
(2) Ausgestaltung des possessorischen Besitzschutzes und Verhältnis zum petitorischen Recht
cc) Ergebnis für den deutschsprachigen Raum
b) Romanische Länder
aa) Italien
(1) Definition von Besitz
(2) Ausgestaltung des possessorischen Besitzschutzes und Verhältnis zum petitorischen Recht
(3) Strafrechtliche Sanktionierung von Selbsthilfe
bb) Frankreich
(1) Definition von Besitz
(2) Ausgestaltung des possessorischen Besitzschutzes und Verhältnis zum petitorischen Recht
cc) Spanien
(1) Definition von Besitz
(2) Ausgestaltung des possessorischen Besitzschutzes und Verhältnis zum petitorischen Recht
(3) Strafrechtliche Sanktionierung von Selbsthilfe
dd) Ergebnis für die romanischen Länder
2. Der possessorische Besitzschutz im Draft Common Frame of Reference (DCFR) der Europäischen Union
a) Besitz und Besitzer im DCFR
b) Besitzschutz bei Störung oder Entziehung des Besitzes
c) Verhältnis des possessorischen Besitzschutzes zum petitorischen Recht
d) Kritik
3. Fazit: Niedergang des possessorischen Besitzschutzes als europäischer Trend
III. De lege ferenda – „kleine Lösung“ im BGB: Veränderung der §§ 863, 864 II BGB sowie §§ 861 II, 862 II BGB?
1. Aufnahme des Erfordernisses der „sofortigen Durchsetzbarkeit“ in § 864 II BGB?
2. Weitergehende Modifikationen zugunsten eines milderen oder strengeren Besitzschutzes
a) Anpassung an die Rechtsprechungspraxis
aa) Erforderliche Modifikationen
bb) Wortlaut einer neuen Einrede in § 861 II BGB und § 862 II BGB n. F
(1) Anspruch wegen Besitzentziehung
(2) Anspruch wegen Besitzstörung
cc) Erläuterung einer neuen Einrede in § 861 II BGB und § 862 II BGB n. F
(1) Terminologie
(2) Rechtsfolge
(3) Vollstreckungsschutz
dd) Auswirkung auf die Zulässigkeit der petitorischen Widerklage
ee) Abschließende Bewertung
b) Verankerung des Grundsatzes spoliatus ante omnia est restituendus
aa) Konkrete Verortung des spoliatus-Grundsatzes
bb) Folgen für die Durchsetzungsmodalitäten des possessorischen und petitorischen Anspruchs
cc) Abschaffung von §§ 861 II, 862 II BGB
(1) Gesetzliches Leitbild
(2) Gegenentwürfe in der Literatur
(3) Eigene Würdigung
dd) Abschließende Bewertung
c) Fazit
3. Ergebnis zu einer lex ferenda innerhalb des BGB
IV. De lege ferenda – „große Lösung“: Alternativen zum possessorischen Besitzschutz im BGB?
1. Abschaffung der §§ 861 ff. BGB
a) Verbleibende Ansprüche bei Besitzstörung
b) Verbleibende Ansprüche bei Besitzentziehung
c) Fazit
2. Besondere ermessensgeleitete Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes
a) Ermessensentscheidungen im deutschen Zivil(prozess)recht
b) Ausgestaltung einer besonderen besitzschützenden Ermessensverfügung in der ZPO
aa) Mögliche Vorteile
bb) Verbleibende Gültigkeit der allgemeinen Vorschriften
c) Konkrete Verortung einer besonderen Ermessensverfügung
d) Wortlaut und Erläuterung eines künftigen § 940a ZPO n. F
e) Abschließende Bewertung
3. Sanktion und Prävention über das Strafrecht
a) Strafbarkeit von Selbsthilfe
b) Hypothetische Strafnorm im StGB?
c) Konkrete Verortung einer potentiellen Strafnorm
d) Wortlaut und Erläuterung einer potentiellen Strafnorm
e) Abschließende Bewertung
V. Fazit zu den Möglichkeiten de lege ferenda
§ 9 Zusammenfassung der Ergebnisse
Literaturverzeichnis
Gesetzesmaterialien
Register

Citation preview

Studien zum Privatrecht Band 90

Riccarda Feldmann

Der possessorische Besitzschutz und sein Verhältnis zum petitorischen Recht Eine materiellrechtliche und zivilprozessuale Betrachtung

Mohr Siebeck

Riccarda Feldmann, geboren 1989; Studium der Rechtswissenschaft an der Universität Heidelberg, am Trinity College Dublin und an der Universität Erlangen-Nürnberg; Rechtsreferenda­ riat im OLG-Bezirk Nürnberg; Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Zivilprozessrecht, Insolvenzrecht und Freiwillige Gerichtsbarkeit an der Universität Erlangen-Nürnberg; 2019 Promotion; derzeit Staatsanwältin bei der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth.

ISBN  978-3-16-159004-7 / eISBN  978-3-16-159005-4 DOI 10.1628/978-3-16-159005-4 ISSN  1867-4275 / eISSN  2568-728X (Studien zum Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2020 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen aus der Times New Roman gesetzt, auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und gebunden. Printed in Germany.

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2019 vom Fachbereich Rechts­wissenschaft der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg als Dissertation angenommen. Sie entstand während meiner Tätigkeit am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Zivilprozessrecht, Insolvenzrecht und Freiwillige Gerichtsbarkeit. Rechtsprechung und Literatur konnten bis September 2019 berücksichtigt werden. Der allergrößte Dank gilt meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Jürgen Stamm. Seit meiner Beschäftigung als wissenschaftliche Mitarbeiterin an seinem Lehrstuhl, die schon während des Rechtsreferendariats begann, hat er mein Interesse am vertieften wissenschaftlichen Arbeiten fortlaufend gefördert. Sowohl bei der Erstellung der Dissertation als auch bei der akademischen Mitarbeit am Lehrstuhl hat er mir großzügig Freiräume gelassen ebenso wie Unterstützung geboten. Herrn Prof. Dr. Thomas Regenfus danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens und aufschlussreiche Kommentierungen, Herrn Prof. Dr. Hans-Dieter Spengler für die Übernahme des Vorsitzes in der Prüfungskommission. Für seinen Zuspruch während der Promotionsphase möchte ich mich außerdem bei meinem Mentor im Ariadne-Programm der Friedrich-Alexander-Universität, Herrn Prof. Dr. Franz Hofmann, bedanken. Unvergessen bleibt mir auch die Unterstützung durch unzählige Kolleginnen und Kollegen sowie durch meinen Mann und meine Eltern. Letzteren ist diese Arbeit gewidmet. Nürnberg, im September 2019

Riccarda Feldmann

Inhaltsübersicht Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXIII

§  1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 I. Der Besitz als Forschungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . 1 II. Ausgangslage: Der Besitzschutz nach §§  858 ff. BGB und die Aktualität von Selbsthilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 III. Problemstellung und daraus resultierende Zielsetzung der Arbeit . . 3 IV. Methodische Vorüberlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 V. Zum Aufbau und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . 10

§  2 Der possessorische Besitzschutz aus rechtsgeschichtlicher ­Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 I. Der Besitzschutz vor Entstehung des BGB . . . . . . . . . . . . . 13 II. Die Entstehung der Besitzvorschriften des BGB . . . . . . . . . . 22

§  3 Zum Grund des possessorischen Besitzschutzes . . . . . . . 27 I. Vorbemerkung: Die Rechtsnatur des Besitzes . . . . . . . . . . . . 27 II. Die verschiedenen Begründungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . 30 III. Eigene Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 IV. Die tatsächliche Gewalt über die Sache als Anknüpfungspunkt für den Schutzmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

§  4 Der Stellenwert des §  863 BGB: Possessorischer Besitzschutz als Sanktionsinstrument . . . . . 71 I. §  863 BGB als Ausnahme zum dolo-agit-Einwand . . . . . . . . . 71 II. Die verschiedenen Zwecke des §  863 BGB . . . . . . . . . . . . . 73

X

Inhaltsübersicht

III. Fortschreibungen des Rechtsgedankens des §  863 BGB im Prozessrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100

§  5 Das Verhältnis des possessorischen Anspruchs zum petitorischen Anspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 I. Die Bedeutung des §  864 II BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 II. §  864 II BGB in der konkreten Rechtsanwendung . . . . . . . . . 119 III. Reichweite des §  863 BGB in weiteren Fällen . . . . . . . . . . . 173 IV. Gesamtfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178

§  6 Die petitorische Widerklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 I. Die Entwicklung der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . 179 II. Die Ansichten in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 III. Plädoyer gegen die Zulässigkeit der petitorischen Widerklage . . . 184 IV. Zulässigkeit eines petitorischen Widerantrags analog §  33 ZPO? . . 205 V. Resümee zur petitorischen Widerklage . . . . . . . . . . . . . . . 208

§  7 Erlöschen der Besitzschutzansprüche bei Rechtsmissbrauch des possessorischen Klägers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 I. §  242 BGB als Einfallstor für die Grundrechte . . . . . . . . . . . 209 II. Voraussetzungen für die Bejahung von Rechtsmissbrauch . . . . . 210 III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216

§  8 Possessorischer Besitzschutz de lege ferenda . . . . . . . . 217 I. Annäherung an eine lex ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 II. Europäischer Rechtsvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 III. De lege ferenda – „kleine Lösung“ im BGB: Veränderung der §§  863, 864 II BGB sowie §§  861 II, 862 II BGB? . . . . . . . . . 236 IV. De lege ferenda – „große Lösung“: Alternativen zum possessorischen Besitzschutz im BGB? . . . . . . . . . . . . . . . 249 V. Fazit zu den Möglichkeiten de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . 262

§  9 Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . 265 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Gesetzesmaterialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291

Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXIII

§  1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 I. Der Besitz als Forschungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . 1 II. Ausgangslage: Der Besitzschutz nach §§  858 ff. BGB und die Aktualität von Selbsthilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 III. Problemstellung und daraus resultierende Zielsetzung der Arbeit . . 3 IV. Methodische Vorüberlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 1. Der Besitz: Möglichkeit einer Begriffsbestimmung? . . . . . . . 5 2. Terminologie: Possessorische und petitorische Ansprüche . . . . 7 3. Das Verhältnis des Zivilverfahrensrechts und der Zwangsvollstreckung zum materiellen Recht . . . . . . . . 8 V. Zum Aufbau und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . 10

§  2 Der possessorische Besitzschutz aus rechtsgeschichtlicher ­Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 I. Der Besitzschutz vor Entstehung des BGB . . . . . . . . . . . . . 13 1. Römisches Recht: Die Interdikte . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 2. Kanonisches Recht: Die Spolienklage . . . . . . . . . . . . . . 16 3. Germanisches Recht: Die Gewere . . . . . . . . . . . . . . . . 17 4. Gemeines Recht: Renaissance des römischen Rechts . . . . . . 18 5. Die frühen Partikularrechtskodifikationen . . . . . . . . . . . . 21 6. Fazit zur historischen Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . 21 II. Die Entstehung der Besitzvorschriften des BGB . . . . . . . . . . 22 1. Der Vorentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 2. Die Änderungsvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 3. Die Beratung der Ersten Kommission . . . . . . . . . . . . . . 25 4. Die Beratung der Zweiten Kommission . . . . . . . . . . . . . 25 5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

XII

Inhaltsverzeichnis

§  3 Zum Grund des possessorischen Besitzschutzes . . . . . . . 27 I. Vorbemerkung: Die Rechtsnatur des Besitzes . . . . . . . . . . . . 27 1. Rückschluss von der Rechtsnatur des Besitzes auf den Grund seines Schutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 2. Judikatur des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 II. Die verschiedenen Begründungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . 30 1. Schutz des Eigentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 2. Schutz der Kontinuität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 3. Schutz der Persönlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 4. Schutz des Rechtsfriedens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 5. Kombination von Rechtsfriedens- und Kontinuitätsschutz . . . . 34 6. Ökonomische Analyse des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . 35 III. Eigene Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 1. Kritik an der Eigentumstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 2. Kritik an der Ökonomischen Analyse . . . . . . . . . . . . . . . 38 3. Kritik an der Kontinuitätstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 4. Kritik an der reinen Persönlichkeitstheorie . . . . . . . . . . . . 41 5. Rechtsfriedenstheorie als Basis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 6. Eigener Ansatz: Zusammenspiel von Persönlichkeitstheorie und Rechtsfriedenstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 a) Das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen als Wurzel der Rechtsfriedenstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 b) Das staatliche Gewaltmonopol . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 d) Rückführung auf die Normen des BGB . . . . . . . . . . . . 46 aa) Das Notwehrrecht gem. §  859 I BGB als Folge des Angriffs auf die Persönlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 bb) Die Schwäche der Rechtsfriedenstheorie mit Blick auf §  859 II, III BGB? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 (1) Besitzschutz als Gewährung echter Selbsthilfe . . . . 48 (2) Gesetzgeberische Intention bei Schaffung von §  859 II, III BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 (3) Exkurs: Verfassungsgemäßheit des §  859 II, III BGB . 49 (a) Ungerechtfertigte Ungleichbehandlung von Besitz und Eigentum? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 (b) §  859 II und III BGB als Inhalts- und ­Schrankenbestimmung im Sinne von Art.  14 I GG 50 (c) Unverhältnismäßiger Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Störers oder dessen Recht auf körperliche Unversehrtheit? . . . . . . . . . . 52

Inhaltsverzeichnis

XIII

(d) Fazit: Gebotene Restriktion . . . . . . . . . . . . 54 cc) Herstellung des status quo ante gem. §  861 I BGB und §  862 I BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 dd) Der fehlerhafte Besitzer gem. §  858 II 2 BGB als Anspruchsgegner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 ee) Zeitliche Begrenzung des Anspruchs auf ein Jahr gem. §  864 I BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 ff) §  864 II BGB sowie §  861 II und §  862 II BGB als Fremdkörper im Schutzsystem . . . . . . . . . . . . . . 57 (1) Durchbrechung des possessorischen Schutzes gem. §  864 II BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 (2) Durchbrechung des possessorischen Schutzes bei fehler­haftem Besitz gem. §  861 II BGB und §  862 II BGB . 58 7. Zusammenfassung der bisherigen Ergebnisse . . . . . . . . . . 60 IV. Die tatsächliche Gewalt über die Sache als Anknüpfungspunkt für den Schutzmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 1. Besitzschutz des Besitzdieners . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 2. Besitzschutz des Erbenbesitzers . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 3. Besitzschutz des mittelbaren Besitzers . . . . . . . . . . . . . . 65 4. Besitzschutz des sog. Kurzbesitzers . . . . . . . . . . . . . . . 68 5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69

§  4 Der Stellenwert des §  863 BGB: Possessorischer Besitzschutz als Sanktionsinstrument . . . . . 71 I. §  863 BGB als Ausnahme zum dolo-agit-Einwand . . . . . . . . . 71 II. Die verschiedenen Zwecke des §  863 BGB . . . . . . . . . . . . . 73 1. Hinweise des historischen Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . 73 a) Motive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 b) In Bezug genommene Kodifikationen . . . . . . . . . . . . . 74 aa) Gemeines Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 bb) Hessischer Entwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 cc) Bayerischer Entwurf und ABGB . . . . . . . . . . . . . 75 dd) Code de procédure civile . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 ee) Privatrechtliches Gesetzbuch für den Kanton Zürich . . . 76 c) Ergebnis der historischen Analyse . . . . . . . . . . . . . . . 76 2. Beschleunigungszweck: Schnelles Verfahren . . . . . . . . . . . 76 3. Präventionszweck: Sanktionierung verbotener Eigenmacht . . . 76 a) Der Streit um pönale Elemente im Zivilrecht . . . . . . . . . 77 aa) Sanktion und Prävention als Aufgabe des Strafrechts . . . 77

XIV

Inhaltsverzeichnis

bb) Das Zivilrecht als Rechtsordnung unter Gleichen . . . . . 78 cc) Ausnahmen im Zivilrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . 79 (1) Rechtspolitische Position . . . . . . . . . . . . . . . 80 (2) „Echte“ Straffunktion von Zivilnormen? . . . . . . . 80 (3) Präventionswirkung von Zivilnormen . . . . . . . . . 82 (a) Prävention als reine Reflexwirkung . . . . . . . . 82 (b) Prävention als ausdrückliches gesetzgeberisches Motiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 (4) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 b) Der Besitzschutz nach §§  861 ff. BGB: Paradebeispiel für Präventionsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 aa) Keine vermögensrechtliche Kompensation durch §§  861 f. BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 bb) Keine Kompensation für den Eingriff in die Persönlichkeit durch §§  861 f. BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 cc) Keine andere Ausgestaltung des §  863 BGB trotz entsprechender Vorbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 c) Einwendungsausschluss als Steuerungsinstrument des BGB . 87 aa) §  393 BGB und §  863 BGB als historisch verwandte Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 bb) Prozessuale Parallele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 4. Ergebnis zum Zweck des §  863 BGB . . . . . . . . . . . . . . . 90 III. Fortschreibungen des Rechtsgedankens des §  863 BGB im Prozessrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 1. Der possessorische einstweilige Rechtsschutz . . . . . . . . . . 91 a) Vorüberlegung: Der possessorische Besitzschutz als „materielles Zwischenrecht“? . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 b) Möglichkeit einer possessorischen Leistungsverfügung . . . . 94 aa) Verzicht auf einen materiellrechtlichen Verfügungsanspruch? 96 bb) Verbotene Eigenmacht als besonderer Verfügungsgrund . 98 (1) Sanktionierungsgedanke als „anderer Grund“ im Sinne des §  940 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 (2) Die Bedeutung des §  940a ZPO . . . . . . . . . . . . 99 2. Die vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung . . . . 100 IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100

Inhaltsverzeichnis

XV

§  5 Das Verhältnis des possessorischen Anspruchs zum petitorischen Anspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 I. Die Bedeutung des §  864 II BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 1. Zum unklaren Wortlaut des §  864 II BGB . . . . . . . . . . . . 104 a) Das Recht an der Sache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 b) Die zeitliche Komponente der Norm . . . . . . . . . . . . . 104 2. Widerspruch zum Sanktionsmechanismus der Besitzschutzansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 a) Problematische Umgehung des staatlichen Gewaltmonopols . 105 b) Wirtschaftliche Belohnung für die Begehung verbotener Eigenmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 3. Friktionen mit der vorläufigen Vollstreckbarkeit . . . . . . . . . 107 4. Zum Ursprung der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 a) Die Gesetzesmaterialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 b) Johows Entwurf unter Bezugnahme auf das gemeine Recht . 109 aa) Der Entwurf Johows . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 bb) Der Stellenwert des petitorischen Rechts im gemeinen Recht 109 cc) Folgerungen für die Parteirollen und den Streitgegenstand 110 c) Begründung des Rechtskrafterfordernisses . . . . . . . . . . 114 d) Fazit zur Gesetzgebungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . 115 5. §  864 II BGB als prozessökonomische Regel im materiellrechtlichen Gewand? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 a) Die Prozessökonomie im Verfahrensrecht . . . . . . . . . . . 116 b) Rechtsgedanke der Prozessökonomie im materiellen Recht? . 118 II. §  864 II BGB in der konkreten Rechtsanwendung . . . . . . . . . 119 1. Vorbemerkung: Prozessuale Ausgangslage . . . . . . . . . . . . 119 a) Klage aus dem Besitzrecht bei vorausgegangenem Entzug des Besitzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 aa) Feststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 bb) Leistungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 cc) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 b) Klage aus dem Besitzrecht bei vorausgegangener Störung des Besitzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 2. „Sofortige Durchsetzbarkeit“ des petitorischen Rechts? . . . . . 123 a) Umgehung des Vollstreckungsrechts bei petitorischem ­Feststellungsurteil nach Entziehung des Besitzes . . . . . . . 123 aa) Vollstreckungsschutz nach §  765a ZPO . . . . . . . . . . 123 bb) Vollstreckungsgegenklage nach §  767 ZPO . . . . . . . . 124

XVI

Inhaltsverzeichnis

b) Lösungsansatz: „Sofortige Durchsetzbarkeit“? . . . . . . . . 125 c) Hinfälligkeit des Problems bei petitorischem Leistungsurteil? 127 aa) Kein praktischer Wert der Gewährung von Vollstreckungsschutz bei Herausgabeurteil . . . . . . . . 127 bb) Keine Vorteile im Hinblick auf §  767 ZPO . . . . . . . . 128 cc) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 d) Abschließendes Lösungsmodell zur Prüfung der „sofortigen Durchsetzbarkeit“ im Rahmen des §  864 II BGB . 129 aa) Mögliche Einwände gegen die Prüfung der „sofortigen Durchsetzbarkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . 130 bb) Vollstreckungsschutz als Erfordernis des Grundrechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 cc) Verfassungskonforme Auslegung . . . . . . . . . . . . . 132 dd) Maßgeblicher Zeitpunkt für die hypothetische Prüfung . 133 ee) Nachträglich entstandene Einwendungen im Sinne des §  767 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 ff) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 3. Analoge Anwendung von §  864 II BGB auf die Begehung verbotener Eigenmacht nach Rechtskraft des Urteils . . . . . . . 136 a) Argumente für eine Analogie in zeitlicher Hinsicht . . . . . . 136 b) Argumente gegen eine Analogie in zeitlicher Hinsicht . . . . 137 aa) Gesetzeshistorie: Keine planwidrige Regelungslücke . . 138 bb) Ausdehnung der ohnehin schon problematischen Regelung 138 c) Zwingende analoge Anwendung in Fällen der Besitzstörung? 139 d) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 4. Vollstreckungsrechtliches Patt bei vorläufiger Vollstreckbarkeit . 141 a) Problembeschreibung anhand eines Fallbeispiels . . . . . . . 141 b) Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 aa) Analoge Anwendung von §  864 II BGB auf nicht rechtskräftige Urteile . . . . . . . . . . . . . . . . 143 bb) Lösung auf vollstreckungsrechtlicher Ebene . . . . . . . 144 c) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 aa) Ablehnung der analogen Anwendung des §  864 II BGB auf nicht rechtskräftige Urteile . . . . . . . . . . . . . . . . 145 (1) Fehlende Voraussetzungen für eine Analogiebildung . 145 (2) Wirtschaftliche Belohnung für die Begehung verbotener Eigenmacht . . . . . . . . . . . . . . . . 147 (3) Dogmatische Widersprüche . . . . . . . . . . . . . . 148 (4) Ausweitung der Gefahr der Umgehung des Vollstreckungsschutzes . . . . . . . . . . . . . . 150

Inhaltsverzeichnis

XVII

bb) Ablehnung der „Vollstreckungslösung“ wegen möglicher Unbilligkeit zulasten des petitorisch Berechtigten . . . . 150 d) Eigener Vorschlag: §  890 ZPO als Mittel zur Auflösung des Patts 151 aa) Das Verschuldenserfordernis in §  890 ZPO . . . . . . . . 152 bb) Das Verschuldenserfordernis als Einfallstor für materielle Wertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 5. Die Auswirkung einer petitorischen einstweiligen Verfügung . . 155 a) Analoge Anwendung von §  864 II BGB . . . . . . . . . . . . 155 b) Gestattungswirkung der einstweiligen Verfügung . . . . . . . 156 c) Einstweilige Verfügung als übergeordneter Hoheitsakt mit ­rechtserzeugendem Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 aa) Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 bb) Ältere Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 d) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 aa) Argumente gegen die analoge Anwendung von §  864 II BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 bb) Argumente gegen die Gestattungswirkung . . . . . . . . 159 cc) Argumente gegen den besonderen rechtserzeugenden Inhalt einer petitorischen Verfügung . . . . . . . . . . . . . . . 160 (1) Möglichkeit einer petitorischen „Behaltensverfügung“ nach eigenmächtiger Besitzentziehung? . . . . . . . . 160 (2) Möglichkeit einer petitorischen Unterlassungsverfügung nach eigenmächtiger Besitzentziehung? . . . . . . . . 162 (a) Voraussetzungen einer Unterlassungsverfügung nach geltender zivilprozessualer Dogmatik . . . . 163 (b) Analyse der Entscheidungen des OLG Stuttgart 10 U 141/11 und 10 W 47/11 . . . . . . . . . . . 164 (aa) Inhalt der Entscheidung OLG Stuttgart 10 U 141/11 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 (bb) Inhalt der Entscheidung OLG Stuttgart 10 W 47/11 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 (cc) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 (3) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 e) Ergebnis zu den Auswirkungen einer petitorischen Verfügung auf den possessorischen Anspruch . . . . . . . . . . . . . . . 169 6. Die Inzidentprüfung als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens aus §  864 II BGB? . . . . . . . . . . . . . . . 170 7. Fazit zum Verhältnis des §  863 BGB zu §  864 II BGB . . . . . . 172

XVIII

Inhaltsverzeichnis

III. Reichweite des §  863 BGB in weiteren Fällen . . . . . . . . . . . 173 1. Geltendmachung von Zurückbehaltungsrechten . . . . . . . . . 173 2. §  1361a und §  1361b BGB als leges speciales? . . . . . . . . . 174 3. Hinfälligkeit des Besitzschutzanspruchs durch Pfändung aufgrund titulierter Geldforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 IV. Gesamtfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178

§  6 Die petitorische Widerklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 I. Die Entwicklung der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . 179 1. RGZ 23, 396 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 2. RGZ 50, 8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 3. BGHZ 53, 166 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 4. BGHZ 73, 355 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 5. BGH NJW 1979, 1359 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 6. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 II. Die Ansichten in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 III. Plädoyer gegen die Zulässigkeit der petitorischen Widerklage . . . 184 1. Die Funktion der Widerklage in der ZPO . . . . . . . . . . . . . 184 2. Der „Zusammenhang“ gem. §  33 ZPO . . . . . . . . . . . . . . 185 3. Dogmatische Verankerung des Verbots einer petitorischen Widerklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 a) Unzulässigkeit der petitorischen Widerklage aufgrund fehlenden Zusammenhangs? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 b) Eigenständiges Widerklage-Verbot aus übergeordneten materiellrechtlichen Gründen . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 aa) Gesetzeshistorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 (1) CPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 (2) BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 (3) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 bb) Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 cc) Telos des Besitzschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 (1) Beschleunigte Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . 195 (a) Die nur scheinbar unproblematische Lösung über §  301 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 (b) Inkonsistenz bei der Kostenentscheidung . . . . . 198 (2) Präventionswirkung und das Erschleichen prozessualer Privilegien . . . . . . . . . . . . . . . . 199 (a) Gebühren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 (b) Gerichtsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199

Inhaltsverzeichnis

XIX

(3) Spannungsfeld zwischen materiellem Recht und ­Verfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 dd) Keine Gefährdung der hinter der Widerklage stehenden ­Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 (1) Prozessökonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 (2) Entscheidungseinklang . . . . . . . . . . . . . . . . 203 (3) Waffengleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 c) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 4. Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 IV. Zulässigkeit eines petitorischen Widerantrags analog §  33 ZPO? . . 205 1. Zulässigkeit eines Widerantrags im einstweiligen Verfügungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 2. Zulässigkeit einer petitorischen Feststellungsgegenverfügung . . 206 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 V. Resümee zur petitorischen Widerklage . . . . . . . . . . . . . . . 208

§  7 Erlöschen der Besitzschutzansprüche bei Rechtsmissbrauch des possessorischen Klägers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 I. §  242 BGB als Einfallstor für die Grundrechte . . . . . . . . . . . 209 II. Voraussetzungen für die Bejahung von Rechtsmissbrauch . . . . . 210 1. Höherwertige Grundrechte außerhalb der Wertung des §  863 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 2. Das Eigentumsgrundrecht innerhalb der Wertung des §  863 BGB 212 a) §  229 BGB zur vorgeschalteten Vermeidung einer Rechtsvereitelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 b) Nachträgliche Gefahr einer Rechtsvereitelung oder unbilligen Härte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 aa) Objektive Kriterien für unbillige Härte . . . . . . . . . . 213 bb) Subjektive Kriterien für unbillige Härte . . . . . . . . . . 214 c) Ergebniskorrektur über das Zwangsvollstreckungsrecht? . . . 215 III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216

§  8 Possessorischer Besitzschutz de lege ferenda . . . . . . . . 217 I. Annäherung an eine lex ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 1. Anknüpfungspunkte für Verbesserungen . . . . . . . . . . . . . 217 2. Selbsthilfe als aktuelles und künftiges gesellschaftliches Problem? 219 II. Europäischer Rechtsvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220

XX

Inhaltsverzeichnis

1. Possessorischer Besitzschutz in den kontinental-europäischen ­Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 a) Deutschsprachige Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 aa) Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 (1) Definition von Besitz . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 (2) Ausgestaltung des possessorischen Besitzschutzes und Verhältnis zum petitorischen Recht . . . . . . . . . . 224 (3) Strafrechtliche Sanktionierung von Selbsthilfe . . . . 225 bb) Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 (1) Definition von Besitz . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 (2) Ausgestaltung des possessorischen Besitzschutzes und Verhältnis zum petitorischen Recht . . . . . . . . . . 225 cc) Ergebnis für den deutschsprachigen Raum . . . . . . . . 226 b) Romanische Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 aa) Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 (1) Definition von Besitz . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 (2) Ausgestaltung des possessorischen Besitzschutzes und Verhältnis zum petitorischen Recht . . . . . . . . . . 227 (3) Strafrechtliche Sanktionierung von Selbsthilfe . . . . 228 bb) Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 (1) Definition von Besitz . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 (2) Ausgestaltung des possessorischen Besitzschutzes und Verhältnis zum petitorischen Recht . . . . . . . . . . 229 cc) Spanien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 (1) Definition von Besitz . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 (2) Ausgestaltung des possessorischen Besitzschutzes und Verhältnis zum petitorischen Recht . . . . . . . . . . 231 (3) Strafrechtliche Sanktionierung von Selbsthilfe . . . . 231 dd) Ergebnis für die romanischen Länder . . . . . . . . . . . 232 2. Der possessorische Besitzschutz im Draft Common Frame of Reference (DCFR) der Europäischen Union . . . . . . . . . . 232 a) Besitz und Besitzer im DCFR . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 b) Besitzschutz bei Störung oder Entziehung des Besitzes . . . . 233 c) Verhältnis des possessorischen Besitzschutzes zum petitorischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 d) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 3. Fazit: Niedergang des possessorischen Besitzschutzes als europäischer Trend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 III. De lege ferenda – „kleine Lösung“ im BGB: Veränderung der §§  863, 864 II BGB sowie §§  861 II, 862 II BGB? . . . . . . . . . 236

Inhaltsverzeichnis

XXI

1. Aufnahme des Erfordernisses der „sofortigen Durchsetzbarkeit“ in §  864 II BGB? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 2. Weitergehende Modifikationen zugunsten eines milderen oder strengeren Besitzschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 a) Anpassung an die Rechtsprechungspraxis . . . . . . . . . . . 237 aa) Erforderliche Modifikationen . . . . . . . . . . . . . . . 238 bb) Wortlaut einer neuen Einrede in §  861 II BGB und §  862 II BGB n. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 (1) Anspruch wegen Besitzentziehung . . . . . . . . . . 239 (2) Anspruch wegen Besitzstörung . . . . . . . . . . . . 239 cc) Erläuterung einer neuen Einrede in §  861 II BGB und §  862 II BGB n. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 (1) Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 (2) Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 (3) Vollstreckungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 dd) Auswirkung auf die Zulässigkeit der petitorischen Widerklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 ee) Abschließende Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 b) Verankerung des Grundsatzes spoliatus ante omnia est restituendus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 aa) Konkrete Verortung des spoliatus-Grundsatzes . . . . . . 242 bb) Folgen für die Durchsetzungsmodalitäten des possessorischen und petitorischen Anspruchs . . . . . . . 242 cc) Abschaffung von §§  861 II, 862 II BGB . . . . . . . . . 244 (1) Gesetzliches Leitbild . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 (2) Gegenentwürfe in der Literatur . . . . . . . . . . . . 245 (3) Eigene Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 dd) Abschließende Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 3. Ergebnis zu einer lex ferenda innerhalb des BGB . . . . . . . . 248 IV. De lege ferenda – „große Lösung“: Alternativen zum possessorischen Besitzschutz im BGB? . . . . . . . . . . . . . . . 249 1. Abschaffung der §§  861 ff. BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 a) Verbleibende Ansprüche bei Besitzstörung . . . . . . . . . . 249 b) Verbleibende Ansprüche bei Besitzentziehung . . . . . . . . 250 c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 2. Besondere ermessensgeleitete Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 a) Ermessensentscheidungen im deutschen Zivil(prozess)recht . 252

XXII

Inhaltsverzeichnis

b) Ausgestaltung einer besonderen besitzschützenden ­Ermessensverfügung in der ZPO . . . . . . . . . . . . . . . 252 aa) Mögliche Vorteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 bb) Verbleibende Gültigkeit der allgemeinen Vorschriften . . 254 c) Konkrete Verortung einer besonderen Ermessensverfügung . 254 d) Wortlaut und Erläuterung eines künftigen §  940a ZPO n. F. . . 255 e) Abschließende Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 3. Sanktion und Prävention über das Strafrecht . . . . . . . . . . . 258 a) Strafbarkeit von Selbsthilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 b) Hypothetische Strafnorm im StGB? . . . . . . . . . . . . . . 259 c) Konkrete Verortung einer potentiellen Strafnorm . . . . . . . 259 d) Wortlaut und Erläuterung einer potentiellen Strafnorm . . . . 259 e) Abschließende Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 V. Fazit zu den Möglichkeiten de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . 262

§  9 Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . 265 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Gesetzesmaterialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291

Abkürzungsverzeichnis Hinsichtlich der verwendeten Abkürzungen wird auf folgende Werke Bezug genommen: Duden, Die deutsche Rechtschreibung, 27.  Auflage, Berlin 2017. Kirchner, Hildebert (Begr.), Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 9.  Auflage, Berlin etc. 2018.

§  1 Einleitung I. Der Besitz als Forschungsgegenstand Der Besitz ist eine Einrichtung, die seit Jahrtausenden besteht:1 Sofern er an tat­ sächliche Sachherrschaft anknüpft, ist der Besitz sogar ein vorrechtlicher Zustand, welcher der normativen Konkretisierung des Eigentums vorausgeht. In der gegen­ wärtigen Rechtsordnung kann der Besitz als nichts weniger als der Mittelpunkt des äußeren menschlichen Gemeinschaftslebens und als zentraler Bezugspunkt im Rechtsverkehr bezeichnet werden. Dabei erfüllt er unterschiedlichste Funktionen. So ist der Besitz Voraussetzung für den Erwerb dinglicher Rechte, soweit nicht im gegenwärtigen Recht Registereintragungen diese Funktion übernommen haben. Er macht die güterrechtliche Zuordnung nach außen hin sichtbar und erleichtert im Prozess ihren Beweis. Der Besitzer wird darüber hinaus, und darauf ist die vor­ liegende Arbeit fokussiert, unabhängig vom Bestehen eines Besitzrechts gegen den Verlust des Besitzes und gegen Beeinträchtigungen seiner Ausübung geschützt. Angesichts seines hohen Stellenwerts und der Diversität seiner Funktionen gilt das Gebiet des Besitzes in der Rechtswissenschaft indes auch als „ein so gründlich Durchackertes, dass es ein verzweifeltes Unternehmen scheint, auf eine Scholle stoßen zu wollen, die nicht schon mehrfach hin- und hergeworfen wurde“.2 Rudolf von Jhering kritisierte in diesem Zusammenhang einst, der Be­ sitz sei die „Wolluste unter den Rechtsinstituten“, „weich und biegsam“, und für den Juristen, der wissenschaftlich sonst nicht viel zustande bringe, der „be­ quemste Ablagerungsplatz für seine ungesunden Ideen“.3 Die Ziele einer wissen­ schaftlichen Arbeit, die sich eingehend mit dem Schutz des Besitzes auseinan­ dersetzt, bedürfen insofern weiterer Erläuterungen.4 1 

Die Zuordnung von Sachen zu einer menschlichen Herrschaftssphäre dürfte schon in der Steinzeit erfolgt sein. Forschungen zufolge definierten sich Männer bereits im frühen Neolithi­ kum vor 7000 Jahren über ihren Besitz. Eine ordentliche Steinaxt nahm man bis ins Grab mit, Bentley/Bickle/Fibiger u. a., PNAS 109 (2012), 9326–9330. 2  Güller, Unfreiwilliger Besitzesverlust, S.  1. Die Aussage entstammt den 1920er Jahren, trifft heute also umso mehr zu. 3  V. Jhering, Besitzwille, S.  284 f. 4  Der Schutz eines faktischen Zustands, unabhängig von einem subjektiven Recht zum Be­

2

§  1 Einleitung

II. Ausgangslage: Der Besitzschutz nach §§  858 ff. BGB und die Aktualität von Selbsthilfe Das BGB legt mit §  858 BGB fest, dass, wer den Besitz ohne den Willen des Besitzers und ohne gesetzliche Gestattung entzieht oder stört, verbotene Eigen­ macht begeht und widerrechtlich handelt. Der Besitzer darf sich gem. §  859 BGB mit Notwehr oder Selbsthilfe gegen den Täter zur Wehr setzen. Ihm stehen au­ ßerdem gem. §§  861 f. BGB Ansprüche auf Wiederherstellung der ursprüng­ lichen Besitzlage und auf Unterlassung künftiger Störungen zu. Dieses Schutz­ system impliziert etwas offenbar höchst Widersprüchliches: Der Besitz ist grund­ sätzlich gegen jeden Angriff geschützt, somit auch gegen einen Angriff seitens der Person, der das Recht zum Besitz oder zur Vornahme der Besitzstörung zu­ steht, §  863 BGB. Dabei wird man noch relativ leicht den Grundsatz akzeptieren können, dass es Aufgabe staatlicher Organe, nicht aber von Privatpersonen sei, ein subjektives Recht durchzusetzen;5 als unbegreiflich kann es jedoch durchaus empfunden werden, wenn selbst der Besitz von Dieben – Inbegriff schutzunwür­ diger Personen – gegenüber dem wahren Berechtigten geschützt wird. Hinzu kommt, dass seit der Verankerung der entsprechenden Normen im BGB knapp 120 Jahre mit beträchtlichen gesellschaftlichen Änderungen verstrichen sind.6 Mittlerweile dürfte in der Bevölkerung vollends das Bewusstsein verbreitet sein, dass der einzig zulässige Weg zur Wahrung von Rechten der Gerichtsprozess ist. Auch die praktische Wirksamkeit der staatlichen Rechtsschutzaktivitäten ist trotz teilweise steigender Prozessdauer in Deutschland eindeutig feststellbar. In­ sofern mag es fragwürdig erscheinen, ob der Besitzschutz zur Zurückdrängung eines etwaigen „Faustrechts“ in der modernen rechtsstaatlichen Gesellschaft noch relevant ist. In den 1980er Jahren sah sich bereits Wolfgang Schünemann angesichts zeit­ genössischer Entwicklungen veranlasst, die Frage nach der Aktualität von Selbst­ hilfe aufzuwerfen, und er kam zu dem Ergebnis, dass das Thema keineswegs er­ sitz, ist im Zivilrecht historisch gewachsen; seine Begründung wurde bereits vor Erlass des BGB eingehend juristisch behandelt. Vor allem im 19. Jahrhundert gab es hierzu eine lebhafte Dis­ kussion, wobei diese primär auf eine dogmatische Rückführung auf die römischen Inter­dikte rekurrierte, siehe die Werke von v. Jhering, Über den Grund des Besitzesschutzes, und v. Savigny, Das Recht des Besitzes. 5  Auch die heute unter dem Begriff Alternative Dispute Resolutions zusammengefassten al­ternativen Wege der Streitbeilegung münden letztlich allesamt in einem staatlichen Vollstre­ ckungsverfahren, vgl. unter anderem §  1060 ZPO. 6  So wurden mittlerweile die monarchischen Privilegien abgeschafft und ein effektives Rechtsschutzsystem mit gleichem Zugang für alle etabliert sowie über das Grundgesetz verfas­ sungsrechtlich abgesichert.

III. Problemstellung und daraus resultierende Zielsetzung der Arbeit

3

ledigt sei.7 In einem der damaligen Beispielsfälle holte eine Hamburger Reederei in einer „Nacht- und Nebel-Aktion“ ein von ihr verchartertes Schiff aus einem ausländischen Hafen zurück, weil der Vertragspartner keine Zahlungen leistete. In einem anderen Fall unternahmen es Lieferanten einer in Konkurs gefallenen Supermarkt-Kette, Warenbestände aus dem Lager des Schuldners in das eigene zu bringen. Auch die aktuelle Rechtsprechung der letzten Jahre lässt darauf schließen, dass sich das Phänomen der verbotenen Eigenmacht fortsetzt. In den zugrunde liegenden Sachverhalten werden eigenmächtig Zäune oder Grenzbauten errich­ tet8 oder von Vermietern gegen den Widerstand der Mieter Sanierungsmaßnah­ men an Wohnungen vorgenommen9; auf Baustellen sichern sich Auftraggeber eigenmächtig die vom Unternehmer eingebrachten Baumaterialien zur Verwirk­ lichung vermeintlicher Rechte10. Insgesamt ist als signifikante Entwicklung in modernen Wirtschaftsstrukturen festzustellen, dass Eigentum und unmittelbarer Besitz immer häufiger auseinander fallen. Laut des Bundesverbands Deutscher Leasing-Unternehmen sind im Jahr 2018 wertmäßig fast ein Viertel aller neuen mobilen Investitionsgüter in Deutschland geleast worden – die Tendenz ist stei­ gend.11 Fragen der Berechtigung hängen somit immer mehr von (strittigen) Ver­ trägen ab; die eingegangenen wirtschaftlichen Risiken können ihrererseits wie­ derum zu Eigenmacht verleiten.

III. Problemstellung und daraus resultierende Zielsetzung der Arbeit All dies ist Anlass, sich erneut mit dem Schutz des Besitzes auseinanderzusetzen – und zwar unter Zuspitzung auf das Problem des petitorisch berechtigten Täters verbotener Eigenmacht. In dieser Konstellation entsteht die im BGB wohl ein­ zigartige Möglichkeit des Erlasses sich widersprechender Entscheidungen: Der Besitzer hat einen Anspruch auf Herausgabe der Sache oder auf Beseitigung und Unterlassung der Störung, gegen den der Anspruchsgegner gem. §  863 BGB ein 7  Schünemann, Selbsthilfe, S.  4 ff., mit einer Auswertung diverser Zeitungsartikel zu dem Thema, in denen er nur „die Spitze des Eisbergs“ sah. 8  OLG Karlsruhe ZMR 2017, 660–663. 9  LG Berlin ZMR 2013, 113–114; LG Berlin NJW-RR 2015, 14 (14). 10  OLG Stuttgart NJW 2012, 625–630. 11  https://jahresbericht.leasingverband.de/leasing-markt-und-umfeld/marktbericht-2018/ (zuletzt abgerufen am 22.09.2019). Aktuell werden außerdem rund 75 % aller Pkw-Neuzulas­ sungen in Deutschland über Leasing- und Finanzierungsmodelle auf die Straße gebracht, siehe Automobilbanken-Studie 2019 des Arbeitskreises der Banken der Automobilwirtschaft, abruf­ bar unter https://www.autobanken.de/publikationen (zuletzt abgerufen am 22.09.2019).

4

§  1 Einleitung

Recht zum Besitz nicht als Einwendung geltend machen darf; der Gegner kann aber jederzeit die Herausgabe der Sache aufgrund eines Besitzrechts oder die Duldung der Störung aufgrund eines Rechts zur Vornahme der Störung einklagen und somit einen diametral entgegengesetzten Titel erreichen. In welchem Ver­ hältnis die Ansprüche zueinander stehen, regelt §  864 II BGB nur teilweise: Der Besitzschutzanspruch erlischt, wenn das Recht des Beklagten nach Begehung der verbotenen Eigenmacht durch rechtskräftiges Urteil festgestellt ist. Dass ge­ richtliche Entscheidungen nicht nur als Urteil ergehen und sie zudem vor Rechts­ kraft vollstreckbar sein können, ferner verbotene Eigenmacht auch nach Erlass einer das Besitzrecht bestätigenden Entscheidung begangen werden kann, liegt auf der Hand. §  864 II BGB führt also zwar geradewegs ins Prozessrecht, verliert dessen Vielgestaltigkeit dann aber – scheinbar – aus dem Blick. Es bleibt die große Frage, wann das Gesetz dem Besitzschutzanspruch den (vorübergehen­ den) Vorrang gegenüber dem Besitzrecht einräumt und ein Hin und Her an Leis­ tungen und Vollstreckungen in Kauf nimmt und in welchen Fällen dieses durch­ aus prozessunökonomische Phänomen einer Korrektur bedarf. Trotz der zahlreichen Schriften, die sich dem Besitz widmen, fehlt es an einer Gesamtdarstellung des Spannungsfeldes zwischen unberechtigtem Besitzer und berechtigtem Täter verbotener Eigenmacht, insbesondere hinsichtlich der zivilpro­ zessualen und vollstreckungsrechtlichen Folgeprobleme.12 Entscheidungsbespre­ chungen fristen ein Kümmerdasein, in Kommentaren findet sich meist nur eine Darstellung von Einzelproblemen. Am geläufigsten dürfte dabei noch das Problem der Behandlung einer sog. petitorischen Widerklage sein. Insgesamt zeigt sich in­ nerhalb der Rechtsprechung und herrschenden Lehre der letzten Jahrzehnte eine deutliche Tendenz, über Analogien oder die Herausbildung eines „allgemeinen Rechtsgedankens“ die Rechtsfolge des §  864 II BGB zugunsten prozessökonomi­ scher Ergebnisse unter Zurückdrängung des Besitzschutzanspruchs zu erzielen, um ein Hin und Her der Anspruchsvollstreckung zu vermeiden. Dogmatische De­ tails werden dabei überaus uneinheitlich behandelt. Sowohl für den Besitzschutz begehrenden Anspruchsteller als auch für den sein Besitzrecht geltend machenden Täter verbotener Eigenmacht herrscht mitunter große Rechtsunsicherheit. 12  Neuere Auseinandersetzungen finden sich bei Sosnitza, Besitz und Besitzschutz (Habilita­ tion, 2003), und Müller, Besitzschutz in Europa (Dissertation, 2010). Sosnitza beschäftigt sich al­ lerdings nur in einem eingeschränkten Umfang mit dem possessorischen Besitzschutz, entwickelt darüber hinaus noch Lösungen zu bereicherungsrechtlichen, deliktischen, vollstreckungsrecht­ lichen und insolvenzrechtlichen Fragestellungen zum Besitz. Müller unternimmt eine rechtsver­ gleichende Analyse des Besitzschutzes für Deutschland, Österreich, Schweiz, Frankreich, Italien und England mit anschließendem Transfer auf ein potentielles europäisches Besitzschutzrecht, geht dabei aber – dem eher darstellenden Charakter der Arbeit geschuldet – hinsichtlich der genau­ eren dogmatischen Probleme des possessorischen Schutzes im BGB nicht in die Tiefe.

IV. Methodische Vorüberlegung

5

Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, das Spannungsverhältnis zwischen dem Besitzschutz und dem Recht des Täters verbotener Eigenmacht in allen Aus­ prägungen darzustellen und möglichst interessengerecht aufzulösen. Über eine sorgsame rechtsdogmatische Durchdringung der materiellen Normen, insbeson­ dere unter Ergründung der Vorstellungen des historischen Gesetzgebers, soll im Ergebnis Handlungssicherheit de lege lata geschaffen werden. Die Auseinandersetzung mit dem Thema ist schließlich nicht nur dogmatisch, sondern auch rechtspolitisch relevant, da sie – die Ablehnung verbotener Eigen­ macht als Konsens unterstellt – auf die grundlegende Problemstellung hinaus­ läuft, wie gesellschaftlicher Frieden zu sichern ist. Die vorliegende Arbeit fragt auch grundsätzlich danach, ob beziehungsweise inwieweit die heutigen Normen zu dogmatischen Widersprüchen führen oder den Bedürfnissen der Praxis nicht mehr gerecht werden. In diesem Zusammenhang kann das Augenmerk auf eine lex ferenda gelegt werden. Es sollen Überlegungen zu der Frage erfolgen, welche Normen innerhalb des BGB modifiziert werden könnten oder wie der Zweck des Besitzschutzes außerhalb materiellrechtlicher Ansprüche verwirklicht werden könnte. Unter Berücksichtigung des Strebens nach Privatrechtsharmonisierung innerhalb der Europäischen Union soll zudem aufgezeigt werden, in welchem Umfang und mit welchen Mitteln der Besitz in anderen europäischen Rechtsord­ nungen geschützt wird und welche Vorstellungen bereits für einen gemeinsamen europäischen Besitzschutz geäußert wurden – stets unter dem Aspekt der Kon­ fliktbewältigung zwischen nichtberechtigtem Besitzer und berechtigtem Störer. Eine Diskussion des Besitzbegriffs und der Rechtsnatur des Besitzes ist zwar eine wichtige Voraussetzung für eine Untersuchung des Besitzschutzes, kann im Rahmen dieser Arbeit aber nicht in detaillierter Weise verfolgt werden. Vielmehr soll gezeigt werden, dass eine Erörtertung der Begründung des Besitzschutzes erst Aufschluss gibt über Möglichkeiten und Grenzen eines allgemeingültigen rechtlichen Besitzbegriffs: Der Besitzschutz eröffnet den Horizont für ein Ver­ ständnis des Besitzbegriffs und der Rechtsnatur des Besitzes.

IV. Methodische Vorüberlegung 1. Der Besitz: Möglichkeit einer Begriffsbestimmung? Wenn es um den Besitzschutz geht, kommt man nicht umhin, sich damit zu be­ fassen, was unter dem Begriff des Besitzes überhaupt verstanden wird. Als le­ bensweltliches Phänomen kann Besitz im weitesten Sinne als Näheverhältnis von Lebewesen zu belebten oder unbelebten Objekten verstanden werden. In diesem Sinne besitzt jeder Mensch einen Teil seiner Umwelt. Mit der Betrach­

6

§  1 Einleitung

tung und Kategorisierung eines solchen vorrechtlichen Zustands sind notwendig Zuschreibungen verbunden, die wertende und zuordnende Elemente enthalten. Damit ist ein erster Schritt zur Verrechtlichung vollzogen. In seiner elementar­ sten Form stellt sich die Frage: „Wer darf was besitzen?“ Die Frage nach den Möglichkeiten eines Besitzschutzes ist der vorstehenden Frage inhärent oder zu­ mindest eine logische Folge. Als unumgänglicher Ausgangspunkt der sachenrechtlichen Verhältnisse13 er­ fährt der Besitz seine Verortung im 1.  Abschnitt des 3.  Buchs des BGB. Nach einer Definition des Besitzes sucht man dort aber vergeblich. Der Gesetzgeber zweifelte an der Möglichkeit einer exakten und unmissverständlichen gesetz­ lichen Festlegung des Begriffs.14 Die herrschende Auffassung geht heute von den Regelungen über Erwerb und Verlust des Besitzes gem. §§  854, 856 BGB aus und schließt hieraus, dass unmittelbarer Besitz tatsächliche Sachherrschaft er­ fordert. Friedrich Carl von Savigny definierte den Besitz einer Sache sehr plastisch als einen Zustand, in welchem nicht nur die eigene Einwirkung auf die Sache phy­ sisch möglich sei, sondern auch jede fremde Einwirkung verhindert werden kön­ ne. So besitze der Schiffer sein Schiff, aber nicht das Wasser, auf welchem er fahre, obgleich er sich beider zu seinen Zwecken bediene.15 Dieses einleuchtende Beispiel bezieht sich freilich auf einen eher einfachen Lebenssachverhalt. In der zunehmenden Komplexität der Lebensverhältnisse wird unter Geltung des BGB teilweise auch eine vermehrte Vergeistigung des Besitzes festgestellt. Die fak­ tische Beziehung zu einer Sache als Erfordernis des Besitzes werde zugunsten einer mehr und mehr von rechtlichen Elementen beherrschten Beziehung ge­ lockert.16 Die verschiedenen Erscheinungsformen des Besitzes belegten gerade­ zu eine Stufenleiter der Vergeistigung; sie führe vom unmittelbaren Besitz, bei dem die tatsächliche Beziehung am stärksten sei, über die Besitzdienerschaft und über den mittelbaren Besitz zum (fiktiven) Besitz des Erben. 13  Dies gilt jedenfalls, solange nicht aufgrund der zunehmenden Bedeutung von Daten (stichwortartig Big Data, Industrie 4.0, Internet of Things) das Sachenrecht eine gänzlich neue Gestaltung erfährt. Daten sind keine Sachen nach §  90 BGB und erfahren daher bislang keinen Schutz durch die sachenrechtlichen Institute des Besitzes und des Eigentums. Für die Zukunft erscheint es nicht undenkbar, dass sowohl die wirtschaftliche als auch die soziale Bedeutung tatsächlicher Sachherrschaft abnimmt. Siehe zur Diskussion um die Schaffung eines Sachen­ rechts der Daten Markendorf, ZD 2018, 409–413; Steinrötter, MMR 2017, 731–736. Zur Mög­ lichkeit eines zivilrechtlichen „Datenbesitzes“ siehe Hoeren, MMR 2019, 5–8. 14  Aus Gründen der Praktikabilität sollte das BGB lediglich nähere Bestimmungen über Erwerb, Fortsetzung und Ende des Besitzes beinhalten, siehe Motive, Band  III, S.  80 = Mugdan, Band  III, S.  44. 15  V. Savigny, Recht des Besitzes, S.  26. 16  Stadler, in: Soergel, BGB, Vor §  854 Rn.  5.

IV. Methodische Vorüberlegung

7

Mehrheitlich wird indes die Suche nach einer klaren Begriffsbestimmung des Besitzes als methodisch problematischer Ausgangspunkt angesehen. Der ad­ äquatere Ansatz sei es, in Zweifelsfällen den tatsächlichen Zustand darauf hin zu prüfen, ob er des Besitzschutzes nach allen Richtungen, in denen dieser gilt, würdig sei.17 Für das Verständnis des Besitzes sei folglich weniger sein Wesen als seine Funktion wichtig. Diese Auffassung liegt auch dieser Arbeit zugrunde. Die vorzunehmende Überprüfung, welche Besitzformen dem im BGB veranker­ ten possessorischen Schutz aus welchen Gründen unterfallen, dient letztlich der Konkretisierung des Besitzbegriffs.

2. Terminologie: Possessorische und petitorische Ansprüche Der Schutz der §§  858 ff. BGB, der sich allein auf die Tatsache des Besitzes grün­ det, wird „possessorischer Besitzschutz“ genannt. §  861 und §  862 BGB werden im Folgenden als „possessorische Ansprüche“ bezeichnet. Die Terminologie folgt aus den römisch-rechtlichen Wurzeln des Besitzschutzes: Die possessio, die in Rom die reine Innehabung von Grund und Boden in Abgrenzung zum privaten Eigentum bedeutete, wurde schon damals ohne Berücksichtigung eines Rechts zum Besitz geschützt.18 Auch das gemeine Recht und die deutschen par­ tikularstaatlichen Kodifikationen übernahmen die Terminologie: Mit dem sog. possessorium war der Besitzschutzprozess gemeint.19 Die Verwendung des Be­ griffs ist auch heute nicht unüblich.20 Im Gegensatz zum possessorischen Anspruch bezieht sich der sog. „petitori­ sche Anspruch“ auf ein (endgültiges) Recht zum Besitz. Als sog. petitorium wur­ de im römischen Recht die gerichtliche Klage wegen des Rechts an einer Sache bezeichnet. Heute gelten §§  985, 1007, 2018 BGB als klassische petitorische Ansprüche.21 Insbesondere §  1007 BGB wird in Abgrenzung zum possessori­ schen Besitzschutzanspruch und ungeachtet seiner gesetzlichen Verortung bei den „Ansprüchen aus dem Eigentum“ als sog. petitorischer Besitzschutzanspruch bezeichnet, da er an den früheren Besitz anknüpft.22 Nach §  1007 III BGB i. V. m. 17 

Brodmann, in: Planck, BGB, Vor §  854 sub 3; Heck, Sachenrecht, §  3.2 = S.  11; Joost, in: MüKo-BGB, Vor §  854 Rn.  2; Westermann/Gursky/Eickmann, Sachenrecht, §  8, Rn.  2 = S.  90; Wieling, Sachenrecht I, §  3 I a = S.  122. Siehe im Übrigen die ähnlichen Überlegungen des Gesetzgebers, Protokolle, Band  III, S.  28 = Mugdan, Band  III, S.  502. 18  Dedek, ZEuP 1997, 342 (346); Köbler, Juristisches Wörterbuch, s. unter „possessio“, S.  335. 19  Siehe dazu unter §  2 I.4. 20  Siehe H. Schmidt, NZM 2015, 553 (555); Schneider, MDR 1998, 21 (23); Smid, JuS 1982, 892 (892 f.). 21  Reich/Schmitz, Grundlagen, S.  367. 22  Ausführlich Wilhelm, Sachenrecht, Rn.  530 = S.  318 f.

8

§  1 Einleitung

§  986 BGB kann einem Herausgabeanspruch, wie dem aus §  985 BGB, jedoch jedes bessere Recht zum Besitz als Einwendung entgegengehalten werden. Wenn im Rahmen dieser Arbeit von petitorischen Ansprüchen, petitorischen Einwen­ dungen oder von der petitorischen Widerklage die Rede ist, so beziehen sich auch diese Termini nicht nur auf die Geltendmachung dinglicher, sondern auch obligatorischer Rechte.23

3. Das Verhältnis des Zivilverfahrensrechts und der Zwangsvollstreckung zum materiellen Recht Der possessorische Besitzschutz und sein Verhältnis zum Besitzrecht betreffen die ebenso interessante wie konfliktträchtige Schnittstelle zwischen Verfahrens­ recht und materiellem Recht. Es stellt sich die Frage, wie sich zwei berechtigte, aber diametrale Klagebegehren, nämlich der possessorische und der petitorische Anspruch, miteinander in Einklang bringen lassen. Spätestens bei der Zwangs­ vollstreckung kommt es dabei „zum Schwur“. Dass der Besitzschutz lediglich auf eine vorläufige, das Recht zum Besitz dagegen auf eine endgültige Regelung der Besitzverhältnisse zielt, hilft bei der Lösung nur wenig, da der Gesetzgeber keine besonderen Verfahrensvorschriften für den Besitzschutz vorgesehen hat und das „normale“ Prozessrecht – wie im Folgenden aufgezeigt wird – den Be­ sonderheiten des Gegeneinanders von possessorischem Besitzschutz und petito­ rischem Recht nur schwerlich gerecht wird. Insbesondere dann, wenn das mate­ rielle Recht keine ausdrückliche Regelung vorgibt, erscheint es vom Grundsatz der Prozessökonomie her durchaus „praktisch“, dem Anspruch zum Erfolg zu verhelfen, welcher sich letztlich ohnehin durchsetzen soll. Die ganz herrschende Meinung bejaht deswegen zum Beispiel die Zulässigkeit einer petitorischen Wi­ derklage und weist sodann die Besitzschutzklage als unbegründet ab. Die für diese Arbeit relevante Problemstellung beinhaltet somit auch die grundsätzliche Frage, in welchem Verhältnis materielles Recht und Prozessrecht zueinander ste­ hen. Als Ausgangspunkt dienen dabei folgende Grundgedanken: Das materielle Zivilrecht beinhaltet Regelungen der Bürger zueinander „auf der Grundlage ihrer Gleichberechtigung und Selbstbestimmung“24 und hat die Entstehung sowie den Inhalt von Rechtsverhältnissen und den Erwerb subjekti­ ver Rechte zum Gegenstand. Das Verfahrensrecht bezweckt dagegen, das aus 23 

In Rechtswörterbüchern ist der „petitorische Anspruch“ nur als der aus dem Eigentum stammende definiert, Köbler, Juristisches Wörterbuch, s. unter „Anspruch“, S.  22; die extensi­ ve Verwendung des Begriffs in Bezug auf jedes dingliche oder obligatorische Recht ist aber in Lehrbüchern üblich, siehe die Verwendung bei Wieling, Sachenrecht I, §  5 IV 3 a = S.  207. Erläuterungen zu den Begriffen auch bei Gutzeit, in: Staudinger, BGB, §  861 Rn.  1. 24  Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, S.  1.

IV. Methodische Vorüberlegung

9

dem Zivilrecht resultierende Recht des Einzelnen auszubedingen und durchzu­ setzen.25 Da dies unter Mithilfe hoheitlich handelnder Staatsorgane geschieht, ist das Verfahrensrecht als ein Teilgebiet des öffentlichen Rechts einzuordnen. Die unterschiedliche Zuordnung zu den zwei großen Rechtsgebieten gebietet in der Folge, das Zivilverfahrensrecht als selbständig und nicht als ein bloßes „Anhäng­ sel“ des materiellen Rechts anzusehen.26 In diesem Sinne lässt sich von einer öffentlich-rechtlichen Perspektive aus sagen, dass der Zivilprozess den objekti­ ven Zielen der Rechtsbewährung und der Herstellung des Rechtsfriedens dient.27 Dies lässt sich allerdings bereits aus dem Verbot der Selbsthilfe herleiten. Wer im Prozess nur eine Einrichtung zur Friedenswahrung sieht, der erwartet von ihm nicht mehr als das, was letztlich auch eine administrative Anordnung zu leisten vermag.28 Die heute herrschende Auffassung betont deshalb zutreffend, dass das Zivilprozessrecht kein sich selbst genügendes „l’art pour l’art“29 ist, sondern der konkreten Verwirklichung subjektiver materieller Rechte dient.30 Gemeinhin ist deshalb auch vom „dienenden Charakter“ des Verfahrensrechts die Rede.31 In 25  Diese Denkweise war nicht immer vorherrschend. Insbesondere im Rahmen der römisch-­ rechtlichen actiones wurden die individuellen Rechte eher von den Klagerechten und nicht so sehr von der Rechtsordnung her bestimmt. Demjenigen, der mit Aussicht auf Erfolg klagen konnte, stand unausgesprochen auch ein Recht zur Seite, siehe ausführlich Braun, Lehrbuch des Zivilprozessrechts, S.  36 ff. Auch die Besitzschutzklagen im römischen Recht entsprachen dieser Vorstellung, siehe sogleich unter §  2 I.1. 26  Rauscher, in: MüKo-ZPO, Einleitung Rn.  29. Dies ist historisch auch der Tatsache ge­ schuldet, dass die Kodifizierung der bestehenden ZPO (seit 1879 in Kraft) länger zurückliegt als die des BGB (seit 1900 in Kraft). Legislativ wurden viele Begrifflichkeiten, die in beiden Gesetzen verwendet werden, nur mangelhaft abgestimmt und sie sind bis heute unterschiedlich zu beurteilen. Prominentestes Beispiel ist wohl der materiellrechtliche und der zivilprozessuale „Anspruch“ (§  194 BGB und §  322 ZPO). Gleiches gilt für das Anerkenntnis und den Verzicht, siehe Säcker, in: MüKo-BGB, Einleitung Rn.  7. 27  Lüke, Beteiligung Dritter, S.  238; v. Mettenheim, Der Grundsatz der Prozeßökonomie, S.  19. 28  Gaul, AcP 168 (1968), 27 (59). 29  Formulierung bei Säcker, in: MüKo-BGB, Einleitung Rn.  8. 30  BGH NJW 1992, 438 (439); Henckel, Prozessrecht und materielles Recht, S.  64; Lüke, Beteiligung Dritter, S.  238; Musielak, in: Musielak/Voit, ZPO, Einleitung Rn.  5; Rauscher, in: MüKo-ZPO, Einleitung Rn.  8; Säcker, in: MüKo-BGB, Einleitung Rn.  8; a. A.: Braun, Lehr­ buch des Zivilprozessrechts, S.  11, der den Zweck in der Beilegung eines Rechtsstreits unab­ hängig von bestehenden objektiven Rechten sieht. Die bekannte Äußerung von Stein, Grundriß des Zivilprozeßrechts, Vorwort, S.  XIV, der Prozess sei für ihn das „technische Recht in seiner allerschärfsten Ausprägung, von wechselnden Zweckmäßigkeiten beherrscht, der Ewigkeits­ werte bar“, steht dem Gedanken des Schutzes subjektiver Rechte dagegen nicht fern, da Stein das Prozessrecht dem Prinzip materieller Gerechtigkeit unterworfen sehen will. Differenzie­ rend Stürner, in: FS Henckel zum 90. Geburtstag, S.  360 (361 ff.). 31  BVerfGE 42, 64 (73); BGH NJW 1992, 438 (439); Rauscher, in: MüKo-ZPO, Einleitung Rn.  27; K. Schmidt, in: FS Schumann, S.  405 (405); a. A.: Häsemeyer, AcP 188 (1988), 140 (149 ff.).

10

§  1 Einleitung

Fällen, in denen das Verfahrensrecht dem materiellen Recht rein prozedural zur Geltung verhelfen soll, indem es mit Regelungen hinsichtlich des Prozessgangs aufwartet, muss es sich den materiellen Wertungen unterwerfen. Dies gilt auch für die Zwangsvollstreckung. Diese ist zwar vom Erkenntnisverfahren getrennt und – gemäß dem sog. Formalisierungsprinzip – an äußerlich erkennbare Tatbe­ stände gebunden, sodass die mit der Vollstreckung betrauten besonderen Rechts­ pflegeorgane das materielle Recht grundsätzlich nicht unmittelbar zur Grundlage der Maßnahmen machen.32 Allerdings existiert schon von Gesetzes wegen eine „Auflockerung der Formalisierung“33 durch Normen, die das Vollstreckungs­ organ dazu verpflichten, materiellrechtliche Merkmale zu beachten.34 Dies be­ legt, dass das Formalisierungsprinzip nicht zur Folge hat, dass das materielle Rechtsverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner völlig vernachlässigt wird.35 Die Vollstreckung ist kein Selbstzweck. Das Schuldverhältnis zwischen Gläubi­ ger und Schuldner beherrscht als Causa der Vollstreckung vielmehr das gesamte Vollstreckungsverfahren. Im Laufe der Vollstreckung kann es durchaus not­ wendig werden, an die materiellrechtliche Beziehung zwischen Gläubiger und Schuldner rückanzuknüpfen – jedenfalls im Rahmen von Vollstreckungsvorschrif­ ten, die, wie §  890 ZPO, ohnehin eine wertende Betrachtung des zugrunde lie­ genden Titels verlangen.

V. Zum Aufbau und Gang der Untersuchung Die Analyse der Problemstellungen des possessorischen Besitzschutzes beginnt mit einer kurzen Skizzierung der historischen Besitzschutzsysteme, da die heuti­ gen Regelungen des BGB bis auf das römische Recht zurückgehen und die Kenntnis der historischen Entwicklung für ein vertieftes Verständnis heutiger Ansätze unumgänglich ist (§  2). In einem nächsten Schritt wird eine tragfähige Begründung für einen zivilrechtlichen Besitzschutz diskutiert. Dafür werden so­ wohl bereits vor Entstehung des BGB entwickelte, prominente Ansätze darge­ stellt als auch modernere Überlegungen erläutert. Im Mittelpunkt steht dabei die Rückführung eines Begründungsansatzes auf die konkreten, heute geltenden Be­ sitzschutznormen (§  3). Deren Kernstück bildet der Einwendungsausschluss 32  Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, §  5, Rn.  39 ff. = S.  82; Stürner, ZZP 99 (1986), 291 (315). 33  Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, §  5, Rn.  40, 53 = S.  83, 86 f. 34  Ein Beispiel sind §§  756, 765 ZPO, wonach der materiellrechtliche Annahmeverzug Vor­ aussetzung des Vollstreckungsbeginns für die Zug-um-Zug-Vollstreckung ist. 35  So auch Stamm, Prinzipien und Grundstrukturen, S.  61. Ob das Vollstreckungsorgan auch zur Prüfung materieller Rechtsfragen qualifiziert ist, hängt wiederum vom jeweiligen Fall ab.

V. Zum Aufbau und Gang der Untersuchung

11

gem. §  863 BGB. Diese Norm enthält nicht nur ein Beschleunigungsgebot für das possessorische Verfahren, sie bringt auch zum Ausdruck, dass §§  858 ff. BGB Sanktionsnormen im Zivilrecht sind. Diese Besonderheit des materiellen Besitzschutzes wird durch prozessuale Privilegien zugunsten des Besitzers ver­ stärkt (§  4). Auf Grundlage dieser gewonnenen Erkenntnisse richtet sich die Ar­ beit sodann auf ihre Zielsetzung im engeren Sinne aus: Fallkonstellationen, die das Verhältnis zwischen dem possessorischen Anspruch und dem petitorischen Anspruch betreffen, werden konkreten Lösungen zugeführt. Im Mittelpunkt steht dabei das Verhältnis des §  863 BGB zum Erlöschenstatbestand des §  864 II BGB, dessen Ursprung und Bedeutung ausgiebig untersucht werden. Zusätzlich wer­ den Streitfragen in den Blick genommen, die nicht §  864 II BGB, sondern ande­ re Vorschriften betreffen (§  5). Ein eigenes prozessrechtliches Kapitel widmet sich schließlich der Behandlung einer petitorischen Widerklage und eines petito­ rischen Widerantrags im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (§  6). Für den petitorisch berechtigten Täter verbotener Eigenmacht können sich aufgrund des scharfen Schwerts des Besitzschutzes auch unbillige Ergebnisse ergeben, wenn der Besitzer seine Ansprüche in rechtsmissbräuchlicher Weise geltend macht. Für den Einzelfall ist daher eine Dogmatik für eine Ergebniskorrektur zu entwickeln (§  7). In einem abschließenden Kapitel werden Ansatzpunkte zur Re­ gelung des Besitzschutzes de lege ferenda vorgestellt, die vorhandene Wider­ sprüche in der Dogmatik de lege lata beseitigen könnten. Als Impuls dienen da­ bei auch die Regelungsgefüge anderer europäischer Rechtsordnungen (§  8). Die Ergebnisse der Arbeit werden am Ende zusammengefasst (§  9).

§  2 Der possessorische Besitzschutz aus rechtsgeschichtlicher Perspektive Die konkrete Ausgestaltung der heutigen Vorschriften des BGB zum Besitz­ schutz erfolgte insbesondere durch Rückbezug auf vorangegangene Kodifikatio­ nen beziehungsweise in Abgrenzung von diesen. Auch der Besitzschutz unserer Nachbarrechtsordnungen basiert auf der weit zurückreichenden Geschichte des Besitzschutzes in Europa.1 Die historische Entwicklung stellt sich nicht als eine stringente Fortführung des Besitzschutzes dar, sondern war im Gegenteil höchst wechselvoll; gleichwohl ist sie für ein vertieftes Verständnis unterschiedlicher Ansätze zum Institut des Besitzes als solchem sowie zu dessen Schutz sehr auf­ schlussreich. Die überlieferten Regelungen sollen hier zunächst systematisiert dargestellt werden.

I. Der Besitzschutz vor Entstehung des BGB 1. Römisches Recht: Die Interdikte Wie die Wurzeln so vieler Strukturen und Rechtsinstitute des BGB lassen sich die des Besitzschutzes im römischen Recht ausfindig machen. In Rom2 wurde früh die Idee etabliert, dass der Ausübung von Sachgewalt eine eigenständige juristische Bedeutung zukommt.3 Es existierte ein zweifacher Begriff des Besit­ zes, je nach seiner Funktion: Es gab den Besitz als Voraussetzung für den Eigen­ tumserwerb, etwa bei der Ersitzung (possessio ad usucapionem), und den Besitz, soweit er Voraussetzung für den Besitzschutz war (possessio ad interdicta).4 Das römische Recht kannte allerdings nur den unmittelbaren Besitz, wobei die sog. 1 

Zu anderen europäischen Kodifikationen siehe ausführlich unter §  8 II. Die Geschichte des römischen Rechts ist keine Geschichte der Rechtspraxis des römi­ schen Reiches. Es handelt sich hier vielmehr um ein Ideal-Recht der Stadt Rom – hervorge­ bracht von einer kleinen Gruppe Rechtsgelehrter, siehe Harke, Römisches Recht, Einleitung Rn.  3 = S.  2. 3  Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, §  19, Rn.  1. 4  Prominent herausgearbeitet von v. Savigny, Recht des Besitzes, S.  29 ff. Siehe auch Kaser/ 2 

14

§  2 Der possessorische Besitzschutz aus rechtsgeschichtlicher Perspektive

possessio ebenso Konstellationen umfasste, die man heute als mittelbaren Besitz bezeichnet. Nach römischer Auffassung lag auch in diesen Fällen tatsächliche Sachherrschaft vor. Besitzer war jeder Eigenbesitzer und eine feste Zahl von Fremdbesitzern: Pfandgläubiger, Erbpächter, Prekaristen5 und Sequester.6 Alle anderen Fremdbesitzer (im heutigen Sinne) galten nicht als possessores. Insbe­ sondere Mieter und Pächter nahmen nach römischer Verkehrsauffassung eine so untergeordnete Stellung ein, dass man sie nicht als Inhaber der tatsächlichen Ge­ walt ansah. Das bedeutete im Verhältnis zwischen Mieter und Vermieter, dass der Vermieter den Mieter vertreiben konnte, ohne verbotene Eigenmacht (im heuti­ gen Sinne) zu begehen.7 Dem Schutz des Besitzers einer Sache diente in Rom das sog. Interdiktenver­ fahren. Hierbei handelte es sich um eine besondere, beschleunigte Verfahrensart, die den Erlass von Ge- und Verboten durch den Prätor ermöglichte.8 Im Rahmen des Besitzschutzes konnten die Interdikte entweder in Form eines Befehls zur Rückgabe der Sache (interdicta recuperandae possessionis) oder eines Verbots, eine bestehende Besitzlage zu verändern oder zu stören (interdicta retinendae possessionis), ergehen. Die Eigentümerstellung einer Partei spielte schon damals keine Rolle. Die Ursprünge des Interdiktenverfahrens werden im ager publicus vermutet, das heißt im eroberten Feindesland, das Staatseigentum wurde.9 Die­ ses Land überließ der Staat einzelnen Bürgern zur Nutzung. Entstand zwischen zwei Bürgern Streit über das Land, konnte nicht auf eine etwaige Eigentümer­ stellung rekurriert werden, sondern nur auf den (letzten) Besitz. Zur Erhaltung des Besitzes dienten zwei verschiedene Interdikte, je nachdem, ob es sich um den Besitz an Immobilien oder an beweglichen Sachen handelte. Das interdictum uti possidetis ermöglichte, dass der gegenwärtige Besitzer eines Grund­ stücks gegen jede gewaltsame Störung geschützt war, wenn er nicht selbst den Be­ sitz von seinem Gegner mit Gewalt oder heimlich (vi aut clam) oder aufgrund der Bittleihe erlangt und die überlassene Sache trotz Aufforderung durch den Gegner nicht zurückgegeben hatte (precario). Wer also seinen Besitz durch Eigenmacht der anderen Partei verloren hatte und somit die Einrede des fehlerhaften Besitzes gel­ tend machen konnte (exceptio vitiosae possessionis), wurde nicht gehindert, sich Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, §  25, Rn.  7 ff. (zur usucapio) und §  19, Rn.  11 ff. (zu den interdicta). 5  Der Prekarist war derjenige, dem eine Sache von einem anderen unentgeltlich auf jeder­ zeitigen Widerruf überlassen worden war und der den Schutz nur gegenüber Dritten, nicht ge­ genüber dem Verleiher genoss. 6  H. Honsell, Römisches Recht, S.  52 f.; Kaser, Das römische Privatrecht I, S.  387 f. 7  Dedek, ZEuP 1997, 342 (344); Dernburg, Pandekten II, S.  308. 8  Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, S.  408 ff. 9  Kaser, Das römische Privatrecht I, S.  387; Wieling, in: FS Krause, S.  571 (572).

I. Der Besitzschutz vor Entstehung des BGB

15

den Besitz im Wege von Selbsthilfe wieder zu beschaffen. Das Interdikt untersagte lediglich die Gewaltanwendung gegen den letzten fehlerfreien Besitzer.10 Die Erhaltung des Besitzes an beweglichen Sachen hatte das interdictum utrubi zum Ziel. Im Gegensatz zum Besitzschutz von Immobilien wurde hier nicht der gegenwärtige Besitzer geschützt, sondern derjenige, der innerhalb des letzten Jahres vor Erlass des Interdikts die Sache am längsten fehlerfrei besessen hatte. Das interdictum utrubi diente auch zur Wiedererlangung von beweglichen Sachen. Zur Wiedererlangung des Besitzes an einem Grundstück war das interdictum unde vi vorgesehen, das einer Klagefrist von einem Jahr unterlag und für das ebenfalls die exceptio vitiosae possessionis galt.11 Überwiegend wird vertreten, dass der Zweck des Interdiktenschutzes darin lag, eigenmächtigen Veränderungen der Besitzverhältnisse entgegenzuwirken.12 Der öffentliche Frieden war insbesondere durch die Begehrlichkeiten bezüglich neu gewonnener Ländereien gefährdet. Selbsthilfe sollte zurückgedrängt wer­ den; von einem vollständigen Selbsthilfeverbot kann im Hinblick auf die ex­ ceptio vitiosae possessionis allerdings nicht die Rede sein. Zudem war es für den Besitzschutz maßgeblich, dass die Sachherrschaft zu einem bestimmten Zweck ausgeübt wurde. Ein rein possessorisches Verfahren existierte nicht. Die Inter­ dikte verfolgten außer der Bekämpfung der Eigenmacht zudem noch den weite­ ren Zweck der Vorbereitung des Streits um das Eigentum. Gelang es dem Opfer einer Besitzentziehung, sich mit dem Interdikt den Besitz wieder zu verschaffen, musste die andere Partei mit der Herausgabeklage des Eigentümers (rei vindicatio) gegen ihn vorgehen, womit die oft schwierige Beweisführung der Eigen­ tumsverhältnisse verbunden war.13 Im nachklassischen Recht rückte die Bekämpfung der verbotenen Eigenmacht – aufgrund der Unruhen in der Gesellschaft im Zuge des Zerfalls des Römischen Reichs14 – noch mehr in den Vordergrund. Die exceptio vitiosae possessionis wurde aufgehoben. Die Interdikte konkurrierten mit strafrechtlichen Sanktionen. Übte der Eigentümer einer Sache verbotene Eigenmacht aus, konnte er sogar sein Eigentumsrecht verwirken.15 10 

Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, §  21, Rn.  7. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, §  22, Rn.  13. 12  H. Honsell, Römisches Recht, S.  53; Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, S.  408 ff.; Müller, Besitzschutz, S.  15. 13  H. Honsell, Römisches Recht, S.  53. Gab dagegen der mit dem Interdikt Belangte die Sa­ che nicht heraus, so wurde er zu einer Geldzahlung verurteilt, Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, §  21, Rn.  6, 10. Die Frage nach dem Recht zum Besitz gewann hier an Relevanz, siehe Wieling, in: FS Krause, S.  571 (573 f.), der zugleich auf die Schwierigkeiten bei der Bestim­ mung der Geldsumme hinweist, wenn z. B. der Kläger überhaupt kein Recht zum Besitz hatte. 14  Kaser, Das römische Privatrecht II, S.  257. 15  Harke, Römisches Recht, §  13, Rn.  37 = S.  231. 11 

16

§  2 Der possessorische Besitzschutz aus rechtsgeschichtlicher Perspektive

2. Kanonisches Recht: Die Spolienklage Der heutige Besitzschutz stellt keine reine Fortbildung des römischen Rechts dar, sondern beruht ebenso auf Rechtsinstituten des kanonischen Rechts. Mit der Spolienklage gab es im Mittelalter eine besondere besitzschützende Klageart. Diese geht auf die sog. Spolieneinrede zurück. Danach musste einem Bischof, der von seinem Sitz vertrieben oder seines Vermögens beraubt worden war, alles zurückgegeben werden, damit er sich gegen eine Anklage angemessen verteidi­ gen konnte.16 Vor Rückgabe des Besitzes konnte also kein Gerichtsverfahren über das Recht zum Besitz geführt werden. Der historische Hintergrund für diese besondere Einrede liegt in den gewalt­ tätigen Konflikten zwischen dem Klerus und den weltlichen Mächten im Mittel­ alter. In den gefälschten Dekretalen des Pseudo-Isidor17 beanspruchte die Ein­ rede Rechtsgeltung und wurde anschließend offiziell durch Aufnahme in das Decretum Gratiani18 etabliert. Später entwickelte man aus diesen Texten ein ei­ genes Klagerecht (actio spolii) gegen jeden Spolianten, auch gegen jeden bös­ gläubigen Besitznachfolger. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausge­ rechnet aus dem Werk eines Fälschers ein ganz neues System der possessori­ schen Klagen, ja sogar des Besitzes selbst hergeleitet wurde.19 Die Spolienklage unterscheidet sich von den Interdikten in mehrfacher Hin­ sicht. Sie stand jedem Inhaber tatsächlicher Sachherrschaft unabhängig vom Rechtsgrund zu. Ein Nachweis gewaltsamer Besitzentziehung war nicht notwen­ dig; es genügte ein unfreiwilliger Besitzverlust.20 Der Grundsatz des absoluten Vorranges der Restitution – spoliatus ante omnia est restituendus – galt aus­ nahmslos, sodass nicht nur die Einwendung aus besserem Recht, sondern auch die Einrede des fehlerhaften Besitzes ausgeschlossen war. In sachlicher Hinsicht wurde neben dem Besitzschutz an Grundstücken und beweglichen Sachen auch der Besitzschutz an Rechten wie zum Beispiel dem Mietrecht anerkannt.21 War die Spolienklage zunächst auf Geistliche zugeschnitten, so wurde ihr persön­ 16  K. G. Bruns, Recht des Besitzes, S.  144; Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, S.  232 f. 17  Pseudo-Isidor ist der übergreifende Name einer einzigartigen und wirkmächtigen Kir­ chenrechtsfälschung aus der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts. Der Hauptzweck der Fälschung lag darin, die Bischöfe vor dem Zugriff ihrer Metropoliten und der weltlichen Machthaber zu schützen, siehe Fuhrmann, Einfluß und Verbreitung der pseudoisidorischen Fälschungen II, S.  591 f. 18  Das Decretum Gratiani bildet den ersten Teil einer Sammlung von sechs Rechtsbüchern, die im Corpus Iuris Canonici zusammengefasst sind. 19  Zu der Entwicklung auch v. Savigny, Recht des Besitzes, S.  510. 20  Prager, Allgemeine Lehren, S.  306. 21  Wieling, in: Hundert Jahre Japanisches Zivilgesetzbuch, S.  361 (384).

I. Der Besitzschutz vor Entstehung des BGB

17

licher Anwendungsbereich im Laufe der Zeit universell ausgeweitet. Das kano­ nische Recht schuf somit einen umfassenden possessorischen Schutz aller Eigen- und Fremdbesitzer.

3. Germanisches Recht: Die Gewere In den germanischen Nachfolgereichen des Römischen Reichs entwickelten sich zum Teil recht unübersichtliche germanische Stammesrechte. In diesen existierte kein echter Besitzschutz. Eine Trennung zwischen Besitz und Recht zum Besitz unterblieb. In der sog. Gewere war die Sachherrschaft eng mit einem Recht an der Sache verbunden: Das äußere Verhältnis der Person zur Sache wurde als Herrschaftsrecht an der Sache anerkannt.22 Etymologisch haben die „Gewere“ nichts mit Wehr, Gewehr oder Gewähr zu tun. Das mittelalterliche Verb wern bedeutete so viel wie einkleiden. Im rechtlichen Kontext wurde damit die Hand­ lung bezeichnet, durch welche die Herrschaft über ein Grundstück in rechtsförm­ licher Weise übertragen wurde: Die Person wurde sinnbildlich mit dem Grund­ stück eingekleidet.23 Aufgrund der der Gewere zugrunde liegenden Vermutung der Rechtmäßigkeit durfte sie nicht eigenmächtig, sondern nur durch gerichtliches Urteil gestört wer­ den. Im Liegenschaftsrecht war gegen eigenmächtige Störungen ein Gewaltrecht vorgesehen. Wurde der Inhaber dennoch von einem Grundstück vertrieben, be­ stand seine Gewere ideell fort, aus der sich sodann ein Anspruch auf Wiederher­ stellung der Sachherrschaft ergab.24 Hintergrund war, dass die Gewere in einer Art öffentlichem Verleihungsakt durch die Gemeinschaft zur wirtschaftlichen Nutzung zugeteilt wurden, an ihrem Erhalt also ein öffentliches Interesse be­ stand.25 Es existierten auch rein ideelle Gewere ohne Rücksicht auf die tatsäch­ lichen Verhältnisse: Wem ein Grundstück durch gerichtliche Auflassung übertra­ gen oder durch Gerichtsurteil zugesprochen wurde, hatte automatisch die Gewe­ re.26 Gleiches galt für denjenigen, der ein Grundstück durch Erbschaft erhielt.27 Bei den Fahrnisgeweren bedeutete der Verlust der tatsächlichen Sachherr­ schaft hingegen den Verlust der Gewere. Eine auf fortbestehende fiktive Gewere 22 

Wieling, Sachenrecht I, §  3 II 3 = S.  129. Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, S.  209 ff.; Prager, Allgemeine Lehren, S.  304. 24  Heusler, Gewere, S.  269; Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, S.  215. 25  Müller, Besitzschutz, S.  27; Wieling, Sachenrecht I, §  3 II 3 = S.  130. 26  Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, S.  205, 211; Ogris, Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte I, s. unter „Gewere“, Sp.  1658 (1663). 27  Ogris, Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte I, s. unter „Gewere“, Sp.  1658 (1663). 23 

18

§  2 Der possessorische Besitzschutz aus rechtsgeschichtlicher Perspektive

gestützte Klage war nicht möglich.28 Ein Gewereinhaber, der die bewegliche Sa­ che vermietete oder verlieh, verlor die Gewere und konnte nur einen vertrag­ lichen Rückgabeanspruch geltend machen.29 Eine Klage gegen Dritte, die zwi­ schenzeitlich Inhaber geworden waren, war ausgeschlossen. Der unterschiedliche Schutz von Immobilien und Mobilien lässt sich dadurch erklären, dass bewegliche Sachen in der mittelalterlichen Wirtschaft als minder­ wertig galten, da es sich meist um alltägliche Ge- oder Verbrauchsgegenstände handelte; allerdings gehörten viele bewegliche Sachen als Zubehör eines Hauses oder Hofes ohnehin zu den Liegenschaftsgeweren und unterlagen deren Schutz.30 Insofern fällt es schwer, die Gewere mit der römischen possessio in Verbindung zu bringen, da der Schutz vor allem mit der Wertigkeit der Sache zusammenhing, die possessio hingegen auf die tatsächliche Sachherrschaft abstellte.31

4. Gemeines Recht: Renaissance des römischen Rechts Mit dem Ende des Mittelalters wurde das germanische Recht mehr und mehr zurückgedrängt; es wird jedoch unter anderem dem Institut der Gewere zuge­ schrieben, dass das gemeine Recht den mehrstufigen Besitz und den Übergang des Besitzes auf den Erben anerkannte.32 Das Besitzrecht des gemeinen Rechts bestand überwiegend aus einer Mischung kanonistischer und wiederentdeckter römischrechtlicher Regelungen – letztere allerdings nicht in Gestalt des klassi­ schen Rechts, sondern in der Form, die sie in der italienischen Doktrin, insbeson­ dere durch die Glossatoren, erhalten hatten.33 Der Besitzbegriff des gemeinen Rechts beruhte in seinen Grundzügen auf dem des römischen Rechts. Teilweise wurde als Voraussetzung für den Besitz ein animus domini verlangt, das heißt der Wille, die Sache wie ein Eigentümer zu besitzen. Die Vermengung der verschiedenen Rechtssysteme brachte unweigerlich Wi­ dersprüche mit sich. Beispielsweise gebot es der Respekt vor den römischrecht­ lichen Quellen auf der einen Seite, dem Vermieter oder Verpächter und nicht dem Mieter oder Pächter Besitzschutz zukommen zu lassen. Der Mieter war aber auf der anderen Seite über die aus dem kanonischen Recht stammende actio spolii 28 

V. Gierke, Deutsches Privatrecht II, S.  196. Siehe zum Grundsatz „Hand wahre Hand“ v. Gierke, Deutsches Privatrecht II, S.  206. 30  Ogris, Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, s. unter „Gewere“, Sp.  1658 (1662). 31  Hartung, Besitz und Sachherrschaft, S.  87. V. Gierke, Deutsches Privatrecht II, S.  189, äußert Kritik an Heusler, Gewere, S.  65, der sich bemüht, eine dogmatische Gemeinsamkeit herauszuarbeiten. 32  Heusler, Gewere, S.  447, 454; Hartung, Besitz und Sachherrschaft, S.  89; kritisch: Wieling, Sachenrecht I, §  6 I 1 = S.  227. 33  Harke, Römisches Recht, §  2, Rn.  6 ff. = S.  23 ff. 29 

I. Der Besitzschutz vor Entstehung des BGB

19

gegen Besitzverletzungen geschützt. Das preußische Allgemeine Landrecht (ALR) von 1794 nannte daran anknüpfend den besitzenden Eigentümer einen „vollständi­ gen Besitzer“, den Fremdbesitzer, der eine Sache im eigenen Interesse besaß, ei­ nen „unvollständigen Besitzer“. Letzterer war hinsichtlich seines vertraglichen Besitzrechts aber auch vollständiger Besitzer. Man erkannte insofern einen Besitz an Rechten an.34 Wer dagegen eine Sache in fremdem Interesse in seiner Gewalt hatte, hieß „Inhaber“. Der possessorische Schutz bestand für alle. Im Endeffekt privilegierte aber die herrschende Meinung denjenigen, der auch nach der Ver­ kehrsanschauung Inhaber der tatsächlichen Gewalt war, sodass zum Beispiel der Vermieter oder Verpächter gegen Dritte Besitzschutz genoss, im Verhältnis zum Mieter oder Pächter aber allein letzterer possessorisch geschützt war.35 Das gemei­ ne Recht gewährte nach römischem Vorbild zudem einen Schadensersatz bei Be­ sitzverletzungen. Die Frage, wie der Wert des reinen Besitzes ohne Rückgriff auf das Besitzrecht und den Wert der Sache zu berechnen war, blieb aber wie schon im römischen Recht hoch kompliziert und heftig umstritten.36 Ein bedeutsamer Fortschritt in der Durchdringung der damaligen Lehre vom Besitz wurde durch die sog. historische Rechtsschule, insbesondere durch ihren Begründer Friedrich Carl von Savigny erzielt. In seiner Monographie „Das Recht des Besitzes“ von 1803 analysierte er die Quellen des römischen Rechts. Savigny setzte sich für die Wiederherstellung der römischen Interdikte in ihrer ursprünglichen Form ein und wollte die Spolienklage nur noch dort gewähren, wo die römischen Interdikte eine Lücke ließen, etwa beim Rechtsbesitz;37 im Übrigen hielt er die Spolienklage für überflüssig, da nicht mit dem römischen System vereinbar.38 Die Lehren Savignys fanden in der Wissenschaft großen An­ klang, beeinflussten die Praxis aber nur gering.39 Dies mag daran liegen, dass das reine römische Recht den Bedürfnissen der Neuzeit – zum Beispiel im Hinblick auf den Mieterschutz – nicht mehr gerecht wurde.40 Im gemeinen Verfahrensrecht wurden die verschiedenen römischen Besitz­ schutzinterdikte aneinander angeglichen und zum sog. possessorium ordinarium zusammengefasst. Daneben bildete sich als eine Art Vorverfahren, das possesso34 

Wieling, in: Hundert Jahre Japanisches Zivilgesetzbuch, S.  361 (384). Dernburg, Pandekten I, S.  439, mit der Begründung, dass der possessorische Schutz des Mieters „den wirtschaftlichen Bedürfnissen und Rechtsanschauungen der neueren Zeit“ ent­ spreche. 36  Dazu K. G. Bruns, Besitzklagen, S.  189 ff.; v. Jhering, Grund des Besitzesschutzes, S.  96 Fn.  101. 37  V. Savigny, Recht des Besitzes, S.  518. 38  V. Savigny, Recht des Besitzes, S.  517. 39  K. G. Bruns, Recht des Besitzes, S.  418 f.; Scheuermann, Einflüsse der historischen Rechts­ schule, S.  112 f. 40  Scheuermann, Einflüsse der historischen Rechtsschule, S.  113. 35 

20

§  2 Der possessorische Besitzschutz aus rechtsgeschichtlicher Perspektive

rium summariissimum, heraus. Provisorisch wurde derjenige in den Besitz ein­ gewiesen, der die letzte ungestörte Besitzhandlung vorgenommen hatte.41 Somit wurden Gewalttätigkeiten während des ordinariums verhindert. Das ordinarium war als ein Streit um das bessere Recht konzipiert, mithin als ein petitorisches Verfahren. Einzig das summariissimum war ein possessorisches Verfahren. Zu dieser Aufspaltung äußerte sich Höpfner in seinem Kommentar zum da­ mals geltenden Recht wie folgt: „Weil aber über den Besitz oft heftige Streitigkeiten entstehen, und die Partheyen zu Täthlich­ keiten schreiten, indem sich ein Jeder im Besitz schützen will: in unsern Gerichten auch der Gang der Rechtpflege so langsam ist, daß die Untersuchung, wer von beyden Theilen nicht vi, clam und precario besitzt, viele Jahre dauern kann: so ist in den Deutschen Gerichten der Grundsatz angenommen: a) daß einer im Besitz geschützt werden müsse, wenn er auch nichts weiter, als den bloßen Besitz beweisen kann; sofern nur die Fehler des Besitzes nicht ganz of­ fenbar sind; b) daß er indessen aus dem Besitz weichen müsse, wenn der Gegentheil zeigt, daß er in einem ältern und besseren Besitz sey. Daher ist denn das interdictum uti possidetis, oder wie es die Praktiker nennen, das remedium possessorium entweder summariissimum oder or­ dinarium.“42

Es herrschte also die Vorstellung vor, die Besitzschutzklagen müssten schnell entschieden werden, wohingegen es kaum schadete, wenn sich die Klagen über das Recht des Besitzes – was in der schlecht ausgebildeten Justiz die Regel war – verzögerten. So ist auch Johann Wolfgang von Goethe zu verstehen, der 1772 in Wetzlar beim Reichskammergericht Rechtspraktikant war und dessen (spötti­ sche) Äußerungen zur Arbeit des Gerichts noch bis heute in aktuellen Werken zum Besitzschutz zitiert werden:43 „[…] frisch arbeiten sie weg alles, was kurz abgethan werden kann und muß, was über den Augenblick entscheidet, oder was sonst leicht beurtheilt werden kann, und so erscheinen sie im ganzen Reiche wirksam und würdig. Die Sachen von schwererem Gehalt hingegen, die eigent­ lichen Rechtshändel, blieben im Rückstand, und es war kein Unglück. Dem Staate liegt nur daran, daß der Besitz gewiß und sicher sei; ob man mit Recht besitze, kann ihn weniger küm­ mern. Deswegen erwuchs aus der nach und nach ausschwellenden ungeheueren Anzahl von verspäteten Processen dem Reiche kein Schade. Gegen Leute, die Gewalt brauchten, war ja vorgesehn, und mit diesen konnte man fertig werden; die übrigen, die rechtlich um den Besitz stritten, sie lebten, genossen oder darbten, wie sie konnten; sie starben, verdarben, verglichen sich; das alles war aber nur Heil oder Unheil einzelner Familien, das Reich ward nach und nach beruhigt. Denn dem Kammergericht war ein gesetzliches Faustrecht gegen die Ungehorsamen in die Hände gegeben […].“44 41 

Dernburg, Die allgemeinen Lehren und das Sachenrecht, S.  353. Höpfner, Theoretisch-practischer Commentar, Lib IV Tit. XV (de interdictis) §  1217 = S.  926. 43  Siehe nur Amend, JuS 2001, 124; Jacobi, Besitzschutz vor dem Kammergericht, S.  33; Wacke, in: FS Jayme, S.  1605 (1607); Wieling, in: FS Lübtow, S.  565 (572). 44  V. Goethe, Dichtung und Wahrheit III/12, S.  193 f. 42 

I. Der Besitzschutz vor Entstehung des BGB

21

5. Die frühen Partikularrechtskodifikationen An das gemeine Recht knüpften schließlich auch die Kodifikationen der deut­ schen Partikularstaaten des 18. und 19. Jahrhunderts an. Sie unterschieden zwi­ schen Besitzern mit animus domini und „Inhabern“ ohne einen solchen.45 Beide genossen Besitzschutz, wobei das sächsische BGB46 und der bayerische Ent­ wurf47 zumindest ein eigenes Interesse des Inhabers forderten. Der Besitzbegriff dieser Kodifikationen war strenger als der des römischen Rechts und mithin auch als der in Savignys Lehre, da er das Interesse von Fremdbesitzern nicht als schutzwürdig anerkannte. Allein das ALR fasste die römischen und kanonischen Regelungen des Besitzschutzes so zusammen, dass es Eigen- wie Fremdbesitz schützte. Die §§  146 ff. ALR (I, 7) regelten die Rückgabe des entzogenen Be­ sitzes und die Unterlassung von Störungen. Die „Allgemeine Gerichtsordnung für die Preußischen Staaten“ (AGO) bezeichnete das Besitzschutzverfahren als possessorium summariissimum. Eine Verurteilung zum Schadensersatz war nicht vorgesehen; dieser musste vielmehr im späteren Verfahren um das Recht geltend gemacht werden.48 Der preußische Besitzschutzprozess war also ein rein posses­ sorisches Verfahren; dieses diente maßgeblich als Vorbild für das BGB.49

6. Fazit zur historischen Entwicklung Im römischen, kanonischen und germanischen Recht haben sich verschiedene Formen von Besitzschutz mit unterschiedlichen Anknüpfungspunkten und Legi­ timationsstrategien herausgebildet. Von der Antike bis zur Neuzeit hat sich der Besitzschutz mehr und mehr vom Schutz des Eigentümers hin zum Schutz des­ jenigen, der die Sachherrschaft über die Sache ausübt, verlagert. Damit geht eine weitere gesellschaftspolitisch bedingte rechtliche Entwicklung einher, nämlich die zunehmende Gleichstellung der Bürger50 untereinander. In der Antike wurde eine Sache im Regelfall durch den Eigentümer genutzt. Soweit andere Personen mit der Sache umgingen, fehlte ihnen häufig – man denke nur an die Sklaven – ein selbständiger Rechtsstatus. Das Mittelalter war hingegen durch ein ausgeprägtes Lehnswesen gekennzeichnet. Die Grundstücke wurden häufig nicht unmittelbar 45  ALR

I, 7 §§  1, 3; SächsBGB §  186; Entwurf eines BGB für Bayern III Art.  1, Art.  40. SächsBGB §  208. 47  Entwurf eines BGB für Bayern III Art.  1. 48  AGO I, 31 §§  17, 18. 49  Wieling, in: FS Krause, S.  571 (586). 50  Mit „Bürgern“ wird an dieser Stelle freilich schon von der modernen Auslegung des Be­ griffs ausgegangen, d. h. im engeren Sinne die Mitglieder einer staatlichen Gemeinschaft als Träger von Bürgerrechten (Civil Rights, Droits des Citoyens) und gleichzeitig im weiteren Sin­ ne als Träger von Menschenrechten (Human Rights, Droits de l’Homme). 46 

22

§  2 Der possessorische Besitzschutz aus rechtsgeschichtlicher Perspektive

durch den Eigentümer, sondern von Beliehenen bewirtschaftet. Aus wirtschaft­ lich-sozialen Gründen entstand das Bedürfnis, die Lehnsnehmer langfristig zu etablieren und zu schützen, indem ihnen die Gewere zuerkannt wurde, wobei die­ ser Schutz freilich nicht gegenüber dem Lehnsherrn bestand. Im Zuge der Indus­ trialisierung im 19. Jahrhundert und dem zunehmenden Zirkulieren von immer mehr Gütern in einer sich allmählich entwickelnden modernen Konsumgesell­ schaft wurde es immer selbstverständlicher, dass Sachen nicht ausschließlich durch den Eigentümer genutzt wurden. Bei Miete, Pacht, Sicherungsübereignung und Eigentumsvorbehalt standen sich die Vertragspartner gleichberechtigt gegen­ über. Gleichzeitig wurde auch die Gesellschaft nach liberalen Prinzipien und in Anerkennung von rechtsstaatlichen Grundsätzen und Menschenrechten des Ein­ zelnen „zivilisiert“ – das Fehdewesen, das im Mittelalter besonders hart bekämpft worden war, wich Schlichtungs- und Gerichtsverfahren. Entsprechend schrieb der Jurist Emil Meischeider in seinem 1876 erschienen Werk „Besitz und Besitz­ schutz“: „Während einer mehr als zehnjährigen Thätigkeit als Mitglied von Pro­ zeßgerichten in preußischen Landestheilen, […] sind mir nur zwei Fälle, in denen Schutz des Sachbesitzes verlangt worden, vorgekommen.“51 Der Streit über den Besitz war aus seiner Sicht zu einem Ausnahmefall geworden.

II. Die Entstehung der Besitzvorschriften des BGB Der für den Entwurf des Sachenrechts eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich zuständige Jurist Reinhold Johow wollte – anknüpfend an ­Meischeider – einen rein possessorischen Besitzschutz überhaupt nicht mehr verankern. Im Gegensatz zum Rechtspraktikanten Goethe, der noch zugespitzt behauptet hatte, dass die ihr Recht zum Besitz geltend machende Partei eher sterbe, als dass ihre Klage beschieden werde, vertraute er auf einen gut organi­ sierten Staat: „In Zeiten innerer Friedlosigkeit, wo die Organe der die Rechtsordnung schirmenden Staats­ gewalt nicht stark genug sind, die Neigung der Bürger (oder einzelner mächtiger Stände) zu rücksichtsloser, gewaltthätiger Eigenmacht niederzuhalten, gehört das strikte Possessorium, geschärft durch den Satz: spoliatus ante omnia restituendus, zu den wirksamsten Mitteln der Bekämpfung der Eigenmacht. Bei uns ist der innere Friede durch die kraftvolle Organisation der Staatsgewalt mehr als jemals gesichert; wir werden besonderer privatrechtlicher Zwangs­ mittel zur Bekämpfung der Friedensstörung nicht nöthig haben.“ 52 51  Meischeider, Besitz und Besitzschutz, S.  192, mit einem Plädoyer für die Abschaffung eines possessorischen Schutzes. 52  Johow, Begründung zum Teilentwurf, S.  442, abgedr. bei Schubert, Vorlagen der Redak­ toren, Sachenrecht I, S.  566.

II. Die Entstehung der Besitzvorschriften des BGB

23

1. Der Vorentwurf Nach Johow sollte ein potentieller Besitzschutz nur darauf abzielen, die Sache in die Hand des wahren Berechtigten zu bringen.53 Besitz im Sinne von Johows Vorentwurf war gleichbedeutend mit Eigenbesitz. Die verbotene Eigenmacht war an das Erfordernis des Verschuldens geknüpft.54 Ein vom petitorischen Recht unabhängiger Besitzschutz für bewegliche Sachen wurde als überflüssig emp­ funden. Die Aufrechterhaltung einer materiell ungerechtfertigten Besitzlage hielt Johow sogar für gefährlich, weil der Besitzer noch zulasten des Eigentümers über die Sache verfügen konnte. Wer unfreiwillig um seinen Besitz gebracht war, sollte auf die Geltendmachung seines Rechts zum Besitz verwiesen bleiben. Der Inhaber, dem die Sache nur vom Eigentümer anvertraut war, sollte bei unfreiwil­ ligem Verlust der Sachherrschaft zwar ebenso klageberechtigt sein, allerdings nur in Vertretung des Eigentümers.55 Besitzschutz für Grundstücke wurde gleich­ falls nur im Gesetz implementiert, um dem Recht zum Besitz zu dienen:56 Das Recht zum Besitz am Grundstück bedurfte nach Ansicht Johows keines mittelba­ ren Schutzes über einen eigenständigen Besitzschutz, da mit der Einführung des Grundbuchsystems gewährleistet war, dass das Eigentum leicht geltend gemacht werden konnte.57 Ein Schutzbedürfnis bestand nach seiner Ansicht höchstens für den nicht eingetragenen Eigenbesitzer, zum Beispiel den Auflassungsgläubiger, falls diesem die Sachherrschaft entzogen wurde.58 Zum Zwecke einer für die wirtschaftliche Dynamik wichtigen raschen, vorläufigen Regelung des streitigen Besitzverhältnisses war nach Johow im Übrigen die einstweilige Verfügung der CPO geeignet, die den Streit um das bessere Recht vorläufig befrieden konnte.59 Wohl in Anbetracht der Tatsache, dass Polizei und Sicherheitskräfte als öffent­ liche Ordnungsmacht noch nicht breit genug aufgestellt waren, ergänzte Johow die Besitzvorschriften noch um eine Norm, die jeden Inhaber für berechtigt er­ klärte, sich gewaltsam gegen eigenmächtige Entsetzung oder Störung zu weh­ 53 

Johow, Begründung zum Teilentwurf, S.  441, abgedr. bei Schubert, Vorlagen der Redak­ toren, Sachenrecht I, S.  565. 54  Vgl. §  74 des Teilentwurfs Sachenrecht sowie Johows Begründung zum Teilentwurf, S.  452, beides abgedr. bei Schubert, Vorlagen der Redaktoren, Sachenrecht I, S.  26, S.  576. 55  Johow, Begründung zum Teilentwurf, S.  443, abgedr. bei Schubert, Vorlagen der Redak­ toren, Sachenrecht I, S.  567. 56  Vorschläge des Redaktors Johow betreffend die Ansprüche aus dem verlorenen Besitze eines Grundstücks, S.  1, abgedr. bei Schubert, Vorlagen der Redaktoren, Sachenrecht III, S.  765 f. 57  Siehe auch Meischeider, Besitz und Besitzschutz, S.  190 ff. 58  Bemerkungen des Redaktors Johow zu den Vorschlägen, S.  6 ff., abgedr. bei Schubert, Vorlagen der Redaktoren, Sachenrecht III, S.  770 ff. 59  Bemerkungen des Redaktors Johow zu den Vorschlägen, S.  19 f., abgedr. bei Schubert, Vorlagen der Redaktoren, Sachenrecht III, S.  783 f.; siehe auch Meischeider, Besitz und Besitz­ schutz, S.  195 f.

24

§  2 Der possessorische Besitzschutz aus rechtsgeschichtlicher Perspektive

ren.60 Diese zunächst unscheinbar wirkende Bestimmung wurde zum Ausgangs­ punkt für den sich vollziehenden Wandel hin zu den geltenden Vorschriften des BGB. Johow wollte den Umfang der Notwehrbefugnis, obwohl er sie bloß für das Strafrecht als Rechtfertigungsgrund für bedeutsam erachtete, näher bestim­ men, da seiner Ansicht nach das Strafrecht auf die zivilrechtliche Feststellung angewiesen sei. Johow wies die Notwehrbefugnis bewusst jedem Inhaber reiner Sachherrschaft zu. Er begründete dies damit, dass die Abwehr eines handgreif­ lichen Angriffs nur im gegenständlichen Zusammenhang mit der Sache denkbar sei.61 Notwehr und Selbsthilfe sollten auch demjenigen, der eine fremde Sache im eigenen rechtlichen Interesse innehatte, zustehen. Es kam also nicht mehr auf den Eigenbesitz an – womit letztlich dem Konzept Savignys gefolgt wurde, der jeden Inhaber allgemein als verteidigungsberechtigt ansah.62 Die Notwehrrechte waren somit im Vorentwurf die einzigen possessorischen Verteidigungsmittel.

2. Die Änderungsvorschläge Johow konnte sich mit dem Vorschlag, den rein possessorischen Schutz aufzu­ geben, bei der Ersten Kommission nicht durchsetzen. Man votierte dafür, bei Grundstücken keine Einwendungen aus dem besseren Recht gegen den Besitz­ schutzanspruch zuzulassen. Später forderte man, diesen Besitzschutz auch auf bewegliche Sachen auszudehnen.63 Um die Besitzschutzansprüche an sein Sys­ tem anzupassen, fand Johow folgende Lösung: Sie wurden auf eine Ebene mit den Befugnissen der Notwehr und Selbsthilfe gebracht. Wie letztere sollten auch jene der „Aufrechterhaltung der räumlichen Herrschaft“64 dienen. Dem Inhaber der Sachherrschaft wurde also der Vorzug vor dem juristischen Besitzer gegeben; das räumliche Verhältnis, das durch Notwehr verteidigt werden konnte, musste auch zur Voraussetzung der possessorischen Ansprüche werden. Zur Anpassung an die Notwehrbefugnis, die auch bei schuldlosen Angriffen gegeben sein sollte, 60  Der Entwurf unterschied insofern zwischen der „Inhabung“, d. h. der tatsächlichen Sach­ herrschaft, und dem „Besitz“, als Sachherrschaft mit animus domini. 61  Johow, Begründung zum Teilentwurf, S.  421 f., abgedr. bei Schubert, Vorlagen der Re­ daktoren, Sachenrecht I, S.  545 f. 62  V. Savigny, Recht des Besitzes, S.  37. 63  Aufgrund der Kritik der Ersten Kommission fügte Johow dem Entwurf später einen §  83b hinzu, der einen possessorischen Besitzschutzanspruch auch dem Inhaber einer beweglichen Sache nach dem für die Grundstücke geltenden Inhalt zubilligte, abgedr. bei Jakobs/Schubert, Beratung des BGB, Sachenrecht I, S.  178, 221. Die Erste Kommission beschloss sodann in Ansehung der Ansprüche keinen Unterschied zwischen Mobilien und Immobilien zu machen, abgedr. bei Jakobs/Schubert, Beratung des BGB, Sachenrecht I, S.  178. 64  Anhang II zum 1.  Abschnitt des Sachenrechts, Änderungsvorschläge der Referenten, ab­ gedr. bei Jakobs/Schubert, Beratung des BGB, Sachenrecht I, S.  216.

II. Die Entstehung der Besitzvorschriften des BGB

25

wurde der Grundtatbestand der verbotenen Eigenmacht vom Verschuldenserfor­ dernis befreit. Der Grund, mit dem Johow nun die possessorischen Ansprüche und das Notwehrrecht rechtfertigte, war das Gewaltverbot gegen den Besitzer als absoluter Rechtsgrundsatz – vim ne facias possidenti. Das Gewaltverbot greift denknotwendig nur zugunsten desjenigen, der sich eines Angriffs wiederum selbst gewaltsam erwehren kann, der also Inhaber der räumlichen Herrschaft über die Sache ist. Der Eigenbesitz war damit als Voraussetzung des Besitzschut­ zes durch die bloße Inhabung der tatsächlichen Sachherrschaft abgelöst worden.

3. Die Beratung der Ersten Kommission Die Erste Kommission schloss sich der geänderten Sichtweise Johows an, wo­ nach die Besitzschutzklagen eine Erweiterung der Gewaltrechte seien. Es wurde erwogen, dass es „weder konsequent noch billig“ sei, das Opfer verbotener Ei­ genmacht darunter leiden zu lassen, dass es von seinem Verteidigungsrecht nicht erfolgreich Gebrauch gemacht habe oder habe machen können.65 Dem Inhaber die Besitzschutzklagen zu gewähren, erachtete man in der Folge „für unbedenk­ lich und den bisherigen Beschlüssen entsprechend.“66 Insofern war es ebenso selbstverständlich, die possessorischen Klagen den Gewaltrechten nachzubilden und sie von der Frage nach dem Recht zum Besitz unabhängig zu gestalten, das heißt petitorische Einwendungen auszuschließen.67 Auch wurde es begrüßt, die Frage nach Schadensersatz im Besitzschutzprozess nicht zu erörtern.68

4. Die Beratung der Zweiten Kommission Die Anknüpfung des Besitzschutzes an die Inhabung wurde von der Zweiten Kommission nicht mehr in Frage gestellt. Allerdings griff man verbreitete Kritik an der bisherigen Terminologie auf:69 Nach dem Ersten Entwurf sollte nur derje­ nige Besitzer sein, der eine Sache als die seinige innehat. Tatsächliche Sachherr­ schaft ohne diesen animus domini war die „Inhabung“. Diese Duplizität wurde als unhaltbar angesehen, da der Entwurf im Grunde überhaupt nur „Inhabungs­ 65  Abgedr.

bei Jakobs/Schubert, Beratung des BGB, Sachenrecht I, S.  170. bei Jakobs/Schubert, Beratung des BGB, Sachenrecht I, S.  179. 67  Motive, Band  III, S.  117 = Mugdan, Band  III, S.  65. 68  Protokolle der Ersten Kommission, S.  3545–3546, zitiert nach Schubert, Entstehung der Vorschriften, S.  71. Johow meinte, die Verletzung des reinen Besitzes sei keine Vermögensver­ letzung, ein Geldersatz könne daher nur als eine Privatstrafe ausgesprochen werden, was aber nicht Aufgabe des Privatrechts sei, Begründung zum Teilentwurf, S.  447 f., abgedr. bei Schubert, Vorlagen der Redaktoren, Sachenrecht I, S.  571 f. Siehe dazu auch unter §  4 II.3.b)aa). 69  V. Gierke, Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs, S.  295; Strohal, JherJb 29 (1890), 336 (360); O. Wendt, AcP 74 (1889), 135 (135 ff.). 66  Abgedr.

26

§  2 Der possessorische Besitzschutz aus rechtsgeschichtlicher Perspektive

schutz“ kannte, der nur mittelbar zugleich auch Besitzschutz war.70 Der Begriff des Besitzes wurde daher vom Erfordernis des animus domini befreit. Soweit letzterer zum Eigentumserwerb erforderlich war, sollte er an anderer Stelle ge­ regelt werden.71 Der Begriff „Besitz“ im Sinne der heutigen §§  854 ff. BGB er­ setzte den der Inhabung. Gleichzeitig führte die Zweite Kommission den Begriff des Besitzdieners ein, der jemanden bezeichnet, welcher zwar die tatsächliche Gewalt im Sinne eines „in-Händen-Haltens“ über eine Sache ausübt, aufgrund eines sozialen Abhängig­ keitsverhältnisses aber den Weisungen eines anderen derart unterworfen ist, dass er als dessen Werkzeug fungiert und somit der andere als Inhaber tatsächlicher Sachherrschaft und damit Besitzer bezeichnet werden muss.72 Damit wurde ver­ deutlicht, dass das tatsächliche Kriterium der Sachherrschaft stark der Verkehrs­ anschauung unterworfen sein sollte.73

5. Fazit Die Einschätzung Johows, das künftige Recht könne ganz auf einen possessori­ schen Schutz verzichten, hat sicherlich zunächst die Beratungen zum Besitzrecht des BGB geprägt. Unter Berücksichtigung der langen Tradition entsprechender Regelungen wurde ein effektiver Besitzschutz aber mehrheitlich als notwendig erachtet. Es wurde eine Überholung des Besitzbegriffs vorgenommen und dieser insbesondere durch die Loslösung vom Erfordernis des Eigenbesitzwillens und durch die Anknüpfung an die bloße tatsächliche Sachherrschaft an moderne Be­ dürfnisse angepasst. Das insgesamt zwei Jahrzehnte dauernde Gesetzgebungs­ verfahren ging schließlich in der Zusammenfassung der Interdikte und der Spo­ lienklage zu einer einheitlichen Besitzschutzklage über sämtliche vorherige Ko­ difikationen und Entwürfe jener Zeit hinaus. 70 

V. Gierke, Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs, S.  306; O. Wendt, AcP 74 (1889), 135 (136). 71  Protokolle, Band  III, S.  28 = Mugdan, Band  III, S.  502. Die für die Ersitzung und den rechtsgeschäftlichen Eigentumserwerb erforderliche Form des Besitzes ist heute in §  872 BGB als „Eigenbesitz“ geregelt. 72  Damit reagierte die Kommission auf heftige Kritik: Nach Strohal, JherJb 29 (1890), 336 (355), waren „wahrhaft heitere Konsequenzen“ zu erwarten, wenn z. B. nach dem Entwurf eine Magd die ihr zu Unterkunft zugewiesene Schlafkammer mit Gewalt verteidigen dürfe, wenn ihre Herrschaft eine andere Verteilung der Räume verfüge, siehe v. Jhering, Besitzwille, S.  503 f., oder der mit der Versorgung des herrschaftlichen Hauses beauftrage Hausverwalter seiner von einer Reise heimkehrenden Herrschaft an der Eingangstür den Zutritt verweigern dürfe, siehe O. Wendt, AcP 74 (1889), 135 (140). 73  Deshalb soll es sich bei §  855 BGB um eine rein klarstellende Norm handeln, Protokolle, Band  III, S.  31 = Mugdan, Band  III, S.  504; a. A. Füller, Eigenständiges Sachenrecht, S.  281.

§  3 Zum Grund des possessorischen Besitzschutzes Die immer noch anhaltende Kontroverse über die Ausgestaltung des Besitzschut­ zes im Gesetzgebungsverfahren zum BGB basiert erstaunlicherweise nicht auf einer Stellungnahme zu der – insbesondere im 19. Jahrhundert geführten – De­ batte über den Grund des Besitzschutzes. Vielmehr ist mit der Einordnung der possessorischen Ansprüche als Ersatz und Ergänzung der Notwehrrechte eine Begründung gefunden worden, die sich von allen bis dahin vertretenen gemein­ rechtlichen Auffassungen unterscheidet. Dennoch bedarf es bereits zur teleologi­ schen Auslegung der heutigen Normen einer grundlegenden Untersuchung zum Zweck des Besitzschutzes.

I. Vorbemerkung: Die Rechtsnatur des Besitzes Eng verknüpft mit dem Grund eines possessorischen Schutzes ist die Frage nach der Rechtsnatur des Besitzes. Auch hierüber herrscht in Rechtsprechung und Li­ teratur bis heute Uneinigkeit. Die Meinungen reichen von der Annahme eines subjektiven Rechts1 oder eines absoluten Rechts2 über die Einordnung des Besit­ zes als einer Gegebenheit, die vom Gesetz als Rechtsverhältnis3 oder Rechtspo­ sition4 ausgestaltet sei5, bis hin zum Verständnis des Besitzes als reines Faktum6.

1  Enneccerus/Nipperdey, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts I/1, S.  302 f.; Hartung, Besitz und Sachherrschaft, S.  60; einschränkend Wolff/Raiser, Sachenrecht, §  3 III = S.  19. 2  Fischer, Verletzung des Gläubigerrechts, S.  136; v. Tuhr, Der allgemeine Teil des Deut­ schen Bürgerlichen Rechts I, S.  137 f., 208 f.; E. Wolf, Sachenrecht, S.  43 f. 3  Crome, System des Deutschen Bürgerlichen Rechts III, S.  16; Sandtner, Kritik der Besitz­ lehre, S.  11. 4  Fritzsche, in: BRHP-BGB, §  854 Rn.  15; Joost, in: MüKo-BGB, Vor §  854 Rn.  9. 5  Den Begriffen „Rechtsverhältnis“ und „Rechtsposition“ gleichermaßen zustimmend: Wester­mann/Gursky/Eickmann, Sachenrecht, §  7, Rn.  8 = S.  86; unklar dagegen BGH NJW 1960, 1201 (1204). Brehm/Berger, Sachenrecht, §  2, Rn.  8 = S.  39, plädieren für eine noch neutralere Formulierung wie „Rechtslage ohne konkrete Rechtsfolge“. 6  Dernburg, Pandekten I, S.  391 f.; Wieling, Sachenrecht I, §  3 III b = S.  136; im Grundsatz auch Wilhelm, Sachenrecht, Rn.  450 = S.  275, der in Anlehnung an v. Savigny, Recht des Besit­

28

§  3 Zum Grund des possessorischen Besitzschutzes

Da die Diskussion eher rechtstheoretischer Natur ist und nur bedingt Auswir­ kungen auf die zweckmäßige Behandlung der aktuell geltenden BGB-Normen hat,7 soll auf sie im Rahmen dieser Arbeit nicht ausführlicher eingegangen werden.

1. Rückschluss von der Rechtsnatur des Besitzes auf den Grund seines Schutzes An dieser Stelle sei lediglich angemerkt, dass es für diejenigen, die den Besitz als Recht betrachten, zunächst leichter erscheinen mag, daraus auch Rückschlüsse auf den Grund des Besitzschutzes zu ziehen, da sich im zivilrechtlichen System des Schutzes von Individualrechten auch der Besitzschutz als logische Konse­ quenz ergäbe. Vertreter dieser Ansicht gelangen zur Bejahung eines Rechts ent­ weder über die Untersuchung des Zwecks des Besitzschutzes8 oder über eine rein systematische Ableitung aus den bereits existenten BGB-Normen9, unterliegen also der Gefahr, innerhalb einer zirkulären Logik vom Grund des Besitzschutzes auf ein Recht und umgekehrt zu schließen.10 Dagegen kann ein Begründungs­ ansatz, der die geschichtlichen und gesellschaftlichen Kontexte mit in den Blick nimmt und die kulturell geprägten Interessen offenlegt, das Problem zwar nicht lösen, aber zumindest laufend kritisch mitreflektieren.11

2. Judikatur des BVerfG Hinweise zur Rechtsnatur des Besitzes finden sich auch in der Rechtsprechung des BVerfG. Ausgangspunkt einer aufsehenerregenden Entscheidung war das be­ sitzrelevante Verhältnis zwischen Mieter und Vermieter.12 Das BVerfG hat der Rechtsposition des Wohnungsmieters den eigentumsrechtlichen Schutz des Art.  14 GG zugesprochen.13 Die Mehrheit der Bevölkerung könne zur Deckung zes, S.  43 f., den Besitz als „Factum und Recht zugleich“ begreift und die rechtliche Seite des Besitzes im Schutz der Person erblickt, dazu näher unter §  3 II.3. 7  Relevant ist die Diskussion z. B. im Rahmen der Frage, ob der Besitz ein „sonstiges Recht“ im Sinne des §  823 I BGB darstellt. 8  Hartung, Besitz und Sachherrschaft, S.  37 ff. 9  Enneccerus/Nipperdey, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts I/1, S.  302 f.; E. Wolf, Sachen­ recht, S.  43 ff. 10  Ausführlich zur Problematik der normativen Vorkategorisierung Lepsius, Besitz und Sachherrschaft, S.  182 f., der ebenfalls vor zirkulärer Argumentation warnt, in welcher die rechtliche, also normorientierte Perspektive auf vermeintliche Tatsachen zurückgreift. 11  Lepsius, Besitz und Sachherrschaft, S.  171 ff., spricht insofern von normgeprägter Sach­ herrschaft. Faktische Elemente seien durch eine normative Brille zu betrachten. 12  BVerfGE 89, 1 (6 f.). 13  Zustimmend Papier/Shirvani, in: Maunz/Dürig, GG, Art.  14 Rn.  323.

I. Vorbemerkung: Die Rechtsnatur des Besitzes

29

des Wohnbedarfs nicht auf Eigentum zurückgreifen, sondern sei gezwungen, Wohnraum zu mieten. Das Besitzrecht des Mieters erfülle unter diesen Umstän­ den Funktionen, wie sie dem Sacheigentum zukommen. Der Gesetzgeber habe dieser besonderen Bedeutung der Wohnung mit der Ausgestaltung des Besitz­ rechts Rechnung getragen. Die Entscheidung weist dem Besitz also eine weit­ reichende, verfassungsrechtlich über Art.  14 GG geschützte subjektive Rechts­ position zu. Die Entscheidung wird zum einen in der Literatur verfassungsdogmatisch kri­ tisiert;14 zum anderen vermag sie die Bedeutung der zivilrechtlichen §§  858 ff. BGB nicht zu erklären. Zwar verweist das BVerfG unter anderem auf §§  861, 862 BGB; dabei wird aber stets von einem Mieter mit einem Recht zum Besitz ausgegangen. Die possessorischen Ansprüche eines Nicht-(mehr-)Mieters, also eines unberechtigten Besitzers, lassen sich auf verfassungsrechtlicher Ebene aber nur begründen, wenn dem Besitz noch ein weiteres individuelles Interesse (im Sinne eines Grundrechts) zugrunde liegt.15 Somit zeigt sich, dass eine ein­ gehende Erörterung der Rechtsnatur des Besitzes, welche freilich nicht eigent­ licher Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit ist, eine vorherige Bestimmung der Zwecke, denen dieses Rechtsinstitut dienen soll, voraussetzt.16 Um praxis­ relevantere zivilrechtliche Problemstellungen zu bewältigen, bedarf es ohnehin einer solchen Bestimmung. 14  Finger, ZMR 1993, 545 (546 ff.); Rüthers, NJW 1993, 2587 (2588 f.). Depenheuer/Froese, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art.  14 Rn.  157 ff., lehnen eine Vergleichbarkeit des Besitzes mit Eigentum aufgrund der fehlenden Verfügungsbefugnis ab. Ähnlich Emmerich, in: FS Gitter, S.  241 (243): ein offenbar abwegiges Ergebnis sei es, wenn auch der unrechtmäßige Besitzer zum Eigentümer im Sinne des Art.  14 I GG hochstilisiert werde. 15  Ähnlich Müller, Besitzschutz, S.  228; a. A. Hartung, Besitz und Sachherrschaft, S.  53, der das BVerfG so versteht, dass Art.  14 GG für eine vom Recht zum Besitz unabhängige be­ sitzrechtliche Position gelten solle. Nur so sei auch die Bemerkung des BVerfG zu erklären, dass das Besitzrecht zwar mit der wirksamen Kündigung des Vermieters ende, sich aber gesetz­ liche Regelungen und fachgerichtliche Entscheidungen gleichwohl an Art.  14 GG messen las­ sen müssten. Dagegen spricht jedoch schon der Tenor der Entscheidung, der sich ausdrücklich auf das Besitzrecht bezieht; so auch Rüthers, NJW 1993, 2587 (2588), und Sosnitza, Besitz und Besitzschutz, S.  139. Lepsius, Besitz und Sachherrschaft, S.  83 ff., stützt sich auf das BVerfG, um aus Art.  14 I GG den „individuellen Freiheitsschutz der Sachherrschaft“ abzuleiten, der sich wiederum in normgeprägte tatsächliche und normgeprägte rechtliche Sachherrschaft aufteilen lassen soll. Hierauf basierend sollen insbesondere sachherrschaftsbezogene Pflichten begrün­ det werden können. Dem Dieb kommt nach seinem Ansatz nicht automatisch verfassungsrecht­ licher Eigentumsschutz zu, da kein personaler Freiheitsschutz erforderlich sei, S.  91 f. 16  Ernst, Eigenbesitz, S.  24, geht sogar so weit, ausgehend von den Besitzfunktionen zwei völlig wesensverschiedene Besitztatbestände zu entwickeln, wobei er sich hauptsächlich an der Entstehungsgeschichte des BGB orientiert, die m. E. aber ambig und insofern vielfältig ausleg­ bar ist.

30

§  3 Zum Grund des possessorischen Besitzschutzes

II. Die verschiedenen Begründungsansätze Jhering nahm bereits im 19. Jahrhundert eine Zusammenstellung der verschiede­ nen Ansätze zur Rechtfertigung eines possessorischen Besitzschutzes vor. Er un­ terschied nach sog. absoluten Theorien, die den Grund des Besitzschutzes in diesem selbst erblicken und nach sog. relativen Theorien, die den Grund in ande­ ren Rechtsprinzipien sehen.17 An seiner Einteilung kann man sich in systemati­ scher Hinsicht bis heute durchaus orientieren,18 auch wenn sich die zugrunde liegenden zivilrechtlichen Normen geändert haben. Im Folgenden sollen, dem Ziel der Arbeit entsprechend, die verschiedenen Ansätze zum possessorischen Besitzschutz ausschließlich im Hinblick auf das gegenwärtige Recht auf ihre Gültigkeit hin überprüft werden.

