Richterliche Vertragsgerechtigkeitskontrolle im unternehmerischen Geschäftsverkehr: Eine Studie zum französischen und zum deutschen Recht. Dissertationsschrift 9783161590481, 9783161590498, 3161590481

Während der Verbraucherschutz in der EU vereinheitlicht wurde, fehlt auf dem Gebiet des unternehmerischen Geschäftsverke

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Richterliche Vertragsgerechtigkeitskontrolle im unternehmerischen Geschäftsverkehr: Eine Studie zum französischen und zum deutschen Recht. Dissertationsschrift
 9783161590481, 9783161590498, 3161590481

Table of contents :
Cover
Titel
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungen
Einleitung
I. Problemstellung und Zielsetzung der Arbeit
II. Gegenstand der Untersuchung
1. Kernfragen
2. Schutz der unterlegenen Vertragspartei
3. Rechtsökonomische Steuerungsinteressen
4. Normative Präzisierung und Abgrenzung der Untersuchung
A. Das französische Recht
I. Herangehensweise der Untersuchung
II. Die richterlichen Kontrolltatbestände im Überblick
1. Schutz der abhängigen Vertragspartei nach Art. 1143 C. civ.
2. Die Kodifikation der Seriositätsfunktion der cause in Art. 1169 C. civ.
3. Das für sämtliche Verträge geltende Klauselverbot in Art. 1170 C. civ.
4. Das für sog. contrats d’adhésion geltende Verbot von Klauseln, die ein „erhebliches Ungleichgewicht“ erzeugen
a) Art. L. 212-1 Abs. 1 C. con.
b) Art. L. 442-1 I Nr. 2 C. com.
c) Art. 1171 C. civ
d) Konkurrenz der einzelnen Klauselwirksamkeitstatbestände
5. Keine richterliche Vertragskontrolle nach dem allgemeinen Grundsatz des guten Glaubens gem. Art. 1104 Abs. 1 C. civ
III. Die französische Schuldrechtsreform
1. Die Beharrlichkeit der vertrags- und schuldrechtlichen Bestimmungen des C. civ. von 1804
a) Der Bedeutungsverlust der „französischen Zivilverfassung“
b) Gründe für die Untätigkeit des Gesetzgebers
c) Auslöser des Paradigmenwechsels
aa) Der Zusammenbruch der kommunistischen Systeme
bb) Die Verwirklichung eines einheitlichen europäischen Zivilrechts
2. Inspirationsquellen der Schuldrechtsreform
a) Die europäischen Rechtsvereinheitlichungsvorhaben
b) Avant-projet Catala
c) Avant-projet Terré
d) Weitere Strömungen
e) Der Gesetzentwurf des Justizministeriums
3. Die Modernisierung des Schuld- und Vertragsrechts im Wege einer gesetzesvertretenden Verordnung
4. Ziele der Schuldrechtsreform
a) Vorgaben und Umsetzung
b) Förderung der Rechtssicherheit
c) Steigerung der Attraktivität des französischen Rechts
d) Ausbau der Vertragsgerechtigkeitsmechanismen
5. Die strukturelle Modernisierung des Schuldrechts
a) Der Modernisierungsauftrag im kompetenzübertragenden Gesetz
b) Die klassische Konzeption
c) Überwindung des systematischen Defizits
6. Auslegung des Vertrags- und Schuldrechts des C. civ.
a) Klassische Auslegungsprinzipien
b) Auslegung der aus der Reform hervorgegangenen Bestimmungen
c) Die kritische Zunahme unbestimmter Rechtsbegriffe
d) Der Einsatz einschränkender Adjektive und Adverbien
e) Gesetzesauslegung anhand ergänzender Materialien
IV. Die vertragsfreiheitliche Konzeption des französischen Zivilrechts
1. Der Rang der Privatautonomie im C. civ. von 1804
2. Dogmenwechsel im Zeitalter der Industrialisierung
3. Kodifikation der richterlichen Kontrollbefugnisse
4. Der Stellenwert der Vertragsfreiheit nach der Reform
V. Richterliche Kontrolle ungerechter Verträge und Klauseln
1. Vertragswirksamkeitskontrolle
a) Schutz der abhängigen Vertragspartei nach Art. 1143 C. civ.
aa) Rechtslage vor der Reform
(1) Potenzielle Anknüpfungspunkte im C. civ.
(a) Der Willensmangel der violence
(aa) Normative Anknüpfungspunkte
(bb) Diskussionen im Schrifttum
(cc) Die Rechtsprechung der Cour de cassation
(dd) Die gesetzgeberischen Aktivitäten zum Schutz der unterlegenen Vertragspartei
(b) Das Rechtsinstitut der lésion
(aa) Normative Vorgaben
(bb) Diskussionen im Schrifttum um den Regelungszweck
(cc) Der Standpunkt der Cour de cassation
(dd) Konsequenzen für die dogmatische Einordnung
(ee) Die Bedeutung der lésion im reformierten Zivilrecht
(c) Zwischenergebnis
(2) Die Entwicklung der Rechtsprechung
(a) Instanzgerichtliche Anknüpfung an die violence
(b) Höchstrichterliche Anknüpfung an die violence
(c) Das Larousse-Bordas-Urteil vom 03.04.2002
(d) Die missbräuchliche Ausnutzung einer Zwangslage
(e) Die wirtschaftliche Abhängigkeit
(aa) Das unscharfe Kriterium der finanziellen Schwierigkeiten
(bb) Das Kriterium des alternativen Vertragspartners
(f) Die Erlangung eines übermäßigen Vorteils
(g) Zwischenergebnis
bb) Die Entwicklung des gesetzlichen Tatbestands
(1) Die zur Verfügung stehenden strukturellen Eingliederungsoptionen
(2) Die inhaltliche Ausgestaltung der Tatbestandsvoraussetzungen im Vorentwurf
(3) Kritische Reaktionen im Schrifttum
(4) Die Korrekturen der Tatbestandsvoraussetzungen in der gesetzesvertretenden Verordnung
cc) Die Übertragbarkeit der Rechtsprechung zur violence économique auf Art. 1143 C. civ.
(1) Anforderungen an die missbräuchliche Ausnutzung der Abhängigkeit
(a) Literaturstimmen für eine von der Rechtsprechung unabhängige Auslegung
(b) Argumente für die Übertragbarkeit der bisherigen Rechtsprechung
(c) Zwischenergebnis
(2) Besonderheiten bei der Ermittlung des „offensichtlich überzogenen Vorteils“
(a) Wortlautverwandtschaft mit dem Verbraucherschutzrecht
(b) Rechtsprechung zur violence économique
(c) Autonome Auslegung
dd) Ergebnis
ee) Ausblick
b) Funktionserhaltung der objektiven cause in Art. 1169 C. civ.
aa) Problemstellung
bb) Der formelle Verzicht auf den Begriff der cause im reformierten Vertragsrecht
cc) Rechtspolitischer Hintergrund der formellen Streichung der cause
dd) Rechtsdogmatischer Fortbestand der cause-Lehre in den neuen Bestimmungen
ee) Die Surrogate der cause in der gesetzesvertretenden Verordnung
(1) Art. 1128 C. civ.
(2) Die Legalitätsfunktion der cause
(3) Die Seriositätsfunktion der cause
ff) Die Entwicklung der Lehre von der cause bis zum Inkrafttreten des C. civ.
(1) Das römische Recht
(2) Konflikt zwischen Glossatoren und Kanonisten
(3) Die causa finalis nach Baldus de Ubaldis
(4) Versubjektivierung der cause durch Dumoulin
(5) Die objektive Konzeption der cause nach Domat
(6) Die doppelfunktionale Anschauung Pothiers
(7) Zwischenergebnis
gg) Die Entwicklung der causa-Lehre nach dem Inkrafttreten des C. civ. von 1804
(1) Die gesetzliche Ausgangslage
(2) Die klassische Theorie der cause
(a) Die anfängliche Gleichstellung von Motiv und cause
(b) Der spätere Versuch einer Differenzierung zwischen Motiv und cause
(3) Die Kritik an der klassischen Theorie der cause
(4) Die dualistische Konzeption der cause
(a) Die Anerkennung durch Capitant
(b) Bestätigung durch die Cour de cassation
(5) Die Versubjektivierung der cause de l’obligation durch die Rechtsprechung
(a) Die tatsachengerichtliche Rechtsprechung
(b) Das erste Videoverleih-Urteil der Cour de cassation
(c) Kritik in der Literatur
(d) Rechtsprechungsentwicklung der Cour de cassation bis zum Inkrafttreten der Reform
(e) Zusammenfassende Würdigung
(6) Die Ablehnung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung im Namen der cause
(a) Ansatzpunkte einer Verhältnismäßigkeitsprüfung in Lehre und Rechtsprechung
(b) Die Gewährung eines Minimalschutzes als hinreichendes Seriositätskriterium
(c) Bestätigung durch die Rechtsprechung
(7) Die Besonderheiten der Getränkelieferungsrechtsprechung
(a) Einleitung
(b) Das Getränkelieferungsurteil vom 14.10.1997
(c) Bestätigung im zweiten Getränkelieferungsurteil
(d) Kritische Auseinandersetzung im Schrifttum
(e) Das dritte Getränkelieferungsurteil
(f) Zwischenergebnis
hh) Auslegung der „contrepartie convenue“ i. S. d. Art. 1169 C. civ.
(1) Auslegungsoptionen
(2) Die Wortlautauslegung
(3) Die systematische Auslegung
(4) Die historische Auslegung
(5) Zwischenergebnis
ii) Ergebnis
2. Klauselwirksamkeitskontrolle
a) Die klassische Klauselkontrolle nach Art. 1170 C. civ.
aa) Regelungszweck im System des reformierten C. civ.
bb) Die Entwicklung der cause zu einem Instrument der Klauselkontrolle
(1) Verbraucherschutzrechtlicher Hintergrund
(2) Bestätigung der Seriositätsfunktion der cause in der Haftpflichtversicherungsrechtsprechung
(3) Ausdehnung der klauselspezifischen Wirksamkeitskontrolle auf die Wertstellungsklauseln der Banken
(4) Kritische Würdigung und Zwischenergebnis
(5) Das Chronopost-Urteil
(6) Bestätigung der Versubjektivierung der cause de l’obligation
(7) Rechtsgeschichtliche Einordnung
(8) Die Entwicklung der Rechtsprechung nach dem Chronopost-Urteil
(a) Problemstellung
(b) Der verletzungsspezifische Lösungsansatz
(aa) Rechtsprechung
(bb) Rechtsdogmatische Einordnung und Bewertung
(c) Der inhaltsbezogene Lösungsansatz
(aa) Das EDF-Urteil
(bb) Das Wartungsvertrags-Urteil
(cc) Das Restaurant-Urteil
(dd) Das Faurecia-Urteil der CA Paris
(ee) Das zweite Faurecia-Urteil der Cour de cassation
(ff) Nach dem zweiten Faurecia-Urteil ergangene Rechtsprechung
(9) Zwischenergebnis
cc) Charakteristiken der Inhaltskontrolle nach Art. 1170 C. civ.
(1) Gesetzgeberische Positionierung und Rahmenbedingungen
(2) Qualifikationsmerkmale einer „wesentlichen Vertragspflicht“
(3) Anforderungen an die „substanzentziehende“ Wirkung einer Klausel
dd) Ergebnis
b) Das Verbot von Klauseln, die in einem contrat d’adhésion ein „erhebliches Ungleichgewicht“ erzeugen
aa) Einleitung
bb) Die Kodifikation des contrat d’adhésion im französischen Zivilrecht
cc) Saleilles Entwicklung eines neuen Vertragstyps der Industrialisierung
dd) Die Diskussionen um die Rechtsnatur des contrat d’adhésion
ee) Die Qualifikationskriterien des contrat d’adhésion
ff) Zwischenergebnis
gg) Die verbraucherschützende Klauselkontrolle nach Art. L. 212-1 C. con.
(1) Die Entstehung und Entwicklung des gesetzlichen Tatbestands
(2) Die personelle Schutzlücke des Verbraucherschutzrechts
(3) Der umfassende materielle Geltungsbereich
(4) Der erleichterte Nachweis eines erheblichen Ungleichgewichts
hh) Die unternehmerschützende Klauselkontrolle nach Art. L. 442-1 I Nr. 2 C. com
(1) Entstehungshintergrund und Funktion des gesetzlichen Tatbestands
(2) Der eingeschränkte persönliche Anwendungsbereich
(3) Anforderungen an die „Unterwerfung“
(4) Das „erhebliche Ungleichgewicht“ in Art. L. 442-1 I Nr. 2 C. com
(5) Die Ansicht des Conseil constitutionnel
(6) Reaktionen in der Lehre und Zivilrechtsprechung
(a) Kontrolle akzessorischer Klauseln
(b) Globalbetrachtung oder Einzelbetrachtung
(c) Bestimmung des „erheblichen Ungleichgewichts“
ii) Die allgemeine Klauselkontrolle nach Art. 1171 C. civ.
(1) Einleitung
(2) Vom Gesetzentwurf (2015) zur gesetzesvertretenden Verordnung (2016)
(3) Von der gesetzesvertretenden Verordnung (2016) zum Zustimmungsgesetz (2018)
(4) Die Ermittlung des Regelungszwecks und Geltungsbereichs der besonderen Bestimmungen zum contrat d’adhésion
(a) Einleitung
(b) Die conditions générales in der Definition der gesetzesvertretenden Verordnung
(c) Vertragsverhandlungen als wesensprägende Tatbestandsmerkmale
(aa) Wirtschaftliche Überlegenheit des Verwenders
(bb) Intellektuelle Überlegenheit des Verwenders
(cc) Irrelevanz der subjektiven Schutzbedürftigkeit des Klauselgegners
(dd) Korrektur des Normwortlauts durch das Zustimmungsgesetz
(d) Die Abgrenzung des contrat d’adhésion vom contrat de gré à gré
(5) Das Erfordernis eines „erheblichen Ungleichgewichts“
(a) Auslegungshinweise im begleitenden Bericht an den Präsidenten
(b) Reaktionen im Schrifttum
(c) Mögliche Kriterien bei der Ermittlung des „erheblichen Ungleichgewichts“ nach Art. 1171 C. civ.
(aa) Die Anforderungen an das „erhebliche Ungleichgewicht“
(bb) Das Verhältnis der zu untersuchenden Klausel zu den übrigen Vertragsbestimmungen
jj) Konkurrenz von Art. 1171 C. civ. zu den spezialgesetzlichen Bestimmungen
(1) Einleitung
(2) Der lex specialis-Grundsatz in Art. 1105 C. civ.
(3) Extensive Auslegung der lex specialis-Regel
(4) Restriktive Auslegung der lex specialis-Regel
(5) Vermittelnde Ansicht
(a) Maßgeblichkeit der Rechtsfolgeninkompatibilität
(b) Art. L. 212-1 C. con.
(c) Art. L. 442-1 I Nr. 2 C. com.
kk) Ergebnis
VI. Richterliche Vertragskontrolle unter Rückgriff auf den guten Glauben?
1. Einleitung
2. Die klassische Konzeption der bonne foi
3. Die sachliche Aufladung des guten Glaubens
4. Die zeitliche Ausdehnung des Geltungsbereichs
5. Das einschränkende Grundsatzurteil Les Maréchaux
6. Zwischenergebnis zur bisherigen Rechtslage
7. Die Modernisierung der allgemeinen Vertragsrechtsprinzipien
a) Die Kodifikation „einleitender Bestimmungen“
b) Die modernisierte Konzeption des guten Glaubens
aa) Ausgangslage
bb) Argumente für eine sachliche Intensivierung
cc) Argumente gegen eine sachliche Intensivierung
(1) Vom „Leitprinzip“ zur bloßen „einleitenden Bestimmung“
(2) Schutz der Rechtssicherheit
8. Ergebnis
VII. Fazit zum französischen Recht
B. Das deutsche Recht
I. Die wirtschaftsliberale Konzeption des BGB
II. Verfassungsrechtliche Vorgaben
1. Grundsatz der Vertragsfreiheit
2. Ausnahme bei unausgeglichenem Kräfteverhältnis
3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
4. Kontrollmaßstab
a) Gravierende Paritätsstörung
b) Ungerechtes Verhandlungsergebnis
5. Einfachgesetzliche Anknüpfung
III. Perspektive des Schrifttums
1. Relevanz des Aspekts der Vertragsgerechtigkeit
2. Flumes Selbstbestimmungstheorie
3. Wolfs Theorie von der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit
4. Schmidt-Rimplers Theorie der Richtigkeitsgewähr
a) Abkehr von den nationalsozialistischen Lehren
b) Kennzeichen eines richtigen Vertrages
c) Mittel zur Gewährleistung eines richtigen Vertrages
d) Funktionsvoraussetzungen
e) Vorrang der Privatautonomie
IV. Zwischenergebnis
V. Unwirksamkeit sittenwidriger Verträge
1. „Einfallstor“ verfassungsrechtlicher Wertungen
2. Die guten Sitten als Vertragsgerechtigkeitsmaßstab
3. Der Schutz vor Äquivalenzstörungen infolge gestörter Vertragsparität
4. Wucher
a) Einleitung
b) Objektiver Tatbestand
c) Subjektiver Tatbestand
aa) Gleichbehandlung intellektueller und wirtschaftlicher Paritätsstörungen
bb) Unterlegenheit kraft Beeinträchtigung der Entschließungsfreiheit
(1) Die Erleichterung der Anforderungen an die wirtschaftliche Bedrängnis
(2) Die Irrelevanz der erheblichen Willensschwäche für den unternehmerischen Geschäftsverkehr
cc) Unterlegenheit kraft beschränkter Entscheidungsfähigkeit
(1) Die abstrakte Beurteilung der Unerfahrenheit
(2) Die konkrete Untersuchung des mangelnden Urteilsvermögens
(3) Exkurs
(a) Konkurrierende Instrumente für den Sonderfall der Fehlinvestition
(b) Eigenschaftsirrtum nach § 119 Abs. 2 BGB
(c) Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs. 1, 2 BGB
(d) Zusammenfassende Wertung
dd) Die Anforderungen an das Bewusstsein des Wucherers
5. Wucherähnliches Rechtsgeschäft
a) Die lückenausfüllende Funktion des wucherähnlichen Rechtsgeschäfts
b) Die Ablehnung der laesio enormis
c) Das Erfordernis einer „verwerflichen Gesinnung“
d) Die gesteigerte Flexibilität gegenüber dem Wuchertatbestand
e) Senkung der subjektiven Erheblichkeitsschwelle
6. Vermutung für das Vorliegen des subjektiven Tatbestands
a) Einleitung
b) Ausschluss bei gewerblichen Miet- und Pachtverhältnissen
c) Tragweite bei Kreditverträgen
aa) Auffälliges Missverhältnis
bb) Besonders grobes Missverhältnis
d) Kriterienabhängigkeit der Vermutungsvoraussetzungen
aa) Intellektuelle Unterlegenheit
(1) Verbraucherverträge
(2) Unternehmerverträge
bb) Wirtschaftliche Unterlegenheit
cc) Zwischenergebnis
e) Die reduzierte Behauptungslast
7. Ergebnis
VI. Klauselkontrolle des AGB-Rechts
1. Entstehungsgeschichtlicher Hintergrund
2. Rechtsprechungsentwicklung bis zum Inkrafttreten des AGBG
a) Gesetzliches Defizit
b) Verdeckte Inhaltskontrolle durch restriktive Auslegung missbräuchlicher Klauseln
c) Offene Inhaltskontrolle nach § 138 Abs. 1 BGB
d) Offene Inhaltskontrolle am Maßstab von Treu und Glauben gem. § 242 BGB
aa) Wandel des Interventionszwecks
bb) Reduktion der Erheblichkeitsschwelle
3. Das AGBG
4. Schutz der „situativ“ unterlegenen Vertragspartei?
5. Kritische Würdigung
6. Die Ausdehnung des normativen Geltungsbereichs durch die Rechtsprechung des BGH
a) Einleitung
b) Die formellen Definitionsmerkmale des AGB-Begriffs
c) Die materiellen Definitionsmerkmale des AGB-Begriffs
aa) Abgrenzungsproblem
bb) Die Zurechnungsfunktion des „Stellens“
cc) Die Anforderungen an den Nachweis des „Aushandelns“
(1) Relevanz und Wertungsunterschiede zum contrat d’adhésion
(2) Die zwei Stufen des Aushandelns
(a) Erläuterung des Klauselinhalts
(b) Einflussnahmemöglichkeit des Klauselgegners
(aa) Unzulänglichkeit der bloßen Aufklärung
(bb) Aktives Angebot der Verhandlungsbereitschaft
(cc) Bereitschaft zur Änderung einzelner Klauseln
(dd) Entbehrlichkeit der tatsächlichen Abänderung
(ee) Berücksichtigungsfähigkeit der Besonderheiten des unternehmerischen Geschäftsverkehrs?
(ff) Aushandeln durch Anbieten von Alternativvorschlägen?
(gg) Aushandeln durch Abänderung peripherer Klauseln?
(hh) Aushandeln durch Gewährung eines Preisnachlasses?
aa) Reaktionen in der unternehmerischen Geschäftspraxis
bb) Konsequenzen für den unternehmerischen Geschäftsverkehr
7. Die Inhaltskontrolle
a) Die Bedeutung der Generalklausel
aa) Gesetzgeberische Vorgaben
bb) Höchstrichterliche Umsetzung
(1) Die Formel der Rechtsprechung zur unangemessenen Benachteiligung
(2) Das Erfordernis einer typisierend-generell zu ermittelnden Benachteiligung des Klauselgegners
(a) Abgrenzung zur Einzelfallkontrolle
(b) Vergleichsmaßstab
(3) Die berücksichtigungsfähigen Interessen des Verwenders
(4) Die Rolle der Verkehrssitte
(5) Der Abwägungsvorgang
b) Die „Regelbeispiele“ für eine unangemessene Benachteiligung
aa) Normzweck
bb) Ausmaß der Vermutungswirkung
cc) § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB
(1) Die Leitbildfunktion des dispositiven Rechts
(2) Identifikation der Regelungen mit Leitbildcharakter
(3) Das haftungsrechtliche Verschuldensprinzip
dd) § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB
(1) Das Aushöhlungsverbot
(2) Die „Natur des Vertrages“
(3) Die „wesentlichen Rechte und Pflichten“
(a) Allgemeine Charakteristiken
(b) Der cheapest cost avoider
(c) Der cheapest insurer
(d) Zwischenergebnis
(4) Erfordernis der Vertragszwecksgefährdung
c) Die Rolle der speziellen Klauselverbote für den unternehmerischen Geschäftsverkehr
d) § 309 Nr. 7 BGB
aa) Ausmaß des Klauselverbots
bb) Geltungsumfang für den unternehmerischen Geschäftsverkehr
(1) Das „Gleichschritt“-Urteil des BGH
(2) § 309 Nr. 7 lit. a BGB
(3) § 309 Nr. 7 lit. b BGB
e) Die Kardinalpflichtenrechtsprechung nach § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB
aa) Entstehung und Rechtsgedanke
bb) Unantastbarkeit des vertragstypischen und vorhersehbaren Schadens
cc) Objektiver Maßstab
dd) Gestaltungsmöglichkeiten des Verwenders
ee) Praktische Irrelevanz der sonstigen Haftungsklauseln
ff) Zwischenergebnis
f) Relation der zu prüfenden Klausel zum Gesamtvertrag
aa) Einleitung
bb) Summierungseffekt
cc) Kompensationseffekt
(1) Grundsatz
(a) Die Vorgaben der Regierung
(b) Voraussetzungen im Einzelnen
(aa) Erfordernis eines sachlich zusammenhängenden, angemessenen Ausgleichs
(bb) Remissionsrechte der Einzelhändler
(cc) Die leasingtypische Abtretungskonstruktion
(dd) Alternativer Versicherungsschutz
(c) Fazit
(2) Das „Preisargument“
(a) Grundsätzliche Irrelevanz
(b) Ausnahmen
(c) Der Umgang mit dem „Preisargument“ im Faurecia-Urteil
(3) Kollektiv ausgehandelte Vertragswerke
dd) Zwischenergebnis und Konsequenzen
g) Abweichender Maßstab im unternehmerischen Geschäftsverkehr
8. Ergebnis
VII. Fazit zum deutschen Recht
C. Rechtsvergleichende Zusammenfassung und Bewertung
I. Einleitung
II. Vertragsunwirksamkeit
1. Gemeinsamer Regelungsgedanke und Maßstab
2. Objektive Vertragsgerechtigkeitskontrolle
3. Schutz der wirtschaftlich unterlegenen Vertragspartei
a) „Vorsprung“ der deutschen Rechtsordnung
b) Die missbräuchliche Ausbeutung der unterlegenen Verhandlungsposition
c) Anforderungen an den ungerechten Vertragsinhalt
4. Schutz der intellektuell unterlegenen Vertragspartei
III. Klauselunwirksamkeit
1. Die Ermittlung des Kontrollzwecks vorformulierter Klauselwerke
2. Begrenzte Rationalität als Ursache der einseitigen Vertragsgestaltung
3. Fehlender Konditionenwettbewerb als Ursache der eigennützigen Vertragsgestaltung
4. Zwischenergebnis
5. Rationalisierungsfunktion vorformulierter Vertragsbedingungen
a) Raisers Rationalisierungsgedanke
b) Verwirklichung des Rationalisierungsgedankens durch das dispositive Vertragsrecht
c) Die lückenfüllende Funktion vorformulierter Vertragsbedingungen
d) Verhaltenssteuernder Zweck der Kontrolle vorformulierter Vertragsbedingungen
aa) Rechtsökonomischer Hintergrund
bb) Gesetzliche Bestätigung der Steuerungsfunktion
e) Geltungsbereich der Inhaltskontrolle vorformulierter Vertragsbedingungen
aa) Sorgfaltsanforderungen an den Klauselgegner
bb) Sicherstellung der Privatautonomie
f) Maßstab der Inhaltskontrolle vorformulierter Vertragsbedingungen
g) Konsequenzen für das französische Klauselkontrollsystem
h) Klauselkontrolle in den unterschiedlichen Kategorien des unternehmerischen Geschäftsverkehrs
aa) Einteilung
bb) Verträge des alltäglichen Geschäftsverkehrs
cc) Vertriebs- und Franchiseverträge
dd) Großvolumige Transaktionen
i) Resümee
IV. Ergebnis
1. Grundlegender Befund
2. Konsequenzen de lege lata
3. Konsequenzen de lege ferenda
Schrifttumsverzeichnis
Stichwortverzeichnis

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Rechtsvergleichung und Rechtsvereinheitlichung herausgegeben von der

Gesellschaft für Rechtsvergleichung e.V.

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Christian Lebrecht

Richterliche Vertragsgerechtigkeitskontrolle im unternehmerischen Geschäftsverkehr Eine Studie zum französischen und zum deutschen Recht

Mohr Siebeck

Christian Lebrecht, geboren 1988; Studium der Rechtswissenschaften in Mainz und D ­ ijon (Frankreich); 2011 Maitrise en droit; Juristischer Vorbereitungsdienst in Mainz und Frankfurt a. M.; 2019 Promotion; Rechtsanwalt in Frankfurt a. M.

Gedruckt mit Unterstützung der Johanna und Fritz Buch-Gedächtnisstiftung, Hamburg. D 77 ISBN 978-3-16-159048-1 / eISBN 978-3-16-159049-8 DOI 10.1628/978-3-16-159049-8 ISSN 1861-5449 / eISSN 2569-426X (Rechtsvergleichung und Rechtsvereinheitlichung) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Natio­nal­ bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2020 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außer­halb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen aus der Times New Roman gesetzt, auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und gebunden. Printed in Germany.

Meinem Sohn Oliver

Vorwort Die vorliegende Abhandlung wurde im Frühjahr 2019 von der Universität Mainz als Dissertation angenommen. Die mündliche Prüfung erfolgte im Mai 2019. Mein besonderer und aufrichtiger Dank gilt zuvörderst meinem verehrten Doktorvater Herrn Professor Dr. Urs Gruber. Er hat diese Arbeit nicht nur durch seine stetige Gesprächsbereitschaft sowie seinen hilfreichen fachlichen Rat op­ timal gefördert und betreut, sondern hat mir auch die promotionsbegleitende Stelle als Lehrkraft für französisches Recht vermittelt. Herrn Professor Dr. Peter Huber bin ich für das rasch erstellte Zweitgutachten sehr verbunden. Bedanken möchte ich mich zudem bei der Johanna und Fritz Buch Gedächtnis-Stiftung, Hamburg, die die Veröffentlichung dieser Arbeit großzügig mit ­einem Druckkostenzuschuss unterstützt hat. Von ganzem Herzen bedanke ich mich bei meiner Frau und meiner Familie, die mir jederzeit geduldig den Rücken gestärkt haben. Ohne eure persönliche Unterstützung hätte die Dissertationsschrift so nicht realisiert werden können. Mein herzlicher Dank gilt schließlich meinen Kolleginnen und Kollegen des Studienbüros und Dekanats des Fachbereichs Rechts- und Wirtschaftswissenschaften. Ihnen ist es zu verdanken, dass ich meine Promotionszeit trotz aller Herausforderungen als besonders schöne Zeit in Erinnerung behalten werde. Mainz, im Januar 2020

Christian Lebrecht

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 I. Problemstellung und Zielsetzung der Arbeit . . . . . . . . . . . . 1 II. Gegenstand der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 1. Kernfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 2. Schutz der unterlegenen Vertragspartei . . . . . . . . . . . . . 5 3. Rechtsökonomische Steuerungsinteressen . . . . . . . . . . . . 6 4. Normative Präzisierung und Abgrenzung der Untersuchung . . 7

A. Das französische Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 I. Herangehensweise der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . 9 II. Die richterlichen Kontrolltatbestände im Überblick . . . . . . . . 9 1. Schutz der abhängigen Vertragspartei nach Art.  1143 C. civ. . . 9 2. Die Kodifikation der Seriositätsfunktion der cause in Art.  1169 C. civ. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 3. Das für sämtliche Verträge geltende Klauselverbot in Art.  1170 C. civ. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 4. Das für sog. contrats d’adhésion geltende Verbot von Klauseln, die ein „erhebliches Ungleichgewicht“ erzeugen . . . . . . . . 12 a) Art. L. 212-1 Abs.  1 C.  con. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 b) Art. L. 442-1 I Nr.  2 C.  com. . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 c) Art.  1171 C. civ. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 d) Konkurrenz der einzelnen Klauselwirksamkeitstatbestände . 14 5. Keine richterliche Vertragskontrolle nach dem allgemeinen Grundsatz des guten Glaubens gem. Art.  1104 Abs.  1 C. civ. . . 15 III. Die französische Schuldrechtsreform . . . . . . . . . . . . . . . . 16 1. Die Beharrlichkeit der vertrags- und schuldrechtlichen Bestimmungen des C. civ. von 1804 . . . . . . . . . . . . . . . 16 a) Der Bedeutungsverlust der „französischen Zivilverfassung“ . 16 b) Gründe für die Untätigkeit des Gesetzgebers . . . . . . . . . 17

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Inhaltsverzeichnis

c) Auslöser des Paradigmenwechsels . . . . . . . . . . . . . . 18 aa) Der Zusammenbruch der kommunistischen Systeme . . 18 bb) Die Verwirklichung eines einheitlichen europäischen Zivilrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 2. Inspirationsquellen der Schuldrechtsreform . . . . . . . . . . . 20 a) Die europäischen Rechtsvereinheitlichungsvorhaben . . . . 20 b) Avant-projet Catala . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 c) Avant-projet Terré . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 d) Weitere Strömungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 e) Der Gesetzentwurf des Justizministeriums . . . . . . . . . . 23 3. Die Modernisierung des Schuld- und Vertragsrechts im Wege einer gesetzesvertretenden Verordnung . . . . . . . . 24 4. Ziele der Schuldrechtsreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 a) Vorgaben und Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 b) Förderung der Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . 27 c) Steigerung der Attraktivität des französischen Rechts . . . . 29 d) Ausbau der Vertragsgerechtigkeitsmechanismen . . . . . . . 30 5. Die strukturelle Modernisierung des Schuldrechts . . . . . . . . 31 a) Der Modernisierungsauftrag im kompetenzübertragenden Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 b) Die klassische Konzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 c) Überwindung des systematischen Defizits . . . . . . . . . . 32 6. Auslegung des Vertrags- und Schuldrechts des C. civ. . . . . . . 34 a) Klassische Auslegungsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . 34 b) Auslegung der aus der Reform hervorgegangenen Bestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 c) Die kritische Zunahme unbestimmter Rechtsbegriffe . . . . 34 d) Der Einsatz einschränkender Adjektive und Adverbien . . . 35 e) Gesetzesauslegung anhand ergänzender Materialien . . . . . 36 IV. Die vertragsfreiheitliche Konzeption des französischen Zivilrechts 37 1. Der Rang der Privatautonomie im C. civ. von 1804 . . . . . . . 37 2. Dogmenwechsel im Zeitalter der Industrialisierung . . . . . . . 38 3. Kodifikation der richterlichen Kontrollbefugnisse . . . . . . . . 39 4. Der Stellenwert der Vertragsfreiheit nach der Reform . . . . . . 40 V. Richterliche Kontrolle ungerechter Verträge und Klauseln . . . . . 41 1. Vertragswirksamkeitskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 a) Schutz der abhängigen Vertragspartei nach Art.  1143 C. civ. . 41 aa) Rechtslage vor der Reform . . . . . . . . . . . . . . . . 41 (1) Potenzielle Anknüpfungspunkte im C. civ. . . . . . . 41

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XI

(a) Der Willensmangel der violence . . . . . . . . . 41 (aa) Normative Anknüpfungspunkte . . . . . . . 41 (bb) Diskussionen im Schrifttum . . . . . . . . . 42 (cc) Die Rechtsprechung der Cour de cassation . 43 (dd) Die gesetzgeberischen Aktivitäten zum Schutz der unterlegenen Vertragspartei . . . . . . . 44 (b) Das Rechtsinstitut der lésion . . . . . . . . . . . 45 (aa) Normative Vorgaben . . . . . . . . . . . . . 45 (bb) Diskussionen im Schrifttum um den Regelungszweck . . . . . . . . . . . . . . . 46 (cc) Der Standpunkt der Cour de cassation . . . . 48 (dd) Konsequenzen für die dogmatische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 (ee) Die Bedeutung der lésion im reformierten Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 (c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 (2) Die Entwicklung der Rechtsprechung . . . . . . . . 51 (a) Instanzgerichtliche Anknüpfung an die violence . 51 (b) Höchstrichterliche Anknüpfung an die violence . 52 (c) Das Larousse-Bordas-Urteil vom 03.04.2002 . . 53 (d) Die missbräuchliche Ausnutzung einer Zwangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 (e) Die wirtschaftliche Abhängigkeit . . . . . . . . . 57 (aa) Das unscharfe Kriterium der finanziellen Schwierigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . 57 (bb) Das Kriterium des alternativen Vertragspartners . . . . . . . . . . . . . . . 58 (f) Die Erlangung eines übermäßigen Vorteils . . . . 60 (g) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 bb) Die Entwicklung des gesetzlichen Tatbestands . . . . . . 61 (1) Die zur Verfügung stehenden strukturellen Eingliederungsoptionen . . . . . . . . . . . . . . . . 61 (2) Die inhaltliche Ausgestaltung der Tatbestandsvoraussetzungen im Vorentwurf . . . . . . . . . . . 62 (3) Kritische Reaktionen im Schrifttum . . . . . . . . . 63 (4) Die Korrekturen der Tatbestandsvoraussetzungen in der gesetzesvertretenden Verordnung . . . . . . . 64 cc) Die Übertragbarkeit der Rechtsprechung zur violence économique auf Art.  1143 C. civ. . . . . . . . . 65

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(1) Anforderungen an die missbräuchliche Ausnutzung der Abhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 (a) Literaturstimmen für eine von der Rechtsprechung unabhängige Auslegung . . . . . . . . . . . . . . 65 (b) Argumente für die Übertragbarkeit der bisherigen Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 (c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 (2) Besonderheiten bei der Ermittlung des „offensichtlich überzogenen Vorteils“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 (a) Wortlautverwandtschaft mit dem Verbraucherschutzrecht . . . . . . . . . . . . . . 69 (b) Rechtsprechung zur violence économique . . . . 70 (c) Autonome Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . 70 dd) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 ee) Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 b) Funktionserhaltung der objektiven cause in Art.  1169 C. civ. . 73 aa) Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 bb) Der formelle Verzicht auf den Begriff der cause im reformierten Vertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . 73 cc) Rechtspolitischer Hintergrund der formellen Streichung der cause . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 dd) Rechtsdogmatischer Fortbestand der cause-Lehre in den neuen Bestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 ee) Die Surrogate der cause in der gesetzesvertretenden Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 (1) Art.  1128 C. civ. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 (2) Die Legalitätsfunktion der cause . . . . . . . . . . . 77 (3) Die Seriositätsfunktion der cause . . . . . . . . . . . 77 ff) Die Entwicklung der Lehre von der cause bis zum Inkrafttreten des C. civ. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 (1) Das römische Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 (2) Konflikt zwischen Glossatoren und Kanonisten . . . 79 (3) Die causa finalis nach Baldus de Ubaldis . . . . . . 80 (4) Versubjektivierung der cause durch Dumoulin . . . . 80 (5) Die objektive Konzeption der cause nach Domat . . 81 (6) Die doppelfunktionale Anschauung Pothiers . . . . . 82 (7) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 gg) Die Entwicklung der causa-Lehre nach dem Inkrafttreten des C. civ. von 1804 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 (1) Die gesetzliche Ausgangslage . . . . . . . . . . . . 83

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(2) Die klassische Theorie der cause . . . . . . . . . . . 85 (a) Die anfängliche Gleichstellung von Motiv und cause . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 (b) Der spätere Versuch einer Differenzierung zwischen Motiv und cause . . . . . . . . . . . . 86 (3) Die Kritik an der klassischen Theorie der cause . . . 89 (4) Die dualistische Konzeption der cause . . . . . . . . 90 (a) Die Anerkennung durch Capitant . . . . . . . . . 90 (b) Bestätigung durch die Cour de cassation . . . . . 91 (5) Die Versubjektivierung der cause de l’obligation durch die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . 92 (a) Die tatsachengerichtliche Rechtsprechung . . . . 92 (b) Das erste Videoverleih-Urteil der Cour de cassation . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 (c) Kritik in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . 93 (d) Rechtsprechungsentwicklung der Cour de cassation bis zum Inkrafttreten der Reform . . . . . . . . . 94 (e) Zusammenfassende Würdigung . . . . . . . . . . 97 (6) Die Ablehnung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung im Namen der cause . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 (a) Ansatzpunkte einer Verhältnismäßigkeitsprüfung in Lehre und Rechtsprechung . . . . . . . . . . . 98 (b) Die Gewährung eines Minimalschutzes als hinreichendes Seriositätskriterium . . . . . . . . 99 (c) Bestätigung durch die Rechtsprechung . . . . . . 100 (7) Die Besonderheiten der Getränkelieferungsrechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 (a) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 (b) Das Getränkelieferungsurteil vom 14.10.1997 . . 102 (c) Bestätigung im zweiten Getränkelieferungsurteil 103 (d) Kritische Auseinandersetzung im Schrifttum . . . 103 (e) Das dritte Getränkelieferungsurteil . . . . . . . . 104 (f) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 hh) Auslegung der „contrepartie convenue“ i. S. d. Art.  1169 C. civ. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 (1) Auslegungsoptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 (2) Die Wortlautauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . 106 (3) Die systematische Auslegung . . . . . . . . . . . . . 107 (4) Die historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . 108 (5) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110

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ii) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 2. Klauselwirksamkeitskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 a) Die klassische Klauselkontrolle nach Art.  1170 C. civ. . . . . 112 aa) Regelungszweck im System des reformierten C. civ. . . . 112 bb) Die Entwicklung der cause zu einem Instrument der Klauselkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 (1) Verbraucherschutzrechtlicher Hintergrund . . . . . . 113 (2) Bestätigung der Seriositätsfunktion der cause in der Haftpflichtversicherungsrechtsprechung . . . . 113 (3) Ausdehnung der klauselspezifischen Wirksamkeitskontrolle auf die Wertstellungsklauseln der Banken . 115 (4) Kritische Würdigung und Zwischenergebnis . . . . . 116 (5) Das Chronopost-Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . 116 (6) Bestätigung der Versubjektivierung der cause de l’obligation . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 (7) Rechtsgeschichtliche Einordnung . . . . . . . . . . 119 (8) Die Entwicklung der Rechtsprechung nach dem Chronopost-Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 (a) Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 (b) Der verletzungsspezifische Lösungsansatz . . . . 121 (aa) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . 121 (bb) Rechtsdogmatische Einordnung und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 (c) Der inhaltsbezogene Lösungsansatz . . . . . . . 123 (aa) Das EDF-Urteil . . . . . . . . . . . . . . . 123 (bb) Das Wartungsvertrags-Urteil . . . . . . . . . 124 (cc) Das Restaurant-Urteil . . . . . . . . . . . . 124 (dd) Das Faurecia-Urteil der CA Paris . . . . . . 125 (ee) Das zweite Faurecia-Urteil der Cour de cassation . . . . . . . . . . . . . . 126 (ff) Nach dem zweiten Faurecia-Urteil ergangene Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . 127 (9) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 cc) Charakteristiken der Inhaltskontrolle nach Art.  1170 C. civ. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 (1) Gesetzgeberische Positionierung und Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 (2) Qualifikationsmerkmale einer „wesentlichen Vertragspflicht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130

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(3) Anforderungen an die „substanzentziehende“ Wirkung einer Klausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 dd) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 b) Das Verbot von Klauseln, die in einem contrat d’adhésion ein „erhebliches Ungleichgewicht“ erzeugen . . . . . . . . . 135 aa) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 bb) Die Kodifikation des contrat d’adhésion im französischen Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 135 cc) Saleilles Entwicklung eines neuen Vertragstyps der Industrialisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 dd) Die Diskussionen um die Rechtsnatur des contrat d’adhésion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 ee) Die Qualifikationskriterien des contrat d’adhésion . . . 139 ff) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 gg) Die verbraucherschützende Klauselkontrolle nach Art. L. 212-1 C.  con. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 (1) Die Entstehung und Entwicklung des gesetzlichen Tatbestands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 (2) Die personelle Schutzlücke des Verbraucherschutzrechts . . . . . . . . . . . . . . . 142 (3) Der umfassende materielle Geltungsbereich . . . . . 145 (4) Der erleichterte Nachweis eines erheblichen Ungleichgewichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 hh) Die unternehmerschützende Klauselkontrolle nach Art. L. 442-1 I Nr.  2 C.  com. . . . . . . . . . . . . 147 (1) Entstehungshintergrund und Funktion des gesetzlichen Tatbestands . . . . . . . . . . . . . . . 147 (2) Der eingeschränkte persönliche Anwendungsbereich 149 (3) Anforderungen an die „Unterwerfung“ . . . . . . . . 151 (4) Das „erhebliche Ungleichgewicht“ in Art. L. 442-1 I Nr.  2 C.  com. . . . . . . . . . . . . 154 (5) Die Ansicht des Conseil constitutionnel . . . . . . . 154 (6) Reaktionen in der Lehre und Zivilrechtsprechung . . 155 (a) Kontrolle akzessorischer Klauseln . . . . . . . . 155 (b) Globalbetrachtung oder Einzelbetrachtung . . . . 157 (c) Bestimmung des „erheblichen Ungleichgewichts“ 158 ii) Die allgemeine Klauselkontrolle nach Art.  1171 C. civ. . 160 (1) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 (2) Vom Gesetzentwurf (2015) zur gesetzesvertretenden Verordnung (2016) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160

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(3) Von der gesetzesvertretenden Verordnung (2016) zum Zustimmungsgesetz (2018) . . . . . . . . . . . 162 (4) Die Ermittlung des Regelungszwecks und Geltungsbereichs der besonderen Bestimmungen zum contrat d’adhésion . . . . . . . . . . . . . . . . 163 (a) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 (b) Die conditions générales in der Definition der gesetzesvertretenden Verordnung . . . . . . . . . 164 (c) Vertragsverhandlungen als wesensprägende Tatbestandsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . 166 (aa) Wirtschaftliche Überlegenheit des Verwenders . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 (bb) Intellektuelle Überlegenheit des Verwenders 167 (cc) Irrelevanz der subjektiven Schutzbedürftigkeit des Klauselgegners . . . . . . . . . . . . . 168 (dd) Korrektur des Normwortlauts durch das Zustimmungsgesetz . . . . . . . . . . . . . 169 (d) Die Abgrenzung des contrat d’adhésion vom contrat de gré à gré . . . . . . . . . . . . . . . . 169 (5) Das Erfordernis eines „erheblichen Ungleichgewichts“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 (a) Auslegungshinweise im begleitenden Bericht an den Präsidenten . . . . . . . . . . . . . . . . 170 (b) Reaktionen im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . 171 (c) Mögliche Kriterien bei der Ermittlung des „erheblichen Ungleichgewichts“ nach Art.  1171 C. civ. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 (aa) Die Anforderungen an das „erhebliche Ungleichgewicht“ . . . . . . . . . . . . . . 172 (bb) Das Verhältnis der zu untersuchenden Klausel zu den übrigen Vertragsbestimmungen . . . 172 jj) Konkurrenz von Art.  1171 C. civ. zu den spezialgesetzlichen Bestimmungen . . . . . . . . . . . . 173 (1) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 (2) Der lex specialis-Grundsatz in Art.  1105 C. civ. . . . 174 (3) Extensive Auslegung der lex specialis-Regel . . . . . 174 (4) Restriktive Auslegung der lex specialis-Regel . . . . 175 (5) Vermittelnde Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 (a) Maßgeblichkeit der Rechtsfolgeninkompatibilität 175 (b) Art. L. 212-1 C.  con. . . . . . . . . . . . . . . . 176

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(c) Art. L. 442-1 I Nr.  2 C.  com. . . . . . . . . . . . 178 kk) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 VI. Richterliche Vertragskontrolle unter Rückgriff auf den guten Glauben? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 2. Die klassische Konzeption der bonne foi . . . . . . . . . . . . 180 3. Die sachliche Aufladung des guten Glaubens . . . . . . . . . . 181 4. Die zeitliche Ausdehnung des Geltungsbereichs . . . . . . . . . 182 5. Das einschränkende Grundsatzurteil Les Maréchaux . . . . . . 183 6. Zwischenergebnis zur bisherigen Rechtslage . . . . . . . . . . 185 7. Die Modernisierung der allgemeinen Vertragsrechtsprinzipien . 185 a) Die Kodifikation „einleitender Bestimmungen“ . . . . . . . 185 b) Die modernisierte Konzeption des guten Glaubens . . . . . . 186 aa) Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 bb) Argumente für eine sachliche Intensivierung . . . . . . 186 cc) Argumente gegen eine sachliche Intensivierung . . . . . 187 (1) Vom „Leitprinzip“ zur bloßen „einleitenden Bestimmung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 (2) Schutz der Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . 189 8. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 VII. Fazit zum französischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191

B. Das deutsche Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 I. Die wirtschaftsliberale Konzeption des BGB . . . . . . . . . . . . 193 II. Verfassungsrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 1. Grundsatz der Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 2. Ausnahme bei unausgeglichenem Kräfteverhältnis . . . . . . . 194 3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . 194 4. Kontrollmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 a) Gravierende Paritätsstörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 b) Ungerechtes Verhandlungsergebnis . . . . . . . . . . . . . . 196 5. Einfachgesetzliche Anknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 III. Perspektive des Schrifttums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 1. Relevanz des Aspekts der Vertragsgerechtigkeit . . . . . . . . . 197 2. Flumes Selbstbestimmungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . 197 3. Wolfs Theorie von der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197

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4. Schmidt-Rimplers Theorie der Richtigkeitsgewähr . . . . . . . 198 a) Abkehr von den nationalsozialistischen Lehren . . . . . . . 198 b) Kennzeichen eines richtigen Vertrages . . . . . . . . . . . . 199 c) Mittel zur Gewährleistung eines richtigen Vertrages . . . . . 199 d) Funktionsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 e) Vorrang der Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 V. Unwirksamkeit sittenwidriger Verträge . . . . . . . . . . . . . . . 203 1. „Einfallstor“ verfassungsrechtlicher Wertungen . . . . . . . . . 203 2. Die guten Sitten als Vertragsgerechtigkeitsmaßstab . . . . . . . 203 3. Der Schutz vor Äquivalenzstörungen infolge gestörter Vertragsparität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 4. Wucher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 a) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 b) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 c) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 aa) Gleichbehandlung intellektueller und wirtschaftlicher Paritätsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 bb) Unterlegenheit kraft Beeinträchtigung der Entschließungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 (1) Die Erleichterung der Anforderungen an die wirtschaftliche Bedrängnis . . . . . . . . . . . . . . 208 (2) Die Irrelevanz der erheblichen Willensschwäche für den unternehmerischen Geschäftsverkehr . . . . 210 cc) Unterlegenheit kraft beschränkter Entscheidungsfähigkeit 211 (1) Die abstrakte Beurteilung der Unerfahrenheit . . . . 211 (2) Die konkrete Untersuchung des mangelnden Urteilsvermögens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 (3) Exkurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 (a) Konkurrierende Instrumente für den Sonderfall der Fehlinvestition . . . . . . . . . . . . . . . . 213 (b) Eigenschaftsirrtum nach §  119 Abs.  2 BGB . . . 214 (c) Störung der Geschäftsgrundlage nach §  313 Abs.  1, 2 BGB . . . . . . . . . . . . . 214 (d) Zusammenfassende Wertung . . . . . . . . . . . 216 dd) Die Anforderungen an das Bewusstsein des Wucherers . 217 5. Wucherähnliches Rechtsgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . 218 a) Die lückenausfüllende Funktion des wucherähnlichen Rechtsgeschäfts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218

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b) Die Ablehnung der laesio enormis . . . . . . . . . . . . . . 218 c) Das Erfordernis einer „verwerflichen Gesinnung“ . . . . . . 219 d) Die gesteigerte Flexibilität gegenüber dem Wuchertatbestand 221 e) Senkung der subjektiven Erheblichkeitsschwelle . . . . . . . 221 6. Vermutung für das Vorliegen des subjektiven Tatbestands . . . 222 a) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 b) Ausschluss bei gewerblichen Miet- und Pachtverhältnissen . 222 c) Tragweite bei Kreditverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . 223 aa) Auffälliges Missverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . 223 bb) Besonders grobes Missverhältnis . . . . . . . . . . . . . 224 d) Kriterienabhängigkeit der Vermutungsvoraussetzungen . . . 224 aa) Intellektuelle Unterlegenheit . . . . . . . . . . . . . . . 224 (1) Verbraucherverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 (2) Unternehmerverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 bb) Wirtschaftliche Unterlegenheit . . . . . . . . . . . . . . 226 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 e) Die reduzierte Behauptungslast . . . . . . . . . . . . . . . . 227 7. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 VI. Klauselkontrolle des AGB-Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 1. Entstehungsgeschichtlicher Hintergrund . . . . . . . . . . . . . 229 2. Rechtsprechungsentwicklung bis zum Inkrafttreten des AGBG . 229 a) Gesetzliches Defizit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 b) Verdeckte Inhaltskontrolle durch restriktive Auslegung missbräuchlicher Klauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 c) Offene Inhaltskontrolle nach §  138 Abs.  1 BGB . . . . . . . 230 d) Offene Inhaltskontrolle am Maßstab von Treu und Glauben gem. §  242 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 aa) Wandel des Interventionszwecks . . . . . . . . . . . . . 231 bb) Reduktion der Erheblichkeitsschwelle . . . . . . . . . . 232 3. Das AGBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 4. Schutz der „situativ“ unterlegenen Vertragspartei? . . . . . . . 236 5. Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 6. Die Ausdehnung des normativen Geltungsbereichs durch die Rechtsprechung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . 238 a) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 b) Die formellen Definitionsmerkmale des AGB-Begriffs . . . . 238 c) Die materiellen Definitionsmerkmale des AGB-Begriffs . . . 239 aa) Abgrenzungsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 bb) Die Zurechnungsfunktion des „Stellens“ . . . . . . . . . 240

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cc) Die Anforderungen an den Nachweis des „Aushandelns“ 242 (1) Relevanz und Wertungsunterschiede zum contrat d’adhésion . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 (2) Die zwei Stufen des Aushandelns . . . . . . . . . . . 243 (a) Erläuterung des Klauselinhalts . . . . . . . . . . 243 (b) Einflussnahmemöglichkeit des Klauselgegners . . 244 (aa) Unzulänglichkeit der bloßen Aufklärung . . 244 (bb) Aktives Angebot der Verhandlungsbereitschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 (cc) Bereitschaft zur Änderung einzelner Klauseln 245 (dd) Entbehrlichkeit der tatsächlichen Abänderung 245 (ee) Berücksichtigungsfähigkeit der Besonderheiten des unternehmerischen Geschäftsverkehrs? . . . . . . . . . . . . . 247 (ff) Aushandeln durch Anbieten von Alternativvorschlägen? . . . . . . . . . . . 248 (gg) Aushandeln durch Abänderung peripherer Klauseln? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 (hh) Aushandeln durch Gewährung eines Preisnachlasses? . . . . . . . . . . . . . . . 250 aa) Reaktionen in der unternehmerischen Geschäftspraxis . 250 bb) Konsequenzen für den unternehmerischen Geschäftsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 7. Die Inhaltskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 a) Die Bedeutung der Generalklausel . . . . . . . . . . . . . . 252 aa) Gesetzgeberische Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . 252 bb) Höchstrichterliche Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . 253 (1) Die Formel der Rechtsprechung zur unangemessenen Benachteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 (2) Das Erfordernis einer typisierend-generell zu ermittelnden Benachteiligung des Klauselgegners 253 (a) Abgrenzung zur Einzelfallkontrolle . . . . . . . . 253 (b) Vergleichsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . 254 (3) Die berücksichtigungsfähigen Interessen des Verwenders . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 (4) Die Rolle der Verkehrssitte . . . . . . . . . . . . . . 256 (5) Der Abwägungsvorgang . . . . . . . . . . . . . . . 257 b) Die „Regelbeispiele“ für eine unangemessene Benachteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 aa) Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257

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bb) Ausmaß der Vermutungswirkung . . . . . . . . . . . . . 258 cc) §  307 Abs.  2 Nr.  1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 (1) Die Leitbildfunktion des dispositiven Rechts . . . . . 259 (2) Identifikation der Regelungen mit Leitbildcharakter . 259 (3) Das haftungsrechtliche Verschuldensprinzip . . . . . 260 dd) §  307 Abs.  2 Nr.  2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 (1) Das Aushöhlungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . 261 (2) Die „Natur des Vertrages“ . . . . . . . . . . . . . . 262 (3) Die „wesentlichen Rechte und Pflichten“ . . . . . . . 262 (a) Allgemeine Charakteristiken . . . . . . . . . . . 262 (b) Der cheapest cost avoider . . . . . . . . . . . . . 263 (c) Der cheapest insurer . . . . . . . . . . . . . . . 265 (d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 (4) Erfordernis der Vertragszwecksgefährdung . . . . . 267 c) Die Rolle der speziellen Klauselverbote für den unternehmerischen Geschäftsverkehr . . . . . . . . . . . . . 267 d) §  309 Nr.  7 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 aa) Ausmaß des Klauselverbots . . . . . . . . . . . . . . . 269 bb) Geltungsumfang für den unternehmerischen Geschäftsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 (1) Das „Gleichschritt“-Urteil des BGH . . . . . . . . . 270 (2) §  309 Nr.  7 lit.  a BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 (3) §  309 Nr.  7 lit.  b BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 e) Die Kardinalpflichtenrechtsprechung nach §  307 Abs.  2 Nr.  2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 aa) Entstehung und Rechtsgedanke . . . . . . . . . . . . . . 272 bb) Unantastbarkeit des vertragstypischen und vorhersehbaren Schadens . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 cc) Objektiver Maßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 dd) Gestaltungsmöglichkeiten des Verwenders . . . . . . . . 274 ee) Praktische Irrelevanz der sonstigen Haftungsklauseln . . 275 ff) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 f) Relation der zu prüfenden Klausel zum Gesamtvertrag . . . 275 aa) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 bb) Summierungseffekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 cc) Kompensationseffekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 (1) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 (a) Die Vorgaben der Regierung . . . . . . . . . . . 278 (b) Voraussetzungen im Einzelnen . . . . . . . . . . 279

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(aa) Erfordernis eines sachlich zusammenhängenden, angemessenen Ausgleichs . . . 279 (bb) Remissionsrechte der Einzelhändler . . . . . 279 (cc) Die leasingtypische Abtretungskonstruktion 280 (dd) Alternativer Versicherungsschutz . . . . . . 280 (c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 (2) Das „Preisargument“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 (a) Grundsätzliche Irrelevanz . . . . . . . . . . . . . 281 (b) Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 (c) Der Umgang mit dem „Preisargument“ im Faurecia-Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . 282 (3) Kollektiv ausgehandelte Vertragswerke . . . . . . . 283 dd) Zwischenergebnis und Konsequenzen . . . . . . . . . . 285 g) Abweichender Maßstab im unternehmerischen Geschäftsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 8. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 VII. Fazit zum deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289

C. Rechtsvergleichende Zusammenfassung und Bewertung 291 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 II. Vertragsunwirksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 1. Gemeinsamer Regelungsgedanke und Maßstab . . . . . . . . . 291 2. Objektive Vertragsgerechtigkeitskontrolle . . . . . . . . . . . . 292 3. Schutz der wirtschaftlich unterlegenen Vertragspartei . . . . . . 293 a) „Vorsprung“ der deutschen Rechtsordnung . . . . . . . . . . 293 b) Die missbräuchliche Ausbeutung der unterlegenen Verhandlungsposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 c) Anforderungen an den ungerechten Vertragsinhalt . . . . . . 295 4. Schutz der intellektuell unterlegenen Vertragspartei . . . . . . . 295 III. Klauselunwirksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 1. Die Ermittlung des Kontrollzwecks vorformulierter Klauselwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 2. Begrenzte Rationalität als Ursache der einseitigen Vertragsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 3. Fehlender Konditionenwettbewerb als Ursache der eigennützigen Vertragsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . 299 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 5. Rationalisierungsfunktion vorformulierter Vertragsbedingungen 302

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a) Raisers Rationalisierungsgedanke . . . . . . . . . . . . . . 302 b) Verwirklichung des Rationalisierungsgedankens durch das dispositive Vertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 c) Die lückenfüllende Funktion vorformulierter Vertragsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 d) Verhaltenssteuernder Zweck der Kontrolle vorformulierter Vertragsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 aa) Rechtsökonomischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . 305 bb) Gesetzliche Bestätigung der Steuerungsfunktion . . . . . 307 e) Geltungsbereich der Inhaltskontrolle vorformulierter Vertragsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 aa) Sorgfaltsanforderungen an den Klauselgegner . . . . . . 308 bb) Sicherstellung der Privatautonomie . . . . . . . . . . . 309 f) Maßstab der Inhaltskontrolle vorformulierter Vertragsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 g) Konsequenzen für das französische Klauselkontrollsystem . 311 h) Klauselkontrolle in den unterschiedlichen Kategorien des unternehmerischen Geschäftsverkehrs . . . . . . . . . . 313 aa) Einteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 bb) Verträge des alltäglichen Geschäftsverkehrs . . . . . . . 313 cc) Vertriebs- und Franchiseverträge . . . . . . . . . . . . . 315 dd) Großvolumige Transaktionen . . . . . . . . . . . . . . . 316 i) Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 1. Grundlegender Befund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 2. Konsequenzen de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 3. Konsequenzen de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322

Schrifttumsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345

Abkürzungen a. A. anderer Ansicht a. a. O. am angegebenen Ort a. F. alte Fassung AGB Allgemeine Geschäftsbedingungen AGBG Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen AJC Actualité Juridique Contrat AJCA Actualité Juridique Contrats d’Affaires AJDI Actualité juridique Droit immobilier al. alinéa Anm. Anmerkung A.P. Assemblée Plénière BB Betriebs-Berater BGBl. Bundesgesetzblatt BGH Bundesgerichtshof BGHZ Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen BJS Bulletin Joly Sociétés BKR Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht BT-Drucks. Bundestags-Drucksache BVerfG Bundesverfassungsgericht CA Cour d’appel C. ass. Code des assurances Cass. civ. Cour de cassation, Chambre civile Cass. civ. 1re Cour de cassation, 1re Chambre civile e Cass. civ. 2 Cour de cassation, 2e Chambre civile Cass. civ. 3e Cour de cassation, 3e Chambre civile Cass. com. Cour de cassation, Chambre commerciale Cass. req. Cour de cassation, Chambre des requêtes CCC Contrats Concurrence Consommation (LexisNexis) C. civ. Code civil C. com. Code de commerce C. con. Code de la consommation CE Conseil d’État C. mon. fin. Code monétaire et financier COJ Code de l’organisation judiciaire Cons. const. Conseil constitutionnel Const. Constitution C. pén. Code pénal D. Recueil Dalloz

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Abkürzungen

D. A. Recueil Dalloz Analytique DCFR Draft Common Frame of Reference DH Recueil hebdomadaire de jurisprudence Dalloz DJT Deutscher Juristentag D. P. Recueil Dalloz Periodique et Critique Dr. et patr. Droit & Patrimoine EnWZ Zeitschrift für das gesamte Recht der Energiewirtschaft Gaz. pal. Gazette du Palais GEKR Gemeinsames Europäisches Kaufrecht GG Grundgesetz h. M. herrschende Meinung i. S. d. im Sinne der/des i. V. m. in Verbindung mit JCP E Juris-Classeur périodique (La Semaine Juridique) – Édition entreprise JCP G Juris-Classeur périodique (La Semaine Juridique) – Édition générale JCP N Juris-Classeur périodique (La Semaine Juridique) – Édition notariale JORF Journal officiel de la République Française LEDC L’ESSENTIEL Droit des Contrats (Lextenso) LPA Les Petites Affiches (Lextenso) MMR Multimedia und Recht m. w. N. mit weiteren Nachweisen n. F. neue Fassung NJW Neue Juristische Wochenschrift NZBau Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht NZM Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnungsrecht RabelsZ Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht RB Revue Banque RDC Revue des contrats (Lextenso) RDBB Revue de droit bancaire et de la bourse RDI Revue de droit immobilier (Dalloz) RDSS Revue de droit sanitaire et social RegBegr. Regierungsbegründung RFDA Revue française de droit administratif RGDA Revue générale du droit des assurances RID comp. Revue internationale de droit comparé RJ com. Revue de jurisprudence commerciale RJDA Revue de jurisprudence de droit des affaires (Francis Lefebvre) RLDC Revue Lamy droit civil RTD civ. Revue trimestrielle de droit civil (Dalloz) RTD com. Revue trimestrielle de droit commercial (Dalloz) SchiedsVZ Zeitschrift für Schiedsverfahren TranspR Transportrecht UKlaG Unterlassungsklagengesetz Var. Variante VersR Zeitschrift Versicherungsrecht WM Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht ZEuP Zeitschrift für Europäisches Privatrecht ZVertriebsR Zeitschrift für Vertriebsrecht

Einleitung I.  Problemstellung und Zielsetzung der Arbeit Noch bis in die jüngere Vergangenheit wurde die legislative Etablierung von Vertragsgerechtigkeitsmechanismen im unternehmerischen Geschäftsverkehr nahezu kategorisch abgelehnt. Die dahinterstehende Überzeugung geht auf die Lehren der klassischen Nationalökonomie zurück. So forderte der bekannteste Vertreter dieser Strömung, Adam Smith, beeinflusst von den liberalistischen An­ schauungen John Lockes, dass die Wirtschaft als ein sich selbst regulierendes System dem freien Spiel der Kräfte überlassen bleiben müsse.1 Mit der Industrialisierung wurde sodann die Wende eingeleitet, als sich allmäh­ lich abzeichnete, dass der aufblühende Massenverkehr in einem marktliberalen System nicht uneingeschränkt zur postulierten Steigerung des Gemeinwohls bei­ trug.2 In Anbetracht der zunehmenden „einseitigen Machtlagen“3 konnten die den liberalen Lehren zugrunde liegenden Prinzipien nicht für sämtliche Verträge glei­ chermaßen Geltung beanspruchen.4 Die als Ursache festgemachten Dispa­ritä­ten zwischen den Marktteilnehmern konnten jedoch mit einer für ein gesetzgeberi­ sches Einschreiten hinreichenden Typizität zunächst nur vereinzelt für bestimm­ te Vertragstypen wie insbesondere Arbeitsverträge, Mietverträge und später all­ gemein in der Unternehmer-Verbraucher-Relation anerkannt werden.5 Demge­ genüber wurden für den Rechtsverkehr zwischen Unternehmern keine besonderen Maßnahmen gefordert, auch wenn er als eigenständige Kategorie des Privatrechts anerkannt und entsprechend als Sonderprivatrecht klassifiziert wurde. Raiser plädierte etwa für eine Gliederung des Privatrechts in vier Funktions­ bereiche unter Berücksichtigung des Grads ihrer „Privatheit oder Öffentlich­ Hönn, Kompensation, S.  10; kritisch über einen etwaigen Zusammenhang zwischen den klassischen ökonomischen Lehren und der damaligen Vertragsrechtskonzeption Hofer, Frei­ heit, S.  3 f. 2  Raiser, Die Zukunft des Privatrechts, S.  25 f. 3  Flume, Rechtsgeschäft, S.  16. 4  Hönn, Kompensation, S.  6; Wolf, Entscheidungsfreiheit, S.  9 f. 5  Flume, Rechtsgeschäft, S.  16; Hönn, Kompensation, S.  8; Raiser, Die Zukunft des Privat­ rechts, S.  11, 31 f.; Wolf, Entscheidungsfreiheit, S.  10; Nicklisch, BB 1974, 941 943. 1 

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Einleitung

keit“6 Er erkannte zwar auch für den Wirtschaftsverkehr das Bedürfnis staatli­ cher Intervention, sah diesem jedoch insbesondere mit den Sicherungsmitteln des GWB genüge getan.7 Auch Reich, der das Zivilrecht in den Rechtsverkehr zwischen Unternehmen (Unternehmensrecht), den Warenaustausch zwischen Unternehmen und Endverbrauchern (Verbraucherrecht) sowie den privaten Rechtsverkehr zwischen Bürgern (Bürgerrecht) unterteilte, sah im Unterneh­ mensrecht keinen Handlungsbedarf, weil hier „das zivilrechtliche Freiheits- und Autonomiepostulat“ nicht prinzipiell angegriffen werde. Vielmehr seien die zi­ vilrechtlichen Generalklauseln sowie das Kartellrecht als Kontrollinstrumente im Einzelfall ausreichend.8 Erst mit der im Zuge der Globalisierung wachsenden Zahl von Großkonzer­ nen, die kleineren Unternehmen in Gestalt von Franchiseverträgen, Vertriebsver­ trägen, Subunternehmerverträgen und ähnlichen Vertragstypen des modernen Wirtschaftsverkehrs ihre eigenen Gesetze diktierten, rückte auch der Schutz des unterlegenen Unternehmers in den Fokus der politischen und rechtswissen­ schaftlichen Diskussionen.9 In diesem Kontext wurde der Anwendungsbereich des AGBG, das in Deutschland im Jahre 1978 in Kraft trat, bewusst nicht auf Verbraucherverträge beschränkt, sondern vielmehr auch auf den Rechtsverkehr zwischen Unternehmern erstreckt. Mit der französischen Schuldrechtsreform soll nun im französischen C. civ. eine vergleichbare allgemeine Klauselkontrolle in contrats d’adhésion einge­ führt werden, die nicht nur Verbrauchern, sondern vor allem auch Unternehmern zugutekommen soll. Im Unterschied zu den deutschen und französischen Bestimmungen des Ver­ braucherschutzrechts, die seit Mitte der 1970er Jahre in Umsetzung unionsrecht­ licher Vorgaben weitestgehend einander angeglichen wurden, fehlen auf dem Gebiet des unternehmerischen Geschäftsverkehrs europarechtlich oder gar inter­ national anerkannte Leitprinzipien und Bewertungsmaßstäbe.10 Vielmehr handelt es sich hierbei um einen im Einzelnen umstrittenen Bereich, der wegen der aus rechtshistorischen Gründen verschiedenartig gewachsenen Herangehensweisen sowie der Vielfältigkeit der als schutzwürdig einzustufenden Fallgestaltungen in 6  Es handelte sich hierbei mit zunehmendem öffentlichen Charakter der jeweiligen Rechts­ beziehungen um Verträge der privaten Lebenssphäre, Verträge, in denen Individualinteressen den typisierten Gruppeninteressen zu weichen haben (insbesondere Miet-, Arbeits- oder Ver­ braucherverträge), Verträge des Wirtschaftsverkehrs und schließlich das Recht der Großorgani­ sa­tionen, vgl. Raiser, Die Zukunft des Privatrechts, S.  29. 7  Raiser, Die Zukunft des Privatrechts, S.  29. 8  Reich, ZRP 1974, 187, 188. 9  Bergmann, Die Rechtsfolgen des ungerechten Vertrages, S.  19; Mogendorf, Der struktu­ rell unterlegene Unternehmer, S.  2; Nicklisch, BB 1974, 941, 946. 10 Kritisch Lehmann, ZEuP 2017, 217.

I.  Problemstellung und Zielsetzung der Arbeit

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den einzelnen Rechtsordnungen unterschiedlich geregelt wird und dogmatisch noch nicht vollkommen erschlossen ist.11 Auf internationalem Parkett verdeut­ licht dies nicht zuletzt Art.  4 S.  2 lit.  a CISG, wonach „die Gültigkeit des Vertra­ ges oder einzelner Vertragsbestimmungen“ und damit insbesondere die Konse­ quenzen gestörter Vertragsparität sowie die Inhaltskontrolle des AGB-Rechts ausdrücklich aus dem Anwendungsbereich des für den internationalen Warenkauf geltenden und global anerkannten UN-Kaufrechts ausgeklammert wird.12 Der französische Präsident Emmanuel Macron hat sich in seiner europapoliti­ schen Grundsatzrede am 26.09.2017 an der Sorbonne für eine vollkommene Ver­ einheitlichung der deutschen und französischen Märkte im Wege einer umfas­ senden Vereinheitlichung des Wirtschaftsrechts ausgesprochen („Pourquoi ne pas se donner d’ici à 2024 l’objectif d’intégrer totalement nos marchés en appli­ quant les mêmes règles à nos entreprises, du droit des affaires au droit des failli­ tes?“).13 Dieses Ansinnen stieß bei der im Jahr 2018 vereidigten Koalitionsregie­ rung in Deutschland auf positive Resonanz. Die Regierungsparteien einigten sich im Koalitionsvertrag darauf, „mit Frankreich konkrete Schritte zur Verwirk­ lichung eines deutsch-französischen Wirtschaftsraums mit einheitlichen Rege­ lungen vor allem im Bereich des Unternehmens- und Konkursrechts“ zu verein­ baren.14 Dies ebnete den Weg für die Unterzeichnung des Aachener Vertrags vom 22.01.2019. Nach Art.  20 Abs.  1 S.  1 dieser Neuauflage des weiter in Kraft blei­ benden Élysée-Vertrags „vertiefen beide Staaten die Integration ihrer Volkswirt­ schaften hin zu einem deutsch-französischen Wirtschaftsraum mit gemeinsamen Regeln“. Die angestrebte Verwirklichung eines solchen Wirtschaftsraums ließe sich durchaus zum Anlass nehmen, auch einheitliche Maßstäbe für die Vertragsund Klauselwirksamkeitskontrolle im deutsch-französischen Handelsverkehr zu erarbeiten. Das Bedürfnis für einheitliche Standards wird deutlich, wenn man sich die „Regressfalle“ vergegenwärtigt, die einem deutschen Unternehmer droht, wenn ihm sein nationales Recht geringere Spielräume bei der Gestaltung von Haftungsklauseln zubilligt als das französische Recht. So kann eine Rechts­ lagendivergenz dazu führen, dass ein deutsches Unternehmen, das von einem französischen Lieferanten Waren aus Frankreich importiert und der Vertrag kraft 11  Vgl. schon Raiser, Die Zukunft des Privatrechts, S.  11 („Schwieriger liegen die Dinge beim Wirtschaftsrecht, das dem Gegenstand nach weniger klare Konturen aufweist als das Ar­ beitsrecht und sich schon darum dem Zugriff des Systematikers leicht entzieht.“). 12  OLG Saarbrücken, SchiedsVZ 2012, 47, 51; MünchKomm-HGB/Mankowski, CISG, Art.  4 Rn.  5 f.; Staudinger/Hausmann, Rom I-VO, Art.  10 Rn.  8a; Conrads, Internationales Kaufrecht, S.  27 f. 13  Lehmann, GPR 2017, 262; Lehmann/Schmidt/Schulze, ZRP 2017, 225. 14  Kapitel VI. „Erfolgreiche Wirtschaft für den Wohlstand von morgen“ des Koalitionsver­ trages CDU/CSU und SPD vom 07.02.2018, S.  55.

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Einleitung

Parteivereinbarung gem. Art.  3 Rom-I-VO oder nach den Grundsätzen des Art.  4 Rom-I-VO französischem Recht unterworfen ist, dadurch benachteiligt wird, dass der französische Lieferant seine Haftung gegenüber dem deutschen Impor­ teur in einem Umfang beschränken darf, der in der Rechtsbeziehung zwischen dem deutschen Unternehmen und seinem inländischen Kunden nicht möglich ist. Dies kann dazu führen, dass der deutsche Importeur letztverantwortlich gegen­ über seinen Kunden auch für solche Umstände haftet, die eindeutig seinem fran­ zösischen Lieferanten zuzurechnen sind.15 Das politische Ziel der Schaffung eines deutsch-französischen Wirtschafts­ raums wird zudem vom weitaus ambitionierteren Bestreben der französischen Association Henri Capitant begleitet, im Lichte des UCC (Uniform Commercial Code) in den USA sowie der das Handelsrecht vereinheitlichenden Einheitsge­ setze der Mitgliedstaaten der OHADA (Organisation pour l’Harmonisation en Afrique du Droit des Affaires) in Afrika zwecks Stärkung der wirtschaftlichen Integration innerhalb des europäischen Binnenmarkts ein für den europäischen Raum geltendes Wirtschaftsgesetzbuch zu erarbeiten.16 Für die Einschätzung der Realisierbarkeit der Pläne, ein einheitliches Wirt­ schaftsrecht für den deutsch-französischen oder gar den europäischen Rechts­ raum zu schaffen, ist eine rechtsvergleichende Untersuchung der richterlichen Vertragskontrolle im unternehmerischen Geschäftsverkehr daher unabdingbar. Sie ermöglicht es zudem, die vielfach auf die jeweilige nationale Rechtsordnung beschränkte Debatte um eine weitere Perspektive zu bereichern. De lege lata sind die konkreten Ergebnisse der vergleichenden Gegenüberstel­ lung der deutschen und französischen Rechtsordnung für die Kautelarpraxis be­ reits jetzt von ausschlaggebender Bedeutung. Im „Wettbewerb der Rechtsord­ nungen“ steht es Unternehmern grundsätzlich frei, bei grenzüberschreitenden Geschäften durch den Einsatz von Rechtswahlklauseln und internationalen Ge­ richtsstandsvereinbarungen das auf den Vertrag anwendbare Recht zu wählen. Soweit also eine Wahl oder Abwahl des deutschen oder französischen Rechts möglich ist, werden sich die Akteure des deutsch-französischen Wirtschafts­ raums in ihrer Entscheidung für oder gegen jene Rechtsordnungen an dem Um­ fang der ihnen eingeräumten Privatautonomie orientieren.

Beispiel aus Leuschner, ZEuP 2017, 335, 338. Lehmann, GPR 2017, 262 f.; Lehmann, ZEuP 2017, 217, 218; Vorstellung der OHADA in Drobnig, in: Festschrift für Peter Schlechtriem, S.  855, 856 f.; Vogl, SchiedsVZ 2006, 320 f. 15  16 

II.  Gegenstand der Untersuchung

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II.  Gegenstand der Untersuchung 1. Kernfragen Generell stellt sich zunächst einmal die Frage, ob die Vertragsgestaltungsfreiheit im unternehmerischen Geschäftsverkehr zur Sicherstellung der Vertragsgerech­ tigkeit überhaupt einer hoheitlichen Einschränkung bedarf. Bejaht man dies, stellt sich die Folgefrage, inwieweit es einen Unterschied macht, ob ein Unter­ nehmer etwa zwecks Einrichtung seiner Büroräume am Massenverkehr teil­ nimmt, sich im Rahmen eines Franchisevertrages langfristig an einen Franchise­ geber bindet oder beabsichtigt, einen großvolumigen Unternehmenskaufvertrag unter rechtsanwaltlicher Beratung abzuschließen. Dabei lassen sich zwei Leitge­ danken ausmachen, die eine richterliche Intervention in Gestalt von gesetzlichen Vertrags- oder Klauselunwirksamkeitstatbeständen zu rechtfertigen vermögen.17

2.  Schutz der unterlegenen Vertragspartei Primär handelt es sich hierbei um den Schutz der „schwächeren“ Vertragspartei und damit um eine rein interpersonale Schutzperspektive. Denkbar ist hier insbesondere die Ausgleichsbedürftigkeit ökonomischer oder intellektueller Ungleichgewichtslagen.18 Unter einer ökonomischen Ungleichge­ wichtslage ist dabei die Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit zu verste­ hen, die der Durchsetzung des als richtig angesehenen Vertragsinhalts entgegen­ steht, während sich eine intellektuelle Ungleichgewichtslage durch das Defizit in der Willensfähigkeit auszeichnet, das bereits die eigene Erkenntnis und Gewich­ tung des für richtig erachteten Interessenausgleichs verhindert.19 Diese Abgren­ zung innerhalb der interpersonalen Dimension staatlicher Zielsetzungen bedingt notwendigerweise die Anwendung unterschiedlicher rechtlicher Wertungen.20 Erkennt man insoweit die Beachtlichkeit ökonomischer Ungleichgewichtsla­ gen im Rahmen der Vertragsgerechtigkeitskontrolle an, ist zu eruieren, ob in be­ stimmten Branchen die Schutzbedürftigkeit der Hersteller, Zulieferer, Händler oder Franchisenehmer per se indiziert ist, ob die vermeintlich unterlegene Ver­ tragspartei stets im Einzelfall nachzuweisen hat, dass sie auf die Leistungen der 17  Ähnlich nach objektiver Äquivalenz einerseits und Gemeinwohlorientierung andererseits als Kriterien der Gerechtigkeit differenzierend Bydlinski, Privatautonomie, S.  103 ff. 18  Die ebenfalls anerkannte „soziale“ Unterlegenheit einer Vertragspartei, die vorrangig für das Familien- und Arbeitsrecht von Bedeutung ist, bedarf im Rahmen der vorliegenden Unter­ suchung keiner Berücksichtigung. 19  Wolf, Entscheidungsfreiheit, S.  18. 20  Wolf, Entscheidungsfreiheit, S.  18.

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Einleitung

überlegenen Vertragspartei angewiesen war (objektiver Maßstab) und ob sich die überlegene Vertragspartei jener Umstände bei Vertragsschluss bewusst gewesen sein und sich die ökonomische Gefahrenlage des Übervorteilten durch aktive Drohungen zunutze gemacht haben muss (gemischt objektiv-subjektiver Maß­ stab). Ebenso kann auch die Berücksichtigungsfähigkeit einer intellektuellen Un­ gleichgewichtslage unterschiedlichen Anforderungen unterliegen. Kommt es auf die generelle Geschäftsunerfahrenheit der unterlegenen Vertragspartei an? Ge­ nügt auch die fehlende Expertise im Hinblick auf das konkret abzuschließende Geschäft? Wie ist zu verfahren, wenn sich eine Vertragspartei bloß über die Ren­ tabilität der Investition geirrt hat, also einer Fehlspekulation unterlag? Muss im letzteren Fall die andere Vertragspartei den Irrtum erkannt haben oder gar selbst durch gezielte Informationsvorenthaltung gewissermaßen hervorgerufen haben? Schutzbereichsübergreifend stellt sich die Frage, welche Auswirkungen der Vertrag entfalten muss, um als ungerecht qualifiziert werden zu können. Kommt es allein auf die Unausgeglichenheit der beiderseitigen Vertragspflichten an oder sind auch die mittelbaren Vorteile, die eine Vertragspartei aus der ihr gebühren­ den Vertragsleistung zieht, bei der Abwägung zu berücksichtigen? Inwieweit lässt sich aus der Schwere der Benachteiligung einer Vertragspartei auf das Vor­ liegen einer wirtschaftlich oder intellektuell gestörten Vertragsparität schließen?

3.  Rechtsökonomische Steuerungsinteressen21 Neben das rein interpersonal geprägte Begriffsverständnis der Vertragsgerechtig­ keit ist darüber hinaus ein weitergehender, erst mit der Entwicklung der Rechts­ öko­nomie in den Fokus gerückter Interventionsgedanke getreten: Es handelt sich hierbei um das öffentliche Interesse an der Steigerung des Gemeinwohls.22 Das heißt, dem hoheitlichen Eingriff in das Vertragsgefüge liegt nicht zwangsläufig die Schutzwürdigkeit der unterlegenen Vertragspartei zu­ grunde. Vielmehr können die einschlägigen Kontrollmechanismen auch auf das staatliche Bestreben zurückzuführen sein, den wirtschaftlichen Leistungsaus­ tausch innerhalb der Rechtsgemeinschaft zu verbessern. So führen etwa gesetz­ lich vorgegebene Vertragsinhalte, die den Parteien gestatten, sich auf die Unbe­ rührbarkeit bestimmter Rechtspositionen zu verlassen, zwangsläufig dazu, dass auf eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Vertragsinhalt verzichtet wird. Der Vorteil einer solchen gesetzgeberischen Fixierung unantastbarer Rechte und Zum Recht als Steuerungsinstrument, vgl. Möslein, Dispositives Recht, S.  129 ff., 142 f. (Contract Governance). 22  Möslein, Dispositives Recht, S.  144; Kötz, JuS 2003, 209, 210. 21 

II.  Gegenstand der Untersuchung

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Pflichten liegt etwa für Unternehmensgründer darin, dass ihnen die Entwicklung von Vertragsformularen für ihre Rechtsbeziehung zu ihren Kunden erspart bleibt. Die so „freigewordenen“ finanziellen und zeitlichen Ressourcen können in die Verbesserung des Leistungsangebots investiert werden, womit insgesamt eine Steigerung der Qualität unter gleichbleibenden Kosten möglich ist. Auch hier stellt sich allerdings die Frage der sinnvollen Grenzziehung und Handhabung: Sollen sämtliche Verträge sowie sämtliche Vertragsinhalte unabhängig von der Art und Weise ihres Zustandekommens nach gesetzlichen Vorgaben prädetermi­ niert sein oder bedarf es vielmehr einer Einschränkung auf solche Bereiche, wo dies auch der Interessenlage der Vertragsparteien entspricht? Im letzten Fall stellt sich die Folgefrage, nach welchen Kriterien sich eine solche Bereichsbegrenzung auszurichten hat: Spielen der Umsatz der Vertragsparteien, die Branche oder der Wert der ver­ traglichen Leistungspflichten eine Rolle oder richtet sich die Kontrolle vielmehr nach der Anzahl der potenziellen Kunden (Massenverkehr) oder der Menge der Klauseln im Vertrag (Formularverträge)? Sind die beiderseitigen, aus dem Vertrag erwachsenden Rechte und Pflichten in ihrer Gesamtheit auf ihre Angemessenheit hin zu würdigen (Globalbetrach­ tung) oder muss jede Regelung für sich genommen mit den gesetzlichen Vorga­ ben in Einklang stehen (Einzelbetrachtung)?23 Können also einzelne, an sich unzulässige Klauseln dadurch ausgeglichen werden, dass an anderer Stelle eine dem Vertragspartner vorteilhafte Regelung eingefügt oder ein korrespondieren­ der Preisnachlass gewährt wird? Kann umgekehrt eine Gesamtheit von Klauseln, die bei isolierter Betrachtung als zulässig zu bewerten wären, in ihrer Summen­ wirkung insgesamt unwirksam sein?

4.  Normative Präzisierung und Abgrenzung der Untersuchung Im Rahmen dieser Untersuchung wird die Bedeutung und Tragweite der allge­ meinen Vertrags- und Klauselunwirksamkeitstatbestände des reformierten fran­ zösischen Zivilrechts in Gestalt der Artt.  1143, 1169–1171 C. civ. unter Berück­ sichtigung der in den Artt.  6, 1102, 1168 C. civ. zum Ausdruck kommenden Wert­ maßstäbe, der Klauselkontrolle in Verbraucherverträgen nach Art. L. 212-1 C.  con. und im unternehmerischen Geschäftsverkehr nach Art. L. 442-1 I Nr.  2 C.  com. sowie des Grundsatzes des guten Glaubens (bonne foi) nach Art.  1104 C. civ. mit dem korrespondierenden Schutzniveau des deutschen Rechts, wie es von den Gerichten am Maßstab der §§  138, 242, 305 ff. BGB entwickelt wurde, gegenübergestellt. Zudem wird die Untauglichkeit der §§  119 Abs.  2, 313 Abs.  1, 23 Vgl.

Wolf, Entscheidungsfreiheit, S.  32.

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Einleitung

2 BGB als Mechanismen zum Schutz der intellektuell unterlegenen Vertragspar­ tei aufzuzeigen sein. Demgegenüber werden die mit der vorliegenden Thematik eng verbundenen Aspekte der Vertragsauslegung, der vorvertraglichen Informationspflichten als Kompensationsmittel intellektueller Ungleichgewichtslagen, des Kartellrechts, der Einbeziehung von AGB, der Kollision unterschiedlicher AGB, der Herstel­ lung der Vertragsgerechtigkeit in der Vertragsabwicklung, insbesondere bei nachträglichem Auftreten einer Äquivalenzstörung, der Rechtsfolgen der Ver­ trags- oder Klauselunwirksamkeit sowie der speziellen, auf bestimmte Vertragsoder Klauseltypen zugeschnittenen Vertragsgerechtigkeitsbestimmungen in den allgemeinen sowie besonderen Gesetzbüchern nicht verglichen.

A.  Das französische Recht I.  Herangehensweise der Untersuchung Die im Zuge der französischen Schuldrechtsreform aus dem Jahr 2016 grundle­ gend reformierten Vertrags- und Klauselkontrolltatbestände sind weiterhin ­äußerst facettenreich und infolgedessen schwer zu erschließen. Die weiterhin hohe Komplexität dieser Materie ist nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass auf schillernde Rechtsinstitute wie die cause nicht vollständig verzichtet wurde, sondern vielmehr nur formal aus dem C. civ. gestrichen und funktionell aufrecht­ erhalten wurden. Generell knüpfen mit Ausnahme von Art.  1171 C. civ. sämtliche in dieser Arbeit untersuchten Kontrolltatbestände des C. civ. in ihrem Kern an die Rechtsprechung der Cour de cassation auf der Grundlage des alten Rechts an. Dies wird zunächst die Zugänglichkeit des französischen Schuldrechts erschwe­ ren, da die neuen Vorschriften mit ihren zahlreichen unbestimmten Rechtsbegrif­ fen in der Praxis noch nicht erprobt und durch die Rechtsprechung noch nicht konkretisiert worden sind. Eine historische Darstellung des französischen Schuld­rechts wird daher zum Verständnis der richterlichen Vertrags- und Klau­ selkontrolle im modernisierten französischen Schuldrecht unentbehrlich sein.

II.  Die richterlichen Kontrolltatbestände im Überblick 1.  Schutz der abhängigen Vertragspartei nach Art.  1143 C. civ. Vor der Reform gehörte das französische Zivilrecht zu den allmählich schwinden­ den Rechtsordnungen, die keine allgemeinen vertragsrechtlichen Bestimmungen gegen die missbräuchliche Ausnutzung der abhängigen Vertragspartei enthalten.1 Diese gesetzliche Schutzlücke wurde mit Art.  1143 C. civ. geschlossen.2 Danach liegt der zur Unwirksamkeit (nullité) des Vertrages führende Willens­ mangel der violence auch dann vor, wenn „eine Vertragspartei in missbräuchli­ cher Ausnutzung der Abhängigkeit ihres Vertragspartners von jenem eine Ver­ 1  2 

Loiseau, in: Réforme du droit des contrats, S.  33, 34. Claudel, RTD com. 2016, 460, 463; Klein, JCP G 2015, Nr.  21, S.  14, 18.

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A.  Das französische Recht

pflichtung erhält, die er ohne eine solche Zwangslage nicht eingegangen wäre und sie hieraus einen offensichtlich überzogenen Vorteil zieht“.3 Die Norm ko­ difiziert dem Grunde nach die höchstrichterliche Rechtsprechung zur sogenann­ ten „violence économique“ und weist angesichts ihrer Kombination aus willens­ freiheitsbeschränkenden und vertragsinhaltsbezogenen Tatbestandselementen eine engere Beziehung mit der Ausbeutung einer Zwangslage im Sinne des Wu­ chertatbestands nach §  138 Abs.  2 Var.  1 BGB auf als mit der systematisch nahe­ liegenden „widerrechtlichen Drohung“ nach §  123 Abs.  1 BGB. In der Literatur wurde die Neufassung des Art.  1143 C. civ. als eine der bedeutendsten Neuerun­ gen der Reform gehandelt.4 Wie noch zu zeigen sein wird, dürfte und sollte die Norm im Wirtschaftsverkehr indes nur von geringer praktischer Relevanz sein.

2.  Die Kodifikation der Seriositätsfunktion der cause in Art.  1169 C. civ. Nach Art.  1169 C. civ. ist ein entgeltlicher Vertrag nichtig, wenn der vereinbarte Gegenwert im Zeitpunkt des Vertragsschlusses „illusorisch“ (illusoire) oder „lä­ cherlich gering“ (dérisoire) ist.5 Es handelt sich hierbei neben Art.  1162 C. civ. und Art.  1170 C. civ. um eine der drei Vorschriften der Reform, die dem Zweck dienen, die einzelnen Funktionsbestandteile der cause aufrechtzuerhalten, die anlässlich der Reform nur formal zwecks Modernisierung des Gesetzesvokabu­ lars aus dem C. civ. gestrichen wurde. Art.  1169 C. civ. dient dabei der Erhaltung der Seriositätsfunktion der cause nach Art.  1131 Var.  1 und 2 C. civ. a. F., wonach

3  Art.  1143 C. civ. in der Fassung vom 01.10.2016 bis zum 30.09.2018: „Il y a également violence lorsqu’une partie, abusant de l’état de dépendance dans lequel se trouve son cocon­ tractant, obtient de lui un engagement qu’il n’aurait pas souscrit en l’absence d’une telle con­ trainte et en tire un avantage manifestement excessif“. Zum 01.10.2018 wurde hinter „cocon­ tractant“ die Ergänzung „à son égard“ eingefügt, um klarzustellen, dass nur die vom Begüns­ tigten abhängige Vertragspartei geschützt ist, vgl. Art.  5 Nr.  2 des Gesetzes Nr.  2018-287 vom 20.04.2018. Zu der Bedeutung der Ausdehnung des Normwortlauts gegenüber der bisherigen Rechtsprechung auf sämtliche Abhängigkeitsverhältnisse für das Familien- und Erbrecht, vgl. insbesondere Champ, LPA 2016, Nr.  261, S.  20 sowie Herrnberger, LPA 2016, Nr.  261, S.  23. Nach Claudel, RTD com. 2016, 460, 465 und Marpeau, JCP G 2016, 1266 soll Art.  1143 C. civ. im Wirtschaftsverkehr die größte Bedeutung entfalten. 4  Barbier, JCP G 2016, 722 („l’un des symboles de la réforme“); Champ, LPA 2016, Nr.  261, S.  20 („l’une des principales innovations de l’ordonnance“); Chénedé, RDC 2015, 655, 656 f. („l’une des mesures phares de la réforme“); Le Gac-Pech, LPA 2016, Nr.  162, S.  7, 9 f. („Mesure phare de la réforme“); Mainguy, JCP E 2016, Nr.  07-151, S.  9 („l’un des textes majeurs de la réforme“); vgl. ferner Andrieux, LPA 2016, Nr.  167, S.  6; Dournaux, Dr. et patr. 2016, Nr.  258, S.  57, 60; Le Gac-Pech, LPA 2016, Nr.  162, S.  7, 9 f. 5  „Un contrat à titre onéreux est nul lorsque, au moment de sa formation, la contrepartie convenue au profit de celui qui s’engage est illusoire ou dérisoire“.

II.  Die richterlichen Kontrolltatbestände im Überblick

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eine Verpflichtung ohne cause oder aufgrund einer falschen cause keine Wirkung entfalten kann. Das Verbot eines „lächerlich geringen“ Gegenwerts in entgeltlichen Verträgen geht insoweit auf das klassische, objektive Verständnis von der cause zurück und soll die quantitative Ernsthaftigkeit der beiderseitigen Leistungspflichten eines Austauschvertrages sicherstellen. Eine Verhältnismäßigkeitsprüfung findet dem­ gegenüber nicht statt, womit die Vertragsnichtigkeit wegen Vorliegens eines „lä­ cherlich geringen“ Gegenwerts bereits dadurch verhindert werden kann, dass der Vertragsgegenseite ein auch noch so geringfügiger Vorteil zugebilligt wird. Mit­ hin ist dieses Verbot ebenfalls nicht geeignet, den Wirtschaftsverkehr spürbar zu beeinträchtigen. Anders verhält es sich demgegenüber mit dem Verbot einer contrepartie illusoire. Die Norm geht auf die noch zu besprechende Versubjektivierung der ob­ jektiven cause zurück und ist im Einzelfall durchaus geeignet, unerfahrene Un­ ternehmer, insbesondere Unternehmensgründer, vor unrentablen Verträgen zu bewahren.

3.  Das für sämtliche Verträge geltende Klauselverbot in Art.  1170 C. civ. Art.  1170 C. civ. erklärt Vertragsklauseln für unwirksam, die der wesentlichen Vertragspflicht des Schuldners die Substanz entziehen.6 Formal gilt dies unab­ hängig davon, ob der Vertrag oder die jeweilige Klausel zwischen den Vertrags­ parteien individuell ausgehandelt oder einseitig diktiert wurde. Die Norm geht zurück auf die sog. Chronopost-Rechtsprechung der Cour de cassation zur Wirksamkeitskontrolle von Haftungsklauseln.7 Danach entzieht eine Klausel ei­ ner wesentlichen Vertragspflicht nur dann in unzulässiger Weise die Substanz, wenn sie dem Schuldner sämtliche Anreize an der ordnungsgemäßen Erbrin­ gung der ihm obliegenden Leistungspflicht nimmt. Dies wurde nur in äußersten Ausnahmefällen für Klauseln angenommen, die nach dem deutschen und dem modernen französischen Maßstab ohnehin als AGB bzw. Klausel eines contrat d’adhésion zu qualifizieren und damit einem strengeren Maßstab zu unterziehen wären. Hintergrund ist, dass der Cour de cassation bis zur Reform keine gesetz­ lichen Bestimmungen zur Verfügung standen, AGB im unternehmerischen Ge­ schäftsverkehr zu kontrollieren, und sie daher bei der Beurteilung der Frage, ob einer Klausel die Wirksamkeit zu versagen ist, auf die vorhandenen, für die Be­ 6  „Toute clause qui prive de sa substance l’obligation essentielle du débiteur est réputée non écrite“. 7  Chagny, in: Réforme du droit des contrats, S.  47, 48 f.; Mercadal, Réforme, Nr.  26; Pietrancosta/Martel, Le droit des contrats réformé, S.  55; Revet, in: RDC hors série, S.  5, 6; Chénedé, RDC 2015, 655, 659; Delebecque, RDC 2015, 759.

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A.  Das französische Recht

wältigung dieser Problematik unzulänglichen Rechtsinstitute, zurückgreifen musste. Dabei berücksichtigte die Cour de cassation bei der Beurteilung der ver­ tragspflichtneutralisierenden Wirkung einer Klausel, inwieweit sie zwischen den Parteien ausgehandelt wurde und der zwischen den Parteien gewollten Risiko­ verteilung entspricht. Für den unternehmerischen Geschäftsverkehr bedeutet dies, dass nachweislich zwischen Verhandlungspartnern auf Augenhöhe ausdis­ kutierte Klauseln nicht gegen das in Art.  1170 C. civ. vorgesehene Klauselverbot verstoßen können.

4.  Das für sog. contrats d’adhésion geltende Verbot von Klauseln, die ein „erhebliches Ungleichgewicht“ erzeugen a)  Art. L. 212-1 Abs.  1 C.  con. Saleilles erkannte bereits im Jahre 1901, dass sich mit der Industrialisierung ein neuer Vertragstypus entwickelte, den er als contrats d’adhésion bezeichnete. Da­ runter sollten jene Verträge fallen, die von einer als dominant erachteten Ver­ tragspartei diktiert werden und von der anderen Vertragspartei, bei der es sich etwa um einen Arbeitnehmer der Großindustrie oder einen Passagier der großen Eisenbahngesellschaften handelt, nur als Ganzes angenommen oder abgelehnt werden können. Nachdem sich auf die der Abhandlung Saleilles folgenden De­ batten kein für den contrat d’adhésion geltendes, einheitliches Konzept durch­ setzen konnte, erließ der französische Gesetzgeber erstmalig auf dem Gebiet des Verbraucherschutzrechts das nunmehr in Art. L. 212-1 Abs.  1 C.  con. kodifizierte Verbot von Klauseln, die ein erhebliches Ungleichgewicht (déséquilibre significatif) zwischen den beiderseitigen Rechten und Pflichten erzeugen.8 Für den un­ ternehmerischen Geschäftsverkehr spielte jenes Klauselverbot dagegen nur zwi­ schenzeitlich eine Rolle, als die Cour de cassation in verschiedenen Urteilen ei­ nen Unternehmer einem Verbraucher gleichstellte, wenn er Verträge schloss, die sich außerhalb seines Geschäftsfeldes bewegten. Jene Rechtsprechung wurde jedoch inzwischen von der Cour de cassation aufgegeben und schließlich auch vom Gesetzgeber im Jahr 2016 verworfen. b)  Art. L. 442-1 I Nr.  2 C.  com. Für den unternehmerischen Geschäftsverkehr von höherer praktischer Relevanz erweist sich demgegenüber der mit Wirkung zum 26.04.2019 reformierte Art. L. 8  Art.

L. 212-1 Abs.  1 C.  con.: „Dans les contrats conclus entre professionnels et consom­ mateurs, sont abusives les clauses qui ont pour objet ou pour effet de créer, au détriment du consommateur, un déséquilibre significatif entre les droits et obligations des parties au contrat“.

II.  Die richterlichen Kontrolltatbestände im Überblick

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442-1 I Nr.  2 C.  com. Danach haftet jede Person, die einer Produktionstätigkeit nachgeht, ein Vertriebsgeschäft betreibt oder Dienstleistungen erbringt, wenn sie im Rahmen der geschäftlichen Verhandlung, des Vertragsschlusses oder der Ver­ tragsdurchführung die andere Vertragspartei Verpflichtungen unterwirft oder zu unterwerfen versucht, die ein erhebliches Ungleichgewicht zwischen den Rech­ ten und Pflichten der Parteien erzeugen.9 Trotz der Ausformulierung als haf­ tungsrechtliche Anspruchsgrundlage nutzte die Rechtsprechung jene Rechts­ norm bereits vor der Reform aus dem Jahr 2019 regelmäßig als Kontrollinstru­ ment, um ungerechten Verträgen oder Klauseln die Wirksamkeit zu versagen. Diese Praxis wurde nunmehr in Art. L. 442-4 I Abs.  2 S.  2 C.  com. gesetzlich bestätigt.10 Die Regelung soll nach ihrer ursprünglichen Konzeption der miss­ bräuchlichen Vertragsgestaltung der großen Einzelhandelsketten (grande distribution) gegenüber ihren typischerweise unterlegenen Zulieferern Einhalt gebie­ ten. Auch wenn der weit gefasste Normwortlaut eine umfassende Beschränkung der Vertragsfreiheit im gesamten unternehmerischen Geschäftsverkehr gestatten würde, machte die höchstrichterliche Rechtsprechung von dieser Befugnis bisher fast ausschließlich zur Beanstandung der Verträge der großen Einzelhandelsbe­ triebe Gebrauch. Es steht zu erwarten, dass die praktische Bedeutung jenes Kon­ trollinstruments außerhalb dieses Wirtschaftsbereichs auch nach der Vereinfa­ chung des gesetzlichen Tatbestands im April 2019 gering bleiben wird. c)  Art.  1171 C. civ. Anlässlich der Reform des französischen Schuld- und Vertragsrechts hat der Gesetzgeber in Gestalt des Art.  1171 C. civ. eine Regelung kodifiziert, die dem Zweck dient, einen für sämtliche contrats d’adhésion geltenden Klauselkon­ troll­mecha­nismus im allgemeinen Zivilrecht zu etablieren. Damit wird nun auch der C. civ. um den Begriff des erheblichen Ungleichgewichts bereichert.11 So ist nach der seit dem 01.10.2018 geltenden Fassung des Art.  1171 C. civ. in einem contrat d’adhésion jede unverhandelbare und im Vorfeld von einer Partei be­ stimmte Klausel unwirksam, wenn sie zwischen den Rechten und Pflichten der Vertragsparteien ein erhebliches Ungleichgewicht erzeugt.12 Die Würdigung des 9  Art. L. 442-1 I Nr.  2 C.  com.: „Engage la responsabilité de son auteur et l’oblige à réparer le préjudice causé le fait, dans le cadre de la négociation commerciale, de la conclusion ou de l’exécution d’un contrat, par toute personne exerçant des activités de production, de distribu­ tion ou de services: […] De soumettre ou de tenter de soumettre l’autre partie à des obligations créant un déséquilibre significatif dans les droits et obligations des parties“. 10  Art. L. 442-4 I Abs.  2 S.  2 C.  com.: „Seule la partie victime […] peut faire constater la nullité des clauses ou contrats illicites et demander la restitution des avantages indus“. 11  Chagny, in: Réforme du droit des contrats, S.  47, 48 f. 12  „Dans un contrat d’adhésion, toute clause non négociable, déterminée à l’avance par

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A.  Das französische Recht

Ungleichgewichts betrifft gem. Art.  1171 Abs.  2 C. civ. weder den Hauptgegen­ stand des Vertrages noch die Angemessenheit zwischen dem Preis und der ­Leistung.13 Der contrat d’adhésion wurde seinerseits in Art.  1110 Abs.  2 C. civ. als Gegen­ stück zum Individualvertrag (contrat de gré à gré) nach Art.  1110 Abs.  1 C. civ. erstmalig einer Legaldefinition zugeführt. Unter einem Individualvertrag ist gem. Art.  1110 Abs.  1 C. civ in der Fassung vom 01.10.2018 ein Vertrag zu ver­ stehen, dessen Vereinbarungen zwischen den Vertragsparteien verhandelbar wa­ ren, während es sich beim contrat d’adhésion nach Art.  1110 Abs.  2 C. civ. um einen Vertrag handelt, der eine Gesamtheit von nicht verhandelbaren Klauseln beinhaltet, die im Voraus von einer Partei bestimmt wurden.14 Der Schutzmaßstab nach Art.  1171 C. civ. weist damit eine starke Ähnlichkeit mit der AGB-rechtlichen Generalklausel aus §  307 Abs.  1 S.  1 BGB auf, wonach Bestimmungen in AGB unwirksam sind, die den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Die Nähebeziehung wird dadurch bekräftigt, dass die Definition des contrat d’adhésion Komponenten enthält, die mit der AGB-Definition gem. §  305 Abs.  1 BGB vergleichbar sind. Das in formeller Hinsicht auffälligste Unterscheidungskriteri­ um ist jedoch, dass die Inhaltskontrolle des Art.  1171 C. civ. die Einbettung der zu untersuchenden Klausel in eine „Gesamtheit unverhandelbarer Klauseln“ vo­ raussetzt, wie dies auch der Position des BGH in einem Urteil vor Inkrafttreten des AGBG entsprach, während nach aktuellem deutschem Recht bereits bei Vor­ liegen einer einzigen vorformulierten Klausel der Anwendungsbereich der AGB-Inhaltskontrolle eröffnet sein kann.15 d)  Konkurrenz der einzelnen Klauselwirksamkeitstatbestände Dem Richter werden mit der Reform somit vier verschiedene Interventionsnor­ men an die Hand gegeben, die es ihm gestatten, ungerechten Klauseln die Wirk­ samkeit zu versagen.

l’une des parties, qui crée un déséquilibre significatif entre les droits et obligations des parties au contrat est réputée non écrite“. 13  „L’appréciation du déséquilibre significatif ne porte ni sur l’objet principal du contrat ni sur l’adéquation du prix à la prestation“. 14  „Le contrat de gré à gré est celui dont les stipulations sont négociables entre les parties. Le contrat d’adhésion est celui qui comporte un ensemble de clauses non négociables, déter­ minées à l’avance par l’une des parties“. 15  Vgl. BGH WM 1970, 1450, 1451 („Beschränken sich die Formulare jedoch auf eine einzige oder einige wenige ohne Schwierigkeiten verständliche Klauseln, dann ist der Kunde in seiner rechtsgeschäftlichen Verantwortungsfähigkeit nicht überfordert“).

II.  Die richterlichen Kontrolltatbestände im Überblick

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Bezüglich der unmittelbar aus der Reform hervorgegangenen Kontrolltatbe­ stände wird zu zeigen sein, dass der für sämtliche Verträge geltende Art.  1170 C. civ. neben dem auf contrats d’adhésion beschränkten Art.  1171 C. civ. nur von einem sehr geringen praktischen Nutzen sein wird, wenn man dem Umstand Rechnung trägt, dass die dem Art.  1170 C. civ. zugrundeliegende Chronopost-Rechtsprechung gerade vor dem Hintergrund entwickelt wurde, dass der C. civ. vor der Reform keine dem Art.  1171 C. civ. entsprechende Bestimmung gegen missbräuchliche Klauseln in Formularverträgen gegenüber Unternehmern bereithielt. Ferner wird der im Schrifttum viel diskutierten Frage um die Tragweite des für sämtliche contrats d’adhésion geltenden Art.  1171 C. civ. neben den spezialge­ setzlichen Art. L. 212-1 Abs.  1 C.  con. und Art. L. 442-1 I Nr.  2 C.  com. nachzu­ gehen sein. Dabei wird sich herausstellen, dass der Verbraucher über Art. L. 2121 Abs.  1 C.  con. ein gegenüber Art.  1171 C. civ. verstärktes Schutzniveau genießt, womit jedenfalls im Bereich der Verbraucherverträge der allgemeine Art.  1171 C. civ. die Vertragsfreiheit nicht zusätzlich beschränkt. Vielmehr verbleibt für Art.  1171 C. civ. der praktisch äußerst bedeutsame alltägliche Rechtsverkehr zwischen Unternehmern. Liegt zugleich eine wirtschaftliche Paritätsstörung vor, gibt Art. L. 442-1 I Nr.  2 C.  com. dem unterlegenen Unternehmer eine Sonder­ vorschrift an die Hand, die zusätzlich das vereinbarte Entgelt in die Abwägungs­ entscheidung einbezieht.

5.  Keine richterliche Vertragskontrolle nach dem allgemeinen Grundsatz des guten Glaubens gem. Art.  1104 Abs.  1 C. civ. Schließlich ist zu erwarten, dass der ohnehin bunte Strauß richterlicher Vertrags­ kontrollbefugnisse nach der französischen Schuldrechtsreform nicht durch einen Rückgriff auf den modernisierten Grundsatz des guten Glaubens gem. Art.  1104 Abs.  1 C. civ. ergänzt wird. Andernfalls liefen die ohnehin sehr offen formulier­ ten Vorschriften zur Korrektur ungerechter Verträge Gefahr, vom allgemeinen Grundsatz des guten Glaubens konterkariert zu werden.

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A.  Das französische Recht

III.  Die französische Schuldrechtsreform 1.  Die Beharrlichkeit der vertrags- und schuldrechtlichen Bestimmungen des C. civ. von 1804 a)  Der Bedeutungsverlust der „französischen Zivilverfassung“ Der französische C. civ. von 1804 zählte einst zu den bedeutendsten Kodifikatio­ nen in Europa.16 Er hat das Zivilrecht zahlreicher Rechtsordnungen wie etwa in den Niederlanden (1838), Italien (1865) sowie Spanien (1888–1889) geprägt. Neben dem Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten (ALR) von 179417 und dem österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch (ABGB) von 181118 handelt es sich zudem um eine der ältesten Zivilrechtskodi­ fikationen. Seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts kam es in Frankreich zu regelmäßig wiederkehrenden Debatten um das Verhältnis zwischen der Gesetzgebung und der Rechtsprechung in einer modernen Rechtsordnung. Anlass für diese Diskus­ sion war der Bedeutungsverlust des allmählich alternden19 und lückenhaften20 Vertragsrechts der „constitution civile des Français“21 („zivile Verfassung der Franzosen“).22 Während die anderen Bücher des C. civ. in regelmäßigen Abstän­ den dem Zeitgeist angepasst wurden, überließ der Gesetzgeber die Entwicklung des Vertragsrechts23 der Rechtsprechung.24 Die Cour de cassation25 sah sich da­ 16  Rehm, in: Max Planck encyclopedia of European private law, S.  200; Kleinschmidt/Groß, RDC 2015, 674 f. 17  Hellwege, in: Max Planck encyclopedia of European private law, S.  56. 18  Doralt, in: Max Planck encyclopedia of European private law, S.  45. 19  Vgl. z. B. Dupichot, Dr. et patr. 2015, Nr.  247, S.  32 („Construit en contemplation d’une France des champs et préindustrielle, notre code plie sous le poids des ans; il se devait d’être modernisé et adapté à une France des villes, largement postindustrielle et tertiaire.“). 20  Mazeaud, Gaz. Pal. 2016, 208. 21 Die Bezeichnung geht auf den Rechtswissenschaftler Jean Carbonnier zurück, vgl. Mainguy, JCP E 2016, Nr.  07-151, S.  9. 22  Dupichot, Dr. et patr. 2015, Nr.  247, S.  32; Schulze, in: La réforme du droit des obliga­ tions, S.  11, 15 f. 23  Seit Inkrafttreten des C. civ. kam es lediglich zu zwei geringfügigen Reformen des Ver­ tragsrechts: Die richterliche Anpassung von Strafklauseln in Art.  1152 C. civ. im Jahre 1975 und 1985 (Gesetz Nr.  75-597, vom 09.07.1975, ABl.  10. Juli und das Gesetz Nr.  85-1097, vom 11.Oktober, 1985, ABl.  15. Oktober) sowie die Regelung elektronischer Verträge in den Artt.  1108-1, 1108-2 und 1369-1 ff. C. civ. im Jahre 2004 (Gesetz Nr.  2004-575, vom 21.06.2004 über das Vertrauen in die digitale Wirtschaft (LCEN), ABl.  22. Juni) und 2005 (Gesetzesvertre­ tende Verordnung Nr.  2005-674 vom 16.06.2005, ABl.  17. Juni). 24  Bien/Borghetti/Witz, Die Reform, S.  120; Terré, JCP G 2015, Nr.  21, S.  5. 25  Das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit Frankreichs, das die Entscheidun­

III.  Die französische Schuldrechtsreform

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her gezwungen, das den praktischen Anforderungen des modernen Wirtschafts­ lebens nicht mehr gerecht werdende Vertragsrecht des C. civ. im Wege richterli­ cher Rechtsfortbildung an die jeweiligen zeitlichen Gegebenheiten anzupassen, was eine beachtliche Ausgliederung der Materie aus dem C. civ. nach sich zog.26 Letztlich war das Gesetz nicht mehr geeignet, das geltende Vertragsrecht wider­ zuspiegeln.27 Die Probleme des modernen Wirtschaftsverkehrs wurden vollkom­ men losgelöst vom Wortlaut des C. civ. ausgelegt.28 Der damit verbundene Ge­ winn an Flexibilität29 zog ein erhebliches Maß an Rechtsunsicherheit nach sich.30 b)  Gründe für die Untätigkeit des Gesetzgebers Vor diesem Hintergrund regte das Justizministerium bereits anlässlich des 100. Jahrestages des C. civ.im Dezember 1904 mit der Einberufung eines entspre­ chenden Ausschusses eine erste Reformbestrebung an.31 Jene scheiterte jedoch, ebenso wie das französisch-italienische Reformprojekt aus dem Jahr 192732 so­ wie das Comité de réforme du Code civil aus dem Jahr 194833 am fehlenden politischen Umsetzungswillen. Jean Carbonnier, der zu den bedeutendsten französischen Zivilrechtswissen­ schaftlern des 20. Jahrhunderts zählt, sah in seinen in den Jahren 1985 und 1996 veröffentlichten Studien den Grund der Untätigkeit des französischen Gesetzge­ bers auf dem Gebiet des Vertragsrechts erstens „in der Unfähigkeit, sich zwi­ schen Kapitalismus und Sozialismus zu entscheiden“34 und zweitens in der Kurz­

gen der untergeordneten Instanzen bestätigen oder aufheben, jedoch nicht durch eigene Urteile ersetzen kann. 26  Aynès, in: RDC hors série, S.  14; Mercadal, Réforme, Nr.  2. 27  Vgl. etwa Mazeaud, D. 2014, 291 („[i]l existe [...] aujourd’hui un très embarrassant con­ traste entre le code civil et le droit positif des contrats“); Moore, in: La réforme du droit des obligations, S.  261, 263 („Certes, le Code civil contient encore du droit des obligations, mais le portrait qu’il trace du contrat […] est de plus en plus muséal.“). 28  Mainguy, JCP E 2016, Nr.  07-151, S.  9; Rapport au Président de la République relatif à l’ordonnance n° 2016-131 du 10 février 2016 („Force est de constater que les textes actuels ne permettent pas d’appréhender le droit positif, tant la jurisprudence a dû les interpréter, par analogie, a contrario, voire contra legem.“). 29  Boucard, in: La réforme du droit des obligations, S.  27. 30  Dupichot, Dr. et patr. 2015, Nr.  247, S.  32; Mazeaud, in: La réforme du droit des obliga­ tions, S.  9, 10; Mazeaud, Gaz. Pal. 2016, 208. 31  Casas, ZEuP 2017, 68, 73. 32  Alpa, RID comp.  2015, 877, 880 ff. 33  Mainguy, JCP E 2016, Nr.  07-151, S.  9. 34  Carbonnier, Année canonique 38 (1996), 91, 95 („l’incapacité de trancher entre capitalis­ me et socialisme“).

