Suspensiveffekt und Aussetzung der Vollziehung: Eine Untersuchung zum deutschen und türkischen Recht [1 ed.] 9783428585472, 9783428185474

Ein effektiver vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsprozess ist ein wesentliches Qualitätsmerkmal für die hohe rechtst

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Suspensiveffekt und Aussetzung der Vollziehung: Eine Untersuchung zum deutschen und türkischen Recht [1 ed.]
 9783428585472, 9783428185474

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Studien zum vergleichenden Öffentlichen Recht Studies in Comparative Public Law Band / Volume 12

Suspensiveffekt und Aussetzung der Vollziehung Eine Untersuchung zum deutschen und türkischen Recht

Von

Ayşe Nur Saldıran Yıldırım

Duncker & Humblot · Berlin

AYŞE NUR SALDIRAN YILDIRIM

Suspensiveffekt und Aussetzung der Vollziehung

Studien zum vergleichenden Öffentlichen Recht Studies in Comparative Public Law Band / Volume 12

Suspensiveffekt und Aussetzung der Vollziehung Eine Untersuchung zum deutschen und türkischen Recht

Von

Ayşe Nur Saldıran Yıldırım

Duncker & Humblot · Berlin

Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin hat diese Arbeit im Jahre 2021 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2022 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Ochsenfurt-Hohestadt Druck: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 2511-9648 ISBN 978-3-428-18547-4 (Print) ISBN 978-3-428-58547-2 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde bei dem Fachbereich Rechtswissenschaft an der Freien Universität Berlin im Sommersemester 2021 als Dissertation eingereicht. Rechtsprechung sowie Literatur konnten bis Juni 2021 berücksichtigt werden. Mein größter Dank gilt meinem hochverehrten Doktorvater Herrn Professor Dr. Philip Kunig, der mich mit seinem sehr wertwollen Fachwissen langjährig betreute, herzlich förderte und immer wesentlicher Rückhalt gewesen ist. Ich möchte auch meinem Zweitgutachter Herrn Prof. Dr. Markus Heintzen für die umsichtige und schnelle Erstellung seines Zweitgutachtens danken. Mein besonderer Dank geht an Sebastian Jordanow, der mich nicht nur bei der sprachlichen Überarbeitung der Dissertation unterstützt hat, sondern mir in zahlreichen Gesprächen konstruktive Perspektiven aufgezeigt hat. Zum Gelingen dieser Arbeit schätze ich seine Beiträge und Freundschaft sehr. Mein herzlicher Dank gilt meinem lieben Mann, der mir mit seiner Liebe und viel Zuspruch zur Seite stand und mich zu dem erfolgreichen Abschluss begleitet hat. Ohne seine Unterstützung wa¨ re diese Arbeit nicht zustande gekommen. Außerdem möchte ich insbesondere meinen lieben Eltern und meiner lieben Schwester, die mich auf meinem Weg stets unterstützt und immer ermutigt haben, danken. Schließlich bin ich auch meiner ganzen Familie und meinen zahlreichen Freunden von tiefstem Herzen dankbar, welche mir beim Promotionsprozess jede erdenkliche Hilfe und Unterstützung zukommen ließen. Sie haben mich mit ihrer Zuversicht immer wieder aufgemuntert und so einen wertvollen Beitrag geleistet. Berlin, im Februar 2022

Ays¸e Nur Saldıran Yıldırım

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 A. Die Bedeutung des § 80 VwGO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 I.

Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

II. III.

Systematische Stellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Europarechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

B. Verfassungsrechtliche Hintergründe des Suspensiveffekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 I.

Gewaltenteilungsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

II. III.

Zum Verhältnis zwischen Bürger und Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Verhältnismäßigkeitsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

IV.

Bindungswirkung und Konsequenzen des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG für alle Gewalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33

V.

Das gesetzliche Modell des Suspensiveffekts aus dem Blickwinkel des effektiven Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 1. Die konzeptionelle Rolle des Effektivitätsgebots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 2. Die Bestimmung der Effektivität des Suspensiveffekts anhand des Begriffs der Irreparabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 a) Der Begriff der Irreparabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 b) Der Suspensiveffekt zum Zweck der Verhinderung irreparabler Folgen 38 c) Zeitablauf und Irreparabilität im Verhältnis zum Effektivitätsgebot . . . . 40 d) Rechtliche Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

VI. Das Verhältnis der materiellen Grundrechte zu Art. 19 Abs. 4 GG mit Blick auf § 80 VwGO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 1. Die subjektivrechtliche Fundierung des Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . 42 2. Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 a) Der Vorrang der individuellen Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 b) Die Risikoverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 c) Mehrpolige Verhältnisse unter Berücksichtigung des Gleichheitsprinzips 46 3. Die Problematik der materiellen Akzessorietät des vorläufigen Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 a) Materiell-akzessorische gerichtliche Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 b) Das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 VII. Die verfassungsrechtliche Einordnung des Suspensiveffekts . . . . . . . . . . . . . . 51 1. Der Überblick über die Sichtweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

8

Inhaltsverzeichnis 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 VIII. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56

C. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Suspensiveffekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 I.

Die Normstruktur des § 80 VwGO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 1. Die Terminologie des § 80 VwGO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 2. Das Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen der aufschiebenden Wirkung und der sofortigen Vollziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 a) Nach verfassungsrechtlicher Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 b) Auf einfachgesetzlicher Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 3. Rechtsfolgen des Regel-Ausnahme-Verhältnisses im § 80 VwGO . . . . . . . . 61 a) Zur Verteilung der Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 b) Zum besonderen Interesse im Sinne des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO 62

II.

Der Suspensiveffekt als Regelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 1. Die Definition des Suspensiveffekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 2. Die Tatbestandsmerkmale des § 80 Abs. 1 VwGO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 a) Widerspruch und Anfechtungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 b) Die Begründetheit und Zulässigkeit des Rechtsbehelfs . . . . . . . . . . . . . . 65 c) Die Klassifizierung von Verwaltungsakten und anderem Verwaltungshandeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 aa) Belastende Verwaltungsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 bb) Begünstigende Verwaltungsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 cc) Gestaltende und feststellende Verwaltungsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 dd) Verwaltungsakte mit Doppelwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 ee) Die Allgemeinverfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 ff) Vollzogene Verwaltungsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 gg) Anmerkungen zu Realakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 hh) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 3. Die Bedeutung und Rechtsfolgen des Suspensiveffekts anhand gängiger Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 a) Vollziehbarkeitstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 b) Wirksamkeitstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 c) Ein Versuch der Kombination der Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 4. Beginn und Ende des Suspensiveffekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 a) Beginn des Suspensiveffekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 b) Ende des Suspensiveffekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 5. Die Wirkung des Suspensiveffekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 a) Die relative Wirkung des Suspensiveffekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 b) Ex tunc- oder ex nunc-Wirkung des Suspensiveffekts . . . . . . . . . . . . . . . 84 aa) Eintritt der Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84

Inhaltsverzeichnis

9

bb) Wirkungsende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 III.

Der Ausschluss des Suspensiveffekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 1. Gesetzlicher Ausschluss des Suspensiveffekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 a) Die Rechtsnatur der gesetzlichen Ausnahmen des Suspensiveffekts unter dem Gesichtspunkt der gesetzlichen Interessenbewertung . . . . . . . . . . . . 88 b) Die verfassungsrechtliche Betrachtung der Interessenbewertung des gesetzlichen Ausschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 c) Tatbestandsmerkmale des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 – 3a VwGO . . . . . . . . . 90 aa) Öffentliche Abgaben und Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 bb) Unaufschiebbare Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 cc) Andere durch Bundes- oder Landesgesetz vorgeschriebene Fälle . . . 96 dd) Überregionale bedeutsame Infrastrukturvorhaben . . . . . . . . . . . . . . . 98 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 2. Die behördliche Anordnung der sofortigen Vollziehung . . . . . . . . . . . . . . . . 99 a) Die verfassungsrechtliche Betrachtung des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO 99 b) Der Begriff „der Anordnung der sofortigen Vollziehung“ im Sinne des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 c) Materielle Voraussetzungen der sofortigen Vollziehung . . . . . . . . . . . . . . 102 aa) Die Feststellung des Interesses an der sofortigen Vollziehung . . . . . 102 bb) Die einzelfallbezogene Abwägung der Interessen . . . . . . . . . . . . . . . 102 (1) Die Besonderheit des öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 (2) Die Ermittlung der materiellen Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 cc) Die Rechtsnatur der Abwägungsentscheidung der Behörde . . . . . . . 105 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 d) Formelle Voraussetzungen der Vollziehungsanordnung . . . . . . . . . . . . . . 108 aa) Die Anordnung der sofortigen Vollziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 bb) Die Begründungspflicht nach § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO . . . . . . . . . . . 109 (1) Das Erfordernis der besonderen Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . 110 (2) Die Funktionen der besonderen Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . 111 cc) Rechtsfolgen bei einem Mangel in der Begründungspflicht . . . . . . . 111 (1) Rechtswidrige Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 (2) Heilung des Begründungsmangels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 e) Rechtsfolgen der Vollziehungsanordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 3. Anordnung der sofortigen Vollziehung durch Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 a) Anordnungsbefugnis im Falle des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO . . . . . . 116 b) Rechtscharakter der gerichtlichen Anordnung der sofortigen Vollziehung 118 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118

10

Inhaltsverzeichnis IV.

Wiederherstellung des Suspensiveffekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 1. Die behördliche Entscheidung zur Aussetzung der Vollziehung . . . . . . . . . . 119 a) Verfassungsrechtliche Anforderungen an die behördliche Aussetzung der Vollziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 b) Formelle Voraussetzungen der behördlichen Aussetzungsentscheidung 121 c) Materielle Maßstäbe der behördlichen Aussetzungsentscheidung . . . . . . 122 aa) Abstrakte Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 bb) Die Aussetzungsgründe des § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO . . . . . . . . . . . . 125 (1) Das Merkmal der „ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit“ 126 (2) Das Merkmal der „unbilligen Härte“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 d) Der Rechtscharakter der behördlichen Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . 130 e) Rechtsfolgen der behördlichen Aussetzungsentscheidung . . . . . . . . . . . . 131 2. Die gerichtliche Entscheidung zur Aussetzung der Vollziehung . . . . . . . . . . 133 a) Verfassungsrechtliche Anforderungen an die gerichtliche Aussetzung der Vollziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 b) Die Terminologie des § 80 Abs. 5 VwGO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 c) Im Falle des § 80 Abs. 4 VwGO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 d) Formelle Voraussetzungen der gerichtlichen Aussetzungsentscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 aa) Antragserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 bb) Behördliches Vorverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 cc) Leistung einer Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 e) Materielle Maßstäbe der gerichtlichen Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 aa) Umfang der zwei grundlegenden Abwägungskriterien . . . . . . . . . . . 142 (1) Die Erfolgsaussichten der Hauptsache als zentraler Abwägungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 (a) Die Offensichtlichkeit und der Umfang der Erfolgsaussichten 143 (b) Die Wirksamkeit und die Rechtmäßigkeit der Rechtsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 (c) Anforderungen aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip und dem Gleichheitssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 (2) Die Dringlichkeit der Sache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 bb) Andere in die Abwägung einzubeziehende Gesichtspunkte . . . . . . . 157 (1) Die offensichtliche Rechtswidrigkeit der behördlichen Vollziehungsanordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 (2) Dringlichkeitsinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 (3) Das Gewicht der abzuwägenden Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . 161 (4) Gesetzgeberische Wertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 (5) Behördliche Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166

Inhaltsverzeichnis

11

cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 f) Der Rechtscharakter der gerichtlichen Entscheidung nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 3. Die gerichtliche Entscheidung zur Aufhebung der Vollziehung . . . . . . . . . . 170 a) Das Verhältnis zwischen der „Aussetzung der Vollziehung“ und der „Aufhebung der Vollziehung“ im § 80 Abs. 5 VwGO . . . . . . . . . . . . . . . 171 b) Faktische Vollziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 aa) Die Problematik der Feststellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 bb) Der Rechtscharakter der gerichtlichen Entscheidung bei einer faktischen Vollziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 4. Folgenbeseitigungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 5. Schadenersatzanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 6. Rechtsfolgen der gerichtlichen Aussetzungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . 179 7. Beschwerdemöglichkeit gegen Beschlüsse im Aussetzungsverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 8. Die Problematik der Nichtbeachtung des gerichtlich hergestellten Suspensiveffekts durch Behörden oder durch Dritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 9. Vereinheitlichung des Aussetzungsverfahrens im Rahmen von § 80 VwGO 182 V.

Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183

D. Im Rechtsvergleich: Die Aussetzung der Vollziehung in der Türkei . . . . . . . . . . . 186 I. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 II.

Entwicklungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187

III.

Überblick über Art. 27 des Gesetzes über das Verwaltungsgerichtsverfahren (I˙YUK) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 Verfassungsrechtliche Hintergründe der Aussetzung der Vollziehung . . . . . . . 192

IV.

1. Gewaltenteilungsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 2. Zum Verhältnis zwischen Staat und Bürger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 3. Gewährleistung des vorläufigen Rechtsschutzes durch die Staatsorgane . . . 194 4. Das gesetzliche Modell der „Aussetzung der Vollziehung“ aus dem Blickwinkel des effektiven Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 a) Das Recht auf ein faires und wirksames Gerichtsverfahren im Sinne des Art. 36 TVerf. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 b) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Sinne des Art. 13 TVerf. . . . . . . . . . . 198 c) Das Institut der „Aussetzung der Vollziehung“ in Art. 125 TVerf. . . . . . 199 aa) Die Statuierungen des Art. 125 Abs. 5 TVerf. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 bb) Einschränkungen der „Aussetzung der Vollziehung“ in Art. 125 Abs. 6 TVerf. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202

12

Inhaltsverzeichnis d) Verfassungsrechtliche Bewertung von einfachgesetzlichen außerordentlichen Einschränkungen bzw. Ausschlüssen der Aussetzung der Vollziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 5. Die Wirkung der materiellen Grundrechte mit Blick auf Art. 27 I˙YUK . . . 207 a) Die Loslösung vom Individualrechtsschutz und die Konzentration auf die objektivrechtliche Kontrollfunktion des Verwaltungsprozesses . . . . . . . . 207 b) Fehlende Abwägung zwischen kollidierenden Grundrechten oder Interessen im Aussetzungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 aa) Der Grundsatz vom Vorrang des öffentlichen Interesses . . . . . . . . . . 208 bb) Die Begrenzung des Aussetzungsverfahrens auf zweiseitige Verwaltungsrechtsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 cc) Mangel des einstweiligen Rechtsschutzes in Vornahmesachen . . . . . 210 dd) Fehlender Ermessensspielraum und eingeschränkter Beurteilungsspielraum der Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 ee) Die zwingende materiell-rechtliche Prüfung im Aussetzungsverfahren und die Gefahr der Vorwegnahme der Hauptsache . . . . . . . . . . . 212 c) Die Verhinderung von „irreparablen Zuständen“ unter Berücksichtigung der materiellen Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 aa) Der sich durch Vollziehung erledigende Verwaltungsakt . . . . . . . . . . 213 bb) Die Dringlichkeit der Sache als Maßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 6. Eine Gegenüberstellung des vorläufigen Rechtsschutzes im deutschen und türkischen Recht aus verfassungsrechtlicher Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . 217

V.

7. Stellungnahme zur verfassungsrechtlichen Gewährleistung des vorläufigen Rechtsschutzes im türkischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 Die verwaltungsrechtliche Ausgestaltung der Aussetzung der Vollziehung . . . 222 1. Das Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen der sofortigen Vollziehung und dem Suspensiveffekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 a) Der Grundsatz des fehlenden Suspensiveffekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 aa) Der Grundsatz der sofortigen Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts 223 bb) Der Grundsatz der Rechtmäßigkeitsvermutung des Verwaltungsakts 224 cc) Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Eine Gegenüberstellung der Grundsätze des Suspensiveffekts und der sofortigen Vollziehbarkeit im türkischen und deutschen Recht b) Gesetzliche Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Art. 27 Abs. 4 ˙IYUK in Bezug auf öffentliche Abgaben und Kosten

225 226 227 227

bb) Art. 53 Abs. 3 YUKK in Bezug auf Abschiebungsfälle . . . . . . . . . . 229 cc) Die gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung . . . . . . . . 229 2. Definition und Funktion der Aussetzung der Vollziehung . . . . . . . . . . . . . . 230 3. Anwendungsbereich der Aussetzung der Vollziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 a) Die Aufhebungsklage und deren Abgrenzung zu anderen Klagearten . . . 231 aa) Das Merkmal des vollziehbaren Verwaltungsakts . . . . . . . . . . . . . . . 232 (1) Rechtsverordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234

Inhaltsverzeichnis

13

(2) Ablehnende Verwaltungsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 (3) Vollzogene Verwaltungsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 bb) In Bezug auf Realakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 b) Die objektivrechtliche Funktion und die rechtlichen Folgen der Aufhebungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 c) Eine Gegenüberstellung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes im türkischen und deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 4. Erlassvoraussetzungen zur Aussetzung der Vollziehung im Sinne des Art. 27 I˙YUK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 a) Formelle Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 aa) Antragstellung auf Aussetzung der Vollziehung . . . . . . . . . . . . . . . . 244 (1) Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 (2) Der Zeitpunkt der Antragstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 (3) Antragsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 bb) Behördliches Vorverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 cc) Leistung einer Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 dd) Die Beweislast der Klagepartei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 ee) Eingang der Klageerwiderung oder (ihr) Fristablauf . . . . . . . . . . . . . 249 (1) Gewährung rechtlichen Gehörs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 (2) Die vorläufige Aussetzungsentscheidung als gerichtliche Praxis zum Zwecke der Beschleunigung des Aussetzungsverfahrens . . 250 (3) Mit den gesetzlichen Änderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 (4) Gesetzliche Ausnahme im Falle der sich durch Vollziehung erledigenden Verwaltungsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 (a) Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 (b) Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 (5) Die verfassungsrechtliche Beurteilung der Voraussetzung der Klageerwiderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 b) Materielle Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 aa) Eilbedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 (1) (Drohender) Schwer reparabler oder irreparabler Schaden . . . . . 261 (2) Der Gegenstand des Verwaltungsakts unter dem Gesichtspunkt der Irreversibilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 bb) Erfolgsaussichten der Hauptsache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 (1) Offensichtliche Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts . . . . . . . . 263 (a) Das Merkmal der offensichtlichen Rechtswidrigkeit . . . . . . . 264 (b) Prüfungsumfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 (c) Offensichtliche Rechtswidrigkeit der Rechtsverordnung . . . . 266 (2) Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267

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Inhaltsverzeichnis cc) Die strenge Begründungspflicht des Gerichts bezüglich der kumulativen materiellen Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 c) Gebundene Aussetzungsentscheidung bei Vorliegen der materiellen Erlassvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 d) Eine Gegenüberstellung der Voraussetzungen für die gerichtliche Aussetzungsentscheidung im türkischen und deutschen Recht . . . . . . . . . . . 273 e) Stellungnahme zu den Voraussetzungen des Art. 27 I˙YUK . . . . . . . . . . . 274 5. Entscheidungsfrist zum Beschluss der Aussetzung der Vollziehung . . . . . . 276 6. Beschwerdemöglichkeit gegen Beschlüsse in Aussetzungsverfahren nach Art. 27 I˙YUK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 7. Die Rechtsnatur der Aussetzungsentscheidung im Sinne des Art. 27 ˙IYUK 278 8. Rechtsfolgen der gerichtlichen Aussetzungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . 278 a) Die rechtliche Wirkung der Aussetzungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . 278 b) Eine Gegenüberstellung der Wirkung der Aussetzungsentscheidung im türkischen und deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 c) Stellungnahme zur Wirkung der Aussetzungsentscheidung im Sinne des Art. 27 ˙IYUK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 9. Die Problematik der Durchsetzung von verwaltungsgerichtlichen Aussetzungsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 VI. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285

Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314

Abkürzungsverzeichnis ABD ABl Abs. Abteilung AI˙D AI˙HM AnwBl. AO AöR Art. ASt. AsylVfG AufenthG Aufl. AÜHFD AÜSBFD a. W. AYI˙M AYM B B. BauGB Bay BayVBl. Bd. BeckRS Begr. BFH BFHE BGBl. BT-Drs BÜHFD BVerfG BVerfGE BVerfGK BVerwG BVerwGE bzw. C CE CGR

Ankara Barosu Dergisi Amtsblatt der Europäischen Union Absatz Abt. Amme ˙Idaresi Dergisi Avrupa I˙nsan Hakları Mahkemesi Anwaltsblatt Abgabenordnung Archiv des öffentlichen Rechts Artikel Antragsteller Asylverfahrensgesetz Aufenthaltsgesetz Auflage Ankara Üniversitesi Hukuk Fakültesi Dergisi Ankara Üniversitesi Siyasal Bilimler Fakültesi Dergisi aufschiebende Wirkung Askeri Yüksek I˙dare Mahkemesi Anayasa Mahkemesi Birles¸im (Sitzung) Beschluss Baugesetzbuch Bayern Bayerische Verwaltungsblätter Band Beck-online Rechtsprechung Begründer Bundesfinanzhof Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bundesgesetzblatt Drucksache des deutschen Bundestages Bas¸kent Üniversitesi Hukuk Fakültesi Dergisi Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Kammerentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgerichts Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts beziehungsweise Cilt (Band) Conseil d’État Charta der Grundrechte

16 C¸ÜSBED D D. DD DDGK DDK DDUH DEÜHFD . DIBK DÖV DVBl. E. e. A. EGMR EMRK EU EuG EuGH EuR EuZW f. ff. FG FGO Fn. FS FStrG gem. GG ggf. GreifRecht GÜHFD h. M. HMK Hrsg. Hs. IBAD I˙BD ˙IHI˙D I˙HOP I˙KÜHFD ˙InÜHFD i. S. d. I˙ÜHFM i. V. m. ˙IYUK JA Jura

Abkürzungsverzeichnis C¸ukurova Üniversitesi Sosyal Bilimler Enstitüsü Dergisi Dergi (Zeitschrift); Dönem (Period) Daire (Senat) Danıs¸tay Dergisi Dava Daireleri Genel Kurulu Dava Daireleri Kurulu Dava Daireleri Umumi Heyeti Dokuz Eylül Üniversitesi Hukuk Fakültesi Dergisi . Danıs¸tay Ic¸ tihatları Birles¸tirme Kurulu Die öffentliche Verwaltung Deutsches Verwaltungsblatt Entscheidung/Esas (Rechtssache) einstweilige Anordnung Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Europäische Menschenrechtskonvention Europäische Union Europäisches Gericht Europäischer Gerichtshof Europarecht Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht folgende (Seite) folgende (Seiten) Festgabe; Finanzgericht Finanzgerichtsordnung Fußnote Festschrift Bundesfernstraßengesetz gemäß Grundgesetz gegebenenfalls Greifswalder Halbjahresschrift für Rechtswissenschaft Gazi Üniversitesi Hukuk Fakültesi Dergisi herrschende Meinung Hukuk Muhakemeleri Kanunu Herausgeber Halbsatz Uluslararası Bilimsel Aras¸tırmalar Dergisi I˙stanbul Barosu Dergisi ˙Idare Hukuku ve ˙Ilimleri Dergisi I˙nsan Haklari Ortak Platformu I˙stanbul Kültür Üniversitesi Hukuk Fakültesi Dergisi ˙Inönü Üniversitesi Hukuk Fakültesi Dergisi im Sinne des/der I˙stanbul Üniversitesi Hukuk Fakültesi Mecmuası in Verbindung mit ˙Idari Yargılama Usulü Kanunu Juristische Arbeitsblätter Jura: Juristische Ausbildung

Abkürzungsverzeichnis JuS JZ K. KostO LDD LSG LSK LTO LuftVG M. M. m. w. N. MÜHF-HAD MüKo NJOZ NJW NJW-RR Nr. NuR n. v. NVwZ NVwZ-RR NWVBl. NZBau ÖffR OVG OVGE R.G. Rn. Rspr. S S. SchlHA SD SDÜHFD Slg. S.S SÜHFD SVR T. TAAD TBB TBBM TVerf. U. u. a. UNHCR UPR v.

Juristische Schulung JuristenZeitung Karar (Entscheidung, Beschluss) Kostenordnung Liberal Düs¸ünce Dergisi Landessozialgericht Die Leitsatzkartei des deutschen Rechts Legal Tribune Online Luftverkehrsgesetz Mindermeinung mit weiteren Nachweisen Marmara Üniversitesi Hukuk Fakültesi Hukuk Aras¸tırmaları Dergisi Münchener Kommentar Neue Juristische Online Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift Neue Juristische Wochenschrift-Rechtsprechungsreport Nummer; Nummern Natur und Recht nicht veröffentlicht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht-Rechtsprechungsreport Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter Neu Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht Öffentliches Recht Oberverwaltungsgericht Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte Resmî Gazete (Amtsblatt) Randnummer; Randnummern Rechtsprechung Sayı (Zahl, Serie) Satz; Seite Schleswig-Holsteinische Anzeigen Sayıs¸tay Dergisi Süleyman Demirel Üniversitesi Hukuk Fakültesi Dergisi Sammlung der Rechtsprechung des EuGH und des Gerichts erster Instanz Sıra Sayısı (Reihenzahl) Selçuk Üniversitesi Hukuk Fakültesi Dergisi Straßenverkehrsrecht Tarih (Datum) Türkiye Adalet Akademisi Dergisi Türkiye Barolar Birligi Türkiye Büyük Millet Meclisi Türkische Verfassung Urteil und andere United Nations High Commissioner for Refugees Umwelt und Planungsrecht vom; von

17

18 VA Var. VBlBW Verw VerwArch VerwRspr VG VGH vgl. Vorb. VR VwGO VwVfG WaStrG Y YD YI˙BBGK YÜHFD YUKK Y.Y z. B. ZBR ZJS ZKF ZParl ZPO ZRP ZUR

Abkürzungsverzeichnis Verwaltungsakt Variante Verwaltungsblätter Baden-Wüttenberg Die Verwaltung Verwaltungsarchiv Verwaltungsrechtsprechung in Deutschland Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof vergleiche Vorbemerkung Vorläufiger Rechtsschutz Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Bundeswasserstraßengesetz Yıl (Jahr) Yürütmenin Durdurulması Yargıtay I˙çtihatları Birles¸tirme Büyük Genel Kurulu Yeditepe Üniversitesi Hukuk Fakültesi Dergisi Yabancılar ve Uluslararası Koruma Kanunu Yasama Yılı (Gesetzgebungsjahr) zum Beispiel Zeitschrift für Beamtenrecht Zeitschrift für das juristische Studium Zeitschrift für Kommunalfinanzen Zeitschrift für Parlamentsfragen Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Umweltrecht

Einleitung Ein Merkmal der gegenwärtigen Gesellschaft ist die stetig anwachsende Ausdifferenzierung und Komplexität rechtlicher Probleme. In der Folge wird es immer schwieriger, effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten. Dabei unterliegt der Staat in seiner Rolle grundsätzlich einem Widerspruch. Er ist einerseits verpflichtet, die Rechte des Einzelnen zu wahren und andererseits ist nur der Staat befugt, in dessen Rechte einzugreifen. Die Frage, wie die Grundrechte gegenüber dem Staat und durch den Staat effektiv geschützt werden können, begründet die Bedeutung der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Das Grundproblem des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes ist dabei vor allem die Länge der Hauptsacheverfahren, was aus der erhöhten Arbeitsbelastung der Gerichte und der angesprochenen zunehmenden Komplexität der Sachlage folgt. Obwohl versucht wird, dieses Problem mit verschiedenen Maßnahmen wie der Einführung von Mediationsverfahren zu lösen, spielt der einstweilige Rechtsschutz auch weiterhin eine große Rolle. Dabei kann das einstweilige Verfahren teilweise das Hauptsacheverfahren in seiner Bedeutung ersetzen, was insbesondere dann der Fall ist, wenn durch Zeitablauf der Untergang des Rechtsguts zu befürchten ist. Das Problem von lang andauernden Hauptsacheverfahren tritt besonders in Umwelt- oder Baurechtssachen zu Tage. In solchen Rechtsstreitigkeiten wird unter anderem viel Zeit zur Ermittlung von technischen Voraussetzungen benötigt, wodurch die Gefahr eines irreparablen Schadens erhöht wird. Es bedarf oftmals einer Eilentscheidung, welche die konfligierenden Rechte und Interessen der einzelnen Parteien bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens bestmöglich sichert. Wie dieser Schutz konkret gewährleistet werden kann, wird in unterschiedlichen Rechtssystemen in Form von verschiedenen Verfahrensmodellen divers beantwortet. Die Unterschiedlichkeiten zur konkreten Ausgestaltung des vorläufigen Rechtsschutzes und zur Reichweite der einstweiligen verwaltungsgerichtlichen Verfahren hängen im Wesentlichen von der Grundkonzeption der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle und dem Stellenwert der Verwaltungsgerichtsbarkeit im System der Gewaltenteilung ab.1 Hierbei weist das deutsche Recht gegenüber der kontinentaleuropäischen Rechtstradition Besonderheiten auf und weicht traditionell vom türkischen Recht ab. Zu den Besonderheiten des deutschen Rechtssystems im kontinentaleuropäischen Rechtssystem zählen vor allem die Systementscheidung für den Individualrechtsschutz und damit verbunden den Grundsatz des Suspensiveffekts. Rechtstechnisch 1

Vgl. Cuno, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 21.

20

Einleitung

findet die Systementscheidung bezüglich des deutschen Verwaltungsprozesses ihren Niederschlag im automatischen Suspensiveffekt des § 80 Abs. 1 VwGO.2 Die genannte grundlegende Abweichung wird im europäischen Rechtsraum als Konfliktgrund im Hinblick auf den Verwaltungsvollzug angesehen.3 Das europäische Verwaltungsrecht ist nicht auf den Schutz individueller Interessen gerichtet, sondern vielmehr auf objektivrechtliche Kontrolle, und dient damit primär der Durchsetzung öffentlicher Interessen. Dementsprechend ist die Aussetzung der Vollziehung im Unionsrecht eine einzelfallabhängig anzuordnende Ausnahme, da dieses keinen grundsätzlich eintretenden Suspensiveffekt kennt.4 In diesem Zusammenhang geben zunächst die Einwirkungen des Europarechts auf das deutsche Verwaltungsprozessrecht Anlass, Standpunkte zu hinterfragen. Das gilt vor allem im Hinblick der neueren Rechtsentwicklungen. Damit gewinnen die Ansätze zur europäischen Integration und der damit verbundenen Harmonisierung des deutschen Verwaltungsprozesses immer mehr Bedeutung in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Wegen der wechselseitigen Beziehungen in der Europäischen Union stehen die Einflüsse der deutschen Verwaltungsrechtsdogmatik auf das europäische Verwaltungsrecht aber auch nicht ganz außerhalb der rechtsentwicklungsbezogenen Diskussionen. Im Unterschied zum deutschen Verwaltungsrecht steht das türkische, vor allem wegen seiner Rezeption vom französischen Recht, dem europäischen Rechtssystem nahe. Die türkische Verwaltungsgerichtsbarkeit bleibt in dem durch die Europäische Union beförderten System der objektiven Rechtskontrolle fest verankert, sodass die Aussetzung der Vollziehung das Regelinstitut ist und dabei nur selten bzw. bedingt anzuordnen ist. Der türkische Verwaltungsrechtsschutz scheitert jedoch dabei, sich den weiteren Anforderungen, die aus dem europäischen Rechtssystem folgen, anzupassen. In diesem Sinne beziehen sich die aktuellen Diskussionen zu den Einflüssen des Unionsrechts, insbesondere im Bereich des vorläufigen Rechtsschutzes, auf türkisches Recht ebenso wie auf deutsches Recht. Jenem Gedankengang folgend werden in dieser Arbeit nicht nur zwei Rechtsordnungen, die verschiedene historische Wurzeln und Systementscheidungen aufweisen, verglichen. Vielmehr wird im Bereich des vorläufigen Rechtsschutzes für beide Rechtsordnung versucht, eine eindeutige Normgestaltung und eine konsistente

2

Vgl. Marsch, Subjektivierung der gerichtlichen Verwaltungskontrolle, S. 259 f. Vgl. Claudio, UPR 2016, 281, 282; Dimitropoulou, Verwaltungsrechtsschutz in Griechenland, S. 274. 4 „Nach Art. 278 AEUV haben Klagen jedoch grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung, da für die Handlungen der Organe der Europäischen Union die Vermutung der Rechtmäßigkeit gilt. Der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter kann daher nur in Ausnahmefällen die Vollziehung einer vor dem Gericht angefochtenen Handlung aussetzen oder einstweilige Anordnungen treffen.“ B. v. 19. 07. 2016, Belgien/Kommission, T-131/16 R, EU:T:2016:427, Rn. 12. 3

Einleitung

21

Rechtsprechung zu fördern, damit zukünftig rechtliche Unsicherheiten und Schwierigkeit bei der Anwendung des nationalen Rechts vermindert werden.5 Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es daher, ein Grundverständnis des deutschen und türkischen vorläufigen Rechtsschutzsystems zu vermitteln und Annäherungen beider Systeme zu erörtern. Ausgehend von den zentralen Regelungen wird dementsprechend einstweiliger Rechtsschutz in beiden Ländern sowohl aus verfassungsrechtlicher als auch verwaltungsrechtlicher Perspektive untersucht und vergleichend gegenübergestellt. Die Untersuchung beschränkt sich dabei nur auf die Regelinstitute. Die anderen Institute des einstweiligen Rechtsschutzes sowie die speziellen Bestimmungen zum vorläufigen Rechtsschutz im Verwaltungsrecht werden lediglich beiläufig erwähnt, soweit es für den Schwerpunkt der Arbeit erforderlich erscheint. Zentraler Ausgangspunkt für die Arbeit ist das Regel-Ausnahme-AusnahmeVerhältnis des vorläufigen Rechtsschutzes der Bundesrepublik Deutschland: Suspensiveffekt, sofortige Vollziehung und Aussetzung der Vollziehung. Der Fokus liegt sodann auf der Aussetzung der Vollziehung, welche sowohl im türkischen als auch deutschen Recht anzutreffen ist. Die unterschiedlichen prozessualen Aspekte zu einem jeweils vorhandenen Rechtsinstitut sind für einen Rechtsvergleich besonders aufschlussreich. Die bislang genannten Aspekte sind in den folgenden Kapiteln aufgezeigt und gegenübergestellt. Kapitel A enthält eine allgemeine Darstellung des § 80 VwGO, bei dem es sich um die grundlegende Regelung für den vorläufigen Rechtsschutz in Deutschland handelt. Daneben wird ein Überblick zu seiner historischen Entwicklung und den europarechtlichen Einflüssen gewährt. In Kapitel B werden die verfassungsrechtlichen Grundlagen des vorläufigen Rechtsschutzes in Deutschland erörtert und die verfassungsrechtliche Bedeutung des Suspensiveffekts hervorgehoben. Anschließend zeigt Kapitel C die einfachgesetzliche Ebene des einstweiligen Rechtsschutzes im Rahmen des § 80 VwGO auf. In dem rechtsvergleichenden Teil, Kapitel D wird eine kurze Vorbemerkung zu dem Modell der Aussetzung der Vollziehung im kontinentaleuropäischen Rechtssystem dargestellt. Daraufhin werden die historischen und verfassungsrechtlichen Grundlagen des vorläufigen Rechtsschutzsystems in der Türkei behandelt und die Regelungen des Art. 27 ˙IYUK sowie Art. 125 TVerf. vorangestellt. Des Weiteren wird zu Vergleichszwecken auf die türkische Ausgestaltung des Verwaltungsprozesses eingegangen und die Aussetzung der Vollziehung im Sinne des Art. 27 ˙IYUK detailliert untersucht. Die vom deutschen Standpunkt interessanten rechtsvergleichenden Gesichtspunkte enthält dieses Kapitel ebenfalls. Weil das türkische Verwaltungsrecht französische Einflüsse aufweist, werden ferner stellenweise die französische Rechtslage und ebenfalls einige Urteile des EuGHs skizziert. Nur auf 5 Dies kann etwa in Anbetracht eines so bewirkten Investitionsschutzes zu einem gewissen Grad zu stabileren internationalen Verhältnissen beitragen.

22

Einleitung

dieser Grundlage ist es möglich, die Rezeption beziehungsweise das System des vorläufigen Rechtsschutzes in der Türkei aufzuzeigen. Schließlich beinhaltet Kapitel D Vorschläge für eine adäquate und kontemporäre Ausgestaltung des einstweiligen Rechtsschutzes für die Türkei und Deutschland. Besonders im türkischen System, wo die Aussetzung der Vollziehung traditionsgemäß der einzige Weg des vorläufigen Rechtsschutzes ist, besteht seit langem ein Bedürfnis nach neuen Regelungen. Der Vergleich mit dem deutschen Recht kann Anregungen für Verbesserungen des türkischen Rechtsschutzsystems hervorbringen. Ebenfalls kann das türkische Recht, welches vom europäischen Rechtssystem stark beeinflusst ist, Impulse im Bereich des vorläufigen Rechtsschutzes für Deutschland liefern. Die Arbeit stellt insgesamt, aufgrund der großen Unterschiede in den grundlegenden gesetzlichen Regelungen und der sehr unterschiedlichen grundsätzlichen Auffassungen in der Justiz, keinen Eins-zu-Eins-Vergleich nach deutschem und türkischem Recht dar. Ausgehend von den grundverschiedenen Perspektiven beider Länder wird der Versuch unternommen, einen Beitrag zu einem wirksamen einstweiligen Rechtsschutz zu leisten.

A. Die Bedeutung des § 80 VwGO I. Entstehungsgeschichte § 80 VwGO taucht mit seinen Strukturelementen und -prinzipien zum ersten Mal als § 81 des Regierungsentwurfs zur VwGO von 1957 auf.1 Er tritt zusammen mit der VwGO am 1. April 1960 in Kraft. Die Idee der aufschiebenden Wirkung ist aber schon zu diesem Zeitpunkt bekannt. So enthielten bereits die besatzungs-, bundes- und landesrechtlichen Vorgänger der VwGO die Regelung, dass die Anfechtungsklage und der Widerspruch eine aufschiebende Wirkung der Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts zur Folge hatten.2 Im Rahmen vergeblicher Versuche der Vereinheitlichung der Verfahrensordnungen von unter anderem der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit3, entschied sich der Gesetzgeber 1982 lediglich für ergänzende Veränderungen des verwaltungsrechtlichen Eilrechtsschutzes.4 Gestrichen wurde im Zuge dessen beispielsweise die bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung relevante Regelung in § 80 Abs. 6 S. 2 a. F.5, der stattgebende Änderungsbeschlüsse unanfechtbar machte. Tiefgreifende Änderungen führte im Jahr 1990 das 4. VwGOÄndG dahingehend ein, dass durch die Ergänzung des § 80 Abs. 1 S. 2 die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage nicht nur für rechtsgestaltende, sondern auch für feststellende Verwaltungsakte und solche mit Drittwirkung (§ 80a) Geltung erlangte. Mit dem 6. VwGOÄndG kam im Jahr 1996 im Rahmen eines „Beschleunigungspakets“ der Grundsatz der aufschiebenden Wirkung hinzu, der in die Disposition des Landesgesetzgebers gestellt wurde. Ebenso wurde die Dauer der kraft Gesetzes verliehenen aufschiebenden Wirkung begrenzt. Das Ziel dieser und weiterer Änderungen war vordergründig verfahrensökonomischer Natur; d. h., die Beschleunigung des Verfahrens und die Eindämmung der Missbrauchsgefahr der aufschiebenden Wirkung.6 Der Aspekt der Verfahrensökonomie dominierte dabei auch heute Reformvorhaben im Rahmen der aufschiebenden Wirkung. Die Folge davon ist aber 1

Vgl. BT-Drs 03/55, S. 12. Vgl. § 29 Abs. 1 BVerwGG v. 23. 09. 1952; vgl. auch § 51 MRVO Nr. 165 v. 15. 09. 1948, § 51 VGG (Bayern) v. 25. 09. 1946. 3 Zuletzt im Jahr 2005, Einzelheiten: Windthorst, Der verwaltungsrechtliche einstweilige Rechtsschutz, S. 231 ff. 4 Vgl. 3. VwGOÄndG v. 20. 12. 1982, BGBl. I 1982, S. 1834. 5 Vgl. BT-Drs 03/55, S. 12. 6 BT-Drs 13/3993, S. 11 f.; vgl. R. Wilke/Teschner, SchlHA 1997, 25 ff.; auch R. Wilke, SchlHA 1997, 201, 201. 2

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A. Die Bedeutung des § 80 VwGO

regelmäßig nicht die Umgestaltung des § 80 VwGO. Vielmehr wird zu diesem Zweck die 1996 eingeführte Länderklausel in § 80 Abs. 2 S. 2 VwGO bemüht.7 Eine letzte Änderung erfuhr der § 80 VwGO dabei jüngst mit dem Gesetz zur Beschleunigung von Investitionen vom 03. 12. 2020, in Kraft getreten am 10. 12. 2020.8 Hinzugekommen ist der § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3a VwGO. Demnach entfällt die aufschiebende Wirkung bei Rechtsbehelfen, die sich gegen die Zulassung von überregional bedeutsamen Infrastrukturvorhaben in den Bereichen Verkehr und digitale Infrastruktur richten. Der Gesetzgeber nimmt insoweit für die zügige Realisierung solcher Projekte ein besonderes öffentliches Vollzugsinteresse an, wodurch das Aufschubinteresse Dritter überwogen wird.9

II. Systematische Stellung Das System des vorläufigen Rechtsschutzes der VwGO ist in den §§§ 47 Abs. 6, 80 bzw. 80a und 123 VwGO verankert.10 Grundsätzlich hängt die Zuordnung, ob § 80 VwGO oder andere Regelungen zur Anwendung kommen, von der jeweiligen Handlungsform der Verwaltung11 und dem daraus entstehenden Rechtsschutzbegehren12 des Antragstellers ab. Die aufschiebende Wirkung des § 80 VwGO befriedigt die Rechtsschutzbegierde des Betroffenen hinsichtlich der Erhaltung des Status quo im Rahmen der Eingriffsverwaltung, was regelmäßig dann der Fall ist, wenn eine Anfechtungsklage statthaft ist. Sie ist demnach dann in den Fällen unbrauchbar, soweit der Antragsteller sich nicht gegen einen eingreifenden Verwaltungsakt wendet.13

III. Europarechtliche Vorgaben Prägende Vorgaben für den vorläufigen Rechtsschutz ergeben sich aus Art. 6 Abs. 1 EMRK, in dem der Rechtsschutz in angemessener Zeit gewährleistet wird. Die europarechtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten treten ergänzend zu dem nationalen Rechtsschutz. Die Klagemöglichkeiten, die den Rechtsschutz des Betroffenen 7

Vgl. Windthorst, Der verwaltungsrechtliche einstweilige Rechtsschutz, S. 223 f. Zur Änderung BGBl. I, S. 2694. 9 Ergänzend sei zu erwähnen, dass auch auf formeller Ebene kleinere Änderungen vorgenommen wurden. BT-Drs 19/22139, S. 18 und 19/24040, S. 21; vgl. Löffler, jurisPR-UmwR 2/2021. 10 Kotulla, Verw 33 (2000), 520, 523; auch Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 10. 11 Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 6. 12 Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 123 Rn. 27. 13 Hoppe, in: Eyermann, VwGO, § 80 Rn. 14 ff.; dazu siehe unten C. II. 2. c), S. 66 ff. 8

III. Europarechtliche Vorgaben

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in der Hauptsache sichern, können zur Durchsetzbarkeit der subjektiven Rechte des Einzelnen ungenügend sein. Deshalb ist daneben eine zeitliche Komponente zu berücksichtigen,14 die zumindest dann nicht erfüllt sein wird, soweit die Entscheidung in der Hauptsache so spät getroffen wird, dass aufgrund Zeitablaufes oder veränderter Umstände die Angelegenheit sich praktisch erledigt hat. Neben Beschleunigungsmöglichkeiten in Klageverfahren hält der EGMR vorläufigen Rechtsschutz immer dann für geboten, soweit (konventionswidrige) Maßnahmen drohen, deren Auswirkungen potentiell irreversibel sind.15 Aufgrund des Grundsatzes der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten verfügt die EU über keine prozessrechtlichen Kompetenzen. Vorgaben hinsichtlich vorläufiger Rechtsschutzgewährung können sich aber aus den Rechtsgrundsätzen des Unionsrechts ergeben, wie aus Art. 6 Abs. 3 EUV i. V. m. Art 6 und 13 EMRK sowie Art. 6 Abs. 1 EUV i. V. m. den justiziellen Rechten der Grundrechtecharta, die allesamt die nationalen Gerichte an die Grundrechte binden. Eine automatische Suspensivwirkung des Widerspruchs oder der Anfechtungsklage und damit die Wahrung des rechtlichen und tatsächlichen Status quo bis zur Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts sind generell im Gemeinschafsrecht und den Rechtsordnungen der meisten Mitgliedstaaten nicht zu finden.16 In diesem Kontext ist der Rechtsanwendungsbefehl des Art. 24 Abs. 1 GG in dem Blick zu nehmen. Der Art. 24 Abs. 1 GG setzt gemeinschaftliche Regelungen mit innerstaatlichem Recht gleich. Daher ist aufgrund der automatisch und ohne Abwägung eintretenden Suspensivwirkung des § 80 Abs. 1 VwGO die Möglichkeit gegeben, dass trotz dringender Gemeinschaftsinteressen und -erfordernisse der Vollzug von Verwaltungsakten, die auf gemeinschaftlichen Regelungen beruhen und durch deutsche Behörden oder Gerichte vollzogen werden sollen, suspendiert wird.17 Die Vollzugshemmungswirkung von mitgliedstaatlichen Regelungen und mithin des § 80 VwGO ist in der Sache durch den EuGH auch anerkannt, der prinzipiell die Aussetzung der Vollziehung bei indirektem Vollzug des Europarechts durch nationale Gerichte für notwendig erachtet.18 Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass deutsches Verfahrensrecht den Vollzug von Gemeinschaftsrecht verhindern kann.19 14

Meyer-Ladewig/Harrendorf/König, HK-EMRK, Art. 6 Rn. 199 ff. Buchheister, DVBl. 2017, 610, 611. 16 Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 21 f.; Hoppe, in: Eyermann, VwGO, § 80 Rn. 5 ff.; eine zwingende aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs folgt nur aus der unionsgrundrechtlichen Gewährleistung, wenn der Vollzug der angegriffenen Maßnahme geeignet ist, den Betroffenen einer unmenschlichen oder erniedrigen Behandlung oder Strafe auszusetzen, sodass auf diese Weise die Einhaltung der Anforderungen von Art. 19 Abs. 2 und Art. 47 der Charta gewährleistet ist. EuGH NVwZ 2016, 452, 453 Rn. 58. 17 Calliess, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 24 Abs. 1 Rn. 17. 18 EuGH, NVwZ 1991, 460 ff.; Triantafyllou, NVwZ 1992, 129, 132; vgl. EuGH, Rs. C213/89 (Factortame), Slg. 1990, I-2433, Rn. 20f. 19 Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 22 ff.; Hoppe, in: Eyermann, VwGO, § 80 Rn. 6. 15

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A. Die Bedeutung des § 80 VwGO

Der EuGH gibt des Weiteren aber auch vor, dass es sich beim Gemeinschaftsinteresse um ein öffentliches Interesse i. S. d. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO handelt, das die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit rechtfertigen kann.20 Damit kann eine Pflicht der Behörde zur Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit begründet sein.21 Das sei selbst dann der Fall, wenn aufgrund der deutschen innerstaatlichen Rechtslage die Voraussetzungen zur Anordnung des Sofortvollzugs nicht erfüllt seien. In diesem Falle sei eine europarechtskonforme Auslegung des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO geboten, da die Verwirklichung des Europarechts entgegenstehenden nationalen Regelungen vorgehe.22 Folglich kann die Anordnung des Sofortvollzuges nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO bei Verwaltungsakten, die zur Durchsetzung von Gemeinschaftsrecht ergehen, auch dann einschlägig sein, wenn bei rein innerstaatlichen Sachverhalten die Voraussetzungen nicht gegeben sind.23 Aber auch das führt nicht zum generellen Wegfall der automatisch eintretenden Suspensivwirkung, sondern bleibt einzelfallabhängig.24 Macht hingegen die Behörde von dieser Möglichkeit im konkreten Fall keinen Gebrauch, liegt ein Verstoß gegen die Gemeinschaftstreue nach Art 10 EGV sowie Art. 4 Abs. 3 EUV vor.25

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Vgl. Hoppe, in: Eyermann, VwGO, § 80 Rn. 6. Vgl. Hoppe, in: Eyermann, VwGO, § 80 Rn. 6. 22 EuGH, Rs. C-217/88, Slg. 1990, I-2879, Rn. 25 f.; vgl. OVG Lu¨ neburg, B. v. 09. 5. 2012, 10 ME 43/12, Rn. 10, juris. 23 Tomuschat, in: FS Redeker, S. 273, 289; Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 14. 24 Tomuschat, in: FS Redeker, S. 273, 289; auch OVG Lüneburg, B. v. 9.5.2012 – 10 ME 43/ 12, BeckRS 2012, 51108; Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 14. 25 EuGH, Rs. C-217/88, Slg. 1990, I-2879 ff. 21

B. Verfassungsrechtliche Hintergründe des Suspensiveffekts Der Suspensiveffekt in verwaltungsrechtlichen Klagen kann als ein zentrales Element des deutschen Rechtsschutzsystems bezeichnet werden.1 Den Regelfall des Suspensiveffekts stellt § 80 Abs. 1 VwGO dar. Demnach haben der Widerspruch und die Anfechtungsklage gegen hoheitliche Maßnahmen der Verwaltung eine aufschiebende Wirkung.2 Aufgrund von § 80 Abs. 2 VwGO sowie weiterer spezieller verwaltungsprozessrechtlicher Regelungen stehen die aufschiebende Wirkung und die sofortige Vollziehung in einem Regel-Ausnahme-Verhältnis zueinander. Es stellt sich daher die Frage, ob zur Begründetheit dieses Verhältnisses auch ein verfassungsrechtlicher Hintergrund besteht.3 Hierfür sind zunächst die zwangsläufigen Anforderungen der verfassungsrechtlichen Vorgaben zu untersuchen, welche in die gesetzlichen Regelungen des vorläufigen Rechtsschutzes aufgenommen wurden.4 In diesem Sinne steht das Effektivitätsgebot des Art. 19 Abs. 4 GG eine heute als unerlässlich angesehene grundgesetzliche Determinante zum vorläufigen Rechtsschutz im Vordergrund.5 Über dem steht das Rechtsstaatlichkeitsgebot, das „eine Sammelbezeichnung für einzelne Gewährleistungen des Verfassungsrechts“6 ist, so dass ihm bei der Gesetzesausgestaltung und -anwendung ein eigenständiger dogmatischer Gehalt zusteht.7 Das Rechtsstaatsprinzip ist weiterhin die Grundlage von verfassungsrechtlichen Grundsätzen wie die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung sowie der Verwaltung und Rechtsprechung an Gesetz und Recht, die Gewährleistung der Geltung der Grundrechte, des Verhältnismä-

1 Lorenz, Verwaltungsprozessrecht, § 27 Rn. 10; auch Scholz, in: FS Menger, S. 641, 644; Ekardt/Beckmann, DÖV 2006, 672, 675; vgl. BVerfGE 35, 382, 402; 35, 263, 272; 69, 315, 372; 51, 268 284; Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 2. 2 Beckmann, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 27; Ekardt/Beckmann, DÖV 2006, 672, 672. 3 Vgl. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 995 Fn. 35. 4 Wahl, NVwZ 1984, 401 ff. 5 BVerfGE 35, 263, 274; 35, 382, 401; 79, 69, 74; Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 1; Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 11. 6 Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 89 f., 109 f. und 457 f. 7 BVerfGE 35, 382, 401; Ekardt/Beckmann, DÖV 2006, 672, 674; Haibach, DÖV 1996, 60, 60 f.; vgl. Schmidt-Aßmann, NVwZ 1983, 1, 2; Lorenz, in: FS Menger, S. 143, 147.

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B. Verfassungsrechtliche Hintergründe des Suspensiveffekts

ßigkeitsgrundsatzes wie auch der richterlichen Kontrolle von Akten der öffentlichen Verwaltung.8

I. Gewaltenteilungsverständnis Die Rechtsschutzgarantie steht insbesondere mit der in Art. 20 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 GG vorgesehenen Gewaltenteilung in Verbindung. Die Gewaltenteilung wird auch als eine Gewährleistung für einen effektiven Rechtsschutz im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG verstanden, wobei die staatlichen Gewalten sich gegenseitig kontrollieren sollen.9 Unter den Gehalt der Gewaltenteilung fällt insbesondere auch eine normative Ausgestaltung eines effektiven Rechtsschutzes. Diese sorgt dafür, dass die staatlichen Gewalten nur ihnen zugeordnete Funktionen ausüben dürfen, und auf diese Weise staatliche Zuständigkeiten aufgeteilt und staatliche Macht begrenzt sind, sodass vor allem die Freiheit der Bürger sichergestellt wird.10 In welcher Weise die staatlichen Funktionen auf die Staatsorgane verteilt werden, ergibt sich dabei nicht aus einem verfassungstheoretischen Ideal der Gewaltenteilung, sondern aus den einzelnen funktions- und organbezogenen Regelungen der Verfassung.11 Hiernach ist generell zu konstatieren, dass gerade in der deutschen Verfassungsgeschichte nicht das Konzept einer strikten Gewaltentrennung angestrebt wurde. Vielmehr werden die staatlichen Funktionen und Organe in sehr differenzierter Weise einander zugeordnet und zahlreiche Gewaltenverschränkungen und -balancierungen anerkannt.12 Trotz dieser Verschränkungen und Verbindungen, die in ihrer Fülle unter dem Gesichtspunkt der Aufgabenzuschreibung nicht unproblematisch sind, soll Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG jeder Gewalt immerhin einen Kernbereich an Aufgaben sicherstellen.13 In diesem Zusammenhang ist bei Erörterungen der verfassungsrechtlichen Fragen zum Suspensiveffekt auch auf die Frage zurückzugehen, ob für eine effektive Aufgabenwahrnehmung durch den Staat im Bereich des vorläufigen Rechtsschutzes

8 Pecher, Verfassungsimmanente Schranken von Grundrechten, S. 248; Schachtschneider, JA 1978, 185, 185; Schnapp, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 20 Rn. 38. 9 BVerfGE 34, 52, 59; 95, 1, 15; 139, 321, 362; Huster/Rux, in: BeckOK GG, Art. 20 Rn. 158. 10 Vgl. Grzeszick, in: Maunz/Du¨ rig, GG, Art. 20 Rn. 8 – 11. 11 Huster/Rux, in: BeckOK GG, Art. 20 Rn. 159. 12 Grundsätzlich wird zwar nach dem klassischen Modell dem Parlament die Rechtsetzungsbefugnis, der Regierung und der Verwaltung die Staatsleitung und der Gesetzesvollzug sowie den Gerichten die Rechtsprechung zugewiesen. Huster/Rux, in: BeckOK GG, Art. 20 Rn. 160. 13 Huster/Rux, in: BeckOK GG, Art. 20 Rn. 161; BVerfGE 30, 1, 27 f.; 34, 52, 59; 95, 1, 15 f.

I. Gewaltenteilungsverständnis

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jeder Gewalt ein Kernbereich eigener Funktion und eigenen Wirkens gewährleistet wird.14 Hierbei stellt sich bei näherer Betrachtung erstens die Frage, ob die automatisch eintretende aufschiebende Wirkung bedeutet, dass ohne gerichtliche Entscheidung die Verwaltung den Verwaltungsakt nicht vollziehen darf. Zweitens ist fraglich, ob der Gesetzgeber durch normative Ausgestaltung des automatischen Suspensiveffekts der Verwaltung ihre Eigenständigkeit entzieht. Im Rahmen dieser Fragestellungen ist zu diskutieren, wie verhältnismäßig die Regelungen des § 80 VwGO hinsichtlich der Gewaltenverschränkung und -balancierung sind. Diesbezüglich wird angeführt, dass der Suspensiveffekt im Gegensatz zur Vermutung für die Rechtmäßigkeit und Rechtswirksamkeit der Verwaltungsakte steht. Denn, wenn grundsätzlich angenommen wird, dass Verwaltungsakte rechtmäßig und wirksam sind, warum folgt ohne materiell-rechtliche Prüfung aus einem Rechtsbehelf, dass sie aufgeschoben werden sollen? Ebenfalls stehe der Suspensiveffekt der Annahme entgegen, dass Verwaltungsakte in der Regel vollstreckbar seien.15 Diese grundsätzlichen Veränderungen des Suspensiveffekts an dem Konzept des Verwaltungsakts könnten dann dazu führen, dass die Verwaltung in ihrem Handeln eingeschränkt wird. Hier geht es darum, dass der Vollzug durch Adressaten eines Verwaltungsakts ungeachtet seiner Rechtmäßigkeit – allein wegen der Rechtsbehelfseinlegung – häufig und automatisch verhindert wird.16 Mit einer solchen systematischen Aufschiebung der Verwaltungsakte gehe schließlich eine konstitutionell bewirkte Aufschiebung des Handlungsspielraums der Verwaltung einher.17 In diesem Gedankengang ist der Suspensiveffekt im Sinne des § 80 VwGO gesondert zu betrachten. Nach der Ausgestaltung des § 80 VwGO stellt der Suspensiveffekt den Regelfall dar, wobei eine Vielzahl an gesetzlichen Ausnahmen bestimmt ist. In § 80 VwGO wird daneben den Behörden sowie den Verwaltungsgerichten ein Ermessen über die sofortige Vollziehung und Aussetzung der Vollziehung eingeräumt.18 § 80 VwGO bietet durch unbestimmte Rechtsbegriffe auch gewisse 14

Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1056; die grundgesetzliche Gewaltenteilung hat in der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG ihre spezifische Ausprägung erfahren. Schenke, JZ 1988, 317, 320; dazu Schmidt-Aßmann, NVwZ 1983, 1, 5. 15 Schwerdtner, NVwZ 1987, 473, 474; vgl. v. Nieding, Die Grundlagen des Rechtsschutzes, S. 363. 16 Vgl. Crossland, ICLQ 1975, 707, 746: Die Deutschen wollen auch in Detailfragen absolute Sicherheit und dulden nicht einmal kleine Fehler der Verwaltung. Das führt dazu, dass viel von den Rechtsmitteln Gebrauch gemacht wird und es dadurch zu Verzögerungen kommt. 17 Vgl. Haibach, DÖV 1996, 60, 66 ff.; Beckmann, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 29; Aslan, I˙dari Yargıda YD, S. 23 Fn. 46. 18 „Die Gerichte haben die verfassungsrechtliche Relevanz des in § 80 VwGO geregelten Rechtsschutzsystems zu beachten. Das verwaltungsgerichtliche Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO ist eine Ausprägung des grundgesetzlich garantierten Rechtsschutzes. Die Vorschrift des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO ermöglicht es der Behörde, die besondere Schutzfunktion, die der aufschiebenden Wirkung als eines Grundsatzes des öffentlich-rechtlichen Prozesses zu-

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B. Verfassungsrechtliche Hintergründe des Suspensiveffekts

Lockerungen des in ihm enthaltenen Regel-Ausnahme-Verhältnisses. Damit wird der Balance zwischen den Gewalten Rechnung getragen, um die Rechte der Bürger hinreichend zu gewährleisten.19 Schließlich besteht kein Anlass dafür, die aufschiebende Wirkung nach § 80 Abs. 1 VwGO als einen Verstoß gegen das Gewaltenteilungsprinzip anzusehen, da es schon an einem Eingriff der Justiz in Verwaltungsbereiche mangelt.20 Vielmehr handelt es sich um eine Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers zu verfahrensrechtlichen Bestimmungen, wodurch staatliche Macht begrenzt wird.

II. Zum Verhältnis zwischen Bürger und Staat Im Rahmen der Bestimmungen des Verhältnisses zwischen Staat und Bürger steht im deutschen Recht der Gedanke im Vordergrund, eine Stärkung der Rechtsschutzeffektivität zu ermöglichen, um die Übermacht des Staates begrenzen zu können.21 In diesem Zusammenhang muss die als öffentliche Gewalt erscheinende Verwaltung die mit dem Erlass von Verwaltungsakten verbundenen Risiken für die Rechte einzelner Rechtssubjekte vorrangig selbst tragen. Die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG als Effektivitätsgebot erfordert dies, ungeachtet dessen, ob die Verwaltung rechtmäßig oder rechtswidrig handelt, weil sie zumeist das Übergewicht gegenüber der Rechtsposition des Bürgers innehat. Selbst das Argument, die Funktionsfähigkeit der Verwaltung zu fördern, rechtfertigt nicht, dass das Risiko im Rechtsschutzverfahren dem Bürger überlassen wird. Die primäre Funktion des Rechtsschutzes ist, die Selbstherrlichkeit der vollziehenden Gewalt im Verhältnis zum Bürger zu beseitigen.22 Dementsprechend verhindert insbesondere der Suspensiveffekt, dass die Verwaltung vor einer endgültigen gerichtlichen Entscheidung einseitig und verbindlich kommt, durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsaktes aufzuheben. Dagegen erhält der Bürger nach § 80 Abs. 5 VwGO die – nach Art. 19 Abs. 4 GG gebotene – Möglichkeit, eine richterliche Entscheidung über die Frage herbeizuführen, ob die Behörde rechtmäßig handelt, wenn sie den sofortigen Vollzug eines belastenden Verwaltungsaktes mit allen sich daraus ergebenden Folgen anordnet, obwohl dieser weder formell unanfechtbar noch über seine materielle Rechtmäßigkeit gerichtlich entschieden worden ist. Die Gewährleistung effektiven Eilrechtsschutzes dient damit vor allem bei eingreifendem Verwaltungshandeln der Sicherung grundrechtlicher Freiheit garantiert.“ BVerfG, NVwZ 2005, 1303, 1303. 19 Vgl. Cuno, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 83; diese genannte Systematik des § 80 VwGO bringt die deutsche Ausgestaltung des vorläufigen Rechtsschutzsystems den Systemen anderer Länder näher. 20 So zeigt sich, dass die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Suspensiveffekts und seiner Ausnahmen im deutschen Recht nicht die Verwaltung in die Hände der Judikatur übergibt; vgl. Lorenz, in: FS Menger, S. 143, 158; vgl. Sarıca, in: THKY, S. 26, 34; vgl. Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması, S. 37. 21 Windthorst, Der verwaltungsgerichtliche einstweilige Rechtsschutz, S. 492. 22 Hesselberger, Das Grundgesetz, S. 176.

III. Verhältnismäßigkeitsprinzip

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in die Rechtsposition des Einzelnen eingreifen kann.23 Es geht hier darum, das asymmetrische Machtverhältnis zwischen der vollziehenden Gewalt und den Bürgern zu relativieren. Die Verwaltung verfügt im Hinblick auf den von ihr erlassenen Verwaltungsakt über alle Informationen und Beweise.24 Dadurch, dass im Falle des Suspensiveffekts die Beweislast der Verwaltung übertragen wird, kann die Position des Bürgers im Rechtsschutzverfahren etwas erleichtert werden. Der Bürger muss dann nicht doppelt in eine abwehrende Position (aufgrund des vorläufigen Rechtsschutzes und wegen des Hauptsacherechtsschutzes) gedrängt werden.25 Aus diesen Gründen überzeugt es nicht, dass der Suspensiveffekt als ein großer Nachteil für die Verwaltung, hinsichtlich deren Funktionsfähigkeit, erklärt wird. Es kann sogar allein aufgrund der genannten Ausgleichsfunktion davon ausgegangen werden, dass der Suspensiveffekt zwingend zum grundrechtlich gebotenen Rechtsschutzkanon gehört.26

III. Verhältnismäßigkeitsprinzip Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist im Grundgesetz nicht normativ ausgestaltet. Es stellt sich aber, nach einhelliger Meinung in der deutschen Staatsrechtslehre, als ein universelles Verfassungsprinzip dar.27 Seine verfassungsrechtliche Geltung ergibt sich aus dem Rechtsstaatsprinzip und im Grunde bereits aus dem Wesen der Grundrechte selbst.28 Auf Grund seiner Ableitung aus den Grundrechten und dem Rechtsstaatsprinzip bindet der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gemäß Art. 1 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3 GG alle drei staatlichen Gewalten.29 Die Kontrolldichte bei der Überprüfung von 23

Dadurch wird das Übergewicht der öffentlichen Verwaltung und deren Befugnis zur einseitig verbindlichen Rechtsfolgeanordnung durch Verwaltungsakt kompensiert. Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 26. 24 Um die Herstellung einer Waffengleichheit zwischen Bürger und Staat geht es grundsätzlich nicht in denjenigen Fällen des Verwaltungsakts mit Drittwirkung, in denen dem Aufschubinteresse des Anfechtenden materiell nicht nur ein Vollziehungsinteresse der Verwaltung, sondern auch das Interesse des Begünstigten am Gebrauchmachen von der ihm erteilten Regelung gegenübersteht. Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 27; Cuno, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 93; vgl. Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması, S. 22. 25 Haibach, DÖV 1996, 60, 66. 26 Beckmann, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 31. 27 Klatt/Meister, Der Staat 51 (2012), 159 ff.; vgl. Kunig, in: Kunig/Nagata, im rechtswissenschaftlichen Dialog, S. 169, 173; Jakobs, DVBl. 1985, 97, 100. 28 Die Grundrechte dürfen als Ausdruck des allgemeinen Freiheitsanspruchs des Bürgers gegenüber dem Staat von der öffentlichen Gewalt jeweils nur ausnahmsweise und so weit beschränkt werden, als es zum Schutz öffentlicher Interessen unerlässlich ist. BVerfGE 19, 342, 342; vgl. BVerfGE 81, 310, 338; Kunig, in: Kunig/Nagata, im rechtswissenschaftlichen Dialog, S. 169, 175; Voßkuhle, JuS 2007, 429, 430; Wittig, DÖV 1968, 817 ff. 29 Graßhof, Nachschlagewerk der Rechtsprechung des BVerfG, GG, Art. 20 Abs. 3; Kunig, in: Kunig/Nagata, im rechtswissenschaftlichen Dialog, S. 169, 180; einfachrechtliche Kon-

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B. Verfassungsrechtliche Hintergründe des Suspensiveffekts

Maßnahmen der Legislative und Exekutive durch die Judikative im Hinblick auf Vorgaben des Gewaltenteilungsprinzips wird aber unterschiedlich beurteilt.30 Generell geht es bei der Kontrolle der drei staatlichen Gewalten darum, ob staatliche Macht nach Maßgabe von Recht und Gerechtigkeit ausgeübt wird. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip dirigiert das staatliche Handeln besonders in den Situationen, in denen Handlungsspielräume in Rede stehen. Damit wird eine Kontrollfunktion bewirkt.31 Indem alle durch die staatliche Entscheidung betroffenen Interessen sachlich und gerecht abgewogen werden, leistet das Verhältnismäßigkeitsprinzip zudem einen Beitrag zur Verwirklichung materieller Gerechtigkeit.32 Wenn eine unreglementierte Ausübung grundrechtlicher Freiheiten zwangsläufig zu Konflikten mit den Interessen der Allgemeinheit und mit Rechten anderer führt, müssen die konfligierenden Interessen entsprechend dem Verständnis von Gerechtigkeit und Gleichheit miteinander abgestimmt werden. Demnach darf der Staat grundsätzlich in grundrechtlich geschützte Positionen eingreifen und den Grundrechtsgebrauch eingrenzen, soweit dies gesetzmäßig und im Einzelfall auch verhältnismäßig ist.33 Die Grenze des staatlichen Handelns beziehungsweise die letztverbindliche Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Grundrechtseingriffs stellt die gerichtliche Kontrolle der Verhältnismäßigkeit – im weiteren und engeren Sinne – sicher. Die Verhältnismäßigkeitskontrolle erfolgt im deutschen Verfassungs- und Verwaltungsrecht in einer Stufenfolge. Auf erster Stufe der Prüfung steht die Feststellung eines legitimen Zwecks, welcher von der handelnden staatlichen Stelle mittels einer in Grundrechte eingreifenden Maßnahme verfolgt wird. Die weiteren Prüfungsschritte können ohne eine genaue Bestimmung des verfolgten Zwecks nicht vollzogen werden, da sie sich alle auf den mit der Maßnahme verfolgten Zweck beziehen. Geeignet ist das eingesetzte Mittel, wenn es den legitimen Zweck fördert. Erforderlich ist das Mittel, wenn es kein milderes Mittel gibt, mit dem sich in gleicher Wirksamkeit der legitime Zweck erreichen lässt. Angemessen und damit auch konkret zumutbar ist ein Eingriff, wenn die Grundrechtsbeeinträchtigung nicht außer Verhältnis zu dem verfolgten legitimen Zweck steht.34

kretisierungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes finden sich in vielen Teilgebieten des Verwaltungsrechts (z. B. § 9 II VwVG, § 5 BadWürttPolG, § 2 NWPolG). Voßkuhle, JuS 2007, 429, 429; der Grundsatz strahlt auch in sämtliche Rechtsgebiete aus. Klatt/ Meister, JuS 2014, 193, 193. 30 Voßkuhle, JuS 2007, 429, 429; auch Kunig, in: Kunig/Nagata, im rechtswissenschaftlichen Dialog, S. 169, 180. 31 Auch Kunig, in: Kunig/Nagata, im rechtswissenschaftlichen Dialog, S. 169, 182. 32 Voßkuhle, JuS 2007, 429, 430. 33 Voßkuhle, JuS 2007, 429, 429; Kunig, in: Kunig/Nagata, im rechtswissenschaftlichen Dialog, S. 169, 180; Raue, AöR 2006, 79, 81 ff. 34 Kluckert, JuS 2015, 116, 116; Kunig, in: Kunig/Nagata, im rechtswissenschaftlichen Dialog, S. 169, 172.

IV. Bindungswirkung und Konsequenzen des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG

33

Im Hinblick auf die Gewährleistung des vorläufigen Rechtsschutzes ist das Verhältnismäßigkeitsprinzip in folgender Weise beachtlich: Die Judikative überprüft einerseits, ob die Legislative sowie die Exekutive die Verhältnismäßigkeitsverpflichtungen im Bereich des vorläufigen Rechtsschutzes eingehalten haben. Andererseits ist das Gericht aber auch selbst verpflichtet, den vorläufigen Rechtsschutz nach den Vorgaben des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu gewährleisten. Relevant ist das dann, wenn die Verwirklichung des vorläufigen Rechtsschutzes ein gerichtliches Ermessen betrifft und die gerichtliche Eilentscheidung durch eine Interessenabwägung und Folgenabwägung zu bestimmen ist.35

IV. Bindungswirkung und Konsequenzen des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG für alle Gewalten Im Hinblick auf verfassungsrechtliche Hintergründe des Suspensiveffekts ist weiterhin zu erörtern, ob Art. 19 Abs. 4 GG im Sinngefüge der Verfassung eine prinzipielle Verankerung des Suspensiveffekts ist. Art. 19 Abs. 4 GG weist vor allem im Zusammenhang mit Art. 20 Abs. 3 GG den einzelnen Staatsgewalten die Gewährung effektiven Rechtsschutzes zu.36 Hier ist primär der Gesetzgeber der Adressat von Art 19 Abs. 4 S. 1 GG (i. V. m. Art. 103 Abs. 1 GG),37 der eine stark normgeprägte Rechtsschutzgarantie enthält.38 Eine Normprägung liegt dann vor, wenn das Grundrecht eine gesetzliche Ausgestaltung erfordert und ohne diese seine Aussagen konturlos bleiben würden.39 Während der Gesetzgeber die Bestimmungen zur Gewährung adäquaten Rechtsschutzes schafft, insbesondere die Bereitstellung einer funktionierenden Gerichtsbarkeit, müssen die Gerichte entsprechend dieser Bestimmungen für den Einzelnen den Anspruch auf effektiven Rechtsschutz erfüllen.40 35

Vgl. Kunig, in: Kunig/Nagata, im rechtswissenschaftlichen Dialog, S. 169, 180 f.; siehe dazu unten C. IV. 2., S. 133 ff. 36 Zum Subsystem der Verfassung Schmidt-Aßmann, NVwZ 1983, 1, 2; Schmidt-Jortzig, NJW 1994, 2569, 2571; Schmidt-Aßmann, NVwZ 1983, 1, 5. 37 Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 999; Windthorst, Der verwaltungsgerichtliche einstweilige Rechtsschutz, S. 492; Remmert, in: Maunz/Du¨ rig, GG, Art. 103 Abs. 1 Rn. 25 – 29. 38 Windthorst, in: Gärditz, VwGO, § 80 Rn. 35; Windthorst, Der verwaltungsgerichtliche einstweilige Rechtsschutz, S. 492 f.; es ist aus Art. 19 Abs. 4 GG i. V. m. Rechtsstaatlichkeit und auch aus im Einzelfall weiteren betroffene Grundrechten zu ergeben. Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 7. 39 Windthorst, Der verwaltungsgerichtliche einstweilige Rechtsschutz, S. 504; Remmert, in: Maunz/Du¨ rig, GG, Art. 103 Abs. 1 Rn. 25 – 29; Haibach, DÖV 1996, 60, 65. 40 Freilich lässt sich die Verfassung nun einmal nicht anhand einfachen Rechts, welches seinerseits stets verfassungskonform vorausgesetzt werden muss, auslegen. Ekardt/Beckmann, DÖV 2006, 672, 676; dafür ist erkannt, dass die Konkretisierung der Verfassung teilweise auch

34

B. Verfassungsrechtliche Hintergründe des Suspensiveffekts

Die Gerichte müssen vor allem bei der Auslegung und der Anwendung der Vorschriften der besonderen Bedeutung der jeweils betroffenen Grundrechte und den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes Rechnung tragen. Demgemäß hat der Richter besonders wegen des verfassungsrechtlichen Verbots der Rechtsschutzverweigerung einen vorläufigen Rechtsschutz zu ermöglichen, auch wenn zu diesem keine prozessrechtliche Bestimmung normiert ist.41 Soweit hierbei keine Normenkollision auftritt, ist es ebenfalls angemessen, dass der Richter die Normbildung insbesondere bei unbestimmten Rechtsbegriffen komplettiert.42 Ferner binden die Aussagen der Gerichte, vor allem aufgrund von § 31 BVerfGG jene des Bundesverfassungsgerichts, im verfassungsrechtlichen Rahmen den Gesetzgeber bei der gesetzlichen Normierung. Bis zu einem gewissen Maß wird dadurch auch der Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers eingeschränkt.43 Diese Rechtsfortbildungsmöglichkeit dient dazu, dass die verfassungsrechtlichen Absicherungen zum vorläufigen Rechtsschutz beachtet werden.44 Während die Funktion der Gerichte zur Gewährung des effektiven Rechtsschutzes in normkonkretisierender und normkontrollierender Form gegenüber dem Gesetzgeber nur eingeschränkt auftritt, entfaltet sie sich voll gegenüber der Verwaltung.45 Dementsprechend ist die Prüfung der Akte der Exekutive durch ein unabhängiges Gericht kraft Art. 19 Abs. 4 GG gesichert.46 Die richterliche Kontrolle umfasst die Prüfung, ob die Verwaltung entsprechend der gesetzlichen Vorgaben handelt. Die Verwaltungsmaßnahmen sind dabei vom Gericht vollständig auf ihre Geeignetheit und Erforderlichkeit hin überprüfbar.47 Wenn die Gesetze wegen unbestimmter Rechtsbegriffe eine nur geringe normative Wirkung entfalten, ist auch die unmittelbare Bindung der Verwaltung an Art. 19 Abs. 4 GG von großer Bedeutung. Die Verwaltung muss ihren Beurteilungsspielraum und ihr Ermessen sorgfältig sowie bedachtsam ausüben, so dass der Rechtsschutz in der Hauptsache nicht ins Leere läuft und Art. 19 Abs. 4 GG nicht unberücksichtigt bleibt, bis eine gerichtliche Entscheidung ergeht.48 Es wird vertreten, dass die Verwaltung im vorprozessualen Bereich eine gesetzlich nicht vorgesehene vorläufige Entscheidung treffen kann, wenn kein hinreichender vorläufiger in den Händen des Richters stattfindet. Dazu gehört insbesondere die Verfassungsjudikatur. Lerche, Facetten der Konkretisierung von Verfassungsrecht, S. 18. 41 Haibach, DÖV 1996, 60, 64; zum Unterlassen von Rechtsnormen, Schenke, JZ 1988, 317, 319; Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, § 1 Rn. 5 f.; die wesentlichen Impulse durch Art. 19 Abs. 4 GG Windthorst, in: Gärditz, VwGO, § 80 Rn. 37. 42 Beckmann, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 29. 43 Haibach, DÖV 1996, 60, 65. 44 Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1046. 45 Schenke, JZ 1988, 317, 319. 46 Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1044 f. 47 Voßkuhle, JuS 2007, 429, 429. 48 Haibach, DÖV 1996, 60, 63 f.

IV. Bindungswirkung und Konsequenzen des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG

35

Rechtsschutz gewährleistet ist.49 Beispielsweise könnte die Verwaltung trotz einer gesetzlich geregelten sofortigen Vollziehung ohne ein eingeleitetes behördliches Aussetzungsverfahren den Verwaltungsakt für angemessene Zeit nicht vollziehen, um einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz sichern zu können.50 Die Gestaltung des Verwaltungsverfahrens darf einen späteren Gerichtsschutz nicht unzumutbar erschweren.51 Dabei kann das Gericht auch gegebenenfalls durch einen vorläufigen Beschluss bzw. Hängebeschluss der Behörde aufgeben, vorerst, bis zur endgültigen Entscheidung im Eilverfahren, von Vollstreckungsmaßnahmen abzusehen.52 Das Bundesverfassungsgericht führt hierzu aus: „Von Verfassungs wegen liegt es unter Berücksichtigung der Effektivität verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutzes jedenfalls nahe, für die Dauer des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens – zumindest soweit ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht offensichtlich aussichtslos oder missbräuchlich ist – von Maßnahmen der Vollstreckung abzusehen, wenn andernfalls schwere und unabwendbare Nachteile drohen. Weigert sich eine Verwaltungsbehörde in diesen Fällen trotz formloser gerichtlicher Aufforderung ohne ersichtlichen Grund, bis zur endgültigen Entscheidung im Eilverfahren auf Vollstreckungsmaßnahmen zu verzichten, obliegt es dem Gericht, dies der Behörde durch einen so genannten Hängebeschluss förmlich aufzugeben. Kommt das Fachgericht dem nicht nach, verletzt es seinerseits die Garantie effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG“.53

Letztlich wird das Effektivitätsgebot mit Berufung auf die sogenannten Vorwirkungen des Art. 19 Abs. 4 GG in dem vorprozessualen Bereich mit aufgenommen.54 Zwar enthält der Wortlaut von Art. 19 Abs. 4 GG hierzu keine konkreten Vorgaben. Dennoch wird Art. 19 Abs. 4 GG aufgrund seiner historischen Stoßrichtung dahingehend ausgelegt, dass er die vollziehende Gewalt einschränkt.55 Aufgrund eines eingeschränkten Vollstreckungsermessens, das aus den Vorwirkungen des Art. 19 Abs. 4 GG abgeleitet wird, spielt es damit auch keine große Rolle, ob das gesetzliche Modell des Suspensiveffekts oder der gerichtlichen Aussetzung der Vollziehung anzuwenden ist.56

49 BVerfG, B. v. 10. 12. 2009, 1 BvR 3151/07, Rn. 79, juris; VG Schleswig, B. v. 08. 04. 2020 – 1 B 28/20 –, Rn. 29, juris. Dabei mag es streitig sein, ob die Verwaltung selbst Normen – darunter auch Rechtsverordnungen – verwerfen darf. Jedoch kann es jedenfalls den Gerichten nicht verwehrt sein, eine Rechtsverordnung inzident zu verwerfen. 50 Haibach, DÖV 1996, 60, 64; Windthorst, in: Gärditz, VwGO, § 80 Rn. 39. 51 Schmidt-Aßmann, NVwZ 1983, 1, 5; auch Daumann, Der Suspensiveffekt, S. 103. 52 Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, § 1 Rn. 5 f. 53 BVerfG, NVwZ 2014, 363 ff. 54 Windthorst, in: Gärditz, VwGO, § 80 Rn. 39; Haibach, DÖV 1996, 60, 63. 55 Windthorst, Der verwaltungsgerichtliche einstweilige Rechtsschutz, S. 482, 499; vgl. BVerfGE 10, 264, 267; 35, 263, 274; Lorenz, in: FS Menger, S. 141, 148. 56 Vgl. Haibach, DÖV 1996, 60, 64.

36

B. Verfassungsrechtliche Hintergründe des Suspensiveffekts

V. Das gesetzliche Modell des Suspensiveffekts aus dem Blickwinkel des effektiven Rechtsschutzes Das gesetzliche Modell des Suspensiveffekts wird entweder aus dem formellen Hauptgrundrecht des Art. 19 Abs. 4 GG oder aus den entsprechenden materiellen Grundrechten, für welche die Rechtsweggarantie gewährt werden muss, hergeleitet.57 Dabei wird wiederholt darauf hingewiesen, dass Art. 19 Abs. 4 GG als formelles Grundrecht kein bestimmtes Modell des vorläufigen Rechtsschutzes vorsieht.58 Ergänzend ist anzumerken, dass die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG nur teilweise auf die verfassungsrechtliche Relevanz des Suspensiveffekts aufmerksam machen.59 Das Bundesverfassungsgericht führt diesbezüglich aus, dass die als Regelfall vorgeschriebene aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage eine angemessene sowie sachgerechte Ausprägung der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie und ein fundamentaler Grundsatz des öffentlich-rechtlichen Prozesses ist.60 Gleichwohl handle es sich nicht um eine Gewährleistung aus Art. 19 Abs. 4 GG.61 Aus der vorangestellten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lässt sich ferner ableiten, dass auch andere Formen des vorläufigen Rechtsschutzes verfassungsrechtlich möglich sind. In der Literatur wird darauf verwiesen, dass der Verfassung grundsätzlich jedes Mittel recht ist, soweit dem Effektivitätspostulat genügt wird.62 Die Frage, welche Schlussfolgerungen sich aus dem Zusammenspiel des Effektivitätsgebots mit § 80 VwGO ergeben, ist weiterhin diskussionswürdig. 1. Die konzeptionelle Rolle des Effektivitätsgebots Die Feststellung des Effektivitätsgebots im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG bildet den Ausgangspunkt für die Frage des verfassungsrechtlichen Erfordernisses des als Regelfall normierten Suspensiveffekts. Was genau die „Effektivität des Rechtsschutzes“63 bedeutet, findet aber in Literatur sowie Rechtsprechung keine einheitliche Antwort. Der Grund dafür liegt vor allem in der geringen Aussagekraft des Art 19 Abs. 4 GG. Die Norm erwähnt nämlich lediglich, dass denjenigen der Rechtsweg eröffnet wird, die durch die öffentliche Gewalt in ihren Rechten verletzt sind. Unter 57 58 59 60

Rn. 2. 61

675.

Kotulla, Verw 33 (2000), 520, 554 f.; auch Haibach, DÖV 1996, 60, 62. Kotulla, Verw 33 (2000), 520, 555. BVerfG, NVwZ 2009, 240, 242; Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 11. BVerfGE 35, 382, 402; 35, 263, 272; 51, 268, 284; Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 BVerfG 35, 382, 402; ähnlich BVerfG 65, 253, 70; Ekardt/Beckmann, DÖV 2006, 672,

62 Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 12, 18 ff; vgl. OVG Koblenz, NVwZ-RR 1989, 508, 509. 63 Schmidt-Jortzig, NJW 1994, 2569, 2569; Ule, DVBl. 1982, 821, 823.

V. Das gesetzliche Modell des Suspensiveffekts

37

dieser Rechtsweggarantie wird allerdings nicht nur die Gewährung eines Zugangs zu Gerichten verstanden. Vielmehr ist die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG über ihren engen Wortlaut hinaus wegen des Normzwecks zu einer effektiven Rechtsschutzgarantie weiterentwickelt worden.64 In diversen gerichtlichen Entscheidungen wird die Rechtsweggarantie zusammenfassend als ein wirksamer und möglichst lückenloser Rechtsschutz, in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht, definiert.65 Nach dieser Definition bedarf es aber noch weiterer Konkretisierungen des Effektivitätsgebots, sodass eine extensive Auslegung des Art. 19 Abs. 4 GG verhindert wird.66 In diesem Sinne ist unter dem Effektivitätsgebot des Art. 19 Abs. 4 GG eine Forderung nach einem Rechtsschutz, bei dem eine vollständige unabhängige richterliche Prüfung, innerhalb einer angemessenen Zeit, zur Verhinderung vollendeter Tatsachen gewährt wird.67 Daher ist als entscheidender und konkreter Punkt, in Bezug auf einen effektiven vorläufigen Rechtsschutz, die „Verhinderung von vollendeten Tatsachen“ festzulegen.68 Schließlich lässt sich hierzu anmerken, dass in der deutschen Rechtsdogmatik eine präzise und einheitliche Klärung des effektiven Rechtsschutzes nicht zu finden ist.69 Dennoch besteht immerhin eine konzeptionelle Grundorientierung bezüglich des vorläufigen Rechtsschutzes durch den Gesichtspunkt der Verhinderung von vollendeten Tatsachen, der auch in vielen anderen Rechtssystemen anerkannt und konkretisierungsfähig ist. 2. Die Bestimmung der Effektivität des Suspensiveffekts anhand des Begriffs der Irreparabilität a) Der Begriff der Irreparabilität In Bezug auf den Rechtsschutz ist unter der Irreparabilität zu verstehen, dass es auch bei einem späteren Erfolg in der Hauptsache nicht mehr möglich oder zumindest sehr schwer ist, die gerichtliche Entscheidung für den Betroffenen umzu64 Schwachheim, in: Umbach/Clemens, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 18 ff.; Windthorst, in: Gärditz, VwGO, § 80 Rn. 35. 65 BVerfGE 8, 274, 326; 35, 263, 274; Enders, in: BeckOK GG, Art. 19 Rn. 74; Schwachheim, in: Umbach/Clemens, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 169; Schmidt-Jortzig, NJW 1994, 2569, 2569; Windthorst, Der verwaltungsgerichtliche einstweilige Rechtsschutz, S. 492; vgl. Lorenz, Jura 1983, 393, 393. 66 Windthorst, Der verwaltungsgerichtliche einstweilige Rechtsschutz, S. 500 ff. 67 Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 992 f., 1003; Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 12; BVerfG, NVwZ-RR 1994, 56, 57; VGH München, BayVBl. 1991, 720, 721; VGH Kassel, NVwZ 1991, 88, 91; Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 3; Windthorst, Der verwaltungsgerichtliche einstweilige Rechtsschutz, S. 501. 68 BVerfGE 35, 263, 274; 35, 382, 400 f.; 37, 150, 153; 69, 315, 372; 80, 244, 252. 69 Krumbacher, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 177.

38

B. Verfassungsrechtliche Hintergründe des Suspensiveffekts

setzen.70 In der gerichtlichen Praxis weisen manche Fälle auf die Irreparabilität besonders hin. Beispielsweise ist das der Fall bei der Errichtung eines Kernkraftwerks, bei Bauvorhaben oder sonstigen Eingriffen in Natur- und Landschaftsschutzgebiete. Ebenfalls wird in verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren anerkannt, dass die Ausweisungsverfügung, die Versagung einer Aufenthaltserlaubnis sowie die Abrissverfügung oder die Ausführung eines Bauvorhabens häufig vollendete Tatsachen schaffen können.71 Insoweit ist festzustellen, dass die Irreparabilität auf der ersten Stufe ohne materiell-rechtliche Prüfung zu bewerten ist. Das heißt aber nicht, dass es mit dem Erfolg der Hauptsache nicht zusammenhängt, ob den Betroffenen in einem Rechtsschutzverfahren irreparable Schäden drohen. Besteht in der Hauptsache keine Erfolgswahrscheinlichkeit, so kann ein irreparabler Schaden für den Rechtsschutzsuchenden ohnehin nicht vorliegen. b) Der Suspensiveffekt zum Zweck der Verhinderung irreparabler Folgen Der Sinn und Zweck des Rechtsschutzes in der Hauptsache verwirklicht sich insbesondere dann, wenn durch die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsakts drohende irreparable Folgen möglichst ausgeschlossen werden, bevor die Gerichte im Hauptsacheverfahren dessen Rechtmäßigkeit geprüft haben.72 Art. 19 Abs. 4 GG verlangt daher Vorkehrungen für einen vorläufigen Rechtsschutz, durch den der Zeitraum bis zur endgültigen Entscheidung überbrückt und der zwischenzeitliche Eintritt manifestierter Rechtsverletzungen verhindert wird.73 Diese Anforderung des Art. 19 Abs. 4 GG kann vornehmlich durch den Suspensiveffekt verwirklicht werden, wo schwere und unzumutbare Nachteile durch einen eingreifenden Verwaltungsakt, welche die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigen könnte, entstehen könnten.74 In diesem Zusammenhang wird in der Judikatur und Literatur auf den Aspekt der „Irreparabilität“ abgestellt, um die besondere verfassungsrechtliche Bedeutung des Suspensiveffekts zu erläutern.75

70 Dazu Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1318 ff. und 1369 ff.; auch Schwerdtner, NVwZ 1987, 473 ff. 71 Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1321 ff. 72 Vgl. Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 13, 17. 73 Lorenz, Verwaltungsprozessrecht, § 27 Rn. 1; vgl. BVerfGE 35, 263, 274; 46, 166, 178; zusammenfassend BVerfG, DVBl. 1996, 1367 ff; „Der Rechtsschutz darf nicht dadurch um seine Wirksamkeit gebracht werden, dass im Verlauf des Verfahrens in der Hauptsache vollendete Tatsachen geschaffen werden oder sonst irreparable Schäden eintreten.“ Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Du¨ rig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 273. 74 Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 13, 17; Haibach, DÖV 1996, 60, 66. 75 BVerfGE 35, 263, 274; 35, 382, 400 f.; 37, 150, 153; 69, 315, 372; 80, 244, 252; auch Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 1; vgl. Martens, Suspensiveffekt, S. 19; anders Timmler, Aussetzungsentscheidung, S. 30 ff.

V. Das gesetzliche Modell des Suspensiveffekts

39

Allein der Aspekt der Irreparabilität vermag aber die verfassungsrechtliche Forderung nach dem Suspensiveffekt nicht zu erklären. Der Suspensiveffekt des § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO ist nämlich lediglich bei Eingriffsakten relevant,76 auch wenn im Hinblick auf die Irreparabilität nicht immer ein Unterschied zwischen Eingriffsakten und Vornahmeakten besteht. Eine Ausweisungsverfügung kann beispielsweise genauso wie eine Versagung einer Aufenthaltserlaubnis in gleicher Intensität zu irreparablen Nachteilen führen.77 Der Zweck der Verhinderung von vollendeten Tatsachen begründet damit im verfassungsrechtlichen Sinne nicht die prozessualen Unterschiede zwischen der aufschiebenden Wirkung und der einstweiligen Anordnung. Die Grundlage des Suspensiveffekts liegt im Grunde vielmehr in der Verteilung der mit der Irreparabilität verbundenen Risiken.78 Schließlich ist anzumerken, dass allein unter den Gewährleistungen des Art. 19 Abs. 4 GG der Aspekt der Irreparabilität eigentlich beschränkt beurteilt wird. Die Verhinderung der irreparablen Folgen zur Effektivierung des Rechtsschutzes bedeutet gemäß Art. 19 Abs. 4 GG nämlich nur, dass bis zur endgültigen gerichtlichen Entscheidung der Eintritt von permanenten Rechtsverletzungen des Bürgers verhindert werden soll. Hier ist also die Verwaltung an der Herbeiführung irreparabler Zustände gehindert. Das trifft aber nur aus der Sicht des Rechtsschutzsuchenden zu.79 Jedoch hat im grundrechtlichen Sinn der Staat nicht nur das Interesse des Bürgers, sondern auch Gemeinwohlinteressen sowie Drittinteressen vor irreversiblen Verletzungen zu schützen. Der Zweck der Verhinderung von irreparablen Zuständen erstreckt sich also auf ein schützenswertes Grundrecht eines Dritten – der ebenfalls Rechtsschutzsuchender ist – aber auch auf das Interesse der staatlichen Gewalt, die für alle die Grundrechte gewähren und für das Gemeinwohl sorgen muss.80 In diesem Zusammenhang ist zu bedenken, dass die Irreversibilität durch Zeitablauf81 bei zweioder mehrseitigen Rechtsbeziehungen für jede Seite eintreten kann.

76 77

Rn. 2. 78

Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1004. Vgl. Schoch, Einstweilige Anordnung, in: Ehlers/Schoch, Rechtsschutz im ÖffR, § 30

Zur gleichmäßigen Verteilung des Risikos am Verfahrensausgang Birk, in: FS Menger, S. 161, 167; vgl. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1003 f. 79 Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 17. 80 Vgl. BVerfG, U. v. 22.01.2011 – 1 BvR 699/06, Rn. 47. 81 „Die Verhinderung vollendeter Tatsachen kann es natur- und denkgesetzlich nicht geben. Was im Laufe der Zeit geschehen oder nicht geschehen ist, ist irreversibel. Soll der aufschiebenden Wirkung nicht eine Funktion zuerkannt werden, die auf etwas Unmögliches zielt, kann ihr Rechtsschutzziel nicht die Verhinderung vollendeter Tatsachen sein.“ Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 17.

40

B. Verfassungsrechtliche Hintergründe des Suspensiveffekts

c) Zeitablauf und Irreparabilität im Verhältnis zum Effektivitätsgebot Die Wirksamkeit des Rechtsschutzes und die Sicherung der materiellen subjektiven öffentlichen Rechte sind mit dem Zeitfaktor eng verbunden.82 Der Anspruch auf effektiven Rechtsschutz gemäß Art. 19 Abs. 4 GG sowie gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRK beinhaltet die Rechtsschutzgewährung innerhalb angemessener Zeit.83 Die Effektivität des Eilrechtsschutzes verlangt eine angemessene Verfahrensdauer im Grunde für die Vermeidung von irreparablen Zuständen.84 Die automatische aufschiebende Wirkung bezweckt dementsprechend die Verhinderung zeitlicher Verzögerungen im Eilverfahren und verhindert damit irreparable Zustände aus Sicht der Rechtsschutzsuchenden.85 Aus einer aufschiebenden Wirkung kann dabei aber auch eine Verzögerung der Dauer des Hauptsacheverfahrens hervorgehen. Die Gerichte können im Hauptsacheverfahren den Parteien einen langen Zeitraum zusprechen und damit die Hauptsacheentscheidung verzögern, indem sie nur einseitig die Sicherungsfunktion der aufschiebenden Wirkung für die Rechtsschutzsuchenden berücksichtigen. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des vorläufigen Rechtsschutzes darf keine verzögerte Hauptsacheentscheidung bewirken, da ein effektiver Rechtsschutz in der Hauptsache auch wegen einer zeitlichen Verzögerung konterkariert werden kann. Der Zeitfaktor kann nämlich bei zwei oder mehrseitigen Rechtsbeziehungen mindestens für eine der Parteien erheblich sein, während die Rechte der anderen Parteien durch den vorläufigen Rechtsschutz sichergestellt sind. Diesbezüglich wird in der Literatur auch angeführt, dass die Verhinderung irreparabler Zustände naturgesetzlich nicht das Ziel des vorläufigen Rechtsschutzes sein kann und es eine den Status quo rechtfertigende Privilegierung anhand der Irreparabilität nicht geben darf. Irreparabel sei, „was im Laufe der Zeit getan oder unterlassen worden ist“ und Zeit sei unwiederbringlich.86 Damit wird auch befürwortet, dass ausschließlich der Zeitfaktor für die Effektivität des Rechtsschutzes als Maßstab heranzuziehen ist.

82 Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 11; Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 993; Lorenz, Jura 1983, 393, 399. 83 BVerfG, NJW 2001, 3770 ff.: Die Effektivität heißt auch Rechtzeitigkeit des Rechtsschutzes; Schoch, Einstweilige Anordnung, in: Ehlers/Schoch, Rechtsschutz im ÖffR, § 30 Rn. 2; Lorenz, Jura 1983, 393, 399; Ziekow, DÖV 1998, 941, 944. 84 Ule, DVBl. 1982, 821, 830; Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 19 Rn. 483; Funke-Kaiser, in: Bader/Funke-Kaiser/Stulfauth/v. Albedyll, VwGO, § 80 Rn. 1; F. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 31 Rn. 2. 85 Dabei kann hier kein Zweifel daran bestehen, dass die Regelung des vorläufigen Rechtsschutzes nicht nur für das Verhältnis von Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit, sondern auch für die Dauer des Verwaltungsprozesses von großer Bedeutung ist. Ule, VerwArch 76 (1985), 1, 22. 86 Zum von der h. M. ausgeblendeten Faktor „Zeit“ Schoch, VerwArch 82 (1991), 145, 155 ff.; siehe auch oben Fn. 81.

VI. Das Verhältnis der materiellen Grundrechte zu Art. 19 Abs. 4 GG

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d) Rechtliche Würdigung Aus den vorherigen Ausführungen ergibt sich, dass der Faktor der Irreparabilität im vorläufigen Rechtsschutz nicht nur für die Beibehaltung eines Status quo auf Seiten der Rechtsverhältnisse gilt. Der Faktor der Irreparabilität wird jedoch bei der Gewährung des Suspensiveffekts nur in der Weise berücksichtigt, dass die irreparablen Zustände – ohne Interessenabwägung – aus der Sicht der Rechtsschutzsuchenden verhindert werden sollen. Gleichwohl heißt das aber nicht, dass Rechtsschutzsuchende durch den Suspensiveffekt unzulässigerweise privilegiert sind, denn die anderen Parteien der Rechtsbeziehungen werden nicht automatisch den irreparablen Nachteilen ausgesetzt. In diesem Sinne ist die Ansicht, nach der die ablaufende Zeit im Hauptsacheverfahren schon irreversibel sei und die Verhinderung irreparabler Zustände damit nicht das Ziel des vorläufigen Rechtsschutzes sein könne,87 unvertretbar. Der vorläufige Rechtsschutz vermag nicht jede Zeitverzögerung zu verhindern, grundsätzlich muss er das auch nicht. Soweit die Rechtslage für den Rechtssuchenden bis zur Hauptsacheentscheidung aufrechterhalten werden kann oder nur vorbehaltlich geändert wird, sollte angenommen werden, dass keine irreparablen Nachteile drohen. Dass die Zeit als solche unwiederbringlich ist, kann also rechtlich nicht entscheidend sein. Damit ist es nicht angebracht, lediglich aufgrund des Zeitverlustes einer Partei die Frage der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes im Eilverfahren zu entscheiden. Wenn damit das Hauptsacheverfahren selbst kürzer wird, deutet das nicht immer auf einen effektiven Rechtsschutz hin. Die Beschleunigung des Verfahrens ist schließlich kein (einzelner) Wert, der unmittelbar dem Schutz der Verfassung dient. Ein beschleunigtes Verfahren wird hauptsächlich für den Schutz der einzelnen Rechte oder Interessen, die verfassungsrechtlichen Wert besitzen, erstrebt.88 Der Zeitfaktor ist insoweit lediglich der Leitgedanke des vorläufigen Rechtsschutzes. Kann dabei wegen der zeitlichen Verzögerung des Hauptverfahrens die weitere Irreparabilität nicht verhindert werden, ist der vorläufige Rechtsschutz dahingehend anzuwenden, dass die mit der Aufrechterhaltung – oder Veränderung – „des Status quo verbundenen Nachteile und Risiken gerecht verteilt werden“.89

VI. Das Verhältnis der materiellen Grundrechte zu Art. 19 Abs. 4 GG mit Blick auf § 80 VwGO Zum Verhältnis der materiellen Grundrechte zu Art. 19 Abs. 4 GG wird festgehalten, dass sowohl bei der Ausgestaltung des Rechtsschutzes als auch bei seiner 87 88 89

Vgl. Schoch, VerwArch 82 (1991), 145, 156. Vgl. Yes¸ilyurt, AÜSBFD 2015, 403, 407. Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 17.

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B. Verfassungsrechtliche Hintergründe des Suspensiveffekts

Auslegung und Anwendung die Einwirkungen der Grundrechte als inhaltliche Determinante des Effektivitätsgebots gelten.90 Der § 80 VwGO bietet auch eine Systematik, in der von den materiellen Grundrechten ausgehende Einwirkungen zu erkennen sind. Sein Regel-AusnahmeVerhältnis zeigt zunächst das Spannungsverhältnis zwischen der individuellen Freiheit und staatlichen Eingriffen oder Handlungen. Im § 80 VwGO können die aufschiebende Wirkung sowie die sofortige Vollziehung aus Gründen des materiellen Grundrechtsschutzes als rechtsstaatliche Instrumente bewertet werden. Die aufschiebende Wirkung läuft erst im Falle einer Anfechtung oder eines Widerspruchs auf eine Gewährung der Grundrechte hinaus, die vom Eingriff des Staates beeinträchtigt werden können, bevor dem Bürger eine gerichtliche Eilentscheidung zugesprochen wird. Die sofortige Vollziehung dient danach in zweiseitigen Rechtsverhältnissen zwischen Verwaltung und Bürger dem öffentlichen Interesse, also zum Gemeinwohl, das sich auf verschiedene Grundrechte der Bürger erstreckt. In mehrseitigen Rechtsverhältnissen dient der Sofortvollzug daneben zum Ausgleich der konfligierenden Grundrechte zugunsten des vom Verwaltungsakt Begünstigten.91 Letztlich werden bei Auslegung und Anwendung des § 80 VwGO die Einwirkungen der Grundrechte berücksichtigt. Auf diese Weise zeigen sich die Instrumentalisierung der sofortigen Vollziehung und der Aussetzung der Vollziehung in der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit.92 1. Die subjektivrechtliche Fundierung des Rechtsschutzes Im Verhältnis der materiellen Grundrechte zum vorläufigen Rechtsschutz ist die grundlegende Frage, was die Grundkonzeption des Rechtsschutzes ist. Grundsätzlich ist der Rechtsschutz in Deutschland auf subjektive Rechte ausgerichtet. Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle dient dementsprechend primär dem Schutz subjektiver Rechte.93 Im Umkehrschluss heißt das, dass der Schutz der Rechte des Klägers vor der staatlichen Hoheitsmacht die objektive Kontrolle der Verwaltung zurücktreten lässt.94 Ein effektiver vorläufiger Rechtsschutz ist somit unverzichtbares Element eines subjektiven Rechtsschutzsystems. Die aufschiebende Wirkung zum Schutz des 90

Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1011 f. Vgl. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1013. 92 Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1239; zu Einzelfällen Redeker, in: Redeker/ v. Oertzen, VwGO, § 80 Rn. 21 ff.; vgl. Haibach, DÖV 1996, 60, 67. 93 Der „Vorrang des Prima¨ rrechtsschutzes“ ist direkte Folge der Garantie effektiven Rechtsschutzes und damit durch Art. 19 Abs. 4 GG geboten. Marsch, Subjektivierung der gerichtlichen Verwaltungskontrolle, S. 259; auch Bilgi, Öffentlich-Private Partnerschaften, S. 738; Cuno, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 71. 94 Vgl. Rennert, DVBl. 2015, 793, 793 f. 91

VI. Das Verhältnis der materiellen Grundrechte zu Art. 19 Abs. 4 GG

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Klägers ist insofern eine logische Folge des subjektiven Rechtsschutzsystems.95 Die normative wie empirische Bedeutung des vorläufigen Rechtsschutzes für den effektiven Schutz subjektiver Rechte wird auch dadurch erkennbar, dass dieser in vielen Bereichen, wie z. B. Versammlungsrecht oder Vergaberecht, den Hauptsacherechtsschutz verdrängt.96 2. Interessenabwägung Wie bereits festgestellt, sind im Bereich des vorläufigen Rechtsschutzes die materiell-grundrechtlichen Erwägungen des Gesetzgebers implementiert. Demnach gilt, dass je schwerer die Belastungen des Betroffenen wiegen, die mit der Versagung des vorläufigen Rechtsschutzes verbunden sind, umso weniger das Interesse an einer vorläufigen Regelung oder Sicherung der geltend gemachten Rechtspositionen zurückgestellt werden darf.97 Wenn dies durch eine abstrakte Abwägung des Gesetzgebers nicht vorgegeben wird, dann werden Behörden und Gerichte hinsichtlich der Effektivierung des vorläufigen Rechtsschutzes aufgefordert, etwaige Vor- und Nachteile staatlicher Eingriffe konkret zu messen und eine zutreffende grundrechtliche Abwägung vorzunehmen.98 Hierbei ist zu erörtern, in welcher Art und in welchem Maße die materiellen Erwägungen der Konzeption des § 80 VwGO zugrunde liegen. Bei der Frage geht es konkret um die Bestimmung der rechtlichen Interessen von allen Betroffenen, die zum einen in eine abstrakte und zum anderen in eine konkrete Abwägung einzubeziehen sind. Wann die aufschiebende Wirkung automatisch eintritt und wann sie angeordnet wird, hängt auch maßgeblich hiervon ab. a) Der Vorrang der individuellen Freiheit Wie schon festgestellt, weist der in § 80 Abs. 1 VwGO normierte Suspensiveffekt auf einen Vorrang des Primärrechtsschutzes hin. Hiernach überwiegt grundsätzlich die individuelle Freiheit gegenüber staatlichen Eingriffen. Durchbrechungen des Suspensiveffekts sind daher nur ausnahmsweise, also im besonderen öffentlichen Interesse oder überwiegenden Privatinteresse, zulässig.99

95

Cuno, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 71. Marsch, Subjektivierung der gerichtlichen Verwaltungskontrolle, S. 259. 97 Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 479; je größer die Gefahren für das in Rede stehende Rechtsgut sind, desto höher ist das Vollzugsinteresse zu messen. An die Annahme eines überwiegenden Vollzugsinteresses sind um so strengere Anforderungen zu stellen, je schwerwiegender der Rechtseingriff für den hiervon nachteilig Betroffenen wiegt. Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 33 Rn. 1487. 98 Vgl. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1005. 99 Vgl. Marsch, Subjektivierung der gerichtlichen Verwaltungskontrolle, S. 259 f. 96

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B. Verfassungsrechtliche Hintergründe des Suspensiveffekts

Im Rahmen des § 80 VwGO wird davon ausgegangen, dass der Gesetzgeber bereits eine abstrakte Abwägung zwischen Aufschubs- und Vollzugsinteresse vorgenommen und damit über einen adäquaten Rechtsschutz entschieden hat. Das heißt, dass eine objektive Bewertung durch den Gesetzgeber anhand der materiellen Rechte beziehungsweise rechtlichen Interessen vorliegt. b) Die Risikoverteilung Da die Maßnahmen des vorläufigen Rechtsschutzes selbst auch nicht rückgängig gemacht werden können, befasst sich der vorläufige Rechtsschutz mit allen potenziellen Rechtsverletzungen.100 Eine gesetzliche Ausgestaltung und damit auch eine verfahrensrechtliche Entscheidung zum vorläufigen Rechtsschutz erfordern, dass die Möglichkeit einer unberechtigten Schutzgewährung bedacht wird. An dieser Stelle bleibt fraglich, wie die tatsächliche Lage für beide Seiten gesichert werden kann. Das bezieht sich auf ein Grundproblem des vorläufigen Rechtsschutzes: die angemessene Aufteilung des Risikos fehlerhafter Entscheidungen. Um das Risiko gerecht verteilen zu können, wird vor allem eine abstrakte Abwägung vorgenommen, in der einerseits das bedrohte subjektive Recht und andererseits die durch das behördliche Handeln zu verwirklichenden Allgemein- oder auch Drittinteressen zu berücksichtigen sind.101 Im Rahmen der Abwägung sind also die kollidierenden Grundrechte beziehungsweise rechtlich geschützten Positionen aufzuwiegen. Als Beispiel ist eine Abrissverfügung zu nennen. Im Falle der Abrissverfügung stellt der Verwaltungsakt einen unmittelbaren Eingriff in das Eigentumsrecht dar, welcher die Verwaltung häufig mit einer Anfechtungsklage konfrontiert. Hierbei ist grundsätzlich von einem überwiegenden Aussetzungsinteresse, das auf die vorläufige Beseitigung des Eingriffs in das Eigentum bezogen ist, auszugehen. Die Vollzugsfolgen der Abrissverfügung sind regelmäßig als irreversibel einzustufen.102 Falls sich die Verfügung im Nachhinein als unrechtmäßig erweisen sollte, hat die Verwaltung nach dem Vollzug nur den Wert des Eigentums zu erstatten.103 Der Abriss stellt einen unumkehrbaren, das Eigentumsrecht beeinträchtigenden Akt dar, woraus folglich ein unersetzbarer Schaden resultiert.104 Hingegen kann der Vollzug der Abrissverfügung im Allgemein- oder Drittinteresse auch auf eine besondere Dringlichkeit hinweisen. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn es um eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und 100

Lorenz, Verwaltungsprozessrecht, § 27 Rn. 4. Lorenz, Verwaltungsprozessrecht, § 27 Rn. 4 ff. 102 Vgl. Marsch, Subjektivierung der gerichtlichen Verwaltungskontrolle, S. 235. 103 Dazu eine ausführliche Kritik von Schoch, VerwArch 82 (1991), 145, 156. 104 Auch Marsch, Subjektivierung der gerichtlichen Verwaltungskontrolle, 235 f.: Trotz der Möglichkeit einer finanziellen Entschädigung werden Vollzugsfolgen im Baurecht als in der Regel irreversibel betrachtet. 101

VI. Das Verhältnis der materiellen Grundrechte zu Art. 19 Abs. 4 GG

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Ordnung geht. Dann sind hiervon auch die Grundrechte der anderen Grundrechtsträger betroffen, die vor Gefahren für Leib und Leben geschützt werden müssen. Insoweit können für die Allgemeinheit irreversiblen Nachteile, die mit der Aussetzung der Vollziehung verbunden sind, in Betracht kommen. Gleichzeitig kann also aus Sicht beider Seiten eines Eilverfahrens von irreparablen Zuständen gesprochen werden. Bei einer Risikoverteilung für vorläufige Maßnahmen überwiegt aber dennoch bei einer abstrakten Betrachtung eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gegenüber einer potentiellen Entschädigung aufgrund eines Eingriffs in Eigentum.105 Das heißt, dass einer Abrissverfügung, die dem Schutz besonders wichtiger Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit dient, grundsätzlich ein besonderes Vollzugsinteresse, das über dem Aussetzungsinteresse zum Schutz des Eigentums steht, zukommt.106 Demnach ist die Verwaltung in diesen Fällen dazu angehalten, Abrissverfügungen sofort zu vollziehen. Es sei denn, die Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung kann mit milderen Mitteln verhindert werden.107 Es kann nämlich auch Fälle geben, in denen das Mittel der Gewahrsamnahme verhältnismäßiger ist als ein Abriss. Das betrifft allerdings die konkrete Abwägung, bei der die Voraussetzung der Rechtmäßigkeit des behördlichen Handelns auch berücksichtigt wird.108 Als weiteres Beispiel ist eine Ablehnung einer Baugenehmigung, die ebenfalls als ein mittelbarer Eingriff in die Eigentumsfreiheit angesehen wird, zu erwähnen. Im Gegensatz zu einem Abriss werden die Folgen der Ablehnung einer Genehmigung aber in der Regel als rein pekuniär und damit als grundsätzlich reversibel angesehen.109 Wenn es um das finanzielle Schadensrisiko geht, wird dies auf der Sekundärebene beurteilt. Das heißt, dass ein solches Schadensrisiko in dem verfassungsgarantierten Rechtsschutz in erster Linie nicht geschützt und damit auch bei der abstrakten Risikoverteilung zurückzustellen ist. Insoweit steht dann auch das Aussetzungsinteresse grundsätzlich zurück. Bei existenzgefährdenden Risiken verhält es sich aber anders. Hierbei kann auch von einem irreversiblen Nachteil für den durch die Genehmigung Begünstigten gesprochen werden. Häufig tritt ein solcher Nachteil

105

S. 26. 106

Vgl. Lorenz, Jura 1983, 393, 400; vgl. Knoll, Grundzüge eines europäischen Standards,

Freilich ist hier die Errichtung einer Werteskala problematisch. Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 33 Rn. 1487. 107 Kasapog˘ lu Turhan, DEÜHFD 2012, 1, 17. 108 Siehe die Verhältnismäßigkeitsprüfung unten C. IV. 2. e) aa) (1) (c), S. 149 ff. 109 Vgl. Marsch, Subjektivierung der gerichtlichen Verwaltungskontrolle, S. 236 Fn. 963: „Macht ein Privater von einer Baugenehmigung Gebrauch, so sind die Folgen für den Nachbarn regelmäßig schwer zu beseitigen, da er die Verwaltung in der Regel nicht zum Erlass einer Abrissverfu¨ gung verpflichten konnte.“ (Primärquelle: Mouzouraki, L’efficacite´ des de´cisions du juge de la le´galite´, S. 49).

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B. Verfassungsrechtliche Hintergründe des Suspensiveffekts

zum Beispiel bei Verzögerungen eines rechtmäßig genehmigten Bauvorhabens, also durch erhebliche Kostensteigerung, ein.110 Abschließend lässt sich festhalten, dass, auch wenn aus Sicht der Rechtsschutzsuchenden keine irreversiblen Nachteile eintreten würden, dies für die anderen Beteiligten des Verfahrens nicht automatisch auf ein überwiegendes (besonderes) Vollzugsinteresse hinweist. Auf jeden Fall erfordert hier die behördliche oder gerichtliche Entscheidung zur aufschiebenden Wirkung oder zur sofortigen Vollziehung eine konkrete Interessenabwägung.111 c) Mehrpolige Verhältnisse unter Berücksichtigung des Gleichheitsprinzips Wie schon ausgeführt, geht es in zweiseitigen oder mehrseitigen Rechtsverhältnissen in Bezug auf den vorläufigen Rechtsschutz nicht nur darum, vollendete Tatsachen zu verhindern, sondern auch die mit der zeitweisen Irreparabilität verbundenen Risiken zu verteilen.112 Das nach Art. 3 Abs. 1 GG verankerte allgemeine Gleichheitsprinzip spiegelt sich in diesem Sinne beim vorläufigen Rechtsschutz wider, indem es in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip und dem Sozialstaatsprinzip113 ein faires Verfahren für alle Beteiligten fordert.114 Es gebietet insoweit den gerechten Ausgleich im Spannungsfeld der gegenseitigen Interessen.115 Hiernach wird keine formale Gleichheit gewährleistet, sondern vielmehr eine prozessuale Waffengleichheit.116 Die Regel des 110 Wollenschläger/Lerbinger, EuZW 2020, 95, 95. Beispielsweise kann die Entscheidung über verwaltungsgerichtliche Klagen bis in die letzte Instanz Monate oder sogar Jahre dauern, während der die Erhebung der Flughafenentgelte zum Erliegen käme. Dies macht es den Flughafenunternehmen im Falle einer Anfechtung unmöglich, Entgelte zur Finanzierung von Betriebs- und Investitionskosten zu vereinnahmen; vgl. Lorenz, Verwaltungsprozessrecht, § 27 Rn. 26. 111 Vgl. Lorenz, Verwaltungsprozessrecht, § 27 Rn. 28; vgl. weiterführend Wollenschläger/ Lerbinger, EuZW 2020, 95 ff. 112 Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1002 ff. 113 Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1026; zur prozessualen Gleichheit Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Du¨ rig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 31: In der Entscheidung vom 14. 10. 2008 hat das BVerfG diese „Rechtsschutzgleichheit“ fortentwickelt und als „Rechtswahrnehmungsgleichheit“ auf den außergerichtlichen Rechtsschutz erstreckt; vgl. BVerfG, NJW 2009, 209, 210 Rn. 32 ff. 114 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Du¨ rig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 31. 115 Wieseler, Der vorläufige Rechtsschutz, S. 24. 116 Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1028; auch Erichsen, VerwArch 65 (1974), 99, 101 f.; vgl. Birk, in: FS Menger, S. 161, 166 f.: „Verfassungsrechtliche Grenzen für die Ausgestaltung des gerichtlichen Verfahrens ergeben sich aus dem Gebot der Waffengleichheit, ein Grundsatz, der Elemente des Art. 3 Abs. 1 GG, des materiellen Rechtsstaatsprinzips und des Art. 19 Abs. 4 GG in sich vereinigt. Dieser Grundsatz enthält nicht nur den Aspekt der gleichen Behandlung im Verfahren, also der Gleichwertigkeit der Stellung der Prozeßparteien (Gleichheit vor dem Richter), sondern auch den Aspekt der gleichen Verteilung der Effizienzschancen (gleichmäßige Verteilung des Risikos am Verfahrensausgang).“

VI. Das Verhältnis der materiellen Grundrechte zu Art. 19 Abs. 4 GG

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§ 80 Abs. 1 VwGO ist gegenüber dem Selbsttitulierungsrecht der Verwaltung einerseits als eine ausgewogene Lösung anzusehen, andererseits ist sie aber in mehrseitigen Verhältnissen aus materiell-rechtlichen Gründen nicht immer rechtfertigungsfähig.117 Zweifelhaft ist, ob Konflikte zwischen den gleichrangigen Grundrechtspositionen des durch den Verwaltungsakt Begünstigten und Belasteten auszubalancieren sind, wenn man bei Verwaltungsakten mit Drittwirkung auf §§ 80 Abs. 1 S. 2, 80a VwGO zurückgreift.118 Der Gesetzgeber darf nicht etwa den Rechtsschutz einer Seite zu Lasten der anderen maximieren.119 Wie der Gesetzgeber sind die anderen Staatsorgane ebenfalls dazu verpflichtet, eine zutreffende Abwägung der kollidierenden Rechtsgüter der Betroffenen – unter Berücksichtigung von Art. 19 Abs. 4 GG – vorzunehmen. Mithin kann nicht immer von vornherein die Position eines Betroffenen per aufschiebender Wirkung als vorrangig behandelt werden, ohne die Position des anderen Betroffenen zu berücksichtigen.120 Die Anwendung des § 80 VwGO widerspricht aber, auch aufgrund der unterschiedlichen Gewichtungen der mehrpoligen Verhältnisse, nicht zwangsläufig dem Gleichheitsgebot. Das positive Recht bietet hierfür in der VwGO sowie in weiteren speziellen Gesetzen unterschiedliche Instrumente, um eine ausgewogene Rechtsschutzsituation herzustellen.121 3. Die Problematik der materiellen Akzessorietät des vorläufigen Rechtsschutzes Bei der Verwirklichung des materiellen Rechts hat die materielle Akzessorietät des vorläufigen Rechtsschutzes eine entscheidende Funktion.122 Materielle Akzessorietät bedeutet hierbei, dass die gerichtliche oder behördliche Eilentscheidung in der Sache durch das maßgebliche materielle Recht gesteuert wird.123 Deutlich wird dies bei § 123 VwGO.124 Dass ein verwaltungsgerichtlicher vorläufiger Rechtsschutz im Sinne des § 80 Abs. 5 VwGO erst abhängig von der Hauptsache zu erfüllen ist, ist aber hingegen nicht ganz unstreitig.125 Entgegen mancher Wertungen des Bundesverfassungsgerichts wird auch die Auffassung vertreten, dass ein wirksamer vorläufiger verwal117

Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1004. BVerfG, GewArch 1984, 16 ff.; Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 2. 119 Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1014, 1033. 120 Vgl. Ekardt/Beckmann, DÖV 2006, 672, 676. 121 Schoch, VerwArch 82 (1991), 145, 162 f. 122 Windthorst, in: Gärditz, VwGO, § 80 Rn. 25 f.; Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 962 ff. 123 Windthorst, in: Gärditz, VwGO, § 80 Rn. 25. 124 Auch Windthorst, in: Gärditz, VwGO, § 80 Rn. 26 f. 125 Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Du¨ rig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 273. 118

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B. Verfassungsrechtliche Hintergründe des Suspensiveffekts

tungsgerichtlicher Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO grundsätzlich keiner materiell-rechtlichen Basis bedarf.126 In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass der rechtsdogmatische Grundsatz materieller Akzessorietät für den gesetzlichen einstweiligen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 1 VwGO keine Geltung findet. Demnach trete die aufschiebende Wirkung ohne Rücksicht auf die Zulässigkeit des Anfechtungsrechtsbehelfs ein.127 Allerdings unterliegt der vorläufige Rechtsschutz nach § 80 VwGO in Anbetracht der vollumfänglichen Regelungen generell dem Grundsatz materieller Akzessorietät.128 Das gilt nicht nur für den verwaltungsbehördlichen einstweiligen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO, der den Maßstab ernstlicher Zweifel an der Rechtsmäßigkeit des Verwaltungsakts vorsieht, sondern auch für den verwaltungsgerichtlichen einstweiligen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO.129 Ein Aussetzungsverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO ist mit dem Anordnungsverfahren nach § 123 VwGO, welches grundsätzlich eine materiell-rechtliche Prüfung voraussetzt, deren Zweck darin besteht, irreparable Nachteile zu verhindern, inhaltlich gleichgesetzt. Dabei genießt § 80 Abs. 5 VwGO teils auch die gesetzliche Wertung des § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO. Nach § 80 Abs. 5 VwGO liegt die Darlegungslast bei der Verwaltung, nach § 123 VwGO hingegen beim Antragsteller.130 Darum wird vertreten, dass § 80 Abs. 5 VwGO zwar wie § 123 VwGO nicht regelmäßig eine materiell-rechtliche Ausgangslage erfordert und das Aussetzungsverfahren anders als das Anordnungsverfahren zu einer Ermessensentscheidung führt.131 Ein Aussetzungsverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO verlangt aber auch – im Sinne des effektiven Rechtsschutzes – oft eine materiell-rechtliche Prüfung, jedenfalls gilt das in mehrpoligen Rechtsverhältnissen.132 a) Materiell-akzessorische gerichtliche Prüfung In Bezug auf das Aussetzungsverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO wird vertreten, dass die Irreparabilität eines Grundrechtseingriffs häufig mit Blick auf die Ent126 Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1011; vgl. Windthorst, in: Gärditz, VwGO, § 80 Rn. 29; vgl. BVerfGE 60, 253, 297 ff. 127 Vgl. Windthorst, in: Gärditz, VwGO, § 80 Rn. 28. 128 Vgl. Windthorst, Der verwaltungsgerichtliche einstweilige Rechtsschutz, S. 41 ff.; insbesondere gilt das in den Fällen des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 und § 80 Abs. 5 VwGO. 129 Vgl. Windthorst, in: Gärditz, VwGO, § 80 Rn. 29. 130 BVerfGE 51, 268, Rn. 56; vgl. Windthorst, Der verwaltungsgerichtliche einstweilige Rechtsschutz, S. 86 ff.; vgl. Schoch, VerwArch 82 (1991), 145, 164. 131 Im Rahmen des § 123 VwGO geht es um eine Rechtsentscheidung. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1081; Windthorst, Der verwaltungsgerichtliche einstweilige Rechtsschutz, S. 87. 132 Selbst wenn das Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO auf diese Weise in materieller Hinsicht dem Verfahren nach § 123 VwGO nahe kommt, ist § 80 Abs. 5 VwGO aus Sicht des Antragstellers im Vergleich zu § 123 VwGO gewiss prozessgünstiger.