1. Schutz des Eigentums Vertreter einer vor allem früher vertretenen Ansicht erblicken im Schutz des Be­ sitzes ein Mittel zum Schutz des Eigentums. Zum einen wird vertreten, dass der Besitz die Vermutung des Eigentums in sich trage und eine notwendige Ergän­ zung zum Eigentum sei. Um zu verhindern, dass der Eigentümer bei jeder Be­ sitzstörung sogleich sein Eigentum beweisen müsse, werde der bloße Besitz ge­ schützt, dessen Nachweis leichter sei.19 Dass die possessorischen Vorschriften sich auch gegen den Eigentümer richten können, wird als eine „leidige, aber unvermeidliche Konsequenz“20 zugunsten eines erleichterten Eigentumsschutzes betrachtet. Zum anderen wird im Besitz auch das schützenswerte beginnende Eigentum gesehen, insbesondere im Hinblick auf den Ersitzungsbesitzer.21 Vor Ablauf der Ersitzungsfrist soll dem Besitzer, der sonst alle Voraussetzungen für die Ersitzung erfüllt, ein Schutz gegen Dritte zugutekommen. Diese Auffassung priorisiert klar das Eigentum, während der Besitz demgegen­ über funktionalisiert wird.

17  V. Jhering, Grund des Besitzesschutzes, S.  4 ff. Weitere, die Perspektive völlig verändern­ de Auffassungen sind seitdem nicht mehr hinzugekommen. Einzig die ökonomische Analyse des Rechts setzt in jüngster Zeit neue Akzente, wobei viele dieser vermeintlich innovativen Überlegungen schon in der deutschen Rechtswissenschaft des frühen 20. Jahrhunderts eine Rolle gespielt haben, dazu unter §  3 II.2. und §  3 III.2. 18  V. Jhering als „großen Wegbereiter“ bezeichnend: Bund, in: FS Thieme, S.  363 (364). 19  V. Jhering, Grund des Besitzesschutzes, S.  53 ff.; v. Tigerström, AcP 22 (1839), 31 (38 f.). 20  V. Jhering, Grund des Besitzesschutzes, S.  55. 21  Im Hinblick auf die römische actio publiciana siehe Apathy, Die publizianische Klage, S.  32; v. Tigerström, Die bonae fidei possessio, S.  112 ff.

II. Die verschiedenen Begründungsansätze

31

2. Schutz der Kontinuität Andere erklären den Besitzschutz pragmatisch mit dem Bedürfnis nach Wahrung der Kontinuität der Lebensverhältnisse. Im Vordergrund steht der Besitz als wirt­ schaftlicher Wert. Nach Heck existiert ein sog. „Organisationswert des Besitzes“, der darin liegt, dass eine Sache Teil der Lebenseinrichtung des Besitzers werde und letzterer darauf vertraue, sie weiter nutzen zu können: „Die Kontinuität wird ohne Rücksicht darauf, ob ein definitives Recht vorliegt, als ein Gut anerkannt.“22 Nach Stahl ist es Aufgabe des Besitzes, „den faktischen Zustand zu Sachen zu konservieren“.23 Die ständige tatsächliche Verfügbarkeit von Gütern ist hiernach ein selbständiger Wert, der durch den Besitzschutz rechtlich gewährleistet wer­ den soll. Ein Eingriff in die Kontinuität der Verfügungsgewalt über Güter ist demnach stets eine Interessenschädigung und kann nur ausnahmsweise durch das (bessere) Recht zum Besitz gerechtfertigt werden.

3. Schutz der Persönlichkeit Eine weitere Ansicht sieht den Zweck des Besitzschutzes in dem hinter dem Besitz stehenden Persönlichkeitsrecht des Besitzers beziehungsweise in dem im Besitz verkörperten Willen. Savigny formulierte: „Dieser Grund [des Besitzschutzes] nun liegt in der Verbindung jenes factischen Zustandes mit der besitzenden Person, durch deren Unverletzlichkeit er gegen diejenigen Arten der Verlet­ zung mit gedeckt wird, durch welche stets zugleich die Person berührt werden würde. Die Person nämlich soll schlechthin sicher sein gegen jede Gewalt […].“24

Ähnlich argumentiert Puchta, der im Besitz eine Unterwerfung einer Sache unter den Willen eines Menschen sieht. Der menschliche Wille wiederum sei die aller­ erste Äußerung der Persönlichkeit: „[…] diese selbstständige rechtliche Natur des Besitzes, die ihn über die Eigenschaft einer bloßen Eigenthumsbefugnis hinaushebt und dem Eigenthum als ein besonderes Recht gegen­ überstellt, entlehnt [der Besitzer] von dem Recht der Persönlichkeit […].“25

22 

Heck, Sachenrecht, §  3.6 = S.  13. Zustimmend Amend, JuS 2001, 124 (125); Bund, in: FS Thieme, S.  363 (371); Baur/Stürner, Sachenrecht, §  9, Rn.  9 = S.  95; Hartung, Besitz und Sach­ herrschaft, S.  44 f. In die Richtung tendierend auch schon Dernburg, Die allgemeinen Lehren und das Sachenrecht, S.  351. 23  Stahl, Philosophie des Rechts II, S.  395. 24  V. Savigny, Recht des Besitzes, S.  55 f. 25  Puchta, Pandekten, S.  185 f.; zustimmend Brodmann, in: Planck, BGB, Vor §  854 sub 6, und §  854 sub 2.

32

§  3 Zum Grund des possessorischen Besitzschutzes

Bruns hebt hervor, dass die Anerkennung der Freiheit des Einzelnen die Grund­ lage des Rechtssystems bilde, weshalb Zwang und Gewalt gegen die Willens­ freiheit stets rechtswidrig seien: „Gerade erst im Schutze des Besitzes kommt daher die Persönlichkeit und Freiheit des Men­ schen zur vollen rechtlichen Anerkennung, indem es erst hier hervortritt, daß die Person schlechthin als solche frei ist, und daher schlechthin, auch ohne besondere Berechtigung, nicht von Andern mit Gewalt behandelt werden darf, sondern nur dem allgemeinen Willen, dem Rechte in der Form des Rechtes, weichen muss.“26

Rechtsphilosophisch lässt sich mit dieser Auffassung Kants Metaphysik der Sitten verbinden, in der Kant seine philosophischen Richtsätze konkret juristisch verankerte.27 In seinem metaphysischen System unterscheidet Kant zwischen einem „physischen“ Besitz und einem „intelligiblem“ Besitz, der auch ohne tat­ sächliche Sachherrschaft bestehe.28 Der Eingriff in den „physischen“ Besitz im Sinne von tatsächlicher Sachherrschaft stelle einen Eingriff in das „innere Mei­ ne“ dar, das heißt in die Freiheit der Person. Diese Freiheit sei die Unabhängig­ keit von der Willkür anderer und ein dem Menschen angeborenes Recht: „So werde ich einen Apfel nicht darum mein nennen, weil ich ihn in meiner Hand habe (phy­ sisch besitze), sondern nur, wenn ich sagen kann: ich besitze ihn, ob ich ihn gleich aus meiner Hand, wohin es auch sei, gelegt habe; imgleichen werde ich von dem Boden, auf den ich mich gelagert habe, nicht sagen können, er sei darum mein; sondern nur, wenn ich behaupten darf, er sei immer noch in meinem Besitz, ob ich gleich diesen Platz verlassen habe. […] der, welcher mir im ersteren Falle (des empirischen Besitzes) den Apfel aus der Hand winden, oder mich von meiner Lagerstätte wegschleppen wollte, würde mich […] in Ansehung des inneren Mei­ nen (der Freiheit) […] lädiren […].“29

Trotz der prominenten Vertreter konnte sich der persönlichkeitsschutzbezogene Ansatz bis in die heutige Zeit nicht durchsetzen und wird aktuell nur von Brand30, Wieling31 und Wilhelm32 befürwortet. Die heutigen Vertreter der Persönlichkeits­ theorie scheuen zudem eine konkrete dogmatische Rückführung auf die Grund­ 26 

K. G. Bruns, Recht des Besitzes, S.  492; ähnlich Gans, System des Römischen Civil­ rechts, S.  211 f. 27  Die Schrift gilt allerdings als problematisches Alterswerk, siehe zur Entstehung und Re­ zeption: Ludwig, Einleitung zu Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre (Meta­ physik I), S.  XXVII. 28  Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre (Metaphysik I), S.  53. 29  Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre (Metaphysik I), S.  54. 30  Brand, Organbesitz, S.  141. 31  Wieling, in: FS Lübtow, S.  565 (577 f.); ders., Sachenrecht I, §  3 III b = S.  137. 32  Wilhelm, Sachenrecht, Rn.  446 ff. = S.  273 ff. Mit Blick auf die zivilrechtlichen Kodifika­ tionen Deutschlands, Österreichs, der Schweiz, Frankreichs, Italiens und Englands zustimmend auch Müller, Besitzschutz, S.  248 f., die das den Besitzschutz begründende staatliche Gewalt­ monopol wiederum nur durch die Garantie der Persönlichkeitsentfaltung des Einzelnen ge­ rechtfertigt sieht; genauso Regenfus, Vorgaben des Grundgesetzes, S.  605.

II. Die verschiedenen Begründungsansätze

33

rechte, die für den BGB-Gesetzgeber aufgrund des zeitlich viel späteren Erlasses des Grundgesetzes ohnehin nicht möglich war. Lediglich Wilhelm weist darauf hin, dass der Schutz der „Autonomie der Person in den Grenzen des Rechts im Bereich der tatsächlichen Beherrschung von Sachen“ vom Persönlichkeitsrecht im Kontext des GG abzugrenzen sei.33 Die freie Entfaltung der Persönlichkeit wird von Art.  2 I GG garantiert, wobei Elemente, die nicht Gegenstand spezieller Freiheitsgarantien sind, aber für die Persönlichkeitsentfaltung des Menschen ebenso bedeutend sind, aufgrund ihrer Nähe zu Art.  1 I GG seit langem unter dem selbstständigen Freiheitsrecht des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts gem. Art.  2 I GG i. V. m. Art.  1 I GG zusam­ mengefasst werden.34 Wenn man heute von einem grundrechtlich abgeschirmten Bereich freier Entfaltung spricht, von einer Enklave, in der eine herrschaftsfreie Entfaltung der Persönlichkeit, also eine Wahrnehmung unvermittelter Handlungs­ freiheit gewährleistet sein soll,35 dann liegt es nicht fern, dieses Allgemeine Per­ sönlichkeitsrecht auch als das anzusehen, das dem Besitzschutz zugrunde liegen soll36. Auch die enge, mitunter emotionale Beziehung, die Menschen zu Sachen im Sinne von Konsumprodukten entwickeln, spricht für eine Miteinbeziehung in das Persönlichkeitsentfaltungsrecht.37 Bereits Brodmann erkannte: „Schon in primitiven Zuständen, von dem Moment an, wo der Mensch beginnt, sich zu schmü­ cken, wächst die Persönlichkeit, die nun kein reiner Naturbegriff mehr ist, über den Menschen in seinem natürlichen Zustand hinaus. Die Kleidung, die er trägt, die Waffen, die er führt, werden Akzidentien seiner selbst.“38 33 

Wilhelm, Sachenrecht, Rn.  446 ff. = S.  273 ff. BVerfGE 95, 220 (241); 99, 185 (193); 101, 361 (380); Starck, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Art.  2 Abs.  1 Rn.  14 ff. Nach Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art.  2 Abs.  1 Rn.  127, ist geschütztes Rechtsgut der Geltungsanspruch des Menschen in der sozialen Welt, die ihn prägt und die er wiederum auch dadurch prägt, dass er durch sein Handeln von ihr anerkannt werden will. In vormoderner Zeit hätte man möglicherweise von Ehre oder Selbstachtung ge­ sprochen; diese Begriffe haben heutzutage aber eine verengte Bedeutung als Relikte überkom­ mener feudal-aristokratischer Strukturen oder eines subjektiven Selbstwertgefühls. 35  Degenhart, JuS 1992, 361 (361); Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art.  2 Abs.  1 Rn.  129. 36  Insbesondere dient dieses Grundrecht auch dem Schutz gegen Beeinträchtigungen der persönlichen Integrität durch Private, den der Staat zu gewährleisten hat, siehe Enders, in: Handbuch der Grundrechte IV, §  89, Rn.  13 ff. 37  Vergleiche dazu auch die Werbekampagnen aus neuerer Zeit, z. B. zu Autos: „Nichts be­ wegt Sie wie ein Citroën“, „Say it with Opel“: Das Auto bewegt einen nicht mehr nur von ei­ nem Ort zum anderen, sondern es passt auch zur eigenen Persönlichkeit und verleiht dieser Ausdruck. Eine ähnliche Denkweise beansprucht IKEA mit dem Slogan „Wohnst du noch oder lebst du schon?“ Für immer mehr Menschen sei die Wohnung zum Rückzugsort aus einer hek­ tischen Welt geworden, sodass Möbel dem Ausdruck der Persönlichkeit dienten, so jedenfalls die offizielle Werbeerklärung. 38  Brodmann, in: Planck, BGB, Vor §  854 sub 6. 34 

34

§  3 Zum Grund des possessorischen Besitzschutzes

4. Schutz des Rechtsfriedens Die wohl herrschende Ansicht sieht in den Besitzschutzregelungen ein Mittel zum Schutz des öffentlichen Friedens.39 Um ein Gefühl der Unsicherheit und ein Klima der Gewalt zu verhindern, müsse – unabhängig von der Rechtmäßigkeit des Besitzes – die Besitzstörung unterbunden und die Besitzentsetzung rückgän­ gig gemacht werden können. Das friedensschützende Moment liege darin, dass der (vermeintlich) Berechtigte als Störer angesehen und gezwungen wird, den Rechtsweg zu beschreiten, wobei ihm bis dahin die Vorteile seiner Selbsthilfe genommen werden. Der BGB-Gesetzgeber hielt sogar ausdrücklich fest: „Die Vorschriften des Entwurfs beruhen auf dem Gedanken, dass der Besitzschutz dazu bestimmt ist, den Rechtsfrieden durch Aufrechterhaltung des äußeren Herr­ schaftsverhältnisses der Person zur Sache zu bewahren.“40 Der possessorische Besitzschutz zeigt sich in diesem Zusammenhang also vor allem als Mittel zur Sicherung des staatlichen Gewaltmonopols und damit zur Wahrung öffentlicher Interessen. In Abgrenzung zur Idee des Kontinuitätsschutzes für den Einzelnen wird der Besitzschutz hier also eher als staatliche Garantie einer gesicherten ge­ meinschaftlichen Lebenswelt angesehen.

5. Kombination von Rechtsfriedens- und Kontinuitätsschutz Dass sich Aspekte des Rechtsfriedensschutzes und des Kontinuitätsschutzes auch kombinieren lassen, ist offensichtlich. In der Literatur wird teilweise argu­ mentiert, dass zwar das Interesse der Allgemeinheit an der Erhaltung des Rechts­ friedens nicht von der Hand zu weisen sei, jedoch verbleibe die Geltendmachung des Besitzschutzes beim verletzten Besitzer und läge nicht bei staatlichen Orga­ nen.41 Ginge es um den Schutz des öffentlichen Friedens allein, sei diese Kon­ zeption schwer zu rechtfertigen. Dies ließe wiederum auf ein Individualinteresse als Schutzgegenstand schließen: die Kontinuität der Lebensverhältnisse. Dass dieses Interesse im BGB Schutzstatus genieße, könne mit anderen Besitzvor­ schriften bewiesen werden, wie etwa mit den Regelungen über das Ablösungs­ recht gem. §  268 I 2 BGB und über die Ersitzung gem. §§  937 ff. BGB.42 39 

BGH NJW 1979, 1359 (1360); Joost, in: MüKo-BGB, Vor §  854 Rn.  15 f.; Medicus, AcP 165 (1965), 115 (119); Pawlowski, Rechtsbesitz, S.  16; Raiser, in: summum ius summa iniuria, S.  145 (154); Sosnitza, Besitz und Besitzschutz, S.  40 ff. 40  Denkschrift des Reichsjustizamtes, S.  109 = Mugdan, Band  III, S.  692; in dem Sinne auch Protokolle, Band  III, S.  39 = Mugdan, Band  III, S.  509. 41  Gutzeit, in: Staudinger, BGB, Vor §§  854–872 Rn.  19; Stadler, in: Soergel, BGB, Vor §  854 Rn.  2; Westermann/Gursky/Eickmann, Sachenrecht, §  7, Rn.  6 = S.  84. 42  Gutzeit, in: Staudinger, BGB, Vor §§  854–872 Rn.  19.

II. Die verschiedenen Begründungsansätze

35

6. Ökonomische Analyse des Rechts Neben den „traditionellen“ Begründungen sind auch Ansätze zu nennen, die ex­ plizit ökonomischer Art sind.43 Die sog. ökonomische Analyse des Rechts lässt sich vereinfacht als die Anwendung ökonomischer Theorien auf Rechtsregeln beschreiben.44 Im Mittelpunkt steht die Frage, wie Normen beschaffen sein müs­ sen, um ein ökonomisch wünschenswertes Ergebnis im Hinblick darauf zu erzie­ len, dass Ressourcen nicht unbegrenzt sind.45 Da sich die ökonomische Analyse als Forschungsgebiet zunächst hauptsächlich in den USA etabliert hat, sind An­ sätze zum Besitzschutz vor allem für das Recht der englischsprachigen Länder46 vorzufinden; sie lassen sich aber auch auf das deutsche Recht übertragen. Nach einem Ansatz, der als informationsbasiert47 bezeichnet wird, ist der Schutz des Besitzes so lange gerechtfertigt, wie der Besitz als effektives Kom­ munikationsmittel im bestehenden Rechtsverkehr dient, das heißt Transaktions­ kosten niedrig gehalten und die Beweisführung sowie die Übertragung von ding­ lichen Rechten erleichtert werden können:48 Der Besitz ist unschwer und „kos­ tengünstig“ zu erkennen, ein zum Beispiel auf Verträgen beruhendes Recht zum Besitz ist dagegen aufwendiger nachzuweisen. Der informationsbasierte Ansatz vertraut darauf, dass hinter dem Besitz stets ein bestimmtes dingliches Recht steht, sodass zum einen aufgrund dieser Vermutungsregel der Güteraustausch allein anhand der Besitzverhältnisse stattfinden, zum anderen der Schutz des Be­ sitzes auch gleichzeitig das dahinterstehende Recht absichern kann.49 Dieser Ansatz, der an die sog. Eigentumstheorie erinnert, sieht den Grund des Besitz­ schutzes also nicht im Besitz selbst, sondern allein im Zusammenhang mit einer vorgegebenen Wirtschaftsordnung. Beim Auftreten eines „besseren“ Informa­ tionsträgers müsste ein solcher geschützt und der Besitzschutz hingegen fallen­ gelassen werden.

43  Ausführlicher

Müller, Besitzschutz, S.  240 ff. Dabei handelt es sich zunächst nur um einen rein deskriptiven sozialwissenschaftlichen Ansatz, der darauf abzielt, aus einer bestimmten Perspektive Phänomene zu beschreiben, dazu ausführlich Towfigh/Petersen, in: Economic Methods, S.  1 (2 f.). 45  Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse, Einleitung XXXIII; Towfigh, in: Eco­ nomic Methods, S.  18 (19 f.). 46  Dazu Chang, EPLJ 2016, 4 (5 f.). 47  Bell/Parchomovsky, Cornell Law Review 90 (2004–2005), 531 (573), sprechen von „in­ formation-based conception“, was Müller, Besitzschutz, S.  240, wörtlich übersetzt. 48  Smith, Stanford Law Review 55 (2002–2003), 1105 (1115 ff.); ders. in: Law and Econo­ mics of Possession, S.  65 (67, 89 ff.). Zur seit langem anerkannten „Zeichenfunktion“ des Be­ sitzes siehe Heck, Sachenrecht, §  3.3 = S.  11, §  4.3 = S.  15 f. 49  Merrill, in: Law and Economics of Possession, S.  9 (10, 30 ff.). 44 

36

§  3 Zum Grund des possessorischen Besitzschutzes

Eine ähnliche als wertbasiert bezeichnete Konzeption50 besteht darin, den Besitz als Möglichkeit zu betrachten, Werte überhaupt erst zu schaffen. Dabei wird ange­ nommen, dass eine Sache regelmäßig ihren höchsten Wert bei demjenigen hat, der sie aktiv nutzt.51 Auf die Allgemeinheit bezogen führe dies wiederum zu einer effi­ zienten Ressourcennutzung, was den Schutz der Besitzposition rechtfertige.52 Neuerdings wird aber auch innerhalb der ökonomischen Analyse erwogen, dass der Besitz eine soziale Tatsache darstelle: Der Respekt vor dem Besitz sei in allen Kulturen als soziale Norm verankert, wodurch der gesellschaftliche Frie­ den effizient geschützt werde, was auch aus ökonomischer Sicht wiederum be­ grüßenswert sei, da Kosten für Ordnungsmittel wegfallen.53 Hier nähert sich die ökonomische Analyse der Friedenstheorie an.

III. Eigene Würdigung Angesichts der ausdifferenzierten und traditionsreichen Diskussion können als Neuerung nur Nuancen oder Kombinationen von Ansätzen herausgearbeitet wer­ den, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil sich – wie bereits aufgezeigt – die verschiedenen Ansätze zur Begründung eines Besitzschutzes teilweise ohnehin überschneiden.54 Der Rekurs auf die Bandbreite der bisherigen Ansätze erlaubt gleichwohl einen kritischen Blick auf Möglichkeiten und Grenzen von systema­ tischen Begründungen für den possessorischen Besitzschutz im Kontext aktuel­ ler Fragestellungen und Herausforderungen. Sollte im Hinblick auf die geltenden 50  Zum Terminus siehe Bell/Parchomovsky, Cornell Law Review 90 (2004–2005), 531 (551, 573). 51  Bell/Parchomovsky, Cornell Law Review 90 (2004–2005), 531 (593 f.), die sich aller­ dings – vermutlich mangels vergleichbarer Regelungen im amerikanischen Recht – nicht aus­ drücklich zum possessorischen Schutz gegenüber dem Eigentümer äußern; siehe auch T. Honsell, JZ 1983, 531 (534). 52  Da in dieser Arbeit vor allem das Spannungsverhältnis zwischen Berechtigtem und nicht­ berechtigtem Besitzer im deutschen Recht betrachtet wird, soll hier keine eingehende Darstel­ lung der Funktionen des Besitzes unter (internationalen) ökonomischen Aspekten erfolgen. Ein kritischer Blick auf den Zusammenhang zwischen Besitzschutz und Ökonomie erscheint aber lohnenswert, da sich der Wert des Besitzes, der in den anderen Ansätzen vom Bezug zur Person her oder als Ordnungsversicherung definiert wird, in der ökonomischen Analyse interessanter­ weise auf die Sache selbst zu verschieben scheint. Zur ökonomischen Analyse des Schuldrechts siehe Eidenmüller, JZ 2005, 216 (221 ff.). 53  Merrill, in: Law and Economics of Possession, S.  9 (15 f., 37); Smith, in: Law and Eco­ nomics of Possession, S.  65 (68 f.). 54  Schon Bekker, KritV 18 (1876), 1 (22 ff.), empfand die Diskurse zur Begründung des Be­ sitzschutzes als mühsam („eine Anomalie“) und konstatierte, es genüge für die Rechtswissen­ schaft, dass der Besitzschutz überhaupt bestehe – die Gründe könne die Philosophie eruieren.

III. Eigene Würdigung

37

Vorschriften kein Ansatz gänzlich überzeugen, könnte dies als Hinweis darauf gesehen werden, dass es an einer einheitlichen gesetzgeberischen Konzeption fehlt, was in der Folge Friktionen bei der praktischen Anwendung der Normen bewirkt.

1. Kritik an der Eigentumstheorie Schon früh wurde gegen die Eigentumstheorie eingewandt, dass sie sich nicht mit dem – für diese Arbeit besonders interessanten – Umstand vereinbaren lässt, dass der Besitzschutz auch dem Nichtberechtigten, zugespitzt einem Dieb, zu­ gutekommt.55 Dass es sich um eine unvermeidliche Konsequenz handelt, die zu­ gunsten des erleichterten Eigentumsschutzes ausnahmsweise zu gelten habe,56 kann nicht überzeugen, da Eigentum und unmittelbarer Besitz häufig auseinan­ der fallen57 und man den eigentlich bezweckten Eigentumsschutz so geradezu ins Gegenteil verkehren würde. Auch der Einwendungsausschluss nach §  863 BGB lässt sich über diese Theorie nicht erklären. Heute sind die possessorischen Klagen – im Gegensatz zu älteren Rechtsord­ nungen58 – zur Erweiterung des Eigentumsschutzes nicht nötig, da der Beweis des Eigentums über die Vermutungen des §  1006 BGB geführt werden kann.59 Der Logik der Eigentumstheorie folgend müsste zudem bei Immobilien dem im Grundbuch Eingetragenen der Besitzschutz zustehen, da bei Grundstücken die Rechtsvermutung an die Eintragung geknüpft ist, §  891 BGB.60 Von der gesetzgeberischen Konzeption ausgehend verdient zudem das „begin­ nende Eigentum“ durch Ersitzung keinen besonderen Schutz. Es handelt sich um eine einseitig zerstörbare Rechtsposition, um eine bloße Erwerbsaussicht ohne genuines Ersitzungsinteresse.61 Darüber hinaus setzt die Ersitzung gem. §  937 II BGB Gutgläubigkeit voraus, wohingegen der possessorische Besitzschutz auch dem Bösgläubigen zugutekommt. 55  Gans, System des Römischen Civilrechts, S.  210. Dabei muss natürlich bedacht werden, dass sich diese in der älteren Literatur vor Entstehung des BGB vertretene Ansicht meist auf ein wesentlich engeres Konzept des Besitzschutzes bezog, das sich auf den Eigenbesitzer fokus­ sierte. 56  Siehe zu diesem Argument bereits unter §  3 II.1. 57  Man denke an Miet- und Leasingverhältnisse sowie Eigentumsvorbehalte bei Lieferung auf Kredit in der modernen konsumorientierten Gesellschaft. 58  Das gemeine Recht forderte von der sich auf das Eigentum berufenden Partei den vollen Beweis des ersten originären Eigentumserwerbs – eine probatio diabolica, siehe Sosnitza, Be­ sitz und Besitzschutz, S.  38, 177. 59  Pawlowski, Rechtsbesitz, S.  14; Wieling, in: FS Lübtow, S.  565 (575). 60  Hartung, Besitz und Sachherrschaft, S.  43. 61  Baldus, in: MüKo-BGB, §  937 Rn.  66.

38

§  3 Zum Grund des possessorischen Besitzschutzes

2. Kritik an der Ökonomischen Analyse Die Anwendung des sog. informationsbasierten Ansatzes der ökonomischen Be­ trachtung stößt schon rein immanent an Grenzen: Der Ansatz kann nur so lange zur Geltung kommen, wie es nicht zur Verwirrung im Rechtsverkehr führt, dass ein Nichtberechtigter einen Anspruch auf Verschiebung des Besitzes hat. Fallen Besitz und Berechtigung oft auseinander, müsste aus ökonomischer Sicht ein anderes Informationssystem gewählt werden. §§  858 ff. BGB, insbesondere §  863 BGB, lassen sich so nicht erklären und stehen diesem methodischen An­ satz als dogmatische Grenzen entgegen. Die Analysekategorien des sog. wertbasierten Ansatzes sind in verschiedenen Radikalitätsstufen denkbar. Wenn letztlich nur derjenige Schutz verdient, der die Sache am effizientesten nutzt, stellt sich nicht nur die Frage nach dem Maßstab für Effizienz; es wird auch das Eigentumsrecht als solches eliminiert, was mit der deutschen Rechtsordnung nicht vereinbar ist. In abgeschwächter Form nähert sich die ökonomische Analyse der Kontinuitätstheorie an, die ebenfalls in der ständigen tatsächlichen Verfügbarkeit von Gütern einen selbständigen Wert sieht. Deren Vertreter wie Hartung oder Heck verweisen zur Begründung ihrer Ansicht ausdrücklich auf wirtschaftliche Belange im Sinne eines Systems, in dem Waren zirkulieren und Werte geschöpft werden.62 So könnte man Heck sogar als einen der ältesten Vertreter der ökonomischen Analyse des Rechts ansehen, da er klar zwischen der sog. Zeichenfunktion und Wertfunktion des Besitzes unterschied und die wirtschaftlichen Funktionen des Besitzes in einer modernen Gesellschaft vorzeichnete.63

3. Kritik an der Kontinuitätstheorie Hecks Rechtfertigung des Besitzschutzes über ein Kontinuitätsinteresse wird un­ ter anderem auch als psychologisch zutreffender Befund angesehen. Gutzeit und Bund meinen zustimmend: „Eine phänomenologische Beobachtung menschlichen Verhaltens lehrt, dass das Bestreben, sich die selbstgeschaffene Umgebung mit körperlichen Sachen zu erhalten, besonders ausge­ prägt ist und einer aufgedrungenen Änderung dieser Verhältnisse in aller Regel entschiedenerer Widerstand entgegengesetzt wird als etwa einem unfreiwilligen Wechsel der Bezugsquelle für Wein oder Benzin.“64 62 

Hartung, Besitz und Sachherrschaft, S.  44. Heck, Sachenrecht, §  3.7 = S.  13, verweist auf einen Fabrikanten, dem seine Spezialmaschine genommen wird. 63  Zur großen Bedeutung Hecks bei der Entwicklung der sog. Interessenjurisprudenz siehe Bund, in: FS Thieme, S.  363 (369 ff.). 64  Bund, in: Staudinger, BGB (2007), Vor §§  854 ff. Rn.  18; Gutzeit, in: Staudinger, BGB, Vor §§  854–872 Rn.  18.

III. Eigene Würdigung

39

Joost ist demgegenüber der Ansicht, es handele sich dabei um keine rechtspoliti­ sche Begründung, sondern um eine „psychologische Banalität“: Das Kontinui­ tätsinteresse liege bei allen Werten oder Positionen, die als Wert angesehen wer­ den, vor.65 In der Tat ist eine „phänomenologische Betrachtung menschlicher Verhaltensweisen“ – zudem noch ohne Quellenangabe – eher unter „Alltagspsy­ chologie“ zu verorten.66 Für eine wissenschaftliche Untersuchung einer besonde­ ren Verbundenheit eines Menschen zu einer Sache wäre auf Faktoren wie subjek­ tive Wichtigkeit und emotionale Valenz sowie den Grad der Gewohnheit im je­ weiligen gesellschaftlichen Kontext abzustellen. Es soll aber nicht unterschlagen werden, dass in der modernen Ökonomie ein sog. endowment effect zu beobachten ist.67 Der Effekt beschreibt eine ungleiche Preisbereitschaft, je nachdem ob ein Gut aufgegeben oder erworben werden soll. Dabei ist der Preis, den Menschen verlangen, um eine Sache aufzugeben, wesent­ lich höher als der Preis, den sie zu zahlen bereit sind, um diese Sache zu erwerben. Dies offenbart sich auch bei der Verbrauchsentscheidung. Wenn ein Gut im Besitz des Konsumenten ist, so wird dem ein höherer Wert beigemessen, als wenn er dieses Gut nicht besitzt. Die Ursache wird in der deutlich stärkeren Wahrnehmung von Verlusten als von Gewinnen gesehen. Die Studien aus der Verhaltensökono­ mik zum endowment effect unterscheiden bislang aber nicht zwischen Sachen, die man (nur) besitzt und Sachen, an denen auch ein Recht zum Besitz besteht.68 Auf das Phänomen des Besitzes losgelöst vom Recht lassen sie sich nicht unmittelbar übertragen, das heißt, sie sind keine verlässliche Quelle zur Beurteilung der psy­ chologischen Adäquatheit des Kontinuitätsschutzes.69 Unabhängig davon ergibt sich aus all diesen Betrachtungen insgesamt kein Anhaltspunkt für die entscheidende Frage, warum aus der Sicht der Rechtsord­ nung ein etwaiges Kontinuitätsinteresse auch als schützenswert anerkannt wird.70 Insbesondere fällt es schwer zu begründen, warum das Interesse des Diebes an Kontinuität zu billigen ist. Wenn dem Haben der Sache ein Vermögenswert zu­ 65 

Joost, in: MüKo-BGB, Vor §  854 Rn.  16. Neyer/Asendorpf, Psychologie, S.  2. 67  Thaler, Journal of Economic Behavior and Organization 1 (1980), 39 (43 ff.); Lewinsohn-­ Zamir, in: Law and Economics of Possession, S.  128 (131 f.). 68  Typischerweise wird den Teilnehmern bei der Versuchsanordnung mitgeteilt, dass sie Eigentümer einer Sache sind, die sie auch besitzen, siehe dazu ausführlich Lewinsohn-Zamir, in: Law and Economics of Possession, S.  128 (137). 69  Laut Lewinsohn-Zamir, in: Law and Economics of Possession, S.  128 (138 ff.), existieren erste nicht-repräsentative Studien, in denen zwischen Eigentum und Besitz differenziert wurde, wobei tatsächlich der Besitz das ausschlaggebende Kriterium für den endowment effect zu sein schien. Eine Gegenüberstellung von Besitzer und Zum-Besitz-Berechtigten ist in den Studien bisher jedoch noch nicht erfolgt. 70  Ähnlich Joost, in: MüKo-BGB, Vor §  854 Rn.  16. 66 

40

§  3 Zum Grund des possessorischen Besitzschutzes

kommt,71 warum sollte dann gerade dem Dieb dieses Vermögen bewahrt bleiben? Wirtschaftliche Werte sind zivilrechtlich grundsätzlich nur dann geschützt, wenn auch das Vertrauen auf ihre Kontinuität schutzwürdig ist.72 Weiß der Besitzer, dass er zum Besitz nicht berechtigt ist, oder musste er es wissen, ist die Schutz­ würdigkeit abzusprechen. Hartung meint, es sei nichts Ungewöhnliches, dass ein Schutzunwürdiger von einem Rechtsinstitut profitiere; dies sei kein spezifisches Phänomen des Besitzschutzes.73 Er bemüht hierfür das Beispiel eines bösgläubi­ gen Herstellers, der aus einem abhanden gekommenen Stoff eine neue Sache her­ stellt und gem. §  950 I BGB Eigentumsschutz erlangt. Es mag sein, dass es sich hierbei um den Nebeneffekt einer Norm handelt, deren Zielsetzung es ist, Rechts­ klarheit an Eigentumsverhältnissen herzustellen.74 Nun stellt sich allerdings die Frage, ob der Besitzschutz nicht schon von seiner Konzeption her auf den Bös­ gläubigen abzielt, und somit zuvörderst nach einem Begründungsansatz zu su­ chen ist, der das aufgezeigte Phänomen zu erklären vermag, ohne dass es von vornherein als gewichtige Ausnahme akzeptiert werden muss. Wenn Hartung meint, die Position des Diebes sei jedenfalls keine starke, da der Bestohlene ge­ gen ihn nach Ablauf der Frist zwar nicht mehr aus §  859 II BGB, aber aus §  229 BGB vorgehen könne,75 überzeugt dies nicht, da §  229 BGB nur Anwendung fin­ det, wenn der endgültige Verlust der Sache droht und kein staatlicher Rechts­ schutz zur Verfügung steht – Voraussetzungen, die nur in Ausnahmefällen vorlie­ gen dürften. Nach der Zeitschranke des §  859 BGB müsste vom Standpunkt der Kontinuitätstheorie aus das Kontinuitätsinteresse des Diebes überwiegen, bis wiederum dem Kontinuitätsinteresse des Bestohlenen über §  861 f. BGB Geltung verschafft wird – ein unbefriedigendes Ergebnis. Auch das Argument, das Wirt­ schaftsleben könne nur funktionieren, wenn Produktionsmittel, Verwaltungsein­ richtungen und Rohstoffe kontinuierlich vorhanden seien,76 spricht nicht zwin­ gend für die Kontinuitätstheorie, sondern weist vielmehr wieder in die Richtung „öffentlicher Interessen“. Dass das Gesetz in anderem Zusammenhang, etwa nach §§  268 I 2, 937 ff. BGB, auch ein individuelles Kontinuitätsinteresse anerkennt, sagt nichts über den Grund des possessorischen Besitzschutzes aus.77 Ansonsten 71 

So Hartung, Besitz und Sachherrschaft, S.  41: Dem Haben der Sache komme ein Vermö­ genswert zu, auch wenn dieser nicht unbedingt in Geld messbar sei. Kritisch dazu Wieling, in: FS Lübtow, S.  565 (577). 72  Siehe z. B. im Sachenrecht die Anforderungen an den Gutglaubenserwerb nach §  935 BGB oder §  892 BGB oder die Voraussetzungen der Nebenansprüche im EBV nach §§  987 ff., 994 ff. BGB. 73  Hartung, Besitz und Sachherrschaft, S.  49. 74  Füller, in: MüKo-BGB, §  950 Rn.  1; Röthel, NJW 2005, 625 (629). 75  Hartung, Besitz und Sachherrschaft, S.  48. 76  Hartung, Besitz und Sachherrschaft, S.  44. 77  Sosnitza, Besitz und Besitzschutz, S.  47.

III. Eigene Würdigung

41

könnte auch für die Eigentumstheorie ins Feld geführt werden, dass §  1006 BGB die Vermutung für den Besitzer statuiere. Die §§  858 ff. BGB sind – gerade im Hinblick auf ihre Entstehungsgeschichte78 – für sich, das heißt als gesondertes System zu betrachten. Stellt man wiederum wie Gutzeit und Bund auf psycholo­ gische Aspekte ab, muss in Betracht gezogen werden, dass der beschriebene menschliche Abwehrmechanismus genauso gut daher rühren könnte, dass der Be­ sitzer sich angesichts verbotener Eigenmacht in seiner Persönlichkeit, das heißt in der freien Gestaltungsmacht über sein Umfeld, angegriffen sieht.79

4. Kritik an der reinen Persönlichkeitstheorie Gegen das Persönlichkeitsrecht des Besitzers als hinter dem Besitzschutzsystem stehendes Interesse wird eingewandt, dass man dieses Recht hinter jedem Schutz eines Vermögensrechts erblicken könne, zum Beispiel von Eigentum, Obligatio­ nen oder Urheberrechten.80 In der Folge sei auch nicht einzusehen, weshalb das im Besitz verkörperte Persönlichkeitsrecht des Besitzers besser als das im Eigen­ tum verkörperte Persönlichkeitsrecht des Eigentümers geschützt werden solle.81 Der rechtsgrundlose Besitzer, der die Herausgabe der Sache oder eine geschulde­ te Duldung einer Besitzstörung verweigere, missachte dadurch den Willen und das Persönlichkeitsrecht des Berechtigten genauso wie der Berechtigte, der den Besitz störe.82 Die Überzeugungskraft der Persönlichkeitstheorie nehme außerdem zuneh­ mend ab, da der Besitz vor dem Hintergrund privater wirtschaftlicher und öffent­ licher Interessen zu sehen sei und der Wille des Bürgers nicht mehr in dem Aus­ maß zur Grundlage des Privatrechts erhoben werde wie zu Zeiten der histori­ schen Rechtsschule.83 Umgekehrt wird auch argumentiert, dass der Besitzschutz rechtshistorisch älter sei als der Schutz der Persönlichkeit und das Konzept der Art.  2 I, 1 I GG in alten Kodifikationen, die sehr wohl einen Besitzschutz kann­ ten, kein Äquivalent hatte.84 Im Kontext der Friedenstheorie kann allerdings, wie noch zu zeigen sein wird,85 auf das Persönlichkeitsrecht als Ausgangspunkt nicht verzichtet werden. 78  Ausführlich

unter §  2 II. Pawlowski, Rechtsbesitz, S.  15, ordnet beispielsweise das Kontinuitätsinteresse dem Per­ sönlichkeitsrecht zu. 80  Heck, Sachenrecht, Exkurs 2 = S.  488. 81  Pawlowski, Rechtsbesitz, S.  15. 82  Pawlowski, Rechtsbesitz, S.  15; Sosnitza, Besitz und Besitzschutz, S.  39. 83  Gutzeit, in: Staudinger, BGB, Vor §§  854–872 Rn.  16. 84  Hartung, Besitz und Sachherrschaft, S.  42; Heck, Sachenrecht, Exkurs 2 = S.  488. 85  Unter §  3 III.6. 79 

42

§  3 Zum Grund des possessorischen Besitzschutzes

5. Rechtsfriedenstheorie als Basis Es ist die Friedenstheorie, die eine solide Begründung dafür liefert, dass auch dem Dieb Besitzschutz gegenüber dem Eigentümer gewährt wird. Bis zur ge­ richtlichen Klärung der (besseren) Besitzberechtigung soll der Berechtigte die bestehende Besitzlage nicht zu seinen Gunsten verändern können. Dass der Ge­ setzgeber bei der Regelung des Besitzschutzes beim unmittelbaren Besitzer ge­ nau die Fälle vor Augen hatte, in denen der Berechtigte sein vermeintliches Recht auf eigene Faust ohne den Willen des Besitzers durchsetzt, zeigt sich schon an §  863 BGB, wonach Eingriffe in den Besitz auch dann rechtswidrig sind, wenn ihr Ergebnis dem materiellen Recht entspricht. Die Notwendigkeit der Wahrung des Rechtsfriedens wurde im Zuge der Gesetzgebung zudem aus­ drücklich angesprochen.86

6. Eigener Ansatz: Zusammenspiel von Persönlichkeitstheorie und Rechtsfriedenstheorie a) Das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen als Wurzel der Rechtsfriedenstheorie Der gängigste Einwand gegen die Friedenstheorie lautet, dass die verbotene Ei­ genmacht den Rechtsfrieden nicht gefährde, wenn der Täter ohne feindliche Ge­ sinnung handle. Ein beliebtes Beispiel ist der „Hut-Fall“, in dem es dem Täter verbotener Eigenmacht am Vorsatz fehlt, in fremden Besitz einzugreifen:87 Der Gast A vertauscht versehentlich beim Verlassen der Gaststätte an der Garderobe seinen Hut mit dem des Gastes B, setzt ihn auf und geht hinaus. Es wird moniert, dass verbotene Eigenmacht gem. §  858 I BGB zwar vorliege, eine Gefahr für den Rechtsfrieden aber nicht bestehe, da öffentliche Interessen gar nicht beteiligt seien. Erst eine Notwehr- oder Selbsthilfereaktion des Gastes B nach §  859 BGB wäre die Handlung, die in der Folge den Rechtsfrieden ge­ fährden würde. Impliziert wird hier die Vorstellung, der vom Gaststättenaufent­ halt beschwingte und vielleicht nicht einmal leicht fahrlässig handelnde, den Hut vertauschende A würde nun von dem sein Besitzrecht verteidigenden B gewalt­ sam überwältigt. Vertreter der Friedenstheorie, die ein schutzwürdiges Individualinteresse des Besitzers verneinen, entgegnen insofern, dass ein öffentliches Interesse im Sinne 86  Denkschrift des Reichsjustizamtes, S.  109 = Mugdan, Band  III, S.  692; Protokolle, Band  III, S.  39 = Mugdan, Band  III, S.  509. 87  Heck, Sachenrecht, §  3.6 = S.  13; Klinck, in: Staudinger-Eckpfeiler, Sachenrecht, Rn.  48; Wieling, in: FS Lübtow, S.  565 (576).

III. Eigene Würdigung

43

der Erhaltung des Rechtsfriedens darin bestehe, dass B die Situation erkenne und seinen Besitz gegenüber A verteidige.88 Diese Argumentation unterstellt frei­ lich, dass der Rechtsfriede durch die Wegnahme des Huts gefährdet sei. Zu klä­ ren ist indes zunächst die Frage, ob ein öffentliches Interesse an der Aufrecht­ erhaltung des Besitzes des B auch dann besteht, wenn A den Hut nicht böswillig an sich genommen hat; es muss hinterfragt werden, warum dem Tatbestand der verbotenen Eigenmacht kein subjektives Ausschlusskriterium zugrunde liegt. Um sich gedanklich nicht zu sehr auf das Besitzrecht des B zu stützen, könnte man das Beispiel auch abwandeln: B hatte sich den Hut von C geliehen und ihn absprachewidrig nicht zurückgegeben. A nimmt in der Annahme, es handele sich um seinen eigenen, den Hut an sich. Besteht dennoch ein öffentliches Interesse daran, dass B sich nun gegen die Weg­ nahme des Huts durch A verteidigen kann? Die Wegnahme des Huts bedeutet keinen direkten Angriff auf das staatliche Gewaltmonopol, da A kein vermeint­ liches eigenes Recht durchsetzen will, sich also nicht bewusst der Durchsetzung von Rechten in justizförmigen Bahnen verweigert. Wenn der Besitz unabhängig von subjektiven Motiven des Störers geschützt sein soll, dann muss allein an der Aufrechterhaltung der bestehenden Herrschaft der Person über die Sache ein be­ sonderes Interesse bestehen. Auch der Gesetzgeber hat sich hierzu Gedanken gemacht. Die Erste Kommis­ sion führte aus: „Das Gewaltverbot begründet für den Inhaber eine absolut geschützte Rechtsstellung. […] Man kann auch vielleicht das absolute Persönlichkeitsrecht der Freiheit als verletzt ansehen; denn man kann den Begriff der Freiheit außer auf die Herrschaft über den eigenen Körper, auch auf die Herrschaft über die der thatsächlichen Gewalt der Person unterworfenen Sachen bezie­ hen. […] Der Grund für die Rechtsposition des Inhabers mag in der natürlichen Handlungs­ freiheit der Person, deren Beeinträchtigung durch Gewalt der Regel nach unerlaubt ist, also in einem allgemeinen, nicht in einem sachenrechtlichen Prinzipe zu finden sein; das Sachenrecht ergiebt dagegen, dass die natürliche Handlungsfreiheit in ihrer Anwendung auf die Sache da, wo eine Herrschaft über die Sache besteht, zu Gunsten des Inhabers für jede andere Person ausgeschlossen ist. Hieraus erhellt die weitere Konsequenz, daß soweit und solange die Inha­ bung einer Person bejaht werden muß, jede Handlung, welche dem auf die Durchsetzung der Herrschaft über die Sache gerichteten Willen des Inhabers Zwang anthut, als vis aggressiva zu beurtheilen ist.“89 88  Joost, in: MüKo-BGB, Vor §  854 Rn.  16; Sosnitza, Besitz und Besitzschutz, S.  41, der im Besitzer einen bloßen „Sachwalter“ der Rechtsordnung sieht. 89  Motive, Band  III, S.  110 f. = Mugdan, Band  III, S.  61 f.; siehe auch Johow, Begründung zum Teilentwurf, S.  421 ff., abgedr. bei Schubert, Vorlagen der Redaktoren, Sachenrecht I, S.  545 ff. Es ist zu beachten, dass damals die „Inhabung“ noch vom „Besitz“ getrennt war. Mit vis aggressiva ist kein physischer Zwang gegen die Person im engeren Sinne gemeint, sondern die (teilweise) Aufhebung der Herrschaft des Besitzers ohne dessen Zustimmung. Vis als Merk­

44

§  3 Zum Grund des possessorischen Besitzschutzes

Der vor eigenmächtigen Eingriffen Dritter geschützte Bereich freier Persönlich­ keitsentfaltung umfasst also auch die Sachen, über die eine Person die tatsäch­ liche Verfügungsgewalt ausübt; unter Berücksichtigung dieser sehr engen Ver­ knüpfung von Person und Sache beeinträchtigt demnach jede Störung der tat­ sächlichen Verfügungsgewalt den Besitzer in seiner Persönlichkeitsentfaltung – und zwar unabhängig von der Böswilligkeit des Störers. Der Einwand, dass hinter jedem Recht der Schutz der Persönlichkeit und der Handlungsfreiheit der Person erblickt werden könne, ist im Grunde kein Ein­ wand, sondern die Feststellung einer Selbstverständlichkeit: Recht kann als eine einer Person von der Rechtsordnung verliehene Willensmacht gelten. Sämtliche Rechte laufen auf den einen Zweck hinaus, es dem Menschen zu ermöglichen, seine Persönlichkeit frei zu entfalten, das heißt sein Leben und seine Umwelt gemäß seinem freien Willen zu gestalten.90 Alles Privatrecht basiert grundsätz­ lich auf der Anerkennung der individuellen Persönlichkeit und der Achtung be­ stimmter Eigenschaften des Einzelnen.91 Hinter jedem Recht steht das Persön­ lichkeitsrecht als Grundverhältnis, aufgrund dessen jeder Mensch jedem anderen gegenüber zur Achtung und Anerkennung seines Willens verpflichtet ist. Des­ halb liegt in jeder Rechtsverletzung zugleich eine indirekte Verletzung der Per­ sönlichkeit des Rechtsinhabers.92 Dass diese grundlegende Rechtfertigung der Schutzpositionen jedes Individuums durch weitergehende Ausgestaltungen, wie zum Beispiel durch das Eigentumsrecht, in anderen Fällen entbehrlich sein mag, macht sie beim Besitz aber keineswegs unbedeutend.93 Das im Besitz verkörperte Persönlichkeitsrecht des Besitzers wird außerdem nicht besser als das im Eigentum verkörperte Persönlichkeitsrecht geschützt.94 Der petitorisch Berechtigte wird durch diverse dingliche Herausgabeansprüche abgesichert, bei deren Nichtbefolgung zudem Sanktionen drohen: §§  280 ff., 286 ff., §§  823, 826 BGB. Die §§  858 ff. BGB stellen umgekehrt einen Schutz des Besitzers überhaupt erst her; von einem „besseren“ Schutz kann also keinesfalls die Rede sein. mal der Interdikte bedeutete bereits, dass der freie Gebrauch der Sache eingeschränkt und der Wille des Besitzers von außen bestimmt wird, v. Savigny, Recht des Besitzes, S.  400, 412. Siehe im Übrigen unter §  2 I.1. 90  Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art.  2 Rn.  2, bezeichnet das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit als „von ihrem grundsätzlichen Gehalt her die wegweisende Konkretisie­ rung der Menschenwürde“, an der sämtliche Rechtsverbürgung anknüpft. 91  Nach Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S.  385, „ruht das ganze Privatrecht auf dem Bo­ den des öffentlichen Rechtes.“ 92  Wieling, Sachenrecht I, §  3 III b = S.  137; ders., in: FS Lübtow, S.  565 (578). 93  So auch Wilhelm, Sachenrecht, Rn.  445 Fn.  916 = S.  273. 94  Siehe zu dieser Kritik unter §  3 III.4.

III. Eigene Würdigung

45

Besteht nun aber auch ein öffentliches Interesse daran, dass der Besitzer in seiner Sachherrschaft im Sinne eines absoluten Persönlichkeitsrechts der Frei­ heit geschützt ist? b) Das staatliche Gewaltmonopol In diesem Zusammenhang ist an das staatliche Gewaltmonopol anzuknüpfen, welches die Vertreter der Friedenstheorie im Zentrum des Besitzschutzes ansie­ deln. Auch diesem liegt insofern die Achtung der Herrschaft über Sachen eines Einzelnen zugrunde, als dass Zwang grundsätzlich nur vom Staat angewandt werden darf. Müller weist zu Recht darauf hin, dass das staatliche Gewaltmono­ pol jedoch seinerseits kein Wert per se ist, sondern wiederum dem Schutz kon­ kreter, eben auch individueller Interessen des Einzelnen dient:95 Das staatliche Gewaltmonopol bezeichnet in der Allgemeinen Staatslehre die ausschließlich dem Staat vorbehaltene Befugnis, Gewalt im Sinne von physi­ schem Zwang anzuwenden.96 Das Gewaltmonopol hängt eng mit der Entstehung des modernen Staates zusammen. Es formte sich bereits im hohen Mittel­alter in dem Versuch aus, die auf dem Fehdewesen gründenden willkürlichen Herr­ schaftsverhältnisse zugunsten von staatlicher Schlichtung zu begrenzen.97 Während in frühmodernden Staaten das Gewaltanwendungsmonopol vor allem dazu genutzt wurde, die Gewalt absolutistischer Herrscher zu sichern, hat es im modernen Rechtsstaat die Aufgabe übernommen, die Freiheitsausübung der Bür­ ger auszutarieren.98 Das Verbot eigenmächtiger Rechtsdurchsetzung geht dabei Hand in Hand mit einem Anspruch des Einzelnen auf Justizgewährung. Selbst­ hilfe als Mittel der Rechtsdurchsetzung führt unausweichlich zum Recht des Stärkeren,99 was auf Seiten des Schwächeren eine Verletzung in diversen Frei­ heitsgrundrechten wie Unversehrtheit von Leib und Leben, von Eigentum und Handlungsfreiheit bedeutet, die der Staat aber zu schützen verpflichtet ist.100 Grundrechtliche Freiheit ist als gleiche Freiheit für alle ihre Träger ausgestal­ 95 

Müller, Besitzschutz, S.  246 ff. Genauso Regenfus, Vorgaben des Grundgesetzes, S.  607. Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, S.  56; Isensee, in: FS Sendler, S.  39 (47). 97  In Deutschland bewirkte der Ewige Landfriede von 1495, der das Friedensgebot durch die Installierung einer Gerichtsbarkeit in Gestalt des Reichskammergerichts effektivierte, dass die gewaltsame Selbsthilfe auf Reichsebene eingedämmt wurde, ausführlich Jacobi, Besitz­ schutz vor dem Reichskammergericht, S.  65 ff. 98  Hammer, DÖV 2000, 613 (616), weist auch darauf hin, dass das heutige Demokratieprin­ zip voraussetze, dass dem Staat und dem Volk, von dem alle Staatsgewalt ausgeht, das Gewalt­ monopol zukomme, der einzelne Bürger also nicht unabhängig vom Staat Gewalt über andere ausüben könne. 99  In der Literatur ist oft plakativ von „Rollkommandos“ die Rede, siehe Gutzeit, in: Stau­ dinger, BGB, §  863 Rn.  8. 100  Isensee, in: FS Sendler, S.  39 (50, 60); Stamm, Prinzipien und Grundstrukturen, S.  8 f. 96 

46

§  3 Zum Grund des possessorischen Besitzschutzes

tet.101 Das Gewaltmonopol schafft für den der Staatsgewalt unterliegenden Ein­ zelnen einen geschützten Raum, in dem er seine Persönlichkeit frei entfalten kann. Eingriffe in diese Sphäre, zum Beispiel in Form von Zwangsvollstreckung, muss der Einzelne nur von staatlicher Seite erwarten. Aus dem Bedürfnis, das staatliche Gewaltmonopol zu schützen, folgt insofern zwangsläufig dasjenige, den Besitz gegen Beeinträchtigungen zu schützen. Zurückführen lässt sich letzte­ res wiederum auf den Schutz der freien Persönlichkeitsentfaltung. c) Zwischenergebnis Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich die Verübung verbotener Eigen­ macht im Einzelfall zur Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Opfers verengt. Der Bürger muss aber keine Form von Eingriff in seine Sphäre von privater Seite dulden. Anderenfalls würde die Friedensordnung im Staat gefährdet. Dies gilt umso mehr, wenn der Täter verbotener Eigenmacht gezielt (vermeintlich) eigene Rechte durchsetzen will. Die Besitzschutznormen des BGB schützen also unmit­ telbar ein Allgemeininteresse, mittelbar jedoch auch ein individuelles. Die hier dargelegte Begründung für den Besitzschutz findet im Übrigen nicht nur Anwen­ dung auf natürliche Personen, sondern lässt sich ebenso auf juristische Personen übertragen.102 Der Zusammenschluss in Verbänden dient der Persönlichkeitsent­ faltung des einzelnen Individuums, sodass es heute allgemein anerkannt ist, dass auch juristische Personen gem. Art.  19 III GG dem Schutz des Persönlichkeits­ rechts unterliegen können.103 Der Schutz gilt den Gütern und Belangen, die un­ mittelbar auf die gemeinsame Zweckverwirklichung gerichtet sind. Konsequen­ terweise sind sie ebenso vom staatlichen Gewaltmonopol mit erfasst. Juristische Personen kommen ebenfalls in den Genuss des possessorischen Besitzschutzes.104 d) Rückführung auf die Normen des BGB Mit den gewonnen Erkenntnissen lässt sich die konkrete Ausgestaltung der Be­ sitzschutznormen des BGB in den meisten Fällen plausibel erklären.

101  Bettermann, Grenzen der Grundrechte, S.  23 ff.; Heun, in: Handbuch der Grundrechte II, §  34, Rn.  20, 37 f.; im Kontext der europäischen Grundrechte: Huster, EuR 2010, 325 (326 f.). 102  Ausdrücklich für die Anwendung der Persönlichkeitstheorie auf juristische Personen Brand, Organbesitz, S.  141, und Wieling, Sachenrecht I, §  4 I 4 a = S.  151. 103  BGH NJW 2005, 2766 (2769); Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art.  2 Abs.  1 Rn.  224. 104  Wie die Besitzverhältnisse bei juristischen Personen genau zu beurteilen sind, ist strittig. Dazu ausführlich Brand, Organbesitz, S.  95 ff.

III. Eigene Würdigung

47

aa) Das Notwehrrecht gem. §  859 I BGB als Folge des Angriffs auf die Persönlichkeit Wenn im obigen Beispiel in der Mitnahme des Huts durch A ein Angriff auf die Persönlichkeit des B liegt, ist es folgerichtig, dass die Rechtsordnung ein Vertei­ digungsrecht vorsieht. Bei §  859 I BGB soll es sich um eine besondere Ausprä­ gung des Notwehrrechts nach §  227 I BGB handeln. Ob die Norm überflüssig ist, ist streitig. Wenn man den Besitz als ein rechtlich geschütztes Individualinteresse im Sinne von §  227 I BGB ansieht, hat die Norm zumindest klarstellende Bedeu­ tung, indem sie den Besitz ausdrücklich als notwehrfähiges Gut anerkennt.105 Der Gesetzgeber hielt die Fälle der Besitzverletzung sogar in besonderem Maße für notwehrfähig, so dass er sie durch eine positive Formulierung in §  859 I BGB („darf […] sich erwehren“) gegenüber der negativen Formulierung in §  227 I BGB („ist nicht widerrechtlich“) besonders hervorhob.106 Zur Begründung ver­ wies er – an die Ausführungen zum Tatbestand des §  858 BGB anknüpfend – da­ rauf, dass der persönliche Lebens- und Freiheitsbereich von privaten Eingriffen freizubleiben habe.107 Subsumiert man diesen Gedanken unter das heute geltende Allgemeine Persönlichkeitsrecht,108 so ist festzuhalten, dass dieses in seinen rechtlichen Ausprägungen mittlerweile als notwehrfähiges Individualinteresse im Rahmen von §  227 I BGB anerkannt ist,109 sodass man §  859 I BGB ebenso gut als entbehrlich betrachten könnte.110 Wird im Hut-Beispiel der Besitz nicht fahrlässig, sondern bewusst zur eigen­ mächtigen Rechtsdurchsetzung entzogen, gewinnt zusätzlich der Schutz des staatlichen Gewaltmonopols an Bedeutung. Das Notwehrrecht gem. §  859 I BGB durchbricht dann insofern das im staatlichen Gewaltmonopol begründete Prinzip des Selbsthilfeverbots deshalb, weil Recht generell nicht Unrecht wei­ chen muss, neben den persönlichkeitsrelevanten Schutz also auch der Gedanke der Bewahrung der Rechtsordnung als generalpräventives Ziel tritt.111 105 

So Joost, in: MüKo-BGB, §  859 Rn.  2. Repgen, in: Staudinger, BGB, §  227 Rn.  8, meint, es bedürfe der speziellen Vorschrift, da der Besitz mangels Zuweisung einer konkreten Verhal­ tensberechtigung nicht als subjektives Recht betrachtet werden könne; ebenso Klingbeil, Die Not- und Selbsthilferechte, S.  200, der in §  859 BGB ein Instrument zur Vollstreckung der Ansprüche aus §§  861, 862 BGB sieht. 106  Motive, Band  III, S.  112 = Mugdan, Band  III, S.  62. 107  Die Motive, Band  III, S.  112 = Mugdan, Band  III, S.  62, verweisen auf die „Schlussbe­ merkungen zum vorigen Paragraphen“, in denen der generelle Grund für das Verbot der Eigen­ macht erläutert wurde, siehe bereits ausführlich unter §  3 III.6.a). 108  Dazu unter §  3 II.3. 109  Grothe, in: MüKo-BGB, §  227 Rn.  7. 110  Wieling, Sachenrecht I, §  5 III 1 = S.  192. 111  Zum Rechtsbewährungsprinzip siehe Retzko, Angriffsverursachung bei der Notwehr, S.  96.

48

§  3 Zum Grund des possessorischen Besitzschutzes

bb) Die Schwäche der Rechtsfriedenstheorie mit Blick auf §  859 II, III BGB? Das Besitzschutzrecht schützt vor Einwirkungen auf die Sache gegen den Willen des Besitzers, nicht aber vor Gewalt des Besitzers als Reaktion auf unerwünsch­ te Einwirkungen. Mit der Gewährung des Rechts, sich einer Sache, an der der Besitzentzieher bereits eigenen Besitz begründet hat, wieder zu bemächtigen, dehnt das Gesetz die Befugnisse des Besitzers deutlich über das aus, was die Notwehr erlaubt. (1) Besitzschutz als Gewährung echter Selbsthilfe Ohne Rücksicht darauf, ob der Entziehungsakt noch andauert, ob obrigkeitliche Hilfe zu erlangen wäre oder der Anspruch ohne die Selbsthilfe vereitelt oder wesentlich erschwert würde,112 wird dem Besitzer gestattet, die alte Besitzlage wiederherzustellen. Damit wird dem (früheren) Besitzer das erlaubt, was das Institut des possessorischen Besitzschutzes gemäß der Friedenstheorie gerade verhindern soll: Ein Anspruch (aus §  861 I BGB) wird eigenmächtig, ohne Hilfe des Staates durchgesetzt. Die Besitzkehr kann somit als ein Sonderfall echter Selbsthilfe gelten.113 Die Friedenstheorie ist folglich daraufhin kritisch zu befra­ gen, wie die Gestattung von Gewaltanwendung den Rechtsfrieden bewahren soll.114 Die zugrunde liegende Maxime, Gewaltausübung ausschließlich in die Hände des Staates zu legen, würde dafür sprechen, §  859 II, III BGB zu streichen und es bei §§  861 ff. BGB zu belassen, flankiert von der allgemeinen Selbsthilfe­ regel des §  229 BGB. (2) Gesetzgeberische Intention bei Schaffung von §  859 II, III BGB Auch der Gesetzgeber sah in §  859 BGB einen „anormalen Rechtsbehelf“, der in Widerspruch zu dem Grundgedanken des Besitzschutzes stehe.115 Die Norm sanktioniere gesetzlich das Faustrecht, gefährde aber selbst den Rechtsfrieden möglicherweise erheblich. Eine Normierung von Selbsthilfe sei nur in der Ver­ gangenheit und aus überwiegend praktischen Gründen zu rechtfertigen. Die Praktikabilität von Selbsthilfe sei in früherer Zeit, als in der deutschen Provinz grundsätzlich nicht genügend Gerichte existiert hätten und dadurch auch die Dauer der Prozesse unzumutbar gewesen sei, zweifelsfrei gegeben gewesen. Da 112 

Insofern ist §  859 II, III BGB wesentlich weiter gefasst als §  229 BGB. Überdies ist §  230 II BGB, der die nachträgliche Anrufung des Gerichts anordnet, nicht anwendbar. 113  BGH NJW 1967, 46 (47). 114  Kritisch auch Gutzeit, in: Staudinger, BGB, Vor §§  854–872 Rn.  17; Hartung, Besitz und Sachherrschaft, S.  38; Heck, Sachenrecht, Exkurs 1 = S.  486. 115  Protokolle, Band  III, S.  39 = Mugdan, Band  III, S.  508 f.

III. Eigene Würdigung

49

dies nach Ansicht der Zweiten Kommission auf ihre Zeit, das heißt um die Jahr­ hundertwende, nicht mehr zutraf, beschloss man die Ziehung enger zeitlicher Grenzen für §  859 II, III BGB.116 Innerhalb dieser Grenzen soll nach Vorstellung des Gesetzgebers der Besitz beim Opfer der verbotenen Eigenmacht weiterhin fingiert werden, sodass die Entziehung so lange als nicht abgeschlossen und nicht vollendet gilt.117 Es zeigt sich, dass die Verfasser des BGB denjenigen hart treffen wollten, der bewusst unzulässige Selbsthilfe betreibt;118 es wird zudem deutlich, dass den §§  858 ff. BGB auch eine präventive Funktion zukommen soll.119 Die Normen bilden das Fundament für das Bewusstsein in der Rechtsgemeinschaft, dass der Besitz besonders zu schützen ist: Jeder Besitzer darf sich gegen verbotene Eigen­ macht verteidigen und den rechtswidrig entzogenen Besitz verfolgen. Ein sol­ ches Bewusstsein kann dazu beitragen, dass der Einzelne davon abgeschreckt wird, sich des Besitzes eines anderen zu bemächtigen. Dass gegen den lediglich fahrlässig handelnden Täter verbotener Eigenmacht nicht legitim Gewalt verübt werden kann, ist durch die Erforderlichkeitsbedingung gewährleistet: Die nach §  859 II, III BGB erlaubte Gewaltanwendung darf das zur Abwehr der verbote­ nen Eigenmacht erforderliche Maß nicht überschreiten, mildere Mittel sind aus­ zuschöpfen.120 Bezogen auf das Hut-Beispiel wäre die prompte Anwendung von Gewalt ohne vorherige Aufklärung des Irrtums also rechtsmissbräuchlich und gerade nicht gerechtfertigt. Im Ergebnis ist damit festzuhalten, dass §  859 II, III BGB in keinem Widerspruch zur Theorie stehen, dass die Besitzschutzvorschrif­ ten der Erhaltung des Rechtsfriedens dienen. (3) Exkurs: Verfassungsgemäßheit des §  859 II, III BGB Ungeachtet dessen mag sich dennoch die Frage nach der Verfassungsgemäßheit des §  859 II, III BGB aufdrängen, und zwar zum einen im Hinblick auf das ver­ fassungsrechtlich gewährleistete Eigentumsrecht, Art.  14 I GG, zum anderen be­ züglich des Rechts auf körperliche Unversehrtheit des Täters der verbotenen Ei­ genmacht, Art.  2 II 1 GG. 116 

Insoweit reichen die Befugnisse aus §  229 BGB also weiter als die aus §§  859 II, III BGB. Protokolle der Ersten Kommission, S.  3497, abgedr. bei Jakobs/Schubert, Beratung des BGB, Sachenrecht I, S.  169. 118  Protokolle, Band  III, S.  39 = Mugdan, Band  III, S.  509: „[…] während das Selbsthülfe­ recht des §  815 in gewissem Sinne ein Faustrecht gesetzlich sanktionire […]“. 119  Dazu ausführlich unter §  4 II.3. 120  G. h. M.: RG JW 1931, 2782 (2782); OLG Koblenz, MDR 1978, 141 (141); Götz, in: BeckOGK-BGB, §  859 Rn.  27 ff.; Klinck, in: Staudinger-Eckpfeiler, Sachenrecht, Rn.  63; Klingbeil, Die Not- und Selbsthilferechte, S.  211; Westermann/Gursky/Eickmann, Sachenrecht, §  22, Rn.  4 = S.  159. 117 

50

§  3 Zum Grund des possessorischen Besitzschutzes

(a) Ungerechtfertigte Ungleichbehandlung von Besitz und Eigentum? Das BGB gibt dem Besitzer weitergehende Selbsthilferechte an die Hand als dem Eigentümer. In den Vorschriften über das Eigentum findet sich kein „Kehr­ recht“ wie es §  859 II BGB für den entzogenen Besitz an beweglichen Sachen vorsieht. Besondere Selbsthilfenormen im BGB, die für das Eigentum Gültigkeit haben, sind zum Beispiel §  228 BGB und §  904 BGB, die eine Notstandshand­ lung legitimieren können, aber eine Güterabwägung erfordern. Auch §  962 BGB und §  910 BGB regeln besondere Selbsthilferechte des Eigentümers, allerdings für spezifische nachbarschaftliche Situationen: Dabei dürfte das sog. Bienen­ privatrecht einen kaum nennenswerten Teil der Rechtsgemeinschaft betreffen; auch das Recht angrenzender Nachbarn, überhängende Wurzeln und Zweige zu beseitigen, ist ein Sonderfall. Im Übrigen ist der Eigentümer auf die eng begrenz­ te Selbsthilfenorm des §  229 BGB beschränkt. Da das Eigentum im Gegensatz zum Besitz ausdrücklich in Art.  14 I GG ga­ rantiert ist, verwundert dieser Befund zunächst. Es ist aber keine ungerechtfertig­ te Schlechterstellung des Eigentums gegenüber dem Besitz festzustellen, da schon keine vergleichbare Interessenlage gegeben ist. Der tatsächliche Entzug von Eigentum im Sinne einer vollständigen Zerstörung der Sache ist – wie beim Besitz – denknotwendig auch durch Gewalt nicht rückgängig zu machen. Dem rechtlichen Entzug von Eigentum – ob gesetzlich oder rechtsgeschäftlich – kann mit Gewalt nicht entgegen gewirkt werden. Dies ist beim rein faktischen Besitz anders. Hier zeigen sich die beiden grundsätzlich unterschiedlichen Ebenen, auf denen Besitz und Eigentum angesiedelt werden: Besitz basiert auf tatsächlicher Sachherrschaft, während Eigentum an rechtliche Fundamente anknüpft. (b) §  859 II und III BGB als Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne von Art.  14 I GG Als noch unbegreiflicher mag es allerdings empfunden werden, dass der eigen­ mächtig handelnde Eigentümer aufgrund von §  859 II, III BGB im Zweifel dul­ den muss, dass ihm seine eigene Sache durch Gewalt seitens des ursprünglichen Besitzers wieder entzogen wird. Es handelt sich dabei um einen Eingriff in das Eigentumsrecht in Form der Inhalts- und Schrankenbestimmung. Unter letzterer versteht das BVerfG die generelle und abstrakte Festlegung von Rechten und Pflichten durch den Gesetzgeber hinsichtlich solcher Rechtsgüter, die als Eigen­ tum geschützt werden.121 Das bürgerlich-rechtliche Eigentum gewährleistet durch §  903 BGB insbesondere die umfassende Herrschafts- und Verfügungsbe­ fugnis. Der Eigentümer einer Sache kann mit dieser nach Belieben verfahren und 121 

BVerfGE 110, 1 (24 f.).

III. Eigene Würdigung

51

andere von jeder Einwirkung ausschließen.122 §  859 BGB schränkt dies entschei­ dend ein. Der Eingriff in das Eigentum ist nur zu rechtfertigen, wenn er zur Er­ reichung eines legitimen Ziels geeignet sowie erforderlich und angemessen ist.123 Das vom Gesetzgeber gesteckte legitime Ziel besteht in der Sicherung des staatlichen Gewaltmonopols in Verbindung mit dem dahinterstehenden Schutz des Persönlichkeitsrechts jedes einzelnen Besitzers. Der Eigentümer soll sein Recht auf dem Gerichtswege geltend machen. Ferner müsste die Inhalts- und Schrankenbestimmung auch zur Erreichung des benannten Ziels geeignet sein. Dies ist der Fall, wenn sie das angestrebte Ziel zumindest fördert. Im Rahmen der Eignung kommt dem Gesetzgeber eine Einschätzungsprärogative zu.124 Ziel des Gesetzgebers kann nur eine umfassende Abschreckungswirkung in Erweite­ rung des Notwehrrechts sein. Der Eigentümer, der verbotene Eigenmacht begeht, soll damit rechnen müssen, dass er sogar verfolgt wird und ihm die Sache durch Gewalt des ehemaligen Besitzers genommen wird. Vor diesem Hintergrund soll der Eigentümer von vornherein davon absehen, sein vermeintliches Recht an der Sache eigenmächtig durchzusetzen. Das Selbsthilferecht des Besitzers trägt zur Abschreckung vor eigenmächtigen Eingriffen des Eigentümers bei. Eine Un­ tauglichkeit des Nothilferechts des Besitzers zur Erreichung dieses Ziels ist nicht evident. Ein weiteres, gleichermaßen geeignetes Mittel zur Abschreckung könn­ ten strafrechtliche Sanktionen sein, die aber nicht erkennbar milder wären. Die Regelung ist auch unter Berücksichtigung des hohen Stellenwerts des Eigentums angemessen, da der verfassungsrechtliche Standort des verfolgten Eingriffsziels ebenso bedeutsam ist:125 Art.  14 GG garantiert das Privateigentum um der indivi­ duellen Freiheit willen. Das staatliche Gewaltmonopol sichert aber jenseits von Eigentumsverhältnissen die Freiheit für alle Bürger, und zwar in Form der Ach­ tung der Herrschaftssphäre über Sachen als Ausdruck des Persönlichkeitsrechts. Das Institut des Gewaltmonopols, das Selbstjustiz verhindert und damit die Frei­ heit anderer schützt, hat selbst Verfassungsrang. Das Gewaltmonopol ist zwar 122  Der Begriff des von der Verfassung gewährleisteten Eigentums muss nach der Recht­ sprechung des BVerfG zwar aus der Verfassung selbst gewonnen werden, BVerfGE 58, 300 (335), aber das Eigentum befand sich bei Entstehung des Grundgesetzes als ausgeformtes Rechtsinstitut in seinen prägenden Gestaltungen bereits im BGB. Insofern geht auch das ­BVerfG davon aus, dass Art.  14 GG an das Begriffsverständnis des BGB anknüpft. Das Rechts­ institut des Eigentums wird so geschützt wie es das bürgerliche Recht und die gesellschaft­ lichen Anschauungen geformt haben, siehe BVerfGE 65, 196 (209); ausführlich Papier/Shirvani, in: Maunz/Dürig, GG, Art.  14 Rn.  148 ff. 123  Axer, in: BeckOK-GG, Art.  14 Rn.  88. 124  An der Eignung fehlt es daher nur bei evidenter Untauglichkeit der getroffenen Regelun­ gen, BVerfGE 109, 279 (336, 338). Ausführlich zur Einschätzungsprärogative im verfassungs­ rechtlichen Kontext: Bickenbach, Einschätzungsprärogative, S.  148 ff., 528 ff. 125  Zur Abwägungsdogmatik siehe R. Wendt, in: Sachs, GG, Art.  14 Rn.  97.

52

§  3 Zum Grund des possessorischen Besitzschutzes

kein ausdrückliches Regelungsthema des Grundgesetzes, doch es lässt sich aus grundgesetzlichen Normen wie Art.  33 IV GG, Art.  20 III, IV GG, Art.  8 I GG herleiten.126 (c) Unverhältnismäßiger Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Störers oder dessen Recht auf körperliche Unversehrtheit? Um die Sache zurückzuerhalten, darf der Besitzer in angemessenem Umfang Gewalt gegen den Täter der verbotenen Eigenmacht anwenden und damit nicht nur in dessen eventuell bestehendes Eigentumsrecht, sondern auch in dessen Per­ sönlichkeitsrecht und körperliche Unversehrtheit eingreifen. Es stellt sich die Frage, ob es verhältnismäßig sein kann, die Umgehung des staatlichen Gewalt­ monopols, das Freiheitsrechte wie Persönlichkeit und körperliche Unversehrtheit schützen soll, durch gewaltvolle Selbsthilfe zu sanktionieren, was wiederum Freiheitsrechte wie Persönlichkeit und körperliche Unversehrtheit auf Seiten des Störers beeinträchtigt. Die Fragestellung verschärft sich unter der Prämisse, dass das Gewaltmonopol des Staates nach herrschender Ansicht nur dann einer Durchbrechung bedarf, wenn staatliche Hilfe zur Durchsetzung oder Wiederher­ stellung eines Rechts nicht erreichbar ist.127 Letzteres ist jedoch im Rahmen von §  859 II, III BGB keine notwendige Voraussetzung. Eine Erörterung dieses Pro­ blems findet in der Literatur überraschenderweise nicht statt. Laut Joost zieht das Gesetz unabweisbare Folgerungen aus den „natürlichen“ Gegebenheiten und geht wie selbstverständlich von Selbsthilfe als naheliegend aus: Niemand werde ohne weiteres Eingriffe in seine tatsächliche Sachherr­ schaftssphäre untätig hinnehmen.128 Dem ist zu entgegnen, dass bloßes Unrechts­ empfinden gerade nicht die Selbsthilfe legitimiert; ansonsten müsste es auch der 126  Hammer, DÖV 2000, 613 (617); Isensee, in: FS Sendler, S.  39 (55); Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art.  19 Abs.  4 Rn.  29. 127  Gebhard, Begründung zum Teilentwurf (Allgemeiner Teil), abgedr. bei Schubert, Vorla­ gen der Redaktoren, Allgemeiner Teil II, S.  432; Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, S.  57; Repgen, in: Staudinger, BGB, §  229 Rn.  1. Historisch ist in diesem Zusammenhang ­Hobbes’ Staatskonzept am bekanntesten. In Leviathan, Part II, Chapter 21, argumentierte er, dass ein quasianarchischer status naturalis auflebe, wenn der Staat seiner Pflicht zum Schutz der Bürger nicht nachkomme: „The obligation of subjects to the souvereign is understood to last as long, and no longer, than the power lasteth, by which he is able to protect them. For the right men have by nature to protect themselves, when none else can protect them, can by no covenant be relinquished.“ Seine Argumentation diente freilich primär der Legitimierung einer absolutisti­ schen Staatsherrschaft, die noch von Untertanen und nicht von Bürgern im Sinne von mündi­ gen und gleichberechtigten Mitgliedern eines Staates ausging. 128  Joost, in: MüKo-BGB, §  859 Rn.  1. Hinter dieser Behauptung der „natürlichen“ Selbst­ hilfe steht wohl die Auffassung, dass die Abwehrreaktion auf Besitzstörungen grundsätzlich angeboren bzw. gleichsam ein naturhafter Instinkt sei – gemäß der Anschauung: Jeder Hund

III. Eigene Würdigung

53

Eigentümer nicht untätig hinnehmen, dass der Besitzer die Pflicht zur Rückgabe der Sache missachtet. Wieling versucht mit Blick auf §  859 II, III BGB die recht­ liche Einordnung dieser Regelungen als Selbsthilfe zu relativieren: Dass das Ge­ setz an dieser Stelle ein weitgehendes Faustrecht einführe, lasse sich nur dadurch begründen, dass der Besitz des Täters bei Nacheilen oder sofortiger Entsetzung noch nicht zur Ruhe gekommen und gefestigt sei.129 Eine ähnliche Vorstellung teilte zwar auch der Gesetzgeber;130 er unterließ aber eine gesetzliche Veranke­ rung dieser Anschauung, zum Beispiel in Form einer fortbestehenden Besitz­ fiktion zugunsten des Opfers der verbotenen Eigenmacht, vermutlich weil eine solche den Besitz als Rechtsinstitut jeglicher tatsächlicher Grundlage beraubt hätte.131 Klinck nimmt an, dass die Sanktion des Faustrechts durch §  859 II, III BGB mit der Erwägung, dass §§  858 ff. BGB den Frieden des öffentlichen Rechtsverkehrs und die Persönlichkeit seiner Teilnehmer schützen sollen, ver­ einbar sei, weil gerade diese Privilegien des Opfers der verbotenen Eigenmacht gegenüber potenziellen Störern abschreckende Wirkung hätten und somit man­ che Störung von vornherein verhinderten.132 Letztere abstrakt-generelle Abschreckungswirkung ist es wohl, welche – in der Zusammenschau mit dem Angemessenheitserfordernis bei der Gewalt­ anwendung und dem engen zeitlichen Rahmen – die Rechtswissenschaft bisher dazu bewogen hat, §§  859 II, III BGB nicht dem Verdacht der Unverhältnismä­ ßigkeit auszusetzen. Es ist auch nicht Ziel dieser Arbeit, Notwehr und Selbsthilfe auf den verfassungsrechtlichen Prüfstand zu stellen. Allerdings sollen folgende abschließende Gedanken erlaubt sein: Die mit simpler Gewalt betriebene Vertei­ digung des Friedensstandes hört nicht schon wegen ihres ideellen Hintergrundes auf, ihrerseits Gewalt zu sein; auch verliert sie ihren Gewaltcharakter nicht durch eine Stigmatisierung des vorausgegangenen Angriffs. Es bedarf einer gründ­ lichen Abwägung, welche gesetzliche Ausgestaltung dem Friedensschutz im Er­ gebnis zuträglicher ist. Wenn es die Abschreckungswirkung ist, welche das Ge­ waltrecht im Rahmen der Selbsthilfe rechtfertigt, wäre auf empirischer Ebene zu eruieren, ob tatsächlich derjenige, der sich schon nicht durch das Notwehrrecht des Besitzers abschrecken lässt, erst aufgrund der Aussicht auf Selbsthilfe des Besitzers gem. §  859 II, III BGB von der Tat Abstand nimmt. Sollte dies nicht der Fall sein, könnte die gesetzliche Regelung durchaus als übermäßig belastend und verteidigt seinen Knochen. Dabei gilt es aber gerade der methodischen Versuchung zu wider­ stehen durch das Unterschieben vermeintlicher Tatsachen eine deduktive Basis zu gewinnen. 129  Wieling, Sachenrecht I, §  5 III 2 a = S.  195. 130  Siehe unter §  3 III.6.d)bb)(2). 131  Dass der Entzieher der Sache die tatsächliche Gewalt über sie ausübt, lässt sich auch nicht durch die Verkehrsanschauung „wegkonstruieren“. 132  Klinck, in: Staudinger-Eckpfeiler, Sachenrecht, Rn.  63.

54

§  3 Zum Grund des possessorischen Besitzschutzes

damit verfassungswidrig angesehen werden.133 Der Staat ist zum grundrechts­ schonenden Eingreifen verpflichtet, was ihm an dieser Stelle auch möglich ist: Dies beweist die Schaffung der Ansprüche aus §§  861, 862 BGB, die gerichtlich durchzusetzen sind. (d) Fazit: Gebotene Restriktion Dass der überwiegende Teil der Zivilrechtswissenschaftler grundsätzlich be­ strebt ist, die Legitimität eigenmächtiger Handlungen des gestörten Besitzers einzuschränken, äußert sich auch darin, dass eine extensive Anwendung des §  859 I BGB auf Besitzstörungen, die im Regelfall gleichzeitig eine Besitz­ teilentziehung darstellen, verneint wird.134 Auf den ersten Blick scheint bei Be­ sitzstörungen im Gegensatz zu Besitzentziehungen eine Abwehr nach §  859 I BGB zeitlich unbegrenzt möglich zu sein. Abwehrhandlungen gegen fortdauern­ de Besitzstörungen werden aber ab dem Moment, in dem die menschliche An­ griffshandlung beendet ist und sich nur noch die Sache selbst als Störung aus­ wirkt, nicht mehr als Notwehr, sondern als Selbsthilfe bewertet, die sodann den engen Zeitschranken des §  859 II, III BGB (analog) unterworfen sein soll.135 Diese Einschränkung ist zu begrüßen, denn in der Regel impliziert die eigen­ mächtige Rückgängigmachung der Besitzstörung wiederum einen Eingriff in Rechtspositionen des Störenden,136 welcher nach unserer Rechtsordnung gerade nicht über den Weg der Selbsthilfe, sondern über den geordneten staatlichen Weg der Rechtsdurchsetzung erfolgen sollte.

133 

Zur Besitzkehr bei Grundstücken siehe schon Johow, Begründung zum Teilentwurf, S.  425, abgedr. bei Schubert, Vorlagen der Redaktoren, Sachenrecht I, S.  549: „Dabei empfiehlt es sich, bei der Leichtigkeit der Beschreitung des Rechtsweges, die Anwendung von Gewalt gegen die Person auszuschließen.“ 134  Bekannt geworden ist diese Problematik im Rahmen der sog. Abschlepp-Fälle, bei de­ nen ein Kraftfahrzeug auf fremdem Grund geparkt wurde. 135  BGH NJW 1967, 46 (48); OLG München v. 15.03.2005 – 32 Wx 14/05 –, juris Rn.  12 (offenbar in direkter Anwendung); Brehm/Berger, Sachenrecht, §  4, Rn.  8 = S.  59 f.; Gutzeit, in: Staudinger, BGB, §  859 Rn.  7, 21; Hoeren, in: NK-BGB, §  859 Rn.  4. Westermann/Gursky/ Eickmann, §  22, Rn.  5 = S.  160, und Wieling, Sachenrecht I, §  5 III 2 = S.  194, verneinen das Vorliegen einer Besitzstörung ab dem Moment, in dem die menschliche Angriffshandlung be­ endet ist. 136  Wieling, Sachenrecht I, §  5 III 2 = S.  194, benennt einen Fall, in dem das ausnahmsweise nicht der Fall ist: Gräbt A auf dem Grundstück des Nachbarn N in dessen Abwesenheit eine Grube aus, so darf N diese später jederzeit wieder zuschütten, da dadurch nicht in fremde Rech­ te oder in fremden Besitz eingegriffen wird. Dies dürfte ein ziemlich hypothetisches Beispiel für eine Besitzstörung sein.

III. Eigene Würdigung

55

cc) Herstellung des status quo ante gem. §  861 I BGB und §  862 I BGB Es ist zu klären, warum §  861 I BGB und §  862 I BGB in dem Moment, in dem die Abwehr des Angriffs nach §  859 BGB gescheitert ist, dem Besitzer einen Anspruch auf die vorübergehende Wiederherstellung des status quo ante geben. Nach der gesetzgeberischen Vorstellung sind die Ansprüche ein verlängertes Notwehrrecht. Teilweise wird die Ausgestaltung der Besitzschutzansprüche al­ lerdings als Argument gegen die Friedenstheorie herangezogen, da zur Verteidi­ gung öffentlicher Interessen wie dem Rechtsfrieden stets staatliches Eingreifen von Amts wegen erforderlich sei und es nicht dem Bürger obliegen könne, diese Interessen durchzusetzen.137 Die Idee, den Bürger als besonderes „Verfolgungs­ organ“ einzusetzen, um staatliche Interessen zu verwirklichen, ist allerdings nicht ungewöhnlich und liegt zum Beispiel auch §  661a BGB zugrunde.138 Nach Raiser und Sosnitza wird durch die Ausgestaltung der Normen das persönliche Eigeninteresse des Besitzers genutzt, der die Sache (störungsfrei) in seinem Be­ sitz haben will.139 Entsprechend sei der Anspruch aus §  861 I BGB auf die Her­ ausgabe an den Besitzer zugeschnitten – und nicht an einen Verwahrer oder ­Sequester. Der allgemeine Rechtsfriede hänge davon ab, dass dem Störer eine wirksame Sanktion drohe. Bei der gewählten privatrechtlichen Ausgestaltung des Sanktionsmechanismus sei eine Beschränkung auf einen Anspruch auf Her­ ausgabe an einen Verwahrer nicht geeignet, die notwendige präventive Wirkung zu erzielen. Wenn der Besitzer nicht sofort wieder selbst an die Sache gelangen könne, würde ihm nämlich jeder Anreiz genommen, überhaupt gegen den Täter der verbotenen Eigenmacht vorzugehen.140 Dieser Auffassung zufolge ist es ein reinen Zweckmäßigkeitsgründen geschuldetes Ergebnis, dass die Sache bis zur Klärung der Rechtslage beim Besitzer und nicht bei einem Treuhänder oder ­Sequester verbleibt. Der Besitzer wird als Sachwalter der öffentlichen Ordnung instrumentalisiert, der die Herausgabe an sich selbst aus eigenem Interesse for­ dert.141 Müller ist sogar der Ansicht, dass die Herstellung des status quo ante letztlich dem Berechtigten zugutekomme, bleibt aber eine genauere Begründung schuldig.142 Dass die Sache später vom wahren Berechtigten aufgefunden wer­ 137  Mit diesem Argument gegen die Friedenstheorie: Hartung, Besitz und Sachherrschaft, S.  39. 138  Bergmann, in: Staudinger, BGB, §  661a Rn.  6; Meller-Hannich, NJW 2006, 2516 (2516 f.). Dazu ausführlich unter §  4 II.3.a)cc)(3)(b). 139  Raiser, in: summum ius summa iniuria, S.  145 (154); daran anknüpfend Sosnitza, Besitz und Besitzschutz, S.  46 f. 140  Sosnitza, Besitz und Besitzschutz, S.  46 f. 141  Sosnitza, Besitz und Besitzschutz, S.  54 ff. 142  Müller, Besitzschutz, S.  250; mit derselben Behauptung bereits auf S.  242 im Rahmen der Darstellung der ökonomischen Analyse des Rechts, allerdings auch dort ohne Begründung.

56

§  3 Zum Grund des possessorischen Besitzschutzes

den kann, wird durch eine staatliche Verwahrung gleichermaßen gewährleistet, selbiges gilt für die Schadensfreiheit und Erhaltung der Sache. Ebenso wenig erfolgt durch den Besitzer zwangsläufig eine wirtschaftlich sinnvolle Nutzung der Sache, sodass die Herstellung des status quo ante über diesen ökonomischen Aspekt zu rechtfertigen wäre. Die Vertreter eines individualrechtlichen Ansatzes können die Erforderlichkeit der Herstellung des status quo ante leichter begründen. Auf dem Boden der Per­ sönlichkeitstheorie ist zunächst zu konstatieren, dass die einmal erfolgte Stö­ rungshandlung durch die Rückgabe der Sache oder Beseitigung der Störung nicht vollständig kompensiert werden kann: Der Eingriff in die Herrschaftssphä­ re ist erfolgt, ein Recht zum Besitz der Sache besteht möglicherweise gar nicht. Allerdings bewirkt die weitere Vorenthaltung der Sache oder die fehlende Be­ seitigung der Störung eine Verschärfung der Persönlichkeitsverletzung. Die Herrschaft des Besitzers über die Sache sollte demnach so lange aufrechterhalten werden, bis ein besseres Recht des Störers nachgewiesen ist.143 Der Besitzschutz liegt unter anderem darin begründet, dass auch der Dieb zunächst nur ein ver­ meintlicher Dieb und der Eigentümer nur ein behaupteter Eigentümer ist; vor zwangsweiser Durchsetzung potentieller Rechte an der Sache muss gerichtlich geklärt werden, ob diese Rechte auch wahrhaftig bestehen.144 Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die konkrete Ausgestaltung von §  861 I BGB und von §  862 I BGB weder gegen die Persönlichkeits- noch gegen die Friedenstheorie spricht. dd) Der fehlerhafte Besitzer gem. §  858 II 2 BGB als Anspruchsgegner Der Besitzschutzanspruch richtet sich nicht ausschließlich gegen den Täter der verbotenen Eigenmacht, sondern allgemein gegen den fehlerhaften Besitzer.145 Der Kreis der Anspruchsgegner ist also erweitert: Der Erbe des fehlerhaft Besit­ zenden muss gem. §  858 II 2 BGB die Fehlerhaftigkeit des Besitzes ohne Rück­ sicht darauf gegen sich gelten lassen, ob er sie kennt oder nicht. Der Sondernach­ folger des fehlerhaft Besitzenden besitzt seinerseits fehlerhaft, wenn er beim Besitzerwerb die Fehlerhaftigkeit des Besitzes seines Vorgängers kannte. Darin mag man einen Widerspruch zur Friedenstheorie sehen, da auf den Täter der 143 

Das ist im Übrigen ganz im Sinne der Kontinuitätstheorie, die den Aspekt des – auf einer relativen Dauerhaftigkeit basierenden – wirtschaftlichen Nutzens betont, siehe unter §  3 II.2. 144  Klinck, in: Staudinger-Eckpfeiler, Sachenrecht, Rn.  46. 145  Die Ausführungen gelten sinngemäß für die Notwehr- und Selbsthilferechte, die sich gem. §  859 IV BGB nicht nur gegen den Täter der verbotenen Eigenmacht, sondern auch gegen jeden fehlerhaften Besitzer richten können. Diese Fälle dürften – bis auf eine spontane Weiter­ gabe der Sache durch den Täter an einen Dritten durch „Zuwurf“ – aber kaum praktisch rele­ vant sein.

III. Eigene Würdigung

57

verbotenen Eigenmacht nicht mehr eingewirkt, sondern ein Dritter sanktioniert wird. Dem liegt aber eine wohldurchdachte Interessenabwägung zugrunde. Der historische Gesetzgeber ging davon aus, dass der Anspruch nicht aus einem in der Vergangenheit liegenden Delikt, sondern aus einem gegenwärtigen rechts­ widrigen Zustand entspringt.146 Dies stützt auch die Persönlichkeitstheorie: Die Besitzentziehung oder -störung wirkt zulasten des (ehemaligen) Besitzers fort. Dieser Zustand ist vom Erben, der zufällig und ohne Eigenleistung in seine Posi­ tion gelangt ist, oder von demjenigen Sonderrechtsnachfolger, der bei Besitz­ erwerb Kenntnis vom unrechtmäßigen Zustand hat, zu beseitigen, da ihr Interes­ se am Besitz weniger wiegt. Dagegen ist der Besitzschutzanspruch gegen einen redlichen Sonderrechtsnachfolger ausgeschlossen, da dieser sich die Begehung der verbotenen Eigenmacht in keiner Weise mehr zurechnen lassen muss. Durch diese Konstruktion gelangt zusätzlich ein präventiver Mechanismus zur Entste­ hung, da ein kollusives Zusammenwirken von Täter und Sonderrechtsnachfolger sich für jene nicht auszahlt. §  858 II 2 BGB ist daher ein gutes Beispiel für das Zusammenspiel von Persönlichkeits- und Friedenstheorie. ee) Zeitliche Begrenzung des Anspruchs auf ein Jahr gem. §  864 I BGB Ein nach den §§  861, 862 BGB begründeter Anspruch erlischt mit dem Ablauf eines Jahres nach der Verübung der verbotenen Eigenmacht, wenn nicht vorher der Anspruch im Wege der Klage geltend gemacht wird. §  864 I BGB beruht auf der Erwägung, dass die durch verbotene Eigenmacht beeinträchtigte provisori­ sche Ordnung nach einiger Zeit in eine neue übergeht:147 Der frühere Besitzer hat lange genug Zeit, um zu zeigen, dass er den Eingriff in seine Sphäre nicht duldet. Der neue Zustand hat sich nach Ablauf dieser Zeit verfestigt und verdrängt die bisherige Besitzbeziehung aus ihrer geschützten Position. Die Friedenstheorie entfaltet somit ihre gesamte Bandbreite, indem sie auch die andere „Richtung“ mit in den Blick nimmt – und zwar zugunsten eines Rechtsfriedens im Sinne neuer befriedeter Verhältnisse. ff) §  864 II BGB sowie §  861 II und §  862 II BGB als Fremdkörper im Schutzsystem Es verbleiben zwei Normen, die offenkundig mit dem hier befürworteten Ansatz zur Begründung des Besitzschutzes nicht zu vereinbaren sind. Ein auf Rechts­ 146 

Protokolle der Ersten Kommission, S.  3517, mit Verweis auf Johows Begründung zum Teilentwurf, S.  456, abgedr. bei Schubert, Vorlagen der Redaktoren, Sachenrecht I, S.  580. 147  Gutzeit, in: Staudinger, BGB, §  864 Rn.  1; Joost, in: MüKo-BGB, §  864 Rn.  1. Das BGB sieht in verschiedenen Normen (z. B. §§  940 II, 955 III, 1029, 1090 II BGB) nach Ablauf einer Jahresfrist die neue Güterordnung als so gefestigt an, dass auch neue Rechtsfolgen an sie ge­ knüpft werden.

58

§  3 Zum Grund des possessorischen Besitzschutzes

frieden zum Schutz des Persönlichkeitsrechts des Einzelnen zielender Besitz­ schutz muss notwendigerweise allumfassend und lückenlos sein. Der Erlöschens­ grund nach §  864 II BGB und der Ausschluss des Besitzschutzanspruchs bei fehlerhaftem Besitz nach §  861 II BGB und §  862 II BGB durchbrechen aber punktuell den possessorischen Schutz. (1) Durchbrechung des possessorischen Schutzes gem. §  864 II BGB Die Besitzschutzansprüche der §§  861, 862 BGB erlöschen, wenn nach der Ver­ übung der verbotenen Eigenmacht durch rechtskräftiges Urteil festgestellt wird, dass dem Täter ein Recht an der Sache zusteht, vermöge dessen er die Herstel­ lung eines seiner Handlungsweise entsprechenden Besitzstands verlangen kann. Somit kann es Fälle geben, in denen die verbotene Eigenmacht ohne Konsequenz bleibt. Ein taktierender Täter müsste zum Beispiel lediglich bis wenige Tage vor Rechtskraft des petitorischen Urteils warten, um die verbotene Eigenmacht zu begehen;148 dann dürfte er die eigenmächtig weggenommene Sache einfach be­ halten. Diese Aussicht auf „Erfolg“ schafft unter Umständen regelrecht eine Mo­ tivation für den vermeintlich Berechtigten, den Besitzer in seiner Persönlichkeit und zugleich den allgemeinen Rechtsfrieden zu stören. §  864 II BGB lässt sich somit weder mit der Friedens- noch mit der Persönlichkeitstheorie erklären. Aber auch die Kontinuitätstheorie, die ja ebenfalls ein Individualinteresse schützen will, stößt hier an ihre Grenzen: Wenn der eigenmächtige Eingriff in das Konti­ nuitätsinteresse keine Konsequenzen nach sich zieht, besteht auch hier keine Ab­ schreckungswirkung vor Eingriffen in dieses Interesse.149 Allein die Eigentums­ theorie vermag das Ergebnis des §  864 II BGB zu erklären, da hiernach der Be­ sitzschutz nur den Schutz des zugleich Berechtigten bezweckt, der Besitzschutz also notwendigerweise hinter den Schutz des Berechtigten zurücktreten muss, wenn sich herausstellt, dass die Berechtigung nicht beim Besitzer liegt. Wie be­ reits ausgeführt, kann dieser Ansatz aber nicht erklären, warum gem. §  863 BGB der Einwand der Berechtigung gegen den Besitzschutzanspruch grundsätzlich nicht zulässig ist. (2) Durchbrechung des possessorischen Schutzes bei fehlerhaftem Besitz gem. §  861 II BGB und §  862 II BGB Nach §  858 I BGB ist der durch verbotene Eigenmacht erlangte Besitz fehlerhaft. Dies ist nicht nur für die Passiv-, sondern auch für die Aktivlegitimation der 148  Allein die Notwehranstrengungen des Besitzers müssen überwunden werden, was zum Ein­ satz von besonders aggressiver Gewalt verleiten könnte, siehe dazu ausführlich unter §  5 II.3.a). 149  Selbstredend bleibt auch eine Kombination aus Friedens- und Kontinuitätstheorie eine Antwort auf dieses Problem schuldig.

III. Eigene Würdigung

59

Besitzschutzansprüche relevant: Gem. §§  861 II, 862 II BGB sind die possesso­ rischen Ansprüche ausgeschlossen, wenn der Besitz desjenigen, gegen den ver­ botene Eigenmacht verübt wurde, dem Täter der verbotenen Eigenmacht gegen­ über fehlerhaft war und er den fehlerhaften Besitz innerhalb des letzten Jahres erlangt hat. Der Anspruchsausschluss beruht auf der Erwägung, dass die Wie­ derergreifung des Besitzes sanktionslos bleiben soll, wenn der Besitzergreifende noch im Zeitrahmen des §  864 I BGB Besitzschutzklage hätte erheben können.150 Die gewaltsame Wiedereroberung eines gewaltsam entzogenen Besitzes ist zwar rechtswidrige Selbsthilfe, die Rechtsordnung sieht darin aber die Wiederherstel­ lung des ursprünglich verletzten Besitzes.151 Es soll daher bei dem wiederher­ gestellten Zustand verbleiben. Damit nimmt das BGB sogar die Entstehung einer Gewaltspirale in Kauf: Ist die Besitzentziehung keine „frische“ Tat mehr, wird der ehemalige Besitzer mit seinem Anspruch aus §  861 I BGB auf den Gerichtsweg verwiesen. Beschreitet er diesen nicht, sondern versucht er, sich den Besitz mit Gewalt zurückzuholen, verübt er seinerseits verbotene Eigenmacht, gegen die sich der nunmehrige Be­ sitzer nach 859 I BGB wehren darf. Ist der frühere Besitzer aber erfolgreich und erobert den Besitz zurück, hat derjenige, der zwischenzeitlich aufgrund verbote­ ner Eigenmacht besaß, wegen §  861 II BGB keinen Wiedereinräumungsanspruch – was ihn wiederum dazu veranlassen könnte, sich im Vorfeld besonders aggres­ siv zu wehren. Mit der Friedenstheorie, die auf Beruhigung zwischenmensch­ licher Beziehungen ausgerichtet ist, lässt sich dies nicht vereinbaren. Aus der Perspektive der Persönlichkeitstheorie ergibt die Norm ebenfalls keinen Sinn, da sie zum Eingriff in die Sphäre des Täters der verbotenen Eigenmacht – frei nach dem Motto „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ – verleitet. Auch aus dem Blick­ winkel der Kontinuitätstheorie entsteht ein falscher Anreiz, nämlich das ge­ schützte Interesse an der Kontinuität der Lebensverhältnisse zu beeinträchtigen. Insofern erscheint es unverständlich, warum der Besitzschutzanspruch versagt bleiben soll. Selbst die Eigentumstheorie liefert kein befriedigendes Ergebnis: Es gibt Fälle, in denen der ursprüngliche Täter der verbotenen Eigenmacht der Ei­ gentümer der Sache ist; dennoch wäre er nach dem Angriff des ursprünglichen Besitzers machtlos und hätte selbst keinen Besitzschutzanspruch. Letzteres müsste aber bei einer Gleichstellung von Besitz und Eigentum unbedingt der Fall sein.

150 

Joost, in: MüKo-BGB, §  861 Rn.  9. Johow, Begründung zum Teilentwurf, S.  458, abgedr. bei Schubert, Vorlagen der Redak­ toren, Sachenrecht I, S.  582; Strohal, JherJb 38 (1898), 1 (129); Wilhelm, Sachenrecht, Rn.  526 = S.  315. 151 

60

§  3 Zum Grund des possessorischen Besitzschutzes

7. Zusammenfassung der bisherigen Ergebnisse Die Verübung verbotener Eigenmacht führt nach Vorstellung des historischen Gesetzgebers zur Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Opfers und bedroht zugleich die Friedensordnung im Staat und damit das Allgemeininteresse. Die durch die Zivilrechtsnormen begründete rechtliche Verteilung von Sachen ist im alltäglichen Verkehr nicht unbedingt erkennbar; die Feststellung der Berechti­ gung setzt in vielen Fällen die Anwendung schwieriger Rechtsnormen voraus und muss den Gerichten vorbehalten bleiben. Gleichzeitig eskalieren Besitzkon­ flikte leicht. Dadurch können Werte in Mitleidenschaft gezogen werden, denen gegenüber ein an sich begründetes Interesse des Täters verbotener Eigenmacht als gänzlich nebensächlich erscheint.152 Wenn das staatliche Gewaltmonopol für den Einzelnen einen geschützten Raum schafft, in dem er seine Persönlichkeit frei entfalten kann, dann gehören zu dieser Sphäre nicht nur die Person selbst, sondern auch die Güter, derer sich die Person zu ihrer freien Entfaltung bedient und die ihrer tatsächlichen Verfügungsgewalt unterliegen.153 Es liegt daher auch im öffentlichen Interesse, verbotene Eigenmacht zu verhindern. Die Besitznor­ men des BGB lassen sich unter Zugrundelegung eines Begründungsansatzes, der das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen in Verbindung mit dem gesellschaftlichen Frieden für alle als Schutzzwecke in den Mittelpunkt stellt, widerspruchsfrei er­ klären. Lediglich bei §  864 II BGB sowie §§  861 II, 862 II BGB misslingt die Einordnung. Wie aufgezeigt versagen die anderen Theorien hier aber ebenfalls. Auch wenn der Gesetzgeber nicht ausdrücklich Stellung zum Grund des Be­ sitzschutzes bezogen hat, so ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien, dass Erwä­ gungen zum Friedens- und Persönlichkeitsschutz im Vordergrund standen. Ge­ gen die Persönlichkeitstheorie lässt sich zudem nicht anführen, dass der Wille des Bürgers nicht mehr in dem Ausmaß zur Grundlage des Privatrechts erhoben werden könne wie noch ein Jahrhundert zuvor.154 Sofern die entsprechenden Ge­ setze nicht geändert werden, ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber die historischen Vorstellungen weiterhin gelten lässt. Schlussendlich lösen sich der mögliche Gegensatz oder die Grenzlinien zwischen der Friedenstheorie und den übrigen Begründungsansätzen überwiegend auf, wenn man berücksichtigt, dass 152  Kress, Besitz und Recht, S.  331. Hedinger, System des Besitzrechtes, S.  58, verweist darauf, dass eine derartige Gefahr auch dann besteht, wenn sich die entzogene Sache nicht im unmittelbaren Gewaltbereich des Besitzers befunden hat; denn ein gewaltsamer Akt führt auch dann oft zur Vergeltung durch Gegengewalt, wenn er nicht unmittelbar gegen die Person des Besitzers, der sich vielleicht weit vom Tatort entfernt befunden hat, verübt wurde. Dazu aus­ führlich unter §  3 IV. 153  Hedinger, System des Besitzrechtes, S.  53; Müller, Besitzschutz, S.  249; Wieling, Sachen­ recht I, §  3 III b = S.  138. 154  Siehe zu dem Argument unter §  3 III.4.

IV. Die tatsächliche Gewalt über die Sache als Anknüpfungspunkt

61

mit dem öffentlichen Rechtsfrieden das staatliche Gewaltmonopol und mit die­ sem sowohl die Kontinuität der Wirtschaftssphäre des Einzelnen als auch dessen Persönlichkeitsrechte geschützt werden:155 Ein (ökonomisches) Kontinuitäts­ interesse entspricht dem – wiederum im Rahmen des Persönlichkeitsschutzes zu berücksichtigenden – Willen des modernen Bürgers. Gewiss ist es eine vollkommen andere Frage, ob Vorschriften mit der beschrie­ benen Zwecksetzung überhaupt Gegenstand des bürgerlichen Rechts sein soll­ ten.156 Wilhelm widerspricht etwa einer reinen Präventionstheorie unter anderem deswegen so vehement, weil er das Zivilrecht als „Recht der subjektiven Rechte und der Selbstbestimmung“ definiert, während er die unter anderem von Raiser und Sosnitza präferierte Konzeption mit dem Besitzer als Funktionär der Ge­ samtrechtsordnung157 als systemwidriges „Implantat des öffentlichen Rechts“ ansieht.158 Wer dagegen wie Sosnitza Elemente von Sanktion und Prävention im materiellen Recht hinnimmt, muss selbstverständlich auch keinen so hohen Be­ gründungsaufwand betreiben.

IV. Die tatsächliche Gewalt über die Sache als Anknüpfungspunkt für den Schutzmechanismus Durch die Anknüpfung an die tatsächliche Gewalt kommt zum Ausdruck, dass das Gesetz vom unmittelbaren Besitz als Grundform des Besitzes ausgeht. Wenn Zweck des Besitzschutzes die Bewahrung von Rechtsfrieden und Persönlich­ keitsschutz ist, dann überrascht es allerdings, dass der Schutzmechanismus zum einen dem Besitzdiener, der die Sache in seiner Gewalt hat, versagt bleibt, zum anderen aber solche Sachen erfasst, die sich räumlich weit entfernt von der Per­ son des Besitzers befinden oder zu denen – etwa beim Erbenbesitz – keine tat­ sächliche und auch keine persönliche Beziehung besteht.159 Hierbei handelt es sich um Grenzfälle des Besitzbegriffs und letztendlich um die Frage, in welchem Ausmaß die Verkehrsanschauung zur Bestimmung des Besitzes herangezogen werden darf.160 155  In dem Sinne auch Klinck, in: Staudinger-Eckpfeiler, Sachenrecht, Rn.  50; T. Honsell, JZ 1983, 531 (532 f.). 156  Dazu ausführlich unter §  4 II.3. 157  Siehe unter §  3 III.6.d)cc). 158  Wilhelm, Sachenrecht, Rn.  445 Fn.  916 = S.  273. 159  Hartung, Besitz und Sachherrschaft, S.  41, folgert daraus für den Besitzschutz, dass die­ ser ausschließlich Vermögensinteressen schützt. 160  Lepsius, Besitz und Sachherrschaft, S.  184, 187, 192 f., sieht hierin zu Recht ein Beispiel für das juristische Spannungsfeld zwischen Normativität und Faktizität.

62

§  3 Zum Grund des possessorischen Besitzschutzes

Gemeinhin wird der Verkehrsanschauung eine maßgebliche Rolle bei der Be­ stimmung des Besitzbegriffs zugeschrieben.161 Teilweise wird allerdings starke Kritik am Kriterium der Verkehrsanschauung geübt und behauptet, es handele sich dabei um eine gefährliche Leerformel.162 Mit dem Hinweis auf die Verkehrs­ anschauung ist aber wohl bezweckt, Juristen anzuhalten, die Frage nach dem Be­ sitz mit ihrem „gesunden Menschenverstand“163 unter pragmatischer Berücksich­ tigung der Verkehrsinteressen zu beurteilen. Das Merkmal der tatsächlichen Ge­ walt im Sinne des §  854 I BGB ist mittels Kriterien wie das des räumlichen Verhältnisses oder das der physischen Einwirkungsmöglichkeit zu bestimmen. Diese Kriterien unterliegen zwangsläufig der Verkehrsanschauung, da es sich um tatsächliche Verhältnisse handelt, die vom Verkehr her bestimmt und dementspre­ chend beurteilt werden können.164 Ob man sich über das Merkmal der Verkehr­ sanschauung bereits von einer natürlichen Auffassung der Rechtsgemeinschaft über die Sachherrschaft zu weit entfernt hat oder ob es sich um eine anerkennens­ werte Hilfestellung handelt, die den Mangel einer tatbestandlich eindeutigen Zu­ ordnung der Besitzfolgen ausgleicht,165 soll hier nicht entschieden werden. Ge­ genstand der Arbeit ist nicht ein neues Besitzkonzept,166 sondern die Untersu­ chung, ob die hier gefundene Begründung des Besitzschutzes auch für den Kreis all der Besitzer passt, die diesen Schutz (von Gesetzes wegen) genießen.

1. Besitzschutz des Besitzdieners Bei Erlass des BGB ging man davon aus, dass nach der allgemeinen Verkehrs­ anschauung in Abhängigkeitsverhältnissen im Haushalt oder Erwerbsgeschäft nicht dem Angestellten, sondern dem Herrn über den Haushalt und dem Inhaber 161  BGHZ 101, 186 (188); BGH MDR 2012, 276 (276); BGH NJW 2015, 1678 (1679); Berger, in: Jauernig, BGB, §  854 Rn.  2; Diep, in: jurisPK-BGB, §  854 Rn.  3; Ernst, Eigenbe­ sitz, S.  42 f.; Fritzsche, in: BRHP-BGB, §  854 Rn.  20; Lorenz, in: Erman, BGB, §  854 Rn.  2. 162  Füller, Eigenständiges Sachenrecht, S.  27; Hartung, Besitz und Sachherrschaft, S.  128 f.; Joost, in: MüKo-BGB, §  854 Rn.  4. 163  So Hedinger, System des Besitzrechtes, S.  17. 164  Dies gesteht auch Joost, in: MüKo-BGB, §  854 Rn.  4, ein. 165  Ernst, Eigenbesitz, S.  43, spricht, wohl polemisch, vom „Überspielen“ dieses Mangels. 166  Siehe aber nur exemplarisch die zahlreichen Monographien hierzu: Ernst, Eigenbesitz, S.  25 ff., der eine strikte Trennung zwischen dem Tatbestand des Eigenbesitzes von dem der §§  854 ff. BGB vornehmen will; Füller, Eigenständiges Sachenrecht, S.  272 ff., unter Entwick­ lung eines Besitzbegriffs, der hauptsächlich der Publizitätsfunktion dient; Hartung, Besitz und Sachherrschaft, S.  125 ff., unter Entwicklung eines praktikablen Besitzbegriffs für ein moder­ nes Wirtschaftsleben; im öffentlichen Recht Lepsius, Besitz und Sachherrschaft, S.  41 ff., der die Rechte des Sachherrschaftsberechtigten in der Eigentumsgarantie verankert und diese – mit Auswirkung auf das BGB – als ein Grundrecht auf Sachherrschaft interpretiert.

IV. Die tatsächliche Gewalt über die Sache als Anknüpfungspunkt

63

über das Geschäft die tatsächliche Sachherrschaft zukommt.167 Besitz kann dem­ nach nicht nur durch eigene Handlungen ausgeübt werden, sondern auch durch Handlungen Dritter, solange diese als „Werkzeuge“ fungieren, indem sie Anwei­ sungen des sog. Besitzherrn unbedingt Folge leisten. Ernst kritisiert zu Recht, dass mit der Herausnahme des Besitzdieners aus dem possessorischen Schutz das Konzept eines prinzipiellen per-se-Schutzes von Sachherrschaft aufgegeben worden sei.168 Dem folgend sehen einige in der Besitzdienerschaft eine prakti­ schen Bedürfnissen folgende Abweichung vom Begriff des Besitzes im Sinne einer tatsächlichen Sachherrschaft, die den Besitz von einem Rechtsverhältnis abhängig macht.169 Entscheidend für die (normative) Einordnung erscheint aber eher die tatsächliche Unterordnung des einen unter den Willen des anderen.170 Ein Eingriff in die Sachgewalt des Besitzdieners ist ein Angriff auf den Willen des Besitzherrn. Zwar sind die Besitzhandlungen des Besitzdieners zunächst von seinem eigenen Willen getragen, letztlich gehen sie aber auf den Willen des Be­ sitzherrn zurück. Dies erklärt, warum dem Besitzdiener kein Besitzschutz nach §  859 BGB oder §§  861 f. BGB zukommt. Das dem Besitzdiener über §  860 BGB als Sondernorm zugesprochene Gewaltrecht verdeutlicht, dass der Besitz­ diener bei Ausübung der Sachherrschaft wiederum nur als Werkzeug im Interes­ se des Besitzherrn tätig wird, dem die Gewaltrechte eigentlich zustehen. Da der Besitzherr aber im Regelfall nicht zur Notwehr oder Selbsthilfe schreiten kann, ist es nur sinnvoll, dass der Besitzdiener die Rechte für ihn ausüben darf.171 Für die Verteidigung des staatlichen Gewaltmonopols ist es schließlich irrelevant, wer Notwehr oder Selbsthilfe und die Ansprüche aus §§  861 f. BGB geltend macht. 167 

Dazu bereits unter §  2 II.4. Ernst, Eigenbesitz, S.  21, 24. 169  Joost, in: MüKo-BGB, §  855 Rn.  1. Baur/Stürner, Sachenrecht, §  7, Rn.  63 = S.  81, spre­ chen von einem „Kunstgriff“. 170  Sosnitza, Besitz und Besitzschutz, S.  12. Auch Stadler, in: Soergel, BGB, §  855 Rn.  1, sieht §  855 BGB als reine Ergänzung des §  854 BGB an. Ausführlich zur Besitzdienerschaft und zum Streit um ihre dogmatischen Begründung: Hartung, Besitz und Sachherrschaft, S.  207 ff. 171  Beispiel: Der Besitz eines Betriebsinhabers wird nicht tangiert, wenn ein Arbeitnehmer dem anderen ein Arbeitsgerät wegnimmt, das allen im Betrieb Tätigen generell zur Benutzung zugewiesen ist, z. B. eine Schaufel. Das Interesse eines Arbeitnehmers, eine bestimmte Schaufel zu benutzen, wird nicht geschützt. Dabei bleibt es auch, wenn ein Arbeitnehmer seinem Kolle­ gen ein diesem individuell zugewiesenes Werkzeug wegnimmt. Der eigenmächtig auf das Werk­ zeug zugreifende Arbeitnehmer stört in diesem Fall aber die konkrete Organisation des Betriebs und damit den Besitz des Betriebsinhabers, so dass der Arbeitnehmer, dem das Werkzeug indi­ viduell zugewiesen war, nach §  860 BGB Besitzwehr üben darf, siehe Fritzsche, in: BRHP-­ BGB, §  860 Rn.  4; Gutzeit, in: Staudinger, BGB, §  860 Rn.  2. Nach einer Ansicht in der Literatur bedürfte es der Norm gar nicht, da Nothilfe des Besitzdieners zugunsten des Besitzherrn schon gem. §  227 BGB möglich sei, siehe dazu Gutzeit, in: Staudinger, BGB, §  860 Rn.  1. 168 

64

§  3 Zum Grund des possessorischen Besitzschutzes

2. Besitzschutz des Erbenbesitzers Komplizierter verhält es sich mit dem Besitzschutz im Rahmen von §  857 BGB, wonach der Besitz mit dem Tod des Besitzers auf dessen Erben übergeht. Letzte­ rer weiß unter Umständen nicht einmal etwas von der Erbschaft und den betrof­ fenen Gegenständen, bildet diesbezüglich also auch keinen Willen aus. Dann ist natürlich fraglich, inwieweit bei einer Verletzung des Besitzes das Persönlich­ keitsrecht des Erbenbesitzers betroffen sein kann. Zwar dürften mangels körper­ licher Anwesenheit und rechtzeitiger Kenntnisnahme die Gewaltrechte nach §  859 BGB im Regelfall keine Rolle spielen;172 zu erklären bleibt aber, warum zugunsten des Erbenbesitzers §§  861 f. BGB greifen. Das Problem ist eng ver­ knüpft mit der umstrittenen Rechtsnatur des Erbenbesitzes. Während einige von „vergeistigter Sachherrschaft“ sprechen,173 nehmen andere eine notwendige Fik­ tion an.174 Nach wohl überwiegender Auffassung ist der Erbenbesitz als ein Son­ derfall des Besitzes ohne Sachherrschaft mit bloßer Rechtsfolgenzuordnung an­ zusehen.175 Wer den Erbenbesitz nach §  857 BGB als Teil einer Besitzschutzlehre behan­ deln will, muss aufwendige theoretische Begründungen liefern.176 Die Befürwor­ ter einer vergeistigten Sachherrschaft legen einen Besitzbegriff zugrunde, nach dem Besitz nicht körperliche Herrschaft, sondern ein vom Rechtsverkehr aner­ kanntes Verhältnis ist.177 Diese Herleitung entbehrt aber einer deutlichen Kontur und lässt sich nicht mit einer natürlichen Auffassung von Besitz vereinbaren. Will man den Begriff der Sachherrschaft von der Verkehrsanschauung her defi­ nieren, dann muss bedacht werden, dass die Vorstellung von tatsächlicher Herr­ schaft in unserer Gesellschaft wohl eher eine körperliche Beziehung als eine „vergeistigte“ impliziert. §  857 BGB bezweckt augenscheinlich, den wirklichen Erben mit Eintritt des Erbfalls besitzrechtlich im gleichen Umfang zu schützen wie zuvor den Erblasser. Dabei geht es vor allem um außerhalb des possessori­ schen Besitzschutzes liegende Wirkungen zur Sicherung des Erbrechts, zum Bei­ spiel mit dem Ziel, einen gutgläubigen Eigentumserwerb Dritter über §  935 BGB 172 

So auch Lange, in: FS Felgentraeger, S.  294 (295). Baur/Stürner, Sachenrecht, §  8, Rn.  2 = S.  90; Rosenberg, in: Rosenberg, BGB, §  857 Anm. I. 174  Sosnitza, Besitz und Besitzschutz, S.  14; Wieling, Sachenrecht I, §  4 V 1 e = S.  181; teilweise auch Joost, in: MüKo-BGB, §  857 Rn.  4 („fiktives Element“). 175  Hartung, Besitz und Sachherrschaft, S.  252; Herrler, in: Palandt, BGB, §  857 Rn.  1; Michel, Probleme des Erbenbesitzes, S.  28; Stadler, in: Soergel, BGB, §  857 Rn.  1. 176  Lepsius, Besitz und Sachherrschaft, S.  189. 177  Lepsius, Besitz und Sachherrschaft, S.  189, spricht von der Aufrechterhaltung eines „Trugbilds“. Es werde lediglich so getan, als ob faktische Umstände der letztendliche Grund für die Besitzzuschreibung seien. 173 

IV. Die tatsächliche Gewalt über die Sache als Anknüpfungspunkt

65

zu verhindern.178 Im Übrigen wird eine dem Besitzschutz innewohnende Ord­ nungsfunktion fortgeschrieben:179 Es soll der Schutz vorweggenommen werden, der für den Erbenbesitzer jedenfalls ab Ergreifung der Sache in legitimer Weise bestehen würde. Ob man dies als Fiktion oder Rechtsfolgenzuordnung ansieht, soll hier nicht entschieden werden; beide Ansichten verdeutlichen jedenfalls, dass es sich um eine Anomalie in der Besitzbegriffsdogmatik handelt, die rechts­ folgenorientiert ist. Folglich steht und fällt eine Theorie zum Grund des Besitz­ schutzes nicht zwangsläufig mit der Regelung des §  857 BGB.