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A.  Das französische Recht

lebigkeit einer etwaigen nationalen Reform angesichts der bevorstehenden euro­ päischen Rechtsvereinheitlichung.35 c)  Auslöser des Paradigmenwechsels aa)  Der Zusammenbruch der kommunistischen Systeme Die Wahl zwischen einer kapitalistisch oder einer sozialistisch geprägten Rechts­ ordnung wurde mit dem Zusammenbruch der kommunistischen Systeme hinfäl­ lig. In diesem Kontext setzte mit den Niederlanden ab dem Jahr 1992 eine regel­ rechte Welle der Schuld- und Vertragsrechtsreformen ein.36 Insbesondere passten zahlreiche osteuropäische Staaten ihre Zivilgesetzbücher nach dem Zerfall der Sowjetunion an die Marktwirtschaft an. So setzte nach dem Inkrafttreten der Schuldrechtsreform in Estland (1992) auch in Russland seit dem Jahr 1994 der Reformprozess des Zivilrechts ein.37 Darauf folgte in Europa, neben der Moder­ nisierung des deutschen Schuldrechts (2002), die Reform des rumänischen Rechts (2011)38 sowie des tschechischen Rechts (2014)39. Gleichwohl wurde im Unterschied zum deutschen Recht die Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie aus dem Jahr 1999 in Frankreich entgegen entsprechender Bestrebungen vonseiten des Schrifttums nicht zum Anlass genommen, das französische Vertragsrecht grund­ legend zu reformieren. Vielmehr wurde jene Richtlinie in Ermangelung eines akademischen und politischen Einklangs lediglich im „kleinen“ C.  con. umge­ setzt.40 Dies führte dazu, dass sich das französische Zivilrecht zunehmend in Europa isolierte.41 bb)  Die Verwirklichung eines einheitlichen europäischen Zivilrechts Auch der zweite Begründungsansatz Carbonniers für die Untätigkeit des franzö­ sischen Gesetzgebers erweist sich angesichts des Einflusses der inzwischen mo­ dernisierten Rechtsordnungen auf die europäischen Rechtsvereinheitlichungs­ projekte als unzutreffend. Wie der DCFR und das daraus entwickelte GEKR der Europäischen Union anschaulich belegen, konnte sich das französische Recht im 35  Carbonnier, in: L’évolution contemporaine du Droit des Contrats, S.  29, 32 („cette ma­ tière pourrait, dans un avenir abordable, faire l’objet d’une unification européenne“). 36  Kleinschmidt/Groß, RDC 2015, 674 f. 37  Mercadal, Réforme, Nr.  3; Rasskazova, in: The law of obligations in Europe, S.  139; Schulze, in: La réforme du droit des obligations, S.  11, 16 f. 38  Moore, in: La réforme du droit des obligations, S.  261, 262; Bojin, in: The law of obliga­ tions in Europe, S.  377. 39  Tichý, in: The law of obligations in Europe, S.  27 ff. 40  Boucard, in: La réforme du droit des obligations, S.  27 f. 41  Boucard, in: La réforme du droit des obligations, S.  27, 28.

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Unterschied zu den reformierten Rechtsordnungen des kontinentaleuropäischen Raums nicht durchsetzen.42 Die Konsequenz war, dass sich jene Vereinheitli­ chungsvorhaben einem erheblichen politischen Widerstand Frankreichs ausge­ setzt sahen, der einer unionsrechtlichen Etablierung des geplanten Rechtsrah­ mens entgegenstand. Mit anderen Worten setzt die von Carbonnier in Aussicht gestellte Erarbeitung eines europäischen Zivilgesetzbuchs unweigerlich eine Annäherung des französischen Vertrags- und Schuldrechts an die benachbarten europäischen Rechtsordnungen überhaupt erst voraus. Um die Jahrhundertwende wuchs das Bewusstsein über den zunehmenden Einfluss der Europäischen Union auf das Zivilrecht und den globalen Wettbe­ werb der Rechtsordnungen. Nur durch eine Reform des französischen Schuldund Vertragsrechts konnte das Projekt eines gemeinsamen europäischen Zivil­ rechts erreicht und der Niedergang der globalen Ausstrahlungswirkung des fran­ zösischen Rechts abgewendet werden.43 Daher bat die Association Henri Capitant das Justizministerium, die Jubilä­ umsfeier zum zweihundertjährigen Bestehen des C. civ. in der Sorbonne im März 2004 dazu zu nutzen, eine entsprechende Reform in die Wege zu leiten.44 Darauf­ hin kündigte der damalige französische Präsident Chirac, nicht zuletzt auch an­ getrieben vom schlechten Abschneiden Frankreichs im erstmals im Jahre 2003 veröffentlichten Doing-Business-Index der Weltbank45, im Rahmen der Feier­ lichkeiten an, das Schuldrecht des C. civ. innerhalb von 5 Jahren im Wege einer gesetzesvertretenden Verordnung (Ordonnance) zu reformieren und bat Catala um die Erstellung eines entsprechenden Entwurfs.46 Die vergleichsweise späte Realisierung der französischen Vertragsrechtsre­ form bot insbesondere den Vorteil, dass der französische Gesetzgeber aus den Erfahrungen der vorangegangenen Reformen der europäischen Staaten sowie der Rechtsvereinheitlichungsprojekte wertvolle Erkenntnisse gewinnen konnte.47 Kleinschmidt/Groß, RDC 2015, 674 f.; Lequette, RDC 2015, 616 f. Boucard, in: La réforme du droit des obligations, S.  27, 29; Mercadal, Réforme, Nr.  3; Lequette, RDC 2015, 616 f.. 44  Dupichot, Dr. et patr. 2015, Nr.  247, S.  32; Schulze, in: La réforme du droit des obliga­ tions, S.  11, 24. 45  Mainguy, JCP E 2016, Nr.  07-151, S.  9. 46  Chirac, Gaz. Pal. 2004, Nr.  88–90, 30.03.2004, S.  25 („Réécrivons en cinq ans le droit des contrats et celui des sûretés (…). J’attends beaucoup des travaux sur la refonte du droit des obligations conduits par des universitaires de très grande qualité sous la présidence du profes­ seur Catala. Cet effort de modernisation, indispensable dans le domaine des obligations, doit animer l’ensemble de notre droit.“); vgl. Boucard, in: La réforme du droit des obligations, S.  27, 29; Lequette, RDC 2015, 616 f.; Mercadal, Réforme, Nr.  3; Meunier, LPA 2016, Nr.  261, S.  3; Schulze, in: La réforme du droit des obligations, S.  11, 24. 47  Schulze, in: La réforme du droit des obligations, S.  11, 24. 42  43 

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2.  Inspirationsquellen der Schuldrechtsreform a)  Die europäischen Rechtsvereinheitlichungsvorhaben Dem Inkrafttreten der französischen Schuldrechtsreform sind in der Tat zahlrei­ che internationale Regelwerke sowie Vorarbeiten für die Schaffung eines europä­ ischen Einheitsrechts vorausgegangen, die mit unterschiedlicher Intensität als vorbereitende Arbeiten der französischen Schuld- und Vertragsrechtsreform an­ gesehen werden können.48 Hierunter fallen die UNIDROIT-Grundregeln für internationale Handelsver­ träge (Principles of International Commercial Contracts, PICC)49, die Grundre­ geln des Europäischen Vertragsrechts (Principles of European Contract Law, PECL)50, der Entwurf eines Europäischen Vertragsgesetzbuchs der „Akademie Europäischer Privatrechtswissenschaftler“ (Gandolfi Principles)51, die im Jahre 2008 veröffentlichten Principes contractuels communs (PCE) der „Association Henri Capitant des Amis de la Culture Juridique Française“ in Zusammenarbeit mit der „Société de législation comparée“52 sowie der Entwurf eines Gemeinsa­ men Referenzrahmens (Draft Common Frame of Reference, DCFR)53. b)  Avant-projet Catala Von weitaus größerer Bedeutung waren jedoch die Gesetzentwürfe der Rechts­ wissenschaftler Catala und Terré. Ausgangspunkt der Entwicklung des Re­form­ inhalts war der vom damaligen französischen Präsidenten Chirac im Jahre 2004 in Auftrag gegebene Gesetzentwurf unter der Leitung des Universitätsprofessors Catala54. Die damit betraute Arbeitsgruppe vereinte zahlreiche Universitätspro­ fessoren und Mitglieder der Association Henri Capitant.55 Im September 2005 wurde dem Justizministerium das Ergebnis jener Ausarbeitung im „Rapport pour une réforme du droit des obligations et de la prescription“ („Bericht für eine Reform des Schuldrechts und des Verjährungsrechts“) vorgelegt, der auch unter der Bezeichnung Avant-projet Catala bekannt wurde.56 Dupichot, Dr. et patr. 2015, Nr.  247, S.  32; Porchy-Simon, Droit civil, Rn.  80. Dupichot, Dr. et patr. 2015, Nr.  247, S.  32; Fages, Droit des obligations, Rn.  34; Houtcieff, in: Pour une réforme du droit des contrats, 183 f.; Mainguy, JCP E 2016, Nr.  07-151, S.  9. 50  Alpa, RID comp.  2015, 877, 890 f.; Fages, Droit des obligations, Rn.  34. 51  Houtcieff, in: Pour une réforme du droit des contrats, 183 f.; Mercadal, Réforme, Nr.  4. 52  Mercadal, Réforme, Nr.  4. 53  Alpa, RID comp.  2015, 877, 890 f.; Mercadal, Réforme, Nr.  4. 54  Alpa, RID comp.  2015, 877, 883 f. 55  Boucard, in: La réforme du droit des obligations, S.  27, 30. 56  Boucard, in: La réforme du droit des obligations, S.  27, 30; Catala, Rapport sur l’avant-projet de réforme; Meunier, RDC 2015, 622, 623. 48  49 

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Danach sollte das reformierte Recht der französischen Rechtstradition wei­ testgehend treu bleiben.57 Grundlegende klassische Konzepte sollten nicht allein deshalb aufgegeben werden, weil sie bei rechtsvergleichender Betrachtung unbe­ kannt waren.58 Die Reform sollte allein eine „évolution“ und keine „révolution“ des Schuldrechts beinhalten. Zu diesem Zweck sollte das Schuldrecht des C. civ. vorrangig durch Kodifikation der aktuellen Rechtsprechung („acquis jurispru­ dentiel“) modernisiert werden. Wenn in dem Entwurf vereinzelt auch Innovatio­ nen enthalten sein mögen, handelt es sich im Kern um eine Konsolidierung des bereits praktizierten Richterrechts. Der Avant-projet Catala wurde einer öffentlichen Konsultation unterzogen, die von zahlreichen Juristen und Wirtschaftsakteuren zur Kommentierung ge­ nutzt wurde.59 Dabei legte eine speziell für diese Untersuchung ins Leben geru­ fene Arbeitsgruppe der Cour de cassation eine ablehnende Stellungnahme zum Avant-projet Catala vor.60 Der Kritik schlossen sich sodann auch diverse Vertre­ ter des Avant-projet Catala an, womit letztlich der Entwurf insgesamt scheiter­ te.61 Dem Vorhaben fehlte sowohl der akademische Konsens innerhalb der Ar­ beitsgruppe als auch die für den politischen Reformprozess wichtige Überzeu­ gung der Cour de cassation. Vor diesem Hintergrund übte sich der Gesetzgeber mit der Übernahme des Entwurfs in Zurückhaltung. Letztlich wurde er nicht wie ursprünglich geplant im Jahre 2005 verabschiedet.62 c)  Avant-projet Terré Daher wollte zum Ende des Jahres 2006 eine Arbeitsgruppe der „Académie des sciences morales et politiques“ unter dem Vorsitz des Universitätsprofessors Terré eine gegenüber dem Avant-projet Catala vorzuziehende Alternative schaf­ fen.63 Jener unter der Bezeichnung Avant-projet Terré bekannt gewordene Ge­ genentwurf zum Avant-projet Catala wurde in drei Abschnitten veröffentlicht, die jeweils von drei verschiedenen Gruppen ausgearbeitet wurden64: Es handelt

57  Boucard, in: La réforme du droit des obligations, S.  27, 30; Brenner, JCP G 2016, 898 f.; Dupichot, Dr. et patr. 2015, Nr.  247, S.  32; Lequette, RDC 2015, 616, 617. 58  Boucard, in: La réforme du droit des obligations, S.  27, 30. 59  Meunier, RDC 2015, 622, 623. 60  Rapport du groupe de travail de la Cour de cassation sur l’avant-projet de réforme du droit des obligations et de la prescription (15.06.2007). 61  Vgl. bspw. Rémy, RDC 2004, 1169. 62  Boucard, in: La réforme du droit des obligations, S.  27, 30 f. 63  Meunier, RDC 2015, 622, 623. 64  Alpa, RID comp.  2015, 877, 883 f.

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A.  Das französische Recht

sich hierbei um den Vertrag (Dezember 2008)65, die Haftung (2011)66 sowie das allgemeine Schuldrecht (2013)67. Der Avant-projet Terré steht dem Avant-projet Catala sowohl nach dem beruflichen Hintergrund seiner Bearbeiter als auch in­ haltlich diametral gegenüber.68 So setzte sich die Arbeitsgruppe, die für das Ver­ tragsrecht zuständig war, neben Universitätsprofessoren vor allem auch aus Richtern der Cour de cassation sowie Vertretern der Anwaltschaft, der Notare sowie der Industrie- und Handelskammer in Paris zusammen.69 Inhaltlich ver­ steht sich der Entwurf als innovativ und progressiv.70 Die Eigenarten des franzö­ sischen Rechts sollten, soweit erforderlich, einer Angleichung an die europäi­ schen Rechtsordnungen weichen.71 Bei der Entwicklung des Avant-projet Terré wurden die UNIDROIT-Grundre­ geln, die Entwürfe zur Schaffung eines europäischen Einheitsrechts, die Rechts­ ordnungen anderer europäischer Staaten, der Avant-projet Catala, die dagegen geäußerte Kritik vonseiten der Arbeitsgruppe der Cour de cassation, der Indu­ strie- und Handelskammer in Paris (CCIP) sowie bestimmter Verbraucherschut­ zorganisationen berücksichtigt. Im Ergebnis wurde das Ziel verfolgt, das franzö­ sische Vertrags-, Haftungs- und Schuldrecht mit den europäischen Rechtsord­ nungen in Einklang zu bringen und so letztlich auch die Entwicklung eines einheitlichen europäischen Zivilrechts zu fördern.72 d)  Weitere Strömungen Insoweit schien ein Konsens zwischen den beiden Entwürfen unerreichbar zu sein. Der Konflikt verschärfte sich dadurch, dass daneben eine weitere Zweitei­ lung hinzutrat, die sich nicht konsequent mit der oben genannten (die traditions­ getreue Konzeption des Avant-projet Catala gegen den innovativen Vorstoß des Avant-projet Terré) deckte. Das französische Schrifttum war nämlich von zwei weiteren Denkrichtungen geprägt. Auf der einen Seite standen die Vertreter des Liberalismus, die sich für eine Stärkung der Privatautonomie einsetzten, wäh­ rend auf der anderen Seite eine humanistisch geprägte Strömung den Schutz des schwächeren Vertragspartners zu stärken suchte.73

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Terré, Pour une réforme du droit des contrats. Terré, Pour une réforme du droit de la responsabilité civile. 67  Terré, Pour une réforme du régime général des obligations. 68  Boucard, in: La réforme du droit des obligations, S.  27, 31 f. 69  Meunier, RDC 2015, 622, 623. 70  Lequette, RDC 2015, 616, 617. 71  Lequette, RDC 2015, 616, 617. 72  Houtcieff, in: Pour une réforme du droit des contrats, 183 f. 73  Boucard, in: La réforme du droit des obligations, S.  27, 32. 66 

III.  Die französische Schuldrechtsreform

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e)  Der Gesetzentwurf des Justizministeriums Das Justizministerium, das sich für eine zügige Ausarbeitung des Reformpro­ jekts einsetzte74, veröffentlichte im Juli 2008 den ersten eigenen Gesetzentwurf zum Vertragsrecht.75 Dieser Vorentwurf wurde mehrfach korrigiert76 und von zahlreichen Rechtswissenschaftlern im Rahmen öffentlicher Konsultationen kommentiert.77 Während angesichts der zahlreichen Debatten und Vorschläge die Reform des französischen Vertragsrechts ins Stocken geriet,78 wurde das Ver­ jährungsrecht bereits im Jahre 2008 reformiert.79 Als Reaktion und in der Hoff­ nung, die unterschiedlichen Positionen endlich in Einklang zu bringen, rief das Justizministerium im Jahr 2010 eine Arbeitsgruppe ins Leben, um eine endgülti­ ge Fassung des Gesetzentwurfs zum Vertragsrecht zu verabschieden.80 Die unterschiedlichen Entwürfe des Justizministeriums lehnten sich mit vari­ ierender Gewichtung an das Avant-projet Catala, das Avant-projet Terré und teil­ weise auch an dritte, insbesondere internationale Quellen an.81 Alle Vorentwürfe des Justizministeriums, vom ersten aus dem Jahr 2008 bis zum letzten aus dem Jahr 2015, waren bestrebt, neben dem Avant-projet Catala sowie dem Avant-pro­ jet Terré einen dritten, vermittelnden Weg zu beschreiten. Das Vorprojekt des Justizministeriums vom 23.10.2013 war deutlich stärker vom Avant-projet Terré als vom Avant-projet Catala geprägt und damit ins­ gesamt sehr innovativ orientiert. Hinzu kam ein marginaler Einfluss der UNI­ DROIT-Grundregeln für internationale Handelsverträge und der Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts (PECL).82 Insgesamt wurde diesem Entwurf ein Mangel an Kohärenz diagnostiziert. Zu­ dem wurde in der Literatur die Zerstückelung der Materie kritisiert, da sich der Entwurf auf das allgemeine Schuldrecht, das Vertragsrecht sowie das Recht der gesetzlichen Schuldverhältnisse beschränkte und insbesondere das Haftungs­ recht ausgenommen wurde.83

Boucard, in: La réforme du droit des obligations, S.  27, 32. Fabre-Magnan, Droit des obligations, Nr.  38 (S.  42); Lequette, RDC 2015, 616, 617. 76  Der zweite Entwurf folgte bereits im Mai 2009. 77  Fabre-Magnan, Droit des obligations, Nr.  38 (S.  42); Lequette, RDC 2015, 616, 617. 78  Boucard, in: La réforme du droit des obligations, S.  27, 32; Mekki, D. 2016, 494: Teilwei­ se wurde befürchtet, dass die Vertragsrechtsreform scheitern werde; Meunier, D. 2016, 416. 79  Boucard, in: La réforme du droit des obligations, S.  27, 30 f. 80  Meunier, RDC 2015, 622, 623. 81  Dupichot, Dr. et patr. 2015, Nr.  247, S.  32; Lequette, RDC 2015, 616, 617. 82  Dupichot, Dr. et patr. 2015, Nr.  247, S.  32. 83  Boucard, in: La réforme du droit des obligations, S.  27, 33. 74  75 

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A.  Das französische Recht

3.  Die Modernisierung des Schuld- und Vertragsrechts im Wege einer gesetzesvertretenden Verordnung Am 27.11.2013 legte die Justizministerin Taubira dem Senat schließlich einen Gesetzentwurf zur Modernisierung und Vereinfachung des Rechts und der Ver­ fahren im Bereich der Justiz und der inneren Angelegenheiten84 vor, dessen Art.  3 die Befähigung der Regierung vorsah, das Vertrags-, Beweis- und Schuldrecht im Wege einer gesetzesvertretenden Verordnung zu reformieren.85 Bei einer ge­ setzesvertretenden Verordnung handelt es sich um einen Rechtsakt, der von der Regierung auf der Grundlage einer verfassungsrechtlichen oder einfachgesetzli­ chen Übertragung parlamentarischer Befugnisse (habilitation) verabschiedet wird.86 Das Justizministerium wählte jenes Verfahren, um die Modernisierung der genannten Rechtsgebiete durch Umgehung des zu erwartenden hohen politi­ schen, wirtschaftlichen und rechtlichen Widerstands im Parlament zu beschleu­ nigen87 und so die Kohärenz der Reformbestrebung zu gewährleisten.88 Nach Art.  38 Const. kann die Regierung „zur Durchführung ihres Programms das Parlament um die Befähigung ersuchen, während eines begrenzten Zeitrau­ mes durch gesetzesvertretende Verordnungen Maßnahmen zu treffen, die norma­ lerweise dem Bereich der Gesetzgebung unterliegen“.89

84  Projet de loi n° 175 relatif à la modernisation et à la simplification du droit dans le domai­ ne de la justice et des affaires intérieures. 85  Boucard, in: La réforme du droit des obligations, S.  27, 33; Deumier, RTD civ. 2014, 597; Dupichot, Dr. et patr. 2015, Nr.  247, S.  32; Mercadal, Réforme, Nr.  5; Meunier, LPA 2016, Nr.  261, S.  3; Schulze, in: La réforme du droit des obligations, S.  11 f. 86  Favoreu/Gaïa/Ghévontian/Mestre/Pfersmann/Roux/Scoffoni, Droit constitutionnel, Rn.  1252. 87  Barbier, LPA 2015, Nr.  177, S.  12; Molfessis, JCP G 2015, Nr.  21, S.  4; in der Literatur wurde die Wahl dieser als undemokratisch geltenden Gesetzgebungstechnik zum Teil heftig kritisiert, vgl. Meunier, D. 2016, 416; Molfessis, JCP G 2016, 321, 322. 88  Molfessis, JCP E 2016, Nr.  25-1377, S.  44. 89  Gem. Art.  38 Const. kann die Regierung zur Durchführung ihres Programms das Parla­ ment um die Befähigung ersuchen, während eines begrenzten Zeitraumes durch gesetzesvertre­ tende Verordnungen Maßnahmen zu ergreifen, die normalerweise dem Bereich der Gesetzge­ bung unterliegen. Die gesetzesvertretenden Verordnungen werden im Conseil des ministres nach Anhörung des Conseil d’État beschlossen. Sie treten mit ihrer Veröffentlichung in Kraft, werden jedoch hinfällig, wenn der Entwurf des Zustimmungsgesetzes im Parlament nicht vor dem durch das kompetenzübertragende Gesetz festgelegten Zeitpunkt eingebracht wurde. Nach Ablauf der in Abs.  1 genannten Frist können gesetzesvertretende Verordnungen für die Bereiche, die durch die Gesetzgebung geregelt werden, nur noch durch Gesetz geändert wer­ den.

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Das auf den Erlass einer gesetzesvertretenden Verordnung nach Art.  38 Const. zielende Verfahren beginnt damit, dass die Regierung dem Parlament den Ent­ wurf eines kompetenzübertragenden Gesetzes (projet de loi d’habilitation) vor­ legt, in dem der Zweck, Bereich und Zeitraum der Zuständigkeitsübertragung angegeben ist sowie die Frist, innerhalb der die Regierung beim Parlament den Entwurf eines der gesetzesvertretenden Verordnung zustimmenden Gesetzes (projet de loi de ratification) einzubringen hat.90 Gesetzesvertretende Verordnungen werden nach Ausfertigung und Bekannt­ machung des kompetenzübertragenden Gesetzes durch das Parlament von der Regierung im Conseil des ministres (Ministerrat) erarbeitet, dem Conseil d’État91 zur Stellungnahme vorgelegt und innerhalb des in dem kompetenzübertragenden Gesetz genannten Zeitraums beschlossen.92 Dabei sind alle im kompetenzüber­ tragenden Gesetz genannten Bereiche vollständig zu regeln.93 Lediglich die Art und Weise der Umsetzung der parlamentarischen Vorgaben bleibt der Regierung vorbehalten. Aus diesem Grund musste die gesetzesvertretende Verordnung etwa nach Art.  8 Nr.  2 des kompetenzübertragenden Gesetzes Nr.  2015-177 nur über­ haupt Regelungen zu „missbräuchlichen Klauseln“ („clauses abusives“) enthal­ ten. Die Anordnung einer bestimmten Rechtsfolge wurde dagegen nicht vorge­ schrieben. Denkbar war insoweit die Nichtigkeit, die Verpflichtung des Verwen­ ders zur Zahlung von Schadensersatz oder die Befugnis des Richters, korrigierend in den Vertragsinhalt einzugreifen.94 Anlässlich des Verfahrens zum Erlass des der gesetzesvertretenden Verord­ nung zustimmenden Gesetzes besteht für das Parlament die Möglichkeit, über die einzelnen Bestimmungen abzustimmen. Dabei kann die gesetzesvertretende Verordnung nach Art.  38 Abs.  3 Const. weiteren Änderungen unterzogen wer­ („Le Gouvernement peut, pour l’exécution de son programme, demander au Parlement l’au­ torisation de prendre par ordonnances, pendant un délai limité, des mesures qui sont normale­ ment du domaine de la loi. Les ordonnances sont prises en Conseil des ministres après avis du Conseil d’Etat. Elles entrent en vigueur dès leur publication mais deviennent caduques si le projet de loi de ratifica­ tion n’est pas déposé devant le Parlement avant la date fixée par la loi d’habilitation. Elles ne peuvent être ratifiées que de manière expresse. A l’expiration du délai mentionné au premier alinéa du présent article, les ordonnances ne peuvent plus être modifiées que par la loi dans les matières qui sont du domaine législatif.“). 90  Barbier, LPA 2015, Nr.  177, S.  12 f.; Gohin, Droit constitutionnel, Nr.  864 (S.  968). 91  Das oberste französische Verwaltungsgericht, das zugleich eine beratende Funktion ge­ genüber der Regierung wahrnimmt. 92  Favoreu/Gaïa/Ghévontian/Mestre/Pfersmann/Roux/Scoffoni, Droit constitutionnel, Rn.  1256; Hamon/Troper, Droit constitutionnel, Nr.  766 (S.  774). 93  Barbier, LPA 2015, Nr.  177, S.  12, 14. 94  Barbier, LPA 2015, Nr.  177, S.  12, 13 f.

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A.  Das französische Recht

den.95 Von dieser Befugnis hat das Parlament im Zustimmungsgesetz vom 20.04.2018 mit Wirkung zum 01.10.2018 insbesondere bei der Ausgestaltung der Inhaltskontrolle von Klauseln in contrats d’adhésion Gebrauch gemacht. Damit unterliegt das französische Vertragsrecht fortan drei voneinander abzu­ grenzenden Rechtszuständen, je nachdem, ob der zu untersuchende Vertrag bis zum 30.09.2016 (alte Rechtslage), zwischen dem 01.10.2016 und dem 30.09.2018 (Rechtslage nach der gesetzesvertretenden Verordnung), oder seit dem 01.10.2018 (Rechtslage nach dem der gesetzesvertretenden Verordnung zustimmenden Ge­ setz) geschlossen wurde.96

4.  Ziele der Schuldrechtsreform a)  Vorgaben und Umsetzung Die Ermittlung der Ziele der französischen Schuldrechtsreform ist für die Ausle­ gung der reformierten Bestimmungen des C. civ. von herausragender Bedeutung. Dabei sind die Grenzen des kompetenzübertragenden Gesetzes zu beachten, wo­ nach die Regierung „die Lesbarkeit des allgemeinen Vertragsrechts, des Schuldrechts und des Beweisrechts moder­ nisieren, vereinfachen [und] verbessern, die Zugänglichkeit verstärken [und] die Rechtssicher­ heit sowie die Effizienz der Rechtsnorm gewährleisten“ sollte.97

Auf dieser Grundlage verfolgt die französische Regierung mit der Reform des Schuldrechts ein zentrales Ziel, das von zwei Nebenzielen flankiert wird.98 So wurde die Steigerung der Rechtssicherheit zum ersten und wichtigsten Ziel der Reform erhoben.99 Neben dieses Primärziel treten an zweiter Stelle die Attrakti­ vität des französischen Rechts und an dritter Stelle die Vertragsgerechtigkeit.100 95  Barbier, LPA 2015, Nr.  177, S.  12, 13; Bénabent/Aynès, in: RDC hors série, S.  4; Favo­ reu/Gaïa/Ghévontian/Mestre/Pfersmann/Roux/Scoffoni, Droit constitutionnel, Rn.  1258; Mercadal, Réforme, Nr.  11; Molfessis, JCP E 2016, Nr.  25-1377, S.  44 warnte eindringlich vor entsprechenden Veränderungen („Le risque est grand d’ouvrir une telle boîte de Pandore“). 96 Vgl. Gaudemet, JCP G 2016, 958. 97  Art.  8 des kompetenzübertragenden Gesetzes Nr.  2015-177 vom 16.02.2015: „[…] mo­ derniser, simplifier, améliorer la lisibilité, renforcer l’accessibilité du droit commun des contrats, du régime des obligations et du droit de la preuve, garantir la sécurité juridique et l’efficacité de la norme“. 98  Champalaune, in: Réforme du droit des contrats, S.  7, 10;; Mekki, Gaz. Pal. 2016, 109; Stoffel-Munck, in: Réforme du droit des contrats, S.  17, 19. 99  Rapport au Président de la République relatif à l’ordonnance n° 2016-131 du 10 février 2016 („La sécurité juridique est le premier objectif poursuivi par l’ordonnance“); Mercadal, Réforme, Nr.  21. 100  Rapport au Président de la République relatif à l’ordonnance n° 2016-131 du 10 février

III.  Die französische Schuldrechtsreform

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Das neue französische Schuldrecht dreht sich fortan also um das Streben nach Rechtssicherheit, Effizienz und Gerechtigkeit.101 b)  Förderung der Rechtssicherheit Um die Rechtssicherheit zu erhöhen, entschied sich die Regierung für eine päd­ agogisch geprägte Darstellung der neuen Bestimmungen.102 Dies geschah durch die Umstrukturierung der zu reformierenden Abschnitte des C. civ., die Aufnah­ me bekannter Definitionen, die Verwendung eines zeitgemäßen Vokabulars so­ wie die Kodifikation der Rechtsprechung.103 Dabei folgt das allgemeine Ver­ tragsrecht des modernisierten C. civ. einer chronologischen Gliederung vom Abschluss des Vertrages, seiner Auslegung, seinen Wirkungen bis zu seinem Erlöschen.104 Dadurch soll jeder rechtsuchende Bürger bei der bloßen Lektüre des Gesetzestextes in die Lage versetzt werden, sich die gesamte Entwicklung eines Vertrages von seiner Anbahnung bis zu seinem Erlöschen selbst zu er­ schließen.105 Hinzu kommt, dass Themengebiete, die auf verschiedene Bestimmungen des C. civ. verteilt waren, nun in einheitlichen Bestimmungen zusammengefasst wer­ den106 oder umgekehrt Bestimmungen zwecks Verbesserung der Lesbarkeit auf­ gespalten wurden, um die Artikulation zwischen den einzelnen Vorschriften zu verbessern. So wurden etwa die drei Absätze des Art.  1134 C. civ. a. F. über die Bindungswirkung des Vertrages sowie den Grundsatz des guten Glaubens in die Artt.  1103, 1104 und 1193 C. civ. aufgespalten und bei dieser Gelegenheit auch inhaltlich erweitert.107 2016; Champalaune, in: Réforme du droit des contrats, S.  7, 10; Stoffel-Munck, in: Réforme du droit des contrats, S.  17, 19. 101  Champalaune, in: Réforme du droit des contrats, S.  7, 10; Choné-Grimaldi/Darmon/ Grandjean, JCP E 2016, Nr.  25-1374, S.  24; Mekki, Gaz. Pal. 2016, 109; Mekki, D. 2016, 494, 495 („Sécurité, efficacité et équité constituent la devise de ce nouveau droit des obligations“); Stoffel-Munck, in: Réforme du droit des contrats, S.  17, 19. 102  Alpa, RID comp.  2015, 877, 884; Deshayes, in: RDC hors série, S.  21, 22; Mercadal, Réforme, Nr.  18; Meunier, LPA 2016, Nr.  261, S.  3, 4 f.; Molfessis, JCP G 2015, Nr.  21, S.  6, 9. 103  Rapport au Président de la République relatif à l’ordonnance n° 2016-131 du 10 février 2016; Molfessis, JCP G 2015, Nr.  21, S.  4. 104  Meunier, LPA 2016, Nr.  261, S.  3, 4 f.; Mignot, LPA 2016, Nr.  41, S.  8, 9. 105  Compte rendu du Conseil des ministres du 10 février 2016 („Chacun pourra désormais, à la lecture du code, comprendre l’ensemble des étapes de la vie d’un contrat, de sa formation à son exécution“); siehe auch Ghestin/Labarthe, LPA 2015, Nr.  177, S.  17 („le style du Projet se caractérise par la simplicité, la sobriété et la concision qui rendront la lecture, la compréhen­ sion des textes et leur traduction particulièrement faciles“). 106  Etwa die Zusammenführung der früheren Art.  1168 C. civ. und Art.  1183 C. civ. über die aufschiebende und auflösende Bedingung in Art.  1304 C. civ., der fortan drei Absätze enthält. 107  Dondero, JCP E 2016, Nr.  19-1283, S.  22; Mercadal, Réforme, Nr.  32.

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A.  Das französische Recht

Zu nennen ist ferner die Aufnahme von Bestimmungen, deren Funktion sich darin beschränkt, dem Gläubiger einen Überblick über die ihm zur Verfügung stehenden Rechte zu verschaffen. Dies gilt insbesondere für Art.  1217 C. civ.108, der die Rechtsfolgen der Nicht- oder Schlechterfüllung eines Vertrages in einer dem §  437 BGB für den Kaufvertrag oder §  634 BGB für den Werkvertrag ver­ gleichbaren Weise zusammenfasst. Die didaktische Inspiration der Reform zeigt sich darüber hinaus in der starken Präsenz von Definitionen, die sich nach Auffassung der Gründerväter des C. civ. von 1804 bereits aus der Etymologie des verwendeten Begriffs ergeben sollten. Die Reform verwendet zudem ein gegenüber der bisherigen Rechtlage ver­ einfachtes Vokabular, das der aktuellen Alltagssprache entsprechen soll.109 So ersetzt etwa der contrat à titre gratuit (unentgeltlicher Vertrag) den contrat de bien­faisance (Wohltätigkeitsvertrag), die personne raisonnable den bon père de famille110, die Begriffe but (Ziel), contenu du contrat (Inhalt des Vertrages) und contrepartie (Gegenwert) sollen die cause ersetzen, die cession de créance er­ setzt den transport de créance, der acte sous seing privé wird durch die signature privée ersetzt, die convention wird systematisch durch den contrat ersetzt und die bonnes mœurs (die guten Sitten) gehen in einem erweiterten ordre ­public auf.111 Schließlich soll die Rechtssicherheit durch eine möglichst niedrige inhaltliche Überarbeitung der Materie gewährleistet werden. Vorrangig kodifiziert die geset­ zesvertretende Verordnung daher zahlreiche richterrechtliche Entwicklungen. Dadurch soll auch dem rechtsunkundigen Bürger der Zugang zum Recht erleich­ tert werden, da eine Bestimmung des C. civ. regelmäßig einfacher zu erfassen ist als ein Urteil der Cour de cassation.112 Das Ziel der gesetzesvertretenden Verord­ nung liegt insoweit im Sinne des Avant-projet Catala nicht in der grundlegenden Überarbeitung der tangierten Rechtsgebiete.113 Dies erschließt sich bereits aus der gewählten Terminologie in Art.  8 des kompetenzübertragenden Gesetzes, 108  In den älteren Gesetzentwürfen wurden die einzelnen Gläubigerrechte noch in Anleh­ nung an die Terminologie des englischen Vertragsrechts sowie der europäischen Rechtsverein­ heitlichungsprojekte als „remèdes“ bezeichnet, wohingegen in der geltenden Fassung nunmehr von „sanctions“ die Rede ist, vgl. Dondero, JCP E 2016, Nr.  19-1283, S.  22. 109  Meunier, LPA 2016, Nr.  261, S.  3, 4 f. 110  Entsprechend dem Gesetz Nr.  2014-873 vom 04.08.2014 für die tatsächliche Gleichbe­ handlung von Frauen und Männern („pour l’égalité réelle entre les femmes et les hommes“). 111  Chantepie/Latina, La réforme, Nr.  96; Mainguy, JCP E 2016, Nr.  07-151, S.  9; Mekki, D. 2015, 816, Rn.  33; Mercadal, Réforme, Nr.  20, 116; Meunier, LPA 2016, Nr.  261, S.  3, 4 f.; Molfessis, JCP G 2016, 321, 322; Renault-Brahinsky, Droit des obligations, S.  80. 112  Mercadal, Réforme, Nr.  19. 113  Compte rendu du Conseil des ministres du 10 février 2016 („L’objectif est de rénover sans bouleverser“); Stoffel-Munck, in: Réforme du droit des contrats, S.  17 f.

III.  Die französische Schuldrechtsreform

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wonach viele Regeln und Prinzipen des Vertragsrechts primär „bestätigt“ („affir­ mer“), „definiert“ („définir“), „klargestellt“ („clarifier“) und „präzisiert“ („préci­ ser“) werden sollen. Für die Auslegung der hiervon betroffenen neuen Bestim­ mungen bedeutet dies, dass im Zweifel weiterhin die bisherigen Lösungen der Rechtsprechung oder die unstreitigen Rechtsansichten der Literatur Geltung be­ anspruchen. c)  Steigerung der Attraktivität des französischen Rechts Das zweite Ziel der gesetzesvertretenden Verordnung liegt darin, die Attraktivität des französischen Rechts in politischer, kultureller und wirtschaftlicher Hinsicht zu steigern.114 Dies soll zum einen durch das Primärziel, also die Erhöhung der Rechtssicherheit, zum anderen aber auch durch die Aufnahme neuer Mechanis­ men, die sich in der Rechtspraxis bewährt haben, oder durch die Vereinfachung der vorhandenen Anforderungen, zu realisieren sein.115 Das Bestreben, die At­ traktivität des französischen Rechts zu verbessern, richtet sich vorrangig an in­ ternational agierende Unternehmen, denen Vereinbarungen über das anwendbare Recht geläufig sind.116 Potenziellen Investoren soll ein rechtlicher Rahmen ga­ rantiert werden, der zugleich klar, effizient sowie an die Anforderungen der glo­ balisierten und in ständiger Entwicklung befindlichen Wirtschaft angepasst ist.117 Dagegen ist die Rechtswahl in den übrigen Konstellationen, also insbesondere im C2C- sowie dem B2C-Bereich von marginaler Bedeutung. Für Verbraucher­ verträge gilt dies insbesondere wegen Art.  6 Rom-I-VO.118 Im Rahmen einer Un­ tersuchung der Schiedssprüche des ICC Schiedsgerichtshofs nahm das französi­ sche Recht bisher den vierten Platz hinter dem englischen, dem schweizerischen und dem US-amerikanischen Recht ein. In dem Doing Business Bericht der Weltbank aus dem Jahr 2015 nahm die Effizienz von Verträgen, die dem bisheri­ gen französischem Recht unterliegen, den zehnten Rang ein, nachdem in den vorangegangenen Jahren die Plätze 7 und 8 erreicht wurden.119 Bei der Beurtei­ lung der Frage, ob eine nationale Rechtsordnung im internationalen Vergleich 114 

Rapport au Président de la République relatif à l’ordonnance n° 2016-131 du 10 février 2016 („Le deuxième objectif poursuivi par l’ordonnance est de renforcer l’attractivité du droit français, au plan politique, culturel, et économique“); Meunier, LPA 2016, Nr.  261, S.  3; Stoffel-Munck, in: Réforme du droit des contrats, S.  17, 19. 115  Meunier, LPA 2016, Nr.  261, S.  3. 116  Mainguy, JCP E 2016, Nr.  07-151, S.  9. 117  Compte rendu du Conseil des ministres du 10 février 2016 („Elle garantira aux investis­ seurs un cadre juridique clair, efficace et adapté aux enjeux d’une économie mondialisée et en perpétuelle évolution“). 118  Stoffel-Munck, in: Réforme du droit des contrats, S.  17, 19. 119  Mainguy, JCP E 2016, Nr.  07-151, S.  9; Mercadal, Réforme, Nr.  22.

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A.  Das französische Recht

attraktiv ist und daher von den Vertragsparteien gewählt werden wird, kommt es indes nicht ausschließlich auf den Inhalt der Rechtsvorschriften an, sondern vor­ rangig auf den internationalen ordre public. Der Grund liegt darin, dass die Ver­ tragsparteien im internationalen Geschäftsverkehr regelmäßig ohnehin für sie unbequeme Vorschriften des nationalen Rechts weitestgehend abzubedingen su­ chen. Angesichts dessen zeichnete sich die Attraktivität des französischen Rechts bisher dadurch aus, dass der französische internationale ordre public von den Gerichten auf wenige Ausnahmen beschränkt wurde.120 Da sich die neuen Be­ stimmungen der gesetzesvertretenden Verordnung erwartungsgemäß nicht darü­ ber äußern, ob es sich um Eingriffsnormen handelt oder ob sie Ausdruck des französischen internationalen ordre public sind und infolgedessen in internatio­ nalen Verträgen nicht abbedungen werden können, wird bei der Beurteilung die­ ser Frage das Ziel der französischen Regierung, mit der gesetzesvertretenden Verordnung die Attraktivität des französischen Rechts zu erhöhen, von aus­ schlaggebender Bedeutung sein. In Anbetracht dessen ist zu erwarten, dass die neuen Schutzvorschriften zwar auf nationaler Ebene zwingend sind, aber im in­ ternationalen Geschäftsverkehr abbedungen werden können. d)  Ausbau der Vertragsgerechtigkeitsmechanismen Nach dem dritten und für die vorliegende Untersuchung bedeutsamsten Ziel strebt die Reform nach einem höheren Maß an Vertragsgerechtigkeit.121 Dabei soll durch die Kodifikation neuer Schutzmechanismen den Interessen der schwä­ cheren Vertragspartei besser Rechnung getragen werden können.122 So wurde die Regierung vom Parlament in Art.  8 Nr.  2 des kompetenzübertragenden Gesetzes angewiesen, den bisweilen ausschließlich aus Spezialgesetzen bekannten Begriff der missbräuchlichen Klausel (clause abusive) in den C. civ. zu integrieren sowie Bestimmungen einzuführen, die es gestatten, das Verhalten einer Partei zu sank­ tionieren, die die Unterlegenheit ihres Gegenübers zu missbrauchen sucht. Für die Auslegung der aus diesen Vorgaben hervorgegangenen Bestimmungen be­ Mercadal, Réforme, Nr.  22; Beispiele in Mercadal, Réforme, Nr.  119. Le Gac-Pech, LPA 2016, Nr.  162, S.  7; Stoffel-Munck, in: Réforme du droit des contrats, S.  17, 22; a. A. Bourassin, LPA 2016, Nr.  261, S.  9, 18; Dondero, JCP E 2016, Nr.  19-1283, S.  22; Mainguy, JCP E 2016, Nr.  07-151, S.  9; Mainguy, D. 2016, 1762; Mouial-Bassilana/Eva, BJS 2016, 629, wonach in der Vertragsgerechtigkeit sogar das Hauptziel der Reform liegen soll, welches im Widerspruch zur angestrebten Effizienz steht. 122  Art.  8 Nr.  2 des kompetenzübertragenden Gesetzes Nr.  2015-177 vom 16.02.2015 („Simplifier les règles applicables aux conditions de validité du contrat, […] en consacrant en particulier le devoir d’information et la notion de clause abusive et en introduisant des disposi­ tions permettant de sanctionner le comportement d’une partie qui abuse de la situation de fai­ blesse de l’autre“). 120  121 

III.  Die französische Schuldrechtsreform

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deutet dies, dass ein Rückgriff auf die bisherige Rechtspraxis nicht zwingend geboten ist. Vielmehr wird im Sinne der Reformziele ein ausgewogenes Gleich­ gewicht zwischen der Vertragsgerechtigkeit einerseits und der Attraktivität des französischen Rechts für international agierende Unternehmen andererseits an­ zustreben sein.

5.  Die strukturelle Modernisierung des Schuldrechts a)  Der Modernisierungsauftrag im kompetenzübertragenden Gesetz In Art.  8 des kompetenzübertragenden Gesetzes erteilte das Parlament der Regie­ rung den Auftrag, den dritten und vierten Titel des dritten Buchs des C. civ. über das Vertrags- und Schuldrecht einschließlich des dazugehörigen Beweisrechts zu modernisieren.123 Die übrigen Titel des dritten Buches wie etwa das besondere Vertragsrecht sowie das Deliktsrecht sollten dagegen keiner Reform unterzogen werden, soweit nicht lediglich eine Anpassung bestimmter Vorschriften erforder­ lich war, um die Abstimmung mit den neuen Vorschriften zu gewährleisten. Ins­ besondere wurde das deliktische sowie das vertragliche Haftungsrecht von der Kompetenzübertragung explizit ausgenommen. b)  Die klassische Konzeption Im Unterschied zum deutschen BGB, das auf dem Pandektensystem beruht, wid­ mete der C. civ. von 1804, der an das römische Institutionensystem angelehnt ist, dem Schuldrecht keinen eigenständigen Abschnitt. Die Institutionen des römi­ schen Juristen Gaius (Institutiones Gai), die um 160 n. Chr. entstanden, stellen den ältesten noch heute nachwirkenden Systematisierungsversuch des Zivil­ rechts dar. Sie sind zwischen 528 und 534 n. Chr. in den Institutionen Justinians (dem ersten Teil des Corpus Iuris Civilis) übernommen worden.124 Die Instituti­ onen zeichnen sich durch eine Dreiteilung des Zivilrechts in das Personenrecht (personae), das Vermögensrecht (res) sowie das Zivilprozessrecht (actiones) aus. Das Schuldrecht (obligationes) wurde als Bestandteil des Vermögensrechts angesehen. Innerhalb des Schuldrechts differenzierte Gaius zwischen vertragli­ chen (obligationes ex contractu) und deliktischen Pflichten (obligationes ex delicto).125 Diese grundlegende Teilung ist sowohl im C. civ. von 1804 als auch in der gesetzesvertretenden Verordnung aus dem Jahr 2016 wiederzufinden.126 Mercadal, Réforme, Nr.  14. Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, Rn.  33; Mercadal, Réforme, Nr.  1. 125  Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, Rn.  33. 126  Mercadal, Réforme, Nr.  1; vgl. Mignot, LPA 2016, Nr.  41, S.  8, 10, der vor diesem Hin­ tergrund die Gliederung der gesetzesvertretenden Verordnung als noch zu klassisch kritisiert. 123  124 

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A.  Das französische Recht

Das Recht der Schuldverhältnisse wurde vor der Reform in zwei aufeinander­ folgenden Titeln behandelt, die danach unterschieden, ob ein vertragliches Schuldverhältnis (3. Titel: „Über Verträge und einvernehmliche Schuldverhält­ nisse im Allgemeinen“)127 oder ein gesetzliches Schuldverhältnis vorliegt (4. Ti­ tel: „Über Verpflichtungen, die ohne Willensübereinkunft entstehen“)128. Wäh­ rend im erstgenannten Titel das Vertragsrecht, das allgemeine Schuldrecht sowie das Beweisrecht ohne eindeutige Abgrenzung miteinander vermengt wurden129, enthielt der letztgenannte Titel ausschließlich Bestimmungen über die gesetzli­ chen Schuldverhältnisse.130 Der C. civ. von 1804 sah dementsprechend keinen allgemeinen Titel für sämtliche Schuldverhältnisse vor.131 Vielmehr waren die Regeln des allgemeinen Schuldrechts marginal im Abschnitt über vertragliche Verpflichtungen angesiedelt. Dies zog die systematisch missliche Konsequenz nach sich, dass auf die übrigen Schuldverhältnisse die Vorschriften über das Ver­ tragsrecht analog anzuwenden waren.132 c)  Überwindung des systematischen Defizits Zur Abhilfe boten die konkurrierenden Reformentwürfe unterschiedliche Lö­ sungswege an: Nach dem Avant-projet Catala sollten die reformierten Bestimmungen des Schuldrechts mit möglichst geringen Veränderungen in die bisherige Gliederung des C. civ. eingefügt werden.133 In Anlehnung an das deutsche BGB sah man dabei vor, dass der Abschnitt über Rechtsgeschäfte (actes juridiques) und Real­ akte (faits juridiques) dem Abschnitt über das Vertragsrecht vorangestellt werden sollte.134 Nach dem Avant-projet Terré sollte das dritte Buch des C. civ. dagegen um einen weiteren Abschnitt zum Recht der Schuldverhältnisse ergänzt werden, in dem sukzessiv der „Vertrag“, die „Verpflichtungen, die ohne Willensüberein­ kunft entstehen“ sowie das „Schuldverhältnis im Allgemeinen“ geregelt wer­

127 

„Des contrats ou des obligations conventionnelles en général“. „Des engagements qui se forment sans convention“. 129  Mainguy, JCP E 2016, Nr.  07-151, S.  9; Mignot, LPA 2016, Nr.  41, S.  8, 9, („plan hybri­ de“). 130  Brenner, JCP G 2016, 898. 131  Hontebeyrie, Dr. et patr. 2015, Nr.  249, S.  33, 34. 132  Mignot, LPA 2016, Nr.  41, S.  8, 9. 133  Catala, D. 2006, 535, 536. 134  Alpa, RID comp.  2015, 877, 884. 128 

III.  Die französische Schuldrechtsreform

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den.135 Das Justizministerium entschied sich wie bereits dargelegt für einen Mit­ telweg, der im Schrifttum auf eine breite Zustimmung stieß.136 In einem unverändert mit dem Titel „Des différentes manières dont on acquiert la propriété“ versehenen dritten Buch wurde das Recht der Schuldverhältnisse dreiteilig gegliedert: Zunächst die verschiedenen Ursachen, auf denen ein Schuldverhältnis beruhen kann, anschließend das auf alle Schuldverhältnisse an­ wendbare allgemeine Schuldrecht und zuletzt das schuldrechtliche Beweisrecht. So enthält der dritte Titel („Des sources d’obligations“) die verschiedenen Entstehungsgründe eines Schuldverhältnisses. Entsprechend dem bisherigen Aufbau des C. civ. werden zunächst in einem ersten Untertitel das Vertragsrecht („Le contrat“) und in einem zweiten Untertitel das inhaltlich unveränderte De­ liktsrecht der früheren Artt.  1382 bis 1386-18 C. civ. („La responsabilité extra­ contractuelle“) behandelt.137 Die Reform schafft zusätzlich mit dem dritten Un­ tertitel über die übrigen Schuldverhältnisse („Les autres sources d’obligations“) eine eigenständige Kategorie von Schuldverhältnissen, die Gaius und Justinian dem Vertrag zuordneten. Es handelt sich ausweislich der drei Kapitel dieses Un­ tertitels138 um die im französischen Recht auch als „Quasivertäge“ („quasi-cont­ rats“) bekannten Schuldverhältnisse.139 Dem allgemeinen Schuldrecht, das aus den Bestimmungen über das Vertrags­ recht extrahiert wurde, wird fortan der gesamte vierte Titel („Du régime général des obligations“) gewidmet.140 Durch die Einführung eines Abschnitts zum all­ gemeinen Schuldrecht erübrigt sich die bisher erforderliche analoge Anwendung der Vorschriften des Vertragsrechts auf die sonstigen Schuldverhältnisse.141 Schließlich werden in einem neuen Titel 4a („De la preuve des obligations“) die schuldrechtlichen Beweisregeln zusammengefasst.

Brenner, JCP G 2016, 898 f. Brenner, JCP G 2016, 898 f.; Deshayes, in: RDC hors série, S.  21; Ghestin/La­ barthe, LPA 2015, Nr.  177, S.  17; Mignot, LPA 2016, Nr.  41, S.  8, 9. 137  Alpa, RID comp.  2015, 877, 884. 138  „Chapitre Ier: La gestion d’affaires“, „Chapitre II: Le paiement de l’indu“, „Chapitre III: L’enrichissement injustifié“. 139 Vgl. Ghestin/Labarthe, LPA 2015, Nr.  177, S.  17, wonach aus diesem Grund die Titulie­ rung „Les quasi-contrats“ präziser gewesen wäre. 140  Mercadal, Réforme, Nr.  1. 141  Dupichot, Dr. et patr. 2015, Nr.  247, S.  32; Mignot, LPA 2016, Nr.  41, S.  8, 9. 135 

136 Vgl.

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A.  Das französische Recht

6.  Auslegung des Vertrags- und Schuldrechts des C. civ. a)  Klassische Auslegungsprinzipien Während für die französischen Gerichte zu Beginn des 19. Jahrhunderts bei der Auslegung der vertragsrechtlichen Bestimmungen des C. civ. noch der Wortlaut die äußerste Grenze der Auslegung bildete (sog. „méthode d’interprétation intrinsèque“), löste sich die Gesetzesinterpretation in der Folgezeit allmählich vom Normwortlaut (sog. „méthode d’interprétation extrinsèque“).142 Dies liegt wie bereits dargelegt daran, dass der Gesetzgeber die Weiterent­ wicklung des allgemeinen Schuld- und Vertragsrechts bis zur Reform weitestge­ hend der Rechtsprechung überließ. Als Folge dessen entwickelte die Cour de cassation im Wege richterlicher Rechtsfortbildung eigenständige Rechtsinstitute und Lösungen, die teilweise jeglicher Bezugnahme auf den C. civ. entbehrten.143 b)  Auslegung der aus der Reform hervorgegangenen Bestimmungen Die Reform des Vertragsrechts soll jener Entwicklung Einhalt gebieten. Fortan sollen auch die Rechtsfragen des modernen Wirtschaftsverkehrs unmittelbar an­ hand der Bestimmungen des C. civ. beantwortet werden können. Zur Begrün­ dung heißt es im Bericht an den Präsidenten, dass Richterrecht naturgemäß Schwankungen unterliege, die der Rechtssicherheit abträglich seien.144 Es ist daher zu erwarten, dass die künftige französische Vertrags- und Schuldrechts­ dogmatik (wieder) verstärkt an die ursprüngliche, wortlautbasierte Auslegungs­ methodik (l’exégèse) anknüpfen wird.145 c)  Die kritische Zunahme unbestimmter Rechtsbegriffe In dem Bestreben, die Verständlichkeit des Rechts durch Kodifikation der Recht­ sprechung zu verbessern, ohne zugleich die Rechtslage zur Erstarrung zu brin­ gen, konfrontiert der Reformgeber den Rechtsanwender fortan mit zahlreichen unbestimmten Rechtsbegriffen. Dies soll gewährleisten, dass die Gerichte auch in Zukunft das Recht an die jeweiligen Entwicklungen anpassen können.146 Der Bergel, Méthodologie juridique, S.  268. Mainguy, JCP E 2016, Nr.  07-151, S.  9. 144  „Ces règles ont certes été depuis complétées par une jurisprudence abondante, mais cette dernière est par essence fluctuante, voire incertaine, et peut être ressentie par les acteurs écono­ miques comme difficilement accessible et complexe dans son appréhension“. 145  Bergel, Méthodologie juridique, S.  283; Mercadal, Réforme, Nr.  38; vgl. auch Chénedé, JCP G 2016, 1334, 1338 („Le temps de la ‚libre recherche scientifique‘ reviendra. […] Espérons, que les juges sauront s’en détourner […]“. 146  Siehe auch Capitant/Terré/Lequette/Chénedé, Les grands arrêts, S.  135, der an das Zitat 142  143 

III.  Die französische Schuldrechtsreform

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verstärkte Einsatz unbestimmter Rechtsbegriffe hat in der Literatur einen hefti­ gen Streit um die Kompetenzverteilung zwischen dem Gesetzgeber und der Rechtsprechung ausgelöst.147 Insbesondere wurde diskutiert, ob die Richter­ schaft entsprechend dem klassischen Verständnis weiterhin als bloße Rechtsan­ wender angesehen werden könne oder ob jener nunmehr weitergehende Befug­ nisse einzuräumen seien.148 Dreh- und Angelpunkt der Kontroverse war, inwieweit die mit der Verwen­ dung abstrakter Rechtsbegriffe einhergehende Übertragung der Entscheidungs­ gewalt auf die Judikative für die französische Vertragsrechtsordnung sinnvoll ist. Die Gegner warfen dem Reformgeber im Wesentlichen ein widersprüchliches Verhalten vor, weil die als Hauptziel der Reform deklarierte Rechtssicherheit durch die übermäßige Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe torpediert wür­ de. Die Befürworter verwiesen auf die vergleichbaren Diskussionen, die das Ge­ setz von 1975 über Strafklauseln sowie die Reform im Québec aus dem Jahr 1994 ausgelöst hatten, und die sich im Nachhinein als unbegründet erwiesen, nachdem die Rechtsprechung nur mit äußerster Zurückhaltung von den neuen generalklauselartigen Eingriffsbefugnissen Gebrauch gemacht hatte.149 Die Ver­ gangenheit hat gezeigt, dass die Gerichte sowohl im Québec als auch in Frank­ reich den Rang der Vertragsfreiheit sowie der Rechtssicherheit stets zu achten wussten. Sie machten von der ihnen eingeräumten Vertragsgestaltungsbefugnis nur in eng umgrenzten Ausnahmefällen Gebrauch.150 d)  Der Einsatz einschränkender Adjektive und Adverbien Zur Vorsicht reagierte das französische Justizministerium auf die geäußerten Be­ denken, indem die unbestimmten Rechtsbegriffe um einschränkende Adjektive und Adverbien ergänzt wurden. Dies sollte die Gerichte zur zurückhaltenden An­ von Portalis erinnert, wonach die Aufgabe des Gesetzes allein darin liegen soll, die allgemeinen Grundsätze festzulegen („l’office de la loi est de fixer par de grandes vues les maximes généra­ les du droit; d’établir des principes féconds en conséquence, non de descendre dans le détail des questions qui peuvent naître sur chaque matière“). 147  Aynès, in: RDC hors série, S.  14; Capitant/Terré/Lequette/Chénedé, Les grands arrêts, S.  135; Dondero, JCP E 2016, Nr.  19-1283, S.  22; Mäsch, in: La réforme du droit des obliga­ tions, S.  95, 103; Molfessis, JCP G 2016, 321, 322. 148  Blanc, RDC 2016, 394 f.; Bourassin, LPA 2016, Nr.  261, S.  9, 18; Mekki, Gaz. Pal. 2016, 109, 110 befürchtet, dass die Richter, die zugleich Verfasser und Anwender des Rechts („au­ teurs-acteurs“) werden, einem „juristischen Impressionismus“ verfallen werden. 149  Capitant/Terré/Lequette/Chénedé, Les grands arrêts, S.  135; Mazeaud, in: RDC hors série, S.  53, 54. 150  Vgl. zur Entwicklung der Rechtsprechung über Strafklauseln Capitant/Terré/Lequette/ Chénedé, Les grands arrêts, S.  195; Moore, in: La réforme du droit des obligations, S.  261, 271.

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A.  Das französische Recht

wendung der neuen Vertragskontrollmechanismen ermahnen.151 Jener Hinter­ grund wird bei der Auslegung des für diese Untersuchung bedeutsamen avantage manifestement excessif in Art.  1143 C. civ. sowie des déséquilibre significatif in Art.  1171 C. civ. zu berücksichtigen sein. e)  Gesetzesauslegung anhand ergänzender Materialien Die Erforderlichkeit solcher Restriktionen kann nicht nur angesichts der bisheri­ gen Erfahrungen durchaus bezweifelt werden. Neben der Wortlautauslegung ha­ ben die französischen Gerichte nämlich ohnehin den Sinn und Zweck der anzu­ wendenden Rechtsnorm zu berücksichtigen (interprétation „finaliste“ ou „téléo­ logique“). Hierzu lassen sich aus den vorbereitenden Arbeiten üblicherweise wertvolle Erkenntnisse gewinnen.152 Anders verhält es sich indes bei gesetzes­ vertretenden Verordnungen, die mit keinen Gesetzesmaterialien („texte prépara­ toire“) einhergehen.153 Ergänzend darf aber auch auf entferntere Hilfsquellen zurückgegriffen werden, soweit diese geeignet sind, den Sinn der Rechtsnorm zu bestimmen.154 Dem Leser einer gesetzesvertretenden Verordnungen steht dabei regelmäßig der begleitende Bericht an den Präsidenten („Rapport au Président de la République“) zur Verfügung. Dieser entfaltet zwar formal nicht die bindende Wirkung einer Gesetzesbegründung, kann jedoch unstreitig ergänzend zur Aus­ legung herangezogen werden.155 Zudem kann das communiqué de presse en Conseil des ministres (Pressemitteilung des Ministerrats) wertvolle Rückschlüs­ se zulassen.156 Gleichrangig kann ferner auf die reichhaltige Kommentierung zu dem Avant-projet Catala sowie dem Avant-projet Terré zurückgegriffen wer­ den.157 Schließlich lassen sich die französischen Gerichte gelegentlich auch durch rechtsvergleichende Argumente leiten.158

151  „Hinreichend schwer“ („suffisamment grave“, Artt.  1219, 1220, 1224 C. civ.), „offen­ sichtlich“ („manifestement“, Art.  1141, 1143, 1221 C. civ.), „erheblich“ („significatif“, Art.  1171 C. civ.), vgl. Aynès, in: RDC hors série, S.  14, 16. 152  Bergel, Méthodologie juridique, S.  260. 153  Bourassin, LPA 2016, Nr.  261, S.  9, 18; Dondero, JCP E 2016, Nr.  19-1283, S.  22; Mi­ gnot, LPA 2016, Nr.  41, S.  8; Molfessis, JCP E 2016, Nr.  25-1377, S.  44. 154  Mercadal, Réforme, Nr.  41. 155  Dondero, JCP E 2016, Nr.  19-1283, S.  22; Mekki, D. 2016, 608, 609; Pérès, JCP G 2016, 770, 771. 156  Molfessis, JCP E 2016, Nr.  25-1377, S.  44. 157  Bourassin, LPA 2016, Nr.  261, S.  9, 18; Molfessis, JCP E 2016, Nr.  25-1377, S.  44. 158  Deumier, Le raisonnement juridique, S.  208; a. A. Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, S.  18.

IV.  Die vertragsfreiheitliche Konzeption des französischen Zivilrechts

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IV.  Die vertragsfreiheitliche Konzeption des französischen Zivilrechts 1.  Der Rang der Privatautonomie im C. civ. von 1804 Über die Ursprünge der vertragsfreiheitlichen Prägung des C. civ. von 1804 be­ steht in der Rechtswissenschaft kein Einklang. Während teilweise angenommen wird, die im C. civ. verankerte Vertragsfreiheit sei der individualistischen Philo­ sophie Kants geschuldet159, erblickt der Rechtsphilosoph und Mitverfasser des C. civ. Portalis im Naturrecht die Wurzeln der im C. civ. angelegten Vertragsfrei­ heit.160 Andere sind dagegen der Überzeugung, dass der Grundsatz der Vertrags­ freiheit erst im Zuge der Auslegung durch die Rechtswissenschaftler des 19. Jahrhunderts in den C. civ. „hineingelesen“ wurde.161 Dessen ungeachtet blieb das Verständnis über die Wechselbeziehung zwischen Vertragsfreiheit einerseits und Vertragsgerechtigkeit andererseits in der Vergan­ genheit – trotz teilweise abweichender Terminologie – im Kern unverändert. Stets ging man davon aus, dass die Vertragsparteien als die besten Vertreter ihrer Interessen anzusehen sind.162 Ein Vertrag konnte als Produkt der freien Willens­ übereinkunft zwischen unabhängigen und aufgeklärten Rechtssubjekten nur aus­ geglichen und damit gerecht sein.163 Normative Einschränkungen der Vertrags­ freiheit mussten daher einen absoluten Ausnahmecharakter bewahren.164 Der Gesetzgeber von 1804 brachte jenen Rechtsgedanken in Art.  1134 Abs.  1 C. civ. a. F., der rechtmäßig geschlossenen Verträgen die Qualität eines Gesetzes einräumt, („Les conventions légalement formées tiennent lieu de loi à ceux qui les ont faites“) paradigmatisch zum Ausdruck.165 Damit postulierte der Gesetzge­ Porchy-Simon, Droit civil, Rn.  67. Portalis, Discours préliminaire sur le projet de Code civil, S.  50 („En traitant des cont­ rats, nous avons d’abord développé les principes de droit naturel qui sont applicables à tous“). 161  Porchy-Simon, Droit civil, Rn.  69. 162 Vgl. Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Droit des obligations, Rn.  449; Mazeaud, Gaz. Pal. 2016, 208, 213. 163  Bénabent, Droit des obligations, Rn.  183; Le Gac-Pech, LPA 2015, Nr.  191, S.  4. 164 Vgl. Portalis, Discours préliminaire sur le projet de Code civil, S.  66 („On gouverne mal, quand on gouverne trop. Un homme qui traite avec un autre homme, doit être attentif et sage: il doit veiller à son intérêt, prendre les informations convenables, et ne pas négliger ce qui peut être utile. L’office de la loi est de nous protéger contre la fraude d’autrui; mais non pas de nous dispenser de faire usage de notre propre raison. S’il en était autrement, la vie des hommes, sous la surveillance des lois, ne serait qu’une longue et honteuse minorité; et cette surveillance dégénérerait elle-même en inquisition“). 165  Chénedé, RDC 2015, 655; Le Gac-Pech, LPA 2015, Nr.  191, S.  4; Mercadal, Réforme, Nr.  2, 115; Porchy-Simon, Droit civil, Rn.  68; in Cass. civ. 1re, Urt. vom 07.04.1987 – 8514.976 = Bulletin civil I, Nr.  119, S.  91 sowie Cass. civ. 1re, Urt. vom 06.05.2010 – 09-66.969 159  160 

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ber unweigerlich die Freiheit und Aufgeklärtheit des Willens der Vertragspartei­ en.166 Der Vertrag konnte nur deshalb zu einem als gerecht empfundenen und daher als bindend anerkannten Austauschverhältnis führen, weil er nach damali­ ger Überzeugung typischerweise das Ergebnis der freien Verhandlung zwischen Vertragspartnern auf Augenhöhe war.

2.  Dogmenwechsel im Zeitalter der Industrialisierung In der Tat konnten die von aufgedrängten oder unüberlegten Vertragsschlüssen ausgehenden Gefahren für die Vertragsgerechtigkeit zu Beginn des 19. Jahrhun­ derts noch vernachlässigt werden.167 Die den Rechtssubjekten eingeräumte umfassende Vertragsfreiheit führte erst mit der industriellen Revolution und dem damit verbundenen Aufkommen von Massenverträgen sowie wirtschaftlicher und sozialer Zwänge zunehmend zu un­ ausgeglichenen Verträgen, woraufhin allmählich am vielzitierten Aphorismus Fouillées („qui dit contractuel dit juste“)168 erhebliche Zweifel aufkamen.169 Der Sinneswandel leitete die Ära des staatlichen Interventionismus ein.170 Die unter dem wirtschaftlichen Liberalismus zunehmenden Missbräuche in der Vertrags­ gestaltung durch die „Gewinner“ des industrialisierten Wirtschaftsverkehrs soll­ ten dadurch bekämpft werden, dass sogenannten „contrats léonins“171 jegliche Grundlage entzogen wurde.172 Die Einführung von Schutzmechanismen zugunsten des unterlegenen Ver­ tragspartners vollzog sich sowohl vonseiten des Gesetzgebers als auch vonseiten der Rechtsprechung der Cour de cassation. Die direkte Integration des Schutzes der schwächeren Partei in den C. civ. schien indes wegen seiner freiheitlichen Konzeption, die auf dem Postulat der juristischen Gleichheit der Vertragsparteien basierte, nicht realisierbar. Vor diesem Hintergrund wurde die allmählich wach­ sende Abweichung der Geschäftspraxis des Wirtschaftsverkehrs von den ent­ sprechenden Vorstellungen der Gründerväter des C. civ. zunächst durch die Ko­

= Bulletin civil I, Nr.  101 = RJDA 8-9/10, Nr.  864 verweist die Cour de cassation sogar aus­ drücklich auf den Grundsatz der Vertragsfreiheit. 166  Porchy-Simon, Droit civil, Rn.  72. 167  Capitant/Terré/Lequette/Chénedé, Les grands arrêts, Urt.-Nr.  159, Rn.  1 (S.  131 f.). 168  Fouillée, La science sociale contemporaine, S.  410. 169  Mercadal, Réforme, Nr.  2. 170  Bénabent, Droit des obligations, Rn.  183. 171  Ein Vertrag, in dem einer Partei der „Löwenanteil“ zukommt. 172  Bénabent, Droit des obligations, Rn.  183.

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difikation zahlreicher Nebengesetze zum Arbeits-, Verbraucher-, Versicherungs-, Wettbewerbs- sowie Wohnungsmietrecht abgefedert.173 Ohne hier einem planvollen Gesamtkonzept zu folgen – was zum Ende des 20. Jahrhunderts durch das Hinzutreten des sekundären Unionsrechts weiter er­ schwert wurde – versuchte man punktuell durch zahlreiche Maßnahmen auf ver­ schiedenen Ebenen jene Schutzlücken des Zivilrechts bei der Bekämpfung von Ungleichgewichtslagen zu schließen.174 So wurden insbesondere auf dem Ge­ biet der Vertragsanbahnung vorvertragliche Informationspflichten entwickelt so­ wie auf der Ebene des Vertragsschlusses Annahmefristen und Widerrufsrechte eingeführt.175 Besonders dynamisch erwies sich dabei die Entwicklung der Kontrolle unaus­ geglichener Verträge und Klauseln. So setzte sich bei der Cour de cassation zu Beginn des 20. Jahrhunderts allmählich die Überzeugung durch, dass die im C. civ. von 1804 vorherrschende Vertragsfreiheit nicht mehr schrankenlos ge­ währleistet werden dürfe. Dies zog eine teilweise dem gesetzlichen Wortlaut wi­ dersprechende und deswegen im französischen Schrifttum scharf kritisierte Rechtsprechung nach sich, die jedenfalls eklatante vertragliche Ungleichge­ wichtslagen außerhalb des Schutzbereichs der Sondergesetze zu bekämpfen suchte.176

3.  Kodifikation der richterlichen Kontrollbefugnisse Dies ist mit der gesetzesvertretenden Verordnung entbehrlich geworden.177 Wie dem begleitenden Bericht an den Präsidenten zu entnehmen ist, liegt nämlich in der Bekämpfung von Ungleichgewichtslagen ohnehin eines der drei Kernziele der Vertragsrechtsreform. Jenes der klassischen Konzeption des C. civ. unbe­ kannte Anliegen soll mit dem bis dahin nahezu uneingeschränkt währenden ver­ traglichen Liberalismus in Einklang gebracht werden.178 Die Verwirklichung ­erfolgt ausweislich des Berichts an den Präsidenten einerseits durch die Kodifi­ kation der von der Cour de cassation entwickelten Vertragsgerechtigkeitsmecha­ nismen sowie andererseits durch die Einführung eines Kontrollinstruments zum

Chénedé, RDC 2015, 655 f.; Mercadal, Réforme, Nr.  2; Porchy-Simon, Droit civil, Rn.  72. 174  Le Gac-Pech, LPA 2015, Nr.  191, S.  4. 175  Le Gac-Pech, LPA 2016, Nr.  162, S.  7 f. 176  Chénedé, RDC 2015, 655 f.; Le Gac-Pech, LPA 2016, Nr.  162, S.  7 f. 177  Dupichot, Dr. et patr. 2015, Nr.  247, S.  32; Le Gac-Pech, LPA 2016, Nr.  162, S.  7 f. 178  Ferrier, in: La réforme du droit des obligations, S.  73, 74; Guillemain, JCP E 2016, Nr.  24-1368, S.  50. 173 

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Schutz gegen missbräuchliche Klauseln (clauses abusives) in sog. contrats d’adhésion.

4.  Der Stellenwert der Vertragsfreiheit nach der Reform Ausgangspunkt der modernisierten Konzeption des Vertragsrechts des C. civ. ist der im Kapitel über die „einleitenden Bestimmungen“ („Dispositions liminai­ res“) eingeführte Art.  1102 Abs.  1 C. civ., der die Vertragsfreiheit erstmalig aus­ drücklich normiert („Chacun est libre de contracter ou de ne pas contracter, de choisir son cocontractant et de déterminer le contenu et la forme du contrat dans les limites fixées par la loi“).179 Während bisher die Vertragsfreiheit allein aus einem Umkehrschluss der Art.  6 C. civ. („On ne peut déroger, par des conven­ tions particulières, aux lois qui intéressent l’ordre public et les bonnes mœurs“) sowie Art.  1123 C. civ. a. F. („Toute personne peut contracter si elle n’en est pas déclarée incapable par la loi“) abgeleitet wurde,180 dient die nunmehr explizite Kodifikation der Vertragsfreiheit nicht der Verstärkung dieses Grundsatzes, son­ dern dem Primärziel der Reform, das Vertragsrecht klar und verständlich zu for­ mulieren. Es soll demnach keineswegs der bisher geltende absolute und liberale Charakter des C. civ. perpetuiert werden. Der Klarstellung in Art.  1102 Abs.  1 C. civ., wonach die einzelnen Facetten der Vertragsfreiheit in Gestalt der Vertragsabschlussfreiheit, der Vertragsinhaltsfrei­ heit sowie der Vertragsformfreiheit lediglich in den Grenzen des Gesetzes einge­ räumt werden, ist zu entnehmen, dass zwischen der Vertragsfreiheit und den Schranken der Vertragsfreiheit kein Regel-Ausnahme-Verhältnis besteht, son­ dern vielmehr die Einschränkung der Vertragsfreiheit durch das Gesetz als Nor­ malfall anzusehen ist.181

179  Dondero, JCP E 2016, Nr.  19-1283, S.  22; Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Droit des ob­ ligations, Rn.  449; Mercadal, Réforme, Nr.  115; Pérès, JCP G 2016, 770; siehe auch den beina­ he identischen Art.  3 Avant-projet Terré in Terré, Pour une réforme du droit des contrats, S.  11 („Les parties sont libres, dans les limites fixées par la loi, de choisir leur cocontractant et de déterminer la forme et le contenu du contrat“) sowie Art.  1102 Abs.  2 des Verordnungsentwurfs aus dem Jahr 2015, in dem noch ausdrücklich die Grundrechte als Schranken der Vertragsfrei­ heit genannt wurden („Toutefois, la liberté contractuelle ne permet pas de déroger aux règles qui intéressent l’ordre public, ou de porter atteinte aux droits et libertés fondamentaux reconnus dans un texte applicable aux relations entre personnes privées, à moins que cette atteinte soit indispensable à la protection d’intérêts légitimes et proportionnée au but recherché“). 180 Vgl. Dondero, JCP E 2016, Nr.  19-1283, S.  22; Pérès, JCP G 2016, 770. 181  Chantepie/Latina, La réforme, Nr.  93.

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V.  Richterliche Kontrolle ungerechter Verträge und Klauseln 1. Vertragswirksamkeitskontrolle a)  Schutz der abhängigen Vertragspartei nach Art.  1143 C. civ. aa)  Rechtslage vor der Reform (1)  Potenzielle Anknüpfungspunkte im C. civ. (a)  Der Willensmangel der violence (aa)  Normative Anknüpfungspunkte In Ermangelung einer allgemeinen Bestimmung zum Schutz der schwächeren Vertragspartei wurde diskutiert, den Willensmangel der violence als Rechts­ grundlage heranzuziehen, soweit eine Vertragspartei die objektive Ausbeutungs­ lage ihres Vertragspartners zur Erlangung eines übermäßigen Vorteils ausnutzt. Bei der violence handelt es sich um einen der widerrechtlichen Drohung gem. §  123 Abs.  1 Alt. 2 BGB entsprechenden Willensmangel, der vor der Reform in den Artt.  1111–1115 C. civ. a. F. kodifiziert war. Nach Art.  1111 C. civ. a. F. war die violence, „die gegen denjenigen ausgeübt wird, der die Verbindlichkeit eingegangen ist, ein Nichtigkeits­ grund, auch wenn sie von einem anderen als von dem ausgeübt wird, zu dessen Gunsten die Vereinbarung getroffen worden ist“.182

Der Begriff der violence wurde in Art.  1112 Abs.  1 C. civ. a. F. definiert. Danach lag eine violence vor, „wenn sie eine vernünftige Person zu beeindrucken vermag und bei ihr die Furcht erregen kann, dass sie selbst oder ihr Vermögen einem erheblichen und unmittelbar bevorstehenden Übel ausgesetzt ist“.183

Daraus wurde abgeleitet, dass einer Willenserklärung der Willensmangel der vio­ lence anhaftet, wenn zwei grundlegende Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind: Erforderlich ist einerseits die menschliche Ausübung eines Zwangs (con­ trainte) oder einer Drohung (menace) gegenüber der unterlegenen Vertragspar­ tei, um sie zur Abgabe der erwünschten Willenserklärung zu bewegen, sowie 182 

„La violence exercée contre celui qui a contracté l’obligation est une cause de nullité, encore qu’elle ait été exercée par un tiers autre que celui au profit duquel la convention a été faite“. 183  „Il y a violence lorsqu’elle est de nature à faire impression sur une personne raisonnable, et qu’elle peut lui inspirer la crainte d’exposer sa personne ou sa fortune à un mal considérable et présent“.

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andererseits eine hinreichend gravierende Sorge (crainte) des Opfers vor dem Eintritt des angedrohten, erheblichen Übels (mal considérable).184 Dies sind auch die wesensprägenden Merkmale der modernisierten Definition der violence nach Art.  1140 C. civ., wonach jener Willensmangel vorliegt, „wenn sich eine Vertragspartei unter dem Druck eines Zwangs verpflichtet, der bei ihr die Furcht erregt, dass sie selbst, ihr Vermögen oder die Person oder das Vermögen eines Angehö­ rigen einem erheblichen Übel ausgesetzt ist“.185

Anzumerken ist dabei, dass die Verwendung des Begriffs des Zwangs (con­ trainte) anstelle einer Drohung (menace) zu bedauern ist, da nur letztere sich schon begrifflich auf die Einengung der Willensfreiheit durch eine andere Person beschränkt. Dass das Erfordernis der menschlichen Beeinflussung des Op­ fers nach dem Willen des Reformgebers weiterhin Bestand haben soll, erschließt sich mittelbar aus Art.  1142 C. civ., der die Drohung durch einen Menschen vor­ aussetzt. Danach soll nämlich das Vorliegen einer violence nicht davon abhängt, ob die Drohung von der Vertragsgegenseite oder einem unbeteiligten Dritten aus­ geht („La violence est une cause de nullité qu’elle ait été exercée par une partie ou par un tiers“).186 (bb)  Diskussionen im Schrifttum Im Schrifttum wurde vor diesem Hintergrund schon in den Anfangszeiten des C. civ. diskutiert, ob eine violence auch dann anzuerkennen ist, wenn die benach­ teiligte Vertragspartei nicht durch die Drohung einer Person, sondern aufgrund der äußeren Umständen in ihrer Willensfreiheit beengt ist.187 Nach Pothier sollte ein erheblich unausgeglichener Vertrag, der unter einer objektiven Zwangslage geschlossen wurde, vom Richter auf einen angemesse­ nen Preis angepasst werden dürfen.188

Renault-Brahinsky, Droit des obligations, S.  75. „Il y a violence lorsqu’une partie s’engage sous la pression d’une contrainte qui lui ins­ pire la crainte d’exposer sa personne, sa fortune ou celles de ses proches à un mal considé­ rable“. 186 Vgl. Chantepie/Latina, La réforme, Nr.  332. 187  Chantepie/Latina, La réforme, Nr.  339. 188  Pothier, Traité des obligations, S.  98 f. (Partie I, Chapitre I, Art. III, § II, Nr.  24) („Pufen­ dorf excepte un cas auquel l’obligation, quoique contractée par l’impression de la crainte que me cause la violence qu’on exerce sur moi, me laisse pas d’être valable: c’est le cas auquel j’aurais promis quelque chose à quelqu’un pour qu’il vînt à mon secours, et qu’il me délivrât de la violence qu’un autre exerçoit sur moi. […] Néanmoins si j’avais promis une somme excessive, je pourrais faire réduire mon obligation à la somme à laquelle on apprécierait la juste récompense du service qui m’a été rendu.“). 184 

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Toullier war demgegenüber der Auffassung, dass sich die Vertragspartei, der nach den objektiven Umständen gravierende, gar das Leben gefährdende Einbu­ ßen drohen, nach den eindeutigen gesetzlichen Vorgaben auch dann an dem zur Abwendung des gravierenden Übels abgeschlossenen Vertrags festhalten lassen müsse, wenn der Vertragsinhalt unausgeglichen ist.189 (cc)  Die Rechtsprechung der Cour de cassation Mit einem Urteil aus dem Jahr 1887 schien die Cour de cassation die im Schrift­ tum vieldiskutierte Frage um den Geltungsbereich der violence zugunsten einer extensiven Auslegung zu entscheiden. Dem Urteil lag ein Vertrag zugrunde, in dem sich ein Schlepper nur gegen Zahlung eines außergewöhnlich hohen Ent­ gelts zur Rettung eines havarierten Schiffes bereit erklärte. Die Cour de cassation erklärte den Vertrag unter Verzicht auf das Erfordernis der von einem Menschen ausgehenden Drohung wegen Vorliegens einer violence für nichtig.190 Die aus dem Urteil hervorgehenden Grundsätze wurden am 29.04.1916 gesetzlich bestä­ tigt und sind heute in Art. L. 5132-6 Code des transports kodifiziert. Im Jahr 1965 erklärte die Cour de cassation sodann einen ungerechten Anstellungsvertrag mit der Begründung für nichtig, dass er nur aufgrund dringender Geldsorgen des Arbeitnehmers eingegangen wurde, der sein krankes Kind zu pflegen hatte.191 Gemein ist den Urteilen der Cour de cassation sowie den rechtswissenschaft­ lichen Erwägungen zu dieser Problematik, dass die Annahme einer violence bei bloßer Ausbeutung einer objektiven Zwangslage allenfalls in Extremfällen ange­ nommen werden durfte, in denen etwa das Leben oder die körperliche Unver­ sehrtheit der unterlegenen Vertragspartei oder eines nahen Angehörigen auf dem Toullier, Le droit civil français, suivant l’ordre du Code, Nr.  85 („Au reste, la crainte, quoiqu’inspirée par une violence injuste, ou par une force majeure, n’est pas un motif pour faire annuler, par défaut de liberté, les promesses qui ont pour objet de secourir ou de sauver la per­ sonne en danger, sa fortune ou ses proches, de les garantir d’un mal dont ils étaient menacés. […] Par exemple, si j’ai promis une somme à celui qui me tirerait des mains d’un brigand, qui sauverait mon navire du naufrage, mon fils tombé dans la rivière, etc., la promesse est alors la juste récompense du service qui m’est rendu. […] Néanmoins Pothier, n° 24, pense que si la somme promise était excessive, je pourrais la faire réduire à la juste récompense du service qui m’a été rendu. Une pareille demande en réduction serait contraire aux principes du Code, qui ne permet plus aux juges de modifier ainsi les conventions des parties; par exemple, de modérer la peine promise faute d’exécution d’une obligation (1152); à plus forte raison de réduire une obligation contractée pour encourager ou reconnaître un service éminent. Le juge qui se per­ mettrait de la modérer, violerait ouvertement la loi du contrat; il exposerait son jugement à la censure de la Cour de cassation.“). 190  Cass. req., Urt. vom 27.04.1887 = D. P. 1888, I, 263; Cabrillac, Droit des obligations, Rn.  71. 191  Cass. soc., Urt. vom 05.07.1965 – 62-40.577 = Bulletin civil IV, Nr.  545. 189 

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Spiel standen. Die Ausdehnung der violence auf die bloße Ausbeutung wirt­ schaftlicher Engpässe des unternehmerischen Vertragspartners oder ähnlicher objektiver Umstände stand demgegenüber nicht zur Diskussion. (dd)  Die gesetzgeberischen Aktivitäten zum Schutz der unterlegenen Vertragspartei Insoweit bedurfte es einer gesetzgeberischen Intervention, um der Ausbeutung objektiver Zwangslagen Einhalt zu gebieten. Insbesondere der normative Schutz von Personen, die sich in einem Abhängigkeitsverhältnis oder einer sonstigen unterlegenen Position befinden, war daher vor der Reform vorrangig in Spezial­ gesetzen anzutreffen.192 So verbietet das Verbraucherschutzrecht nach Art. L. 121-8 C.  con. den Ab­ schluss von Haustürgeschäften, in denen die Schwäche (faiblesse) oder die Un­ wissenheit (ignorance) einer Person ausgebeutet wird.193 Ebenso stellt das Straf­ recht nach Art. L. 223-15-2 C. pén. die missbräuchliche Ausbeutung der Unwis­ senheit oder Schwäche einer Person unter Strafe, wenn das Opfer dadurch einen erheblichen Schaden erleidet.194 Eng verknüpft ist Art.  1143 C. civ. indes lediglich mit Art.  8 Nr.  2 der gesetzes­ vertretenden Verordnung aus dem Jahr 1986, die zum Schutz der Zulieferer der großen französischen Einzelhandelsketten (grande distribution) eingeführt wur­ de.195 Die Bestimmung, die seit dem 21.09.2000 in Art. L. 4202 Abs.  2 C.  com.196 kodifiziert ist, setzt ausdrücklich die missbräuchliche Ausnutzung der wirtschaft­ lichen Abhängigkeit des Vertragspartners voraus und ordnet in Verbindung mit Art. L. 420-3 C.  com. die Unwirksamkeit (nullité) solcher Verträge oder Klau­ seln an.197 Wie noch zu zeigen sein wird, diente die Vorgängerversion jener Klein, JCP G 2015, Nr.  21, S.  14, 18. interdit le fait d’abuser de la faiblesse ou de l’ignorance d’une personne pour lui faire souscrire, par le moyen de visites à domicile, des engagements […].“; Champ, LPA 2016, Nr.  261, S.  20; Dupichot, Dr. et patr. 2015, Nr.  247, S.  32; Klein, JCP G 2015, Nr.  21, S.  14, 18. 194  „Est puni […] l’abus frauduleux de l’état d’ignorance ou de la situation de faiblesse […] d’une personne […] pour conduire […] cette personne à un acte ou à une abstention qui lui sont gravement préjudiciables.“; Dupichot, Dr. et patr. 2015, Nr.  247, S.  32; Herrnberger, LPA 2016, Nr.  261, S.  23. 195  Ghestin/Loiseau/Serinet, Le contrat, Rn.  1487. 196  „Est […] prohibée, dès lors qu’elle est susceptible d’affecter le fonctionnement ou la structure de la concurrence, l’exploitation abusive par une entreprise ou un groupe d’entre­ prises de l’état de dépendance économique dans lequel se trouve à son égard une entreprise cliente ou fournisseur“. 197  Andrieux, LPA 2016, Nr.  167, S.  6, 8 f.; Champ, LPA 2016, Nr.  261, S.  20; Dupichot, Dr. et patr. 2015, Nr.  247, S.  32; Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Droit des obligations, Rn.  518; Renault-Brahinsky, Le nouveau droit des contrats, S.  20; Thaumiaux, LPA 2016, Nr.  261, S.  30. 192 

193  „Est

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Rechtsnorm des C.  com. sowohl als Anstoß als auch als Vorlage für die Recht­ sprechung der Cour de cassation zur sog. „violence par abus de dépendance“, wie sie nunmehr in Art.  1143 C. civ. ihren Niederschlag gefunden hat.198 Die auf das „Seenot“-Urteil der Cour de cassation folgenden Sondergesetze stärkten dergestalt die Überzeugung, dass die missbräuchliche Ausbeutung ob­ jektiver Zwangslagen außerhalb der kodifizierten Rechtsgebiete und damit ins­ besondere die Ausbeutung des abhängigen Vertragspartners ohne Wettbewerbs­ bezug keiner Vertragsnichtigkeit wegen Vorliegens einer violence unterliegen sollte. (b)  Das Rechtsinstitut der lésion (aa)  Normative Vorgaben Die Ausbeutung der unterlegenen Vertragspartei im unternehmerischen Ge­ schäftsverkehr könnte jedoch auch dem Regelungsbereich der sog. lésion zuzu­ ordnen sein. Nach dem ebenso wie die violence im Abschnitt über die Willens­ übereinkunft geregelten Art.  1118 C. civ. soll die lésion eine „Vereinbarung, wie im selben Abschnitt bestimmt, nur bei bestimmten Verträgen oder gegenüber bestimmten Personen ungültig machen“.199 Im weiten Sinne unterliegt ein unausgeglichener Vertrag dem Anfechtungs­ grund der lésion, wenn er nach dem Dafürhalten des Gesetzgebers aus personel­ len oder sachlichen Gerechtigkeitsgründen zu missbilligen ist. Der C. civ. von 1804 sah lediglich drei solcher Tatbestände vor, die in der Folgezeit durch zahl­ reiche Sondertatbestände ergänzt wurden.200 In personeller Hinsicht, also auf­ grund der Schutzwürdigkeit bestimmter Rechtssubjekte, wurden zunächst allein Vertragsschlüsse von Minderjährigen201 unter besonderen Schutz gestellt. In sachlicher Hinsicht, also nach der Art des zugrundeliegenden Rechtsgeschäfts, sollten Nachlassteilungen202 sowie Grundstückskaufverträge203 einer vertragli­ chen Gleichgewichtskontrolle unterzogen werden.204 198  Andrieux, LPA 2016, Nr.  167, S.  6, 8 f.; Mainguy, JCP E 2016, Nr.  07-151, S.  9; Ma­ zeaud, in: La violence économique, S.  25; Revet, in: La violence économique, S.  11. 199  „La lésion ne vicie les conventions que dans certains contrats ou à l’égard de certaines personnes, ainsi qu’il sera expliqué en la même section“. 200  Brusorio-Aillaud, Droit des obligations, Rn.  346; Porchy-Simon, Droit civil, Rn.  233; aus dem älteren Schrifttum Planiol, Traité élémentaire de droit civil, Nr.  1586 (S.  581). 201  Art.  1305 C. civ. a. F., jetzt Art.  1149 Abs.  1 C. civ. 202  Art.  887 Abs.  2 C. civ. a. F., jetzt Art.  889 Abs.  1 C. civ. 203  Art.  1674 C. civ. 204  Bénabent, Droit des obligations, Rn.  186; Deroussin, Histoire du droit des obligations, S.  416; Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Droit des obligations, Nr.  519; Renault-Brahinsky, Droit des obligations, S.  84.

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So hat nach Art.  1674 C. civ. der Verkäufer das Recht, auf die in Art.  1681 C. civ. näher definierte recision205 des Kaufvertrags zu klagen, wenn er „um mehr als sieben Zwölftel im Preis eines unbeweglichen Gutes benachteiligt worden ist“ („Si le vendeur a été lésé de plus de sept douzièmes dans le prix d’un immeu­ ble“), er also weniger als fünf Zwölftel des Werts der Immobilie erhalten hat. Das dem Grundstücksverkäufer eingeräumte Anfechtungsrechts wegen Vor­ liegens eines groben Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung wurde im römischen Recht entwickelt, im mittelalterlichen Recht fortgeführt und trotz des teilweise erheblichen Widerstands in der Literatur kraft des aus­ drücklichen Willens Napoleon Bonapartes in den C. civ. von 1804 aufgenom­ men.206 Im 20. Jahrhundert wurde die lésion auch für andere Austauschverträge, wie etwa den Kauf von Düngemitteln durch Gesetz vom 08.07.1907 sowie die Übertragung von Verwertungsrechten an literarischen oder künstlerischen Wer­ ken durch Gesetz vom 11.03.1957 gesetzlich geregelt.207 Zudem wird der lésion die Reduktion des Entgeltanspruchs von Maklern und Freiberuflern durch die Rechtsprechung der Cour de cassation zugeordnet.208 Im Übrigen stand die fran­ zösische höchstrichterliche Rechtsprechung der Anerkennung der lésion außer­ halb der gesetzlich vorgesehenen Fallgestaltungen angesichts der mit diesem Rechtsinstitut einhergehenden erheblichen Gefahren für die Rechtssicherheit ablehnend gegenüber.209 (bb)  Diskussionen im Schrifttum um den Regelungszweck Dies liegt maßgeblich daran, dass der jenem Regelungsinstrument zugrundelie­ gende Rechtsgedanke seit jeher Gegenstand einer kontroversen Diskussion ist. So war Domat der Überzeugung, dass sich das an den Käufer adressierte Verbot, eine etwaige Zwangslage des Verkäufers durch Vereinbarung eines unverhältnis­ mäßig geringen Kaufpreises auszubeuten, aus dem Naturrecht ergebe.210 Pothier Im Falle der Erhebung der Klage auf rescision durch den Verkäufer hat der Käufer die Wahl, entweder die Immobilie gegen Erstattung des Kaufpreises zurückzuübertragen oder – unter Abzug eines Zehntels des Gesamtpreises – die Immobilie gegen ergänzende Zahlung des am objektiven Wert fehlenden Betrags zu behalten. 206  Bien/Borghetti/Witz, Die Reform S.  119 f.; Deroussin, Histoire du droit des obligations, S.  406 ff.; aus dem älteren Schrifttum Planiol, Traité élémentaire de droit civil, Nr.  1587 (S.  581). 207  Bénabent, Droit des obligations, Rn.  186; Brusorio-Aillaud, Droit des obligations, Rn.  348; Porchy-Simon, Droit civil, Rn.  234; Renault-Brahinsky, Droit des obligations, S.  84. 208  Bénabent, Droit des obligations, Rn.  187; Brusorio-Aillaud, Droit des obligations, Rn.  349; Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Droit des obligations, Nr.  519; Porchy-Simon, Droit civil, Rn.  236. 209  Brusorio-Aillaud, Droit des obligations, Rn.  349; Porchy-Simon, Droit civil, Rn.  236. 210  Domat, Traité des lois, S.  39 (Chapitre XI, Nr.  9) („Il est du droit naturel que celui qui 205 

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schloss sich im Ergebnis Domats Erwägungen an. Danach begehe der Käufer eine Ungerechtigkeit, wenn er den dringenden Bedarf des Verkäufers zur Verein­ barung eines günstigen Kaufpreises ausnutzt. Der Grundsatz volenti non fit injuria finde ausnahmsweise keine Anwendung, wenn der Verkäufer in Fällen beson­ derer Geldnot unterhalb der Hälfte des gerechten Preises verkauft, da nicht ange­ nommen werden könne, dass er zum Abschluss eines solchen Geschäfts aus freien Stücken bereit sei.211 Die aus diesen Erwägungen deutlich werdende Einordnung der lésion als Son­ derfall einer violence entsprach auch der Überzeugung des Gesetzgebers von 1804, was sich zum einen aus der für Willensmängel spezifischen Terminologie des Art.  1118 C. civ. a. F. („La lésion ne vicie les conventions que […]“) und zum anderen daraus ableiten lässt, dass die lésion im Abschnitt über die Willensüber­ einkunft kodifiziert wurde.212 Der Gesetzgeber vertrat den Standpunkt, dass es sich bei der lésion um „eine Art violence“ („une sorte de violence“) handle, die nicht aus der Drohung durch einen anderen Menschen, sondern aus den sonsti­ gen Umständen, etwa einer gravierenden Geldnot, hervorgeht.213 Daher ent­ sprach es lange Zeit auch der überwiegenden Auffassung im Schrifttum, die lé­ sion als Sonderfall der violence zu qualifizieren. Marcadé erklärte etwa, dass die Anerkennung der Vertragsanfechtung wegen Vorliegens einer lésion in Grund­ stücksverträgen deshalb gerechtfertigt sei, weil die Vereinbarung des gesetzlich vorgegebenen Missverhältnisses nur das Ergebnis „einer Art violence“ („une espèce de violence“) sein könne, die auf den Verkäufer nach den Umständen

achète n’abuse pas de la nécessité où se trouve celui qui vend, et n’achète pas à un trop vil prix“). 211  Pothier, Traité du contrat de vente, S.  373 f., Nr.  352 („c’est une injustice de la part de l’acheteur de profiter du pressant besoin du vendeur, pour acheter à vil prix; & cette injustice doit donner lieu à la rescision du contrat; la maxime volenti non fit injuria n’a pas en ce cas d’application; car le vendeur étant présumé avoir été forcé par le besoin pressant d’argent à vendre l’héritage au-dessous de la moitié du juste prix, on ne peut pas dire que c’est de son plein gré qu’il a vendu au-dessous du juste prix“). 212  Deroussin, Histoire du droit des obligations, S.  419. 213  Fenet, Band 14, S.  61 („La rescision pour cause de lésion n’est que l’application au contrat de vente des principes généraux sur les conventions. Ces principes sont que la loi doit protéger les contrats, mais seulement quand ils ne sont pas infectés de vices qui en attaquent la substance; car dans ce dernier cas, n’y ayant point de consentement, il n’y a point réellement de contrat. Ce vice se rencontre dans toute vente où il y a lésion énorme. Il est évident en effet que celui qui se dessaisit de sa propriété a voulu la donner ou la vendre. S’il a voulu la donner, il importe de le réduire à employer la forme des donations. S’il a voulu la vendre, il a été trompé ou forcé par le besoin. Dans le premier cas il y a erreur, dans le second une sorte de violence.“); Deroussin, Histoire du droit des obligations, S.  418; Josserand, Cours de droit civil positif français, S.  629, Nr.  1057.

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eingewirkt hat.214 Als Ausnahmeregelung unterliege die lésion einer engen Aus­ legung, was insbesondere einer entsprechenden Anwendbarkeit auf Kaufverträge über bewegliche Sachen entgegenstehe.215 Planiol schloss sich diesem Erklä­ rungsansatz an, indem er die lésion ebenfalls als „eine Art violence“ („une sorte de violence“) qualifizierte, der der Verkäufer aufgrund eines dringenden Geldbe­ dürfnisses bei Vertragsschluss unterlag.216 (cc)  Der Standpunkt der Cour de cassation Mit einem Grundsatzurteil vom 28.12.1932 nahm die Cour de cassation ihre seit­ her eingenommene Position im Hinblick auf die Frage ein, ob es sich bei der lésion um einen besonderen Willensmangel handelt.217 Sie stellte klar, dass das in Art.  1674 C. civ. vorausgesetzte Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung in einem Grundstückskaufvertrag für sich genommen zur rescision des Geschäfts berechtigt. Die zum Vertragsschluss führenden oder diesen begleitenden Um­ stände sollen dagegen von keiner Bedeutung sein.218 Unzweifelhaft ist der über­ vorteilte Verkäufer nach der Rechtsprechung der Cour de cassation somit zur Anfechtung des Kaufvertrags berechtigt, wenn ihm der Nachweis des gesetzlich Marcadé, Explication théorique et pratique du Code civil, S.  324 f., Nr.  1674 („Quand un immeuble a été vendu pour un prix qui n’arrive même pas au cinq douzièmes de sa valeur, la loi suppose que le vendeur n’a pu se résigner à une lésion aussi énorme que par suite d’une position tellement fausse et gênée, qu’elle ne lui laissait pas son entière liberté, et elle lui per­ met, en conséquence, de faire annuler la vente comme n’ayant pas été assez librement consen­ tie et résultant d’une espèce de violence exercée sur lui par les circonstances.“). 215  Marcadé, Explication théorique et pratique du Code civil, S.  325, Nr.  1674 („C’est pour les immeubles seulement qu’est portée cette règle exceptionnelle et rigoureuse, et elle ne s’ap­ pliquerait pas dès lors à la vente d’une chose mobilière“). 216  Planiol, Traité élémentaire de droit civil, S.  581 f., Nr.  1588 („Le propriétaire qui consent à vendre en subissant une lésion énorme doit être considéré comme ayant traité sous l’empire d’une sorte de violence; il a vendu son bien presque pour rien parce qu’il avait un pressant be­ soin d’argent. Son consentement n’a pas été libre. Si le propriétaire veut donner son bien, qu’il emploie les formes des donations; s’il veut le vendre, il faut qu’il en tire un prix suffisant; quand il se contente d’un prix infime, c’est qu’il a été trompé ou forcé par le besoin.“). 217  Porchy-Simon, Droit civil, Rn.  237. 218  Cass. req., Urt. vom 28.12.1932 = D. P. 1933, I, 87; Capitant/Terré/Lequette/Chénedé, Les grands arrêts, Urt.-Nr.  263 (S.  629) („Attendu qu’aux termes de l’article 1674 du Code ci­ vil, ‚si le vendeur a été lésé de plus des sept douzièmes dans le prix d’un immeuble, il a le droit de demander la rescision de la vente‘; qu’il suit de là que la lésion légalement constatée est par elle-même et à elle seule une cause de rescision, indépendamment des circonstances qui ont pu l’accompagner ou lui donner naissance“); bestätigt in Cass. req., Urt. vom 21.03.1933 = DH 1933, I, 235 („L’art. 1674 [C. civ.] ne subordonne l’action en rescision à aucune autre condition que celle de la lésion matérielle et pécuniaire dont il fixe l’importance par rapport à la valeur de l’immeuble vendu, sans exiger la preuve d’une contrainte morale qu’aurait subie, ni d’un dol dont aurait souffert le vendeur“). 214 

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definierten Ungleichgewichts zwischen Leistung und Gegenleistung gelingt. An weitergehende Voraussetzungen ist die lésion des Grundstückskaufvertrages nicht gebunden. Zweifel verbleiben dagegen im Hinblick auf die Frage, ob der Käufer die Vertragsanfechtung wegen Vorliegens einer lésion durch den Nach­ weis abwenden kann, dass der Verkäufer bei Vertragsschluss keinem Willens­ mangel unterlag. Die Cour de cassation hat dazu noch nicht eindeutig Stellung bezogen. Lediglich in einem Urteil, das die lésion in einer Nachlassteilung zum Gegenstand hatte und daher aufgrund des abweichenden Regelungszwecks kei­ nen zuverlässigen Rückschluss auf die lésion in Austauschverträgen zulässt, wies die Cour de cassation auf die Irrelevanz hin, inwieweit die Vertragsparteien ihre Willenserklärung im konkreten Einzelfall in freier Selbstbestimmung abge­ geben haben, da „die lésion für sich genommen und unabhängig von einem etwa­ igen Willensmangel zur rescision berechtigt“.219 (dd)  Konsequenzen für die dogmatische Einordnung Für die Qualifikation der lésion als besonderen Willensmangel spricht zunächst formal der Normwortlaut des Art.  1118 C. civ. a. F. („La lésion […] vicie les con­ ventions“) sowie seine systematische Eingliederung in den Abschnitt über die Willensübereinkunft, wo die Willensmängel des Irrtums, der violence sowie der arglistigen Täuschung geregelt sind.220 Zudem ließe sich damit erklären, warum der Gesetzgeber lediglich dem Verkäufer und nicht dem Käufer eines Grund­ stückskaufvertrages das Anfechtungsrecht zubilligt. Denn während es durchaus einleuchtet, dass ein Grundstück aus Geldsorgen verkauft wird, erscheint es im umgekehrten Fall lebensfremd, ein Grundstück aufgrund eines wirtschaftlichen Engpasses erwerben zu müssen.221 Andererseits ließe sich gegen die Einordnung der lésion als eigenständigen Willensmangel oder als Sonderfall einer violence einwenden, dass der Tatbestand des Art.  1674 C. civ. a. F. über die lésion in Im­ mobilienverträgen222 weder ein Defizit in der Willensbildung voraussetzt noch vermutet. Ferner spricht hierfür die Gegenüberstellung des Art.  2052 Abs.  2 C. civ. a. F. mit Art.  2053 Abs.  2 C. civ. a. F. Während nämlich nach Ersterem die 219  Cass. civ. 1, Urt. vom 19.10.1960 = Bulletin civil I, Nr.  448, S.  366 („Il importe peu que les parties aient donné leur adhésion en pleine connaissance de cause, la lésion constituant en soi une cause de rescision, indépendamment de tout vice du consentement“); Capitant/Terré/ Lequette/Chénedé, Les grands arrêts, Urt.-Nr.  263, Rn.  3 (S.  630). 220  Capitant/Terré/Lequette/Chénedé, Les grands arrêts, Urt.-Nr.  263, Rn.  2 (S.  630). 221  Capitant/Terré/Lequette/Chénedé, Les grands arrêts, Urt.-Nr.  263, Rn.  2 (S.  630); Houtcieff, Droit des contrats, Rn.  485; aus dem älteren Schrifttum Josserand, Cours de droit civil positif français, S.  629, Nr.  1057. 222 Gleiches gilt für die übrigen Tatbestände der lésion, vgl. Capitant/Terré/Lequette/ Chénedé, Les grands arrêts, Urt.-Nr.  263, Rn.  3 (S.  630).

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Anfechtung eines Vergleichsvertrags wegen Vorliegens einer lésion ausgeschlos­ sen ist, erlaubt Letzterer ausdrücklich die Angreifbarkeit solcher Verträge wegen Vorliegens einer violence. Zudem könnte man den objektiven Beurteilungscha­ rakter der lésion auf ihre unterbliebene Erwähnung in dem die Willensmängel zusammenfassenden Art.  1109 C. civ. a. F. stützen, wonach eine auf den Ab­ schluss eines Vertrages gerichtete Willenserklärung „nicht gültig ist, wenn sie nur irrtümlich abgegeben oder mit violence erzwungen oder durch arglistige Täuschung erschlichen worden ist“ („Il n’y a point de consentement valable si le consentement n’a été donné que par erreur ou s’il a été extorqué par violence ou surpris par dol“). Dagegen ließe sich wiederum zugunsten der Einordnung der lésion als Willensmangel ins Feld führen, dass es sich bei der lésion eben nicht um einen vierten Willensmangel, sondern lediglich um einen Unterfall der in Art.  1109 C. civ. a. F. aufgelisteten violence handelt. Letztlich wird deutlich, dass weder aus den gesetzlichen Vorgaben noch aus der Rechtsprechung der Cour de cassation eindeutig hervorgeht, ob es sich bei der lésion um einen eigenständigen Willensmangel, einen Unterfall einer vio­ lence mit eigenständigen Rechtsfolgen oder um einen objektiven, vom Recht der Willensmängel unabhängigen Vertragsanfechtungsgrund handelt. Für die prakti­ sche Rechtsanwendung manifestiert sich die damit einhergehende Rechtsunsi­ cherheit dadurch, dass bisher nicht abschließend geklärt werden konnte, ob zur Geltendmachung der lésion in Austauschverträgen das Vorliegen eines Willens­ mangels überhaupt von Relevanz ist und bejahendenfalls, ob ein solcher wider­ leglich oder unwiderleglich vermutet wird. (ee)  Die Bedeutung der lésion im reformierten Zivilrecht Anlässlich der Reform wurde die dem Art.  1118 C. civ. a. F. funktional entspre­ chende Norm unter Verzicht auf den Begriff der lésion im Unterschied zur bishe­ rigen Rechtslage nicht im Abschnitt über die Willensübereinkunft, sondern im Abschnitt über den Vertragsinhalt in Art.  1168 C. civ. geregelt.223 Danach stellt die Ungleichwertigkeit der Leistungen in einem synallagmatischen Vertrag kei­ nen Nichtigkeitsgrund dar, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt („Dans les contrats synallagmatiques, le défaut d’équivalence des prestations n’est pas une cause de nullité du contrat, à moins que la loi n’en dispose autrement“).224 Damit bringt der Reformgeber unmissverständlich zum Ausdruck, dass es sich bei der lésion nicht um einen besonderen Willensmangel handelt, der an etwaige subjek­ tive Anforderungen gekoppelt wäre. Zudem verdeutlicht der Reformgeber den 223  224 

Bien/Borghetti/Witz, Die Reform, S.  123. Porchy-Simon, Droit civil, Rn.  233; Renault-Brahinsky, Droit des obligations, S.  83 f.