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scheidungsfähigkeit der Hauptsache bestimmt werden kann.133 Die gerichtliche Entscheidung im Sinne des § 80 Abs. 5 VwGO hat vor allem die betroffenen Grundrechte134 hinsichtlich ihres objektiv-rechtlichen Gehalts135 sowie die Folgen ihrer möglichen Verletzung zu berücksichtigen. Sind diese, ungeachtet eines Erfolgs in der Hauptsache, irreparabel, so darf vorläufiger Rechtsschutz nur versagt werden, wenn dem „ausnahmsweise überwiegende, besonders gewichtige Gründe entgegenstehen“.136 Soweit eine derartige Entscheidung sich auch an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache orientiert, muss ihr eine nicht nur summarische, sondern eingehende Sach- und Rechtsprüfung zugrunde liegen.137 Eine solche materiellakzessorische gerichtliche Prüfung findet, besonders in mehrseitigen Verwaltungsrechtsverhältnissen sowie in manchen speziellen Bereichen des vorläufigen Rechtsschutzes, deutlich Zuspruch. Beispielsweise erfordern asylrechtliche Eilverfahren generell einen materiell-akzessorischen Prüfungsmaßstab, der sich am materiellen Asylrecht des Art. 16 Abs. S. 2 GG orientiert. Eine umfassende Überprüfung der Rechtslage, also mehr als eine summarische Prüfung, kann nötig sein, damit das Asylgrundrecht nicht leerläuft.138 Ebenfalls gilt es auch im Baunachbarrecht, eine eingehende Prüfung vorzunehmen, wenn gleichartige einander gegenüberstehende Grundrechtspositionen konfligieren.139 Der Konflikt lässt sich regelmäßig durch einen materiell-akzessorischen Prüfungsmaßstab lösen, weil hier Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG nicht nur den vorläufigen Rechtsschutz des Nachbarn als Drittanfechtender determiniert, sondern auch denjenigen des Bauherrn als Genehmigungsbegünstigten.140 Beispielsweise ist eine 133

Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1002 ff. Vgl. BVerfGE 67, 43, 61 (Art. 16 GG); 69, 315, 364 (Art. 8 GG); 79, 69, 74 (Art. 4 Abs. 1 GG); BVerfG, DVB1. 1996, 1367, 1367 (Art. 12 Abs. 1 GG). 135 So BVerfGE 95, 163, 172 (Rundfunkfreiheit); dazu auch Lorenz, Verwaltungsprozessrecht, § 27 Rn. 8. 136 BVerfGE 79, 69, 75; Lorenz, Verwaltungsprozessrecht, § 27 Rn. 8. 137 Lorenz, Verwaltungsprozessrecht, § 27 Rn. 8; BVerfG, B. v. 26. 06. 2018 – 1 BvR 733/ 18 –, juris; vgl. BVerfGE 69, 315, 363; vgl. BVerfG, DVBl. 1996, 1367 ff. 138 Es gilt nur in den Fällen, in denen die Klage keine aufschiebende Wirkung hat und kein Abschiebungsverbot gilt: „Die Entscheidung des Gerichts soll im schriftlichen Verfahren innerhalb von einer Woche nach Ablauf der einwöchigen Ausreisefrist (§ 36 Abs. 1 AsylG) ergehen, § 36 Abs. 3 S. 4 und 5 AsylG. Die Abschiebung darf gemäß § 36 Abs. 4 S. 1 AsylG, der der Vorgabe des Art. 16 Abs. 4 S. 1 Hs. 1 GG folgt, durch das Gericht nur ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung bestehen. Bloße Zweifel oder auch eine gleichermaßen hohe Wahrscheinlichkeit fu¨ r die Rechtswidrigkeit wie fu¨ r die Rechtmäßigkeit reichen nicht aus. Es müssen vielmehr „erhebliche Gru¨ nde“ dafürsprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält.“ Rechtsschutz im Asylverfahren, WD 3 – 3000 – 036/19, Sachstand/Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, S. 14; vgl. BVerfGE 94, 166, 194; Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1017 f. 139 BVerfGE 24, 367, 401; 35, 263, 276 f. 140 Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1018 f.; vgl. Limberger, Probleme des vorläufigen Rechtsschutzes bei Großprojekten, S. 30 ff. und 89 ff. 134

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B. Verfassungsrechtliche Hintergründe des Suspensiveffekts

günstige Lastenverteilung von großer praktischer Bedeutung für Großprojekte wie etwa der Genehmigung von Kernkraftwerken oder Flughäfen, bei denen zwischen Genehmigung und Revisionsentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts mehrere Jahre vergehen und damit immense Kosten entstehen können.141 Bei der Verzögerung des Baus von Industrieanlagen oder Kernkraftwerken, genauso wie im Bereich des Straßen- oder des Flughafenbaus können sich die Bedürfnisse während einer mehrjährigen Genehmigungs- und Überprüfungszeit durch Umorientierung des Verkehrs auf andere Wege und Flugplätze oder Verkehrsmittel ändern. Eine besondere Gefahr für den vorläufigen Rechtsschutz des Anfechtenden besteht dabei darin, dass ein solches Großprojekt mit seiner sofortigen Vollziehung nicht mehr verhindert werden könnte, weil die Rechtswidrigkeit seiner Genehmigung im Hauptsacheverfahren erst nach einem langen Prozess herausgestellt werden kann und das Großprojekt zu diesem Zeitpunkt womöglich schon vollendet ist.142 Anhand dieser Art von Fällen fällt vor allem die Problematik auf, dass die Entscheidung zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ein einseitiges Rechtsverletzungsrisiko birgt und ungeachtet einer gegenteiligen Endentscheidung in der Hauptsache häufig später nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Insoweit erfordern solche Fälle schon auf Ebene des vorläufigen Rechtsschutzes eine materiell-akzessorische Prüfung. Die Prüfung führt häufig dazu, dass die Sache vorweggenommen wird und so rechtspraktisch in vielen Bereichen (z. B. Versammlungs-, Hochschulzulassungs-, Asylrecht) durch den einstweiligen Rechtsschutz ersetzt wird.143 b) Das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache Die materielle Akzessorietät des vorläufigen Rechtsschutzes wird aus dem Grund als kritisch angesehen, weil die Eilentscheidung, die aufgrund einer materiellen Prüfung ergeht, der Hauptsacheentscheidung gleichkommen könnte. Wenn vollendete Tatsachen deshalb geschaffen würden, weil der Hauptsachestreit durch die materiell-akzessorische Prüfung im Eilverfahren nicht mehr entscheidungsfähig ist, verfehlt das Eilverfahren seinen Sinn und Zweck. Dementsprechend hat der vorläufige Rechtsschutz auch die Funktion, die Hauptsacheentscheidung zur Sach- und 141

Auch Haibach, DÖV 1996, 60, 67. Limberger, Probleme des vorläufigen Rechtsschutzes bei Großprojekten, S. 31 ff.; vgl. BT- Drs 19/ 22139, 456/20 und 19/24040; siehe dazu unter C. III. 1. c) dd), S. 98. Mit dem Gesetz zur Beschleunigung von Investitionen vom 03. 12. 2020 (BGBl. I, S. 2694), in Kraft getreten am 10. 12. 2020, wurden ferner Regelungen eingeführt, die eine Reihe von beschleunigenden Maßnahmen beinhalten. Dazu zählen unter anderem Vereinfachungen im Raumordnungsrecht sowie Maßnahmen zur Beschleunigung der Gerichtsverfahren. Insoweit ist durch § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3a VwGO für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben, die aufschiebende Wirkung ausgeschlossen. 143 Vgl. Lorenz, Verwaltungsprozessrecht, § 27 Rn. 4; vgl. BVerfGE 69, 315, 364; Schoch, VerwArch 82 (1991), 145, 147. 142

VII. Die verfassungsrechtliche Einordnung des Suspensiveffekts

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Rechtslage offenzuhalten, damit das Hauptsacheverfahren wirksam und effektiv Rechtsschutz gewähren kann. Andernfalls steht ein Verstoß gegen die Effektivität des Rechtsschutzes in der Hauptsache im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG in Rede.144 Die Vorwegnahme der Hauptsache kommt allerdings in der Praxis häufig vor. Seit langem wird deshalb das Dogma vom Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache kritisch beäugt.145 Angeführt wird hierfür, dass ein Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache weder in Art. 19 Abs. 4 GG noch in den Prozessordnungen zu finden ist.146 Vorgezogene Entscheidungen in der Hauptsache lassen sich auch mit Art. 19 Abs. 4 GG begründen.147 In den Fällen, wo ein irreparabler Schaden droht, sollten die Gerichte dementsprechend eine Eilentscheidung treffen, auch wenn dadurch die Hauptsacheentscheidung vorweggenommen wird.148 Schließlich ist auf das Dogma vom Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache zu verzichten, soweit die Eilentscheidung nicht auf eine materiell-rechtlich fehlerhafte Hauptsacheentscheidung hinausläuft.149

VII. Die verfassungsrechtliche Einordnung des Suspensiveffekts 1. Der Überblick über die Sichtweisen Die Fragestellung, ob der Suspensiveffekt verfassungsrechtlich geboten ist, verliert in der Literatur zunehmend an Bedeutung. Dahingehende Erörterungen mögen zwar zu der verfassungsrechtlichen Einordnung des § 80 VwGO beitragen, haben aber keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Regelung selbst. Die Verfassung bildet nur den Rahmen, innerhalb dessen sich der vorläufige Rechtsschutz zu bewegen hat. In wenigen Einzelfällen jedoch weist sie deutliche Ausprägungen auf,

144

Windthorst, in: Gärditz, VwGO, § 80 Rn. 30 f.; Schoch, VerwArch 82 (1991), 145, 154; Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1582. Diesem dogmatischen Vorwegnahmeverbot steht besonders die einstweilige Anordnung entgegen, weil der Antragsteller damit etwas begehrt, was er eigentlich in einem Hauptsacheverfahren erreichen soll. Weiterhin ist eine partielle Vorwegnahme, die sich, wie üblich im Aussetzungsverfahren, als unvermeidbar darstellt, mit dem Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar; vgl. Lorenz, Verwaltungsprozessrecht, § 29 Rn. 31; vgl. Schoch, VerwArch 82 (1991), 145, 151 ff. und 171 f. 145 Schoch, VerwArch 82 (1991), 145, 171 ff.; auch Lin, VR im Kommunalverfassungsstreit, S. 32 ff.; Windthorst, Der verwaltungsgerichtliche einstweilige Rechtsschutz, S. 631. 146 Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 993 f. 147 Dazu ausführlich Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 998 f. 148 Haibach, DÖV 1996, 60, 65; auch Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 19 Rn. 480. Insbesondere, wenn es um die Wahrung der Würde des Menschen geht; BVerfG, NZS 2009, 674, 675. 149 Vgl. Windthorst, in: Gärditz, VwGO, § 80 Rn. 33 f.; Windthorst, Der verwaltungsgerichtliche einstweilige Rechtsschutz, S. 630 f.

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B. Verfassungsrechtliche Hintergründe des Suspensiveffekts

woraus unmittelbar Lösungen für konkrete einfachgesetzliche Problemstellungen abzuleiten sind.150 Dabei zeigt sich, dass das Verwaltungsprozessrecht mehrere Regelungstechniken kennt, mit denen vorläufiger Rechtsschutz gewährt werden kann. Entscheidend ist im verfassungsrechtlichen Sinne nur, ob das gesetzlich vorgesehene Sicherungsmittel geeignet ist, einen wirksamen Rechtsschutz zu bieten.151 Daher ist nicht strittig, ob die aufschiebende Wirkung verfassungsrechtlich geboten ist, sondern vielmehr, inwieweit der Suspensiveffekt als Regelfall aufrechterhalten werden soll.152 Auch wenn der Suspensiveffekt verfassungsrechtlich nicht geboten ist, findet der Grundsatz des Suspensiveffekts in der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit sowohl aus materiellen als auch prozessrechtlichen Gründe Anerkennung. Hierzu ist zunächst festzustellen, dass in der höchstrichterlichen Rechtsprechung die Bedeutung der aufschiebenden Wirkung zuweilen zu hoch angesetzt wird. Wenngleich die aufschiebende Wirkung nicht in jedem Einzelfall zwingend notwendig ist, „ohne sie würde der Verwaltungsrechtsschutz wegen der notwendigen Verfahrensdauer häufig hinfällig“ werden.153 Das sagt im Ergebnis aus, dass eine gesetzgeberische Abweichung von dieser Regelungstechnik die Ausnahme bleiben soll.154 Der Suspensiveffekt vermittelt im Vergleich zur einstweiligen Anordnung leichter erreichbaren und wirksameren vorläufigen Rechtsschutz.155 Die norminterne Wirkung des Art. 19 Abs. 4 GG spiegelt sich im § 123 VwGO nicht so intensiv wider, wie es bei § 80 Abs. 1 VwGO der Fall ist. In dieser Hinsicht folgen die übrige Rechtsprechung und ein Teil des Schrifttums der verfassungsgerichtlichen Judikatur, die statuiert, dass zur Wirksamkeit des vorläufigen Rechtsschutzes i. S. d. Art. 19 Abs. 4 GG die Grundregel des § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO gehöre. Die Abweichung von dieser Regel ist aber weiterhin verfassungskonform.156 150

Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1056. „Verfassungsrechtlich entscheidend ist nicht die Sicherungstechnik, sondern der Sicherungserfolg“, BVerfG, NVwZ 2009, 240, 242; Lorenz, in: FS Menger, S. 143, 152; auch BVerfGE 51, 268, 285; BVerfGE 11, 232, 233; 37, 150, 153; Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 25. 152 BVerfGE 11, 232, 233; 51, 268, 284 f.; 65, 1, 70 f.; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Du¨ rig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 274 f.; Haibach, DÖV 1996, 60, 62; Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1001. Alles muss nicht als verfassungsrechtlich geboten deklariert werden, was gleichzeitig rechtspolitisch wünschenswert ist. 153 BVerfG 35, 263, 274; 46, 166, 178; Knoll, Grundzüge eines europäischen Standards, S. 36. 154 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Du¨ rig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 274; Schoch, in: Schoch/ Schneider, VwGO, § 80 Rn. 11 f. 155 Auch Funke-Kaiser, in: Bader/Funke-Kaiser/Stulfauth/v. Albedyll, VwGO, § 80 Rn. 4; Lin, VR im Kommunalverfassungsstreit, S. 98 f. 156 Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1001; Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 11; Timmler, Aussetzungsentscheidung, S. 26 ff. 151

VII. Die verfassungsrechtliche Einordnung des Suspensiveffekts

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Dabei wird der Suspensiveffekt des § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO in vielerlei Hinsicht als problematisch angesehen. Hierunter fallen insbesondere die mehrpoligen Verwaltungsrechtsverhältnisse. Streitigkeiten dieser Art erfordern nämlich eine ausgewogene Gestaltung des vorläufigen Rechtsschutzes, um widerstreitende materielle Rechte angemessen zu gewichten.157 Insoweit sollte die Regel vom Suspensiveffekt gesetzlich durch das Gebot des ausgewogenen Rechtsschutzes ergänzt oder beschränkt werden.158 Überdies stimmt die EuGH-Rechtsprechung hinsichtlich des Grundsatzes der effektiven Durchsetzung des Unionsrechts159 auch der Beschränkung des Instituts des Suspensiveffekts zu. Das zeigt sich sogar bei der Aussetzung der Vollziehung von nationalen Verwaltungsakten, die auf unionsrechtlichen Verordnungen beruhen. Im Rahmen der Harmonisierung des einstweiligen Rechtsschutzes gegen belastende Verwaltungsakte innerhalb der Europäischen Union nimmt die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes in Deutschland deshalb teilweise ab.160 In diesem Sinne wird auch vertreten, dass die Abschaffung des Instituts des Suspensiveffekts mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar sei.161 Abschließend lässt sich sagen, dass der vorläufige Rechtsschutz im deutschen Rechtssystem Verfassungsrang hat.162 Besonders das durch § 80 VwGO realisierte Modell ist von der Rechtsprechung als eine konzeptionelle Ausgestaltung der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie anerkannt worden.163 Grundgesetzlich ist dabei nur eine adäquate Form des vorläufigen Rechtsschutzes geboten.164 Vorläufiger Rechtsschutz mag insoweit auch auf andere Weise als in Form einer automatisch eintretenden beziehungsweise gerichtlich wiederherstellbaren aufschiebenden Wirkung verwirklichbar sein. Zu einem effektiven vorläufigen Rechtsschutz merkt Art. 19 Abs. 4 GG an, dass vollendete Tatsachen weitestgehend ausgeschlossen werden sollen.165 Geht es beispielsweise um einen Vollzugsvorgang, der sich erst 157

Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Du¨ rig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 273. Bei mehrpoligen Rechtsverhältnissen werden es die Grundrechte des von dem Verwaltungsakt Begünstigten regelmäßig sogar gebieten, auf den dagegenstehenden Suspensiveffekt für Rechtsbehelfe des Dritten zu verzichten. Kotulla, Verw 33 (2000), 520, 557; vgl. Haibach, DÖV 1996, 60, 67; auch Lin, VR im Kommunalverfassungsstreit, S. 99. 159 Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 11; vgl. EuGH, NJW 1991, 2271 ff.; NVwZ 1991, 460 ff. 160 Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 19 Rn. 483; Haibach, DÖV 1996, 60, 61. 161 BVerfG, NVwZ 2009, 240, 242; Haibach, DÖV 1996, 60, 62; Windthorst, Der verwaltungsgerichtliche einstweilige Rechtsschutz, S. 493; Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 11; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Du¨ rig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 274; Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 482. Letztlich mag der Ausschluss des Suspensiveffekts zwar rechtspolitisch kritikwürdig sein, verfassungsrechtlich bedenklich ist er aber nicht. 162 Knoll, Grundzüge eines europäischen Standards, S. 36. 163 Stern/Sachs/Dietlein, Das Staatsrecht, § 123, S. 1963. 164 Ekardt/Beckmann, DÖV 2006, 672, 674 ff.; vgl. Haibach, DÖV 1996, 60, 62 ff. 165 Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 11; Haibach, DÖV 1996, 60, 63. 158

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B. Verfassungsrechtliche Hintergründe des Suspensiveffekts

über einen längeren Zeitraum bildet, ist ein Mittel einstweiligen Rechtsschutzes nicht schon dann ungeeignet, wenn es nicht vom ersten Augenblick an greift.166 2. Stellungnahme § 80 VwGO kann im Hinblick auf die Verhinderung von vollendeten Tatsachen als eine adäquate Ausprägung des vorläufigen Rechtsschutzes bezeichnet werden. Besonders die in § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO normierte aufschiebende Wirkung bietet eine Rechtsschutzfunktion, die im Hinblick auf ihre Einfachheit und Wirksamkeit nicht zu unterschätzen ist. Daneben bewahrt diese Funktionsweise die Gerichte vor einer immensen Überlastung durch Rechtsschutzanträge, weil die aufschiebende Wirkung zunächst automatisch ohne gerichtliche Kontrolle eintritt, soweit die Voraussetzungen der sofortigen Vollziehung von der Behörde nicht festgestellt werden. Der Rechtsschutzautomatismus des § 80 Abs. 1 VwGO kann bei gegebenen Zweifeln auf Antrag, aber auch im gerichtlichen Aussetzungsverfahren zu erörtern und entscheiden sein.167 Der Suspensiveffekt bietet sich entsprechend seiner Schutzfunktion insbesondere in zweiseitigen Rechtsverhältnissen zwischen dem Einzelnen und der Verwaltung als wirksames Regelungssystem an.168 Er setzt geradezu einen notwendigen Ausgleich dafür,169 dass die Exekutive beim Erlass von Eingriffsverwaltungsakten die Vormacht innehat.170 Wegen ihm muss der Bürger sich nicht doppelt wehren und nur in der Hauptsache eine Darlegungslast tragen.171 Beim Suspensiveffekt wird damit die Tatsache, dass sich der Bürger gegenüber der Behörde in „einer monetär und informationell stark asymmetrischen Situation“172 befindet, im Unterschied zu anderen Modellen des vorläufigen Rechtsschutzes in höherem Maße berücksichtigt. Gegen die Eingriffsverwaltung ist schließlich der Suspensiveffekt als Regelfall besonders geeignet.173 Zum Suspensiveffekt ist noch positiv anzumerken, dass er nicht nur dem Interesse der Partei dient, deren Rechte durch den belastenden Verwaltungsakt betroffen sind, 166 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Du¨ rig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 274; die neuere Rechtsprechung vertritt ebenfalls die Ansicht, dass nicht § 80 Abs. 1 VwGO, wohl aber § 80 Abs. 5 VwGO durch Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG gewährleistet ist. Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 18 f. 167 Auch Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 25. 168 Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 18 f. 169 Wieseler, Der vorläufige Rechtsschutz, S. 27. 170 Auch Knoll, Grundzüge eines europäischen Standards, S. 36. 171 Haibach, DÖV 1996, 60, 63. 172 Ekardt/Beckmann, DÖV 2006, 672, 676. 173 Überwiegende öffentliche Belange könnten es weiterhin rechtfertigen, den Rechtsschutzanspruch des Grundrechtsträgers einstweilen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des Allgemeinwohls rechtzeitig in die Wege zu leiten. BVerfG, NVwZ 2009, 581, 583; NVwZ 2009, 240, 241.

VII. Die verfassungsrechtliche Einordnung des Suspensiveffekts

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sondern auch dem Interesse der Verwaltung, indem irreparable Schäden verhindert werden.174 Dementsprechend kann die Verwaltung aufgrund des Suspensiveffekts den Vorgang erneut beurteilen und, wenn nötig, ihre Entscheidungen korrigieren. Damit werden sorgfältige und kohärente Entscheidungen der Verwaltung gefördert. Der Rechtsschutzautomatismus des Suspensiveffekts dient demnach im Wesentlichen auch der Gestaltung einer guten Verwaltung.175 Darüber hinaus sind spezialgesetzliche Regelungen des Suspensiveffekts in bestimmten Rechtsbereichen, in denen das einstweilige Anordnungsverfahren merklich keinen hinreichend effektiven Rechtsschutz bietet, sehr wohl zu befürworten. In diesem Sinne sollte der vorläufige Rechtsschutz insbesondere bei Großverfahren wie zum Beispiel im Umwelt- und Planungsrecht nicht zusätzlich verfahrensrechtlichen Erschwerungen unterworfen sein. Es ist bei Großverfahren wegen der umfangreichen Akten besonders wichtig, durch einen Suspensiveffekt die nötige Zeit zur effektiven Rechtsverfolgung zu gewinnen.176 Dabei muss eine Abwägung zwischen Aufschub- und Vollzugsinteresse durch die Behörde oder das Gericht in kurzer Zeit stattfinden. In solchen Verfahren ist nämlich nicht zu übersehen, dass die konkreten Nachteile, die sich durch den Aufschub des Vollzugs für den Begünstigen ergeben, regelmäßig nicht kompensiert werden können. Zulässig ist es letztlich, die aufschiebende Wirkung zunächst nur für die Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens vorzusehen und den weiteren vorläufigen Rechtsschutz des in dieser Instanz unterlegenen Klägers von einer gerichtlichen Entscheidung der nächsten Instanz abhängig zu machen.177 Soweit das Gesetz die Vollziehbarkeit der belastenden Maßnahme zur Regel erklärt oder diese im Einzelfall angeordnet wird, muss über das Institut des vorläufigen Rechtsschutzes gewährleistet sein, dass der Betroffene sofort, also zeitnah vor der Herbeiführung vollendeter Tatsachen einerseits, vor eventueller Erledigung andererseits, eine gerichtliche Entscheidung herbeiführen kann. In der gerichtlichen Entscheidung geht es darum, ob im konkreten Einzelfall das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung oder das Interesse des Einzelnen an der Aussetzung bis zur Nachprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme überwiegt.178

174

Vgl. Ülgen, DD, Y:3, S. 3 ff. Zu den aus dem gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit abgeleiteten Grundsätze der ordnungsgemäßen Verwaltung und einer guten Verwaltungsführung Grzeszick, EuR 2006, 161, 166. 176 Ekardt/Beckmann, DÖV 2006, 672, 676. 177 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Du¨ rig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 274 f. 178 BVerfGE 37, 150, 153; NStZ 2007, 413, 414; Enders, in: BeckOK GG, Art. 19 Rn. 78 ff. 175

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B. Verfassungsrechtliche Hintergründe des Suspensiveffekts

VIII. Fazit Um die konkreten Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG an den vorläufigen Rechtsschutz festzustellen, wird oft auf den Begriff des effektiven Rechtsschutzes zurückgegriffen. Die Rechtsschutzeffektivität ist allerdings an sich eine Leerformel, die einer Ausfüllung mit verschiedenen Gehalten bedarf.179 Insoweit wird auf konkretere Zwecke oder Maßstäbe bezüglich der Wirksamkeit des (vorläufigen) Rechtsschutzes hingewiesen. Ein solcher Zweck für einen wirksamen vorläufigen Rechtsschutz ist insbesondere „die Verhinderung von irreparablen Nachteilen“ in Bezug auf die materiellen Grundrechte. Die Forderung lässt sich dahingehend deuten, dass die Ausgestaltung des vorläufigen Rechtsschutzes sowie seine praktische Anwendung nicht nur mit dem formellen Hauptgrundrecht des Art. 19 Abs. 4 GG verbunden sind, sondern sich vielmehr am Schutz des materiellen Rechts zu orientieren haben.180 Denn je nach individuellem Schutzbedürfnis und inhaltlicher Qualifikation des materiellen Rechts (Asylrecht oder Umweltrecht z. B.) gewinnt die Effektivität des Rechtsschutzes durch vorläufige Maßnahmen an Bedeutung. Maßgebliche Kriterien sind hierbei der Rang der betroffenen Rechte, die Intensität des Eingriffs und ebenso seine Reversibilität.181 Daher kann der Gesetzgeber seine objektive Bewertung des Aussetzungs- und Vollzugsinteresses in speziellen Fällen von vornherein festlegen, also Fälle im Bereich des vorläufigen Rechtsschutzes anhand der materiellen (Grund)rechte klassifizieren. Vorzugswürdig ist dies auch für einheitliche gerichtliche Entscheidungen zum vorläufigen Rechtsschutz. Neben einer grundrechtlich orientierten Ausgestaltung des vorläufigen Rechtsschutzes ist im Sinne der unmittelbaren Verwirklichung der Grundrechte erforderlich, für eine spezifische und ausgewogene Verteilung der Risiken, mit denen im behördlichen oder gerichtlichen Eilverfahren gerechnet werden muss, zu sorgen. Dabei sind die Verwaltung und insbesondere die Gerichte zu einer sorgfältigen Behandlung der vorläufigen Maßnahmen verpflichtet, sodass der vorläufige Rechtsschutz effektiv konkretisiert werden kann. Entfaltet ein Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung, so kann effektiver Rechtsschutz nur im Zusammenwirken mit einer verfassungsloyalen und neutralen Verwaltung stattfinden. Denn die Verwaltung ist nach Art 19 Abs. 4 GG unmittelbar verpflichtet, dem Betroffenen vor der Vollziehung eine angemessene Zeit zu lassen, ein Gericht anzurufen und diesem dann auch genügend Spielraum für ein adäquate Sachprüfung einzuräumen.182 179

Hoehl, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 65. Hoehl, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 67. 181 Auch Lorenz, Verwaltungsprozessrecht, § 27 Rn. 4 f.; Windthorst, in: Gärditz, VwGO, § 80 Rn. 43. 182 Funke-Kaiser, in: Bader/Funke-Kaiser/Stulfauth/v. Albedyll, VwGO, Vorbemerkung zu §§ 80 ff. Rn. 4; vgl. OVG Hamburg, NJW 1978, 2167. 180

VIII. Fazit

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Selbstverständlich vermag kein Rechtsystem abzusichern, dass staatliche Rechtverletzungen durch optimale Rechtsschutzregelungen absolut verhinderbar sind. Aber wie schon dargelegt, ist es zumindest erforderlich, dass im Zusammenspiel mit der rechtlichen und politischen Ordnung eine Gestaltung und Konkretisierung eines adäquaten Rechtsschutzsystems erfolgt. Unter diesem Gesichtspunkt gilt der Suspensiveffekt in Deutschland als eine von vielen Möglichkeiten, um der Gefahr des Eintritts vollendeter Tatsachen wirksam entgegenzutreten. Zweifellos ist, dass die aufschiebende Wirkung verfassungskonform, jedoch in verfassungsrechtlicher Hinsicht nicht zwingend ist. Rechtspolitisch empfehlenswert ist es dennoch, den Suspensiveffekt zumindest für zweiseitige Rechtsverhältnisse, zwischen Bürger und Verwaltung, als Regelfall vorzuhalten.

C. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Suspensiveffekts Nachdem auf die verfassungsrechtlichen Hintergründe des Suspensiveffekts eingegangen worden ist, folgt nun eine Untersuchung des Suspensiveffekts in seiner einfachgesetzlichen Ausgestaltung. Zentrale Rolle spielt dabei der § 80 VwGO, aus dem sich die Regel des Suspensiveffekts und deren Ausnahmen entnehmen lassen.

I. Die Normstruktur des § 80 VwGO Zuerst ist die Frage aufzuwerfen, wie die Voraussetzungen des § 80 VwGO in der Norm systematisiert sind und ob diese Systematisierung in einem inneren Zusammenhang zu der praktischen Anwendung des § 80 VwGO steht. An der Normstruktur des § 80 VwGO ist vor allem zu erkennen, dass Rechtsschutz in drei Arten gewährt werden kann. Zuerst setzen die § 80 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 Nr. 1 – 3a VwGO den gesetzlichen vorläufigen Rechtsschutz in Gang und bestimmen, ob die aufschiebende Wirkung eintritt oder nicht. Danach regelt § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4, Abs. 3 und Abs. 4 VwGO1 den behördlichen vorläufigen Rechtsschutz in zwei Grundformen. Zum einen ist die Aussetzung der Vollziehung nach § 80 Abs. 4 VwGO und zum anderen die Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 i. V. m. Abs. 3 VwGO zu nennen. Kommt hingegen § 80 Abs. 5 VwGO zum Tragen,2 wird der verwaltungsgerichtliche vorläufige Rechtsschutz, in Form der sofortigen Vollziehung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, verwirklicht.3 Ein weiteres Merkmal der Normstruktur des § 80 VwGO ist, dass die Ausnahmen in Abs. 2 S. 1 Nr. 1 – 3a anders als die in Nr. 4 VwGO vorgesehene Ausnahme zu charakterisieren sind und mit dieser gar konkurrieren können. Deutlich wird dies daran, dass in den Fällen des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 – 3a VwGO die aufschiebende Wirkung unmittelbar ausgeschlossen und der Behörde nicht wie bei Nr. 4 ein Er-

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Sowie § 80a Abs. 1 und 2 VwGO. Sowie §§ 80a Abs. 3 und 80b Abs. 2 und 3 VwGO. 3 Windthorst, in: Gärditz, VwGO, § 80 Rn. 13 – 17; Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 47 Rn. 6. 2

I. Die Normstruktur des § 80 VwGO

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messen eingeräumt ist. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO bezieht sich nämlich nicht auf einen speziellen Gegenstand und ermöglicht weitreichende Ausnahmen.4 Letztlich ist es ein systematischer Fehler des Gesetzgebers, dass er Nr. 4 in die Entfallen-Kategorie des § 80 Abs. 2 S. 1 VwGO eingeordnet hat.5 Treffender wäre es gewesen, die Bestimmung aus Abs. 2 S. 1 Nr. 4 in Abs. 3 einzufügen, da die beiden Regelungen gemeinsam anzuwenden sind. 1. Die Terminologie des § 80 VwGO Bei der terminologischen Untersuchung des Suspensiveffekts gilt es zuerst zu prüfen, ob und inwieweit eine begriffliche Genauigkeit und methodische Folgerichtigkeit des § 80 VwGO vorliegt.6 Diesbezüglich wird in der Literatur angeführt, dass das Konzept des § 80 VwGO ungenau und fehlerhaft sei. Der Suspensiveffekt und seine Ausnahmen werden dabei unstimmig argumentiert. Ob dadurch die normative Wirkung des § 80 VwGO sich relativ verringert und das Regel-Ausnahme-Verhältnis, welches von § 80 VwGO statuiert wird, damit aufhebt, bleibt unbeantwortet.7 2. Das Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen der aufschiebenden Wirkung und der sofortigen Vollziehung Angelehnt an die Normstruktur des § 80 VwGO wird in der Literatur untersucht, inwieweit zwischen den beiden Instituten, der aufschiebenden Wirkung und der sofortigen Vollziehung, ein Regel-Ausnahme-Verhältnis vorliegt.8 Das Regel-Ausnahme-Verhältnis ist im Hinblick auf zwei Aspekte zu betrachten. Zum einen ist es bezüglich der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Suspensiveffekts und zum anderen im Hinblick auf seine einfachgesetzliche Ausgestaltung zu berücksichtigen. a) Nach verfassungsrechtlicher Betrachtung Der Umfang des Regel-Ausnahme-Verhältnisses des § 80 VwGO wird vor allem wegen verschiedener Ansätze zur verfassungsrechtlichen Bedeutung des Suspensiveffekts unterschiedlich bewertet. Dabei kann grundsätzlich behauptet werden, dass die Frage, ob die Regel des Suspensiveffekts in Art. 19 Abs. 4 GG verankert ist,

4 Vgl. Pöcker, Kritik des § 80 VwGO, S. 23; vgl. Timmler, Aussetzungsentscheidung, S. 47 f. 5 Pöcker, Kritik des § 80 VwGO, S. 22. 6 Renck, BayVBl. 1994, 161, 161; vgl. Pöcker, Kritik des § 80 VwGO, S. 16 f. 7 Pöcker, Kritik des § 80 VwGO, S. 16 f. 8 Pöcker, Kritik des § 80 VwGO, S. 16 f.

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C. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Suspensiveffekts

unabhängig davon zu beantworten ist, ob ein Regel-Ausnahme-Verhältnis auch von diesem Hauptgrundrecht bestimmt wird.9 Wird die Regel des § 80 VwGO demnach als Verfassungsgebot angesehen, hätte dies gleichwohl nicht zur Folge, dass die in § 80 VwGO vorgesehenen Ausnahmen nicht verfassungskonform sind. Sie könnten sogar ebenfalls verfassungsrechtlich geboten sein. Die verfassungsrechtliche Begründetheit der Regel des § 80 Abs. 1 VwGO hat daher keine entscheidende Auswirkung hinsichtlich des Regel-Ausnahme-Verhältnisses.10 Mit der Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, der Suspensiveffekt sei ein Fundament des öffentlichen Prozessrechtes, lässt sich abschließend nur sagen, dass die Durchbrechung des Suspensiveffekts nicht ohne Weiteres möglich ist.11 b) Auf einfachgesetzlicher Ebene Ob § 80 VwGO das Regel-Ausnahme-Verhältnis voraussetzt, ist auch auf einfachgesetzlicher Ebene zu erörtern. In der Literatur wird teilweise vertreten, die große Anzahl an Ausnahmen zur sofortigen Vollziehung bzw. deren breiter Umfang würde gegen ein Regel-Ausnahme-Verhältnis sprechen.12 Dem Ansatz ist allerdings nicht zuzustimmen. Das Vorliegen eines einfachgesetzlichen Regel-AusnahmeVerhältnisses ist nicht an der Anzahl der Ausnahmen zu bestimmen,13 sondern an den gesetzlichen Anforderungen zu erkennen. Deutlich wird das Regel-AusnahmeVerhältnis des § 80 VwGO demnach durch die Voraussetzungslosigkeit des Eintritts

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Dazu siehe auch B. VII. 1., S. 51 ff. Die aufschiebende Wirkung ist lediglich ein verwaltungsprozessrechtlicher Grundsatz, der ohne Beanspruchung von Verfassungsrecht zwanglos verstanden werden kann. Renck, BayVBl. 1994, 161, 164; vgl. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1118 – 1122, S. 1128 – 1135. 11 Renck, BayVBl. 1994, 161, 164; vgl. BVerfG, NJW 2006, 1261, 1264; sofern man entgegen der hier vertretenen Auffassung das Regel-Ausnahme-Verhältnis von aufschiebender Wirkung und sofortiger Vollziehung als notwendige Folge der grundgesetzlich verbürgten Garantie des effektiven Rechtsschutzes betrachtet, wird man sämtliche einfachgesetzlichen Ausnahmetatbeständen für die aufschiebende Wirkung restriktiv interpretieren müssen. Vgl. Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 49 f. 12 Dem folgend wird vertreten, dass der Suspensiveffekt verfassungsrechtlich nicht geboten ist. Zur Kritik Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 996 Fn. 35; hier ist auch zu erörtern, ob eine Vielzahl an unbestimmten Rechtsbegriffe gemäß der Wesentlichkeitstheorie problematisch ist. Ule, VerwArch 76 (1985), 1, 15. 13 Auch Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 30; vgl. Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 16; Timmler, Aussetzungsentscheidung, S. 50. Einer weiteren Ansicht nach entsteht das Regel-Ausnahme-Verhältnis für § 80 VwGO deshalb nicht, weil die sogenannten „Ausnahmen“ in § 80 Abs. 2 VwGO im Grunde keinen Ausnahmecharakter besitzen, sondern nur als Einschränkungen des Tatbestandes des § 80 Abs. 1 VwGO qualifiziert werden können; zum Suspensiveffekt als „Regel im rechtstechnischen Sinne“ Schuy, VR im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren, S. 34. 10

I. Die Normstruktur des § 80 VwGO

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der aufschiebenden Wirkung und durch die Voraussetzungsgebundenheit der sofortigen Vollziehbarkeit.14 c) Zwischenergebnis Entweder aus der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG15 oder allein aus der einfachgesetzlichen Systematik des § 80 VwGO kann gefolgert werden, dass die aufschiebende Wirkung und die sofortige Vollziehung in einem Regel-AusnahmeVerhältnis zueinanderstehen.16 Demnach ist § 80 Abs. 1 VwGO als Regel und § 80 Abs. 2 VwGO als deren Ausnahme anzusehen.17 Die aufschiebende Wirkung tritt grundsätzlich ein. Falls der erlassene Verwaltungsakt sich auf die Ausnahmetatbestände aus Abs. 2 S. 1 bezieht, unabhängig ob in Nr. 1 – 3a oder Nr. 4, kommt die Ausnahme zur Anwendung. Die Ausnahme entfaltet sich damit erst sekundär nach der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs, indem das Vollzugsinteresse bei der gesetzlichen Wertung durch die zuständige Behörde festzustellen oder im Einzelfall durch die behördliche Vollziehungsanordnung zu begründen ist. 3. Rechtsfolgen des Regel-Ausnahme-Verhältnisses im § 80 VwGO Die Bestimmung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses im § 80 VwGO hat nicht nur einen theoretischen Wert. Vielmehr werden aus dieser Bestimmung auch – wie in der Rechtsprechung und Literatur schon bestätigt – zunächst zwei wichtige materiell-rechtliche Folgerungen gezogen. a) Zur Verteilung der Beweislast § 80 VwGO bietet zunächst dadurch einen prozessualen Vorteil für den Anfechtenden, dass die Handlungs- und Beweislast18 derjenigen Behörde aufgetragen 14

Vgl. Pöcker, Kritik des § 80 VwGO, S. 23. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 995. 16 Vgl. Pöcker, Kritik des § 80 VwGO, S. 16 f.; Timmler, Aussetzungsentscheidung, S. 45; Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1118 – 1122, auch S. 1128 – 1135; aufgrund der erwähnten verfassungsrechtlichen Fundierung des Suspensiveffekts konstatiert die h. M. zwischen aufschiebende Wirkung und Anordnung der sofortigen Vollziehung ein Regel-Ausnahme-Verhältnis mit der Konsequenz, dass die sofortige Vollziehung ausnahmsweise angeordnet werden dürfe. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 995 Fn. 35. 17 Gegenmeinung zur praktischen Bedeutung des Suspensiveffekts Lin, VR im Kommunalverfassungsstreit, S. 104 ff.; vgl. Timmler, Aussetzungsentscheidung, S. 46; Finkelnburg, in: FG 25 Jahre BVwG, S. 169 ff.; Redeker, in: Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 80 Rn. 20.; vgl. Timmler, Aussetzungsentscheidung, S. 46; Bettermann, DVBl. 1976, 64 ff.; Martens, Suspensiveffekt, S. 16 ff. 18 Zu einer Umkehrung durch den beweislastrechtlichen Nachteil im Rahmen von § 80 Abs. 5 und § 123 VwGO Lin, VR im Kommunalverfassungsstreit, S. 101. 15

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C. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Suspensiveffekts

wird, die die sofortige Vollziehung anordnen will. Diese Feststellung des Gesetzgebers ist ein klares Zeichen, welches das Regel-Ausnahme-Verhältnis nochmals bestätigt.19 Gleichzeitig handelt es sich um eine erhebliche – auch im verfassungsrechtlichen Sinngefüge geforderte – Rechtsfolge. Demnach muss die Behörde die einzelfallbezogenen Begründungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung selbst darlegen. Für den Bürger, der den Verwaltungsakt anficht, schafft erst dieser Umstand eine prozessuale Waffengleichheit, da die Behörde über die eigenen behördlichen Akte bereits informiert ist bzw. über einen Informationsvorsprung im Verwaltungsverfahren verfügt. Schließlich ist die Verteilung der Beweislast durch § 80 VwGO sowohl als eine Folgerung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses, als auch als Forderung der Verfassung zu verstehen, im Rechtsschutzverfahren das Gleichgewicht zwischen Behörde und Bürger zu wahren. b) Zum besonderen Interesse im Sinne des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO Das Regel-Ausnahme-Verhältnis des § 80 VwGO hat weiterhin zur Folge, dass die sofortige Vollziehung i. S. d. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO als Ausnahme qualitativ gerechtfertigt werden muss. Da die Verwaltung ohnehin rechtlich im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten handeln muss, wäre Nr. 4 ohne einen speziellen Zweck in der Systematik des § 80 VwGO überflüssig.20 Demnach müssen soweit wie möglich das Interesse am Erlass des Verwaltungsakts und das besondere Interesse i. S. d Abs. 2 S. 1 Nr. 4 voneinander unterschieden werden.21 Hiermit widerspricht § 80 Abs. 1 VwGO weder dem Interesse am Erlass des Verwaltungsakts noch der ihn betreffenden Rechtmäßigkeitsvermutung. Genauer gesagt wird nach § 80 Abs. 1 VwGO weder die Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts aufgehoben noch das Erlassinteresse unzureichend gewürdigt, sondern nur die sofortige Vollziehung suspendiert. Schlussendlich wäre es gleichgültig, ob ein Rechtsbehelf nach 80 Abs. 1 VwGO eingelegt wird, soweit die Behörde bloß das Erlassinteresse am Verwaltungsakt als besonderes Vollzugsinteresse wiederholt. Die Behörde muss nach einer Rechtsbehelfseinlegung i. S. d. § 80 Abs. 1 VwGO besonders begründen, warum sie den 19

Pöcker, Kritik des § 80 VwGO, S. 30 f. Würde angenommen, dass die Behörde ohne zusätzliche Rechtfertigung nebst dem öffentlichen Interesse bei Erlass des Verwaltungsakts und ohne Berücksichtigung des Rechtsbehelfs, der die Wirkung des § 80 Abs. 1 VwGO entfaltet, die sofortige Vollziehung anordnen kann, würde Nr. 4 zu einem Hinweis degradiert, nach dem die Verwaltung sorgfältig agieren soll. 21 Vgl. Pöcker, Kritik des § 80 VwGO, S. 24; „Für die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsaktes ist nach der st. Rspr. des BVerfG (vgl. BVerfGE 35, 382, 402; 38, 52, 58; 69, 220, 228) ein besonderes öffentliches Interesse erforderlich, das über jenes Interesse hinausgeht, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt.“ Pöcker, Kritik des § 80 VwGO, S. 25; Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 92; Redeker, in: Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 80 Rn. 20. 20

II. Der Suspensiveffekt als Regelfall

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Verwaltungsakt sofort vollziehen muss. Den Ansatz führt auch § 80 Abs. 3 VwGO aus, sodass einer Behörde, welche die sofortige Vollziehung beabsichtigt, durch die schriftliche Begründung des besonderen Interesses eine Verdeutlichungs- und Warnfunktion zufällt.22

II. Der Suspensiveffekt als Regelfall Nach Klarstellung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses zwischen aufschiebender Wirkung und sofortiger Vollziehung ist im Folgenden der Suspensiveffekt des § 80 VwGO Abs. 1 VwGO als Regelfall zu behandeln. 1. Die Definition des Suspensiveffekts Der Gesetzgeber bringt in § 80 VwGO Abs. 1 VwGO lediglich zum Ausdruck, dass der Widerspruch und die Anfechtungsklage eine aufschiebende Wirkung haben.23 Die „aufschiebende Wirkung“ des § 80 Abs. 1 VwGO wird des Weiteren mit dem Begriff des Suspensiveffekts gleichgesetzt.24 Die etymologische Bedeutung des Wortes „aufschieben“ im Zusammenhang mit dem Wort „Wirkung“, bedeutet, „dass eine Wirkung zeitweilig unterbleiben soll“. Die gleiche Bedeutung ist auch von dem lateinischen Wort „suspendere“ herzuleiten. „Suspendere“ bedeutet „schwebend machen“ oder „schwebend halten“.25 Weiterhin wird der Begriff des Suspensiveffekts i. S. d. § 80 Abs. 1 VwGO in der Literatur so verstanden, dass die Anfechtung einen pauschalen Aufschub der rechtlichen Folgen bewirkt, die aus dem Verwaltungsakt ableitbar sind.26 Jedenfalls wäre es wegen der praktischen Relevanz des Konzepts wünschenswert, eine Le22

Pöcker, Kritik des § 80 VwGO, S. 29; OVG Schleswig-Holstein, NVwZ, 1992, S. 688. Gersdorf; in BeckOK VwGO, § 80 Rn. 17 – 22. 24 Scholz, Die aufschiebende Wirkung, S. 28 f.; Kotulla, Verw 33 (2000), 520, 520; Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 23; für diesen Ansatz spricht insbesondere, dass der Gesetzgeber zur aufschiebenden Wirkung keine ausdrückliche Beschreibung liefert, oder zumindest keine unterschiedliche Anwendung der beiden Begriffe vorsieht. Somit ist nicht unzutreffend, dass die aufschiebende Wirkung in der lateinischen Formulierung als Suspensiveffekt bezeichnet wird. In dieser Hinsicht ist es methodisch nicht zweckmäßig, eine Differenzierung zwischen der aufschiebenden Wirkung und dem Suspensiveffekt herauszustellen; vgl. BVerwG, DÖV 1968, 417, 418; anders Renck, BayVBl. 1994, 161, 162. 25 Scholz, Die aufschiebende Wirkung, S. 30: Es ist klarzustellen, ob die schon vorhandene Wirkung in einen schwebenden Zustand versetzt werden soll oder die sich in der Schwebe befindliche Wirkung beibehalten werden soll. Bei Ersterem wird eine bestimmte Wirkung, die vor Einlegung des Rechtsbehelfs vorhanden ist, für eine gewisse Zeit aufgeschoben. Bei Zweiterem besteht hingegen diese rechtliche Wirkung nicht. Deren Eintritt wird bis zum Rechtsbehelfsabschluss verhindert bzw. befindet sich bis zu diesem Zeitpunkt noch in der Schwebe. 26 Pöcker, Kritik des § 80 VwGO, S. 59 f. 23

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C. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Suspensiveffekts

galdefinition der aufschiebenden Wirkung zu implementieren bzw. zu normieren.27 Beispielsweise wäre eine Formulierung wie „Widerspruch und Anfechtungsklage beseitigen die sofortige Wirksamkeit oder Vollstreckbarkeit des Verwaltungsakts“ oder „Widerspruch und Anfechtungsklage verhindern das Wirksamwerden oder die Vollstreckbarkeit des Verwaltungsakts“ zutreffend, um der „aufschiebenden Wirkung“ mehr Kontur zu verleihen.28 2. Die Tatbestandsmerkmale des § 80 Abs. 1 VwGO Nach § 80 Abs. 1 VwGO ist es für den automatischen Eintritt der aufschiebenden Wirkung ausreichend, einen Rechtsbehelf in Form eines Widerspruchs oder entsprechender Klage einzulegen. a) Widerspruch und Anfechtungsklage Aus § 80 Abs. 1 VwGO ergibt sich wörtlich, dass jedwede Art von Widerspruch und die Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben. Aus dem gesetzlichen Sinn und Zweck des Suspensiveffekts wird jedoch geschlossen, dass das nur „ein der Anfechtungsklage vorgeschalteter Widerspruch“ sein kann.29 Des Weiteren ist fraglich, ob der Anfechtungswiderspruch für die grundsätzliche aufschiebende Wirkung obligatorisch ist.30 Der Gesetzgeber knüpft in der Regelung von § 80 Abs. 1 VwGO zwar den Widerspruch an die Anfechtungsklage an. Er meint allerdings damit kein Kumulativ-Verhältnis, sondern vielmehr einen begrifflichen Zusammenhang, der durch den Anfechtungswiderspruch zum Ausdruck kommt.31 Die Vorschrift des § 68 VwGO, wonach die Anfechtungsklage in der Regel einen Widerspruch voraussetzt, ist hierbei von geringer Relevanz. Die Regelung ist lediglich auf die Zulässigkeit der Anfechtungsklage gerichtet. Wenn die aufschiebende Wirkung trotz eines unzulässigen Anfechtungsverfahrens eintreten kann,32 ist insoweit anzunehmen, dass auch ohne den Widerspruch, allein die eingelegte Anfechtungsklage die aufschiebende Wirkung entfaltet.

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Pöcker, Kritik des § 80 VwGO, S. 65. Scholz, Die aufschiebende Wirkung, S. 35; nachfolgend werden die bekannten Theorien aufgezeigt, die den Begriff des Suspensiveffekts und dessen Rechtsfolgen erörtern. 29 Dafür spricht der Wortlaut in Bezug auf die Formulierung „Widerspruch und Anfechtungsklage“ des Abs. 1 und daneben die Regelung des § 68 VwGO. Wieseler, Der vorläufige Rechtsschutz, S. 43. 30 Beckmann, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 35: Schon lange in der Literatur und Judikatur wird hierfür der Begriff „Anfechtungswiderspruch“ benutzt und gemäß nach § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO aufgefasst. 31 Vgl. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 49 ff. 32 Siehe sogleich unten b), S. 65. 28

II. Der Suspensiveffekt als Regelfall

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Nach § 80 Abs. 1 VwGO entfalten somit entweder Widerspruch oder Anfechtungsklage die aufschiebende Wirkung, die bis zur Unanfechtbarkeit andauert, wenn sie nicht vorzeitig endet.33 Dass mit der Anfechtungsklage das Verfahren nicht weiter betrieben wird, hat lediglich die Konsequenz, dass die aufschiebende Wirkung vorzeitig im Widerspruchsverfahren beendet wird. b) Die Begründetheit und Zulässigkeit des Rechtsbehelfs Wie bereits festgestellt, tritt der Suspensiveffekt mit Einlegung eines Rechtsbehelfs, der auf Anfechtung des Verwaltungsakts gerichtet ist, ein. Hierbei stellt sich die Frage, ob oder wie ein unzulässiger und unbegründeter Rechtsbehelf den Suspensiveffekt entfaltet. Entsprechend dem Wortlaut von § 80 VwGO, der einen automatischen Eintritt des Suspensiveffekts vorsieht, wird vertreten,34 dass die aufschiebende Wirkung ohne Berücksichtigung der Begründetheit des eingelegten Rechtsbehelfs eintritt.35 Bezüglich der sachlichen Berechtigung des Rechtsschutzbegehrens ist nach der sogenannten „Offenhaltefunktion“36 des vorläufigen Rechtsschutzes der Rechtsbehelfsführer bis zur endgültigen Klärung der Sach- und Rechtslage im Hauptsacheverfahren zu schützen. Das gilt auch in Fällen einer offensichtlichen Unbegründetheit des Rechtsbehelfs.37 Stark umstritten bleibt hingegen weiterhin, ob eine Unzulässigkeit des Rechtsbehelfs für den Eintritt der aufschiebenden Wirkung entscheidend ist. Laut § 80 Abs. 1 VwGO stellt die Zulässigkeit des Rechtsbehelfs keine Voraussetzung für den Eintritt des Suspensiveffekts dar. Nach herrschender Meinung wird allerdings eine andere Ansicht vertreten, wonach eine offensichtliche Unzulässigkeit38 des Rechtsbehelfs dem Eintritt der aufschiebenden Wirkung entgegensteht.39 Daher wird die aufschiebende Wirkung besonders beim Fehlen von be33

I. V. m. § 80b VwGO Beckmann, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 35 f. So ist h. M. Kotulla, Verw 33 (2000), 520, 526. 35 Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 77; auch Wieseler, Der vorläufige Rechtsschutz, S. 71; Erbguth, JA 2008, 357, 358. Ansonsten wird durch die a. W. keine ausreichende Rechtssicherheit hinsichtlich schwierig zu beurteilender Sachentscheidungsvoraussetzungen geschaffen. 36 Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 34. 37 Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 77. 38 Schwerdtner, NVwZ 1987, 473, 474; zur Offensichtlichkeit auch Pöcker, Kritik des § 80 VwGO, S. 105. 39 Kotulla, Verw 33 (2000), 520, 526; Scholz, in: FS Menger, S. 641, 644 und 647; auch Wieseler, Der vorläufige Rechtsschutz, S. 72; VGH Mannheim, NVwZ 1984, 254, 255; VGH München, BayVBl. 1994, 407, 408. Nur bei evident unzulässigen Rechtsbehelfen soll die aufschiebende Wirkung entfallen; Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 50; Redeker, in: Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 80 Rn. 11; Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 17 ff; Erbguth, JA 2008, 357, 358. Zwischen partiell oder ganz zulässiger Widersprüche oder Anfechtungsklagen gibt es keinen Unterschied hinsichtlich des Eintritts der aufschiebenden 34

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C. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Suspensiveffekts

stimmten wesentlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen abgelehnt. Zu diesen Fällen gehört beispielsweise, dass der Verwaltungsrechtsweg ausgeschlossen, der Anfechtende nicht rechtsmittelberechtigt oder keine Beschwer des Rechtsbehelfsführers gegeben ist.40 Für diesen Ansatz spricht, dass bei einer offensichtlichen Unzulässigkeit des Rechtsbehelfs ein Missbrauch in Rede steht. Ein offensichtlich unzulässiger Rechtsbehelf deutet also auf ein „Handeln ohne Recht“41 hin. Letztlich stellt sich ein solches Handeln, im Hinblick auf die Effektivität des Rechtsschutzes, als nicht schützenswert dar.42 Entsprechendes gilt aber selbstverständlich nicht in Zweifelsfällen, in denen zum Beispiel die Rechtsnatur der behördlichen Maßnahme unklar oder der Kreis der Drittanfechtungsbefugten nur schwer bestimmbar ist.43 In solchen Fällen wird das Risiko einer unzutreffenden Beurteilung der Rechtslage – ob der Rechtsbehelf zulässig oder unzulässig ist – zu Recht der erlassenden Behörde aufgebürdet. In letzter Konsequenz ist es nicht nötig, die Suspensivautomatik wegen der Unbegründetheit oder Unzulässigkeit des Rechtsbehelfs zu durchbrechen, weil das Gericht oder die Behörde jederzeit die vorzeitige Beendigung der aufschiebenden Wirkung bewirken kann.44 c) Die Klassifizierung von Verwaltungsakten und anderem Verwaltungshandeln Im begrifflichen Zusammenhang des in § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO genannten Rechtsbehelfs wird anerkannt, die aufschiebende Wirkung gelte nur für belastende Verwaltungsakte, bei denen eine Anfechtung in Betracht kommen kann.45 Das ist die mittelbare Konsequenz dessen, dass die aufschiebende Wirkung nur durch (Anfechtungs-)Widerspruch oder Anfechtungsklage eintreten kann.46 Wirkung; „In § 80 Abs. 1 findet sich kein Anhaltspunkt dafür, dass beim Eintritt der aufschiebenden Wirkung zwischen Unzulässigkeit und Unbegründetheit des Rechtsbehelfs zu unterscheiden ist.“ Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 18. 40 Fristversäumnis führt unter gewissen Voraussetzungen nicht zur Unzulässigkeit. Wieseler, Der vorläufige Rechtsschutz, S. 73; zu heilbaren Formerfordernissen Schwerdtner, NVwZ 1987, 473, 474: Fristsäumnis kann durch eine Wiedereinsetzung beseitigt werden; dazu Weingärtner, Aufschiebende Wirkung, S. 95 f.; Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 141. Die Fristversäumnis ist kein wesentlicher Unzulässigkeitsgrund für die aufschiebende Wirkung. 41 Schwerdtner, NVwZ 1987, 473, 473. 42 Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 19. 43 Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 86. 44 OVG Münster, NVwZ 1987, 334 ff.; Schwerdtner, NVwZ 1987, 473, 474. 45 Erbguth, JA 2008, 357, 357; Scholz, in: FS Menger, S. 641, 644; der Akt muss den Status quo des Rechtsbehelfsführers verschlechtern. Funke-Kaiser, in: Bader/Funke-Kaiser/Stulfauth/ v. Albedyll, VwGO, § 80 Rn. 2. 46 Demnach setzt der Eintritt des Suspensiveffekts einen belastenden Verwaltungsakt voraus, der auch bekannt gegeben (vgl. § 41 VwVfG), nicht unanfechtbar (vgl. § 80b VwGO)

II. Der Suspensiveffekt als Regelfall

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Des Weiteren kann unmittelbar aus § 80 Abs. 1. S. 2 VwGO die Zuordnung einiger Verwaltungsakte zum Anwendungsbereich der aufschiebenden Wirkung entnommen werden. In § 80 Abs. 1 S. 2 VwGO werden zuerst „die gestaltenden und feststellenden Verwaltungsakte“ genannt.47 Mit dieser Festlegung zeigt der Gesetzgeber auf, dass die Vollziehbarkeit und Vollstreckbarkeit des Verwaltungsakts für die aufschiebende Wirkung nicht entscheidend ist. Im gleichen Satz des § 80 Abs. 1 VwGO ist noch deklaratorisch „der Verwaltungsakt mit Doppelwirkung“ aufgeführt.48 Hierbei geht es jedoch wieder nicht um die Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts, sondern vielmehr um die begünstigende und belastende Wirkung des Verwaltungsakts.49 Weiterhin bleibt noch zu klären, ob die Einteilung des § 80 Abs. 1 S. 2 VwGO eine Rechtsfolgenwirkung entfaltet. Dem ist zu entgegnen, dass Abs. 1 S. 2 nur zur Rechtsklarheit bezüglich der Wirkung des Suspensiveffekts führt und keine praktischen Auswirkungen hat. Der Gesetzgeber hat also besonders durch die Kategorisierung der Verwaltungsakte in gestaltende und feststellende einen bestimmten Ansatz dargestellt, wonach der Suspensiveffekt mehr als nur die Hemmung der Vollziehbarkeit bedeutet. Es wäre vorzugswürdig gewesen, wenn der Gesetzgeber unmittelbar eine Aufklärung zur Wirkung des Suspensiveffekts formuliert hätte, anstatt einzelne Verwaltungsakte aufzuzählen.50 aa) Belastende Verwaltungsakte Der Widerspruch oder die Anfechtungsklage i. S. d. § 80 Abs. 1 VwGO müssen einen belastenden Verwaltungsakt zum Gegenstand haben.51 Daher ist fraglich, was unter dem Begriff zu verstehen ist. Nach der Legaldefinition des § 35 S. 1 VwVfG ist ein Verwaltungsakt „jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen ge-

und nicht erledigt (vgl. § 43 Abs. 2 VwVfG) ist. Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 17; Funke-Kaiser, in: Bader/Funke-Kaiser/Stulfauth/v. Albedyll, VwGO, § 80 Rn. 2. 47 Wieseler, Der vorläufige Rechtsschutz, S. 34; Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 15 ff. 48 Auch Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 15 ff.; Beckmann, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 40. 49 Dass der Verwaltungsakt mit Doppelwirkung auch unter den Anwendungsbereich der aufschiebenden Wirkung fällt, lässt sich bereits aus § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO entnehmen, weil Anfechtungsklagen einen zumindest teilweise belastenden Verwaltungsakt voraussetzen. Diesem Gedankengang folgend ist, durch die besondere Kategorisierung des Verwaltungsaktes mit Doppelwirkung, § 80 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 VwGO als überflüssig anzusehen. Vgl. Beckmann, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 45. 50 Auch Pöcker, Kritik des § 80 VwGO, S. 65. 51 Hoppe, in: Eyermann, VwGO, § 80 Rn. 14.

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C. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Suspensiveffekts

richtet.“52 Wann ein Verwaltungsakt belastend ist, kommt nicht zum Ausdruck. Ein belastender Verwaltungsakt ist nach der Verwaltungsrechtsdogmatik dadurch zu kennzeichnen, dass er sich auf die Rechtsstellung des Betroffenen nachteilig auswirkt, indem er in dessen Rechte eingreift.53 Rechtsnachteile können auch in der Ablehnung einer beantragten Begünstigung bestehen. Die Ablehnung einer Begünstigung ist aber nicht Gegenstand des § 80 Abs. 1 VwGO, sondern des § 123 VwGO.54 In diesen Fällen wäre eine Verpflichtungsklage bzw. eine Versagungsgegenklage einschlägig. Letztlich kann die aufschiebende Wirkung im Rahmen des § 80 VwGO nur bei Eingriffsverwaltungsakten eintreten.55 bb) Begünstigende Verwaltungsakte Bei begünstigenden Verwaltungsakten ist eine aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 1 VwGO ausgeschlossen. Ein begünstigender Verwaltungsakt ist von der Verpflichtungsklage und damit von § 123 VwGO erfasst.56 Bezüglich des Anwendungsbereichs des § 80 VwGO ist somit eine klare Abgrenzung zwischen begünstigenden und belastenden Verwaltungsakten entscheidend. Während es bei der Anfechtungssituation darum geht, dass eine Belastung verhindert wird, und demnach

52 Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 9 Rn. 4; zu § 35 VwGO, Dimitropoulou, Verwaltungsrechtsschutz in Griechenland, S. 79; vgl. Renck, BayVBl. 1994, 161, 164. Unter einem Verwaltungsakt i. S. d. § 35 VwGO wird „ein Verwaltungstitel, mit welchem die Verwaltung öffentlich-rechtliche Ansprüche oder Rechtsverhältnisse prinzipiell, d. h. vorbehaltlich verwaltungsgerichtlicher Kontrolle, unanfechtbar und im weitesten Sinne vollstreckbar dokumentiert“ verstanden. Im materiellen Sinne entfaltet ein Verwaltungsakt erst unmittelbar rechtliche Wirkung, wenn er ein konkretes Rechtsverhältnis bzw. eine Rechtslage begründet, aufhebt, ändert oder verbindlich festlegt. 53 Ipsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 408 ff.; Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 9 Rn. 49; Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 17. 54 BVerwG, LKW 1996, 246, 248; Hoppe, in: Eyermann, VwGO, § 80 Rn. 15. 55 Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1106; Funke-Kaiser, in: Bader/Funke-Kaiser/ Stulfauth/v. Albedyll, VwGO, § 80 Rn. 8; Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 15. Bei Zweifeln, ob ein belastender Verwaltungsakt vorliegt, ist also sicherheitshalber auch einen Anfechtungswiderspruch oder eine Anfechtungsklage einzulegen. Auch wenn keine Anfechtungswirkung einträte, besteht die Möglichkeit, den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO zu stellen; vgl. VG Würzburg U. v. 24.06.2009 – W 6 K 08.1369, BeckRS 2009, 49325. Die Klage ist als Anfechtungsklage statthaft, unabhängig davon, ob der Verwaltungsakt nichtig ist oder nicht. Nach herrschender Meinung ist die Anfechtungsklage auch gegen einen nichtigen Verwaltungsakt mit dem Ziel der Aufhebung des Verwaltungsaktes statthaft. 56 Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 33 f.; auch Schmidt, in: Eyermann, VwGO (2014), § 80 Rn. 7; es bestehen dabei unterschiedliche Anforderungen je nachdem, ob der vorläufige Rechtsschutz nach einem Anordnungsverfahren gem. § 123 VwGO oder einem Aussetzungsverfahren gem. § 80 Abs. 5 VwGO eintreten soll. Proppe, JA 1996, 332, 333; auch Scholz, Die aufschiebende Wirkung, S. 142.

II. Der Suspensiveffekt als Regelfall

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der Status quo aufrechterhalten werden soll, geht es bei der Verpflichtungssituation darum, einen begünstigenden Status herbeizuführen.57 An dieser Stelle ist fraglich, ob die aufschiebende Wirkung eintritt, wenn es um die Umgehung der Verpflichtungsklage geht. Beispielsweise stellt die Untersagung eines ohne Erlaubnis ausgeübten Gewerbes dem Anschein nach, einen belastenden Verwaltungsakt dar, welcher von § 80 Abs. 1 VwGO erfasst ist.58 Es besteht allerdings für den Rechtsbetroffenen, der in rechtswidriger Weise keine Erlaubnis beantragt hat, tatsächlich keine Belastung und demnach auch keine Anfechtungssituation. Im Grunde ist der Eintritt des Suspensiveffekts dann schon nicht statthaft.59 Hierbei ist darauf zu achten, ob ein offensichtlicher Missbrauch des Rechtsbehelfs vorliegt. Im Zweifelsfall wird der Eintritt des Suspensiveffekts befürwortet, weil die aufschiebende Wirkung jederzeit durch eine sofortige Vollziehung i. S. d. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO beseitigt werden kann.60 Unabhängig von Zweifelsfällen ist fraglich, ob von § 80 VwGO Vornahmesachen erfasst werden und damit § 123 Abs. 5 VwGO in Rede steht. In speziellen Konstellationen kann die Subsidiarität des § 123 Abs. 5 VwGO auch bei Vornahmesachen, entgegen des § 80 Abs. 1 VwGO, zur Anwendung kommen. In bestimmten Konstellationen wird der vorläufige Rechtsschutz bezüglich ablehnender Verwaltungsakte aufgrund einer spezialgesetzlichen Regelung in das System des § 80 VwGO einbezogen. Dazu folgendes Beispiel: Der Suspensiveffekt tritt in der Regel nicht durch Einlegung eines Rechtsbehelfs (Verpflichtungsklage oder -widerspruch) gegen die Ablehnung eines Antrags auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels ein. Der vorläufige Rechtsschutz bezieht sich in diesem Fall jedoch wegen des Ausschlusses des Suspensiveffekts gemäß § 84 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG nicht auf § 123 VwGO, sondern vielmehr auf § 80 Abs. 5 VwGO.61 Ebenfalls ist festzustellen, dass im Rahmen einer Konkurrentenklage auch dem Rechtsbehelf, der die Aufhebung des begünstigenden Verwaltungsakts begehrt, eine aufschiebende Wirkung zukommt.62 57

Vgl. Schmidt, in: Eyermann, VwGO (2014), § 80 Rn. 7. In einem solchen Fall scheint es unbillig, dem ohne eine Erlaubnis Gewerbetreibenden eine bessere Rechtsposition zu verleihen als einem Gewerbetreibenden mit entsprechender Erlaubnis. Schmidt, in: Eyermann, VwGO (2014), § 80 Rn. 10. 59 Hierbei entsteht folgerichtig keine Anfechtungssituation, weil das Begehren des Klägers nicht die Wahrung des „Status quo“, also des ursprünglichen Zustandes, ist, sondern das Erlangen der beantragten Leistung. Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 48. 60 Auch Schwerdtner, NVwZ 1987, 473, 474. 61 Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 58; dazu Funke-Kaiser, in: Bader/ Funke-Kaiser/Stulfauth/v. Albedyll, VwGO, § 80 Rn. 10; Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 27; vgl. OVG Sachsen B. v. 18.05.2010 – 4 B 523/09 –, juris. Ebenfalls gilt es im Kommunalwahlrecht, wo die Klage auf den Erlass eines Verwaltungsakts gerichtet ist, der mit dem angefochtenen Bescheid abgelehnt wurde, so die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage statthaft ist. 62 Vgl. VGH Mannheim, B. v. 13.10.2011 – 4 S 2597/11 –, Rn. 2, juris. Es ist möglich, vorläufigen Rechtsschutz in beamtenrechtlichen Konkurrentenverfahren über § 123 VwGO zu 58

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C. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Suspensiveffekts

Schließlich ist hier zu erörtern, ob die Abgrenzung zwischen den begünstigenden und belastenden Verwaltungsakten im Hinblick auf die Bestimmung des Eilverfahrens aus verfassungsrechtlicher Perspektive von Bedeutung ist. Wie schon festgestellt, erscheint der Suspensiveffekt als ein Rechtsmittel, um vor Unanfechtbarkeit eines belastenden Verwaltungsakts irreparable Tatsachen, zugunsten der Rechtsschutzsuchenden zu verhindern. Der Zweck des Suspensiveffekts zum Rechtsschutz gegenüber der Eingriffsverwaltung ist zwar verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Der Grad der Irreparabilität hängt allerdings nicht stets davon ab, ob der Verwaltungsakt den Status quo ändert, also einen Rechtsbetroffenen begünstigt oder belastet.63 Ein durch eine Ablehnung des begünstigenden Verwaltungsakts eintretender Schaden kann nämlich genau die gleiche Intensität entfalten wie ein Schaden, der infolge der Verwirklichung eines Eingriffsverwaltungsakts eintreten kann. Es besteht zum Beispiel kein Unterschied zwischen der Untersagung einer Gewerbeausübung und der Ablehnung einer beantragten Gewerbeerlaubnis im Hinblick auf die grundrechtlich geschützten Positionen. Davon ausgehend könnte der Rechtsschutz im Rahmen von zweiseitigen Verwaltungsrechtsverhältnissen sowohl bei Anfechtungskonstellation als auch bei Vornahmekonstellation gleichermaßen verwirklicht werden.64 Zur Wahrung der Waffengleichheit sollte dem Bürger hinsichtlich begünstigender Verwaltungsakte, die keine belastende Drittwirkung entfalten, insbesondere mit Blick auf die Beweislastverteilung, zumindest ein noch einfacheres Verfahren als das nach § 123 VwGO ermöglicht werden.65 Denn die Verwaltung ist gegenüber dem Bürger nicht nur bei belastenden Verwaltungsakten im Vorteil, sondern ist dem Bürger in nahezu allen Arten von öffentlich-rechtlichem Verwaltungshandeln übergeordnet.

gewähren; anderes gilt auch, wenn man die zu Gunsten eines Bewerbers getroffene Auswahlentscheidung als einen Verwaltungsakt mit Drittwirkung begreift, mit der Folge, dass dem vom unterlegenen Bewerber erhobenen Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung zukommt. OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 10. 01. 2018 – OVG 4 S 33.17 –, Rn. 8, juris; vgl. Rechtsschutz nach § 80 VwGO bejahend v. Roetteken, ZBR 2011, 73, 76; auch Kenntner, ZBR 2016, 181, 191; vgl. Hoppe, in: Eyermann, VwGO, § 80 Rn. 14. 63 Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 994. 64 Diese Verwirklichung muss aber nicht in Form des Suspensiveffekts erfolgen; vgl. Martens, Suspensiveffekt, S. 6: Die Interessen der Begünstigten genießen den gleichen Verfassungsrang. Beispielsweise können Bauherren und Unternehmer geplante Vorhaben nur mit Verzögerung oder etwa wegen zwischenzeitlich gestiegener Kosten gar nicht mehr verwirklichen; vgl. Schoch, Einstweilige Anordnung, in: Ehlers/Schoch, Rechtsschutz im ÖffR, § 30 Rn. 2 Fn. 3. 65 Dazu Scholz, Die aufschiebende Wirkung, S. 142 f. Beweislastverteilung ist im verwaltungsrechtlichen Verfahren erheblich. In welchem Sinne sind die Beweispositionen verteilt? Zur Diskussion, ob es gerechtfertigt ist, dass der Verwaltung die Beweislast auferlegt wird, wenn ein Eingriff der Verwaltung nicht vorliegt.

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cc) Gestaltende und feststellende Verwaltungsakte Nach § 80 Abs. 1 S. 2 VwGO bezieht sich der Suspensiveffekt auch auf die gestaltenden und feststellenden Verwaltungsakte. Bezüglich dieser Festlegung stellt sich aber keine Abgrenzungsfrage. Erwähnt werden diese Verwaltungsakte nur zur Rechtsklarheit bezüglich der Wirkung des Suspensiveffekts. Eine praktische Auswirkung besteht nicht. In diesem Sinne genügt es hier auf die gestaltenden und feststellenden Verwaltungsakte kurz einzugehen. Ein gestaltender Verwaltungsakt begründet, ändert oder hebt die Rechte und Pflichten eines Bürgers auf.66 Bei ihm wird durch den Suspensiveffekt auch die materielle Rechtslage bewirkt. Ein feststellender Verwaltungsakt stellt dagegen das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses fest.67 Insoweit hebt der Suspensiveffekt die Feststellungswirkung und die daran geknüpften Rechtsfolgen auf. Im Ergebnis aber wird die materielle Rechtslage dadurch nicht beeinflusst.68 dd) Verwaltungsakte mit Doppelwirkung Die aufschiebende Wirkung tritt nach § 80 Abs. 1 S. 2 VwGO auch bei Einlegung von Rechtsbehelfen ein, die sich gegen Verwaltungsakte mit Doppelwirkung richten. Von einem Verwaltungsakt mit Doppelwirkung wird gesprochen, wenn eine Person gleichzeitig begünstigt und belastet wird.69 Insoweit ist fraglich, wie sich die aufschiebende Wirkung bei einem solchen Verwaltungsakt entfaltet. Regelmäßig stellen sich Nebenbestimmungen als belastende Teile eines gesamten Verwaltungsakts heraus. Falls der belastende Teil isoliert bestimmbar ist, kann er durch eine Teilanfechtung angegriffen werden,70 wobei der Suspensiveffekt gemäß § 80 Abs. 1 S. 2 VwGO problemlos eintritt. Das bedeutet, dass die Rechtsfolgen des Suspensiveffekts allein auf die belastende Nebenbestimmung zu beziehen sind. Vom begünstigenden Teil kann hingegen weiterhin Gebrauch gemacht werden.71

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Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 9 Rn. 46. Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 9 Rn. 47. 68 Die feststellenden Verwaltungsakte sind nämlich nur vollziehbar, aber nicht vollstreckungsfähig. Dimitropoulou, Verwaltungsrechtsschutz in Griechenland, S. 75; vgl. Baumberger, Aufschiebende Wirkung, S. 70; Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 41 f.; daraus ist zu schlussfolgern, dass die Wirkung des Suspensiveffekts über die Aussetzung der Vollstreckung des Verwaltungsakts hinausgeht. Steinweg, Zeitlicher Regelungsgehalt des VA, S. 108, 277 f. 69 Ipsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 412. 70 Zur isolierten Anfechtung BVerwG, NVwZ 2011, 429 ff. 71 Beckmann, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 43; Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 49; Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 25. Entweder nach § 80 Abs. 2 S. 4 VwGO ist hier die sofortige Vollziehung des Verwaltungsakts anzuordnen oder nach dem Misserfolg kann die Verwaltung auf Widerruf oder Rücknahme gem. §§ 48, 49 VwVfG zurückgreifen. 67

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C. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Suspensiveffekts

Wenn aber Begünstigung und Belastung nicht voneinander trennbar sind bzw. der belastende Teil nicht abgrenzbar ist, ist zweifelhaft, ob § 80 Abs. 1 VwGO zur Anwendung kommt. In einem solchen Fall tritt die aufschiebende Wirkung des § 80 Abs. 1 VwGO nach herrschender Meinung nicht ein.72 Insoweit wird auf die Verpflichtungsklage und folglich auf § 123 VwGO verwiesen. Im Wege des Anordnungsverfahrens nach § 123 VwGO wird die Vollziehbarkeit und Wirksamkeit der lästigen Nebenbestimmung nicht angerührt, bis der Rechtsbehelfseinleger Erfolg im Rechtsschutzverfahren in der Hauptsache hat.73 Bei einem Verwaltungsakt mit untrennbarer Nebenbestimmung wäre § 80a VwGO auch analog anwendbar. Obwohl hinsichtlich des Verwaltungsakts mit Doppelwirkung keine dritte Person infrage kommt, ist zwischen dem begünstigenden und belastenden Teil eine materiell-rechtliche Abwägung vorzunehmen. Je nach Umfang des überwiegenden Interesses am Suspensiveffekt kann sich die aufschiebende Wirkung sogar auf den ganzen Verwaltungsakt, also auch auf den begünstigenden Teil des Verwaltungsakts, erstrecken.74 Insoweit ist auch nicht maßgeblich, ob der Rechtsbehelf gegen einen Verwaltungsakt mit Doppelwirkung als Verpflichtungsklage oder als Anfechtungsklage erhoben wird.75 ee) Die Allgemeinverfügung Die Allgemeinverfügung ist eine besondere Form des Verwaltungsakts. Eine Allgemeinverfügung, die belastende Elemente enthält, ist damit auch von § 80 Abs. 1 VwGO erfasst.76 Gemäß § 35 S. 2 VwVfG treten Allgemeinverfügungen entweder sachbezogen oder personenbezogen auf, wobei die Adressaten in der Regel mehrere Personen sind, die bestimmt oder zumindest bestimmbar sein müssen.77 Ihre Abgrenzung von anderen Verwaltungsverfügungen, die ebenso auf eine Vielzahl von Personen gerichtet sind, kann von praktischer Bedeutung sein.78 An dieser Stelle ist eine Abgrenzung zu den Rechtsverordnungen besonders relevant. Die Rechtsverordnung fällt in den Anwendungsbereich des § 47 Abs. 5 72 Beckmann, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 43; es kommt darauf an, ob die Nebenbestimmungen ein sog. selbständiger Teil des Verwaltungsaktes oder unselbständiger Teil sind. Im erstgenannten Fall betrifft es die Anfechtungsklage, der andere Fall bezieht dagegen sich auf Verpflichtungsklage. Scholz, in: FS Menger, S. 641, 644 f. 73 Hierbei liegt das Vollzugsrisiko beim Rechtsbehelfseinleger. Beckmann, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 43 f.; Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 49. 74 Beckmann, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 44; dazu Pöcker, Kritik des § 80 VwGO, S. 145. 75 Vgl. Schmidt, in: Eyermann, VwGO (2014), § 80a Rn. 4. 76 Beckmann, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 44 f. 77 Beckmann, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 45. 78 VG Berlin, B. v. 11. 01. 2019 – 1 L 363.18 –, juris; vgl. BVerwG, B. v. 01. 04. 2016 – 3 VR 2/15 –, juris; Beckmann, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 45; Funke-Kaiser, in: Bader/FunkeKaiser/Stulfauth/v. Albedyll, VwGO, § 80 Rn. 7.

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VwGO, der strengere Anforderungen aufstellt als § 80 VwGO, in dessen Anwendungsbereich die Allgemeinverfügung fällt.79 Dieser prozessrechtliche Unterschied ist allerdings nicht zweckmäßig. Eine besondere gesetzliche Begründung hierfür ist nicht ersichtlich. Die beiden Handlungsformen der Verwaltung haben gemein, dass deren rechtliche Folgen sich nicht lediglich auf ein Subjekt erstrecken, sondern gerade auf eine Vielzahl. Dabei entfaltet die Allgemeinverfügung ihre Wirkung in einem engeren und konkreteren Kreis als die Rechtsverordnung. Der Unterschied rechtfertigt aber nicht, dass die Rechtsverordnung, die mit einem Eingriffsgegenstand gekoppelt ist, von der aufschiebenden Wirkung nicht erfasst wird, während die Allgemeinverfügung als Eingriffsakt mit der aufschiebenden Wirkung angegriffen werden kann. Im Ergebnis ist es diskussionswürdig, dass die Rechtsfolgen einer belastenden Rechtsverordnung für denjenigen, der einen Rechtsbehelfs einlegt – gemäß der Normenkontrolle nach § 47 Abs. 6 VwGO – nur durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung ausgesetzt werden.80 ff) Vollzogene Verwaltungsakte Strittig ist, ob der Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung entfaltet, wenn der Verwaltungsakt vor Einlegung eines Rechtsbehelfs bereits vollzogen ist.81 Einer Meinung nach kommt in diesem Fall keine automatische aufschiebende Wirkung in Betracht. Das Gericht kann dabei gemäß § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO die Aufhebung der Vollziehung anordnen, solange der Verwaltungsakt nicht erledigt ist.82 Einer weiteren Meinung nach geht es um einen faktischen Vollzug, soweit kein Fall des § 80 Abs. 2 VwGO vorliegt. Demnach tritt bereits für nicht erledigte Teile des Verwaltungsakts ohne gerichtliche Entscheidung die aufschiebende Wirkung automatisch in Kraft. Aber der Rechtsbetroffene bedarf gleichwohl einer gerichtli-

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Schoch, Jura 2012, 26, 29; Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 23; Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 51 f.; Windthorst, in: Gärditz, VwGO, § 80 Rn. 97. 80 Dafür erweist sich die einstweilige Anordnung gegen eine Rechtsverordnung dahingehend als vorteilhaft, wenn seine Wirkung nicht nur inter partes, also zwischen dem Rechtsbehelfsführer und der Verwaltung, sondern inter omnes und demnach für alle Betroffenen Rechtsschutzwirkung entfalten würde; streitig ist, ob das Normenkontrollgericht nur die allgemeine Aussetzung des Vollzugs einstweilig anordnen soll oder ob es die Aussetzung des Vollzugs beschränkt auf den konkreten Fall des Antragstellers anordnen soll. Zu einer individuellen Aussetzung Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 47 Rn. 150; dagegen VGH Kassel B. v. 07.08.2013 – 10 B 1549/13, BeckRS 2013, 54875; Giesberts, in: BeckOK VwGO, § 47 Rn. 91. 81 Beckmann, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 46; Wieseler, Der vorläufige Rechtsschutz, S. 41. 82 Vgl. K. Weber, LKV 2017, 203 ff.; Ule ist der Meinung, dass hierbei nur § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO angewendet werden darf, demnach ist es nicht entscheidend, ob der Suspensiveffekt ganz oder teilweise vollzogen ist. Ule, Verwaltungsprozessrecht, S. 368.

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C. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Suspensiveffekts

chen Feststellung über den rechtswidrigen Vollzug und die aufschiebende Wirkung. Somit ist hier eine analoge Anwendung des § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO geboten.83 gg) Anmerkungen zu Realakten Realakte unterliegen nicht den Voraussetzungen des § 80 VwGO und werden dementsprechend von der aufschiebenden Wirkung nicht erfasst. Damit ist bei ihnen die Feststellungsklage nach § 43 VwGO und daher auch § 123 VwGO statthaft.84 Mit dieser gesetzlichen Feststellung ist gleichwohl fraglich, warum Realakte sich auf das Verfahren des § 123 VwGO statt des § 80 VwGO beziehen sollen, obwohl sie von der Eingriffsverwaltung durchgeführt werden. Die Frage ist tiefergehend zu untersuchen, wobei gegen jede Handlungsform des Eingriffsakts, die droht, den Status quo zu beeinträchtigen, gleichermaßen Rechtsschutzmaßnahmen zur Verfügung stehen sollten.85 Materielle Grundrechte sichern den Bürger unabhängig von der Rechtsnatur des (rechtswidrigen) Eingriffs gleichermaßen gegen Verwaltungsakte und öffentlich-rechtliche Realakte.86 Der Angriffsgegenstand der verwaltungsrechtlichen Maßnahme vermag die Regelung des § 80 Abs. 1 VwGO deshalb alleine nicht zu rechtfertigen. Es ist aber darauf hinzuweisen, dass es im Sinne des § 19 Abs. 4 GG nicht zwingend ist, alle Eingriffsakte dem § 80 VwGO zu unterwerfen. Im Hinblick auf die einfachgesetzliche Begründung bezieht sich die aufschiebende Wirkung nicht auf den Realakt, was dessen Rechtscharakter geschuldet ist. Genauer gesagt wäre die aufschiebende Wirkung beim Realakt kontraproduktiv,87 da dieser keinen Regelungscharakter aufweist.88 Realakte führen weder Rechtswirkungen noch Regelungen herbei89, sodass kein Eingriff in den Rechtszustand erfolgt. 83

Beckmann, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 46. Vgl. Beckmann, NVwZ 2011, 842, 843; vgl. Jahr, ZJS 2016, 181 ff.; vgl. Hoppe, in: Eyermann, VwGO, § 80 Rn. 8. 85 Hier ist besonders zu kritisieren, dass die Eingriffsakte in Handlungsform des öffentlichrechtlichen Vertrags, der Dienstanweisung, nicht dem § 80 VwGO unterliegen. Schoch, VerwArch 82 (1991), 145, 161; auch zu den beamtenrechtlichen Umsetzungen Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 38. 86 Vgl. Schoch, in: Schoch/Schneider VwGO, § 80 Rn. 38 ff.; vgl. OVG Bautzen, NVwZRR 2007, 68 ff. 87 Beckmann, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 37 f.; die a. W. ist in der Regel für Vollstreckungsmaßnahme ausgeschlossen. Aber die Vollstreckungsmaßnahme in Gestalt eines VAwird von § 80 Abs. 1 VwGO erfasst. Beckmann, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 45. 88 Hierbei hat die Bejahung des Eingriffscharakters einer Maßnahme nicht notwendigerweise zur Folge, dass diese auch Regelungscharakter hat; zu einem Grundrechtseingriff, der nicht eine finale, unmittelbare oder rechtliche Einwirkung auf den grundrechtlichen Schutzbereich voraussetzt. OVG Münster, NZV 2001, 396, 399; ebenso BVerfG, DVBl. 2002, 1351, 1355. 89 Ein Verwaltungsakt erwächst grundsätzlich erst nach Ablauf der Rechtsmittelfristen in Bestandskraft und kann von der Behörde mit Verwaltungszwang durchgesetzt werden. Da84

II. Der Suspensiveffekt als Regelfall

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Sie führen lediglich dazu, dass in dem ohnehin schon eingegriffenen Rechtszustand auch eine tatsächliche Veränderung herbeigeführt wird. Bedarf die Verwaltung für ihre Handlung einer Eingriffsermächtigung in Form eines Verwaltungsaktes, kommt ein Eintritt der aufschiebenden Wirkung durch Einlegung des Rechtsbehelfs gegen den Verwaltungsakt in Betracht, jedoch nicht durch die Rechtsbehelfseinlegung gegen die faktisch wirkende Rechtshandlung. Der Suspensiveffekt kann damit nur hinsichtlich des eingreifenden Verwaltungsakts ausgelöst werden.90 Dieser Gedanke ist im Grunde nicht zu beanstanden. Man darf aber auch nicht davon absehen, dass die Abgrenzung des Realakts zum Verwaltungsakt insbesondere im Hinblick auf das Kriterium der fehlenden Regelungswirkung nicht immer zweifelsfrei gelingt. Dabei sind die praktischen Auswirkungen hinsichtlich der Suspendierung oder Aufhebung der sofortigen Vollziehung in einem Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO oder § 123 VwGO erheblich. Das äußert sich in der aktuellen Problematik der Konkurrentenstreitverfahren im Recht der öffentlichen Dienste, wobei strittig ist, ob die Auswahlentscheidung überhaupt einen Verwaltungsakt oder einen Realakt darstellt.91 Schließlich muss eine klare Abgrenzung eines belastenden Verwaltungsakts von einem „Realakt mit Eingriffswirkung“ bestehen, um festzustellen, nach welchem Verfahren der vorläufige Rechtsschutz gewährt werden soll. Folglich ist vertretbar, in Zweifelsfällen neben § 123 VwGO auch § 80 VwGO zur Anwendung kommen zu lassen. Ebenso ist es folgerichtig, hier auch § 80 Abs. 5 VwGO anzuwenden, wenn die Behörde einen Verwaltungsakt als Realakt rechtsirrig oder missbräuchlich unmittelbar verwirklicht.92 hh) Zwischenergebnis Nach den bisherigen Darlegungen erscheinen die einfachgesetzlichen Begründungen im Sinne des § 80 VwGO mit Blick auf die Klassifizierung von Verwaltungsakten disharmonisch.93 Dennoch ist hinsichtlich des verfassungsrechtlichen Gebots des effektiven Rechtsschutzes nichts einzuwenden, weil im Zentrum der gegen kann ein Realakt zwar mangels Rechtsfolge niemals bestandskra¨ ftig werden, jedoch ist ihm gegenständlich, dass seine tatsächliche Wirkung sofort und jederzeit nach Erlass dieser Maßnahme eintritt und damit auch befolgt werden muss. Jahr, ZJS 2016, 181, 181. 90 Vgl. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 42 Rn. 40. 91 OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 10. 01.2018 – OVG 4 S 33.17 –, Rn. 6, 8, juris: „Bei der mit einer Rechtsmittelbelehrung versehenen Mitteilung gegenüber einem Beförderungsbewerber, die Auswahlentscheidung sei nach Abwägung aller eignungserheblichen Gesichtspunkte zu Gunsten eines anderen Bewerbers getroffen worden, handelt es sich um die Bekanntgabe eines Verwaltungsakts. (…) Es handele sich um einen Verwaltungsakt, der in der so genannten Konkurrentenmitteilung den Bewerbern jeweils bekannt gegeben werde.“; vgl. OVG Lüneburg, B. v. 08.06.2011 – 5 ME 91/11 – Rn. 12, juris; VGH Kassel, B. v. 23.08.2011 – 1 B 1284/11 –, Rn. 3, juris. 92 Vgl. Beckmann, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 37. 93 Siehe dazu oben C. II. 2. c., S. 66.

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C. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Suspensiveffekts

Rechtsweggarantie nicht das einzelne Sicherungsmittel, sondern der Sicherungserfolg steht.94 Bei einer Gesamtbetrachtung des deutschen Rechts fallen bereits zahlreiche spezielle Regelungen zum vorläufigen Rechtsschutz auf, die von den materiellen Grundrechten abgeleitet werden und die ein taugliches Rechtsschutzsystem nach Maßgabe des Art. 19 Abs. 4 GG konstituieren. 3. Die Bedeutung und Rechtsfolgen des Suspensiveffekts anhand gängiger Theorien Der Begriff der aufschiebenden Wirkung ist nicht einfach zu konzipieren. Dahingehend bemühen sich die bekannten Theorien zum Suspensiveffekt, den Begriff zu konkretisieren und im Rahmen von § 80 VwGO die Rechtsfolgerungen zu erklären.95 In den Darstellungen stellt der Suspensiveffekt als Rechtsfolge entweder eine Suspension der Verwirklichung bzw. Vollziehung oder eine Hemmung der Wirksamkeit dar. Um den Inhalt des Suspensiveffekts zu verstehen, ist es entscheidend, zu wissen, was unter Vollziehung und unter Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes verstanden wird.96 Der Vollziehungsbegriff wird im engen Sinne mit dem Begriff der Vollstreckung gleichgesetzt. Das Bundesverwaltungsgericht drückt es im Allgemeinen so aus, dass die Vollziehung „die einseitige Durchsetzung der im Bescheid getroffenen Regelung mit hoheitlichen Mitteln, etwa im Wege der Verwaltungsvollstreckung“ ist.97 In einem weiteren Sinne wird die Vollziehung als die freiwillige oder zwangsweise Verwirklichung des Verwaltungsakts aufgefasst.98 Die Verwirklichung ist dabei jede Handlung, „die der Herstellung und Aufrechterhaltung des Inhalts des Verwaltungsaktes im Bereich des Tatsächlichen dient“.99 Die Vollziehung eines Verwaltungsakts nach Maßgabe von § 80 VwGO umfasst letztlich alle Maßnahmen,100 die an den Erlass bzw. die Umsetzung des angefochtenen Verwaltungsakts 94

Vgl. Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 19. Pöcker, Kritik des § 80 VwGO, S. 60; Beckmann, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 47 ff.; Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 24 – 29. Hier werden drei Auffassungen vertreten, nämlich die Theorie der strengen Wirksamkeitshemmung, der eingeschränkten Wirksamkeitshemmung und der sog. Vollziehungshemmung. Hinzu kommen weitere Auffassungen, welche diese drei Grundtypen zu modifizieren versuchen. 96 Vgl. Wieseler, Der vorläufige Rechtsschutz, S. 81 f. 97 BVerwGE 66, 218, 222; Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 100; vgl. BVerwG, B. v. 29. 04. 2004 – 9 B 109/03 –, juris. 98 Dann wird jede Art der Verwirklichung des angegriffenen Verwaltungsaktes als Vollziehung i. S. d. § 80 VwGO verstanden. Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 101. 99 Wieseler, Der vorläufige Rechtsschutz, S. 80. 100 Ein enger Vollziehungsbegriff entspricht nicht den Erfordernissen des effektiven Rechtsschutzes. BVerfG, NJW 2006, 3551, 3552; nur dieser weite Vollziehungsbegriff wird der Rechtsschutzfunktion der aufschiebenden Wirkung nach Art. 19 Abs. 4 GG gerecht. VG 95

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anknüpfen.101 Der Wirksamkeitsbegriff hingegen ist dadurch zu kennzeichnen, „dass der Verwaltungsakt mit seiner Bekanntgabe oder im festgelegten Zeitpunkt alle ihm von der Behörde zugedachten Rechtswirkungen äußert.“102 Damit unterscheidet sich die Wirksamkeit von der Vollstreckbarkeit und der tatsächlichen Vollziehung. Verwaltungsakte erlangen gemäß § 43 Abs. 1 S. 1 VwVfG unmittelbar mit ihrer Bekanntgabe Wirksamkeit, jedoch kann ihre Vollstreckbarkeit kraft Gesetzes entfallen. Ein solcher gesetzlicher Vorbehalt wird beispielsweise aus der Regelung des § 117 Abs. 1 BauGB deutlich. Hiernach kann die Verwaltung trotz Wirksamkeit des Verwaltungsakts diesen bis zur Unanfechtbarkeit nicht vollziehen oder vollstrecken.103 Fehlt es hingegen an der Wirksamkeit des Verwaltungsakts, so besteht im Endeffekt schon keine Vollstreckbarkeit, die aufzuheben wäre. Auf diese begrifflichen Differenzierungen berufend, werden insbesondere von zwei herrschenden Auffassungen in der Literatur und Rechtsprechung die Bedeutung und Rechtsfolgen des Suspensiveffekts festgestellt. Zum einen handelt es sich um die Vollziehbarkeitstheorie und zum anderen um die eingeschränkte Wirksamkeitstheorie.104 Es ist vorwegzunehmen, dass die beiden Theorien keine durchweg befriedigenden Ergebnisse liefern und insoweit nicht überzeugen.105 a) Vollziehbarkeitstheorie Nach der Vollziehbarkeitstheorie geht es bei der aufschiebenden Wirkung um die Hemmung der Vollziehung des belastenden Verwaltungsakts. Der angegriffene Verwaltungsakt gilt mit seiner ordnungsgemäßen Bekanntgabe als wirksam und behält seine innere Wirksamkeit selbst dann bei, wenn er angefochten ist.106 Im Fall eines Rechtsbehelfs ist es der Behörde aufgrund der aufschiebenden Wirkung untersagt, den belastenden Verwaltungsakt zu vollziehen. Das gilt ebenfalls für Verwaltungsakte mit Drittwirkung.107 Hiernach darf der suspendierte Verwaltungsakt Hamburg, B. v. 29. 01. 1998 – 2 VG 5535/97 –, Rn. 10, juris; auch VG Mainz, B. v. 07. 08. 2017 – 1 L 754/17.MZ –, Rn. 35, juris. 101 VG Hamburg, B. v. 29. 01. 1998 – 2 VG 5535/97 –, Rn. 10, juris; BFH, DStR 1995, 1793, 1793; vgl. BVerfG, NJW 2006, 3551, 3552; Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 101; Kotulla, Verw 33 (2000), 520, 525. 102 Wieseler, Der vorläufige Rechtsschutz, S. 80. 103 Scholz, Die aufschiebende Wirkung, S. 40. 104 Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 24 – 29. 105 Pöcker, Kritik des § 80 VwGO, S. 64. 106 Pietzner/Ronellenfitsch, Das Assessorexamen im ÖffR, § 51 Rn. 1420 f.; M. Weber, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 7 f.; Pöcker, Kritik des § 80 VwGO, S. 60; „Nach der Vollziehbarkeitstheorie ist der mit aufschiebender Wirkung angefochtene Verwaltungsakt zwar wirksam, aber nicht vollziehbar.“ Steinweg, Zeitlicher Regelungsgehalt des VA, S. 272. 107 Pöcker, Kritik des § 80 VwGO, S. 61; Steinweg, Zeitlicher Regelungsgehalt des VA, S. 273.

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vom Adressaten auch nicht befolgt werden. Im engeren Sinne des Vollziehungsbegriffs wird mit dieser Theorie ausgesagt, dass die Behörde mit Eintritt der aufschiebenden Wirkung – trotz eines vorliegenden wirksamen Verwaltungsakts – keine Verwaltungsvollstreckungsmaßnahmen mehr einleiten darf.108 Im weiteren Sinne besagt die Vollziehbarkeitstheorie, dass alle rechtlichen Folgerungen des Verwaltungsakts aufgeschoben sind. Dementsprechend bedeutet die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs im Sinne von § 80 Abs. 1 VwGO – „als Gegenstück zur Vollziehung des Verwaltungsaktes –, dass der materielle Regelungsinhalt des Verwaltungsaktes bis auf weiteres nicht mehr verwirklicht werden darf, ungeachtet der Form, in der dies geschehen soll“.109 Jedenfalls ist diese Wirkung eine nur vorläufige, woraus folgt, dass bei einem Misserfolg des Rechtsbehelfs etwa Vollziehungsmaßnahmen rückwirkend rechtmäßig werden und der letzte Rechtszustand ex tunc wiederhergestellt wird.110 Diese Theorie wird in der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zusammenfassend folgendermaßen vertreten und ausgeführt111: „Der Eintritt der aufschiebenden Wirkung hat nur zur Folge, dass der angefochtene Verwaltungsakt vorläufig nicht vollzogen [Anm.: nicht vollstreckt] werden kann. Dagegen beseitigt die aufschiebende Wirkung nicht die Wirksamkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes. Das bedeutet, dass der Eintritt der aufschiebenden Wirkung keine rechtsgestaltende Wirkung dahin hat, dass der Verwaltungsakt als vorläufig nicht existent zu behandeln wäre (…) Die Behörde darf nur aus ihrem Verwaltungsakt keine Maßnahmen treffen, die rechtlich als Vollziehung des nach wie vor wirksamen Verwaltungsaktes zu qualifizieren sind.“112

b) Wirksamkeitstheorie Nach dieser Theorie wird der Verwaltungsakt durch die aufschiebende Wirkung seiner inneren Wirksamkeit oder Geltung entzogen. Die aus einem Verwaltungsakt abgeleiteten Folgerungen sind bis zur nächsten Entscheidung über den Rechtsbehelf aufgeschoben. Wie bei der Vollziehbarkeitstheorie ist auch hier der Wegfall der Wirksamkeit vorläufig. Wenn der Rechtsbehelf keinen Erfolg hat, soll der Verwaltungsakt rückwirkend zu dem Zeitpunkt der Rechtsbehelfseinlegung wirksam werden.113 Beispielsweise hat der Suspensiveffekt bei einer Entlassungsverfügung zur Folge, dass das Beamtenverhältnis vorläufig weiter besteht. Da der Suspensiveffekt grundsätzlich ex tunc eintritt, hat der Beamte demnach ohne Unterbrechung 108

K. Weber, SVR 2017, 325, 326. Detterbeck, DÖV 1996, 889, 892; BFH, DStR 1995, 1793, 1793 f. 110 Pöcker, Kritik des § 80 VwGO, S. 61; Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 41. 111 K. Weber, SVR 2017, 325, 326. 112 BVerwG, NJW 1983, 776, 777. 113 In einem anderen Ansatz kann der jeweilige Verwaltungsakt mit dem Rechtsbehelfsabschluss wirksam werden. In Anbetracht des Entlassungszeitpunkts aus dem Beamtenverhältnis. Erichsen/Klenke, DÖV 1976, 833, 833. 109

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den beamtenrechtlichen Status inne, bis dieser mit Vollziehungsanordnung durchbrochen oder mit Misserfolg des Rechtsbehelfs rückwirkend wieder aufgehoben wird.114 c) Ein Versuch der Kombination der Theorien Nach der Vollziehbarkeitstheorie werden alle rechtlichen Folgerungen, die aufgrund der Vollziehung des Verwaltungsakts auftreten, aufgeschoben. Nach der Wirksamkeitstheorie wird dagegen die innere Wirksamkeit und Geltung des Verwaltungsakts ausgeräumt.115 Bei der Vollziehbarkeitstheorie soll der Suspensiveffekt lediglich vorläufig und in der Regel auf den Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsakts zurückwirken.116 Das gilt ebenso nach der Wirksamkeitstheorie.117 Kritisch an der Vollziehbarkeitstheorie ist zu sehen, dass die gestaltenden und feststellenden Verwaltungsakte einer Vollziehung nicht zugänglich sind.118 Ein bekanntes Beispiel hierfür ist die Entlassung eines Beamten, die einer Vollziehung im Sinne einer Vollstreckung nicht bedarf. Die Wirksamkeitstheorie ist damit bei nicht vollziehbaren Verwaltungsakten zu bevorzugen.119 Demgegenüber ist bei der Wirksamkeitstheorie problematisch, dass die Hemmung der Wirksamkeit den ganzen Verwaltungsakt und demnach auch seine begünstigenden Teile betrifft.120 Mithin besteht zu Recht die Tendenz, die Wirksamkeitstheorie zu verneinen. Denn der Schutzzweck des § 80 VwGO verlangt nur, dass der Angriffsgegenstand des Verwaltungsakts, dessen Rechtmäßigkeit in Frage steht, von der aufschiebenden Wirkung erfasst wird.121 In dieser Überlegung erscheint auch die von Kopp dargelegte Theorie als die zwischen Wirksamkeits- und Vollzugshemmungslehre vermittelnde Lösung.122 Entsprechend dieser Theorie sollte die Behörde nach der Rechtsbehelfseinlegung und während der aufschiebenden Wirkung so handeln, als ob der Verwaltungsakt 114 Wieseler, Der vorläufige Rechtsschutz, S. 82; vgl. Windthorst, in: Gärditz, VwGO, § 80 Rn. 119. 115 Pöcker, Kritik des § 80 VwGO, S. 62. 116 Auch Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 22. 117 Baumberger, Aufschiebende Wirkung, S. 65. 118 Schmidt, in: Eyermann, VwGO (2014), § 80 Rn. 6; dazu Wüterich, Wirkungen des Suspensiveffekts, S. 38 f. 119 Schmidt, in: Eyermann, VwGO (2014), § 80 Rn. 6; Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 116. 120 Für den Verwaltungsakt mit Doppelwirkung ist dies untauglich. Wüterich, Wirkungen des Suspensiveffekts, S. 36. 121 Vgl. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 22, 26. 122 Kopp, BayVBl. 1972, 649, 649; Wüterich, Wirkungen des Suspensiveffekts, S. 36; vgl. Pietzner/Ronellenfitsch, Das Assessorexamen im ÖffR, § 51 Rn. 1419.

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noch nicht verbindlich wäre. Unbeantwortet bleibt bei dieser Theorie auch die Frage, ob der entlassene Beamte nach dem Erfolg des Rechtsbehelfs wieder in die ursprüngliche Lage hineinversetzt werden kann.123 Abschließend lässt sich konstatieren, dass keine der Theorien durchweg befriedigende Ergebnisse zu liefern vermag. Gleichwohl wird in der Literatur und Rechtsprechung überwiegend die Vollziehbarkeitstheorie als zutreffend erachtet. Dafür wird in der Literatur angeführt, dass die Normstruktur des § 80 VwGO für die Vollziehbarkeitstheorie spricht. Die besagte Norm sehe neben der aufschiebenden Wirkung als Ausnahme „die Anordnung der sofortigen Vollziehung“ vor und damit ziele die aufschiebende Wirkung in der Regel darauf, die „sofortige Vollziehung hinauszuschieben“.124 Des Weiteren wird die Vollziehbarkeitstheorie auch von der Rechtsprechung vertreten,125 indem der Vollziehungsbegriff im weiten Sinne verstanden wird.126 Demzufolge werden bei den gestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten, wenn die Vollziehung gehemmt wird, keine rechtlichen und tatsächlichen Folgerungen aus dem Verwaltungsakt gezogen.127 Diese Wertung wird insbesondere in einer jüngeren Entscheidung des BVerwG deutlich:128 „Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verpflichtet die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage (§ 80 Abs. 1 VwGO) die Behörde, für die Dauer des durch die Anfechtung des Verwaltungsaktes herbeigeführten Schwebezustandes alle Maßnahmen zu unterlassen, die – in einem weiten, auch die Besonderheiten rechtsgestaltender und feststellender Verwaltungsakte (§ 80 Abs. 1 S. 2 VwGO) berücksichtigenden Sinne – als Vollziehung zu qualifizieren sind, dh der Verwirklichung der mit dem Verwaltungsakt ausgesprochenen Rechtsfolge und der sich aus ihr ergebenden weiteren Nebenfolgen dienen. Demgemäß ist der Behörde durch § 80 Abs. 1 VwGO untersagt, einstweilen solche Folgerungen aus dem Verwaltungsakt zu ziehen, die sie vermöge ihrer Sonderstellung als Hoheitsträger ziehen könnte. Die aufschiebende Wirkung lässt die Wirksamkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes jedoch unberührt“.

Ein solcher Ansatz verringert auch die praktischen Unterschiede zwischen der Vollziehbarkeitstheorie und der Wirksamkeitstheorie.129 Das wird am Beispiel des entlassenen Beamten deutlich. Der Beamte verbleibt aufgrund der aufschiebenden 123

S. 63 f. 124

Dazu Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 35; Pöcker, Kritik des § 80 VwGO,

Kotulla, Verw 33 (2000), 520, 524; Renck, BayVBl. 1994, 161, 162 Fn. 18. Vgl. Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 91, 116. 126 Steinweg, Zeitlicher Regelungsgehalt des VA, S. 272. 127 Redeker, in: Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 80 Rn. 5; Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 23. 128 BVerwG, U. v. 20. 01. 2016 – 9 C 1/15 –, BVerwGE 154, 68 – 73, Rn. 12, juris; vgl. BVerwG, U. v. 20. 11. 2008 – 3 C 13.08 –, BVerwGE 132, 250 Rn. 9, 12, juris; K. Weber, SVR 2017, 325, 325; Schenk, NVwZ 2016, 1600, 1603. 129 Vgl. Baumberger, Aufschiebende Wirkung, S. 63; Steinweg, Zeitlicher Regelungsgehalt des VA, S. 271. 125

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Wirkung seines Rechtsbehelfs im Dienstverhältnis und der Gehalt wird ihm weiter gewährt.130 Schließlich ist anzumerken, dass im Gesamtsinne des § 80 VwGO sowohl Vollziehbarkeitstheorie und als auch Wirksamkeitstheorie vertretbar sind. Dementsprechend ist es unproblematisch, dass bei vollzugsfähigen Verwaltungsakten der Suspensiveffekt die Vollziehungshemmung statuiert, bei vollzugsunfähigen dagegen eine eingeschränkte Wirksamkeitshemmung zur Folge hat.131 Dabei ist es angemessen, entweder den Begriff der Vollziehung auszudehnen oder den Wirksamkeitsbegriff einzuengen.132 4. Beginn und Ende des Suspensiveffekts a) Beginn des Suspensiveffekts Der Suspensiveffekt beginnt in der Regel mit Einlegung des Rechtsbehelfs. Wenn und solange der Suspensiveffekt besteht, darf der Verwaltungsakt nicht vollzogen werden.133 Ohne Rechtsbehelf ist folglich der Verwaltungsakt grundsätzlich vollziehbar. Genauer gesagt, steht es der Verwaltung frei, in der Zeit zwischen Bekanntgabe und Anfechtung den Verwaltungsakt zu vollziehen.134 Ein längeres Zuwarten etwaiger Rechtsbehelfs erhöht dann auch das Vollzugsrisiko.135 Hierbei wäre angebracht, dass die Verwaltung zumindest bis zum Ablauf der Widerspruchsfrist den Verwaltungsakt nicht vollzieht, soweit keine erhebliche Gefahr – für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung, insbesondere für bedeutsame Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit – gegeben ist.136 Abgesehen davon hat die Verwaltung die Möglichkeit, den Verwaltungsakt bedingt oder befristet zu erlassen und somit die Wirksamkeit des Verwaltungsakts aufzuschieben. Damit ist ohne Eintritt des Suspensiveffekts durch einen Rechtsbehelf die Vollziehung des Verwaltungsakts hinauszuschieben.137 Gestützt auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip ist die Behörde letztlich berechtigt, gegebenenfalls sogar verpflichtet, den Umfang und die Dauer des Suspensiveffekts zu bestimmen, soweit diese gesetzlich nicht näher bestimmt sind.138 130

BVerwG, B. v. 03. 02. 2009 – 2 B 29/08 –, Rn. 6, juris; Baumberger, Aufschiebende Wirkung, S. 64; Wüterich, Wirkungen des Suspensiveffekts, S. 19 f., 36. 131 Auch Wieseler, Der vorläufige Rechtsschutz, S. 78. 132 Auch Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 35; auch Wüterich, Wirkungen des Suspensiveffekts, S. 20, 39 f. 133 Wieseler, Der vorläufige Rechtsschutz, S. 84. 134 BVerfG, NJW 1973, 1491 ff.; K. Weber, SVR 2017, 325, 325. 135 Kotulla, Verw 33 (2000), 520, 525; Wüterich, Wirkungen des Suspensiveffekts, S. 88; Redeker, in: Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 80 Rn. 3. 136 Vgl. Haibach, DÖV, 60, 64, Fn. 59; Weingärtner, Aufschiebende Wirkung, S. 1. 137 Scholz, Die aufschiebende Wirkung, S. 41. 138 Vgl. Baumberger, Aufschiebende Wirkung, S. 65.

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C. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Suspensiveffekts

b) Ende des Suspensiveffekts Das Ende der aufschiebenden Wirkung ist mit dem Gewinn der inneren Wirksamkeit des Verwaltungsakts verbunden. Ist der Rechtsbehelf erfolglos, so endet die aufschiebende Wirkung nach dem Grundsatz des § 80b Abs. 1 S. 1 Hs. 1 VwGO kraft Gesetzes.139 Der Suspensiveffekt ist demnach regelmäßig bis zur Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts wirksam.140 Die Unanfechtbarkeit kann sich dabei aus der Rechtskraft eines Urteils, der Versäumnis von Rechtsbehelfsfristen oder einem Rechtsbehelfsverzicht ergeben.141 Die aufschiebende Wirkung kann hingegen unter gewissen Voraussetzungen auch vor der Unanfechtbarkeit vorzeitig beendet werden.142 Die aufschiebende Wirkung wird bei einer Zurückweisung des Widerspruchs bis zur Erhebung der Anfechtungsklage und bei gesetzlicher oder gerichtlicher Anordnung der sofortigen Vollziehung bis auf Weiteres unterbrochen.143 Demnach darf der Verwaltungsakt vollstreckt werden, ohne dass die Unanfechtbarkeit abgewartet werden müsste.144 Im Fall des Verzichts auf den Suspensiveffekt ist hingegen die vorzeitige Beendigung umstritten. Hier ist sie mit einem zutreffenden Grund zu verneinen, nämlich dass der gesetzlich eintretende Suspensiveffekt nicht nur eine Rechtsschutzfunktion beinhaltet, sondern auch eine Schutzfunktion gegenüber der den Verwaltungsakt erlassenden Behörde.145

139

Steinweg, Zeitlicher Regelungsgehalt des VA, S. 286. Beckmann, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 55; Wieseler, Der vorläufige Rechtsschutz, S. 76; mit der gerichtlichen Entscheidung wird der Verwaltungsakt lediglich formell unanfechtbar, gilt materiell aber nicht als rechtskräftig. Die Behörde sollte hier einen unanfechtbaren Verwaltungsakt mit den Bestimmungen des § 48 VwVfG angehen und ändern oder aufheben. Somit umfasst die Unanfechtbarkeit sowohl die Bestandskraft als auch die Rechtskraft. Die Beendigung des Suspensiveffekts hängt mit der endgültigen Bestandskraft des Verwaltungsaktes zusammen. Scholz, in: FS Menger, S. 641, 644 und 647; dazu Kotulla, Verw 33 (2000), 520, 526 f. 141 Kotulla, Verw 33 (2000), 520, 526; Windthorst, in: Gärditz, VwGO, § 80 Rn. 123; Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 121. 142 Vgl. Beckmann, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 61 – 65. 143 So auch bei der faktischen Vollziehung Kotulla, Verw 33 (2000), 520, 527; Scholz, Die aufschiebende Wirkung, S. 127; Steinweg, Zeitlicher Regelungsgehalt des VA, S. 287; Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, § 34 Rn. 660 ff. 144 Beckmann, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 60 f.; vgl. Renck, BayVBl. 1994, 162, 164; Beckmann, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 56. 145 Scholz, Die aufschiebende Wirkung, S. 126. 140

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5. Die Wirkung des Suspensiveffekts a) Die relative Wirkung des Suspensiveffekts Entfaltet der Rechtsbehelf den Suspensiveffekt bei einem Individualakt, der auf einen konkreten Adressaten bezogen ist, ist unstrittig, dass der Suspensiveffekt mit einer relativen Wirkung eintritt. In diesen Fällen kommt die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs lediglich dem Betroffenen zugute, der ihn erhoben hat. Wenn ein Verwaltungsakt wie die Allgemeinverfügung mehrere Personen belastet, ist hingegen diskussionswürdig, ob die aufschiebende Wirkung gegenüber allen Betroffenen, also mit absoluter Wirkung, eintreten darf.146 Einerseits spricht der Rechtscharakter von Allgemeinverfügungen dafür, dass der Suspensiveffekt im Falle einer Rechtsbehelfseinlegung gegen ebendiese mit absoluter Wirkung eintreten darf. Denn im Gegensatz zum Individualakt betrifft die Allgemeinverfügung gleichzeitig mehrere Adressaten in ihren Rechten oder Interessen. Demnach würde die Allgemeinverfügung nicht nur für den Rechtsbehelfsführer allein, sondern für alle Betroffenen147 suspendiert werden.148 Dieser Ansatz ist insbesondere bei Eingriffsmaßnahmen in Form von Allgemeinverfügung zu vertreten, die im gerichtlichen Eilverfahren für offensichtlich rechtswidrig erklärt werden. Es ist nämlich rechtsstaatlich inakzeptabel, wenn eine durch die gerichtliche Eilentscheidung für offensichtlich rechtswidrig erklärte Allgemeinverfügung anderen Personen gegenüber noch durchgesetzt werden darf.149 Andererseits wird in der Literatur und in der Rechtsprechung – auch entsprechend der subjektiven Rechtsschutzkonzeption – angenommen, dass der Suspensiveffekt nur dem Anfechtenden zugutekommt, also lediglich relative Wirkung entfaltet.150 Grundsätzlich ist dem zu folgen, weil der Suspensiveffekt im Vergleich zu anderen Modellen des vorläufigen Rechtsschutzes nicht von den Erfolgsaussichten der Hauptsache oder der Eilbedürftigkeit, sondern nur von der Rechtsbehelfseinlegung abhängt.151 Eine absolute Wirkung wäre dann dementsprechend im Rahmen einer Eilentscheidung nach § 47 Abs. 5 VwGO, bezüglich einer Rechtsverordnung, sinnvoll.152 Der vorläufige Rechtsschutz setzt hier nämlich nicht automatisch, sondern auf Antrag, ein und erfolgt durch eine einstweilige gerichtliche Anordnung. 146

Vgl. Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, § 34 Rn. 657; BVerwGE 64, 347, 353. 147 Vgl. Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 51. 148 Diese Auffassung ist allerdings fundamental auf die objektivrechtliche Funktion des Rechtsschutzes zu stützen. Deutsche Verwaltungsgerichtsbarkeit ist hingegen in der Regel auf subjektive Rechte ausgerichtet. Dazu unten D. V. 4. a) aa) (1), S. 244 ff. 149 Wenn zudem keine Beschwerde gegen die Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts eingelegt wird Hecker, NVwZ 2016, 1301, 1304. 150 Vgl. Kotulla, Verw 33 (2000), 520, 524 f. 151 Vgl. Kıratlı, AÜSBFD 1966, 173, 176. 152 Ordnet das Gericht die vorläufige Aussetzung des Vollzugs einer Norm an, so ist die Entscheidung analog § 47 Abs. 5 S. 2 allgemeinverbindlich und entsprechend § 47 Abs. 5 S. 2

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Folgerichtig könnte auch bei den Verbandsklagemöglichkeiten im Umweltrecht153 eine absolute Wirkung – wegen praktischer Relevanz – in Betracht kommen. Wenn Anfechtungsklage gegen einen belastenden Verwaltungsakt aufgrund der Unrechtmäßigkeit der Ermächtigungsgrundlage erhoben werden würde, wäre hier ebenfalls eine absolute Wirkung des vorläufigen Rechtsschutzes zu begrüßen.154 In diesem Sinne ist vertretbar, wenn schon der Suspensiveffekt keinerlei absolute Wirkung entfaltet, dass dies dann aber der Fall sein dürfte, wenn eine gerichtliche Aussetzungsentscheidung oder eine einstweilige Anordnung ergeht. Die Wirkung der gerichtlichen Eilentscheidung, welche durch Beurteilung der Sach- und Rechtslage getroffen wird, könnte sich auch bei Rechtsbetroffenen, die keinen Rechtsbehelf eingelegt oder die Rechtsbehelfsfrist verpasst haben, entfalten. Das ist insbesondere dann begründet, wenn die sofort vollziehbare Verfügung existentielle Folgen für den Betroffenen haben kann und das Eilverfahren damit vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt. b) Ex tunc- oder ex nunc-Wirkung des Suspensiveffekts In Bezug auf die Wirkung des Suspensiveffekts ist des Weiteren umstritten, ob der Suspensiveffekt mit einer ex tunc- oder ex nunc-Wirkung eintritt und mit welcher Wirkung er wieder beendet wird. aa) Eintritt der Wirkung Die Beantwortung der Frage, ob der Suspensiveffekt ex tunc- oder ex nuncWirkung entfaltet, ist hinsichtlich der rechtlichen Folgen des vorläufigen und vorbeugenden Rechtsschutzes maßgeblich. Im Mittelpunkt der Erörterung steht die Haftungsfrage für staatliches Unrecht. Träte die Wirkung des Suspensiveffekts ex nunc ein, so bliebe jeder Verwaltungsakt mit einer belastenden Wirkung oder auch mit Doppelwirkung bis zum Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels für den Adressaten verbindlich. Die Untätigkeit der Behörde, trotz Vorliegens eines besonderen öffentlichen oder privaten Drittvollzugsinteresses, durch Nichtvollziehung des Verwaltungsakts wäre damit bis zum Eintritt des Suspensiveffekts rechtswidrig.155 Würde hingegen eine ex tunc-Wirkung

bekanntzumachen. Schmidt, in: Eyermann, VwGO (2014), § 80 Rn. 112; Schenke, in: Kopp/ Schenke, VwGO, § 47 Rn. 159; dagegen VGH Kassel, B. v. 7.8.2013 – 10 B 1549/13, BeckRS 2013, 54875; Giesberts, in: BeckOK VwGO, § 47 Rn. 91, 93. 153 Vgl. Cuno, Einstweiliger Rechtsschutz. S. 73. 154 In solch einem Fall könnte die Klage auch als Popularklage zugelassen werden; die Popularklage gilt nur in Ausnahmefällen (wie z. B. in Bayern). Vgl. VerfGH Bayern, E. v. 18. 04. 2013 – Vf. 8-VII-12 –, juris. 155 Auch Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 32.

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angenommen werden, wäre die Untätigkeit der Behörde abgesehen vom Ergebnis des Rechtsbehelfs rückwirkend rechtmäßig.156 Es ist dabei auch für den Rechtsschutzsuchenden im Einzelnen erheblich, wie sich der Suspensiveffekt zeitlich auswirkt. Das kann an dem Fall veranschaulicht werden, dass trotz der Untersagung einer Gewerbeausübung das Gewerbe uneingeschränkt weiter ausgeübt wird. Die rechtswidrige Ausübung des Gewerbes wäre rechtmäßig, wenn der Suspensiveffekt rückwirkend eintritt. Andernfalls ist die Ausübung des Gewerbebetriebes trotz Untersagung gemäß § 146 Abs. 1 GewO für den Rechtsbetroffenen strafbar.157 Obwohl der Gesetzgeber diesen Umstand offengelassen hat, ist zu vertreten, dass der Suspensiveffekt grundsätzlich rückwirkend158 zum Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsakts eintritt.159 Somit müsste das Vollzugsrisiko im Zeitraum zwischen Erlass des Verwaltungsakts und Einlegung des Widerspruchs nicht von dem Bürger getragen werden. Das ist aber in mehrpoligen Rechtsverhältnissen anders zu bewerten. Bei kollidierenden Privatinteressen sollte die Möglichkeit bestehen, die zeitliche Auswirkung der aufschiebenden Wirkung, im Hinblick auf die Interessenabwägung, zu beschränken.160 Die Rückwirkung des Suspensiveffekts gilt, soweit dies möglich ist, auch bei der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung.161 In diesem Sinne wird bei vollzogenen Verwaltungsakten die Rückwirkung ebenso bejaht, weil die Aufhebung der Vollziehung und die aufschiebende Wirkung gedanklich gleichgesetzt werden.162 Beim Wegfall der aufschiebenden Wirkung geht es hingegen grundsätzlich um eine ex nunc-Wirkung.163 bb) Wirkungsende Der Suspensiveffekt sollte in der Regel bei Unanfechtbarkeit nach § 80b VwGO rückwirkend enden, soweit nichts Abweichendes gilt.164 Die Rückwirkung kann aber 156 Pöcker, Kritik des § 80 VwGO, S. 72; vgl. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 54. 157 Wieseler, Der vorläufige Rechtsschutz, S. 57. 158 Wieseler, Der vorläufige Rechtsschutz, S. 59. 159 Steinweg, Zeitlicher Regelungsgehalt des VA, S. 286; vgl. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 54; vgl. Pöcker, Kritik des § 80 VwGO, S. 72; Scholz, Die aufschiebende Wirkung, S. 112 ff.; Funke-Kaiser, in: Bader/Funke-Kaiser/Stulfauth/v. Albedyll, VwGO, § 80 Rn. 21.; vgl. Wieseler, Der vorläufige Rechtsschutz, S. 76. 160 Funke-Kaiser, in: Bader/Funke-Kaiser/Stulfauth/v. Albedyll, VwGO, § 80 Rn. 21. 161 Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 54, 21; Wieseler, Der vorläufige Rechtsschutz, S. 58. 162 Vgl. Wieseler, Der vorläufige Rechtsschutz, S. 69: Wenn der VA sofort vollzogen wäre, wird nur Wirkung ex tunc zutreffend. 163 Zur Gegenmeinung Schmidt, in: Eyermann, VwGO (2014), § 80 Rn. 17. 164 Funke-Kaiser, in: Bader/Funke-Kaiser/Stulfauth/v. Albedyll, VwGO, § 80 Rn 21.