3. Besitzschutz des mittelbaren Besitzers Wird gegen den (unmittelbaren) Besitzer verbotene Eigenmacht verübt, so ste­ hen die Besitzschutzansprüche aus §§  861, 862 BGB nach §  869 S.  1 BGB auch dem mittelbaren Besitzer zu. Dies verwundert, wenn man bedenkt, dass die pos­ sessorischen Ansprüche nur die Erweiterung der Gewaltrechte aus §  859 BGB darstellen sollen und somit auf den unmittelbaren Besitzer zugeschnitten sind.180 Der Schlüssel zur Begründung des Schutzes des mittelbaren Besitzes liegt wiederum in dessen Rechtsnatur. Der mittelbare Besitz stellt, wie im Folgenden begründet werden soll, keine Form tatsächlicher Sachherrschaft dar.181 Der wohl herrschenden Meinung, die den mittelbaren Besitz als echte, gelockerte Sach­ herrschaft ansieht,182 ist entgegenzuhalten, dass der Besitzmittler anders als der Besitzdiener gerade nicht den Weisungen des mittelbaren Besitzers unterworfen ist183. Der Mittlungswille des unmittelbaren Besitzers mag zwar ein rechtliches Band des mittelbaren Besitzers zu der Sache begründen, jedoch keine tatsäch­ 178  Hoeren, in: NK-BGB, §  857 Rn.  1; Joost, in: MüKo-BGB, §  857 Rn.  1; Lepsius, Besitz und Sachherrschaft, S.  188. 179  So kann auch die Denkschrift des Reichsjustizamtes, S.  109 = Mugdan, Band  III, S.  962, verstanden werden; siehe auch Lange, in: FS Felgentraeger, S.  294 (294). 180  Der Gesetzgeber hatte im Übrigen geglaubt, nach der terminologischen Änderung der „Inhabung“ in „Besitz“ auf den Besitz ohne Inhabung nicht verzichten zu können, den man sodann mittelbaren Besitz nannte. Ausführlich zur Historie: Picker, AcP 188 (1988), 511 (527 ff.), und Wieling, in: Studi Sanfilippo, S.  715 (737). 181  Für eine Gleichstellung im Sinne einer Fiktion: Müller-Erzbach, JherJb 53 (1908), 331 (364 ff.); Sosnitza, Besitz und Besitzschutz, S.  17, 169; O. Wendt, AcP 87 (1897), 40 (49); ­Wieling, in: Studi Sanfilippo, S.  715 (730, 741). Ähnlich Joost, in: MüKo-BGB, §  868 Rn.  6, und Hartung, Besitz und Sachherrschaft, S.  263 ff., die ein Rechtsverhältnis mit einer Rechts­ folgenerstreckung annehmen. 182  Gutzeit, in: Staudinger, BGB, §  868 Rn.  5; Stadler, in: Soergel, BGB, §  868 Rn.  2. Ähn­ lich wie bei der Besitzdienerschaft von „vergeistigter“ Sachherrschaft sprechend: Lorenz, in: Erman, BGB, §  868 Rn.  2; Westermann/Gursky/Eickmann, Sachenrecht, §  17, Rn.  6 = S.  132; Vieweg/Werner, Sachenrecht, §  2, Rn.  28 = S.  24. 183  Das Reichsjustizamt erkannte bereits, es sei „eine gekünstelte Auffassung, wenn man

66

§  3 Zum Grund des possessorischen Besitzschutzes

liche Herrschaft. Der mittelbare Besitz setzt zudem stets den unmittelbaren Be­ sitz voraus. Hat der Besitzmittler selbst noch keinen Besitz begründet, so entsteht auch der mittelbare Besitz noch nicht; er geht ferner verloren, wenn der Besitz­ mittler die tatsächliche Sachherrschaft verliert. Die den Besitzschutzanspruch begründende und den Inhalt desselben bestimmende Tatsache – die verbotene Eigenmacht – richtet sich gegen die Person des unmittelbaren Besitzers. Existenz und Inhalt des Besitzschutzanspruchs sind daher aus der Person des unmittel­ baren Besitzers zu beurteilen. Für alle anderen Personen ist der Besitzschutz­ anspruch ein fremder Anspruch. Der Gesetzgeber war aber der Ansicht, dies schließe nicht aus, „die Befugnis zur Geltendmachung des Anspruchs anderen Personen zu eigenem selbständigen Rechte, in Konkurrenz mit dem Inhaber bei­ zulegen, insoweit ein berücksichtigungswertes Interesse dieser anderen Personen zu einer solche Beilegung vorliegt.“184 Beim mittelbaren Besitzer sei ein schutzwürdiges Interesse daran anzuerkennen, dass dem Besitzmittler der Besitz nicht entzogen werde, um die Rückkehr der Sachgewalt an den mittelbaren Be­ sitzer sicherzustellen.185 Denn der mittelbare Besitz habe die Tendenz, nach Ab­ lauf des Besitzmittlungsverhältnisses zum unmittelbaren Besitz zu werden.186 Bei §  869 BGB handelt es sich daher um ein gesetzestechnisches Konstrukt, das darauf abzielt, dem mittelbaren Besitzer die an den Besitztatbestand gekoppelten Rechtsfolgen zuordnen zu können, und zwar aus dessen wirtschaftlichem Inter­ esse an der Sache, verknüpft mit dem Recht zum Besitz.187 Dies kann man durch­ aus als fragwürdige Über-Privilegierung des mittelbaren Besitzers kritisieren, die mit dem Grundkonzept des Besitzschutzes nichts mehr zu tun hat. In jedem Fall bleibt festzuhalten, dass sich die Gründe für den Besitzschutz des unmittel­ baren und des mittelbaren Besitzers voneinander unterscheiden.188 annehme, daß der Miether oder der Pächter für den Vermiether bzw. den Verpächter den Besitz ausübe“, abgedr. bei Jakobs/Schubert, Beratung des BGB, Sachenrecht I, S.  208. 184  Protokolle der Ersten Kommission, S.  3523, abgedr. bei Jakobs/Schubert, Beratung des BGB, Sachenrecht I, S.  204. 185  Siehe auch die Entstehungsgeschichte der Norm. Im Laufe der Gesetzgebung wurde zunächst folgender Wortlaut des §  868 BGB vorgeschlagen: „Hat derjenige, welchem der Be­ sitz durch verbotene Eigenmacht entzogen ist, die Sache nur als Nießbraucher, Pfandgläubiger, Pächter, Mieter, Verwahrer oder auf Grund eines sonstigen Rechtsverhältnisses besessen, ver­ möge dessen er die Sache einem Anderen zurückzugewähren hat, so steht der in §  819 [= §  861 BGB] bestimmte Anspruch auch dem Anderen […] zu (mittelbarer Besitz)“, Protokolle, Band  III, S.  221 ff. = Mugdan, Band  III, S.  513 ff. 186  Protokolle, Band  III, S.  224 = Mugdan, Band  III, S.  515. 187  Wieling, in: Studi Sanfilippo, S.  715 (735). Das Rechtsverhältnis muss nach h. M. nicht wirksam sein. Es genügt, dass der unmittelbare Besitzer die Herausgabepflicht gegenüber dem mittelbaren Besitzer anerkennt: BGH NJW 1955, 499 (499); Baur/Stürner, Sachenrecht, §  7, Rn.  45 = S.  77; Lorenz, in: Erman, BGB, §  868 Rn.  5; Prütting, Sachenrecht, Rn.  83 = S.  33. 188  So lässt sich auch erklären, dass dem unmittelbaren Besitzer die possessorischen An­

IV. Die tatsächliche Gewalt über die Sache als Anknüpfungspunkt

67

Damit ist auch zu begründen, dass der Anspruch aus §  869 BGB selbständig neben dem des unmittelbaren Besitzers steht:189 Genehmigt letzterer beispiels­ weise die verbotene Eigenmacht nachträglich, so hat dies auf den Anspruch aus §  869 BGB keinen Einfluss mehr; auch die Rechtshängigkeit oder rechtskräftige Entscheidung in dem einen Verfahren hindert nicht, den anderen Anspruch ge­ richtlich geltend zu machen. Der Anspruch aus §§  869, 861 BGB hat das gleiche Ziel wie der aus §  861 BGB: Er zielt in erster Linie auf Herausgabe der Sache an den unmittelbaren Besitzer, dem die Sache entzogen war, §  869 S.  2 BGB. Nur wenn dieser die Sache nicht mehr übernehmen will oder kann, kann der mittel­ bare Besitzer Herausgabe an sich selbst verlangen. Die Gewaltrechte des §  859 BGB finden konsequenterweise in §  869 BGB keine Erwähnung. Der Gesetzgeber hat – mit für den Besitzschutz ungewöhnli­ cher Deutlichkeit – zum Ausdruck gebracht, dass er sich bewusst gegen die Ein­ räumung der Gewaltrechte für den mittelbaren Besitzer entschieden hat. Der Zweiten Kommission lagen mehrere dahingehende Anträge vor; es wurde jedoch beschlossen, dass die in §§  227 ff. BGB getroffenen Bestimmungen zum Schutz des mittelbaren Besitzers völlig ausreichten.190 Dennoch bejaht die Literatur zum Teil eine entsprechende Anwendung des §  859 BGB für den mittelbaren Besit­ zer.191 Eine planwidrige Regelungslücke besteht aber nicht. Dem allein rechtlich begründeten mittelbaren Besitz entspricht – wenn überhaupt – die Beschränkung auf die Besitzschutzansprüche.192 Der unmittelbare Besitzer muss seine Sach­ herrschaft selbst gegen Gewalt verteidigen.193

sprüche gegen den mittelbaren Besitzer zustehen. Das Interesse an der Sicherung seines Her­ ausgabeanspruchs, das der mittelbare Besitzer gegenüber Dritten, die den unmittelbaren Besitz angreifen, über die Besitzschutzansprüche durchsetzen kann, darf er gegenüber dem unmittel­ baren Besitzer, z. B. im Falle des Ablaufs des Rechtsverhältnisses, nicht eigenmächtig durch­ setzen, da sonst der unmittelbare Besitzer in seiner Persönlichkeit verletzt und der Rechtsfrie­ den gefährdet wäre. 189  Lorenz, in: Erman, BGB, §  869 Rn.  2; Kress, Besitz und Recht, S.  344 f. 190  Protokolle, Band  III, S.  226 = Mugdan, Band  III, S.  516; Denkschrift des Reichsjustiz­ amtes, S.  114 = Mugdan, Band  III, S.  965. 191  Baur/Stürner, Sachenrecht, §  9, Rn.  23 = S.  98; Gutzeit, in: Staudinger, BGB, §  869 Rn.  2; Heck, Sachenrecht, §  8.3 = S.  32; Herrler, in: Palandt, BGB, §  869 Rn.  2; Lopau, JuS 1980, 501 (503); Westermann/Gursky/Eickmann, Sachenrecht, §  25, Rn.  6 = S.  174. 192  So die wohl noch h. M.: RGZ 146, 182 (190); Fritzsche, in: BRHP-BGB, §  869 Rn.  8; Hoeren, in: NK-BGB, §  869 Rn.  7; Joost, in: MüKo-BGB, §  869 Rn.  7; Kregel, in: RGRKBGB, §  869 Rn.  1; Lorenz, in: Erman, BGB, §  869 Rn.  4; Prütting, Sachenrecht, Rn.  87 = S.  34. 193  Im Übrigen kommt Selbsthilfe durch den mittelbaren Besitzer hinsichtlich des eigenen Herausgabeanspruchs (§  869 S.  1, 2 BGB) in Betracht, siehe Wilhelm, Sachenrecht, Rn.  535 = S.  321. Auch das Selbsthilferecht der Besitzkehr gem. §  859 II, III BGB soll nach h. M. jeder Dritte für den unmittelbaren Besitzer stellvertretend ausüben können, siehe Schünemann,

68

§  3 Zum Grund des possessorischen Besitzschutzes

4. Besitzschutz des sog. Kurzbesitzers Über den Hinweis auf die Verkehrsanschauung fließen letztlich rechtspolitische Wertentscheidungen in den Besitzbegriff ein. Lepsius sieht hierin sogar die frie­ denserhaltende Funktion des Besitzes: Bestimmte Rechtspositionen würden über die Einbettung in den Besitzbegriff aus einer politischen Debatte herausgehalten und damit einem offenen Werturteilsstreit entzogen. Die Besitzlehre sei auf diese Weise in der Lage, pazifizierend zu wirken und Rechtssicherheit auf ansonsten rechtspolitisch umstrittenen Gebieten zu verbreiten.194 Die herrschende Meinung ist in der Tat bemüht, die Sachbeziehungen, denen sie Besitzschutz gewähren möchte, von vornherein unter die „tatsächliche Gewalt“ zu subsumieren. An­ schauliches Beispiel ist der sog. Kurzbesitz. Sofern nach herrschender Meinung für den Besitz eine gewisse Dauer und Festigkeit notwendig ist, soll zum Bei­ spiel der Benutzer einer Parkbank oder der Restaurantgast auf einem Stuhl nur ganz flüchtiger Inhaber der Sachherrschaft, ein „Kurzbesitzer“ und damit kein „echter“ Besitzer sein,195 der Kameramann, der kurzfristig einen Tribünenplatz eingenommen hat, dagegen schon,196 da „gewichtige Interessen“ (augenschein­ lich wirtschaftliche) vorlägen, die einen Schutz gegen Einwirkungen erforderlich machten. Diese Handhabe kann freilich zu willkürlichen Ergebnissen führen, wenn man sich nicht konsequent auf den Grund des possessorischen Besitzschutzes zurück­ besinnt.197 Danach wäre eigentlich folgender Ansatz konsequent: Wenn in einer Gesellschaft in einer bestimmten Situation anerkannt wird, dass eine Sache so in die Sphäre eines anderen fällt, dass ein Zugriff darauf eine Verletzung seiner Persönlichkeit wäre, so ist Besitz an der Sache anerkannt und gegeben. Denn Besitz ist lediglich ein durch Bekanntgabe oder durch Erkennbarkeit der Interes­ sen des Einzelnen bewirkter Freiraum, in dem eine Befriedigung dieser Interessen ebenso gut erfolgen als auch unterbleiben kann. Im Falle des Kurzbesitzes wird dies schlussendlich auch von Vertretern der herrschenden Meinung anerkannt. Sie konstruieren einen rechtlichen Schutz, in­ Selbsthilfe, S.  57 f.; Sosnitza, Besitz und Besitzschutz, S.  169; Wieling, Sachenrecht I, §  6 IV 2 = S.  249. Gegen jegliche Delegation auf Dritte: Beursken, Privatrechtliche Selbsthilfe, S.  333. 194  Lepsius, Besitz und Sachherrschaft, S.  217 f. 195  F. Ebert, NJW 2016, 3206 (3208); Fritzsche, in: BRHP-BGB, §  854 Rn.  23; Herrler, in: Palandt, BGB, §  854 Rn.  5. 196  Gutzeit, in: Staudinger, BGB, §  854 Rn.  13; Heck, Sachenrecht, §  6.5 = S.  27. 197  Kritisch zum Kurzbesitz auch Joost, in: MüKo-BGB, §  854 Rn.  11, der zu Recht kriti­ siert, dass die h. M. nicht angeben könne, welche Frist zumindest ungefähr als gewisse Dauer zu betrachten sei. Zum Erfordernis einer bestimmten Stärke der räumlichen Beziehung siehe ebenso kritisch Hartung, Besitz und Sachherrschaft, S.  126 ff., der in der Folge allerdings der Kontinuitätstheorie folgt.

IV. Die tatsächliche Gewalt über die Sache als Anknüpfungspunkt

69

dem sie den Angriff auf die Sachbeziehung des „Kurzbesitzers“ als Angriff auf die Person werten – mit der Folge, dass das allgemeine Notwehrrecht gem. §  227 BGB greift.198 Die Anerkennung des Kurzbesitzes als „echter“ Besitz wäre frei­ lich konsequenter.

5. Fazit Im Zentrum der possessorischen Ansprüche steht der unmittelbare Besitz im Sin­ ne von tatsächlicher Sachherrschaft, maßgeblich bestimmt durch die Verkehrsan­ schauung. Die Figur des Besitzdieners gem. §  855 BGB stellt keine Abweichung oder Ausnahme dar, sondern ergänzt §  854 BGB dahingehend, dass die Aus­ übung von Sachherrschaft durch „Werkzeuge“ möglich ist, der Besitz und damit der Besitzschutz aber beim Besitzherrn verbleibt. Der Erbenbesitz nach §  857 BGB sowie der mittelbare Besitz nach §  868 BGB sind Regelungen, die dazu dienen, die an den Besitz geknüpften Rechtsfolgen auf Tatbestände ohne tatsäch­ liche Sachherrschaft anzuwenden. Ansätze zur Begründung eines Besitzschutzes müssen sich nicht unmittelbar an diesen Besitzformen messen lassen, da letztere eine Anwendung der possessorischen Regelungen aus anderweitigen Gründen bezwecken.

198  Brehm/Berger, Sachenrecht, §  3, Rn.  6 = S.  43; Bund, in: FS Thieme, S.  363 (373 f.); Gutzeit, in: Staudinger, BGB, §  854 Rn.  10.

§  4 Der Stellenwert des §  863 BGB: Possessorischer Besitzschutz als Sanktionsinstrument Als „Kernstück“1 oder einer der „wesentlichen Eckpfeiler“2 des possessorischen Besitzschutzes gilt die Vorschrift des §  863 BGB. Hiernach kann gegenüber den Ansprüchen aus §§  861, 862 BGB ein Recht zum Besitz oder zur Vornahme der störenden Handlung nur zur Begründung der Behauptung geltend gemacht wer­ den, dass keine verbotene Eigenmacht vorliege. Die Vorschrift ist missverständ­ lich formuliert. Bereits aus §  858 I BGB ergibt sich, dass ein Recht zum Besitz gegenüber einer verbotenen Eigenmacht überhaupt nicht eingewendet werden kann. Zulässig ist nur das Bestreiten der verbotenen Eigenmacht, die zum Bei­ spiel durch Zustimmung des Besitzers oder durch gesetzliche Gestattung ausge­ schlossen ist. §  863 BGB hat daher nach allgemeiner Auffassung den Zweck, zu bekräftigen, dass den Besitzschutzansprüchen eine materielle Berechtigung zu der eigenmächtig hergestellten Besitzlage nicht als Einwendung entgegengehal­ ten werden kann.3 Dabei spielt es insbesondere keine Rolle, ob die materielle Berechtigung auf einem dinglichen oder obligatorischen Recht basiert:4 Das aus dem Eigentum hervorgehende Recht zum Besitz muss ebenso außer Betracht bleiben wie ein schuldrechtlicher Anspruch auf Übertragung des Besitzes.5

I. §  863 BGB als Ausnahme zum dolo-agit-Einwand Bei §  863 BGB handelt es sich bei genauer Betrachtung um eine Ausnahme zum dolo-agit-Einwand.6 Nach dem Grundsatz dolo agit qui petit quod statim redditu­ 1 

Müller, Besitzschutz, S.  50. Sosnitza, Besitz und Besitzschutz, S.  155. 3  Fritzsche, in: BRHP-BGB, §  863 Rn.  2; Joost, in: MüKo-BGB, §  863 Rn.  1; Sosnitza, Besitz und Besitzschutz, S.  155; Stadler, in: Soergel, BGB, §  863 Rn.  1. 4  Diep, in: jurisPK-BGB, §  863 Rn.  5. 5  So wird z. B. der Vermächtnisnehmer, der die vermachte Sache eigenmächtig dem Nach­ lass entnommen hat, mit seinem Anspruch auf Übergabe der vermachten Sache nicht gehört, siehe RG Das Recht 1911 Nr.  512. 6  Wacke, JA 1982, 477 (478). 2 

72

§  4 Possessorischer Besitzschutz als Sanktionsinstrument

rus est agiert derjenige rechtsmissbräuchlich im Sinne des §  242 BGB, der eine Leistung verlangt, die sofort wieder rückgängig gemacht werden müsste, zum Beispiel die Herausgabe einer Sache, die umgehend zurückgegeben werden müsste.7 Das Erheben des Leistungsanspruchs würde nur dazu führen, dem Schuldner unnötige Beschwernisse und zusätzliche Insolvenzrisiken aufzubür­ den, ohne dem Gläubiger legitime Vorteile zu bringen.8 Ebenso würden die Ge­ richte in prozessunökonomischer Weise belastet werden: Der Erstprozess um die Leistung und der Zweitprozess um die Rückleistung würden letztlich im status quo ante enden.9 Der dolo-agit-Einwand führt deswegen sogleich zum Erlöschen des Erstanspruchs.10 Nach dieser Denkart handelt auch der Besitzschutzkläger widersprüchlich, der dem Täter der verbotenen Eigenmacht die Sache aufgrund dessen petitorischen Herausgabeanspruchs sofort zurückgeben müsste. Trotz ei­ ner eventuell bestehenden Rückleistungspflicht ist im Fall der Besitzschutzklage aufgrund verbotener Eigenmacht aber ausnahmsweise ein doloses Verhalten des Besitzschutzklägers zu verneinen. §  863 BGB gewährt insofern ein besonderes, temporär geschütztes Sicherungsinteresse.11 Anderenfalls befänden sich die Be­ sitzschutzansprüche im Gleichlauf mit den Ansprüchen aus §  985 BGB und §  1007 BGB, welche der Einschränkung des §  986 BGB unterliegen. Verbotene Eigenmacht hätte dann nur noch im Verhältnis zwischen zwei Nicht-Berechtig­ ten die entsprechenden Konsequenzen. 7  Genauso handelt derjenige rechtsmissbräuchlich, der die Beseitigung eines Zustands ver­ langt, den er verpflichtet ist zu dulden. Die etwa 200 n. Chr. von dem spätklassischen Juristen Julius Paulus formulierte Regel verhalf dem Beklagten schon damals zu einer exceptio doli gegen das Klagebegehren. 8  BGH NJW 1981, 980 (982); BGH NJW 1990, 1289 (1290); Böttcher, in: Erman, BGB, §  242 Rn.  111; C. Heinrich, in: FS Laufs, S.  585 (594). 9  BGH NJW 2015, 2248 (2253); C. Heinrich, in: FS Laufs, S.  585 (595); Wacke, JA 1982, 477 (477). 10  Der tiefere Sinn der Maxime liegt nach Wieacker, Präzisierung des §  242 BGB, S.  29 f., in der Einheit der Rechtschutzverheißung, welche die isolierten Rechtsbehelfe oder Anspruchs­ grundlagen der Idee nach verbindet. In altertümlichen Rechtsordnungen standen die einzelnen Rechtsschutzverheißungen (actiones) noch unverbunden nebeneinander. Unter ihnen bestan­ den Lücken, aber auch gelegentliche Überschneidungen und Brüche, die theoretisch im Einzel­ fall ein widerspruchsvolles Hin und Her ermöglichten. Der sich entwickelnde Einheitsgedanke verbietet aber dem Kläger die Verabsolutierung seines Begehrens ohne Rücksicht auf dessen Schutzzweck, wie er sich aus dem Systemzusammenhang ergibt. Nach Wacke, JA 1982, 477 (478), handelt es sich beim dolo-agit-Einwand um einen Spezialfall der Aufrechnung, bei dem nicht die Gleichartigkeit des beiderseits Geschuldeten, sondern die Identität des Leistungs­ gegenstandes vorausgesetzt wird. 11  Der Ausschluss der auf einen Herausgabeanspruch gegründeten Arglisteinrede bedeutet aber nicht, dass Besitzschutzansprüche überhaupt nicht den Schranken des §  242 BGB unter­ liegen, dazu ausführlich unter §  7.

II. Die verschiedenen Zwecke des §  863 BGB

73

II. Die verschiedenen Zwecke des §  863 BGB Ruft man sich ins Bewusstsein, dass §§  861, 862 BGB nach der gesetzgeberi­ schen Konzeption die Selbsthilferechte des Besitzers verlängern, ist es folgerich­ tig, dass §  863 BGB bei diesen Ansprüchen einem petitorischen Einwand das Gehör versagt, da letzterer auch das Selbsthilferecht des früheren Besitzers nicht tangieren würde. Die Frage nach der Reichweite des §  863 BGB wird dennoch sehr uneinheitlich beantwortet.

1. Hinweise des historischen Gesetzgebers An einer ausführlichen gesetzgeberischen Erläuterung zur tiefergehenden Zwecksetzung des §  863 BGB fehlt es leider. a) Motive In den Motiven findet sich lediglich die Aussage, dass das Einbeziehen petitori­ scher Fragen „dem Grund der Klage“ beziehungsweise ihrem „Bedürfnis“ nicht entspreche.12 Dies deckt sich mit der genannten Intention des Gesetzgebers, die Besitzschutzansprüche als Fortschreibung der unabhängig von petitorischen Ein­ wendungen bestehenden Selbsthilferechte anzusehen. Ferner wollte man nicht wie das preußische Recht, das die petitorische Einwendung im possessorium ordinarium zuließ,13 ein summariissimum einführen müssen, welches sodann zum eigentlichen Besitzschutzprozess würde. Mit der Zulassung petitorischer Ein­ wendungen würde zudem „auch der Klagegrund petitorisch werden und die Ano­ malie eintreten, daß der Kläger den eigentlichen Grund seines Anspruches nicht […] aufzudecken“ brauche, er es also vorläufig dahingestellt sein lassen könne, ob er Restitution aus Besitz oder aus dem Recht zum Besitz verlange.14 Im Übri­ gen vergewisserte man sich, dass man der gemeinrechtlichen Doktrin und Praxis sowie den Kodifizierungen des Art.  24 Code de procédure civile, des §  346 Satz  2 des österreichischen Gesetzbuches, des §  506 des Privatrechtlichen Gesetzbu­ ches für den Kanton Zürich, des Art.  31, III des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern sowie Art.  20, II, 2 des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Großherzogthum Hessen folgen würde.15 ­Darin könnte immerhin ein Hinweis auf jene Überlegungen liegen, auf denen diese Gesetze basieren. 12 

Motive, Band  III, S.  129 = Mugdan, Band  III, S.  72. I, 31 §  1. Ausführlich dazu unter §  2 I.4. und 5. 14  Motive, Band  III, S.  129 = Mugdan, Band  III, S.  72. 15  Motive, Band  III, S.  129 = Mugdan, Band  III, S.  72. 13  AGO

74

§  4 Possessorischer Besitzschutz als Sanktionsinstrument

b) In Bezug genommene Kodifikationen aa) Gemeines Recht Der Ausschluss petitorischer Einwendungen war im gemeinen Recht Usus;16 eine dogmatische Begründung erübrigte sich insofern, als die Unzulässigkeit ­petitorischer Einreden schon notwendige Folge des kanonischen Grundsatzes spoliatus ante omnia est restituendus war.17 Vor der Rückgängigmachung der verbotenen Eigenmacht musste sich der Besitzschutzkläger auf keine Ausfüh­ rungen des Gegners zum Recht zum Besitz einlassen. Doch selbst dort, wo man bereits von dem Grundsatz abgerückt war,18 war man sich einig, dass die Zulas­ sung von petitorischen Einwendungen zum einen „die Natur der auf schnellen Schutz im Besitze gerichteten Prozeßart“19 zerstöre und zum anderen selbst bei sofort beweisbaren Einwendungen diese zurückzuweisen seien, da die Vermei­ dung der Selbsthilfe beim Besitzschutz im Vordergrund stehe20. Es lassen sich also zwei unterschiedliche Ziele herauslesen: Auf der einen Seite ging es um die Beschleunigung des Besitzprozesses, auf der anderen aber auch darum, den Berechtigten zur Eigenmacht gar nicht erst zu ermutigen, inso­ fern er nicht erwarten konnte, den Prozess aufgrund petitorischer Einreden zu gewinnen. bb) Hessischer Entwurf In diesem Sinne lautete auch Art.  20, II, 2 des Hessischen Entwurfs: „Der Be­ klagte kann im gerichtlichen Verfahren über den Besitz mit keiner Einrede oder Widerklage gehört werden, welche sich auf sein Recht an dem Besitzgegenstan­ de gründet.“ In den Motiven heißt es dazu: „Noch mehr aber steht der Zulassung einer petitorischen Einrede oder Widerklage im Besitz­ processe entgegen. Denn hierdurch würde einem frivolen Beklagten die beste Gelegenheit ge­ boten, mit einem unerweislichen Vorwande, unter dem Scheine des Rechtes, den um Besitz­ 16  V. Bayer, Theorie der summarischen Processe, S.  183; Dernburg, Die allgemeinen Leh­ ren und das Sachenrecht, S.  353; Endemann, Das deutsche Civilprozeßrecht II, S.  1084; Mittermaier, Der gemeine deutsche bürgerliche Prozeß IV, S.  335. 17  Endemann, Das deutsche Civilprozeßrecht II, S.  1090; Gärtner, Der gerichtliche Schutz gegen Besitzverlust, S.  115; Gönner, Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses IV, S.  425. Ausführlich zur Spolieneinrede: Schmid, Handbuch des gemeinen deutschen Civilprocesses III, S.  110, 114. 18  Zu einer solchen Entwicklung Dernburg, Pandekten I, S.  439. 19  Mittermaier, Der gemeine deutsche bürgerliche Prozeß IV, S.  335; im gleichen Sinne Gönner, Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses IV, S.  403; Schmid, Handbuch des ge­ meinen deutschen Civilprocesses III, S.  113. 20  V. Bayer, Theorie der summarischen Processe, S.  183; Mittermaier, Der gemeine deut­ sche bürgerliche Prozeß IV, S.  335.

II. Die verschiedenen Zwecke des §  863 BGB

75

schutz bittenden Kläger lange vergeblich hinzuhalten; und ein auch zur Ausübung der Eigen­ macht weniger geneigter Eigenthümer fände einen nicht geringen Ermuthigungsgrund, sich mittelst derselben den Besitz sofort zu verschaffen, um sich dann in seinem eigenmächtig er­ rungenen Besitze später etwa durch Vorschützung einer liquiden petitorischen Einrede zu be­ haupten. Das letztere wäre aber schon mit dem unbedingten Verbote der Eigenmacht unverein­ bar, dessen energische Handhabung vielmehr fordert, daß der Beklagte vor Allem zur Restitu­ tion des Streitobjectes […] angehalten, und zur abgesonderten Geltendmachung seiner petitorischen Ansprüche auf den Weg Rechtens verwiesen werde.“21

Der Hessische Entwurf konzentrierte sich also sehr auf eine Prävention verbote­ ner Eigenmacht. In Art.  20, II, 2 war deshalb auch die Spolieneinrede22 enthalten, auf welche der BGB-Gesetzgeber später bewusst verzichtete.23 cc) Bayerischer Entwurf und ABGB Ähnliche Erwägungen ergeben sich aus den Gesetzesbegründungen zu Art.  31, III des bayerischen Entwurfs und §  346 S.  2 des österreichischen ABGB, in de­ nen der Besitzschutzanspruch unabhängig von der Redlichkeit des Besitzers ge­ währt wurde. Einwendungen aus dem Recht seien allein schon deswegen unzu­ lässig, weil der Täter verbotener Eigenmacht stets im Unrecht sei24 und Ruhe und Ordnung erhalten werden müssten25. dd) Code de procédure civile Auch im französischen Recht war in Art.  24 Code de procédure civile vorgese­ hen, dass beim Streit um den reinen Besitz die Frage nach dem Recht zum Besitz zurückzutreten habe.26

21  Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Großherzogthum Hessen, Motive: Allge­ meine Bemerkungen III, Titel II, abgedr. bei Schubert, Bürgerliches Gesetzbuch für das Groß­ herzogtum Hessen, S.  26. 22  Dazu ausführlich unter §  2 I.2. 23  Protokolle der Ersten Kommission, S.  3528, abgedr. bei Jakobs/Schubert, Beratung des BGB, Sachenrecht I, S.  187, mit Verweis auf Johows Begründung zum Teilentwurf, S.  464, abgedr. bei Schubert, Vorlagen der Redaktoren, Sachenrecht I, S.  588. 24  „Wer außer den gesetzlich erlaubten Fällen, mit Umgehung derselben, zur Selbsthilfe schreitet, ist im Unrecht; sein Eingriff wird auf Anrufen des Gegners wieder aufgehoben – un­ beschadet der Geltendmachung seines Rechtsanspruchs im geordneten Wege“, Motive zum Entwurfe eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern II, S.  20. 25  V. Zeiller, Commentar über das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch, Band  II/1, §  346 Anm.  1. V. Zeiller wird allgemein als Schöpfer des ABGB von 1811 angesehen, siehe Hinz, ZEuP 1995, 398 (417). 26  „Si la possession ou le trouble sont déniés, l’enquête qui sera ordonnée ne pourra porter sur le fond du droit.“

76

§  4 Possessorischer Besitzschutz als Sanktionsinstrument

ee) Privatrechtliches Gesetzbuch für den Kanton Zürich Der Verweis des Gesetzgebers auf das Privatrechtliche Gesetzbuch für den Kan­ ton Zürich verwundert schließlich, da in den dortigen §§  505, 506 als Vorausset­ zung für den Besitzschutzanspruch galt, dass der Besitzer gutgläubig zu sein hatte; nur in diesem Fall sollte auch die Berufung des Gegners auf ein besseres Recht zum Besitz ausgeschlossen sein. Dem unredlichen Besitzer stand nur ein Recht zur Selbstverteidigung gegen verbotene Eigenmacht zu. c) Ergebnis der historischen Analyse Als Ergebnis der Analyse der historischen Vorschriften, auf welche die Motive verweisen, kristallisieren sich schlussendlich zwei Ziele des Einwendungsaus­ schlusses heraus: zum einen die Beschleunigung des possessorischen Verfahrens und zum anderen die unbedingte Rückgängigmachung der verbotenen Eigen­ macht – ungeachtet der petitorischen Rechte des Störers.

2. Beschleunigungszweck: Schnelles Verfahren So ist es auch heute gänzlich unstreitig, dass §  863 BGB der Beschleunigung des Verfahrens dient, das durch Rechtsausführungen und Beweisaufnahme über die Berechtigung des Beklagten nicht verzögert wird. Der Beweis des Besitzes so­ wie der verbotenen Eigenmacht wird in der Regel wesentlich schneller gelingen als der eines petitorischen Rechts, wofür Eigentumsverhältnisse oder vertragli­ che Vereinbarungen mit allen einhergehenden Einwendungen und Einreden erör­ tert werden müssen. Dem Besitzer soll eine rasche Wiederherstellung des durch verbotene Eigenmacht beeinträchtigten Besitzes ermöglicht werden.27 In der be­ sonderen Beschleunigung des Verfahrens zugunsten einer vorläufigen Güter- und Gebrauchszuordnung bis zur Klärung der petitorischen Rechtsfrage liegt jedoch nicht, wie es unter anderem aufgrund von Urteilsbegründungen der Rechtspre­ chung erscheinen mag,28 die alleinige ratio legis.

3. Präventionszweck: Sanktionierung verbotener Eigenmacht In Anlehnung an die herausgearbeiteten historischen Vorbilder des §  863 BGB besteht im Schrifttum weitgehend Konsens, dass ein weiterer – vielleicht sogar 27  BGHZ 73, 355 (358); Lorenz, in: Erman, BGB, §  863 Rn.  1; Fritzsche, in: BRHP-BGB, §  863 Rn.  1; Prütting, in: PWW-BGB, §  863 Rn.  1; Vieweg/Werner, Sachenrecht, §  2, Rn.  62 = S.  53. 28  BGHZ 53, 166 (169); BGHZ 73, 355 (358); BGH NJW 1979, 1359 (1360). Eher einseitig den Beschleunigungsgrundsatz hervorstellend auch Klose, Das Eigentum als nudum ius, S.  14; Quitmann, Eigentums- und Besitzschutz, S.  248; Stadler, in: Soergel, BGB, §  863 Rn.  1.

II. Die verschiedenen Zwecke des §  863 BGB

77

wichtigerer Zweck – mit dem Ausschluss der petitorischen Einwendung verfolgt wird. Nicht weniger bedeutend als die Beschleunigung des possessorischen Ver­ fahrens ist die Zurückdrängung verbotener Eigenmacht dadurch, dass der Täter verbotener Eigenmacht im Prozess nicht hoffen darf, aufgrund des Rechts, das er eigenmächtig verwirklichen wollte, zu obsiegen. Sosnitza spricht diesbezüglich von einem Präventionszweck des §  863 BGB: Es müsse jeglicher Anreiz genom­ men werden, das Recht auf eigene Faust durchzusetzen.29 Götz und Stadler füh­ ren etwas konkreter aus, dass §  863 BGB generalpräventiv wirken solle.30 Hager stellt die Verbindung mit dem Konzept der Sanktion her: Die Präventionswir­ kung beruhe auf der Sanktion der verbotenen Eigenmacht.31 Dem folgen viele weitere Stimmen: §  863 BGB bewirke, dass die eigenmächtige Durchsetzung des Rechts nicht sanktionslos bleibe.32 Die Literatur begibt sich damit ins Fahrwasser einer eher aus dem Strafrecht bekannten Terminologie. Die genauere Bedeutung von „Sanktion“ bleibt dabei leider meist im Dunkeln. Eine Analyse nach den strafrechtlichen Kategorien der Sühne und der Prävention wird vermieden, vermutlich um den anhaltenden Streit um pönale Elemente im Zivilrecht nicht weiter zu befeuern. a) Der Streit um pönale Elemente im Zivilrecht aa) Sanktion und Prävention als Aufgabe des Strafrechts Sanktion gilt gemeinhin als Aufgabe des Strafrechts. In dessen Geschichte findet man im Wesentlichen drei Theorien über den Zweck der Strafe, die nach heutiger herrschender Lehrmeinung in der sog. Vereinigungstheorie zusammengefasst werden.33 Die sog. absolute Straftheorie betrachtet Strafe als Mittel zur Verwirklichung von Gerechtigkeit. Im Fokus steht die gerechte Vergeltung des durch die Tat verwirklichten Unrechts. Nach Kant, einem prominenten Vertreter dieser Theo­ rie, muss „richterliche Strafe […] nur darum wider ihn [den Verbrecher] verhängt 29 

Sosnitza, Besitz und Besitzschutz, S.  42 f., 159 f. Götz, in: BeckOGK-BGB, §  863 Rn.  3; Stadler, in: Soergel, BGB, §  863 Rn.  1. 31  Hager, KTS 1989, 515 (521). 32  Amend, JuS 2001, 124 (128); Klinck, in: Staudinger-Eckpfeiler, Sachenrecht, Rn.  72; Pawl­owski, Rechtsbesitz, S.  16; Pieper, in: FS 150 Jahre OLG Zweibrücken, S.  231 (240, 252); Wacke, in: FS Jayme, S.  1605 (1621). Gutzeit, in: Staudinger, BGB, §  863 Rn.  8, meint, dass die verbotene Eigenmacht, jedenfalls bis zum Abschluss des possessorischen Verfahrens, nicht ohne Sanktion bleiben könne. M. E. ist hier das petitorische Verfahren gemeint. Bis zum Abschluss des possessorischen Verfahrens bleibt die verbotene Eigenmacht ja tatsächlich ohne Sanktion, da der Anspruch aus §  861 BGB bzw. §  862 BGB erst mit Urteilserlass vollstreckt werden kann. Mit Abschluss des petitorischen Verfahrens kann dann wieder eine Änderung eintreten. 33  Überblick zu allen Theorien bei Radtke, in: MüKo-StGB, Vor §  38 Rn.  31 ff. 30 

78

§  4 Possessorischer Besitzschutz als Sanktionsinstrument

werden, weil er verbrochen hat.“34 Der Strafe kommt insofern eine Genugtu­ ungsfunktion zu. Relative Straftheorien vereint die Überzeugung, dass Sanktio­ nen nur zu legitimieren sind, wenn dadurch die Begehung von Straftaten künftig verhindert oder wenigstens vermindert werden kann. Die zu trennenden Theorien der Spezialprävention und der Generalprävention unterscheiden sich bezüglich des Adressatenkreises der erhofften disziplinierenden Wirkungen: Die Spezial­ prävention nimmt die Wirkungen auf den einzelnen, bereits straffällig geworde­ nen Täter in den Blick, während die Generalprävention auf die Verhaltenssteue­ rung aller dem Recht Unterworfenen abstellt. bb) Das Zivilrecht als Rechtsordnung unter Gleichen Das Zivilrecht ist demgegenüber als Rechtsordnung unter Gleichen ausgestaltet und verfolgt Kompensation. Der Ausgleichsgedanke dominiert vor dem Sank­ tionsgedanken.35 Die Abwehr pönaler Elemente findet sich jedoch erst in der ­jüngeren Geschichte des Privatrechts.36 Das gemeine Recht beinhaltete teilweise noch die aus dem römischen Recht hervorgehenden Pönalklagen, wobei diesen bereits eine Mehrspurigkeit des Zwecks zugrunde lag.37 Die Vorstellung, dass Strafrecht und Privatrecht unterschiedliche Arten von Recht zum Gegenstand ha­ ben, kristallisierte sich erst im 19. Jahrhundert mit dem gesellschaftlichen Libera­ lismus heraus.38 Man begann, zwischen der staatlichen Strafe als Instrument des Staates zur Aufrechterhaltung der Rechtsordnung – insbesondere zur Erzwingbar­ keit normgerechten Verhaltens für ein friedliches Zusammenleben der Bürger – und zivilrechtlichen Ansprüchen als System subjektiver Rechte des Einzelnen zur Sicherung seiner Freiheitssphäre und wirtschaftlicher Werte zu trennen. In der Folge wurde es zum erklärten Ziel des BGB-Gesetzgebers, ein von pönalen Elementen befreites Zivilrecht zu erarbeiten. An vielen Stellen der Ge­ setzesmaterialien zum BGB finden sich Forderungen nach einer strengen Funk­ tions- und Aufgabenteilung zwischen Straf- und Zivilrecht.39 Noch heute wird 34  Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre (Metaphysik I), S.  155, mit weite­ ren Erläuterungen. 35  Bohn, in: Privatautonomie, S.  217 (221); Bunte, in: FS Giger, S.  55 (57); Harke, Allge­ meines Schuldrecht, Rn.  6 = S.  5. 36  V. Savigny, Das Obligationenrecht II, S.  301 f. 37  Pönalklagen waren auf eine Bußzahlung gerichtet und konnten im privaten Zivilgerichts­ verfahren durchgesetzt werden, siehe insbesondere zur Iniurienklage Höpfner, Theoretisch-­ practischer Commentar, Lib IV Tit. IV (de iniuriis) §  1066 ff. = S.  820 f. 38  Grundlegend Hegel, Grundlinien, §§  82 ff. = S.  85 ff. Ausführlich zu der historischen Ent­ wicklung Coing, Geschichte des Privatrechtsystems, S.  23 f., und I. Ebert, Pönale Elemente, S.  22 ff. 39  „Die Hereinziehung moralisierender oder strafrechtlicher Gesichtspunkte […] muss bei der Bestimmung der zivilrechtlichen Folgen unerlaubten, widerrechtlichen Verhaltens durch­

II. Die verschiedenen Zwecke des §  863 BGB

79

die Depönalisierung des Zivilrechts überwiegend als rechtskulturelle Errungen­ schaft angesehen.40 cc) Ausnahmen im Zivilrecht? Betrachtet man die historische Entstehung des BGB genauer, wird allerdings deutlich, dass von Beginn an gleichwohl pönale Momente im Gesetz angelegt waren und eine strikte Trennung zwischen Kompensation und Sanktion nicht ohne weiteres möglich ist. So ermöglicht es die Kodifikation der Vertragsstrafe gem. §  339 ff. BGB, Strafen zum Gegenstand des Privatrechts zu erheben, solan­ ge es sich nicht um Kriminalstrafen handelt. Auch die Befugnis zur Entziehung des Pflichtteils gem. §  2333 BGB kann durchaus als pönale Norm betrachtet wer­ den, da sie zwar keine Zahlungspflicht des Täters statuiert, ihm aber eine bis dahin sichere Aussicht auf Teilhabe am Nachlass nimmt.41 In diesem Zusammen­ hang spricht der Gesetzgeber selbst in den Motiven von der „Strafe der Pflicht­ teilsentziehung“42 und in den Protokollen von einer „Art Strafe“ 43, die es dem Gesetzgeber auferlege, dafür zu sorgen, dass diese nicht von Zufall und Willkür abhänge, sondern verhältnismäßig bleiben müsse. Auch hinsichtlich des Kondik­ tionsausschlusses in §  817 S.  2 BGB44 und des Aufrechnungsverbots in §  393 BGB45 hat der historische Gesetzgeber die Straffunktion im Blick gehabt. Heute rückt man mehrheitlich von den Gesetzesmaterialien ab und beruft sich auf ein aus fern gehalten werden“, Motive, Band  II, S.  17 f. = Mugdan, Band  II, S.  10. In dem Sinne auch: v. Kübel, Begründung zum Teilentwurf (Schuldrecht), Unerlaubte Handlungen, S.  2 ff., abgedr. bei Schubert, Vorlagen der Redaktoren, Recht der Schuldverhältnisse I, S.  658 ff. Siehe zum Deliktsrecht auch G. Wagner, in: MüKo-BGB, Vor §  823 Rn.  43 ff. 40  H. Honsell, in: FS H. P. Westermann, S.  315 (316); Lange/Schiemann, Schadensersatz, S.  12 f.; Lorenz, in: Staudinger, BGB, §  817 Rn.  5; Medicus/Petersen, Allgemeiner Teil, §  1, Rn.  1 = S.  2. 41  I. Ebert, Pönale Elemente, S.  395; Olshausen, in: Staudinger, BGB, Vor §§  2333–2337 Rn.  6; Röthel, in: Erman, BGB, §  2333 Rn.  1; a. A. Lange, in: MüKo-BGB, §  2333 Rn.  2. 42  Motive, Band  V, S.  436 = Mugdan, Band  V, S.  232. 43  Protokolle, Band  V, S.  557 = Mugdan, Band  V, S.  802. 44  In den Motiven, Band  II, S.  849 = Mugdan, Band  II, S.  474, steht zum heutigen §  817 S.  1 BGB, dass der Grund der vorgesehenen Restitution „allein der auf Seiten des Empfängers in der Annahme liegende Verstoß und die darin sich offenbarende Auflehnung gegen die guten Sitten oder die öffentliche Ordnung“ sei. Die Bestimmung ziele nicht darauf, „für die Zukunft ein verwerfliches Verhalten zu verhindern“, vielmehr solle „die in der Annahme der Leistung sich kundgebende verwerfliche Gesinnung des Empfängers getroffen werden“. Nach heute ver­ breiteter Ansicht steht überwiegend der Aspekt der Rechtsschutzverweigerung im Vordergrund, siehe Schwab, in: MüKo-BGB, §  817 Rn.  10, wobei auch dies durchaus als Sanktion betrachtet werden kann. 45  In den Protokollen der Ersten Kommission, S.  1421, abgedr. bei Jakobs/Schubert, Recht der Schuldverhältnisse I, S.  713, heißt es, „daß dem Diebe und dem einem Diebe gleichzustel­

80

§  4 Possessorischer Besitzschutz als Sanktionsinstrument

fortschreitendes Bedürfnis nach Depönalisierung. So sei zum Beispiel unabhän­ gig von der Intention des Gesetzgebers von 1896 eine Straffunktion des §  817 S.  2 BGB „jedenfalls aus heutiger Sicht zwingend abzulehnen“46 sowie die im geltenden Recht vom Gesetzgeber hervorgehobene Straffunktion des §  393 BGB zu vernachlässigen47. Diese Ansicht wird vor allem von denjenigen gestützt, die Genugtuungs- und Präventionswirkungen im BGB als systemfremd ansehen und Zivilrechtsnormen mit Sanktionscharakter generell ablehnen.48 (1) Rechtspolitische Position Es wächst jedoch der Anteil an Stimmen, die für den Sanktionsgedanken als notwendiges und bewährtes Mittel im Zivilrecht plädieren – teilweise auch be­ schränkt auf die Präventionswirkung.49 Insbesondere die ökonomische Analyse des Rechts formuliert die These, dass das Recht nur effizient sei, wenn dem Ver­ letzer einer Rechtsnorm keinerlei Vorteile aus dem Rechtsverstoß verblieben, so dass auch kein ökonomischer Anreiz zu regelwidrigem Verhalten entstehe oder erhalten bleibe.50 Das Zivilrecht könne „in seiner derzeitigen differenzierten Ausgestaltung anders als durch Anreiz- und Abschreckungsfunktionen nicht le­ gitimiert werden“.51 (2) „Echte“ Straffunktion von Zivilnormen? In der Literatur rankt sich ein nicht enden wollender Streit um die Straffunktion vieler zivilrechtlicher Normen. Zusätzlich zu den bereits erwähnten Vorschriften seien exemplarisch folgende genannt: der Entzug jeglicher Ansprüche des Unter­ nehmers gegen den Verbraucher bei Zusendung unbestellter Waren nach §  241a BGB, die Anspruchsbegründung nach §  661a BGB gegen den Unternehmer bei lenden Uebelthäter ausnahmsweise das Recht der Aufrechnung allgemein und schlechthin hat entzogen werden sollen“. 46  I. Ebert, Pönale Elemente, S.  370. 47  Dennhardt, in: BRHP-BGB, §  393 Rn.  1; Pielemeier, Aufrechnungsverbot, S.  102. 48  Berger, JuS 2001, 649 (651); H. Honsell, in: FS H. P. Westermann, S.  315 (317). Finkenauer, in: MüKo-BGB, §  241a Rn.  5, plädiert generell dafür, „den verbreiteten Tendenzen, auch mit der Hilfe des Privatrechts Verhalten zu steuern, entgegenzuwirken“; ähnlich Casper, ZIP 2000, 1602 (1607), der ein Sanktionsmoment von Normen nie als objektiv zu bestimmenden Gesetzeszweck sehen will, da dieses Moment anerkannten Prinzipien des BGB widerspreche. 49  Bohn, Sanktionsgedanke, S.  229 f.; I. Ebert, Pönale Elemente, S.  575 ff. Zum Schadens­ recht: Dreier, Kompensation und Prävention, S.  416, 607, und Körner, NJW 2000, 241 (246). 50  Bunte, in: FS Giger, S.  55 (55 f.); generell zur wirtschaftswissenschaftlichen Analyse in­ nerhalb der Rechtswissenschaften: Ott/Schäfer, in: Die Präventivwirkung zivil- und strafrecht­ licher Sanktionen, S.  131 (131 ff.). 51  Ott/Schäfer, in: Die Präventivwirkung zivil- und strafrechtlicher Sanktionen, S.  131 (138).

II. Die verschiedenen Zwecke des §  863 BGB

81

wettbewerbswidrigen Gewinnzusagen, das Schmerzensgeld nach §  253 BGB und der Entschädigungsanspruch bei diskriminierender Behandlung nach §  15 II AGG sowie der Verzugszins nach §  288 BGB.52 Unter denen, die die Einordnung als zivilrechtliche Sanktionsnormen nicht von vornherein ablehnen, gibt es di­ vergierende Ansichten zu der Frage, ob es sich um reine Präventionsnormen oder „echte“ Strafnormen handelt. Weitgehende Einigkeit herrscht noch darüber, dass „echte“ Sanktionsnormen in Anlehnung an das Strafrecht verschuldensabhängig gestaltet sein müssen.53 In der Folge ist aber umstritten, welche Abstufungen er­ forderlich sind, um einzelne Normen tatsächlich als Strafnormen einordnen zu können, da es im Zivilrecht kein „Strafmaß“ gibt, das vom Verschuldensgrad abhängig variiert. Bohn sieht eine Pönalität zivilrechtlicher Normen gegeben, wenn diese – angelehnt an die Theorien aus dem Strafrecht – sowohl Prävention als auch Genugtuung und Sühne bezwecken.54 Ob zivilrechtliche Normen über­ haupt auf Sühne abzielen, ist aber höchst fraglich: Bezugnehmend auf die straf­ rechtliche Vereinigungstheorie müsste es sich nicht nur um präventiv, sondern auch um repressiv wirkende Normen handeln, die neben einem opferorientierten Ausgleich ebenfalls einen vom Verschuldensgrad des Täters abhängigen Auf­ schlag beinhalten.55 Solche Normen sind im Zivilrecht nicht zu finden.56

52  Die Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Eine ausführliche Darstel­ lung findet sich bei I. Ebert, Pönale Elemente, S.  368 ff. 53  Bohn, Sanktionsgedanke, S.  36 f., 189; Schäfer, AcP 202 (2002), 397 (403, 428), mit Ver­ weis auf §  241a II BGB: Vorsatz sei notwendiges Tatbestandsmerkmal für den Sanktions­ charakter einer Norm. 54  Bohn, Sanktionsgedanke, S.  42. 55  Nach G. Wagner, AcP 206 (2006), 352 (363), ist ein Schuldausgleich im Sinne von Ver­ geltung im Zivilrecht nie gegeben. Anhand des Beispiels von §  817 S.  2 BGB sehr nachdrück­ lich für die reine Ausgleichsfunktion streitend: H. Honsell, in: FS H. P. Westermann, S.  315 (333 f.). I. Ebert, Pönale Elemente, S.  5, 390, entnimmt auch §  241a BGB einen reinen Präven­ tionszweck, der eine Sanktion vergangenen Fehlverhaltens gerade nicht beinhalte. Ähnliches wird für §  661a BGB vertreten, siehe Bergmann, in: Staudinger, BGB, §  661a Rn.  8. Siehe auch Regenfus, Vorgaben des Grundgesetzes, S.  373 ff. 56  Im Immaterialgüterrecht wird jedoch ein sog. Verletzerzuschlag im Rahmen des Scha­ densersatzes für die entsprechenden Rechtsverletzungen diskutiert, siehe für das UWG Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, §  9 Rn 17; für das Patentrecht Pitz, in: BeckOK-Patentrecht, §  139 Rn.  151 ff., sowie für das Urheberrecht Reber, in: BeckOK-Urheberrecht, §  97 Rn.  126 ff. Mitt­ lerweile wird auch teilweise vertreten, dass sich der Entschädigungsanspruch nach §  15 II AGG sowie die Rechtsprechung zu Schmerzensgeld bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen dem US-amerikanischen Strafschadensersatz annähern würde, siehe Behr, Chicago Kent Law Re­ view 78 (2003), 105 (145 ff.), und auch I. Ebert, Pönale Elemente, S.  577 ff. Obwohl der Prä­ ventionsgedanke die Entschädigungshöhe im Rahmen des §  15 II AGG auch beeinflussen kann, dient der Ausgleich jedoch primär dem Ersatz des Nichtvermögensschadens, sodass ihm eine reine Ausgleichsfunktion zukommt, ausführlich Thüsing, in: MüKo-BGB, §  15 AGG Rn.  13 ff.

82

§  4 Possessorischer Besitzschutz als Sanktionsinstrument

(3) Präventionswirkung von Zivilnormen Selbst wenn ein „echter“ Strafcharakter von Zivilrechtsnormen nicht gegeben ist, bedeutet dies aber keineswegs, dass dem Zivilrecht präventive Zielsetzungen und Wirkungen verschlossen sind.57 (a) Prävention als reine Reflexwirkung In diesem Zusammenhang können von vornherein solche Normen ausgeschlos­ sen werden, aus denen eine Präventionswirkung lediglich als Reflex- oder Ne­ benwirkung hervorgeht.58 Wer zum Beispiel als Verkäufer grundsätzlich zur Mangelgewährleistung verpflichtet ist, wird sich bemühen, von vornherein eine mangelfreie Sache zu liefern; wer den Verzugsschaden zu tragen hat, wird sich anstrengen, die Leistung pünktlich zu erbringen.59 Bei diesen Normen wird ein eventueller Präventiveffekt durch den Aspekt des wirtschaftlichen Ausgleichs überlagert; im Mittelpunkt steht deutlich die Herstellung einer Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung.60 (b) Prävention als ausdrückliches gesetzgeberisches Motiv Demgegenüber haben die Versagung von Herausgabeansprüchen des Versenders unbestellt zugesandter Waren nach §  241a I BGB und die Verpflichtung zur Leis­ tung zugesagter Gewinne nach §  661a BGB gemäß der gesetzgeberischen Vor­ stellung ganz ausdrücklich die präventive Aufgabe, unlauteren Geschäftsprakti­ ken entgegenzuwirken, indem dem Empfänger der Ware ein Recht zum Behal­ ten61 und dem Adressaten der Gewinnzusage ein Anspruch auf Leistung des 57 

Bydlinski, in: Prävention und Strafsanktion, S.  67 (68), will sich beispielsweise auf die Debatte um den Strafcharakter von Normen gar nicht einlassen, sondern lediglich die Rechtfer­ tigung von Präventionswirkungen analysieren. 58  Bohn, in: Privatautonomie, S.  217 (220); Klumpp, Privatstrafe, S.  56. 59  Schäfer, AcP 202 (2002), 397 (428, 413), sieht den Präventionszweck einer Norm als notwendige Voraussetzung für deren Strafcharakter; damit gelangt er z. B. zu gänzlich anderen Einordnungen als I. Ebert, die strikt zwischen „Sanktionsnormen“ und „Präventionsnormen“ unterscheidet. So bejaht Schäfer – anders als I. Ebert, Pönale Elemente, S.  389, 404 – ein „pönales Prinzip“ bei §  241a BGB und §  288 BGB. 60  Nach Schäfer, AcP 202 (2002), 397 (399), entsteht Prävention nur durch Strafe. Von da­ her liege „wenig Ertrag [darin], dem Präventionsgedanken auch dort nachzuspüren, wo er durch andere Prinzipien überlagert wird.“ 61  §  241a BGB soll verhindern, dass dem Verbraucher von ihm nicht gewünschte Leistun­ gen – in Form von Waren oder Dienstleistungen – aufgedrängt werden und dass ihm durch konkludente Annahme der Leistung (durch Gebrauchs- und Verbrauchshandlungen) vertrag­ liche Zahlungsverpflichtungen entstehen (§  151 BGB). Darüber hinaus soll der Verbraucher vor jeglichen Rechtspflichten, z. B. zur Aufbewahrung oder Rücksendung, geschützt werden.

II. Die verschiedenen Zwecke des §  863 BGB

83

Preises62 eingeräumt wird. An dieser Stelle wird offensichtlich, dass nicht aus­ schließlich Individualinteressen des einzelnen arglosen Verbrauchers im Vorder­ grund stehen, sondern ebenfalls das öffentliche Interesse an einem freien und fairen Wettbewerb geschützt wird. Auch §  15 II AGG erfüllt nach der gesetzge­ berischen Vorstellung unter anderem die Funktion, eine „wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber zu haben“.63 All diese Normen tragen also zu einer Verhaltenssteuerung unterhalb der Schwelle des Straf- oder Ordnungs­ widrigkeitenrechts im Interesse der Allgemeinheit bei. (4) Zwischenfazit Es kann festgehalten werden, dass der Streit darüber, ob beziehungsweise wann von zivilrechtlichen „Sanktionsnormen“ gesprochen werden kann, in analyti­ scher Hinsicht bezüglich begrifflicher Grenzziehungen wichtig sein mag; er kann aber auch eine fruchtbare Auseinandersetzung mit der Frage der Verhaltensregu­ lation durch Privatrecht verhindern. Schließlich ist selbst unter der Prämisse, dass Vergeltung keine legitime Aufgabe des Zivilrechts darstellt, eine rechtliche Steuerung zur Verhinderung unerwünschter Ereignisse und Zustände als Funk­ tion bestimmter Normen nicht von der Hand zu weisen.64 b) Der Besitzschutz nach §§  861 ff. BGB: Paradebeispiel für Präventionsnormen Wenn in der Zivilrechtswissenschaft der Präventionscharakter von Normen als Steuerungsmechanismus analysiert wird, kommt den §§  861 ff. BGB besondere Bedeutung zu. Erstaunlicherweise werden diese Normen im Diskurs über Prä­ ventionsnormen im Zivilrecht aber nie bemüht.65 Die Ansprüche aus §  861 I und Der Unternehmer könnte sich sonst durch sog. anreißerische Werbung einen Wettbewerbsvor­ teil verschaffen, siehe BT-Drs. 14/2658, S.  46. 62  Im Fall des §  661a BGB versendet ein Unternehmer an einen Verbraucher die Zusage, diesem stehe z. B. aufgrund einer Auslosung ein Preis zu. In Wahrheit beabsichtigt der Unter­ nehmer nicht, den Preis zu übergeben. Die Mitteilung dient allein dazu, mit dem Verbraucher ein Kopplungsgeschäft abzuschließen (z. B. durch Anruf bei einer kostenpflichtigen Servicen­ ummer, durch Warenbestellung aus einem mitgelieferten Katalog etc.) oder den Verbraucher zur Zahlung einer Bearbeitungsgebühr zu veranlassen. Fällt der Verbraucher auf die Gewinn­ zusage herein, verschafft sich der Unternehmer einen unlauteren Wettbewerbsvorteil gegen­ über Mitbewerbern, siehe BT-Drs. 14/2658, S.  48 f. 63  BT-Drs. 16/1780, S.  38, angelehnt an den europarechtlichen Hintergrund der Norm, ins­ besondere an EuGH v. 22.04.1997 – RS C-180/95 [Draehmpahl]. 64  In dem Sinne auch Dreier, Kompensation und Prävention, S.  519 ff.; Harke, Allgemeines Schuldrecht, Rn.  7 = S.  7; Klumpp, Privatstrafe, S.  56. 65  Erstaunt darüber auch Sosnitza, Besitz und Besitzschutz, S.  45; seit Erscheinen seiner Arbeit wurden §§  858 ff. BGB – soweit ersichtlich – nachfolgend nicht in den Diskurs aufge­ nommen. Dabei würde es nahe liegen, gerade im Sachenrecht als einem besonders formalen

84

§  4 Possessorischer Besitzschutz als Sanktionsinstrument

§  862 I BGB zugunsten des Nichtberechtigten gehen allerdings klar über das hin­aus, was für einen vermögensrechtlichen Ausgleich inter partes nötig wäre. Vergleichbar mit §  661a BGB gelangt ein Anspruch zur Entstehung, der unter Zugrundelegung zivilrechtlicher subjektiver Rechte auf den ersten Blick nicht zu rechtfertigen ist; denn der Besitz gebührt nach der letztentscheidenden petitori­ schen Rechtslage dem Berechtigten. Gleichwohl gilt: Wer zur Duldung einer Be­ sitzstörung verpflichtet ist, darf deren Beseitigung und Unterlassung verlangen; wer kein Recht zum Besitz hat, darf den entzogenen Besitz vom Berechtigten zurückfordern – stets vorausgesetzt, dass verbotene Eigenmacht verübt wurde. aa) Keine vermögensrechtliche Kompensation durch §§  861 f. BGB Einem dem Zivilrecht normalerweise zugrunde liegenden vermögensrechtlichen Ausgleich des Besitzers dient der possessorische Anspruch nicht. Dem nichtbe­ rechtigten Besitzer entsteht durch die verbotene Eigenmacht durch den Berech­ tigten nämlich kein Schaden.66 Geht zum Beispiel die zurückzugebende Sache unter, lässt sich kein Äquivalent in Geld für den Verlust des reinen Besitzes im Sinne eines Schadensersatzes ausmachen. In früheren Kodifikationen, insbeson­ dere im gemeinen Recht, wurde dem unberechtigten Besitzer noch ein Schadens­ ersatz zugesprochen.67 Dies führt nach damals wie heute geltendem Recht zu dogmatischen Problemen: Ermittelbar ist nur der Schaden, den der Besitzer durch Nutzungsausfall, vergebliche Verwendungen oder Haftung gegenüber Dritten erleidet. Die Frage des Schadensersatzes lässt sich also nicht von der in §§  861 f. BGB geschützten Ausschlussbefugnis, sondern nur von einer positiven Nutzungsbefugnis her und damit petitorisch beantworten.68 Dies wird auch im Rahmen von §  823 BGB von der ganz herrschenden Meinung so gesehen.69 Zwar und auf Regulation abzielenden Gebiet des Privatrechts nach pönalen Elementen Ausschau zu halten. Nach G. Wagner, AcP 206 (2006), 352 (428), lassen sich die Grundprinzipien des Sa­ chenrechts wie auch seine Einzelregelungen am besten unter dem Gesichtspunkt der Verhal­ tenssteuerung verstehen, jedoch verliert auch er kein Wort über den Besitzschutz. 66  BGHZ 73, 355 (362); BGHZ 79, 232 (236 ff.); Gutzeit, in: Staudinger, BGB, §  861 Rn.  4; Joost, in: MüKo-BGB, §  861 Rn.  4. 67  Dabei sollten unter Rückgriff auf das römische Recht der Wert des Besitzes und der Wert der Sache scharf getrennt werden, siehe dazu unter §  2 I.4. 68  Medicus, AcP 165 (1965), 115 (140 ff., 148); Wieser, JuS 1970, 557 (558, 560). Auch Schadensersatz wegen Unmöglichkeit oder Verzug nach den allgemeinen Vorschriften finden nach g. h. M. keine Anwendung, siehe dazu Fritzsche, in: BRHP-BGB, §  861 Rn.  7. 69  Inwieweit §  823 BGB zugunsten des unberechtigten Besitzers greifen kann, ist ein klas­ sischer Streitpunkt. Die g. h. M. gelangt über verschiedene Wege stets zu einem negativen Er­ gebnis. Der BGH hat die allgemeine Frage nach einem deliktischen Schadensersatzanspruch des unberechtigten Besitzers bisher offen gelassen und beschränkt sich darauf, jedenfalls einen Nutzungsschaden zu verneinen, siehe BGHZ 79, 232 (236 ff). In der Literatur wird für die

II. Die verschiedenen Zwecke des §  863 BGB

85

ist hier – den Besitz als „sonstiges Recht“ beziehungsweise §  858 BGB als Schutzgesetz unterstellt – Schadensersatz im Sinne von reiner Naturalrestitution gem. §  249 S.  1 BGB denkbar; dies entspräche aber lediglich der Rückgängig­ machung der tatsächlichen Eigenmacht und damit der Rechtsfolge der §§  861 f. BGB, mit der Einschränkung, dass der Einwendungsausschluss gem. §  863 BGB nicht gelten würde und ein Verschulden erforderlich wäre.70 Lediglich Pieper ist der Ansicht, das Fehlen eines Rechts zum Besitz dürfe nicht zum Anlass genommen werden, dem Besitzer einen Anspruch auf Ersatz der durch die Wegnahme verursachten weiteren Nachteile zu versagen, selbst wenn der Täter der verbotenen Eigenmacht im Verhältnis zum Besitzer ein Recht auf Herausgabe hätte. Andernfalls bliebe die eigenmächtige Besitzentziehung ohne wirksame Sanktion und der Besitzschutz verlöre seine Präventionswir­ kung.71 Ein nach diesem Gedanken gewährter Geldanspruch würde aber einer Privatstrafe gleichen, so wie sie im gemeinen Recht noch als Sühne für die Stö­ rung der öffentlichen Ordnung durch verbotene Eigenmacht vorgesehen war.72 Qualifizierung des Besitzes als „sonstiges Recht“ überwiegend eine Rechtsposition mit ver­ gleichbarem Zuweisungsgehalt verlangt wie die in §  823 I BGB ausdrücklich genannten Rech­ te, womit nur der berechtigte Besitz in Betracht kommt, Förster, in: BRHP-BGB, §  823 Rn.  155 f.; Prütting, Sachenrecht, Rn.  49 = S.  20. Für den Schutz des redlichen unberechtigten Besitzes eintretend Medicus, AcP 165 (1965), 115 (121 ff.), und Wilhelmi, in: Erman, BGB, §  823 Rn.  43, sowie Teichmann, in: Jauernig, BGB, §  823 Rn.  16, mit der Begründung, dass gezogene Nutzungen nach den §  987 ff. BGB in dem Fall gegenüber dem Eigentümer auch nicht zurückzugewähren seien. Dagegen ist einzuwenden, dass es einen Unterschied macht, ob die Rechtsordnung einem Besitzer Nutzungen belässt, nachdem er sie einmal gezogen hat, oder ob sie dem Besitzer die Nutzungen auch schon vorher zuweist. Dass §  858 BGB als Schutz­ gesetz i. S. d. §  823 II BGB qualifiziert werden kann, wurde vom historischen Gesetzgeber als selbstverständlich vorausgesetzt, Protokolle, Band  II, S.  573 = Mugdan, Band  II, S.  1076 f.; Motive, Band  III, S.  110 = Mugdan, Band  III, S.  61. Auch der BGH bejaht den Schutznormcha­ rakter, siehe BGHZ 73, 355 (362); BGHZ 79, 232 (237); BGHZ 114, 305 (314). In der Literatur ist dieser bis heute umstritten, siehe die ausführliche Darstellung bei Sosnitza, Besitz und Be­ sitzschutz, S.  309 ff. Im Ergebnis wird allerdings von allen ein Gleichlauf der Ansprüche aus §  823 I und II BGB gefordert, sodass ein Schadensersatzanspruch im Ergebnis verneint wird. 70  Brehm/Berger, §  4, Rn.  24 = S.  65; Klose, Das Eigentum als nudum ius, S.  19; Medicus, AcP 165 (1965), 115 (120). Nach Lehmann-Richter, NZM 2009, 177 (180), und Sosnitza, Be­ sitz und Besitzschutz, S.  313, ist auch Ersatz von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten denkbar, da sich diese ebenfalls mit dem Zweck der §§  858 ff. BGB vereinbaren lassen. 71  Das gelte nur nicht, wenn der Besitzer in den Erstgenuss des Besitzes in einer als sitten­ widrig zu missbilligenden Weise gelangt sei, siehe Pieper, in: FS 150 Jahre OLG Zweibrücken, S.  231 (249, 256). 72  Johow, Begründung zum Teilentwurf, S.  432, abgedr. bei Schubert, Vorlagen der Redak­ toren, Sachenrecht I, S.  556; Kindel, Gruchot 21 (1877), 411 (423); heute noch Wieling, in: FS Lübtow, S.  565 (580). Auch v. Savigny, Das Obligationenrecht II, S.  302, sah den Zweck der Privatstrafe bereits im römischen Recht in der „Abwendung der die Rechtsordnung störenden Selbsthilfe und der Privatrache“.

86

§  4 Possessorischer Besitzschutz als Sanktionsinstrument

Auch Johow war im Rahmen seines Entwurfs des Sachenrechts der Ansicht, dass ein Geldanspruch allenfalls unter Strafgesichtspunkten bemessen werden könne, solche im Privatrecht aber zu entfallen hätten.73 Die Erste Kommission teilte die Bestrebung, dem possessorischen Verfahren den pönalen Charakter zu neh­ men.74 Damit werden auch an dieser Stelle die damalige Tendenz zur Depönali­ sierung des Zivilrechts und der Wunsch nach einer klaren Grenzziehung gegen­ über dem Strafrecht sichtbar – beides jedoch nur in Ansehung der Privatstrafe. An den Besitzschutzansprüchen samt Ausschluss der petitorischen Einwendung wurde – gegen Johows Willen – bewusst festgehalten. bb) Keine Kompensation für den Eingriff in die Persönlichkeit durch §§  861 f. BGB Auch aus der Tatsache, dass über den Besitz mittelbar das Persönlichkeitsrecht geschützt wird,75 ergibt sich kein Anhaltspunkt für eine kompensatorische Gestal­ tung der §§  861 f. BGB. Dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht gem. Art.  2 I i. V. m. Art.  1 I GG kommt auch innerhalb der Zivilrechtsordnung Rechtsgeltung zu;76 es ist als bürgerlich-rechtliches, von jedem im Privatrechtsverkehr zu achten­ des Recht anzuerkennen, soweit dieses Recht nicht die Rechte anderer verletzt oder gegen die verfassungsmäßige Ordnung verstößt.77 Sofern der Autonomie der Person das Freisein von Besitzstörungen zugrunde liegt, wirkt die Rückgabe der Sache oder die Beseitigung der Störung78 zwar insoweit kompensatorisch, als eine eventuelle Verschärfung der Persönlichkeitsverletzung durch Vorenthaltung des Besitzes verhindert wird; eine einmal begangene verbotene Eigenmacht als Eingriff in die Herrschaftssphäre der Person ist aber durch die Rückgabe der Sa­ che oder Beseitigung oder künftige Unterlassung der Störung nicht auszuglei­ chen.79 Außerdem verlangt es das Persönlichkeitsrecht des Besitzers mitnichten, 73  Johow, Begründung zum Teilentwurf, S.  447 ff., abgedr. bei Schubert, Vorlagen der Re­ daktoren, Sachenrecht I, S.  571. 74  Protokolle der Ersten Kommission, S.  3545–3546, abgedr. bei Schubert, Entstehung der Vorschriften, S.  71. 75  Dazu unter §  3 II.3. und §  3 III.6. 76  Insbesondere wird §  823 I BGB auf Fälle der Verletzung des allgemeinen Persönlich­ keitsrechts angewendet, BGH NJW 2010, 763 (763); BGH NJW 2012, 3645 (3645 f.). 77  BGH GRUR 1955, 197 (198). 78  Eine Unterlassung ist ohnehin nicht kompensatorisch, was sich aus ihrer Zukunftsbezo­ genheit ergibt. 79  Hier mag zwar ein Schmerzensgeld in Betracht kommen, jedoch beeinträchtigt die ver­ botene Eigenmacht im Regelfall die Persönlichkeit weniger intensiv als die Eingriffe, bei denen die Rechtsprechung einen Schadensersatz aus §  823 I BGB bejaht hat, so z. B. für die ungeneh­ migte Veröffentlichung von Fotos eines Prominenten-Kindes beim Baden in neun Artikeln ei­ ner Illustrierten, BGH GRUR 2005, 179 (179 ff.), oder für über Facebook-, Twitter- und Myspace-­Accounts verbreitete Beleidigungen, LG Berlin ZUM 2012, 997 (997 f.). Bisher hat

II. Die verschiedenen Zwecke des §  863 BGB

87

dass der Nachweis des besseren Rechts unzulässig ist: Aspekte des Persönlich­ keitsschutzes des Schuldners berechtigen ihn keinesfalls zum Behalt der Sache; sie können zwar auf der Ebene des Vollstreckungsschutzes von Belang werden,80 dies steht aber nicht der Feststellung des petitorischen Rechts in der Tatsachenins­ tanz entgegen. §  863 BGB lässt sich nur erklären, wenn der Täter verbotener Ei­ genmacht empfindlich getroffen werden soll – ohne dass dies ausschließlich den Schutz des Besitzers im Sinne eines Individualinteresses bezweckt. cc) Keine andere Ausgestaltung des §  863 BGB trotz entsprechender Vorbilder Hätte der Gesetzgeber diese präventive Zwecksetzung nicht bewusst gewählt, hätte er eine Vorschrift ins BGB aufnehmen müssen, welche die Geltendma­ chung petitorischer Einwendungen zumindest dann erlaubt, wenn diese sofort beweisbar sind und das possessorische Verfahren somit nicht verzögern – so nor­ miert in Art.  927 II des Schweizer ZGB für den Fall der Besitzentziehung.81 Die­ se Ausgestaltung wählte der deutsche Gesetzgeber aber nicht. c) Einwendungsausschluss als Steuerungsinstrument des BGB Eine Präventionswirkung durch die Normierung eines Einwendungsausschlusses ist zudem auch an anderer Stelle im BGB zu finden. aa) §  393 BGB und §  863 BGB als historisch verwandte Normen Der bereits erwähnte §  393 BGB schreibt wie §  863 BGB eine Abweichung von der etablierten zivilrechtlichen Dogmatik des Einwendungsdurchgriffs vor. Die grundsätzlich gegebene Aufrechnungsmöglichkeit gegen eine gleichartige fälli­ ge Forderung ist ausgeschlossen, wenn diese auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung beruht. §  393 BGB soll nach herrschender Meinung eine sanktionslose Privatrache verhindern.82 Gäbe es die Bestimmung nicht, könnte der Gläubiger einer nicht eintreibbaren Forderung dem Schuldner bis zur Höhe der Schuld vorsätzlich Schaden zufügen, ohne zivilrechtliche Nachteile befürch­ ten zu müssen. nur das AG Reinbek ZMR 2008, 719–721, im Fall der „Kalträumung“ einer Wohnung ein Schmerzensgeld von 2.500 € zugesprochen; dazu zu Recht kritisch Bosch, NZM 2009, 530 (534), und Wieling, in: FS Lübtow, S.  565 (581). 80  Z. B. nach §  765a ZPO. 81  Art.  927 II ZGB lautet: „Wenn der Beklagte sofort sein besseres Recht nachweist und auf Grund desselben dem Kläger die Sache wieder abverlangen könnte, so kann er die Rückgabe verweigern.“ Zum Schweizer Recht ausführlich unter §  8 II.1.a)aa). 82  Deutsch, NJW 1981, 735 (735); Grüneberg, in: Palandt, BGB, §  393 Rn.  1; Gursky, in: Staudinger, BGB, §  393 Rn.  1; kritisch Pielemeier, Aufrechnungsverbot, S.  92 ff., 102, der in der Norm ein reines Selbsthilfeverbot erblickt.

88

§  4 Possessorischer Besitzschutz als Sanktionsinstrument

Pielemeier hat es unternommen, dem historischen Ursprung des Aufrech­ nungsverbots auf den Grund zu gehen und dabei einen interessanten Zusammen­ hang mit dem zivilrechtlichen Selbsthilfeverbot herausgearbeitet: §  393 BGB erweitert wesentlich das bereits dem justinianischen Codex (C 4, 31, 14, 2) zu­ grunde liegende Verbot der Aufrechnung mit einer Forderung aus der widerrecht­ lichen Aneignung fremden Besitzes.83 Die Norm sorgte früher (zumindest mit­ telbar) für eine Privilegierung der Besitzschutzinterdikte. Das Aufrechnungsver­ bot erlangte insbesondere in solchen Fällen Bedeutung, in denen ein Selbsthilfe übender Gläubiger sich entweder der Sache bemächtigte, die ihm geschuldet wurde, oder eine andere als die ihm geschuldete Sache wegnahm und deswegen privaten Strafzahlungen unterworfen wurde, denen er sich durch die Aufrech­ nung mit seiner monetären Forderung hätte entziehen können.84 Die ratio von C 4, 31, 14, 2 kann somit durchaus darin gesehen werden, eine Aushöhlung des Verbots der Selbsthilfe zu verhindern.85 Einige Kanonisten stellten sogar eine Verbindung zwischen dem justiniani­ schen Aufrechnungsverbot und dem spolium her. Sie sahen die Maxime, dass sich das Opfer verbotener Eigenmacht auf die Klage aus dem Recht erst einlas­ sen muss, nachdem ihm das entzogene Gut zurückerstattet worden ist (spoliatus ante omnia est restituendus), in der Regelung C 4, 31, 14, 2 widergespiegelt;86 denn im Rahmen des Aufrechnungsverbots muss der widerrechtlich handelnde Täter erst den Gegenanspruch erfüllen und die eigene Forderung anschließend gesondert einklagen. Das bedeutet im Grunde nichts anderes als den Ausschluss aller petitorischen Einwendungen. Auch das österreichische Aufrechnungsverbot wurde vor dem Hintergrund der Prävention unzulässiger Selbsthilfe geschaffen.87 §  1440 S.  2 ABGB lautet: „Ei­ genmächtig oder listig entzogene, entlehnte, in Verwahrung oder in Bestand ge­ 83  „Possessionem autem alienam perperam occupantibus compensatio non datur – Auch denen, die sich widerrechtlich fremden Besitzes bemächtigen, wird die Aufrechnung nicht ge­ stattet“, Übersetzung übernommen von Pielemeier, Aufrechnungsverbot, S.  15, mit ausführli­ chen Erläuterungen zum justinianischen Codex auf den Folgeseiten. Zu den modernen Kodifi­ kationen vor Schaffung des BGB siehe v. Kübel, Begründung zum Teilentwurf (Schuldrecht), Aufrechnung, S.  20, abgedr. bei Schubert, Vorlagen der Redaktoren, Recht der Schuldverhält­ nisse I, S.  1094 f. Damals war bereits eine erweiternde Auslegung von C 4, 31, 14, 2 vorge­ schlagen worden, die §§  858 ff. BGB sehr nahe gekommen wäre, dazu Dernburg, Pandekten II, S.  174 f. Dagegen wandte sich RGZ 22, 227 (228). 84  Pielemeier, Aufrechnungsverbot, S.  47. 85  In dem Sinne auch Fikentscher, Schuldrecht, S.  684, und Gerhardt, in: Grundlagen des Schuldrechts, S.  731. 86  Ausführlich zu den Glossen von Bartolus und Baldus: Pichonnaz, La compensation, Rn.  1248 ff.; Pielemeier, Aufrechnungsverbot, S.  50 ff. 87  Griss/Bydlinski, in: KBB-ABGB, §  1440 Rn.  5.

II. Die verschiedenen Zwecke des §  863 BGB

89

nommene Stücke sind überhaupt kein Gegenstand der Zurückbehaltung oder der Kompensation.“ Zur Begründung führte der Initiator der Norm, von Zeiller, aus: „Die Zurückhaltung eigenmächtig entzogener, oder entlehnter, oder in Verwahrung gegebener Sachen, oder auch des dafür zu ersetzenden Werthes kann man unter dem Vorwande, oder aus dem Grunde einer Forderung von Sachen gleicher Art um so minder gestatten, als hierdurch theils eine offenbare oder listige Selbsthülfe begünstigt, theils das wechselseitige Zutrauen der Mitbürger geschwächt würde (§§  345 u. 346).“88

Bei der Entstehung des BGB wurde das Aufrechnungsverbot auf alle unerlaubten Handlungen ausgedehnt, aber gleichzeitig auf vorsätzlich begangene beschränkt. Dass die ratio in der Vorbeugung verbotener Selbsthilfe besteht, wurde von der Ersten Kommission ungeachtet der Historie der Norm verneint.89 Der Zweck des Aufrechnungsverbots erschöpft sich nach Ansicht des historischen Gesetzgebers in einer Bestrafung des Adressaten der Norm; infolgedessen wird §  393 BGB noch heute teilweise als pönale Norm interpretiert.90 Das Aufrechnungsverbot sei als generalpräventive Sanktion gegen vorsätzliche unerlaubte Handlungen zu verstehen. Dies erfolge durch die Besserstellung des Geschädigten, indem die Aufrechnung verboten sei und im Aktivprozess geklagt werden müsse. Damit zeigt sich jedenfalls, dass selbst diejenigen, die die Verhinderung von Selbsthilfe nicht als Zweck des §  393 BGB anerkennen, der Norm gleichwohl eine Präven­ tionswirkung zuschreiben, welche in der Verhinderung einer Verletzung von In­ dividualinteressen durch eine deliktische Handlung liegen soll.91 Die eigenmäch­ tige Verschaffung einer „Abrechnungs“möglichkeit stört allerdings – wie die verbotene Eigenmacht – nicht nur Individualinteressen, sondern auch die öffent­ liche Ordnung, was für eine doppelte Präventionsfunktion der Norm spricht.92 bb) Prozessuale Parallele Eine interessante Parallele weisen §  393 BGB und §  863 BGB auch in Bezug auf das Prozessrecht auf. Im Rahmen von §  393 BGB ist umstritten, ob es eine unzu­ lässige Umgehung der Vorschrift darstellt, wenn der Schuldner wegen eines ei­ genen titulierten Anspruchs in die Schadensersatzforderung des Gläubigers gem. 88 

V. Zeiller, Commentar über das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch, Band  IV, §  1440 Anm.  2. Protokolle der Ersten Kommission, S.  1421, abgedr. bei Jakobs/Schubert, Beratung des BGB, Recht der Schuldverhältnisse I, S.  713, unter Bezugnahme auf RGZ 3, 113 (116). 90  Franck, BB 2009, 1935 (1936); Gernhuber, Die Erfüllung und ihre Surrogate, S.  259; Gursky, in: Staudinger, BGB, §  393 Rn.  1; a. A.: Dennhardt, in: BRHP-BGB, §  393 Rn.  1, wo­ nach der Norm das allgemeine Verbot von Rechtsmissbrauch zugrunde liege und für eine Straf­ funktion weder Bedarf noch Rechtfertigung bestehe. 91  Vgl. die Aufzählung in §  823 I BGB sowie die Dogmatik zum „Schutzgesetz“ i. S. d. §  823 II BGB. 92  In diesem Sinne wohl auch Wacke, in: FS Jayme, S.  1605 (1613 f.). 89 

90

§  4 Possessorischer Besitzschutz als Sanktionsinstrument

§§  829, 835 ZPO vollstreckt. Nach herrschender Meinung ist dies offenbar mög­ lich.93 Zum einen sei die „Selbstpfändung“ kein vollwertiger Ersatz für die ver­ sagte Aufrechnung, da der Weg erheblich umständlicher sei als die „Selbstexeku­ tion“ durch Aufrechnung; zum anderen bestehe die Gefahr, dass dem Delikts­ schuldner andere Gläubiger des Geschädigten zuvorkämen. Die Gegenmeinung verweist darauf, dass materiellrechtliche Aufrechnung und vollstreckungsrecht­ liche Pfändung wirtschaftlich inhaltsgleich und auf das identische Ziel gerichtet seien. Wenn §  393 BGB aber der umgehenden Wiederherstellung des durch die deliktische Handlung gestörten Rechtsfriedens mittels Wiedergutmachung und damit der Vorbeugung von unzulässiger Selbsthilfe und Privatrache diene, dann könnten diese Ziele so nicht effektiv erreicht werden.94 Dieser Streit ähnelt dem um die besitzschutzrechtliche Frage, ob §  863 BGB einer petitorischen Widerklage entgegensteht. Der BGH nimmt an, dass eine Wi­ derklageerhebung auf Feststellung des Besitzrechts oder Duldung der Störung zulässig sei und der Zweck des §  863 BGB dem nicht entgegenstehe, da der possessorische Prozess durch die Möglichkeit eines Teilurteilserlasses durch pe­ titorische Fragen nicht ungebührend verzögert werde.95 Umständlicher als die Geltendmachung eines Rechts zum Besitz als bloße Einwendung im Besitz­ prozess ist die Erhebung einer Widerklage allemal. Fraglich ist freilich, ob damit auch dem gewünschten Abschreckungseffekt hinreichend Rechnung getragen wird. Folgt man der Lösung des BGH zur begründeten petitorischen Widerklage, ist dies zu verneinen, denn der Widerkläger obsiegt gem. §  864 II BGB (analog) vollends, darf die Sache behalten oder muss die Störung nicht beseitigen und trägt keine Mehrkosten.96 Die Begehung der verbotenen Eigenmacht bleibt für ihn ohne negative Konsequenzen. Sowohl aufgrund von §  393 BGB als auch aufgrund von §  863 BGB stellt sich die Frage, ob das Prozessrecht nicht auf­ grund der Wertungen des BGB modifiziert angewendet werden muss.

4. Ergebnis zum Zweck des §  863 BGB §  863 BGB liegt im Ergebnis ein zweigliedriger Zweck zugrunde. Es geht nicht nur um die Beschleunigung des Besitzschutzprozesses, sondern auch darum, dass die eigenmächtige Besitzverschaffung die Position des materiell berechtig­ 93  RG JW 1938, 2399 (2340); Gursky, in: Staudinger, BGB, §  393 Rn.  2; Schlüter, in: MüKo-­ BGB, §  393 Rn.  1; Schreiber, in: Soergel, BGB, §  393 Rn.  6; Smid, in: MüKo-ZPO, §  829 Rn.  77. 94  BGH NJW 2011, 2649 (2651); E. Wagner, in: Erman, BGB, §  393 Rn.  1a; Werner, JR 1999, 331 (332 f.); Würdinger, in: Stein/Jonas, ZPO, §  829 Rn.  124. Der viel zitierte v. Gerkan, Rpfleger 1963, 369 (370), äußert sich nur unklar. 95  BGHZ 73, 355 (357); BGH NJW 1979, 1359–1360. 96  Dazu unter §  5 II.3. und §  6 I.3., 4., 5.

III. Fortschreibungen des Rechtsgedankens des §  863 BGB im Prozessrecht

91

ten Täters nicht verbessern darf. Ein Präventionseffekt lässt sich nicht von der Hand weisen. Auf Sühne ist die Verpflichtung zur Rückgabe der Sache oder zur Beseitigung und Unterlassung der Störung aber nicht ausgerichtet. Dafür spricht schon, dass die Besitzschutzvorschriften verschuldensunabhängig gestaltet sind und verbotene Eigenmacht selbst bei fehlendem Fahrlässigkeitsvorwurf gegeben sein kann.97 Der Anspruch auf Herausgabe der Sache beziehungsweise auf Be­ seitigung und Unterlassung der Störung sorgt lediglich dafür, dass der Eingriff in die Persönlichkeit nicht noch weiter intensiviert wird. Zugleich ist die in §§  861 I, 862 I BGB statuierte Verpflichtung für den Täter der verbotenen Eigenmacht wirtschaftlich schmerzhaft. Das Bewusstsein, als Täter verbotener Eigenmacht – trotz eines Rechts zum Besitz – unmittelbaren Gegenansprüchen ausgesetzt zu sein, ist geeignet, den Einzelnen davon abzuhalten, den Besitz überhaupt erst zu stören. Dies deckt sich mit den bereits erörterten Zielen des Besitzschutzes: Ein Eingriff in die Sphäre des Besitzers unterbleibt; zur Durchsetzung des Rechts wird der Rechtsweg beschritten. Der Erhalt des allgemeinen Rechtsfriedens wird so gewährleistet.

III. Fortschreibungen des Rechtsgedankens des §  863 BGB im Prozessrecht Das Beschleunigungsgebot und der Sanktionsgedanke, wie sie sich in §  863 BGB manifestieren, finden ihren Ausdruck auch in ergänzenden Regelungen aus dem Prozessrecht.

1. Der possessorische einstweilige Rechtsschutz In der Praxis erfolgt die Durchsetzung der Ansprüche aus §§  861 I, 862 I BGB häufig im Wege der einstweiligen Verfügung – genauer im Wege der Leistungs­ verfügung. Das ordentliche Verfahren kann das Bedürfnis nach einer schnellen Wiederherstellung des status quo ante nur bedingt befriedigen. Zwar führt die Einschränkung des Prozessstoffs auf die Tatbestandsvoraussetzungen der verbo­ tenen Eigenmacht zu einer Verfahrensbeschleunigung, doch im Regelfall genügt dies nicht, um dem Interesse des (ehemaligen) Besitzers an einer schnellen Durchsetzung seines Anspruchs zu entsprechen. Dies gilt insbesondere, wenn der Besitzer existentiell auf den Besitz der Sache angewiesen ist, beispielsweise, 97 

Eine „echte“ Straffunktion im Sinne von Sühne wäre dagegen das Erlöschen des Eigen­ tumsrechts als Rechtsfolge der Begehung verbotener Eigenmacht – so vorgesehen im späten römischen Recht, siehe unter §  2 I.1.

92

§  4 Possessorischer Besitzschutz als Sanktionsinstrument

wenn einem Mieter vom Vermieter eigenmächtig der Zugang zur Wohnung vor­ enthalten oder einem Unternehmer ein maßgebliches Arbeitsgerät entzogen wird. Das Recht der einstweiligen Verfügungen im 8.  Buch der ZPO vermag das Bedürfnis nach einer schnellen Entscheidung zu erfüllen. a) Vorüberlegung: Der possessorische Besitzschutz als „materielles Zwischenrecht“? Die possessorischen Besitzschutzansprüche und die einstweilige Verfügung der ZPO sind sich in gewissem Sinne ähnlich. Beiden ist zu eigen, dass sie auf eine nur vorläufige Regelung zielen: Der Besitzschutzanspruch muss am Ende dem festgestellten petitorischen Recht weichen, stellt also nur einen vorläufigen Zu­ stand her; eine einstweilige Verfügung beinhaltet ebenfalls nur eine Zwischenre­ gelung, die ihren Wert mit Erlass der Hauptsacheentscheidung verliert oder unter den Voraussetzungen des §  927 ZPO sogar aufgehoben wird. Interessant ist insoweit auch, dass die geschichtlichen Grundlagen des §  940 ZPO vor allem im gemeinrechtlichen possessorium summariissimum liegen.98 Auf dieses Institut wurde in der Begründung des Entwurfs einer deutschen Zivil­ prozessordnung zwar nicht ausdrücklich Bezug genommen, doch gilt es als un­ streitig, dass die Kommission bei Schaffung des §  940 ZPO diese Art Regelung im Auge hatte.99 Dementsprechend ist §  940 ZPO auch in einer Weise formu­ liert, die maßgeschneidert für die Regelung von Besitzverhältnissen zu sein scheint. Johow ging bei seinem Entwurf des Sachenrechts sogar davon aus, dass der einstweilige Rechtsschutz der ZPO materiellrechtliche possessorische An­ sprüche ersetze.100 Im einstweiligen Rechtsschutz findet sich zudem ein potentielles Spannungs­ feld zwischen der Notwendigkeit der Erforschung einer unklaren Tatsachen- und Rechtslage einerseits und dem Erfordernis einer raschen Entscheidung anderer­ seits. Leipold, der dieses „grundlegende Dilemma“ des einstweiligen Rechts­ schutzes eingehend untersuchte, war bemüht, interimistische materiellrechtliche 98 

Siehe zum summariissimum unter §  2 I.4. Das Recht der einstweiligen Verfügungen wurde bei Schaffung der CPO nicht mehr eigen­ ständig ausgeformt und deshalb auch nicht mehr eingehend erörtert. Vielmehr übernahm man im Wesentlichen die in den „neueren deutschen Prozeßordnungen und Entwürfen“ enthaltene Rege­ lung, siehe die Begründung des Entwurfs, abgedr. bei Hahn/Mugdan, Band  2, Abteilung 1, S.  477. Im Norddeutschen Entwurf als maßgeblichem Vorbild finden sich viele Verweise auf den Besitz­ schutz, siehe Schubert, Protokolle zur Ausarbeitung des Entwurfs einer Zivilprozeßordnung für die Staaten des Norddeutschen Bundes, S.  1242. Ausführlich zur Historie Hobbeling, Rechts­ typen, S.  45 ff.; Leipold, Grundlagen, S.  74 ff.; Rohmeyer, Geschichte und Rechtsnatur, S.  24 ff. 100  Bemerkungen des Redaktors Johow zu den Vorschlägen, S.  19 f., abgedr. bei Schubert, Vorlagen der Redaktoren, Sachenrecht III, S.  783 f. 99 

III. Fortschreibungen des Rechtsgedankens des §  863 BGB im Prozessrecht

93

Regelungen zu extrahieren, die im Fall des Zweifels oder Streits für eine vorläu­ fige Interessenwahrung sorgen und somit dem Richter seine Entscheidung er­ leichtern sollten.101 Diese Regelungen fasste er unter dem Institut des sog. „ma­ teriellen Zwischenrechts“ zusammen, wobei er die Besitzschutzansprüche des BGB als Paradebeispiel dafür ansah:102 Da eine Prüfung des Rechts zum Besitz nicht vorgesehen sei, handle es sich bei §§  861 f. BGB um eine rein vorläufige Regelung zur Ordnung der Sachherrschaft, der deswegen auch nicht vorgehalten werden könne, dass sie als Grundlage einer Befriedigungsverfügung eine unzu­ lässige Vorwegname der Hauptsache darstelle. An diesen Gedankengang anknüpfend unterscheiden in neuerer Zeit andere Autoren ganz generell zwischen einem „einstweiligen“ und einem „vorläufigen“ Rechtsschutz.103 Letzterer unterscheide sich von ersterem dadurch, dass er be­ reits endgültigen, vollen Rechtsschutz darstelle, aber noch unter dem Vorbehalt der Aufhebbarkeit der den Rechtsschutz gewährenden Entscheidung stehe. Vor­ läufiger Rechtsschutz sei demzufolge nicht nur prozessrechtlich, sondern auch materiellrechtlich möglich, wobei der prozessuale einstweilige Rechtsschutz freilich als Sicherung des materiellrechtlichen vorläufigen Rechtsschutzes unter­ stützend eingreifen könne. Die Vertreter dieser Ansicht führen als gesetzliche Ausprägung des vorläufigen Rechtsschutzes Sicherheitsleistungen oder Hypo­ theken gem. §§  232 f., 650e, 1051, 1067, 2128 BGB, die Eintragung einer Vor­ merkung gem. §§  883 ff. BGB oder eines Widerspruchs gem. §  899 BGB oder „sonstige interimistische Regelungen“ wie etwa §  1134 II BGB an, nicht dage­ gen die Besitzschutzansprüche.104 Das Außenvorlassen der Besitzschutzansprüche ist bei genauerer Betrachtung indes nur konsequent: Unabhängig davon, ob man die Existenz eines materiellen Zwischenrechts oder eines vorläufigen Rechtsschutzes grundsätzlich bejaht, of­ fenbaren sich jedenfalls strukturelle Unterschiede beim Vergleich der oben auf­ gezählten interimistischen Regelungen mit den Besitzschutzansprüchen: Bei ersteren ist stets ein einheitliches Recht oder Rechtsverhältnis streitig, zu dessen Sicherung der einstweilige Rechtsschutz dienen kann. Der rein possessorische 101 

Leipold, Grundlagen, S.  54 ff. Leipold, Grundlagen, S.  58. Als weiteres Beispiel nannte Leipold später die vorläufige Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers für die Dauer des Kündigungsschutzverfahrens gem. §  102 V BetrVG, siehe Leipold, ZZP 90 (1977), 258 (265). Ihm mit weiteren Beispielen fol­ gend Schlosser, in: FS Henckel zum 70. Geburtstag, S.  737 (738), und wohl auch Goerlich, JZ 1983, 57 (57, 59 f.). 103  Drescher, in: MüKo-ZPO, Vor §  916 Rn.  8; Heinze, in: MüKo-ZPO (2001), Vor §  916 Rn.  15. Die Begriffe noch synonym verwendend Baur, Studien, S.  1. 104  Drescher, in: MüKo-ZPO, Vor §  916 Rn.  8; Heinze, in: MüKo-ZPO (2001), Vor §  916 Rn.  15. Zur Eingruppierung als „vorbeugender“ Rechtsschutz siehe Henckel, AcP 174 (1974), 97 (106 ff.). 102 

94

§  4 Possessorischer Besitzschutz als Sanktionsinstrument

Charakter der §§  861, 862 BGB stempelt sie dagegen nicht zu einer bloßen In­ terimsordnung ab: Den fehlerhaften Besitzer oder Störer trifft die Herausgabe- oder Beseitigungspflicht als Sanktion für seine verbotene Eigenmacht, nicht aber als Anspruch im Hinblick auf eine ungewisse petitorische Rechtslage, denn diese hat gem. §  863 BGB ausdrücklich außer Betracht zu bleiben. Bei Vorliegen ver­ botener Eigenmacht mag zwar auch das Recht zum Besitz streitig sein; dem Be­ sitzer steht der Besitzschutzanspruch aber sogar dann zu, wenn er das petitori­ sche Recht des Täters der verbotenen Eigenmacht gar nicht bestreitet – eine ge­ nuine Besonderheit des Besitzschutzes. Die Möglichkeit, das Ergebnis des Besitzschutzprozesses wegen §  864 II BGB zu revidieren, bedeutet nicht die funktionelle Vorläufigkeit der Besitzschutzrechte. Bei Leistungsverfügungen auf Wiedereinräumung des Besitzes oder Beseitigung der Störung geht es weniger um die Verwirklichung eines materiellen Zwischenrechts, sondern vielmehr dar­ um, der besonderen Eilbedürftigkeit, welcher der Wiederherstellung des früheren Zustandes von Gesetzes wegen beigemessen wird, zu entsprechen.105 Der Ge­ setzgeber hat §§  861 f. BGB als gewöhnliche materiellrechtliche Ansprüche un­ ter vielen anderen ausgestaltet. Dabei hat er es unterlassen, für den besonderen Streitgegenstand der Regelung der tatsächlichen Sachherrschaft ein eigenes zi­ vilprozessuales Besitzschutzverfahren zu schaffen. Die Ansprüche sind daher nicht dazu bestimmt, das von Leipold beschriebene Dilemma des einstweiligen Rechtsschutzes zu lösen, da auch sie eine normale Tatsachen- und Rechtsprüfung erfordern.106 Insofern kann man mit Gutzeit den possessorischen Besitzschutz eher als „Institut eines vorläufigen sachenrechtlichen Zuordnungssystems“ be­ schreiben,107 nicht aber als Zwischenrecht oder vorläufigen Rechtsschutz. b) Möglichkeit einer possessorischen Leistungsverfügung Dem Interesse des Besitzers an der schnellen Rückerlangung der Sache oder der schnellen Beseitigung der bestehenden Besitzstörung ist am ehesten gedient, wenn die einstweilige Verfügung dem Täter der verbotenen Eigenmacht die Herausgabe der Sache, die Beseitigung oder die Unterlassung der Störung aufgibt. Mit einer Sicherungsverfügung nach §  935 ZPO kann dieses Ziel nicht erreicht werden, da mit ihrer Hilfe der zu sichernde Anspruch nicht vorweggenommen, sondern nur abgesichert werden darf. Mit anderen Worten muss die anzuordnende Maßnahme grundsätzlich ein Minus gegenüber dem zu sichernden Anspruch darstellen.108 105 

So auch Grunsky, JurA 1970, 724 (734). Dies gilt zumindest dann, wenn man mit der herrschenden Meinung auch die einstweili­ ge Verfügung nach §  940 ZPO am materiellen Recht ausrichten will. Dazu unter §  4 III.1.b)aa). 107  Gutzeit, in: Staudinger, BGB, Vor §§  854–872 Rn.  21. 108  OLG Naumburg NJOZ 2016, 677 (678); Vogg, NJW 1993, 1357 (1364). 106 

III. Fortschreibungen des Rechtsgedankens des §  863 BGB im Prozessrecht

95

Als Ausnahme zu diesem Grundsatz ist die Möglichkeit des Erlasses einer sog. Leistungsverfügung anerkannt, wenn ein bedeutendes Interesse gerade an einer schnellen vorläufigen Befriedigung eines Anspruchs besteht. Teils werden derar­ tige Leistungsverfügungen als Unterfall von §  940 ZPO angesehen,109 teils wird angenommen, es handele sich um ein Institut des Richterrechts110. Dabei soll nach allen Auffassungen die Durchsetzung von possessorischen Besitzschutz­ ansprüchen zu den Fällen gehören, in denen eine Leistungsverfügung erlassen werden kann. Begründet wird dies mit der §  863 BGB zu entnehmenden gesetz­ geberischen Wertung, dass die Ansprüche rasch und unter Außerachtlassung von Einwendungen durchgesetzt werden sollen.111 Teilweise wird in der Möglichkeit einer einstweiligen Leistungsverfügung auch eine notwendige prozessuale Fort­ entwicklung des Selbsthilferechts des Besitzers gemäß §  859 I BGB gesehen.112 Beide dogmatische Herleitungen vermögen zu überzeugen. Mit Blick auf den rechtspolitischen Grund des Besitzschutzes ist vor allem Folgendes zu bedenken: Würde man im Falle der Geltendmachung eines Besitzschutzanspruchs nur eine Sicherungsverfügung für möglich erachten, so würde das zu einer Anerkennung des Zustandes führen, den der Täter der verbotenen Eigenmacht rechtswidrig herbeigeführt hat. Das hätte für den (ehemaligen) Besitzer zur Folge, dass er die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands nur im Wege der Klage errei­ chen könnte. Damit hätte der Täter verbotener Eigenmacht, der sich eines (bes­ seren) Besitzrechts rühmt, durch rechtswidriges Handeln die Last, einen Prozess führen zu müssen, auf den Besitzer abgewälzt. Insofern ist auch der auf den ers­ ten Blick nachvollziehbaren Forderung, trotz der befriedigenden Wirkung der Leistungsverfügung nach Möglichkeit einen vorläufigen Charakter zu wahren, mit Vorsicht zu begegnen. Eine Herausgabeverfügung soll sich hiernach bei­ spielsweise immer nur auf die Herausgabe zum Gebrauch, nicht aber zum Ver­ brauch der Sache beziehen.113 An dieser Stelle muss abermals bedacht werden, dass es der Täter der verbotenen Eigenmacht ist, der die Parteirollen durch sein Handeln umgekehrt hat. Das rechtswidrige Verhalten darf grundsätzlich nicht zulasten des Besitzers gehen. Sieht der Täter der verbotenen Eigenmacht sein 109 

Baur, Studien, S.  32; Schilken, Befriedigungsverfügung, S.  68 ff. Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn.  53.23 = S.  645; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, Vor §  935 Rn.  31; ähnlich Drescher, in: MüKo-ZPO, §  938 Rn.  11: §  938 ZPO in Verbindung mit dem Justizgewährungsanspruch. 111  LG Leipzig ZinsO 2006, 1003 (1003); Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, §  50, Rn.  1620 = S.  791; Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, §  76, Rn.  20 = S.  1230. 112  OLG Köln v. 14.03.1990 – 11 U 250/89 –, juris Rn.  4; Drescher, in: MüKo-ZPO, §  940a Rn.  7. 113  Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn.  53.26 = S.  647; Gaul/Schilken/ Becker-­Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, §  76, Rn.  20 = S.  1231. 110 

96

§  4 Possessorischer Besitzschutz als Sanktionsinstrument

vermeintliches Recht durch Verbleib der Sache beim Besitzer in Gefahr, so ob­ läge es umgekehrt ihm, eine einstweilige Verfügung anzustrengen. Dass zum Schutz des Opfers der verbotenen Eigenmacht eine Leistungsverfügung möglich ist, kann schließlich auch §  940a ZPO entnommen werden, der lediglich Ein­ schränkungen für die Räumungsverfügung vorsieht.114 aa) Verzicht auf einen materiellrechtlichen Verfügungsanspruch? Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Verfügung ist stets ein Verfü­ gungsanspruch beziehungsweise nach §  940 ZPO ein streitiges Rechtsverhältnis, dessen Bestehen nach §§  936, 920 II ZPO glaubhaft zu machen ist. Dabei kann bei einer Besitzentziehung auf §  861 I BGB, bei Besitzstörungen auf §  862 I BGB rekurriert werden. Vereinzelt wird von denjenigen, die in der Befriedigungsverfügung eine Form der Regelungsverfügung nach §  940 ZPO erblicken, gefordert, die Vorausset­ zung der Glaubhaftmachung eines Verfügungsanspruchs zu lockern oder sogar aufzuheben, da die Regelungsverfügung allgemein der Wahrung des Rechtsfrie­ dens diene.115 Mit dieser Schwerpunktsetzung wäre es tatsächlich möglich, die besitzschützende einstweilige Verfügung allein auf Grundlage von §  940 ZPO und ohne jeden Rückgriff auf §§  861, 862 BGB zu erlassen. Wie bereits gezeigt, sind die Besitzschutzansprüche bewusst geschaffen worden, um die verbotene Eigenmacht – als geradezu exemplarische Störung des Rechtsfriedens – zu sank­ tionieren. Sieht man in §  940 ZPO ein eigenständiges prozessuales Instrument zur Wiederherstellung des Rechtsfriedens, dann wäre eine Rechtfertigung über das materielle Recht entbehrlich. Dagegen spricht, dass dies zu einer Verselbständigung des Prozessrechts füh­ ren würde, die dessen dienendem Charakter diametral zuwiderliefe. Die Wah­ rung des Rechtsfriedens ist Hauptbemühung allen Prozessrechts und kein Son­ derzweck des Eilverfahrens. Es ist auffällig, dass §  940 ZPO zwar die weit­ reichendste Rechtsfolge im einstweiligen Rechtsschutz der ZPO normiert, sein 114 

Grunsky, JurA 1970, 724 (733). Zu §  940a ZPO siehe unter §  4 III.1.b)bb)(2). So generell zur Regelungsverfügung: Blomeyer, Zivilprozeßrecht, S.  667; Cohn, JW 1915, 1421 (1424); Hartmann, in: BLAH-ZPO, §  940 Rn.  2; Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, §  940 Rn.  1. Für die Leistungsverfügung bei verbotener Eigenmacht auch OLG Saarbrücken NJW 1967, 1813 (1813), und OLG Saarbrücken NJW-RR 2003, 1717 (1717). Duffek, NJW 1966, 1345 (1346), und Heck, Sachenrecht, §  14 = S.  50 ff., sehen die materiellrechtlichen An­ sprüche der §§  861, 862 BGB durch die einstweilige Verfügung als spezielleres Institut kom­ plett zurückgedrängt. Ansonsten beschränken sich die in diesem Zusammenhang genannten Beispiele eher auf Störungen in Gemeinschaftsverhältnissen oder anderen sozial geprägten Rechtsverhältnissen, siehe Baur, Studien, S.  32 ff.; Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungs­ recht, Rn.  53.17 = S.  642 f. 115 

III. Fortschreibungen des Rechtsgedankens des §  863 BGB im Prozessrecht

97

Wortlaut aber den geringsten Bezug zum materiellen Recht aufweist. Wie sich aus der Gesetzeshistorie ergibt, sollten für den heutigen §  940 ZPO aber die glei­ chen Grundsätze gelten wie für den zuerst eingefügten §  935 ZPO.116 Es geht folglich um den Schutz der Rechte des Antragstellers.117 Selbst für das histori­ sche Institut des possessorium summariissimum ist anerkannt, dass die vorläufi­ ge Besitzregelung in Anwendung des materiellen Rechts erging.118 Dass §  940 ZPO auf die Regelung eines Rechtsverhältnisses und nicht auf einen Einzelan­ spruch abstellt, erklärt sich daraus, dass aus dem Rechtsverhältnis im Regelfall Ansprüche für den Antragsteller erwachsen, auf deren spätere Verwirklichung die einstweilige Verfügung abzielt. Daraus folgt, dass eine Regelungsverfügung nur dann ergehen darf, wenn für den Antragsteller ein Anspruch aus dem Rechts­ verhältnis entstehen kann. Ist dies nicht ersichtlich, so ist der Antrag auch dann abzulehnen, wenn ein Interesse der Allgemeinheit an einer Regelung bestehen mag. Das Interesse der Parteien tritt bei der Regelungsverfügung nicht auf Kos­ ten des Interesses der Allgemeinheit an der Erhaltung des Rechtsfriedens in den Hintergrund. Das Interesse am Rechtsfrieden wäre in dem Fall nicht durch die Zivilgerichte, sondern durch die Polizei zu befriedigen.119 Kennzeichnend für den possessorischen Besitzschutz des BGB ist zudem, dass die materielle Rechtslage für die Entscheidung grundsätzlich unerheblich ist und der possessorischen Klage sogar dann stattzugeben ist, wenn offensichtlich ist, dass kein Recht zum Besitz besteht. Beim einstweiligen Rechtsschutz sind dagegen die Voraussetzungen für den Erlass einstweiliger Maßnahmen vom Ge­ setz nicht fest umrissen; vielmehr wird Raum für eine Interessenabwägung im Einzelfall gelassen. Die Wahrung des Rechtsfriedens wäre hier nur ein Aspekt von vielen und würde de lege lata nicht zwangsläufig zum Erlass einer Leis­ tungsverfügung führen.120 Nur die Individualansprüche nach §§  861, 862 BGB 116  Schubert, Protokolle zur Ausarbeitung des Entwurfs einer Civilprozeßordnung für die Staaten des Norddeutschen Bundes III, S.  1214 ff., 1242. Am Entwurf des einstweiligen Rechts­ schutzes für den Norddeutschen Bund orientierte sich später maßgeblich der CPO-Gesetzgeber. Ausführlich Vogg, Einstweiliger Rechtsschutz, S.  65 ff. 117  Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, §  940 Rn.  1; Jocksch, Freigabeverfahren, S.  25; Leipold, Grundlagen, S.  85 f.; Minnerop, Materielles Recht und einstweiliger Rechtsschutz, S.  63 ff. 118  Leipold, Grundlagen, S.  76; Rohmeyer, Geschichte und Rechtsnatur, S.  24 f. Ausführlich Schilken, Befriedigungsverfügung, S.  115 f., 158 ff. 119  So auch Saenger, Einstweiliger Rechtsschutz, S.  55; a. A. Rohmeyer, Geschichte und Rechtsnatur, S.  99 ff., 175, der den einstweiligen Rechtsschutz einer Ermessensentscheidung der Exekutive gleichstellt. 120  So auch Müller, Besitzschutz, S.  262 f., die allerdings darauf abstellt, dass die zu treffende Prognoseentscheidung für das Hauptsacheverfahren negativ ausfallen würde. Für das Haupt­ sacheverfahren müsste aber an sich eine positive Prognose abgegeben werden, da es den Besitz­ schutzanspruch und nicht das Recht zum Besitz behandelt. Anderes gilt nur, wenn man von der Möglichkeit einer petitorischen Widerklage und einer analogen Anwendung des §  864 II BGB

98

§  4 Possessorischer Besitzschutz als Sanktionsinstrument

geben eine klare Wertentscheidung zugunsten der Wiederherstellung des status quo ante vor. Eine dies regelnde abstrakte prozessuale Norm wäre im Prozess­ recht de lege ferenda zwar denkbar;121 damit würde aber ein Institut zur Entste­ hung gelangen, das in seinen Voraussetzungen rein prozessual, in seinen Wirkun­ gen aber materiell wäre und das einen Fremdkörper im einstweiligen Rechts­ schutz bilden würde, welches nach all dem hier Gesagten – und trotz seiner Stellung im 8.  Buch der ZPO – ein Erkenntnisverfahren darstellt.122 bb) Verbotene Eigenmacht als besonderer Verfügungsgrund Des Weiteren ist für jede einstweilige Verfügung eine gewisse Dringlichkeit er­ forderlich. Dies ergibt sich gem. §  935 ZPO aus dem Erfordernis der Gefährdung der Anspruchsdurchsetzung und gem. §  940 ZPO aus der Notwendigkeit der Ab­ wendung wesentlicher Nachteile, drohender Gewalt oder aus anderen Gründen. Wird eine vorläufige Befriedigung erstrebt, wird darüber hinaus meist zusätzlich verlangt, dass sogar ein existentielles Interesse an der Verfügung besteht.123 (1) Sanktionierungsgedanke als „anderer Grund“ im Sinne des §  940 ZPO Im Bereich des Besitzschutzes verzichtet die ganz herrschende Meinung auf das Erfordernis einer besonders gesteigerten Dringlichkeit. Dies beruht wiederum auf der Annahme, dass sich die Eilbedürftigkeit bereits aus dem rechtspolitischen Ziel des Besitzschutzes ergibt.124 Die Rückgängigmachung der verbotenen Ei­ genmacht oder die Absicherung ihres Verbots für die Zukunft sind zur Sanktion ausgeht. Schlosser, in: FS Henckel zum 70. Geburtstag, S.  737 (742 f., 745), sieht dagegen im possessorischen Anspruch eine besondere Form des einstweiligen Rechtsschutzes, sodass es dem Verfügungskläger verwehrt sei, ein nachfolgendes possessorisches ordentliches Erkennt­ nisverfahren anzustreben. Die Hauptsache sei ausschließlich der Streit um das Recht zum Be­ sitz. Es ist jedoch kein Grund ersichtlich, hier vom Identitätserfordernis der prozessualen An­ sprüche abzuweichen. Es ist das gute Recht des Besitzers, sich lediglich auf den possessorischen Anspruch stützen zu wollen. Ist der Antragsgegner der Auffassung, dass ihm ein Recht zum Besitz zusteht, so muss er dieses selbst im ordentlichen Verfahren geltend machen – mit der Folge, dass die possessorische einstweilige Verfügung wegen veränderter Umstände gem. §§  936, 927 ZPO aufgehoben werden kann. In diesem Sinne auch Leipold, Grundlagen, S.  58. 121  Dazu ausführlich unter §  8 IV.2. 122  So die heute allgemeine Meinung, siehe nur Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangs­ vollstreckungsrecht, §  74, Rn.  12 = S.  1209. 123  OLG Frankfurt a. M. NJW 2007, 851 (851); Huber, in: Musielak/Voit, ZPO, §  940 Rn.  14; Kruis, in: Beck’sches RA-Handbuch, §  4, Rn.  20. 124  OLG Stuttgart NJW-RR 1996, 1516 (1516); OLG Köln MDR 2000, 152 (152); OLG Düs­ seldorf NZM 2002, 192 (192); Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, §  50, Rn.  1620 = S.  791; Drescher, in: MüKo-ZPO, §  935 Rn.  17; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, Vor §  935 Rn.  44; Huber, in: Musielak/Voit, ZPO, §  940a Rn.  2; Saenger, Einstweiliger Rechtsschutz, S.  43.

III. Fortschreibungen des Rechtsgedankens des §  863 BGB im Prozessrecht

99

des Täters wegen des begangenen Rechtsfriedensbruchs und zum Schutz der Per­ sönlichkeit des Besitzers erforderlich. Dogmatisch lässt sich dies an den „ande­ ren Gründen“ in §  940 ZPO festmachen.125 „Andere Gründe“ stellen ein echtes aliud zu der „Abwendung wesentlicher Nachteile“ oder der „Verhinderung dro­ hender Gewalt“ dar und müssen keine vergleichbare Gefahrenlage begründen, sondern lediglich den Erlass einer Verfügung genauso erfordern. An dieser Stelle beansprucht das Erfordernis, den Rechtsfrieden zu erhalten, seine gesamte Gel­ tung: Um den Rechtsfrieden zu wahren, soll im Regelfall gerichtliche Hilfe in Anspruch genommen werden. Dazu gehört insbesondere auch die einstweilige Verfügung. Je höhere Anforderungen an die einstweilige Verfügung gestellt wer­ den, desto weiter müsste jedoch – entgegen dem Vorrang der gerichtlichen Kon­ trolle und der Subsidiarität von Selbsthilfe – der Bereich für die nach §  859 BGB zulässige Selbsthilfe gezogen werden.126 Wenn der Gesetzgeber dem Besitzer ein Selbsthilferecht gegen verbotene Eigenmacht gewährt, obwohl dieser kaum zu einer rechtlichen Prüfung in der Lage sein wird, so muss ein Einschreiten durch einstweilige Verfügung nach summarischer Prüfung durch das Gericht zur Siche­ rung der Vorherrschaft des Rechts erst recht möglich sein. Etwas anderes kann nur gelten, wenn der Besitzentzug vorher längere Zeit hingenommen wurde und sich die Schutzgründe für die tatsächliche Sachherrschaft über den Zeitablauf „verflüchtigt“ haben.127 Grundsätzlich ist das Vorliegen verbotener Eigenmacht also stets ein hinreichender Verfügungsgrund. Eine Verweisung in das Haupt­ sacheverfahren dürfte die absolute Ausnahme darstellen. (2) Die Bedeutung des §  940a ZPO Dass in der verbotenen Eigenmacht ein eigener Verfügungsgrund liegt, kann auch §  940a ZPO entnommen werden. §  940a ZPO ist aufgrund seiner systema­ tischen Stellung als Ergänzung zu §  940 ZPO anzusehen.128 Wegen der besonde­ ren Bedeutung der Wohnung wird grundsätzlich – außer in den Fällen der verbo­ tenen Eigenmacht und der Gefahr für Leib oder Leben – die Räumung von Wohnraum im Wege der einstweiligen Verfügung ausgeschlossen, auch wenn die Voraussetzungen des §  940 ZPO eigentlich gegeben wären. Die Norm schränkt den Anwendungsbereich der Leistungsverfügung also ein. Ursprünglich in Not­ standsregelungen im Hinblick auf den Wohnungsmangel während der Weltkrie­ ge wurzelnd, kann §  940a ZPO heute als allgemein sozialrechtlich motivierte 125 

So Huber, in: Musielak/Voit, ZPO, §  940a Rn.  2, und M. Wolf, NJW 1980, 1758 (1759). Darauf weist Saenger, Einstweiliger Rechtsschutz, S.  42, hin. 127  Schuschke, in: Schuschke/Walker, VuvR, Vor §  935 Rn.  34; Thümmel, in: Wieczorek/ Schütze, ZPO, §  940a Rn.  9. 128  Streyl, NZM 2012, 249 (253). 126 

100

§  4 Possessorischer Besitzschutz als Sanktionsinstrument

Norm gelten:129 Dem Wohnungsinhaber soll sein Obdach grundsätzlich nicht ohne Entscheidung in der Hauptsache genommen werden. Dies gilt allerdings nicht, wenn er sich durch verbotene Eigenmacht in den Besitz der Wohnung ge­ bracht hat. Der Gesetzgeber bringt hiermit zum Ausdruck, dass die Begehung von verbotener Eigenmacht generell eine verminderte Schutzwürdigkeit des ­Besitzstörers und eine erhöhte Schutzwürdigkeit des Antragstellers begründet. Die besondere Interessenlage beim possessorischen Besitzschutz stellt also nicht nur einen „anderen Grund“ im Sinne des §  940 ZPO dar, der eine Leistungs­ verfügung grundsätzlich rechtfertigt, sondern erlaubt es beim existentiellen Gut Wohnraum sogar, dass eine Räumungsverfügung ergeht, und zwar ohne dass eine zusätzliche besondere Notlage geltend gemacht werden müsste.130 Auch hier handelt es sich folglich um eine konsequente gerichtsmäßige Fortsetzung des Selbsthilferechts gem. §  859 BGB.131 §  940a ZPO ist somit Beleg für die Übertragung der materiellrechtlichen Wertungen in das Verfahrensrecht.

2. Die vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung Der Vorrang, den §  863 BGB dem possessorischen Anspruch gegenüber dem petitorischen Anspruch einräumt, wirkt sich auch auf das Recht der vorläufigen Vollstreckbarkeit von Titeln aus. Nach §  708 Nr.  9 ZPO sind nicht rechtskräftigte Urteile auf Wiedereinräumung entzogener Sachen oder auf Beseitigung und Un­ terlassung einer Besitzstörung ausnahmsweise ohne Sicherheitsleistung des Ob­ siegenden für vorläufig vollstreckbar zu erklären.132

IV. Fazit Mit dem Verbot der petitorischen Einwendung bezweckt der Gesetzgeber nicht nur die Beschleunigung des possessorischen Verfahrens, sondern auch die Sank­ tion des Täters verbotener Eigenmacht. Mit der Förderung der vorläufigen Wie­ 129 

Siehe zur Geschichte ausführlich S. Wendt, Einstweilige Räumungsverfügung, S.  63 ff. Drescher, in: MüKo-ZPO, §  940a Rn.  7; Huber, in: Musielak/Voit, ZPO, §  940a Rn.  2; Mayer, in: BeckOK-ZPO, §  940a Rn.  4; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, §  940a Rn.  2; a. A. LG Frankfurt NJW 1980, 1758 (1758). 131  Drescher, in: MüKo-ZPO, §  940a Rn.  1; Thümmel, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, §  940a ZPO Rn.  1. 132  BT-Drs. 7/2729: „Die in Nummer 9 vorgesehene unbedingte vorläufige Vollstreckbar­ keit der Urteile über Ansprüche aus den §§  861, 862 BGB entspricht dem Zweck und Wesen der Besitzklage, die bei verbotener Eigenmacht […] auf eine rasche Wiederherstellung des Rechts­ friedens gerichtet ist.“ 130 

IV. Fazit

101

derherstellung des status quo ante zugunsten des (ehemaligen) Besitzers nimmt das Gesetz ein Hin und Her der Leistungen und Vollstreckungen in Kauf. Der Gesetzgeber verstärkt die Position des Besitzers sogar durch prozessuale Privilegien: Die effektive Durchsetzung des Besitzschutzanspruchs ist ausnahms­ weise in Form der Leistungsverfügung zulässig. Letztere bewirkt die Rück­ gängigmachung der verbotenen Übergriffe und zwingt somit den eigenmächtig Handelnden zur Durchsetzung seiner (angeblichen) Rechte in die Bahnen des justizförmigen Verfahrens. Der Grundsatz des Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache steht dem nicht entgegen. Wird der possessorische Anspruch dagegen im ordentlichen Verfahren durch Urteil zugesprochen, so ist dieses ohne Sicher­ heitsleistung vollstreckbar. Für den Täter verbotener Eigenmacht, der sich als Be­ rechtigter wähnt, sind diese prozessualen Möglichkeiten des Besitzers zwar be­ sonders belastend, aber sie entsprechen in konsequenter Weise dem in §  863 BGB zum Ausdruck kommenden Beschleunigungs- und Sanktionsgedanken. Wenn man, wie hier, den Besitzschutz auch unter dem Aspekt der Autonomie und Persönlichkeitsentfaltung der Person betrachtet, erscheint es außerdem nicht abwegig, dass das staatliche Gewaltmonopol zivilrechtlich abgesichert wird und verbotene Eigenmacht nicht als rein polizeirechtliches, das heißt öffentlich-recht­ liches, Problem verstanden wird. Selbst diejenigen, die den Erhalt des Rechts­ friedens als alleinigen Zweck des Besitzschutzes ansehen, müssen anerkennen, dass nicht nur Strafschutz, sondern auch Zivilschutz eine mögliche Form der Durchsetzung von öffentlichen Interessen darstellen kann.133 Es ist daher nur le­ gitim und mit dem System des bürgerlichen Rechts vereinbar, §  863 BGB einen eigenständigen Sanktionscharakter beizumessen, ohne dass damit eine Pönalisie­ rung im Sinne von Sühne verbunden ist.134

133 

134 

So auch Zitelmann, AcP 99 (1906), 1 (18); zweifelnd: Müller, Besitzschutz, S.  246. In diesem Sinne Pawlowski, Rechtsbesitz, S.  16; Sosnitza, Besitz und Besitzschutz, S.  46.

§  5 Das Verhältnis des possessorischen Anspruchs zum petitorischen Anspruch Der hohe Stellenwert des §  863 BGB scheint paradoxe Konsequenzen zu haben: Die Zivilrechtsordnung verweigert dem von ihr selbst geschaffenen petitorischen Recht den Geltungsanspruch. Der Berechtigte, der durch eine eigenmächtige Wiedererlangung oder Störung des Besitzes lediglich die Besitzlage herstellt, auf die er einen Anspruch hat, ist zur Herausgabe der Sache oder zur Beseitigung beziehungsweise Unterlassung der Störung verpflichtet und darf das Recht zum Besitz oder das Recht zur Vornahme der Störung nicht als Einwendung gegen den Besitzschutzanspruch geltend machen. Das petitorische Recht muss aber selbstverständlich dennoch durchgesetzt werden; die Frage ist, in welcher Form dies zu geschehen hat und wann sich der petitorische Anspruch endgültig gegen den Besitzschutzanspruch durchsetzt. Die vermeintlich abschließende Regelung des §  863 BGB tritt insofern in ein Spannungsfeld mit solchen Normen, die den petitorisch Berechtigten schützen. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage nach dem Verhältnis von §  864 II BGB zu §  863 BGB (I.-II.). Als ebenso unsicher er­ scheint das Verhältnis des §  863 BGB zu Zurückbehaltungsrechten und den be­ sonderen Hausratsansprüchen (§§  1361a f. BGB) sowie zur Selbstpfändung bei titulierter Geldforderung des Täters verbotener Eigenmacht (III.).

I. Die Bedeutung des §  864 II BGB Trotz Begehung der verbotenen Eigenmacht ist der Täter nicht daran gehindert, das petitorische Recht eigenständig einzuklagen. Ist bereits eine Entscheidung im Besitzschutzprozess ergangen, konkurrieren in der Folge zwei einander dia­ metral entgegengesetzte Titel miteinander. Dass schlussendlich das Recht zum Besitz „gewinnt“, verlangt schon die auf den Schutz von subjektiven Rechten zielende Zivilrechtsordnung; dies geht auch konkret aus §  864 II BGB hervor. Die Norm dient der Klärung des Verhältnisses des possessorischen zum petitori­ schen Anspruch: Die Besitzschutzansprüche aus §§  861 f. BGB erlöschen, wenn nach der Verübung der verbotenen Eigenmacht durch rechtskräftiges Urteil fest­

104

§  5 Das Verhältnis des possessorischen Anspruchs zum petitorischen Anspruch

gestellt wird, dass dem Täter ein Recht an der Sache zusteht, vermöge dessen er die Herstellung eines seiner Handlungsweise entsprechenden Besitzstands ver­ langen kann. Eine vorläufige Regelung über den Besitzstand erübrigt sich, wenn der durch die verbotene Eigenmacht geschaffene Zustand dem endgültigen Zu­ ordnungssystem angehört. Das BGB folgt damit der gemeinrechtlichen Regel petitorium absorbet possessorium1 im Gewand eines materiellrechtlichen Er­ löschensgrundes. Es handelt sich um eine Rückausnahme zu §  863 BGB: Ein Hin und Her der Leistungen und der Vollstreckungen wird verhindert, indem die Einwendung der Arglist ihre Relevanz durch das rechtskräftige Urteil zurück­ gewinnt.

1. Zum unklaren Wortlaut des §  864 II BGB a) Das Recht an der Sache §  864 II BGB ist unglücklich formuliert. Das Recht des Störers, aus dem der durch das Urteil titulierte Anspruch folgt, muss entgegen dem Wortlaut des §  864 II BGB nicht ein „Recht an der Sache“, also ein dingliches Recht sein. Bei dieser engen Formulierung handelt es sich um ein Redaktionsversehen. Der Gesetzge­ ber hat in der Entstehungsgeschichte der Norm an keiner Stelle zum Ausdruck gebracht, dass er nicht jedes Recht auf Herstellung des momentanen Besitzstands genügen lassen wollte.2 Ein Anspruch aus §§  861 f. BGB ist folglich etwa auch dann ausgeschlossen, wenn das Urteil einen schuldrechtlichen Anspruch des Tä­ ters tituliert.3 b) Die zeitliche Komponente der Norm Auch die zeitliche Komponente ist beim Lesen der Norm nicht unmittelbar ein­ sichtig. Das Recht muss nach der Begehung der verbotenen Eigenmacht rechts­ kräftig festgestellt werden. Der Zeitpunkt der Feststellung durch Urteil und der Zeitpunkt der Rechtskraft fallen im Prozessrecht aber in der Regel auseinander.4 Es fragt sich daher, ob der Anspruch nur erlischt, wenn die verbotene Eigen­ 1 

Dazu V. Bayer, Theorie der summarischen Processe, S.  204. In §  823 II des Ersten Entwurfs sollte durch die Wahl der Worte „über das Recht anhängi­ ger Prozeß“ auf den Gegensatz zwischen Besitz und Recht zum Besitz hingewiesen werden. Bereits seit dem gemeinen Recht herrschte die Auffassung vor, dass ein Urteil genügt, das ir­ gendein Recht des Beklagten auf die eigenmächtig hergestellte Besitzlage rechtskräftig fest­ stellt, siehe Motive, Band  III, S.  131 = Mugdan, Band  III, S.  73. Es ist nicht ersichtlich, dass die Zweite Kommission mit der neuen Fassung eine sachliche Änderung beabsichtigte. 3  G. h. M., siehe nur Gutzeit, in: Staudinger, BGB, §  864 Rn.  6. 4  Lediglich das Urteil, gegen das keine Rechtsmittel mehr zulässig sind, wird sogleich rechtskräftig. 2 

I. Die Bedeutung des §  864 II BGB

105

macht vor dem Urteil verübt wurde, oder ob er auch dann erlischt, wenn sie zwischen dem Erlass des Urteils und dessen Rechtskraft verübt wurde.5 Aus­ weislich seines Wortlauts erfasst §  864 II BGB jedenfalls nicht die Fälle, in de­ nen das Urteil, welches das petitorische Recht des Täters zum Besitz feststellt, bereits vor der Verübung der verbotenen Eigenmacht ergangen ist. Allerdings wird die Ausdehnung der Norm im Wege der Analogie von vielen befürwortet.6

2. Widerspruch zum Sanktionsmechanismus der Besitzschutzansprüche Lassen sich die §§  858 ff. BGB vor allem als geschlossenes Abschreckungssys­ tem begreifen, das mit Notwehr- und Selbsthilferechten sowie gesetzlichen An­ sprüchen des Besitzers aufwartet, denen gegenüber eine petitorische Einwen­ dung unerheblich ist, überrascht die Existenz einer Norm wie §  864 II BGB. Denn die über die Besitzschutzansprüche konstruierte Abschreckungswirkung wird durch §  864 II BGB gemindert, indem dem Täter verbotener Eigenmacht eine Art „Schlupfloch“ gelassen wird, in dessen Richtung er geschickt taktieren kann. Um die Chancen zu erhöhen, einem Besitzschutzanspruch nicht mehr aus­ gesetzt zu sein, bietet es sich insbesondere an, bei Begehung der verbotenen Ei­ genmacht den petitorischen Klageantrag schon „fertig in der Tasche“ oder den petitorischen Prozess bereits eingeleitet zu haben. Die Konsequenzen stehen im Widerspruch zum Sanktionsmechanismus des Besitzschutzes. a) Problematische Umgehung des staatlichen Gewaltmonopols Wer sich zum Richter über vermeintlich eigene Ansprüche aufschwingt und ei­ genmächtig vollstreckt, missachtet das staatliche Gewaltmonopol, welches im­ merhin Verfassungsrang genießt.7 Die Normen des Zwangsvollstreckungsrechts beinhalten zudem diverse interessenausgleichende und grundrechtsschonende Regeln über die Art und Weise des Vorgehens in der Zwangsvollstreckung, wel­ 5  Der Literatur ist dazu mehrheitlich keine klare Aussage zu entnehmen. Nach Lorenz, in: Erman, BGB, §  864 Rn.  4, muss die „rechtskräftige Feststellung nach dem Gesetzeswortlaut an sich nach der verbotenen Eigenmacht erfolgen“, womit unterschlagen wird, dass Feststellung und Rechtskraft im Regelfall nicht gleichzeitig eintreten. Nach Fritzsche, in: BRHP-BGB, §  864 Rn.  10, muss „nach dem klaren Wortlaut des Abs.  2 […] die Feststellung des Herstellungsan­ spruchs nach Verübung der verbotenen Eigenmacht erfolgen“. So auch Westermann/Gursky/ Eickmann, Sachenrecht, §  23, Rn.  9 = S.  167: „Nach dem Wortlaut des §  864 II muss das Urteil nach der verbotenen Eigenmacht ergehen.“ Siehe auch Gutzeit, in: Staudinger, BGB, §  864 Rn.  11: „Nur eine nach Verübung der verbotenen Eigenmacht ergangene Entscheidung kann den [possessorischen] Anspruch zum Erlöschen bringen.“ A. A. wohl Hager, KTS 1989, 515 (517). 6  Dazu unter §  5 II.3. 7  Dazu unter §  3 III.6.d)bb)(3)(b).