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seit jeher geltenden Grundsatz, dass die Vertragsanfechtung wegen Vorliegens einer lésion nur in eng umgrenzten Ausnahmefällen zu gestatten ist.225 (c) Zwischenergebnis Die Gegenüberstellung des allgemeinen Willensmangels der violence mit der lésion verdeutlicht, dass die missbräuchliche Ausbeutung des abhängigen Ver­ tragspartners weder dem einen noch dem anderen Rechtsinstitut eindeutig zuge­ ordnet werden kann. Der Tatbestand der violence ist nicht erfüllt, weil es bei bloßer Ausnutzung der objektiven Umstände an der Ausübung einer Drohung fehlt, während die lésion ausscheidet, soweit sich der Vertragsgegenstand nicht auf ein Grundstück, Düngemittel, Verwertungsrechte an literarischen oder künst­ lerischen Werken oder die sonstigen, abschließend gesetzlich fixierten Vertrags­ typen bezieht. Damit stellt sich die Frage, ob eine analoge Anwendung des einen oder des anderen Rechtsinstituts in Betracht kommen kann. Dies wäre indes nur dann möglich, wenn solche Verträge in eine planwidrige Regelungslücke fallen, der Gesetzgeber sich also nicht bewusst gegen die Angreifbarkeit solcher Verträ­ ge entschieden hat. (2)  Die Entwicklung der Rechtsprechung (a)  Instanzgerichtliche Anknüpfung an die violence Im Jahr 1977 erklärte die CA226 Paris einen Vertriebsvertrag mit der Begründung für nichtig, dass die Händler zur Eingehung des ungerechten Vertrages mit ihren Lieferanten aufgrund der objektiven Umstände gezwungen waren, „um dem be­ achtlichen Nachteil zu entgehen, der mit der Schließung des Unternehmens ein­ hergehen würde“ („pour échapper au mal considérable que représentait la ferme­ ture de son entreprise“).227 Das Gericht schloss sich dabei der Argumentation der Händler an, jene Verträge – „faute de mieux“ – wegen Vorliegens einer violence für unwirksam zu erklären.228 Die Cour de cassation hob das Urteil mit der Be­ gründung auf, dass kein die Vertragsaufhebung wegen Vorliegens einer violence stützendes widerrechtliches Verhalten des Lieferanten zu erkennen war.229 225  Houtcieff, Droit des contrats, Rn.  484; Mercadal, Réforme, Nr.  415; Porchy-Simon, Droit civil, Rn.  231. 226  Berufungsgericht des französischen Zivilverfahrens, das über alle Tat- und Rechtsfragen erneut entscheidet. 227  CA Paris, Urt. vom 27.09.1977 = D. 1978, S.  690, Anm. Souleau = Gaz. Pal. 1978, I, 110, Anm. Guyenot = RTD com. 1978, 595, Anm. Hemard. 228  Behar-Touchais/Virassamy, Les contrats de la distribution, Rn.  144. 229  Cass. com., Urt. vom 20.05.1980 – 78-10.833 = Bulletin civil IV, Nr.  212, S.  170 („qu’en déduisant de ces seules énonciations l’existence des éléments caractérisant le vice de violence

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Nach dem Inkrafttreten der oben genannten wettbewerbsrechtlichen Bestim­ mung zum Schutz der abhängigen Handelspartner in der grande distribution aus dem Jahr 1986 mehrten sich in der Lehre die Stimmen, die sich für die allgemei­ ne Unwirksamkeit von Verträgen, die in missbräuchlicher Ausbeutung eines wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnisses geschlossen werden, unter Verzicht auf das Erfordernis eines Marktbezuges am Maßstab des C. civ. einsetzten. Den­ noch hielt die Cour de cassation angesichts der eindeutigen, eine aktive, von ­einer Person ausgehenden Drohung voraussetzenden Rechtslage mit Urteil vom 21.02.1995 unerschütterlich an ihrer ablehnenden Haltung fest,230 nachdem die CA Aix im Jahre 1988 einen Vertriebsvertrag unter ausdrücklicher Berufung auf die wirtschaftliche Abhängigkeit des Händlers für unwirksam erklärt hatte.231 (b)  Höchstrichterliche Anknüpfung an die violence Als Hoffnungsschimmer für die Befürworter der Anfechtbarkeit von Verträgen, die allein nach den objektiven Umständen unter wirtschaftlichem Zwang abge­ schlossen wurden, gilt ein Urteil der Cour de cassation vom 30.05.2000, dem folgender Sachverhalt zugrunde lag: Ein Mechaniker wollte seine Versicherung nach Zerstörung seiner Autowerk­ statt infolge eines Brandes auf Zahlung in Anspruch nehmen, um seinen Betrieb schnellstmöglich wieder aufnehmen zu können. Weil die Versicherung nicht be­ reit war, die dringend benötigte Versicherungsleistung zu erbringen, schlossen die Beteiligten einen den Mechaniker benachteiligenden Vergleichsvertrag über die Höhe des Zahlungsanspruchs. Der Mechaniker machte nach Erhalt der Ent­ schädigung die Unwirksamkeit des Vertrages aufgrund seiner wirtschaftlichen Zwangslage (contrainte économique) geltend.232 In ihrer Urteilsbegründung stellte die Cour de cassation klar, dass die Ausbeu­ tung einer „wirtschaftlichen Zwangslage“ dem Willensmangel der violence zu­ zuordnen ist und dementsprechend keine lésion darstellt („la contrainte écono­

sans préciser en quoi les agissements de la société étaient illégitimes, la Cour d’appel n’a pas donné de base légale à sa décision“). 230  Cass. com., Urt. vom 21.02.1995 – 93-13.302 = Bulletin civil IV, Nr.  50, S.  46 = RTD civ. 1996, 391, Anm. Mestre. 231  CA Aix, Urt. vom 19.02.1988 = RTD civ. 1989, 535, Anm. Mestre („état de nécessité et de dépendance économique équipollente à une violence morale constitutive d’un vice du con­ sentement“). 232  Cass. civ. 1re, Urt. vom 30.05.2000 – 98-15.242 = Bulletin civil I, Nr.  169, S.  109 = D. 2000, 879, Anm. Chazal = D. 2001, 1140, Anm. Mazeaud = JCP G 2001, II, Nr.  10461, Anm. Loiseau = Defrénois 2000, 1124, Nr.  37237 Anm. Delebecque = CCC 2000, Nr.  142, Anm. Leveneur = RTD civ. 2000, 827, Anm. Mestre/Fages, 863, Anm. Gautier.

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mique se rattache à la violence et non à la lésion“).233 Die dogmatische Einord­ nung war im zu entscheidenden Fall von wesentlicher Bedeutung, da Vergleichsverträge kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung gem. Art.  2052 Abs.  2 C. civ. a. F. keiner Vertragsanfechtung wegen Vorliegens einer lésion zu­ gänglich sind. Mit dem Urteil legte die Cour de cassation den Grundstein für die systematische Einordnung des „wirtschaftlichen Zwangs“ als violence. Unklar blieb jedoch für den Rechtsanwender, welche konkreten Schlussfolgerungen aus dieser Feststellung zu ziehen waren. Brachte die Cour de cassation damit zum Ausdruck, dass der „wirtschaftliche Zwang“ des Mechanikers für sich genommen für die Annahme einer violence und damit der Unwirksamkeit des Vergleichsvertrages ausreichend war? In die­ sem Fall hätte die Cour de cassation im Wege richterlicher Rechtsfortbildung einen neuen Vertragsnichtigkeitsgrund geschaffen, an den niedrigere Vorausset­ zungen als an die violence zu stellen wären, die zwangsläufig den schwer zu er­ bringenden Nachweis eines widerrechtlichen Drohverhaltens vonseiten der Ver­ sicherung voraussetzen würde. Andererseits ließe sich das Urteil auch dergestalt auslegen, dass die Cour de cassation nicht die tatbestandlichen Anforderungen an die violence bei Vorliegen einer contrainte économique herabzusetzen suchte, sondern lediglich ihre bishe­ rige Position bekräftigen wollte, dass die Ausbeutung einer „wirtschaftlichen Zwangslage“ beim Nachweis widerrechtlicher Drohungshandlungen durchaus die Vertragsunwirksamkeit nach sich ziehen kann. Insoweit wäre aus der explizi­ ten Ablehnung der lésion lediglich abzuleiten, dass die Cour de cassation eine ausschließlich am Verhältnis der beiderseitigen Leistungspflichten orientierten Vertragskontrolle ablehnte. (c)  Das Larousse-Bordas-Urteil vom 03.04.2002 Erst mit dem unter dem Namen Larousse-Bordas bekannt gewordenen Urteil vom 03.04.2002 klärte die Cour de cassation den Rechtsanwender darüber auf, ob es sich bei der contrainte économique um einen auf richterlicher Rechtsfort­ bildung basierenden Vertragsnichtigkeitsgrund handelt oder lediglich um einen besonderen Anwendungsfall des gesetzlich geregelten Willensmangels der violence.234 233 

Cass. civ. 1re, Urt. vom 30.05.2000 – 98-15.242 = Bulletin civil I, Nr.  169, S.  109 = D. 2000, 879, Anm. Chazal = D. 2001, 1140, Anm. Mazeaud = JCP G 2001, II, Nr.  10461, Anm. Loiseau = Defrénois 2000, 1124, Nr.  37237 Anm. Delebecque = CCC 2000, Nr.  142, Anm. Leveneur = RTD civ. 2000, 827, Anm. Mestre/Fages, 863, Anm. Gautier; Renault-Brahinsky, Droit des obligations, S.  76. 234 Vgl. Chénedé, RDC 2015, 655, 657; Dupichot, Dr. et patr. 2015, Nr.  247, S.  32.

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Eine Angestellte des Verlagshauses Larousse-Bordas hatte außerhalb ihrer ge­ wöhnlichen Arbeitszeiten ein Wörterbuch für Kinder entworfen. Mit Vertrag vom 21.06.1984 trat sie ihre Verwertungsrechte gegen Zahlung eines Pauschal­ betrags in Höhe von 30.000 Francs an ihren Arbeitgeber ab. Nachdem ihr Ar­ beitsvertrag im Jahre 1996 gekündigt wurde, machte sie gerichtlich die Unwirk­ samkeit des Lizenzvertrages geltend. Sie berief sich auf das Vorliegen einer Dro­ hung (violence morale) sowie auf ihre wirtschaftliche Abhängigkeit von ihrem Arbeitgeber angesichts des zur Zeit des Vertragsschlusses vom Verlagshaus ge­ planten Personalabbaus.235 Die Cour de cassation bestätigte zunächst ihre Einordnung der contrainte économique als Unterfall der violence durch die ausdrückliche Bezugnahme auf Art.  1112 C. civ. a. F., der bis zur Reform die Voraussetzungen des Willensman­ gels der violence enthielt.236 Anschließend präzisierte die Cour de cassation die daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen dergestalt, dass ausschließlich die miss­ bräuchliche Ausbeutung einer wirtschaftlichen Abhängigkeit, um die Sorge vor einem Übel auszunutzen, das die berechtigten Interessen der Person unmittelbar gefährdet, die Unwirksamkeit einer Willenserklärung wegen violence nach sich ziehen kann („seule l’exploitation abusive d’une situation de dépendance économique, faite pour tirer profit de la crainte d’un mal menaçant directement les intérêts légitimes de la personne, peut vicier de violence son consentement“).237

Aus der Formulierung geht hervor, dass die Cour de cassation die Vertragsnich­ tigkeit wegen Vorliegens einer contrainte économique an zwei Tatbestandsvor­ aussetzungen knüpft: Erforderlich ist die missbräuchliche Ausnutzung einer Zwangslage, die in einem wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnis ihren Ur­ sprung hat.238 Die konkreten Anforderungen, die an das Vorliegen einer „exploitation abusive“, also einer missbräuchlichen Ausnutzung zu stellen sind, las­ sen sich aus dem darauffolgenden Halbsatz der Urteilsbegründung entnehmen.

235  Cass. civ. 1re, Urt. vom 03.04.2002 – 00-12.932 = Bulletin civil I, Nr.  108, S.  84 = D. 2002, 1860, Anm. Gridel/Chazal = D. 2002, 2844, Anm. Mazeaud = Defrénois 2002, 1246, Anm. Savaux = CCC 2002, Nr.  121, Anm. Leveneur = CCE 2002, Nr.  80, Anm. Caron, Nr.  89, Anm. Stoffel-Munck = RTD civ. 2002, 502, Anm. Mestre/Fages. 236  Champ, LPA 2016, Nr.  261, S.  20. 237  Cass. civ. 1re, Urt. vom 03.04.2002 – 00-12.932 = Bulletin civil I, Nr.  108, S.  84 = D. 2002, 1860, Anm. Gridel/Chazal = D. 2002, 2844, Anm. Mazeaud = Defrénois 2002, 1246, Anm. Savaux = CCC 2002, Nr.  121, Anm. Leveneur = CCE 2002, Nr.  80, Anm. Caron, Nr.  89, Anm. Stoffel-Munck = RTD civ. 2002, 502, Anm. Mestre/Fages. 238  Renault-Brahinsky, Droit des obligations, S.  76.

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(d)  Die missbräuchliche Ausnutzung einer Zwangslage Während die wirtschaftliche Abhängigkeit der Arbeitnehmerin von ihrem Ar­ beitgeber nicht untersucht wurde, konnte die Cour de cassation die missbräuch­ liche Ausbeutung der Zwangslage im konkreten Fall nicht feststellen.239 Der Vor­ instanz, die den Vertrag wegen Vorliegens einer wirtschaftlichen Zwangslage aufgehoben hatte, wurde vorgeworfen, nicht ermittelt zu haben, inwieweit die Angestellte persönlich vom Personalabbau bedroht war und der Arbeitgeber sich diesen Umstand zunutze gemacht hatte, um sie zu überzeugen („qu’en se déterminant comme elle l’a fait, sans constater, que lors de la cession, Mme X était elle-même menacée par le plan de licenciement et que l’employeur avait exploité auprès d’elle cette circonstance pour la convaincre, la cour d’appel n’a pas donné de base légale à sa déci­ sion“).240

Das Erfordernis der aktiven Ausnutzung der wirtschaftlichen Zwangslage zum Abschluss eines missbräuchlichen Vertrages wurde später von der Cour de cas­ sation mehrfach bestätigt.241 So konnte sich etwa eine Geschäftsführerin, nach­ dem sie sich für eine Forderung der Bank gegen ihre Gesellschaft verbürgt hatte, trotz der festgestellten, existenzgefährdeten Situation des Unternehmens nicht auf die missbräuchliche Ausnutzung ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit beru­ fen, weil sie nicht nachgewiesen hatte, inwieweit die Bank durch Ausübung psy­ chologischen Drucks auf jene eingewirkt hatte.242 In einem Urteil aus dem Jahr 2007 ging die Cour de cassation noch einen Schritt weiter, als sie für die Vertragsunwirksamkeit wegen wirtschaftlicher Ab­ Dupichot, Dr. et patr. 2015, Nr.  247, S.  32. civ. 1re, Urt. vom 03.04.2002 – 00-12.932 = Bulletin civil I, Nr.  108, S.  84 = D. 2002, 1860, Anm. Gridel/Chazal = D. 2002, 2844, Anm. Mazeaud = Defrénois 2002, 1246, Anm. Savaux = CCC 2002, Nr.  121, Anm. Leveneur = CCE 2002, Nr.  80, Anm. Caron, Nr.  89, Anm. Stoffel-Munck = RTD civ. 2002, 502, Anm. Mestre/Fages. 241  Cass. com., Urt. vom 22.01.2002 – 98-15.183 („après avoir relevé que l’état de dépen­ dance économique allégué par la caution concernait celle-ci et la société Spiraltex, avec la­ quelle le crédit-bailleur n’avait pas contracté, la cour d’appel a pu estimer, en l’absence d’agis­ sements illégitimes, que le vice de violence n’était pas caractérisé“); Cass. com., Urt. vom 03.10.2006 – 04-13.987 = D. 2006, 2735, Anm. Lienhard = CCC 2007, Komm. Nr.  27, Anm. Malaurie-Vignal; Cass. com., Urt. vom 12.11.2008 – 07-15.604 („cette mise en place n’était pas constitutive de violence hors toute démonstration d’abus de droit“); Cass. com., Urt. vom 28.01.2014 – 13-10.292. 242  Cass. com., Urt. vom 28.01.2014 – 13-10.292 („les correspondances échangées entre la caution et la banque […] ne contenaient aucune forme de pression psychologique ou autre de nature à faire impression sur une personne raisonnable et lui inspirer la crainte d’exposer sa personne ou sa fortune à un mal considérable et présent au sens de l’article 1112 du code civil et considéré que Mme X... n’établissait pas l’existence d’actes de violence de nature à vicier son consentement“). 239 

240  Cass.

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hängigkeit neben einer aktiven Drohung zusätzlich die Unerfahrenheit des Über­ vorteilten im betreffenden Geschäftsbereich voraussetzte. In dem zu entscheiden­ den Fall lehnte sie die Nichtigkeit eines Darlehensvertrages wegen wirtschaftli­ cher Abhängigkeit mit der Begründung ab, dass der den Kredit aufnehmende Bauunternehmer angesichts seiner Erfahrung mit der Finanzierung von Immobi­ lien mit den Risiken eines Darlehens vertraut sein musste und daher schon des­ halb unabhängig von den Äußerungen des darlehensgewährenden Kreditinstituts nicht schutzwürdig war.243 Neben dem in der Praxis ohnehin schwer nachweisbaren Erfordernis der aktiven Bedrohung des Übervorteilten durch den Übervorteilenden werden Unter­ nehmer dadurch beim Abschluss von Verträgen, die sich in den Grenzen ihres Geschäftsbereichs, also ihrer Spezialisierung bewegen, vollständig schutzlos gestellt. Die Cour de cassation vermischt insoweit die Grenzen zwischen wirt­ schaftlicher und intellektueller Unterlegenheit. Die Frage, inwieweit sich eine Partei der Risiken eines Vertrages bewusst ist, kann für die Beurteilung einer et­ waigen Beschränkung der Entscheidungsfreiheit im Sinne einer Drohung von keiner Bedeutung sein. Mit anderen Worten liegt die Verwerflichkeit der Dro­ hung nicht in der Ausnutzung der Unerfahrenheit des Vertragspartners, sondern allein in der willensbeugenden Einflussnahme anlässlich des Vertragsschlusses. Die für Einzelfallentscheidungen der Cour de cassation typische, unterbliebene Veröffentlichung des Urteils legt daher die Prognose nahe, dass jene ergänzende, in dogmatischer Hinsicht mit dem Regelungszweck der violence unvereinbare Voraussetzung höchstrichterlich nicht weiterverfolgt werden wird. Zugleich veranschaulicht sie die sich in den nachfolgend darzustellenden Ur­ teilen abzeichnende Eindämmung der Vertragsunwirksamkeit wegen wirtschaft­ lichen Zwangs. Wie noch zu zeigen sein wird, unterlag die Vertragsnichtigkeit wegen wirtschaftlicher Abhängigkeit nach der Rechtsprechung der Cour de cas­ 243 

Cass. com., Urt. vom 16.10.2007 – 05-19.069 („Mais attendu qu’une transaction ne peut être annulée en cas de dépendance économique de l’une des parties que si l’autre partie a ex­ ploité abusivement cette situation; […] que M. X était un professionnel de l’immobilier, rompu aux procédures susceptibles d’être engagées dans le cadre de son activité et qu’en tant que professionnels de l’immobilier, la société Abri, la société LFEII et M. X ne pouvaient pas igno­ rer les conséquences d’une défaillance“); zur Beachtlichkeit der wirtschaftlichen Erfahrenheit ebenso CA Paris, Urt. vom 16.02.2010 – 09/12380 = RJDA 1/11 Nr.  6 („Considérant que selon l’article 1112 du code civil ‚il y a violence, lorsqu’elle est de nature à faire impression sur une personne raisonnable et qu’elle peut lui inspirer la crainte d’exposer sa personne ou sa fortune à un mal considérable et présent’; que si la contrainte économique se rattache à la violence, seule l’exploitation abusive d’une situation de dépendance économique, faite pour tirer profit de la crainte d’un mal menaçant directement les intérêts légitimes de la personne, peut vicier de violence le consentement à l’acte juridique; qu’en l’occurrence, comme relevé ci-dessus, les parties signataires du protocole sont de part et d’autre des professionnels avertis“).

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sation im Vergleich zur klassischen violence sogar verschärften Tatbestandsan­ forderungen. (e)  Die wirtschaftliche Abhängigkeit (aa)  Das unscharfe Kriterium der finanziellen Schwierigkeiten Zunächst entwickelte die Rechtsprechung zur Identifizierung einer wirtschaftli­ chen Abhängigkeit das Kriterium der finanziellen Schwierigkeiten. So verneinte die Cour de cassation in einem Urteil vom 07.07.2009 die Unwirksamkeit der Bürgschaftsübernahme einer Geschäftsführerin für eine Forderung der Bank ge­ gen ihre Gesellschaft, weil sich das Unternehmen lediglich in finanziellen Schwierigkeiten befand und die Geschäftsführerin mit der Bürgschaftsübernah­ me allein das Darlehens der Bank sicherstellen wollte.244 Das Erfordernis des detaillierten Nachweises über das Ausmaß der finanziellen Schwierigkeiten be­ stätigte die Cour de cassation in einem Urteil aus dem Jahr 2012, ohne jedoch dem Rechtsanwender eine konkrete Erheblichkeitsschwelle zur sicheren Be­ jahung dieses Tatbestandsmerkmals an die Hand zu geben.245 Im Jahr 2010 entschied die CA Paris, dass die wirtschaftliche Abhängigkeit nur ausnahmsweise dann angenommen werden könne, wenn die Beendigung der Vertragsbeziehung die Insolvenz des betroffenen Unternehmens unausweichlich nach sich ziehen würde.246 Ob auch die Cour de cassation auf das Kriterium der Existenzgefährdung abstellen würde, lässt sich dagegen nicht ermitteln.247 244 

Cass. com., Urt. vom 07.07.2009 – 08-14.362 = D. 2010, 2481 („Mais attendu, qu’ayant relevé que Mme X... était directrice générale de la société Y... lorsqu’elle s’est engagée en qualité de caution, l’arrêt retient que les correspondances qu’elle produit aux débats ne dé­ montrent pas l’existence d’une pression équivalente à une contrainte, mais seulement les diffi­ cultés auxquelles devait faire face la société Gerbaud et auxquelles la directrice générale tentait de répondre; qu’il retient encore que la contrepartie de l’engagement de Mme X... était le maintien par la banque de son concours; qu’en l’état de ces constatations et appréciations, la cour d’appel, qui n’était pas tenue de suivre Mme X... dans le détail de son argumentation, a légalement justifié sa décision; que le moyen n’est pas fondé“). 245  Cass. civ. 3e, Urt. vom 22.05.2012 – 11-16.826 („Mais attendu qu’ayant relevé, par mo­ tifs propres et adoptés, qu’il n’existait pas de lien de dépendance entre la société Ganter et la société Michel […] que la société Ganter ne produisait aucune pièce sur la nature et l’ampleur de ses difficultés financières, la cour d’appel, abstraction faite d’un motif surabondant, a pu en déduire qu’aucune contrainte économique constitutive de violence ne pouvait être retenue.“). 246  CA Paris, Urt. vom 16.02.2010 – 09/12380 = RJDA 1/11 Nr.  6 („Que l’inégalité dans la situation économique des cocontractants, seule de nature à créer des liens de dépendance, n’est, quoi qu’il en soit, pas établie dès lors qu’il n’est en rien démontré que l’absence de participation aux 24 heures de Spa-Francorchamps des véhicules de l’écurie de la société JMB Racing aurait conduit celle-ci inéluctablement à la faillite, comme allégué“); Mercadal, Réforme, Nr.  355. 247  Zum Begriff der finanziellen Existenzgefährdung im Bankrecht siehe etwa Capdeville,

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(bb)  Das Kriterium des alternativen Vertragspartners Mit dem Automobilzulieferer-Urteil aus dem Jahr 2007 bezog sich die Cour de cassation dagegen auf ein durchaus schärferes Kriterium zur Feststellung einer wirtschaftlichen Abhängigkeit. Dem Urteil lag der folgende Sachverhalt zu­ grunde: Der Automobilzulieferer TRW benötigte für seine Produktion die Beschaffung von Bauteilen der Gesellschaft CTPA, über deren Vermögen im Jahr 2001 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. In der Folgezeit erklärten sich die Insolvenz­ verwalter gegenüber dem Automobilzulieferer bereit, den Betrieb des Unterneh­ mens bis zum 31.10.2001 unter den bisherigen Konditionen aufrechtzuerhalten, soweit keine streikbedingten Behinderungen auftreten. Ein solcher Fall trat im Mai 2001 ein, als die Angestellten die Erhöhung ihrer Entschädigungszahlungen forderten. Darauf erklärten sich die betroffenen Automobilzulieferer bereit, etwa 2,6 Millionen Euro gegen Fortsetzung der Tätigkeit bis zum 31.12.2001 an einen Sequester herauszugeben. Nachdem der Betrieb des Unternehmens unter Verlus­ ten bis zum Ablauf dieses Zeitraums fortgesetzt wurde, beriefen sich die Auto­ mobilzulieferer auf die Nichtigkeit des Vertrages wegen der wirtschaftlichen Abhängigkeit, in der sie sich bei Vertragsschluss befanden. Die Cour de cassation lehnte die wirtschaftliche Abhängigkeit des Automobil­ zulieferers TRW ab, weil er nicht nachgewiesen hatte, dass es ihm unmöglich war, die Bauteile von einem anderen Hersteller zu beziehen.248 Mit dieser Be­ gründung vollzog die Cour de cassation eine Angleichung der allgemeinen dépendance économique nach dem C. civ. an die restriktiven Anforderungen der dépendance économique nach Art. L. 420-2 Abs.  2. C.  com., wonach maßgeblich zu prüfen ist, ob technisch und wirtschaftlich äquivalente alternative Vertrags­ partner zur Verfügung stehen.249 JCP E 2016, Nr.  29-1434, S.  40 („besoin d’argent, combiné à une situation financière dégradée“). 248  Cass. com., Urt. vom 09.10.2007 – 06-16.744 („Qu’en l’état de ces constatations, dont elle a déduit que la société TRW ne démontrait pas qu’elle ne pouvait s’approvisionner qu’au­ près de la société CTPA […], la cour d’appel […] a légalement justifié sa décision; que le moyen n’est pas fondé“). 249  Zuletzt Cass. com., Urt. vom 12.02.2013 – 12-13.603 = Bulletin civil IV, Nr.  23 = D. 2013, 494 = JCP E 2013, Nr.  1454, Anm. Grignon = CCC 2013, Komm. Nr.  114, Anm. Malaurie-Vignal = RDC 2013, 988, Anm. Grimaldi („Attendu que l’état de dépendance économique se définit comme l’impossibilité, pour une entreprise, de disposer d’une solution technique­ ment et économiquement équivalente aux relations contractuelles qu’elle a nouées avec une autre entreprise“); Malaurie-Vignal, Droit de la concurrence, Nr.  664 (S.  285); Rabu, Droit des obligations, S.  101; Andrieux, LPA 2016, Nr.  167, S.  6, 9; Barbier, RTD civ. 2015, 371, 372; Barbier, JCP G 2016, 722, 723.

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Diesen Standpunkt bestätigte die Cour de cassation in ihrem Kraftfahrzeug­ makler-Urteil vom 18.02.2015, dem die folgenden Tatsachen zugrunde lagen: Eine Kraftfahrzeugversicherungsgesellschaft schloss mit einem Versiche­ rungsmakler im Jahr 2005 einen Maklervertrag. Der Vertrag sah zugunsten des Versicherungsmaklers Provisionszahlungen sowie eine Gewinnbeteiligung vor. Daraufhin kündigte die Auftraggeberin den Vertrag aufgrund einbrechender Um­ sätze. Im Jahr 2008 schlossen die Parteien erneut einen Maklervertrag, der im Unterschied zum bisherigen Vertrag vorsah, dass die Provisionszahlungen zu re­ duzieren seien, wenn die Kraftfahrzeugversicherungsgesellschaft in ihrem ope­ rativen Geschäft defizitär sein sollte. Nachdem ebendieser Fall in den darauffol­ genden zwei Geschäftsjahren eingetreten war, forderte die Auftraggeberin vom Makler die zu viel gezahlten Provisionen heraus. Der Makler berief sich auf die Unwirksamkeit der Vereinbarung wegen seiner wirtschaftlichen Abhängigkeit.250 Die Cour de cassation lehnte erneut das Vorliegen einer violence économique mangels wirtschaftlicher Abhängigkeit ab. Zur Begründung führte sie aus, dass der Versicherungsmakler, der auf dem französischen Markt eine führende Posi­ tion innehatte und im Jahr 2006 einen höheren Umsatz als die Kraftfahrzeugver­ sicherungsgesellschaft erzielt hatte, vor Ablauf des ersten Vertrages trotz der fehlenden Bindung an eine etwaige Ausschließlichkeitsklausel nicht versucht hatte, mit einer anderen Versicherungsgesellschaft zu kontrahieren, wie es ihm nach der Beendigung des zweiten Vertrages gelungen war.251 Dem Urteil vom 18.02.2015 kann eine Klarstellung sowie eine Präzisierung zum Kriterium des alternativen Vertragspartners entnommen werden.252 Zu­ nächst wird die bisherige Rechtsprechung bestätigt: Auch der bei vergleichender Betrachtung umsatzstärkere Vertragspartner kann sich grundsätzlich in einer contrainte économique befinden.253 In Ergänzung zur bisherigen Rechtslage Barbier, RTD civ. 2015, 371, 372. Cass. civ. 1re, Urt. vom 18.02.2015 – 13-28.278 = Bulletin civil I, Nr.  44 = D. 2015, 432 = AJCA 2015, 221, Anm. Perdrix = RDC 2015, S.  445, Anm. Savaux = RTD civ. 2015, 371, Anm. Barbier („Mais attendu qu’ayant relevé que la société FBA, dont le rang dans le classe­ ment des courtiers en France et le chiffre d’affaires, supérieur en 2006 à celui réalisé par son partenaire, témoignaient d’une position éminente sur le marché du courtage en assurance, n’avait entrepris aucune démarche avant la prise d’effet de la résiliation de la première conven­ tion, alors pourtant qu’elle n’était pas liée à la société Altima par une clause d’exclusivité, pour trouver un nouvel assureur auprès duquel placer les risques, comme elle allait le faire avec succès lors la résiliation de la seconde convention, la cour d’appel a, par ces seuls motifs, fai­ sant ressortir l’absence d’état de dépendance économique du courtier grossiste, justifié légale­ ment sa décision de rejeter l’exception de nullité pour violence, par contrainte économique“). 252  Andrieux, LPA 2016, Nr.  167, S.  6, 9; Mekki, D. 2016, 566, 570; Savaux, RDC 2015, 445, 446 f. 253  Vgl. Cass. civ. 1re, Urt. vom 04.02.2015 – 14-10.920 („La société Bouygues immobilier, quelle que soit son envergure financière“); Barbier, JCP G 2016, 722, 723. 250  251 

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führt die Cour de cassation jedoch aus, dass ein Unternehmen, das sich in einer umsatzstarken Position befindet und später einen gleichwertigen Verhandlungs­ partner gefunden hat, erhöhten Darlegungs- und Beweisanforderungen unter­ liegt.254 Dann muss das Unternehmen nämlich im Einzelnen den Nachweis darü­ ber erbringen, dass es sich vor Abschluss des beanstandeten Vertrages vergeblich um einen gleichwertigen Vertragspartner bemüht hat. Die bloße abstrakte Darle­ gung der fehlenden vertraglichen Alternativen genügt indessen nicht.255 Somit kann festgehalten werden, dass sich die Vertragspartei, die sich auf die Vertragsnichtigkeit wegen wirtschaftlicher Abhängigkeit berufen will, darzule­ gen und zu beweisen hat, dass ihr bei Vertragsschluss keine gleichwertigen Ver­ tragspartner zur Verfügung standen. Die wirtschaftliche Stärke der abhängigen Vertragspartei kann sich dagegen lediglich auf die Anforderungen auswirken, die an den Nachweis der Alternativlosigkeit zu stellen sind. (f)  Die Erlangung eines übermäßigen Vorteils In einem Urteil aus dem Jahr 2005 ergänzte die Cour de cassation die bis dahin allein an der Vertragsschlusssituation orientierten Anforderungen an die Ver­ tragsnichtigkeit wegen wirtschaftlicher Abhängigkeit um das den Vertragsinhalt berücksichtigende Erfordernis eines „übermäßigen Vorteils“ („avantage exces­ sif“) zugunsten der überlegenen Vertragspartei.256 Die damit einhergehende Erhöhung der Tatbestandsvoraussetzungen der contrainte économique bestätigte sie im bereits untersuchten Automobilzuliefe­ rer-Urteil vom 09.10.2007, in dem sie die Unwirksamkeit des Vertrages zusätz­ lich mit der Begründung ablehnte, dass die Fortsetzung der Vertragsbeziehung dem insolventen Vertragspartner keinen „avantage excessif“ gewährte, sondern vielmehr auch für ihn mit Verlusten verbunden war.257 An der Begründung fällt auf, dass die Cour de cassation das Vorliegen eines übermäßigen Vorteils („avan­ tage excessif“) nicht nach der Wertrelation von Leistung und Gegenleistung be­ Houtcieff, Gaz. Pal. 2015, 2252, 2253. Vgl. auch Barbier, RTD civ. 2015, 371, 372 („subjectivisation du critère de dépendance économique“) und Mekki, D. 2016, 566, 570 („subjectivation de la violence économique“), die insoweit von einer Versubjektivierung des wirtschaftlichen Abhängigkeitskriteriums sprechen. 256  Cass. com., Urt. vom 11.01.2005 – 01-11.414 („Mais attendu que par motifs adoptés l’arrêt relève […] que si M. X... avait pu consentir à l’accord litigieux sous la contrainte écono­ mique, les clauses critiquées par lui n’étaient pas illégitimes et ne procuraient pas à la société Sopex un avantage excessif, la cour d’appel […] a légalement justifié sa décision; que le moyen n’est pas fondé“). 257  Cass. com., Urt. vom 09.10.2007 – 06-16.744 („Mais attendu […] que le maintien par la société CTPA de son activité jusqu’au 31 décembre 2001 s’est traduit, pour celle-ci, par des pertes avérées […] que la société TRW ne démontrait pas qu’elle […] aurait été contrainte par sa dépendance de consentir un avantage excessif à celle-ci“). 254  255 

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messen hat, sondern danach, inwieweit die insolvente Gesellschaft aus der ihr gebührenden Leistung Gewinne schöpfen konnte. Abstrahiert man diesen Rechtsgedanken, so kann aus der Urteilsbegründung abgeleitet werden, dass der „avantage excessif“ anhand des von der benachteiligten Vertragspartei nicht be­ herrschbaren Umstands zu bestimmen ist, in welchem Umfang die dem Begüns­ tigten gewährten Vorteile von Nutzen sind. (g) Zwischenergebnis Die Anerkennung der violence économique durch die Cour de cassation im Jahr 2000 ließ im Rechtsverkehr zugleich die Hoffnung und die Sorge um die Entste­ hung eines neuen, im Verhältnis zum Willensmangel der violence reduzierten Anforderungen unterliegenden Vertragsnichtigkeitsgrundes wegen wirtschaftli­ cher Abhängigkeit aufkommen. Die Befürworter hofften auf ein effektives Mittel zum Schutz der unterlegenen Vertragspartei im allgemeinen Vertragsrecht. Die Gegner befürchteten dagegen die Gefährdung der Rechtssicherheit durch eine ausufernde Kontrolle sämtlicher Verträge in wirtschaftlichen Abhängigkeitsver­ hältnissen. Die Cour de cassation ließ sich ersichtlich von den Gegnern dieses neuen Rechtsinstituts überzeugen, indem sie die konkreten Anforderungen stetig verschärfte, um im Ergebnis in allen untersuchten Fällen das Vorliegen einer violence économique abzulehnen. bb)  Die Entwicklung des gesetzlichen Tatbestands (1)  Die zur Verfügung stehenden strukturellen Eingliederungsoptionen Angesichts der gesetzlichen Regelungslücke sowie der daraus hervorgegange­ nen Zurückhaltung der Cour de cassation im Umgang mit wirtschaftlichen Zwangslagen, beauftragte das Parlament die Regierung in Art.  8 Nr.  2 des kom­ petenzübertragenden Gesetzes, Bestimmungen einzuführen, die es ermöglichen, das Verhalten einer Vertragspartei zu sanktionieren, die die Schwäche der ande­ ren Vertragspartei missbraucht.258 Bei der konkreten Ausgestaltung jenes Schutz­ instru­ments wurde der Regierung bewusst ein weiter Spielraum zugebilligt.259 Ihr stand insbesondere zur Auswahl, sich die Konzeption Catalas zu eigen zu machen, wonach die Missbrauchskontrolle in den Abschnitt über die Willens­

258  Art.  8 Nr.  2 des kompetenzübertragenden Gesetzes Nr.  2015-177 vom 16.02.2015 („Le Gouvernement est autorisé à […] Simplifier les règles applicables aux conditions de validité du contrat […] en introduisant des dispositions permettant de sanctionner le comportement d’une partie qui abuse de la situation de faiblesse de l’autre“). 259  Loiseau, in: Réforme du droit des contrats, S.  33, 34.

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mängel als Unterkategorie des vice de violence eingegliedert wird.260 Sie hätte die Bestimmung auch nach der Konzeption Terrés systematisch neben den ob­ jektiven, allein am Vertragsinhalt orientierten Vorschriften im Sinne einer einfa­ chen lésion eingliedern können.261 Darüber hinaus wäre auch ein vierter Willens­ mangel neben dem Irrtum (erreur), der Täuschung (dol) und der violence oder gar ein vollkommen neuer, gemischt objektiv-subjektiver Aufhebungsgrund ne­ ben den (subjektiven) Willensmängeln und den (objektiven) Vorschriften über den Inhalt des Vertrages als „lésion qualifiée“ denkbar gewesen.262 In diesem Zusammenhang wurde der Regierung insbesondere die Möglichkeit eingeräumt, sich für oder gegen das Erfordernis einer nachzuweisenden Einflussnahme des Übervorteilenden auf den Übervorteilten durch aktive Drohungshandlungen so­ wie das Erfordernis eines überzogenen Vorteils zu entscheiden. Schließlich wäre es in Anlehnung an das Verbraucherschutzrecht nach Art. L. 121-8 C.  con. sowie das Strafrecht nach Art. L. 223-15-2 C. pén. entsprechend dem Wuchertatbestand nach §  138 Abs.  2 BGB möglich gewesen, den in Art.  8 Nr.  2 des kompe­tenz­ übertragenden Gesetzes bewusst allgemein formulierten Begriff der „situation de faiblesse“ dahingehend auszulegen, dass nicht nur ökonomische, sondern auch intellektuelle Ungleichgewichtslagen vom Schutzbereich erfasst sind. (2)  Die inhaltliche Ausgestaltung der Tatbestandsvoraussetzungen im Vorentwurf Das Justizministerium folgte mit seinem Gesetzentwurf aus dem Jahr 2015 der systematischen Einordnung des Avant-projet Catala, indem es einen zusätzli­ chen Unterfall der violence schaffte.263 Damit schnitt es dem Rechtsanwender ebenso wie nach der bisherigen Rechtslage die allgemeine Befugnis ab, zusätz­ lich die missbräuchliche Ausbeutung intellektueller Schwächepositionen des Übervorteilten zu sanktionieren.

260  Art.  1114-3 Avant-projet Catala: „Il y a également violence lorsqu’une partie s’engage sous l’empire d’un état de nécessité ou de dépendance, si l’autre partie exploite cette situation de faiblesse en retirant de la convention un avantage manifestement excessif“. 261  Art.  66 Avant-projet Terré: „Toutefois, lorsqu’un contractant, en exploitant l’état de né­ cessité ou de dépendance de l’autre partie ou sa situation de vulnérabilité caractérisée, retire du contrat un avantage manifestement excessif, la victime peut demander au juge de rétablir l’équilibre contractuel. Si ce rétablissement s’avère impossible, le juge prononce la nullité du contrat“; vgl. zum objektiven Charakter der „lésion“ Brusorio-Aillaud, Droit des obligations, Rn.  346 (S.  209); Capitant/Terré/Lequette/Chénedé, Les grands arrêts, Urt.-Nr.  263, Rn.  3 (S.  630); Houtcieff, Droit des contrats, Rn.  483. 262  Loiseau, in: Réforme du droit des contrats, S.  33, 34. 263  Picod, in: La violence économique, S.  1, 3; Chénedé, RDC 2015, 655, 657.

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Nach Art.  1142 des Vorentwurfs lag auch dann eine zur Unwirksamkeit des Vertrages führende violence vor, „wenn eine Vertragspartei die Not oder die Abhängigkeit der anderen Ver­ tragspartei missbraucht, um von jener eine Verpflichtung zu erlangen, die sie nicht eingegangen wäre, wenn sie sich nicht in einer solchen schwachen Position befunden hätte“ („Il y a également violence lorsqu’une partie abuse de l’état de nécessité ou de dépendance dans lequel se trouve l’autre partie pour obtenir un engagement que celle-ci n’aurait pas souscrit si elle ne s’était pas trouvée dans cette situation de faiblesse“). In Anlehnung an das Avant-projet Catala sowie das Avant-projet Terré sah der Tatbestand vor, dass neben dem Missbrauch der Abhängigkeit (dépendance) auch der Missbrauch einer Notlage (état de nécessité) die Unwirksamkeit des Vertrages nach sich ziehen könne.264 Dagegen verzichtete das Justizministerium im Unterschied zu den beiden Gesetzentwürfen auf das Erfordernis eines offen­ sichtlich überzogenen Vorteils (avantage manifestement excessif). (3)  Kritische Reaktionen im Schrifttum Der Entwurf fand in der wissenschaftlichen Diskussion nicht den erhofften An­ klang. Dabei stießen das Tatbestandsmerkmal des état de nécessité, der Verzicht auf das Erfordernis eines avantage manifestement excessif sowie die Einordnung der Rechtsnorm als Unterkategorie des Willensmangels der violence auf teilwei­ se erhebliche Kritik. Der état de nécessité sei danach der Rechtssicherheit abträg­ lich, weil er bei einer weiten Auslegung jedes Interesse am Abschluss eines Ver­ trages abdecken könne und dementsprechend jeder Vertrag einer potenziellen Aufhebung unterliege.265 Ferner könne die Norm aus ökonomischer Sicht Unter­ nehmensgründern die Etablierung am Markt erschweren.266 Teilweise wurde zu­ dem behauptet, der état de nécessité gehe ohnehin vollständig im état de dépen­ dance auf und sei deshalb ohnehin überflüssig.267 Am Verzicht auf das Erfordernis eines avantage manifestement excessif wurde kritisiert, dass inhaltlich ausgeglichene Verträge keiner Aufhebung bedürfen.268 Daran anknüpfend wurde an der Einordnung der Rechtsnorm als Unterkategorie der violence bemängelt, dass es sich weniger um einen Willensmangel als um Chénedé, RDC 2015, 655, 657. Dupichot, Dr. et patr. 2015, Nr.  247, S.  32; Loiseau, in: Réforme du droit des contrats, S.  33, 36; Stoffel-Munck, in: Réforme du droit des contrats, S.  17, 24 f.; a. A. Le Gac-Pech, LPA 2016, Nr.  162, S.  7, 10. 266  Cassagne in: Loiseau, in: Réforme du droit des contrats, S.  33, 40; Stoffel-Munck in: Loiseau, in: Réforme du droit des contrats, S.  33, 41 f. 267  Andrieux, LPA 2016, Nr.  167, S.  6, 8. 268  Boffa, Gaz. Pal. 2015, 1320, 1322; Dupichot, Dr. et patr. 2015, Nr.  247, S.  32. 264  265 

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eine „lésion qualifiée“ handeln müsse, also um ein gemischt objektiv-subjektives Kontrollinstrument, welches das objektive Erfordernis eines auffälliges Missver­ hältnis zwischen den vertraglichen Leistungspflichten mit der Notwendigkeit der subjektiven Unterlegenheit einer Vertragspartei kombiniert.269 (4)  Die Korrekturen der Tatbestandsvoraussetzungen in der gesetzesvertretenden Verordnung Daraufhin wurde das mit erheblichen Rechtsunsicherheiten behaftete Tatbe­ standsmerkmal eines état de nécessité aus der Finalversion der gesetzesvertreten­ den Verordnung gestrichen und das Erfordernis eines „offensichtlich überzoge­ nen Vorteils“ (avantage manifestement excessif) hinzugefügt.270 Die Einordnung als Unterkategorie des Willensmangels der violence blieb dagegen unberührt. Mit dem nunmehr erforderlichen „offensichtlich überzogenen Vorteil“ sahen sich die Gegner der systematischen Verankerung der Rechtsnorm im Abschnitt über die Willensmängel bestätigt: Mit diesem allein am Vertragsinhalt orientier­ ten Tatbestandsmerkmals sei klar, dass es sich um einen Fall der objektiven In­ haltskontrolle im Sinne einer lésion271 oder jedenfalls um einen gemischt objek­ tiv-subjektiven Kontrollmechanismus im Sinne einer lésion qualifiée handele272, der neben den Willensmängeln und den objektiven Vorschriften über den Inhalt des Vertrages kodifiziert werden müsse. Wie sich im Folgenden zeigen wird, erweist sich die systematische Eingliede­ rung des „abus de dépendance“ als Willensmangel allerdings nicht als zufällig, willkürlich oder gar unrichtig, sondern erlaubt vielmehr wertvolle Rückschlüsse über die Gewichtung und Auslegung der entsprechenden Tatbestandsvorausset­ zungen.

Chénedé, RDC 2015, 655, 657; a. A. Klein, JCP G 2015, Nr.  21, S.  14, 18; Loiseau, in: Réforme du droit des contrats, S.  33, 34. 270  Barbier, JCP G 2016, 722; Bourassin, LPA 2016, Nr.  261, S.  9 f.; Deshayes, in: RDC hors série, S.  21, 24; Mekki, D. 2016, 494, 499. 271  Andrieux, LPA 2016, Nr.  167, S.  6, 12; Mazeaud, in: RDC hors série, S.  53, 54; Mignot, LPA 2016, Nr.  47, S.  7, 11; Mignot, LPA 2016, Nr.  47, S.  7, 13; Renault-Brahinsky, Droit des obligations, S.  76. 272  Dournaux, Dr. et patr. 2016, Nr.  258, S.  57, 60; Porchy-Simon, Droit civil, Rn.  191. 269 

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cc)  Die Übertragbarkeit der Rechtsprechung zur violence économique auf Art.  1143 C. civ. (1)  Anforderungen an die missbräuchliche Ausnutzung der Abhängigkeit (a)  Literaturstimmen für eine von der Rechtsprechung unabhängige Auslegung Inwieweit die bisherige Rechtsprechung mit Inkrafttreten der gesetzesvertreten­ den Verordnung weiterhin Geltung beansprucht, wird im französischen Schrift­ tum nicht einheitlich beantwortet. Teilweise wird vertreten, in Abkehr zur bisherigen Rechtsprechung genüge in einem Abhängigkeitsverhältnis fortan der Nachweis eines „offensichtlich über­ zogenen Vorteils“ zugunsten der überlegenen Vertragspartei. An den abus, also den Missbrauch des Verhandlungsungleichgewichts, seien keine zusätzlichen Voraussetzungen zu stellen, insbesondere sei eine konkrete Bedrohung der unter­ legenen Vertragspartei (nunmehr) entbehrlich.273 Jedenfalls könne der Miss­ brauch bei Vorliegen eines „offensichtlich überzogenen Vorteils“ vermutet wer­ den.274 Dafür spreche, dass die aus dem Larousse-Bordas-Urteil der Cour de cassation vom 03.04.2002 entnommenen Anforderungen der „Sorge des Opfers angesichts der direkten Bedrohung berechtigter Interessen“ („la crainte d’un mal menaçant directement les intérêts légitimes de la personne“) sowie der aktiven „Überzeugungsarbeit“ vonseiten des Übervorteilenden („exploité auprès d’elle cette circonstance pour la convaincre“) nicht in Art.  1143 C. civ. übernommen wurden.275 Die Sorge des Opfers sowie die Drohung vonseiten eines Menschen sind in der Tat lediglich in Art.  1140 C. civ. i. V. m. Art.  1142 C. civ. über die all­ gemeine violence wiederzufinden.276 Der Sonderfall des Art.  1143 C. civ. unter­ liege infolgedessen alternativen und insoweit geringeren Voraussetzungen als die allgemeine violence. Während sich letztere durch die (aktive) Einschüchterung des Vertragspartners auszeichne („violence-provocation“), bedürfe es in Art.  1143 C. civ. keiner solchen Einwirkung, sondern allein der (passiven) Ausbeutung ei­ ner bereits bestehenden Abhängigkeitslage durch Erlangung eines offensichtlich

273  Deshayes, in: RDC hors série, S.  21, 27; Loiseau, in: Réforme du droit des contrats, S.  33, 34; Andrieux, LPA 2016, Nr.  167, S.  6; Chénedé, RDC 2015, 655, 657; Claudel, RTD com. 2016, 460, 463 ff. 274  Mazeaud, in: La violence économique, S.  25, 28; Revet, in: La violence économique, S.  11, 22; Savaux, RDC 2015, 445, 447; unsicher dagegen Bourassin, LPA 2016, Nr.  261, S.  9, 17; Pihéry, LPA 2016, Nr.  261, S.  26, 27. 275  Dupichot, Dr. et patr. 2015, Nr.  247, S.  32. 276  Art.  1140 Code civil: „Il y a violence lorsqu’une partie s’engage sous la pression d’une contrainte qui lui inspire la crainte d’exposer sa personne, sa fortune ou celles de ses proches à un mal considérable“. Vgl. hierzu Mignot, LPA 2016, Nr.  47, S.  7, 11.

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A.  Das französische Recht

überzogenen Vorteils („violence-exploitation“).277 Eine solche Betrachtung wer­ de letztlich durch den Einsatz des Adverbs „auch“ („également“) in Art.  1143 C. civ. bestätigt. Daraus könne geschlossen werden, dass für die Unwirksamkeit des Vertrages wegen missbräuchlicher Ausnutzung eines Abhängigkeitsverhält­ nisses nicht die allgemeinen Voraussetzungen der violence nach Art.  1140 C. civ. erfüllt sein müssen, da andernfalls der Tatbestand des Art.  1143 C. civ. überflüs­ sig sei.278 Der Bericht an den Präsidenten könnte die Behauptung stützen, dass die Erlan­ gung eines „offensichtlich überzogenen Vorteils“ den abus indiziert. Danach wurde das Kriterium des „offensichtlich überzogenen Vorteils“ nämlich einge­ führt, um die „Würdigung des Missbrauchs zu verobjektivieren“ („Afin de répondre aux craintes des entreprises et d’objectiver l’appréciation de cet abus, a été introduit, pour apprécier ce vice, un critère tenant à l’avantage manifestement excessif que doit en avoir tiré le cocontractant“). (b)  Argumente für die Übertragbarkeit der bisherigen Rechtsprechung Bei dieser Betrachtung wird allerdings der erste Teil des Berichts an den Präsi­ denten zum neuen Art.  1143 C. civ. ausgeblendet, wonach ausdrücklich die bis­ herige Rechtsprechung zum „abus de dépendance“ sowie die Literatur zur violence économique durch die gesetzesvertretende Verordnung bestätigt werden soll. Danach dient die einzige eindeutige Modifikation in Gestalt des Verzichts auf das Erfordernis eines wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnisses lediglich dazu, den Anwendungsbereich des Tatbestands auch auf technologische, famili­ äre und sonstige Abhängigkeitsverhältnisse auszudehnen („L’une des innovations essentielles du texte consiste à assimiler à la violence l’abus de la dépendance dans laquelle se trouve son cocontractant, ce que la jurisprudence de la Cour de cassation a admis dans des arrêts récents, et que la doctrine et les praticiens qualifient de ‚vio­ lence économique‘, même si le texte est en réalité plus large, et n’est pas circonscrit à la dépen­ dance économique (article 1143). En effet toutes les hypothèses de dépendance sont visées, ce qui permet une protection des personnes vulnérables et non pas seulement des entreprises dans leurs rapports entre elles.“).

Dem Bericht kann indes nicht ohne weiteres entnommen werden, dass zugleich die konkreten Anforderungen an den Missbrauch der wirtschaftlichen Abhängig­ keit reduziert werden sollten. Dafür spricht zudem eine Gegenüberstellung des Berichts des Ministerrats vom 10.02.2016 mit der Pressemitteilung des Justizministers zur gesetzesvertre­ tenden Verordnung am darauffolgenden Tag. Beide Mitteilungen enthalten ein 277 

278 

Zur Terminologie, siehe Chénedé, RDC 2015, 655, 657. Andrieux, LPA 2016, Nr.  167, S.  6; Loiseau, in: Réforme du droit des contrats, S.  33, 34.

V.  Richterliche Kontrolle ungerechter Verträge und Klauseln

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Beispiel für einen nach Art.  1143 C. civ. unwirksamen Vertrag. Die genannten Fallgestaltungen weisen eine starke Ähnlichkeit mit dem Sachverhalt auf, der dem Larousse-Bordas-Urteil der Cour de cassation vom 03.04.2002 zugrunde lag. Der Unterschied liegt allein darin, dass im früher veröffentlichten Beispiel die Angestellte dem Lizenzvertrag zustimmt, weil sie ansonsten befürchtet, vom Personalabbau des Unternehmens betroffen zu sein („La réforme protège la partie faible, en sanctionnant par la nullité du contrat l’abus de l’état de dépendance d’une partie: par exemple, la cession des droits d’auteur d’un salarié à une entreprise qui n’aurait été obtenue que dans la crainte d’une compression de personnel sera nulle.“),

während der Arbeitgeber im später veröffentlichten Beispiel darüber hinaus den Personalabbau vor Abschluss des Lizenzvertrages gegenüber der Arbeitnehmerin angekündigt hatte („Cas concret: je cède mes droits d’auteur à l’entreprise qui m’emploie, dans la crainte d’une compression de personnel que mon employeur m’a annoncée; je pourrai faire annuler cette cession.“).

Hier wird erkennbar, dass entsprechend der bisherigen Rechtsprechung das blo­ ße Vorliegen eines Abhängigkeitsverhältnisses nicht ausreichen soll, sondern da­ rüber hinaus die Drohkulisse von der überlegenen Vertragspartei aktiv zum eige­ nen Vorteil ausgenutzt werden muss. Erst durch das kausale Zusammentreffen der vom Übervorteilenden aufgebauten oder verstärkten Drohkulisse mit dem Vertragsschluss kann danach der Missbrauch im Sinne des Art.  1143 C. civ. fest­ gestellt werden.279 In diese Richtung ließe sich auch die bei unbefangener Lektüre unklare For­ mulierung des Art.  1143 C. civ. deuten: Die Regierung könnte mit der Qualifika­ tion des „abus de dépendance“ als Unterfall der violence sowie dem ausdrückli­ chen Hinweis zu Beginn des Art.  1143 C. civ. („il y a également violence“) zum Ausdruck gebracht haben wollen, dass mit der Kodifikation jenes Vertragsun­ wirksamkeitsgrundes keine zusätzliche Einschränkung der Vertragsfreiheit ein­ hergehen soll. Die Formulierung könnte allein der Bestätigung dienen, dass es sich hierbei keineswegs um eine lésion, sondern vorrangig um einen subjektiv­ geprägten Vertragsnichtigkeitsgrund handeln soll, der nicht durch das bloße Vor­ liegen einer objektiven Ungleichgewichtslage vermutet oder gar erfüllt sein kann.280 Mit anderen Worten gebietet die Kodifikation des Art.  1143 C. civ. hinter 279  Andrieux, LPA 2016, Nr.  167, S.  6, 10; Champ, LPA 2016, Nr.  261, S.  20; vgl. auch Mercadal, Réforme, Nr.  353, wonach der Missbrauch darüber hinaus auch das Bewusstsein der Schädigung des Vertragspartners voraussetzt. 280  Ferrier, in: La violence économique, S.  51, 52; Ghestin/Loiseau/Serinet, Le contrat, Rn.  1508; Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Droit des obligations, Rn.  518; Rabu, Droit des obli­

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A.  Das französische Recht

dem allgemeinen Art.  1140 C. civ. nicht die Annahme eines gegenüber der violence alternativen Vertragsnichtigkeitsgrundes, sondern kann auch dahingehend zu deuten sein, dass die von der Rechtsprechung entwickelten hohen Anforde­ rungen gesetzlich verankert und damit gefestigt werden sollten.281 Die Verwen­ dung des Adverbs „également“ könnte insoweit lediglich der Klarstellung die­ nen, dass es sich bei der Vertragsunwirksamkeit wegen missbräuchlicher Aus­ beutung der Abhängigkeit des Vertragspartners nicht um einen Fall der nunmehr eindeutig der objektiven Vertragsinhaltskontrolle zuzuordnenden lésion han­ delt.282 Konsequenterweise müssten im Rahmen von Art.  1143 C. civ. die allge­ meinen Voraussetzungen der violence erfüllt sein, womit der Missbrauch nur nach den konkreten Umständen des Einzelfalls (Art.  1130 Abs.  2 C. civ.) bei Feststellung einer Drohung durch die überlegene Vertragspartei sowie einer kor­ relativen Sorge der unterlegenen Vertragspartei um ihre berechtigten Interessen (Art.  1140 C. civ.) ermittelt werden kann.283 (c) Zwischenergebnis Die Anforderungen an die missbräuchliche Ausnutzung der Abhängigkeit der unterlegenen Vertragspartei in Art.  1143 C. civ. werden maßgeblich vom Bedeu­ tungsgehalt der die Norm einleitenden Worte abhängen. Zunächst ließe sich die Formulierung, wonach eine violence „auch“ („égale­ ment“) unter den in der Norm näher bezeichneten Voraussetzungen vorliegt, der­ gestalt auslegen, dass es sich bei Art.  1143 C. civ. um eine im Verhältnis zu Art.  1140 C. civ. alternative Form der violence handelt. Die Alternativität und damit Austauschbarkeit der Tatbestandsvoraussetzungen könnte sich dabei so­ wohl auf die Drohung durch einen Menschen als auch die Sorge des Opfers vor dem Eintritt eines erheblichen Nachteils beziehen. Im ersten Fall würde sich dies dadurch manifestieren, dass die beim Opfer erzeugte Willensbeengung nicht auf der Drohung durch einen anderen Menschen („violence personelle“), sondern auf den objektiven Umständen in Gestalt eines Abhängigkeitsverhältnisses be­ ruht („violence contextuelle“).284 Im zweiten Fall ließe sich die Ansicht vertre­ ten, dass die nach Art.  1143 C. civ. unterlegene Vertragspartei lediglich oder zu­ sätzlich davon befreit wird, ihre Sorge vor dem Eintritt etwaiger Nachteile nach­ gations, S.  101; Laithier, LPA 2004, Nr.  234, 23.11.2004, S.  5, Rn.  27 f.; Le Gac-Pech, LPA 2016, Nr.  162, S.  7, 10. 281  Andrieux, LPA 2016, Nr.  167, S.  6, 10; Mercadal, Réforme, Nr.  352. 282  Genicon, RDC 2016, 751, 754. 283  Barbier, JCP G 2016, 722, 724; Champ, LPA 2016, Nr.  261, S.  20; Genicon, RDC 2016, 751, 754. 284  Chantepie/Latina, La réforme, Nr.  332.

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zuweisen, wenn feststeht, dass die überlegene Vertragspartei aus dem Vertrag einen „offensichtlich überzogenen Vorteil“ gezogen hat. Andererseits ließe sich die Formulierung, wonach eine violence „auch“ unter den Voraussetzungen des Art.  1143 C. civ. vorliegt, dergestalt auslegen, dass für den Sonderfall der violence durch missbräuchliche Ausbeutung eines Abhängig­ keitsverhältnisses die wesensprägenden Merkmale der allgemeinen violence nach Art.  1140 C. civ. nicht ersetzt, sondern vielmehr um das Erfordernis eines „offensichtlich überzogenen Vorteils“ zugunsten des Übervorteilenden ergänzt werden sollen. In diesem Fall würde durch die Wortwahl des Gesetzes nur zum Ausdruck gebracht werden, dass es sich bei der missbräuchliche Ausbeutung ei­ nes Abhängigkeitsverhältnisses entsprechend der bisherigen Rechtsprechung der Cour de cassation eben nicht um eine lésion, sondern um eine violence handelt, die nur unter erhöhten Voraussetzungen der Vertragsnichtigkeit unterliegt.285 Eine solche Klarstellung wäre durchaus sinnvoll, da die lésion nach dem in dem Reformtext zutage getretenen Willen des Gesetzgebers nicht mehr als Unterfall einer violence angesehen werden kann. (2)  Besonderheiten bei der Ermittlung des „offensichtlich überzogenen Vorteils“ (a)  Wortlautverwandtschaft mit dem Verbraucherschutzrecht Schließlich ist zu untersuchen, wie das Tatbestandsmerkmal des „offensichtlich überzogenen Vorteils“ ausgelegt werden könnte. Im Schrifttum wird teilweise auf die Rechtsprechung zum „déséquilibre significatif“ nach Art. L. 212-1 C.  con. verwiesen, der als Prüfungsmaßstab eine Gegenüberstellung der beiderseitigen Rechte und Pflichten heranzieht, da es sich bei jenen Tatbestandsmerkmalen um Synonyme handele.286 Dem ist insoweit beizupflichten, dass Art. L. 212-1 C.  con. in der Tat auf Art.  35 des Verbraucherschutzgesetzes Nr.  78-23287 – auch bekannt unter der Bezeichnung „Loi Scrivener“288 – vom 10.01.1978 zurückgeht, wonach eine Klausel in einem Verbrauchervertrag missbräuchlich war, wenn sie dem Un­ ternehmer einen übermäßigen Vorteil gewährte Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Droit des obligations, Nr.  518. Andrieux, LPA 2016, Nr.  167, S.  6, 10; Le Gac-Pech, LPA 2016, Nr.  162, S.  7, 10; Mignot, LPA 2016, Nr.  47, S.  7, 13. 287  Loi n°78-23 du 10 janvier 1978 sur la protection et l’information des consommateurs de produits et de services; vgl. Brusorio-Aillaud, Droit des obligations, Rn.  352 (S.  211); Calais-Auloy/Temple, Droit de la consommation, Rn.  163; Renault-Brahinsky, Droit des obliga­ tions, S.  87; Bicheron, Gaz. Pal. 2015, 1326. 288  Benannt nach der damals für den Verbraucherschutz zuständigen Staatssekretärin Christiane Scrivener. 285  286 

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(„Dans les contrats conclus entre professionnels et non-professionnels, ou consommateurs, peuvent être interdites […] les clauses […] lorsque de telles clauses apparaissent imposées aux non professionnels ou consommateurs par un abus de la puissance économique de l’autre partie et confèrent à cette dernière un avantage excessif.“).

Dieses letztgenannte Tatbestandsmerkmal wurde von der Rechtsprechung schon früh dahingehend ausgelegt, dass neben dem übermäßigen Vorteil zugunsten des Unternehmers auch der übermäßige Nachteil zulasten des Verbrauchers den Tat­ bestandsanforderungen genügte.289 (b)  Rechtsprechung zur violence économique Andererseits ließen sich auch die oben geschilderten Kriterien der Rechtspre­ chung zur Feststellung eines „avantage excessif“ bei der Ermittlung der violence économique heranziehen, denen zufolge allein auf den persönlichen Nutzen ab­ zustellen ist, den die begünstigte Vertragspartei aus der Leistung der übervorteil­ ten Vertragspartei zieht.290 (c)  Autonome Auslegung Schließlich wird in der Literatur auch eine autonome Auslegung dergestalt vor­ geschlagen, dass sich der Richter zur Ermittlung des „überzogenen“ Charakters des Vorteils an der Höhe der Gegenleistung orientieren soll und dabei den Vorteil mit anderen Werten wie etwa den Gepflogenheiten der jeweiligen Branche ver­ gleichen kann.291 Auch der Marktpreis soll bei der Beurteilung Berücksichtigung finden dürfen.292 dd) Ergebnis Schlussfolgernd ist festzuhalten, dass die Regierung den ihr vom Parlament ein­ geräumten Spielraum bei der Ausgestaltung der dem Schutz der unterlegenen Vertragspartei dienenden Regelung lediglich dazu genutzt hat, um die bisherige violence économique-Rechtsprechung der Cour de cassation über den Wirt­ schaftsverkehr hinaus auf sämtliche Abhängigkeitsverhältnisse auszudehnen und so insbesondere auch familienrechtliche Beziehungen zu erfassen. Dagegen wur­ de der Schutzbereich weder für intellektuelle Ungleichgewichtslagen geöffnet, 289 

362.

Calais-Auloy/Temple, Droit de la consommation, Rn.  170; Fenouillet, RDC 2016, 358,

290  Allgemein für die Bezugnahme auf jene Rechtsprechung Beyneix, LPA 2006, Nr.  170, S.  3, Rn.  11; Renault-Brahinsky, Droit des obligations, S.  76. 291  Rabu, Droit des obligations, S.  101; Barbier, JCP G 2016, 722, 724. 292  Rabu, Droit des obligations, S.  101; Andrieux, LPA 2016, Nr.  167, S.  6, 12; Champ, LPA 2016, Nr.  261, S.  20.

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noch wurden die von der Rechtsprechung entwickelten, stetig verschärften Vor­ aussetzungen an die missbräuchliche Ausbeutung einer Abhängigkeitslage ein­ deutig abgelehnt oder bestätigt. Diese Zurückhaltung der Regierung, die im Un­ terschied zur Cour de cassation nicht an die vorhandenen gesetzlichen Grundla­ gen gebunden war, sondern vielmehr auch eine umfassendere und im Hinblick auf die konkreten Anforderungen vor allem auch eindeutige Bestimmung er­ schaffen konnte, ist durchaus zu bedauern.293 Mit der Kodifikation des Art.  1143 C. civ. überlässt die Regierung letztlich der Cour de cassation die Entscheidung darüber, ob sie an ihrer wirtschaftsliberalen Rechtsprechung weiter festhält oder die Anforderungen an die Vertragsnichtig­ keit wegen Vorliegens eines Abhängigkeitsverhältnisses senkt. Die im Unter­ schied zum „Seenot“-Urteil entwickelten verschärften Tatbestandsvoraussetzun­ gen der violence wegen missbräuchlicher Ausbeutung einer wirtschaftlichen Zwangslage sprechen dafür, dass die Cour de cassation auch weiterhin an ihrer interventionsfeindlichen Position festhalten wird. Letztlich lehnte die Cour de cassation das Vorliegen einer violence économique mit abwechselnder Begrün­ dung konsequent ab.294 Die Aufrechterhaltung der bisherigen Rechtslage, die die Vertragsnichtigkeit aus Gründen der wirtschaftlichen Ausbeutung der unterlege­ nen Vertragspartei nur unter außergewöhnlich hohen Anforderungen anerkennt, ist somit durchaus wahrscheinlich.295 In diesem Fall wird die benachteiligte Partei nachzuweisen haben, dass ihr vor Abschluss des Vertrages keine alternativen, gleichwertigen Vertragspartner zur Wahl standen. Hat sie bedeutende Marktanteile sowie einen höheren Umsatz als ihre Vertragsgegenseite, wird sie zusätzlich belegen müssen, dass sie sich vor Abschluss des Vertrages vergeblich um äquivalente Vertragspartner bemüht hat, wenn sie nach Abschluss des Vertrages einen solchen Vertragspartner gefunden hat.296 Daneben steht zu erwarten, dass die benachteiligte Vertragspartei ihre fi­ nanzielle Situation detailliert offenlegen und nachweisen muss, dass sie mit den 293  So im Ergebnis auch Bien/Borghetti/Witz, Die Reform, S.  127; Revet, in: La violence économique, S.  11, 12 ff. 294  Andrieux, LPA 2016, Nr.  167, S.  6, 9; Barbier, RTD civ. 2015, 371; Houtcieff, Gaz. Pal. 2015, 2252; Mercadal, Réforme, Nr.  352; vgl. aber auch Loiseau, in: Réforme du droit des contrats, S.  33, 33; Herrnberger, LPA 2016, Nr.  261, S.  23; Mekki, D. 2016, 566, 570; Savaux, RDC 2015, 445 f. die Cass. civ. 1re, Urt. vom 04.02.2015 – 14-10.920 als erste Anerkennung der Vertragsaufhebung wegen wirtschaftlicher Gewalt ansehen. Tatsächlich handelt es sich indes um einen Fall der „violence morale“, vgl. Revet, in: La violence économique, S.  11, 15. 295 Vgl. Chazal/Jamin/Pignarre/Pimont, Cahiers de droit de l’entreprise 2015. 296 Vgl. Mekki, Gaz. Pal. 2016, 109, 113 sowie Pihéry, LPA 2016, Nr.  261, S.  26, 27, die vor diesem Hintergrund die Aufnahme entsprechender Hinweise über die Wirtschaftsdaten und Vertragsalternativen der kontrahierenden Unternehmen in der Präambel des Vertrages empfeh­ len.

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A.  Das französische Recht

Risiken des Geschäfts nicht vertraut war, dass sie von der überlegenen Vertrags­ partei aktiv unter Druck gesetzt wurde und letztere aus dem Vertrag einen erheb­ lichen Vorteil ggf. auch mittelbarer Art gezogen hat. ee) Ausblick Es ist davon auszugehen, dass Art.  1143 C. civ. im Wirtschaftsverkehr keine praktische Relevanz entfalten wird.297 Dies bestätigen auch die Erfahrungen mit Art. L. 442-6 I Nr.  2b C.  com. a. F., der mit dem Wirtschaftsmodernisierungsge­ setz vom 04.08.2008 aufgehoben wurde. Danach sollten bestimmte Teilnehmer des Handelsverkehrs für die missbräuchliche Ausnutzung des Abhängigkeitsver­ hältnisses der unterlegenen Vertragspartei bei der Vertragsgestaltung haften („Engage la responsabilité de son auteur et l’oblige à réparer le préjudice causé le fait, par tout producteur, commerçant, industriel ou personne immatriculée au répertoire des métiers: […] D’abuser de la relation de dépendance dans laquelle il tient un partenaire […] en le soumettant à des conditions commerciales ou obligations injustifiées.“).

Die Bestimmung wurde aufgehoben, nachdem sie in der Praxis keinen Erfolg verbuchen konnte. Das Problem lag auch hier darin, dass die Abhängigkeit re­ gelmäßig nicht nachgewiesen werden konnte. Außerdem sah die schwächere Partei bereits aus ökonomischen Gesichtspunkten regelmäßig von einer Klage ab, um ihren Ruf auf dem Markt nicht zu gefährden. Aus ebendiesem Grund wurde auf dem Gebiet des Wettbewerbsrechts die Klagebefugnis des Wirt­ schaftsministers eingeführt, der den Schutz der schwächeren Parteien effektiver durchsetzen soll.298 Für die geringe praktische Relevanz spricht auch die oben genannte Wortlaut­ verwandtschaft des Art.  1143 C. civ. mit dem Art.  35 der Loi Scrivener aus dem Jahr 1978, wonach eine Klausel in einem Verbrauchervertrag unwirksam ist, wenn sie in missbräuchlicher Ausnutzung der wirtschaftlichen Überlegenheit durchgesetzt wurde und dem Unternehmer einen überzogenen Vorteil gewährt. Auch hier hatte die Schwierigkeit, den Missbrauch nachzuweisen, dazu geführt, dass auf dieses Tatbestandsmerkmal im Zuge der Umsetzung der Verbraucher­ rechterichtlinie aus dem Jahr 1993 (93/13/EWG) durch das Gesetz Nr.  95-96 vom 01.02.1995 verzichtet wurde.299

Thaumiaux, LPA 2016, Nr.  261, S.  30. Pihéry, LPA 2016, Nr.  261, S.  26, 27. 299  Le Gac-Pech, LPA 2016, Nr.  162, S.  7, 11. 297  298 

V.  Richterliche Kontrolle ungerechter Verträge und Klauseln

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b)  Funktionserhaltung der objektiven cause in Art.  1169 C. civ. aa) Problemstellung Nach Art.  1169 C. civ. ist ein entgeltlicher Vertrag nichtig, wenn der zugunsten der verpflichteten Vertragspartei vereinbarte Gegenwert im Zeitpunkt des Ver­ tragsschlusses „illusorisch“ oder „lächerlich gering“ („contrepartie convenue il­ lusoire ou dérisoire“) ist. Während die Eingrenzung des Anwendungsbereichs der Norm auf entgeltli­ che Verträge für die Zwecke dieser Abhandlung von keiner Relevanz ist300 sowie die Festsetzung des Vertragsschlusses als den maßgeblichen Beurteilungszeit­ punkt ausweislich des insoweit eindeutigen Wortlauts keine Fragen (mehr) auf­ wirft,301 ist von besonderem Interesse, inwieweit das Verbot der „contrepartie convenue illusoire ou dérisoire“ in einem entgeltlichen Vertrag geeignet ist, die Vertragsfreiheit im unternehmerischen Geschäftsverkehr zu beschränken. Die Norm dient der funktionalen Fortsetzung der sog. Existenzkontrolle der cause de l’obligation und damit der Sicherstellung der Seriosität der beiderseitigen Leis­ tungspflichten eines Austauschvertrags, womit eine tiefergehende Auseinander­ setzung mit der cause auch nach der Reform unerlässlich ist. bb)  Der formelle Verzicht auf den Begriff der cause im reformierten Vertragsrecht Im Unterschied zum bisherigen Recht verzichtet das reformierte französische Zivilrecht vollständig auf den Begriff der cause.302 Diese Streichung ist indes ausschließlich formeller Natur.303 Dem Bericht an den Präsidenten ist zu entneh­ 300 

Zur Legaldefinition des entgeltlichen Vertrages, vgl. Art.  1107 Abs.  1 C. civ.: „Le contrat est à titre onéreux lorsque chacune des parties reçoit de l’autre un avantage en contrepartie de celui qu’elle procure“; zu der praktischen Relevanz dieser Einschränkung, vgl. Ghestin/Labarthe, LPA 2015, Nr.  177, S.  17, 46; Mignot, LPA 2016, Nr.  41, S.  8, 12; Renault-Brahinsky, Droit des obligations, S.  85. 301  Bénabent, Droit des obligations, Rn.  198; Mercadal, Réforme, Nr.  418; Pietrancosta/ Martel, Le droit des contrats réformé, S.  52; Renault-Brahinsky, Droit des obligations, S.  85; Renault-Brahinsky, Le nouveau droit des contrats, S.  26; Genicon, RDC 2016, 751, 755; siehe auch die bisherige Rechtsprechung Cass. com., Urt. vom 21.10.1974 – 73-11.099 = Bulletin civil IV, Nr.  255, S.  207 („L’existence de la cause d’une obligation s’apprecie au moment de la formation du contrat“); Cass. civ. 3e, Urt. vom 17.07.1996 – 93-19.432 = Bulletin civil III, Nr.  193, S.  124; Übersicht zu dieser Thematik bei Ghestin/Loiseau/Serinet, L’objet et la cause, Rn.  702. 302  Art.  1108 C. civ. a. F.: „Quatre conditions sont essentielles pour la validité d’une conven­ tion: […] Un objet certain qui forme la matière de l’engagement; Une cause licite dans l’obli­ gation“. 303  Fages, Droit des obligations, Rn.  181; Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Droit des obliga­

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men, dass der in Art.  1128 C. civ. als dritte Vertragswirksamkeitsvoraussetzung aufgelistete, bestimmte und erlaubte Vertragsinhalt jene Begriffe ersetzen soll.304 Damit schloss sich das Justizministerium der dem kompetenzübertragenden Ge­ setz beigefügten Begründung („exposé des motifs“) an, wonach die Wirksam­ keitsvoraussetzungen des Vertrages insbesondere durch den sprachlichen Ver­ zicht auf den schillernden Begriff der cause, der „heiligen Kuh“305 des französi­ schen Privatrechts, vereinfacht werden sollen.306 cc)  Rechtspolitischer Hintergrund der formellen Streichung der cause Es handelt sich hierbei um die bedeutendste und zugleich aufsehenerregendste Maßnahme zur Steigerung der Attraktivität des französischen Zivilrechts. Die zur Verwirklichung dieses Ziels propagierte Stärkung der Rechtssicherheit konn­ te nach einer weit verbreiteten Auffassung mit der Aufrechterhaltung der cause als Vertragswirksamkeitsvoraussetzung nicht erreicht werden.307 Insbesondere wurde bemängelt, dass die cause den meisten Rechtsordnungen unbekannt308 sei und sich deswegen in den verschiedenen europäischen Kodifikationsvorhaben nicht habe durchsetzen können.309 Dies sei nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass es in den vergangenen Jahrhunderten nicht gelungen war, den Begriff einer tions, Rn.  604; Mercadal, Réforme, Nr.  417 („contrepartie est synonyme de cause“); Pietrancosta/Martel, Le droit des contrats réformé, S.  50; Porchy-Simon, Droit civil, Rn.  273; Renault-Brahinsky, Droit des obligations, S.  85; Chénedé, RDC 2015, 655, 656; Hontebeyrie, RDC 2015, 757 („Le fonctionnel l’emporte sur le conceptuel dans le relief du texte, c’est tout.“); Le Gac-Pech, LPA 2016, Nr.  162, S.  7, 11 f. („l’innovation n’est que formelle“); Mainguy, JCP E 2016, Nr.  07-151, S.  9; Savaux, JCP G 2015, Nr.  21, S.  20, 24 f. („la contrepartie convenue est l’une des définitions modernes de la cause“); Wicker, D. 2015, 1557, 1560 („Chassée par la porte, la cause reviendra donc immanquablement par la fenêtre“). 304  Champalaune, in: Réforme du droit des contrats, S.  7, 12 f.; Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Droit des obligations, S.  339; Pellet, Dr. et patr. 2016, Nr.  258, S.  61; Pietrancosta/ Martel, Le droit des contrats réformé, S.  46. 305  Doralt, RabelsZ 2012, 761, 774; vgl. die ähnlichen Analyse in Weller, in: La réforme du droit des obligations, S.  139, 140. 306  Mignot, LPA 2016, Nr.  47, S.  7, 10 f.; vgl. auch Wicker, D. 2015, 1557, der in der Strei­ chung der cause mehr als lediglich eine „Vereinfachung“ des Rechts erblickt. 307 Befürwortend Aynès, in: RDC hors série, S.  14, 15; Houtcieff, in: Pour une réforme du droit des contrats, 201 f.; Lagarde, D. 2007, 740; Larroumet, D. 2008, 2441; Mainguy, JCP E 2016, Nr.  07-151, S.  9; Revet, in: RDC hors série, S.  5, 7; ablehnend Capitant/Terré/Lequette/ Chénedé, Les grands arrêts, S.  99; Porchy-Simon, Droit civil, Rn.  270; Boffa, Gaz. Pal. 2015, 1320, 1323; Chénedé, RDC 2015, 655, 656; Fabre-Magnan, RDC 2015, 639, 645 f.; Genicon, D. 2015, 1551; Genicon, RDC 2015, 625, 630; Ghestin/Labarthe, LPA 2015, Nr.  177, S.  17, 21 ff.; Wicker, in: La réforme du droit des obligations, S.  107, 108 f. 308  Ghestin/Loiseau/Serinet, L’objet et la cause, Rn.  505. 309  Kritisch, weil die französische Rechtsordnung ihre Vorbildfunktion unter den romanisch geprägten Rechtsordnungen einbüßen könnte, siehe Porchy-Simon, Droit civil, Rn.  270; Boffa,

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klaren und verständlichen Definition zuzuführen.310 Vielmehr verfolgte die zum Teil schwankende französische Rechtsprechung mit der cause unterschiedliche Konzepte, die einer kohärenten Begriffsdefinition entgegenstanden.311 Ange­ sichts der damit verbundenen Schwächung der Rechtssicherheit und Gefährdung der Attraktivität des französischen Privatrechts beschloss das Justizministerium, den Begriff der cause aus dem Wortschatz des C. civ. herauszunehmen und durch Aufspaltung in verständliche Rechtssätze dergestalt inhaltlich aufzufangen, dass im Ergebnis die bisherige Rechtsprechung fortgesetzt werden kann.312 dd)  Rechtsdogmatischer Fortbestand der cause-Lehre in den neuen Bestimmungen Die Reform verfolgt insoweit allein das Ziel, jegliche Bezugnahme auf den un­ klaren Begriff der cause zu überwinden und alle dem Rechtsinstitut von der Rechtsprechung zugeordneten Funktionen in logisch und nachvollziehbar ge­ gliederten Rechtsnormen aufrechtzuerhalten.313 Insbesondere soll die noch dar­ zustellende moderne dualistische Konzeption der Rechtsprechung von der cause – wie dem Bericht an den Präsidenten zu entnehmen ist314 – in den Artt.  1162 und 1169 C. civ. weiterhin Geltung beanspruchen.315 Dementsprechend werden

Gaz. Pal. 2015, 1320, 1323; Chénedé, RDC 2015, 655, 656; Genicon, D. 2015, 1551, 1556; Genicon, RDC 2015, 625, 632; Wicker, in: La réforme du droit des obligations, S.  107, 108 f. 310  Houtcieff, in: Pour une réforme du droit des contrats, 198 f. m. w. N.; Lagarde, D. 2007, 740, 743; a. A. Capitant/Terré/Lequette/Chénedé, Les grands arrêts, S.  99 m. w. N.; Boffa, Gaz. Pal. 2015, 1320, 1324; Genicon, D. 2015, 1551; Ghestin/Labarthe, LPA 2015, Nr.  177, S.  17, 42 f.; Mazeaud, D. 2013, 686, 689 („A la vérité, à la fameuse formule attribuée à Rouast, ‚si vous avez compris la cause c’est qu’on vous l’a mal expliquée‘, on peut en ajouter une autre aujourd’hui, ‚si on vous dit que la cause est compliquée, c’est qu’on veut s’en débarrasser‘“). 311  Ghestin/Loiseau/Serinet, L’objet et la cause, Rn.  564 („La complexité actuelle reprochée à la cause est due largement à une tendance de la doctrine et, dans une moindre mesure, de la jurisprudence, à faire de celle-ci une sorte de couteau suisse ayant vocation à répondre à de multiples questions“); Dupichot, Dr. et patr. 2015, Nr.  247, S.  32; Lagarde, D. 2007, 740, 744. 312  Bénabent, Droit des obligations, Rn.  198; Renault-Brahinsky, Droit des obligations, S.  79; Houtcieff, in: Pour une réforme du droit des contrats, 198; Mazeaud, Gaz. Pal. 2016, 208, 211; Mazeaud, JCP G 2016, 433. 313  Lequette, RDC 2015, 616, 619; Mazeaud, in: RDC hors série, S.  53, 55; Wicker, in: La réforme du droit des obligations, S.  107, 108. 314 „Par ailleurs est reprise la solution jurisprudentielle selon laquelle le contrat est nul lorsque l’une des parties poursuit un but illicite […] (article 1162) […] Ainsi, l’ordonnance codifie la jurisprudence actuelle de la Cour de cassation sur la nullité des contrats à titre onéreux lorsque, au moment de la formation du contrat, la contrepartie convenue est inexistante ou dérisoire […] (article 1169)“. 315  Dondero, JCP E 2016, Nr.  19-1283, S.  22; Revet, in: RDC hors série, S.  5, 7.

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die betroffenen Rechtsnormen grundsätzlich im Lichte der bisherigen Rechtspre­ chung zur cause auszulegen sein.316 ee)  Die Surrogate der cause in der gesetzesvertretenden Verordnung (1)  Art.  1128 C. civ. Der im zweiten Abschnitt über die Wirksamkeit des Vertrages („la validité du contrat“)317 normierte Art.  1128 C. civ. fasst nunmehr als Nachfolger des Art.  1108 C. civ. a. F. die Anforderungen zusammen, die an die Wirksamkeit des Vertrages zu stellen sind. Neben der Willensübereinkunft sowie der Geschäftsfä­ higkeit der Vertragsparteien bedarf es an dritter Stelle eines zulässigen und be­ stimmten Vertragsinhalts.318 Das letztgenannte Erfordernis tritt fortan an die Stelle eines bestimmten Vertragsgegenstands und einer erlaubten cause. Der Be­ griff des Vertragsinhalts nach Art.  1128 C. civ. sowie die im Unterabschnitt über den Vertragsinhalt kodifizierten Konkretisierungen der cause dienen dem Rechts­ anwender insoweit als „normativer Werkzeugkasten“ der nach der bisherigen Rechtslage auf der Grundlage cause entwickelten Lösungen.319 Dies entspricht der Struktur der unterschiedlichen europäischen Kodifikationsvorhaben sowie der Regelwerke für internationale Handelsverträge, die ohne das Erfordernis ­einer zulässigen cause die mit diesem Rechtsinstitut verfolgten Ziele in anderen Bestimmungen berücksichtigen. Die Funktionen der cause werden dementspre­ chend auch hier durch verständlichere Rechtsnormen absorbiert.320

316  Wicker, in: La réforme du droit des obligations, S.  107, 119 f. („Chassée par la porte, la cause reviendra donc immanquablement par la fenêtre, et cela d’autant que, en dépit de l’ambi­ tion affichée de textes se suffisant à eux-mêmes, leur énoncé est trop ouvert pour ne pas appeler une interprétation, laquelle fera ressurgir les mêmes controverses et les mêmes oppositions que la notion de cause“). 317  In Kapitel II über den Vertragsschluss („La formation du contrat“), Untertitel I über den Vertrag („Le contrat“), Titel III über die Schuldverhältnisse („Des sources d’obligations“), Buch III über die unterschiedlichen Arten des Eigentumserwerbs („Des différentes manières dont on acquiert la propriété“). 318  Art.  1128 C. civ.: „Sont nécessaires à la validité d’un contrat: 1° Le consentement des parties; 2° Leur capacité de contracter; 3° Un contenu licite et certain“. 319  Lequette, RDC 2015, 616, 618; Mainguy, JCP E 2016, Nr.  07-151, S.  9; vgl. die kritische Anmerkung über die Redundanz dieser Bestimmungen und die damit einhergehende Rechtsun­ sicherheit in Houtcieff, Gaz. Pal. 2016, 1140, 1141. 320  Rochfeld, in: Répertoire de droit civil, Rn.  6.

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(2)  Die Legalitätsfunktion der cause Die Regeln über den zulässigen Vertragsinhalt sind ausschließlich im dritten Un­ terabschnitt über die Wirksamkeit des Vertrages konkretisiert, der die im Folgen­ den untersuchten Artt 1162 und 1168 bis 1171 C. civ. beinhaltet. Nach Art.  1162 C. civ. darf der Vertrag weder nach seinen Vereinbarungen noch nach seinem Ziel vom ordre public abweichen.321 Die Norm dient der Fort­ setzung der Erlaubtheitsfunktion der cause nach Art.  1133 C. civ. a. F., wonach der Vertragszweck nicht gegen ein gesetzliches Verbot, die guten Sitten oder den ordre public verstoßen durfte.322 Hierbei ging es allein um die Wahrung der ge­ sellschaftlichen Moralvorstellungen, wie sie sich entweder in Verbotsgesetzen oder allgemein in den bonnes mœurs niederschlagen haben. Art.  1162 C. civ. kann folglich ebenso wie sein Vorgänger nicht als Schutznorm zugunsten der schwächeren Vertragspartei herangezogen werden.323 (3)  Die Seriositätsfunktion der cause Art.  1168 C. civ. stellt einleitend klar, dass die bloße Ungleichwertigkeit der Leistungen in einem synallagmatischen Vertrag grundsätzlich keinen Vertrags­ nichtigkeitsgrund darstellt.324 Die Aufnahme jener Bestimmung in den C. civ. soll der Rechtssicherheit dienen und ist insoweit von grundlegender Bedeutung. Es handelt sich um ein klassisches Prinzip des französischen Rechts, das im Zuge der Reform sachlich bestätigt wurde.325 Der für diese Untersuchung bedeu­ tendste Gegenpol zum Grundsatz der Unbeachtlichkeit vertraglicher Äquiva­ lenzstörungen ist die Unzulässigkeit einer „contrepartie illusoire ou dérisoire“ in 321  Art.  1162 C. civ.: „Le contrat ne peut déroger à l’ordre public ni par ses stipulations, ni par son but, que ce dernier ait été connu ou non par toutes les parties“. 322  Deshayes, in: RDC hors série, S.  21, 27 f.; Porchy-Simon, Droit civil, Rn.  270, 272; Wicker, D. 2015, 1557, 1559. 323  Einzelfälle zur cause illicite in Bénabent, Droit des obligations, Rn.  198; Capitant/Terré/ Lequette/Chénedé, Les grands arrêts, Urt.-Nr.  156, Rn.  9 ff. (S.  95). 324  Art.  1168 C. civ.: „Dans les contrats synallagmatiques, le défaut d’équivalence des prestations n’est pas une cause de nullité du contrat, à moins que la loi n’en dispose autrement“; zur Definition des synallagmatischen Vertrages, vgl. Art.  1106 Abs.  1 C. civ.: „Le contrat est synallagmatique lorsque les contractants s’obligent réciproquement les uns envers les autres“; Dupichot, Dr. et patr. 2015, Nr.  247, S.  32; Houtcieff, Droit des contrats, Rn.  484; Malaurie/ Aynès/Stoffel-Munck, Droit des obligations, Rn.  519; Mercadal, Réforme, Nr.  415; Pietrancosta/Martel, Le droit des contrats réformé, S.  51; Renault-Brahinsky, Droit des obligations, S.  83; Savaux, JCP G 2015, Nr.  21, S.  20, 25 f. 325  Bénabent, Droit des obligations, Rn.  184; Brusorio-Aillaud, Droit des obligations, Rn.  349 (S.  210); Chantepie, RDC 2015, 763 f.; Pellet, Dr. et patr. 2016, Nr.  258, S.  61, 63; Sauphanor-Brouillaud, LPA 2015, Nr.  177, S.  70, 74; zur Beschränkung auf den contrat synallagmatique, vgl. Mignot, LPA 2016, Nr.  52, S.  7, 13.

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entgeltlichen Verträgen nach Art.  1169 C. civ. Jene Norm dient der Fortsetzung der Rechtsprechung zur objektiven cause und somit insbesondere ihrer Seriosi­ tätsfunktion. Diese Arbeit wird daher auf die Entwicklung jener Funktion der cause Bezug nehmen, soweit sie zum Verständnis der Vertragsgerechtigkeitsfunktion der cause erforderlich ist. Dabei wird zu zeigen sein, dass die Unzulässigkeit einer „con­ trepartie illusoire“ zum Schutz von intellektuell unterlegenen Unternehmern, insbesondere von Unternehmensgründern herangezogen werden kann, während die „contrepartie dérisoire“ unabhängig vom Vorliegen wirtschaftlicher oder in­ tellektueller Disparitäten allein nach dem Vertragsinhalt bestimmt wird und auf­ grund der Unbeachtlichkeit bloßer Äquivalenzstörungen nach Art.  1168 C. civ. nur in unschwer zu verhindernden Ausnahmefällen die Vertragswirksamkeit ge­ fährdet. Um eine genaue Vorstellung vom Begriff der cause und darauf aufbauend von der Reichweite der den Untersuchungsgegenstand des Art.  1169 C. civ. bildenden „contrepartie convenue“ zu erhalten, ist zunächst auf die konzeptionelle Ent­ wicklung der causa-Lehre im französischen Recht einzugehen, um sodann ihre Konsequenzen im Hinblick auf die Auslegung des Art.  1169 C. civ. zu illustrie­ ren. Die nachfolgende Darstellung der einzelnen Epochen dient daher nicht der umfassenden Beschreibung sämtlicher zum Begriff der cause entwickelten Kon­ zepte und Ansichten. Insoweit sei auf die im jeweiligen Kontext genannten Quel­ langaben in den Fußnoten verwiesen. Für die Zwecke dieser Untersuchung be­ schränken sich die Ausführungen auf die einzelnen Entwicklungsstufen der ­cause, soweit sie geeignet sind, die Rolle und Reichweite der für den Begriff der cause und damit auch die Bestimmung der „contrepartie convenue“ i. S. d. Art.  1169 C. civ. relevanten Motive und Intentionen der Vertragsparteien zu ver­ anschaulichen. ff)  Die Entwicklung der Lehre von der cause bis zum Inkrafttreten des C. civ. (1)  Das römische Recht Im formell geprägten, nach klagbaren und klaglosen Vereinbarungen differenzie­ renden römischen Recht wurde der Begriff der causa im Wesentlichen rein ob­ jektiv im Sinne des Entstehungsgrundes für ein privatrechtliches Schuldverhält­ nis verstanden. Die Motive der Vertragsparteien waren dagegen grundsätzlich ohne Belang.326 Insgesamt wurde der Begriff angesichts seiner schwachen Aus­

326  Halfmann, Die Lehre vom Grund der rechtsgeschäftlichen Verpflichtung, S.  47; Rochfeld, in: Répertoire de droit civil, Rn.  4.

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wirkungen auf den Rechtsverkehr unter keinem Konzept zusammengefasst und war daher nur von nachrangiger Bedeutung.327 (2)  Konflikt zwischen Glossatoren und Kanonisten Dies änderte sich im 12. Jahrhundert, als das römische Recht von den Glossato­ ren wiederentdeckt und die strengen formellen Anforderungen systematisiert wurde.328 So fasste Irnerius von Bologna alle Schutzmechanismen zur Gewähr­ leistung der Seriosität des Kontrahierungswillens der klagbaren Innominatver­ träge in Abgrenzung zu den klaglosen pacta nuda (den „nackten Verträgen“) unter dem Begriff der causa als vestimentum in Gestalt des datio und des factum zusammen, also der tatsächlichen Übergabe des Vertragsgegenstands oder der tatsächlichen Vornahme der versprochenen Leistung.329 Die Scholastiker differenzierten indessen unter Zugrundelegung der Schriften des Aristoteles zwischen der causa finalis, dem verfolgten Zweck, und der causa efficiens, der formalen Grundlage des Schuldverhältnisses. Dahinter verbarg sich die Ambition, der causa finalis zum Erfolg zu verhelfen und die Bedeutung der causa efficiens als Konzeption des römischen Rechts zu schmälern.330 Während für die Legisten jener Zeit der Vertragsschluss ohne das für alle Ver­ tragsparteien sichtbare Kriterium des vestimentum in Gestalt der Vorleistung oder der Berücksichtigung bestimmter Formerfordernisse als Seriositätsindiz un­ denkbar war, gab es für die Kanonisten keinen Anlass, an der Ernstlichkeit des Kontrahierungswillens zu zweifeln. Aus den Lehren des christlichen Glaubens zogen die Kanonisten den Schluss, dass bereits die Abgabe einer ernstlich geäußerten Erklärung verbindlich sei und dementsprechend auch ein nach römischem Rechtsverständnis unverbindlicher pactum nudum Bindungswirkung entfalten müsse: ex nudo pacto actio oritur.331 Die Bestrebung der Kanonisten beschränkte sich indes nicht darauf, den Be­ griff der cause einer modernisierten, vom römischen Recht losgelösten Defini­ tion zuzuführen. Sie nutzten vielmehr den Anlass, um diesem Rechtsinstitut eine moralische Komponente einzuflößen. Basierend auf den Lehren Thomas von Aquins forderten die Kanonisten, dass im Namen der causa die Konformität des 327  Ghestin/Loiseau/Serinet, L’objet et la cause, Rn.  511; zu einer ausführlichen Beschrei­ bung der verschiedenen Bedeutungen der causa nach dem römischen Recht siehe etwa Deroussin, Histoire du droit des obligations, S.  316. 328  Halfmann, Die Lehre vom Grund der rechtsgeschäftlichen Verpflichtung, S.  65. 329  Bremkamp, Causa, S.  40 f.; Deroussin, Histoire du droit des obligations, S.  328; Ghestin/ Loiseau/Serinet, L’objet et la cause, Rn.  515. 330  Deroussin, Histoire du droit des obligations, S.  326. 331  Bremkamp, Causa, S.  54; Halfmann, Die Lehre vom Grund der rechtsgeschäftlichen Verpflichtung, S.  70.

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Rechtsaktes mit der öffentlichen Moral und den Lehren der Kirche überprüft werden müsse. Dadurch wurde der Fokus auf die Intentionen der Rechtssubjekte gerichtet, die mit dem Vertrag erreicht werden sollten.332 Im Rahmen jener am Willen orientierten Konzeption der causa verdrängte die Frage nach der Moralität der causa die Frage nach dem Vorhandensein einer causa, die nur selten geltend gemacht wurde.333 (3)  Die causa finalis nach Baldus de Ubaldis Grundlegend für die rechtliche Verankerung dieser Konzeption war der Vorstoß Baldus de Ubaldis im 14. Jahrhundert. Er stellte klar, dass die Form des Vertrags­ schlusses für die Wirksamkeit grundsätzlich irrelevant sein müsse. Entscheidend sei allein das Vorliegen einer causa finalis, die gegenseitige Verträge in sich selbst tragen. So liege die causa finalis des Käufers in der Erlangung der Kaufsa­ che und die causa finalis des Verkäufers im der Entrichtung des Kaufpreises. In manchen Verträgen wie der Schenkung liege die causa finalis dagegen außerhalb des Rechtsgeschäftes.334 Baldus schlug die Brücke zwischen den Kanonisten und den Glossatoren, in­ dem er den so verstandenen Begriff der causa mit den Rechtsquellen des römi­ schen Rechts verknüpfte.335 Dadurch wurde die Konzeption der causa von den allseitig erkennbaren Seriositätskriterien auf die Beweggründe der Vertragspar­ teien verlagert. Die Wirksamkeit eines Vertrages solle im Ergebnis neben der Willensübereinkunft nur von der so verstandenen causa abhängen. Auf das stren­ ge Formerfordernis des römischen Rechts wurde dagegen in der Folgezeit voll­ ständig verzichtet.336 (4)  Versubjektivierung der cause durch Dumoulin Im 16. Jahrhundert intensivierte Dumoulin die subjektive Konzeption der cause, indem nach seiner Auffassung jede Absicht der Vertragsparteien als cause ihrer Verpflichtung fungieren könne. Dies führte letztlich dazu, dass die cause und das Motiv im Sinne des für den Vertragsschluss maßgeblichen Beweggrundes einan­ der gleichgestellt wurden. Dabei unterschied Dumoulin auch nicht zwischen der causa finalis und der causa impulsiva, wie dies noch von den Scholastikern vor­ geschlagen wurde. Deroussin, Histoire du droit des obligations, S.  326; Rochfeld, in: Répertoire de droit civil, Rn.  4. 333  Deroussin, Histoire du droit des obligations, S.  335. 334  Deroussin, Histoire du droit des obligations, S.  326. 335  Bremkamp, Causa, S.  78. 336  Ghestin/Loiseau/Serinet, L’objet et la cause, Rn.  517. 332 

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Dementsprechend konnte nach Dumoulin die Aufhebung des Vertrages bereits dann verlangt werden, wenn das mit dem Vertrag verfolgte Ziel nicht mehr er­ reicht werden konnte. De jure erhob Dumoulin die Motive dadurch zum Bestand­ teil des Vertrages, unabhängig davon, ob sie de facto dem anderen Vertragspart­ ner bekannt waren.337 (5)  Die objektive Konzeption der cause nach Domat Diese subjektive Konzeption der cause wurde zunächst von Domat und später von Pothier aufgegriffen.338 Ihre systematischen Darstellungen der cause gelten als unmittelbare Inspirationsquelle für das Verständnis der cause nach dem C. civ.339 Domat, der als Vater der „klassischen Theorie der cause“ gilt, entwarf Ende des 17. Jahrhunderts das erste strukturierte Konzept über die cause. Dabei stellte er zunächst in Abkehr von der formalen Anschauung des römischen Rechts fest, dass Verträge grundsätzlich bereits durch die bloße Willensübereinkunft zustan­ de kommen und die cause lediglich als Begründung („fondement“) der Vertrags­ pflichten dienen könne. Domat unterschied im Wesentlichen zwischen gegenseitig verpflichtenden und einseitig verpflichtenden Verträgen. Bei gegenseitig verpflichtenden Verträ­ gen sei die Begründung für die Eingehung der Verpflichtung einer Partei, dieje­ nige der anderen Partei.340 Jene Begründung nannte er die cause. Aus dem Postu­ lat, dass die cause jeder Leistungspflicht in der entsprechenden Gegenleistungs­ pflicht liege, schloss Domat, dass eine Vertragspflicht ohne cause nichtig sein müsse.341 Demgegenüber stellte Domat fest, dass bei einseitig verpflichtenden Verträgen wie der Schenkung die Begründung der Leistungspflicht mangels Gegenleis­ tungspflicht nicht in einer cause liegen könne. Folglich müsse sie in einem ver­ nünftigen und gerechten Motiv des Leistenden liegen.342 Bei dem Motiv handele Deroussin, Histoire du droit des obligations, S.  341. Rochfeld, in: Répertoire de droit civil, Rn.  4. 339  Ghestin/Loiseau/Serinet, L’objet et la cause, Rn.  518. 340  Domat, Les lois civiles dans leur ordre naturel, S.  65 (Titre I, Section I, 5) („l’engage­ ment de l’un est le fondement de celuy de l’autre“). 341  Domat, Les lois civiles dans leur ordre naturel, S.  65 (Titre I, Section I, 5) („l’obligation qui se forme dans ces sortes de conventions, au profit de l’un des contractants, a toujours sa cause de la part de l’autre: & l’obligation seroit nulle si dans la verité elle étoit sans cause“). 342  Domat, Les lois civiles dans leur ordre naturel, S.  65 (Titre I, Section I, 5) („Dans les donations, & dans les autres contracts où l’un seul fait, ou donne: & où l’autre ne fait & ne donne rien; l’acceptation forme la convention. Et l’engagement de celuy qui donne, a son fon­ dement sur quelque motif raisonnable & juste, comme un service rendu, ou quelque autre me­ rite du donataire, ou le seul plaisir de faire du bien“). 337  338 

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es sich zwar nicht um die cause der Leistungspflicht, es trete jedoch von Rechts wegen an die Stelle der cause.343 Für Domat lag die cause damit allein in der jeweiligen Gegenleistungspflicht eines gegenseitigen Vertrages, während die individuellen Beweggründe der Ver­ tragsparteien von keiner Relevanz waren.344 Ihm wurde im späteren Schrifttum vorgeworfen, keine einheitliche Theorie der cause für alle Vertragstypen unab­ hängig von ihrem entgeltlichen oder unentgeltlichen Charakter entwickelt zu haben.345 Zudem seien seine Erwägungen weder besonders klar noch vollständig und im Wesentlichen wiederhole er lediglich „die Ratlosigkeit seiner Vorgän­ ger“.346 (6)  Die doppelfunktionale Anschauung Pothiers Vor diesem Hintergrund übernahm Pothier die Theorie Domats zur cause ledig­ lich in ihren Grundzügen, um sie nach entsprechender Ergänzung zu einem schlüssigen Gesamtkonzept zu führen.347 Er stellte in seinem „Traité des obliga­ tions“ einleitend fest, dass jede Verpflichtung eine aufrichtige cause bereithalten müsse.348 In Anlehnung an Domat definierte er die cause in entgeltlichen Verträ­ gen als die erbrachte oder die geschuldete Gegenleistung. Ebenso stellte er fest, dass das Fehlen der cause die Nichtigkeit des Vertrages nach sich ziehen muss. Im Unterschied zu Domat sei indes auch für unentgeltliche Verträge eine cause zu fordern. Allerdings bezog sich Pothier insoweit auf kein konkretes Motiv.349 Ergänzend verortete Pothier auch die Unwirksamkeit von Verträgen, die ­gegen das Gesetz, den Grundsatz des guten Glaubens oder die guten Sitten ver­ stoßen, systematisch in der Lehre von der causa.350 Er brachte damit eine Funk­ tions­teilung der cause für das Vertragsrecht zum Ausdruck, die schließlich Ein­ gang in den C. civ. von 1804 gefunden hat: Die bereits unter Dumoulin ent­ 343  Domat, Les lois civiles dans leur ordre naturel, S.  65 (Titre I, Section I, 5) („ce motif tient lieu de cause de la part de celuy qui reçoit & ne donne rien“). 344  Deroussin, Histoire du droit des obligations, S.  342; Ghestin/Loiseau/Serinet, L’objet et la cause, Rn.  519; Rochfeld, in: Répertoire de droit civil, Rn.  14. 345  Deroussin, Histoire du droit des obligations, S.  342. 346  Chevrier, Essai sur l’histoire de la cause, S.  246. 347  Deroussin, Histoire du droit des obligations, S.  341. 348  Pothier, Traité des obligations, S.  107 (Partie I, Chapitre I, Art. III, § VI, Nr.  42) („Tout engagement doit avoir une cause honnête“). 349  Pothier, Traité des obligations, S.  107 (Partie I, Chapitre I, Art. III, § VI, Nr.  42) („la li­ beralité que l’une des parties veut exercer envers l’autre est une cause suffisante de l’engage­ ment“). 350  Pothier, Traité des obligations, S.  108 (Partie I, Chapitre I, Art. III, § VI, Nr.  43) („Lorsque la cause pour laquelle l’engagement a été contracté, est une cause qui blesse la justice, la bonne foi ou les bonnes moeurs, cet engagement est nul, ainsi que le contrat qui le renferme“).

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wickelte und von Domat fortentwickelte Seriositätsfunktion sowie eine der kanonischen Konzeption der cause entsprechende Erlaubtheitsfunktion.351 (7)  Zwischenergebnis Insgesamt ist festzustellen, dass Domat und Pothier in Abkehr zu Dumoulin grundsätzlich ein abstraktes Verständnis von der cause hatten, wonach jeder Ver­ tragstyp die gleiche cause beinhaltet. Die individuellen Beweggründe der Ver­ tragsparteien traten dagegen in den Hintergrund und waren lediglich im Bereich der Schenkung von Bedeutung. gg)  Die Entwicklung der causa-Lehre nach dem Inkrafttreten des C. civ. von 1804 (1)  Die gesetzliche Ausgangslage Inspiriert von den Abhandlungen Domats und Pothiers übernahm der C. civ. den Begriff der cause, ohne ihn jedoch zu definieren.352 Die cause wurde neben der Willensübereinkunft, der Geschäftsfähigkeit der Vertragsschließenden sowie dem Vorliegen eines bestimmten Vertragsgegenstandes zu einer der vier zentra­ len Wirksamkeitsvoraussetzungen des Vertrages erhoben.353 Aus den darauffol­ genden Bestimmungen ergab sich, dass eine Verpflichtung ohne cause, mit einer falschen cause oder mit einer gesetzeswidrigen cause keine Wirkungen entfal­ tet354, dass die cause im Vertrag keine ausdrückliche Erwähnung gefunden haben muss355 und unter welchen Voraussetzungen eine cause gesetzeswidrig ist.356 Gepaart mit den unklaren Hinweisen357 in den vorbereitenden Arbeiten zum C. civ. zog dieser Rechtszustand eine kaum zu überblickende Fülle von Kom­

Bremkamp, Causa, S.  114. Capitant/Terré/Lequette/Chénedé, Les grands arrêts, Urt.-Nr.  156, Rn.  1 (S.  91); Rochfeld, in: Répertoire de droit civil, Rn.  3. 353  Art.  1108 C. civ. a. F.: „Quatre conditions sont essentielles pour la validité d’une conven­ tion: Le consentement de la partie qui s’oblige; Sa capacité de contracter; Un objet certain qui forme la matière de l’engagement; Une cause licite dans l’obligation“. 354  Art.  1131 C. civ. a. F.: „L’obligation sans cause, ou sur une fausse cause, ou sur une cause illicite, ne peut avoir aucun effet“. 355  Art.  1132 C. civ. a. F.: „La convention n’est pas moins valable, quoique la cause n’en soit pas exprimée“. 356  Art.  1133 C. civ. a. F.: „La cause est illicite, quand elle est prohibée par la loi, quand elle est contraire aux bonnes moeurs ou à l’ordre public“; vgl. zum Ganzen Rochfeld, in: Répertoire de droit civil, Rn.  3. 357  Planiol, Traité élémentaire de droit civil, Nr.  1028 (S.  391) („Les discussions du Conseil d’État, les exposés de motifs et les discours ne fournissent aucun éclairsissement sérieux. Tou­ 351  352 

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mentierungen mit teilweise stark divergierenden Rechtsansichten nach sich.358 Im Wesentlichen lassen sich die Diskussionen in drei Aspekte untergliedern: Der erste Aspekt betrifft den maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung des Vorliegens der cause. Es wurde diskutiert, ob es sich bei der cause um ein Rechts­ institut handelt, das ausschließlich auf der Ebene des Vertragsschlusses zum Tra­ gen kommt oder auch auf der Ebene der Vertragsdurchführung bedeutsam wer­ den kann. So wurde die cause sowohl im Schrifttum als auch in der Rechtspre­ chung teilweise mit vertragsrechtlichen Phänomenen in Verbindung gebracht, die nach deutschem Rechtsverständnis dem Recht der nachträglichen Unmög­ lichkeit359, der Schlechtleistung360 oder auch dem Wegfall der Geschäftsgrundla­ ge361 nach §  313 Abs.  1 BGB zuzuordnen wären. Der zweite Aspekt betrifft nicht unmittelbar den Begriff der cause, sondern vielmehr die Anforderungen an eine fehlende, falsche oder irrtümliche cause. Es handelt sich hierbei um die noch zu erörternde Frage, welcher Maßstab bei der Beurteilung des Fehlens der cause anzulegen ist. Der dritte und im Folgenden zunächst zu vertiefende Aspekt betrifft schließ­ lich die Frage der Verortung der cause zwischen der Anschauung Dumoulins, tes les idées émises sur la cause sont obscures et confuses“); siehe zum Ganzen Deroussin, Histoire du droit des obligations, S.  353. 358  Capitant/Terré/Lequette/Chénedé, Les grands arrêts, Urt.-Nr.  156, Rn.  1 (S.  91 f.); Deroussin, Histoire du droit des obligations, S.  353. 359  Vgl. Cass. civ., Urt. vom 30.12.1941 – D. A. 1942, 98 („cette cause fait défaut quand la promesse de l’une des parties n’est pas exécutée ou s’avère soit nulle, soit de réalisation impos­ sible“); Bénabent, Droit des obligations, Rn.  198 m. w. N.; Ghestin/Loiseau/Serinet, L’objet et la cause, Rn.  703; Rochfeld, in: Répertoire de droit civil, Rn.  111. 360  Vgl. Cass. civ. 1re, Urt. vom 17.01.1995 – 92-21.193 = Bulletin civil I, Nr.  29, S.  20 („si la convention n’était pas, en raison de cette inexécution, initialement entachée de nullité pour absence de cause, il demeure que le paiement de la commission [...] se trouvait désormais dépourvu de cause“); Cass. civ. 1re, Urt. vom 16.12.1986 – 85-11.396 = Bulletin civil I, Nr.  301, S.  287 („l’inexécution [de l’]obligation à prestation successive justifiait la demande [...] en restitution d’une partie de la somme [...] versée en exécution de [l’]engagement réciproque et corrélatif“); Ghestin/Loiseau/Serinet, L’objet et la cause, Rn.  501. 361  Vgl. Cass. com., Urt. vom 29.06.2010 – 09-67.369 („Attendu qu’en statuant ainsi, sans rechercher, comme elle y était invitée, si l’évolution des circonstances économiques et notam­ ment l’augmentation du coût des matières premières et des métaux depuis 2006 et leur inci­ dence sur celui des pièces de rechange, n’avait pas eu pour effet, compte tenu du montant de la redevance payée par la société SEC, de déséquilibrer l’économie générale du contrat tel que voulu par les parties lors de sa signature en décembre 1998 et de priver de toute contrepartie réelle l’engagement souscrit par la société Soffimat, ce qui était de nature à rendre sérieusement contestable l’obligation dont la société SEC sollicitait l’exécution, la cour d’appel a privé sa décision de base légale“); Ghestin/Loiseau/Serinet, L’objet et la cause, Rn.  714; Malaurie/ Aynès/Stoffel-Munck, Droit des obligations, Rn.  606; Renault-Brahinsky, Droit des obligations, S.  85; Rochfeld, in: Répertoire de droit civil, Rn.  95, 113; Lagarde, D. 2007, 740, 741.