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C. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Suspensiveffekts

nicht zu Sanktionen führen, die letztlich vom Ausgang des Suspensiveffekts abhängen. Die Entscheidung in der Hauptsache darf also dann nicht zur Folge haben, dass Handlungen, die im Vertrauen auf die aufschiebende Wirkung ausgeführt worden sind, bei Misserfolg des Rechtsbehelfs rückwirkend sanktioniert werden.165 Zudem muss bei einer rückwirkenden Beendigung des Suspensiveffekts der Betroffene auch keine Verzugszinsen oder Säumniszuschläge – vorbehaltlich besonderer gesetzlicher Regelungen – entrichten.166 Die Fälligkeit einer Schuld bleibt aber nach erfolgloser Anfechtung eines Verwaltungsakts bestehen. Der Suspensiveffekt hat auf den Hauptsacheanspruch der Behörde demnach keine Auswirkung. Beispielhaft ist der entlassene Beamte anzuführen, der die während des vorläufigen Rechtsschutzes gewährten Bezüge, entsprechend den Bereicherungsgrundsätzen, zinslos zurückzahlen muss, wenn die Verwaltung in der Hauptsache obsiegt.167 Letztlich ergeben sich bei Misserfolg des Rechtsbehelfs auch die Rechtsfolgen des Verwaltungsakts, vergleichbar mit einer erfolgreichen Anfechtung, rückwirkend. Insoweit macht die endgültige Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts auch die während der aufschiebenden Wirkung eintretenden unzulässigen Vollziehungsmaßnahmen der Behörde rückwirkend rechtmäßig.168

III. Der Ausschluss des Suspensiveffekts Vom vorgesehenen Regelfall des Suspensiveffekts kann unter Umständen abgewichen werden.169 Eine solche Abweichung ist in bestimmten Fällen bereits durch den Gesetzgeber vorgegeben (§ 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 – 3a VwGO) oder wird im Nachhinein durch eine behördliche Entscheidung im Einzelfall angeordnet (§ 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO).170 Somit gibt es in § 80 Abs. 2 VwGO sowohl eine gesetzliche als auch eine behördliche Möglichkeit, den Suspensiveffekt auszuschließen. Diesbezüglich ist vor allem zu untersuchen, inwieweit sich der gesetzliche vom behördlichen Ausschluss unterscheidet und welche Auswirkungen diese Unterscheidung nach sich zieht. 165 Pöcker, Kritik des § 80 VwGO, S. 76; andernfalls würde der vorläufige Rechtsschutz seinen Sinn und seine Effizienz verlieren. Erichsen/Klenke, DÖV 1976, 833, 837 f.; Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 43; Funke-Kaiser, in: Bader/Funke-Kaiser/Stulfauth/v. Albedyll, VwGO, § 80 Rn. 25 f.; vgl. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 32 f; Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 49. 166 Vgl. Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 51; Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 33; Schmidt, in: Eyermann, VwGO (2014), § 80 Rn. 14. 167 Auch Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 42 f. 168 Pöcker, Kritik des § 80 VwGO, S. 62; vgl. Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 44 f.; vgl. Pöcker, Kritik des § 80 VwGO, S. 72. 169 Zur Terminologie Timmler, Aussetzungsentscheidung, S. 42. 170 Beckmann, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 89.

III. Der Ausschluss des Suspensiveffekts

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Der gesetzliche Ausschluss tritt materiell-rechtlich unmittelbar ein.171 Demgegenüber bedarf der behördliche Ausschluss einer Rechtfertigung im Einzelfall, weshalb ein besonderes Vollzugsinteresse gefordert wird, um die sofortige Vollziehung anzuordnen.172 Der Unterschied ist jedoch nicht derart aufzufassen, dass der Gesetzgeber für die Fälle des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 – 3a VwGO geringere Anforderungen stellt. Vielmehr kann von einem gemeinsamen rechtlichen Motiv ausgegangen werden, nämlich den Ausschluss des Suspensiveffekts weiterhin als Ausnahme anzusehen. Bei den einzelnen gesetzlichen Ausnahmen zum Suspensiveffekt steht stets die Wahrung des öffentlichen Interesses im Vordergrund. Während dem § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO das Interesse des öffentlichen Haushalts zugrunde liegt, steht bei Nr. 2 das Interesse einer wirkungsvollen Gefahrenabwehr im Vordergrund. Für die Fälle in Nr. 3 sowie in Nr. 3a wird von einem besonderen Vollzugsinteresse bei speziellen bundes- oder landesrechtlichen Regelungen ausgegangen.173 Daraus ergibt sich, dass der Gesetzgeber bei der Gestaltung der einzelnen Ausnahmen von einem überwiegenden Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit ausgegangen ist.174 Dieses rechtliche Motiv wird auch beim behördlichen Ausschluss anerkannt. Während es sich aus den gesetzlichen Ausnahmen von Nr. 1 – 3a nur mittelbar ergibt, ist es bei Nr. 4 deklaratorisch angeführt. Ein gemeinsames rechtliches Motiv entspricht auch der Systematik des Regel-Ausnahme-Verhältnisses und kennzeichnet die Ausnahmeklausel des § 80 Abs. 2 VwGO. Gleichwohl gleicht der behördliche dem gesetzlichen Ausschluss nicht in Gänze, weil sie sich hinsichtlich des Verfahrens voneinander unterscheiden. In struktureller Hinsicht ist § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO demnach nicht der Entfallen-Kategorie des § 80 Abs. 2 S. 1 VwGO zuzuordnen.175 Der Ausdruck des „Entfallens“ trifft lediglich auf die in Nr. 1 – 3a genannten Ausnahmen zu. Wird der gesetzliche Tatbestand dieser Ausnahmen erfüllt, wird der Wegfall verifiziert.176 Demgegenüber beginnt die sofortige Vollziehbarkeit im Sinne des behördlichen Ausschlusses erst nach der besonders begründeten behördlichen Entscheidung gemäß §§ 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 i. V. m. Abs. 3 VwGO. Die Durchbrechung des Suspensiveffekts liegt im Ermessen der Behörde und erfolgt nur gegebenenfalls.

171

Schoch, Aufschiebende Wirkung, in: Ehlers/Schoch, Rechtsschutz im ÖffR, § 29 Rn. 41. 172 Auch Funke-Kaiser, in: Bader/Funke-Kaiser/Stulfauth/v. Albedyll, VwGO, § 80 Rn. 25; Windthorst, in: Gärditz, VwGO, § 80 Rn. 129; Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 128. 173 Beckmann, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 89. 174 Vgl. Kotulla, Verw 33 (2000), 520, 528; Windthorst, in: Gärditz, VwGO, § 80 Rn. 130. Funke-Kaiser, in: Bader/Funke-Kaiser/Stulfauth/v. Albedyll, VwGO, § 80 Rn. 24; vgl. Scholz, in: FS Menger, S. 641, 644 und 647. 175 Vgl. Pöcker, Kritik des § 80 VwGO, S. 22. 176 Vgl. Beckmann, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 88 f.

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C. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Suspensiveffekts

Anhand der gesetzlichen Struktur zeigt sich zugleich, dass die vier alternativen Ausnahmetatbestände als eine enumerative Aufzählung in Erscheinung treten. Obwohl Konstellationen denkbar sind, in denen mehrere Ausnahmen gleichzeitig auftreten können, ist deren kumulative Anwendung aus rechtsdogmatischen Gründen nicht möglich.177 § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO beschränkt sich dabei, anders als der gesetzliche Ausschluss, nicht auf bestimmte Fälle und ist insoweit als eine pauschale Regelung zu betrachten. Durch das Merkmal des besonderen öffentlichen Interesses in Nr. 4 wird der Behörde ein großzügiger Beurteilungsspielraum eingeräumt. Dies führt im Vergleich zu den gesetzlichen Ausschlüssen zu einer häufigeren Anwendung von Nr. 4.178 Entsprechend ist es überlegenswert, die Konzeption der Norm anzupassen. Der behördliche Ausschluss könnte entweder einem gesonderten Absatz unterfallen oder alternativ könnte § 80 Abs. 2 S. 1 VwGO in dieser Hinsicht systematischer formuliert werden, sodass der konzeptionelle Unterschied zwischen dem behördlichen und gesetzlichen Ausschluss nicht verwischt wird. 1. Gesetzlicher Ausschluss des Suspensiveffekts a) Die Rechtsnatur der gesetzlichen Ausnahmen des Suspensiveffekts unter dem Gesichtspunkt der gesetzlichen Interessenbewertung Der gesetzliche Ausschluss des Suspensiveffekts ist durch eine von vornherein festgelegte Interessenbewertung gestaltet. Die Bewertung ist im Wesentlichen an die Abwägung zwischen öffentlichem und privatem Interesse angelehnt. Das „öffentliche Interesse“ überwiegt hier als ein mittelbares Motiv des gesetzlichen Ausschlusses. Dadurch befreit der Gesetzgeber die Verwaltung davon, ein zusätzliches besonderes Interesse, bzw. ein Dringlichkeitsinteresse an der sofortigen Vollziehung, darstellen zu müssen.179 Dementsprechend ist es allein durch das Motiv des Gesetzgebers gerechtfertigt, den Rechtsschutzanspruch des Grundrechtsträgers einstweilig zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen Wohls rechtzeitig in die Wege zu leiten.180 Der grundsätzliche Vorrang des Vollziehungsinteresses i. S. d. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 – 3a VwGO bezieht sich – wie der Vorrang des Suspensivinteresses i. S. d. § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO, der sogar keinen Zusammenhang mit der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts aufweist – nicht auf die Frage nach dessen Rechtmäßigkeit. Festzuhalten ist, dass die sofortige Vollziehung nicht anhand der Rechtmäßigkeit des 177 Aufgrund des gemeinsamen Motives des „besonderen öffentlichen Interesses“ wäre es unschädlich, wenn die Ausnahme von Nr. 4 anstelle einer anderen Ausnahme von Nr. 1 – 3a zur Anwendung kommen würde. Vgl. Beckmann, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 87. 178 Vgl. Beckmann, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 88. 179 Schoch, Aufschiebende Wirkung, in: Ehlers/Schoch, Rechtsschutz im ÖffR, § 29 Rn. 44. 180 Sauthoff, NVwZ 1988, 697, 698 f.

III. Der Ausschluss des Suspensiveffekts

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angegriffenen Verwaltungsaktes ergeht, sondern auf dem überwiegenden (öffentlichen) Vollzugsinteresse gegenüber dem Aussetzungsinteresse beruht.181 Daraus ergibt sich, dass der Verwaltungsakt, ohne eine nochmalige Prüfung seiner Rechtmäßigkeit und ohne Bedenken, bei Vorliegen einer der gesetzlichen Ausnahmefälle von der Behörde sofort vollzogen werden kann. Es spricht viel dafür, dass der Gesetzgeber anders als in Nr. 4 in den Nr. 1 – 3a der Behörde keinen Ermessensspielraum eingeräumt hat. Die Einzelfallprüfung bezüglich des gesetzlichen Ausschlusses kommt dann erst im behördlichen oder gerichtlichen Aussetzungsverfahren in Betracht und die neue Interessenabwägung gegen die gesetzliche Grundentscheidung i. S. d. § 80 Abs. 2 S. 1 VwGO erfolgt besonders anhand des § 80 Abs. 5 VwGO. Aufgrund der teils vorhandenen unbestimmten Rechtsbegriffe im gesetzlichen Ausschluss, wie der „unaufschiebbaren polizeilichen Maßnahme“ oder der „öffentlichen Abgaben und Kosten“ bleibt es dennoch umstritten, inwieweit die jeweiligen Ausnahmen in Abs. 2 angewendet werden können. Hierbei bedeutet die sofortige Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts in den Fällen des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 – 3a VwGO unmittelbar nicht auch die Notwendigkeit des sofortigen Vollzugs. Vielmehr bleibt der Behörde im Ergebnis die Entscheidung überlassen, ob der Verwaltungsakt sofort vollzogen werden soll oder nicht.182 b) Die verfassungsrechtliche Betrachtung der Interessenbewertung des gesetzlichen Ausschlusses In Bezug auf die gesetzlichen Ausnahmefälle des Suspensiveffekts stellt sich weiterhin die Frage, ob die abstrakte gesetzliche Bewertung der kollidierenden Interessen in § 80 Nr. 1 – 3a VwGO183 unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten gerechtfertigte Ergebnisse liefert.184 In der Rechtsprechung findet diese generalisierende Interessenabwägung des Gesetzgebers teils eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung. Eine solche Rechtfertigung ist beispielsweise bei einer gerichtlichen Entscheidung bezüglich der Pflicht zur Zahlung des Rundfunkbeitrags,185 bei der es um öffentliche Abgaben geht, 181

Vgl. Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 125. Anders dazu VGH München, B. v. 14.10.2016 – 7 AS 16.1895, BeckRS 2016, 54907; vgl. VGH Bayern, B. v. 3.12.2015 – 7 AS 15.2585 –, juris; vgl. Hoppe, in: Eyermann, VwGO, § 80 Rn. 43. 183 Vgl. Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 128. Es spricht für einen Vorrang des öffentlichen Vollziehungsinteresses im Widerstreit mit dem kollidierenden privaten Aufschubsinteresse. 184 Die Besonderheiten der unterschiedlichen Verfahren müssen sich nämlich aus den Unterschieden der Sachziele rechtfertigen und dürfen nicht nur aus formalen Gründen erfolgen. Birk, in: FS Menger, S. 161, 167. 185 VGH München, U. v. 19.6.2015 – 7 BV 14.1707, BeckRS 2015, 47772. 182

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zu sehen.186 Die aufschiebende Wirkung einer Klage gegen Rundfunkbeitragsbescheide kann demnach nicht angeordnet werden, weil bei öffentlichen Abgaben das Vollzugsinteresse grundsätzlich überwiegt (§ 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO).187 Ein solches überwiegendes Vollzugsinteresse wird dadurch deutlich, dass die Zahlung der Rundfunkbeiträgen vor allem der funktionsgerechten Finanzausstattung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks dient. Zur Gewährleistung der Rundfunkfreiheit aus Art. 5 GG gehört nämlich die Sicherung der Funktionsfähigkeit des öffentlichrechtlichen Rundfunks unter Einschluss seiner bedarfsgerechten Finanzierung.188 Daneben wird in der Literatur generell vertreten, dass gegen irgendeine gesetzliche Bevorzugung des Ausschlusses im § 80 Abs. 2 VwGO keine verfassungsrechtlichen Bedenken vorzubringen sind.189 Die Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG werden nämlich bereits in den Regelungen des § 80 VwGO erfüllt.190 Die Ausgestaltung des Gesetzgebers ist aber aus rechtspolitischer Sicht kritisch zu bewerten. Die vom Gesetzgeber genannten Fälle, die das überwiegende Vollzugsinteresse von vornherein bejahen, bedürfen insoweit keines besonderen verfassungsrechtlichen Motives, sondern vielmehr einer besonderen gesetzlichen Rechtfertigung. Ob eine solche Rechtfertigung in allen Fällen des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 – 3 VwGO besteht, ist zu erörtern.191 c) Tatbestandsmerkmale des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 – 3a VwGO Um den Umfang des gesetzlichen Ausschlusses zum Suspensiveffekt feststellen zu können, sind hier zunächst die Tatbestandsmerkmale des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 – 3a VwGO darzustellen.

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Ausführlich VerfGH Bayern, U. v. 15.05.2014 – Vf. 8-VII/12, BeckRS 2014, 52739; auch VerfGH Rheinland-Pfalz, NVwZ 2015, 64 ff.; BVerwG, B. v. 18.04.2016 – 8 B 7.16, BeckRS 2016, 45854; vgl. VGH München, U. v. 19.06.2015 – 7 BV 14.1707, BeckRS 2015, 47772. 187 VG Bayreuth, B. v. 27. 05. 2015 – B 3 S 15.215 –, Rn. 15, juris. 188 Vgl. VGH München, U. v. 19.06.2015 – 7 BV 14.1707, BeckRS 2015, 47772 Rn. 26.; auch VG Bayreuth, B. v. 27.05.2015 – B 3 S 15.215 –, juris. 189 Vgl. Birk, in: FS Menger, S. 161, 166. „Was nützt die gleichwertige prozessuale Stellung, wenn ein Sachbegehren dadurch „unschädlich“ gemacht wird, dass man es auf einen prozessualen Weg verweist, dessen formale Hürden zu hoch angesetzt sind?“ 190 Siehe oben S. 51 ff. und S. 59 f.; der Betroffene kann in diesen Fällen bei der Verwaltung nach § 80 Abs. 4 und beim Gericht in der Hauptsache nach § 80 Abs. 5 um vorläufigen Rechtsschutz nachsuchen, so dass den verfassungsrechtlichen Anforderungen an einen effektiven Rechtsschutz entsprochen ist. Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 40 – 44; Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 127 f. 191 Dazu sogleich c), S. 94 ff.

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aa) Öffentliche Abgaben und Kosten Unter den gesetzlichen Ausschlüssen des § 80 Abs. 1 VwGO bezieht sich die erste Ausnahmeregelung nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO auf diejenigen belastenden Verwaltungsakte, die die öffentlichen Abgaben und Kosten betreffen. Bei der Bestimmung der Abgaben und Kosten ist zuerst auf das Regel-AusnahmeVerhältnis abzustellen. In diesem Zusammenhang soll die Ausnahme des Abs. 2 S. 1 Nr. 1 nicht zu weit interpretiert werden, um eine Umkehrung des Regel-AusnahmeVerhältnisses zu verhindern.192 Das deutet gleichzeitig daraufhin, dass der Anwendungsbereich des Abs. 2 S. 1 Nr. 1 durch ein besonderes Kriterium beschränkt werden muss. Damit wird auf die Funktionsfähigkeit der Öffentlichen Hand durch eine Deckung des Finanzbedarfs zum Anwendungsbereich des Abs. 2 S. 1 Nr. 1 verwiesen. In diesem Sinne stellt die Finanzierungsfunktion der öffentlichen Abgaben das besondere öffentliche Interesse bzw. das überwiegende Vollzugsinteresse dar, das den Wegfall des Suspensiveffekts rechtfertigt.193 Dieses Kriterium allein reicht aber nicht aus, um die Ausnahme von Nr. 1 einschränkend zu erfassen.194 Daher wird häufig vertreten, dass § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO neben der Finanzierungsfunktion auch der Sicherung der ordnungsgemäßen Haushaltsplanung dienen soll.195 Es wird angeführt, eine geordnete Haushaltsführung sei nur durch fortlaufenden Eingang planbarer finanzieller Leistungen möglich.196 Ohne die Verlässlichkeit und Berechenbarkeit des Mittelflusses in die öffentlichen Kassen wäre ansonsten die planvolle Finanzierung der öffentlichen Abgaben gefährdet.197 192 Vgl. Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 132; eine restriktive Interpretation auch Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 49; die Ausnahmen müssen mit dem Grundsatz ¨ HFD 2011, 1, 3; „Singularia non sunt extenda“ behandelt werden. Siehe dazu Yongalık, AU würde man andererseits diesen Grundsatz lediglich als ein Dogma ansehen, welches keine rechtlichen Folgen nach sich zieht, dürften die Ausnahmen auch nach der gesetzlichen Methodenlehre ausgedehnt oder extensiv ausgelegt werden Muscheler, in: FS Kruse, S. 135, 146. 193 Ausführlich BVerwG, NVwZ 1993, 1112 ff.; OVG Schleswig-Holstein, NordÖR 2012, 184 ff.; OVG Lüneburg, EuG 2009, 405 ff. 194 Rein finanzielle Gründe können den gesetzlichen Ausschluss der aufschiebenden Wirkung von Verfassung wegen nicht rechtfertigen. Vgl. BVerfGE 102, 197, 216; BVerfG, NJW 2006, 1262, 1264; dazu Schoch, Aufschiebende Wirkung, in: Ehlers/Schoch, Rechtsschutz im ÖffR, § 29 Rn. 45 f.; vgl. Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 50. „Die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Haushalte ist zweifelsfrei ein solches hinreichend gewichtiges Schutzgut (mit Verfassungsrang). Nur ist dieser Grundsatz nicht berührt, wenn bei öffentlichen Abgaben, deren Entstehen weder voraussehbar noch in der Finanzplanung kalkulierbar ist, der Einzelne nicht vorleistungspflichtig ist. Die Funktionsfähigkeit ist erst dann betroffen, wenn der ordnungsgemäße Zufluss solcher Mittel nicht gewährleistet ist, mit denen der Staat rechnen darf und die er daher zur Erfüllung seiner Aufgaben einplant.“ 195 OVG Lüneburg, B. v. 26.03.2014 – 13 ME 21/14, BeckRS 2014, 49380; VGH Mannheim, NVwZ-RR 2007, 296, 296; OVG Berlin, NVwZ-RR 2005, 304 ff. 196 Schoch, Aufschiebende Wirkung, in: Ehlers/Schoch, Rechtsschutz im ÖffR § 29 Rn. 46; Kotulla, Verw 33 (2000), 520, 528 f. 197 Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 55; Hoppe, in: Eyermann, VwGO, § 80 Rn. 26.

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C. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Suspensiveffekts

Unter diesem Blickwinkel des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO muss man sich Steuern sowie die Beiträge und Gebühren, die die Stetigkeit des Mittelflusses der öffentlichen Abgaben gewährleisten vor Augen führen.198 Ebenfalls fallen Sonderabgaben mit einer solchen Finanzierungsfunktion unter § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO.199 Einzelfallbeispiele sind etwa die Abwasserabgabe, Müllabfuhrgebühren, Rundfunkbeiträge, Abschleppkosten, Ablösungsbeträge nach Bauordnungsrecht sowie Abschiebungskosten im Ausländerrecht.200 Sie dienen alle zweifellos der Deckung des stetigen Finanzbedarfs eines Hoheitsträgers für die Wahrnehmung seiner Aufgaben.201 So gehören die Aussetzungszinsen, Säumniszinsen usw. nicht zu den Abgaben im Sinne des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO.202 Gegen diese teils einschränkende Interpretation fasst die Rechtsprechung manchmal auch den Begriff der „öffentliche Abgaben“ extensiv auf.203 Der Begriff umfasse demnach auch die Geldleistungen, die nicht den stetigen Mittelfluss der öffentlichen Hand betreffen.204 Hierbei wird argumentiert, dass der Gesetzgeber in § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO auf eine ausdrückliche Nennung wie Steuern, Gebühren und Geldleistungen verzichtet hat. Die Argumentation für die extensive Interpretation von öffentlichen Abgaben ist allerdings nicht haltbar. Denn der Gesetzgeber kann ohnehin bestimmte Abgaben vom Suspensiveffekt wiederum durch § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO deklaratorisch ausschließen und hat dies auch schon getan, wie die ausdrückliche Regelung des § 12 a AbwAG bestätigt.205 Wenn alle öffentlich-rechtliche Geldleistungen, unabhängig eines einschränkenden Kriteriums, von § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO erfasst wären, wäre eine solche explizite Ausnahme nicht notwendig gewesen. 198

Kotulla, Verw 33 (2000), 520, 529; Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 134. BVerwG, DVBl. 1993, 441, 443; OVG Lüneburg, NVwZ-RR 1997, 655 ff.; OVG Münster, DVBl. 1993, 563, 564; Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 133; Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, § 35 Rn. 681; vgl. Kotulla, Verw 33 (2000), 520, 529; da die rechtsstaatlich geschuldete und von § 80 geforderte hinreichend präzise Abgrenzung auch bei den übrigen Abgabenformen mit Lenkungs-, Antriebs-, Zwangs- oder Straffunktion kaum möglich ist, greift § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 in diesen Fällen nicht. Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 50. 200 Windthorst, in: Gärditz, VwGO, § 80 Rn. 131 f.; Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 136 f. 201 Kotulla, Verw 33 (2000), 520, 528; Windthorst, in: Gärditz, VwGO, § 80 Rn. 131. 202 Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 137; Schmidt, in: Eyermann, VwGO (2014), § 80 Rn. 20 ff.; OVG Koblenz, KStZ 2000, 77, 77; OVG LSA, SächsVBl 1996, 138, 138. 203 Nicht nur der primären finanziellen Funktion, sondern auch der Wirtschaftslenkung dienende Geldleistungen unterfallen hiermit dem § 80 Abs. 2 S. 1 VGO. Schoch, in: Schoch/ Schneider, VwGO, § 80 Rn. 129 f. 204 Säumniszuschläge sind Abgaben im Sinne des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO, vom VG Aachen, B. v. 21.11.2006 – 7 L 516/06 –, juris; VGH Kassel, NVwZ-RR 1995, 158 ff.; OVG Münster, NVwZ 1984, 395, 395; in der Rechtsprechung wird auch bejaht, dass die Frage offengelassen werden kann, ob Säumniszuschläge Abgaben i. S. d. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO sind. OVG Mecklenburg, B. v. 07.01.2003 – 1 M 52/02. –, Rn. 3, juris. 205 Vgl. auch Kotulla, Verw 33 (2000), 520, 529. 199

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Entsprechend dem Ausnahmecharakter des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO wird auch der Begriff der „Öffentlichen Kosten“ in der Rechtsprechung und Literatur überwiegend eng ausgelegt. Unter den öffentlichen Kosten werden zuerst die in einem Verwaltungsverfahren entstandenen Gebühren verstanden.206 Die von der öffentlich-rechtlichen Verwaltungstätigkeit erfassten Kosten müssen aber auch im Voraus bestimmbar sein. Infolgedessen werden von den Umständen des Einzelfalles abhängige Kostendeckungen nicht unter § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO subsumiert.207 In diesem Sinne fallen die geschuldeten Geldleistungen in der Verwaltungsvollstreckung, wie festgesetzte Zwangsgelder, die Kosten von Gefahrerforschungsmaßnahmen oder auch Säumniszuschläge nicht unter die Kosten.208 Letztlich ist die eingeschränktere Interpretation des gesetzlichen Ausschlusses i. S. d. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO, die das Kriterium des Finanzbedarfs, der von der Verlässlichkeit und der Berechenbarkeit des Mittelflusses in die öffentlichen Kassen herrühren muss,209 darstellt, zutreffend. Demnach besteht hinsichtlich der Vollziehung von öffentlichen Abgaben und Kosten zwar ein öffentliches Interesse an einem ständigen Zufluss an Einnahmen zur Deckung des Finanzbedarfs des Staates. Allerdings stellt sich dieses Vollzugsinteresse als nicht so unerlässlich dar, um einen gesetzlichen Ausschluss des Suspensiveffekts veranlassen zu müssen. Der Staat verfügt nämlich zur Finanzierung seines Haushalts neben steuerlichen Einkünften auch über weitere Einnahmequellen, die geeignet sind, vorhandene Haushaltsdefizite auszugleichen. Abgesehen davon ist unter Berücksichtigung der Selbstherrlichkeit der vollziehenden Gewalt im Verhältnis zum Bürger der Bürger in finanzieller Hinsicht grundsätzlich unterlegen und schutzbedürftig.210 Diesem Gedankengang folgend lässt sich schlussfolgern, dass auf einfachgesetzlicher Ebene das Motiv des „überwiegenden öffentlichen Interesses“ in diesem Falle insbesondere aus der Perspektive des „irreparablen Schadens“ nicht gelungen ist. Selbsterklärend ist, dass jeder belastende Verwaltungsakt bezüglich öffentlicher Abgaben und Kosten den Bürger nicht immer in den finanziellen Ruin stürzen wird. Im Rahmen einer abstrakten Bewertung erscheint es jedoch wahrscheinlicher, dass dem Bürger bei sofortiger Vollziehung aufgrund der ihm auferlegten finanziellen Steuerlast ein wirtschaftlich irreparabler Schaden entsteht, als dass der Staat im Falle der aufschiebenden Wirkung irreparablen finanziellen Schäden ausgesetzt ist. 206

OVG Berlin, B. v. 13.04.1995 – 2 S 3.95 –, juris. Funke-Kaiser, in: Bader/Funke-Kaiser/Stulfauth/v. Albedyll, VwGO, § 80 Rn. 31; Kotulla, Verw 33 (2000), 520, 529; Schoch, Aufschiebende Wirkung, in: Ehlers/Schoch, Rechtsschutz im ÖffR, § 29 Rn. 50. 208 OVG Greifswald, NVwZ-RR 2017, 123, 124 Rn. 10; OVG Schleswig-Holstein, NVwZRR 2001, 586 ff.; vgl. etwa OVG Berlin-Brandenburg, NVwZ-RR 2006, 376, 377 f. 209 Redeker, in: Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 80 Rn. 19; Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 132; Funke-Kaiser, in: Bader/Funke-Kaiser/Stulfauth/v. Albedyll, VwGO, § 80 Rn. 30 f.; Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 64; Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 48 f. 210 Siehe auch unten D. V. 1. b) aa), S. 227 ff. 207

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C. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Suspensiveffekts

Im Endeffekt vermag die Ausnahme i. S. d. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO in einer systematischen Begründung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses keine wirklich überzeugende Rechtfertigung zu liefern. Es ist daher nicht nötig, dass die sofortige Vollziehung aufgrund der „Deckung der öffentlichen Ausgaben“ direkt aus dem Gesetz angeordnet wird. Ein Ausschluss des Suspensiveffekts im Bereich der öffentlichen Abgaben und Kosten wird allein über § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO ausreichend sein. bb) Unaufschiebbare Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten Nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 VwGO entfällt der Suspensiveffekt bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von polizeilichen Vollzugsbeamten. Demnach setzt der Ausschluss drei Punkte voraus: Erstens sollten die Anordnungen und Maßnahmen des Nr. 2 entsprechend dem § 80 Abs. 1 VwGO einen Verwaltungsaktcharakter haben. Zweitens sollten sie allein durch die Vollzugspolizei ergriffen werden.211 Drittens müssen sie „unaufschiebbar“ sein.212 In dieser Feststellung ist besonders das Kriterium der „Unaufschiebbarkeit“, welches die Anwendung des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 VwGO unbestimmbar macht, zu untersuchen. Die Frage, wie „unaufschiebbar“ auszulegen ist, wird zuerst dem Beurteilungsspielraum der Behörde zugewiesen. Der Anwendungsbereich des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 VwGO ist dabei anhand der Beispiele in gerichtlichen Entscheidungen zu konkretisieren. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts213 werden von der Vorschrift des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 VwGO insbesondere Verwaltungsakte erfasst, die durch tatsächliches Handeln oder durch Vollzugsmaßnahmen ergehen.214 Dementsprechend wird eine schriftlich erlassene polizeiliche Maßnahme nicht als unaufschiebbar angesehen.215 Das Gleiche gilt für die Beschlagnahme, falls diese in 211 Hierzu sind die Sicherheits- und Ordnungsbehörden oder Maßnahmen der Sitzungspolizei nicht zu zählen. Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 147. 212 Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 147 f.; Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, § 36 Rn. 696 f.; Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 56; Kotulla, Verw 33 (2000), 520, 530; Schmidt, in: Eyermann, VwGO (2014), § 80 Rn. 25; Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 65. 213 BVerwG, NJW 1979, 1054, 1055. 214 Wie dies z. B. für die unmittelbare Regelung des Straßenverkehrs. Durch die Verwendung des Begriffes „unaufschiebbar“ wird dabei insbesondere deutlich, dass von der Vorschrift nur solche Anordnungen und Maßnahmen erfasst werden sollen, die ein sofortiges Eingreifen polizeilicher Vollzugsbeamter erfordern. VG Schleswig, B. v. 15. 06. 2004 – 3 B 77/04 –, Rn. 5, juris; vgl. VG Frankfurt, NVwZ 1990, 1100, 1101 f. 215 Redeker, in: Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 80 Rn. 17; „Werden polizeiliche Verfügungen schriftlich erlassen, spricht eine – widerlegbare – Vermutung dafür, dass keine Unaufschiebbarkeit i. S. d. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 gegeben ist, sondern die Zeit ausreicht, um ggf. eine Anordnung nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 zu treffen.“ Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 56.

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eine Sicherstellung umgewandelt wird.216 Mit dem Tatbestand der „Unaufschiebbarkeit“, auch umschrieben als besondere Eiligkeit, wird demgemäß hervorgehoben, dass bei Erforderlichkeit die Polizei sofort zum Eingreifen befugt ist.217 Auf dieser Grundlage dient die Norm vor allem der Gewährleistung einer wirksamen Gefahrenabwehr.218 Ferner findet § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 VwGO in der Praxis bei amtlichen Verkehrszeichen einen relevanten Anwendungsbereich, der sich aus dem Wortlaut nicht unmittelbar ableiten lässt.219 Für die analoge Anwendung sprechen neben praktischen Bedürfnissen auch die Funktionsidentität der Verkehrszeichen und -einrichtungen mit polizeilichen Maßnahmen.220 Die analoge Anwendung erfährt aber Kritik, zumal sie zur Schmälerung des § 80 Abs. 1 VwGO führt.221 Mit der Perspektive einer restriktiven Interpretation des Regel-Ausnahme-Verhältnisses sind die Ausnahmen nämlich nicht analogiefähig.222 Dabei ist bereits durch § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO ein besonderer Ausschluss des Suspensiveffekts ohnehin immer möglich. Ebenso hat die Behörde die Möglichkeit, Verkehrszeichen nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO für sofort vollziehbar zu erklären. Eine analoge Anwendung des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 VwGO, der die Fälle in Zusammenhang mit Verkehrszeichen erfasst, ist deshalb auch problematisch, weil dadurch das Merkmal „unaufschiebbar“ ignoriert wird bzw. die Analogiebildung allein auf das Merkmal „Polizeivollzugsbeamte“ fußt. Die „Unaufschiebbarkeit“ der Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten ist bei entsprechender Anwendung des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 VwGO in jedem Einzelfall zu prüfen.223 Eine solche Prüfung 216

Vgl. VG Frankfurt, B. v. 31. 01. 2006 – 5 G 5089/05 –, Rn. 9, juris. „Die Sicherstellung war nicht derart eilig, dass sie unaufschiebbar war und die sofortige Vollziehung nicht mehr hätte angeordnet werden können. Die Anhaltekelle war nämlich zunächst im Ermittlungsverfahren nach den Regeln des Strafprozessrechts beschlagnahmt worden.“ 217 Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 64. 218 Kotulla, Verw 33 (2000), 520, 530 f.; Scholz, Die aufschiebende Wirkung, S. 166. 219 Windthorst, in: Gärditz, VwGO, § 80 Rn. 135; Hoppe, in: Eyermann, VwGO, § 80 Rn. 35. 220 „Nach ständiger Rechtsprechung ist § 80 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf verkehrsregelnde Anordnungen entsprechend anwendbar, weil sich die von Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen ausgehenden Gebote oder Verbote prinzipiell nicht von unaufschiebbaren Anordnungen oder Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten unterscheiden, an deren Stelle sie gleichsam treten.“ VG Minden, B. v. 22.10.2009 – 2 L 444/09 –, Rn. 5, juris; vgl. Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 57. 221 Kotulla, Verw 33 (2000), 520, 531; vgl. Funke-Kaiser, in: Bader/Funke-Kaiser/Stulfauth/v. Albedyll, VwGO, § 80 Rn. 35. 222 Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 64; Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 150; vgl. Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 65. 223 Bei Verkehrsampeln kann die Unaufschiebbarkeit der Fall sein, bei den Parkuhren ist es jedoch zweifelhaft. Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 150; vgl. Funke-Kaiser, in: Bader/Funke-Kaiser/Stulfauth/v. Albedyll, VwGO, § 80 Rn. 34; die Tatbestandsvoraussetzung

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muss dann auch bei der analogen Anwendung auf die Fälle von Verkehrszeichen stattfinden. Demnach dürfen nicht alle Verkehrszeichen unter § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 VwGO subsumiert werden, sondern nur diejenigen, die auch unaufschiebbar sind. Zusammenfassend muss in der entsprechenden oder analogen Anwendung des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 VwGO besonders geprüft werden, ob die „Unaufschiebbarkeit“ im konkreten Fall vorliegt. Trotz Vorliegens einer gesetzlichen Grundentscheidung bedarf es hier einer gesonderten Rechtfertigung durch Einzelfallprüfung, weil eine methodische Anwendung durch Abs. 2 S. 1 Nr. 2 nicht angezeigt ist.224 cc) Andere durch Bundes- oder Landesgesetz vorgeschriebene Fälle Sowohl durch Bundesgesetz als auch durch Landesgesetz kann gemäß § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO der Suspensiveffekt ausgeschlossen werden. Auf Bundesebene ist diese Regelung allerdings nicht nötig, da § 80 Abs. 1 VwGO als eine generelle Regelung jederzeit mit einer speziellen oder späteren Regelung durch den Bundesgesetzgeber durchbrochen werden kann.225 Mit der Regelung nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO weist der Gesetzgeber vor allem auf den fachgesetzlichen Ausschluss der aufschiebenden Wirkung hin. Das lässt keine verfassungsrechtlichen Bedenken entstehen, es sei denn, der spezielle Ausschluss ist selbst nicht verfassungskonform.226 Dabei ist die Tatsache kritisch zu bewerten, dass die Vielzahl der fachgesetzlichen Regelungen zu einem signifikanten Verlust des Bedeutungsgehaltes des § 80 Abs. 1 VwGO führt.227 Von der durch § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO aufgezeigten Möglichkeit wird immer extensiver und exzessiver Gebrauch gemacht. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO ist insbesondere in Bereichen wie im Baurecht, Fachplanungsrecht, Ausländerrecht, Asylrecht, Umweltrecht sowie im Beamtenrecht von großer Aktualität und Relevanz.228 In diesen

der „Unaufschiebbarkeit“ der Maßnahme wird durch die Analogiebildung nicht dispensiert, sondern muss in jedem Einzelfall vorliegen. Daher ist in concreto zu prüfen, ob die Regelung mittels Verkehrszeichen als „unaufschiebbare“ Maßnahme zu qualifizieren ist. Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 57; dazu Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 842 f. 224 Vgl. Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 56; Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 148. 225 Diese deklaratorische Regelung kann hier nur eine Bedeutung für die vor dem Inkrafttreten des VwGO erlassenen Gesetze haben. Kotulla, Verw 33 (2000), 520, 532; Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 153; Windthorst, in: Gärditz, VwGO, § 80 Rn. 136. 226 Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 66; vgl. Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 71. Ein verfassungsrechtlicher Vorwurf könnte z. B. vorliegen, wenn eine gerichtliche Überprüfung des Ausschlusses ausgeschlossen wäre. 227 Vgl. Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 153 f. 228 Redeker, in: Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 80 Rn. 18; Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 156.

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speziellen Rechtsbereichen ist § 80 VwGO subsidiär erst dann anwendbar, wenn keine Spezialregelung besteht.229 Neben dem Bundesgesetzgeber steht dem Landesgesetzgeber auch unter den weiteren Bestimmungen des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO die Befugnis zu, den Suspensiveffekt auszuschließen. Auf Landesebene ist der Suspensiveffekt demnach „insbesondere“ für Widersprüche und Klagen von Dritten und bei Investitionen zur Schaffung von Arbeitsplätzen ausschließbar. Wie aus dem Wort „insbesondere“ hervorgeht, kann der Landesgesetzgeber auch aus anderen Gründen den Suspensiveffekt ausschließen.230 Des Weiteren hat der Landesgesetzgeber für die nicht unter § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO fallenden Konstellationen gemäß § 80 Abs. 2 S. 2 VwGO eine umfassende Kompetenz zur Beseitigung der aufschiebenden Wirkung.231 Der genannte Ausschluss erfasst jedwede Maßnahme bezüglich der Verwaltungsvollstreckung nach Bundes- oder Landesrecht.232 Gleichgültig ist, ob die Vollstreckungsmaßnahme dem Grundverwaltungsakt dient oder einer unmittelbaren gesetzlichen Pflicht entspricht.233 An dieser Stelle wird deutlich, dass keine generelle Einschränkung zum speziellen Ausschlussgrund des Gesetzgebers gegeben ist. Es ist immerhin davon auszugehen, dass der Bundes- oder Landesgesetzgeber nur bei Vorliegen eines besonderen Vollzuginteresses den Suspensiveffekt ausschließt. Mit diesem Vollzugsinteresse ist nicht nur das besondere öffentliche Interesse, sondern auch ein überwiegendes Privatinteresse gemeint, wobei sich im § 80 Abs. 2 VwGO die Nr. 3 in signifikanter Weise von Nr. 1 und Nr. 2 unterscheidet.234

229 Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 58; Funke-Kaiser, in: Bader/FunkeKaiser/Stulfauth/v. Albedyll, VwGO, § 80 Rn. 10; vgl. VGH Baden-Württemberg, B. v. 31.07.2007 – 11 S 723/07 –, juris. 230 Auch Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 69; Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 177; Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 70; Windthorst, in: Gärditz, VwGO, § 80 Rn. 139; Renck, BayVBl. 1994, 161, 163. 231 Funke-Kaiser, in: Bader/Funke-Kaiser/Stulfauth/v. Albedyll, VwGO, § 80 Rn. 36; es sieht so aus, als ob der Landesgesetzgeber eine Tendenz hat, die Abschaffung des Suspensiveffekts auszurichten. Redeker, in: Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 80 Rn. 3a; Kotulla, Verw 33 (2000), 520, 542. 232 Windthorst, in: Gärditz, VwGO, § 80 Rn. 141; keine Einschränkung für die Norm Kotulla, Verw 33 (2000), 520, 541 f.; zur Frage, ob eine Rechtsverordnung auch in diesem Bereich des § 80 Abs. 2 S. 2 fällt und die Norm für die sofortige Vollziehung von der auf Unionrecht beruhenden Verwaltungsakten anwendbar ist, Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 69; früher kam dem Landesgesetzgeber nur die Befugnis durch § 187 Abs. 2 VwGO a. F. zu, bezüglich Landesrechts im Rahmen der Verwaltungsvollstreckung eine Regelung zu treffen. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 68. 233 Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 68; vgl. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 70. 234 Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 70.

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dd) Überregionale bedeutsame Infrastrukturvorhaben Mit der neuen Fassung des § 80 VwGO entfällt die aufschiebende Wirkung gemäß Abs. 2 S. 1 Nr. 3a auch für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, welche die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen. Die Regelung statuiert, dass bei Infrastrukturprojekten mit überregionaler Bedeutung ein dringendes öffentliches Interesse an einer zügigen Realisierung besteht. Als überregional gelten Infrastrukturvorhaben, wenn sie nicht nur auf lokaler oder regionaler Ebene stattfinden. In ähnlicher Weise werden auch Projekte in Bereichen der digitalen Infrastruktur behandelt, die eine lückenlose Mobilfunknetzabdeckung gewährleisten und beispielsweise die Voraussetzungen für den Einsatz moderner Technologien im Bereich der Automatisierung schaffen.235 Grundsätzlich überwiegt das Vollzugsinteresse bei solchen Vorhaben bzw. Projekten das Drittinteresse an der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs, der gegen die Zulassungsentscheidung eingelegt wurde. Deshalb ist der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung gerechtfertigt.236 § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3a VwGO lässt dabei bestehende Sonderregelungen über § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO unberührt. Dazu gehören insbesondere § 18e Abs. 2 S. 1 AEG, § 17 Abs. 2 S. 1 FStrG, § 14e Abs. 2 S. 1 WaStrG, § 10 Abs. 4 S. 1 LuftVG sowie § 212 a Abs. 1 BauGB.237 d) Zwischenergebnis Bei genauerer Betrachtung der gesetzlichen Ausnahmeregelungen des § 80 VwGO wird deutlich, dass der Gesetzgeber bei den Ausnahmefällen redundante Wiederholungen sowie Lücken oftmals nicht vermieden hat. Als implizites gesetzliches Kriterium für die Durchbrechung des § 80 Abs. 1 VwGO kann das überwiegende öffentliche Interesse angeführt werden.238 Das Kriterium gilt allerdings nicht unmittelbar für die Fälle des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 und S. 2 VwGO. Die Klauseln können unter der Systematik des § 80 VwGO nicht erfasst werden. Insbesondere der § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO kann als Regelnorm klassifiziert werden. Damit verbunden erscheinen die anderen gesetzlichen Ausnahmen in Abs. 2 S. 1 Nr. 1 – 2 überflüssig, weil der Gesetzgeber jederzeit durch die Öffnungsklausel des Abs. 2 S. 1 Nr. 3 – auch ohne diese – den Ausschluss des Suspensiveffekts speziell zu regeln vermag. Aus dieser Öffnungsklausel ergibt sich ferner, dass der Suspensiveffekt und dessen normativer Ausschluss abhängig von den 235 236 237 238

BT- Drs 19/22139, S. 18 und 19/24040, S. 21. BT- Drs 19/22139, S. 18. BT- Drs 19/22139, S. 18 und 456/20, S. 18. Vgl. Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 132.

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materiellen Grundrechten gedacht worden sind und auch in der praktischen Anwendung einer Abwägung der betroffenen Interessen bedürfen.239 2. Die behördliche Anordnung der sofortigen Vollziehung Die behördliche Anordnung der sofortigen Vollziehung ist in der Systematik des § 80 VwGO als Ausnahme des Suspensiveffekts verortet.240 Nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO kommt der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, die Möglichkeit zu, den Suspensiveffekt auszuschließen.241 a) Die verfassungsrechtliche Betrachtung des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO Wie der gesetzliche Ausschluss des Suspensiveffekts führt auch der behördliche Ausschluss zu Überlegungen in Bezug auf den Grundsatz des Suspensiveffekts. Auf den ersten Blick ist es kritikwürdig, dass die Ausnahmeregelung des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO durch unbestimmte Merkmale und insbesondere durch das Merkmal des öffentlichen Interesses die Regel des § 80 Abs. 1 VwGO konterkariert.242 Die Unbestimmtheit vereitelt die systematische Auslegung des § 80 VwGO, obgleich sie die Regelung des Abs. 2 S. 1 Nr. 4 methodisch nicht aus der Ausnahmekategorie des Suspensiveffekts entreißt.243 Zudem ist es ineffektiv, wenn ein Verwaltungsakt, der dem § 80 Abs. 1 VwGO unterworfen ist, durch die Behörde erlassen wird und die aufschiebende Wirkung dann wiederum durch eine Entscheidung derselben Behörde im Wege des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO beseitigt wird. Hinsichtlich der Verwirklichung der Effektivität im Bereich des vorprozessualen vorläufigen Rechtsschutzes erscheint es also kontraproduktiv, wenn die Verwaltung sowohl den Verwaltungsakt erlässt als auch das Ermessen zur Anordnung der sofortigen Vollziehung anwendet. Dieser Umstand ist gleichwohl vor dem Hintergrund der zunehmenden Prozessfreudigkeit in Anfechtungssituationen unbedenklich.244

239 Pöckers Vorschlag ist, dass die aufschiebende Wirkung und sofortige Vollziehung vom materiellen Recht abhängig gemacht werden soll. Dazu Pöcker, Kritik des § 80 VwGO, S. 89 ff.; eine Kritik dazu Windthorst, Der verwaltungsgerichtliche einstweilige Rechtsschutz, S. 326 – 329. 240 Scholz, Die aufschiebende Wirkung, S. 169. 241 Wenn sich es schon um einen gesetzlichen Ausschluss handelt, kann von § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 nicht mehr Rede sein. Scholz, Die aufschiebende Wirkung, S. 169 Fn. 1. 242 BVerfG lässt offen, ob eine Vorschrift, die das Überwiegen öffentlicher Interessen als Regelvermutung aufstellt, mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar wäre. BVerfG, NVwZ 1984, 165 ff.; auch Kotulla, Verw 33 (2000), 520, 555, Fn. 184. 243 Vgl. Pöcker, Kritik des § 80 VwGO, S. 23; dagegen Timmler, Aussetzungsentscheidung S. 47 f. 244 Vgl. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1236.

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Die Gegebenheit, dass die Verwaltung oftmals aufgrund der aufschiebenden Wirkung, durch häufige Einlegung der in § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO genannten Rechtsbehelfe, an der Vollziehung gehindert wird, wird berechtigterweise durch die weitreichende behördliche Befugnis nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO egalisiert. Die Regelung des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO dient schließlich in zweiseitigen Rechtsverhältnissen einerseits der Behörde selbst, und damit im Prinzip der Allgemeinheit; andererseits dient sie in mehrpoligen Rechtsverhältnissen den Interessen des Drittbegünstigten. Anschließend ist die Funktion der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO hervorzuheben. Die sofortige Vollziehung sichert die jedem Verwaltungsakt ab Erlass „innewohnende Vollziehbarkeit“, wenn dagegen ein Rechtsbehelf eingelegt worden ist.245 Die instrumentelle Funktion der Vollziehungsanordnung zeigt sich insbesondere in bestimmten Rechtsgebieten, z. B. dem Baunachbarrecht oder dem Umwelt- und Planungsrecht, in denen häufig Anfechtungskonstellationen auftreten. In diesen Bereichen ist das Vollzugsinteresse besonders hoch, weil die zeitliche Ausdehnung der gerichtlichen Verfahren, im Zusammenspiel mit der Dimension der Großprojekte, das Potential zu erheblichen wirtschaftlichen Verlusten signalisiert.246 Aus diesem Umstand ergibt sich regulär die Anordnung der sofortigen Vollziehung, ohne einzelfallabhängige Abwägung, nur allein aufgrund des betroffenen Rechtsgebiets.247 Besonders bedenklich ist das, weil die Behördenpraxis auf diese Weise das Regel-Ausnahme-Verhältnis des § 80 VwGO in das Gegenteil verkehrt, indem durch die Verwaltung eine quasi-gesetzgeberische Rolle übernommen wird.248 Gegen eine solche Umkehrung spricht vor allem die verfassungsrechtliche Bedeutung des Suspensiveffekts von verwaltungsprozessualen Rechtsbehelfen.249 Daneben bestehen gegen die regelmäßige Anordnung der sofortigen Vollziehung einfachgesetzliche Bedenken. Aus der Konzeption des § 80 VwGO folgt die einfachgesetzliche Gewährleistung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses zwischen der aufschiebenden Wirkung und der sofortigen Vollziehung.250 Die Missachtung der Anforderungen des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO ist hierbei unbillig. Schließlich ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht voraussetzungslos wie der Eintritt des Suspensiveffekts. Voraussetzungslos darf in der Praxis davon auch nicht Gebrauch gemacht werden, allein deshalb, weil die „innere Rechtferti245 Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1237; vgl. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 73. 246 Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1239; zu den Einzelfällen Redeker, in: Redeker/ v. Oertzen, VwGO, § 80 Rn. 21 ff.; vgl. Haibach, DÖV 1996, 60, 67; Limberger, Probleme des vorläufigen Rechtsschutzes bei Großprojekten, S. 30. 247 Dazu Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1245 ff. 248 Eine Näherung zu § 123 VwGO Kotulla, Verw 33 (2000), 520, 543. 249 BVerfG, NVwZ 2009, 240, 241; vgl. BVerfGE 35, 382, 402; 51, 268, 284. 250 Vgl. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1247.

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gung der aufschiebenden Wirkung“251 sich durch die regelmäßigen Anfechtungen bestimmter Verwaltungsakte verlieren kann.252 b) Der Begriff „der Anordnung der sofortigen Vollziehung“ im Sinne des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO Die sofortige Vollziehung i. S. d. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO deutet in Rechtsprechung und Literatur auf die sofortige Vollziehbarkeit des eingreifenden Verwaltungsakts hin. Sie unterscheidet sich rechtlich von der Vollzugstätigkeit und dem tatsächlichen Vollzug des Verwaltungsakts. Daneben handelt es sich bei der Vollziehungsanordnung um mehr als die Vollziehung, die dem Verwaltungsakt schon immanent ist.253 Die Anordnung der sofortigen Vollziehung stellt dabei aber keinen eigenständigen Verwaltungsakt dar. Vielmehr drückt sie eine interimistisch wirkende verfahrensrechtliche Nebenentscheidung zum Verwaltungsakt aus.254 Aus § 80 VwGO geht weiterhin hervor, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung ein eigenes Verfahren genießt.255 Schließlich ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung hinsichtlich der Tatbestands- und Rechtsfolgenseiten des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO auslegungsbedürftig. Während auf der Tatbestandsseite insbesondere die unbestimmten Rechtsbegriffe auffallen, steht auf der Rechtsfolgenseite das behördliche Ermessen im Mittelpunkt. Die Norm wird dadurch in der Literatur als Koppelungsvorschrift gekennzeichnet.256

251 „Wo die Anfechtung von Verwaltungsakten praktisch zur Regel wird, verliert der Suspensiveffekt seine innere Rechtfertigung, wenn er dazu führt, dass die öffentlichen Interessen nicht oder rechtzeitig verwirklicht werden können. Das muss auch bei der Handhabung des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 berücksichtigt werden.“ Martens, Suspensiveffekt, S. 18. 252 Die hohe Zahl solcher Anordnungen in Rechtsgebieten wie Umweltrecht und Fachplanungsrecht zeigt, dass das Gesetz teilweise die praktische Bedeutung verliert. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1247; vgl. VGH Hessen, BauR 1985, 309, 309. 253 Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 71; Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1236; Timmler, Aussetzungsentscheidung, S. 42. 254 Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 80; deswegen auch keine Anhörungspflicht Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 71. 255 Die Rechtsnatur der Anordnung der sofortigen Vollziehung ist allerdings nicht unstrittig. Nach M. M. wird sie als Verwaltungsakt qualifiziert. Welcher Ansatz angenommen ist, wird insbesondere deshalb entscheidend, weil einige Vorschriften im VwVfG (wie §§ 45 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2, 28 Abs. 1 VwVfG, 39 VwVfG) lediglich bei der Qualifizierung als Verwaltungsakt der Anordnung der sofortigen Vollziehung zur Anwendung kommen könnten. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1251. 256 Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1249.

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c) Materielle Voraussetzungen der sofortigen Vollziehung Die aufschiebende Wirkung kann kraft der behördlichen Anordnung lediglich unter bestimmten materiellen Voraussetzungen, die im § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO genannt sind, ausgeschlossen werden.257 aa) Die Feststellung des Interesses an der sofortigen Vollziehung Die Anordnung der sofortigen Vollziehung i. S. d. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO bedingt zunächst das Vorliegen eines individuellen Interesses, entweder in Form eines öffentlichen Interesses oder eines überwiegenden Privatinteresses. Hinsichtlich der Art des Interesses sind zwei Konstellationen anerkannt. Sie unterscheiden sich im Hinblick auf die materiellen Voraussetzungen der sofortigen Vollziehung voneinander.258 In beiden Konstellationen, in denen das Sofortvollzugsinteresse der Allgemeinheit oder das der einzelnen Beteiligten und das Aufschubsinteresse des Rechtsbehelfsführers sich gegenüberstehen, wird eine umfassende Interessenabwägung, die durch die Behörde durchzuführen ist, gefordert.259 bb) Die einzelfallbezogene Abwägung der Interessen In eine behördliche Abwägung wird einerseits das für den Sofortvollzug sprechende Interesse der Allgemeinheit oder der Beteiligten und andererseits das entgegenstehende Aufschubsinteresse des Rechtsbehelfsführers einbezogen.260 Folglich wird verlangt, dass das Vollzugsinteresse und das Aufschubsinteresse inhaltlich ausreichend bestimmt sind.261 Insoweit gelten die allgemeinen Grundsätze des Verwaltungsprozessrechts auch für die Konzeption der „Abwägung der Interessen“.262 Die Abwägung im behördlichen Ausschluss des Suspensiveffekts ist dabei in materieller Hinsicht vergleichbar mit einer Interessenbewertung, die im gesetzlichen Ausschluss vorgegeben ist.263 Der Unterschied ist hier, dass die behördliche Abwägung, anders als die gesetzliche, nicht abstrakt, sondern einzelfallabhängig zwischen den durch den Verwaltungsakt betroffenen Interessen vorgenommen wird. 257

Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1252. Scholz, Die aufschiebende Wirkung, S. 170; Redeker, in: Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 80 Rn. 20. 259 Vgl. Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 101. 260 Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1257 Fn. 111; VGH Baden-Württemberg, DVBl. 1970, 743, 744; Erichsen, Jura 1984, 414, 421; Martens, Suspensiveffekt, S. 7 Fn. 24. 261 Vgl. Timmler, Aussetzungsentscheidung, S. 42 ff. Allein der vom Gesetz verwendete Begriff „sofortige Vollziehung“ ist durch die Dringlichkeit oder Unaufschiebbarkeit des Verwaltungsaktes nicht zu erklären. 262 Vgl. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1249. 263 Vgl. Happ, NVwZ 2005, 282, 283. 258

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Die behördliche Entscheidung schafft eine Durchbrechung der Regel der aufschiebenden Wirkung durch die der Behörde delegierte Ausschlusskompetenz.264 Das heißt wiederum nicht, dass bestimmte Fallgruppen durch die Hand der Behörde ausgeformt werden dürfen, die automatisch der sofortigen Vollziehung unterliegen. Die Verwaltung ist nicht dafür zuständig, eine gesetzgeberähnliche Tätigkeit auszuführen, sondern lediglich kraft ihr auferlegten Ermessenskompetenz einzelfallbezogene Entscheidungen zu treffen. (1) Die Besonderheit des öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung Bei der behördlichen Vollziehungsanordnung im öffentlichen Interesse ist es besonders schwierig, den Tatbestandsbegriff des öffentlichen Interesses zu konkretisieren.265 Denn jedem belastenden Verwaltungsakt wohnt ein öffentliches Interesse bzw. ein Erlassinteresse inne.266 § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO verlangt vielmehr ein qualitatives öffentliches Interesse an der Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts, das, soweit möglich, nicht mit dem öffentlichen Interesse an dem Erlass des zu vollziehenden Verwaltungsaktes identisch ist. In diesem Sinne lautet die in der Praxis häufig verwendete Formel wie folgt: „Das über das Erlassinteresse des Verwaltungsakts hinausgehende besondere öffentliche Interesse“.267 § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO spricht ebenfalls von solch einem besonderen Interesse.268 Ein qualitatives öffentliches Interesse entspricht somit dem Grundgedanken der Regelung des § 80 Abs. 2 VwGO, wonach der Ausschluss des Suspensiveffekts nur für die beschränkten Fälle möglich ist.269

264

Vgl. Scholz, Die aufschiebende Wirkung, S. 168; Scholz, in: FS Menger, S. 641, 648 f.; vgl. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1234. 265 Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1253. 266 Die Vollziehungsanordnung ist einerseits kein gesonderter Verwaltungsakt, aber andererseits ist sie eine verfahrensrechtliche Nebenentscheidung und bedarf damit ein weiteres Mal „eines besonderen Interesses an der Vollziehung“. Vgl. Redeker, in: Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 80 Rn. 20a; vgl. Funke-Kaiser, in: Bader/Funke-Kaiser/Stulfauth/v. Albedyll, VwGO, § 80 Rn. 43. 267 OVG Nordhein-Westfalen, B. v. 23. 07. 2019, – 1 B 719/1 –, Rn. 31, juris; vgl. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1254; auch App, ZKF 2011, 37, 37; Schmidt, in: Eyermann, VwGO, § 80 Rn. 35; vgl. Pöcker, Kritik des § 80 VwGO, S. 50; vgl. Finkelnburg/Dombert/ Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz § 39 Rn. 757. 268 Vgl. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1253 f.; vgl. Pöcker, Kritik des § 80 VwGO, S. 16. 269 Vgl. Scholz, Die aufschiebende Wirkung, S. 169 ff.; Scholz, in: FS Menger, S. 641, 649 Fn. 27.

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In bestimmten Fällen fällt allerdings das Erlassinteresse mit dem Vollzugsinteresse zusammen.270 In diesen Fällen ist alternativ zu einem Erlassinteresse zusätzlich eine hohe Dringlichkeit an der sofortigen Vollziehung zu fordern.271 In der Praxis wird dabei oft auf die Begriffe des „Gemeinwohls“ und der „öffentlichen Sicherheit“ und der „öffentlichen Ordnung“ zurückgegriffen, um das besondere Vollzugsinteresse zu begründen.272 Eine Orientierung, die sich lediglich aus solchen abstrakten Begriffen begründet, dürfte für die behördliche Entscheidung zur sofortigen Vollziehung aber nicht ausreichend sein.273 Ein von der Literatur entwickelter Ansatz schlägt hierfür vor, dass das Verhältnismäßigkeitsprinzip als Maßstab angewendet wird, womit den Voraussetzungen des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO Genüge getan wird.274 Nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO stellt die behördliche Anordnung der sofortigen Vollziehung eine Ermessensentscheidung dar. Ein überwiegendes öffentliches Interesse kann erst dann vorliegen, wenn die sofortige Vollziehung gegenüber dem betroffenen Privatinteresse angemessen, erforderlich und damit auch ermessensfehlerfrei ergeht.275 Letztlich bestehen Unklarheiten darüber, wie das öffentliche Interesse durch die Ermessensausübung der Behörde konkretisiert werden sollte.276 Dieser Umstand rechtfertigt den Vorrang des Suspensiveffekts bei Pattsituationen gegenüber der sofortigen Vollziehung, was sich aus dessen Regelcharakter begründet.277 (2) Die Ermittlung der materiellen Rechtslage In Bezug auf die Interessenabwägung ist weiterhin fraglich, ob die materielle Rechtslage für die Anordnung der sofortigen Vollziehung berücksichtigt werden muss.278 Hierzu gibt es in der Literatur und Rechtsprechung verschiedene Ansätze. 270 Auch Pöcker, Kritik des § 80 VwGO, S. 31; Schmidt, in: Eyermann, VwGO (2014), § 80 Rn. 36; das Ineinanderfallen von Erlass- und Vollzugsinteresse lässt sich insbesondere im Ordnungsrecht beobachten. Redeker, in: Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 80 Rn. 20. 271 Vgl. VGH Kassel, NVwZ 1986, 668, 671; eine generelle Dringlichkeit genügt nicht für die Anordnung Scholz, in: FS Menger, S. 641, 649; Redeker, in: Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 80 Rn. 20a Fn. 129. 272 Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 104; vgl. Scholz, in: FS Menger, S. 641, 648. 273 Vgl. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1262. 274 Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 100 f. 275 VG Bayreuth, B. v. 11.03. 2020 – B 7 S 20.223 –, Rn. 44 f., juris; vgl. VG Schleswig, B. v. 27.03.2020 – 1 B 29/20 –, juris. 276 Es liegt daran, dass der Begriff des öffentlichen Interesses schwankend und heute noch keineswegs als ganz zu klären ist. Wieseler, Der vorläufige Rechtsschutz, S. 53. 277 Auch Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1260; bei Pattsituation hinsichtlich der gleichermaßen gewichtigen Interessen auf beiden Seiten darf es der Behörde die sofortige Vollziehung nicht anzuordnen. Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 84; Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 109; Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz § 39 Rn. 763. 278 Dazu Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1264.

III. Der Ausschluss des Suspensiveffekts

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Einer zutreffenden Auffassung nach hängt bei der Ermittlung des überwiegenden öffentlichen Interesses die behördliche Entscheidung zur sofortigen Vollziehung prinzipiell nicht von den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs ab.279 Dafür spricht insbesondere, dass der Verwaltung eine richterliche Aufgabe, welche eine materiellrechtliche Prüfung wie im § 80 Abs. 5 VwGO erfordert, nicht zukommt. Die behördliche Vollziehungsanordnung bezieht sich damit in erster Linie nicht auf die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts, sondern vielmehr auf die Dringlichkeit des Vollzugs.280 Neben dieser Auffassung ist aber auch vertretbar, dass das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung bereits dann besteht, wenn der Rechtsbehelf offensichtlich erfolglos ist. Ist der Rechtsbehelf voraussichtlich erfolgsversprechend, sollte in dem Fall das Vollzugsinteresse verneint werden. Wenn die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs offenbleiben, bezieht sich die Vollziehungsanordnung dann allein auf die Dringlichkeit des Vollzugs.281 Dabei verhält sich eine behördliche Interessenabwägung bei mehrseitigen Verwaltungsrechtsverhältnissen anders als bei zweiseitigen Verwaltungsrechtsverhältnissen. Ein Konflikt der gleichrangigen Privatinteressen bezüglich der Feststellung eines überwiegenden Interesses drängt die Behörde häufig dazu, eine materiellrechtliche Prüfung einstweilen durchzuführen.282 Auch nach dem Bundesverwaltungsgericht liegt ein überwiegendes privates Interesse i. S. d. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO grundsätzlich erst dann vor, „wenn das eingelegte Rechtsmittel mit erheblicher Wahrscheinlichkeit erfolglos bleiben wird und zugleich eine Fortdauer seiner aufschiebenden Wirkung dem anderen begünstigten Beteiligten unbillig erscheinen muss“.283 cc) Die Rechtsnatur der Abwägungsentscheidung der Behörde Die Rechtsnatur der Interessenabwägung nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO ist in Literatur und Rechtsprechung umstritten. Hierbei sind zwei elementare Auffas279 Einer weiteren Auffassung nach soll die Verwaltung die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs für die Entscheidung über die Vollziehungsanordnung nicht berücksichtigen dürfen. Redeker, in: Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 80 Rn. 102; Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 86; Hoppe, in: Eyermann, VwGO, § 80 Rn. 41. 280 Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 103 f.; die Rechtmäßigkeit ist bereits die Voraussetzung des Erlasses des Verwaltungsakts, ein qualitatives Vollzugsinteresse bezieht sich jedoch nur auf die sofortige Vollziehung des Verwaltungsakts. Dies gilt auch, wenn das Erlassinteresse mit dem überwiegenden Vollzugsinteresse identisch wäre, wie im Recht der Gefahrenabwehr oftmals zu vorzufinden; Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 86 ff.; auch BVerfG, NVwZ 1982, 241 ff.; OVG Münster, STugR 1982, 176 ff; VGH Hessen, HSGZ 1985, 295 ff.; Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1258, 1264 f. 281 Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1258. 282 Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1270. 283 BVerwG, BayVBl. 1966, 279 ff.

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sungen anzuführen. Zum einen wird die Entscheidung bezüglich der sofortigen Vollziehung als eine gebundene Rechtsentscheidung angesehen.284 Zum anderen wird vertreten, dass sie als eine pflichtgemäße Ermessensentscheidung ergeht.285 Für die erste Auffassung spricht, dass alle Ausnahmen in § 80 Abs. 2 S. 1 VwGO in der Entfallen-Kategorie verortet werden. Nach dieser Auffassung ist die aufschiebende Wirkung unter den Voraussetzungen des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO – wie nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 – 3a VwGO – unmittelbar ausgeschlossen. Bei Vorliegen des besonderen Vollzugsinteresses i. S. d. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO würde damit der Verwaltungsakt ohne weiteres sofort vollzogen werden.286 Für die zweite Auffassung, der zuzustimmen ist, spricht dagegen der Wortlaut des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO. Die Norm eröffnet sowohl das Entschließungsermessen als auch das Auswahlermessen. Während es beim Entschließungsermessen um die Frage geht, „ob“ die Behörde überhaupt eine sofortige Vollziehung anordnen darf, bezieht sich das Auswahlermessen auf die Modalitäten („Wie“) der Anordnung, genauer auf den Zeitpunkt und die inhaltlichen Beschränkungen. Hierzu gelten die üblichen Ermessensgrenzen, der Ermessensfehlgebrauch und die Ermessensüberschreitung.287 Die Frage, inwieweit die Behörde im Hinblick auf die Vollziehungsanordnung Ermessen ausübt, ist insbesondere dann erheblich, wenn die Behörde einen Verwaltungsakt mit Drittwirkung erlässt.288 In der Regel gilt die Ablehnung der Vollziehungsanordnung zulasten des Dritten bei überwiegendem privatem Vollziehungsinteresse als ermessensfehlerhafte Entscheidung.289 Ebenso verhält es sich auch bei zwingenden Gründen des Allgemeininteresses. Das behördliche Ermessen wird dadurch beschränkt, dass es sich um „notwendige Schutzmaßnahmen“ handelt. Beispielsweise muss die Behörde die Maßnahmen, die zur Verhinderung der (Weiter-)Verbreitung einer Pandemie geboten sind, auch sofort vollziehen. Darüber hinaus sind dem behördlichen Ermessen durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Einzelfall Grenzen gesetzt.290

284

Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1257. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1258; OVG Lüneburg, DVBl. 1976, 81, 83. 286 Timmler, Aussetzungsentscheidung, S. 43. 287 Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 107 ff.; Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1258; OVG Lüneburg, DVBl. 1976, 81, 83. 288 Timmler, Aussetzungsentscheidung, S. 44; vgl. VG München, B. v. 20. 03. 2020 – M 26 E 20.1209 –, Rn. 36, juris; VG Bayreuth, B. v. 11.3.2020 – B 7 S 20.223 – Rn. 44, juris. 289 Die behördliche Anordnung zur aufschiebenden Wirkung ist nur dann ermessensfehlerfrei und damit auch materiell rechtmäßig, wenn die Behörde eine umfassende Interessenabwägung vornimmt. Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 108 f.; VGH Mannheim, DVBl. 1970, 743, 744; vgl. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1273; vgl. BVerwGE 107, 164, 167 („unbillige Härte“ gem. § 25 VI BAföG). 290 VG München, B. v. 20. 03. 2020 – M 26 E 20.1209 –, Rn. 36, juris; VG Bayreuth, B. v. 11.3.2020 – B 7 S 20.223 – Rn. 44, juris. 285

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dd) Zwischenergebnis Die Verpflichtung der Verwaltung zur ermessenfehlerfreien Entscheidung nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO führt zur Frage, in welchem Rahmen die gerichtliche Überprüfung der behördlichen Ermessensentscheidungen vorgenommen werden darf.291 Nach dem Rechtsfolgeermessen des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO darf das Verwaltungsgericht durch eine eigene Entscheidung die behördliche Ermessensentscheidung über die sofortige Vollziehung nicht ersetzen. In diesem Sinne ist es nur zu einer eingeschränkten Kontrolle der behördlichen Ermessensentscheidung befugt. Wegen des Tatbestandsermessens des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO darf das Gericht dagegen die behördliche Entscheidung dahingehend überprüfen, ob im konkreten Fall das jeweilige Tatbestandsmerkmal vorgelegen hat. Die Regeln über die eingeschränkte Kontrolle des Verwaltungsermessens gelten somit nicht für die Auslegung und Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe.292 Dementsprechend müssen grundsätzlich die unbestimmten Rechtsbegriffe voll überprüft293 und eine Ausdehnung der unbestimmten Rechtsbegriffe durch die Gerichte verhindert werden.294 Der Entscheidungsspielraum ist nur begrenzt, wenn die Konkretisierung der unbestimmten Rechtsbegriffe wegen der Komplexität im Einzelfall schwierig ist.295 Schließlich darf die Judikatur bei der Prüfung der materiellen Voraussetzungen der Vollziehungsanordnung i. S. d. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO die letztverbindliche Entscheidung treffen, ob im Einzelfall ein besonderes öffentliches Interesse oder privates Interesse an der Vollziehung vorliegt.296

291

Vgl. Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 30. Vgl. BVerfGE 7, 129, 154; 64, 261, 279; die Behörde hat bei Wahrnehmung ihres Ermessens unbestimmte Rechtsbegriffe zu beachten. Bei Bejahung des unbestimmten Rechtsbegriffs kann vertreten werden, dass der Behörde kein Ermessen übrigbleibt. Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 48 f. 293 BVerfGE 103, 142, 156; dazu C. Hufen, ZJS 2010, 606, 607; Sauthoff, NVwZ 1988, 697, 697. 294 Bei der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe kommt die Beurteilungsermächtigung der Verwaltung nur auf den Einzelfall in Betracht. Ihre Ausdehnung auf die abstrakte Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe ist aber der Verwaltung nicht gestattet, weil es zur Rechtsunsicherheit führen würde. Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 62. 295 Vgl. BVerfG, NJW 1991, 2005, 2006. 296 Bei den Fallgruppen, in denen die Prüfung oder prüfungsähnlichen Situationen betroffen sind, wird der Behörde ein Beurteilungsspielraum zuerkannt. Bei Risiko-Prognoseentscheidungen, z. B. bei atomrechtlicher Genehmigung, ist es der Fall, dass die sofortige Vollziehung mit eigenem Spielraum der Behörde angeordnet werden darf. Und dieser Raum ist durch das Gericht nicht ohnehin zu prüfen. Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 35 ff. 292

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C. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Suspensiveffekts

d) Formelle Voraussetzungen der Vollziehungsanordnung Nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 i. V. m. Abs. 3 VwGO unterliegt die behördliche Vollziehungsanordnung bestimmten formellen Voraussetzungen. Das heißt vor allem, dass ein behördlicher Ausschluss des Suspensiveffekts ein besonderes Verfahren erfordert und eine faktische Vollziehung der Behörde die Vollziehungsanordnung i. S. d. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO nicht ersetzen darf.297 aa) Die Anordnung der sofortigen Vollziehung Die sofortige Vollziehung nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO kann entweder von der Erlassbehörde oder von der Widerspruchsbehörde angeordnet werden.298 An dieser Stelle kann es zu einer Zuständigkeitskonkurrenz zwischen der Erlass- und Widerspruchsbehörde kommen. Fraglich ist dann insbesondere, bis zu welchem Zeitpunkt die Widerspruchsbehörde für den Erlass der sofortigen Vollziehung zuständig ist. Einer Ansicht nach ist die Zuständigkeit der Widerspruchsbehörde für die sofortige Vollziehung nur im Zeitraum des Widerspruchsverfahrens gegeben.299 Nach einer weiteren Ansicht, in der ebenfalls vertreten wird, dass die Zuständigkeit der Widerspruchsbehörde mit der Zustellung des Widerspruchsbescheids endet, besteht vor dem Widerspruchsverfahren aber keine zeitliche Begrenzung. Die Behörde kann vor der Einlegung des Widerspruchs auch die sofortige Vollziehung anordnen.300 Demgegenüber steht die Ansicht, die hinsichtlich der Zuständigkeit zwischen Ausgangs- und Widerspruchsbehörde keine Differenzierung vornimmt. Demnach wird die zeitliche Begrenzung zur Zuständigkeit der Widerspruchsbehörde ganz verneint.301 Keine dieser Ansichten ist im Grunde vollständig überzeugend. Zur Frage der Zuständigkeit der Widerspruchsbehörde für die Vollziehungsanordnung ist jeden297 Vgl. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 62; Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 113 ff.; vgl. Redeker, in: Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 80 Rn. 29; zugleich sind die Aufstellung des Parkverbotszeichens, die Aushändigung der Baugenehmigung nicht als Anordnung der sofortigen Vollziehung zu bewerten. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1274. 298 Vgl. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1237. 299 Vgl. Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 74; Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 110; Redeker, in: Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 80 Rn. 25. 300 Nach Abschluss des Widerspruchsverfahrens bleibt die Ausgangsbehörde zuständig. Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 75; mit der Zustellung des Widerspruchsbescheids erlischt die Sachherschaft der Widerspruchsbehörde. Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 76; Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 81. 301 Die behördliche Anordnung ist zwar sowohl gleichzeitig mit Erlass des Verwaltungsaktes als auch nachträglich in jedem Stadium des behördlichen oder des gerichtlichen Verfahrens zu erlassen. App, ZKF 2011, 37, 37; Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 75; Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 264; Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 113.

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falls anzuführen, dass die Widerspruchsbehörde erst nach dem Widerspruch zuständig sein soll, da die Abwägungen der Widerspruchsbehörde über die sofortige Vollziehung erst nach der Einlegung des Widerspruchs vorgenommen werden können. Wenn kein Rechtsbehelf eingelegt ist, muss die Behörde ohnehin keine Vollziehungsanordnung erlassen, weil der Verwaltungsakt selbst grundsätzlich mit dem Erlass vollziehbar ist.302 Weiterhin ist hier anzumerken, dass das Gesetz der Behörde keine bestimmte Frist hinsichtlich der Vollziehungsanordnung zuweist. Dementsprechend steht es der Behörde jederzeit offen, begrenzt bis zur nächsten gerichtlichen Entscheidung in der Sache, die sofortige Vollziehung anzuordnen. Ordnet die Behörde bei Erfüllung der Voraussetzungen des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung über einen längeren Zeitraum nicht an, kann dabei eine drittbegünstigte Partei die Behörde, innerhalb einer angemessenen Frist, zur sofortigen Vollziehung notfalls auch zwingen.303 bb) Die Begründungspflicht nach § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO Nach Maßgabe des § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO ist die Behörde in den Fällen des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO verpflichtet, das besondere Vollzugsinteresse regelmäßig schriftlich zu begründen. Die Begründungspflicht entfällt gemäß § 80 Abs. 3 S. 2 VwGO, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum, vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft. Aus dem Wort „insbesondere“ folgt, dass die Fälle der in § 80 Abs. 3 S. 2 VwGO genannten Rechtsgüter nicht abschließend aufgezählt sind.304 Obwohl sich aus dem Wortlaut des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO kein Schriftformerfordernis ergibt, wird aus dem systematischen Zusammenhang zwischen §§ 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 und Abs. 3 VwGO geschlussfolgert, dass die erforderliche schriftliche Form zur Begründung des besonderen Interesses auch für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gilt. In den genannten Fällen des Abs. 3, in denen die besondere Begründung nicht notwendig ist, kann die Anordnung der sofortigen Vollziehung auch mündlich erfolgen.305

302

Vgl. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1264. Siehe auch § 75 VwGO; hierbei ist zu erörtern, ob die Behörde vor Erlass des Verwaltungsakts die einmonatige Rechtsbehelfsfrist abwarten muss oder den Verwaltungsakt mit dessen Erlass sofort vollziehen sollte. Vgl. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 51. 304 Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 90; Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 100; Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, § 39 Rn. 755. 305 Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 85; Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 77. 303

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Die Begründungspflicht nach § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO unterliegt ferner strengen Anforderungen.306 Sie unterscheidet sich vor allem von der Begründung des Verwaltungsakts mit Blick auf § 39 Abs. 1 VwVfG. Wenn dem Betroffenen die Erwägungen für den Erlass des Verwaltungsakts bekannt sind, entfällt gemäß § 39 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG die Begründungspflicht der Behörde. § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO setzt dagegen eine besondere Begründung voraus, die über die Erlassgründe des Verwaltungsakts hinausgeht. Gemäß § 80 Abs. 3 Nr. 2 VwGO kommt eine Ausnahme nur in seltenen Fällen, konkret bei Notstandsmaßnahmen, in Betracht. Sie ist demnach wesentlich enger gefasst als die Ausnahme in § 39 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG.307 (1) Das Erfordernis der besonderen Begründung Die besondere Begründung gemäß § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO bezieht sich auf die einzelfallorientierte Aufklärung des Vollzugsinteresses, das grundsätzlich über das Erlassinteresse am Verwaltungsakt hinausgeht. Jedenfalls ist hier die Behörde verpflichtet, die Ermessenserwägungen zur sofortigen Vollziehung i. S. d. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO vorzunehmen. Zur besonderen Begründung der sofortigen Vollziehung reichen damit formblattmäßige oder pauschale Argumentationsmuster sowie die bloße Wiederholung des Gesetzestextes nicht aus.308 Wenn das Erlassinteresse und das besondere Vollzugsinteresse zwingend identisch sind, ist es für die fehlerfreie Vollziehungsanordnung i. S. d. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO gleichwohl erforderlich, eine formelhafte Begründung gemäß § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO vorzutragen. Die für den Erlass des Verwaltungsakts genannten Begründungen dürfen insoweit für die behördliche Anordnung wiederholt werden. Die Behörde muss dennoch deutlich machen, dass sie die Erlassbegründung des Verwaltungsakts auch als den Grund für die Vollziehungsanordnung sieht.309 Im Falle des § 80 Abs. 3 S. 2 VwGO muss die Behörde hingegen keine besondere Begründung für die Vollziehungsanordnung darlegen. § 80 Abs. 3 S. 2 VwGO befreit die Behörde nur von der Verpflichtung zur Begründung, nicht aber von dem Erfordernis einer besonderen Anordnung der sofortigen Vollziehung sowie der ausdrücklichen Bezeichnung der behördlichen Maßnahme als Notstandsmaßnahme. 306 Zur besonderen Bedeutung der schriftlichen Begründung OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 12. 03. 2018, OVG 11 S 12.18 –, juris; zur inhaltlichen Richtigkeit der behördlichen Begründung OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 11.09.2017 – OVG 10 S 47.17 –, Rn. 5, juris; B. v. 17.07.2015 – OVG 10 S 14.15 –, Rn. 5, juris; VGH Baden-Württemberg, B. v. 20.06. 2017 – 4 S 869/17 –, Rn. 2, juris; diese Tendenz wird aber von der Literatur beklagt, zumal es zu verwaltungspraktischen Problemen führen kann. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1274 f. 307 Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1276 f. 308 Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 87; Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1280; OVG Berlin, ZUM 1993, 495, 496; OVG Münster, DVBl. 1994, 120, 121 f.; OVG SchleswigHolstein, NVwZ 1992, 688, 689; OVG Schleswig-Holstein, NVwZ-RR 1993, 587, 588; OVG Weimar, LKV 1995, 296, 298. 309 Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 88; Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1281; Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 98.

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Die Anordnung der sofortigen Vollziehung und ihre Bezeichnung als Notstandsmaßnahme können dabei wegen der Befreiung vom Schriftformerfordernis des Abs. 3 S. 2 mündlich erfolgen.310 (2) Die Funktionen der besonderen Begründung Die Begründungspflicht bezweckt vor allem, dass die Behörde auf den Ausnahmecharakter der Vollziehungsanordnung achtet und dabei besonders sorgfältig agiert. Im Sinne des Rechtsschutzes hat die Begründungspflicht eine Warnfunktion, mit der die Verwaltung auf die negativen Folgen der sofortigen Vollziehung aufmerksam gemacht wird.311 Weiterhin wird der Betroffene über die Gründe der sofortigen Vollziehung in Kenntnis gesetzt,312 sodass ihm die Einschätzung über die Erfolgsaussichten eines Aussetzungsantrags gemäß § 80 Abs. 5 VwGO ermöglicht wird.313 Schließlich dient die besondere Begründung, welche die verwaltungsbehördlichen Erwägungen zur sofortigen Vollziehung darstellt, einer umfassenden verwaltungsgerichtlichen Überprüfung der Vollziehungsanordnung.314 cc) Rechtsfolgen bei einem Mangel in der Begründungspflicht (1) Rechtswidrige Begründung Es ist strittig, was die Konsequenzen einer mangelhaften Begründung i. S. d. § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO sind. Eine fehlende oder gemäß § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO unzureichende Begründung führt nach herrschender Meinung, vor allem unter Hinweis auf den Schutzzweck des § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO, unmittelbar zur Rechtswidrigkeit der Vollziehungsanordnung.315 Auch wenn die sofortige Vollziehung mit dem Erlass des Verwaltungsakts verbunden ist, soll die Verletzung der Begründungspflicht dabei keine Auswirkungen auf den Verwaltungsakt haben.316 Das Fehlen der Begründung 310

Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, § 39 Rn. 754; Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 100; Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 90. 311 Die Behörde darf demnach bei der besonderen Anordnung der sofortigen Vollziehung keine inhaltlich leeren bzw. abstrakten Wendungen anwenden. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 106; Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 262; Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 89; auch Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1276 f. 312 VG Ansbach, B. v. 22.05.2018 – AN 1 S 18.00568 –, juris. 313 VGH Baden-Württemberg, B. v. 20.06.2017 – 4 S 869/17 –, Rn. 2, juris; auch OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 17.07.2015 – OVG 10 S 14.15 –, Rn. 5, juris. 314 Auch Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 96; Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 86; Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 84; Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1275. 315 Scholz, Die aufschiebende Wirkung, S. 174 f.; mangelt es an einer ordnungsgemäßen Begründung, führt dies zur Rechtswidrigkeit der Vollziehungsanordnung, nicht zu ihrer Nichtigkeit. Erbguth/Guckelberger, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 21 Rn. 6. 316 Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 87; dazu Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 96. Eine Rechtswidrigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung bedeutet ihre

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kann insoweit nur veranlassen, dass das Gericht die formell mangelhafte Vollziehungsanordnung aufhebt und nach § 80 Abs. 5 S. 1 Alt. 2 VwGO, ohne sachliche Prüfung, die aufschiebende Wirkung wiederherstellt.317 Ob bei einem Begründungsmangel die aufschiebende Wirkung wiederhergestellt wird, liegt letztlich im Ermessen des Gerichts. In Bezug auf die essenzielle Bedeutung der schriftlichen Begründung wird in der Literatur ferner vertreten, Mängel der Begründung würden zur Nichtigkeit der Vollziehungsanordnung führen. Wenn die Vollziehung bereits verwirklicht ist, kann in diesem Fall von einer faktischen Vollziehung gesprochen werden.318 Im Grunde kommt der Frage, ob es sich bei der mangelhaften Vollziehungsanordnung um eine nichtige Vollziehungsanordnung oder um eine rechtswidrige Vollziehungsanordnung handelt, hinsichtlich eines gerichtlichen Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO eine geringe praktische Bedeutung zu. Die Frage ist nur dahingehend entscheidend, ob der Mangel in der Begründungspflicht heilbar ist. Denn bei der Nichtigkeit handelt es sich, im Gegensatz zu der Rechtswidrigkeit, um einen schweren Fehler, welcher nicht ohne weiteres aufgehoben werden kann.319 (2) Heilung des Begründungsmangels Im Rahmen des § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO muss die schriftliche Begründung grundsätzlich im Zeitpunkt der Vollziehungsanordnung vorliegen.320 Liegt sie in diesem Zeitpunkt nicht vor, ist fraglich, ob der Mangel der schriftlichen Begründung nachträglich heilbar ist. Wird vertreten, dass der Begründungsmangel zur Nichtigkeit der Vollziehungsanordnung führt, kommt – wie schon dargelegt – ohnehin keine Heilung in Betracht. Wird hingegen vertreten, dass der Begründungsmangel zur Rechtswidrigkeit der behördlichen Anordnung führt, wird mit Bezugnahme auf den Schutzzweck des Begründungszwanges die Heilbarkeit des Begründungsmangels verneint.321 Unwirksamkeit. Also im Unterschied zum Verwaltungsakt kommt hier keine Aufhebung durch die Behörde oder das Gericht in Betracht, um ihre Wirksamkeit entfallen zu lassen. 317 Der Mangel der Begründung führt aber nicht zwingend zur Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung. Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 97; vgl. OVG SchleswigHolstein, NVwZ 1992, 688 ff.; OVG Magdeburg, B. v. 23.11.1992 – 2 M 148/92, BeckRS 2008, 32165; B. v. 2.12.1993 – 4 M 10/93, BeckRS 1994, 20296; vgl. Redeker, in: Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 80 Rn. 26a. 318 Scholz, Die aufschiebende Wirkung, S. 175. 319 Eine stillschweigende Anordnung kann zur Nichtigkeit führen. Scholz, Die aufschiebende Wirkung, S. 175; so kann eine gänzlich neue Vollziehungsanordnung mit der gebotenen Begründung ergehen. Vgl. Schübel-Pfister, JuS 2012, 993, 997. 320 Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 99; Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 91; sie kann auch bei Erlass des Verwaltungsakts vorliegend sein. Scholz, Die aufschiebende Wirkung, S. 174. 321 BayVGH, BayVBl 1989, 117, 118; BayVBl 1999, 465, 466; OVG, Hamburg InfAuslR 1984, 72, 74; Erichsen, Jura 1984, 414, 422; Brühl, JuS 1995, 722, 725; Erbguth, JA 2008, 357,

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Die Befürworter der Schutz- und Warnfunktion der Begründungspflicht verweisen ferner auf den Begründungsmangel, wodurch die sofortige Vollziehung nach § 80 Abs. 5 VwGO aufzuheben sei, obgleich die Behörde danach die Anordnung der sofortigen Vollziehung erneut und diesmal mit vollständiger Begründung erlassen könne.322 Die schriftliche Begründung ist hiernach als eine Sicherung zugunsten des Betroffenen statuiert und unverzichtbar.323 Die Gegenmeinung bejaht hingegen entsprechend der Prozessökonomie eine Heilung des Begründungsmangels.324 Bis zu welchem Zeitpunkt die Behörde den formellen oder sachlichen Begründungsmangel für die Anordnung der sofortigen Vollziehung heilen darf, bleibt aber weiterhin strittig. Einer Ansicht nach ist die Beseitigung der Begründungsmängel – auch entsprechend dem Rechtsgedanken des § 45 Abs. 2 VwVfG – nur innerhalb des Verwaltungsverfahrens, also bis zum Ende des Widerspruchsverfahrens, möglich. Nach einer anderen Ansicht ist dagegen die Heilung bis zum Ende des Aussetzungsverfahrens zulässig.325 Vorzugswürdiger ist die zweite Ansicht. Denn es handelt sich gerade nicht um einen Verwaltungsakt, sodass auf die Bestimmungen des § 45 VwVfG, über die Heilung von Formfehlern in Verwaltungsakten, nicht zurückgegriffen werden kann.326 Durch eine analoge Anwendung ist auch ein Rückgriff auf §§ 39 oder 45 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 VwVfG nicht akzeptabel, weil die Begründungsanforderungen für die sofortige Vollziehung im § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO gesondert geregelt sind. Bezüglich der Heilung des Begründungsmangels ist weiterhin zu beachten, ob die fehlerhafte Begründung aus materiellen- oder formellen Gründen rechtswidrig ist.327 Die Begründungspflicht drückt zum einen ein formelles Erfordernis aus, zum an359; Limberger, Probleme des vorläufigen Rechtsschutzes bei Großprojekten, S. 61; Scholz, in: FS Menger, S. 641, 649 f. 322 Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 249 f. 323 „Die nach § 80 Abs. 1 VwGO für den Regelfall vorgesehene aufschiebende Wirkung ist eine adäquate Ausprägung der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG. Die Pflicht zur Begründung nach § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO soll der Behörde den Ausnahmecharakter der Vollziehungsanordnung vor Augen führen und sie veranlassen, mit Sorgfalt zu prüfen, ob tatsächlich ein überwiegendes öffentliches Interesse den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung erfordert.“ VG Schleswig, B. v. 05. 03. 2020 – 12 B 19/20 –, Rn. 6, juris; Nachholung ist nicht möglich wegen des Schutzzwecks der Vorschrift des § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO; Schmidt, in: Eyermann, VwGO, § 80 Rn. 44; Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 249; Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 92; Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 99; Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1284. 324 Redeker, in: Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 80 Rn. 27a. 325 Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1285; Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 99, 94: Jederzeit, vor oder im gerichtlichen Verfahren, steht der Behörde zu, eine neue Anordnung der sofortigen Vollziehung mit einer neuen Begründung zu treffen. 326 Auch Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 99; Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 250; Redeker, in: Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 80 Rn. 27a; Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 71. 327 Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 95.

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C. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Suspensiveffekts

deren stellt sie eine materiell-rechtliche Funktion dar.328 Wenn dem Formerfordernis entsprochen wurde, die Begründung sich dagegen als falsch herausstellt, handelt es sich um einen unerheblichen Fehler im Hinblick auf die Begründungspflicht.329 § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO setzt nämlich nur ein formelles Begründungserfordernis voraus, stellt jedoch keine materiell-rechtlichen Bestimmungen zur Begründungspflicht dar. Wenn die Behörde keine tragfähigen Gründe für die sofortige Vollziehung angibt, liegt dennoch ein Verstoß gegen die materiellen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen des § 80 Abs. 2 S.1 Nr. 4 VwGO vor. In diesem Fall können die Gerichte – im Laufe des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO – von der Behörde fordern, dass die sachlichen Erwägungen und Begründungen nachträglich dargelegt werden. Es geht aber nicht um die Nachholung der Begründung bzw. die Heilung des formellen Begründungserfordernisses (i. S. d. § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO), sondern um das Nachschieben von Gründen (i. S. d. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO) im gerichtlichen Verfahren.330 Das Gericht trifft im Ergebnis gemäß § 80 Abs. 5 VwGO eine eigene originäre Ermessensentscheidung,331 die sich nicht auf eine Rechtmäßigkeitskontrolle der behördlichen Entscheidung nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO beschränkt. Es kann also zur Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kommen, auch wenn die Behörde das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung richtigerweise begründet hat.332 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Begründungspflicht eine Warnfunktion für die Behörde darstellt und für den Belasteten einen erheblichen Schutzzweck beinhaltet. Der Schutzzweck des Begründungszwangs darf insoweit nicht gemildert werden. Demnach hat die Behörde im Zeitpunkt der Vollziehungsanordnung die Begründungspflicht zu beachten. Falls eine unrichtige oder gar keine Begründung von der Behörde für die Vollziehungsanordnung vorliegt, kann das Gericht im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung allein deswegen wiederherstellen. e) Rechtsfolgen der Vollziehungsanordnung Ist die Vollziehungsanordnung gemäß § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO mit dem Erlass des Verwaltungsakts verbunden, kommt eine aufschiebende Wirkung durch die Einlegung des Rechtsbehelfs nicht in Betracht. Andernfalls, wenn die sofortige Vollziehung erst nach dem Rechtsbehelf, der die Wirkung des § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO entfaltet, angeordnet wird, ist eine nachträgliche Beseitigung des Suspensiveffekts möglich.333 328 329 330 331 332 333

Zur Doppelfunktionalität Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1282 f. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1283. Dazu Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 95. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1283 f. und S. 1288 Fn. 285. Auch Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 71. Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 114.

III. Der Ausschluss des Suspensiveffekts

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Im Falle des nachträglichen Wegfalls stellt sich die Frage, ob die rechtlichen und tatsächlichen Folgen des Suspensiveffekts ex tunc oder ex nunc beseitigt werden. Die Wirkung der Vollziehungsanordnung entfaltet sich dem Regel-AusnahmeVerhältnis des § 80 VwGO entsprechend ex nunc und damit erst zum Entscheidungszeitpunkt.334 Das folgt auch aus dem Wortlaut des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO, der statuiert, dass die sofortige Vollziehung „angeordnet wird“. Eine ex nunc-Wirkung ist ebenfalls deshalb zutreffend, weil die Behörde nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO im Bereich der Eingriffsverwaltung handelt und ohnehin die Vollziehung anordnen oder faktisch den Verwaltungsakt vollziehen kann, bevor die für die Rückwirkung relevanten rechtlichen und tatsächlichen Folgen des Suspensiveffekts eintreten. Von einer prinzipiellen Rückwirkung der Vollzugsanordnung kann demgegenüber allerdings dann gesprochen werden, wenn die Rückwirkung im öffentlichen Interesse oder im Interesse des Beteiligten sich als notwendig herausstellt.335 Das ist insbesondere beim Missbrauch des Suspensiveffekts der Fall.336 Im Übrigen sollte die Vollziehungsanordnung auch bei Vorliegen eines überwiegenden Interesses an der rückwirkenden sofortigen Vollziehung eine ex tunc-Wirkung entfalten.337 Im Hinblick auf die Rechtsfolgen der Vollziehungsanordnung ist dabei zu beachten, ob der sofortigen Vollziehung ebenso wenig wie dem Suspensiveffekt eine materiellrechtliche Wirkung immanent ist. Anders als der Suspensiveffekt ermöglicht die behördliche Entscheidung zur sofortigen Vollziehung im Grunde die vorzeitige Verwirklichung des materiellen Rechts. Die Behörde ist bereits eine Instanz, die die Sach- oder Rechtslage bzw. die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts und der Vollziehungsanordnung zu prüfen hat, bevor das Gericht diese überprüft und hierüber eine Entscheidung trifft. Die Ungewissheit bezüglich der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts ist insoweit das von der Behörde zu verantwortende Risiko. Die Konsequenzen hat die Behörde zu tragen, wenn sie beispielsweise voreilig die Vollziehung verwirklicht.338 Eine automatisch 334

Schmidt, in: Eyermann, VwGO (2014), § 80 Rn. 47; Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 269; Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 76; Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 116; für die erst nach Erhebung des Widerspruchs oder der Anfechtungsklage angeordnete sofortige Vollziehung wird der Suspensiveffekt ex nunc beseitigt. Kotulla, Verw 33 (2000), 520, 543. 335 Vgl. Wieseler, Der vorläufige Rechtsschutz, S. 57. 336 Auch Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 995; ob die a. W. ex tunc oder ex nunc wegfällt, wird unter ausdrücklichem Hinweis auf Art. 19 Abs. 4 GG zwecks Erhöhung der Wirkkraft der Grundrechtsnorm dahingehend beantwortet, dass die aufschiebende Wirkung nicht rückwirkend wegfällt. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1241; Erichsen/Klenke DÖV 1976, 833, 838. 337 Vgl. Schmidt, in: Eyermann, VwGO (2014), § 80 Rn. 47; Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 269. 338 Vgl. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 79; Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1242.

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C. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Suspensiveffekts

eintretende aufschiebende Wirkung unterscheidet sich sohin hinsichtlich der materiell-rechtlichen Wirkung von der Vollziehungsanordnung. 3. Anordnung der sofortigen Vollziehung durch Gerichte Bei der Anordnung der sofortigen Vollziehung kommt neben der behördlichen auch die gerichtliche Befugnis in Betracht. Die Befugnis wird zwar im § 80 VwGO ausdrücklich nicht genannt, ergibt sich aber durch die mit § 80 VwGO in Verbindung stehende Regelung des § 80a VwGO. Nach § 80a Abs. 3 S. 1 VwGO steht es dem Gericht zu, auf Antrag über Maßnahmen nach § 80a Abs. 1 und Abs. 2 VwGO zu entscheiden und anstelle der Behörde solche Maßnahmen zu treffen. Ist ein Vollzugsinteresse von Dritten gegeben und ordnet die Behörde die sofortige Vollziehung trotzdem nicht an, kann das Gericht demnach über die sofortige Vollziehung des begünstigenden Verwaltungsakts zugunsten des Dritten entscheiden.339 a) Anordnungsbefugnis im Falle des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO Im Hinblick auf die Anordnungsbefugnis der Gerichte zur sofortigen Vollziehung wird vertreten, dass der durch einen Verwaltungsakt Begünstigte einen Antrag auf Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 1 VwGO unmittelbar, zudem auch nach § 80 Abs. 5 S. 1 i. V. m. §§ 113 Abs. 5 S. 1 und 114 VwGO analog an das Verwaltungsgericht stellen kann.340 Fraglich ist dabei, ob das Gericht im Wege des Aussetzungsverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO die Befugnis zur Anordnung der sofortigen Vollziehung von Amts wegen nutzen darf.341 Nach herrschender Meinung kann das Gericht nur auf Antrag nach § 80a Abs. 3 S. 1 VwGO die sofortige Vollziehung anordnen.342 Jedoch sollte dies – bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO – auch von Amts wegen nach § 80 Abs. 5 VwGO möglich sein, und zwar wenn ein überwiegendes öffentliches oder Drittinteresse an der sofortigen Vollziehung gegeben ist. Den Gerichten steht im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO nämlich die Befugnis zu, auf Antrag, ganz oder teilweise, die aufschiebende Wirkung anzuordnen oder wiederherzustellen. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass ein Antrag auf Wiederherstellung oder Anordnung der aufschiebenden Wirkung durch das Gericht ganz oder teilweise abgelehnt werden kann. In der Konsequenz darf somit auch die sofortige Vollziehung 339 Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80a Rn. 17; Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 111. 340 Jäde, Verwaltungsverfahren, Rn. 291. 341 Schenke, DVBl. 1986, 9, 9 f. 342 Auch Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80a Rn. 17; herrschend wird auch vertreten, dass das Gericht selbst die Vollziehung im Sinne des § 80 Abs. 2 S.1 Nr. 4 anordnen darf, nach § 80a Abs. 3 S. 1, u. a. nach § 80a Abs. 1 Nr. 1; Jäde, Verwaltungsverfahren, Rn. 294.

III. Der Ausschluss des Suspensiveffekts

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durch das Gericht unaufgefordert teilweise oder ganz angeordnet werden. Eine gerichtliche Aufhebung der aufschiebenden Wirkung ist schließlich bei überwiegenden Belangen gerechtfertigt. An diesem Punkt bleibt weiterhin fraglich, ob das Gericht die sofortige Vollziehung selbst anordnen darf oder zunächst nur dazu berechtigt ist, die Behörde mit der sofortigen Vollziehung zu verpflichten. Nach der herrschenden Meinung ist dem Gericht nur gestattet, die Behörde zur Anordnung der sofortigen Vollziehung zu verpflichten.343 Dafür spricht, dass das Gericht die Aufgabe der Vollziehung, die grundsätzlich der Behörde zuerkannt wird, nicht übernehmen und nicht in das Verwaltungsermessen eingreifen darf.344 Dagegen führt eine andere Ansicht zutreffend an, dass das Gericht, vergleichbar der Vollzugsbeseitigungsentscheidung, eine gestaltende Entscheidung treffen darf und die Vollziehung selbst anordnen kann. Vorstellbar ist das beispielsweise, wenn die Vollziehung einer Abrissverfügung durch die Behörde trotz Vorliegens von Sicherheitsgründen unterlassen wird. In diesem Fall darf das Gericht im Sinne des vorläufigen Rechtsschutzes nicht untätig bleiben. Die sofortige Vollziehung dient nämlich nicht nur zur Handlungsfähigkeit der Verwaltung. Vielmehr fungiert sie auch als ein Instrument des Rechtsschutzes gegenüber dem Automatismus des Suspensiveffekts, der auch zu einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung und zu irreparablen Schäden an verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern von Drittbetroffenen führen kann. Insoweit könnte das Gericht zumindest analog nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO eine Abwägung vornehmen und gegebenenfalls die sofortige Vollziehung anordnen. Dadurch greift das Gericht nicht in die Kompetenz der Behörde ein, sondern kompensiert lediglich eine folgewidrige Untätigkeit der Behörde. Wenn die gerichtliche Anordnung der sofortigen Vollziehung durch die analoge Anwendung des § 80 Abs. 5 VwGO hinsichtlich der Kompetenzüberschreitung problematisch sein soll, müsste Entsprechendes mit demselben Grund auch für die Aussetzungsentscheidung im Sinne des § 80 Abs. 5 VwGO gelten. Dem Gericht steht es über § 80 Abs. 5 VwGO zu, die Aussetzung der Vollziehung selbst anzuordnen, auch wenn diese Anordnungsbefugnis im Grunde der behördlichen sofortigen Vollziehung entgegenstehen würde. Die Anordnungsbefugnis der Gerichte zur sofortigen Vollziehung spricht jedoch nicht gegen die grundsätzliche behördliche Zuständigkeit in Bezug auf die Vollziehung. Das ergibt sich aus § 80 VwGO Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO und § 80a Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 VwGO, wonach in erster Linie die Behörde zur Anordnung der sofortigen Vollziehung befugt ist. Insoweit sollte die Befugnis des Gerichts zur sofortigen Vollziehung erst in Betracht kommen, wenn die Behörde die Anordnung 343

Im Zusammenhang des Gewaltenteilungsaspekts siehe Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1053. 344 Die Aufgabe der Vollziehung wird grundsätzlich der Behörde zuerkannt. Vgl. Jäde, Verwaltungsverfahren, Rn. 294.

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C. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Suspensiveffekts

der sofortigen Vollziehung abgelehnt hat oder dahingehend untätig geblieben ist.345 Im Fall der Untätigkeit der Behörde kann das Gericht die Behörde durch Vollstreckungsmaßnahmen dazu zwingen, den Verwaltungsakt sofort zu vollziehen und der Behörde dafür eine angemessene Frist zu setzen. Wenn die Behörde die sofortige Vollziehung rechtswidrigerweise verneint, ist es notwendig, dass das Gericht die sofortige Vollziehung selbst anordnet. Es bleibt noch festzuhalten, ob die Behörde erst nach der gerichtlichen Feststellung eines überwiegenden Vollzugsinteresses nach § 80 Abs. 5 VwGO auf den Vollzug verzichten darf. Bei dieser Frage geht es im Grunde darum, ob die Behörde bis zur Hauptsacheentscheidung das Ermessen über die sofortige Vollziehung des Verwaltungsakts allein innehat. Diesbezüglich ist anzuführen, dass die Ablehnung eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO aus materiell-rechtlichen Gründen die Bestätigung der einmaligen behördlichen Entscheidung zur sofortigen Vollziehung, also die letztverbindliche Entscheidung über die Feststellung des überwiegenden Vollzugsinteresses, bedeutet. Dementsprechend ist zu vertreten, dass die Behörde hierbei grundsätzlich verpflichtet ist, den Verwaltungsakt zu vollziehen. Es sei denn, dass die Behörde ihre Entscheidung wegen neuer Tatsachen ändert.346 b) Rechtscharakter der gerichtlichen Anordnung der sofortigen Vollziehung Das Gericht begründet seine Entscheidung zur sofortigen Vollziehung durch vergleichbare Erwägungen, die im Aussetzungsverfahren des § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO gelten. Hierbei trifft das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung, bei der es das Vollzugsinteresse gegen das Suspensivinteresse abzuwägen hat. Für die gerichtliche Anordnung der sofortigen Vollziehung sind damit insbesondere die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs entscheidend. Dabei ist auch das Dringlichkeitsinteresse an der sofortigen Vollziehung zu berücksichtigen.347 c) Zwischenergebnis Im § 80 VwGO wird deutlich, dass die Gerichte auf Antrag die Vollziehung aussetzen können. Parallel dazu ist auch die Befugnis der Gerichte zur Anordnung der sofortigen Vollziehung aus der Systematik des § 80 VwGO herzuleiten. Dafür spricht auch, dass die Behörde bereits im Rahmen des § 80 VwGO für beide Verfahren zuständig ist; zum einen kann sie nämlich nach Abs. 2 S. 1 Nr. 4 die sofortige Vollziehung anordnen, zum anderen nach Abs. 4 aber auch die Vollziehung aussetzen.

345 346 347

Auch Jäde, Verwaltungsverfahren, Rn. 292, auch Fn. 257. Siehe dazu unten 2. c), S. 136. Auch Jäde, Verwaltungsverfahren, Rn. 294.

IV. Wiederherstellung des Suspensiveffekts

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In diesem Sinne wäre folgende abschließende Formulierung für die Regelung des § 80 Abs. 5 VwGO empfehlenswert: Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines Verwaltungsaktes aussetzen, dessen sofortige Vollziehung anordnen oder eine einstweilige Anordnung treffen, indem die Erfolgsaussichten in der Hauptsache berücksichtigt und/oder die Vor- und Nachteile anhand des Aufschubs- und Vollzugsinteresses abgewogen werden.348

IV. Wiederherstellung des Suspensiveffekts Im Gegenzug zum Ausschluss des Suspensiveffekts steht dem Betroffenen im Rahmen des § 80 VwGO die Möglichkeit der „Wiederherstellung des Suspensiveffekts“ bzw. der Aussetzung der Vollziehung“ zu.349 Auf dieser Stufe, auf der die gesetzgeberische oder behördliche Abwägung zu Ungunsten des Betroffenen ausschlägt, genügt also die Einlegung eines Rechtsbehelfs alleine nicht, um die Aussetzung der Vollziehung zu erwirken. Vielmehr muss in diesem Fall das überwiegende Interesse an der Aussetzung der Vollziehung während des behördlichen oder gerichtlichen Aussetzungsverfahrens substantiiert dargelegt werden. Wenn das Aussetzungsinteresse nach den Maßstäben des Aussetzungsverfahrens im Rahmen des § 80 VwGO das Vollzugsinteresse überwiegt, kann die aufschiebende Wirkung durch die Behörde nach § 80 Abs. 4 VwGO oder durch das Gericht nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO wiederhergestellt werden.350 1. Die behördliche Entscheidung zur Aussetzung der Vollziehung § 80 Abs. 4 VwGO regelt für die Fälle der sofortigen Vollziehbarkeit nach § 80 Abs. 2 S. 1 VwGO die behördliche Aussetzung der Vollziehung durch die Ausgangsoder die Widerspruchsbehörde. Dieser Regelung wird aber in der Praxis keine große Bedeutung zugemessen.351 Daneben ist eine solche Regelung dem europäischen Rechtssystem gänzlich fremd.352 348

Auch Haibach, DÖV 1966, 60, 65. Zwischen der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung und der Aussetzung der Vollziehung bestehen keine sachlichen Unterschiede. Wieseler, Der vorläufige Rechtsschutz, S. 551; vgl. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1422. 350 Hierbei bedarf es eines Oberbegriffes der „Wiederherstellung des Suspensiveffekts“ oder der „Aussetzung der Vollziehung“, der beide Verfahren im Rahmen des § 80 Abs. 4 und § 80 Abs. 5 VwGO umfasst. 351 Vgl. Beckmann, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 214. 352 Die praktische Bedeutung des § 80 Abs. 4 VwGO wird auch damit begrenzt. Wenn es um VA auf unionrechtlicher Grundlage geht und die Behörde das überwiegende Interesse der Betroffenen an Aussetzung erkennt oder die Norm des Unionsrechts einfach für unwirksam hält, dürfte trotzdem Abs. 4 keine Anwendung finden. Redeker, in: Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 80 Rn. 3c. 349

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C. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Suspensiveffekts

Es erscheint wenig sinnvoll, dass ein behördlicher Akt erneut durch die Behörde überprüft wird, damit die Betroffenen dadurch Eilrechtsschutz erlangen können, auch wenn diese Regelung der Prozessökonomie dient. Abgesehen davon bedarf es im Grunde keines besonderen Verfahrens, um die Aussetzung der Vollziehung durch die Behörde zu ermöglichen. Das Vollstreckungsrisiko trägt ohnehin die Behörde bzw. die Verwaltung, sodass Vollziehung und Aussetzung der Vollziehung abschließend in ihrem Ermessen liegen. Eilrechtsschutz durch die Aussetzung der Vollziehung gewährt damit in erster Linie nicht die Behörde, sondern das Gericht. Insoweit wird hier die verwaltungsverfahrensrechtliche Ausgestaltung des § 80 Abs. 4 VwGO in seiner Verbindung mit § 80 Abs. 5 VwGO in wenigen Worten behandelt. Dem vorangestellt werden soll eine Beurteilung der Befugnis der Behörde zur Aussetzung hinsichtlich der Frage, welche verfassungsrechtlich geschützten Zwecke diese verfolgt. a) Verfassungsrechtliche Anforderungen an die behördliche Aussetzung der Vollziehung Im Rahmen des § 80 VwGO liegt die erste rechtliche Entscheidung zum vorläufigen Rechtsschutz in der Hand der Verwaltung, die entscheidet, ob die Vollziehung des Verwaltungsakts ausgesetzt werden oder die sofortige Vollziehung angeordnet werden soll. Im Hinblick darauf stellt sich die Frage, ob § 80 Abs. 4 VwGO, der die behördliche Aussetzungsbefugnis ausdrücklich regelt, wie § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO i. V. m. § 80 Abs. 3 VwGO eine besondere Funktion hat. Der Aussetzung der Vollziehung durch die Behörde in § 80 Abs. 4 VwGO kommt zunächst in der Praxis keine entscheidende Funktion zu. Daher erscheint die behördliche Aussetzung der Vollziehung nach § 80 Abs. 4 VwGO verzichtbar, ist also von Verfassungs wegen nicht gefordert. Die Behörde müsste ohnedies über die erlassenen Verwaltungsakte jederzeit rechtmäßig verfügen (vor allem aufgrund Art. 20 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 3 GG) und, soweit sie die sofortige Vollziehbarkeit eines Verwaltungsakts als rechtswidrig sieht, von ihrer Vollzugsentscheidung zurücktreten. Hier wird aber weiterhin ausgesprochen, dass der Gesetzgeber durch § 80 Abs. 4 VwGO verhindern möchte, dass die Verwaltung auf einem rechtswidrigen Verwaltungsakt besteht. Demnach soll Abs. 4 im Grunde dazu dienen, dass die Behörde ihre Entscheidung im Aussetzungsverfahren noch einmal überdenken und gegebenenfalls auf die sofortige Vollziehung des Verwaltungsakts verzichten kann. Abgesehen davon ist fraglich, ob die Aussetzungsbefugnis der Behörde nach § 80 Abs. 4 VwGO auch die Befugnis zur Aufhebung der Vollziehung beinhaltet. Vorstellbar, und im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG folgerichtig, ist, dass die Behörde

IV. Wiederherstellung des Suspensiveffekts

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gegebenenfalls auch die Aufhebung der Vollziehung anordnen kann, wenn sie die sofortige Vollziehung des Verwaltungsakts aussetzen kann.353 b) Formelle Voraussetzungen der behördlichen Aussetzungsentscheidung Bevor die ausdrücklichen gesetzlichen Voraussetzungen des § 80 Abs. 4 VwGO behandelt werden, ist an dieser Stelle zunächst klarzustellen, dass § 80 Abs. 4 VwGO in seinem unmittelbaren Anwendungsbereich mit § 80 Abs. 1 und Abs. 2 VwGO verbunden ist und daher einen belastenden Verwaltungsakt (Eingriffsverwaltungsakt) sowie den Ausschluss des Suspensiveffekts voraussetzt.354 Weiterhin ist festzustellen, dass anders als eine behördliche Anordnung der sofortigen Vollziehung eine behördliche Aussetzung der Vollziehung keinem besonderen Verfahren unterfällt. Insoweit reicht es aus, die formellen Merkmale des § 80 Abs. 4 VwGO nur kurz darzustellen. Aus dem Wortlaut des § 80 Abs. 4 VwGO folgt in erster Linie, dass ein Antrag nicht zwingende Voraussetzung für das behördliche Aussetzungsverfahren ist. Dementsprechend kann die Aussetzungsbefugnis im Sinne des § 80 Abs. 4 VwGO von Amts wegen oder auf Antrag durch die Behörde ausgeübt werden. Hierfür ist auch nicht erforderlich, dass vorher ein Rechtsbehelf in der Hauptsache eingelegt worden ist.355 Für die Antragstellung gelten auch keine besonderen Formerfordernisse. Anders verhält es sich bei einem Verwaltungsakt mit Doppelwirkung. In diesem Fall verlangen § 80a Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 und Abs. 2 VwGO ausdrücklich einen Antrag des Dritten. Wenn die Aussetzung für den Begünstigten belastende Wirkung hat, wird außerdem verlangt, dass die Behörde in analoger Anwendung des § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO die Aussetzungsentscheidung schriftlich begründet.356 Welche Behörde für die Aussetzungsentscheidung zuständig ist, ist weiterhin in § 80 Abs. 4 S. 1 VwGO ausdrücklich geregelt. Demnach ist sowohl die Ausgangsbehörde als auch die Widerspruchsbehörde für die Aussetzungsentscheidung zuständig.357 Daher ist die Zuständigkeitskonkurrenz zwischen den Behörden fraglich, wenn beide Behörden gleichzeitig zur Aussetzung der Vollziehung aufgerufen sind.

353 Dafür spricht auch, dass § 80 Abs. 4 und § 80 Abs. 5 VwGO die gleiche Intention haben bzw. sachlich identisch sind. Damit ist die Behörde auch zur Aufhebung der Vollziehung befugt, wie es das Gericht nach § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO ist; eine Abweichung davon wäre prozessual unökonomisch. Wieseler, Der vorläufige Rechtsschutz, S. 63. 354 Vgl. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1421. 355 Windthorst, in: Gärditz, VwGO, § 80 Rn. 168. 356 Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 125; Windthorst, in: Gärditz, VwGO, § 80 Rn. 171. 357 Windthorst, in: Gärditz, VwGO, § 80 Rn. 169.

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C. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Suspensiveffekts

Hierbei ist die Erlassbehörde wegen des Hierarchieprinzips358 an die Aussetzungsentscheidung der Widerspruchsbehörde gebunden, soweit diese schon entschieden hat. Andersherum dürfte die Erlassbehörde, entgegen der ablehnenden Entscheidung der Widerspruchbehörde, die sofortige Vollziehung aussetzen.359 Die Frage der Zuständigkeitskonkurrenz gewinnt insbesondere in den Fällen der Verwaltungsakte mit Drittwirkung Bedeutung. Dem Betroffenen entstehen durch die jeweilige Zuständigkeit für das Aussetzungsverfahren Vor- und Nachteile. Der Vorteil der Antragstellung bei der Ausgangsbehörde liegt darin, dass auch die Verfahrensakte sich dort befinden und das Aussetzungsverfahren aufgrund der sachlichen Vorbefassung somit schneller als bei der Widerspruchsbehörde durchlaufen werden kann. Zum Nachteil des Antragstellers wird die Ausgangsbehörde aber selten ihre eigene Entscheidung zur sofortigen Vollziehung abändern. Hingegen benachteiligt den Betroffenen eine Antragstellung bei der Widerspruchsbehörde, vor allem wegen einer möglichen zeitlichen Verzögerung, die aufgrund logistischer oder sachlicher Gründe eintreten kann. Andererseits werden dort zugunsten des Antragstellers unabhängigere Entscheidungen ergehen.360 Im Hinblick auf die formellen Merkmale der behördlichen Aussetzung ist zuletzt die Bestimmung des § 80 Abs. 4 S. 2 VwGO zu erwähnen, wonach die Aussetzungsbefugnis der Behörde auch gegen eine Sicherheit ausgeübt werden kann.361 Von dieser Sicherheitsklausel ist im Wortsinn des Gesetzes lediglich die Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten i. S. d. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 erfasst. Ihre Erstreckung auf die anderen Fälle des § 80 Abs. 2 S. 1 VwGO wird abgelehnt, weil eine Sicherheitsklausel ein behördliches Aussetzungsverfahren erschweren kann und auf diese Weise dessen praktische Bedeutung noch mehr begrenzt.362 c) Materielle Maßstäbe der behördlichen Aussetzungsentscheidung Für sämtliche Fälle des § 80 Abs. 2 S. 1 VwGO steht der Verwaltung eine umfassende Aussetzungsbefugnis nach § 80 Abs. 4 S. 1 VwGO zu. Nach welchen Entscheidungskriterien diese ausgeübt werden kann, ist dagegen fraglich.

358

Dazu § 73 Abs. 1 Nr. 2 VwGO. Ohne Einlegung eines Rechtbehelfs kann der VA nämlich durch Rücknahme oder Widerruf gemäß §§ 48 f. VwVfG immer aufgehoben werden. Beckmann, Vorläufiger Rechtsschutz, aufschiebende Wirkung, S. 215. 360 Auch K. Weber, SVR 2017, 325, 330. 361 Vgl. LSG Berlin, B. v. 12.04.1989 – L 9 Kr-SE 47/89 –, juris; LSG Niedersachsen, B. v. 06.01. 2000 – L 4 SF 19/99 –, juris. 362 In einem Beschluss über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen Abgabenbescheide ist eine Auflage, die die Verzinsung der Abgabenforderung anordnet, unzulässig. OVG Lüneburg, B. v. 16.07.1968 – I OVG B 28/68 –, juris. 359

IV. Wiederherstellung des Suspensiveffekts

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Es gibt dahingehend keinen generellen Aussetzungsmaßstab, den die Behörde für alle Fälle des § 80 Abs. 2 S. 1 VwGO anwenden kann. Indessen gibt die Regelung des § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO zwei Maßstäbe vor, an denen sich die behördliche Aussetzungsentscheidung zu orientieren hat. Nach dieser Regelung soll die Vollziehung ausgesetzt werden, wenn entweder ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder die Vollstreckung für den Betroffenen eine unbillige Härte darstellen würde.363 Diese Kriterien gelten nach dem Wortlaut der Regelung lediglich für die Fälle des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO, in denen es um die Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten geht. Hierbei wird außerdem angeführt, dass § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO als Soll-Vorschrift eine Sonderregelung wie § 361 Abs. 2 S. 2 AO und § 69 Abs. 2 S. 2 FGO darstelle und eindeutig auf Abgabensachen beschränkt sei.364 Der Gesamtregelung des § 80 VwGO ist allerdings zu entnehmen, dass die behördliche Entscheidung im Hinblick auf mögliche Aussetzungskriterien nicht begrenzt werden kann. Entsprechendes gilt auch hinsichtlich der gerichtlichen Aussetzung der Vollziehung.365 Die Kriterien des § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO sind dabei ohnehin für die Aussetzungsanordnung der Behörde nicht kumulativ entscheidend. Es bestehen keine Bedenken dagegen, dass sie in alternativer Weise besonders für die Fälle des gesetzlichen Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung entscheidend sind. Der behördliche Ausschluss nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO kennt bereits eigene Kriterien, welche auch auf die behördliche Entscheidung im Aussetzungsverfahren anwendbar sind.366 Es bleibt weiterhin fraglich, ob die Aussetzung der Vollziehung auch dann erfolgen darf, wenn ein Fall des § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO nicht vorliegt, und ob im umgekehrten Fall die Aussetzung der Vollziehung angeordnet werden muss, wenn ein solcher vorliegt. Die Kriterien des § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO sind einerseits für alle Fälle des § 80 Abs. 2 S. 1 VwGO anwendbar, aber andererseits wird deren Erfüllung generell für die behördliche Aussetzung der Vollziehung nicht zwingend vorausgesetzt. Das heißt vor allem, dass in Fällen des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 2-4 VwGO die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs für eine behördliche Aussetzungsentscheidung nicht maßgebend sein müssen.367 Bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts oder droht eine unbillige Härte durch die Vollziehung, soll die 363

Vgl. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1305; Renck, NVwZ 1992, 338, 339. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1297. 365 D. Wilke, DVBl. 1984, 1136, 1138; Renck, NVwZ 1992, 338, 339; vgl. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1293 f.; vgl. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 116, 158 ff. 366 Vgl. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 114 f. 367 Der gesetzliche Ausschluss ist generell unabhängig von Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs. Deshalb ist § 80 Abs. 4 S. 3 teleologisch auf Abgabengelegenheiten reduziert. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1296 Fn. 33 und S. 1305; vgl. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 116. 364

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C. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Suspensiveffekts

Behörde hingegen grundsätzlich die Aussetzung der Vollziehung anordnen. Dies gilt insbesondere für den Fall des § 80 Abs. 2 S. Nr. 1 VwGO. Die Kriterien des § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO sind für das behördliche Aussetzungsverfahren nicht als besonders strikter Maßstab zu verstehen, sondern weisen lediglich auf ein grundsätzlich überwiegendes Aussetzungsinteresse hin.368 Dagegen spricht die frühere Rechtsprechung des BFH369, wonach in Abgabesachen ein strengerer Maßstab für die Aussetzung der Vollziehung gelten soll. Insbesondere der Maßstab der ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit nach § 80 Abs. 4 S. 3 Alt. 1 VwGO ist allein Fällen der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten vorbehalten.370 Diese Auffassung ist vor allem deshalb nicht überzeugend, weil der Abs. 4 innerhalb des § 80 VwGO keine spezielle Regelung darstellt und sein Inhalt deshalb anderen Abgaberegelungen wie z. B. §§ 361 Abs. 2 S. 2 AO, 69 Abs. 2 S. 2 FGO nicht entsprechen muss. Bei letzteren Regelungen ist das Regel-Ausnahme-Verhältnis zugunsten der sofortigen Vollziehung ausgestaltet, während § 80 VwGO gerade die aufschiebende Wirkung zur Regel hat. Insoweit sollte § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO gegenüber diesen anderen Vorschriften in besonderem Maße rechtsschutzintensiv verstanden werden.371 Im Übrigen sind Geldleistungen regelmäßig nachholbar und vollendete Tatsachen werden typischerweise nicht durch die Aussetzung, sondern durch die Vollziehung von Abgabenbescheiden geschaffen.372 An dieser Stelle stellt das BVerwG abschließend auf die Singularität der Regelung in § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO ab, betont aber, dass es außerhalb des Anwendungsbereichs dieser Vorschrift vielfach Fallkonstellationen geben könne, die der gesetzlichen Risikoverteilung entsprächen.373 Das kommt im Ergebnis doch auf eine analoge Anwendung hinaus.374 368

Vgl. Cuno, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 120 f. BFH, B. v. 15.2.1967 – VI S 2/66, BeckRS 1967, 21003735. 370 Keine entsprechende Anwendbarkeit des § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO in Fällen des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 bis 4 VwGO wegen einer bedeutsamen Grundentscheidung des Gesetzgebers bei § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO. Windthorst, Der verwaltungsgerichtliche einstweilige Rechtsschutz, S. 646. 371 Vgl. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1296. 372 Auch Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 115; anders OVG NordrheinWestfalen, B. v. 15.08.2019 – 15 B 884/19 –, Rn. 4, juris: „Durch eine vorläufige, zu Unrecht erbrachte Zahlung eintretende wirtschaftliche Nachteile werden durch die Rückzahlung der Abgabe weitestgehend ausgeglichen; es werden somit keine irreparablen Verhältnisse geschaffen. Ist im Einzelfall dennoch eine unbillige Härte zu erwarten, bietet § 80 Abs. 4 S. 3 Alt. 2 VwGO die Möglichkeit, die Vollziehung auszusetzen. Unzumutbare, mit dem Gebot der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nicht vereinbare Erschwernisse ergeben sich dadurch nicht.“ 373 K. Weber, SVR 2017, 325, 327; vgl. BVerwG, NvwZ-RR 2002, 153 ff. 374 „Außerhalb des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO mag bei gesetzlichem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung eine Analogie in Betracht zu ziehen sein, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. Der weitere in § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO 369

IV. Wiederherstellung des Suspensiveffekts

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Daraus, dass die analoge Anwendung des § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO auf alle Fälle des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung möglich ist,375 ergibt sich letztendlich nicht, dass die Behörde für ihre Aussetzungsentscheidung die Kriterien des § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO neben der generell-abstrakten Interessenabwägung anwenden muss.376 Vielmehr kann die Behörde ihre Aussetzungsbefugnis ausüben, indem das „überwiegende Interesse“ als Aufschubinteresse nach verschiedenen Maßstäben begründet wird, es sei denn, das Gesetz schreibt bestimmte Kriterien zwingend vor. aa) Abstrakte Interessenabwägung Im Rahmen der Gesetzessystematik des § 80 VwGO ist es, insbesondere aufgrund der generell-abstrakten Interessenabwägung des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 – 3a VwGO, vertretbar,377 dass die Behörde ihre Aussetzungsbefugnis grundsätzlich durch eine Interessenabwägung ohne materiell-rechtliche Elemente ausübt.378 Wenn das Vollziehungsinteresse das Suspensionsinteresse überwiegt, kann die Behörde dementsprechend die Aussetzung der Vollziehung anordnen.379 Die Aussetzung der Vollziehung ist auch dann begründet, wenn das Vorliegen der Aussetzungsgründe des § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO im konkreten Fall unklar ist, insbesondere wenn die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs offen sind, das Aussetzungsinteresse aber aus anderen Gründen das Vollzugsinteresse überwiegt.380 Das heißt, dass die Aussetzungsgründe des § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO auch in den Abgabefällen des 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO nicht abschließend sind. bb) Die Aussetzungsgründe des § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO nennt zwei verschiedene Aussetzungskriterien: erstens die „ernstlichen Zweifel“ an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts und zweitens die „unbillige Härte“ durch die sofortige Vollziehung.

enthaltene Maßstab der unbilligen, nicht durch öffentliche Interessen gebotenen Härte ist hingegen jedenfalls nicht entsprechend anwendbar, da er auf die Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten zugeschnitten ist.“ OVG Sachsen-Anhalt, B. v. 10.04.2018 – 2 M 6/18 –, Rn. 39, juris. 375 Vgl. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1305 f.; auch analoge Anwendung Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 126; Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 107; Timmler, Aussetzungsentscheidung, S. 93 ff. 376 Vgl. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1306; vgl. Timmler, Aussetzungsentscheidung, S. 89. 377 Vgl. Timmler, Aussetzungsentscheidung, S. 77. 378 Vgl. Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 128. 379 Timmler, Aussetzungsentscheidung, S. 88. 380 Timmler, Aussetzungsentscheidung, S. 77, 91.