106

§  5 Das Verhältnis des possessorischen Anspruchs zum petitorischen Anspruch

che durch die private Vollstreckung umgangen werden. Der Gerichtsvollzieher ist beispielsweise gem. §  758 ZPO befugt, Gewalt anzuwenden, ist aber zu einem möglichst schonenden Vorgehen angehalten.8 §  758a ZPO stellt besondere An­ forderungen, wenn es um den durch Art.  13 GG geschützten Bereich der Woh­ nung geht, und §§  757, 759, 760, 762, 763 ZPO garantieren jedenfalls die Trans­ parenz und Übersichtlichkeit der Vollstreckung für den Schuldner. Verstößt der Gerichtsvollzieher gegen diese Vorschriften, ergibt sich hieraus allerdings keine verbotene Eigenmacht.9 Ist es deswegen also unerheblich, wenn auch der Gläu­ biger als „Privatvollstrecker“ nicht an die Normen gebunden ist, sondern auf eine Weise vorgeht, die ihm den größtmöglichen unmittelbaren Erfolg verspricht? Wenn man sich auf den Zweck des Besitzschutzes zurückbesinnt, den Rechts­ frieden zu erhalten und sicherzustellen, dass niemand mit privatem Zwang rech­ nen muss, dann ist die Antwort eigentlich klar. Die absolute Grenze ist jedenfalls dann erreicht, wenn explizit grundrechtsschützende Normen wie im echten Voll­ streckungsschutz, zum Beispiel nach §  765a ZPO, unterlaufen werden.10 b) Wirtschaftliche Belohnung für die Begehung verbotener Eigenmacht Für den Täter treten zudem nicht unerhebliche wirtschaftliche Vorteile ein, die er bei einem rechtstreuen Verhalten ohne Begehung verbotener Eigenmacht nicht hätte: Wer ein petitorisches Recht für sich beansprucht, muss grundsätzlich eine Klage oder zumindest einen Antrag im einstweiligen Rechtsschutz erheben. Bis zu einer Entscheidung verweilt die Sache beim beklagten Besitzer, eine Besitz­ störung darf nicht unternommen werden. In dieser Zeit erwächst dem Kläger in den meisten Fällen aufgrund der an sich unberechtigten Vorenthaltung der Sache durch den Besitzer beziehungsweise aufgrund der ungerechtfertigten Weigerung des Besitzers, die Störung zu dulden, ein Schaden. Letzterer kann selbstverständ­ lich gem. §§  280 ff. BGB geltend gemacht werden. Dabei trägt der Kläger aber das Insolvenzrisiko des Besitzers. Dies ist gerechtfertigt, weil er sich ihn in der Regel in irgendeiner Form als Vertragspartner ausgesucht und die Sache freiwillig aus der Hand gegeben hat11 oder weil es ohnehin den Regelfall darstellt, dass 8 

Paulus, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, §  758 Rn.  2, 17. Weder der Gerichtsvollzieher noch der ihn beauftragende Gläubiger sind Täter i. S. d. §  858 I BGB, siehe Gutzeit, in: Staudinger, BGB, §  858 Rn.  24; Joost, in: MüKo-BGB, §  858 Rn.  10. 10  Ausführlich unter §  5 II.2. 11  Anderes gilt nur gegenüber Dieben und Hausbesetzern, mit denen man aufgrund schieren Pechs konfrontiert wird. Aber auch hier muss der staatliche Zwang zum Schutz des genuinen Per­ sönlichkeitsrechts der Besitzer Vorrang vor dem privaten Zwang genießen. Der staatliche Schutz muss auch für diejenigen gelten, die sich selbst gegen das Gesetz stellen, da anderenfalls ein Rückfall in Fehde-Strukturen droht. Im Übrigen begehen Diebe und Hausbesetzer selbst verbotene Eigenmacht, sodass gegen sie zunächst im Rahmen von §  859 BGB vorgegangen werden kann und 9 

I. Die Bedeutung des §  864 II BGB

107

Störungen nicht im Wege der Selbsthilfe, sondern nur aufgrund gesetzlicher ein­ zuklagender Duldungsansprüche vorgenommen werden dürfen. Als Teilnehmer am Rechtsverkehr im Rechtsstaat entspricht es dem allgemeinen Lebensrisiko, sich schlechtestenfalls in einem wirtschaftlich risikoreichen Rechtsstreit wieder­ zufinden. Dieses Risiko schaltet der Täter verbotener Eigenmacht erfolgreich aus. Um sich im Ernstfall gegen einen widerspenstigen Besitzer durchzusetzen, der sich einem Urteil nicht freiwillig fügt, muss der rechtstreue Bürger zudem die staatliche Zwangsvollstreckung bemühen und hierfür ebenfalls das Kostenrisiko tragen.12 Auch diese Bürde umgeht der Täter verbotener Eigenmacht und muss wegen §  864 II BGB keine wirtschaftlich schmerzhafte Sanktion durch den Be­ sitzschutzanspruch befürchten. c) Fazit Vor diesem Hintergrund ist die Schaffung des §  864 II BGB kaum nachzuvoll­ ziehen.

3. Friktionen mit der vorläufigen Vollstreckbarkeit Weiterhin ist mit Blick auf §  864 II BGB problematisch, dass im Widerstreit der possessorischen und petitorischen Ansprüche diese jeweils auf dieselbe Leistung (Herausgabe) oder auf eine Leistung und ihr jeweils äquivalentes Gegenstück (Duldung versus Beseitigung oder Unterlassung) gerichtet sind. In der Zwangs­ vollstreckung ergeben sich Probleme, wenn beide Ansprüche als solche zuzuer­ kennen und insbesondere, wenn beide Ansprüche für vorläufig vollstreckbar zu erklären sind: Im Rahmen von §  862 I BGB scheint es möglich zu sein, dass ein vollstreckungsrechtliches Patt entsteht, indem die Parteien – wie noch genauer zu zeigen sein wird – gleichzeitig und noch dazu beliebig oft wiederholbar gem. §  890 ZPO gegeneinander Geld- und Haftstrafen verhängen lassen können. Es fragt sich, ob diese zivilprozessualen Konsequenzen des §  864 II BGB vom Ge­ setzgeber, als er sich für die Rechtskraft als Erfordernis der Privilegierung des petitorischen Rechts entschloss, berücksichtigt wurden.13 Zur Zeit der Verab­ ihnen im Weiteren nicht die Ansprüche aus §§  861, 862 BGB zugutekommen (vgl. §§  861 II, §  862 II BGB). Dennoch muss gegen sie ein petitorischer Prozess geführt werden, wobei hier §  940a I Alt.  1 ZPO im einstweiligen Rechtsschutz eine entscheidende Erleichterung liefert. 12  Die Kostenhaftung für die Herausgabevollstreckung obliegt nach §§ 3, 4 GVKostG dem­ jenigen, der sie beantragt hat (Antragsprinzip), und zwar ungeachtet dessen, ob er einen Kosten­ erstattungsanspruch gegen die andere Partei hat; für den Antrag nach §  890 ZPO fällt schon nach §  12 VI GKG der Vorschuss der Gerichtsgebühren an. 13  Es wäre jedenfalls zu erwarten, dass Hinweise in den Gesetzgebungsmaterialien zu fin­ den sind, falls eine Diskussion über zivilprozessuale Folgen stattgefunden hätte.

108

§  5 Das Verhältnis des possessorischen Anspruchs zum petitorischen Anspruch

schiedung des BGB existierte in der CPO bereits die Möglichkeit, Urteile auf Antrag für vorläufig vollstreckbar zu erklären.14 Mag man zunächst noch ange­ nommen haben, dass vorläufig vollstreckbare Leistungsurteile nicht die Regel sein würden, so bestand spätestens ab 1924 mit der Streichung des Antragserfor­ dernisses in §  709 ZPO15 Gewissheit über eine gegenteilige Entwicklung.

4. Zum Ursprung der Norm All die aufgezeigten Widersprüche bei der Einordnung des §  864 II BGB in das Gefüge der §§  858 ff. BGB sowie das des Zivilprozessrechts erfordern eine ge­ nauere Analyse der gesetzgeberischen Motive zur Aufnahme der Norm in das BGB. a) Die Gesetzesmaterialien In der Denkschrift des Reichsjustizamtes findet sich folgende Rechtfertigung für §  864 II BGB: „Wird nach Verübung der verbotenen Eigenmacht durch rechtskräftiges Urtheil festgestellt, daß dem Thäter ein Recht an der Sache zusteht, vermöge dessen er die Herstellung eines seiner Handlungsweise entsprechenden Besitzstandes verlangen kann, so wäre es eine zwecklose Weiterung, dem anderen Theile die Verfolgung seines Besitzanspruchs noch ferner zu ermögli­ chen; denn der Thäter würde auf Grund seines rechtskräftig festgestellten Rechtes in der Lage sein, das Ergebnis jener Verfolgung sofort wieder rückgängig zu machen.“16 In den Motiven heißt es, dass „eine possessorische Restitution mit einer ihr folgenden dem materiellen Rechte entsprechenden Restitution ein unnöthiger Umweg sein würde“.17

Es spricht mithin viel dafür, dass es sich nach der gesetzgeberischen Konzeption um eine prozessökonomische Regel handelt.18 In der Tat werden staatliche Res­ sourcen geschont, wenn nicht hin und her vollstreckt wird. Dagegen ist es aus 14 

Bis 1900 §  650 CPO, dann §  710 CPO. Die Norm war nach vielen Bedenken eingeführt worden, da man insbesondere amtsgerichtliche Urteile für wenig verlässlich hielt und bei die­ sen die Rechtskraft als Voraussetzung für die Zwangsvollstreckung beibehalten wollte. Da man aber den Gläubiger vor wirtschaftlichen Nachteilen schützen sowie die Einlegung aussichts­ loser und nur zum Zwecke der Verzögerung eingelegter Rechtsmittel verhindern wollte, ließ man die vorläufige Vollstreckbarkeit auf Antrag zu, siehe die Protokolle der Kommission, ab­ gedr. bei Hahn/Mugdan, Band  2, Abteilung 2, S.  1125 ff. 15  RGBl. 1924 I 135 (146). 16  Denkschrift des Reichsjustizamtes, S.  113 = Mugdan, Band  III, S.  964. 17  Motive, Band  III, S.  131 = Mugdan, Band  III, S.  73. Fritzsche, in: BRHP-BGB, §  864 Rn.  12, sieht unterschiedliche Aussagen in der Denkschrift des Reichsjustizamtes und in den Motiven. Leider lässt er den Leser darüber im Unklaren, worin genau der Unterschied bestehen soll. 18  So auch Sosnitza, Besitz und Besitzschutz, S.  163.

I. Die Bedeutung des §  864 II BGB

109

prozessökonomischer Sicht unerheblich, ob der Besitzer sich privat darum be­ müht, die verbotene Eigenmacht abzuwehren, weswegen das Notwehrrecht gem. §  859 BGB keinen zusätzlichen Schranken unterliegt. So soll zum Beispiel der Rechtsgedanke der §§  861 II, 862 II BGB auf §  859 BGB nicht anwendbar sein.19 b) Johows Entwurf unter Bezugnahme auf das gemeine Recht aa) Der Entwurf Johows §  864 II BGB geht auf §  80 Abs.  2 von Johows Teilentwurf zurück, welcher lau­ tete: „Ergeht in dem Prozesse über das Rechte eine Entscheidung, bevor über den Besitzanspruch entschieden ist, so ist der Besitzanspruch für erledigt zu erklären, wenn und soweit die als Be­ sitzverletzung gerügte Handlung dem festgestellten Rechte entspricht.“20

Die Vorschrift überzeugte die Erste Kommission, die sich ausnahmslos Johows Normbegründung anschloss.21 In dieser rekurriert Johow auf die gemeinrecht­ liche Regel petitorium absorbet possessorium: Wenn die Entscheidung im peti­ torischen Prozess über das Recht eher ergehe als die Entscheidung im Besitz­ schutzprozess, so ergebe sich, dass die als Besitzverletzung gerügten Handlun­ gen zwar formell rechtswidrig, aber materiell gerechtfertigt seien: „Die materielle Rechtfertigung der formellen Verstöße läßt nicht zu, daß noch vom formellen Standpunkte aus richterliche Anordnungen erlassen werden, welche mit den vom rechtlichen Standpunkte aus bereits erlassenen Anordnungen im Widerspruche stehen. Wenn nach Feststel­ lung der Dienstbarkeit dem einen Theile geboten ist, den Weg zu gestatten, kann nicht nach­ träglich dem Gegner der Weg verboten werden.“22

Johows Entwurf setzte also die gleichzeitige Anhängigkeit von petitorium und possessorium voraus. Um dem petitorischen Anspruch den Vorrang einzuräu­ men, wurde die rechtskräftige Feststellung des Rechts allerdings nicht verlangt. bb) Der Stellenwert des petitorischen Rechts im gemeinen Recht Bemerkenswert ist, dass die Regel petitorium absorbet possessorium im gemei­ nen Recht vor allem für den Fall der gleichgerichteten Parteirollen diskutiert wurde, das heißt für den Fall, dass der Kläger sowohl possessorisch als auch aus 19 

Herrler, in: Palandt, BGB, §  859 Rn.  1. bei Jakobs/Schubert, Beratung des BGB, Sachenrecht I, S.  187. 21  Protokolle der Ersten Kommission, S.  3528, abgedr. bei Jakobs/Schubert, Beratung des BGB, Sachenrecht I, S.  187, unter Verweis auf S.  462–464 von Johows Begründung zum Teil­ entwurf, abgedr. bei Schubert, Vorlagen der Redaktoren, Sachenrecht I, S.  586 ff. 22  Johows Begründung zum Teilentwurf, S.  462–464, abgedr. bei Schubert, Vorlagen der Redaktoren, Sachenrecht I, S.  586 ff. 20  Abgedr.

110

§  5 Das Verhältnis des possessorischen Anspruchs zum petitorischen Anspruch

einem vermeintlichen Recht zum Besitz klagte. Es war umstritten, ob der Grund­ satz nur dann zur Anwendung kam, wenn das petitorium zugunsten des petitori­ schen Klägers oder auch dann, wenn es zu dessen Nachteil entschieden worden war. Die wohl herrschende Meinung befürwortete eine extensive Anwendung – mit der Folge, dass gegen die verbotene Eigenmacht mit possessorischen An­ sprüchen nicht mehr vorgegangen werden konnte, wenn das Opfer der verbote­ nen Eigenmacht im petitorischen Prozess verloren hatte.23 Der Rechtsstand sei dann außer Zweifel gesetzt und die Gestaltung des Besitzstands dadurch gleich­ gültig. Andere wandten sich gegen diese Ansicht, da die Möglichkeit bestünde, dass die petitorische Klage abgewiesen werde, weil keiner Partei der Nachweis des Rechts zum Besitz gelänge; die possessorische Streitfrage sei aber gesonder­ ter Natur.24 Im französischen Recht bestand damals für den Kläger sogar ein re­ gelrechter Zwang, den Besitzschutzprozess zuerst durchzuführen, da der posses­ sorische Streit unzulässig wurde, sobald der Besitzer mit einem petitorischen Recht argumentierte: „Le demandeur au pétitoire ne sera plus recevable à agir au possessoire.“25 So weit wollte Johow in seinem Entwurf allerdings nicht gehen, da er grundsätzlich die Unabhängigkeit der petitorischen Klage von der Besitz­ schutzklage unterstreichen wollte.26 cc) Folgerungen für die Parteirollen und den Streitgegenstand Dies lenkt den Blick darauf, dass §  80 II des Johowschen Entwurfs ebenso für den Fall der gleichgerichteten Parteirollen gedacht war. Auch die Motive zum BGB verweisen auf zwei Entscheidungen des OAG zu Jena, in denen der posses­ sorische Anspruch des Klägers verworfen wurde, sobald der petitorische An­ spruch – im Übrigen ohne Erwähnung der Rechtskraft als Voraussetzung – ge­ klärt war:27 „Die Rechtsregel petitorium absorbet possessorium findet Anwendung, sowohl wenn im peti­ torium zu Gunsten, als wenn zum Nachtheil des Klägers entschieden wird. […] Nur dann, 23  Förster, Theorie und Praxis des preussischen Privatrechts I, §  50 Fn.  19; siehe auch J­ ohow, Begründung zum Teilentwurf, S.  462 f., abgedr. bei Schubert, Vorlagen der Redaktoren, Sachenrecht I, S.  586 f. 24  V. Bayer, Theorie der summarischen Processe, S.  204, und Schmid, Handbuch des gemei­ nen deutschen Civilprocesses III, S.  110. Heute entspricht es der allgemeinen Auffassung, dass für den Eintritt der Wirkung des §  864 II BGB die Abweisung einer petitorischen Klage des (bisherigen) Besitzers nicht genügt, siehe nur Fritzsche, in: BRHP-BGB, §  864 Rn.  8. 25  Code de proc. Art.  26. 26  Johow, Begründung zum Teilentwurf, S.  463, abgedr. bei Schubert, Vorlagen der Redak­ toren, Sachenrecht I, S.  587. 27  Motive, Band  III, S.  131 = Mugdan, Band  III, S.  73, mit Verweis auf Seufferts Archiv Band  5 (1852), Nr.  66, und Band  6 (1853), Nr.  90.

I. Die Bedeutung des §  864 II BGB

111

wenn das Recht des Klägers nicht definitiv zur Entscheidung gelangt, sondern zweifelhaft ge­ blieben [ist], kommt das possessorium noch in Betracht und wird das petitorium zur besonde­ ren Ausführung verwiesen.“28

Da sich der Gesetzgeber aber schließlich für die Rechtskraft als Erfordernis im §  864 II BGB entschieden hat, erscheint es fraglich, ob die Norm für gleichge­ richtete Parteirollen überhaupt gelten kann und ob der Verweis auf die Entschei­ dungen des OAG zu Jena in den Motiven aus heutiger Sicht nicht verfehlt ist. Nach dem heute nahezu einhellig befürworteten Streitgegenstandsbegriff29 könn­ te zum Beispiel der Kläger, zu dessen Gunsten über ein petitorisches Heraus­ gabeverlangen rechtskräftig entschieden wurde, aufgrund der Regeln über die materielle Rechtskraft30 – ne bis in idem – keinen possessorischen Herausgabe­ anspruch mehr geltend machen, da es sich lediglich um einen auf mehrere Rechtsgründe gestützten Anspruch handeln, das klägerische Begehren also einen einheitlichen Streitgegenstand darstellen würde.31 Die wohl überwiegende Mei­ nung geht demgegenüber von mehreren Streitgegenständen aus, begründet diese Annahme jedoch mit Blick auf die entgegengesetzten Parteirollen vor allem vom gewünschten Ergebnis her:32 Insbesondere für den Fall der petitorischen Wider­ klage sei ansonsten die Rechtsprechung des BGH zur Verfahrenstrennung und zum Teilurteil dogmatisch schwer zu begründen.33 Könne der Richter aufgrund der Annahme eines einheitlichen Streitgegenstands kein Teilurteil über den Be­ sitzschutzanspruch erlassen, so unterläge die Durchsetzung der Besitzschutz­ ansprüche – aufgrund der Beweisaufnahme zum in der Regel schwieriger fest­ zustellenden petitorischen Anspruch – einer zeitlichen Verzögerung. Schließlich setzten die petitorischen Ansprüche auch einen anderen Lebenssachverhalt als der Besitzschutzanspruch voraus, erforderten einen anderen Sachvortrag und be­ 28 

Seufferts Archiv Band  6 (1853), Nr.  90. Der sog. prozessuale Streitgegenstand wird bestimmt durch den Klageantrag und den zugrundeliegenden Lebenssachverhalt, aus dem die mit dem Klageantrag geltend gemachte Rechtsfolge hergeleitet wird. Darstellung bei Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, §  93, Rn.  10 ff. = S.  552 ff. 30  Dazu Musielak/Voit, Zivilprozessrecht, Rn.  1043 ff. = S.  375 ff.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, §  152, Rn.  1 ff. = S.  933 f. 31  So vertreten von Berger, in: Jauernig, BGB, §§  861–864 Rn.  4; Herrler, in: Palandt, BGB, §  861 Rn.  2, 11; Joost, in: MüKo-BGB, §  861 Rn.  13; Lorenz, in: Erman, BGB, §  861 Rn.  6; Schilken, Zivilprozessrecht, Rn.  231 = S.  114; wohl auch Schneider, JR 1961, 367 (368). Auf dieser Grundlage wäre auch im Prozess eine Verfahrenstrennung gem. §  145 ZPO nicht denkbar, siehe Fritsche, in: MüKo-ZPO, §  145 Rn.  4; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, §  145 Rn.  2. 32  Brehm/Berger, Sachenrecht, §  4, Rn.  19 = S.  64; Fritzsche, in: BRHP-BGB, §  861 Rn.  13; Kregel, in: RGRK-BGB, §  861 Rn.  12; Stadler, in: Soergel, BGB, §  861 Rn.  2; Wieling, Sachen­ recht I, §  5 IV 1 b = S.  201. 33  Der BGH stützt die Zulässigkeit einer petitorischen Widerklage im Besitzschutzprozess maßgeblich auf die Möglichkeit des Teilurteilerlasses, dazu ausführlich unter §  6 I.3. 29 

112

§  5 Das Verhältnis des possessorischen Anspruchs zum petitorischen Anspruch

träfen somit einen anderen Streitgegenstand.34 Letzteres vermag kaum zu über­ zeugen; ansonsten könnte nämlich auch für den klassischen Lehrfall des einheit­ lichen Streitgegenstands, den sog. Fahrgastfall,35 in dem bei einem Straßenbahn­ unfall ein Fahrgast verletzt wird, behauptet werden, dass die Anspruchsgrundlagen aus Vertragsverletzung, aus unerlaubter Handlung und aus dem Haftpflichtgesetz ebenfalls leicht variierende Voraussetzungen implizieren und damit unterschied­ liche Sachvorträge erfordern würden, mithin drei Streitgegenstände vorlägen. Dass aber jedenfalls der historische Gesetzgeber den possessorischen und pe­ titorischen Prozess als zwei Streitgegenstände behandelt wissen wollte,36 regt zu einer genaueren Betrachtung der heutigen Streitgegenstandslehre an. Soweit Einzelheiten höchst umstritten sind,37 sollte jedenfalls Einigkeit darüber herr­ schen, dass der Streitgegenstand kein begriffsjuristischer Selbstzweck bleiben darf, sondern sich an seinen prozessualen Funktionen zu orientieren hat. Unter anderem dient er etwa dazu, den Umfang der (entgegenstehenden) Rechtskraft und der Rechtshängigkeitssperre zu bestimmen. Diese prozessualen Institute be­ zwecken wiederum die Vermeidung unerwünschter Parallelprozesse, die Er­ leichterung der Verteidigungslast des Beklagten sowie die Verhütung wider­ sprüchlicher Urteile.38 Mit Blick auf den materiellrechtlichen Besitzschutz ver­ lieren diese grundsätzlich zu befürwortenden Ziele allerdings an Relevanz. Widersprüchliche Entscheidungen sind im Bereich des Besitzschutzes vom Ge­ setzgeber bewusst angelegt: Auf den possessorischen Anspruch kann sich auch derjenige berufen, der kein Recht zum Besitz hat. Die possessorische Anspruchs­ grundlage erfordert lediglich Vortrag zum Besitz und zur verbotenen Eigen­ macht; die das Recht zum Besitz begründenden Umstände bleiben ausgeklam­ mert. Letztere spielen dagegen bei den petitorischen Ansprüchen die entschei­ dende Rolle. Der jeweilige Vortrag im Prozess wird also tatsächlich höchst unterschiedlich sein. Wie bereits aufgezeigt wurde, divergieren auch die den verschiedenen Ansprüchen zugrunde liegenden Schutzgüter: Während der peti­ torische Anspruch „klassisch“ dem privatrechtlichen Individualinteresse zur 34 

Fritzsche, in: BRHP-BGB, §  861 Rn.  13. Reischl, Grenzen der Rechtskraft, S.  235; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, Einleitung Rn.  69. 36  Es war bis 1898 sogar durch 232 II CPO ausdrücklich verboten, possessorische und peti­ torische Klage in einem Prozess zu erheben. Das Klageverbindungsverbot wurde dann zwar abgeschafft, die Vorstellung von zwei Streitgegenständen muss damit aber nicht zwangsläufig fallen gelassen worden sein. Ausführlich zu §  232 II CPO unter §  6 III.3.b)aa). 37  Soweit auf den ersten Blick von einer herrschenden Lehre gesprochen werden kann, die den Streitgegenstand aus Antrag und Lebenssachverhalt bestimmt, sind auf den zweiten Blick die Details so umstritten, dass man wohl behaupten kann, die Zahl der Theorien zum Streitge­ genstand entspreche derjenigen der Prozessrechtslehrer, so polemisch Rüßmann, ZZP 1998, 399 (400). 38  Gaul, in: FS Flume, S.  443 (513); Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, §  261 Rn.  20. 35 

I. Die Bedeutung des §  864 II BGB

113

Geltung verhilft, kommt im possessorischen Anspruch das Allgemeininteresse am Rechtsfrieden zum Ausdruck. Hierin liegt also ein Unterschied zum Straßen­ bahnfall, bei dem das über die verschiedenen Anspruchsgrundlagen geltend ge­ machte Interesse, nämlich ein Schaden aufgrund Körperverletzung, stets das gleiche ist. Eine nach Schutzrichtungen differenzierende Streitgegenstandslehre vertritt mittlerweile auch der BGH im Wettbewerbsrecht.39 Ob die damit immer kleinteiliger werdenden Streitgegenstände generell begrüßenswert sind, muss hier nicht entschieden werden. Festzuhalten bleibt, dass der Streitgegenstand normzweckbasiert unter Berücksichtigung der Zielsetzungen der ZPO, aber vor allem auch des materiellen Rechts ausgelegt werden sollte.40 Dies zwingt sodann zu einer Betrachtung der Fälle der gegenläufigen Par­ teirollen im possessorium und petitorium. Läge nur ein Streitgegenstand vor, dann würde jedenfalls im Fall einer Besitzstörung ein prozessrechtlicher „Wett­ lauf“ der Parteien beginnen. Macht das Opfer der verbotenen Eigenmacht eine Klage auf Beseitigung und Unterlassung der Störung rechtshängig und möchte sodann der Täter der verbotenen Eigenmacht auf Duldung der Störung klagen, so begehrt der Täter das kontradiktorische Gegenteil der ersten Klage.41 Die petito­ rische Klage wäre wegen §  261 III Nr.  1 ZPO unzulässig. Umgekehrt wäre auch denkbar, dass der Täter die petitorische Klage schneller rechtshängig macht und damit die possessorische Klage sperrt. Letztere wäre wegen §  864 II BGB dann sogar dauerhaft ausgeschlossen. Mit §  863 BGB lässt sich dieses Ergebnis nicht vereinbaren. Das Zusammenspiel aus §§  863, 864 II BGB belegt vielmehr, dass das widerspruchsvolle Gegeneinander von possessorium und petitorium möglich sein muss. Diese Wertung des materiellen Rechts muss sich auch in der Ausle­ gung des Streitgegenstands niederschlagen.42 39 

Siehe z. B. BGH GRUR 2001, 755 (756 f.). Ausführlich zum sog. „gespaltenen“ Streit­ gegenstandsbegriff: Althammer, Streitgegenstand, S.  607 ff., und Thole, ZZP 124 (2011), 443 (418 ff.). 40  So im Grunde auch Althammer, Streitgegenstand, S.  75, 510 ff.; Georgiades, Anspruchs­ konkurrenz, S.  239 ff.; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, Einleitung Rn.  70. 41  Die petitorische Klage von vornherein nur auf eine Feststellungsklage zu beschränken, kann vom Besitzstörer nicht verlangt werden, da sich die begehrte Duldung durch das Opfer der verbotenen Eigenmacht durch den eigenmächtig hergestellten Zustand nicht automatisch einstellt, siehe dazu auch unter §  5 II.1.b). Der Wortlaut „festgestellt“ in §  864 II BGB ist nicht dahingehend zu deuten, dass der petitorische Kläger stets auf eine Feststellung seiner Rechte beschränkt bleiben soll. Die Vorgängernorm im Gesetzgebungsverfahren lautete noch: „Wird in dem über das Recht anhängig gewordenen Prozesse früher rechtskräftig entschieden, als im Besitzprozesse, so ist, wenn und soweit die im Besitzprozesse als verbotene Eigenmacht gerüg­ te Handlung dem durch die Entscheidung in dem ersteren Prozesse festgestellten Rechte ent­ spricht, die Besitzklage […] als erledigt anzusehen.“ Mit der redaktionellen Änderung war keine Änderung der Tragweite der Norm vorgesehen, siehe auch unter §  5 II.3.b)aa). 42  So auch Rimmelspacher, Materiellrechtlicher Anspruch, S.  319. Im Ergebnis auch Geor-

114

§  5 Das Verhältnis des possessorischen Anspruchs zum petitorischen Anspruch

Ob sich der Gesetzgeber über alle praktischen Auswirkungen des §  864 II BGB gänzlich bewusst war, ist fraglich. Es scheint, als hätte er einen Spagat zwischen altbewährtem gemeinen Recht und der Schaffung eines neuen Kon­ zepts für das BGB unternommen. c) Begründung des Rechtskrafterfordernisses Auch die ausdrückliche Forderung nach der Rechtskraft des petitorischen Urteils als Voraussetzung für das Erlöschen des possessorischen Anspruchs lässt sich im gemeinen Recht, an das der Gesetzgeber anknüpfen wollte, schwerlich finden.43 Als Vorbild dafür, dass ein rechtskräftiges petitorisches Urteil zum Entfallen des gegnerischen possessorischen Anspruchs führt, kann lediglich eine in den Moti­ ven erwähnte Entscheidung vom Preußischen Ober-Tribunal dienen, die zum alten preußischen Recht erging.44 Ein auf Unterlassung von Besitzstörungen am Grundstück klagender Besitzer war in einem vorangegangen Rechtsstreit rechts­ kräftig zur Herausgabe des Grundstücks an den nunmehrigen Störer verurteilt worden. Die possessorische Unterlassungsklage wurde abgewiesen. Das Ober-Tribunal verwies auf §  14 AGO (I, 31), wonach eine Fehlerhaftigkeit des Besitzes auch dann zu bejahen sei, wenn der Besitzer offenbar unredlich sei.45 Die Unredlichkeit lag im konkreten Fall darin, vom Beklagten die Unterlassung von Störungen zu verlangen, obgleich dessen Recht zur Vornahme dieser Störun­ gen implizit durch das Herausgabeurteil rechtskräftig festgestellt worden war. giades, Anspruchskonkurrenz, S.  235 f., mit der Begründung, dass die possessorischen Ansprü­ che den Charakter eines privatrechtlichen Polizeimittels hätten. Brehm/Berger, Sachenrecht, §  4, Rn.  19 = S.  64, sprechen von „besonderen Kognitionsschranken“. 43  Es herrschte grundsätzlich Einigkeit darüber, dass das Entgegenhalten der petitorischen Feststellung durch die sog. exceptio rei judicatae erfolgen konnte, siehe Schmid, Handbuch des gemeinen deutschen Civilprocesses III, S.  110, der die Rechtskraft als Erfordernis nicht er­ wähnt. Lediglich v. Bayer, Theorie der summarischen Processe, S.  204, fordert ausdrücklich eine rechtskräftige Entscheidung: „Von selbst versteht sich übrigens, daß nach rechtskräftig entschiedenem Petitorium die Anstellung der possessorischen Klage in dem Falle unstatthaft sein würde, wo etwa wegen der Identität der quaestio die exc. rei judic. wirklich begründet wäre.“ Endemann, Das deutsche Civilprozeßrecht II, S.  1088, hält die Regel petitorium absorbet possessorium für anwendbar, wenn eine „definitive“ Entscheidung über das Recht ergangen ist. Nach Prager, Allgemeine Lehren, S.  306, handelt es sich bei dem „Rechtssprichwort“ petitorium absorbet possessorium um einen sehr ungenauen Grundsatz. Eine frühere Beendigung des petitorischen Streits „schneide die noch schwebende Besitzklage ab.“ 44  Striethorst Arch., Band  29, S.  290. 45  AGO I, 31 §  14 lautete: „Wenn der von Klägern behauptete neuste Besitz zwar einge­ räumt, oder nachgewiesen wird, der Beklagte hingegen behauptet, daß derselbe dazu auf eine offenbar unredliche oder sonst fehlerhafte Weise gelangt sey; so muß mit Aufnehmung der In­ struktion des Beweises über diese Fehler des Besitzes ebenfalls, jedoch nur so weit, als es nach den Vorschriften §  12. u. 3. sofort, und ohne Aufenthalt geschehen kann, verfahren werden.“

I. Die Bedeutung des §  864 II BGB

115

Obwohl von Johows Seite nie von einem Rechtskrafterfordernis die Rede war, nahm die Erste Kommission an, dass in §  80 II seines Entwurfs nur eine rechts­ kräftige Entscheidung gemeint sein könne. Man beschloss: „Ob im zweiten Ab­ satz im Eingange vor ‚Entscheidung‘ zur Verdeutlichung ‚rechtskräftige‘ einzu­ schieben sei, blieb der Prüfung bei der Redaktion vorbehalten.“46 Dass die Er­ gänzung nur zur Verdeutlichung erfolgen sollte, zeigt, dass die Rechtskraft als Voraussetzung für selbstverständlich gehalten wurde. Von der bayerischen BGB-Kommission ist folgende Hypothese protokolliert: „Zu §  80 II wurde ange­ nommen, daß hier eine rechtskräftige Entscheidung über das Recht vorausge­ setzt werde, weil nur die endgültige Feststellung des Rechts es rechtfertigen kön­ ne, den Besitzanspruch für erledigt zu erklären.“47 Bei der Vorkommission des Reichsjustizamts wurde der Gedanke der Norm sachlich nicht angefochten und der Vorschrift lediglich ein materiellrechtliches Gewand verliehen.48 Der ver­ deutlichende Einschub „rechtskräftig“ wurde sodann in die Endfassung, nämlich §  864 II BGB, aufgenommen. Die Norm stieß in der Folge auch auf Zustimmung in der Rechtswissenschaft. Ein vorläufig vollstreckbares Urteil sei, solange es einem Rechtsmittel unterlie­ ge, noch nichts Endgültiges. Das Urteil könne aufgehoben und als Hindernis der Vollstreckung des possessorischen Urteils beseitigt werden. Darum verlange das Gesetz mit gutem Grund eine rechtskräftige, das heißt endgültige Zuerkennung des Rechts auf den Besitz.49 d) Fazit zur Gesetzgebungsgeschichte Mit der Etablierung der Besitzschutzansprüche zur Regelung des vorläufigen Be­ sitzstands als Reaktion auf die verbotene Eigenmacht nahm der besitzschutz­ freundlich gestimmte Gesetzgeber ein Hin und Her der Leistungen und Vollstre­ ckungen grundsätzlich in Kauf. Mit Blick auf die Prozessökonomie wurde aber eine Einschränkung in Form des §  864 II BGB für erforderlich gehalten. Wie die Norm mit dem präventiv wirkenden Mechanismus des Besitzschutzsystems zu vereinbaren sein soll, wurde dabei nicht erörtert. §  864 II BGB entstammt Johows Entwurf und damit einem Besitzschutzsystem, in dem possessorische Besitz­ schutzansprüche nur für Immobilien vorgesehen waren und im Ergebnis dem 46 

Protokolle der Ersten Kommission, S.  3528, abgedr. bei Jakobs/Schubert, Beratung des BGB, Sachenrecht I, S.  187. 47  Abgedr. bei Schubert, Bayern und das Bürgerliche Gesetzbuch, S.  108. 48  Protokolle der Vorkommission des Reichsjustizamtes, S.  618, abgedr. bei Jakobs/Schubert, Beratung des BGB, Sachenrecht I, S.  193 f. 49  Matthiessen, JW 1932, 1401 (1401); Strohal, JherJb 38 (1898), 1 (119 f.); zustimmend auch O. Wendt, AcP 74 (1889), 135 (148 f.), der sogar dem noch strengeren französischen Vor­ bild folgen wollte.

116

§  5 Das Verhältnis des possessorischen Anspruchs zum petitorischen Anspruch

petitorisch Berechtigten dienen sollten. Dieses System wurde in die Endfassung des BGB aber nicht übernommen: Als man festlegte, dass die Besitzschutz­ ansprüche die Fortführung der Notwehrrechte und eigenständig gegenüber dem Recht zum Besitz sind, löste man sich von Johows Idee sowie der gemeinrecht­ lichen Doktrin, sodass gerade der Verweis auf letztere als Rechtfertigung für die Beibehaltung der Regel petitorium absorbet possessorium als ungeeignet er­ scheinen muss.50 Eine kritische Auseinandersetzung mit der von Johow ausgear­ beiteten Vorschrift wäre von Seiten des Gesetzgebers notwendig gewesen. Ohne konkrete Fallgestaltungen vor Augen zu haben, wurde die Rechtskraft der petito­ rischen Entscheidung als scheinbar praktikables, weil endgültiges Kriterium ein­ geführt. Die damit verbundene vollstreckungsrechtliche Problematik wurde nicht gesehen. Ebenso wenig wurde erörtert, warum der prozessökonomische Ansatz nur greifen soll, wenn der Täter die verbotene Eigenmacht vor und nicht nach dem Urteil verübt hat.

5. §  864 II BGB als prozessökonomische Regel im materiellrechtlichen Gewand? Vor dem Hintergrund der genannten Ungereimtheiten um die Schaffung des §  864 II BGB ist noch einmal auf den Zweck zurückzukommen, der sich den Gesetzesmaterialien ausdrücklich entnehmen lässt, nämlich die Prozessökono­ mie. Während der dolo-agit-Einwand behelfsweise aus §  242 BGB abgeleitet und ihm als Ausdruck der Prozessökonomie nach Treu und Glauben ein mit der Zeit gewachsenes Maß an Verständnis und Wohlwollen entgegen gebracht wird, nimmt der Gesetzgeber mit §  864 II BGB sogar ausdrücklich Bezug auf das Pro­ zessrecht und dessen Ökonomiegebot.51 Auf den Stellenwert der Prozessökono­ mie ist im Folgenden daher noch näher einzugehen. a) Die Prozessökonomie im Verfahrensrecht Die Prozessökonomie wird in der herrschenden Prozessrechtswissenschaft bis­ lang noch nicht zu den anerkannten Prozesszwecken gezählt.52 Lüke spottet, sie 50  So aber Motive, Band  III, S.  131 = Mugdan, Band  III, S.  73: „[…] der gemeinrechtliche Satz [ist] in der Praxis insbesondere auch des preußischen Rechtes anerkannt.“ 51  Im Gesetzgebungsverfahren wurde sogar erwogen, §  864 II BGB als zivilprozessuale Erledigungsregel in die ZPO aufzunehmen, abgedr. bei Jakobs/Schubert, Beratung des BGB, Sachenrecht I, S.  194. 52  A. Bruns, ZZP 124 (2011), 29 (31); Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, Vor §  128 Rn.  8; Schilken, Zivilprozessrecht, Rn.  338 = S.  159; Stürner, in: FS Henckel zum 90. Geburtstag, S.  360 (372); a. A.: Hofmann, ZZP 126 (2013), 83 (109); Hütten, Prozeßökonomie, S.  141; Schöpflin, JR 2003, 485 (490).

I. Die Bedeutung des §  864 II BGB

117

bilde ein „effizientes“, weil vielseitig verwendbares Argument, dessen Gebrauch durch eine gewisse Beliebigkeit gekennzeichnet sei.53 V. Mettenheim hingegen erscheint der Begriff „treffend und klar“.54 Adjektive wie zweckmäßig, sachdien­ lich, praktikabel, wirtschaftlich und effektiv charakterisieren die Gesichtspunkte der angestrebten Verfahrensausgestaltung.55 Von im Detail abweichenden Be­ schreibungen lässt sich der Grundgedanke der Prozessökonomie heute wie folgt konkretisieren: Wenn sich der Zweck einzelner Regelungen durch eine weniger aufwendige Verfahrensgestaltung gleichermaßen erreichen lässt, so ist ihr von anderen Gestaltungsmöglichkeiten der Vorzug zu geben56 – „der einfachere [ist] dem umständlichen Weg prozessual stets vorzuziehen“57. Als prozessökono­ misch gilt ein Verfahren, das die Zielrichtungen des Prozesses mit einem Mini­ mum an Aufwand maximal verwirklicht. In neuerer Zeit mehren sich die Stimmen, die den Grundsatz der Prozessöko­ nomie mit größerem Eigengewicht als selbständiges Verfahrensprinzip neben den anderen Verfahrensprinzipien einordnen.58 Nach einer rein ökonomischen Analyse ist der Zivilprozess ein Steuerungselement des Wirtschaftslebens: Mit der Ausgestaltung der Rechtsdurchsetzung korrespondiere der Wert des Rechts als Wirtschaftsgut. Hiernach ist das Prozessrecht auf eine angemessene Propor­ tionalität zwischen dem Verfahrensaufwand und der wirtschaftlichen Bedeutung des Verfahrens, wie er zum Beispiel im Streitwert zum Ausdruck kommt, auszu­ richten.59 Die Ökonomie des Zivilprozesses im Sinne einer Analyse seiner öko­ nomischen Funktionen als Institution im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Gesamtgefüge ist von der Prozessökonomie als Verfahrensprinzip aber prinzipi­ ell zu unterscheiden;60 denn die bereits bestehende rechtliche Relevanz der öko­ 53 

Lüke, Beteiligung Dritter, S.  236. V. Mettenheim, Der Grundsatz der Prozeßökonomie, S.  13. 55  Vollkommer, in: Zöller, ZPO, Einleitung Rn.  95. 56  Hütten, Prozeßökonomie, S.  7; Schumann, in: FS Larenz, S.  271 (278 f.); Schöpflin, JR 2003, 485 (485). 57  BGH JZ 1963, 450 (450). 58  Hütten, Prozeßökonomie, S.  141 ff.; Schöpflin, JR 2003, 485 (487, 490). Für eine maßvolle Neugewichtung Hofmann, ZZP 126 (2013), 83 (107 ff.), und Pflughaupt, Prozessökonomie, S.  350 ff. Ausführliche Darstellung des Meinungsstands bei A. Bruns, ZZP 124 (2011), 29 (31 ff.). 59  Befürwortend Ackermann, Drittwiderklage, S.  154 ff. Vgl. auch die Verordnung (EG) Nr.  861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.07.2007 zur Einführung ei­ nes europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen, welches einen klaren Fokus auf Kosten- und Zeitersparnis legt; dazu Kern, JZ 2012, 389 ff. Die Diskussion scheint sich selbst in den Bereich menschen- und grundrechtlicher Gewährleistungen zu erstrecken, dazu sehr kritisch Stürner, in: FS Henckel zum 90. Geburtstag, S.  360 (372 ff.), und ders., ZZP 127 (2014), 271 (311 ff.). 60  A. Bruns, ZZP 124 (2011), 29 (32); Hofmann, ZZP 126 (2013), 83 (86); Pflughaupt, Pro­ zessökonomie, S.  6, 24. 54 

118

§  5 Das Verhältnis des possessorischen Anspruchs zum petitorischen Anspruch

nomischen Verfahrensgestaltung im Sinne eines Verfahrensprinzips mit verbind­ lichem Geltungsanspruch lässt sich nur aus den feststehenden Regelungen der ZPO herauslesen. Ein Zusammenhang besteht jedoch insofern, als das Desiderat der institutionenökonomischen Betrachtung der Prozesszwecke und aller den Prozess konstituierenden Prinzipien dazu verleiten kann, die Bedeutung der Pro­ zessökonomie überzubewerten. Dass die Prozessökonomie jedenfalls dann Teil des Verfahrensrechts ist, wenn ihre Geltung als konkretisierter Inhalt einzelner Normen nachgewiesen ist,61 dürfte einleuchten. b) Rechtsgedanke der Prozessökonomie im materiellen Recht? Insofern erscheint es möglich, dass §  864 II BGB das Anliegen der Prozessöko­ nomie sogar in das materielle Recht verlagert und diesem dadurch einen noch höheren Stellenwert einräumt, insbesondere in solchen Fällen, in denen zu klären ist, ob sich auch ein vorläufig vollstreckbares petitorisches Urteil oder eine peti­ torische einstweilige Verfügung gegen den possessorischen Anspruch durch­ setzen.62 Zu beachten ist allerdings, dass die Prozessökonomie nie absolut gesehen wer­ den darf, denn das Recht kann sich dezidiert gegen einen ökonomischen Verfah­ rensablauf stellen oder sich ihm zumindest mittelbar versperren.63 Insofern tritt auf materiellrechtlicher Ebene das in §  863 BGB verkörperte Sanktionsprinzip als „Gegenspieler“ zu §  864 II BGB auf. Letztlich bedarf es einer grundsätz­ lichen Klärung des Verhältnisses des Sanktionsgedankens in §  863 BGB zum Prozessökonomiegedanken in §  864 II BGB. Bewertet man den Sanktionsbedarf höher, so muss die Prozessökonomie zurücktreten. Demgegenüber wenden Rechtsprechung und herrschende Lehre §  864 II BGB inzwischen ausufernd an und scheinen davon auszugehen, dass die Norm verallgemeinerungsfähig sei und nicht nur einen Ausnahmefall regelt.

61 

Schöpflin, JR 2003, 485 (486 f.). Dazu unter §  5 II.4. und 5. 63  Der BGH nahm in BGHZ 161, 145 (150) einen solchen Fall z. B. für gegeben an, als er eine Klage als unzulässig abwies, weil die Parteien keinen nach §  15a EGZPO vorgeschriebe­ nen Schlichtungsversuch unternommen hatten. Dabei wurde erkannt, dass die Klageabweisung durchaus nicht prozessökonomisch war, da nach Durchführung der Streitschlichtung mit einer neuen Klage gerechnet werden musste. Der Zweck des §  15a EGZPO, ernstliche Versuche außer­ gerichtlicher Streitbelegung vor der Beschreitung des Rechtswegs zu verlangen, konnte aber nur durch ein klageabweisendes Prozessurteil erreicht werden. Die Einhaltung des hinter §  15a EGZPO stehenden Prinzips ging also der Prozessökonomie vor. Siehe hierzu auch Hofmann, ZZP 126 (2013), 83 (98 f.). 62 

II. §  864 II BGB in der konkreten Rechtsanwendung

119

II. §  864 II BGB in der konkreten Rechtsanwendung Im Folgenden sollen die bereits angerissenen Probleme des §  864 II BGB bei der Rechtsanwendung und die Friktionen mit dem Grundsatz des §  863 BGB kon­ kret analysiert werden. Zum besseren Verständnis der prozessualen Ausgangs­ lage ist zunächst darzustellen, in welchen Formen possessorische und petitori­ sche Klagen auftreten können (1.). Sodann soll aufgezeigt werden, in welchen Fällen §  864 II BGB das geltende Vollstreckungsrecht in problematischer Weise unterlaufen kann (2.). Schließlich wird §  864 II BGB von der herrschenden Mei­ nung – angelehnt an seinen prozessökonomischen Rechtsgedanken – über den Wortlaut hinaus für diverse Fälle analog angewendet. Diese Rechtsanwendung gilt es kritisch zu analysieren (4.–6.).

1. Vorbemerkung: Prozessuale Ausgangslage Bevor die Problemfelder der Anwendung des §  864 II BGB dargestellt werden, soll zunächst erörtert werden, in welcher prozessualen Gestaltung eine petitori­ sche Klage des Täters der verbotenen Eigenmacht möglich ist. a) Klage aus dem Besitzrecht bei vorausgegangenem Entzug des Besitzes aa) Feststellungsklage Entzieht der eigenmächtig Handelnde die Sache, so wird er dies aufgrund eines (vermeintlichen) Herausgabeanspruchs aus Eigentum und beziehungsweise oder aus obligatorischem Recht tun. Grundsätzlich wird angenommen, dass derjenige, der sich selbst im Wege verbotener Eigenmacht in den Besitz der Sache gebracht hat, nicht mehr auf Herausgabe gegen das Opfer der verbotenen Eigenmacht klagen könne, da die Herausgabe rein tatsächlich nicht mehr möglich sei; §  864 II BGB begründe aber ein Feststellungsinteresse für eine auf die Feststellung gerichtete Klage, dass der jetzige Besitzer gegenüber dem ehemaligen Besitzer ein Recht zum Besitz habe.64 bb) Leistungsklage Dagegen hat das OLG Düsseldorf das Rechtsschutzbedürfnis für eine Räu­ mungs- und Herausgabeklage trotz der eigenmächtigen Besitzverschaffung 64  Brandenburgisches OLG v. 23.11.2011 – 7 U 195/10 –, juris Rn.  74; Götz, in: BeckOGK-­ BGB, §  864 Rn.  27.3; Hagen, JuS 1972, 124 (126); Hager, KTS 1989, 515 (518, 522); Kaiser, NJW 2017, 1223 (1225); Lopau, JuS 1980, 501 (504); Sosnitza, Besitz und Besitzschutz, S.  164; Stadler, in: Soergel, BGB, §  864 Rn.  7; Westermann/Gursky/Eickmann, Sachenrecht, §  23, Rn.  9 = S.  167.

120

§  5 Das Verhältnis des possessorischen Anspruchs zum petitorischen Anspruch

durch den Kläger bejaht.65 Im konkreten Fall hatte die Klägerin ein wegen Miet­ zahlungsverzugs gekündigtes Ladenlokal gegen den Willen der Beklagten in Be­ sitz genommen, nachdem sie kurz zuvor Räumungsklage erhoben hatte. Die Par­ teien erklärten in der mündlichen Verhandlung den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt und stellten einander widerstreitende Kostenanträge. Das LG Düssel­ dorf hatte als Vorinstanz geurteilt, dass sich die Räumungsklage bereits vor deren Zustellung durch die verbotene Eigenmacht der Klägerin erledigt hätte, so dass die Klägerin die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hätte.66 Das OLG hob das Urteil auf: Weder läge in der Besitzentziehung durch verbotene Eigenmacht eine Erfüllung des Räumungsanspruchs noch hätte die Beklagte vor Eintritt der Rechtshängigkeit auf ihren possessorischen Anspruch auf Wiedereinräumung des Besitzes verzichtet. Das Herausgabebegehren hätte sich durch die verbotene Eigenmacht also nicht erledigt.67 In der Mietrechtsliteratur wird unter Anführung dieses Urteils nun gefolgert, dass ein Rechtsschutzbedürfnis für die Klage aus §  546 BGB auch gegeben sei, wenn der Vermieter sich die Mietsache im Wege der verbotenen Eigenmacht verschafft habe, solange nicht endgültig klar sei, ob der Mieter Besitzschutzan­ sprüche geltend mache.68 Erstaunlicherweise wurde dieses Urteil in der Litera­ tur zum Besitzschutz bisher noch nicht kritisch erörtert. Die Auffassung des OLG erinnert an die gängige Rechtsprechung des BGH, wonach durch die Zwangsvollstreckung aus einem vorläufig vollstreckbaren He­ rausgabeurteil oder bei freiwilliger Rückgabe nach Erlass eines solchen Urteils zwar eine Besitzveränderung bewirkt werde, eine Erfüllung des Herausgabean­ spruchs aber nicht sofort, sondern erst mit Rechtskraft des Urteils eintrete.69 65 

OLG Düsseldorf ZMR 2007, 193 (194). LG Düsseldorf v. 26.07.2006 – 1 O 72/06 –, juris Rn.  3. 67  Das Gericht unterschied hierbei nicht zwischen der Herausgabe im Sinne einer Besitz­ übertragung an der Wohnung und der Räumung im Sinne einer Entfernung der eingebrachten Sachen, welche gegebenenfalls trotz der verbotenen Eigenmacht noch ausgestanden hätte. 68  Klotz-Hörlin, in: BeckOK-Mietrecht, §  546 BGB Rn.  112; Streyl, in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, §  546 BGB Rn.  29, 128; wohl auch Zeising, Jura 2010, 248 (250), der in seinem Beispielsfall davon auszugehen scheint, dass der Vermieter nach Begehung der verbotenen Eigenmacht noch einen Räumungstitel erwirken könne. 69  Siehe zuletzt zur Räumung und Herausgabe einer Wohnung BGH NJW 2014, 2199 (2200); ablehnend Gursky, in: Staudinger, BGB, §  985 Rn.  48. Während der BGH früher noch zwischen dem dinglichen Anspruch auf „Herausgabe“ und dem obligatorischen Anspruch auf „Rück­ gabe“ differenziert hat, BGH NJW 1996, 515 (516), soll die geschilderte Dogmatik heute für sämtliche Ansprüche gelten. Zur Zahlung von Geld siehe BGH NJW 1981, 2244 (2244). Zustim­ mend Baldus, in: MüKo-BGB, §  985 Rn.  53; Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvoll­ streckungsrecht, §  14, Rn.  69 f. = S.  285 ff.; Herrler, in: Palandt, BGB, §  985 Rn.  5; K. Schmidt, JuS 2014, 942 (943 f.). 66 

II. §  864 II BGB in der konkreten Rechtsanwendung

121

Das OLG Düsseldorf hat augenscheinlich eine Vergleichbarkeit zwischen der staatlichen Zwangsvollstreckung aufgrund vorläufig vollstreckbaren Urteils und der eigenmächtigen Vollstreckung durch verbotene Eigenmacht bejaht. Eine Leistungsklage soll im ersteren Fall erst dann als unbegründet gelten, wenn der Kläger das erhalten hat, worauf seine Klage zielt und wenn sein Behaltendürfen feststeht.70 Analog dazu soll im Fall der verbotenen Eigenmacht eine Leistungs­ klage des Täters so lange zulässig sein, wie der ehemalige Besitzer noch einen Anspruch auf Wiedereinräumung aus §  861 I BGB geltend machen kann. cc) Bewertung Der Rechtsgedanke des OLG Düsseldorf könnte verallgemeinerungsfähig auf alle Fälle von Besitzentziehungen sein. Die Zulässigkeit der Herausgabeklage er­ scheint vor allem aus prozessökonomischer Sicht reizvoll. Der Täter der verbote­ nen Eigenmacht könnte stets auf Herausgabe klagen, auch wenn er im Besitz der Sache wäre; er erhielte einen entsprechenden Titel, den er aber nicht vollstrecken müsste, da der Besitz ohnehin bereits auf ihn übergegangen wäre. Dringt der ehe­ malige Besitzer im Anschluss mit seiner Besitzschutzklage durch, könnte dieser zwar den Besitz durch Vollstreckung des possessorischen Titels zurückerlangen; in der Folge könnte der Täter der verbotenen Eigenmacht aber aus seinem petito­ rischen Herausgabetitel „zurück“ vollstrecken und müsste nicht erneut klagen, wie es im Falle eines vorangegangenen bloßen Feststellungsurteils der Fall wä­ re.71 Mit einem Herausgabeurteil zugunsten des materiell berechtigten Täters ver­ botener Eigenmacht würde also verhindert werden, dass die Gerichte mit einer weiteren Leistungsklage des Berechtigten belastet würden, nachdem der Besitz­ schutzkläger aus seinem possessorischen Herausgabeurteil vollstreckt hätte. Es wäre daher zu eruieren, ob die Herausgabeklage zugunsten des Täters verbotener Eigenmacht nicht bereits als zwingendes prozessökonomisches Erfordernis zu bevorzugen ist. Dafür würde sprechen, dass die Zulässigkeit einer Feststellungs­ klage nach gängiger zivilprozessualer Dogmatik trotz der Möglichkeit, Leistungs­ klage zu erheben, nur dann zu bejahen ist, wenn die Durchführung des Feststel­ lungsverfahrens unter dem Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit zu einer sinnvollen und sachgemäßen Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte führt.72 Vom Besitzschutzkläger, der extra eine Besitzschutzklage zur Rückerlangung der Sache angestrengt hat, ist jedoch gerade nicht zu erwarten, dass er letztere auf­ grund eines petitorischen Feststellungsurteils bereitwillig herausgibt. 70 

K. Schmidt, JuS 2014, 942 (943). Problembeschreibung auch bei Hagen, JuS 1972, 124 (126). 72  BGH NJW 1978, 1520 (1521); BGH NJW 2006, 2548 (2549); Becker-Eberhard, in: MüKo-­ZPO, §  256 Rn.  54 f. 71 

122

§  5 Das Verhältnis des possessorischen Anspruchs zum petitorischen Anspruch

Dürfte aber der materiell berechtigte Täter verbotener Eigenmacht Herausgabe­ klage erheben, so würde ihm die Begehung der verbotenen Eigenmacht zu keinerlei Nachteil gereichen. Wäre er aufgrund der Eigenmacht auf die Feststellungsklage beschränkt, so wäre er der Unannehmlichkeit ausgesetzt, dass er nach der Vollstre­ ckung des Besitzers aus dessen possessorischen Urteil erneut petitorische Klage erheben müsste. Der Nachteil, einen weiteren Prozess führen zu müssen, lässt sich mit dem Sanktionscharakter des materiellen Besitzschutzrechts rechtfertigen. Be­ vor prozessökonomische Erwägungen angestellt werden, sollte außerdem zunächst das materielle Recht sorgfältig betrachtet werden: Für die Beurteilung der Erfüllung des petitorischen Anspruchs kann es nicht darauf ankommen, ob ein von dem peti­ torischen Anspruch systematisch streng zu unterscheidender possessorischer Rück­ gabeanspruch des Beklagten gegen den Kläger besteht. Der petitorische Kläger hat durch die verbotene Eigenmacht den Besitz erlangt und damit das erreicht, was er wollte. Die Erhebung der Klage zielt somit primär auf die Rechtsfolge des §  864 II BGB. Diese ist aber nicht zwangsläufig nur mit einer Leistungsklage zu erreichen.73 Es spricht letztendlich alles dafür, die tatsächliche Natur des Besitzes in den Vordergrund zu stellen, die Zulässigkeit einer petitorischen Herausgabeklage ab­ zulehnen und somit diejenige BGH-Rechtsprechung zur Erfüllung von Ansprü­ chen, die erkennbar auf die Interessen des Klägers abstellt, nicht in Bereiche auszudehnen, in denen solche besonderen Interessen nicht gegeben sind.74 b) Klage aus dem Besitzrecht bei vorausgegangener Störung des Besitzes Im Gegensatz zu §  861 I BGB bietet §  862 I BGB einen Anspruch mit zwei Zie­ len. Es kann sowohl die Beseitigung als auch die künftige Unterlassung einer Besitzstörung durch verbotene Eigenmacht verlangt werden. 73  Der Fall ist auch anders gelagert als in der Ausnahme-Konstellation, in der die Rechtspre­ chung eine Herausgabeklage trotz fehlenden Besitzes bejaht, nämlich bei der Räumungsklage des Vermieters aus §  546 I BGB gegen einen von mehreren Mitmietern, der bereits ausgezogen ist, siehe BGH NJW 1996, 515 (516 f.). Hier soll ein Herausgabeanspruch trotz des fehlenden Besitzes des ausgezogenen Mieters ausnahmsweise deswegen weiterhin geltend gemacht wer­ den können, weil in der Gesamtschuldnerkonstellation dem ausgezogenen Mieter die Einwir­ kung auf die anderen Noch-Besitzer möglich, das heißt keine echte Unmöglichkeit gegeben sei, und zudem über einen Räumungstitel ein Schadensersatzanspruch vereinfacht durchzusetzen sei. Diese Argumente greifen im Falle der verbotenen Eigenmacht aber nicht, da sich die Sache in der Sphäre des Täters der verbotenen Eigenmacht befindet. Dem ehemaligen Besitzer ist eine Leistung in irgendeiner Form schlichtweg nicht mehr möglich. Ein Anspruch auf Schadens­ ersatz könnte zudem im Wege der „normalen“ Leistungsklage ohne vorausgegangene verbote­ ne Eigenmacht ebenso einfach durchgesetzt werden. 74  Eine Herausgabeklage wäre nur dann sinnvoll, wenn damit die Rechtsprobleme umgan­ gen würden, die sich bei der Anwendung von §  864 II BGB auf Feststellungsurteile ergeben. Dies ist aber nicht der Fall, siehe sogleich unter §  5 II.2.c).

II. §  864 II BGB in der konkreten Rechtsanwendung

123

Indem der Täter die Besitzstörung im Wege der verbotenen Eigenmacht be­ geht, vollstreckt er damit eigenmächtig seinen (vermeintlichen) gegen den Besit­ zer gerichteten Anspruch auf Duldung der Störung. Ein solcher Duldungsan­ spruch kann auch noch nach Begehung der verbotenen Eigenmacht im Wege der Leistungsklage geltend gemacht werden, da die geschuldete Duldung seitens des Besitzers durch den störenden Zustand, wie er durch die verbotene Eigenmacht hergestellt wird, nicht automatisch eintritt, vielmehr sogar die Beseitigung des Zustands droht.

2. „Sofortige Durchsetzbarkeit“ des petitorischen Rechts? §  864 II BGB kann in direkter Anwendung75 dazu führen, dass das System des Vollstreckungsrechts unterlaufen wird, da dem petitorischen Urteil unter Um­ ständen Vollstreckungsschutz oder Einwendungen vom Opfer der verbotenen Eigenmacht prozessual nicht entgegen gehalten werden können und der (erlo­ schene) Besitzschutzanspruch die einzige Möglichkeit wäre, den vollstreckungs­ schutzrechtlich korrekten Besitzstand wiederherzustellen. a) Umgehung des Vollstreckungsrechts bei petitorischem Feststellungsurteil nach Entziehung des Besitzes aa) Vollstreckungsschutz nach §  765a ZPO Ein Beispiel soll ein Fall bilden, in dem zunächst mit der Hypothese der ganz herr­ schenden Meinung gearbeitet wird, wonach aufgrund der Inbesitznahme der Sache im Wege der verbotenen Eigenmacht nur eine Feststellungsklage statthaft ist: A ist Leasinggeber eines von B geleasten Pkw. Als die Rückgabe fällig ist und B den Pkw trotz mehrmaliger Aufforderung nicht herausgibt, lässt A ihn eigenmächtig abtransportieren und erhebt Klage auf Feststellung, dass er gegenüber B zum Besitz berechtigt ist. B erhebt Klage gegen A aus §  861 I BGB, das Feststellungsurteil wird jedoch rechtskräftig. B gab den Pkw nicht heraus, da sie ein schwer krankes Kind hat, welches für lebenswichtige Infusionen täglich zu einem 100 km entfernten Facharzt gefahren werden muss, der über den ÖPNV für sie nicht zu erreichen ist. Die Feststellungsklage des A ist zulässig: Das Besitzrecht ist ein feststellungs­ fähiges Rechtsverhältnis.76 Das Feststellungsinteresse liegt vor, wenn die Rechts­ 75  An

dieser Stelle soll die Analogiebildung, z. B. im Rahmen der petitorischen Widerklage, noch außer Betracht bleiben. 76  BayObLG WuM 1989, 528 (529).

124

§  5 Das Verhältnis des possessorischen Anspruchs zum petitorischen Anspruch

position des Klägers dadurch gefährdet ist, dass eine rechtliche Unsicherheit in Bezug auf das festzustellende Rechtsverhältnis besteht und das begehrte Fest­ stellungsurteil diese Unsicherheit beseitigen kann. Eine Unsicherheit besteht, wenn Zweifel herrscht oder vom Gegner aufgeworfen wird.77 Indem B das Auto trotz Aufforderung nicht zurückgab, warf sie an sich schon Zweifel über das Rechtsverhältnis auf. Doch selbst unterstellt, dass B sich gegenüber A erklärt und dessen Besitzrecht gar nicht in Frage gestellt hatte, besteht ein Feststellungsinte­ resse nach Begehung der verbotenen Eigenmacht gerade aufgrund des Bestehens der Vorschrift des §  864 II BGB: Die Rechtskraft des Feststellungsurteils führt zum Erlöschen des Besitzschutzanspruchs der B, woran A ein nicht abzuspre­ chendes Interesse hat. B hat hingegen grundsätzlich einen Anspruch gegen A auf Herausgabe des Pkw aus §  861 I BGB, da A verbotene Eigenmacht gem. §  858 I BGB begangen hat. Der Anspruch erlischt jedoch gem. §  864 II BGB: Nach Begehung der ver­ botenen Eigenmacht ist das petitorische Urteil rechtskräftig geworden. Höchst problematisch ist, dass B Aussicht auf Vollstreckungsschutz gem. §  765a ZPO gehabt hätte.78 Da der Pkw aber bereits entzogen war und A kein Herausgabe­ urteil als Grundlage der Zwangsvollstreckung erstreiten musste, kann B keinen Vollstreckungsschutz geltend machen. bb) Vollstreckungsgegenklage nach §  767 ZPO Der petitorische Gläubiger, der ein Feststellungsurteil erstritten hat, kann durch verbotene Eigenmacht auch einen dem Schuldner normalerweise nach §  767 ZPO zur Verfügung stehenden Schutz unterlaufen. Der Fall dürfte allerdings eher hypothetischer Natur sein, was sich schon daran zeigt, dass sich keine Rechtspre­ chung dazu finden lässt und selbst die Literatur sich schwer dabei tut, ein Fall­ beispiel zu bilden.79 Zur Veranschaulichung soll dennoch der obige Fall wie folgt abgewandelt werden: 77 

Becker-Eberhard, in: MüKo-ZPO, §  256 Rn.  42; Saenger, in: Saenger-ZPO, §  256 Rn.  10. Zur Erforderlichkeit der Nutzung eines Pkw für Arztbesuche: LG Kaiserslautern Rpfleger 2006, 482 (483). Ein Antrag auf Vollstreckungsschutz wäre auch nicht präkludiert, da in sel­ tensten Fällen der petitorische Anspruch bereits im Erkenntnisverfahren über den Einwand der §§  138, 242 BGB zu Fall gebracht werden würde, siehe zu der Diskussion Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn.  47.4 = S.  569. 79  Die Beschreibung des Phänomens bleibt in der Regel abstrakt. In dem von Zeising, Jura 2010, 248 (249), gewählten Beispielsfall erscheint es m. E. höchst fraglich, wie ein Vermieter nach Begehung der verbotenen Eigenmacht einen Räumungstitel im Sinne eines Leistungsur­ teils erwirken können soll und warum sich der Vermieter noch nach der verbotenen Eigenmacht veranlasst sehen sollte, gegenüber dem Mieter, der ja bereits „kalt“ geräumt wurde, eine Räu­ mungsfrist auszusprechen. 78 

II. §  864 II BGB in der konkreten Rechtsanwendung

125

Im Leasingvertrag zwischen A und B befindet sich eine Kaufoption, wonach das Auto dem Leasingnehmer bei Zahlung eines bestimmten Restbetrags zufällt. A will „nicht lange rumfackeln“, da die Mietdauer abgelaufen und die Kaufoption nicht ausgeübt wurde, und nimmt das Auto eigenmächtig an sich. Sodann erwirkt er ein Feststellungsurteil, welches rechtskräftig wird. B kann in der Folgezeit die nötige Geldsumme aufbringen und das Kaufrecht noch fristgerecht ausüben. Den Fall unterstellt, gilt folgendes: Hätte A regulär Leistungsklage erhoben und ein Herausgabeurteil gegen B erwirkt, so müsste er dieses nun im geordneten Verfahren vollstrecken und B könnte sich gem. §  767 I ZPO auf den Kauf und ihr Recht zum Besitz als nachträgliche Einwendung berufen und somit die Vollstre­ ckung abwehren. Im Falle der verbotenen Eigenmacht ergeht aber lediglich ein Feststellungsurteil zugunsten des A, gegen das mangels vollstreckbaren Inhalts eine Vollstreckungsgegenklage aufgrund nachträglicher Einwendungen nicht zu­ lässig ist.80 Dem Opfer der verbotenen Eigenmacht wird somit das Recht abgeschnitten, in­ nerhalb der Grenzen des §  767 II ZPO aufgrund nachträglich entstandener Einwen­ dungen die Vollstreckung zu verhindern. Dem Täter der verbotenen Eigenmacht gereicht dies umgekehrt zum Vorteil. B wäre gezwungen, nun wiederum Heraus­ gabeklage, gestützt auf die geänderten Besitzrechtsverhältnisse, zu erheben. b) Lösungsansatz: „Sofortige Durchsetzbarkeit“? Eine potentielle Lösung für diese Problematik haben in der Literatur Furtner und, daran anknüpfend, Hager vorgeschlagen.81 Furtner befürwortet eine teleologi­ sche Extension von §  864 II BGB, wobei der Wortlaut „verlangen kann“ Anknüp­ fungspunkt sein soll: Für das Erlöschen des Besitzschutzanspruchs sei es erfor­ derlich, dass der Täter die Möglichkeit hätte, die Herstellung eines seiner verbo­ tenen Eigenmacht entsprechenden Besitzstands im Wege der Zwangsvollstreckung zu bewirken, wenn die rechtskräftige Erkenntnis ein Leistungsurteil sei. Furtner liest die Rechtfertigung dieser zusätzlichen Anforderung aus der Denkschrift des Reichsjustizamtes heraus, wonach es eine zwecklose Weiterung darstelle, dem Besitzer die Verfolgung seines Besitzanspruchs noch zu ermöglichen, wenn der Täter auf Grund seines rechtskräftig festgestellten Rechtes in der Lage sei, das 80 

Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, §  767 Rn.  9a. Selbst wenn man das petitorische Feststel­ lungsurteil hier als wesensgleich mit einem Leistungsurteil ansehen und die Vollstreckungs­ gegenklage ausnahmsweise für zulässig erachten würde, wäre dem Opfer der verbotenen Eigen­ macht nicht geholfen, da die abzuwehrende Vollstreckung ja schon eigenmächtig erzwungen wurde, siehe auch sogleich unter §  5 II.2.c)bb). 81  Furtner, NJW 1955, 698 (698 f.); Hager, KTS 1989, 515 (518 f.).

126

§  5 Das Verhältnis des possessorischen Anspruchs zum petitorischen Anspruch

Ergebnis sofort wieder rückgängig zu machen.82 Daraus sei zu ersehen, dass der Zweck für die Schaffung des §  864 II BGB die Vermeidung der Führung oder Fortführung eines nutzlosen Rechtsstreits sei. Der Besitzschutzanspruch solle nur fruchtlos werden, wenn sich der Täter der verbotenen Eigenmacht sofort, also ohne weitere rechtliche Hindernisse, den Besitz wiederverschaffen könne. Inso­ fern könne man ein Feststellungsurteil nur dann „für die Wirkung des §  864 II BGB […] als genügend ansehen, wenn bei einem entsprechenden Leistungsurteil Vollstreckungsschutz nicht in Betracht kommen kann oder wenn feststeht, daß dem Schuldner ein solcher nicht gewährt werden würde“.83 Diesen Gedankengang Furtners konkretisierend will Hager – letztlich im Wege der teleologischen Reduktion – §  864 II BGB um das zusätzliche Tat­ bestandsmerkmal der „sofortigen Durchsetzbarkeit“ ergänzen.84 Er betont, dass das Vollstreckungsrecht keineswegs nur der Durchsetzung der Ansprüche des Gläubigers diene, sondern gleichzeitig auch den Schuldner schütze, was insbe­ sondere Normen wie §§  765a, 721, 811 oder 850c ZPO belegten. Hager stellt die These auf, §  864 II BGB sei bei wortlautgetreuer Anwendung mit Blick auf die genannten Normen verfassungswidrig, da sich der Gesetzgeber aus der Grund­ rechtsbindung stehle. Das Prozessgericht müsse daher prüfen, ob dem Titel des Gläubigers, wenn er als Leistungsurteil ergehen würde, Hindernisse entgegen­ stünden, welche die sofortige Durchsetzung ausschlössen oder aufschöben.85 Ob es sich, wie von Hager behauptet, bei dieser Lesart der Norm um die herr­ schende Meinung handelt, kann – auch heute noch – bezweifelt werden. Die Rechtsprechung und die Literatur äußern sich zu dem Fragenkreis weitgehend gar nicht.86 Mit Blick auf die Umgehung des – eigentlich nicht grundrechtsrele­ 82  Denkschrift des Reichsjustizamtes, S.  113 = Mugdan, Band  III, S.  944. Siehe auch unter §  5 I.4.a). 83  Furtner, NJW 1955, 698 (699). 84  Hager, KTS 1989, 515 (518). 85  Insofern ist Hager – im Gegensatz zu Furtner – wohl dahingehend zu verstehen, dass §  864 II BGB auch für Feststellungsurteile gelten kann, nämlich wenn das Prozessgericht die Anwendbarkeit von Vollstreckungsschutzvorschriften auf ein hypothetisches Leistungsurteil verneint hat: „Nicht gefordert werden darf dagegen, dass der Vollstreckungsschutz bei Eintritt der Rechtskraft des petitorischen Titels schon beantragt oder gewährt worden war. So wäre etwa die Zubilligung einer Räumungsfrist nach §  721 ZPO bei einem Feststellungsurteil wenig sinn­ voll.“ So auch Sosnitza, Besitz und Besitzschutz, S.  164 Fn.  44; andere Interpretation von Hagers Aussage bei Gutzeit, in: Staudinger, BGB, §  864 Rn.  8, und Zeising, Jura 2010, 248 (249). 86  Das Erfordernis der sofortigen Durchsetzbarkeit nicht erwähnend und somit wohl auch nicht für nötig erachtend: Diep, in: jurisPK-BGB, §  864 Rn.  8; Fritzsche, in: BRHP-BGB, §  864 Rn.  9; Lehmann-Richter, NJW 2003, 1717 (1717); Prütting, in: PWW-BGB, §  864 Rn.  3; ausdrücklich ablehnend: Hoeren, in: NK-BGB, §  864 Rn.  10; Lorenz, in: Erman, BGB, §  864 Rn.  3. In der Rechtsprechung finden sich ebenso wenig Erörterungen zu dem Problem – ver­ mutlich deshalb, weil der entsprechende Einwand von der betroffenen Partei noch nie einge­

II. §  864 II BGB in der konkreten Rechtsanwendung

127

vanten – §  767 ZPO wird dagegen sogar vereinzelt vertreten, dass im Rahmen des §  864 II BGB überhaupt nur Leistungsurteile zu berücksichtigen seien.87 c) Hinfälligkeit des Problems bei petitorischem Leistungsurteil? Bevor man die oben beschriebene Problematik einer endgültigen Lösung zu­ führt, ist festzuhalten, dass sie offenkundig petitorische Feststellungsurteile be­ trifft, da gegen solche Rechtsbehelfe aus der Zwangsvollstreckung oder Rechts­ instrumente wie §§  721, 765a ZPO nicht statthaft sind. Die aufgezeigten Schutz­ lücken können sich jedoch ebenso im Rahmen petitorischer Leistungsurteile ergeben. aa) Kein praktischer Wert der Gewährung von Vollstreckungsschutz bei Herausgabeurteil Würde man nach einer Besitzentziehung durch verbotene Eigenmacht anstelle eines petitorischen Feststellungsurteils ein Herausgabeurteil für möglich halten, könnte über die Anwendung des §  864 II BGB dennoch der Vollstreckungsschutz unterlaufen werden. Zur Veranschaulichung soll das erste Fallbeispiel um den Pkw erneut herangezogen werden: Hätte A gegen B ein petitorisches Herausgabeurteil erstritten, wäre ein Antrag auf Vollstreckungsschutz seitens B gem. §  765a ZPO grundsätzlich statthaft.88 Ein Einstellungsbeschluss würde B allerdings keinen großen Dienst erweisen, da sich die staatliche Vollstreckung durch die vorangegangene Selbsthilfe erledigt hätte und es für den Gerichtsvollzieher nichts weiter zu tun gäbe. Selbst die Tat­ sache, dass in extremen Fällen im Rahmen von §  765a ZPO sogar die Anordnung der Rückgängigmachung von Vollstreckungsmaßnahmen in Betracht kommt,89 bracht wurde. Einzig LG Hannover NdsRpfl. 1948, 155 (157), tendiert in Hagers Richtung. Das Erfordernis der Rechtskraft des Titels sowie eine zusätzliche Prüfung von Vorschriften des Vollstreckungsschutzes fordern nur Baur/Stürner, Sachenrecht, §  9, Rn.  19 = S.  97; Herrler, in: Palandt, BGB, §  864 Rn.  5; Sosnitza, Besitz und Besitzschutz, S.  164; wohl auch Joost, in: MüKo-BGB, §  864 Rn.  11. Gutzeit, in: Staudinger, BGB, §  864 Rn.  7, 10, und Götz, in: Beck­ OGK-­BGB, §  864 Rn.  25, 31, verlangen zwar die sofortige Durchsetzbarkeit, lassen aber auch ein vorläufig vollstreckbares Urteil genügen. 87  Bund, in: Staudinger, BGB (2007), §  864 Rn.  8 f.; Gutzeit, in: Staudinger, BGB, §  864 Rn.  8 f.; Zeising, Jura 2010, 248 (249). 88  Die Voraussetzung für die Gewährung von Vollstreckungsschutz, nämlich dass die Zwangs­ vollstreckung noch nicht beendet ist, wäre erfüllt. Im Fallbeispiel wären durch die verbotene Eigenmacht des A zwar vollendete Tatsachen geschaffen worden, aber die private Selbsthilfe ist nicht mit der staatlichen Zwangsvollstreckung gleichzusetzen. Solange das staatliche Zwangs­ vollstreckungsorgan noch nicht gehandelt hat, sollte ein Antrag gem. §  765a ZPO statthaft sein. 89  Bendtsen, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Zwangsvollstreckung, §  765a Rn.  79; Heßler, in: MüKo-ZPO, §  765a Rn.  89.

128

§  5 Das Verhältnis des possessorischen Anspruchs zum petitorischen Anspruch

würde B nicht helfen, da die verbotene Eigenmacht keine staatliche Vollstre­ ckungsmaßnahme darstellt. Das Gericht kann dem Gerichtsvollzieher nicht in systemwidriger Weise aufgeben, eine Maßnahme privater Selbsthilfe rückgängig zu machen und im Grunde so tun, als ob es sich dabei um eine vorangegangene staatliche Maßnahme der Zwangsvollstreckung gehandelt habe.90 Es ist höchst zweifelhaft, ob B ein weiterer Weg offen stünde, den Besitzstand, den der Vollstreckungsschutz zu ihren Gunsten gebieten würde, wiederherzustel­ len. Ob aus gewährtem Vollstreckungsschutz eine klagbare Rechtsposition folgt, ergibt sich nicht ohne weiteres. Es fehlt an speziellen gesetzlichen Regelungen zu den materiellen Rechtsfolgen. Ein „klassisches“ Recht zum Besitz aus den ursprünglich zwischen den Parteien bestehenden Verträgen wird durch den Voll­ streckungsschutz jedenfalls nicht künstlich verlängert, da die Schutzmaßnahme den materiellrechtlichen Anspruch des Gläubigers auf Rückgabe als solchen nicht berühren kann und soll.91 Gegebenenfalls ließe sich noch ein aus dem Vollstreckungsschutz folgender Anspruch auf weiteren Gebrauch der Sache als Nebenpflicht aus §  241 II BGB ableiten oder ein allgemeines Abwicklungs­ schuldverhältnis annehmen.92 Dann müsste aber auch die Möglichkeit bestehen, den konkreten Anspruch im Wege der Befriedigungsverfügung durchzusetzen, um einen mit §  765a ZPO äquivalenten Schutz zu bewirken. All dies erscheint sehr unsicher. bb) Keine Vorteile im Hinblick auf §  767 ZPO Auch im Hinblick auf die Umgehung von §  767 ZPO würde ein Herausgabeurteil dem (ehemaligen) Besitzer keine Vorteile bringen. Da die Sache sich ohnehin schon beim Täter der verbotenen Eigenmacht befände, müsste dieser keine staat­ liche Vollstreckung anstrengen, in deren Rahmen der Rechtsbehelf nach §  767 ZPO vom Opfer der verbotenen Eigenmacht bemüht werden könnte. Im zweiten 90 

Dasselbe Problem kann sich im Übrigen sogar im Rahmen einer bloßen Besitzstörung, in der das petitorische Urteil auf Duldung der Störung lautet, ergeben. Begeht der Täter eine Be­ sitzstörung, die der Besitzer, etwa aufgrund körperlichen Unvermögens, nicht selbst beseitigen kann, und obsiegt der Täter im Anschluss mit seiner petitorischen Duldungsklage rechtskräftig, so kann er den rechtsstaatlichen Weg der Anspruchsdurchsetzung unterwandern, wenn er sich zuvor über den eigentlich nach §  890 ZPO oder §  892 ZPO zu überwindenden Widerstand des Besitzers hinweggesetzt hatte, sodass dessen Antrag auf Vollstreckungsschutz ebenfalls leer läuft. Der Besitzer ist auch in diesem Fall auf seinen Besitzschutzanspruch angewiesen, um die Störung im Rahmen von §  887 ZPO rückgängig machen zu lassen und auf diese Weise den ihm zustehenden Vollstreckungsschutz zu bewirken. 91  Lehmann-Richter, in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, Einleitung Räumungsvollstreckung, Rn.  18. 92  Zu beidem Lehmann-Richter, in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, Einleitung Räumungsvoll­ streckung, Rn.  18.

II. §  864 II BGB in der konkreten Rechtsanwendung

129

Fallbeispiel bliebe es für B dabei, dass sie, gestützt auf ihr (neues) Recht zum Besitz, eine Herausgabeklage anstrengen müsste. cc) Fazit Im Ergebnis ist festzuhalten, dass sich im Fall des petitorischen Feststellungs­ urteils und im Fall des petitorischen Herausgabeurteils bei der Anwendung des §  864 II BGB vergleichbare Probleme im Hinblick auf den Vollstreckungsschutz ergeben, die Bejahung der Zulässigkeit der Herausgabeklage also keine Vorteile bringt. Es spricht mehr dafür, bei §  864 II BGB anzusetzen und den unkompli­ ziert zu prüfenden Besitzschutzanspruch, der zudem ohne Schwierigkeit im Eil­ rechtsschutz geltend gemacht werden kann,93 nicht erlöschen zu lassen. d) Abschließendes Lösungsmodell zur Prüfung der „sofortigen Durchsetzbarkeit“ im Rahmen des §  864 II BGB Da es sich im Fall der verbotenen Eigenmacht des Berechtigten um die eigen­ mächtige Vollstreckung in Sachen aufgrund eines Herausgabe- oder eines Dul­ dungsanspruchs handelt, besteht die Gefahr der Umgehung von schuldnerschüt­ zenden Vorschriften wie §§  811, 811c I, 850c ZPO nicht. Relevanz gewinnen ausschließlich §  721 ZPO als Spezialregelung zum Räumungsschutz und §  765a ZPO als Generalklausel.94 Unabhängig von der Diskussion um den Missbrauch des §  765a ZPO, zum Beispiel aufgrund der Schwierigkeit der Feststellung und Widerlegung einer ­Suizidgefahr,95 gibt es tatsächlich Lebenssachverhalte, in denen der Schuldner durch die Vollstreckung einer materiellrechtlichen Forderung existentiell betrof­ fen ist. Auch wenn es sich dabei nur um einige wenige Fälle handelt: Wenn die Möglichkeit besteht, den staatlichen Vollstreckungsschutz zu umgehen, steigt die Versuchung für den Gläubiger, verbotene Eigenmacht zu begehen, die Rechts­ folge des §  864 II BGB auszulösen und sich somit selbst im Ergebnis wirtschaft­ lich günstiger zu stellen als es bei Berücksichtigung des Vollstreckungsschutzes der Fall wäre. Will man dieser Gefahr begegnen und §  864 II BGB dennoch nicht komplett leerlaufen lassen, erscheint Hagers Vorschlag einer hypothetischen Prüfung von Vollstreckungsschutzvorschriften durch das Prozessgericht überzeugend. 93  Zur Zulässigkeit einer Befriedigungsverfügung beim Besitzschutzanspruch siehe unter §  4 III.1.b). 94  Zum Verhältnis der beiden Normen: Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstre­ ckungsrecht, §  43, Rn.  1 = S.  854. 95  Dazu Seifert, Rpfleger 2015, 237 (237 f.).

130

§  5 Das Verhältnis des possessorischen Anspruchs zum petitorischen Anspruch

aa) Mögliche Einwände gegen die Prüfung der „sofortigen Durchsetzbarkeit“ Dass Aspekte des Vollstreckungsschutzes als Tatbestandsmerkmal der „soforti­ gen Durchsetzbarkeit“ in §  864 II BGB hineinzulesen sein sollen, findet im Wort­ laut der Norm freilich keine Stütze. Auch die Äußerungen des historischen Ge­ setzgebers sind mehrdeutig. In den Motiven wird §  864 II BGB damit gerechtfer­ tigt, dass „eine possessorische Restitution mit einer ihr folgenden dem materiellen Recht entsprechenden Restitution ein unnötiger Umweg sein würde“.96 Dem „materiellen Recht entsprechend“ kann dabei als „der Besitzrechtslage nach dem BGB entsprechend“ verstanden werden, ohne dass es auf die Vollstreckbarkeit nach der ZPO ankäme. Außerdem könnte der Lösung entgegengehalten werden, dass die funktionelle Zuständigkeit des Vollstreckungsgerichts in systemwidriger Weise auf das Pro­ zessgericht verschoben würde, welches notwendigerweise alle in Betracht kom­ menden Vollstreckungsschutzvorschriften subsumieren müsste. Zudem würde auf diese Weise teils von Amts wegen Vollstreckungsschutz gewährt, der sonst nur auf Antrag ergehen könnte. Es entstünde eine systematische Divergenz zu Leistungsurteilen, bei denen es dem Schuldner obliegt, einen Antrag auf Voll­ streckungsschutz zu stellen oder bewusst darauf zu verzichten. Diesen eher formalistischen Bedenken ist allerdings leicht zu begegnen: Im Fall des §  721 ZPO ist ohnehin das Prozessgericht für die Prüfung des Vollstre­ ckungsschutzes zuständig97 und die Gewährung einer Räumungsfrist von Amts wegen möglich. Im Fall des §  765a ZPO ist es jedoch das Vollstreckungsgericht, das gem. §§  764, 802 ZPO den Schutz gewährt.98 Das Verfahren ist hier zudem dem Rechtspfleger übertragen, §  20 Nr.  17 RPflG. Die Verschiebung der funktio­ nalen Zuständigkeit vom Rechtspfleger auf den Richter ist aber grundsätzlich unproblematisch, was sich bereits aus §  8 I RPflG ableiten lässt. In dem Moment, in dem das Antragserfordernis entfällt und das gesonderte Vollstreckungsschutz­ verfahren einer Inzidentprüfung weicht, gebietet es schon Art.  92 GG, dass der Richter entscheidet.99 Die Verschiebung der sachlichen Zuständigkeit vom Voll­ streckungsgericht auf das Prozessgericht ist hinzunehmen. Sofern gem. §  765a ZPO Vollstreckungsschutz nur auf Antrag gewährt wird, wäre jedenfalls die Er­ hebung der Besitzschutzklage als ein inzidentes Ersuchen um Vollstreckungs­ schutz zu werten: Wer sich mit einer Besitzschutzklage wehrt, dem ist zu unter­ 96 

Motive, Band  III, S.  131 = Mugdan, Band  III, S.  73. Lackmann, in: Musielak/Voit, ZPO, §  721 Rn.  7. 98  Lackmann, in: Musielak/Voit, ZPO, §  764 Rn.  3. 99  Es stellt sich sogar die Frage, ob eine Prüfung von verfassungsrechtlicher Verhältnismä­ ßigkeit, die §  765a ZPO letztlich darstellt, nicht ohnehin dem Richter vorbehalten sein sollte, siehe dazu Stamm, Prinzipien und Grundstrukturen, S.  650. 97 

II. §  864 II BGB in der konkreten Rechtsanwendung

131

stellen, dass er im Falle der effektiven Möglichkeit einer Gewährung von Voll­ streckungsschutz auch einen entsprechenden Antrag gestellt hätte. bb) Vollstreckungsschutz als Erfordernis des Grundrechtsschutzes Insgesamt sind die geschilderten systematischen Verschiebungen zu rechtferti­ gen, wenn damit gewährleistet ist, dass der Vollstreckungsschutz als verfas­ sungsrechtliche Anforderung Berücksichtigung findet. Der Schuldner ist nach heutigem Verständnis nicht mehr Objekt der Zwangs­ vollstreckung.100 Um ihn in grundlegenden Positionen zu schützen, beansprucht der Staat das Gewaltmonopol und verbietet die private Selbsthilfe zur Durch­ setzung von Rechtsansprüchen. Aus der prozessrechtlichen und damit öffentlich-­ rechtlichen Ausgestaltung des Vollstreckungsrechts resultiert eine unmittelbare Bindung an den Grundrechtskatalog.101 Der Schuldnerschutz des Vollstreckungs­ rechts wird insbesondere als zwingendes Erfordernis aus der Menschenwürde und der freien Entfaltung der Persönlichkeit, Art.  1 I, Art.  2 I GG, abgeleitet.102 Die Zwangsvollstreckung kann aber auch in andere grundrechtlich geschützte Rechtspositionen eingreifen wie etwa die Unverletzlichkeit der Wohnung gem. Art.  13 I GG und Belange der Ehe und Familie gem. Art.  6 GG.103 Da der Gesetzgeber auch beim Erlass von bürgerlich-rechtlichen Normen gem. Art.  1 III GG verpflichtet ist, die Grundrechte zu achten, muss er bei der konkreten Ausgestaltung des Besitzschutzes im BGB das Maß beachten, das er im Rahmen der Zwangsvollstreckung selbst nicht überschreiten darf. Die Grund­ rechtsbindung würde umgangen, wenn dem Staat zwar der Eingriff in die Schuld­ nersphäre im Rahmen der Zwangsvollstreckung von Verfassungs wegen ver­ 100 

Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, §  52, Rn.  1 = S.  959. Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, §  52, Rn.  9 = S.  960 f.; Gruber, in: MüKo-ZPO, §  811 Rn.  2; Stamm, Prinzipien und Grundstrukturen, S.  75; Stürner, ZZP 99 (1986), 291 (321 f.); Ulrici, in: BeckOK-ZPO, Einleitung §  765a. Ein Rückgriff auf die Lehre von der sog. Drittwirkung der Grundrechte ist nicht erforderlich. 102  So ausdrücklich BFH NJW 1990, 1871 (1871); BGH NJW-RR 2010, 642 (643); ebenso Lippross, Grundlagen und System, S.  99. Siehe auch die Ausführungen zum staatlichen Ge­ waltmonopol unter §  3 III.6.b). 103  Natürlich ist zu berücksichtigen, dass nicht nur der Vollstreckungsschutz, sondern auch die Durchsetzung des Gläubigerrechts verfassungsrechtlich geboten ist. Das Zwangsverfahren zugunsten des Gläubigers findet statt, um sein privates Recht gegen den Schuldner zu realisie­ ren. Diese Rechtsmacht darf ihre Grenze erst da finden, wo sie gegenüber der Sphäre des Schuldners, die grundsätzlich dem Zugriff des Gläubigers offen stehen muss, ausnahmsweise weniger schutzwürdig erscheint. Dem Vollstreckungserfolg entgegengesetzte Schutznormen können nur in Betracht kommen, wenn Grundrechte des Schuldners existentiell betroffen sind, siehe Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, §  52, Rn.  1 = S.  959; Gruber, in: MüKo-ZPO, §  811 Rn.  3; Stürner, ZZP 99 (1986), 291 (321). 101 

132

§  5 Das Verhältnis des possessorischen Anspruchs zum petitorischen Anspruch

wehrt wäre, er jedoch die Vollstreckung über die Nichtahndung der verbotenen Eigenmacht in private Hände legte.104 cc) Verfassungskonforme Auslegung Es liegt daher auch im Interesse des Gesetzgebers, eine nach anerkannten Aus­ legungsgrundsätzen zulässige und mit der Verfassung zu vereinbarende Ausle­ gungsmöglichkeit des §  864 II BGB zu finden, der bei wortlautgetreuer Anwen­ dung zu verfassungswidrigen Ergebnissen führen würde. Lassen der Wortlaut, die Entstehungsgeschichte, der Gesamtzusammenhang der einschlägigen Rege­ lungen und deren Sinn und Zweck eine Deutung zu, die zu einem verfassungs­ konformen Ergebnis führt, so ist diese grundsätzlich geboten.105 Die Grenze der Auslegung ist der unmissverständliche Gesetzeswortlaut und der eindeutige ge­ setzgeberische Wille.106 Insoweit besteht ein Verfälschungsverbot.107 Vorliegend ist der Wortlaut des §  864 II BGB zur Frage der Durchsetzbarkeit des Rechts relativ offen formuliert: „[…] vermöge dessen er die Herstellung ei­ nes seiner Handlungsweise entsprechenden Besitzstands verlangen kann“. Der Wortlaut verschließt sich somit nicht folgenden systematischen Erwägungen: §  864 II BGB erlaubt den Einwand des Rechtsmissbrauchs im Sinne des §  242 BGB als Rückausnahme zu §  863 BGB. Im Genaueren fußt er auf dem Grund­ satz: Dolo agit qui petit quod statim redditurus est – arglistig handelt, wer etwas verlangt, was sofort wieder zurückgegeben werden muss. Schon diese Regel be­ sagt also – trotz des Futurs „redditurus“ –, dass die Rückgabepflicht gegenwär­ tig existieren muss. Das ist nicht der Fall, wenn schuldnerschützende Vorschrif­ ten die Herausgabe rechtspraktisch verhindern. Auch der gesetzgeberische Wille erlaubt eine grundrechtsfreundliche Deu­ tung. Es spricht einiges dafür, dass der BGB-Gesetzgeber bei Schaffung des §  864 II BGB an die vollstreckungsschutzrechtlichen Implikationen schlicht nicht gedacht hat. Zwar existierten Rechtsbehelfe wie §  767 ZPO von Anfang an in der ZPO;108 die Novelle von 1898 normierte zudem mit §  715 CPO Unpfänd­ barkeitsvorschriften, wie sie heute in §  811 ZPO vorgesehen sind, sowie den Rechtsgedanken des §  721 ZPO in Form des §  659a CPO. Das Bewusstsein für Schuldnerschutz war aber gleichwohl insgesamt weniger ausgeprägt. Eine Gene­ ralklausel für Ausnahmefälle wurde zum ersten Mal für die Kriegszeit in Form 104 

Hager, KTS 1989, 515 (517). BVerfGE 83, 201 (214 f.); 119, 247 (274); Voßkuhle, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art.  93 Rn.  52. 106  BVerfGE 101, 312 (329); 119, 247 (274). 107  BVerfGE 119, 247 (274). 108  Ursprünglich §  686 CPO. 105 

II. §  864 II BGB in der konkreten Rechtsanwendung

133

des sog. Vollstreckungsnotrechts eingeführt.109 §  765a ZPO fand erst 1953 Ein­ gang ins Gesetz.110 Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung des grundrechtsschützen­ den Charakters des Vollstreckungsschutzes ist eine verfassungskonforme Aus­ legung sowohl erforderlich als auch möglich. dd) Maßgeblicher Zeitpunkt für die hypothetische Prüfung Ist §  864 II BGB um das Merkmal der „sofortigen Durchsetzbarkeit“ zu erwei­ tern und eine hypothetische Prüfung von Vollstreckungsschutzvorschriften sei­ tens des Gerichts erforderlich, stellt sich schließlich die Frage, auf welchen Zeit­ punkt bei der hypothetischen Prüfung abzustellen ist. Die Befürworter einer sol­ chen Prüfung äußern sich nicht sehr genau.111 Der frühestmögliche relevante Zeitpunkt für die hypothetische Prüfung der sofortigen Durchsetzbarkeit wäre der Moment der Begehung der verbotenen Eigenmacht. Würden zu diesem Zeit­ punkt keine den Vollstreckungsschutz begründenden Tatsachen vorliegen und würde im Anschluss ein petitorisches Urteil ergehen und rechtskräftig werden, wären alle Voraussetzungen für das Erlöschen des possessorischen Anspruchs nach §  864 II BGB erfüllt. Damit würde jedoch der eigenmächtig vorgehende Gläubiger potentiell gegenüber demjenigen bessergestellt, der gesetzestreu die staat­liche Zwangsvollstreckung bemüht, welche vielleicht erst zu einem Zeit­ punkt stattfindet, in dem sich in der Person des Besitzers Tatsachen ergeben ha­ ben, die es diesem ermöglichen, Vollstreckungsschutz zu erwirken. Insofern scheint es sinnvoller, auf den Zeitpunkt des Eintritts der Rechtskraft des petitorischen Urteils abzustellen. Dies ist sogar besonders naheliegend, wenn man die „sofortige Durchsetzbarkeit“ in den Wortlaut des §  864 II BGB „vermö­ ge dessen er die Herstellung eines […] entsprechenden Zustandes verlangen kann“, hineinliest. §  864 II BGB begünstigt im Moment des Eintritts der Rechts­ kraft des petitorischen Urteils den Täter verbotener Eigenmacht, indem der ge­ gen ihn gerichtete Besitzschutzanspruch erlischt. Wenn das Opfer der verbotenen Eigenmacht aber zu diesem Zeitpunkt Vollstreckungsschutz verdient, muss zu seinen Gunsten der Besitzschutzanspruch bestehen bleiben, um den alten Besitz­ stand wiederherstellen zu können. 109  Ausführlich

zur Geschichte: Böhle-Stamschräder, NJW 1953, 1449 (1449); Lippross, Grundlagen und System, S.  70 f., 82. 110  BGBl. I, Nr.  51 v. 21.08.1953, S.  952. 111  Hager, KTS 1989, 515 (519): „Zu prüfen ist vielmehr, ob dem Titel des Gläubigers, wenn er als Leistungsurteil ergangen wäre, Hindernisse entgegenstünden, die seine sofortige Durch­ setzung ausschlössen oder wenigstens aufschöben.“ Gutzeit, in: Staudinger, BGB, §  864 Rn.  7: „Sofort durchsetzbar ist ein rechtskräftiges oder sofort vollstreckbares Urteil, von dem nicht zu erwarten ist, dass seiner Vollstreckung rechtliche Hindernisse […] entgegenstehen werden.“

134

§  5 Das Verhältnis des possessorischen Anspruchs zum petitorischen Anspruch

ee) Nachträglich entstandene Einwendungen im Sinne des §  767 ZPO Während der Vollstreckungsschutz von Verfassungs wegen zwingend im Rah­ men einer hypothetischen Prüfung innerhalb des §  864 II BGB zu beachten ist, besteht ein solches Erfordernis für Einwendungen, die im Sinne des §  767 ZPO nachträglich gegen den petitorischen Anspruch entstanden sind, nicht. Zunächst wäre es durchaus erwägenswert, es dabei zu belassen, dass aus der nachträglich entstandenen Einwendung für den ehemaligen Besitzer im Regelfall ein eigenes Recht zum Besitz resultiert, aus dem er selbständig klagen kann, sodass es auf den Besitzschutzanspruch nicht zwingend ankäme.112 Im Gegensatz zu der Fall­ konstellation bei §  765a ZPO wäre der Besitzer nicht völlig schutzlos gestellt. Dies erscheint aber nicht ausreichend: Zweck der Vollstreckungsgegenklage ist es, die Formalisierung der Zwangsvollstreckung auszugleichen. Die Vollstre­ ckung als Akt staatlichen Zwangs ist durch den Titel gerechtfertigt, die Vollstre­ ckung als Akt der Gläubigerbefriedigung dagegen nur durch den vollstreckbaren Anspruch. Soweit nicht Einwendungen gegen den Anspruch aufgrund der mate­ riellen Rechtskraft unbeachtlich sind, muss der Schuldner in den Stand versetzt werden, diese Einwendungen gegenüber dem Gläubiger zur Geltung zu bringen. Die Vollstreckungsgegenklage bewirkt im konkreten Fall des Herausgabe­ anspruchs, dass die Sache, obwohl der Titel formal besteht, beim Besitzer ver­ bleibt; insofern spricht man auch von einer negatorischen Funktion.113 Die ver­ botene Eigenmacht bewirkt demgegenüber, dass der Besitz ohne Einschaltung der staatlichen Organe wechselt. Dann muss es aber dem ehemaligen Besitzer zumindest möglich sein, so schnell wie möglich den Besitz zurückzuerlangen. Würde er sich dabei auf sein (neues) Recht zum Besitz stützen, so wäre ihm eine schnelle Herausgabeverfügung im Sinne einer Befriedigungsverfügung im einst­ weiligen Rechtsschutz verwehrt, da die Sicherung eines Herausgabeanspruchs grundsätzlich durch Sicherungsverfügung gem. §  935 ZPO erfolgt.114 Aus­ schließlich der possessorische Besitzschutzanspruch rechtfertigt aufgrund seiner besonderen Bedeutung eine Befriedigungsverfügung nach §  940 ZPO. 112 

Sosnitza, Besitz und Besitzschutz, S.  164, argumentiert irritierenderweise mit der Mög­ lichkeit der Erhebung einer Feststellungsklage. Eine erfolgreiche Feststellungsklage nützt dem ehemaligen Besitzer aber nichts, da sie nicht vollstreckt werden kann, eine Wiedereinweisung in den Besitz also nicht ermöglicht wird. 113  Schmidt/Brinkmann, in: MüKo-ZPO, §  767 Rn.  1. 114  Huber, in: Musielak/Voit, ZPO, §  940 Rn.  21. Die allgemeinen Herausgabeansprüche genießen die Privilegierung der Besitzschutzansprüche nicht. Eine Befriedigungsverfügung könnte hier nur ergehen, wenn der Antragsteller auf die Sache zur Abwendung einer unmittel­ bar gegenwärtigen Existenzgefährdung, zur Vermeidung eines die Existenz gefährdenden, un­ verhältnismäßigen Schadens oder zur Abwendung eines endgültigen, irreparablen Rechtsver­ lustes dringend angewiesen sein sollte, was hier nicht unbedingt der Fall sein wird.

II. §  864 II BGB in der konkreten Rechtsanwendung

135

Schlussendlich bietet es sich an, Einwendungen im Sinne des §  767 ZPO im Rahmen des Merkmals der „sofortigen Durchsetzbarkeit“ in die hypothetische Prüfung bei §  864 II BGB mit einzubeziehen.115 Dass der Besitzschutzprozess als Folge dessen – entgegen §  863 BGB – mit der Prüfung der materiellen Rechts­ lage belastet wird, ist wohl oder übel hinzunehmen. Die von manchen geforderte Einschränkung des Anwendungsbereichs des §  864 II BGB auf Leistungsurteile, um über den fortbestehenden Besitzschutzanspruch eine Kompensation für die fehlende Möglichkeit der Erhebung einer Vollstreckungsgegenklage gem. §  767 ZPO zu erzielen, ist dagegen nicht notwendig. ff) Fazit Die §§  861 ff. BGB dienen dazu, dem ehemaligen Besitzer den (ungestörten) Be­ sitz zunächst wieder einzuräumen. Durch den Besitzschutz soll vorübergehend der Besitzstand wiederhergestellt werden, der vor dem eigenmächtigen Zugriff bestand. Der Besitzschutz ist also grundsätzlich kein Ersatz und auch keine Er­ gänzung des Vollstreckungsschutzrechts. Der Besitzschutz soll die verbotene Eigenmacht ungeachtet der konkreten Verhältnisse sanktionieren, während das Vollstreckungsschutzrecht die (vorläufige) Aussetzung der Zwangsvollstreckung des petitorischen Anspruchs aufgrund der individuellen Schutzbedürftigkeit des Schuldners gebietet. Die Sanktion der verbotenen Eigenmacht endet aus prozess­ ökonomischen Gründen gem. §  864 II BGB dort, wo ein rechtskräftiges Urteil das Recht des Täters auf die Herstellung des entsprechenden Besitzstands fest­ stellt. Wenn dies aber dazu führen würde, dass vollstreckungsrechtliche und da­ mit auch teilweise grundrechtlich geschützte Belange zulasten des ehemaligen Besitzers unbeachtet blieben, dann liegt es sowohl im Sinne des Grundrechts­ schutzes als auch im Sinne des übergreifenden Sanktionsgedankens der verbote­ nen Eigenmacht, dass die Anwendung von §  864 II BGB dem eigenmächtigen Gläubiger nicht zum Vorteil gereicht und die Belange des ehemaligen Besitzers dennoch Beachtung finden. Somit führt kein Weg an der Prüfung der sofortigen Durchsetzbarkeit als ungeschriebene Voraussetzung des §  864 II BGB vorbei.

115  Von der Notwendigkeit einer solchen Prüfung gehen wohl auch Götz, in: BeckOGK-­ BGB, §  864 Rn.  27.2, und Joost, in: MüKo-BGB, §  864 Rn.  11, aus, indem sie behaupten, die Voraussetzungen des §  864 II BGB seien ohnehin nicht mehr erfüllt, wenn sich die besitzrecht­ lichen Verhältnisse geändert hätten.

136

§  5 Das Verhältnis des possessorischen Anspruchs zum petitorischen Anspruch

3. Analoge Anwendung von §  864 II BGB auf die Begehung verbotener Eigenmacht nach Rechtskraft des Urteils Die rechtskräftige Feststellung des Rechts muss gem. §  864 II BGB zeitlich aus­ drücklich nach der Verübung der verbotenen Eigenmacht erfolgt sein. Damit er­ gibt sich folgendes Phänomen: Bemächtigt sich A im Wege der verbotenen Ei­ genmacht des Smart-TVs von B und wird sein Recht zum Besitz anschließend mit rechtskräftigem Urteil bestätigt, so erlischt der Besitzschutzanspruch von B aus §  861 I BGB. Klagt A dagegen zunächst ordnungsgemäß gegen B auf Her­ ausgabe des Smart-TVs, bemächtigt sich dann aber, als er das rechtskräftige Ur­ teil in Händen hält, eigenmächtig des Smart-TVs, so hat B einen Besitzschutz­ anspruch gegen A aus §  861 I BGB. Kann diese von §  864 II BGB vorgesehene unterschiedliche Behandlung der beiden Fälle gerechtfertigt sein? a) Argumente für eine Analogie in zeitlicher Hinsicht Teilweise wird befürwortet, §  864 II BGB über den Wortlaut hinaus auf den Fall anzuwenden, dass das Urteil bereits vor der verbotenen Eigenmacht des Berech­ tigten unanfechtbar geworden ist.116 Die Norm beruhe auf dem Rechtsgedanken, dass die Sanktion für verbotene Eigenmacht bei einer bereits erfolgten rechts­ kräftigen Feststellung versagt werde, wenn sie keine praktische Bedeutung habe. Dies sei unabhängig vom zeitlichen Verhältnis zwischen Eigenmacht und rechts­ kräftigem Urteil der Fall. Zudem dürfe derjenige, der das für ihn günstige Urteil abwarte und es erst nach dessen Rechtskraft selbstherrlich durchsetze, nicht schlechter stehen, als derjenige, der ohne ein solches Urteil verbotene Eigen­ macht übe.117 Insofern liege eine Regelungslücke mit vergleichbarer Interessen­ lage vor. In der Folge stellt sich dann die Frage, ob §  864 II BGB im Rahmen einer weiteren Analogie auch auf §  859 BGB Anwendung findet, sodass auch das Notwehrrecht und das Besitzwehr- beziehungsweise Besitzkehrrecht entfal­ len.118 Hierfür könnte die Vermutung sprechen, dass sich ein potentieller Täter 116  RGZ 107, 258 (259); grds. auch LG Hannover NdsRpfl. 1948, 155 (156), mit Ausnahme der Räumung von Wohnraum; Baur/Stürner, Sachenrecht, §  9, Rn.  19 = S.  97; Furtner, NJW 1955, 698 (699); Lorenz, in: Erman, BGB, §  864 Rn.  4; Müller/Gruber, Sachenrecht, Rn.  341 = S.  65 f.; Petersen, Jura 2002, 255 (256); Rosenberg, in: Rosenberg, BGB, §  864 Anm. II 1; H. Schmidt, NZM 2015, 553 (556); Westermann/Gursky/Eickmann, Sachenrecht, §  23, Rn.  9 = S.  167; i.E. auch Hager, KTS 1989, 515 (525 f.). 117  Westermann/Gursky/Eickmann, Sachenrecht, §  23, Rn.  9 = S.  167. 118  Für eine analoge Anwendung: Klingbeil, Die Not- und Selbsthilferechte, S.  202; Stadler, in: Soergel, BGB, §  859 Rn.  1, der sich fälschlicherweise auf das RG beruft; Wolff/Raiser, Sa­ chenrecht, §  18, Fn.  2 = S.  56; gegen die Analogie: RGZ 107, 258 (261); Herrler, in: Palandt, BGB, §  859 Rn.  1; Joost, in: MüKo-BGB, §  859 Rn.  5; Kregel, in: RGRK-BGB, §  863 Rn.  5; Müller, Besitzschutz, S.  48.

II. §  864 II BGB in der konkreten Rechtsanwendung

137

verbotener Eigenmacht bei mangelnder Anwendbarkeit von §  864 II BGB auf §  859 BGB zu einem besonders geschickten oder gewalttätigen Vorgehen her­ ausgefordert fühlt. Wenn sich der Täter gegen die rechtmäßige Notwehrhandlung des Besitzers erfolgreich zur Wehr setzen kann, ist er auch dem gerichtlich durchzusetzenden Anspruch nicht mehr ausgesetzt. Es bestünde aber die Gefahr, dass der Besitzer ebenso „aufrüstet“, um im Wege der Notwehr gegen die Eigen­ macht vorzugehen. Es widerspräche dem auf Rechtsfriedensschutz zielenden possessorischen Besitzschutzsystem des BGB, wenn zwar der gesetzliche Be­ sitzschutzanspruch entfiele, Gewalt zur Sicherung des Besitzes aber erlaubt wäre. Sieht man die Besitzschutzklagen systematisch als bloße Erweiterung der Gewaltrechte an,119 müsste der Vorrang des petitoriums auch auf die Gewaltrech­ te zurückwirken. In jedem Fall offenbart sich ein Dilemma: Bei entsprechender Anwendung von §  864 II BGB auf §  859 BGB hätte der materiell berechtigte Täter der verbotenen Eigenmacht keinerlei Konsequenzen für seine verbotene Handlung zu fürchten. Verneint man allerdings die Anwendung von §  864 II BGB auf §  859 BGB, wäre die Notwehr oder die Selbsthilfe für den Besitzer die einzige Chance, auf die verbotene Eigenmacht zu reagieren, da ihm die Ansprü­ che aus §  861 f. BGB nicht mehr zur Verfügung stünden. Damit wäre der Besitzer versucht, sich gegen die Eigenmacht besonders aggressiv zu wehren. Das staat­ liche Gewaltmonopol würde dem Einsatz von Körperkraft oder sonstiger Gewalt weichen. b) Argumente gegen eine Analogie in zeitlicher Hinsicht In Anbetracht dieser Probleme spricht vieles dafür, die analoge Anwendung des §  864 II BGB im Fall der Begehung der verbotenen Eigenmacht nach Erlass des rechtskräftigen Urteils abzulehnen.120 Allerdings ist den Befürwortern einer ana­ logen Anwendung des §  864 II BGB durchaus zuzugestehen, dass die „sinnlose Weiterung“, die der Gesetzgeber durch §  864 II BGB verhindern wollte,121 ge­ nauso besteht, wenn die zeitliche Abfolge von verbotener Eigenmacht und rechtskräftigem Urteil umgekehrt ist. In der Tat würde ohne die analoge Anwen­ 119  Motive, Band  III, S.  109, 117 = Mugdan, Band  III, S.  61, 65. Siehe ausführlich zur Ent­ stehungsgeschichte unter §  2 II. 120  So auch Gutzeit, in: Staudinger, BGB, §  864 Rn.  11; Herrler, in: Palandt, BGB, §  864 Rn.  6; Hoeren, in: NK-BGB, §  864 Rn.  15; Lopau, JuS 1980, 501 (504); Prütting, in: PWWBGB, §  864 Rn.  3. Differenzierende Argumentation bei Joost, in: MüKo-BGB, §  864 Rn.  11, und Kregel, in: RGRK-BGB, §  863 Rn.  5: Wenn sich zwischen der rechtskräftigen gerichtli­ chen Feststellung und der Verübung der verbotenen Eigenmacht rechtserhebliche Umstände änderten, so fehle es überhaupt an einer Feststellung über die jetzige Besitzberechtigung, so dass §  864 II BGB nicht anwendbar sei. 121  Siehe unter §  5 I.4.a).

138

§  5 Das Verhältnis des possessorischen Anspruchs zum petitorischen Anspruch

dung der Norm eine kaum zu rechtfertigende Schlechterstellung des Gläubigers erfolgen, der immerhin das ihm günstige Urteil abwartet und es erst nach dessen Rechtskraft selbstherrlich durchsetzt anstatt schon vorher im vermeintlichen Wissen um sein Recht Selbsthilfe zu üben. aa) Gesetzeshistorie: Keine planwidrige Regelungslücke Der Gesetzgeber hat sich zu diesem Dilemma nicht geäußert. Es spricht aller­ dings einiges dafür, dass er durchaus im Blick hatte, welche Konstellation er durch §  864 II BGB regelt und welche nicht. §  823 II des Ersten Entwurfs lautete noch: „Wird in dem über das Recht anhängig gewordenen Prozesse früher rechtskräftig entschieden, als im Besitzprozesse, so ist, wenn und soweit die im Besitzprozesse als verbotene Eigenmacht gerügte Handlung dem durch die Entscheidung in dem ersteren Prozesse festgestellten Rechte entspricht, die Besitzklage […] als erledigt anzusehen.“

Die Vorschrift wurde anschließend zur materiellen Norm des heutigen §  864 II BGB fortentwickelt. Der Gesetzgeber bezweckte mit der Entwurfsänderung in­ sofern eine Ausdehnung des vorherigen Norminhalts, als dass letzterer sich nicht lediglich auf den Fall beschränken sollte, dass die Besitzschutzklage zur Zeit der rechtskräftigen Feststellung des Rechts bereits anhängig war.122 Dies belegt, dass der Gesetzgeber sich über unterschiedliche zeitliche Abläufe Gedanken gemacht hat. Die Norm dehnte er dennoch nur für den Fall einer noch nicht anhängigen Klage aus, nicht dagegen für den Fall der chronologisch umgekehrten Reihenfol­ ge von verbotener Eigenmacht und rechtskräftiger Entscheidung. Das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke ist daher fraglich. bb) Ausdehnung der ohnehin schon problematischen Regelung Eine zeitlich erweiterte Anwendung des §  864 II BGB verschärft zudem auch die vollstreckungsschutzrechtliche Problematik: Erlischt der Besitzschutzanspruch, so wird dem Besitzer die einzige Möglichkeit genommen, den Besitzstand her­ zustellen, der bestehen würde, wenn der Täter anstelle der Eigenmacht die staat­ liche Zwangsvollstreckung bemüht hätte und der Besitzer sich zum Beispiel auf §  765a ZPO hätte berufen können.123 Griffe man erneut zum Mittel der hypothe­ tischen Prüfung der sofortigen Durchsetzbarkeit, wäre hier zu bedenken, dass man den Besitzschutzprozess entgegen §  863 BGB noch mehr mit der Prüfung der materiellen Rechtslage belasten würde. Erschwerend käme hinzu, dass zwi­ schen der Rechtskraft des Urteils und dem Besitzeingriff ein längerer Zeitraum 122 

Protokolle, Band  III, S.  45 = Mugdan, Band  III, S.  518. unter §  5 II.2.

123  Ausführlich

II. §  864 II BGB in der konkreten Rechtsanwendung

139

liegen kann, in dem sich die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse erheblich geändert haben können. Ab Vorliegen einer petitorischen Entscheidung besteht zudem erst recht ein besonderer Bedarf nach einem Schutz gegen alle Versuche eigenmächtiger Rechtsdurchsetzung. Je größer die Gewissheit der Existenz des eigenen Rechts erscheint, desto verlockender wird auch dessen Durchsetzung auf eigene Faust. Dieser Verlockung muss der volle, nicht allein auf §  859 BGB beschränkte Be­ sitzschutz entgegenstehen. Die Privatvollstreckung wird faktisch viel schneller von statten gehen als die staatliche. Aufgrund des eher fragmentarischen Charak­ ters des Strafrechts wird auch nicht zwangsläufig ein Straftatbestand erfüllt sein, der das eigenmächtige Vorgehen seinerseits sanktionieren würde. Insofern ver­ mag das Argument von Gursky nicht zu überzeugen, dass derjenige, der ein rechtskräftiges Urteil erstritten habe, keinen vernünftigen Grund habe, statt der justizförmigen Vollstreckung zur Selbsthilfe zu schreiten.124 Der Besitzschutz stellt in diesem Bereich den einzig wirksamen Schutz zur Verhinderung von Ei­ genmacht dar. c) Zwingende analoge Anwendung in Fällen der Besitzstörung? Letztlich ist es die Gefahr, das Vollstreckungsrecht unterlaufen zu können, die Grund dafür ist, dem Besitzer den possessorischen Anspruch gegen den Täter der verbotenen Eigenmacht an die Hand zu geben. Wer die Argumente gegen eine zeitlich analoge Anwendung des §  864 II BGB noch wohlwollend mitträgt, sollte sich allerdings folgenden Fall vor Augen führen: A klagt gegen seinen Nachbarn B auf Duldung der Errichtung einer Mauer auf der Grundstücksgrenze. Nachdem ein vorläufig vollstreckbares Duldungsurteil ergangen ist, fährt B in den Urlaub – nicht ohne vorher noch einmal seinen Protest gegen die Errichtung der Mauer kundzutun. A baut in Abwesenheit des B die Mauer. Trotz der Absurdität des Ergebnisses, scheint es, als ob ein Beseitigungsanspruch von B gegen A aus §  862 I 1 BGB bestehe: Aufgrund der weiten Fassung des §  858 I BGB begeht A mit Errichtung der Mauer eigentlich eine verbotene Eigen­ macht, denn der Mauerbau erfolgt ohne den Willen des B und ebenfalls ohne gesetzliche Gestattung, da mit der Entscheidung zugunsten des A nur eine gerichtliche Gestattung vorliegt. Die Besonderheit des Falls ist folgende: Das zur Duldung der Besitzstörung verpflichtende Urteil erfordert eine staatliche Zwangsvollstreckung erst bei Zu­ widerhandlung des Besitzers gegen die berechtigte Störung. Die Störung selbst 124 

Westermann/Gursky/Eickmann, Sachenrecht, §  23, Rn.  9 = S.  167.

140

§  5 Das Verhältnis des possessorischen Anspruchs zum petitorischen Anspruch

darf aber stets „privat“ vorgenommen werden, solange der Besitzer keinen Wi­ derstand leistet.125 Hat A vor Errichtung der Mauer einen Duldungstitel erwirkt und die angeordnete Sicherheit geleistet, hat er alles getan, was von ihm verlangt wird. Er muss insbesondere nicht den Gerichtsvollzieher nach §  892 ZPO hinzu­ ziehen oder ein Zwangsmittel nach §  890 ZPO beantragen, da B keinen Wider­ stand leistet. Es wäre absurd, B dennoch ein Notwehrrecht nach §  859 I BGB, das von anwesenden Dritten auf Anforderung für ihn ausgeübt werden könnte,126 oder einen Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch nach §  862 I BGB zuzu­ sprechen. Ist in diesem Fall also die analoge Anwendung des §  864 II BGB aus­ nahmsweise geboten? Eine genauere Analyse dieses Problems ist in der Literatur bislang nicht er­ folgt. Teilweise wird aber diskutiert, ob bestimmte Duldungsansprüche von vornherein nicht eher als gesetzliche Gestattungen im Sinne von §  858 I BGB auszulegen sind.127 Dies scheint der richtige Ansatz zu sein. Ausgangspunkt ist folgende Überlegung: Leistet der Besitzer trotz des petitorischen Titels Wider­ stand gegen die Besitzstörung, so kann der Gläubiger nach §  892 ZPO den Ge­ richtsvollzieher hinzuziehen. Dies hat zur Konsequenz, dass die Störung keine verbotene Eigenmacht darstellt, denn die Bestimmungen über die Zulässigkeit von Vollstreckungsakten schließen als gesetzliche Gestattung die verbotene Ei­ genmacht im Sinne des §  858 I BGB aus.128 Gleiches gilt für Fälle der Herausga­ bevollstreckung. Nimmt der Gerichtsvollzieher nach §  808 ZPO oder §  883 ZPO eine Sache weg, liegt keine verbotene Eigenmacht vor. Im Gegensatz zur Her­ ausgabevollstreckung ist für Fälle der Besitzstörung bei fehlendem Widerstand des Besitzers aber grundsätzlich keine staatliche Vollstreckung vorgesehen. Im Umkehrschluss ist eine „Privatvollstreckung“ aus einem Duldungstitel zulässig. Man könnte insofern eine ungeschriebene Bestimmung über die Zulässigkeit von Vollstreckungsakten bejahen, die dann zu einer „gesetzlichen Gestattung“ im Sinne des §  858 I BGB führt. Ebenfalls möglich erscheint die Heranziehung des Rechtsgedankens des §  894 ZPO, sodass eine Einwilligung fingiert wird.129 125  Dies ist die Besonderheit von Duldungsansprüchen. Ein Herausgabeanspruch muss im­ mer durch den Gerichtsvollzieher vollstreckt werden. 126  BGH NJW 2009, 2530 (2531); Gutzeit, in: Staudinger, BGB, §  859 Rn.  3; Joost, in: MüKo-BGB, §  859 Rn.  3. 127  Lehmann-Richter, NZM 2011, 572 (574). 128  Gutzeit, in: Staudinger, BGB, §  858 Rn.  24; Joost, in: MüKo-BGB, §  858 Rn.  10. 129  Eine direkte Anwendung des §  894 ZPO kommt aufgrund fehlender Rechtskraft nicht in Betracht. Der Rechtsgedanke greift im Übrigen nur, wenn vom Duldungskläger auch die im Urteil angeordnete Sicherheit geleistet wurde. Schneider/Schneider, MDR 1991, 1033 (1034), bezeichnen den Fall, dass ein durch Urteil zur Störung Berechtigter eigenmächtig und ohne Leistung der angeordneten Sicherheit die Störung vornimmt, als Dilemma für die Praxis, da es einerseits widersinnig sei, wenn der Berechtigte die Störung wieder beseitigen müsse, es aber

II. §  864 II BGB in der konkreten Rechtsanwendung

141

In der Konsequenz besteht für den Besitzer jedenfalls kein Notwehrrecht nach §  859 I BGB und kein Besitzschutzanspruch nach §  862 I BGB. Dies ergibt sich aber nicht aus einer analogen Anwendung von §  864 II BGB; die Norm spielt insofern keine Rolle. d) Fazit Die zeitlich analoge Anwendung des §  864 II BGB ist abzulehnen, um den Kreis der unsanktionierten Fälle von Selbsthilfe nicht noch mehr auszuweiten. Freilich unterstellt diese Argumentation, dass die Norm bereits hinsichtlich ihres aus­ drücklich vorgesehenen Anwendungsbereichs problematisch ist.

4. Vollstreckungsrechtliches Patt bei vorläufiger Vollstreckbarkeit Das Problem miteinander unvereinbarer Vollstreckungstitel ist im Besitzschutz­ system des BGB angelegt. Da gem. §  864 II BGB erst die Rechtskraft des petito­ rischen Urteils dem petitorischen Recht den Vorrang vor dem possessorischen Anspruch einräumt, stehen bis zu ihrem Eintritt zwei diametrale Titel im Wider­ streit. a) Problembeschreibung anhand eines Fallbeispiels Zur Verdeutlichung der Problematik soll folgender Fall dienen:130 B schloss mit der A als Vermieterin einen Mietvertrag über Gewerberäume. In dem Vertrag heißt es unter anderem: „Während der Zeit zwischen Kündigung und Auszug hat der Mieter die Anbringung von Werbung, das heißt Vermietungsangeboten, durch den Vermieter an den Fenstern und an anderen geeigneten Stellen zu gestatten.“ Zwischen A und B ist streitig, ob dieses Gewerberaummietverhältnis verlängert oder gekündigt wurde und was im Übrigen als „geeignete Stelle“ gilt. Unstreitig ist B immer noch im Besitz der Räume. A hat in den Schaufenstern des Ladenlokals gegen den Widerstand von B eine großflächige Werbefront mit Bildern und dem Inhalt „zu vermieten, Tel. […]“ angebracht. B erwirkt ein Urteil, welches, gestützt auf §  862 I BGB, A zur Beseitigung der Werbung und Unterlassung einer Anbringung für die Zukunft verpflichtet. A erhebt Klage gegen B auf Duldung der Werbung und erlangt ein vorläufig vollstreckbares Urteil, das noch nicht rechtskräftig ist. andererseits für den Schuldner auch keinen sofort durchsetzbaren Anspruch auf Leistung der Sicherheit gäbe. Tatsächlich muss hier dann §  862 I BGB als Druckmittel zugunsten des Schuldners greifen. 130  Angelehnt an AG Brandenburg NZM 2013, 828–829.