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wonach die cause in jedem Motiv der Vertragsparteien wurzeln kann und den Abhandlungen Domats und Pothiers, wonach die cause eines Austauschvertra­ ges ausschließlich abstrakt in der jeweiligen Gegenleistungspflicht verankert ist. (2)  Die klassische Theorie der cause (a)  Die anfängliche Gleichstellung von Motiv und cause In enger Anlehnung an Pothier erklärte Portalis im Jahre 1804 in den vorberei­ tenden Arbeiten zum C. civ., dass die cause unentgeltlicher Verträge in der Frei­ giebigkeit selbst liege, während in entgeltlichen Verträgen die cause mit dem Interesse, also dem Vorteil, der aus dem Vertrag erwartet wurde, gleichzusetzen sei. Es handele sich hierbei um das Motiv, das die Verpflichtung begründet. Der erste Eindruck, Portalis verfolge mit seiner Formulierung eine subjektive, an den Motiven orientierte Konzeption der cause, wird in den weiteren Ausführungen ausgeräumt. Darin nennt Portalis beispielhaft den Kaufvertrag und erklärt, dass die cause der Vertragspflicht des Verkäufers in der Erwirtschaftung des Kaufprei­ ses liegt, während die cause der Vertragspflicht des Käufers im Erwerb der Kauf­ sache liegt, unabhängig davon, welche Zwecke der Käufer mit der Kaufsache verfolgt.362 Nach diesem Ansatz variiert die cause nicht vom einen Fall zum an­ deren, sofern der Vertragstyp gleichbleibt, weil die cause nicht mit den individu­ ellen Beweggründen der Vertragsparteien gleichzusetzen ist. Die cause hängt danach lediglich vom gewählten Vertragstyp ab.363 Auch Bigot differenzierte nicht zwischen dem Motiv und der cause, sondern forderte vielmehr, dass „sich der Verpflichtungswille auf ein Motiv stützen muss“.364 Merlin de Douai, der bekannteste unter den ersten Kommentatoren des C. civ., sah in der cause einer jeden Vertragspflicht das „zum Abschluss des Ver­

362  Fenet, Band 14, S.  47 („Dans les contrats de bienfaisance la cause est la bienfaisance même. Mais dans les contrats intéressés, la cause est l’intérêt, c’est-à-dire l’avantage que les parties trouvent à les faire. Dans la vente, cet intérêt est, pour le vendeur, d’avoir le prix repré­ sentatif de sa chose plutôt que sa chose même; pour l’acheteur, d’avoir la chose plutôt que la somme d’argent qui en représente la valeur.“); Fenet, Band 14, S.  131 („Pour ce qui concerne les contrats de bienfaisance, la cause se trouve suffisamment dans le sentiment qui les produit. […]. Il en est autrement des contrats intéressés. La cause de ces sortes de contrats est, selon les jurisconsultes, l’intérêt ou l’avantage, qui est le motif et comme la raison de l’engagement. […] Dans un contrat de vente la cause de l’engagement est, pour le vendeur, d’échanger une chose quelconque contre de l’argent, et, pour l’acquéreur, d’échanger son argent contre la chose qu’on lui transporte.“). 363  Deroussin, Histoire du droit des obligations, S.  354. 364  Fenet, Band 13, S.  53 („la volonté de s’engager a dû […] être appuyée sur un motif“).

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trages führende Motiv“.365 Delvincourt verstand unter der cause das, „was die Parteien zum Vertragsschluss bestimmt hat“. Insofern forderte er lediglich das Vorliegen eines „beliebigen Motivs“, weil sich niemand grundlos verpflichte. Er betonte, dass „in einem Schenkungsvertrag die Freigiebigkeit eine ausreichende cause“ darstelle.366 Toullier vertrat die Meinung, dass die cause letztlich im Par­ teiwillen ihren Grund habe und es sich dementsprechend um das Motiv handele, das zum Abschluss des Vertrages führt.367 Unter all den Motiven, die an der Bil­ dung des Willens des Menschen teilhaben, könne nach seiner Ansicht indes nur eines als wesentlich angesehen werden. Bei der cause handele es sich demnach lediglich um ein besonderes Motiv. (b)  Der spätere Versuch einer Differenzierung zwischen Motiv und cause Jene Darstellungen, die offenkundig ohne kritische Auseinandersetzung die Leh­ ren Domats und Pothiers zur cause lediglich zu systematisieren und paraphrasie­ ren suchten, wurden in der Folgezeit von der zweiten Generation der Kommen­ tatoren zur cause kritisiert. Verbunden durch ihre Kritik an Toullier, entwickelten Aubry, Rau und Demolombe Mitte des 19. Jahrhunderts die sogenannte klassi­ sche Theorie der cause, die sich durch ihre schwache subjektive Prägung aus­ zeichnet.368 Im Unterschied zu Domat, der unentgeltlichen Verträgen die Anerkennung ­einer cause absprach, strebte die klassische Lehre danach, die Unterscheidung 365  Merlin, Questions de droit, S.  243 („la Cause d’une obligation, est ce qui donne lieu à l’obligation même, le motif qui porte à la contracter“). 366  Delvincourt, Cours de Code Napoléon, Rn.  1131 f. (S.  12) („On entend, dans notre droit, par cause du contrat, ce qui détermine les parties à contracter; et comme on n’est jamais présumé s’engager sans un motif quelconque, il en résulte que toute obligation sans cause [...] est nulle. Il n’est pas, au surplus, nécessaire que la cause émane d’un intérêt pécuniaire. Ainsi, dans le contrat de bienfaisance, la libéralité est une cause suffisante de l’obligation.“). 367  Toullier, Le droit civil français, suivant l’ordre du Code, Nr.  166 („Par la cause d’une obligation où d’un contrat, le Code entend le motif (Dans les contrats intéressés ou commuta­ tifs, la cause de la promesse que je fais, de l’obligation que je m’impose, le pourquoi je la contracte, est pour acquérir en retour la propriété, l’usage ou la jouissance de la chose que vous me donnez ou promettez de me donner en retour ou en échange, pour me procurer l’avantage que j’attends de ce que vous promettez de faire ou de ne pas faire, pour me décharger d’un risque que je cours ou crains de courir, etc. Dans les contrats de bienfaisance, la cause de l’obli­ gation est la volonté de faire du bien à la personne à qui je donne ou envers qui je m’oblige: stat pro ratione voluntas. A parler exactement, c’est toujours, en dernière analyse, la volonté qui est la cause ou le motif de l’engagement; mais on appelle ordinairement, par métonymie, cause du contrat, la chose ou l’objet de la volonté qui forme le contrat.) qui détermine à faire la promesse qu’il contient, le pourquoi elle a été faite. Or, il est certain qu’on ne s’engage point sans un motif quelconque: il parait donc difficile d’abord de concevoir une obligation sans cause.“). 368  Deroussin, Histoire du droit des obligations, S.  355.

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zwischen der cause einerseits und dem unbeachtlichen Motiv andererseits zu systematisieren und für sämtliche Verträge zu verallgemeinern. Der Begriff der cause wurde danach als Gattungsbegriff verstanden, der je nach Vertragstypus in verschiedenen Varianten auftreten könne.369 So lehren Aubry und Rau, dass es sich bei der cause de l’obligation um ein hinreichendes rechtliches Motiv handele, welches nicht mit der cause du contrat, also dem hinter dem Vertragsschluss stehenden Beweggrund, verwechselt wer­ den dürfe. Lediglich die cause de l’obligation und nicht das Motiv seien für die Wirksamkeit des Vertrages von Bedeutung.370 In Anlehnung an Pothier liege in einem entgeltlichen Vertrag die cause de l’obligation in der erwarteten Gegenleistung und in unentgeltlichen Verträgen in der freigiebigen Absicht.371 Demolombe verstand unter der cause im Sinne der Artt.  1108 und 1131 C. civ a. F. erstmalig nicht ein bestimmtes Motiv, sondern vielmehr das von den Par­ teien mit dem Vertragsschluss unmittelbar verfolgte „Ziel“.372 Nach dem moder­ nen, in Art.  1162 C. civ. zum Ausdruck kommenden Begriffsverständnis, erfasst das „Ziel“ richtigerweise auch die individuellen Motive der Vertragsparteien un­ abhängig davon, ob sie der anderen Vertragspartei mitgeteilt wurden.373 Aus sei­ ner avantgardistischen Begriffswahl schloss Demolombe allerdings nicht die erst 369  Demolombe, Cours de Code Napoléon, Nr.  346 (S.  330) („la réponse […] est évidem­ ment subordonnée à la nature différente des divers contrats“). 370  Aubry/Rau, Cours de droit civil français: d’après la méthode de Zachariae, §  345 (S.  546) („Mais le droit français exige, comme condition de la forme obligatoire de toute promesse, et par conséquent de toute convention, que l’auteur de la promesse ait été déterminé à s’engager par un motif juridiquement suffisant. Ce motif est appelé cause de l’obligation. Selon certains auteurs du Code civil, la cause des obligations conventionnelles consisterait dans le motif qui porte les parties à s’engager. Cette définition manque de précision, en ce qu’elle ne distingue pas assez nettement la cause de l’obligation, c’est-à-dire la considération qui porte une partie à s’engager, du motif du contrat, c’est-à-dire du mobile qui la détermine à contracter. […] La distinction a une grande importance pratique, car la cause seule de l’obligation et non son motif est de nature à exercer une influence sur l’existence et sur la validité du contrat.“). 371  Aubry/Rau, Cours de droit civil français: d’après la méthode de Zachariae, §  345 (S.  547) („Dans les contrats de bienfaisance, l’intention d’exercer un acte de libéralité, ou de rendre un service, constitue une cause suffisante d’engagement. Dans les contrats intéressés, la cause, pour chacune des parties, se trouve dans l’avantage qu’elle entend se procurer, eu égard à la nature de la convention, et par l’effet direct qu’elle doit produire. Cet avantage peut consister, soit dans une prestation certaine ou éventuelle à fournir, par l’autre partie, soit dans la libération d’une obligation préexistante.“). 372  Demolombe, Cours de Code Napoléon, Nr.  345 (S.  329 f.) („La cause, dont le Code Napoléon s’occupe dans les articles 1108 et 1131, c’est celle qui détermine essentiellement la partie à s’obliger, et qui est le but direct et immédiat, que cette partie se propose d’atteindre en s’obligeant; c’est en un mot, la cause finale de l’obligation elle-même!“). 373  Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Droit des obligations, Rn.  604; siehe auch die Kritik in

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im darauffolgenden Jahrhundert anerkannten Konsequenzen, sondern fiel in der konkreten Anwendung wieder in das Muster der klassischen Theorie zurück. In synallagmatischen Verträgen war nämlich nach Demolombe die cause jeder Ver­ tragspflicht in der entsprechenden Gegenleistungspflicht verankert.374 Die Schlussfolgerung vermag deswegen zu überraschen, weil das Ziel des Vertrags­ schlusses keineswegs in der Vertragspflicht der anderen Vertragspartei, sondern vielmehr in der Erfüllung derselben liegt. Nach Demolombe entsprach die cause de l’obligation in entgeltlichen Verträgen allerdings dem Gegenstand (objet) der Gegenleistungspflicht.375 Diese „cause déterminante et finale“ sei von der bloßen „cause impulsive“, dem „Motiv des Vertrages“ („motif du contrat“) streng zu unterscheiden.376 Letztere sei für die Wirksamkeit des Vertrages ohne Bedeu­ tung.377 Den individuellen Beweggründen der Vertragsparteien wurde dementspre­ chend die Beachtlichkeit für die Wirksamkeit des Vertrags generell abgespro­ chen.378 Das Ziel der Vertreter der klassischen Theorie der cause lag letztlich in der Ermöglichung eines rechtssicheren Umgangs mit jenem Rechtsinstitut. Die Wirksamkeit des Vertrages sollte nicht von den nicht nach außen erkennbar her­ vortretenden Beweggründen, die einen Vertragspartner im konkreten Fall zum Vertragsschluss verleitet haben, abhängig gemacht werden. Die Cour de cassati­ on schien sich dieser Ansicht angeschlossen zu haben, als sie urteilte, dass der bloße Irrtum über das Motiv keinen Nichtigkeitsgrund darstellt.379 Im Allgemei­ nen sollten die persönlichen Motive der Vertragsparteien nach der klassischen Theorie keiner richterlichen Beurteilung unterliegen. Ein solches Bestreben erklärt, weshalb die Vertreter der klassischen Theorie mehrheitlich zwischen der cause de l’obligation und der cause du contrat diffe­ renzierten. Danach verdiene lediglich erstere die Bezeichnung als cause, da sie im Unterschied zur letzteren als Vertragswirksamkeitskriterium für alle Vertrags­ typen identisch sei.380 Die cause de l’obligation könne für die jeweiligen Ver­ Mignot, LPA 2016, Nr.  52, S.  7, 11, der die Verortung dieser Rechtsnorm im Abschnitt über den Vertragsinhalt für systematisch ungenau erachtet. 374  Demolombe, Cours de Code Napoléon, Nr.  346 (S.  330 f.). 375  Demolombe, Cours de Code Napoléon, Nr.  347 (S.  331) („la cause de l’obligation se confond avec l’objet de cette obligation“); Deroussin, Histoire du droit des obligations, S.  356. 376  Demolombe, Cours de Code Napoléon, Nr.  345 (S.  329 f.); so im Ergebnis auch Demante, Cours analytique de Code Napoléon, Nr.  46 (S.  57). 377  Demolombe, Cours de Code Napoléon, Nr.  355 (S.  341) („Maintenant, est-il besoin d’ajouter que la cause impulsive, telle que nous venons de l’exposer, c’est-à-dire le motif du contrat, est sans aucune influence sur la formation et sur la validité de ce contrat!“). 378  Halfmann, Die Lehre vom Grund der rechtsgeschäftlichen Verpflichtung, S.  126. 379  Cass., Urt. vom 01.03.1853 = D.P. 1853, 1, 134. 380  Deroussin, Histoire du droit des obligations, S.  358.

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tragstypen nur identisch sein, da es sich um einen „inhärenten und konstitutiven [Bestandteil] der Verpflichtung“ („intrinsèque et constitutif de l’obligation“) handele, der „in allen identischen Verträgen“ („dans tous les contrats identiques“) der gleiche sei.381 (3)  Die Kritik an der klassischen Theorie der cause Die mit der abstrakten Definition einhergehende Gleichstellung der cause einer vertraglichen Leistungspflicht mit dem gesetzlich bereits vorgesehenen Gegen­ stand (objet) der entsprechenden Gegenleistungspflicht wurde in der Folgezeit von den Kritikern ins Feld geführt, um den praktischen Nutzen der Begriffsdefi­ nition zu hinterfragen.382 So wurde die cause seit den 1880er Jahren in Frankreich von Rechtswissen­ schaftlern wie Timbal, Séfériadès, Maury, Louis-Lucas, Josserand, Capitant oder Ripert intensiv diskutiert, nachdem sich eine Strömung des belgischen Schrifttums im Rahmen einer geplanten Reform des belgischen C. civ. für die Streichung dieses Begriffs stark gemacht hatte.383 Daran anknüpfend ging auch in Frankreich die Kritik teilweise so weit, dass die Zweckmäßigkeit und der Nutzen der cause generell infrage gestellt wurde. Die Vertreter der äußersten Strömung wurden als „anticausalistes“ bezeichnet. Sie schlugen im Wesentlichen vor, die cause im Gegenstand der Vertragspflich­ ten aufgehen zu lassen. In diesen Kontext positionierten sich insbesondere die Abhandlungen von Brissaud, Gauly, Timbal, Tarbouriech sowie zahlreiche Lehrbücher zum Ende des 19. Jahrhunderts. Planiol, der als bedeutendster Vertreter der „anticausalistes“ gilt, war der Überzeugung, dass jeder Versuch der Vertreter der klassischen Theorie, eine ein­ heitliche Definition der cause für sämtliche Verträge zu entwickeln, zum Schei­ tern verurteilt sei.384 Unabhängig davon stellte er insbesondere den konkreten Nutzen der cause für das Vertragsrecht in Frage.385 Auch Planiol löste alle Rechts­probleme der cause in ihrer klassischen Konzeption mit alternativen Rechtsbegriffen wie dem Gegenstand des Vertrages.386 Demolombe, Cours de Code Napoléon, Nr.  355 (S.  340). Deroussin, Histoire du droit des obligations, S.  359. 383  Ghestin/Loiseau/Serinet, L’objet et la cause, Rn.  524. 384  Planiol, Traité élémentaire de droit civil, Nr.  1035 (S.  394) („à ce qui est hétérogène, il est impossible de donner une définition unique“). 385  Planiol, Traité élémentaire de droit civil, Nr.  1039 (S.  396) („en toute hypothèse on peut se passer de la notion de cause“). 386  Planiol, Traité élémentaire de droit civil, Nr.  1039 (S.  396 f.). 381  382 

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(4)  Die dualistische Konzeption der cause (a)  Die Anerkennung durch Capitant Auf die Kritik hin wurde in der moderneren Literatur eine neue, sogenannte dua­ listi­sche Konzeption der cause entwickelt.387 So befand sich die cause zu Beginn des 20. Jahrhunderts im französischen Schrifttum wieder im Aufwind, nachdem Capitant der cause in seinem berühmten Werk „De la cause des obligations“ eine subjektivere Prägung zuerkannte.388 Auf diese Weise konnte er die grundsätzli­ che Anerkennung der cause im französischen Zivilrecht zunächst wiederherstel­ len.389 Nach Capitant ist bei der Untersuchung des Vorliegens der cause in einem entgeltlichen Vertrag auf die objektive, abstrakte cause zurückzugreifen, wie sie bereits von Domat definiert wurde. Jene sogenannte cause de l’obligation zeich­ net sich dadurch aus, dass sie für jeden Vertragstyp identisch ist.390 Die objektive cause der eigenen Leistungspflicht entspricht dem Gegenstand der Gegenleis­ tungspflicht. Danach liegt bei einem Kaufvertrag die cause der Lieferpflicht des Verkäufers in der Kaufpreiszahlungspflicht des Käufers und die cause der Kauf­ preiszahlungspflicht des Käufers in der Lieferpflicht des Verkäufers. Für den Mietvertrag gelten die gleichen Erwägungen im Hinblick auf die Verpflichtung zur Entrichtung der Miete durch den Mieter einerseits sowie die Übergabe- und Überlassungspflicht der Mietsache durch den Vermieter andererseits.391 Bei der Prüfung des Vorliegens der cause eines unentgeltlichen Vertrages oder der Rechtmäßigkeit von Verträgen im Allgemeinen ist dagegen auf die subjekti­ ve, konkrete cause abzustellen.392 Diese cause, für welche die Bezeichnung „cause du contrat“ oder „motif déterminant“ geläufig ist, interessiert sich nicht für die unmittelbaren, sondern vielmehr für die mittelbaren, individuellen Be­ weggründe, die noch von den Vertretern der klassischen Theorie der cause als rechtlich unbeachtliche „cause impulsive“ qualifiziert wurden.393 Anders als die

Bénabent, Droit des obligations, Rn.  198; Capitant/Terré/Lequette/Chénedé, Les grands arrêts, S.  91. 388  Capitant, De la cause des obligations, Paris 1927. 389  Porchy-Simon, Droit civil, Rn.  250. 390  Ghestin/Loiseau/Serinet, L’objet et la cause, Rn.  575; Porchy-Simon, Droit civil, Rn.  252. 391  Porchy-Simon, Droit civil, Rn.  254; vgl. auch die weiteren Beispiele in Rochfeld, in: Répertoire de droit civil, Rn.  60. 392  Ghestin/Loiseau/Serinet, L’objet et la cause, Rn.  575. 393  Deroussin, Histoire du droit des obligations, S.  367; Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Droit des obligations, Rn.  604; Rochfeld, in: Répertoire de droit civil, Rn.  4 m. w. N. 387 

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cause objective kann die cause subjective auch bei gleichen Vertragstypen von einem Vertragspartner zum anderen variieren.394 (b)  Bestätigung durch die Cour de cassation Mit einem aufsehenerregenden Urteil vom 12.07.1989 schloss sich die Cour de cassation in geradezu lehrbuchmäßigen Ausführungen der dualistischen Konzep­ tion der cause an.395 Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: Zwei Parapsychologen schlossen einen Kaufvertrag über okkultistische Gegenstände zu einem Kauf­ preis in Höhe von 52.875 Francs. Der Käufer verweigerte die Zahlung des Kauf­ preises unter Berufung auf den rechtswidrigen Charakter der cause du contrat, da die Tätigkeit eines Wahrsagers zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses unter Strafe stand. Die Cour de cassation stellte klar, dass die cause de l’obligation des Käufers in der Übergabe und Übereignung der Kaufsache durch den Verkäufer liegt, wo­ hingegen die cause du contrat den maßgeblichen Beweggrund bezeichnet, ohne den der Erwerber sich nicht verpflichtet hätte. Weil letzterer im vorliegenden Fall auf die Begehung einer Straftat gerichtet war, unterlag der Vertrag der Nichtig­ keit wegen Vorliegens einer cause illicite.396 Später bestätigte die Cour de cassation den Standpunkt, wonach in einem Aus­ tauschvertrag die cause jeder Vertragspflicht in der entsprechenden Gegenleis­ tungspflicht liegt und eine Vertragspflicht wegen Fehlens der cause nichtig ist, wenn der Gegenstand der Gegenleistungspflicht fehlt.397

Porchy-Simon, Droit civil, Rn.  264; zu den Abgrenzungsschwierigkeiten bei atypischen Verträgen, vgl. Rochfeld, in: Répertoire de droit civil, Rn.  12. 395  Capitant/Terré/Lequette/Chénedé, Les grands arrêts, Urt.-Nr.  156, Rn.  1 (S.  91) („for­ mule quasi doctrinale“). 396  Cass. civ. 1re, Urt. vom 12.07.1989 – 88-11.443 = Bulletin civil I, Nr.  293, S.  194 = JCP 1990, II, 21546, Anm. Dagorne-Labbé = Defrénois 1990, 358, Anm. Aubert („Si la cause de l’obligation de l’acheteur réside bien dans le transfert de propriété et dans la livraison de la chose vendue, en revanche, la cause du contrat consiste dans le mobile déterminant, c’est-à-dire celui en l’absence duquel l’acquéreur ne se serait pas engagé […] en l’espèce, la cause impul­ sive et déterminante de ce contrat était de permettre l’exercice du métier de deviner et de pro­ nostiquer, activité constituant la contravention prévue et punie par l’article R. 34 du Code pé­ nal, la cour d’appel en a exactement déduit qu’une telle cause, puisant sa source dans une in­ fraction pénale, revêtait un caractère illicite“). 397  Cass. civ. 1re, Urt. vom 25.05.1988 – 86-15.683 = Bulletin civil I, Nr.  149, S.  102. 394 

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(5)  Die Versubjektivierung der cause de l’obligation durch die Rechtsprechung (a)  Die tatsachengerichtliche Rechtsprechung Dies sollte sich in den 1990er Jahren ändern, als die Rechtsprechung begann, die cause de l’obligation zu versubjektivieren („subjectivisation“)398 bzw. konkreti­ sieren („concrétisation“)399. Danach beschränkten sich die Gerichte nicht mehr auf die bloße Ermittlung einer Gegenleistung, sondern untersuchten vielmehr die Rentabilität der Vertragspflicht für den Leistungsempfänger. Die Berücksichti­ gung wirtschaftlicher Zwecke im Rahmen der Existenzkontrolle der cause wurde mit einer instanzgerichtlichen Entscheidung zu einem Grundstückskaufvertrag mit einem fiskalischen Hintergrund in die Wege geleitet. In dem Fall ging es um die Aufhebung eines solchen Vertrages wegen Fehlens der cause, weil sich der mit der Gegenleistung verfolgte Zweck – hier die Einsparung von Steuern – als von Anfang an unerreichbar erwies. Anstelle einer isolierten Berücksichtigung der vertraglichen Gegenleistung, die im zu entscheidenden Fall in der Übertra­ gung des Grundeigentums auf den Käufer gelegen hätte, versubjektivierte das Gericht den Untersuchungsgegenstand, indem es den spezifischen steuerrechtli­ chen Interessen des Käufers Rechnung trug und den Vertrag daher wegen Feh­ lens der cause für nichtig erklärte, was bei einer bloßen Gegenüberstellung der beiderseitigen Vertragspflichten nicht möglich gewesen wäre.400 (b)  Das erste Videoverleih-Urteil der Cour de cassation Als bedeutsamstes Urteil zur Versubjektivierung der cause de l’obligation gilt allerdings das unter dem Namen „Point Club Vidéo“ bekannt gewordene Urteil der Cour de cassation vom 03.07.1996. Der Entscheidung lag der folgende Sachverhalt zugrunde: Ein Ehepaar schloss zwecks Eröffnung einer Videothek in ihrer 1.314 Ein­ wohner zählenden Gemeinde mit einem entsprechend spezialisierten Unterneh­ men einen Vertrag, der die Vermietung von 200 Videokassetten für die Dauer von 8 Monaten gegen Zahlung von 40.000 Francs vorsah. In der Folgezeit berief sich 398  Capitant/Terré/Lequette/Chénedé, Les grands arrêts, S.  95; Ghestin/Loiseau/Serinet, L’objet et la cause, Rn.  574. 399  Rochfeld, in: Répertoire de droit civil, Rn.  16; Wicker, D. 2015, 1557, 1562. 400  Tribunal mixte de commerce de Basse-Terre, 17.03.1993 = D. 1993, 449, Anm. Diener = RTD civ. 1994, 95, Anm. Mestre („Il est […] patent que l’objectif poursuivi par les investis­ seurs […] est d’abord un objectif fiscal, ce que n’ignorent pas les promoteurs qui, comme dans la présente espèce, axent toute leur commercialisation autour des avantages fiscaux de l’opéra­ tion [...] Le mobile fiscal, quand il est aussi déterminant, peut être considéré comme la cause de l’acte. Ainsi la cause de la vente est la déduction fiscale espérée sur les résultats imposables […] La vente se trouve dès lors privée de cause et doit être annulée“).

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das Ehepaar angesichts der wirtschaftlichen Aussichtslosigkeit ihres Vorhabens auf die Nichtigkeit des Vertrages wegen Fehlens der cause. Die Cour de cassa­ tion schloss sich, ebenso wie die Vorinstanzen, dieser Argumentation an und er­ klärte den Vertrag in Ermangelung einer cause für nichtig. Das Ergebnis wurde mit dem Fehlen eines „reellen“ Gegenwerts für die Verpflichtung zur Entrichtung der Miete begründet, da „die Erfüllung des Vertrages nach der von den Parteien gewollten Wirtschaft unmöglich war“.401 Der von den Ehegatten verfolgte Ver­ tragszweck erwies sich als von Anfang an unerreichbar, weil die erhofften Ge­ winne mangels hinreichender Kundschaft die Kosten unter keinen Umständen aufzuwiegen vermochten. Ebenso wie im oben geschilderten Urteil aus dem Jahr 1993 wurde der Kontrollgegenstand dergestalt von den vertraglichen Leistungs­ pflichten auf die bloßen Parteivorstellungen verlagert. Die vom Unternehmen vertraglich zugesagte Leistung, die in der Überlassung der Videokassetten lag, wurde in der Tat in keiner Weise gewürdigt. Lediglich die inneren Motive des Ehepaars, das einen rentablen Videoverleih betreiben wollte, waren für die Rich­ ter der Cour de cassation ausschlaggebend. Mit anderen Worten erhob die Cour de cassation die Spekulationen des geschäftsunerfahrenen Ehepaars in die Sphä­ re der rechtlich beachtlichen Existenzkontrolle der cause. (c)  Kritik in der Literatur Das Urteil stieß im Schrifttum überwiegend auf Ablehnung.402 Sollte die dem Gesetz unbekannte „von den Parteien gewollte Wirtschaft“ eines Austauschver­ trages sämtliche Motive der Vertragsschließenden erfassen, so ließe sich auf der Grundlage der cause das Verwendungsrisiko vollständig auf den Schuldner ver­ lagern. Die Konsequenz wäre eine erhebliche Gefährdung der Rechtssicherheit bei der Vorbereitung und Gestaltung von Verträgen. Die Realisierbarkeit des Vor­ habens des Geschäftspartners müsste vor dem Vertragsschluss stets in Erfahrung gebracht und untersucht werden.403 Zudem wurde kritisiert, dass durch die Rechtfertigung der Vertragsnichtigkeit mit der Unmöglichkeit der Vertragszwe­ 401 

Cass. civ. 1re, Urt. vom 03.07.1996 – 94-14.800 = Bulletin civil I, Nr.  286, S.  200 = D. 1997, 500, Anm. Reigné = JCP 1997, I, 4015, Anm. Labarthe = Defrénois 1996, 1015, Anm. Delebecque = 1997, 336, Anm. Mazeaud = RTD civ. 1996, 901, Anm. Mestre = RTD com. 1997, 308, Anm. Bouloc („s’agissant de la location de cassettes vidéo pour l’exploitation d’un commerce, l’exécution du contrat selon l’économie voulue par les parties était impossible, la cour d’appel en a exactement déduit que le contrat était dépourvu de cause, dès lors qu’était ainsi constaté le défaut de toute contrepartie réelle à l’obligation de payer le prix de location des cassettes, souscrite par M. et Mme Y... dans le cadre de la convention de création d’un ‚point club vidéo‘“). 402  Rochfeld, in: Répertoire de droit civil, Rn.  79 m. w. N. 403  Capitant/Terré/Lequette/Chénedé, Les grands arrêts, S.  97.

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ckerreichung die Grenzen zwischen Vertragsabschluss und Vertragsdurchfüh­ rung verwischt würden.404 (d)  Rechtsprechungsentwicklung der Cour de cassation bis zum Inkrafttreten der Reform Die auf die kritische Stellungnahme des Schrifttums zum ersten Videoverleih-Ur­ teil ergangene Rechtsprechung der Cour de cassation zeichnet sich dem ersten Anschein nach durch keine klare Positionierung zugunsten der objektiven oder der versubjektivierten Konzeption der cause de l’obligation aus. Erst unter Be­ rücksichtigung der jeweiligen Geschäftserfahrenheit und -gewandtheit der kon­ trahierenden Rechtssubjekte wird, wie sogleich zu zeigen sein wird, ein nach­ vollziehbares Gesamtkonzept erkennbar. So hielt die Cour de cassation zunächst an ihrer Lösung aus dem ersten Video­ verleih-Urteil fest, als sie die Beteiligung eines Ehepaars an einem Hotel wegen „Fehlens der cause angesichts der Unmöglichkeit der Profitrealisierung“ des ge­ planten Vorhabens für nichtig erklärte.405 Daraufhin lehnte sie die Nichtigkeit eines Vertrages wegen Fehlens der cause de l’obligation in einem Fall, in dem sie sich erneut mit der Wirksamkeit eines Videoverleihvertrages auseinanderzusetzen hatte, überraschend ab. Ein Unternehmer, der in einer Gemeinde mit lediglich 160 Einwohnern eine Videothek betreiben wollte, schloss einen Mietvertrag über 120 Videokassetten für die Dauer von 10 Monaten gegen Zahlung von 1.326,67 Euro. Als er sich der fehlenden Rentabilität seines Vorhabens bewusstwurde, machte er die Nichtig­ keit des Vertrages wegen Fehlens der cause geltend. Zur Begründung führte er aus, dass angesichts der niedrigen Einwohnerzahl ein gewinnbringender Video­ verleih von vornherein unmöglich war. Bei einer Gegenüberstellung der Ein­ wohnerzahlen der diesem und dem Urteil aus dem Jahr 1996 zugrundeliegenden Sachverhalten mit der Anzahl der vermieteten Videokassetten drängte sich die Vertragsnichtigkeit wegen Fehlens der cause geradezu auf. Wenn bereits der Be­ trieb eines Videoverleihs mit 200 Videokassetten in einer Gemeinde mit 1.314 Einwohnern wegen fehlender Rentabilität für unwirksam erklärt wurde, so muss­ te dies erst recht für den Verleih von 120 Videokassetten in einer Gemeinde mit 160 Einwohnern gelten. Dennoch wurde der pourvoi406 des Unternehmers gegen Rochfeld, in: Répertoire de droit civil, Rn.  79 m. w. N. civ. 3e, Urt. vom 29.03.2006 – 05-16.032 = Bulletin civil III, Nr.  88, S.  73 = D. 2007, 477, Anm. Ghestin = 2006, 2638, Anm. Amrani-Mekki = JCP 2006, I, 153, Anm. Con­ stantin = RDC 2006, 1072, Anm. Mazeaud. 406  Rechtsmittel, durch das eine instanzgerichtliche Entscheidung von der Cour de cassation in einer der Revision des deutschen Prozessrechts vergleichbaren Weise auf Rechtsfehler unter­ sucht wird. 404 

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die Entscheidung der Vorinstanz, die die Vertragsnichtigkeit abgelehnt hatte, von der Cour de cassation überraschend zurückgewiesen. Nachdem das höchste Ge­ richt zunächst das erste Videoverleih-Urteil darin bestätigte, dass „die cause nur dann fehlt, wenn die Vertragsdurchführung nach der von den Parteien gewollten Wirtschaft wegen des Mangels eines reellen Gegenwerts unmöglich ist“, warf es dem Betreiber der Videothek vor, nicht hinreichend dargelegt zu haben, „inwie­ weit ihm die Vermietung von Videokassetten im Rahmen seiner gewerblichen Tätigkeit unmöglich war, obwohl er seine Ziele als ortsansässiger Unternehmer doch definieren konnte“.407 Aus der Begründung kann abgeleitet werden, dass sich jedenfalls erfahrene Unternehmer über die Erfolgsaussichten ihres Vorhabens erkundigen müssen und sich dementsprechend im Zweifel nicht auf das Fehlen der cause wegen fehlender Rentabilität des Vertrages berufen können. In der Tat konnte von dem Unternehmer, der bereits andere Geschäfte in der Gemeinde betrieben hatte, eine vertiefte Kenntnis über das örtliche Konsumverhalten erwartet werden, sodass eine Verlagerung des Verwendungsrisikos auf seinen Vertragspartner im Unter­ schied zum Urteil aus dem Jahr 1996 nicht gerechtfertigt erschien.408 Ein Urteil der Cour de cassation aus dem Jahr 2009, das ebenfalls die Vermie­ tung von Videokassetten für den Betrieb einer Videothek zum Gegenstand hatte, gab sodann Anlass, den Fortbestand der Rechtsprechung über die Versubjektivie­ rung der cause de l’obligation insgesamt zu bezweifeln.409 Hier schloss ein Ver­ ein einen Mietvertrag über ein Kassetten- und DVD-Bündel zu einer monatli­ chen Miete in Höhe von 3.100 Euro für die Dauer von 12 Monaten ab. Der Ver­ trag diente dem Zweck, die Videokassetten und DVDs den 300 Vereinsmitgliedern zur Verfügung zu stellen. Die Cour de cassation hob das Urteil der Vorinstanz auf, die den Vertrag wegen Fehlens einer cause mangels eines reellen Gegen­ werts für nichtig erklärt hatte. In ihrer Begründung verzichtete die Cour de cas­ sation auf ihre im Urteil aus dem Jahr 1996 entwickelten Formel zur Versubjek­ tivierung der cause, sondern erklärte schlicht, dass die cause der Vertragspflicht

407  Cass. com., Urt. vom 27.03.2007 – 06-10.452 = D. 2007, 2970, Anm. Amrani-Mekki = JCP G 2007, II, 10119, Anm. Serinet = CCC 2007, Komm. Nr.  196, Anm. Leveneur = RDC 2008, 231, Anm. Mazeaud („l’absence de cause ne se conçoit que si l’exécution du contrat selon l’économie voulue par les parties est impossible en raison de l’absence de contrepartie réelle […] M. X..., sur lequel repose la démonstration d’une telle situation, n’apporte que des éléments insuffisants à établir l’impossibilité qu’il allègue de pouvoir réaliser la location de cassettes vidéo à l’occasion de l’exercice de ses commerces sur des objectifs qu’il a lui-même fixés dans un contexte que sa situation de commerçant installé lui permettait de définir“). 408  Mazeaud, RDC 2008, 231. 409  Capitant/Terré/Lequette/Chénedé, Les grands arrêts, S.  97; Mazeaud, RDC 2009, 1345.

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eines synallagmatischen Vertrages allein in der Gegenleistungspflicht der ande­ ren Vertragspartei liegt.410 Während eine verbreitete Ansicht im Schrifttum das Urteil als eine Rückkehr zur objektiven Konzeption der cause de l’obligation wertete, wurde teilweise an der Versubjektivierung festgehalten. Insoweit wurde im Unterschied zu den vor­ angegangenen Videoverleih-Urteilen hervorgehoben, dass der Verein nicht aus­ schließlich wirtschaftliche Zwecke verfolgte, sondern das Material sowohl an Dritte (entgeltlich) vermietete als auch an die eigenen Mitglieder (unentgeltlich) verlieh, womit im Unterschied zu den vorherigen Videoverleih-Urteilen die Ge­ winnerzielungsabsicht des Mieters fehle. Allein aus jenem Grund könne in die­ sem Fall ausnahmsweise nur ein objektiver Vergleich der Vertragspflichten vor­ genommen werden.411 Für den Ausnahmecharakter der Entscheidung spricht je­ denfalls, dass es im Unterschied zu dem Urteil aus dem Jahr 1996 nicht von der Cour de cassation veröffentlicht wurde, wie dies für Einzelfallentscheidungen üblich ist. In der Folgezeit sahen sich die Verfechter der versubjektivierten cause de l’obligation durch zwei Urteile der Cour de cassation in ihrer Theorie bekräftigt: Das erste Urteil betraf einen Fall, in dem eine selbständige Krankenpflegerin die Nichtigkeit eines Leasingvertrages unter Berufung auf ihren Irrtum über die Rentabilität des geleasten Arbeitsmaterials geltend machte. Die Cour de cassa­ tion lehnte die Vertragsnichtigkeit mit der Begründung ab, dass ein Motivirrtum nur dann bei der Beurteilung der Vertragswirksamkeit zu berücksichtigen ist, wenn das Motiv durch ausdrückliche Vereinbarung in den Vertrag integriert wurde.412 Dem zweiten Urteil lag ein Markenlizenzvertrag zwischen zwei Unternehmen zugrunde. Nachdem der Lizenznehmer aus der Lizenz nicht die gewünschten Erträge erwirtschaftete, machte er die Nichtigkeit wegen Fehlens der cause ­geltend. Die Cour de cassation lehnte die Vertragsnichtigkeit mit der Begrün­ dung ab, dass die cause de l’obligation nach dem Willen der Vertragsparteien Cass. com., Urt. vom 09.06.2009 – 08-11.420 = RTD civ. 2009, 719, Anm. Fages = RDC 2009, 1345, Anm. Mazeaud („la cause de l’obligation d’une partie à un contrat synallagmatique réside dans l’obligation contractée par l’autre“). 411  Wicker, in: La réforme du droit des obligations, S.  107, 123 f.; Wicker, D. 2015, 1557, 1562. 412  Cass. com., Urt. vom 11.04.2012 – 11-15.429 = Bulletin civil IV, Nr.  77 = D. 2012, 1117 = JCP 2012, 1151, Nr.  7, Anm. Serinet = RDC 2012, 1175, Anm. Laithier = RTD com. 2012, 381, Anm. Legeais, 608, Anm. Bouloc („l’erreur sur un motif du contrat extérieur à l’objet de celui-ci n’est pas une cause de nullité de la convention, quand bien même ce motif aurait été déterminant, à moins qu’une stipulation expresse ne l’ait fait entrer dans le champ contractuel en l’érigeant en condition du contrat“). 410 

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allein in der Zurverfügungstellung der Marke und nicht in der Rentabilität des Vertrages lag.413 (e)  Zusammenfassende Würdigung Die Cour de cassation schloss sich bis zuletzt im Hinblick auf die Existenzkont­ rolle der cause de l’obligation weder eindeutig der streng subjektiven, jegliche Motive berücksichtigenden Auffassung, noch eindeutig der streng objektiven, allein die beiderseitigen Leistungspflichten gegenüberstellenden Ansicht an. Vielmehr verfolgte die höchstrichterliche Rechtsprechung einen vermittelnden Ansatz, der je nach Fallgestaltung eher subjektiv oder eher objektiv qualifiziert werden könnte. Im Ausgangspunkt bleibt es grundsätzlich bei der bereits von Domat vertrete­ nen Konzeption, dass die cause de l’obligation mit der vertraglichen Gegenleis­ tungspflicht gleichzusetzen ist. Die Seriositätsfunktion der cause in einem Aus­ tauschvertrag ist dementsprechend in der Regel bereits dann gewahrt, wenn sich überhaupt zwei Leistungspflichten gegenüberstehen. Die von den Vertragspartei­ en beabsichtigte Verwendung, die zuweilen auch als „motif“, „but“, „cause im­ pulsive“ oder als „cause du contrat“ bezeichnet wird, hat dagegen prinzipiell außer Betracht zu bleiben. Hintergrund ist, dass die uneingeschränkte Berück­ sichtigungsfähigkeit sämtlicher, für den Vertragsgegner meist nicht erkennbarer Intentionen der Vertragsparteien die Rechtssicherheit in erheblichem Maße ge­ fährden würde. Von der abstrakten, objektiven Konzeption der cause de l’obligation ist aus­ nahmsweise dann abzusehen, wenn entweder ein geschäftsunerfahrener Unter­ nehmer die wirtschaftliche Nutzlosigkeit der ihm gebührenden Vertragspflicht nicht erkannt hat, während dies für die Vertragsgegenseite offenkundig war oder die Zweckerreichung ausdrücklich vertraglich vereinbart wurde. Die erstgenannte Ausnahme wurde bisher lediglich in Fallgestaltungen aner­ kannt, in denen ein geschäftsunterfahrenes Ehepaar einem fachlich überlegenen Unternehmen gegenüberstand, für das die erwerbswirtschaftlichen Ziele des Ehepaars ohne weiteres erkennbar war. Dagegen kann sich ausweislich des zwei­ ten Videoverleih-Urteils ein bereits praktizierender und mit den für den Vertrags­ schluss maßgeblichen örtlichen Gegebenheiten vertrauter Unternehmer im Un­ Cass. com., Urt. vom 18.03.2014 – 12-29.453 = D. 2014, 1915, Anm. Mazeaud = 2015, 529, Anm. Amrani-Mekki/Mekki = AJCA 2014, 78, Anm. Dubarry = RTD civ. 2014, 884, Anm. Barbier = RDC 2014, 345, Anm. Laithier („la cause de l’obligation constituant une condition de la formation du contrat, la cour d’appel, appréciant souverainement la volonté des parties, a considéré que celle-ci résidait dans la mise à disposition de la marque et non dans la rentabilité du contrat“). 413 

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terschied zum Unternehmensgründer nicht auf diese Ausnahme berufen, da der Schutz vor Fehlspekulationen nur bei erkennbarer und nachvollziehbarer Fehl­ spekulation der unterlegenen Vertragspartei anerkannt wird. Stehen sich geschäftserfahrene Unternehmer gegenüber, so belegen die Urtei­ le über den Leasingvertrag mit der Krankenpflegerin sowie über den Markenli­ zenzvertrag, dass eine Fehlinvestition nur dann die Vertragsaufhebung zu recht­ fertigen vermag, wenn die Rentabilität des Vorhabens in die vertraglichen Ziele aufgenommen wurde. (6)  Die Ablehnung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung im Namen der cause (a)  Ansatzpunkte einer Verhältnismäßigkeitsprüfung in Lehre und Rechtsprechung Seit dem Inkrafttreten des C. civ. war die Versuchung der Gerichte groß, den Gerechtigkeitsgehalt von Austauschverträgen unter Berufung auf die cause zu kontrollieren. Ein wertvoller Anknüpfungspunkt für eine solche Funktion war bei Portalis zu finden, wonach „beim Kauf eine cause nur dann vorliegt, wenn der Preis im Verhältnis zum Wert der verkauften Sache steht“.414 Nach diesem Verständnis ist insbesondere bei entgeltlichen Verträgen zu untersuchen, ob sich die beiderseitigen Leistungen in einem „vernünftigen Gleichgewicht“ befin­ den.415 Dennoch wurde die cause nach dem vorherrschenden Verständnis derge­ stalt ausgelegt, dass es allein darauf ankam, dass sich überhaupt Leistungspflich­ ten in einem Vertrag gegenüberstanden. Teilweise wurde jene Betrachtung, die in der praktischen Rechtsanwendung nur von beschränkter Nützlichkeit war, sehr bedauert. Ein Urteil der Cour de cassation aus dem Jahr 2003 ließ daher die Hoffnung aufkeimen, auf der Grund­ lage der cause ungerechte Verträge heilen zu können. In dem Urteil wurde im Hinblick auf ein Schuldanerkenntnis entschieden, dass die cause in einem Ver­ trag auch nur teilweise fehlen könne. Dann sei ausnahmsweise nicht der gesamte Vertrag aufzuheben, sondern vielmehr inhaltlich anzupassen.416 In einem späte­ ren Urteil entzog die Cour de cassation jedoch der erwarteten Entwicklung einer 414  Fenet, Band 14, S.  47 („il n’y a de cause dans la vente que lorsque le prix est en propor­ tion avec la valeur de la chose vendue“). 415  Fenet, Band 14, S.  131 („La cause [des contrats intéressés ] est, selon les jurisconsultes, l’intérêt ou l’avantage, qui est le motif et comme la raison de l’engagement. Il y a donc à exa­ miner si cet intérêt, ou cet avantage, est réel ou imaginaire, s’il est proportionné, c’est-à-dire s’il y a un équilibre raisonnable entre ce que l’on donne et ce que l’on reçoit.“). 416  Cass. civ. 1re, Urt. vom 11.03.2003 – 99-12.628 = Bulletin civil I, Nr.  67, S.  51 = JCP 2003, I, 142, Anm. Rochfeld = RDC 2003, 39, Anm. Mazeaud = RTD civ. 2003, 287, Anm. Mestre/Fages („la fausseté partielle de la cause n’entraîne pas l’annulation de l’obligation, mais sa réduction à la mesure de la fraction subsistante“).

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umfassenden Vertragsgerechtigkeitskontrolle die Grundlage, als sie klarstellte, dass ein synallagmatischer Vertrag der cause nicht teilweise entbehren kann und demensprechend auch keine Anpassung der Leistungspflichten auf der Grundla­ ge der cause möglich ist.417 Damit stellte die Cour de cassation klar, dass das Urteil vom 11.03.2003 lediglich für die cause eines Schuldanerkenntnisses Gel­ tung beanspruchen kann.418 (b)  Die Gewährung eines Minimalschutzes als hinreichendes Seriositätskriterium Die Suche nach der cause de l’obligation in einem Austauschvertrag diente da­ gegen vielmehr seit jeher lediglich dem Zweck, die Seriosität der beiderseitigen Leistungspflichten durch die Feststellung eines Minimums vertraglicher Gerech­ tigkeit zu gewährleisten.419 In Abgrenzung zur lésion, die der benachteiligten Vertragspartei ausnahms­ weise die Anfechtung bestimmter Vertragstypen wie Immobilienkaufverträge ermöglicht, soweit das Missverhältnis zwischen den beiderseitigen Leistungs­ pflichten den gesetzlich definierten Vorgaben entspricht, sollte mit der Existenz­ kontrolle der cause nach Art.  1131 Var.  1 C. civ. a. F. lediglich vermieden wer­ den, dass sich eine Partei für einen (quasi-)inexistenten Gegenwert verpflich­ tet.420 Der „lächerlich geringe“ Gegenwert darf also keineswegs mit der dem Bereich der lésion zuzuordnenden „unzureichenden“ Gegenleistung verwechselt werden.421 Dementsprechend war das Vorliegen einer cause bereits dann zu bejahen, wenn sich „ernstliche“ Leistungspflichten gegenüberstanden, unabhängig davon, ob und inwieweit die eine einen geringeren Wert als die andere Leistung auf­ weist.422 Die cause fehlte insbesondere nicht bereits bei einer einfachen Störung der wirtschaftlichen Äquivalenz der beiderseitigen Leistungspflichten. Vielmehr bedurfte es einer regelrechten Unvollkommenheit eines Gegenwerts, um der ent­ 417  Cass. civ. 1re, Urt. vom 31.05.2007 – 05-21.316 = Bulletin civil I, Nr.  211 = D. 2007, 2574, Anm. Ghestin = JCP 2007, I, 195, Nr.  11, Anm. Constantin = RDC 2007, 1103, Anm. Labarthe („dans un contrat synallagmatique, la fausseté partielle de la cause ne peut entraîner la réduction de l’obligation“). 418  Capitant/Terré/Lequette/Chénedé, Les grands arrêts, S.  96; Chénedé, Les commutations en droit privé, Rn.  272. 419  Capitant/Terré/Lequette/Chénedé, Les grands arrêts, S.  95 („il s’agit de protéger l’obligé en s’assurant de l’existence d’un minimum de justice contractuelle“). 420  Houtcieff, in: Pour une réforme du droit des contrats, 207. 421  Malaurie/Aynès/Gautier, Droit des contrats spéciaux, Rn.  214. 422  Fabre-Magnan, Droit des obligations, Nr.  409 (S.  443); Malaurie/Aynès/Gautier, Droit des contrats spéciaux, Rn.  214.

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gegengesetzten Vertragspflicht eines Austauschvertrags die cause abzuspre­ chen.423 (c)  Bestätigung durch die Rechtsprechung Mit Urteil vom 21.04.1980 bestätigte die Cour de cassation diesen Bewertungs­ maßstab. Der Entscheidung lag der folgende Sachverhalt zugrunde: Eine Gesellschaft schloss mit einem Landwirt einen Leasingvertrag über einen Traktor. Kraft des Vertrages verpflichtete sich der Landwirt, den Traktor gegen jegliche Schäden zu versichern und alle Entschädigungsansprüche an die Gesell­ schaft abzutreten. Zudem sah der Vertrag für den Fall der Beschädigung oder Zerstörung des Traktors vor, dass der Landwirt unter Aufrechterhaltung seiner Verpflichtung zur Zahlung der Leasingraten die Versicherung entsprechend in­ formieren sollte und die notwendigen Reparaturen zu veranlassen hatte. Bei ent­ sprechendem Nachweis der Ausgaben war der Landwirt berechtigt, von der Lea­ singgeberin die von der Versicherung erstatteten Beträge herauszufordern. Nach­ dem der Traktor durch einen Brand teilweise zerstört wurde, stellte der Landwirt die Zahlung der Leasingraten ein und verbrachte das Fahrzeug in das Lager der Leasinggeberin. Nach Kündigung des Vertrages klagte die Leasinggeberin auf Zahlung der vertraglichen Kündigungsentschädigung. Die Cour de cassation er­ achtete den Vertrag trotz der erheblichen Ungleichgewichtslage zwischen den Vertragspflichten für wirksam.424 Deutlicher lehnte die Cour de cassation eine Äquivalenzkontrolle in einem Urteil aus dem Jahr 1995 ab. Ein Verbraucher erwarb bei Cartier einen Ring abzüglich eines Preisnachlasses zu einem Kaufpreis in Höhe von 100.000 Fran­ cs. Dieser war infolge eines Etikettierungsfehlers zu einem Kaufpreis in Höhe von 101.556 Francs ausgewiesen. Tatsächlich hatte er jedoch einen Marktwert in Höhe von 460.419 Francs. Nach Aufdeckung des Irrtums klagt Cartier gegen den Käufer auf Herausgabe des Ringes unter Berufung auf die Nichtigkeit des Vertrages wegen Fehlens eines ernsthaften Preises und damit der cause. Die Cour de cassation wies die Klage ab und bestätigte damit die Vorinstanz, die den Kaufpreis in Höhe von 101.556 Francs für keineswegs lächerlich gering erachte­ te, in der daraus gezogenen Schlussfolgerung, dass der Kaufvertrag nicht wegen Fehlens einer cause unwirksam sei, auch wenn der reale Wert des Rings höher sein mochte als der vereinbarte Kaufpreis.425 423  Bénabent, Droit des obligations, Rn.  198; Capitant/Terré/Lequette/Chénedé, Les grands arrêts, S.  96; Rochfeld, in: Répertoire de droit civil, Rn.  42. 424  Cass. com., Urt. vom 21.04.1980 – 78-13.943 = Bulletin civil IV, Nr.  153; Brusorio-Aillaud, Droit des obligations, Rn.  349 (S.  210). 425  Cass. civ. 1re, Urt. vom 04.07.1995 – 93-16.198 = Bulletin civil I, Nr.  303, S.  212 = JCP

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Mit jener Entscheidung bestätigte die Cour de cassation, dass die Existenzkon­ trolle der cause nicht mit einer Äquivalenzkontrolle verwechselt werden darf und dass es sich bei der Bestimmung des unzureichenden Charakters einer Leis­ tungspflicht um eine Tatsachenfrage handelt, die keiner Überprüfung durch die Cour de cassation unterliegt.426 Aus diesem Grund lassen sich auch mangels all­ gemeingültiger Definition der Cour de cassation keine Wertrelationen ausma­ chen, die das Vorliegen eines unzureichenden Gegenwerts indizieren. Den Urtei­ len der Cour de cassation kann lediglich im Umkehrschluss entnommen werden, wann jedenfalls ein hinreichender Gegenwert angenommen wird. Nachdem insoweit dem Cartier-Urteil entnommen werden konnte, dass das vierfache Übersteigen des Marktwertes der Kaufsache im Verhältnis zum Kauf­ preis nicht genügt, um einem Vertrag die cause abzusprechen, erstreckte die Rechtsprechung ihre interventionsfeindliche Haltung in der Folgezeit auf das Mietrecht. So lehnte die Cour de cassation sogar die Nichtigkeit eines Mietver­ trages ab, bei dem die zu entrichtende Miete etwa doppelt so hoch war wie der Wert des Mietgegenstandes. Die Cour de cassation betonte, dass die bloße Un­ gleichwertigkeit der gegenseitigen Vertragspflichten keine fehlerhafte cause be­ gründet.427 (7)  Die Besonderheiten der Getränkelieferungsrechtsprechung (a) Einleitung Besonders aufschlussreich erweist sich in diesem Zusammenhang die Recht­ sprechung der Cour de cassation über Getränkelieferungsverträge, bei der im Unterschied zur Rechtsprechung des BGH nicht die knebelnde Dauer der verein­ barten Getränkebezugsverpflichtung im Fokus steht, sondern vielmehr der Um­ G 1991, II, 21656, Anm. Bigot = RDI 1991, 78, Anm. Leguay/Dubois = RTD civ. 1991, 325, Anm. Mestre („la cour d’appel relève, dans l’exercice de son pouvoir souverain d’appréciation, que le prix de 101 556 francs n’apparait nullement dérisoire; qu’elle en a justement déduit que, même si la valeur réelle du bijoux était supérieure au prix demandé, la vente n’était pas nulle pour absence de cause“); Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Droit des obligations, Rn.  605. 426  Luciani, D. 1997, 206, 207; Paisant, D. 1996, 11 m. w. N. 427  Cass. com., Urt. vom 07.04.2010 – 09-10.129, 09-15.146 („la cause des obligations souscrites par les sociétés locataires résidait dans la mise à disposition de matériels loués, et qu’à supposer les contrats déséquilibrés, ils n’étaient pas pour autant dépourvus de cause“); ähnlich zurückhaltend bzgl. eines Modelvertrags Cass. civ. 1re, Urt. vom 11.12.2008 – 0719.494 = Bulletin civil I, Nr.  282 („Mme X... ne produit aucun élément sur sa notoriété en 2001 et sur les rémunérations qui lui étaient versées à cette époque pour des contrats similaires, ne saurait déduire du seul caractère large des termes de la convention que celle-ci aurait été con­ clue à vil prix; qu’au vu de ces constatations et appréciations souveraines, le moyen ne peut être accueilli“).

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fang der beiderseitigen Leistungspflichten. Während in den Kommentierungen zur Videoverleih-Rechtsprechung von einer die Rechtssicherheit gefährdenden Versubjektivierung der cause die Rede war, ließ die Getränkelieferungs-Recht­ sprechung der Cour de cassation eine andere der Rechtssicherheit mindestens ebenso abträgliche Tendenz erahnen: Konkret befürchtete man den Einbruch ei­ ner Verhältnismäßigkeitsprüfung in den Prüfungsmaßstab des Art.  1131 Var.  1 C. civ. a. F.428 Wie im Folgenden zu zeigen sein wird, lassen sich die Befürchtun­ gen anhand der obigen Erwägungen zur Versubjektivierung der cause de l’obligation ausräumen. (b)  Das Getränkelieferungsurteil vom 14.10.1997 Die Getränkelieferungsrechtsprechung wurde mit einem unveröffentlichten Ur­ teil der Cour de cassation vom 14.10.1997 eingeleitet. In dem Fall verpflichtete sich der Betreiber einer Brasserie, unter Vereinbarung einer Mindestbezugsmen­ ge seinen Bedarf an Getränken für die Dauer von 5 Jahren ausschließlich von einem Lieferanten zu beziehen. Im Gegenzug verpflichtete sich der Lieferant, dem Wirt ein Darlehen in Höhe von 40.000 Francs zu verschaffen und sich für den Darlehensrückzahlungsanspruch gegenüber dem kreditgewährenden Ban­ kinstitut zu verbürgen. Die Cour de cassation bestätigte das Urteil der Vorinstanz, das die Vertragspflicht des Lieferanten als „dérisoire“, also als „lächerlich ge­ ring“ einstufte und infolgedessen den Vertrag wegen Fehlens einer cause aufhob. Dabei betonte die Cour de cassation, dass sie lediglich prüfen kann, ob die ange­ griffene Entscheidung die richtigen Konsequenzen aus der Feststellung eines unzureichenden Gegenwerts gezogen hat.429 Obwohl das Urteil nicht veröffent­ licht wurde und daher davon ausgegangen werden müsste, dass es sich lediglich um eine nicht verallgemeinerungsfähige Einzelfallentscheidung handelt, entwi­ ckelte es sich in der Literatur zum Symbol des vermeintlich zunehmenden Stre­ bens der Rechtsprechung nach einer verstärkten Kontrolle der Gerechtigkeit von Austauschverträgen.430

Rochfeld, in: Répertoire de droit civil, Rn.  46; Mazeaud, Defrénois 1998, 1040. Cass. com., Urt. vom 14.10.1997 – 95-14.285 = D. 1998, 333, Anm. Ferrier = Defrénois 1998, 1040, Anm. Mazeaud („ayant souverainement estimé […] qu’au regard de l’engagement de l’exploitant de la brasserie ‚l’avantage procuré par la société GBN apparaît dérisoire‘, la cour d’appel en a justement déduit que le contrat litigieux était nul pour absence de cause“). 430  Behar-Touchais, RDC 2005, 771 m. w. N. 428  429 

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(c)  Bestätigung im zweiten Getränkelieferungsurteil Nachdem teilweise wegen der damit verbundenen Gefährdung der Rechtssicher­ heit der Wunsch geäußert wurde, eine solche Tendenz aufzugeben,431 bestätigte die Cour de cassation ihre Position in einem Urteil aus dem Jahr 2005. Im Unterschied zum ersten Sachverhalt verbürgte sich die Brauerei hier nicht für den gesamten Darlehensbetrag, sondern lediglich in Höhe von 20  % des ge­ währten Darlehens. Zudem war der Regressanspruch der Brauerei seinerseits durch eine Rückbürgschaft abgesichert. Auch hier wurde die Vorinstanz durch die Cour de cassation darin bestätigt, dass der Vertrag aufgrund der als „dérisoire“ einzustufenden Vertragspflicht der Brauerei wegen Fehlens einer cause unwirk­ sam war. Der Brauerei wurde vorgeworfen, nicht nachgewiesen zu haben, ein reelles Risiko übernommen zu haben.432 (d)  Kritische Auseinandersetzung im Schrifttum Im Schrifttum verbreitete sich die Überzeugung, dass diesem Urteil keine allge­ meinen Wertungen zu entnehmen seien. Nur so könne verhindert werden, dass eine vertragliche Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Berufung auf die fehlende cause die Rechtssicherheit gefährdet.433 Insbesondere stieß auf Unverständnis, wie es sich bei der Verschaffung eines Darlehens, mit dem der Betrieb der Bras­ serie erst möglich wurde, um eine „contrepartie dérisoire“ handeln könne. Diese Stimmen in der Literatur verkennen indes, dass die Cour de cassation, nach den oben geschilderten Ausführungen zum Begriff der cause de l’obligation, den individuellen Zielen im Rahmen der Abwägung nur dann Rechnung trägt, wenn ihre Erreichung von einer unerfahrenen Vertragspartei vorausgesetzt oder ver­ traglich festgehalten wurde. In den zu entscheidenden Fällen wurde dies jedoch von keiner Partei behauptet. Dementsprechend berücksichtigten die durch die Cour de cassation bestätigten Vorinstanzen bei der Abwägung ausschließlich die Vertragspflichten, ohne der konkreten Interessenlage der Vertragsparteien Rech­ 431  Mazeaud, Defrénois 1998, 1040 („Pour être honnête, il faut préciser qu’il serait sans doute imprudent d’accorder une grande portée à cet arrêt de rejet, de surcroît non publié, qui mérite sans aucune hésitation le label peu glorieux d’arrêt d’espèce.“). 432  Cass. com., Urt. vom 08.02.2005 – 03-10.749 = Bulletin civil IV, Nr.  21, S.  24 = D. 2005, 1085, Anm. Lambert = JCP G 2006, II, 10011, Anm. Luciani = JCP E 2005, 1177, Nr.  4, Anm. Mainguy/Respaud = CCC 2005, Komm. Nr.  104, Anm. Leveneur = RDC 2005, 684, Anm. Mazeaud, 771, Anm. Béhar-Touchais („la Brasserie de Saint-Omer […] ne démontrait pas avoir pris un risque réel, la cour d’appel, qui a ainsi apprécié les contreparties au jour de la formation du contrat, a souverainement estimé […] que l’engagement pris par le brasseur était dérisoire, et en a justement déduit que le contrat litigieux était nul pour absence de cause“); Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Droit des obligations, Rn.  605. 433  Amrani-Mekki/Fauvarque-Cosson, D. 2005, 2836.

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nung zu tragen. Mit anderen Worten durfte die Nützlichkeit des Darlehens für den Gastwirt bei der Abwägung keine Berücksichtigung finden, weil diese nicht Vertragsbestandteil wurde. (e)  Das dritte Getränkelieferungsurteil Dies wird durch das dritte Urteil der Cour de cassation zu einem Getränkeliefe­ rungsvertrag aus dem Jahr 2014 deutlich. In jenem Fall bewertete der Betreiber einer Brasserie den Gesamtwert seiner für die Dauer von sieben Jahren verein­ barten Mindestbezugspflicht auf 266.000 Euro. Er war daher der Auffassung, dass die Verpflichtung des Lieferanten, ihm Mobiliar im Wert von etwa 6.000 Euro für seine Terrasse zur Verfügung zu stellen, im Verhältnis zu seiner eigenen Vertragspflicht als „lächerlich gering“ einzustufen sei. Die CA Bourges lehnte die Nichtigkeit des Vertrages mit der Begründung ab, dass hier eine hinreichende Gegenleistung zu erkennen sei. Die Cour de cassation wies den pourvoi des Wirts gegen das Urteil der CA Bourges mit der Begründung zurück, dass aus der Annahme einer hinreichenden Gegenleistung das Vorliegen einer cause abgelei­ tet werden durfte.434 Bei diesem Urteil handelt es sich keineswegs um eine Umkehr der bisherigen Rechtsprechung. Vielmehr war die Vertragspflicht des Lieferanten in den ersten beiden Urteilen wegen der Unbeachtlichkeit der Nützlichkeit des Darlehens für den Betrieb der Brasserie allein am Aufwand des Lieferanten für die Beschaf­ fung bzw. die Verbürgung des Darlehens zu bemessen, während die Vertrags­ pflicht des Lieferanten im dritten Urteil mit der Verpflichtung zur Ausstattung des Wirts mit Mobiliar in einem Wert von 6.000 Euro von substantiellem Ge­ wicht war. Die Annahme einer ernstlichen Gegenleistung im dritten Urteil wird durch den Umstand verstärkt, dass der Wirt in den ersten beiden Fällen zur aus­ schließlichen Beschaffung seiner Getränke beim Lieferanten verpflichtet war, während ihm im letztgenannten Fall in Höhe von 20  % seiner Einkäufe die freie Wahl der Vertragspartner überlassen wurde.435

434  Cass. com., Urt. vom 11.03.2014 – 12-29.820 = D. 2014, 1915, Anm. Mazeaud = 2015, 943, Anm. Ferrier = RTD civ. 2014, 884, Anm. Barbier („ayant relevé par motifs adoptés que le contrat contenait des obligations réciproques puisqu’en échange de son approvisionnement en boissons, le revendeur se voyait mettre à disposition du mobilier de terrasse et retenu que l’avantage procuré ne s’évaluait pas seulement au travers de considérations quantitatives mais également qualitatives, la cour d’appel, qui a procédé à la recherche prétendument omise, a pu déduire de ces constatations et appréciations souveraines que le contrat n’était pas dépourvu de cause“); Savaux, RDC 2014, 342. 435  Savaux, RDC 2014, 342.

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(f) Zwischenergebnis Festzuhalten bleibt damit, dass die Getränkelieferungs-Rechtsprechung der Cour de cassation zunächst bestätigt, dass es sich bei der Beurteilung der unzureichen­ den Gegenleistung um eine Tatsachenfrage handelt, die keiner höchstrichterli­ chen Überprüfung unterliegt.436 Zudem belegen die Urteile, dass grundsätzlich allein die vertraglichen Leistungspflichten einander gegenüberzustellen sind, wenn der Bestand des Vertrages nicht ausnahmsweise von der Rentabilität der erworbenen Leistungen abhängig gemacht wurde. Somit wird deutlich, dass die Cour de cassation entgegen weit verbreiteter Stimmen im Schrifttum keinesfalls eine allgemeine Verhältnismäßigkeitskontrolle zugelassen hat. Vielmehr bleibt es auch im Bereich der Getränkelieferungsverträge bei dem Grundsatz, dass eine Gegenleistung nur dann als „lächerlich gering“ einzustufen ist, wenn sie bei wer­ tender Betrachtung jeglicher Substanz entbehrt.437 hh)  Auslegung der „contrepartie convenue“ i. S. d. Art.  1169 C. civ. (1) Auslegungsoptionen Die erörterten Urteile verdeutlichen, dass Art.  1169 C. civ., wonach ein entgeltli­ cher Vertrag nichtig ist, wenn der zugunsten der verpflichteten Vertragspartei vereinbarte Gegenwert im Zeitpunkt des Vertragsschlusses „illusorisch“ oder „lächerlich gering“ ist, eine vorbehaltlose Übernahme der bisherigen Rechtspre­ chung der Cour de cassation zur Seriositätsfunktion der cause ermöglicht. Unter Berücksichtigung der bisherigen Konzepte, die sich um eine klare Definition der cause bemühten, stellt sich also für den Rechtsanwender weiterhin die Frage, wie die „contrepartie convenue“, also der „vereinbarte Gegenwert“ auszulegen ist. Entsprechend der dualistischen cause-Konzeption könnte jenes Tatbestands­ merkmal zunächst mit der Gegenleistungspflicht gleichgesetzt werden (abstrakte Betrachtung).438 Dies ist indes nur eine denkbare Auslegung. Vom „Gegenwert“ könnten nämlich auch sämtliche Vorteile erfasst sein, die sich eine Partei aus dem Vertrag – gegebenenfalls auch in Unkenntnis ihres Vertragspartners – ver­ spricht (subjektive Betrachtung).439 Danach wären also nicht bloß die jeweiligen Savaux, RDC 2014, 342. Fortbestand der Getränkelieferungs-Rechtsprechung Wicker, D. 2015, 1557, 1561 f. 438  Fages, Droit des obligations, Rn.  181; im Ergebnis wohl auch Porchy-Simon, Droit civil, Rn.  261; vor der Reform Flour/Aubert/Savaux, Les obligations, Rn.  262 („la cause objective peut être définie comme la considération de la contrepartie qu’entend, en principe, recevoir toute personne qui assume une obligation. Dans le contrat synallagmatique cette contrepartie est pour chacun des contractants, l’obligation contractée par l’autre“). 439  So beispielsweise Ghestin/Loiseau/Serinet, L’objet et la cause, Rn.  316; Mercadal, Ré­ 436 

437 Zum

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vertraglichen Leistungspflichten einander gegenüberzustellen, sondern darüber hinaus auch den persönlichen Beweggründen und Zielen der Vertragsparteien Rechnung zu tragen. Um hier das Verwendungsrisiko nicht uferlos auf den je­ weiligen Schuldner zu verlagern, ließe sich diese Anschauung entsprechend der bisherigen Rechtsprechung der Cour de cassation dadurch einschränken, dass die mittelbaren Ziele nur dann zu berücksichtigen sind, wenn sich eine als schüt­ zenswert zu erachtende Vertragspartei erkennbar für die Gegenseite verspeku­ liert hat oder wenn die Zweckerreichung vertraglich vereinbart wurde (konkrete Betrachtung). Beim Kaufvertrag wäre etwa die „contrepartie convenue“ des Käufers in abs­ trakter Begriffsauslegung stets in der Verpflichtung des Verkäufers zur Übergabe und Übereignung der Kaufsache zu erblicken. In subjektiver Auslegung ließen sich dagegen sämtliche Gründe des Käufers zum Erwerb der Kaufsache berück­ sichtigen, wie insbesondere das Interesse an einer gewinnbringenden Weiterver­ äußerung. Die konkrete Betrachtung schließlich würde dem Interesse des Käu­ fers an einer rentablen Investition nur dann Rechnung tragen, wenn es sich bei dem Käufer um einen Unternehmensgründer handelt, der für die Vertragsgegen­ seite erkennbar von einer unzutreffenden Spekulation fehlgeleitet wurde oder die Gewinnziele vertraglich vereinbart wurden. (2)  Die Wortlautauslegung Gegen die subjektive und für die abstrakte oder konkrete Betrachtung ließe sich zunächst der Wortlaut des Art.  1169 C. civ. ins Feld führen. So könnte man der Rechtsnorm dadurch, dass sie nicht auf die bloße „contrepartie“, sondern viel­ mehr auf die „contrepartie convenue“ abstellt, entnehmen, dass die „contrepar­ tie“ Gegenstand der Willensübereinkunft gewesen sein muss. Die Ergänzung legt die Intention des Gesetzgebers nahe, diejenigen Beweggründe einer Vertragspar­ tei, die der Vertragsgegenseite verborgen geblieben sind, von der tatbestandli­ chen Beurteilung ausschließen zu wollen. Dagegen kann dem ergänzenden Tat­ bestandsmerkmal nicht entnommen werden, dass es sich auf eine solche „contre­ partie“ beziehen muss, die zwischen den Parteien ausdrücklich vertraglich fixiert wurde. In diesem Fall hätte sich der Gesetzgeber etwa in Gestalt des Erfordernis­ ses einer „contrepartie stipulée“ einer eindeutigeren Terminologie bedienen kön­ nen. Der vom Gesetzgeber gewählte, weichere Wortlaut, legt dagegen nahe, dass forme, Nr.  417 („A défaut de prise de position de la loi sur ce qu’est une contrepartie, celle-ci peut résulter de tout élément qui tend à équilibrer ce qui a été procuré au cocontractant“); Ghestin/Labarthe, LPA 2015, Nr.  177, S.  17, 43 ff.; Savaux, JCP G 2015, Nr.  21, S.  20, 24 f. („La sanction […] correspond en gros aux solutions jurisprudentielles globalement satisfai­ santes concernant l’existence et l’utilité de la contrepartie.“); Wicker, D. 2015, 1557, 1560 f.

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auch Parteivorstellungen berücksichtigt werden können, die zwar durch die Kenntnisnahme und Billigung der Vertragsgegenseite den Charakter eines ein­ seitig gebliebenen Motivs verlassen haben, aber nicht in die Sphäre der binden­ den Vertragsbedingungen integriert wurden. Schließlich kann dem Begriff der „contrepartie“ nicht entnommen werden, dass es sich hierbei allein um die Leistungspflichten der Vertragsparteien han­ delt, da unter der „contrepartie“ nach allgemeinem Sprachverständnis sowohl der kompensatorische Vorteil, also der Gegenwert (konkrete Betrachtung) als auch die jeweilige Gegenleistung (abstrakte Betrachtung) verstanden werden kann.440 Der Wortlaut gestattet somit zunächst die Ablehnung der die Rechtssicherheit gefährdenden subjektiven Auslegung, wonach sämtliche Fehlvorstellungen die Vertragsnichtigkeit begründen können. Eine eindeutige Weichenstellung zuguns­ ten der abstrakten oder konkreten Betrachtung lässt sich der grammatikalischen Auslegung dagegen nicht entnehmen. (3)  Die systematische Auslegung Zusätzlich kann der Ausschluss der subjektiven Auslegung des „vereinbarten Gegenwerts“ i. S. d. Art.  1169 C. civ. auf Art.  1162 C. civ. gestützt werden, der explizit zwischen einer „stipulation“, also einer „Vertragsbestimmung“, und dem bloßen „but, […] connu ou non par toutes les parties“, also dem bloßen „Ziel, unabhängig davon, ob dieses allen Vertragsparteien bekannt war“, differenziert. Die Gegenüberstellung der „stipulation“ mit dem „but“ in Art.  1162 C. civ. lässt darauf schließen, dass es sich bei der „contrepartie convenue“ nur um eine Ver­ tragspflicht oder um solche Beweggründe handeln kann, die zwischen einer Ver­ tragsbestimmung und einem bloß einseitig gebliebenen Motiv einzuordnen sind. Dies bestätigt auch der eng mit der „contrepartie illusoire“ verwandte Irrtum über wesentliche Bestandteile des Vertragsgegenstands. So können nach Art.  1133 C. civ. nur solche Vorstellungen die Vertragsaufhebung wegen Irrtums rechtfertigen, die „ausdrücklich oder stillschweigend ausgemacht wurden und unter Berücksichtigung derer die Parteien den Vertrag geschlossen haben“.441 Für die abstrakte und damit gegen die konkrete Betrachtung könnte die Defi­ nition des entgeltlichen Vertrages in Art.  1107 Abs.  1 C. civ. sprechen. Danach liegt ein solcher Vertrag vor, wenn jede Vertragspartei von der anderen einen

440  Vgl. bspw. die Definition nach Larousse („Ce qui sert à compenser, à équilibrer quelque chose; ce que l’on fournit en échange de quelque chose“). 441  Art.  1133 Abs.  1 C. civ.: „Les qualités essentielles de la prestation sont celles qui ont été expressément ou tacitement convenues et en considération desquelles les parties ont contracté“.

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Vorteil als Gegenleistung für den Vorteil erhält, den sie selbst beschafft.442 Der Begriff der „contrepartie“ wird in dieser Norm also auf diejenigen kompensato­ rischen Vorteile beschränkt, die eine Vertragspartei von der anderen erhält, wo­ mit im Ergebnis der Begriff der „contrepartie“ im Sinne des Art.  1107 Abs.  1 C. civ. mit der jeweiligen vertraglichen Gegenleistung nach deutschem Sprach­ verständnis gleichzusetzen ist. Unklar ist jedoch, ob die „contrepartie“ nach Art.  1107 Abs.  1 C. civ. mit der des Art.  1169 C. civ. identisch sein soll. Dement­ sprechend kann auch aus der systematischen Auslegung kein eindeutiger Schluss zugunsten der abstrakten oder der konkreten Betrachtungsweise gezogen wer­ den. (4)  Die historische Auslegung Damit bleibt zu erörtern, ob aus der historischen Auslegung gewinnbringende Erkenntnisse im Hinblick auf die Frage gewonnen werden können, inwiefern die bisherige Rechtsprechung zur Existenzkontrolle der cause de l’obligation, die sich zuletzt deutlich zugunsten der konkreten Auslegung positioniert hat, in Art.  1169 C. civ. ihren Niederschlag finden sollte. Die Kontroverse um den Fortbestand oder die Streichung der cause war einer der meistdiskutierten Erörterungspunkte des Reformvorhabens. Einig war man sich lagerübergreifend lediglich darin, dass die bisherige Rechtsprechung zur cause grundsätzlich jedenfalls in funktioneller Hinsicht weiterhin Geltung bean­ spruchen sollte. Zu diesem Zweck wurden beginnend mit dem Vorschlag Ghestins aus dem Jahr 2005 allmählich verschiedene Lösungsansätze entwickelt. Dabei sollte der Begriff der cause zunächst lediglich durch Legaldefinitionen ergänzt werden, um die in der Vergangenheit aufgekommenen Auslegungsschwierigkeiten auszuräu­ men.443 Nach dem Avant-projet Catala, der die cause in ihrer Seriositätsfunktion erstmalig als die „contrepartie convenue“ definierte,444 war eine Vertragspflicht wegen Fehlens einer realen cause ohne Rechtfertigung, wenn die „contrepartie convenue“ von Beginn an illusorisch oder „lächerlich gering“ war.445 Das Justiz­ ministerium übernahm in seinem Vorentwurf aus dem Jahr 2008 die Formulie­ rung des Avant-projet Catala, ersetzte die cause jedoch durch den zu dieser Zeit 442  Art.  1107 Abs.  1 C. civ.: „Le contrat est à titre onéreux lorsque chacune des parties reçoit de l’autre un avantage en contrepartie de celui qu’elle procure“. 443  Capitant/Terré/Lequette/Chénedé, Les grands arrêts, S.  99; Ghestin/Labarthe, LPA 2015, Nr.  177, S.  17, 41. 444  Ghestin/Loiseau/Serinet, L’objet et la cause, Rn.  562. 445  Art.  1125 Abs.  1 Avant-projet Catala: „L’engagement est sans justification, faute de cause réelle, lorsque, dès l’origine, la contrepartie convenue est illusoire ou dérisoire“.

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im Schrifttum bevorzugten Begriff des „Interesses“ („intérêt“).446 Parallel dazu schlug Terré in seinem Avant-projet vor, auf jegliche Erwähnung der cause oder des Interesses zu verzichten und im Sinne der bereits unter Domat entwickelten Konzeption der Seriositätsfunktion der cause einen Austauschvertrag für un­ wirksam zu erklären, wenn der Gegenstand der entsprechenden Gegenleistungs­ pflicht fehlt.447 Angesichts des vehementen Widerstands sowohl vonseiten der Befürworter als auch vonseiten der Kritiker der cause gegen die Ersetzung des Begriffs durch das Interesse,448 strich das Justizministerium im Februar 2009 jegliche Bezugnahme auf die cause oder das Interesse unter Aufrechterhaltung der Definitionen des Avant-projet Catala.449 Dagegen machte sich das Justizmi­ nisterium zu keinem Zeitpunkt die abstrakte Anknüpfung des Avant-projet Terré an den Gegenstand der Gegenleistungspflicht zu eigen. Insoweit kann jedenfalls zur Thematik der cause ausnahmsweise nicht behauptet werden, der Reformge­ ber habe eine zwischen dem Avant-projet Catala einerseits und dem Avant-projet Terré andererseits vermittelnde Lösung entwickelt. Die gesetzesvertretende Ver­ ordnung teilt vielmehr lediglich in formeller Hinsicht den Rechtsgedanken des Avant-projet Terré, wonach auf den Begriff der cause zu verzichten ist und die entsprechenden Funktionen in verständlichen Rechtssätzen zu konkretisieren sind, ohne sich jedoch an diesem Entwurf, der sich zugunsten der abstrakten Betrachtungsweise positionierte, inhaltlich inspiriert zu haben.450 Hinsichtlich der inhaltlichen Ausgestaltung der Rechtsnorm orientierte sich das Justizministe­ rium nämlich vielmehr am Avant-projet Catala. Daraus ließe sich ableiten, dass sich der Reformgeber bewusst gegen die abs­ trakte, allein an den Vertragspflichten orientierte Konzeption Terrés entschieden hat und in Anlehnung an das konkrete Begriffsverständnis Catalas eine erweiter­ te Auslegung des Begriffs anstrebte. Nach den Verfassern jenes Entwurfs war in der Tat unter der „contrepartie convenue“ der Vertragsinhalt zu verstehen, wie er sich aus der „Wirtschaft des Vertrages“ („économie du contrat“) ergeben kann.451 Diese im Zuge der Reform nicht bestätigte Schöpfung der Literatur und Recht­ 446  Art.  86 Avant-projet de la Chancellerie 2008: „Un contrat à titre onéreux est nul faute d’intérêt lorsque dès l’origine la contrepartie convenue au profit de celui qui s’engage est illu­ soire ou dérisoire“. 447  Art.  61 Avant-projet Terré: „Lorsque dans un contrat synallagmatique, l’une des obliga­ tions est sans objet, l’obligation corrélative est nulle, de nullité relative“. 448  Siehe etwa Houtcieff, in: Pour une réforme du droit des contrats, 200 f.; Cabrillac, JCP G 2008, 17, 20; Ghozi/Lequette, D. 2008, 2609 ff.; Larroumet, D. 2008, 2441 f.; Malaurie, JCP G 2008, 204, 205; Malinvaud, D. 2008, 2551; Tournafond, D. 2008, 2607; befürwortend Fabre-Magnan, JCP G 2008, 199; Mazeaud, D. 2008, 2675 ff. 449  Ghestin/Labarthe, LPA 2015, Nr.  177, S.  17, 41. 450 Vgl. Porchy-Simon, Droit civil, Rn.  250. 451  Catala, Rapport sur l’avant-projet de réforme, S.  93.

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sprechung diente im Wesentlichen dem Zweck, die cause auch auf diejenigen Erwartungen der Vertragsparteien zu erstrecken, die dem Vertrag zugrunde ge­ legt wurden, ohne jedoch zugleich vertraglich vereinbart worden zu sein.452 Für die konkrete Auslegung des „vereinbarten Gegenwerts“ i. S. d. Art.  1169 C. civ. würde zudem sprechen, dass der Reformgeber, der sich der Rechtspre­ chung der Cour de cassation über die Versubjektivierung der cause de l’obliga­ tion bestens bewusst war,453 in seinem Bericht an den Präsidenten ausdrücklich darauf hinwies, dass sämtliche Funktionen der cause aufrechterhalten bleiben sollen. Das heißt, nach Ansicht des Justizministeriums sollte auch die versubjek­ tivierende Rechtsprechung zur cause de l’obligation weiterhin Geltung bean­ spruchen.454 Der gewählte Normwortlaut eignet sich in der Tat auch deshalb für eine Fort­ setzung dieser Rechtsprechung, weil der Begriff der „contrepartie“ in dem „Point Club Vidéo“-Urteil herangezogen wurde, um damit nicht lediglich die jeweilige Gegenleistung im Sinne der abstrakten Auslegung, sondern vielmehr entspre­ chend der konkreten Auslegung die aus dem Vertrag erhofften und für den Ver­ tragspartner erkennbaren Vorteile zu erfassen. (5) Zwischenergebnis Bei der Wahl zwischen der abstrakten, der subjektiven oder der konkreten Ausle­ gung des „vereinbarten Gegenwerts“ i. S. d. Art.  1169 C. civ. erteilen die gram­ matikalische sowie die systematische Auslegungsmethode eine eindeutige Ab­ sage an die subjektive Betrachtung und damit die Berücksichtigungsfähigkeit sämtlicher persönlicher Motive und Ziele der Vertragsparteien. Zu den verschienen Bedeutungen, die der „économie du contrat“ durch die Rechtspre­ chung und Literatur verliehen wurden, vgl. die instruktive Analyse in Houssard, RJO 2002, 7; kritisch zu diesem Rechtsinstitut Houtcieff, in: Pour une réforme du droit des contrats, 204; Mestre, RTD civ. 1996, 901 („cette notion d’économie du contrat est de nature à bouleverser les solutions de droit les plus éprouvées“); Moury, D. 2000, 382; a. A. Ghestin/Loiseau/Serinet, L’objet et la cause, Rn.  660 („Rien ne justifie, semble-t-il, de prohiber de façon générale et absolue l’usage de la référence à l’économie du contrat“). 453  Vgl. den Bericht an den Präsidenten („Ainsi, la cause ‚subjective‘, ou cause du contrat, renvoie aux motifs personnels qui ont déterminé le consentement, tandis que la cause ‚objec­ tive‘, ou cause de l’obligation, correspond au but immédiat et abstrait du contrat, lequel est toujours le même quel que soit le type de contrat. En outre, certains arrêts de la Cour de cassa­ tion ont appliqué une conception subjective de la cause de l’obligation, invitant à rechercher non plus des motifs abstraits, communs à tous les contrats du même type, mais le but concret voulu par les parties, et ce afin de rééquilibrer le contrat.“). 454  „L’apport de la réforme sur ce point consiste donc dans la suppression de la référence à la cause, tout en consolidant dans la loi toutes les fonctions que la jurisprudence lui avait assi­ gnées“. 452 

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Im Übrigen eröffnet Art.  1169 C. civ. den Gerichten einen Spielraum bei der Beurteilung der Frage, ob der „vereinbarte Gegenwert“ abstrakt oder konkret zu ermitteln ist, also ausschließlich in dem Gegenstand der jeweiligen Gegenleis­ tungspflichten zu erblicken ist oder darüber hinaus auch allseits erkennbare Ziele erfassen kann. Der historischen Auslegung ist lediglich das Bestreben des Justizministeriums zu entnehmen, der Rechtsprechung hinreichenden Raum für die Fortsetzung und Ausgestaltung der konkreten Auslegung des „vereinbarten Gegenwerts“ zu schaffen. Letztlich wird die Rechtsprechung und damit die Cour de cassation darüber zu bestimmen haben, inwieweit sie an ihrer jüngsten, konkretisierenden Rechtsprechung festhalten wird oder sich der abstrakten Herangehensweise an­ schließt. ii) Ergebnis Aus der Unzulässigkeit einer „contrepartie convenue illusoire ou dérisoire“ in einem Austauschvertrag lassen sich für die Vertragsgerechtigkeit zwei für den unternehmerischen Geschäftsverkehr unterschiedlich relevante Schutzmechanis­ men ableiten: So liegt ein „illusorischer Gegenwert“ insbesondere dann vor, wenn der Ver­ tragsgegenstand der Ermöglichung einer wirtschaftlichen Tätigkeit dient und von einem mit dem Abschluss entsprechender Verträge vertrauten Unternehmen einem geschäftlich unerfahrenen Unternehmen angeboten wird, das sich erkenn­ bar über die Rentabilität der Investition im Irrtum befindet. Das oben erörterte „Point Club Vidéo“-Urteil der Cour de cassation gilt insoweit als Paradebeispiel eines „illusorischen Gegenwerts“, weil die Realisierung der aus dem Vertrag er­ hofften Gewinne von Anfang an unmöglich war.455 Der Tatbestand weist eine hohe praktische Relevanz auf, da er insbesondere Unternehmensgründer vor of­ fensichtlichen Fehlspekulationen schützt, ohne dass es einer Täuschung vonsei­ ten des Übervorteilenden oder einer etwaigen Äquivalenzstörung zwischen den beiderseitigen Leistungspflichten bedarf. Zwischen Handelspartnern auf Augen­ höhe ist die Norm demgegenüber von keiner nennenswerten Bedeutung, weil hier die Rentabilität des Vorhabens einer Vertragspartei nur dann Berücksichti­ gung finden kann, wenn diese als vertragliches Ziel vereinbart wurde. Anders verhält es sich mit der „contrepartie dérisoire“, die nur solche Konstel­ lationen erfasst, in denen in einem Austauschvertrag überhaupt kein Gegenwert existiert oder dieser so niedrig ist, dass er bei wertender Betrachtung mit einem 455 

758.

Ghestin/Loiseau/Serinet, L’objet et la cause, Rn.  805 ff.; Hontebeyrie, RDC 2015, 757,

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inexistenten Gegenwert gleichgestellt werden kann.456 Insbesondere ist die bloße Unzulänglichkeit des Gegenwerts nicht hinreichend, um die Vertragsnichtigkeit nach Art.  1169 C. civ. zu rechtfertigen.457 Dies ist bereits der ausdrücklichen An­ ordnung in Art.  1168 C. civ. zu entnehmen, der die Anerkennung einfacher Äqui­ valenzstörungen der beiderseitigen Leistungspflichten als Vertragsnichtigkeits­ grund ablehnt.458 Eine „contrepartie dérisoire“ ist somit nur dann anzunehmen, wenn der Gegenwert über keine ernsthafte Konsistenz verfügt.459 Das hinter dem Verhandlungsergebnis stehende Gleich- oder Ungleichgewicht zwischen den Vertragsparteien ist dagegen für die Feststellung einer „contrepartie dérisoire“ von keiner Bedeutung. Es genügt allein die Zubilligung eines auch nur unbedeu­ tenden Vorteils, um dem Tatbestand insgesamt die Anwendung zu versagen. Im Ergebnis weist das für die unternehmerische Praxis durchaus zu beachten­ de Tatbestandsmerkmal der „contrepartie illusoire“ eine subjektive Färbung auf, die es gestattet, einer etwaigen Fehlspekulation und damit der intellektuellen Disproportion zwischen den Vertragsparteien Rechnung zu tragen. Dagegen zeichnet sich die „contrepartie dérisoire“ durch ihre objektive, ausschließlich an der Substanz der beiderseitigen Vorteile orientierten Prägung aus, die die überle­ gene Vertragspartei allenfalls marginal in ihrer Vertragsgestaltungsfreiheit be­ schneidet.460

2. Klauselwirksamkeitskontrolle a)  Die klassische Klauselkontrolle nach Art.  1170 C. civ. aa)  Regelungszweck im System des reformierten C. civ. Nach Art.  1170 C. civ. ist eine Klausel unwirksam, wenn sie der wesentlichen Vertragspflicht des Schuldners die Substanz entzieht.461 Dem Bericht an den Prä­ Malaurie/Aynès/Gautier, Droit des contrats spéciaux, Rn.  214; Deshayes, in: RDC hors série, S.  21, 28; Hontebeyrie, RDC 2015, 757, 758. 457  Mercadal, Réforme, Nr.  420; Pietrancosta/Martel, Le droit des contrats réformé, S.  51; Chénedé, RDC 2015, 655, 656; Ghestin/Labarthe, LPA 2015, Nr.  177, S.  17, 42 f.; Le GacPech, LPA 2016, Nr.  162, S.  7, 11 f.; Mignot, LPA 2016, Nr.  52, S.  7, 13 f. („Est dérisoire, ce qui est trop insignifiant pour être pris en compte“); Pellet, Dr. et patr. 2016, Nr.  258, S.  61, 63. 458  Capitant/Terré/Lequette/Chénedé, Les grands arrêts, S.  96; Chénedé, RDC 2015, 655, 656; Porchy-Simon, Droit civil, Rn.  273 („L’article 1169 nouv. ne peut donc être l’instrument d’un contrôle de l’équilibre économique de la convention, mais seulement la sanction d’une absence de toute contrepartie“). 459  Mercadal, Réforme, Nr.  419. 460  Malaurie/Aynès/Gautier, Droit des contrats spéciaux, Rn.  212. 461  Art.  1170 C. civ.: „Toute clause qui prive de sa substance l’obligation essentielle du dé­ biteur est réputée non écrite“. 456 

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sidenten ist zu entnehmen, dass die Norm der Kodifikation der sog. Chronopost-Rechtsprechung über Haftungsklauseln dient.462 Neben den bereits unter­ suchten Artt.  1162 sowie 1169 C. civ. handelt es sich hierbei um die dritte Be­ stimmung, die der funktionalen Aufrechterhaltung der cause dient.463 Der im überwiegenden Schrifttum als gekünstelt kritisierte Rückgriff auf jenes Rechts­ institut bei der Beurteilung der Wirksamkeit einzelner Klauseln gehört damit der Vergangenheit an.464 bb)  Die Entwicklung der cause zu einem Instrument der Klauselkontrolle (1)  Verbraucherschutzrechtlicher Hintergrund Als Auslöser für den Einsatz der cause als Mittel zur Kontrolle einzelner Ver­ tragsklauseln gilt die Entscheidung der Cour de cassation, Unternehmern den Schutz gegen missbräuchliche Klauseln am Maßstab des auf den Verbraucher­ schutz zugeschnittenen C.  con. zu versagen. Nachdem Unternehmer aus dem personellen Schutzbereich des Verbraucherschutzrechts ausgeklammert wurden, musste die Cour de cassation mangels anderweitiger spezialgesetzlicher Bestim­ mungen auf das allgemeine Vertragsrecht des C. civ. ausweichen.465 Dies führte zu einer Entwicklung in der Rechtsprechung, die seit Beginn der 1990er Jahre die Seriositätsfunktion der cause in Art.  1131 C. civ. Var.  1 a. F., wonach eine Verpflichtung ohne cause keine Wirkung entfalten kann, systematisch als Me­ chanismus zur Bekämpfung missbräuchlicher Klauseln instrumentalisierte.466 (2)  Bestätigung der Seriositätsfunktion der cause in der Haftpflichtversicherungsrechtsprechung So erklärte die Cour de cassation in sieben Entscheidungen vom 19.12.1990 die sogenannten „clauses de réclamation de la victime“ in Haftpflichtversicherungs­ verträgen unter Verweis auf Art.  1131 C. civ. a. F. für unwirksam, weil solche 462  „L’article 1170 consacre également la célèbre jurisprudence dite Chronopost […] et trouvera notamment à s’appliquer aux clauses limitatives de responsabilité“. Kritisch im Hin­ blick auf die abweichende Formulierung Chagny, in: Réforme du droit des contrats, S.  47, 58 f.; Dupichot, Dr. et patr. 2015, Nr.  247, S.  32, 45; Mekki/Darrois/Gauvain, JCP E 2016, Nr.  251373, S.  18, 23. 463  Deshayes, in: RDC hors série, S.  21, 28; Dondero, JCP E 2016, Nr.  19-1283, S.  22; Houtcieff, in: Pour une réforme du droit des contrats, 202 f.; Mainguy, JCP E 2016, Nr.  07-151, S.  9, 12 f.; Mazeaud, Gaz. Pal. 2016, 208, 211; Pietrancosta/Martel, Le droit des contrats ré­ formé, S.  55. 464  Mainguy, JCP E 2016, Nr.  07-151, S.  9, 13. 465  Chénedé, RDC 2012, 1017, 1033 f.; Chénedé, RDC 2015, 655, 658; Mazeaud, in: Les clauses abusives entre professionnels, S.  33; Rome, D. 2008, 2337. 466  Rochfeld, in: Répertoire de droit civil, Rn.  127.

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Klauseln der Prämienzahlungspflicht des Versicherten die cause entzogen und dadurch eine unzulässige „obligation sans cause“ vorlag.467 Die Klauseln sahen nämlich vor, dass der Versicherer nicht zur Erstattung eines Schadens verpflich­ tet ist, wenn der Geschädigte den Anspruch gegen diesen erst nach der Kündi­ gung des Vertrages geltend macht, unabhängig davon, ob das schadensauslösen­ de Ereignis während der Vertragslaufzeit eingetreten war. Mit anderen Worten machten die Klauseln den Versicherungsschutz von der Geltendmachung des Anspruchs während der Vertragslaufzeit abhängig.468 Die Cour de cassation begründete die Unwirksamkeit der Klauseln damit, dass die notwendige Gegenleistung für die Prämienzahlungen während der Vertrags­ laufzeit in der Versicherungsleistung für Schäden liege, die in diesem Zeitraum entstanden sind. Eine „clause réclamation de la victime“ bringe den Versiche­ rungsnehmer daher um die Vorteile aus dem Versicherungsvertrag aufgrund ­eines Umstandes, der ihm nicht zuzurechnen sei, schaffe auf diese Weise einen rechtswidrigen Vorteil zugunsten des Versicherers und entziehe dadurch den Prä­ mienzahlungen des Versicherungsnehmers die cause nach Art.  1131 C. civ. a. F.469 Die Aufhebung solcher Klauseln entsprach seither der gängigen Rechtsprechung der Cour de cassation, soweit sie nicht kraft gesetzlicher Anordnung für wirksam erklärt wurden.470 In einem Urteil vom 02.02.2017 präzisierte die Cour de cassa­ 467  Capitant/Terré/Lequette/Chénedé, Les grands arrêts, S.  117; Serinet/Yves-Marie, JCP G 2016, 591. 468  Serinet/Yves-Marie, JCP G 2016, 591. 469  Cass. civ. 1re, Urt. vom 19.12.1990 – 88-12.863 = Bulletin civil I, Nr.  303, S.  212 = JCP G 1991, II, 21656, Anm. Bigot = RDI 1991, 78, Anm. Leguay/Dubois = RTD civ. 1991, 325, Anm. Mestre („le versement des primes pour la période qui se situe entre la prise d’effet du contrat d’assurance et son expiration a pour contrepartie nécessaire la garantie des dommages qui trouvent leur origine dans un fait qui s’est produit pendant cette période; que la stipulation de la police selon laquelle le dommage n’est garanti que si la réclamation de la victime, en tout état de cause nécessaire à la mise en œuvre de l’assurance de responsabilité, a été formulée au cours de la période de validité du contrat, aboutit à priver l’assuré du bénéfice de l’assurance en raison d’un fait qui ne lui est pas imputable et à créer un avantage illicite comme dépourvu de cause au profit du seul assureur qui aurait alors perçu des primes sans contrepartie; que cette stipulation doit en conséquence être réputée non écrite“). 470  Cass. civ. 1re, Urt. vom 28.04.1993 – 90-17.727, 91-16.294 = Bulletin civil I, Nr.  148, S.  149 = D. 1993, 519 = RDI 1993, 395, Anm. Dubois; Cass. civ. 1re, Urt. vom 09.05.1994 – 9212.990 = Bulletin civil I, Nr.  168, S.  124 = D. 1994, 135; Cass. civ. 1re, Urt. vom 16.12.1997 – 94-17.061, 94-20.060 = Bulletin civil I, Nr.  370, S.  250 = D. 1998, 287, Anm. Lambert-Faivre = JCP G 1998, II, 10018, Anm. Sargos; Cass. civ. 1re, Urt. vom 02.06.2004 – 01-17.354, 0117.823 = Bulletin civil I, Nr.  155, S.  129 = RGDA 2004, 1025, Anm. Bigot = RDC 2004, 927, Anm. Mazeaud = Gaz. Pal. 22.07.2004, Nr.  204, S.  13, Anm. Brenner; Cass. com., Urt. vom 14.12.2010 – 08-21.606, 10-10.738 = Bulletin civil IV, Nr.  200; Cass. civ. 3e, Urt. vom 26.11.2015 – 14-25.761 = D. 2016, 458, Anm. Boffa = D. 2016, 566, Anm. Mekki = RDI 2016, 42, Anm. Roussel = RDI 2016, 282, Anm. Périnet-Marquet; Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck,

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tion die Anforderungen an die Aufhebung solcher Klauseln. In einem Fall, dem eine Mietausfallversicherung zugrunde lag, stellte sie klar, dass der Prämienzah­ lungspflicht des Versicherungsnehmers nicht zwangsläufig die Verpflichtung des Versicherers zur Erstattung der während der Versicherungslaufzeit entstandenen Mietausfälle gegenüberstehen muss. Vielmehr genügt es auch, wenn sich der Versicherer ab dem Zeitpunkt der Kündigung lediglich dazu verpflichtet, die Pro­ zesskosten der Versicherungsnehmer in ihren Verfahren gegen die Mieter zu tra­ gen sowie die Durchführung der Folgemaßnahmen zu gewährleisten.471 Damit bestätigte die Cour de cassation, dass die Ermittlung einer nach Art.  1131 Var.  1 C. civ. a. F. zulässigen Gegenleistungspflicht keine Verhältnismäßigkeit zwischen den beiderseitigen Vertragspflichten voraussetzt, sondern die Einräumung eines auch nur geringfügigen Vorteils den Anforderungen der Norm genügt. Das heißt, es ist nicht erforderlich, dass die Prämienzahlungspflicht des Versicherten durch eine äquivalente Versicherungsleistung kompensiert wird. Vielmehr genügt es, wenn dem prämienzahlenden Versicherten überhaupt eine korrespondierende Leistung zugebilligt wird. (3)  Ausdehnung der klauselspezifischen Wirksamkeitskontrolle auf die Wertstellungsklauseln der Banken Jener Rechtsgedanke wurde durch ein Urteil der Cour de cassation vom 06.04.1993 auf Wertstellungsklauseln der Banken („clauses de dates de valeur“) übertragen.472 Solche Klauseln gestatten dem Kreditinstitut, Zahlungseingänge erst nach Ausführung des Zahlungsauftrags auf dem Konto des Bankkunden gut­ zuschreiben und Lastschriften bereits im Vorfeld zu verbuchen. Dadurch kann für den Kunden eine Verpflichtung zur Zahlung von Sollzinsen entstehen, sofern durch die Verlagerung des Verrechnungszeitpunkts ein fiktives Debet entsteht. Die Cour de cassation erklärte die Klauseln mit der Begründung für unwirksam, Droit des obligations, Rn.  605. Der Gesetzgeber erklärte diese Klauseln im Bereich der medi­ zinischen Haftung durch ein Gesetz vom 30.12.2002 in Art. L. 251-2 C. ass. sowie auf dem Gebiet der Berufshaftpflichtversicherung durch ein Gesetz vom 01.08.2003 in Art. L. 124-5 Abs.  1 C. ass. für wirksam; vgl. zum Recht der Berufshaftpflichtversicherungen Mayaux, RGDA 2003, 647. 471  Cass. civ. 2e, Urt. vom 02.02.2017 – 16-10.165 = AJC 2017, 178 = Gaz. Pal. 18.04.2017, Nr.  15, S.  35, Anm. Houtcieff = Gaz. Pal. 09.05.2017, Nr.  18, S.  84, Anm. Noguéro („l’obliga­ tion faite aux assurés de payer les primes avait pour contrepartie l’obligation faite à l’assureur d’indemniser les assurés des pertes locatives subies antérieurement à la résiliation du contrat ainsi que, postérieurement à celle-ci, de prendre en charge la totalité des frais de procédure et d’assurer le suivi de la procédure jusqu’à son terme lorsque les conditions du contrat sont rem­ plies“). 472 Vgl. Capitant/Terré/Lequette/Chénedé, Les grands arrêts, Urt.-Nr.  157, Rn.  5 (S.  108); Boujeka, D. 2004, 2288; Mouly, RDBB 1994, 227.

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dass der Verpflichtung der Kunden zur Zahlung von Sollzinsen aufgrund der Ver­ lagerung des Verrechnungszeitpunkts nach Maßgabe der Wertstellungsklausel teilweise der cause nach Art.  1131 Abs.  1 C. civ. a. F. entbehrt.473 (4)  Kritische Würdigung und Zwischenergebnis Die soeben geschilderte Rechtsprechung zum Versicherungs- und Bankrecht wurde im Schrifttum lediglich marginal beachtet, obwohl der Wortlaut des von der Rechtsprechung herangezogenen Art.  1131 Abs.  1 C. civ. a. F. die Aufhebung einzelner Klausen nicht vorsieht. Vielmehr ordnet die Norm i. V. m. Art.  1108 C. civ. a. F., wonach es sich bei der cause um eine Wirksamkeitsvoraussetzung des Vertrages handelt, die Nichtigkeit des gesamten Vertrages an.474 Damit wäre den betroffenen Versicherungsnehmern und Bankkunden, die jeweils auf den Versicherungsvertrag bzw. ihr Bankkonto angewiesen waren, allerdings keines­ wegs geholfen gewesen, weswegen die Cour de cassation die Nichtigkeitsfolge auf die missbräuchlichen Klauseln beschränkte.475 Während also eine am Maß­ stab des Art.  1131 Abs.  1 C. civ. a. F. unzureichende Gegenleistungspflicht die Unwirksamkeit des gesamten Vertrages nach sich zog, sah die Rechtsprechung bei Vorliegen einer vertragspflichtneutralisierenden Klausel, die bei wertender Betrachtung die gleichen Wirkungen entfaltet wie eine von vornherein unzurei­ chende Gegenleistungspflicht, wider Erwarten nicht die Unwirksamkeit des ge­ samten Vertrages, sondern lediglich der betreffenden Klausel vor. Die schwache Resonanz im Schrifttum lässt sich damit begründen, dass diese Urteile jedenfalls in der Beurteilung der Tatbestandsvoraussetzungen des Art.  1131 Var.  1 C. civ mit der klassischen Lehre übereinstimmten, wonach die cause der jeweiligen Gegenleistungspflicht entspricht, und dadurch mit allen Konzepten zur cause in Einklang gebracht werden konnten. (5)  Das Chronopost-Urteil Dies sollte sich mit dem sogenannten Chronopost-Urteil vom 22.10.1996 än­ dern, als die Heranziehung des Art.  1131 Abs.  1 C. civ. a. F. als Klauselkontrollin­ 473  Cass. com., Urt. vom 06.04.1993 – 90-21.198 = Bulletin civil IV, Nr.  138, S.  94 = D. 1993, 310, Anm. Gavalda = JCP 1993, II, 22062, Anm. Stoufflet = RTD com. 1993, 549, Anm. Teyssié/Cabrillac = RJ com. 1994, 259, Anm. Grua; ebenso bspw. Cass. com., Urt. vom 06.03.2007 – 05-21.152 („[la] perception d’intérêt partiellement dépourvue de cause ouvr[e], de ce seul fait, droit à restitution“); Cass. com., Urt. vom 31.05.2011 – 10-18.599. Diese Recht­ sprechung verlor ihre praktische Relevanz, als der Gesetzgeber den Wertstellungszeitpunkt mit der gesetzesvertretenden Verordnung Nr.  2009-866 vom 15..07.2009 sowie dem Gesetz Nr.  2009-1255 vom 19.10.2009 in Artt. L. 131-1-1 und 133-14 C. mon. fin. regelte. 474  Bien/Borghetti/Witz, Die Reform, S.  128. 475 Vgl. Rochfeld, in: Répertoire de droit civil, Rn.  128.

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strument mit dem versubjektivierten Verständnis der cause objective kombiniert wurde. Ergänzend kam hinzu, dass die Cour de cassation mit dem Chronopost-Urteil die bis dahin geltende grundsätzliche Wirksamkeit von Haftungs­ klauseln in bemerkenswerter Weise eingrenzte.476 Dem Urteil lag der nachfolgende Sachverhalt zugrunde: Die Gesellschaft Banchereau betraute die auf den Schnelltransport speziali­ sierte Gesellschaft Chronopost mit der Versendung zweier Briefe nach Paris. Letztere versicherte in ihren Werbeaussagen sowie den Hinweisen auf ihren Um­ schlägen gegen Zahlung eines Preisaufschlags den Eingang der Briefe beim Empfänger am Morgen des Folgetages der Absendung. Die Briefe der Gesell­ schaft Banchereau, die Angebote für die Teilnahme an Versteigerungen enthiel­ ten, gingen dem Empfänger entgegen dem Versprechen des Transportunterneh­ mens erst am übernächsten Tag und damit nicht mehr fristwahrend ein.477 Dar­ aufhin machte die Gesellschaft Banchereau die Erstattung ihres aus der gescheiterten Teilnahme an den Versteigerungen entstandenen Schadens geltend. Die Transportgesellschaft verweigerte die Zahlung unter Berufung auf eine Klausel in ihren AGB, wonach sie ihre Vertragspflicht darauf begrenzt hatte, „mit allen Kräften auf die fristgemäße Versendung hinzuwirken“ („s’engage à déplo­ yer tous ses efforts pour livrer ses clients dans les délais“) und „bei Nichteinhal­ tung der Transportfristen lediglich den Versandpreis [in Höhe von 122 Francs] zu erstatten“ („le non-respect des délais de transport ne l’engage qu’à rembourser le prix du transport“).478 Die Cour de cassation erklärte die haftungsbeschränkende Klausel in den AGB des Transportunternehmens unter Verweis auf Art.  1131 C. civ. a. F. für un­ wirksam. In der Begründung hob sie zunächst hervor, dass es sich um ein auf den Schnelltransport spezialisiertes Unternehmen handelt, welches die Zuverlässig­ keit und die Schnelligkeit der angebotenen Dienstleistung garantiert. Vor diesem Hintergrund bestand gegenüber dem Kunden die Verpflichtung, die anvertrauten Briefe innerhalb der bestimmten Frist auszuliefern. Aufgrund der Verletzung ei­ ner wesentlichen Vertragspflicht war die haftungsbeschränkende Klausel, die der Tragweite der eingegangenen Verpflichtung widersprach, als nicht geschrieben anzusehen.479 Bernard, Dr. et patr. 2016, Nr.  256, S.  26, 27 f. Capitant/Terré/Lequette/Chénedé, Les grands arrêts, S.  105; Wicker, in: La réforme du droit des obligations, S.  107, 129. 478  Capitant/Terré/Lequette/Chénedé, Les grands arrêts, S.  105. 479  Cass. com., Urt. vom 22.10.1996 – 93-18.632 = Bulletin civil IV, Nr.  261, S.  223 = D. 1997, 175, Anm. Delebecque = JCP G 1997, I, 4002, Anm. Fabre-Magnan = JCP G 1997, I, 4025, Anm. Viney = JCP G 1997, II, 22881, Anm. Cohen = RTD civ. 1997, 418, Anm. Mestre = RTD civ. 1998, 213, Anm. Molfessis = RTD com. 1997, 319, Anm. Bouloc („spécia­ 476  477 

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(6)  Bestätigung der Versubjektivierung der cause de l’obligation Damit wurde die cause der Entgeltzahlungspflicht des Kunden i. S. d. Art.  1131 Var.  1 C. civ. a. F. ebenso wie bei dem etwa vier Monate zuvor ergangenen Video­ verleih-Urteil auf die subjektive Sphäre verlagert, indem sie nicht bloß mit der Verpflichtung zum Transport, sondern vielmehr mit dem Interesse des Kunden an einer pünktlichen Lieferung gleichgesetzt wurde. Ein solches Vorgehen war in der oben geschilderten Rechtsprechung der Cour de cassation zum Versiche­ rungs- und Bankrecht nicht erforderlich, da die „clauses réclamation de la vic­ time“ sowie die „clauses date de valeur“ die Versicherung bzw. die Bank unmit­ telbar von ihrer (abstrakten) Leistungspflicht befreiten. Die Klauseln bewirkten, dass die Prämienzahlungspflicht des Versicherungskunden bzw. die Zinszah­ lungspflicht des Bankkunden nicht durch eine Gegenleistungspflicht der Versi­ cherung bzw. des Kreditinstituts kompensiert wurde. Demgegenüber zeichnete sich der Sachverhalt des Videoverleih-Urteils sowie des Chronopost-Urteils da­ durch aus, dass sich zwei äquivalente Leistungspflichten gegenüberstanden. So stand im Videoverleih-Urteil der Mietzahlungspflicht des Ehepaars ein Anspruch gegen das Unternehmen auf Überlassung der Videokassetten gegenüber. Im Chronopost-Urteil verpflichtete sich die Transportgesellschaft ausweislich ihrer AGB hinsichtlich der Übermittlung der Briefe zur Herbeiführung eines Erfolges und hinsichtlich der Pünktlichkeit der Dienstleistung lediglich dazu, „mit allen Kräften auf die fristgemäße Versendung hinzuwirken“. In beiden Fällen war die Vertrags- oder Klauselnichtigkeit nach Art.  1131 C. civ. a. F. daher unter Zugrundelegung der klassischen Konzeption der cause, die sich in der Gegenüberstellung der beiderseitigen Leistungspflichten er­ schöpft, ausgeschlossen.480 Das Ergebnis ließ sich lediglich anhand einer Ver­ subjek­tivie­rung des Kontrollgegenstandes durch Berücksichtigung der Parteiin­ teressen umkehren.481 Indem die Cour de cassation im Videoverleih-Urteil dem Interesse des Ehepaars am rentablen Betrieb einer Videothek sowie im Chronopost-Urteil dem Interesse des Kunden an einer pünktlichen Lieferung Rechnung

liste du transport rapide garantissant la fiabilité et la célérité de son service, la société Chrono­ post s’était engagée à livrer les plis de la société Banchereau dans un délai déterminé, et qu’en raison du manquement à cette obligation essentielle la clause limitative de responsabilité du contrat, qui contredisait la portée de l’engagement pris, devait être réputée non écrite“). 480  Capitant/Terré/Lequette/Chénedé, Les grands arrêts, S.  110; Fabre-Magnan, Droit des obligations, Nr.  414 (S.  450); Larroumet, D. 1997, 145, Rn.  2. 481  Mazeaud, RTD com. 1998, 95, 109 („la Cour de cassation a osé sortir la notion de cause du ghetto dans lequel la doctrine se complaît à la confiner et lui faire jouer autre chose que le ‚role insignifiant (dénué) de toute utilité‘ qui lui est traditionnellement confié“).