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C. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Suspensiveffekts

Nach der sprachlich alternativen Fassung des § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO stellen diese zunächst voneinander unabhängige und selbständige Gründe dar.381 Bei Vorliegen einer dieser Gründe sollte die Behörde in der Regel die Vollziehung aussetzen. In diesem Fall wird also das Aussetzungsinteresse gegenüber dem öffentlichen Vollziehungsinteresse als überwiegend bewertet. Trotz der alternativen Fassung des § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO wird das Merkmal der „unbilligen Härte“ aber weiterhin konturlos gedeutet und im Gegensatz zu den „ernstlichen Zweifel an der Rechtsmäßigkeit“ nicht als wesentlicher Maßstab betrachtet.382 Wenn keinerlei ernstliche Zweifel bestehen, so wird häufig auch eine zur Aussetzung drängende unbillige Härte verneint.383 Eine solche Auffassung wird dem Anliegen des § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO sowie dem Sinn und Zweck des Eilverfahrens allerdings nicht hinreichend gerecht.384 Der Umfang und die Anwendung der beiden Kriterien bedürfen für eine interessengerechte Risikoverteilung letztlich einer weiteren inhaltlichen Ausfüllung. (1) Das Merkmal der „ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit“ Bei der Untersuchung des Merkmals der ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit bedarf es zunächst einer Klärung des Begriffes der ernstlichen Zweifel, insbesondere hinsichtlich des Grades der zu fordernden Zweifelhaftigkeit. Als unbestimmter Rechtsbegriff kann sich die Bedeutung der „ernstlichen Zweifel“ erst unter Berücksichtigung der ratio legis erschließen.385 Eine Ansicht geht diesbezüglich davon aus, dass der Ausschluss des Suspensiveffekts der Abwehr missbräuchlicher Rechtsbehelfseinlegung dient und vertritt, dass ernstliche Zweifel im Sinne von § 80 Abs. 4 S. 3 Alt. 1 VwGO lediglich dann bestehen, wenn der Erfolg des Rechtsbehelfs wahrscheinlicher ist als dessen Misserfolg.386 Bei einem Gleichgewicht würde dementsprechend der ernstliche Zweifel verneint wer381 So auch aus der Entstehungsgeschichte der Regelung Timmler, Aussetzungsentscheidung, S. 70. 382 Timmler, Aussetzungsentscheidung, S. 82; auch Hoppe, in: Eyermann, VwGO, § 80 Rn. 62. 383 Timmler, Aussetzungsentscheidung, S. 87; vgl. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1302 ff. 384 Vgl. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1293. 385 Renck, NVwZ 1992, 338, 339, Fn. 27. 386 Entsprechend der ständigen Rechtsprechung bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage sollte ein Erfolg des Rechtsmittelführers im Hauptsacheverfahren wahrscheinlicher als sein Unterliegen sein. OVG Nordrhein-Westfalen, B. v. 15.08.2019 – 15 B 884/19 –, Rn. 4, juris; vgl. OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 29.01.2019 – OVG 10 S 44.18 –, Rn. 3, juris; B. v. 03.02.2012 – OVG 10 S 50.10 –, Rn. 3, juris; VG Münster, B. v. 09. 08.2019 – 11 L 469/19 –, Rn. 85, juris; VG Cottbus, B. v. 27.08.2019 – 6 L 348/18 –, Rn. 6, juris; BVerwG, B. v. 30.03.1973 – VII C 100.72 –, juris; vgl. BVerwG, B. v. 03.07.1981 – 8 C 83.81 – juris; vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, B. v. 25.02.2019 – 14 B 1759/18 –, Rn. 3, juris; vgl. VG Trier, B. v. 24.06.2019 – 10 L 2468/19.TR –, Rn. 5, juris.; vgl. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1294.

IV. Wiederherstellung des Suspensiveffekts

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den.387 Indem die Norm nach ihrem Wortlaut „ernstliche“ Zweifel fordert, wird deutlich, dass nicht jeder Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes die Aussetzung der Vollziehung rechtfertigen kann.388 Einer weiteren Ansicht nach wird hingegen vertreten, dass ernstliche Zweifel auch in dem Fall vorliegen, in dem der Erfolg des Rechtsbehelfs nur möglich oder mindestens genauso wahrscheinlich wie der Misserfolg erscheint.389 Diese Ansicht widerspricht auch nicht den gesetzgeberischen Wertungen des § 80 VwGO, sodass es zutreffend erscheint, der Behörde bei offener Rechtmäßigkeit die Entscheidung zugunsten der Aussetzung der Vollziehung zu erlauben. Es besteht in der Rechtsprechung und im Schrifttum Einigkeit, dass bei überwiegend wahrscheinlichem Erfolg des Rechtsbehelfs in der Hauptsache die Aussetzung der Vollziehung anzuordnen ist, während nur geringe Erfolgsaussichten noch keine ernstlichen Zweifel im Sinne des § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO begründen können.390 Gestritten wird weiterhin über die Frage, ob ernstliche Zweifel an der Rechtsmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes begründet sind, wenn diese in Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der Rechtsgrundlage des Verwaltungsakts wurzeln. 387

OVG Rheinland-Pfalz, B. v. 02. 02. 1984 – 6 D 2/83 –, juris; OVG Münster, NVwZ-RR 1990, 54 ff.; der Gesetzeszweck wäre nicht mehr gewährleistet, den Finanzmittelfluss zu sichern, wenn schon bei offenem Verfahrensausgang dem Aussetzungsbegehren stattgegeben werden müsste. Renck, NVwZ 1992, 338, 339; vgl. Timmler, Aussetzungsentscheidung, S. 90; vgl. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1293 ff. 388 BVerfG, NVwZ 1996, 678, 680; auch VGH Bayern, B. v. 26.11.2018 – 6 CS 18.1569 –, Rn. 8, juris: „Derartige Zweifel müssen jedoch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren so offensichtlich und eindeutig sein, dass im Hauptsacheverfahren eine andere rechtliche Beurteilung trotz möglicherweise nicht völlig von der Hand zuweisenden Bedenken nicht zu erwarten ist. Andernfalls hat es bei der vom Gesetz grundsätzlich angeordneten sofortigen Vollziehbarkeit der Beitragsbescheide zu verbleiben.“; auch VGH Bayern, B. v. 21.09.2009 – 6 CS 09.1754 –, Rn. 13, juris. 389 VG Schleswig, B. v. 19.06.2019 – 4 B 12/19 –, Rn. 6, juris; std. Rspr.: OVG SchleswigHolstein, B. v. 05.12.2018 – 2 MB 26/18 – juris.; vgl. auch BVerwG, B. v. 03.07.1981 – 8 C 83.81 – juris; vgl. OVG Rheinland-Pfalz, B. v. 24. 09. 2008 – 6 B 10857/08, juris; vgl. VG Düsseldorf, B. v. 12.07.2017 – 22 L 1857/17.A –, Rn. 6, juris; vgl. VG Trier, B. v. 24.06. 2019 – 10 L 2468/19.TR –, Rn. 5, juris; ein offener Ausgang des Verfahrens ist auch ausreichend für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung, wenn sich aus den Bescheiden und Unterlagen des Sozialversicherungsträgers keine hinreichenden Informationen für die Annahme der Rechtmäßigkeit der Entscheidung nicht entnehmen lassen. LSG Schleswig, B. v. 04.09.2019 – L 5 KR 120/19 BER –, Rn. 9, juris; std. Rspr. zum Kommunalabgaberecht: FG Berlin-Brandenburg, B. v. 13.10.2011 – 12 V 12089/11 –, Rn. 13, juris; VG Potsdam, B. v. 04. 06.2019 – 8 L 1119/18 –, Rn. 7, juris; BFH, B. v. 31.03.2016 – XI B 13/16 –, Rn. 14, juris; auch zu § 69 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 FGO Timmler, Aussetzungsentscheidung, S. 72; vgl. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1295; Windthorst, in: Gärditz, VwGO, § 80 Rn. 221; Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 116; Redeker, in: Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 80 Rn. 39. 390 VG Trier, B. v. 24. 06. 2019 – 10 L 2468/19.TR –, Rn. 5, juris; OVG Rheinland-Pfalz, B. v. 24.09.2008 – 6 B 10857/08.OVG –, esovgrp; B. v. 19. 10. 2001 – 12 B 11544/01.OVG –, juris; vgl. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1293 ff.

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C. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Suspensiveffekts

Einer Ansicht nach kann die Aussetzung der Vollziehung lediglich anhand von Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der Rechtsgrundlage nicht gerechtfertigt werden. Dies wird häufig in der Rechtsprechung des BFH vertreten391 und betrifft vor allem die Abgabeangelegenheiten. Beruhen demnach ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Abgabenbescheides auf ernstlichen verfassungsrechtlichen Zweifeln an der Ermächtigungsgrundlage, bedarf es zusätzlich einer Interessenabwägung zwischen den betroffenen öffentlichen und privaten Interessen, um die Aussetzung der Vollziehung anzuordnen.392 Besonders in Fällen offensichtlicher Verfassungswidrigkeit erscheint dieser Ansatz aber völlig verfehlt.393 Die Verwaltungsbehörden sind nämlich nach Art. 20 Abs. 3, Art. 1 Abs. 3 GG an Gesetz und Recht, insbesondere an Grundrechte, gebunden und dürfen insoweit einen Verwaltungsakt, dessen Rechtsgrundlage mit der Verfassung unvereinbar ist, nicht vollziehen. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird ebenfalls angeführt, dass das Merkmal der ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts schon dann erfüllt ist, wenn ernsthafte verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Gültigkeit des dem Verwaltungsakt zugrunde liegenden Gesetzes selbst erhoben werden können.394 Schließlich beschränkt sich der Tatbestand der ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit nach § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO nicht nur auf die Rechtswidrigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts, sondern erstreckt sich vielmehr auch auf die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs. Jeder Mangel, der zur vollständigen oder teilweisen Aufhebung des Verwaltungsakts im Hauptsacheverfahren führen kann, ist demnach bei der Begründung „ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts“ zu beachten und kann Anlass sein, die Aussetzung der Vollziehung in Betracht zu ziehen. Dies entspricht so ganz dem verfassungsrechtlichen Schutzzweck, wirksamen Rechtsschutz zu sichern.395 391 BFH, B. v. 10.2.1984 – III B 40/83, BeckRS 1984, 22006781; BFH, B. v. 10. 02.1984 – III B 51/83 –, juris; Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1309. 392 VGH Hessen, B. v. 26.03.2008 – 8 TG 2493/07 –, juris; vgl. BFH, B. 06. 03. 2003 – XI B 7/02 –, BFHE 202, 141, BStBl II 2003, 516, juris; vgl. OVG Lüneburg, NVwZ-RR 1989, 328 ff. 393 Auch VGH Hessen, B. v. 26.03.2008 – 8 TG 2493/07 –, Rn. 27, juris; VGH Bayern, B. v. 04.04.2007 – 19 CS 07.400 –, Rn. 31 ff., juris; vgl. VGH München, B. v. 04. 04. 2007 – 19 CS 07.400, BeckRS 2007, 29621. 394 BVerfG, U. v. 21.02.1961 – 1 BvR 314/60 –, BVerfGE 12, 180 – 200, Rn. 12 – 16, juris; vgl. VG Schleswig, B. v. 26.04.2019 – 4 B 1/19 –, Rn. 8 f., juris: „Selbstverständlich ist eine Aussetzung nicht allein deshalb gerechtfertigt, weil ein Steuerpflichtiger die Verfassungswidrigkeit einer Norm behauptet oder die Verfassungswidrigkeit vor dem BVerfG geltend gemacht worden ist, mag das auch Anlass sein, eine Aussetzung in Betracht zu ziehen. Doch kann von einem Ermessensmissbrauch nicht die Rede sein, wenn das zuständige obere Bundesgericht die Vereinbarkeit der umstrittenen Norm bejaht hat, wie hier der Bundesfinanzhof, und die Verwaltungsbehörde sich bei der Ablehnung der Aussetzung diese Ansicht anschließt.“; Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1299. 395 Timmler, Aussetzungsentscheidung, S. 71; Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1294 Fn. 21; vgl. D. Wilke, DVBl. 1984, 1136, 1139.

IV. Wiederherstellung des Suspensiveffekts

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(2) Das Merkmal der „unbilligen Härte“ Das Tatbestandsmerkmal der unbilligen Härte nach § 80 Abs. 4 S. 3 Alt. 2 VwGO ist ebenso wenig wie das der „ernstlichen Zweifel“ zweifelsfrei zu bestimmen.396 In der Rechtsprechung wird diesbezüglich stetig angeführt, dass eine unbillige Härte regelmäßig vorliegt, wenn für den Betroffenen durch die sofortige Vollziehung über die eigentliche Zahlung hinausgehende Nachteile entstehen, die nicht oder nur schwer gutzumachen sind, oder wenn die Vollziehung zu einer Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Antragstellers führen würde.397 Entscheidend ist hier also, dass eine unbillige Härte nicht bereits durch einfache finanzielle Nachteile und Schwierigkeiten begründet wird, sondern es vielmehr um Einbußen geht, die durch eine spätere Rückzahlung nicht ausgeglichen werden können.398 Im dargelegten Sinne kann der Maßstab der unbilligen Härte auch an die Entscheidung über die sofortige Vollziehung angelegt werden.399 Besonders im Falle des Drittinteresses an der sofortigen Vollziehung vermögen unbillige Härten für den Dritten die sofortige Vollziehung zu begründen.400 Der Maßstab der „unbilligen Härte“ ist auch in anderen Rechtsordnungen verbreitet und findet dort bei Entscheidungen über die Aussetzung der Vollziehung häufig Anwendung. Im deutschen Recht hat dieser wiederum wegen seiner wenig konkreten Bestimmung und auch aufgrund seiner Beschränkung auf Abgabesachen geringe praktische Bedeutung. Obwohl er in der Literatur häufig als überflüssiger Zusatz neben den „ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit“ angesehen wird, bleibt er in Pattsituationen der einzige Orientierungspunkt und das Zünglein an der Waage, um eine Aussetzungsentscheidung zu begründen.401 cc) Zwischenergebnis Die Aussetzungskriterien des § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO sind vor allem auf die Fälle von Abgabebescheiden, die unter § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO fallen, anwendbar. Aber auch für die sonstigen Ausnahmen vom Suspensiveffekt nach § 80 Abs. 2 S. 1 396

Timmler, Aussetzungsentscheidung, S. 83. VG Cottbus, B. v. 08.04.2019 – 6 L 444/17 –, Rn. 16, juris; Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1300; Timmler, Aussetzungsentscheidung, S. 90; Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 116. 398 BFH, B. v. 05.03.1998 – VII B 36/97, BeckRS 1998, 14250; die Unbilligkeit der sofortigen Vollziehung kann aus sachlichen und/oder persönlichen Gründen resultieren. Dazu BVerfG, B. v. 03.09.2009 – 1 BvR 2539/07 –, Rn. 31, juris. 399 Zum Zusammenhang zwischen unbilliger Härte und Irreparabilität Papier, JA 1979, 561, 566. 400 Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, B. v. 10.04.2018 – 2 M 6/18 –, Rn. 39, juris; unzutreffend hat das Gericht angeführt, dass der Maßstab der unbilligen Härte i. S. d. § 80 Abs. 4 S. 3 auf die Aussetzung der öffentlichen Abgaben und Kosten zugeschnitten ist. 401 Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1304. 397

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C. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Suspensiveffekts

VwGO stehen sie bei der Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung zur Verfügung. Darüber hinaus sind, entsprechend der Struktur des § 80 VwGO, die für die Fälle des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO beschriebenen Maßstäbe sowie die gesetzlichen Interessenbewertungen des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 – 3a VwGO im behördlichem Aussetzungsverfahren zu berücksichtigen.402 Der Gesetzgeber stellt in § 80 Abs. 2 S. 1 VwGO eine generelle Interessenbewertung zugunsten des Vollzugsinteresses auf. Durch § 80 Abs. 4 VwGO gibt er weiterhin der Behörde die Möglichkeit, trotz des gemäß § 80 Abs. 2 S. 1 VwGO grundsätzlich überwiegenden Interesses an der sofortigen Vollziehung deren Aussetzung anzuordnen. Hiermit wird nicht darauf abgezielt, dass die Behörde im Aussetzungsverfahren entgegen der abstrakten gesetzlichen Interessenabwägung noch einmal eine derartige Interessenabwägung vornimmt, sondern vielmehr darauf, dass die Behörde nach bestimmten Maßstäben, z. B. unter Hinweis auf die Erfolgsaussichten eines Rechtsbehelfs, im Einzelfall feststellen kann, dass das Aussetzungsinteresse das Vollzugsinteresse doch überwiegt. Der Zweck des behördlichen Aussetzungsverfahrens besteht letztlich darin, ein effektives und schnelles Vorverfahren zu gewähren und den schweren oder irreparablen Schaden zu Gunsten der Belasteten zu verhindern, soweit zum Entscheidungszeitpunkt an der sofortigen Vollziehbarkeit kein überwiegendes öffentliches oder privates Interesse eines Dritten vorliegt. Die letztliche Entscheidung der Behörde über die Aussetzung der Vollziehung kann insoweit auf einer eigenständigen Interessenabwägung beruhen. Dementsprechend unterscheidet sich die behördliche Aussetzung nach § 80 Abs. 4 VwGO sachlich nicht von einer gerichtlichen nach § 80 Abs. 5 VwGO. Gleichwohl kann man im Aussetzungsverfahren wenig praktischen Sinn sehen, wenn dieses bei der Ausgangsbehörde, die sowohl zur Aussetzung der Vollziehung als auch zur sofortigen Vollziehung befugt ist, stattfindet. Selbst wenn es der Prozessökonomie dient, kann schließlich das behördliche Aussetzungsverfahren nicht in gleicher Weise effektiven Rechtsschutz gewährleisten wie ein gerichtliches Aussetzungsverfahren, sondern nur ein Vorverfahren zum vorläufigen Rechtsschutz durch letzteres darstellen. d) Der Rechtscharakter der behördlichen Entscheidung Die behördliche Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung stellt nach der Rechtsfolgenseite des § 80 Abs. 4 S. 1 VwGO in der Regel eine Ermessensentscheidung dar. Dies gilt allerdings nicht für die Fälle des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO, der mit § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO verbunden ist. 402 Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 125 – 128; auch im Falle des 80 Abs. 1 Nr. 3 VwGO (Öffnungsklausel) Windthorst, in: Gärditz, VwGO, § 80 Rn. 130; Funke-Kaiser, in: Bader/Funke-Kaiser/Stulfauth/v. Albedyll, VwGO, § 80 Rn. 24; vgl. Schoch, Aufschiebende Wirkung, in: Ehlers/Schoch, Rechtsschutz im ÖffR, § 29 Rn. 44.

IV. Wiederherstellung des Suspensiveffekts

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Im Gegensatz zu § 80 Abs. 4 S. 1 VwGO erweist sich § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO als Sollvorschrift, sodass die behördliche Aussetzungsentscheidung dort einem rechtlich gebundenen Ermessen unterliegt.403 Das heißt, dass die Behörde die Vollziehung des Verwaltungsakts prinzipiell aussetzen soll, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder eine unbillige Härte vorliegt.404 Mithin ist § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO keine abschließende und zwingende Aussetzungsregelung.405 Unter besonderen Umständen kann trotz ernstlicher Zweifel das öffentliche oder private Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit überwiegen und dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung nicht stattzugeben sein.406 e) Rechtsfolgen der behördlichen Aussetzungsentscheidung Die behördliche Aussetzung der Vollziehung bedeutet erstens, dass der Verwaltungsakt bis auf eine weitere Entscheidung von der Verwaltung nicht vollzogen wird.407 Zu klären bleibt weiterhin, zu welchem Zeitpunkt die rechtliche Wirkung der Aussetzungsentscheidung entfaltet. Hierzu wird einer Ansicht nach vertreten, dass im Sinne des Regel-AusnahmeVerhältnisses des § 80 VwGO die behördliche Aussetzung der Vollziehung genau wie der Suspensiveffekt ex tunc wirkt.408 Dagegen geht eine andere Ansicht dahin, dass der Wortlaut des § 80 Abs. 4 VwGO für eine ex-nunc-Wirkung spricht. „Aussetzung“ bedeutet demnach vom Wortsinn her etwas, das in die Zukunft gerichtet ist.409 Dies werde auch im Vergleich zu § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO deutlich, der nicht die „Aussetzung“, sondern die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs ermöglicht. Die orthogonal zueinanderstehenden Formulierungen ließen einen anderen grammatikalischen Schluss nicht zu.410

403 Auch Windthorst, in: Gärditz, VwGO, § 80a Rn. 38; bei drittbelastendem Verwaltungsakt ist das behördliche Ermessen ohnehin in der Regel auf null reduziert, wenn das Aussetzungsinteresse des belasteten Dritten überwiegt. 404 Auch Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1307; Redeker, in: Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 80 Rn. 41; OVG Münster, VerwRspr 25, 474, 475; Timmler, Aussetzungsentscheidung, S. 78 f. 405 Auch Timmler, Aussetzungsentscheidung, S. 90. 406 Vgl. Timmler, Aussetzungsentscheidung, S. 88; zur Rechtsprechung und Literatur ebenda S. 80 ff. 407 Scholz, Die aufschiebende Wirkung, S. 185; so auch K. Weber, SVR 2017, 325, 329 f. 408 Wieseler, Der vorläufige Rechtsschutz, S. 61, 62. 409 OVG Sachsen-Anhalt, B. v. 14. 12. 2011 – 4 L 102/10 –, Rn. 5, juris; auch Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 104. 410 K. Weber, SVR 2017, 325, 329; vgl. Beckmann, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 220.

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Die unterschiedlichen Formulierungen von Abs. 4 und Abs. 5 VwGO sollten allerdings nicht zur Folge haben, dass sich diese Regelungen auch in inhaltlicher Hinsicht voneinander unterscheiden. Im Grunde wird in beiden Verfahren eine Abwägung vorgenommen, um festzustellen, ob das Suspensivinteresse gegenüber dem Vollzugsinteresse überwiegt. Deshalb ist es richtig, dass die Aussetzung der Vollziehung je nach Interessenlage ex tunc oder ex nunc wirkt.411 Im Zweifelsfall sollte die behördliche Aussetzung der Vollziehung ex tunc wirken. Wie die Wirkung der Aussetzungsentscheidung, ist auch deren Verbindlichkeit fraglich, weil die Behörde nach Ergehen der Aussetzungsentscheidung im Sinne des § 80 Abs. 4 S. 1 VwGO von dieser nachträglich abweichen kann. Hier geht es im Grunde um das Hierarchieprinzip. Aufgrund fehlender Hierarchieebenen bestehen zumindest keine rechtlichen Hindernisse für eine Abweichungsbefugnis der Erlassbehörde.412 Daraus lässt sich weiterhin entnehmen, dass die behördliche Aussetzung der Vollziehung im Vergleich zur gerichtlichen Aussetzung der Vollziehung weniger Rechtsicherheit bietet.413 Auch wenn beide die gleichen Rechtsfolgen aufzeigen,414 unterscheiden sie sich bezüglich der Änderungsmöglichkeit. Die gerichtliche Aussetzung (§ 80 Abs. 5 VwGO) lässt im Unterschied zu der behördlichen Aussetzung (§ 80 Abs. 4 VwGO) der Behörde keine Möglichkeit mehr – bis zum nächsten Beschluss im Sinne des § 80 Abs. 7 VwGO oder bis zum Erfolg des Rechtsbehelfs – den Verwaltungsakt zu vollziehen. Schlussendlich stellt sich heraus, dass die Aussetzung nach § 80 Abs. 4 S. 1 VwGO grundsätzlich und vorbehaltlich einer zeitlichen Befristung bis zum Eintritt der Bestandskraft oder dem nach § 80b VwGO bestimmten Zeitpunkt wirkt. Eine Änderung oder Aufhebung steht bis dahin in der Zuständigkeit der Behörde, soweit

411

Vgl. Scholz, Die aufschiebende Wirkung, S. 184. Vgl. BVerwG, NVwZ-RR 2002, 153, 153: „Durch eine Aussetzung der Vollziehung erlegt sich die Behörde keine Bindungen auf, die es ihr fu¨ r die Zukunft erschweren, die Möglichkeiten auszuschöpfen, die ihr der Gesetzgeber mit dem Wegfall der aufschiebenden Wirkung zubilligt.“; dagegen Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1307: Denn nach ihm bei dem ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit kann die Behörde nicht vermeiden, die Vollziehung auszusetzen; vgl. auch Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 71. 413 „Die Entscheidung der Behörde nach § 80 Abs. 4 VwGO knüpft nicht zwingend an einen zeitlich früher eingelegten Rechtsbehelf und dessen rechtliche Wirkungen an, sondern hat lediglich zur Folge, dass der Verwaltungsakt bis auf weiteres nicht behördlich vollzogen wird. Die Vollziehungsaussetzung kann sogar von Amts wegen erfolgen und setzt noch nicht einmal einen Antrag des Betroffenen voraus.“ OVG Sachsen-Anhalt, B. v. 14.12.2011 – 4 L 102/10 –, Rn. 5, juris. 414 Vgl. auch Wieseler, Der vorläufige Rechtsschutz, S. 70; „Soweit vertreten wird, die Aussetzung der Vollziehung habe rechtsdogmatisch die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung zur Folge ist diese Auffassung schon mit dem Gesetzeswortlaut nicht in Übereinstimmung zu bringen.“ OVG Sachsen-Anhalt, B. v. 14. 12. 2011 – 4 L 102/10 –, Rn. 5, juris. 412

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anderweitige rechtliche Bindungen dem nicht entgegenstehen.415 Das bedeutet aber nicht, dass die Aussetzungsentscheidung jederzeit geändert oder aufgehoben werden darf. Durch eine behördliche Aussetzung wird nämlich eine normativ verbindliche Lage geschaffen, die faktisch demjenigen Schutz vor Vollstreckung entspricht, den die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gewährt.416 Nach Ergehen einer behördlichen Aussetzungsentscheidung darf der Verwaltungsakt nicht mehr durchgesetzt werden, mit der Folge, dass auch ein Aussetzungsantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO unzulässig wird.417 Die Berechtigung zu einer Neubeurteilung der Behörde besteht aber regelmäßig, wenn es sich um veränderte Umstände geht. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn das rechtliche oder tatsächliche Hindernis, das zum Zeitpunkt der Entscheidung einer sofortigen Vollziehung im Wege stand, im Nachhinein wegfällt.418 2. Die gerichtliche Entscheidung zur Aussetzung der Vollziehung Wird aufgrund einer behördlichen Anordnung oder eines gesetzlichen Ausschlusses in § 80 Abs. 2 S. 1 VwGO419 der Suspensiveffekt ausgeschaltet, kann dieser gemäß § 80 Abs. 5 VwGO durch das Gericht der Hauptsache, ganz oder teilweise, im Falle der behördlichen Anordnung wiederhergestellt und im Falle des gesetzlichen Ausschlusses angeordnet werden.420 § 80 Abs. 5 VwGO stellt als Modell der Aussetzung der Vollziehung ein entscheidendes Instrument des vorläufigen Rechtsschutzes dar.421 Es ist von besonderem Untersuchungsinteresse, weil sich das vorläufige Rechtsschutzsystem Deutschlands durch dieses Modell den mit ihm vergleichbaren Rechtsschutzsystemen in der Europäischen Union immer weiter nähert. Besonders mit einer zunehmenden Tendenz zum Ausschluss des Suspensiveffekts zeigt sich, dass die Aussetzung der Vollzie415

BVerwG, NVwZ-RR 2002, 153 ff. „Jedenfalls im Hinblick auf die von einer Aussetzungsentscheidung ausgehenden Rechtswirkungen setzt eine – verbindliche – Aussetzungsentscheidung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO bereits aus Gru¨ nden der Rechtssicherheit und -klarheit voraus, dass die Behörde nicht nur intern die Aussetzung beschlossen hat, sondern ihre Entscheidung dem Beitragsschuldner mitteilt.“ VG Freiburg, U. v. 11.11.2009 – 2 K 257/08 –, Rn. 30, juris; auch VG Gera, B. v. 05.03.2007 – 5 E 100/07 Ge –, juris. 417 Eine auf Grundlage des § 80 Abs. 4 VwGO getroffene Aussetzungsentscheidung entfaltet unmittelbare Rechtswirkungen. Auch bei der Zugrundlegung der Annahme, dass ein Verwaltungsakt aufgrund behördlicher Aussetzung nur in seiner Vollziehbarkeit, nicht in seiner Wirksamkeit gehemmt ist. Vgl. VG Freiburg, U. v. 11.11.2009 – 2 K 257/08 –, juris; auch K. Weber, SVR 2017, 325, 328; Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 118; vgl. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 136. 418 BVerwG, NVwZ-RR 2002, 153 ff. 419 Scholz, Die aufschiebende Wirkung, S. 186 Fn. 1. 420 Auch Scholz, Die aufschiebende Wirkung, S. 186; Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 337; Wieseler, Der vorläufige Rechtsschutz, S. 51. 421 Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 344; Renck, BayVBl. 1994, 161, 163. 416

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hung nach einer Weile zumindest de facto als Regelfall zum vorläufigen Rechtsschutz erscheinen kann. Aus diesem Grund wird § 80 Abs. 5 VwGO in Literatur und Rechtsprechung eine hohe Beachtung geschenkt. a) Verfassungsrechtliche Anforderungen an die gerichtliche Aussetzung der Vollziehung Wie bereits festgestellt, muss sich der vorläufige Rechtsschutz unabhängig vom jeweiligen Rechtsschutzmodell an seinen Funktionen messen lassen. Einerseits muss er eine Sicherungsfunktion aufweisen, die gewährleistet, dass das subjektive Recht im Hauptsacheverfahren noch durchgesetzt werden kann, und andererseits muss er auch eine interimistische Befriedungsfunktion bieten, welche eine Eilentscheidung bis zur Hauptsacheentscheidung vorläufig begründet.422 In diesem Zusammenhang ist anerkannt, dass im Rahmen von Art. 19 Abs. 4 GG vorrangig die gerichtliche Aussetzung der Vollziehung als der Suspensiveffekt zu gewähren ist.423 Die Aussetzung der Vollziehung wird auch in den meisten europäischen Ländern424 ebenfalls als ein adäquater Rechtsschutz im Hinblick auf die Verhinderung des Eintritts vollendeter Tatsachen425 angesehen. Dabei ist der Unterschied zwischen dem Modell des Suspensiveffekts und der gerichtlichen Aussetzung nicht als gering zu bewerten. Die aufschiebende Wirkung tritt voraussetzungslos ein, während die Aussetzung der Vollziehung von besonderen Maßstäben und Voraussetzungen abhängig ist. Die Automatik des Suspensiveffekts führt dementsprechend im Gegensatz zur gerichtlichen Aussetzung zu weniger Komplexität. In beiden Modellen sollte aber aufgrund von Interessenkonflikten abschließend ein gerichtliches Verfahren stattfinden, in dem vor allem das überwiegende Interesse an der sofortigen Vollziehung oder Aussetzung der Vollziehung festgestellt und gegebenenfalls eine rechtsschützende Maßnahme getroffen wird,426 was von der Verfassung ausgehend erforderlich ist. b) Die Terminologie des § 80 Abs. 5 VwGO In der Regelung des § 80 Abs. 5 VwGO wird im Gegensatz zu den §§ 80 Abs. 4 und 80a Abs. 1 Nr. 2 VwGO nicht von der Aussetzung der Vollziehung, sondern von gerichtlicher Anordnung (in den Fällen des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 – 3a) oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung (im Falle des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 422

Windthorst, in: Gärditz, VwGO, § 80 Rn. 189. Haibach, DÖV 1996, 60, 65; Windthorst, in: Gärditz, VwGO, § 80 Rn. 190; Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1417 f.; auch Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 332. 424 Mit Ausnahme Dänemarks Haibach, DÖV 1996, 60, 66. 425 Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1419; Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 328; Timmler, Aussetzungsentscheidung, S. 24. 426 Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1418. 423

IV. Wiederherstellung des Suspensiveffekts

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VwGO) gesprochen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob diesen Differenzierungen in der Wortwahl eine praktische oder theoretische Bedeutung zukommt. Diesbezüglich wird in der Literatur häufig angemerkt, dass die Unterschiede des Sprachgebrauchs in den Regelungen des § 80 Abs. 5 VwGO sowie der §§ 80 Abs. 4 und 80a Abs. 1 Nr. 2 VwGO keine sachliche Abweichung zur Folge haben.427 Das heißt, dass die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung und die Aussetzung der Vollziehung sowohl im theoretischen als auch im praktischen Sinne gleichgesetzt werden.428 Dabei wird in der Literatur auch angeführt, dass die begriffliche Unterscheidung zwischen der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung und der Aussetzung der Vollziehung für die Frage entscheidend ist, ob der Eilantrag einen Hauptsacherechtsbehelf voraussetzt oder nicht. Hiermit setzt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung im Rahmen des § 80 VwGO im Gegensatz zur Aussetzung der Vollziehung voraus, dass ein Rechtsbehelf eingelegt ist.429 Allerdings ist es verfehlt, terminologische Verstimmungen im Rahmen von § 80 VwGO heraufzubeschwören. In diesem Sinne ist das gerichtliche Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO zutreffenderweise als Aussetzungsverfahren zu bezeichnen und weiterhin durch den Begriff der Wiederherstellung oder Herstellung der aufschiebenden Wirkung zu charakterisieren.430 Dieses Verfahren umfasst somit die Anordnung der aufschiebenden Wirkung und der Aufhebung der Vollziehung und erstreckt sich zudem auch auf die Feststellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs.431 Die Folge jedes dieser Verfahren ist letztendlich inhaltlich keine andere als diejenige des Suspensiveffekts, der nach § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO kraft Gesetzes eintritt.432

427

Jäde, Verwaltungsverfahren, Rn. 283 Fn. 243. Vgl. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1421 f.; Windthorst, in: Gärditz, VwGO, § 80 Rn. 184; Gegenmeinung Schmidt, in: Eyermann, VwGO (2014), § 80 Rn. 54; vgl. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 112; vgl. Beckmann, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 218. 429 Wenn der Rechtsbehelf fehlt, dem eine aufschiebende Wirkung zukommen könnte, dann kommt nicht die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung in Betracht, sondern Aussetzung der Vollziehung. Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 1498; ebenso Shirvani/Heidebach, DÖV 2010, 261; vgl. Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 327. 430 Vgl. Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 336 ff. 431 Windthorst, in: Gärditz, VwGO, § 80 Rn. 188; Schmidt, in: Eyermann, VwGO (2014), § 80 Rn. 109. 432 Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1417. 428

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C. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Suspensiveffekts

c) Im Falle des § 80 Abs. 4 VwGO Gegen Entscheidungen über einen Antrag gemäß § 80 Abs. 4 VwGO ist kein spezielles Rechtsmittel vorgesehen. Der Betroffene hat jedoch die Möglichkeit, gemäß § 80 Abs. 5 VwGO eine gerichtliche Entscheidung herbeizuführen.433 Das OVG Sachsen- Anhalt434 führt entsprechend aus: „Falls die Behörde einen Antrag nach § 80 Abs. 4 VwGO ablehnt, ihm nur für die Zukunft stattgibt oder ihn nicht bescheidet, kann der Abgabepflichtige versuchen, Säumniszuschläge rückwirkend insgesamt zu vermeiden, indem er einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO stellt.“435

Hat die Behörde die Aussetzung der Vollziehung im Sinne des § 80 Abs. 4 VwGO schon entschieden, ist hingegen fraglich, ob dem Antrag gemäß § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO noch stattzugeben ist. Das Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers ist in einem solchen Fall nur gegeben, wenn das gerichtliche Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO für den Antragsteller einen rechtlichen oder tatsächlichen Vorteil bringen kann.436 Festzuhalten ist somit, dass das Aussetzungsverfahren gemäß § 80 Abs. 5 VwGO gegen behördliche Entscheidungen nach § 80 Abs. 4 VwGO – ebenso wie auch nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO – ein generelles Rechtsmittel darstellt. Es verbleibt jedoch die Frage, ob die Behörde im Falle einer gerichtlichen Ablehnungsentscheidung eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO im Nachhinein zu dieser Entscheidung gleichwohl eine Aussetzung der Vollziehung anordnen darf.437 Zunächst spricht hierfür, dass die Behörde die Herrin des Verwaltungsverfahrens ist. Die Behörde kann deshalb auch nach Ablehnung des gerichtlichen Eilantrags von sich aus die Vollziehung aussetzen.438 Dies gilt auch, wenn keine neuen Tatsachen eingetreten sind. Eine solche Befugnis würde aber nur dann zu bejahen sein, wenn das Gericht den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung nicht aus materiell-rechtlichen Gründen und insbesondere nicht aufgrund eines überwiegenden Interesses des Dritten an der sofortigen Vollziehung abgelehnt hätte. Dementsprechend kann die Behörde einerseits verwaltungspolitische Aspekte und Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte berücksichtigen und selbständig darüber bestimmen, ob der Verwaltungsakt letztlich vollzogen oder seine Vollziehung ausgesetzt werden soll. Andererseits darf die Behörde aber das überwiegende Interesse, welches durch das Gericht im Aus433 VGH Mu¨ nchen, NVwZ-RR 1997, 136 ff.; VG Freiburg, U. v. 11.11.2009 – 2 K 257/08 –, juris; Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 325. 434 OVG Sachsen-Anhalt, B. v. 14. 12. 2011 – 4 L 102/10 –, Rn. 7, juris. 435 Auch K. Weber, SVR 2017, 325, 330. 436 VGH Bayern, B. v. 14.12.2009 – 22 CS 07.1502 –, Rn. 18, juris. 437 Vgl. Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 105. Gerichtsentscheidung und Behördenentscheidung sind voneinander grds. unabhängig. 438 Vgl. Beckmann, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 219; Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz (1998) § 39 Rn. 783, 790.

IV. Wiederherstellung des Suspensiveffekts

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setzungsverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO festgestellt wird, nicht missachten und nicht ermessenswidrig die Vollziehung aussetzen oder den Verwaltungsakt vollziehen. Schließlich folgt aus § 80 Abs. 4 VwGO nicht, dass die letztverbindliche Kompetenz zur Aussetzung der Vollziehung der Behörde zugewiesen ist. Nach § 80 Abs. 5 VwGO kommt dem Gericht nämlich eine Aussetzungsbefugnis zu, die nicht auf eine rechtliche Überprüfung der behördlichen Entscheidungen im Sinne § 80 Abs. 4 VwGO beschränkt ist, denn es kann entsprechend dem Wortlaut des § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO in allen Fällen des § 80 Abs. 2 S. 1 VwGO eine eigene Ermessensentscheidung treffen.439 d) Formelle Voraussetzungen der gerichtlichen Aussetzungsentscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO Die gerichtliche Aussetzungsentscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO erfolgt anders als die behördliche nach § 80 Abs. 4 VwGO unter bestimmten formellen Voraussetzungen. Die besonderen Voraussetzungen eines gerichtlichen Aussetzungsverfahrens und die damit in Zusammenhang stehenden prozessualen Fragen werden im Folgenden untersucht, bevor die materiellen Maßstäbe der gerichtlichen Aussetzungsentscheidung vertieft behandelt werden. aa) Antragserfordernis Erste Voraussetzung für eine gerichtliche Aussetzungsentscheidung nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO ist ein Antrag, der entsprechend den allgemeinen Vorgaben aus §§ 81, 82 VwGO zu stellen ist. Demnach ist eine gerichtliche Aussetzung im Gegensatz zur behördlichen Aussetzung von Amts wegen nicht möglich.440 Es bleibt fraglich, ob eine Antragstellung nach § 80 Abs. 5 VwGO unabhängig von der Einlegung eines Rechtsbehelfs in der Hauptsache vorstellbar ist. Die Antragstellung ist gemäß § 80 Abs. 5 S. 2 VwGO schon vor Klageerhebung möglich. Wo ein Widerspruchsverfahren nicht vorgesehen ist, ist der Antrag sogar vor Widerspruchseinlegung zulässig.441 Die Zulässigkeit des Antrags nach Abs. 5 ist aber nicht ganz unabhängig von einer Rechtsbehelfseinlegung. Wird weder Widerspruch eingelegt noch Anfechtungsklage erhoben, gibt es keinen Rechtsbehelf, 439 Die Zulässigkeit eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO setzt allerdings in den Fällen des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO voraus, dass vorher erfolglos ein entsprechender behördlicher Antrag nach § 80 Abs. 4 VwGO gestellt wurde. In den anderen Fällen des § 80 Abs. 2 ist ein erfolgloser behördlicher Antrag keine Zulässigkeitsvoraussetzung. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 138. 440 Scholz, Die aufschiebende Wirkung, S. 187 f.; Hoppe, in: Eyermann, VwGO, § 80 Rn. 72. 441 Auch Jäde, Verwaltungsverfahren, Rn. 277; ebenso Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 139.

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C. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Suspensiveffekts

dessen aufschiebende Wirkung das Gericht anordnen oder wiederherstellen könnte. Die gerichtliche Anordnung des Suspensiveffekts liefe dann ins Leere. Wenn der sich mit dem Widerspruch angefochtene Verwaltungsakt vor der Entscheidung über den Widerspruch erledigt hat442 oder die Widerspruchsfrist abgelaufen ist,443 ist der Eilantrag also unabhängig vom Zeitpunkt der Antragstellung unzulässig.444 Hingegen sollte der Betroffene einen Eilantrag unabhängig von dem Rechtsbehelf stellen können,wenn das gerichtliche Eilverfahren im Wesentlichen die Schutzfunktion des Hauptsacheverfahrens übernimmt.445 Dafür spricht, dass es in besonders eiligen Fällen für den Antragsteller eine Erschwerung und sogar eine Gefährdung seines Anspruchs auf effektiven vorläufigen Rechtsschutz bedeuten kann, wenn er gezwungen wäre, zunächst bei der Behörde Widerspruch einzulegen, und er erst dann einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO stellen darf. Dies kann zum Beispiel der Fall sein, wenn eine Versammlung untersagt wird.446 Dabei folgt aus § 80 Abs. 5 VwGO nicht zwingend, dass eine gerichtliche Aussetzungsentscheidung auch schon vor Erhebung der Anfechtungsklage möglich sein müsste, selbst wenn ein Widerspruchsverfahren gemäß § 68 I 2 VwGO nicht statthaft ist.447 In seltenen Ausnahmefällen kann es aber nach dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG nötig sein, dass das Verwaltungsgericht auf Antrag die Aussetzung der Vollziehung vor Erhebung der Anfechtungsklage anordnet.448 Dies ist dann der Fall, wenn die kurzfristige Erhebung einer Anfechtungsklage unzumutbar ist.449 442

Vgl. OVG Lüneburg, B. v. 27.03.2020 – 12 ME 48/20 –, juris. Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 33 Rn. 1499; so aber nur, wenn eine kurzfristige Erledigung des angegriffenen Verwaltungsakts droht. VGH Mannheim, NVwZ 1995, 813 ff. 444 VGH München, BayVBl. 1988, 17, 18; vgl. auch VGH Mannheim, NVwZ 1995, 813 ff.; vgl. OVG Koblenz, NJW 1995, 1043 ff. 445 Dazu auch Haibach, DÖV 1996, 60, 67 f.; auch Jäde, Verwaltungsverfahren, Rn. 280; in solchen Fällen dürfen die Gerichte im vorläufigen Rechtsschutzverfahren die Rechtmäßigkeit der behördlichen Anordnung nicht nur summarisch prüfen, soweit eine volle Rechtspru¨ fung möglich ist. BVerfG, NVwZ 2013, 570, 572 Rn. 18; vgl. BVerfG, NVwZ 2018, 1467, 1467 Rn. 4; Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 33 Rn. 1504. 446 Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 129. 447 Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 33 Rn. 1498 f.; ebenso Shirvani/Heidebach, DÖV 2010, 259, 261; vgl. BVerfG, NJW 1993, 3190; Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 139. 448 Vgl. Beckmann, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 247; Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 1498 ff. Nicht der Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, weil der Rechtsbehelf fehlt, dem eine aufschiebende Wirkung zukommen könnte; Shirvani/Heidebach, DÖV 2010, 261. 449 Hier wird es in der Regel ausreichen, dass vor Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO ein Widerspruchsverfahren begonnen hat. Vgl. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 139; obwohl die erstinstanzliche Entscheidung nicht vorliegt, darf das Gericht wegen Dringlichkeit eine abstrakte Abwägung vornehmen und dementsprechend eine Eilentscheidung treffen. Sauthoff, NVwZ 1988, 697, 698. 443

IV. Wiederherstellung des Suspensiveffekts

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Schließlich ist der Eilantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO wie in § 123 VwGO grundsätzlich unabhängig von der Klageerhebung zulässig. Bei dem Eilverfahren handelt es sich um ein selbständiges Verfahren, das dem Betroffenen die Möglichkeit einer isolierten Überprüfung der Rechtmäßigkeit der gesetzlichen oder behördlichen Vollziehungsanordnung geben soll.450 Jedoch liegt es im Ermessen des Gerichts, bei der Anordnung der Aussetzung der Vollziehung zu berücksichtigen, ob der Rechtsbehelf eingelegt wird, soweit die Rechtsbehelfseinlegung aufgrund der Dringlichkeit der Sache nicht unzumutbar wäre. Dem Gericht ist es jedenfalls nicht gestattet, die Zulässigkeitsvoraussetzungen von Widerspruch oder Anfechtungsklage zu umgehen.451 bb) Behördliches Vorverfahren In Bezug auf Verfahrensvoraussetzungen des § 80 Abs. 5 VwGO stellt sich die weitere Frage, ob das behördliche Aussetzungsverfahren nach § 80 Abs. 4 VwGO grundsätzlich erschöpft werden muss, bevor der Antrag auf gerichtliche Aussetzung der Vollziehung gestellt wird.452 Dies ist generell dem Wortlaut des § 80 Abs. 5 VwGO nicht zu entnehmen.453 Das gerichtliche Aussetzungsverfahren setzt nur nach § 80 Abs. 6 S. 1 VwGO bezüglich öffentlicher Abgaben und Kosten eine vorherige Antragstellung bei der Behörde voraus.454 Im Umkehrschluss bedeutet das: Das Vorverfahren im Sinne des § 80 Abs. 4 VwGO stellt in der Regel keine Zugangsvoraussetzung für das gerichtliche Aussetzungsverfahren dar.455 Die in der Literatur selten vertretene Ansicht, aufgrund einer analogen Anwendung des § 68 VwGO sei ein behördliches Vorverfahren vor Stellung eines Aussetzungsantrages bei Gericht erforderlich,456 ist ebenfalls nicht überzeugend, weil es hier nicht um ein umfassendes Hauptsacheverfahren, sondern um einen eilig vorzunehmenden Rechtsschutz geht. Die Notwendigkeit einer vorherigen Antragstel450

Vgl. Haibach, DÖV 1996, 60, 68. Die Feststellung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs entsprechend § 80 Abs. 5 VwGO scheidet aus, wenn es an der Widerspruchsbefugnis des Widerspruchsfu¨ hrers fehlt. OVG Mu¨ nster, NuR 2018, 137, 137; auch Scholz, in: FS Menger, S. 641, 651; Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 996. 452 Vgl. Beckmann, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 244. 453 Gegen eine analoge Anwendung des § 80 Abs. 6 oder § 80 a Abs. 3 S. 2 VwGO Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 138. 454 VG Cottbus, B. v. 20.12.2018 – 6 L 166/18 –, Rn. 4, juris; diese Voraussetzung muss zum Zeitpunkt der gerichtlichen Antragstellung erfüllt sein und kann nicht nachgeholt werden. Hierzu OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 02.05.2006 – OVG 9 S 5.06 –, juris; OVG Brandenburg, B. v. 17.03.2004 – 2 B 49/04 –, juris. 455 Vgl. Schmidt, in: Eyermann, VwGO (2014), § 80 Rn. 59 ff., S. 532. 456 Vgl. Scholz, Die aufschiebende Wirkung, S. 191; vgl. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 184; vgl. Heins, Die Abschaffung des Widerspruchverfahrens, S. 59. 451

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C. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Suspensiveffekts

lung bei der Behörde würde zu Nachteilen des Antragstellers, der nach § 80 Abs. 5 VwGO Eilrechtsschutz begehrt, führen.457 Im Vergleich zu § 80 Abs. 5 VwGO setzt sogar § 123 VwGO, der prozessrechtlich noch höhere Hürden für den Eilrechtsschutz stellt, kein Vorverfahren voraus. Dem dürfte die Auffassung entgegenstehen, dass der Gesetzgeber mit § 80 Abs. 4 VwGO auf eine Beschleunigung und Verkürzung im Eilverfahren abgezielt hat,458 weil ein behördliches Aussetzungsverfahren praktischer als ein gerichtliches Aussetzungsverfahren ausgeübt werden kann. § 80 Abs. 6 VwGO verfolgt demzufolge besonders den Zweck der Entlastung der Gerichte.459 Daraus ergibt sich gleichwohl kein zwingender Charakter der Regelung. Schließlich ist anzumerken, dass § 80 Abs. 6 VwGO im Grunde keine erschwerende Regelung im Hinblick auf Verfahrensvoraussetzungen des § 80 Abs. 5 VwGO darstellt. Nach § 80 Abs. 6 S. 2 VwGO muss das behördliche Vorverfahren für ein gerichtliches Aussetzungsverfahren nämlich nicht zwingend erschöpft werden, wenn die Behörde nicht in angemessener Frist über die Aussetzung der Vollziehung sachlich entschieden hat oder dem Belasteten vor behördlicher Entscheidung ein Vollstreckungsrisiko droht. Insoweit lässt sich ableiten, dass die gesamte Anwendung des § 80 Abs. 4, 5 und 6 VwGO darauf abzielt, eine Verzögerung der Eilentscheidung zu verhindern bzw. irreparable Schäden auszuschließen. In diesem Rahmen ergeben sich aus dem Erfordernis des behördlichen Vorverfahrens im Sinne des § 80 Abs. 6 VwGO keine verfassungsrechtlichen Bedenken.460 cc) Leistung einer Sicherheit Aus den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 5 VwGO ergibt sich noch, dass die Aussetzung der Vollziehung gegebenenfalls nur gegen Sicherheitsleistung erfolgen kann. § 80 Abs. 5 S. 4 VwGO regelt diesbezüglich, dass die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden kann. Nach § 80 Abs. 5 S. 5 VwGO darf sie auch befristet werden.461 457

Zur Benachteiligung durch teleologische Interpretation Kaya, ABD 2014, 365, 370; vgl. K. Weber, SVR 2017, 325, 330. 458 Hier wird überwiegend vertreten, dass es sich bei § 80 Abs. 6 um eine Ausnahmeregelung handelt, die aus fiskalischen Gründen die Effektivität des gerichtlichen Rechtsschutzes einschränkt; Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 138; im Einklang mit der Entstehungsgeschichte, BT-Dr 11/7030, 25. 459 Pesch, NWVBl. 2011, 303, 304. 460 Dazu Pesch, NWVBl. 2011, 303, 305. 461 Ebenfalls hat das Gericht auch gem. § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO ein Ermessen, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anzuordnen. Wenn sich das Gericht für die Teilwiederherstellung der aufschiebenden Wirkung bzw. Teilaussetzung entscheidet, dann handelt es sich hierbei um ein wesensgleiches Minus der gesamten Entscheidung. Im Ergebnis zeigt das,

IV. Wiederherstellung des Suspensiveffekts

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Bei der Auflage im Sinne des § 80 Abs. 5 S. 4 VwGO geht es um eine spezielle, auf den Zweck des gerichtlichen Aussetzungsverfahrens zugeschnittene Nebenbestimmung.462 Sie hat im Grunde die Funktion, dem Verhältnismäßigkeitsgebot Rechnung zu tragen und einen angemessenen Interessenausgleich zu schaffen, indem einerseits der effektive Rechtsschutz und andererseits das Vollzugsinteresse berücksichtigt werden sollen.463 Hierbei ist streitig, ob Auflagen nur bei stattgebenden oder auch bei ablehnenden Entscheidungen im Sinne des § 80 Abs. 5 VwGO zulässig sind. Aus dem Wortlaut des § 80 Abs. 5 S. 4 VwGO ist zu entnehmen, dass das Hinzufügen einer Auflage nur im Falle der Stattgabe des Antrags vorgesehen ist.464 In der Praxis können Auflagen allerdings nicht nur bei einer stattgebenden Entscheidung, sondern auch bei einer ablehnenden Entscheidung zulasten des Antragsgegners oder bei Verwaltungsakten mit Drittwirkung zulasten des begünstigten Dritten per analoger Anwendung des § 80 Abs. 5 S. 4 VwGO angeordnet werden.465 Auflagen nach § 80 Abs. 5 S. 4 VwGO dienen letztlich dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf die Vollziehung eines Verwaltungsakts. Sie sollen aber prinzipiell nicht verfehlte Verwaltungsentscheidungen in der Sache selbst korrigieren.466 e) Materielle Maßstäbe der gerichtlichen Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen der gerichtlichen Aussetzungsentscheidung sind im Gegensatz zu ihren formell-rechtlichen Voraussetzungen nicht in dass das Gericht seine Entscheidung für die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung mit Nebenbestimmungen versehen kann. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 169; vgl. OVG Berlin, NVwZ 2003, 1524 ff.; Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 168. 462 Beispielgebend die gerichtliche Verlängerung der Sperrzeiten als Auflage VG Mainz, B. v. 08. 01. 2019 – 1 L 1183/18.MZ –, Rn. 46, juris. 463 OVG Nordrhein-Westfalen, B. v. 11. 06. 2019 – 11 B 606/19 –, Rn. 4, juris; OVG Berlin, B. v. 22. 06. 2005 – 2 S 49.05 –, juris; vgl. auch BVerfG, B. v. 07. 04. 2001 – 1 BvQ 17/01 –, Rn. 37, juris. Die Auflagen dienen ausschließlich dem Ziel, die mit der Eilentscheidung möglicherweise verbundenen Gefahren, die aber im Interesse des effektiven Rechtsschutzes in Kauf zu nehmen sind, gering zu halten. 464 OVG Nordrhein-Westfalen, B. v. 11.06.2019 – 11 B 606/19 –, Rn. 4, juris. 465 Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 169; Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 168; auch OVG Lüneburg, B. v. 30. 01. 1978 – IV OVG B 196/77 –, juris. 466 „Dies wäre mit Blick auf den Grundsatz der Gewaltenteilung und die spezifische Funktion der Verwaltungsgerichtsbarkeit auch problematisch, da eine entsprechende Anwendung der Vorschrift auf eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltung unter Korrektur der Verwaltungsentscheidung und eine Übernahme von Verwaltungsfunktionen durch die Gerichte hinausliefe, und dies zulasten der Rechtsunterworfenen in Konstellationen, in denen das Verwaltungshandeln Anlass zur Anrufung der Verwaltungsgerichte gegeben hat.“ VGH BadenWürttemberg, B. v. 27. 06. 2018 – 8 S 700/18 –, Rn. 11, juris; vgl. VGH Baden-Württemberg, B. v. 10.08.2017 – 11 S 1724/17 –, Rn. 16, juris.

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C. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Suspensiveffekts

§ 80 Abs. 5 VwGO normiert.467 Die Frage, nach welchen Maßstäben ein gerichtliches Aussetzungsverfahren durchgeführt wird, wird insoweit in Literatur und Rechtsprechung umfassend beantwortet.468 Im Hinblick auf die gerichtlichen Aussetzungskriterien ist vornehmlich die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts beachtenswert. Dementsprechend sollen die Gerichte im Aussetzungsverfahren anhand einer Abwägung, welche zwischen dem Interesse von Antragsteller und Antragsgegner vorgenommen wird, entscheiden. Bereits erkennbare Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens sind in die Abwägung mit einzubeziehen. Neben den Interessen von Antragsteller und Antragsgegner sind auch alle sonst betroffenen öffentlichen und privaten Interessen wie diejenigen der weiteren Beteiligten zu berücksichtigen.469 Der Suspensiveffekt wird dementsprechend teilweise oder ganz wiederhergestellt, wenn das private Interesse an der Erhaltung der Rechtsposition das öffentliche Interesse oder das Drittinteresse an der Verwirklichung des Verwaltungsakts überwiegt.470 aa) Umfang der zwei grundlegenden Abwägungskriterien Wie zuvor dargelegt, findet im Rahmen des Aussetzungsverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO eine Interessenabwägung statt. In diesem Sinne wird hier nicht die unmittelbare Entscheidungsgrundlage der gerichtlichen Aussetzungsentscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO untersucht. Vielmehr werden die Abwägungskriterien471 betrachtet. Zur Abwägung stehen besonders zwei in Rechtsprechung und Schrifttum vielfach herausgearbeitete Kriterien im Vordergrund.472 Dies sind zum einen die offensichtlichen oder überschaubaren Erfolgsaussichten, die eine materiell-akzessorische Prüfung begründen und einen zentralen Abwägungsmaßstab darstellen, und zum anderen die Dringlichkeit der Sache, die einer materiell-inakzessorische Prüfung zugrunde liegt.473 Es entspricht der ständigen Rechtsprechung, die beiden Kriterien 467

Dazu Kritik Schmidt, in: Eyermann, VwGO (2014), § 80 Rn. 69; ebenso Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 63. 468 Dazu M. Redeker, AnwBl. 2012, 870, 873; vgl. Timmler, Aussetzungsentscheidung, S. 19. 469 Haibach, DÖV 1996, 60, 68. 470 Vgl. Martens, Suspensiveffekt, S. 10; Wieseler, Der vorläufige Rechtsschutz, S. 53. 471 Vgl. OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 23. 07. 2019 – OVG 11 S 80.18 –, Rn. 7, juris; B. v. 30.10.2013 – OVG 11 S 3.13 –, Rn. 15, juris. 472 Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 369, 386 ff. 473 Vgl. Windthorst, Der verwaltungsgerichtliche einstweilige Rechtsschutz, S. 656 – 660; Obwohl sich im § 80 Abs. 5 VwGO kein Verweis auf § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO findet, ist die ständige Rechtsprechung sich darüber einig, dass die Kriterien des Abs. 4 S. 3 auch für Aussetzungsverfahren des Abs. 5 anwendbar sind; vgl. VG Lüneburg, B. v. 31. 03. 2020 – 3 B 10/ 19 –, Rn. 35, juris; vgl. VGH München, DVBl. 1992, 454, 456; VG Dresden, B. v. 18. 06. 2004 – 5 K 1331/04 –, Rn. 6, juris; Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 189.

IV. Wiederherstellung des Suspensiveffekts

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anzuwenden, um die Aussetzungsentscheidungen berechenbar zu machen. Gleichwohl stellen sie aber unbestimmte Rechtsbegriffe dar, die inhaltlich erklärungsbedürftig sind.474 (1) Die Erfolgsaussichten der Hauptsache als zentraler Abwägungsmaßstab Im Rahmen der gerichtlichen Interessenabwägung kommt den Erfolgsaussichten in der Hauptsache maßgebliche Bedeutung zu. In erster Linie hat sich die Abwägung demnach am materiellen Recht zu orientieren.475 (a) Die Offensichtlichkeit und der Umfang der Erfolgsaussichten Zu welchem Grad und Umfang die Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu berücksichtigen sind, ist bei der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO umstritten. In diesem Sinne hat sich durch die Rechtsprechung ein Stufensystem herausgebildet. Demnach ist zuerst die offensichtliche Rechtswidrigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts zu prüfen.476 Wann Offensichtlichkeit vorliegt, ist eine Wertungsentscheidung, die nur im Einzelfall beantwortet werden kann. Die Anforderungen sind hoch, weil Offensichtlichkeit im allgemeinen juristischen Sprachgebrauch fordert, dass keine vernünftigen Zweifel bestehen. Gleichwohl setzt Offensichtlichkeit keine klare Erkenntnis über die Sachlage voraus, denn Rechtsfragen sind im summarischen Verfahren ebenfalls grundsätzlich nicht abschließend zu klären.477 Erweist sich der Verwaltungsakt als offensichtlich rechtswidrig und das Hauptsacheverfahren damit voraussichtlich als erfolgreich, ist ein besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung regelmäßig zu verneinen.478 Ist der angefochtene Verwaltungsakt dagegen nach der genannten Überprüfung als offensichtlich rechtmäßig anzusehen, führt dies im Umkehrschluss – besonders in Fällen des gesetzlich angeordneten Sofortvollzuges – dazu, dass der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abgelehnt wird.479 474 Vgl. Windoffer, Rechtsfragen in verwaltungsgerichtlichen Verfahren, S. 42; vgl. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1574. 475 Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 187. 476 OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 27.11.2009 – OVG 11 S 49.09 –, Rn. 4, juris; vgl. BVerwG, NJW 1974, 1294, 1295; Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 187 f.; Windthorst, Der verwaltungsgerichtliche einstweilige Rechtsschutz, S. 677; vgl. VG Dresden, B. v. 09. 04. 2020 – 6 L 249/20 –, Rn. 9, juris. 477 Vgl. M. Redeker, AnwBl. 2012, 870, 873. 478 VG Dresden, B. v. 09. 04. 2020 – 6 L 249/20 –, Rn. 9, juris; vgl. BVerfG, B. v. 08. 04. 2010 – 1 BvR 2709/09, Rn. 5, juris; selbst wenn eine offenbare Aussichtslosigkeit des Rechtsbehelfs angenommen wird, rechtfertigt dies nicht ohne weiteres die Anordnung der sofortigen Vollziehung, weil diese ein besonderes Vollzugsinteresse verlangt. M. Redeker, AnwBl. 2012, 870, 873; Martens, Suspensiveffekt, S. 19. 479 Vgl. VG Schleswig, B. v. 08. 04. 2020 – 1 B 49/20 –, Rn. 2, juris; VG Saarland, B. v. 30.03.2020 – 6 L 340/20 –, juris; OVG Schleswig-Holstein, B. v. 31. 03. 2020 – 1 MR 2/20 –,

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C. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Suspensiveffekts

Ist keine eindeutige Antwort auf die Frage nach der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts zu geben, kommt es in Anwendung des § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO auf ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts an.480 § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO verweist zwar nur unmittelbar auf die Anforderung öffentlicher Abgaben und Kosten, die Vorschrift indiziert jedoch einen allgemeinen Rechtsgedanken, nach dem die Verwaltung bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts weniger schutzbedürftig als der Betroffene ist.481 Ernstliche Zweifel im Sinne des § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO bestehen dann, wenn die Gründe, die gegen die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts sprechen, gegenüber den Umständen, die für die Rechtmäßigkeit sprechen, überwiegen.482 Auch entsprechend der ständigen Rechtsprechung reicht es bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage für die Statthaftigkeit des Eilantrags nach § 80 Abs. 5 VwGO aus, dass der Erfolg des Rechtsbehelfs wahrscheinlicher als dessen Misserfolg ist.483 Dies gilt dagegen nicht für die Ablehnung des Eilantrags.484 Für eine Entscheidung zugunsten der sofortigen Vollziehung ist neben den für die

Rn. 7, juris: Wird der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf voraussichtlich keinen Erfolg haben (weil er unzulässig oder unbegründet ist), so ist dies ein starkes Indiz für die Ablehnung des Antrages auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung. 480 Zur analoger Anwendung Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 189; in entsprechender Anwendung VG Lüneburg, B. v. 31. 03. 2020 – 3 B 10/19 –, Rn. 35, juris; VG Dresden, B. v. 18. 06. 2004 – 5 K 1331/04 –, Rn. 6, juris. 481 Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 158; vgl. VGH München, DVBl. 1992, 454, 456; vgl. Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, § 45 Rn. 980. 482 Vgl. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1294. 483 OVG Nordrhein-Westfalen, B. v. 25.02.2019 – 14 B 1759/18 –, Rn. 3, juris; B. v. 25.10.2018 – 14 B 1366/18 –, Rn. 4, juris; VG Trier, B. v. 24.06.2019 – 10 L 2468/19, BeckRS 2019, 12969 Rn. 5; VG Schleswig, B. v. 26. 04. 2019 – 4 B 1/19 –, Rn. 7, juris; auch OVG Nordrhein-Westfalen, B. v. 15.08.2019 – 15 B 884/19 –, Rn. 4, juris; OVG Lüneburg, B. v. 03.12.2008 – 1 Mn 257/08, BeckRS 2008, 41297; VG Münster, B. v. 09.08.2019 – 11 L 469/ 19 –, Rn. 85, juris; VG Cottbus, B. v. 27.08.2019 – 6 L 348/18 –, Rn. 6, juris; vgl. VG Würzburg, B. v. 10.03.2017 – W 6 E 17.228 –, juris; VGH München, B. v. 22.05.2017 – 11 CE 17.718, BeckRS 2017, 111563 Rn. 10; vgl. OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 29. 01.2019 – OVG 10 S 44.18 –, Rn. 3, juris; OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 03.02.2012 – OVG 10 S 50.10 –, Rn. 3, juris; anders std. Rspr. OVG Schleswig-Holstein, B. v. 05.12.2018 – 2 MB 26/18 – m. w. N. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes liegen vor, wenn der Erfolg der Klage ebenso wahrscheinlich ist wie deren Misserfolg; vgl. auch BVerwG, B. v. 03.07.1981 – 8 C 83.81 – juris; VG Schleswig, B. v. 26. 04. 2019 – 4 B 1/19 –, Rn. 6, juris; „Dies gilt aber insbesondere in dem Fall, wenn der Sachverhalt noch einer näheren Aufklärung bedarf oder die Beurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs von der dem Gebot einer nur summarischen Prüfung widersprechenden Klärung schwieriger Rechtsfragen abhängt.“ VG Trier, B. v. 24.06.2019 – 10 L 2468/19.TR –, Rn. 5, juris.; vgl. OVG Rheinland-Pfalz, B. v. 24.09.2008 – 6 B 10857/08.OVG –, esovgrp; B. v. 19.10.2001 – 12 B 11544/01.OVG –, juris. 484 BVerfG, B. v. 08.04.2010 – 1 BvR 2709/09 –, juris; OVG Sachsen-Anhalt, B. v. 27. 10. 2017 – 3 M 240/17 –, Rn. 20, juris; Windthorst, Der verwaltungsgerichtliche einstweilige Rechtsschutz, S. 677 Fn. 317.

IV. Wiederherstellung des Suspensiveffekts

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Rechtsmäßigkeit des Verwaltungsakts sprechenden Gründe auch das Vorliegen des besonderen Vollzugsinteresses erforderlich.485 Die Erfolgsaussichten sind dabei unabhängig von einer fehlenden Offensichtlichkeit in die Abwägung einzubeziehen. Je höher diese sind, desto größer ist das Interesse an der aufschiebenden Wirkung. Sind die Erfolgsaussichten demgegenüber gering, wiegt das Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schwerer.486 Für die Beurteilung der Erfolgsaussichten ist ferner der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung im Aussetzungsverfahren maßgeblich.487 Sind zum Entscheidungszeitpunkt die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs offen, kommt dann eine reine Abwägung der widerstreitenden Interessen bzw. eine Folgenabwägung in Betracht.488 Inwieweit die Erfolgsaussichten zu prüfen sind, ist weiterhin fraglich. Nach Sinn und Zweck des Eilverfahrens ist es grundsätzlich nicht die Aufgabe des Gerichts, schon im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes eine umfassende rechtliche Prüfung der Hauptsache vorzunehmen.489 Dabei ist eine eingehende Prüfung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren problematisch, weil eine eilig vorgenommene Bewertung für die Eilentscheidung verbindlich bleiben kann bzw. eine erforderliche umfassende Bewertung in der Hauptsache beeinträchtigt und vernachlässigt werden kann. Einer solcher Prüfung bedarf es aber, wenn das Eilverfahren vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt oder auf der Grundlage der ge-

485 BVerfG, B. v. 14. 09. 2016 – 1 BvR 1335/13 –, Rn. 5, juris; vgl. auch BVerfG, B. v. 08. 04. 2010 – 1 BvR 2709/09 –, Rn. 6, juris. Wenn die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts nicht offensichtlich ist, sind dann entsprechend dem Gebot effektiven Rechtsschutzes sofort vollziehbare Eingriffe in grundrechtlich gewährte Freiheiten noch einmal einer gesonderten Verhältnismäßigkeitsprüfung zu unterziehen. 486 OVG Nordrhein-Westfalen, B. v. 16. 01.2020 – 15 B 814/19 –, Rn. 8, juris; vgl. allgemein zu diesen Maßstäben etwa BVerfG, B. v. 21.02.2011 – 2 BvR 1392/10 –, Rn. 16 f., juris; OVG Nordrhein-Westfalen, B. v. 28. 10.2011 – 2 B 1037/11 –, Rn. 20 ff., juris. 487 Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 147; die Frage des maßgeblichen Zeitpunkts für die Erteilung der Sach- und Rechtslage ergibt sich grundsätzlich aus den Regelungen des materiellen Rechts. BVerwG, U. v. 27.04.1990 – 8 C 87/88 –, Rn. 11, juris; enthält dieses insoweit keine Regelung, gilt für Anfechtungssachen im Zweifel die Regel, dass bei Verwaltungsakten mit Dauerwirkung auch spätere nach Erlass des Verwaltungsaktes entstandene Veränderungen der Sach- und Rechtslage zu berücksichtigen sind. VG Schleswig, B. v. 08.04.2020 – 1 B 44/20 –, Rn. 6, juris; vgl. BVerwG, NVwZ 2005, 87 ff.; NJW 2004, 698 ff.; ein Antrag auf Abänderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung wegen veränderter Umstände ist auch nach § 80 Abs. 7 VwGO zu stellen. OVG Bremen, B. v. 21. 07. 2009 – 1 B 89/ 09 –, Rn. 14, juris; M. Redeker, AnwBl. 2012, 870, 872. 488 Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 187 f.; Windthorst, Der verwaltungsgerichtliche einstweilige Rechtsschutz, S. 677; vgl. OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 27. 11. 2009, OVG 11 S 49.09 –, Rn. 4, juris; vgl. BVerwG, NJW 1974, 1294, 1295; vgl. VG Dresden, B. v. 09. 04. 2020 – 6 L 249/20 –, Rn. 9, juris; VG München, B. v. 18.09.2017 – M 18 S 17.3676 –, juris. 489 BVerfG, B. v. 27. 05. 1998 – 2 BvR 378/98 –, Rn. 17, juris; OVG Thüringer, B. v. 07.04. 2020 – 3 EO 236/20 –, Rn. 5, juris; vgl. BVerfG, NVwZ-RR 1999, 217, 218.

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C. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Suspensiveffekts

richtlichen Eilentscheidung vollendete Tatsachen geschaffen würden.490 Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn es um die Verletzung von gewichtigen Grundrechtspositionen geht.491 In diesem Sinne gilt, je stärker in die Grundrechte des Rechtsschutzsuchenden eingegriffen wird, desto intensiver gestaltet sich die gerichtliche Überprüfung der Erfolgsaussichten des von ihm eingelegten Rechtsbehelfs in der Hauptsache.492 Die Prüfungsintensität in Bezug auf die Erfolgsaussichten im Eilverfahren ist somit davon abhängig, ob und in welchem Umfang grundrechtlichen Belangen irreparable Nachteile drohen.493 Dementsprechend können die Gerichte auch im Eilverfahren verpflichtet sein, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen.494 (b) Die Wirksamkeit und die Rechtmäßigkeit der Rechtsgrundlage Umstritten ist, ob das Gericht bei seiner Beurteilung der Erfolgsaussichten im Aussetzungsverfahren die Wirksamkeit und die Rechtsmäßigkeit der Normen, die dem Verwaltungsakt und daher auch der sofortigen Vollziehung zugrunde liegen, zu berücksichtigen hat. Diesbezüglich ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannt, dass unter dem Gesichtspunkt ernstlicher Zweifel nicht nur die Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts zu prüfen ist, sondern auch ernste verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich der Gültigkeit des dem Verwaltungsakt zugrunde liegenden Gesetzes zu beachten sind. Weiter wird dazu ausgeführt, dass eine Aussetzung nicht allein deshalb gerechtfertigt ist, weil die Verfassungswidrigkeit einer Norm behauptet wird oder aktuell deren Verfassungswidrigkeit vor dem Bundesverfassungsgericht geltend gemacht wird, mag dies auch Anlass sein, eine Aussetzung in Betracht zu ziehen.495 490 OVG Saarland, B. v. 26. 03. 2020 – 1 B 306/19 –, Rn. 12, juris; vgl. BVerwG, NJW 2011, 695 Rn. 32; Windthorst, Der verwaltungsgerichtliche einstweilige Rechtsschutz, S. 678; M. Redeker, AnwBl. 2012, 870, 873. 491 Vgl. BVerfG, NVwZ-RR 2009, 945 ff.; OVG Münster, NVwZ-RR 2010, 742 ff.; M. Redeker, AnwBl. 2012, 870, 873. 492 OVG Saarland, B. v. 26. 03. 2020 – 1 B 306/19 –, Rn. 12, juris; OVG NordrheinWestfalen, B. v. 16.01. 2020 – 15 B 814/19 –, Rn. 8, juris; vgl. BVerfG, B. v. 14.09.2016 – 1 BvR 1335/13 –, juris.; vgl. OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 29.09.2017 – OVG 11 S 53.17–, juris. 493 BVerfG 79, 69, 75; BVerfG, NVwZ 1997, 479, 480; NVwZ-RR 2005, 442, 443; hier erscheint der Grundsatz, „dass der Rechtsschutzanspruch umso stärker ist und umso weniger zurückstehen darf, je schwerwiegender die dem Einzelnen auferlegte Belastung ist und desto mehr die Maßnahmen der Verwaltung Unabänderliches bewirken“. BVerfGE 69, 220, 228 f.; Windthorst, Der verwaltungsgerichtliche einstweilige Rechtsschutz, S. 678 Fn. 319; vgl. BVerfG, B. v. 11.05.2007 – 2 BvR 2483/06 –, Rn. 31 f., juris. 494 BVerfG, B. v. 14.09.2016 – 1 BvR 1335/13 –, Rn. 20, juris. 495 VG Schleswig, B. v. 26.04.2019 – 4 B 1/19 –, Rn. 9 f., juris; vgl. BVerfG, U. v. 21.02.1961 – 1 BvR 314/60 –, BVerfGE 12, 180 – 200, Rn. 15 f, juris.

IV. Wiederherstellung des Suspensiveffekts

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Erachtet ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Wirksamkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so hat es gemäß Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen. Das diesem vorbehaltene Verwerfungsmonopol führt dazu, dass das Verwaltungsgericht auch Folgerungen aus der (von ihm angenommenen) Verfassungswidrigkeit eines formellen Gesetzes im Hauptsacheverfahren erst nach deren Feststellung durch das Bundesverfassungsgericht ziehen darf. Jedoch ist das Verwaltungsgericht durch Art. 100 Abs. 1 GG nicht gehindert, schon vor der im Hauptsacheverfahren einzuholenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren, wenn dies im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes geboten erscheint und die Hauptsacheentscheidung dadurch nicht vorweggenommen wird.496 Hierzu führt das VG Ansbach näher aus, dass das Gericht aufgrund der verfassungsrechtlich geforderten Rechtsschutzeffektivität im Eilverfahren auch die Rechtswidrigkeit oder Unwirksamkeit der Rechtsgrundlage zu beachten hat, soweit diese sich im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung zur Aussetzung der Vollziehung als offensichtlich erweisen.497 Auf die Offensichtlichkeit ist hierbei stringent abzustellen, weil selbst in der Prüfung der Begründetheit eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO regelmäßig keine inzidente Normenkontrolle erfolgt.498 Des Weiteren ist auch fraglich, ob die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsakts nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO allein wegen des Fehlens einer ausreichenden normativen Ermächtigungsgrundlage für den zu vollziehenden Verwaltungsakt rechtswidrig ist und daher ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung nach § 80 Abs. 5 VwGO begründet sein kann.499

496 BVerfG, B. v. 24. 06.1992 – 1 BvR 1028/91 –, BVerfGE 86, 382, juris; VG Schleswig, B. v. 26.04.2019 – 4 B 1/19 –, Rn. 10 f., juris; liegen die sonstigen Voraussetzungen für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vor, reicht es vielmehr meist aus, wenn das Gericht im Rahmen einer summarischen Prüfung von der Ungültigkeit der Norm ausgeht bzw. diese für wahrscheinlich hält. Schenke, JuS 2017, 1141, 1149. 497 VG Ansbach, B. v. 01.04.2020 – AN 17 S 19.02134 –, Rn. 58, juris; vgl. OVG SchleswigHolstein, B. v. 01.06.2016 – 1 MB 28/15 –, juris; vgl. OVG Münster, B. v. 18.12.2015 – 7 B 1085/15, BeckRS 2016, 40228; dazu die Prüfung der Tauglichkeit der Grundlage für die Einschränkung eines Grundrechts. VG München, B. v. 24. 03. 2020 – M 26 S 20.1252 –, Rn. 30, juris. 498 VG Ansbach, B. v. 01. 04. 2020 – AN 17 S 19.02134 –, Rn. 90, juris; vgl. OVG Münster, B. v. 18.12.2015 – 7 B 1085/15, BeckRS 2016, 40228. 499 In dem vorliegenden Fall des nach § 28 Abs. 3 i. V. m. § 16 Abs. 8 IfSG gesetzlich angeordneten Sofortvollzuges kann das Gericht nach § 80 Abs. 5 S. 1 i. V. m. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 die aufschiebende Wirkung des Widerspruches ganz oder teilweise anordnen. Die Einwendungen der Antragsteller, dass die hinreichende Bestimmtheit der Ermächtigungsgrundlage nicht bestehe, führen aber aufgrund der derzeitigen unvorhersehbaren Situation wegen Corona nicht zu der rechtlichen Bewertung, dass sich die Allgemeinverfügung als offensichtlich rechtswidrig erweist. Siehe ausführlich VG Schleswig, B. v. 25.03.2020 – 1 B 30/20, BeckRS 2020, 4434; VG Schleswig, B. v. 27.03.2020 – 1 B 29/20, BeckRS 2020, 4512.

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C. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Suspensiveffekts

Aufgrund des Fehlens einer ausreichenden normativen Grundlage wird im Grunde sowohl der Verwaltungsakt als auch die gesetzlich angeordnete sofortige Vollziehung, die sich auf die jeweilige unzureichende Ermächtigungsgrundlage bezieht, rechtswidrig.500 Im Ergebnis wird dadurch ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung nach § 80 Abs. 5 VwGO begründet sein. Das Fehlen einer ausreichenden normativen Grundlage führt aber nicht immer zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts und somit auch zur Wiederherstellung des Suspensiveffekts. Hier kann die Fortgeltung der Ermächtigungsgrundlage, die nicht hinreichend den Gesetzesvorbehalt sowie die Wesentlichkeitstheorie berücksichtigt und nicht den verfassungsrechtlich normierten Anforderungen für Eingriffe in die betroffenen Grundrechte genügt,501 für einen überschaubaren Zeitraum jedenfalls dann als zumutbar betrachtet werden, wenn ohne ihre Anwendung ein Zustand entstünde, der von der verfassungsrechtlichen Ordnung noch weiter als die bisherige Lage entfernt ist.502 Das Fehlen einer ausreichenden normativen Grundlage ist schließlich nur für eine Übergangszeit hinzunehmen. Wenn die Grundrechte beeinträchtigenden Maßnahmen nicht mehr kurzfristiger Natur sind, sondern längere Zeit fortdauern, beispielsweise aufgrund der Fortentwicklung der Pandemielage, erscheint es zweifelhaft, ob der Vorbehalt des Gesetzes als wesentlicher Grundsatz einer parlamentarischen Staatsform ohne spezialgesetzliche Ermächtigungen gewahrt werden kann.503 500

Nach der ständigen Rechtsprechung führt der Mangel einer erforderlichen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage in der Regel zur Rechtswidrigkeit darauf gestützter Verwaltungsmaßnahmen. BVerfG, B. v. 21.04.2015 – 2 BvR 1322/12 –, BVerfGE 139, 19 – 64, Rn. 55, juris; BVerwG, B. v. 31.01. 2019 – 1 WB 28/17 –, BVerwGE 164, 304 – 317, Rn. 30, juris. 501 Zwar kann nach der Rechtsprechung des BVerfG von der Anwendung des Zitiergebots abgesehen werden, wenn ein Gesetz lediglich bereits geltende Grundrechtseinschränkungen mit geringfügigen Abweichungen wiederholt oder auf sie verweist. BVerfGE 129, 208, 237; zum Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG, VG München, B. v. 24. 03. 2020 – M 26 S 20.1252 –, Rn. 30 f., juris. 502 VG Schleswig, B. v. 25. 03. 2020 – 1 B 30/20 – Rn. 9, juris; auch VG Saarland, B. v. 30.03.2020 – 6 L 340/20 –, Rn. 14 ff., juris; vgl. BVerwG, B. v. 31. 01. 2019, 1 WB 28/17, Rn. 35 ff., juris; vgl. auch BVerfG, B. v. 15.01.2019 – 2 BvL 1/09 –, BVerfGE 150, 345 – 378, Rn. 81 f., juris; vgl. BVerwG, U. v. 17.06. 2004 – 2 C 50.02 – BVerwGE 121, 103, juris. 503 BVerwG, B. v. 31.01. 2019 – 1 WB 28/17 –, BVerwGE 164, 304 – 317, Rn. 20, 35, juris; VGH München, B. v. 27.04.2020 – 20 NE 20.793, BeckRS 2020, 6630 Rn. 45; vgl. BVerfG, B. v. 27.11.1990 – 1 BvR 402/87 – BVerfGE 83, 130, 142 und U. v. 24.05. 2006 – 2 BvR 669/ 04 –, BVerfGE 116, 24, 58, jeweils m. w. N.; „Angesichts der nicht vorhersehbaren Lage einer weltweit außergewöhnlichen Bedrohung der Bevölkerung durch einen neuartigen Krankheitserreger ist es vorliegend zumutbar und hinzunehmen, eine möglicherweise den Anforderungen der hinreichenden Bestimmtheit und dem Vorbehalt des Gesetzes gerecht werdende Ermächtigungsgrundlage dennoch anzuwenden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber schlechterdings mangels Vorhersehbarkeit des konkreten Pandemiefalles nicht spezialgesetzliche Ermächtigungen normieren konnte.“ VG Schleswig, B. v. 27.03.2020 – 1 B 29/20, BeckRS 2020, 4512 Rn. 11; B. v. 25.3.2020 – 1 B 30/20, BeckRS 2020, 4434 Rn. 9.

IV. Wiederherstellung des Suspensiveffekts

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(c) Anforderungen aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip und dem Gleichheitssatz Unter dem Gesichtspunkt der Erfolgsaussichten hat das Gericht neben der offensichtlichen Rechtswidrigkeit und Unwirksamkeit der Verwaltungsakte sowie deren normativen Grundlagen auch zu beachten, ob diese den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips sowie des Gleichheitssatzes entsprechen. Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung eines Grundrechtseingriffs hängt in vielen Fällen, insbesondere bei der Überprüfung von Ermessensentscheidungen,504 vom Ergebnis der Verhältnismäßigkeitsprüfung in Verbindung mit der Gleichheitsprüfung505 ab.506 Hierbei hat das Verwaltungsgericht unter Berücksichtigung des Gebots der Verhinderung eventueller irreparabler Schäden zu prüfen, ob die verwaltungsrechtliche Maßnahme, sowie zu einem gewissen Grad deren Grundlage,507 geeignet, erforderlich und angemessen sind, um einen Grundrechtseingriff zu rechtfertigen.508 Bei dieser Prüfung wird im Grunde der mit der Maßnahme verfolgte Zweck den betroffenen Individualinteressen der belasteten Grundrechtsträger gegenübergestellt.509 Grundrechte dürfen als Ausdruck des allgemeinen Freiheitsanspruchs des 504 Jede Ermessensausübung, die zu einer unverhältnismäßigen Beeinträchtigung eines Betroffenen führt, stellt eine Ermessensüberschreitung im Sinne des § 40 VwVfG, § 114 VwGO dar. Voßkuhle, JuS 2007, 429, 430. 505 Die Verhältnismäßigkeitsprüfung ist mit einer notwendigen Modifikation der jeweiligen Komponenten, Angemessenheit, Erforderlichkeit, Geeignetheit, in den Gleichheitssatz einzubauen. Albers, JuS 2008, 945, 947; ebenso Brüning, JZ 2001, 669, 673; Jarass, NJW 1997, 2545, 2549. 506 Kluckert, JuS 2015, 116, 116; Kunig, in: Kunig/Nagata, im rechtswissenschaftlichen Dialog, S. 169, 172; Klatt/Meister, JuS 2014, 193, 196; vgl. BVerfG, B. v. 24.10.2003 – 1 BvR 1594/03 –, juris; OVG Sachsen-Anhalt, B. v. 27. 10. 2017 – 3 M 240/17 –, Rn. 20, juris; dazu BVerfGE 51, 386, 397 ff.; BVerfG, B. v. 21. 03. 1985 – 2 BvR 1642/83 –, BVerfGE 69, 220 – 232, Rn. 24. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit stellt besondere Anforderungen an die Ausübung des Ausweisungsermessens, wenn die Ausweisung eines straffällig gewordenen Ausländers – wie hier – allein generalpräventiven Zwecken dienen soll. 507 Hier sollte die Untauglichkeit der Rechtsgrundlage offensichtlich erscheinen. Die weitreichenden verfassungsrechtlichen Fragen der streitgegenständlichen Beschränkungen können ohnehin nicht im Rahmen eines verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens beantwortet werden. VG Hannover, B. v. 07. 04. 2020 – 15 B 2112/20 –, Rn. 15, juris; vgl. BVerfG, B. v. 20.03.2020 – 1 BvR 661/20 – Rn. 6, juris. 508 Klatt/Meister, JuS 2014, 193, 196; vgl. VG Schleswig, B. v. 27.03.2020 – 1 B 29/20. Das behördliche Ermessen wird dadurch beschränkt, dass es sich um „notwendige Schutzmaßnahmen“ handeln muss, nämlich Maßnahmen, die zur Verhinderung der (Weiter-)Verbreitung der Krankheit geboten sind. Daru¨ ber hinaus sind dem Ermessen durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Grenzen gesetzt; VG Schleswig B. v. 22. 03. 2020 – 1 B 17/20 –, Rn. 7, juris; dazu BVerwG, U. v. 22.03.2012 – 3 C 16/11 –, BVerwGE 142, 205 – 219, juris; auch VG Bayreuth, B. v. 11.03.2020 – B 7 S 20.223 –, Rn. 44 f., juris; Kunig, in: Kunig/Nagata, im rechtswissenschaftlichen Dialog, S. 169, 171 f. 509 Legitime Zwecke können im Ausgangspunkt alle Gemeinwohlbelange bzw. öffentlichen Interessen sein. Allerdings kann der Schutz von privaten Interessen (z. B. die Sicherstellung eines gestohlenen Gegenstands) einen Gemeinwohlbezug aufweisen, der oftmals u¨ ber grundrechtliche Schutzpflichten oder andere verfassungsrechtliche Handlungs- und Gestaltungsaufträge vermittelt wird. Insofern kann auch der Schutz von „Privatinteressen“ einen

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C. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Suspensiveffekts

Bürgers gegenüber dem Staat von der öffentlichen Gewalt jeweils nur beschränkt werden, soweit dies zum Schutz öffentlicher Interessen oder zum Schutz anderer mit Verfassungsrang ausgestatteter Rechtsgüter unerlässlich ist.510 Eine solche Unerlässlichkeit wird angenommen, wenn ein angemessener Ausgleich511 zwischen dem Eingriffsgewicht der Maßnahme und dem durch den staatlichen Eingriff verfolgten Ziel, zwischen Individual- und Allgemeininteresse herzustellen ist.512 Eine schwere Grundrechtsbelastung ist dementsprechend nicht unverhältnismäßig und folglich rechtmäßig,513 wenn der verfolgte Gemeinwohlbelang noch schwerer wiegt.514 Eine geringe Belastung kann aber unverhältnismäßig und dann legitimen Zweck darstellen. Kluckert, JuS 2015, 116, 117; vgl. BVerfGE 124, 300, 331; dazu Kunig, in: Kunig/Nagata, im rechtswissenschaftlichen Dialog, S. 169, 173, 176 f. Das BürgerStaat-Verhältnis ist nicht die einzige Konstellation, in welcher das Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wirkt. 510 Voßkuhle, JuS 2007, 429, 430; die in Frage stehende Grundrechtsbegrenzung muss im engeren Sinne verhältnismäßig sein, das heißt in angemessenem Verhältnis zu dem Gewicht und der Bedeutung des Grundrechts stehen. Bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht sowie der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe muss die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt sein. BVerfGE 30, 292, 316; BVerfGE 67, 157, 173 ff. und 178; BVerfG, B. v. 24.10.2003 – 1 BvR 1594/03 –, Rn. 15, juris; „(…) Dabei ist im Rahmen der Prüfung der Unerlässlichkeit zu beachten, dass die Grundrechte des Betroffenen, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt sein müssen, wobei sämtliche konkreten Umstände, die für die Situation des Betroffenen kennzeichnend sind, zu berücksichtigen sind“; VG Ansbach, U. v. 15.01.2020 – AN 5 K 17.02383 –, Rn. 42, juris; VGH Bayern, U. v. 28.06.2016 – 10 B 13.1982 –, Rn. 44, juris; VG Bayreuth, B. v. 11. 03. 2020 B 7 S 20.223 –, Rn. 48, juris; die Beurteilung der Angemessenheit als dritte und problematische Stufe: Hier geht es um die Frage, ob ein gerechter Interessenausgleich vorliegt. Kunig, in: Kunig/Nagata, im rechtswissenschaftlichen Dialog, S. 169, 172. 511 Dies gilt auch bei den kollidierenden Grundrechten. Dann können Grundrechte der Dritter auch legitimier Zweck sein. 512 Vgl. BVerfGE, NJW 2013, 1499, 1503; vgl. auch BVerfGE, NJW 2008, 1505, 1515; vgl. Kluckert, JuS 2015, 116, 117; vgl. BVerfG, B. v. 24. 10. 2003 – 1 BvR 1594/03 –, Rn. 15, juris; vgl. OVG Sachsen-Anhalt, B. v. 27. 10. 2017 – 3 M 240/17 –, Rn. 19, juris. 513 Offensichtlich rechtmäßige Untersagung einer Versammlung wegen drohender Verletzung des Abstandsgebots VG Gießen, B. v. 31.03.2020 – 4 L 1332/20.GI –, juris; Rechtsmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit des Verbots der Nutzung von Nebenwohnungen auf dem Gebiet des Kreises Schleswig-Flensburg im Interesse des Gesundheitsschutzes VG Schleswig, B. v. 23.04.2020 – 1 B 58/20 –, juris. 514 Beispiele: „(…) Der Eingriff in die Rechte der Betroffenen – Freiheit der Person – steht auch nicht außer Verhältnis zum verfolgten Zweck, der Verhinderung der Verbreitung der Coronaviren SARS- CoV-2 bzw. von COVID-19 und damit dem Schutz der Allgemeinheit. Den Betroffenen kann es zugemutet werden, dass sie sich für die derzeit bekannte Zeitspanne der Inkubationszeit (1 – 14 Tage) von der Gesellschaft absondern, um die Ansteckung anderer zu verhindern.“ VG Dresden, B. v. 05. 05. 2020 – 6 L 294/20 –, Rn. 24, juris; dazu VG SchleswigHolstein, B. v. 08.04.2020 – 1 B 28/20 –, Rn. 37, juris: Es besteht zwar ein gravierender Eingriff in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen – hier jedenfalls in die von Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Gewerbefreiheit. Es ist indes angesichts der bestehenden gesundheitlichen Gefahrenlage für die gesamte Bevölkerung jedenfalls für einen temporären Zeitraum geeignet, er-

IV. Wiederherstellung des Suspensiveffekts

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rechtlich bedenklich sein, wenn den mit der Maßnahme verfolgten öffentlichen Interessen noch weniger Gewicht zukommt.515 Ob eine übermäßige Belastung des Betroffenen und in diesem Sinne die Rechtswidrigkeit des Grundrechtseingriffs vorliegt, ist somit eine relative Frage, was auch in dem oftmals verwendeten Begriff der Zweck-Mittel-Relation516 Ausdruck findet. In diesem Zusammenhang kann die aufschiebende Wirkung trotz Vorliegens eines besonderen Vollzugsinteresses wiederhergestellt werden, wenn im konkreten Fall die Maßnahme oder deren normativen Grundlage unverhältnismäßig und daher relativ rechtswidrig wäre.517 Deutlich kommt dies in einem aktuellen Urteil des VG Hannover zum Ausdruck. Im Sachverhalt ging es dabei grundsätzlich um die Verhältnismäßigkeit eines Versammlungsverbotes während der Corona- Pandemie. Dabei sah das VG Hannover in diesem konkreten Fall ein Versammlungsverbot als unverhältnismäßig an, obwohl daneben auch ein besonderes Vollzugsinteresse aufgrund der allgemeinen Gesundheit vorgelegen hat: „Die Antragsgegnerin hat das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung der angegriffenen versammlungsrechtlichen Verfügung in einer den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügenden Weise begründet. So hat sie ausgeführt, dass eine Durchführung der Versammlung neben dem Verstoß gegen die geltende Rechtsordnung zu einer nicht mehr rückgängig zu machenden Erhöhung des Infektionsrisikos für einen größeren Personenkreis führe.518 (…) Liegt eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit vor, ist vor Erlass eines Verbots – der schwerwiegendsten versammlungsrechtlichen Maßnahme – zu prüfen, ob die Gefahr nicht anders abwehrbar ist. Dabei kommen insbesondere Beschränkungen gemäß § 8 Abs. 1 NVersG in Betracht. Nach diesen Grundsätzen ist im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass das von der Antragsgegnerin mit dem angefochtenen Bescheid verfügte vollständige Verbot der vom Antragsteller angezeigten Versammlung unverhältnismäßig und damit rechtswidrig ist, weil den Gefahren für die öffentliche Sicherheit durch die Beschränkung der Versammlung durch Auflagen Rechnung getragen werden kann.519 (…) hat er eine solche Abwägung zwischen Infektionsgefahr und Versammlungsfreiheit gar nicht erst getroffen, obwohl die Versammlungsfreiheit mindestens einen so hohen Stellenwert hat wie andere vom Verordnungsgeber in den Blick genommene Freiheitsrechte, noch lässt der Wortlaut der Verordnung eine solche Abwägung im forderlich und verhältnismäßig, um einer weiteren exponentiellen Ausbreitung des SARS-CoV2 entgegenzuwirken. 515 Kluckert, JuS 2015, 116, 117; Jakobs, DVBl. 1985, 97, 98. 516 Kluckert, JuS 2015, 116, 117; BVerwGE, NVwZ 1998, 504, 508; Jakobs, DVBl. 1985, 97, 98. 517 Zum Begriff Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, S. 10; dazu Kunig, in: Kunig/Nagata, im rechtswissenschaftlichen Dialog, S. 169, 169. Es besteht eindeutig eine gewisse Varianz bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit. Diese muss aber nicht derart negativ verstanden werden, dass die Verhältnismäßigkeit als eine Bedrohung für die Sicherheit und Verlässlichkeit angesehen wird; vgl. OVG Sachsen-Anhalt, B. v. 27. 10. 2017 – 3 M 240/17 –, Rn. 20, juris. 518 VG Hannover, B. v. 16. 04. 2020 – 10 B 2232/20 –, Rn. 11, juris. 519 VG Hannover, B. v. 16. 04. 2020 – 10 B 2232/20 –, Rn. 14 f., juris.

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C. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Suspensiveffekts

Einzelfall zu. Nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung geht die Kammer daher davon aus, dass die CoronaV in Bezug auf ein generelles Versammlungsverbot defizitär ist, weil sie nach ihrem Wortlaut keine Ausnahme für Versammlungen vorsieht.520 (…) Der Antragsteller will sich mit den aktuellen Beschränkungen anlässlich der Eindämmung des Corona-Virus auseinandersetzen. Nach Aufhebung der Beschränkungen macht die Durchführung einer Versammlung mit diesem Thema kaum mehr Sinn, sodass der Antragsteller nicht auf einen späteren Zeitpunkt verwiesen werden kann.521 Vor dem Hintergrund, dass der Antragsteller die Teilnehmerzahl bereits selbst auf 25 beschränkt bzw. erklärt hat, er sei mit einer Beschränkung der Teilnehmerzahl auf 25 einverstanden, und vor dem Hintergrund, dass die ohnehin ,nur‘ stationäre Versammlung auf einem großflächigen Platz stattfinden soll, der aufgrund der aktuellen Geschäftsschließungen am Versammlungstag nicht stark frequentiert sein wird, kann nach Auffassung der Kammer die Infektionsgefahr hinreichend eingeschränkt werden. Die Antragsgegnerin hat die Möglichkeit, die vom Antragsteller schon reduzierte Teilnehmerzahl u. U. weiter zu begrenzen, das Tragen von Gesichtsmasken anzuordnen, Abstandsregelungen vorzuschreiben522 (etwa einen an der CoronaV orientierten Abstand von 1,5 m, ggf. aber vorsorglich auch einen noch größeren Abstand) und dem Versammlungsleiter die Erfassung von Namen und Anschrift der Teilnehmenden aufzugeben, um spätere Infektionsketten nachverfolgen zu können.523 (…) Sollten sich Passanten nicht an die Einhaltung der in der CoronaV vorgesehenen Abstände halten, besteht die Möglichkeit, durch polizeiliche Maßnahmen hiergegen vorzugehen.524 Nur wenn der Erlass von Beschränkungen wegen der Eilbedürftigkeit nicht abgewartet werden kann, ist es nach § 80 Abs. 5 Satz 4 VwGO Aufgabe der Verwaltungsgerichte, die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage mit Auflagen zu verbinden, die erforderlich sind, um die mit der Eilentscheidung möglicherweise verbundenen Gefahren gering zu halten.525 Ein solcher Fall liegt hier aber schon deshalb nicht vor, weil der Antragsgegnerin bis zum Veranstaltungstag noch Zeit bleibt, die etwaigen Beschränkungen zu bestimmen.“526

In einem weiteren ähnlichen Fall sah das VG Schleswig dagegen ein absolutes Verbot der Versammlung für die Eindämmung der Pandemie zum Schutz von Leib und Leben der Allgemeinheit als erforderlich und angemessen an, weshalb es den

520

VG Hannover, B. v. 16. 04. 2020 – 10 B 2232/20 –, Rn. 18 f., juris. VG Hannover, B. v. 16. 04. 2020 – 10 B 2232/20 –, Rn. 21, juris; vgl. hierzu VGH Bayern, B. v. 09.04.2020 – 20 CE 20.755 –, juris. 522 Dagegen VG Schleswig, B. v. 08. 04. 2020 – 1 B 28/20 –, Rn. 40, juris: „(…)Der Gefahrenlage durfte der Landesverordnungsgeber auch durch ein pauschales Verbot der nicht ortsgebundenen Verkaufsstellen für zubereitete Speisen Rechnung tragen, da – anders als zum Beispiel der Verkauf von Lebensmitteln auf weiterhin zulässigen Wochenmärken – eine Kontrolle der Verkaufsumstände (Abstandsregelungen, Vermeidung von Wartezeiten etc.) in jedem Einzelfall angesichts der Vielzahl solcher mobiler Verkaufsstände an diversen Standorten wohl kaum personell und organisatorisch leistbar ist.“ 523 Zu Letzterem vgl. VG Schwerin, B. v. 11.4.2020 – 15 B 487/20 SN –, juris; VG Hannover, B. v. 16. 04. 2020 – 10 B 2232/20 –, Rn. 22 f., juris. 524 VG Hannover, B. v. 16. 04. 2020 – 10 B 2232/20 –, Rn. 25, juris. 525 Vgl. BVerfG, B. v. 07.04.2001 – 1 BvQ 17.01, 1 BvQ 18.01 –, Rn. 37, juris. 526 VG Hannover, B. v. 16. 04. 2020 – 10 B 2232/20 –, Rn. 27, juris. 521

IV. Wiederherstellung des Suspensiveffekts

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Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung aufgrund überwiegender öffentlicher Belange ablehnte: „Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet vorliegend auch unter Berücksichtigung der grundlegenden Bedeutung des Versammlungsgrundrechts keine Ausnahme, denn auch das hier für die Antragstellerin geltende Versammlungsverbot ist erforderlich und geeignet, das hohe Ansteckungsrisiko zu minimieren; die derzeit unter Berücksichtigung des Standes der Wissenschaft verfolgte Strategie zur Eindämmung der Pandemie, die eine Reduzierung öffentlicher Kontakte auf ein Minimum vorsieht, steht – soweit Versammlungen betroffen sind – auch nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der damit verfolgten öffentlichen Interessen, nämlich dem Schutz von Leib und Leben einer Vielzahl von Menschen.527 Die Antragsgegnerin verweist für den Bereich der A-Stadt auf 98 infizierte Personen und äußert die Befürchtung, dass die Durchführung der Versammlung durch die gute Übertragbarkeit des Corona SARS-CoV-2 Virus eine unmittelbare Gefährdung der Allgemeinheit bedeuten würde. Dies ist nicht von der Hand zu weisen. Die Versammlung soll an einem zentralen Ort in der A-Stadt stattfinden, und hierfür ist eine Teilnahme von ca. 50 Personen prognostiziert worden. Geplant ist eine Versammlung mit Kunstcharakter, bei dem das Zurücklassen von Schuhen sowie der Einsatz von Kreide vorgesehen ist. Aus diesem Konzept folgt, dass diese Versammlung eine große Anziehungskraft für Personen haben würde, die sich am Sonntag in dem in Rede stehenden Bereich der Innenstadt aufhalten, sodass das damit verbundenen Ansteckungsrisiko schwer zu beherrschen ist.“528

Unter entsprechenden Gesichtspunkten hielt das VG Schleswig ebenfalls einen schweren Grundrechtseingriff in Form eines Anreiseverbots während der CoronaPandemie gegenüber der Volksgesundheit, einem Gemeinwohlinteresse, für unerlässlich: „Die Anreise einer ebenfalls nicht unerheblichen Anzahl weiterer Personen könnte zu einer erheblichen Verschärfung der Lage beitragen. Gegenüber diesem gewichtigen öffentlichen Interesse setzt ein im Rahmen der Folgenabwägung überwiegendes privates Interesse voraus, dass im Einzelfall Umstände vorliegen, die so gewichtig sind, dass entgegen der gesetzgeberischen Anordnung in §§ 28 Abs. 3, 16 Abs. 8 IfSG eine vorläufige Aussetzung der Vollziehung angezeigt ist. Die vom Antragsteller geltend gemachten grundrechtlichen Belange wiegen zwar schwer, insbesondere deshalb, weil es sich auch um tiefgreifende Grundrechtseingriffe handelt und die Eingriffe für einen bestimmten Zeitraum irreversibel sind. Die Allgemeinverfügung mutet den Betroffenen – wie auch dem Antragsteller – für einen begrenzten Zeitraum eine bislang in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland beispiellose Beschränkung grundrechtlich geschützter Freiheiten zu. Allerdings sind auch 527

Vorliegend streiten auf Seiten des öffentlichen Interesses überragende Gründe der Abwehr von Gefahren für die Gesundheit der Bevölkerung und der Sicherstellung der Leistungsfähigkeit der ärztlichen, insbesondere krankenhausärztlicher (Intensiv-)Versorgung fu¨ r die Bevölkerung. Es geht insbesondere auch darum, fu¨ r die Bevölkerung eine ausreichende Anzahl von Behandlungsplätzen zur Verfügung stellen zu können. VG Schleswig, B. v. 27.03.2020 – 1 B 29/20 –, Rn. 16, juris. 528 VG Schleswig, B. v. 03. 04. 2020 – 3 B 30/20 –, Rn. 12, juris; zu Versammlungsverboten auch VG Dresden, B. v. 30. 03. 2020, 6 L 212/20, Pressemitteilung, juris; VG Gießen, B. v. 31. 03. 2020 – 4 L 1332/20.GI –, Rn. 11, juris; vgl. VGH Bayern, B. v. 30.03.2020 – 20 NE 20.632, Pressemitteilung, juris; vgl. auch VG Schleswig, B. v. 08.04.2020 – 1 B 28/20 –, Rn. 40, juris.

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C. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Suspensiveffekts

Infektionslagen wie die derzeit bestehende unter der Geltung des Grundgesetzes bisher nicht vorgekommen.529 Mit den von ihm durch die Allgemeinverfügung getroffenen Maßnahmen kommt der Antragsgegner seiner grundrechtlichen Pflicht zum Schutz des Lebens und der Gesundheit der Bevölkerung aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nach. So hat auch das BVerfG in einer Entscheidung vom 7. April 2020 (1 BvR 755/20, www.bundesverfassungsgericht.de) zur Verordnung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 24. März 2020 über eine vorläufige Ausgangsbeschränkung anlässlich der Corona-Pandemie folgendes ausgeführt: ,Aus der Verfassungsbeschwerde ist damit insgesamt nicht ersichtlich oder sonst erkennbar, dass die Folgen einer Fortgeltung der angegriffenen Schutzmaßnahmen gegen die CoronaPandemie in einem Maße untragbar wären, dass ausnahmsweise eine geltende Regelung im Eilrechtsschutz außer Vollzug gesetzt werden müsste. Die hier geltend gemachten Interessen sind gewichtig, erscheinen aber nach dem hier anzulegenden strengen Maßstab nicht derart schwerwiegend, dass es unzumutbar erschiene, sie einstweilen zurückzustellen, um einen möglichst weitgehenden Gesundheits- und Lebensschutz zu ermöglichen, zu dem der Staat aus dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit in Art. 2 Abs. 2 GG prinzipiell auch verpflichtet ist.530 Gegenüber den Gefahren für Leib und Leben wiegen die Einschränkungen der persönlichen Freiheit weniger schwer. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass die angegriffenen Regelungen von vornherein befristet sind, im Hinblick auf die Ausgangsbeschränkungen zahlreiche Ausnahmen vorsehen und bei der Ahndung von Verstößen im Einzelfall im Rahmen des Ermessens individuellen Belangen von besonderem Gewicht Rechnung zu tragen ist.‘ Vor diesem Hintergrund müssen die grundrechtlich geschützten Freiheiten des Antragstellers auch im vorliegenden Fall für einen begrenzten Zeitraum531 zurückstehen.“532

Bei der Frage, ob die Behörde ihr Ermessen hinsichtlich der Art und des Umfangs der Maßnahmen rechtmäßig ausübt, ist des Weiteren auch der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG entscheidend. Die Behörde hat ihre Tätigkeit am Gleichheitssatz auszurichten. Dies erlaubt ihr jedoch nicht, von notwendigen Maßnahmen abzusehen, obwohl diese zu Ungleichbehandlungen führen.533 Bei der Prüfung des allgemeinen Gleichheitssatzes nach Art. 3 Abs. 1 GG wird somit zur

529 VG Bremen, B. v. 26.03.2020 – 5 V 553/20 –, Rn. 33, juris; VG Schleswig, B. v. 03.04.2020 – 1 B 35/20 –, Rn. 13, juris. 530 Vgl. BVerfGE 77, 170, 214; 85, 191, 212; 115, 25, 44 f. 531 Zum Zeitfaktor: „(…)entsprechende verbindliche Einschränkungen der Grundfreiheiten angesichts der infektionsrechtlichen Bedrohungslage gerechtfertigt seien, allerdings auch laufend zu überprüfen sei, ob und inwieweit die getroffenen Einschränkungen aufrechtzuerhalten sind.“ VG Saarland, B. v. 30.03.2020 – 6 L 340/20 –, Rn. 27, juris; anschließend je länger die Beschränkungen gelten, umso strenger werden die Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit. OVG Saarland, B. v. 13.05.2020 – 2 B 175/20 –, Rn. 23, juris. 532 VG Schleswig, B. v. 08. 04. 2020 – 1 B 49/20 –, Rn. 22 – 26, juris; VG Schleswig, B. v. 27.03.2020 – 1 B 29/20 –, Rn. 16, juris; B. v. 06. 04. 2020 – 1 B 39/20 –, Rn. 23, juris; B. v. 08. 04. 2020 – 1 B 49/20 –, Rn. 21, juris; B. v. 23. 04. 2020 – 1 B 58/20 –, Rn. 35, juris; VG Gießen, B. v. 31. 03. 2020 – 4 L 1332/20.GI –, Rn. 10, juris. 533 Vgl. VG Schleswig, B. v. 23. 04. 2020 – 1 B 58/20 –, Rn. 14, juris.

IV. Wiederherstellung des Suspensiveffekts

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Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen erneut auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zurückgegriffen.534 In diesem Sinne können Ungleichbehandlungen größerer Intensität gerechtfertigt sein, soweit sie sich nach einer Verhältnismäßigkeitsprüfung als erforderlich und geeignet erweisen. In einem aktuellen Urteil des VG München kommt dies deutlich zum Ausdruck. In diesem werden die Gemeinwohlinteressen Gesundheit der Bevölkerung und Versorgung der Bevölkerung gegenübergestellt und unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Interessen der betroffenen Geschäftsinhaber abgewogen. In Anbetracht der unterschiedlichen Eingriffsintensitäten wurde die in Rede stehende behördliche Maßnahme als gerechtfertigt angesehen: Im konkreten Fall hat die Behörde bei den Ladengeschäften danach differenziert, ob es sich bei den betroffenen Geschäften um solche handelt, die für die Versorgung der Bevölkerung unbedingt notwendig sind. Von der Betriebsuntersagung ausgenommen sind hiernach der Lebensmittelhandel, Getränkemärkte, Apotheken etc. Bei diesen Ausnahmen handelt es sich um Geschäftszweige, die der Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit den notwendigen Gütern des täglichen Bedarfs dienen.535 Das Warenangebot des Antragstellers (Schuhe, Textilien, Geschenkartikel) ist dagegen für die Versorgung der Bevölkerung nicht notwendig.536 Die Untersagung der Öffnung von Ladengeschäften des Einzelhandels jeder Art ist schließlich auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten und in Abwägung mit den Grundrechten des Antragstellers angemessen. In der Abwägung der privaten Interessen des Antragstellers an der Öffnung seiner Ladengeschäfte mit den Interessen der Allgemeinheit an einer effektiven Eindämmung des Coronavirus kommt Letzterem im konkreten Fall der Vorzug zu.537

534

Liegt lediglich eine Ungleichbehandlung „geringerer“ Intensität vor, verbleibt es bei der früher durchgängig angewendeten Willkürformel, nach der ein vernünftiger, sachlich einleuchtender Grund für eine Ungleichbehandlung wesentlich gleicher Sachverhalte bzw. für die Gleichbehandlung wesentlich ungleicher Sachverhalte genügt. Voßkuhle, JuS 2007, 429, 430; vgl. BVerwG, U. v. 22.03.2012 – 3 C 16/11 –, BVerwGE 142, 205 – 219 Rn. 24, juris. 535 Dazu OVG Thüringen, B. v. 07. 04. 2020 – 3 EO 236/20 –, Rn. 13, juris: Unter Lebensmittelgeschäften im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 1 ThürSARS-CoV-2-EindmaßnVO sowie gleichlautender Allgemeinverordnungen sind regelmäßig nicht nur solche Läden zu verstehen, die Lebensmittel der notwendigen Grundversorgung anbieten (hier: Feinkost, Süßwaren und alkoholische Getränke). 536 VG München, B. v. 20. 03. 2020 – M 26 E 20.1209 –, Rn. 51, juris. 537 VG München, B. v. 20. 03. 2020 – M 26 E 20.1209 –, Rn. 41, und Rn. 49, juris. „(…) Angesichts der betroffenen Grundrechte des Antragstellers verlangt Art. 3 Abs. 1 GG, dass für die in 5 der Allgemeinverfügung vorgenommene Differenzierung Gründe von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleichen Rechtsfolgen rechtfertigen können. Der Prüfungsmaßstab geht also über ein bloßes Willkürverbot hinaus.“

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C. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Suspensiveffekts

(2) Die Dringlichkeit der Sache Neben den Erfolgsaussichten der Hauptsache sollte das Gericht im Aussetzungsverfahren des Weiteren die Dringlichkeit der Sache, die verbreitet auch als Eilbedürftigkeit bezeichnet wird, berücksichtigen.538 Die Dringlichkeit der Sache ist einerseits unter dem Gesichtspunkt der Sicherungsfunktion des vorläufigen Rechtsschutzes eine notwendige Voraussetzung der gerichtlichen Aussetzungsentscheidung sowie jeder verwaltungsgerichtlichen Eilentscheidung; andererseits ist sie auch nicht unabhängig von dem materiell-akzessorischen Entscheidungselement des Aussetzungsverfahrens, weil erst dadurch die vorläufige Befriedigungsfunktion des vorläufigen Rechtsschutzes erfüllt werden kann.539 In diesem Sinne ist anerkannt, dass die Erfolgsaussichten in der Hauptsache die Dringlichkeit der Sache zu beeinflussen vermögen. Je höher die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind, desto weniger ist das Entscheidungselement der Dringlichkeit heranzuziehen.540 Ist der Misserfolg der Hauptsache offensichtlich, bedarf es demnach keiner zusätzlichen Prüfung zur Dringlichkeit der Sache.541 Die Dringlichkeit der Sache beeinflusst auch die Anforderungen zur Beurteilung der Erfolgsaussichten. Je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist, umso geringere Anforderungen sind an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu stellen.542 Insoweit dient das Kriterium der Dringlichkeit im Aussetzungsverfahren als komplementierendes Element. Was unter der Dringlichkeit der Sache verstanden wird, ist weiterhin fraglich. Die Dringlichkeit ist zu bejahen, wenn drohende Nachteile nicht mehr oder nur schwer rückgängig gemacht werden können. In welcher Hinsicht die Nachteile entstehen, ist dabei nicht unbedingt relevant.543 In der Praxis wird die Dringlichkeit regelmäßig verneint, wenn die Entscheidung des Hauptsacheverfahrens so rechtzeitig ergehen 538

Windthorst, Der verwaltungsgerichtliche einstweilige Rechtsschutz, S. 682. Vgl. Windthorst, Der verwaltungsgerichtliche einstweilige Rechtsschutz, S. 659. 540 Windthorst, Der verwaltungsgerichtliche einstweilige Rechtsschutz, S. 683; Rennert, Verw 43 (2010), 449, 462. 541 Vgl. Windthorst, Der verwaltungsgerichtliche einstweilige Rechtsschutz, S. 677. 542 VG Dresden, B. v. 09.04.2020 – 6 L 249/20 –, Rn. 11, juris; vgl. VG Bayreuth, B. v. 11.03.2020 – B 7 S 20.223 –, Rn. 44 f., juris. „(…) Es erscheint sachgerecht, einen am Gefährdungsgrad der jeweiligen Erkrankung orientierten ,flexiblen‘ Maßstab fu¨ r die hinreichende (einfache) Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen“; auch VG Schleswig, B. v. 22.03.2020 – 1 B 17/20 –, Rn. 6, juris; zum Ganzen BVerwG, U. v. 22.03.2012 – 3 C 16/11 –, Rn. 24, juris; VG Freiburg, B. v. 25. 03. 2020 – 4 K 1246/20–, Rn. 18, juris; vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, B. v. 29.04.2014 – 16 B 372/14 – Rn. 10, juris. 543 Beispielweise finanzielle Nachteile der Antragsteller, die nicht durch spätere Zahlung wiedergutgemacht werden können: der Vollzug der Baugenehmigung erst bei Eintritt ihrer Bestandskraft zu unüberwindbaren finanziellen oder wirtschaftlichen Hindernissen (etwa nicht mehr erreichbare Förderungen, hohe und endgültige Verluste durch bereits getätigte Investitionen etc.) oder zu gravierenden Beeinträchtigungen anderer Art führt. Hierzu etwa BVerfG, Ablehnung einstweilige Anordnung v. 26.07.1989 – 1 BvR 685/89 –, 80, 360 – 367, juris; VGH München, B. v. 12.07.2010 – 14 CS 10.327, BeckRS 2011, 46480. 539

IV. Wiederherstellung des Suspensiveffekts

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kann, dass die behaupteten Nachteile vermieden oder rückgängig gemacht werden könnten.544 An der Dringlichkeit fehlt es auch, wenn die Antragsteller den behaupteten Nachteil über einen längeren Zeitraum hingenommen haben, ohne Rechtsschutzmaßnahmen zu ergreifen, und aus dem Antrag auch nicht deutlich wird, warum gerade zum Zeitpunkt der Antragstellung einstweiliger Rechtsschutz erforderlich geworden sein soll.545 bb) Andere in die Abwägung einzubeziehende Gesichtspunkte Ist wegen der besonderen Dringlichkeit oder der Komplexität der Rechtsfragen keine Beurteilung des Ausgangs des Hauptsacheverfahrens und danach keine abschließende Entscheidung über den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO möglich, hat das Gericht eine sorgsame Abwägung aller wechselseitigen Interessen vorzunehmen546, um zu untersuchen, wessen Interesse für die Dauer des Hauptsacheverfahrens der Vorrang zukommt.547 Diese Abwägung findet im Grunde zwischen Aufschubs- und Vollzugsinteresse statt und erfordert eine Berücksichtigung der Folgen, die einträten, wenn die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes versagt würde, das Verfahren in der Hauptsache hingegen Erfolg hätte. Diese Auswirkungen sind gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die aufschiebende Wirkung wiederhergestellt würde, dem Rechtsbehelf in der Hauptsache aber der Erfolg versagt wäre.548 544

Walter, in: BeckOK BVerfGG, § 32 Rn. 67. BVerfG B. v. 12.9.2012 – 2 BvR 1824/12, BeckRS 2012, 57267 Rn. 13; Walter, in: BeckOK BVerfGG, § 32 Rn. 68. 546 Beispiele solcher Abwägung etwa: VG Hannover, B. v. 16. 04. 2020 – 10 B 2232/20 –, Rn. 11, juris (Versammlungsverbot wegen Coronavirus); OVG Berlin, NVwZ-RR 2001, 89, 92 (Lagerung pyrotechnischer Gegenstände); OVG Hamburg, NVwZ-RR 2002, 276 ff. (Haltung eines gefährlichen Hundes); OVG Lüneburg, NVwZ-RR 2001, 362, 364 (Bau eines Sperrwerks); VGH München, NVwZ 2001, 1313; OVG Koblenz, NVwZ-RR 2009, 368 ff. (Beschränkung des Alkoholverkaufs durch Tankstellen zur Nachtzeit); OVG Münster, NJW 2000, 891 ff. (In-Verkehr-Bringen eines Produktes zum Bleichen der Zähne); NVwZ-RR 2003, 297, 298 (Reparatur einer Anschlussleitung bei drohender Umweltgefährdung); NVwZ-RR 2004, 655, 656 (Vermittlung von Sportwetten); NVwZ 2009, 1505, 1508 (Durchsuchen von Restabfällen); Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, § 45 Rn. 983. 547 Std. Rechtsprechung des BVerwG, vgl. dessen Beschlüsse v. 23. 02. 2018 – 1 VR 11/17 –, Rn. 20, juris; v. 19. 12. 2014 – 7 VR 5/14 –, Rn. 9, juris; v. 22. 03. 2010 – 7 VR 1/10 –, Rn. 13, juris; vgl. auch BVerfG, B. v. 22.02.2002 – 1 BvR 300/02 –, Rn. 9, juris; vgl. ferner OVG BerlinBrandenburg, B. v. 02. 04. 2019 – OVG 11 S 72.18 –, Rn. 17, juris; B. v. 11.01.2018 – 9 S 16/ 16 –, Rn. 7, juris; B. v. 07. 07. 2016 – 10 S 15/16 –, Rn. 12, juris; B. v. 16.04.2012 – 11 S 65/11 –, Rn. 10, juris; auch OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 29.09.2017 – OVG 11 S 53.17; Windthorst, Der verwaltungsgerichtliche einstweilige Rechtsschutz, S. 678 f.; vgl. Haibach, DÖV 1996, 60, 64. 548 VG Schleswig, B. v. 16. 04. 2020 – 12 B 15/20 –, Rn. 6, juris; B. v. 08. 04. 2020 – 1 B 44/ 20 –, Rn. 3, juris; B. v. 28.01.2019 – 12 B 38/18 – Rn. 46, juris; B. v. 11.09.2017 – 1 B 128/17 –, Rn. 28 f., juris; vgl. OVG Schleswig-Holstein, B. v. 03.07.2019 – 4 MB 14/19 –, Rn. 5, juris; B. v. 13.09.1991 – 4 M 125/91 –, Rn. 14, juris. 545

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C. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Suspensiveffekts

In diesem Zusammenhang hat das öffentliche Vollzugsinteresse nicht regelmäßig Vorrang vor dem Individualinteresse.549 Vielmehr kommt bei offenen Erfolgsaussichten eine Vermutung für das Überwiegen des Suspensiv- oder des Vollzugsinteresses gleicherweise in Betracht.550 Eine ausschließliche gerichtliche Abwägung der Interessen und Folgen ist letztlich je nach Lage des konkreten Falles unter mehreren Gesichtspunkten vorzunehmen. Das Gericht ist frei in der Entscheidung, welche Gesichtspunkte vornehmlich zu berücksichtigen sind, um seine Ermessensentscheidung zur Aussetzung der Vollziehung zu begründen.551 In Schrifttum und Rechtsprechung stehen diesbezüglich einige Maßstäbe im Vordergrund. (1) Die offensichtliche Rechtswidrigkeit der behördlichen Vollziehungsanordnung In Bezug auf das Entscheidungskriterium bei der Abwägung zwischen Vollzugsund Suspensivinteresse ist zu betrachten, ob das Gericht seine Aussetzungsentscheidung lediglich durch die Rechtswidrigkeit der behördlichen Vollziehungsanordnung begründen kann. Nach herrschender Meinung ist der Antrag nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO schon allein deshalb begründet, weil die behördliche Anordnung der sofortigen Vollziehung in formeller oder materieller Hinsicht fehlerhaft ist.552 Für die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung bedarf es somit keiner zusätzlichen Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache.553 Hingegen soll ein solcher Verstoß nach einer anderen Meinung nicht zur Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines gegen den Verwaltungsakt eingelegten Rechtsbehelfs, sondern lediglich zur isolierten Aufhebung der Anordnung der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes führen.554 549

BVerfG, NVwZ-RR 1991, 365 ff. Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, § 45 Rn. 983; zur Gegenüberstellung siehe auch D. 5. b) aa), S. 208. 551 Vgl. Debus, NVwZ 2006, 49, 49; vgl. OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 2.04.2019 – OVG 11 S 72.18 –, juris. 552 Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 188; vgl. VG Schleswig, B. v. 08. 06. 2017 – 1 B 24/17 –, Rn. 18, juris; Pöcker, Kritik des § 80 VwGO, S. 30. 553 Eine offensichtliche Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts rechtfertigt aber nicht die Anordnung der sofortigen Vollziehung, weil diese ein besonderes Vollzugsinteresse verlangt. OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 25. 03. 2013 – OVG 1 S 104.12 –, Rn. 4, juris; VG Gießen, B. v. 31.03.2020 – 4 L 1332/20.GI –, juris; VG Schleswig, B. v. 05. 03. 2020 – 12 B 19/20 –, Rn. 6, juris; vgl. BVerfG, B. v. 08.04.2010 – 1 BvR 2709/09 –, juris; vgl. M. Redeker, AnwBl. 2012, 870, 873; Martens, Suspensiveffekt, S. 19. 554 „Die bloße Aufhebung der Vollziehungsanordnung der Behörde durch das Gericht soll, ausgerichtet an der Erkenntnis, dass lediglich ein Verstoß gegen das formelle Begründungserfordernis vorliegt, es der Behörde ersparen, einen Antrag auf Änderung des Beschlusses nach § 80 Abs. 5 VwGO, gem. § 80 Abs. 7 VwGO zu stellen und die Behörde (erneut) in die Lage versetzen, die sofortige Vollziehung des Verwaltungsakts anzuordnen.“ VGH Mannheim, B. v. 30.4.1996 – 1 S 776/96, BeckRS 1996, 21580. 550

IV. Wiederherstellung des Suspensiveffekts

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Allerdings spricht § 80 Abs. 5 VwGO nicht von einer isolierten Aufhebung der behördlichen Vollziehungsanordnung. Vielmehr sieht die Regelung die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung und ergänzend die Aufhebung der Vollziehung vor.555 Das Aussetzungsverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO beschränkt sich nicht nur auf den Verwaltungsakt, sondern umfasst jede „rechtswidrige Verfügung“, die auf dem ursprünglichen belastenden Verwaltungsakt basiert.556 Im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht schließlich mit der Feststellung, die behördliche Vollziehungsanordnung sei offensichtlich rechtswidrig, tenorieren, dass aufgrund eines fehlenden (berechtigten) Vollzugsinteresses die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs wiederhergestellt wird.557 Die Frage, ob durch bloße Formfehler in der behördlichen Vollziehungsanordnung die Aussetzungsentscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO begründet ist, bleibt weiterhin strittig. Nach einer Ansicht ist bei der gerichtlichen Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO relevant, ob der Formfehler später im gerichtlichen Verfahren heilbar ist.558 Dagegen spricht, dass es dem Gericht nicht obliegt, prognostisch zu beurteilen, ob eine Heilung durchaus möglich ist.559 Zutreffenderweise darf das Gericht zunächst entsprechend der offensichtlichen Rechtswidrigkeit der Vollziehungsanordnung die aufschiebende Wirkung wiederherstellen,560 denn im Fall der Heilung steht der Behörde bereits eine Abänderungsmöglichkeit nach § 80 Abs. 7 VwGO offen.561 555 Vgl. OVG Schleswig-Holstein, B. v. 19. 06. 1991 – 4 M 43/91 –, Rn. 30, juris; OVG Magdeburg, B. v. 23.11.1992 – 2 M 148/92, BeckRS 2008, 32165; E. v. 02.12.1993 – 4 M 10/93, BeckRS 1994, 20296. 556 Auch Martens, Suspensiveffekt, S. 19; BVerfG, NVwZ 1982, 241 ff. 557 Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 148 f.; Brinktrine/Kastner, Fallsammlung, S. 33 Fn. 18. 558 Die Befürworter einer Heilungsmöglichkeit verteidigen ihre Auffassung damit, dass es reiner Formalismus sei, im Verfahren nach § 80 Abs. 5 die Vollziehungsanordnung aufzuheben, obgleich die Behörde danach die Anordnung der sofortigen Vollziehung erneut und diesmal mit vollständiger Begründung erlassen könne; Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 94; OVG Greifswald, NVwZ-RR 1999, 409 ff.; OVG Münster, NJW 1986, 1894, 1895; Finkelnburg/ Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, § 39 Rn. 751. 559 Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 87; Schenke, JZ 1996, 1155, 1159 f.; Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 91; vgl. OVG Bremen, B. v. 21. 07. 2009 – 1 B 89/09 –, Rn. 14, juris; VGH Mannheim, NJW 1977, 165 ff.; VGH München, BayVBl. 1989, 117, 118; Brühl, JuS 1995, 722, 725; Erichsen, Jura 1984, 414, 422. 560 „Die Beho¨ rde kann in diesem Fall die Vollziehungsanordnung formgerecht wiederholen und dann auch einen rechtswidrigen Verwaltungsakt vollziehen, weil die Aufhebung der Vollziehungsanordnung respektive die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung wegen eines Begru¨ ndungsmangels auch nur insoweit Bindungswirkung entfaltet, denn wenn das Gericht seine Pru¨ fung nicht auf die in § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO enthaltenen Voraussetzungen einer Anordnung der sofortigen Vollziehung erstreckt hat.“ Brinktrine/Kastner, Fallsammlung, S. 33. 561 OVG Bremen, B. v. 21. 07. 2009 – 1 B 89/09 –, Rn. 14, juris.