142

§  5 Das Verhältnis des possessorischen Anspruchs zum petitorischen Anspruch

Im Zeitraum zwischen dem Erlass des vorläufig vollstreckbaren petitorischen Urteils und dem Eintritt der Rechtskraft ergeben sich Komplikationen, da der possessorische Anspruch nach §  864 II BGB erst mit der Rechtskraft des petito­ rischen Urteils erlischt. Verharren A und B beide auf ihrem siegreichen Prozess­ standpunkt, so scheint es möglich, dass sie jeweils gem. §  890 ZPO gegeneinan­ der Geld- oder Haftstrafen festsetzen lassen und sich so „zu Tode siegen.“131 Folgendes Szenario ist denkbar: Sollte A sich weiterhin weigern, die Werbefront an den gemieteten Räumlichkeiten zu entfernen, könnte B aufgrund seines pos­ sessorischen Titels die Beseitigung durch Zwangsvollstreckung gem. §  887 ZPO erwirken. Dadurch würde er allerdings gegen die ihm durch das petitorische Ur­ teil auferlegte Duldungspflicht verstoßen und wäre somit von Ordnungsgeld oder -haft gem. §  890 ZPO bedroht. Wenn A daraufhin die Werbeplakate wieder auf­ hängen würde, verstieße wiederum sie gegen die Unterlassungspflicht aus dem possessorischen Urteil. Als besonders problematisch erweist sich dabei, dass die possessorische Unterlassungspflicht gem. §  862 I BGB im für die Vollstreckung relevanten Tenor allgemein formuliert ist und sich nicht explizit auf die Unterlas­ sung der Besitzstörung im Wege verbotener Eigenmacht beschränkt. Der Tenor verpflichtet den Gegner nur, „[…] bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes […] ersatzweise Ordnungshaft […] die bestimmte Handlung zu unterlassen“.132 Somit müsste A die Zwangsmittel des §  890 ZPO fürchten. Demgegenüber endet die prozessuale Situation bei einer Besitzentziehung nicht in einem vollstreckungsrechtlichen „Teufelskreis“, da sich hier nicht zwei Leistungsurteile unversöhnlich gegenüberstehen. Dies belegt der bereits oben verwendete Beispielsfall:133 A ist Leasinggeber eines von B geleasten Pkw. Als die Rückgabe fällig ist und B den Pkw trotz mehrmaliger Aufforderung nicht herausgibt, lässt ihn A eigenmächtig abtransportieren und erhebt Klage auf Feststellung, dass er gegenüber B zum Besitz berechtigt ist. B erhebt Klage auf Herausgabe des Pkw aus §  861 I BGB. Beide Urteile ergehen antragsgemäß und sind noch nicht rechtskräftig. Das Feststellungsurteil ist nicht vorläufig vollstreckbar, sodass kein vollstre­ ckungsrechtliches Patt entsteht. Wenn B den Herausgabetitel vollstreckt, muss A 131 

Prägnant formuliert von Hagen, JuS 1972, 124 (124). Siehe z. B. den Tenor von LG Berlin v. 17.06.2014 – 67 T 109/14 –, juris, und v. 16.09.­ 2014 – 65 T 224/14 –, juris. Fragwürdig VerfGH Berlin NJW-RR 2007, 66 (67), der angeblich nicht nur aus der Begründung des vorgelegten Unterlassungsurteils, sondern auch aus dessen Tenor herauslesen konnte, dass nur die verbotene Eigenmacht untersagt wurde. 133  Siehe unter §  5 II.2. 132 

II. §  864 II BGB in der konkreten Rechtsanwendung

143

seinerseits ein Herausgabeurteil erwirken und aus diesem vollstrecken. Die Sa­ che wechselt somit maximal einmal hin und her. b) Lösungsansätze aa) Analoge Anwendung von §  864 II BGB auf nicht rechtskräftige Urteile Um mit dem Problem der konträren Leistungsurteile adäquat umzugehen, befür­ wortet die wohl herrschende Meinung, angeführt von der Rechtsprechung, eine analoge Anwendung von §  864 II BGB auf vorläufig vollstreckbare petitorische Urteile – mit der Folge, dass der Besitzschutzanspruch in dem Moment erlischt, in dem der petitorische Anspruch zugesprochen wird.134 Das petitorische Urteil kann, soweit es nach der possessorischen Entscheidung ergangen ist, als Einwen­ dung gegen die Vollstreckung aus dem possessorischen Titel gem. §  767 ZPO geltend gemacht werden135 oder sorgt, falls es vor der possessorischen Entschei­ dung ergangen ist, für die Abweisung der possessorischen Klage als unbegrün­ det, wobei von Teilen der Literatur eine Abweisung als nur „zur Zeit unbegrün­ det“ befürwortet wird, sodass der Besitzer bei späterer Aufhebung des petitori­ schen Urteils die possessorische Klage erneut erheben können soll136. Die Analogie wird damit begründet, dass sich eine planwidrige Regelungslücke dar­ aus ergebe, dass das Problem der sich widersprechenden Entscheidungen weder in §  863 BGB noch in §  864 II BGB geregelt sei. Ein vorläufig vollstreckbares Urteil sei jedenfalls vergleichbar mit einem rechtskräftigen Urteil gem. §  864 II BGB, welches das Erlöschen des possessorischen Anspruchs bewirke, denn für das Gericht stehe fest, dass der Besitz an der Sache im Endeffekt dem petitori­ schen Kläger zustehe. Dem possessorischen Kläger in dieser Situation Besitz­ schutzansprüche zuzusprechen, sei eine genauso zwecklose Weiterung wie im Falle der Rechtskraft des petitorischen Urteils gem. §  864 II BGB. In Anbetracht dieser Argumentation stellt sich freilich die Frage, ob eine ana­ loge Anwendung von §  864 II BGB dann auch auf petitorische Feststellungsur­ teile, die nach einer Besitzentziehung im Sinne der §§  858 I, 861 I BGB ergehen, 134 

Der BGH scheint eine Analogie zur Vermeidung in sich widersprüchlicher Entscheidun­ gen für möglich zu halten, siehe BGHZ 73, 355 (357 f.) für den Fall der gleichzeitigen Ent­ scheidungsreife bei Widerklage, wobei für den Fall der Besitzstörung in BGH NJW 1979, 1359 (1360) diese Ansicht nur noch in abgeschwächter Form formuliert wird, dazu ausführlich unter §  6 I.5. Im selben Sinne auch LG Berlin NJW-RR 2015, 14 (14); Herrler, in: Palandt, BGB, §  863 Rn.  3; Hoeren, in: NK-BGB, §  864 Rn.  14; Koch/Löhnig, Fälle zum Sachenrecht, Fall 1 Rn.  18 = S.  9; Stadler, in: Soergel, BGB, §  864 Rn.  7. 135  Ausdrücklich BGH NJW 1979, 1359 (1360). 136  Götz, in: BeckOGK-BGB, §  863 Rn.  48; Gromann, JA 1979, 674 (674); Gutzeit, in: Staudinger, BGB, §  864 Rn.  9; Hagen, JuS 1972, 124 (125); Wieling, Sachenrecht I, §  5 IV 3 e = S.  214.

144

§  5 Das Verhältnis des possessorischen Anspruchs zum petitorischen Anspruch

erfolgen muss. Hier entsteht zwar, wie bereits dargestellt, kein vollstreckungs­ rechtliches Patt; die Argumente der gerade dargestellten Ansicht passen aber gleichermaßen: Für das Gericht steht fest, dass der Besitz an der Sache dem Täter der verbotenen Eigenmacht, also dem petitorischen Kläger, zusteht. Es wäre nicht einzusehen, wenn eine analoge Anwendung des §  864 II BGB in diesem Fall nicht erfolgte; sonst stünde derjenige, der den Besitz eigenmächtig stört, besser als derjenige, der den gesamten Besitz eigenmächtig entzieht. Insofern verwundert es nicht, dass erste Gerichte in dem Sinne entschieden haben.137 Auch von Teilen der Literatur wird die analoge Anwendung des §  864 II BGB auf beide Ansprüche gefordert.138 bb) Lösung auf vollstreckungsrechtlicher Ebene Von anderen Stimmen wird zur Lösung des Patts dagegen eine „Vollstreckungs­ lösung“ vorgeschlagen, die der Durchsetzung des possessorischen Anspruchs den Vorrang einräumt.139 Sie wurde für das Phänomen der petitorischen Wider­ klage entwickelt, passt aber auf alle Fälle, in denen sich petitorische und posses­ sorische Entscheidungen gegenüberstehen. Demnach ist sowohl der petitorische als auch der possessorische Anspruch zuzusprechen, der petitorische Titel soll aber nicht für vorläufig vollstreckbar erklärt werden dürfen. Nur im Fall der pe­ titorischen Revisionsentscheidung sei die possessorische Klage aufgrund von §  864 II BGB abzuweisen. Wird das petitorische Urteil zuerst erlassen, kann freilich auf eine später erge­ hende possessorische Entscheidung nicht mehr reagiert werden, sodass das peti­ 137  Brandenburgisches OLG v. 23.11.2011 – 7 U 195/10 –, juris Rn.  75; Schleswig-Holstei­ nisches Oberlandesgericht v. 22.05.2012 – 3 U 69/11 –, juris Rn.  60; AG Bochum v. 23.01.2015 – 55 C 355/14 –, juris Rn.  28. Die Entscheidung BGHZ 73, 355 ist bezüglich dieser Fragestel­ lung nicht aufschlussreich. Hier war zwar ein Herausgabeanspruch nach §  861 BGB Streitge­ genstand, jedoch befand sich der streitbefangene Gegenstand mittlerweile im Besitz eines Se­ questers, sodass auch der petitorische (Wider-)Kläger auf Herausgabe klagte, mithin ein „ech­ tes“ Patt vorlag, das der BGH sodann zugunsten des petitorischen (Wider-)Klägers entschied. 138  Götz, in: BeckOGK-BGB, §  864 Rn.  37, und Hess, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, §  717 Rn.  8, der allerdings nicht den Weg über §  864 II BGB, sondern über §  717 I ZPO analog gehen will: Mit der Verkündung des petitorischen Urteils entfalle die Vollstreckbarkeit des possesso­ rischen Titels. Nach Hess soll eine Ausnahme von dieser Regel gelten, wenn die Vollstreckbar­ keit des petitorischen Titels ausdrücklich, z. B. nach §  721 ZPO, ausgeschlossen wurde. Hierbei übersieht Hess jedoch, dass das petitorische Urteil ein Feststellungsurteil ist. Gegen die Analo­ gie beim Feststellungsurteil: Stadler, in: Soergel, BGB, §  864 Rn.  7, und wohl auch Hagen, JuS 1972, 124 (126). 139  Baur/Stürner, Sachenrecht, §  9, Rn.  18 = S.  97; Hager, KTS 1989, 515 (521 f.); Zeising, Jura 2010, 248 (253). Stadler, in: Soergel, BGB, §  863 Rn.  4, befürwortet die Stattgabe beider Klagen nur für den Fall, dass keine vollstreckungsrechtlich widersprüchliche Situation ent­ steht, was aber im Rahmen von §  862 BGB in der Regel der Fall sein wird.

II. §  864 II BGB in der konkreten Rechtsanwendung

145

torische Urteil in „normaler“ Form auch eine vorläufige Vollstreckbarkeitserklä­ rung beinhalten würde. Um der Vollstreckung aus dem possessorischen Urteil dennoch den Vorrang einzuräumen, scheint es möglich, es als Einwendung gegen den petitorischen Titel im Sinne des §  767 ZPO zu behandeln. Das Prozessge­ richt würde dann die Vollstreckung aus dem petitorischen Urteil für „zur Zeit unzulässig“ erklären.140 Die zeitliche Grenze der Rechtskraftwirkung dieser Ent­ scheidung läge in der Aufhebung des possessorischen Urteils oder der Rechts­ kraft des petitorischen Urteils (gem. §  864 II BGB). Beide Zeitpunkte könnte der (petitorische) Vollstreckungsgläubiger durch eine öffentliche oder öffentlich be­ glaubigte Urkunde nachweisen. Hager und Zeising schlagen demgegenüber vor, die vorläufige Vollstreckbarkeit der petitorischen Entscheidung über den Rechts­ gedanken des §  717 I ZPO außer Kraft treten zu lassen.141 Zwar hebe das posses­ sorische Urteil das petitorische nicht auf, doch ähnele die Situation der zweiten der in §  717 I ZPO geregelten Variante, nämlich der Aufhebung der Vollstreck­ barkeitserklärung. c) Bewertung aa) Ablehnung der analogen Anwendung des §  864 II BGB auf nicht rechtskräftige Urteile Die analoge Anwendung des §  864 II BGB auf nicht rechtskräftige petitorische Urteile ist sowohl dogmatisch als auch vom Ergebnis her zu kritisieren. (1) Fehlende Voraussetzungen für eine Analogiebildung Aus den überlieferten Gesetzesmaterialien ergibt sich – wie bereits aufgezeigt – nicht, ob die Frage nach der Differenzierung zwischen Rechtskraft und vorläufi­ ger Vollstreckbarkeit bei der Schaffung des §  864 II BGB jemals aufgeworfen wurde. Der Gesetzgeber schien aber davon auszugehen, dass die Regel petitorium absorbet possessorium – wenn überhaupt – nur bei Unanfechtbarkeit der petitorischen Entscheidung gelten sollte.142 Dass der Gesetzgeber dabei das Phä­ nomen der vorläufigen Vollstreckbarkeit übersehen hat, ist unwahrscheinlich, da die vorläufige Vollstreckbarkeit in der ZPO damals schon existierte.143

140 

Ein solcher Tenor ist im Rahmen von §  767 ZPO grundsätzlich möglich: OLG Koblenz Rpfleger 1985, 200 (200); Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, §  43, Rn.  1369 = S.  670; Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, §  40, Rn.  138 = S.  767. 141  Hager, KTS 1989, 515 (524); Zeising, Jura 2010, 248 (253). 142  Siehe unter §  5 I.4.c). 143  Siehe unter §  5 I.3.

146

§  5 Das Verhältnis des possessorischen Anspruchs zum petitorischen Anspruch

Doch selbst wenn man das Bestehen einer planwidrigen Regelungslücke auf­ grund des Problems der sich widersprechenden Entscheidungen und somit auch widersprechenden Vollstreckungen bejaht, kann sie jedenfalls mangels ver­ gleichbarer Interessenlage nicht über §  864 II BGB geschlossen werden. Die Be­ gründung für §  864 II BGB liegt darin, dass ein possessorischer Prozess und eine daraus resultierende Vollstreckung ein „unnötiger Umweg“ beziehungsweise eine „zwecklose Weiterung“ sind, wenn endgültig feststeht, dass dem Beklagten die materiell bessere Berechtigung zusteht. Dass der Besitzschutz überhaupt durchbrochen wird, rechtfertigt sich also nicht nur aus der Entscheidung des über den petitorischen Anspruch befindenden Gerichts, sondern auch dadurch, dass diese Entscheidung unabänderlich ist.144 Mit der vorläufigen Vollstreckbarkeit eines Urteils wird nicht die Endgültigkeit der Feststellung des petitorischen Rechts vorverlagert, sondern lediglich dem Gläubiger die Zwangsvollstreckung wegen der mit der Dauer des Rechtsmittelzugs verbundenen Gefährdung seiner Befriedigung verfrüht ermöglicht.145 Die herrschende Meinung blendet die Mög­ lichkeit aus, diese frühe Befriedigungsmöglichkeit zugunsten des Besitzschutz­ klägers ausnahmsweise zu versagen. Legt man nämlich §  864 II BGB wortlaut­ getreu aus, so ist der Besitzschutz bis zur rechtskräftigen Feststellung des petito­ rischen Rechts diesem nicht nach-, sondern vorgeordnet. Wenn §  864 II BGB aufgrund fehlender Rechtskraft nicht gilt, dann greift im Umkehrschluss §  863 BGB, mit der Folge, dass sich ein petitorischer Anspruch auf den Besitzschutz­ anspruch nicht auswirkt. Anderenfalls käme §  863 BGB keinerlei Bedeutung mehr zu. Es wäre absurd, wenn die petitorische Einwendung im Besitzschutzpro­ zess unzulässig wäre, die Feststellung im gesonderten petitorischen Prozess aber zum Erlöschen des Besitzschutzanspruchs führen würde; denn die (nicht rechts­ kräftige) Feststellung eines Rechts zum Besitz oder eines Rechts zur Vornahme der störenden Handlung im petitorischen Prozess hat die gleiche Qualität wie die Feststellung im Rahmen einer Einwendung im Besitzschutzprozess, da sie in beiden Fällen vom Richter in gleichem Umfang geprüft wird. Gegen eine Analogiebildung spricht nicht zuletzt auch die Tatsache, dass der Gesetzgeber §  81 des Johowschen Entwurfs strikt abgelehnt hat. Der den posses­ sorischen Besitzschutzansprüchen überaus kritisch gegenüberstehende Johow hatte in §  81 seines Entwurfs die Möglichkeit der Erhebung einer petitorischen Widerklage vorgesehen.146 Bei hinreichender Glaubhaftmachung des petitori­ 144 

So auch Amend, JuS 2001, 124 (128); Wacke, in: FS Jayme, S.  1605 (1618 Fn.  69). Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, §  14, Rn.  1 = S.  269. 146  §  81 – Zweiter Abschnitt – Besitz: „Erhebt der wegen Besitzstörung Beklagte wider den Gegner Klage auf Feststellung des Rechts zur Vornahme der als Besitzstörung gerügten Hand­ lung, und macht derselbe das beanspruchte Recht glaubhaft, so kann auf seinen Antrag das mit dieser Klage befasste Gericht durch einstweilige Verfügung auf die Dauer des Prozesses den 145 

II. §  864 II BGB in der konkreten Rechtsanwendung

147

schen Rechts im Rahmen der Widerklage sollte die Besitzschutzklage für erle­ digt erklärt werden können: „Der wegen Besitzstörung Beklagte kann sich nicht durch Geltendmachung seines Rechts von der Klage befreien. Er ist aber nicht gehindert, seinerseits sofort Klage zu erheben, und erzielt, wenn sie für begründet befunden wird, die Feststellung seines Rechts und die Verurteilung des beklagten Besitzers, die diesem Recht entsprechenden Handlungen zu dulden, das ist jede Hin­ derung derselben zu unterlassen, und damit die Erledigung der Besitzstörungsklage abgesehen von den Kosten.“147

Die Norm fand keinen Eingang in das BGB. Die Erste Kommission war sich ei­ nig, dass sonst die Gefahr bestünde, dem Einwand des Rechts zum Besitz einen gewichtigen Einfluss auf den Besitzschutzprozess zuzugestehen. Damit werde das Prinzip des §  863 BGB in erheblichem Umfang aufgegeben und „dessen Zweck zu nicht geringem Teil vereitelt“.148 Alles andere als die rechtskräftige Entscheidung über den petitorischen Anspruch sollte also keinerlei Auswirkung auf den Besitzschutzanspruch haben. Dies deckt sich mit dem bereits herausge­ arbeiteten generellen Ziel des Besitzschutzes, dem Verbot der Eigenmacht größt­ mögliche Geltung zu verschaffen. (2) Wirtschaftliche Belohnung für die Begehung verbotener Eigenmacht Für die Erreichung eines effektiven Abschreckungseffekts darf es zudem für den Eigenmächtigen niemals wirtschaftlich günstiger sein, verbotene Eigenmacht zu üben als den Weg über die staatliche Rechtsdurchsetzung zu gehen. Wie bereits geschildert, ergibt sich für den Täter verbotener Eigenmacht ein Belohnungs­ effekt dadurch, dass er die Entstehung eines Verzugsschadens eigenmächtig ver­ hindert und das Kostenrisiko der staatlichen Zwangsvollstreckung umgeht.149 Ist das petitorische Urteil noch nicht rechtskräftig, sondern nur vorläufig voll­ streckbar, kann zudem eine Sicherheitsleistung durch den Gläubiger nach §  709 ZPO erforderlich werden oder der Schuldner eine Abwendungsbefugnis nach §§  708, 711 ZPO erhalten, die der Gläubiger nur über die Leistung einer Sicher­ heit überwinden kann. Die Sicherheitsleistung dient den Interessen des Schuld­ ners. Auf sie kann er zurückgreifen, wenn der Gläubiger vollstreckt und das Urteil später aufgehoben oder abgeändert wird und dem Schuldner durch die vorläufige Vollstreckung ein Schaden entstanden ist, den er sodann ersetzt verlangen kann Besitzstörungsprozess einstellen“, abgedr. bei Schubert, Vorlagen der Redaktoren, Sachenrecht I, S.  27. 147  Abgedr. bei Schubert, Vorlagen der Redaktoren, Sachenrecht I, S.  589. 148  Protokolle der Ersten Kommission, S.  3530, abgedr. bei Jakobs/Schubert, Beratung des BGB, Sachenrecht I, S.  188. 149  Ausführlich unter §  5 I.2.

148

§  5 Das Verhältnis des possessorischen Anspruchs zum petitorischen Anspruch

(§  717 II ZPO). Auch dieses vollstreckungsrechtliche Erfordernis umgeht der Tä­ ter verbotener Eigenmacht, wenn er sich die Sache nimmt, ohne die Zustim­ mungserklärung des Besitzers herbeizuführen,150 oder die Störung eigenmächtig begeht. Der Besitzer hat das Nachsehen, wenn sein Besitzschutzanspruch analog §  864 II BGB bereits mit dem noch nicht rechtskräftigen petitorischen Urteil er­ lischt, letzteres Urteil aber in der nächsten Instanz aufgehoben wird.151 Im Falle der analogen Anwendung des §  864 II BGB bestünde im Ergebnis die Gefahr, dass sich zum Beispiel ein für petitorisch berechtigt haltender Verkäufer oder Leasinggeber bei ausbleibenden Ratenzahlungen seitens des Besitzers zu folgender Kosten-Nutzen-Rechnung veranlasst sieht: Das finanzielle Risiko der Begehung verbotener Eigenmacht (zum Beispiel der Beauftragung einer „Ein­ satzgruppe“) und einer erfolgreich zu prognostizierenden Feststellungsklage ist nicht so hoch wie das einer Herausgabeklage und eines anwachsenden Verzugs­ schadens sowie des Kostenvorschusses für eine eventuell nötige Zwangsvollstre­ ckung, auf denen der Gläubiger im Zweifelsfall „sitzenbleibt“. Der Besitzschutz­ anspruch als wirtschaftlich schmerzhafte Sanktion müsste nicht in die Rechnung aufgenommen werden; einen Schadensersatzanspruch des Besitzers muss der Eigenmächtige ebenso wenig fürchten, da §  823 I, II BGB nach ganz herrschen­ der Meinung nur den berechtigten Besitz schützen.152 Ebenso wenig besteht eine nachvertragliche Pflicht aus §  280 I BGB, dem Unberechtigten den Besitz an der Sache zu erhalten. Einer derartigen Kosten-Nutzung-Rechnung sollte rechtlich nicht der Weg geebnet werden, da ansonsten ein Anreizpotential gerade in Rich­ tung der Begehung verbotener Eigenmacht geschaffen würde.153 (3) Dogmatische Widersprüche Dogmatisch ebenso wenig überzeugend ist es, die Besitzschutzklage in erster Instanz bei Erfolg der petitorischen Klage als „zur Zeit unbegründet“ abzuwei­ sen. In dem Moment, in dem das petitorische Urteil aufgehoben wird, soll die possessorische Klage erneut erhoben werden können.154 Hieran ist zu kritisieren, dass nach ständiger Rechtsprechung eine Klage nur als „zur Zeit unbegründet“ 150 

Die Zustimmung des Schuldners entbindet den Gläubiger von der Sicherheitsleistung. Die Ansicht, die bei Aufhebung des petitorischen Urteils den Besitzschutzanspruch wie­ deraufleben lassen will, mildert diese Unbilligkeit zwar ab, vermag sie aber nicht zu beseitigen. 152  Gegen einen Ersatz nach §  823 I BGB: BGHZ 73, 355 (362). Siehe außerdem unter §  4 II.3.b)aa). 153  Der Anreiz verstärkt sich im Übrigen, wenn es der Täter der verbotenen Eigenmacht sogar auf eine Besitzschutzklage des Besitzers ankommen lassen kann, da ihm eine petitorische Widerklage gestattet wird, dazu ausführlich unter §  6. 154  Gutzeit, in: Staudinger, BGB, §  864 Rn.  9; Hagen, JuS 1972, 124 (125); Wieling, Sachen­ recht I, §  5 IV 3 e = S.  214. 151 

II. §  864 II BGB in der konkreten Rechtsanwendung

149

abzuweisen ist, wenn eine materielle Voraussetzung des Anspruchs noch fehlt.155 Der possessorische Besitzschutz ist aber nicht vergleichbar mit Fällen, in denen Tatbestandsmerkmale von Normen noch nicht erfüllt sind.156 Die potentielle Aufhebung des petitorischen Urteils ist insofern keine Voraussetzung für das Wiederaufleben des possessorischen Anspruchs, die lediglich noch nicht erfüllt ist. Es handelt sich bei §  864 II BGB nämlich um einen schlichten Erlöschenstat­ bestand.157 Bei der Bejahung anderer Erlöschenstatbestände im BGB werden Klagen nicht als zur Zeit unbegründet abgewiesen, wenn die entfernte Möglich­ keit besteht, dass sich am Erlöschensgrund noch etwas ändert.158 Allerdings soll nicht unterschlagen werden, dass es Fälle der vorübergehenden Unmöglichkeit gibt, die zur Abweisung als zur Zeit unbegründet führen.159 Die vorübergehende Unmöglichkeit ist unstreitig ein Erlöschenstatbestand;160 jedoch liegt ihr ein Leistungshindernis zugrunde, dessen Beseitigung in einem überschaubaren Zeit­ raum mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist – anderenfalls erfolgt ebenfalls eine Klageabweisung als endgültig unbegründet.161 Das über den Be­ sitzschutz entscheidende Gericht sollte es dagegen nicht für hinreichend wahr­ scheinlich halten dürfen, dass ein – eventuell sogar selbst erlassenes – petitori­ sches Urteil in der nächsten Instanz aufgehoben wird.162 Der Besitzschutz­ anspruch ist nicht für eine vorübergehende Zurückweisung konzipiert. Dem Besitzschutzsuchenden wird zugemutet, später erneut klagen zu müssen, wo­ durch weitere Verzögerungen entstehen, deren Vermeidung gerade Zweck der 155  Dies ist z. B. der Fall, wenn die Parteien durch besondere Abrede die Feststellung einer rechtserheblichen Tatsache einem Schiedsgutachten übertragen haben oder einzelne Vorausset­ zungen eines Anspruchs durch bestimmte Sachverständige festgestellt werden sollen, die jewei­ ligen Gutachten aber noch nicht vorliegen, siehe BGH NJW 1960, 1462 (1463); BGH NJW-RR 1988, 1405 (1405). Ein weiteres Beispiel ist die Klage nach §  839 I BGB. Diese wird als zur Zeit unbegründet abgewiesen, wenn der Kläger einen zumutbaren Versuch unterlassen hat, auf ande­ re Weise einen Ersatz zu erreichen, siehe BGH v. 13.08.2015 – III ZR 333/14 –, juris Rn.  5; Papier/Shirvani, in: MüKo-BGB, §  839 Rn.  320. Das Gleiche gilt für eine Klage, mit der der Kläger eine nur seiner Meinung nach bereits fällige Leistung einfordert und von §§  257–259 ZPO bewusst keinen Gebrauch macht, siehe BGHZ 24, 279 (284); BGHZ 143, 169 (172). 156  Ablehnend auch Sosnitza, Besitz und Besitzschutz, S.  165. 157  Joost, in: MüKo-BGB, §  864 Rn.  1; Lorenz, in: Erman, BGB, §  864 Rn.  1. 158  So wird z. B. eine Klage nicht als derzeit unbegründet abgewiesen, wenn der Anspruch durch Anfechtung erloschen ist, da die Anfechtungserklärung ihrerseits in Zukunft theoretisch noch angefochten werden könnte. 159  BGH NZI 2010, 956 (959); Ernst, in: MüKo-BGB, §  275 Rn.  141. Solche Fälle vorüber­ gehender Unmöglichkeit unterschlägt Sosnitza, Besitz und Besitzschutz, S.  165, bei seiner Kritik. 160  Unberath, in: BRHP-BGB, §  275 Rn.  39. 161  Ausführlich Medicus, in: FS Heldrich, S.  346 (346). 162  Dies gilt umso mehr für den Fall der petitorischen Widerklage, in dem derselbe Spruch­ körper über den possessorischen und den petitorischen Anspruch entscheidet.

150

§  5 Das Verhältnis des possessorischen Anspruchs zum petitorischen Anspruch

§§  858 ff. BGB ist. §  864 II BGB bringt zum Ausdruck, dass der Vorrang der possessorischen Ansprüche erst dann ein Ende findet, wenn unumstößlich fest­ steht, dass dem Beklagten die materiell bessere Berechtigung zukommt. Nur die Rechtskraft des petitorischen Urteils ermöglicht eine definitive Aussage und eine klare Bejahung oder Verneinung des possessorischen Anspruchs. Hieran zeigt sich, dass §  864 II BGB schlicht nicht analogiefähig ist. (4) Ausweitung der Gefahr der Umgehung des Vollstreckungsschutzes Selbstredend würden über die analoge Anwendung von §  864 II BGB auf vorläu­ fig vollstreckbare Urteile zudem die Regeln über die Art und Weise der staat­ lichen Zwangsvollstreckung ausgehebelt; insbesondere würde die bereits aus­ giebig erläuterte Gefahr der Umgehung des Vollstreckungsschutzes ausgeweitet, was aufgrund der Grundrechtssensibilität und erforderlichen hypothetischen Prüfung möglichst zu vermeiden ist. Die Bedenken würden sich zudem an dieser Stelle nicht nur mit Blick auf den Vollstreckungsschutzantrag nach §  765a ZPO, sondern auch mit Blick auf mögliche Anträge auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach §§  707, 719 ZPO ergeben. bb) Ablehnung der „Vollstreckungslösung“ wegen möglicher Unbilligkeit zulasten des petitorisch Berechtigten Insofern spricht zunächst vieles für die von Teilen der Literatur vorgeschlagene sog. Vollstreckungslösung. Diese wird dem hier befürworteten Vorrang des pos­ sessorischen Anspruchs zugunsten einer effektiven Abschreckung vor verbotener Eigenmacht gerecht. Eine Heranziehung von §  767 ZPO, um den possessorischen Anspruch als Ein­ wendung gegen den petitorischen Anspruch geltend zu machen, ist allerdings frag­ würdig, da der possessorische Anspruch gerade nicht als Einwendung gegen den petitorischen im BGB normiert ist. Die für eine Analogie nötige planwidrige Rege­ lungslücke könnte zwar darin gesehen werden, dass den widersprüchlichen Voll­ streckungstiteln eine Rangordnung eingeräumt werden muss; für eine Schließung dieser Lücke scheint aber §  717 I ZPO besser geeignet zu sein, da die Norm die Konfliktsituation zwischen der vorläufigen Vollstreckung und der Gewissheit über das Recht zum Eingriff in die Vermögenssphäre des Schuldners regelt, welches erst bei Rechtskrafteintritt feststeht. Die gleiche Konfliktsituation besteht zwischen dem Besitzschutzanspruch und dem petitorischen Anspruch: Aufgrund des Zwecks von §  863 BGB geht die sofortige Vollstreckbarkeit des possessorischen Urteils vor – mit der Folge, dass das petitorische Urteil bis zu dessen Rechtskraft gem. §  704 Alt.  1 ZPO nicht zwangsweise durchgesetzt werden kann. Gegenüber einer analo­ gen Anwendung des §  767 ZPO wäre der Verfahrensaufwand zudem geringer.

II. §  864 II BGB in der konkreten Rechtsanwendung

151

Bedenken können sich allerdings insofern gegen die Vollstreckungslösung rich­ ten, als dem petitorischen Kläger nicht nur die Vorteile genommen werden, die ihm aus der verbotenen Eigenmacht erwachsen sind, sondern er noch schlechter gestellt wird als er stehen würde, wenn er – ohne vorher verbotene Eigenmacht zu begehen – unmittelbar geklagt hätte. In letzterem Fall hielte er einen vorläufig vollstreckbaren Duldungstitel gegen den Besitzer in den Händen. Hat der materiell Berechtigte aber verbotene Eigenmacht begangen, wird ihm die Möglichkeit der (vorläufigen) Voll­ streckung bis zur formellen Rechtskraft seines petitorischen Titels – entgegen §§  708 f. ZPO – genommen. Erst mit Rechtskraft entsteht gem. §  704 ZPO die Mög­ lichkeit der Vollstreckung und zugleich die der Vollstreckungsgegenklage gegen den possessorischen Titel gem. §  767 ZPO i. V. m. §  864 II BGB. Vor diesem Zeit­ punkt befindet sich der materiell Berechtigte in einer äußerst ungünstigen Lage: Da der Besitzer einen Beseitigungs- und Unterlassungstitel aus §  862 I BGB erhalten hat und die vorläufige Vollstreckung unmittelbar aus diesem stattfinden kann, wird der Täter die Störung unter dem Druck der drohenden Zwangsvollstreckung selbst aufheben oder die Besitzstörung sogar im Wege der Zwangsvollstreckung gem. §  887 ZPO beseitigt werden. Ist der Zustand der verbotenen Eigenmacht aber ein­ mal beseitigt, wäre es seitens des petitorisch Berechtigten durchaus legitim, aus dem vorläufig vollstreckbaren Duldungsurteil vorzugehen. Der Zustand der verbo­ tenen Eigenmacht wäre schließlich aufgehoben, der Besitzschutzkläger aufgrund Erreichung seines Ziels nicht mehr schutzwürdig. Aufgrund der Versagung der vor­ läufigen Vollstreckbarkeit des Urteils analog §  717 I ZPO müsste der petitorisch Berechtigte aber bis zum Rechtskrafteintritt warten.163 Dies ist eine Schlechterstel­ lung, die finanziell sehr schmerzhaft sein kann, wenn man bedenkt, dass ein vom Besitzer angestrengtes Berufungsverfahren lange dauern und der Eintritt der Rechtskraft des petitorischen Urteils in weite Ferne rücken kann. Bei der Vollstre­ ckungslösung handelt es sich also um eine sehr weitgehende Sanktion, in deren Rahmen der Täter der verbotenen Eigenmacht nicht nur den ursprünglichen Zu­ stand wiederherstellen muss, sondern im Anschluss sein eigenes Recht erst mit Rechtskraft des petitorischen Urteils durchsetzen kann. An einer Instanz, welche die vorläufige Vollstreckbarkeit „wiederherstellen“ könnte, fehlt es. Hier tritt die Mise­ re der lediglich analogen Anwendung des §  717 I ZPO deutlich zu Tage. d) Eigener Vorschlag: §  890 ZPO als Mittel zur Auflösung des Patts Aufgrund all der oben genannten Komplikationen erscheint es lohnenswert, sorgfältig zu überprüfen, ob das vollstreckungsrechtliche Patt nicht ohne Analo­ 163 

Der Erhebung einer erneuten Duldungsklage, die ohne Probleme für vorläufig voll­ streckbar erklärt werden könnte, stünde selbstverständlich die Rechtshängigkeitssperre des §  261 III Nr.  1 ZPO entgegen.

152

§  5 Das Verhältnis des possessorischen Anspruchs zum petitorischen Anspruch

gien zugunsten einer anderweitigen sinnvollen Vollstreckungsreihenfolge aufge­ löst werden kann. Eine einschlägige Lösung ist im Vollstreckungsrecht zu finden, und zwar im Rahmen des §  890 ZPO, unter besonderer Berücksichtigung des Verschuldenserfordernisses. aa) Das Verschuldenserfordernis in §  890 ZPO §  890 ZPO bezweckt, den Verstoß gegen das Duldungs- oder Unterlassungsgebot durch die Androhung von Zwangsmitteln – präventiv – abzuwenden. Die Voll­ streckung wird erst bei pflichtwidrigem Handeln notwendig. Der Verhängung des Ordnungsmittels kommt neben dem prozessualen Beugecharakter damit auch eine Sühnefunktion für die begangene Zuwiderhandlung zu.164 In der Kon­ sequenz erfordert die Vollstreckung nach §  890 ZPO nach einhelliger Ansicht einen schuldhaften Verstoß gegen die auferlegte Pflicht.165 Ein Verschulden ist zum Beispiel dann zu verneinen, wenn vor dem Verstoß eine Erkundigung beim Richter erfolgt ist und der Richter die später als Verstoß qualifizierte Handlung als unbedenklich eingestuft hat.166 bb) Das Verschuldenserfordernis als Einfallstor für materielle Wertungen Überträgt man diesen Gedanken nun auf den eingangs dargestellten Beispiels­ fall, ergäbe sich Folgendes: Würde A sich tatsächlich weiterhin weigern, die Werbeinstallation an den Mieträumen zu entfernen, und würde B aufgrund seines possessorischen Titels die Beseitigung durch Zwangsvollstreckung gem. §  887 ZPO erwirken, so läge darin kein schuldhafter Verstoß gegen die Duldungspflicht aus der petitorischen Entscheidung im Sinne des §  890 ZPO.167 Es handelt sich 164 

BVerfG NJW-RR 2007, 860 (861); Kießling, in: Saenger-ZPO, §  890 Rn.  1; Voit, in: Musielak, ZPO, §  890 Rn.  1, 5. 165  BVerfGE 20, 323 (332); BVerfG NJW-RR 2007, 860 (861); Kießling, in: Saenger-ZPO, §  890 Rn.  11; Rensen, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, §  890 Rn.  13; Stürner, in: BeckOK-ZPO, §  890 Rn.  20 ff.; Voit, in: Musielak, ZPO, §  890 Rn.  5. 166  OLG Jena InVo 2005, 71 (74); Bartels, in: Stein/Jonas, ZPO, §  890 Rn.  24. 167  Angedacht wurde dieser Weg bereits vom KG Berlin v. 11.06.2004 – 14 W 14/04 (unver­ öffentlicht) in einem Fall, in dem zugunsten des Besitzers zunächst eine einstweilige possesso­ rische Unterlassungsverfügung ergangen, im Hauptsacheverfahren die possessorische Klage jedoch abgewiesen und der petitorischen Unterlassungswiderklage der Gegnerin stattgegeben worden war. Die Widerklägerin erwirkte sodann im Wege der vorläufigen Vollstreckung nach Sicherheitsleistung die Verhängung eines Ordnungsgelds gegen den Besitzer. Das KG urteilte als Beschwerdeinstanz, dass dies nicht im Widerspruch zum Tenor der früheren possessori­ schen einstweiligen Verfügung stünde und keinen dort nach §  890 ZPO zu behandelnden Ver­ stoß darstelle, da bei Durchführung der gesetzlich zulässigen vorläufigen Vollstreckung aus dem Hauptsacheurteil „mindestens das Verschuldenserfordernis“ entfalle. Diese Entscheidung wurde vom possessorischen Kläger sogar mit der Verfassungsklage vor dem VerfGH Berlin

II. §  864 II BGB in der konkreten Rechtsanwendung

153

hierbei nämlich um die legitime Beseitigung der verbotenen Eigenmacht, welche vor Schaffung des petitorischen Titels begangen wurde. Da das Prozessgericht des possessorischen Verfahrens die Durchführung der Beseitigung gem. §  887 ZPO gebilligt hat, muss der Besitzer in der Folge auch darauf vertrauen können, dadurch nicht gegen die Duldungspflicht aus dem petitorischen Urteil zu versto­ ßen. Über diesen Weg würde sichergestellt, dass die Sanktionswirkung des Be­ sitzschutzanspruchs durchgreift – was nicht der Fall wäre, wenn der possessori­ sche Anspruch, so wie es die herrschende Meinung fordert, durch die petitori­ sche Entscheidung analog §  864 II BGB erlöschen würde oder letztere als Einwendung gegen die possessorische Vollstreckung gem. §  767 ZPO geltend gemacht werden könnte. Ist die verbotene Eigenmacht in Form der Störung aber einmal beseitigt, sprä­ che – in Fortführung des Fallbeispiels – nichts dagegen, dass die materiell be­ rechtigte A die Störung aufgrund des mittlerweile geschaffenen (vorläufig voll­ streckbaren) Duldungstitels – nach Leistung einer erforderlichen Sicherheit, §§  708 ff. ZPO – erneut vornimmt und ihr dabei die Drohungswirkung des §  890 ZPO oder die Hilfe des Gerichtsvollziehers gem. §  892 ZPO zur Verfügung steht. A hätte dann alles getan, was von ihr verlangt wird. Das petitorische Urteil gäbe ihr nunmehr „Recht“, und ihr wäre kein Schuldvorwurf zu machen. Der posses­ sorische Unterlassungstitel würde in der Folge hinfällig, da er nur bewirken soll, dass nicht ohne Titel und nicht unter Umgehung der Regeln des Zwangsvollstre­ ckungsrechts gestört wird. Die Lösung für den Widerstreit zwischen einem petitorischen Duldungsurteil und einer diametralen possessorischen Beseitigungs- und Unterlassungsverfü­ gung sähe zusammengefasst also folgendermaßen aus: Beseitigt der Störer den Zustand der verbotenen Eigenmacht freiwillig und stört er später – vor dem Hin­ tergrund seines vorläufig vollstreckbaren petitorischen Titels – erneut, verstößt er nicht (schuldhaft) gegen die Unterlassungspflicht aus dem possessorischen Ur­ teil. Beseitigt der Störer die verbotene Eigenmacht trotz des ergangenen posses­ sorischen Urteils nicht freiwillig, so kann der Besitzer die Beseitigungspflicht gem. §  887 ZPO vollstrecken und verstößt dabei nicht gegen die ihm durch das petitorische Urteil auferlegte Duldungspflicht, da ihm kein Schuldvorwurf im Sinne des §  890 ZPO gemacht werden kann. angefochten, welcher keine verfassungsrechtlichen Bedenken äußerte, siehe VerfGH Berlin NJW-RR 2007, 66–69. Anders OLG Rostock v. 07.11.2017 – 3 W 136/17 –, juris Rn.  50 ff.: Ergeht zunächst eine possessorische Unterlassungsverfügung und sodann eine petitorische Duldungsverfügung, aus welcher der petitorisch Berechtigte vorgeht, so entschuldigt die später erlassene Duldungsverfügung ihn nicht beim Verstoß gegen die gegen ihn gerichtete, frühere Unterlassungsverfügung.

154

§  5 Das Verhältnis des possessorischen Anspruchs zum petitorischen Anspruch

Besteht die Störung dagegen nicht in einem permanenten Zustand, sondern handelt es sich beispielsweise um regelmäßig wiederkehrende Immissionen, wäre die Konsequenz, dass es für den Störer ohnehin nichts zu beseitigen gäbe und der possessorische Unterlassungsanspruch nicht mehr vollstreckt werden könnte, sobald der Störer einen vorläufig vollstreckbaren petitorischen Titel er­ wirkt hätte und (unter Leistung einer Sicherheit) erneut stören würde. Das Prozessgericht ist auch in der Lage, im Rahmen von §  890 ZPO die Schuld­ haftigkeit des Verstoßes vor dem Hintergrund der petitorischen oder possessori­ schen Entscheidung zu überprüfen. Es ist anerkannt, dass §  890 ZPO es erfordert, den Titel unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der entsprechenden Ur­ kunde auszulegen und gewisse Subsumtionen vorzunehmen.168 Dass gegebenen­ falls eine Beweisaufnahme darüber erforderlich wird, unter welchen Vorausset­ zungen der Störer stören „darf“ beziehungsweise ob er die vergangene Störung beseitigt hat, ist vor dem Hintergrund hinzunehmen, dass die Zuwiderhandlung des Schuldners gegen die Unterlassungs- oder Duldungsverpflichtung im Verfah­ ren des §  890 ZPO ohnehin mit Strengbeweis vom Gläubiger nachzuweisen ist. Das telos des Besitzschutzes verlangt es an dieser Stelle trotz der grundsätzlichen Formalisierung des Zwangsvollstreckungsverfahrens, die materiellrechtliche Be­ ziehung zwischen Gläubiger und Schuldner miteinzubeziehen.169 e) Ergebnis Der Nachteil, der in der Ablehnung der herrschenden Meinung und im hier ent­ wickelten Lösungsmodell von einigen gesehen werden mag, liegt in einem ver­ meintlich widersinnigen Hin und Her: Im eingangs gebildeten Fallbeispiel wäre es denkbar, dass aufgrund des possessorischen Urteils die Beseitigung der Wer­ befront erfolgt, welche den Mieter stört, die gleiche Werbung aber eine Sekunde später vor dem Hintergrund des petitorischen Duldungstitels wieder aufgehängt wird. Rosenberg war schon früh der Ansicht, dass diese Konsequenz nicht im Interesse des „Nationalvermögens“ liegen könne,170 Wacke spricht von einem „volkswirtschaftlich sinnwidrigen“ Ergebnis171. 168  LArbG Berlin-Brandenburg LAGE Art.  9 GG Arbeitskampf Nr.  110. Über die Ausle­ gung kommt sogar ein Entscheid im Beschlussverfahren in Betracht, siehe Bartels, in: Stein/ Jonas, ZPO, §  890 Rn.  19; Rensen, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, §  890 Rn.  7. 169  Siehe dazu schon unter §  1 IV.3. 170  Rosenberg, in: Rosenberg, BGB, §  863 Anm. III: §  862 BGB sei anders zu behandeln als §  861 BGB; bei Letzterem gehe es um die Vorteile des Besitzes, die bewahrt werden müssten, bei §  862 BGB könne aber jedenfalls nicht für die Zukunft eine Handlung untersagt werden, auf deren Vornahme ein Recht bestehe. 171  Wacke, in: FS Jayme, S.  1605 (1619).

II. §  864 II BGB in der konkreten Rechtsanwendung

155

Es verwundert allerdings, dass die gleiche Kritik nicht auch im Hinblick auf die widerstreitenden Urteile im Fall der Besitzentziehung geäußert wird. Dort entsteht zwar kein unmittelbares Patt, da der petitorisch Berechtigte aus seinem Feststellungsurteil nicht vollstrecken kann, sondern vielmehr nach der Herausga­ bevollstreckung durch den Besitzschutzkläger selbst auf Herausgabe klagen muss. Es entsteht aber die gleiche vordergründig widersinnige Situation, in wel­ cher der Besitzschutzkläger den Gerichtsvollzieher mit der Beschlagnahme der Sache beim Täter der verbotenen Eigenmacht beauftragen könnte und der glei­ che Gerichtsvollzieher kurz darauf auf Weisung des Täters die Sache erneut pfänden und zurückbringen müsste, sodass man es aus prozessökonomischer Sicht befürworten müsste, den Weg abzukürzen. Bezüglich dieser Konstellation zeigen sich allerdings diejenigen, die eine analoge Anwendung des §  864 II BGB sonst unterstützen, auffallend zurückhaltend und verweisen darauf, dass ein voll­ streckungsrechtliches Hin und Her nicht prinzipiell untragbar sei, sondern viel­ mehr dem Grundgedanken des Besitzschutzes entspreche.172 Diese Erkenntnis sollte freilich auf alle prozessualen Fallgestaltungen übertragen werden. Insofern ist insbesondere den Gerichten, die §  864 II BGB analog auf nicht rechtskräftige Feststellungsurteile anwenden wollen,173 zu widersprechen.

5. Die Auswirkung einer petitorischen einstweiligen Verfügung §  863 BGB gilt für den materiellrechtlichen Besitzschutzanspruch – und daher unabhängig davon, in welcher Verfahrensart der Anspruch geltend gemacht wird. Die Einwendung eines Besitzrechts ist dem Täter verbotener Eigenmacht also auch in einem possessorischen einstweiligen Verfügungsverfahren grundsätzlich verwehrt. Umgekehrt fragt sich aber, wie sich der Erlass einer einstweiligen pe­ titorischen Verfügung zugunsten des Täters verbotener Eigenmacht auf den Be­ sitzschutzanspruch auswirkt. a) Analoge Anwendung von §  864 II BGB In aus ihrer Sicht konsequenter Weiterführung der analogen Anwendung von §  864 II BGB auf nicht rechtskräftige Urteile befürworten einige Stimmen auch die analoge Anwendung von §  864 II BGB auf einstweilige petitorische Verfü­ gungen, die zugunsten des Täters ergehen.174

172  Hagen, JuS 1972, 124 (126). In dem Sinne auch Götz, in: BeckOGK-BGB, §  863 Rn.  33.1, der die Analogie dann später aber doch befürwortet, §  864 Rn.  37. 173  Siehe unter §  5 II.4.b)aa). 174  Götz, in: BeckOGK-BGB, §  864 Rn.  38; Hagen, Jus 1972, 124 (126); Stadler, in: Soer­

156

§  5 Das Verhältnis des possessorischen Anspruchs zum petitorischen Anspruch

b) Gestattungswirkung der einstweiligen Verfügung Teilweise wird auch angenommen, dass, wer von einer einstweiligen petitori­ schen Verfügung Gebrauch mache, eine Störung begehe, die im Sinne von §  858 I BGB „durch das Gesetz gestattet“ sei – in Form der einstweiligen Verfügung also ein Rechtfertigungsgrund für die Eigenmacht gegeben sei.175 Damit können freilich nur solche Verfügungen gemeint sein, die zeitlich vor der verbotenen Eigenmacht ergangen sind;176 denn rückwirkend kann der Tatbestand des §  858 I BGB nicht entfallen. Obwohl die Vertreter dieser Ansicht nicht ausdrücklich mit §  864 II BGB argumentieren, ist ihr Ansatz der gleiche wie derjenigen, die §  864 II BGB in zeitlicher Hinsicht analog anwenden wollen: Im Ergebnis würde es sich um eine zivilrechtlich konsequenzlos bleibende eigenmächtige Vollstre­ ckung des Titels handeln. c) Einstweilige Verfügung als übergeordneter Hoheitsakt mit rechtserzeugendem Inhalt Wiederum andere bejahen den Vorrang der einstweiligen Verfügung als grund­ sätzlich zu beachtenden staatlichen Hoheitsakt.177 Der Besitzschutzanspruch sei so lange nicht durchsetzbar, wie die einstweilige petitorische Verfügung beste­ he.178 Begründet wird dies zwar nicht explizit mit §  864 II BGB, jedoch letztlich mit dem dieser Norm zugrunde liegenden prozessökonomischen Gedanken, dass eine Verurteilung sinnlos sei, wenn die Vollstreckung auf Grund eines anderen Titels sofort wieder rückgängig gemacht werden müsse.179 aa) Literatur Dabei wird in der Literatur formuliert, dass nur solche Verfügungen, die den Besitzstand zugunsten des Eigenmächtigen anordnen, den Besitzschutzanspruch ausschließen. Lorenz meint: „Ein nur vorläufig vollstreckbares Urteil steht [einer gel, BGB, §  864 Rn.  7; Wieling, Sachenrecht I, §  5 IV 3 d = S.  212; zustimmend wohl auch Gutzeit, in: Staudinger, BGB, §  864 Rn.  9. 175  Baur, Studien, S.  81; Joost, in: MüKo-BGB, §  864 Rn.  10; Sosnitza, Besitz und Besitz­ schutz, S.  166; Zeising, Jura 2010, 249 (251); offengelassen von BGH WM 2003, 1674 (1675). 176  Siehe den Beispielsfall von Baur, Studien, S.  81. 177  OLG Dresden DJZ 1901, 487 (487), und OLG Dresden JW 1937, 2829 (2829); OLG Kiel JW 1932, 3640 (3640); OLG Naumburg JW 1932, 1401 (1402); Herrler, in: Palandt, BGB, §  864 Rn.  5; Lorenz, in: Erman, BGB, §  864 Rn.  3; Kregel, in: RGRK-BGB, §  864 Rn.  3; Westermann/Gursky/Eickmann, Sachenrecht, §  23, Rn.  10 = S.  167; wohl auch Drescher, in: MüKo-ZPO, §  938 Rn.  24. 178  Nach ihrer Aufhebung soll eine neue Besitzschutzklage zulässig sein, Herrler, in: ­Palandt, BGB, §  864 Rn.  5. 179  OLG Dresden DJZ 1901, 487 (487); OLG Naumburg JW 1932, 1401 (1402).

II. §  864 II BGB in der konkreten Rechtsanwendung

157

rechtskräftigen Feststellung im Sinne des §  864 II BGB] ebenso wenig gleich wie eine einstweilige Verfügung, es sei denn, die einstweilige Verfügung schützt gerade den durch verbotene Eigenmacht geschaffenen Besitzstand.“180 Auch Gursky konstatiert, dass einstweilige Verfügungen einem Urteil im Sinne von §  864 II BGB zwar nicht gleich stünden; mit der älteren Rechtsprechung sei aber anzunehmen, dass sich die in der einstweiligen Verfügung getroffene Anordnung des Besitzstands auch gegen einen bereits bestehenden Besitzschutzanspruch durchsetze.181 bb) Ältere Rechtsprechung Vor Gründung der Bundesrepublik Deutschland erließen manche Gerichte tat­ sächlich „Behaltensverfügungen“, auf welche die heutige Literatur Bezug nimmt. Einer Entscheidung des OLG Naumburg182 lag beispielsweise folgender Sach­ verhalt zugrunde: Eine Frau verließ ihren Ehemann und nahm beim Auszug ei­ genmächtig Möbel mit; der Ehemann klagte auf Herausgabe dieser Möbel, ge­ stützt auf §  861 I BGB. In einem weiteren Verfahren vor dem Ehegericht erging eine einstweilige Verfügung, die der Frau gestattete, die Gegenstände bis zur Beendigung des Eigentumsstreits in Besitz zu behalten. Dies wurde im Besitz­ schutzverfahren als Einwand gegen den Besitzschutz beachtet. Die einstweilige Verfügung sei ein „Akt der Staatshoheit“. Sie falle nicht unter §  864 II BGB, habe aber „rechtserzeugenden Inhalt“, da sie zwar nicht Recht an der Sache zu­ spreche, jedoch den Besitz selbst regle. Auch das OLG Dresden befand, dass eine einstweilige Verfügung im Ehe­ scheidungsverfahren nicht mit einem rechtskräftigen Urteil zu vergleichen sei und §  864 II BGB keine Anwendung finde. Es sei allerdings ein „ganz besonders befremdendes und mit dem natürlichen Rechtsgefühle völlig unvereinbares Er­ gebnis“, wenn erst das der Besitzschutzklage stattgebende Urteil vollstreckt wer­ de, indem ein Gerichtsvollzieher die Sachen wegnehmen und zu dem Kläger hinschaffen, dann aber sofort ein anderer mit einer vollstreckbaren Ausfertigung der einstweiligen Verfügung sich zum Kläger begeben und die Sachen zur Be­ klagten zurücktransportieren würde.183 Die petitorische Verfügung verdiene da­ her den Vorrang. Das OLG Dresden hielt in einem anderen Fall schließlich einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung für zulässig, mit dem die trennungswillige 180  Lorenz, in: Erman, BGB, §  864 Rn.  3. Ähnliche Formulierung bei Herrler, in: Palandt, BGB, §  864 Rn.  5. 181  Westermann/Gursky/Eickmann, Sachenrecht, §  23, Rn.  10 = S.  167. 182  OLG Naumburg JW 1932, 1401–1402; ablehnend Matthiessen, JW 1932, 1401 (1401 f.). 183  OLG Dresden DJZ 1901, 487 (487). So auch später OLG Kiel JW 1932, 3640 (3640).

158

§  5 Das Verhältnis des possessorischen Anspruchs zum petitorischen Anspruch

Ehefrau begehrte, den Ehemann zu verpflichten, die von der Ehefrau eigenmäch­ tig entfernten Gegenstände bei dieser zu belassen.184 Dass der Ehemann bereits den Besitzschutzprozess gewonnen hatte, sah das Gericht nicht als Hindernis. d) Bewertung Die Ansichten können allesamt nicht überzeugen. Sie stellen jeweils auf einen Rechtsgedanken ab, den das Zusammenspiel aus §  863 BGB und §  864 II BGB nicht hergibt. aa) Argumente gegen die analoge Anwendung von §  864 II BGB §  864 II BGB spricht vom „Urteil“. Nimmt man den Wortlaut ernst, so können Beschlüsse, die nach §§  921, 936 ZPO im einstweiligen Rechtsschutz üblich sind, nicht erfasst sein. Gegen das Bestehen einer planwidrigen Regelungslücke spricht zunächst, dass bereits zu Zeiten des Erlasses des BGB Beschlüsse als Entscheidungsform im einstweiligen Rechtsschutz in §§  802, 815 CPO vorgese­ hen waren, sodass es dem Gesetzgeber möglich gewesen wäre, bei der Formulie­ rung von §  864 II BGB entsprechend zu differenzieren. Allerdings könnte es sich bei der Begriffswahl auch um eine reine Nachlässigkeit des Gesetzgebers gehan­ delt haben. Bis zur Überarbeitung durch die Zweite Kommission war die Norm noch viel offener formuliert: „Ein […] begründeter Anspruch erlischt, […] wenn nach der als verbotene Eigenmacht gerügten Handlung das Recht zu deren Vor­ nahme rechtskräftig festgestellt wird.“185 Erst durch erneute redaktionelle Über­ arbeitung erfolgte die Aufnahme des Worts „Urteil“, ohne dass damit ein Diskurs über eine damit verbundene neue Bedeutung der Norm verbunden gewesen wä­ re.186 Im BGB existieren zudem andere Normen, die mit dem Begriff des Urteils auch eine Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz187 oder mit dem Begriff der Entscheidung ausschließlich ein Hauptsacheurteil erfassen188. Die Begriffs­ wahl erfolgt durch den Gesetzgeber also eher willkürlich. 184 

OLG Dresden JW 1937, 2829 (2829). Siehe Protokolle der Vorkommission des Reichsjustizamtes, S.  627, abgedr. bei Jakobs/ Schubert, Beratung des BGB, Sachenrecht I, S.  194. 186  Siehe Entwurf des §  823 nach der Paragraphenzählung der Ersten Lesung, abgedr. bei Jakobs/Schubert, Beratung des BGB, Sachenrecht I, S.  195. 187  Der Gesetzgeber spricht im Spruchrichterprivileg in §  839 II BGB vom „Urteil“; mittler­ weile ist aber anerkannt, dass in der Rechtswirklichkeit auch einstweilige Verfügungen oft streitbeendende Wirkung entfalten, es also auf eine rein teleologische und keine wortlautge­ treue Auslegung der Norm ankommt, BGH NJW 1966, 2307 (3208); Reinert, in: BRHP-BGB, §  839 Rn.  107; Wöstmann, in: Staudinger, BGB, §  839 Rn.  328. 188  Ausdrücklich von „Entscheidungen“ ist die Rede z. B. in §  201 BGB und §  204 II BGB. Im Rahmen von §  201 BGB kann jedoch nur ein Hauptsacheurteil gemeint sein, da §  201 BGB auf 185 

II. §  864 II BGB in der konkreten Rechtsanwendung

159

Ausdrücklich gegen eine planwidrige Regelungslücke in §  864 II BGB spricht aber das Rechtskrafterfordernis. Der Eintritt formeller Rechtskraft von Entschei­ dungen im einstweiligen Rechtsschutz ist zwar grundsätzlich möglich, wenn kein Rechtsmittel mehr zulässig ist. Ob und in welchem Ausmaß materielle Rechtskraft entsteht, ist dagegen umstritten. Die herrschende Meinung geht von eingeschränkter materieller Rechtskraft aus, um wiederholten Anträgen unter ge­ wissen Voraussetzungen die Zulässigkeit zu nehmen.189 Als unstreitig gilt aller­ dings, dass das Verfügungsverfahren keinerlei präjudizielle Wirkung für die Hauptsache hat. Streitgegenstand des einstweiligen Rechtsschutzes ist ausschließ­ lich der prozessuale Anspruch des Gläubigers auf Sicherung seiner gegenwärti­ gen oder zukünftigen Rechtsstellung im Hauptsacheverfahren.190 Erst in der Hauptsache wird festgestellt, ob ein petitorischer Anspruch oder ein petitorisches Recht besteht. Erst letztere endgültige Klärung des petitorischen Rechts rechtfer­ tigt nach der Intention des Gesetzgebers die Durchbrechung des possessorischen Besitzschutzes.191 Eine analoge Anwendung von §  864 II BGB auf einstweilige Verfügungen ist daher abzulehnen. bb) Argumente gegen die Gestattungswirkung Die Gestattungswirkung läuft auf eine Förderung eigenmächtiger Vollstreckung von Entscheidungen hinaus. Die analoge Anwendung von §  864 II BGB ist grundsätzlich schon in Bezug auf Urteile im Hauptsacheverfahren abzulehnen192 §  197 BGB verweist, in dem es um die Feststellung von Ansprüchen geht. Ansprüche können nach g. h. M. aber nicht in einer einstweiligen Verfügung, sondern nur durch Hauptsacheurteil festge­ stellt werden, da Streitgegenstand der einstweiligen Verfügung ausschließlich der prozessuale An­ spruch des Gläubigers auf Sicherung seiner gegenwärtigen oder zukünftigen Rechtsstellung im Hauptsacheverfahren ist, BGH NJW 1980, 191 (191). Auch im Rahmen des §  204 II BGB wird auf die „Klageerhebung“ im Sinne des §  204 I Nr.  1 BGB Bezug genommen, wogegen der einstweili­ ge Rechtsschutz in §  204 I Nr.  9 BGB ausdrücklich getrennt Erwähnung findet. Der Begriff „Ent­ scheidung“ wird neuerdings auch in familienrechtlichen BGB-Normen verwendet, da die Normen auf das neue FamFG abgestimmt werden mussten, wonach in Familiensachen Beschlüsse und keine Urteile ergehen. Diese Normen können freilich zur Untersuchung der Frage, was der histo­ rische Gesetzgeber bei der Wahl der Begriffe gemeint haben könnte, nicht herangezogen werden. 189  BGH NJW 2005, 436 (436 f.); Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, Vor §  916 Rn.  14; Hartmann, in: BLAH-ZPO, §  322 Rn.  29. 190  BGH NJW 1980, 191 (191); Kemper, in: Saenger-ZPO, Vor §§  916–945 Rn.  1; Mayer, in: BeckOK-ZPO, §  916 Rn.  8. Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass ein derartiger An­ spruch materiell nicht existiert, sondern sich als Ausprägung des allgemeinen Justizgewäh­ rungsanspruchs darstellt, siehe Drescher, in: MüKo-ZPO, Vor §  916 Rn.  13. Auf eine positive Umschreibung des Streitgegenstands kommt es aber ohnehin nicht an, da nur die Abgrenzung zum Streitgegenstand der Hauptsache erfolgen muss. 191  Siehe unter §  5 I.4.c). 192  Dazu unter §  5 II.4.

160

§  5 Das Verhältnis des possessorischen Anspruchs zum petitorischen Anspruch

– dies muss hinsichtlich der nur einer summarischen rechtlichen Prüfung unter­ liegenden einstweiligen Verfügung erst recht gelten. Zwar bringt der Erlass der einstweiligen Verfügung eine gewisse Eilbedürftigkeit des petitorischen Begeh­ rens zum Ausdruck; im Rahmen der einstweiligen Verfügung wird aber nicht das Bestehen des petitorischen Rechts bestätigt. Zudem würde im Ergebnis die staat­ liche, auch schuldnerschützenden Belangen unterliegende Vollstreckung unter­ laufen; ebenso könnte das Erfordernis einer eventuellen Sicherheitsleistung gem. §§  921 S.  2, 936 ZPO umgangen werden.193 cc) Argumente gegen den besonderen rechtserzeugenden Inhalt einer petitorischen Verfügung Die Lehre, die der petitorischen Verfügung aufgrund eines besonderen rechtser­ zeugenden Inhalts den Vorrang einräumen will, unterscheidet sich von der oben dargestellten Gestattungswirkung darin, dass eine der verbotenen Eigenmacht vorausgegangene petitorische einstweilige Verfügung den Besitzschutzanspruch nicht berühren soll.194 Nur eine nach Verübung der verbotenen Eigenmacht er­ gangene Verfügung soll einen bestehenden Besitzschutzanspruch ausschließen, da dann der bereits bestehende Besitzstand durch den staatlichen Hoheitsakt le­ gitimiert werde. (1) Möglichkeit einer petitorischen „Behaltensverfügung“ nach eigenmächtiger Besitzentziehung? Hinsichtlich Besitzentziehungen gilt es jedoch zu bedenken, dass eine nach dem eigenmächtig herbeigeführten Besitzwechsel ergangene petitorische einstweilige Verfügung keine Herausgabeverfügung sein kann, da es schon am Rechtsschutz­ bedürfnis fehlt, wenn der Antragsteller nunmehr Besitzer ist. Denkbar ist in der Konstellation lediglich, dass der Antragsteller, der sich bereits durch verbotene Eigenmacht in den Besitz der Sache gebracht hat, eine – ihre Zulässigkeit einmal zu unterstellende – Feststellungsverfügung beantragt.195 Vorstellbar ist ebenso 193  Nutzt der Störer dagegen lediglich eine petitorische Duldungsverfügung, indem er eine eventuell erforderliche Sicherheit leistet und daraufhin „privat“ stört, umgeht er also keine vollstreckungsrechtlichen Normen, so ist §  858 I BGB schon tatbestandlich nicht erfüllt, siehe unter §  5 II.3.c). Es bedarf für diesen Fall also gar nicht des Konstrukts der Gestattungswir­ kung. 194  Siehe insofern die Formulierung von Lorenz, in: Erman, BGB, §  864 Rn.  3, dass eine einstweilige petitorische Verfügung grundsätzlich nicht genüge, um den Besitzschutzanspruch zu berühren, es sei denn, sie schütze den durch verbotene Eigenmacht geschaffenen Besitz­ stand. Dies ist nur denkbar für eine nach der verbotenen Eigenmacht ergangene Verfügung. 195  Zur Frage der Zulässigkeit einer Feststellungsverfügung ausführlich unter §  6 IV.2.

II. §  864 II BGB in der konkreten Rechtsanwendung

161

eine Unterlassungsverfügung, die darauf abzielt, die durch die verbotene Eigen­ macht geschaffene Besitzlage nicht zu verändern.196 Von daher ist es umso bemerkenswerter, dass in den älteren Verfügungen der Oberlandesgerichte zu den Hausratsstreitigkeiten ein „Behaltendürfen“ tenoriert wurde.197 Im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes ist der Maßnahmenkata­ log zwar sehr groß, weil die abzuwendende Gefahr nach dem Gegenstand des zu sichernden Anspruchs derart mannigfaltig sein kann, dass sich die Mittel zur Abwehr im Voraus nicht bestimmen lassen, §  938 ZPO.198 Gemeinsames Merk­ mal der Maßnahmen ist aber, dass sie vollstreckt werden können. Dieses Merk­ mal korreliert mit der Voraussetzung der besonderen Eilbedürftigkeit im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes.199 Das reine Behalten der Sache kann und muss allerdings nicht vollstreckt wer­ den, wenn sich der Ehepartner, der die einstweilige Verfügung begehrt, bereits im Besitz der Haushaltssachen befindet und sie nach seinem Belieben nutzen kann. Insofern kann ein Verfügungs- beziehungsweise Anordnungsgrund man­ gels Regelungsbedürfnisses in Frage gestellt werden.200 Letztlich liegt der älte­ ren Rechtsprechung wohl die Auffassung zugrunde, dass sich die Billigkeitsein­ wendung nach §  1361a BGB – entgegen §  863 BGB – gegen den Besitzschutz­

196  Im Hinblick auf Besitzstörungen ist es dagegen auch nach Begehung der verbotenen Eigenmacht möglich, eine Duldungsverfügung zu erwirken (falls die Vorwegnahme der Haupt­ sache ausnahmsweise möglich sein sollte). 197  Lediglich bei OLG Naumburg DJZ 1901, 487 (487), war der Ehegatte angeblich im Verfahren vor dem Ehegericht ausdrücklich zur Herausgabe der streitigen Sachen verurteilt worden. Das erscheint höchst verwunderlich, da die verbotene Eigenmacht laut Sachverhalts­ schilderung zu dem Zeitpunkt schon erfolgt war, der Gatte also keinen Besitz mehr innehatte. 198  Bei einer Sicherungs- oder Regelungsverfügung können insbesondere auch Maßnahmen angeordnet werden, die vom Antragsgegner nicht in dem Sinne geschuldet werden, dass ein materiellrechtlicher Anspruch auf sie besteht; erforderlich ist nur, dass diese Maßnahmen zur Sicherung des Hauptanspruchs nötig sind. Das Gesetz beschränkt sich insofern auf eine nur exemplarische Aufzählung von Maßnahmen, wie z. B. in §  49 FamFG (als Spezialnorm für Familien­sachen nach §  111 FamFG) das Ge- oder Verbot einer Handlung und die Untersagung der Verfügung über einen Gegenstand. Als weitere Maßnahmen, die nach den für das Rechts­ verhältnis maßgebenden Vorschriften gerechtfertigt sind, kommen noch Zahlung, Herausgabe, Sequestration, Zwangsverwaltung, Auskunftserteilung oder die Abgabe einer Willenserklärung in Betracht. 199  Siehe die Begründung zum Zweiten Entwurf einer deutschen Zivilprozessordnung v. 1871, abgedr. in Dahlmanns, Neudrucke II, S.  753, sowie Baur, Studien, S.  59. Anderes gilt lediglich für rechtsgestaltende Verfügungen, zu denen die Hausratsverteilung gem. §  1361a BGB allerdings nicht zählt. Erst für die Zeit nach Rechtskraft der Scheidung dürfen rechtsge­ staltende Regelungen erfolgen (§  1568b BGB), siehe Weber-Monecke, in: MüKo-BGB, §  1361a Rn.  21. 200  Siehe zu der Problematik auch Soyka, in: MüKo-FamFG, §  49 Rn.  11.

162

§  5 Das Verhältnis des possessorischen Anspruchs zum petitorischen Anspruch

anspruch aus §  861 I BGB durchsetzt und letzterer dahinter zurücktritt.201 Folgt man dieser Ansicht, mag es konsequent erscheinen, eine entsprechende Verfü­ gung zu erlassen.202 Die Stimmen in der Literatur, die sich auf die alten Entscheidungen beziehen, versäumen es jedenfalls, darauf hinzuweisen, dass die „Besitzzuordnungen“ aus­ nahmslos für die besonderen Haushaltssachenfälle gem. §  1361 BGB a. F. erfolgt sind. Eine Verallgemeinerung ist insofern nur schwer möglich.203 (2) Möglichkeit einer petitorischen Unterlassungsverfügung nach eigenmächtiger Besitzentziehung? Als eigentliches Problem kristallisiert sich die Frage heraus, ob eine Unterlas­ sungsverfügung zugunsten desjenigen zulässig ist, der als vermeintlich Berech­ tigter seinen Herausgabeanspruch bereits eigenmächtig verwirklicht hat. Sieht die Partei, die sich per verbotener Eigenmacht in den Besitz einer Sache gesetzt hat, die Gefahr, dass ihr die andere Partei diesen Besitz wiederum streitig macht, so käme zum Beispiel eine Unterlassungsverfügung in Betracht, die es untersagt, konkrete Maßnahmen zur Entfernung der Sache zu treffen. Eine derartige einst­ weilige Verfügung wäre auch der Vollstreckung gem. §  890 ZPO zugänglich. Das Gleiche gilt für die oben dargestellten Entscheidungen in den Haushalts­ sachen: Die Belassung der vom einen Ehepartner eigenmächtig entfernten Ge­ genstände bei diesem impliziert nichts anderes als die Verpflichtung des anderen Ehepartners, die Entfernung der Gegenstände zu unterlassen.

201 

Dazu ausführlich unter §  5 III.2. heute tenorieren die Familiengerichte in Fällen der §  1361a und b BGB – jeden­ falls in Hauptsacheverfahren – eine „Zuweisung“ – auch ohne dass weitere vollstreckungsfähi­ ge Aussprüche hinzukämen. Siehe für das Hauptsacheverfahren AG Bad Hersfeld v. 04.09.2014 – 60 F 178/14 RI = BeckRS 2015, 10756, und im Anschluss OLG Frankfurt a. M. NJW 2015, 2346 (2346 f.). Hinsichtlich des neuen FamFG wird diese Art der Tenorierung allerdings kriti­ siert, siehe Erbarth, in: MüKo-FamFG, §  200 Rn.  133, der die Tenorierung der „Zuweisung“ für obsolet hält. Es gelte, über Ansprüche i. S. v. §  194 I BGB zu entscheiden, die eine Überlas­ sung oder Herausgabe anordnen und vollstreckbare Titel ergeben. Ob sich dies durchsetzt, bleibt abzuwarten. 203  Dies belegt das Fallbeispiel von Westermann/Gursky/Eickmann, Sachenrecht, §  23, Rn.  10 = S.  167: „Im Mietstreit hat die eine Partei sich gewaltsam in den Besitz eines Keller­ raumes gesetzt, später hat das Gericht für die Dauer des Rechtsstreits angeordnet, dass dieser Partei der Raum zustehen soll. An dieser gerichtlichen Entscheidung scheitert auch der An­ spruch aus §  861. Die vorläufige Besitzzuweisung durch die einstweilige Verfügung ist hier einfach die speziellere gerichtliche Entscheidung.“ Es fragt sich, welcher materiellrechtliche Anspruch Grundlage für die Verfügung ist und wie die „Zuweisungsverfügung“ vollstreckt werden soll. 202  Auch

II. §  864 II BGB in der konkreten Rechtsanwendung

163

(a) Voraussetzungen einer Unterlassungsverfügung nach geltender zivilprozessualer Dogmatik Eine Unterlassungsverfügung ist zur Realisierung eines anderen Hauptanspruchs grundsätzlich möglich. Problematisch ist jedoch, dass im Falle der eigenmächti­ gen Besitzverschaffung durch den Antragsteller der petitorische Hauptanspruch auf Herausgabe der Sache an sich nicht mehr besteht204 und insofern auch nicht mehr abgesichert werden muss. Andererseits steht jedem Besitzer anerkannter­ maßen ein vorbeugender Unterlassungsanspruch zu, der im Wege der einstweili­ gen Verfügung durchgesetzt werden kann, wenn es hinreichend wahrscheinlich ist, dass der Antragsgegner demnächst verbotene Eigenmacht begeht,205 sich also zum Beispiel der aus dem Besitz verdrängte Antragsgegner seinerseits gewalt­ sam in den Besitz der Sache zurückbringen möchte. Freilich muss diese Gefahr als Verfügungsgrund auch zur Genüge dargetan werden. Nicht jedes Opfer ver­ botener Eigenmacht begeht im Gegenzug unerlaubte Selbsthilfe. Zusätzlich ist zu beachten, dass der Verfügungsanspruch am materiellen Recht auszurichten ist, das heißt, es dürfte keine Unterlassungsverpflichtung ausgesprochen werden, von der feststünde, dass sie nach materiellem Recht nicht geschuldet wird206 – einen Anspruch aus §§  861 I, 862 I BGB könnten insofern §§  861 II, 862 II BGB ausschließen.207 Kann also eine petitorische Unterlassungsverfügung zugunsten des Täters ver­ botener Eigenmacht überhaupt ergehen und eine solche zugleich den possessori­ schen Anspruch zu Fall bringen? Beides hat das OLG Stuttgart – soweit ersicht­ lich – erstmals in der Rechtsprechung in zwei neueren Entscheidungen bejaht.208 Interessanterweise sind diese bisher kaum auf Resonanz in der Literatur gesto­ ßen.209 204 

Zu dem Problem unter §  5 II.1. OLG Rostock OLG-NL 2001, 279 (280); Joost, in: MüKo-BGB, §  861 Rn.  17; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, §  940 Rn.  1. 206  Grunsky, JurA 1970, 724 (726); Haertlein, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Zwangsvoll­ streckung, §  935 Rn.  37. 207  Dies ist nicht unbedingt ein befriedigendes Resultat – warum sollte der Täter der (ersten) verbotenen Eigenmacht nicht vor weiterer verbotener Eigenmacht geschützt werden? Siehe dazu unter §  3 III.6.d)ff)(2) und unter §  8 III.2.b)cc). 208  OLG Stuttgart v. 22.11.2011 – 10 W 47/11 = NJW 2012, 625–630, und OLG Stuttgart v. 20.12.2011 – 10 U 141/11 = MDR 2012, 212–213. 209  Zur Aufarbeitung zu Ausbildungszwecken siehe K. Schmidt, JuS 2012, 843 ff., wobei nur die Entscheidung 10 W 47/11 besprochen wird; zu letzterer Entscheidung siehe auch die Praxisanmerkung von Engbers, NZBau 2012, 161 (164 f.), sowie Voit, NJW 2012, 625 (628 f.). Zur Entscheidung 10 U 141/11 nur knapp: Matthies, jurisPR-PrivBauR 3/2012 Anm.  2. Herrler, in: Palandt, BGB, §  864 Rn.  5, zählt die Entscheidung des OLG Stuttgart 10 W 47/11 zu den „den geschaffenen Besitzstand schützenden“ Verfügungen. 205 

164

§  5 Das Verhältnis des possessorischen Anspruchs zum petitorischen Anspruch

(b) Analyse der Entscheidungen des OLG Stuttgart 10 U 141/11 und 10 W 47/11 Beiden Entscheidungen liegt derselbe Lebenssachverhalt zugrunde: Die Parteien schlossen einen Werkvertrag über Parkettarbeiten, in den die VOB/B mit einbezo­ gen wurde. Die Auftraggeberin kündigte den Vertrag unter Berufung auf §§  8 III Nr.  1, 5 IV VOB/B wegen Leistungsverzugs. Die Auftragnehmerin widersprach der fristlosen Kündigung und bot Fortsetzung der Arbeiten an. Die Auftrag­geberin lehnte ab und erklärte, die von der Auftragnehmerin auf die Baustelle verbrachten Baumaterialien gem. §  8 III Nr.  3 VOB/B für die Weiterführung der Arbeiten in Anspruch zu nehmen. Die Auftragnehmerin verlangte dafür eine Ablösesumme, die mehr als dem Doppelten entsprach, was die Lieferanten für angemessen er­ achteten. Die Auftraggeberin erteilte daraufhin der Auftragnehmerin ein vom Wachdienst abgesichertes Hausverbot auf der Baustelle. Mit einem Antrag auf Erlass einer possessorischen einstweiligen Verfügung begehrte die Auftragneh­ merin vor dem LG Stuttgart (erfolgslos) die Verpflichtung der Auftraggeberin, nach Kündigung des Werkvertrags die von ihr auf die Baustelle verbrachten Ma­ terialien herauszugeben. In dem Verfahren 10 W 47/11 bestätigte das OLG Stutt­ gart die Zurückweisung des Antrags durch das LG. In einem weiteren Verfahren begehrte die Auftraggeberin vor dem LG (erfolgreich), der Auftragnehmerin im Wege der einstweiligen Verfügung zu untersagen, die auf die Baustelle verbrach­ ten Materialien zu entfernen. Die Berufung der Auftragnehmerin gegen die Ent­ scheidung wies das OLG Stuttgart im Verfahren 10 U 141/11 ab. (aa) Inhalt der Entscheidung OLG Stuttgart 10 U 141/11 Interessant ist die dogmatische Begründung der petitorischen Unterlassungsver­ fügung zugunsten der Auftraggeberin gegen die Auftragnehmerin. Im Verfügungsverfahren lag die Besonderheit vor, dass die Verfügungskläge­ rin als Folge der verbotenen Eigenmacht nicht eine Leistungsverfügung begehr­ te, die eine Herausgabe der betroffenen Baumaterialien zum Gegenstand gehabt hätte, sondern eine Leistungsverfügung, die ein Unterlassen der Wegnahme be­ inhaltete. Das OLG schloss sich der Ansicht des LG an, dass der eigenmächtig durchgesetzte Herausgabeanspruch aus §  8 III Nr.  3 VOB/B in Gestalt der Unter­ lassungsverfügung weiterhin zu sichern sei. Es sah den Verfügungsgrund nicht in der Gefahr, dass sich die Auftragnehmerin ihrerseits im Wege der verbotenen Eigenmacht die Materialien zurückverschaffen würde (eine solche Gefahr war auch gar nicht glaubhaft gemacht worden), sondern darin, dass sich die Auftrag­ nehmerin eines Anspruchs auf Herausgabe aus §  861 BGB berühmte. Mit einer Schutzschrift könne gegen den zu erwartenden gerichtlichen Antrag der Auftrag­ nehmerin wegen §  863 BGB nicht vorgegangen werden. Die Baumaterialien würden allerdings so kurzfristig für die Fortführung des Bauvorhabens benötigt,

II. §  864 II BGB in der konkreten Rechtsanwendung

165

dass die Erwirkung eines Titels im ordentlichen Verfahren nicht möglich sei. Wenn man aber mit der Rechtsprechung des BGH annehme, dass eine nur vor­ läufig vollstreckbare Entscheidung, durch die das petitorische Gegenrecht aner­ kannt werde, einem Besitzschutzanspruch entgegenstehe, dann sei eine gericht­ liche Entscheidung über den Anspruch aus §  8 III Nr.  3 VOB/B im petitorischen einstweiligen Verfügungsverfahren der sicherste Weg, einen drohenden posses­ sorischen Besitzschutzanspruch abzuwehren. Die Auftraggeberin müsse sich auch nicht darauf verlassen, dass sie den Erlass einer possessorischen einstweili­ gen Verfügung zugunsten der Auftragnehmerin ausnahmsweise mit Hinweis auf ein treuwidriges, sittenwidriges Verhalten abwehren könne.210 (bb) Inhalt der Entscheidung OLG Stuttgart 10 W 47/11 In der Entscheidung 10 W 47/11 wurde, in konsequenter Fortführung dieser Ge­ danken, dem possessorischen Herausgabeverlangen der Auftragnehmerin eine Absage erteilt. Das OLG erkannte, dass die Voraussetzungen für einen Heraus­ gabeanspruch aus §  861 I BGB im Sinne eines Verfügungsanspruchs grundsätz­ lich vorlagen und die Auftraggeberin zudem gem. §  863 BGB mit weiteren Ein­ wendungen nicht gehört werden konnte. Das OLG gelangte aber über ein Wer­ tungskorrektiv zu einem anderen Ergebnis. Zum einen wendete es §  242 BGB auf den Besitzschutzanspruch an: Das Verhalten der Auftragnehmerin sei im konkreten Fall treuwidrig, da sie für die Materialien das Doppelte von dem ver­ langt habe, was die Lieferanten für angemessen erachteten.211 Zum anderen stützte sich das OLG auf die Überlegungen des LG aus dem petitorischen Ver­ fahren, welche hier besondere Aufmerksamkeit verdienen. Die Auftraggeberin sei im einstweiligen Verfügungsverfahren deswegen benachteiligt, weil ein peti­ torischer Gegenantrag analog §  33 ZPO – im Gegensatz zum Hauptsacheverfah­ ren – unzulässig sei und folglich die für sie vorteilhafte BGH-Rechtsprechung zur Widerklage und zur Abweisung der Besitzschutzklage nach §  864 II BGB 210  Nach Überzeugung des OLG Stuttgart besteht der Verfügungsgrund für den Auftrag­ geber sogar fort, wenn (wie im vorliegenden Fall) der Antrag der Auftragnehmerin auf Erlass einer possessorischen einstweiligen Herausgabeverfügung wegen §  242 BGB bereits rechts­ kräftig abgewiesen worden ist, da die Abweisung des possessorischen Verfügungsantrags nur in beschränkte materielle Rechtskraft erwachse und der Auftraggeber nicht riskieren müsse, erneut aus §  861 BGB in Anspruch genommen zu werden, ohne sich auf eine entgegenstehende Entscheidung berufen zu können. 211  Laut OLG befindet sich der Auftraggeber gerade bei Kündigungen wegen Verzugs ohne­ hin schon in einer zeitlichen und wirtschaftlichen Notlage, die aufgrund des vertragswidrigen Verhaltens des Antragstellers erst entstanden sei. Die Geltendmachung des Anspruchs aus §  861 BGB vergrößere diese wirtschaftliche Zwangslage. Der Besitzschutzanspruch dürfe aber nicht dazu dienen, den Vertragsuntreuen zu belohnen.

166

§  5 Das Verhältnis des possessorischen Anspruchs zum petitorischen Anspruch

analog nicht zur Anwendung gelangen könne.212 Wenn aber – wie im vorliegen­ den Fall – in einem weiteren Verfahren eine petitorische einstweilige Verfügung (auf Unterlassung der Wegnahme) zugunsten der Auftraggeberin ergangen sei, dann stünden sich bei anschließendem Erlass einer possessorischen Verfügung zugunsten der Auftragnehmerin zwei einander widersprechende Entscheidungen gegenüber. Dies führe zu einer unzumutbaren Rechtsunsicherheit. Insofern müs­ se eine einstweilige petitorische Verfügung den Besitzschutzanspruch zugunsten der Rechtsklarheit zum Erlöschen bringen. Etwas anderes habe nur zu gelten, wenn ernsthafte Bedenken am Bestand des petitorischen Anspruchs bestünden. (cc) Bewertung Die Entscheidungen des OLG Stuttgart mag man auf den ersten Blick überzeu­ gend finden. Zum einen erscheint das Verhalten der Auftraggeberin nicht über­ mäßig harsch. Erteilt die Auftraggeberin der Auftragnehmerin ein Hausverbot, dann scheint dies ein deutlich weniger intensiver Eingriff zu sein, als wenn eine beauftragte „Einsatzgruppe“ zu einem anderen Ort fährt, um dort die Sachen an sich zu nehmen. Jedoch ist eine auf der für die Baustelle geregelten Aufgaben beruhende tatsächliche Machtbeziehung der Auftragnehmerin zu den Materiali­ en, die durch die Erteilung des Hausverbots gebrochen wird, nicht von der Hand zu weisen.213 Verbotene Eigenmacht lag also vor. Zum anderen war aber der 212  Nach Ansicht des BGH ist die Besitzschutzklage als unbegründet abzuweisen, wenn die petitorische Widerklage Erfolg hat, siehe unter §  5 II.4.b)aa) und unter §  6 I. 213  Dies entspricht der h. M.: OLG Düsseldorf BauR 2008, 998 (999); Herrler, in: Palandt, BGB, §  854 Rn.  4; Joussen/Vygen, in: Ingenstau/Korbion, §  8 III VOB/B Rn.  69, 73. Früher vertrat der BGH noch, dass ein Auftragnehmer bei beginnender Rohmontage selbst dann seinen Besitzaufgabewillen zum Ausdruck bringe, wenn die Materialien unter Eigentumsvorbehalt stünden, BGH NJW 1972, 1187 (1188 f.), mittlerweile nimmt er aber ein nicht zu leugnendes Interesse des Auftragnehmers daran an, besitzrechtliche Ansprüche gegen Dritte bis zur Abnah­ me zu behalten, BGH NJW 1984, 2569 (2570). Umgekehrt wäre es nämlich befremdlich, eine verbotene Eigenmacht des Auftragnehmers bejahen zu müssen, wenn dieser ein eingebautes und anschließend noch vor Abnahme schadhaft befundenes Bauprodukt auswechselt, ohne um Erlaubnis zu fragen. Der Vereinbarung kann auch nicht entnommen werden, dass zur Sicherung des Anspruchs des Auftraggebers aus §  8 III Nr.  3 VOB/B nach fristloser Kündigung der Besitz gänzlich auf den Auftraggeber übertragen werde und der Auftragnehmer den Besitz während der Zeit der Bauerrichtung als Besitzdiener gem. §  855 BGB für den Auftraggeber ausübe. Solch ein sachenrechtlicher Besitzaufgabewille ist schon in seinem Fortbestand nicht ge­ schützt. Ohnehin entspricht es im Regelfall nicht einmal dem Interesse des Auftragnehmers, dem Auftraggeber wenigstens Mitbesitz einzuräumen. Auch wenn man den Auftraggeber als Mitbesitzer der auf der Baustelle lagernden Materialien ansähe, beginge er im Übrigen verbo­ tene Eigenmacht, wenn er der Auftragnehmerin den Mitbesitz ohne deren Willen entzieht. §  866 BGB schließt den possessorischen Besitzschutz nur im Hinblick auf Streitigkeiten um Zeit, Ort, Art und Ausmaß des Gebrauchs aus, siehe Joost, in: MüKo-BGB, §  866 Rn.  12.

II. §  864 II BGB in der konkreten Rechtsanwendung

167

Anspruch aus der VOB/B zwischen den Parteien nicht streitig und das Verhalten der Besitzschutzklägerin wohl tatsächlich missbräuchlich, da sie stark überzoge­ ne Ablösepreise für die Materialien forderte, sodass eine ausnahmsweise Versa­ gung des Besitzschutzanspruchs gem. §  242 BGB angebracht war.214 Im Fokus stehen soll hier aber die weitere Begründung für die Abweisung des possessorischen Antrags. Diese Begründung beansprucht nämlich grundsätzlich für jeden Fall verbotener Eigenmacht Geltung. Allerdings offenbart sich in ihr ein gefährlicher Zirkelschluss: Laut dem OLG war der auf §  861 I BGB basieren­ de Antrag abzuweisen, da eine Unterlassungsverfügung zugunsten der petito­ risch Berechtigten ergangen war und es galt, widersprechende Entscheidungen und Vollstreckungen zu verhindern. Allerdings wurde der Verfügungsanspruch für die petitorische Unterlassungs­ verfügung allein in dem Zweck gesehen, die Durchsetzung des Anspruchs aus §  861 I BGB später unter Hinweis auf das vollstreckungsrechtliche Dilemma ab­ wehren zu können. Dabei hat das OLG es unterlassen, den Rechtsbruch, der in der Begehung der verbotenen Eigenmacht und der Verletzung der mit dem Besitz­ schutz verfolgten Interessen liegt, zu gewichten. Letztlich hebt die Begründung allein auf prozessökonomische Aspekte ab. Man sollte sich jedoch vor Augen führen, wie das von der Rechtsordnung vorgesehene Verfahren ohne zwischen­ geschaltete verbotene Eigenmacht ausgesehen hätte: War die Auftraggeberin tat­ sächlich dringend auf die Materialien angewiesen, dann hätte sie die Möglichkeit gehabt, eine Herausgabeverfügung zu erwirken. Dies entspräche zwar einer Vor­ wegnahme der Hauptsache, deren Anordnung im einstweiligen Verfügungsverfah­ ren nur in Ausnahmefällen möglich ist – also wenn ein irreparabler Rechtsverlust oder eine Existenzgefährdung drohen, die ohne die Vorwegnahme nicht abgewen­ det werden können.215 Zur Glaubhaftmachung dieser Gefahr und um die Abwä­ gung zugunsten der Auftraggeberin zu beeinflussen,216 hätten aber die gleichen Argumente dienen können, mit denen die Treuwidrigkeit der Geltendmachung von §  861 BGB durch die Auftragnehmerin begründet wurde. So unbefriedigend die Situation für die Auftraggeberin auch sein mag, liegt der einzig gangbare Weg hier jenseits der Selbstdurchsetzung von Ansprüchen. Im Hinblick auf die Gefahr der nicht realisierbaren Schadensersatzansprüche kommt dabei zum Beispiel eine Erhöhung der vertraglichen Sicherheiten in Betracht.217 214  Ausführlich

zur Behandlung von Missbrauchsfällen unter §  7. Drescher, in: MüKo-ZPO, §  938 Rn.  20. 216  Bei der Befriedigungsverfügung muss eine Abwägung zwischen den Belangen des Gläubigers und des Schuldners erfolgen, siehe Haertlein, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Zwangsvollstreckung, §  935 Rn.  36; Retzer, GRUR 2009, 329 (329); Vollkommer, in: Zöller, ZPO, §  940 Rn.  4. 217  Diesen Vorschlag macht Voit, NJW 2012, 625 (629). 215 

168

§  5 Das Verhältnis des possessorischen Anspruchs zum petitorischen Anspruch

Die eigenmächtige Durchsetzung des (vermeintlichen) Herausgabeanspruchs ist dagegen nicht zu rechtfertigen. Mit der daran anschließenden Unterlassungs­ verfügung wird im Grunde vom Besitzer begehrt, dass dieser seinen berechtigten Anspruch aus §  861 I BGB nicht durchsetzt: Begeht die Auftraggeberin verbote­ ne Eigenmacht, dann mag ihr Interesse am Erhalt der Materialien zwar fortbeste­ hen. Eine „Gefahr für die Rechtsverwirklichung“ besteht aber nur dann, wenn man diese im rechtmäßigen Gegenanspruch aus §  861 BGB erblickt. Die „Ge­ fahr“ des Anspruchs aus §  861 BGB ist jedoch überhaupt erst durch die verbote­ ne Eigenmacht entstanden. Die Argumentation des OLG führt §  863 BGB ad absurdum: Da die inzidente Rechtsfeststellung verboten ist, soll ein anderer Weg gefunden werden, um den Besitzschutzanspruch zum Erlöschen zu bringen. Der Verfügungsgrund besteht schlussendlich darin, §  863 BGB leerlaufen zu lassen. Es ist nicht ganz klar, ob sich das OLG Stuttgart dogmatisch der Ansicht an­ schließen will, die in der einstweiligen Verfügung einen den Besitzschutzan­ spruch ausschließenden besonderen Akt der Staatshoheit sieht.218 Das OLG stützt sich in seiner Urteilsbegründung ausdrücklich auf den BGH und nimmt an, dass auch vorläufig vollstreckbare Entscheidungen dem Anspruch aus §  861 BGB entgegenstünden, was folglich erst recht für einstweilige Verfügungen gelte, da diese ohnehin nur vorläufigen Charakter hätten.219 Dann hätte sich das OLG aber mit §  864 II BGB und der Frage beschäftigen müssen, ob über eine einstweilige Verfügung die gleiche Sicherheit erreicht wird.220 Von einem vorläufigen Cha­ rakter der Verfügung kann zudem nicht die Rede sein. Zwar ist es richtig, dass sich der einstweilige Rechtsschutz im Normalfall nicht präjudiziell auf den Hauptprozess auswirkt, sondern sich im Gegenteil die einstweilige Maßnahme im Hauptprozess zu bewähren hat (§§  926, 936 ZPO); aufgrund von §  864 II BGB würde aber eine Modifizierung der allgemeinen prozessualen Regeln da­ hingehend erfolgen, dass auch ein mit der Hauptsache befasstes Gericht die einstweilige Verfügung als Erlöschensgrund für den Besitzschutzanspruch wei­ terhin zu respektieren hätte. Der Erlass der petitorischen Unterlassungsverfügung ist bisher eine Einzelfall­ entscheidung geblieben. Eine Übertragung dieser Rechtsprechung auf das Haupt­ 218  Herrler, in: Palandt, BGB, §  864 Rn.  5, nennt die Entscheidung 10 W 47/11 des OLG Stuttgart in einem Zug mit der des OLG Kiel, JW 1932, 3640, obwohl die Begründungen, wie gezeigt, unterschiedlich sind. Es erschließt sich letztlich auch nicht, warum Herrler einer peti­ torischen Herausgabeverfügung nicht die gleiche Wirkung zukommen lassen will wie der Un­ terlassungsverfügung, da letztere, wie aufgezeigt, das Spiegelbild der ersteren ist. 219  OLG Stuttgart NJW 2012, 625 (628). 220  Überhaupt erwähnt das OLG im gesamten Urteil §  864 II BGB nur ein einziges Mal, und das in einer abstrakten Umschreibung des Norminhalts, der im Weiteren nicht mehr subsumiert wird.

II. §  864 II BGB in der konkreten Rechtsanwendung

169

sacheverfahren hat, soweit ersichtlich, noch kein Gericht unternommen. Die Ar­ gumentation würde aber auch dort passen. Die Folge wäre, dass der gut beratene petitorische (Wider-)Kläger nach Begehung der verbotenen Eigenmacht keine Klage auf Feststellung seines Besitzrechts, sondern eine Unterlassungsklage er­ heben würde. Damit könnte bewirkt werden, dass das possessorische Heraus­ gabebegehren des ehemaligen Besitzers scheitert. Es würde im Endeffekt künst­ lich ein vollstreckungsrechtlicher Konflikt geschaffen, der sodann zugunsten des Täters der verbotenen Eigenmacht aufgelöst würde. (3) Fazit Der Vorrang der einstweiligen petitorischen Verfügung erweist sich als ein ge­ fährliches Konstrukt und birgt, ebenso wie die sog. Gestattungswirkung, das Ri­ siko, berechtigte Interessen des Besitzers zu unterlaufen. Es ist nicht einleuch­ tend, dass der Besitzschutzanspruch durch Erlass einer petitorischen Verfügung aufgrund deren Eigenschaft als hoheitlicher Staatsakt berührt wird. Wie im „nor­ malen“ Verfahren auch, spricht nichts dagegen, dass auf eine petitorische Verfü­ gung eine den Besitzschutzanspruch zur Geltung bringende Entscheidung als Reaktion auf die verbotene Eigenmacht folgt. Dies gilt jedenfalls für den Fall der Besitzstörungen; im Fall einer eigenmächtigen Besitzentziehung darf eine peti­ torische Verfügung – wie aufgezeigt – ohnehin nicht ergehen. e) Ergebnis zu den Auswirkungen einer petitorischen Verfügung auf den possessorischen Anspruch Im Ergebnis ist festzuhalten, dass der Täter verbotener Eigenmacht selten in der Lage sein wird, eine petitorische Verfügung zu seinen Gunsten erwirken zu kön­ nen. Zum einen kann das Gesetz ausdrücklich entgegenstehen, §  940a ZPO. Zum anderen kann der Verfügungsgrund deswegen entfallen sein, weil der Täter ei­ genmächtig den Besitzstand geschaffen hat, den er begehrt. Die Bejahung eines Verfügungsanspruchs und -grunds für eine petitorische Unterlassungsverfügung, die den Besitzer dazu verpflichtet, den possessorischen Anspruch nicht durch­ zusetzen, ist unbedingt abzulehnen. In jedem Fall mangelt es an einer dogma­ tischen Grundlage dafür, dass eine petitorische Verfügung, in der das petitori­sche Recht nur summarisch geprüft wird, den possessorischen Anspruch zu Fall bringt. Auch hier sollte der Verlockung widerstanden werden, die Umgehung der staatlichen Rechtsdurchsetzung aus prozessökonomischen Gründen zu billigen.

170

§  5 Das Verhältnis des possessorischen Anspruchs zum petitorischen Anspruch

6. Die Inzidentprüfung als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens aus §  864 II BGB? Besorgniserregend ist die bislang letzte Etappe, die der BGH in Sachen §  864 II BGB in einer Entscheidung aus dem Jahr 1998 beschritten hat: Die Parteien strit­ ten um zehn Hubarbeitsbühnen, von denen sich neun im Besitz der Beklagten befanden und eine im Besitz der Klägerin war. Die Klägerin begehrte mit ihrer auf §  985 BGB gestützten Klage die Herausgabe der ersten neun Bühnen, die Beklagte demgegenüber mit ihrer auf §  861 BGB gestützten Widerklage die Her­ ausgabe der zehnten Bühne, die die Klägerin durch verbotene Eigenmacht an sich gebracht hatte.221 Die Klägerin hatte wohlgemerkt nicht auf Feststellung ihres Besitzrechts an der durch Eigenmacht erlangten Hubarbeitsbühne geklagt. Der BGH gab der Herausgabeklage der Klägerin wegen erwiesener Eigen­ tümerstellung an allen Bühnen statt und wies die possessorische Widerklage we­ gen der zehnten Bühne im Hinblick auf das nach seiner Auffassung feststehende Eigentum der Klägerin an dieser ab. Unter Berufung auf seine bisherige Recht­ sprechung führte der BGH aus, der Ausschluss petitorischer Einwendungen des Besitzers gem. §  863 BGB gelte seinem Sinn und Zweck nach bei Entschei­ dungsreife des von dem Besitzer beanspruchten Rechts zum Besitz nach dem Rechtsgedanken des §  864 II BGB jedenfalls dann nicht, wenn über das Besitz­ recht letztinstanzlich, „wenn auch incidenter“, entschieden werde und der nach §  861 BGB erfolgreiche Herausgabekläger die Sache sogleich wieder an den Berechtigten herausgeben müsse.222 Der Umstand, dass Klage und Widerklage in dieser Entscheidung unterschiedliche Sachen betrafen, wirkte sich nach Ansicht des BGH nicht aus, weil die Entscheidung über die Klage zugleich die Eigen­ tumslage für alle Hubarbeitsbühnen geklärt habe. Klage und Widerklage hätten zwar wegen der unterschiedlichen Streitgegenstände beide zugesprochen werden können, ohne dem Vorwurf eines logischen Widerspruchs zu begegnen. Da aber schon im Augenblick der Entscheidung über den an sich bestehenden possesso­ rischen Anspruch des Widerklägers feststand, dass der Kläger im Falle des Er­ folgs der Widerklage mit der Vollstreckung des possessorischen Urteils sofort einen gegenläufigen petitorischen Anspruch erhielte, war laut BGH eine Kons­ tellation gegeben, in der die Weiterverfolgung des possessorischen Anspruchs als zwecklose Weiterung begriffen werden musste.223 So pragmatisch diese Ent­ 221 

BGH NJW 1999, 425 (425). BGH NJW 1999, 425 (427). 223  Auffallend ist die ausdrückliche Einschränkung, nach der die analoge Anwendung des §  864 II BGB „jedenfalls“ in den Fällen einer letztinstanzlichen Entscheidung stattfinden soll. Damit ließ der BGH die Frage der analogen Anwendbarkeit auf Fälle, in denen nicht sofortige Rechtskraft eintritt – im Gegensatz zu der früheren Entscheidung BGHZ 73, 355 – offen. So­ 222 

II. §  864 II BGB in der konkreten Rechtsanwendung

171

scheidung vor dem Hintergrund der Besonderheiten des Falls erscheinen mag, handelt es sich nichtsdestotrotz um eine weitere Aufweichung des §  863 BGB: Gemäß des BGH scheint nun nämlich allgemein zu gelten, dass der Besitzschutz­ anspruch erlischt, wenn ein petitorisches Gegenrecht besteht. Zu betonen ist, dass in der Entscheidung gerade nicht durch rechtskräftiges Urteil im Sinne des §  864 II BGB festgestellt wurde, dass die Klägerin ein Besitzrecht an der zehnten Hubarbeitsbühne hatte. Streitgegenstand der Klage war lediglich der Heraus­ gabeanspruch bezüglich der neun anderen Hubarbeitsbühnen. Man mag zwar argumentieren, dass es für die Praxis ein sehr unbefriedigendes Ergebnis darstel­ le, wenn der Anspruch aus §  861 I BGB zugesprochen werden müsse, obwohl feststehe, dass die Bühne zurückzugewähren sei. §  863 BGB schreibt aber nun mal vor, dass der possessorische Besitzschutzanspruch unabhängig von einem Recht zum Besitz zu betrachten ist. Da die Klägerin darauf verzichtet hatte, Fest­ stellungsklage hinsichtlich der zehnten in ihrem Besitz befindlichen Hubarbeits­ bühne zu erheben, konnte §  864 II BGB in keiner Weise Anwendung finden.224 Die Rechtsprechung scheint aber umgekehrt davon auszugehen, dass es nach dem Rechtsgedanken des §  864 II BGB ohne Bedeutung sei, ob das Gericht ne­ ben der Besitzschutzklage formal auch mit einer Klage aus einem Besitzrecht befasst ist oder ob es das Besitzrecht inzident prüft. Dieser vom BGH entwickel­ te „Rechtsgedanke“ wurde nicht viel später vom KG Berlin aufgegriffen und noch erheblich ausgedehnt. Das KG bejahte §  864 II BGB, nachdem es in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren den Erfolg eines lediglich hypothetischen petitorischen Gegenantrags des Besitzschutzbeklagten geprüft hatte.225 Diese Auslegungsweise der Norm läuft klar contra legem und kann nur noch als rechts­ politisches Urteil gegen §  863 BGB verstanden werden.226 Jedes Zurückdrängen von §  863 BGB leistet der Selbstjustiz aber in gefährlicher Weise Vorschub. weit ersichtlich gehen die unteren Instanzen aber davon aus, dass die analoge Anwendung von §  864 II BGB auch bei Urteilen zu erfolgen hat, die noch anfechtbar sind, siehe OLG Rostock OLG-NL 2001, 279 (281); Brandenburgisches OLG v. 23.11.2011 – 7 U 195/10 –, juris Rn.  75; OLG Karlsruhe ZMR 2017, 660 (661). Dies wird ebenfalls von der breiten Mehrheit in der Literatur so gesehen: Hagen, JuS 1972, 124 (125); Herrler, in: Palandt, BGB, §  863 Rn.  3; Hoeren, in: NK-BGB, §  864 Rn.  14; Koch/Löhnig, Fälle zum Sachenrecht, Fall 1 Rn.  18 = S.  8; Schultzky, in: Zöller, ZPO, §  33 Rn.  36; Stadler, in: Soergel, BGB, §  864 Rn.  7; Wieling, Sachen­ recht I, §  5 IV 3 d = S.  212. 224  In diesem Sinne auch Amend, JuS 2001, 124 (128); Stadler, in: Soergel, BGB, §  863 Rn.  4; a. A. Schur, ZMR 2000, 802 (806): Es sei eine bloße Formalität, von der Klägerin zu verlangen, auch die Feststellung ihres Eigentums an der zehnten Bühne zu beantragen. Wer mit Formalitäten argumentiert, begnügt sich aber mit einer prozessökonomischen Betrachtungs­ weise, die aufgrund des §  863 BGB gerade nicht angezeigt ist. 225  KG Berlin ZMR 2000, 818 (819), unter Verweis auf BGH NJW 1999, 425 (427). 226  So auch Füller, Eigenständiges Sachenrecht, S.  554.

172

§  5 Das Verhältnis des possessorischen Anspruchs zum petitorischen Anspruch

7. Fazit zum Verhältnis des §  863 BGB zu §  864 II BGB Ziel eines effektiven Besitzschutzes muss es sein, den Täter verbotener Eigen­ macht so zu stellen, dass auch er darauf angewiesen ist, die (staatliche) Zwangs­ vollstreckung zu betreiben und nicht von dem eigenmächtig geschaffenen Zu­ stand zu profitieren. Demzufolge ist §  864 II BGB in seiner bestehenden Form bedenklich, da zu­ mindest dem Täter, der ein rechtskräftiges Urteil zu seinen Gunsten erreicht hat, alle Vorteile der von ihm geschaffenen verbotenen Eigenmacht verbleiben. Der prozessökonomische Ansatz wird durch die enge Formulierung der Norm aller­ dings von vornherein stark eingeschränkt, da nicht rechtskräftige Urteile sowie Urteile, die vor Begehung der verbotenen Eigenmacht ergangen sind, nicht das Erlöschen des Besitzschutzanspruchs bewirken. Hätte der Gesetzgeber den Be­ sitzschutz konsequent mit einem prozessökonomischen Rechtsgedanken durch­ ziehen wollen, so hätte er §  864 II BGB zulasten von §  863 BGB ausweiten müs­ sen. Da er dies unterließ, besteht de lege lata für eine extensive Anwendung des §  864 II BGB durch Analogien-Bildung oder Extrahierung eines allgemeinen Rechtsgedankens weder Bedarf noch Raum. Ausnahmeregelungen sind grund­ sätzlich restriktiv auszulegen und §  864 II BGB stellt eine Ausnahme zu dem Ausschluss petitorischer Einwendungen nach §  863 BGB dar. Das bisweilen vor­ gebrachte Argument, §  863 BGB sei wiederum als Ausnahme des auf §  242 BGB beruhenden Verbots unzulässiger Rechtausübung anzusehen, sodass §  864 II BGB letztlich der maßgebliche Grundsatz sei,227 vermag nicht zu überzeugen: Der verfahrensintensive Widerstreit zwischen Besitzschutzanspruch und petito­ rischem Recht ist gerade Charakteristikum des possessorischen Besitzschutzan­ spruchs. Rein prozessökonomische Erwägungen sind hier fehl am Platze. Bei der Hin- und Her-Vollstreckung im gedachten Sekundenabstand handelt es sich nur oberflächlich betrachtet um ein sinnloses formaljuristisches Ergebnis. Es ist zwar zuzugeben, dass dadurch staatliche Organe belastet werden; dies ist aber zwangs­ läufige Folge der Tatsache, dass das Besitzschutzrecht dem gängigen, auf Indivi­ dualinteressen zielenden zivilrechtlichen System aufgrund seiner generalpräven­ tiven Gestaltung zugunsten des allgemeinen Rechtsfriedens fremd ist und gerade einen Gegenpol zum klassischen petitorischen Recht darstellt. Dies muss auch in der Zwangsvollstreckung seine Widerspiegelung finden. Die Zwangsvollstre­ ckung dient zwar nicht der erzieherischen Einwirkung;228 ihre Funktion wird so­ 227 

Götz, in: BeckOGK-BGB, §  864 Rn.  35; Stadler, in: Soergel, BGB, §  864 Rn.  7. Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, §  1, Rn.  3 = S.  2; anders die Vorstellung in der ehemaligen DDR, wonach bereits das Prozessgericht „gesellschaftlich-­ erzieherische Arbeit“ leistete, siehe dazu ausführlich Gaul, JZ 1973, 473 (475), und Jauernig, JuS 1971, 329 (332 f.). 228 

III. Reichweite des §  863 BGB in weiteren Fällen

173

gar grundlegend verkannt, wenn sie derart in den Dienst staatlicher Willens­ durchsetzung gestellt wird. Die Zwangsvollstreckung strebt insgesamt den mate­ riellen Rechtserfolg an. Volkswirtschaftlich gesehen bildet sie ein Kettenglied im Wirtschaftsleben. Damit versteht es sich von selbst, dass auch ein möglichst wirtschaftlicher Vollstreckungsablauf zu gewährleisten ist.229 Eine rein wirt­ schaftliche Betrachtungsweise kann aber nicht zum allgemeinen Maßstab der Rechtanwendung gemacht werden. Vielmehr sollte man sich ins Bewusstsein rufen, dass die Ansprüche aus §§  861 f. BGB ebenso als Individualansprüche ausgestaltet sind, denen eigenes Gewicht gegenüber dem Recht zum Besitz zu­ kommt, auch wenn die Durchsetzung des Letzteren das „endgültige“ Ziel sein mag. Dass die Vollstreckung des possessorischen Anspruchs einen nur vorläufi­ gen Zustand bewirkt, der aller Voraussicht nach durch erneute Zwangsvollstre­ ckung wieder rückgängig zu machen ist, mag unökonomisch sein. Ein verengter, auf Zeitersparnis und Arbeitsökonomie ausgerichteter Bewertungsmaßstab muss an dieser Stelle aber versagen, da er kaum zu bemessende externe und soziale Kosten zu sehr außer Acht lässt. In dem Moment, in dem die Mehrheit der Bevöl­ kerung den Gedanken entwickelt, dass es „günstiger“ sein könnte, verbotene Ei­ genmacht zu begehen als den Rechtsweg zu beschreiten, begibt man sich zurück auf den Boden des Faustrechts und begünstigt damit auch eine Eskalationsspira­ le hin zu Gewalt gegen Personen und Sachen, welche nicht nur in einem Klima der Unsicherheit mündet, sondern – erneut zulasten staatlicher Organe – auch strafrechtlich verfolgt werden muss.

III. Reichweite des §  863 BGB in weiteren Fällen Abschließend sollen noch weitere Problemfelder betrachtet werden, in denen ebenfalls „Gegenrechte“ zum possessorischen Anspruch relevant werden, die al­ lerdings nicht in den Anwendungsbereich von §  864 II BGB fallen, sondern durch andere Normen geregelt sind.

1. Geltendmachung von Zurückbehaltungsrechten Nicht einheitlich beantwortet wird die Frage, ob Zurückbehaltungsrechte nach §§  273 II, 1000 BGB vom Ausschluss des §  863 BGB erfasst werden. Die herr­ schende Ansicht verneint dies zumindest in Bezug auf solche Ansprüche, die durch die Beeinträchtigung entstehen.230 Es wird argumentiert, dass das Gesetz 229  230 

Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, §  1, Rn.  41 = S.  16. Götz, in: BeckOGK-BGB, §  863 Rn.  24; Gutzeit, in: Staudinger, BGB, §  863 Rn.  7;

174

§  5 Das Verhältnis des possessorischen Anspruchs zum petitorischen Anspruch

dem Herausgabepflichtigen das Zurückbehaltungsrecht nur dann nicht gewähre, wenn er den Gegenstand durch eine vorsätzliche begangene unerlaubte Hand­ lung erlangt habe, §§  273 II Hs.  2, 1000 S.  2 BGB. Der Gesetzgeber habe daher das Problem der eigenmächtig entzogenen und zurückgehaltenen Sache gesehen und eine bewusste Wertentscheidung getroffen. Bei nicht vorsätzlich begangener verbotener Eigenmacht würden Zurückbehaltungsrechte folglich nicht durch §  863 BGB ausgeschlossen. Diese Argumentation berücksichtigt jedoch das Verhältnis der allgemeinen Vorschriften über das Zurückbehaltungsrecht gegenüber den besonderen des possessorischen Besitzschutzes nicht hinreichend. Die §§  273 II, 1000 BGB le­ gen nur fest, unter welchen Voraussetzungen dem Einzelnen überhaupt Zurück­ behaltungsrechte zustehen. Selbst wenn letztere dem Grunde nach gegeben sind, muss aus der Perspektive der Besitzschutzansprüche für den konkreten Fall ent­ schieden werden, ob sie auch geltend gemacht werden können. Stellt man auf den bei den Besitzschutzansprüchen im Vordergrund stehenden Präventionsge­ danken ab, so scheint es unbillig, dass der (frühere) Besitzer den status quo ante mit Verwendungsersatz bezahlen muss. Selbst wenn man der Ansicht ist, das Zurückbehaltungsrecht gewähre kein Recht zum Besitz, ähnelt dessen Geltend­ machung einer petitorischen Einwendung, die nach §  863 BGB nicht zuzulassen ist. Die Geltendmachung von Zurückbehaltungsrechten ist daher ebenfalls voll­ ständig von §  863 BGB ausgeschlossen.231

2. §  1361a und §  1361b BGB als leges speciales? Das Ziel der Rechtsfriedenssicherung besteht in allen Bereichen des Zivilrechts gleichermaßen verbindlich. Daher überrascht es, dass sich im Bereich des Fami­ lienrechts die Auffassung herausgebildet hat, dass der possessorische Besitz­ schutz mit seinem Kernstück §  863 BGB im Anwendungsbereich der §§  1361a, 1361b BGB ausgeschlossen sei. Leben Ehegatten getrennt, kann jeder von ihnen nach §  1361a I 1 BGB die in seinem Eigentum stehenden Haushaltsgegenstände von dem anderen Ehegatten herausverlangen. Eine Verpflichtung zur Gebrauchsüberlassung entsteht dann, wenn der andere Ehegatte die Gegenstände zur Führung seines Haushalts benö­ Herrler, in: Palandt, BGB, §  863 Rn.  2; Hoeren, in: NK-BGB, §  863 Rn.  10; Joost, in: MüKo-­ BGB, §  863 Rn.  5; Prütting, in: PWW-BGB, §  863 Rn.  2. Nach Biermann, Das Sachenrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 3.  Aufl. 1914, §  863 Anm.  1 c, fallen Zurückbehaltungsrechte gene­ rell nicht unter §  863 BGB. 231  Josef, ArchBürgR 15 (1899), 265 (287); Kress, Besitz und Recht, S.  341; Sosnitza, Be­ sitz und Besitzschutz, S.  156; Stadler, in: Soergel, BGB, §  863 Rn.  3; Wieling, Sachenrecht I, §  5 IV 3 a = S.  208.

III. Reichweite des §  863 BGB in weiteren Fällen

175

tigt und die Überlassung der Billigkeit entspricht. Unter dem gleichen Billig­ keitsvorbehalt kann nach §  1361b I BGB ein Ehegatte vom anderen verlangen, dass dieser ihm die Ehewohnung ganz oder teilweise zur Benutzung überlässt.232 Geht ein Ehegatte eigenmächtig vor, so wird teilweise vertreten, dass die §§  1361a, 1361b BGB als leges speciales §  861 I BGB verdrängen.233 Die wohl überwiegende Ansicht in Rechtsprechung und Lehre geht zwar von Anspruchs­ konkurrenz aus, berücksichtigt im Rahmen des §  861 BGB aber den Regelungs­ gehalt der §§  1361a, 1361b BGB insofern, als der andere Ehegatte entgegen §  863 BGB einwenden kann, dass ihm die eigenmächtig weggeschafften Gegen­ stände beziehungsweise die dem anderen versperrte Wohnung billigerweise zu­ stünden.234 Dies führt im Ergebnis zu nichts anderem als zu einer Einschränkung des Anspruchs aus §  861 I BGB, sodass von der behaupteten Konkurrenz keine Rede mehr sein kann.235 Den Ansichten ist nicht zuzustimmen.236 Die Verdrängung einer Norm auf­ grund der Spezialität einer anderen erfolgt, wenn die Anwendung der allgemei­ neren Norm zu Wertungswidersprüchen führt,237 insbesondere wenn sich die Rechtsfolgen beider Normen ausschließen238. Aus §  861 BGB und §§  1361a, 232 

Identisches regeln §§  13, 14 LPartG für gleichgeschlechtliche Lebenspartner. Durch das Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts vom 20.07.­2017, BGBl. I, 2017 S.  2787, dürften diese Regelungen aber nach und nach hinfällig werden. 233  OLG Düsseldorf FamRZ 1986, 276 (277); OLG Hamm FamRZ 1987, 483 (483); Vogel, FamRZ 1981, 839 (840); Weinreich, NZFam 2014, 486 (489). 234  OLG Karlsruhe FamRZ 2001, 760 (761); OLG Koblenz NJW 2007, 2337 (2338); AG Neustadt (Rübenberge) FamRZ 2005, 1253; Brudermüller, in: Palandt, BGB, §  1361b Rn.  18 (ausführlicher in der 74.  Aufl. 2015); Kaßing, in: HandbuchFA-FamR, Kap.  8, Rn.  58 f.; Schulz, NZFam 2014, 483 (485). 235  Vor Schaffung des FamFG lag das Bestreben der ersten beiden Ansichten vor allem dar­ in, zu einer einheitlichen Zuständigkeit des Familiengerichts zu gelangen, siehe Götz/Brudermüller, Die gemeinsame Wohnung, Rn.  262, 264. Heute fällt der Besitzschutzanspruch unter die sonstigen Familiensachen i. S. v. §  266 I Nr.  3, 111 Nr.  10 FamFG und damit in die Zustän­ digkeit des Familiengerichts. Die Problematik setzt sich insofern fort, als nun teilweise die gem. §§  113 I, 112 Nr.  3 Alt.  1, 266 I Nr.  3 FamFG anwendbaren ZPO-Vorschriften als ungeeig­ net angesehen werden, Brudermüller, in: Palandt, BGB, 75.  Aufl. 2015, §  1361b Rn.  18. Eine Mindermeinung geht davon aus, dass auch der Anspruch aus §  861 BGB unter §  200 FamFG falle, siehe Obermann, FuR 2016, 258 (260). 236  Für die uneingeschränkte Geltung des possessorischen Besitzschutzes auch: OLG Bam­ berg FamRZ 1993, 335 (336), zur alten Rechtslage; OLG Koblenz FamRZ 2009, 1934 (1935); Bund, in: Staudinger, BGB (2007), §  858 Rn.  35; Eckebrecht, NZFam 2014, 507 (512); Erbarth, in: MüKo-FamFG, §  200 Rn.  82; Obermann, FuR 2016, 258 (260); Sosnitza, Besitz und Besitz­ schutz, S.  171; Voppel, in: Staudinger, BGB, §  1361a Rn.  58; Wellenhofer, in: MüKo-­BGB, §  1568b Rn.  29. 237  Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S.  156. 238  Eckebrecht, NZFam 2014, 507 (509).

176

§  5 Das Verhältnis des possessorischen Anspruchs zum petitorischen Anspruch

1361b BGB können zwar gegenläufige Herausgabeansprüche resultieren; dies liegt aber in der Natur des Besitzschutzes, der Billigkeitserwägungen grundsätz­ lich nicht berücksichtigt. Die verbotene Eigenmacht entfällt nicht dadurch, dass sie zur Vermeidung einer Härte ausgeübt wurde. Die verbotene Eigenmacht ist wiederum kein tatbestandsrelevantes Merkmal für den Überlassungsanspruch nach §  1361a und §  1361b BGB. Zwischen beiden Tatbeständen besteht kein Verhältnis des Mehr und Weniger; §  1361a und §  1361b BGB weisen keine wei­ tergehenden Tatbestandsmerkmale auf als §  861 BGB. Geht man von einer Verdrängung des §  861 BGB aus, ist zudem problema­ tisch, dass der geschädigte Ehegatte nicht unbedingt ein Interesse an der Durch­ führung eines Verfahrens nach §  200 FamFG haben muss. Er will nur, dass der weggenommene Gegenstand wieder in die Ehewohnung zurückgelangt oder er Zutritt zur Ehewohnung bekommt. Im Rahmen des §  1361a BGB beabsichtigt manchmal auch der andere Ehegatte kein formelles Hausratsverfahren, wenn zum Beispiel nur um wenige Sachen gestritten wird. Folgt man dieser Ansicht, wird aber dem geschädigten Gatten auferlegt, ein Verfahren nach §  200 FamFG einzuleiten und in diesem Zusammenhang alle erforderlichen Tatsachen darzu­ legen, die dem Gericht die Billigkeitsentscheidung ermöglichen. Damit werden die Parteirollen umgekehrt.239 Auch die weiteren Argumente zur Begründung einer Zurückdrängung der §§  861 ff. BGB berücksichtigen nicht den Sinn des Besitzschutzes. Wenn vorge­ tragen wird, für eine vorrangige Anwendung von §§  1361a, 1361b BGB unter Überlagerung von §  861 BGB spreche, dass dieses Verfahren speziell auf die Situation im Zusammenhang mit der Trennung ausgerichtet sei und erlaube, dort möglichen Billigkeitserwägungen vorrangig Rechnung zu tragen,240 so wird ver­ kannt, dass §  861 BGB und §§  1361a, 1361b BGB unterschiedliche Zwecke ver­ folgen. §  861 BGB will eine zügige Durchsetzung des Besitzschutzanspruchs gewährleisten, während §  1361a und b BGB eine ausgewogene Güterverteilung bei Getrenntleben nach Billigkeit ermöglichen. Beide Ziele haben in der Tren­ nungsphase ihre Berechtigung. Es ist demjenigen, der verbotene Eigenmacht verübt, durchaus zuzumuten, die eigenmächtige Besitzverteilung zunächst rück­ gängig zu machen, bis über die Hausratsverteilung oder die Ehewohnung ent­ schieden werden kann. Anderenfalls würde man geradezu einen Anreiz zur ei­ genmächtigen Verteilung setzen und in der anwaltlichen Beratungspraxis müsste ansonsten dazu übergegangen werden, Ehegatten verbotene Eigenmacht zu emp­ fehlen und es auf eine Klage des anderen ankommen zu lassen. Dies erscheint 239  Es ist Sache des Ehegatten, der sich auf §  1361a oder §  1361b BGB beruft, darzulegen, dass eine Entscheidung zu seinen Gunsten der Billigkeit entspricht, so auch OLG Koblenz NJW 2007, 2337 (2338). 240  Kaßing, in: HandbuchFA-FamR, Kap.  8, Rn.  59.

III. Reichweite des §  863 BGB in weiteren Fällen

177

jedoch äußerst bedenklich in einem Bereich, in dem es ohnehin sehr emotional zugeht.241 In der Literatur verweist Eckebrecht zu Recht auf Wertungswidersprü­ che in Ansehung von Art.  6 I GG: Nichttrennungswillige Ehegatten unterlägen im Falle verbotener Eigenmacht weitergehenden Sanktionen als scheidungswil­ lige (Noch-)Ehegatten, für die §  863 BGB nicht uneingeschränkt gelten würde. Eine Ungleichbehandlung an dieser Stelle widerspricht der staatlichen Verpflich­ tung, alles zu unterlassen, was die Ehe beschädigt oder zerstört.242 Im Ergebnis darf das klare Postulat des §  863 BGB durch eine auf Billigkeits­ erwägungen gestützte Einschränkung des possessorischen Besitzschutzes seine Abschreckungsfunktion nicht verlieren.

3. Hinfälligkeit des Besitzschutzanspruchs durch Pfändung aufgrund titulierter Geldforderung In Fällen der Besitzentziehung stellt sich schließlich die Frage, ob der Täter ver­ botener Eigenmacht dem Besitzschutzanspruch aus §  861 I BGB entgehen kann, indem er einen vollstreckbaren Titel für eine gegen den Besitzer bestehende For­ derung beschafft und daraufhin die Sache eigenmächtig entzieht, um den Heraus­ gabeanspruch aus §  861 I BGB gem. §  847 ZPO umgehend pfänden zu lassen. Ein solches Szenario ist für Fälle des Eigentumsvorbehalts und der Sicherungs­ übereignung denkbar.243 Zivilprozessual spricht grundsätzlich nichts gegen die Pfändung eines gegen sich selbst bestehenden Anspruchs.244 Dementsprechend hat das OLG Stuttgart in einer älteren Entscheidung die Pfändungsmöglichkeit des Besitzschutzanspruchs mit dem Argument bejaht, dass das Ergebnis letztlich §  864 II BGB entspreche.245 Dies ist allerdings nicht einleuchtend. §  864 II BGB trifft zu der Konstellation keine Aussage. Es macht einen Unterschied, ob das Bestehen einer Geldforderung tituliert ist oder das eines Rechts zum Besitz an der Sache. Ließe man die Pfändung im konkreten Fall zu, dann würde der Täter verbotener Eigenmacht dafür belohnt, dass er nicht den mühsamen und zeitrau­ benden Weg über die Herausgabeklage und anschließende Vollstreckung nach §§  883 ff. ZPO, sondern den leichteren Weg über die Forderungsklage geht und damit unliebsame Vollstreckungshindernisse wie beispielsweise die schuldner­ 241 

Eckebrecht, NZFam 2014, 507 (511), spricht von der Förderung einer „Wildwestmanier“. Eckebrecht, NZFam 2014, 507 (511). 243  Das Problem erinnert an das aus dem Recht der Aufrechnung nach §§  387 ff. BGB. Dort stellt sich die Frage, ob eine Forderung, gegen die wegen §  393 BGB nicht aufgerechnet wer­ den kann, vom deliktisch handelnden Täter gepfändet werden kann, dazu bereits unter §  4 II.3.c)bb). 244  OLG Köln NJW-RR 1989, 190 (191); Würdinger, in: Stein/Jonas, ZPO, §  829 Rn.  124. 245  OLG Stuttgart HRR 1934, 389 (389). 242 

178

§  5 Das Verhältnis des possessorischen Anspruchs zum petitorischen Anspruch

schützenden Pfändungsverbote des §  811 I ZPO ausschaltet.246 Auch hier verbie­ tet es §  863 BGB darauf abzustellen, dass der Täter hypothetisch das gewünschte Ergebnis ebenso ohne die Begehung verbotener Eigenmacht hätte erzielen kön­ nen. Das Sanktionsgebot des Besitzschutzrechts wirkt insofern als höherrangiges materielles Recht auf §  847 ZPO ein.247

IV. Gesamtfazit Das Verhältnis des possessorischen Anspruchs zum petitorischen Anspruch ist im BGB an sich eindeutig geklärt, wenn man den vom historischen Gesetzgeber intendierten Sinn und Zweck des Besitzschutzes berücksichtigt: Es soll präventiv die Anmaßung der Beurteilung der eigenen Rechtsposition sowie deren selbstherrliche Durchsetzung verhindert werden, indem die durch die verbotene Eigenmacht begründeten Besitzschutzansprüche für den Täter eine unangeneh­ me Wirkung entfalten. Bei der Kollision des possessorischen Anspruchs mit dem petitorischen Anspruch ist stets danach zu fragen, ob die Präventionswirkung bei Privilegierung des petitorischen Anspruchs nicht so sehr eingeschränkt würde, dass dies den ursprünglich beabsichtigten – sowohl individuelle wie gesamt­ gesellschaftliche Sicherheit garantierenden – Zielen des Besitzschutzes wider­ spricht. Prozessunökonomische Ergebnisse sind insofern als notwendiges Übel hinzunehmen.

246 

Dies gilt uneingeschränkt für Fälle der Sicherungsübereignung, eingeschränkt auch für Fälle des Eigentumsvorbehalts, siehe §  811 II ZPO. 247  Insofern kann sich ein Gläubiger dem Besitzschutzanspruch auch nicht dadurch entzie­ hen, dass er die dem Schuldner eigenmächtig weggenommene Sache nachträglich durch den Gerichtsvollzieher pfänden lässt. Er ist weiterhin fehlerhafter mittelbarer Besitzer. In dem Sin­ ne OLG Celle NJW 1957, 27 (27); OLG Köln MDR 1995, 1215 (1216).

§  6 Die petitorische Widerklage Die schon als „klassisch“ zu bezeichnende Kontroverse des possessorischen Be­ sitzschutzes ist die bis heute aktuelle Frage, inwieweit §  863 BGB einer petitori­ schen Widerklage des Störers entgegensteht. Es liegt auf der Hand, dass es für den Täter verbotener Eigenmacht, der sich zum Besitz berechtigt wähnt, beson­ ders praktikabel erscheinen muss, zunächst abzuwarten, ob eine Besitzschutz­ klage erhoben wird und auf diese sodann mit einer petitorischen Widerklage zu reagieren, die wiederum den Weg in die Rechtswirkung des §  864 II BGB ebnet. Die Diskussion um die Zulässigkeit einer solchen Widerklage wurde – auf Grundlage anderer Normen – bereits im gemeinen Recht geführt und kann insge­ samt auf eine wechselvolle Entwicklung zurückblicken.1 Die herrschende Mei­ nung wurde dabei stets von der sich wandelnden Rechtsprechung beeinflusst. Die entscheidenden Fälle seien hier kurz skizziert.

I. Die Entwicklung der Rechtsprechung Die Rechtsprechung des RG zur Zulässigkeit der petitorischen Widerklage war nicht einheitlich. Hatte sich das Gericht zunächst klar gegen die Zulässigkeit aus­ gesprochen, wurde die Frage später – nach Einführung des BGB – offengelassen.