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trug, ersetzte sie die abstrakte Gegenüberstellung der Leistungspflichten durch eine konkrete Berücksichtigung der persönlichen Motive.482 In diesem Sinne war für die Cour de cassation im Videoverleih-Urteil nicht das Vorliegen einer Gegenleistung für die Verpflichtung zur Entrichtung der Mie­ te, sondern vielmehr die Wirtschaftlichkeit des geplanten Vorhabens entschei­ dend. Im Ergebnis wurde der Vertrag für nichtig erklärt, weil das Ehepaar am Abschluss eines Vertrages, der der Verwirklichung eines unrentablen Vorhabens diente, kein Interesse haben konnten. Im Chronopost-Urteil ergab sich die Nich­ tigkeit der haftungsbeschränkenden Klausel dagegen daraus, dass sie dem Trans­ portunternehmen den Anreiz an der ordnungsgemäßen Erbringung der angeprie­ senen Transportleistung nahm und damit dem berechtigten Interesse des Kunden an der pünktlichen Lieferung die Grundlage entzog. (7)  Rechtsgeschichtliche Einordnung Der Rechtsgedanke, dem zufolge bestimmte Vertragspflichten weder abbedun­ gen noch durch umfassende Haftungs- und Gewährleistungsausschlüsse unter­ graben werden dürfen, ist dem französischen Recht keineswegs neu.483 Unklar war seit jeher allerdings die rechtliche Einordnung dieses Grundsatzes. So entschied die Cour de cassation bereits mit einem Urteil vom 19.01.1863 ohne tiefergehende Begründung, dass „ein Vertrag nicht rechtmäßig existieren kann, wenn er der Vertragspflichten entbehrt, die sein Wesen ausmachen und aus dem Vertrag kein Rechtsverhältnis erwächst, das die Vertragspartner zwingt, jene zu erfüllen“.484

Dem Urteil lag eine Klausel zugrunde, wonach der Mieter für die Dauer des Mietverhältnisses auf die Geltendmachung jeglicher Schadensersatzansprüche gegenüber dem Vermieter verzichtete. Die Cour de cassation stellte fest, dass eine solche Klausel den Vermieter von jeglicher Verpflichtung befreie und sich deswegen in einem offenkundigen Widerspruch zu den wesentlichen Regeln des Mietvertrages befinde.485 Etwa ein Jahrhundert später bestätigte die Cour de cassation, dass der Vermie­ ter seine Gewährleistungspflichten nicht vollständig ausschließen darf. Im Un­ Capitant/Terré/Lequette/Chénedé, Les grands arrêts, S.  112; Mazeaud, in: Les clauses abusives entre professionnels, S.  33, 45. 483 Vgl. Durand, Des Conventions d’irresponsabilité, Rn.  85 („minimum contractuel intan­ gible“). 484  Cass. req., Urt. vom 19.01.1863 = D. P. 1863, I, 248 („un contrat ne peut légalement exister s’il ne renferme les obligations qui sont de son essence et s’il n’en résulte un lien de droit pour contraindre les contractants à les exécuter“). 485  Capitant/Terré/Lequette/Chénedé, Les grands arrêts, S.  108. 482 

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terschied zum Urteil aus dem 19. Jahrhundert führte sie jedoch zur Begründung dieses Grundsatzes das Rechtsinstitut der cause ins Feld.486 Ohne Rückgriff auf die cause, sondern in Anwendung des Art.  1719 C. civ. über die typischen Vertragspflichten des Vermieters, entschied die Cour de cassa­ tion, dass sich der Vermieter bzw. der Leasinggeber nicht von seiner Verpflich­ tung zur Überlassung der Mietsache befreien darf.487 Schließlich wurde dem Betreiber einer Tiefgarage die Geltendmachung einer Haftungsklausel gegenüber seinen Kunden verwehrt, weil ihm wegen der Verlet­ zung seiner als wesentlich zu qualifizierenden verschuldensunabhängigen Schutzpflicht eine schwere Verfehlung („faute lourde“) vorzuwerfen war.488 (8)  Die Entwicklung der Rechtsprechung nach dem Chronopost-Urteil 489 (a) Problemstellung Vor diesem Hintergrund lag die Besonderheit des Chronopost-Urteils in der Ver­ schmelzung dreier bedeutender Entwicklungen in der Rechtsprechung der Cour de cassation. Es handelt sich hierbei um die oben geschilderten Tendenzen der Rechtsprechung über die Versubjektivierung der cause einerseits sowie den Rückgriff auf die cause als Mittel zur Klauselkontrolle andererseits, die mit einer weiteren Strömung der Rechtsprechung verbunden wurden, die sich durch eine Verobjektivierung der Anforderungen an den Vorwurf der „faute lourde“, also der groben Fahrlässigkeit, auszeichnet. Damit war letztlich unklar, ob es für die Annahme der Wirkungslosigkeit einer Haftungsklausel allein auf ihre Unverein­ barkeit mit einer wesentlichen Vertragspflicht ankam („inhaltsbezogener Lö­ sungsansatz“) oder ob vielmehr gerade durch die Verletzung einer wesentlichen Vertragspflicht einer Haftungsklausel die Anwendung zu versagen war („verlet­ zungsspezifischer Lösungsansatz“).490 Mit anderen Worten ließ sich dem Chronopost-Urteil nicht mit Gewissheit entnehmen, ob der neue Kontrollmechanis­ mus ausschließlich auf der Ebene der Inhaltskontrolle zum Tragen kam oder ob darüber hinaus auch die Vertragsverletzung selbst zu beurteilen war. Die von der Cass. soc., Urt. vom 25.10.1946 – D. 1947, 88 = RTD civ. 1947, 65, Anm. Carbonnier = Gaz. Pal. 1946, 2, 259 = JCP 1947, II, 3400, Anm. Esmein. 487  Cass. civ. 1re, Urt. vom 11.10.1989 – 88-14439 = Bulletin civil I, Nr.  317, S.  211 = D. 1991, 225, Anm. Ancel; Cass. civ. 3e, Urt. vom 01.06.2005 – 04-12.200 = Bulletin civil III, Nr.  119, S.  109. 488  Cass. civ. 1re, Urt. vom 23.02.1994 – 92-11.378 = Bulletin civil I, Nr.  76, S.  59 = JCP G 1994, I, 3809, Anm. Viney = D. 1995, 214, Anm. Dion = CCC 1994, 82, Anm. Raymond = CCC 1994, 94, Anm. Leveneur = RTD civ. 1994, 616, Anm. Jourdain. 489 Vgl. Mazeaud, D. 2008, 1776, Rn.  3, der die auf das Chronopost-Urteil folgende Recht­ sprechung der Cour de cassation in drei „Jahreszeiten“ einteilt. 490  Rochfeld, in: Répertoire de droit civil, Rn.  68. 486 

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Cour de cassation zu bewältigende Aufgabe lag in der Folgezeit demgemäß dar­ in, den neuen Kontrollmechanismus eindeutig dem inhaltsbezogenen oder dem verletzungsspezifischen Lösungsansatz zuzuordnen. Zudem galt es bei Bestäti­ gung des inhaltsbezogenen Lösungsansatzes darüber aufzuklären, welcher Maß­ stab bei der Beurteilung anzulegen ist, ob eine Klausel eine wesentliche Vertrags­ pflicht dergestalt beschränkt, dass sie als nicht geschrieben geltend anzusehen ist. (b)  Der verletzungsspezifische Lösungsansatz (aa) Rechtsprechung Die Cour de cassation entschied sich zunächst für eine sehr starke Beschränkung der Vertragsfreiheit im unternehmerischen Geschäftsverkehr, indem sie dem ver­ letzungsspezifischen Lösungsansatz den Vorzug gewährte.491 So verschärfte sie die Klauselkontrolle ein Jahrzehnt nach dem Chronopost-Urteil anlässlich eines Falls, in dem erneut gegen jene Transportgesellschaft geklagt wurde.492 Sie wur­ de damit beauftragt, den Transport zweier Uhren nach Hong Kong zu organisie­ ren, die während der Beförderung verloren gingen. Die Cour de cassation hob das Urteil der CA Paris mit der Begründung auf, dass nicht untersucht wurde, ob die Haftungsbeschränkungsklausel in den AGB des Transportunternehmens we­ gen der Verletzung einer wesentlichen Vertragspflicht unwirksam ist.493 Besondere Aufmerksamkeit erhielt das erste Faurecia-Urteil desselben Jahres, auf das im Folgenden näher einzugehen ist. Dem Rechtsstreit lag der folgende Sachverhalt zugrunde: Der Automobilzulieferer Faurecia benötigte eine spezialisierte Software. Zu diesem Zweck schloss Faurecia mit dem Softwareunternehmen Oracle mehrere Verträge, die eine zwischen den Parteien ausbedungene Haftungshöchstgrenze vorsahen. Nachdem es dem Softwarehersteller nicht gelungen war, rechtzeitig das bestellte System zu entwickeln, verlangte der Automobilzulieferer die Auf­ hebung des Vertrages und die Erstattung des gesamten Schadens. Unter Beru­ Genicon, RDC 2008, 982, 983 f. Im Unterschied zum Sachverhalt des Urteils vom 22.10.1996 handelte die Gesellschaft Chronopost in desem Fall nicht als Frachtführerin, sondern als Spediteurin. 493  Cass. com., Urt. vom 30.05.2006 – 04-14.974 = Bulletin civil IV, Nr.  132, S.  134 = D. 2006, 1599, Anm. Delpech = D. 2006, 2288, Anm. Mazeaud = D. 2006, 2638, Anm. Amrani-Mekki/Fauvarque-Cosson = D. 2007, 111, Anm. Kenfack = RTD civ. 2006, 773, Anm. Jourdain = RTD com. 2007, 224, Anm. Bouloc = RDC 2006, 1075, Anm. Laithier Delebecque = RDC 2006, 1224, Anm. Carval; bestätigt in Cass. com., Urt. vom 05.06.2007 – 06-14.832 = Bulletin civil IV, Nr.  157 = D. 2007, 1720, Anm. Delpech = JCP G 2007, II, 10145, Anm. Houtcieff = Dr. et patr. 2007, Nr.  162, S.  95, Anm. Stoffel-Munck = RDC 2007, 1121, Anm. Mazeaud = RDC 2007, 1144, Anm. Carval = RTD civ. 2007, 567, Anm. Fages = RTD com. 2008, 174, Anm. Bouloc. 491  492 

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fung auf die haftungsbeschränkende Klausel verweigerte Oracle dies jedoch. Die Cour de cassation lehnte die Anwendbarkeit der Haftungsklausel mit der Begründung ab, dass der Softwarehersteller seiner Verpflichtung zur Lieferung der Software nicht nachgekommen war und damit eine wesentliche Vertrags­ pflicht verletzt hatte.494 (bb)  Rechtsdogmatische Einordnung und Bewertung Damit verlagerte die Chambre commerciale495 der Cour de cassation die mit dem Chronopost-Urteil entwickelte Klauselkontrolle auf die Ebene der Vertrags­ durchführung. Die Geltung einer Haftungsklausel richtete sich demnach nicht nach dem Maß ihrer inhaltlichen Beschränkung der wesentlichen Vertragspflicht, sondern nach der konkreten Vertragspflichtverletzung des Schuldners. Dies kann daraus abgeleitet werden, dass auf das Erfordernis des Widerspruchs der Klausel mit der eingegangenen Verpflichtung im Unterschied zum Chronopost-Urteil in keinem der betreffenden Urteile Bezug genommen wurde. Insbesondere war das Ausmaß der Haftungsbeschränkung für die Entscheidung von keiner Bedeutung. Vielmehr ließ die Cour de cassation bereits die Verletzung einer wesentlichen Vertragspflicht genügen, um die Anwendbarkeit der haftungsbeschränkenden Klausel auszuschließen. Im Umkehrschluss konnten haftungsbeschränkende Klauseln nur noch für die Verletzung unwesentlicher Vertragspflichten Geltung beanspruchen.496 Praktisch erklärte die Cour de cassation Haftungsklauseln da­ mit grundsätzlich für unwirksam. Dadurch konnte der zwischen den Parteien gewollten Risikoverteilung in keiner Weise Rechnung getragen werden, womit die Freiheit der Vertragsgestaltung des unternehmerischen Geschäftsverkehrs über Gebühr beschnitten wurde.497 Auch in rechtlicher Hinsicht sind die Urteile durchaus zu beanstanden.498 Die Neutralisierung einer Klausel aus Gründen, die 494  Cass. com., Urt. vom 13.02.2007 – 05-17.407 = Bulletin civil IV, Nr.  43 = D. 2007, 654, Anm. Delpech = D. 2007, 2975, Anm. Fauvarque-Cosson = JCP G 2007, I, 185, Nr.  10, Anm. Stoffel-Munck = JCP G 2007, II, 10063, Anm. Serinet = RDC 2007, 707, Anm. Mazeaud = RDC 2007, 746, Anm. Carval = Defrénois 2007, 1042, Anm. Libchaber Fages = RLDC 2007, Nr.  2511, Anm. Loiseau („la société Oracle s’était engagée à livrer la version V 12 du progiciel, objectif final des contrats passés en septembre 1999 et qu’elle n’avait exécuté cette obligation de livraison ni en 1999 ni plus tard sans justifier d’un cas de force majeure, puis relevé qu’il n’avait jamais été convenu d’un autre déploiement que celui de la version V 12, ce dont il résulte un manquement à une obligation essentielle de nature à faire échec à l’application de la clause limitative de réparation“). 495  Kammer der Cour de cassation, die sich mit handelsrechtlichen Fragestellungen ausein­ andersetzt. 496  Capitant/Terré/Lequette/Chénedé, Les grands arrêts, S.  115. 497  Mazeaud, D. 2008, 1776, Rn.  8. 498  Deshayes, RDC 2008, 1008, 1015; Houtcieff, RDC 2008, 1020, 1024.

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der Sphäre der Vertragsdurchführung zuzuordnen sind, kann nämlich nicht mehr auf Art.  1131 C. civ. a. F. gestützt werden, der unmissverständlich der Vertragsin­ haltskontrolle zuzuordnen ist.499 Ferner entsteht dadurch auch ein gesetzessyste­ matischer Widerspruch, da der Unternehmer über Art.  1131 C. civ. a. F. in den Genuss eines höheren Schutzniveaus kommt als der Verbraucher, der nach Art. L. 212-1 C.  con. das Vorliegen eines „erheblichen Ungleichgewichts“ („déséqui­ libre significatif“) nachzuweisen hat, um einer benachteiligenden Klausel die Bindungswirkung zu entziehen.500 (c)  Der inhaltsbezogene Lösungsansatz (aa)  Das EDF-Urteil Auf die harsche Kritik im Schrifttum sowie den Widerstand der Instanzgerichte leitete die Chambre commerciale der Cour de cassation noch im selben Jahr die Wende ihrer Rechtsprechung ein.501 Nach dem der Entscheidung zugrundelie­ genden Sachverhalt schloss eine Müllverbrennungsgesellschaft mit der französi­ schen Elektrizitätsgesellschaft EDF einen Stromlieferungsvertrag, in dem die Haftung für die unerwartete Unterbrechung der Stromzufuhr begrenzt wurde, sofern der Stromgesellschaft keine grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen werden konnte. Nachdem infolge eines solchen Stromausfalls diverse Gerätschaften der Müllverbrennungsanlage zerstört wurden, verlangte die Stromkundin unter Be­ rufung auf die Unwirksamkeit der Haftungsklausel des Energieversorgers die Erstattung des gesamten entstandenen Schadens. Die Cour de cassation bestätig­ te in ihrer Entscheidung die Vorinstanz, die die Klausel für anwendbar erklärt hatte. Die Wirksamkeit der haftungsbeschränkenden Klausel wurde damit be­ gründet, dass sie lediglich die unerwartete Unterbrechung der Stromzufuhr er­ fasst und vor diesem Hintergrund der wesentlichen Vertragspflicht der EDF, die in der Energieversorgung liegt, nicht die Substanz entzieht und die Klausel dem­ entsprechend nicht im Widerspruch zur eingegangenen Verpflichtung steht.502 Mazeaud, D. 2008, 1776, Rn.  9. Mazeaud, D. 2008, 1776, Rn.  10. 501  Viney/Jourdain/Carval, Les effets de la responsabilité, Rn.  343; Mazeaud, D. 2008, 1776, Rn.  12. 502  Cass. com., Urt. vom 18.12.2007 – 04-16.069 = Bulletin civil IV, Nr.  265 = D. 2008, 154, Anm. Delpech = JCP G 2008, I, 125, Nr.  14, Anm. Stoffel-Munck = RDC 2008, 262, Anm. Genicon = RDC 2008, 287, Anm. Viney („la clause litigieuse limitait l’indemnisation pour la seule coupure inopinée de courant, sauf en cas de faute lourde du fournisseur, la cour d’appel a pu retenir que cette stipulation n’avait pas pour effet de vider de toute substance l’obligation essentielle de fourniture d’électricité, caractérisant ainsi l’absence de contrariété entre ladite clause et la portée de l’engagement souscrit“). 499  500 

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Im Ergebnis kehrte die Cour de cassation mit dem besagten Urteil auf ihren im Chronopost-Urteil vertretenen Standpunkt mit der Maßgabe zurück, dass auf das Erfordernis der Verletzung einer wesentlichen Vertragspflicht verzichtet wurde und der Untersuchungsgegenstand auf den Vertragsinhalt gerichtet wurde. Das heißt, die Cour de cassation verzichtete bei ihrer Beurteilung auf Aspekte der Vertragsdurchführung und konzentrierte die Untersuchung entsprechend dem versubjektivierten Verständnis von der cause de l’obligation nach Art.  1131 C. civ. a. F. auf das Interesse beider Vertragsparteien an der Vertragserfüllung. Dabei stellte die Cour de cassation fest, dass die Klausel zwar die Haftung für die Verletzung einer wesentlichen Vertragspflicht beschränkte, jedoch aufgrund ihrer Begrenzung auf unvorhersehbare Unterbrechungen der Stromzufuhr nicht geeig­ net war, das Interesse, also den Anreiz der Elektrizitätsgesellschaft an der Erbrin­ gung der ihr obliegenden, vertraglich geschuldeten Leistung auszuhöhlen.503 Mit der Entscheidung wurde der Vertragsfreiheit im unternehmerischen Geschäfts­ verkehr wieder ein höheres Gewicht beigemessen.504 (bb)  Das Wartungsvertrags-Urteil In der Folgezeit bestätigte die Cour de cassation ihre Rechtsprechungsumkehr in zahlreichen Entscheidungen, deren Darstellung für das Verständnis von den An­ forderungen an die Wirksamkeit von Haftungsklauseln unentbehrlich ist. So hob die Cour de cassation am 04.03.2008 ein Urteil der CA Paris, die eine summenmäßige Haftungsbeschränkung in einem Wartungsvertrag für wirksam erklärt hatte, mit der Begründung auf, dass nicht hinreichend festgestellt wurde, inwieweit die Beschränkung der Haftung auf den Betrag des vereinbarten Ent­ gelts nicht geeignet war, der Bedeutung der Vertragspflicht zu widersprechen.505 (cc)  Das Restaurant-Urteil Ebenso erklärte die Cour de cassation im Jahr 2009 eine haftungsausschließende Klausel in einem Vertrag für unwirksam, der die Übertragung eines Restaurant­ betriebs zum Gegenstand hatte. Die Käufer erfuhren kurz nach Abschluss des Kaufvertrages, dass dem Betrieb des Gewerbes aus Sicherheitsgründen keine Genehmigung erteilt werden konnte und die Terrasse nicht der Baugenehmigung entsprach. Auf die Klage der Käufer gegen die Verkäuferin auf Vertragsaufhe­ bung und Schadensersatz berief sich die Verkäuferin auf den Haftungsausschluss. Die Cour de cassation begründete die Unwirksamkeit jener Klausel damit, dass Mazeaud, D. 2008, 1776, Rn.  15. Mazeaud, D. 2008, 1776, Rn.  14. 505  Cass. com., Urt. vom 04.03.2008 – 06-18.893; Genicon, RDC 2008, 982, 985 f. 503  504 

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die wesentliche Vertragspflicht der Verkäuferin in der Übertragung eines Restau­ rants mit Betriebsgenehmigung lag und dementsprechend die haftungsausschlie­ ßende Klausel der Bedeutung der eingegangenen Vertragspflicht widersprach.506 (dd)  Das Faurecia-Urteil der CA Paris Die CA Paris, an die der Rechtsstreit in der Sache Faurecia zurückverwiesen wurde, schloss sich in ihrem Urteil vom 26.11.2008 der neuen Rechtsprechungs­ linie an.507 Sie widersetzte sich dem Urteil der Cour de cassation vom 13.02.2007, wonach bereits die Verletzung einer wesentlichen Vertragspflicht genügte, um einer Haftungsklausel die Anwendbarkeit zu versagen. Anknüpfend an die Argu­ mentation im EDF-Urteil verlagerte die CA Paris den Gegenstand der Untersu­ chung auf den Vertragsinhalt. Konsequenterweise ließ sie die konkrete Verlet­ zung der wesentlichen Vertragspflicht, also Elemente der Vertragsdurchführung, bei der Bewertung außer Betracht. Die CA Paris führte zur Begründung aus, dass die haftungsbeschränkende Klausel, die von der global agierenden und ge­ schäftserfahrenen Gesellschaft Faurecia frei verhandelt wurde, das Softwareun­ ternehmen nicht von vornherein von der Haftung für die Verletzung einer we­ sentlichen Vertragspflicht befreie. Sie diene lediglich dem Zweck, einen ange­ messenen Haftungshöchstbetrag zu bestimmen und sei Ausdruck der zwischen den Parteien gewollten Risikoverteilung, zumal der Softwarehersteller im Ge­ genzug einen Preisnachlass in Höhe von 49  % gewährt hatte. Der Gesamtheit dieser Umstände sei daher zu entnehmen, dass die haftungsbeschränkende Klau­ sel im konkreten Fall der Gesellschaft Faurecia nicht jegliche Gegenleistung bzw. die Substanz der wesentlichen Vertragspflicht der Gesellschaft Oracle ent­ ziehe.508 In Ergänzung zum Chronopost-, EDF- sowie Restaurant-Urteil der

Cass. com., Urt. vom 09.06.2009 – 08-10.350 = RDC 2009, 1359, Anm. Mazeaud. Genicon, RDC 2009, 1010. 508  CA Paris, Urt. vom 28.11.2008 = JCP G 2009, I, 123, Nr.  11, Anm. Stoffel-Munck = RDC 2009, 1010, Anm. Genicon („la clause limitative de réparation, telle qu’elle a été librement négociée et acceptée par la société Faurecia, équipementier automobile au niveau mondial, rompu aux négociations et averti en matière de clauses limitatives de réparation, n’a pas pour effet de décharger par avance la société Oracle du manquement à une obligation essentielle lui incombant ou de vider de toute substance cette obligation, mais seulement de fixer un plafond d’indemnisation qui n’est pas dérisoire, puisque égal au montant du prix payé par le contrat au titre du contrat de licences; qu’en accord entre les parties, il a été expressément stipulé que les prix convenus reflétaient la répartition du risque et la limitation de responsabilité qui en résulte; que la société oracle avait consenti à une remise de 49  % à la société Faurecia […] qu’il résulte de l’ensemble de ces éléments qu’en l’espèce, la clause limitative de réparation ne prive pas la société Faurecia de toute contrepartie et n’a pas pour effet de vider de toute substance l’obliga­ tion essentielle incombant à la société Oracle“). 506  507 

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Cour de cassation berücksichtigte die CA Paris ergänzend die Verhandlungs­ macht der durch die Klausel benachteiligten Partei. (ee)  Das zweite Faurecia-Urteil der Cour de cassation Der gegen jenes Urteil erhobene pourvoi wurde von der Chambre commer­ ciale509 der Cour de cassation mit der Begründung zurückgewiesen, dass „allein diejenigen haftungsbeschränkenden Klauseln unwirksam sind, die der Bedeu­ tung der wesentlichen Vertragspflicht des Schuldners widersprechen“.510 Damit wandte sich die Cour de cassation endgültig von ihrem zuvor vertretenen, die Vertragsfreiheit des unternehmerischen Geschäftsverkehrs unbillig einschrän­ kenden Standpunkt ab.511 Sie bestätigte das Urteil der CA Paris in der Feststel­ lung, dass die haftungsbeschränkende Klausel der wesentlichen Vertragspflicht des Softwareherstellers nicht jede Substanz entzog und daher wirksam war. Dies ergab sich nach den Ausführungen der Cour de cassation daraus, dass die Höhe des von den Parteien ausgehandelten Entschädigungsbetrages nicht unverhält­ nismäßig niedrig war, sondern vielmehr der zwischen den Parteien gewollten Risikoverteilung entsprach, zumal der Softwarehersteller einem Preisnachlass in Höhe von 49  % zugestimmt hatte und dem Automobilzulieferer im Hinblick auf das zu entwickelnde Programm Ausschließlichkeits- sowie Vorzugsrechte einge­ räumt hatte.512 Ebenso wie die Vorinstanz und in Ergänzung zu den anfänglichen Urteilen zum inhaltsbezogenen Lösungsansatz berücksichtigt die Cour de cassation da­ mit, inwieweit die Partei, zu deren Gunsten die Haftungsklausel wirkt, in ande­ ren Punkten nachgegeben hat. Mit anderen Worten ist bei der Beurteilung der Auswirkungen der Haftungsklausel auf den Anreiz des Schuldners an der Erfül­ lung der ihm obliegenden Vertragspflicht zu untersuchen, inwieweit er dem Gläubiger Zugeständnisse gemacht hat.513 Dadurch nähert sich die Prüfung dem 509 

Der pourvoi war auf neue Gründe gestützt, weswegen nicht die Assemblée plénière der Cour de cassation nach Art. L. 431-6 COJ angerufen wurde. 510  Cass. com., Urt. vom 29.06.2010 – 09-11.841 = Bulletin civil IV, Nr.  115 = D. 2010, 1832, Anm. Mazeaud = JCP G 2010, Nr.  787, S.  1450, Anm. Houtcieff = JCP E 2010, Nr.  1790, S.  25, Anm. Stoffel-Munck = RDC 2010, 1220, Anm. Laithier = RDC 2010, 1253, Anm. Deshayes = RTD civ. 2010, 555, Anm. Fages („seule est réputée non écrite la clause limitative de réparation qui contredit la portée de l’obligation essentielle souscrite par le débiteur“). 511  Capitant/Terré/Lequette/Chénedé, Les grands arrêts, S.  115; Bérard, RB 2015, 83, 85; Bernard, Dr. et patr. 2016, Nr.  256, S.  26, 27 f.; Grimaldi, LPA 2016, Nr.  215, S.  6, 10 f. 512  Cass. com., Urt. vom 29.06.2010 – 09-11.841 = Bulletin civil IV, Nr.  115 = D. 2010, 1832, Anm. Mazeaud = JCP G 2010, Nr.  787, S.  1450, Anm. Houtcieff = JCP E 2010, Nr.  1790, S.  25, Anm. Stoffel-Munck = RDC 2010, 1220, Anm. Laithier = RDC 2010, 1253, Anm. Deshayes = RTD civ. 2010, 555, Anm. Fages. 513 Vgl. Bernard, Dr. et patr. 2016, Nr.  256, S.  26, 27 f.

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Maßstab des Art. L. 212-1 C.  con. über missbräuchliche Klauseln in Verbrau­ cherverträgen an.514 (ff)  Nach dem zweiten Faurecia-Urteil ergangene Rechtsprechung Mit zwei Urteilen aus dem Jahr 2013 sowie zwei Urteilen aus dem Jahr 2017 präzisierte und bestätigte die Cour de cassation den Prüfmaßstab. Der ersten Entscheidung lag der nachfolgende Sachverhalt zugrunde: Der Eigentümer eines Einkaufszentrums nahm vor dem Geschäftsraum seines Mieters Umstrukturierungsarbeiten vor. Entsprechend einer zwischen den Partei­ en getroffenen Vereinbarung erstattete der Vermieter seinem Mieter lediglich den aufgrund dieser Maßnahmen entgangenen Gewinn. Dem vom Mieter zusätzlich geltend gemachten Schadensersatzanspruch für die mit den Arbeiten einherge­ hende Belästigung sowie die Sachschäden hielt der Vermieter eine Klausel ent­ gegen, wonach der Mieter auf die Geltendmachung von Schadensersatzansprü­ chen gegen den Vermieter verzichtet hatte, soweit es sich um versicherbare Be­ einträchtigungen der vermieteten Räumlichkeiten handelt. Nachdem die Cour de cassation zunächst bestätigte, dass allein haftungsbe­ schränkende Klauseln, die der Bedeutung der wesentlichen Vertragspflicht wi­ dersprechen, unwirksam sind, stellte sie im konkreten Fall die Wirksamkeit der zu untersuchenden Klausel angesichts des klar umschriebenen Geltungsbereichs sowie der Versicherbarkeit der ausgeschlossenen Haftungstatbestände fest.515 Die Begründung, mit der die Cour de cassation die Klausel für wirksam erklärt, weist eine enge Verwandtschaft mit der Rechtfertigung des EDF-Urteils auf. Die Haftungsklauseln wurden für wirksam erachtet, weil durch ihren präzise um­ schriebenen Anwendungsbereich der Anreiz der begünstigten Vertragspartei, die ihr obliegende Vertragspflicht zu erfüllen, nicht hinreichend geschmälert wurde. Dem zweiten Urteil aus dem Jahr 2013 lag ein Speditionsvertrag zugrunde, bei dem die Waren erst nach der vertraglich vereinbarten Frist beim Empfänger ein­ gingen. Entgegen der Lösung des Chronopost-Urteils hob die Cour de cassation Chénedé, RDC 2012, 1017, 1033 f. Cass. civ. 3e, Urt. vom 23.05.2013 – 12-11.652 = D. 2013, 2142, Anm. Mazeaud („seule doit être réputée non écrite une clause limitative de réparation contredisant la portée d’une obligation essentielle du débiteur et […] la clause 17 du contrat de bail, prévoyant la renoncia­ tion par le preneur de tous recours en responsabilité contre le bailleur, ses filiales et leurs assu­ reurs, n’exonérait le bailleur que pour les seuls désordres affectant les lieux loués et pour les­ quels le preneur pouvait être couvert par une assurance, la cour d’appel a pu, sans dénaturation, déduire de ces seuls motifs que la société Pharmacie du Géant Casino ne pouvait prétendre à aucune indemnisation de la part de son bailleur pour les dommages résultant de l’exécution des travaux“); gleichsam inzident an dieser Definition festhaltend Cass. com., Urt. vom 03.12.2013 – 12-26.416. 514  515 

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das Urteil der Vorinstanz, das die haftungsbeschränkende Klausel in Anwendung der inzwischen etablierten Formulierung der Cour de cassation für unwirksam erklärt hatte, mit der Begründung auf, dass nicht untersucht wurde, inwieweit die Klausel, aufgrund derer die Haftung des Spediteurs auf die Höhe der Versand­ kosten beschränkt wurde, der Bedeutung der wesentlichen Vertragspflicht wider­ sprach.516 Mit der besagten Entscheidung rückte die Cour de cassation zwar nicht von ihrem Standpunkt aus dem Jahr 1996 ab, jedoch intensivierte sie die Anfor­ derungen an die Feststellung der Tatbestandsvoraussetzungen und stellte klar, dass die bloße Koppelung des Haftungshöchstbetrages an das zu entrichtende Entgelt nicht automatisch die Unwirksamkeit der Klausel nach sich zieht. Die im Jahr 2017 zu jener Problematik ergangenen Urteile betrafen jeweils zwei Verträge über die Lagerung pharmazeutischer Produkte. Nach dem Vertrag waren die Pharmaunternehmen verpflichtet, ihre eingelagerten Waren gegen jeg­ liche Beschädigungen zu versichern. Zudem verzichteten die Vertragsparteien wechselseitig auf die Geltendmachung von versicherten Schadensersatzansprü­ chen und verpflichteten sich, ihre Versicherungen zu veranlassen, auf die Gel­ tendmachung etwaiger Regressansprüche zu verzichten. Letztlich trugen die Versicherungen der Pharmaunternehmen das Risiko der Beschädigung des ein­ gelagerten Materials, während die Versicherung des Lagerhalters das – wenn auch unwahrscheinliche – Risiko der Beschädigung der Lagerhalle durch das eingelagerte Material tragen sollte. Nachdem infolge eines Lagerhausbrandes die Produkte der pharmazeutischen Distributionsunternehmen zerstört wurden, er­ hoben diese mit ihren Versicherern Klage gegen die Lagerhalterin auf Erstattung des jeweils entstandenen Schadens. Die Tatsacheninstanzen wiesen die Klagen unter Verweis auf die vertraglichen Vereinbarungen ab. Die Cour de cassation bestätigte die Urteile mit der Begrün­ dung, dass die streitgegenständlichen Klauseln nicht den zwingenden Charakter der wesentlichen Vertragspflicht der Schuldnerin neutralisieren, weil das Kräfte­ verhältnis zwischen den Vertragsparteien ausgeglichen war und die Klauseln in­ soweit lediglich die zwischen den Parteien gewollte Risikoverteilung zum Aus­ druck brachten.517 516  Cass. com., Urt. vom 03.12.2013 – 12-26.412 = RDC 2014, 176, Anm. Genicon („Atten­ du qu’en se déterminant ainsi, sans rechercher en quoi la clause litigieuse qui fixait à une somme égale au coût du transport le montant de l’indemnité en cas de retard dans la livraison, avait pour effet de contredire l’obligation pour le transporteur de respecter un strict délai, la cour d’appel a privé sa décision de base légale“). 517  Cass. com., Urt. vom 26.04.2017 – 15-23.239 = RTD civ. 2017, 851, Anm. Barbier = RDC 2017, 431, Anm. Knetsch = CCC 2017, Komm. Nr.  140, Anm. Leveneur („doit être décla­ rée non écrite la clause ayant pour effet de neutraliser le caractère contraignant de l’obligation essentielle résultant d’un contrat en dispensant le débiteur d’exécuter son obligation, l’arrêt relève que la clause litigieuse, inscrite dans le cadre de relations contractuelles habituelles et

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(9)  Zwischenergebnis Letztlich bevorzugte die Cour de cassation den inhaltsbezogenen Lösungsansatz, wonach Haftungsklauseln lediglich dann unwirksam sind, wenn sie der Bedeu­ tung der wesentlichen Vertragspflicht des Schuldners widersprechen. Dies ist anzunehmen, wenn die Klausel das Interesse des Schuldners an der ordnungsge­ mäßen Erfüllung seiner Vertragspflichten schlechthin aushöhlt. Bei der Beurtei­ lung dieser Frage sind der gesamte Vertragsinhalt, die Versicherbarkeit der auf den Klauselgegner übertragenen Haftungsrisiken, das Maß der beiderseitigen Verhandlungsmacht, der Umfang der Vertragsverhandlung sowie die wechselsei­ tigen Zugeständnisse umfassend zu würdigen. Von ausschlaggebender Bedeu­ tung ist damit die Frage, inwieweit die Klausel lediglich die zwischen den Partei­ en gewollte Risikoverteilung widerspiegelt. Dabei lässt sich den jüngeren Urtei­ len der Cour de cassation entnehmen, dass ausgehandelte Haftungsklauseln zwischen Unternehmern auf Augenhöhe grundsätzlich zulässig sind. cc)  Charakteristiken der Inhaltskontrolle nach Art.  1170 C. civ. (1)  Gesetzgeberische Positionierung und Rahmenbedingungen Bei der nunmehr in Art.  1170 C. civ. kodifizierten Unzulässigkeit von Klauseln, die der wesentlichen Vertragspflicht des Schuldners die Substanz entziehen, han­ delt es sich um eine deutliche Positionierung zugunsten des inhaltsbezogenen Lösungsansatzes, die eine Rückkehr der Rechtsprechung zu der als unbillig emp­ fundenen Beschränkung der Vertragsfreiheit durch den verletzungsspezifischen Lösungsansatz verhindern soll, wonach dem Schuldner die Berufung auf eine Haftungsklausel bereits im Falle der bloßen Verletzung einer als wesentlich zu qualifizierenden Vertragspflicht verwehrt wurde.518 In Erweiterung zur bisherigen Rechtslage nach der Chronopost-Rechtspre­ chung ist der Anwendungsbereich des Art.  1170 C. civ. indes nicht nur auf Haf­ tungsklauseln beschränkt, sondern gestattet dem Richter vielmehr eine Kontrolle équilibrées, a prévu une répartition entre les deux parties des risques encourus par les marchan­ dises; qu’ayant, ainsi, fait ressortir que la clause litigieuse ne vidait pas de toute substance l’obligation essentielle du contrat de stockage, la cour d’appel […] a retenu, à juste titre, que cette clause devait recevoir application“); Cass. com., Urt. vom 26.04.2017 – 15-23.245. 518  Rapport au Président de la République du 10 février 2016 („La codification de cette dernière solution, sur une question qui a donné lieu à de nombreux arrêts parfois inconciliables, permet de fixer clairement le droit positif sur le sort de ces clauses. Contrairement à ce qu’avaient pu retenir certaines décisions de la Cour de cassation, une clause limitative de res­ ponsabilité portant sur une obligation essentielle du débiteur ne sera pas nécessairement répu­ tée non écrite: elle n’est prohibée que si elle contredit la portée de l’engagement souscrit, en vidant de sa substance cette obligation essentielle“); Viney/Jourdain/Carval, Les effets de la responsabilité, Rn.  344; Le Gac-Pech, LPA 2016, Nr.  162, S.  7, 12.

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sämtlicher Vertragsklauseln.519 Zu klären sind im Folgenden die Identifikation der „wesentlichen Vertragspflichten“ sowie die Anforderungen, die an eine Klau­ sel zu stellen sind, damit diese eine „substanzentziehende“ Wirkung entfaltet. (2)  Qualifikationsmerkmale einer „wesentlichen Vertragspflicht“ Beginnend mit dem Kreis der tauglichen Vertragspflichten, die von der zu unter­ suchenden Klausel geschwächt werden, ergibt sich aus dem Wortlaut des Art.  1170 C. civ., dass sie als „wesentlich“ zu qualifizieren sein müssen. Die da­ mit erforderliche Abgrenzung der wesentlichen von den übrigen, unwesentlichen Vertragspflichten wird somit die erste Herausforderung bei der Anwendung des Art.  1170 C. civ. sein.520 Der Begriff der wesentlichen Vertragspflicht wird näm­ lich weder in der Rechtsprechung noch in der gesetzesvertretenden Verordnung näher definiert. Abhilfe bieten insoweit die oben geschilderten Urteile der Cour de cassation, aus denen sich ein wertvolles Abgrenzungskriterium gewinnen lässt. Danach zeichnet sich die wesentliche Vertragspflicht entscheidend dadurch aus, dass sie für die Erreichung des wirtschaftlichen Ziels des Vertrages unabdingbar ist, der Vertrag also mit ihr stehen oder fallen soll.521 Die unwesentliche bzw. akzessori­ sche Vertragspflicht ist dagegen diejenige, ohne die der Vertrag nach dem Partei­ willen noch fortbestehen könnte.522 Im Einzelnen handelt es sich bei Austauschverträgen wie dem Kaufvertrag oder dem Mietvertrag bei den Primärleistungspflichten zugleich um wesentliche Vertragspflichten. So ist die Verpflichtung des Verkäufers zur Verschaffung der Kaufsache sowie die Verpflichtung des Vermieters zur Überlassung der Mietsa­ che als wesentlich zu qualifizieren.523 Die Interessenlage der Vertragsparteien wird insoweit bereits aus dem gewählten Vertragstyp ersichtlich, womit eine tie­ fergehende subjektive Analyse der Parteiinteressen entbehrlich ist. Schwieriger gestaltet sich dagegen die Frage, ob es sich auch bei den entsprechenden Ge­ 519  Pietrancosta/Martel, Le droit des contrats réformé, S.  56; Renault-Brahinsky, Droit des obligations, S.  87; Renault-Brahinsky, Le nouveau droit des contrats, S.  26; Viney/Jourdain/ Carval, Les effets de la responsabilité, Rn.  344; Bernard, Dr. et patr. 2016, Nr.  256, S.  26, 28; Le Gac-Pech, LPA 2016, Nr.  162, S.  7, 12; Mekki/Darrois/Gauvain, JCP E 2016, Nr.  25-1373, S.  18, 23. 520  Bernard, Dr. et patr. 2016, Nr.  256, S.  26, 29; Ferrier, in: La réforme du droit des obli­ gations, S.  73, 83 f. 521  Rochfeld, in: Répertoire de droit civil, Rn.  64; Bernard, Dr. et patr. 2016, Nr.  256, S.  26, 29; Aubert de Vincelles, RDC 2008, 1034, 1035 f.; Deshayes, RDC 2008, 1008, 1015. Kritisch bzgl. der Anforderungen an die wesentliche Gegenleistung Genicon, RDC 2008, 982, 988 ff. 522  Rochfeld, in: Répertoire de droit civil, Rn.  64; Bernard, Dr. et patr. 2016, Nr.  256, S.  26, 29. 523  Rochfeld, in: Répertoire de droit civil, Rn.  64.

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währleistungsansprüchen jener Vertragstypen um wesentliche Vertragspflichten handelt. Insbesondere ist problematisch, ob auch die mangelfreie Verschaffung oder Überlassung des Kauf- oder Mietgegenstands als wesentliche Vertrags­ pflicht zu qualifizieren ist.524 Ferner können bei der Bestimmung der wesentli­ chen Vertragspflicht eines Vertrages mit gemischt dienst- und werkvertraglichen Elementen Abgrenzungsprobleme auftreten.525 In diesen Fällen bedarf es einer eingehenden Analyse der in die Vertragssphäre gehobenen Parteiinteressen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls.526 In diesem Sinne ergab sich im Chronopost-Urteil aus den Werbeäußerungen des Transportunternehmens, den Hinweisen auf den zu verwendenden Umschlä­ gen sowie den erhöhten Versandkosten, dass die wesentliche Vertragspflicht der Chronopost nicht in der bloßen Übermittlung der Briefe liegen konnte, sondern vielmehr die besondere Schnelligkeit des Transports als integraler Bestandteil der wesentlichen Vertragspflicht anzusehen war. Umgekehrt konnten im EDF-Urteil weder dem Stromlieferungsvertrag noch den begleitenden Umständen Anhaltspunkte entnommen werden, die für die An­ nahme der ununterbrochenen Stromversorgung als wesentliche Vertragspflicht gesprochen hätten. Insbesondere wurde eine solche Leistung weder in der Wer­ bung angepriesen noch durch ein erhöhtes Entgelt indiziert. Im Gegenteil ließ sich der Erwähnung eines unvorhergesehenen Stromausfalls in den AGB entneh­ men, dass sich die Elektrizitätsgesellschaft lediglich dazu verpflichtete, die Stromversorgung in den Grenzen des Möglichen zu gewährleisten. Schließlich konnte es sich im Restaurant-Urteil, bei der Gewährleistung der gewerberechtlichen Zulässigkeit des Restaurantbetriebs, nur um eine wesentli­ che Vertragspflicht handeln, weil nach den erkennbaren Interessen der Käufer das Lokal weiter betrieben werden sollte und dementsprechend der Vertrag mit dem Vorliegen der behördlichen Genehmigung stehen oder fallen sollte. Die Qualifikation einer Vertragspflicht als wesentlich deckt sich also nicht mit der Abgrenzung zwischen Haupt- und Nebenleistungspflichten527 oder auch zwi­ schen Primär- und Sekundärleistungspflichten. Entscheidend ist allein, ob der Vertrag mit der jeweiligen Vertragspflicht nach den erkennbaren Parteiinteressen 524 Vgl. Rochfeld, in: Répertoire de droit civil, Rn.  64; Sefton-Green, La notion d’obligation fondamentale, Rn.  525. 525  Aubert de Vincelles, RDC 2008, 1034, 1035 f. 526  Ancel, La prestation caractéristique du contrat, Rn.  288; Aubert de Vincelles, RDC 2008, 1034, 1035 f. 527  Vgl. zur Schutzpflicht des Betreibers einer Tiefgarage Cass. civ. 1re, Urt. vom 23.02.1994 – 92-11.378 = Bulletin civil I, Nr.  76, S.  59 = JCP G 1994, I, 3809, Anm. Viney = D. 1995, 214, Anm. Dion = CCC 1994, 82, Anm. Raymond = CCC 1994, 94, Anm. Leveneur = RTD civ. 1994, 616, Anm. Jourdain.

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unter Berücksichtigung des Vertragsinhalts sowie der den Vertrag begleitenden Umstände stehen und fallen soll. Damit enthält jeder synallagmatische Vertrag wenigstens zwei wesentliche Vertragspflichten.528 Denkbar sind aus diesem Grund auch Konstellationen, in denen der Vertrag ausschließlich wesentliche Vertragspflichten beinhaltet, womit die Abgrenzung zu den in jenem Fall inexis­ tenten unwesentlichen Vertragspflichten in terminologischer Hinsicht durchaus misslich ist.529 (3)  Anforderungen an die „substanzentziehende“ Wirkung einer Klausel Die Unwirksamkeit einer Klausel nach Art.  1170 C. civ. setzt weiterhin voraus, dass sie der wesentlichen Vertragspflicht „die Substanz entzieht“. Dies ist anzu­ nehmen, wenn sie eine wesentliche Vertragspflicht beseitigt530 oder wenn auf der Sekundärebene die dem Schuldner drohenden Sanktionen für die Verletzung ­einer wesentlichen Vertragspflicht dergestalt geschwächt werden, dass die be­ troffenen Vertragspflichten bei wertender Betrachtung ihren zwingenden Cha­ rakter einbüßen.531 Entscheidend ist im letzten Fall zu prüfen, ob der Schuldner durch die Klausel das Interesse, also den Anreiz an der ordnungsgemäßen Erfül­ lung der ihm obliegenden Vertragspflicht verliert.532 Dabei wird nach nahezu einhelliger Auffassung angenommen, dass jedenfalls einseitig geltende haftungsausschließende Klauseln unwirksam sind.533 Solche Klauseln zeichnen sich dadurch aus, dass sie die Haftung ausschließlich zulasten einer Vertragspartei ausschließen, während die andere Vertragspartei uneinge­ schränkt haften soll. Anders verhält es sich dagegen bei einseitig geltenden haf­ tungsbeschränkenden Klauseln. Dem EDF-Urteil sowie dem Urteil vom 23.05.2013, dem eine Haftungsklausel zwischen dem Betreiber eines Einkaufs­ zentrums und dem Mieter eines Ladengeschäfts zugrunde lag, kann entnommen werden, dass die konkrete Benennung der Vertragsverletzung oder des zu erstat­ tenden Schadenspostens grundsätzlich genügt, um die Substanz der wesentlichen Mignot, LPA 2016, Nr.  52, S.  7, 14. Vgl. zur Kritik an der gewählten Terminologie Delebecque, RDC 2015, 759. 530  Vgl. Cass. civ. 1re, Urt. vom 23.02.1994 – 92-11.378 = Bulletin civil I, Nr.  76, S.  59 = JCP G 1994, I, 3809, Anm. Viney = D. 1995, 214, Anm. Dion = CCC 1994, 82, Anm. Raymond = CCC 1994, 94, Anm. Leveneur = RTD civ. 1994, 616, Anm. Jourdain. 531  Le Gac-Pech, LPA 2016, Nr.  162, S.  7, 12 f.; Mazeaud, D. 2008, 1776, Rn.  16; Mignot, LPA 2016, Nr.  52, S.  7, 14; a. A. Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Droit des obligations, Rn.  602, der eine vollständige Beseitigung der Vertragspflicht fordert. 532  Capitant/Terré/Lequette/Chénedé, Les grands arrêts, S.  114. 533 Vgl. Genicon, RDC 2008, 982, 991 f.; Mazeaud, D. 2008, 1776, Rn.  16. Zu zweiseitigen haftungsausschließenden Klauseln, vgl. dagegen Cass. com., Urt. vom 26.04.2017 – 15-23.239 = RTD civ. 2017, 851, Anm. Barbier = RDC 2017, 431, Anm. Knetsch = CCC 2017, Komm. Nr.  140, Anm. Leveneur. 528  529 

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Vertragspflicht angemessen zu erhalten.534 Dies gilt im letzteren Fall insbesonde­ re dann, wenn der Schaden versicherbar ist.535 Schwieriger gestaltet sich die Rechtslage demgegenüber bei summenmäßigen Haftungsbeschränkungen. Diese sollen unzulässig sein, wenn die Höchstsumme „dérisoire“, also „lächerlich ge­ ring“ ist.536 Bei der Bestimmung jenes Kriteriums lässt sich der Rechtsprechung keine eindeutige Linie entnehmen. Unklar ist hier, ob sich die Beurteilung am Wert der Leistungen zu orientieren hat, insbesondere ob die Koppelung des Haf­ tungshöchstbetrages an das zu entrichtende Entgelt zulässig ist, ob sich der Maß­ stab nach dem potenziellen Schaden richtet oder gar andere, nicht quantifizierba­ re Kriterien wie die Verhandlungsposition der Vertragspartner als Bewertungs­ kriterium heranzuziehen sind.537 Wenn man berücksichtigt, dass die Cour de cassation im Chronopost- sowie dem Wartungsvertrags-Urteil von der grund­ sätzlichen Unzulässigkeit der Haftungsbeschränkung auf den Betrag des zu ent­ richtenden Entgelts auszugehen schien, in ihrem Urteil vom 03.12.2013, das ebenfalls die Haftungsklausel der Chronopost-Gesellschaft zum Gegenstand hat­ te, die grundsätzlichen Zulässigkeit einer solchen Haftungsbeschränkung an­ nahm und schließlich mit Urteil vom 04.02.2016 die Beschränkung der Haftung auf das doppelte Entgelt für unwirksam erklärte538, wird deutlich, dass die Cour de cassation jedenfalls den Vergleich des Haftungshöchstbetrages mit dem zu entrichtenden Entgelt nicht als maßgebliches Kriterium anerkennt. Fest steht indes, dass es nach dem zweiten Faurecia-Urteil der Cour de cassa­ tion möglich ist, sich eine bei isolierter Betrachtung unzureichende summenmä­ ßige Haftungsbeschränkung zu „erkaufen“.539 Die Cour de cassation stellte klar, Genicon, RDC 2008, 982, 987 f.; Mazeaud, D. 2008, 1776, Rn.  16. Vgl. Cass. civ. 3e, Urt. vom 23.05.2013 – 12-11.652 = D. 2013, 2142, Anm. Mazeaud. 536  Capitant/Terré/Lequette/Chénedé, Les grands arrêts, S.  114; Mazeaud, D. 2008, 1776, Rn.  16. 537  Capitant/Terré/Lequette/Chénedé, Les grands arrêts, S.  114; Genicon, RDC 2014, 176, 179; Laithier, RDC 2010, 1220, 1224. 538  Bemerkenswert war bei dieser Entscheidung, dass in personeller Hinsicht der Anwen­ dungsbereich des Verbraucherschutzrechts für eröffnet erklärt wurde, in sachlicher Hinsicht bei der Beurteilung der Wirksamkeit der Klausel indes die in der Chronopost-Rechtsprechung ent­ wickelten Kriterien herangezogen wurden, vgl. Cass. civ. 3e, Urt. vom 04.02.2016 – 14-29.347 = D. 2016, 639, Anm. Péglion-Zika = RDI 2016, 290, Anm. Boubli = RGDA 2016, 176, Anm. Dessuet = JCP E 2016, 35, Anm. Picod; Houtcieff, Gaz. Pal. 2016, 1140, 1141; Mazeaud, Gaz. Pal. 2016, Nr.  12, S.  20, Rn.  8; Péglion-Zika, D. 2016, 639, 643; Picod, JCP E 2016, Nr.  201300, S.  35 f.; Stoffel-Munck, in: Réforme du droit des contrats, S.  17, 26; Seube/Mousseron/ Grignon/Loir, JCP E 2016, Nr.  24-1363, S.  35. 539  Genicon, RDC 2014, 176, 179; Grimaldi, LPA 2016, Nr.  215, S.  6, 11; Laithier, RDC 2010, 1220, 1224; Mazeaud, D. 2013, 2142, Rn.  6. Nach Deshayes, RDC 2010, 1253, 1257 ist dagegen der Prüfungsmaßstab des Chronopost-Urteils mit der Gleichgewichtskontrolle nach dem „Faurecia 2“-Urteil inkompatibel und vielmehr dem Verbraucherrecht zuzuordnen. 534  535 

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dass sich die Wirksamkeit der Haftungshöchstgrenze insbesondere aus dem ge­ währten Preisnachlass sowie den zugebilligten Ausschließlichkeits- und Vor­ zugsrechten ergab. Allseitige Haftungsklauseln stoßen ausweislich der Urteile der Cour de cassa­ tion aus dem Jahr 2017 demgegenüber grundsätzlich auf keine Bedenken.540 Dies gilt jedenfalls dann, wenn die jeweils übertragenen Risiken versichert wur­ den. In einem solchen Fall macht es keinen Unterschied, ob es sich lediglich um haftungsbeschränkende oder gar um haftungsausschließende Klauseln handelt. Letztlich untersucht die Cour de cassation, ob die Klausel einer wesentlichen Vertragspflicht die Kohärenz entzieht.541 Bei der Beantwortung dieser Frage ist der gesamte Vertragsinhalt unter Berücksichtigung der beiderseitigen Zuge­ ständnisse umfassend zu würdigen.542 dd) Ergebnis Mit der Kodifikation des inhaltsbezogenen Lösungsansatzes der Rechtsprechung in Art.  1170 C. civ. beendet der Reformgeber endgültig die mit den unterschied­ lichen Entwicklungen der vergangenen zwei Jahrzehnte einhergehende Rechts­ unsicherheit. Nunmehr steht fest, dass sich die Wirksamkeit einer Klausel allein nach ihrem Inhalt und dementsprechend unabhängig vom Verhalten des Schuld­ ners bei der Vertragsdurchführung bemisst.543 Als besondere Ausprägung der Seriositätsfunktion der cause nach Art.  1131 Var.  1 C. civ. a. F. fordert die Norm lediglich ein Mindestmaß vertraglicher Ge­ rechtigkeit. Entscheidend ist zu untersuchen, ob die betreffende Klausel einer Vertragspflicht, die nach dem erkennbaren Willen der Parteien von ausschlagge­ bender Bedeutung ist, dergestalt den Boden entzieht, dass sie unmittelbar oder mittelbar ihrer verpflichtenden Kraft beraubt wird. Dies richtet sich nach keinem allgemeinen Maßstab, der auf sämtliche Klauseln anzuwenden wäre. Insbeson­ dere ist die Wirksamkeit summenmäßiger Haftungsbegrenzungen nicht nach ih­ rem Verhältnis zur Höhe des vereinbarten Entgelts oder der naheliegenden Scha­ densrisiken zu bestimmen. Vielmehr ist hier eine wertende Gesamtbetrachtung der von den Parteien angestrebten Risikoverteilung unter Berücksichtigung des Verhandlungsgleichgewichts sowie sämtlicher wechselseitiger Zugeständnisse vorzunehmen. Mit anderen Worten richtet sich die Frage, ob eine Klausel der 540  Cass. com., Urt. vom 26.04.2017 – 15-23.239 = RTD civ. 2017, 851, Anm. Barbier = RDC 2017, 431, Anm. Knetsch = CCC 2017, Komm. Nr.  140, Anm. Leveneur; Cass. com., Urt. vom 26.04.2017 – 15-23.245. 541  Mazeaud, D. 2008, 1776, Rn.  16. 542  Capitant/Terré/Lequette/Chénedé, Les grands arrêts, S.  116; Bernard, Dr. et patr. 2016, Nr.  256, S.  26, 27 f.; Grimaldi, LPA 2016, Nr.  215, S.  6, 10. 543  Bernard, Dr. et patr. 2016, Nr.  256, S.  26, 29.

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wesentlichen Vertragspflicht die Substanz entzieht, weniger nach juristisch oder ökonomisch messbaren Kriterien als nach der Rolle der benachteiligten Vertrags­ partei bei der Vertragsgestaltung. Je höher dabei ihr Verhandlungserfolg ist, des­ to niedriger sind die Anforderungen an die Wirksamkeit der gegen sie wirkenden Haftungsklausel. Dies führt dazu, dass eine zwischen den Vertragsparteien verhandelte Haf­ tungsklausel grundsätzlich nicht nach Art.  1170 C. civ. unwirksam ist.544 Somit steht die Norm im unternehmerischen Geschäftsverkehr ausgehandelten Haf­ tungsklauseln grundsätzlich nicht entgegen, während für sonstige Klauseln da­ rauf zu achten ist, dass diese dem Unternehmer nicht sämtliche Anreize an der Erbringung der ihm obliegenden wesentlichen Vertragspflicht nehmen. Ob auch die als Auslöser der Chronopost-Rechtsprechung angesehenen „clauses de récla­ mation de la victime“ in Versicherungsverträgen nach Art.  1170 C. civ. weiterhin unwirksam sein werden, lässt sich unter Berücksichtigung der in der Rechtspre­ chung zu Haftungsklauseln entwickelten Kriterien allenfalls vermuten, da solche Klauseln typischerweise nicht Gegenstand der Verhandlung sind.545 Wie sich im Folgenden zeigen wird, dürfte sich die Unwirksamkeit solcher Klauseln jedoch vielmehr aus Art.  1171 C. civ. ergeben. b)  Das Verbot von Klauseln, die in einem contrat d’adhésion ein „erhebliches Ungleichgewicht“ erzeugen aa) Einleitung Das moderne französische Zivilrecht hält mit Art. L. 212-1 Abs.  1 C.  con., Art. L. 442-1 I Nr.  2 C.  com. sowie Art.  1171 C. civ. drei Rechtsnormen bereit, die den Richter dazu befähigen, einzelne Klauseln für unwirksam zu erklären, wenn sie ein „erhebliches Ungleichgewicht“ („déséquilibre significatif“) zwischen den Rechten und Pflichten der Vertragsparteien erzeugen. Ausgangspunkt sind dabei stets die seit der Industrialisierung an Bedeutung gewinnenden contrats d’adhésion, deren Entdeckung im Folgenden näher zu beleuchten ist. bb)  Die Kodifikation des contrat d’adhésion im französischen Zivilrecht Mit der französischen Schuldrechtsreform wurde der Begriff des contrat d’adhésion erstmalig einer gesetzlichen Definition zugeführt.546 Die späte Kodifikation 544  Viney/Jourdain/Carval, Les effets de la responsabilité, Rn.  333; Dowlatsahi/Salem, JCP E 2017, Nr.  8, S.  25, Rn.  6. 545  Bertrand, D. 2016, 1156, 1157 f.; Chagny, in: Réforme du droit des contrats, S.  47, 58; Fabre-Magnan, Droit des obligations, Nr.  419 (S.  461); Mekki, D. 2016, 566, 571. 546  Dondero, JCP E 2016, Nr.  19-1283, S.  22, 28.

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rührt daher, dass es nach der ursprünglichen Konzeption des französischen Rechts, wie sie im C. civ. von 1804 zum Ausdruck kommt, nur Verträge geben konnte, die den übereinstimmenden und freien Willen der kontrahierenden Rechtssubjekte widerspiegeln.547 Das heißt, der Vertragsinhalt war stets als das Resultat der freien Vertragsverhandlung anzusehen, womit der nunmehr in Art.  1110 Abs.  1 C. civ. legaldefinierte contrat de gré à gré, also der Individual­ vertrag, zugleich auch der allgemeinen Definition des Vertrags entsprach.548 cc)  Saleilles Entwicklung eines neuen Vertragstyps der Industrialisierung Die dichotome Einteilung der Verträge in contrats de gré à gré und contrats d’adhésion ist auf das Werk „De la déclaration de volonté: Contribution à l’étude de l’acte juridique dans le Code civil allemand“ Saleilles aus dem Jahr 1901 zu­ rückzuführen, das Kommentierungen zu den §§  116 bis 144 BGB in der Fassung vom 18.08.1896 beinhaltet.549 Anlässlich der Darstellung des §  133 BGB über die Auslegung von Willenserklärungen stellte Saleilles Folgendes fest: „Die rechtlich vorausgesetzte Einheit des Vertragstyps hat sich von der Reali­ tät entfernt. Früher oder später wird sich das Recht den Nuancen und Divergen­ zen der gesellschaftlichen Verhältnisse beugen müssen. Es gibt vermeintliche Verträge, die mit dem Vertrag nur die Bezeichnung gemein haben und deren rechtliche Konstruktion noch zu entwickeln ist. Unzweifelhaft bedürfen jeden­ falls die für diese Verträge geltenden Auslegungsregeln bedeutender Anpassun­ gen. In Ermangelung eines Besseren könnte man jene Verträge als contrats d’adhésion bezeichnen. Sie sind durch die ausschließliche Vorherrschaft eines Wil­ lens gekennzeichnet, der sein Gesetz einseitig nicht mehr einem Individuum, sondern einer unbestimmten Vielzahl von Personen diktiert. Diesem Willen, der sich bereits einseitig im Voraus verpflichtet, fehlt zur Vollendung nur noch der Beitritt derjenigen, die das Gesetz dieses Vertrages annehmen mögen und sich dieser bereits eingegangenen Verpflichtung bemächtigen wollen. Dies betrifft alle Arbeitsverträge der Großindustrie, die Beförderungsverträge der großen Ei­ senbahngesellschaften sowie all jene Verträge, die wie ein kollektives Gesetz in Erscheinung treten und über die bereits die Römer sagten, dass jene eher der Lex als der Willensübereinkunft gleichen.“550 Revet, D. 2016, 1771. C. civ.: „Le contrat de gré à gré est celui dont les stipulations sont libre­ ment négociées entre les parties“; Revet, in: RDC hors série, S.  5, 11; Revet, D. 2016, 1771, 1772. 549  Rochfeld, Cause et type de contrat, S.  28; Blanc, Gaz. Pal. 2015, 1306, 1310; Chénedé, Dr. et patr. 2016, Nr.  258, S.  48, 50; Chénedé, JCP G 2016, 1334; Chénedé, RDC 2012, 1017; Revet, D. 2016, 1771 f. 550  Saleilles, De la déclaration de volonté, S.  229 („Sans doute, il y a contrats et contrats; et 547 Vgl.

548  Art.  1110 Abs.  1

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Saleilles machte mit dieser beiläufigen Anmerkung im Rahmen seiner Kom­ mentierung des BGB auf die im Zuge der Industrialisierung entstandene Diskre­ panz zwischen dem Vertragsverständnis nach dem C. civ. von 1804 und den in der Praxis zunehmend auftretenden Massengeschäften aufmerksam.551 Er unter­ ließ es indes, jenem Phänomen präzisere Konturen zu verleihen und insbesonde­ re die mit der Feststellung eines contrat d’adhésion einhergehenden Rechtsfol­ gen herauszuarbeiten.552 Insoweit beschränkte er seine Ausführungen auf die Auslegung der auf den Abschluss eines contrat d’adhésion gerichteten Willens­ erklärungen. Anders als bei gewöhnlichen Verträgen sei hier nicht der gemeinsa­ me Wille der Vertragsschließenden zu erforschen, sondern vielmehr ähnlich wie bei einem Gesetz das Interesse des jeweiligen Adressatenkreises. Dementspre­ chend sei der contrat d’adhésion des Arbeitgebers im Interesse der Arbeiter­ schaft und der contrat d’adhésion der Eisenbahngesellschaften im Interesse der Reisenden auszulegen.553 dd)  Die Diskussionen um die Rechtsnatur des contrat d’adhésion Die knappe Abhandlung Saleilles zum contrat d’adhésion fand im französischen Schrifttum großen Zuspruch und bildete den Gegenstand zahlreicher Aufsätze und Dissertationen.

nous sommes loin dans la réalité de cette unité de type contractuel que suppose le droit. Il fau­ dra bien, tôt ou tard, que le droit s’incline devant les nuances et les divergences que les rapports sociaux ont fait surgir. Il y a de prétendus contrats qui n’ont du contrat que le nom, et dont la construction juridique reste à faire; pour lesquels, en tout cas, les règles d’interprétation indivi­ duelle qui viennent d’être décrites devraient subir, sans doute, d’importantes modifications; ne serait-ce que pour ce que l’on pourrait appeler, faute de mieux, les contrats d’adhésion, dans lesquels il y a prédominance exclusive d’une seule volonté, agissant comme volonté unilaté­ rale, qui dicte sa loi, non plus à un individu, mais à une collectivité indéterminée, et qui s’en­ gage déjà par avance, unilatéralement, sauf adhésion de ceux qui voudront accepter la loi du contrat, et s’emparer de cet engagement déjà créé sur soi-même. C’est le cas de tous les contrats de travail dans la grande industrie, des contrats de transport avec les grandes compagnies de chemins de fer, et de tous ces contrats qui revêtent comme un caractère de loi collective et qui, les Romains le disaient déjà, se rapprocheraient beaucoup plus de la Lex que le l’accord des volontés.“); Chénedé, RDC 2012, 1017, 1018. 551 Vgl. Mekki, Gaz. Pal. 2016, 792 f. 552  Chénedé, RDC 2012, 241. 553  Saleilles, De la déclaration de volonté, S.  230 („L’interprétation, dans ce cas, devrait s’en faire comme celle d’une loi proprement dite, en tenant compte, beaucoup moins de ce qu’a pu croire et vouloir, soit l’ouvrier qui adhère aux conditions générales de l’engagement dans telle ou telle usine, soit le voyager qui, en prenant sont billet, adhère aux conditions et à la loi fixées par la compagnie, que de ce que ces chartes générales doivent être dans l’intérêt de la collectivité auxquelles elles s’adressent.“); Chénedé, RDC 2012, 1017, 1019.

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Dabei interessierten sich die französischen Rechtswissenschaftler zunächst weniger für die Forderung Saleilles nach einer adressatenfreundlichen Auslegung als für die Rechtsnatur des contrat d’adhésion.554 Anknüpfend an seine Behaup­ tung, der contrat d’adhésion verdiene wegen seiner Eigenarten nicht die Bezeich­ nung als Vertrag, entwickelte sich zunächst im Schrifttum des öffentlichen Rechts eine Strömung, die das Ziel verfolgte, dem contrat d’adhésion die Vertragseigen­ schaft generell abzusprechen (sog. Antivertragstheorie).555 Die Vertreter jener Theorie waren sich im Kern darüber einig, dass ein contrat d’adhésion aufgrund der einseitigen Gestaltung des Vertragsinhalts, der vom Adressaten lediglich als Ganzes angenommen oder abgelehnt werden könne, nicht als Vertrag im klassi­ schen Sinne zu qualifizieren sei. Unter Zugrundelegung des vertragsliberalen Geistes des C. civ. könne ein wirksamer Vertrag nur zwischen auf gleichem Fuß gegenüberstehenden Verhandlungspartnern zustande kommen.556 Diese Theorie wurde von der übrigen Literatur einhellig abgelehnt und infol­ gedessen nicht weiterverfolgt.557 Auch der Vorschlag, den Besonderheiten der Art und Weise des Zustandekommen solcher Verträge durch die Ersetzung des contrat d’adhésion durch die präzisere Bezeichnung des contrat par adhésion558 Rechnung zu tragen, fand im Schrifttum keinen Zuspruch.559 Bereits der Lektüre des Art.  1108 C. civ. a. F. über die Wirksamkeitsvoraussetzungen des Vertrags­ schlusses lässt sich im Umkehrschluss entnehmen, dass es keiner gleichberech­ tigten Urheberschaft der Vertragsparteien am Vertragsinhalt bedarf.560 Vielmehr genügt für den wirksamen Abschluss eines Vertrages die willensmangelfreie An­ nahme der Vertragsbedingungen der überlegenen Vertragspartei.561 Das heißt, es überwog die Überzeugung, dass es sich bei der gleichrangigen Urheberschaft der Vertragsparteien bei der Bestimmung des Vertragsinhalts um kein konstitutives Merkmal eines Vertrages handelt. Ausreichend ist das Vorlie­ gen zweier übereinstimmender Willenserklärungen. Dies kann aber auch in Ge­ stalt eines contrat d’adhésion geschehen, in dem eine Vertragspartei den Ver­ tragsinhalt bestimmt und die andere lediglich zustimmt. Chénedé, RDC 2012, 1017, 1019 f. Duguit, Les Transformations générales du Droit privé depuis le Code Napoléon, S.  122 m. w. N.; Hauriou, Principes de droit public, S.  206. 556  Chénedé, RDC 2012, 1017, 1019 f.; vgl. ausführlich zur antivertragsrechtlichen Strö­ mung Behr, Der Contrat d’Adhésion, S.  25 ff.; Schröder, Der contrat d’adhésion, S.  32 ff. 557  Ripert, La règle morale dans les obligations civiles, S.  100 („Pour la formation du cont­ rat, la loi exige deux consentements; elle ne mesure pas au dynamomètre la force des vo­ lontés.“); Chénedé, RDC 2012, 1017, 1019 f. m. w. N.; Revet, D. 2016, 1771, 1772. 558  Dereux, RTD civ. 1910, 503, 504. 559  Behr, Der Contrat d’Adhésion, S.  17; Chénedé, RDC 2012, 1017, 1019 f. m. w. N. 560 Vgl. Behr, Der Contrat d’Adhésion, S.  46. 561  Revet, D. 2016, 1771, 1772. 554  555 

V.  Richterliche Kontrolle ungerechter Verträge und Klauseln

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ee)  Die Qualifikationskriterien des contrat d’adhésion In der Folgezeit konzentrierte man sich nicht mehr auf die Rechtsnatur des contrat d’adhésion, sondern vielmehr auf seine Qualifikationskriterien.562 Bei nähe­ rer Betrachtung der einschlägigen Abhandlungen wird deutlich, dass lediglich im Hinblick auf das Erfordernis der einseitigen Vorformulierung sowie des Fehlens von Vertragsverhandlungen Einigkeit bestand.563 Die zusätzlich von diversen Autoren geforderte wirtschaftliche Überlegenheit des Verwenders, Abhängigkeit des Klauselgegners, Unbestimmtheit des Adressatenkreises, Vielzahl akzessori­ scher Klauseln oder Komplexität des Vertragsinhalts wurden dagegen nur ver­ einzelt befürwortet.564 Aus der Warte der zu schützenden Rechtssubjekte war man sich demgegen­ über darin einig, dass die Beförderungsverträge mit den großen Verkehrsgesell­ schaften, Arbeitsverträge der Großindustrie, Bank-, Versicherungs-, Bezugsver­ träge über Strom, Gas und Wasser sowie schließlich auch Konsumgüterkaufver­ träge als contrat d’adhésion zu qualifizieren waren.565 Daher beschloss der Gesetzgeber, der sich des Erfordernisses von Schutzmaßnahmen im Massenver­ kehr bewusst wurde, keine allgemeinen Bestimmungen über den im Schrifttum nicht einheitlich definierten contrat d’adhésion zu kodifizieren, sondern viel­ mehr für die betroffenen Rechtsgebiete Sondervorschriften in Gestalt von Infor­ mationspflichten sowie Klauselunwirksamkeitstatbeständen zu erlassen.566 Die Cour de cassation, die teilweise ausdrücklich das Vorliegen eines contrat d’adhésion feststellte, knüpfte an jenen Befund daher mangels entsprechender gesetzlicher Bestimmungen keine besonderen Rechtsfolgen.567 Vielmehr schien sie sich inzident dem Ruf in der Literatur nach allgemeinen Bestimmungen zum contrat d’adhésion anzuschließen, als sie in einem Urteil vom 19.01.1982 die Ablehnung eines Schadensersatzanspruchs durch die Vorinstanz mit der Begrün­ dung bestätigte, dass keine allgemeine Bestimmung existierte, die in einem contrat d’adhésion Haftungsklauseln verbietet.568 Chénedé, RDC 2012, 1017, 1020 f. Chénedé, RDC 2012, 1017, 1021. 564  Nachweise bei Rochfeld, Cause et type de contrat, S.  28; Berlioz, Le Contrat d’adhésion, S.  27; Schröder, Der contrat d’adhésion, S.  6; Chénedé, RDC 2012, 1017, 1021; Mekki, Gaz. Pal. 2016, 792, 793. 565 Vgl. Mercadal, Réforme, Nr.  152; Schröder, Der contrat d’adhésion, S.  3; Chénedé, RDC 2012, 1017, 1018 f.; Revet, D. 2016, 1771, 1772. 566  Chénedé, RDC 2012, 1017, 1022; Revet, D. 2016, 1771 f. 567  Nachweise bei Behr, Der Contrat d’Adhésion, S.  17; Mercadal, Réforme, Nr.  152. 568  Cass. civ. 1re, Urt. vom 19.01.1982 – 80-15.745 = Bulletin civil I, Nr.  29 („aucune dispo­ sition légale ne prohibe d’une façon générale l’insertion de clauses limitatives ou exonératoires de responsabilité dans les contrats d’adhésion“). 562  563 

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A.  Das französische Recht

ff) Zwischenergebnis Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Begriff des contrat d’adhésion zwar bereits seit über einem Jahrhundert im französischen Schrifttum diskutiert und definiert wurde, indes bis heute nicht das Entwicklungsstadium einer wissen­ schaftlichen Debatte mit kaum zu überblickenden Ansichten verlassen konnte. Vor diesem Hintergrund sah sich der Gesetzgeber dazu veranlasst, keine generell für contrats d’adhésion geltende Klauselkontrolle zu kodifizieren, sondern viel­ mehr die einzelnen betroffenen Gebiete des Wirtschaftsverkehrs gesonderten Schutzvorschriften zu unterwerfen. gg)  Die verbraucherschützende Klauselkontrolle nach Art. L. 212-1 C.  con. (1)  Die Entstehung und Entwicklung des gesetzlichen Tatbestands Als sich abzeichnete, dass die nur sektorspezifischen Regelungen zum Schutz der schwächeren Vertragspartei vor ungerechten Vertragsklauseln nicht das ge­ wünschte Schutzniveau gewährleisten konnten, forderten die französischen Ver­ braucherverbände im April 1975 ein Rahmengesetz zur Gewährleistung eines allgemeinen Verbraucherschutzes gegen missbräuchliche Klauseln.569 Daraufhin erließ der französische Gesetzgeber im Januar 1978 das unter der Bezeichnung Loi Scrivener bekanntgewordene Verbraucherschutzgesetz Nr.  78-23.570 Während noch im Gesetzentwurf vorgesehen war, den Gerichten die Befugnis einzuräumen, den missbräuchlichen Charakter einer Klausel selbst zu bestim­ men, überwog letztlich die Überzeugung, eine einheitliche, der Rechtssicherheit dienliche Bewertung könne nur durch die Exekutive bewerkstelligt werden.571 Daher sah Art.  35 der Loi Scrivener vor, dass wegen Missbräuchlichkeit aufheb­ bare Klauseln zunächst durch Dekret näher zu beschreiben waren.572 Gleichzei­ tig wurde die Commission des clauses abusives ins Leben gerufen, der die Auf­ gabe zugewiesen wurde, die gängigen Vertragsformulare des modernen Massen­ verkehrs zu untersuchen und der Regierung Vorschläge zum Entwurf der noch zu entwickelnden Listen über unzulässige Klauseln zu unterbreiten.573 Hennemann, AGB-Kontrolle im UN-Kaufrecht, S.  31 m. w. N. Brusorio-Aillaud, Droit des obligations, Rn.  352 (S.  211); Calais-Auloy/Temple, Droit de la consommation, Rn.  163; Renault-Brahinsky, Droit des obligations, S.  87; Bicheron, Gaz. Pal. 2015, 1326. 571  Bénabent, Droit des obligations, Rn.  191. 572  Bénabent, Droit des obligations, Rn.  191; Brusorio-Aillaud, Droit des obligations, Rn.  357 (S.  214 f.). 573  Bénabent, Droit des obligations, Rn.  191; Brusorio-Aillaud, Droit des obligations, Rn.  357 (S.  214 f.); Capitant/Terré/Lequette/Chénedé, Les grands arrêts, Urt.-Nr.  159, Rn.  4 (S.  133 f.); Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Droit des obligations, Rn.  450. 569 Vgl. 570 Vgl.

V.  Richterliche Kontrolle ungerechter Verträge und Klauseln

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Obwohl die Commission des clauses abusives in der Folgezeit zahlreiche Klauseln des Massenverkehrs anprangerte, erließ die französische Regierung nur ein einziges Dekret im März 1978, das zudem nur von geringer praktischer Be­ deutung war.574 Damit wurde deutlich, dass der vom Gesetzgeber vorgesehene Regierungsvorbehalt vollkommen ungeeignet war, missbräuchlichen Klauseln in Verbraucherverträgen sinnvoll zu begegnen. Nachdem die Regierung im darauf­ folgenden Jahrzehnt kein weiteres Dekret erließ, überdehnte die Cour de cassa­ tion daher zunächst den Wortlaut des einzig existierenden Dekrets aus dem Jahr 1978, um sodann mit einem aufsehenerregenden Urteil vom 14.05.1991 in einem „coup d’état jurisprudentiel“ unter Missachtung des Regierungsvorbehalts eine Klausel in unmittelbarer Anwendung des Art.  35 des Verbraucherschutzgesetzes Nr.  78-23 für unwirksam zu erklären.575 Damit beschränkte die Cour de cassation die verbraucherschutzrechtliche Inhaltskontrolle auf die Prüfung, ob die Klausel in missbräuchlicher Ausnutzung der wirtschaftlichen Überlegenheit des Unter­ nehmers gegenüber dem Verbraucher durchgesetzt wurde und den Unternehmer übermäßig begünstigt. Gleichzeitig wuchs mit dem Aufkeimen der teilweise stark divergierenden Maßnahmen bei der Bekämpfung missbräuchlicher Klauseln innerhalb der euro­ päischen Zivilrechtsordnungen die Gefahr der Wettbewerbsverzerrung im euro­ päischen Wirtschaftsverkehr.576 Um dem entgegenzuwirken, erließ der Rat der Europäischen Gemeinschaften die Richtlinie 93/13/EWG über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen.577 Die Richtlinie stellte den Mitgliedstaaten frei, „dem Verbraucher unter Beachtung des Vertrages einen besseren Schutz durch strengere einzelstaatliche Vorschriften als den in dieser Richtlinie enthal­ tenen Vorschriften zu gewähren“.578 Nachdem im Juli 1993 der C.  con. in Kraft trat, dessen Art. L. 132-1 C.  con. a. F. wortlautgetreu den Inhalt des Art.  35 des 574  Décret n°78-464 du 24 mars 1978 portant application du chapitre IV de la loi n° 78-23 du 10 janvier 1978 sur la protection et l’information des consommateurs de produits et services. Vgl. Bénabent, Droit des obligations, Rn.  191; Brusorio-Aillaud, Droit des obligations, Rn.  357 (S.  214 f.); Capitant/Terré/Lequette/Chénedé, Les grands arrêts, Urt.-Nr.  159, Rn.  4 (S.  133 f.). 575  Cass. civ. 1re, Urt. vom 14.05.1991 – 89-20.999 = Bulletin civil I, Nr.  153, S.  101 = D. 1991, 320, Anm. Aubert = D. 1991, 449, Anm. Ghestin = RTD civ. 1991, 526, Anm. Mestre = RTD com. 1992, 227, Anm. Bouloc = Defrénois 1991, 1268, Anm. Aubert; Bénabent, Droit des obligations, Rn.  191 m. w. N.; Brusorio-Aillaud, Droit des obligations, Rn.  357 (S.  214 f.); Capitant/Terré/Lequette/Chénedé, Les grands arrêts, S.  138; Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Droit des obligations, Rn.  450; Fenouillet, RDC 2016, 358, 361. 576  Calais-Auloy/Temple, Droit de la consommation, Rn.  163; Capitant/Terré/Lequette/ Chénedé, Les grands arrêts, S.  140; Viney/Jourdain/Carval, Les effets de la responsabilité, Rn.  345 m. w. N. 577  Erwägungsgrund 2 der RL 93/13/EWG. 578  Erwägungsgrund 12 der RL 93/13/EWG.

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A.  Das französische Recht

Verbraucherschutzgesetzes Nr.  78-23 übernahm, nutzte der französische Gesetz­ geber die Umsetzung der Richtlinie im Februar 1995, um die von der Rechtspre­ chung ohnehin bereits praktizierte, extensive Auslegung des übermäßigen Vor­ teils579 sowie die Befugnis der Gerichte, selbständig die Missbräuchlichkeit einer Klausel zu beurteilen580, zu kodifizieren.581 Zudem wurde auf das in der Recht­ sprechung an Bedeutung verlierende Kriterium des Missbrauchs der wirtschaft­ lichen Überlegenheit verzichtet.582 Entgegen den Vorgaben in der Verbraucher­ rechterichtlinie sah der französische Gesetzgeber aus Gründen der Rechtsklar­ heit davon ab, die Frage der Verhandelbarkeit der Klausel im Tatbestand zu berücksichtigen.583 Vielmehr stellte Art. L. 132-1 C.  con. a. F. klar, dass die Un­ wirksamkeit einer missbräuchlichen Klausel unabhängig von ihrer Verhandel­ barkeit im Einzelfall gelten sollte.584 Die Besonderheit zur bisherigen Rechtslage lag insbesondere darin, dass die Bestimmung des missbräuchlichen Charakters einer Klausel nunmehr der richt­ linienkonformen Auslegung und damit der rechtsvereinheitlichenden Kontrolle des EuGH unterworfen war.585 Zuletzt wurde die Strukturierung des legislativen Abschnitts des C.  con. durch die gesetzesvertretende Verordnung Nr.  2016-301 vom 14.03.2016, die am 01.07.2016 in Kraft trat, grundlegend erneuert. Seither ist die richterliche Kon­ troll­befugnis missbräuchlicher Klauseln inhaltlich unverändert in Art. L. 212-1 C.  con. kodifiziert.586 (2)  Die personelle Schutzlücke des Verbraucherschutzrechts In personeller Hinsicht findet Art. L. 212-1 C.  con. vorrangig auf Verträge zwi­ schen einem Unternehmer auf der einen und einem Verbraucher auf der anderen Seite Anwendung. Art. L. 212-2 C.  con. dehnt den Schutzbereich auf Verträge zwischen einem Unternehmer und einem „Non-professionnel“ („Nicht-Unter­ 579 

362.

Calais-Auloy/Temple, Droit de la consommation, Rn.  170; Fenouillet, RDC 2016, 358,

Brusorio-Aillaud, Droit des obligations, Rn.  357 (S.  214 f.); Calais-Auloy/Temple, Droit de la consommation, Rn.  174. 581  Bénabent, Droit des obligations, Rn.  191. 582  Bicheron, Gaz. Pal. 2015, 1326; Fenouillet, RDC 2016, 358, 362. 583  Dies war aufgrund des mindestharmonisierenden Charakters der Richtlinie möglich, vgl. Bicheron, Gaz. Pal. 2015, 1326; Fenouillet, RDC 2016, 358, 362 f. 584  Bicheron, Gaz. Pal. 2015, 1326; Fenouillet, RDC 2016, 358, 362 f. 585  Calais-Auloy/Temple, Droit de la consommation, Rn.  170 m. w. N. 586  Viney/Jourdain/Carval, Les effets de la responsabilité, Rn.  345; instruktive Darstellung der gesetzesvertretenden Verordnung Nr.  2016-301 bei Péglion-Zika, D. 2016, 1208; Saupha­ nor-Brouillaud, RDC 2016, 492 ff. 580 

V.  Richterliche Kontrolle ungerechter Verträge und Klauseln

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nehmer“) aus. Nachdem durch die Loi Hamon587 zunächst lediglich der Begriff des Verbrauchers definiert wurde,588 folgten durch die gesetzesvertretende Ver­ ordnung Nr.  2016-301 die Definitionen des Unternehmers sowie des „Non-pro­ fessionnel“ in einem einleitenden Art. („article liminaire“) des C.  con.589 Danach versteht man unter einem Verbraucher jede natürliche Person, die zu einem Zweck handelt, der nicht in den Rahmen ihrer gewerblichen, industriellen, handwerklichen, liberalen oder landwirtschaftlichen Tätigkeit fällt. Ein „Non-professionnel“ ist dagegen jede Personenvereinigung, die nicht zu wirtschaftlichen Zwecken handelt.590 Schließlich wird der Unternehmer als eine natürliche Person oder Personen­ vereinigung des öffentlichen oder privaten Rechts definiert, die zu einem Zweck handelt, der in den Rahmen ihrer gewerblichen, industriellen, handwerklichen, liberalen oder landwirtschaftlichen Tätigkeit fällt, auch wenn sie im Namen oder für die Rechnung eines anderen Unternehmers handelt.591 Mit den Definitionen des geschützten Personenkreises klärte der Gesetzgeber die seit den 1980er Jahren regelmäßig wiederkehrende Streitfrage, ob in perso­ neller Hinsicht Unternehmer ausnahmsweise auch dann geschützt sind, wenn diese zwar für die Zwecke ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit, allerdings außerhalb ihrer Spezialisierung handeln.592 Während die Cour de cassation teilweise in re­ striktiver Auslegung des Art. L. 132-1 C.  con. a. F. einem Unternehmer bereits dann den Schutz vor missbräuchlichen Klauseln versagte, wenn er für die Zwe­ 587  Benannt nach dem damaligen delegierten Minister für soziale und solidarische Wirt­ schaft und Verbrauch Benoît Hamon. 588  Bénabent, Droit des obligations, Rn.  191. 589  Die Definition des „Non-professionnel“ wurde im Rahmen des Zustimmungsgesetzes Nr.  2017-203 vom 21.02.2017 korrigiert. Zu den nunmehr legaldefinierten Definitionen, vgl. Loir, JCP E 2016, Nr.  27-1402, S.  29. 590  Der französische Gesetzgeber war zur Ausdehnung des Verbraucherschutzes auf juristi­ sche Personen gem. Begründungserwägung 13 der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates befugt („Die Mitgliedstaaten sollten im Einklang mit dem Unions­ recht weiterhin befugt sein, diese Richtlinie auf Bereiche anzuwenden, die nicht in deren An­ wendungsbereich fallen. […] Die Mitgliedstaaten [können] beispielsweise beschließen, die Anwendung dieser Richtlinie auf juristische […] Personen auszudehnen […]“). 591  Article liminaire C. civ.: „Pour l’application du présent code, on entend par: consomma­ teur: toute personne physique qui agit à des fins qui n’entrent pas dans le cadre de son activité commerciale, industrielle, artisanale, libérale ou agricole; non-professionnel: toute personne morale qui n’agit pas à des fins professionnelles; professionnel: toute personne physique ou morale, publique ou privée, qui agit à des fins entrant dans le cadre de son activité commerciale, industrielle, artisanale, libérale ou agricole, y compris lorsqu’elle agit au nom ou pour le compte d’un autre professionnel“. 592  Bénabent, Droit des obligations, Rn.  192; Capitant/Terré/Lequette/Chénedé, Les grands arrêts, S.  141; Loir, JCP E 2016, Nr.  27-1402, S.  29, 35.

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cke seines Unternehmens kontrahierte593, wurde vereinzelt der verbraucherrecht­ liche Schutz gegen missbräuchliche Klauseln unabhängig von der Zweckrich­ tung bereits dann angenommen, wenn der Unternehmer außerhalb seiner Fach­ richtung handelte594. Zur Begründung der letztgenannten Konzeption wurde angeführt, dass der Unternehmer in einem solchen Fall wie ein Verbraucher am Markt auftrete, weswegen auch die Gewährung des gleichen Schutzniveaus ge­ rechtfertigt sei.595 Die modernen Definitionen des „Non-professionnel“ sowie des Verbrauchers schließen die Berücksichtigung der konkreten Spezialisierung des Unternehmers bei der Beurteilung seiner Schutzbedürftigkeit aus.596 Für den „Non-profession­ nel“ ergibt sich dies bereits daraus, dass nur solche Personenvereinigungen ge­ schützt sind, die keinen wirtschaftlichen Zwecken nachgehen, was etwa für ge­ meinnützige Vereine, Wohnungseigentümergemeinschaften und Betriebsräte anzunehmen ist.597 Hinsichtlich der Konzeption des Verbraucherbegriffs folgt dies daraus, dass die Verbrauchereigenschaft nicht erst dann ausgeschlossen wird, wenn der Unternehmer objektiv im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätig­ keit handelt („qui agit dans le cadre de son activité professionnelle“), sondern der Normtext durch die Hinzufügung des subjektiven Elements hervorhebt, dass der Unternehmer bereits aus dem Schutzbereich herausfällt, wenn er für die Zwecke 593  Vgl. Cass. civ. 1re, Urt. vom 15.04.1986 – 84-15.801 = Bulletin civil I, Nr.  90, S.  91; Cass. civ. 1re, Urt. vom 24.01.1995 – 92-18.227 = Bulletin civil I, Nr.  54, S.  38 = D. 1995, 229, Anm. Delebecque = D. 1995, 310, Anm. Pizzio = D. 1995, 327, Anm. Paisant; Cass. civ. 1re, Urt. vom 03.01.1996 – 93-19.322 = Bulletin civil I, Nr.  9, S.  6; Cass. civ. 1re, Urt. vom 30.01.1996 – 93-18.684 = Bulletin civil I, Nr.  55, S.  35 = D. 1996, 228, Anm. Paisant = D. 1996, 325, Anm. Mazeaud = RTD civ. 1996, 609, Anm. Mestre; Cass. civ. 1re, Urt. vom 05.03.2002 – 00-18.202 = Bulletin civil I, Nr.  78, S.  60 = D. 2002, 2052 = RTD civ. 2002, 291, Anm. Mestre/Fages = RTD com. 2002, 716, Anm. Bouloc; Chénedé, RDC 2015, 655; Cass. civ. 1re, Urt. vom 22.05.2002 – 99-16.574 = Bulletin civil I, Nr.  143, S.  110 = RTD com. 2003, 154, Anm. Bouloc; Cass. civ. 1re, Urt. vom 27.09.2005 – 02-13.935 = Bulletin civil I, Nr.  347, S.  287 = D. 2005, 2670, Anm. Delpech = D. 2006, 238, Anm. Picod = Defrénois 2005, 2003, Anm. Savaux = Defrénois 2006, 332, Anm. Piedelièvre = RDC 2006, 359, Anm. Bruschi. 594  Vgl. Cass. civ. 1re, Urt. vom 28.04.1987 – 85-13.674 = Bulletin civil I, Nr.  134, S.  103 = D. 1988, 1, Anm. Delebecque; Cass. civ. 1re, Urt. vom 25.05.1992 – 89-15.860 = Bulletin civil I, Nr.  162, S.  111 = D. 1993, 87, Anm. Nicolau = RTD com. 1993, 154, Anm. Bouloc; Cass. civ. 3e, Urt. vom 04.02.2016 – 14-29.347 = D. 2016, 639, Anm. Péglion-Zika = RDI 2016, 290, Anm. Boubli = RGDA 2016, 176, Anm. Dessuet = JCP E 2016, 35, Anm. Picod. 595  Vgl. Cass. civ. 1re, Urt. vom 28.04.1987 – 85-13.674 = Bulletin civil I, Nr.  134, S.  103 = D. 1988, 1, Anm. Delebecque („le même état d’ignorance que n’importe quel autre consomma­ teur“). 596  Houtcieff, Gaz. Pal. 2016, 1140. 597 Vgl. Delpech, AJC 2017, 100; Sauphanor-Brouillaud, RDC 2017, 499, Rn.  3 m. w. N.; im Hinblick auf Betriebsräte war die Cour de cassation zuletzt a. A., vgl. Cass. com., Urt. vom 16.02.2016 – 14-25.146 = RDC 2017, 109, Anm. Sauphanor-Brouillaud.

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seiner unternehmerischen Tätigkeit den Vertrag schließt („qui agit à des fins qui n’entrent pas dans le cadre de son activité“).598 Damit scheidet für einen Unternehmer der Schutz der richterlichen Inhalts­ kontrolle nach Maßgabe des Art. L. 212-1 C.  con. aus, wenn er den Vertrag zwecks Aufnahme, Betrieb oder Aufgabe seiner wirtschaftlichen Tätigkeit schließt.599 Ob er in fachlicher Hinsicht mit der betroffenen Materie vertraut ist, findet keine Berücksichtigung. Damit endet die potenzielle Ausdehnung der ver­ braucherschutzrechtlichen Inhaltskontrolle missbräuchlicher Klauseln auf den unternehmerischen Rechtsverkehr. Ebendiese „Schutzlücke“ könnte – wie sich noch zeigen wird – mit dem im gleichen Jahr kodifizierten Art.  1171 C. civ. der Schuldrechtsreform zu schließen sein, soweit dies nicht bereits mit der Reform des Art. L. 442-6 I Nr.  2 C.  com. a. F. aus dem Jahr 2008 geschehen ist, der nun­ mehr in Art. L. 442-1 I Nr.  2 C.  com. geregelt ist.600 (3)  Der umfassende materielle Geltungsbereich Der materielle Geltungsbereich der verbraucherschutzrechtlichen Inhaltskont­ rolle missbräuchlicher Vertragsklauseln wird in Art. L. 212-1 Abs.  7 C.  con. nä­ her beschrieben. Danach ist die Klauselkontrolle unabhängig von der Form oder dem Medium des Vertrages durchzuführen.601 Insbesondere ist unerheblich, ob der Vertrag frei verhandelte Vertragsbestimmungen beinhaltet oder auf vorgefer­ tigte allgemeine Bedingungen Bezug nimmt.602 Insofern ist für die Anwendbar­ keit der Inhaltskontrolle des Verbraucherschutzrechts weder die Art und Weise des Zustandekommens des Vertrages noch der gewählte Vertragstyp von Rele­ vanz. Entscheidend ist allein die Qualität der kontrahierenden Rechtssubjekte.603 Die einzige inhaltliche Begrenzung ergibt sich aus Art. L. 212-1 Abs.  3 C.  con., wonach sich die Beurteilung des missbräuchlichen Charakters einer Klausel we­ der auf die Definition des Hauptgegenstands des Vertrages noch auf die Ange­ Loir, JCP E 2016, Nr.  27-1402, S.  29, 34. Loir, JCP E 2016, Nr.  27-1402, S.  29, 34. Bsp. aus der Rspr. in Fabre-Magnan, Droit des obligations, Nr.  418 (S.  457 f.) (Stromlieferungsvertrag, Wasserversorgungsvertrag, Vertrag über die Beschaffung einer Software für die Kundenbetreuung). 600 Vgl. Loir, JCP E 2016, Nr.  27-1402, S.  29, 35. 601  Art. L. 212-1 Abs.  7 S.  1 C.  con.: „Ces dispositions sont applicables quels que soient la forme ou le support du contrat“. 602  Vgl. Art. L. 212-1 Abs.  7 S.  2 C.  con.: „Il en est ainsi notamment des bons de commande, factures, bons de garantie, bordereaux ou bons de livraison, billets ou tickets, contenant des stipulations négociées librement ou non ou des références à des conditions générales prééta­ blie“. 603  Vgl. Cass. civ. 1re, Urt. vom 04.05.1999 – 97-14.187 = Bulletin civil I, Nr.  147, S.  97; Calais-Auloy/Temple, Droit de la consommation, Rn.  167; Piedelièvre, Droit de la consomma­ tion, Rn.  449. 598 Vgl. 599 Vgl.

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messenheit des Preises oder der Vergütung im Verhältnis zum Kaufgegenstand oder zur angebotenen Leistung erstreckt, sofern die Klauseln klar und verständ­ lich formuliert sind.604 (4)  Der erleichterte Nachweis eines erheblichen Ungleichgewichts Nach Art. L. 212-1 Abs.  1 i. V. m. Art. L. 212-2 C.  con. sind Klauseln missbräuch­ lich, wenn sie zum Nachteil des Verbrauchers oder des „Non-professionnel“ ein erhebliches Ungleichgewicht zwischen den Rechten und Pflichten der Vertrags­ parteien bezwecken oder bewirken.605 Bei der Beurteilung des missbräuchlichen Charakters einer Klausel sind nach Art. L. 212-1 Abs.  2 C.  con. alle Umstände im Zeitpunkt des Vertragsschlusses, alle anderen Vertragsklauseln sowie in einem anderen Vertrag enthaltene Klauseln, wenn der Abschluss oder die Erfüllung bei­ der Verträge rechtlich voneinander abhängen, zu berücksichtigen.606 Entgegen dieser Befugnis, die vor der Reform bereits in Art. L. 132-1 Abs.  5 C.  con. vorge­ sehen war, wurde eine als missbräuchlich qualifizierte Klausel bisweilen noch nicht unter Berücksichtigung der den Vertrag begleitenden Umstände für wirk­ sam erachtet.607 Ohnehin folgen die Kriterien bei der Beurteilung der Miss­ bräuchlichkeit einer Klausel keinem einheitlichen Konzept.608 Die Rechtspre­ chung lässt die Anforderungen stets vom Einzelfall abhängen.609 Vor diesem Hintergrund wird die Bedeutung der von der Regierung erlassenen „schwarzen“ und „grauen“ Listen über missbräuchliche Klauseln deutlich:610 Nach Art. L. 212-1 Abs.  4 C.  con. hat die Regierung durch Dekret Klauselty­ pen zu bestimmen, die unter Berücksichtigung der Schwere ihrer Auswirkung auf das vertragliche Gleichgewicht unwiderleglich als missbräuchlich zu erach­ 604  Art.

L. 212-1 Abs.  3 C.  con.: „L’appréciation du caractère abusif des clauses au sens du premier alinéa ne porte ni sur la définition de l’objet principal du contrat ni sur l’adéquation du prix ou de la rémunération au bien vendu ou au service offert pour autant que les clauses soient rédigées de façon claire et compréhensible“. 605  Art. L. 212-1 Abs.  1 C.  con.: „[…] sont abusives les clauses qui ont pour objet ou pour effet de créer, au détriment du consommateur, un déséquilibre significatif entre les droits et obligations des parties au contrat“. 606  Art. L. 212-1 Abs.  2 C.  con.: „[…] le caractère abusif d’une clause s’apprécie en se ré­ férant, au moment de la conclusion du contrat, à toutes les circonstances qui entourent sa con­ clusion, de même qu’à toutes les autres clauses du contrat. Il s’apprécie également au regard de celles contenues dans un autre contrat lorsque les deux contrats sont juridiquement liés dans leur conclusion ou leur exécution“. 607 Vgl. Fenouillet, RDC 2016, 358, 367. 608  Siehe die Beispiele in Bénabent, Droit des obligations, Rn.  193. 609 Vgl. Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Droit des obligations, Rn.  450, wonach auch die Empfehlungen der Commission des clauses abusives insoweit keine Abhilfe leisten. 610  Vgl. zur Terminologie Capitant/Terré/Lequette/Chénedé, Les grands arrêts, S.  140.

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ten sind.611 Nach Art. L. 212-1 Abs.  5 C.  con. ist eine weitere Liste mit Klauseln zu erlassen, deren Missbräuchlichkeit vermutet wird und deren Zulässigkeit der Unternehmer im Falle eines Rechtsstreits zu beweisen hat.612 Diesen Vorgaben ist die Regierung durch das Dekret Nr.  2016-884 vom 29.06.2016 in Art. R. 2121 und 212-2 C.  con. nachgekommen. Die beiden Listen übernehmen inhaltlich die bereits durch das Dekret Nr.  2009-302 vom 18.03.2009 zu Art. L. 132-1 C.  con. ergangenen und in Art. R. 132-1 und 132-2 C.  con. verankerten Listen über missbräuchliche Klauseln. So beinhaltet Art. R. 212-1 C.  con. die sogenann­ te „schwarze“ Liste mit zwölf Klauseln, deren Missbräuchlichkeit unwider­ leglich vermutet wird, während Art. R. 212-2 C.  con. die sogenannte „graue“ Liste mit zehn Klauseln vorsieht, deren Missbräuchlichkeit widerleglich vermu­ tet wird. Beispielsweise wird die Missbräuchlichkeit einer Klausel nach Art. R. 212-1 Nr.  6 C.  con. dann unwiderleglich vermutet, wenn sie den Ausschluss oder die Begrenzung des Schadensersatzanspruchs des Verbrauchers gegen den Un­ ternehmer für die Verletzung einer Vertragspflicht bezweckt oder bewirkt. hh)  Die unternehmerschützende Klauselkontrolle nach Art. L. 442-1 I Nr.  2 C.  com. (1)  Entstehungshintergrund und Funktion des gesetzlichen Tatbestands Nachdem Unternehmern der Schutz gegen missbräuchliche Klauseln nach Maß­ gabe des C.  con. durch die Rechtsprechung der Cour de cassation entzogen wur­ de, die im allgemeinen Vertragsrecht durch das Chronopost-Urteil geschaffene Inhaltskontrolle auf quasi unerträgliche Haftungsbeschränkungen zurückgefah­ ren wurde und sich auch die wettbewerbsrechtlichen Bestimmungen des C.  com. als unzureichend erwiesen, dem unterlegenen Geschäftspartner im freien Wirt­ schaftsverkehr ein sinnvolles Schutzniveau zu gewährleisten, forderte ein bedeu­ tender Teil des Schrifttums, diesem Missstand endlich entgegenzutreten.613 Die Umsetzung dieses Ansinnens vollzog der französische Gesetzgeber mit dem Wirtschaftsmodernisierungsgesetz Loi LME Nr.  2008-776 vom 04.08.2008. Im Zuge dieser Reform wurde das aus dem bisweilen nur aus dem Verbraucher­ 611  Art. L. 212-1 Abs.  4 C.  con.: „Un décret en Conseil d’Etat, pris après avis de la commis­ sion des clauses abusives, détermine des types de clauses qui, eu égard à la gravité des atteintes qu’elles portent à l’équilibre du contrat, doivent être regardées, de manière irréfragable, comme abusives au sens du premier alinéa“. 612  Art. L. 212-1 Abs.  5 C.  con.: „Un décret pris dans les mêmes conditions, détermine une liste de clauses présumées abusives; en cas de litige concernant un contrat comportant une telle clause, le professionnel doit apporter la preuve du caractère non abusif de la clause litigieuse“. 613 Vgl. Viney/Jourdain/Carval, Les effets de la responsabilité, Rn.  348; Mazeaud/Genicon, RDC 2012, 276.

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schutzrecht bekannte Tatbestandsmerkmal des „erheblichen Ungleichgewichts“ in den bis dahin für die Rechtspraxis aufgrund der zu hohen Anforderungen wei­ testgehend belanglosen614 Art. L. 442-6 C.  com. integriert. Den vorbereitenden Arbeiten ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber angesichts der „grundlegenden Einheit der Rechtsbeziehung zwischen Zulieferer, Händler und Verbraucher“ be­ wusst einen Gleichlauf mit dem Verbraucherschutzrecht anstrebte.615 So haftet nach Art. L. 442-6 I Nr.  2 C.  com. a. F. ein Hersteller, Kaufmann, Industrieller oder Handwerker und verpflichtet sich zur Erstattung des daraus entstandenen Schadens, wenn er einen Geschäftspartner Verpflichtungen unterwirft oder zu unterwerfen versucht, die zu einem erheblichen Ungleichgewicht zwischen den Rechten und Pflichten der Parteien führen.616 Obwohl die Norm nach ihrem Wortlaut lediglich die Haftung des ausbeutenden Unternehmens im näher spezi­ fizierten unternehmerischen Geschäftsverkehr vorsieht, entsprach es einer weit verbreiteten Rechtsprechung, jene Rechtsnorm in einer Auslegung contra legem auch zur Vernichtung ungerechter Verträge und Klauseln heranzuziehen.617 Die Norm dient trotz ihrer generalklauselartigen Formulierung vorrangig der Bekämpfung der rücksichtslosen Vertragsbedingungen der großen Einzelhan­ delsketten (grande distribution) gegenüber ihren Zulieferern.618 Mit Wirkung zum 26.04.2019 wurde die komplexe Liste wettbewerbsbe­ schränkender Verhaltensweisen aus Art. L. 442-6 C.  com. a. F. durch einen ver­ einfachenden und präzisierenden Verbotskatalog in Art. L. 442-1 C.  com. er­ setzt.619 Nunmehr haftet nach Art. L. 442-1 I Nr.  2 C.  com. jede Person, die einer Produktionstätigkeit nachgeht, ein Vertriebsgeschäft betreibt oder Dienstleistun­ 614  Siehe ausführlich zu den Gründen des Scheiterns des bisherigen Art. L. 442-6 C.  com. Chagny, D. 2011, 392, 394 f. 615  Malaurie-Vignal, CCC 2008, Nr.  11, Dossier Nr.  15, S.  12, 15 („l’adoption d’une notion commune avec le droit de la consommation traduit une unité fondamentale de la relation four­ nisseur-distributeur-consommateur“). 616  Art. L. 442-6 I Nr.  2 C.  com. a. F.: „Engage la responsabilité de son auteur et l’oblige à réparer le préjudice causé le fait, par tout producteur, commerçant, industriel ou personne im­ matriculée au répertoire des métiers: […] De soumettre ou de tenter de soumettre un partenaire commercial à des obligations créant un déséquilibre significatif dans les droits et obligations des parties“. 617  Vogel/Vogel, Le déséquilibre significatif, S.  36, 101 ff. 618 Vgl. Blaise/Desgorces, Droit des affaires, Nr.  964 (S.  544); Malaurie-Vignal, Droit de la concurrence, Nr.  271 (S.  134); Behar-Touchais, JCP G 2015, 1003, 1005; Bicheron, Gaz. Pal. 2015, 1326. 619  Die Reform erfolgte durch die gesetzesvertretende Verordnung Nr.  2019-359 vom 24.04.2019, die ihrerseits auf Art.  17 I Nr.  6 des Gesetzes Nr.  2018-938 vom 30.10.2018 (sog. loi EGalim) fußt. Danach wird die Regierung ermächtigt, die in Art. L. 442-6 C.  com. a. F. ge­ nannten Praktiken zu vereinfachen und präzisieren („simplifier et préciser les définitions des pratiques mentionnées à l’article L. 442-6“).

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gen erbringt, wenn sie im Rahmen der geschäftlichen Verhandlung, des Vertrags­ schlusses oder der Vertragsdurchführung die andere Vertragspartei Verpflichtun­ gen unterwirft oder zu unterwerfen versucht, die ein erhebliches Ungleichge­ wicht zwischen den Rechten und Pflichten der Parteien erzeugen.620 Die Möglichkeit des Opfers, die Unwirksamkeit der entsprechenden Klauseln und Verträge geltend zu machen, ergibt sich jetzt unmittelbar aus Art. L. 442-4 I Abs.  2 S.  2 C.  com.621 Wie der kompetenzübertragenden Ermächtigungsgrundla­ ge in Art.  17 I Nr.  6 der loi EGalim zu entnehmen ist, soll die Umformulierung der gesetzlichen Bestimmungen des C.  com. allein der Vereinfachung und Präzi­ sierung der bisherigen Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolgen dienen, ohne dass damit auch eine substantielle Veränderung der Materie angestrebt wird. Um die praktische Relevanz des Art. L. 442-1 I Nr.  2 C.  com. für den un­ ternehmerischen Geschäftsverkehr zu erfassen, ist daher den Wertungen des Art. L. 442-6 I Nr.  2 C.  com. a. F. Rechnung zu tragen. (2)  Der eingeschränkte persönliche Anwendungsbereich In personeller Hinsicht findet Art. L. 442-1 I Nr.  2 C.  com. nicht auf jegliche Verträge zwischen Unternehmern i. S. d. weiten verbraucherschutzrechtlichen Definition Anwendung. Während nach Art. L. 442-6 I Nr.  2 C.  com. a. F. der Ver­ tragsinhalt nur dann dem strengen Kontrollmaßstab unterlag, wenn dieser von einem Hersteller, Kaufmann, Industriellen oder Handwerker im Verhältnis zu seinem Geschäftspartner vereinbart wurde, ergibt sich aus dem modernisierten Normwortlaut, dass die richterliche Vertragsgerechtigkeitskontrolle für sämtli­ che Verträge gilt, die eine Person, die einer Produktionstätigkeit nachgeht, ein Vertriebsgeschäft betreibt oder Dienstleistungen erbringt mit einer anderen Per­ son schließt. Vor der Reform aus dem Jahr 2019 wurden damit auf der Seite des Normad­ ressaten Freiberufler und Landwirte im Unterschied zum Verbraucherschutzrecht aus dem personellen Anwendungsbereich ausgenommen.622 Ein Unternehmer konnte sich also gegenüber Angehörigen dieser Berufsgruppen nicht auf den Schutz des Art. L. 442-6 I Nr.  2 C.  com. a. F. berufen. Dies ist auch, wie sich im 620  Art.

L. 442-1 I Nr.  2 C.  com.: „Engage la responsabilité de son auteur et l’oblige à répa­ rer le préjudice causé le fait, dans le cadre de la négociation commerciale, de la conclusion ou de l’exécution d’un contrat, par toute personne exerçant des activités de production, de distri­ bution ou de services: […] De soumettre ou de tenter de soumettre l’autre partie à des obliga­ tions créant un déséquilibre significatif dans les droits et obligations des parties“. 621  Art. L. 442-4 I Abs.  2 S.  2 C.  com.: „Seule la partie victime […] peut faire constater la nullité des clauses ou contrats illicites et demander la restitution des avantages indus“. 622 Vgl. Deshayes, in: RDC hors série, S.  21, 28; Behar-Touchais, JCP G 2016, 662, 663 f.

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Folgenden zeigen wird, durchaus interessengerecht und sollte daher bei der Aus­ legung des modernisierten Gesetzeswortlauts zu berücksichtigen sein. Im Hinblick auf den geschützten Personenkreis sieht die moderne Gesetzes­ fassung im Unterschied zur bisherigen Rechtslage vor, dass nicht nur die Ge­ schäftspartner, sondern vielmehr sämtliche Vertragspartner des Normadressaten vor einem „erheblichen Ungleichgewicht“ geschützt sein sollen. Mit der offen­ sichtlichen terminologischen Ausdehnung des normativen Geltungsbereichs soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die 13 Verbotstatbestände des Art. L. 442-6 I C.  com. a. F. aus Gründen der Vereinfachung in den drei allgemei­ nen Verbotstatbeständen des Art. L. 442-1 I C.  com. zusammengefasst wurden.623 Eine darüber hinausgehende Beschränkung der Vertragsfreiheit wäre nicht mit der kompetenzübertragenden Rechtsgrundlage in der loi EGalim vereinbar, wo­ nach die Regierung lediglich zur Vereinfachung und Präzisierung der bisherigen Rechtslage ermächtigt wurde und damit gerade keine Ausdehnung der richterli­ chen Interventionsbefugnisse bezweckt wurde. Nach der bisherigen Rechtslage setzte Art. L. 442-6 I Nr.  2 C.  com. a. F. vor­ aus, dass die geschützte Vertragspartei ein Geschäftspartner des Normadressaten sein muss. Dieses Tatbestandsmerkmal wurde von der Rechtsprechung sowie von der Commission d’examen des pratiques commerciales – einer für die Un­ tersuchung missbräuchlicher Klauseln im Handelsverkehr zuständigen Instituti­ on – eng ausgelegt.624 Eine entsprechende Geschäftsbeziehung wurde angenom­ men, wenn das Vertragsverhältnis von gewisser Dauer war sowie die gemeinsa­ me und gegenseitige Absicht vorlag, in einvernehmlicher Abstimmung eine kommerzielle Aktivität zu entwickeln.625 Die Gerichte prüften insoweit regelmä­ ßig, ob zwischen den Unternehmern eine etablierte Vertragsbeziehung in Gestalt eines Dauerschuldverhältnisses gegeben war.626 623  Rapport au Président de la République relatif à l’ordonnance n° 2019-359 du 24 avril 2019 („Trois pratiques restrictives de concurrence concentrent l’essentiel du contentieux en la matière […] le nouvel article L. 442-1 du code de commerce remplace cette notion de ‚parte­ naire commercial‘ par celle de ‚l’autre partie‘ au contrat, qui est une notion plus adaptée en ce qu’elle permet d’inclure toutes les situations où la pratique illicite est imposée à un cocontrac­ tant“). 624  Dieny, JCP E 2015, Nr.  51-1626, S.  35, 38. 625  CA Paris, Urt. vom 27.09.2017 – 16/00671(„Un partenaire se définit comme le profes­ sionnel avec lequel une entreprise commerciale entretient des relations commerciales pour conduire une activité quelconque, ce qui suppose une volonté commune et réciproque d’effec­ tuer de concert des actes ensemble dans des activités de production, de distribution ou de ser­ vices, par opposition à la notion plus large d’agent économique ou plus étroite de cocontrac­ tant.“); Malaurie-Vignal, Droit de la concurrence, Nr.  272 (S.  134); Vogel/Vogel, Le déséqui­ libre significatif, S.  19; Bérard, RB 2015, 83, 84; Dieny, JCP E 2015, Nr.  51-1626, S.  35, 38 m. w. N. aus der Rspr.; Mekki/Darrois/Gauvain, JCP E 2016, Nr.  25-1373, S.  18, 22 f. 626  Dieny, JCP E 2015, Nr.  51-1626, S.  35, 38 m. w. N. aus der Rspr.