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C. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Suspensiveffekts

(2) Dringlichkeitsinteresse Wenn sich die Erfolgsaussichten in der Hauptsache nicht erkennen lassen, sind das Dringlichkeitsinteresse an der sofortigen Vollziehung sowie das Dringlichkeitsinteresse an der aufschiebenden Wirkung in die Abwägung einzubeziehen. Das Gericht beachtet damit, ob ein sofortiger Vollzug oder eine Aussetzung der Vollziehung des Verwaltungsakts mehr Unabänderliches bewirkt.562 Der Mangel der Dringlichkeit des Sofortvollzugs bedeutet weiterhin regelmäßig, dass die Dringlichkeit der Aussetzung überwiegt.563 Entscheidungserheblich ist in diesem Zusammenhang auch das Zeitmoment, in dem die Behörde über die sofortige Vollziehung entscheidet. Lässt sich die Behörde mit ihrem Einschreiten über einen längeren Zeitraum Zeit, spricht dies schon bei einer Abwägung auf abstrakter Ebene nicht für die Notwendigkeit oder Dringlichkeit einer sofortigen Vollziehung, sondern für die Eilbedürftigkeit aus Sicht der Rechtsschutzsuchenden, soweit sich in diesem Zeitraum der Sachverhalt nicht verändert hat.564 Demgegenüber erweist sich die Dringlichkeit des Vollzugs nicht allein dadurch, dass die Dringlichkeit zugunsten des Aussetzungsinteresses fehlt. An die Dringlichkeit werden insbesondere im Falle des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO, aufgrund des Ausnahmecharakters der Vollziehungsanordnung, strengere Anforderungen gestellt. In diesem Sinne muss grundsätzlich das konkrete Gewicht des Dringlichkeitsinteresses an der sofortigen Vollziehung mit in die Abwägung einbezogen werden. Dabei wird das Dringlichkeitsinteresse am Vollzug in bestimmten Fällen abstrakt gewichtet. Zum Beispiel fällt bei Maßnahmen zum Schutz elementarer Sicherheitsinteressen die Dringlichkeit des Vollzugs häufig ins Gewicht.565 562 Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, § 45 Rn. 986; dazu vgl. BVerfG, B. v. 11. 05. 2007 – 2 BvR 2483/06 –, Rn. 31 f., juris. 563 Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, § 45 Rn. 986, 988; OVG Hamburg, NVwZ 2001, 1308, 1309 (Überwiegen des Interesses eines Hundehalters gegenüber einer Haltungsuntersagung); OVG Koblenz, NVwZ 2006, 1426, 1429 f. (unumkehrbare Marktdynamik, die der Neuregelung eines Rechtsgebietes – hier: Sportwetten – entgegenstehen könnte); OVG Lüneburg, NVwZ 2000, 1194, 1196 (Belastung mit erheblichen Sanierungskosten bei Bodenverunreinigungen, die sich nur langsam ausbreiten und keine Gesundheitsgefahr darstellen); B. v. 22.07.2016 – 7 MS 19/16 –, Rn. 24 ff, juris (Überwiegen artenschutzrechtlicher Bedenken gegenüber dem Bedarf für eine Deponie); OVG Magdeburg, NVwZ 1999, 899, 899 (vorläufiger Besuch einer integrativen Schule bei Annahme eines Sonderschulbedarfs); VGH Mannheim, NVwZ-RR 2003, 103 ff. (Überwiegen des öffentlichen Interesses am Vollzug einer bodenrechtlichen Erkundungsauflage, wenn die damit verbundene finanzielle Belastung nicht existenzbedrohend ist); NJOZ 2007, 788 ff. (Sofortvollzug der Rücknahme eines Bauvorbescheides, um die Erteilung einer Baugenehmigung zu verhindern); OVG Münster, NJW 1999, 1968 ff. (Rückforderung staatlicher Parteienfinanzierung); NJW 2002, 2195 ff. (Wohnungsverweisung); vgl. OVG Münster, NWVBl. 2012, 267, 268 (Werbeverbot nach dem Glücksspielstaatsvertrag). 564 M. Redeker, AnwBl. 2012, 870, 875; BVerwG, NVwZ 2010, 459 ff.; auch Redeker, in: Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 80 Rn. 20a. 565 Vgl. BVerwG, NVwZ-RR 2003, 66, 67; OVG Berlin-Brandenburg, NVwZ-RR 2010, 275, 276; OVG Lüneburg, NVwZ 2000, 1194, 1196; VG Aachen, NVwZ-RR 2009, 781 ff. (Teilnahme am bewaffneten Jihad); OVG Hamburg, NordÖR 2016, 219, 223 (Auseinander-

IV. Wiederherstellung des Suspensiveffekts

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(3) Das Gewicht der abzuwägenden Grundrechte Droht einem Antragsteller bei Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes eine erhebliche, irreparable Verletzung in seinen Grundrechten, so ist – gegebenenfalls unter eingehender tatsächlicher und rechtlicher Prüfung des im Hauptsacheverfahren geltend gemachten Anspruchs – einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren.566 Die Gerichte müssen in derartigen Fällen, wenn sie sich an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren wollen, die Sach- und Rechtslage regelmäßig nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen.567 Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden, in welche die grundrechtlichen Belange der Betroffenen umfassend einzubeziehen sind.568 Dementsprechend ist dem Gewicht der infrage stehenden und gegebenenfalls miteinander abzuwägenden Grundrechte Rechnung zu tragen, um deren etwaige Verletzung zu verhindern.569 Mit welchem Gewicht die Grundrechte in die Abwägung einfließen, ist weiterhin fraglich. Hierbei ist anerkannt, dass sich die Grundrechte zunächst in ihrem abstrakten Gewicht unterscheiden können.570 An die Wahrscheinlichkeit der Rechtsverletzung sind geringere Anforderungen zu stellen,571 wenn die Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes auf bestimmte Rechtsgüter, die auf Grundlage der Werteordnung der Grundrechte einen höheren Stellenwert besitzen, bezogen ist. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn es um die Wahrung des Rechts auf Leben geht.572

setzungen anlässlich einer Demonstration); auch Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, § 45 Rn. 988. 566 BVerfG, B. v. 14. 09. 2016 – 1 BvR 1335/13 –, juris. 567 BVerfG, B. v. 26.06.2018 – 1 BvR 733/18 –, Rn. 3, juris; die Anforderungen an die Prüfungsdichte steigen, je mehr einem Antragsteller bei Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes eine erhebliche, irreparable Verletzung in seinen Grundrechten droht. Vgl. BVerfG, B. v. 14.09.2016 – 1 BvR 1335/13 –, juris; auch BVerfG, B. v. 25.02.2009 – 1 BvR 120/ 09 –, juris. 568 OVG Saarland, B. v. 26. 03. 2020 – 1 B 306/19 –, Rn. 12 f., juris; v. 13.12.2018 – 1 B 248/ 18 –, juris; vgl. BVerwG, B. v. 22.03.2010 – 7 VR 1/10 –, Rn. 13, juris.; auch OVG BerlinBrandenburg, B. v. 29. 09. 2017 – OVG 11 S 53.17 –, Rn. 14, juris. 569 BVerfG, B. v. 26. 06. 2018 – 1 BvR 733/18 –, Rn. 3, juris. 570 Breckwoldt, Grundrechtskombinationen, S. 220; Alexy, in: GS Sonnenschein, S. 771, 778. 571 BVerfG, B. v. 27. 07. 2016 – 1 BvR 1241/16 –, Rn. 11, juris. 572 Insbesondere der Menschenwürde sowie dem Recht auf Leben kommt ein höheres abstraktes Gewicht zu. Breckwoldt, Grundrechtskombinationen, S. 220; Alexy, in: GS Sonnenschein, S. 771, 778; innerhalb der Grundrechte könnte der Menschenwürde ein höheres abstraktes Gewicht zugeordnet werden als der allgemeinen Handlungsfreiheit gem. Art. 2 I GG. Klatt/Meister, JuS 2014, 193, 197.

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C. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Suspensiveffekts

Eine etwaige Verletzung eines Rechtsguts, dem ohne Zweifel ein höheres abstraktes Gewicht im Vergleich zu den in Konflikt stehenden Rechtsgütern zukommt, auch wenn sie nur möglich erscheint oder lediglich zeitweilig andauert, haben die Gerichte durch eine dringende Eilentscheidung zu verhindern.573 Kaum lösbar ist dagegen die abstrakte Gewichtung, wenn das Gericht den Ausgleich kollidierender Grundrechte, die ähnlichen Stellenwerte besitzen, sucht.574 Ob beispielsweise die Berufsfreiheit rechtlich höher einzustufen ist als die Eigentumsfreiheit, kann abstrakt nicht beantwortet werden.575 Steht ein mehrpoliger Verwaltungsakt im Streit, richtet sich deshalb die Abwägung maßgeblich nach der materiellen Bewertung konfligierender Rechtspositionen, auch wenn dies die Hauptsache vorwegnimmt.576 Die grundrechtlich geschützten Rechtsgüter können ebenfalls wie beim individuellen Interesse zur Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes auch beim Gemeinwohlinteresse zur sofortigen Vollziehung einer staatlichen Maßnahme zum Ausdruck kommen. Gemeinwohlgüter können in diesem Sinne gleichermaßen wie Privatgüter in die Abwägung einfließen. Grundrechtliche Belange des Antragstellers sind gegenüber einer staatlichen Maßnahme, zu deren Einsatz der Staat zum Schutz eines höherrangigen Grundrechts verpflichtet ist, einstweilen zurückzustellen.577 Ein Abwägungsvorsprung der abstrakt wichtigeren grundrechtlich geschützten Werten darf weiterhin im Einzelfall aufgehoben werden.578 Dafür kann das Gericht in einer Güterabwägung die grundrechtlich geschützten Rechtspositionen nicht nur mit ihrem abstrakten Gewicht, sondern auch mit ihrem konkreten Gewicht berücksichtigen.579 Die eigentliche Abwägung findet somit nach der Ermittlung der Bedeutung des konkreten Grundrechtsaspekts unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles statt.580 Nach diesem Gedankengang werden Gemeinwohlbelange in Bezug auf den Schutz des Lebens und die Gesundheit der Bevölkerung sowie den Natur- und 573

Vgl. BVerfG, B. v. 25.2.2009 – 1 BvR 120/09 –, juris; im Anschluss an BVerfGK 5, 237, 242 f.; auch M. Redeker, AnwBl. 2012, 870, 873 f.; vgl. BVerfG, B. v. 26.06.2018 – 1 BvR 733/ 18 –, Rn. 1 – 8, juris. 574 Dies ist zum Beispiel der Fall: Macht ein Privater von einer Baugenehmigung Gebrauch, so sind die Folgen für den Nachbarn regelmäßig schwer zu beseitigen, da er die Verwaltung in der Regel nicht zum Erlass einer Abrissverfu¨ gung verpflichten könnte. Vgl. Marsch, Subjektivierung der gerichtlichen Verwaltungskontrolle, S. 236, auch Fn. 963. 575 Kluckert, JuS 2015, 116, 118; OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 08. 09. 2015 – OVG 11 S 22.15 –, Rn. 48, juris. 576 M. Redeker, AnwBl. 2012, 870, 874; Vgl. BVerfG, B. v. 14.09.2016 – 1 BvR 1335/13 –, juris. 577 Kluckert, JuS 2015, 116, 118. 578 Klatt/Meister, JuS 2014, 193, 197. 579 Vgl. Windthorst, Der verwaltungsgerichtliche einstweilige Rechtsschutz, S. 679. 580 Breckwoldt, Grundrechtskombinationen, S. 221; Geddert-Steinacher, Menschenwürde als Verfassungsbegriff, S. 146.

IV. Wiederherstellung des Suspensiveffekts

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Umweltschutz581 mit ihrem abstrakten Gewicht gegenüber allgemeinen Freiheitsrechten regelmäßig höher bewertet.582 Im konkreten Fall können sich gegenüber dermaßen hoch bewerteten Gemeinwohlbelangen aber auch die wirtschaftlichen Interessen von Grundrechtsträgern durchsetzen.583 Ein Privatinteresse mit abstrakt geringerem Gewicht kann einen Gemeinwohlbelang mit abstrakt höherem Gewicht allerdings tendenziell nur mit einem erhöhten argumentativen Aufwand, bezogen auf die Intensität des Eingriffs, überwiegen.584 In der überwiegenden Rechtsprechung zu Corona-Einschränkungen wird auch deutlich, dass mit einem schweren Grundrechtseingriff verfolgte überragende Gemeinwohlbelange wegen eines Mangels an besonderem argumentativem Aufwand zugunsten des Antragstellers regelmäßig über den Privatgütern stehen. Exemplarisch ist dies in einem Urteil festzustellen, wonach in einer Güterabwägung das Interesse der Antragsteller an einer uneingeschränkten Nutzung ihrer Nebenwohnung im Gebiet des Antragsgegners hinter dem überragenden öffentlichen Interesse an der Eindämmung der Ausbreitung von COVID-19 – betroffen sind die Schutzgüter Leben und körperliche Unversehrtheit im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG – zurückstehen muss.585 Ohne abschließende Beurteilung der Rechtsmäßigkeit des Verwaltungsakts und dessen Grundlage kann der Schutz der Reisefreiheit zum Zwecke der touristischen Nutzung einer Nebenwohnung nicht schwerer wiegen als der Schutz der allgemeinen Gesundheit.586 Ebenfalls wird in einer ähnlicher Konstellation angenommen, dass das überragende Schutzgut der menschlichen Gesundheit und des Lebens gegenüber dem Recht auf freie Religionsausübung als höherrangig einzustufen ist, um einen schweren staatlichen Eingriff zu rechtfertigen.587 In diesen Einzelfällen bedarf es letztlich eines besonderen argumentativen 581 So zuletzt VGH Bayern, B. v. 24.10.2019 – 22 CS 19.1485 – Rn. 29, juris; auch VG München, B. v. 03. 04. 2020 – M 28 S7 20.600 –, Rn. 59, juris. 582 Vgl. OVG Schleswig-Holstein, B. v. 02.01.2007 – 3 MB 38/06 –, juris; vgl. VG Schleswig, B. v. 06.04.2020 – 1 B 39/20 –, Rn. 23, juris; v. 23.04.2020 – 1 B 58/20 –, Rn. 34, juris. 583 Vgl. Kluckert, JuS 2015, 116, 117. 584 Vgl. Klatt/Meister, JuS 2014, 193, 198. 585 OVG Schleswig-Holstein, B. v. 02. 04. 2020 – 3 MB 8/20 –, Rn. 39, juris; vgl. VG Schleswig, B. v. 08. 04. 2020 – 1 B 49/20 –, Rn. 22 – 26, juris. 586 Anreiseverbot ist zum Zwecke der touristischen Nutzung einer Nebenwohnung angemessen. OVG Schleswig-Holstein, B. v. 02.04.2020 – 3 MB 11/20 –, juris; eine wesentliche Gefährdung höherrangiger Allgemeinwohlinteressen durch die zunächst noch weitere Möglichkeit der Betätigung privater Sportwettenvermittler ist nicht anzunehmen. OVG SchleswigHolstein, B. v. 02.01.2007 – 3 MB 38/06 – 3 MB 38/06 –, juris; vgl. VG Schleswig, B. v. 06.04.2020 – 1 B 39/20 –, Rn. 23, juris; B. v. 23.04.2020 – 1 B 58/20 –, Rn. 34, juris; B. v. 27.03.2020 – 1 B 29/20 –, juris. 587 VG Hannover, B. v. 07.04.2020 – 15 B 2112/20 –, Rn. 18, juris; VG Hamburg, B. v. 20. 03. 2020, 10 E 1380/20; VG Köln, B. v. 20. 03. 2020, 7 L 510/ 20, juris; VG Freiburg, B. v. 25. 03. 2020, 4 K 1246/20, BeckRS 2020, 4437; VG Saarland, B. v. 30.03.2020 – 6 L 340/20 –, Rn. 27, juris; vgl. ferner Pressemitteilung des Bayerischen VGH, B. v. 30. 03. 2020, 20 NE 2020.632; vgl. Kluckert, JuS 2015, 116, 118.

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C. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Suspensiveffekts

Aufwands, wenn das allgemeine Freiheitsrecht in einer Abwägung gegen das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit bestehen soll.588 Bei der Durchsetzbarkeit des Privatinteresses gegen höherrangige Gemeinwohlbelange kann es dabei auch auf die Gefahrenlage ankommen, die durch den staatlichen Eingriff vermieden werden soll. Die konkrete Gefahr kann auf das Gewicht der mit einem Grundrechtseingriff verfolgten öffentlichen Interessen wirken. Insoweit können identische Gemeinwohlbelange, aufgrund verschiedener Gefahrenlagen, unterschiedliches Gewicht besitzen. Daneben ist erneut darauf hinzuweisen, dass das abstrakte Gewicht des Gemeinwohlbelangs auch auf die konkrete Gefahr Einfluss nimmt. In diesem Zusammenhang besteht zwischen der abstrakten und der konkreten Gewichtung der Grundrechte ein wechselseitiger Zusammenhang.589 Zusammenfassend genügt bei Rechtsgütern mit besonders hoher Bedeutung eine geringere Schadenswahrscheinlichkeit und gegebenenfalls sogar eine ungesicherte Tatsachengrundlage, um einen staatlichen Grundrechtseingriff zu rechtfertigen. Die Rechtsprechung ist folglich bei der Annahme konkreter Gefahren für überragend wichtige Rechtsgüter großzügig und lässt in bestimmten Rechtsgebieten wie dem Umweltrecht590, dem Straßenverkehrsrecht591, dem Waffenrecht592 oder dem Bauordnungsrecht593 bereits abstrakte Gefahrensituation genügen.594 Je intensiver dagegen der Eingriff in das Grundrecht ist, desto höher sind die Anforderungen an die Relevanz des durch den Eingriff verfolgten Zwecks.595 Die Anforderungen an die Rechtfertigung des staatlichen Eingriffs sind schließlich von der Gefahrenlage und der Eingriffsintensität der betroffenen Grundrechte abhängig. (4) Gesetzgeberische Wertung In eine Interessenabwägung im Aussetzungsverfahren ist des Weiteren die gesetzliche Bewertung im Hinblick auf den Vorrang des Aufschubs- oder Vollzugsinteresse einzubeziehen. Ist der Vorrang des Vollzugsinteresses durch den Gesetzgeber speziell nicht geregelt und ergibt sich dieser weder aus der Anordnungsbegründung noch aus den 588

Vgl. Klatt/Meister, JuS 2014, 193, 197. Vgl. Kluckert, JuS 2015, 116, 118. 590 Vgl. VGH Bayern, B. v. 24.10.2019 – 22 CS 19.1485 –, Rn. 29, juris; vgl. VG München, B. v. 03. 04. 2020 – M 28 S7 20.600 –, Rn. 59, juris. 591 OVG Berlin, B. v. 03.11.2009 – 1 S 205/09 –, juris; OVG Lüneburg, B. v. 16.12.2009 – 12 ME 234/09 –, juris. 592 VGH München, B. v. 22.02.2010 – 21 CS 09.2767, BeckRS 2010, 48493. 593 OVG Greifswald, B. v. 6.1.2016 – 3 M 340/15, BeckRS 2016, 42880 Rn. 6; vgl. OVG Greifswald, B. v. 03. 11. 2006 – 3 M 143/06 – und B. v. 17. 11. 2010 – 3 M 210/10 – n. v. 594 VGH Mannheim, B. v. 17.11.1997 – 10 S 2113/97 –, juris; vgl. M. Redeker, AnwBl. 2012, 870, 873. 595 Klatt/Meister, JuS 2014, 193, 196. 589

IV. Wiederherstellung des Suspensiveffekts

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erkennbaren öffentlichen oder privaten Interessen, dann überwiegt das Aufschubsinteresse entsprechend der in § 80 Abs. 1 VwGO enthaltenen Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers.596 In den Fällen des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 – 3a VwGO kann das Gericht hingegen davon ausgehen, dass der Gesetzgeber dem Vollzugsinteresse entscheidendes Gewicht zugemessen hat.597 Diese Regelungen weisen demnach auf die Dringlichkeit der sofortigen Vollziehung hin.598 Die Wertungen des Gesetzgebers hinsichtlich des Aufschubs- oder Vollzugsinteresses haben allerdings für die gerichtliche Aussetzungsentscheidung nur eine Orientierungsfunktion.599 Das Gericht übt im Ergebnis im Rahmen seiner Eilentscheidung eigenes Ermessen aus und behält trotz der gesetzlichen Vorstruktur Abwägungsmöglichkeiten.600 Letztlich ist das Gericht in seiner Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht an die gesetzliche Vermutung des § 80 Abs. 1 S. 1 oder Abs. 2 S. 1 Nr. 1 – 3a VwGO gebunden und auch nicht verpflichtet, die davon abweichenden Entscheidungen in besonderem Maße zu begründen.601

596 Auch Windthorst, Der verwaltungsgerichtliche einstweilige Rechtsschutz, S. 682; auch M. Redeker, AnwBl. 2012, 870, 873; vgl. OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 16.04.2020 – OVG 11 S 11/20 –, Rn. 12, juris; dazu vgl. BVerfG, B. v. 11.05.2007 – 2 BvR 2483/06 –, Rn. 32, juris. 597 OVG Schleswig-Holstein, NVwZ-RR 1993, 408, 409; VGH Kassel, NVwZ 1993, 491, 492; Windthorst, Der verwaltungsgerichtliche einstweilige Rechtsschutz, S. 683; auch M. Redeker, AnwBl. 2012, 870, 873; Debus, NVwZ 2006, 49, 50; BVerfG, B. v. 10.10.2003 – 1 BvR 2025/03 –, Rn. 21, juris. 598 Vgl. Debus, NVwZ 2006, 49, 50 ff.: Will der Gesetzgeber nicht nur über § § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO das auf die Zeitdimension bezogene Dringlichkeitsinteresse zum Ausdruck bringen, sondern das materielle Element im Aussetzungsmaßstab verändern, muss eine Regelung dazu getroffen werden. Beispiele hierfür sind Art. 16a Abs. 4 GG, § 36 Abs. 4 AsylVfG bei der Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen nach einem offensichtlich unbegründeten Asylantrag oder die durch das Planungsvereinfachungsgesetz geschaffenen § 17 Abs. 6 FStrG, § 19 Abs. 4 WaStrG, § 10 Abs. 8 LuftVG, § 29 Abs. 8 PBefG, bei denen nicht alle Abwägungsmängel verwaltungsgerichtlich gerügt werden können; vgl. Haibach, DÖV 1996, 60, 66. 599 Vgl. BVerwG, NVwZ 2005, 689, 690; vgl. VGH Bayern, B. v. 04. 12. 2019 – 15 CS 19.2048 –, Rn. 28, juris. Die nach § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO erforderliche Abwägung wird von § 212a Abs. 1 BauGB zwar in der Weise vorstrukturiert, dass dem Vollzugsinteresse ein erhebliches Gewicht beizumessen ist; durch diese gesetzliche Vorstruktur sollte die Abwägung nicht präjudiziert werden; vgl. Windthorst, Der verwaltungsgerichtliche einstweilige Rechtsschutz, S. 680. 600 Vgl. OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 16. 04. 2020 – OVG 11 S 11/20 –, Rn. 12, juris; § 80 Abs. 5 VwGO und § 123 VwGO sind beide struktur- und funktionsgleich und gemeinhin parallel zu interpretieren. Rennert, Verw 43 (2010), 449, 462. 601 Vgl. BVerfG, B. v. 11.05.2007 – 2 BvR 2483/06 –, Rn. 31 f., juris; vgl. Happ, NVwZ 2005, 282 ff.

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C. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Suspensiveffekts

(5) Behördliche Erwägungen Das Gericht darf im Wege des Aussetzungsverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO grundsätzlich eigene Erwägungen vornehmen. Dabei hat es bei seinen Entscheidungen im Rahmen des § 80 Abs. 5 S. 1 Alt. 2 VwGO, welche die Vollziehbarkeit von Verwaltungsakten betreffen, die ganz oder teilweise im Ermessen der Behörde stehen, die der Behörde vom Gesetzgeber in der Sache eingeräumte Entscheidungsprärogative auch hinsichtlich der Vollziehbarkeit bei der zu treffenden Abwägung zugunsten der Auffassung der Behörde zur Frage der Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts angemessen zu berücksichtigen. Bei der vom Gericht vorzunehmenden summarischen Überprüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache darf in den Fällen, in denen die Hauptsache das Widerspruchsverfahren und nicht schon das gerichtliche Verfahren darstellt, vom Gericht jedoch nicht übersehen werden, dass im Widerspruchsverfahren sowie im Aussetzungsverfahren nach § 80 Abs. 4 S. 1 VwGO gerade auch die Ermessensausübung, die Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts und die Verhältnismäßigkeit der Vollziehungsanordnung zu überprüfen sind. Dem Gericht obliegt es in solchen Fällen, zumindest offensichtliche Bedenken und Defizite im Rahmen der Ermessenserwägung der Behörde nicht unbeachtet zu lassen und diese in die Interessensabwägung mit einzubeziehen. Einschränkungen können hierbei insoweit bestehen, als das Gericht bereits anstelle der Widerspruchsbehörde eine eigenständige und komplexe Zweckmäßigkeitsentscheidung vorwegnehmen würde.602 cc) Zwischenergebnis Im Wege des Aussetzungsverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO nimmt das Gericht eine Interessenabwägung vor, in die vornehmlich die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs einbezogen werden. Eine materiell-akzessorische Interessenabwägung verringert das Fehlentscheidungsrisiko im Vergleich zu einer reinen Interessenabwägung.603 Hierbei ist es aber grundsätzlich nicht Aufgabe der Gerichte, schon im Aussetzungsverfahren eine umfassende rechtliche Prüfung der Hauptsache vorzunehmen.604 Ergibt bereits die summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage, dass sich 602

VG München, B. v. 20. 04. 2006 – M 16 S 06.1322 –, Rn. 29, juris. Das heißt aber nicht, dass in der Abwägung nur auf die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts abzustellen ist. Vielmehr ist die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit als abwägungserheblicher Belang in die verfassungsrechtlich gebotene Abwägung der widerstreitenden Interessen aufzunehmen. Vgl. BVerfG, B. v. 27. 05. 1998 – 2 BvR 378/98 –, Rn. 17, juris. 604 Besondere Anforderungen an die materiell-akzessorischen Prüfung sind dabei zu stellen, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr beseitigt werden können. BVerfG, B. v. 27. 06. 2016 – 1 BvR 1241/16 –, Rn. 11, juris; auch BVerfG, B. v. 25. 02. 2009 – 1 BvR 120/09 –, juris. 603

IV. Wiederherstellung des Suspensiveffekts

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ein angegriffener Bescheid offensichtlich als rechtswidrig erweisen bzw. der Rechtsbehelf in der Hauptsache mit hoher Wahrscheinlichkeit Erfolg haben wird, wird das Suspensivinteresse des Betroffenen gegenüber dem öffentlichen oder privaten Vollzugsinteresse im Sinne der Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG Vorrang haben.605 Eine materiell-akzessorische Prüfung im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO ist dabei in vielen Fällen nicht geeignet, wenn das Gericht für eine solche Prüfung eine gewisse Zeit benötigt. Sind wegen der besonderen Dringlichkeit einer alsbaldigen Entscheidung und der Komplexität der Rechtsfrage die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache nicht zu beurteilen, sind somit alleine die mit der Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung und mit deren Ablehnung verbundenen Folgen abzuwägen.606 In Folge ist der Rechtsschutzanspruch umso stärker und darf umso weniger zurückstehen, je schwerwiegender die dem Einzelnen auferlegte Belastung ist und desto mehr die Maßnahmen der Verwaltung Unabänderliches bewirken.607 Grundsätzlich dürfen Entscheidungen im Verfahren des § 80 Abs. 5 VwGO sowohl auf eine Folgenabwägung als auch auf eine summarische oder abschließende Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden.608 Die Beständigkeit und die Effektivität des Eilrechtsschutzes sollten allerdings vor allem den Hauptsacherechtsschutz gewährleisten. Eine Abwägung allein anhand des Dringlichkeitsinteresses kann insoweit lediglich dann einen eigenen Sinn aufweisen, wenn die materielle Rechtslage während des Eilverfahrens nicht eindeutig zu erkennen ist. Im Ergebnis kann das Gericht mehrere Abwägungskriterien zur Aussetzungsentscheidung gleichmäßig oder konzentrisch allein nach den offensichtlichen Erfolgsaussichten seiner Entscheidung als Grundlage unterstellen.609

605 OVG Thüringen, B. v. 07. 04. 2020 – 3 EO 236/20 –, Rn. 5, juris; vgl. OVG Thüringen, B. v. 04.07.2013 – 2 EO 414/13 – Rn. 2 ff., juris; dazu BVerfG, NVwZ 1982, 241, 241 f.; NVwZ 1996, 58, 59 f. 606 BVerwG, B. v. 16.09.2014 – 7 VR 1/14, BeckRS 2014, 56940 Rn. 10; B. v. 22.03.2010 – BVerwG 7 VR 1.10 – Rn. 13, juris; das heißt genau, dass vor allem anhand des Dringlichkeitselements die Gemeinwohlbelange sowie Privatinteressen auf Grundlage der Werteordnung der Grundrechte mit ihrem abstrakten und konkreten Gewicht in die Abwägung einzufließen sind. Vgl. BVerfG, B. v. 21. 03. 1985 – 2 BvR 1642/83 –, BVerfGE 69, 220 – 232, Rn. 19, juris; vgl. BVerfG, B. v. 11.05.2007 – 2 BvR 2483/06 –, Rn. 31 f., juris. 607 BVerfGE 69, 220, 228 f.; vgl. BVerfG, NVwZ 2004, 90 ff.; vgl. Windthorst, Der verwaltungsgerichtliche einstweilige Rechtsschutz, S. 678 Fn. 319. 608 BVerfG, NVwZ 2018, 1467, 1468 Rn. 3; wäre die Hauptsacheklage offensichtlich zulässig und begründet, ohne Interessenabwägung hat der Antrag gem. § 80 Abs. 5 VwGO Erfolg. Vgl. Jäde, Verwaltungsverfahren, Rn. 284. 609 Haibach, DÖV 1996, 60, 68; zur Rechtsprechung in Frankreich Marsch, Subjektivierung der gerichtlichen Verwaltungskontrolle, S. 237 Fn. 966. Sofern irreversible Vollzugsfolgen drohten, pru¨ ften die Gerichte in einem zweiten Schritt die Erfolgsaussichten der Hauptsacheklage.

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C. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Suspensiveffekts

f) Der Rechtscharakter der gerichtlichen Entscheidung nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO Der Rechtscharakter der gerichtlichen Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO ist in der Literatur nicht stark diskutiert. Nach der überwiegenden Ansicht ist aus dem Ausdruck „Auf Antrag kann“ des § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO zu entnehmen, dass die Gerichte eine Ermessensentscheidung treffen.610 Der Ausdruck wird jedoch nach einer anderen Ansicht so interpretiert, dass das Gericht „nur auf Antrag“ eine Entscheidung treffen kann. Hiernach wird vertreten, dass die Gerichte keine Ermessensentscheidung, sondern vielmehr eine Rechtsentscheidung treffen.611 Aus § 80 Abs. 5 VwGO ergibt sich generell, dass dem Gericht im Wege des Aussetzungsverfahrens Auswahlmöglichkeiten offenstehen. In einer gerichtlichen Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO lässt sich eine gänzliche oder teilweise Herstellung der aufschiebenden Wirkung mit oder ohne Sicherheit oder die Ablehnung der aufschiebenden Wirkung ersehen. Das heißt, dass die Entscheidungen im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO hinsichtlich der Rechtsfolgenseite einen Ermessenscharakter aufweisen. Daneben sind keine zwingenden Kriterien bzw. unmittelbare Entscheidungsgrundlagen gegeben, lediglich nach den das Gericht eine Entscheidung im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO treffen darf. Es geht hierbei um eine originäre Ermessensentscheidung. Die Frage zum Rechtscharakter der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO wird im Falle des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO besonders maßgeblich. Nach § 80 Abs. 5 S. 1 Alt. 2 i. V. m. § 80a Abs. 3 S. 1 VwGO kann das Gericht zwar die Ermessensentscheidung der Behörde im Sinne des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO abändern oder diese komplett aufheben. Es bleibt aber umstritten, ob das Gericht in seiner Aussetzungsbefugnis eingeschränkt ist, weil es hier um die Prüfung einer behördlichen Ermessensentscheidung geht.612 Nach einer Ansicht kann das Gericht nur bei einer fehlerhaften Ermessensentscheidung die aufschiebende Wirkung wiederherstellen, andernfalls darf es eigene Ermessensabwägungen nicht vornehmen bzw. eine eigene originäre Ermessensentscheidung nicht treffen. Die konkrete Interessenabwägung und die Ermessensausübung, ob ein öffentliches Interesse oder Drittinteresse an einer sofortigen Vollziehung besteht oder ein Aufschubsinteresse überwiegt, obliegen dementsprechend primär und final der Behörde. In diesem Fall verbleibt den Gerichten lediglich ein begrenzter Entscheidungsspielraum im Hinblick auf die un610 Renck, BayVBl. 1994, 161, 165; vgl. Haibach, DÖV 1996, 60, 68; vgl. Haibach, ZRP 1996, 173, 175. 611 Für diese Ansicht wird angeführt: Inwieweit die aufschiebende Wirkung anzuordnen ist, hängt nicht von Ermessen des Gerichts ab, sondern von der Intensität des Aufschubsinteresses. Scholz, Die aufschiebende Wirkung, S. 193. 612 Zur gerichtlichen Überprüfung der Ermessensentscheidungen Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1382.; vgl. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 146.

IV. Wiederherstellung des Suspensiveffekts

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bestimmten Rechtsbegriffe des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO.613 In den Fällen des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 – 3a VwGO geht es jedoch um eine Wertung, wonach die sofortige Vollziehung dem behördlichen Ermessen nicht unterliegt, sondern vielmehr gesetzlich gestaltet ist. Im Rahmen des § 80 Abs. 5 S. 1 Alt. 1 VwGO erfolgt somit erstmals durch das Gericht eine konkrete Interessenabwägung, die eine Abweichung von der gesetzlichen Grundentscheidung gestattet und dem Vollzugsinteresse einen Vorrang einräumen kann. Hierbei ist dann das Gericht frei, eigene Erwägungen vorzunehmen und eine eigene Ermessensentscheidung im Sinne des § 80 Abs. 5 VwGO zu treffen, wenngleich die gesetzliche Wertung dem Gericht bei dieser Orientierung geben dürfte.614 Nach einer anderen Ansicht wird hingegen vertreten, dass die gerichtliche Entscheidung nicht nur in den Fällen des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 – 3a VwGO, sondern auch im Falle des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO mehr eine eigenständige gerichtliche Ermessensentscheidung und weniger eine Rechtskontrolle des behördlichen Handelns darstellt. Demnach sollen die Gerichte auch bei einer fehlerlosen Ermessensentscheidung der Behörde, nach verschiedenen Maßstäben im Verfahren des § 80 Abs. 5 VwGO, ihre eigene originäre Ermessensentscheidung treffen können.615 Aus der Systematik des § 80 VwGO ist einerseits ersichtlich, dass der Gesetzgeber das Ermessen hinsichtlich sofortiger Vollziehung oder Aussetzung der Entscheidung zuerst der Behörde überlassen hat. Aufgrund der Erkenntnisse und insbesondere in Anbetracht des Gewaltenteilungsgrundsatzes ist dann fraglich, ob die Gerichte ihre eigene Entscheidung an die Stelle einer behördlichen Ermessensentscheidung setzen dürfen. Andererseits ist in der subjektiven Rechtsschutzkonzeption des deutschen Verwaltungsrechts im allgemeinen Konsens, dass die Eigenständigkeit der Verwaltung für die Ausprägung und Anwendung des Eilrechtsschutzsystems nicht im Vordergrund steht. Auch im Zusammenhang des § 80a Abs. 3 VwGO erscheint es vertretbar, dass den Gerichten – unabhängig von den behördlichen Entscheidungen nach § 80 VwGO – im Eilverfahren eine eigene Entscheidungsbefugnis zusteht.

613 Vgl. Wieseler, Der vorläufige Rechtsschutz, S. 189; zur Heilung des Begründungsmangels oben III. 2. d) cc) (2), S. 108 f. 614 Vgl. VGH Bayern, B. v. 14.10.2016 – 7 AS 16.1895 –, Rn. 3, juris: „Bei der vom Gericht gemäß § 80 Abs. 5 VwGO zu treffenden Interessenabwägung kann nicht außer Acht gelassen werden, dass der Gesetzgeber in § 80 Abs. 2 Nrn. 1 – 3 VwGO eine generalisierende Interessenabwägung getroffen hat, wonach für bestimmte Arten von Entscheidungen ein Vorrang des öffentlichen Vollzugsinteresses statuiert wird.“ 615 Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1284, 1288; vgl. Jäde, Verwaltungsverfahren, Rn. 285; vgl. Happ, NVwZ 2005, 282, 283: Die vom BVerfG entwickelten Leitlinien zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes im Eilverfahren gem. § 80 Abs. 5 VwGO gälten unabhängig davon, ob der Sofortvollzug eines Verwaltungsakts einer gesetzlichen oder einer behördlichen Anordnung entspringe.

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C. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Suspensiveffekts

3. Die gerichtliche Entscheidung zur Aufhebung der Vollziehung Sollte der Verwaltungsakt zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO schon vollzogen sein, kann das Gericht nach § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO die Aufhebung der Vollziehung anordnen.616 § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO findet Anwendung, wenn zuerst die sofortige Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 – 4 VwGO rechtmäßig vorgenommen wurde, diese aber später durch die gerichtliche Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung unzulässig oder unbegründet wird. Umstritten ist in diesem Zusammenhang, ob bei einer rechtswidrigen sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts, gegen den bereits eine aufschiebende Wirkung eintrat, nach § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO eine Aufhebung der Vollziehung anzuordnen ist. Hierzu wird überwiegend vertreten, wenn die sofortige Vollziehung von Anfang an rechtswidrig sei, handele es sich nicht um den unmittelbaren Anwendungsbereich von § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO.617 Bezüglich § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO ist weiterhin zu erörtern, was unter der Aufhebung der Vollziehung verstanden wird. Die Aufhebung der Vollziehung bedeutet die Rückgängigmachung des Zustandes durch die erfolgten Vollzugshandlungen bzw. die Beseitigung aller Nachteile der Vollziehung.618 Die Regelung des § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO zielt dementsprechend darauf ab, für einen wirksamen vorläufigen Rechtsschutz die tatsächliche Situation mit der Rechtslage in Übereinstimmung zu bringen. Die Rückgängigmachung oder der Folgenbeseitigungsanspruch knüpfen insoweit nicht an die Rechtswidrigkeit von Eingriffsakt oder Vollstreckung, sondern an die Rechtswidrigkeit des dadurch geschaffenen Zustandes an.619 Auf welche Weise und inwieweit die Vollziehung des Verwaltungsakts beseitigt wird, steht dabei entsprechend der Kann-Formulierung des § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO im Ermessen des Gerichts.620 Bei einer Entscheidung nach § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO handelt es sich auch um eine originäre Ermessensentscheidung des Gerichts.621

616

VG München, B. v. 11. 09. 2006 – M 5 S 06.2882 –, Rn. 24, juris. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz. S. 1424. 618 Pietzner/Ronellenfitsch, Das Assessorexamen im ÖffR, § 56 Rn. 1593; vgl. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 177. Rückgabe eines beschlagnahmten Gegenstandes, Rückgabe eines einbehaltenen Führerscheins, Rückzahlung eines eingezogenen Geldbetrages usw. Davon erfasst sind auch die zusätzlichen Maßnahmen, die verhindern, dass die sofortige Vollziehung weiterläuft. 619 VG Würzburg, B. v. 16. 05. 2011 – W 5 S 11.340 –, Rn. 23, juris. 620 Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 446; VG München, B. v. 11. 09. 2006 – M 5 S 06.2882 –, Rn. 25, juris. 621 Auch VG Würzburg, B. v. 27.01.2005 – W 5 S 05.10 –, Rn. 7, juris. 617

IV. Wiederherstellung des Suspensiveffekts

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a) Das Verhältnis zwischen der „Aussetzung der Vollziehung“ und der „Aufhebung der Vollziehung“ im § 80 Abs. 5 VwGO Die Aufhebung der Vollziehung ist inhaltlich und funktionell mit der Aussetzung der Vollziehung gleichzusetzen.622 Gleichwohl kommen für beide Institute unterschiedliche Anwendungen infrage. Fraglich ist hier zunächst, ob die Behörde zur Aufhebung der Vollziehung befugt ist, bevor diese durch das Gericht im Verfahren nach § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO angeordnet wird. Bezüglich einer behördlichen Befugnis zur Aufhebung der Vollziehung findet sich in § 80 VwGO keine ausdrückliche Regelung. Dabei ist dem Wortlaut des § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO auch nicht zu entnehmen, dass lediglich das Gericht zur Aufhebung der Vollziehung befugt ist. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Behörde einerseits durch § 80 Abs. 4 VwGO für die Aussetzungsanordnung der Vollziehung zuständig ist, aber andererseits keine Befugnis zur Aufhebung der Vollziehung haben soll.623 Zutreffend wird deshalb angenommen, dass die Behörde – von Amts wegen – sowohl zur gänzlichen oder teilweisen Wiederherstellung des Suspensiveffekts als auch zur Aufhebung der Vollziehung befugt ist. Dies entspricht auch dem Grundsatz, dass die Verwaltung unmittelbar an die Grundrechte und an das Rechtsstaatsprinzip gebunden ist.624 Abgesehen davon steht noch zur Diskussion, ob sich das Verfahren nach § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO hinsichtlich seiner Maßstäbe oder Erwägungen von dem Verfahren nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO unterscheidet. Mit anderen Worten: Wenn der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung Erfolg hat, führt dies auch zu einer Begründetheit des Antrags auf Aufhebung der Vollziehung? In der Rechtsprechung wird wiederholt herausgestellt, dass die Aufhebung der Vollziehung nur dann in Betracht kommt, wenn ein Antrag auf Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO erfolgreich ist.625 In diesem Sinne ist § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO als Annexverfahren zu § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO anzusehen und kann grundsätzlich nicht isoliert betrachtet werden.626 Gleichwohl ist es nicht zwingend, dass das Gericht mit der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung auch die Vollziehung aufhebt. 622 Wieseler, Der vorläufige Rechtsschutz, S. 62; sie ist auch von der höchstrichterlichen Rechtsprechung als Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung anerkannt. BVerwG, NJW 1961, 90, 91. 623 Zur Kehrseitentheorie Haug, Staats- und Verwaltungsrecht, S. 200. 624 Die behördliche Entscheidung zur Aufhebung der Vollziehung ist auch prozessrechtlich ökonomisch. Wieseler, Der vorläufige Rechtsschutz, S. 63 f. 625 VGH Bayern, B. v. 15. 01. 2013 – 10 CS 12.1922 –, Rn. 15, juris; vgl. Hoppe, in: Eyermann, VwGO, § 80 Rn. 115 f. 626 Vgl. OVG Sachsen, B. v. 18. 07. 2019 – 5 B 451/18 –, Rn. 10, juris; OVG Lüneburg, B. v. 29.03.2019 – 13 ME 519/18 –, Rn. 13, juris; VG Sigmaringen, B. v. 13.09.2012 – 4 K 2410/12 –, Rn. 14, juris; die Anordnung der Rückgängigmachung behördlicher Vollziehungsmaßnahmen

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C. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Suspensiveffekts

Das Gericht hat demnach im Wege des Aussetzungsverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO zum Schutz der aufschiebenden Wirkung die erforderlichen Sicherungsmaßnahmen zu treffen.627 Besteht eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit des Obsiegens in der Hauptsache, entscheidet das Gericht grundsätzlich mit der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung auch zur Aufhebung der Vollziehung, wobei die Vollzugsbeseitigung im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung tatsächlich und rechtlich möglich ist.628 Das Gericht kann dennoch vergleichbar zu einer nur teilweisen Wiederherstellung seine Entscheidung im Sinne des § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO beschränken. Das heißt, dass es hier die Folgen der Aufhebung der Vollziehung ganz oder teilweise bestimmen kann. Ebenfalls ist es möglich, dass das Gericht aus Billigkeitsgründen bei der Rückwirkung nicht auf den Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Verwaltungsaktes abstellt.629 Hierbei darf nicht übersehen werden, dass ein Vollzugsfolgenbeseitungsanspruch bei Misserfolg der Hauptsache zu einem doppelten Schaden führen könnte. Im Endeffekt kann das Gericht dem Vollzugsbeseitigungsanspruch nicht nachkommen, wenn nach Abschluss eines Hauptsacheverfahrens eine Rückgängigmachung nur schwer möglich ist bzw. nur unter unzumutbaren Bedingungen für die Behörde ausgeführt werden könnte630 oder das Hauptsacheverfahren dadurch entwertet würde.631 Insbesondere in Fällen von Verwaltungsakten mit Doppelwirkung kann die spätere Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung durch das Verwaltungsgericht nicht ohne Weiteres dazu führen, dass die Vollziehung ebenfalls rückgängig gemacht wird. Vielmehr muss hierbei eine zusätzliche Prüfung gemäß §§ 80 Abs. 5 wird gegenstandslos, wenn die gerichtlich angeordnete bzw. wiederhergestellte aufschiebende Wirkung endet. OVG Sachsen, B. v. 21.07.2009 – 5 E 55/08 –, Rn. 13, juris. 627 VG Cottbus, B. v. 29. 06. 2018 – 3 L 329/18 –, Rn. 11, juris; vgl. VGH Hessen, B. v. 03.12.2002 – 8 TG 2177/02 –, juris. 628 „Die Entscheidung über die Aufhebung der Vollziehung gemäß § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO folgt grundsätzlich denselben Regeln wie die über die Aussetzung. Abzuwägen ist das öffentliche Interesse am Fortbestehen des Vollzugs gegen das Interesse des Antragstellers an der Aufhebung der Vollziehung.“ VG Schleswig, B. v. 19.12.2002 – 14 B 86/02, BeckRS 2003, 22591 Rn. 15; vgl. OVG Schleswig, E. v. 30.7.1991 – 4 M 116/91, BeckRS 9998, 82361; vgl. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 113 Rn. 88. 629 Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 169 f.; OVG Lüneburg, NVwZ 1990, 270, 271. 630 Auch VG Cottbus, B. v. 29. 06. 2018 – 3 L 329/18 –, Rn. 12, juris: „Wäre es anders, würden dem Erlaubnisinhaber schwere Nachteile entstehen dadurch, dass er eine auf der Grundlage eines ihn begünstigenden und eines anderen belastenden Verwaltungsaktes durchgeführte Maßnahmen rückgängig machen müsste, obwohl in der Hauptsachverfahren der Dritte voraussichtlich unterlegen wäre“; Des Weiteren ist für einen Folgenbeseitigungsanspruch notwendig, dass die Wiederherstellung des früheren Zustands möglich, rechtlich zulässig und zumutbar ist. VG Würzburg, B. v. 16.05.2011 – W 5 S 11.340 –, Rn. 23, juris. 631 Das private Interesse des Antragstellers an der Rückgängigmachung der Vollziehung ist – trotz eindeutig rechtswidriger Abschiebung – ausnahmsweise nicht zu überwiegen. VG Schleswig, B. v. 19.12.2002 – 14 B 86/02, BeckRS 2003, 22591 Rn. 16; unter Berufung auf den auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben nach § 242 BGB siehe OVG Nordrhein-Westfalen, B. v. 01. 12. 1988 – 18 B 1731/88 –, Rn. 6, juris.

IV. Wiederherstellung des Suspensiveffekts

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S. 3, § 80a Abs. 3 VwGO stattfinden. Das Gericht kann die Aufhebung der Vollziehung mit der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung anordnen, aber auch davon absehen und allein ohne jegliche Rückwirkung die aufschiebende Wirkung beschließen. Dafür ist eine umfassende Interessenabwägung erforderlich, bei der auch die Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu berücksichtigen sind.632 In dieser Abwägung muss noch dem allgemein im Zwangsvollstreckungsverfahren geltenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung getragen werden.633 Unter Berücksichtigung des Zwecks des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens dürfen die Vollzugsbeseitigungsmaßnahmen abhängig davon, was im Sinne der Abwägung als verhältnismäßig erscheint, ganz oder teilweise nicht getroffen werden. Dementsprechend sollte das Gericht beispielsweise wegen Begründungsmangels bei der Vollziehungsanordnung nach § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO zwar die aufschiebende Wirkung wiederherstellen, aber wegen heilbaren Formfehlern bei der Vollziehungsanordnung dem Folgenbeseitigungsanspruch nicht stattgeben, weil eine solche Entscheidung unverhältnismäßig gegenüber einer Entscheidung wäre, bei der lediglich weitere Vollzugsmaßnahmen verhindert werden, ohne aber zusätzliche Maßnahmen zu treffen. Schlussendlich ist zu verdeutlichen, dass die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO bei späterem Vollzug des Verwaltungsakts keine Rückgängigmachung voraussetzt.634 Ohne Rückwirkung der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO ist eine Entscheidung nach § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO, mit der die Aufhebung der bereits erfolgten Vollziehung angeordnet wird, ausgeschlossen.635

632

Vgl. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 179, 151 f.; vgl. VGH Bayern, NJW 1983, 835, 838. 633 Dieser verlangt, das Interesse des Gläubigers an einem zügigen und wirksamen Vollstreckungszugriff und das Interesse des Schuldners an effektivem Rechtsschutz und einem möglichst maßvollen Eingriff gegeneinander abzuwägen. Wenn die Vollziehung des Verwaltungsakts im Wege der Zwangsvollstreckung erfolgt und in der Folge damit die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts nicht gegeben ist, hat das Vollstreckungsgericht die gebotene Abwägung vorzunehmen. BGH, NJOZ 2011, 153, 154 Rn. 14; vgl. dazu BGH, NJW-RR 2005, 1575, 1576. 634 Anders VG München, B. v. 11. 09. 2006 – M 5 S 06.2882 –, Rn. 25, juris. Die „KannFormulierung“ in § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO räumt dem Gericht lediglich ein Ermessen ein, wie es die Vollziehung des Verwaltungsakts beseitigt. 635 Auch OVG Bremen, B. v. 06.12. 2005 – 1 S 332/05 –, Rn. 16, juris; vgl. OVG Sachsen, U. v. 12.10.2005 – 5 B 471/04 –, juris.

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C. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Suspensiveffekts

b) Faktische Vollziehung Wird der Verwaltungsakt trotz vorhandener aufschiebender Wirkung vollzogen, liegt nicht stets ein Fall des § 80 Abs. 2 VwGO vor.636 Vielmehr geht es im vorliegenden Fall um eine sogenannte faktische Vollziehung. Der Ausdruck der faktischen Vollziehung wird vor allem normativ verstanden und meint daher die schlichte (rechtswidrige) Nichtbeachtung oder bewusste Missachtung der gemäß § 80 Abs. 1 VwGO bestehenden aufschiebenden Wirkung seitens der Behörde.637 Daher soll verdeutlicht werden, ob § 80 Abs. 5 VwGO hier noch unmittelbar oder analog anwendbar ist.638 In Literatur und Rechtsprechung wird überwiegend vertreten, dass das Gericht in entsprechender Anwendung der §§ 80 Abs. 5 S. 1 und 80a Abs. 3 VwGO die aufschiebende Wirkung wiederherstellen bzw. feststellen kann, wenn der Verwaltungsakt faktisch vollzogen wird oder eine solche Vollziehung droht.639 Einer anderen Ansicht zufolge kommt bei der faktischen Vollziehung nur eine analoge Anwendung des § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO in Betracht,640 weil es hier nicht um die Wiederherstellung, sondern vielmehr um die Feststellung des Eintrittes des Suspensiveffekts nach § 80 Abs. 1 VwGO geht.641 Eine unmittelbare Anwendung scheide aus, weil kein Sinn darin besteht, den Suspensiveffekt dort, wo er bereits durch Gesetz eintritt und nicht ausgeschlossen ist, nochmals durch die Gerichte wiederherzustellen.642 Wie ein faktischer Vollzug führt auch die drohende faktische 636

Vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, B. v. 10.04.2019 – 13 B 293/19 –, Rn. 4, juris; auch VG Berlin, B. v. 21.03.2019 – 4 L 46.18 –, Rn. 37, juris; vgl. BVerwG, B. v. 04.07.2012 – BVerwG 9 VR 6.12 –, Rn. 5, juris. 637 OVG Sachsen-Anhalt, B. v. 18. 10. 2004 – 3 M 265/04 –, Rn. 15, juris; verkennt die Behörde den Suspensiveffekt nach § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO und will die angefochtene Nebenbestimmung – ohne Anordnung des Sofortvollzuges – vollziehen, liegt ein klassischer Fall des faktischen Vollzuges vor. Verwaltungsprozessualer Eilrechtsschutz ist dann mittels eines Antrags auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung analog § 80 Abs. 5 VwGO statthaft. Hellriegel/Malmendier, DVBl 2010, 486, 486; bei isoliert angefochtener Nebenbestimmung OVG Magdeburg, NVwZ-RR 2009, 239 ff.; vgl. Grzechca, NZBau 2009, 437, 437. 638 „Ein Antrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung entsprechend § 80 Abs. 5 VwGO ist in der Rechtsprechung anerkannt, wobei die Meinungen darüber auseinander gehen, ob § 80 Abs. 5 Satz 1 analog oder § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO entsprechend anzuwenden ist.“ VG Neustadt, B. v. 27. 04. 2010 – 4 L 357/10.NW –, Rn. 2, juris. 639 BVerwG, B. v. 04.07.2012 – 9 VR 6/12 –, Rn. 5, juris; OVG Mu¨ nster, NuR 2018, 137, 137; VGH Mannheim, B. v. 13.12.2016 – 6 S 346/16, Rn. 2, juris; OVG Greifswald, B. v. 2.12.2014 – 3 M 51/14 –, Rn. 20 juris; vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, B. v. 24.09.2009 – 8 B 1344/09.AK –, juris; vgl. VG Bayreuth, B. v. 04.05.2017 – B 5 S 17.274 –, Rn. 15, juris; vgl. Scholz, Die aufschiebende Wirkung, S. 213 f. 640 Beckmann, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 226. 641 Vgl. Cottbus, B. v. 18.04.2019 – 6 L 327/16 –, Rn. 3, juris; vgl. Schenke, DVBl. 1986, 9, 10. 642 Hier ist ein Antrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung gem. §§ 80a III, 80 V 1 VwGO analog statthaft. OVG Münster, NVwZ-RR 2008, 757 ff.; auch OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 25.05.2016 – OVG 3 S 23.16 –, Rn. 6, juris; VG Berlin, B. v. 21.03.2019 – 4 L

IV. Wiederherstellung des Suspensiveffekts

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Vollziehung643 nach dieser Ansicht herbei, dass das Gericht in analoger Anwendung des § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO feststellen kann,644 die aufschiebende Wirkung sei im Fall der Rechtsbehelfseinlegung eingetreten.645 Ob hierbei § 123 VwGO vorzugsweise anwendbar ist, ist weiterhin umstritten. Es ginge vor allem aus praktischen Erwägungen zulasten des Antragstellers, sich hier anstatt nach § 80 Abs. 5 VwGO nach § 123 VwGO zu richten.646 Nach § 123 VwGO muss der Antragsteller als die beweisbelastete Partei einen Anordnungsgrund und auch einen Anordnungsanspruch darlegen. Hingegen muss nach § 80 Abs. 5 VwGO die Behörde beweisen, dass ein besonderes öffentliches oder privates Interesse an der sofortigen Vollziehung besteht.647 Dabei enthält § 123 VwGO keine § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO entsprechende Regelung eines Folgenbeseitigungsanspruchs. Bei faktischer Vollziehung wird insoweit die Anwendbarkeit des § 123 VwGO abgelehnt.648 Die „faktische Vollziehung“ stellt geradezu einen Grenzfall in den Rechtsschutzzonen des einstweiligen Anordnungsverfahrens und des Aussetzungsverfahrens dar. Soweit nach summarischer Prüfung ersichtlich ist, dass es sich bei der angefochtenen Maßnahme um eine solche mit Verwaltungsaktqualität handelt, sind Rechtsprechung und Literatur sich darüber einig, dass vorläufiger Rechtsschutz bei faktischer Vollziehung zumindest analog § 80 Abs. 5 VwGO, der das Vorliegen eines Verwaltungsaktes als Grundlage der erfolgten oder drohenden Vollziehungshandlung voraussetzt, erlangt werden kann. Andernfalls kann vorläufiger Rechtsschutz über § 123 Abs. 1 VwGO gewährt werden.649 Im Ergebnis besteht kein Zweifel darüber, dass das Gericht bei einer faktischen Vollziehung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO die Entscheidung treffen kann, die aufschiebende Wirkung wiederherzustellen. Der theoretische Streit über die entsprechende oder analoge Anwendung des § 80 Abs. 5 VwGO führt dabei nicht zu erheblichen Folgen in der Praxis. Eine Feststellung, ob von Anfang an die Vollziehung rechtswidrig vorgenommen wird bzw. eine unwirksame Vollziehungsanordnung 46.18 –, Rn. 37, juris; VG Neustadt, B. v. 22.02.2017 – 4 L 165/17.NW –, juris; OVG Mu¨ nster, B. v. 15. 12. 2000 – 21 B 1540/00, juris; vgl. OVG Nordhein-Westfalen, B. v. 29.05.2008 – 10 B 616/08 –, Rn. 3 f., juris; Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 80 Rn. 352, 356; Schenke, DVBl. 1986, 9, 11; Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 158. 643 Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 164; vgl. Beckmann, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 226. 644 Scholz, Die aufschiebende Wirkung, S. 216 f. 645 VG München, B. v. 10.07.2018 – M 26 S 18.31528 – Rn. 13, juris; OVG Sachsen-Anhalt, B. v. 18. 10. 2004 – 3 M 265/04 –, Rn. 15, juris. 646 § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO hat verfahrensrechtliche Bedeutung und erleichtert eine prozessuale Geltendmachung. OVG Hamburg, B. v. 06. 07. 2018 – 3 Bs 97/18 –, juris; auch VGH Bayern, B. v. 28.01.2016 – 10 CE 15.2653 –, juris. 647 Niedzwicki, JuS 2010, 695, 697. 648 OVG Hamburg, B. v. 06. 07. 2018 – 3 Bs 97/18 –, Rn. 20, juris; vgl. VGH Bayern, B. v. 28.01.2016 – 10 CE 15.2653 –, juris. 649 OVG Sachsen-Anhalt, B. v. 18. 10. 2004 – 3 M 265/04 –, Rn. 15, juris.

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C. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Suspensiveffekts

vorliegt, kann allerdings die Erwägungen des Gerichts zur Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO beeinflussen. Bei der bloßen Feststellung der (bereits eingetretenen) aufschiebenden Wirkung bedarf es grundsätzlich keiner Ermessenserwägungen des Gerichts, um ein überwiegendes Interesse an der aufschiebenden Wirkung darzustellen. Nach der Feststellung der aufschiebenden Wirkung kann das Gericht aber gleichwohl, besonders auf Antrag eines Dritten, eine Abwägung nach der Rechtsund Sachlage vornehmen, um festzustellen, ob das überwiegende Interesse zum Entscheidungszeitpunkt an der sofortigen Vollziehung besteht. aa) Die Problematik der Feststellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO Die gerichtliche Feststellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO stellt keine vollstreckbare und gestaltende Entscheidung, sondern nur eine Feststellungsentscheidung dar.650 Daher stellt sich die Frage, ob oder wie die Vollzugsfolgen verhindert oder beseitigt werden können, wenn die gerichtliche Entscheidung selbst nicht vollstreckbar ist. Häufig wird hier die Ansicht vertreten, wonach das Gericht neben der Feststellung der aufschiebenden Wirkung die Rückgängigmachung der Vollziehung gemäß § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO anordnen kann.651 Dadurch kann das Gericht die Behörde zur Unterlassung der Vollziehung und/oder zur Beseitigung der erfolgten Maßnahmen verpflichten.652 Die nach § 80 Abs. 5 VwGO getroffene Feststellungsentscheidung schließt ein weiteres Verfahren gemäß § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO nicht aus. Das Gericht kann im Aussetzungsverfahren nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO auf Antrag eine Nebenentscheidung, in der festgestellt wird, ob und in welchem Umfang die Vollziehung rückgängig gemacht werden muss, treffen. Eine solche Entscheidung ist dann nach einer entsprechenden Anwendung des § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO ein gestaltender und vollstreckbarer Titel.653 650

Renck, BayVBl. 1994, 161, 166. Auch Proppe, JA 1996, 332, 338, juris; Annexantrag auf gerichtliche Vollzugsfolgenbeseitigung Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 150. 652 Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 164; bei faktischer Vollziehung eines Verwaltungsakts mit Drittwirkung trotz gesetzlichen Eintritts der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 1 VwGO kann das Gericht in analoger Anwendung des § 80a Abs. 3 S. 1, Abs. 1 Nr. 2, Alt. 2 VwGO die Behörde zur Unterlassung der Vollziehung verpflichten. VGH Bayern, B. v. 27.03.2014 – 8 CS 13.1013 –, Rn. 31, juris. 653 Auch OVG Sachsen-Anhalt, B. v. 03. 01. 2007 – 2 M 354/06 –, juris; dazu VGH Bayern, B. v. 30.07.2018 – 10 CE 18.769, 10 CS 18.773 –, Rn. 15, juris. „Der Antragsteller kann sein Begehren zur Rückgängigmachung der Folgen seiner Abschiebung in zulässiger Weise, mit seiner Beschwerde im Aussetzungsverfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO, erweitert um den Antrag auf Vollzugsfolgenbeseitigung nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO als unselbständiges Annexverfahren verfolgen“; vgl. VGH Bayern, B. v. 14.12.2009 – 22 CS 07.1502 – Rn. 14, juris. 651

IV. Wiederherstellung des Suspensiveffekts

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Nach einer weiteren Ansicht wird bejaht, dass ein Anspruch auf Vollzugsfolgenbeseitigung neben § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO auch analog § 113 Abs. 1 S. 2 VwGO654 bzw. nach §§ 80a Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 80 Abs. 4 VwGO zu erlangen ist.655 Im Ergebnis hat § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO – ebenso wie § 113 Abs. 1 S. 2 VwGO – lediglich eine verfahrensrechtliche Funktion und ermöglicht die Beseitigung bereits eingetretener Vollzugsfolgen im Falle der (späteren) Herstellung der aufschiebenden Wirkung,ohne dass ein andernfalls erforderlicher Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO gestellt werden müsste.656 bb) Der Rechtscharakter der gerichtlichen Entscheidung bei einer faktischen Vollziehung Bei der faktischen Vollziehung geht es vor allem um die Feststellung der aufschiebenden Wirkung, die rechtlich schon eingetreten ist. Daher stellt sich die Frage, ob das Gericht hierbei im Rahmen von § 80 Abs. 5 VwGO eine eigene Ermessensentscheidung treffen darf. Die Feststellung der aufschiebenden Wirkung müsste im Grunde den ursprünglichen Zustand, der gemäß § 80 Abs. 1 VwGO eintritt, herstellen. Gemäß § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO soll dabei die tatsächliche Situation mit der Rechtslage nach § 80 Abs. 1 VwGO (i. V. m. § 80 Abs. 5 VwGO) in Einklang gebracht werden. Demnach müssen die zusätzlichen Voraussetzungen für einen materiellen Folgenbeseitigungsanspruch nicht vorliegen.657 Dagegen spricht, dass das Gericht im Aussetzungsverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO immer eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen hat, was einer analogen Anwendung des § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO entgegensteht.658 Daraus ist zu folgern, dass das Gericht Ermessenserwägungen auch bei der faktischen Vollziehung vornehmen kann. Dies ist insbesondere dadurch erklärbar, dass eine Feststellung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO das gesamte Verfahren des Abs. 5 nicht abschließt. Nach einer Interessenabwägung kann das Gericht trotz einer

654

Martens, Suspensiveffekt, S. 20. VGH Bayern, B. v. 15.11.2018 – 21 CE 18.854 –, Rn. 26, juris. 656 VGH Bayern, B. v. 30. 07. 2018 – 10 CE 18.769, 10 CS 18.773 –, Rn. 15, juris; vgl. VGH Bayern, B. v. 15.11.2018 – 21 CE 18.854 –, Rn. 55. Die materielle Grundlage für einen solchen Anspruch bildet aber der allgemeine Folgenbeseitigungsanspruch. 657 Wenn § 80 Abs. 1 VwGO die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs ungeachtet der materiellen Rechtslage eintreten lässt und bei faktischer Vollziehung mit einer Feststellungsentscheidung nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO die aufschiebende Wirkung hergestellt werden soll, muss auch die Annexregelung des § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO unmittelbar anwendbar sein. Dazu VG München, B. v. 11.09.2006 – M 5 S 06.2882 –, Rn. 25, juris; auch OVG SachsenAnhalt, B. v. 25. 02. 2004 – 2 M 58/04 –, Rn. 4, juris. 658 Vgl. Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz (1998), § 45 Rn. 981; auch Jäde, Verwaltungsverfahren, Rn. 294. 655

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C. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Suspensiveffekts

Feststellung der aufschiebenden Wirkung von der Herstellung des Suspensiveffekts oder der Aufhebung der Vollziehung absehen. Schließlich hat das Gericht bei seiner Entscheidung, ob es im Fall der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs eine Rückgängigmachung der Vollziehung anordnet, sein Ermessen in der Regel zugunsten des Antragstellers auszuüben. Ausnahmsweise kann das Gericht jedoch dem öffentlichen Interesse oder dem privaten Interesse Dritter am weiteren Bestand des Vollzugs den Vorrang einräumen. Wenn Vollzugshandlungen bereits vor Einlegung eines Rechtsbehelfs und damit vor Eintritt der aufschiebenden Wirkung vorgenommen wurden, kann es folglich nach den zu § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO entwickelten Rechtsgrundsätzen auf eine Interessenabwägung abstellen.659 4. Folgenbeseitigungsanspruch Das Verfahren nach § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO enthält auch den Anspruch des Antragstellers auf Rückgängigmachung der Vollziehung. Rückgängigmachung bedeutet die Beseitigung der unmittelbaren Folgen von Vollziehungshandlungen.660 Der Folgenbeseitigungsanspruch gilt dabei auch, wenn der Verwaltungsakt vor Rechtsbehelfseinlegung rechtmäßig vollzogen worden ist. Dann schafft der Eintritt des Suspensiveffekt eines Rechtsbehelfs die Rückwirkung der Rechtslage vor Vollzug.661 Die Folgenbeseitigung nach § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO ist nicht nur beim behördlichen Vollzug einschlägig, sondern gilt auch beim Vollzug von Dritten bzw. beim Gebrauchmachen von einer privaten Begünstigung.662 Hingegen werden von § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO keine Maßnahmen erfasst, die nicht unter die Rechtswegzuständigkeit der Verwaltungsgerichte fallen663, wie Strafverfolgungsmaßnahmen oder zivilrechtliche Folgemaßnahmen.664

659

OVG Sachsen-Anhalt, B. v. 03.01.2007 – 2 M 354/06 –, Rn. 3, juris. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 177. 661 Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1429; Scholz, Die aufschiebende Wirkung, S. 217 f. 662 Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 153. 663 Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 179. 664 Ein Folgenbeseitigungsanspruch entfällt hier, da er die Schaffung eines rechtswidrigen Zustandes durch rechtswidriges Verwaltungshandeln voraussetzt und es bereits an der Rechtswidrigkeit des hoheitlichen Eingriffs fehlt. VG Regensburg, B. v. 18. 02. 2000 – RO 7 S 00.261 –, Rn. 58, juris. 660

IV. Wiederherstellung des Suspensiveffekts

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Im Übrigen gehört auch ein erledigter Verwaltungsakt nicht zum Gegenstand des § 80 Abs. 5 VwGO,665 sondern vielmehr zum Gegenstand des § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO.666 Die Vollzugsfolgenbeseitigung findet ihre Grenze dann, wenn sie im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung tatsächlich oder rechtlich nicht möglich ist oder nur unter unzumutbaren Bedingungen für die Behörde durchgeführt werden könnte.667 5. Schadenersatzanspruch Wegen unberechtigter Vollstreckung steht dem Belasteten neben der Folgenbeseitigung ein Schadenersatzanspruch bzw. Amtshaftungsanspruch668 zu.669 Ein Schadenersatzanspruch ist in § 80 VwGO nicht vorgeschrieben. Dagegen sind die Ansprüche entsprechend § 123 VwGO und § 945 ZPO hier statthaft.670 Es besteht ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch, wenn die Eintreibung im Rahmen einer unrechtmäßigen Vollstreckung erfolgt ist. Der Anspruch kann mit der allgemeinen Leistungsklage geltend gemacht werden, auch wenn eine Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gemäß § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO möglich ist.671 6. Rechtsfolgen der gerichtlichen Aussetzungsentscheidung Die durch das Gericht angeordnete bzw. wiederhergestellte aufschiebende Wirkung zeigt keine andere Wirkung als der Suspensiveffekt, der kraft Gesetzes eintritt.672 Anders als eine automatische aufschiebende Wirkung tritt diese Wirkung aber nicht mit der Antragstellung, sondern erst mit der gerichtlichen Entscheidung ein. Das heißt, dass für den Vollzug in der Zeit zwischen der Antragstellung und der

665

Die Abschiebung hat mit ihrer Durchführung ihre Erledigung gefunden. Allein durch Aufhebung der Vollziehungsmaßnahmen ließe sich die Herstellung des früheren faktischen Zustandes nicht erreichen. OVG Berlin, B. v. 13. 05. 2002 – 8 S 16.02 –, Rn. 14, juris. 666 Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1427; würde die aufschiebende Wirkung bei einem erfolgten Abriss wiederhergestellt werden, käme nicht die Aufhebung der Vollziehung durch einen Wiederaufbau in Betracht. Beckmann, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 254. 667 Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 113 Rn. 87; vgl. VG Schleswig-Holstein, B. v. 19. 12. 2002 – 14 B 86/02 –, Rn. 17, juris. 668 Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 202. 669 Renck, BayVBl. 1994, 161, 166. 670 Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 208. 671 VG Braunschweig, U. v. 31.10.2001 – 8 A 494/00 –, juris. 672 Wieseler, Der vorläufige Rechtsschutz, S. 89.

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C. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Suspensiveffekts

gerichtlichen Entscheidung im Rahmen von § 80 Abs. 5 VwGO keine Hindernisse bestehen.673 Des Weiteren wirkt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung grundsätzlich ex tunc.674 Der Beschluss, in dem das Gericht nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen einen belastenden Verwaltungsakt anordnet, wirkt dementsprechend generell auf den Zeitpunkt seines Erlasses zurück. Das ergibt sich im Wesentlichen aus dem systematischen Zusammenhang der Absätze 1, 2 und 5 des § 80 VwGO.675 Dieser Grundsatz der Rückwirkung schließt aber nicht aus, dass das Verwaltungsgericht im Einzelfall in seinem Beschluss einen späteren Zeitpunkt festlegt.676 Daneben ist auch die Anordnung der Aufhebung der Vollziehung im Sinne des § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO nur sinnvoll, wenn der Vollzug des Verwaltungsakts rückgängig gemacht wird. Die Aufhebung der Vollziehung und die aufschiebende Wirkung werden insoweit gedanklich gleichgesetzt. Gleichwohl kann das Gericht seine Entscheidung zur Rückwirkung einschränken.677 Bei einem Verwaltungsakt mit Dauerwirkung wie beispielsweise einer Entlassung aus dem Beamtenverhältnis wirkt dann die Aufhebung der Vollziehung nur als weitere Gehaltszahlung ex nunc.678 Die gerichtliche Aussetzungsentscheidung im Sinne des § 80 Abs. 5 VwGO verhindert, dass die Behörde die sofortige Vollziehung desselben Verwaltungsakts wieder anordnet, auch wenn sich die tatsächlichen oder rechtlichen Umstände verändert haben. Hierbei steht der Behörde die Möglichkeit zu, nach § 80 Abs. 7 VwGO die gerichtliche Aussetzungsentscheidung aufzuheben oder zu ändern.679 Dafür müsste sich die tatsächliche oder rechtliche Lage aber erheblich geändert haben.680

673 Funke-Kaiser, in: Bader/Funke-Kaiser/Stulfauth/v. Albedyll, VwGO, § 80 Rn. 116; dagegen Beckmann, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 253 f. Unter dem Gesichtspunkt des Art. 19 Abs. 4 GG ist vertretbar, dass während dieser Zeit die Behörde einen streitbezogenen Verwaltungsakt nicht vollziehen sollte, wenn ein gerichtliches Aussetzungsverfahren wegen etwa vollendeten Tatsachen eines sofortigen Vollzugs leerlaufen würde; vgl. Haibach DÖV 1996, 60, 64. 674 Proppe, JA 1996, 332, 335. 675 OVG Sachsen, U. v. 12. 10. 2005 – 5 B 471/04 –, Rn. 17, juris. 676 OVG Sachsen, U. v. 12. 10. 2005 – 5 B 471/04 –, Rn. 23, juris. 677 Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 169 f.; auch BVerwG, NVwZ 2016, 1333, 1334; OVG Greifswald, NVwZ- RR 2017, 123, 124. 678 Vgl. Wieseler, Der vorläufige Rechtsschutz, S. 67, 88. 679 Jäde, Verwaltungsverfahren, Rn. 286 f. 680 Dazu OVG Münster, NJW 1977, 726, 726; vgl. OVG Münster, NJW 1978, 182 ff.; OVG Koblenz, NJW 1981, 364.

IV. Wiederherstellung des Suspensiveffekts

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7. Beschwerdemöglichkeit gegen Beschlüsse im Aussetzungsverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO Den Beteiligten des Aussetzungsverfahrens steht noch die Möglichkeit der Beschwerde gemäß § 146 Abs. 4 VwGO zu. Gegen die Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts über eine Beschwerde sind weitere Rechtsbehelfe nicht gegeben. Die Beteiligten können dabei gemäß § 80 Abs. 7 S. 2 VwGO auf eine Änderung der Entscheidung hinwirken.681 Ebenso kann das Gericht nach § 80 Abs. 7 S. 1 VwGO – von Amts wegen – den Beschluss nach § 80 Abs. 5 VwGO jederzeit abändern und aufheben. Die Ablehnung einer Anregung auf Änderung eines Beschlusses im Aussetzungsverfahren von Amts wegen nach § 80 Abs. 7 S. 1 VwGO ist – im Gegensatz zur Ablehnung eines Abänderungsantrags nach § 80 Abs. 2 S. 2 VwGO – mit dem Rechtsmittel der Beschwerde aber nicht anfechtbar.682 8. Die Problematik der Nichtbeachtung des gerichtlich hergestellten Suspensiveffekts durch Behörden oder durch Dritte Die Beschlüsse nach § 80 Abs. 5 VwGO sind gemäß § 168 Abs. 1 Nr. 1 VwGO grundsätzlich Vollstreckungstitel und ohne Weiteres vollstreckbar. Weiterhin bleibt aber fraglich, wie Beschlüsse, die keinen vollstreckbaren Inhalt aufweisen, sowie gestaltende oder feststellende Entscheidungen bei Nichtbeachtung durch die Behörde oder Dritte durchgesetzt werden können.683 Bei Nichtbeachtung der gerichtlich angeordneten bzw. wiederhergestellten aufschiebenden Wirkung steht dem Betroffenen nur die Möglichkeit zu, in einem neuen Verfahren die Verwaltung durch das Gericht analog § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO zur Unterlassung der Vollziehung verpflichten zu lassen.684 Aber eine solche Entscheidung ist auch nicht vollstreckbar.685 681

Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 187 ff. VGH Kassel, NVwZ 2012, 710, 710; VGH Hessen, B. v. 16. 02. 2012 – 6 B 2464/11 –, Rn. 17, juris; Hoppe, in: Eyermann, VwGO, § 80 Rn. 137; Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 186; Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 198 ff. 683 Es gebe solche Fälle, aber es handele sich um „Ausnahmefälle“. Dazu DAV-Expertenrunde zur Causa Sami A. und ihren Folgen Sehl, Wenn die Politik das letzte Wort hat, in: LTO; Debatte nach Abschiebung von Sami A. Podolski, Was ist mit dem Recht, lieber Staat?, in: LTO; auch Podolski, Stadt Wetzlar widersetzt sich dem BVerfG, in: LTO. 684 Vgl. VG Gelsenkirchen, B. v. 13.07.2018 – 8 L 1315/18 –, Rn. 25, juris: Eine Abschiebung, die Abschiebungshindernisse missachtet und daher rechtswidrig ist, kann bereits im Allgemeinen aus Gründen effektiven Rechtsschutzes nicht die Sperrwirkung für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 11 Abs. 1 AufenthG a. E. entfalten; dazu VG Gelsenkirchen, B. v. 12.07.2018 – 7a L 1200/18.A –, juris; vgl. auch VG Stuttgart, U. v. 26.07.2017 – 13 K 5412/ 15 –, juris. 685 Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 205 ff. 682

182

C. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Suspensiveffekts

Zu diesem Punkt ist anzumerken, dass einerseits die Vollstreckung von Verwaltungsakten im Ermessen der Behörde steht,686 aber andererseits der Verwaltung kein Ermessen darüber eingeräumt wird, ob die Beschlüsse im Sinne des § 80 Abs. 5 VwGO, die nicht vollstreckbar sind, durchgesetzt werden.687 Bei der Nichtbeachtung oder beim Unterlassen der gerichtlichen Entscheidungen sind in diesem Sinne die Staatshaftungsansprüche in Betracht zu ziehen.688 Letztendlich bedarf es einer gesetzlichen Grundlage, nach der das Gericht die Maßnahme, deren Vollstreckung von der Behörde verweigert wird, selbst anordnen kann, soweit es nicht um das Auswahlermessen der Behörde geht.689

9. Vereinheitlichung des Aussetzungsverfahrens im Rahmen von § 80 VwGO Wie bereits erwähnt, ist die Terminologie des § 80 VwGO, insbesondere bezüglich Aussetzungsverfahren, unklar und uneinheitlich. Es bietet sich daher an, dass die Regelungen des § 80 Abs. 4 und 5 VwGO für eine klare und einheitliche Verwendung unter einer Regelung der Aussetzung der Vollziehung simplifiziert und konfiguriert werden. Anschließend besteht kein Bedürfnis für eine begriffliche Abgrenzung zwischen der Herstellung oder der Anordnung der aufschiebenden Wirkung im § 80 Abs. 5 VwGO, weil sich daraus keine erheblichen praktischen Folgen ergeben. Eine Abgrenzung kann lediglich in Bezug auf die faktische Vollziehung angebracht sein, da bei ihr, im Unterschied zum Aussetzungsverfahren, kein Fall des § 80 Abs. 2 VwGO vorliegt. Die Regelungen in § 80 VwGO bedürfen keiner weiteren Erweiterungen, sondern vielmehr einer Vereinfachung und Verkürzung. Daneben ist bei § 80 Abs. 6 VwGO entgegen seiner ausführlichen Ausgestaltung eine spürbare praktische Bedeutung nicht zu sehen. Nach dieser Regelung kann das Gericht in den Fällen des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO die Aussetzung der Vollziehung erst anordnen, wenn die Behörde gemäß § 80 Abs. 4 VwGO die Aussetzung der Vollziehung teilweise oder ganz ablehnt. Weiterhin enthält sie auch eine Aus686

Vgl. VG München, B. v. 20. 04. 2006 – M 16 S 06.1322 –, Rn. 33, juris. Vgl. Schenke, DVBl. 1986, 9, 14. 688 VG München hat den Freistaat Bayern zu einem Zwangsgeld von 4.000 Euro verurteilt, weil er die Umsetzung eines gerichtlichen Urteils missachtete. VG München, B. v. 29.01.2018 – M 19 X 17.5464 –, juris; Die Missachtung der Entscheidung des VG Gießen v. 20. 12. 2017 (8 L 9187/17.GI) bzgl. der Überlassung der Stadthalle zur Durchführung einer Wahlkampfveranstaltung ist in einem Hauptsacheverfahren voraussichtlich als Verletzung von Art 8 Abs. 1 GG i. V. m. Art 20 Abs. 3, Art 19 Abs. 4 GG zu bewerten. BVerfG, e. A. v. 24. 03. 2018 – 1 BvQ 18/ 18 –, Rn. 5, juris. 689 Siehe schon C., Fn. 683; Verstoßen gerichtlich angeordnete Fahrverbote gegen die Gewaltenteilung? VG München zum Konzept für Dieselfahrverbote: Bayern missachtet gerichtliche Anordnung, in: LTO, 29. 01. 2018, online unter: https://www.lto.de/persistent/a_id/2 6739/ (abgerufen am: 12. 06. 2020). 687

V. Fazit

183

nahmeregelung, die dann greift, wenn die Vollstreckung droht oder die Behörde keine sachliche Entscheidung über den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung in angemessener Zeit trifft. Dabei wird in der Literatur die Auffassung vertreten, es handele sich bei § 80 Abs. 6 VwGO um eine Regelung, die aus fiskalischen Gründen die Effektivität des gerichtlichen Rechtsschutzes einschränkt. Die gesetzgeberische Absicht gehe dahin, dass die Ausnahme des Suspensiveffekts nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO mit dem Mittel der Aussetzung der Vollziehung weniger durchbrochen wird.690 Es besteht allerdings kein Anlass durch § 80 Abs. 6 VwGO den Fall des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO, im Unterschied zu anderen Fällen des § 80 Abs. 2 VwGO, unter besondere Umstände zu stellen. § 80 VwGO bietet ohnehin auch zwischen dem Suspensiveffekt und der sofortigen Vollziehung einen angemessenen Mechanismus. Abschließend lässt sich sagen, dass eine einheitliche Regelung im Rahmen des § 80 VwGO, die für alle Ausnahmefälle des Suspensiveffekts gleichermaßen anwendbar ist, welche begriffliche Unklarheiten ausräumt und für das Aussetzungsverfahren bestimmte Maßstäbe aufstellt, in ihrer Anwendung durch Gerichte und Behörden praktisch wertvoller sein würde und besser geeignet wäre, den materiellen Anspruch des Bürgers auf einen effektiven Rechtsschutz zu erfüllen.

V. Fazit Nach den dargestellten Untersuchungen lässt sich zuerst konstatieren, dass der Suspensiveffekt eine prozessuale Berechtigung für die Gewährung eines subjektiv öffentlichen Rechts ist. Vereinfacht bedeutet der Suspensiveffekt, dass die rechtlichen und tatsächlichen Folgerungen hoheitlicher Maßnahmen ausgeschlossen werden, bis sie unanfechtbar geworden sind.691 Unter die hoheitliche Rechtsanwendung fällt dabei kein privatrechtliches Handeln der Verwaltung oder die Wahrnehmung der Aufgaben durch privatrechtlich organisierte Personen.692 Der Suspensiveffekt hat in diesem Zusammenhang eine verfassungsrechtliche Bedeutung, und sodann ist er als ein Grundsatz des deutschen Verwaltungsprozessrechts anerkannt.693 Der Grundsatz gilt vor allem in Anfechtungsfällen, in denen § 80 Abs. 1 VwGO Anwendung findet, und drückt aus, dass der Verwaltungsakt mit seinem Wirksamwerden nicht sofort durchgesetzt werden kann.

690 Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 138; im Einklang mit der Entstehungsgeschichte, BT-Dr 11/7030, 25. 691 Vgl. Wieseler, Der vorläufige Rechtsschutz, S. 32. 692 Es sei denn, es geht bei verwaltungsprivatrechtlichem Handeln um eine Flucht ins Privatrecht. Vgl. Windthorst, Der verwaltungsgerichtliche einstweilige Rechtsschutz; vgl. Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 22; vgl. Steinweg, Zeitlicher Regelungsgehalt des VA, S. 59. 693 Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1125; Renck, NVwZ, 338, 339.

184

C. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Suspensiveffekts

Von dem dargestellten Grundsatz der aufschiebenden Wirkung gibt es aber auch Ausnahmen. Die aufschiebende Wirkung kann demnach zum einen durch Gesetz für bestimmte Arten von Verwaltungsakten oder für bestimmte spezielle Fachbereiche entfallen.694 Zum anderen kann sie auch einzelfallabhängig durch die jeweils zuständige Behörde ausgeschlossen werden und zwar dann, wenn ein besonderes öffentliches oder privates Vollzugsinteresse vorliegt und gegenüber dem Aussetzungsinteresse überwiegt.695 Dieser Grundsatz und seine Ausnahmen, die im § 80 VwGO verortet sind, bilden ein Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen Suspensiveffekt und sofortiger Vollziehung, wodurch die gesetzlichen Anforderungen des § 80 VwGO interpretiert und verdeutlicht werden können. Aus diesen gesetzlichen Anforderungen ergibt sich, dass die Regelungen des § 80 VwGO nicht derart Verwendung finden dürfen, dass sie sich gegenseitig ihrer normativen Wirkung berauben und die gesetzliche Intention schmälern. Vielmehr sind die Regelungen des § 80 VwGO so zu verstehen, dass sie einer Systematik unterliegen und erst aufgrund einer besonderen Begründung durchbrochen werden können.696 Im Ergebnis bedeutet das, dass die in § 80 VwGO statuierten Regel-Ausnahmebestimmungen auf einen Ausgleich zwischen konfligierenden Rechten und Interessen abzielen und eine gesetzgeberische Interessenbewertung darstellen. Im Hinblick auf diesen Ausgleich bietet § 80 VwGO weiterhin einen behördlichen und gerichtlichen Rechtsschutz an, durch den die Betroffenen bei einem normativen oder behördlichen Ausschluss des Suspensiveffekts diesen wiederherstellen lassen können.697 Dies stellt generell ein Aussetzungsverfahren dar, welches konkret durch § 80 Abs. 4 VwGO und sowie § 80 Abs. 5 VwGO vorgeschrieben ist, in dem auch die Rückgängigmachung der Vollziehungsmaßnahmen möglich ist. Wie der Suspensiveffekt ist die Aussetzung der Vollziehung indes kein reines prozessuales Institut. Vielmehr bedarf es im Aussetzungsverfahren einer materiellrechtlichen (summarischen) Prüfung, ob das gemäß § 80 Abs. 2 VwGO dargelegte besondere Vollzugsinteresse anhand einer konkreten Interessenabwägung gerechtfertigt ist.698 Ein Aussetzungsverfahren ist folglich grundsätzlich zum Hauptsacheverfahren akzessorisch. Daher steht unter den Maßstäben, die im Aussetzungsverfahren angewendet werden können, der mutmaßliche Ausgang des Klageverfahrens im Vordergrund. Dabei ist der Grad der abstrakten oder konkreten Eilbedürftigkeit der Sache von Bedeutung. In dringenden Fällen, bei denen das Vorliegen einer abstrakten Eilbedürftigkeit genügt, können die Gerichte ferner förmliche Zwischenregelungen treffen, sodass sie sich die für eine materiell-rechtliche Prüfung benötigte Bearbeitungszeit verschaffen können.699 694 695 696 697 698 699

Siehe oben C. III. 1.; Haase, Jurispridencija 2007, 14, 16 ff. Haase, Jurispridencija 2007, 14, 16 ff. Siehe oben I. 2., S. 59 ff. Siehe oben IV., S. 119 ff. Siehe oben IV. 1. c), S. 122 ff. und 2. e), S. 141 ff. Vgl. Haase, Jurispridencija 2007, 14 ff.

V. Fazit

185

Schließlich folgen aus dem vorläufigen Rechtsschutz im Rahmen des § 80 VwGO entsprechend eines fairen und effektiven Verfahrens verschiedene Maßnahmen, die auf drei Ebenen anhand einer Interessenabwägung verwirklicht werden. Diese drei Arten der Interessenabwägung, die gesetzgeberische, behördliche sowie die gerichtliche, werden nach verschiedenen Maßstäben und Bestimmungen hintereinander vorgenommen und sind auch so mittelbar Ausdruck der Gewaltenkontrolle bzw. Gewaltenbalance und der Einrichtungsgarantie.700

700 Siehe auch oben B. VI., S. 41 ff.; zu Freiheitsrechten und institutionellen Garantien in der Reichsverfassung Schmitt, Verfassungsrechtliche Aufsätze, S. 141 ff.

D. Im Rechtsvergleich: Die Aussetzung der Vollziehung in der Türkei I. Vorbemerkung Der vorläufige Rechtsschutz gegen Einzelmaßnahmen der Exekutive wird in den meisten europäischen Länder durch die gerichtliche Aussetzung der Vollziehung gewährt.1 Der Suspensiveffekt findet sich als Regelinstitut nur in Finnland, Dänemark und einigen Schweizer Kantonen. Hingegen ist er in den anderen Staaten entweder nicht oder als seltene Ausnahme vorgesehen.2 In diesem Sinne sind der Suspensiveffekt und die Aussetzung der Vollziehung im kontinentaleuropäischen Rechtssystem als zwei grundlegend verschiedene Modelle anzusehen. Dabei gelten im Rahmen dieser Modelle in EU-Mitgliedsländern verschiedene Regelungstechniken. In Deutschland wie in Schweden wird für die Aussetzung der Vollziehung eine Interessenabwägung vorgenommen, bei der sowohl Erfolgsaussichten der Hauptsache (fumus boni juris) als auch Gefahr im Verzug (periculum in mora) als Kriterien berücksichtigt werden. Griechenland und Spanien verzichten im Aussetzungsverfahren auf das Element des fumus boni juris. Dieses Element wird in den Niederlanden hingegen lediglich neben dem Kriterium periculum in mora berücksichtigt. Auch in der Türkei, deren Rechtsordnung stark vom europäischen Recht beeinflusst wurde, hat sich die gerichtliche Aussetzung der Vollziehung als Regelinstitut etabliert.3 Verankert ist das Institut sowohl in Art. 125 der türkischen Verfassung (TVerf.) als auch in Art. 27 des türkischen Gesetzes über das Verwaltungsgerichtsverfahren (I˙YUK).4 Im Gegensatz zum Suspensiveffekt im Sinne der VwGO erfolgt die Aussetzung der Vollziehung nicht automatisch durch die bloße Klageerhebung; vielmehr kann sie auf Antrag des Klägers, in der vom Gesetz festgelegten Form und unter den gesetzlich vorgesehenen Voraussetzungen durch das Verwaltungsgericht angeordnet werden. Nach dieser Vorbemerkung werden nun die verfassungsrechtliche Einordnung und die verwaltungsrechtliche Ausgestaltung der Aussetzung der Vollziehung im türkischen Recht ausführlich untersucht. In dieser Untersuchung sollen dabei insbesondere auch die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen dem deutschen 1 2 3 4

Haibach, DÖV 1996, 60, 65 ff. Martens, Suspensiveffekt, S. 14 Fn. 46; Krumbacher, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 90 ff. v. Nieding, Die Grundlagen des Rechtsschutzes, S. 363. Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması, S. 4.

II. Entwicklungsgeschichte

187

und türkischen Recht hinsichtlich des einstweiligen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes dargestellt werden.

II. Entwicklungsgeschichte Bevor die Eigenschaften des Instituts der Aussetzung der Vollziehung näher erörtert werden, soll zunächst ein Blick auf ihre geschichtliche Entwicklung geworfen werden. In diesem Zuge ist zu diskutieren, inwieweit sich die Anforderungen an die Aussetzung der Vollziehung im türkischen Recht gewandelt haben und inwiefern das Institut in seiner jetzigen Form dem effektiven Rechtsschutz gerecht wird. Werden die Entwicklungen in diesem Zusammenhang betrachtet, zeigt sich eine erste rechtliche Erwähnung des Instituts im Staatsratsgesetz Nr. 662 der türkischen Republik (Danıs¸tay Kanunu)5, welches im Jahr 1925 in Kraft trat. Nach ihm hatte die Klageerhebung keine aufschiebende Wirkung, jedoch bestand die Möglichkeit, eine Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung durch die Judikative zu erreichen. Die Regelung blieb im Gesetz Nr. 3256 des Staatsrats aus dem Jahr 1935 unverändert bestehen.6 In das Gesetz Nr. 521 aus dem Jahr 1961, in Kraft getreten im Jahr 1964, wurde die Regelung ebenfalls übernommen und um den Zusatz ergänzt, dass im Falle der Beantragung durch eine Klagepartei die Aussetzung der Vollziehung von der Leistung einer Sicherheit abhängig gemacht werden kann.7 Der Regelung waren keinerlei Maßstäbe oder Anforderungen an die Aussetzung der Vollziehung zu entnehmen. Somit wurde der Judikative damals ein sehr weiter Ermessensspielraum eingeräumt. Das inkonsistente Verhalten des obersten Verwaltungsgerichts (Danıs¸tay) bei der Ausübung dieses Ermessens sorgte aber bei der damaligen politischen Führung für Einwände. Aus diesem Grund erfolgte eine Neuregelung, die sich an der französischen Regelungssystematik orientierte, bei welcher die Aussetzung der Vollziehung an bestimmte Voraussetzungen gebunden war.8 5

In der Vorbereitungsphase dieses Gesetzes wurden Regelungen getroffen, die direkt auf dem französischen Beispiel beruht. Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması, S. 58; dazu Duran, AI˙D 1982, 3 ff.; Aussetzungsmöglichkeit in Frankreich ist für den Conseil d’État seit dem Jahr 1806 geregelt. Cuno, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 73. 6 Apalak, SD 1998, 11, 31. 7 Durkal Erog˘ lu, AÜHFD 2016, 279, 285. 8 Vgl. Durkal Erog˘ lu, AÜHFD 2016, 279, 287; die Entwicklung in Frankreich im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert war durch eine starke Zurückhaltung gegenüber der Aussetzung von Verwaltungsakten gekennzeichnet. Dem Grundsatz des fehlenden Suspensiveffekts von Rechtsbehelfen wurde großes Gewicht beigemessen. Die Verwaltung sollte in ihrer Tätigkeit möglichst wenig behindert werden. Die allgemeinen Aussetzungsverfahren wurden restriktiv gehandhabt und waren vom Ausnahmecharakter der Aussetzung geprägt. Die erleichterten besonderen Aussetzungsverfahren blieben auf begrenzte Spezialbereiche beschränkt. Cuno, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 27.

188

D. Im Rechtsvergleich: Die Aussetzung der Vollziehung in der Türkei

Folglich wurden erstmals im Jahr 1973, mit einem Zusatzartikel zu dem Gesetz Nr. 521, bestimmte Voraussetzungen für die gerichtliche Anordnung der Aussetzung der Vollziehung festgelegt.9 Die Aussetzung der Vollziehung durfte nur dann beschlossen werden, wenn der Eintritt von schwer reparablen Nachteilen zu befürchten war oder die vorgeführten Gründe eine Anfechtung billig erscheinen ließen, was dann der Fall war, wenn die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offensichtlich waren.10 Einhergehend mit dem Militärputsch im Jahr 1980 stieß das Institut der Aussetzung der Vollziehung zunehmend auf Ressentiments, weshalb über seine Einschränkung und sogar über seinen Ausschluss nachgedacht wurde. In Folge wurde, mit Inkrafttreten des Gesetzes Nr. 2577 von 1982, der weite Ermessensspielraum, welcher den Gerichten bezüglich der Aussetzung der Vollziehung eingeräumt worden war, materiell-rechtlich eingeschränkt.11 Außerdem wurden zusätzlich formell-rechtliche Neuregelungen getroffen, die den Prozess der Aussetzung der Vollziehung erschwerten. Die Militärjunta trieb dadurch die Stärkung der Verwaltung immer weiter voran. Im Anschluss daran wurden mit einer Verfassungsänderung im Jahre 1982 die Voraussetzungen für die Aussetzung der Vollziehung streng reglementiert. Mit dieser vom heutigen Standpunkt gesehen letzten Version der türkischen Verfassung sah Art. 125 TVerf. nunmehr vor, dass eine Aussetzung der Vollziehung lediglich in Fällen drohender schwer reparabler oder irreparabler Schäden und bei einer offensichtlichen Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts angeordnet werden kann. Daneben wurde mit dieser Regelung ermöglicht, die Aussetzung der Vollziehung in den Fällen des Notstandes, der Mobilisierung und des Krieges sowie wegen der nationalen Sicherheit, öffentlichen Ordnung oder der allgemeinen Gesundheit gesetzlich einzuschränken. Diese verfassungsrechtliche Regelung stimmte mit dem Artikel 27 des Gesetzes Nr. 2577 exakt überein.12 In Art. 27 des Gesetzes Nr. 2577 wurde das Institut der Aussetzung der Vollziehung im prozessrechtlichen Sinne detailliert ausgestaltet. Die Regelung enthielt neben den materiell-rechtlichen Voraussetzungen, die auch in der Verfassung von 1982 aufgeführt wurden, noch einige formelle Voraussetzungen, die für die Anordnung der Aussetzung der Vollziehung vorliegen mussten. Demnach war der 9

Mit dem Gesetz vom 20. 09. 1971 Nr. 1418 wurde festgehalten, dass die Gerichtsbarkeitszuständigkeit gem. Art. 114 TVerf. nicht genutzt werden kann, indem die rechtmäßige Erfüllung exekutiven Handelns eingeschränkt wird und Gerichtsentscheidungen keinen Verwaltungsakt oder Verwaltungshandeln darstellen. 10 Vgl. Apalak, SD 1998, 31, 58. 11 Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması, S. 68. 12 RG (Amtsblatt) vom 20. 01. 1982 – 17580; das Gesetz Nr. 2577 (I˙YUK) wurde eigentlich vor der Verfassung aus dem Jahr 1982 erlassen und manche seiner Regelungen bezüglich der Aussetzung der Vollziehung (im Art 27 I˙YUK) wurden wörtlich in die Regelung des Art. 125 TVerf. übernommen. Tatsächlich besteht keine rangmäßige Differenzierung zwischen diesen Regelungen.

II. Entwicklungsgeschichte

189

Beschluss zur Aussetzung der Vollziehung innerhalb von 90 Tagen nach Antragstellung zu fassen und über die Hauptsache innerhalb von 60 Tagen nach Erlass des Beschlusses zu entscheiden, da andernfalls der Aussetzungsbeschluss ungültig wird. Mit dem Gesetz Nr. 2577 wurde, neben dem obersten Verwaltungsgericht, auch den Verwaltungs- und Steuergerichten,13 als erster Instanz, die Befugnis übertragen, eine Aussetzung der Vollziehung anzuordnen (Art. 27 Abs. 1 ˙IYUK). Ein Novum war die aufschiebende Wirkung der Klage vor den Steuergerichten (Art. 27 Abs. 8 ˙IYUK). Mit der Reform von 1982 wurden Erleichterungen in der Anwendung der Aussetzung der Vollziehung aufgehoben. Die aufgrund der vorherigen Regelungen bestehende starke Gerichtsbarkeit wurde weitestmöglich untergraben. Im Wesentlichen eröffnete die Reform der Legislative die Möglichkeit, die Aussetzung der Vollziehung im Bereich des Verwaltungsprozesses weitestgehend einzuschränken. Im Laufe der weiteren Entwicklung wurden bezüglich der Aussetzung der Vollziehung keine weiteren konstitutionellen Reformen durchgeführt. Es folgten lediglich einige einfachgesetzliche Änderungen im Jahr 1990. Weil in den Gerichtsbeschlüssen das gleichzeitige Vorliegen der zwei Voraussetzungen des „Eintritts drohender irreparabler oder nur schwer reparabler Schäden“ und der „offensichtlichen Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts“ praktisch fast nie zur Anwendung kam, wurde mit dem neuen Gesetz Nr. 3622 vor allem eine präzisere Neuregelung getroffen. Demnach dürfen die Gerichte nunmehr die Aussetzung der Vollziehung anordnen, wenn beide Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind und die Erfüllung dieser Voraussetzungen explizit begründet wird.14 Erstmals wurde dabei die Beschwerdemöglichkeit gegen Beschlüsse zur Aussetzung der Vollziehung vorgesehen.15 Noch vor der aktuellen Fassung des ˙IYUK wurden die im Gesetz Nr. 4001 aufzufindenden Einschränkungen zur Aussetzung der Vollziehung teilweise aufgehoben. Dazu gehörte die gesetzliche Regelung, die den Erlass eines Aussetzungsbeschlusses an eine zeitliche Frist band. Angesichts der damals hohen Arbeitsbelastung der Gerichte war eine Anordnung der Aussetzung der Vollziehung aufgrund der kurzen Frist fast unmöglich. Dabei wurden die gesetzlichen Bestimmungen, die eine Einschränkung der Aussetzung der Vollziehung in außerordentlichen Zuständen, wie z. B. im Falle eines Ausnahmezustands, vorsahen, aus dem Gesetzestext des ˙IYUK gestrichen. Der Grund dafür war, dass diese Fälle ohnehin spezialgesetzlich geregelt waren und eine gleiche Regelung im allgemeinen Verwaltungsgesetz demzufolge überflüssig war.16 Durch diese Regelungen wurde letztlich, wenn auch nicht 13

Diese Gerichte wurden erstmal mit der Reform des Verwaltungsprozesses von 1982 gegründet. 14 Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması, S. 79 ff.; Durkal Erog˘ lu, AÜHFD 2016, 279, 292 f. 15 Durkal Erog˘ lu, AÜHFD 2016, 279, 293. 16 Zur Aufhebung des Art. 27. Abs. 4 ˙IYUK Durkal Erog˘ lu, AÜHFD 2016, 279, 295; Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması, S. 85.

190

D. Im Rechtsvergleich: Die Aussetzung der Vollziehung in der Türkei

grundlegend, eine nennenswerte Vereinfachung in der Handhabung der Aussetzung der Vollziehung vorgenommen. Die letztmalige Änderung des ˙IYUK, die einige neue Verfahrensregeln beinhaltete, erfolgte im Jahr 2012.17 Das Institut der Aussetzung der Vollziehung wurde damit weiter eingeschränkt. Schließlich lässt sich in der Entwicklung des Instituts der Aussetzung der Vollziehung beobachten, dass zunehmend die Hand der Exekutive durch die Legislative gestärkt wird. Die Entwicklung ist in diesem Sinne vielmehr als eine politische denn als eine rein rechtliche zu werten. Tendenziell wirkt der Gesetzgeber nicht auf eine erleichterte Anwendung der Aussetzung der Vollziehung hin. Insbesondere die Betrachtung der Entwicklungen in den Jahren 1961, 1971, 1982 und die Untersuchung der in diesen Zeiträumen erlassenen Verfassungen zeigen deutlich, wie Grundrechte und Freiheiten eingeschränkt wurden, die Judikative gegenüber der Exekutive geschwächt wurde und im Grunde die Funktionsfähigkeit der Verwaltung im Vordergrund stand. Nach 1982 sind allerdings keine weiteren radikalen einfachgesetzliche Änderungen im vorläufigen Rechtsschutz festzustellen, weil die materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Aussetzung der Vollziehung auch in der Verfassung vom 1982 verankert sind und eine wesentliche gesetzliche Änderung der Aussetzung der Vollziehung auch eine Änderung von Art. 125 TVerf. erfordern würde.

III. Überblick über Art. 27 des Gesetzes über das Verwaltungsgerichtsverfahren (I˙YUK) Mit den letzten Änderungen des Art. 27 ˙IYUK erlangte das Institut der Aussetzung der Vollziehung auf einfachgesetzlicher Ebene seine aktuelle Form. Bevor die verfassungsrechtlichen und verwaltungsrechtlichen Bewertungen in Bezug auf Art. 27 ˙IYUK behandelt werden, ist die Vorschrift kurz darzustellen: Artikel 27 – (Geändert: 10/6/1994 – 4001/ Art. 12): 1. Die Erhebung der Klage beim obersten Verwaltungsgericht oder bei den Verwaltungsgerichten hat für den angefochtenen Verwaltungsakt keine aufschiebende Wirkung. 2. (Geändert: 2/7/2012 – 6352/ Art. 57) Das oberste Verwaltungsgericht oder die Verwaltungsgerichte können, wenn durch die Vollziehung des Verwaltungsakts der Eintritt schwerer oder irreparabler Schäden droht und gleichzeitig der Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist, nachdem die Klageerwiderung der beklagten Verwaltungsbehörde eingegangen ist oder die Frist zur Klageerwiderung verstrichen ist, unter Nennung der Gründe die Aussetzung der Vollziehung be17

Dazu unten V. 4. a) ee) (3), S. 252 ff.

III. Art. 27 des Gesetzes über das Verwaltungsgerichtsverfahren (I˙YUK)

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schließen. Die Vollziehung von Verwaltungsakten, deren Wirkung nach ihrem Vollzug endet, kann auch ohne die Klageerwiderung der Verwaltungsbehörde ausgesetzt werden, unter der Voraussetzung, dass eine erneute Beurteilung des Gerichts nach der Einholung der Klageerwiderung erfolgt. (Zusatz; 21/2/2014 – 6526/ Art. 17). Verwaltungsakte bezüglich der Verbeamtung, der Versetzung an einen anderen Dienstort, an einen anderen oder demselben Dienstherrn und der vorübergehenden oder dauerhaften Ernennung von Beamten sind keine Verwaltungsakte, deren Wirkung nach ihrer Vollziehung enden. In den Urteilen zur Aussetzung der Vollziehung muss explizit angegeben werden, aus welchem Grund der Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist und welche irreparablen oder nur schwer reparablen Schäden durch seine Vollziehung einzutreten drohen. Allein die Begründung, eine Normenkontrollklage gegen die jeweilige Vorschrift oder Pra¨ sidialverordnung vor dem Verfassungsgericht eröffnet zu haben, ist nicht ausreichend, um dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung stattzugeben. 3. (Geändert: 2/7/2012 – 6352/ Art. 57) Wenn aus der Klageschrift und ihren Anhängen ergeht, dass der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung unzulässig ist, so kann der Antrag, ohne die Klageerwiderung der beklagten Behörde abzuwarten, abgewiesen werden. 4. Die Klageerhebung vor den Finanzgerichten, bedingt durch Steuerstreitigkeiten, Steuerfestsetzungen, Abgaben, Gebühren und ähnliche finanzielle Lasten und zusätzlich ihrer Säumniszuschläge, führt dazu, dass die Vollziehung dieser Zahlungsaufforderungen aufgeschoben wird. Die aufschiebende Wirkung entfällt aber bei Steuerakten, die gemäß Art. 26 Abs. 3 ˙IYUK ausgesetzt werden. Mit der Wiederaufnahme der ausgesetzten Akten entfalten Klagen gegen Maßnahmen in Bezug auf vorbehaltlich abgegebene Steuererklärungen und gegen Leistungsbescheide der Verwaltung keine aufschiebende Wirkung. Bezüglich dieser Verwaltungsakte kann lediglich die Aussetzung der Vollziehung beantragt werden. 5. Bei Klagen, welche zugleich einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung enthalten, können die Fristen gemäß Art. 16 I˙YUK verkürzt werden. Diese Verkündung kann auch mündlich durch den zuständigen Beamten erfolgen. 6. Die Aussetzung der Vollziehung wird gegen eine Leistung einer Sicherheit angeordnet; jedoch kann gegebenenfalls auch auf die Leistung einer Sicherheit verzichtet werden. Gibt es Uneinigkeiten zwischen den Parteien bezüglich der festgesetzten zu leistenden Sicherheit, so obliegt es den Kammern oder Ämtern, dem Gericht oder dem Richter, der den Beschluss zur Aussetzung der Vollziehung fasst, diese zu beseitigen. Von Personen, die Sozialhilfe oder Verfahrenskostenhilfe empfangen, wird keine Sicherheit verlangt. 7. Gegen Beschlüsse zu Anträgen auf Aussetzung der Vollziehung kann nur einmal, innerhalb von sieben Tagen ab Zustellung, Beschwerde eingereicht werden. Die Beschwerde ist je nach Klagegenstand an die Verwaltungs- oder Steuerstreitigkeitskommissionen, bei Beschlüssen, die vom Oberverwaltungsgericht gefasst wurden, an das nächste örtliche Verwaltungsgericht, bei Beschlüssen, die von Ver-

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D. Im Rechtsvergleich: Die Aussetzung der Vollziehung in der Türkei

waltungsgerichten und Finanzgerichten gefasst wurden und Beschlüssen, die von einem einzelnen Richter gefasst wurden, an das örtliche Verwaltungsgericht, bei Beschlüssen, die von Verwaltungsgerichten und Finanzgerichten gefasst wurden, zu richten. Die zuständige Stelle hat ab Empfang der Beschwerde binnen sieben Tagen eine Entscheidung zu der Sache zu treffen. Die Entscheidung über den Beschwerdegegenstand ist endgültig. 8. Die Gerichtsakten hinsichtlich der Aussetzung der Vollziehung werden vorrangig vom Gericht bearbeitet und beschlossen. 9. (Zusatz: 2/7/2012 – 6352/Art. 57) Beschlüsse zur Aussetzung der Vollziehung werden innerhalb von 15 Tagen bearbeitet und signiert. 10. (Zusatz: 2/7/2012 – 6352/Art. 57) Basierend auf demselben Grund kann die Aussetzung der Vollziehung ein zweites Mal nicht beantragt werden.

IV. Verfassungsrechtliche Hintergründe der Aussetzung der Vollziehung Im türkischen Rechtssystem besteht der wesentliche Kerngedanke des vorläufigen Rechtsschutzes darin, die Verwaltung an das Recht zu binden und sie unter Kontrolle zu halten. In diesem Zusammenhang basiert die Aussetzung der Vollziehung primär auf dem Rechtsstaatsprinzip und dient auch der Wahrung der Rechtsstaatlichkeit.18 Im türkischen Recht tauchte das Rechtsstaatsprinzip erstmals in der Lehre und in der Rechtsprechung auf und wurde später in den Verfassungen von 1961 und 1982 manifestiert.19 Das Rechtsstaatsprinzip ist aktuell in Art. 2 TVerf. verankert und wird laufend in der Verfassungsrechtsprechung erläutert. Ausprägungen des Rechtsstaatsprinzips sind unter anderem die Bindung der staatlichen Gewalt an die Grundrechte, die Bindung der staatlichen Gewalt an die Gesetze und die Kontrolle der Exekutive durch die Judikative. Es beinhaltet somit ineinander verwobene und aufeinander aufbauende Prinzipien wie die Garantie der Gewaltenteilung, den verfassungsrechtlichen Schutz von Grundrechten und Freiheiten sowie den Schutz des öffentlichen Interesses und der öffentlichen Ordnung.20 18

Danıs¸tay 5. D., E. 2006/1462, K. 2006/2095, T. 17. 04. 2006. Organ/Cos¸kun Karadag˘ , C¸ÜSBED 2012, 55, 59; die Verfassung von 1924 ist auch im Hinblick auf Rechtsstaatlichkeit als eine wichtige Entwicklung zu betrachten. Aber die Verankerung des Rechtsstaatsprinzips fand sich erstmals in der Verfassung von 1961. Vgl. Kabog˘ lu, I˙HY 1990, 135, 155 ff; Dazu auch F. Erdem, LDD 1999, 32 ff. 20 Vgl. AYM (Das Verfassungsgericht der Republik Türkei), E. 2017/137, K. 2017/161, T. 29. 11. 2017: „Ein Rechtsstaat ist ein Staat, der die Grundrechte und Freiheiten schützt und stärkt; dessen Handlungen und Maßnahmen rechtmäßig sind, der in allen Bereichen ein gerechtes Rechtssystem gründet und dieses fortentwickelnd aufrechterhält, verfassungswidrige 19

IV. Verfassungsrechtliche Hintergründe der Aussetzung der Vollziehung

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1. Gewaltenteilungsverständnis Das Gewaltenteilungsprinzip ist als eine Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips gesondert in den Regelungen der Art. 7, 8, 9 TVerf., die in der Reihenfolge Aufgaben der Legislative, Exekutive und Judikative bestimmen, verortet. Das Prinzip sichert unter anderem jeder Gewalt einen Kernbereich eigenen Wirkens und strebt danach, eine Überlegenheit eines Staatsorgans gegenüber einem anderen Staatsorgan zu verhindern.21 Konkret wird es allerdings vor allem aufgrund von verfassungsrechtlichen Bestimmungen zu dem Regierungssystem zwischen der Exekutive und Judikative streng22, hingegen zwischen Legislative und Exekutive locker ausgeübt.23 Besonders in der türkischen Verfassung von 1982 mit den letzten Änderungen im Jahr 2017, die einen Übergang vom parlamentarischen Regierungssystem zum Präsidialsystem vorsehen, ist zu erkennen, dass nach türkischem Gewaltenteilungsverständnis die Funktionsfähigkeit der Exekutive einen hohen Stellenwert genießt. Im Verhältnis zwischen Verwaltungsgerichten und Verwaltung wird die Eigenständigkeit der Exekutive besonders hervorgehoben.24 In diesem Sinne darf ein Richter im Namen der Verwaltung keinen Verwaltungsakt erlassen. Den Verwaltungsgerichten ist es auch nicht gestattet, durch vorläufige Maßnahmen Einfluss in den Bereich der Verwaltung zu nehmen, sowie die Beständigkeit von Verwaltungsentscheidungen zu verhindern.25 Daraus erklärt sich auch, dass die Verwaltung im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts grundsätzlich keiner Bestätigung durch die rechtsprechende Gewalt bedarf, um ihn auszuführen. So bleibt die Vollziehbarkeit von Verwaltungsakten nicht an gerichtliche Entscheidungen gebunden.26 Insoweit sind der Grundsatz der Vollziehbarkeit und die Vermutung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts, die Grundsätze des Schutzes des öffentlichen Interesses und der Kontinuität staatlich gewährleisteter Aufgabenwahrnehmung

Zustände und Haltungen meidet; die Überlegenheit des Rechts über alle Staatsorgane stellt, sich der Verfassung und den Gesetzen gegenüber loyal zeigt und die Kontrolle der Judikative begrüßt.“ 21 AYM, E. 2015/41, K. 2017/98, T. 04. 05. 2017, § 158. 22 Auch Art. 138, 139 TVerf. stellen eine Sicherung zur Unabhängigkeit der Gerichte dar. Vgl. AYM, E. 1988/32, K. 1989/10, T. 28. 02. 1989. 23 Auch Akgül, ABD 2010, 79, 97; dazu M. C¸ınar, IBADSBD 2019, 89, 96 f.; im französischen Recht gibt es auch zwischen Justiz und Verwaltung eine strikte Trennung, anders als im deutschen Recht. Drewes, Entstehen und Entwicklung des Rechtsschutzes, S. 95 Fn. 30. 24 Zum französischen Recht Drewes, Entstehen und Entwicklung des Rechtsschutzes, S. 95 Fn. 30. 25 Vgl. Kıratlı, AÜSBFD 1966, 173, 175; die französische Auffassung vom Gewaltenteilungsgrundsatz verbietet die unmittelbare Einwirkung auf die Verwaltung. Nur die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts wird durch die Gerichte festgestellt. v. Nieding, Die Grundlagen des Rechtschutzes, S. 369. 26 Aslan, I˙dari Yargıda YD, S. 23 Fn. 46.

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D. Im Rechtsvergleich: Die Aussetzung der Vollziehung in der Türkei

weitere Teilgrundsätze des Gewaltenteilungsprinzips, die das türkische Verwaltungsrecht dominieren. Abschließend lässt sich resümieren, dass die Gewaltenteilung im türkischen Verwaltungsprozess vor allem als Ausdruck der Einschränkung des Ermessens der Judikative zugunsten der Funktionsfähigkeit der Exekutive verstanden wird. In diesem Zusammenhang bestätigt es sich, dass das Gewaltenteilungsprinzip eher als Grund zur Einschränkung der Aussetzung der Vollziehung dient, denn als Grundlage zur Festigung der Aussetzung der Vollziehung.27 2. Zum Verhältnis zwischen Staat und Bürger Im türkischen Recht finden bei der Festlegung der Ausgestaltung des Rechtsschutzes die Rechte und Interessen der Bürger und der Verwaltung gleichwertig Beachtung. Praktisch wird aber oft das öffentliche Interesse über das private Interesse des Bürgers gestellt. In diesem Sinne wird dem Bürger, dem die Kraft und die Möglichkeiten der öffentlichen Verwaltung fehlen und der sich in einem Unterordnungsverhältnis befindet, keine Privilegierung zuteil. Im Gegensatz zum deutschen Recht werden damit die Selbstherrlichkeit der Verwaltung und die Notwendigkeit von Waffengleichheit zwischen Bürger und Staat im Verwaltungsprozess außer Acht gelassen. Im Ergebnis wird der Grundsatz des Suspensiveffekts im türkischen Recht nicht befürwortet und findet daher keine verfassungsrechtliche Stützte. Das wird insbesondere damit begründet, dass der Suspensiveffekt die Eigenständigkeit und die Funktionsfähigkeit der Verwaltung im erheblichen Maß beeinträchtigen könnte. 3. Gewährleistung des vorläufigen Rechtsschutzes durch die Staatsorgane Aufgrund der Bindung der staatlichen Gewalt an das Rechtsstaatsprinzip nach Art. 2 TVerf. in Verbindung mit Art. 36 TVerf. und auch Art. 6, 13 EMRK sind alle 27 Unter diesem Gesichtspunkt wurde der Grundsatz, dass die Klageerhebung im Grunde keine aufschiebende Wirkung hat, in der türkischen sowie in der französischen Literatur lange als eine mittelbare Erscheinung des Gewaltenteilungsprinzips betrachtet. Bei einer automatisch eintretenden aufschiebenden Wirkung liege demnach die Entscheidung über die Vollziehung von Verwaltungsakten beim Gericht und im Endeffekt kann die Verwaltung, ohne gerichtliche Entscheidung, nicht vollziehen. Kıratlı, AÜSBFD 1966, 173, 175; als eine Grundlage des principe de l’effet non-suspensif wurde die bereits dargestellte Rechtsprechung des Conseil d’État zum Gewaltenteilungsgrundsatz und insbesondere das Verbot richterlicher injonctions angesehen. Marsch, Subjektivierung der gerichtlichen Verwaltungskontrolle, S. 240; im selben Zusammenhang wäre jedoch dann auch die gerichtliche Aussetzung der Vollziehung problematisch, weil hierin auch eine richterliche Anweisung zu sehen ist. In neuerer Literatur wird deshalb die Auffassung, dass das Gewaltenteilungsprinzip auch den Grundsatz des fehlenden Suspensiveffekts erfordert, als nicht mehr vertretbar angesehen. Dazu auch Marsch, Subjektivierung der gerichtlichen Verwaltungskontrolle, S. 241.