1. RGZ 23, 396 In einem Rechtsstreit von 1889, als das BGB noch nicht in Kraft war, hatte der Kläger beantragt, den Beklagten zu verurteilen, Störungen seines Fischereibe­ triebs (im Sinne von Besitzstörungen) zu unterlassen. Der Beklagte erhob Wider­ klage mit dem Antrag, den Kläger zu verurteilen, unter Anerkennung des Fische­ reirechts des Beklagten Störungen dessen Fischerei zu unterlassen.2 Die Wider­ 1  Zum gemeinen Recht: Endemann, Das deutsche Civilprozeßrecht II, S.  1090, mit Darstel­ lung der unterschiedlichen Ansichten. Gegen die Zulässigkeit der petitorischen Widerklage damals: Schmid, Handbuch des deutschen Civilprocesses III, S.  113; Wetzell, System des or­ dentlichen Civilprozesses, S.  508. 2  RGZ 23, 396 (397).

180

§  6 Die petitorische Widerklage

klage war in erster und zweiter Instanz als unzulässig abgewiesen worden und scheiterte schließlich auch vor dem RG. Dieses rekurrierte in seiner Urteilsbe­ gründung auf §  33 CPO und den „Zusammenhang“, den es als echte Zulässig­ keitsvoraussetzung der Klage ansah. Zwar bestehe grundsätzlich ein Zusammen­ hang zwischen der begehrten Unterlassung von Besitzstörungen am Fischereibe­ trieb und dem dagegen geltend gemachten Einwand eines Fischereirechts als Verteidigungsmittel. Im materiellen gemeinen Recht sei aber die Einrede des Rechts „der Besitzklage gegenüber unzulässig. […] Unmöglich hat das Gesetz, welches die Zulässigkeit der Widerklage bestimmten gesetzlichen Voraussetzun­ gen hat unterwerfen wollen, zugleich dem Beklagten die Befugnis einräumen wollen, sich den Weg für eine an sich unzulässige Widerklage dadurch zu öffnen, dass er aus der Widerklage gegen die Klage eine rechtlich unzulässige Einrede tatsächlich vorschützt.“ §  33 ZPO müsse dahin ausgelegt werden, „dass für die Widerklage ein rechtlicher Zusammenhang mit der Klage oder einem gegen die Klage vorgebrachten, rechtlich zulässigen Verteidigungsmittel erforderlich ist.“3 Das RG erblickt im Einwand des Rechts zum Besitz gegen den Besitzschutz­ anspruch also ein Verteidigungsmittel im Sinne des §  33 I Alt.  2 ZPO. Wenn §  863 BGB dieses Verteidigungsmittel aber für materiellrechtlich unzulässig erkläre, dann dürfe es über den Umweg der Widerklage im Prozess nicht auf einmal zuläs­ sig werden. §  33 I Alt.  2 ZPO sei daher so auszulegen, dass der recht­liche Zusam­ menhang ein materiellrechtlich zulässiges Verteidigungsmittel er­fordere.

2. RGZ 50, 8 In einem Rechtsstreit im Jahr 1901 begehrte die Klägerin die Wiederherstellung ihres früheren Besitzes in Form eines Dachüberstands eines Kühlschiffes, den der Beklagte eigenmächtig beseitigt hatte. Der Beklagte erhob Widerklage mit dem Antrag, die Klägerin zu verurteilen, anzuerkennen, dass ihm das Recht zustehe, unmittelbar auf seiner Grenze und unmittelbar vor den Öffnungen des klägeri­ schen Kühlschiffes zu bauen.4 So wie die Vorinstanzen wies auch hier das RG die Widerklage als unzulässig ab. Der Sachverhalt habe sich vor dem 01.01.1900, folglich vor Geltung des BGB zugetragen. Es sei damit auf die Begründung aus dem vormaligen Urteil des RG5 zu verweisen, wonach eine unzulässige Einrede nicht über den Umweg der Widerklage geltend gemacht werden könne. Nach neu­ 3 

RGZ 23, 396 (398). Es entsprach der gängigen Rechtsprechung, den Zusammenhang zu verneinen, wenn die Widerklage sich auf einen Anspruch stützte, der als Einwendung gegen den Anspruch der Klage aus irgendwelchen Gründen unzulässig war, siehe RG Gruchot 42 (1898), 1185 (1187 f.). 4  RGZ 50, 8 (8 f.). 5  RGZ 23, 396 (398).

I. Die Entwicklung der Rechtsprechung

181

erem Recht sei jedoch zu überlegen, ob nicht §  864 II BGB ein legitimes Interes­ se an der Feststellung eines Rechts an der Sache in Form der Widerklage normie­ re, was im vorliegenden Fall jedoch nicht zu entscheiden war.6

3. BGHZ 53, 166 Der BGH äußerte sich erstmals 1970 zu dem Fragenkreis. In dem zu entschei­ denden Fall hatte die Klägerin beantragt, dem Beklagten zu untersagen, einen Zugangsweg zu ihrem Grundstück von drei Meter Breite zu beeinträchtigen, und ihm aufzugeben, einen eigenmächtig versetzten Zaun an seinen alten Standort zurückzusetzen. Der Beklagte beantragte, festzustellen, dass er berechtigt sei, die von der Klägerin in einer bestimmten Breite und Tiefe beanspruchte Benutzung seines Grundstücks als Zugang zu dem Grundstück der Klägerin durch geeignete Vorrichtungen ganz oder teilweise unmöglich zu machen.7 Gegen die Zulässig­ keit der Widerklage wendete sich die Klägerin. Der BGH bejahte ohne weiteres einen tatsächlichen wie auch rechtlichen Zu­ sammenhang zwischen possessorischer Klage und petitorischer Widerklage: Die Klägerin verlange Schutz ihres Besitzes an dem Zugangsweg, während die Wi­ derklage sich gegen den Fortbestand eben dieses Besitzes richte. §  863 BGB stehe einer Widerklage nicht entgegen, da es dem Anspruchsgegner nicht ver­ wehrt sei, sein Recht zum Besitz oder sein Recht zur Vornahme der störenden Handlungen seinerseits uneingeschränkt klageweise geltend zu machen. Sei die petitorische Klage entscheidungsreif, so habe der Besitzer keinen Anspruch da­ rauf, dass die Entscheidung zurückgestellt werde, solange noch nicht über den Besitzschutzanspruch entschieden sei. Ergehe ein entsprechendes Feststellungs­ urteil und werde dieses rechtskräftig, so führe dies nach §  864 II BGB zum Erlö­ schen der Besitzschutzansprüche. Bedenken hinsichtlich einer Verzögerung der possessorischen Klage könne dadurch begegnet werden, dass, wenn die Klage entscheidungsreif sei, das Gericht darüber durch Teilurteil zu entscheiden habe, ohne die Entscheidungsreife der Widerklage abwarten zu dürfen.8

4. BGHZ 73, 355 Die aus dieser Rechtsprechung resultierende Frage, wie zu verfahren ist, wenn sich im Einzelfall Klage und Widerklage beiderseits als entscheidungsreif gegen­ überstehen, beantwortete der VIII. Zivilsenat des BGH im Jahr 1979 zugunsten 6 

RGZ 50, 8 (10 ff.). BGHZ 53, 166 (167). 8  BGHZ 53, 166 (169 f.). Diese Argumentation taucht soweit ersichtlich erstmalig bei v. Krosigk, JW 1921, 732 (732 f.), auf. 7 

182

§  6 Die petitorische Widerklage

des Vorrangs der petitorischen Widerklage unter analoger Anwendung von §  864 II BGB.9 Im konkreten Fall war der Kläger im Besitz eines Pferdes, auf das so­ wohl er als auch der Beklagte Ansprüche erhoben. Der Beklagte nahm das Pferd im Wege verbotener Eigenmacht an sich, worauf der Kläger eine einstweilige Verfügung auf Herausgabe an einen Gerichtsvollzieher als Sequester erwirkte.10 Die Parteien verlangten nun wechselseitig – der Beklagte mit einer in der Beru­ fungsinstanz erhobenen Widerklage – Zustimmung des Gegners zur Herausgabe des Pferdes durch den Gerichtsvollzieher.11

5. BGH NJW 1979, 1359 Nur wenige Tage später erging eine Entscheidung des V. Zivilsenats des BGH zu der gleichen Problematik. In dem Fall begehrte die Klägerin Entfernung einer Kanalleitung auf ihrem Grundstück, die der Beklagte eigenmächtig verlegt hatte. Der Beklagte verlangte widerklagend die Duldung des Kanals.12 Der V. Senat schloss sich in seiner Argumentation im Grundsatz dem VIII. Senat an: Die auf §  862 I BGB gestützte Klage müsse jedenfalls dann abgewiesen werden, wenn der Kläger aufgrund der zulässigen und gleichzeitig entscheidungsreifen petito­ rischen Widerklage zur Duldung des Kanals verurteilt werden müsse und die Entscheidung über die Widerklage sofort rechtskräftig werde. Es sei ein formal­ juristisches Ergebnis, wenn der Beklagte die „logische Sekunde“ der Rechtskraft abwarten müsse und sodann auf dem Weg der Vollstreckungsgegenklage gem. §  767 ZPO oder über §  769 ZPO die Vollstreckung des possessorischen An­ spruchs verhindern müsse.13 Der V. Senat wollte sich also nicht entscheiden, ob er die Analogie – wie der VIII. Senat – generell bei rechtsmittelfähigen Entschei­ dungen bejaht. Da sein Urteil sofort rechtskräftig wurde, war die Frage für die Entscheidung ohne Belang.

9 

Dazu bereits unter §  5 II.4.b)aa). Freilich wäre an dieser Stelle auch eine einstweilige Verfügung auf Herausgabe an den Kläger denkbar gewesen. §  861 BGB stellt nach allgemeiner Ansicht einen Fall dar, in dem ausnahmsweise die Vorwegnahme der Hauptsache durch Befriedigungsverfügung gestattet ist, siehe Thümmel, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, §  940 Rn.  17, und unter §  4 III.1. 11  BGHZ 73, 355 (356). Der Kläger stützte dabei sein Klagebegehren sowohl auf §  861 I BGB als auch auf ein Recht zum Besitz. Ob aufgrund dieser besonderen Konstellation der Kläger auf den Schutz des §  863 BGB verzichtet hat, erörterte der BGH nicht. Siehe zu der Frage unter §  6 III.4. 12  BGH NJW 1979, 1359–1360. 13  BGH NJW 1979, 1359 (1360). 10 

II. Die Ansichten in der Literatur

183

6. Zusammenfassung Die Zulässigkeit einer petitorischen Widerklage steht höchstrichterlich außer Frage und wird auch von den unteren Instanzen regelmäßig bejaht.14 Hauptargu­ ment ist, dass es dem petitorischen Widerkläger schließlich nicht verwehrt sei, eine selbständige Klage zu erheben. Einer Verzögerung der Entscheidung über die Besitzschutzklage, die allein den Ausschluss der Widerklage rechtfertigen könne, sei über den Erlass eines Teilurteils zu begegnen. Im Zuge dieser Recht­ sprechung entwickelte der BGH zudem sein Modell der analogen Anwendung von §  864 II BGB für den Fall, dass sich possessorische Klage und petitorische Widerklage entscheidungsreif gegenüber stehen. Das Problem miteinander un­ vereinbarer Vollstreckungstitel tritt aber – wie bereits aufgezeigt – auch dann auf, wenn der Beklagte den petitorischen Gegenanspruch in einem selbständigen Pro­ zess geltend macht. Es betrifft also gar nicht speziell die petitorische Widerklage, wobei durch die Bejahung ihrer Zulässigkeit die Anzahl entscheidungsreifer dia­ metraler Anträge freilich zunimmt.

II. Die Ansichten in der Literatur Während die Literatur hinsichtlich der Zulässigkeit der Widerklage früher weit­ gehend der Rechtsprechung des RG folgte,15 schwenkte sie sodann mehrheitlich auf die Linie des BGH um. Während die herrschende Literatur vollumfänglich der Rechtsprechung folgt,16 wird von manchen lediglich die Zulässigkeit der Wi­ derklage bejaht, die analoge Anwendung des §  864 II BGB aber abgelehnt17. Es gibt aber heute auch Stimmen, welche die Zulässigkeit der petitorischen Wider­ klage – wenn auch meist ohne genauere dogmatische Verankerung – ablehnen.18 14  Siehe in letzter Zeit OLG Brandenburg v. 30.05.2013 – 5 U 94/12 –, juris Rn.  26, und v. 31.08.2016 – 4 U 195/11 –, juris Rn.  58, sowie OLG Karlsruhe ZMR 2017, 660 (661). 15  Biermann, Das Sachenrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 2.  Aufl. 1903, §  863 Anm.  2; Crome, System des Deutschen Bürgerlichen Rechts III, S.  73 Fn.  59; Kress, Besitz und Recht, S.  342; differenzierend v. Gierke, Deutsches Privatrecht II, S.  256 f. Fn.  44. 16  Götz, in: BeckOGK-BGB, §  863 Rn.  31, 35; Hagen, JuS 1972, 124 (124); Herrler, in: Palandt, BGB, §  863 Rn.  3; Hoeren, in: NK-BGB, §  863 Rn.  13 ff.; Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, §  33 Rn.  6; Klinck, in: Staudinger-Eckpfeiler, Sachenrecht, Rn.  75; Lopau, JuS 1980, 501 (504); Patzina, in: MüKo-ZPO, §  33 Rn.  26; Schreiber, Jura 2010, 31 (35); Wern, in: Prütting/ Gehrlein, ZPO, §  33 Rn.  25. 17  Hager, KTS 1989, 515 (520 f.); Joost, in: MüKo-BGB, §  863 Rn.  10; Prütting, in: PWWBGB, §  861 Rn.  7. Demnach bleibt ein possessorisches Teilurteil auch bei Erfolg der Widerkla­ ge bestehen, sodass der possessorische Kläger nur die Prozesskosten für die petitorische Wider­ klage trägt. 18  Gutzeit, in: Staudinger, BGB, §  863 Rn.  8; Sosnitza, Besitz und Besitzschutz, S.  162;

184

§  6 Die petitorische Widerklage

III. Plädoyer gegen die Zulässigkeit der petitorischen Widerklage Den ablehnenden Stimmen soll im Folgenden nachgegangen werden. Es soll dar­ gestellt werden, warum die petitorische Widerklage als unzulässig abzuweisen ist und gegen die herrschende Meinung in Literatur und Rechtsprechung gravie­ rende Bedenken bestehen.

1. Die Funktion der Widerklage in der ZPO Dafür muss zunächst auf die Funktion der Widerklage als zivilprozessuales Inst­ rument eingegangen werden. Eine eigene Regelung der Widerklage trifft die ZPO nicht, ihre Funktionsweise ist aus einzelnen Regelungen wie §§  33, 145 II, 256 II, 301 I, 506 I ZPO zu erschließen und zusammenzufügen. Die Widerklage ist vor allem eine erleichterte Art der Klage; sie ermöglicht dem Widerkläger unter für ihn günstigeren Bedingungen bei Gericht eine Rechtsschutzbitte an­ zubringen. An erster Stelle ist hier der Gerichtsstand der Widerklage gem. §  33 ZPO zu nennen. Dieser gestattet es dem Widerkläger, an einem prozessual un­ gleich günstigeren Gerichtsstand zu klagen als es bei einer isolierten Klage der Fall wäre. Ein weiteres Privileg besteht darin, dass die Widerklage in der münd­ lichen Verhandlung erhoben werden kann, §  261 II ZPO. Im Unterschied zur Primärklage ist gem. §  12 II Nr.  1 GKG auch kein Gerichtsgebührenvorschuss erforderlich. Ausländer müssen zudem auch dann keine Prozesskostensicherheit leisten, wenn sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem Mitgliedstaat der EU haben, §  110 II Nr.  4 ZPO. Die Widerklage hat den Vorteil, dass der Beklagte in demselben Verfahren ei­ gene Rechte durchsetzen kann, die nicht von vornherein auch als Gegenrechte zum Klageanspruch geeignet sein, sondern lediglich „im Zusammenhang“ ste­ hen müssen. Die Widerklage ist kein Angriffs- und Verteidigungsmittel im Sinne des §  282 I ZPO, sie ist vielmehr der Angriff selbst. Sie dient der Vermeidung von Vervielfältigung und Zersplitterung der Prozesse.19 Damit wird dem Grund­ satz der Prozessökonomie Rechnung getragen, da sich mit den zusammenhän­ genden Fragen nur ein Gericht zu befassen braucht und eine Verkürzung der Beweisaufnahme dadurch entsteht, dass der der Klage zugrunde liegende Tat­ sachenstoff zumindest teilweise mit dem Stoff der Widerklage übereinstimmt. Zudem wird die Gefahr sich inhaltlich widersprechender Entscheidungen über Spiess, JZ 1979, 717 (719); Wacke, in: FS Jayme, S.  1605 (1618); Westermann/Gursky/Eickmann, Sachenrecht, §  23, Rn.  7 = S.  166; Wolff/Raiser, Sachenrecht, §  19, Fn.  14 = S.  59. 19  Gesetzesbegründung zu §  33 CPO, abgedr. bei Hahn/Mugdan, Band  2, Abteilung 1, S.  158; BGHZ 147, 220 (222); Pfaff, ZZP 96 (1983), 334 (352).

III. Plädoyer gegen die Zulässigkeit der petitorischen Widerklage

185

zusammenhängende Ansprüche vermieden.20 Allerdings soll die Widerklage nicht bloß Ausdruck verfahrenstechnischer Zweckmäßigkeit sein, sondern auch ein Prinzip mit Gerechtigkeitsgehalt darstellen. Nach gängiger Auffassung ent­ spricht es dem Prinzip der prozessualen Waffengleichheit, wenn der Kläger dort, wo er geklagt hat, grundsätzlich auch einen Gegenangriff hinnehmen muss.21

2. Der „Zusammenhang“ gem. §  33 ZPO Insbesondere um die Rechtsprechung des RG nachvollziehen zu können, muss ein Augenmerk auf den „Zusammenhang“ (gemeinhin auch „Konnexität“) gem. §  33 ZPO gelegt werden. Die Bedeutung des „Zusammenhangs“ ist eine tradi­ tionelle zivilprozessuale Streitfrage. Nach §  33 ZPO ist ein Zusammenhang zwi­ schen dem Klageanspruch und dem Widerklageanspruch oder zwischen den ge­ gen den Klageanspruch vorgebrachten Verteidigungsmitteln und dem Widerkla­ geanspruch erforderlich. Nach herrschender Meinung muss es sich dabei um einen rechtlichen Zusammenhang handeln.22 Andere halten einen rein tatsäch­ lichen Zusammenhang für ausreichend.23 Die unterschiedlichen Ansichten wir­ ken sich in der Regel nicht aus, da selbst der engere Begriff des rechtlichen Zu­ sammenhanges äußerst weit ausgelegt wird: Es soll genügen, dass es sachdien­ lich und vernünftig erscheint, über Klage und Widerklage in einem Prozess zu verhandeln. Dies kann selbst dann der Fall sein, wenn Anspruch und Gegen­ anspruch aus verschiedenen Rechtsverhältnissen entspringen, die nach ihrem Zweck und nach der Verkehrsanschauung wirtschaftlich als ein Ganzes im Sinne eines innerlich zusammengehörenden Lebensverhältnisses erscheinen.24 Die prozessuale Bedeutung der sog. Konnexität ist weit umstrittener und ein wahrer „Klassiker“ des Zivilprozessrechts. Nach der herrschenden Ansicht in der 20  So schon die Gesetzesbegründung zu §  33 CPO, abgedr. bei Hahn/Mugdan, Band  2, Ab­ teilung 1, S.  158; BGH NJW 2011, 460 (461); Dötsch, MDR 2012, 623 (623); Hofmann, ZZP 126 (2013), 83 (92 f.); Patzina, in: MüKo-ZPO, §  33 Rn.  1; Schreiber, Jura 2010, 31 (33). 21  „Wo der Kläger sein Recht sucht, muss er auch Recht nehmen“, dazu Hausmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO (1994), §  33 Rn.  1. Ähnlich C. Heinrich, in: Musielak/Voit, ZPO, §  33 Rn.  1; Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, §  33 Rn.  1. Generell zum Grundsatz der Waffengleich­ heit im Zivilprozess: Vollkommer, in: FS Schwab, S.  503 (504 ff.). 22  RGZ 11, 423 (424); Musielak/Voit, Zivilprozessrecht, Rn.  602 = S.  222; Patzina, in: MüKo-­ ZPO, §  33 Rn.  20; Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, §  33 Rn.  26; Schultzky, in: Zöller, ZPO, §  33 Rn.  4; offengelassen von BGHZ 53, 166 (168). 23  Schilken, Zivilprozessrecht, Rn.  318 = S.  150; Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, §  33 Rn.  79; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, §  97, Rn.  18 = S.  577. 24  BGH NJW 1975, 1228 (1228). Zustimmend Patzina, in: MüKo-ZPO, §  33 Rn.  21; Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, §  33 Rn.  28; Voit, in: Musielak, ZPO, §  33 Rn.  2. Dieses Verständnis entspricht der Definition des rechtlichen Verhältnisses in §  273 BGB, dazu Bittner, in: Staudin­ ger, BGB, §  273 Rn.  38.

186

§  6 Die petitorische Widerklage

Literatur ist sie lediglich entscheidend für die Frage der örtlichen Zuständigkeit des Gerichts.25 Der BGH hat sich wohl noch nicht abschließend geäußert, auch wenn er von der gegenläufigen Ansicht, die in §  33 ZPO eine besondere Zuläs­ sigkeitsvoraussetzung sieht,26 als Autorität zitiert wird.27 Nur das vormalige RG ging dezidiert von einer besonderen Prozessvoraussetzung aus.28 Die gesetzgeberische Intention den §  33 ZPO betreffend ist leider nicht her­ auszufinden, da der historische Gesetzgeber in den Gesetzesmaterialien abwech­ selnd von der Zulässigkeit und der Zuständigkeit spricht.29 Die heute herrschen­ de Lehre hat im Übrigen aber die besseren Argumente auf ihrer Seite: Die offizi­ elle Überschrift der Norm deutet auf die exklusive Regelung eines besonderen Gerichtsstands der Widerklage hin.30 Dafür spricht auch die systematische Stel­ lung des §  33 ZPO im Titel zu den Gerichtsständen in §§  12–37 ZPO.31 Auch der Wortlaut der Norm scheint in diese Richtung zu deuten, da anderenfalls der Zu­ satz „nur“ enthalten sein müsste.32 Außerdem geht §  145 II ZPO durch die Eröff­ nung der Möglichkeit einer Prozesstrennung von der Zulässigkeit einer inkonne­ xen Widerklage aus. Es spricht daher viel dafür, dass §  33 ZPO keine besondere Zulässigkeitsvoraussetzung regelt, sondern lediglich einen zusätzlichen beson­ deren Gerichtsstand.

25  So die überwiegende Literatur: Hartmann, in: BLAH-ZPO, §  33 Rn.  1; Hüßtege, in: Thomas/­Putzo, ZPO, §  33 Rn.  1; Musielak/Voit, Zivilprozessrecht, Rn.  606 = S.  223; Schilken, Zivilprozessrecht, Rn.  738 = S.  352; Schreiber, Jura 2010, 31 (34); Schultzky, in: Zöller, ZPO, §  33 Rn.  1. 26  Rosenberg/Schwab, Zivilprozessrecht, 14.  Aufl. 1986, §  99 II 2 d; Rimmelspacher, in: FS Lüke, S.  655 (658 ff.); Heinsheimer, ZZP 38 (1909), 1 (2); die beiden Letzteren mit dem nicht zu vernachlässigenden Argument, dass, wenn es sich nur um eine Gerichtsstandsregelung han­ deln würde, eine Bevorteilung des Beklagten dahingehend vorläge, als Letzterer im Gegensatz zum Kläger schrankenlos bis zur letzten mündlichen Verhandlung objektive Klagehäufungen vornehmen könne. 27  Siehe Rosenberg/Schwab, Zivilprozessrecht, 14.  Aufl. 1986, §  99 II 2 d. Der BGH hat sich noch nicht ausdrücklich geäußert, jedoch hat er in den Entscheidungen die Konnexität im Rahmen der Prozessvoraussetzungen der Widerklage geprüft, siehe BGH NJW 1964, 44 (44); BGH NJW 1975, 1228 (1228); BGH NJW 2001, 2094 (2094). 28  RGZ 11, 423 (423 f.); RG Gruchot 42 (1898), 1185 (1187); RGZ 23, 396 (397); zweifelnd nur RGZ 46, 424 (425 f.). 29  Gesetzesbegründung zu §  33 CPO, abgedr. bei Hahn/Mugdan, Band  2, Abteilung 1, S.  158. Ausführlich dazu Lessing-Blum, Widerklage, S.  20 ff., die die wechselnden Begrifflich­ keiten in der Begründung zu §  33 ZPO aufzeigt. 30  Schilken, Zivilprozessrecht, Rn.  738 = S.  352; Schultzky, in: Zöller, ZPO, §  33 Rn.  1. 31  Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, §  33 Rn.  1; Schultzky, in: Zöller, ZPO, §  33 Rn.  1. 32  T. Wagner, JA 2014, 655 (656).

III. Plädoyer gegen die Zulässigkeit der petitorischen Widerklage

187

3. Dogmatische Verankerung des Verbots einer petitorischen Widerklage a) Unzulässigkeit der petitorischen Widerklage aufgrund fehlenden Zusammenhangs? An der eingangs dargestellten Rechtsprechung des RG, welches die Zulässigkeit der petitorischen Widerklage ablehnte, ist zu kritisieren, dass in kaum vertretba­ rer Weise vom „Zusammenhang“ als Zulässigkeitsvoraussetzung ausgegangen wird.33 Im Übrigen erscheint die Argumentation aber einleuchtend: Die erhobene Widerklage stützt sich auf das Recht zum Besitz; dieses ist zugleich Einwendung gegen den Besitzschutzanspruch, das heißt ein Verteidigungsmittel im Sinne des §  33 I Alt.  2 ZPO. Wenn §  863 BGB dieses Verteidigungsmittel aber als materi­ ellrechtlich unzulässig erklärt, dann soll es über den Umweg der Widerklage im Prozess nicht auf einmal zulässig werden. Bei genauem Hinsehen ist allerdings zu konstatieren, dass bereits ein Zusam­ menhang im Sinne des §  33 I Alt.  1 ZPO zwischen der Besitzschutzklage und der petitorischen Widerklage besteht34 und es damit auf das Verteidigungsmittel im Sinne des §  33 I Alt.  2 ZPO gar nicht ankommt. Der Wortlaut „oder“ in §  33 ZPO drückt hinreichend deutlich aus, dass es genügt, wenn der geltend gemachte Ge­ genanspruch in Zusammenhang mit der Besitzschutzklage steht. Dies ist beim petitorischen Anspruch der Fall – sogar wenn man der strengeren Auffassung folgt, die einen rechtlichen Zusammenhang fordert: Die Besitzschutzklage nach §  861 BGB zielt auf Wiedereinräumung des Besitzes, die Widerklage richtet sich gegen den Fortbestand eben dieses Besitzes; die Besitzschutzklage nach §  862 BGB zielt auf die Unterlassung der Besitzstörung, mit der Widerklage wird die Duldung dieser Störung verlangt. Die Begehren stützen sich zwar auf verschie­ dene Tatbestände, sie verfolgen aber das gleiche wirtschaftliche Ziel und stehen zusätzlich in einem rechtlichen Bedingungsverhältnis zueinander, da sie sich schlussendlich gem. §  864 II BGB gegenseitig ausschließen. Da §  863 BGB es nicht verbietet, dass der Täter der verbotenen Eigenmacht sein petitorisches Recht eigenständig einklagt,35 geht die Argumentation des RG nicht auf. Um die petitorische Widerklage über §  33 ZPO als unzulässig abzuweisen, bliebe nur noch die Möglichkeit, den rechtlichen Zusammenhang zwischen Be­ sitzschutzanspruch und Widerklageanspruch aus übergeordneten materiellrecht­ 33 

RGZ 23, 396 (398). BGHZ 53, 166 (168); C. Heinrich, in: Musielak/Voit, ZPO, §  33 Rn.  2; Ott, Parteiwider­ klage, S.  109; Schultzky, in: Zöller, ZPO, §  33 Rn.  4. Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, §  33 Rn.  6, führt die petitorische Widerklage bei §  33 I Alt.  2 ZPO auf, geht aber von deren Zuläs­ sigkeit aus. 35  BGHZ 53, 166 (169). 34 

188

§  6 Die petitorische Widerklage

lichen Gründen zu verneinen.36 Insofern läge es nicht gänzlich fern, den „Zu­ sammenhang“ als Einfallstor für materiellrechtliche Wertungen heranzuziehen. Dieser Weg sollte, um den Charakter des §  33 ZPO als reine Gerichtsstandsrege­ lung zu erhalten, aber nicht beschritten werden. b) Eigenständiges Widerklage-Verbot aus übergeordneten materiellrechtlichen Gründen Dagegen ist dem Judiz des RG, nämlich der Befürchtung, dass der tiefere Sinn des Besitzschutzes des BGB durch die Zulassung der petitorischen Widerklage ausgeschaltet werden könnte, weiter nachzugehen. Durchaus möglich erscheint es, dass die petitorische Widerklage aus materiellrechtlichen Gründen – unab­ hängig vom „Zusammenhang“ gem. §  33 ZPO, sondern nur gem. §  863 BGB – unzulässig ist.37 aa) Gesetzeshistorie Zunächst gilt es zu untersuchen, ob nicht schon die Gesetzeshistorie auf einen dahingehenden gesetzgeberischen Willen schließen lässt. (1) CPO In Ansehung eines strikten Widerklageverbots muss zunächst auf die alte CPO eingegangen werden. So war von 1876 bis 1898 in §  232 II CPO geregelt: „Die Besitzklage und die Klage, durch welche das Recht selbst geltend gemacht wird, können nicht in einer Klage verbunden werden.“ Der Gesetzgeber begründete die Norm mit dem Bedürfnis nach der „Vermeidung von unausbleiblichen Ver­ wickelungen, welche theils im Laufe des Verfahrens selbst, theils in der Vollstre­ ckungsinstanz mit Rücksicht auf die vorläufige Vollstreckbarkeit der Urteile über Besitzklagen, sofern diese den Amtsgerichten überwiesen werden, entstehen würden […].“ Es sei deswegen angebracht, dass der „Entwurf der Vorschrift, welcher einen besonderen Besitzprozeß nicht kennt, in Uebereinstimmung mit anderen Gesetzen (Code de proc. Civ. Art.  25., Proz. Ordn. von Hannover §  505., Bayern Art.  585., Württemberg Art.  321. und Baden §. 669.) die Verbindung der Besitzklage mit der petitorischen Klage für unzulässig erklärt.“38 36 

Dieser Auffassung ist wohl Gutzeit, in: Staudinger, BGB, §  863 Rn.  8. In diesem Sinne Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, §  33 Rn.  75 f.; ohne genau­ ere dogmatische Herleitung im Ergebnis auch Blomeyer, Zivilprozeßrecht, S.  294; Westermann/ Gursky/Eickmann, Sachenrecht, §  23, Rn.  7 = S.  166; a. A.: Lessing-Blum, Widerklage, S.  56. 38  Begründung des Preußischen Justizministerial-Entwurfs einer Deutschen Civilproceß­ ordnung von 1871, in: Dahlmanns, Neudrucke II, S.  562. Im Entwurf befand sich die entspre­ chende Regelung noch in einem §  211 II CPO. 37 

III. Plädoyer gegen die Zulässigkeit der petitorischen Widerklage

189

Der Gesetzgeber postulierte also ein generelles Verbot der Verbindung von petitorium und possessorium in einem Prozess, wie sich insbesondere an den Äußerungen zu §  823 I des Ersten Entwurfs zum Sachenrecht des BGB zeigt. Als auf den ersten Blick gegensätzliche Regelung war in §  823 I des Ersten Entwurfs ausdrücklich bestimmt, dass durch die Erhebung der Besitzschutzklage die Kla­ ge aus dem Besitzrecht nicht gehindert werde und umgekehrt: „Durch die Erhe­ bung der Besitzklage wird die Erhebung der Klage aus dem Rechte, durch die Erhebung der Klage aus dem Rechte die Erhebung der Besitzklage nicht gehin­ dert.“39 Die Mitglieder der Bayerischen BGB-Kommission sahen in der Rege­ lung einen Widerspruch zu §  232 II CPO.40 Die geäußerten Bedenken teilte die Mehrheit in der Kommission aber nicht. So heißt es in den Protokollen: „Man erwog, daß weder prozeßrechtlich nach den Bestimmungen der CPO die Zulässigkeit gleichzeitiger Erhebung der Besitzklage und der Klage aus dem Rechte (in getrennten Klagen §  232 Abs.  2 CPO) mit Grund bezweifelt werden könne, noch materiellrechtlich beim Schwei­ gen des BGB werde angenommen werden können, daß durch die Erhebung der Klage aus dem Rechte der vom Entwurf als selbständig gestaltete Anspruch auf Grund des Besitzes erlösche.“41

Die Vorkommission des Reichsjustizamtes hielt §  823 I des Entwurfs später so­ gar für einen selbstverständlichen Ausspruch und damit für entbehrlich,42 sodass die Regelung keinen Eingang ins BGB fand. Für den Gesetzgeber stand fest, dass sich die possessorischen und die petitorischen Ansprüche zwar nicht im Sinne eines „besser“ und eines „schlechter“ gegenseitig ausschlössen, die Behandlung in ein und demselben Prozess jedoch nicht stattfinden sollte.43 In einem Erst39  Abgedr.

bei Jakobs/Schubert, Beratung des BGB, Sachenrecht I, S.  193; ursprünglich §  80 I in Johows Entwurf. 40  Die bayerische Kommission erachtete „die Vorschrift in §  232 Abs.  2 der ZPO […] den Bestimmungen des Entwurfs gegenüber für nicht wohl haltbar“, abgedr. bei Schubert, Bayern und das Bürgerliche Gesetzbuch, S.  108. 41  Protokolle, Band  III, S.  45 = Mugdan, Band  III, S.  518. Auch Johow hatte schon in sei­ nem Entwurf festgestellt: „Die Vorschrift [des §  232 II] D.Civ.Pr.O. kann deshalb in ihrer pro­ zessualen Zweckmäßigkeit hier unangefochten bleiben“, siehe Schubert, Vorlagen der Redak­ toren, Sachenrecht I, S.  586. 42  Protokolle der Vorkommission des Reichsjustizamtes, S.  618, abgedr. bei Jakobs/Schubert, Beratung des BGB, Sachenrecht I, S.  193. In diesem Sinne auch die Denkschrift des Reichs­ justizamtes, S.  113 = Mugdan, Band  III, S.  694: „Die bloße Erhebung der Klage aus dem Rech­ te hindert dagegen die Geltendmachung der Besitzansprüche ebenso wenig wie umgekehrt die Erhebung der Besitzklage die der Klage aus dem Rechte. Dies ergibt sich ohne weiteres aus der selbständigen Natur der Besitzansprüche und bedarf deshalb keines besonderen gesetzlichen Ausspruchs.“ 43  So auch Johow, siehe Schubert, Vorlagen der Redaktoren, Sachenrecht I, S.  586: „Da auch die CPO den Besitzprozeß als eine besondere Prozeßart nicht kennt, so würde […] eine Kumulation der Besitzklagen mit den Klagen aus dem Rechte an sich zulässig sein. Eine derar­ tige Kumulation ist jedoch […] untersagt. Diese Bestimmung trifft das materielle Recht des

190

§  6 Die petitorische Widerklage

Recht-Schluss kann somit angenommen werden, dass der Gesetzgeber auch die petitorische Widerklage aus prozessrechtlicher Sicht als unzulässig ansah.44 Dies beweist nicht zuletzt die Gesetzesbegründung zur Abschaffung des §  232 II CPO durch die ZPO-Novelle von 1898:45 „Der bisherige Abs.  2 bestimmt, daß die Besitzklage und die Klage, durch welche das Recht selbst geltend gemacht wird, nicht in einer Klage verbunden werden können. Die Civilprozeß­ ordnung kennt indessen für den Besitzprozeß besondere Verfahrensvorschriften nicht, und es fehlt daher an einem durchschlagenden Grunde für dieses Verbot. Auf der anderen Seite ge­ währt die Verbindung dem Kläger den Vortheil, sich für den Fall, daß die Besitzklage nicht durchdringen sollte, auf das Recht selbst stützen zu können.“46

In Ansehung einer petitorischen Widerklage wurden diese prozessökonomischen Erwägungen – wie später vom BGH mit Blick auf §  864 II BGB – erweitert: „Unter Umständen liegt es aber auch im Interesse des Beklagten, wenn er der Besitzklage eine Widerklage entgegensetzen darf, durch die seinerseits das Recht selbst geltend gemacht wird. In Betracht kommt hier die Vorschrift des Bürgerlichen Gesetzbuchs §. 864 Abs.  2, derzufolge der Besitzanspruch erlischt, wenn nach der Verübung der verbotenen Eigenmacht durch rechts­ kräftiges Urtheil feststellt wird, daß dem Thäter ein Recht an der Sache zusteht, vermöge des­ sen er die Herstellung eines seiner Handlungsweise entsprechenden Besitzstandes verlangen kann. Der Entwurf hat daher den Abs.  2 des §. 232 gestrichen. Selbstverständlich ändert die hieraus sich ergebende Zulässigkeit der Klagenverbindung nichts an der Vorschrift des Bürger­ lichen Gesetzbuchs (§. 863), daß gegenüber dem Besitzanspruch ein Recht zum Besitz oder zur Vornahme der störenden Handlung nur zur Begründung der Behauptung geltend gemacht wer­ den kann, daß die Entziehung oder die Störung des Besitzes nicht verbotene Eigenmacht sei.“47

Letztere Aussage lässt den Schluss zu, dass der ZPO-Gesetzgeber erst durch die Abschaffung des §  232 II CPO den Weg für eine petitorische Widerklage geebnet sah. Der Einwendungsausschluss gem. §  863 BGB schien für den Gesetzgeber dazu in keinerlei Spannungsverhältnis zu stehen. Protokolliert sind allerdings Bedenken des Vertreters des Landes Sachsen, der (in weiser Voraussicht) eine Besitzschutzes nicht; nur ein gesondertes Verfahren wird geboten, aber weder für den Besitz­ schutz, noch für den Eigenthumsschutz eine Beschränkung eingeführt. Die Vorschrift der CPO kann deshalb in ihrer prozessualen Zweckmäßigkeit hier unangefochten bleiben.“ 44  Anders teilweise die damalige Kommentarliteratur: Die petitorische Widerklage sei nicht durch §  232 II CPO ausgeschlossen, möglicherweise aber durch das maßgebende materielle Recht, siehe Gaupp, Civilprozeßordnung, §  232 Bem. III; v. Seuffert, Kommentar zur Civilpro­ zeßordnung, S.  319. 45  Siehe zur Vorbereitung der CPO-Novelle das Schreiben des Reichsjustizamts vom 14.5.1897: „§  232 Abs.  2 entfällt“, abgedr. bei Jakobs/Schubert, Beratung des BGB, Einfüh­ rungsgesetz und Nebengesetze II, S.  1247. 46  Begründung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend Aenderungen der Civilprozeßord­ nung, in: Materialien zu den Reichs-Justizgesetznovellen I, S.  146. 47  Begründung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend Aenderungen der Civilprozeßord­ nung, in: Materialien zu den Reichs-Justizgesetznovellen I, S.  146 f.

III. Plädoyer gegen die Zulässigkeit der petitorischen Widerklage

191

Vorgehensweise prognostizierte, wie sie später zum Beispiel das LG Frankfurt48 wählte: Im Fall der Verbindung der Klagen werde der Richter mit Rücksicht auf §  864 Abs.  2 des BGB leicht geneigt sein, das petitorium vor der Besitzfrage zu erörtern; ein solches Verfahren sei aber mit dem Zweck des Besitzschutzes un­ vereinbar.49 Das Land Sachsen beantragte deshalb – erfolglos –, §  232 II CPO wiederherzustellen. Kann dem Willen des historischen Gesetzgebers also entnommen werden, dass aufgrund der Streichung des §  232 II CPO die Verbindung von petitorium und possessorium nicht nur durch Klagehäufung des Klägers, sondern auch durch eine Widerklage des Beklagten zu billigen ist? In der Literatur um die Jahrhundertwende wurde dies teilweise so vertreten.50 (2) BGB Es muss aber daran erinnert werden, dass auch bei Schaffung des BGB über die Zulässigkeit einer petitorischen Widerklage diskutiert wurde und der Gesetzgeber sich gegen eine ausdrückliche Zulassung der Widerklage in den Besitzschutzvor­ schriften entschieden hat. Johows Entwurf zum Besitzschutz von 1880 sah die petitorische Widerklage zunächst vor.51 In §  81 des Entwurfs (Zweiter Abschnitt – Besitz) hieß es: „Erhebt der wegen Besitzstörung Beklagte wider den Gegner Kla­ ge auf Feststellung des Rechts zur Vornahme der als Besitzstörung gerügten Hand­ lung, und macht derselbe das beanspruchte Recht glaubhaft, so kann auf seinen Antrag das mit dieser Klage befasste Gericht durch einstweilige Verfügung auf die Dauer des Prozesses den Besitzstörungsprozess einstellen.“52 Der Entwurf ver­ wundert nicht, stand Johow den possessorischen Besitzschutzansprüchen doch überaus kritisch gegenüber. Nachdem ihm die Einführung von Besitzschutzansprü­ chen von der Ersten Kommission „abgenötigt“ worden war und er nachträglich in §  79 des Entwurfs die Einwendung eines Rechts zum Besitz für unzulässig erklärt hatte, wollte er wenigstens eine petitorische Widerklage zulassen, um doch noch ein „Herüber und Hinüber“ der Vollstreckung mit „wenig Nutzen und vielen 48  Als

Vorinstanz zu BGH NJW 1979, 1359 (1360). Zusammenstellung der Äußerungen der Bundesregierungen zu den Grundzügen eines Gesetzes betreffend Änderungen der Civilprozessordnung und eines zugehörigen Einführungs­ gesetzes, abgedr. bei Jakobs/Schubert, Beratung des BGB, Einführungsgesetz und Nebengeset­ ze II, S.  1283. 50  Biermann, Das Sachenrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 1.  Aufl. 1898, §  863 Anm. b; Cosack, Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts II, §  190 VIII = S.  86; Petersen, Civil­ prozessordnung für das Deutsche Reich I, §  33 Anm.  28 = S.  89. 51  Allerdings nur für den Fall der Besitzstörung bei Immobilien – für Mobilien hatte Johow ohnehin keinen Besitzschutz vorgesehen, siehe Schubert, Vorlagen der Redaktoren, Sachen­ recht I, S.  567, sowie unter §  2 II.1. dieser Arbeit. 52  Schubert, Vorlagen der Redaktoren, Sachenrecht I, S.  27. 49 

192

§  6 Die petitorische Widerklage

Nachtheilen“ vermeiden zu können.53 Bei begründeter Widerklage sollte die Be­ sitzschutzklage daher für erledigt erklärt werden, unbeschadet nur der Entschei­ dung über die Kosten des Besitzprozesses.54 Dass die Kommission diese Vorschrift strikt ablehnte, bezog sich sicherlich auch auf die von Johow anvisierte Rechtswir­ kung, nämlich die (vorläufige) Einstellung des Besitzschutzprozesses. Gleichzeitig entschied man sich aber gegen eine Zulassungsregel der Widerklage in anderer Form. Aufgrund des vorausgegangenen Gesetzesvorschlags könnte man also von einem beredten Schweigen des Gesetzes ausgehen. Die Materialien vermitteln schließlich den Eindruck, dass innerhalb der Kom­ mission keine Einigkeit hinsichtlich des Rechtsproblems der petitorischen Wi­ derklage herrschte: „Ob die eine oder die andere Klage als Widerklage statthaft ist, wird nach §  33 zu beurteilen sein; die Meinungen der Kommentatoren wei­ chen in Ansehung dieser Frage voneinander ab.“55 Von daher mögen es die Kommissionsmitglieder als die rechtspolitisch ge­ schickteste Lösung angesehen haben, den Rechtsstreit in das Prozessrecht zu ver­ lagern, dessen Kommentierung die Aufgabe anderer war. Dem materiellen Recht wurde offiziell keine Auswirkung auf das Prozessrecht zugeschrieben: „Der Ent­ wurf lässt diese reinen Prozedurvorschriften der ZPO unberührt.“56 Umso wider­ sprüchlicher erscheint es dann wiederum, dass die Motive zu §  863 BGB einen entscheidenden Hinweis zur Rechtsauffassung des BGB-Gesetzgebers enthalten: „[Die Behauptung eines Rechts zum Besitz kann] nur vielleicht eine petitorische Widerklage begründen, für die aber nach §  33 ZPO die Zuständigkeit des Gerichts der Klage zweifelhaft sein würde, weil der Gegenanspruch mit dem in der Klage geltend gemachten Anspruch oder mit den gegen denselben vorgebrachten Verteidigungsmitteln in keinem Zusammenhang steht.“57

Der Gesetzgeber ging also – ähnlich wie vom RG im Jahr 1889 erstmals ent­ schieden58 – davon aus, dass der rechtliche Zusammenhang im Sinne des §  33 ZPO fehlt.59 Dass allerdings die Widerklage nicht wegen §  33 ZPO, sondern nur unter Zugrundelegung der materiellen Wertung des §  863 BGB abgelehnt wer­ den kann, wurde bereits dargelegt. 53 

Bemerkungen des Redaktors Johow zu den Vorschlägen, S.  19, abgedr. bei Schubert, Vorlagen der Redaktoren, Sachenrecht III, S.  783. 54  Schubert, Vorlagen der Redaktoren, Sachenrecht I, S.  589. 55  Motive, Band  III, S.  130 = Mugdan, Band  III, S.  72. 56  Motive, Band  III, S.  130 = Mugdan, Band  III, S.  72. 57  Motive, Band  III, S.  129 = Mugdan, Band  III, S.  72. 58  RGZ 23, 396–399. 59  Dieser soll interessanterweise die „Zuständigkeit des Gerichts“ und nicht die Zulässigkeit der Klage betreffen – ein erneuter Beweis für die Ausweglosigkeit der historischen Auslegung hinsichtlich der Frage, ob §  33 ZPO eine Zulässigkeitsvoraussetzung oder einen Gerichtsstand normiert.

III. Plädoyer gegen die Zulässigkeit der petitorischen Widerklage

193

(3) Fazit Im Ergebnis erweist sich die Betrachtung der gesetzgeberischen Motive als nicht zielführend. Generell muss konstatiert werden, dass in den Materialien stets For­ mulierungen auftauchen, die vieles offenzulassen scheinen – vermutlich um die im Besitzschutzrecht schwierige Konsensfindung nicht zu gefährden.60 Es kann letztlich festgehalten werden, dass sich widersprüchliche Ansichten des BGB-Ge­ setzgebers auf der einen und des ZPO-Gesetzgebers auf der anderen Seite finden lassen. Bei Schaffung des BGB wurde die ausdrückliche Zulassung der petitori­ schen Widerklage mit Hinweis auf §  863 BGB abgelehnt und zudem §  33 ZPO als entgegenstehend angesehen. Bei der ZPO-Novelle entnahm man wiederum §  232 II CPO ein Widerklageverbot, hielt nach Abschaffung der Norm §  863 BGB aber für kein Hindernis. bb) Systematik In systematischer Hinsicht beruft sich die herrschende Auffassung darauf, dass die Widerklage keine Einwendung zur Abwehr des Klageanspruchs sei, sondern einen eigenen Anspruch im Sinne eines neuen eigenständigen Angriffs beinhal­ te.61 Es müsse letztlich dem Beklagten überlassen bleiben, die Entscheidung über eine Verhandlung zweier Klagen in einem Prozess anzustreben. Dem Gericht stünde mit der Befugnis zum Teilurteil ein Korrektiv zur Verfügung, mit dem es eine aus seiner Sicht sachgerechte Gestaltung herbeiführen könne.62 Der Charakter der Widerklage als selbständige Klage ist heute unbestritten.63 Die früher teilweise noch zu findende Auffassung, sie sei eine Einrede64 oder eine Art Anschlussrechtsmittel,65 wird heute nicht mehr vertreten. Dies ergibt sich auch daraus, dass die bloße Negation des gegnerischen Anspruchs von der 60  Ein weiteres Beispiel für widersprüchliche Aussagen innerhalb der Besitzschutzvor­ schriften findet sich in den Motiven, Band  III, S.  109 und 110 = Mugdan, Band  III, S.  60 und 61. Zu §  814 BGB (= §  858 BGB) heißt es, dass das Gewaltverbot für den Inhaber eine absolut geschützte Rechtsstellung begründe, die auf eine (subjektive) Rechtsverletzung im Sinne des §  704 II BGB (= 823 BGB) schließen lasse. In den Vorbemerkungen zu §  814–825 BGB (eine Seite vorher!) heißt es wiederum, dass der possessorische Schutz nicht die Realisierung eines subjektiven Rechts bezwecke, sondern die Aufrechterhaltung bzw. Wiederherstellung der be­ stehenden räumlichen Herrschaft. Mit O. Wendt, AcP 74 (1889), 135 (178), kann man durchaus behaupten, dass die Motive von diversen Verlegenheitsformulierungen durchzogen sind, wel­ che die historische Auslegung erschweren. 61  Fritzsche, in: BRHP-BGB, §  863 Rn.  6; Hoeren, in: NK-BGB, §  863 Rn.  15. 62  Joost, in: MüKo-BGB, §  863 Rn.  9. 63  Lessing-Blum, Widerklage, S.  4 ff.; Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, §  33 Rn.  7; T. Wagner, JA 2014, 655 (655). 64  Lippmann, AcP 65 (1882), 358 (360); Osterloh, ZZP 3 (1881), 43 (67). 65  Ausführliche Darstellung bei Lessing-Blum, Widerklage, S.  5 f.

194

§  6 Die petitorische Widerklage

Widerklage zu unterscheiden ist.66 Lediglich Smid und Hartmann vertreten heu­ te noch die Auffassung, dass Ansprüche im Wege der Widerklage dann nicht geltend gemacht werden sollten, soweit diese den vom Kläger verfolgten Klage­ ansprüchen kraft gesetzlicher Regelung nicht entgegengehalten werden dür­ fen.67 Wacke qualifiziert petitorische Einwendungen als eine unentwickelte Wi­ derklage.68 Wenn eine unentwickelte Widerklage im Besitzschutzprozess nach §  863 BGB ausgeschlossen sei, dann müsse dies für die förmliche Erhebung ei­ ner regulären Widerklage erst recht gelten – die Widerklage also unzulässig sein. Vom Standpunkt der herrschenden Meinung ausgehend kann dagegen eine klare Trennlinie gezogen werden zwischen dem petitorischen Recht als unzulässige Einwendung gegen den Besitzschutzanspruch gem. §  863 BGB und dem petito­ rischen Recht als eigenständiger Anspruch, der in zulässiger Weise durch die Widerklage geltend gemacht werden kann. Auf den zweiten Blick ist im Falle der petitorischen Widerklage aber folgende Besonderheit zu beachten: Der Widerkläger ist Täter verbotener Eigenmacht und hat das vermeintliche Recht, das er nun gerichtlich geltend macht, bereits eigen­ mächtig durchgesetzt. Beseitigt er den Zustand der verbotenen Eigenmacht nicht durch Rückgabe der Sache oder Beseitigung der Störung, sodass sich die posses­ sorische Klage erledigen würde, ist sein Rechtsschutzbegehren nicht gleichzu­ setzen mit dem eines üblichen Widerklägers, denn den materiellen Erfolg hat der Widerkläger durch die eigenmächtige Vollstreckung bereits erzielt. Die nun er­ hobene Klage dient nicht mehr oder zumindest nur sekundär der Durchsetzung des Rechts. Zu unterstellen ist vielmehr ein primäres Interesse an den Rechtswir­ kungen des §  864 II BGB – welche die Rechtsprechung durch eine höchst be­ denkliche extensive Auslegung der Norm großzügig gewährt. Ein legitimes Rechtsschutzinteresse an der Erzielung der Rechtswirkungen des §  864 II BGB ist dem Widerkläger selbstverständlich nicht abzusprechen. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass dieses Interesse auch ohne weiteres im Wege der Wider­ klage verfolgt werden darf – insbesondere wenn dadurch die Ziele des Besitz­ schutzes unterminiert werden. cc) Telos des Besitzschutzes Insofern ist noch einmal auf die bereits herausgearbeiteten Ziele des Besitzschut­ zes, die an §  863 BGB festgemacht werden können, zurückzukommen. 66  C. Heinrich, in: Musielak/Voit, ZPO, §  33 Rn.  9; Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, §  33 Rn.  7. 67  Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, §  33 Rn.  76; früher auch Blomeyer, Zivil­ prozeßrecht, S.  294 (anders ab 2.  Aufl. 1985, S.  318). 68  Wacke, in: FS Jayme, S.  1605 (1618).

III. Plädoyer gegen die Zulässigkeit der petitorischen Widerklage

195

(1) Beschleunigte Entscheidung Die Rechtsprechung und herrschende Lehre konzentrieren sich allein auf das aus §  863 BGB hervorgehende Erfordernis der Verfahrensbeschleunigung. Im Falle der Erhebung der Widerklage sei eine schnelle Entscheidung über den Besitz­ schutzanspruch durch die Möglichkeit des Teilurteils gewährleistet. (a) Die nur scheinbar unproblematische Lösung über §  301 ZPO Die Selbstverständlichkeit, mit der auf die Möglichkeit des Erlasses eines Teil­ urteils verwiesen wird, erstaunt. Teilurteile werden in der Praxis nur selten erlas­ sen.69 Das mag unter anderem daran liegen, dass der BGH und die obergericht­ liche Rechtsprechung eine umfangreiche und kaum überschaubare Kasuistik zum (ungeschriebenen) Tatbestandsmerkmal des sog. Widerspruchsverbots im Rahmen des §  301 I ZPO entwickelt haben70 und Rechtsfehler der unteren Ins­ tanzen sehr leicht möglich sind. Die Anfechtung einer Entscheidung und deren Aufhebung und Rückverweisung versucht ein Richter naturgemäß zu vermeiden. §  301 I Alt.  3 ZPO sieht ausdrücklich die Möglichkeit eines Teilurteils bei Kla­ ge und Widerklage vor. Dabei gilt der Grundsatz, dass ein Teilurteil über die Kla­ ge nur dann zulässig ist, wenn die Entscheidung unabhängig davon ist, wie im Schlussurteil über den noch anhängigen Teil des Rechtsstreits entschieden wird, die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen im Teilurteil und im Schlussurteil also nicht besteht.71 Auf den ersten Blick existiert diese Gefahr bei possessorium und petitorium ganz offensichtlich, da beide Parteien zur Herausgabe beziehungs­ weise zur Unterlassung oder Duldung derselben Handlung verpflichtet werden können. Hierüber mag man jedoch noch hinwegsehen, wenn man bedenkt, dass der Widerspruch vom materiellen Recht bewusst angelegt ist. Zudem beschränkt sich der relevante Sachvortrag im Rahmen der Besitzschutzklage auf den Besitz sowie die verbotene Eigenmacht. Die petitorische Widerklage erfordert unabhän­ gig davon die Feststellung der dinglichen oder obligatorischen Berechtigung. Folgt man der Rechtsprechung zu §  864 II BGB und wendet die Norm analog an, wenn ein (vorläufig vollstreckbares) petitorisches Urteil ergeht, dann ergeben 69  Nach Schätzungen liegt die Zahl der Verfahren, in denen vorab ein Teilurteil ergeht, wohl nicht über 5 %, siehe Rensen, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, §  301 Rn.  4. Stickelbrock, Inhalt und Grenzen richterlichen Ermessens im Zivilprozess, S.  534, geht sogar von nur 2 % aus. 70  Eine ausführliche Darstellung der Rechtsprechung über die Jahrzehnte findet sich bei de Lousanoff, Zulässigkeit des Teilurteils, S.  16 ff. Ob es sich tatsächlich jeweils um ein unge­ schriebenes, zusätzliches Tatbestandsmerkmal handelt oder sich die von der Rechtsprechung gestellten Anforderungen auf die „Entscheidungsreife“ zurückführen lassen, kann für die Zwe­ cke dieser Arbeit dahinstehen, siehe dazu de Lousanoff, Zulässigkeit des Teilurteils, S.  38 ff., 85 ff., und Musielak, in: FS Lüke, S.  561 (574). 71  BGH NJW-RR 2012, 849 (850).

196

§  6 Die petitorische Widerklage

sich aber zumindest Zweifel daran, ob ein possessorisches Teilurteil ohne Rück­ sicht auf die petitorische Widerklage so unproblematisch in Betracht kommt. Das RG entschied bereits, dass ein Teilurteil dann unzulässig sei, wenn die Möglich­ keit bestehe, dass das spätere Schlussurteil eigentlich zur Abweisung des vorab entschiedenen Antrags führen müsse.72 Ebenso wenig sei ein Teilurteil zulässig, wenn Gegenrechte des Beklagten dazu geeignet seien, den vorab beurteilten ­Anspruch des Klägers zu beeinflussen.73 Vor diesem Hintergrund ist noch einmal in Erinnerung zu rufen, dass der petitorische Gegenanspruch bei analoger An­ wendung des §  864 II BGB nach der Rechtsprechung just zum Erlöschen des Besitzschutzanspruchs führen soll. Somit besteht bei Erlass des possessorischen Teilurteils die Möglichkeit, dass die Bejahung eines Anspruchs im Rahmen der Widerklage zu einer Einwendung gegen den klägerischen Besitzschutzanspruch führt.74 Damit sind die Voraussetzungen des Widerspruchsverbots nicht erfüllt. Doch selbst unterstellt, der Erlass eines Teilurteils würde dem Beschleunigungs­ gebot des §  863 BGB Genüge tun – der Kläger hätte jedenfalls keinen durchsetz­ baren Anspruch darauf, dass ein Teilurteil tatsächlich ergeht. Den Parteien steht kein Rechtsbehelf zur Verfügung, um den Nichterlass eines Teilurteils trotz Vor­ liegens der Voraussetzungen zu rügen.75 Zwar wird aus §  301 I ZPO abgeleitet, dass der Erlass eines Teilurteils die Regel sei; §  301 II ZPO soll aber eine Modi­ fikation darstellen, die dem Gericht ein Ermessen einräumt.76 Bejaht der Richter die Voraussetzungen des §  301 I ZPO, was – wie gerade dargelegt – nicht gänz­ lich unproblematisch ist, dann stellt sich immer noch die Frage, ob der Erlass eines Teilurteils nicht dennoch unangemessen wäre. Die Angemessenheit richtet sich nach den Besonderheiten des jeweiligen Falls.77 Hierbei können die Prozess­ ökonomie sowie das Interesse des Klägers an einem raschen Urteil als Faktoren eine Rolle spielen.78 Für den Richter bedeutet das Teilurteil nicht ausnahmslos eine Verfahrensbeschleunigung, sondern auch Mehrarbeit durch Verdoppelung

72  RGZ 151, 381 (384). In dem Fall hatte eine Klagehäufung stattgefunden. Das Rechts­ schutzinteresse als Zulässigkeitsvoraussetzung des vorab entschiedenen Feststellungsantrags wäre nachträglich durch die Leistungsentscheidung im Schlussurteil entfallen. 73  Insbesondere zur Aufrechnung: OLG Düsseldorf NJW 1973, 1928 (1929); OLG Frank­ furt MDR 1975, 321 (321). 74  Fritzsche, in: BRHP-BGB, §  864 Rn.  15; Schulte-Nölke, in: Hk-BGB, §  864 Rn.  2. 75  Eine Beschwerde ist nicht zulässig, da das Gericht über die Angemessenheit nur aufgrund mündlicher Verhandlung entscheiden kann, siehe Althammer, in: Stein/Jonas, ZPO, §  301 Rn.  39. 76  RGZ 97, 30 (32); OLG Düsseldorf NJW 1974, 2010 (2010); Musielak, in: Musielak/Voit, ZPO, §  301 Rn.  24; Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, §  301 Rn.  4; Saenger, in: Saenger-ZPO, §  301 Rn.  14; a. A. de Lousanoff, Zulässigkeit des Teilurteils, S.  148 ff. 77  Stickelbrock, Inhalt und Grenzen richterlichen Ermessens, S.  537 f. 78  Elzer, in: BeckOK-ZPO, §  301 Rn.  30.

III. Plädoyer gegen die Zulässigkeit der petitorischen Widerklage

197

der Formalien.79 Die Umständlichkeit des Verfahrens erhöht sich im Fall des Besitzschutzes und der petitorischen Widerklage umso mehr, als sich bei Erlass des possessorischen Teilurteils die Frage stellt, wie es damit weiterzugehen hat, nachdem das petitorische Schlussurteil erlassen wurde. Im Fall der Besitzentzie­ hung kann der unproblematische Fall eintreten, dass aus dem Teilurteil schon vollstreckt wurde, bevor das petitorische Urteil ergeht. Der petitorische Kläger stellt dann sinnvollerweise seinen Feststellungsantrag gem. §  264 Nr.  2 ZPO auf einen Leistungsantrag um und vollstreckt anschließend selbst. Was ist aber, wenn aus dem possessorischen Urteil noch nicht vollstreckt wurde, da das petitorische Urteil nur kurze Zeit später ergeht? In diesem Fall könnte der Widerkläger wegen der analogen Anwendung des §  864 II BGB nach der herrschenden Ansicht Voll­ streckungsgegenklage erheben.80 Dies belastet die Justiz mit einem zusätzlichen Verfahren. Das Gleiche gilt im Fall des Erlasses von Unterlassungs- oder Dul­ dungstiteln im Rahmen des §  862 BGB. Zugunsten der Prozessökonomie könnte es also aus richterlicher Perspektive zumindest dann, wenn das petitorium vor­ aussichtlich nicht viel mehr Zeit in Anspruch nimmt, „angemessen“ sein, kein Teilurteil zu erlassen, sondern gleichzeitige Entscheidungsreife herbeizuführen und der BGH-Rechtsprechung zu folgen.81 Dass diese Vorgehensweise für den Richter naheliegt, bewies bereits das LG Frankfurt.82 Es hatte über den petitori­ schen Widerklageanspruch langwierigen Sachverständigenbeweis erhoben, ohne vorher durch Teilurteil über die possessorische Klage zu entscheiden.83 Insofern scheint das systematische Argument der Möglichkeit des Erlasses ei­ nes Teilurteils nicht so unproblematisch zu sein. Es droht die Gefahr der Be­ schneidung von Rechten des possessorischen Klägers. Davon abgesehen, dass der Besitzschutz nicht nur die Beschleunigung des possessorischen Prozesses, sondern auch die Sanktionierung des Täters der verbotenen Eigenmacht be­ zweckt, steht zu befürchten, dass im Zweifelsfall nicht einmal die Verfahrens­ beschleunigung eintritt.84 79  Rensen, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, §  301 Rn.  4; Stickelbrock, Inhalt und Grenzen rich­ terlichen Ermessens, S.  534. 80  Siehe unter §  5 II.4.b)aa). 81  Diese Befürchtung teilen Amend, JuS 2001, 124 (128), und K. Schmidt, JuS 1980, 65 (66). 82  Als Vorinstanz zum BGH, der sich sodann zur analogen Anwendung von §  864 II BGB äußerte, siehe BGH NJW 1979, 1359 (1360). 83  Zwar kritisiert der BGH die Vorinstanz für dieses Vorgehen; dass er für den Fall der petitori­ schen Widerklage – wie Stickelbrock, Inhalt und Grenzen richterlichen Ermessens, S.  539, meint – das Ermessen gem. §  301 II ZPO ganz entfallen lassen will, trifft aber nicht zu. Aus der Formu­ lierung in BGHZ 53, 166 (169) lässt sich dieser Schluss entgegen Stickelbrock nicht ziehen. 84  Die gleiche Problematik ergibt sich ebenso für die von manchen propagierte Verfah­ renstrennung nach §  145 II ZPO, siehe Teichmann, in: Kroiß, FB-Zivilprozess, Sachenrecht/ Erbrecht, §  3 Rn.  339; Schneider, JR 1961, 367 (368).

198

§  6 Die petitorische Widerklage

(b) Inkonsistenz bei der Kostenentscheidung Seltsamerweise kann nach der Teilurteilslösung des BGH abhängig vom Zeitpunkt der Entscheidungsreife auch eine unterschiedliche Last der Prozesskosten entste­ hen: Ergeht ein possessorisches Teilurteil, bevor das petitorische Schlussurteil er­ lassen wird, so wird der Beklagte darin entsprechend nach §  861 BGB oder §  862 BGB verurteilt. Die Kostenentscheidung bleibt im Regelfall dem Schlussurteil vorbehalten.85 In Letzterem ist gem. §  91 ZPO zu berücksichtigen, dass der Besitz­ schutzkläger mit seiner Klage durchgedrungen ist – der Beklagte also die entspre­ chenden Kosten zu tragen hat. Bei gleichzeitiger Entscheidungsreife von Besitz­ schutzklage und petitorischer Widerklage wird hingegen die Besitzschutzklage als unbegründet abgewiesen – mit der Folge, dass der Besitzschutzkläger sowohl in der Hauptklage als auch im Rahmen der Widerklage unterliegt und somit die ge­ samten Kosten trägt. Dass die unterschiedliche Prozesskostentragungslast schlicht vom Zeitpunkt der Entscheidungsreife abhängt, mutet eher willkürlich an. Unabhängig davon ist generell zu kritisieren, dass überhaupt in Betracht gezo­ gen wird, dem Kläger die Kosten der an sich begründeten Besitzschutzklage auf­ zubürden.86 Teilweise wird vertreten, dies ergebe sich letztlich aus §  864 II BGB.87 Dem kann nicht zugestimmt werden, jedenfalls nicht, wenn die Norm analog an­ gewendet wird: Wenn der Besitzschutzkläger Klage erhebt, obwohl ein petitori­ sches rechtskräftiges Urteil ergangen ist, sein Anspruch also gesetzlich erloschen ist, so ist es naheliegend, dass er für die unbegründete Klage aufkommt. Bei der Widerklagekonstellation kann der Kläger aber schlichtweg nicht wissen, wie der Prozess um das Recht zum Besitz ausgeht und im Prozess auch nicht mehr mit Prozesshandlungen reagieren, die seine Prozesskostenlast einschränken würden. Im Übrigen hatte selbst Johow in §  80 seines Entwurfs, der als Vorbild für §  864 II BGB diente, vorgesehen, dass zwar der Besitzschutzanspruch für erledigt zu erklären sei, wenn und soweit die als Besitzverletzung gerügte Handlung dem festgestellten Recht entspräche; dies sollte jedoch ausdrücklich keinen Einfluss auf die Kostenentscheidung des Besitzschutzprozesses haben.88

85 

Musielak, in: Musielak/Voit, ZPO, §  301 Rn.  27. Dieses unbillige Ergebnis verhindert die Ansicht, die zwar die petitorische Widerklage für zulässig erachtet, deren Erfolg aber keinen Einfluss auf die Begründetheit der possessori­ schen Klage zuschreibt, siehe unter §  6 II. 87  Götz, in: BeckOGK-BGB, §  863 Rn.  40; Sosnitza, Besitz und Besitzschutz, S.  159. 88  §  80 des Teilentwurfs lautete: „Ergeht in dem Prozesse über das Recht eine Entscheidung, bevor über den Besitzanspruch entschieden ist, so ist der Besitzanspruch für erledigt zu erklä­ ren, wenn und soweit die als Besitzverletzung gerügte Handlung dem festgestellten Rechte entspricht. Dies bleibt jedoch ohne Einfluss auf die Entscheidung über die Kosten des Besitz­ prozesses.“ 86 

III. Plädoyer gegen die Zulässigkeit der petitorischen Widerklage

199

(2) Präventionswirkung und das Erschleichen prozessualer Privilegien Wie bereits aufgezeigt ist der Gedanke der schnellstmöglichen Klärung des Besitz­ schutzanspruchs ohnehin nicht der alleinige Zweck des §  863 BGB. Es geht auch, wenn nicht sogar vorrangig darum, dem Täter verbotener Eigenmacht durch den Aus­ schluss des Einwands einer materiellen Besitzberechtigung jeglichen Anreiz zu neh­ men, sein Recht überhaupt erst auf eigene Faust durchzusetzen. Dies ist nur möglich, wenn keinerlei Vorteil, auch kein prozessualer, aus der verbotenen Eigenmacht resul­ tiert. An dieser Stelle ist erneut ein Augenmerk auf die prozessualen Privilegien zu legen, die §  33 ZPO bietet. Es zeigt sich, dass sich der petitorische Widerkläger diese Privilegien durch die Begehung der verbotenen Eigenmacht „erschleichen“ kann. (a) Gebühren Derjenige, der sich zum Besitz einer Sache oder zu einer Störung des Besitzes berechtigt sieht, darf dieses vermeintliche Recht nicht im Wege der Eigenmacht durchsetzen, sondern muss den Weg der Klage beschreiten und somit den Ge­ richtsgebührenvorschuss zahlen, §  12 I GKG. Der Täter verbotener Eigenmacht muss aber keine eigene Klage mehr anstrengen. Provoziert er durch die verbote­ ne Eigenmacht eine Besitzschutzklage seines Gegners und sieht sich veranlasst, sein Recht nun doch im geordneten Wege feststellen zu lassen, genießt er das Privileg des §  12 II Nr.  1 GKG. (b) Gerichtsstand Darüber hinaus kann sich der Täter verbotener Eigenmacht über §  33 ZPO auch einen für ihn günstigeren Gerichtsstand verschaffen. Dazu soll folgender Beispielsfall dienen: W aus Düsseldorf nimmt – nach strittigem Rücktritt vom Kaufvertrag aufgrund angeblich ausbleibender Ratenzahlungen – ein Boot an sich, das er B aus Münster unter Eigentumsvorbehalt verkauft hatte, und befördert es nach Kiel. Das Boot war ursprünglich in Rostock übergeben worden und lag seitdem dort im Hafen. B klagt, da ihm die Reise zu einem Gericht nach Rostock oder Kiel zu aufwendig ist, vor dem LG Düsseldorf gegen W auf Herausgabe gem. §  861 I BGB i. V. m. §  13 ZPO. W erhebt Widerklage auf Feststellung seines Besitzrechts vor dem LG Düsseldorf. Eine Besitzschutzklage des B wäre sowohl in Rostock als auch in Kiel zulässig. §  32 ZPO gilt unstreitig für §§  858 ff. BGB.89 Im Rahmen von §  32 ZPO kann zwischen dem Handlungs- und dem Erfolgsort unterschieden werden. Sieht man 89  C. Heinrich, in: Musielak/Voit, ZPO, §  32 Rn.  2; Patzina, in: MüKo-ZPO, §  32 Rn.  5; Schultzky, in: Zöller, ZPO, §  32 Rn.  7.

200

§  6 Die petitorische Widerklage

den Schwerpunkt der Handlung in der Inbesitznahme des Boots durch W, so wäre auf Rostock abzustellen, sieht man ihn in der Beförderung nach Kiel, so läge dort der Erfolgsort. §  32 ZPO ermöglicht nicht nur eine Behandlung der Materie beim lokal sachnäheren Gericht, sondern privilegiert auch den Gläubi­ ger gegenüber dem weniger schutzwürdigen Schuldner, dessen Wohnort sonst Gerichtsstand wäre.90 Der Gerichtsstand unterliegt letztlich der Wahl des Besitz­ schutzklägers (§  35 ZPO). Nun könnte man behaupten, dass B von vornherein damit rechnen konnte, nach Rücktritt des W vom Vertrag in Rostock auf Rück­ gabe des Boots verklagt zu werden und sich somit für eine Gerichtsverhandlung auf den langen Weg dorthin machen zu müssen. Wenn B sich nun selbst für Düsseldorf entscheidet, da es näher an seinem eigenen Wohnort liegt, so scheint er W schlicht freiwillig zu begünstigen. Dennoch ist zu beachten, dass W – hätte er auf die verbotene Eigenmacht ver­ zichtet – zur Wiedererlangung des Bootes auf Herausgabe gem. §  985 BGB oder §  346 I BGB hätte klagen müssen. Eine solche Klage wäre gem. §  13 ZPO in Münster zulässig gewesen oder gem. §  29 I ZPO in Rostock, aber nicht am Hei­ matgerichtsstand in Düsseldorf.91 Dass die durch §  32 ZPO eröffneten Möglich­ keiten im vorliegenden Fall dem Besitzschutzkläger nicht gelegen kommen, kann W ausnutzen und auf eine für ihn günstige Gerichtsstandswahl von B spe­ kulieren. Damit wird der Schutzgedanke des §  13 ZPO ins Gegenteil verkehrt. Der Wohnortsgerichtsstand schützt den Beklagten davor, den Prozess vor einem auswärtigen Gericht führen zu müssen.92 Indem W die Parteirollen durch die verbotene Selbsthilfe vertauscht, gelangt er über §  33 ZPO in den Genuss eines Gerichtsstands, der ihm sonst verschlossen geblieben wäre.93 (3) Spannungsfeld zwischen materiellem Recht und Verfahrensrecht Die aufgezeigten Probleme lassen sich im Spannungsfeld zwischen materiellem Recht und Verfahrensrecht verorten. Einerseits könnte man die Eigenständigkeit des Prozessrechts gegenüber dem materiellen Recht postulieren – mit der Konse­ 90 

C. Heinrich, in: Musielak/Voit, ZPO, §  32 Rn.  1. Sowohl der redliche als auch der bösgläubige Besitzer müssen nach §  985 BGB die Sache dort herausgeben, wo sie sich befindet oder wo sie vertragsgemäß nach Ablauf des Besitzrechts herauszugeben war, siehe Krüger, in: MüKo-BGB, §  269 Rn.  31. Beim Rückgewährschuldver­ hältnis erfolgt nach g. h. M. keine Differenzierung danach, ob eine der Vertragsparteien den Rücktritt zu vertreten hat. Im Übrigen besteht eine kaum noch überschaubare Meinungsvielfalt, wobei im gewählten Fallbeispiel der Herausgabeort nach allen Ansichten stets in Rostock läge, siehe zum bestimmungsgemäßen Aufenthaltsort Bittner, in: Staudinger, BGB, §  269 Rn.  28; zum ursprünglichen Leistungsort Grüneberg, in: Palandt, BGB, §  269 Rn.  16, und Köhler, in: FS Heinrichs, S.  367 (371). 92  Patzina, in: MüKo-ZPO, §  13 Rn.  1. 93  Ein ähnlicher Fall ist auch im Rahmen einer Besitzstörung denkbar. 91 

III. Plädoyer gegen die Zulässigkeit der petitorischen Widerklage

201

quenz, dass die Ausschöpfung aller Möglichkeiten des Prozessrechts zulässig wäre. Unter Betonung der Verschiedenheit der Rechtsgebiete könnte dann von Widersprüchen zum materiellen Recht schon gar nicht die Rede sein. Das Ver­ fahrensrecht verlangt als dienendes Recht aber nach einer privatrechtskonformen Ausgestaltung.94 Sind die Wirkungen eines prozessrechtlichen Instituts mit ma­ teriellen Wirkungen vergleichbar, so müssen die Wertungen des Prozessrechts mit denen des materiellen Rechts übereinstimmen. Der Vorteil, den eine Partei durch die Gestaltung des Verfahrens erhält, muss auf Wertungen beruhen, die sich auch dem materiellen Recht entnehmen lassen. §  863 BGB zielt als Kern­ stück des Besitzschutzrechts auf eine beschleunigte Entscheidung über den Be­ sitzschutzanspruch sowie auf die Sanktion des Täters verbotener Eigenmacht, um in präventiver Weise zu bewirken, dass Rechte von vornherein eingeklagt und nicht eigenmächtig durchgesetzt werden. Diese Ziele streiten gegen die Zu­ lassung einer petitorischen Widerklage. Bereits über die prozessuale Zulässigkeit wird die Gefahr einer zeitraubenden Begründetheitsprüfung in den Prozess hin­ eingetragen. Das führt zur Verzögerung des Besitzschutzverfahrens zulasten des Besitzschutzklägers. In der Praxis werden Beweise für Klage und Widerklage einheitlich aufgenommen. Wegen §  301 II ZPO ist zudem der Erlass eines Teil­ urteils nur eine theoretische Hoffnung.95 Die Zulässigkeit eröffnet dem Widerklä­ ger zudem den Gerichtsstand des §  33 ZPO, der den Besitzschutzgläubiger dazu zwingt, sich auf eine petitorische Klage auch außerhalb seines Heimatgerichts­ stands einzulassen.96 Prozessuale Nachteile des Besitzschutzklägers zugunsten des Täters der verbotenen Eigenmacht erweisen sich als mit dem materiellen Rechtsgedanken des §  863 BGB unvereinbar. Aufgrund des dienenden Charak­ ters des Prozessrechts muss die prozessuale Konsequenz die Unzulässigkeit der maßgeblichen Prozesshandlung, hier der Widerklageerhebung, sein. dd) Keine Gefährdung der hinter der Widerklage stehenden Grundsätze Durch die Ablehnung der Zulässigkeit einer petitorischen Widerklage werden auch die im Institut der Widerklage verkörperten verfahrensrechtlichen Grund­ sätze nicht in unverhältnismäßiger Weise gestört. (1) Prozessökonomie Wie oben bereits dargelegt, verfolgt die Widerklage als zivilprozessuales Instru­ ment ökonomische Ziele. Sie verhindert eine Zersplitterung von Entscheidungen, 94 

Dazu bereits unter §  1 IV.3. Siehe unter §  6 III.3.b)cc)(1)(a). 96  Dazu schon unter §  6 III.3.b)cc)(2)(b). 95 

202

§  6 Die petitorische Widerklage

indem sich nur ein Gericht mit zusammenhängenden Fragen zu befassen hat. Die Prozessökonomie ist ein eigenständiger Grundsatz. Dieser wird zwar durch mate­ riellrechtliche Erwägungen des Besitzschutzes überlagert; der Mehraufwand, der durch die getrennten Klagen entsteht, wird sich aller Voraussicht nach aber im Rahmen halten. Im Besitzschutzprozess müssen der (ehemalige) Besitz des Klä­ gers sowie die Voraussetzungen des §  858 BGB geklärt werden. Im Prozess um das Recht zum Besitz oder um das Recht zur Vornahme der Störung ist es nur der Besitz des Beklagten, der erneut festgestellt werden muss. Die dinglichen oder obligatorischen Verflechtungen spielen im Besitzschutzprozess keine Rolle. Die Gefahr einer doppelten umfangreichen Beweisaufnahme ist marginal. Die Prozessökonomie verlangt allerdings auch nach einer möglichst kosten­ günstigen Bewältigung des Rechtsstreits (freilich nicht zulasten einer gerechten Urteilsfindung).97 §  45 I 3 GKG sieht vor, dass sich der grundsätzlich zu addieren­ de Gebührenstreitwert von Klage und Widerklage auf den höheren ermäßigt, wenn die Ansprüche denselben Gegenstand betreffen. Muss ein Anspruch, wie hier be­ fürwortet, in einer gesonderten Klage geltend gemacht werden, scheint den Partei­ en auf den ersten Blick der kostenrechtliche Vorteil genommen. Auf den zweiten Blick ergibt sich jedoch, dass selbst bei Zulassung der petitorischen Widerklage die Gebühren nicht gem. §  45 I 3 GKG nach dem einfachen Wert festgesetzt wer­ den können, da der Streitgegenstand der Besitzschutzklage aus kostenrechtlicher Sicht nicht mit dem der petitorischen Widerklage identisch ist.98 Von einer Identi­ tät des Streitgegenstands im Sinne der Norm kann nämlich nur dann gesprochen werden, wenn die beiderseitigen Ansprüche einander derart ausschließen, dass die Zuerkennung des einen Anspruchs notwendig die Aberkennung des anderen be­ dingt.99 Wenn jedoch voneinander unabhängige Ansprüche verfolgt werden, passt diese Identitätsformel nicht. Dass es gerade Charakteristikum des Besitzschutz­ anspruchs ist, dass dieser trotz eines entgegenstehenden Anspruchs aus dem Recht zum Besitz zugesprochen werden kann, wurde bereits hinlänglich aufgezeigt. Der Gebührenstreitwert berechnet sich also auch im Fall der petitorischen Widerklage nach §  45 I 1 GKG über die Summe der beiden Werte.100 Ein gebührenrechtlicher Nachteil würde über die getrennte Erhebung der beiden Klagen daher nicht ent­ stehen.101

97 

Hofmann, ZZP 126 (2013), 83 (86); Hütten, Prozeßökonomie, S.  6 f. „Derselbe Gegenstand“ gem. §  45 I 3 GKG ist nicht gleichzusetzen mit dem prozessualen Streitgegenstandsbegriff, siehe zu Letzterem unter §  5 I.4.b)cc). 99  BGH NJW-RR 1992, 1404 (1404); Dörndorfer, in: BDZ-GKG, §  45 Rn.  4; Schindler, in: BeckOK-KostR, §  45 GKG Rn.  12. 100  So auch Amend, JuS 2001, 124 (129), und Spiess, JZ 1979, 717 (718). 101  Abgesehen wird dabei von der durch Wertaddition stets eintretenden Gebührendegres­ 98 

III. Plädoyer gegen die Zulässigkeit der petitorischen Widerklage

203

(2) Entscheidungseinklang Gewichtig erscheint im Rahmen des §  33 ZPO noch der Aspekt, zusammengehö­ rende Ansprüche einheitlich zu verhandeln und zu entscheiden. Hier geht es zum einen um die Beweiswürdigung, soweit in Klage und Widerklage dieselben Vor­ fragen zu beurteilen sind, aber auch um die einheitlichen rechtlichen Schlussfol­ gerungen, die aus dem erkannten Sachverhalt gezogen werden. Ungereimtheiten durch sich widersprechende Entscheidungen gilt es zu verhindern. Bei getrennter Verhandlung von Besitzschutzklage und Klage aus dem Besitzrecht besteht aber kaum die Gefahr widersprüchlicher Tatsachenwürdigung. Wie bereits dargestellt liegt der Schwerpunkt der Feststellungen im Besitzschutzprozess anders als der im Prozess um das Recht zum Besitz oder um das Recht zur Vornahme der Stö­ rung. Der Besitz als Tatsache wird im Regelfall ohnehin unstreitig sein. (3) Waffengleichheit Auch das Argument der prozessualen Waffengleichheit, welche sich aus Art.  3 I GG ableitet, kann keine zusätzliche Begründung für die Zulässigkeit der petito­ rischen Widerklage darstellen. So wie der Besitzschutzkläger ist nämlich auch der Beklagte in der Lage, seinen Anspruch klageweise geltend zu machen. Die Waffengleichheit ist also insoweit gewahrt. Sie verlangt nicht, dass der Beklagte sein Begehren von dem über die Hauptklage erkennenden Gericht entscheiden lassen kann.102 Der überlieferte Grundsatz „Wo der Kläger sein Recht sucht, muss er auch Recht nehmen“103 hat keinen eigenen Gerechtigkeitsgehalt, son­ dern ist vielmehr historischen Bedingungen geschuldet, die so nicht mehr grei­ fen.104 Im Übrigen fällt auf, dass auch schon der historische Gesetzgeber den Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit nicht zur Begründung der Schaf­ fung einer Widerklagemöglichkeit herangezogen hat.105 Es ist daher höchst frag­ lich, ob die Widerklage wirklich der prozessualen Waffengleichheit zu dienen hat. Auch wenn das Gesetz dem Beklagten die Befugnis zur Verteidigung zuge­ steht, billigt sie ihm noch lange keine Klageerhebung am selben Ort und im sel­ ben Verfahren zu. Die gleichheitsrechtliche Betrachtungsweise scheint hier zu sion bei zunehmenden Streitgegenstandswerten. Diese wiegt jedoch nicht so viel, dass sie als eigenständiges prozessökonomisches Merkmal der Widerklage gelten könnte. 102  Eickhoff, Inländische Gerichtsbarkeit, S.  116 f.; Lüke, Beteiligung Dritter, S.  291. 103  Siehe unter Fn.  21 in diesem Kapitel. 104  Schröder, Internationale Zuständigkeit, S.  583 f. Noch vor Zeiten der CPO wurde der Kläger dort, wo er klagte, allgemein gerichtspflichtig, musste also nicht nur seinem Gegner, sondern auch jedem Dritten das Recht zugestehen, die dortige Gerichtsbarkeit in Anspruch zu nehmen, was daran lag, dass die Dichte an Gerichten im Staat damals nicht so groß war. 105  Gesetzesbegründung zu §  33 CPO, abgedr. bei Hahn/Mugdan, Band  2, Abteilung 1, S.  158.

204

§  6 Die petitorische Widerklage

sehr auf den einen Prozess verkürzt zu werden. Umgekehrt gilt es gerade mit Blick auf die verbotene Eigenmacht, Waffenungleichheit vorzubeugen, also zu verhindern, dass der Täter sich prozessuale Privilegien erschleicht, nachdem er sich bereits über das Gebot der Klageerhebung und der geordneten staatlichen Vollstreckung hinweggesetzt hat. c) Zwischenfazit Insgesamt trägt der generelle Ausschluss der petitorischen Widerklage aufgrund von §  863 BGB dem Zweck des possessorischen Besitzschutzes am besten Rech­ nung. Die verfahrensrechtlichen Aspekte des Entscheidungseinklangs und der Waffengleichheit werden dadurch nicht gefährdet. Auch die Prozessökonomie ist lediglich ein schwaches Argument für die Rechtfertigung der Zulassung einer petitorischen Widerklage. Dieser Gesichtspunkt ist jedenfalls nicht so ausge­ prägt, dass er über die aufgeführten gewichtigen teleologischen Gesichtspunkte zu stellen wäre.

4. Ausnahmen Vom Grundsatz der Unzulässigkeit einer petitorischen Widerklage ist eine Aus­ nahme zu machen, wenn der Besitzschutzkläger possessorische und petitorische Ansprüche in einer Klage verbindet. Da das Zivilprozessrecht einen eigentlichen Besitzschutzprozess nicht kennt, kann der Besitzschutzkläger frei darüber ent­ scheiden, ob die Klärung der materiellrechtlichen Frage nach dem Recht zum Besitz in das possessorische Verfahren eingeführt wird. Ist letzteres der Fall, ge­ bietet es wiederum der Grundsatz der Waffengleichheit, eine petitorische Wider­ klage für zulässig zu erklären.106 Sie korrespondiert dann mit den vom Kläger geltend gemachten petitorischen Ansprüchen.107 Die Bedenken, die gegen eine 106 

In der Entscheidung BGHZ 73, 355, in welcher der BGH die petitorische Widerklage zuließ, war tatsächlich der Fall gegeben, dass der possessorische Kläger sich auch auf ein Recht zum Besitz stützte. Die petitorische Widerklage war auf dieser – aber nur auf dieser Grundlage – also ausnahmsweise tatsächlich zulässig. 107  Freilich bedarf es eines Sachverhalts wie in BGHZ 73, 355, siehe unter §  6 I.4., damit die petitorische Widerklage nicht schon daran scheitert, dass die Feststellung des kontradiktori­ schen Gegenteils begehrt wird. Im Übrigen erweist es sich hier auch von Vorteil, in possessorium und petitorium zwei Streitgegenstände zu erblicken. Anderenfalls würden mit der klägeri­ schen Behauptung des früheren Besitzes aus §  861 BGB über die damit verbundene Eigen­ tumsvermutung gem. §  1006 BGB gleichzeitig die Voraussetzungen des Anspruchs aus §  985 BGB in den Prozess eingeführt, sodass das Gericht von Amts wegen auch den petitorischen Anspruch zu prüfen hätte. Da der Kläger somit selbst petitorische Aspekte in den Prozess ein­ geführt hätte, wäre – quasi durch die Hintertür – auch immer die petitorische Widerklage des Täters zulässig. Hierauf weist Amend, JuS 2001, 124 (129), hin.

IV. Zulässigkeit eines petitorischen Widerantrags analog §  33 ZPO?

205

petitorische Widerklage beim rein possessorischen Anspruch bestehen, gelten nicht mehr, da der Kläger sich des Schutzes des §  863 BGB freiwillig begibt.108

IV. Zulässigkeit eines petitorischen Widerantrags analog §  33 ZPO? Klagt der Besitzer nicht im ordentlichen Verfahren, sondern begehrt eine posses­ sorische einstweilige Verfügung, so ist eine petitorische Widerklage von vornhe­ rein unzulässig, da sie nur in derselben Prozessart wie die Hauptsacheklage erho­ ben werden kann. Vereinzelt sieht man sich in Rechtsprechung und Literatur aber veranlasst – analog zur BGH-Rechtsprechung –, im einstweiligen Rechtsschutz­ verfahren einen petitorischen Gegenantrag für zulässig zu erklären und den pos­ sessorischen Besitzschutz auch an dieser Stelle zu durchbrechen.109

1. Zulässigkeit eines Widerantrags im einstweiligen Verfügungsverfahren Unabhängig von einem konkret gegen einen Besitzschutzantrag gerichteten petito­ rischen Gegenantrag ist in der Rechtswissenschaft schon allgemein nicht geklärt, ob ein Widerantrag im einstweiligen Rechtsschutz überhaupt denkbar ist. Eine un­ mittelbare Klärung der Streitfrage durch den BGH ist wegen des gesetzlich vorge­ sehenen Ausschlusses der Revision gem. §  542 II ZPO nicht zu erwarten.110 Für eine analoge Anwendung des §  33 ZPO bedarf es einer planwidrigen Rege­ lungslücke. Befürworter der Zulässigkeit eines Gegenantrags im Eilrechtsschutz verweisen darauf, dass dem Gericht stets die Möglichkeit eröffnet sei, einen geson­ dert gestellten Antrag entsprechend §  147 ZPO mit dem anderen Verfahren zu ver­ 108  Für die generelle Abdingbarkeit der Vorschrift: Heck, Sachenrecht, §  14.5 = S.  53; ­ üller, Besitzschutz, S.  51 f.; Wolff/Raiser, Sachenrecht, §  19 IV = S.  60. Gegen die Abding­ M barkeit, allerdings nur im Rahmen der rein possessorischen Klage: Götz, in: BeckOGK-BGB, §  863 Rn.  16; Gutzeit, in: Staudinger, BGB, §  863 Rn.  2; Sosnitza, Besitz und Besitzschutz, S.  162 f.; Wieling, Sachenrecht I, §  5 IV 3 a = S.  207. 109  OLG Rostock OLG-NL 2001, 278 (281); Lehmann-Richter, NZM 2009, 177 (178); wohl auch Fritzsche, in: BRHP-BGB, §  863 Rn.  6. 110  Für die Zulässigkeit: LG Köln MDR 1959, 40 (40), und LG Köln ZUM 2006, 71 (73); LG Hamburg ZMR 2012, 132 (132); AG Lemgo v. 20.06.2013 – 20 C 250/13 –, juris Rn.  18; Dötsch, MDR 2012, 623 (624); Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, Vor §  935 Rn.  27; Hartmann, in: BLAH-ZPO, §  935 Rn.  1; explizite Befürwortung eines petitorischen Gegenantrags: Schultzky, in: Zöller, ZPO, §  33 Rn.  36; Wern, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, §  33 Rn.  25. Gegen die Zulässigkeit: OLG Frankfurt v. 20.10.2011 – 6 U 101/11 –, juris Rn.  14; OLG Celle v. 27.06.2017 – 2 U 63/17 –, juris Rn.  11; LG Detmold v. 31.01.2014 – 10 S 133/13 –, juris Rn.  30; explizit gegen einen petitorischen Gegenantrag: LArbG Berlin-Brandenburg LAGE §  861 BGB 2002 Nr.  1; Gramsch, GRUR-Prax 2011, 544 (544); Weber, WRP 1985, 527 (529).

206

§  6 Die petitorische Widerklage

binden. Eine unmittelbare Stellung eines Widerantrags sei im Ausgangsverfahren daher nur ökonomisch. Demnach sei eine planwidrige Regelungslücke zu bejahen. Dem Beschleunigungsgebot im einstweiligen Rechtsschutz könne entsprochen werden, indem man einen konkreten Sachzusammenhang für den Gegenantrag verlange.111 Die Zulässigkeit könne auch davon abhängig gemacht werden, ob nur noch Rechts- oder auch Tatsachenfragen zu klären seien.112 Andere Stimmen befürchten jedoch, dass ein Gegenantrag nicht in jedem Fall zur Verfahrenskonzentration geeignet sei, sondern das auf Schnelligkeit angeleg­ te Verfahren sprengen könne.113 In der Tat ist beispielsweise eine Vertagung im einstweiligen Verfügungsverfahren nicht möglich, sodass die Erhebung eines Gegenantrags im Termin zu einer erheblichen Verkürzung des rechtlichen Ge­ hörs führen kann.114 Ebenso wenig existiert eine Möglichkeit, einen Widerantrag als verspätet zurückzuweisen. Die Vorschriften der ZPO bieten auch keine ge­ setzliche Grundlage dafür, den Widerantrag – wie von der Gegenansicht gefor­ dert – von Sachdienlichkeitskriterien abhängig zu machen.115 Ein Gegenantrag ist somit potentiell in der Lage, die zügige Entscheidung über den Ausgangs­ antrag zumindest zu gefährden. Umgekehrt ist kein zwingendes Bedürfnis dafür ersichtlich, dem Antrags­ gegner im Verfügungsverfahren die Möglichkeit zu eröffnen, einen eigenen Ver­ fügungsanspruch im Wege eines Gegenverfügungsantrages und nicht in einem eigenständigen Verfahren zu verfolgen. Damit fehlt es an einer für eine Analogie nötigen planwidrigen Regelungslücke.

2. Zulässigkeit einer petitorischen Feststellungsgegenverfügung Über diese allgemeinen Bedenken hinaus ergeben sich mit Blick auf den Besitz­ schutz und die Zulässigkeit eines petitorischen Widerantrags zusätzliche dogma­ tische Probleme. Wurde die verbotene Eigenmacht in Form einer Besitzent­ ziehung einmal begangen, besteht kein Herausgabeanspruch mehr für den Täter, der mit der einstweiligen Verfügung gesichert werden könnte. In Betracht käme lediglich ein Antrag, der auf die Feststellung gerichtet ist, dass ein Recht zum Besitz besteht.116 111 

LG Köln ZUM 2006, 71 (73); LG Hamburg ZMR 2012, 132 (132). Lemgo v. 20.06.2013 – 20 C 250/13 –, juris Rn.  18. 113  OLG Frankfurt v. 20.10.2011 – 6 U 101/11–, juris Rn.  14; OLG Celle v. 27.06.2017 – 2 U 63/17 –, juris Rn.  11; Weber, WRP 1985, 527 (529). 114  Darauf hinweisend LG Detmold v. 31.01.2014 – 10 S 133/13 –, juris Rn.  30. 115  OLG Frankfurt v. 20.10.2011 – 6 U 101/11 –, juris Rn.  14; OLG Celle v. 27.06.2017 – 2 U 63/17 –, juris Rn.  11. 116  Dies räumt auch Lehmann-Richter, NZM 2009, 177 (178 Fn.  15), ein, der die Zulässig­ keit des petitorischen Gegenantrags befürwortet. Auch im Fall von LArbG Berlin-Brandenburg 112  AG

IV. Zulässigkeit eines petitorischen Widerantrags analog §  33 ZPO?

207

Die wohl ganz herrschende Ansicht wendet sich aber zu Recht gegen die Zuläs­ sigkeit einer bloßen Feststellung als Inhalt einer einstweiligen Verfügung.117 Der Wortlaut des §  938 I ZPO deckt zwar einstweilige Verfügungen mit feststellen­ dem Inhalt;118 zudem kann der Antragsgegner mangels Vollstreckbarkeit nicht zur Beachtung der vorläufigen, gerichtlichen Feststellung gezwungen werden, sodass der Grundsatz des Vorwegnahmeverbots im einstweiligen Rechtsschutz durch eine einstweilige Feststellungsverfügung wohl nicht verletzt wäre. Gerade auf­ grund der mangelnden Vollstreckbarkeit kommt aber eine einstweilige Feststel­ lungsverfügung nur in den Fällen in Betracht, in denen der Antragsgegner seine Bereitschaft zur Beachtung der gerichtlichen Entscheidung erkennbar signalisiert hat, denn nur dann bleibt die Rechtsschutzfunktion des einstweiligen Verfügungs­ verfahrens gewahrt.119 Im Fall des Besitzstreits, in dem das Gegenverfügungs­ interesse darauf gerichtet ist, festzustellen, ob der bereits bestehende Besitzstand rechtmäßig ist, kommt eine feststellende einstweilige Verfügung nicht in Betracht. Der ehemalige Besitzer signalisiert durch seinen berechtigten Besitzschutzantrag nämlich, dass er gegen den bestehenden Zustand vorgehen will, sich einer petito­ rischen Feststellungsverfügung also nicht freiwillig beugen würde. Insgesamt verträgt sich das Ziel, den Erlass einer künftigen einstweiligen Ver­ fügung zugunsten des Besitzers zu verhindern, nicht mit dem eigentlich Zweck der einstweiligen Verfügung, Rechte des Antragstellers und die sich aus diesen ergebende Güterlage zu sichern, wenn letztere durch nichts weiter gefährdet ist als durch die legitime Geltendmachung des Besitzschutzanspruchs. Im Ergebnis bedeutet dies: Es fehlt am Rechtsschutzinteresse, wenn der Gegenantragsteller nur das Risiko vermeiden will, die Sanktionswirkung des Besitzschutzes zu spü­ ren zu bekommen und zur Herausgabe nach §  861 I BGB verurteilt zu werden.

3. Fazit Die Möglichkeit eines petitorischen Gegenantrags analog §  33 ZPO ist nach all­ dem abzulehnen.120 LAGE §  861 BGB 2002 Nr.  1 war hilfsweise die Feststellung eines Besitzrechts begehrt wor­ den. Der Antrag wurde als unzulässig abgewiesen, allerdings ging das Gericht nicht explizit auf die Zulässigkeit einer Feststellungsverfügung ein. 117  LAG Düsseldorf NZA-RR 1996, 12 (13); KG NJWE-WettbR 1996, 161 (161); Brox/ Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, §  50, Rn.  1595 = S.  779; Gerhardt, ZZP 109 (1996), 534 (542); Leipold, Grundlagen, S.  150; Thümmel, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, §  940 Rn.  18; Walker, in: Schuschke/Walker, VuvR, Vor §§  916–945b Rn.  17; für eine bedingte Zulässigkeit: Kohler, ZZP 103 (1990), 184 (208); Vogg, NJW 1993, 1357 ff. 118  So auch Jocksch, Freigabeverfahren, S.  28. 119  Jocksch, Freigabeverfahren, S.  29; Vogg, NJW 1993, 1357 (1365). 120  Abzulehnen ist ebenfalls die Ansicht, die zwar von der Unzulässigkeit eines petitori­

208

§  6 Die petitorische Widerklage

V. Resümee zur petitorischen Widerklage Die Widerklage ist ein eigenständiges prozessuales Institut, für das nicht in jeder Beziehung die gleichen Regeln und Grundsätze gelten müssen wie für die eigen­ ständige Klage. Die Rechtsprechung und herrschende Lehre berücksichtigen in ihrer Argumentation zur Zulässigkeit der petitorischen Widerklage den Zweck des possessorischen Besitzschutzes nicht hinreichend. Dem Zivilprozessrecht wird dadurch auch keine ihm fremde Sanktions- oder Verhaltenssteuerungsfunk­ tion aufgedrängt.121 Vielmehr unterliegt das Prozessrecht hier den Wertungen des materiellen Rechts und hat diesen zu dienen.122 Es sollte keine prozessrechtliche Lösung zur Bewältigung materiellrechtlicher Probleme geben, insbesondere kein Prozessrecht losgelöst vom materiellen Recht. Die grundsätzliche Ablehnung der Zulässigkeit der petitorischen Widerklage ist im Übrigen auch konsequenter als ihre Bejahung unter anschließender Versa­ gung ihrer Vollstreckbarkeit im Falle der gleichzeitigen Entscheidungsreife von possessorischer Klage und petitorischer Widerklage.123 Es ist widersprüchlich, der Vorschrift des §  863 BGB keinerlei Einfluss auf die Zulässigkeit der Wider­ klage zuzuschreiben, sie jedoch für das Vollstreckungsverfahren wiederum als maßgeblich zu bemühen.124 Erst recht ist die Zulässigkeit eines petitorischen Wi­ derantrags im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu verneinen.

schen Widerantrags ausgeht, deswegen aber die Anwendung des §  863 BGB insoweit teleolo­ gisch reduzieren will, wie im Hauptsacheverfahren wegen einer petitorischen Widerklage oder wegen eines (inzident geprüften) feststehenden Besitzrechts der possessorische Anspruch gem. §  864 II BGB analog scheitern würde, KG Berlin ZMR 2000, 818 (819); Lehmann-Richter, NJW 2003, 1717 (1718). Begründet wird dies damit, dass das einstweilige Verfügungsverfah­ ren aufgrund seiner dienenden Funktion gegenüber dem Hauptsacheverfahren mit Letzterem im Einklang stehen müsse. Damit orientiert man sich aber an der bedenklichen über den Wort­ laut hinausgehenden extensiven Anwendung des §  864 II BGB, die allein auf prozessökonomi­ schen und nicht auf materiellrechtlichen Gründen basiert und §§  861 ff. BGB widerspricht. 121  Die Zulässigkeit präventiver Erwägungen im Prozess wird insbesondere hinsichtlich Be­ weisverwertungsverboten verstärkt debattiert und mehrheitlich abgelehnt, siehe jüngst BGH DAR 2018, 498 (505 f.). 122  Dazu unter §  1 IV.3. 123  Siehe zur „Vollstreckungslösung“ unter §  5 II.4.b)bb). 124  So auch Füller, Eigenständiges Sachrecht, S.  554, und Sosnitza, Besitz und Besitzschutz, S.  161.

§  7 Erlöschen der Besitzschutzansprüche bei Rechtsmissbrauch des possessorischen Klägers Ist der Besitzer nicht zum Besitz berechtigt oder hat er die Störung zu dulden, dann ist an sich er derjenige, der sich rechtswidrig verhält, indem er die Sache nicht herausgibt oder gegen die Besitzstörung Widerstand leistet. Der Gesetz­ geber hat aber auch den mit der Güterzuordnung nicht übereinstimmenden Be­ sitz durch die §§  858 ff. BGB unter den Schutz des Gesetzes gestellt. Die Besitz­ schutzansprüche können grundsätzlich nicht mit dem Argument des Rechtsmiss­ brauchs unter Hinweis auf die bestehenden obligatorischen und dinglichen Ver­ pflichtungen des Besitzers ausgehebelt werden.1

I. §  242 BGB als Einfallstor für die Grundrechte Der Ausschluss der Arglisteinrede bedeutet aber nicht, dass Besitzschutzansprü­ che überhaupt nicht den Schranken des §  242 BGB unterliegen. Vor allem der Grundrechtskatalog verkörpert entscheidende objektive Werte, die auch auf die Ausgestaltung des Zivilrechts Einfluss nehmen. Dabei sind gerade die General­ klauseln Einfallstore für grundrechtliche Wertungen.2 In besonderen Ausnahme­ situationen können Billigkeitserwägungen nach §  242 BGB also dazu führen, dass der Besitzschutz hinter den eigenmächtig durchgesetzten Ansprüchen zu­ rücksteht.

1  Siehe bereits unter §  4 I. Höchst bedenklich ist insofern das obiter dictum des LG Mag­ deburg v. 23.09.2009 – 9 O 1286/09 –, juris Rn.  21, wonach Rechtsmissbrauch in Betracht komme, wenn ein petitorisches Recht evident vorläge oder zwischen den Parteien unstrittig wäre und es „bloßer Formalismus wäre, gewissermaßen für eine juristische Sekunde wieder Besitz einzuräumen, welcher sogleich wieder herausgegeben werden müsste.“ Gerade dies ist Charakteristikum des Besitzschutzes. 2  G. h. M., siehe nur Sutschet, in: BRHP-BGB, §  242 Rn.  22.

210

§  7 Erlöschen der Besitzschutzansprüche bei Rechtsmissbrauch

II. Voraussetzungen für die Bejahung von Rechtsmissbrauch In Rechtsprechung und Literatur wird angenommen, dass eine Einschränkung von §  863 BGB über §  242 BGB insbesondere dann in Betracht kommen soll, wenn die Erfüllung des possessorischen Besitzschutzanspruchs gänzlich unzu­ mutbar ist oder mit höherwertigen Rechtsgütern kollidiert.3 Eine Bildung von Fallgruppen, insbesondere in den Kategorien der Grundrechte, ist bisher aber unterblieben.

1. Höherwertige Grundrechte außerhalb der Wertung des §  863 BGB Nach Rechtsprechung und Literatur soll ein Wertungskorrektiv nach §  242 BGB jedenfalls dann unbedenklich sein, wenn es sich um Gesichtspunkte handelt, die außerhalb der gesetzlichen Wertung des §  863 BGB bestehen, „also nichts mit den jeweiligen Berechtigungen von Besitzer und Besitzstörer zu tun haben.“4 Dies ist missverständlich formuliert. Im Konflikt zwischen Besitzer und Täter verbotener Eigenmacht geht es, wenn letzterer eine Ausnahme vom Besitzschutz­ anspruch verlangt, immer um eine Berechtigung zur Vornahme der Störung, da sonst die Versagung des Besitzschutzanspruchs von vornherein nicht in Betracht käme. Gemeint sind vielmehr Fälle, in denen die Berechtigung aus einem dem Besitzschutzinteresse klar übergeordneten Grundrecht folgt. Die Grundwertung des possessorischen Besitzschutzes besagt, dass allein die Berechtigung auf­ grund einer Eigentumsposition oder eines privatrechtlichen Anspruchs, welche über Art.  14 I 1 GG geschützt sind,5 grundsätzlich nicht genügt, um den mit der verbotenen Eigenmacht erfolgten Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Besit­ zers sowie die Umgehung des staatlichen Gewaltmonopols zu rechtfertigen. In Ausnahmefällen können aber auf Seiten des Täters verbotener Eigenmacht höher zu gewichtende Grundrechte eine zusätzliche Rolle spielen. Im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung ist dann zu fragen, ob die grundgesetzliche Absi­ cherung des Besitzschutzes ausnahmsweise zurückzutreten hat. Orientiert man sich an der Schrankentrias des Art.  2 I GG, so ist eine Einschränkung des Inter­ esses am Besitzschutz über die verfassungsmäßige Ordnung und aufgrund von Rechten Dritter ohne weiteres möglich.6 Auch der Schutz des grundgesetzlich 3  BGH NJW 1978, 2157 (2158); OLG Brandenburg NJOZ 2004, 573 (577); LArbG Berlin-­ Brandenburg LAGE Art.  9 GG Arbeitskampf Nr.  110; Herrler, in: Palandt, BGB, §  863 Rn.  2; Olzen/Looschelders, in: Staudinger, BGB, §  242 Rn.  912. 4  OLG Saarbrücken MDR 2007, 510 (511); LArbG Berlin-Brandenburg LAGE Art.  9 GG Arbeitskampf Nr.  110; Joost, in: MüKo-BGB, §  863 Rn.  7. 5  BVerfGE 115, 97 (111); Axer, in: BeckOK-GG, Art.  14 Rn.  48. 6  Wie bereits dargestellt ist die verbotene Eigenmacht geeignet, das Persönlichkeitsrecht

II. Voraussetzungen für die Bejahung von Rechtsmissbrauch

211

festgeschriebenen staatlichen Gewaltmonopols, dem der possessorische Besitz­ schutz dient, hat dann zurückzutreten, wenn Grundrechte des Einzelnen aus­ nahmsweise gefährdet sind.7 Demnach muss beispielsweise die Wiederherstellung der ursprünglichen (Mit)Besitzlage unterbleiben, wenn voraussehbare Gewalttätigkeit des Besitzers eine Gefahr für Leib und Leben des Eigenmächtigen befürchten lässt.8 In diesem Fall der Bedrohung von Leib und Leben durch den (ehemaligen) Besitzer gibt Art.  2 II 1 GG die klare Wertung vor, diesen höchsten Schutzgütern den Vorrang vor Besitzinteressen zu gewähren. Dagegen genügt ein beleidigendes, die verbo­ tene Eigenmacht des anderen Mitbesitzers provozierendes vorwerfbares Verhal­ ten eines Mitbesitzers nicht, um ihm Besitzschutzansprüche zu versagen. So mag beispielsweise der Wunsch des Wiedereinzugs des der Lebensgefährtin untreu gewordenen, „vor die Tür gesetzten“ Mitbesitzers zwar von gewisser Ungeniert­ heit zeugen; dies kann den Anspruch aus §  861 BGB aber nicht ausschließen. Dass es der Besitzschutzbeklagten nicht verwehrt werden könne, ein „auch heute noch von der Rechtsordnung missbilligtes Zusammenleben eines verheirateten Mannes mit ihr ohne Einräumung einer Frist zu beenden“, wird heute wohl kein Gericht mehr so sehen.9 §  242 BGB ist insofern auch immer als Spiegel kultu­ reller Werteverschiebungen zu sehen.10

des Besitzers im Sinne des Art.  2 I GG i. V. m. Art.  1 I GG zu tangieren, da der Wille des Besit­ zers zur freien Verfügung über die Sache in seiner Herrschaftssphäre negiert wird, dazu unter §  3 II.3. und §  3 III.6.a). Der Eingriff ist freilich marginal, sodass die Anforderungen an eine Rechtfertigung niedrig sind. Siehe zu den sonst verstärkten Rechtfertigungsanforderungen beim Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht Murswiek/Rixen, in: Sachs, GG, Art.  2 Rn.  103. 7  Das staatliche Gewaltmonopol existiert nämlich nicht als Selbstzweck, sondern dient gerade dem Schutz der Grundrechte des Einzelnen, dazu bereits unter §  3 III.6.b). 8  BGH NJW 1978, 2157 (2158); LG Mainz WuM 1992, 440 (440 f.); Gutzeit, in: Staudin­ ger, BGB, §  863 Rn.  4; Joost, in: MüKo-BGB, §  863 Rn.  7. 9  Anders noch AG Bruchsal NJW 1984, 1674 (1675). 10  Nach LArbG Berlin-Brandenburg LAGE Art.  9 GG Arbeitskampf Nr.  110, ist zudem einem Arbeitgeber der Anspruch aus §  862 I 2 BGB auf Unterlassung einer Besitzstörung an einem Betriebsparkplatz nach §  242 BGB zu versagen, wenn eine Gewerkschaft dort im Rah­ men von Art.  9 III GG die Arbeitnehmer zum Arbeitskampf auffordern will. In diesem Fall hatte der sich auf den possessorischen Besitzschutz berufende Anspruchsteller sogar ein Recht zum Besitz, welches in der konkreten Abwägung dennoch nicht so hoch zu gewichten war wie die Koalitionsfreiheit der Gewerkschaft. Nach der Revisionsentscheidung BAG NJW 2019, 1097 (1098 f.) handelt es sich bei einer nach richterrechtlichen Grundsätzen erlaubten Arbeits­ kampfmaßnahme dagegen um eine gesetzliche Gestattung i. S. v. §  858 I BGB, sodass es auf eine Korrektur des §  863 BGB durch §  242 BGB gar nicht ankommt.

212

§  7 Erlöschen der Besitzschutzansprüche bei Rechtsmissbrauch

2. Das Eigentumsgrundrecht innerhalb der Wertung des §  863 BGB Im Hinblick auf das Eigentum oder privatrechtliche Ansprüche erscheint es da­ gegen zweifelhaft, ob aus verfassungsrechtlichen Gründen eine Ergebniskorrektur über §  242 BGB erfolgen kann. Schließlich belegt gerade das Regelungsregime der §§  858 ff. BGB, dass das öffentliche Interesse am Erhalt des staatlichen Gewaltmo­ nopols – welches letztlich dem Grundrechtsschutz des einzelnen Bürgers dient – überwiegt. Eine unzumutbare wirtschaftliche Härte nahm allerdings das OLG Stuttgart im bereits angeführten Fall einer Unternehmerin an, die unter Ausnutzung des nicht zuletzt durch ihren Leistungsverzug verursachten Zeitdrucks ihre Zu­ stimmung zur Übernahme von Baumaterial gem. §  8 III Nr.  3 VOB/B von der Be­ zahlung einer völlig überhöhten Vergütung abhängig machte.11 Auch das OLG Brandenburg versagte einen Besitzschutzanspruch im Wege von §  242 BGB in ei­ nem Fall, in dem der Besitzschutzkläger von der Besitzschutzbeklagten Wiederein­ räumung des Besitzes an einem Grundstück verlangte, nachdem ein zugunsten der Besitzschutzbeklagten ergangener Räumungstitel zulasten des Besitzschutzklägers vollstreckt worden war, obwohl der Titel ausschließlich einen Dritten als Räu­ mungsschuldner auswies. Nachweislich war aber zuvor die Besitzübertragung vom Räumungsschuldner auf den Besitzschutzkläger deswegen erfolgt, um in kollusivem Zusammenwirken die Zwangsvollstreckung zu vereiteln.12 Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass es Fälle geben kann, in denen, sobald dem nichtberechtigten Besitzer im Rahmen des possessorischen Besitzschutzes auch nur für eine kurze Zeit der Besitz an der Sache zugewiesen oder ihm die Beseitigung des störenden Zustands erlaubt würde, für den Berechtigten die Ge­ fahr eines irreparablen Schadens entstünde. Ein endgültiger Rechtsverlust als Sanktion für den Verstoß gegen das Gewaltverbot (zugunsten eines dies bezwe­ ckenden Besitzers) ist angesichts der Eigentumsgarantie in Art.  14 I 1 GG unver­ hältnismäßig. Zu einer entsprechenden Entscheidung des BVerfG ist es in Deutschland aus guten Gründen aber noch nicht gekommen.13 11  Ausführlich unter §  5 II.5.d)cc)(2)(b). Zustimmend Engbers, NZBau 2012, 164 (165). Einen Rechtsmissbrauch in dem Fall ablehnend: Gutzeit, in: Staudinger, BGB, §  863 Rn.  4. 12  OLG Brandenburg NJOZ 2004, 573 (577 f.). 13  Vor einem anderen verfassungsrechtlichen Hintergrund hat interessanterweise Italiens Ver­ fassungsgerichtshof mit Blick auf die quasi identische Regelung des §  863 BGB im italienischen Recht entschieden, dass diese durch die bis dahin nicht bekannte Ausnahme einzuschränken sei, dass dem im Besitzschutzprozess beklagten Störer das Vorbringen petitorischer Gegenrechte er­ laubt bleiben müsse, falls er infolge der Sachherausgabe an den Kläger nicht wiedergutzumachen­ den Schaden erleiden würde. Gestützt wurde dies auf Art.  3 und 24 der italienischen Verfassung, welche die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz und das Recht zur Verteidigung in jedem Ge­ richtsverfahren vorsehen, Corte Costituzionale, Entscheidung Nr.  25 v. 03.02.1992; ausführlich dazu Wacke, in: FS Jayme, S.  1605 ff. Zum italienischen Recht siehe unter §  8 II.1.b)aa).

II. Voraussetzungen für die Bejahung von Rechtsmissbrauch

213

a) §  229 BGB zur vorgeschalteten Vermeidung einer Rechtsvereitelung Das BGB hat ohnehin schon vorgesorgt, um unbillige Härten zu vermeiden: Droht die Zerstörung der Sache oder ein sonstiger Rechtsverlust, kann im Wege der Selbsthilfe gem. §  229 BGB vorgegangen werden, wenn staatlicher Rechts­ schutz nicht oder nicht rechtzeitig zu erlangen ist. In diesen Fällen liegt keine verbotene Eigenmacht gem. §  858 I BGB vor, sodass Besitzschutzansprüche gar nicht zur Entstehung gelangen. b) Nachträgliche Gefahr einer Rechtsvereitelung oder unbilligen Härte Waren die Voraussetzungen des Selbsthilferechts im Zeitpunkt des Eingriffs aber noch nicht gegeben und zeichnet sich erst später die Gefahr einer Rechtsvereite­ lung ab, kann dieser Gefahr mit rechtlichen Mitteln begegnet werden. aa) Objektive Kriterien für unbillige Härte Vor dem Hintergrund des Art.  14 I 1 GG ist im Rahmen von §  242 BGB aner­ kannt, dass ein Anspruch ausnahmsweise versagt werden kann, wenn überwie­ gend schutzwürdige Interessen der Gegenpartei, insbesondere gravierende wirt­ schaftliche Interessen, entgegenstehen.14 Dieser Gedanke kann auch auf §§  861 f. BGB angewendet werden. Auch hier ist im Rahmen einer Verhältnismäßigkeits­ prüfung zu untersuchen, ob die Schutzbedürftigkeit des petitorischen Rechts aus besonderen Gründen überwiegt und das Interesse am Besitzschutz ausnahms­ weise zurücksteht. Zu beachten ist aber, dass nicht jede übermäßige wirtschaftli­ che Benachteiligung der Gegenseite eine Rechtsausübung unzulässig macht.15 Der Gläubiger muss nicht schon deshalb von der Durchsetzung von Rechten absehen, weil die Rechtsausübung den Gegner hart treffen würde. Es müssen Umstände hinzutreten, welche die Rechtsausübung im Einzelfall als eine grob unbillige, mit der Gerechtigkeit nicht zu vereinbarende Benachteiligung des Schuldners erscheinen lassen, das heißt ein schlechthin unzumutbares Ergebnis zu befürchten ist.16 Dies ist nicht schon dann der Fall, wenn die Gefahr besteht, dass der nicht berechtigte Besitzer einer beweglichen Sache diese nach Wieder­ erlangung an einen Dritten veräußert und dieser gutgläubig Eigentum erwirbt.17 Ein gutgläubiger Wegerwerb ist ein allgemeines Risiko, das der Eigentümer ein­ geht, wenn er den Besitz an Sachen freiwillig überträgt. Bei unfreiwilligem Ab­ 14 

Mansel, in: Jauernig, BGB, §  242 Rn.  41; Schubert, in: MüKo-BGB, §  242 Rn.  511, 519. Schubert, in: MüKo-BGB, §  242 Rn.  511. 16  BGH NJW 1977, 1234 (1235); Mansel, in: Jauernig, BGB, §  242 Rn.  41. 17  Anders das italienische Verfassungsgericht in seinem obiter dictum zum italienischen Recht, Corte Costituzionale, Entscheidung Nr.  25 v. 03.02.1992. 15 

214

§  7 Erlöschen der Besitzschutzansprüche bei Rechtsmissbrauch

handenkommen besteht ohnehin der Schutz über §  935 BGB.18 Wer gewerblich vermietet oder verleast, kann sich gegen latente Verlustgefahren zudem versi­ chern.19 Auch auf besonders hohe Beseitigungskosten einer Störung, z. B. die Abrisskosten eines Bauwerks, kann zumindest pauschal nicht abgestellt werden. Die Präventionswirkung des Besitzschutzes würde allzu sehr unterminiert, wenn sich der Berechtigte auf die Regelung des §  242 BGB verlassen könnte und schmerzhafte Folgen nicht zu befürchten hätte. Käme der Ausspruch der Beseiti­ gungspflicht dagegen einer Existenzvernichtung des petitorisch Berechtigten gleich, wäre eine Schwelle erreicht, bei der das Eigentumsgrundrecht des petito­ risch Berechtigten nach einer Korrektur gem. §  242 BGB verlangen würde. bb) Subjektive Kriterien für unbillige Härte Die Anforderungen an eine objektive wirtschaftliche Härte zur Anwendung von §  242 BGB sinken dann, wenn dem Besitzer in subjektiver Hinsicht der Vorwurf zu machen ist, dass er seine Ansprüche aus §§  861 f. BGB böswillig missbraucht, um die endgültige Rechtsdurchsetzung des Täters der verbotenen Eigenmacht zu vereiteln. Ein solches Verhalten verbietet auch das Schikaneverbot gem. §  226 BGB, welches streng genommen einen Unterfall von §  242 BGB darstellt.20 Ein Beispiel für die Bejahung einer allein auf Schadenszufügung gerichteten Gel­ tendmachung des Besitzschutzanspruchs ist der vom OLG Brandenburg behan­ delte Fall, in dem der Besitz zum Zweck der Vereitelung der Räumungsvollstre­ ckung verschoben worden war.21 Ein Anzeichen für eine böswillige Absicht kann ebenfalls – wie im VOB/B-Fall des OLG Stuttgart22 – sein, dass ein dingliches oder obligatorisches Recht zum Besitz des Eigenmächtigen vom Besitzschutz­ kläger gar nicht bestritten, sondern ein rein ruinöses Vorgehen auf der schuld­ rechtlichen Ebene betrieben wird, welches durch die Geltendmachung der Be­ sitzschutzansprüche verstärkt werden soll. Wie so oft verbietet sich bei der Vornahme von Wertungskorrektiven jede schematische Betrachtungsweise – der jeweilige Einzelfall ist zu würdigen. 18  Die Herausgabe aufgrund des späteren Besitzschutzanspruchs beziehungsweise durch dessen Zwangsvollstreckung stellt freilich kein Abhandenkommen i. S. d. §  935 BGB mehr dar. Ist dem Eigentümer die Sache aber vor der verbotenen Eigenmacht abhandengekommen, wäre zu eruieren, ob §  935 BGB nicht auch noch nach Rückgabe der Sache an den nichtberechtigten Besitzer im Rahmen des Besitzschutzverfahrens fortwirken würde. Hierfür dürfte aber im Re­ gelfall wegen §  229 BGB kein Bedürfnis bestehen. 19  So auch Wacke, in: FS Jayme, S.  1605 (1620). 20  Mansel, in: Jauernig, BGB, §  242 Rn.  37; Schubert, in: MüKo-BGB, §  242 Rn.  48; Sutschet, in: BRHP-BGB, §  242 Rn.  36. 21  OLG Brandenburg NJOZ 2004, 573 (577 f.). 22  OLG Stuttgart NJW 2012, 625–630 und MDR 2012, 212–213. Hier verlangte die den Be­ sitzschutz beanspruchende Unternehmerin stark überhöhte Ablösepreise nach §  8 III Nr.  3 VOB/B.

II. Voraussetzungen für die Bejahung von Rechtsmissbrauch

215

c) Ergebniskorrektur über das Zwangsvollstreckungsrecht? Da §  863 BGB die Operation mit petitorischen Einwendungen grundsätzlich aus­ schließt, schlägt Müller vor, die Wiederherstellung des status quo ante bei dro­ hendem Rechtsverlust unter analoger Anwendung der §§  707, 719 ZPO zu ver­ meiden und (auf Antrag) die Vollstreckung des possessorischen Titels zu versa­ gen.23 Die Interessenlage in den gesetzlich geregelten Fällen sei mit der Gefahr der Rechtsvereitelung vergleichbar. In beiden Fällen gehe es darum, auf die Voll­ streckung eines Urteils zu verzichten, wenn sie einen irreparablen Schaden ver­ ursachen würde und die konkrete Möglichkeit bestehe, dass eine dem Vollstre­ ckungsergebnis widersprechende Entscheidung ergehen könne, sei es, weil – wie in den in §§  707, 719 ZPO geregelten Fällen – ein Rechtsmittel eingelegt worden sei oder das Verfahren nach Erlass eines Vorbehaltsurteils fortgesetzt werde, oder wenn – wie im hier relevanten Fall – nach Erlass des possessorischen Urteils in einem petitorischen Verfahren über die materielle Rechtslage im Verhältnis zwi­ schen dem Besitzer und dem Täter verbotener Eigenmacht entschieden werde. Der Rechtsgedanke an sich ist nicht neu. Einen ähnlichen Schutz bewirken auf Antrag auch §  712 ZPO oder kraft Gesetzes §  717 I ZPO,24 die für Entscheidun­ gen im einstweiligen Rechtsschutz freilich nur doppelt analog herangezogen werden könnten. Müller ist der Ansicht, durch die Verlagerung des Wertungskor­ rektivs auf die vollstreckungsrechtliche Ebene werde das Grundkonzept des pos­ sessorischen Schutzes, das heißt der Einwendungsausschluss, besser berücksich­ tigt als über den materiellrechtlichen §  242 BGB.25 Jedoch passt die Struktur der von Müller herangezogenen Verfahrensvorschriften nicht besser auf die Rechts­ missbrauchsfälle, sodass ihre Lösung behelfsmäßig wirkt: Von der Frage der ge­ richtlichen Zuständigkeit einmal abgesehen, wäre es die petitorische Klage, die das Äquivalent zum eingelegten Rechtsbehelf im Sinne der §§  707, 719 ZPO darstellen würde. Die possessorische Entscheidung würde damit an sich nicht mehr angegriffen, wäre jedoch trotzdem dauerhaft in ihrer Vollstreckbarkeit aus­ gesetzt, was dem nur vorläufigen Charakter der §§  707, 719 ZPO i. V. m. §  775 Nr.  2 ZPO widerspräche. Die Entscheidung über den Einstellungsantrag stünde zudem wiederum im freien, pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts.26 Bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen von Schuldner und Gläubiger wäre abermals die Wertung des §  863 BGB zu berücksichtigen. Das allgemeine Prob­ 23 

Müller, Besitzschutz, S.  257. Eine analoge Anwendung nicht nur in Missbrauchsfällen vertritt Hess, in: Wieczorek/ Schütze, ZPO, §  717 Rn.  8. 25  Müller, Besitzschutz, S.  257 f. 26  OLG Köln NJW-RR 1987, 189 (189); Götz, in: MüKo-ZPO, §  707 Rn.  11; Kindl, in: Saenger-ZPO, §  707 Rn.  5. 24 

216

§  7 Erlöschen der Besitzschutzansprüche bei Rechtsmissbrauch

lem würde also nicht gelöst, sondern nur in das Vollstreckungsrecht verlagert. Insofern spricht nichts dagegen, auch Fälle der Rechtsvereitelung bereits im Er­ kenntnisverfahren über §  242 BGB zu handhaben.

III. Fazit Das deutsche Recht bietet an sich einen lückenlosen Schutz vor der Gefahr der Rechtsvereitelung. Entweder rechtfertigt §  229 BGB bereits das eigenmächtige Vorgehen, weil staatliche Hilfe nicht rechtzeitig zu erreichen ist oder der einst­ weilige Rechtsschutz bietet die Möglichkeit einer zügigen, sachgerechten Rege­ lung. Wer diese Möglichkeiten nicht ausschöpft, wird insofern über §§  861 ff. BGB gerechtfertigterweise sanktioniert. In begrenzten Ausnahmefällen kommt dennoch eine Korrektur über §  242 BGB in Betracht. Dafür genügt allerdings nicht schon der bloße Rechtsbruch seitens des Besitzers; auch der Rechtsgedan­ ke des dolo-agit findet wegen §  863 BGB keine Berücksichtigung. Vielmehr muss ein darüber hinausgehendes missbräuchliches Verhalten hinzutreten. Ein solches ist einerseits zu bejahen, wenn der Besitzschutzanspruch dazu genutzt wird, höherwertige Rechtsgüter wie Leib und Leben des Täters verbotener Ei­ genmacht zu gefährden. Andererseits kann auch die ausschließliche böse Ab­ sicht, den Täter verbotener Eigenmacht wirtschaftlich zu schädigen, einen Aus­ schlussgrund darstellen. Generell ist aber Vorsicht geboten: Es besteht die Ge­ fahr der Aufweichung des §  863 BGB.

§  8 Possessorischer Besitzschutz de lege ferenda I. Annäherung an eine lex ferenda Ein Vorschlag de lege ferenda mutet in einem Rechtsbereich wie dem possesso­ rischen Besitzschutz, der seit Bestehen des BGB unverändert geblieben ist, eher ungewöhnlich an. Der Ruf nach dem Gesetzgeber sollte erst dann erfolgen, wenn die praktische Rechtsanwendung erheblichen Problemen unterliegt, insbeson­ dere wenn sie zu einer uneinheitlichen Rechtsprechung oder widersprüchlichen Ergebnissen führt oder sich die tatsächlichen Verhältnisse und Wertanschauun­ gen derart geändert haben, dass die bestehenden Regelungen nicht mehr als pas­ send empfunden werden.