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Im Umkehrschluss fand Art. L. 442-6 I Nr.  2 C.  com. a. F. auf lediglich ein-627 oder zweimalige628 Vertragsschlüsse zwischen denselben Vertragsparteien keine Anwendung, soweit sich die Rechtsbeziehung in einem einmaligen Austausch erschöpfte. Zudem wurde eine Geschäftsbeziehung bereits mit der Begründung abgelehnt, dass der Vertragspartner für die Ausübung seiner Tätigkeit nicht von der Leistung seines Gegenübers abhängig war, er sich also ohne weiteres ander­ weitig versorgen konnte.629 Ferner stellte die Cour de cassation klar, dass Art. L. 442-6 I Nr.  2 C.  com. a. F. nur für Produktions-, Vertriebs- und Dienstleistungs­ verträge gelten konnte, sodass insbesondere Geschäftsraummietverträgen die Anwendbarkeit der besonderen Inhaltskontrolle zu versagen war.630 Aus den bisherigen Entscheidungen der Cour de cassation geht hervor, dass die richterliche Vertragskontrolle nach Maßgabe des Art. L. 442-6 I Nr.  2 C.  com. a. F., die seit dem 26.04.2019 in Art. L. 442-1 I Nr.  2 C.  com. kodifiziert ist, in erster Linie für die Vertriebsverträge der großen französischen Einzelhandelsket­ ten von praktischer Relevanz war und voraussichtlich auch in Zukunft sein wird.631 (3)  Anforderungen an die „Unterwerfung“ Während die Klauselkontrolle des Verbraucherschutzrechts bereits aufgrund des strukturellen Ungleichgewichts zwischen Unternehmern und Verbrauchern ge­ rechtfertigt ist, bedarf es für die Inhaltskontrolle zwischen Unternehmern eines zusätzlichen Kriteriums, um eine uferlose, sachlich ungerechtfertigte Inhaltskon­ trolle jeglicher Verträge zu verhindern. Neben den oben geschilderten personel­ 627  CA Lyon, Urt. vom 13.03.2014 – 12/06585 („Mais, à défaut d’expliquer en quoi la SARL QUAD ACTION pourrait être qualifiée, lors de la souscription du contrat litigieux de partenaire commercial d’ IMNALYS ou de la SAS LOCAM puisqu’il n’est pas soutenu qu’elles auraient entretenu antérieurement quelque relation que ce soit, ces dispositions ne sauraient trouver application.“). 628  CA Lyon, Urt. vom 10.05.2012 – 10/08302 („L’article L. 442-6 I, 2° du code de com­ merce ne concerne, lui, que les rapports entre partenaires commerciaux, qualification qui sup­ pose une certaine continuité, ce qui n’est pas le cas en l’espèce, les parties étant seulement liées par deux contrats ponctuellement souscrits pour le financement d’équipements particuliers de surveillance.“). 629  Vgl. die zahlreichen Nachweise aus der Rspr. in Vogel/Vogel, Le déséquilibre significa­ tif, S.  45. 630  Cass. civ. 3e, Urt. vom 15.02.2018 – 17-11.329. 631  Zur allgemeinen Zurückhaltung der Rechtsprechung in anderen Wirtschaftsbereichen, vgl. etwa CA Paris, Urt. vom 11.03.2014 – 13/11938 (Versicherungsmaklervertrag); CA Paris, Urt. vom 07.06.2013 – 11/08674 = RTD com. 2013, 500, Anm. Chagny (Finanzierungsver­ trag); CA Versailles, Urt. vom 23.06.2016 – 14/06181 (Vertrag zur Entwicklung und Vermie­ tung einer Internetpräsenz).

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len Einschränkungen wird diesem Erfordernis insbesondere dadurch Rechnung getragen, dass der Normadressat jedenfalls versucht haben muss, seinen Ver­ tragspartner den zu untersuchenden Verpflichtungen zu „unterwerfen“.632 Wie die französischen Gerichte mehrfach hervorgehoben haben, setzt dies nicht die Ausübung einer etwaigen Drohung gegen den Vertragspartner vor­ aus.633 Entscheidend ist vielmehr, ob dem Vertragspartner die reelle Möglichkeit eingeräumt wurde, über den Vertragsinhalt zu verhandeln.634 Bei der Beurteilung dieser Frage neigen die französischen Gerichte in Verträ­ gen der großen Einzelhandelsbetriebe dazu, an den Nachweis der fehlenden Ver­ handelbarkeit keine allzu hohen Anforderungen zu stellen, um den Tatbestand von seiner bisherigen Ausgestaltung, wonach noch ein Missbrauch der wirt­ schaftlichen Abhängigkeit erforderlich war, abzugrenzen.635 Daher begründet bereits ein unausgeglichenes wirtschaftliches Kräfteverhältnis zwischen den Par­ teien die Vermutung, dass über den Vertragsinhalt nicht ernstlich diskutiert wer­ den konnte und dementsprechend der Vertragspartner den Vertragsbestimmun­ gen des Verwenders unterworfen wurde.636 So entschied die Cour de cassation in einem Urteil aus dem Jahr 2015, dass gegenüber einem Vertragspartner, der über einen Marktanteil von 16,9  % verfügt, keine reelle Verhandlungsmöglichkeit ge­ geben ist.637 In einem weiteren Urteil aus dem Jahr 2016 weichte die Cour de cassation die Anforderungen an die Beweislastumkehr weiter auf, als sie die CA Paris darin bestätigte, dass in der französischen Lebensmittelbranche bereits per se eine Unterwerfung der Zulieferer vermutet werden kann.638 Bei Feststellung Bicheron, Gaz. Pal. 2015, 1326; CA Paris, Urt. vom 21.06.2017 – 15/18784 = AJ contrat 2017, 388, Anm. Pironon = RTD com. 2017, 599, Anm. Chagny (Vertrag zwischen Online-Rei­ sebüro und Hotel). 633  Malaurie-Vignal, Droit de la concurrence, Nr.  274 (S.  135); Ferrier, in: La violence éco­ nomique, S.  51, 59 m. w. N. aus der Rspr.; Mekki/Darrois/Gauvain, JCP E 2016, Nr.  25-1373, S.  18, 22. 634  Bérard, RB 2015, 83, 84; Mekki/Darrois/Gauvain, JCP E 2016, Nr.  25-1373, S.  18, 22. 635  Ferrier, in: La violence économique, S.  51, 59. 636  Bérard, RB 2015, 83, 84; vgl. zu den Maßstäben bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Kräfteverhältnisse Dieny, JCP E 2015, Nr.  51-1626, S.  35, 41 f. 637  Cass. com., Urt. vom 27.05.2015 – 14-11.387 = D. 2015, 1204 = RTD civ. 2015, 606, Anm. Barbier = RTD com. 2015, 578, Anm. Bouloc = RTD com. 2016, 81, Anm. Chagny („Mais attendu qu’ayant constaté que les clauses litigieuses étaient insérées dans tous les contrats signés par les fournisseurs, lesquels ne disposaient pas du pouvoir réel de les négocier, et relevé que les fournisseurs, dont seuls 3  % étaient des grands groupes, ne pouvaient pas prendre le risque d’être déréférencés par le GALEC qui détenait, en 2009, 16,9  % des parts du marché de la distribution, la cour d’appel, qui n’a pas procédé par affirmation générale, a pu en déduire que les fournisseurs avaient été soumis aux exigences du GALEC, caractérisant ainsi l’existence d’une soumission au sens de l’article L. 442-6 I 2° du code de commerce“). 638  Cass. com., Urt. vom 04.10.2016 – 14-28.013 = RDC 2017, 81, Anm. Behar-Touchais 632 

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eines strukturellen Ungleichgewichts, das sich sowohl aus der Branchentypizität als auch aus der Verteilung der Marktanteile ergeben kann, hat also die überlege­ ne Vertragspartei nachzuweisen, dass im konkreten Fall – also nicht lediglich für vergleichbare Vertragspartner – eine reelle Vertragsverhandlung möglich war.639 Erst wenn die Unterwerfung oder der Versuch einer Unterwerfung mangels Vorliegens oder Beweisbarkeit eines strukturellen Ungleichgewicht zwischen den Unternehmern nicht vermutet werden kann, obliegt dem Vertragspartner der praktisch nur sehr schwer zu erbringende Beweis, dass keine reelle Verhandlung über den Vertragsinhalt stattfinden konnte.640 Dies wurde beispielsweise in e­ inem Fall angenommen, in dem der Normadressat nachweislich gegenüber keinem seiner Vertragspartner – trotz entsprechender Anregungen – strittige Klauseln der eigenen AGB abänderte oder aufhob.641 In einem weiteren Urteil stellte die CA Paris klar, dass die Bereitschaft zur Abänderung unbedeutender Klauseln nicht die Annahme einer reellen Verhandlungsbereitschaft zu rechtfertigen vermag.642 Insgesamt zeichnet sich eine deutliche Tendenz der Rechtsprechung ab, das Tatbestandsmerkmal des „Unterwerfens“ im Bereich der grande distribution ohne weiteres anzunehmen, während in den übrigen Rechtbeziehungen stets der konkrete Nachweis einer unzureichenden Verhandelbarkeit gefordert wird.643

(„Mais attendu, en premier lieu, qu’étant saisie de la licéité de clauses de la convention de partenariat proposée à tous les fournisseurs en 2009 et les sociétés Carrefour n’ayant pas allé­ gué que certains d’entre eux, à raison de leur puissance économique, du nombre important de références qu’ils proposaient ou de leur caractère incontournable, seraient parvenus à obtenir la suppression des clauses litigieuses dans le cadre de négociations, la cour d’appel a pu se référer à la structure du secteur de la distribution alimentaire en France pour caractériser l’existence d’une soumission ou d’une tentative de soumission au sens de l’article L. 442-6, I, 2° du code de commerce“). 639  Vgl. zuletzt auch CA Paris, Urt. vom 19.04.2017 – 15/24221 = AJ contrat 2017, 282, Anm. Regnault; Malaurie-Vignal, Droit de la concurrence, Nr.  275 (S.  136). 640 Vgl. Dieny, JCP E 2015, Nr.  51-1626, S.  35, 41 f. 641  CA Paris, Urt. vom 20.11.2013 – 12/04791 („la société Provera ne fait jamais connaître son accord ou son désaccord sur les réserves ou des avenants proposés par les fournisseurs […] de sorte que, le contrat étant néanmoins exécuté, les modifications n’ interviennent jamais; qu’il peut être ainsi constaté si la négociation est possible, elle n’est pas effective et que les contrats soumis aux fournisseurs sont de véritables contrats d’adhésion; que la ‚soumission‘ est ainsi établie“). 642  CA Paris, Urt. vom 19.04.2017 – 15/24221 = AJ contrat 2017, 282, Anm. Regnault; ebenso Ferrier, in: La violence économique, S.  51, 60. 643  Malaurie-Vignal, Droit de la concurrence, Nr.  275 f. (S.  136) m. w. N. aus der Rspr.; Ponsard, CCC 2017, Nr.  5, S.  23, 25.

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A.  Das französische Recht

(4)  Das „erhebliche Ungleichgewicht“ in Art. L. 442-1 I Nr.  2 C.  com. Inhaltlich wird dem Normadressaten der Einsatz von Vertragsbestimmungen un­ tersagt, die ein „erhebliches Ungleichgewicht“ zwischen den Rechten und Pflich­ ten der Vertragsparteien erzeugen. Eine weitere Präzisierung des Tatbestands, wie sie im Verbraucherschutzrecht vorgenommen wird, lässt sich weder dem Gesetzestext noch den entsprechenden vorbereitenden Arbeiten entnehmen. Es fehlt damit insbesondere – die Beschränkung des Untersuchungsgegenstands auf akzessorische Klauseln im Lichte des Art. L. 212-1 Abs.  3 C.  con., – die Anordnung einer Globalbetrachtung entsprechend Art. L. 212-1 Abs.  2 C.  con. – sowie schließlich der Verweis auf die schwarzen und grauen Listen über miss­ bräuchliche Klauseln nach Art. L. 212-1 Abs.  4, 5 C.  con. i. V. m. Art. R. 212-1, 212-2 C.  con. Angesichts der Inspiration der Rechtsnorm am Verbraucherschutzrecht stellt sich die Frage, inwieweit bei der Anwendung des insoweit auslegungsbedürftigen Art. L. 442-1 I Nr.  2 C.  com. auf die oben genannten Besonderheiten des Ver­ braucherschutzrechts zum „erheblichen Ungleichgewicht“ sowie den Fundus zu diesem Kontrollinstrument in der Rechtsprechung und Literatur zurückgegriffen werden kann. (5)  Die Ansicht des Conseil constitutionnel644 Mit dieser Frage setzte sich der Conseil constitutionnel in einem Urteil vom 13.01.2011 auseinander, in dem er Art. L. 442-6 I Nr.  2 C.  com. a. F. für verfas­ sungskonform erklärte. Er begründete seine Entscheidung damit, dass das Tatbe­ standsmerkmal des „erheblichen Ungleichgewichts“ hinreichend klar und präzi­ se ist und infolgedessen nicht gegen das Legalitätsprinzip des Art.  8 der Déclara­ tion des droits de l’homme et du citoyen de 1789 verstößt, weil insoweit auf Art.  132-1 C.  con. a. F. Bezug genommen wurde und die dazu ergangene Recht­ sprechung für hinreichende Klarheit sorgt.645 Das Urteil legt also nahe, den Maß­ 644 

Das französische Verfassungsgericht. Vgl. Cons. const., Urt. vom 13.01.2011 – 2010-85 QPC = D. 2011, 415, Anm. Picod = RTD civ. 2011, 121, Anm. Fages = RTD com. 2011, 655, Anm. Bouloc („Considérant que, pour déterminer l’objet de l’interdiction des pratiques commerciales abusives dans les contrats conclus entre un fournisseur et un distributeur, le législateur s’est référé à la notion juridique de déséquilibre significatif entre les droits et obligations des parties qui figure à l’article L. 132-1 du code de la consommation reprenant les termes de l’article 3 de la directive 93/13/CEE du Conseil du 5 avril 1993 susvisée; qu’en référence à cette notion, dont le contenu est déjà préci­ sé par la jurisprudence, l’infraction est définie dans des conditions qui permettent au juge de se 645 

V.  Richterliche Kontrolle ungerechter Verträge und Klauseln

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stab bei der Bestimmung des „erheblichen Ungleichgewichts“ nach Art. L. 442-1 I Nr.  2 C.  com. an dem des Verbraucherschutzrechts nach Art. L. 212-1 C.  con. auszurichten. Die Konsequenz wäre also, dass die Beschränkung der Untersu­ chung auf akzessorische Klauseln sowie die teilweise sehr strengen Listen über missbräuchliche Klauseln des Verbraucherschutzrechts im Handelsrecht umfas­ sende Geltung beanspruchen würden.646 (6)  Reaktionen in der Lehre und Zivilrechtsprechung (a)  Kontrolle akzessorischer Klauseln Der überwiegende Teil des französischen Schrifttums lehnt die Ansicht des Con­ seil constitutionnel zu Recht ab und befürwortet vielmehr eine differenzierende Herangehensweise. Insbesondere setzte sich im französischen Schrifttum schon früh die Überzeugung durch, dass jedenfalls die Beschränkung der Inhalts­kon­ trolle auf akzessorische Klauseln nach Art. L. 212-1 Abs.  3 C.  con. nicht für Art. L. 442-1 I Nr.  2 C.  com. gelten kann.647 Zur Begründung wurde dabei der unter­ schiedliche Schutzzweck der beiden Bestimmungen angeführt: Art. L. 212-1 C.  con. trage dem Umstand Rechnung, dass sich der Verbrau­ cher typischerweise nicht näher mit dem gesamten Vertragsinhalt auseinander­ setzt und dementsprechend ohne hinreichende Reflexion dem Vertragsangebot des Unternehmers zustimmt.648 Dagegen schütze Art. L. 442-1 I Nr.  2 C.  com. die Vertragspartner eines strukturell überlegenen Unternehmers vor der miss­ bräuchlichen Ausnutzung seiner Verhandlungsposition.649 Das heißt, die han­ delsrechtliche Bestimmung dient danach allein dem Schutz der wirtschaftlich unterlegenen Vertragspartei, die im Unterschied zum Verbraucher zwar regelmä­ ßig vom gesamten Vertragsinhalt Kenntnis genommen hat, aber gerade aufgrund ihrer Abhängigkeit nicht darüber verhandeln konnte. Während infolgedessen das „erhebliche Ungleichgewicht“ i. S. d. Verbraucherschutzrechts rechtlich zu beur­ teilen sei, unterliege es nach Art. L. 442-1 I Nr.  2 C.  com. einer wirtschaftlichen

prononcer sans que son interprétation puisse encourir la critique d’arbitraire“); Capitant/Terré/ Lequette/Chénedé, Les grands arrêts, S.  142. 646  Diese Richtung einschlagend Mazeaud/Genicon, RDC 2012, 276, 285 f. 647 Vgl. Capitant/Terré/Lequette/Chénedé, Les grands arrêts, S.  142; Behar-Touchais, RDC 2009, 1258; Chénedé, JCP G 2016, 1334, 1337 f. (differenzierend zwischen Abhängigkeitsver­ trägen und contrats d’adhésion); Chénedé, RDC 2012, 1017, 1031; Dieny, JCP E 2015, Nr.  511626, S.  35, 36; Saint-Esteben, RDC 2009, 1275 („faux ami“). 648  Chénedé, JCP G 2016, 1334, 1337 f.; Le Gac-Pech, JCP E 2016, Nr.  03-1040, S.  46. 649  Capitant/Terré/Lequette/Chénedé, Les grands arrêts, S.  142; Le Gac-Pech, JCP E 2016, Nr.  03-1040, S.  46.

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A.  Das französische Recht

Betrachtung, die sich auf die Ermittlung eines gerechten Preises erstrecken ­müsse.650 Diese Ansicht löst den teilweise geäußerten Wertungswiderspruch auf, wo­ nach es nicht angehen kann, dass der unterlegene Unternehmer, dem zusätzlich eine richterliche Preisgerechtigkeitskontrolle zugutekommt, ein höheres Schutz­ niveau genießt als der Verbraucher, der lediglich Nebenbestimmungen beanstan­ den kann.651 Erblickt man den unmittelbaren Zweck der Inhaltskontrolle nämlich im Schutz des wirtschaftlich unterlegenen Vertragspartners, erscheint es nicht gerechtfertigt, die richterlichen Kontrollbefugnisse in einer dem Verbraucher­ recht entsprechenden Weise auf Nebenbestimmungen zu beschränken, da sich der Missbrauch hier vor allem in den Hauptleistungspflichten, also dem PreisLeis­tungs-Verhältnis, niederschlagen kann. Soll mit der Inhaltskontrolle dagegen die nicht hinreichend aufgeklärte Vertragspartei geschützt werden, so rechtfertigt dies die Beschränkung der Untersuchung auf solche Klauseln, die typischerwei­ se nicht gelesen oder gar berücksichtigt werden. Dies ist eben bei Nebenbestim­ mungen anzunehmen, die regelmäßig in den nicht näher untersuchten AGB des Unternehmers anzutreffen sind. Außerhalb dieses Bereichs ist dem Verbraucher dagegen durchaus zuzumuten, vor Abschluss des Vertrages das Preis-Leis­ tungs-Verhältnis der unterschiedlichen Anbieter miteinander zu vergleichen. Zudem stützt dies die oben geschilderten Begrenzungen des personellen An­ wendungsbereichs des Art. L. 442-6 I Nr.  2 C.  com. a. F., die aus den oben ge­ schilderten Gründen in den neuen Art. L. 442-1 I Nr.  2 C.  com. „hineinzulesen“ sind. In der Tat zeichnet sich ein Freiberufler oder Landwirt in seiner vertrags­ rechtlichen Beziehung zu einem Abnehmer weniger durch seine überlegene Ver­ handlungsposition als durch sein überlegenes Wissen aus, was ebenfalls die Beschrän­kung des Kontrollgegenstandes nach Maßgabe des Verbraucherschutz­ rechts auf akzessorische Klauseln rechtfertigt. Für die Vertreter dieser Berufs­ gruppen ist weniger die wirtschaftliche Verhandlungsstärke als ihre besondere Expertise kennzeichnend. In ihrer Rechtsbeziehung zu ihren Vertragspartnern können sie aber nicht als dominanter Verhandlungspartner angesehen werden. Führt man sich beispielsweise die Verhandlungsposition eines Milchbauern zu den regelmäßig auf internationaler Ebene agierenden Molkereien oder eines Künstlers zu einem Verlag vor Augen, so wird deutlich, dass vielmehr die Ver­ tragsgegenseite typischerweise als die dominante Vertragspartei anzusehen ist.

650 

Chénedé, JCP G 2016, 1334, 1337 f.; Sauphanor-Brouillaud, LPA 2015, Nr.  177, S.  70,

651 

Chénedé, JCP G 2016, 1334, 1337 f.; Chénedé, RDC 2012, 1017, 1031.

74.

V.  Richterliche Kontrolle ungerechter Verträge und Klauseln

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Dies wurde im Ergebnis zunächst von der CA Paris652 und schließlich auch von der Cour de cassation653 sowie dem Conseil constitutionnel654 bestätigt. Die Cour de cassation stellte ausdrücklich klar, dass die Ähnlichkeit des Art. L. 4426 I Nr.  2 C.  com. a. F. mit Art. L. 212-1 C.  con. nicht ausschließt, dass beide Normen angesichts der abweichenden gesetzgeberischen Ziele unterschiedlichen Anwendungsbereichen unterliegen können.655 Dementsprechend wurde bereits bei der normativen Ausgestaltung des Art. L. 442-6 I Nr.  2 C.  com. a. F. nach der Überzeugung des überwiegenden Schrifttums sowie der Rechtsprechung bewusst auf die Aufnahme einer dem Art. L. 212-1 Abs.  3 C.  con. vergleichbare Beschränkung verzichtet, womit auch eine analoge Anwendung dieser Bestimmung – im Sinne des sogenannten argumentum a simili656 – außer Betracht zu bleiben hat.657 Vielmehr entspricht es dem Sinn und Zweck der Norm, die richterliche Vertragsgerechtigkeitskontrolle auf die Ange­ messenheit des vereinbarten Entgelts zu erstrecken.658 (b)  Globalbetrachtung oder Einzelbetrachtung Anders ist dagegen bei der Beurteilung der Frage zu verfahren, inwieweit bei der Feststellung eines „erheblichen Ungleichgewichts“ die übrigen Klauseln des 652  CA Paris, Urt. vom 23.05.2013 – 12/01166 = RTD com. 2013, 500, Anm. Chagny = RDC 2014, 411, Anm. Behar-Touchais (Signifikantes Ungleichgewicht ablehnend); CA Paris, Urt. vom 01.07.2015 – 13/19251 = RTD com. 2015, 492, Anm. Chagny (Signifikantes Un­ gleichgewicht festgestellt). 653  Cass. com., Urt. vom 25.01.2017 – 15-23.547 = D. 2017, 481, Anm. Buy = RTD civ. 2017, 383, Anm. Barbier = RDC 2017, 470, Anm. Grimaldi = Defrénois 2017, 35, Anm. Seube = CCC 2017, Komm. Nr.  77, Anm. Mathey („l’article L. 442-6, I, 2° du code de commerce autorise un contrôle judiciaire du prix, dès lors que celui-ci ne résulte pas d’une libre négocia­ tion et caractérise un déséquilibre significatif dans les droits et obligations des parties“). 654  Cons. const., Urt. vom 30.11.2018 – 2018-749 QPC = RDC 2019, 68, Anm. Behar-­ Touchais. 655  Cass. com., Urt. vom 25.01.2017 – 15-23.547 = D. 2017, 481, Anm. Buy = RTD civ. 2017, 383, Anm. Barbier = RDC 2017, 470, Anm. Grimaldi = Defrénois 2017, 35, Anm. Seube = CCC 2017, Komm. Nr.  77, Anm. Mathey („la similitude des notions de déséquilibre signifi­ catif prévues aux articles L. 132-1, devenu L. 212-1, du code de la consommation et L. 442-6, I, 2° du code de commerce, relevée par le Conseil constitutionnel dans sa décision n° 2010-85 QPC du 13 janvier 2011, n’exclut pas qu’il puisse exister entre elles des différences de régime tenant aux objectifs poursuivis par le législateur dans chacun de ces domaines, en particulier quant à la catégorie des personnes qu’il a entendu protéger et à la nature des contrats concer­ nés“). 656  Mathey, CCC 2017, Nr.  4, Komm. Nr.  77, S.  24, 26. 657 Vgl. Cattalano-Cloarec, LEDC 2017, Nr.  3, S.  1. 658  Malaurie-Vignal, Droit de la concurrence, Nr.  273 (S.  135); Behar-Touchais, JCP G 2015, 1003, 1006; Cattalano-Cloarec, LEDC 2017, Nr.  3, S.  1; a. A. Bérard, RB 2015, 83, 85.

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A.  Das französische Recht

Vertrages im Sinne einer Globalbetrachtung zu berücksichtigen sind. Trotz der unterbliebenen Aufnahme einer dem Art. L. 212-1 Abs.  2 C.  con. vergleichbaren Bestimmung, wonach sich im Verbraucherschutzrecht die Wirksamkeit einer Klausel nach den gesamten Umständen des Einzelfalls unter Berücksichtigung der übrigen Klauseln des Vertrages richtet, lehnten das überwiegende Schrifttum mit der Cour de cassation eine isolierte Betrachtung einzelner Klauseln bei der Anwendung von Art. L. 442-6 I Nr.  2 C.  com. a. F. ab.659 Zur Begründung berief sich die Cour de cassation insoweit auf den Wortlaut der Norm, der eine Gegen­ überstellung sämtlicher „Rechte und Pflichten“ anordnet.660 (c)  Bestimmung des „erheblichen Ungleichgewichts“ Im Übrigen lässt sich der bisherigen Rechtsprechung zu Art. L. 442-6 I Nr.  2 C.  com. a. F. bei der Auslegung des „erheblichen Ungleichgewichts“ keine ein­ heitliche Linie entnehmen.661 Insbesondere besteht keine Einigkeit im Hinblick auf die Frage, inwieweit dabei die Rechtsprechung sowie die Klausellisten zu Art. L. 212-1 C.  con. zu berücksichtigen sind. Während die CA Paris beispiels­ weise ausdrücklich bei der Anwendung des Art. L. 442-6 I Nr.  2 C.  com. a. F. auf die schwarze Liste des Verbraucherschutzrechts Bezug nahm662, wurde teilweise die Berücksichtigung der verbraucherschutzrechtlichen Rechtsprechung schlechthin abgelehnt.663 In späteren Entscheidungen korrigierte die CA Paris ihre Position dahingehend, dass sich der Richter bei der Auslegung des „erhebli­ chen Ungleichgewichts“ nach Art. L. 442-6 I Nr.  2 C.  com. a. F. allenfalls am 659  Cass. com., Urt. vom 03.03.2015 – 13-27.525 = Bulletin civil IV, Nr.  42 = D. 2015, 943, Anm. Ferrier = D. 2015, 1021, Anm. Buy = RTD com. 2016, 81, Anm. Chagny = RDC 2015, 523, Anm. Behar-Touchais; Malaurie-Vignal, Droit de la concurrence, Nr.  278 (S.  137); Mercadal, Réforme, Nr.  431; Vogel/Vogel, Le déséquilibre significatif, S.  26; Behar-Touchais, JCP G 2015, 1003, 1004; Dieny, JCP E 2015, Nr.  51-1626, S.  35, 42; Le Gac-Pech, JCP E 2016, Nr.  03-1040, S.  46; Ponsard, CCC 2017, Nr.  5, S.  23; Sauphanor-Brouillaud, LPA 2015, Nr.  177, S.  70, 74. 660  Cass. com., Urt. vom 03.03.2015 – 13-27.525 = Bulletin civil IV, Nr.  42 = D. 2015, 943, Anm. Ferrier = D. 2015, 1021, Anm. Buy = RTD com. 2016, 81, Anm. Chagny = RDC 2015, 523, Anm. Behar-Touchais („l’article L 442-6 I 2° du code de commerce prohibe le fait de soumettre ou de tenter de soumettre un partenaire à des obligations créant un ‚déséquilibre si­ gnificatif‘ dans les droits et obligations des parties; qu’il résulte de ce texte que le ‚déséquilibre significatif‘ doit s’apprécier, in concreto, en prenant en compte l’ensemble des ‚droits et obli­ gations des parties‘, tel qu’il ressort du contrat, pris en son ensemble et au regard du ‚parte­ naire‘ avec lequel il est conclu“). 661 Vgl. Chagny, in: Réforme du droit des contrats, S.  47, 51 f.; Dieny, JCP E 2015, Nr.  511626, S.  35, 43 m. w. N. 662  CA Paris, Urt. vom 18.09.2013 – 12/03177. 663  Vogel/Vogel, Le déséquilibre significatif, S.  27 m. w. N. aus der Rspr.

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Verbraucherschutzrecht inspirieren könne, sich indes nicht mit einer analogen Anwendung begnügen dürfe.664 Mit anderen Worten kann dem Umstand, dass eine Klausel nach dem Verbrau­ cherschutzrecht unwirksam ist, nicht ohne weiteres entnommen werden, dass dies auch zwischen Unternehmern nach Art. L. 442-1 I Nr.  2 C.  com. gelten soll. Letztlich dürfte wohl ebenso wie im Verbraucherschutzrecht die Gegenseitigkeit einer Klausel665 sowie die Gebräuchlichkeit666 oder das Vorliegen einer angemes­ senen Gegenleistung für eine bei isolierter Betrachtung einseitig benachteiligen­ de Klausel bei der Beurteilung eines erheblichen Ungleichgewichts ausschlagge­ bend sein.667 Im Ergebnis wird also die Anlehnung an das Verbraucherschutz­ recht je nach Fragestellung für möglich erachtet.668 Von den Gerichten wurden indes die sich auf Art. L. 442-6 I Nr.  2 C.  com. a. F. stützenden Klagen mehrheitlich abgewiesen.669 Eine Ausnahme hiervon bestand nur in dem Bereich, für den die Bestimmung wie eingangs dargelegt ursprüng­ lich konzipiert wurde. So wurde den Klagen gegen die AGB der großen Einzel­ handelsketten deutlich häufiger stattgegeben.670 Insbesondere wurde die Unge­ rechtigkeit des Preis-Leistungs-Verhältnisses bisweilen ausschließlich in diesen Konstellationen angenommen.671 Dadurch hat Art. L. 442-6 I Nr.  2 C.  com. a. F. nicht den vielfach befürchteten Zusammensturz der Privatautonomie im unter­ 664  CA Paris, Urt. vom 01.10.2014 – 13/16336 („si le juge peut s’inspirer des solutions dé­ gagées sur le fondement de l’article L. 132-1 du code de la consommation pour interpréter les dispositions de l’article L. 442-6 I 2° du code de commerce, il n’en résulte pas que son raison­ nement procède par analogie, dès lors que le champ d’application des deux textes est distinct, l’article L. 442-6 précité ayant vocation à s’appliquer dans les rapports entre professionnels où les rapports de force sont différents de ceux existants entre professionnels et consommateurs“); CA Paris, Urt. vom 29.10.2014 – 13/11059 = RTD com. 2014, 785, Anm. Chagny. 665 Vgl. Blaise/Desgorces, Droit des affaires, Nr.  967 (S.  546 f.); Malaurie-Vignal, Droit de la concurrence, Nr.  279 (S.  137 f.); Bérard, RB 2015, 83, 84. 666  Malaurie-Vignal, Droit de la concurrence, Nr.  281 (S.  138). 667  CA Paris, Urt. vom 19.04.2017 – 15/24221 = AJ contrat 2017, 282, Anm. Regnault („L’existence d’obligations créant un déséquilibre significatif peut notamment se déduire d’une absence totale de réciprocité ou de contrepartie à une obligation, ou encore d’une disproportion importante entre les obligations respectives des parties.“); Malaurie-Vignal, Droit de la concur­ rence, Nr.  280 (S.  138); Mercadal, Réforme, Nr.  431; Ferrier, in: La violence économique, S.  51, 61 f. 668 Vgl. Chagny, D. 2011, 392, 393 f. 669 Vgl. Mercadal, Réforme, Nr.  432 m. w. N. aus der Rspr.; Dieny, JCP E 2015, Nr.  511626, S.  35, 38 ff. 670  Vgl. insbesondere Behar-Touchais, JCP G 2015, 1003, die vor diesem Hintergrund von einem „déséquilibre significatif à deux vitesses“ spricht; siehe auch Malaurie-Vignal, Droit de la concurrence, Nr.  271 (S.  134); Dieny, JCP E 2015, Nr.  51-1626, S.  35, 38 ff.; Ponsard, CCC 2017, Nr.  5, S.  23, 24. 671  Malaurie-Vignal, Droit de la concurrence, Nr.  273 (S.  135).

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A.  Das französische Recht

nehmerischen Geschäftsverkehr herbeigeführt.672 Daran dürfte sich durch die bloß klarstellende Rekodifikation dieser Regelung in Art. L. 442-1 I Nr.  2 C.  com. auch in Zukunft nichts ändern. ii)  Die allgemeine Klauselkontrolle nach Art.  1171 C. civ. (1) Einleitung Bei Art.  1171 C. civ. handelt es sich um die bedeutendste und zugleich umstrit­ tenste Neuerung der gesetzesvertretenden Verordnung.673 Der französische Ge­ setzgeber unternimmt mit dieser Innovation trotz der lebhaften Diskussionen um den Begriff des contrat d’adhésion den Versuch, neben den soeben geschilderten Spezialvorschriften eine allgemein für diesen Vertragstyp geltende richterliche Klauselkontrolle im allgemeinen Zivilrecht zu etablieren.674 Dabei bedient er sich bewusst auslegungsbedürftiger Tatbestandsmerkmale, womit der Rechtsan­ wender in Zukunft mit zahlreichen Ungewissheiten konfrontiert sein wird, die im Folgenden unter Berücksichtigung der Normentwicklung näher zu beleuch­ ten sind. (2)  Vom Gesetzentwurf (2015) zur gesetzesvertretenden Verordnung (2016) In Art.  1171 C. civ. wird einleitend klargestellt, dass Klauseln, die ein „erhebli­ ches Ungleichgewicht“ zwischen den Rechten und Pflichten der Vertragsparteien auslösen, nicht in sämtlichen Verträgen, sondern nur in contrats d’adhésion zu beanstanden sind. Hierbei handelt es sich um eine im Vergleich zum Reformentwurf bedeutende Eingrenzung.675 Während nach Art 1122-2 des Avant-projet Catala sowie Art.  67 des Avant-projet Terré der Geltungsbereich des neuen Schutzinstruments noch auf nicht verhandelte Klauseln beschränkt wurde, sollten nämlich nach dem Gesetz­entwurf aus dem Jahr 2015 die Klauseln sämtlicher Verträge der Gleich­ gewichtskontrolle unterworfen werden.676 Der Vorstoß der französischen Regie­ rung wurde während der öffentlichen Konsultation von der französischen Litera­ 672 Vgl.

S.  4.

Le Gac-Pech, JCP E 2015, Nr.  43-1509, S.  32; Le Gac-Pech, LPA 2015, Nr.  191,

Chagny, in: Réforme du droit des contrats, S.  47, 48 f.; Deshayes, in: RDC hors série, S.  21, 24 f.; Renault-Brahinsky, Droit des obligations, S.  87; Barbier, JCP G 2016, 722; Fenouillet, RDC 2016, 358 f.; Le Gac-Pech, LPA 2016, Nr.  162, S.  7, 11 („innovations de taille“); Mekki, Gaz. Pal. 2016, 1440. 674  Bien/Borghetti/Witz, Die Reform, S.  129. 675  Deshayes, in: RDC hors série, S.  21, 28; Pietrancosta/Martel, Le droit des contrats ré­ formé, S.  57. 676  Capitant/Terré/Lequette/Chénedé, Les grands arrêts, S.  143. 673 

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tur überwiegend abgelehnt.677 Neben der damit einhergehenden Rechtsunsicher­ heit678 wurde insbesondere die mangelnde Vereinbarkeit mit dem nunmehr in Art.  1102 C. civ. kodifizierten Grundsatz der Vertragsfreiheit sowie der damit einhergehenden Unbeachtlichkeit vertraglicher Ungleichgewichtslagen nach Art.  1168 C. civ. beanstandet.679 Es sei widersprüchlich, einerseits die Vertrags­ parteien als die besten Vertreter ihrer Interessen zu erachten und vertragliche Äquivalenzstörungen für unbeachtlich zu erklären, andererseits jedoch die Klau­ seln sämtlicher Verträge uneingeschränkt einer gerichtlichen Gleichgewichts­ kontrolle zu unterwerfen.680 Ein solcher Eingriff in die Vertragsfreiheit sei nur dann gerechtfertigt, wenn feststehe, dass die Vertragsparteien nach den Umstän­ den des Vertragsschlusses typischerweise nicht imstande waren, ihre Interessen angemessen zu verteidigen.681 Daher wurde dem Gesetzgeber nahegelegt, den Anwendungsbereich entweder allgemein auf den contrat d’adhésion oder nach dem Vorbild Catalas sowie Terrés jedenfalls auf nicht verhandelte Klauseln einzugrenzen.682 Die französi­ sche Regierung entschied sich für die erstgenannte Tatbestandseingrenzung und erhob so die in Art.  1110 C. civ. erstmalig kodifizierte Differenzierung zwischen dem contrat de gré à gré und dem contrat d’adhésion, die nach dem Gesetzent­ wurf aus dem Jahr 2015 noch allein für die Vertragsauslegung nach Art.  1190 C. civ. von Bedeutung war, zur grundlegenden Weichenstellung bei der Beurtei­ lung der Wirksamkeit von Vertragsklauseln.683

677  Viney/Jourdain/Carval, Les effets de la responsabilité, Rn.  351 m. w. N.; Mainguy, JCP E 2016, Nr.  07-151, S.  9, 13; Mekki, D. 2016, 494, 500; vgl. zur Kritik Bicheron, Gaz. Pal. 2015, 1326, 1327; Boffa, Gaz. Pal. 2015, 1320, 1324; Dupichot, Dr. et patr. 2015, Nr.  247, S.  32, 46; Sauphanor-Brouillaud, LPA 2015, Nr.  177, S.  70, 71. 678  Obwohl das zentrale Ziel der Reform in der Erhöhung der Rechtssicherheit liegt, vgl. Bicheron, Gaz. Pal. 2015, 1326, 1328. 679  Capitant/Terré/Lequette/Chénedé, Les grands arrêts, S.  143; Dupichot, Dr. et patr. 2015, Nr.  247, S.  32, 46; Sauphanor-Brouillaud, LPA 2015, Nr.  177, S.  70, 73. 680  Capitant/Terré/Lequette/Chénedé, Les grands arrêts, S.  143. 681  Mazeaud, in: RDC hors série, S.  53, 55; Mazeaud, Gaz. Pal. 2016, 208, 213. 682  Capitant/Terré/Lequette/Chénedé, Les grands arrêts, S.  143; Chénedé, JCP G 2016, 1334, 1335 m. w. N. zu den Begrenzungsvorschlägen; Dupichot, Dr. et patr. 2015, Nr.  247, S.  32, 46; Sauphanor-Brouillaud, LPA 2015, Nr.  177, S.  70, 73. 683 Vgl. Mekki, Gaz. Pal. 2016, 792; Revet, in: RDC hors série, S.  5, 8; Revet, D. 2016, 1771, 1772 („la distinction entre le contrat de gré à gré et le contrat d’adhésion constitue la summa divisio du droit commun des contrats“).

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(3)  Von der gesetzesvertretenden Verordnung (2016) zum Zustimmungsgesetz (2018) Nach der vom 01.10.2016 bis zum 30.09.2018 geltenden Fassung des Art.  1171 Abs.  1 C. civ. ist in einem contrat d’adhésion jede Klausel unwirksam, die zwi­ schen den Rechten und Pflichten der Vertragsparteien ein erhebliches Ungleich­ gewicht erzeugt.684 Seit dem 01.10.2018 unterliegen dagegen nicht sämtliche, sondern lediglich die nicht verhandelbaren und im Vorfeld von einer Partei be­ stimmten Klauseln der Unwirksamkeit.685 Rechtlich unverändert betrifft die Be­ urteilung des Ungleichgewichts gem. Art.  1171 Abs.  2 C. civ. weder den Haupt­ gegenstand des Vertrages noch die Angemessenheit zwischen dem Preis und der Leistung.686 Die Definition des contrat d’adhésion wurde ihrerseits in Art.  1110 Abs.  2 C. civ. als Gegenstück zum contrat de gré à gré nach Art.  1110 Abs.  1 C. civ. erstmalig gesetzlich definiert. Unter einem contrat de gré à gré ist gem. Art.  1110 Abs.  1 C. civ in der Fassung vom 01.10.2016 bis zum 30.09.2018 ein Vertrag zu verstehen, dessen Vereinbarungen frei zwischen den Vertragsparteien ausgehan­ delt wurden, während es sich beim contrat d’adhésion nach Art.  1110 Abs.  2 C. civ. um einen Vertrag handelt, dessen allgemeine Bedingungen, die der Ver­ handlung entzogen sind, im Voraus von einer Partei bestimmt wurden.687 Auf die harsche Kritik im parlamentarischen Zustimmungsverfahren, die an den jeweiligen Definitionen im Kern bemängelte, dass diese keine lückenlose Einteilbarkeit sämtlicher Verträge in eine der genannten Kategorien gestatten und sich eine Verhandlung als formale Verhaltensanforderung leicht vortäuschen lässt, wurde der Normwortlaut zum 01.10.2018 grundlegend modifiziert.688 Nun­ mehr zeichnet sich ein contrat de gré à gré dadurch aus, dass die Vereinbarungen zwischen den Vertragsparteien verhandelbar waren, während der contrat d’adhésion eine Gesamtheit von unverhandelbaren Klauseln beinhaltet, die im Vorfeld von einer Partei bestimmt wurden.689 Mit der Ersetzung der „allgemeinen Bedin­ 684  „Dans un contrat d’adhésion, toute clause qui crée un déséquilibre significatif entre les droits et obligations des parties au contrat est réputée non écrite“. 685  „Dans un contrat d’adhésion, toute clause non négociable, déterminée à l’avance par l’une des parties, qui crée un déséquilibre significatif entre les droits et obligations des parties au contrat est réputée non écrite“. 686  „L’appréciation du déséquilibre significatif ne porte ni sur l’objet principal du contrat ni sur l’adéquation du prix à la prestation“. 687  „Le contrat de gré à gré est celui dont les stipulations sont librement négociées entre les parties. Le contrat d’adhésion est celui dont les conditions générales, soustraites à la négocia­ tion, sont déterminées à l’avance par l’une des parties“. 688  Chantepie/Latina, D. 2018, 309, 310. 689  „Le contrat de gré à gré est celui dont les stipulations sont négociables entre les parties.

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gungen“ durch die „Gesamtheit unverhandelbarer Klauseln“ sollte zudem zum Ausdruck gebracht werden, dass die für contrats d’adhésion vorgesehene Be­ günstigung der Vertragsgegenseite nicht nur für den Massenverkehr gilt, auch wenn hier das primäre Einsatzgebiet solcher Nebenbestimmungen liegt.690 Das französische Recht verzichtet somit nach dem Zustimmungsgesetz im Unter­ schied zum deutschen Recht auf das Erfordernis der Mehrfachverwendungsab­ sicht. Dieser formale Unterschied führt im Rechtsverkehr zwischen Unterneh­ mern dazu, dass die Inhaltskontrolle nur nach deutschem Recht bei einem aus nur einer Klausel bestehenden Vertrag und nur nach französischem Recht im Hin­ blick auf ein lediglich einmal zu verwendendes Klauselwerk denkbar ist. Die Konsequenz der Modifikation des C. civ. durch das Zustimmungsgesetz ist, dass Klauseln in contrats d’adhésion, je nachdem, ob der Vertrag vor dem 30.09.2016, zwischen dem 01.10.2016 und dem 30.09.2018 oder nach dem 01.10.2018 geschlossen wurde, entweder den Wirksamkeitsanforderungen des C. civ. von 1804, der gesetzesvertretenden Verordnung oder des Zustimmungsge­ setzes unterliegen und damit unterschiedlich strengen Maßstäben ausgesetzt sind. (4)  Die Ermittlung des Regelungszwecks und Geltungsbereichs der besonderen Bestimmungen zum contrat d’adhésion (a) Einleitung Die französische Regierung übernahm in ihrer Definition des contrat d’adhésion gem. Art.  1110 Abs.  2 C. civ. in der Fassung vom 01.10.2016 bis zum 30.09.2018 lediglich die im Schrifttum unstreitigen Kriterien der unterbliebenen Vertrags­ verhandlungen sowie der einseitigen Vorformulierung und ergänzte diese um das Tatbestandsmerkmal der conditions générales.691 Das zum 01.10.2018 in Kraft getretene Zustimmungsgesetz ersetzt den umstrittenen Begriff der conditions générales durch das Erfordernis „einer Gesamtheit von unverhandelbaren Klau­ seln“. Dagegen entbehren beide Definitionen der nur vereinzelt geforderten Merkmale der Komplexität des Vertragsinhalts, der wirtschaftlichen Überlegen­ heit des Verwenders, der Angewiesenheit des Vertragspartners auf den Abschluss des Vertrages sowie der Unbestimmtheit des Adressatenkreises. Wie bereits erör­ tert, ermöglichen die bisherigen Abhandlungen zum contrat d’adhésion in Er­ Le contrat d’adhésion est celui qui comporte un ensemble de clauses non négociables, déter­ minées à l’avance par l’une des parties“. 690  Chantepie/Latina, D. 2018, 309, 310. 691  Revet, D. 2016, 1771, 1772; Reygrobellet, BJS 2016, 534. Die französische Regierung hat sich bei der Wahl dieses Tatbestandsmerkmals nicht zuletzt an den entsprechenden Bestim­ mungen des BGB inspiriert, vgl. Mekki, D. 2016, 494, 496.

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mangelung eines einheitlichen Konzepts daher keine tragfähigen Rückschlüsse bei der Präzisierung der nunmehr im C. civ. verankerten Tatbestandsmerkmale des contrat d’adhésion.692 Im französischen Schrifttum wurde zu Recht festgestellt, dass die moderne Definition des contrat d’adhésion im C. civ. außergewöhnlich weit ist.693 Die ge­ setzesvertretende Verordnung reduzierte sie auf lediglich drei unbestimmte Tat­ bestandsmerkmale, die ihrem Wortlaut nach die Berücksichtigung sämtlicher im bisherigen Schrifttum umstrittenen Merkmale gestatten. Das heißt, der Gesetz­ geber lehnte weder eine der vorgeschlagenen Definitionen ab noch gewährte er einer den Vorzug. Vielmehr überließ er die konkrete Ausgestaltung der Literatur und Rechtsprechung, indem er auch im begleitenden Bericht an den Präsidenten keine Aussage über den Normzweck des Art.  1110 Abs.  2 C. civ. traf.694 Das Ziel dieses Abschnittes liegt daher darin, die im französischen Schrifttum zu Art.  1110 Abs.  2 C. civ. am intensivsten diskutierten Auslegungsprobleme zu schildern,695 um nach der Erörterung der entsprechenden Bestimmungen des BGB im rechtsvergleichenden Teil dieser Arbeit entsprechende Lösungsvor­ schläge anzubieten. (b)  Die conditions générales in der Definition der gesetzesvertretenden Verordnung Der Begriff der conditions générales wurde in der französischen Rechtspraxis entwickelt, die sich ihrerseits an §  305 BGB inspiriert hat.696 Die Schwierigkei­ ten dieses im C. civ. nicht näher definierten Tatbestandsmerkmals lassen sich in einen formellen und einen materiellen Aspekt untergliedern. Der formelle Aspekt betrifft die Frage, ob der Gesetzgeber damit die Verwendung eines Formularver­ trages indizieren wollte. Teilweise wird insoweit vertreten, es handele sich hier­ bei um eine indirekte Bezugnahme auf das in der Literatur umstrittene Kriterium der Unbestimmtheit des Adressatenkreises.697 Insoweit könnte man das Vorlie­ gen von conditions générales gegebenenfalls lediglich dann annehmen, wenn dem Verfasser oder dem Verwender der serienmäßige Einsatz der betreffenden So im Ergebnis auch Houtcieff, Gaz. Pal. 2016, 1140, 1141; Mekki, Gaz. Pal. 2016, 792 f. Mekki/Darrois/Gauvain, JCP E 2016, Nr.  25-1373, S.  18, 19. 694  Revet, D. 2016, 1771, 1773 f. 695  Vgl. insoweit etwa Bourassin, LPA 2016, Nr.  261, S.  9, 15; Chénedé, JCP G 2016, 1334, 1337. 696  Fenouillet, RDC 2016, 358, 365. 697  Fenouillet, RDC 2016, 358, 365; Revet, D. 2016, 1771, 1772 f. m.w.N; im Ergebnis auch Renault-Brahinsky, Droit des obligations, S.  61; Chénedé, JCP G 2016, 1334, 1337 f.; vgl. auch Bourassin, LPA 2016, Nr.  261, S.  9, 15, der diese Frage an die „einseitige Bestimmung im Vo­ raus“ anknüpft. 692 

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Klauseln oder eine entsprechende Absicht nachgewiesen werden kann.698 Für jene Ansicht ließe sich jedenfalls ins Feld führen, dass der Gesetzgeber für den Inhalt des Individualvertrags nach Art.  1110 Abs.  1 C. civ. den Begriff der stipulations und damit eine abweichende Terminologie gewählt hat. Der materielle Aspekt betrifft die Frage, inwieweit mit der gegenüber dem Individualvertrag abweichenden Wortwahl eine inhaltliche Einschränkung der betroffenen Klauseln angestrebt sein könnte. Teilweise wird insoweit gefordert, dass es sich bei einer condition générale um eine sog. akzessorische Klausel handeln müsse.699 Solche Klauseln zeichnen sich im Unterschied zu den wesent­ lichen Vertragsbestandteilen dadurch aus, dass sie typischerweise nicht die Auf­ merksamkeit des Klauselgegners auf sich ziehen. Die Vertreter dieser Ansicht wiederum stützen sich neben dem oben beschriebenen systematischen Argument zusätzlich auf die Definition des Vorentwurfs der Regierung. Darin war nämlich im Unterschied zu der Definition des contrat d’adhésion nach der gesetzesvertre­ tenden Verordnung nicht von conditions générales, sondern vielmehr von we­ sentlichen Vereinbarungen (stipulations essentielles) die Rede. Die Vertreter je­ ner Ansicht sind der Überzeugung, dass der Gesetzgeber mit dem Austausch der Tatbestandsmerkmale zum Ausdruck bringen wollte, dass die betroffenen Klau­ seln nunmehr nicht einen wesentlichen, sondern vielmehr einen akzessorischen Charakter aufweisen müssen. Andere wiederum sind der Auffassung, der Gesetzgeber wolle an den Begriff der conditions générales überhaupt keine besonderen Anforderungen knüpfen.700 Die zur Definition des Individualvertrags abweichende Terminologie solle dem Rechtsanwender lediglich gestatten, eine verhandelte Klausel als stipulation und eine nicht verhandelte Klausel als condition générale zu bezeichnen.701 Mit an­ deren Worten beinhalte der Begriff der condition générale keine zusätzlichen Anforderungen, sondern werde schlichtweg anhand der übrigen Tatbestands­ merkmale des Art.  1110 Abs.  2 C. civ. legaldefiniert. Gegen die Behauptung, der Begriff der condition générale erfasse ausschließlich akzessorische Klauseln, ließe sich insoweit ins Feld führen, dass die gesetzesvertretende Verordnung bei einer entsprechenden Beschränkung den Begriff der „wesentlichen Vereinbarun­ gen“ („stipulations essentielles“) des Gesetzentwurfs durch den der „akzessori­ Calais-Auloy/Temple, Droit de la consommation, Rn.  149 („Les conditions géné­ rales peuvent se définir comme les clauses prérédigées des contrats conclus par une personne avec une série d’autres personnes.“). 699  Mekki, Gaz. Pal. 2016, 792, 793; Reygrobellet, BJS 2016, 534; im Ergebnis auch Chénedé, JCP G 2016, 1334, 1335 f.; Chénedé, RDC 2015, 655, 659; Grimaldi, LPA 2016, Nr.  215, S.  6, 9 f.; Mignot, LPA 2016, Nr.  52, S.  7, 14. 700  Revet, D. 2016, 1771, 1774; ebenso wohl Grimaldi, LPA 2016, Nr.  215, S.  6, 7. 701  Revet, D. 2016, 1771, 1774. 698 Vgl.

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schen Vereinbarungen“ („stipulations accessoires“) hätte ersetzen können. Diese Ansicht rückt den Fokus damit auf die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Vertragsklausel im Voraus vom Verwender bestimmt wurde, welche Bedeu­ tung der tatsächlichen Vornahme von Vertragsverhandlungen beizumessen ist und inwieweit die bloße Verhandlungsbereitschaft des Verwenders berücksich­ tigt werden kann. (c)  Vertragsverhandlungen als wesensprägende Tatbestandsmerkmale (aa)  Wirtschaftliche Überlegenheit des Verwenders Zur gesetzesvertretenden Verordnung wird teilweise vertreten, die conditions générales seien der Vertragsverhandlung entzogen, wenn der Klauselgegner auf­ grund seiner wirtschaftlichen Unterlegenheit nicht in der Lage war, auf eine Ab­ änderung oder Streichung der Klauseln hinzuwirken, sondern den Vertragsinhalt nur als Ganzes (en bloc) annehmen oder ablehnen konnte.702 Danach trete neben die formale Prüfung, ob über die allgemeinen Bedingungen diskutiert wurde, auch eine materielle Würdigung der den Vertragsschluss begleitenden Umstände, die einen Rückschluss auf die jeweilige Verhandlungsposition der Vertragspar­ teien gestatten.703 Dabei könne die mehrfache Verwendung desselben Vertrags­ werks oder eine außergewöhnlich hohe Nachfrage die Bejahung des Tatbestands­ merkmals indizieren.704 Danach sei die Norm für den unternehmerischen Ge­ schäftsverkehr nur dann relevant, wenn zwischen den Vertragsparteien ein hinreichendes Machtgefälle festgestellt werden kann.705 Für diese Betrachtung streitet insbesondere der Wortlaut des Art.  1110 Abs.  2 C. civ. nach der gesetzesvertretenden Verordnung, wonach die allgemeinen Be­ dingungen der Vertragsverhandlung entzogen sein müssen, was zu implizieren scheint, dass das bloße Unterbleiben von Vertragsverhandlungen nicht hinrei­ chend ist, sondern vielmehr auch keine Möglichkeit für den Klauselgegner be­ standen haben muss, auf die Bestimmungen selbst einzuwirken.706 Andernfalls bestünde zudem die ernsthafte Gefahr der Umgehung der Bestimmungen zum Schutz der unterlegenen Vertragspartei in einem contrat d’adhésion nach Art.  1190 Var.  2 C. civ. sowie Art.  1171 C. civ. Ferner spricht hierfür die Mittei­ lung des Ministerrates vom 10.02.2016, wonach es sich bei Art.  1171 C. civ. um 702  Grimaldi, LPA 2016, Nr.  215, S.  6, 7 f.; Mekki, Gaz. Pal. 2016, 792, 794; Mignot, LPA 2016, Nr.  41, S.  8, 13; Revet, in: RDC hors série, S.  5, 8 f.; Revet, D. 2016, 1771, 1775 f.; Reygrobellet, BJS 2016, 534. 703  Revet, D. 2016, 1771, 1775 f. 704  Revet, D. 2016, 1771, 1775 f. 705  Mekki, Gaz. Pal. 2016, 792, 794. 706 Vgl. Revet, D. 2016, 1771, 1775.

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eine Schutzbestimmung zugunsten der schwächeren Vertragspartei handeln soll, die „keine andere Wahl hat“ als die allgemeinen Bedingungen ihres Vertragspart­ ners anzunehmen.707 Verschließt sich die unterlegene Vertragspartei aus freien Stücken der Ver­ tragsverhandlung, obwohl ihr dies vonseiten des Verwenders angeboten wird, so besteht nach dieser Ansicht daher kein Anlass, ihr den Schutz der Norm zu ge­ währen.708 (bb)  Intellektuelle Überlegenheit des Verwenders Chénedé schlägt demgegenüber eine nuancierte Betrachtung vor, die zwischen den unterschiedlichen Erscheinungsformen von Disparitätsstörungen differen­ ziert.709 Danach dient der in Art.  1110 Abs.  2 C. civ. normierte contrat d’adhésion im Unterschied zum insbesondere in Art.  1143 C. civ. anzutreffenden Abhängig­ keitsvertrag dem Schutz derjenigen Vertragspartei, die ohne eingehende Unter­ suchung den conditions générales eines Anbieters von Dienstleistungen oder Produkten im modernen Massenverkehr zustimmt.710 Während das Leitbild des contrat d’adhésion der Verbrauchervertrag sei, könne etwa ein Vertriebsvertrag als klassisches Beispiel eines Abhängigkeitsvertrages angesehen werden.711 Das Spezifikum des contrat d’adhésion liege demnach im Gegensatz zum Ab­ hängigkeitsvertrag nicht in der fehlenden Verhandlungsmacht des Klauselgeg­ ners, sondern vielmehr – rein kognitiv – in der fehlenden Aufklärung.712 Für diese Betrachtung sprechen vorrangig die in Art.  1171 Abs.  2 C. civ. genannten Bereichsausnahmen, wonach die Würdigung des Ungleichgewichts weder den Hauptgegenstand des Vertrages noch die Angemessenheit zwischen dem Preis und der Leistung betrifft.713. Es sei typischerweise anzunehmen, dass der Abneh­ mer beim Vertragsschluss jedenfalls das Preis-Leistungs-Verhältnis berücksichti­ ge. Wenn Art.  1171 Abs.  1 C. civ. dem Schutz der abhängigen Vertragspartei die­ 707  „La réforme protège la partie faible, en sanctionnant […] l’abus de l’état de dépendance d’une partie: […] Dans le même objectif de protection, un dispositif de lutte contre les clauses abusives dans les contrats d’adhésion est introduit dans le Code civil. Ainsi, une petite entre­ prise qui ne peut qu’accepter les conditions générales de son partenaire pourra faire écarter les clauses qui créent un déséquilibre manifestement excessif de leurs droits et obligations“. 708  Grimaldi, LPA 2016, Nr.  215, S.  6, 8; Revet, D. 2016, 1771, 1773 f. 709  Chénedé, JCP G 2016, 1334, 1337 f.; ähnlich auch Lagarde, D. 2016, 2174, 2177. 710  Chénedé, Dr. et patr. 2016, Nr.  258, S.  48, 51; Chénedé, JCP G 2016, 1334, 1337 f. 711  Chénedé, JCP G 2016, 1334, 1335 f.; vgl. ausführlich zum Begriff des Abhängigkeits­ vertrages Virassamy, Les contrats de dépendance, Paris 1986. 712  Chénedé, RDC 2012, 1017, 1026 f. 713  „L’appréciation du déséquilibre significatif ne porte ni sur l’objet principal du contrat ni sur l’adéquation du prix à la prestation“.

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ne, sei nicht nachzuvollziehen, warum das Preis-Leistungs-Verhältnis vom An­ wendungsbereich der Norm ausgenommen wird.714 (cc)  Irrelevanz der subjektiven Schutzbedürftigkeit des Klauselgegners Schließlich wird vertreten, dass in der gesetzesvertretenden Verordnung bewusst darauf verzichtet wurde, eine unausgeglichene Verhandlungsposition zur Tatbe­ standsvoraussetzung zu machen, um die damit einhergehenden Abgrenzungs­ schwierigkeiten zu vermeiden. Vorrangig zeichne sich ein contrat d’adhésion dadurch aus, dass formal keine Vertragsverhandlungen zustande gekommen sind.715 Die wirtschaftliche Unterlegenheit des Klauselgegners oder die fehlende Aufklärung über die conditions générales seien dagegen nicht zu berücksichti­ gen. Gegen das Erfordernis der wirtschaftlichen Überlegenheit einer Vertrags­ partei ließe sich argumentieren, dass sich der contrat d’adhésion nach der ur­ sprünglichen Fassung des Reformprojekts nicht durch den Ausschluss der Ver­ tragsverhandlung, sondern den Ausschluss der freien Diskussion („soustraites à la libre discussion“) auszeichnete.716 Die Ersetzung des Erfordernisses einer „freien Diskussion“ durch die bloße Verhandlung könnte insoweit eine rein for­ male Betrachtung begünstigen.717 Auch der zweitgenannten Ansicht, der zufolge sich der contrat d’adhésion im Unterschied zum Abhängigkeitsvertrag durch die mangelnde Aufklärung des Klauselgegners auszeichnet, lassen sich gewichtige Argumente entgegenhalten. So könnte die Bereichsausnahmen des Art.  1171 Abs.  2 C. civ., wonach die Würdigung des Ungleichgewichts weder den Haupt­ gegenstand des Vertrages noch das Preis-Leistungs-Verhältnis betrifft, schlicht­ weg dem nunmehr in Art.  1168 C. civ. kodifizierten Rechtsgedanke zugrunde liegen, der klarstellt, dass ein bloßes Ungleichgewicht zwischen Leistung und Gegenleistung seit jeher im französischen Vertragsrecht als nicht sanktionsbe­ dürftig erachtet wird, der Richter also nicht zur Bestimmung eines „gerechten Preises“ befugt ist.718 Unabhängig davon würde die Anordnung der Unwirksam­ keit der Entgeltzahlungspflicht der unterlegenen Vertragspartei einen gravieren­ den Einschnitt in die Rechtsposition des Verwenders nach sich ziehen, da gem. Art.  1184 Abs.  2 C. civ. die Unwirksamkeit einer Vertragsbestimmung nach Art.  1171 Abs.  1 C. civ. die Wirksamkeit des gesamten Vertrages stets unberührt lässt. Das heißt, die in Art.  1171 Abs.  2 C. civ. kodifizierten Bereichsausnahmen Chénedé, JCP G 2016, 1334, 1335 f. Mekki/Darrois/Gauvain, JCP E 2016, Nr.  25-1373, S.  18, 19 f.; so im Ergebnis auch Reygrobellet, BJS 2016, 534, 535. 716  Mekki/Darrois/Gauvain, JCP E 2016, Nr.  25-1373, S.  18, 19 f. 717  Mekki, Gaz. Pal. 2016, 792, 793 f. 718  Mercadal, Réforme, Nr.  426; Behar-Touchais, JCP G 2016, 662, 665. 714  715 

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könnten auch lediglich den Verwender davor schützen, im Falle der Einforde­ rung eines zu hohen Entgelts nicht dem Risiko ausgesetzt zu sein, die ihm oblie­ gende Leistungspflicht unentgeltlich erbringen zu müssen. (dd)  Korrektur des Normwortlauts durch das Zustimmungsgesetz Durch das Zustimmungsgesetz wurde das umstrittene Qualifikationsmerkmal der „allgemeinen Bedingungen, die der Verhandlung entzogen sind“ („condi­ tions générales, soustraites à la négociation“) durch das Erfordernis einer „Ge­ samtheit unverhandelbarer Klauseln“ („ensemble de clauses non négociables“) ersetzt. Damit erübrigt sich für Verträge, die nach dem 01.10.2018 geschlossen wurden, die Frage, inwieweit die Gefahr einer Umgehung der besonderen Schutzvorschriften zum contrat d’adhésion besteht, wenn der Verwender seine Verhandlungsbereitschaft bloß vortäuscht. Denn dann mag die Klausel zwar in die Verhandlung einbezogen worden sein, jedoch fehlt es in diesem Fall an der entsprechenden Verhandelbarkeit. Dagegen bleibt auch nach dem nachgebesser­ ten Normwortlaut weiterhin unklar, inwieweit die Bestimmungen zum contrat d’adhésion dem Schutz der intellektuell oder wirtschaftlich unterlegenen Ver­ tragspartei dienen oder unabhängig davon einem anderen Regelungszweck zu­ grunde liegen. (d)  Die Abgrenzung des contrat d’adhésion vom contrat de gré à gré Zuletzt stellt sich die Frage nach dem Verhältnis des Individualvertrags (contrat de gré à gré) gem. Art.  1110 Abs.  1 C. civ. zum contrat d’adhésion nach Art.  1110 Abs.  2 C. civ.719 Insoweit ist bei der Gegenüberstellung der jeweiligen Definitio­ nen in der Fassung vom 01.10.2016 bis zum 30.09.2018 festzustellen, dass ein Vertrag, der sowohl verhandelte Klauseln als auch der Verhandlung entzogene Klauseln beinhaltet, je nachdem, ob man eine enge oder weite Auslegung anwen­ det, weder der einen noch der anderen Kategorie oder beiden Kategorien gleich­ zeitig zugeordnet werden könnte.720 Dies würde indes den Intentionen des Ge­ setzgebers zuwiderlaufen. Es entsprach schon vor der Reform der herrschenden Auffassung des französischen Schrifttums, dass es keine Verträge geben kann, die keinem der genannten Vertragstypen oder beiden Vertragstypen gleichzeitig zuzuordnen sind.721 Vielmehr soll jeder Vertrag nur in seiner Gesamtheit entwe­ der als contrat de gré à gré oder als contrat d’adhésion zu qualifizieren sein. Champ, LPA 2016, Nr.  261, S.  20. Grimaldi, LPA 2016, Nr.  215, S.  6, 7; Mekki/Darrois/Gauvain, JCP E 2016, Nr.  251373, S.  18, 20. 721 Vgl. Grimaldi, LPA 2016, Nr.  215, S.  6, 7; Revet, D. 2016, 1771, 1772 („le contrat de gré à gré est le négatif du contrat d’adhésion, et réciproquement“). 719 Vgl. 720 Vgl.

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Die modernisierten Definitionen des Zustimmungsgesetzes, die auf das ein­ heitliche Kriterium der Verhandelbarkeit abstellen, entschärfen diese Problema­ tik, ohne sie jedoch vollständig zu beseitigen. Entscheidend wird auch weiterhin zu bestimmen sein, unter welchen Voraussetzungen ein Individualvertrag anzu­ nehmen ist und dementsprechend die Inhaltskontrolle aus Art.  1171 C. civ. ver­ mieden wird. Wie viele Klauseln muss der Vertrag beinhalten, damit von conditions générales oder einem ensemble de clauses gesprochen werden kann? Über wie viele Klauseln muss im Einzelnen verhandelt worden sein, um den Vertrag insgesamt als Individualvertrag qualifizieren zu können? In der französischen Literatur wird vorgeschlagen, die letztgenannte Frage nicht ausschließlich nach quantitativen, sondern zusätzlich nach qualitativen Kriterien zu beurteilen. Entscheidend soll danach also nicht nur zu prüfen sein, über wie viele Klauseln verhandelt wurde, sondern darüber hinaus auch, von welcher Bedeutung die betroffenen Klauseln für das gesamte Vertragsgefüge sind. Danach könnte ein Vertrag etwa dann als contrat d’adhésion zu qualifizieren sein, wenn zwar über die meisten Klauseln verhandelt wurde, diese aber von keiner großen Bedeutung waren, während die entscheidenden Klauseln der Ver­ handlung verschlossen blieben.722 (5)  Das Erfordernis eines „erheblichen Ungleichgewichts“ (a)  Auslegungshinweise im begleitenden Bericht an den Präsidenten Zur Auslegung und Konkretisierung des im C. civ. nicht näher definierten „er­ heblichen Ungleichgewichts“ („déséquilibre significatif“), beinhaltet der Bericht an den Präsidenten die nachfolgenden Ausführungen: „Eine der wesentlichen Neuerungen dieses Unterabschnitts ist die Einführung missbräuchli­ cher Klauseln in den C. civ. Diese werden als Klauseln definiert, die ein erhebliches Ungleich­ gewicht zwischen den Parteien erzeugen. Dies gestattet, die Kohärenz dieses Rechtsinstituts im Vertragsrecht zu erhöhen: In der Tat sind nach dem C.  con. Klauseln eines Vertrages zwischen Unternehmern und Verbrauchern unwirksam, die ein erhebliches Ungleichgewicht zwischen den Rechten und Pflichten der Parteien erzeugen. Für Verträge zwischen Unternehmern hält der C.  com. seit dem Jahr 2008 eine Bestimmung bereit, die auf dem Gebiet des Haftungsrechts Klauseln ahndet, die ein erhebliches Ungleichgewicht zwischen den Rechten und Pflichten der Parteien verursachen. […] Die Beurteilungskriterien des Ungleichgewichts sind daher schon bekannt, da sie durch diejenigen des C.  con. inspiriert sind und sie aus der Umsetzung der Richtlinie 93/13/CEE vom 05.04.1993 über missbräuchliche Klauseln resultieren […].“723 722  Lagarde, D. 2016, 2174, 2178; Revet, D. 2016, 1771, 1776; wohl auch Mignot, LPA 2016, Nr.  41, S.  8, 13. 723  „Enfin l’une des principales innovations de cette sous-section est l’introduction des clauses abusives définies comme les clauses créant un déséquilibre significatif entre les parties

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Die französische Regierung bezieht sich mit diesem Verweis offensichtlich auf die bereits geschilderten Art. L. 212-1 Abs.  1 C.  con. und Art. L. 442-1 I Nr.  2 C.  com.724 (b)  Reaktionen im Schrifttum Der Verweis im Bericht an den Präsidenten auf die spezialgesetzlichen Bestim­ mungen entfachte im französischen Schrifttum einen Streit über die Rolle der Dogmatik und Rechtsprechung zu Art. L. 212-1 Abs.  1 C.  con. sowie Art. L. 4421 I Nr.  2 C.  com. bei der Auslegung des „erheblichen Ungleichgewichts“ nach Art.  1171 C. civ. Dabei werden zwischen der Befürwortung eines autonomen Be­ griffsverständnisses,725 der ausschließlichen Berücksichtigungsfähigkeit des Verbraucherrechts,726 der vorrangigen Anlehnung an das Handelsrecht727 sowie der Heranziehung des Erfahrungsschatzes beider Rechtsgebiete728 sämtliche Meinungen vertreten. Im Kern sind die nachfolgenden Fragen von ausschlagge­ bender Relevanz.

dans le code civil (article 1171), ce qui permet de renforcer la cohérence de l’ensemble du dispositif en matière de droit des contrats: en effet, entre professionnels et consommateurs, le code de la consommation répute non écrite les clauses créant un déséquilibre significatif entre les droits et obligations des parties; dans les contrats conclus entre professionnels, le code de commerce comporte depuis 2008 un dispositif visant à sanctionner, sur le terrain de la respon­ sabilité, les clauses créant un déséquilibre significatif dans les droits et obligations des parties. […] Les critères d’appréciation du déséquilibre sont déjà connus puisqu’ils sont inspirés de ceux fixés dans le code de la consommation et qu’ils résultent de la transposition de la directive 93/13/CEE du 5 avril 1993 sur les clauses abusives […]“. 724  Chagny, in: Réforme du droit des contrats, S.  47, 49; Viney/Jourdain/Carval, Les effets de la responsabilité, Rn.  344; Fenouillet, RDC 2016, 358, 360; Grimaldi, LPA 2016, Nr.  215, S.  6, 9; Pellet, Dr. et patr. 2016, Nr.  258, S.  61, 63. 725  Reygrobellet, BJS 2016, 534, 536 f.; Seube, Defrénois 2017, Nr.  18, S.  35. 726  Bénabent, Droit des obligations, Rn.  197; Fabre-Magnan, Droit des obligations, Nr.  417 (S.  454); Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Droit des obligations, Rn.  603; Viney/Jourdain/Carval, Les effets de la responsabilité, Rn.  350; Behar-Touchais, JCP G 2016, 662, 664; Mekki, Gaz. Pal. 2016, 1440, 1441; Sauphanor-Brouillaud, LPA 2015, Nr.  177, S.  70, 73. 727  Jedenfalls für Verträge zwischen Unternehmern, vgl. Mercadal, Réforme, Nr.  430. 728  Chagny, in: Réforme du droit des contrats, S.  47, 50; Champ, LPA 2016, Nr.  261, S.  20, 21; Mekki, Gaz. Pal. 2016, 1440, 1443; Mekki/Darrois/Gauvain, JCP E 2016, Nr.  25-1373, S.  18, 21.

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A.  Das französische Recht

(c)  Mögliche Kriterien bei der Ermittlung des „erheblichen Ungleichgewichts“ nach Art.  1171 C. civ. (aa)  Die Anforderungen an das „erhebliche Ungleichgewicht“ Zunächst besteht keine Klarheit über den an die Bestimmung des „erheblichen Ungleichgewichts“ zu knüpfenden Maßstab. Genügt bereits jede auch nur ge­ ringfügige Abweichung vom dispositiven Recht oder bedarf es vielmehr einer gravierenden Verzerrung der beiderseitigen Rechte und Pflichten?729 Sind die Vorteile beim Verwender, die Nachteile beim Klauselgegner oder eine verglei­ chende Betrachtung der beiderseitigen Rechte und Pflichten für die Untersu­ chung maßgeblich? Wie ist bei atypischen Verträgen zu verfahren, für die kein dispositives Recht als Vergleichsmaßstab zur Verfügung steht? Inwieweit kön­ nen als Indizien für die Annahme eines „erheblichen Ungleichgewichts“ in An­ lehnung an die Dogmatik zu den spezialgesetzlichen Bestimmungen die fehlende Gegenseitigkeit der aus einer Klausel resultierenden Rechte und Pflichten oder die Branchenunüblichkeit der Klausel zu berücksichtigen sein?730 Kann der Richter auf die „schwarze“ und „graue“ Liste über missbräuchliche Klauseln des Verbraucherrechts bei der Würdigung des „erheblichen Ungleich­ gewichts“ nach Art.  1171 C. civ. zurückgreifen?731 In diesem Fall könnten die Klauselkataloge des Verbraucherschutzrechts über das allgemeine Vertragsrecht künftig auch für Verträge zwischen Unternehmern im alltäglichen Geschäftsver­ kehr von Relevanz sein. (bb)  Das Verhältnis der zu untersuchenden Klausel zu den übrigen Vertragsbestimmungen Die zweite Frage betrifft das Verhältnis der zu untersuchenden Klausel zum Ge­ samtvertrag. Ist das „erhebliche Ungleichgewicht“ für jede Klausel gesondert zu ermitteln oder kann es sich auch aus der Summierung verschiedener Klauseln 729  Für die Bejahung des „erheblichen Ungleichgewichts“ bei jeder Abweichung vom dis­ positiven Recht Mekki, Gaz. Pal. 2016, 1440, 1443; Mekki/Darrois/Gauvain, JCP E 2016, Nr.  25-1373, S.  18, 21; Pérès, JCP G 2016, 770, 773; für die strenge Auslegung Ferrier, in: La réforme du droit des obligations, S.  73, 86; Genicon, RDC 2016, 751, 753 f. („les juges devront spécialement motiver le caractère excessif de l’onérosité ou significatif du déséquilibre“); Mainguy, JCP E 2016, Nr.  07-151, S.  9, 13. 730  Dafür bspw. Behar-Touchais, JCP G 2016, 662, 664; Fenouillet, RDC 2016, 358, 366; Mekki, Gaz. Pal. 2016, 1440, 1443; Mekki/Darrois/Gauvain, JCP E 2016, Nr.  25-1373, S.  18, 22. 731 Vgl. Mignot, LPA 2016, Nr.  52, S.  7, 14 f.; befürwortend Chagny, in: Réforme du droit des contrats, S.  47, 50; Fenouillet, RDC 2016, 358, 371; Mekki, Gaz. Pal. 2016, 1440, 1442 f.; Mekki/Darrois/Gauvain, JCP E 2016, Nr.  25-1373, S.  18, 21; ablehnend Bicheron, Gaz. Pal. 2015, 1326, 1328.

V.  Richterliche Kontrolle ungerechter Verträge und Klauseln

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ergeben, von denen bei isolierter Betrachtung keine unzulässig wäre?732 Kann eine Klausel, die für sich genommen als erheblich unausgeglichen zu beurteilen wäre, durch andere Klauseln kompensiert werden?733 Wenn ein solcher Aus­ gleich möglich ist, kann insoweit auch der Preis als Argument hinzugezogen werden?734 In diesem Zusammenhang wird insbesondere zu klären sein, ob eine bei isolierter Betrachtung unzulässige Klausel mit einer korrespondierenden Re­ duktion des Entgelts „erkauft“ werden kann.735 Die Beantwortung dieser letztge­ nannten Frage hängt maßgeblich davon ab, welcher Rechtsgedanke den Bereich­ sausnahmen aus Art.  1171 Abs.  2 C. civ. zuzuordnen ist, wonach die Würdigung des Ungleichgewichts weder den Hauptgegenstand des Vertrages noch die Ange­ messenheit zwischen dem Preis und der Leistung betrifft. Liegt er in der typi­ scherweise mangelnden Aufklärung des Klauselgegners über die übrigen Klau­ seln, in der grundsätzlichen Ablehnung der lésion nach Art.  1168 C. civ. oder dem Schutz des Verwenders, der andernfalls zur unentgeltlichen Leistungser­ bringung verpflichtet sein könnte? jj)  Konkurrenz von Art.  1171 C. civ. zu den spezialgesetzlichen Bestimmungen (1) Einleitung Schließlich bleibt der Stellenwert des Art.  1171 C. civ. im Verhältnis zu den Art. L. 212-1 C.  con. sowie Art. L. 442-1 I Nr.  2 C.  com. zu erörtern.736 Folgt man diversen Stimmen in der Literatur, soll von der Klärung dieser Frage abhängen, ob es sich bei der neuen Bestimmung des allgemeinen Vertragsrechts gar um eine vertragsrechtliche „Massenvernichtungswaffe“ („arme de destruction massive“) oder um einen harmlosen „Holzsäbel“ („sabre de bois“) handeln wird.737 Ferrier, in: La réforme du droit des obligations, S.  73, 86; Behar-Touchais, JCP G 2016, 662, 664 f.; Bourassin, LPA 2016, Nr.  261, S.  9, 17; für eine Gesamtbetrachtung aller nicht verhandelter Klauseln, vgl. Fenouillet, RDC 2016, 358, 365. 733  Ferrier, in: La réforme du droit des obligations, S.  73, 86. Das herrschende französische Schrifttum befürwortet insoweit eine Globalbetrachtung, vgl. Viney/Jourdain/Carval, Les ef­ fets de la responsabilité, Rn.  350; Champ, LPA 2016, Nr.  261, S.  20, 21; Chantepie/Latina, D. 2018, 309, 311; Lagarde, D. 2016, 2174 f.; Mekki, Gaz. Pal. 2016, 1440, 1442; Reygrobellet, BJS 2016, 534, 536; Sauphanor-Brouillaud, LPA 2015, Nr.  177, S.  70, 74; unsicher Behar-Touchais, JCP G 2016, 662, 664 f. 734  Fenouillet, RDC 2016, 358, 367. 735 Dafür Mercadal, Réforme, Nr.  429; Grimaldi, LPA 2016, Nr.  215, S.  6, 8. Andere erach­ ten es jedenfalls für möglich, soweit eine Klausel ausdrücklich an eine entsprechende Preisan­ passung geknüpft wird, vgl. Herrnberger, LPA 2016, Nr.  261, S.  23, 24; Pihéry, LPA 2016, Nr.  261, S.  26 f. 736  Fages, Droit des obligations, Rn.  31 m. w. N.; Fenouillet, RDC 2016, 358, 369; Mekki, Gaz. Pal. 2016, 109, 111. 737  Fenouillet, RDC 2016, 358, 359. 732 

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A.  Das französische Recht

(2)  Der lex specialis-Grundsatz in Art.  1105 C. civ. Ohne eine eindeutige Antwort zu liefern, blieb der Reformgeber zum Konkur­ renzverhältnis zwischen den einzelnen Bestimmungen nicht vollkommen wort­ karg.738 So sieht Art.  1105 Abs.  3 C. civ. vor, dass die allgemeinen Regeln vorbe­ haltlich der besonderen Regeln anzuwenden sind.739 Nach Art.  1105 Abs.  2 C. civ. sind die für bestimmte Verträge geltenden besonderen Regeln in den für sie vor­ gesehenen Bestimmungen angesiedelt.740 Dadurch wurde der C. civ. um den lex specialis-Grundsatz ergänzt.741 (3)  Extensive Auslegung der lex specialis-Regel In Anwendung dieser Maxime wurde teilweise vertreten, Art.  1171 C. civ. werde generell für Verbraucherverträge sowie Verträge zwischen Unternehmern von den Art. L. 212-1 Abs.  1 C.  con. sowie Art. L. 442-1 I Nr.  2 C.  com. verdrängt, da es sich aufgrund ihrer Verankerung in Spezialgesetzen um „besondere Regeln“ über missbräuchliche Klauseln handele, wohingegen Art.  1171 C. civ., der dem allgemeinen Vertragsrecht zuzuordnen ist, lediglich eine „allgemeine Regel“ über missbräuchliche Klauseln bereithalte.742 Eine vergleichende Gegenüberstel­ lung des Berichts des Ministerrates vom 10.02.2016 mit der Pressemitteilung des Justizministers vom darauffolgenden Tag scheint diese These zu stützen. Wäh­ rend der Ministerrat zunächst kleinere Unternehmen zum Kreis der Anspruchs­ berechtigten zählte, sollte Art.  1171 C. civ. nach der Pressemitteilung des Justiz­ ministeriums vom darauffolgenden Tag insbesondere bei der Anmietung einer Ferienwohnung über eine Internetplattform zur Buchung und Vermietung von privaten Unterkünften zur Anwendung kommen.743 Das heißt, das Justizministe­ rium verzichtete bewusst darauf, als Beispiel einen Vertrag zwischen Unterneh­ mern zu wählen, indem es einen Vertrag zwischen Verbrauchern nannte, mithin einer Konstellation, die von keinem der genannten Spezialgesetze erfasst ist. Die Konsequenz einer allgemeinen Verdrängung des Art.  1171 C. civ. durch die spezialgesetzlichen Artt.  212-1 C.  con. und 442-1 I Nr.  2 C.  com. wäre, dass der neuen Bestimmung des allgemeinen Vertragsrechts, die von der französi­ Leclerc, AJC 2017, 154. „Les règles générales s’appliquent sous réserve de ces règles particulières“. 740  „Les règles particulières à certains contrats sont établies dans les dispositions propres à chacun d’eux“. 741 Vgl. Molfessis, JCP E 2016, Nr.  25-1377, S.  44, 45 f. 742 Differenzierend Behar-Touchais, JCP G 2016, 662, 663 f.; im Ergebnis auch Fages, Droit des obligations, Rn.  191; Mazeaud, JCP G 2016, 433; nur für den Vorrang des Art. L. 212-1 C.  con. ggü. Art.  1171 C. civ. Mercadal, Réforme, Nr.  424. 743  Behar-Touchais, JCP G 2016, 662 f. 738 Kritisch 739 

V.  Richterliche Kontrolle ungerechter Verträge und Klauseln

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schen Regierung quasi als Aushängeschild der Reform angepriesen wurde, ledig­ lich der marginale Bereich von Verträgen zwischen Verbrauchern verbleiben würde. (4)  Restriktive Auslegung der lex specialis-Regel Vor diesem Hintergrund etablierte sich in der französischen Literatur schon früh eine gegenteilige Überzeugung.744 Die gesetzgeberische Intention sowie der nor­ menkollisionsrechtliche lex posterior-Grundsatz stünden einer solch umfassen­ den Verdrängung der neuen Bestimmung entgegen.745 In dogmatischer Hinsicht werden zu diesem Zweck im Wesentlichen zwei Begründungsansätze vertreten: Teilweise wird gefordert, Art.  1105 C. civ. müsse in seiner Gesamtheit gewür­ digt werden. Unter Berücksichtigung des Art.  1105 Abs.  2 C. civ. sei Art. L. 4421 I Nr.  2 C.  com. schon nicht als besondere Bestimmung i. S. d. Art.  1105 Abs.  3 C. civ. zu qualifizieren, womit eine Verdrängung des Art.  1171 C. civ. mangels speziellerer Regelung von vornherein nicht in Betracht käme. In der Tat lässt sich der gegenüberstellenden Lektüre der Abs.  2 und 3 des Art.  1105 C. civ. entneh­ men, dass nicht jegliche besondere Regeln die allgemeinen verdrängen, sondern lediglich die für bestimmte Verträge in eigenständigen Bestimmungen normier­ ten besonderen Regeln. Daher ließe sich durchaus vertreten, dass sich Art.  1105 Abs.  2 C. civ. lediglich auf besondere Vertragstypen wie den Kauf-, Miet- oder Dienstvertrag bezieht. Da Art. L. 442-1 I Nr.  2 C.  com. indes auf alle diese Ver­ tragstypen anwendbar ist, würde es sich danach nicht um eine besondere Regel im Sinne der Abs.  2 und 3 des Art.  1105 C. civ handeln.746 Die restriktive Ausle­ gung der genannten Bestimmung würde somit dazu führen, dass Art.  1171 C. civ. umfassend auch für Verbraucherverträge und Verträge zwischen Unternehmern Geltung beansprucht. (5)  Vermittelnde Ansicht (a)  Maßgeblichkeit der Rechtsfolgeninkompatibilität Am überzeugendsten erscheint allerdings eine andere Interpretation der lex specialis-Maxime, die sich weniger auf den Wortlaut des Art.  1105 Abs.  3 C. civ. als auf den dahinterliegenden Zweck konzentriert. Der Reformgeber wolle nämlich Champ, LPA 2016, Nr.  261, S.  20, 21; Houtcieff, Gaz. Pal. 2016, 1140, 1141; La­ garde, D. 2016, 2174, 2176. 745  Fenouillet, RDC 2016, 358, 369. 746 Vgl. Hontebeyrie, D. 2016, 2180, der daraufhin allerdings subsidiär für die eigenständi­ ge Anwedung des lex specialis-Grundsatzes plädiert, der auch nach der Reform unverändert Geltung beanspruchen soll. 744 Vgl.

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A.  Das französische Recht

mit der allgemeinen Formulierung des Art.  1105 Abs.  3 C. civ. die Anforderun­ gen der lex specialis-Regel übernehmen, die vor der Reform zur Anwendung kamen.747 Die Behauptung lässt sich auf den begleitenden Bericht an den Präsi­ denten stützen, wonach die allgemeinen Regeln der gesetzesvertretenden Ver­ ordnung lediglich dann von den Bestimmungen des C.  com. sowie C.  con. ver­ drängt werden sollen, wenn eine simultane Anwendung der betroffenen Bestim­ mungen unmöglich ist.748 Das heißt, die allgemeine Regel wird nur dann verdrängt, wenn und soweit diese nicht mit der speziellen kompatibel ist.749 Dies ist anzunehmen, wenn die Rechtsnormen die gleiche Rechtsfrage betreffen, die als spezieller einzustufende Bestimmung einen engeren Bereich regeln soll und die angeordneten Rechtsfolgen einander widersprechen.750 Sind nicht all diese Voraussetzungen kumulativ erfüllt, kommen die Rechtsnormen nebeneinander zur Anwendung.751 Unter Zugrundelegung dieses Maßstabes bestehen zunächst am Vorliegen der erstgenannten Anforderung keine Zweifel. Alle drei Bestimmungen dienen der Bekämpfung ungerechter Klauseln und betreffen insoweit die gleiche Rechts­ frage. (b)  Art. L. 212-1 C.  con. Ebenso kann nicht bezweifelt werden, dass die zweite Voraussetzung im Verhält­ nis zwischen Art.  1171 C. civ. und Art. L. 212-1 C.  con. nicht erfüllt ist. Die bei­ den Bestimmungen unterliegen auf Tatbestandsseite unterschiedlichen Beschrän­ kungen, die es verbieten, den normativen Anwendungsbereich des Art. L. 212-1 C.  con. als „enger“ zu qualifizieren.752 Das heißt, nicht jeder Vertrag i. S. d. Art.  1110 Abs.  2 C. civ. ist – selbst in der weitest denkbaren Auslegung – zugleich ein Verbrauchervertrag i. S. d. Art. L. 212-1 C.  con., auch wenn in der täglichen Mekki, Gaz. Pal. 2016, 1440, 1444 f. „Ainsi, les règles générales posées par l’ordonnance seront notamment écartées lorsqu’il sera impossible de les appliquer simultanément avec certaines règles prévues par le code civil pour régir les contrats spéciaux, ou celles résultant d’autres codes tels que le code de commerce ou le code de la consommation“. 749  Blanc, Gaz. Pal. 2015, 1306, 1309 m. w. N.; Lagarde, D. 2016, 2174, 2176 m. w. N.; Mekki/Darrois/Gauvain, JCP E 2016, Nr.  25-1373, S.  18, 22. 750  Grundlegend hierzu die Dissertation von Goldie-Genicon, Contribution à l’étude des rapports entre le droit commun et le droit spécial des contrats, S.  579; siehe auch Bourassin, LPA 2016, Nr.  261, S.  9, 12 m. w. N.; Fenouillet, RDC 2016, 358, 369; Mekki/Darrois/Gauvain, JCP E 2016, Nr.  25-1373, S.  18, 22. 751  Bourassin, LPA 2016, Nr.  261, S.  9, 12. 752 Vgl. Fenouillet, RDC 2016, 358, 369; Mainguy, JCP E 2016, Nr.  07-151, S.  9, 13; Mekki, Gaz. Pal. 2016, 1440, 1444 f.; Mekki/Darrois/Gauvain, JCP E 2016, Nr.  25-1373, S.  18, 22; Molfessis, JCP E 2016, Nr.  25-1377, S.  44, 46. 747  748 

V.  Richterliche Kontrolle ungerechter Verträge und Klauseln

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Rechtspraxis der contrat d’adhésion zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer der Regelfall sein dürfte.753 Es entspricht der gängigen Rechtspre­ chung der Cour de cassation, dass eine Klausel zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher auch dann der Missbrauchskontrolle nach Art. L. 212-1 C.  con. unterliegt, wenn die Klausel oder gar der gesamte Vertrag zwischen den Vertragsparteien individuell ausgehandelt wurde. Dies folgt bereits aus Art. L. 212-1 Abs.  6 C.  con., wonach die Bestimmungen gegen missbräuchliche Klau­ seln unabhängig davon gelten, ob die Klauseln frei verhandelt wurden oder aus vorgefassten allgemeinen Bedingungen herrühren.754 Unabhängig davon wird darauf verwiesen, dass die Frage des rechtlichen Vor­ rangs des Verbraucherschutzrechts gegenüber Art.  1171 C. civ. ohnehin von kei­ ner praktischen Relevanz ist.755 In der Tat wird ein Verbraucher, der mit einem Unternehmer einen contrat d’adhésion i. S. d. Art.  1110 Abs.  2 C. civ. schließt, ohnehin besser beraten sein, sich auf den nach dem Schutzumfang günstigeren Art. L. 212-1 C.  con. zu berufen, weil der Nachweis einer missbräuchlichen Klausel über die schwarzen und grauen Listen des Verbraucherschutzrechts er­ heblich erleichtert wird.756 Zudem bietet das Verbraucherschutzrecht mit der Un­ klarheitenregelung in Art. L. 212-1 Abs.  3 C.  com., der Möglichkeit des Ein­ schreitens von Verbraucherschutzverbänden sowie der Verhängung von Geldbu­ ßen ein im Vergleich zu Art.  1171 C. civ. umfassenderes Arsenal an Maßnahmen.757 Insoweit könnte die vorrangige Berufung auf das allgemeine Vertragsrecht in einem Verbrauchervertrag nur für den Fall von Interesse sein, in dem über das Vorliegen eines erheblichen Ungleichgewichts keine Zweifel bestehen, der Ver­ trag allerdings nach Maßgabe des Art.  241-1 Abs.  2 C.  con. ohne die unzulässige Klausel nicht fortbestehen würde. In einer solchen Konstellation könnte der Ver­ braucher nämlich über Art.  1171 C. civ. i. V. m. Art.  1184 Abs.  2 C. civ. den Fort­ bestand des Vertrages ohne die missbräuchliche Klausel erreichen. Dies setzt voraus, dass die Cour de cassation bei gleichzeitiger Klauselunwirksamkeit nach Piedelièvre, Droit de la consommation, Nr.  449; Fenouillet, RDC 2016, 358, 369. L. 212-1 Abs.  6 C.  con.: „Ces dispositions sont applicables quels que soient la forme ou le support du contrat. Il en est ainsi notamment des […] stipulations négociées librement ou non ou des références à des conditions générales préétablies“. Vgl. Calais-Auloy/Temple, Droit de la consommation, Rn.  167; Pellier, Droit de la consommation, Nr.  96 (S.  117). 755  Chatain/Lataste, Gaz. Pal. 2016, 3230, 3231; Lagarde, D. 2016, 2174, 2175; Sauphanor-Brouillaud, LPA 2015, Nr.  177, S.  70. 756 Vgl. Deshayes, in: RDC hors série, S.  21, 28; Fenouillet, RDC 2016, 358, 370; Lagarde, D. 2016, 2174, 2175; Mekki/Darrois/Gauvain, JCP E 2016, Nr.  25-1373, S.  18, 22; Saupha­norBrouillaud, LPA 2015, Nr.  177, S.  70. Hinzu kommen die zahlreichen rechtlich unverbindli­ chen Empfehlungen und Stellungnahmen der Commission des clauses abusives. 757  Deshayes, in: RDC hors série, S.  21, 28; Mekki, Gaz. Pal. 2016, 1440, 1444 f.; Mekki/ Darrois/Gauvain, JCP E 2016, Nr.  25-1373, S.  18, 22. 753 Vgl.

754  Art.

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A.  Das französische Recht

Art.  1171 C. civ. sowie Art.  212-1 C.  con. keine Spezialität der verbraucher­ schutzrechtlichen Rechtsfolgenanordnung mit der Konsequenz anordnet, dass Art.  1184 Abs.  2 C. civ. jedenfalls für diesen eng umgrenzten Bereich von Art.  241-1 Abs.  2 C.  con. zu „überlagern“ ist. (c)  Art. L. 442-1 I Nr.  2 C.  com. Durchaus lebhafter wird dagegen das Verhältnis von Art.  1171 C. civ. zu Art. L. 442-1 I Nr.  2 C.  com. diskutiert.758 Dies liegt daran, dass die Entscheidung darü­ ber, ob alle drei Voraussetzungen der lex specialis-Maxime erfüllt sind, maß­ geblich von dem noch zu erörternden Regelungszweck des Art.  1171 C. civ. ­abhängt.759 Die Gefahr einer wertungswidersprüchlichen Rechtsfolge besteht angesichts des Umstands, dass es sich bei der Klauselunwirksamkeit nach Art. L. 442-1 I Nr.  2 i. V. m. 442-4 I Abs.  2 S.  2 C.  com. um einen Fall der nullité handelt.760 Dies führt dazu, dass bei der Beurteilung der Wirksamkeit des verbleibenden Vertra­ ges Art.  1184 Abs.  1 C. civ.761 anzuwenden ist, wonach die Nichtigkeit einzelner Klauseln die Nichtigkeit des gesamten Vertrages nur dann nach sich zieht, wenn diese für den Vertrag von entscheidender Bedeutung waren. Dadurch könnte ähnlich wie für das Verbraucherschutzrecht ein Wertungswiderspruch daraus er­ wachsen, dass eine nach Art. L. 442-1 I Nr.  2 C.  com. unwirksame Klausel unter den in Art.  1184 Abs.  1 C. civ. genannten Voraussetzungen zur Unwirksamkeit des gesamten Vertrages führen kann, während dies bei Art.  1171 C. civ. wegen Art.  1184 Abs.  2 C. civ. nicht möglich ist.762 Damit hängt die Entscheidung, inwieweit Art.  1171 C. civ. von Art. L. 442-1 I Nr.  2 C.  com. verdrängt wird, entscheidend vom Regelungsanliegen der genann­ ten Bestimmungen ab.763 Trifft Art. L. 442-1 I Nr.  2 C.  com. eine abschließende Aussage für den gesamten unternehmerischen Geschäftsverkehr oder lediglich für die im Tatbestand näher gekennzeichneten Rechtsbeziehungen? Denkbar ist 758 Vgl. Bourassin, LPA 2016, Nr.  261, S.  9, 13; Lagarde, D. 2016, 2174, 2176; Mainguy, JCP E 2016, Nr.  07-151, S.  9, 13; Mekki, Gaz. Pal. 2016, 1440, 1445; Mekki/Darrois/Gauvain, JCP E 2016, Nr.  25-1373, S.  18, 22 f.; Molfessis, JCP E 2016, Nr.  25-1377, S.  44, 46, wonach die Spezialität des Art. L. 442-1 I Nr.  2 C.  com. ggü. Art.  1171 C. civ. bereits wegen der abwei­ chenden Schutzbereiche ausgeschlossen ist. 759 Vgl. Fenouillet, RDC 2016, 358, 371. 760 Zur bisherigen Rechtslage siehe Malaurie-Vignal, Droit de la concurrence, Nr.  282 (S.  139); Hontebeyrie, D. 2016, 2180, 2181 f. m. w. N. aus der Rspr. 761  „Lorsque la cause de nullité n’affecte qu’une ou plusieurs clauses du contrat, elle n’em­ porte nullité de l’acte tout entier que si cette ou ces clauses ont constitué un élément détermi­ nant de l’engagement des parties ou de l’une d’elles“. 762 Vgl. Hontebeyrie, D. 2016, 2180, 2182. 763 Vgl. Fenouillet, RDC 2016, 358, 371.

V.  Richterliche Kontrolle ungerechter Verträge und Klauseln

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jedoch auch, dass Art. L. 442-1 I Nr.  2 C.  com. überhaupt keine abschließende Aussage über die Gerechtigkeitsanforderungen an Klauseln des unternehmeri­ schen Geschäftsverkehrs treffen soll. Auf der Seite des Art.  1171 C. civ. wird der Frage nachzugehen sein, ob der contrat d’adhésion nach Art.  1110 Abs.  2 C. civ. den Vertragspartner mit der schwächeren Verhandlungsposition zu schützen sucht oder ob der Norm ein anderer Regelungszweck zugrunde liegt.764 Ledig­ lich im letztgenannten Fall lässt sich das Regelungsanliegen des Art.  1171 C. civ. von demjenigen des Art. L. 442-1 I Nr.  2 C.  com., das allein dem Schutz der wirtschaftlich unterlegenen Vertragspartei zwecks Aufrechterhaltung der Anbie­ tervielfalt dient, eindeutig unterscheiden und damit die Verdrängung des Art.  1171 C. civ. abwenden. Für die Annahme eines Schutzzweckgleichlaufs könnte sprechen, dass der normative Anwendungsbereich des Art. L. 442-1 C.  com. im Unterschied zu Art. L. 212-1 C.  con. nicht ausschließlich an die Qua­ lität der kontrahierenden Rechtssubjekte anknüpft, sondern darüber hinaus mit dem Erfordernis der „Unterwerfung“ des Vertragspartners ein Tatbestandsmerk­ mal beinhaltet, das sich mit den Anforderungen der Unverhandelbarkeit einer Klausel i. S. d. Definition des contrat d’adhésion nach Art.  1110 Abs.  2 C. civ. decken könnte.765 Gegen die These, Art.  1171 C. civ. diene allein dem Schutz der wirtschaftlich unterlegenen Vertragspartei, spricht wiederum das dem Art. L. 212-1 Abs.  3 C.  con. des Verbraucherschutzrechts entsprechende Verbot einer Preisgerechtigkeitskontrolle in Art.  1171 Abs.  2 C. civ. kk) Ergebnis Von den drei besprochenen Tatbeständen, die den Richter dazu befähigen, eine Klausel wegen Vorliegens eines „erheblichen Ungleichgewichts“ für unwirksam zu erklären, sind für den Rechtsverkehr zwischen Unternehmern allein der spe­ zielle Art. L. 442-1 I Nr.  2 C.  com. sowie der allgemeine Art.  1171 C. civ. von Bedeutung. Nach der Rechtsprechung ist insoweit Art. L. 442-1 I Nr.  2 C.  com. vorrangig von den großen Einzelhandelsketten in ihrer Vertragsgestaltung ge­ genüber ihren Zulieferern zu berücksichtigen. Die praktische Relevanz der In­ haltskontrolle nach Art.  1171 C. civ. hängt dagegen entscheidend vom Rege­ lungszweck der Artt. L. 442-1 I Nr.  2 C.  com. sowie 1110 Abs.  2 C. civ. ab, auf den im rechtsvergleichenden Teil dieser Arbeit näher eingegangen wird.

764 Vgl. 765 Vgl.

Fenouillet, RDC 2016, 358, 371. Reygrobellet, BJS 2016, 534, 536.

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A.  Das französische Recht

VI.  Richterliche Vertragskontrolle unter Rückgriff auf den guten Glauben? 1. Einleitung Im Folgenden soll schließlich untersucht werden, ob ungerechten Verträgen oder Klauseln unmittelbar auf der Grundlage des Art.  1104 Abs.  1 C. civ. die Wirk­ samkeit entzogen werden kann. Danach sollen Verträge gutgläubig verhandelt, geschlossen und erfüllt werden.766 Vor der französischen Schuldrechtsreform wurde jenes Rechtsinstitut, das in Art.  1134 Abs.  3 C. civ. a. F. geregelt war, einer kontinuierlichen Bereichsausdehnung unterzogen, auf die im Einzelnen näher einzugehen ist.

2.  Die klassische Konzeption der bonne foi Die in Art.  1134 Abs.  3 C. civ. a. F. enthaltene Anordnung, wonach Verträge gut­ gläubig zu erfüllen sind767, entfaltete ursprünglich keine praktische Bedeutung.768 Es handelte sich vielmehr um eine formale Bestimmung, deren ausschließlicher Zweck in der Einleitung des Art.  1135 C. civ. a. F. lag, der klarstellte, dass Verträ­ ge nicht nur die ausdrücklich vereinbarten Pflichten erzeugen, sondern auch die­ jenigen Rechtswirkungen, die der Verbindlichkeit nach ihrer Art durch Billigkeit, Brauch oder Gesetz zuerkannt werden.769 Nach traditionellem Verständnis diente die Norm lediglich der Auslegung von Verträgen.770 Mit der Aufnahme des guten Glaubens in den C. civ. sollte die Vertragsauslegung nach französischem Ver­ ständnis von der römischen, streng-formal am Wortlaut orientierten Vorgehens­ weise abgegrenzt werden.771

766 

„Les contrats doivent être négociés, formés et exécutés de bonne foi“. „[Les conventions légalement formées] doivent être exécutées de bonne foi“. 768  Flour/Aubert/Savaux, Les obligations, Rn.  378. 769  „Les conventions obligent non seulement à ce qui y est exprimé, mais encore à toutes les suites que l’équité, l’usage ou la loi donnent à l’obligation d’après sa nature“. 770  Flour/Aubert/Savaux, Les obligations, Rn.  378; Le Tourneau/Poumarède, Bonne foi, Nr.  9, 70; vgl. insbesondere Vouin, La bonne foi: notion et rôle actuels en droit privé français, Rn.  243, der die bonne foi in Art.  1134 Abs.  3 C. civ. noch im Jahr 1939 als eine „notion vide de tout contenu réel dans notre droit positif“ bezeichnet hatte. 771  Chantepie/Latina, La réforme, Nr.  102; Le Tourneau/Poumarède, Bonne foi, Nr.  9, 70; zur iudicia stricta sowie zur iudicia bonae fidei des römischen Rechts, siehe Honsell, Römi­ sches Recht, S.  85. 767 

VI.  Richterliche Vertragskontrolle unter Rückgriff auf den guten Glauben?

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3.  Die sachliche Aufladung des guten Glaubens Ausgehend von einer solidaristischen Strömung im französischen Schrifttum (école solidariste)772 wurde der gute Glaube sodann zu Beginn des 20. Jahrhun­ derts um eine sachliche Dimension bereichert.773 Dieses modernisierte Verständ­ nis des guten Glaubens kann im Wesentlichen in zwei Aspekte untergliedert wer­ den.774 Bei einem Vertrag wie dem Kaufvertrag, in dem die Vertragsparteien entgegengesetzte Interessen verfolgen, entfaltet der Grundsatz des guten Glau­ bens die schwächste Wirkung. Den Vertragsparteien wird lediglich auferlegt, sich gegenüber der jeweils anderen Vertragspartei loyal zu verhalten.775 Die stärkste Wirkung wird demgegenüber in Verträgen erzeugt, die sich dadurch aus­ zeichnen, dass die Vertragsparteien zumindest teilweise ein gemeinsames Ziel verfolgen, wie dies insbesondere bei Gesellschaftsverträgen anzunehmen ist. Jene in der Literatur verbreitet auch als Kooperationsverträge („contrats de co­ opération“) bezeichneten Verträge verpflichten die Vertragsparteien nach dem Grundsatz des guten Glaubens nicht nur zur Loyalität, sondern zur aktiven Ko­ operation.776 Die Loyalitätspflicht in Verträgen mit entgegengesetzter Interessenlage mani­ festiert sich dadurch, dass jeder Vertragspartner bei der Ausübung seiner soge­ nannten vertraglichen Vorrechte (prérogatives contractuelles) die Interessen des anderen Vertragspartners angemessen zu berücksichtigen hat. Die illoyale Aus­ übung eines solchen Rechts kann nach Art.  1134 Abs.  3 C. civ. a. F. unzulässig und damit unwirksam sein. So verwehrt die Cour de cassation einer Vertragspar­ tei die Berufung auf eine Kündigungs- oder Rücktrittsklausel, wenn die zur Kün­ digung berechtigenden Umstände auf ein treuwidriges Verhalten des Berechtig­ ten zurückzuführen waren.777 Gleiches gilt für eine Zahlungsaufforderung, die dem Schuldner bewusst zu einem Zeitpunkt zugestellt wurde, in dem er sich im 772  Demogue, Traité des obligations en général, Nr.  3 („Les contrats forment une sorte de microcosme. C’est une petite société où chacun doit travailler dans un but commun qui est la somme des buts individuels poursuivis par chacun, absolument comme dans la société civile ou commerciale.“). 773  Chantepie/Latina, La réforme, Nr.  105; Flour/Aubert/Savaux, Les obligations, Rn.  378; Le Tourneau/Poumarède, Bonne foi, Nr.  10. 774  Mekki, D. 2015, 816, Rn.  52. 775  Flour/Aubert/Savaux, Les obligations, Rn.  378; Le Tourneau/Poumarède, Bonne foi, Nr.  4, 87; vgl. umfassend Picod, Le devoir de loyauté dans l’exécution du contrat. 776  Mekki, D. 2015, 816, Rn.  53; zum Ganzen, vgl. Lequette, Le contrat-coopération. 777  Cass. civ. 3e, Urt. vom 15.12.1976 – 75-15.377 = Bulletin civil III, Nr.  465, S.  354; Cass. civ. 3e, Urt. vom 17.07.1992 – 90-18.810 = Bulletin civil III, Nr.  254, S.  156; Cass. civ. 1re, Urt. vom 31.01.1995 – 92-20.654 = Bulletin civil I, Nr.  57, S.  41 („une clause résolutoire n’est pas acquise, si elle a été mise en œuvre de mauvaise foi par le créancier“); Cass. civ. 1re, Urt. vom 16.02.1999 – 96-21.997 = Bulletin civil I, Nr.  52, S.  35.

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A.  Das französische Recht

Urlaub befand, um eine fristwahrende Zahlung zu verhindern und so vom Ver­ trag zurücktreten zu können.778 Unzulässig ist die Ausübung eines Vorrechts auch dann, wenn der andere Vertragsteil nach den besonderen Umständen des Einzelfalls darauf vertrauen durfte, dass der Berechtigte nicht von seiner Befug­ nis Gebrauch machen wird.779 Diese Umstände können etwa aus der längeren Nichtausübung trotz Vorliegens der Voraussetzungen oder aus der engen famili­ ären Bindung der Vertragsparteien resultieren. Nicht erforderlich ist dagegen, dass der Berechtigte sein Recht in Schädigungsabsicht ausübt, wie dies insbeson­ dere in §  226 BGB vorgesehen ist.780 Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass eine Vertragspartei bereits dann ihrer Loyalitätspflicht genügt, wenn sie sich kohärent verhält. Erst bei einem widersprüchlichen Verhalten ist die Grenze des guten Glaubens überschritten.781

4.  Die zeitliche Ausdehnung des Geltungsbereichs Die Cour de cassation erweiterte die ursprüngliche Konzeption des guten Glau­ bens indes nicht nur unter einem sachlichen Gesichtspunkt. Auch in zeitlicher Hinsicht wurde der Anwendungsbereich jener Maxime ausgedehnt. Obwohl Art.  1134 Abs.  3 C. civ. a. F. nach seinem klaren Wortlaut, der sich auf die Ver­ tragserfüllung (exécution) bezieht, sowie seiner Verortung im Abschnitt über die Wirkungen des Vertrags (effets des conventions), ausschließlich bei der Vertrags­ erfüllung zum Tragen kommen sollte, entspricht es der inzwischen herrschenden Rechtsprechung, die Parteien bereits bei der Vertragsverhandlung (négociation) zu einem mit dem Grundsatz des guten Glaubens konformen Verhalten anzuhal­ ten.782 Insoweit hat sich eine Kasuistik entwickelt, die im Wesentlichen in drei Kategorien untergliedert werden kann.