IV. Verfassungsrechtliche Hintergründe der Aussetzung der Vollziehung

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Staatsorgane verpflichtet, dem Bürger einen möglichst wirksamen und fairen Rechtsschutz zu gewährleisten. An dieser Stelle ist die Verpflichtung des Gesetzgebers hervorzuheben. Bei der gesetzlichen Ausgestaltung des vorläufigen Rechtsschutzes ist es verfassungsrechtlich geboten, dass diese nicht zu einem Verlust von materiellen Grundrechten und Freiheiten führen darf. Daneben gebietet die Verfassung, dass ein effektiver Rechtsschutz unmittelbar durch die Gerichte gewährleistet werden muss.28 Wenn die geschichtliche Entwicklung der türkischen Gesetzgebung betrachtet wird, kann allerdings festgestellt werden, dass der Entscheidungsmechanismus der Judikative immens geschwächt wurde. Im Wege der gesetzlichen Determinierung des effektiven Rechtsschutzes wurde den Gerichten ein geringer Ermessensspielraum eingeräumt.29 Insoweit ist die richterliche Gestaltungsmöglichkeit hinsichtlich des vorläufigen Rechtsschutzes auch relativ eingeschränkt.30 Anschließend ist die unmittelbare Bindung der Verwaltung an das Gebot des effektiven Rechtsschutzes von besonderer Bedeutung. Die Verwaltung ist im türkischen Recht allerdings nicht unmittelbar damit betraut, den vorläufigen Rechtsschutz zu verwirklichen. Im Verwaltungsprozessrecht besteht keine gesetzliche Regelung, die der Verwaltung auferlegt, ein Eilverfahren unmittelbar durchzuführen. Dabei besitzt die Verwaltung nicht immer genug Selbstreflexion, um die unbilligen Folgen von vollendeten Tatsachen oder gar von rechtswidrigem Verwaltungshandeln vorauszusehen und dementsprechend besonnen zu agieren.31 Im türkischen Recht fehlen immerhin die aufschiebende Wirkung sowie andere gesetzliche Entwicklungen, die eine über sich selbst kritisch reflektierende Verwaltung fördern würden. Darüber hinaus ist die Verwaltung zur Wahrung des effektiven Rechtsschutzes verpflichtet, Aussetzungsbeschlüsse der Gerichte zu befolgen.32 Dieser Grundsatz, 28 C¸ag˘ a, DD, Y: 9, 34, 40; Tiryaki, ABD 2002, 189, 195; zur aufrichtigen Überzeugung des Richters Kıratlı, AÜSBFD 1966, 173, 183; dazu Kasapog˘ lu Turhan, DEÜHFD 2012, 1, 3 ff. 29 Vgl. Aslan, ˙Idari Yargıda YD, S. 96. 30 Der Grund für diese zunehmende Schwächung der Judikative lag darin, dass Sorgen über eine Tendenz zum Justizstaat entstanden, wo die Gerichte regelmäßig Beschlüsse zur Aussetzung der Vollziehung fassen und ihr Ermessen häufig zu Gunsten des Bürgers ausüben; diesem Verhalten der Gerichte widersprach der Gesetzgeber, der die Überzeugung hat, dass das Institut der Aussetzung der Vollziehung nicht dazu dienen soll, die Verwaltung permanent zu stoppen. Sayhan, Anayasa Yargısı ile ˙Idari Yargı Arasındaki ˙Ilis¸kiler, S. 4.; Kıratlı, AÜSBFD 1966, 173, 176, Fn. 7; Sorgen über eine Tendenz zum Justizstaat Atay, in: Sempozyum Danıs¸tay, S. 144; auch vgl. Merli, in: Holoubek/Lang, S. 356 ff. 31 Selbst wenn von der Vermutung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns ausgegangen wird, ist der Verwaltung anzulasten, häufig unüberlegt und voreilig zu Lasten des Bürgers zu handeln. C¸ag˘ a, DD, Y: 9, 34, 42 f.; aufgrund voreiliger Sofortvollzugsanordnungen kann es zu einer Versperrung des Rechtswegs für den Betroffenen kommen. Der begrenzte Anwendungsbereich des vorläufigen Rechtsschutzes wird damit sogar noch weiter eingeengt. 32 Im Falle der offensichtlichen Missachtung von Beschlüssen zur Aussetzung der Vollziehung durch die Verwaltung wird diese für ihr Handeln haften müssen, selbst wenn sich ihr Handeln im Nachhinein als gerechtfertigt herausstellt, weil sie gegen den Grundsatz des ef-

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der auch in Art. 138 TVerf. ausdrücklich geregelt ist, wird gleichwohl durch die Verwaltung oft vernachlässigt. Das führt zur Problematik der Durchsetzung von verwaltungsgerichtlichen Aussetzungsentscheidungen. Mit dieser Problematik einhergehende Komplikationen bei der verwaltungstechnischen Ausführung von Gerichtsbeschlüssen gehen vor allem darauf zurück, dass im türkischen Verwaltungsprozessrecht keine unmittelbare Vollstreckbarkeit von Gerichtsbeschlüssen existiert und die Verwaltung vor deren Ausführung einen eigenen den Forderungen des Gerichts entsprechenden Verwaltungsakt erlassen muss.33 Nach diesen allgemeinen Feststellungen zur Gewährleistung vorläufigen Rechtsschutzes durch die staatlichen Gewalten ist zu untersuchen, wie das Effektivitätsgebot in der türkischen Rechtsordnung ausgestaltet ist. Weiterhin ist fraglich, ob die Aussetzung der Vollziehung entsprechend den Anforderungen des effektiven Rechtsschutzes normiert ist und durch die Gerichtspraxis dementsprechend gewährleistet wird. 4. Das gesetzliche Modell der „Aussetzung der Vollziehung“ aus dem Blickwinkel des effektiven Rechtsschutzes In den Ausführungen zum deutschen Verfassungsrecht wurde dargelegt, dass das Modell der Aussetzung der Vollziehung mit dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes konform ist. Dem Gesetzgeber steht im Rahmen der verfassungsrechtlichen Grenzen eine gewisse Freiheit in der einfachgesetzlichen Gestaltung des vorläufigen Rechtsschutzes zu. Ähnliche Vorgaben gelten auch im türkischen Recht. In der türkischen Verfassung wird ausdrücklich erwähnt, dass die Verfahrensregelungen durch Gesetz festzusetzen sind.34 Das bedeutet, dass der Gesetzgeber im verfassungsrechtlichen Rahmen einen Entscheidungsspielraum darüber hat, in welcher Form der vorläufige Rechtsschutz verwirklicht wird. Ein Einwand besteht weder im nationalen Recht noch im supranationalen Recht gegen die Ausgestaltung der Aussetzung der Vollziehung als gesetzlicher Regelfall des vorläufigen Rechtsschutzes.

fektiven Rechtsschutzes bereits einmal verstoßen hat. Wenn man die Rechtsverletzungen in diesem Rahmen betrachtet, sieht man, dass die türkischen Verwaltungsbehörden aus diesem Grund sehr oft zu Schadensersatzzahlungen verurteilt wurden. C¸ag˘ a, DD, Y: 9, 34, 44. 33 An dieser Stelle sind der Inhalt von Gerichtsbeschlüssen, die Art und Weise der Anwendung von Beschlüssen zur Aussetzung der Vollziehung und die Grenzen des Ermessensspielraums der Verwaltung die zu erörternde Themen; vgl. Özdes¸, DD, Y: 9, 3, 13 f. 34 Art. 142 Abs. 1 TVerf.: Die Errichtung, Aufgaben, Zuständigkeiten, Arbeitsweisen der Gerichte und das Entscheidungsverfahren werden durch Gesetz geregelt.

IV. Verfassungsrechtliche Hintergründe der Aussetzung der Vollziehung

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a) Das Recht auf ein faires und wirksames Gerichtsverfahren im Sinne des Art. 36 TVerf. Bei der Festlegung der verfassungskonformen Ausformungen des vorläufigen Rechtsschutzes steht in erster Linie das Recht auf ein faires Verfahren und auf wirksame Beschwerde35 bzw. das Recht auf effektiven Rechtsschutz im Vordergrund, das jeweils in Art. 6 und Art. 13 EMRK manifestiert ist. Zudem finden sich die Gebote auch in Art. 36 Abs. 1 TVerf. wieder. Art. 36 – (Geändert 3/10/2001 – 4709/Art. 14): „Jedermann hat das Recht auf ein faires Verfahren sowie unter Benutzung legaler Mittel und vor den Rechtsprechungsbehörden als Kläger oder Beklagter zu klagen und sich zu verteidigen. Kein Gericht darf sich der Durchführung eines Verfahrens innerhalb seines (sachlichen, funktionellen und örtlichen) Zuständigkeitsbereichs entziehen.“36

Daneben wird das Rechtsschutzgebot in Art. 125 Abs. 1 TVerf. durch die Regelung, dass „jedwedem Handeln der Verwaltung der Rechtsweg offensteht“, unterstrichen. Die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte für Beschlüsse zur Aussetzung der Vollziehung ist ausdrücklich in Art. 125 Abs. 5 und Abs. 6 TVerf. verankert. Art. 125 Abs. 5: Wenn durch die Ausführung des Verwaltungsakts, irreparable oder schwer reparable Schäden einzutreten drohen und gleichzeitig der Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist, kann unter Nennung der Gründe die Aussetzung der Vollziehung beschlossen werden.37 Art. 125 Abs. 6 (Geändert 16/4/2017 – 6771 Art. 16): Das Gesetz kann in den Fällen des Notstandes, der Mobilmachung und des Krieges sowie wegen der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung und der allgemeinen Gesundheit die Entscheidungen auf Aussetzung der Vollziehung beschränken.38

Die verfassungsrechtliche Regelung des Instituts zur Aussetzung der Vollziehung in Art. 125 TVerf. hat auf dem ersten Blick einen den Art. 36 TVerf. stützenden Charakter. Jedoch ist Art. 125 TVerf., durch die Bindung des Instituts an gewisse Voraussetzungen in Abs. 5 sowie durch die Einschränkungen der Aussetzung der Vollziehung in Abs. 6, gegenüber dem Recht auf ein faires Verfahren im Sinne des Art. 36 TVerf. rechtlichen Bedenken ausgesetzt.

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In Art. 59 der Verfassung von 1924 und Art. 31 der Verfassung von 1961 wird das Recht auf rechtliches Gehör zwar erkannt, aber der Ausdruck des Rechts auf ein faires Verfahren ging erstmals jedoch 2011 in die Verfassung ein. 36 Online unter: http://www.verfassungen.eu/tr/ (abgerufen am: 01. 02. 2021). 37 Vgl. Übersetzung von Rumpf, Die Verfassung der Republik Türkei 2021, online unter: http://www.tuerkei-recht.de/downloads/verfassung.pdf (abgerufen am: 22. 04. 2021): „Eine mit einer Begründung zu versehender Entscheidung auf Aussetzung der Vollziehung kann erfolgen, wenn die Voraussetzungen sowohl der Entstehung eines schwierig oder unmöglich wiedergutzumachenden Schadens für den Fall der Anwendung des Verwaltungsakts als auch der offensichtlichen Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts erfüllt sind.“ 38 Übersetzung von Rumpf, Die Verfassung der Republik Türkei 2021.

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D. Im Rechtsvergleich: Die Aussetzung der Vollziehung in der Türkei

b) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Sinne des Art. 13 TVerf. Im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Sicherung der Aussetzung der Vollziehung ist auch Art. 13 TVerf. als Referenz heranzuziehen. Nach dieser Regelung können die Grundrechte und -freiheiten mit der Maßgabe, dass ihr Wesenskern unberührt bleibt, nur aus den, in den betreffenden Bestimmungen aufgeführten Gründen und nur durch Gesetz beschränkt werden. Die Beschränkungen dürfen nicht gegen den Wortlaut und den Geist der Verfassung, die Notwendigkeiten einer demokratischen Gesellschaftsordnung, die Konzeption der laizistischen Republik sowie gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen.39 Unter diesen genannten verfassungsrechtlichen Vorgaben sind besonders zwei Grundsätze, die für Eingriffe in das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz (materielle) Grenzen setzen, hervorzuheben. Zum einen ist der Grundsatz zu nennen, dass ein Grundrecht in seinem Wesenskern nicht angetastet werden darf. Zum anderen ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachtlich. In diesem Sinne sind beispielsweise gesetzliche Regelungen, welche die Möglichkeit der Aussetzung der Vollziehung völlig aufheben, eindeutig verfassungswidrig. Sie würden im Wesentlichen den Wesenskern auf ein wirksames Gerichtsverfahren beeinträchtigen und seien unverhältnismäßig. Im Hinblick auf die Grenzen der Grundrechtseinschränkungen ist die Frage der Verhältnismäßigkeit relativer als die Frage nach dem Wesenskern des Grundrechts.40 Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist deshalb die Herausbildung von konkretisierenden Orientierungsmaßstäben von besonderer Bedeutung.41 Dementsprechend wird das Verhältnismäßigkeitsprinzip in der türkischen Rechtslehre auch durch bestimmte Elemente bzw. Unterprinzipien ausgestaltet. Als solche handelt es sich um die Tauglichkeit (Zweckmäßigkeit), Erforderlichkeit und Angemessenheit. Demnach ist die Einschränkung eines Grundrechts durch den Gesetzgeber nur dann verhältnismäßig, wenn diese nicht willkürlich, sondern nach einer umfassenden Zweck-Mittel-Relation angemessen und erforderlich ist.42 Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Sinne des Art. 13 TVerf. bindet als Verfassungsprinzip dabei nicht nur den Gesetzgeber, sondern auch die anderen Staatsorgane. Im verfassungsrechtlichen Sinne bildet er die Grenze der Rechtmäßigkeit jedes staatlichen Handelns. In diesem Zusammenhang zeigt er seine Bestimmungen besonders konkret im verwaltungsrechtlichen Bereich.43 Verwal39

Übersetzung von Rumpf, Die Verfassung der Republik Türkei 2021. Der Grundsatz, dass ein Grundrecht in seinem Wesenskern nicht angetastet werden darf, stellt einen noch engeren Grundsatz als der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dar. Vgl. AYM, E. 2016/165, K. 2017/76, T. 15. 03. 2017; vgl. Metin, SDÜHFD 2017, 1, 5. 41 Sag˘ lam, Temel Hakların Sınırlandırılması, S. 128. 42 AYM, E. 1988/50, K. 1989/ 27, T. 23. 06. 1989; E. 2012/100, K. 2013/84 T. 04. 07. 2013; Saygın, ABDTUVTD 2017, 58, 66 f.; Metin, SDÜHFD 2017, 1, 8; Sag˘ lam, Temel Hakların Sınırlandırılması, S. 127, 121 ff. 43 Tanör, Tu¨ rkiye’nin ˙Insan Hakları Sorunu, S. 168. 40

IV. Verfassungsrechtliche Hintergründe der Aussetzung der Vollziehung

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tungsrechtliche Maßnahmen, welche die Grundrechte des Adressaten beeinträchtigen oder in absehbarer Zeit beeinträchtigen werden, sind unmittelbar anhand des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes überprüfbar. Im verwaltungsrechtlichen Sinne stellt der Grundsatz einen Maßstab im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit der verwaltungsrechtlichen Maßnahmen dar.44 Die Verhältnismäßigkeit der verwaltungsrechtlichen Maßnahmen ist so zu verstehen, dass die von der Verwaltung für ihr Handeln angewendeten Mittel und Maße dem Zweck dieses Handelns zu dienen haben.45 Abschließend lässt sich festhalten, dass das Verhältnismäßigkeitsprinzip, trotz dessen Verankerung in der Verfassung, im türkischen Recht keine breite Anwendung findet. Generell bleiben die Ausführungen der Rechtsprechung zu dem Prinzip oberflächlich und unkonkret.46 In vielen Fällen wird daneben in der Literatur auf die Konkretisierungen des deutschen Rechts verwiesen, soweit es um das Verhältnismäßigkeitsprinzips geht. Dabei wird immer wieder hervorgehoben, dass dem verfassungsrechtlich verankerten Verhältnismäßigkeitsprinzip eine hohe praktische Bedeutung zukommen muss, zumal willkürliches staatliches Handeln effektiverweise nur im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung überprüft und verhindert werden kann. Im Ergebnis herrscht zumindest Einigkeit darüber, dass das Verhältnismäßigkeitsprinzip gemäß Art. 13 TVerf. einer Weiterentwicklung und weiterer Konkretisierung bedarf.47 c) Das Institut der „Aussetzung der Vollziehung“ in Art. 125 TVerf. Die Aussetzung der Vollziehung ist im türkischen Recht zwar verfassungsrechtlich verankert, jedoch wird in der Literatur und in der Rechtsprechung diskutiert, ob die Verankerung dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes gerecht wird. Die Frage ist, ob die verfassungsrechtliche Bestimmung der Aussetzung der Vollziehung nach Art. 125 TVerf. verfassungskonform ist. In diesem Sinne ist es bedeutsam, den ausdrücklichen Regelungsgehalt der Aussetzung der Vollziehung in der türkischen Verfassung zu qualifizieren, bevor die verfassungsrechtliche Konformität des Art. 27 I˙YUK untersucht und zu den einfachgesetzlichen Fragestellungen übergegangen wird. 44

Vgl. Saygın, ABTUVTD 2017, 58, 67; J. Erdem, AÜHFD 2013, 971, 990 ff. Vgl. Saygın, ABTUVDT 2017, 58, 67; I˙yimaya, TBMM Tutanak Dergisi 2001, D: 21, C: 70, Y.Y: 3, B:132, online unter: https://www.tbmm.gov.tr/tutanak/donem21/yil3/bas/b132m.htm (abgerufen am: 22. 04. 2021), S. 89. 46 Aufgrund seiner Unbestimmtheit hat es eine geringe praktische Bedeutung für die gerichtliche Kontrolle. Sag˘ lam, Temel Hakların Sınırlandırılması, S. 128; zur Unsachlichkeit des Begriffs der Verhältnismäßigkeit Tayan, TBMM Tutanak Dergisi 2001, D: 21, C: 70, Y.Y: 3, B: 132, S. 92. 47 Sag˘ lam, Temel Hakların Sınırlandırılması, S. 128 f.; vgl. Topçu, TBMM Tutanak Dergisi 2001, D: 21, C: 70, Y.Y: 3, B:132, S. 87; I˙yimaya, TBMM Tutanak Dergisi 2001, D: 21, C: 70, Y.Y: 3, B:132, S. 88. 45

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D. Im Rechtsvergleich: Die Aussetzung der Vollziehung in der Türkei

aa) Die Statuierungen des Art. 125 Abs. 5 TVerf. Im Rahmen des Art. 125 Abs. 5 TVerf. ist diskussionswürdig, welche Auswirkung die verfassungsrechtliche Verankerung der Aussetzung der Vollziehung auf die einfachgesetzliche Ausgestaltung des vorläufigen Rechtsschutzes hat. Deuten die Statuierungen des Art. 125 Abs. 5 TVerf. auf einen Mindeststandard für den vorläufigen Rechtsschutz hin? Oder bringen sie zum Ausdruck, dass eine andere mildere Ausgestaltung des vorläufigen Rechtsschutzes, die von Art. 125 Abs. 5 TVerf. abweicht und leichter erreichbar wäre, als verfassungswidrig gilt? Aus dem Wortlaut des Art. 125 Abs. 5 TVerf. ergibt sich zunächst, dass ein bestimmtes Modell des vorläufigen Rechtsschutzes schlechthin nicht geboten ist; von Verfassungs wegen muss die Aussetzung der Vollziehung nicht der Regelfall sein. Daneben sieht die Norm ihrem Wortlaut entsprechend kein Verbot gelockerter gesetzlicher Bestimmungen vor. Der historische Kontext des Art. 125 TVerf. zeugt hingegen davon, dass die verfassungsrechtliche Verortung der Aussetzung der Vollziehung nicht der Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes dient. Vielmehr zielt sie darauf ab, den Handlungsspielraum der Verwaltung zu stärken. Für eine solche Interpretation spricht, dass die Regelung des Art. 125 TVerf. erst nach dem Militärputsch von 1980 in die türkische Verfassung aufgenommen wurde. Den Gesetzgebungsunterlagen lässt sich zudem die Absicht des Militärs als Gesetzgeber entnehmen, den Erlass der Aussetzungsentscheidungen, die häufig vom obersten Gerichtshof getroffen wurden, einzuschränken. Art. 125 TVerf. sei unter dem Vorwand eines reibungslosen Funktionierens der Verwaltung eingeführt worden.48 Daraus kann die Schlussfolgerung gezogen werden, dass die Norm faktisch der Einschränkung der Judikative dient und damit einer Gewaltenbalance entgegenwirkt. Es ging dem Gesetzgeber also vielmehr um eine Einschränkung des vorläufigen Rechtsschutzes als um seine Gewährung. Demgegenüber wird in der Rechtsprechung und Lehre teilweise vertreten, dass Art. 125 TVerf. dem verfassungsrechtlichen Schutz des vorläufigen Rechtsschutzes dient. Er stelle einen Mindeststandard für die Gewährung eines vorläufigen Rechtsschutzes dar und erlaube die Einschränkung der Aussetzung der Vollziehung nur innerhalb der verfassungsrechtlich festgelegten Grenzen.49 Würde der Gesetzgeber strengere Bestimmungen als in Art. 125 TVerf. vornehmen und dadurch die Verwirklichung des vorläufigen Rechtsschutzes erschweren, wären diese Bestimmungen unwirksam oder wegen Verfassungswidrigkeit aufhebbar, weil sie mit Art. 125 TVerf. nicht vereinbar wären. Angenommen wird hierzu, dass die Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes im Sinne des Art. 125 TVerf. lediglich für die materiell-rechtlichen-Bestimmungen der Aussetzung der Vollziehung gilt; die 48

Siehe dazu oben II., S. 187 ff. Durkal Erog˘ lu, AÜHFD 2016, 279, 288; vgl. Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması, S. 195 f. 49

IV. Verfassungsrechtliche Hintergründe der Aussetzung der Vollziehung

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formell-rechtlichen Bestimmungen sollen hingegen ganz dem Willen des Gesetzgebers unterliegen.50 Abschließend bleibt anzumerken, dass die Aussetzung der Vollziehung in ihrer jeweils geltenden Fassung zuerst im Gesetz über den Verwaltungsprozess (I˙YUK), welches im Jahr 1982 in Kraft trat, vorgeschrieben wurde. Die einfachgesetzliche Regelung des Art. 27 ˙IYUK wurde danach wortwörtlich in die Verfassung, konkret in Art. 125 TVerf., aufgenommen. Es ist daher zweifelhaft, ob die genannten Regelungen ihren Status in der Normenhierarchie beibehalten konnten. Zwischen der Verfassung von 1982 und dem I˙YUK von 1982 besteht grundsätzlich keine rangmäßige Differenzierung.51 Art. 27 I˙YUK und Art. 125 TVerf. gehen jeweils auf die Verwaltungsreform aus dem Jahr 1982 zurück. Daraus kann auch geschlussfolgert werden, dass die Verankerung der Aussetzung der Vollziehung in der türkischen Verfassung von 1982 im verfassungsrechtlichen Sinne irrelevant ist. bb) Einschränkungen der „Aussetzung der Vollziehung“ in Art. 125 Abs. 6 TVerf. Wie Art. 125 Abs. 5 TVerf. ist auch Art. 125 Abs. 6 TVerf., in Anbetracht der verfassungsrechtlichen Hintergründe der Aussetzung der Vollziehung, eine umstrittene Regelung. Art. 125 Abs. 6 TVerf. regelt, unter welchen Bedingungen der Gesetzgeber die Aussetzung der Vollziehung einschränken darf, und ist insoweit als eine Ausnahmeregelung zu Art. 125 Abs. 5 TVerf. anzusehen. In Art. 125 Abs. 6 TVerf. sind die Fälle, die zu einer Einschränkung der Aussetzung der Vollziehung führen, abschließend aufgezählt. Die einzelnen Ausnahmefälle beinhalten dabei unbestimmte Rechtsbegriffe, wie zum Beispiel die öffentliche Ordnung oder die allgemeine Gesundheit. Durch diese Rechtsbegriffe, die der Auslegung bedürfen, wird dem Gesetzgeber ein unüberschaubarer Handlungsspielraum eingeräumt, was schließlich zur Entkräftigung des Ausnahmecharakters des Art. 125 Abs. 6 TVerf. führt. Hieran wird erkennbar, dass Art. 125 TVerf. im 50 Hier hat die Hauptoppositionspartei damals die Normenkontrollklage beim Verfassungsgericht eingelegt, mit der Begründung, die Voraussetzung der „ausführlichen Darlegung der Erfüllung aller materiellen Voraussetzungen im Entscheidungsgrund“ verstoße gegen den Art. 138 TVerf, welcher noch eine viel strengere Voraussetzung als Art. 125 TVerf enthält. Das Verfassungsgericht lehnte diese Klage ab. Denn es handele sich bei der jeweiligen neuen gesetzlichen Regelung, die die Voraussetzung der ausdrücklichen Begründung des kumulativen Vorliegens der materiellen Voraussetzungen der Aussetzung der Vollziehung vorsieht, um eine Änderung der formellen Voraussetzung der Aussetzung der Vollziehung. Hierbei sei eine restriktivere gesetzliche Ausgestaltung der Aussetzung der Vollziehung als geltende Regelung, durch neue formelle Voraussetzungen, verfassungsrechtlich unbedenklich. Dabei werden die materiellen Voraussetzungen der Aussetzung der Vollziehung durch Art. 125 TVerf. verfassungsrechtlich geschützt. Vgl. AYM, E. 1990/20, K. 1991/17, T. 21. 06. 1991, R.G. 30. 09. 1992 – 21361; dazu auch Durkal Erog˘ lu, AÜHFD 2016, 279, 294 f. 51 Zur Ähnlichkeit im Hinblick auf Mangel der rangmäßigen Differenzierung zwischen Verfassung und Gesetz vor der Weimarer Republik Schenke, JZ 1988, 317, 319.

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D. Im Rechtsvergleich: Die Aussetzung der Vollziehung in der Türkei

Allgemeinen keine verfassungsrechtliche Gewährleistung für den vorläufigen Rechtsschutz bieten kann. Insbesondere aufgrund der unbestimmten Rechtsbegriffe in Absatz 6 kann von einer gewissen Rechtssicherheit im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes nicht die Rede sein. Daneben ist die Regelung des Art 125 Abs. 6 TVerf., die dem Gesetzgeber die Befugnis zu einer Einschränkung der Aussetzung der Vollziehung erteilt, hinsichtlich der Auslegung des Begriffes des „Einschränkens“ hoch problematisch. Das insbesondere deshalb, weil der Gesetzgeber darin für sich einen weiten Handlungsspielraum erblickt und sogar einen kompletten Ausschluss der Aussetzung der Vollziehung für möglich hält. Werden die bisher erlassenen Ausnahmeregelungen zur Aussetzung der Vollziehung betrachtet, so wird deutlich, dass der Gesetzgeber seine Befugnis zur Einschränkung der Aussetzung der Vollziehung ausgenutzt hat, um diese weitestgehend zu verhindern.52 Insoweit ist Art. 125 Abs. 6 TVerf. gar als ein Verbot zur Aussetzung der Vollziehung zu qualifizieren, soweit unter den Begriff der Einschränkung der Aussetzung der Vollziehung auch eine vollständige Sperrung subsumiert wird. cc) Zwischenergebnis Art. 125 Abs. 5 TVerf. sperrt aufgrund seiner materiellen Voraussetzungen den Weg, eine mildere oder strengere einfachgesetzliche Regelung zur Aussetzung der Vollziehung zu erlassen. Die materiellen Voraussetzungen der Aussetzung der Vollziehung in Art. 27 I˙YUK, die auch in Art. 125 Abs. 5 TVerf. verortet sind, dürfen durch eine neue gesetzliche Regelung nicht ohne weiteres aufgehoben oder geändert werden.53 Das gilt auch dann, wenn in materieller Hinsicht keine rangmäßige Differenzierung zwischen Art. 125 TVerf. und Art. 27 ˙IYUK besteht. Die Voraussetzungen zur Aussetzung der Vollziehung im Sinne des Art. 125 Abs. TVerf. besitzen nämlich in formeller Hinsicht verfassungsrechtlichen Rang. Somit ist einerseits nicht zu beanstanden, dass sich das Model der gerichtlichen Aussetzung der Vollziehung als eine Art Mindeststandard zum vorläufigen Rechtsschutz in der Verfassung findet. Andererseits aber entstehen verfassungsrechtliche Bedenken schon aus dem Grund, dass Art. 125 Abs. 6 TVerf. bezüglich der Aussetzung der Vollziehung keine präzisen Einschränkungen vorgibt und diese Regelung häufig vom Gesetzgeber und gelegentlich auch vom Verfassungsgericht extensiv ausgelegt wird. Bei einer Einschränkung der Aussetzung der Vollziehung nach Art. 125 Abs. 6 TVerf. muss insoweit besonders auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip aus Art. 13 TVerf. in Verbindung mit der Rechtsschutzgarantie aus Art. 36 TVerf. geachtet werden. Eine komplette Verhinderung der Aussetzung der Vollziehung ist daher sowohl ein Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip als auch ein Eingriff in 52 53

Vgl. Kasapog˘ lu Turhan, DEÜHFD 2012, 1, 6. Vgl. Durkal Erog˘ lu, AÜHFD 2016, 279, 288.

IV. Verfassungsrechtliche Hintergründe der Aussetzung der Vollziehung

203

den Schutzbereich des Rechts auf ein faires und wirksames Gerichtsverfahren.54 Diesbezüglich hat das türkische Verfassungsgericht in einem Beschluss den gesetzlichen Ausschluss der Aussetzung der Vollziehung als eine Verletzung des Kerngehalts des Rechts auf effektiven Rechtsschutz bewertet. Es hat weiterhin angeführt, dass eine Sperrung des Aussetzungsverfahrens zu einer erheblichen Einschränkung der judikativen Kontrolle führen würde, indem der Verwaltungsgerichtsbarkeit eines ihrer stärksten Instrumente aus der Hand geschlagen wird.55 Schlussendlich lässt sich sagen, dass Art. 125 TVerf., insbesondere wegen der Bestimmungen in Absatz 6, nicht als verfassungsrechtliche Sicherung des Instituts der Aussetzung der Vollziehung anzusehen ist. Die Norm muss auch nicht zwangsläufig als eine Grundlage für die Sperrung der Aussetzung der Vollziehung verstanden werden. Soweit der Art. 125 TVerf. im Sinngefüge der Verfassung und im Rahmen von allgemeinen Grundsätzen des vorläufigen Rechtsschutzes ausgelegt wird, bewirkt er keine normative Sperrung des vorläufigen Rechtsschutzes. d) Verfassungsrechtliche Bewertung von einfachgesetzlichen außerordentlichen Einschränkungen bzw. Ausschlüssen der Aussetzung der Vollziehung Das Institut der Aussetzung der Vollziehung wurde in der Türkei gelegentlich durch Gesetzesänderungen eingeschränkt und sogar ausgeschlossen. Regelungen, welche die Klagevoraussetzungen erschweren oder dem Beschluss zur Aussetzung der Vollziehung entgegenstehen, finden sich auch außerhalb des ˙IYUK verstreut in verschiedenen Gesetzen. An dieser Stelle werden zunächst einige spezielle Regelungen und vom Verfassungsgericht zu verschiedenen Zeitpunkten getroffene wichtige Entscheidungen angesprochen und veranschaulicht. Sodann ist die Legitimität dieser Einschränkungen bzw. Ausschlüsse in verfassungsrechtlicher und auch supranationalrechtlicher Hinsicht zu beurteilen. Obwohl damals noch keine verfassungsrechtliche Regelung bezüglich der Aussetzung der Vollziehung oder ihrer Einschränkung bestand, befand sich ein Ausschluss der Aussetzung der Vollziehung im Gesetz zur Grundstückszuteilung an Bauern Nr. 4753.56 Danach durfte die Aussetzung der Vollziehung im Falle der Anfechtung von Enteignungsbeschlüssen nicht angeordnet werden. Gegen diese Regelung wurde vor dem Verfassungsgericht eine Normenkontrollklage erhoben, diese wurde aber mit der Begründung abgewiesen, es sei keine Verfassungswidrigkeit der Regelung ersichtlich. In seiner Begründung verwies das Verfassungsgericht darauf, dass aufgrund des Prinzips der Kontinuität und Stabilität für den 54

Vgl. Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması, S. 128 ff. AYM, E. 2008/77, K. 2010/77, T. 03. 06. 2010, R.G. 30. 10. 2010 – 27744. 56 Damals war die Verfassung von 1961 in Kraft, die Einschränkungen zur Aussetzung der Vollziehung nicht vorsah. Kasapog˘ lu Turhan, DEÜHFD 2012, 1, 20; auch siehe oben II., S. 188. 55

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D. Im Rechtsvergleich: Die Aussetzung der Vollziehung in der Türkei

öffentlichen Dienst die Aussetzung der Vollziehung gesetzlich gesperrt werden kann und eine solche Sperrung durchaus nicht die Verletzung von Grundrechten und -freiheiten bedeutet. Nach der Ansicht des Gerichts könne weiterhin jede Verletzung des Eigentumsrechts durch eine materielle Entschädigung ausgeglichen werden; eine Rücknahme des Verwaltungsakts sei für die Herstellung der Gerechtigkeit nicht notwendig, denn auch eine materielle Entschädigung sei billig und gerecht; deshalb verursache die Nichtaussetzung der Vollziehung bis zum Ende des Verfahrens keine irreparablen Schäden.57 Der Entscheidung des Verfassungsgerichts ist jedoch nicht zuzustimmen. Mit dem Wegfall der Aussetzung der Vollziehung im Gesetz Nr. 4753 wird nämlich die sofortige Vollziehbarkeit von Verwaltungsakten, die unter dieses Gesetz fallen, endgültig. Wenn der Verwaltungsakt sich auf einen materiell nicht zu kompensierenden Eingriff bezieht, würde das betroffene Grundrecht mit dem Sofortvollzug ausgehöhlt werden. In Bezug auf die grundsätzliche Ausschaltung der Aussetzung der Vollziehung ist weiterhin eine andere verfassungsgerichtliche Entscheidung beachtenswert.58 Das Verfassungsgericht beschloss in dieser Entscheidung, dass der Ausschluss der Aussetzung der Vollziehung im Gesetz über die Prävention von Verletzungen unbeweglichen Eigentums Nr. 3091 von 1984,59 mit der Begründung des Schutzes der öffentlichen Ordnung und der ununterbrochenen Gewährleistung des öffentlichen Dienstes, nicht verfassungswidrig sei, und lehnte daher die gegen dieses Gesetz erhobene Normenkontrollklage ab. Das Verfassungsgericht begründete das mit den Einschränkungsmöglichkeiten aus Art. 125 Abs. 6 TVerf. Demnach könne der Gesetzgeber, „wenn nötig, gegen bestimmte Verwaltungsentscheidungen innerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens“, den Weg zur Aussetzung der Vollziehung versperren.60 In den Sondervoten wurden gegen diese Begründung folgende Argumente vorgetragen: Art. 125 Abs. 6 TVerf. dürfe gerade „nicht weit ausgelegt werden“61 und die Aussetzung der Vollziehung bei außerordentlich wichtigen Gründen und in diesem Fall auch nur in notwendiger und verhältnismäßiger Weise verhindert wer-

57 AYM, E. 1963/162, K. 1964/19, 13. 03. 1964, R.G. 11. 06. 1964 – 11725; auch Kasapog˘ lu Turhan, DEÜHFD 2012, 1, 22. 58 AYM, E. 1996/7, K. 1996/11, T. 18. 04. 1996, R.G.18. 08. 1996 – 22731; auch Kasapog˘ lu Turhan, DEÜHFD 2012, 1, 24 f. 59 Art. 13 des genannten Gesetzes regelte, dass bei Klagen vor den Verwaltungsgerichten gegen Entscheidungen, deren Rechtsgrundlage eine Norm demselben Gesetz ist, eine Aussetzung der Vollziehung nicht beschlossen werden kann. Online unter: http://www.resmigazete. gov.tr/eskiler/2010/10/20101030-25.html (abgerufen am: 22. 03. 2021). 60 Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması, S. 123. 61 Zur Gegenstimme von Y. Güngör, die im Urteil kenntlich wird, Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması, S. 124.

IV. Verfassungsrechtliche Hintergründe der Aussetzung der Vollziehung

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den.62 Trotz der Einwände wurde schließlich die entsprechende Regelung des Gesetzes Nr. 3091, die im Falle des willkürlichen Verwaltungshandelns keine Rechtssicherheit und Rechtskontrolle im Sinne des vorläufigen Rechtsschutzes gewährt, als verfassungsmäßig beurteilt63 und somit eine rechtlich nicht haltbare Entscheidung vom Verfassungsgericht getroffen. Das Verfassungsgericht traf im Jahr 2010 erneut eine Entscheidung, mit der die Regelung aufgehoben wurde. Gestützt wurde die Entscheidung auf einen Verstoß gegen Art. 13 TVerf.64 Wenngleich es auf eine Wiederholung der vorherigen Fehlentscheidung verzichtet hat, ist es in der Begründung einer extensiven Auslegung von Art. 125 Abs. 6 TVerf. nicht entgegengetreten. Seine Argumentation beschränkte sich darauf, dass die entsprechende Regelung nicht im Rahmen des Art. 125 Abs. 6 TVerf. bewertet werden könne und aus diesem Grund im konkreten Fall die Sperrung der Aussetzung der Vollziehung verfassungswidrig sei.65 In der detaillierten Begründung wurde ausgeführt, die Regelung sei zwar zum Zwecke des Schutzes der öffentlichen Ordnung getroffen worden; aber die Verwaltungsakte, welche von dieser Regelung erfasst sind, würden sich im Grunde von anderen Verwaltungsakten nicht unterscheiden; somit seien keine speziellen Gründe für einen gesetzlichen Ausschluss der Aussetzung der Vollziehung vorhanden. Außerdem wurde in der Entscheidungsbegründung angeführt, dass der Schutz der öffentlichen Ordnung zugleich auch den Schutz der Judikative vor einer erheblichen Schwächung gegenüber der Exekutive und Legislative bezwecke; auch wenn die Einschränkung der Aussetzung der Vollziehung per Gesetz möglich sei, handle es sich hierbei jedoch nicht um eine uneingeschränkte Kompetenz des Gesetzgebers.66 Im Ergebnis ist diese erneute Entscheidung des Verfassungsgerichts richtig, aber in seiner Begründung unzureichend, da der gesetzliche Ausschluss der Aussetzung der Vollziehung weiterhin möglich bleibt. Dementsprechend könne die Aussetzung der Vollziehung gemäß den in Art. 125 Abs. 6 TVerf. erwähnten Gründen ausgeschlossen werden.67 Indessen handelt es sich bei den jeweiligen Gründen um unbestimmte Rechtsbegriffe, die allemal weit ausgelegt werden können, und insoweit ist eine Gefährdung der Rechtssicherheit offensichtlich. Im Falle des grundsätzlichen 62 Gegenstimme von S. Tüzün und F. Kantarcıog˘ lu, die im Urteil kenntlich wird, Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması, S. 125. 63 Die Gegenstimme von Y. Güngör AYM, E. 1996/7, K. 1996/11, T. 18. 04. 1996, R.G. 18. 08. 1996 – 22731. Auch Kasapog˘ lu Turhan, DEÜHFD 2012, 1, 9, Fn. 13 und 14, Fn. 22; vgl. AYM, E. 2008/77, K. 2010/77, T. 03. 06. 2010, R.G. 30. 10. 2010 – 27744; vgl. S¸en, TBBD 2014, 153, 179. 64 Gemäß Art. 13 TVerf. können Grundrechte und -freiheiten, ohne ihren Kerngehalt anzutasten und nur in Bezug auf die in der Verfassung erwähnten Gründe, durch Gesetz eingeschränkt werden. Einschränkungen in diesem Sinne dürfen nicht mit der Essenz der Verfassung, der demokratischen gesellschaftlichen Ordnung, den Grundsätzen der laizistischen Republik und dem Angemessenheitsgebot kollidieren. 65 AYM, E. 2008/77, K. 2010/77, T. 03. 06. 2010, R.G. 30. 10. 2010 – 2744. 66 Auch Kasapog˘ lu Turhan, DEÜHFD 2012, 1, 25 ff. 67 AYM, E. 2012/87, K. 2014/41 T. 27. 02. 2014, R.G. 26. 07. 2014 – 29072.

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D. Im Rechtsvergleich: Die Aussetzung der Vollziehung in der Türkei

Ausschlusses der Aussetzung der Vollziehung seien die in Art. 27 I˙YUK genannten Voraussetzungen wirkungslos, und dem Bürger würde das Recht auf einen effektiven Rechtsschutz entzogen. Das führt schließlich zu einer rechtlichen und faktischen Umkehrung des Grundgedankens, der dem Art. 125 TVerf. innewohnen soll, den Rechtsweg der Aussetzung der Vollziehung gerade zu ermöglichen. Ein weiteres Beispiel für eine außerordentliche gesetzliche Einschränkung im Bereich des vorläufigen Rechtsschutzes ist Art. 6 Abs. 9 des Gesetzes Nr. 6306 über „die Umordnung von Flächen, die mit Naturkatastrophenrisiken behaftet sind“ aus dem Jahr 2012, mit der sich das Verfassungsgericht ebenfalls zu beschäftigen hatte. Mit dieser Regelung wurde die Klagefrist gegen Verwaltungsakte, die aufgrund dieses Gesetzes erlassen werden, von 60 Tagen auf 30 Tage gekürzt. Daneben wurde es festgesetzt, dass im Falle einer Klage gegen einen solchen Verwaltungsakt die Aussetzung der Vollziehung ausgeschlossen ist. Die Regelung wurde vom Gesetzgeber in verfassungsrechtlicher Hinsicht vor allem mit dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit und dem Recht auf Eigentum begründet.68 Im Nachhinein hat das Verfassungsgericht die teilweise Verfassungswidrigkeit der entsprechenden Regelung festgestellt. Es hat die Regelung, welche die Aussetzung der Vollziehung ausschließt, mit folgender Begründung aufgehoben:69 Auch wenn Art. 125 Abs. 6 TVerf. bei außerordentlichen Umständen, wie im Ausnahmezustand, im Mobilisierung- oder Kriegszustand sowie in den Fällen von Notständen der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung und der Gefahr der allgemeinen Gesundheit, die Möglichkeit zur Einschränkung der Aussetzung der Vollziehung einräume, handele es sich vorliegend nicht um eine Einschränkung der Aussetzung der Vollziehung, sondern vielmehr um eine Abschaffung der Möglichkeit der Aussetzung der Vollziehung, was von der Verfassung gerade nicht gedeckt sei.70 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass selbst das Vorliegen eines der in Art. 125 Abs. 6 TVerf. genannten Gründe einen gesetzlichen Ausschluss der Aussetzung der Vollziehung nicht rechtfertigen kann. Die Aussetzung der Vollziehung nach Art. 27 I˙YUK darf bereits unter bestimmten Voraussetzungen ausnahmsweise durch das Gericht angeordnet werden. Im türkischen Verwaltungsprozess besteht auch keine weitere Möglichkeit zur Erlangung des vorläufigen Rechtsschutzes als die Aussetzung der Vollziehung. Würde die Möglichkeit der Aussetzung der Vollziehung in bestimmten Gesetzen ausgeschlossen werden, hätte dies zwangsläufig die komplette Untersagung des vorläufigen Rechtsschutzes bei den betreffenden Grundrechten zur Folge, wenn aufgrund einer entsprechenden Regelung in diese eingegriffen wird. Dadurch würde die Verwaltung im Hinblick auf grundrechtliche Eingriffe zu einem 68

Yes¸ilyurt, AÜSBFD 2015, 403, 410. Jedoch wurde die Regelung zur Verkürzung der Klagefrist auf 30 Tage mit der Begründung beibehalten, dass es sich hierbei nicht um eine komplette Verhinderung des Rechts auf richterliches Gehör handele. AYM, E. 2012/87, K. 2014/41, T. 27. 02. 2014, R.G. 26. 07. 2014 – 29072. 70 Auch Yes¸ilyurt, AÜSBFD 2015, 403, 409 f.; Demirkol/Bereket Bas¸, TBBD 2013, 23, 55. 69

IV. Verfassungsrechtliche Hintergründe der Aussetzung der Vollziehung

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uneingeschränkt handelnden Organ mutieren. Die Sperrung des einzigen Wegs zum vorläufigen Rechtsschutz ist schließlich weder auf supranationale Ebene noch auf der Verfassungsebene legitimierbar. 5. Die Wirkung der materiellen Grundrechte mit Blick auf Art. 27 I˙YUK Zu den verfassungsrechtlichen Bewertungen des vorläufigen Rechtsschutzes ist weiter der Frage nachzugehen, ob die materiellen Grundrechte zur Effektivierung des Aussetzungsverfahrens im türkischen Verwaltungsprozess eine prägende Rolle spielen. Unter dieser Frage ist vor allem zu erörtern, welches Rechtsschutzkonzept im Verhältnis zwischen Bürger und Staat im Vordergrund steht. Anschließend ist festzustellen, ob und inwieweit materielle Grundrechte auf Art. 27 I˙YUK einwirken. a) Die Loslösung vom Individualrechtsschutz und die Konzentration auf die objektivrechtliche Kontrollfunktion des Verwaltungsprozesses Hinsichtlich der konzeptionellen Ausgestaltung des Rechtsschutzes ist zunächst anzumerken, dass das Rechtsschutzkonzept im türkischen Verwaltungsprozessrecht vom Individualrechtsschutzkonzept des deutschen Verwaltungsprozessrechts abweicht. Bezüglich der Effektivierung des Rechtsschutzes steht in der Türkei also primär nicht der subjektive Rechtsschutz im Vordergrund, sondern eine objektive Rechtskontrolle. Objektivrechtliche Kontrollfunktion des Rechtsschutzes bedeutet, dass das Gericht die Verwaltung nicht nur im Hinblick auf einen angefochtenen Individualakt, sondern allgemein die Rechtmäßigkeit des der Konstellation zugrunde liegenden Verwaltungshandelns kontrolliert. Die objektive Rechtskontrolle bezweckt im Ergebnis, dass die Verwaltung ähnliche rechtswidrige Verwaltungsakte nicht mehr erlässt und die Selbstkontrolle der Verwaltung sukzessive steigt. In diesem Zusammenhang wird im Aussetzungsverfahren dem öffentlichen Interesse mehr Beachtung geschenkt als der Befriedigung des Interesses des Rechtsschutzsuchenden.71 Die Überlegung wird in der folgenden Entscheidung des Verfassungsgerichts nochmals deutlich: „Der eigentliche Zweck der Aussetzung der Vollziehung ist der Schutz der öffentlichen Ordnung und die Wahrung des Rechtssystems. Durch die Beschlüsse zur Aussetzung der Vollziehung können spätere, schwer lösbare und komplexe Umstände verhindert werden. In der Verwaltung können dadurch eine gute Struktur und eine gewisse Stabilität hergestellt werden.“72

71 72

Vgl. Nolte, Die Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 52. Danıs¸tay 5. D., E. 2006/1462, K. 2006/2095, T. 17. 04. 2006.

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D. Im Rechtsvergleich: Die Aussetzung der Vollziehung in der Türkei

Im Rahmen der objektiven Rechtskontrolle ist eine aufschiebende Wirkung der Klage, die primär dem subjektiven Rechtsschutz des Klägers dient, also nicht erforderlich.73 Der Grundsatz des fehlenden Suspensiveffekts ist vor diesem Hintergrund als logische Folge der türkischen Konzeption anzusehen.74 b) Fehlende Abwägung zwischen kollidierenden Grundrechten oder Interessen im Aussetzungsverfahren Im türkischen Verwaltungsprozessrecht findet bei einem Aussetzungsverfahren, vor allem aufgrund der gesetzlichen Ausgestaltung des Eilrechtsschutzes, keine Abwägung zwischen zwei kollidierenden Interessen und keine anschließende Feststellung des überwiegenden rechtlichen Interesses statt. Eine Aussetzungsentscheidung wird also entsprechend den in Art. 27 ˙IYUK sowie in Art. 125 Abs. 5 TVerf. genannten Voraussetzungen gefasst. Hierbei handelt es sich nicht um Maßstäbe, welche die Gerichte in ihrer Entscheidungsfindung leiten, sondern vielmehr um Erlassvoraussetzungen eines Aussetzungsbeschlusses. In erster Linie stellt dieser Umstand einen grundlegenden Unterschied zum Aussetzungsverfahren im deutschen Verwaltungsprozessrecht dar. Ein fehlender gesetzlicher Abwägungsprozess legt demnach die Einzelheiten und Besonderheiten des Systems des vorläufigen Rechtsschutzes der türkischen Rechtsordnung dar und ist gleichzeitig als Grund für dessen Lückenhaftigkeit anzusehen. aa) Der Grundsatz vom Vorrang des öffentlichen Interesses Im türkischen Verwaltungsprozessrecht herrscht grundsätzlich das Prinzip, dass, wenn sich das öffentliche Interesse an der Vollziehung eines Verwaltungsakts und das Privatinteresse an der Aussetzung einer Vollziehung gegenüberstehen, das öffentliche Interesse per se das überwiegende Interesse darstellt.75 Priorisiert wird demnach die Kontinuität und effektive Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung. Die Aussetzung der Vollziehung stellt dagegen eine Ausnahme dar. Sie kann nur gerichtlich und dann wiederum auch nur unter bestimmten gesetzlichen Voraussetzungen sowie in einer detailliert begründeten Form angeordnet werden. Daraus erklärt sich, warum im konkreten Fall das öffentliche Vollzugsinteresse und das individuelle Aussetzungsinteresse des Antragstellers nicht zwei gleich-

73

Dies erklärt auch, weshalb in der Regelung des § 47 VwGO, die einer objektivrechtliche Kontrolle dient, keine aufschiebende Wirkung vorgesehen ist. 74 Auch zum französischen Recht Cuno, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 71; vgl. SchmidtAßmann, in: Maunz/Du¨ rig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 273. 75 Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması, S. 19.

IV. Verfassungsrechtliche Hintergründe der Aussetzung der Vollziehung

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wertige, gegeneinander abzuwägende Interessen sind und deshalb in der Handhabung der Aussetzung der Vollziehung keine Abwägung stattfindet.76 Eine Abwägung zwischen dem öffentlichen und privaten Interesse kann allerdings im Hinblick auf die Voraussetzung der Rechtmäßigkeit des behördlichen Handelns bei einer Verhältnismäßigkeitsprüfung77 vorgenommen werden. Konkret heißt das, dass die Voraussetzung der „offensichtlichen Rechtswidrigkeit“ für die Aussetzung der Vollziehung eines (Ermessens)Verwaltungsakts durch eine Abwägung der konfligierenden Interessen der Verwaltung und der Kläger geprüft werden kann. Wenn nach der Abwägung für den Erlass eines eingreifenden Verwaltungsakts kein oder nur ein unzureichendes öffentliches Interesse im Verhältnis zu den konfligierenden Privatinteressen besteht, ist der Verwaltungsakt unverhältnismäßig. In Folge ist aufgrund einer offensichtlichen Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts die Aussetzung der Vollziehung begründet. bb) Die Begrenzung des Aussetzungsverfahrens auf zweiseitige Verwaltungsrechtsverhältnisse Art. 27 I˙YUK ist aufgrund seiner Ausgestaltung, die keinen Abwägungsprozess ermöglicht, in mehrpoligen Verwaltungsrechtsverhältnissen nicht anwendbar. Bei Verwaltungsakten mit Drittwirkung ist der vorläufige Rechtsschutz insoweit für den begünstigten Dritten ausgeschlossen. Das heißt, dass der vorläufige Rechtsschutz prinzipiell ein zweiseitiges Rechtsverhältnis zum Gegenstand hat, bei dem sich die Verwaltung und der belastete Bürger gegenüberstehen.78 In diesem zweiseitigen Rechtsverhältnis wird weiterhin dem Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit79 nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt. Die Schaffung eines prozessualen Gleichgewichts zugunsten des Bürgers und gegenüber der Überlegenheit der Verwaltung, wie es im deutschen Eilrechtsschutzverfahren besteht, ist dem türkischen Eilrechtsschutz vergleichsweise fremd. Besonders deutlich wird dies daran, dass trotz der Selbstherrlichkeit der Verwaltung im ge-

Art. 27 I˙YUK regelt die Erlassvoraussetzungen der Aussetzung der Vollziehung. Die Beschlüsse der Aussetzung der Vollziehung werden dementsprechend zwar nicht explizit damit begründet, dass das Privatinteresse an der Aussetzung der Vollziehung gegenüber dem öffentlichen Interesse am Vollzug (als Ausprägung des Grundsatzes der Kontinuität in der Verwaltung) überwiegt. Im Ergebnis stellt ein Aussetzungsbeschluss, der gem. Art. 27 ˙IYUK getroffen wurde, aber mittelbar dar, dass das Privatinteresse als Aussetzungsinteresse, das von vornherein gesetzlich bewertet ist, überwiegt. 77 Vgl. J. Erdem, AÜHFD 2013, 971, 995. 78 Ähnlich auch im französischen Recht Cuno, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 97. 79 Art. 6 EMRK und Art. 73 HMK (türkisches Zivilprozessordnungsgesetz); auch Dinç, TBDD 2005, 283, 300 ff.; zur Terminologie der Waffengleichheit Yes¸ilova, TBBD 2009, 47, 54. 76

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D. Im Rechtsvergleich: Die Aussetzung der Vollziehung in der Türkei

richtlichen Aussetzungsverfahren des ˙IYUK das Eilbedürfnis des Belasteten aufwendig nachgewiesen werden muss.80 Die prozessuale Überlegenheit der Verwaltung in zweiseitigen Verwaltungsrechtsverhältnissen wird in der türkischen Rechtsprechung ebenso wie im ˙IYUK nicht berücksichtigt. Bei zweiseitigen Verwaltungsrechtsverhältnissen wird vielmehr thematisiert, die Eigenständigkeit und Funktionsfähigkeit der Verwaltung und damit auch das öffentliche Interesse seien prävalent. cc) Mangel des einstweiligen Rechtsschutzes in Vornahmesachen Im türkischen Verwaltungsprozessrecht steht dem Betroffenen eine Eilrechtsschutzmöglichkeit lediglich durch Art. 27 I˙YUK zu, wenn ein Verwaltungsakt, der zu einem Schaden führen kann bzw. in die Rechte eines Bürgers eingreift, schon erlassen ist.81 Wenn es um einen Verwaltungsakt mit Doppelwirkung geht, kann für den belastenden Teil des Verwaltungsakts ebenfalls vorläufiger Rechtsschutz gewährt werden. Zum einstweiligen Rechtsschutz in Vornahmesachen existiert keine gesetzliche Bestimmung, welche eine Abwägung der konfligierenden Interessen ermöglicht. Im türkischen Verwaltungsprozess sind folglich gerichtliche einstweilige Anordnungen wie gerichtliche Vollziehungsanordnungen grundsätzlich nicht möglich.82 Diese Feststellung, welche sich unmittelbar aus Art. 27 ˙IYUK ergibt, ist wiederum in der Eigenheit der türkischen Verwaltungsgerichtsbarkeit begründet. Nach Art. 125 Abs. 4 TVerf. ist es den türkischen Verwaltungsgerichten untersagt, sich in die Verwaltungstätigkeiten einzumischen und den Behörden etwaige Anweisungen, Verpflichtungen oder Aufforderungen aufzuerlegen.83 Aus diesem Grund besteht im türkischen Verwaltungsprozess keine Klageart, die vergleichbar mit der Verpflichtungsklage im Sinne der VwGO ist, und damit kein einstweiliges Anordnungsverfahren. Bei der Ablehnung einer Begünstigung oder bei Untätigkeit der Verwaltung kann der Betroffene dennoch im Wege der Aufhebungsklage gegen die Ablehnungsentscheidung vorgehen. Nur in seltenen Fällen, in denen die Verwaltung ablehnende Entscheidungen trifft, steht dem Rechtsbetroffenen dabei auch die Möglichkeit zu, im Anfechtungsverfahren die Aussetzung der Vollziehung gemäß Art. 27 ˙IYUK zu Zu der Beweislast i. S. d. Art. 27 ˙IYUK siehe unten V. 4. a) dd), S. 248. Dabei steht in seltenen Fällen, bei ablehnenden Entscheidungen der Verwaltung, dem Rechtsbetroffenen die Möglichkeit zu, im Wege der Aufhebungsklage die Aussetzung der Vollziehung nach Art. 27 I˙YUK zu beantragen. Dazu unten V. 3. a) aa) (2), S. 234. 82 Zur gerichtlichen Vollziehungsanordnung in Deutschland siehe oben C. III. 3., S. 116 ff.; in Frankreich bestehen drei Vorschriften, die die Möglichkeit einer gerichtlichen Vollziehungsanordnung regeln. Cuno, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 79. 83 Auch Bilgi, Öffentlich-Private Partnerschaften, S. 304: Der Fundamentale Grund hierfür liegt also darin, dass der Grundsatz der Trennung zwischen Exekutive und Judikative – dem französischen Vorbild entsprechend – streng ausgestaltet ist. 80

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IV. Verfassungsrechtliche Hintergründe der Aussetzung der Vollziehung

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beantragen. Das Gericht kann in diesem Fall der Verwaltung jedoch keinerlei Anweisung geben, einen begünstigenden Verwaltungsakt zu erlassen und selbst auch keine einstweilige Anordnung erlassen. Vielmehr kann es die Ablehnungsentscheidung der Verwaltung nur vorläufig aussetzen, wenn diese offensichtlich rechtswidrig wäre und ein schwer reparabler oder irreparabler Schaden drohen würde.84 An dieser Stelle lässt sich abschließend festhalten, dass es grundrechtlich bedenklich ist, dem Betroffenen, dessen Antrag auf einen begünstigenden Verwaltungsakt abgelehnt wird, anders als dem durch einen Verwaltungsakt Belasteten, keine gesetzliche Möglichkeit zum Eilrechtsschutz zu gewähren. Im Sinne eines fairen Verfahrens stehen die Grundrechtspositionen desjenigen, der durch den Verwaltungsakt belastet wird, und desjenigen, der durch den Verwaltungsakt begünstigt wird, gleichwertig nebeneinander. Ohne Verwirklichung des formellen Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz können auch die materiellen Grundrechte des Betroffenen nicht gewährleistet werden. Gegen Ablehnungsentscheidungen, die irreparable Schäden zur Folge haben, müssten die Betroffenen insoweit durch gesetzliche Regelung oder zumindest durch eine konstante gerichtliche Praxis die Möglichkeit erlangen können, die einstweilige Anordnung oder die Anordnung der sofortigen Vollziehung zu beantragen.85 dd) Fehlender Ermessensspielraum und eingeschränkter Beurteilungsspielraum der Gerichte Wegen der fehlenden Interessenabwägung im Aussetzungsverfahren steht den Gerichten bei Entscheidungen über Anträge auf Aussetzung der Vollziehung kein Ermessensspielraum zu. Eine Aussetzungsentscheidung, die unter den im Art. 27 Abs. 2 ˙IYUK festgelegten Voraussetzungen getroffen wird, ist also keine Abwägungsentscheidung. Dem Gericht kommt lediglich bei der Subsumtion der jeweiligen Tatbestandsmerkmale ein eingeschränkter Beurteilungsspielraum zu. Die ausdrückliche Aufstellung der Voraussetzungen im I˙YUK kann einerseits befürwortet werden, da sie zu einer Systematisierung der Gerichtsbeschlüsse führt. Andererseits wird sie aber als eine besondere Problematik im türkischen Verwaltungsprozessrecht angesehen, weil der Gesetzgeber hierdurch den Gerichten keinen Raum für Einzelfallentscheidungen lässt. Die Aussetzung der Vollziehung sollte schließlich nicht auf ein Rechtsschutzinstrument reduziert werden, das lediglich im Falle der Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen angewendet werden kann.86 Im Hinblick auf die Funktionalität der Gerichte ist insbesondere von Bedeutung, dass ihnen durch eine Lockerung der in 84 85 86

Vgl. Kul, YD Kararının Uygulanması, S. 12. Vgl. Cuno, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 94. Vgl. C¸ag˘ a, DD, Y: 9, 34, 40.

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D. Im Rechtsvergleich: Die Aussetzung der Vollziehung in der Türkei

Art. 27 Abs. 2 ˙IYUK normierten Voraussetzungen ein gewisses Ermessen gewährt wird. ee) Die zwingende materiell-rechtliche Prüfung im Aussetzungsverfahren und die Gefahr der Vorwegnahme der Hauptsache Wie bereits erwähnt, kann eine Aussetzungsentscheidung nur nach Maßgabe von Art. 27 Abs. 2 I˙YUK ergehen. Eine der unabdingbaren Bedingungen für eine Aussetzung der Vollziehung ist die offensichtliche Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts, die, wie der Wortlaut bereits impliziert, einen Hinweis über den Klageausgang gibt.87 Aufgrund dieses Tatbestandsmerkmals kann sich das Gericht häufig dazu gezwungen sehen, schon im Aussetzungsverfahren eine eingehende Prüfung vorzunehmen. Dementsprechend besteht durch eine Vorwegnahme der Hauptsache das Risiko, dass die Hauptsacheklage ins Leere geht. Der Umstand kann die Gerichte auch dazu verleiten, das Aussetzungsverfahren zu überspringen oder direkt im Hauptsacheverfahren zu entscheiden, sodass ein wirksamer und effektiver gerichtlicher Rechtsschutz beeinträchtigt werden könnte.88 In diesem Zusammenhang wird die entscheidende materielle Voraussetzung des Aussetzungsverfahrens, „die offensichtliche Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts“ seitens der türkischen Literatur oft kritisiert.89 c) Die Verhinderung von „irreparablen Zuständen“ unter Berücksichtigung der materiellen Grundrechte Auch wenn im türkischen Verwaltungsprozess kaum spezielle Regelungen zum vorläufigen Rechtsschutz vorliegen, die den materiellen Gehalt von Grundrechten unterstreichen,90 ist erkennbar, dass die materiellen Grundrechte bei der Gestaltung und Anwendung der Aussetzung der Vollziehung eine mittelbare Wirkung entfalten. Eine solche mittelbare Wirkung ist zuerst im Hinblick auf die materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Aussetzung der Vollziehung zu betrachten. Im Aussetzungsverfahren nach Art. 27 ˙IYUK wird neben den Erfolgsaussichten der Hauptsache geprüft, ob drohende schwer reparable oder irreparable Nachteile vorliegen. Hierbei wird auch der materielle Gehalt der Grundrechte, in die durch einen Ver87

Dazu unten V. 4. bb) (a), S. 264. Vgl. Ermumcu, MSYD 1998, 1, 2; vgl. C¸ag˘ a, DD, Y: 9, 34, 44. Die Aussetzungsentscheidungen müssen in der Regel, bevor inhaltlich in die Hauptsache eingegangen wird, gefasst werden. Im Unterschied zum vorbeugenden Rechtsschutz wird im vorläufigen Rechtsschutz zunächst nicht die Frage gestellt, welche Partei im Recht und welche im Unrecht ist, sondern ob Eilbedürftigkeit für eine vorläufige Maßnahme vorliegt. 89 Zu einer Auseinandersetzung mit dem Erfordernis der „offensichtlichen Rechtswidrigkeit“ des Verwaltungsakts siehe unten V. 4. b) bb) (2), S. 267 ff. 90 Zum Abschiebungsverbot siehe unten V. 1. b) bb), S. 229. 88

IV. Verfassungsrechtliche Hintergründe der Aussetzung der Vollziehung

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waltungsakt eingegriffen wird, teilweise berücksichtigt. Es handelt sich sowohl um den objektiv-rechtlichen als auch subjektiv-rechtlichen Gehalt der Grundrechte. aa) Der sich durch Vollziehung erledigende Verwaltungsakt Im Wege des Aussetzungsverfahrens nach Art. 27 I˙YUK wird bestimmten Verwaltungsakten, und damit auch mittelbar dem materiellen Gehalt der betroffenen Grundrechte, im Rahmen der Notwendigkeit eines unverzüglichen Rechtsschutzes Bedeutung zugemessen. Je nach Gehalt und Wirkung des Verwaltungsakts und der damit einhergehenden Gefahr der Verwirkung der in Rede stehenden Rechte, kann sich der Verlauf des Aussetzungsverfahrens ändern.91 Bei Abrissverfügungen wird beispielsweise angeführt, dass aufgrund des Sinngehalts des zu schützenden Eigentumsrechts der materielle Gehalt des Grundrechts verwirkt wäre, wenn keine unverzügliche Aussetzung der Vollziehung erfolgt. So wäre etwa nach einer sofortigen Vollziehung einer Abrissverfügung keine Kompensation des verletzten Rechts mehr möglich. Eine ähnliche Beurteilung gibt es auch bei Abschiebungsanordnungen. Aus materiell-grundrechtlicher Perspektive liegt eine hohe Eilbedürftigkeit der Sache vor, wenn zu befürchten ist, dass bei einer sofortigen Vollziehung der Abschiebungsverfügung vor allem hoch geschützte Rechtsgüter wie das Leben oder die körperliche Unversehrtheit des Rechtsschutzsuchende beeinträchtigt werden könnten.92 Solche belastenden Verwaltungsakte, durch deren sofortige Vollziehung irreparable Schäden eintreten können, werden im türkischen Recht als Verwaltungsakte eingestuft, die sich durch die Vollziehung erledigen.93 Folglich muss die Vollziehung solcher Verwaltungsakte unverzüglich ausgesetzt werden, weil hier vor allem der eilige Rechtsschutz der einzelnen materiellen Grundrechte in Rede steht und insoweit das Problem des drohenden Schadens nicht auf die Ebene des Sekundärrechtsschutzes verlagert werden kann.94 Die Existenz eines solchen Verwaltungsakts stellt allerdings im Sinne des Art. 27 Abs. 2 I˙YUK keine der materiellen Voraussetzungen (Erlassvoraussetzungen) für eine Aussetzung der Vollziehung dar, sondern dient lediglich als formeller Maßstab des Aussetzungsverfahrens in Art. 27 Abs. 2 I˙YUK. Wenn auch nicht in funktioneller 91

Unter dem Gesichtspunkt der „Irreparabilität“ können die Aussetzungsentscheidungen seitens der türkischen Verwaltungsgerichte nämlich – abweichend von der Regelung des Art. 27 ˙IYUK – auch nahezu automatisch gefasst werden. Zur vorläufigen Aussetzungsentscheidung als gerichtliche Praxis zum Zweck der Beschleunigung des Aussetzungsverfahrens siehe unten V. 4. a) ee), S. 249 ff. 92 Vgl. Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması, S. 171. 93 Vgl. AYM, E. 2012/100, K. 2013/84, T. 04. 07. 2013, R.G. 02. 08. 2013 – 28726; vgl. Danıs¸tay 15. D., E. 2016/1583, T. 18.03.2016 – n. v.; E. 2016/5251, T. 17.06.2016 – n. v. 94 Vgl. Köktu¨ rk, AKTD 2012, 31, 33 ff.

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D. Im Rechtsvergleich: Die Aussetzung der Vollziehung in der Türkei

Hinsicht, ist ein solcher Verwaltungsakt als Maßstab aber in inhaltlicher Hinsicht mit der Erlassvoraussetzung der „irreparablen Schäden“ des Art. 27 Abs. 2 ˙IYUK gleichzusetzen. Unter dem Begriff des sich durch Vollziehung erledigenden Verwaltungsakts sind nämlich unwiederholbare oder unumkehrbare Verwaltungsakte zu verstehen, die auf eine Irreparabilität hinweisen.95 Ein durch die Vollziehung eines Verwaltungsakts einzutretender Schaden erlangt im Hinblick auf die Grundrechte an Relevanz, die durch die Vollziehung beeinträchtigt werden könnten. Das Konzept der sich durch Vollziehung erledigenden Verwaltungsakte steht somit im Zusammenhang mit dem Inhalt der Grundrechte. Dabei zeigt der abstrakte Inhalt des durch den Verwaltungsakt betroffenen Grundrechts vom Wesen her nicht immer auf, ob dieser Verwaltungsakt nach seiner Vollziehung unumkehrbar ist. Zum Beispiel stellt nicht jeder Eingriff in das Eigentumsrecht, bedingt durch den Vollzug eines belastenden Verwaltungsakts, eine irreversible Beeinträchtigung dar. Schließlich könnten die sich durch Vollziehung erledigenden Verwaltungsakte seitens des Gesetzgebers und der Gerichte kategorisch benannt werden96 wie auch als materieller Maßstab für die Aussetzungsentscheidungen festgesetzt werden. Das wäre für die Beschleunigung des Aussetzungsverfahrens sinnvoll und würde das Ermessen der Gerichte nicht ausschließen, bei Bedarf ein Aussetzungsverfahren anhand des konkreten Einzelfalles vorzunehmen. bb) Die Dringlichkeit der Sache als Maßstab Bei manchen Fällen, deren zögerliche Behandlung zu unwiderruflichen oder nur schwer widerruflichen Schäden führen würde, ist der Maßstab der Dringlichkeit der Sache von besonderer Bedeutung.97 Dem Maßstab wird vom türkischen Verwaltungsprozessrecht allerdings nicht genügend Bedeutung beigemessen.98 Teilweise wird er in den Verfassungsurteilen erörtert. In diesem Zusammenhang sind auch ausgewählte Urteile des EGMR zu betrachten, welche dem Maßstab der Eilbedürftigkeit Aufmerksamkeit schenken und Anforderungen an die Gewährung effektiven Eilrechtsschutzes in der Türkei stellen. Eines hiervon ist das Urteil „Jabari vs. Türkei“. In dem diesem Urteil zugrunde liegenden Fall wurde der Asylantrag eines iranischen Staatsbürgers, dem im Falle Vgl. Gök, ˙IBD, 113, 119; vgl. Tetik, ˙InÜHFD 2020, 708, 714. Dazu B. Erdem, AKTD 2012, 31, 45. In dem Gesetzentwurf vom Jahr 2005 wurden Kategorisierungen der Verwaltungsakte wie „Abriss und Abschiebung“ vorübergehendes Gewerbeverbot und Berufsausübungsverbot erwähnt. 97 Yes¸ilyurt, AÜSBFD 2015, 403, 409. 98 Im Sinne des ˙IYUK ist das primäre Kriterium für die Aussetzungsentscheidungen die Erfolgsaussicht der Hauptsache. Allein nach der Dringlichkeit der Sache kann die Aussetzung der Vollziehung nicht angeordnet werden. Abweichungen hierzu in der gerichtlichen Praxis siehe unten V. 4. a) ee), S. 249 ff. 95

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IV. Verfassungsrechtliche Hintergründe der Aussetzung der Vollziehung

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einer Abschiebung Folter und körperliche Misshandlung drohten,99 von den türkischen Behörden abgelehnt und eine Abschiebungsanordnung erteilt. In der daraufhin erhobenen Aufhebungsklage vor dem Verwaltungsgericht Ankara wurde vom Kläger die Aussetzung der Vollziehung beantragt. Diese wurde aber mit der Begründung abgelehnt, dass die Voraussetzung des kumulativen Vorliegens einer offensichtlichen Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts und des Drohens eines schweren oder irreparablen Schadens gemäß Art. 27 Abs. 2 I˙YUK nicht erfüllt sei. Das Verwaltungsgericht nahm hier weder Rücksicht auf den Asylbewerberstatus, der dem Kläger durch die UNHCR100 verliehen wurde, noch führte es gemäß Art. 13 EMRK eine umfangreiche und unabhängige Untersuchung des Antrags auf Aussetzung der Vollziehung, unter Berücksichtigung der drohenden Folter und des körperlichen Missbrauchs, durch.101 Eine darauffolgende Anrufung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ergab, dass die Aufhebungsklage vor dem türkischen Gericht keinen effektiven Rechtsweg und keine dringliche Behandlung der Sache darstellte und in erster Linie das Recht auf eine wirksame Beschwerde gemäß Art. 13 EMRK verletzt wurde.102 Ähnlichen Feststellungen sind zudem in dem Urteil „Abdolkhani und Karimnia vs. Türkei“ zu finden. In dem diesem Urteil zugrunde liegenden Fall prüfte das türkische Verwaltungsgericht im Rahmen des Aussetzungsverfahrens bezüglich der Abschiebungsanordnung ebenfalls die Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen des Art. 27 I˙YUK, und zwar das kumulative Vorliegen eines schwer reparablen oder irreparablen Schadens und einer offensichtlichen Rechtswidrigkeit. Wegen der fehlenden Voraussetzung der offensichtlichen Rechtswidrigkeit lehnte es den Antrag ab. Dementgegen kam der EGMR in dem Beschwerdeverfahren zu der Ansicht, dass die Aufhebungsklage bei Abschiebungsanordnungen wegen der Eilbedürftigkeit der Sache und des hohen Rangs der geschützten Rechtsgüter eine aufschiebende Wirkung zur Folge haben müsste; weil eine solche Regelung im türkischen Rechtssystem aber nicht vorhanden sei, stelle die Aufhebungsklage deshalb kein effektives nationales Rechtsmittel dar.103

99 Im Fall wurde die Asylantin mit „Recm“ bedroht, weil sie in Iran Unzucht bzw. Ehebruch trieb und dieser Tat gem. Strafgesetzbuch des Iran strafbar ist. EGMR, Jabari v. Türkei, No. 40035/98, §§ 34, 41. 100 Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen. 101 Wenn die Behauptung des Eintritts eines irreparablen Schadens im Falle von Folter und körperlicher Misshandlung und die Bedeutung des Art. 3 EMRK vor Augen gehalten wird, bedarf es aufgrund des Begriffs des effektiven innerstaatlichen Rechtswegs (effective remedy) einer unabhängigen und gründlichen Untersuchung, wenn berechtigte Gründe für die Befürchtung des körperlichen Wohles existieren. EGMR, Jabari v. Türkei, No. 40035/98, § 50. 102 Vgl. EGMR, Jabari v. Türkei, No. 40035/98. 103 EGMR, Abdolkhani und Karimnia v. Türkei, No. 30471/08.

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D. Im Rechtsvergleich: Die Aussetzung der Vollziehung in der Türkei

Der EGMR hat auch in vielen weiteren vergleichbaren Urteilen zu Lasten der Türkei104 hervorgehoben, dass ein drohender schwerer oder irreparabler Schaden für die Anordnung einer Aussetzung der Vollziehung ausreichend sei und eine offensichtliche Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts nicht kumulativ vorliegen müsse.105 Nach einheitlicher Rechtsprechung des EGMR verstößt eine Abschiebungsanordnung ferner gegen Art. 3 EMRK, wenn sie gegen ein Asylersuchen verfügt wird, und dem Schutzsuchenden im Falle einer Abschiebung in dem jeweiligen Land eine Misshandlung im Sinne von Art. 3 EMRK droht; zudem macht sich der jeweilige Staat, der diese Regelung missachtet, gegenüber der Konvention verantwortlich.106 Als Reaktion auf diese Urteile wurden im Jahr 2013 ein Ausländergesetz erlassen und Abschiebungsfälle aus dem Anwendungsbereich des I˙YUK, welches lediglich allgemeine verwaltungsrechtliche Regelungen beinhaltet, herausgenommen. Durch dieses spezielle Gesetz wurde für bestimmten Fällen ein Abschiebungsverbot vorgesehen, sodass wegen einer drohenden Gefahr für Leib oder Leben, für die persönliche Freiheit oder aus sonstigen zwingenden Gründen die Abschiebung nicht angeordnet werden darf. Abgesehen davon wurde im Hinblick auf den vorläufigen Rechtsschutz geregelt, dass während der Klagefrist und bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens die Abschiebungsanordnung nicht vollzogen werden darf.107 Die gesetzliche Entwicklung blieb hinsichtlich des türkischen Eilrechtsschutzes hierauf beschränkt. Jedoch bedürfen viele Bereiche einer wie der vorgenannten speziellen Regelung oder zumindest einer Lockerung der gesetzlichen Voraussetzungen des Art. 27 Abs. 2 I˙YUK, sodass bei einer Dringlichkeit der Sache eine unverzügliche Aussetzungsentscheidung erlassen werden kann. Mit den Entscheidungen des EGMR ist die türkische Rechtsprechung jedenfalls bei Verwaltungsakten, die sich mit ihrer Vollziehung erledigen, angehalten, auf die Voraussetzung des kumulativen Vorliegens des drohenden irreparablen Schadens und der offensichtlichen Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts in Art 27 Abs. 2 I˙YUK zu verzichten.108 Das Vorliegen einer der beiden Voraussetzungen sollte insoweit für die Aussetzung der Vollziehung ausreichen.109 104 Dazu nach 2010 die auf das Karimnia v. Türkei Urteil folgenden Urteile: EGMR Charahili v. Türkei, No. 46605/07; Ranjbar und Anderen v. Türkei, No. 37040/07; Keshmiri v. Türkei, No. 22426/10; Tehrani und Anderen v. Türkei, Nos. 32940/08, 41626/08, 43616/08; Kurkaev v. Türkei, No. 10424/05; Dbouba v. Türkei, No. 15916/09; dazu Erkem, I˙HOP I˙zleme Raporu, S. 2 ff. 105 Auch Kasapog˘ lu Turhan, DEÜHFD 2012, 1, 31. 106 Jabari v. Türkei, No. 40035/98, § 38; vgl. EGMR, Soering v. Vereinigtes Königreich, Series A Nr. 161, 35, §§ 90 – 91; Cruz Varas v. Schweden, Series A Nr. 201, 28, §§ 69 – 70; Chahal v. Vereinigstes Königreich, RD 1996-V, 1853, §§ 73 – 74. 107 Auch Yig˘ it, SÜHFD 2017, 577, 601 f.; siehe auch unten V. 1. b) bb), S. 229. 108 Zu den ausführlichen Bewertungen unten V. 4. b) cc), S. 269 f. 109 Vgl. Sancaktar, AI˙D 2005, 89, 103; nach Art. 53 Abs. 1 I˙YUK werden die Urteile des EGMR als ein Grund für die Erneuerung des Prozesses vorgesehen. Dies reicht für die Verhinderung von Rechtsmissbräuchen jedoch allein nicht aus.

IV. Verfassungsrechtliche Hintergründe der Aussetzung der Vollziehung

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6. Eine Gegenüberstellung des vorläufigen Rechtsschutzes im deutschen und türkischen Recht aus verfassungsrechtlicher Perspektive Im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Hintergründe unterscheiden sich das deutsche und türkische Recht erheblich voneinander. Zunächst weicht das Gewaltenteilungsverständnis in beiden Ländern voneinander ab. In Deutschland kommt der Judikative eine starke Stellung im Gewaltengefüge zu. Hierbei kann gar von einer gerichtsgeprägten Gewaltenteilung gesprochen werden.110 Auch insoweit wird der vorläufige Rechtsschutz gegen die öffentliche Gewalt in besonderer Intensität verwirklicht. Demgegenüber legt die Rechtsordnung der Türkei einen stärkeren Schwerpunkt auf die Ermöglichung effektiven Verwaltungshandelns.111 Im türkischen Recht ist der vorläufige Rechtsschutz besonders unter dem Aspekt eingeschränkt, inwieweit ein „Hineinregieren“ der Judikative in das Verwaltungshandeln erlaubt sei.112 Der vorläufige Rechtsschutz befasst sich in erster Linie nicht damit, die Rechte des Bürgers wirksam zu schützen, sondern vielmehr, die Verwaltung in ihrer Eigenständigkeit nicht einzuschränken. Anders als der positivistische Ansatz des deutschen Rechts, der den vorläufigen Rechtsschutz zu festigen dient, geht es im türkischen Recht um die abstrakten Regelungen des Verwaltungsprozessrechts bzw. die geringe Regelungsdichte im vorläufigen Rechtsschutz.113 Weiterhin ist dem deutschen Recht eine präzise verfassungsrechtliche Regelung zum vorläufigen Rechtsschutz, wie im türkischen Recht vorhanden, fremd. Gleichwohl hat dieser Umstand keinen Einfluss auf die Effektivität des Rechtsschutzes. Bei der Verortung der Aussetzung der Vollziehung in der türkischen Verfassung handelt es sich nicht um die verfassungsrechtliche Gewährleistung eines effektiven vorläufigen Rechtsschutzes. Dabei weisen beide Rechtssysteme im Hinblick auf das Effektivitätsgebot Ähnlichkeiten auf. Nach der Verfassung der beiden Länder ist die aufschiebende Wirkung nicht geboten und das gesetzliche Modell der Aussetzung der Vollziehung mit den verfassungsrechtlichen Grundprinzipien vereinbar. Genauer gesagt, entspricht die Aussetzung der Vollziehung als Regelinstitut dem Verständnis eines effektiven Rechtsschutzes sowohl in der Türkei als auch in Deutschland. In puncto Effektivität des vorläufigen Rechtsschutzes bestehen hingegen, besonders wegen der unterschiedlichen Rechtsschutzkonzepte, etliche Abweichungen zwischen der deutschen und türkischen Verwaltungsgerichtsbarkeit. Die türkische Verwaltungsgerichtsbarkeit dient hauptsächlich der objektiven Rechtskontrolle. 110

Zur starken Gerichtsgeprägtheit oder Gerichtszentriertheit der Gewaltenteilung Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Du¨ rig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 10. 111 So wie in den meisten europäischen Ländern Martens, Suspensiveffekt, S. 14. 112 Zu Frankreich Knoll, Grundzüge eines europäischen Standards, S. 23. 113 Dies weist darauf hin, dass der Verwaltung in der Türkei ein weiterer Ermessensspielraum zusteht. Vgl. Marsch, Subjektivierung der gerichtlichen Verwaltungskontrolle, S. 61.

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D. Im Rechtsvergleich: Die Aussetzung der Vollziehung in der Türkei

Zumal in der Türkei entsprechend diesem Rechtsschutzkonzept nicht der Schutz subjektiver Rechte, sondern vielmehr die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns im Zentrum des Verwaltungsprozesses steht, wird dem Eilrechtsschutz im Verwaltungsprozess nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt. Der drohenden Verletzung subjektiver Interessen wird insoweit nicht immer mit Hilfe eines effektiven Prima¨ rrechtsschutzes entgegengetreten, vielmehr wird das Problem eines drohenden Schadens auf die Ebene des Sekunda¨ rrechtsschutzes verlagert, also die Rechtsverletzung letztlich kompensiert.114 Auch wenn der Faktor der Verhinderung irreparabler Schäden im Sinne des vorläufigen Rechtsschutzes eine erwähnenswerte Rechtsschutzfunktion schafft, gründen die Entscheidungen der Verwaltungsgerichte vor allem nicht darauf, für drohende Rechtsverletzungen zeitnah eine Sicherung und Befriedigung zu ermöglichen. Vor diesem Hintergrund zeigen sich im türkischen Recht die strengen gesetzlichen Voraussetzungen zur Aussetzung der Vollziehung, das Fehlen eines Abwägungsprozesses, und der damit einhergehenden Mangel jeglichen Ermessens der Gerichte im Aussetzungsverfahren, sowie der Mangel des einstweiligen Rechtsschutzes. Nach der deutschen Konzeption dient die verwaltungsgerichtliche Kontrolle dagegen primär dem Schutz subjektiver Rechte.115 In Deutschland ist der Vorrang des Prima¨ rrechtsschutzes direkte Folge der Garantie des effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG. Die Verwaltungsgerichte besitzen dementsprechend einen ausreichenden Entscheidungsspielraum, um drohende Rechtsverletzungen soweit wie möglich abwenden zu können, insbesondere wenn diese nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens nicht mehr kompensierbar wären.116 Unterschiede in den Rechtsschutzkonzepten deuten auch darauf hin, dass die Wirkung der materiellen Grundrechte bei der Ausprägung des vorläufigen Rechtsschutzes in beiden Ländern in unterschiedlicher Intensität eintritt. Im deutschen Recht sind sowohl der Inhalt der Verwaltungsakte als auch der materielle Inhalt der Grundrechte bei der gesetzlichen Bestimmung des Regelfalls und des Ausnahmefalls zum Suspensiveffekt entscheidend. Das ist vor allem in speziellen Regelungen zum vorläufigen Rechtsschutz wie insbesondere im Ausländer- und Umweltrecht, aber auch in § 80 VwGO zu sehen. Daher wäre es nicht falsch, zu sagen, dass sich im deutschen Rechtsschutzsystem prinzipiell grundrechtsorientierte vorläufige Rechtsschutzmaßnahmen wiederfinden. Im türkischen Recht existiert ein solches Grundverständnis, nach dem sich der vorläufige Rechtsschutz an Grundrechten und -freiheiten orientiert, nicht.117 Den114 AYM, E. 1963/162, K. 1964/19, T. 13. 03. 1964, R.G. 11. 06. 1964 – 11725; auch Kasapog˘ lu Turhan, DEÜHFD 2012, 1, 22; zu Frankreich Marsch, Subjektivierung der gerichtlichen Verwaltungskontrolle, S. 258. 115 Cuno, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 71. 116 Marsch, Subjektivierung der gerichtlichen Verwaltungskontrolle, S. 258 f.; vgl. BVerfGE 58, 300, 324. 117 Vgl. Bilgi, Öffentlich-Private Partnerschaften, S. 305.

IV. Verfassungsrechtliche Hintergründe der Aussetzung der Vollziehung

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noch sind einige Gerichtsbeschlüsse anzutreffen, welche die Notwendigkeit einer unverzüglichen Aussetzung der Vollziehung aufzeigen und in denen die Art des Verwaltungsakts sowie die Relevanz des ihm zugrundeliegenden Grundrechts hervorgehoben werden.118 Letztlich sind die materiellen Grundrechte im türkischen Rechtssystem bei der Ausgestaltung der vorläufigen Rechtsschutzmaßnahmen dennoch nicht von großer Relevanz. Damit haben sie in der Folge auch keinen nennenswerten Einfluss auf die Effektivierung des gerichtlichen Aussetzungsverfahrens. Mit der Wirkung der materiellen Grundrechte zusammenhängend wird auch der Aspekt der Irreparabilität in beiden Rechtssystemen unterschiedlich gewertet. Im türkischen Recht sind die irreparablen Nachteile, wegen der fehlenden Interessenabwägung im Aussetzungsverfahren nach Art. 27 I˙YUK, aus Sicht der Kläger erheblich. Das Kriterium der Irreparabilität wird demnach mit der Dringlichkeit bei der Aussetzung der Vollziehung gleichgesetzt. Im deutschen Recht hingegen wird der Aspekt der Irreparabilität, wie im § 80 Abs. 5 VwGO oder § 123 VwGO, nicht nur aus Sicht des Rechtsschutzsuchenden betrachtet. Bei einer Interessenabwägung im Eilverfahren werden etwaige irreparable Zustände für alle Seiten, die vom streitigen Rechtsverhältnis betroffen sind, berücksichtigt. Nur beim Suspensiveffekt des § 80 Abs. 1 VwGO ist ein Abwägungsprozess im Hinblick auf irreparable Zustände entfallen.119 7. Stellungnahme zur verfassungsrechtlichen Gewährleistung des vorläufigen Rechtsschutzes im türkischen Recht Die verfassungsrechtliche Anerkennung des vorläufigen Rechtsschutzes bedeutet nicht gleichzeitig dessen effektive Umsetzung. In diesem Zusammenhang hat es keine besondere Bedeutung, dass die Aussetzung der Vollziehung in die türkische Verfassung aufgenommen wurde. Es ist vollkommen ausreichend, das Institut des vorläufigen Rechtsschutzes lediglich im Gesetz zu verankern, wenn ein effektiver verfassungsrechtlicher Schutz von grundrechtlichen Werten gewährleistet wird. Wie bereits aufgezeigt wurde, kann die Aufnahme einer präzisen Regelung zum vorläufigen Rechtsschutz in die Verfassung sogar problematische Konstellationen nach sich ziehen. Eine konkret ausgestalteten Verfassungsnorm, welche über ein geringes Abstraktionsniveau verfügt, engt den Gestaltungsspielraum bezüglich des Erlasses 118 Jedenfalls führt die Verknüpfung der Anordnung der Aussetzung der Vollziehung mit der Voraussetzung der offensichtlichen Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts zu einer erheblichen Entkräftung des Kriteriums des schweren oder irreparablen Schadens. Die gerichtliche Prüfung und Feststellung der beiden Voraussetzungen ist regelmäßig langwierig und führt letztlich zu erheblichen Verzögerungen beim Erlass von Aussetzungsentscheidungen. Siehe unten V. 4. b) bb) (2), S. 267. 119 Im § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO sind die Risiken vorn vorherein derart verteilt, dass das Interesse der Rechtsschutzsuchenden bis auf weiteres überwiegt.

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D. Im Rechtsvergleich: Die Aussetzung der Vollziehung in der Türkei

einfachgesetzlicher Regelungen ein. Das kann sich nachteilig auf die Beständigkeit der Verfassung auswirken. Kommt es zu einer Änderungsbedürftigkeit der betroffenen Gesetze, müssten neue verfassungsrechtliche Grundlagen geschaffen werden. Im Bereich des türkischen Eilrechtsschutzes zeigt sich diese Problematik besonders anhand von Art. 125 TVerf. Die Verfassungsnorm weist einerseits einen einfachgesetzlichen Charakter auf, andererseits ist sie in formeller Hinsicht jedoch von Verfassungsrang. Soweit die rechtlichen Voraussetzungen des Aussetzungsverfahrens nach Art. 27 I˙YUK geändert werden sollen, bedarf es auch einer Änderung von Art. 125 TVerf. Die Aussetzung der Vollziehung, deren Gewährleistung sich, nach verbreiteter Ansicht, aus der Regelung des Art. 125 TVerf. ergeben soll, könnte im Grunde ohnehin durch die verfassungsrechtlichen Grundprinzipien gewährleistet werden. In diesem Sinne ist nicht Art. 125 TVerf., die Grundlage für die Gewährung eines effektiven vorläufigen Rechtsschutzes, sondern vielmehr das Sinngefüge der türkischen Verfassung, wobei insbesondere die Regelung zum fairen und wirksamen Verfahren in Art. 36 Abs. 1 TVerf. hervorzuheben ist. An Bedeutung gewinnt dieser Aspekt durch Art. 6 und 13 EMRK. Da Art. 125 Abs. 6 TVerf. zu einer erheblichen Einschränkung der Aussetzung der Vollziehung führt, ist gar die Behauptung vertretbar, Art. 125 TVerf. sei nicht verfassungsverträglich. Dabei gibt es gegen die für den Regelfall vorgesehene gerichtliche Aussetzung der Vollziehung keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Wie bei den Ausführungen zum deutschen Recht dargelegt,120 kann auf den Grundsatz des Suspensiveffekts im vorläufigen Rechtsschutz verzichtet werden. Aus verfassungsrechtlicher Perspektive sind die automatische aufschiebende Wirkung und die gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung als gleichwertige Modelle zu betrachten. Nur wenn beides ausgeschlossen ist, kann von einem Verstoß gegen das Effektivitätsgebot im Eilrechtsschutz gesprochen werden.121 In diesem Zusammenhang ist ein Ausschluss der Aussetzung der Vollziehung im türkischen Rechtsschutzsystem inakzeptabel, weil diese der einzige Weg zum verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz ist. Soweit ein Eingriff in Grundrechte, trotz der Eilbedürftigkeit, nicht durch ein Institut im Sinne des vorläufigen Rechtsschutzes verhindert werden kann, fehlt es zweifellos an einem wirksamen Rechtsschutz. Ein Wegfall der Aussetzung der Vollziehung stellt dann nicht nur einen Verstoß gegen das Recht auf ein faires und wirksames Verfahren dar, sondern auch einen Eingriff in die jeweiligen Grundrechte, die wegen des fehlenden Eilrechtsschutzes beeinträchtigt werden könnten.122 Neben den Ausschlüssen ist auch eine Erschwerung der Aussetzung der Vollziehung verfassungsrechtlich bedenklich. In diesem Sinne sind die Voraussetzungen 120 121 122

Siehe oben B. VII. 1., S. 51 ff. Vgl. Cuno, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 90; siehe auch oben C. IV. 2. a), S. 134. C¸ag˘ a, DD, Y: 9, 34, 39.

IV. Verfassungsrechtliche Hintergründe der Aussetzung der Vollziehung

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für eine Aussetzung der Vollziehung in Art. 27 ˙IYUK sowie Art. 125 TVerf. kritisch zu betrachten. Besonders die Aussetzung der Vollziehung, deren Anwendung unbedingt vom Vorliegen der offensichtlichen Rechtswidrigkeit abhängt, ist nicht vereinbar mit einem wirksamen Rechtsschutz.123 Die Aussetzungsbeschlüsse richten sich grundsätzlich nicht danach, wem in der Hauptsache Recht zugesprochen wird. Das ist auch der Grund für die Vorläufigkeit dieser Beschlüsse. Insoweit sollte das Vorliegen von irreparablen oder schwer reparablen Zuständen, die durch eine sofortige Vollziehung des Verwaltungsakts drohen, schon allein für die Anordnung der Aussetzung der Vollziehung ausreichen können. Eine besondere Problematik des vorläufigen Rechtsschutzes in der Türkei stellt zudem dar, dass nicht jedes Verwaltungsrechtsverhältnis vom verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren erfasst wird. Die Frage, wie bei den kollidierenden Interessen in der Hauptsache die Gefahr der irreparablen Schäden bis zur Hauptsacheentscheidung verhindert oder verringert werden kann, bleibt im türkischen Recht erstaunlicherweise offen. Zuallererst wird verfassungsrechtlich gefordert, dass ein vorläufiger Rechtsschutz für alle Seiten eines verwaltungsrechtlichen Rechtsverhältnisses zur Verfügung stehen und normativ durch ein faires Verfahren auf Verwirklichung der Rechte bzw. der kollidierenden Interessen abzielen muss. In diesem Zusammenhang erscheint es vorzugswürdig, dass in einem Aussetzungsverfahren, anders als in Art. 27 ˙IYUK vorgesehen, eine Abwägung vorgenommen wird, bei der vor allem das Dringlichkeitsinteresse an der Aussetzung der Vollziehung sowie der Vollziehung und auch die Erfolgsaussichten in der Hauptsache – soweit greifbar – zu berücksichtigen sind. Dem Gericht sollte ein Entscheidungsspielraum darüber verbleiben können, ob das Vollzugsinteresse oder das Aussetzungsinteresse überwiegt. Darüber hinaus wäre es im Hinblick auf eine Effektivierung des Eilrechtsschutzsystems angebracht, dass der vorläufige Rechtsschutz auch nach einer behördlichen Interessenabwägung und einem rechtlichen Gehör des Betroffenen durch die Verwaltung gewährt werden kann. Die Nachteile, dass die Inanspruchnahme des dringlichen Schutzes in Form des gerichtlichen vorläufigen Rechtsschutzes schwer ist und häufig wegen des sofortigen Vollzugs durch die Verwaltung unmöglich ist, sind teils auch durch Einführung eines behördlichen Eilverfahrens zu mildern. Auch wenn das Institut der Aussetzung der Vollziehung in erster Linie dem Schutz individueller Rechte dient, bezweckt es auch den Schutz des öffentlichen Interesses, indem mögliche Schadensersatzzahlungen vermieden und Misstrauen wegen inkonsequentem Verwaltungshandeln verringert werden.124 Dementsprechend sollte den gesetzlichen Entwicklungen bezüglich des Rechts auf eine gute Verwaltung125 sowie einer effektiven Ausgestaltung des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens bei 123 Dazu C¸ag˘ a, DD, Y: 9, 34, 44. Darum haben die Hauptsacheentscheidungen häufig einen mit den Entscheidungen zur Aussetzung der Vollziehung gleichen Inhalt. 124 Kıratlı, AÜSBFD 1966, 173, 182. 125 Dazu Art. 41 CGR, ABl. EU 2007 C 303/17.

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D. Im Rechtsvergleich: Die Aussetzung der Vollziehung in der Türkei

der Verwirklichung eines effektiven vorläufigen Rechtsschutzes in der Türkei mehr Bedeutung zukommen. Für einen effektiven Rechtsschutz ist es jedenfalls unverzichtbar, dass ein gerichtlicher Rechtsschutz normativ so geregelt ist, dass möglichst zeitnah eine vorläufige Entscheidung getroffen werden kann.126

V. Die verwaltungsrechtliche Ausgestaltung der Aussetzung der Vollziehung An die vorherigen Ausführungen zum vorläufigen Rechtsschutz in der Türkei wird nunmehr mit der Aussetzung der Vollziehung angeknüpft, die in Art. 27 ˙IYUK normiert ist. Um sich den Regelungsgehalt von Art. 27 ˙IYUK zu vergegenwärtigen und die inhaltlichen sowie strukturellen Unterschiede im Hinblick auf § 80 VwGO aufzuzeigen, ist es erforderlich, korrespondierende türkische verwaltungsrechtliche Regelungen und das Wesen der sie anwendenden Gerichtsbarkeit zu untersuchen. 1. Das Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen der sofortigen Vollziehung und dem Suspensiveffekt Um die Ausgestaltung der Aussetzung der Vollziehung in einem Vergleich zwischen dem türkischen und dem deutschen Recht zu qualifizieren und zu beurteilen, ist zuallererst zu erörtern, ob im türkischen Recht auch ein Regel-Ausnahme Verhältnis zwischen der aufschiebenden Wirkung und der sofortigen Vollziehung besteht. Die genannte Frage ist vor allem unter Rekurs auf die herrschenden Grundsätze des allgemeinen türkischen Verwaltungsprozessrechts zu beantworten. Aus ihnen folgt ein umgekehrtes Regel-Ausnahme-Verhältnis zur aufschiebenden Wirkung im Vergleich zu deutschem Recht. Im Gegensatz zur deutschen Verwaltungsgerichtsordnung ist der Suspensiveffekt in der türkischen Verwaltungsgerichtsordnung keine Regel, sondern eine Ausnahme. a) Der Grundsatz des fehlenden Suspensiveffekts Im türkischen Recht gilt der Grundsatz, dass Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben. Der Grundsatz ist auch in Art. 27 Abs. 1 I˙YUK positiv rechtlich normiert: „Die Erhebung der Klage beim obersten Verwaltungsgericht oder bei den Verwaltungsgerichten hat für den angefochtenen Verwaltungsakt keine aufschiebende Wirkung.“ 126

Vgl. S¸en, TBBD 2014, 155, 159.

V. Die verwaltungsrechtliche Ausgestaltung der Aussetzung der Vollziehung

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Aus dem Wortlaut folgt lediglich, dass es bei „Klageerhebung“ zu keinem Suspensiveffekt kommt. Gleichwohl ist die Vorschrift extensiv auszulegen. Das heißt vor allem, dass auch die Einlegung des Widerspruchs keinen Suspensiveffekt entfaltet. Hierfür spricht der Umstand, dass, wenn der Klage keine aufschiebende Wirkung zukommen soll, die aufschiebende Wirkung auch vor Klageerhebung nicht einmal eintreten soll. Andernfalls wäre eine spezielle Regelung erforderlich, wonach Widersprüche mit einem Suspensiveffekt einhergehen.127 Der Grundsatz des fehlenden Suspensiveffekts hängt auch mit zwei weiteren Prinzipien des Verwaltungsverfahrens unmittelbar zusammen: Zum einen, dass die Verwaltung auch ohne eine gerichtliche Entscheidung bindende Entscheidungen treffen kann (privilège du préalable), und zum anderen, dass jedes Handeln der Verwaltung zunächst als rechtmäßig vermutet wird (présomption de légalité). Aus dem Zusammenspiel der beiden Prinzipien ergibt sich zwangsläufig, dass Entscheidungen der Verwaltung unmittelbar vollziehbar sein müssen (caractère executoire des decisions administratives).128 aa) Der Grundsatz der sofortigen Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts Der Grundsatz der sofortigen Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts sagt im türkischen Recht aus, dass die Verwaltungsakte grundsätzlich unmittelbar vollziehbar und sofort durchsetzbar (re’sen icra) sind.129 Mit diesem Grundsatz wird anerkannt, dass die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsakts aufgrund einer grundsätzlichen Überlegenheit des hoheitlichen Akts bzw. eines grundsätzlichen Vorrangs des öffentlichen Vollzugsinteresse einer (besonderen) zusätzlichen Rechtfertigung nicht bedarf.130 Hierbei ist das Schlüsselwort also der aus dem Französischen direkt übernommene Begriff „privilège du préalable“, der die unmittelbare Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts ohne vorhergehenden Gerichtsbeschluss betont.131 In diesem Zusammenhang hebt weder die Klage noch ein Beschluss zur Aussetzung der Vollziehung die Wirkung des Verwaltungsakts und seine Vollziehbarkeitseigenschaft auf. Zur Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes wird lediglich 127 Dies gilt für allen Arten von Rechtsbehelfen im Rahmen des I˙YUK; abgesehen von speziellen gesetzlichen Regelungen entfaltet der Rechtsbehelf – aufgrund des Kontinuitätsprinzips der öffentlichen Verwaltung – keinen Suspensiveffekt. Vgl. Kasapog˘ lu Turhan, DEÜHFD 2012, 1, 23. 128 Diese Prinzipien rühren vom französischen Verwaltungsrecht her und sind durch Rezeption in das türkische Verwaltungsrecht eingegangen. Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması, S. 19; zum französischen Recht Cuno, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 54. 129 Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması, S. 11. 130 Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması, S. 19; Danıs¸tay 10. D., E. 2007/5777, K. 2008/ 6696, T. 16. 10. 2008. 131 Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması, S. 19 f. Die Verwaltung wird zufolge ihrer exekutiven Funktion gegenüber dem Bürger privilegiert; vgl. Koch, Verwaltungsrechtsschutz in Frankreich, S. 61.

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D. Im Rechtsvergleich: Die Aussetzung der Vollziehung in der Türkei

vorübergehend die Vollziehung ausgesetzt, während der Verwaltungsakt in seiner Wirkung unangetastet bleibt.132 Die regelmäßig vorgesehene sofortige Vollziehung der Verwaltungsakte schafft jedoch nicht immer Zustände, die im öffentlichen Interesse liegen. Im Einzelfall ist nicht von einem überwiegenden Vollzugsinteresse zu sprechen, wenn keine Dringlichkeit der sofortigen Vollziehung besteht und gleichzeitig auf Seiten des Adressaten ein irreparabler Schaden von erheblichem Ausmaß droht. Auch soweit die Behörde über die Rechtsmäßigkeit des von ihr erlassenen Verwaltungsakts nicht sicher ist, liegt ein sofortiger Vollzug nicht in öffentlichem Interesse, wenn ein hoher Schadenersatz droht, der durch die Verwaltung kompensiert werden muss.133 bb) Der Grundsatz der Rechtmäßigkeitsvermutung des Verwaltungsakts Ein weiterer Verwaltungsverfahrensgrundsatz, der mit dem Grundsatz des fehlenden Suspensiveffekts im türkischen Recht in Verbindung gebracht wird, ist die Vermutung der Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten. Solange nichts Entgegenstehendes bewiesen ist, ist die Vollziehung der Verwaltungsakte rechtmäßig und endgültig, da die Verwaltung immer unter der Berücksichtigung des Schutzes des öffentlichen Interesses rechtmäßig gehandelt hätte. Aus diesem Grund entfaltet ein Rechtsbehelf des Betroffenen, in dessen Rechte eingegriffen wird und dessen Interesse zuwidergehandelt wird, keinen Suspensiveffekt. Dem wird entgegengehalten, dass auch bei dem grundsätzlichen Suspensiveffekt die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten, deren Vollziehung mit der Klagerhebung automatisch aufgeschoben werden würde, nicht angegriffen wird.Der Suspensiveffekt beziehe sich lediglich auf die Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts und berühre die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts denklogisch nicht.134 Der Grundsatz des fehlenden Suspensiveffekts kann insoweit zwar mit der Rechtmäßigkeitsvermutung des Verwaltungsakts unmittelbar nicht erklärt werden. Aber wegen diesem Grundsatz muss der Rechtsschutzsuchende im Eilverfahren die für die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts sprechenden Gründe und das Dringlichkeitsinteresse an der Aussetzung der Vollziehung darlegen. Im Umkehrschluss muss die Verwaltung sich nicht bemühen, die Rechtsmäßigkeit des Verwaltungsakts und ein besonderes Vollzugsinteresse zu begründen.135 Insoweit besteht ein Zusammenhang zwischen der Rechtmäßigkeitsvermutung bei Verwaltungsakten und der unmittelbaren und sofortigen Vollziehbarkeit von ebendiesen.

132

Kıratlı, AÜSBFD 1966, 173, 176; Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması, S. 15 ff. Vgl. Danıs¸tay 5. D., E. 2006/1462, K. 2006/2095, T. 17. 04. 2006. 134 Vgl. Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması, S. 21, 30. 135 Die Annahme der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes findet seine Basis in der Vermutung, dass die Verwaltung stets im öffentlichen Interesse agiert. Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması, S. 28 f. 133

V. Die verwaltungsrechtliche Ausgestaltung der Aussetzung der Vollziehung

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Hierzu ist zudem anzumerken, dass die Rechtmäßigkeitsvermutung im türkischen Recht vielmehr auf eine absolute Annahme der Rechtmäßigkeit als eine einfache Vermutung hindeutet. Dafür spricht vor allem, dass in Bezug auf Aussetzungsverfahren an die Wahrscheinlichkeit der Rechtsverletzungen hohe Anforderungen gestellt sind. Genauer gesagt, dass der Bürger sich im Eilverfahren darum zu bemühen hat, darzulegen, dass die vermutete Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts in der Sache gerade nicht besteht. Solch eine schwer widerlegbare Vermutung von der Rechtmäßigkeit, solange bis durch das Gericht nichts Entgegenstehendes deutlich bewiesen wird, würde die Verwaltung quasi zu einem Institut mutieren lassen, das im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit ihres Handelns nicht angezweifelt und kontrolliert werden kann.136 cc) Kritische Würdigung In Anbetracht einer statistischen Auswertung der Urteile des obersten türkischen Verwaltungsgerichts wird die hohe Anzahl an rechtswidrigen Verwaltungsakten deutlich.137 In der Folge ist zu erörtern, ob die Grundsätze der Rechtmäßigkeit und Vollziehbarkeit aufrechterhalten werden müssen, wenn die Verwaltung häufig rechtswidrig handelt und verklagt wird?138 Mit einer Klagerhebung entsteht eigentlich die Vermutung einer Rechtsverletzung. Das heißt, dass die Rechtmäßigkeitsannahme des Verwaltungsakts durch die Klagerhebung aufgehoben werden darf.139 Zu Beginn eines Verwaltungsverfahrens hat die Behörde ohnehin, als erlassende Seite eines Verwaltungsakts, eine privilegierte Rolle inne. Wenn die Behörde im Falle einer verwaltungsrechtlichen Klage weiterhin Nutzen aus der Annahme der Rechtmäßigkeit und dem Grundsatz der Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts zieht, wird sich das Ungleichgewicht noch stärker zu Lasten des Bürgers hin verschieben. Somit ist es ungerechtfertigt, besonders aufgrund der Häufigkeit von unrechtmäßig erlassenen Verwaltungsakten, auf der grundsätzlichen sofortigen Vollziehung der Verwaltungsakte zu beharren. Schließlich wird auch in der Literatur aus vorgenannten Gründen vertreten, dass unter Berücksichtigung der Vielfältigkeit des verwaltungstechnischen Handelns die Erhebung einer Klage auch die Aussetzung der Vollziehung automatisch nach sich ziehen kann.140

136 137 138 139 140

Vgl. Kıratlı, AÜSBFD 1966, 173, 174. ¨ SBFD 1966, 173, 176; Durkal Erog˘ lu, AÜHFD 2016, 279, 284. Kıratlı, AU Kıratlı, AÜSBFD 1966, 173, 176; dazu Aslan, ˙Idari Yargıda YD, S.18. Vgl. Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması, S. 21; vgl. Kıratlı, AÜSBFD 1966, 173, 174. Yas¸ar, ˙Idari Yargı Kararlarının Etkinles¸tirilmesi, S. 93.

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D. Im Rechtsvergleich: Die Aussetzung der Vollziehung in der Türkei

dd) Eine Gegenüberstellung der Grundsätze des Suspensiveffekts und der sofortigen Vollziehbarkeit im türkischen und deutschen Recht Verwaltungsakte genießen im türkischen Recht grundsätzlich eine Rechtmäßigkeitsvermutung und auch den Status, dass sie sofort vollziehbar und wirksam sind. Hiermit korrespondiert ein weiterer Grundsatz, welcher einem automatischen Suspensiveffekt entgegensteht. Demnach darf die Verwaltung nicht, aufgrund einer gesetzlichen Regelung, vergleichbar mit einer automatischen aufschiebenden Wirkung beispielsweise, oder durch großzügige Aussetzungsentscheidungen der Gerichte lahmgelegt werden. Ähnlichkeiten bestehen im deutschen Recht hinsichtlich der Vermutung der Rechtmäßigkeit und dem Grundsatz der Wirksamkeit des Verwaltungsakts.141 Diese werden, wie schon dargestellt, auch dadurch nicht aufgehoben, dass ein Rechtsbehelf durch den Betroffenen eingelegt wird. Grundsätzlich bleiben die Verwaltungsakte, bis auf weiteres, rechtmäßig und wirksam. Die Einlegung eines Rechtbehelfs gegen belastende Verwaltungsakte führt aber im Gegensatz zum türkischen Recht in der Regel dazu, dass die Vollziehung des Verwaltungsakts vorläufig aufgeschoben oder suspendiert wird.142 Die Verwaltungsakte sind dann nur vollstreckbar, wenn die aufschiebende Wirkung nicht eintritt oder beseitigt wird.143 Im türkischen Recht haben der Grundsatz der Rechtmäßigkeitsvermutung sowie der Grundsatz des fehlenden Suspensiveffekts vor allem Bedeutung hinsichtlich der Beweislastverteilung im Aussetzungsverfahren. Selbst wenn ein Verwaltungsakt durch eine Klageerhebung angegriffen wird, ist die Verwaltung, aufgrund von diesen Grundsätzen, von der Darlegungs- und Beweislast im Hinblick auf Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts und dessen sofortigen Vollziehbarkeit befreit. Daher muss der Bürger mit seinem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung die für die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts sprechenden Gründe darlegen.144 Im deutschen Recht hingegen geht die Beweislast, wegen dem Grundsatz des Suspensiveffekts, nach Erhebung eines Rechtsbehelfs auf die Verwaltung über. Hierbei muss die Verwaltung sich zuerst aber nicht bemühen, die Rechtsmäßigkeit des Verwaltungsakts zu begründen, sondern nur die Rechtmäßigkeit seiner sofortigen Vollziehung. Diese Art von Beweislast wird nicht mit einer entgegenstehenden Vermutung der Rechtmäßigkeit erklärt. Vielmehr wird hierfür angeführt, dass der Schwächere bzw. Kläger gegenüber der Hoheitsverwaltung geschützt werden muss. Entscheidend ist bei der Beweislastverteilung demnach der Gedanke der Waffengleichheit. 141

v. Nieding, Die Grundlagen des Rechtsschutzes, S. 363; Koch, Verwaltungsrechtsschutz in Frankreich, S. 61. 142 Dazu Daumann, Der Suspensiveffekt, S. 40 f. 143 Die Vollziehbarkeit aufzuschieben bezweckt vor allem, vor der Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts Schäden zu verhindern. Scholz, Die aufschiebende Wirkung, S. 93. 144 Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması, S. 23.

V. Die verwaltungsrechtliche Ausgestaltung der Aussetzung der Vollziehung

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Im Ergebnis ist festzuhalten, dass der Grundsatz des Suspensiveffekts und sein Mangel in beiden Rechtssystemen anders verstanden und im Rahmen von verwaltungsrechtlichen Prinzipen unterschiedlich argumentiert wird. b) Gesetzliche Ausnahmen Der Grundsatz des fehlenden Suspensiveffekts wird im türkischen Recht von gesetzlichen Ausnahmen durchbrochen. Ausnahmeregelungen, nach denen die Klageerhebung bei bestimmten Verwaltungsakten eine aufschiebende Wirkung entfaltet, betreffen allerdings nur wenige Bereichen und sind deshalb nicht geeignet, den Grundsatz des Mangels des Suspensiveffekts in faktischer Weise anzutasten.145 Der Suspensiveffekt hat im türkischen Recht insoweit keine weitreichende Bedeutung. An dieser Stelle soll es genügen, zu untersuchen, welche Ausnahmen vom Grundsatz des fehlenden Suspensiveffekts im türkischen Recht gegeben sind und ob sich diese Ausnahmeregelungen von vergleichbaren Regelungen im deutschen Recht unterscheiden. aa) Art. 27 Abs. 4 ˙IYUK in Bezug auf öffentliche Abgaben und Kosten Im Gegensatz zum deutschen Recht haben Klagen betreffend öffentliche Abgaben und Kosten im türkischen Recht eine aufschiebende Wirkung. Diese ist unmittelbar mit der Rezeption des französischen Rechts in das türkische Recht übertragen worden und zum ersten Mal in dem I˙YUK (Gesetz Nr. 2577 aus dem Jahr 1982) geregelt worden. Bis heute, wird diese Regelung in dem I˙YUK ohne Änderung beibehalten. Demnach sieht Art. 27 Abs. 4 S. 1 I˙YUK vor, dass im Falle der Klageerhebung vor den Steuergerichten ein staatlicher Leistungsbescheid zu den Abgaben und Kosten wie Steuern, Gebühren, Beiträgen usw. nicht angefordert werden darf.146 Das heißt genau, dass die Vollziehung der öffentlichen Zahlungsaufforderungen durch die Erhebung einer Aufhebungsklage automatisch und vorläufig ausgesetzt wird. Entsprechend dem Gesetzeswortlaut entfaltet aber lediglich die Klageerhebung die aufschiebende Wirkung, weshalb bei der Verwaltung eingelegte Rechtsbehelfe keine solche Wirkung haben.147 145 Im französischen Recht ist dies von der Struktur her ähnlich gelagert. Anders als im türkischen Recht jedoch existieren dort zahlreiche Ausnahmen. Vgl. Cuno, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 54. 146 Dazu Art. 27 Abs. 4 ˙IYUK oben III., S. 191. 147 Im französischen Recht entfaltet auch die Einlegung eines Rechtsbehelfes gegen Leistungsbescheide den Suspensiveffekt. Umstritten ist, ob dem obligatorischen behördlichen Vorverfahren ebenfalls ein Suspensiveffekt zukommt. Vertreten wird, dass im Falle eines obligatorischen behördlichen Vorverfahrens ein gleichwirksamer Suspensiveffekt wie bei einem gerichtlichen Rechtsbehelf eintritt. Cuno, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 57.

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D. Im Rechtsvergleich: Die Aussetzung der Vollziehung in der Türkei

In der Literatur wird diese gesetzliche Regelung häufig als eine Ausnahme zum Grundsatz des fehlenden Suspensiveffekts bezeichnet.148 Umstritten ist allerdings schon, ob der Suspensiveffekt überhaupt gesetzlich geregelt ist. Das Gesetz bietet nämlich vom Wortlaut ausgehend lediglich hinsichtlich der Zahlung des Geldbetrags eine automatische Aussetzung. Es lässt aber offen, ob ein Verwaltungsakt wegen anderen belastenden Bestimmungen immer noch vollzogen werden kann. Ist die automatisch eintretende Aussetzung der Vollziehung hier eingeschränkt zu verstehen, dann darf die Verwaltung insoweit den Betroffenen außer der Zahlung auch weiterhin mit anderen Anweisungen bzw. Verpflichtungen aufgrund des erlassenen Verwaltungsakts belasten.149 Des Weiteren ist fraglich, auf welche Basis der türkische Gesetzgeber eine solche Ausnahme zu der Regel des fehlenden Suspensiveffekts stellt. Hierfür lassen sich scheinbar weder eine Begründung durch die Legislative noch ein historischer Beweggrund auffinden.150 Jedenfalls wird die Ausnahmeregelung in der Literatur so gerechtfertigt, dass sich der Bürger – im Rahmen eines Subordinationsverhältnisses – in einer schwächeren Position wiederfindet. Viel wahrscheinlicher, als dass die aufschiebende Wirkung die Finanzierungfunktion des Staats gefährdet,151 ist demnach, dass dem Betroffenen aufgrund der sofortigen Vollziehbarkeit ein irreparabler oder nur schwer reparabler Nachteil entsteht. Eine umgekehrte Regelung des Art. 27 Abs. 4 ˙IYUK durch § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO und eine gegensätzliche Begründung sind hingegen im deutschen Recht gegeben.152 Zumal die Finanzierungsfunktion des Staats kein „milieubedingter“ Faktor ist, der von Staat zu Staat Wechselhaftigkeit aufzeigt, ist im Vergleich der beiden Rechtssysteme bemerkenswert, dass eine Ausnahme von dem Grundsatz der sofortigen Vollziehung im türkischen Recht bei Abgabenbescheiden erscheint, wohingegen das deutsche Recht in diesem Kontext eine Ausnahme des Suspensiveffekts enthält. Schließlich bestehen in der türkischen Literatur und Rechtsprechung nicht genug Diskussionen darüber, weshalb in vielen anderen Fällen, in denen das Aussetzungsinteresse noch höher als in den Fällen der öffentlichen Abgaben und Kosten ist, eine gesetzliche Ausnahme wie Art. 27 Abs. 4 ˙IYUK jedoch fehlt.

148 149 150 151 152

Gözübüyük, Yönetsel Yargı, S. 424. Dönmez, Türk Vergi Yargısında YD, S. 14 ff. Vgl. Aliefendiog˘ lu, DD, Y: 9, 135, 146. Bayraklı, Vergi Uyus¸mazlıkları, S. 273 f. Zum § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO oben C. III. 1. c) aa), S. 91 ff.

V. Die verwaltungsrechtliche Ausgestaltung der Aussetzung der Vollziehung

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bb) Art. 53 Abs. 3 YUKK in Bezug auf Abschiebungsfälle Art. 53 Abs. 3 YUKK (Ausländergesetz und internationaler Schutz), der erst im Jahr 2013 in Kraft getreten ist, sieht in Abschiebungsfällen eine aufschiebende Wirkung vor:153 „Ausländer, oder deren gesetzliche Vertreter oder deren Anwalt, können binnen 7 Tagen ab Bekanntgabe, wegen einer Abschiebungsanordnung das Verwaltungsgericht anrufen. Der Kläger hat der abschiebenden Behörde den Klageantrag mitzuteilen. Klageanträge beim Gericht werden innerhalb von 15 Tagen abschließend beurteilt. Die Entscheidung des Gerichts in der Sache ist endgültig. Unter dem Vorbehalt der Einwilligung des Ausländers kann dieser während der Klagefrist oder während der Beschreitung von Rechtswegen nicht abgeschoben werden, bis der Prozess beendet ist.“

Nach dieser Regelung gilt grundsätzlich eine vorläufige aufschiebende Wirkung zugunsten der betroffenen Ausländer, die von der Abschiebung bedroht sind. Die aufschiebende Wirkung tritt aufgrund der Abschiebungsanordnung automatisch ein und endet erst mit der Unanfechtbarkeit, die bei Ablauf der Klagefrist oder dem Erlass der Hauptsacheentscheidung gegeben ist.154 Damit darf die zuständige Behörde den Abschiebebescheid innerhalb der Klagefrist von 7 Tagen und bis zum Ende der Hauptsachentscheidung nicht vollziehen.155 Daher ist festzuhalten, dass sich die aufschiebende Wirkung nach Art. 53 Abs. 3 YUKK nicht aus der Einlegung des jeweiligen Rechtsbehelfs ergibt und in dieser Hinsicht sich von der aufschiebenden Wirkung des § 80 Abs. 1 VwGO unterscheidet. cc) Die gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung Neben den speziellen Ausnahmen kann der Grundsatz des fehlenden Suspensiveffekts auch durch eine gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung bzw. der Aussetzung der Vollziehung gemäß Art. 27 ˙IYUK durchbrochen werden. An dieser Stelle ist zu berücksichtigen, dass im türkischen Recht die Aussetzung der Vollziehung lediglich im Wege eines Klageverfahrens möglich ist. Demnach besteht keine gesetzliche Regelung vergleichbar dem § 80 Abs. 4 VwGO, die während eines behördlichen Verfahrens eine Aussetzungsentscheidung ermöglicht. Der Betroffene kann aber Widerspruch gegen einen belastenden Verwaltungsakt einlegen. Daraufhin kann der Verwaltungsakt hinsichtlich seiner Rechtmäßigkeit nochmal von der zuständigen Behörde geprüft werden. Dem Widerspruch wohnt ein Aussetzungsverlangen aus sich selbst heraus schon inne. In diesem Sinne kann im türkischen Recht die behördliche Aussetzung der Vollziehung lediglich erfolgen,

153 154 155

R. G. 11. 04. 2013 – 28615. Yig˘ it, SÜHFD 2017, 577, 602 ff. und 608 ff. Ausführlich Yig˘ it, SÜHFD 2017, 577, 580 ff.

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D. Im Rechtsvergleich: Die Aussetzung der Vollziehung in der Türkei

wenn die Behörde nach der Einlegung eines Rechtsbehelfs aus eigenem Antrieb heraus auf die Vollziehung vorläufig verzichtet. Weiterhin ist klarzustellen, dass das Aussetzungsverfahren im türkischen Recht eine einstweilige Anordnung i. S. d. VwGO nicht umfasst. Demnach ist die Aussetzung der Vollziehung im türkischen Verwaltungsprozess als einziges Mittel zum vorläufigen Rechtsschutz anwendbar und gilt grundsätzlich, entsprechend dem Art. 27 Abs. 2 I˙YUK sowie den allgemeinen Grundsätzen der türkischen Verwaltungsgerichtbarkeit, nur bei Anfechtungssachen.156 Daher ist die Regelung zur gerichtlichen Aussetzung der Vollziehung aus Art. 27 I˙YUK zumindest in diesem Zusammenhang eng mit § 80 Abs. 5 VwGO verwandt. Schließlich können türkische Verwaltungsgerichte im Wege der Aussetzung der Vollziehung ausnahmsweise die aufschiebende Wirkung anordnen. Dieses Verfahren ist streng akzessorisch zu der Aufhebungsklage.157 Im Unterschied zum deutschen Recht kann die aufschiebende Wirkung also während des Klageverfahrens angeordnet werden, nicht aber während des Widerspruchsverfahrens. Dabei ist für den Betroffenen grundsätzlich ein Widerspruchsverfahren nicht obligatorisch, damit er überhaupt eine Klage erheben kann. Deshalb muss der Rechtsschutzsuchende für das Aussetzungsverfahren den Abschluss des Vorverfahrens nicht abwarten.158 2. Definition und Funktion der Aussetzung der Vollziehung Danıs¸tay definiert Aussetzungsentscheidungen als vorübergehende Beschlüsse, welche die Vollziehung des Verwaltungsakts bis zur Entscheidung in der Hauptsache unterbrechen, um mögliche irreparable Schadenseintritte zu verhindern.159 Die gerichtlichen Entscheidungen im Sinne des Art. 27 I˙YUK bewirken dementsprechend, dass die Vollziehung des Verwaltungsakts seitens des Gerichts bis auf weiteres aufgeschoben wird.160 Welche Funktion und Wirkung die Aussetzung der Vollziehung hat, stellt dabei das Verhältnis des Aussetzungsverfahrens zum Hauptsacheverfahren genau fest. Das Aussetzungsverfahren ist akzessorisch zur Aufhebungsklage. In diesem Zusam156 Nach Art. 27 Abs. 2 ˙IYUK ist die Aussetzung der Vollziehung nur möglich, wenn durch die Vollziehung des Verwaltungsakts der Eintritt schwerer oder irreparabler Schäden droht. Das heißt, dass die Aussetzung der Vollziehung ausschließlich für belastende Verwaltungsakte gilt. 157 Der Antragsteller muss zugleich im Rahmen der Aufhebungsklage neben die Aussetzung der Vollziehung die Aufhebung einer belastenden Verwaltungsentscheidung beantragen. Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması, S. 164; vgl. Danıs¸tay 3. D., E. 1962/128, K. 1962/134, T. 29. 11. 1962; zur französischen Formulierung „recours pour exce`s de pouvoir“ Koch, Verwaltungsrechtsschutz in Frankreich, S. 113. 158 Yig˘ it, SÜHFD 2017, 577, 594. 159 Danıs¸tay 13. D., E. 2007/15262, K. 2009/1606, T. 10. 02. 2009; 2. D., E. 2010/672, K. 2010/3699, T. 06. 10. 2010; 5. D., E. 1997/230, K. 1997/605, T. 18. 03. 1997; E. 1996/2957, K. 1997/546, T. 11. 03. 1997. 160 Vgl. Gözübüyük, Yönetsel Yargı, S. 425 f.; Aslan, ˙Idari Yargıda YD, S. 29.