1. Anknüpfungspunkte für Verbesserungen Somit ist darauf zurückzukommen, welche der in dieser Arbeit untersuchten zi­ vilrechtlichen Regelungen als problematisch anzusehen sind. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit dem Spannungsfeld der Ansprü­ che des Besitzers auf der einen und des petitorisch berechtigten Täters verbote­ ner Eigenmacht auf der anderen Seite. Dieses Verhältnis regeln §§  863, 864 II BGB. Als Ausnahme zum auf Sanktion der verbotenen Eigenmacht gerichteten §  863 BGB „belohnt“ §  864 II BGB insofern denjenigen, der Selbstjustiz walten lässt, als die Umgehung des staatlichen Gewaltmonopols nach rechtskräftiger Bestätigung des petitorischen Rechts folgenlos und der damit verbundene wirt­ schaftliche Vorteil für den Täter erhalten bleibt.1 Rechtspolitisch ist fraglich, ob eine derartige Ausnahme zugunsten der Prozessökonomie sinnvoll ist, zumal die Anwendung des §  864 II BGB im äußersten Fall sogar zu Friktionen mit dem grundrechtsrelevanten Vollstreckungsschutz führen kann.2 In der Praxis werden §§  863, 864 II BGB von der herrschenden Meinung al­ lerdings zunehmend großzügiger und immer weiter vom Wortlaut entfernt ausge­

1  2 

Dazu bereits unter §  5 I.2.b). Siehe unter §  5 II.2.

218

§  8 Possessorischer Besitzschutz de lege ferenda

legt.3 Insofern kann die Frage aufgeworfen werden, ob das Bedürfnis nach ei­ ner Neuregelung insbesondere vor dem Hintergrund der Prozessökonomie ent­ standen ist und das Konzept des historischen Gesetzgebers von 1900 tatsächlich nicht (mehr) praxisgerecht ist. Soll dementsprechend das verfahrensintensive Hin und Her der possessorischen und petitorischen Anspruchsdurchsetzung und die dogmatische „Verzahnung“ des possessorischen Herausgabe-, Beiseitigungs- und Unterlassungsanspruchs mit dem petitorischen Anspruch verhindert werden, so erfordert dies die Normierung des Vorrangs des petitorischen Rechts. Aus den bestehenden Normen sowie der Gesetzgebungsgeschichte kann abge­ leitet werden, dass der historische Gesetzgeber den possessorischen Besitzschutz schuf, um den Rechtsfrieden und den dahinter anzusiedelnden Individualrechts­ schutz im Sinne des Persönlichkeitsrechtsschutzes zu gewährleisten. Unter die­ ser Voraussetzung können schließlich die Ausschlussgründe nach §§  861 II, 862 II BGB nicht überzeugen, da sie eine Lücke im auf Prävention gerichteten Schutzsystem lassen, indem sie die Entstehung einer Gewaltspirale begünsti­ gen.4 §§  861 II, 862 II BGB liegen zwar nicht im unmittelbaren Spannungsfeld petitorischer Einwendungen, da sie lediglich auf eine frühere verbotene Eigen­ macht abstellen, aber sie lassen sich nicht mit einem starken possessorischen Schutzsystem vereinbaren und wären – sofern man (weiterhin) dieses Schutz­ system befürwortet – als Komplement abzuschaffen. All diese Überlegungen basieren auf der Prämisse, dass der Gesetzgeber durch das BGB zum Ausdruck bringt, dass ein zivilrechtlicher possessorischer Besitz­ schutz in Form von Ansprüchen und Einwendungen grundsätzlich gewollt ist. Eine Veränderung von Normen auf der Ebene des BGB kann insofern als „kleine Lösung“ de lege ferenda bezeichnet werden. Im Spektrum von Ideen hinsichtlich einer lex ferenda erscheint aber auch ein „Radikalschlag“ möglich – in Form einer „großen Lösung“. Das von Teilen der Zivilrechtswissenschaft als prozessunökonomisch empfundene Hin und Her beim Aufeinandertreffen des possessorischen Anspruchs auf den petitorischen Anspruch mit den daraus resultierenden dogmatischen Problemen wäre jeden­ falls durch die Abschaffung der possessorischen Ansprüche mit einem Schlag eliminiert. Will man sich von den possessorischen Ansprüchen nicht gänzlich verabschieden, so könnten über eine Modifizierung des BGB hinausgehende zu­ sätzliche Veränderungen in anderen Gesetzen angezeigt sein: Aspekte von Rechtsfriedens- und Grundrechtsschutz gehören ohnehin dem öffentlichen Recht an, dessen ureigene Aufgabe es ist, Verstöße gegen verbindliche Verhaltensstan­ dards zu sanktionieren. Angelehnt an das öffentliche Verwaltungsrecht wäre es 3  4 

Siehe die Darstellung unter §  5 II.3., 4., 5., 6. Siehe unter §  3 III.6.d)ff)(2).

I. Annäherung an eine lex ferenda

219

denkbar, das materiellrechtliche Einwendungsregime der §§  863, 864 II, 861 II, 862 II BGB zugunsten einer richterlichen Ermessensentscheidung in der ZPO abzuschaffen. Legt man das Augenmerk ganz und gar auf den hier herausgear­ beiteten Präventionszweck des Besitzschutzes, erscheint auch eine Verhaltens­ steuerung über das Strafrecht möglich. Eine Inspirationsquelle für einen anders ausgestalteten possessorischen Be­ sitzschutz oder für eine neue Form von zivilrechtlicher „Kollisionsregel“ bezüg­ lich des Verhältnisses von possessorischem und petitorischem Anspruch können insbesondere andere europäische Rechtsordnungen bieten. Im Übrigen wurde schon auf EU-Ebene im Zuge der beginnenden Harmonisierung des Zivilrechts im sog. Draft Common Frame of Reference (DCFR) ein Instrument zum posses­ sorischen Besitzschutz geschaffen. Eine Orientierung hieran könnte angezeigt sein, um das deutsche Recht „harmonisierungsfreundlich“ zu gestalten.

2. Selbsthilfe als aktuelles und künftiges gesellschaftliches Problem? Eine lex ferenda das Verhältnis von possessorischem und petitorischem An­ spruch betreffend muss aktuellen und insbesondere auch künftigen Herausfor­ derungen standhalten. Somit ist noch einmal auf die Aktualität von Selbsthilfe zurückzukommen. Rechtsordnungen, die annehmen, ohne ein fundamentales Verbot der Selbsthilfe auszukommen, verlassen sich auf die Existenz von „Ideal-­ Menschen“, was der Realität keineswegs entspricht. Eine utopische Gesellschaft, bestehend aus vorbildlichen Bürgern, bedürfte gewiss keines solchen Verbots – allerdings bräuchte man für sie überhaupt kein gesetzliches Regelwerk.5 Die re­ gelmäßig zu §§  861, 862 BGB i. V. m. §  863 BGB ergehenden Gerichtsentschei­ dungen belegen, dass trotz des relativ strengen Sanktionsmechanismus Men­ schen dazu neigen, zu Selbsthilfe zu greifen.6 Als erhebliches gesellschaftliches Problem ist das Phänomen aber nicht anzusehen, sodass ein „gelockerter“ Be­ sitzschutz in Zukunft gerechtfertigt sein könnte. Wird ein Abschreckungsmecha­ nismus abgemildert, entstehen freilich Bedenken, ob damit ein „Dammbruch“ verbunden sein könnte, sich Fälle von Selbsthilfe damit künftig mehren könnten. Mit Blick auf die zunehmend digitalisierte Gesellschaft, in der durch die techni­ sche Vernetzung von Alltagsgegenständen Eingriffe grenzüberschreitend und ohne physischen Kontakt möglich sind, ist es zudem vorstellbar, dass sich immer mehr technische Möglichkeiten zur Begehung von Selbsthilfe bieten. Es scheint nicht ausgeschlossen, dass das „Faustrecht“ des Größeren und Stärkeren von ei­

5  6 

So auch Wacke, in: FS Jayme, S.  1605 (1615). Siehe bereits unter §  1 II.

220

§  8 Possessorischer Besitzschutz de lege ferenda

ner „technisierten Selbsthilfe“ des technisch Überlegenen flankiert wird.7 Als Beispiel soll folgender (fiktiver) Fall dienen: B least von A einen Pkw. Als B die vertraglich vereinbarten Ratenzahlungen an A einstellt, tritt dieser vom Vertrag zurück. Da ihm eine gerichtliche Herausgabe­ klage gegen B zu mühsam ist, aktiviert er über den Dienstcomputer den Selbstfahrmechanismus des Pkw. Letzerer verriegelt sich anschließend mechanisch und fährt autonom zur Firmenzentrale des A, wo er sich (ebenfalls autonom) in der Tiefgarage parkt. Nach bestehendem Recht kann der Leasinggeber den Leasingnehmer nur durch Klage und anschließende Vollstreckung zur Rückgabe des Pkw bewegen, §  546 I BGB (analog). Solange feststeht, dass dem Besitzer die ursprünglich geschützte Position „Pkw“ bis zur rechtlich verbindlichen petitorischen Neuzuweisung ein­ geräumt werden soll, ist der Besitzschutz die einzige Möglichkeit, um den Leasing­ geber vom allzu bequemen Weg der technischen Eigenvollstreckung abzuschre­ cken.8 Dass Fälle von Selbsthilfe nicht zwangsläufig als gesellschaftliches Randphä­ nomen existieren, sondern in Zukunft sogar in tatsächlicher Hinsicht erleichtert zu begehen sein könnten, spricht dafür, die Präventionswirkung bei der Neukon­ zeptionierung des Besitzschutzes mitzuberücksichtigen.

II. Europäischer Rechtsvergleich Der Vorbeugung von Selbsthilfe widmet sich nicht nur die deutsche Rechtsord­ nung. Im Folgenden sollen die dem deutschen Recht durchaus ähnlichen deutsch­ sprachigen Besitzschutzbestimmungen des Schweizer und des österreichischen 7 

So ist z. B. ein „Kill Switch“ für viele Produkte bereits heute Realität. Dabei wird die zu­ nächst vorhandene Funktionalität einer Sache gegenüber dem beim Besitzerwerb vorhandenen Zustand verändert. Da dies auf einem körperlichen Gegenstand (Gerät oder Festplatte) des Nutzers geschieht, ist auch dessen Rechtskreis berührt, was als Störung oder sogar Entziehung im Sinne des §  858 I BGB gelten könnte, siehe Beursken, Privatrechtliche Selbsthilfe, S.  349. Demgegenüber sieht die heute h. M. ein ähnlich gelagertes Problem, nämlich das „Ausfrieren“ des Wohnungsmieters durch Abstellen von Heizung, Elektrizität und Wasser durch den Vermie­ ter, nicht als verbotene Eigenmacht an, siehe BGHZ 180, 300 (306 ff.); Scholz, NZM 2008, 387 (389). Die Nutzbarkeit der Sache sei von der Sachherrschaft streng zu unterscheiden. Siehe auch Regenfus, JZ 2018, 79 (82 ff.). 8  Dies gilt jedenfalls so lange, wie der Gesetzgeber nicht vor den neuartigen technischen Möglichkeiten „kapituliert“ und die Rechtslage durch die Zulassung von privater, digitaler Zwangsvollstreckung umkehrt. Warnend auch Paulus/Matzke, CR 2017, 769 (778), die vor­ schlagen, §§  858 ff. BGB für das Immaterialgüterrecht nutzbar zu machen.

II. Europäischer Rechtsvergleich

221

Rechts untersucht werden. Sodann soll ein Blick auf die ebenfalls im römischen Sachenrecht wurzelnden Regelungen des italienischen, französischen und spani­ schen Rechts geworfen werden. Schließlich ist der auf EU-Ebene existierende Vorschlag zur Ausgestaltung eines europarechtlichen Besitzschutzes im DCFR auf das Verhältnis zwischen possessorium und petitorium hin zu analysieren. Die Natur des DCFR als rein akademisches oder vielmehr rechtspolitisches Papier ist zwar umstritten;9 im Ergebnis bezweckt er aber wohl eine sinnvolle Harmonisie­ rung der einzelstaatlichen Regelungen.10 Auf Aspekte aus dem englischen common law soll hier nicht näher eingegan­ gen werden. Das englische Recht verfügt über kein systematisches Sachen­ recht.11 Der Besitzschutz ist äußerst fragmentarisch ausgestaltet und über ver­ schiedenste Rechtsgebiete verteilt.12 Possessorische Klagen, mit der eigenmäch­ tige Verschiebungen der Besitzlage unabhängig von der petitorischen Rechtslage rückgängig gemacht werden können, existieren nicht.13 Legt man ein struktu­ riertes Sachenrecht im Sinne des kontinentalen civil law als Desiderat zugrunde, so ist aus dem common law kein Erkenntnisgewinn zu erwarten, der sich einiger­ maßen reibungslos auf das deutsche Rechtssystem übertragen ließe.

9 

Die Europäische Kommission spricht von einem „Werkzeugkasten“ für künftige Gesetz­ gebungsakte im Rahmen des Vertragsrechts, der Koordinator von einem Ausgangs- und Be­ zugspunkt für eine europäische Diskussion, andere dagegen von einem „European civil code in all but name“, siehe die Nachweise bei Jansen/Zimmermann, NJW 2009, 3401 ff. 10  In dem Sinne auch H. Honsell, in: Staudinger-Eckpfeiler, Einleitung, Rn.  48, sowie Jansen/­Zimmermann, NJW 2009, 3401 (3406). 11  Vor dem Hintergrund des geplanten Austritts Großbritanniens aus der EU („Brexit“) wird das common law zudem auf gesamteuropäischer Ebene voraussichtlich an Gewicht verlieren. Der Austrittsprozess des Vereinigten Königreichs wurde gem. Art.  50 EUV am 29.03.2017 durch schriftliche Mitteilung an den Europäischen Rat rechtlich wirksam in die Wege geleitet. Nach derzeiten Angaben der britischen Regierung soll der Austritt am 31.01.2020 rechtskräftig werden. 12  Ausführlich zum englischen Recht Müller, Besitzschutz, S.  164 ff. 13  Selbsthilfe scheint hier in einem sehr großzügigen Rahmen sanktionslos zu bleiben. Das geht so weit, dass z. B. der Eigentümer einer Sache diese eigenmächtig bei einem gutgläubigen Erwerber wegnehmen dürfen soll, der sie von einem Nichtberechtigten erworben hat, siehe ausführlich Müller, Besitzschutz, S.  198 f. Bei der Entziehung beweglicher Sachen kennt das englische Recht zudem nur eine Klage auf Schadensersatz in Geld. Das dingliche Recht des Besitzers „überlebt“ den Verlust der tatsächlichen Sachherrschaft nicht, siehe Clerk & Lindsell, On Torts, Rn.  17–93 ff.

222

§  8 Possessorischer Besitzschutz de lege ferenda

1. Possessorischer Besitzschutz in den kontinental-europäischen Rechtsordnungen Das Rechtsinstitut des Besitzes existiert in allen europäischen Rechtsordnun­ gen.14 Der Besitz unterscheidet sich vom Eigentum dadurch, dass er an ein Fak­ tum anknüpft – sich also über tatsächliche Sachherrschaft definiert. Die Anforde­ rungen an die tatsächliche Sachherrschaft hinsichtlich räumlicher Nähe und In­ tensität der konkreten Sachbeziehungen sowie an ein subjektives Element wie einen Eigenbesitzwillen variieren dabei in den einzelnen Rechtsordnungen. Der Besitz erfüllt im einzelstaatlichen Zivilrecht unterschiedliche Funktionen.15 Er hat eine Publizitätsfunktion, indem er das Bestehen abstrakter Rechtsverhältnis­ se nach außen hin sichtbar macht. Dies äußert sich unter anderem in verschiede­ nen Rechtsvermutungen, die vom Besitz auf ein Recht zum Besitz schließen lassen.16 Der Besitz an beweglichen Sachen ist zudem Anknüpfungspunkt für den Eigentumserwerb.17 Der Besitz wird schließlich als erhaltenswert erachtet, was sich durch diverse Schutzmechanismen ausdrückt: Notwehr, Selbsthilfe und Besitzschutzansprüche beziehungsweise besondere Rechtsbehelfe zum Erhalt und zur Wiedererlangung des Besitzes sind in allen hier untersuchten zivilen Rechtsordnungen vorgesehen.18 Allerdings genießt nicht jede Form von tatsächlicher Sachherrschaft in den verschiedenen Rechtsordnungen einen possessorischen Schutz. Kleinster ge­ meinsamer Nenner aller untersuchten Regelungen ist, dass derjenige, der die tat­ sächliche Herrschaft über eine Sache mit Willen zum Eigenbesitz ausübt, abso­ luten Schutz gegenüber Eingriffen von jedermann genießt. Beruht die tatsäch­ liche Sachherrschaft dagegen auf einem abgeleiteten Recht dinglicher oder schuldrechtlicher Natur, so unterscheiden sich die verschiedenen Rechtsordnun­ 14  Ausführlich v. Bar/Clive, DCFR V, S.  4294 ff., mit der Darstellung aller wesentlichen Regelungen der EU-Mitgliedstaaten sowie der Schweiz. 15  Ausführlich zu den Funktionen in den einzelstaatlichen Rechtsordnungen v. Bar/Clive, DCFR V, S.  4318 ff. 16  Deutschland: §  1006 BGB; Schweiz: Art.  930 ZGB; Österreich: §  323 ABGB; Italien: Art.  1141 C.c.; Frankreich: Art.  2276 C.c.; Spanien: Art.  448 C.C. 17  Für den rechtsgeschäftlichen Eigentumserwerb vgl. in Deutschland §  929 BGB, in der Schweiz Art.  714 ZGB und in Österreich §  425 f. ABGB; anders dagegen in Italien und Frank­ reich. Zur Bedeutung des Besitzes für Formen des gesetzlichen Eigentumserwerbs siehe die Übersicht bei v. Bar/Clive, DCFR V, S.  5318 ff. 18  Die Besitzschutzansprüche des deutschen BGB können über das „normale“ Verfahren der ZPO durchgesetzt werden. Gegenteiliges gilt in Spanien, wo das materielle Recht keine Ansprüche, das Prozessrecht aber spezielle possessorische Rechtsbehelfe vorsieht, Art.  446 C.C. i. V. m. Art.  250 Nr.  1 Zif. 4 Ley de Enjuiciamiento Civil (LEC). Das österreichische ABGB regelt den Besitzschutz sowohl materiell als auch über ein eigenständiges, beschleunig­ tes Verfahren über Besitzstreitigkeiten in §§  454 ff. öZPO.

II. Europäischer Rechtsvergleich

223

gen zum einen im Hinblick auf die Frage, ob diese Formen der tatsächlichen Sachherrschaft überhaupt in den possessorischen Schutzbereich einbezogen wer­ den, und zum anderen bezüglich der Frage, ob danach differenziert werden muss, wer den Eingriff in den Besitz unternimmt. In jedem Fall kann in allen Rechts­ ordnungen das Phänomen entstehen, dass zivilrechtlicher Besitzschutz gegen denjenigen geltend gemacht werden kann, der eigentlich ein Recht zum Besitz oder ein Recht zur Vornahme der Störung hat. Der innere Grund dieses Phäno­ mens ist – neben anderen Aspekten – sowohl im Schweizer und im österreichi­ schen Recht als auch im italienischen sowie im französischen und spanischen Recht der Erhalt des Rechtsfriedens und die Bekämpfung privater Gewalt.19 Wie in diesen Rechtsordnungen die Interessenkollision mit dem petitorisch berechtigten Besitzstörer gelöst wird, kann somit auch für das deutsche Recht von Interesse sein. Im Folgenden sollen überblickshaft die in den einzelnen Rechtsord­nungen vorherrschenden unterschiedlichen Definitionen von Besitz und die Aus­gestaltung des possessorischen Besitzschutzes – insbesondere im Hinblick auf das entgegenstehende petitorische Recht des Eigenmächtigen – ab­ gebildet werden. Falls entsprechende Bestimmungen existieren, sollen auch po­ tentielle Konsequenzen der Begehung unerlaubter Selbsthilfe außerhalb des Zi­ vilrechts dargestellt werden. a) Deutschsprachige Länder aa) Schweiz Der zivilrechtliche Besitzschutz des Schweizer ZGB ist dem deutschen sehr ähn­ lich.20 Er operiert sogar mit dem Begriff der verbotenen Eigenmacht, der der Definition des §  858 I BGB entspricht.21 (1) Definition von Besitz Art.  919 I ZGB definiert den Besitz als tatsächliche Gewalt über eine Sache. Darüber hinaus existiert gem. Art.  919 II ZGB ein Rechtsbesitz hinsichtlich 19  Zum Schweizer Recht: Ernst, in: BaslerKo-ZGB II, Vor Art.  926–929 Rn.  2; Lindenmann, in: Berner Kommentar, Vor Besitzesschutz Rn.  2 ff.; Portmann, Besitzesschutz, S.  3 f. Zum österreichischen Recht: Kodek, in: Klang-ABGB, §  339 Rn.  6 ff.; ders., Besitzstörung, S.  39 ff. Zum italienischen Recht: Corte Costituzionale, Entscheidung Nr.  25 v. 03.02.1992; Eccher, in: Handbuch Italienisches Zivilrecht, Rn.  4/72 = S.  429; Wacke, in: FS Jayme, S.  1605 (1607 ff.). Zum französischen Recht: Malaurie/Aynès, Droit des biens, Rn.  485; Marty/­Raynaud, Les biens, S.  14 f. Zum spanischen Recht: Art.  441 Código Civil sowie v. Bar/Clive, DCFR V, S.  5248. 20  Ein Vergleich findet sich bei Hinderling, ZBJV 98 (1962), 1 (4 ff.). 21  Ernst, in: BaslerKo-ZGB II, Vor Art.  926–929 Rn.  9.

224

§  8 Possessorischer Besitzschutz de lege ferenda

Grunddienstbarkeiten und Grundlasten, der aber praktisch kaum relevant wird, da in der Regel gleichzeitig Sachbesitz gegeben ist. (2) Ausgestaltung des possessorischen Besitzschutzes und Verhältnis zum petitorischen Recht Im ZGB existieren Besitzschutzansprüche auf Herausgabe gem. Art.  927 ZGB und auf Beseitigung und Unterlassung von Störungen gem. Art.  928 ZGB, die den §§  861, 862 BGB nachgebildet sind. Als Zusatz zu den Anspruchsgrundla­ gen ist jeweils die Unzulässigkeit petitorischer Einwendungen normiert. Aller­ dings erfolgt im Rahmen der Herausgabeklage gem. Art.  927 II ZGB ein Ein­ bruch petitorischer Aspekte in den possessorischen Schutz: Der Beklagte wird mit der Einrede des besseren Rechts zum Besitz gehört, wenn er den Beweis dafür sofort, also ohne wesentliche Prozessverzögerung, erbringen kann. Der Gesetzgeber hat hier insofern dem Grundsatz der Prozessökonomie gegenüber der Zurückweisung der Eigenmacht den Vorzug gegeben.22 Art.  928 ZGB sieht dagegen keine Berücksichtigung eines eventuell besseren Rechts des Störers vor.23 Dies verwundert, da es keinen Grund zu geben scheint, die Begehung einer Besitzentziehung, die im Regelfall sogar einen intensiveren Eingriff darstellt, gegenüber der Begehung einer Besitzstörung zu privilegieren. Eine mit §  864 II BGB vergleichbare Regelung über das Schicksal des posses­ sorischen Anspruchs fehlt im Schweizer Recht. Soweit sich eine solche nicht aufgrund des Art.  927 II ZGB ohnehin erübrigt, entspricht es allgemeiner An­ sicht, dass der gemeinrechtliche Grundsatz petitorium absorbet possessorium Anwendung findet:24 Die Ansprüche aus Art.  927 ZGB und Art.  928 ZGB erlö­ schen durch ein rechtskräftiges Urteil, das die materielle Berechtigung des Stö­ rers feststellt. Dies gilt auch für ein vor der Verübung der verbotenen Eigenmacht ergangenes Urteil.25 Eine petitorische Widerklage ist ebenfalls nach ganz herr­ schender Meinung zulässig.26 Da das Schweizer Recht mittlerweile die vorläu­ 22  Dies wird in der Literatur teilweise stark kritisiert, siehe Portmann, Besitzesschutz, S.  135, und Sutter-Somm, Schweizerisches Privatrecht V/1, §  74, Rn.  1339. 23  Eine analoge Anwendung des Art.  927 II ZGB wird mehrheitlich abgelehnt: BGE 135 III 633–639 (Urteil v. 23.11.2009); Ernst, in: BaslerKo-ZGB II, Art.  928 Rn.  10; Lindenmann, in: Berner Kommentar, Vor Besitzesschutz Rn.  94a und Art.  928 Rn.  2, 53; Sutter-Somm, Schwei­ zerisches Privatrecht V/1, §  74, Rn.  1345. 24  Lindenmann, in: Berner Kommentar, Vor Besitzesschutz Rn.  100; Portmann, Besitzes­ schutz, S.  136; Zobl, in: FS Castelberg, S.  303 (312). 25  Lindenmann, in: Berner Kommentar, Vor Besitzesschutz Rn.  100. Dies leuchtet insbeson­ dere vor dem Hintergrund des Art.  927 II ZGB ein, da ein petitorisches Urteil stets ein liquides Beweismittel im Sinne der Norm ist. 26  Lindenmann, in: Berner Kommentar, Vor Besitzesschutz Rn.  110; Sutter-Somm, Schwei­ zerisches Privatrecht V/1, §  74, Rn.  1339 Fn.  3955.

II. Europäischer Rechtsvergleich

225

fige Vollstreckbarkeit kennt,27 ist es nicht ausgeschlossen, dass – wie im deut­ schen Recht – die Gefahr widerstreitender Titel in der Vollstreckung besteht.28 (3) Strafrechtliche Sanktionierung von Selbsthilfe Über den zivilrechtlichen Besitzschutz hinausgehend überlässt es das Schweizer StGB den einzelnen Kantonen, gegen verbotene Eigenmacht präventive straf­ bewehrte Verbote aufzustellen.29 Einige Kantone haben von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht.30 bb) Österreich Das österreichische Besitzschutzrecht ist insbesondere vom gemeinen Recht, aber auch vom ALR beeinflusst worden.31 (1) Definition von Besitz Das österreichische Recht unterscheidet im Gegensatz zum deutschen Recht zwischen Inhabung und Besitz, §  309 ABGB. Während die Inhabung nur die tatsächliche Sachherrschaft bedeutet, setzt der Besitz den Willen voraus, die Sa­ che wie eine eigene zu beherrschen. (2) Ausgestaltung des possessorischen Besitzschutzes und Verhältnis zum petitorischen Recht Im ABGB sind Besitzschutzklagen vorgesehen, die zum einen auf Störungs­ beseitigung und Unterlassung (§  339 ABGB), zum anderen auf Herausgabe (§  346 ABGB) gerichtet sind. Sie stehen jedoch nur dem Besitzer und – unter Außerachtlassung eines animus domini – dem Rechtsbesitzer gem. §  312 ABGB zu.32 Nach §  346 ABGB findet ein etwaiges Recht zum Besitz des Störers keine Beachtung.33 Dem Einwendungsausschluss wird zudem durch das Prozessrecht Rechnung getragen, welches ein eigenständiges, beschleunigtes Verfahren über 27 

Hess, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Vor §§  708–720a Rn.  4; ausführlich Zoller, Vorläufi­ ge Vollstreckbarkeit, S.  75 ff. 28  Auch das Problem widerstreitender possessorischer und petitorischer Entscheidungen im Eilrechtsschutz kann entstehen, dazu Ernst, in: BaslerKo-ZGB II, Vor Art.  926–929 Rn.  47. 29  Vgl. Art.  335, 292 Schweizerisches StGB. 30  Überblick bei Schöbi, Besitzesschutz, S.  118 ff., wobei für die staatliche Verfolgung teil­ weise der Nachweis eines dinglichen Rechts des Opfers erforderlich ist, sodass von einem possessorischen Schutz nicht mehr die Rede sein kann. 31  Kodek, Besitzstörung, S.  50 ff. 32  Eccher/Riss, in: KBB-ABGB, §  339 Rn.  1. 33  Dies gilt ausdrücklich nur für das Herausgabeverlangen nach §  346 ABGB; nach herr­

226

§  8 Possessorischer Besitzschutz de lege ferenda

Besitzstreitigkeiten in §§  454 ff. öZPO vorsieht. §  457 öZPO lautet: „Die Ver­ handlung ist auf die Erörterung und den Beweis der Tatsache des letzten Besitz­ standes und der erfolgten Störung zu beschränken, und es sind alle Erörterungen über das Recht zum Besitze, über Titel, Redlichkeit und Unredlichkeit des Besit­ zes oder über etwaige Entschädigungsansprüche auszuschließen.“ Das ABGB enthält ebenso wenig wie das Schweizer Recht nähere Aussagen über den Einfluss einer gerichtlichen petitorischen Entscheidung auf den Besitz­ schutzanspruch. Die Rechtsprechung und herrschende Meinung in der Literatur formuliert jedoch meist, eine rechtskräftige petitorische Entscheidung mache dem bloß provisorisch gewährten Besitzschutzanspruch „ein Ende“ und daher eine gegebenenfalls ergangene possessorische Entscheidung „gegenstands­ los“.34 Nach Kodek soll es nicht darauf ankommen, dass die petitorische Ent­ scheidung rechtskräftig, sondern vielmehr dass sie sofort durchsetzbar sei.35 Dann würden die Besitzschutzansprüche erlöschen oder – soweit die Rechtskraft noch nicht eingetreten sei – gehemmt. Eine nicht vollstreckbare petitorische Ent­ scheidung, zum Beispiel in Form eines Feststellungsurteils, soll demgegenüber auf einen Besitzschutztitel keinen Einfluss haben, sofern darin nicht inzident der possessorische Titel für ungültig erklärt wird. Die beiden Titel widersprächen sich ansonsten nicht.36 Zusammengefasst stellt sich die Problematik des Einflus­ ses der petitorischen Entscheidung auf den Besitzschutzanspruch im österreichi­ schen Recht auf ähnliche Weise wie im deutschen Recht.37 cc) Ergebnis für den deutschsprachigen Raum Im Ergebnis sind das österreichische und das Schweizer Besitzschutzrecht dem deutschen Recht sehr ähnlich. Es existiert kein gänzlich abweichender Ansatz zur Lösung des Konflikts zwischen possessorium und petitorium. Die Kodifizie­ schender Ansicht ist die Vorschrift aber entsprechend auf §  339 ABGB anzuwenden, siehe ­ odek, in: Klang-ABGB, §  346 Rn.  20. K 34  Die Terminologie variiert, siehe OGH v. 24.07.1985 – 3 Ob 63/85 und OGH v. 25.10.2000 – 3 Ob 184/00f; unklar auch Faber/Lurger, National Reports I, S.  43. Kritisch zur „unjuristi­ schen“ Terminologie Kodek, Besitzstörung, S.  910 f. 35  Kodek, in: Klang-ABGB, §  347 Rn.  12; ders., Besitzstörung, S.  920, 924. 36  OGH v. 30.11.1994 – 3 Ob 182/94; Kodek, in: Klang-ABGB, §  347 Rn.  12; ders., Besitz­ störung, S.  918 f. 37  Dabei wird allerdings dem Erfordernis der Rechtskraft der petitorischen Entscheidung für die Anwendung des Grundsatzes petitorium absorbet possessorium eine wichtige Rolle zugeschrieben, siehe OGH v. 24.07.1985 – 3 Ob 63/85, obwohl eine ausdrückliche Norm wie §  864 II BGB gerade nicht existiert. Freilich stellt sich das Phänomen der vorläufigen Voll­ streckbarkeit im österreichischen Recht auch anders dar als im deutschen Recht. Ausführlich dazu Kodek, Besitzstörung, S.  910 ff., der sich auch mit der Zulässigkeit einer petitorischen Widerklage nach österreichischem Prozessrecht beschäftigt, S.  847 ff.

II. Europäischer Rechtsvergleich

227

rungen hinterlassen im Gegenteil ausgeprägtere Regelungslücken als das BGB, da es an Normen fehlt, die mit §  864 II BGB vergleichbar sind. b) Romanische Länder aa) Italien Das italienische Besitzschutzrecht ist sehr detailliert geregelt. (1) Definition von Besitz Wie das österreichische Recht, so unterscheidet auch der italienische Codice civi­ le (C.c.) zwischen Inhabung (detenzione) als bloßer Sachherrschaft und Besitz, der von einem zusätzlichen Willen getragen ist, die Sache wie eine eigene zu be­ herrschen.38 Inhabung und Besitz können an Mobilien und Immobilien bestehen. (2) Ausgestaltung des possessorischen Besitzschutzes und Verhältnis zum petitorischen Recht In Art.  1168 C.c. existiert ein Herausgabeanspruch, der dem aus §  861 BGB ent­ spricht und auch einem bloßen Inhaber ohne Eigenbesitzwillen zustehen kann.39 Einen Anspruch auf Abwehr von Besitzstörungen normiert Art.  1170 C.c., aller­ dings nur für Grundstücke oder Besitz an dinglichen Rechten oder Sachgesamt­ heiten. Der Anspruch nach Art.  1170 C.c. steht zudem nur dem Besitzer, nicht aber dem bloßen Sachinhaber zu.40 Ist der Besitzschutzanspruch einmal gegeben, erfolgt daraus ein weitreichen­ der Schutz. Die Geltendmachung petitorischer Gegenrechte durch den Beklagten des possessorischen Verfahrens ist ausgeschlossen. Dies kann im materiellen Recht Art.  1168 IV C.c. entnommen werden, der bestimmt, dass die Wiederher­ stellung des Besitzes allein aufgrund der bloßen Offenkundigkeit der Besitzstö­ rung ohne Verzögerung vom Gericht anzuordnen ist. Im Verfahrensrecht stößt man zudem auf die strenge Regelung des Art.  705 I Codice di procedura civile (C.p.c.), wonach der Beklagte eines possessorischen Verfahrens ein petitorisches Verfahren nicht einleiten darf, solange das possessorische Verfahren nicht abge­ schlossen und die Entscheidung nicht vollstreckt ist. Hierbei handelt es sich letztlich um die unmittelbare Umsetzung des aus dem kanonischen Recht stam­ menden Grundsatzes spoliatus ante omnia est restituendus. Nach der wohl herr­ schenden Meinung müssen beide Voraussetzungen – Verfahrensbeendigung und 38 

Grundmann/Zaccaria, Einführung, S.  291; Kindler, Einführung, S.  224. Eccher, in: Handbuch Italienisches Zivilrecht, Rn.  4/77. 40  Grundmann/Zaccaria, Einführung, S.  296. 39 

228

§  8 Possessorischer Besitzschutz de lege ferenda

Vollstreckung der Entscheidung – kumulativ vorliegen.41 Das possessorische Urteil muss in Rechtskraft erwachsen sein oder das Verfahren durch Vergleich oder anderweitig endgültig beendet sein. Die Literatur will teilweise weniger strenge Maßstäbe anlegen und sich allein an dem tatsächlichen Umstand orien­ tieren, ob die vor der Besitzverletzung bestehende Lage wiederhergestellt sei.42 Eine Regelung wie §  864 II BGB erübrigt sich somit auf recht elegante Weise zugunsten eines uneingeschränkten possessorischen Besitzschutzes. Allerdings wird das strikte Einwendungsverbot über die Rechtsprechung des Verfassungs­ gerichts nicht unerheblich aufgeweicht. Nach der Corte Costituzionale muss dem im Besitzschutzprozess beklagten Störer das Vorbringen petitorischer Ge­ genrechte erlaubt bleiben, falls er infolge der Sachherausgabe an den Kläger ei­ nen nicht wiedergutzumachenden Schaden erleidet.43 Die Anforderungen an die Höhe des drohenden Schadens sind dabei nicht besonders hoch.44 (3) Strafrechtliche Sanktionierung von Selbsthilfe Der italienische Art.  392 Codice penale (C.P.) beinhaltet bis heute – zusätzlich zu den zivilrechtlichen Besitzschutzansprüchen – einen allgemeinen Straftatbestand für die eigenmächtige Rechtsdurchsetzung. Der dritte Titel des C.P. regelt die sog. Verbrechen gegen die Rechtspflege, insbesondere die eigenmächtige Aus­ übung eigener Rechtsansprüche. Art.  392 C.P. lautet: „Jeder, der in Annahme ei­ nes eigenen Rechts, welches er eigentlich auf dem Rechtsweg einklagen könnte, eigenmächtig Gewalt gegen Sachen vornimmt, wird auf Antrag des Leidtragen­ den dieser Handlung mit einer Geldstrafe […] bestraft. Mit Gewalt gegen Sachen im Sinne dieses Gesetzes ist jede Beschädigung, Veränderung oder Verbringung der Sache gemeint.“ 45 bb) Frankreich Das französische Besitzschutzrecht basiert auf dem römischen Recht, unterlag aber wechselnden Reformen. So wurden erst im Jahr 1975 Bestimmungen über 41 

Übersicht zum Meinungsstand bei Müller, Besitzschutz, S.  151. Luiso, Diritto processuale civile IV, Rn.  24.18 = S.  309. 43  Siehe unter §  7 II.2. und Corte Costituzionale, Entscheidung Nr.  25 v. 03.02.1992; aus­ führlich dazu Wacke, in: FS Jayme, S.  1605 ff. 44  Siehe unter §  7 II.2. Die Entscheidung ist in der italienischen Rechtswissenschaft sehr umstritten, dazu Wacke, in: FS Jayme, S.  1605 (1605 Fn.  2). 45  Art.  392 C.P.: „Chiunque, al fine di esercitare un preteso diritto, potendo ricorrere al giu­ dice, si fa arbitrariamente ragione da sé medesimo, mediante violenza sulle cose, è punito, a querela della persona offesa, con la multa fino […]. Agli effetti della legge penale, si ha violen­ za sulle cose allorché la cosa viene danneggiata o trasformata, o ne è mutata la destinazione.“ 42 

II. Europäischer Rechtsvergleich

229

Besitzschutzklagen in den Code civil (C.c.) aufgenommen, mit einem Gesetz aus dem Jahr 2015 aber wieder abgeschafft.46 (1) Definition von Besitz Der Besitz setzt in Frankreich nicht nur tatsächliche Sachherrschaft, sondern auch einen Eigenbesitzwillen voraus.47 Fehlt es an letzterem Willen, handelt es sich um einen Fall der détention précaire. Der détenteur ist nur sehr einge­ schränkt geschützt, unter anderem nicht gegen Eingriffe in die tatsächliche Sach­ herrschaft, die von demjenigen ausgehen, von dem er sein Recht ableitet, Art.  2278 II C.c. (2) Ausgestaltung des possessorischen Besitzschutzes und Verhältnis zum petitorischen Recht Anders als in den meisten anderen Rechtsordnungen findet der possessorische Schutz in Frankreich ausschließlich Anwendung auf den Besitz an Immobilien und den Rechtsbesitz an solchen. Der Besitzer beweglicher Sachen wird gem. Art.  2276 C.c. hingegen so behandelt wie der Berechtigte: „En fait de meubles, la possession vaut titre“. Wird die Berechtigung im Prozess widerlegt, stehen dem Besitzer einer beweglichen Sache also gar keine Ansprüche mehr zu.48 Pos­ sessorische und petitorische Aspekte können mit Blick auf Mobilien im franzö­ sischen Zivilrecht nicht präzise getrennt werden. Begründet wird die Begren­ zung des possessorischen Besitzschutzes auf Immobiliarbesitzer meist damit, dass angesichts des oft geringen Werts beweglicher Sachen kein Bedarf für einen besonderen possessorischen Schutz bestehe. Freilich ist fraglich, wie dies mit dem Postulat eines – auf allen Ebenen wirkenden – Friedensschutzes zu verein­ baren ist. Bis zu seiner Abschaffung verwies Art.  2279 C.c. den entsetzten oder gestör­ ten Besitzer einer Immobilie in die Art.  1264 bis 1267 Code de Procédure Civile (C.p.c.) und gab ihm die sog. actions possessoires an die Hand. Diese besonde­ ren Rechtsbehelfe waren auf Beseitigung der Besitzstörung und auf die Wieder­ herstellung des vor der Besitzstörung bestehenden Besitzstands gerichtet. Art.  1265 C.p.c. sicherte dabei die Trennung von possessorischen und petitori­ schen Fragen prozessual ab, indem er ein Klageverbindungsverbot vorsah. Die­ 46 

Loi n°2015-177 du 16 février 2015 relative à la simplification du droit et des procédures dans les domaines de la justice et des affaires intérieures. 47  Streng genommen wird Besitz definiert als Vornahme von Handlungen, zu denen der In­ haber eines Rechts berechtigt wäre, siehe Faber/Lurger, National Reports IV, S.  52. 48  Faber/Lurger, National Reports IV, S.  65. Auch Art.  2276 II C.c. gilt nur zugunsten eines Eigentümers, ausführlich Cuillieron, RTD civ. 1986, 504 (516).

230

§  8 Possessorischer Besitzschutz de lege ferenda

sem sog. non-cumul-Prinzip wurde entnommen, dass das Gericht darauf bedacht sein müsse, im possessorischen Verfahren keinesfalls das Ergebnis des petito­ riums vorwegzunehmen und auf Grundlage der materiellen Rechtslage eine Be­ sitzzuweisung vorzunehmen.49 Daraus ergab sich schließlich auch die Unzuläs­ sigkeit einer innerhalb des possessorischen Verfahrens erhobenen petitorischen Widerklage des Beklagten.50 Art.  1267 C.p.c. bestimmte schließlich, dass der Beklagte eines Besitzschutzverfahrens erst dann ein petitorisches Verfahren ein­ leiten darf, wenn die Besitzstörung beendet ist.51 Die Regel ähnelt der des italie­ nischen Rechts: Als Sanktion für das unerlaubte Verhalten muss die Vollstre­ ckung des possessorischen Urteils abgewartet oder die Sache zumindest freiwil­ lig zurückgegeben beziehungsweise die Störung beseitigt werden, bevor die Geltendmachung des vorher eigenmächtig durchgesetzten Rechts erlaubt wird. Im französischen Recht hat allerdings ab dem Jahr 2015 eine bedeutende Rechtsänderung stattgefunden: Mit Wirksamwerden der Novelle zur Rechts- und Verfahrensvereinfachung52 wurden der alte Art.  2279 C.c. und per Dekret im Jahr 2017 schließlich auch die actions possessoires im C.p.c. zugunsten des einstweiligen référé-Verfahrens abgeschafft. Das référé-Verfahren ist mit dem Recht der einstweiligen Verfügungen vergleichbar.53 Die Konsequenzen der Ab­ schaffung der actions possessoires sind bislang noch ungeklärt. Teilweise wird ein Bruch mit der bisherigen Dogmatik befürchtet.54 Teilweise wird aber auch davon ausgegangen, dass die Grundsätze des non-cumul sowie des Art.  1267 C.p.c. im référé-Verfahren weiterhin Anwendung finden, da es sich um principes fondamentaux du droit – also von schriftlicher Normierung losgelöste Prinzipien handeln soll:55 Eine Klage ist demnach immer unzulässig, wenn der Kläger sich bereits selbst zu seinem Recht verholfen hat. cc) Spanien Das Besitzschutzrecht Spaniens ist nicht sehr detailliert geregelt. 49  Malaurie/Aynès, Droit des biens, Rn.  510; Guinchard/Ferrand/Chainais, Procédure, Rn. III/52 und III/55; Michelet, La règle du non-cumul, S.  82 ff. 50  Michelet, La règle du non-cumul, S.  136, spricht statt von einer Abweisung als unzulässig von einer Trennung von Klage und Widerklage. Dabei bleibt allerdings unklar, wie dies mit Art.  1267 C.p.c. vereinbar sein soll. Kritisch dazu auch Müller, Besitzschutz, S.  126. 51  Art.  1267 C.p.c. im Wortlaut: „Le défendeur au possessoire ne peut agir au fond qu’après avoir mis fin au trouble.“ 52  Loi n°2015-177 du 16 février 2015 relative à la simplification du droit et des procédures dans les domaines de la justice et des affaires intérieures. 53  Das référé-Verfahren bietet die Möglichkeit befriedigender, vorwegnehmender Anord­ nungen, Guinchard/Ferrand/Chainais, Procédure, Rn. V/9 ff. 54  Marque, LPA 21 avr. 2015, 4 (4 ff.). 55  Cayrol, RTD civ. 2015, 705 (707 f.); Piedelièvre, Gaz.Pal. 2015, n°78, 4 (4 ff.).

II. Europäischer Rechtsvergleich

231

(1) Definition von Besitz Das spanische Recht anerkennt in Art.  430 Código Civil (C.C.) zum einen den „natürlichen“ Besitz im Sinne einer von einem natürlichen Besitzwillen getrage­ nen tatsächlichen Herrschaft über eine Sache und zum anderen den „zivilen“ Besitz mit einem zusätzlich hinzutretenden Willen, die Sache wie ein Eigentü­ mer zu nutzen. Für den possessorischen Besitzschutz ist die Unterscheidung nicht relevant. Art.  437 C.C. kennt zudem den Rechtsbesitz. (2) Ausgestaltung des possessorischen Besitzschutzes und Verhältnis zum petitorischen Recht Jeder Besitz ist gegen unerlaubte Störungen geschützt. Ein materieller Anspruch zur Beseitigung der Folgen verbotener Eigenmacht existiert im C.C. zwar nicht; das spanische Recht trennt im Gegensatz zum deutschen Recht aber nicht klar zwischen materiellen Ansprüchen und prozessualen Klagen. Soweit Art.  446 C.C. dem Besitzer das Recht verleiht, von jedermann in seiner Besitzposition geachtet zu werden, sind in Verbindung mit Art.  250 Nr.  1 Zif. 4 des Ley de En­ juiciamiento Civil (LEC) bei eigenmächtiger Entziehung oder Störung des Besit­ zes summarische Besitzschutzklagen statthaft.56 Sie richten sich auf die Unter­ lassung der Besitzstörung oder die Wiederherstellung der alten Besitzlage – un­ ter Außerachtlassung petitorischer Fragen.57 Letztere müssen auf anderen Verfahrenswegen geklärt werden.58 (3) Strafrechtliche Sanktionierung von Selbsthilfe Ähnlich wie das italienische Strafrecht ordnet Art.  455 des spanischen Código Penal (C.P.) eine Bestrafung von Selbstjustiz an. Die Norm ist in einem besonde­ ren Abschnitt über Delikte der Verhinderung der staatlichen Rechtsdurchsetzung und der eigenmächtigen Ausübung eigener Rechtsansprüche angesiedelt.59 56  Vor Inkrafttreten des neuen Prozessrechts im Jahr 2000 wurden die Besitzschutzklagen interdictos genannt; das neue Recht kennt den Ausdruck nicht mehr, er wird jedoch weiterhin verwendet, siehe Kunz, in: The Consequences of Possession, S.  141 (150); v. Bar/Clive, DCFR V, S.  5254. 57  Kunz, in: The Consequences of Possession, S.  141 (151); Ortells, ZZPInt 2 (1997), 95 (105). 58  Faber/Lurger, National Reports V, S.  499. 59  Art.  455 C.P. lautet: „El que, para realizar un derecho propio, actuando fuera de las vías legales, empleare violencia, intimidación o fuerza en las cosas, será castigado con la pena de multa […].“ Frei übersetzt: „Wer zur Durchsetzung eines eigenen Rechts außerhalb der legalen Rechtsdurchsetzung Gewalt anwendet, droht oder auf Sachen einwirkt, wird mit einer Geld­ buße […] bestraft.“

232

§  8 Possessorischer Besitzschutz de lege ferenda

dd) Ergebnis für die romanischen Länder Trotz der sehr unterschiedlich ausgestalteten Schutzbereiche der possessorischen Ansprüche ist der possessorische Besitzschutz in den romanischen Ländern inso­ fern sehr weitreichend, als der Grundsatz spoliatus ante omnia est restituendus Gültigkeit hat. Eine petitorische Klage ist bis zur Rückgängigmachung der Stö­ rung schlicht unzulässig. Damit bedarf es keiner „Kollisionsregel“ wie in §  864 II BGB. In Spanien und Italien wird die eigenmächtige Durchsetzung von Rech­ ten zudem über das Strafrecht sanktioniert. Augenfällig ist jedoch, dass Tenden­ zen bestehen, die bislang eher strikten Schutzsysteme aufzuweichen. Im fran­ zösischen Recht hat man die detaillierten Einzelregelungen über die actions ­possessoires aufgehoben, sodass nun mit allgemeinen Rechtsgrundsätzen argu­ mentiert werden muss, will man die alten Regeln auf das référé-Verfahren über­ tragen. Dies birgt eine große Rechtsunsicherheit, da ungeschriebene Grundsätze leicht in Frage zu stellen sind. In Italien hat zudem das Verfassungsgericht den klaren petitorischen Einwendungs- und Klageausschluss eingeschränkt60 und da­ mit zwar dem Bedürfnis nach einer Regelung für Fälle des Rechtsmissbrauchs entsprochen, durch fehlende Präzisierung seiner Entscheidungsgründe aber den gesamten possessorischen Besitzschutz in Frage gestellt.

2. Der possessorische Besitzschutz im Draft Common Frame of Reference (DCFR) der Europäischen Union Im Rahmen der Bestrebungen, die Harmonisierung des europäischen Privat­ rechts voranzutreiben, wurde auch auf EU-Ebene ein Vorschlag zur Ausgestal­ tung eines europarechtlichen Besitzschutzes erarbeitet. Die Study Group on the European Civil Code und die Research Group on Existing EC Private Law haben auf Grundlage der einzelstaatlichen Regelungen innerhalb des Draft Common Frame of Reference – Book VIII – Acquisition and loss of ownership of goods, Chapter  6 – Protection of ownership and protection of possession, Section  2 – Protection of mere possession ein Muster für einen europäischen Besitzschutz geschaffen.61 Allerdings wird in dem Entwurf lediglich Besitzschutz für beweg­ liche Sachen geregelt. Immobilien bleiben ausgeklammert. Zu Recht wird daran kritisiert, dass es der Intention, ein umfassendes, möglichst abstraktes Besitz­ schutzregelwerk zu generieren, diametral zuwiderläuft, unterschiedliche Syste­ me für bewegliche und unbewegliche Sachen zu schaffen.62 Wünschenswert 60  Corte Costituzionale, Entscheidung Nr.  25 v. 03.02.1992, siehe unter §  7 II.2. und §  8. II.1.b)aa). 61  Näher zur Geschichte dieser Ausarbeitung Müller, Besitzschutz, S.  203 ff. 62  Gatica Rodríguez, 2 Edinburgh Student L. Rev. 31 (2014), 31 (48).

II. Europäischer Rechtsvergleich

233

wäre eine einheitliche Definition für Besitz an Mobilien und Immobilien, was der Rechtsvereinfachung dienen dürfte. Bemerkenswert ist, dass seit der Präsentation des DCFR im Jahr 2009 mittler­ weile ein Jahrzehnt ohne gesetzgeberische Reaktionen oder Fortentwicklungen des sachenrechtlichen Besitzschutzes vergangen ist. Auch die Resonanz in der deutschen Literatur ist ausgesprochen verhalten geblieben.63 Von daher sollte der Modellcharakter des DCFR nicht überbewertet werden. Dennoch ist es ange­ sichts der steigenden Bedeutung transnationalen Rechts reizvoll, einen Blick da­ rauf zu werfen, wie sich führende Rechtswissenschaftler einen gemeinsamen europäischen Nenner für den Besitzschutz vorstellen. a) Besitz und Besitzer im DCFR Dem possessorischen Besitzschutz im DCFR soll ein vorläufiger Charakter zu­ kommen: „a temporary order, a preliminary form of regulation and protection of the exercise of power over goods“.64 Besitz an beweglichen Sachen ist rein faktisch zu bestimmen und wird in Art. VIII.–1:205 (1) DCFR definiert als „having direct physical control or indirect physical control over the goods“. Weiter differenziert wird in Art. VIII.–1:206 DCFR zwischen dem „owner-possessor“, der den Besitz als oder wie ein Eigen­ tümer ausübt, dem „limited-right-possessor“ in Art. VIII.–1:207 DCFR, der den Besitz im eigenen Interesse aufgrund eines Rechtsverhältnisses mit einem „owner-­possessor“ ausübt, was an das Verhältnis zwischen Besitzmittler und mittelbarem Besitzer erinnert, und dem „possession-agent“ in Art. VIII.–1:208 DCFR, der dem Besitzdiener im deutschen Recht weitgehend entspricht. b) Besitzschutz bei Störung oder Entziehung des Besitzes In Art. VIII.–6:201 DCFR findet sich die Entsprechung zur verbotenen Eigen­ macht: „A person depriving the possessor of possession or interfering with that possession acts ‚unlawfully‘ under this Section if the person acts without the con­ sent of the possessor and the dispossession or interference is not permitted by law.“ Art. VIII.–6:203 (1) DCFR gewährt dem „owner-possessor“ und dem „limited-­ right-possessor“, dem der Besitz durch verbotene Eigenmacht entzogen worden ist, innerhalb eines Jahres nach Entziehung der Sache einen Herausgabe­anspruch, der unabhängig von der Frage des besseren Rechts besteht. Der Anspruch gilt auch im Verhältnis zwischen mittelbarem und unmittelbarem Besitzer. Jedoch 63 

Die größeren Kommentare gehen nicht darauf ein, siehe zum Sachenrecht nur knapp und überblicksweise Baldus, in: MüKo-BGB, Vor §  985 Rn.  110. 64  V. Bar/Clive, DCFR V, S.  4293.

234

§  8 Possessorischer Besitzschutz de lege ferenda

wird davon ausgegangen, dass der „limited-right-possessor“ die Rückgabe der Sache nur dann erreichen könne, wenn er gegenüber dem „owner-possessor“ ein Recht zum Besitz habe.65 Insofern wird der Besitzschutz an dieser Stelle petito­ risch. In Art. VIII.–6:203 (3) besteht ein dem §  861 II BGB entsprechender Aus­ schlussgrund, wenn der Anspruchsteller selbst dem Anspruchsgegner den Besitz innerhalb des letzten Jahres vor der Besitzentziehung entzogen hatte. Art. VIII.–6:204 (1) DCFR gewährt weiterhin einen Anspruch auf Erlass einer „protection order“, wenn verbotene Eigenmacht in Form einer Besitzstörung stattfindet oder droht; der Anspruch besteht auch hier unabhängig von einem Recht auf Vornahme der Störung seitens des Störers. Es kann das Verbot künfti­ ger Störungen sowie die Verpflichtung zur Beendigung bestehender Störungen und die Beseitigung der Folgen der Störung angeordnet werden. c) Verhältnis des possessorischen Besitzschutzes zum petitorischen Recht Art. VIII.–6:203 (4) DCFR und Art. VIII.–6:204 (3) DCFR sehen eine petitori­ sche Durchbrechung des possessorischen Schutzes vor: Macht der Beklagte ein (besseres) Recht zum Besitz als Einwendung oder im Rahmen einer zulässigen Widerklage geltend, kann das Gericht statt der Herausgabe der Sache an den Kläger anordnen, dass die Sache an das Gericht, eine Behörde oder einen Dritten herauszugeben ist. Mit dieser Lösung wird ein Kompromiss angestrebt zwischen dem Interesse des Täters der verbotenen Eigenmacht, eine offensichtlich rechts­ widrige Besitzlage nicht wiederherstellen zu müssen, und dem Sanktionsbedürf­ nis, welches die verbotene Selbsthilfe auslöst.66 Analog zur Sequestrationsmög­ lichkeit in Art. VIII.–6:203 (4) DCFR kann im Rahmen der Störungsabwehrkla­ ge bei Geltendmachung eines petitorischen Rechts durch den Beklagten die „protection order“ nach Art. VIII.–6:204 (3) DCFR ausgesetzt oder sogar durch eine Entscheidung über das petitorische Recht ersetzt werden. d) Kritik Die vom DCFR gewählte Besitzkonzeption und die Aufteilung in „owner-posses­ sors“, „limited-right-possessors“ und „possession-agents“ soll hier – ebenso wie schon die grundsätzliche Besitzkonzeption des BGB – nicht weiter hinterfragt werden.67 Angemerkt sei nur, dass sich der DCFR damit in seiner Besitzkonzep­ tion erstaunlich eng am deutschen System orientiert. Auch die Formulierung „en­ 65 

V. Bar/Clive, DCFR V, S.  5243. V. Bar/Clive, DCFR V, S.  5243. 67  Siehe aber Chang, EPLJ 2016, 4 (14 ff.); Gatica Rodríguez, 2 Edinburgh Student L. Rev. 31 (2014), 31 (33 ff.). 66 

II. Europäischer Rechtsvergleich

235

titled to recover the goods“ in Art. VIII.–6:203 (1) DCFR und „entitled to a pro­ tection order“ in Art. VIII.–6:204 (1) DCFR erinnert an die für das deutsche Recht charakteristische Ausrichtung auf materielle Ansprüche,68 wobei die „protection order“ schon andeutet, dass eine klare dogmatische Grenzziehung zwischen ma­ teriellem Anspruch und prozessualem Rechtsbehelf nicht möglich ist. Die Regelung des Spannungsverhältnisses zwischen possessorischem Besitzer und petitorisch berechtigtem Besitzstörer ist als nicht ganz unproblematisch an­ zusehen. Derjenige, der eine Sache eigenmächtig entzogen hat, wird über die Einschränkung des Art. VIII.–6:203 (4) DCFR zwar weiterhin sanktioniert, da er die Sache nicht behalten darf; dem ehemaligen Besitzer wird dadurch aber der Anreiz genommen, den possessorischen Schutz überhaupt geltend zu machen, da er keine Aussicht darauf hat, die Sache unmittelbar zurückzuerhalten. Sie gelangt vielmehr in dritte Hand, was bürokratisch aufwendig und kostenintensiv ist.69 Die possessorische Störungsabwehr läuft überdies gänzlich leer, wenn die pos­ sessorische Entscheidung ausgesetzt oder sogar durch die petitorische ersetzt werden kann. Es fragt sich, wie dies mit dem auch vom DCFR verfolgten Ziel, den Rechtsfrieden zu sichern,70 zu vereinbaren ist. Zudem ist zu kritisieren, dass eine Ermessensentscheidung für den Richter geschaffen wurde („may be replaced“, „may be suspended“), ohne Kriterien da­ für aufzustellen, wann er von seiner „Abmilderungsbefugnis“ Gebrauch machen kann. Da es an einer „Regelfall“-Vorgabe mangelt, bleibt unklar, ob bei Feststel­ lung eines petitorischen Rechts seitens des Täters der verbotenen Eigenmacht stets eine Einschränkung des possessorischen Schutzes vorzunehmen ist oder Faktoren wie zum Beispiel die Gefahr, die Sache durch die erzwungene Rückga­ be endgültig zu verlieren, oder rechtsmissbräuchliche Absichten seitens des pos­ sessorischen Klägers eine zusätzliche Rolle spielen. Ebenso wenig ist geregelt, welches Maß an Sicherheit für das Bestehen des petitorischen Rechts gefordert wird – ob es zum Beispiel nur wahrscheinlich bestehen oder in irgendeiner Form richterlich, eventuell sogar rechtskräftig, festgestellt sein muss. Diese Ungenau­ igkeiten dürften freilich dem wohlgemeinten Versuch der Verfasser geschuldet sein, ein für Kompromisse möglichst offenes Regelwerk vorzulegen. Die Er­ steller des DCFR haben bei Betrachtung der einzelnen nationalstaatlichen Be­ sitzschutzregelungen das Spannungsfeld zwischen der Absicherung des Rechts­ friedens durch einen sanktionierenden Besitzschutz und dem Bedürfnis nach Prozessökonomie berücksichtigt und insofern einen beachtenswerten Mittelweg vorgeschlagen. 68 

„To be entitled“: einen Anspruch haben. So auch Müller, Besitzschutz, S.  256. 70  Zu dieser Intention v. Bar/Clive, DCFR V, S.  5236. 69 

236

§  8 Possessorischer Besitzschutz de lege ferenda

3. Fazit: Niedergang des possessorischen Besitzschutzes als europäischer Trend Die hier untersuchten europäischen Rechtsordnungen weisen alle einen grund­ legenden possessorischen Besitzschutz in Form von zivilrechtlichen Ansprüchen oder zivilprozessualen Klagemöglichkeiten auf. Dennoch werden innerhalb der jeweiligen nationalen Rechtswissenschaft Tendenzen zur Aufweichung der Be­ sitzschutzsysteme sichtbar – insbesondere innerhalb besonders strikt ausgestalte­ ter Systeme wie dem deutschen und dem italienischen. Im französischen Recht werden neuerdings Detailregelungen für überflüssig erachtet, sodass bislang als sicher geltende Grundsätze in Frage stehen. Der maßgebliche Grund für die Auf­ lösungserscheinungen ist – zumindest in Deutschland und Frankreich – die Pro­ zessökonomie. An diesen nationalen Entwicklungen orientiert sich zwangsläufig auch der DCFR.71 Letztlich ist es eine rechtspolitische Frage, welcher Stellen­ wert einer prozessökonomischen Logik eingeräumt wird.72

III. De lege ferenda – „kleine Lösung“ im BGB: Veränderung der §§  863, 864 II BGB sowie §§  861 II, 862 II BGB? Mit Blick auf die im ersten Teil der Arbeit herausgearbeiteten Problembereiche des Besitzschutzes des BGB und unter Einbeziehung der in den anderen europä­ ischen Kodifikationen vorgefundenen Regelungsmodelle kann nun untersucht werden, wie der Besitzschutz des BGB im Rahmen einer „kleinen“ Gesetzesre­ form zweckdienlicher ausgestaltet werden könnte.

1. Aufnahme des Erfordernisses der „sofortigen Durchsetzbarkeit“ in §  864 II BGB? Es hat sich gezeigt, dass §  864 II BGB dazu führen kann, dass das System des Vollstreckungsschutzes unterlaufen wird, da das Opfer der verbotenen Eigen­ macht vollstreckungsschutzrechtliche Einwände prozessual nicht erfolgreich geltend machen kann und der Besitzschutzanspruch die einzige Möglichkeit bil­ det, den vollstreckungsschutzrechtlich gebotenen Besitzstand durchzusetzen. So ist zum Beispiel im Fall der Besitzentziehung ein Vollstreckungsschutzantrag 71  Beispielsweise wurde die deutsche Rechtsprechung zur analogen Anwendung von §  864 II BGB bei Schaffung des DCFR ausdrücklich berücksichtigt, siehe v. Bar/Clive, DCFR V, S.  5244. 72  Ein vom DCFR leicht abweichendes, strengeres possessorisches Besitzschutzkonzept hat jüngst Müller, Besitzschutz, S.  246 ff., vorgeschlagen.

III. De lege ferenda – „kleine Lösung“ im BGB

237

gegen ein petitorisches Feststellungsurteil nicht statthaft. Im Fall der eigenmäch­ tigen Besitzstörung ist das Opfer unter Umständen zur Beseitigung der Störung nicht in der Lage und der staatlich gewährte Vollstreckungsschutz läuft ins Leere, da die „Vollstreckung“ bereits eigenmächtig durch den Täter stattgefunden hat. Da der Vollstreckungsschutz, insbesondere in Form der Generalklausel des §  765a ZPO, die Verhältnismäßigkeit staatlichen Handelns vor dem Hintergrund des Grundrechtsschutzes sichern soll, wird eine verfassungskonforme Auslegung des §  864 II BGB befürwortet, wonach nicht nur die rechtskräftige Feststellung des petitorischen Rechts, sondern auch dessen sofortige Durchsetzbarkeit erfor­ derlich ist.73 Aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit könnte es erforderlich sein, diese Voraussetzung ausdrücklich im Gesetz zu regeln. Umgekehrt muss aber nicht jede Lücke umgehend per Gesetz geschlossen werden, da sonst die Gefahr einer Überregulierung besteht. Eine solche wird neuerdings mit Blick auf das Privatrecht beklagt: Der Trend gehe zu Vorschriften, „die kurzlebigen Moden entspringen, eine gewisse Beliebigkeit verraten, selten hinreichend durchdacht, dafür aber langatmig und oft schwer verständlich sind“.74 Im Fall des §  864 II BGB würde es zwar nur um eine Ergänzung des schon bestehenden Regelungs­ inhalts gehen, die Norm würde aber deutlich länger und mit Regelungsinhalt überfrachtet. Ein Beispiel für eine Neufassung wäre: „Das Erlöschen tritt auch dann ein, wenn nach der Verübung der verbotenen Eigenmacht durch rechtskräftiges Urteil festgestellt wird, dass dem Täter ein Recht an der Sache zusteht, vermöge dessen er die Herstellung eines seiner Handlungsweise entsprechenden Besitzstands verlangen kann. Das gilt nicht, wenn das festgestellte Recht nicht sofort vollstreckbar ist.“

Da die verfassungskonforme Auslegung bereits widerspruchsfrei anhand des bis­ herigen Wortlauts „verlangen kann“ möglich ist, scheint eine solche Modifika­ tion des §  864 II BGB nicht zwingend notwendig zu sein.

2. Weitergehende Modifikationen zugunsten eines milderen oder strengeren Besitzschutzes a) Anpassung an die Rechtsprechungspraxis Um ein Hin und Her der Vollstreckung zu vermeiden, wendet die herrschende Meinung in Literatur und Rechtsprechung §  864 II BGB auf nicht rechtskräftige Urteile und einstweilige Verfügungen analog an. Es wird ebenfalls eine analoge 73 

Siehe unter §  5 II.2. H. Honsell, in: Staudinger-Eckpfeiler, Einleitung, Rn.  44. In dem Sinne auch Karpen, Gesetzgebungslehre, S.  30 f. 74 

238

§  8 Possessorischer Besitzschutz de lege ferenda

Anwendung für Fälle befürwortet, in denen die verbotene Eigenmacht erst nach der gerichtlichen Entscheidung begangen wird. Daran ist zu kritisieren, dass die Voraussetzungen für eine Analogiebildung nicht vorliegen; vielmehr wider­ spricht eine solche dem gesetzgeberischen Willen und dem Vorrang des §  863 BGB.75 Allerdings hat es schon immer Bestrebungen gegeben, den Besitzschutz flexibler zu handhaben. Als Redakteur des Entwurfs des Sachenrechts hatte ­Johow beispielsweise in §  864 II BGB kein Rechtskrafterfordernis vorgesehen. Die Erste Kommission, die besitzschutzfreundlicher als Johow gestimmt war, ging dagegen von der Rechtskraft als selbstverständlichem Erfordernis aus. Im späteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens kamen diesbezüglich keine De­ batten mehr auf.76 Dennoch ist §  864 II BGB in seiner jetzigen Form nicht „in Stein gemeißelt“. aa) Erforderliche Modifikationen Im Hinblick auf die heutige Rechtsprechungspraxis wäre es erforderlich, das Rechtskrafterfordernis in §  864 II BGB zu streichen, um die Rechtsprechung und herrschende Meinung vor dem Vorwurf einer Rechtsanwendung contra legem zu schützen.77 Problematisch bliebe aber weiterhin der Bereich der einstweiligen Verfügungen, in denen kein petitorisches Recht im Sinne eines Anspruchs durch Urteil festgestellt wird.78 Sie wären vom Wortlaut des §  864 II BGB weiterhin nicht unmissverständlich erfasst. Darüber hinaus ließe sich aus der Norm nach wie vor kein allgemeiner Rechtsgedanke ableiten, der eine Inzidentprüfung des petitorischen Rechts im possessorischen Prozess erlauben würde.79 Im Sinne der herrschenden Meinung dürfte es also sein, einen noch radikaleren Weg einzu­ schlagen und auf §  864 II BGB sowie auf §  863 BGB zu verzichten, das petitori­ sche Einwendungsverbot also in Gänze abzuschaffen. Der verbleibende relevan­ te Inhalt des §  863 BGB, nämlich die Zulässigkeit des Bestreitens der verbotenen Eigenmacht, zum Beispiel aufgrund Zustimmung des Besitzers oder gesetzlicher Gestattung, ergibt sich ohnehin bereits aus §  858 I BGB. Um dem Beschleunigungsgebot Geltung zu verschaffen, gleichzeitig aber pe­ titorischen Einwendungen den Vorrang einzuräumen, könnte den Anspruchs­ normen aus §  861 BGB und §  862 BGB im zweiten Absatz eine petitorische 75 

Siehe unter §  5 I.4.c) und §  5 II.3., 4., 5. Dazu bereits unter §  5 I.4.c). 77  §  864 II BGB würde dann lauten: „Das Erlöschen tritt auch dann ein, wenn nach der Verübung der verbotenen Eigenmacht durch Urteil festgestellt wird, dass dem Täter ein Recht an der Sache zusteht, vermöge dessen er die Herstellung eines seiner Handlungsweise entspre­ chenden Besitzstands verlangen kann.“ 78  Siehe zum begrenzten Streitgegenstand der einstweiligen Verfügung unter §  5 II.5.d)aa). 79  Siehe zu dieser Forderung aus der Rechtsprechung unter §  5 II.6. 76 

III. De lege ferenda – „kleine Lösung“ im BGB

239

Einrede zugefügt werden, wie sie auch in Art.  927 II des Schweizer ZGB vorzu­ finden ist.80 bb) Wortlaut einer neuen Einrede in §  861 II BGB und §  862 II BGB n. F. Die Normen könnten wie folgt lauten: (1) Anspruch wegen Besitzentziehung §  861 Anspruch wegen Besitzentziehung I. Wird der Besitz durch verbotene Eigenmacht dem Besitzer entzogen […] II. 1Der Täter kann die Wiedereinräumung des Besitzes verweigern, wenn im ordentlichen Verfahren sofort ein Besitzrecht des Täters festgestellt wird, aufgrund dessen er dem Besitzer die Sache wieder abverlangen kann. 2Das Gleiche gilt, wenn im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ein solches Besitzrecht sofort glaubhaft gemacht wird. (2) Anspruch wegen Besitzstörung §  862 Anspruch wegen Besitzstörung I. Wird der Besitzer durch verbotene Eigenmacht im Besitz gestört […] II. 1Der Täter kann die Beseitigung sowie die Unterlassung der Störung verweigern, wenn im ordentlichen Verfahren sofort ein Recht des Täters zur Vornahme der störenden Handlung festgestellt wird, aufgrund dessen der Besitzer die Störung zu dulden hat. 2Das Gleiche gilt, wenn im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ein solches Recht zur Vornahme der störenden Handlung sofort glaubhaft gemacht wird. cc) Erläuterung einer neuen Einrede in §  861 II BGB und §  862 II BGB n. F. (1) Terminologie Der Ausdruck „im ordentlichen Verfahren“, wie er in §  861 II 1 BGB n. F.81 und §  862 II 1 BGB n. F. vorgeschlagen wird, findet in der ZPO keine Entsprechung.82 Der Begriff wird allerdings in §  600 I ZPO als inhaltlich bekannt vorausgesetzt. 80 

Die jetzigen Erlöschensgründe in §§  861 II, 862 II BGB würden dann zu §§  861 III, 862 III BGB n. F. 81  Im Folgenden werden die hier vorgeschlagenen Gesetzesalternativen stets als „n. F.“ be­ zeichnet. 82  Geläufig ist nur der „ordentliche Rechtsweg“ vor den „ordentlichen Gerichten“, vgl. §  12 GVG, womit die Zivil- und Strafgerichte gemeint sind. Die Begriffe sind historisch bedingt. Weil früher nur die Zivil- und Strafgerichte mit unabhängigen Richtern besetzt waren, hat man sie als ordentliche Gerichte bezeichnet, im Gegensatz etwa zu den Verwaltungsgerichten vor

240

§  8 Possessorischer Besitzschutz de lege ferenda

§  600 I ZPO ist Teil des besonderen, summarischen Urkundenprozesses. In Ab­ grenzung zu Letzterem verweist die Norm auf das „ordentliche Verfahren“ im Sinne des „normalen“ Verfahrens unter Geltung der allgemeinen Bestimmungen. Hieran knüpfen §  861 II 1 BGB n. F. und §  862 II 1 BGB n. F. an, die sich inso­ fern also auf die „normale“ Besitzschutzklage beziehen. Wird im Verfahren ein petitorisches Recht des Beklagten bewiesen, entsteht eine Einrede gegen den Besitzschutzanspruch. In §  861 II 2 BGB n. F. und §  862 II 2 BGB n. F. ist wiederum normiert, dass im Verfahren des einstweiligen possessorischen Rechtsschutzes bereits die Glaubhaftmachung eines petitorischen Rechts genügt, um dieses dem Besitz­ schutzanspruch einredeweise entgegenzuhalten. Der Terminus des „einstweili­ gen Rechtsschutzes“ lässt sich so in der ZPO nicht finden, da der Fünfte Ab­ schnitt lediglich mit „Arrest und einstweilige Verfügung“ betitelt ist; die Be­ grifflichkeit ist jedoch allgemein anerkannt83 und wird auch in §  1041 ZPO verwendet. Die Notwendigkeit der „sofortigen“ Nachweisbarkeit sichert das Beschleuni­ gungsgebot ab, so wie es bisher als Erfordernis des possessorischen Besitzschut­ zes aus §  863 BGB abgeleitet wird. Im Besitzschutzprozess werden somit keine langwierigen Beweise über das petitorische Recht erhoben. Der Begriff „sofort“ lehnt sich an §  294 II ZPO an: Die Norm gilt zunächst nur für die Glaubhaft­ machung, welche zum Nachweis einer Tatsache ausschließlich in den gesetzlich zugelassenen Fällen gestattet ist.84 Zur Auslegung des Begriffs in §  861 II BGB n. F. und §  862 II BGB n. F. kann sie aber ebenfalls herangezogen werden: Es stehen alle Arten von zulässigen Beweismitteln zur Verfügung, soweit diese prä­ sent sind.85 Für §  861 II BGB n. F. und §  862 II n. F. BGB gilt folglich, dass die Beweismittel, auf die das petitorische Recht sich stützt, bei erster Gelegenheit, welche das Prozessrecht dafür bietet, vorzulegen sind.86 Ein „sofortiger“ Nach­ weis gelingt in jedem Fall, wenn ein petitorisches Urteil oder eine petitorische Verfügung vorgelegt werden kann. Zeugen müssen im ersten Termin gehört wer­ den. Eine Expertise über die Echtheit von Urkunden, die im ersten Termin vorge­ legt werden, ist ausgeschlossen. 1945, Köbler, Juristisches Wörterbuch, s. unter „Rechtsweg“, S.  364; Zimmermann, in: MüKo-­ ZPO, §  12 GVG Rn.  4. 83  Baur, Studien, S.  1; Musielak/Voit, Zivilprozessrecht, Rn.  1359 = S.  480; Rosenberg/ Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, §  1, Rn.  30 = S.  8. 84  Das „sofort“ in §  861 II 2 BGB n. F. und §  862 II 2 BGB n. F. ist insofern als deklarato­ risch zu verstehen, als im einstweiligen Rechtsschutz ohnehin die Glaubhaftmachung nur im Wege einer „sofortigen“ Beweisaufnahme im Sinne des §  294 II ZPO gelingt. 85  Saenger, in: Saenger-ZPO, §  294 Rn.  9. 86  Gleiches gilt im Schweizer Recht, siehe Lindenmann, in: Berner Kommentar, Art.  927 Rn.  21.

III. De lege ferenda – „kleine Lösung“ im BGB

241

(2) Rechtsfolge Rechtsfolge der Feststellung oder Glaubhaftmachung eines petitorischen Rechts ist eine Einrede gegen den Besitzschutzanspruch. Die Besitzschutzklage wird sodann – wie es die herrschende Meinung heute bereits über §  864 II BGB ana­ log erreichen will – als zur Zeit unbegründet abgewiesen. Der Antrag auf Erlass einer possessorischen Verfügung wird zurückgewiesen. Die Einrede wird per­ emptorisch, wenn die petitorische Entscheidung in Rechtskraft erwachsen ist. Im Ergebnis ist die Rechtsfolge dann die gleiche wie beim jetzigen §  864 II BGB: Der Besitzschutzanspruch kann nicht verwirklicht werden. (3) Vollstreckungsschutz Schließlich lässt sich der Wortlaut „die Sache wieder abverlangen kann“ bezie­ hungsweise „die Störung zu dulden hat“ in verfassungskonformer Weise so aus­ legen, dass für die Bejahung der Einrede zusätzlich das Entgegenstehen vollstre­ ckungsschutzrechtlicher Vorschriften wie §  765a ZPO zu prüfen ist.87 dd) Auswirkung auf die Zulässigkeit der petitorischen Widerklage Mit dem Wegfall von §§  863, 864 II BGB stünden auch der Zulässigkeit einer petitorischen Widerklage keine materiellrechtlichen Bedenken entgegen, da der possessorische Besitzschutz insgesamt weniger streng wäre. Aufgrund des Be­ schleunigungsgebots würde weiterhin die Teilurteilslösung der Rechtsprechung Anwendung finden.88 ee) Abschließende Bewertung Die gravierende Konsequenz einer großzügig gestalteten petitorischen Einrede­ möglichkeit wäre eine erhebliche Reduktion der über §§  861 f. BGB vermittelten Abschreckungswirkung. Stattdessen würde in gegenteiliger Weise ein beträcht­ licher Belohnungsmechanismus für die Begehung der verbotenen Eigenmacht entstehen, da die staatliche Zwangsvollstreckung und das eventuelle Erfordernis von Sicherheitsleistungen nach §§  708 ff. ZPO erfolgreich umgangen werden könnten. Die Reduzierung der Abschreckungswirkung könnte damit ein Ausmaß erreichen, das in der Zukunft tatsächlich zu einem „Dammbruch“, also zu einem erheblichen Anstieg von Selbsthilfefällen führt. Ist dieses „Wagnis“ rechtspoli­ tisch dennoch gewünscht, so wäre die aufgezeigte Umgestaltung der Normen im BGB jedenfalls der juristisch konsequente Weg, um nicht die bestehenden Geset­ ze contra legem auslegen zu müssen. 87  88 

Siehe zu der Problematik unter §  5 II.2. Zu der Teilurteilslösung ausführlich unter §  6 I.

242

§  8 Possessorischer Besitzschutz de lege ferenda

b) Verankerung des Grundsatzes spoliatus ante omnia est restituendus Ein entgegengesetzter Weg, der alle Fälle verbotener Eigenmacht unterschieds­ los sanktionieren würde, wäre die Verankerung des dem kanonischen Recht ent­ stammenden Grundsatzes spoliatus ante omnia est restituendus,89 ähnlich wie er im italienischen oder – für Immobilien – auch im französischen Recht existiert. Der dahinterstehende Grundsatz besagt, dass die selbstherrliche Durchsetzung eines Rechts nie folgenlos bleiben kann. Selbst wenn im Nachhinein das Beste­ hen des petitorischen Rechts richterlich bestätigt wird, so rechtfertigt dies – ent­ gegen dem Rechtsgedanken des §  864 II BGB – nicht die verbotene Eigenmacht. Wer sich selbst die Beurteilung seiner Rechte anmaßt und diese eigenmächtig vollstreckt, muss unbedingt damit rechnen, dass er die Folgen der verbotenen Eigenmacht beseitigen muss. Diese strenge Sanktion gewährleistet wiederum eine effektive Präventionswirkung, was dem Erhalt des gesellschaftlichen Frie­ dens zugutekommt. Im Ergebnis würde das Erlöschen des possessorischen Be­ sitzschutzanspruchs ausschließlich von seiner Erfüllung oder Zwangsvollstre­ ckung abhängen, besondere Ausschlussgründe wie §  864 II BGB oder §§  861 II, 862 II BGB wären entbehrlich. aa) Konkrete Verortung des spoliatus-Grundsatzes Der spoliatus-Grundsatz als solcher müsste im BGB nicht normiert werden. Durch die Abschaffung des §  864 II BGB würde §  863 BGB stets als Grundregel gelten. bb) Folgen für die Durchsetzungsmodalitäten des possessorischen und petitorischen Anspruchs Im Regelfall würde als Reaktion auf die verbotene Eigenmacht stets die Wieder­ herstellung des status quo ante erfolgen, bevor sodann die petitorische Rechtsla­ ge endgültig verwirklicht würde. Zu Situationen, in denen sich ein possessori­ scher und ein petitorischer Titel diametral gegenüber stehen, dürfte es nicht mehr kommen. Wie im italienischen und französischen Recht läge es nahe, das Rechts­ schutzbedürfnis für eine petitorische Klage so lange abzusprechen, wie der ei­ genmächtig hergestellte Besitzstand noch existiert. Dagegen würde jede tatsäch­ liche Beseitigung der Eigenmacht genügen, um das Rechtsschutzbedürfnis für die petitorische Klage aufleben zu lassen, also in jedem Fall eine Erfüllung des Besitzschutzanspruchs im Sinne des §  362 BGB,90 aber auch die Beseitigung im 89 

Siehe unter §  2 I.2. Zur Anwendbarkeit des §  362 BGB auf dingliche Ansprüche Baldus, in: MüKo-BGB, §  1004 Rn.  235 Fn.  434; Gursky, in: Staudinger, BGB, §  1004 Rn.  170; Heck, Sachenrecht, §  32.6 = S.  127. 90 

III. De lege ferenda – „kleine Lösung“ im BGB

243

Wege der Zwangsvollstreckung oder zur Abwendung derselben.91 Eine dies aus­ drücklich regelnde Norm wäre in der ZPO systematisch schwer zu platzieren, ihre Einfügung allerdings auch nicht notwendig. Die Unzulässigkeit der petitori­ schen Klage könnte bereits unmittelbar dem aus §  863 BGB abzuleitenden spoliatus-Grundsatz entnommen werden.92 Im Übrigen stünde dies auch nicht im Widerspruch zur bestehenden Dogmatik zum Rechtsschutzbedürfnis: Letzteres ist dem Kläger abzusprechen, wenn er das Urteil zur Durchsetzung seiner Rech­ te nicht benötigt.93 Wer verbotene Eigenmacht begangen hat, hat sein Recht be­ reits selbstherrlich durchgesetzt, benötigt einen Titel also erst wieder ab Beseiti­ gung des eigenmächtig hergestellten Zustands. Wollte man dagegen eine ausdrückliche materiellrechtliche Regelung treffen, so erscheint es durchaus erwägenswert, dem Besitzer eine spoliatus-Einrede an die Hand zu geben, mit der Folge, dass der petitorische Anspruch erst nach Rück­ gängigmachung der zuvor begangenen eigenmächtigen Besitzstörung durchsetz­ bar würde. Ein Vorteil gegenüber der pauschalen Unzulässigkeit der petitori­ schen Klage wäre eine gewisse Flexibilität, da es dem Besitzer überlassen bliebe, ob er dem petitorischen Begehren seine possessorischen Rechte entgegenhält. Uneingeschränkt sein petitorisches Recht einklagen könnte freilich weiterhin der Störer, dessen Störung sich nicht als dauerhafter Zustand auswirkt, wie es zum Beispiel bei Immissionen der Fall ist. Gegen derartige Störungen hätte der Besitzer ohnehin nur einen Unterlassungsanspruch aus §  862 I 2 BGB, da es nichts zu beseitigen gäbe.94 Auch für den Täter einer eigenmächtigen Besitzent­ 91 

Die Zwangsvollstreckung führt, soweit sie aus einer rechtskräftigen Entscheidung er­ folgt, zu einer Befriedigung des Gläubigers i. S. d. §  362 I BGB, siehe insoweit überzeugend Schünemann, JZ 1985, 49 (55). Dagegen führt die Zwangsvollstreckung aus vorläufig voll­ streckbaren Urteilen, Arresten und einstweiligen Verfügungen nach h. M. wegen der Vorläufig­ keit des Titels nicht zur Erfüllung nach §  362 I BGB; gleiches soll für die Erbringung der Leistung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung gelten, siehe ausführlich BGH NJW 2014, 2199 (2200); Buck-Heeb, in: Erman, BGB, §  362 Rn.  13, 16; Krüger, NJW 1990, 1208 (1209 ff.). 92  Dieser Weg wird nun teilweise auch für das französische Recht befürwortet, siehe unter §  8 II.1.b)bb)(2). 93  BGH GRUR 1976, 256 (257); Hartmann, in: BLAH-ZPO, Grundz §  253 Rn.  33 ff.; ­Musielak/Voit, Zivilprozessrecht, Rn.  267 = S.  92. 94  Bei Zusprechung des Unterlassungsanspruchs nach §  862 I 2 BGB entstünde freilich wie­ der eine vollstreckungsrechtliche Pattsituation, wenn anschließend zugunsten des Störers eine (vorläufig vollstreckbare) Duldungsentscheidung ergehen würde, siehe dazu bereits unter §  5 II.4.a): Der petitorisch berechtige Störer verstößt, selbst wenn er zwangsvollstreckungsrecht­ lich konform stört, formal gegen die Unterlassungsverpflichtung aus der possessorischen Ent­ scheidung. Dieses Problem kann über eine sorgfältige Auslegung des possessorischen Urteils innerhalb der Entscheidung nach §  890 ZPO gelöst werden, siehe dazu unter §  5 II.4.d). Auf materiellrechtlicher Ebene kann man dem Problem kaum Herr werden. Es wäre ein Unterlas­

244

§  8 Possessorischer Besitzschutz de lege ferenda

ziehung ergäbe sich nichts, was nicht schon aufgrund der Abschaffung des §  864 II BGB gelten würde: Nach Entziehung der Sache hätte ein Feststellungsurteil über das Recht zum Besitz für den Täter verbotener Eigenmacht keinerlei Wert, da die Rechtsfolge des §  864 II BGB nicht zu erzielen und der Täter der Vollstre­ ckung aus dem possessorischen Titel „schutzlos“ ausgeliefert wäre. Folglich wäre für ihn ein Herausgabeurteil viel erstrebenswerter; der entsprechende An­ trag würde aber ohnehin erst nach Rückgabe der Sache an den Besitzer statt­ haft.95 Lediglich für den Täter, der eine fortdauernde Besitzstörung eigenmäch­ tig herbeigeführt hat, bedeuteten die fehlenden Erfolgsaussichten seiner Dul­ dungsklage einen Einschnitt.96 cc) Abschaffung von §§  861 II, 862 II BGB Unter Geltung des spoliatus-Grundsatzes wäre schließlich die Abschaffung der §§  861 II, 862 II BGB konsequent. Gem. §§  861 II, 862 II BGB sind die posses­ sorischen Ansprüche ausgeschlossen, wenn der Besitzschutzkläger dem Beklag­ ten oder seinem Rechtsvorgänger gegenüber fehlerhaft besitzt und den Besitz innerhalb des letzten Jahres erlangt hat. Der Anspruchsausschluss beruht auf der Erwägung, dass die Wiederergreifung des Besitzes sanktionslos bleiben soll, wenn der Besitzergreifende noch im Zeitrahmen des §  864 I BGB Besitzschutz­ klage hätte erheben und letztlich den ursprünglich verletzten Besitzstand wieder­ herstellen können. Dass das BGB damit keine konsequente Prävention von Ei­ genmacht verfolgt, sondern die Entstehung einer Gewaltspirale in Kauf nimmt, wurde bereits dargelegt.97

sungsanspruch von Nöten, der nur die zwangsvollstreckungswidrige eigenmächtige Vollstre­ ckung verbietet, nicht aber zur generellen Unterlassung der Störung verpflichtet. Es müsste dann eine dem BGB an sich fremde Einfallsklausel für die Prüfung von schuldnerschützenden Normen des Vollstreckungsrechts geschaffen werden. Den possessorischen Unterlassungsan­ spruch per se zu streichen wäre dagegen keine zielführende Lösung, da er nötig ist, um den Störer mittels Drohung des Ordnungsmittels überhaupt anzuhalten, den geordneten Weg der staatlich vorgesehenen Vollstreckung zu gehen. 95  Der Besitz an der Sache würde also, wenn die Parteien auf ihren jeweiligen Titeln behar­ ren, einmal hin und her wechseln. Würde die verbotene Eigenmacht erst nach Erlass eines pe­ titorischen Herausgabeurteils begangen, entstünde der possessorische Anspruch erst nachträg­ lich. Auch hier ergäbe sich im Ergebnis eine einmalige Hin- und Her-Vollstreckung. 96  Eine materiellrechtliche Einrede könnte insofern lauten: „Der Besitzer kann die Duldung der störenden Handlung verweigern, solange die nach §  862 geschuldete Beseitigung der Störung nicht erfolgt ist.“ Dabei würde wiederum jede tatsächliche Beseitigung der Störung genügen. 97  Siehe unter §  3 III.6.d)ff)(2).

III. De lege ferenda – „kleine Lösung“ im BGB

245

(1) Gesetzliches Leitbild Die Regelung der §§  861 II, 862 II BGB ist an die exceptio vitiosae possessionis des römischen Rechts angelehnt.98 Nach der Begründung des Gesetzesentwurfs soll kein Widerspruch darin zu sehen sein, dass eine Handlung zwar als eine rechtswidrige und verbotene stigmatisiert, aber dennoch keinerlei zivilrechtli­ cher Reaktion unterworfen wird. Nach Johows Vorstellung, die der Gesetzgeber übernahm, schafft die Eigenmacht, welche sich das wiedernehme, was ihr ge­ nommen wurde, keinen widerrechtlichen Zustand, wie es bei der ersten Eigen­ macht der Fall sei, sondern verstößt nur gegen das „öffentliche Recht“. Eine Privatstrafe durch Abschneidung gewisser dem Eigenmächtigen zustehenden Rechte würde unnötigerweise denjenigen am härtesten treffen, welcher materiell am besten berechtigt wäre.99 Mit dieser Argumentation könnte man allerdings auch von vornherein allein auf die petitorische Rechtslage abstellen.100 (2) Gegenentwürfe in der Literatur Während sich in der heutigen Literatur keine Forderungen nach einer Abschaf­ fung der §§  861 II, 862 II BGB finden lassen,101 wurden die Normen unmittelbar nach ihrer Einführung überwiegend – und überzeugend – mit der Begründung kritisiert, dass der öffentliche Frieden in hohem Maße gefährdet sei, solange nicht jede verbotene Eigenmacht mit einem Sanktionsmechanismus belegt sei.102 Als Gegenentwurf brachte Cosack insbesondere eine Widerklagelösung ins Spiel:103 Die gegen eine „verspätete Selbsthilfe“ gerichtete Klage dürfe nicht über die exceptio ausgeschlossen sein. Allerdings verwirke der ursprünglich ver­ drängte Besitzer dadurch, dass er sich mittels Eigenmacht den Besitz wiederver­ schaffe, nicht sein eigenes Klagerecht: Er wäre auf die Besitzschutzklage des Gegners zwar zur Herausgabe zu verurteilen, könne aber alsbald seinerseits die Sache zurückfordern. Die Weiterung, die eine solche zweifache Besitzschutzkla­ ge mit sich bringe, werde dadurch vermieden, dass der Beklagte der Hauptsache­ klage, also der zuerst erhobenen Besitzschutzklage (welche sich gegen die zeit­ lich später begangene Eigenmacht richtet) statt der exceptio eine Widerklage 98  V. Gierke, Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs, S.  309; Gutzeit, in: Staudinger, BGB, §  861 Rn.  12. Siehe zur exceptio unter §  2 I.1. 99  Johow, Begründung zum Teilentwurf, S.  458, abgedr. bei Schubert, Vorlagen der Redak­ toren, Sachenrecht I, S.  582. 100  Dies schwebte Johow ursprünglich auch vor. 101  Den Verzicht auf eine exceptio fordert im europäischen Regelungskontext immerhin Müller, Besitzschutz, S.  254. 102  Cosack, Sachenrecht, S.  20; v. Gierke, Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs, S.  309 f.; O. Wendt, AcP 74 (1889), 135 (146 f.). 103  Cosack, Sachenrecht, S.  20 f.

246

§  8 Possessorischer Besitzschutz de lege ferenda

entgegenstellen könne. Der Unterschied zwischen einer derartigen Widerklage und der exceptio bestehe darin, dass der Widerkläger, falls er auf die Hauptklage zur Herausgabe verurteilt werde, einen Teil der Prozesskosten (als zusätzliche Sanktion) trage und dass zudem in der Folge endgültiger Rechtsfriede hergestellt werde. Als problematisch erweist sich bei diesem Vorschlag aber, dass sich die Sache im Regelfall im Besitz des ursprünglichen Opfers der Eigenmacht befin­ det, welches sich selbst der Sache wiederbemächtigt hat. Eine Leistungswider­ klage aus §  861 I BGB scheidet somit aus.104 Lediglich die Feststellung, dass der erfolgreich klagende Gegner seinerseits zur Herausgabe verpflichtet war, kommt als Antrag in Betracht. Aus einem entsprechenden Urteil könnte aber nicht voll­ streckt werden, wenn der Gegner zunächst mit seiner Herausgabeklage aus §  861 I BGB gewinnen und aus dieser sodann vollstrecken sollte. Es handelt sich hier­ bei um die gleiche Situation wie bei sich gegenüberstehender Besitzschutzklage und petitorischer (Wider-)Klage. Dies könnte zu dem praktischen Ansatz führen, zunächst über die possessorische Widerklage zu entscheiden und dann die eben­ falls possessorische Hauptsacheklage als unbegründet abzuweisen, womit durch Cosacks Weg lediglich der prozessuale Aufwand höher, letztlich aber das gleiche Ergebnis erreicht würde wie über die exceptio. (3) Eigene Würdigung Die konsequente Umsetzung des spoliatus-Grundsatzes verlangt nach der Ab­ schaffung der Ausschlusstatbestände der §§  861 II, 862 II BGB. Wer eigenmäch­ tig in einen bestehenden Besitzstand eingreift, der missachtet dadurch die prinzi­ pielle Gleichheit aller Rechtssubjekte, übt Herrschaft über ein Subjekt aus und eignet sich letztlich Staatsgewalt an. Folglich ist jede eigenmächtige Besitzstö­ rung eine rechtswidrige Besitzstörung. Jeder Besitzer muss deshalb verlangen können, dass die ihm aufgezwungene Beschränkung der Willensfreiheit durch die Wiederherstellung des status quo ante beseitigt wird. Sieht man den posses­ sorischen Besitzschutz als Mittel zur Wahrung des staatlichen Gewaltmonopols an, so darf kein Platz sein für die eigenmächtige Rückgängigmachung einer ebenso eigenmächtigen Besitzstandsveränderung, wenn letztere nur kurze Zeit zurückliegt. Bei Abschaffung der §§  861 II, 862 II BGB ergibt sich im schlimmsten Fall also ein Spiel von Klagen: Erst fordert der ursprüngliche Täter verbotener Eigen­ macht die Sache gem. §  861 I BGB zurück oder verlangt die Beseitigung der Störung gem. §  862 I BGB, dann fordert das ursprüngliche erste Opfer die Sache. Das wäre prozessual mühsam, aber folgerichtig.105 Im Idealfall wird über die 104  105 

Siehe zum Problem der statthaften Klageart bereits unter §  5 II.1.a). Im Schweizer Recht ist dies im Übrigen auch so vorgesehen, ohne dass es zu nennens­

III. De lege ferenda – „kleine Lösung“ im BGB

247

konsequente Abschreckungswirkung ohnehin erreicht, dass das erste Opfer der verbotenen Eigenmacht seinerseits auf die Begehung verbotener Eigenmacht verzichtet und die begehrte Besitzveränderung letztlich sicherer über den vorge­ sehenen Klageweg anstrebt. dd) Abschließende Bewertung Die Verankerung des spoliatus-Grundsatzes im BGB war vom historischen Ge­ setzgeber ersichtlich nicht gewollt, „weil in der Gegenwart Gewaltthätigkeiten nicht so häufig sind, daß ihnen durch zivilrechtliche Ausnahmevorschriften zu Ungunsten des Gewaltthätigen entgegengetreten werden müßte“.106 Entgegen dieser Argumentation wurde mit §  863 BGB dann doch eine besondere Ausnah­ mevorschrift geschaffen – eingeschränkt wiederum nur durch §  864 II BGB. Der klare Vorteil eines uneingeschränkt gültigen spoliatus-Grundsatzes liegt in einer konsequenten Präventionswirkung. Die Begehung der verbotenen Eigenmacht und die damit umgangene staatliche Zwangsvollstreckung mit ihren schuldner­ schützenden Vorschriften würden im – wenn auch engen – Rahmen der §  864 II BGB und §§  861 II, 862 II BGB nicht mehr ohne Konsequenzen bleiben. Den chronisch überlasteten Gerichten würde dagegen ein Maximum an Verfahren aufgebürdet. c) Fazit Der possessorische Besitzschutz des BGB bringt von seiner Konzeption her ten­ denziell ein prozessunökonomisches Hin und Her von possessorischem und pe­ titorischem Anspruch mit sich. Ausnahmen sind §§  861 II, 862 II BGB und §  864 II BGB, die das Interesse an einer Sanktion der verbotenen Eigenmacht hinter das Interesse des Täters an der Beibehaltung des eigenmächtig geschaffenen ­Besitzstands zurücktreten lassen und den possessorischen Anspruch versagen. Dies kann aus guten Gründen als widersprüchlich zur rechtsfriedenserhaltenden Zielsetzung des Besitzschutzes angesehen werden. Durch die Verankerung des spoliatus-Grundsatzes wäre dem Rechtsfrieden in konsequenter Weise gedient. Nach herrschender Meinung ist allerdings dem Gedanken der Prozessökonomie Rechnung zu tragen. Dies sollte bei aller notwendigen Pragmatik aber keinesfalls durch eine undurchsichtige Auslegung des §  864 II BGB bis hin zur Gesetzes­ werten prozessualen Problemen kommt. Gegenüber den Besitzschutzansprüchen der Art.  927, 928 ZGB ist die Einrede des fehlerhaften Besitzes nicht zulässig. Der frühere Besitzer einer Sache kann daher selbst dann die Rückgabe einer ihm durch verbotene Eigenmacht entzogenen Sache verlangen, wenn er selbst die Sache erst kurz zuvor dem jetzigen Besitzer durch verbo­ tene Eigenmacht entzogen hatte. 106  Motive, Band  III, S.  125 = Mugdan, Band  III, S.  69.

248

§  8 Possessorischer Besitzschutz de lege ferenda

anwendung contra legem erfolgen. Die entscheidenden Normen müssten gesetz­ geberisch entsprechend angepasst werden. Darauf weist auch Füller hin, der die Rechtsprechung zu §  864 II BGB inhaltlich zwar kritisiert, dem scheinbaren Be­ dürfnis der Praxis nach Prozessökonomie jedoch nachgibt und letztlich resignie­ rend die Streichung der §§  861–864 BGB de lege ferenda vorschlägt.107 Ganz so weit dürfte der Wille der herrschenden Meinung aber nicht gehen: Eine Abschaf­ fung von §  863 BGB und die Verankerung eines reinen Beschleunigungsgebots für die Entscheidung über possessorische Ansprüche würde genügen, um die ge­ wünschten prozessökonomischen Ergebnisse zu erzielen. Als gravierende Kon­ sequenz ergäbe sich aber eine starke Reduzierung der über §§  861 ff. BGB ver­ mittelten Abschreckungswirkung. Im Gegenteil würde ein erheblicher Beloh­ nungsmechanismus für die Begehung der verbotenen Eigenmacht entstehen, da die staatliche Zwangsvollstreckung und das eventuelle Erfordernis von Sicher­ heitsleistungen nach §§  708 ff. ZPO erfolgreich umgangen werden könnten. Dies ist nach der hier vertretenen Auffassung bedenklich.

3. Ergebnis zu einer lex ferenda innerhalb des BGB Abschließend ist dem Gesetzgeber jedenfalls zu empfehlen, innerhalb des BGB eine (neue) klare Wertentscheidung zu treffen. Bei wortlautgetreuer und verfas­ sungskonformer Auslegung kommt §  864 II BGB mangels Analogiefähigkeit de lege lata nur sehr eingeschränkt zur Anwendung. Auch kann das Patt, das de lege lata zwischen Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch auf der einen und peti­ torischem Duldungsanspruch auf der anderen Seite besteht, über die Berücksich­ tigung des Rechtsgedankens des §  863 BGB innerhalb der Entscheidung des §  890 ZPO gelöst werden,108 da das Verfahrensrecht als solches den Wertungen des materiellen Rechts ohnehin dienend zur Seite steht.109 Dennoch kann der momentane Widerstreit zwischen §  863 BGB und §  864 II BGB schwerlich als ideale Regelung bezeichnet werden, zumal die Notwendigkeit eines noch vom historischen Gesetzgeber vorgesehenen relativ „starken“ Besitzschutzes zuneh­ mend in Zweifel gezogen wird. Die kaum noch zu systematisierende Rechtspre­ chung führt zu enormer Rechtsunsicherheit. Insofern ist es erforderlich, sich für einen klaren Vorrang zugunsten des possessorischen oder zugunsten des petitori­ schen Rechts zu entscheiden.

107  Füller, Eigenständiges Sachenrecht, S.  554 f. – dies dient allerdings dazu, die Eigenstän­ digkeit des Sachenrechts als solches in Frage zu stellen. 108  Dazu bereits unter §  5 II.4.d). 109  Dazu bereits unter §  1 IV.3.

IV. De lege ferenda – „große Lösung“

249

IV. De lege ferenda – „große Lösung“: Alternativen zum possessorischen Besitzschutz im BGB? Zuletzt soll ein Blick auf mögliche andere, weitaus fundamentalere Veränderun­ gen des possessorischen Besitzschutzes geworfen werden. Als radikale Reform scheint – wie von Füller angedeutet110 – die Abschaffung der Besitzschutzan­ sprüche gem. §§  861–866, 869 BGB denkbar. Die Beibehaltung von §  858 BGB hätte dagegen den Vorteil, dass zum Beispiel in einer Strafnorm zivilrechtsakzes­ sorisch gearbeitet und an §  858 BGB angeknüpft werden könnte. Außerdem wür­ den §§  859, 860 BGB erhalten bleiben und müssten nicht im Notwehr- und Selbsthilferecht als leges speciales neu formuliert werden.111 Stellt man sich frei­ lich auf den Standpunkt, dass die sehr weit gefassten Selbsthilferechte des Besit­ zers vor dem Hintergrund des staatlichen Gewaltmonopols abzuschaffen sind,112 verlören §§  858 ff. BGB gänzlich an Bedeutung. Notwehr und Selbsthilfe sollen aber nicht im Fokus des Prüfstandes dieser Arbeit stehen.

1. Abschaffung der §§  861 ff. BGB Die Abschaffung der §§  861 ff. BGB hätte zur Konsequenz, dass andere An­ spruchsgrundlagen des BGB, die auf die Abwehr von Störungen oder auf Her­ ausgabe gerichtet sind, eine neue Bedeutung erhielten. a) Verbleibende Ansprüche bei Besitzstörung Ein Anspruch auf Beseitigung und Unterlassung von Störungen des Besitzes be­ stünde nach §  1004 BGB nur noch für den Eigentümer einer Sache. Auf obliga­ torisch Berechtigte findet die Norm keine analoge Anwendung,113 auf Nicht-Be­ rechtigte ohnehin nicht. Für den Inhaber eines subjektiven Rechts käme als An­ spruchsgrundlage zur Beseitigung einer Störung zumindest noch §  823 I BGB in Form der Naturalrestitution gem. §  249 I BGB in Betracht – jedoch unter der zusätzlichen Voraussetzung eines Verschuldens des Täters. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass für zum Besitz berechtigte Nicht-Eigentü­ mer, welche ein legitimes Interesse an der Abwehr von Störungen haben, eine kaum zu rechtfertigende Lücke im Anspruchssystem entstünde. Der berechtigte 110 

Füller, Eigenständiges Sachenrecht, S.  554 f. Nach umstrittener Ansicht, die von der Großzügigkeit der Auslegung der Norm abhängt, ist das Notwehrrecht gem. §  859 I BGB allerdings ohnehin bereits von §  227 BGB erfasst, siehe unter §  3 III.6.d)aa). 112  Siehe dazu unter §  3 III.6.d)bb)(3)(c). 113  Baldus, in: MüKo-BGB, §  1004 Rn.  52. 111 

250

§  8 Possessorischer Besitzschutz de lege ferenda

Besitzer wäre folglich auf die Schaffung eines neuen petitorischen Störungs­ abwehranspruchs im BGB oder – wie der unberechtigte Besitzer auch – auf die Schaffung eines anderweiten Schutzmechanismus angewiesen. b) Verbleibende Ansprüche bei Besitzentziehung Im Fall der Abschaffung des §  861 BGB bekäme §  1007 BGB im Bereich der Herausgabeansprüche als Reaktion auf eine Besitzentziehung eine neue Bedeu­ tung. §  1007 BGB schützt den Besitz nicht absolut und gilt nur für bewegliche Sachen.114 Die (praktische) Relevanz der Norm ist äußerst umstritten.115 Für den Eigentümer ist der Anspruch aus §  1007 BGB in der Regel kaum von Bedeutung, da der wesentlich umfassendere Vindikationsanspruch aus §§  985, 1006 BGB leichter darzulegen ist.116 Insoweit nicht vertreten wird, dass die Regelung kei­ nen eigenständigen Zweck habe und sie überflüssig sei,117 geht man mehrheitlich davon aus, dass es sich um einen Anspruch des „besser“ berechtigten Besitzers118 oder um einen „Anspruch aus früherem Besitz gegen den schlechter Berechtig­ ten“119 handele. Für den Besitzer, dem der Besitz durch verbotene Eigenmacht entzogen wird, würde über die alleinige Geltung des §  1007 BGB nur noch ein eingeschränkter materiellrechtlicher Schutz existieren: Nach §  1007 I BGB kann die Sache von demjenigen herausverlangt werden, der bei Besitzerlangung nicht in gutem Glauben war. Die verbotene Eigenmacht bedeutet stets den unfreiwilligen Ver­ lust des unmittelbaren Besitzes, sodass auch ein Abhandenkommen im Sinne des §  1007 II BGB zu bejahen wäre. In diesen Fällen kann der ehemalige Besitzer die Heraus­gabe sogar von einem gutgläubigen neuen Besitzer verlangen. Der An­ wendungsbereich des §  1007 II BGB ist insofern weiter gefasst als der des §  861

114  Nur ganz wenige Stimmen befürworten – gestützt auf BGHZ 7, 208 (215 ff.) – eine ent­ sprechende Anwendung auf Immobilien, siehe AG Tiergarten MM 1993, 148 (148). Die Ent­ scheidung BGHZ 7, 208, aus dem Jahr 1952 ist als eine zeitbedingte Ausnahme anzusehen: Hier wurde ein Besitzschutzanspruch, der sich eigentlich auf §  861 BGB stützte, jedoch wegen §  864 I BGB bereits erloschen war, ausnahmsweise nach §  1007 BGB zuerkannt, da es dem Besitzer der Immobilie durch die besonderen Umstände am Ende des Zweiten Weltkrieges nicht möglich gewesen war, die Jahresfrist einzuhalten. 115  Ausführlich Sosnitza, Besitz und Besitzschutz, S.  182 ff. 116  Anders ist dies nur dann, wenn dem Beklagten der Nachweis gelingt, dass, jedenfalls zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung, ein Dritter in Wirklichkeit Ei­ gentümer der herausverlangten Sache ist. In dieser Situation bietet §  1007 BGB dem Kläger einen Vorteil. 117  Baldus, in: MüKo-BGB, §  1007 Rn.  11, 13; Sliwka, Herausgabeansprüche, S.  454. 118  Fritzsche, in: BRHP-BGB, §  1007 Rn.  1. 119  Sosnitza, Besitz und Besitzschutz, S.  181, 199.

IV. De lege ferenda – „große Lösung“

251

BGB, welcher die Rückforderung von einem Gutgläubigen gem. §  858 II BGB ausschließt. §  1007 II BGB gewährt aber geringeren Schutz als §  861 BGB, insofern der Anspruch gegen den Eigentümer der Sache ausgeschlossen ist.120 Generell ­bewirken §§  1007 III 2, 986 BGB, dass der Anspruch des Besitzers gegen jeden – obligatorisch oder dinglich – besser Berechtigten scheitert. Bewahrt wird der frühere Besitzer nur vor Verschiebung an einen Besitzer, der nicht besser berech­ tigt ist als er selbst. Somit wird klar, dass §  1007 BGB keinen adäquaten Ersatzanspruch für den­ jenigen bietet, dem der Besitz durch einen petitorisch Berechtigten eigenmächtig entzogen wurde. Einen mit §  861 BGB vergleichbaren Schutz würde §  1007 BGB nur im Verhältnis zwischen zwei Nicht-Berechtigten bewirken – wohl­ gemerkt nur mit Blick auf Mobilien. Für den Besitzer, der gleichzeitig Eigentümer oder anderweitig berechtigt ist, sollte der Wegfall von §  861 BGB dagegen verschmerzbar sein: Er müsste im Rahmen von §  1007 BGB genauso wie im Rahmen von §  861 BGB seinen frühe­ ren sowie den gegenwärtigen Besitz des Beklagten und das Abhandenkommen der Sache beweisen, nicht aber ein eigenes Recht zum früheren Besitz oder die eigene Gutgläubigkeit, weil beides vermutet würde. Der berechtigte Besitzer kann nach wohl unstreitiger Ansicht die Herausgabe zudem als Naturalrestitution im Sinne des §  823 I BGB verlangen.121 Der An­ spruch hinge allerdings von einem Verschulden des Anspruchsgegners ab. Auch §  812 I 1 Alt.  2 BGB kommt als Anspruchsgrundlage für den Berechtigten in Betracht. c) Fazit §§  861 f. BGB sind die einzig relevanten Anspruchsnormen für den nicht berech­ tigten Besitzer gegen den petitorisch berechtigten Täter verbotener Eigenmacht. Aufgrund der niederschwelligen Anspruchsvoraussetzungen haben die Normen zudem eine große praktische Bedeutung für den berechtigten Besitzer. Ohne die Anspruchsgrundlagen würden nicht unwesentliche Rechtsschutzlücken beste­ hen, sodass eine Abschaffung, wie Füller sie fordert, zu weit ginge.

120 

Die explizite Aufnahme der Eigentümerstellung als Ausschlussgrund in §  1007 II BGB wird wegen §  1007 III 2 BGB vielfach als überflüssig angesehen: Fritzsche, in: BRHP-BGB, §  1007 Rn.  13; Gursky, in: Staudinger, BGB, §  1007 Rn.  5; Herrler, in: Palandt, BGB, §  1007 Rn.  11. 121  Förster, in: BRHP-BGB, §  823 Rn.  155; G. Wagner, in: MüKo-BGB, §  823 Rn.  289; Wilhelmi, in: Erman, BGB, §  823 Rn.  43.

252

§  8 Possessorischer Besitzschutz de lege ferenda

2. Besondere ermessensgeleitete Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes §§  861 f. BGB sind als normale materielle Ansprüche ausgestaltet. Der Heraus­ gabe- oder Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch des Besitzers steht dem petitorischen Herausgabe- oder Duldungsanspruch des obligatorisch oder ding­ lich Berechtigten diametral entgegen. Der Richter kann das Bestehen des posses­ sorischen Anspruchs nur entweder bejahen oder aber verneinen. Insofern ist das Recht hier relativ starr und verzichtet auf „Zwischentöne“. Gerade solcher könn­ te es aber bedürfen, um den Konflikt zwischen Besitzer und petitorisch berech­ tigtem Täter verbotener Eigenmacht zu lösen. Klassisches Mittel zur Erreichung von „Zwischentönen“ ist das aus dem öffentlichen Recht bekannte, im Zivilpro­ zess vor allem in §  938 ZPO vorgesehene Ermessen. Es erscheint möglich, unter Belassung der §§  861 I, 862 I BGB,122 aber anstelle der starren §§  863, 864 II BGB eine besitzschützende Ermessensverfügung in der ZPO zu verankern, die Entscheidungen für den jeweiligen Einzelfall gestattet. a) Ermessensentscheidungen im deutschen Zivil(prozess)recht Im Zivilprozessrecht werden dem Richter in nur wenigen Vorschriften Möglich­ keiten zur Ermessensausübung gewährt. Das gilt auch für den einstweiligen Rechtsschutz, mit dem der possessorische Anspruch im Regelfall geltend ge­ macht wird. Die bereits im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes erwähnte Vorschrift des §  938 ZPO gewährt zwar ein „Ermessen“, dabei handelt es sich aber nur um einen Entscheidungsspielraum innerhalb der von den Parteien ge­ stellten Anträge123 und nicht um eine umfassende Interessenabwägung. Ob ein Anspruch entstanden ist, hängt im deutschen Recht nicht von Ermessenserwä­ gungen ab. Das konkrete materielle Recht, wie zum Beispiel §  863 BGB, findet – auch im einstweiligen Rechtsschutz – stets Beachtung. b) Ausgestaltung einer besonderen besitzschützenden Ermessensverfügung in der ZPO Ausgehend von der Prämisse, dass letztlich dem petitorischen Recht zur Durch­ setzung verholfen werden muss und ein possessorischer Besitzschutz nur eine vorläufige Regelung darstellt, könnte es sich anbieten, ähnlich wie im spanischen 122  Die jetzigen §§  861 II, 862 II BGB könnten gestrichen werden, siehe unter §  8 III.2.b) cc), sodass aus §§  861 I, 862 I BGB die §§  861, 862 BGB n. F. würden. 123  Haertlein, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Zwangsvollstreckung, §  938 Rn.  5; Huber, in: Musielak/Voit, ZPO, §  938 Rn.  5; Mayer, in: BeckOK-ZPO, §  938 Rn.  3; a. A. Drescher, in: MüKo-ZPO, §  938 Rn.  5.

IV. De lege ferenda – „große Lösung“

253

Recht, dem Besitzer im Rahmen des possessorischen materiellen Anspruchs ein gesondertes Antragsrecht im einstweiligen Rechtsschutz zu gewähren. Innerhalb einer solchen Regelung könnte es dem Richter erlaubt sein, sowohl den Rechts­ bruch der verbotenen Eigenmacht als auch – aufgrund des Wegfalls von §  863 BGB – ein eventuelles petitorisches Recht zu berücksichtigen und nach einer Interessenabwägung eine geeignete Maßnahme auszuwählen. aa) Mögliche Vorteile Der Vorteil einer Ermessensentscheidung liegt auf der Hand: Für eine Verfügung wäre nicht ausschließlich das Vorliegen verbotener Eigenmacht entscheidend, son­ dern es stünden differenzierte Kriterien zur Verfügung. So könnte der Richter seine Entscheidung von der Intensität der Besitzbeeinträchtigung abhängig machen, also zum Beispiel bewerten, ob Gewalt gegen die Person oder gegen fremde Sachen verübt, vielleicht sogar ein Straftatbestand erfüllt wurde. Angelehnt an den Vor­ schlag im DCFR124 wäre im Regelfall die Herstellung des status quo ante zu ver­ fügen, wenn kein petitorisches Gegenrecht glaubhaft gemacht werden kann. Wird ein solches dagegen glaubhaft gemacht, so wäre der status quo ante nicht wieder­ herzustellen, wenn erhebliche wirtschaftliche Werte auf dem Spiel stünden oder der Besitzer rechtsmissbräuchlich handelte. Umgekehrt wäre der status quo ante trotz Glaubhaftmachung eines petitorischen Rechts dann herzustellen, wenn Ge­ walt angewendet wurde oder die Sache für den Besitzer von enormer Bedeutung wäre, zum Beispiel einen wichtigen Faktor in seinem Gewerbebetrieb oder in sei­ ner persönlichen Lebensgestaltung spielen würde. In diese Abwägung könnten dann auch Belange, die sonst im Vollstreckungsschutz nach §  765a ZPO eine Rolle spielen würden,125 vom Richter eingestellt werden. Im Übrigen würde §  938 ZPO gelten, sodass zum Beispiel in Fällen der Besitzentziehung – wie in der vom DCFR vorgesehenen Regelung – auch die Anordnung einer Sequestration erfolgen könn­ te. Zwar wurde bereits zu Bedenken gegeben, dass die Sequestration dem Antrag­ steller wirtschaftlich selten nützt, vielmehr bürokratisch und kostenintensiv ist;126 sie wäre aber zumindest eine „sanfte“ Sanktion für die Begehung verbotener Ei­ genmacht. Zudem ist es nicht ausgeschlossen, dass sie in Einzelfällen eine interes­ sengerechte vorläufige Regelung darstellen kann.127 Insofern müsste dem Richter 124 

Siehe unter §  8 II.2.b). Siehe zu der Problematik unter §  5 II.2. In der Abwägung sollte dagegen nicht die Tatsa­ che Berücksichtigung finden, dass das Opfer verbotener Eigenmacht zuvor selbst Eigenmacht gegen den Täter begangen hatte, so wie es heute §§  861 II, 862 II BGB vorsehen. Die erste Gewalt rechtfertigt die zweite nicht, siehe unter §  8 III.2.b)cc). 126  Siehe unter §  8 II.2.d). 127  Im Fall BGHZ 73, 355 war beispielsweise der gestörte Besitzer mit einer Sequestration offenbar einverstanden. 125 

254

§  8 Possessorischer Besitzschutz de lege ferenda

entsprechendes Vertrauen geschenkt werden, dass er die im Einzelfall geeignete Maßnahme wählt. Die neue Regelung würde zudem die prozessualen Möglich­ keiten für den Besitzer in prozessökonomischer Weise straffen: Einzig die posses­ sorische Verfügung wäre zügig zu erlangen und zu vollstrecken, §§  936, 929 II ZPO. Ein ordentliches Verfahren gegen einen petitorisch Berechtigten wäre auf­ grund des Wegfalls von §  863 BGB dagegen nicht erfolgversprechend und würde unterbleiben. bb) Verbleibende Gültigkeit der allgemeinen Vorschriften Aufgrund der Einordnung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes fänden im Übrigen die allgemeinen Bestimmungen Anwendung. Lediglich die Anord­ nung der Klageerhebung nach §§  936, 926 ZPO ergäbe keinen Sinn mehr, da der Besitzer in einem possessorischen Hauptsacheverfahren aufgrund des Wegfalls von §  863 BGB stets dem dolo-agit-Einwand des Täters der verbotenen Eigen­ macht ausgesetzt wäre, also zwingend unterliegen würde. Der Verfügungs­ schuldner könnte aber selbst die petitorische Klage erheben und über §§  936, 927 ZPO die Aufhebung der Verfügung erreichen.128 Dieser prozessuale Aufwand wäre ihm auch zuzumuten, da er selbst erst durch die Begehung der verbotenen Eigenmacht den (ehemaligen) Besitzer dazu genötigt hat, Eilrechtsschutz zu er­ suchen. c) Konkrete Verortung einer besonderen Ermessensverfügung Die Ansiedelung einer besitzschützenden Ermessensverfügung als besondere Art der einstweiligen Verfügung wäre in der bestehenden ZPO im Anschluss an §  940 ZPO sinnvoll. Der jetzige §  940a I ZPO nimmt bereits explizit auf die verbotene Eigenmacht Bezug und ist insofern BGB-akzessorisch.129 Hieran könnte problemlos angeknüpft werden. Aufgrund der Existenz der weiteren Ab­ sätze des jetzigen §  940a ZPO, die allesamt Wohnraumbezug aufweisen, wäre es allerdings vorzugswürdig, den gesamten §  940a ZPO in einen neuen §  940b ZPO – Räumung von Wohnraum – zu überführen und in §  940a ZPO n. F. die neue Ermessensentscheidung mit all ihren Voraussetzungen zu normieren.

128  Dies rechtfertigt auch den Verzicht auf eine Norm wie §  864 II BGB. Hat der Täter da­ gegen schon im Vorfeld eine petitorische Entscheidung erwirkt, aus der er eigenmächtig voll­ streckt hat, stellt eine solche keinen „veränderten Umstand“ i. S. v. §  927 ZPO dar, der eine Aufhebung der possessorischen Verfügung bewirken würde. 129  Siehe unter §  4 III.1.b)bb)(2).

IV. De lege ferenda – „große Lösung“

255

d) Wortlaut und Erläuterung eines künftigen §  940a ZPO n. F. Die Norm könnte wie folgt lauten: §  940a ZPO n. F.: Einstweilige Verfügung zur Regelung des Besitzes I. Wurde einem Besitzer der Besitz durch verbotene Eigenmacht entzogen oder wurde ein Besitzer durch verbotene Eigenmacht im Besitz gestört, so kann eine einstweilige Verfügung zur Regelung des Besitzstands ergehen. II. 1In der einstweiligen Verfügung ist in der Regel anzuordnen, dass die Sache dem Besitzer zurückzugeben oder die Störung zu beseitigen und in Zukunft zu unterlassen ist. 2Bei der Entscheidung muss ein glaubhaft gemachtes entgegenstehendes Recht des Gegners nicht berücksichtigt werden. Der Norm ist zu entnehmen, dass eine einstweilige Verfügung zur Regelung des Besitzstands möglich ist. Um den Wertungen der §§  861, 862 BGB n. F. zu ent­ sprechen, ist – wie §  940a II 1 ZPO n. F. verdeutlicht – in der Regel eine Leis­ tungsverfügung in der Form zu erlassen, wie sie heute schon de lege lata als Befriedigungsverfügung ergehen kann.130 Die Formulierung des ersten Absatzes ist aber so gewählt, dass entsprechend §  938 ZPO auch andere Formen der Be­ sitzstandsregelung möglich sind. Aufgrund des Wegfalls von §  863 BGB würde das materielle Recht grundsätzlich die Vorgabe machen, ein glaubhaft gemachtes petitorisches Recht des Täters der verbotenen Eigenmacht stets zu beachten. §  940a II 2 ZPO n. F. würde insofern klarstellen, dass – um die verbotene Eigen­ macht wirksam zu sanktionieren – ein solches Recht nicht berücksichtigt werden muss. Aufgrund der Wortwahl „muss nicht“ (anstelle von „darf nicht“) wird aber umgekehrt deutlich, dass ein petitorisches Recht beachtet werden kann. e) Abschließende Bewertung Die Etablierung einer besonderen Ermessensverfügung in der ZPO hat insbeson­ dere gegenüber der bereits skizzierten Einfügung von §§  861 II, 862 II BGB n. F. als materiellrechtliche petitorische Einreden131 Vorteile: Zwar wären auch ohne eine besondere Ermessensverfügung nach §  940 ZPO Besitzschutzverfügungen möglich; fraglich wäre aber, ob sie als Befriedigungsverfügungen ergehen könn­ ten. Das besondere Bedürfnis nach einer Befriedigungsverfügung wird momen­ tan nämlich dem Rechtsgedanken des §  863 BGB entnommen. Diese Norm wür­ de jedoch de lege ferenda nicht mehr existieren. Außerdem wäre stets ein sofort 130 

Der Verfügungsgrund wäre wie bisher in der Begehung der verbotenen Eigenmacht zu erblicken. 131  Siehe die „kleine“ Lösung unter §  8 III.2.a).

256

§  8 Possessorischer Besitzschutz de lege ferenda

beweisbares petitorisches Recht nach den §§  861 II, 862 II BGB n. F. der „klei­ nen Lösung“ in Verbindung mit §  940 ZPO beachtlich. Dies gilt insbesondere für den Fall, dass der Täter eigenmächtig die Vollstreckung aus einem bereits beste­ henden Titel betriebe, welcher als „sofortiger“ Beweis des petitorischen Rechts im Sinne der §§  861 II, 862 II BGB n. F. gelten würde, den Besitzschutzanspruch also zu Fall brächte.132 Demgegenüber könnte die ermessensgeleitete Verfügung nach §  940a ZPO n. F. dem konkreten Einzelfall gerechter werden. Darin liegt selbstredend auch der Vorteil bezüglich der Verankerung des strengen Grund­ satzes spoliatus ante omnia est restituendus.133 Auf wenig Widerspruch dürfte ein neukonzipierter §  940a ZPO n. F. bei den­ jenigen Vertretern in der Literatur stoßen, die bereits in §  940 ZPO eine „rechts­ polizeiliche“ Kompetenznorm erblicken. Wie bereits dargestellt interpretierte die ältere Literatur §  940 ZPO teilweise als Generalklausel zur Schaffung von Rechtsfrieden – unabhängig vom Bestehen materieller Ansprüche.134 Ähnlich wie es Aufgabe der Polizei sei, im ersten Zugriff die äußeren Voraussetzungen für die Ordnung des menschlichen Zusammenlebens zu sichern, gehe es im Be­ reich der Regelungsverfügung darum, die Rechtsgemeinschaft funktionsfähig zu erhalten. Nach dieser Auffassung soll das Gericht den polizeirechtlichen Grund­ satz, dass „man sich zunächst einmal an den Störer hält“, anwenden können; denn wer die Ordnung innerhalb der Gemeinschaft störe, müsse in die Schranken gewiesen werden, ohne dass zunächst nachgeprüft werden könne, ob „mit Recht“ gestört wurde.135 Dieser Gedankengang erinnert an §  863 BGB und den Aspekt, dass in der verbotenen Eigenmacht vor allem eine Störung des Rechtsfriedens in Form der Missachtung des staatlichen Gewaltmonopols liegt. Eine einstweilige Verfügung, die auf diesem Gedanken beruht und dem materiellen Anspruch Er­ messensaspekte hinzufügt, nimmt im Endeffekt den Charakter eines Verwal­ tungsakts an, sie mutiert zu einer Exekutivmaßnahme.136 132 

Siehe unter §  8 III.2.a)cc)(1). Siehe die „kleine“ Lösung unter §  8 III.2.b). 134  Baur, Studien, S.  34; Blomeyer, Zivilprozeßrecht, S.  667; Cohn, JW 1915, 1421 (1424). Siehe ausführlich unter §  4 III.1.b)aa). 135  Baur, Studien, S.  34. 136  Der Verwaltungsaktscharakter wurde insbesondere von Rohmeyer, Geschichte und Rechtsnatur, S.  82 ff., im Hinblick auf Sicherungs- und Regelungsanordnungen im verwal­ tungsgerichtlichen Eilrechtsschutz vertreten. Rohmeyers Gedanken lassen sich ohne weiteres auf die zivilprozessuale einstweilige Verfügung übertragen, zumal die einstweiligen Anordnun­ gen des §  123 I VwGO den §§  935, 940 ZPO nachgebildet sind. Ganz ähnlich positioniert sich Leipold, Grundlagen, S.  94 ff., wenn er eine zivilprozessuale „offene“ Verfügung fordert, in deren Rahmen ein materielles Recht (und nicht die Glaubhaftmachung der ein Recht begrün­ denden Tatsachen) nur im Sinne einer kursorischen Überprüfung bestehen müsse und im Übri­ gen die Interessen des Antragstellers und des Antragsgegners gegeneinander abzuwägen seien. 133 

IV. De lege ferenda – „große Lösung“

257

Gegen die implizite rechtspolizeiliche Natur des einstweiligen Rechtsschutzes kann eingewandt werden, dass sie, wenn man das öffentliche Interesse als Gel­ tungsgrund gerichtlicher Zwischenregelungen anerkennt, die Funktion des Zivil­ prozesses aufweicht.137 Eine solche Kritik an einem potentiellen §  940a ZPO n. F. greift jedoch zu kurz: Schließlich bürden auch die auf den materiellrechtlichen Ansprüchen der §§  861 f. BGB basierenden Entscheidungen den Zivilgerichten schon heute, jedenfalls indirekt, eine Kontrollfunktion aus öffentlichem Interesse auf, da die Ansprüche zu Präventionszwecken zugunsten des Erhalts des Rechts­ friedens geschaffen wurden. Zudem existiert zumindest im Rahmen des §  32 BVerfGG bereits eine „offene“ Form der einstweiligen Anordnung, in deren Rah­ men – ohne Anknüpfung an das materielle Recht – die Abwägung der widerstrei­ tenden Interessen der Beteiligten sowie der Allgemeinheit stattfindet. Dennoch ist eine Übertragung dieser Grundsätze auf das Zivilprozessrecht zugegebener­ maßen kritisch zu betrachten, da das anspruchsbezogene Denken im Zivilrecht und die demgegenüber lediglich dienende Funktion des Prozessrechts ein großes Maß an Rechtssicherheit garantieren.138 Demgegenüber bergen Einzelfallent­ scheidungen nach Ermessensaspekten durchaus Unwägbarkeiten. §  940a ZPO n. F. könnte unter Umständen ein wenig dogmatisches, unübersichtliches case law nach sich ziehen. Ein solches besteht aber im Grunde bereits heute – und das trotz der relativ eindeutigen Formulierung der bestehenden Besitzschutzvor­ schriften. Um Rechtsunsicherheit vorzubeugen, sollte der Gesetzgeber sich nicht davor scheuen, in der Gesetzesbegründung zu einem §  940a ZPO n. F. den ge­ wünschten Regelungseffekt zu benennen. Denkbar wäre schließlich auch eine Formulierung von Regelbeispielen. Letztlich erscheint der hier beschriebene Weg de lege ferenda schlüssig: Will man dem petitorischen Recht trotz Bege­ hung verbotener Eigenmacht zur Durchsetzung verhelfen und nicht wie zum Ende des Römischen Reiches als drastische Sanktion der verbotenen Eigenmacht den petitorischen Anspruch versagen, sind die possessorischen Rechte nur auf einen vorläufigen Besitzstand ausgerichtet. Solange possessorische Ansprüche im BGB existieren, sind Konflikte mit den petitorischen Ansprüchen unaus­ weichlich. Will man diese Konflikte entschärfen und berücksichtigt man den As­ pekt, dass die possessorischen Ansprüche vorrangig ein öffentliches Interesse in Form des Rechtsfriedensschutzes verfolgen, wäre es akzeptabel, in der ZPO eine ermessensabhängige einstweilige Verfügung als vermeintlichen „Fremdkörper“ zu etablieren.139 Mit Blick auf ausländische Regelungen und den Vorschlag im 137 

Schilken, Befriedigungsverfügung, S.  120. Gegen eine Verlagerung von anspruchsbezogener Prüfung im Hauptsacheverfahren auf Ermessensentscheidungen im einstweiligen Rechtsschutz Stürner, in: Procedural Laws, S.  143 (158, 180). 139  In dieser Form käme die besondere einstweilige Verfügung im Übrigen tatsächlich einer 138 

258

§  8 Possessorischer Besitzschutz de lege ferenda

DCFR140 würde das deutsche Recht zudem „fit“ gemacht für die europäische Harmonisierung, in der das angestammte Anspruchsdenken des deutschen Rechts möglicherweise ohnehin zu modifizieren wäre.