778 

Cass. civ. 3e, Urt. vom 16.10.1973 – 72-11.956 = Bulletin civil III, Nr.  529, S.  386; Cass. civ. 3 , Urt. vom 15.12.1976 – 75-15.377 = Bulletin civil III, Nr.  465, S.  354. 779  Cass. civ. 1re, Urt. vom 31.01.1995 – 92-20.654 = Bulletin civil I, Nr.  57, S.  41; Cass. civ. 3e, Urt. vom 08.04.1987 – 85-17.596 = Bulletin civil III, Nr.  88, S.  53; siehe auch Mekki, D. 2015, 816, Rn.  52, 54, der aus der bonne foi eine Verpflichtung zu einem kohärenten Verhalten ableitet. 780  Cass. civ. 3e, Urt. vom 08.04.1987 – 85-17.596 = Bulletin civil III, Nr.  88, S.  53. 781  Chantepie/Latina, La réforme, Nr.  104. 782  Le Tourneau/Poumarède, Bonne foi, Nr.  27; Mazeaud, in: RDC hors série, S.  53, 54; insbesondere stellte die Cour de cassation klar, dass die Gerichte keine Rechtsgrundlage nen­ nen müssen, um den Grundsatz der bonne foi auf den vorvertraglichen Bereich auszudehnen („la cour d’appel [n’était pas] tenue d’indiquer le fondement textuel d’une obligation relevant du principe de bonne foi dans les relations pré-contractuelles“), Cass. civ. 3e, Urt. vom 18.12.2012 – 11-28.251. e

VI.  Richterliche Vertragskontrolle unter Rückgriff auf den guten Glauben?

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Danach wird zunächst aus der dem Grundsatz des guten Glaubens innewoh­ nenden Loyalitätspflicht der Schutz vor einem überraschenden Abbruch der Ver­ tragsverhandlungen abgeleitet.783 Die deliktische Haftung wird ausgelöst, wenn eine unbillige Missachtung der schützenswerten Interessen des Verhandlungs­ partners (mauvaise foi) vorliegt, die sich in einem brutalen Verhandlungsabbruch (rupture brutale) niederschlägt.784 Wegen des Grundsatzes der Vertragsfreiheit in Gestalt der Abschlussfreiheit kann dies nur in besonders gelagerten Ausnahmesi­ tuationen anzunehmen sein. Dabei dienen die Dauer der Vertragsverhandlungen, die bisher für den Verhandlungspartner entstandenen Kosten sowie der Mangel eines berechtigten Grundes für den Abbruch der Verhandlungen als Kriterien für die Annahme eines missbräuchlichen Verhandlungsabbruchs.785 Ferner verpflichtet der Grundsatz des guten Glaubens die Vertragsparteien, alle im Zuge der Vertragsverhandlungen über den Vertragspartner erlangten In­ formationen vertraulich zu behandeln.786 Die Verletzung dieser Pflicht kann auch ohne entsprechende Verschwiegenheitsvereinbarung eine deliktische Haftung nach sich ziehen.787 Schließlich hat die Cour de cassation seit den 1980er Jahren aus dem Grund­ satz des guten Glaubens eine vorvertragliche Informationspflicht abgeleitet.788

5.  Das einschränkende Grundsatzurteil Les Maréchaux Nachdem ein Teil des französischen Schrifttums die kontinuierliche Ausdehnung des Grundsatzes des guten Glaubens kritisiert hatte,789 schränkte die Cour de cassation den Geltungsbereich in einem Grundsatzurteil vom 10.07.2007 (Les Maréchaux) ein.790 Die Cour de cassation ordnete an, dass zwischen den Vor­ Le Tourneau/Poumarède, Bonne foi, Nr.  30. Cass. com., Urt. vom 20.03.1972 – 70-14.154 = Bulletin civil IV, Nr.  93, S.  90; Cass. com., Urt. vom 26.10.1993 – 91-16.593; Cass. com., Urt. vom 22.04.1997 – 94-18.953; Cass. civ. 1re, Urt. vom 06.01.1998 – 95-19.199 = Bulletin civil I, Nr.  7, S.  5; Cass. com., Urt. vom 07.04.1998 – 95-20.361; Cass. com., Urt. vom 25.02.2003 – 01-12.660; Cass. com., Urt. vom 26.11.2003 – 00-10.243, 00-10.949 = Bulletin civil IV, Nr.  186, S.  206. 785  Le Tourneau/Poumarède, Bonne foi, Nr.  30. 786  Le Tourneau/Poumarède, Bonne foi, Nr.  49. 787  Cass. soc., Urt. vom 12.03.1996 – 94-42.105; Le Tourneau/Poumarède, Bonne foi, Nr.  49. 788  Le Tourneau/Poumarède, Bonne foi, Nr.  53. 789  Chazal, in: La nouvelle crise du contrat, S.  99. 790  Cass. com., Urt. vom 10.07.2007 – 06-14.768 = Bulletin civil IV, Nr.  188 = D. 2007, 2839, Anm. Stoffel-Munck/Gautier = RDC 2007, 1107, Anm. Aynès, 1110, Anm. Mazeaud = RTD civ. 2007, 773, Anm. Fages; bestätigt in Cass. civ. 3e, Urt. vom 09.12.2009 – 04-19.923 = Bulletin civil III, Nr.  275; Cass. civ. 3e, Urt. vom 26.03.2013 – 12-14.870; vgl. zum Ganzen Flour/Aubert/Savaux, Les obligations, Rn.  378. 783  784 

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A.  Das französische Recht

rechten (prérogatives contractuelles) einerseits und der Substanz der Rechte und Pflichten der Vertragsparteien („la substance même des droits et obligations léga­ lement convenus entre les parties“) andererseits zu differenzieren sei. Die Rich­ ter stellten klar, dass die in Art.  1134 Abs.  3 C. civ. a. F. angeordnete Verpflich­ tung, Verträge gutgläubig zu erfüllen, stets nur die illoyale Geltendmachung ei­ nes Vorrechtes außer Kraft setzen kann, während die Substanz der Rechte und Pflichten aus dem Vertrag nicht von dieser Verpflichtung erfasst ist.791 Aus dem Urteil kann abgeleitet werden, dass der Grundsatz des guten Glau­ bens nunmehr lediglich für die Ausübung akzessorischer Rechte des Vertrages wie etwa der Gestaltungsrechte sowie der Sekundäransprüche gilt, während die Erfüllung der Hauptleistungspflichten, die „den Kern“ des Vertrages betreffen, aus dem Anwendungsbereich herausfallen.792 Zudem weigerte sich die Cour de cassation trotz entsprechender Vorschläge in der Literatur,793 die Generalklausel des Art.  1134 Abs.  3 C. civ. a. F. als Kontrollmechanismus für unausgeglichene Verträge oder missbräuchliche Klauseln heranzuziehen.794 Die Ablehnung der Cour de cassation, das Vertragsgefüge unmittelbar auf der Grundlage des guten Glaubens zu korrigieren, wird nachvollziehbar, wenn man sich den im bisheri­ gen Art.  1134 Abs.  1 C. civ. a. F. normierten Rechtsgedanken vergegenwärtigt, wonach der von den Parteien geschlossene Vertrag zwischen ihnen wie ein Ge­ setz wirkt („Les conventions légalement formées tiennent lieu de loi à ceux qui les ont faites“). Hierbei handelt es sich nicht lediglich um einen Appell an die Vertragsparteien, die aufgrund ihres freien Willensentschlusses eingegangenen Vertragspflichten zu erfüllen, sondern auch und vor allem um eine Aufforderung an den Zivilrichter, nicht auf das Vertragsgefüge, also den Vertragsinhalt, einzu­ wirken.

791  Cass. com., Urt. vom 10.07.2007 – 06-14.768 = Bulletin civil IV, Nr.  188 = D. 2007, 2839, Anm. Stoffel-Munck/Gautier = RDC 2007, 1107, Anm. Aynès, 1110, Anm. Mazeaud = RTD civ. 2007, 773, Anm. Fages („si la règle selon laquelle les conventions doivent être exé­ cutées de bonne foi permet au juge de sanctionner l’usage déloyal d’une prérogative contrac­ tuelle, elle ne l’autorise pas à porter atteinte à la substance même des droits et obligations léga­ lement convenus entre les parties“). 792  Siehe auch Mekki, D. 2015, 816, Rn.  50, wonach der Begriff der prérogatives contractuelles eing auszulegen ist, womit dem Grundsatz der bonne foi wenig Raum verbleibt sowie Flour/Aubert/Savaux, Les obligations, Rn.  378, der die Abgrenzung für unklar erachtet. 793  Chénedé, RDC 2012, 1017, 1024 f.; Ghestin, D. 1990, 289. 794  Cass. civ. 1re, Urt. vom 06.12.1989 – 88-16.727 = Bulletin civil I, Nr.  379, S.  255; Cass. civ. 1re, Urt. vom 13.11.1996 – 94-17.369 = Bulletin civil I, Nr.  399, S.  279; Cass. civ. 1re, Urt. vom 17.11.1998 – 96-17.341 = Bulletin civil I, Nr.  322, S.  223.

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6.  Zwischenergebnis zur bisherigen Rechtslage Zusammenfassend ist festzuhalten, dass dem Grundsatz des guten Glaubens in der Vergangenheit nur eine geringe Bedeutung beigemessen wurde. Während die Kontrolle des vertraglichen Gleichgewichts oder missbräuchlicher Klauseln auf der Grundlage des Art.  1134 Abs.  3 C. civ. a. F. vollständig abgelehnt wurde, konnte sich lediglich eine sehr restriktive Kontrolle auf der Ebene der Vertrags­ durchführung sowie der hier nicht weiter zu vertiefenden Vertragsanbahnung durchsetzen. Die praktische Bedeutung jener Einschränkung ist gleichwohl ge­ ring, da sie von der Rechtsprechung auf die Ausübung vertraglicher Vorrechte beschränkt wurde und nur in Fällen eines schwer nachzuweisenden Missbrauchs Geltung beanspruchen kann.

7.  Die Modernisierung der allgemeinen Vertragsrechtsprinzipien a)  Die Kodifikation „einleitender Bestimmungen“ Wie bereits dargelegt, erhielt das dritte Buch im Zuge der Reform eine grundle­ gend erneuerte Struktur. Fortan ist das 1. Kapitel des 1. Untertitels über den Vertrag mit der Bezeichnung „Einleitende Bestimmungen“ („Dispositions limi­ naires“) tituliert. Dieser Abschnitt, der sich aus den Artt.  1101 bis 1111-1 C. civ. zusammensetzt, beinhaltet den kodifizierten Grundsatz der Vertragsfreiheit, den aus Art.  1134 Abs.  1 C. civ. a. F. in modernisierter Form übernommenen Grund­ satz über die Bindungswirkung des Vertrages (Art.  1103 C. civ.795), den Grund­ satz des guten Glaubens (Art.  1104 C. civ.), den lex specialis-Grundsatz (Art.  1105 C. civ.) sowie diverse Vertragsdefinitionen (Artt.  1101, 1106 bis 1111-1 C. civ.). Die Aufnahme eines einleitenden Kapitels über die allgemeinen Prinzipien ist auf ein Rundschreiben aus dem Jahr 1996 zurückzuführen, das bereits das Be­ streben äußerte, die Gesetze in Zukunft dergestalt zu formulieren und zu glie­ dern, dass auch ein rechtsunkundiger Leser in der Lage sein soll, seine Rechte und Pflichten aus der bloßen Lektüre des Gesetzes in Erfahrung zu bringen.796 795  Art.  1103

C. civ.: „Les contrats légalement formés tiennent lieu de loi à ceux qui les ont faits“. 796  Art.  2.2.3 Circulaire du 30 mai 1996 relative à la codification des textes législatifs et réglementaires: „Les auteurs d’un code s’efforceront de regrouper en tête du code des principes qui gouvernent la législation du domaine“. Im Avant-projet Catala waren noch keine solchen allgemeinen Prinzipien zu finden, während das Avant-projet Terré bereits mit „einleitenden Bestimmungen“ („dispositions introductives“) versehen wurde. Portalis, Mitverfasser des C. civ. von 1804, hatte sich dagegen noch bewusst gegen die Aufnahme solcher allgemeiner Prinzipien in einem einleitenden Buch („livre préliminaire“) geäußert. Er war der Auffassung, dass dies zu einer unzweckmäßigen Vermischung von Rechtswissenschaft und Gesetzgebung führen würde, vgl. Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Droit des obligations, Rn.  448.

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b)  Die modernisierte Konzeption des guten Glaubens aa) Ausgangslage Besonderes Augenmerk ist dabei auf den neuen Art.  1104 C. civ. zu richten. Jener bestimmt in einem ersten Absatz, dass Verträge gutgläubig verhandelt, geschlos­ sen und erfüllt werden sollen („Les contrats doivent être négociés, formés et exécutés de bonne foi.“). Im Unterschied zu Art.  1134 Abs.  3 C. civ. a. F. wurde der Grundsatz des guten Glaubens damit auf den vorvertraglichen Bereich er­ streckt. Die gesetzesvertretende Verordnung kodifiziert dergestalt die bereits oben geschilderte zeitliche Vorverlagerung des guten Glaubens durch die Cour de cassation.797 Die einzelnen vorvertraglichen Anwendungsfälle des guten Glaubens in Gestalt der deliktischen Haftung bei überraschendem Abbruch von Vertragsverhandlungen, der vorvertraglichen Informationspflicht sowie der Ver­ schwiegenheitspflicht wurden im ersten Unterabschnitt über die Vertragsver­ handlungen („Les négociations“) jeweils in den Artt.  1112, 1112-1 sowie 1112-2 C. civ. gesetzlich konkretisiert.798 Während auf diese Aspekte des guten Glaubens nicht weiter einzugehen ist, stellt sich die Frage, ob die Rekodifikation des guten Glaubens mit einer sach­ lich-rechtlichen Intensivierung jenes Grundsatzes einhergeht.799 Insbesondere ist zu prüfen, ob der Grundsatz des guten Glaubens in seiner modernisierten Form in einer dem Grundsatz von Treu und Glauben des deutschen Rechts nach §  242 BGB entsprechenden Weise als eigenständiger Vertrags- oder Klauselkontroll­ mechanismus fungieren kann. bb)  Argumente für eine sachliche Intensivierung Dafür ließe sich zunächst argumentieren, dass nicht nur die Vertragsverhandlung (négociation), sondern auch der Vertragsabschluss (formation) in den Geltungs­ bereich der Norm einbezogen wurde. Dies könnte den Rückschluss zulassen, dass die Schuldrechtsreform neben der Bestätigung der zeitlichen Ausdehnung des guten Glaubens auf den vorvertraglichen Bereich auch eine sachliche Aufla­ dung des guten Glaubens im Bereich des Vertragsschlusses anstrebt. Versteht man unter dem Vertragsabschluss in Abgrenzung zur Vertragsverhandlung nicht das Verhalten der Vertragsparteien in der vorvertraglichen Phase, sondern den Inhalt der auf den Abschluss des Vertrages gerichteten Willenserklärungen, so Renault-Brahinsky, Droit des obligations, S.  40. Dondero, JCP E 2016, Nr.  19-1283, S.  22; Dupichot, Dr. et patr. 2015, Nr.  247, S.  32; Le Tourneau/Poumarède, Bonne foi, Nr.  27. 799  Blanc, Gaz. Pal. 2015, 1306, 1308; Bourassin, LPA 2016, Nr.  261, S.  9, 14; Le Tourneau/ Poumarède, Bonne foi, Nr.  16; Pérès, JCP G 2016, 770. 797  798 

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könnte eine Vertrags- oder Klauselgerechtigkeitskontrolle für möglich erachtet werden.800 Für die sachliche Verstärkung des guten Glaubens würde zudem das systematische Argument sprechen, dass der Grundsatz in einer eigenständigen Rechtsnorm neben der grundsätzlichen Unabänderlichkeit des Vertrages in ­einem Kapitel über die einleitenden Bestimmungen verankert wurde. Aus der strukturellen Aufwertung kann abgeleitet werden, dass der bisher als vorrangig angesehene, in Art.  1103 C. civ. verankerte Grundsatz der Unantastbarkeit des Vertragsinhalts durchaus nach dem Maßstab des nunmehr als gleichrangig einzu­ stufenden guten Glaubens wieder eingeschränkt werden kann.801 cc)  Argumente gegen eine sachliche Intensivierung (1)  Vom „Leitprinzip“ zur bloßen „einleitenden Bestimmung“ Gegen die Behauptung, der gute Glaube sei quasi symbolisch „über“ die an­ schließenden Bestimmungen gesetzt worden, um die sachliche Intensivierung dieses Maßstabs zum Ausdruck zu bringen, sprechen allerdings gewichtige Ein­ wände. Im ersten Gesetzentwurf zur Modernisierung des Schuldrechts aus dem Jahr 2008 fasste das Justizministerium den Grundsatz der Vertragsfreiheit (Art.  15 und 16), der Bindungswirkung des Vertrages (Art.  17) sowie des guten Glaubens (Art.  18) noch in einem einheitlichen Kapitel über die „Leitprinzipien“ („prin­ cipes directeurs“) zusammen.802 Bei der Bestimmung des Titels soll sich das Jus­ tizministerium am ersten Kapitel der französischen Zivilprozessordnung über die „leitenden Prinzipien des Verfahrens“ („Les principes directeurs du procès“) in­ spiriert haben.803 Die Wahl dieser Bezeichnung als „Leitprinzipien“ stieß im fran­ zösischen Schrifttum jedoch auf einen großen Widerstand.804 Im Wesentlichen wurde der Konzeption vorgeworfen, die Vorhersehbarkeit des Vertragsrechts durch die Aufnahme von Leitprinzipien zu gefährden.805 Es wurde befürchtet, das gesamte Vertragsrecht könne durch die dem Ermessen des Gerichts unterliegende Auslegung jener unbestimmten Rechtsbegriffe konterkariert werden.806 Vgl. hierzu Le Tourneau/Poumarède, Bonne foi, Nr.  51. Ferrier, in: La réforme du droit des obligations, S.  73, 80; Mekki, D. 2015, 816, Rn.  18. 802 Zum Begriff der „principes directeurs“, siehe Mekki, LPA 2009, Nr.  31, 12.02.2009, S.  103. 803  Mekki, D. 2015, 816, Rn.  12. 804  Cabrillac, JCP G 2008, 17, 19; Ghozi/Lequette, D. 2008, 2609; vgl. auch Blanc, Gaz. Pal. 2015, 1306, 1307 f.; Champalaune, in: Réforme du droit des contrats, S.  7, 11; Fabre-Magnan, Droit des obligations, Nr.  38 (S.  42). 805  Champalaune, in: Réforme du droit des contrats, S.  7, 11. 806  Cabrillac, JCP G 2008, 17, 19; Pérès, RDC 2015, 647, 648. 800 

801 Vgl.

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A.  Das französische Recht

Daraufhin verzichtete das Justizministeriums in der Folgezeit bewusst auf die Bezeichnung dieser Rechtsnormen als Prinzipien oder gar als Leitprinzipien, um jegliche Rechtsunklarheiten im Keim zu ersticken.807 So fasste der Gesetzentwurf des Justizministeriums aus dem Jahr 2009 den Art.  5 über die Vertragsfreiheit sowie den Art.  6 über den guten Glauben als „ein­ leitende Bestimmungen“ („dispositions introductives“) zusammen. Im Gesetz­ entwurf aus dem Jahr 2015 wurde sodann die nur terminologisch abweichende Bezeichnung der „dispositions préliminiares“ bevorzugt. In der gesetzesvertretenden Verordnung entschied sich der Gesetzgeber letzt­ lich für die Bezeichnung „dispositions liminiares“, um durch die kontinuierliche Abwertung der Titulierung des einleitenden Kapitels die schwache Bedeutung der darin befindlichen Bestimmungen unmissverständlich zum Ausdruck zu bringen. Nüchterner könnte man die in jenem Kapitel zusammengefassten Grundsätze und Definitionen nicht ankündigen.808 Frei von etwaigen begrifflichen Aufwer­ tungen bringt die gesetzesvertretende Verordnung mit dieser Titulierung allein zum Ausdruck, dass es sich hierbei um einfache Bestimmungen zu Beginn des ersten Untertitels über den Vertrag handelt.809 Dadurch wird die Zurückhaltung gegenüber dem mit allgemeinen Wertungen aufgeladenen Begriff des „(Leit-) Prinzips“ zum Ausdruck gebracht.810 Mit der Ersetzung der Terminologie des einleitenden Kapitels sollte also gerade verhindert werden, dass den darin enthal­ tenen Bestimmungen eine gegenüber den darauffolgenden Abschnitten überge­ ordnete Rolle eingeräumt wird.811 Vielmehr soll den Prinzipien allein eine ergän­ zende Funktion bei der Auslegung der Bestimmungen des Vertragsrechts zugute­ kommen.812 Der die gesetzesvertretende Verordnung begleitende Bericht an den Präsiden­ ten bringt diesen Rechtsgedanken mit folgender Formulierung zum Ausdruck: „Diese allgemeinen Regeln stellen, auch wenn sie den Zweck verfolgen, Leitlinien für das Vertragsrecht zur Verfügung zu stellen, keine Regeln dar, die gegenüber den nachfolgenden Bestimmungen Vorrang genießen und auf denen die Richter sich stützen könnten, um einen verstärkten Interventionismus zu rechtfertigen: Es handelt sich vielmehr um Prinzipien, die dazu bestimmt sind, die Auslegung der Gesamtheit der auf den Vertrag anwendbaren Vorschrif­ ten zu vereinfachen und im Bedarfsfall die Lücken zu schließen“.813 Mekki, RDC 2015, 651. Pérès, RDC 2015, 647 f. 809  Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Droit des obligations, Rn.  448; Pérès, RDC 2015, 647 f. 810  Pérès, RDC 2015, 647 f. 811  Champalaune, in: Réforme du droit des contrats, S.  7, 11; Pérès, RDC 2015, 647 f. 812  Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Droit des obligations, Rn.  448; Mekki, D. 2015, 816, Rn.  21; Mekki, RDC 2015, 651. 813  „Contrairement à certains projets européens, l’ordonnance n’a pas opté pour un chapitre 807  808 

VI.  Richterliche Vertragskontrolle unter Rückgriff auf den guten Glauben?

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(2)  Schutz der Rechtssicherheit Schließlich spricht für jene Betrachtung auch Art.  8 Nr.  1 des kompetenzübertra­ genden Gesetzes, wonach der Regierung lediglich die Befugnis erteilt wird, die „allgemeinen Prinzipien“ des Vertragsrechts wie den guten Glauben und die Ver­ tragsfreiheit zu „bestätigen“.814 Auch hier veranschaulicht bereits die besonnene Wortwahl, dass die Tragweite der Prinzipien durch die Reform keinesfalls ver­ stärkt werden sollte. Dementsprechend kann aus der Integration der aus dem guten Glauben resul­ tierenden Rechtspflichten in eine eigenständige Rechtsnorm in den einleitenden Bestimmungen keine sachliche Intensivierung jenes Grundsatzes gefolgert wer­ den. Allgemein ist daraus zu schließen, dass die einleitenden Bestimmungen nicht als Mittel zur Herstellung der Vertragsgerechtigkeit herangezogen werden können. Es würde dem Primärziel der Reform, die Rechtssicherheit zu stärken, zuwiderlaufen, wenn die im zweiten Abschnitt über die Wirksamkeit des Vertra­ ges („La validité du contrat“) normierten Kontrollmechanismen durch die allge­ meinen Bestimmungen konterkariert werden könnten. Zudem sprechen gegen das oben geschilderte Wortlautargument sowohl die Entstehungsgeschichte der Norm als auch die Hinweise der Regierung. Nach Art.  18 des Vorentwurfs des Justizministeriums aus dem Jahr 2008, der wie oben geschildert im Kapitel über die „Leitprinzipien“ verankert wurde, war jede Ver­ tragspartei verpflichtet, gutgläubig zu handeln („Chacune des parties est tenue d’agir de bonne foi“). Mit der Formulierung wollte die Regierung bewusst eine sachliche Verstärkung dieser Maxime zum Ausdruck bringen.815 Angesichts des vehementen Widerstands vonseiten der Literatur ist das Justizministerium in der Folgezeit aber bewusst von dem Vorstoß abgerückt. Mit der Nennung des Ver­ tragsschlusses in Art.  1104 Abs.  1 C. civ. sollte daher lediglich die zeitliche Aus­ préliminaire consacré aux ‚principes directeurs‘ du droit des contrats. Le choix a été fait de s’inspirer du titre de l’actuel chapitre Ier du titre III du code civil, intitulé ‚Dispositions préli­ minaires‘, afin de signifier que les règles générales ainsi posées, conformément au 1° de l’ar­ ticle 8 de la loi d’habilitation, bien que destinées à donner des lignes directrices au droit des contrats, ne constituent pas pour autant des règles de niveau supérieur à celles qui suivent et sur lesquelles les juges pourraient se fonder pour justifier un interventionnisme accru: il s’agit bien plutôt de principes destinés à faciliter l’interprétation de l’ensemble des règles applicables au contrat, et au besoin à en combler les lacunes“. 814  Art.  8 Nr.  1 des kompetenzübertragenden Gesetzes 2015-177 vom 16.02.2015: „Affir­ mer les principes généraux du droit des contrats tels que la bonne foi et la liberté contractuelle […]“. Siehe auch die Motive zum Gesetzentwurf aus dem Jahr 2013, wonach das Ziel der Re­ form darin liegt, „d’aborder à titre liminaire les principes directeurs […] qui gouvernent le droit des contrats“ sowie „de consacrer dans la loi le principe de la liberté contractuelle, et ses li­ mites, ainsi que celui de la bonne foi en droit des contrats“ in Pérès, RDC 2015, 647 f. 815  Pérès, RDC 2015, 647, 648.

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A.  Das französische Recht

dehnung des guten Glaubens auf den vorvertraglichen Bereich durch die Cour de cassation gesetzlich verankert werden.816 Mit anderen Worten soll der Verweis auf den Vertragsschluss neben der Vertragsverhandlung keine weitergehende sachliche Intensivierung des guten Glaubens entfalten. Vielmehr ist hierunter al­ lein die zeitliche Dimension des Aufeinandertreffens der Willenserklärungen zu verstehen. Dieses Verständnis wird sowohl durch den die gesetzesvertretende Verord­ nung begleitenden Bericht an den Präsidenten als auch durch den Bericht des Ministerrates vom 10.02.2016 untermauert. Im Bericht an den Präsidenten heißt es insoweit: „Der Art.  1104 erstreckt das Erfordernis der Gutgläubigkeit auf die Vertragsverhandlungs- so­ wie die Vertragsabschlussphase, die fortan in den Artt.  1112 ff. geregelt sind, und nicht mehr bloß auf die Erfüllungsphase, wie dies der aktuelle Art.  1134 Abs.  3 C. civ. macht. Jene Lösung wurde bereits von der Rechtsprechung praktiziert. Die gesetzesvertretende Verordnung unter­ wirft der Pflicht sowohl die Vertragsverhandlung als auch den Vertragsschluss im engen Sinne als die Phase des Aufeinandertreffens der Willenserklärungen“.817

Auch der Bericht des Ministerrates bringt unmissverständlich zum Ausdruck, dass mit der Anforderung, Verträge gutgläubig zu schließen, lediglich die zeitli­ che Ausdehnung des guten Glaubens auf den vorvertraglichen Bereich gemeint sein soll, ohne dass hiermit auch eine sachliche Wertung einhergehen würde: „Die Reform erstreckt den Begriff des guten Glaubens auf alle Stadien des Lebens eines Ver­ trages, sogar auf den Vertragsschluss. So wird eine Person ihrem Partner insbesondere eine ihr zur Verfügung stehende Information mitteilen müssen, die dem Partner nicht bekannt sein kann, wenn sie für ihn bei der Entscheidung zum Abschluss des Vertrages wesentlich ist (Bei­ spielsweise wenn im Rahmen eines Kaufvertrages über eine Wohnung mit Meeresblick der Bau eines Gebäudes geplant ist, der die Sicht versperren wird).“818

Schließlich spricht dagegen auch ein systematisches Argument. Wenn der Grund­ satz des guten Glaubens Einfluss auf die Wirksamkeit des Vertrages oder einzel­ 816 Vgl. Aynès, in: RDC hors série, S.  14, 15; Chantepie/Latina, La réforme, Nr.  102; Dupichot, Dr. et patr. 2015, Nr.  247, S.  32. 817  „L’article 1104 étend l’exigence de bonne foi à la phase de négociation et de formation du contrat, désormais régie par les articles 1112 et suivants, et non plus seulement à la phase d’exécution comme le fait l’actuel troisième alinéa de l’article 1134, solution déjà consacrée en jurisprudence. L’ordonnance soumet à ce devoir tant la négociation du contrat que la formation entendue au sens strict comme la phase de rencontre des volontés“. 818  Compte rendu du Conseil des ministres du 10 février 2016 („La réforme consacre la notion de bonne foi à tous les stades de la vie du contrat, y compris au moment de sa formation. Ainsi notamment une personne devra communiquer une information dont elle dispose mais que son partenaire ne peut pas connaître, si elle est essentielle pour qu’il prenne sa décision de contracter ou non (par exemple, dans le cadre de la vente d’un appartement avec vue sur la mer, la construction à venir d’un immeuble bouchant cette dernière“).

VII.  Fazit zum französischen Recht

191

ner Klauseln haben sollte, hätte er unmittelbar oder mittelbar über den Begriff des Vertragsinhalts („contenu“) in Art.  1128 C. civ. über die Wirksamkeitsvor­ aussetzungen des Vertrages oder den Artt.  1162 bis 1171 C. civ. über die Anfor­ derungen an den Vertragsinhalt Erwähnung finden müssen.819

8. Ergebnis Insgesamt bleibt festzuhalten, dass der Grundsatz des guten Glaubens auch nach der französischen Schuldrechtsreform nicht als Mittel zu Bekämpfung ungerech­ ter Verträge oder Klauseln herangezogen werden kann, da die einleitenden Be­ stimmungen schon wegen ihrer Unbestimmtheit und der damit verbundenen poten­ziellen Rechtsunsicherheit nicht als eigenständige Rechtsnormen zur Kor­ rektur des Vertragsinhalts gelten sollen. Vielmehr dienen sie lediglich der Lü­ ckenfüllung und Auslegung der ihnen nachfolgenden Bestimmungen.820

VII.  Fazit zum französischen Recht Das reformierte französische Schuldrecht legt dem Richter in Gestalt der Art.  1143 C. civ. und Art.  1169 C. civ. zwei Rechtsnormen an die Hand, die es ihm gestatten, ungerechten Verträgen die Wirksamkeit zu versagen. Beide Tatbe­ stände sind dem französischen Recht nicht vollkommen neu, sondern haben ­ihren Ursprung in der Rechtsprechung der Cour de cassation auf der Grundlage des Rechts über die Willensmängel bzw. die cause. Letztere sollte aus Gründen der Modernisierung nur formell aus dem C. civ. entfernt werden, während ihre einzelnen Funktionen in unterschiedlichen Bestimmungen weiterhin Bestand ha­ ben. Das französische Vertragsrecht gestattet fortan, in gewissen Grenzen so­ wohl wirtschaftlichen als auch intellektuellen Disparitäten zwischen den Ver­ tragsparteien Rechnung zu tragen. Im Hinblick auf den Schutz des wirtschaftlich unterlegenen Unternehmers ist es wahrscheinlich, dass die Cour de cassation auch nach Inkrafttreten der Reform von ihrer nunmehr in Art.  1143 C. civ. aus­ drücklich eingeräumten Befugnis nur mit äußerster Zurückhaltung Gebrauch machen wird. Demgegenüber dürfte der intellektuell unterlegene Unternehmer im Hinblick auf die mögliche Nichtigkeit des Vertrages gem. Art.  1169 C. civ. wegen Vorlie­ gens einer „contrepartie convenue illusoire“ einen höheren Schutz genießen. Die Le Tourneau/Poumarède, Bonne foi, Nr.  51. Chantepie/Latina, La réforme, Nr.  86; Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Droit des obliga­ tions, Rn.  448; nach Mekki, D. 2015, 816, Rn.  10 f. sind einleitende Prinzipien dagegen ledig­ lich in rechtsvergleichenden Arbeiten und Lehrbüchern, nicht aber in Gesetzen sinnvoll. 819  820 

192

A.  Das französische Recht

Norm bewahrt unerfahrene Unternehmer vor Fehlinvestitionen, soweit dies für den Vertragspartner ohne Schwierigkeiten erkennbar war. Es handelt sich inso­ weit um eine Kombination aus individualschützenden Aspekten mit rechtsöko­ nomischen Zielvorstellungen. Mittelbar wird nämlich auch die Vergeudung von Ressourcen verhindert, indem sich offensichtlich aussichtslose Unternehmen von vornherein nicht am Markt beteiligen sollen. Demgegenüber dient das ebenfalls in Art.  1169 C. civ. verankerte Verbot einer „contrepartie convenue dérisoire“ weder dem Schutz der wirtschaftlich noch dem der intellektuell unterlegenen Vertragspartei. Ebenso ist der ökonomische Nutzen der Regelung durchaus zu bezweifeln. In der Praxis führt sie ohnehin zu einer kaum spürbaren Beschränkung der Vertragsfreiheit, da der hinter der Norm stehenden Seriositätsfunktion der cause bereits unter geringen Anforderungen Genüge getan ist. Im Hinblick auf die Wirksamkeitskontrolle einzelner Klauseln sind im unter­ nehmerischen Geschäftsverkehr die Art. L. 442-1 I Nr.  2 C.  com. sowie Art.  1171 C. civ. von besonderer Bedeutung. Mit der Einführung des Art.  1171 C. civ. wur­ de im französischen Recht eine dem deutschen AGB-Recht vergleichbaren Re­ gelung eingeführt. Ihr Stellenwert im unternehmerischen Geschäftsverkehr wird, ebenso wie der des Art.  1170 C. civ., erst nach Erörterung des hinter dem contrat d’adhésion nach Art.  1110 Abs.  2 C. civ. stehenden Regelungszweck deutlich werden.

B.  Das deutsche Recht I.  Die wirtschaftsliberale Konzeption des BGB Für die Gründerväter des BGB war die Vertragsgerechtigkeit als ein für die Ver­ tragsfreiheit leitendes Prinzip des Vertragsrechts unbekannt.1 Vielmehr wurde die Vertragsfreiheit als der einzige tragende Grundsatz des Vertragsrechts ange­ sehen, der lediglich durch restriktiv auszulegende Ausnahmebestimmungen be­ grenzt werden durfte.2 Dies stellte bereits Gierke in seiner Stellungnahme zu den Entwürfen zum BGB aus dem Jahre 1889 fest: „Durchweg ist das Recht der Schuldverhältnisse so geordnet, als stünden sich dabei nur selbstherrliche Individuen gegenüber […]. Von einem Schutze der Schwachen gegen wirt­ schaftliche Übermacht ist weniger als in irgendeinem anderen Gesetzbuch zu spüren. Die Schranken der Vertragsfreiheit sind soviel wie möglich hinweggeräumt. […] Geschäftskunde und eine gewisse geschäftliche Geriebenheit werden als allgemein menschliche Eigenschaften vorausgesetzt“.3

Ebenso machte Bydlinski die folgende Beobachtung: „Dem BGB. lag jeder Gedanke daran fern, daß der Inhalt des Vertrages an sich irgendwie in­ haltlich ausgeglichen sein oder gleichwertige Positionen begründen sollte; genug, daß die Leis­ tung nicht gesetz- oder sittenwidrig war. Wie sich der Vertrag auf die Interessen der Partner auswirkt, sollte ihrer Geschicklichkeit, praktisch aber in Wahrheit oft dem Stärkeren überlassen bleiben“.4

Wendland, Vertragsfreiheit, S.  164 ff. Vgl. Motive II 195 = Mugdan II 108 („Für Deutschland ist das Prinzip der Vertragsfrei­ heit […] allgemein anerkannt. Kein Anlaß liegt vor, dieses Prinzip zu ändern“). 3  Gierke, Der Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuchs, S.  192. 4  Bydlinski, Privatautonomie, S.  103. 1  2 

194

B.  Das deutsche Recht

II.  Verfassungsrechtliche Vorgaben 1.  Grundsatz der Vertragsfreiheit Ausgangspunkt ist der verfassungsrechtlich in Art.  2 Abs.  1 GG garantierte und einfachgesetzlich in §  311 Abs.  1 BGB vorausgesetzte Grundsatz der Privatauto­ nomie in Gestalt der Vertragsfreiheit, wonach grundsätzlich zunächst jeder Ein­ zelne das Recht hat, seine Lebensverhältnisse durch Verträge eigenverantwort­ lich und frei von staatlicher Einflussnahme zu gestalten.5 Der Staat überlässt die Ordnung der Privatrechtverhältnisse und damit die Gestaltung eines gerechten Interessenausgleichs vorrangig den Vertragsparteien und nicht den Gerichten.6

2.  Ausnahme bei unausgeglichenem Kräfteverhältnis Eine richterliche Vertragskontrolle hat nach der Rechtsprechung des BVerfG dann stattzufinden, wenn es an einer annähernden Ausgewogenheit des Kräfteverhält­ nisses zwischen den Vertragsparteien fehlt.7 Ist jenes Kräftegleichgewicht zwi­ schen den Beteiligten gar derart massiv gestört, dass der Übervorteilende den Vertragsinhalt faktisch einseitig bestimmen kann, verkörpert der Vertrag nicht mehr den gemeinsamen Willen beider Vertragsparteien und damit das von ihnen als gerecht empfundene Verhandlungsergebnis, sondern vielmehr den einseitigen Willen der stärkeren Vertragspartei, die nach Gutdünken die unterlegene Vertrags­ partei übervorteilen kann.8 Man spricht von einer Fremdbestimmung des Unter­ legenen, die ein rechtlich zu missbilligendes Verhandlungsergebnis indiziert.9

3.  Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Das verfassungsrechtliche Gebot der Verhinderung solcher Missbräuche folgt nach Ansicht des BVerfG aus den Grundrechten sowie dem Sozialstaatsprinzip

5 

BVerfG NJW 1986, 1859, 1860; BVerfG NJW 1994, 2749, 2750; BVerfG NJW 1996, 2021; BVerfG NJW 2001, 957, 958; BVerfG NJW 2006, 596, 598; Staudinger/Sack/Fischinger, §  138 Rn.  1. 6  BVerfG NJW 1990, 1469, 1470 („Der Staat hat die im Rahmen der Privatautonomie ge­ troffenen Regelungen grundsätzlich zu respektieren“); MünchKomm/Armbrüster, §  138 Rn.  13; Staudinger/Sack/Fischinger, §  138 Rn.  90; Wolf, Entscheidungsfreiheit, S.  8, 35. 7  BVerfG NJW 1994, 36, 38 f.; Wolf, Entscheidungsfreiheit, S.  35. 8  BVerfG NJW 1994, 36, 38; BVerfG NJW 2001, 957, 958; BVerfG NJW 2006, 596, 598; vgl. auch BVerfG NJW 2013, 3086, 3087. 9  BVerfG NJW 2006, 596, 598; BVerfG, MMR 2007, 93; Staudinger/Sack/Fischinger, §  138 Rn.  98.

II.  Verfassungsrechtliche Vorgaben

195

aus Art.  20 Abs.  1, 28 Abs.  1 S.  1 GG.10 Die Grundrechte sind nämlich nicht aus­ schließlich als Abwehrrechte gegen staatliche Eingriffe zu verstehen, sondern beinhalten auch objektive Grundentscheidungen, die für alle Bereiche des Rechts, also auch für das Zivilrecht gelten.11 Auf diese Weise kann aus den Grundrechten ausnahmsweise die Verpflichtung des Staates abgeleitet werden, die Interessen der unterlegenen Vertragspartei in der grundsätzlich freien Privat­ wirtschaft zu schützen und zu sichern.12 Die hierbei zu stellenden Anforderungen beurteilen sich nach dem Grad der Paritätsstörung, der das Zurücktreten der Ver­ tragsfreiheit des Übervorteilenden hinter die entsprechend tangierten Grundrech­ te des Übervorteilten rechtfertigt. Im unternehmerischen Verkehr sind dies vor­ rangig neben der in Art.  2 Abs.  1 GG verankerten Vertragsfreiheit ggf. auch die speziellere Berufsfreiheit aus Art.  12 Abs.  1 GG.13 Bei Feststellung einer struktu­ rellen Imparität zwischen den Vertragsparteien obliegt es demgemäß den Gerich­ ten, die wie jede staatliche Gewalt gem. Art.  1 Abs.  3 GG an die Grundrechte gebunden sind, die kollidierenden, zueinander in Wechselwirkung stehenden Grundrechtspositionen anlässlich der Auslegung des einfachen Rechts dergestalt zu begrenzen, dass sie für die beteiligten Vertragsparteien möglichst weitgehend wirksam werden.14

4. Kontrollmaßstab a)  Gravierende Paritätsstörung Nach der Rechtsprechung des BVerfG besteht bei Vorliegen einer allenfalls ge­ ringfügigen Paritätsstörung, also bei annäherndem Kräftegleichgewicht zwi­ schen den Vertragsparteien, noch kein Grund zur Beschränkung der Vertragsfrei­ heit der überlegenen Vertragspartei. Aus Gründen der Rechtssicherheit darf die Wirksamkeit des Vertrages nämlich nicht bei jeder Beeinträchtigung des Ver­ handlungsgleichgewichts nachträglich infrage gestellt werden können.15 Ein sol­ 10  BVerfG NJW 1994, 36, 38; BVerfG NJW 1994, 2749, 2750; BVerfG NJW 1996, 2021; Flohr/Wauschkuhn/Feldmann, §  138 Rn.  5; Staudinger/Sack/Fischinger, §  138 Rn.  98. 11  BVerfG NJW 1990, 1469, 1470; zu den dogmatischen Ursprüngen dieser Anschauung vgl. Reich, ZRP 1974, 187, 189. 12  Vgl. BVerfG NJW 1990, 1469, 1470. 13  BVerfG NJW 2011, 1339, 1340. Die Berufsfreiheit ist insbesondere dann betroffen, wenn die wirtschaftliche Existenz eines Vertragspartners gefährdet wird, vgl. BVerfG NJW 1990, 1469; OLG Koblenz NJW-RR 1993, 611. 14  So schon das „Lüth“-Urteil, BVerfG NJW 257, 258; bestätigt in BVerfG NJW 1990, 1469, 1470; BVerfG NJW 1994, 36, 38; BVerfG NJW 1994, 2749, 2750; BVerfG NJW 1996, 2021; Staudinger/Sack/Fischinger, §  138 Rn.  98. 15  BVerfG NJW 1994, 36, 38.

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B.  Das deutsche Recht

cher Bedarf soll erst dann entstehen, wenn das Kräftegleichgewicht zwischen den Vertragsparteien derart erschüttert ist, dass von einer freien Entscheidung des Übervorteilten faktisch nicht mehr die Rede sein kann, er also überhaupt nicht mehr in der Lage ist, von seiner materiell verstandenen Vertragsfreiheit Gebrauch zu machen.16 Die Schwelle ist insoweit erst bei „einer auf ungleichen Verhandlungspositionen basierenden einseitigen Dominanz“17 des Übervortei­ lenden überschritten. b)  Ungerechtes Verhandlungsergebnis Dieser Aspekt rechtfertigt für sich genommen indes noch nicht den staatlichen Eingriff. Vielmehr muss sich das Verhandlungsungleichgewicht auch in der Ver­ tragsgestaltung niedergeschlagen haben. Der Übervorteilende muss sich also sei­ ne Überlegenheit missbräuchlich zunutze gemacht haben. Der bloße Einwand der unterlegenen Vertragspartei, dass es ihr nicht gelungen sei, einen optimal ihren Interessen gerecht werdenden oder den üblichen Marktkonditionen ent­ sprechenden Vertrag durchgesetzt zu haben, vermag insoweit nicht auszurei­ chen.18

5.  Einfachgesetzliche Anknüpfung Der Eingriff des Staates in das privatautonome Machtgefüge bedarf dementspre­ chend einer typisierbaren Fallgestaltung, die nicht nur eine (erhebliche) struktu­ relle Unterlegenheit des einen Vertragsteils erkennen lässt, sondern darüber hin­ aus ungewöhnlich belastende Folgen des Vertrages für den Übervorteilten nach sich zieht, die als Interessenausgleich offensichtlich unangemessen sind.19 Jene Kriterien zum Schutz der unterlegenen Vertragspartei sollen nicht nur über §  138 BGB20 zu verwirklichen sein, sondern insbesondere auch der Inhaltskontrolle des AGB-Rechts als Legitimationsgrundlage dienen.21

16 

BVerfG NJW 1994, 2749, 2750; Staudinger/Sack/Fischinger, §  138 Rn.  90; so im Ergeb­ nis auch MünchKomm/Armbrüster, §  138 Rn.  13 m. w. N. aus dem Schrifttum. 17  BVerfG zur Wirksamkeit von Eheverträgen in BVerfG NJW 2001 957, 958. 18  Staudinger/Sack/Fischinger, §  138 Rn.  327. 19  BVerfG NJW 1994, 36, 38; BVerfG NJW 1994, 2749, 2750; BVerfG NJW 1996, 2021; Staudinger/Sack/Fischinger, §  138 Rn.  98. 20  BVerfG NJW 1994, 36, 38. 21  BVerfG NJW 2005, 1036, 1037 („Die Kontrolle der Allgemeinen Geschäftsbedingungen kompensiert den Mangel an Verhandlungsmacht“); bestätigt in BVerfG NJW 2011, 1339, 1341 („Die gerichtliche Kontrolle der Allgemeinen Geschäftsbedingungen kompensiert die man­ gelnde Verhandlungsmacht des Vertragspartners des Verwenders“).

III.  Perspektive des Schrifttums

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III.  Perspektive des Schrifttums 1.  Relevanz des Aspekts der Vertragsgerechtigkeit Das Spannungsverhältnis zwischen richterlicher Vertragskontrolle einerseits und dem Recht auf vertragliche Selbstbestimmung andererseits als Mittel zur Ge­ währleistung gerechter Vertragsbeziehungen war lange Zeit für zahlreiche Ver­ tragstheorien jedenfalls nicht von primärer Relevanz. Vorrangig standen die Dis­ kussionen um die Daseinsberechtigung der Vertragsfreiheit im Fokus der ver­ tragsrechtswissenschaftlichen Debatten.22 Hintergrund war die eingangs erörterte Ausgestaltung des BGB, das die Vertragsfreiheit ohne nähere Erläuterung als tragendes Konzept des Vertragsrechts postulierte. Die Konsequenz war, dass der Frage nach dem Gerechtigkeitsgehalt eines in einem vollkommen liberalen Sys­ tem geschlossenen Vertrages stets nur inzident Rechnung getragen wurde.

2.  Flumes Selbstbestimmungstheorie So stellte etwa Flume in seiner Selbstbestimmungstheorie fest, dass die Macht zur Selbstbestimmung sowie ihre Anerkennung durch die Rechtsordnung erst die Voraussetzung für die Gültigkeit eines Rechtsgeschäfts bilden.23 Das „ewige Di­ lemma“ der Privatautonomie liege darin, dass „sie immer wieder durch unglei­ che Machtverteilung in Frage gestellt ist“.24 Daraus zog er die Konsequenz, dass für Vertragstypen, bei denen mit ungleicher Machtlage allgemein zu rechnen ist, wie dies etwa bei Arbeitsverträgen anzunehmen ist, die Regelung den Vertrags­ schließenden zu entziehen sei.25

3.  Wolfs Theorie von der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit Darauf aufbauend entwickelte Wolf die Theorie der rechtsgeschäftlichen Ent­ scheidungsfreiheit. Er erkannte, dass es sich bei der Möglichkeit zur vertragli­ chen Selbstbestimmung um die entscheidende Rechtfertigung der Vertragsfrei­ heit handelt.26 Dementsprechend forderte er, aus der Fähigkeit zur richtigen Be­ urteilung der eigenen Verhältnisse und Interessen, dem Verständnis der vom Wendland, Vertragsfreiheit, S.  105. Flume, in: Festschrift Hundert Jahre deutsches Rechtsleben, S.  135, 137, 142; Flume, Rechtsgeschäft, S.  10. 24  Flume, in: Festschrift Hundert Jahre deutsches Rechtsleben, S.  135, 143; Flume, Rechts­ geschäft, S.  10. 25  Flume, in: Festschrift Hundert Jahre deutsches Rechtsleben, S.  135, 143; Flume, Rechts­ geschäft, S.  10. 26  Wolf, Entscheidungsfreiheit, S.  101. 22  23 

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B.  Das deutsche Recht

Vertragspartner gewollten Regelung sowie Durchsetzbarkeit der darauf aufbau­ enden Entscheidung eine ungeschriebene Wirksamkeitsvoraussetzung der Wil­ lenserklärung zu machen.27 Im Idealfall sollten die Vertragsparteien imstande sein, ihre Rechtsbeziehungen derart gerecht zu regeln, wie dies auch ein neutra­ ler und über alle Informationen verfügender Gesetzgeber gewährleisten würde.28

4.  Schmidt-Rimplers Theorie der Richtigkeitsgewähr a)  Abkehr von den nationalsozialistischen Lehren Die für das moderne Verständnis vom Sinn und Zweck der richterlichen Kont­ rollbefugnis ungerechter Verträge prägendste und daher im Folgenden näher zu beleuchtende Theorie ist die der Richtigkeitsgewähr von Schmidt-Rimpler.29 Auch er griff in seinem im Jahre 1941 veröffentlichten Aufsatz „Grundfragen einer Erneuerung des Vertragsrechts“ die schon seit dem 19. Jahrhundert vielfach diskutierte Frage über die Grundlage der verbindlichen und rechtszeugenden Kraft von Verträgen auf.30 Sein Anlass war die Schaffung eines Gegenentwurfs zu den Forderungen des nationalsozialistischen Staates nach einer „Erneuerung des Vertragsrechts“ im Sinne eines Abbaus der Willensherrschaft zugunsten der Einordnung des Vertrages in die völkische Gemeinschaftsordnung.31 In Abkehr von den bisherigen dogmatischen Begründungsansätzen sah Schmidt-Rimpler den Grund für die verbindliche Kraft von Verträgen allerdings weder in der „Wil­ lensherrschaft“ noch in einer „Ermächtigung zur Selbstrechtsetzung“, sondern vielmehr im Vertragsmechanismus selbst, der in begrenztem Rahmen geeignet sei, eine richtige Regelung herbeizuführen.32 In ihrem Ausgangspunkt beruht die Lehre auf der Erwägung, dass dem Vertragsschluss selbst frei von staatlicher

Wolf, Entscheidungsfreiheit, S.  101 f., 123 ff. Wolf, Entscheidungsfreiheit, S.  118. 29  Bezugnahmen in der Rechtsprechung auf die Richtigkeitsgewähr des Vertragsmechanis­ mus etwa in BGH NJW 1988, 135; BGH NJW 2003, 888, 890; aus der Literatur, vgl. die Aus­ führungen in Drexl, Selbstbestimmung, S.  36; Enderlein, Rechtspaternalismus, S.  119 ff.; Fastrich, Inhaltskontrolle, S.  51 ff.; Flume, in: Festschrift Hundert Jahre deutsches Rechtsle­ ben, S.  135, 142 f.; Flume, Rechtsgeschäft, S.  7 f.; Hönn, Kompensation, S.  12 f.; Möslein, Dis­ positives Recht, S.  94 f.; Rüthers, Auslegung, S.  369 ff.; Singer, Selbstbestimmung, S.  9 ff.; Wolf, Entscheidungsfreiheit, S.  69 ff.; Coester-Waltjen, AcP 190 (1990), 1, 14 f.; Nicklisch, BB 1974, 941, 942. 30  Ausführliche Darstellung der entsprechenden Abhandlungen in Hofer, Freiheit, S.  226 ff. 31 Zur rechtspolitischen Zielsetzung des Beitrages Drexl, Selbstbestimmung, S.  36; Fastrich, Inhaltskontrolle, S.  51; Heinrich, Formale Freiheit, S.  174; Rüthers, Auslegung, S.  366 f.; Schmidt-Rimpler, in: Festschrift Raiser, S.  3, 9. 32  Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 156. 27  28 

III.  Perspektive des Schrifttums

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Intervention prinzipiell eine zureichende Richtigkeitsgewähr innewohnt.33 Dem­ entsprechend lag die Grundfrage für Schmidt-Rimpler darin, die Voraussetzun­ gen zu bestimmen, unter denen Richtigkeit der Rechtsfolge dadurch gewährleis­ tet werden kann, dass sie von beiden an einem Rechtsverhältnis Beteiligten ge­ wollt ist.34 b)  Kennzeichen eines richtigen Vertrages Das ausschlaggebende Kriterium bei der Bestimmung des Richtigkeitsgehalts einer vertraglichen Rechtsfolge zeichnet sich nach Schmidt-Rimpler durch zwei Aspekte aus, nämlich „einerseits die ethisch bestimmte Gerechtigkeit im engeren Sinne, andererseits aber auch die von der Gemeinschaft aus gesehene Zweckmäßigkeit, also das, was erforderlich ist, um das Gemeinschaftsdasein und das Gemeinschaftsleben zu verwirklichen und in seiner konkreten Gestalt durchzuführen, einschließlich dessen, was notwendig ist, um bestimmte konkrete Ge­ meinschaftszwecke zu erreichen“35.

Später stellte Schmidt-Rimpler klar, dass die beiden Elemente auch in Wider­ spruch zueinander geraten können.36 Im Hinblick auf den gemeinschaftsorientierten Bestandteil seines Richtig­ keitskonzepts präzisierte Schmidt-Rimpler, dass hiervon insbesondere auch ge­ samtwirtschaftliche Zielsetzungen erfasst sein können: „Soweit gesamtwirtschaftlich nur für möglichst viele eine möglichst gute Versorgung zu be­ stimmtem Preise, eine möglichst billige Versorgung in bestimmter Güte erwünscht ist, ist ein Ergebnis richtig, das diesem Ziele entspricht. Die Wirtschaftswissenschaft greift insofern hier ein, als ihr Ziel die Feststellung des in konkreter Lage gesamtwirtschaftlich Richtigen ist“.37

Auffällig ist insoweit, dass sich nach Schmidt-Rimpler die Richtigkeit des Vertra­ ges weniger nach dem Schutzbedürfnis der unterlegenen Vertragspartei als nach gesamtgesellschaftlichen, wirtschaftlichen Zweckmäßigkeitserwägungen rich­ tet. Damit setzte er, wie noch zu zeigen sein wird, den Grundstein für den aus­ schlaggebenden Leitgedanken der AGB-Inhaltskontrolle. c)  Mittel zur Gewährleistung eines richtigen Vertrages Vertragsgerechtigkeit ist nach Schmidt-Rimpler grundsätzlich allein durch die Willenskonfrontation beider Vertragsparteien frei von staatlicher Einflussnahme Fastrich, Inhaltskontrolle, S.  51. Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 149. 35  Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 132 f. 36  Schmidt-Rimpler, in: Festschrift Raiser, S.  3, 10. 37  Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 133. 33  34 

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B.  Das deutsche Recht

zu verwirklichen. Die Richtigkeitsgewähr resultiert seiner Ansicht nach daraus, dass der Inhalt des Vertrags aufgrund des Erfordernisses der Willensübereinkunft von den Vertragsparteien gleichermaßen gewollt sein muss.38 Während die Ver­ tragsgerechtigkeit nicht schon durch die Gestaltung eines Beteiligten sicherge­ stellt werden kann, der typischerweise weder willens noch in der Lage ist, einen angemessenen Interessenausgleich zu verwirklichen, ermöglicht der Vertragsme­ chanismus die Erzielung einer richtigen Rechtsfolge, indem er den Vertragsinhalt vom Ergebnis eines Verhandlungsprozesses und damit vom Willen des durch die Unrichtigkeit Betroffenen abhängig macht.39 Es ist zu erwarten, dass ein nicht am Gedanken der Gerechtigkeit und Richtig­ keit, sondern allein am Eigennutz ausgerichteter und insofern „unrichtiger Wil­ le“ einer Vertragspartei durch den Widerstand des anderen begrenzt und zu ei­ nem richtigen Resultat hin korrigiert wird.40 Der Wille jedes Vertragspartners findet also nach dem Vertragsmechanismus „als einzige sachliche Richtigkeits­ gewähr“ im Willen des jeweils anderen seine Grenze und Beschränkung, was eine staatliche Intervention prinzipiell entbehrlich macht.41 d) Funktionsvoraussetzungen Schmidt-Rimpler erkannte indes, dass die Privatautonomie nicht schlechterdings die Richtigkeit des Vereinbarten garantieren kann, sondern vielmehr bestimmten „Funktionsvoraussetzungen“ unterliegt.42 Insbesondere soll der Vertrag dann kein geeignetes Ordnungsmittel darstellen, wenn die Freiheit der Entscheidung wegen Abhängigkeit einer Partei von der anderen (etwa durch Drohung oder wegen Vorliegens einer Notlage) oder wegen Unterlegenheit in der Wertungsfä­ higkeit (etwa wegen Mangels an Sachkenntnis, geistiger Schwäche, Unerfahren­ heit oder Täuschung über die Wertungsgrundlagen) fehlt.43 Ebenso soll die Rich­ tigkeitsgewähr versagen, wenn typischerweise eine Wertung und Abwägung der Rechtsfolge nicht auf beiden Seiten stattfindet. Dies gelte für Massenverträge mit

38  Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 156, 161; Schmidt-Rimpler, in: Festschrift Rai­ ser, S.  3, 5. 39  Miethaner, AGB-Kontrolle, S.  91; Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 151 ff.; Schmidt-Rimpler, in: Festschrift Raiser, S.  3, 5; Heinrich, Formale Freiheit, S.  175 spricht inso­ weit vom Vertrag als ein „Kompensationsinstrument ursprünglich egoistischer, auf die Reali­ sierung eigener Belange ausgerichteter Einzelwillen“. 40  Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 161. 41  Heinrich, Formale Freiheit, S.  174 f.; Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 157. 42  Drexl, Selbstbestimmung, S.  36; Schmidt-Rimpler, in: Festschrift Raiser, S.  3, 12 f. 43  Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 157.

III.  Perspektive des Schrifttums

201

AGB, die „natürlich“ zugleich in wirtschaftlicher oder intellektueller Unterle­ genheit akzeptiert werden können.44 Fehlen die Funktionsvoraussetzungen des beiderseitigen Interessenausgleichs, liegt die rechtspolitische Aufgabe darin, „in sorgfältiger Analyse die Voraussetzungen festzustellen und die Grenzen zu erforschen, und auf dieser Grundlage dann allerdings den Vertrag da auszuschalten, sei es im Einzelfall, sei es typisch, wo er keine genügende Richtigkeitsgewähr bietet, hier dann aber ehrlich und bewußt zu hoheitlicher Gestaltung zu schreiten“.45

Schmidt-Rimpler nannte damit lediglich denkbare Situationen, in denen eine staatliche Intervention der freien Vertragsgestaltung vorzuziehen ist. Das Austa­ rieren der genauen Grenzen und Entwicklung der einzelnen Tatbestandsvoraus­ setzungen und Eingriffsmodalitäten überließ er dagegen dem Gesetzgeber.46 e)  Vorrang der Privatautonomie Insoweit darf die Feststellung Schmidt-Rimplers, wonach die von ihm postulier­ te Richtigkeit des Vertragsinhalts nur in sehr engen Grenzen gewährleistet wer­ den kann, allerdings nicht über seine interventionsfeindliche Haltung hinweg­ täuschen.47 Die Gefahr von Unrichtigkeiten ist seiner Ansicht nach vielmehr grundsätzlich in Kauf zu nehmen, weil die einzig als Alternative zur Verfügung stehende hoheitliche Vertragsgestaltung mit gravierenden Nachteilen behaftet sein soll:48 Neben dem Umstand, dass sie angesichts der Vielfalt der denkbaren Fallge­ staltungen erhebliche Fehlerquellen aufweist49, bestünde insbesondere die Ge­ fahr der Unterdrückung der persönlichen Initiative und Wirkungskraft, der Ver­ hinderung der Verantwortungsfreude und damit letztlich der Entwicklung einer sich auf die Gemeinschaft verlassenden Verantwortungslosigkeit, womit die Ent­ wicklung der Persönlichkeit, die zur Entwicklung der Gemeinschaft erforderlich ist, stark gehemmt würde.50 Zudem würde eine Vertragskontrolle zur Rechtsun­ sicherheit führen und die Vertragsuntreue begünstigen.51 Daher sei es vorzuzie­ hen, geringfügige Ungerechtigkeiten in Kauf zu nehmen und nur bei vollständi­ gem Versagen des Vertragsmechanismus und erheblicher Gefährdung der Rich­ Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 157. Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 157. 46  Schmidt-Rimpler, in: Festschrift Raiser, S.  3, 13 f., 24 ff. 47 Vgl. Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 165. 48  Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 165. 49  Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 169. 50  Fastrich, Inhaltskontrolle, S.  52; Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 170. 51  Fastrich, Inhaltskontrolle, S.  52. 44  45 

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B.  Das deutsche Recht

tigkeitsgewähr einzuschreiten, als die Sicherheit der Rechtsordnung durch übermäßige staatliche Intervention im Ganzen zu gefährden.52

IV. Zwischenergebnis Ebenso wie die bereits von Portalis hervorgehobene wirtschaftsliberale Konzep­ tion des C. civ. zeichnet sich das deutsche Recht durch die Anerkennung der Ver­ tragsfreiheit als zentrales Prinzip des Vertragsrechts und Motor der Vertragsge­ rechtigkeit aus. Dagegen soll die richterliche Vertragskontrolle nur in eng um­ grenzten Ausnahmefällen zum Tragen kommen. Dabei wird überwiegend lediglich die Kompensation von Disparitätsstörungen, also der Schutz der bei Vertragsschluss unterlegenen Vertragspartei, als tragender Beweggrund der staatlichen Intervention angesehen. Die von Schmidt-Rimpler daneben noch an­ erkannten gesamtgesellschaftlichen Steuerungsziele, also das Interesse an einer besseren Verteilung der Wirtschaftsgüter, finden insbesondere in den Erwägun­ gen des BVerfG zur Rechtfertigung der Beschränkung der Vertragsfreiheit keine Berücksichtigung. Dies liegt daran, dass sich das BVerfG nicht mit dem allge­ meinen Regelungszweck der §§  138, 305 ff. BGB auseinanderzusetzen hatte, sondern lediglich klarstellte, dass eine Beschränkung der Vertragsfreiheit der überlegenen Vertragspartei zum Schutz der unterlegenen Vertragspartei unter ge­ wissen Voraussetzungen geboten ist und sich zu diesem Zweck die Generalklau­ seln in §§  138, 305 ff. BGB besonders gut eignen. Während die richterliche Ver­ tragskontrolle nach den bindenden Vorgaben des BVerfG somit jedenfalls zum Schutz der unterlegenen Vertragspartei verfassungsrechtlich geboten ist, erwei­ tert Schmidt-Rimpler den Kreis der Regelungsanliegen, die einer richterlichen Vertragskontrolle zugrunde liegen können, um eine gesamtwirtschaftliche Kom­ ponente. Unklar bleibt allerdings auch in Schmidt-Rimplers Abhandlung die genaue Zu­ ordnung seiner nach individueller Schutzbedürftigkeit einerseits und Gemein­ wohlsteigerung andererseits differenzierenden Richtigkeitserwägungen. Insbe­ sondere stellt sich die Frage, ob das AGB-Recht entsprechend den Erwägungen des BVerfG allein dem Schutz der unterlegenen Vertragspartei zuzuordnen ist oder ob hier zusätzlich oder ausschließlich gesellschaftsökonomische Erwägun­ gen anzustellen sind.53 Dieser Frage wird im rechtsvergleichenden Teil dieser Arbeit nachzugehen sein. 52  Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 167; Schmidt-Rimpler, in: Festschrift Raiser, S.  3, 17, 23. 53  In Festschrift Raiser, S.  3, 13 f. schien sich Schmidt-Rimpler selbst dieser allein auf den Machtausgleich beschränkten Konzeption angeschlossen zu haben.

V.  Unwirksamkeit sittenwidriger Verträge

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V.  Unwirksamkeit sittenwidriger Verträge 1.  „Einfallstor“ verfassungsrechtlicher Wertungen Im Privatrecht kommen die rein individualschützenden Vorgaben des BVerfG über §  138 BGB mittelbar zum Tragen.54 Die Norm ordnet die Nichtigkeit von Rechtsgeschäften an, die gegen die guten Sitten verstoßen. Die unbestimmten Tatbestandsmerkmale, die sich besonders gut für eine verfassungskonforme Aus­ legung eignen, werden als „Einfallstor“ des verfassungsrechtlich vorgegebenen Schutzbedürfnisses der unterlegenen Vertragspartei in das Privatrecht herange­ zogen.55 Dies entspricht auch dem historischen Willen des BGB-Gesetzgebers, der die Bewältigung dieser Problematik angesichts der Vielfältigkeit der denkba­ ren Fallgestaltungen durch die Formulierung einer Generalklausel in Gestalt des §  138 Abs.  1 BGB der Rechtsprechung überlassen wollte.56

2.  Die guten Sitten als Vertragsgerechtigkeitsmaßstab Zur Konkretisierung der guten Sitten nach §  138 Abs.  1 BGB hat sich die in den Gesetzesmaterialien zu §  826 BGB entwickelte Formel57 vom Verstoß gegen das „Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“ durchgesetzt.58 Jene Defi­ nition, die jegliche Trennschärfe oder Beurteilungskriterien vermissen lässt, führt in der praktischen Rechtsanwendung offenkundig zu keinen Ergebnissen, die bei der Kennzeichnung sittenwidriger Verträge unmittelbar hilfreich sein könnten.59 Vielmehr wird der allgemeine und infolgedessen auslegungsbedürfti­ ge Rechtsbegriff der guten Sitten durch eine ebenso unbestimmte Definition er­ setzt.60 Dies ist indes keineswegs auf eine etwaige Auslegungsverdrossenheit der Rechtsprechung und Lehre zurückzuführen. Der Grund für die Definitionsun­ schärfe liegt neben der für eine Generalklausel immanenten Funktion der Lü­ ckenfüllung vor allem auch darin, dass der Sittenwidrigkeitstatbestand nicht nur 54 

BVerfG NJW 1994, 36, 38; BVerfG NJW 2006, 596, 598; Prütting/Wegen/Weinreich/ Ahrens, §  138 Rn.  1; Wackerbarth, AcP 200 (2000), 45, 49. 55  MünchKomm/Armbrüster, §  138 Rn.  20 m. w. N. 56  Flohr/Wauschkuhn/Feldmann, §  138 Rn.  2. 57  Motive II 727 = Mugdan II 406. 58  RGZ 80, 219, 221; BGH NJW 1953, 1665; BGH NJW 1977, 2356, 2357; BGH NJW 1994, 187, 188; BGH NJW 2009, 1346, 1347; MünchKomm/Armbrüster, §  138 Rn.  14 m. w. N.; Prütting/Wegen/Weinreich/Ahrens, §  138 Rn.  15; Staudinger/Sack/Fischinger, §  138 Rn.  57. 59  Flohr/Wauschkuhn/Feldmann, §  138 Rn.  3; Staudinger/Sack/Fischinger, §  138 Rn.  58. 60  Nachweise in Staudinger/Sack/Fischinger, §  138 Rn.  61.

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B.  Das deutsche Recht

dem Schutz der unterlegenen Vertragspartei, sondern auch dem nicht näher zu beleuchtenden Schutz Dritter (etwa die Gläubigergefährdung in einem Siche­ rungsvertrag) sowie der Allgemeinheit (etwa der Verstoß gegen Standesrecht) dient.61 Das Spektrum denkbarer Fallgestaltungen steht jeglicher allgemeiner, für alle Schutzrichtungen geltenden, Präzisierung der Tatbestandsvoraussetzun­ gen entgegen.62 Eine Fallgruppenbildung ist daher unentbehrlich. Beschränkt man die Analyse des §  138 BGB auf seine Funktion als Mittel zur Sicherstellung eines gerechten Vertrages im Sinne der in der Einleitung genannten Kategorien, so reduziert sich der Geltungsbereich auf den Schutz der unterlegenen Vertrags­ partei, während wirtschaftliche Steuerungsziele den „guten Sitten“ fremd sind. Entsprechend den oben geschilderten Vorgaben des BVerfG sind dabei zwei Be­ urteilungskriterien zu identifizieren, die kumulativ zur Begründung des Sitten­ widrigkeitsverdikts herangezogen werden können:63 Es handelt sich hierbei um die auf eine rechtlich erhebliche Unterlegenheit einer Vertragspartei zurückzuführende (schwerwiegende) Äquivalenzstörung der beiderseitigen Vertragspflichten.64

3.  Der Schutz vor Äquivalenzstörungen infolge gestörter Vertragsparität Anders als nach Art.  1169 C. civ., der die Unwirksamkeit eines Vertrages bereits bei Vorliegen einer „contrepartie dérisoire“ anordnet, ist ein objektiver Gerech­ tigkeitsmechanismus dem deutschen Vertragsrecht vollkommen fremd. Das heißt, allein aus dem Vorliegen einer stark einseitigen Lastenverteilung, wie dies insbesondere in den ersten beiden Urteilen der Getränkelieferungsrechtspre­ chung der Cour de cassation der Fall war, kann ohne Berücksichtigung der äuße­ ren Umstände nicht gefolgert werden, dass der Vertrag unwirksam ist. Erst wenn man dem außerhalb des Vertragsinhalts liegenden äußeren Umstand Beachtung schenkt, inwieweit eine Vertragspflicht in einem den freien und aufgeklärten Willen beeinträchtigenden Zustand eingegangen wurde, lässt sich beurteilen, ob der Abschluss eines Vertrages gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht

61 

Siehe zu den unterschiedlichen Schutzrichtungen Staudinger/Sack/Fischinger, §  138 Rn.  7; Prütting/Wegen/Weinreich/Ahrens, §  138 Rn.  30 f. 62  Flohr/Wauschkuhn/Feldmann, §  138 Rn.  17. 63  Vgl. MünchKomm/Armbrüster, §  138 Rn.  15; Staudinger/Sack/Fischinger, §  138 Rn.  92; faktisch schützt auch das im Rahmen dieser Arbeit nicht näher zu erörternde Verbot übermäßi­ ger Beschränkungen der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit die unterlegene Vertragspartei. 64  Vgl. MünchKomm/Armbrüster, §  138 Rn.  11, 34 f., 37; Staudinger/Sack/Fischinger, §  138 Rn.  118; Bühler, Brauerei- und Gaststättenrecht, Rn.  2.86 m. w. N. aus der Rspr.

V.  Unwirksamkeit sittenwidriger Verträge

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denkenden Durchschnittsmenschen verstößt und infolgedessen sittenwidrig ist.65 Im überwiegenden Schrifttum hat sich daher zutreffend die Bezeichnung der Umstandssittenwidrigkeit durchgesetzt.66 Umgekehrt vermögen auch – trotz der eventuell ein anderes Ergebnis nahele­ genden Bezeichnung als Umstandssittenwidrigkeit – die äußeren Umstände al­ lein nicht die Sittenwidrigkeit eines Vertrages zu rechtfertigen.67 Andernfalls würden Monopolisten und sonstige strukturell überlegene Unternehmen mit ab­ hängigen oder geschäftlich unerfahrenen Vertragspartnern keine Verträge schlie­ ßen. Der Vertragsinhalt bildet also stets das wesentliche Element der Sittenwid­ rigkeitsprüfung.68 Durch die Terminologie soll lediglich zum Ausdruck gebracht werden, dass der Vorwurf der Sittenwidrigkeit wegen Vorliegens einer Äquiva­ lenzstörung nicht ohne Berücksichtigung der äußeren Umstände des Vertrags­ schlusses möglich ist. Die bedeutendsten Konkretisierungen eines umstandssit­ tenwidrigen Rechtsgeschäfts sind der nachfolgend darzustellende Wucher sowie das wucherähnliche Rechtsgeschäft.

4. Wucher a) Einleitung Der Wuchertatbestand aus §  138 Abs.  2 BGB, bei dem es sich um einen gesetzli­ chen Sonderfall des sittenwidrigen Rechtsgeschäfts handelt (Wortlaut: „insbe­ sondere“), kombiniert entsprechend den oben geschilderten Erwägungen das Beurteilungskriterium der Äquivalenzstörung (objektiver Tatbestand) mit dem der gestörten Vertragsparität (subjektiver Tatbestand).69 Zusätzliche Anforderun­ gen an die Sittenwidrigkeit des Rechtsgeschäfts sind bei Vorliegen der genannten Tatbestandsvoraussetzungen nicht zu stellen.70 Ebenso wie im vergleichbaren Art.  1143 C. civ. vermag die Übererfüllung ei­ nes Tatbestandsmerkmals aber auch nicht die Untererfüllung des anderen kom­ 65  So im Ergebnis auch Flohr/Wauschkuhn/Feldmann, §  138 Rn.  6; MünchKomm/Armbrüster, §  138 Rn.  112; Bydlinski, Privatautonomie, S.  107; Schmidt-Rimpler, in: Festschrift Raiser, S.  3, 15. 66  Zum Begriff der Umstandssittenwidrigkeit, vgl. Flohr/Wauschkuhn/Feldmann, §  138 Rn.  19; MünchKomm/Armbrüster, §  138 Rn.  9; Prütting/Wegen/Weinreich/Ahrens, §  138 Rn.  28 m. w. N. aus der Rspr.; Staudinger/Sack/Fischinger, §  138 Rn.  9 m. w. N. 67  Prütting/Wegen/Weinreich/Ahrens, §  138 Rn.  33; Staudinger/Sack/Fischinger, §  138 Rn.  13 m. w. N. 68  Vgl. Staudinger/Sack/Fischinger, §  138 Rn.  8, 11 m. w. N. 69  Vgl. Flohr/Wauschkuhn/Feldmann, §  138 Rn.  19, 35; Staudinger/Sack/Fischinger, §  138 Rn.  98, 235. 70  Prütting/Wegen/Weinreich/Ahrens, §  138 Rn.  51.

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B.  Das deutsche Recht

pensieren. Insoweit ist das sog. „Sandhaufenphänomen“71, wonach es sich beim Wuchertatbestand um ein „bewegliches System“ handelt, das bei überschießen­ der Erfüllung eines Tatbestandsmerkmals den Ausgleich eines tatbestandlichen Defizits gestattet, in der Rechtsprechung und Lehre auf Ablehnung gestoßen.72 b)  Objektiver Tatbestand In objektiver Hinsicht setzt §  138 Abs.  2 BGB voraus, dass sich eine Vertragspar­ tei „für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen“.73 Auf die eventuellen mittelbaren Vorteile, die der Übervorteilende aus dem Vertrag zieht und die für den Vertragspartner nicht immer erkennbar oder gar prognostizierbar sind, kommt es demgemäß im Unterschied zur bisherige Rechtsprechung der Cour de cassation zur violence économique in Gestalt des Erfordernisses eines „avantage excessif“ nicht an.74 Dies wird aus dem Normwortlaut abgeleitet, wonach allein die beiderseitigen Leistungspflichten miteinander zu vergleichen sind. Mithin sind die Gewinne, die eine Partei möglicherweise aus der von ihr erworbenen Leistung erzielt, für das Vorliegen eines Äquivalenzmissverhältnisses von keiner Bedeutung.75 Maßgeblich ist der objektive Wert (Verkehrswert), also das verkehrsübliche Äquivalent der zu vergleichenden Leistungen heranzuziehen, während die indi­ viduellen Interessen (Affektionsinteresse) des Benachteiligten am Erwerb der Leistung des Bevorteilten allenfalls für den subjektiven Tatbestand des Wuchers relevant sind.76 Zu diesem Zweck sind sämtliche Vertragsabreden, also nicht nur die Hauptleistungspflichten, sondern vor allem auch die Verteilung der Vertrags­ risiken umfassend in die Kalkulation miteinzubeziehen.77 Ob ein Missverhältnis 71  Die plastische Terminologie geht zurück auf Bender, in: Gedächtnisschrift Rödig, S.  34, 38 ff. 72  BGH NJW 1981, 1206, 1207; Erman/Schmidt-Räntsch, §  138 Rn.  47; MünchKomm/ Armbrüster, §  138 Rn.  29, 143; Prütting/Wegen/Weinreich/Ahrens, §  138 Rn.  27; Staudinger/ Sack/Fischinger, §  138 Rn.  293; a. A. OLG Stuttgart NJW 1979, 2409, 2412. 73  BGH NJW 1982, 2767; Erman/Schmidt-Räntsch, §  138 Rn.  41; MünchKomm/Armbrüster, §  138 Rn.  143; Staudinger/Sack/Fischinger, §  138 Rn.  240. 74  Vgl. zum deutschen Recht MünchKomm/Armbrüster, §  138 Rn.  113; Staudinger/Sack/ Fischinger, §  138 Rn.  242. 75  BGH NJW 2002, 429, 431. 76  BGH NJW 1999, 3187, 3190; BGH NJW 2000, 1255; BGH NJW 2001, 1127, 1129; BGH NJW 2002, 429, 431; Erman/Schmidt-Räntsch, §  138 Rn.  44; MünchKomm/Armbrüster, §  138 Rn.  144; Prütting/Wegen/Weinreich/Ahrens, §  138 Rn.  54; Staudinger/Sack/Fischinger, §  138 Rn.  242. 77  Prütting/Wegen/Weinreich/Ahrens, §  138 Rn.  56; Staudinger/Sack/Fischinger, §  138 Rn.  242.

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der beiderseitigen Leistungspflichten auf dieser Grundlage auffällig ist, muss an­ hand einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls festgestellt wer­ den.78 Das auffällige Missverhältnis kann sich sowohl aus einem übermäßig hohen (etwa wucherisches Darlehen), wie einem übermäßig niedrigen (etwa Lohnwucher) Preis ergeben.79 Grundsätzlich kann ein auffälliges Missverhältnis angenommen werden, wenn der Wert der vereinbarten Gegenleistung etwa 100  % über oder der Wert der vereinbarten Leistung etwa 50  % unter der markt­ üblichen Vergütung liegt.80 Anders als die Cour de cassation zum „avantage excessif“ bei der Beurteilung einer violence économique (nunmehr kodifiziert in Art.  1143 C. civ.) sowie zur „contrepartie dérisoire“ anlässlich der Existenz­kon­ trolle der „cause de l’obligation“ (nunmehr kodifiziert in Art.  1169 C. civ.), stellt der BGH dem Rechtsanwender somit klare Wertrelationen zur Verfügung, an­ hand derer das Vorliegen eines „auffälligen Missverhältnisses“ beurteilt werden kann. c)  Subjektiver Tatbestand aa)  Gleichbehandlung intellektueller und wirtschaftlicher Paritätsstörungen Der subjektive Tatbestand des §  138 Abs.  2 BGB lässt sich in zwei Tatbestands­ voraussetzungen untergliedern. Die erste knüpft an die Person des Bewucherten an, während die zweite Anforderungen an den Willen des Wucherers stellt.81 Aufgrund der einschneidenden Rechtsfolgen – die Nichtigkeit erstreckt sich nämlich nicht nur auf das wucherische Verpflichtungsgeschäft, sondern auch auf die abstrakten Erfüllungsleistungen des Bewucherten, Leistungen erfüllungshal­ ber sowie die von ihm bestellten Sicherheiten82 – werden an die subjektiven Tat­ bestandsmerkmale des Wuchers generell strenge Anforderungen gestellt.83 Auf­ seiten des Bewucherten bedarf es einer der abschließend in §  138 Abs.  2 BGB aufgelisteten Ausbeutungslagen.84 Seit der Ausweitung des Wuchertatbestands 78 

Staudinger/Sack/Fischinger, §  138 Rn.  242, 245. Erman/Schmidt-Räntsch, §  138 Rn.  45; Staudinger/Sack/Fischinger, §  138 Rn.  244. 80  BGH NJW 1991, 834, 835; BGH NJW 1995, 1019, 1022; Prütting/Wegen/Weinreich/ Ahrens, §  138 Rn.  55; Staudinger/Sack/Fischinger, §  138 Rn.  244, 245; bei einem Kaufvertrag über eine Eigentumswohnung hat der BGH wegen des hohen absoluten Betrags ein auffälliges Missverhältnis bereits bei 62,37  % angenommen, vgl. BGH NJW 2004, 2671, 2673. 81  Staudinger/Sack/Fischinger, §  138 Rn.  266. 82  Wortlaut: „Versprechen oder gewähren lässt“; vgl. Staudinger/Sack/Fischinger, §  138 Rn.  302. 83  BGH NJW-RR 2000, 1431, 1432; BGH NJW 2006, 3054, 3056; BGH NJW-RR 2011, 880, 881; Staudinger/Sack/Fischinger, §  138 Rn.  266, 306. 84  MünchKomm/Armbrüster, §  138 Rn.  143; Prütting/Wegen/Weinreich/Ahrens, §  138 Rn.  57. 79 

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im Jahr 197685 sind dies die Zwangslage, die Unerfahrenheit, der Mangel an Urteilsvermögen sowie die erhebliche Willensschwäche. Es handelt sich hierbei um „besondere persönliche Schwächen“86, die den Bewucherten aufgrund ihrer willensbeengenden Wirkung nach dem Dafürhalten des Gesetzgebers in recht­ lich zu missbilligender Weise daran hindern, angemessen seine Interessen durch­ zusetzen.87 Auffällig ist hier bereits der formal zu konstatierende Unterschied zum französischen Recht, das Beschränkungen in der Willensfreiheit mit Art.  1143 C. civ. einem anderen Maßstab unterwirft als Ungleichgewichtslagen in der Entscheidungsfähigkeit, die für die Annahme einer „contrepartie illusoire“ nach Art.  1169 C. civ. von Bedeutung sind. Während das französische Recht für Willensfreiheitsbeschränkungen gegenüber Defiziten in der Entscheidungsfähig­ keit ein unterschiedliches Regime vorsieht, schreibt das deutsche Recht eine ein­ heitliche Behandlung sämtlicher Ausbeutungslagen vor. bb)  Unterlegenheit kraft Beeinträchtigung der Entschließungsfreiheit (1)  Die Erleichterung der Anforderungen an die wirtschaftliche Bedrängnis In der Neufassung des Wuchertatbestands ist der Begriff der Notlage, der als zu eng erachtet wurde, durch den der Zwangslage ersetzt worden.88 Unter einer Zwangslage soll im Unterschied zur Notlage auch die Ausbeutung einer wirt­ schaftlichen Bedrängnis zu verstehen sein, die zwar nicht unbedingt „die Exis­ tenz des Betroffenen bedroht, aber schwere wirtschaftliche Nachteile mit sich bringt“.89 Zudem soll eine Zwangslage auch dann vorliegen, wenn „Umstände anderer Art ein zwingendes Sach- oder Geldbedürfnis entstehen lassen“.90 Damit ist bei Vorliegen einer Notlage erst recht eine Zwangslage gegeben.91 Auch wenn mit der begrifflichen Ausweitung das erforderliche Maß der Willens­ beengung gesunken ist, darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch die Anforderungen an das neue Tatbestandsmerkmal sehr hoch sind. Insbesondere

85 

1. Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität; BGBl.  1976 I, Art.  3, S.  2038. Vgl. zu dieser Terminologie, BGH NJW-RR 1988, 763, 764. 87 Vgl. Bergmann, Die Rechtsfolgen des ungerechten Vertrages, S.  35. 88  BT-Drucks. 7/3441, S.  40 aE. 89  BT-Drucks. 7/3441, S.  40 aE; BGH NJW-RR 2017, 377, 378; Erman/Schmidt-Räntsch, §  138 Rn.  50; MünchKomm/Armbrüster, §  138 Rn.  149; Staudinger/Sack/Fischinger, §  138 Rn.  267. 90  BT-Drucks. 7/3441, S.  40 aE. 91  Staudinger/Sack/Fischinger, §  138 Rn.  267; noch zum Kriterium der Existenzgefähr­ dung, also der Insolvenzgefahr, um eine Notlage zu begründen, vgl. BGH NJW 1957, 1274; BGH NJW 1982, 2767, 2768. 86 

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soll es nicht bereits bei jeder Ausnutzung einer günstigen Gelegenheit zum Ab­ schluss eines vorteilhaften Geschäfts erfüllt sein.92 Vielmehr bedarf es einer zweistufigen Untersuchung der inneren und äußeren Umstände des Vertragsschlusses. Zunächst ist ebenso wie nach der Rechtspre­ chung der Cour de cassation zur violence économique zu prüfen, ob der übervor­ teilten Vertragspartei im Hinblick auf die angebotene Leistung ein alternativer Vertragspartner zur Verfügung steht. Ist dies der Fall, so scheidet das Vorliegen einer Zwangslage bereits deswegen aus.93 Damit wäre auch nach deutschem Recht die Annahme eines Wuchers und da­ mit die Unwirksamkeit des dem Automobilzulieferer-Urteil der Cour de cassa­ tion aus dem Jahr 200794 sowie dem Kraftfahrzeugmakler-Urteil der Cour de cassation aus dem Jahr 201595 zugrunde liegenden Vertrages ausgeschlossen. Insoweit deckt sich also der „état de dépendance“ mit der „Zwangslage“ des deutschen Rechts. Stehen jedoch keine alternativen Vertragspartner zur Verfügung, untersucht der BGH weiter, welche Gefahren drohen, wenn der Bedarf nicht gedeckt wird, der Vertrag also nicht zustande kommt. Dem Übervorteilten drohen nur dann schwere wirtschaftliche Nachteile im Sinne der Gesetzesbegründung, wenn eine Gefährdung des Bestehenden vorliegt. Es ist also zu prüfen, ob dem Betroffenen andernfalls einschneidende Vermögensverluste drohen. Dagegen genügt es nicht, wenn ohne den Vertragsschluss bloße Zukunftspläne scheitern würden, also auf eine etwaige angestrebte Vermögensmehrung verzichtet werden müsste. Dies ist etwa anzunehmen, wenn der Projektplanung eines Unternehmens nur Einschrän­ kungen oder zeitliche Verschiebungen drohen.96 Dabei muss es sich um einen tatsächlichen und nicht nur irrtümlich vom Bewucherten angenommene Zustand handeln.97 Ob dies auch nach französischem Recht gelten würde, lässt sich nicht eindeutig beurteilen, da die Cour de cassation bisher die Annahme einer violence économique stets aus anderen Gründen ablehnen konnte. Dagegen würde jeden­ falls das Urteil der CA Paris aus dem Jahr 2010 sprechen, wonach eine Vertrags­

92 

BT-Drucks. 7/3441, S.  41. Vgl. BGH NJW-RR 2017, 377, 378. 94  Cass. com., Urt. vom 09.10.2007 – 06-16.744. 95  Cass. civ. 1re, Urt. vom 18.02.2015 – 13-28.278 = Bulletin civil I, Nr.  44 = D. 2015, 432 = AJCA 2015, 221, Anm. Perdrix = RDC 2015, S.  445, Anm. Savaux = RTD civ. 2015, 371, Anm. Barbier. 96  BGH NJW 1994, 1275, 1276; MünchKomm/Armbrüster, §  138 Rn.  149 m. w. N.; Prüt­ ting/Wegen/Weinreich/Ahrens, §  138 Rn.  59. 97  Erman/Schmidt-Räntsch, §  138 Rn.  51; MünchKomm/Armbrüster, §  138 Rn.  149; Prüt­ ting/Wegen/Weinreich/Ahrens, §  138 Rn.  59. 93 

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B.  Das deutsche Recht

partei nur bei Vorliegen einer echten Existenzbedrohung im Sinne einer Notlage nach §  138 Abs.  2 BGB a. F. von der anderen abhängig ist.98 Letztlich zeichnet sich die Zwangslage ebenso wie der „état de dépendance“ durch eine erhebliche Beschränkung der wirtschaftlichen Entscheidungsfreiheit der unterlegenen Vertragspartei aus, weil sie sich wissentlich zum Abschluss ­eines für sie nachteiligen Vertrages verleiten lässt, um von sich ein erhebliches Übel sachlicher oder finanzieller Art abzuwenden. Die Wirkungen des Vertrages auf die Gesamtwirtschaft sind für den rein individualschützenden Tatbestand da­ gegen von keiner Bedeutung. (2)  Die Irrelevanz der erheblichen Willensschwäche für den unternehmerischen Geschäftsverkehr Die neben der Notlage in §  138 Abs.  2 BGB genannte erhebliche Willensschwä­ che liegt vor, wenn der Betroffene zwar den Vertragsinhalt verstanden und die Konsequenzen gewürdigt hat, ihm also weder Unerfahrenheit noch mangelndes Urteilsvermögen vorgeworfen werden kann, er sich aber dem Vertragsschluss wegen einer verminderten psychischen Widerstandsfähigkeit nicht entsagen kann.99 Das Tatbestandsmerkmal der erheblichen Willensschwäche ist nur erfüllt, wenn der Schwächezustand in seiner Intensität den übrigen von der Norm erfass­ ten Schwächesituationen gleichkommt.100 Erfasst sind insoweit insbesondere Fälle der Drogen-, Alkohol- oder Spielsucht.101 Für die vorliegende Untersu­ chung ist diese Tatbestandsmodalität, die sich durch eine intrinsische Beeinträch­ tigung der Entschließungsfreiheit auszeichnet, daher von keiner Relevanz.

98  Vgl. CA Paris, Urt. vom 16.02.2010 – 09/12380 = RJDA 1/11 Nr.  6 („Que l’inégalité dans la situation économique des cocontractants, seule de nature à créer des liens de dépendance, n’est, quoi qu’il en soit, pas établie dès lors qu’il n’est en rien démontré que l’absence de par­ ticipation aux 24 heures de Spa-Francorchamps des véhicules de l’écurie de la société JMB Racing aurait conduit celle-ci inéluctablement à la faillite, comme allégué“); Mercadal, Ré­ forme, Nr.  355. 99  BT-Drucks. 7/3441, S.  41; BGH NJW 2006, 3054, 3056; OLG Köln OLGZ 1993, 193, 195; MünchKomm/Armbrüster, §  138 Rn.  152; Prütting/Wegen/Weinreich/Ahrens, §  138 Rn.  62; Staudinger/Sack/Fischinger, §  138 Rn.  284 m. w. N. 100  OLG Köln OLGZ 1993, 193, 195. 101  MünchKomm/Armbrüster, §  138 Rn.  152; Prütting/Wegen/Weinreich/Ahrens, §  138 Rn.  62; Staudinger/Sack/Fischinger, §  138 Rn.  284.

V.  Unwirksamkeit sittenwidriger Verträge

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cc)  Unterlegenheit kraft beschränkter Entscheidungsfähigkeit (1)  Die abstrakte Beurteilung der Unerfahrenheit Wie der BGH mehrfach klargestellt hat, setzt die Unerfahrenheit i. S. d. §  138 Abs.  2 BGB einen (erheblichen) allgemeinen Mangel an Lebens- oder Geschäfts­ erfahrung voraus. Die bloße branchenbezogene Unerfahrenheit bzw. mangelnde Fachkenntnis ist dagegen unbeachtlich.102 So entschied der BGH in einem Urteil aus dem Jahr 1965, dass ein Kaufmann, der bisher mit Bürobedarfsartikeln gehandelt hatte, im Hinblick auf den Erwerb einer Strumpfwirkerei nicht unerfahren ist. Seine mangelnde Branchenkunde steht dieser Bewertung nicht entgegen. Entscheidend ist nämlich allein, dass er aus seiner bisherigen Tätigkeit als Kaufmann auf einem anderen Wirtschaftsge­ biet wenigstens mit den allgemeinen kaufmännischen Gepflogenheiten vertraut war und deshalb über Rentabilität und Marktlage Erkundigungen hätte einziehen müssen und können. Indem er darauf verzichtet hatte, nahm er bewusst dieses Risiko in Kauf.103 In der Folgezeit bestätigte der BGH seinen Standpunkt, indem er auch einem Gastwirt beim Erwerb eines Billardgeräts104 die Unerfahrenheit absprach. Später verneinte er die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals auch für den Fall, dass dem Bewucherten die erforderlichen technischen Kenntnisse auf dem Gebiet fehlen, auf das sich der Vertrag bezieht.105 Somit kann das Tatbestandsmerkmal der Unerfahrenheit aufgrund der abstrak­ ten Beurteilung des Erfahrungsschatzes der unterlegenen Vertragspartei in der Unternehmenspraxis allenfalls zugunsten von Unternehmensgründern zum Tra­ gen kommen. Die Situation erinnert insoweit an das erste Videoverleih-Urteil der Cour de cassation, in dem sich das offensichtlich geschäftsunerfahrene Ehepaar im Hinblick auf den beabsichtigten Betrieb einer Videothek verspekuliert hat. Unklar ist indes, ob das Ehepaar generell oder nur im Hinblick auf die konkreten vertraglichen Implikationen ahnungslos war. Im letzteren Fall käme der nun dar­ zustellende Mangel an Urteilsvermögen i. S. d. §  138 Abs.  2 BGB in Betracht.

102  BGH BB 1966, 226; BGH NJW 1979, 758; BGH WM 1982, 849; dem folgen auch die Instanzgerichte, vgl. OLG Hamm NJW-RR 1993, 629, 630; OLG Saarbrücken NJW-RR 2014, 686, 687; Erman/Schmidt-Räntsch, §  138 Rn.  52; a. A. MünchKomm/Armbrüster, §  138 Rn.  150. 103  BGH BB 1966, 226. 104  BGH NJW 1979, 758. 105  BGH WM 1982, 849.

212

B.  Das deutsche Recht

(2)  Die konkrete Untersuchung des mangelnden Urteilsvermögens Im Unterschied zur Unerfahrenheit zeichnet sich das mangelnde Urteilsvermö­ gen nämlich gerade durch eine am konkreten Vertragsinhalt orientierte Analyse aus. Die Tatbestandsvariante ist erfüllt, wenn dem Betroffenen im Hinblick auf den betreffenden Vertrag in erheblichem Maße die Fähigkeit fehlt, sich durch vernünftige Beweggründe leiten zu lassen. Dies umfasst die Unfähigkeit, die beiderseitigen Leistungen richtig zu bewerten sowie auf dieser Grundlage die Vor- und Nachteile des Geschäfts zutreffend gegeneinander abzuwägen.106 Er­ fasst sind insoweit sowohl Defekte der Information wie der Fähigkeit zu ihrer Verwertung.107 Das mangelnde Urteilsvermögen kann Folge einer Verstandesschwäche, ge­ ringen Bildungsgrads oder hohen Alters sein.108 In diesem Fall deckt sich der Begriff mit dem Tatbestandsmerkmal der Unerfahrenheit. Seine praktische Rele­ vanz entfaltet das mangelnde Urteilsvermögen i. S. d. §  138 Abs.  2 BGB daher vor allem bei besonders komplexen oder komplizierte Verträgen, da auch ein durchschnittlich begabter und erfahrener Unternehmer – der (typischerweise) keiner allgemeinen Beeinträchtigung des Intellekts unterliegt – geschützt ist, wenn er sich im Hinblick auf den Vertragsinhalt als unfähig erweist, eine sachge­ rechte Abwägung der Vertragsrisiken vorzunehmen.109 Die Schutzbereichsgrenze ist allerdings da zu ziehen, wo der Betroffene nach seinen Fähigkeiten zwar in der Lage war, die wechselseitigen Leistungen zu wür­ digen und die wirtschaftlichen Konsequenzen des Geschäfts zutreffend zu ge­ wichten, diese Fähigkeiten vor dem Vertragsabschluss aber nicht oder nur unzu­ reichend eingesetzt hat. Der Wuchertatbestand dient nämlich weder dem Schutz vor einer unrichtigen Einschätzung der Wirtschaftlichkeit eines Vertrages noch vor enttäuschten Spekulationen. Mit anderen Worten kann das mangelnde Ur­ teilsvermögen nicht bereits dann angenommen werden, wenn der Benachteiligte die für seine Entscheidung zum Vertragsschluss maßgeblichen wirtschaftlichen

106  BT-Drucks. 7/3441, S.  41; BGH NJW 2002, 3165, 3167; OLG Köln OLGZ 1993, 193, 195; Erman/Schmidt-Räntsch, §  138 Rn.  53; Prütting/Wegen/Weinreich/Ahrens, §  138 Rn.  61; Staudinger/Sack/Fischinger, §  138 Rn.  282. 107  MünchKomm/Armbrüster, §  138 Rn.  151. 108  BT-Drucks. 7/3441, S.  41; BGH NJW 2006, 3054, 3056; OLG Köln OLGZ 1993, 193, 195; MünchKomm/Armbrüster, §  138 Rn.  151; Prütting/Wegen/Weinreich/Ahrens, §  138 Rn.  61. 109  Vgl. OLG Köln OLGZ 1993, 193, 195; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urt. vom 14.12.2006 – 5 U 13/06; OLG München, Urt. vom 19.03.2014 – 20 U 5031/13; Prütting/We­ gen/Weinreich/Ahrens, §  138 Rn.  61; Staudinger/Sack/Fischinger, §  138 Rn.  282.

V.  Unwirksamkeit sittenwidriger Verträge

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Parameter aus Nachlässigkeit falsch gewürdigt, sich also verkalkuliert oder – im Hinblick auf die Erwartung steigender Preise – verspekuliert hat.110 Der Umstand, dass ein Vertrag für eine Partei erkennbar unrentabel und der Abschluss auch nicht auf ein Affektionsinteresse zurückzuführen ist, kann zwar ein Indiz für die mangelnde Fähigkeit des Betroffenen sein, den Inhalt des Ge­ schäfts sachgerecht zu beurteilen. Hinzukommen müssen aber weitere Umstän­ de, die verdeutlichen, dass der Benachteiligte nicht nur einer kalkulations- oder spekulationsbedingten Fehleinschätzung erlegen ist, sondern dass er nach seinen kognitiven Fähigkeiten nicht in der Lage war, zu einem vernünftigen Urteil über die Rentabilität des Vertrags zu gelangen.111 Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe würde im Videoverleih-Urteil der Cour de cassation der Mangel an Urteilsvermögen des Ehepaars durchaus indi­ ziert sein, da die fehlende Rentabilität des beabsichtigten Betriebs eines Video­ verleihs in einer äußerst einwohnerschwachen Gemeinde aus der objektiven Sicht des Vertragspartners zu erkennen war. In Ermangelung weiterer besonderer Umstände, die als Beleg der kognitiven Unfähigkeit des Ehepaars herangezogen werden könnten, kann jedoch die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals letztlich nicht mit abschließender Sicherheit geklärt werden. Ohnehin wäre die Vertrags­ nichtigkeit nach §  138 Abs.  2 BGB bereits wegen der Nichterfüllung des objek­ tiven Wuchertatbestands abzulehnen, da die beiderseitigen Leistungspflichten im Mietvertrag vollkommen ausgeglichen waren, das Verleihmaterial also zum Marktpreis angemietet wurde. (3) Exkurs (a)  Konkurrierende Instrumente für den Sonderfall der Fehlinvestition Da es sich bei einer Fehlinvestition um einen besonderen Motivirrtum handelt, soll im Folgenden exkursmäßig veranschaulicht werden, dass die soeben ge­ schilderten Wertungen aus §  138 Abs.  2 BGB in der Rechtsprechung des BGH nicht durch die auf Motivirrtümer zugeschnittenen Mechanismen in §§  119 Abs.  2, 313 Abs.  1, 2 BGB konterkariert werden. Während sich der Eigenschafts­ irrtum gem. §  119 Abs.  2 BGB durch seine Einseitigkeit auszeichnet, also vor­ aussetzt, dass der Vermieter den Irrtum der Ehegatten erkannt hat, ist der An­ wendungs­bereich des §  313 BGB dann eröffnet, wenn sich die Vertragsparteien entweder gemeinsam geirrt haben oder sich zwar nur das Ehepaar falsche Vor­

110 

BGH NJW 2006, 3054, 3056; MünchKomm/Armbrüster, §  138 Rn.  151; Staudinger/ Sack/Fischinger, §  138 Rn.  283. 111  BGH NJW 2006, 3054, 3056; Staudinger/Sack/Fischinger, §  138 Rn.  283.

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B.  Das deutsche Recht

stellungen gemacht hat, der Vermieter diesen Irrtum aber ohne eigene Vorstellun­ gen hingenommen hat.112 (b)  Eigenschaftsirrtum nach §  119 Abs.  2 BGB Bei einseitig gebliebener Fehlvorstellung der Ehegatten kommt somit grundsätz­ lich ein Eigenschaftsirrtum i. S. d. §  119 Abs.  2 BGB in Betracht. Danach berech­ tigt der Irrtum über solche Eigenschaften der Sache zur Anfechtung, „die im Verkehr als wesentlich angesehen werden“. Ob es sich bei der Ertragsfähigkeit überhaupt um eine Eigenschaft des Vertragsgegenstands i. S. d. §  119 Abs.  2 BGB handelt, wurde schon vor der Schuldrechtsreform nicht einheitlich beant­ wortet.113 Ohnehin betonte der BGH in den jeweiligen Urteilen regelmäßig, dass die Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums vom Gewährleistungsrecht ver­ drängt wird,114 womit auch zugunsten des Ehepaars eine entsprechende Anfech­ tung wegen des Vorrangs der mietrechtlichen Gewährleistungsrechte auszu­ scheiden hätte. (c)  Störung der Geschäftsgrundlage nach §  313 Abs.  1, 2 BGB Etwas komplexer gestaltet sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Fehlinvestition unter den Tatbestand des §  313 Abs.  1, 2 BGB fällt. Danach kann die Anpassung des Vertrags auch dann verlangt werden, „wenn wesentliche Vorstellungen, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, sich als falsch herausstellen, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unverän­ derten Vertrag nicht zugemutet werden kann“.

Ebenso wie bei der Bestimmung der verkehrswesentlichen Eigenschaften einer Sache i. S. d. §  119 Abs.  2 BGB ist die Rechtsprechung des BGH zur Störung der Geschäftsgrundlage wegen des Grundsatzes pacta sunt servanda von äußerster Zurückhaltung geprägt. Dass vor diesem Hintergrund auch die irrige Vorstellung der Ehegatten über die Rentabilität ihres Videoverleihs den Voraussetzungen des §  313 Abs.  1, 2 BGB nicht genügen würde, lässt sich anhand eines Urteils des BGH aus dem Jahr 2000 illustrieren. Der Entscheidung lag ein Mietvertrag über ein Ladenlokal in einem innerstädtischen Einkaufszentrum zugrunde. Laut dem im Vorfeld ausgehändigten Prospekt sollte das Einkaufszentrum an einem „at­ 112 

Vgl. BT-Drucks. 14/6040, S.  176; Erman/Böttcher, §  313 Rn.  30 f. Dafür: BGH NJW 1970, 653, 655; BGH NJW 1977, 1538 f.; BGH NJW 1990, 1658, 1659. Dagegen: BGH NJW 1959, 1584, 1858. Staudinger/Singer, §  119 Rn.  87. 114  BGH NJW 1959, 1584, 1858; MünchKomm/Armbrüster, §  119 Rn.  132; dies soll auch dann gelten, wenn tatbestandlich überhaupt kein Mangel vorliegt Staudinger/Singer, §  119 Rn.  85, 98, 109. 113 

V.  Unwirksamkeit sittenwidriger Verträge

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traktiven“ Standort mit einem „starken“ Konzept errichtet werden, das den Er­ folg des Einkaufszentrums „garantiert“. Damit wurde im Unterschied zum Sach­ verhalt des Videoverleih-Urteils, dem keine vergleichbaren Anpreisungen der Rentabilität des Videoverleihs zu entnehmen sind, die wirtschaftliche Attraktivi­ tät des Mietgegenstands vonseiten des Vermieters sogar besonders betont. Nach dem Abschluss des Mietvertrages stellte sich allerdings heraus, dass nur 50  % der Läden auf 2/3 der Gesamtfläche vermietet werden konnten. Als der Mieter infolgedessen in eine wirtschaftliche Schieflage geriet, verlangte er die sofortige Auflösung des Vertrags wegen der Störung der Geschäftsgrundlage.115 Der BGH verweigerte dem Mieter die Vertragsauflösung, weil für eine Berücksichtigung „– hier etwa der dem Vermieter bei Vertragsschluss erkennbaren und von ihm nicht beanstan­ deten Vorstellung und Erwartung des Mieters, in dem gemieteten Ladengeschäft […] Gewinne zu erzielen – […] insoweit kein Raum [ist], als es um Erwartungen und um Umstände geht, die nach den vertraglichen Vereinbarungen in den Risikobereich einer der Parteien fallen sollen. […] Im Verhältnis zwischen Vermieter und Mieter trägt grundsätzlich der Mieter das Verwen­ dungsrisiko bezüglich der Mietsache. Dazu gehört bei der gewerblichen Miete vor allem das Risiko, mit dem Mietobjekt Gewinne erzielen zu können. Erfüllt sich diese Erwartung des Mieters nicht, so verwirklicht sich damit ein typisches Risiko des gewerblichen Mieters.“116

Anders sei die Lage nur dann zu beurteilen gewesen, wenn der Vermieter das Geschäftsrisiko des Mieters übernommen hätte. Dies sei durch Auslegung der getroffenen Vertragsvereinbarungen zu ermitteln. Insoweit müsse aber der Ver­ trag konkrete Anhaltspunkte enthalten, die den Willen des Vermieters zur Risiko­ übernahme erkennen lassen, was den Anpreisungen nicht zu entnehmen war.117 Ergänzend wird teilweise gefordert, dem Schuldner auch dann das Verwendungs­ risiko aufzubürden, wenn er den Gläubiger entweder durch falsche Angaben zum Vertragsschluss bewegt hat oder ein erhebliches „Informationsgefälle“ zu Lasten der das Risiko tragenden Partei nicht im Wege der Aufklärung beseitigt wurde.118 Die bloße Kenntnis des Schuldners vom Verwendungszweck des Gläubigers sowie darauf aufbauend die Erkennbarkeit einer etwaigen Fehlspekulation än­ dert an der Risikoverteilung dagegen auch dann nichts, wenn der Verwendungs­ zweck ausdrücklich in die Vertragsurkunde aufgenommen wurde.119 Letztlich würdigt der BGH die Voraussetzungen des §  313 BGB vorrangig nach Risikotra­ gungsgesichtspunkten, wie dies auch ausdrücklich im gesetzlichen Tatbestand 115 

BGH NJW 2000, 1714. BGH NJW 2000, 1714, 1716. 117  BGH NJW 2000, 1714, 1717; bestätigt in BGH NJW-RR 2010, 1016, 1017; zu den ho­ hen Anforderungen im Einzelnen siehe MünchKomm/Finkenauer, §  313 Rn.  255. 118  MünchKomm/Finkenauer, §  313 Rn.  71; zur Bedeutung des Informationsgefälles in ei­ nem Factoringvertrag OLG Saarbrücken, Urt. vom 27.04.2010 – 4 U 41/09. 119  MünchKomm/Finkenauer, §  313 Rn.  254. 116 

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B.  Das deutsche Recht

vorgesehen ist.120 Erzielt der Gläubiger mit dem Vertragsgegenstand nicht die beabsichtigten Gewinne, so verwirklicht sich grundsätzlich nur sein eigenes un­ ternehmerisches Risiko.121 Insbesondere fällt in den Verantwortungsbereich des Mieters, als Unternehmer die Erfolgsaussichten eines Geschäfts in der gewählten Lage abzuschätzen.122 Das Ziel des Mieters, mit dem Mietgegenstand gewinn­ bringende Geschäfte zu machen, liegt also in seiner ausschließlichen Risikosphä­ re, womit auch bei enttäuschten Erwartungen das Recht entfällt, sich auf die Störung der Geschäftsgrundlage berufen zu können.123 (d)  Zusammenfassende Wertung Es macht somit keinen Unterschied, ob der Vermieter im Videoverleih-Urteil der Cour de cassation die Fehlvorstellung des Ehepaars tatsächlich erkannt hatte oder nicht. Entscheidend ist, dass die Ehegatten als gewerbliche Mieter das Risi­ ko enttäuschter Gewinnerwartungen als typisches Spekulationsrisiko zu tragen hatten und dementsprechend an den Mietvertrag gebunden wären. Die Berücksichtigungsfähigkeit der Ertragsfähigkeit, Rentabilität oder wirt­ schaftlichen Verwertungsmöglichkeit des Vertragsgegenstands hängt nämlich nach deutschem Rechtsverständnis vorrangig von ihrer vertraglichen Integration ab.124 Es kommt nach der Rechtsprechung des BGH entscheidend darauf an, dass die Vorstellungen des Gläubigers dem Vertragspartner nicht bloß kenntlich ge­ macht wurden, sondern vielmehr zur Grundlage des beiderseitigen Konsens er­ hoben wurde. So stellte das höchste Zivilgericht mehrfach klar, dass die Renta­ bilität eines zu übertragenden Unternehmens nur hätte Berücksichtigung finden können, wenn die Erzielung bestimmter Umsatzzahlen besonders zugesichert wurde.125 Gleiches gilt, wenn man der teilweise in der Literatur vertretenen An­ sicht folgt, da der Irrtum der Ehegatten weder auf falschen Angaben noch auf vorenthaltenden Informationen vonseiten des Vermieters beruhte. Die Fehlspe­ 120 

Erman/Böttcher, §  313 Rn.  19, 30. MünchKomm/Finkenauer, §  313 Rn.  220. 122  BGH NJW 2000, 1714, 1717; BGH NJW-RR 2010, 1016, 1017. 123  BGH NJW 1970, 1313; BGH NJW 1981, 2405, 2406; BGH NJW 2000, 1714, 1715 (Der Mieter trägt das „unternehmerische Verwendungs- und Gewinnerzielungsrisiko“); BGH NJW 2006, 899, 901; BGH NJW-RR 2010, 1016, 1017; Erman/Böttcher, §  313 Rn.  20; Münch­ Komm/Finkenauer, §  313 Rn.  222. 124  Vgl. BGHZ 16, 54, 57; OLG Frankfurt BB 1974, 1093 f. (Weiterverkaufsmöglichkeit eines Fahrzeugs); Staudinger/Singer, §  119 Rn.  96. 125  In den vom BGH zu beurteilenden Fällen ging es regelmäßig um unrichtige Angaben über den Umsatz oder die Erträge, vgl. BGH NJW 1970, 653, 655 (Übertragung eines Juwelier­ geschäfts); BGH NJW 1977, 1538 f. (Übertragung eines Tee-Import-Handles; BGH NJW 1977, 1536, 1537 (Erwerb eines eines Tiefbauunternehmens); BGH NJW 1990, 1658, 1659 (Übertra­ gung eines Grundstücks mit Gaststätte und Pension). 121 

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kulation einer Vertragspartei bei erheblicher Disproportion der beiderseitigen Geschäftserfahrung kann die Wirksamkeit des Vertrages nach deutschem Recht mithin nicht tangieren.126 Das intellektuelle Gefälle zwischen den Vertragsparteien spielt für die Ermitt­ lung eines nach §§  119 Abs.  2, 313 Abs.  1, 2 BGB relevanten Motivirrtums nach der Rechtsprechung des BGH im Unterschied zur Bestimmung des „illusori­ schen“ Charakters der Gegenleistung nach Art.  1169 C. civ. keine Rolle. Die ent­ sprechenden Normen des deutschen Rechts sind demgemäß auch nicht als Ver­ tragsgerechtigkeitsinstrumente einzuordnen, wie sie nach dieser Abhandlung definiert wurden. Vielmehr handelt es sich hierbei nach der Rechtsprechung des BGH um Mittel, die der Durchsetzung und Verwirklichung des vom Vertragsin­ halt abweichenden aber ausnahmsweise als schutzwürdig zu erachtenden Partei­ willens dienen sollen. Die Untersuchung der deutschen Bewertungsmaßstäbe zum Schutz der unterlegenen Vertragspartei beschränkt sich daher auf die in §  138 BGB zum Ausdruck gebrachten Voraussetzungen und Wertungen. dd)  Die Anforderungen an das Bewusstsein des Wucherers Zur Erfüllung des Wuchertatbestands ist schließlich erforderlich, dass der Wu­ cherer einen der oben geschilderten Zustände des Bewucherten ausbeutet. Dies setzt keine besondere Ausbeutungs- oder Gewinnerzielungsabsicht des Wuche­ rers voraus.127 Auch ist im Unterschied zum abus in Art.  1143 C. civ. keine beson­ dere Einwirkung auf den Bewucherten in Gestalt einer Drohung oder Nötigung erforderlich. Insofern ist die Ausbeutung auch dann möglich, wenn die Initiative zu dem bedenklichen Geschäft vom Bewucherten ausgegangen ist.128 Die voll­ ständige Erfüllung des subjektiven Wuchertatbestands setzt lediglich voraus, dass der Wucherer Kenntnis von dem auffälligen Leistungsmissverhältnis und der Schwächeposition seines Vertragspartners hat und sich diese Situation bei Ver­ tragsschluss vorsätzlich – d. h. ggf. nur mit Eventualvorsatz – zunutze macht.129 126  BGHZ 16, 54, 57; MünchKomm/Armbrüster, §  119 Rn.  132; Staudinger/Singer, §  119 Rn.  96. 127  BGH NJW 1982, 2767, 2768; BGH NJW 1985, 3006, 3007; BGH NJW-RR 2011, 880, 881; BGH NJW 2017, 2403, 2404; Erman/Schmidt-Räntsch, §  138 Rn.  48; Prütting/Wegen/ Weinreich/Ahrens, §  138 Rn.  63; Staudinger/Sack/Fischinger, §  138 Rn.  287. 128  BGH NJW 1985, 3006, 3007; Erman/Schmidt-Räntsch, §  138 Rn.  48. 129  BGH NJW 1982, 2767, 2768; BGH NJW 1985, 3006, 3007; BGH NJW-RR 2011, 880, 881; BGH NJW 2017, 2403, 2404; Erman/Schmidt-Räntsch, §  138 Rn.  48; Prütting/Wegen/ Weinreich/Ahrens, §  138 Rn.  63; Staudinger/Sack/Fischinger, §  138 Rn.  286; zusätzlich eine verwerfliche Vorgehensweise fordernd BGH NJW-RR 1990, 1199; BGH NJW 1994, 1275, 1276; MünchKomm/Armbrüster, §  138 Rn.  154. Der Vorwurf der Fahrlässigkeit, auch der gro­ ben Fahrlässigkeit, reichen dagegen nicht aus, vgl. BGH NJW 1985, 3006, 3007; Münch­

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5.  Wucherähnliches Rechtsgeschäft a)  Die lückenausfüllende Funktion des wucherähnlichen Rechtsgeschäfts Erfüllt ein Vertrag nicht sämtliche Voraussetzungen des Wuchers, kann dieser noch als wucherähnliches Rechtsgeschäft zu qualifizieren sein.130 Es handelt sich hierbei um einen Unterfall des sittenwidrigen Rechtsgeschäfts nach §  138 Abs.  1 BGB. Der Wuchertatbestand enthält nämlich keine abschließende Regelung für Verträge, die wegen eines auffälligen Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung rechtlich zu missbilligen sind.131 Vielmehr stellt der Wuchertatbe­ stand einen Spezialfall eines sittenwidrigen Vertrags dar, ohne zugleich Aus­ druck einer Wertentscheidung zu sein, die einen weiterreichenden Schutz des Bewucherten ausschließt.132 Der Wuchervorwurf beinhaltet demgemäß ein au­ ßergewöhnlich schwerwiegendes Sittenwidrigkeitsverdikt. Er ist nicht geeignet, als Erheblichkeitsschwelle zur Beurteilung eines wucherähnlichen Rechtsge­ schäfts herangezogen zu werden. Im Gegenteil nimmt §  138 Abs.  1 BGB ange­ sichts der restriktiv auszulegenden Tatbestandsvoraussetzungen des Wuchertat­ bestands eine lückenfüllende Funktion wahr.133 Dies lässt sich rechtsdogmatisch mit den im Vergleich zum wucherähnlichen Rechtsgeschäft gravierenderen Rechtsfolgen des Wuchers begründen, bei dem die Nichtigkeit uneingeschränkt auf das Verfügungsgeschäft durchschlägt. Die milderen Rechtsfolgen des wu­ cherähnlichen Rechtsgeschäfts rechtfertigen also im Grundsatz die Anknüpfung an mildere Tatbestandsvoraussetzungen.134 b)  Die Ablehnung der laesio enormis Die Rechtsprechung hat jedoch mehrfach betont, dass die bloße Äquivalenzstö­ rung – mithin das Vorliegen eines objektiven Missverhältnisses zwischen den beiderseitigen Leistungspflichten i. S. d. Wuchertatbestands135 – keinesfalls zur Komm/Armbrüster, §  138 Rn.  154; Prütting/Wegen/Weinreich/Ahrens, §  138 Rn.  63; Staudin­ ger/Sack/Fischinger, §  138 Rn.  286. 130  Vgl. Prütting/Wegen/Weinreich/Ahrens, §  138 Rn.  3, 51. 131  Staudinger/Sack/Fischinger, §  138 Rn.  306 m. w. N.; zum Verhältnis zwischen §  138 Abs.  2 und §  138 Abs.  1 BGB, vgl. Koziol, AcP 188 (1988), 183, 187 ff. 132  MünchKomm/Armbrüster, §  138 Rn.  142; Staudinger/Sack/Fischinger, §  138 Rn.  308. 133  Staudinger/Sack/Fischinger, §  138 Rn.  266, 306; so kann beispielsweise die Ausnutzung einer Zwangslage des Hauptschuldners zum Abschluss einer grob unbilligen Bürgschaft, die mangels Austauschcharakters nicht unter §  138 Abs.  2 BGB fallen kann, am Maßstab der Ge­ neralklausel als sittenwidrig zu beurteilen sein, vgl. BGH NJW 1988, 2599, 2602. 134  Vgl. Staudinger/Sack/Fischinger, §  138 Rn.  310. 135  Vgl. zu den insoweit identischen Kriterien MünchKomm/Armbrüster, §  138 Rn.  113, 144; Staudinger/Sack/Fischinger, §  138 Rn.  144, 311.