V. Die verwaltungsrechtliche Ausgestaltung der Aussetzung der Vollziehung

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menhang stellt eine Aussetzungsentscheidung eine ähnliche Funktion wie eine Hauptsacheentscheidung dar. Die Aussetzung der Vollziehung zielt nicht nur auf eine Hemmung der Vollziehung ab, sondern auch auf die Wiederherstellung des Zustands vor dem Erlass des Verwaltungsakts. Des Weiteren lässt die Aussetzung der Vollziehung grundsätzlich keine gestaltende Wirkung entstehen161 und stellt auch prinzipiell keine einstweilige Anordnung dar. 3. Anwendungsbereich der Aussetzung der Vollziehung Im türkischen Verwaltungsprozessrecht existieren lediglich drei Klagearten. Zu ihnen zählen in Art. 2 Abs. 1 I˙YUK neben der Aufhebungsklage die Klage der vollen Gerichtsbarkeit162 (Tam Yargı Davası) – vergleichbar mit der Schadenersatzklage i. S. d. VwGO – und zuletzt die Klage gegen öffentlich-rechtliche Verträge. Das Aussetzungsverfahren ist nur im Aufhebungsverfahren möglich. In diesem Zusammenhang sollen kurz das Wesen und der Inhalt der Aufhebungsklage sowie deren rechtliche Folgen untersucht werden, bevor die Voraussetzungen der gerichtlichen Aussetzung ausführlich behandelt werden. In diesem Rahmen wird auch auf die Frage eingegangen, welche Akte der Verwaltung im Sinne des ˙IYUK sich – abweichend von der VwGO – auf eine Aufhebung und Aussetzung der Vollziehung beziehen. a) Die Aufhebungsklage und deren Abgrenzung zu anderen Klagearten Art. 2 Abs. 1 (a) I˙YUK nennt in erster Linie die Aufhebungsklage, welche die durch einen Verwaltungsakt in ihren Interessen verletzten Kläger erheben können. Aufhebungsklagen zielen darauf ab, einen formell oder materiell rechtswidrigen Verwaltungsakt durch gerichtliche Entscheidung annullieren zu lassen.163 Im Rahmen der Aufhebungsklage ergeht dabei keine gestaltende verwaltungsrechtliche Entscheidung, sondern vielmehr eine feststellende Entscheidung bezüglich der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts. Die Aufhebungsklage hat insoweit im türkischen Verwaltungsprozess ein beschränktes Ziel und eine beschränkte Funktion.164 161 Zu dieser herrschenden Ansicht Azrak, I˙ÜHFM 1969, 129, 133; zur Ansicht, dass die gerichtlichen Entscheidungen in der Aufhebungsklage nicht nur feststellende, sondern auch gestaltende sind. Karahanog˘ ulları, in: Gözübüyük’e Armag˘ an, S. 199 ff. 162 Bilgi, Öffentlich-Private Partnerschaften, S. 302. Hier beantragt der Kläger vor allem, die Verwaltung zu einer Geldleistung zu verurteilen. 163 Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması, S. 47; Azrak, I˙ÜHFM 1969, 129, 133. Die gerichtlichen Entscheidungen sind grundsätzlich nur Feststellende (izhari = déclaratif), also nicht Gestaltende (ins¸ai = constructif). 164 Zum französischen Prozessrecht Koch, Verwaltungsrechtsschutz in Frankreich, S. 104 ff.

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D. Im Rechtsvergleich: Die Aussetzung der Vollziehung in der Türkei

Die Aufhebungsklage erstreckt sich nicht auf Schadensersatzansprüche, die durch rechtswidrige Verwaltungsakte entstanden sind. Dafür kann der Betroffene neben der Aufhebung oder auch danach isoliert, durch „die Klage der vollen Gerichtsbarkeit“ nach Art. 2 Abs. 1 (b) ˙IYUK, Regress in Form einer Geldleistung beanspruchen. Diese Klage umfasst einerseits die Feststellung des rechtswidrigen Handelns der Verwaltung und andererseits auch die Leistung von Schadensersatzansprüche. Sie kann aber ohne Geltendmachung einer Forderung nicht nur auf Feststellung der Rechtswidrigkeit bezogen werden.165 Die Klage der vollen Gerichtsbarkeit richtet sich entweder gegen einen erledigten Verwaltungsakt oder gegen Realakte. Sie ist mit der Fortsetzungsfeststellungsklage i. S. d. § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO und der Leistungsklage, die in den §§ 43 Abs. 2, 111, 113 Abs. 4 VwGO vorausgesetzt ist, vergleichbar.166 In Bezug auf den Umfang der Aufhebungsklage ist weiter anzumerken, dass die Betroffenen bei ablehnender Entscheidung bzw. Untätigbleiben der Verwaltung ihre Verpflichtungsansprüche im Wege der Aufhebungsklage geltend machen können, wenngleich im türkischen Recht eine ähnliche Klage wie die Verpflichtungsklage i. S. d. § 42 Abs. 1 Var. 2 VwGO nicht existiert. Bei Aufhebungsklagen kann das Gericht auch einen ablehnenden Verwaltungsakt für rechtswidrig erklären und die Verwaltung zum Erlass einer neuen Entscheidung verpflichten. Eine solche gerichtliche Entscheidung ist trotzdem nicht rechtsgestaltend und schafft keine Begünstigung durch einen Verwaltungsakt zugunsten des Klägers.167 aa) Das Merkmal des vollziehbaren Verwaltungsakts Die Aufhebungsklage i. S. d. Art. 2 (a) ˙IYUK bezieht sich grundsätzlich auf einen „belastenden vollziehbaren Verwaltungsakt“.168 Der Begriff des Verwaltungsakts wird in I˙YUK nicht legaldefiniert. Er ist aber in der türkischen Rechtsprechung und Literatur zum Verwaltungsprozessrecht näher bestimmt worden.169 Diese Bestimmungen sind maßgeblich an dem französischen

165 Vgl. Bilgi, Öffentlich-Private Partnerschaften, S. 304 f: „Die Klage der vollen Gerichtsbarkeit ist auf die Verletzung subjektiver Rechte und das Verkennen einer individuellen Rechtsstellung mit dem Ziel der Kompensation dieser Rechte oder Rechtstellungen gerichtet. Ziel einer solchen Klage ist die Restitution gestörter Rechtspositionen des Klägers etwa durch Gewährung von Erstattungsanspru¨ chen, Schadenersatzansprüchen und Ansprüche aus öffentlich-rechtlichen Verträgen.“ 166 Vgl. Koch, Verwaltungsrechtsschutz in Frankreich, S. 114. 167 Azrak, ˙IÜHFM 1969, 129, 133; vgl. mit der französischen Auffassung Woehrling, in: Vortrag vor dem Europa-Institut, S. 3, 4 f.; vgl. Marsch, Subjektivierung der gerichtlichen Verwaltungskontrolle, S. 231. . 168 Erkut, ˙Idari ˙Is¸lemin Kimlig˘ i, S. 117; vgl. Günday, Idare Hukuku, S. 123. . 169 Yıldırım/Yasin/Kaman/Özdemir/Üstün/C¸akır/Tekinsoy, Idare Hukuku, S. 408; Gözler, ˙Idare Hukuku, S. 720; Akyazan, TBBD 2009, 220, 222.

V. Die verwaltungsrechtliche Ausgestaltung der Aussetzung der Vollziehung

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Recht orientiert.170 Allerdings scheint der Verwaltungsaktbegriff im türkischen Recht enger als im französischen Recht171 und breiter als im deutschen Recht auszufallen.172 Im weitesten Sinne fallen unter den türkischen Verwaltungsaktbegriff letztlich alle einseitigen (hoheitlichen) Rechtsakte der Verwaltungsbehörden.173 Im engeren Sinn umfasst der Begriff hingegen die Einzelakte (birel islemler) sowie die von der Verwaltung erlassenen Rechtsvorschriften (genel düzenleyici islemler). Unter einen Verwaltungsakt fallen zudem auch kombinierte Akte (karma islemler), die sich aus den erstgenannten zusammensetzen.174 Die Einzelakte lassen sich weiter in zwei Arten unterscheiden, welche durch die türkische Verwaltungsjudikatur herausgebildet worden sind. Einerseits ist das der subjektive Einzelakt (birel öznel islem), dessen Erlass für eine bestimmte Person individuelle und konkrete Rechtswirkungen schafft. Andererseits ist das der konditionale Einzelakt (birel kosul islem), dessen Rechtswirkungen aufgrund einer Kondition oder eines Status entstehen können.175 Der subjektive Einzelakt ist auf ein bestimmtes Rechtssubjekt gerichtet und daher vergleichbar mit dem Verwaltungsakt i. S. d. § 35 S. 1 VwVfG. Ein konditionaler Verwaltungsakt regelt dagegen einen bestimmten Einzelfall und bezieht sich auf eine bestimmte Person oder einen bestimmbaren Personenkreis. Er ist insoweit mit einer „Allgemeinverfügung“ i. S. d. § 35 S. 2 VwVfG gleichzusehen. Die Art des Verwaltungsakts ist schließlich entscheidend dafür, wie weit die rechtlichen Folgen der Aufhebungsklage reichen. Die Wirkung der Aussetzung der

170

Açımuz, MÜHF-HAD 2018, 530, 535. Im französischen Verwaltungsrecht wird zuerst der Begriff „acte administratif“ im weiten Sinne verstanden. Er umfasst alle öffentlichen Rechtsakte abgesehen von Tathandlungen bzw. Realakten. Zudem versteht man darunter Verwaltungsverträge. Für alle einseitigen Verwaltungshandlungen ist im französischen Recht hingegen der Begriff der Verwaltungsentscheidung („décision exécutiore“) bevorzugt zu verwenden. Dimitropoulou, Verwaltungsrechtsschutz in Griechenland, S. 74 f.; im türkischen Recht wird der Begriff Verwaltungsakt häufig im engeren Sinne verstanden und nicht für alle Verwaltungshandlungen verwendet. In der türkischen Lehre ist für alle Verwaltungshandlungen der Begriff der „Akte der Verwaltung“ vorzuziehen. Verwaltungsverträge können im türkischen Recht Gegenstand einer Aufhebungsklage sein und . werden gleichwohl im engeren Sinn nicht als Verwaltungsakt angesehen; ausführlich Tan, Idare Hukuku, S. 223 f.; hierbei steht die griechische Verwaltungsrechtslehre auch der türkischen nah. Vgl. Dimitropoulou, Verwaltungsrechtsschutz in Griechenland, S. 73 – 77. 172 Zu den Ähnlichkeiten im griechischen Recht Dimitropoulou, Verwaltungsrechtsschutz in Griechenland, S. 77. . 173 Dazu Tan, Idare Hukuku, S. 223 f.; Danıs¸tay 5. D., E. 2001/2787, K. 2005/522, T. 02. 02. 2005; vgl. AYM,. E. 976/1, K. 976/38, T. 25. 05. 1976; Yıldırım/Yasin/Kaman/Özdemir/Üstün/ C¸akır/Tekinsoy, Idare Hukuku, S. 410. 174 Vgl. Gözler, I˙dare Hukuku, S. 788 ff.; Akyazan, TBBD 2009, 220, 230 ff.; Özay, Günıs¸ıg˘ ında Yönetim, S. 432 ff. 175 Akyazan, TBBD 2009, 220, 230, 234. 171

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D. Im Rechtsvergleich: Die Aussetzung der Vollziehung in der Türkei

Vollziehung ist ebenfalls davon abhängig, auf welchen oder was für einen Verwaltungsakt sich die Aufhebungsklage bezieht.176 (1) Rechtsverordnungen Wie zuvor kurz angeführt, bezieht sich die Aufhebungsklage nicht nur auf Einzelakte, sondern auch auf Rechtsverordnungen der Verwaltung.177 Die Aufhebungsklage kann sich anders als die Anfechtungsklage im deutschen Recht178 unmittelbar auf bloß eine rechtswidrige Rechtsverordnung und deren abstrakte Rechtswirkungen beziehen. Dass die Rechtsverordnung allein den Status oder das Interesse des Betroffenen belastet, ist insoweit ausreichend, der Aufhebungsklage und daneben auch dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung stattzugeben. Die Klageerhebung kann dabei auch auf einen Einzelverwaltungsakt, dessen Ermächtigungsgrundlage eine rechtswidrige Rechtsverordnung ist, gestützt werden. Hier geht es um einen kombinierten Verwaltungsakt, dessen Anfechtung sich gleichzeitig auf eine Rechtsverordnung und den auf dieser Rechtsverordnung basierenden Einzelakt bezieht. Daher besteht im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes kein Unterschied zwischen der Aufhebungsklage bezüglich einer abstrakten Normenkontrolle (Verordnungsüberprüfung) und der Aufhebungsklage gegen einen Verwaltungsakt, dessen Rechtswidrigkeit in der Rechtsverordnung selbst liegt. In beiden Fällen entfaltet die Aussetzung der Vollziehung die gleiche Wirkung. Bei den Aufhebungsklagen betreffend Rechtsverordnung hat die Aussetzung der Vollziehung damit eine absolute Wirkung wie ein Anfechtungsurteil, aber nur vorläufigerweise. (2) Ablehnende Verwaltungsakte Gemäß Art. 10 Abs. 1 ˙IYUK können die Betroffenen sich wegen ihrer verwaltungsrechtlichen Verpflichtungs- oder Leistungsansprüche an die zuständige Behörde wenden. Nach Art. 10 Abs. 2 S. 1 ˙IYUK gilt ein Anspruch als abgelehnt, wenn die Behörde daraufhin 60 Tage lang keine Reaktion zeigt (Stillschweigen der Verwaltung).179 Gegen eine solche implizite Ablehnung kann jeder laut Art. 10 Abs. 2 176

Siehe dazu ausführlich unten 8., S. 278 f. Siehe gleich oben, 3. a) aa), S. 232 ff. 178 Hierfür gilt im deutschen Recht eine besondere Regelung nach § 47 Abs. 6 VwGO. Demgemäß kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. 179 Vgl. DDUH, E. 937/286, K. 937/256, T. 23. 11. 1937, S¸ uray-ı Devlet Kararları Mecmuası, 56 – 60; vgl. Gözler, I˙dare Hukuku, S. 800 ff.; in der Regel gilt ein Untätigbleiben der Behörde als Ablehnung. Ausnahmsweise kann es auch als Zustimmung gesehen werden, wenn dies gesetzlich vorgegeben ist. Das ist beispielsweise bei Baugenehmigungen gem. Art. 30 des Baugesetzes Nr. 3194 der Fall, wenn die Verwaltung 30 Tage auf den jeweiligen Antrag nicht reagiert; Parallelfälle gibt es auch im deutschen Verwaltungsprozessrecht, z. B. §§ 6 Abs. 4, 11 Abs. 2, 19 Abs. 3, 145 Abs. 1 BauGB; in Frankreich galt früher ein Antrag als abgelehnt, wenn die Behörde mehr als 4 Monate darauf nicht reagierte. Gegen diese fingierte ablehnende 177

V. Die verwaltungsrechtliche Ausgestaltung der Aussetzung der Vollziehung

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S. 2 ˙IYUK Klage erheben oder für die Klageerhebung den Erlass des Ablehnungsbescheids abwarten. Im Rahmen des Art. 11 Abs. 1 ˙IYUK können die Betroffenen innerhalb der Klagefrist weiterhin auch Aufhebung, Rücknahme oder Änderung eines Verwaltungsakts oder Erlass eines neuen Verwaltungsakts, von der Oberbehörde (Widerspruchsbehörde) und gegebenenfalls auch von der Erlassbehörde, begehren. Reagiert die Verwaltung hierauf 60 Tagen lang nicht, wird nach Art. 11 Abs. 2 S. 2 I˙YUK auch darin eine stillschweigende Ablehnungsentscheidung gesehen, gegen welche sich die Klage ebenfalls richten kann.180 Gegen ablehnende Entscheidungen181 ist gemäß Art. 10 und Art. 11 I˙YUK der Klageweg eröffnet. Allerdings ist im I˙YUK nicht ausdrücklich genannt, welche Klageart statthaft ist. Hier ist erneut darauf hinzuweisen, dass im türkischen Recht keine besondere Klageart bezüglich begünstigender Verwaltungsakte vorhanden ist. Aufgrund dieser gesetzlichen Lücke ist in der türkischen Lehre und Rechtsprechung anerkannt (worden), dass die Aufhebungsklage in entsprechender Anwendung gegen jedartige Ablehnungsentscheidung der Verwaltung die einzige statthafte Klageart ist.182 Diese Annahme wird dadurch gestützt, dass der Betroffene auch durch eine Unterlassungsoder Ablehnungshandlung der Verwaltung einen rechtlichen Nachteil erleiden kann. In diesem Sinne ist ein Rechtsschutzbedürfnis für die Aufhebungsklage gegeben und eine Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ablehnungsentscheidung und ihre Annullierung durch diese Klage möglich.183 An dieser Stelle erscheint fraglich, ob und wie die Aussetzung der Vollziehung i. S. d. Art. 27 ˙IYUK bei den ablehnenden Entscheidungen der Verwaltung angeordnet werden kann.184 Das Gesetz steht einer Aussetzung von AblehnungsentEntscheidung (décision implicite de rejet) konnte die Aufhebungsklage (recours pour excés de pouvoir) erhoben werden. Ausnahmsweise konnte das Schweigen der Behörde als Zustimmung fingiert werden (z. B. bei Anträgen auf Bau- oder Abrissgenehmigungen). Dazu Koch, Verwaltungsrechtsschutz in Frankreich, S. 112 f.; auch Junker, Der Verwaltungsakt im deutschen und französischen Recht, S. 148; mit einer Gesetzänderung aus dem Jahr 2013 ist es in Frankreich zur Regel geworden, dass ein Schweigen der Behörde auf einen Antrag als Zu. ¨ HFM 2014, 673, 688. stimmung gilt. Uyanık, IU 180 Art 11 I˙YUK spricht anders als Art. 10 I˙YUK von der Ablehnung eines Widerspruchs durch Stillbleiben der Verwaltung. Diese implizierte Ablehnungsentscheidung gegen einen Widerspruch öffnet den Klageweg für den Rechtsbetroffenen. 181 In der Literatur werden diese Handlungen auch als negative Entscheidung/Handlung (Olumsuz is¸lem) genannt. Dazu Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması, S. 177. 182 Demnach erstreckt sich die Aufhebungsklage auch auf .stillschweigenden Entschei¨ HFM 2014, 673, 675; vgl. dungen. AYM, E. 2004/26, K. 2004/51. T. 15. 04. 2004; Uyanık, IU Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması, S. 175 ff. Diese Auffassung ist vom französischen Recht übergenommen; dazu Koch, Verwaltungsrechtsschutz in Frankreich, S. 112 f. 183 Vgl. AYM, E. 2004/26, K. 2004/51, T. 15. 04. 2004; vgl. Özay, in: Sarıca Armag˘ anı, S. 115 f.; zu den ablehnenden Verwaltungsakten im deutschen Recht siehe oben C. II. 2. c) aa), S. 67. 184 Vgl. Koch, Verwaltungsrechtsschutz in Frankreich, S. 105.

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D. Im Rechtsvergleich: Die Aussetzung der Vollziehung in der Türkei

scheidungen vom Wortlaut her nicht entgegen. In der Rechtsprechung bestehen allerdings verschiedene Ansätze. Häufig wird vertreten, dass eine Begünstigung, die durch den Erlass eines Verwaltungsakts zu gewähren ist, grundsätzlich durch die Aussetzung der Vollziehung nicht einstweilig suspendiert werden kann.185 Der 6. Senat des obersten Verwaltungsgerichts führte dazu in einem Beschluss aus: „Der Kläger beantragt die Aussetzung der Vollziehung bezüglich einer Entscheidung auf Ablehnung seines Antrags auf Erlaubnis zur Nutzung von neu dazu gebauten Stockwerken. Beschlüsse zur Aussetzung der Vollziehung können gefasst werden zum Aufhalten der Ausführung von Verwaltungsakten, die vollziehbar sind. Der Bescheid im vorliegenden Fall, zur Ablehnung des Antrags auf Nutzung der neugebauten Stockwerke, weist keine solche Vollziehbarkeit auf. Andernfalls würde im Ergebnis eine Nutzungserlaubnis erteilt werden müssen, bevor die Klage begründet wäre.“186

Dasselbe Gericht hielt hingegen die gerichtliche Aussetzung im Falle eines Abrissbescheids für einen ungenehmigten Bau für möglich. Es nahm hier an, dass es in der Sache um keinen ablehnenden Verwaltungsakt, sondern um einen eingreifenden Verwaltungsakt geht.187 Dem ist entgegenzuhalten, dass es für den Rechtsbetroffenen, der in rechtswidriger Weise keine Baugenehmigung beantragt, eigentlich keinen Eingriff gibt. Wird im Falle eines Abrisses eines ungenehmigten Bauwerks die Aussetzung der Vollziehung vom Gericht bejaht, diese jedoch im Falle eines Genehmigungsantrags, der zuvor von der Behörde abgelehnt wurde, verneint, so wäre das ein Verstoß gegen das Rechtsschutzprinzip sowie gegen das Gleichheitsgebot, da die Grundrechte des Genehmigungsantragstellers beim vorläufigen Rechtsschutz grundsätzlich nicht berücksichtigt werden. Klagt der Antragsteller entweder auf Erlass eines begünstigenden Verwaltungsakts oder wehrt er sich gegen einen belastenden Verwaltungsakt, ist es dementsprechend rechtmäßig und billig, dass die Gerichte im Wege der Aussetzung der Vollziehung eine fallspezifische Beurteilung vornehmen können. Wenn am Ende der Klage ein Aufhebungsurteil möglich ist, so muss auch eine Aussetzung der Vollziehung möglich sein, da das Aussetzungsverfahren unmittelbar mit der Aufhebungsklage verbunden ist. Dieser Ansatz kann vereinzelt bei Entscheidungen des obersten Verwaltungsgerichts sowie des oberen Militärverwaltungsgerichts in Aussetzungsverfahren Tan, ˙Idare Hukuku, S. 1181; wenn das Gericht bei den ablehnenden Entscheidungen über die Aussetzung der Vollziehung beschließt, deutet dieser Beschluss keine Aussetzung, sondern eine gerichtliche Anordnung der Vollziehung an. Eine Vollziehungsanordnung entspricht nicht dem Sinn des Instituts der Aussetzung der Vollziehung. Gu¨ nes¸, in: THKY, S. 46, 49; Akın, Yürütmenin Durdurulmasına ˙Ilis¸kin, S. 92; Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması, S. 175; früher erschien im französischen Recht auch so. Dazu Cuno, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 135; Koch, Verwaltungsrechtsschutz in Frankreich, S. 114. 186 Danıs¸tay 6. D., E. 1966/4294, T. 15.02.967 – n. v.; Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması, S. 177; auch Tan, ˙Idare Hukuku, S. 1181. 187 Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması, S. 177; vgl. Tan, ˙Idare Hukuku, S. 1181. 185

V. Die verwaltungsrechtliche Ausgestaltung der Aussetzung der Vollziehung

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insbesondere bei Ablehnungsbescheiden im Hinblick auf die Erteilung von Nachprüfungsrechten, Reisepässen, gewerblichen Kfz-Kennzeichen oder Waisengeld beobachtet werden.188 Wie in der Rechtsprechung ist es in Literatur auch umstritten, ob betreffend ablehnende Verwaltungsakte die Aussetzung der Vollziehung durch das Gericht beschlossen werden kann. Hierzu bestehen zwei grundlegende Ansichten, die dieses Problem mit dem behördlichen Ermessensspielraum in Verbindung bringen. Einer Ansicht nach steht dem Gericht keine Aussetzungsbefugnis zu, soweit die Behörde über ein Auswahlermessen verfügt.189 Die Aussetzungsentscheidung bezüglich ablehnender Verwaltungsakte sei ansonsten ausnahmsweise zu billigen, wenn der Erlass einer Begünstigung nicht im Ermessen der Verwaltungsbehörde steht. Dafür spricht, dass sich das Gericht aufgrund des Gewaltenteilungsprinzips nicht in das Ermessen der Verwaltung einmischen darf, und keine Anweisungen (injonction) und keine Aufforderungen an die Verwaltung richten darf.190 Nach abweichender Ansicht soll hingegen eine gerichtliche Aussetzungsentscheidung für jeden Verwaltungsakt, der angefochten werden kann, also Gegenstand einer Aufhebungsklage ist, möglich sein. Für diese Betrachtung wird zutreffenderweise angeführt, dass gemäß Art. 125 Abs. 1 S. 1 TVerf. jedes verwaltungstechnische Handeln einer gerichtlichen Kontrolle unterliegt und somit ablehnende Verwaltungsakte genau wie alle anderen Verwaltungsakte zu behandeln sind. Wenn bei Zurückweisung oder Untätigkeit der Verwaltung diese durch Aufhebungsklage zum Handeln gezwungen werden kann, müsste selbiges auch durch Aussetzungsverfahren, die mit einer solchen Klage eingeleitet werden, erreichbar sein. Der Zweck einer Aussetzungsentscheidung kann letztlich ein Ingangsetzen der Verwaltung sein.191 Für die Möglichkeit einer gerichtlichen Aussetzung bei ablehnenden Entscheidungen ist es demzufolge nicht ausschlaggebend, ob es sich in der Sache um ein Ermessen der Verwaltung handelt oder nicht. Das Gericht trifft nämlich schon im Wege der Aussetzung der Vollziehung keine gestaltende Entscheidung, genauso wie bei der Aufhebungsklage. Es kann mit einer Aussetzungsentscheidung bei einem ablehnenden Verwaltungsakt auch die Verwaltung verpflichten, einen vorläufigen begünstigenden Verwaltungsakt zu erlassen. Die gerichtliche Entscheidung veranlasst im Endeffekt eine vorläufige Begünstigung, die für den Kläger durch die Hand der Verwaltung unter Ausübung von ihrem Ermessen zu gewähren ist. Danach kann C¸ag˘ layan, ˙Idari Yargılama Hukuku, S. 508. Das Gericht darf keine begünstigende gerichtliche Entscheidung im Aufhebungsklageverfahren treffen, wo die Verwaltung einen Spielraum hinsichtlich des Gegenstandes des beantragten Verwaltungsakts besitzt. Özay, Günıs¸ıg˘ ında Yönetim, S. 458; Aslan, ˙Idari Yargıda YD, S. 78. 190 Özay, in: Sarıca Armag˘ anı, S. 116, 119; Aslan, ˙Idari Yargıda YD, S. 78. 191 Vgl. U. C¸ınar, in: AYI˙M Armag˘ anı, S. 205, 211. 188 189

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D. Im Rechtsvergleich: Die Aussetzung der Vollziehung in der Türkei

die Verwaltung gemäß der Hauptsacheentscheidung ihren vorläufigen Verwaltungsakt wieder aufheben, ändern oder aufrechterhalten. Die bisherigen Ausführungen resümierend lässt sich sagen, dass das Aussetzungsverfahren, in funktioneller Hinsicht, mit dem Aufhebungsklageverfahren vergleichbar ist und aufgrund der Vollkommenheit des Rechtsschutzverfahrens vom ihm nicht als unabhängig zu betrachten ist. Wenn bei der Unterlassung oder Ablehnung eines beantragten Verwaltungsakts die Aufhebungsklage zulässig ist, erscheint es widersinnig, dass bei einem solchen Verwaltungsakt die Aussetzung der Vollziehung ausgeschlossen ist. Es ist also zutreffend, dass gemäß der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie bei Aufhebungsklagen, die darauf abzielen, die Rechtswidrigkeit eines begünstigenden Verwaltungsakts festzustellen, die Aussetzung der Vollziehung genauso möglich sein sollte. (3) Vollzogene Verwaltungsakte Wie bereits erwähnt, zielt die Aufhebungsklage i. S. d. Art. 2 Abs. 1 (a) ˙IYUK auf eine Aufhebung des Verwaltungsakts ab, und zwar auf eine Rückgängigmachung, die bewirkt, dass der rechtliche und tatsächliche Zustand wieder eintritt, der vor dem Erlass des belastenden Verwaltungsakts bestand. Die Auswirkungen eines vollzogenen Verwaltungsakts sind dementsprechend bei Erfolg der Klage in der Hauptsache, vollständig rückgängig zu machen. In diesem Zusammenhang ist fraglich, ob die vollzogenen Verwaltungsakte von der Aussetzung der Vollziehung erfasst werden können, nämlich ein vollzogener Verwaltungsakt durch eine gerichtliche Aussetzungsentscheidung ex tunc rückgängig gemacht werden darf. Im türkischen Recht ist einerseits eine mit dem § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO vergleichbare Regelung nicht vorhanden, nach der eine gerichtliche Aussetzung hinsichtlich vollzogener Verwaltungsakte ihre Wirkung ex tunc entfalten kann. Aber dennoch wird in der Rechtsprechung und Literatur überwiegend vertreten, dass sich die Aussetzung der Vollziehung auf vollzogene Verwaltungsakte erstrecken muss. Dafür spricht vor allem, dass das Aussetzungsverfahren akzessorisch zur Aufhebungsklage ist. Demnach soll eine Aussetzung der Vollziehung die rechtlichen Folgen der Aufhebungsklage in entsprechender Weise entfalten. Ob der Verwaltungsakt vollzogen oder nicht vollzogen wird, ist dabei dafür entscheidend, inwieweit die Aussetzung der Vollziehung ihre Wirkung entfalten kann.192 Wenn durch die Vollziehung der Verwaltungsakt erledigt ist, ist hingegen nicht die Aufhebungsklage, sondern die Klage der vollen Gerichtsbarkeit einschlägig, mit der die durch den Verwaltungsakt entstandenen Schäden für den Rechtsbetroffenen wiedergutzumachen sind. Wiedergutmachung kann meist durch Geldleistung verwirklicht werden. Bei den erledigten Verwaltungsakten ist insoweit die Aussetzung . Danıs¸tay DDK, E. 1965/473 T. 04.02.1966 – n. v.; DIBK, E. 1965/21, K. 1966/7, T. 09. 07. 1966; Danıs¸tay 5. D., E. 1996/2957, K. 1997/546, T. 11. 03. 1997; 1. D., E. 1990/211, K. 1990/256, T. 10. 10. 1990; Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması, S. 156 f. 192

V. Die verwaltungsrechtliche Ausgestaltung der Aussetzung der Vollziehung

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der Vollziehung gegenstandslos. Es mangelt im türkischen Recht eben schon an einer vergleichbaren Regelung wie in § 123 VwGO. bb) In Bezug auf Realakte Auch bei Realakten ist die Aufhebungsklage i. S. d. Art. 2 Abs. 1 (a) I˙YUK nicht einschlägig. Bei Rechtsverletzungen durch Realakte ist eine Klage der vollen Gerichtsbarkeit nach Art. 2 Abs. 1 (b) ˙IYUK zu erheben. Der Betroffene kann die Beseitigung der Folgen von rechtswidrigen Realakten und gleichzeitig Schadenersatz mit der Klage geltend machen. Dem Betroffenen steht hingegen kein einstweiliger Rechtsschutz gegen Realakte zu. b) Die objektivrechtliche Funktion und die rechtlichen Folgen der Aufhebungsklage Nach den Ausführungen zum Anwendungsbereich der Aufhebungsklage kann hier auszugsweise die grundsätzliche Funktion der Aufhebungsklage dargestellt werden. Dadurch können dann die Funktion und in gewisser Hinsicht auch die rechtlichen Folgen der Aussetzung der Vollziehung, die mit der Aufhebungsklage untrennbar verflochten sind, verdeutlicht werden. Wie schon wiederholt angeführt, erfolgt durch die türkische Verwaltungsgerichtsbarkeit prinzipiell eine objektive Rechtskontrolle. Dies bedeutet, dass die Gerichte nicht nur Individualakte sondern auch allgemein das Handeln der Verwaltung kontrollieren. Dadurch wird bezweckt, dass die Verwaltung rechtswidriges Handeln zunehmend unterlässt und letztlich ihre Selbstkontrolle steigert.193 In diesem Rahmen zeigt die Aufhebungsklage vor allem eine solche objektivrechtliche Funktion auf. In erster Linie geht es also nicht um das Individualinteresse des Betroffenen, dessen Rechte womöglich verletzt werden, sondern um die Feststellung von rechtswidrigem Handeln der Verwaltung und die Aufhebung des jeweiligen rechtswidrigen Verwaltungsakts.194 Im Hinblick auf die rechtlichen Folgen der Aufhebungsklage ist weiterhin anzuführen, dass die Aufhebungsklage es vor allem ermöglicht, den rechtlichen Zustand festzustellen und zu erklären. Sie erschaffen keinen neuen Zustand im rechtlichen Sinne, stellen jedoch auch nicht nur einen bloßen Feststellungsentscheid bzw. ein einfaches Urteil mit einem Feststellungsinhalt dar. Durch ein Aufhebungsurteil 193 Das Gericht darf gem. Art. 2 Abs. 2 ˙IYUK nicht die Tauglichkeit des Verwaltungsakts prüfen, keine eigene Ermessensentscheidung treffen und im verwaltungsrechtlichen Sinne das Rechtsverhältnis gestalten. Die Zuständigkeit des Gerichts ist auf die Rechtmäßigkeitsprüfung des Verwaltungsakts beschränkt. 194 Das Vorliegen eines Individualinteresses ist dabei in der Art relevant, um den Umfang der Klagebefugnis zu bestimmen. Vgl. Azrak, in: Hukuk Kurultayı, S. 331 ff.; dazu auch Woehrling, in: Vortrag vor dem Europa-Institut, S. 3, 10 ff.

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D. Im Rechtsvergleich: Die Aussetzung der Vollziehung in der Türkei

kann die Verwaltung gegebenenfalls verpflichtet werden, einen neuen Verwaltungsakt zu erlassen.195 Mit einer Anfechtungsentscheidung, die aufgrund der Aufhebungsklage i. S. d. Art. 2 Abs. 1 (a) I˙YUK erfolgt, werden schließlich alle rechtlichen Folgen des angefochtenen Verwaltungsakts, nicht nur für den Prozessparteien (inter partes), sondern für jeden Betroffenen (erga omnes) aufgehoben.196 Daher ist die Anfechtung eines Verwaltungsakts nach der türkischen Verwaltungslehre umfangreicher als die Anfechtung eines Verwaltungsakts nach der deutschen Verwaltungslehre. c) Eine Gegenüberstellung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes im türkischen und deutschen Recht Die Organisation der türkischen Verwaltungsgerichtbarkeit beruht, anders als die deutsche Verwaltungsgerichtsbarkeit, auf einem strengen Gewaltenteilungsverständnis. Dementsprechend dürfen Gerichte keine Anweisungen und keine Aufforderungen an die Verwaltung richten.197 Grundsätzlich ist es dem Rechtsbetroffenen nicht möglich, ein andersartiges Begehren als die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder die Kompensation von Schäden, die aufgrund eines unrechtmäßigen Verwaltungshandelns entstanden sind, im Rechtsschutzverfahren zu beantragen. In diesem Zusammenhang bestehen vor allem merkliche Unterschiede im Hinblick auf das verwaltungsgerichtliche Hauptsacheverfahren zwischen dem deutschen und türkischen Recht. Dabei ist im Sinne eines adäquaten Hauptsachrechtsschutzes keines der vorgenannten Verfahren als deutlich vorzugswürdig zu erkennen. Das I˙YUK kennt einerseits keine Verpflichtungs-, Leistungs- und Feststellungsklage im Sinne der VwGO. Trotz der geringen Zahl an Klagearten im I˙YUK198 erstreckt sich andererseits der Hauptsacherechtsschutz im Rahmen der Aufhebungsklage und der Klage der vollen Gerichtsbarkeit, neben Aufhebung, auch auf viele weitere Klagebegehren wie Feststellung, Leistung und Begünstigung.199 Dabei ist die Aufhebungsklage im Sinne des IYUK, hinsichtlich ihrer Funktion, im Vergleich zur Anfechtungsklage im Sinne der VwGO umfassender. Mit der Aufhebungsklage ist nämlich, anders als mit der Anfechtungsklage, auf eine objektive Rechtsverletzung abzustellen und diese zu sanktionieren.200 195

S. 47 f.

Özay, in: ˙IYSG Sempozyumu, S. 11, 14; auch Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması,

196 Wenn zur Aufhebung des konditionalen Verwaltungsakts eine Klage erhoben wird, entfaltet die Klage auch Rechtswirkung für denjenigen, der von diesem Verwaltungsakt betroffen ist, aber diesbezüglich keine Klage erhoben hat. 197 Dazu Cuno, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 74 f. 198 Siehe dazu oben 3., S. 231 ff. 199 Allein für die Feststellung eines rechtswidrigen Akts der Verwaltung ist – im Gegensatz zu deutschem Recht – keine Klage im türkischen Recht anwendbar. 200 Azrak, in: Onar Armag˘ anı, S. 148 f; Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması, S. 49.

V. Die verwaltungsrechtliche Ausgestaltung der Aussetzung der Vollziehung

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Dieser Unterschied zur Funktion des Anfechtungsverfahrens beruht ferner darauf, dass die Grundkonzeption der Verwaltungsgerichtsbarkeit in beiden Rechtssystemen divergiert. Nach der türkischen Ausgestaltung steht die objektiv-rechtliche Kontrollfunktion im Vordergrund. Dagegen orientiert sich die deutsche Ausgestaltung primär am Individualrechtsschutz. Diese Schwerpunktsetzung beider Rechtssysteme schränkt die Gerichte aber nicht nur auf den subjektiven Rechtsschutz oder die objektive Rechtskontrolle ein. Dementsprechend gehen vor den türkischen Verwaltungsgerichten auch subjektiv-rechtliche Klagen, wie etwa Schadenersatzklagen oder auch Klagen bezüglich öffentlich-rechtlicher Verträge, ein. Ebenfalls kommen den Verwaltungsgerichten im deutschen Recht auch objektive Kontrollaufgaben zu, die von der Verletzung subjektiver Rechte unabhängig sind, wobei etwa an das Normenkontrollverfahren in § 47 VwGO oder auch die Verbandsklagemöglichkeit im Umweltrecht zu denken ist.201 Verbunden mit der Funktion der Verwaltungsgerichtsbarkeit ist weiter auszuführen, dass sich die Klagebefugnis zur Aufhebungsklage im türkischen Verwaltungsprozess breiter als bei der Anfechtungsklage im deutschen Verwaltungsprozess darstellt. Der Betroffene ist im türkischen Recht klagebefugt, wenn er durch den Erlass eines „Individualaktes“202 sowie aufgrund seines Status durch den Erlass eines „konditionalen Aktes“ belastet wird. Daneben steht ihm auch die Möglichkeit zu, Aufhebungsklage zu erheben, wenn er durch den Erlass einer Rechtsverordnung in seinem rechtlichen Interesse beeinträchtigt ist.203 Eine solche Rechtsschutzmöglichkeit besteht im deutschen Recht hingegen über das Anfechtungsklageverfahren nicht, sondern über das Normenkontrollverfahren. Klagebefugt sind bei diesem Rechtssubjekt, welche durch eine Rechtsvorschrift in ihren Rechten verletzt sind oder in absehbarer Zeit verletzt werden. Hierbei findet der Eilrechtsschutz nicht im Rahmen des Aussetzungsverfahrens nach § 80 VwGO statt. Vielmehr ist das Anordnungsverfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO einschlägig, der über noch strengere Voraussetzungen als § 80 Abs. 5 VwGO verfügt. In Bezug auf den vorläufigen Rechtsschutz zeigen sich weitere beachtliche Unterschiede zwischen beiden Rechtssystemen. Besonders das Nichtvorhandensein einer Regelung wie § 123 VwGO stellt eine gravierende Lücke im türkischen Recht dar. Diese gesetzliche Lücke im türkischen einstweiligen Rechtsschutz kann, insbesondere aufgrund des Verbots von richterlichen Anweisungen, auch nicht durch die analoge Anwendung des Art. 27 ˙IYUK ersetzt werden.

201

Vgl. Cuno, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 73. Individuale Verwaltungsakte sind sowohl einseitige Verwaltungshandeln als auch für nur eine Person erlassene Akte. Sie sind als die Einzelanordnungen zu verstehen, die wie entsprechende Verwaltungsakte des deutschen Rechts gemäß § 35 S. 1 VwVfG auf individuelle oder konkrete Rechtswirkungen gerichtet sind. Ähnlich im griechischen Recht Dimitropoulou, Verwaltungsrechtsschutz in Griechenland, S. 75, 79 ff. 203 Gözübüyük, Yönetsel Yargi, S. 127. 202

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D. Im Rechtsvergleich: Die Aussetzung der Vollziehung in der Türkei

Unterschiede finden sich, in Anbetracht der beiden Grundkonzepte, auch in den rechtlichen Wirkungen der Hauptsache- und Eilentscheidungen. Die Aufhebungsklage im türkischen Recht bewirkt, entsprechend ihrer objektiv-rechtlichen Funktion, für alle Rechtsbetroffenen eine Rechtsfolge. Die Aussetzungsentscheidungen nach Art. 27 ˙IYUK haben insoweit ebenfalls eine absolute Wirkung und heben quasi die rechtlichen Folgen von Verwaltungsakten im Ganzen auf, soweit der angefochtene Verwaltungsakt Rechtsfolgen bewirken würde. Demgegenüber weisen die Anfechtungsklage und der Suspensiveffekt im deutschen Recht im Sinne des Individualrechtsschutzkonzepts eine beschränkte Wirkung auf. Die Anfechtung wirkt daher lediglich zwischen den Beteiligten des betreffenden Rechtsstreits, und der Suspensiveffekt schiebt die Vollziehung des entsprechenden Verwaltungsakts nur für die Kläger auf. d) Zwischenergebnis Im türkischen Verwaltungsprozessrecht unterliegen nicht alle Arten von Verwaltungshandeln dem einstweiligen Rechtsschutz. Art. 27 Abs. 2 I˙YUK regelt die Anwendbarkeit der Aussetzung der Vollziehung nur für den Fall, wenn durch die Vollziehung des Verwaltungsakts der Eintritt schwerer oder irreparabler Schäden droht bzw. wenn es um Anfechtungssachen geht. Dadurch ist die Aussetzung der Vollziehung bei Vornahmesachen grundsätzlich ausgeschlossen. Dafür spricht auch, dass die Aussetzung der Vollziehung, schon von ihrem Wortsinn her, eine Verpflichtung nicht umfassen kann. Im deutschen Recht ist ebenfalls zu sehen, dass die Aussetzung der Vollziehung nach § 80 Abs. 5 VwGO keine Rechtsschutzmöglichkeit bezüglich begünstigender Verwaltungsakte aufweist. Abweichend vom deutschen Verwaltungsprozessrecht ist im türkischen Recht keine Klageart in Form der Verpflichtungs- oder Untätigkeitsklage und damit auch kein einstweilige Anordnungsverfahren gesetzlich vorgesehen. Daneben steht es den Gerichten auch nach den allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätzen nicht zu, eigene rechtsgestaltende verwaltungsrechtliche Entscheidung zu treffen bzw. einstweilige Anordnungen zu erlassen. In der Praxis des türkischen Verwaltungsprozesses kann dabei die Aussetzungsentscheidung ausnahmsweise eine einstweilige Verfügung darstellen. Dieser aus dem Aussetzungsverfahren im französischen Recht (référé-suspension) inspirierten Vorgehensweise entsprechend204 kann das Gericht insbesondere bei ablehnenden Verwaltungsakten eine Eilentscheidung treffen.205 204 Diese Anwendung ist erst mit der Grundsatzentscheidung Amoros im Jahr 1970 ermöglicht worden. Cuno, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 135 f. 205 Anders als das türkische regelte das französische Recht mit der Reform im Jahr 2000 das einstweilige Verfahren in drei Formen, référé suspension, référé-liberté und référé-mesuresutiles. Dazu Cuno, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 134 ff.

V. Die verwaltungsrechtliche Ausgestaltung der Aussetzung der Vollziehung

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Trotzdem bleibt die Kritik, dass im türkischen Verwaltungsprozess keine gesetzliche Entwicklung bezüglich Eilverfahren in Vornahmesachen zu sehen ist. Zur Kompensierung dieses gesetzgeberischen Defizits ist auch keine stetige gerichtliche Praxis entwickelt worden. Die Möglichkeit der Vollziehungsaussetzung besteht aufgrund einer fehlenden Regelung ebenfalls nicht bei der Klage der vollen Gerichtsbarkeit. Bei dieser Klage geht es vor allem um subjektive Rechte der Kläger, die durch Verwaltungshandeln verletzt worden sind, was wiedergutgemacht werden soll. Im Rahmen dessen kann der Kläger gegebenenfalls auch die Unterlassung des rechtswidrigen Handelns beantragen. Die Klage der vollen Gerichtsbarkeit dient einerseits dem Schutz des subjektiven Rechts, andererseits kommt ihr auch eine objektiv-rechtliche Kontrollfunktion zu. Dass bezüglich einer solch umfangreichen Klageart keine Eilrechtsschutzmöglichkeit eingeräumt wird, stellt eine erhebliche Untätigkeit des Gesetzgebers dar.206 De lege ferenda sollte den Betroffenen im Verwaltungsprozess die Beantragung einer einstweiligen Anordnung ermöglicht werden, damit der Hauptsacherechtsschutz seinen Sinn und Zweck entfalten kann. 4. Erlassvoraussetzungen zur Aussetzung der Vollziehung im Sinne des Art. 27 I˙YUK Im Hinblick auf die verwaltungsrechtlichen Voraussetzungen zur Aussetzung der Vollziehung sind in erster Linie die gesetzlichen Merkmale des Art. 27 I˙YUK zu untersuchen. Besondere Beachtung ist hierbei der Rechtsprechung zu schenken, die bei der Gestaltung und Anwendung des Verwaltungsprozesses im Allgemeinen und dem Institut der Aussetzung der Vollziehung im Speziellen sehr entscheidend ist.207 In diesem Zusammenhang sind die formell- und materiellrechtlichen Voraussetzungen der Aussetzung der Vollziehung im Einzelnen auszuführen und letztlich ist zu erörtern, ob unter diesen Voraussetzungen das Aussetzungsverfahren dem Effektivitätsgebot des Art. 36 TVerf. sowie Art. 6 und 13 EMRK entspricht. In diese Diskussion werden Folgerungen, die bezüglich § 80 Abs. 5 VwGO in dem vorherigen Kapitel C dargestellt wurden, eingebracht. a) Formelle Voraussetzungen Art. 27 Abs. 2 ˙IYUK stellt an die Aussetzung der Vollziehung gewisse formelle Voraussetzungen. Sie sind vergleichbar mit den Voraussetzungen des Aussetzungsverfahrens und des Anordnungsverfahrens im Sinne der VwGO. 206

Oytan, Danıs¸tay’da YD, S. 67 ff.; Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması, S. 46. Im Unterschied zu Deutschland kennt die Türkei grundsätzlich kein kodifiziertes Verwaltungsrecht. Türkisches Verwaltungsrecht ist durch eine Rezeption vom französischen Recht gestaltet und bei den speziellen Einzelfragen stark von der Rechtsprechung geprägt. 207

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D. Im Rechtsvergleich: Die Aussetzung der Vollziehung in der Türkei

aa) Antragstellung auf Aussetzung der Vollziehung In der ständigen Anwendung des Art. 27 I˙YUK wird eine gerichtliche Aussetzungsentscheidung im Klageverfahren nur auf Antrag des Betroffenen getroffen.208 Allerdings ist eine solche Antragserfordernis im Art. 27 I˙YUK, anders als im § 80 Abs. 5 VwGO, ausdrücklich nicht geregelt. In Art. 27 Abs. 10 I˙YUK findet man nur einen Hinweis in Bezug auf die Antragstellung im Aussetzungsverfahren. Dieser besteht darin, dass die Aussetzung der Vollziehung mit den gleichen Gründen nicht ein zweites Mal „beantragt“ werden darf.209 Trotz des Mangels einer ausdrücklichen Regelung zur Antragserfordernis ist in der Praxis gleichwohl nicht zu sehen, dass die Gerichte ohne einen schriftlichen Antrag über die Aussetzung der Vollziehung entscheiden.210 Ohne Antrag kann das Gericht dabei jederzeit von sich selbst aus seine Aussetzungsentscheidung ändern oder aufheben. Die Aussetzungsentscheidung muss nicht bis zur Hauptsacheentscheidung beibehalten werden.211 (1) Kritische Würdigung Wie gleich oben festgestellt, ist für die Einleitung des Aussetzungsverfahrens nach Art. 27 ˙IYUK ein Antrag notwendig, obgleich er im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt ist. Die einzige Regelung bezüglich des Antrags befindet sich in Art. 27 Abs. 10 ˙IYUK. Insoweit kann nicht von einer Kompetenzüberschreitung der Gerichte gesprochen werden, wenn sie nach Maßgabe des Art. 27 ˙IYUK auch ohne Antrag Eilrechtsschutz gewähren. Für eine Antragserfordernis ist nämlich im Grunde eine gesonderte Regelung erforderlich. Gleichwohl halten die Gerichte im Aussetzungsverfahren des Art. 27 ˙IYUK sich von Amts wegen zurück, den entsprechenden Verwaltungsakt auszusetzen. Diese sogenannte „Selbsteinschränkung der Gerichte“ lässt sich in Anbetracht der historischen Entwicklung des Rechtsschutzes in der Türkei auf das zugunsten der Verwaltung geprägte und restriktive Gewaltenteilungsverständnis zurückführen.212 Zwecks der „Funktionsfähigkeit der Verwaltung“ wird die Regelung des Art. 27 Abs. 1 ˙IYUK in eingeschränkter Weise interpretiert. Diese Interpretation läuft allerdings der objektiven Systemausrichtung des türkischen Rechts zuwider. Die Gerichte sollten gemäß ihrer rechtlichen Kontrollfunktion verpflichtet sein, irreparable Nachteile zugunsten der Bürger, ebenso auch 208

Güllü, Türk Vergi Yargı Sisteminde YD, S. 69. Im Umkehrschluss heißt das, dass nach der Ablehnung des Aussetzungsantrags nur mit anderen Gründen nochmal die Aussetzung der Vollziehung beantragt werden kann. Vgl. Durkal Erog˘ lu, AÜHFD 2016, 279, 297 f. 210 Der Antrag muss im Verwaltungsprozess grundsätzlich schriftlich sein. Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması, S. 164. 211 Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması, S. 165; vergleichbar mit § 80 Abs. 7 VwGO. 212 Vgl. Tazegu¨ l/Yavuz, YÜHFD 2013, 39, 63 ff. 209

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zugunsten der Verwaltung zu verhindern, wenn die Klage erhoben wird, aber die Aussetzung der Vollziehung nicht beantragt wird. Hierbei dürfte der Hauptsacherechtsschutz allein wegen eines fehlenden Antrags auf Aussetzung der Vollziehung nicht ins Leere gehen. Dafür spricht weiterhin, dass das Aussetzungsverfahren im türkischen Recht abhängig von der Aufhebungsklage ist. Besser gesagt, sind die Ansprüche des Bürgers auf Anfechtung und Aussetzung miteinander verknüpft. Die Aussetzung der Vollziehung erfolgt gewissermaßen wie die Anfechtung. Demnach können sich die rechtlichen Folgen einer Aussetzungsentscheidung gegen einen Verwaltungsakt für alle Betroffenen, auch solche, die keinen Antrag im Aussetzungsverfahren gestellt haben, entfalten. Hierbei ist es unhaltbar, dass während des Klageverfahrens die Voraussetzungen der Aussetzung der Vollziehung ohne Antrag nicht geprüft werden. Abgesehen davon ist aufgrund des Mangels des Suspensiveffekts im türkischen Recht vertretbar, dass das Gericht im Hauptsacheverfahren unaufgefordert über die Aussetzung der Vollziehung entscheiden darf. In Art. 27 ˙IYUK sind die materiellen Erlassvoraussetzungen der Aussetzung der Vollziehung ohnehin abschließend geregelt. Eine Aussetzung der Vollziehung wäre somit beim Vorliegen dieser Voraussetzungen automatisch begründet und gerechtfertigt. Das heißt konkret, dass eine automatische Aussetzung der Vollziehung entsprechend der Wertungen aus Art. 27 ˙IYUK erforderlich ist, wenn die Klage in der Hauptsache mit hoher Wahrscheinlichkeit Erfolg haben wird und durch Vollziehung irreparable Schäden drohen. Aus den genannten Gründen erscheint ein Antragserfordernis für die gerichtliche Aussetzungsentscheidung verzichtbar. Unabhängig von einem Aussetzungsantrag sollte das Gericht im Zuge des Klageverfahrens eine Entscheidung nach Art. 27 Abs. 2 ˙IYUK treffen dürfen. (2) Der Zeitpunkt der Antragstellung In Bezug auf das Antragserfordernis stellt sich ferner die Frage, zu welchem Zeitpunkt der Antrag zu stellen ist. Damit verbunden ist die Frage, ob eine isolierte Antragstellung auf Aussetzung der Vollziehung zulässig ist. Hinsichtlich des Zeitpunkts der Antragstellung findet sich keine gesetzliche Vorgabe. In der Literatur und ständigen Rechtsprechung ist weiterhin anerkannt, dass die Aussetzung der Vollziehung zu der Aufhebungsklage akzessorisch ist. Insoweit kann der Betroffene mit einem Vorantrag, der unabhängig von dem Hauptantrag der Aufhebungsklage ist, nicht die Aussetzung der Vollziehung fordern.213

213 Ohne einen Anspruch auf Anfechtung des Verwaltungsakts ist allein der Anspruch auf Aussetzung der Vollziehung unzulässig. Vgl. Danıs¸tay 8. D., K. 1962/128; Danıs¸tay 5. D., K. 1962/2626; Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması, S. 164.

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D. Im Rechtsvergleich: Die Aussetzung der Vollziehung in der Türkei

Schließlich ist im türkischen Recht, wie im französischen Recht,214 der Antrag auf die Aussetzung der Vollziehung erst mit der Klageerhebung und bis zum Ergehen der Hauptsacheentscheidung zulässig.215 Dieser Ansatz findet sich teils auch im deutschen Recht wieder, wo das Aussetzungsverfahren im Sinne des § 80 Abs. 5 VwGO als von der Anfechtungsklage abhängig angesehen wird. Abweichend vom deutschen und französischen Recht besteht im türkischen Recht aber keine Möglichkeit, vor Klageerhebung die Aussetzung der Vollziehung zu beantragen.216 (3) Antragsbefugnis Die Antragsbefugnis zur Aussetzung der Vollziehung ist im türkischen Recht weiter als im deutschen Recht. Wegen der Akzessorietät des Aussetzungsverfahrens zur Aufhebungsklage ist eine jede zur Anfechtung eines behördlichen Bescheids befugte Person auch zu einem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung berechtigt. Wer die anfechtungsbefugte bzw. antragsbefugte Person ist, ist nach dem Wortlaut des Art. 2 Abs. 1 (a) ˙IYUK sowie entsprechend der objektiv-rechtlichen Funktion der Aufhebungsklage zu bestimmen. Demnach ist nicht nur der Adressat, auf den der Verwaltungsakt gerichtet ist, sondern jede Person, die durch Erlass des Verwaltungsakts belastet wird, befugt, Aufhebungsklage zu erheben. Mit anderen Worten steht die Aufhebungsklage denjenigen, die in ihren rechtlichen Interessen – sowohl materieller als auch immaterieller Art – beeinträchtigt sind, zu.217 bb) Behördliches Vorverfahren Im Hinblick auf die formellen Voraussetzungen des Art. 27 I˙YUK ist des Weiteren festzustellen, ob das behördliche Vorverfahren für die Zulässigkeit eines Aussetzungsantrags entscheidend ist. Im türkischen Recht ist der Abschluss eines behördlichen Verfahrens bezüglich eines Verwaltungsakts Voraussetzung für die Klageerhebung, wenn es um den Erlass eines Verwaltungsakts geht. Nach Art. 10 Abs. 2 I˙YUK ist eine Klageerhebung gegen die ablehnende Entscheidung zulässig, wenn ein Antrag auf Erlass eines Verwaltungsakts durch die Behörde einmal abgelehnt wurde oder die Behörde darauf 60 Tage nicht reagiert hat. Sohin ist eine einmalige Ablehnung des Antrags, ohne dessen Nachprüfung in einem anderen behördlichen Verfahren, für die Zulässigkeit 214

„Référé-suspension“ bzw. „Aussetzung der Vollziehung“ ist akzessorisch zur Hauptsacheklage. Cuno, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 147. 215 Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması, S. 163; Danıs¸tay 8. D., E. 2006/1249, K. 2006/ 12490, T. 07. 06. 2006. 216 Die Antragstellung ist gemäß § 80 Abs. 5 S. 2 VwGO vor Klageerhebung möglich; Hoppe, in: Eyermann, VwGO, § 80 Rn. 65; siehe auch oben C. IV. 2. d), S. 137; nach § 123 VwGO sowie nach Art. L521 – 2 CJA ist ein Eilverfahren vor Klageerhebung einzuleiten. Cuno, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 147, 173. 217 Tan, ˙Idare Hukuku, S. 1181; auch Azrak, in: Hukuk Kurultayı, S. 331 f.

V. Die verwaltungsrechtliche Ausgestaltung der Aussetzung der Vollziehung

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der Klage ausreichend.218 Der Betroffene kann gemäß Art. 11 Abs. 1 ˙IYUK fakultativ ein Widerspruchsverfahren einleiten und damit bei der oberen Behörde oder der Erlassbehörde die Aufhebung oder Rückgängigmachung des Verwaltungsakts oder den Erlass eines neuen Verwaltungsakts beantragen.219 In diesem Fall, nachdem die Behörde das Widerspruchsverfahren explizit oder implizit abgelehnt hat, kann der Betroffene weiterhin Klage erheben.220 Nach Art. 12 Abs. 1 I˙YUK setzt aber eine Klage gegen ablehnende Verwaltungsakte sowie belastende Verwaltungsakte kein Widerspruchsverfahren voraus. Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass der Abschluss eines bereits eingeleiteten behördlichen Verfahrens für die Zulässigkeit der Aufhebungsklage und somit auch für die Zulässigkeit des Aussetzungsverfahrens i. S. d. Art. 27 I˙YUK ausreichend ist. Dabei besteht im türkischen Recht keine vergleichbare Regelung wie § 80 Abs. 6 VwGO, die ein behördliches Vorverfahren für das gerichtliche Aussetzungsverfahren voraussetzt.221 cc) Leistung einer Sicherheit Im Unterschied zum deutschen Recht muss die gerichtliche Aussetzungsentscheidung gemäß Art. 27 Abs. 6 I˙YUK in der Regel von der Leistung einer Sicherheit abhängig gemacht werden. Soweit dies nicht erforderlich ist, kann das Gericht je nach Einzelfall auch ohne eine Sicherheitsanforderung die Aussetzung der Vollziehung beschließen.222 Wenngleich das Erfordernis einer Sicherheitsleistung nach Art. 27 Abs. 6 ˙IYUK im prozessrechtlichen Sinne nicht zu unterschätzen ist, kommt ihr aber nur eine geringe praktische Bedeutung zu. Der Grund dafür liegt darin, dass die Gerichte sich zum Zeitpunkt der Aussetzungsentscheidung häufig nicht in der Lage sehen, die Höhe der Sicherheitsleistung zu bestimmen. Für eine schnelle und frühe Aussetzungsentscheidung kann also fast regelmäßig ohne Sicherheitsleistung die Vollziehung ausgesetzt werden.223

218 Art. 10 I˙YUK sieht hier anders als § 68 VwGO keine spezielle Ausnahme vor. Es ist bei Ablehnungsentscheidungen möglich, ohne Widerspruchsverfahren Klage zu erheben. Es wird die Auffassung vertreten, dass es zwecklos sei, dass der Betroffene für den abgelehnten Antrag noch einmal ein behördliches Verfahren einleitet. 219 Dies regelt Art. 11 Abs. 1 I˙YUK. Die Obere Behörde ist demnach grundsätzlich die Widerspruchsbehörde. Wenn sie nicht vorhanden ist, ist die Erlassbehörde dann zuständig. 220 Wenn eine solcher Antrag in 60 Tagen nicht beantwortet wird, geht es gemäß Art. 11 Abs. 2 ˙IYUK auch um eine ablehnende Entscheidung. 221 Daneben ist auch zu vergegenwärtigen, dass eine behördliche Aussetzung im türkischen Recht gesetzlich nicht geregelt ist und grundsätzlich dem Betroffenen, anders als im deutschen Recht, nicht die Möglichkeit zusteht, ein behördliches Aussetzungsverfahren einzuleiten. 222 Zu Art. 27 Abs. 6 ˙IYUK oben III., S. 191. 223 Gülan, Die Einführungsveranstaltung zum Verwaltungsprozess, 12. 10. 2015, S. 140.

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D. Im Rechtsvergleich: Die Aussetzung der Vollziehung in der Türkei

Empfehlenswert wäre es, die gesetzliche Regelung des Art. 27 Abs. 6 I˙YUK, der praktischen Anwendung folgend, derart zu formulieren, dass die Aussetzungsentscheidung nur im Ausnahmefall von einer Sicherheitsleistung – wie in 80 Abs. 5 S. 4 VwGO – abhängig gemacht werden soll. dd) Die Beweislast der Klagepartei Die Verteilung der Beweislast im Aussetzungsverfahren nach Art. 27 I˙YUK ist nicht ausdrücklich geregelt. Bei der Frage, welche Partei im Aussetzungsverfahren die Darlegungs- und Beweislast trägt, sind deshalb gemäß Art. 31 ˙IYUK vor allem die Regelungen des türkischen Zivilprozessgesetzes (HMK) zu berücksichtigen. Nach Art. 190 HMK trägt die Beweislast derjenige, der einen Anspruch geltend macht, soweit keine spezielle Regelung hiervon abweicht. Daneben sind hier der Grundsatz des fehlenden Suspensiveffekts, damit verbunden auch der Grundsatz der Vollziehbarkeit und die Vermutung der Rechtsmäßigkeit zu beachten.224 Das heißt, dass der Verwaltungsakt grundsätzlich sofort vollziehbar und rechtmäßig ist, soweit das Gegenteil nicht bewiesen wird. Diesen Ausführungen folgend, liegt die Beweislast im Aussetzungsverfahren nach Art. 27 I˙YUK also nicht bei der Behörde, sondern beim Bürger. Die Beweislastverteilung in Anfechtungssituationen, die unter Art. 27 I˙YUK fallen, ähnelt damit nicht der Beweislastverteilung im Rahmen des § 80 VwGO, sondern vielmehr der im Rahmen des § 123 VwGO. Der Antragsteller muss also den Anspruch aus Art. 27 ˙IYUK darlegen, indem er ausführt, dass eine offensichtliche Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts besteht und bei seinem Vollzug ein irreparabler Schaden droht. Wenn er auf diese Weise seinen Anspruch nicht begründen kann, kann das Gericht den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung allein deswegen ablehnen. Das Gericht kann dabei nur auf Grundlage der Behauptung und Argumentation des Antragstellers prüfen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen der Aussetzung der Vollziehung nach Art. 27 Abs. 2 I˙YUK erfüllt sind.225 Dieses Verfahren ist vor allem im Hinblick auf ein faires Eilverfahren und die Gewährung der Waffengleichheit zwischen Bürger und Verwaltung bedenklich. Im Rahmen des Aussetzungsverfahrens nach Art. 27 I˙YUK hat der Bürger, in dessen Rechte oder Interessen durch den Verwaltungsakt eingegriffen wird, unbedingt die strengen Aussetzungskriterien des Art. 27 I˙YUK darzulegen, damit er eine positive Eilentscheidung erlangen kann. Zutreffend wäre es, wenn das Gericht, von Amts wegen, untersuchen und darlegen müsste, ob die Aussetzung der Vollziehung nach

224 225

Siehe dazu oben 1. a), S. 222 ff. Dazu siehe Art. 27 ˙IYUK Abs. 3 oben III., S. 191.

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Art. 27 ˙IYUK begründet ist.226 Dadurch kann der Nachteil teilweise ausgeglichen werden, dass der Bürger durch das mit dem Erlass eines Verwaltungsakts ausgeübte Selbsttitulierungsrecht der Verwaltung in eine abwehrende Position gedrängt wird.227 ee) Eingang der Klageerwiderung oder (ihr) Fristablauf Gemäß Art. 27 Abs. 2 S. 1 I˙YUK darf das Gericht in der Regel erst, nachdem die Klageerwiderung der beklagten Verwaltungsbehörde eingegangen ist oder die Frist zur Klageerwiderung verstrichen ist,228 die Aussetzung der Vollziehung anordnen. Das Gericht kann aber den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung schon ablehnen, wenn der Antrag bereits unzulässig und/oder unbegründet ist. Diese Bedingtheit der Aussetzungsentscheidung von der Klageerwiderung der Behörde ist erstmals mit den Änderungen aus dem Jahr 2012 im ˙IYUK geregelt. Die Regelung ist trotz ihrer deutlichen Gestaltung in der gerichtlichen Praxis aber schwer durchzuführen und nicht einheitlich anzuwenden. An dieser Stelle wird deshalb der früheren und gegenwärtigen gerichtlichen Praxis (vor und nach der Regelung) und der damit verbundenen gesetzlichen Entwicklung besondere Beachtung geschenkt. (1) Gewährung rechtlichen Gehörs Ein prägendes Charaktermerkmal des türkischen Verwaltungsprozesses ist, dass es ein kontradiktorisches Verfahren darstellt. Jeder natürlichen und juristischen Person wird demnach rechtliches Gehör gewährt, was bedeutet, dass die Vorträge des Bürgers sowie der Behörde in jedem verwaltungsgerichtlichen Verfahren angehört und berücksichtigt werden.229 In diesem Zusammenhang beschäftigten sich die Gerichte schon lange vor der genannten Gesetzesänderung mit der Frage, ob auch bei der Prüfung des Antrags auf Aussetzung der Vollziehung die Klageerwiderung der Behörde abgewartet werden soll. In der Rechtsprechung bestand die Tendenz, dass die Klageerwiderung der Behörde stellenweise, je nach dem Streitgegenstand, für Aussetzungsentscheidungen maßgeblich war.230

226 Dafür spricht auch die objektive Kontrollfunktion der Verwaltungsgerichte in der Türkei im Gegensatz zum deutschen Verwaltungsprozess, wo das Verfahren vor allem dem subjektiven Rechtsschutz des Einzelnen bzw. des Antragstellers dient und nur zulässig ist, wenn eine mögliche Rechtsverletzung geltend gemacht werden kann. Vgl. BVerwGE 110, 203, 203. 227 Dazu Windthorst, Der verwaltungsgerichtliche einstweilige Rechtsschutz, S. 256. 228 Wenn es speziell nicht geregelt ist, beträgt die Klageerwiderungsfrist 30 Tage. Das Gericht kann diese Frist unter im Gesetz genannten Umständen verkürzen. Yaman, Murat, I˙dari Yargı Dava Rehberi (2015), S. 221. 229 Oytan, Danıs¸tay’da YD. S. 164; Zabunog˘ lu, ˙Idare Hukuku, S. 343; Akın, Yürütmenin Durdurulmasına I˙lis¸kin, S. 128. 230 Gök, ˙IBD, 113, 117; Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması, S. 178 f.

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D. Im Rechtsvergleich: Die Aussetzung der Vollziehung in der Türkei

Die Gerichte entschieden insbesondere in den Fällen, in denen die Sache sich in tatsächlicher und/oder rechtlicher Hinsicht als komplex erweist, erst nach Eingang der behördlichen Klageerwiderung über Anträge auf Aussetzung der Vollziehung. Daneben verlangten sie gegebenenfalls, vor einer Entscheidung bezüglich der Aussetzung der Vollziehung, durch Zwischenurteil Auskünfte zur Sachverhaltsermittlung von der zuständigen Behörde. Letztlich bildete sich im türkischen Verwaltungsprozess die verbreitete Praxis heraus, dass die gerichtlichen Aussetzungsentscheidungen häufig erst nach Eingang der Klageerwiderung der beklagten Behörde oder alternativ mit Antwort auf das Zwischenurteil ergingen. Dafür sprach, dass erst nach Klageerwiderung oder Einholung der Auskünfte zur Sachverhaltsermittlung die Aussichten der Klage und damit die Anträge auf Aussetzung der Vollziehung richtig und zutreffend beurteilt werden konnten.231 Diese Verfahrensweise wurde insbesondere als nötig erachtet, wenn es um ein besonderes öffentliches Interesse an der Vollziehung ging, was zum Beispiel bei Klagen bezüglich Planungs- oder Bauvorhaben, Abrissverfügungen oder Disziplinarmaßnahmen der Fall war.232 Gerade weil in solchen Fällen durch eine Aussetzung der Vollziehung des Verwaltungsakts unabänderliche Tatsachen zu befürchten waren, wurde eine eingehende rechtliche Prüfung im Aussetzungsverfahren als unerlässlich angesehen. (2) Die vorläufige Aussetzungsentscheidung als gerichtliche Praxis zum Zwecke der Beschleunigung des Aussetzungsverfahrens Aufgrund des Umstandes, dass durch den Ablauf der Zeit, die das Aussetzungsverfahren in Anspruch nimmt, irreparable Nachteile entstehen können, bildete sich weiterhin ein Lösungsansatz zur Funktionalisierung und Beschleunigung des Aussetzungsverfahrens heraus. Die Gerichte konnten je nach Eilbedürftigkeit schon vor Eingang der Klageerwiderung der Behörde durch Zwischenurteil über die Aussetzung der Vollziehung entscheiden. Eine Aussetzungsentscheidung trafen sie besonders im Falle von Verwaltungsakten, welche bei sofortigem Vollzug unvermeidbar zu vollendeten Tatsachen führten.233 Die Aussetzungsentscheidung beurteilten die Gerichte aber 231 Kılınç, Anayasa ve ˙Idare Hukukunda YD, S. 53; S. Kızılot/Z. Kızılot, Vergi ˙Ihtilafları, S. 667; Akın, Yürütmenin Durdurulmasına I˙lis¸kin, S. 129. 232 C. Karaveliog˘ lu/E. Karaveliog˘ lu, ˙Içtihatlı I˙YUK, S. 1090; 2. Verwaltungsgericht ˙Istanbul E. 2011/2000, T. 02. 11. 2011; 2. Verwaltungsgericht Mersin, E. 2012/486, T. 26. 04. 2012; E. 2012/469, T. 26. 04. 2012; E. 2011/1444, T. 13. 09. 2011; E. 2011/1520, T. 06. 10. 2011; dazu Akın, Yürütmenin Durdurulmasına I˙lis¸kin, S. 132 ff. 233 Zur ähnlichen Praxis im deutschen Recht Haase, Jurispridencija 2007, 14, 19: „Die Gerichte verschaffen sich in dringenden Fällen die von ihnen benötigte Bearbeitungszeit dadurch, dass sie entweder informelle behördliche Stillhaltezusagen einholen oder sogenannte förmliche Zwischenregelungen treffen. Diese Zwischenregelungen – auch Hängebeschlu¨ sse genannt – sind in der VwGO zwar nicht vorgesehen, von der Rechtsprechung aber entwickelt

V. Die verwaltungsrechtliche Ausgestaltung der Aussetzung der Vollziehung

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dann nach Eingang der Klageerwiderung der Behörde erneut234 und beschlossen danach entweder die Fortsetzung der Aussetzung der Vollziehung oder die Aufhebung der Aussetzungsentscheidung.235 Die sogenannte vorläufige Aussetzung der Vollziehung war zwar im I˙YUK nicht vorgesehen. Aber diese wurde zuerst von den Verwaltungsgerichten in Istanbul, dann vom obersten Verwaltungsgericht angewandt und ging somit in die Rechtspraxis über.236 Für diese Verfahrensweise spricht besonders, dass der Zeitfaktor hinsichtlich der Verhinderung von irreparablen Schäden besonders entscheidend ist und bei einer eingehenden Prüfung im Aussetzungsverfahren den Betroffenen, in deren Rechte und Interessen eingegriffen wird, irreversible Schäden drohen könnten. Obwohl von Seiten der Gerichte regelmäßig erst nach der Klageerwiderung durch die Verwaltung eine Beurteilung im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts möglich ist, dürfte das Gericht dann die Klageerwiderung nicht abwarten, wenn die materiellrechtliche Prüfung im Wege des Aussetzungsverfahrens dem Betroffenen unzumutbar ist. Eine vorläufige Aussetzungsentscheidung zeigt ihre Bedeutung darin, es zu verhindern, dass die Verwaltung bis zum Ende der Klageerwiderungsfrist, bis zu der das Gericht über den Aussetzungsantrag des Rechtschutzsuchenden nicht entscheiden darf, untätig bleibt und den Verwaltungsakt vor einer möglichen Aussetzungsentscheidung sofort vollzieht.237 Die vorläufige Aussetzung der Vollziehung ist insoweit im Hinblick auf die Gewährung effektiven Rechtsschutzes ein unerlässliches Instrument.238 In der Literatur wird die vorläufige Aussetzung aber aus dem Grund kritisiert, dass den Gerichten aufgrund einer fehlenden gesetzlichen Grundlage eine solche Befugnis nicht zusteht.239 Daneben wird sie als problematisch angesehen, da im Wege des Eilverfahrens auch der Verwaltung sowie den Dritten irreparable Schäden drohen können und eine Aussetzungsentscheidung, die ohne materiell-rechtliche Prüfung quasi automatisch ergeht, im Einzelfall keine gerechten Folgen bewirken könnte.240 worden“; VGH Bayern, BayVBl. 2000, 347 ff.; OVG Nordrhein-Westfalen, NWVBl. 2000, 473 ff.; vgl. Haus/Zwerger, Das verkehrsrechtliche Mandat, § 57 Rn. 3. 234 7. Verwaltungsgericht ˙Istanbul, E. 2010/94, T. 28. 01. 2010; E. 2010/52, T. 14. 01. 2010; vgl. 4. Verwaltungsgericht ˙Istanbul, E. 2011/683, T. 29. 04. 2011; E. 2011/765, T. 27. 04. 2011; dazu Akın, Yürütmenin Durdurulmasına I˙lis¸kin, S. 134. 235 Gök, ˙IBD, 113, 118. 236 Eigentlich ist Art. 27 Abs. 2 ˙IYUK eine eindeutige Regelung, die keiner Auslegung bedarf. D. h. sie hat bereits die Erlassvoraussetzungen zur Aussetzung der Vollziehung ausdrücklich genannt. Es besteht schließlich keine Regelung, die den Gerichten hierbezüglich einen Ermessensspielraum verleiht. Berk, ˙IKÜHFD 2009, 9, 10. 237 Gülan, Die Einführungsveranstaltung zum Verwaltungsprozess, 12. 10. 2015, S. 116. 238 Die Praxis hat dementsprechend Verzögerungen im Wege des Aussetzungsverfahrens nach ˙IYUK reduziert. Gülan, die Einführungsveranstaltung zum Verwaltungsprozess, 12. 10. 2015, S. 116 f. 239 Vgl. Berk, I˙KÜHFD 2009, 9, 10. 240 Berk, I˙KÜHFD 2009, 9, 16.

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D. Im Rechtsvergleich: Die Aussetzung der Vollziehung in der Türkei

(3) Mit den gesetzlichen Änderungen Die gerichtliche Praxis zur vorläufigen Aussetzungsentscheidung bewirkte letztlich, dass der Gesetzgeber den Sachverhalt im Art. 27 Abs. 2 I˙YUK ausdrücklich regelte.241 Mit den Änderungen aus dem Jahr 2012 im ˙IYUK (Änderungsgesetz Nr. 6352) ist es zunächst zur Regel geworden, dass die Aussetzung der Vollziehung erst nach Eingang der Klageerwiderung der Behörde oder Verstreichen der Erwiderungsfrist beschlossen werden kann (Art. 27 Abs. 1 S. 1 I˙YUK). Den sich durch Vollzug erledigenden Verwaltungsakten ist dabei eine Ausnahme zuteilgeworden, wonach die Aussetzung der Vollziehung ohne Abwarten der Klageerwiderung der Behörde angeordnet werden kann, aber nur unter der Voraussetzung einer erneuten Beurteilung nach Eingang der Klageerwiderung (Art. 27 Abs. 2 S. 2 I˙YUK). Durch Änderungen im Jahr 2014 (Änderungsgesetz Nr. 6526) ist wiederum eine Rückausnahme geregelt, wonach Verwaltungsakte, die sich auf den Beamtenstatus beziehen, von dieser Ausnahme ausgeschlossen sind, weil diese keine Verwaltungsakte darstellen, die sich durch Vollzug erledigen. (Art. 27 Abs. 2 S. 3 ˙IYUK). Nach diesen gesetzlichen Regelungen konnte die vorläufige Aussetzung der Vollziehung in der Praxis weiter Anwendung finden, jedoch wurden die Gerichte durch den neuen gesetzlichen Rahmen in ihrem Handlungsspielraum eingeschränkt. Demnach dürfen nun Gerichte nur diejenigen Verwaltungsakte, die mit ihrem Vollzug erledigt werden könnten, vor der Klageerwiderung der beklagten Behörde vorläufig aussetzen. Bei dieser Zwischenentscheidung haben die Gerichte grundsätzlich ihre Entscheidungsgründe anzugeben und besonders zu begründen, dass im Einzelfall ein Verwaltungsakt, dessen Wirkung mit seiner Vollziehung endet, vorliegt.242 Wenn dies nicht der Fall ist, besitzt das Gericht dann nicht mehr dahingehend eine Ermessensbefugnis, eine eilige Aussetzungsentscheidung zu treffen. Es kann eine Aussetzungsentscheidung gemäß Art. 27 Abs. 2 S. 1 I˙YUK erst nach dem Eingang der Klageerwiderung oder mit Fristablauf zur Klageerwiderung treffen. Weiterhin ist in der praktischen Anwendung fraglich, ob bei Erlass der vorläufigen Aussetzungsentscheidungen auch die materiellen Voraussetzungen im Sinne des Art. 27 Abs. 2 I˙YUK geprüft werden müssen. Im Wege des Aussetzungsverfahrens nach Art. 27 ˙IYUK ist das Gericht grundsätzlich von der Prüfung der materiellen Voraussetzungen der Aussetzung der Vollziehung nicht befreit. Aus dem Wortlaut des Art. 27 Abs. 2 S. 2 ˙IYUK ergibt sich 241

Die gerichtliche Praxis vor 2012 ist damit vom Gesetzgeber stillschweigend anerkannt worden. 242 Vgl. Danıs¸tay 8. D., E. 2014/6079, T. 16.10.2014 – n. v.; 5. Verwaltungsgericht I˙stanbul, E. 2015/1298, T.10. 07. 2015; 3. Verwaltungsgericht I˙stanbul E. 2014/1850, T. 09. 01. 2015; Akın, Yürütmenin Durdurulmasına I˙lis¸kin, S. 139; Tezcan, AKTD 2012, 31 ff.; vgl. Demirkol, ˙IBD 2010, 83, 95 ff.

V. Die verwaltungsrechtliche Ausgestaltung der Aussetzung der Vollziehung

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lediglich, dass das Gericht bei den sich durch Vollzug erledigenden Verwaltungsakten die Erfüllung der formellen Voraussetzung der Klageerwiderung i. S. d. Art. 27 Abs. 2 S. 1 ˙IYUK nicht abzuwarten hat. Eine andere materielle oder formelle Erleichterung der grundsätzlichen Voraussetzungen der Aussetzungsentscheidung lassen sich daraus nicht entnehmen. Demnach gelten die weiteren Voraussetzungen aus Art. 27 Abs. 2 S. 1 I˙YUK fort. Das heißt genau, dass für eine vorläufige Aussetzungsentscheidung auch die offensichtliche Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts und der durch die Vollziehung des Verwaltungsakts drohende schwer reparable oder irreparable Schaden kumulativ vorliegen müssen und dies in der Begründung ausführlich erläutert werden muss. Von diesem gesetzlichen Rahmen zum Aussetzungsverfahren wird in der gerichtlichen Praxis dennoch teilweise abgewichen. Demnach kann vorerst die Aussetzung der Vollziehung ohne materiell-rechtliche Prüfung erfolgen, wenn die Eilbedürftigkeit gegeben ist. Die endgültige Entscheidung im Aussetzungsverfahren wird hingegen unter Zugrundelegung der Tatsachen nach Eingang der behördlichen Klageerwiderung und unter Berücksichtigung der materiellen Voraussetzungen des Art. 27 Abs. 2 ˙IYUK getroffen. Diese Verfahrensweise lässt sich insbesondere an den Istanbuler Verwaltungsgerichten beobachten.243 Dort begründen die Verwaltungsgerichte die vorübergehende Aussetzungsentscheidung stellenweise zusätzlich mit dem Maßstab des „irreparablen oder schwer reparablen Schadens“.244 Was die Voraussetzung der „offensichtlichen Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts“ anbelangt, verschieben die Verwaltungsgerichte deren Beurteilung häufig auf den Zeitpunkt einer endgültigen Entscheidung im Aussetzungsverfahren und verzichten auf eine Begründung der offensichtlichen Rechtswidrigkeit für eine vorübergehende Aussetzungsentscheidung.245 243 Siehe dazu 2. Verwaltungsgericht ˙Istanbul, E. 2014/2379, T. 20. 11. 2014: „(…) Da es sich bei dem streitigen Verwaltungsakt um eine Abrissverfügung handelt und dessen Wirkung mit der Vollziehung enden würde, ist der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung angenommen, bis der Beschluss gefasst wird, nachdem die Klageerwiderung der beklagten Behörde und die Antwort auf das Zwischenurteil eingegangen oder die Antwortfrist (20 Tage) für die Klageerwiderung und das Zwischenurteil verstrichen ist.“; 2. Verwaltungsgericht ˙Istanbul, E. 2013/ 1689, T. 09. 06. 2015: „(…)Die Aussetzung der Vollziehung, bis zum nächsten Beschluss nach Eingang der Klageerwiderung der beklagten Behörde, wird beschlossen da die Wirkung des Verwaltungsakts über das Verkehrsverbot des Kraftfahrzeuges mit seiner Vollziehung enden würde.“; auch 6. Verwaltungsgericht I˙stanbul, E. 2013/956, T. 31. 05. 2013; vgl. Akın, Yürütmenin Durdurulmasına ˙Ilis¸kin, S. 141. 244 Beispielsweise siehe 3. Verwaltungsgericht ˙Istanbul, E. 2014/2392, T. 29. 01. 2015: „(…) Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist begründet, da der angefochtene Verwaltungsakt im Fall seiner Vollziehung dem Kläger einen schwer reparablen Schaden zufügen würde und außerdem die Wirkung des streitigen Verwaltungsakts mit seiner Vollziehung enden würde.“; auch 5. Verwaltungsgericht I˙stanbul, E. 2015/1215, T. 09. 02. 2015; dazu Akın, Yürütmenin Durdurulmasına ˙Ilis¸kin, S. 141. 245 Zur zwingenden Voraussetzung des Abwartens der Klageerwiderung für eine Aussetzungsentscheidung 5. Verwaltungsgericht ˙Istanbul, E. 2015/1298, T. 10. 07. 2015; 3. Verwal-

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D. Im Rechtsvergleich: Die Aussetzung der Vollziehung in der Türkei

Diese gerichtliche Praxis wird wiederum in der Literatur dahingehend kritisiert, dass bei der vorläufigen Aussetzungsentscheidung die drohenden irreparablen Schäden, die bis zum Eingang der Klageerwiderung der Behörde eintreten können, nur aus Sicht des Rechtsschutzsuchenden berücksichtigt werden.246 Diese Kritik ist allerdings zumindest hinsichtlich zweiseitiger Verwaltungsrechtsverhältnisse unzutreffend, da die Verwaltung in jedem Schritt des Hauptsacheund Aussetzungsverfahrens privilegiert ist und das Aussetzungsverfahren in diesem Sinne grundsätzlich gegen einen drohenden Vollzug und auf einen Rechtsschutz des Bürgers ausgerichtet sein muss. Hierbei ist angebracht, dass bei Klagen gegen eingreifende Verwaltungsakte, deren Wirkung mit ihrer Vollziehung endet, zuerst ohne eine materiell-rechtliche Prüfung die Rechte und Interessen des Klägers durch vorläufige und dringende Aussetzungsentscheidungen gewahrt werden können und die darauffolgende eingehende Prüfung der Sache, erst nach Eingang der Klageerwiderung vorgenommen wird.247 An dieser Stelle wäre schließlich zum Zweck der Vermeidung von Unsicherheiten in der Rechtsanwendung eine gesetzliche Regelung sinnvoll, wonach das Gericht eine Aussetzungsentscheidung nur dann, ohne Abwarten der behördlichen Klageerwiderung bzw. ohne eine materiell-akzessorische Prüfung treffen darf, wenn „drohende schwer reparable Schäden“ oder „ein Verwaltungsakt, dessen Wirkung mit seiner Vollziehung endet“, vorliegen. (4) Gesetzliche Ausnahme im Falle der sich durch Vollziehung erledigenden Verwaltungsakte Wie schon erwähnt, statuiert Art. 27 Abs. 2 S. 2 I˙YUK eine gesetzliche Ausnahme von der Regel, dass eine Aussetzungsentscheidung nach Eingang der Klageerwiderung oder mit Fristablauf zur Klageerwiderung beschlossen werden darf. Nach dieser Ausnahme kann die Vollziehung eines Verwaltungsakts, deren Wirkung mit ihrer Vollziehung endet, ohne die Klageerwiderung der Verwaltungsbehörde abzuwarten, ausgesetzt werden. Welche Verwaltungsakte unter den Ausnahmetatbestand subsumiert werden können, ist weiterhin fraglich. (a) Definition Art. 27 I˙YUK enthält keine Definition von Verwaltungsakten, welche sich mit ihrer Vollziehung erledigen. In Abs. 2 S. 3 ist lediglich geregelt, dass Verwaltungsgericht I˙stanbul, E. 2014/1850, T. 09. 01. 2015; vgl. Danıs¸tay 8. D., E. 2014/6079, T. 16.10.2014 – n. v.; 10. D., E. 2013/8108, T. 27.12.2013 – n. v.; vgl. Akın, Yürütmenin Durdurulmasına I˙lis¸kin, S. 139. 246 Zur Kritik, Berk, ˙IKÜHFD 2009, 9, 10. 247 In dieser Hinsicht sind die Beschlüsse der vorübergehenden Aussetzung der Vollziehung als eine Annäherung an die automatische aufschiebende Wirkung im deutschen Recht zu betrachten. Siehe auch oben C. II.

V. Die verwaltungsrechtliche Ausgestaltung der Aussetzung der Vollziehung

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tungsakte, die einen Beamtenstatus betreffen, nicht zu den sich durch Vollziehung erledigenden Verwaltungsakten gezählt werden. Ebenfalls findet sich hierzu sowohl in den Gesetzesmaterialien als auch in den Kommissionsberichten keine Begriffserklärung wieder. Dabei ist die Bestimmung der sich durch Vollziehung erledigenden Verwaltungsakte hinsichtlich einiger kategorisierter Eingriffsakte nicht besonders schwer. Verwaltungsakte wie die Abschiebungsanordnung oder die Abrissanordnung werden nämlich auch im Gesetzesentwurfstext ausdrücklich als Verwaltungsakte, deren Wirkung mit ihrer Vollziehung endet, bezeichnet.248 In einer Entscheidung des obersten Verwaltungsgerichts werden solche Verwaltungsakte weiterhin so definiert, dass „sie zu unwiderruflichen Folgen führen oder zu führen drohen, nachdem sie vollzogen wurden, und aus diesem Grund einer dringenden Eilentscheidung in der Sache bedürfen“.249 Für die Bestimmung des Inhalts des sich durch Vollziehung erledigenden Verwaltungsakts sind letztlich die Gerichte zuständig. Außer bei den Beamtenstatus betreffenden Verwaltungsakten, die vom Gesetzgeber in die Kategorie der sich durch Vollziehung erledigenden Verwaltungsakte nicht aufgenommen wurden, ist den Gerichten einzelfallabhängig ein weiter Beurteilungsspielraum zuzusprechen.250 Hierbei greifen die Gerichte weiterhin, zum Zwecke der Beschleunigung des Aussetzungsverfahrens, bei der Beurteilung des sich durch Vollziehung erledigenden Verwaltungsakts auf Leiturteile (emsal karar) zurück. In der Rechtsprechung wird zum Teil eine Kategorisierung der Verwaltungsakte je nach Eingriffsgegenstand vorgenommen.251 Bestimmte Verwaltungsakte veranlassen damit aufgrund ihres abstrakten Gehalts dazu, dass die Gerichte im Aussetzungsverfahren fast automatisch vorläufige Aussetzungsentscheidungen treffen. Das Gericht hat sich jedenfalls bei der Bestimmung des sich durch Vollziehung erledigenden Verwaltungsakts auch den konkreten Einzelfall vor Augen zu führen, sodass von einer abschließenden Kategorisierung keine Rede sein kann. 248 Der Begriff des Verwaltungsakts, dessen Wirkung mit seiner Vollziehung endet, ist eigentlich äußerst undeutlich und somit auch streitig. In dem Gesetzentwurf vom Jahr 2005 wurden dabei einzelne Akte wie Abrissanordnungen, vorübergehende Gewerbeverbote und Berufsausübungsverbote als solche Verwaltungsakte, qualifiziert; vgl. Köktu¨ rk, AKTD 2012, 31, 33; Candan, AKTD 2012, 31, 39 f.; massive Beschränkungen der Grund- und Freiheitsrechte, z. B. eine Sperre von Twitter oder YouTube sowie die Untersagung der Ausreise, sind regelmäßig der Gegenstand der Verwaltungsakte, die sich durch Vollziehung erledigen. Vgl. Ankara 15. Verwaltungsgericht, T. 25. 03. 2014, E. 2014/511 – n. v.; so auch Verweisungen von der Schule oder Universität, Betriebsschließungen sowie Pfändungen Tetik, I˙nÜHFD 2020, 708, 715 und 718 f.; Demirkol, ˙IBD 2010, 83, 95 f. 249 Danıs¸tay 15. D., E. 2015/665, T. 20.03.2015 – n. v.; dazu Tetik, I˙nÜHFD 2020, 708, 713 ff. 250 Vgl. Danıs¸tay 15. D., E. 2016/1583, T. 18.03.2016 – n. v. 251 Durkal Erog˘ lu, AÜHFD 2016, 279, 302; Danıs¸tay I˙DDK, 09. 03. 2012, YD I˙tiraz No: 2012/74; Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması, S. 179.

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D. Im Rechtsvergleich: Die Aussetzung der Vollziehung in der Türkei

(b) Funktion Der Verwaltungsakt, der sich mit seiner Vollziehung erledigt, soll den Gerichten im Grunde einen formellen Maßstab liefern, der eine Beschleunigung des Aussetzungsverfahrens nach Art. 27 ˙IYUK ermöglicht. Dieser dient grundsätzlich nur dazu, festzustellen, ob bei der Aussetzungsentscheidung die Voraussetzung des Eingangs der Klageerwiderung erfüllt sein muss. Der sich durch Vollziehung erledigende Verwaltungsakt stellt insoweit keine materiell-rechtliche Voraussetzung der Aussetzung der Vollziehung dar. Allerdings ersetzt er in der praktischen Anwendung wie ein materieller Maßstab die Erlassvoraussetzung der „irreparablen oder schwer reparablen Schaden“, die in Art. 27 Abs. 2 I˙YUK genannt ist. Das heißt, dass sein Vorliegen quasi den Eintritt eines irreparablen oder schwer reparablen Schadens aus Sicht der Gerichte impliziert und die gerichtliche Aussetzungsentscheidung im Hinblick auf das Element der Dringlichkeit begründet.252 Abschließend lässt sich sagen, dass, rein gesetzlich betrachtet, ein sich durch Vollziehung erledigender Verwaltungsakt lediglich bei der Erfüllung oder Nichterfüllung der Klageerwiderungsvoraussetzung eine verfahrensrechtliche Rolle spielt und eine Beschleunigung im Aussetzungsverfahren bewirkt.253 Dadurch wird deutlich, dass der Gesetzgeber den sich durch Vollziehung erledigenden Verwaltungsakten eine unzureichende Funktion zuweist. Soweit ein solcher Verwaltungsakt vorliegt, liegen auch drohende irreparable Nachteile vor. In diesem Fall müsste eigentlich eine grundsätzliche Aussetzung der Vollziehung erfolgen, sodass die endgültige Verletzung der durch den Verwaltungsakt betroffenen Rechte verhindert werden kann. Es wäre insoweit begrüßenswert, wenn der sich durch Vollziehung erledigende Verwaltungsakt nicht nur als ein rein formeller Maßstab fungiert, sondern als eine eigenständige Erlassvoraussetzung der Aussetzung der Vollziehung ausgestaltet wäre und damit bei offenen Erfolgsaussichten stets als ein entscheidendes Element betrachtet werden würde. (5) Die verfassungsrechtliche Beurteilung der Voraussetzung der Klageerwiderung Die Voraussetzung der Klageerwiderung im Aussetzungsverfahren, die erstmals durch Änderungen aus dem Jahr 2012 im Gesetz Nr. 2577 (I˙YUK) kodifiziert wurde, hat sowohl hinsichtlich ihrer gesetzlichen Ausgestaltung als auch ihrer praktischen Anwendung kontroverse verfassungsrechtliche Diskussionen ausgelöst. Während der Kommissionssitzungen zu dem Änderungsgesetz Nr. 6352 wurde gegen die Regelung zur Klageerwiderung aus Art. 27 Abs. 2 S. 1 I˙YUK vor allem 252

Dazu oben (2), S. 250 ff. Wenn es sich um einen Verwaltungsakt handelt, der sich durch Vollziehung erledigt, so wird unverzüglich das Aussetzungsurteil beschlossen, ohne die Klageerwiderung der Behörde abzuwarten. Bei dem hier angewandten Maßstab handelt es sich im Grunde um einen zeitlichen Maßstab, der die Beschleunigung des Verfahrens bezweckt. 253

V. Die verwaltungsrechtliche Ausgestaltung der Aussetzung der Vollziehung

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angeführt, dass es sich um eine Einschränkung des Rechts auf wirksamen Rechtsschutz handle. Schließlich sei der Beschluss zur Aussetzung der Vollziehung in der Regel ohne die vorherige Klageerwiderung der Verwaltung schlecht möglich, und folglich wäre die Regelung, die einen Beschluss zur Aussetzung der Vollziehung erheblich erschwert, vor allem mit Art. 36 TVerf. inkompatibel.254 Ein weiterer Einwand gegen die Voraussetzung der Klageerwiderung bestand darin, dass die im Art. 125 Abs. 5 TVerf. genannten Voraussetzungen der „schweren oder irreparablen Schäden und der offensichtlichen Rechtswidrigkeit“ abschließend sind; eine Abweichung von diesen Voraussetzungen durch eine neue einfachgesetzliche Voraussetzung zu Lasten des Klägers würde demnach die Erschwerung oder Verwirkung der Aussetzung der Vollziehung bedeuten. Die Regelung zur Klageerwiderung stelle somit einen Verstoß gegen den Mindestrechtsschutz aus Art. 125 TVerf. dar, weil es sich nicht um eine einfache verwaltungsprozessrechtliche Regelung handele.255 Daneben wurde zudem angeführt, dass die Ausnahmeregelung in Art. 27 Abs. 2 S. 1 ˙IYUK, die vor Eingang der Klageerwiderung eine Vollziehungsaussetzung ermöglicht, auch nicht als eine Erleichterung für Aussetzungsverfahren betrachtet werden darf. Denn die jeweilige Ausnahmeregelung fände nur gelegentlich oder in sehr eingeschränktem Umfang Anwendung. Die Ausnahmeklausel beziehe sich also nur auf Verwaltungsakte, die sich mit ihrer Vollziehung erledigen können, und bringe bei der Feststellung der Ausnahme in der Praxis, wegen der begrifflichen Ungenauigkeit, große Schwierigkeiten mit sich.256 Im Anschluss an diese Diskussion kam es zu keiner positiven Entwicklung in Form einer Effektivierung des Aussetzungsverfahrens. Vielmehr wurde mit dem Änderungsgesetz Nr. 6526 aus dem Jahr 2014 eine weitere Regelung in Art. 27 I˙YUK implementiert, welche den Erlass der Aussetzungsentscheidung nochmals erschwerte. Nach dieser in Abs. 2 S. 3 verorteten Regelung fallen Verwaltungsakte über die Verbeamtung, Versetzung oder die Änderung des Beamtenstatus nunmehr nicht unter den Begriff des Verwaltungsakts, dessen Wirkung mit seiner Vollziehung endet. Das heißt, dass die Aussetzung der Vollziehung gegen solche Verwaltungsakte nun erst nach Eingang der Klageerwiderung oder Fristablauf der Klageerwiderung möglich ist.

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Vgl. Durkal Erog˘ lu, AÜHFD 2016, 279, 298. TBMM, Kanun Teklifi ve Adalet Komisyonu Raporu, D: 24, Y.Y: 2, S.S: 278, online unter: http://www.tbmm.gov.tr/sirasayi/donem24/yil01/ss278.pdf (abgerufen am: 22. 07. 2019), S. 137 ff.; Art. 125 TVerf. stellt eine Art Mindestrechtsschutz zum Eilverfahren dar, selbst wenn er als Ganzes einen effektiven vorläufigen Rechtsschutz nicht zu gewährleisten vermag. Vgl. Tezcan, AKTD 2012, 34 f. 256 TBMM, Kanun Teklifi ve Adalet Komisyonu Raporu, D: 24, Y.Y: 2, S.S: 278, online unter: http://www.tbmm.gov.tr/sirasayi/donem24/yil01/ss278.pdf (abgerufen am: 22. 07. 2019), S. 137 ff. 255

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D. Im Rechtsvergleich: Die Aussetzung der Vollziehung in der Türkei

Diesbezüglich wurden auch in den Kommissionssitzungen Einwände gegen die Regelung erhoben. Es wurde insbesondere angeführt, dass die Regelung des Art. 27 Abs. 2 S. 3 I˙YUK im vorläufigen Rechtsschutz zu Rechtsverlusten führen kann, weil eine Rücknahme von rechtswidrigen und unverhältnismäßigen beamtenstatusrechtlichen Verwaltungsakten in der Regel schwierig oder gar unmöglich ist. Ebenfalls wurde hier angeprangert, dass für diese Regelung keine ausreichende rechtliche Begründung bestand.257 Die Regelung des Art. 27 Abs. 2 S. 3 I˙YUK entstand nämlich vor dem Hintergrund des kontemporären Ausnahmezustandes, der gehäufte verwaltungsrechtliche Interventionen gegenüber Staatsbeamten wie Entlassungen und Versetzungen mit sich gebracht und zum Anstieg von Aufhebungsklagen und den damit verbundenen gerichtlichen Aussetzungsentscheidungen geführt hat.258 Der Gesetzgeber hat mit dem Erlass der entsprechenden Regelung also beabsichtigt, eine rasche Wiederaufnahme von entlassenen Beamten, deren Zahl ca. 7.000 betrug, zu verhindern.259 Auch wenn der Gesetzgeber hier entsprechend der politischen Konjunktur im Ausnahmezustand die Funktionalität des Ablaufs des öffentlichen Dienstes bezweckte, ist es rechtlich bedenklich, dass das Aussetzungsverfahren hinsichtlich der das Beamtenverhältnis betreffenden Verwaltungsakte mit einer (Änderungs-)Regelung im ˙IYUK erschwert wird. Das ˙IYUK als ein allgemeines Gesetz findet nämlich nicht nur im Ausnahmezustand, sondern auch im Regelzustand Anwendung. Dass für eine gerichtliche Aussetzungsentscheidung die Klageerwiderung der Behörde abgewartet werden muss, bedeutet für die Betroffenen eine erhebliche Verzögerung im Aussetzungsverfahren. Dadurch entsteht das Risiko, dass die betroffenen Rechte des Klägers irreparabel verletzt werden. Hinsichtlich der Verwaltungsakte i. S. d. Art. 27 Abs. 2 S. 3 I˙YUK ist dieses Risiko besonders hoch, weil es sich bei dieser Art von Verwaltungsakten um die Änderung des Beamtenverhältnisses wie z. B. die Versetzung oder die Entlassung handelt und diese wegen der Einstellung von neuen Beamten regelmäßig nicht wieder rückgängig gemacht werden können. Wenn ein Beamter auf Grundlage eines rechtswidrigen Verwaltungsakts entlassen wurde, ist, zusammen mit der rechtmäßigen Einstellung von neuen Beamten, – wegen des Grundsatzes des Schutzes eines einmal erworbenen

257 Die erkennbaren Gründe bewegen sich nämlich nicht im Rahmen zulässiger Zweckmäßigkeitserwägungen. Vgl. TBMM, Kanun Teklifi ve Adalet Komisyonu Raporu, D: 24, Y.Y: 4, S.S: 560, online unter: http://www.tbmm.gov.tr/sirasayi/donem24/yil01/ss560.pdf (abgerufen am: 10. 11. 2020), S. 37 ff. 258 Dass die Gerichte noch vor der gesetzlichen Änderung aus dem Jahr 2014 Verwaltungsakte bezüglich Beamtenstatusänderung regelmäßig als Verwaltungsakte, deren Wirkung mit Vollziehung endet, betrachtet und ohne Abwarten der Klageerwiderung häufig über die Aussetzung der Vollziehung entschieden hatten, wurde aus damaligen politischen Gründen für ungünstig gehalten. Vgl. Durkal Erog˘ lu, AÜHFD 2016, 279, 305. 259 Vgl. Durkal Erog˘ lu, AÜHFD 2016, 279, 305 f.; vgl. Malatya Verwaltungsgericht, E. 2013/36, T. 26. 02. 2013; Trabzon Verwaltungsgericht, E. 2013/1056, T. 13. 12. 2013.

V. Die verwaltungsrechtliche Ausgestaltung der Aussetzung der Vollziehung

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Rechts (kazanılmıs¸ hakların korunması ilkesi)260 – der rechtswidrige Verwaltungsakt nicht mehr rückgängig zu machen. Die Regelung des Art. 27 Abs. 2 S. 3 ˙IYUK ist damit vor allem im Hinblick auf Art. 36 TVerf. (Recht auf ein faires Verfahren) bedenklich, weil sie hinsichtlich der Verwaltungsakte bezüglich des Beamtenstatus den Weg der Aussetzung der Vollziehung erschwert261, und dadurch die Betroffenen häufig irreparablen Schäden ausgesetzt werden. Daneben verstößt diese Regelung mangels sachlicher Begründung, mit der die Ungleichbehandlung der Beamten gerechtfertigt wird, gegen das Gleichheitsprinzip i. S. d. Art. 10 TVerf. Aus ähnlichen Gründen wurde letztlich im Jahr 2012 gegen die Änderungsregelung, die die Pflicht des Abwartens der Klageerwiderung für die Aussetzungsentscheidung vorsieht262 und darauffolgend im Jahr 2014 gegen deren ergänzende Regelung in Art. 27 Abs. 2 S. 3 I˙YUK263 vor dem Verfassungsgericht Aufhebungsklage erhoben. Jedoch wurden die beiden Klagen abgewiesen. Dabei sind die klagegegenständlichen Regelungen, im Sinne des Art. 36 (Recht auf faires Verfahren), Art. 125 sowie Art. 13 (Verhältnismäßigkeitsgrundsatz) der türkischen Verfassung, für verfassungsmäßig erklärt worden. Die Argumentationen des Verfassungsgerichts hierzu lässt sich wie folgt zusammenfassen: Mit der Einführung einer Ausnahmeregelung, die die Voraussetzung der Klageerwiderung bezüglich den sich durch Vollziehung erledigenden Verwaltungsakte betrifft, komme keine Verzögerung des Aussetzungsverfahrens mehr in Betracht. Insoweit könne ein verfassungskonformer vorläufiger Rechtsschutz durch die gesamten Voraussetzungen und Ausnahmen des Art. 27 ˙IYUK, in dem der gesetzliche Mechanismus zur Verhinderung von Rechtsverlusten dargeboten wird, gewährt werden. Die Änderungsregelung zur Voraussetzung der Klageerwiderung bilde somit keine derartige Regelung, die die Freiheit der Rechtssuchenden nach Art. 36 TVerf. einschränkt, sondern eine Regelung, welche dem Bürger wie auch der Verwaltung rechtliches Gehör zuweist und auf eine objektive und richtige Entscheidung im Eilverfahren abzielt. Weiterhin handle es sich nicht um eine Ungleichbehandlung vor dem Gesetz, wenn ohne besondere Begründung in manchen Fällen die Klageerwiderung der Erlassbehörde eingeholt oder die Frist zur Klageerwiderung abgewartet werden muss, dies aber in anderen Fällen für unnötig gehalten wird. Die Unterschiede in der Fallauslegung und Beurteilung des Rechtsbegriffs des „sich durch die Vollziehung erledigenden Verwaltungsakts“ seien nämlich innerhalb der Gerichtsbarkeit durchaus möglich und die hierbei entstehende uneinheitliche Rechtsprechung führe zu keiner Verletzung des Gleichbehandlungsgebots. Die Änderungsregelungen in Art. 27 Abs. 2 ˙IYUK würden schließlich nur eine formelle Einschränkung zum Aussetzungsverfahren darstellen. Diese seien nicht als unverhältnismäßige Einschränkungen der Freiheit der Rechtssuchenden anzusehen, weil 260 261 262 263

Auch bezeichnet als der Grundsatz des Rückwirkungsverbots. Vgl. Durkal Erog˘ lu, AÜHFD 2016, 279, 307 f. AYM, E. 2012/100, K. 2013/84, T. 04. 07. 2013, R.G. 02. 08. 2013 – 28726. AYM, E. 2014/86, K. 2015/109, T. 25. 11. 2015, R.G. 08. 01. 2016 – 29587.

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D. Im Rechtsvergleich: Die Aussetzung der Vollziehung in der Türkei

sie nur auf bestimmte Fälle begrenzt und nicht derart ausgestaltet seien, dass der Weg der Aussetzung der Vollziehung vollständig versperrt wird.264 Die zuvor zusammengefassten Ausführungen des Verfassungsgerichts stehen jedoch im Widerspruch zu seinen vergleichbaren vorherigen Entscheidungen. Beispielsweise wurde in einer Verfassungsgerichtsentscheidung die Regelung des Art. 128 Abs. 3 des Bankengesetzes Nr. 5411, die vor dem Beschluss über die Aussetzung der Vollziehung das Abwarten der Klageerwiderung der Behörde und die Durchführung eines Anhörungsverfahrens anordnete, wegen Verstoßes gegen Art. 2, 36 und 125 der türkischen Verfassung aufgehoben. Die entsprechende Regelung verletze das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf, wenn im Falle der Vollziehung des Verwaltungsakts irreparable Schäden einzutreten drohen.265 Die Voraussetzung gemäß Art. 27 I˙YUK, die Klageerwiderung der Behörde einzuholen, müsste dementsprechend auch als unvereinbar mit der Verfassung betrachtet werden. Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Änderungen des Art. 27 I˙YUK aus den Jahren 2012 und 2014 aus verfassungsrechtlicher Perspektive bedenklich sind. Nun kann in der Regel eine Aussetzung der Vollziehung erst beschlossen werden, nachdem die Klageerwiderung der Behörde eingegangen ist oder die Frist zur Klageerwiderung verstrichen ist. Diese Änderung verschärft offensichtlich die vorhergehende Regelung im ˙IYUK und weicht vom Zweck des vorläufigen Rechtsschutzes ab, welcher einen schnellen und effektiven Schutz gegenüber der Verwaltung statuieren soll. Die Pflicht des Abwartens der behördlichen Klageerwiderung verwandelt den Beschluss zur Aussetzung der Vollziehung faktisch in ein materiell-rechtliches Urteil. Es besteht schließlich kein Zweifel daran, dass solch eine Regelung, welche die gerichtliche Eilentscheidung an die Reaktion der Verwaltung knüpft, die Kraft der Gerichtsbarkeitskontrolle schwächt und die Grundfreiheiten und -rechte gefährdet. b) Materielle Voraussetzungen Im türkischen Recht ist die Aussetzung der Vollziehung nach Art. 125 Abs. 5 TVerf. sowie nach Art. 27 Abs. 2 I˙YUK an zwei grundlegende materielle Voraussetzungen gebunden. Dies ist zum einen die „offensichtliche Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts“ und zum anderen die „schwer reparablen oder irreparablen Schaden“. Im Unterschied zu der gerichtlichen Aussetzung nach § 80 Abs. 5 VwGO sind diese Voraussetzungen nicht als Maßstab einer Ermessensentscheidung des Gerichts

264

AYM, E. 2012/100, K. 2013/84, T. 04. 07. 2013, R.G. 02. 08. 2013 – 28726. AYM, E. 2006/20, K. 2006/25, T. 22. 02. 2006, R.G. 10. 01. 2007 – 26399; vgl. AYM, E. 2006/33, K. 2006/36, T. 09. 03. 2006, R.G. 10. 01. 2007 – 26399. 265

V. Die verwaltungsrechtliche Ausgestaltung der Aussetzung der Vollziehung

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anzusehen, sondern vielmehr als die Begründetheitsvoraussetzungen.266 Genauer: Entsprechend des Wortlautes des Art. 27 Abs. 2 ˙IYUK darf das Gericht erst im Fall des kumulativen Vorliegens der beiden Voraussetzungen eine Aussetzung der Vollziehung vornehmen.267 Dabei bleibt fraglich, welchen Gehalt diese Voraussetzungen haben und ob das Gericht trotz ihres Vorliegens von einer Aussetzungsentscheidung absehen kann. aa) Eilbedürftigkeit Im türkischen Verwaltungsprozessgesetz bezieht sich die erste materielle Voraussetzung zur Aussetzung der Vollziehung auf die Eilbedürftigkeit bzw. Dringlichkeit der Sache.268 Das Gericht prüft die Dringlichkeit nur aus der Sicht der Antragsteller. Grundsätzlich werden die Interessen der Prozessparteien nicht abgewogen.269 Dementsprechend kann das Gericht die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts aussetzen, wenn dem Antragsteller schwer reparable oder irreparable Schäden drohen und die anderen Erlassvoraussetzungen einer Aussetzung ebenfalls gegeben sind. Das Element der Dringlichkeit zeigt sich im türkischen Recht weiterhin als untergeordnete Voraussetzung des Eilverfahrens. Es räumt den Gerichten wegen seiner Unbestimmtheit bei Aussetzungsentscheidungen bloß einen engen Spielraum ein.270 (1) (Drohender) Schwer reparabler oder irreparabler Schaden Das Element der „Dringlichkeit“ findet seinen Ausdruck in Art. 27 Abs. 1 S. 1 I˙YUK sowie in Art 125. Abs. 5 TVerf. als „schwer reparabler oder irreparabler Schaden, der bei der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts auftreten kann“. Hiermit sind vor allem Fälle gemeint, in denen noch kein schwerer oder irreparabler Schaden vorliegt, sondern vielmehr dessen Eintritt droht. 266

Wenngleich aufgrund der begrifflichen Unbestimmtheit der gesetzlichen Tatbestände dem Gericht ein weniger Spielraum bleibt, stellt eine gerichtliche Aussetzungsentscheidung vielmehr Rechtsentscheidung dar. Dazu sogleich c), S. 272. 267 Candan, I˙YUK, S. 780. 268 „Dringlichkeit“ oder „Gefahr im Verzug“ wird auch in vielen anderen Rechtssystemen, besonders im kontinentaleuropäischen, als ein Maßstab berücksichtigt, der der Judikatur im Rahmen von Eilverfahren einen Beurteilungsspielraum schafft. Dazu Haibach, DÖV 1996, 60, 66. 269 Erst mit der Verwaltungsreform in Frankreich wurde angenommen, dass das Vollziehungsinteresse in die Dringlichkeit der Sache einbezogen werden sollte. Vgl. Marsch, Subjektivierung der gerichtlichen Verwaltungskontrolle, S. 310 f. 270 Die Feststellung der Dringlichkeit ist darüber hinaus in Mitgliedstaaten der Europäischen Union umstritten. Dort wird häufig diskutiert, ob im Hinblick auf die Eilbedürftigkeit für eine Aussetzungsentscheidung nur ein schwerer oder gar ein nicht wiedergutzumachender Schaden geprüft werden soll. Haibach, DÖV 1996, 60, 66 f.

262

D. Im Rechtsvergleich: Die Aussetzung der Vollziehung in der Türkei

Weiterhin wird das Element „schwer oder irreparabel“ so verstanden, dass es bei sofortiger Vollziehung schwer oder unmöglich erscheint, den Zustand vor dem Erlass des Verwaltungsakts wiederherzustellen.271 Demnach ist ein finanzieller Schaden grundsätzlich nicht als schwer reparabler Nachteil zu qualifizieren. Im Umkehrschluss sind daher Nachteile bei der sofortigen Vollziehung, die später durch Geldzahlung nicht wiedergutzumachen sind, irreparable, womit die Sache eilbedürftig ist.272 Das Gericht hat hier zu prüfen, ob im Falle der sofortigen Vollziehung zumindest ein schwer reparabler Nachteil droht. Für eine Aussetzungsentscheidung muss also kein drohender irreparabler Nachteil gegeben sein. Die alternative Formulierung der „schwer reparablen oder irreparablen Schäden“ ist insoweit überflüssig.273 (2) Der Gegenstand des Verwaltungsakts unter dem Gesichtspunkt der Irreversibilität Der Gegenstand, auf den sich der Verwaltungsakt bezieht, stellt im Rahmen des ˙IYUK unmittelbar keine materielle Erlassvoraussetzung dar. Dennoch kann er bei der Begründung der Aussetzungsentscheidung eine Rolle spielen, indem er die Erlassvoraussetzung des schwer reparablen oder irreparablen Schadens nach Art. 27 Abs. 2 S. 1 I˙YUK erläutert bzw. ersetzt.274 In diesem Sinne ist in der Praxis gelegentlich zu sehen, dass die Gerichte aufgrund des Gegenstandes der Verwaltungsakte Aussetzungsentscheidungen treffen. Besonders beim Vorliegen eines sich durch die Vollziehung erledigenden Verwaltungsakts tendiert die Rechtsprechung zu einer Aussetzungsentscheidung.275 Hierunter fallen beispielsweise Abrissverfügungen oder Abschiebeverfügungen.

271

709 ff.

Vgl. Özay, Günıs¸ıg˘ ında Yönetim II, S. 251 Fn. 167; dazu Tetik, ˙InÜHFD 2020, 708,

272 Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması, S. 170 f.; dazu Candan, I˙YUK, S. 780; nach einer strengeren Ansicht des Conseil d’État wurden trotz der Möglichkeit einer finanziellen Entschädigung Vollzugsfolgen im Baurecht als in der Regel irreversibel betrachtet. Marsch, Subjektivierung der gerichtlichen Verwaltungskontrolle, S. 236 Fn. 963; vgl. Danıs¸tay 15. D., E. 2016/1583, T. 18.03.2016 – n. v.: „(…) Verwaltungsakte, die Gegenstand der Klage sind führen logisch notwendig jedes Jahr zur Auflösung der alljährlich erneuten Protokolle. Die fehlende Signierung der erneuerten Protokolle führt zu der Problematik, dass stationär oder ambulant in der Universitätsklinik (als Klagepartei) behandelte Patienten nicht mehr in den Geltungsbereich der Gesundheitsversicherung des Gesetzes Nr. 5510 fallen und deshalb entweder das Krankenhaus ändern müssten oder andernfalls für die Behandlungskosten voll selbst aufkommen müssten. Dieser Umstand würde bei wirtschaftlich minderbemittelten oder chronisch kranken, schwerkranken Patienten zu unwiderruflichen Schäden führen.“ 273 Vgl. Berk, I˙KÜHFD 2009, 9, 10. 274 Er veranlasst, wie bereits erwähnt, entsprechend dem Art. 27 Abs. 2 S. 2 I˙YUK für den Kläger lediglich einen prozessualen Vorteil im Aussetzungsverfahren. Ausführlich siehe oben 4. a) ee) (4) (b), S. 256. 275 Dazu oben 4. a) ee) (3), S. 252 ff.

V. Die verwaltungsrechtliche Ausgestaltung der Aussetzung der Vollziehung

263

Den Betroffenen droht bei derartigen Verwaltungsakten die Aussicht, dass ihre rechtlichen und tatsächlichen Positionen nach dem Vollzug nicht wiederhergestellt werden können bzw. erhebliche Grundrechtseingriffe nicht kompensiert werden können. Bei diesen Verwaltungsakten besteht also grundsätzliche Dringlichkeit, die für eine Aussetzungsentscheidung spricht.276 Zur Beschleunigung des Aussetzungsverfahrens wäre es insoweit von Vorteil, wenn Verwaltungsakte, die bestimmte Merkmale erfüllen, kategorisiert werden. Wenngleich jeder Einzelfall sich in seiner Dringlichkeit unterscheidet,277 ist es möglich, den Gegenstand von Verwaltungsakten sowie eine – immerhin abstrahierte – Gewichtung der betroffenen Grundrechte im Hinblick auf die Dringlichkeit der Aussetzungsentscheidung von vornherein zu berücksichtigen.278 bb) Erfolgsaussichten der Hauptsache Eine weitere materielle Voraussetzung zur Aussetzung der Vollziehung im türkischen Recht bezieht sich auf die Erfolgsaussichten der Hauptsache. Sie wird, wie im französischen und deutschen Rechtssystem, neben der Eilbedürftigkeit als wesentlicher Faktor bezeichnet, um eine Eilentscheidung im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes zu begründen.279 (1) Offensichtliche Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts Der Faktor der Erfolgsaussichten der Hauptsache findet seinen Ausdruck sowohl in Art. 27 Abs. 2 ˙IYUK als auch in Art. 125 Abs. 5 TVerf. durch das Tatbestandsmerkmal der „offensichtlichen Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts“. Das Tatbestandsmerkmal enthält zwei Elemente. Zum einen werden Anforderungen an den Grad der Rechtswidrigkeit gestellt. Zum anderen wird eine behördliche Maßnahme, die Verwaltungsaktqualität aufweist, vorausgesetzt. 276

Vgl. Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması, S. 171. Zur französischen Rechtsprechung Marsch, Subjektivierung der gerichtlichen Verwaltungskontrolle, S. 245: „Bezüglich schwer zu beseitigenden Folgen ergangene Rechtsprechung in Frankreich war in hohem Maße einzelfallbezogen und widersetzte sich auch deswegen einer systematisierenden Analyse, weil die Entscheidungen nicht oder nur stereotyp begru¨ ndet wurden. So beschra¨ nkte sich der Conseil d’État, sofern er seine Entscheidung u¨ berhaupt begru¨ ndete, in der Regel auf die Feststellung, dass die drohenden Konsequenzen (un)geeignet bzw. der drohende Nachteil nicht schwerwiegend genug seien, die Anordnung eines sursis zu rechtfertigen.“ 278 Siehe dazu oben C. IV. 2. e) bb) (2), S. 160 ff. 279 Das Element „fumus boni juris“ steht wie in EU-Mitgliedsländer und in Großbritannien auch im Vordergrund; in der Europäischen Union wird ferner sehr unterschiedlich bewertet, wann Erfolgsaussichten im Aussetzungsverfahren bestehen. In Portugal reicht für eine Aussetzungsentscheidung, dass die Hauptsache nicht offensichtlich unbegründet ist. In Italien genügt eine auf den ersten Blick begründet erscheinende Hauptsache. Dagegen bedarf es in Frankreich, Belgien und Luxemburg gewichtiger Gründe, die einen Erfolg in der Hauptsache glaubhaft erscheinen lassen. Vgl. Haibach, DÖV 1996, 60, 66. 277

264

D. Im Rechtsvergleich: Die Aussetzung der Vollziehung in der Türkei

(a) Das Merkmal der offensichtlichen Rechtswidrigkeit In den Gesetzesmaterialien ist „die offensichtliche Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts“ nicht näher erläutert. Dabei stellt das Merkmal der „Offensichtlichkeit“ einen relativen Begriff dar, der von der Rechtsprechung einzelfallabhängig auszufüllen ist. Aus der einschlägigen Rechtsprechung ist jedenfalls zu folgern, dass der Begriff der „offensichtlichen Rechtswidrigkeit“ vorgibt, dass bezüglich der Erfolgsaussichten keine sichere Gewissheit vorausgesetzt wird. Es ist ausreichend, wenn das Gericht zum Zeitpunkt der Eilentscheidung von einem Erfolg der Hauptsache überzeugt ist.280 Selbst wenn das Gericht die Aussetzung der Vollziehung entschieden hat, muss es theoretisch am Ende des Klageverfahrens den angegriffenen Verwaltungsakt nicht unbedingt für rechtswidrig erklären. In der Praxis ist es allerdings häufig der Fall, dass eine Feststellung der offensichtlichen Rechtswidrigkeit auch den Erfolg in der Hauptsache nahelegt und sich dadurch die Hauptsache schon im Aussetzungsverfahren erledigt. Dass sich das Gericht bei Aussetzungsentscheidungen von der offensichtlichen Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts eine Überzeugung bildet, ist nämlich von den Anforderungen her vergleichbar mit der Begründung von Anfechtungsurteilen. In diesem Zusammenhang wird in der Literatur häufig vertreten, dass an die Voraussetzung der Erfolgsaussichten keine hohen Anforderungen gestellt werden dürfen. Der Begriff der „offensichtlichen Rechtswidrigkeit“ kann dementsprechend so verstanden werden, dass sich die Rechtswidrigkeit auf den ersten Blick erkennen lässt.281 Im Ergebnis ist die offensichtliche Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts gemäß Art. 27 Abs. 2 I˙YUK kein Abwägungsmaßstab im Aussetzungsverfahren, aber deren Auslegungsbedürftigkeit schafft dem Gericht gewissermaßen einen Beurteilungsspielraum. Je nach der Komplikation des Einzelfalles kann das Gericht dann schließlich die „Offensichtlichkeit“ streng oder nachgiebig interpretieren. (b) Prüfungsumfang Bei der Voraussetzung der offensichtlichen Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts sind die Anfechtungsgründe, die nach Art. 2 Abs. 1 S. 1 (a) I˙YUK für die Gerichte den Prüfungsumfang vorgeben, zu untersuchen. Konkret ist hier zu prüfen, ob der Verwaltungsakt hinsichtlich Zuständigkeit, Gegenstand, Form sowie Zweck und Grund rechtswidrig oder unwirksam ist. Wenn der Verwaltungsakt auf diese Weise, schon im Aussetzungsverfahren – demnach ohne eine abschließende Prü280

Vgl. Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması, S. 168; 2. Verwaltungsgericht Mersin, E. 2011/1719, T. 01. 12. 2011; 2. Verwaltungsgericht Mersin, E. 2011/916, T. 27. 10. 2011; Akın, Yürütmenin Durdurulmasına I˙lis¸kin, S. 136. 281 Candan, I˙YUK, S. 781 f.; auch Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması, S. 168.