3. Sanktion und Prävention über das Strafrecht Betrachtet man die Herstellung des status quo ante als Rechtsfolge der possesso­ rischen Besitzschutzansprüche hauptsächlich als Sanktionsmechanismus für den Täter der verbotenen Eigenmacht und erachtet man die zivilrechtliche Anord­ nung der Wiederherstellung des Besitzstands als eine grundsätzlich austauschba­ re Sanktion, dann liegt der Schluss nahe, dass verbotene Eigenmacht genauso gut durch eine Strafnorm sanktioniert werden könnte. Der gewünschte Präventions­ effekt würde also nicht (nur) über zivilrechtliche Ansprüche, sondern über das Strafrecht erreicht, welches schließlich traditionell dafür vorgesehen ist.141 a) Strafbarkeit von Selbsthilfe Der aufgeklärte absolutistische Staat sah im 18. und auch noch im frühen 19. Jahrhundert für jede Selbsthilfe Strafe vor.142 Damit setzte der Staat vor allem rechtspolitisch ein Zeichen: Ein eigenmächtiges Vorgehen galt als mit „dem We­ sen wohlgeordneter Staaten unverträglich“.143 Eigenmacht wurde demgemäß als Staatsverbrechen verfolgt. Mit dem aufkommenden Liberalismus entkriminali­ sierten zunächst das preußische StGB von 1851 und nachfolgend das StGB des Deutschen Reichs von 1871 die Selbsthilfe. Freilich schützt das StGB heutzutage Individualrechtsgüter, deren Schutz auch dem zivilrechtlichen Selbsthilfeverbot zugrunde liegt.144 Durch die Begehung verbotener Eigenmacht können Straftatbestände wie Hausfriedensbruch gem. §  123 StGB, Nötigung gem. §  240 StGB oder Körperverletzung gem. §§  223 ff. StGB erfüllt werden. Diese Straftatbestände sanktionieren die Verletzung des Hausrechts als der persönlichen Freiheit nahe verwandtem Rechtsgut besonderer Art, der Willensentschließungsfreiheit145 oder der körperlichen Unversehrtheit. Art „materiellem Zwischenrecht“ gleich, wie es von Leipold bereits im geltenden Recht er­ blickt wird, siehe unter §  4 III.1.a). 140  Siehe unter §  8 II.2. 141  Siehe bereits unter §  4 II.3.a)aa). 142  Vgl. ALR II, 20 §§  157 ff., sowie die Strafgesetzbücher von Bayern von 1813 (Art.  420 f.), von Holstein-Oldenburg von 1814 (Art.  449) und von Baden von 1845 (§  279). 143  Siehe O. Wendt, JherJb 21 (1883), 56 (56). 144  Zum Individualrechtsschutz durch das staatliche Gewaltmonopol siehe unter §  3 III.6.b). 145  Zum Streit um das in §  240 StGB geschützte Rechtsgut siehe Sinn, in: MüKo-StGB, §  240 Rn.  5 ff.

IV. De lege ferenda – „große Lösung“

259

Jedoch erfüllt nicht jede verbotene Eigenmacht automatisch einen der genannten Straftatbestände. So muss zum Beispiel für die Erfüllung des Straftatbestands der Nötigung ein besonderes Zwangsmittel zu einer konkreten Opferreaktion führen, was nicht der Fall ist, wenn der Besitz an einer Sache im Wege der Eigenmacht heimlich entzogen wird. Strafrechtlich sanktioniert wird folglich nur ein beson­ ders harsches Vorgehen. Die Freiheit der Willensbetätigung, welche vom allge­ meinen Persönlichkeitsrecht als einheitliches und umfassendes Recht auf Ach­ tung und Entfaltung der Persönlichkeit garantiert wird,146 ist jedoch durch jede verbotene Eigenmacht verletzt. Der Staat schützt diese Freiheit durch Etablie­ rung eines umfassenden staatlichen Gewaltmonopols. Die verbotene Eigenmacht ist zugleich eine Missachtung des Letzteren. b) Hypothetische Strafnorm im StGB? Der Staat hat als Inhaber des Gewaltmonopols stellvertretend für die Opfer und Betroffenen Schutzpflichten übernommen. Diese Schutzpflichten können sich grundsätzlich zu der Pflicht verdichten, Strafnormen zu schaffen, um verbotene Eigenmacht zu ahnden und generalpräventiv auf die Teilnehmer im Rechtsver­ kehr einzuwirken. Die Störung des staatlichen Gewaltmonopols könnte insofern nach einer kriminalrechtlichen Sanktion verlangen.147 c) Konkrete Verortung einer potentiellen Strafnorm Anknüpfend an die zu ahndende Störung des Rechtsfriedens böte sich eine Ver­ ankerung im 7.  Abschnitt des StGB, den Straftaten gegen die öffentliche Ord­ nung, an. d) Wortlaut und Erläuterung einer potentiellen Strafnorm Beließe man es bei §  858 I BGB, so könnte eine zivilrechtsakzessorische Straf­ norm im StGB folgendermaßen lauten: „Wer zur Durchsetzung eines Rechts ­gegenüber dem Besitzer verbotene Eigenmacht begeht, wird mit […] bestraft.“ Die Formulierung „zur Durchsetzung eines Rechts“ leitet den subjektiven Tat­ bestand ein. Nicht jeder, der verbotene Eigenmacht im Sinne des jetzigen §  858 I BGB begeht, würde sich strafbar machen. Der Straftatbestand würde nur die bewusste Rechtsdurchsetzung „auf eigene Faust“ unter Missachtung des staatli­ chen Gewaltmonopols sanktionieren, wobei das durchzusetzende Recht nicht in 146 

Siehe dazu unter §  3 II.3. Dies fordert Wacke, in: FS Jayme, S.  1605 (1615), zusätzlich zum zivilrechtlichen pos­ sessorischen Besitzschutz. 147 

260

§  8 Possessorischer Besitzschutz de lege ferenda

Wirklichkeit bestehen müsste. Irrtumsfälle wie im „Hut-Fall“,148 in dem der Tä­ ter verbotener Eigenmacht aus Versehen in fremden Besitz eingreift, wären schon tatbestandlich nicht erfasst. Bei einer vollumfänglichen Abschaffung der §§  858 ff. BGB müsste sich die Formulierung dagegen an der italienischen oder spanischen Strafnorm orientieren und die verbotene Eigenmacht in einem eige­ nen strafrechtlichen Sinne definieren. Es stellt sich zuletzt die Frage, ob die Norm als Antrags- oder Offizialdelikt auszugestalten wäre. In Anlehnung an das geltende Zivilrecht, in dem der gestör­ te Besitzer selbst aktiv werden muss, könnte man es auch im Strafrecht dem Besitzer überlassen, eine Strafverfolgung anzustrengen. Dagegen spricht, dass mit der Störung des Rechtsfriedens ein überindividuelles Rechtsgut betroffen ist, die Ahndung also im Interesse der Allgemeinheit liegt. e) Abschließende Bewertung Die vorstehenden Ausführungen sind primär als ein Gedankenspiel aufzufassen. Gegen die Schaffung einer Strafnorm bestehen gravierende Bedenken. Das Straf­ recht ist gegenüber dem Zivilrecht nicht das speziellere, sondern das einschnei­ dendere Instrument der Verhaltenssteuerung. Entsprechend dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit staatlicher Eingriffe hat es subsidiären Charakter. Man spricht auch von der ultima-ratio-Funktion des Strafrechts.149 Eine unterschieds­ lose Verfolgung aller rechtlich zu missbilligenden Handlungen durch das Straf­ recht ist von diesem also schon vom Ansatz her nicht beabsichtigt. Allerdings zeigt sich in den letzten 20 Jahren eine Tendenz zur Verschärfung des Strafrechts – zum einen über die Schaffung neuer Straftatbestände, zum anderen über Straf­ maßerhöhungen.150 In der Gesellschaft scheint sich neuerdings wieder ein Ruf nach einem starken Staat als „Hüter von Sicherheit und Ordnung“ zu manifestie­ ren, was dazu führt, dass der Gesetzgeber das Strafrecht zunehmend zur Be­ kämpfung gesellschaftlicher Phänomene nutzt. Das Verhalten der Bürger wird dabei über eine Art positive Generalprävention gesteuert,151 bei der die Einübung 148 

Siehe ausführlich unter §  3 III.6.a). Zur Subsidiarität aus der Judikatur des BVerfG insbesondere: BVerfGE 39, 1 (46 f.), und BVerfGE 88, 203 (258), sowie Zustellungsvermerk des Vorsitzenden des Zweiten Senats im Verfahren 2 BvL 1/15 vor dem Bundesverfassungsgericht (mit unergiebiger Entscheidung in BVerfGE 143, 38–64). Auf die jüngst lebhaft diskutierte Frage, ob es sich bei der ultima-ratio-­ Funktion nur um einen rechtspolitischen Grundsatz oder sogar um ein materiell-verfassungs­ rechtliches Prinzip handelt, soll hier nicht eingegangen werden, siehe dazu Jahn/Brodowski, ZStW 129 (2017), 363 (377 ff.), mit Blick auf ein „Grundrecht auf Freiheit von Sanktionie­ rung“; Hamm, NJW 2016, 1537 (1538 ff.); Prittwitz, ZStW 129 (2017), 390 (393 ff.). 150  Umfassende Skizzierung des Phänomens bei B. Heinrich, KriPoZ 2017, 4 (5 ff.). 151  Zur positiven Generalprävention Calliess, NJW 1989, 1338 (1339 f.); Joecks, in: MüKo-­ 149 

IV. De lege ferenda – „große Lösung“

261

von Rechtstreue durch die Androhung von Strafe im Mittelpunkt steht. Dabei dürfte der Hintergrund nicht zwingend derjenige sein, durch strafrechtliche Vor­ schriften mehr erreichen zu können.152 Ausgehend von der Prämisse, dass nicht alle Lebensbereiche mit strafrechtlichen Normen durchsetzt und nicht alle uner­ wünschten Verhaltensweisen mit strafrechtlichen Mitteln bekämpft werden soll­ ten, ist zu fordern, dass strafrechtliche Tatbestände erst dann geschaffen werden, wenn andere Maßnahmen – insbesondere zivilrechtlicher oder verwaltungsrecht­ licher Art – nicht ausreichen. Mit Blick auf die Begehung verbotener Eigenmacht existieren leider keine Statistiken zu Fallzahlen. Es lässt sich jedoch keine eklatant steigende Anzahl von Fällen – zum Beispiel anhand von Zivilgerichtsentscheidungen in den Da­ tenbanken – belegen. Das Phänomen der eigenmächtigen Rechtsdurchsetzung existiert in unserer Gesellschaft, aber es scheint heutzutage die Friedensordnung nicht stärker zu bedrohen als in den letzten Jahrzehnten. Insofern ist nicht erwie­ sen, dass der possessorische Besitzschutz als zivilrechtlicher Präventionsmecha­ nismus versagt. Über die Verpflichtung zur Herstellung des status quo ante exis­ tiert zwar kein ausdifferenzierter, aber ein effektiver Sanktionsmechanismus. Dagegen hätte der Täter verbotener Eigenmacht in vielen Fällen der Verurteilung aufgrund einer hypothetischen Strafnorm zumeist nur eine vergleichsweise leichte Geldstrafe verwirkt, von der jedenfalls dann keine hinreichend abschre­ ckende Wirkung ausgehen dürfte, wenn es auf zivilrechtlicher Ebene um größere wirtschaftliche Werte geht. Im Ergebnis ist eine Rückbesinnung auf die ultima-ratio-Funktion der Krimi­ nalstrafe anzumahnen. Teile der Literatur plädieren in neuerer Zeit umgekehrt für eine Teilverlagerung der derzeit dem Strafrecht zugewiesenen Aufgaben ins Privatrecht.153 Eine solche Maximalforderung ist an dieser Stelle nicht erforder­ lich. Es gilt lediglich festzuhalten, dass das Strafrecht nicht in Anspruch genom­ men werden sollte, um bestehenden Schwierigkeiten zivilrechtlicher und zivil­ prozessualer Natur zu entgehen.154 StGB, Einleitung Rn.  73. Kindhäuser, ZStW 129 (2017), 382 (389), formuliert zugespitzt, der Gesetzgeber versuche über das Strafrecht, „soziale Unordnung querbeet zu verhindern“. 152  So auch B. Heinrich, KriPoZ 2017, 4 (5). 153  Überblick bei I. Ebert, Pönale Elemente, S.  6. 154  Die Überlegungen gelten entsprechend für die Sanktionierung verbotener Eigenmacht als Ordnungswidrigkeit, beispielsweise im Abschnitt über die Verstöße gegen die öffentliche Ordnung im Dritten Teil des OWiG. Da es sich bei der Geldbuße als Rechtsfolge der Begehung einer Ordnungswidrigkeit nicht um eine Strafe handelt, greift das Argument der ultima-ratio-­ Funktion nicht. Dadurch wird allerdings gleichzeitig offenkundig, dass das Unwerturteil, das mit einer Ordnungswidrigkeit verbunden ist, so gering ist, dass eine wirksame Prävention ver­ botener Eigenmacht durch eine Verfolgung als Ordnungswidrigkeit nicht erreicht werden dürfte.

262

§  8 Possessorischer Besitzschutz de lege ferenda

V. Fazit zu den Möglichkeiten de lege ferenda Nähert man sich möglichen Gesetzesreformen von der höchsten Radikalitäts­ stufe ausgehend an, ist die Abschaffung des zivilrechtlichen Besitzschutzes ab­ zulehnen. Zum einen erfüllen die Ansprüche der §§  861 f. BGB eine Ordnungs­ funktion, die – auch zugunsten eines berechtigten Besitzers – dafür sorgt, dass Besitz nicht willkürlich verschoben werden kann.155 Zum anderen beinhalten §§  861 f. BGB darüber hinaus eine gewisse Wiedergutmachungsfunktion für den in seiner Persönlichkeit verletzten Besitzer,156 die ihn außerdem dazu motiviert, die Besitzschutzansprüche überhaupt geltend zu machen und damit implizit auch dem Interesse aller am Erhalt des inneren Rechtsfriedens zu dienen. Der zivil­ rechtliche Anspruchsmechanismus ist insofern ausdifferenzierter als eine poten­ tielle Strafnorm. Aufgrund der ultima-ratio-Funktion einer Strafnorm ist auf eine solche – auch als flankierende Maßnahme – zu verzichten, solange eine wirksa­ me Prävention über das Zivilrecht erfolgen kann. Der aufgrund der Besitzschutzansprüche wiederherzustellende unberechtigte Besitz ist von der Rechtsordnung allerdings nicht als dauerhafter Zustand ge­ wollt. Es erscheint deshalb unökonomisch, einen Anspruch zu gewähren, notfalls auch zu vollstrecken, der eine Lage herstellt, die kurz darauf wieder in legitimer Weise ins Gegenteil verkehrt werden kann. Diesem Gedanken trägt §  864 II BGB Rechnung; im Endeffekt führt die Anwendung dieser Norm aber zu einer Beloh­ nung verbotener Eigenmacht. Die Norm hebelt potentiell sogar den grundrechts­ sensiblen Vollstreckungsschutz aus, wobei der Wortlaut immerhin einer ein­ schränkenden verfassungskonformen Auslegung zugänglich ist. Eine Änderung des Einwendungsregimes der §§  863, 864 II BGB erscheint aber schon zwingend geboten, um der ausufernden Auslegung der Normen durch die Rechtsprechung einen Riegel vorzuschieben. Will man den Sanktionsgedanken des Besitzschutzes uneingeschränkt etablie­ ren, bietet sich die Abschaffung des §  864 II BGB und der §§  861 II, 862 II BGB zugunsten des Grundsatzes spoliatus ante omnia est restituendus an. Wer dage­ gen primär prozessökonomische Ziele verfolgt, sollte sogleich das Kernstück des Besitzschutzes, nämlich das petitorische Einwendungsverbot, beseitigen. Diese Konsequenz scheint ohnehin dem europäischen Trend zu entsprechen. Auch in anderen europäischen Rechtsordnungen ist zwar der possessorische Besitzschutz traditionell zivilrechtlich geregelt: Teilweise sind Ansprüche, teilweise beson­ dere beschleunigte Verfahren vorgesehen, die ebenfalls auf die Herstellung des status quo ante abzielen. Gleichzeitig werden aber petitorische Einwendungs­ 155  156 

Dazu unter §  8 IV.1. Dazu unter §  4 II.3.b)bb).

V. Fazit zu den Möglichkeiten de lege ferenda

263

möglichkeiten zunehmend großzügiger gestattet.157 Es könnte dem sprichwört­ lichen Kampf gegen Windmühlen gleichen, diesem Trend entgegenwirken zu wollen. Da das Problem der Verzahnung von possessorischem und petitorischem An­ spruch letztlich ein prozessrechtliches ist, liegt es nahe, eine lex ferenda im Pro­ zessrecht anzusiedeln. Erkennt man dabei das Bedürfnis der Praxis nach Prozess­ ökonomie an, erscheint es vorzugswürdig, einen genuinen einstweiligen Rechts­ schutz unter Anknüpfung an die materiellrechtlichen Ansprüche, aber aufgrund der öffentlich-rechtlichen „Aufladung“ des possessorischen Besitzschutzes mit einem Ermessensspielraum für den Richter zu schaffen. Der vorgeschlagene §  940a ZPO n. F. würde die Möglichkeit einer genauen Interessenabwägung für den Einzelfall eröffnen, wobei auch die Berücksichtigung eines petitorischen Rechts zulässig wäre. §  938 ZPO würde zudem den Raum für ausdifferenzierte Maßnahmen eröffnen und damit einem größtmöglichen Ausgleich zwischen der Notwendigkeit zur Prozessökonomie einerseits und dem gesellschaftlichen Be­ dürfnis nach Sanktionierung verbotener Eigenmacht andererseits Rechnung tra­ gen. Eine solche Norm würde im Übrigen eine gleichartige Regelung von euro­ päisch harmonisierter Seite vorwegnehmen.

157  In der Schweiz ist dies mit Art.  927 II ZGB von vornherein der Fall gewesen; in Italien ist die Entwicklung über die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung noch recht neu.

§  9 Zusammenfassung der Ergebnisse Der Besitz ist Regelungsgegenstand und Ausgangspunkt verschiedenster Rechts­ folgen im BGB. Der hohe Stellenwert des Besitzes wird dabei insbesondere durch seinen per-se-Schutz deutlich. Unabhängig vom Bestehen eines Rechts zum Be­ sitz kann sich der Besitzer eigenmächtiger Eingriffe in seine Sphäre durch Not­ wehr, Selbsthilfe und possessorische Ansprüche erwehren. Das Phänomen, dass dadurch auch ein petitorisch berechtigter Täter verbotener Eigenmacht einen an sich unrechtmäßigen Besitzstand wiederherstellen muss, ist zwar bekannt; Rechtswissenschaft und Rechtsprechung haben sich bislang aber schwer getan, den Sinn und Zweck dieses eigenartig anmutenden Ergebnisses klar ­heraus­zu­arbeiten und einen konsequenten Ansatz für zivilprozessuale und zwangs­voll­ streckungsrechtliche Folgeprobleme zu entwickeln. Es war daher das An­liegen der vorliegenden Arbeit, unter Berücksichtigung des Willens des historischen Ge­ setzgebers, allgemeine Prinzipien zu entwickeln, die es dem Rechtsanwender er­ möglichen, Besitzschutzkonstellationen sachgemäß zu lösen. Gleichzeitig galt es, Möglichkeiten de lege ferenda zu untersuchen, die bestehende Schwierigkeiten in der aktuellen Rechtsanwendung beseitigen würden. Die Erkenntnisse der Arbeit lassen sich wie folgt zusammenfassen: Der possessorische Besitzschutz ist in der Gegenwart ebenso breit wie in der Historie tief verankert: Er ist im heutigen kontinental-europäischen Recht in un­ terschiedlichsten Formen kodifiziert und geht bis auf die römischen Interdikte zurück. Bei Schaffung des deutschen BGB machte sich Johow, der für den Ent­ wurf des Sachenrechts zuständige Redaktor, für die Abschaffung des possessori­ schen Besitzschutzes stark, wurde im Gesetzgebungsverfahren jedoch über­ stimmt. Johow wollte ursprünglich nur ein Notwehr- und Selbsthilferecht gegen verbotene Eigenmacht verankern, das insbesondere im Strafrecht als Rechtferti­ gungsgrund dienen sollte. Besitzschutzansprüche des Besitzers gegen den petito­ risch Berechtigten hielt er für prozessunökonomisch. Im Laufe der Gesetzge­ bung wurde das Selbsthilferecht allerdings zum dogmatischen Ausgangspunkt der Besitzschutzansprüche. Letztere sollen in Fortschreibung der Gewaltrechte demjenigen dienen, der zu friedliebend oder nicht in der Lage ist, sich erfolg­

266

§  9 Zusammenfassung der Ergebnisse

reich gegen den Täter verbotener Eigenmacht zu verteidigen. Die Ansprüche zie­ len in konsequenter Weise auf die Wiederherstellung des status quo ante. So wurde im BGB letztlich ein sehr weitgehender Schutz des Besitzes etabliert. Seine theoretische Grundlegung erfährt der possessorische Besitzschutz von zwei Seiten. Im Sinne der Rechtsfriedenstheorie handelt es sich um eine zivil­ rechtliche Absicherung des staatlichen Gewaltmonopols: Wer sich ohne Ein­ schaltung der Gerichte und Vollstreckungsorgane Besitz verschafft, soll mit Ge­ genwehr und der Verpflichtung zur Herstellung des ursprünglichen Zustands rechnen müssen. Nur so wird das Faustrecht in seine Schranken verwiesen und der innere Frieden in der Gesellschaft gewahrt. Der Besitzer fungiert über die Wahrnehmung seiner possessorischen Rechte gleichsam als Sachwalter des Staatsinteresses. Letzteres ist aber kein Selbstzweck. Die Feststellung von Rech­ ten durch die Justiz und ihre zwangsweise Durchsetzung durch staatliche Organe gewährleistet, dass Mindeststandards zum Schutz des Einzelnen eingehalten werden. Dem possessorischen Besitzschutz ist damit auch eine individualrechtli­ che Komponente zu Eigen. Der Wille, eine Sache ungestört in der eigenen Herr­ schaftssphäre zu haben und zu halten, gehört letztlich zum Persönlichkeitsrecht eines jeden Einzelnen und kann heute unter Art.  2 I GG i. V. m. Art.  1 I GG sub­ sumiert werden. Wird eigenmächtig in die Sphäre des Besitzers eingegriffen, so wird dessen Person-Sein und Eigenschaft als Grundrechtsträger geleugnet. Die Persönlichkeitstheorie liefert somit einen subsidiären Ansatz zur Begründung der Besitzschutzvorschriften. Den Charakter der possessorischen Ansprüche bestimmt maßgebend der Ein­ wendungsausschluss des §  863 BGB. Dass der Richter sich nicht mit einem eventuellen Recht zum Besitz oder einem Recht zur Vornahme der störenden Handlung befassen muss, gewährleistet den zügigen Abschluss des Verfahrens. Es greift jedoch zu kurz, den possessorischen Besitzschutz ausschließlich als eine vorläufige Güter- und Gebrauchszuordnung bis zur Klärung der petitori­ schen Rechtsfrage einzuordnen. Dann wäre der Besitzschutz nämlich, wie vor­ mals von Johow angedacht, mit dem einstweiligen Rechtsschutz gleichzustellen. Die possessorischen Ansprüche erfüllen aber darüber hinaus eine Sanktionsfunk­ tion – und zwar nicht im Sinne einer dem Zivilrecht grundsätzlich fremden Süh­ ne, sondern in Form von Prävention. Sie bilden das zuverlässige Fundament für ein allgemeines Bewusstsein, dass sich jeder Täter verbotener Eigenmacht – selbst bei materiellrechtlicher Berechtigung zum Besitz oder zur Vornahme der Besitzstörung – stets unmittelbaren Ansprüchen des Besitzers ausgesetzt sieht. Die Gewissheit über diese Gegenansprüche soll den Einzelnen davon abhalten, verbotene Eigenmacht überhaupt erst zu begehen. Hätte der Gesetzgeber die Sanktionswirkung der possessorischen Ansprüche nicht gewünscht, so hätte er diese anders ausgestalten können, zum Beispiel durch eine Vorschrift, die vor­

V. Fazit zu den Möglichkeiten de lege ferenda

267

sieht, dass der possessorische Anspruch entfällt, wenn ein petitorisches Recht unmittelbar nachgewiesen werden kann. §§  861 ff. BGB liefern insofern den Be­ weis, dass Normen zur Sanktion unerwünschten Verhaltens keine Anomalie im zivilrechtlichen System sind, sondern schon seit Einführung des BGB existieren und sich in ihrer Schutzfunktion bewährt haben. Korrespondierend zu der materiellrechtlichen Stellung des Besitzers ist seine prozessuale Position ausgestaltet. Ergeht ein possessorisches Urteil, so ist dieses gem. §  708 Nr.  9 ZPO ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Im Ver­ fahren des einstweiligen Rechtsschutzes kann obendrein eine Leistungsverfü­ gung ergehen. Durch die Möglichkeit der einstweiligen Verfügung wird die un­ erlaubte Selbsthilfe wirksam unterbunden und sanktioniert, mithin das Faust­ recht in seine Schranken verwiesen. Die possessorischen Ansprüche können durchaus dazu führen, dass im Wider­ spruch zur petitorischen Rechtslage ein Besitzstand herzustellen ist, der keinen (dauerhaften) Bestand haben kann. Klagt der Täter verbotener Eigenmacht er­ folgreich sein petitorisches Recht ein, ergeben sich Friktionen mit dem Zivilver­ fahrens- und Zwangsvollstreckungsrecht, da zwei einander diametral gegenüber­ stehende Titel miteinander konkurrieren. Dabei ist aufgrund der Sanktionsfunk­ tion des possessorischen Besitzschutzsystems ein prozessunökonomisches Hin und Her der Leistungen in Kauf zu nehmen. §  864 II BGB ist eine systemwidrige Ausnahme. Die Norm entstammt Johows Entwurf und hätte im Gesetzgebungsverfahren genauer auf ihre Kompatibilität mit dem gewählten Besitzschutzkonzept und mit dem Zivilprozessrecht hin un­ tersucht werden müssen. Es widerspricht dem grundsätzlich auf Prävention von Eigenmacht ausgerichteten System, wenn die Begehung von Selbsthilfe bei rechtskräftiger Feststellung des Rechts ohne Konsequenzen bleibt. Wenig über­ zeugend ist auch die zeitliche Komponente der Norm: Derjenige, der kein Urteil abwartet, sondern verbotene Eigenmacht begeht, genießt die Privilegierung des §  864 II BGB, wohingegen dieses Privileg demjenigen, der wenigstens auf ein für ihn günstiges Urteil wartet und erst dann eigenmächtig vollstreckt, versagt bleibt. Eine analoge Anwendung des §  864 II BGB in zeitlicher Hinsicht kommt dennoch nicht in Betracht. Sie würde die Privatvollstreckung unter Umgehung der gesetzlichen Vorschriften aus der ZPO nur fördern. Zudem ist §  864 II BGB in der Lage, den einem Besitzer zuteilwerdenden Vollstreckungsschutz auszuhebeln; es bedarf einer verfassungskonformen Aus­ legung dahingehend, dass der petitorische Anspruch nicht nur rechtskräftig, son­ dern auch hypothetisch durchsetzbar, das heißt nach der ZPO vollstreckbar sein muss. §  864 II BGB beinhaltet keine ausdrückliche Regel für den Fall, dass das peti­ torische Urteil lediglich vorläufig vollstreckbar ist oder eine einstweilige petito­

268

§  9 Zusammenfassung der Ergebnisse

rische Verfügung ergeht. Im Fall von Besitzstörungen kann es zu einer vollstre­ ckungsrechtlichen Pattsituation zwischen dem Besitzer und dem Täter verbote­ ner Eigenmacht kommen, in der gem. §  890 ZPO wechselseitig Ordnungsgelder beantragt werden können. Eine analoge Anwendung des §  864 II BGB, wie von der herrschenden Meinung gefordert, ist aber abzulehnen, da eine planwidrige Regelungslücke nicht vorliegt. Die Lösung des vollstreckungsrechtlichen Kon­ flikts kann in §  890 ZPO unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des Be­ sitzschutzes gefunden werden: Vollstreckt der Besitzer aus dem possessorischen Titel, um den eigenmächtig geschaffenen Besitzstand rückgängig zu machen, so liegt darin kein schuldhafter Verstoß gegen die Duldungspflicht aus dem petito­ rischen Titel. Unternimmt der frühere Täter verbotener Eigenmacht die Besitz­ störung im Sinne seines geschaffenen Titels erneut, verstößt er damit nicht mehr schuldhaft gegen die Unterlassungspflicht aus dem possessorischen Titel. Als Grundregel gilt, dass der Täter verbotener Eigenmacht bei Konflikten zwi­ schen dem possessorischen und dem petitorischen Anspruch keinesfalls besser stehen darf als er im Falle der gerichtlichen Durchsetzung und der staatlichen Zwangsvollstreckung gestanden hätte. Wer nach dem zivilrechtlichen Anspruchs­ system Klage erheben muss, trägt das Insolvenzrisiko des Anspruchsgegners und hat im Falle der vorläufigen Vollstreckung Sicherheit gem. §§  708 f. ZPO zu leis­ ten. Diese gesetzlich vorgesehene Lastenverteilung soll durch die Begehung von Selbsthilfe nicht ausgehebelt werden. Die Besitzschutzansprüche dienen inso­ fern dazu, die vorgesehenen Rollen der Parteien im Verfahren wiederherzustel­ len. Dass dies prozessual aufwendig ist, steht außer Frage. §  864 II BGB darf als Ausnahmevorschrift aber nicht dazu herangezogen werden, einen allgemeinen prozessökonomischen Gedanken zu entwickeln und zu priorisieren. Gänzlich abzulehnen ist insbesondere die Zulassung einer petitorischen Un­ terlassungsverfügung, die den Besitzer dazu verpflichtet, den possessorischen Anspruch nicht geltend zu machen, oder eine Inzidentprüfung des petitorischen Rechts als angebliches Erfordernis des §  864 II BGB. Eine derartige Rechtspre­ chung setzt sich über den klaren Inhalt des §  863 BGB hinweg. Es ist als Vorge­ hensweise höchst fragwürdig, vermeintliche Mängel des materiellen Besitz­ schutzrechts dadurch zu korrigieren, dass man die Eigenständigkeit des Prozess­ rechts postuliert und das materielle Recht prozessökonomisch ausgelegt wird. Damit entsteht die Gefahr, die Norminhalte des materiellen Rechts nur noch äu­ ßerlich aufrechtzuerhalten, sie aber tatsächlich auf dem Umweg über prozess­ rechtliche Aspekte zu verzerren. Da Verfahrensrecht und materielles Recht nicht parallel zueinander verlaufen, sondern durch den dienenden Charakter des Verfahrensrechts miteinander ver­ knüpft sind, ist auch die Zulässigkeit einer petitorischen Widerklage abzulehnen. Die sog. Teilurteilslösung der Rechtsprechung setzt sich über das von ihr selbst

V. Fazit zu den Möglichkeiten de lege ferenda

269

entwickelte Tatbestandsmerkmal des sog. Widerspruchsverbots hinweg und führt zu willkürlichen Kostenentscheidungen. Der Täter verbotener Eigenmacht würde zudem prozessuale Privilegien erhalten, die ihm ohne Begehung der Ei­ genmacht nicht zustünden und die im Widerspruch zum materiellrechtlichen Sanktionsgedanken stehen. Gleiches gilt für einen petitorischen Widerantrag im einstweiligen Rechtsschutz, der schon aus genuin prozessrechtlichen Gründen scheitert. Ist die Geltendmachung der Besitzschutzansprüche im Einzelfall ersichtlich rechtsmissbräuchlich und der Täter der verbotenen Eigenmacht ausnahmsweise schützenswert, so erlischt der Besitzschutzanspruch gem. §  242 BGB. Es ist al­ lerdings zu beachten, dass der Vorwurf des Rechtsmissbrauchs nicht allein mit dem dolo-agit-Grundsatz begründet werden kann, da letzterer gem. §  863 BGB unbeachtlich ist. Insgesamt hat der Besitzschutz im BGB trotz seiner teilweise unauflöslichen inneren Widersprüche seine Existenzberechtigung. Auch in anderen kontinen­ tal-europäischen Rechtsordnungen ist die tatsächliche Sachherrschaft – freilich in unterschiedlichen Ausprägungen – zivilrechtlich geschützt. Gleichwohl ist ein europäischer „Trend“ zur Aufweichung der Besitzschutzsysteme zugunsten der Belassung des eigenmächtig hergestellten und der petitorischen Rechtslage ent­ sprechenden Zustands erkennbar. Letztlich ist es eine rechtspolitische Entschei­ dung, welcher Stellenwert der Sicherung des Rechtsfriedens durch präventiv wirkende Besitzschutzansprüche oder Rechtsbehelfe gegenüber einem prozess­ ökonomischen Ablauf eingeräumt wird. Im BGB sollte de lege ferenda in jedem Fall der Widerspruch zwischen §  863 BGB und §  864 II BGB aufgehoben werden. Für eine Neugestaltung bieten sich zwei Wege an. Zum einen könnte dem Bedürfnis der Praxis nach Prozessökono­ mie nachgegeben werden. Folgerichtig müsste §  864 II BGB abgeschafft und §  863 BGB durch ein reines Beschleunigungsgebot ersetzt werden, um der ex­ tensiven Anwendung des §  864 II BGB contra legem Einhalt zu gebieten. Zum anderen könnte umgekehrt aber auch ein besonders strenges, das heißt ausnah­ meloses Anspruchssystem etabliert werden, sodass die Folgen der verbotenen Eigenmacht in jedem Fall rückgängig gemacht werden müssten (spoliatus ante omnia est restituendus), bevor petitorische Rechte überhaupt geltend gemacht werden können. Auf Einwendungen wie §  864 II BGB und §§  861 II, 862 II BGB wäre dann zu verzichten. Ebenfalls denkbar, und als Kompromiss zwischen diesen beiden Extremen vorzugswürdig, scheint eine lex ferenda unter Einbeziehung des Zivilprozess­ rechts: Unter Abschaffung von §§  863, 864 II, 861 II, 862 II BGB könnte mit einem §  940a ZPO n. F. ein possessorischer Eilrechtsschutz mit einer Ermessens­ entscheidung des Richters eingeführt werden. In solch einer einstweiligen Verfü­

270

§  9 Zusammenfassung der Ergebnisse

gung wäre in der Regel die Herstellung des status quo ante so zuzusprechen wie in §§  861, 862 BGB vorgesehen. Nach §  938 ZPO wären andere geeignete Maß­ nahmen allerdings ebenfalls zulässig. Insbesondere könnte auch ein entgegen­ stehendes petitorisches Recht gewürdigt werden. Die Neuregelung würde die prozessualen Möglichkeiten für den Besitzer in prozessökonomischer Weise straffen; das ordentliche Verfahren würde sich vor allem wegen des Wegfalls des Einwendungsverbots für ihn erübrigen. Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren könnte der Richter das Bedürfnis nach Sanktion der verbotenen Eigenmacht so­ wie dasjenige nach Prozessökonomie je nach Einzelfall gegeneinander abwägen. Da mit dem Besitzschutz auch öffentlich-rechtliche Interessen verfolgt werden, wäre es nicht abwegig, hier dem aus dem Verwaltungsrecht bekannten Ermessen mehr Raum zu geben. Mit der possessorischen Ermessensverfügung würde sich das deutsche Recht zudem für eine gleichartige europäisch harmonisierte Rege­ lung, wie aktuell im DCFR vorgesehen, öffnen. Die gewünschte Prävention gegen Selbsthilfe zusätzlich oder sogar aus­ schließlich über das Strafrecht zu erzielen, verbietet sich dagegen aufgrund der ultima-ratio-Funktion der Strafe. Schlussendlich ist ein Regelungsregime, das die Interessen des Besitzers, des petitorisch berechtigten Täters verbotener Eigenmacht und das Interesse der All­ gemeinheit an der Gewährleistung des Rechtsfriedens „perfekt“ ausbalanciert, nicht auszumachen. Es ist durchaus verständlich, dass eine prozessunökonomi­ sche Vorgehensweise zugunsten eines wirksamen Sanktionsmechanismus insbe­ sondere beim Rechtspraktiker tendenziell auf Unverständnis stößt. Ökonomische Aspekte sollten bei Schaffung einer Neuregelung aber in einem größeren Kon­ text gesehen werden: Es ist vorteilhaft, wenn das Faustrecht schon auf zivilrecht­ licher Ebene effektiv bekämpft werden kann und nicht auf die Ressourcen der Polizei und der Strafverfolgung zurückgegriffen werden muss.

Literaturverzeichnis Ackermann, Rüdiger, Die Drittwiderklage, Eine prozessökonomische Untersuchung, Berlin 2005. Althammer, Christoph, Streitgegenstand und Interesse, Eine zivilprozessuale Studie zum deut­ schen und europäischen Streitgegenstandsbegriff, Tübingen 2012. Amend, Anja, Aktuelles und Historisches zur richterlichen Anerkennung des possessorischen Besitzschutzes – BGH, NJW 1999, 425, JuS 2001, S.  124–130. Apathy, Peter, Die publizianische Klage, Das relative dingliche Recht des rechtmäßigen Besit­ zers, Wien 1981. Bar, Christian von/Clive, Eric, Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law, Draft Common Frame of Reference (DCFR) Full Edition, Volume 5, München 2009. Basler Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Honsell, Heinrich/Vogt, Nedim Peter/ Geiser, Thomas (Hrsg.), Zivilgesetzbuch II, Art.  457–977 ZGB, Art.  1–61 SchlT ZGB, 6.  Auflage, Basel 2019 [zit.: Bearbeiter, in: BaslerKo-ZGB II]. Baur, Fritz, Studien zum einstweiligen Rechtsschutz, Tübingen 1967. Baur, Fritz/Baur, Jürgen F./Stürner, Rolf, Sachenrecht, 18.  Auflage, München 2009. Baur, Fritz/Stürner, Rolf/Bruns, Alexander, Zwangsvollstreckungsrecht, 13.  Auflage, Heidel­ berg 2006. Bayer, Hieronymus von, Theorie der summarischen Processe nach den Grundsätzen des gemei­ nen deutschen Rechts mit Ausschluß des Concursprocesses, Zunächst für seine Zuhörer be­ stimmt, 7.  Auflage, München 1859. BDZ-GKG, Binz, Karl Josef/Dörndorfer, Josef/Zimmermann, Walter (Hrsg.), Gerichtskosten­ gesetz, Gesetz über Gerichtskosten in Familiensachen, Justizvergütungs- und entschädigungs­ gesetz und weitere kostenrechtliche Vorschriften, Kommentar, 4.  Auflage, München 2019 [zit.: Bearbeiter, in: BDZ-GKG]. Beck-Online Großkommentar BGB, Gsell, Beate/Krüger, Wolfgang/Lorenz, Stephan/­Reymann, Christoph (Hrsg.), Stand: 01.08.2019, München 2019 [zit.: Bearbeiter, in: BeckOGK-BGB]. Beck’scher Online-Kommentar Grundgesetz, Epping, Volker/Hillgruber, Christian (Hrsg.), 41. Edition, Stand: 15.05.2019, München 2019 [zit.: Bearbeiter, in: BeckOK-GG]. Beck’scher Online-Kommentar Kostenrecht, Dörndorfer, Josef/Neie, Jens/Wendtland, Holger/ Gerlach, Karl-Heinz (Hrsg.), 26. Edition, Stand: 01.06.2019, München 2019 [zit.: Bearbeiter, in: BeckOK-KostR]. Beck’scher Online-Kommentar Mietrecht, Schach, Klaus/Schultz, Michael/Schüller, Peter (Hrsg.), 16. Edition, Stand: 01.06.2019, München 2019 [zit.: Bearbeiter, in: BeckOK-Mietrecht]. Beck’scher Online-Kommentar Patentrecht, Bodewig, Theo/Fitzner, Uwe/Lutz, Raimund (Hrsg.), 12. Edition, Stand: 25.04.2019, München 2019 [zit.: Bearbeiter, in: BeckOK-Patentrecht]. Beck’scher Online-Kommentar Urheberrecht, Ahlberg, Hartwig/Götting, Horst-Peter (Hrsg.), 24. Edition, Stand: 01.04.2019, München 2019 [zit.: Bearbeiter, in: BeckOK-Urheberrecht].

272

Literaturverzeichnis

Beck’sches Rechtsanwalts-Handbuch, Heussen, Benno/Hamm, Christoph (Hrsg.), 11.  Auflage, München 2016 [zit.: Bearbeiter, in: Beck’sches RA-Handbuch]. Behr, Volker, Punitive Damages in American and German Law – Tendencies towards Approxi­ mation of Apparently Irreconcilable Concepts, Chicago Kent Law Review 78 (2003), S.  105–­161. Bekker, [Ernst Immanuel], Über Besitz und Besitzklagen, KritV 18 (1876), S.  1–31. Bell, Abraham/Parchomovsky, Gideon, A Theory of Property, Cornell Law Review 90 (2004– 2005), S.  531–615. Bentley, R. Alexander/Bickle, Penny/Fibiger, Linda u. a., Community differentiation and kin­ ship among Europe’s first farmers, in: Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America (PNAS) 109 (2012), S.  9326–9330. Berger, Christian, Der Ausschluss gesetzlicher Rückgewähransprüche bei der Erbringung un­ bestellter Leistungen nach §  241a BGB, JuS 2001, S.  649–654. Berner Kommentar zum schweizerischen Privatrecht, Hausheer, Heinz/Walter, Hans Peter (Hrsg.), Der Besitz, Art.  919–941 ZGB, 4.  Auflage, Bern 2016 [zit.: Bearbeiter, in: Berner Kommentar]. Bettermann, Karl August, Grenzen der Grundrechte. Vortrag gehalten vor der Berliner Juristi­ schen Gesellschaft am 4. November 1964, Berlin 1968. Beursken, Michael, Privatrechtliche Selbsthilfe, Rechte, Pflichten und Verantwortlichkeit bei digitalen Zugangsbeschränkungs- und Selbstdurchsetzungsbefugnissen, Tübingen 2017. Bickenbach, Christian, Die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers, Analyse einer Argu­ mentationsfigur in der (Grundrechts-)Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Tübin­gen 2014. Biermann, Johannes, Das Sachenrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Berlin 1898, 2.  Auflage, Berlin 1903, 3.  Auflage, Berlin 1914. BLAH-ZPO, Baumbach, Adolf/Lauterbach, Wolfgang/Albers, Jan/Hartmann, Peter (Hrsg.), ­Zivilprozessordnung mit FamFG, GVG und anderen Nebengesetzen, 77.  Auflage, München 2019 [zit.: Bearbeiter, in: BLAH-ZPO]. Blomeyer, Arwed, Zivilprozeßrecht, Erkenntnisverfahren, Berlin etc. 1963, 2.  Auflage, Berlin etc. 1985. Böhle-Stamschräder, [Aloys], Neuregelung des Vollstreckungsrechts, NJW 1953, S.  1449– 1452. Bohn, Frank, Der Sanktionsgedanke im Bürgerlichen Recht, Berlin 2005. ders., Zur Anwendung des Strafgedankens im Zivilrecht, in: Haase, Marco (Hrsg.), Privatauto­ nomie, Aufgaben und Grenzen, Baden-Baden 2015, S.  217–233 [zit.: Bohn, in: Privatauto­ nomie]. Bosch, Andreas, Räumung des Mieters im Wege der „Selbstjustiz“ – Ein teilweise rechtsfol­ genfreier Raum!, NZM 2009, S.  530–535. Brand, Marco, Der Organbesitz, Tübingen 2015. Brauer, Helmuth, Mehrheit materiellrechtlicher Ansprüche des Leistungsklägers, NJW 1956, S.  1189–1190. Braun, Johann, Lehrbuch des Zivilprozessrechts, Erkenntnisverfahren, Tübingen 2014. Brehm, Wolfgang/Berger, Christian, Sachenrecht, 3.  Auflage, Tübingen 2014. BRHP-BGB, Bamberger, Heinz Georg/Roth, Herbert/Hau, Wolfgang/Poseck, Roman (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 4.  Auflage, München 2019 [zit.: Bearbeiter, in: BRHP-­­BGB], – Band  1 (§§  1–480), – Band  3 (§§  705–1017, PartGG, ProdHaftG, ErbbauRG, WEG).

Literaturverzeichnis

273

Brox, Hans/Walker, Wolf-Dietrich, Zwangsvollstreckungsrecht, 11.  Auflage, München 2018. Bruns, Alexander, Der Zivilprozess zwischen Rechtsschutzgewährleistung und Effizienz, ZZP 124 (2011), S.  29–43. Bruns, Karl Georg, Das Recht des Besitzes im Mittelalter und in der Gegenwart, Tübingen, 1848. ders., Die Besitzklagen des römischen und heutigen Rechts, Weimar, 1874. Bund, Elmar, Beiträge der Interessenjurisprudenz zur Besitzlehre, in: Kroeschell, Karl (Hrsg.), Festschrift für Hans Thieme zu seinem 80. Geburtstag, Sigmaringen 1986, S.  363–376 [zit.: Bund, in: FS Thieme]. Bunte, Hermann Josef, Der Gedanke der normativen Prävention im deutschen Zivilrecht, in: Habscheid, Walter/Hoffmann-Nowotny, Hans-Joachim/Linder, Willy u. a. (Hrsg.), Fest­ schrift für Hans Giger zum 60. Geburtstag, Bern 1989, S.  55–74 [zit.: Bunte, in: FS Giger]. Bydlinski, Peter, Klassische Privatrechtssanktion oder/und Strafe? Zugleich zum Verhältnis von (strafbewehrter) Prävention und beidseitiger Begründung von Rechtsfolgen im Privat­ recht, in: Bydlinski, Peter (Hrsg.), Prävention und Strafsanktion im Privatrecht, Verhaltens­ steuerung durch Rechtsnormen, Wien 2016, S.  67–90 [zit.: Bydlinski, in: Prävention und Strafsanktion]. Calliess, Rolf-Peter, Strafzwecke und Strafrecht – 40 Jahre Grundgesetz – Entwicklungsten­ denzen vom freiheitlichen zum sozial-autoritären Rechtsstaat?, NJW 1989, S.  1338–1343. Casper, Matthias, Die Zusendung unbestellter Waren nach §  241a BGB, ZIP 2000, S.  1602– 1609. Cayrol, Nicolas, Procédure de l’instance, Jugements et voies de recours, Procédures civiles d’exécution. Abrogation des actions possessoires, Revue trimestrielle de droit civil (RTD civ.) 2015, S.  700–709. Chang, Yun-chien, The Problematic Concept of Possession in the DCFR: Lessons from Law and Economics of Possession, European Property Law Journal (EPLJ) 2016, S.  4–25. Clerk, John Frederic/Lindsell, W. H. B. (Begr.); Jones, Michael A., Clerk & Lindsell On Torts, 22.  Auflage, London 2017. Cohn, Fritz, Kann der rechtskräftig abgelehnte Antrag auf Anordnung eines Arrestes oder Erlaß einer einstweiligen Verfügung auf Grund desselben Sachverhalts unter besserer Glaubhaft­ machung erneut gestellt werden?, JW 1915, S.  1421–1424. Coing, Helmut, Zur Geschichte des Privatrechtsystems, Frankfurt am Main 1962. Cosack, Konrad, Das Sachenrecht mit Ausschluß des besonderen Rechts der unbeweglichen Sachen im Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Berlin 1889. ders., Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts auf der Grundlage des bürgerlichen Ge­ setzbuchs für das Deutsche Reich, Band  2: Sachenrecht, Recht der Wertpapiere, Erbrecht, 3.  Auflage, Jena 1901. Crome, Carl, System des Deutschen Bürgerlichen Rechts, Band  3, Tübingen 1905. Cuillieron, Monique, Revendication des meubles perdus ou volés et protection possessoire, Reflexions sur Civ. 1re, 1er juin 1977, à la lumière de l’article 2282 du code civil, Revue ­trimestrielle de droit civil (RTD civ.) 1986, S.  504–523. Dahlmanns, Gerhard J., Neudrucke zivilprozessualer Kodifikationen und Entwürfe des 19. Jahr­hunderts – Band  2 Bundesstaaten-Entwurf einer ZPO von 1966 und Preußischer Justiz­ ministerial-Entwurf von 1871, Aalen 1971. Dedek, Helge, Der Besitzschutz im römischen, deutschen und französischen Recht – gesell­ schaftliche Gründe dogmatischen Wandels, ZEuP 1997, S.  342–365. Degenhart, Christoph, Das allgemeine Persönlichkeitsrecht, Art.  2 I iV mit Art.  1 I GG, JuS 1992, S.  361–368.

274

Literaturverzeichnis

Dernburg, Heinrich, Lehrbuch des preußischen Privatrechts und der Privatrechtsnormen des Reichs, Band  1, Die allgemeinen Lehren und das Sachenrecht des Privatrechts Preußens und des Reichs, 5.  Auflage, Halle an der Saale 1894. ders., Pandekten, Band  1, Allgemeiner Teil und Sachenrecht, 7.  Auflage, Berlin 1902, Band  2: Obligationenrecht, 5.  Auflage, Berlin 1897. Deutsch, Erwin, Einschränkung des Aufrechnungsverbots bei vorsätzlich begangener uner­ laubter Handlung, NJW 1981, S.  735–736. Dötsch, Wolfgang, Statthaftigkeit einer Gegenverfügung im Verfahren betreffend den Erlass einer einstweiligen Verfügung, MDR 2012, S.  623–624. Dreier, Thomas, Kompensation und Prävention: Rechtsfolgen unerlaubter Handlung im Bür­ gerlichen, Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht, Tübingen 2002. Duffek, Hans, Einstweilige Verfügung gegen verbotene Eigenmacht, NJW 1966, S.  1345–1347. Ebert, Frank, Reservierungsgrenzen im Alltag – „Das ist mein Platz!“, NJW 2016, S.  3206– 3209. Ebert, Ina, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, Tübingen 2004. Eccher, Bernhard/Schurr, Francesco A./Christandl, Gregor, Handbuch Italienisches Zivilrecht, Wien 2009. Eckebrecht, Marc, Verbotene Eigenmacht – Der ausgesperrte Ehegatte, Verhältnis der An­ spruchsgrundlagen nach §§  861, 1361b BGB, NZFam 2014, S.  507–512. Eickhoff, Wolfgang, Inländische Gerichtsbarkeit und internationale Zuständigkeit für Aufrech­ nung und Widerklage – Unter besonderer Berücksichtigung des Europäischen Gerichts­ stands- und Vollstreckungsübereinkommens, Berlin 1985. Eidenmüller, Horst, Der homo oeconomicus und das Schuldrecht: Herausforderungen durch Behavioral Law and Economics, JZ 2005, S.  216–224. Emmerich, Volker, Grundlagen des Vertrags- und Schuldrechts, München 1974. ders., Der Mieter als Eigentümer von Gerichts wegen – Das Bundesverfassungsgericht, das Mietrecht und das Eigentum, in: Heinze, Meinhard/Schmitt, Jochem (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Gitter zum 65. Geburtstag am 30. Mai 1995, Wiesbaden 1995, S.  241–251 [zit.: Emmerich, in: FS Gitter]. Endemann, Wilhelm, Das deutsche Civilprozeßrecht, Band  2, Heidelberg 1886. Engbers, Enno, Praxisanmerkung zu OLG Stuttgart v. 22.11.2011 – 10 W 47/11, NZBau 2012, S.  164–165. Enneccerus, Ludwig/Nipperdey, Hans Carl, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Band  1: Allge­ meiner Teil des bürgerlichen Rechts, 1. Halbband: Allgemeine Lehren, Personen, Rechts­ objekte, 14.  Auflage, Tübingen 1952. Erman Bürgerliches Gesetzbuch, Westermann, Harm Peter/Grunewald, Barbara/Maier-­Reimer, Georg (Hrsg.), Handkommentar mit AGG, EGBGB (Auszug), ErbbauRG, LPartG, ProdHaftG, VBVG, VersAusglG und WEG, 15.  Auflage, Köln 2017 [zit.: Bearbeiter, in: Erman, BGB]. Ernst, Wolfgang, Eigenbesitz und Mobiliarerwerb, Tübingen 1992. Faber, Wolfgang/Lurger, Brigitta, National Reports on the Transfer of Movables in Europe, – Volume 1 (Austria, Estonia, Italy, Slovenia), München 2008, – Volume 4 (France, Belgium, Bulgaria, Poland, Portugal), München 2011, – Volume 5 (Sweden, Norway and Denmark, Finland, Spain), München 2011. Fikentscher, Wolfgang, Schuldrecht, 3.  Auflage, Berlin 1971. Finger, Peter, Verfassungsschutz des Mieters aus Art.  14 Abs 1 Satz  1 GG? Zu BVerfG, Be­ schluß vom 26-05-1993 – 1 BvR 208/93 –, ZMR 1993, 405, ZMR 1993, S.  545–548. Fischer, Otto Christian, Die Verletzung des Gläubigerrechts als unerlaubte Handlung nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Jena 1905.

Literaturverzeichnis

275

Förster, Franz, Theorie und Praxis des heutigen gemeinen preussischen Privatrechts auf der Grundlage des gemeinen deutschen Rechts, Band  I, 3.  Auflage, Berlin 1873. Franck, Jens-Uwe, Verbot der Aufrechnung gegen Forderungen auf Kartellschadensersatz, BB 2009, S.  1935–1939. Füller, Jens Thomas, Eigenständiges Sachenrecht?, Tübingen 2006. Fuhrmann, Horst, Einfluß und Verbreitung der pseudoisidorischen Fälschungen von ihrem Auftauchen bis in die neuere Zeit, Teil  2, Stuttgart 1973. Furtner, Georg, Anwendbarkeit des §  864 Abs.  2 BGB bei Vollstreckungsschutz, NJW 1955, S.  698–699. Gärtner, Max, Der gerichtliche Schutz gegen Besitzverlust nach römischem und neuerem deut­ schen Recht, Breslau 1901. Gans, Eduard, System des Römischen Civilrechts im Grundrisse, Berlin 1827. Gatica Rodríguez, María Paz, Possession and Transfer of Goods in the Draft Common Frame of Reference: Some Critical Remarks, 2 Edinburgh Student L. Rev. 31 (2014), S.  31–49. Gaul, Hans Friedhelm, Zur Frage nach dem Zweck des Zivilprozesses, AcP 168 (1968), S.  27– 62. ders., Zur Reform des Zwangsvollstreckungsrechts, JZ 1973, S.  473–483. ders., Die Entwicklung der Rechtskraftlehre seit Savigny und der heutige Stand, in: Jakobs, Horst Heinrich/Knobbe-Keuk, Brigitte/Picker, Eduard u. a. (Hrsg.), Festschrift für Werner Flume zum 70. Geburtstag, Band  1, Köln 1978 [zit.: Gaul, in: FS Flume]. Gaul, Hans Friedhelm/Schilken, Eberhard/Becker-Eberhard, Ekkehard, Zwangsvollstreckungs­ recht, 12.  Auflage, München 2010. Gaupp, Ludwig, Die Civilprozeßordnung für das Deutsche Reich nebst den auf den Civilprozeß bezüglichen Bestimmungen des Gerichtsverfassungsgesetzes und den Einführungsgesetzen, Band  2, Tübingen 1880. Georgiades, Apostolos S., Die Anspruchskonkurrenz im Zivilrecht und Zivilprozeßrecht, Mün­ chen 1968. Gerhardt, Walter, Rezension von Stein/Jonas: Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 21.  Aufla­ ge, ZZP 109 (1996), S.  534–544. Gerkan, Hartwin von, Zur Pfändbarkeit von Geldforderungen, die dem Vollstreckungsschuld­ ner gegen den Vollstreckungsgläubiger zustehen, Rpfleger 1963, S.  369–370. Gernhuber, Joachim, Die Erfüllung und ihre Surrogate sowie das Erlöschen der Schuldverhält­ nisse aus anderen Gründen, 2.  Auflage, Tübingen 1994. Gierke, Otto von, Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs und das deutsche Recht, verän­ derte und vermehrte Ausgabe der in Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft erschienenen Abhandlung, Leipzig 1889. ders., Deutsches Privatrecht, Band  2: Sachenrecht, Leipzig etc. 1905. Gönner, Nikolaus Thaddäus, Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses in einer ausführ­ lichen Erörterung seiner wichtigsten Gegenstände, Band  4, Erlangen 1805. Goerlich, Helmut, Vorlagepflicht und Eilverfahren – Bemerkungen zu OLG Hamburg, Urteil v. 23.05.1980 – 1 U 4/79 Baul., JZ 1983, S.  57–60. Goethe, Johann Wolfgang von, Aus meinem Leben: Dichtung und Wahrheit, Dritter Teil, 12.  Buch, Tübingen 1814. Götz, Isabell/Brudermüller, Gerd, Die gemeinsame Wohnung – Begründung, Änderung und Aufhebung der Rechtsverhältnisse, Wohnungszuweisung, Gewaltschutz, Bielefeld 2008. Gramsch, Martin, „Gegenverfügungsantrag“ ist prozessual nicht statthaft, Praxishinweis zu OLG Frankfurt a. M. GRUR-Prax 2011, 544, GRUR-Prax 2011, S.  544–544.

276

Literaturverzeichnis

Gromann, H.-G., BGB – Sachenrecht: Stattgabe einer petitorischen Widerklage bei gleichzeitig begründeter Besitzschutzklage = Entscheidungsbesprechung zu BGH, Urt. v. 21.2.1979 – VIII ZR 124/78, JA 1979, S.  674–675. Grundmann, Stefan/Zaccaria, Alessio, Einführung in das italienische Recht, Frankfurt am Main 2007. Grunsky, Wolfgang, Die auf Leistungserbringung gerichtete einstweilige Verfügung, JurA 1970, S.  724–739. Güller, Walter, Unfreiwilliger Besitzesverlust und gutgläubiger Fahrniserwerb, Zürich 1924. Guinchard, Serge/Ferrand, Frédérique/Chainais, Cécile, Procédure civile, Hypercours, 2.  Auf­ lage, Paris 2011. Häsemeyer, Ludwig, Prozeßrechtliche Rahmenbedingungen für die Entwicklung des materiel­ len Privatrechts – Zur Unvertauschbarkeit materieller und formeller Rechtssätze, AcP 188 (1988), S.  140–167. Hagen, Horst, Besitzschutzklage und petitorische Widerklage – eine Fehlkonstruktion? – BGHZ 53, 166, JuS 1972, JuS 1972, S.  124–127. Hager, Johannes, Das Erlöschen des possessorischen Anspruchs aufgrund des petitorischen Titels, KTS 1989, S.  515–526. Hahn, Carl/Mugdan, Benno, Die gesamten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, Band  2, Materialien zur Zivilprozeßordnung, Abteilung 1, Abteilung 2, in: Stegemann, Eduard (Hrsg.), Neudruck der Ausgabe Berlin 1881, 2.  Auflage, Aalen 1983. Hamm, Rainer, Richten mit und über Strafrecht, NJW 2016, S.  1537–1542. Hammer, Felix, Private Sicherheitsdienste, staatliches Gewaltmonopol, Rechtsstaatsprinzip und schlanker Staat, DÖV 2000, S.  613–621. Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Merten, Detlef/Papier, Hans-Jürgen (Hrsg.) [zit.: Bearbeiter, in: Handbuch der Grundrechte, Band], – Band  II (Grundrechte in Deutschland – Allgemeine Lehren I), München 2006, – Band  IV (Grundrechte in Deutschland – Einzelgrundrechte I), München 2011. Handbuch des Fachanwalts Familienrecht, Gerhardt, Peter/Heintschel-Heinegg, Bernd von/ Klein, Michael (Hrsg.), 11.  Auflage, Köln 2018 [zit.: Bearbeiter, in: HandbuchFA-FamR]. Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Erler, Adalbert/Kaufmann, Ekkehard (Hrsg.), Band  1, Aachen-Haussuchung, Berlin 1971 [zit.: Bearbeiter, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte I]. Harke, Jan Dirk, Allgemeines Schuldrecht, Berlin etc. 2010. ders., Römisches Recht, 2.  Auflage, München 2016. Hartung, Frank, Besitz und Sachherrschaft, Berlin 2001. Heck, Philipp, Grundriß des Sachenrechts, Tübingen 1930. Hedinger, Martin P., System des Besitzrechtes, Bern 1985. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Berlin 1821, in: Grotsch, Klaus/Weisser-Lohmann, Elisabeth (Hrsg.), Gesammelte Werke, Band  14,1, Düs­ seldorf 2009. Heinrich, Bernd, Zum heutigen Zustand der Kriminalpolitik in Deutschland, KriPoZ 2017, S.  4–20. Heinrich, Christian, Die Generalklausel des §  242 BGB, in: Kern, Bernd-Rüdiger/Wadle, Elmar/­Schroeder, Klaus-Peter u. a. (Hrsg.), Humaniora: Medizin – Recht – Geschichte, Fest­ schrift für Adolf Laufs zum 70. Geburtstag, Berlin etc. 2006, S.  585–607 [zit.: C. Heinrich, in: FS Laufs]. Heinsheimer, Karl August, Klage und Widerklage, ZZP 38 (1909), S.  1–48. Henckel, Wolfram, Prozessrecht und materielles Recht, Göttingen 1970.

Literaturverzeichnis

277

ders., Vorbeugender Rechtsschutz im Zivilrecht, AcP 174 (1974), S.  97–144. Heusler, Andreas, Die Gewere, Weimar 1872. Hinderling, Hans, Ein Jubiläum und eine würdige Festgabe, 50 Jahre ZGB und ein Kommentar zu den Einleitungsartikeln, Zeitschrift des bernischen Juristenvereins (ZBVJ) 98 (1962), S.  1–32. Hinz, Werner, Die Entwicklung des gutgläubigen Fahrniserwerbs in der europäischen Rechts­ geschichte, ZEuP 1995, S.  398–422. Hobbeling, Walther, Die Rechtstypen der zivilprozessualen einstweiligen Verfügung, Eine Un­ tersuchung zur Unterscheidung und Abgrenzung der zivilprozessualen Verfügungsrechts­ grundlagen §  935 und §  940 ZPO sowie zur Einordnung der Leistungsverfügung, Münster (Westfalen) 1974. Hobbes, Thomas, Leviathan, or, The Matter, Form and Power of a Commonwealth Ecclesiastical and Civil, London 1651, with an introduction by Henry Morley, 2.  Auflage, London 1886. Höpfner, Ludwig Julius Friedrich, Theoretisch-practischer Commentar über die Heineccischen Institutionen nach deren neuester Ausgabe, 4.  Auflage, Frankfurt am Main 1793. Hoeren, Thomas, Datenbesitz statt Dateneigentum, Erste Ansätze zur Neuausrichtung der Dis­ kussion um die Zuordnung von Daten, MMR 2019, S.  5–8. Hofmann, Franz, Prozessökonomie – Rechtsprinzip und Verfahrensgrundsatz der ZPO, ZZP 126 (2013), S.  83–110. Honsell, Heinrich, Der Strafgedanke im Zivilrecht – ein juristischer Atavismus, in: Aderhold, Lutz/Grunewald, Barbara/Klingberg, Dietgard u. a. (Hrsg.), Festschrift für Harm Peter ­Westermann zum 70. Geburtstag, Köln 2008, S.  315–336 [zit.: H. Honsell, in: FS H. P. Wester­mann]. ders., Römisches Recht, 8.  Auflage, Berlin 2015. Honsell, Thomas, Schadensersatz nach verbotener Besitzentziehung, JZ 1983, S.  531–535. Hübner, Rudolf, Grundzüge des deutschen Privatrechts, 5.  Auflage, Leipzig 1930, 2. Neudruck, Aalen 1982. Hütten, Peter, Die Prozeßökonomie als rechtserheblicher Entscheidungsgesichtspunkt, Würz­ burg 1975. Huster, Stefan, Gleichheit im Mehrebenensystem: Die Gleichheitsrechte der Europäischen Uni­ on in systematischer und kompetenzrechtlicher Hinsicht, EuR 2010, S.  325–337. Ingenstau, Heinz/Korbion, Hermann (Begr.)/Leupertz, Stefan/Wietersheim, Mark von, VOB Teile A und B, Kommentar, 20.  Auflage, Köln 2017 [zit.: Bearbeiter, in: Ingenstau/Korbion]. Isensee, Josef, Das staatliche Gewaltmonopol als Grundlage und Grenze der Grundrechte, in: Franssen, Everhardt/Redeker, Konrad/Schlichter, Otto (Hrsg.), Bürger – Richter – Staat, Festschrift für Horst Sendler zum Abschied aus seinem Amt, München 1991, S.  39–63 [zit.: Isensee, in: FS Sendler]. Jacobi, Jessica, Besitzschutz vor dem Reichskammergericht. Die friedenssichernde Funktion der Besitzschutzklagen am Reichskammergericht des 16. Jahrhundert, dargestellt anhand von Kameralisten, Frankfurt am Main 1998. Jahn, Matthias/Brodowski, Dominik, Das Ultima-Ratio-Prinzip als strafverfassungsrechtliche Vorgabe zur Frage der Entbehrlichkeit von Straftatbeständen, ZStW 129 (2017), S.  363–381. Jakobs, Horst Heinrich/Schubert, Werner, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs in sys­ tematischer Zusammenstellung der unveröffentlichten Quellen, – Recht der Schuldverhältnisse I (§§  241–432), Berlin etc. 1978, – Sachenrecht I (§§  854–1017), Berlin etc. 1985, – Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch und Nebengesetze, 2.  Teilband, Berlin etc. 1990.

278

Literaturverzeichnis

Jansen, Nils/Zimmermann, Reinhard, Was ist und wozu der DCFR?, NJW 2009, S.  3401–3406. Jauernig, Othmar, Materielles Recht und Prozeßrecht, JuS 1971, S.  329–334. ders. (Begr.), Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 17.  Auflage, München 2018 [zit.: Bearbeiter, in: Jauernig, BGB]. Jellinek, Georg, Allgemeine Staatslehre, 3.  Auflage Berlin 1914, 7. Neudruck, Darmstadt 1960. Jhering, Rudolf von, Der Besitzwille, Zugleich eine Kritik der Herrschenden juristischen Me­ thode, Jena 1889. ders., Über den Grund des Besitzesschutzes, Eine Revision der Lehre vom Besitz, 2.  Auflage, Jena 1869, Neudruck, Aalen 1968. Jocksch, Christian, Das Freigabeverfahren gem. §  246a AktG im System des einstweiligen Rechtsschutzes, Tübingen 2013. Josef, Eugen, Erläuterungen zu den Besitzklagen des Bürgerlichen Gesetzbuchs aus dem Preu­ ßischen Recht und der Preußischen Rechtsprechung, ArchBürgR 15 (1899), S.  265–291. juris Praxiskommentar BGB, Martinek, Michael (Hrsg.), Band  3 – Sachenrecht, 8.  Auflage, Saarbrücken 2017 [zit.: Bearbeiter, in: jurisPK-BGB]. Kant, Immanuel, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, in: Ludwig, Bernd (Hrsg.), Metaphysik der Sitten, Erster Teil, 3.  Auflage, Hamburg 2009. Karpen, Ulrich, Gesetzgebungslehre – neu evaluiert. Legistics – freshly evaluated, 2.  Auflage, Baden-Baden 2008. Kaser, Max, Das römische Privatrecht, – Erster Abschnitt: Das altrömische, das vorklassische und das klassische Recht, 2.  Auflage, München 1971, – Zweiter Abschnitt: Die nachklassischen Entwicklungen, 2.  Auflage, München 1975. Kaser, Max/Hackl, Karl, Das römische Zivilprozessrecht, 2.  Auflage, München 1996. Kaser, Max/Knütel, Rolf/Lohsse, Sebastian, Römisches Privatrecht, 21.  Auflage, München 2017. KBB-ABGB, Koziol, Helmut/Bydlinski, Peter/Bollenberger, Raimund (Hrsg.), Kurzkommen­ tar zum ABGB, 5.  Auflage, Wien 2017 [zit.: Bearbeiter, in: KBB-ABGB]. Kern, Christoph, Das europäische Verfahren für geringfügige Forderungen und die gemein­ europäischen Verfahrensgrundsätze, JZ 2012, S.  389–398. Kindel, [W.], Kritische Bemerkungen zu den Besitztheorien von Randa und Jhering in ihrem Verhältniß und Gegensatz zum Pandektenrecht, Gruchot 21 (1877), S.  411–470. Kindhäuser, Urs, Straf-Recht und ultima-ratio-Prinzip, ZStW 129 (2017), S.  382–389. Kindl, Johann/Meller-Hannich, Caroline/Wolf, Hans-Joachim, Gesamtes Recht der Zwangs­ vollstreckung, ZPO, ZVG, Nebengesetze, Europäische Regelungen, Kosten, Handkommen­ tar, 3.  Auflage, Baden-Baden 2016 [zit.: Bearbeiter, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Zwangs­vollstreckung]. Kindler, Peter, Einführung in das italienische Recht, 2.  Auflage, München 2008. Klang, Heinrich (Begr.)/Fenyves, Attila/Kerschner, Ferdinand/Vonkilch, Andreas, Großkom­ mentar zum ABGB – Klang Kommentar, §§  285–352 ABGB, 3.  Auflage, Wien 2011 [zit.: Bearbeiter, in: Klang-ABGB]. Klingbeil, Stefan, Die Not- und Selbsthilferechte, Eine dogmatische Rekonstruktion, Tübingen 2017. Klose, Martin, Das Eigentum als nudum ius im Bürgerlichen Recht, Kritische Würdigung eines juristischen Fabelwesens, Tübingen 2016. Klumpp, Steffen, Die Privatstrafe – eine Untersuchung privater Strafzwecke, Zivilrechtlicher Schutz vor Zwangskommerzialisierung, Berlin 2002. Koch, Jens/Löhnig, Martin, Fälle zum Sachenrecht, 5.  Auflage, München 2017.

Literaturverzeichnis

279

Kodek, Georg, Die Besitzstörung, Wien 2002. Köbler, Gerhard, Juristisches Wörterbuch, Für Studium und Ausbildung, 17.  Auflage, Mün­ chen 2018. Köhler, Helmut, Der Leistungsort bei Rückgewährschuldverhältnissen, in: Heldrich, Andreas/ Schlechtriem, Peter/Schmidt, Eike (Hrsg.), Recht im Spannungsverhältnis von Theorie und Praxis – Festschrift für Helmut Heinrichs zum 70. Geburtstag, München 1998, S.  367–380 [zit.: Köhler, in: FS Heinrichs]. Körner, Marita, Zur Aufgabe des Haftungsrechts – Bedeutungsgewinn präventiver und puniti­ ver Elemente, NJW 2000, S.  241–246. Kohler, Jürgen, Feststellende einstweilige Verfügungen?, ZZP 103 (1990), S.  184–208. Kress, Hugo, Besitz und Recht, Eine civilrechtliche Abhandlung, Nürnberg etc. 1909. Kroiß, Ludwig, FormularBibliothek Zivilprozess, Sachenrecht, Erbrecht, 3.  Auflage, Baden-­ Baden 2016 [zit.: Bearbeiter, in: Kroiß, FB-Zivilprozess, Sachenrecht/Erbrecht]. Krosigk, […] von, Ist gegenüber der Klage des bisherigen Besitzers wegen Besitzentziehung die Widerklage zulässig auf Feststellung, daß der Beklagte ein Recht zum Besitz habe?, JW 1921, S.  732–733. Krüger, Wolfgang, Die Leistung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung im Spannungsfeld zwischen materiellem und formellem Recht, NJW 1990, S.  1208–1213. Kunz, Lena, Possessio civilissima in Spanish and German law: Protecting Possession between Fact and Fiction, in: Descheemaeker, Eric (Hrsg.), The Consequences of Possession, Edin­ burgh 2014, S.  141–170 [zit.: Kunz, in: The Consequences of Possession]. Lange, Heinrich, Besondere Fälle des §  857 BGB. Der Vorerbe, der anfechtbar berechtigte, der vorläufige Erbe und der Scheinerbe, in: Kaser, Max/Weber, Werner/Thieme, Werner u. a. (Hrsg.), Festschrift für Wilhelm Felgentraeger zum 70. Geburtstag, Göttingen 1969, S.  295– 307 [zit.: Lange, in: FS Felgentraeger]. Lange, Hermann/Schiemann, Gottfried, Schadensersatz, 3.  Auflage, Tübingen 2003. Larenz, Karl/Wolf, Manfred, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 9.  Auflage, München 2004. Lehmann-Richter, Arnold, Possessorische Besitzschutzansprüche und petitorische Einwendun­ gen im einstweiligen Rechtsschutz, NJW 2003, S.  1717–1718. ders., Räumung des Mieters im Wege der „Selbstjustiz“ – Ein rechtsfolgenfreier Raum?, NZM 2009, S.  177–181. ders., Änderung des Mietvertrages durch Erhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen und die Rechtsfolgen von Verstößen gegen Ankündigungspflichten, NZM 2011, S.  572–577. Leipold, Dieter, Grundlagen des einstweiligen Rechtsschutzes im zivil-, verfassungs- und ver­ waltungsgerichtlichen Verfahren, München 1971. ders., Strukturfragen des einstweiligen Rechtsschutzes, ZZP 90 (1977), S.  258–270. Lepsius, Oliver, Besitz und Sachherrschaft im öffentlichen Recht, Tübingen 2002. Lessing-Blum, Marianne, Die Zulässigkeit der Widerklage, Bochum 1978. Lewinsohn-Zamir, Daphna, What behavioral studies can teach jurists about possession and vice versa, in: Chang, Yun-chien (Hrsg.), Law and Economics of Possession, Cambridge 2015, S.  128–148 [zit.: Lewinsohn-Zamir, in: Law and Economics of Possession]. Lippmann, Karl Georg, Die Einrede der Rechtshängigkeit nach der neuen Civilprozeßordnung, AcP 65 (1882), S.  358–461. Lippross, Otto-Gerd, Grundlagen und System des Vollstreckungsschutzes, Bielefeld 1983. Lopau, Eberhard, Der Rechtsschutz des Besitzes, JuS 1980, S.  501–506. Lousanoff, Oleg de, Zur Zulässigkeit des Teilurteils gem. §  301 ZPO, Berlin 1979. Lüke, Wolfgang, Die Beteiligung Dritter im Zivilprozess, Tübingen 1993.

280

Literaturverzeichnis

Luiso, Francesco Paolo, Diritto processuale civile, Band  4, I processi speciali, 9.  Auflage, Mai­ land 2017. Malaurie, Philippe/Aynès, Laurent, Droit des biens, 7.  Auflage, Issy-les-Moulineaux 2017. Mangoldt, Hermann von (Begr.)/Klein, Friedrich/Starck, Christian/Huber, Peter M. u. a., Kommentar zum Grundgesetz, 7.  Auflage, München 2018 [zit.: Bearbeiter, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, GG] – Band  1 (Präambel, Art.  1–19), – Band  3 (Art.  83–146). Markendorf, Merih, Recht an Daten in der deutschen Rechtsordnung, Blockchain als Lösungs­ ansatz für eine rechtliche Zuordnung?, ZD 2018, S.  409–413. Marque, Aurélie, Fin de partie pour l’action possessoire ou les beaux jours du référé, Les ­petites affiches (LPA) – 21/04/2015 – n°79, S.  4–9. Marty, Gabriel/Raynaud, Pierre, Droit civil, Les biens, 2.  Auflage, Paris 1980. Matthies, Stefan, Materialübernahme zur Fortführung der Arbeiten nach §  8 Abs.  3 Nr.  3 VOB/B, jurisPR-PrivBauR 3/2012 Anm.  2. Matthiessen, […], Anmerkung zu OLG Naumburg JW 1932, 1401–1402, JW 1932, S.  1401– 1402. Maunz, Theodor/Dürig, Günter (Begr.)/Herzog, Roman/Scholz, Rupert/Herdegen, Matthias/ Klein, Hans H., Grundgesetz Kommentar, Loseblattausgabe, Stand: 86. Ergänzungsliefe­ rung Januar 2019, München 2019 [zit.: Bearbeiter, in: Maunz/Dürig, GG], – Band  1 (Art.  1–5), – Band  2 (Art.  6–15), – Band  3 (Art.  16–22). Medicus, Dieter, Besitzschutz durch Ansprüche auf Schadensersatz, AcP 165 (1965), S.  115– 149. ders., Bemerkungen zur „vorübergehenden Unmöglichkeit“, in: Lorenz, Stephan/Trunk, Alexan­der/Eidenmüller, Horst u. a. (Hrsg.), Festschrift für Andreas Heldrich zum 70.  Ge­ burtstag, München 2005, S.  347–357 [zit.: Medicus, in: FS Heldrich]. Medicus, Dieter/Petersen, Jens, Allgemeiner Teil des BGB, 11.  Auflage, Heidelberg 2016. Meischeider, Emil, Besitz und Besitzschutz, Studien über alte Probleme, Berlin 1876. Meller-Hannich, Caroline, Bestandsaufnahme und Bewertung der Ansprüche aus Gewinnzusa­ gen, NJW 2006, S.  2516–2520. Merrill, Thomas, Ownership and possession, in: Chang, Yun-chien (Hrsg.), Law and Econo­ mics of Possession, Cambridge 2015, S.  9–39 [zit.: Merrill, in: Law and Economics of Pos­ session]. Merten, Detlef, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, Tübingen 1975. Mettenheim, Christoph von, Der Grundsatz der Prozeßökonomie im Zivilprozeß, Berlin 1970. Michel, Erich, Probleme des Erbenbesitzes nach §  857 BGB, Bochum 1990. Michelet, Elisabeth, La règle du non-cumul du possessoire et du pétitoire, Paris 1973. Minnerop, Manfred, Materielles Recht und einstweiliger Rechtsschutz, Köln 1973. Mittermaier, Carl Joseph Anton, Der gemeine deutsche bürgerliche Prozeß in Vergleichung mit dem preußischen und französischen Civilverfahren, Vierter Beitrag, 2.  Auflage, Bonn 1840. Müller, Klaus/Gruber, Urs Peter, Sachenrecht, München 2016. Müller, Therese, Besitzschutz in Europa, Tübingen 2010. Müller-Erzbach, Rudolf, Der Durchbruch des Interessenrechts durch allgemeine Rechtsprinzi­ pien, JherJb 53 (1908), S.  331–372. Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Säcker, Franz Jürgen/Rixecker, Roland/­ Oetker, Hartmut/Limperg, Bettina (Hrsg.) [zit.: Bearbeiter, in: MüKo-BGB],

Literaturverzeichnis

281

– Band  1 (Allgemeiner Teil, §§  1–240, AllgPersönlR, ProstG, AGG), 8.  Auflage, München 2018, – Band  2 (Schuldrecht – Allgemeiner Teil, §§  241–432), 7.  Auflage, München 2016, – Band  2 (Schuldrecht – Allgemeiner Teil I, §§  241–310), 8.  Auflage, München 2019, – Band  6 (Schuldrecht – Besonderer Teil IV, §§  705–853, PartGG, ProdHaftG), 7.  Auflage, München 2017, – Band  7 (Sachenrecht, §§  854–1296, WEG, ErbbauRG), 7.  Auflage, München 2017, – Band  8 (Familienrecht I, §§  1297–1588, VersAusglG, GewSchG, LPartG), 7.  Auflage, Mün­ chen 2017, – Band  10 (Erbrecht, §§  1922–2385, §§  27–35 BeurkG), 7.  Auflage, München 2017. Münchener Kommentar zum FamFG, Rauscher, Thomas (Hrsg.), Band  1 (§§  1–270), 3.  Aufla­ ge, München 2018 [zit.: Bearbeiter, in: MüKo-FamFG]. Münchener Kommentar zum StGB, Joecks, Wolfgang/Miebach, Klaus (Hrsg.) [zit.: Bearbeiter, in: MüKo-StGB], – Band  1 (§§  1–37), 3.  Auflage, München 2017, – Band  2 (§§  38–79b), 3.  Auflage, München 2016, – Band  4 (§§  185–262), 3.  Auflage, München 2017. Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung mit Gerichtsverfassungsgesetz und Neben­ gesetzen, Lüke, Wolfgang/Wax, Peter (Hrsg.), Band  3 (§§  803–1066), 2.  Auflage, München 2001 [zit.: Bearbeiter, in: MüKo-ZPO (2001)]. Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung mit Gerichtsverfassungsgesetz und Neben­ gesetzen, Rauscher, Thomas/Krüger, Wolfgang (Hrsg.) [zit.: Bearbeiter, in: MüKo-ZPO], – Band  1 (§§  1–354), 5.  Auflage, München 2016, – Band  2 (§§  355–945b), 5.  Auflage, München 2016, – Band  3 (§§  946–1117, EGZPO, GVG, EGGVG, UKlaG, Internationales und Europäisches Zivilprozessrecht), 5.  Auflage, München 2017. Mugdan, Benno, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Berlin 1899, – 2.  Band (Recht der Schuldverhältnisse), – 3.  Band (Sachenrecht), – 5.  Band (Erbrecht). Musielak, Hans-Joachim, Zum Teilurteil im Zivilprozess, in: Prütting, Hans/Rüßmann, Helmut (Hrsg.), Verfahrensrecht am Ausgang des 20. Jahrhunderts, Festschrift für Gerhard Lüke, München 1997, S.  561–581 [zit.: Musielak, in: FS Lüke]. Musielak, Hans-Joachim/Voit, Wolfgang, Grundkurs ZPO, Erkenntnis- und Zwangsvollstre­ ckungsverfahren, 14.  Auflage, München 2018. Musielak, Hans-Joachim/Voit, Wolfgang (Hrsg.), Zivilprozessordnung mit Gerichtsverfassungs­ gesetz, Kommentar, 16.  Auflage, München 2019 [zit.: Bearbeiter, in: Musielak/Voit, ZPO]. Neyer, Franz J./Asendorpf, Jens B., Psychologie der Persönlichkeit, 6.  Auflage, Berlin 2018. Nieder, Michael, Die Widerklage mit Drittbeteiligung, ZZP 85 (1972), S.  437–465. NK-BGB, Ring, Gerhard/Grziwotz, Herbert/Keukenschrijver, Alfred (Hrsg.), Nomos-Kom­ mentar BGB, Sachenrecht, Band  3, §§  854–1296, 4.  Auflage, Baden-Baden 2016 [zit.: Bearbeiter, in: NK-BGB]. Obermann, Torsten, Besitzschutz und Haushaltsgegenstände, FuR 2016, S.  258–260. Ohly, Ansgar/Sosnitza, Olaf (Hrsg.), Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb mit Preisanga­ benverordnung, Kommentar, 7.  Auflage, München 2016 [zit.: Bearbeiter, in: Ohly/Sosnitza, UWG]. Ortells Ramos, Manuel, Effektiver Rechtsschutz im spanischen Privatrecht – insbesondere zum einstweiligen Rechtsschutz, ZZPInt 2 (1997), S.  95–116.

282

Literaturverzeichnis

Osterloh, Ernst Robert, Die Lehre von den prozesshindernden Einreden nach deutschem Civil­ prozessrecht, ZZP 3 (1881), S.  43–103. Ott, Arne, Die Parteiwiderklage, Grundlagen und ausgewählte Probleme, Baden-Baden 1999. Ott, Claus/Schäfer, Hans-Bernd, Anreiz- und Abschreckungsfunktion im Zivilrecht, in: Ott, Claus/Schäfer, Hans Bernd (Hrsg.), Die Präventivwirkung zivil- und strafrechtlicher Sank­ tionen, Beiträge zum VI. Travemünder Symposium zur ökonomischen Analyse des Rechts vom 25.–28. März 1998, Tübingen 1999, S.  131–155 [zit.: Ott/Schäfer, in: Die Präventiv­ wirkung zivil- und strafrechtlicher Sanktionen]. Palandt, Otto (Begr.), Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar [zit.: Bearbeiter, in: Palandt, BGB], – 74.  Auflage, München 2015, – 78.  Auflage, München 2019. Paulus, Christoph G./Matzke, Robin, Relativierung der Zwangsvollstreckung durch smarte IT-Lösungen?, CR 2017, S.  769–778. Pawlowski, Hans-Martin, Der Rechtsbesitz im geltenden Sachen- und Immaterialgüterrecht, Göttingen 1961. Petersen, Jens, Sonderfragen zum Recht des Besitzes, Jura 2002, 255–259. Petersen, Julius, Die Civilprozessordnung für das Deutsche Reich in der Fassung des Gesetzes vom 17. Mai 1898, Band  1, 5.  Auflage, Lahr 1904. Pfaff, Dieter, Widerklagezuständigkeit bei prorogationswidriger Klageerhebung, ZZP 96 (1983), S.  334–356. Pflughaupt, Matthias, Prozessökonomie, Verfassungsrechtliche Anatomie und Belastbarkeit eines gern bemühten Arguments, Tübingen 2011. Pichonnaz, Pascal, La compensation, Analyse historique et comparative des modes de com­ penser non conventionnels, Fribourg 2001. Picker, Eduard, Mittelbarer Besitz, Nebenbesitz und Eigentumsvermutung in ihrer Bedeutung für den Gutglaubenserwerb – Zur Korrektur und Harmonisierung der §§  933, 934 und 1006 BGB, AcP 188 (1988), S.  511–571. Piedelièvre, Stéphane, Brèves remarques sur la disparition des actions possessoires avec la loi du 16 février 2015, Gazette du Palais (Gaz.Pal), n° 78 (2015), S.  4–6. Pielemeier, Klaus, Das Aufrechnungsverbot des §  393 BGB, seine Entstehungsgeschichte und seine Bedeutung im geltenden Recht, Berlin 1988. Pieper, Helmut, Besitzrecht und Schadensersatz bei der eigenmächtigen Wegnahme von Siche­ rungsgut, in: Festschrift zum 150jährigen Bestehen des Oberlandesgerichts Zweibrücken, Wiesbaden 1969, S.  231–256 [zit.: Pieper, in: FS 150 Jahre OLG Zweibrücken]. Planck, Gottlieb (Begr.), Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch nebst Einführungsgesetz, Dritter Band, Sachenrecht, 4.  Auflage, Berlin etc. 1920 [zit.: Bearbeiter, in: Planck, BGB]. Portmann, Ruedi, Der Besitzesschutz des schweizerischen Zivilgesetzbuchs mit Kurzdarstel­ lung des Besitzschutzverfahrens nach der Zivilprozessordnung des Kantons Luzern, Entle­ buch 1997. Prager, Georg, Lehrbuch des gesammten Privatrechtes in geschichtlicher, dogmatischer und wirthschaftlicher Beziehung, Band  1, Allgemeine Lehren und Sachenrecht, Berlin etc. 1888. Prittwitz, Cornelius, Das Strafrecht: Ultima ratio, propria ratio oder schlicht strafrechtliche Prohibition?, ZStW 129 (2017), S.  390–400. Prütting, Hanns, Sachenrecht, 36.  Auflage, München 2017. Prütting, Hanns/Gehrlein, Markus (Hrsg.), ZPO Kommentar, 11.  Auflage, Köln 2019 [zit.: Bearbeiter, in: Prütting/Gehrlein, ZPO].

Literaturverzeichnis

283

Prütting, Hanns/Wegen, Gerhard/Weinreich, Gerd (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, Kom­ mentar, 14.  Auflage, Köln 2019 [zit.: Bearbeiter, in: PWW-BGB]. Puchta, Georg Friedrich, Lehrbuch der Pandekten, 9.  Auflage, Leipzig 1863. Quitmann, Kristina, Eigentums- und Besitzschutz im deutschen und englischen Recht, Rechts­ vergleichende Analyse des Spannungsverhältnisses zwischen Eigentum und Besitz, Berlin 2011. Raiser, Ludwig, Rechtsschutz und Institutionenschutz im Privatrecht, in: summum ius summa iniuria, Individualgerechtigkeit und der Schutz allgemeiner Werte im Rechtsleben, Ringvor­ lesung gehalten von Mitgliedern der Tübinger Juristenfakultät im Rahmen des dies academi­ cus Wintersemester 1962/1963, Tübingen 1963, S.  145–167 [zit.: Raiser, in: summum ius summa iniuria]. Regenfus, Thomas, Vorgaben des Grundgesetzes für die Lösung sachenrechtlicher Zuordnungs- und Nutzungskonflikte, Berlin 2013. ders., Deaktivierte Geräte – Rechte des Nutzers bei Einschränkung der Funktionsfähigkeit „smarter“ Produkte durch den Hersteller, JZ 2018, S.  79–87. Reich, Dietmar O./Schmitz, Peter, Einführung in das Bürgerliche Recht: Grundlagen des BGB – Allgemeiner Teil – Allgemeines Schuldrecht – Besonderes Schuldrecht – Sachenrecht, 3.  Auflage, Wiesbaden 2000. Reischl, Klaus, Die objektiven Grenzen der Rechtskraft im Zivilprozeß, Tübingen 2002. Retzer, Konrad, Widerlegung der Dringlichkeitsvermutung durch Interessenabwägung?, GRUR 2009, S.  329–333. Retzko, Susanne, Die Angriffsverursachung bei der Notwehr, Münster 2001. RGRK-BGB, Mitglieder des Bundesgerichtshofs (Begr.), Das Bürgerliche Gesetzbuch mit be­ sonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichts­ hofes, Kommentar, Band  III, 1.  Teil, §§  854–1011, 12.  Auflage, Berlin etc. 1979 [zit.: Bearbeiter, in: RGRK-BGB]. Rimmelspacher, Bruno, Materiellrechtlicher Anspruch und Streitgegenstandsprobleme im Zi­ vilprozess, Göttingen 1970. ders., Zur Bedeutung von §  33 ZPO, in: Prütting, Hans/Rüßmann, Helmut (Hrsg.), Verfahrens­ recht am Ausgang des 20. Jahrhunderts, Festschrift für Gerhard Lüke, München 1997, S.  655–673 [zit.: Rimmelspacher, in: FS Lüke]. Röhl, Klaus F./Röhl, Hans Christian, Allgemeine Rechtslehre, Ein Lehrbuch, 3.  Auflage, Mün­ chen 2008. Röthel, Anne, Herstellungsverträge und Eigentumsordnung – §§  651, 950 BGB nach der Schuld­rechtsreform, NJW 2005, S.  625–629. Rohmeyer, Hartwig, Geschichte und Rechtsnatur der einstweiligen Anordnung im Verwaltungs­ prozess und ihre Konsequenzen für die einstweilige Anordnung in Ermessens- und Beurtei­ lungsangelegenheiten, Berlin 1967. Rosenberg, Leo (Begr.), Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Dritter Band: Sachenrecht, Erster Halbband, München 1919. Rosenberg, Leo/Schwab, Karl Heinz, Zivilprozessrecht, 14.  Auflage, München 1986. Rosenberg, Leo/Schwab, Karl Heinz/Gottwald, Peter, Zivilprozessrecht, 18.  Auflage, Mün­ chen 2018. Rüßmann, Helmut, Die Streitgegenstandslehre und die Rechtsprechung des EuGH – nationales Recht unter gemein-europäischem Einfluß?, ZZP 111 (1998), S.  399–427. Rüthers, Bernd, Ein Grundrecht auf Wohnung durch die Hintertür?, NJW 1993, S.  2587–2589. Saenger, Ingo, Einstweiliger Rechtsschutz und materiellrechtliche Selbsterfüllung: Möglich­ keiten der kurzfristigen Verwirklichung von Ansprüchen auf Vornahme vertretbarer Hand­

284

Literaturverzeichnis

lungen – zugleich ein Beitrag zum Spannungsverhältnis von Prozeßrecht und materiellem Recht, Tübingen 1998. ders., Zivilprozessordnung, Familienverfahren, Gerichtsverfassung, Europäisches Verfahrens­ recht, Handkommentar, 8.  Auflage, Baden-Baden 2019 [zit.: Bearbeiter, in: Saenger-ZPO]. Sandtner, Walter, Kritik der Besitzlehre, München 1968. Savigny, Friedrich Carl von, Das Obligationenrecht als Theil des heutigen Römischen Rechts, Band  2, Berlin 1853. ders., Das Recht des Besitzes, Eine zivilistische Abhandlung, 7.  Auflage, Wien 1865, Neu­ druck, Aalen 1990. Schäfer, Carsten, Strafe und Prävention im Bürgerlichen Recht, AcP 202 (2002), S.  397–434. Schäfer, Hans-Bernd/Ott, Claus, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 5.  Auf­ lage, Berlin etc. 2012. Scheuermann, Reimund, Einflüsse der historischen Rechtsschule auf die oberstrichterliche ge­ meinrechtliche Zivilrechtspraxis bis zum Jahre 1861, Berlin 1972. Schilken, Eberhard, Die Befriedigungsverfügung, Berlin 1976. ders., Zivilprozessrecht, 7.  Auflage, München 2014. Schlosser, Peter, Einstweiliger Rechtsschutz und materielles Zwischenrecht, in: Gerhardt, Walter/­Diederichsen, Uwe/Rimmelspacher, Bruno u. a. (Hrsg.), Festschrift für Wolfram Henckel zum 70. Geburtstag, Berlin 1995, S.  737–747 [zit.: Schlosser, in: FS Henckel zum 70. Geburtstag]. Schmid, Andreas Christian Johannes, Handbuch des gemeinen deutschen Civilprocesses, 3.  Teil, Kiel 1845. Schmidt, Hubert, Unterlassungsansprüche bei rechtswidrigem Verhalten des Vermieters, NZM 2015, S.  553–565. Schmidt, Karsten, Entscheidungsbesprechung zu BGH, Urt. v. 23.2.1979 – V ZR 133/76, JuS 1980, S.  65–66. ders., Zivilprozess und Europakartellrecht, in: Gottwald, Peter/Roth, Herbert (Hrsg.), Festschrift für Ekkehard Schumann zum 70. Geburtstag, Tübingen 2001, S.  405–422 [zit.: K. Schmidt, in: FS Schumann]. ders., Sachenrecht und Zivilprozessrecht, Besitzschutz zwischen Werkunternehmer und Bau­ herrn. Besitzbegriff und petitorische Einwendungen, JuS 2012, S.  843–845. ders., Sachenrecht, Zivilprozessrecht: Kein Wegfall des Herausgabeanspruchs und keine Erle­ digung des Herausgabeprozesses durch Zwangsvollstreckung, JuS 2014, S.  942–944. Schmidt-Futterer, Wolfgang (Begr.)/Blank, Hubert, Mietrecht, Großkommentar des Wohn- und Gewerberaummietrechts, 14.  Auflage, München 2019 [zit.: Bearbeiter, in: Schmidt-Futterer, Mietrecht]. Schneider, Egon, Fragen des Besitzschutzes, JR 1961, S.  367–369. ders., Prozeßtaktischer Einsatz der Widerklage, MDR 1998, S.  21–24. Schneider, Egon/Schneider, Harald, Problemfälle aus der Prozeßpraxis – Sicherheitsleistung bei einem Duldungstitel, MDR 1991, S.  1033–1034. Schöbi, Felix, Der Besitzesschutz (Art.  926–929 ZGB), Bemerkungen zu einer gesetzgeberi­ schen Fehlleistung, Bern 1987. Schöpflin, Martin, Die Verfahrensökonomie – eine Prozessmaxime?, JR 2003, S.  485–490. Scholz, Harald, Versorgungssperre bei vermietetem Sondereigentum, NZM 2008, S.  387–394. Schreiber, Klaus, Die Widerklage, Jura 2010, S.  31–35. Schröder, Jochen, Internationale Zuständigkeit, Entwurf eines System von Zuständigkeitsinte­ ressen im zwischenstaatlichen Privatverfahrensrecht aufgrund rechtshistorischer, rechtsver­ gleichender und rechtspolitischer Betrachtungen, Opladen 1971.

Literaturverzeichnis

285

Schubert, Werner, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über Besitz und Eigentumsüber­ tragung, Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des BGB, Berlin 1966. ders., Bayern und das Bürgerliche Gesetzbuch. Die Protokolle der bayerischen BGB-Kommis­ sion (1881–1884), Ebelsbach 1980. ders., Die Vorlagen der Redaktoren für die erste Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches, – Allgemeiner Teil, Teil  2, Berlin etc. 1981, – Recht der Schuldverhältnisse, Teil  1, Allgemeiner Teil, Berlin etc. 1980, – Sachenrecht, Teil  1, Allgemeine Bestimmungen, Besitz und Eigentum, Berlin etc. 1982, – Sachenrecht, Teil  3, Grundbuchordnung, Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermö­ gen und sachenrechtliche Vorlagen von 1876–1879, Berlin etc. 1982. ders., Protokolle der Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs einer Civilprozeßordnung für die Staaten des Norddeutschen Bundes, Nachdruck der Ausgabe Berlin 1868–1870, Band  3, Frankfurt am Main 1985. ders., Bürgerliches Gesetzbuch für das Großherzogtum Hessen, Entwürfe und Motive (1842– 1853), Band  3, 2.  Abteilung (Sachenrecht), Entwürfe und Motive von 1845 und 1851, Frank­ furt am Main 1986. Schünemann, Wolfgang B., Befriedigung durch Zwangsvollstreckung, JZ 1985, S.  49–57. ders., Selbsthilfe im Rechtssystem, Tübingen 1985. Schulz, Werner, Die vorläufige Verteilung der Haushaltsgegenstände nach §  1361a BGB, NZ­ Fam 2014, S.  483–486. Schumann, Ekkehard, Die Prozeßökonomie als rechtsethisches Prinzip, in: Gotthard, Paulus/ Diederichsen, Uwe/Canaris, Claus Wilhelm (Hrsg.), Festschrift für Karl Larenz zum 70. Geburtstag, München 1973, S.  271–287 [zit.: Schumann, in: FS Larenz]. Schur, Wolfgang, Rechtsschutz bei verbotener Eigenmacht im einstweiligen Verfügungsverfah­ ren, ZMR 2000, S.  802–808. Schuschke, Winfried/Walker, Wolf-Dietrich, Vollstreckung und vorläufiger Rechtsschutz nach dem achten und elften Buch der ZPO einschließlich der europarechtlichen Regelungen, Kommentar, 6.  Auflage, Köln 2016 [zit.: Bearbeiter, in: Schuschke/Walker, VuvR]. Seifert, Uwe, §  765a ZPO im Verfahren der Räumungsvollstreckung und der Zwangsversteige­ rung – Zum Missbrauch durch den unbegründeten Suizideinwand des Schuldners, Rpfleger 2015, S.  237–241. Seuffert, Lothar von, Kommentar zur Civilprozeßordnung für das Deutsche Reich und zum Einführungsgesetze vom 30. Januar 1877, 7.  Auflage, München 1895. Sliwka, Christoph Karl, Herausgabeansprüche als Teil des zivilrechtlichen Eigentumsrechts?, Die rei vindicatio und funktionsäquivalente Ansprüche des Eigentümers gegen den Besitzer im französischen, englischen und deutschen Recht, Berlin 2012. Smid, Stefan, Zur Beziehung von possessorium und petitorium im Verfahren für einstweiligen Rechtschutz – AG Bruchsal, NJW 1981, 1674, JuS 1982, S.  892–895. Smith, Henry E., The Language of Property: Form, Context, and Audience, Stanford Law Re­ view 55 (2002–2003), S.  1105–1192. ders., The elements of possession, in: Chang, Yun-chien (Hrsg.), Law and Economics of Pos­ session, Cambridge 2015, S.  65–96 [zit.: Smith, in: Law and Economics of Possession]. Soergel, Hans Theodor (Begr.), Kommentar zum BGB, Bürgerliches Gesetzbuch mit Einfüh­ rungsgesetz und Nebengesetzen [zit.: Bearbeiter, in: Soergel, BGB], – Band  5/3: Schuldrecht 3/3 (§§  328–432 BGB), 13.  Auflage, Stuttgart 2010, – Band  14: Sachenrecht 1 (§§  854–984 BGB), 13.  Auflage, Stuttgart 2002.

286

Literaturverzeichnis

Sosnitza, Olaf, Besitz und Besitzschutz, Sachherrschaft zwischen faktischem Verhältnis, schuld­rechtlicher Befugnis und dinglichem Recht, Tübingen 2003. Spiess, Pirmin, Die Auswirkungen der petitorischen Widerklage auf die Besitzklage, JZ 1979, S.  717–719. Stahl, Friedrich Julius, Die Philosophie des Rechts, Band  2, 6.  Auflage, Darmstadt 1963. Stamm, Jürgen, Die Prinzipien und Grundstrukturen des Zwangsvollstreckungsrechts, Ein Bei­ trag zur Rechtsvereinheitlichung auf europäischer Ebene, Tübingen 2007. Staudinger, Julius von (Begr.), Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungs­ gesetz und Nebengesetzen [zit.: Bearbeiter, in: Staudinger, BGB], – Buch 1: Allgemeiner Teil, §§  164–240 (Allgemeiner Teil  5), Neubearbeitung, Berlin 2014, – Buch 2: Recht der Schuldverhältnisse, §§  241–243 (Treu und Glauben), Neubearbeitung, Berlin 2015, – Buch 2: §§  255–304 (Leistungsstörungsrecht 1), Neubearbeitung, Berlin 2014, – Buch 2: §§  362–396 (Erfüllung, Hinterlegung, Aufrechnung), Neubearbeitung, Berlin 2016, – Buch 2: §§  652–661a (Maklervertrag), Neubearbeitung, Berlin 2016, – Buch 2: §§  812–822 (Ungerechtfertigte Bereicherung), Neubearbeitung, Berlin 2007, – Buch 2: §§  839, 839a (Unerlaubte Handlungen 4 – Amtshaftungsrecht), Neubearbeitung, Berlin 2012, – Buch 3: Sachenrecht, Einleitung zum Sachenrecht; §§  854–882, Neubearbeitung, Berlin 2007, – Buch 3: Sachenrecht, Einleitung zum Sachenrecht, §§  854–882 (Allgemeines Liegenschafts­ recht 1), Neubearbeitung, Berlin 2018, – Buch 3: Sachenrecht, §§  985–1011 (Eigentum 3), Neubearbeitung Berlin 2012, – Buch 4: Familienrecht, §§  1353–1362 (Wirkungen der Ehe im Allgemeinen), Neubearbei­ tung, Berlin 2018, – Buch 5: Erbrecht, §§  2303–2345, (Pflichtteil, Erbunwürdigkeit), Neubearbeitung, Berlin 2015. ders., Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, Eckpfeiler des Zivilrechts, 6.  Auflage, Berlin 2018 [zit.: Bearbeiter, in: Staudinger-Eck­ pfeiler]. Stein, Friedrich, Grundriß des Zivilprozeßrechts und des Konkursrechts, Tübingen 1921. Stein, Friedrich/Jonas, Martin (Begr.), Kommentar zur Zivilprozessordnung [zit.: Bearbeiter, in: Stein/Jonas, ZPO], – Band  1 (Einleitung, §§  1–77), 23.  Auflage, Tübingen 2014, – Band  2 (§§  78–147), 23.  Auflage, Tübingen 2016, – Band  3 (§§  148–270), 23.  Auflage, Tübingen 2016, – Band  4 (§§  271–327), 23.  Auflage, Tübingen 2018, – Band  8 (§§  802a–915h), 23.  Auflage, Tübingen 2017, – Band  9 (§§  916–1024, EGZPO), 22.  Auflage, Tübingen 2002. Steinrötter, Björn, Vermeintliche Ausschließlichkeitsrechte an binären Codes, Justizminister­ konferenz spricht sich gegen „Dateneigentum“ aus, MMR 2017, S.  731–736. Stickelbrock, Barbara, Inhalt und Grenzen richterlichen Ermessens im Zivilprozeß, Köln 2002. Streyl, Elmar, Die Hinterlegungsanordnung und die Räumungsverfügung, NZM 2012, S.  249– 270. Strohal, Emil, Zum Besitzrecht des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deut­ sche Reich, JherJb 29 (1890), 336–396. ders., Der Sachbesitz nach dem B.G.B., JherJb 38 (1898), S.  1–137. Stürner, Rolf, Prinzipien der Einzelzwangsvollstreckung, ZZP 99 (1986), S.  291–332.

Literaturverzeichnis

287

ders., Einstweiliger Rechtsschutz, Generalbericht, in: Storme, Marcel (Hrsg.), Procedural Laws in Europe, Towards Harmonisation, Antwerpen etc. 2003, S.  143–186 [zit.: Stürner, in: Procedural Laws]. ders., Die Rolle des dogmatischen Denkens im Zivilprozessrecht, ZZP (127) 2014, S.  271–331. ders., Verfahrensrecht und materielle Gerechtigkeit, in: Münch, Joachim (Hrsg.), Prozessrecht und materielles Recht, Liber Amicorum für Wolfram Henckel aus Anlass seines 90. Geburts­ tages, Tübingen 2015, S.  360–375 [zit.: Stürner, in: FS Henckel zum 90. Geburtstag]. Sutter-Somm, Thomas, Schweizerisches Privatrecht, Fünfter Band, Erster Teilband, Eigentum und Besitz, 2.  Auflage, Basel 2014. Thaler, Richard, Toward a Positive Theory of Consumer Choice, Journal of Economic Behavior and Organization 1 (1980), S.  39–60. Thole, Christoph, Die Durchsetzung von Ansprüchen aus parallelen Schutzrechten des Geisti­ gen Eigentums – Prüfstein für das allgemeine Zivilprozessrecht, ZZP 124 (2011), S.  403–432. Thomas, Heinz/Putzo, Hans (Hrsg.), Zivilprozessordnung, FamFG, Verfahren in Familien­ sachen, EGZPO, GVG, EGGVG, EU-Zivilverfahrensrecht, Kommentar, 40.  Auflage, Mün­ chen 2019 [zit.: Bearbeiter, in: Thomas/Putzo, ZPO]. Tigerström, Friedrich Wilhelm von, Die bonae fidei possessio oder das Recht des Besitzes, Berlin 1836. ders., Über den Rechtsgrund der sg. Possessorischen Interdicte, AcP 22 (1839), S.  31–46. Towfigh, Emanuel V., The economic paradigm, in: Towfigh, Emanuel V./Petersen, Niels (Hrsg.), Economic Methods for Lawyers, Chattenham 2015, S.  18–31 [zit.: Towfigh, in: Economic Methods]. Towfigh, Emanuel V./Petersen, Niels, Economic methods and legal reasoning, in: Towfigh, Emanuel V./Petersen, Niels (Hrsg.), Economic Methods for Lawyers, Chattenham 2015, S.  1–17 [zit.: Towfigh/Petersen, in: Economic Methods]. Tuhr, Andreas von, Der allgemeine Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts, Band  1: Allgemei­ ne Lehren und Personenrecht, Berlin 1910. Vieweg, Klaus/Werner, Almuth, Sachenrecht, 8.  Auflage, München. Vogel, Harald, Herausgabe eigenmächtig entfernten Hausrats. Zugleich kritische Anmerkung zum Beschluß des OLG Frankfurt/M vom 5.12.1980 – 1 ARF 37/80 –, FamRZ 1981, S.  839– 841. Vogg, Stefan, Einstweiliger Rechtsschutz und vorläufige Vollstreckbarkeit, Gemeinsamkeiten und Wertungswidersprüche, Berlin 1991. ders., Einstweilige Feststellungsverfügung?, NJW 1993, S.  1357–1364. Voit, Wolfgang, Anmerkung zu OLG Stuttgart, Beschl. v. 22.11.2011 − 10 W 47/11, NJW 2012, S.  628–629. Vollkommer, Max, Der Grundsatz der Waffengleichheit im Zivilprozeß – eine neue Prozeß­ maxime? – , in: Gottwald, Peter/Prütting, Hanns (Hrsg.), Festschrift für Karl Heinz Schwab zum 70. Geburtstag, München 1990, S.  503–520 [zit.: Vollkommer, in: FS Schwab]. Wacke, Andreas, Dolo facit, qui petit quod (statim) redditurus est, JA 1982, S.  477–479. ders., Besitzschutz und Selbsthilfeverbot im deutschen und italienischen Recht, Grenzen des Kumulationsverbots von possessorium und petitorium, in: Mansel, Heinz P./Pfeiffer, Thomas/­Kronke, Herbert u. a. (Hrsg.), Festschrift für Erik Jayme, Band  2, München 2004, S.  1605–1624 [zit.: Wacke, in: FS Jayme]. Wagner, Gerhard, Prävention und Verhaltenssteuerung durch Privatrecht – Anmaßung oder le­ gitime Aufgabe?, AcP 206 (2006), S.  352–476. Wagner, Tobias, Die Widerklage, JA 2014, S.  655–659. Weber, Günter, Gegenverfügungen im Eilverfahren, WRP 1985, S.  527–529.

288

Literaturverzeichnis

Weinreich, Gerd, Die Voraussetzungen der endgültigen Verteilung der Haushaltsgegenstände nach §  1568b BGB, NZFam 2014, S.  486–490. Wendt, Otto, Das Faustrecht oder Besitzvertheidigung und Besitzverfolung, JherJb 21 (1883), S.  56–342. ders., Besitz und Inhabung. Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das deutsche Reich, 3.  Buch, 2.  Abschnitt, Kritik und Gegenvorschläge, AcP 74 (1889), S.  135–178. ders., Der mittelbare Besitz des bürgerlichen Gesetzbuches, AcP 87 (1897), S.  40–76. Wendt, Stephan, Die einstweilige Räumungsverfügung des §  940a Abs.  2 ZPO, Tübingen 2015. Werner, Frank, Zur Darlegungslast des Prozeßgegners gegenüber der beweisbelasteten Partei in Bezug auf Umstände aus dem eigenen Einflußbereich, JR 1999, S.  331–333. Westermann, Harm Peter/Gursky, Karl-Heinz/Eickmann, Dieter, Sachenrecht, 8.  Auflage, ­Heidelberg etc. 2011. Wetzell, Georg Wilhelm, System des ordentlichen Civilprozesses, 3.  Auflage, Leipzig 1878. Wieacker, Franz, Zur rechtstheoretischen Präzisierung des §  242 BGB, Tübingen 1956. Wieczorek, Bernhard (Begr.)/Schütze, Rolf A., Zivilprozessordnung und Nebengesetze [zit.: ­Bearbeiter, in: Wieczorek/Schütze, ZPO], – Erster Band, Teilband 1 (Einleitung, §§  1–49), 3.  Auflage, Berlin 1994, – Erster Band, Teilband 2 (§§  24–49), 4.  Auflage, Berlin 2015, – Fünfter Band, Teilband 1 (§§  300–329), 4.  Auflage, Berlin 2015, – Achter Band (§§  592–723), 4.  Auflage, Berlin 2013, – Neunter Band (§§  724–802l), 4.  Auflage, Berlin 2016, – Zehnter Band, Teilband 2 (§§  864–915h), 4.  Auflage, Berlin 2015, – Elfter Band (§§  916–1066), 4.  Auflage, Berlin 2014. Wieling, Hans Josef, Grund und Umfang des Besitzschutzes, in: Harder, Manfred/Thielmann, Georg (Hrsg.), De iustitia et iure, Festgabe für Ulrich von Lübtow zum 80. Geburtstag, ­Berlin 1980, S.  565–584 [zit.: Wieling, in: FS Lübtow]. ders., Der mittelbare Besitz, Entstehung und Wesen, in: Studi in onore di Cesare Sanfilippo I, Mailand 1982, S.  715–741 [zit.: Wieling, in: Studi Sanfilippo]. ders., Die historischen Voraussetzungen des modernen Besitzschutzes, in: Knütel, Rolf/Nishi­ mura, Shigeo (Hrsg.), Hundert Jahre Japanisches Zivilgesetzbuch, Köln 2004, S.  361–388 [zit.: Wieling, in: Hundert Jahre Japanisches Zivilgesetzbuch]. ders., Possessorisch und petitorisch, in: Wallerath, Maximilian (Hrsg.), Fiat iustitia, Recht als Aufgabe der Vernunft, Festschrift für Peter Krause zum 70. Geburtstag, Berlin 2006, S.  571– 588 [zit.: Wieling, in: FS Krause]. ders., Sachenrecht, Band  1: Sachen, Besitz und Rechte an beweglichen Sachen, 2.  Auflage, Berlin etc. 2006. Wieser, Eberhard, Der Schadensersatzanspruch des Besitzers aus §  823 BGB, JuS 1970, S.  557–561. Wilhelm, Jan, Sachenrecht, 6.  Auflage, Berlin etc. 2019. Wolf, Ernst, Lehrbuch des Sachenrechts, 2.  Auflage, Köln etc. 1979. Wolf, Manfred, Voraussetzungen für Räumungsanordnung von Wohnraum durch einstweilige Verfügung, Anmerkung zu LG Frankfurt NJW 1980, 1758, NJW 1980, S.  1758–1759. Wolff, Martin/Raiser, Ludwig, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Dritter Band, Sachenrecht, 10.  Auflage, Tübingen 1957. Zeiller, Franz von (Begr.), Commentar über das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch für die gesammten deutschen Erbländer der österreichischen Monarchie, – Zweyter Band, Erste Ab­theilung, Wien 1812, – Vierter Band, Wien 1813.

Literaturverzeichnis

289

Zeising, Jörg, Petitorische Durchbrechung possessorischen Besitzschutzes, Jura 2010, S.  248– 255. Zitelmann, Ernst, Zur Straffunktion im Privatrecht, AcP 99 (1906), S.  1–130. Zobl, Dieter, Zum Verhältnis Besitzesschutz und Rechtsschutz, in: Lieber, Viktor/Rehberg, Jörg/Walder, Hans U. u. a. (Hrsg.), Festschrift zum 70. Geburtstag von Guido von Castel­ berg, Zürich 1997, S.  303–320 [zit.: Zobl, in: FS Castelberg]. Zöller, Richard (Hrsg.), Zivilprozessordnung mit FamFG (§§  1–185, 200–270, 433–484) und Gerichtsverfassungsgesetz, den Einführungsgesetzen, mit Internationalem Zivilprozess­ recht, EU-Verordnungen, Kostenanmerkungen, Kommentar, 32.  Auflage, Köln 2018 [zit.: Bearbeiter, in: Zöller, ZPO]. Zoller, Anne Sabine, Vorläufige Vollstreckbarkeit im Schweizer Zivilprozessrecht, Unter Be­ rücksichtigung des Deutschen, Englischen und Französischen Rechts, Zürich 2008.

Gesetzesmaterialien Denkschrift zum Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs nebst drei Anlagen, Berlin 1896. Materialien zu den Reichsjustizgesetznovellen (1897–1898), Band  I, Die Materialien zur Civil­ prozeßordnung, Berlin 1898. Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Amtliche Ausgabe, Berlin etc. 1888, – Band  2: Recht der Schuldverhältnisse, – Band  3: Sachenrecht, – Band  5: Erbrecht. Motive zum Entwurfe eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern, Fortset­ zung, Band  II, München 1864. Protokolle der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuchs, im Auftrag des Reichsjustizamts, bearbeitet von Achilles, Spahn und Gebhard, Berlin 1897– 1899, – Band  2: Recht der Schuldverhältnisse, – Band  3: Sachenrecht, – Band  5: Erbrecht.

Register actio spolii  16, 18 actions possessoires  229–232 ager publicus  14 animus domini  18, 21, 25, 225, s.a. Eigenbesitzwille Aufrechnungsverbot  87–90

Besitzstörung – Ansprüche bei Abschaffung des posseso­ rischen Besitzschutzes  249–250 – und petitorische Duldungsklage  122–123 – und petitorische Duldungsverfügung  153, 160, 169

Beschleunigungszweck – de lege lata  74, 76, 90, 195 – de lege ferenda  238–241, 248, 269 Besitz – als sonstiges Recht  85 – fehlerhafter  s. dort – Funktionen  1, 222 – mittelbarer  s. dort – Rechtsnatur  5, 27–29 – als tatsächliche Gewalt  61, 68 Besitzbegriff – des deutschen Rechts  5–7, 61–62 – des französischen Rechts  229 – des italienischen Rechts  227 – des österreichischen Rechts  225 – des Schweizer Rechts  223 – des spanischen Rechts  231 – Historie  18, 21, 26 – im DCFR  233 Besitzdiener  26, 61–63 Besitzentziehung – Ansprüche bei Abschaffung des posseso­ rischen Besitzschutzes  250–251 – und petitorische Behaltensverfügung  157–162 – und petitorische Feststellungsklage  119– 122, 123, 148, 171 – und petitorische Herausgabeklage  119– 121, 127–129 – und petitorische Unterlassungsverfügung  163–169

civil law  221 Code civil  229 Code de procédure civil  73–75, 229 Codice civile  227 Codice di procedura civile  227 Código Civil  231 common law  221 dolo-agit  71, 116, 216 Draft Common Frame of Reference  219, 232–235 Eigenbesitz  14, 23–25 Eigenbesitzwille  26, 222, 227, 229, s.a. animus domini Eigentumsgrundrecht  212–214 Eigentumstheorie  30, 35, 37, 41, 58 Einrede des fehlerhaften Besitzes  14, 16, 244–247, s.a. exceptio vitiosae possessio­ nis Einstweiliger Rechtsschutz – besondere ermessensgeleitete Maßnah­ men  252–258 – petitorischer  155–169 – possessorischer  91–99 – und Rechtskraft  158–159 Einstweilige Verfügung – als übergeordneter Hoheitsakt  156–158, 160–169 – und Gestattungswirkung  156, 159–160 – Verfügungsanspruch  96, 163, 165–169

292

Register

– Verfügungsgrund  98–100, 163–169 Einwendungsverbot – des deutschen Rechts –  Historie  73–76 –  Zweck  76–83 – des französischen Rechts  229–230 – des italienischen Rechts  227–228 – des österreichischen Rechts  225–226 – des römischen Rechts  14 – des Schweizer Rechts  224 – des spanischen Rechts  231 – im DCFR  233–234 Erbenbesitz  61, 64–65 Erlöschen des possessorischen Anspruchs – bei nicht rechtskräftiger Feststellung des petitorischen Rechts  143–150 – bei petitorischer einstweiliger Verfügung  155–158 – bei petitorischer Widerklage  181–183 – bei rechtskräftiger Feststellung des petitorischen Rechts  103–104 – bei Rechtsmissbrauch  s. dort – durch Zeitablauf  57, s.a. zeitliche Grenzen des Besitzschutzes Ermessen – bei Teilurteilserlass  196–197 – im Zivilprozessrecht  252 Ermessensverfügung de lege ferenda  252– 258, 263 exceptio vitiosae possessionis  14–15, 245–247, s.a. Einrede des fehlerhaften Besitzes Fahrnisklage  17–18 Faustrecht  2, 20, 48, 53, 173, s.a. Gewalt­ monopol fehlerhafter Besitz  56–59, 94, 114, s.a. Einrede des fehlerhaften Besitzes Feststellungsklage – petitorische  119–122, 123, 148, 171 – possessorische  246 Fremdbesitz  14, 19, 21 Friedenstheorie  34,36, 41–61, 266 Gemeines Recht  18, 74, 78, 84, 109, 114 Germanisches Recht  17–18, 21 Gewaltmonopol  34, 43, 45–47, 51–61, 101, 105, 246, 259

Gewere  17–18, 22 Hausratsverteilung  103, 161, 174–177 Herausgabeklage – petitorische  119–121, 127–129 – possessorische  3 Inhabung  24–26, 225, 227, Interdikte  13–15, 19, 26, 88, 265 Inzidentprüfung des petitorischen Rechts  170–171, 238, 268 Kanonisches Recht  16–17, 18, 21, 74 Kill Switch  220 Kontinuitätstheorie  31, 34, 38–41, 58–61 Kurzbesitz  68–69 Ley de Enjuiciamiento Civil  231 Leistungsklage  s. Herausgabeklage Materielles Zwischenrecht  92–94 Mieterschutz  14, 16, 18–22, 28–29, 92 Mittelbarer Besitz  65–67 non-cumul  230 Notwehr  2, 69 Notwehrrecht des Besitzers  24–25, 42, 47–54, 136–141, 222, 249 Ökonomische Analyse des Rechts  35–36, 38, 80 Persönlichkeitstheorie  31–34, 41–46, 266 Petitorische Behaltensverfügung  157–162 Petitorische Duldungsklage  122–123 Petitorische Duldungsverfügung  153, 160, 169 Petitorische Einrede de lege ferenda  238– 241, 255 Petitorische Feststellungsklage  119–122, 123, 148, 171 Petitorische Herausgabeklage  119–121, 127–129 Petitorische Unterlassungsverfügung  163– 169 Petitorische Widerklage  179–208 – Entscheidungsreife  170, 181–183, 198

Register – Entwicklung der Rechtsprechung  179– 183 – Gebühren  184, 199, 202 – Gerichtsstand  184, 199–200 – im einstweiligen Rechtsschutz  205 – Unzulässigkeit  184–204 Petitorischer Besitzschutz  7 Petitorischer Gegenantrag  165, 171, 205–207 petitorium absorbet possessorium  104, 109–116, 145, 224 Pfändung, siehe Selbstpfändung possessio  7, 13–14, 18 Possessorischer Besitzschutz – Abschaffung  248, 249–251, 262 – Historie  13–26 possessorium ordinarium  19, 73 Prävention  s.a. Sanktion – im Zivilrecht  61, 77–83 – im Strafrecht  77–78, 258 Präventionszweck der Besitzschutznormen  76–77, 83–91, 266–267 Preußisches Allgemeines Landrecht  19 Prozessökonomie – im Besitzschutzrecht  116, 118, 135 – im Verfahrensrecht  116–118 Pseudo-Isidor  16 Rechtsbesitz  19, 223, 225, 229, 231 Rechtskrafterfordernis der petitorischen Entscheidung – de lege lata  114–116, 145–150 – Modifikation de lege ferenda  237–240 – und zeitliche Abfolge  104–105, 136–141 Rechtsmissbrauch – Erlöschen der Besitzschutzansprü­ che  209, 216 – und Wirkung der Grundrechte  209–213 référé-Verfahren  230–232 Sanktion  s.a. Prävention – im Strafrecht  77–78, 258–261 – im Zivilrecht  78–81 Schadensersatz  19, 21, 25, 84–87, 148 Selbsthilfe – s.a. Strafbarkeit von – als gesellschaftliches Problem  2–3, 219–220

293

– Bekämpfung durch Besitzschutz  9, 34, 49, 60, s.a. Faustrecht – des Besitzers  48–55 – erlaubte  213 – technisierte  220 Selbstpfändung  90, 103, 177–178 Sicherheitsleistung  100, 147, 160, 241, 248, 267 Sofortige Durchsetzbarkeit des petitorischen Rechts  123–135, 236–237 spoliatus ante omnia est restituendus – im gemeinen Recht  74 – im kanonischen Recht  16, 88 – im romanischen Recht  227, 232 – de lege ferenda  42–244, 256, 262, 269 Strafbarkeit von Selbsthilfe – de lege ferenda  259–261 – historisch  258 – im italienischen Recht  228 – im Schweizer Recht  225 – im spanischen Recht  231 summariissimum  20–21, 73, 92, 97 Teilurteil – bei Widerklage  195 – Widerspruchsverbot  195 Teilurteilslösung der Rechtsprechung  – Entwicklung  181–182 – Kostenentscheidung  198 – prozessuale Privilegien  199 Verbotene Eigenmacht – im DCFR  233 – im deutschen Recht  2, 23 – im Schweizer Recht  223 Verfassungsgemäßheit des Selbsthilferechts  49–54 Verfügungsanspruch  s. Einstweilige Verfügung Verfügungsgrund  s. Einstweilige Verfügung Vollstreckungsgegenklage  124–125, 134–135, 151, 182, 197 Vollstreckungsrechtliches Patt  107, 141–143, 248 Vollstreckungsschutz – s.a. sofortige Durchsetzbarkeit des petitorischen Rechts – Umgehung  105–106, 123–135

294

Register

– und staatliches Gewaltmonopol  45–46, 106 Vorläufige Vollstreckbarkeit – der petitorischen Entscheidung  145–148, 151 – ohne Sicherheitsleistung  100 – Schaden  147 Widerklage – Funktion  184–185, 201–204 – petitorische Widerklage  s. dort – Zusammenhang  185–186 Zeitliche Grenzen des Besitzschutzes  54, 57 Zurückbehaltungsrechte  103, 173–174 Zwangsvollstreckung – bei petitorischem Duldungstitel  141–145

– Sicherheitsleistung  s. dort – und Schutz des staatlichen Gewaltmono­ pols  46, 105–107 – Verhältnis zum materiellen Recht  10 Zweck des Besitzschutzes – Eigentumstheorie  s. dort – Friedenstheorie  s. dort – im gemeinen Recht  18–20, 21–22 – im germanischen Recht  18, 21–22 – im gesamteuropäischen Recht  223 – im kanonischen Recht  16–17, 21–22 – im römischen Recht  14–15, 21–22 – Kontinuitätstheorie  s. dort – Ökonomische Analyse des Rechts  s. dort – Persönlichkeitstheorie  s. dort – Zusammenfassung  60–61