V. Die verwaltungsrechtliche Ausgestaltung der Aussetzung der Vollziehung

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fung – als rechtswidrig eingeschätzt wird, ist die Voraussetzung der offensichtlichen Rechtswidrigkeit dann für Aussetzung der Vollziehung erfüllt. Dabei prüft das Gericht an dieser Stelle nicht die Rechtswidrigkeit einer sofortigen Vollziehung, weil an die Anordnung einer sofortigen Vollziehung keine besonderen Anforderungen gestellt sind. Die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsakts nach ˙IYUK ist rechtmäßig, wenn der Verwaltungsakt an sich rechtmäßig ist. Des Weiteren wird gemäß Art. 125 Abs. 4 TVerf. und Art. 2 Abs. 2 I˙YUK von den Gerichten bei der Feststellung der offensichtlichen Rechtswidrigkeit keine Opportunitätsprüfung vorgenommen. Das Gericht darf demnach keine Entscheidung treffen, welche die Erfüllung der Aufgabe der vollziehenden Gewalt im Hinblick auf gesetzlich bestimmten Form- und Verfahrensvorschriften beschränkt, den Charakter von Verwaltungshandeln oder eines Verwaltungsakts hat oder das Verwaltungsermessen aufhebt.282 Dies bedeutet aber nicht, dass die Ermessensentscheidungen der Verwaltung,283 die grundsätzlich eine Verhältnismäßigkeitsprüfung erfordern,284 nicht gerichtlich überprüfbar sind. Richterliche Kontrolle umfasst auch die Beurteilung darüber, ob die Verwaltung bei jedweder Entscheidung – entsprechend ihrer unmittelbaren Bindung an verfassungsrechtlichen Vorgaben – gleichmäßig, fair und verhältnismäßig gehandelt hat.285 Die gerichtliche Überprüfung des Verwaltungsermessens ist besonders relevant für jene Fälle, in denen die Verwaltung als Zweck ihres Vorgehens unbestimmte Rechtsbegriffe wie öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Allgemeinwohl angibt bzw. die Rechtfertigung des Verwaltungsakts durch öffentliche Interessen erklärt.286 Bei der Bestimmung des öffentlichen Interesses am Erlass eines Verwaltungsakts steht den Gerichten allerdings kein Ermessen zu. Die gerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob die Verwaltung gesetzmäßig und bei der Ermessensausübung willkürlich gehandelt hat.287 Genauer, ob die Verwaltung zur Erreichung eines speziellen oder generellen öffentlichen Zwecks durch eines taugliches, notwendiges und angemessenes Mittel in die Grundrechte eingreift und ob zwischen dem kon-

282

Vgl. Übersetzung von Rumpf, Die Verfassung der Republik Türkei 2021. Das Ermessen der Verwaltung bezieht sich im türkischen Recht zum einen auf die Auswahlmöglichkeit der Mittel, zum anderen aber auch auf einen Ermessensspielraum hinsichtlich unbestimmter Rechtsbegriffe. 284 Og˘ urlu, ˙Idari Yaptırımlar Karsısında Yargısal Korunma, S. 29; vgl. J. Erdem, AÜHFD 2013, 971, 990. 285 S¸en, GÜHFD 2013, 1623, 1635; zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz i. S. d. Art. 13 TVerf. oben IV. 4. b), S. 198 f. 286 Vgl. J. Erdem, AÜHFD 2013, 971, 991. 287 Sag˘ lam, Temel Hakların Sınırlandırılması, S. 128. 283

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D. Im Rechtsvergleich: Die Aussetzung der Vollziehung in der Türkei

kreten Zweck und Mittel eine Verhältnismäßigkeit besteht.288 In diesem Sinne kann bei einer behördlichen Maßnahme wie z. B einem totalen Versammlungsverbot oder einer Ausgangssperre, wenn diese durch mildere Mittel ersetzt werden können, von einer Verhältnismäßigkeit keine Rede sein. Ein solcher Verwaltungsakt, der einerseits den Kernbereich des Grundrechts tangiert und daneben keinen besonderen und notwendigen Zweck für die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit der Bevölkerung hat, ist also unverhältnismäßig und daher offensichtlich rechtswidrig, sodass eine gegen ihn gerichtete Aussetzung begründet ist.289 (c) Offensichtliche Rechtswidrigkeit der Rechtsverordnung Im türkischen Recht ist die Prüfung der offensichtlichen Rechtswidrigkeit von Verwaltungsverordnungen besonders untersuchenswert, weil diese im Unterschied zum deutschem Recht, den Gegenstand eines Aussetzungsverfahrens darstellen können.290 Zum einen geht es bei einem solchem Aussetzungsverfahren unmittelbar um die abstrakte Rechtswidrigkeit der Verordnung. Zum anderen kann es hierbei auch der Fall sein, dass die Verwaltungsverordnung selbst nicht rechtswidrig ist, ihre Anwendung jedoch im speziellen Fall zu unverhältnismäßigen und rechtswidrigen Folgen führt. In diesem Fall ist dann nur von der Aussetzung der Vollziehung eines Einzelverwaltungsakts zu sprechen, der sich auf eine Verwaltungsverordnung stützt. In dieser Hinsicht ist für die gerichtliche Aussetzungsentscheidung nicht nur die abstrakte Rechtswidrigkeit der Verordnung von Bedeutung. Auch die Feststellung ihrer kausalen Rechtswidrigkeit im Einzelfall spielt eine Rolle. Die Auslegung der offensichtlichen Rechtswidrigkeit einer Verwaltungsverordnung im Aussetzungsverfahren nach Art. 27 I˙YUK ist immer umstritten. Ehemals griffen die Verwaltungsgerichte auf einen merkwürdig wirkenden Maßstab zurück, aus dem der Verzicht auf eine umfassende Normenkontrolle folgte. Bis zur Änderung des Art. 27 ˙IYUK im Jahr 2014 reichte es für die Begründetheit einer Aussetzungsentscheidung bei Aufhebungsklagen gegen eine Verwaltungsvorschrift aus, dass die Normenkontrollklage bezüglich derselben Vorschrift eröffnet wurde. Als Grund dafür wurde angegeben, dass hierbei ernsthafte Vermutungen an die Rechtswidrigkeit der Verwaltungsverordnung bestanden, wenn gegen die Verordnung der Eröffnung der Normenkontrollklage vor dem Verfassungsgericht stattgegeben wurde.291 Diese gerichtliche Praxis lehnte danach der 12. Senat des obersten Verwaltungsgerichts zutreffenderweise ab. Das Gericht führte in seiner Entscheidung aus 288

Zur Auslegung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes AYM, E. 1990/25, K. 1991/1, T. 10. 01. 1991; J. Erdem, AÜHFD 2013, 971, 995 ff.; Danıs¸tay 11. D., E. 1976/17, K. 1976/ 3958, T. 04. 11. 1976. 289 Vgl. Danıs¸tay 10. D., E. 2006/946, K. 2008/6084, T. 15. 09. 2008. 290 Siehe oben C. II. 2. c) ee), S. 72. 291 Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması, S. 169.

V. Die verwaltungsrechtliche Ausgestaltung der Aussetzung der Vollziehung

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dem Jahr 2010 hierzu aus: Es stimme mit dem Institut der Aussetzung der Vollziehung im Verwaltungsprozess nicht überein, dass mit Eröffnung einer Normenkontrollklage vor dem Verfassungsgericht die Voraussetzung der „offensichtliche Rechtswidrigkeit“ für eine gerichtliche Aussetzungsentscheidung automatisch erfüllt sei.292 Während bei einer Aufhebungsklage vor dem Verwaltungsgericht die Behauptung der Rechtswidrigkeit einer Norm untersucht wird, entfaltet die Rechtshängigkeit eines Anfechtungsprozesses mit Gegenstand derselben Norm bei dem Verfassungsgericht keine ausreichende Indizwirkung für die Erfüllung der Voraussetzung der „offensichtlichen Rechtswidrigkeit“ i. S. d. Art. 27 Abs. 2 I˙YUK. Durch das Änderungsgesetz Nr. 2577 wurde dieser Gegenstand letztlich im Jahr 2014 ausdrücklich geregelt. Nach der nun in Art. 27 Abs. 2 S. 5 I˙YUK verorteten Bestimmung kann allein aufgrund einer Eröffnung der Normenkontrollklage beim Verfassungsgericht keine Aussetzungsentscheidung durch das Verwaltungsgericht getroffen werden. Hierbei ist es neben verwaltungsgerichtliches Aussetzungsverfahren möglich, auch ein Aussetzungsverfahren im Rahmen einer verfassungsrechtlichen Normenkontrollklage durchzuführen. Im Gegensatz zum deutschem Recht besteht zwar im türkischen Recht keine eindeutige Regelung, dass das Verfassungsgericht für eine Eilentscheidung zur Aussetzung der Vollziehung zuständig ist. Gleichwohl ist ab 1993 zu sehen, dass das Verfassungsgericht bezüglich der angefochtenen Normen Aussetzungsentscheidungen treffen kann.293 (2) Kritische Würdigung In Anbetracht der vergleichbaren Rechtsordnungen der meisten europäischen Länder ist die Voraussetzung der „offensichtlichen Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts“ aus Art 27 Abs. 2 ˙IYUK als eine verhältnismäßig strenge Voraussetzung zu beurteilen. Für die Bejahung dieser Voraussetzung im Hinblick auf die Begründung einer Aussetzungsentscheidung ist es beispielsweise nicht ausreichend, dass 292

Dementsprechend zeigt die Eröffnung einer Normenkontrollklage mit Behauptung der Verfassungsrechtswidrigkeit der Rechtsverordnung das Vorliegen einer offensichtlichen Rechtswidrigkeit im Rahmen eines Aussetzungsverfahrens. Danıs¸tay 12. D., E. 2010/1946, ¨ zay, in: Danıs¸tay T. 14.07.2010 – n. v.; Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması, S. 169; dazu O Sempozyumu, S. 9, 10. 293 Vgl. Demircan, TBBD 2015, 131, 140 f. Diesbezüglich herrschen außerdem in der Literatur zwei verschiedene Ansichten. Einerseits wird vertreten, dass auch das Verfassungsgericht eine Aussetzungsentscheidung in einer Normenkontrollklage treffen kann. Andererseits wird diese Befugnis abgelehnt, weil die Aussetzung der Vollziehung im Grunde ein Institut ist, das zum Verwaltungsprozess gehört; die Zuständigkeit des Verfassungsgerichts für eine Eilentscheidung ist im deutschen Recht gesetzlich geregelt. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist; vgl. BVerfG, B. v. 22.01.2018 – 2 BvR 80/18 – Rn. 1 – 7.

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D. Im Rechtsvergleich: Die Aussetzung der Vollziehung in der Türkei

„ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts“ gegeben sind, was im deutschen Recht zu einer Aussetzungsentscheidung veranlasst. Ebenfalls ist es bei der offensichtlichen Rechtswidrigkeit auch nicht genügend, wenn „gewichtige Gründe hinsichtlich des Erfolges in der Hauptsache“ vorliegen, welche eine Erlassvoraussetzung der référé-suspension im französischen Recht darstellen.294 Um eine Aussetzungsentscheidung nach Art. 27 I˙YUK in angemessener Zeit treffen zu können, muss die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts so offensichtlich sein, dass sie beim ersten Blick – aus Perspektive eines gewissenhaften Richters – zu verstehen ist.295 Andernfalls wäre eine eingehende Prüfung notwendig, um eine offensichtliche Rechtswidrigkeit darzulegen und die Aussetzungsentscheidung zu treffen. Ist die Erfolgsaussicht der Hauptsache im Eilverfahren auf diese Weise klar, dann besteht kein Bedarf mehr daran, die rechtliche Lage in der Hauptsache weiter zu prüfen. Daher ist die Erlassvoraussetzung „offensichtliche Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts“ im Aussetzungsverfahren prinzipiell bedenklich, weil durch deren Untersuchung und Feststellung die Hauptsache faktisch obsolet werden kann. Daher stellt sich die Frage, inwieweit Rechtsbetroffene vom Weg der Aussetzung der Vollziehung Gebrauch machen können, falls die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts nicht offensichtlich oder die Erfolgsaussichten offen sind. In einem solchen Fall wird ein Anspruch auf Aussetzung der Vollziehung regelmäßig abgelehnt,296 weil das Gericht grundsätzlich die abschließende Prüfung der Erfolgsaussichten wegen des Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache im Eilverfahren nicht durchführen kann.297 Schließlich ist das Instrument der Aussetzung der Vollziehung nicht effektiv, soweit nicht auf eine restriktive Auffassung der Voraussetzung der „offensichtlichen Rechtswidrigkeit“ aus Art. 27 Abs. 2 I˙YUK verzichtet wird. Für ein beschleunigtes und effektiveres Eilverfahren wäre es vor allem erforderlich, dass diese Voraussetzung, die für Aussetzungsentscheidungen als entscheidender Faktor betrachtet wird,

294 Vor der Reform im Jahr 2000 wurde die Voraussetzung des ernstlichen Klagegrundes, die als Erlassvoraussetzung für eine Aussetzung der Vollziehung gilt, restriktiv ausgelegt. Im Rahmen dieser Voraussetzung wurde regelmäßig eine umfassende Prüfung vorgenommen. Vgl. Cuno, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 26 f.; mit der Reform ist die Anordnungsvoraussetzung nach Art. L521 – 1 Abs. 1 CJA nunmehr „gewichtige Gründe für den Erfolg in der Hauptsache“. Diese Modifizierung stellt im Wortsinn zwar keinen großen Unterschied dar. Der Gesetzgeber hat hiermit jedoch darauf abgezielt, gerichtliche Aussetzungsverfahren zu beschleunigen und die Voraussetzungen einer Aussetzungsanordnung zu erleichtern. Cuno, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 115. 295 Vgl. Candan, ˙IYUK, S. 781. 296 Danıs¸tay 8. D., E. 2013/413, T. 12.09.2013 – n. v.; E. 2014/1419, T. 04.07.2014 – n. v. 297 Die Vorwegnahme der Hauptsache wird im türkischen Recht als „ihsas-ı rey“ bezeichnet und ist grundsätzlich verboten. Demnach darf der Richter vor der Hauptsachentscheidung seine Überzeugung zu den Erfolgsaussichten nicht darstellen. Sezer/Ermumcu/Bilgin, TAAD 2011, 123, 133; auch Dog˘ ru, BÜHFD 2016, 231, 254.

V. Die verwaltungsrechtliche Ausgestaltung der Aussetzung der Vollziehung

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funktionsfähiger gestaltet wird.298 In diesem Sinne wäre es angebracht, dass für Aussetzungsentscheidungen statt der „offensichtlichen Rechtswidrigkeit“ des Verwaltungsakts vorzugsweise „ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit“ oder „überwiegende Obsiegenswahrscheinlichkeit“ vorausgesetzt werden.299 cc) Die strenge Begründungspflicht des Gerichts bezüglich der kumulativen materiellen Voraussetzungen Nach Art. 141 TVerf. sind die Gerichte für jedwede Entscheidung einer strengen Begründungspflicht unterworfen. Neben dieser Regelung wird in Art. 27 Abs. 2 S. 1 ˙IYUK nochmals betont,300 dass das Gericht in den Entscheidungsgründen zu der Vollziehungsaussetzung detailliert darzulegen hat, dass die zwei materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Aussetzung der Vollziehung kumulativ erfüllt sind. Genauer gesagt kommt dem Gericht eine Pflicht zu, ausdrücklich zu begründen, warum der angegriffene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist und warum durch seine Vollziehung schwer reparable Schäden drohen.301 Die Begründungserfordernis ist dementsprechend lediglich bei einer positiven Aussetzungsentscheidung einschlägig. Bei einer Ablehnung des Antrags ist hingegen keine gesonderte Begründungspflicht vorgesehen. In der rechtlichen Praxis ist zu beobachten, dass bei Begründungen von Aussetzungsentscheidungen die Erfolgsaussichten im Vordergrund stehen. Die Eilbedürftigkeit wird bei der Aussetzungsentscheidung zumeist lediglich kurz festgestellt, aber in der Entscheidungsbegründung häufig nicht weiter konkretisiert. Wenn der Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist, wird auch angenommen, dass schwer reparable oder irreparable Schäden drohen.302 Hierzu wird angeführt, dass ein offensichtlich rechtswidriger Eingriff bis zum Ergehen der Hauptsacheentscheidung nicht hinzunehmen ist und in dieser Hinsicht das Kriterium der Erfolgsaussichten mit der Eilbedürftigkeit eng zusammenhängt.303 Die zuvor dargelegte Vorgehensweise entspricht auch jener des obersten Verwaltungsgerichts. Nach diesem wird die Begründungspflicht so aufgefasst, dass vor allem die offensichtliche Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts als Erlassvoraus298 Zur Lockerung in Frankreich durch die Reform Cuno, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 115. 299 Vgl. Candan, ˙IYUK, S. 782; vgl. Haibach, DÖV 1996, 60, 68. 300 Durch diese Regelung erstrebt der Gesetzeber, dass die gerichtliche Aussetzungsentscheidungen nunmehr ausdrücklich begründet werden sollen. 301 Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması, S. 172; Kul, YD Kararının Uygulanması, S. 8. 302 Danıs¸tay 15. D., E. 2018/2622, T. 06.11.2018 – n. v. 303 Die Befriedigungsfunktion kann – auch ungeachtet von der Sicherungsfunktion – so dringend wie möglich gewährt werden. Kul, YD Kararının Uygulanması, S. 8; so auch in Frankreich Marsch, Subjektivierung der gerichtlichen Verwaltungskontrolle, S. 237 Fn. 966: „Stu¨ tzte sich das Gericht in einer ablehnenden Entscheidung auf die fehlenden Erfolgsaussichten der Hauptsacheklage, so war daher anzunehmen, dass es die Dringlichkeit bejahte.“

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D. Im Rechtsvergleich: Die Aussetzung der Vollziehung in der Türkei

setzung für Aussetzungsentscheidung konkret und klar begründet werden muss. Daneben müsse der „schwer reparable oder irreparable Schaden“, als weitere Erlassvoraussetzung für Aussetzungsentscheidungen nicht erläutert werden. Es sei ausreichend, in der Entscheidungsbegründung auszusprechen, dass der schwere oder irreparable Schaden drohe.304 Diese Auffassung ist rechtlich falsch. Das Gericht setzt hier lediglich nach dem Faktor „der offensichtlichen Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts“ die Vollziehung aus, auch wenn die drohenden Konsequenzen der sofortigen Vollziehung faktisch nicht schwerwiegend, sondern vielmehr reparabel sind. Dem Wortlaut des Art. 27 Abs. 2 ˙IYUK entspricht eine solche Anwendung eindeutig nicht.305 Obgleich es nicht der Intention des Gesetzgebers zu Art. 27 Abs. 2 I˙YUK entspricht,306 ist es im Sinne des effektiven vorläufigen Rechtsschutzes angebracht, dass die Erfolgsaussichten der Hauptsache in der Praxis für die Aussetzung der Vollziehung eine wesentliche Voraussetzung sind.307 An dieser Stelle ist vielmehr bedenklich, dass sich die Erfolgsaussichten nicht nur als entscheidender Maßstab im Aussetzungsverfahren, sondern zugleich als unerlässliche und einzige Voraussetzung darstellen. Entsprechend dem Wortlaut des Art. 27 Abs. 2 ˙IYUK lehnt die Rechtsprechung nämlich hier die Eigenständigkeit der Voraussetzung der Irreparabilität (von den Erfolgsaussichten) grundsätzlich ab.308 Das heißt, dass die Aussetzungsentscheidung nicht allein mit den drohenden schwer reparablen Schäden zu begründen ist, wenn keine offensichtliche Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts gegeben ist.309 Insgesamt wird die Begründungspflicht bezüglich der kumulativen Voraussetzungen der Vollziehungsaussetzung in der Literatur als streng gewertet und regelmäßig kritisiert. Zunächst wird diese Pflicht in Bezug auf die Vorwegnahme der Hauptsache als problematisch angesehen. Wenn das Gericht die offensichtliche Rechtswidrigkeit 304

Danıs¸tay 8. D., E. 2013/413, T. 12.09.2013 – n. v.; E. 2014/1419, T. 04.07.2014 – n. v.; vgl. S¸en, TBBD 2014, 155, 176. 305 Beispielgebend ist der Fall der Entlassung eines Dekans. Selbst wenn in dem Fall die offensichtliche Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts vorliegen würde, ist ein schwer reparabler Schaden für den entlassenen Dekan nicht ersichtlich. Die offensichtliche Rechtswidrigkeit ist demnach nicht immer ein Indiz für einen schwer reparablen Schaden. Häufig lässt das Gericht den Mangel des Dringlichkeitsinteresses für eine Aussetzungsentscheidung dennoch unberücksichtigt, da die offensichtliche Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts als der primäre und entscheidende Faktor zum Aussetzungsverfahren gegeben ist. Gülan, Die Einführungsveranstaltung zum Verwaltungsprozess, 12. 10. 2015, S. 136. 306 Siehe die historische Entwicklung oben II., S. 187. 307 Auch S¸en, TBBD 2014, 155, 176. 308 Danıs¸tay 8. D., E. 2013/413, T. 12.09.2013 – n. v.; E. 2014/1419, T. 04.07.2014 – n. v. 309 Von dieser Vorgabe weicht die gerichtliche Praxis nur gelegentlich ab. Abweichungen sind besonders dann zu verzeichnen, wenn der Verwaltungsakt sich mit seiner sofortigen Vollziehung erledigen würde. Dazu oben 4. a) ee) (2), S. 250.

V. Die verwaltungsrechtliche Ausgestaltung der Aussetzung der Vollziehung

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des Verwaltungsakts ausdrücklich zu begründen hat, werde seine Überzeugung zur Hauptsache eigentlich von vornherein festgelegt. Die Aussetzungsentscheidung dürfe mit der Hauptsachentscheidung jedoch nicht gleichgesetzt werden. Dabei sei eine abschließende Prüfung im Eilverfahren nur vorzunehmen, wenn dies der Sicherung der Effektivität der Hauptsacheentscheidung dienen kann.310 Weiterhin werde der Erlass der Aussetzungsentscheidung dadurch erschwert, dass materielle Voraussetzungen für die Aussetzung der Vollziehung in den Entscheidungsgründe detailreich erläutert werden müssen. Es sei für Gerichte nicht leicht, in kurzer Zeit nach den restriktiven Voraussetzungen des Art. 27 Abs. 2 I˙YUK eine richtige und effektive Entscheidung zu treffen. Anstatt das kumulative Vorliegen der Voraussetzungen zu begründen und über die Aussetzung der Vollziehung zu entscheiden, könne das Gericht gleich eine Hauptsacheentscheidung treffen.311 Letztendlich sind die Gerichte wegen der erheblichen Begründungspflicht aus Art. 27 Abs. 2 I˙YUK oft zurückhaltend, die Aussetzung der Vollziehung anzuordnen. Dadurch wandelt sich die gerichtliche Aussetzung der Vollziehung – entsprechend dem Willen des Gesetzgebers – von einem möglichen Fall zu einem seltenen Ausnahmefall.312 Dies spiegelt sich auch darin wider, dass im türkischen Verwaltungsprozess die Interessen der Verwaltung im Vordergrund stehen und die Wahrung der Waffengleichheit nicht bedeutend ist, auch wenn es um einen belastenden Verwaltungsakt geht, der in die Rechtssphäre des Bürgers eingreift. c) Gebundene Aussetzungsentscheidung bei Vorliegen der materiellen Erlassvoraussetzungen Im Hinblick auf Merkmale des Art. 27 Abs. 2 ˙IYUK soll auch der Frage nachgegangen werden, wie das Ermessen und der Entscheidungsspielraum des Gerichts im Aussetzungsverfahren ausgestaltet sind. Art. 27 Abs. 2 S. 1 I˙YUK regelt, dass das Gericht eine Aussetzungsentscheidung treffen kann, wenn die erforderlichen materiellen und formellen Voraussetzungen vorliegen. Die Regelung ist nach ihrer Formulierung als Kann-Vorschrift zu bezeichnen. Die Kann-Formulierung bezieht sich allerdings nicht auf den Ermessenspielraum des Gerichts. Vielmehr räumt sie dem Gericht die Kompetenz ein, bei Erfüllung der materiell- und formellrechtlichen Voraussetzungen des Art. 27 Abs. 2 I˙YUK die Vollziehung auszusetzen. Fraglich ist, ob die Regelung das Gericht auch dazu verpflichtet, die Vollziehung auszusetzen. Für eine gebundene Entscheidung des Gerichts bei Vorliegen der 310 Odyakmaz, in: ˙Idari Yargılama Usulu¨ Sempozyumu, S. 141, 149; vgl. Akın, Yürütmenin Durdurulmasına I˙lis¸kin, S. 73. 311 Auch Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması, S. 174; Gözübüyük/Tan, I˙dare Hukuku, S. 975, 936. 312 Bilgen, in: Ulusal I˙dare Hukuku Kongresi, S. 804; Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması, S. 173.

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D. Im Rechtsvergleich: Die Aussetzung der Vollziehung in der Türkei

Voraussetzungen des Art. 27 Abs. 2 ˙IYUK spricht, dass diese gesetzlichen Voraussetzungen von vornherein festlegen, wann die Aussetzung der Vollziehung begründet und erforderlich ist. Sind neben den formellen Voraussetzungen auch die materiellen Voraussetzungen des Art. 27 Abs. 2 ˙IYUK erfüllt, sollte das Gericht prinzipiell die Vollziehung aussetzen. Eine Abweichung von der Aussetzung der Vollziehung ist insoweit abzulehnen. Dabei hat das Gericht einen Spielraum hinsichtlich der Konkretisierung der Begründetheitsvoraussetzungen, die sich als unbestimmte Rechtsbegriffe darstellen. Letztlich darf das Gericht diese unbestimmten Rechtsbegriffe restriktiv oder permissiv (großzügig) handhaben. Dadurch kommt ihm bei der Aussetzung der Vollziehung etwas Entscheidungsspielraum zu. Schließlich lässt sich hierzu noch einmal vorbringen, dass den türkischen Gerichten durch Art. 27 Abs. 2 ˙IYUK – anders als im deutschen Recht – keine gesetzlichen Maßstäbe, sondern vielmehr, vergleichbar mit den früheren Regelungen bezüglich Aussetzungsverfahren im französischen Recht, die restriktiven Erlassvoraussetzungen zustehen.313 Im Hinblick auf die Frage des gerichtlichen Ermessens im Aussetzungsverfahren nach Art. 27 ˙IYUK könnte deshalb die ehemalige französische Rechtspraxis zu berücksichtigen sein. Im Rahmen der früheren Regelung des französischen Rechts wurde aufgrund einer Grundsatzentscheidung des Conseil d’État praktiziert, dass die Gerichte trotz des Vorliegens der restriktiven gesetzlichen Voraussetzungen von der Aussetzung der Vollziehung absehen konnten.314 Vor diesem Hintergrund wäre eine ähnliche Praxis im türkischen Verwaltungsprozess denkbar. Dies wäre allerdings unzutreffend. In Anbetracht der Restriktion des Aussetzungsverfahrens im türkischen Recht besteht nämlich kein Anlass dafür, dass das Gericht noch einmal zugunsten der Verwaltung von der Aussetzung der Vollziehung absieht. Ebenfalls ist hier auch unhaltbar, dass sich ein Ermessensspielraum nur einseitig auf die Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung bezieht.315 Ein gerichtliches Ermessen im Hinblick auf den Erlass einer Aussetzungsentscheidung nach Art. 27 I˙YUK wäre nur so sinnvoll, wenn das Gericht über die Erlassvoraussetzungen des Art. 27 ˙IYUK hinaus mittels einer Interessenabwägung, also nicht nur zugunsten Verwaltung, sondern auch zugunsten Bürger, eigene Entscheidungen treffen dürfte.

313

Siehe gleich oben 4. b), S. 260. Zu dieser früheren Praxis in Frankreich Cuno, Einstweiliger Rechtsschutz S. 26; auch Marsch, Subjektivierung der gerichtlichen Verwaltungskontrolle, S. 244: „Die Verwaltungsgerichte konnten also trotz des Vorliegens der ohnehin restriktiven Begru¨ ndetheitsvoraussetzungen von der Anordnung eines sursis absehen, sofern dieser staatliche Vollziehungsinteressen beeintra¨ chtigt ha¨ tte, wohingegen es ihnen nicht mo¨ glich war, zugunsten des Bu¨ rgers eine Suspendierung anzuordnen, wenn die Begru¨ ndetheitsvoraussetzungen nicht vorlagen. (…) Der Conseil d’État hatte in der Grundsatzentscheidung Association de sauvegarde du quartier Notre-Dame im Jahr 1976 judiziert, dass die Verwaltungsgerichte selbst bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen nicht verpflichtet seien, einen sursis a` exe´cution anzuordnen.“ 315 Dazu Marsch, Subjektivierung der gerichtlichen Verwaltungskontrolle, S. 255. 314

V. Die verwaltungsrechtliche Ausgestaltung der Aussetzung der Vollziehung

273

d) Eine Gegenüberstellung der Voraussetzungen für die gerichtliche Aussetzungsentscheidung im türkischen und deutschen Recht Im deutschen Recht regelt § 80 Abs. 5 VwGO die Aussetzung der Vollziehung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, die nur in Anfechtungssachen erfolgen kann. Diese Regelung enthält formell-rechtliche Bestimmungen zum Aussetzungsverfahren, wie zum Beispiel ein Antragserfordernis. Sie enthält für die gerichtlichen Aussetzungsentscheidungen darüber hinaus aber keinen speziellen materiell-rechtlichen Maßstab. Die Entscheidungskriterien des § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO, die für die behördliche Aussetzung der Vollziehung vorgesehen sind, sind auch im Aussetzungsverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO heranzuziehen. Dabei sind diese Kriterien nicht abschließend und müssen für das Ergehen einer Aussetzungsentscheidung nicht in jedem Einzelfall vorliegen.316 Das materielle Kernelement für die gerichtliche Aussetzungsentscheidung ist vielmehr eine Interessenabwägung, bei der insbesondere die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs und daneben die Dringlichkeit der Sache zu berücksichtigen sind. Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind also der entscheidende Maßstab für die Aussetzungsentscheidung. Ist der Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig, kann der Faktor der Irreparabilität für eine Aussetzung der Vollziehung nicht genügen. Wenn das Gericht keine Vermutung über die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts anstellt, ist hingegen die Aussetzung der Vollziehung allein anhand des Maßstabs der Eilbedürftigkeit anzuordnen. Bei einer offenen Erfolgsprognose, in der von keinen materiell-rechtlichen Maßstäben Gebrauch zu machen ist, wird eine reine Abwägung der widerstreitenden Interessen durchgeführt. Dagegen sind im türkischen Recht die materiellen Voraussetzungen für die gerichtliche Aussetzungsentscheidung gesetzlich fest geregelt. Die Gerichte sind also nicht befugt, ohne Erfüllung der kumulativen Voraussetzungen des Art. 27 Abs. 2 I˙YUK nach einer Interessensabwägung eine Aussetzungsentscheidung zu treffen. Bei der Auslegung der gesetzlichen Merkmale ist das Gericht weiterhin eingeschränkt, weil ihm eine strenge Begründungspflicht zukommt. Insbesondere muss das Merkmal der offensichtlichen Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts als Anhaltspunkt für die Aussetzungsentscheidung klar begründet werden. Zusätzlich sollte das Merkmal eines drohenden schwer reparablen oder irreparablen Schadens in den Entscheidungsgründe dargelegt werden. Sind die Erfolgsaussichten hingegen offen, kann das Gericht eine Aussetzungsentscheidung nicht allein deshalb beschließen, weil eine Eilbedürftigkeit zu bejahen ist oder eine Abwägung der Interessen hierfür spricht. In diesem Zusammenhang zeigt sich bei beiden Rechtssystemen im Hinblick auf die Entscheidungskriterien zur Aussetzung der Vollziehung, dass die Erfolgsaus316 Dabei besteht im § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO keine Und-Formulierung. Cuno, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 98.

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D. Im Rechtsvergleich: Die Aussetzung der Vollziehung in der Türkei

sichten der Hauptsache im Vordergrund stehen und dem Faktor der Irreparabilität hingegen geringere Bedeutung zukommt. Abweichend von § 80 Abs. 5 VwGO findet bei der gemäß Art. 27 I˙YUK zu treffenden Aussetzungsentscheidung der drohende schwer reparable oder irreparable Schaden allerdings regelmäßig gar keine Berücksichtigung, wenn keine offensichtliche Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts vorliegt. Auch in Bezug auf die formellen Voraussetzungen der gerichtlichen Aussetzung bestehen Ähnlichkeiten zwischen den Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO und Art. 27 I˙YUK. In diesem Sinne ist vor allem anzumerken, dass das Aussetzungsverfahren nach Art. 27 I˙YUK auch einen Antrag voraussetzt, wenngleich diese Voraussetzung nicht, wie im § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO, ausdrücklich geregelt ist. Die Voraussetzung zur behördlichen Klageerwiderung, die im Art. 27 Abs. 2 I˙YUK eine relativ neue und besondere Voraussetzung darstellt und für eine Aussetzungsentscheidung in der Regel erfüllt sein muss, ist dem deutschen Verwaltungsprozess gänzlich fremd. Die deutschen Verwaltungsgerichte warten im Aussetzungsverfahren nicht die behördliche Erwiderung ab, um eine materiell-rechtliche Prüfung vorzunehmen und eine Entscheidung im Sinne des § 80 Abs. 5 VwGO zu treffen. Lediglich behördliche Erwägungen zur sofortigen Vollziehung, die gemäß § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 und Abs. 3 VwGO angeordnet wird, sind von dem Gericht für die Aussetzungsentscheidung zu berücksichtigen. Letztlich kann das Gericht aber unabhängig davon im Aussetzungsverfahren eine originäre Entscheidung treffen. e) Stellungnahme zu den Voraussetzungen des Art. 27 ˙IYUK An dieser Stelle soll übersichtshalber eine generelle Darstellung von Problempunkten bei der Vollziehungsaussetzung nach Art. 27 I˙YUK vorgenommen werden. Darauf aufbauend ergeht eine Bewertung, inwieweit das Aussetzungsverfahren einen wirkungsvollen Rechtsschutz gewährt. Bezüglich des effektiven Rechtsschutzes ist in erster Linie bedenklich, dass die gerichtliche Aussetzung der Vollziehung an die Voraussetzung des Abwartens der behördlichen Klageerwiderung anknüpft. Diese Voraussetzung ist in Bezug auf die Faktoren Zeit und Irreparabilität des vorläufigen Rechtsschutzes ungünstig. Sie läuft dem Sinn und Zweck des vorläufigen Rechtsschutzes deutlich zuwider, da dieser grundsätzlich keine eingehende materiell rechtliche Prüfung verlangt. Die Pflicht zur Berücksichtigung der behördlichen Klageerwiderung im Aussetzungsverfahren macht den Beschluss des Gerichts zur Aussetzung der Vollziehung faktisch zu einem materiell rechtlichen Urteil. Im Hinblick auf die Voraussetzung der Klageerwiderung ist ebenfalls problematisch, dass die Behörde wie eine natürliche Person mit dem Bürger vor Gericht gleichgestellt wird und gar der unterschwellige Eindruck besteht, die Interessen der Verwaltung seien wertvoller als die des Bürgers. Die Verwaltungsakte sind bereits von sich aus vollziehbar, und dieser Umstand gibt der Behörde einen regelrechten Vorsprung. Die Verwaltung verfügt ohnehin selbst über öffent-

V. Die verwaltungsrechtliche Ausgestaltung der Aussetzung der Vollziehung

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lich-rechtliche Handlungskraft und bedarf in dieser Hinsicht keines zusätzlichen gerichtlichen Schutzes. Nebendem erschwert Art. 27 Abs. 2 ˙IYUK den Weg der Aussetzung der Vollziehung in bedenklicher Weise, da zwei materielle Voraussetzungen kumulativ vorliegen müssen und dies in der Entscheidungsbegründung ausdrücklich und ausführlich darzulegen ist. Diese sogenannte strenge Begründungspflicht ist insbesondere im Hinblick auf die Voraussetzung der offensichtlichen Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts kritikwürdig. Das Vorliegen dieses Tatbestandsmerkmals im Eilverfahren zu begründen, ist nicht immer realisierbar und kann demnach daran hindern, eine schnelle und adäquate Eilentscheidung zu erlangen. Dabei veranlasst die strenge Begründungspflicht tendenziell dazu, den Inhalt der Aussetzungsentscheidung dem Inhalt der Hauptsacheentscheidung anzugleichen. Der allgemeine Sinngehalt des vorläufigen Rechtsschutzes ist jedoch nicht die Annäherung des Richters an den Hauptsachebeschluss. Eilentscheidungen müssen also nicht immer auf einer materiell-rechtlichen Prüfung basieren. Weiterhin nimmt die Bedingung des kumulativen Vorliegens der Erlassvoraussetzungen dem Gericht das Ermessen aus der Hand, bei Fehlen eines Merkmals nach Art. 27 Abs. 2 ˙IYUK die Vollziehung auszusetzen. Das gilt insbesondere dann, wenn die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts nicht eindeutig ist. In diesem Zusammenhang lässt sich konstatieren, dass Art. 27 Abs. 2 ˙IYUK, der den Gerichten im Aussetzungsverfahren keine Ermessensfreiheit zugesteht, keinem effektiven Rechtsschutz in Verbindung mit der funktionalen Gewaltenteilung dient.317 Wegen dieser inadäquaten normativen Ausgestaltung des Art. 27 Abs. 2 ˙IYUK wird damit bedeutsam, auf welche Art und Weise die Gerichte die Voraussetzungen zur Aussetzung der Vollziehung auslegen und umsetzen. In diesem Sinne ist es angebracht, dass die Gerichte bei Vorliegen einer offensichtlichen Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts, trotz Mangels der gesetzlichen Voraussetzung des irreparablen Schadens, die Vollziehung aussetzen können.318 Wenn das Gericht die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts summarisch nicht beurteilen kann, dann sollte jedoch – für die Gewährleistung eines vorläufigen Rechtsschutzes – auch die Eilbedürftigkeit allein aussagekräftig sein.319 Durch den

317 Zur Sicherung des Kernbereichs der Gerichte im Sinne Art. 9 TVerf., AYM, E. 2015/41, K. 2017/98, T. 04. 05. 2017, R.G. 03. 08. 2017 – 30143; siehe auch zum Gewaltenteilungsverständnis in der türkischen Verfassungslehre M. C¸ınar, IBADSBD 2019, 89, 96 ff. 318 Diese Praxis entspricht der früheren Version des Art. 27 I˙YUK, in der die jetzigen Erlassvoraussetzungen im Aussetzungsverfahren nicht kumulativ, sondern alternativ gestaltet wurden, siehe oben II., S. 187. 319 Wenn an der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts Zweifel bestehen, ist in der praktischen Anwendung keine Lockerung der gesetzlichen Erlassvoraussetzungen i. S. d. Art. 27 Abs. 2 I˙YUK zu beobachten. Fehlt es demzufolge an einer Offensichtlichkeit der Rechts-

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D. Im Rechtsvergleich: Die Aussetzung der Vollziehung in der Türkei

vorläufigen Rechtsschutz sollte für den Kläger ein Rechtsverlust bis zur Feststellung über die Rechtswidrigkeit des klagegegenständlichen Verwaltungsakts verhindert werden, also die „Sicherungsfunktion“ erfüllt sein. Abschließend lässt sich festhalten, dass die Aussetzung der Vollziehung im türkischen Recht generell ein entscheidendes Instrument des vorläufigen Rechtsschutzes darstellt und ihre Ausgestaltung beim Vergleich mit kontinentaleuropäischen Rechtssystemen keine großen Unstimmigkeiten aufzeigt. Indes ist der Vorwurf, dass kein effektiver vorläufiger Rechtsschutz auf einfachgesetzlicher Ebene geleistet wird, in Anbetracht der gesetzgeberischen Absicht zu Art. 27 I˙YUK berechtigt. Hier können immerhin diverse gerichtliche Entscheidungen, in denen sich die Tendenz abzeichnet, der Aussetzung der Vollziehung mehr Funktionalität zu verleihen, als positive Entwicklung im Bereich des effektiven Rechtsschutzes betrachtet werden. Jedenfalls müssten die Gerichte, unter Berücksichtigung des Subordinationsverhältnisses zwischen Bürger und Staat und entsprechend dem Grundgedanken der Verfahrensgerechtigkeit, vielmehr die Bürger, deren Rechte verletzt zu werden drohen oder gar verletzt sind, in dringenden Fällen vor der Vollzugskraft der Verwaltung, schützen können. 5. Entscheidungsfrist zum Beschluss der Aussetzung der Vollziehung Neben formell- und materiellrechtlichen Voraussetzungen zur Aussetzungsentscheidung stellt Art. 27 Abs. 9 I˙YUK eine Regelung dar,320 wonach den Gerichten eine bestimmte Form und Frist im Hinblick auf die Fassung des Beschlusses auferlegt wird. Konkret müssen die Beschlüsse zur Aussetzung der Vollziehung innerhalb von 15 Tagen bearbeitet und signiert werden. Diese Regelung bezweckt einerseits eine Verfahrensbeschleunigung bei der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Andererseits zieht sie einige Schwierigkeiten in der Praxis nach sich. In Anbetracht der hohen Arbeitsbelastung der Verwaltungsgerichte mancher Bezirke ist die Bearbeitung und Signierung der Aussetzungsbeschlüsse innerhalb von 15 Tagen schwer umsetzbar. Besonders die Pflicht zur ausführlichen Begründung einer offensichtlichen Rechtswidrigkeit erhöht die gerichtliche Schreibarbeit für einen Aussetzungsbeschluss immens. Insoweit können die Gerichte dazu geneigt sein, sich diese mühsame „Schreibarbeit“ zu ersparen, und zur Lösung des Konflikts direkt ins Hauptsacheverfahren überzugehen.321 Fraglich bleibt weiterhin, welche rechtlichen Folgen auftreten, wenn das Gericht bei der Aussetzungsentscheidung die Frist von 15 Tagen überschreitet. An die Missachtung der Frist sind grundsätzlich keine Konsequenzen angebunden. Insoweit ist die Regelung des Art. 27 Abs. 9 ˙IYUK als überflüssig anzusehen. widrigkeit, lehnt die Rechtsprechung hier grundsätzlich eine mögliche Aussetzungsentscheidung trotz eines drohenden irreparablen Schadens ab. Siehe auch oben 4. b) cc), S. 269. 320 Die Regelung wurde mit Änderungsgesetz Nr. 6352 eingeführt. 321 Gülan, Die Einführungsveranstaltung zum Verwaltungsprozess, 12. 10. 2015, S. 142 f.

V. Die verwaltungsrechtliche Ausgestaltung der Aussetzung der Vollziehung

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6. Beschwerdemöglichkeit gegen Beschlüsse in Aussetzungsverfahren nach Art. 27 I˙YUK In Art. 27 Abs. 10 ˙IYUK wird geregelt, dass die Aussetzung der Vollziehung – auf Basis der gleichen Gründe – nicht ein zweites Mal beantragt werden kann. Wenn der durch den Antragsteller geltend gemachte Antrag auf Aussetzung der Vollziehung von dem Gericht abgelehnt wird, kann dem Kläger aufgrund derselben Gründe in der gleichen Instanz keine Aussetzung der Vollziehung gewährt werden. Gegen den die Aussetzung der Vollziehung ablehnenden Beschluss steht dem Betroffenen weiterhin die Möglichkeit zu, gemäß Art. 27 Abs. 7 I˙YUK eine Beschwerde zu erheben. Damit sind die Beschlüsse zu Anträgen auf Aussetzung der Vollziehung als ein Zwischenurteil während des laufenden Hauptsachverfahrens nur vor dem Oberverwaltungsgericht einzubringen.322 Die Regelungen in Art. 27 Abs. 10 I˙YUK und Art. 27 Abs. 7 I˙YUK sind wegen einer Vielzahl an Anträgen auf Aussetzung der Vollziehung erlassen worden und zielen letztlich auf eine Beschleunigung der Verfahren und eine Entlastung der Gerichte ab. Der Umstand, dass eine erneute Beantragung der Vollziehungsaussetzung aus denselben Gründen nicht mehr möglich ist, wurde mit der Begründung kritisiert, dies vereitle dem Gericht die Möglichkeit zur Überprüfung seiner Entscheidung.323 Art. 27 Abs. 10 ˙IYUK wurde deshalb mittels einer Normenkontrollklage vor dem Verfassungsgericht zur Disposition gestellt. Die der Regelung unterstellte Verfassungswidrigkeit wurde durch das Verfassungsgericht mit folgenden Ausführungen zutreffenderweise abgelehnt:324 „Es steht fest, dass in einem Rechtsstaat jedem das Recht auf ein faires Verfahren zusteht. Unter Garantie des Rechts auf ein faires Verfahren muss dasselbe Gericht, welches einen Beschluss gefasst hat, diesen nicht nochmals überprüfen. Das Vorhandensein von Gerichtsapparaten mit ihren Instanzen, welche entsprechende Gerichtsentscheidungen nochmals überprüfen, ist in Bezug auf die Rechtssicherheit und Jurisdiktion ausreichend. Es ist schließlich dem Recht auf ein faires Verfahren aus Art. 36 TVerf. Genüge getan, wenn die Möglichkeit zur Beschwerde gegen Aussetzungsbeschlüsse besteht.“325

Zu Art. 27 ˙IYUK Abs. 7 siehe oben III., S. 191. Apaydın, I˙HI˙D 2014, 45, 62; Durkal Erog˘ lu, AÜHFD 2016, 279, 297 f.; Danıs¸tay 8. D., E. 90/1986, K. 91/111, T. 23.01.1991 – n. v. 324 AYM, E. 2012/100, K. 2013/84, T. 04. 07. 2013, R.G. 02. 08. 2013 – 28726. 325 Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması, S. 184. 322

323

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D. Im Rechtsvergleich: Die Aussetzung der Vollziehung in der Türkei

7. Die Rechtsnatur der Aussetzungsentscheidung im Sinne des Art. 27 I˙YUK Bei der Feststellung der Rechtsnatur von gerichtlichen Aussetzungsentscheidungen ist in erster Linie der Handlungsspielraum des Gerichts gegenüber verwaltungsrechtlichen Entscheidungen aus historischer Sicht zu beachten. In diesem Sinne sieht man im türkischen Recht, dass der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Hinblick auf den Rechtsschutz wenig Eigenständigkeit gelassen wird. Nach Art. 125 Abs. 4 TVerf. und ebenfalls nach Art. 2 Abs. 2 I˙YUK wird anerkannt,326 dass der Richter der Verwaltung grundsätzlich keine Anweisungen erteilen darf. Infolgedessen stellen die gerichtlichen Entscheidungen zur Aussetzung der Vollziehung keine gestaltenden Entscheidungen dar.327 Weiterhin lässt sich hier festhalten, dass Aussetzungsentscheidungen entsprechend der aktuellen Regelung des Art. 27 I˙YUK als gebundene Entscheidungen zu klassifizieren sind, während die früheren Entscheidungen vor Erlass des Gesetzes Nr. 2577 aus dem Jahr 1982 Ermessensentscheidungen darstellten.328 8. Rechtsfolgen der gerichtlichen Aussetzungsentscheidung a) Die rechtliche Wirkung der Aussetzungsentscheidung Wie schon erwähnt, beenden im türkischen Recht Beschlüsse zur Aussetzung der Vollziehung die rechtliche Wirkung des Verwaltungsakts nicht. Eine Wirksamkeitshemmung ist also nicht gegeben. Durch die Aussetzung der Vollziehung wird lediglich die Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts unterbrochen. Daneben entfaltet die Aussetzung genauso wie die Anfechtung eine absolute Wirkung.329 Im Falle der Abweisung des Antrags auf Aussetzung der Vollziehung wird dementsprechend die Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts aufrechterhalten. Die

326 Nach der Übersetzung von Rumpf Art. 125 Abs. 4 TVerf.: „Die Kompetenz der Rechtsprechung ist auf die Nachprüfung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns und der Verwaltungsakte beschränkt und darf nicht zur Überprüfung der Opportunität genutzt werden. Es darf keine gerichtliche Entscheidung getroffen werden, welche die Erfüllung der Aufgabe der vollziehenden Gewalt gemäß Form und Verfahren, wie sie im Gesetz bestimmt sind, beschränkt, den Charakter von Verwaltungshandeln oder eines Verwaltungsakts hat oder das Ermessen aufhebt.“ 327 So auch im französischen Recht Koch, Verwaltungsrechtsschutz in Frankreich, S. 63. 328 Zur historischen Entwicklung oben II., S. 187 f. 329 Diese Ansicht ist sowohl in der Literatur als auch in der Rechtsprechung herrschend. Danıs¸tay 2. D., E. 2010/672, K. 2010/3699, T. 06. 10. 2010; 5. D., E. 1996/2957, K. 1997/546, T. 11. 03. 1997; Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması, S. 158 Fn. 240; Organ/Cos¸kun Karadag˘ , C¸ÜSBED 2012, 71, 62.

V. Die verwaltungsrechtliche Ausgestaltung der Aussetzung der Vollziehung

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gerichtliche Abweisung des Antrags auf Aussetzung der Vollziehung stützt aber nicht die Rechtmäßigkeit des streitigen Verwaltungsakts.330 In Bezug auf die rechtlichen Folgen der Aussetzung der Vollziehung ist umstritten, ob die Aussetzung der Vollziehung wie eine Anfechtung eine ex tuncWirkung hat oder nur eine ex nunc-Wirkung entfaltet. Nach einer Mindermeinung in der Literatur ist die Aussetzungsentscheidung ein Zwischenurteil und entfaltet ihre Wirkung lediglich ex nunc.331 Es wird von den Vertretern dieser Auffassung als ungerecht angesehen, wenn die Aussetzungsentscheidung die gleichen rechtlichen Folgen wie ein Anfechtungsurteil bewirken würde. Dafür spricht vor allem, dass eine Eilentscheidung mit einer Hauptsacheentscheidung, die eines höheren argumentativen und zeitlichen Aufwandes bedarf, nicht gleichzusetzen ist. Dabei gelte es zu berücksichtigen, dass es zu doppelten Schäden führen kann, wenn die Aussetzung der Vollziehung ihre Wirkung wie bei einer Aufhebungsklage rückwirkend entfaltet und sich die mit ihr verbundene Aufhebungsklage im Nachhinein als erfolglos erweist.332 Nach wohl herrschender Meinung in der Literatur zielen Aussetzungsentscheidungen hingegen – wie Grundurteile – auf eine höhere Rechtssicherheit ab. Dementsprechend solle die Aussetzung der Vollziehung grundsätzlich rückwirkend angeordnet werden.333 Zudem entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts, dass Beschlüsse zur Aussetzung der Vollziehung ex tunc wirken müssen. Auf diese Weise soll gewährleistet werden, dass der rechtliche und tatsächliche Zustand wiederhergestellt wird, der vor Erlass des angefochtenen Verwaltungsakts herrschte.334 Diese Ansicht beruht wesentlich auf der strikten Akzessorietät von Aussetzungsverfahren und Aufhebungsklage. Die Beschlüsse zur Aussetzung der Vollziehung ähneln den Hauptsacheentscheidungen, zumal sie nur auf Basis einer materiell-rechtlichen Prüfung gefasst werden können. Schließlich erscheint es hier angebracht, dass die Vollziehung des Verwaltungsakts rückwirkend und erga omnes ausgesetzt wird, wenn dieser offensichtlich rechtswidrig ist. Genau genommen bedeutet dies, dass durch die Aussetzungsentscheidung alle Schäden, die sich aufgrund

330

Somit bleibt die Verwaltung für jedwedes rechtswidrige Handeln verantwortlich. Die Verwaltung darf also nicht den Schluss ziehen, dass sie wegen der Abweisung des Antrags auf Aussetzung der Vollziehung mit der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts richtig liegt. Kul, YD Kararının Uygulanması, S. 23. 331 Kayıs¸og˘ lu, ABD 1974, 1111, 1113. 332 Zur Auffassung von Onar Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması, S. 152 ff. 333 Kayıs¸og˘ lu, ABD 1974, 1111, 1113. 334 Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması, S. 156 f.; Danıs¸tay DDK, E. 1965/473, T. 04.02.1966 – n. v.; DI˙BK, E. 1965/21, K. 1966/7, T. 09. 07. 1966; Danıs¸tay 5. D., E. 1996/ 2957, K. 1997/546, T. 11. 03. 1997.

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D. Im Rechtsvergleich: Die Aussetzung der Vollziehung in der Türkei

der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts zu verwirklichen drohen, bei allen Betroffenen bis auf Weiteres verhindert werden.335 Bei einem rückwirkenden Beschluss zur Aussetzung der Vollziehung sind Vorteile, die der Kläger während der laufenden Aussetzung der Vollziehung erwirbt, selbst wenn er den Prozess verliert, keine unrechtmäßig erworbenen Vorteile.336 Die Verwaltung kann deshalb auch keine Ansprüche wie z. B. Verzugszinsen, Säumniszuschlägen geltend machen, weil die Aussetzung der Vollziehung im materiellrechtlichen Sinne keine richtige Entscheidung darstellt.337 Die Rückwirkung der Aussetzungsentscheidungen dient schließlich dem Zweck, dass die Verwaltung gehindert wird, den Verwaltungsakt willkürlich und unvorsichtig zu vollziehen. Grundsätzlich ex nunc wirkende Aussetzungsentscheidungen, die nicht unmittelbar, sondern erst nach einer materiell-rechtlichen Prüfung getroffen werden, würden für die Eilrechtsschutzsuchenden wenig Sinn ergeben, weil ein gewisses Vollzugsrisiko ohnehin besteht, welches die Adressaten des Verwaltungsakts lange – bis zur Aussetzungsentscheidung – zu tragen haben.338 b) Eine Gegenüberstellung der Wirkung der Aussetzungsentscheidung im türkischen und deutschen Recht Die Aussetzungsbeschlüsse gemäß Art. 27 I˙YUK haben eine absolute Wirkung. Hingegen entfaltet die gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO eine enge, dem subjektiven Rechtsschutz geschuldete, relative Wirkung.

335

Vgl. Danıs¸tay 1. D., E. 1990/211, K. 1990/256, T. 10. 10. 1990. Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması, S. 159; Die Abweisung der Anfechtungsklage ist kein Hindernis, die aufgrund der Aussetzung der Vollziehung bis dahin entstandene Schäden auszugleichen. Genauso ist der entstandene Schaden nicht aus der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts entsprungen, sondern daraus, dass die Aussetzungsentscheidung des Oberverwaltungsgerichts nicht durchgesetzt wurde. Bei der Aussetzung der Vollziehung ist denn die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts nicht notwendig. Vgl. YI˙BBGK, E. 1987/7, K. 1979/2, T. 24. 09. 1979. 337 Danıs¸tay 1. D., E. 1983/124, K. 1983/153, T. 18. 06. 1983: „Genauso wie stattgebende Anfechtungsurteile, die den Zustand vor dem Verwaltungsakt wiederherstellen, erfordern auch die Beschlüsse zur Aussetzung der Vollziehung, dass der Beamte als Betroffener sein verlorenes Amt zurückerhält, ebenso wie alle übrigen Rechte und Vorteile aus seinem Status mit Wirkung des Verwaltungsakts. Wenn die Klage später abgewiesen wird, kann die Entschädigung der verlorenen Rechte und Vorteile nicht als eine ungerechtfertigte Bereicherung angesehen werden. Bis zur Aufhebung der Aussetzung oder Abweisung seiner Klage besitzt der Beamte alle Rechte und Vorteile, die sich aus seinem Amt ergeben.“ 338 Vgl. Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması, S. 156; dabei kann man bei der Aussetzung der Vollziehung, wie beim Suspensiveffekt, nicht davon sprechen, dass ein Rechtsmissbrauch zu Ungunsten der Verwaltung in Betracht kommt. Da die Aussetzung der Vollziehung nur durch einen gerichtlichen Beschluss eintreten kann, ist es auch nicht möglich, dass der Kläger böswillig und zu Unrecht durch eine Rechtsbehelfseinlegung den Vollziehungsakt verhindert. 336

V. Die verwaltungsrechtliche Ausgestaltung der Aussetzung der Vollziehung

281

Die Entscheidungen nach Art. 27 ˙IYUK entfalten des Weiteren nach der herrschenden Meinung keine gestaltende Wirkung und bedürfen bei der Vollstreckung zusätzlichen verwaltungsrechtlichen Handelns. Die nach Maßgabe von § 80 Abs. 5 VwGO getroffenen Entscheidungen sind hingegen gemäß § 168 Abs. 1 Nr. 1 VwGO grundsätzlich Vollstreckungstitel und ohne Weiteres vollstreckbar. Anders verhält es sich bloß, wenn das Gericht im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO keine vollstreckbare und gestaltende Entscheidung, also nur eine Feststellungsentscheidung trifft.339 Abgesehen davon wird generell angenommen, dass Aussetzungsentscheidungen nach § 80 Abs. 5 VwGO sowie nach Art. 27 I˙YUK eine ex tunc Wirkung haben.340 Diesbezüglich finden im deutschen Recht mehrere Theorien gleichzeitig Anerkennung; im türkischen Recht haben theoretische Streitigkeiten wegen der stetigen Entscheidungen des Danıs¸tay geringe Bedeutung. Schließlich wird eine Aussetzungsentscheidung nach Art. 27 I˙YUK regelmäßig als gebundene Entscheidung angesehen, während Entscheidungen nach § 80 Abs. 5 VwGO Ermessensentscheidungen darstellen.341 c) Stellungnahme zur Wirkung der Aussetzungsentscheidung im Sinne des Art. 27 I˙YUK In Bezug auf die absolute Wirkung der Aussetzungsentscheidungen erscheint es kritikwürdig, dass die Vollziehung eines Verwaltungsakts für alle Betroffenen unterbrochen wird, obwohl dessen Rechtswidrigkeit gerichtlich nicht abschließend festgestellt und der Eintritt eines drohenden Schadens bloß in einem konkreten Fall und nicht bei jedem Betroffenen bewiesen wurde. Daneben widerspricht die Wirkung der Aussetzungsentscheidungen, die mit einer Anfechtung gleichzusetzen ist, dem Erfordernis, dass die Aussetzung der Vollziehung nur auf Antrag ergeht. Eine absolute Wirkung der Aussetzungsentscheidungen entspricht letztlich auch nicht allgemeinen Grundsätzen des türkischen Verwaltungsprozessrechts wie dem Grundsatz der Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts und der Vermutung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts.342 Trotz dieser Widersprüche ist eine absolute Wirkung der Aussetzung der Vollziehung nach Art. 27 Abs. 2 I˙YUK wegen ihrer praktischen Bedeutung gegenüber 339

Zur faktischen Vollziehung oben C. IV. 3. b), S. 174 f. Siehe dazu oben C. IV. 6., S. 179. 341 Übrigens ergibt sich aus § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO auch nicht, dass ausschließlich unter den genannten Voraussetzungen die Vollziehung ausgesetzt werden kann. Art. 16 a Abs. 4 S. 1 GG als Darf-Vorschrift und § 36 Abs. 4 S. 1 AsylVfG als Soll-Vorschrift haben allerdings entsprechend ihrer Formulierungen die Funktion, die gerichtliche Prüfung zu beschränken. Cuno, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 120 f. 342 Ohne eine rechtliche Entscheidung über die Rechtwidrigkeit des Verwaltungsakts sollte der Verwaltungsakt ihre sofortige Vollziehung nicht für jede Rechtsbetroffene verlieren. Bei der Annahme der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts sollte dann die Aussetzung der Vollziehung lediglich relative Wirkung entfalten. Vgl. Kıratlı, AÜSBFD 1966, 173, 176. 340

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D. Im Rechtsvergleich: Die Aussetzung der Vollziehung in der Türkei

einer relativen Wirkung vorzugswürdig. In Anbetracht der strengen Erlassvoraussetzungen dürfte sich die Aussetzung der Vollziehung wie eine vorläufige Anfechtung darstellen, soweit die Vollziehung mehrere Adressaten betrifft. Wenn bei dem subjektiven Einzelakt eine Aussetzung der Vollziehung eintreten soll, führt eine Aussetzungsentscheidung eine eingeschränkte und relative Wirkung herbei. Die Wirkung der Aussetzung der Vollziehung gilt lediglich für den Prozessparteien. Aber wenn ein Verwaltungsakt wie ein konditionaler Einzelakt oder auch eine Rechtsvorschrift mehr als eine Person betrifft, kann eine Aussetzungsentscheidung genau wie eine Anfechtung generell für jeden Betroffenen, der durch den entsprechenden Verwaltungsakt belastet wird – auch wenn diese Personen selbst keine Klage erhoben haben – rechtliche Folgen entfalten. Für die hier vertretene Auffassung spricht auch die objektiv rechtliche Kontrollfunktion der türkischen Verwaltungsgerichtsbarkeit. Bezüglich der Wirkung der Aussetzung der Vollziehung ist weiterhin nicht wenig umstritten, ob die Aussetzung der Vollziehung grundsätzlich ex nunc oder ex tunc eintreten soll. Es scheint im Rahmen des Verfahrens nach Art. 27 ˙IYUK zutreffend, zugunsten des Rechtsschutzsuchenden, sich für eine grundsätzliche ex tunc-Wirkung zu entscheiden. Eine Aussetzungsentscheidung ist nämlich gemäß Art. 27 Abs. 2 ˙IYUK nur bei offensichtlicher Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts möglich, womit das Fehlentscheidungsrisiko gering und eine ex tunc-Wirkung angemessen ist.343 Eine ex nunc-Wirkung könnte hingegen in Betracht kommen, wenn auch der Allgemeinheit oder einem Dritten durch die Aussetzung der Vollziehung irreparable Schäden drohen. Schließlich besteht ein wichtiger Zweck der Aussetzung der Vollziehung auch darin, den Kläger rechtlich zu schützen, der in Vermutung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts den Rechtsweg beschreitet. Dem entspricht die gerichtliche Praxis im türkischen Recht und tendiert in Bezug auf die rechtlichen Folgen der Aussetzungsentscheidungen zugunsten des Bürgers. Dabei wird aber unzureichend berücksichtigt, dass durch die Aussetzung der Vollziehung die Hauptsache nicht ausgehöhlt werden darf, wie es das Gebot des effektiven Rechtsschutzes verlangt. Um durch die Rückwirkung der Aussetzungsentscheidung der Hauptsache ihren Sinn nicht zu entziehen, könnte das Gericht auch mittels einer Folgenabwägung entscheiden, ob die Vollziehung ex tunc oder ex nunc auszusetzen ist.344 Hier ist es gerecht, die Verhältnismäßigkeit der Rückwirkung im Hinblick auf die Aussetzung der Vollziehung zu überprüfen.345

343 Hier sollten nämlich neben dem irreparablen Rechtsverlust des Klägers auch mögliche hohe Schadensersatzforderungen und der Vertrauensverlust gegenüber der Verwaltung bedacht werden. 344 Im deutschen Recht existiert eine solche Anwendung ebenfalls. Dazu oben C. IV. 6., S. 179. 345 Vgl. Tekinsoy, Yürütmenin Durdurulması, S. 158.

V. Die verwaltungsrechtliche Ausgestaltung der Aussetzung der Vollziehung

283

Im Ergebnis sind die scharfen Eingrenzungen zu den Auswirkungen des Aussetzungsbeschlusses nicht zutreffend. Die Gerichte sollten bei der Anwendung der Aussetzung der Vollziehung nicht an einer Meinung haften bleiben. Es ist angebracht, wenn beispielsweise bei einer Abbruchverfügung oder der Enteignung eines Grundstücks jeweils verschiedene – der spezifischen Situation angemessene – rechtliche Ergebnisse getroffen werden können. 9. Die Problematik der Durchsetzung von verwaltungsgerichtlichen Aussetzungsentscheidungen Das gesamte türkische Verwaltungsrecht wird durch ein streng aufgefasstes Gewaltenteilungsprinzip dominiert, nach welchem die Verwaltungsaufgaben nicht durch die Gerichte selbst verwirklicht werden dürfen. Demnach darf das Gericht in keinem Fall verwaltungsähnliche Funktionen erfüllen. Daher taucht im türkischen Verwaltungsprozess die bekannte Problematik der Durchsetzung verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen auf. Wenn das Gericht als Eilentscheidung keinen gestaltenden bzw. vollstreckbaren Titel treffen kann, ist fraglich, wie die Aussetzungsentscheidungen problemlos durchgesetzt werden können.346 In diesem Zusammenhang wird erörtert, ob es für die Durchsetzung der Aussetzungsentscheidung auch eines neuen Bescheides der Verwaltung bedarf oder die Aussetzungsentscheidung selbst durchsetzbar ist. Einer Ansicht nach ist die gerichtliche Aussetzungsentscheidung auch ohne vollstreckbaren Titel durchsetzbar. Insoweit muss der Bürger nicht die Verwaltung auffordern, einen neuen Akt zu erlassen, um den Aussetzungsbeschluss umsetzen zu lassen. So reicht es etwa bei der Vollziehungsaussetzung eines Verwaltungsakts bezüglich der Entlassung eines Beamten aus, wenn dieser den zuständigen Vorgesetzten über die Aussetzung der Vollziehung informiert, um zu seiner Dienststelle zurückkehren zu können. Eine Rückgängigmachung kann allerdings ausscheiden, wenn die Stelle des entlassenen Beamten wegen der rechtmäßigen Anstellung eines neuen Beamten bereits besetzt ist.347 Einer anderen Ansicht nach sollte die Verwaltung entsprechend dem Aussetzungsbeschluss grundsätzlich einen neuen Akt erlassen, damit die Aussetzung der Vollziehung ihre Wirkung entfalten kann.348 Nach einem kombinierten Ansatz kann hingegen je nach Einzelfall die gerichtliche Aussetzungsentscheidung unmittelbar oder mittelbar durchgesetzt werden. Wenn sich die gerichtliche Entscheidung nicht auf einen Handlungsspielraum der

346

Vgl. Woehrling, in: Vortrag vor dem Europa-Institut, S. 3, 4 f. Oytan, Danıs¸tay’da YD, S. 224; Sarıca, in: THKY, S. 26, 31; Kul, YD Kararının Uygulanması, S. 16. 348 Karayalçın, YD Kararları, S. 15; Kul, YD Kararının Uygulanması, S. 17. 347

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D. Im Rechtsvergleich: Die Aussetzung der Vollziehung in der Türkei

Verwaltung bezieht, bedarf es nach dieser Auffassung für die Durchsetzung der Aussetzung der Vollziehung keines neuen Aktes von Seiten der Verwaltung.349 Wenn beispielsweise das Verwaltungsgericht die Vollziehung der Betriebsuntersagung ausgesetzt hat, nimmt der Inhaber den Betrieb wieder auf, ohne dass die Verwaltung eine neue Entscheidung über die Betriebsfortführung zu treffen hat. Für den Fall, dass ein Beamter in den Ruhestand versetzt und eine andere Person an seiner Stelle ernannt wird, ist die Verwaltung bei einer gerichtlichen Aussetzung der Versetzung verpflichtet, eigene Maßnahmen entsprechend der gerichtlichen Aussetzungsentscheidung zu treffen.350 Abgesehen davon kann die Verwaltung bei Aussetzungsentscheidungen gegen ablehnende Verwaltungsakte ebendiese befolgen, indem sie im Rahmen ihres verbleibenden Handlungsspielraums einen begünstigenden Verwaltungsakt zum abgelehnten Begehren erlässt.351 Danıs¸tay betont hierzu in seiner Rechtsprechung auch immer wieder, dass Maßnahmen durch die Verwaltung in weiser Voraussicht ihrer Konsequenzen zu ergreifen sind, damit die gerichtliche Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung effektiv umgesetzt werden kann.352 Im Grunde ist es in Anfechtungssachen generell nicht nötig, für die Umsetzung einer gerichtlichen Aussetzungsentscheidung einen neuen verwaltungsrechtlichen Akt zu erlassen. Wenn das Gericht die Aussetzung der Vollziehung beschließt, hat die Verwaltung den Gerichtsbeschluss genau einzuhalten und von der Vollziehung des Verwaltungsakts abzusehen, solange der Beschluss gültig ist. Die Verwaltung hat kein Ermessen darüber, die gerichtliche Entscheidung zu vollstrecken oder nicht.353 Nach Art. 138 Abs. 4 TVerf. wird auch vorgegeben, dass die Verwaltung Gerichtsentscheidungen zu folgen hat. Die Verwaltung darf demnach auf keine Weise die Gerichtsentscheidungen abändern und ihre Vollstreckung verzögern.354 Wenn die Verwaltung die gerichtliche Entscheidung nicht beachtet oder vernachlässigt, kann Verfassungsbeschwerde wegen verfassungsrechtlicher Pflichtverletzung der Verwaltung eingelegt werden. Daneben besteht auch nach Art. 28 Abs. 3 I˙YUK die Möglichkeit, dass aufgrund einer Amtspflichtverletzung Amtshaftungsansprüche geltend gemacht werden, die auf Schadensersatz und Schmerzensgeld abzielen.355 Schlussendlich lässt sich sagen, dass die Funktion der Verwaltungsgerichte entsprechend Art. 2 Abs. 2 I˙YUK nicht darin besteht, Ersatz der Verwaltung zu sein. Ihr 349

Kul, YD Kararının Uygulanması, S.16. Kul, YD Kararının Uygulanması, S. 15; Kılınç, Yu¨ ru¨ tmenin Durdurulması, S. 96 f. 351 Dazu oben 3. aa) (2), S. 234 ff. 352 Danıs¸tay DDGK, E. 1965/472, K. 1967/49, T. 20. 01. 1967. 353 Kılınç, Anayasa ve ˙Idare Hukukunda YD, S.100. 354 Kul, YD Kararının Uygulanması, S. 14; vgl. Übersetzung von Rumpf, Die Verfassung der Republik Türkei 2021. 355 Danıs¸tay 5. D., E. 1989/2113, K. 1988/921, T. 24. . 04. 1991; E. 1992/5927, K. 1993/5798, ¨ HFM 2014, 673, 683; Özdes¸, DD, Y: 9, T. 15. 12. 1993; Altay, ˙Idari Yargı, S. 6; auch Uyanık, IU 3, 13 f. 350

VI. Fazit

285

Aufgabenbereich ist auf die rechtliche Kontrolle beschränkt. Der Zweck der gerichtlichen Überprüfung besteht daher auch nicht darin, die Opportunität des verwaltungsrechtlichen Handelns zu bewerten und diese gegebenenfalls zu ändern, sondern nur sicherzustellen, dass der verwaltungsrechtliche Entscheidungsprozess regelkonform abläuft. Die Aussetzungsentscheidungen können insoweit im Rahmen der rechtlichen Überprüfung der behördlichen Entscheidungen getroffen werden und sollten in dem Umfang ohne Weiteres befolgt werden, in dem sie das Ermessen der Verwaltung nicht karieren.356

VI. Fazit In Bezug auf die Rechtsangleichung ist zuerst anzumerken, dass sich der einstweilige Rechtsschutz in der Türkei in seiner Entwicklung dem einstweiligen Rechtsschutz in Deutschland nicht annähert. In den vermehrten gesetzlichen Ausschlüssen des Suspensiveffekts357 ist im Gegenzug eine Annäherung des deutschen einstweiligen Rechtsschutzsystems zu dem europäischen und damit auch teils dem türkischen Rechtsschutzsystem zu erkennen,358 das vor allem durch eine faktische Rezeption der französischen Rechtsordnung geprägt ist.359 Seit der Rezeption, die mit der Verwaltungsreform im Jahr 1982 einherging, hat sich das türkische Verwaltungsrecht im Wesentlichen kaum verändert.360 Mit dieser relativ konstanten Entwicklung bleibt es, im Sinne eines effektiven vorläufigen Rechtsschutzes, hinter dem heutigen französischen Recht, welches in türkischen verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten wiederum häufig zitiert wird, zurück. Das französische Recht regelte etwa mit der Reform im Jahr 2000 das einstweilige Verfahren in drei Formen, référé-suspension, référé liberté und référé mesures utiles, sodass jegliches Verwaltungshandeln vom einstweiligen Rechtsschutz erfasst werden kann. Die Reform hat besonders das Aussetzungsverfahren erweitert, es allgemein durch Lockerung der Anordnungsvoraussetzungen aufgewertet und nach dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes ausgeformt. Weiterhin ist durch das „référé 356

S¸en, GÜHFD 2013, 1623, 1635. Cuno, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 132. 358 Vgl. Buckginham, Rezeption europäischen Rechts in der Türkei, in: IFAIR online unter: https://ifair.eu/de/2017/03/09/rezeption-europaischen-rechts-der-turkei-auf-dem-weg-zu-grose rem-pluralismus-europa/ (abgerufen am: 21. 01. 2021). 359 „Damit ist die Tu¨ rkei zwar nicht der EU als Vollmitglied angeho¨ rig, wohl aber als assoziierter Staat zugeho¨ rig, und zwar in der Form einer sog. Beitrittsassoziation, d. h. einer Verbindung, die mit einer Beitrittsperspektive eingegangen wurde.“ Streinz, in: Berliner Online-Beitra¨ ge zum Europarecht, Nr. 34, S. 1, 3. 360 Die Zurückhaltung des türkischen Rechts im Hinblick auf gesetzliche Entwicklungen des Eilverfahrens sind im Grunde auf das Verhältnis von ineinander übergehender Legislative und Exekutive zurückzuführen. Vgl. AYM, E. 1963/124, K. 1963/243, T. 11. 10. 1963; Tazegu¨ l/ Yavuz, YÜHFD 2013, 39, 47 ff. 357

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D. Im Rechtsvergleich: Die Aussetzung der Vollziehung in der Türkei

liberté“361 als Instrument zum Schutz der subjektiven Rechte eine Annäherung an die Individualrechtsschutzkonzeption erfolgt.362 Entgegen diesen Entwicklungen ist im türkischen Verwaltungsrecht keine Lockerung der Erlassvoraussetzungen zur Aussetzung der Vollziehung vorgenommen worden. Vielmehr sind die Voraussetzungen verschärft worden, wobei mit der Zentralisierung der Verwaltung eine Durchführbarkeit von einfachgesetzlichen Reformen zusätzlich erschwert wurde. Daneben besteht offensichtlich eine gesetzliche Lücke bezüglich des einstweiligen Anordnungsverfahrens weiter fort. Die Lücken und Probleme im Bereich des einstweiligen Rechtsschutzes können nur teils durch die höchstrichterliche Rechtsfortbildung, von Danıs¸tay, welche auch die Rechtsprechung des Conseil d’État in geringem Maße berücksichtigt, ausgeräumt werden. Im Anbetracht der Oberflächlichkeit und Lückenhaftigkeit der aktuellen Regelungen im Hinblick auf den vorläufigen Rechtsschutz ist die türkische Rezeption jedenfalls als ungenügend zu bewerten.363 In erster Linie ist festzuhalten, dass für die türkische Rechtsordnung mehr formelle Gesetze hinsichtlich des vorläufigen Rechtsschutzes notwendig sind, um die Gefahr willkürlicher Ermessensentscheidungen der Verwaltung zu reduzieren und bezüglich der Rechtsprechung für mehr Sicherheit sowie Konsistenz zu sorgen. Eine solche Reform erfordert allerdings nicht, dass Regelungstechniken eines fremden Rechts eins zu eins übernommen werden, da eine exakte Rezeption einer anderen Rechtsordnung zu Disharmonien in der nationalen Ordnung führen kann. Der starke und unmittelbare Einfluss des früheren französischen Rechts auf das türkische Verwaltungsrecht wird im Hinblick auf die Inkompatibilität, die auf strukturellen Unterschieden beider Systeme (politische, soziokulturelle etc.) basiert, weiterhin kritisiert. Der Einfluss der fremden Rechtsordnung hat jedenfalls in einem gewissen Maß das Potenzial, vorteilhaft auszuwirken.364 Der Einfluss internationaler Rechtsschutzmaßnahmen oder einer anderen Rechtsordnung oder Rechtsprechung, welche die lokalen politischen Probleme sachlicher behandelt, kann im nationalen Rechtssystem eine kritische Reflexion und positive Rechtsentwicklung ermöglichen. In diesem Sinne bieten Impulse aus der deutschen Rechtsordnung im Hinblick auf den einstweiligen Rechtsschutz einzigartige und einflussreiche Möglichkeiten für eine positive Rechtsentwicklung in der Türkei. Konkret ist insbesondere an eine 361

Marsch, Subjektivierung der gerichtlichen Verwaltungskontrolle, S. 327 ff. Cuno, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 228. 363 Wie schon bekannt, besteht in der Türkei keine Kodifikation des allgemeinen Verwaltungsrechts. Das heutige türkische Verwaltungsrecht ist insgesamt lückenhaft, weil es sich lediglich aus der Rezeption des veralteten französischen Verwaltungsrechts und aus der Entscheidungspraxis des Danıs¸tay ergibt. 364 Insbesondere bei einer starken Einwirkung der politischen Lage zu rechtlicher Lage kann es unter dem Zweck der Stabilität der Verwaltung zu einem Versagen eines effektiven Rechtsschutzes kommen. 362

VI. Fazit

287

Lockerung der gesetzlichen Maßstäbe im Aussetzungsverfahren sowie eine kontinuierliche Normierung des einstweiligen Rechtsschutzes zu denken. Die aktuelle Ausgestaltung des Aussetzungsverfahrens in der Türkei ist bekanntermaßen im Vergleich zu Deutschland strenger und im Hinblick auf den Zeitfaktor sowie das Dringlichkeitselement unangemessen. Die Aussetzung der Vollziehung im Sinne des Art. 27 I˙YUK ist eine seltene Ausnahme der grundsätzlich vorgesehenen sofortigen Vollziehung und vermag wegen der materiell- und formellrechtlichen Voraussetzungen keinen effektiven Eilrechtsschutz zu gewähren. Wenn die Arbeitsbelastung der Verwaltungsgerichte in der Türkei mit dem Mangel des Suspensiveffekts zusammen betrachtet wird, kommen einige Bedenken im Hinblick auf das Gebot des effektiven Rechtsschutzes auf. Hierbei ist es nicht notwendig, dass im türkischen Recht die Grundkonzeption des Individualrechtsschutzes und das Regel-Ausnahme Verhältnis des § 80 VwGO exakt übernommen werden. Vielmehr als eine generelle Adaption des Suspensiveffekts ist in verschiedenen Gebieten des besonderen Verwaltungsrechts eine höhere Anzahl vorläufiger Rechtsschutzmaßnahmen einzufordern, die sich vornehmlich am subjektiven Rechtsschutz orientieren. So ist der Suspensiveffekt bei Verwaltungsakten, die sich durch Vollziehung erledigen oder die auf bestimmte materielle Grundrechte abzielen, zu befürworten und kann insoweit Gegenstand spezieller gesetzlicher Regelungen sein. Ein automatisch eintretender Suspensiveffekt kann insbesondere bei schweren Grundrechtsbelastungen als zwingend angesehen werden. Denn je schwerer die Grundrechtsbelastung ist, desto zentraler und selbstherrlicher erscheint dort die Verwaltung. In solchen Fällen sollten die Verwaltung im vorprozessualen Bereich mehr eingeschränkt und zugleich die Kontrollmöglichkeiten der Judikative normativ verstärkt werden, indem ihr großzügige Mittel im Hinblick auf den Rechtsschutz zugewiesen werden. Der Suspensiveffekt kann dementsprechend in den speziellen Fachbereichen des Verwaltungsprozesses, wo höherwertige Rechtsgüter betroffen sind und durch den Vollzug drohende irreparable Schäden erkennbar sind, wie zum Beispiel im Umweltrecht oder im Ausländerrecht,365 geregelt werden. Im Umkehrschluss ist Art. 27 Abs. 4 I˙YUK, der eine grundsätzliche aufschiebende Wirkung der Vollziehung eines staatlichen Leistungsbescheides vorsieht, zwar aus verfassungsrechtlicher Sicht unbedenklich, aber auch nicht erstrangig. Die Regelung ist als singuläre Ausnahme des fehlenden Grundsatzes des Suspensiveffekts im ˙IYUK statuiert, auch wenn sie sich auf die Ebene des Sekundärrechtsschutzes bezieht. Generell ist ein finanzieller Schaden – wie nach ständiger Rechtsprechung des EuGH – in der Regel nicht als irreparabel anzusehen, da ein Ersatz in Geld den Geschädigten wieder in die Lage versetzen kann, in der er sich vor Eintritt des Schadens befand.366 ¨ HFD 2013, 39, 52. Tazegül/Yavuz, YU Abgesehen von außergewöhnlichen Situationen; für einen solchen Schaden könnte insbesondere im Rahmen einer Schadensersatzklage gemäß den Art. 268 und 340 AEUV Ersatz 365

366

288

D. Im Rechtsvergleich: Die Aussetzung der Vollziehung in der Türkei

Darüber hinaus ist eine Verstärkung des Instituts der Aussetzung der Vollziehung im Rahmen des ˙IYUK zu fördern. Alternativ zum Suspensiveffekt sind hier etwa vorläufige Aussetzungsentscheidungen, welche in der Türkei zur Beschleunigung des Aussetzungsverfahrens schon eine verbreitete gerichtliche Praxis darstellen, effektiv zu regulieren. Das heißt, dass ein Aussetzungsverfahren zuerst anhand der Eilbedürftigkeit, die sich aus der Art des Verwaltungsakts und dem betroffenen subjektiven Recht ergibt, reglementiert wird. In einem solchen Verfahren ist die Aussetzungsentscheidung vorerst als ein Zwischenurteil zu treffen und nach der Klageerwiderung entweder aufzuheben oder durch eine materiell-rechtlich gerechtfertigte (Eil-)Entscheidung zu ersetzen. Die vorläufige Aussetzung im türkischen Recht ist vergleichbar mit dem référé liberté aus dem französischen Recht367 oder mit den gerichtlich praktizierten Hängebeschlüssen368 aus dem deutschen Recht. Im Anbetracht dieser Überschneidungen ist einer Verbreitung und Instrumentalisierung der vorläufigen Aussetzung im türkischen Recht eine besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Des Weiteren ist zu verdeutlichen, dass sich der vorläufige Rechtsschutz ohne eine Interessenabwägung zwischen Vollzug und Aussetzung nicht effektiv verwirklichen lässt. Ein Abwägungsgebot ist im Grunde als Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsprinzips universell anerkannt und von jedem Staatsorgan zu beachten. Im Sinne der gerichtlichen Kontrolle ist eine Abwägung für alle Beteiligten des Verfahrens entsprechend Art. 6 EMRK geboten. Hierbei ist eine Ausrichtung des Abwägungsmodells – wie in § 80 VwGO – im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes für die türkische Rechtsordnung unentbehrlich. Mit einer solcher Ausprägung würde auch die Problematik eines mangelnden einstweiligen Anordnungsverfahrens im ˙IYUK gelöst und den Gerichten bei ihren Eilentscheidungen ein ausreichender Ermessensspielraum zuerkannt werden. Demnach könnten sowohl öffentliche Interessen sowie Drittinteressen – in Form des Vollzugsinteresses von Beklagten –, als auch jedartige Privatinteressen der Kläger im Sinne des Aussetzungsinteresses durch die Gerichte berücksichtigt werden. Das bedeutet im Grunde eine Überprüfung der behördlichen Entscheidungen, nicht nur in Bezug auf den Erlass des Verwaltungsakts, sondern auch auf die sofortige Vollziehung. Anschließend sind die Grundsätze vom Vorrang des überwiegenden öffentlichen Interesses sowie die Grundsätze der sofortigen Vollziehbarkeit und Rechtsmäßigkeitsvermutung im türkischen Verwaltungsprozess in Frage zu stellen. Diese Grundsätze bewirken, dass sich die Verwaltung über ihr verwaltungsrechtliches Handeln und damit auch über dessen Folgen regelmäßig keine Gedanken zu machen braucht. Im türkischen Verwaltungsprozess fehlt es bereits an besonderen Anforerlangt werden. EuG, B. v. 07. 02. 2020, T-797/19, Celex-Nr. 62019TO0797(01) – juris; vgl. EuGH, Rs. C-35/15 P(R), Kommission v. Vanbreda Risk & Benefits, EU:C:2015:275, Rn. 24. 367 Cuno, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 147. 368 BVerfG, NVwZ 2014, 363 ff.

VI. Fazit

289

derungen hinsichtlich der sofortigen Vollziehung. Hierbei ist deshalb auf die Begriffe bzw. Merkmale des besonderen Vollzugsinteresses oder des öffentlichen Interesses, die im Rahmen des § 80 VwGO zu behandeln sind, ein besonderes Augenmerk zu legen. Falls bei einem Verwaltungsakt kein gerechtfertigtes Erlassinteresse besteht, führt dies auch dazu, dass kein Vollzugsinteresse gegeben ist. Wenn bei einem Verwaltungsakt hingegen ein legitimes Erlassinteresse zu bejahen ist, bedeutet das nicht, dass er sofort vollzogen werden muss. Dieses Verständnis, welches aus § 80 VwGO abzuleiten ist und das Erlassinteresse und Vollzugsinteresse voneinander unterscheidet, ist letztlich für den türkischen Verwaltungsprozess bedeutsam. Darin muss die sofortige Vollziehung als ein Institut, an welches besondere Anforderungen gestellt werden, akzeptiert werden. Im selben Zusammenhang ist bei dem türkischen Verwaltungsprozess auch das Bedürfnis nach einem Instrument, wie der behördlichen Aussetzung der Vollziehung, zu erwähnen, welchem im Wege des Verwaltungsverfahrens eine Warnfunktion für die Verwaltung zukommt. Ein solches Instrument würde die Verwaltung nicht zulasten ihrer Funktionsfähigkeit einschränken, sondern ihr Handeln in effektiver Weise beschleunigen, indem es der Verwaltung allmählich Stabilität und Konsistenz verleiht. Dadurch würde die Sorgfalt der Verwaltung erhöht und die Anzahl von rechtswidrigen Verwaltungsakten vermindert, sodass die Amtshaftung der Verwaltung in weniger Fällen einschlägig wäre. Davon abgesehen ist der Mangel der Vollstreckbarkeit von gerichtlichen Entscheidungen im türkischen Verwaltungsprozess eine reformbedürftige Angelegenheit. Hierbei ist eine gesetzliche Regelung, welche verwaltungsgerichtlichen Urteilen, Aussetzungsentscheidungen und einstweiligen Anordnungen Vollstreckungstitel verleiht, also diese in der Regel ohne den Erlass eines neuen Verwaltungsaktes selbst vollstreckbar macht, im Hinblick auf eine effektive Durchsetzbarkeit der gerichtlichen Entscheidungen vorzugswürdig. Die Kernprobleme im I˙YUK zum gerichtlichen Eilverfahren, bei dem das Gebot des effektiven Rechtsschutzes von essentieller Bedeutung ist, werden sich letztlich mit einer Abschaffung der strengen gesetzlichen Erlassvoraussetzungen und der Einrichtung einer verhältnismäßigen Interessenabwägung für das Aussetzungsverfahren lösen lassen. Anders als für das türkische Recht, das einer wesentlichen Umstrukturierung bedarf, kann für das deutsche Recht im Bereich des vorläufigen Rechtsschutzes nur eine leichte Korrektur empfohlen werden. Die Bestimmungen des vorläufigen Rechtsschutzes in der VwGO sind teils unklar und teils überflüssig. Trotz mehrfacher Änderungen und Ergänzungen der einschlägigen Regelungen durch den Gesetzgeber bestehen auch weiterhin kontroverse Fragen hinsichtlich der Anwendung der betreffenden Vorschriften. Besonders wegen mehrdeutiger Formulierungen des Ge-

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D. Im Rechtsvergleich: Die Aussetzung der Vollziehung in der Türkei

setzgebers gibt es Auslegungsprobleme, wodurch eine prägende und rechtsvereinheitlichende Wirkung der Rechtsprechung verhindert wird.369 Deutschland hat übrigens innerhalb der Europäischen Union ein besonders auffälliges und komplexes verwaltungsprozessuales Eilrechtsschutzsystem. Dies veranlasst grundsätzlich keine verfassungsrechtlichen Bedenken, weil in Deutschland einstweiliger Rechtsschutz vergleichsweise großzügig gewährt wird. Gleichwohl werden nachfolgend Anregungen für eine Modernisierung des einstweiligen Rechtsschutzes in Deutschland gemacht, die zu einer Verminderung von Verständigungsproblemen sowie Schwierigkeiten bei der Anwendung des EU-Rechts einen Beitrag leisten sollen. Die vorläufigen Rechtsschutzmaßnahmen könnten vor allem im Hinblick auf eine für alle Mitgliedstaaten allgemeinverbindliche Regelung des Unionsrechts modifiziert werden. Somit könnte jedem Unionsbürger vor dem Gericht eines Mitgliedsstaates ein sicheres und harmonisiertes Verfahren angeboten werden.370 In diesem Zusammenhang lässt sich herausstellen, dass im Hinblick auf den effektiven Vollzug von auf Gemeinschaftsrecht basierenden Verwaltungsakten ein gesetzlicher Ausschluss des Suspensiveffekts, eher als ein gerichtlicher oder behördlicher Ausschluss, günstiger und präferabel ist. Tatsächlich ordnen die deutschen Behörden, wenn sie aufgrund des EU-Rechts einen Verwaltungsakt erlassen, soweit möglich gemäß § 80 Abs. 2 S. 1. Nr. 4 eine sofortige Vollziehung an, um die effektive Verwirklichung des Gemeinschaftsrechts im Sinne von Art. 4 Abs. 3 EUV sicherzustellen.371 Der Vorrang des Vollzugsinteresses bezüglich der gemeinschaftsrechtlichen Regelungen findet ebenso im Wege des § 80 Abs. 5 VwGO durch die deutschen Gerichte Berücksichtigung.372 Gleichwohl bedeutet dies keine grundsätzliche sofortige Vollziehung zur effektiven Verwirklichung des Gemeinschaftsrechts. Weiterhin ist auch auf § 80a VwGO hinsichtlich der gemeinschaftlichen Fortentwicklung des Rechtsschutzes in mehrpoligen Rechtsverhältnissen aufmerksam zu machen. Es ist nämlich strittig, ob der Grundsatz des Suspensiveffekts aufgrund von § 80a VwGO für die Betroffenen, die von einer Richtlinie begünstigt werden, welche

369 Haase, Jurispridencija 2007, 14, 14; vgl. Renck, BayVBl. 1994, 161, 161; vgl. Schoch, DVBl. 1997, 291, 292 ff. 370 Vgl. Dünchheim, Verwaltungsprozessrecht, S. 252 f. 371 EuGH, Rs. C-217/88, Slg. 1990, I-2879, 2906 ff.; vgl. Lin, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 108; Hoppe, in: Eyermann, VwGO, § 80 Rn. 6; vgl. Wollenschläger/Lerbinger, EuZW 2020, 95, 95: „Die Möglichkeit der behördlichen Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit kann eine gesetzliche Anordnung des Sofortvollzugs entsprechend § 80 II 1 Nr. 3 oder S. 2 VwGO jedoch nicht ersetzen.“ 372 Zur Einheitlichkeit der Rechtsanwendung und Vorrang des Gemeinschaftsrechts Schoch, DVBl. 1997, 291, 293.

VI. Fazit

291

sich bei anderen Beteiligten nachteilig auswirkt, auf eine unzureichende Umsetzung der Richtlinie hindeutet.373 In dieser Hinsicht können immerhin die Regelungen im Rahmen des § 80 VwGO sowie § 80a VwGO unter Berücksichtigung des geltenden Gemeinschaftsrechts umgestaltet werden. Im Hinblick auf die Vereinheitlichung des einstweiligen Rechtsschutzes im Unionsrecht ist ferner dem § 80 Abs. 5 VwGO Beachtung zu schenken. § 80 Abs. 5 VwGO bietet ein eigenes effektives Eilverfahren an, welches vom europäischen sowie türkischen Rechtssystem anerkannt wird. Wie schon betont, kann der vorläufige Rechtsschutz mit einer angemessenen Abwägung nicht durch den Suspensiveffekt, sondern vielmehr durch ein gerichtliches Verfahren gewährleistet werden. Für dieses Verfahren dürften die Maßstäbe wie z. B. „fumus boni iuris“, „pericilium in mora“ oder „die Abwägung der betroffenen Interessen“, explizit im Gesetz verankert werden, da es sich um systemprägende Elemente für den vorläufigen Rechtsschutz in den Mitgliedstaaten der EU handelt. Diese Maßstäbe können der Rechtsprechung bei ihrer Entscheidungsfindung Geradlinigkeit und Konsistenz verleihen.374 Gleichwohl müssen sie nicht abschließend und kumulativ sein. Damit kann das Gericht im Hinblick auf die Besonderheiten des Einzelfalls die Art und Weise, in der die verschiedenen Voraussetzungen zu prüfen sind, sowie die Reihenfolge der Prüfung frei bestimmen, da ihm keine Rechtsvorschrift ein feststehendes Prüfungsschema für die Beurteilung vorschreibt, ob eine Eilentscheidung erforderlich ist.375 In dieser Hinsicht sollte die offene Formulierung des § 80 Abs. 5 VwGO nicht unbedingt als nachteilig angesehen werden.376 Die deutsche Gerichtsbarkeit hat dadurch viele konkrete Entscheidungskriterien zum Aussetzungsverfahren entwickelt. Eine Abschaffung des § 80 Abs. 1 VwGO ist nicht vonnöten. In zweiseitigen Rechtsverhältnissen, wo mit einem Suspensiveffekt des Rechtsbehelfs auf einen prozessualen Ausgleich zwischen Bürger und Verwaltung abgezielt wird, kann der Suspensiveffekt als Regelfall aufrechterhalten werden. Im Hinblick auf dessen generellen Ausnahme genügt weiterhin § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO. Die gesetzlichen Ausnahmen in § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 – 3a VwGO sind dann, neben dem speziellen Ausschluss des Suspensiveffekts durch bundes- oder landesgesetzliche Regelungen, überflüssig. Auch ohne rechtliche Grundlage des § 80 Abs. 1 Nr. 3 VwGO, allein 373 Dünchheim, Verwaltungsprozessrecht, S. 252; EuGH, Rs. C-213/89, Slg. 1990, I-2433, Rn. 21: „Die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts würde auch dann abgeschwächt, wenn ein mit einem nach Gemeinschaftsrecht zu beurteilenden Rechtsstreit befasstes Gericht durch eine Vorschrift des nationalen Rechts daran gehindert werden könnte, einstweilige Anordnungen zu erlassen, um die volle Wirksamkeit der späteren Gerichtsentscheidung über das Bestehen der aus dem Gemeinschaftsrecht hergeleiteten Rechte sicherzustellen.“ 374 Vgl. Dünchheim, Verwaltungsprozessrecht, 252 f. 375 EuG, B. v. 07. 02. 2020, T-797/19, Celex-Nr. 62019TO0797(01) – juris; vgl. EuGH Rs. C-110/12 P(R) Akhras v. Rat, EU:C:2012:507, Rn. 23. 376 Cuno, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 126.

292

D. Im Rechtsvergleich: Die Aussetzung der Vollziehung in der Türkei

durch spezielle Regelungen, kann also jederzeit der Suspensiveffekt ausgeschlossen werden. Ferner kann die behördliche Aussetzung der Vollziehung nach § 80 Abs. 4 VwGO beibehalten werden. Auch wenn sie im europäischen Recht entbehrlich ist, bietet sie eigentlich einen Mechanismus an, welcher der Geradlinigkeit und Rechtmäßigkeit der Verwaltungsentscheidungen zuträglich ist. Dies verstärkt vor allem die Eigenständigkeit der Verwaltung und veranlasst, dass die Verwaltung ohne eine gerichtliche Entscheidung bzw. Eingreifen der Judikative ihre rechtswidrigen oder fehlerhaften Entscheidungen heilen kann, wodurch sich allmählich bessere und treffendere Verwaltungsentscheidungen herauskristallisieren. Die behördliche Aussetzung der Vollziehung muss aber nicht als ein zwingendes Vorverfahren bestimmt, sondern kann als ein fakultatives zur Verfügung gestellt werden. So ist § 80 Abs. 6 VwGO überflüssig und abzuschaffen. Schließlich könnten die Verfahren des § 80 Abs. 5 VwGO und § 123 VwGO sowie § 47 Abs. 6 VwGO unter einem Anordnungsverfahren im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO vereinheitlicht werden. Der Anwendungsbereich des § 80 Abs. 5 VwGO könnte sich auf alle Arten von Verwaltungshandeln erstrecken. Mit einer neuen Fassung des § 80 Abs. 5 VwGO können die Gerichte also einzelfallabhängig vor allem nach der Abwägung der betroffenen Rechte und Interessen entscheiden und begründen, die Aussetzung der Vollziehung anzuordnen oder einstweilige Anordnungen zu erlassen. Wenn zu befürchten ist, dass bis zur abschließenden gerichtlichen Eilentscheidung unter Verletzung des verfassungsrechtlichen Gebots der Gewährung effektiven Rechtsschutzes vollendete Tatsachen geschaffen werden, ist im Wege einer Interessenabwa¨ gung auch eine vorläufige gerichtliche Eilentscheidung bzw. ein Hängebeschluss zu erlassen.377 Dieser teils von den deutschen Gerichten gewährte „EilEil-Rechtsschutz“ ist unmittelbar auf Art. 19 Abs. 4 GG zu stützen.378 Dies könnte vorzugsweise ausdrücklich in § 80 Abs. 5 VwGO geregelt werden, sodass eine gerichtliche Zwischenregelung in Eilverfahren instrumentalisiert wird. 377 Dementsprechend können die Gerichte so insbesondere bei den Fällen der beamtenrechtlichen Ernennung vorläufig entscheiden, und zwar bis zur endgültigen Entscheidung über den Eilantrag gegen die Ernennung des Konkurrenten – unbeachtet von einer materiellrechtlichen Prüfung – der Behörde aufgeben, von Vollstreckungsmaßnahmen abzusehen. Auch wenn die Ernennung offensichtlich rechtmäßig ist, ist eine Zwischenentscheidung, welche die Vollziehung der Ernennung vorläufig aussetzt, unerlässlich, damit der Eilrechtsschutz und der Hauptsacherechtsschutz nicht ins Leere gehen; vgl. Haus/Zwerger, Das verkehrsrechtliche Mandat, § 57 Rn. 4: „Nach h. M. in Rspr. und Lit. ist nämlich eine beamtenrechtliche Ernennung regelmäßig nicht mehr rückgängig zu machen, so dass nach Aushändigung der Ernennungsurkunde an einen Mitbewerber auch ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ins Leere gehen würde.“ 378 BVerwG, B. v. 12.11.2020 – 4 VR 6.20, BeckRS 2020, 31888 Rn. 2; B. v. 20.08.2012 – 7 VR 7.12 – Rn. 2, juris; B. v. 17.12.2014 – 4 VR 5.14 –, juris; OVG Sachsen, 18.11.2016 – 5 B 282/16 – Rn. 3, juris; B. v. 20. 10. 2009 – 4 B 460/09 –, Rn. 4, juris; vgl. auch Haus/Zwerger, Das verkehrsrechtliche Mandat, § 57 Rn. 3.

VI. Fazit

293

Für die oben genannten Modifizierungen des § 80 VwGO spricht letztendlich sowohl mehr Rechtsklarheit als auch eine Vereinfachung des § 80 VwGO.379 Für das türkische und deutsche Rechtssystem lässt sich zusammenfassend attestieren, dass die Aufhebung des Suspensiveffekts oder der Mangel des Suspensiveffekts unerheblich ist. Der Suspensiveffekt ist kein Alleinheilmittel. Effektiver vorläufiger Rechtsschutz lässt sich vielmehr durch ein Verfahren, welches eine zügige gerichtliche Eilentscheidung ermöglicht, gewährleisten. Daher ist der „gerichtliche (Eil-)Eilrechtsschutz“ nochmal hervorzuheben, bei dem primär nach der Eilbedürftigkeit eine dringende vorläufige Eilentscheidung getroffen und weiterhin nach einer materiell-rechtlichen Prüfung diese Entscheidung überprüft wird. Ein solches Modell ist sinnvoller und adäquater, wobei Verwaltungsakte grundsätzlich das Erlass- und Vollzugsinteresse schon innehaben. In Folge kann ein besonderes Aussetzungsinteresse mit einem Rechtsbehelf vom Gericht bestimmt werden. Mithin würden auch die Nachteile des Suspensiveffekts, insbesondere die Verhinderung einer effektiven Verwirklichung von Vollzugmaßnahmen aufgrund der hohen Anzahl von Rechtbehelfserhebungen380 oder der Missbrauch des Rechtsbehelfs und die damit einhergehende ungerechtfertigten Folgen entfallen. Teilweise findet dieses Modell sowohl im deutschen als auch im türkischen Recht schon Anwendung. Im französischen Recht ist es hingegen normativ geregelt und als „référé liberté“ instrumentalisiert. Im Unterschied zum Suspensiveffekt ist der 379 Vgl. Haibach, ZRP 1996, 173, 176. Die vorgeschlagene Fassung: § 80 (1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben keine aufschiebende Wirkung. (2) Durch Bundesgesetz kann der Eintritt der aufschiebenden Wirkung durch Einlegung eines Rechtsmittels fu¨ r bestimmte Fälle festgelegt werden. (3) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erläßt oder u¨ ber den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Abs. 1 die aufschiebende Wirkung sowie in den Fällen des Abs. 2 die sofortige Vollziehung des Verwaltungsakts anordnen, wobei sie die öffentlichen Interessen sowie Interessen Dritter mit denen des Betroffenen abwägt. Öffentliche Interessen sind auch die Interessen der Europäischen Gemeinschaften. (4) Eine Anordnung nach Abs. 3 ist schriftlich zu begru¨ nden, es sei denn, die Behörde trifft eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse bei Gefahr im Verzug. (5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines Verwaltungsakts aussetzen oder dessen sofortige Vollziehung anordnen oder eine einstweilige Anordnung treffen, wobei es unter Beru¨ cksichtigung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache die dem Antragsteller und dem Antragsgegner drohenden Schäden gegeneinander abwägt. Der Antrag ist schon vor Einlegung eines Rechtsbehelfs in der Hauptsache zulässig. 380 Vgl. Marsch, Subjektivierung der gerichtlichen Verwaltungskontrolle, S. 260: Weil der Kreis potenzieller Kläger in Deutschland im Vergleich zu Frankreich (in erster Linie aufgrund der Ausgestaltung der Klagebefugnis) deutlich kleiner sei, könne § 80 Abs. 1 VwGO die aufschiebende Wirkung von Anfechtungsklagen und Widersprüchen statuieren, wohingegen dies in Frankreich wegen des weit offenstehenden Klageinteresses nicht mo¨ glich sei. (…) Diese Argumentation trägt jedoch nicht über die Begründung des rechtstechnischen Regel-Ausnahme-Verha¨ ltnisses hinaus und vermag daher die äußerst restriktive Rechtsprechung des Conseil d’État nicht zu erkla¨ ren, da diese nicht allein als Folge eines weiten Kreises potenzieller Kläger erklärt werden kann; dazu auch Skouris, Verw 14 (1981), 35, 47.

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D. Im Rechtsvergleich: Die Aussetzung der Vollziehung in der Türkei

„référé liberté“ nicht von einer Klageerhebung abhängig, sondern von einer gerichtlichen Entscheidung, welche die Eilbedürftigkeit und die Beeinträchtigung der betreffenden Grundrechte herausstellt. Für dieses Eilverfahren ist eine Entscheidungsfrist von nur 48 Stunden vorgesehen.381 Der „référé liberté“ setzt dabei auch nicht das Vorliegen eines Verwaltungsakts voraus. Neben Verwaltungsakten kann auch gegen andere Arten des Verwaltungshandelns, die ein Grundrecht betreffen, vorgegangen werden. Solch ein umfangreiches Instrument, das im Hinblick auf die Dringlichkeit mit dem Suspensiveffekt gleichzusetzen ist, kann den Suspensiveffekt besonders in mehrpoligen Rechtsverhältnissen vollständig ersetzen. Unabhängig davon, welches Rechtsschutzmodell gewählt wird, ist letztendlich die Existenz von vorläufigen Rechtsschutzmechanismen erforderlich, welche eine Abwägung auf Grundlage der Grundrechte bzw. Rechtsgüter sowohl abstrakt als auch konkret ermöglichen. Die Hauptfrage bei dieser Abwägung ist, inwieweit alle relevanten Rechte durch ein Handeln, ein Dulden oder eine Unterlassung der Verwaltung bis zum Abschluss des Hauptsacherechtsschutzes beeinträchtigt werden. Diese Beeinträchtigungen sollen einerseits dank dem vorläufigen Rechtsschutz nicht irreversibel enden, und die vorläufigen Rechtsschutzmaßnahmen dürfen andererseits keine anderen irreversiblen Folgen bewirken. Im Sinne des grundrechtsorientierten Systems des vorläufigen Rechtsschutzes ist die deutsche Rechtsordnung im Wesentlichen reichhaltig, obwohl sie einige komplexe und dysfunktionale detaillierte Regelungen enthält. Im Grunde zielt das deutsche Recht durch verschiedene allgemeine und spezielle Vorschriften darauf ab, einen fairen und angemessenen Schutz für den Betroffenen zu gewähren. Es zeigt sich hingegen im türkischen Recht, dass nicht das gleiche Niveau erreicht wird. Insbesondere bietet türkisches Recht wegen eines lückenhaft gestalteten Eilverfahrens keinen wirksamen einstweiligen Rechtsschutz. Im Rahmen dieses Rechtsvergleichs treten in der türkischen Rechtsordnung vor allem die Problematiken und Lösungsansätze im Bereich des vorläufigen Rechtsschutzes hervor. Bezüglich des deutschen Rechts hingegen steht die Aufgabe im Vordergrund, die europäische Harmonisierung voranzutreiben und zwecks Rechtsklarheit Vereinfachungen zu schaffen.

381

Cuno, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 147.

Schluss Für die Effektivität des Rechtsschutzes ist von hoher Bedeutung, ob eine verhältnismäßige Abwägung der konfligierenden Rechte und Interessen durch Staatsorgane gewährleistet wird beziehungsweise das allgemeine Gewaltverhältnis zwischen Bürger und Staat durch eine ausgewogene Gewaltenbalance gesichert ist. Als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips sind zu einer ausgewogenen Machtbalance staatliche Regelungen mit der Intention zu konzipieren, dass sie Machtmissbrauch durch staatliche Institutionen verhindern.1 In diesem Sinne ist das beste Rechtsschutzsystem dasjenige, welches sich entsprechend den örtlichen Gegebenheiten im Hinblick auf den Machtausgleich am besten einfügt. Ein bestimmtes Rechtsschutzmodell oder eine bestimmte Regelungstechnik ist also nicht für jegliches Staats- bzw. Rechtssystem gleichermaßen effektiv geeignet. Vielmehr ist eine individuelle Analyse der Machtdysbalancen zwischen Bürger und Staatsmacht durchzuführen. Anschließend obliegt es der Legislative, auf einen Ausgleich dieser festgestellten Machtdysbalancen hinzuwirken. In einem klassischen Gewaltenteilungsmodell sind jedenfalls die Verfassungsund Verwaltungsgerichtbarkeit hervorzuheben,2 denn die Judikatur, die sich von anderen Gewalten hinsichtlich ihrer Funktion unterscheidet,3 ist erfahrungsmäßig am fähigsten dazu, sich von den anderen Gewalten zu trennen.4 In Bezug auf den durch die Gewaltenteilung gesicherten effektiven Rechtsschutz muss der Bürger vor allem durch eine möglichst frühzeitige richterliche Intervention vor möglichen Machtmissbrauch einer gleichzeitig verfügenden und vollstreckenden Verwaltung und vor der willkürlichen Schaffung irreparabler Tatsachen durch unkontrolliert zwangsanwendende Behörden geschützt werden.5 Insoweit ist zur Effektivierung des Rechtsschutzes die Stärkung der Judikative zu priorisieren. Wobei die Gerichte das Spannungsverhältnis zwischen dem Rechtsschutzsuchenden und dem Staat auszugleichen zu haben. Mithin sind entsprechende Ermessensspielräume, neben prozessualen Anforderungen, von besonderer Bedeu1

Siehe auch v. Arnauld, ZParl. 32 (2001), 678, 685. Atay, in: Sempozyum Danıs¸tay, S. 145. 3 Dazu Atay, in: Sempozyum Danıs¸tay, S. 133; auch Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1043. 4 Zur Problematik, dass es der Gesetzgeber ist, der zur Gewährung von effektivem Rechtsschutz eine funktionierende Gerichtsbarkeit gewährleisten muss. Vgl. Windthorst, Der verwaltungsgerichtliche einstweilige Rechtsschutz, S. 504. 5 Glaab, Die zwangsweise Vollstreckung, S. 51. 2

296

Schluss

tung. Im Rahmen der gesetzgeberischen Wertungen entscheiden also die Gerichte letztverbindlich und einzelfallabhängig über den Rechtskonflikt. Durch diese konventionelle Bedeutung des gerichtlichen Rechtsschutzes macht sich letztlich unter verschiedenen Modellen des vorläufigen Rechtsschutzes das gerichtliche Eilverfahren, welches anhand einer Interessenabwägung gewährt wird, bemerkbar. Ohne eine solche Schutzmöglichkeit ist ein effektiver Rechtsschutz nicht möglich. Die gerichtliche Abwägung im Eilverfahren findet des Weiteren zwischen verschiedenen gesetzlichen Wertungen statt, die regelmäßig Ausdruck von öffentlichen Interessen und Privatinteressen sind. Wann das Handeln der Verwaltung ausgesetzt wird oder wieder in Gang gesetzt wird, ist vor allem davon abhängig, ob ein besonderes Interesse an der Vollziehung vorliegt. In diesem Sinne ist für den vorläufigen Rechtsschutz in erster Linie nicht entscheidend, ob die Verwaltung rechtmäßig handelt, sondern vielmehr, ob eine öffentliche Aufgabe oder Pflicht für die Allgemeinheit oder eine bestimmte Person bzw. Personen tatsächlich eine sofortige Vollziehung erfordert. Eine solche Erforderlichkeit kann entweder zum Schutz eines Gemeinwohlinteresses oder zum Schutz der subjektiven Rechte von einem Dritten, der auch einen Gemeinwohlbezug aufweist,6 in Betracht kommen.7 Ein gerichtlicher Eilrechtsschutz ist dann adäquat, wenn er, ohne die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung zu vereiteln, zum Schutze der Zwecke des Gemeinwohls und damit auch ohne eine übermäßige Beeinträchtigung von Grundrechten Dritter, den Rechtsschutz des Bürgers bzw. die Interessen der Rechtsschutzsuchenden gewähren kann. Um die vorgenannten Werte und Zwecke untereinander kompatibel zu gestalten, wird weiterhin die Gerechtigkeit, welche in verschiedenen dehnbaren Maßstäben wie z. B. Verhältnismäßigkeit, Gleichheit oder Willkürverbot ausgeformt ist, als Abwägungsgrundlage herangezogen. Letztlich sehen sich alle Gesellschaften mit der Frage konfrontiert, wie Ungleichheiten, hinter denen berechtigte Interessen bzw. Werte stehen, zu rechtfertigen sind. Wann ein Staat funktionsfähig ist, wird über Zielsetzungen bestimmt. Genauso kann das Interesse des Bürgers auf unterschiedliche Weise gewertet werden.8 Der „Wert“ verschiedener Rechtsgüter wird daher je nach Staats- bzw. Rechtssystem unterschiedlich gewichtet. Diese Abweichungen sind im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit des staatlichen Handelns und deren Gesetzmäßigkeit entscheidend. Die Ausgestaltung sowie Wirkung des Rechtsschutzes sind davon ab-

6

Technisch fällt dies zwar nicht unter das Allgemeinwohl. Der Ausgleich von Individualinteressen dient jedoch in seiner Gesamtheit dem Gemeinwohl. 7 Gemeinwohlbelange sind insoweit mächtige und weit zu verstehende Interessen. 8 Vgl. Schmitt, Die Tyrannei der Werte, S. 41: Wer Wert sagt, will geltendmachen und durchsetzen.

Schluss

297

hängig. Das Rechtsschutzsystem gründet sich auf Rechtsgütern und deren rechtspolitischen Konkretisierungen. Aufgrund verschiedener Werturteile ist schließlich die Frage nach einem möglichst effektiven Rechtsschutzsystem nicht einheitlich zu beantworten.9 Dabei ist zu beachten, dass der Wertlehre die Tendenz innewohnen soll, den alten, andauernden Kampf der Überzeugungen und Interessen zu schüren und zu steigern.10 Unter anderem aus diesem Grund wird die Suche nach einem effektiveren Rechtsschutzsystem andauern. Bei einem beständigen Entwicklungsbedarf der Rechtsschutzsysteme kann ein Rechtsvergleich dann nur einen Beitrag dazu leisten, Wertekonflikte gerechter, universaler und einheitlicher zu lösen.

9

So wird z. B. die Grenze der Religionsfreiheit, die regelmäßig mit einem Neutralitätsgebot einhergeht, in verschiedenen Staaten, die in unterschiedlichen Maßen religiös oder säkular sind, unterschiedlich bestimmt. 10 Schmitt, Die Tyrannei der Werte, S. 49.

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Stichwortverzeichnis Ablehnende Verwaltungsakte 234, 237, 247 Ablehnungsentscheidung 136, 211, 235 Abschiebungsfälle 216, 229 Allgemeinverfügung 72 – 73, 83, 233 Anfechtungsklage 23, 27, 36, 44, 63, 64 – 67, 82, 84, 137 – 139, 234, 240 – 242, 246 Antragserfordernis 120 – 121, 137, 244 – 245, 273 Aufhebung der Vollziehung 73, 85, 120, 135, 159, 170 – 172 Aufhebungsklage 210, 215, 227, 230 – 242, 245 – 247, 259, 267, 279 aufschiebende Wirkung 23, 27, 36, 52, 58, 63 Aussetzung der Vollziehung 20, 45, 53, 119, 125 – 130, 137 – 141, 147 – 148, 171, 182 – 183, 187 ff. – behördliche Aussetzung 120 – 123, 131 – 132 – gerichtliche Aussetzung 35, 134 – 139, 186 Aussetzungsentscheidung 143, 196, 200, 262, 262, 267 – 269, 285 – Durchsetzung 196, 283 – gebundene 271, 278, 281 – vorläufige 250 – 253, 288 – Wirkung 278 – 281

Beamtenverhältnis 78, 180, 258 Begründungspflicht 109 – 114, 269 – 271, 273 – 275 Behördliches Vorverfahren 139, 246 – 247 Beschwerdemöglichkeit 181, 189, 277 Beurteilungsspielraum 94, 211, 255, 264 Beweislast 31 Beweislastverteilung 61, 70, 226, 248

Conseil d’État

272, 286

Danıs¸tay 187, 192, 230 Dringlichkeit 219, 167, 256, 261, 294 – der Aussetzungsentscheidung 263 – der Sache 139, 142, 156, 214, 216, 26, 273 – der sofortigen Vollziehung 165, 224 effektiver vorläufiger Rechtsschutz 37, 42, 53, 138, 217, 220, 222, 270, 276, 285, 293 Effektivitätsgebot 27, 39 – 40, 196, 217, 220, 243 Eilbedürftigkeit 83, 156, 160, 164, 184, 220, 250, 253, 269, 293 – der Sache 213, 215, 261 einstweilige Anordnung 84, 119, 211, 230 Einzelakt 233 – 234 – konditionaler 282 – subjektiver 233, 282 Entscheidungsfrist 94, 276 Entscheidungsspielraum 34, 107, 168, 196, 218, 221, 271 Erfolgsaussichten 49, 83, 105, 111, 119, 123 – 127, 130, 142 – 146, 149, 156, 158, 161, 166 – 167, 173, 187 – 188, 212, 221, 256, 263 – 264, 268 – 270, 273, 293 ergo omnes 240, 279 Ermessensentscheidung 48, 104, 106, 158, 260, 265, 278, 281, 286 – eigene 118, 137, 169, 177 – originäre 114, 168, 169, 170 ernstliche Zweifel 123, 126, 127 – an der Rechtmäßigkeit 127, 144, 268 – 269 Europäische Union 20 faktische Vollziehung 108, 174 – 175, 182 Feststellungsklage 74, 240 finanzieller Schaden 262, 287

Stichwortverzeichnis Funktionsfähigkeit 30 – 31, 90 – 91, 193 – 194 – der Verwaltung 190, 208, 210, 244, 289, 296 Gemeinwohl 39, 42, 104 Gemeinwohlbelang 162, 163, 164 Gemeinwohlinteresse 39, 153, 155, 296 Gewährung rechtlichen Gehörs 249 Gewaltenteilung 192, 194, 217, 295 Gewaltenteilungsprinzip 30, 193 – 194, 283 Gleichheit 32, 259, 296 Gleichheitsgebot 47, 236 Gleichheitsprinzip 46, 259 Gleichheitssatz 149, 154 – 155 Güterabwägung 162, 163 Handlungsspielraum 200, 201, 202, 252, 278, 283 Hauptsacheverfahren 19, 38, 40 – 41, 50 – 51, 65, 134, 139, 143, 147 – Prüfung 166 – 168 Individualrechtsschutz 19, 207, 241 Infrastrukturvorhaben 24, 98 Interessenabwägung 33, 41, 43, 46, 85, 89, 102 – 106, 128 – 130, 158, 164 – 166 – abstrakte 125 – behördliche 105 – gerichtliche 143, 158 – konkrete 168 – 169 Interessenbewertung 88 – 89, 102, 130, 184 inter partes 240 Irreparabilität 37 – 41, 46, 214, 219, 270, 274 – irreparabler Schaden 216, 218, 224, 228, 242, 248, 261 – 262 – Zeitlauf 40 Irreversibilität 39, 262 Klageerhebung 137, 139, 186, 223, 226 – 227, 234 – 235, 246, 294 Klageerwiderung 190 – 191, 249 – 260, 274, 288 Klagefrist 206, 216, 229, 235

Leistungsklage

315 179, 232

materielle Akzessorietät 47 – 48, 50 materielle Grundrechte 74, 207, 211 – 213, 219, 287 Normenkontrolle 73, 147, 234, 266 – Verfahren 241 – Klage 191, 201 – 204, 266 – 267, 277 objektivrechtliche Funktion 207, 239 offensichtliche Rechtswidrigkeit 264 – der behördlichen Vollziehungsanordnung 158 – der Rechtverordnung 266 – des Verwaltungsakts 143, 212, 216, 248, 253, 260, 263 – 264, 270, 274 öffentliche Abgaben 89, 92, 122 – 125, 228 – und Kosten 91, 227 Prüfung 145, 149, 152, 155 – abschließende 119, 167, 264, 268, 271 – materiell-akzessorische 50 – materiell-rechtliche 29, 38, 48, 105, 184, 212, 251, 253 – 254, 274 – summarische 144, 146, 161, 275 – umfassende 49, 145, 166 Prüfungsmaßstab 49 Prüfungsumfang 264 Realakte 74, 232, 239 Rechtmäßigkeitsvermutung 224 – 226 Rechtsgüter 45, 81, 109, 150, 162, 294, 296 – hoch geschützte 213, 215 – kollidierende 47 Rechtsschutzgarantie 28, 30, 36 – 37, 53, 61, 202, 238 Rechtsstaatsprinzip 27, 31, 46, 171, 192, 194 Rechtsverhältnis 219 – mehrpoliges 48, 85, 100, 290, 294 – zweiseitiges 42, 54, 100, 209, 291 Rechtsverordnungen 234, 241, 266 Risikoverteilung 44 – 45, 124, 126 Schutzgut 163 schwer reparabler Schaden 261

188 – 189, 211,

316

Stichwortverzeichnis

sofortige Vollziehung 21, 27, 38, 42, 61 – 63, 69, 80, 87 – 88, 94 104, 111, 114, 265, 281, 288 – 290, 293, 296 – behördliche Anordnung 99 – 101, 104 – 109, 121, 15 – gerichtliche Anordnung 116 – 119 subjektiver Rechtsschutz 207 Suspensiveffekt 20 – 21, 27 – 31, 38 – 39, 51 – 57 – als Regelfall 59 – 63, 69 – Ausschluss 86 – 101 – Wiederherstellung 119 – Wirkung 83 – 86 unaufschiebbare Anordnung 94 – 95 unbestimmte Rechtsbegriffe 89, 101, 107, 143, 201, 265, 272 unbillige Härte 123, 125 – 126, 129, 131 Verhältnismäßigkeit 32, 141, 151, 266, 282, 296 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 31, 106, 153, 155, 198, 259 Verhältnismäßigkeitskontrolle 32 Verhältnismäßigkeitsprinzip 31, 33, 81, 104, 149 Verhältnismäßigkeitsprüfung 149, 155, 198 – 199, 209, 265 Verpflichtungsklage 68 – 69, 72, 210, 232

Verwaltungsakt 62, 64, 78, 79, 85, 101 – begünstigender – belastender 70, 75 – feststellender 67, 71 – gestaltender 67, 71 – mit Doppelwirkung 71 – 72 – mit Drittwirkung 23, 47, 77, 106, 122, 209 – sich durch Vollziehung erledigender 213, 254 – 256, 259 – vollzogener 73 Vornahmesache 69, 210, 242 – 243 Vorwegnahme der Hauptsache 50 – 51, 212, 268 – 270 Waffengleichheit 62, 70 Wertekonflikt 297 Werteordnung 161 Wesentlichkeitstheorie 148 Widerspruch 19, 63 – 65, 67, 69, 137 – 139, 229, 260 Widerspruchsbehörde 108 – 109, 122, 166, 235 Widerspruchsverfahren 65, 137, 138, 166, 230, 247 Willkürverbot 296 Wirksamkeit des Rechtsschutzes 40, 52, 54, 56, 64, 72 Zeitfaktor

40 – 41 252, 287