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Begründung des Sittenwidrigkeitsverdikts ausreicht.136 Andernfalls würde man entgegen dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers die laesio enormis quasi durch die Hintertür in das BGB einführen.137 Der Gesetzgeber hat sich jedoch in Kenntnis des österreichischen und gemeinen Rechts bewusst gegen eine gesetz­ liche Regelung entschieden, nach der schon ein objektives Ungleichgewicht zwi­ schen den beiderseitigen Leistungspflichten für sich genommen die Sittenwid­ rigkeit des Vertrages begründet.138 Der Gesetzentwurf des Bundesrats vom 18.08.1983, der das Anliegen verfolgte, §  138 BGB um einen dritten Abs. zu er­ gänzen, der Kreditgeschäfte allein wegen des Vorliegens eines auffälligen Miss­ verhältnisses von Leistung und Gegenleistung für nichtig erklären sollte139, konnte sich im Gesetzgebungsverfahren nicht durchsetzen.140 Insoweit beinhaltet der Wuchertatbestand zwar keine Mindestvoraussetzun­ gen, die an die Nichtigkeit eines Vertrages wegen Vorliegens eines auffälligen Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung zu stellen sind, wohl aber die Wertentscheidung, dass die bloße objektive (ggf. erhebliche) Äquiva­ lenzstörung anders als im französischen Recht unbeachtlich sein muss. c)  Das Erfordernis einer „verwerflichen Gesinnung“ Die Generalklausel setzt das Hinzutreten mindestens eines weiteren anstößigen Umstands voraus, der den Vertrag bei Zusammenfassung der subjektiven und objektiven Momente als sittenwidrig erscheinen lässt.141 Dieses zusätzliche Element liegt in der Terminologie der höchstrichterlichen Rechtsprechung insbesondere vor, wenn eine „verwerfliche Gesinnung“ des Be­

136 

MünchKomm/Armbrüster, §  138 Rn.  112; a. A. OLG Stuttgart NJW 1979, 2409, 2410; Staudinger/Sack/Fischinger, §  138 Rn.  309. 137  BGH NJW 1981, 1206; BGH NJW 2002, 3165; Bergmann, Die Rechtsfolgen des unge­ rechten Vertrages, S.  36. 138  Motive II 321 = Mugdan II 178; BGH NJW 1981, 1206; BGH NJW 2002, 3165; Koziol, AcP 188 (1988), 183, 187; dazu Mayer-Maly, in: Festschrift für Larenz, S.  395, 403; S. auch die Darstellung der hierzu vertretenen Ansichten in Becker, Die Lehre von der laesio enormis, S.  183 f.; Schäfer, JuS 2009, 237, 238. 139  BT-Drucks. 10/307, S.  3 („Nichtig ist ferner ein Rechtsgeschäft, durch das jemand sich oder einem Dritten für ein Darlehen oder dessen Vermittlung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren läßt, die in einem auffälligen Mißverhältnis zu der Leistung stehen“). 140  Becker, Die Lehre von der laesio enormis, S.  182; Staudinger/Sack/Fischinger, §  138 Rn.  309. 141  BGH NJW 2002, 3165, 3166; BGH NJW 2007, 2841; BGH NJW 2009, 835, 836; BGH NJW 2013, 1950, 1951; BGH NJW-RR 2017, 377, 378; BGH NJW 2017, 2403, 2404; BGH NJW-RR 2017, 1261, 1262; MünchKomm/Armbrüster, §  138 Rn.  142; Prütting/Wegen/Wein­ reich/Ahrens, §  138 Rn.  28; Staudinger/Sack/Fischinger, §  138 Rn.  306, 308, 310, 315.

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B.  Das deutsche Recht

günstigten hervorgetreten ist.142 Damit knüpft der BGH unter gewissen Ein­ schränkungen an den zweigliedrigen subjektiven Wuchertatbestand an. Das Er­ fordernis der „verwerflichen Gesinnung“ bezieht sich dabei nicht nur – wie der Wortlaut nahelegen könnte – auf die Intentionen des Begünstigten, sondern im­ pliziert darüber hinaus das Vorliegen einer Schwächesituation bei der unterlege­ nen Vertragspartei. Eine solche ist nach der Rechtsprechung des BGH insbeson­ dere dann anzunehmen, wenn sich der Übervorteilte unter dem „Zwang der Ver­ hältnisse oder aus anderen, die freie Willensentschließung beeinträchtigenden Umständen, wie einem Mangel an Urteilsvermögen“, auf den für ihn ungünsti­ gen Vertrag eingelassen hat.143 Jene Formel bezieht sich unmissverständlich auf die oben geschilderten Schwächepositionen des Wuchertatbestandes. Dem steht auch nicht entgegen, dass der BGH in einigen Entscheidungen den „Zwang der Verhältnisse“ durch das Erfordernis einer „wirtschaftlich schwächeren“ bzw. „unterlegenen“ Posi­ tion144 sowie den „Mangel an Urteilsvermögen“ durch die „Rechtsunkundigkeit“ oder „Geschäftsungewandtheit“ des Übervorteilten ersetzt hat.145 Insbesondere dürfen die teilweise gewählten Begrifflichkeiten nicht darüber hinwegtäuschen, dass die bloße allgemeine Unterlegenheit des Übervorteilten keineswegs aus­ reicht, um i. V. m. einem auffälligen Missverhältnis zwischen den beiderseitigen Leistungspflichten die Annahme eines nach §  138 Abs.  1 BGB sittenwidrigen Vertrags zu rechtfertigen. Vielmehr bezieht sich der BGH damit inhaltlich grund­ sätzlich auf die Ausbeutungssituationen des Wuchertatbestands. Der Übervor­ teilte muss sich aufgrund einer Zwangslage, seiner Unerfahrenheit, seines Man­ gels an Urteilsvermögen oder seiner erheblichen Willensschwäche zum Ab­ schluss des zu untersuchenden Vertrags verleitet lassen haben.

142  BGH NJW 2002, 3165, 3166; BGH NJW 2007, 2841; BGH NJW 2009, 835, 836; BGH NJW 2013, 1950, 1951; BGH NJW-RR 2017, 377, 378; BGH NJW 2017, 2403, 2404; Münch­ Komm/Armbrüster, §  138 Rn.  116, 142; Prütting/Wegen/Weinreich/Ahrens, §  138 Rn.  28; s. a. BGH NJW 2004, 2671, 2673; BGH NJW 2010, 363, wonach das Handeln in verwerflicher Gesinnung für die Feststellung eines wucherähnlichen Rechtsgeschäfts sogar unerlässlich ist. 143  BGH NJW 2010, 363, 364, s. a. die ähnliche Formulierung in BGH NJW 2007, 2841; MünchKomm/Armbrüster, §  138 Rn.  116; insofern ebenso interessant ist BGH NJW 1994, 1475, 1476, wonach es sich bei der „Ausnutzung der schwierigen Lage oder auch der Unerfah­ renheit des Partners für das eigene übermäßige Gewinnstreben“ um eigene, neben der verwerf­ lichen Gesinnung liegende Sittenwidrigkeitskriterien handeln soll. 144  Vgl. BGH WM 1982, 849; BGH NJW 2007, 2841; BGH NJW 2012, 2099, 2100; MünchKomm/Armbrüster, §  138 Rn.  116. 145 Letztgenannte Terminologie wird regelmäßig bei der Sittenwidrigkeitskontrolle von Teilzahlungskrediten herangezogen, vgl. BGH NJW 1984, 2292, 2294; BGH NJW 1986, 2565, 2564; BGH NJW 1988, 1659, 1661.

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d)  Die gesteigerte Flexibilität gegenüber dem Wuchertatbestand Der Unterschied zum Wuchertatbestand liegt entscheidend in der Flexibilität bzw. Beweglichkeit der jeweiligen Tatbestandsmodalitäten. Während nämlich beim Wuchertatbestand die Erheblichkeitsschwellen des objektiven und subjek­ tiven Tatbestands keiner Reduktion zugänglich sind, gestattet die Generalklau­ sel, ein Weniger in der Verwirklichung eines Tatbestandsmerkmals durch ein Mehr in der Verwirklichung eines anderen Tatbestandsmerkmals auszugleichen. Dies kann sich sowohl zwischen dem objektiven und subjektiven Tatbestand als auch zwischen den einzelnen Merkmalen des subjektiven Tatbestands realisie­ ren. Insoweit unterliegt die ausgleichende Funktion der jeweiligen Sittenwidrig­ keitselemente keinen Einschränkungen. Maßgeblich ist zu prüfen, wie viele sol­ cher Umstände in welcher Stärke verwirklicht sind. Letztlich entscheidet dann die Summenwirkung der im Einzelfall erfüllten Kriterien, sofern jedenfalls ein beachtliches Minimum des untererfüllten und dementsprechend auszugleichen­ den Tatbestandsmerkmals erreicht ist.146 So kann eine bewusste und gewollte Informationsverschleierung vonseiten des Übervorteilenden durch unübersichtliche Vertragsgestaltung147 oder durch eine sonstige, auf seinem Wissensvorsprung basierende Vorenthaltung bedeutsa­ mer Faktoren der Preisbestimmung148 eine bei isolierter Betrachtung unzulängli­ che Schwächeposition im Sinne des Wuchertatbestandes kompensieren. Das heißt, im Unterschied zum Wuchertatbestand, bei dem die Schwächeposition des Bewucherten für sich genommen nach seinen individuellen Verhältnissen zu er­ mitteln ist, gestattet §  138 Abs.  1 BGB die vergleichende Gewichtung einer wirt­ schaftlichen oder kognitiven Paritätsstörung. Die Unterlegenheit einer Vertrags­ partei kann sich also bereits aus einem Verhandlungsnachteil oder Informations­ defizit gegenüber dem Begünstigten ergeben, der bei absoluter Betrachtung nicht die Anforderungen an eine der in §  138 Abs.  2 BGB normierten Ausbeu­tungs­ situa­tionen erfüllen würde. e)  Senkung der subjektiven Erheblichkeitsschwelle Ein weiterer, für die Rechtspraxis bedeutender Unterschied zwischen dem Wu­ chertatbestand und dem wucherähnlichen Rechtsgeschäft erschließt sich aus den subjektiven Anforderungen, die an den Übervorteilenden zu stellen sind. Im Un­ terschied zum Wucher muss sich der Begünstigte nämlich die Schwächeposition 146  MünchKomm/Armbrüster, §  138 Rn.  27; Prütting/Wegen/Weinreich/Ahrens, §  138 Rn.  27; Staudinger/Sack/Fischinger, §  138 Rn.  119. 147  BGH NJW 1969, 230. 148  BGH NJW 2009, 835, 836.

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des Übervorteilten nicht zwangsläufig vorsätzlich zunutze gemacht haben. Es genügt, wenn er sich zumindest leichtfertig dieser Erkenntnis verschlossen hat.149

6.  Vermutung für das Vorliegen des subjektiven Tatbestands a) Einleitung Vor dem Hintergrund, dass die subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen meist keinem direkten Nachweis zugänglich sind, hat die Rechtsprechung für be­ stimmte Fallgestaltungen eine widerlegbare Vermutung entwickelt, die nach Art und Ausmaß der objektiven Umstände den Schluss auf das Vorliegen des subjek­ tiven Tatbestands gestattet. Das heißt, im Unterschied zu der ohnehin sehr hohen Hürden unterliegenden violence économique kann in bestimmten Fallkonstellati­ onen allein aus der objektiven Äquivalenzstörung der beiderseitigen Leistungs­ pflichten der Rückschluss auf die missbräuchliche Ausnutzung einer beachtli­ chen Schwächesituation beim Übervorteilten gezogen werden. b)  Ausschluss bei gewerblichen Miet- und Pachtverhältnissen Dies setzt voraus, dass die überlegene Vertragspartei nach den tatsächlichen Um­ ständen imstande war, bewusst ein über dem Verkehrswert der eigenen Leistung liegendes Entgelt zu bestimmen und auf dieser Grundlage zu erzwingen. Lässt sich der Verkehrswert der Leistung dagegen nach der allgemeinen Lebenserfah­ rung nur mit erheblichen Unwägbarkeiten ermitteln, kann dem Übervorteilenden nicht mit der für eine tatsächliche Vermutung erforderlichen allgemeinen Le­ benswahrscheinlichkeit vorgeworfen werden, er habe den unausgewogenen Ver­ tragsinhalt nur aufgrund seiner überlegenen Verhandlungsposition durchge­ setzt.150 Solche Bewertungsschwierigkeiten werden typischerweise bei Miet- und Pachtverhältnissen über Räume zum Betrieb einer Gaststätte und von sonstigen Gewerben angenommen.151 Die Pacht- und Mietpreise für gewerbliche Räume unterliegen nämlich nicht nur regional zum Teil starken Schwankungen, sondern können auch innerhalb ein und derselben Stadt stark variieren.152 Angesichts des­ sen hat der BGH mehrfach bestätigt, dass bei solchen Verträgen aus dem objek­ tiven Missverhältnis – und sei es auch außergewöhnlich hoch – nicht der Schluss 149 

BGH WM 1982, 849; BGH NJW 2007, 2841; BGH NJW 2010, 363, 364; BGH NJW 2012, 2099, 2100; MünchKomm/Armbrüster, §  138 Rn.  116, 154; Staudinger/Sack/Fischinger, §  138 Rn.  286. 150  BGH NJW 2002, 55, 57; BGH NJW 2004, 3553, 3555. 151  Vgl. BGH NJW 2002, 55, 56; BGH NJW-RR 2004, 1454; BGH NJW 2004, 3553, 3555. 152  BGH NJW 2002, 55, 57.

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auf das Vorliegen des subjektiven Tatbestands gezogen werden kann.153 Vielmehr ist der Richter darauf angewiesen, die Erkennbarkeit des Missverhältnisses für den Begünstigten im Einzelfall tatrichterlich zu würdigen.154 c)  Tragweite bei Kreditverträgen aa)  Auffälliges Missverhältnis Nur wenn der Verkehrswert der Leistungspflichten typischerweise verlässlich ermittelt werden kann, hat der BGH unter bestimmten Voraussetzungen die Ver­ mutung des subjektiven Tatbestands zugelassen.155 Dies gilt insbesondere für gewerbsmäßig gewährte Kredite, da diese typischerweise – im Unterschied zu gewerblichen Miet- und Pachtverhältnissen – gesicherten Vergleichsmaßstäben zugänglich sind.156 Gleiches gilt nach der Rechtsprechung des BGH für Leasing­ verträge.157 Bei Kredit- und Leasingverträgen wird, wenn es sich bei dem Darle­ hens- bzw. Leasingnehmer um einen Privatkonsumenten handelt, bereits bei ­einem auffälligen Missverhältnis die Erfüllung des subjektiven Tatbestands ver­ mutet.158 Ein auffälliges Missverhältnis ist bei einer relativen Überschreitung des Marktzinses um 100  % oder auch bei einer absoluten Überschreitung des Markt­ zinses um 12 Prozentpunkte anzunehmen.159 Umgekehrt begründet die Vollkauf­ mann-Eigenschaft des Benachteiligten grundsätzlich die widerlegliche Vermu­ tung, dass der subjektive Tatbestand nicht erfüllt war.160 Bei Kleingewerbetrei­

153 

BGH NJW 2002, 55, 57; BGH NJW-RR 2002, 8; BGH NJW 2004, 3553, 3555. BGH NJW 2002, 55, 57; BGH NJW-RR 2004, 1454, 1455; BGH NJW 2004, 3553, 3555; MünchKomm/Armbrüster, §  138 Rn.  116; Staudinger/Sack/Fischinger, §  138 Rn.  319. 155  Die Vermutung gilt sowohl für das wucherähnliche Rechtsgeschäft als auch für den Wu­ cher, vgl. BGH NJW 2003, 2230, 2231. 156  Siehe etwa BGH NJW-RR 1990, 1199, wo bei einem Gelegenheitsdarlehen eines nicht gewerbsmäßig handelnden Darlehensgebers die Vermutungswirkung wegen eines fehlenden Vergleichsmarktes abgelehnt wurde. 157  BGH NJW 1995, 1019, 1022. 158  „Diese subjektiven Voraussetzungen liegen aber, wenn ein Privatkonsument bei einer Bank einen Teilzahlungskredit aufnimmt, der die objektiven Voraussetzungen des §  138 Abs.  1 BGB erfüllt, so nahe, daß sie nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats vermutet wer­ den“, BGH NJW 1984, 2292, 2294; BGH NJW-RR 1989, 1068; BGH NJW-RR 1990, 1199; für den Leasingvertrag, vgl. BGH NJW 1995, 1019, 1022. 159  BGH NJW 1988, 1659, 1660; Erman/Schmidt-Räntsch, §  138 Rn.  94 f.; Palandt/Ellenberger, §  138 Rn.  27. 160  BGH NJW 1983, 1420; BGH NJW-RR 1989, 1068; BGH NJW 2003, 2230, 2231; MünchKomm/Armbrüster, §  138 Rn.  116; Staudinger/Sack/Fischinger, §  138 Rn.  292, 319; für den Leasingvertrag, vgl. BGH NJW 1995, 1019, 1022. 154 

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benden (früher „Minderkaufleuten“) muss der subjektive Tatbestand dagegen im Einzelfall festgestellt werden.161 bb)  Besonders grobes Missverhältnis Weist der Darlehensvertrag dagegen ein besonders grobes Missverhältnis auf, so wird auch zugunsten eines Kaufmanns widerlegbar vermutet, dass die subjekti­ ven Tatbestandsmerkmale erfüllt sind.162 An das Vorliegen eines besonders gro­ ben Missverhältnisses zulasten eines Kaufmanns werden indes sehr hohe Anfor­ derungen gestellt. Der BGH nahm ein solches Missverhältnis bisweilen lediglich bei einem Kredit zu einem Zinssatz an, der je nach dem Zeitpunkt der Rückzah­ lung zwischen 94,7  % und 180  % des gewährten Darlehens in Höhe von 300.000,00 DM betrug.163 In der Literatur wird ein besonders grobes Missver­ hältnis ab einer relativen Marktzinsüberschreitung von etwa 200  % gefordert.164 Mit der Entwicklung und Definition des besonders groben Missverhältnisses, das neben das gesetzlich verankerte auffällige Missverhältnis tritt und maßgeblich die Funktion übernimmt, auch unter Unternehmern die Vermutung des subjekti­ ven Tatbestands zu gestatten, ermöglichte der BGH eine nicht nur für das wu­ cherähnliche Rechtsgeschäft, sondern auch für den Wuchertatbestand geltende bedarfsabhängige Anpassung der jeweiligen Erheblichkeitsschwellen. d)  Kriterienabhängigkeit der Vermutungsvoraussetzungen aa)  Intellektuelle Unterlegenheit (1) Verbraucherverträge Die mit der Vermutungswirkung einhergehende Steigerung der Einzelfallgerech­ tigkeit wird bei einer näheren Beleuchtung der oben geschilderten Rechtspre­ chung zu Kreditverträgen ersichtlich. Die Verbraucher nahmen in den vom BGH zu untersuchenden Fällen regelmäßig das wucherische Darlehen bei einem Kre­ ditinstitut auf, um damit einen hochwertigen Gegenstand wie eine Immobilie oder ein Kraftfahrzeug zu erwerben.165 Die (wirtschaftliche) Existenz des Ver­ 161  BGH NJW 1983, 1420; BGH NJW-RR 1989, 1068 („Bei Minderkaufleuten bedarf es der Feststellung der subjektiven Voraussetzungen im Einzelfall“); Bergmann, Die Rechtsfolgen des ungerechten Vertrages, S.  18; gleiches gilt für Landwirte, vgl. BGH NJW 1991, 1810, 1811 und Freiberufler, vgl. BGH NJW 1995, 1019, 1022. 162  BGH NJW 1982, 2767, 2768; BGH NJW-RR 1990, 1199; BGH NJW 1994, 1275; MünchKomm/Armbrüster, §  138 Rn.  154; Staudinger/Sack/Fischinger, §  138 Rn.  292. 163  BGH NJW 1982, 2767, 2768; bestätigt in BGH NJW-RR 1990, 1199; BGH NJW 1994, 1275. 164  Vgl. Staudinger/Sack/Fischinger, §  138 Rn.  292. 165  Vgl. BGH NJW 2017, 2986, 2991.

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brauchers wurde insoweit bei Nichtzustandekommen der betroffenen Verträge nicht gefährdet. Schlimmstenfalls verzichteten die Kreditnehmer auf ein zu rein privaten Zwecken geplantes Vorhaben der Wohlstandssteigerung. Die Schwä­ cheposition gegenüber dem Kreditinstitut wurzelte daher keineswegs in der wirt­ schaftlichen Unterlegenheit des Betroffenen. Vielmehr ergab sich die Schutzbe­ dürftigkeit der Privatkonsumenten regelmäßig aus ihrer fehlenden Sachkunde und Geschäftsgewandtheit, mithin der Unerfahrenheit bzw. dem Mangel an Ur­ teilsvermögen.166 Weil die Ausbeutung der intellektuellen Unterlegenheit eines Verbrauchers durch ein Kreditinstitut anlässlich der Gewährung eines Darlehens nach allge­ meiner Lebenserfahrung naheliegt, bedarf es zur Rechtfertigung der tatsächli­ chen Vermutungswirkung keiner allzu hohen Anforderungen. Jene Erkenntnis hat den BGH letztlich dazu verleitet, bei einem Darlehensvertrag zwischen ei­ nem Kreditinstitut und einem Verbraucher bereits bei einfacher Erfüllung des objektiven Wuchertatbestands die Vermutung des subjektiven Tatbestands für begründet zu erachten. (2) Unternehmerverträge Diese Erwägungen sind keineswegs auf den unternehmerischen Geschäftsver­ kehr übertragbar. Im Gegenteil ist der Abschluss eines nachteiligen Vertrages aus Unerfahrenheit oder aufgrund des mangelnden Urteilsvermögens grundsätzlich fernliegend. Vielmehr ist hier typischerweise anzunehmen, dass bei zumutbarer Anstrengung der geistigen und intellektuellen Fähigkeiten eine sachgerechte Be­ urteilung der Konsequenzen des Vertragsschlusses zu erwarten ist, was sich bei der Gestaltung des Vermutungstatbestands niederschlagen muss. Im Hinblick auf die Vermutung einer intellektuellen Ungleichgewichtslage im unternehmeri­ schen Geschäftsverkehr konnte der BGH mit einem Urteil aus dem Jahr 2008 für Klarheit sorgen. Die Entscheidung erging zu einem öffentlich ausgeschriebenen Vertrag über die Erbringung einer Tiefbauleistung unter Einbeziehung der VOB/B und auf Grundlage des Leistungsverzeichnisses des Bauunternehmens, in dem der Einheitspreis für Mehrmengen an Betonstahl und Betonstahlmatten den Bundesdurchschnitt um mehr als das achthundertfache überschritt. Bei ­einem Einheitspreis handelt es sich um einen kalkulierten Baupreis, der für jede ausgeführte Einheit einer in dem Leistungsverzeichnis beschriebenen Teilleis­ 166  BGH NJW-RR 1989, 1068 („Nur beim Ratenkredit eines Privatkonsumenten besteht die – widerlegliche – Vermutung, daß der Kreditnehmer sich den ihn übermäßig belastenden Ver­ tragsbedingungen nur wegen seiner wirtschaftlich schwachen Lage, Rechtsunkundigkeit und Geschäftsungewandtheit unterworfen hat und daß die kreditgebende Bank das erkannt oder sich zumindest leichtfertig dieser Einsicht verschlossen hat“).

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B.  Das deutsche Recht

tung zu berechnen ist. Die Gesamtvergütung ergibt sich daher bei einem solchen Vertrag aus der Multiplikation von Einheitspreis und den tatsächlich in Anspruch genommenen Leistungseinheiten. Der BGH entschied, dass die streitgegenständlichen, exorbitanten Einheits­ preise für Mehrmengen in einem besonders groben Missverhältnis zur Gegen­ leistung standen und daher ein sittlich verwerfliches Gewinnstreben des Auftrag­ nehmers zu vermuten war. Bis zu diesem Teil der Begründung könnte man von der Annahme geleitet sein, auch bei der Sittenwidrigkeit eines Vertrages wegen missbräuchlicher Ausnutzung des mangelnden Urteilsvermögens des unterneh­ merischen Vertragspartners sei bereits allein wegen des Vorliegens eines beson­ ders groben Missverhältnisses die Vermutung des subjektiven Tatbestands ge­ rechtfertigt. Der BGH stellt in seinen weiteren Ausführungen jedoch klar, dass die Vermutung nicht ausschließlich auf dem außerordentlichen Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung basiert: „Vielmehr gründet sie sich auf die Besonderheiten des Bauvertrags. […] In dem Fall, dass der Bieter in einer Position des Leistungsverzeichnisses einen außerordentlich überhöhten Ein­ heitspreis angegeben hat, besteht die widerlegbare Vermutung, dass er in dieser Position auf eine Mengenmehrung hofft und durch Preisfortschreibung auch für diese Mengenmehrung ­einen außerordentlich überhöhten Preis erzielen will […]. Dieses Verhalten eines Bieters und späteren Auftragnehmers widerspricht eklatant dem gesetzlichen Leitbild eines Vertrags, das […] einen fairen, von Treu und Glauben geprägten Leistungsaustausch im Blick hat, vgl. §  157 BGB.“167

Die Vermutung der intellektuellen Unterlegenheit des unternehmerischen Ver­ tragspartners kann damit nur unter Hinzuziehung weiterer Umstände angenom­ men werden. Denkbar ist hier insbesondere die Feststellung aktiver Verschleie­ rungshandlungen. bb)  Wirtschaftliche Unterlegenheit Anders verhält es sich dagegen mit der wirtschaftlichen Unterlegenheit. Im Un­ terschied zu Verbraucherverträgen kann der Abschluss eines wucherischen Kre­ ditvertrages im unternehmerischen Geschäftsverkehr durchaus auf einer solchen Schwächeposition beruhen. Wie die oben geschilderten Urteile des BGH bele­ gen, kann sogar regelmäßig davon ausgegangen werden, dass die Ursache für die Aufnahme eines nachteiligen Unternehmerkredits weniger dem mangelnden Ur­ teilsvermögen als der Ausweglosigkeit der wirtschaftlichen Lage geschuldet ist.168 Andererseits ist sich der BGH auch der Tatsache bewusst, dass zum Schutz 167 

BGH NJW 2009, 835, 836; bestätigt in BGH NJW 2013, 1950, 1952; BGH NJW 2013, 1953, 1954. 168  Siehe etwa BGH NJW 2017, 2986, 2991.

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der Rechtssicherheit im unternehmerischen Geschäftsverkehr keine allzu niedri­ gen Voraussetzungen an den Vermutungstatbestand gestellt werden dürfen. An ebendiesem Punkt kommt die Bedeutung des „besonders groben Missverhältnis­ ses“ zum Tragen. Die von der Rechtsprechung entwickelte Erheblichkeits­ schwelle gestattet es den Gerichten, im Einzelfall bei außergewöhnlichen Äqui­ valenzstörungen die Vermutung der bewussten Ausbeutung einer Zwangslage auch für den kaufmännischen Verkehr zu öffnen. Wie den einschlägigen Ent­ scheidungen zu entnehmen ist, weigert sich der BGH bei der Bestimmung eines besonders groben Missverhältnisses zulasten eines Kaufmanns jedoch bewusst, klare Wertgrenzen zu definieren.169 Aus den Entscheidungen des BGH zu wuche­ rischen Kreditverträgen im unternehmerischen Geschäftsverkehr kann insofern lediglich die Erkenntnis gewonnen werden, dass ein außergewöhnlich hohes Missverhältnis zwischen den beiderseitigen Leistungspflichten die Vermutung rechtfertigt, der Unternehmer habe sich allein aufgrund seiner Zwangslage zum Abschluss des für ihn nachteiligen Vertrages verleiten lassen. cc) Zwischenergebnis Damit wird die folgende Differenzierung deutlich: Während das Vorliegen eines besonders groben Missverhältnisses allein die Vermutung einer Zwangslage zu begründen vermag, bedarf es bei der Geltendmachung der intellektuellen Unter­ legenheit weiterer objektiver Umstände, um die Vermutung zu rechtfertigen. e)  Die reduzierte Behauptungslast Das Eingreifen der (tatsächlichen) Vermutung des subjektiven Tatbestands be­ freit den Übervorteilten nicht von der entsprechenden Behauptungslast.170 An ihren Vortrag sind indes erleichterte Anforderungen zu stellen. Insbesondere muss die benachteilige Vertragspartei die verwerfliche Gesinnung ihres Vertrags­ partners nicht ausdrücklich behaupten. Vielmehr reicht es aus, wenn aus dem Kontext mit dem Vortrag zu einer gravierenden Äquivalenzstörung ersichtlich ist, dass sich die unterlegene Vertragspartei auf die daraus resultierende Vermu­ tung einer verwerflichen Gesinnung der anderen Vertragspartei stützt.171 Nach 169 

Besonders deutlich die Klarstellung in BGH NJW 1979, 758 („Ob dann, wenn das Wert­ verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung den Faktor von etwa 2,5 aufweist, auf eine verwerfliche Gesinnung des begünstigten Teils zu schließen ist, kann nicht schematisch allein aus der ziffernmäßigen Höhe des Wertverhältnisses entnommen werden. Es kommt immer auf die Umstände des Einzelfalles an“). 170  BGH NJW 2010, 363, 364; BGH NJW 2014, 1652; MünchKomm/Armbrüster, §  138 Rn.  116. 171  BGH NJW 2010, 363, 365; BGH NJW 2012, 2099, 2100; BGH NJW 2014, 1652.

228

B.  Das deutsche Recht

dem oben Gesagten muss also aus dem Vortrag ersichtlich sein, ob sich der Un­ ternehmer auf seine wirtschaftliche oder intellektuelle Unterlegenheit beruft.172

7.  Ergebnis Das bürgerliche Recht steuert den Schutz der unterlegenen Vertragspartei vor nachteiligen Verträgen zentral über die in §  138 BGB zum Ausdruck gebrachten Wertungen und Voraussetzungen. Ausgehend vom einzigen gesetzlich veranker­ ten Sonderfall des sittenwidrigen Rechtsgeschäfts – dem Wuchertatbestand in §  138 Abs.  2 BGB – hat sich das Verständnis eines zweistufigen Kontrollmaßst­ abs durchgesetzt. Entscheidend ist stets und unabhängig von der Art der Paritäts­ störung zu untersuchen, ob ein auffälliges Missverhältnis zwischen den beider­ seitigen Leistungspflichten vorliegt, das in einer hinreichend gravierenden Aus­ beutungssituation des Übervorteilten seinen Ursprung hat. Dieser letztgenannte (subjektive) Bestandteil des Wuchertatbestands kann sich sowohl aus einer Beeinträchtigung der Entschließungsfreiheit als auch einer Beschränkung der Entscheidungsfähigkeit ergeben. Das heißt, geschützt ist nicht nur derjenige, der sich in Kenntnis aller Umstände zum Abschluss eines für ihn nachteiligen Vertrages entschließt, um ein größeres Übel abzuwenden, sondern auch der intellektuell Unterlegene, der außerstande ist, die rechtlichen Konse­ quenzen des Vertragsschlusses sachgerecht zu beurteilen und nach dieser Ein­ sicht vernünftig zu handeln. Eine praktisch bedeutsame Ergänzung erfahren die­ se beiden Erscheinungsformen des Wuchertatbestands durch das wucherähnliche Rechtsgeschäft nach §  138 Abs.  1 BGB. Die Generalklausel gestattet eine flexi­ ble Gewichtung der einzelnen Tatbestandselemente mit der Konsequenz, dass eine am Maßstab des §  138 Abs.  2 BGB wirksame vertragliche Äquivalenzstö­ rung bei einem besonders anstößigen Ausschlagen der subjektiven Tatbe­ standsseite möglicherweise als wucherähnliches Rechtsgeschäft der Nichtigkeit unterliegt. Darüber hinaus wird der Schutz der unterlegenen Vertragspartei durch die von der Rechtsprechung entwickelte, tatsächliche Vermutung des Vorliegens der subjektiven Tatbestandskomponente bei Feststellung eines besonders gravie­ renden Leistungsungleichgewichts verstärkt.

172  Im Übrigen genügt die Berufung auf §  138 BGB i. V. m. der Behauptung eines groben Missverhältnisses, vgl. BGH NJW 2014, 1652.

VI.  Klauselkontrolle des AGB-Rechts

229

VI.  Klauselkontrolle des AGB-Rechts 1.  Entstehungsgeschichtlicher Hintergrund Der mit dem technischen und wirtschaftlichen Aufschwung aufkeimende Mas­ senverkehr brachte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert auch im deutschen Rechtsraum die zunehmende Verwendung standardisierter Verträge hervor.173 Der Wandel zu einer industriell ausgerichteten Serienproduktion mit der hiermit einhergehenden Anonymisierung des Warenaustauschs sowie das Aufblühen des Dienstleistungssektors war zugleich die Geburtsstunde des Phänomens der AGB.174 Die Verwendung typisierter Vertragsbedingungen setzte in der Versiche­ rungswirtschaft ein, für die als erstes ein hohes Bedürfnis nach gleichförmig wie­ derkehrenden Vertragswerken entstand.175 Kurze Zeit später folgten die zuneh­ mend am Massenverkehr teilnehmenden Verkehrsunternehmen sowie die „Re­ gulative“ der Großbanken.176 Verstärkt durch die Kartellisierungstendenzen dieser Epoche schlossen sich schließlich auch die Produktions- und Handelsbe­ triebe sowie das Dienstleistungsgewerbe dieser Tendenz an.177

2.  Rechtsprechungsentwicklung bis zum Inkrafttreten des AGBG a)  Gesetzliches Defizit Die Rechtsprechung bot den an Bedeutung gewinnenden AGB des Massenver­ kehrs zunächst nur mit äußerster Zurückhaltung Einhalt.178 Erklären lässt sich dies mit dem in der Anfangsphase der Industrialisierung stark ausgeprägten Ver­ trauen in den freien Wettbewerb sowie dem damit einhergehenden Mangel ge­ setzlicher Grundlagen für entsprechende Restriktionen der Vertragsfreiheit.179 173  Stoffels, AGB-Recht, Rn.  15; Ulmer/Brandner/Hensen/Habersack, Einl. BGB Rn.  10; Raiser, Das Recht der AGB, S.  26. 174  BT-Drucks. 7/3919, S.  9; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  15; Ulmer/Brandner/Hensen/Habersack, Einl. BGB Rn.  10; Leyens/Schäfer, AcP 210 (2010), 771, 773. 175  BT-Drucks. 7/3919, S.  10. 176  BT-Drucks. 7/3919, S.  10; Raiser, Das Recht der AGB, S.  27; Ranieri, Europäisches Obligationenrecht, S.  325. 177  BT-Drucks. 7/3919, S.  10; Ranieri, Europäisches Obligationenrecht, S.  325; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  15; Ulmer/Brandner/Hensen/Habersack, Einl. BGB Rn.  10. 178  Löwe, BB 1972, 185. 179  Stoffels, AGB-Recht, Rn.  20 f.; vgl. das diesen Standpunkt verdeutlichende Urteil des RG in RGZ, 11, 100, 110 („So wenig billig und gerecht nun auch diese Abwälzung einer [Haf­ tung] … sein und so sehr sie das natürliche Verhältnis verschieben mag, so fehlt es doch, man­ gels einer gesetzlichen Einschränkung der Vertragsfreiheit, in dieser Beziehung an der Mög­ lichkeit, der betreffenden Vereinbarung die Gültigkeit zu versagen“).

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B.  Das deutsche Recht

In der Tat beinhalteten das BGB sowie das HGB trotz ihres deutlich nach Be­ ginn der Industrialisierung liegenden Inkrafttretens keine der Vertragsgerechtig­ keit im Massenverkehr dienenden Bestimmungen.180 Das System des deutschen Vertragsrechts basierte insofern noch auf der unzutreffenden Prämisse der regu­ lierenden Wirkung des freien Wettbewerbs für den gesamten Vertragsinhalt.181 b)  Verdeckte Inhaltskontrolle durch restriktive Auslegung missbräuchlicher Klauseln Mit dem stetigen Anstieg missbräuchlicher AGB geriet diese Überzeugung all­ mählich ins Wanken.182 In Ermangelung besonderer Rechtsvorschriften ver­ sprach das Reichsgericht daher zunächst – aus dogmatischer Sicht nicht immer haltbar – dadurch Abhilfe, dass es in zahlreichen Fällen als ungerecht empfunde­ ne Haftungsklausen, Gewährleistungsausschlüsse oder vergleichbare Klauseln der Risikoübertragung in geradezu exzessiver Anwendung der heute in §  305c Abs.  2 BGB kodifizierten Unklarheitenregel eng auslegte.183 c)  Offene Inhaltskontrolle nach §  138 Abs.  1 BGB Die damit verbundene verdeckte Inhaltskontrolle wurde von einer offenen In­ haltskontrolle am Maßstab der guten Sitten nach §  138 Abs.  1 BGB ergänzt.184 Das Reichsgericht erklärte Klauseln für unwirksam, die ein Unternehmer seinen Kunden in missbräuchlicher Ausnutzung seiner marktbeherrschenden Stellung aufgedrängt hatte und dadurch dem Verkehr unbillige, unverhältnismäßige Opfer auferlegt wurden.185 Eine marktbeherrschende Stellung konnte sich neben einem Monopol auch daraus ergeben, dass der Verwender zu einer Unternehmensgrup­ pe gehört, 180  BT-Drucks. 7/3919, S.  10; Palandt/Grüneberg, Überbl. v. §  305 Rn.  3; Ranieri, Europä­ isches Obligationenrecht, S.  325; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  33; Nicklisch, BB 1974, 941. 181 Vgl. Grunsky, BB 1971, 1113 („Entgegen optimistischen frühliberalen Vorstellungen pendelten sich die einander gegenüberstehenden Interessen nicht in der Nähe der Mitte ein“); Löwe, BB 1972, 185 („Es war wohl ein grundlegender Irrtum anzunehmen, die Erscheinung der AGB könne mit dem Instrumentarium der klassischen Vertragslehre in zufriedenstellender Weise bewältigt werden“); weiterer Erklärungsversuch bei Wackerbarth, AcP 200 (2000), 45, 79. 182  Nachweise und Zusammenfassung in Stoffels, AGB-Recht, Rn.  16. 183  Raiser, Das Recht der AGB, S.  264 ff. m. w. N. aus der Rspr.; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  23; Wendland, Vertragsfreiheit, S.  359; Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, S.  328. 184  BT-Drucks. 7/3919, 10; Kötz, Gutachten für den 50. DJT, A 30 f.; Ranieri, Europäisches Obligationenrecht, S.  371 f.; Ulmer/Brandner/Hensen/Habersack, Einl. BGB Rn.  11; Leyens/ Schäfer, AcP 210 (2010), 771, 774; Grunsky, BB 1971, 1113. 185  Stoffels, AGB-Recht, Rn.  26 f.; Nachweise bei Leuschner, AGB-Recht für Verträge zwi­ schen Unternehmen, S.  16.

VI.  Klauselkontrolle des AGB-Rechts

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„auf deren Inanspruchnahme ein bestimmter Kreis der Geschäftswelt bei der Abwicklung sei­ ner Geschäfte angewiesen ist“.186

Der Geltungsbereich dieser Rechtsprechung, wie er vom Reichsgericht präzisiert wurde, erinnert an die Anforderungen an eine Geschäftsbeziehung i. S. d. Art. L. 442-6 I Nr.  2 C.  com. a. F., die nach der französischen Rechtsprechung nur vor­ lag, wenn der Vertragspartner für die Ausübung seiner Tätigkeit von der Ver­ tragsleistung abhängig ist, er sich also nicht ohne Schwierigkeiten anderweitig versorgen kann.187 Auch im Hinblick auf die Bewertung der Zulässigkeit des Klauselinhalts weist die sogenannte Monopolrechtsprechung des Reichsgerichts mit den Anforderungen an ein déséquilibre significatif nach Art. L. 442-6 I Nr.  2 C.  com. a. F. Gemeinsamkeiten auf: Die Beurteilung der Frage, ob unbillige, unverhältnismäßige Opfer auferlegt werden, erfolgte nämlich ebenfalls auf der Grundlage einer Gesamtabwägung, in deren Rahmen Gesichtspunkte wie beispielsweise ein mit der Haftungsbeschrän­ kung verbundener Preisvorteil oder das Angebot von Versicherungsschutz be­ rücksichtigt wurden. Zudem konnten die mit einer Klausel verbundenen Nach­ teile durch anderweitige Vorteile für den Kunden ausgeglichen werden.188 Im Schrifttum stieß diese Rechtsprechung angesichts ihrer Ungeeignetheit, die zentralen Bereiche der AGB-Problematik des Massenverkehrs zu erfassen, über­ wiegend auf Ablehnung.189 Sowohl die Beschränkung des Geltungsbereichs auf den Missbrauch einer besonderen Abhängigkeitslage als auch die Heranziehung der Erheblichkeitsschwelle des §  138 Abs.  1 BGB waren in der Tat ungeeignet, um den mit der Verwendung von AGB verbundenen Gefahren überzeugend zu begegnen. d)  Offene Inhaltskontrolle am Maßstab von Treu und Glauben gem. §  242 BGB aa)  Wandel des Interventionszwecks Daraufhin ersetzte der BGH §  138 Abs.  1 BGB durch §  242 BGB190 als legislati­ ven Anknüpfungspunkt der Klauselkontrolle.191 Der Austausch der Rechtsgrund­ Nachweise bei Leuschner, AGB-Recht für Verträge zwischen Unternehmen, S.  16. Vogel/Vogel, Le déséquilibre significatif, S.  45. 188  Nachweise bei Leuschner, AGB-Recht für Verträge zwischen Unternehmen, S.  16. 189  Raiser, Das Recht der AGB, S.  284 f. 190  Siehe auch den vom BGH nicht weiter verfolgten Begründungsansatz in NJW 1963, 99, 100, dem zufolge bei der einseitigen Erstellung von AGB der „in §  315 BGB enthaltene Schutz­ gedanke“ eingreife. 191  Grundlegend BGH NJW 1957, 17, 18 f.; bestätigt in BGH NJW 1961, 212, 213; BGH NJW 1962, 1195, 1196; BGH NJW 1968, 1718, 1720; Erman/Roloff, Vor §  305 Rn.  5; Ranieri, 186 

187 Vgl.

232

B.  Das deutsche Recht

lagen ermöglichte es zunächst, den Tatbestand vom Erfordernis einer marktbe­ herrschenden Stellung des Verwenders zu befreien.192 Besonders deutlich brach­ te der BGH die Irrelevanz dieses Aspekts für die Beurteilung der Wirksamkeit einer Klausel in einem Urteil aus dem Jahr 1968 zum Ausdruck, in dem er klar­ stellte, dass es entscheidend auf die rücksichtslose Durchsetzung eigener Interes­ sen „mit Hilfe sorgfältig ausgeklügelter AGB“ ankommt.193 Im Umkehrschluss handelte es sich bei dem wirtschaftlichen Machtgefälle zwischen den Vertrags­ parteien nicht mehr um einen für den Geltungsbereich der Inhaltskontrolle aus­ schlaggebenden Faktor.194 Der BGH rückte dadurch das Kriterium der Vorformu­ lierung der Klausel und die damit verbundene einseitige Inanspruchnahme der Vertragsgestaltungsfreiheit in den Vordergrund.195 Die Inhaltskontrolle am Maßstab des §  242 BGB wurde damit gerechtfertigt, dass die Partei, die einseitig Bedingungen aufstellt, nach dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht erst bei der Vertragsdurchführung, sondern bereits beim Verfassen des Vertragstextes die Interessen ihrer Vertragspartner angemessen zu berücksichtigen hat. Die Rücksichtnahmepflicht resultiert aus der – von der Grundkonzeption BGB abweichenden – einseitigen Inanspruchnahme der Ver­ tragsfreiheit.196 Verfolgt der Verwender in Ausnutzung dieser Freiheit aus­ schließlich seine eigenen Interessen, muss dies wegen des damit einhergehenden Missbrauchs der Vertragsfreiheit die Unwirksamkeit der betreffenden Klauseln nach sich ziehen. Der Vorwurf der missbräuchlichen Ausbeutung einer etwaigen marktbeherrschenden Stellung wurde damit von der höchstrichterlichen Recht­ sprechung durch den Vorwurf der missbräuchlichen Ausbeutung der einseitigen Gestaltungsmacht ersetzt.197 bb)  Reduktion der Erheblichkeitsschwelle Der Austausch der Rechtsgrundlagen gestattete jedoch nicht bloß eine Korrektur des Kontrollzwecks, sondern auch eine gravierende Reduktion der Erheblich­ Europäisches Obligationenrecht, S.  372; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  28; Ulmer/Brandner/Hen­ sen/Habersack, Einl. BGB Rn.  11; Leyens/Schäfer, AcP 210 (2010), 771, 774. 192  Vgl. BGH NJW 1976, 2345, 2346; Niebling/Niebling, Vor §§  305–310 Rn.  15. 193  BGH NJW 1968, 1718, 1720. 194  Klarstellend BGH NJW 1976, 2345, 2346 („Der entscheidende Grund für die verstärkte Inhaltskontrolle von Verträgen mit AGB liegt in der einseitigen Inanspruchnahme des Rechts, den Inhalt der Verträge zu gestalten. […] Die Rechtsprechung des BGH verzichtet deshalb bewußt darauf, ein wirtschaftliches oder intellektuelles Übergewicht aufseiten des Aufstellers der AGB oder die Schutzbedürftigkeit des anderen Vertragspartners festzustellen.“). 195  BGH NJW 1971, 1034, 1035; Erman/Roloff, Vor §  305 Rn.  5. 196  BT-Drucks. 7/3919, S.  9. 197  BGH NJW 1965, 246; BGH NJW 1969, 230; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  29.

VI.  Klauselkontrolle des AGB-Rechts

233

keitsschwelle. Während die Sittenwidrigkeit nämlich eine grobe Interessenver­ letzung von erheblicher Stärke erfordert, die grundsätzlich mit einer subjektiven Vorwerfbarkeit in Erscheinung treten muss, bedarf es für eine Verletzung des Grundsatzes von Treu und Glauben lediglich einer unangemessenen Benachtei­ ligung des Vertragspartners, ohne dass darüber hinaus das Vorliegen etwaiger subjektiver Elemente nachzuweisen wäre.198 Dies geht in der konkreten Rechts­ anwendung so weit, dass die Anknüpfung an §  242 BGB es letztlich gestattete, eine Klauselgerechtigkeitskontrolle am Maßstab des dispositiven Rechts heraus­ zubilden.199 Der BGH leitete diese Entwicklung bereits in einem Urteil aus dem Jahr 1964 ein, in dem er unmissverständlich auf die bereits von Raiser postulierte Ord­ nungs- und Leitbildfunktion des dispositiven Rechts Bezug nahm:200 Danach dient das dispositive Gesetzesrecht nicht nur der Schließung von Vertragslücken, sondern beinhaltet auch einen mit unterschiedlicher Intensität auftretenden Ge­ rechtigkeitsgehalt. Während einige Bestimmungen nur dem Zweck dienen, über­ haupt eine rechtssichere Regelung zu treffen, sind andere Ausdruck eines funda­ mentalen Gerechtigkeitsgebots. Je stärker dieser Gerechtigkeitsgehalt einer Dis­ positivnorm ausgeprägt ist, desto strenger ist der Maßstab, der an die Vereinbarkeit von AGB mit dem Grundsatz von Treu und Glauben anzulegen ist.201 Ergänzt wird dies durch die im Bereich der Seefracht entwickelte Rechtspre­ chung zum Freizeichnungsverbot für sogenannte „Kardinalpflichten“.202 Da­ nach kann die Haftung für Vertragspflichten, deren Beachtung erst die Vorausset­ zung für eine korrekte Vertragserfüllung schaffen, grundsätzlich in keiner Weise beschränkt werden.203 Die Rechtsprechung legte im Ergebnis mit der Anknüpfung der Inhalts­kon­ trolle an den Grundsatz von Treu und Glauben nach §  242 BGB die Weichen für den modernen Geltungsgrund sowie den Kontrollmaßstab des AGBG, das mit der Schuldrechtsreform nahezu wortgleich in das BGB integriert wurde.

198 

BGH BB 1996, 1454, 1457; Palandt/Grüneberg, Überbl. v. §  305 Rn.  15. Leyens/Schäfer, AcP 210 (2010), 771, 775. 200  BGH NJW 1964, 1123; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  30; zur Leitbildfunktion des dispositi­ ven Rechts, vgl. Raiser, Das Recht der AGB, S.  293 ff. 201  BGH NJW 1964, 1123; BGH NJW 1970, 1596; 1598; Leyens/H.-B. Schäfer, AcP 210 (2010), 771, 775; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  30. 202  BGH NJW 1956, 1065, 1067; BGH MDR 1966, 914; Leuschner, AGB-Recht für Verträ­ ge zwischen Unternehmen, S.  18. 203  BGH NJW 1973, 1878; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  31; Leuschner, AGB-Recht für Verträ­ ge zwischen Unternehmen, S.  18. 199 

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B.  Das deutsche Recht

3.  Das AGBG Nachdem sich zahlreiche Beiträge im Schrifttum seit den 1950er Jahren zuneh­ mend für eine klare gesetzliche Regelung aussprachen, läutete die Bundesregie­ rung mit ihrem Bericht zur Verbraucherpolitik vom 18.10.1971 auch auf politi­ scher Ebene das legislative Tätigwerden ein. Im Kern lag diesem Bericht noch die Forderung nach einem reinen Verbraucherschutz gegen missbräuchliche Ver­ tragsklauseln zugrunde.204 Im weiteren Entstehungsprozess des AGBG, welches schließlich im Jahr 1977 in Kraft trat, entschied man sich jedoch bewusst gegen ein auf den Verbraucherschutz beschränktes Kontrollinstrument.205 Generell soll­ te es auf das Bestehen oder den Nachweis einer etwaigen wirtschaftlichen oder intellektuellen Unterlegenheit des Kunden gegenüber dem Verwender von AGB nicht ankommen.206 Das AGBG sollte weder an die typische Unterlegenheit des Verbrauchers noch in sonstiger Weise an den Schutz des Schwächeren anknüp­ fen.207 Im Unterschied zu §  138 BGB sollte die Wirksamkeit von AGB nach §  9 AGBG (jetzt §  307 BGB) in einer „überindividuell generalisierenden, typisieren­ den und von den konkreten Umständen des Einzelfalles absehenden Betrach­ tungsweise“ zu untersuchen sein.208 Zwecks Etablierung eines rechtssicheren Kontrollinstruments sollten die konkreten Umstände des Einzelfalls damit außer Betracht bleiben.209 Der Gesetzgeber brachte dieses Bestreben mit der Begriffs­ definition in §  1 Abs.  1 S.  1 AGBG (jetzt §  305 Abs.  1 S.  1 BGB) unverkennbar zum Ausdruck. Danach handelt es sich bei AGB um „alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Vertragsbedingungen, die eine Vertrags­ partei der anderen Vertragspartei bei Abschluss eines Vertrags stellt.“

Die Definition lässt offenkundig jegliche Bezugnahme auf eine etwaige allge­ meine Imparität zwischen den kontrahierenden Rechtssubjekten oder sonstige

204  Stoffels, AGB-Recht, Rn.  34; Ulmer/Brandner/Hensen/Habersack, Einl. BGB Rn.  13; Kötz, Gutachten für den 50. DJT, A 10; Kötz, JuS 2003, 209, 210. 205  Stoffels, AGB-Recht, Rn.  34, 185, 551; Wendland, Vertragsfreiheit, S.  696; Lieb, AcP 178 (1978), 196 f.; Pawlowski, BB 1978, 161, 163; ausschlaggebend waren dabei die entspre­ chenden Empfehlungen anlässlich des 50. DJT in Hamburg sowie die Erkenntnis, dass die bisherige AGB-Rechtsprechung maßgeblich im unternehmerischen Geschäftsverkehr entwi­ ckelt wurde, vgl. Kötz, Gutachten für den 50. DJT, A 65 ff.; Kötz, JuS 2003, 209, 210. 206  Ulmer/Brandner/Hensen/Habersack, §  305 Rn.  8; Hensen, JA 1981, 133, 134. 207  Ulmer/Brandner/Hensen/Habersack, §  305 Rn.  8; Wackerbarth, AcP 200 (2000), 45, 58; siehe auch Adams, BB 1989, 781, 783 („Die Formel vom ‚Schutz des Schwächeren‘ durch eine AGB-Kontrolle ist somit völlig inhaltslos“). 208  Vgl. BGH BB 1996, 1454, 1457. 209  Vgl. BGH BB 1996, 1454, 1457.

VI.  Klauselkontrolle des AGB-Rechts

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Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls210 vermissen.211 Das Ausgleichs­ bedürfnis der wirtschaftlichen oder intellektuellen Unterlegenheit des Kunden ist also nicht maßgeblich.212 Das AGB-Recht ist insoweit zur Herstellung allgemei­ ner Vertragsgerechtigkeit weder bestimmt noch geeignet.213 Die Marktmacht des Verwenders, die relative Stärke der beteiligten Vertragspartner oder allgemein die Möglichkeit für den Kunden, abweichende Bestimmungen durchzusetzen, entfaltet für die Geltung und Anwendung des AGB-Rechts keine Bedeutung.214 Damit hat sich der Gesetzgeber deutlich gegen die oben geschilderte Mono­ polrechtsprechung des Reichsgerichts positioniert und sich an der von Raiser angestoßenen, vom BGH am Maßstab der Grundsätze von Treu und Glauben entwickelten Rechtsprechung orientiert, wonach der Schutzzweck des AGBRechts darauf abzielt, der mit der Verwendung von AGB typischerweise und unabhängig von einer etwaigen Unausgewogenheit des Kräftegleichgewichts zwischen den Vertragsparteien verbundenen Gefahr einseitiger Ausnutzung der faktischen Vertragsgestaltungsfreiheit zu Lasten des Kunden entgegenzutre­ ten.215 Klar ist damit, dass es für die Geltung des AGB-Rechts im Unterschied zu den guten Sitten nach §  138 BGB nicht nach den Umständen des Einzelfalls darauf ankommt, inwiefern der Vertragspartner des Verwenders intellektuell oder wirt­ schaftlich unterlegen war. Unklar bleibt aber auch nach dem Gesetzeswortlaut sowie seiner Entstehungsgeschichte, weshalb die Gefahren der einseitigen Aus­ nutzung der faktischen Vertragsgestaltungsfreiheit durch den Verwender bei der Ausgestaltung der AGB gegenüber den sonstigen Vertragsbedingungen einer Sonderbehandlung zu unterziehen sind. 210  Anders

bei Verbraucherverträgen, vgl. §  310 Abs.  3 Nr.  3 BGB. Habersack, Drittinteressen, S.  104; Ulmer/Brandner/Hensen/Habersack, Einl. BGB Rn.  51; Hensen, JA 1981, 133, 134; Rabe, NJW 1987, 1978, 1979; a. A. noch LG Köln BB 1987, 87, 88 mit krit. Anm. Timm. 212  Habersack, Drittinteressen, S.  106; Ulmer/Brandner/Hensen/Habersack, Einl. BGB Rn.  5; Hensen, JA 1981, 133, 134; Kötz, JuS 2003, 209, 210; daher kann sich auch ein erfahre­ ner Richter auf den Schutz des AGB-Rechts berufen, BGH NJW 2013, 1668, 1669; vgl. aber die entsprechenden Forderungen aus dem älteren Schrifttum in Lindacher, BB 1972, 296, 297 ff.; Löwe, BB 1972, 185; Nicklisch, BB 1974, 941, 944. 213  Leyens/H.-B. Schäfer, AcP 210 (2010), 771, 788. 214  Stoffels, AGB-Recht, Rn.  88; Ulmer/Brandner/Hensen/Habersack, §  305 Rn.  8, 51; Bunte, NJW 1987, 921, 923 f.; Kötz, JuS 2003, 209, 210; a. A. noch das OLG Frankfurt, in NJW-RR 1986, 895, 897 sowie zurückhaltender in NJW 1979, 985. 215  Vgl. BGH NJW 1994, 2825, 2826; BGH NJW 2010, 1131, 1132; BGH NJW-RR 2013, 1028, 1029; BGH NJW 2014, 2420, 2427; Ulmer/Brandner/Hensen/Habersack, Einl. BGB Rn.  48; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  305 Rn.  1; Hensen, JA 1981, 133, 134; Leuschner, JZ 2010, 875, 878 f. 211 

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4.  Schutz der „situativ“ unterlegenen Vertragspartei? Nach einem im Schrifttum weit verbreiteten Erklärungsansatz soll die AGB-In­ haltskontrolle dem Schutz der „situativ“ unterlegenen Vertragspartei dienen.216 Danach beruht das AGB-Recht auf der Erwägung, dass sich ausschließlich für den Verwender – und gerade nicht für seine Vertragspartner – die vertiefte Aus­ einandersetzung mit dem Vertragsinhalt lohnt und sich dieser aus diesem Grund in der konkreten Vertragssituation in einer vorteilhaften Position befindet. In der Tat können die Großunternehmen des modernen Massenverkehrs ihre AGB ohne Zeitdruck unter Hinzuziehung fachkundigen Rats nach ihren persönlichen Inter­ essen gestalten.217 Der damit verbundenen Kosten- und Zeitaufwand kann auf die beabsichtigte „Vielzahl“ von Vertragsschlüssen verteilt und gerade im Mas­ senverkehr dezimiert werden.218 Noch höher fällt für den Verwender die Kos­ten­ erspar­nis aus, wenn er auf Vertragsformulare zurückgreifen kann, die von Vertre­ tern seiner Interessenrichtung entworfen wurden. Denn in diesem Fall kann der Urheber die mit der Erarbeitung der AGB verbundenen Kosten auf die jeweiligen Interessenten der gesamten Branche aufteilen.219 Der Kunde müsste dagegen den Aufwand für die Untersuchung des Vertrags­ inhalts auf den einzelnen Vertragsschluss konzentrieren.220 Dies führt im Ergeb­ nis dazu, dass sich nur für den Verwender die vertiefte Auseinandersetzung mit dem Klauselwerk rentiert.221 Hinzu kommt, dass der Klauselgegner auch dann, wenn er sich vertieft mit dem Klauselwerk auseinandersetzen würde, nicht von einer Verhandlungsbereit­ schaft des Verwenders ausgehen dürfte.222 Jener kann nämlich seine Kosten nur dann durch die Verwendung von AGB senken, wenn sie auch tatsächlich in un­ veränderter Form gegenüber dem Kundenkreis zum Einsatz kommen (Verein­ heitlichungsinteresse).223 Nur auf diese Weise kann der konkrete Vertragsab­ schluss kostenschonend auch auf Angestellte delegiert werden, die nicht über 216 Vgl. die Bezugnahme auf die „situative Unterlegenheit“ in Fuchs, in: Festschrift für Blaurock, S.  91, 95; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  89; Leuschner, AcP 207 (2007), 491, 496; Lieb, AcP 178 (1978), 196, 201; Wackerbarth, AcP 200 (2000), 45, 55; angestoßen wurde der Erklä­ rungsansatz wohl von Kötz in seinem Gutachten für den 50. DJT, A 31 ff. 217  Stoffels, AGB-Recht, Rn.  83; Leuschner, AcP 207 (2007), 491, 495; Nicklisch, BB 1974, 941, 944. 218 Vgl. Habersack, Drittinteressen, S.  107; Lindacher, JZ 1981, 131 f. 219 Vgl. Leuschner, AcP 207 (2007), 491, 522. 220 Vgl. Brandhoff, Individualvertrag, S.  22. 221  Leuschner, JZ 2010, 875, 878 („Transaktionskostenasymmetrie“); Lindacher, JZ 1981, 131 f.; Maier-Reimer, NJW 2017, 1, 2. 222  Lindacher, JZ 1981, 131. 223  Posner, Economic analysis of law, S.  115.

VI.  Klauselkontrolle des AGB-Rechts

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vertiefte Rechtskenntnisse verfügen oder gar gänzlich ohne Personaleinsatz er­ möglicht werden, wie dies insbesondere bei Vertragsschlüssen über das Internet üblich ist. Daher geht der Verwender typischerweise nicht auf Änderungswün­ sche seines Kundenkreises ein, was eine entsprechende Verengung der Vertrags­ freiheit des Kunden nach sich zieht, der den Vertrag letztlich nur als Ganzes an­ nehmen oder ablehnen kann. Entscheidend ist nach diesem Erklärungsansatz, dass die Abnehmer bei typi­ sierender Betrachtung einen im Vergleich zum Verwender höheren Aufwand be­ treiben müssten, um sich die vertragsrelevanten Informationen zu erschließen und sich dieser Aufwand im Zweifel auch nicht lohnt, weil sich der Verwender nur rational verhalten kann, wenn er sich nicht verhandlungsbereit zeigt.224

5.  Kritische Würdigung Diesem Erklärungsansatz kann trotz seiner durchaus verlockenden Argumente nicht gefolgt werden. Er basiert nämlich auf der theoretischen Annahme, dass die AGB-Inhaltskontrolle ausschließlich Verträge erfasst, in denen ein Unternehmen mit ausgefeilten Vertragsformularen einem Verbraucher im Massenverkehr ge­ genübersteht. Dies entspricht indes nicht dem Willen des Gesetzgebers, das AGB-Recht auch auf die Rechtsbeziehungen zwischen Privaten sowie zwischen Unternehmern zu erstrecken. Deutlich wird die Bedeutungslosigkeit einer etwaigen „situativen“ Unterle­ genheit des Vertragspartners in einem Urteil des BGH aus dem Jahr 2003, dem eine Haftungsausschlussklausel in einem Ingenieurvertrag zugrunde lag, die mehrfach gegenüber demselben Vertragspartner zum Einsatz kam. Der BGH stellte dabei klar, dass sich weder aus dem Wortlaut noch aus der Entstehungsge­ schichte des §  1 Abs.  1 AGBG (jetzt §  305 Abs.  1 S.  1 BGB) eine einschränkende Auslegung entnehmen lässt, dass „eine Verwendung gegenüber verschiedenen Vertragspartnern“ erforderlich ist.225 Dies ist aber nur dann überzeugend, wenn der Regelungszweck des AGB-Rechts nicht im Schutz der „situativ“ unterlege­ nen Vertragspartei liegt. Der BGH hätte also der AGB-Inhaltskontrolle bei tat­ sächlicher Relevanz eines solchen Regelungsanliegens die Anwendbarkeit in 224 

MünchKomm/Basedow, Vorb. §§  305–310 Rn.  5 spricht insoweit zutreffend von einem Motivationsgefälle; siehe auch Fuchs, in: Festschrift für Blaurock, S.  91, 95 („Kompensation typischer Funktionsdefizite des Marktmechanismus aufgrund von prinzipiell nicht überwind­ baren Informationsasymmetrien zwischen Klauselverwender und Vertragspartner“); ebenso Stoffels, AGB-Recht, Rn.  89; Kötz, JuS 2003, 209, 212; Leuschner, AcP 207 (2007), 491, 496; Leyens/H.-B. Schäfer, AcP 210 (2010), 771, 782 ff.; Lindacher, JZ 1981, 131. 225  BGH NJW 2004, 1454, 1455; bestätigt durch BAG BB 2006, 1282, 1283; siehe auch die Ablehnung der „situativen Unterlegenheit“ in BGH NJW 2017, 2986, 2991.

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B.  Das deutsche Recht

dem zu entscheidenden Fall versagen müssen, da die vertiefte Auseinanderset­ zung mit der Haftungsklausel für beide Vertragsparteien der gleichen Kos­tenNutzen-Proportion unterlag, eine entsprechende „situative“ Unterlegenheit des Abnehmers mangels Vorliegens einer Transaktionskostenasymmetrie mithin ausgeschlossen war.

6.  Die Ausdehnung des normativen Geltungsbereichs durch die Rechtsprechung des BGH a) Einleitung Im Folgenden wird zu untersuchen sein, wie die Rechtsprechung des BGH den Bedürfnissen des unternehmerischen Geschäftsverkehrs bei der Eingrenzung des Geltungsbereichs des AGB-Rechts gerecht wird. Dabei wird zu zeigen sein, dass der BGH insoweit bisher keine einheitliche Linie verfolgte, sondern vielmehr, bedingt durch die weite Legaldefinition des AGB-Begriffs und beeinflusst von den unterschiedlichen Strömungen in der Literatur, gelegentlich auch die intel­ lektuelle, wirtschaftliche oder „situative“ Unterlegenheit einer Vertragspartei als Rechtfertigung der AGB-Inhaltskontrolle heranzog. Dies führte im Ergebnis zu der im Schrifttum scharf kritisierten, kontinuierlichen Erweiterung des normati­ ven Geltungsbereichs des AGB-Rechts. b)  Die formellen Definitionsmerkmale des AGB-Begriffs Eine Klausel ist nach der Rechtsprechung des BGH vorformuliert, wenn sie vom Verwender nicht erst anlässlich des konkreten Vertragsschlusses entworfen wur­ de, sondern ständig benutzt wird oder jedenfalls als Grundlage für gleichartige Rechtsverhältnisse aufgestellt wurde.226 Diesem Kriterium genügen alle zur künftigen Verwendung entworfenen Klauseln, die nicht spontan anlässlich einer konkreten Vertragsverhandlung geschaffen wurden. Auf welche Weise die jewei­ lige Klausel vorformuliert oder in den Vertragstext aufgenommen wurde, ist da­ gegen unerheblich. Denkbar ist insoweit der Rückgriff auf ein Formularhand­ buch oder die Verwendung eines in elektronischer Form gespeicherten Textbau­ steins.227 Selbst eine nur „im Kopf des Verwenders“ gespeicherte Klausel erfüllt die Anforderungen an die Vorformulierung.228 Zudem ist nach §  305 Abs.  1 S.  2 BGB gleichgültig, ob

226 

BGH NJW 1996, 249, 250; Ulmer/Brandner/Hensen/Habersack, §  305 Rn.  21. Schiffer/Weichel, BB 2011, 1283. 228  BGH NJW 1988, 410; BGH NJW 1999, 2180, 2181; BGH NJW-RR 2014, 1133, 1134. 227 

VI.  Klauselkontrolle des AGB-Rechts

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„die Bestimmungen einen äußerlich gesonderten Bestandteil des Vertrags bilden oder in die Vertragsurkunde selbst aufgenommen werden, welchen Umfang sie haben, in welcher Schrift­ art sie verfasst sind und welche Form der Vertrag hat“.

Dabei muss die Vorformulierung der Klausel nicht zwangsläufig durch den Ver­ wender selbst oder in seinem Auftrag erfolgt sein. Vielmehr kann die Klausel auch von einem beliebigen Dritten verfasst worden sein, wie dies insbesondere bei der Heranziehung von Vertragsmustern der Fall ist.229 Ebenso macht es bei der Beurteilung der Frage, unter welchen Voraussetzun­ gen von einer „Vielzahl“ von Verträgen die Rede sein kann, keinen Unterschied, ob die für dieses Tatbestandsmerkmal erforderliche Mehrfachverwendungsab­ sicht beim Verwender selbst oder bei einem Dritten zutage getreten ist.230 Wenn man nun bedenkt, dass in der Praxis schon sämtliche für den Geschäftsverkehr relevanten Klauseltypen in irgendeiner Form in irgendeinem Kontext mehrfach zum Einsatz kommen sollten und damit im Sinne der Rechtsprechung des BGH „für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert“ wurden, wird deutlich, dass die formalen Definitionskriterien des AGB-Begriffs nicht geeignet sind, den Gel­ tungsbereich der AGB-Inhaltskontrolle einzuschränken.231 c)  Die materiellen Definitionsmerkmale des AGB-Begriffs aa) Abgrenzungsproblem Daher kann allein den materiellen Bestandteilen der AGB-Legaldefinition in ­Gestalt des „Stellens“ sowie des „Aushandelns“ eine für die sinnvolle Eingren­ zung des Geltungsbereichs der AGB-Inhaltskontrolle ausschlaggebende Rolle zukommen. Ausweislich der in §  305 Abs.  1 S.  1 BGB normierten Legaldefinition findet das AGB-Recht nur dann Anwendung, wenn der Klauselgegner nachweist, dass die zu untersuchende Vertragsbedingung vom Verwender „gestellt“ wurde. Dem Verwender gestattet §  305 Abs.  1 S.  3 BGB, die Anwendbarkeit des AGB-Rechts

229  BGH NJW 2010, 1131; BGH NJW-RR 2017, 137, 138; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  121; Ulmer/Brandner/Hensen/Habersack, §  305 Rn.  21; denkbar ist sogar die Vorformulierung durch den Vertragspartner, vgl. Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  305 Rn.  30. 230  Stoffels, AGB-Recht, Rn.  127. 231  So im Ergebnis auch Kästle, NZG 2014, 288 f.; Leuschner, JZ 2010, 875, 876; speziell für Unternehmenskaufverträge Leuschner, AcP 207 (2007), 491, 517 und für den Rückgriff auf „kanzleiinterne Muster“ Schiffer/Weichel, BB 2011, 1283; dies wird dadurch verstärkt, dass keine exakte sprachliche Übereinstimmung gefordert wird, sondern vielmehr allein eine inhalt­ liche Betrachtung maßgeblich ist, vgl. BGH NJW 1998, 2600, 2601; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  120 m. w. N.; Brandhoff, Individualvertrag, S.  19; Heinrichs, NJW 1977, 1505, 1506.

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B.  Das deutsche Recht

auf seine Vertragsklauseln abzuwenden, soweit ihm der Nachweis gelingt, dass diese „zwischen den Vertragsparteien im Einzelnen ausgehandelt sind“.232 Beide Tatbestandsmerkmale haben offenkundig gemein, dass sie Anforderun­ gen an das Verhalten der Vertragsparteien anlässlich der konkreten Vertrags­ schlusssituation enthalten. Umstritten ist hingegen die präzise Abgrenzung der jeweiligen Funktionen. bb)  Die Zurechnungsfunktion des „Stellens“ Laut der amtlichen Begründung zum RegE liegt in der mit der Legaldefinition „zum Ausdruck gebrachten Einseitigkeit der Auferlegung der innere Grund und Ansatzpunkt für die rechtliche Sonderbehandlung von AGB gegenüber Individualabreden. AGB werden zwischen den Vertragsparteien nicht ausgehandelt, sondern von einer Vertragspartei fertig in den Vertrag eingebracht. Der andere Vertragsteil, der mit einer solchen Regelung konfrontiert wird, kann auf ihre Ausgestaltung gewöhnlich keinen Einfluß nehmen.“233

Daraus wurde zunächst teilweise der Schluss gezogen, dass unter „Stellen“ schlichtweg das Gegenteil zum „Aushandeln“ zu verstehen sei.234 Eine Vertrags­ bedingung sei also gestellt, wenn sie nicht ausgehandelt wurde. Dies wiederum könne nur angenommen werden, wenn der Verwender dem Kunden ohne reale Verhandlungsbereitschaft oder aufgrund entsprechender Machtposition die ent­ sprechenden Klauseln einseitig auferlegt oder aufzwingt.235 Eine solche Ausle­ gung kann schon vor dem Hintergrund nicht überzeugen, dass dadurch das nega­ tive Tatbestandsmerkmal des „Aushandelns“ in §  305 Abs.  1 S.  3 BGB ausge­ höhlt würde, da dessen materieller Regelungsgehalt bereits in §  305 Abs.  1 S.  1 BGB vollständig enthalten wäre.236 Zudem spricht die Fiktion des Stellens in

232  Zur

Verteilung der Darlegungs- und Beweislast, vgl. die Darstellung in der RegBegr. Gesetzentwurf AGBG, BT-Drucks. 7/3919, S.  16; Palandt/Grüneberg, §  305 Rn.  23; Wolf/ Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  305 Rn.  30. 233  RegBegr. Gesetzentwurf AGBG, BT-Drucks. 7/3919, S.  15, im Schuldrechtsmodernisie­ rungsgesetz bestätigt, vgl. BT-Drucks. 14/6040, S.  150. 234 Vgl. Pawlowski, BB 1978, 161; weitere Nachweise bei Willemsen, NJW 1982, 1121, 1123; siehe auch BGH NJW-RR 2014, 937 („Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass Ver­ tragsbedingungen nach §  305 I 3 BGB im Einzelnen ausgehandelt und damit nicht gestellt wurden, obliegt dem Verwender“). 235  Heinrichs, NJW 1977, 1505, 1507; Kästle, NZG 2014, 288, 289 ff.; Kaufhold, ZIP 2010, 631, 632; Lischek/Mahnken, ZIP 2007, 158, 161 f.; Pawlowski, BB 1978, 161, 164; Maier-Reimer/Niemeyer, NJW 2015, 1713, 1717 f. für Unternehmenskaufverträge. 236  Jaeger, NJW 1979, 1569, 1571 f.; Willemsen, NJW 1982, 1121, 1123; Ulmer/Brandner/ Hensen/Habersack, §  305 Rn.  26.

VI.  Klauselkontrolle des AGB-Rechts

241

§  310 Abs.  3 Nr.  1 BGB bei Verbraucherverträgen gegen das Erfordernis einsei­ tiger Durchsetzung.237 Eine kohärente Gestaltung des normativen Geltungsbereichs erscheint daher nur möglich, wenn Aspekte, die dem Vertragsverhandlungsvorgang zuzurechnen sind, aus der Definition des „Stellens“ i. S. d. §  305 Abs.  1 S.  1 BGB ausgeklam­ mert werden. Dann kann diesem Tatbestandsmerkmal jedoch lediglich eine ob­ jektive Zurechnungsfunktion verbleiben, während die „einseitige Durchsetzung“ oder „zwangsweise Auferlegung“ allenfalls für die (subjektive) Vorstellung des Verwenders von Bedeutung sein kann. Der Begriff dient folglich allein der Be­ stimmung der Vertragspartei, die als Verwender der AGB auftritt.238 Diesem Umstand Rechnung tragend werden Vertragsbedingungen nach inzwischen na­ hezu einhelliger Ansicht „gestellt“, wenn diese auf Initiative einer Partei in die Verhandlungen eingebracht und ihre Verwendung zum Vertragsabschluss ver­ langt wird.239 Der einseitige Wunsch einer Partei, bestimmte von ihr bezeichne­ te vorformulierte Vertragsbedingungen zu verwenden, ist grundsätzlich ausrei­ chend.240 Unerheblich ist dabei, von wem die vorformulierten Vertragsbedin­ gungen entworfen wurden.241 So kann eine Vertragspartei sogar als Verwenderin einer Klausel auftreten, die von der Gegenseite entworfen wurde. Ferner ist un­ erheblich, ob der Verwender trotz seines Verwendungsbegehrens bereit ist, über die Klausel zu verhandeln oder ob allgemein zwischen den Vertragsparteien ein wirtschaftliches Ungleichgewicht besteht.242 Eine Klausel ist nur dann nicht mehr als „gestellt“ anzusehen, wenn sie nicht mehr eindeutig einer Partei zuge­ ordnet werden kann. Diese Schwelle ist überschritten, wenn sich die Einbezie­ hung der Klausel als das Ergebnis einer freien Entscheidung desjenigen darstellt, der mit dem Verwendungsvorschlag konfrontiert wird.243 Erforderlich hierfür Ulmer/Brandner/Hensen/Habersack, §  305 Rn.  26; Heinrichs, NJW 1996, 2190, 2192; a. A. Kästle, NZG 2014, 288, 290. 238  Erman/Roloff, §  305 Rn.  12. 239  BGH NJW 2010, 1131, 1132; BGH NJW-RR 2014, 937; BGH NJW 2016, 1230, 1231; Erman/Roloff, §  305 Rn.  12; Palandt/Grüneberg, §  305 Rn.  10; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  132; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  305 Rn.  30. 240  BGH NJW 2016, 1230, 1231; so im Ergebnis auch schon Hensen, JA 1981, 133, 135. 241  BGH NJW-RR 2013, 1028, 1029; BGH NJW-RR 2014, 937; Erman/Roloff, §  305 Rn.  12; Niebling/Niebling, §  305 Rn.  55; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  134; Ulmer/Brandner/Hen­ sen/Habersack, §  305 Rn.  26; vgl. auch Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  305 Rn.  30, der in­ soweit das „Aufstellen“ im Sinne eines Verfassens vom bloßen „Stellen“ im Sinne eines Ein­ bringens unterscheidet. 242  BGH NJW 2010, 1131 f.; BGH NJW-RR 2014, 937; Erman/Roloff, §  305 Rn.  12; Pa­ landt/Grüneberg, §  305 Rn.  10; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  137; Ulmer/Brandner/Hensen/Habersack, §  305 Rn.  27; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  305 Rn.  30. 243  BGH NJW 2010, 1131, 1133; BGH NJW-RR 2014, 937; BGH NJW 2016, 1230, 1231; BGH NJW-RR 2017, 210, 211; BGH NJW 2017, 2346; Erman/Roloff, §  305 Rn.  12; Palandt/ 237 

242

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ist, dass diese Vertragspartei in der Auswahl der in Betracht kommenden Vertrag­ stexte frei ist und insbesondere Gelegenheit erhält, alternativ eigene Textvor­ schläge mit der effektiven Möglichkeit ihrer Durchsetzung in die Verhandlungen einzubringen.244 Der andere Teil muss also die Vertragsbedingungen kennen und unabhängig vom Vorschlag des Verwenders deren Einbeziehung wünschen.245 Dies betrifft insbesondere Handelsbräuche, die unabhängig von einem etwaigen Angebot einer Vertragspartei bereits kraft gesetzlicher Verweisung nach §  346 HGB Geltung beanspruchen.246 Dem AGB-Recht ist also dann die Anwendbar­ keit zu versagen, wenn es vorrangig vom Zufall abhängt, wer das Vertragsformu­ lar hinzugezogen hat, auf dessen Grundlage die Vertragsverhandlung stattfin­ det.247 Vor diesem Hintergrund können logischerweise niemals beide Parteien als Verwender einer Klausel auftreten.248 Letztlich knüpft die höchstrichterliche Rechtsprechung damit auch an das Tat­ bestandsmerkmal des „Stellens“ nur sehr niedrige Anforderungen, indem sie die­ sem allein die Funktion zuweist, die Person des Verwenders zu bestimmen. Es ist durchaus zu erwarten, dass die Cour de cassation der ähnlichen Formulierung in Art.  1110 Abs.  2 C. civ., wonach die Klauseln „déterminées à l’avance“ sein müs­ sen, die gleiche Funktion zuweisen wird. cc)  Die Anforderungen an den Nachweis des „Aushandelns“ (1)  Relevanz und Wertungsunterschiede zum contrat d’adhésion Die Konsequenz der nur begrenzten Funktion des „Stellens“ ist, dass Raum für die ausschlaggebende Abgrenzung des AGB-Begriffs von der Individualabrede entscheidend in der Auslegung des vom Verwender zu beweisenden „Aushan­ delns“ nach §  305 Abs.  1 S.  3 BGB verbleibt. Danach kann der Verwender die Anwendbarkeit des strengen Regimes des AGB-Rechts abwenden, „soweit die Vertragsbedingungen zwischen den Vertragsparteien im Einzelnen ausgehandelt sind“.249 Grüneberg, §  305 Rn.  10; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  144a; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  305 Rn.  30. 244  BGH NJW 2010, 1131, 1133; BGH NJW-RR 2014, 937; BGH NJW 2016, 1230, 1231; BGH NJW 2017, 2346 f.; Erman/Roloff, §  305 Rn.  12; Palandt/Grüneberg, §  305 Rn.  10; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  144a; Ulmer/Brandner/Hensen/Habersack, §  305 Rn.  29. 245  Niebling/Niebling, §  305 Rn.  56. 246  Zu den als Handelsbrauch geltenden Tegernseer Gebräuchen für die Vermittlung von Holzgeschäften, vgl. BGH NJW-RR 1987, 94, 95. 247  Stoffels, AGB-Recht, Rn.  144a; Ulmer/Brandner/Hensen/Habersack, §  305 Rn.  29. 248  Vgl. BGH NJW 2010, 1131, 1133; Erman/Roloff, §  305 Rn.  12; Palandt/Grüneberg, §  305 Rn.  13. 249  Ulmer/Brandner/Hensen/Habersack, §  305 Rn.  45 m. w. N. aus der Rspr.

VI.  Klauselkontrolle des AGB-Rechts

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In formeller Hinsicht werden hier bereits zwei Unterschiede zu den Anforde­ rungen an das Vorliegen eines contrat d’adhésion in Art.  1110 Abs.  2 C. civ. deut­ lich, die im Gegensatz zum Begriffspaar „stellen“ und „déterminées à l’avance“ keiner identischen Auslegung zugänglich sind: Zunächst indiziert das Tatbestandsmerkmal des Aushandelns gegenüber der bloßen Verhandelbarkeit (négociable) in Art.  1110 C. civ. in der Fassung seit dem 01.10.2018 das Erfordernis einer tatsächlichen Diskussion zwischen den Ver­ tragsparteien. Dies bestätigen auch zahlreiche Urteile zur AGB-Inhaltskontrolle, in denen der BGH klarstellt, dass ein Aushandeln mehr als ein Verhandeln erfor­ dert.250 Im Unterschied zur bloßen Verhandlung legt der Begriff des Aushan­ delns nach Löwe sogar den Eintritt eines Verhandlungserfolges nahe, der sich in einer tatsächlichen Einflussnahme beider Vertragsparteien auf die Gestaltung der Vertragsklausel niedergeschlagen haben muss.251 Daneben muss nach französischen Recht „eine Gesamtheit von Klauseln“ un­ verhandelbar sein, während das BGB einen klauselbezogenen Ansatz wählt, wo­ nach es nicht auf das Vorliegen eines „AGB-Vertrages“ ankommt, sondern jede Klausel für sich genommen zu untersuchen ist. Eine Analyse der deutschen Rechtsprechungsentwicklung zum Tatbestands­ merkmal des „Aushandelns im Einzelnen“ verdeutlicht die aus Unternehmer­ sicht missliche Intensivierung der Anforderungen an den Nachweis einer Indivi­ dualabrede sowie die damit einhergehende Ausdehnung des Geltungsbereichs des AGB-Rechts auf sämtliche Bereiche des unternehmerischen Geschäftsver­ kehrs aufgrund der Ungewissheiten im Hinblick auf den normativen Geltungs­ zweck.252 (2)  Die zwei Stufen des Aushandelns (a)  Erläuterung des Klauselinhalts Ein „Aushandeln“ soll jedenfalls bei umfangreichen oder nicht leicht verständli­ chen Klauseln voraussetzen, dass der Verwender die andere Vertragspartei über den Inhalt und die Tragweite der Klausel im Einzelnen belehrt hat oder auf sons­ 250  BGH NJW 2000, 1110, 1111; BGH NJW 2005, 2543, 2544; BGH NJW 2013, 856; BGH NJW 2013, 2027, 2028; BGH NJW 2014, 1725, 1727; BGH NJW 2015, 1952, 1953; diese Feststellung basiert auf der Ablehnung des Rechtausschusses des Bundestages vom 05.05.1976, das Wort „aushandeln“ durch „verhandeln“ oder „vereinbaren“ zu ersetzen, weil die letztge­ nannten Formulierungen zu milde seien, vgl. Heinrichs, NJW 1977, 1505, 1508. 251  Löwe, NJW 1977, 1328, 1329; a. A. Jaeger, NJW 1979, 1569, 1570; Wackerbarth, AcP 200 (2000), 45, 82. 252  So auch Brandhoff, Individualvertrag, S.  1; Leuschner, AGB-Recht für Verträge zwi­ schen Unternehmen, S.  136.

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B.  Das deutsche Recht

tige Weise erkennbar geworden ist, dass der andere Vertragspartner deren Sinn wirklich erfasst hat.253 Nur so soll auch gewährleistet sein, dass der vorformulier­ te Vertragsinhalt nicht nur vom Verwender, sondern ebenso vom Kunden in sei­ nen „rechtsgeschäftlichen Gestaltungswillen“ aufgenommen worden ist, also als Ausdruck seiner rechtsgeschäftlichen Selbstbestimmung und Selbstverantwor­ tung angesehen werden kann.254 (b)  Einflussnahmemöglichkeit des Klauselgegners (aa)  Unzulänglichkeit der bloßen Aufklärung Jedoch reicht nach der Rechtsprechung des BGH selbst die eingehende Erörte­ rung der einzelnen Konditionen sowie die Belehrung über die bei allen denkba­ ren Fallgestaltungen eintretenden Rechtsfolgen allein für die Annahme einer In­ dividualvereinbarung auch dann nicht aus, wenn sie den Vorstellungen des Kun­ den entsprechen.255 Dies wird damit begründet, dass die prägende Wirkung des vorformulierten Textes und die damit für den anderen Teil verbundenen Gefah­ ren nicht beseitigt werden.256 Besondere Hinweise auf oder Informationen über bestimmte Nebenbedingungen sollen lediglich den überraschenden Charakter belastender Klauseln i. S. d. §  305c Abs.  1 BGB beseitigen, ohne sie zugleich der Inhaltskontrolle zu entziehen.257 (bb)  Aktives Angebot der Verhandlungsbereitschaft Der Verwender muss zusätzlich zu erkennen geben, dass er auch eine „aktive Einflussnahme“ seines Vertragspartners auf den Klauselinhalt akzeptieren wür­ de.258 Ein Aushandeln und damit eine Individualabrede liegt nach der ständigen Rechtsprechung des BGH nur dann vor, wenn der Verwender „den gesetzesfremden Kerngehalt seiner AGB, also die den wesentlichen In­ halt der gesetzlichen Regelung ändernden oder ergänzenden Bestimmungen, in­ Stoffels, AGB-Recht, Rn.  148; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  305 Rn.  37. BGH NJW 2005, 2543, 2544; Ulmer/Brandner/Hensen/Habersack, §  305 Rn.  48; Wolf/ Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  305 Rn.  36. 255  Vgl. BGH NJW 2000, 1110, 1111; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  305 Rn.  37; a. A. Wackerbarth, AcP 200 (2000), 45, 84. 256  Ulmer/Brandner/Hensen/Habersack, §  305 Rn.  49; anders noch die RegBegr. Gesetzent­ wurf AGBG, BT-Drucks. 7/3919, S.  17, dem zufolge der Nachweis des Aushandelns allein voraussetzen sollte, dass der Kunde „eingehend und unmißverständlich“ über den Inhalt und die rechtliche Tragweite der Klausel aufgeklärt wurde. 257  Habersack, in: Festschrift für Köhler, S.  209, 214; Fuchs, in: Festschrift für Blaurock, S.  91, 98. 258  BGH NJW 1977, 624, 625. 253  254 

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haltlich ernsthaft zur Disposition stellt und dem Verhandlungspartner Gestal­ tungsfreiheit zur Wahrung eigener Interessen einräumt mit zumindest der realen Möglichkeit, die inhaltliche Ausgestaltung der Vertragsbedingungen zu beein­ flussen“.259 Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um einen Verbraucher- oder Unterneh­ mervertrag handelt.260 (cc)  Bereitschaft zur Änderung einzelner Klauseln Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, muss sich der Verwender deutlich und ernsthaft zur Änderung einzelner Klauseln bereit erklären.261 Dem allgemei­ nen Hinweis, dass alle Vertragsbedingungen zur Disposition stehen, fehlt somit die notwendige Konkretisierung im Hinblick auf den Kerngehalt der einzelnen Klauseln.262 Diese Eingrenzung erschließt sich bereits aus dem Wortlaut des §  305 Abs.  1 S.  3 BGB, wonach eine Klausel nur dann nicht als AGB zu qualifi­ zieren ist, „soweit“ sie zwischen den Vertragsparteien „im Einzelnen“ ausgehan­ delt wurde.263 Die entsprechenden Umstände sind vom Verwender darzulegen.264 Gleiches gilt für eine vom Kunden unterzeichnete Bestätigung, wonach alle Klauseln zur Disposition gestanden hätten.265 (dd)  Entbehrlichkeit der tatsächlichen Abänderung Bei der Beurteilung der Frage, ob der Verwender eine Klausel hinreichend zur Disposition gestellt hat, um ihr den Charakter einer Individualabrede zu verlei­ hen, sind im Wesentlichen zwei Konstellationen zu unterscheiden: 259 

BGH NJW 2000, 1110, 1111; BGH NJW 2005, 2543, 2544; BGH NJW 2013, 856; BGH NJW 2013, 2027, 2028; BGH NJW 2014, 1725, 1727; BGH NJW 2015, 1952, 1953; BGH BB 2017, 2066; Erman/Roloff, §  305 Rn.  18; MünchKomm/Basedow, §  305 Rn.  35; Niebling/ Niebling, §  305 Rn.  67; Palandt/Grüneberg, §  305 Rn.  20; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  148; Ul­ mer/Brandner/Hensen/Habersack, §  305 Rn.  47 m. w. N. aus der Rspr.; Wolf/Lindacher/Pfeif­ fer/Pfeiffer, §  305 Rn.  38, 40. 260  BGH BB 2018, 1802, 1803. 261  BGH NJW 2013, 856; BGH NJW 2014, 1725, 1727; BGH NJW 2015, 1952, 1953; Fuchs, in: Festschrift für Blaurock, S.  91, 93; Ulmer/Brandner/Hensen/Habersack, §  305 Rn.  50 m. w. N. 262  BGH NJW-RR 2005, 1040, 1041; BGH NJW 2014, 1725, 1727; BGH NJW 2015, 3025, 3026; BGH BB 2018, 1802, 1803; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  148; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/ Pfeiffer, §  305 Rn.  37, 40. 263  Palandt/Grüneberg, §  305 Rn.  18; a. A. Maier-Reimer/Niemeyer, NJW 2015, 1713, 1717; Maier-Reimer, NJW 2017, 1, 2. 264  BGH NJW 2014, 1725, 1727; BGH NJW 2015, 1952, 1953; BGH BB 2018, 1802, 1803. 265  Vgl. Palandt/Grüneberg, §  305 Rn.  21; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  305 Rn.  36 ff.

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B.  Das deutsche Recht

Kommt es zu einer tatsächlichen Revidierung der vorformulierten Klausel, so soll sich hierin in aller Regel die erforderliche Abänderungsbereitschaft nieder­ schlagen.266 Dies ist allerdings keine notwendige Bedingung des „Aushan­ delns“. Andernfalls käme nämlich §  305 Abs.  1 S.  3 BGB lediglich eine klarstel­ lende Funktion zu. Die nach dem materiellen Kerngehalt abgeänderte Klausel würde nämlich ohnehin nicht mehr unter die Legaldefinition des §  305 Abs.  1 S.  1 BGB fallen, da sie möglicherweise bereits nicht „vorformuliert“, jedenfalls aber nicht „gestellt“ wäre.267 Das Vorliegen der Definitionsmerkmale des §  305 Abs.  1 S.  1 BGB ist aber nach der gesetzgeberischen Intention eine unabdingbare Voraussetzung für die Anwendbarkeit des §  305 Abs.  1 S.  3 BGB.268 Entspre­ chend der inzwischen gefestigten Rechtsprechung des BGH beinhaltet §  305 Abs.  1 S.  3 BGB sinnvollerweise daher eine Einschränkung des materiellen AGB-Begriffs.269 Um einen Wertungswiderspruch zu vermeiden, soll das Aus­ handeln nicht voraussetzen, dass die zu untersuchende Klausel tatsächlich abge­ ändert wurde.270 In diesem Fall sind jedoch an das „Aushandeln im Einzelnen“ verschärfte Anforderungen zu stellen.271 Bei unverändertem Text kann nur unter besonderen Umständen ein Aushandeln vorliegen, wenn sich die andere Ver­ tragspartei nach gründlicher Erörterung von der Sachgerechtigkeit der Regelung überzeugt hat und ihr zustimmt.272 Dabei sollen alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sein, vor allem die intellektuellen Fähigkeiten und die beruf­

266  Vgl. BGH NJW 2000, 1110, 1112; BGH NJW 2013, 856; BGH NJW 2015, 1952, 1953; BGH NJW 2015, 3025, 3026; BGH BB 2018, 1802, 1803; Erman/Roloff, §  305 Rn.  20; Habersack, in: Festschrift für Köhler, S.  209, 216; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  148; Ulmer/Brandner/ Hensen/Habersack, §  305 Rn.  47; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  305 Rn.  38, 40; dies soll dann nicht der Fall sein, wenn die nachteilige Wirkung der Klausel durch die Änderung ledig­ lich abgeschwächt wird, vgl. BGH NJW 2015, 1952, 1953 und BGH NZM 2016, 408 m. Anm. Kappus, oder unselbständig ergänzt wird, vgl. NJW 1992, 2283, 2285; siehe auch Braun, BB 1979, 689, 692, Lischek/Mahnken, ZIP 2007, 158, 160, Michalski/Römermann, ZIP 1993, 1434, 1439, die Individualvereinbarung sogar nur bei textlicher Änderung der AGB annehmen. 267  Siehe die detaillierte Begründung in BGH NJW 1977, 624, 625; ebenso Jaeger, NJW 1979, 1569, 1572; Kessel/Jüttner, BB 2008, 1350, 1351; für Unternehmenskaufverträge Leusch­ner, AcP 207 (2007), 491, 518 ff.; a. A. Braun, BB 1979, 689, 693. 268  RegBegr. Gesetzentwurf AGBG, BT-Drucks. 7/3919, S.  17. 269  Habersack, in: Festschrift für Köhler, S.  209, 211 m. w. N.; Kessel/Jüttner, BB 2008, 1350, 1351. 270  BGH NJW 1992, 2283, 2285; BGH NJW 2013, 2027, 2028; MünchKomm/Basedow, §  305 Rn.  39; Ulmer/Brandner/Hensen/Habersack, §  305 Rn.  41. 271  Habersack, in: Festschrift für Köhler, S.  209, 212. 272  BGH NJW 2000, 1110, 1112; BGH NJW 2003, 1805, 1807; BGH NJW 2013, 856; BGH NJW 2013, 2027, 2028; BGH NJW 2015, 1952, 1953; BGH NJW 2015, 3025, 3026; Erman/ Roloff, §  305 Rn.  20; Palandt/Grüneberg, §  305 Rn.  20.

VI.  Klauselkontrolle des AGB-Rechts

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liche Position des Verhandlungspartners sowie das Bestehen oder Fehlen eines wirtschaftlichen Machtgefälles.273 (ee)  Berücksichtigungsfähigkeit der Besonderheiten des unternehmerischen Geschäftsverkehrs? Dem Schiedsspruch eines ICC-Schiedsgerichts zufolge sollen auch die Beson­ derheiten der kaufmännischen Praxis zu den Umständen zählen, die das Aushan­ deln einer Klausel nahelegen. So sei zwischen Kaufleuten auch bei unveränderter Übernahme der Vertragsbedingungen grundsätzlich das Aushandeln zu bejahen, da diese angesichts der geschäftsmäßigen Eile regelmäßig stillschweigend darü­ ber einig seien, dass über jede Klausel angemessen verhandelt werden kann.274 Generell tendieren Schiedsgerichte dazu, bei intensiven Verhandlungen über den Vertrag als Ganzes einzelne Klauseln als Individualvereinbarung zu qualifizieren und damit den Begriff des Aushandelns weit auszulegen.275 Die gleiche Tendenz aufweisend wird auch in der Literatur teilweise gefordert, dass die ersichtliche Intensität der Verhandlungen,276 die etwa aus langwierigen „Markup-Runden“ hervorgehen kann277, das Vertragsvolumen (bzw. die Vertragswert-Informations­ kosten-Relation)278 oder die Beteiligung von Anwälten279 die Annahme einer In­ dividualvereinbarung und damit den Ausschluss des AGB-Rechts nach sich zie­ hen müsse.280 Zur Rechtfertigung wird dabei auf die erheblich größere Ge­ 273  BGH NJW 2015, 3025, 3026; laut einer älteren höchstrichterlichen sowie einzelnen jün­ geren instanzgerichtlichen Entscheidungen sollte im kaufmännischen Verkehr der Annahme einer Individualabrede nicht entgegenstehen, wenn der Verwender eine bestimmte Klausel für unabdingbar erklärt hat, vgl. BGH NJW 1992, 2283, 2285; OLG Köln ZIP 1995, 1636, 1637; OLG Frankfurt a. M. EnWZ 2014, 140, 141; unklar dagegen BGH NJW 2013, 856, 857; so schon Heinrichs, NJW 1977, 1505, 1508; Rabe, NJW 1987, 1978, 1980; befürwortend Fuchs, in: Festschrift für Blaurock, S.  91, 99; kritisch wegen der damit einhergehenden Rechtsunsi­ cherheit Michalski/Römermann, ZIP 1993, 1434, 1439. 274  Vgl. Internationaler Schiedsgerichtshof der ICC SchiedsVZ 2005, 108, 110; zurückhal­ tender OLG Frankfurt a. M. EnWZ 2014, 140, 141; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  305 Rn.  39. 275  Leuschner, AGB-Recht für Verträge zwischen Unternehmen, S.  6. 276  Koch, BB 2010, 1810, 1812. 277  Kästle, NZG 2014, 288, 292; Kessel/Jüttner, BB 2008, 1350, 1353 f.; Müller/Griebeler/ Pfeil, BB 2009, 2658, 2662; wohl auch Fuchs, in: Festschrift für Blaurock, S.  91, 93 f.; nach Schiffer/Weichel, BB 2011, 1283, 1290 fehlt es dann bereits am Tatbestandsmerkmal des „Stel­ lens“; a. A. Wittuhn/Quecke, NZG 2014, 131, 133 f. 278  Leyens/H.-B. Schäfer, AcP 210 (2010), 771, 790 ff. 279  Müller/Griebeler/Pfeil, BB 2009, 2658, 2662; a. A. Wittuhn/Quecke, NZG 2014, 131, 134 f. 280 Vgl. Habersack, in: Festschrift für Köhler, S.  209, 212 f.; Palandt/Grüneberg, §  305 Rn.  22; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  305 Rn.  40; ebenso für Vertragsabschlüsse im Bie­

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B.  Das deutsche Recht

schäftserfahrung der Teilnehmer des unternehmerischen Geschäftsverkehrs sowie die damit einhergehende erhöhte Selbstverantwortung verwiesen.281 Dies entspricht indes nicht der Position des BGH, der eine entsprechende Be­ günstigung des Verwenders im unternehmerischen Geschäftsverkehr insbeson­ dere in seiner jüngeren Rechtsprechung nicht (mehr) erkennen lässt. Vielmehr sollen sogar ausführliche Vertragsverhandlungen über einen zwischen Unterneh­ mern abgestimmten Vertragsentwurf, der erst nach intensiver juristischer Prü­ fung vom Klauselgegner gebilligt wurde, nicht der Annahme einer Individual­ vereinbarung genügen, wenn der Verwender nicht im Einzelnen darlegt, inwie­ weit der Kunde seine etwaigen Bedenken gegen die Klausel aufgegeben hat und diese sodann als in der Sache gerechtfertigt in seinen rechtsgeschäftlichen Willen aufgenommen hat.282 Bisweilen ist dem Verwender im unternehmerischen Ge­ schäftsverkehr in keinem der Urteile des BGH der erforderliche Nachweis gelun­ gen.283 Dementsprechend lassen sich aus der Rechtsprechung auch keine präzi­ sen Leitlinien dafür ableiten, welche Mindestbedingungen erfüllt sein müssen, damit eine textlich unveränderte Klausel als ausgehandelt gelten kann.284 (ff)  Aushandeln durch Anbieten von Alternativvorschlägen? Insbesondere kann der Verwender die Anwendung des AGB-Rechts nicht durch die Unterbreitung eigener Alternativvorschläge abwenden.285 Denn durch eine solche Gestaltung soll nicht hinreichend zum Ausdruck kommen, dass der Verwen­der den Vertragsinhalt zur Disposition stellen will. Vielmehr ist zur An­ nahme einer Individualvereinbarung erforderlich, dass der Vertragsgegenseite zumindest die Möglichkeit eigener Vertragsergänzungen nicht lediglich un­ selbstständiger Art (etwa durch Anfügen des Namens oder Vertragsobjekts) ein­ geräumt wird und die Wahlfreiheit nicht durch Einflussnahme des Verwenders, sei es durch die Gestaltung des Formulars, sei es in anderer Weise, überlagert terverfahren bei Unternehmenskäufen Fuchs, in: Festschrift für Blaurock, S.  91, 95; Leuschner, AcP 207 (2007), 491, 524 f.; siehe auch Lischek/Mahnken, ZIP 2007, 158, 160, wonach bereits jeder Vertragsschluss außerhalb des Massenverkehrs die Nichtanwendbarkeit des AGB-Rechts nahelegt. 281 Vgl. Fuchs, in: Festschrift für Blaurock, S.  91, 94 f. 282  BGH NJW 2013, 856, 857. 283 Vgl. Müller/Griebeler/Pfeil, BB 2009, 2658, 2660; Schiffer/Weichel, BB 2011, 1283, 1286; Westphalen, NJW 2009, 2977, 2982. 284  Müller/Griebeler/Pfeil, BB 2009, 2658, 2660. 285  BGH NJW 1992, 503, 504; BGH NJW 1996, 1676, 1677; BGH NJW 2014, 206, 207; BGH NJW 2017, 2346; BGH NJW-RR 2018, 683, 686; Erman/Roloff, §  305 Rn.  21; Palandt/ Grüneberg, §  305 Rn.  11; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  148; Michalski/Römermann, ZIP 1993, 1434, 1440.

VI.  Klauselkontrolle des AGB-Rechts

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wird.286 Eine unzulässige textliche Gestaltung wurde beispielsweise in einem suggestiv gestalteten Antragsformular eines Versicherungsunternehmens ange­ nommen, in dem der vorformulierte Vorschlag in der Formulargestaltung in den Vordergrund trat, während die Wahlmöglichkeit zur selbständigen Bestimmung einer anderen Vertragsdauer dahinter zurücktrat.287 Eine sonstige unzulässige Einflussnahme vonseiten des Verwenders ist anzunehmen, wenn die Inanspruch­ nahme der Wahlmöglichkeit erheblich nachteiliger ist und insoweit nur dem An­ schein nach eine reelle Auswahlmöglichkeit besteht.288 Die bloße Koppelung einer aus Kundensicht vorteilhaften Klausel an ein höheres Entgelt steht der An­ nahme einer Individualabrede jedoch dann nicht entgegen, wenn sie sich in den Grenzen des allgemein Üblichen bewegt, wie dies insbesondere bei Laufzeit­ klauseln der Fall ist.289 (gg)  Aushandeln durch Abänderung peripherer Klauseln? Grundsätzlich entfalten Änderungen einzelner Klauseln keine Ausstrahlungswir­ kung auf die anderen Vertragsbedingungen, die unverändert Einzug in den end­ gültigen Vertrag gefunden haben.290 Anpassungen einzelner Klauseln können allenfalls als Indiz für eine entsprechende Verhandlungsbereitschaft im Hinblick auf die übrigen Klauseln angesehen werden.291 Insbesondere wenn ein Klausel­ werk an mehreren zentralen Punkten abgeändert wird, kann dies dafür sprechen, dass die Parteien jedenfalls die sachlich zusammenhängenden Bedingungen in ihren Gestaltungswillen aufgenommen und damit ausgehandelt haben.292 Die für M&A-Verträge typischen „Paketlösungen“, bei denen einerseits gewisse Klau­ seln unverändert bestehen bleiben, während im Gegenzug andere, nicht immer 286 

BGH NJW 1996, 1676, 1677; BGH NJW-RR 1997, 1000; BGH NJW 2003, 1313, 1314 m. w. N.; BGH NJW 2008, 987, 989; BGH NJW 2017, 2346, 2347; Palandt/Grüneberg, §  305 Rn.  11; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  148; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  305 Rn.  42. 287  BGH NJW 1996, 1676, 1677; BGH NJW-RR 1997, 1000; Palandt/Grüneberg, §  305 Rn.  8. 288  BGH NJW 2003, 1313, 1314 mit Hinweis auf BGH NJW 1992, 503, 504; siehe auch Brandhoff, Individualvertrag, S.  61. 289  BGH NJW 1998, 1066, 1068; BGH NJW 2003, 1313, 1314; Michalski/Römermann, ZIP 1993, 1434, 1440 („‚schlechten‘ AGB zu billigem Preis und ‚guten‘ AGB zu entsprechend höherem Preis“). 290  BGH NJW 1986, 1803; Palandt/Grüneberg, §  305 Rn.  18; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/ Pfeiffer, §  305 Rn.  41; Leuschner, AcP 207 (2007), 491, 518; a. A. LG Frankfurt a. M. NZBau 2004, 44, 45 („Diese Anforderung erscheint […] realitätsfremd“). 291  OLG Frankfurt a. M. EnWZ 2014, 140; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  305 Rn.  41; Leuschner, AcP 207 (2007), 491, 518 f.; Schuhmann, JZ 1998, 127, 129. 292  BGH NJW 2013, 2027, 2028; Ulmer/Brandner/Hensen/Habersack, §  305 Rn.  55; Koch, BB 2010, 1810, 1811.

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sachlich zusammenhängende Klauseln derart modifiziert werden, dass am Ende ein für beide Vertragsparteien annehmbarer Kompromiss steht, dürften demge­ mäß im Regelfall nicht unter den Begriff des Aushandelns im Sinne von §  305 Abs.  1 S.  3 BGB fallen.293 (hh)  Aushandeln durch Gewährung eines Preisnachlasses? Aus einem obiter dictum des BGH aus dem Jahr 1987 geht hervor, dass der Ver­ wender ausnahmsweise den Anforderungen an das Aushandeln i. S. d. §  305 Abs.  1 S.  3 BGB durch die Gewährung eines Preisnachlasses genügen kann, wenn dem Vertrag lediglich eine einzige vorformulierte Klausel zugrunde liegt.294 Ob der BGH weiterhin an dieser Position festhalten würde, ist in Anbetracht der später ergangenen Entscheidungen fraglich. Jedenfalls dürfte diese Konstellation im unternehmerischen Geschäftsverkehr selten anzutreffen sein und kann inso­ weit vernachlässigt werden. aa)  Reaktionen in der unternehmerischen Geschäftspraxis Die interventionistische Rechtsprechungslinie des BGH zieht unweigerlich „tak­ tische Manöver“ der betroffenen Unternehmen nach sich.295 Dem Verwender wird teilweise geraten, gerade diejenigen Klauseln, die ihm besonders wichtig sind, ausdrücklich zur Disposition zu stellen und den Vertragspartner zur Abgabe von Änderungsvorschlägen aufzufordern, um in den „sicheren Hafen“ der Indi­ vidualvereinbarung zu gelangen.296 Tatsächlich dürfte diese Vorgehensweise nicht mit Gewissheit zum gewünschten Ergebnis führen, da die Rechtsprechung des BGH (bewusst) hinreichende Anhaltspunkte vermissen lässt, die einen rechtssicheren Rückschluss auf das Vorliegen einer Individualabrede im Hin­ blick auf eine textlich unveränderte Klausel zulässt. Angesichts dessen schlagen andere vor, die Vertragsverhandlungen auf der Grundlage von inakzeptable Klauseln einzuleiten, um im Zuge des Verhand­ lungsprozesses zu dem ursprünglich angestrebten Klauselinhalt zu gelangen.297 Bei einem solchen planmäßigen Vorgehen kann die Annahme einer Individual­ vereinbarung allerdings daran scheitern, dass der die ursprüngliche Klausel er­ setzende Inhalt seinerseits als AGB qualifiziert werden könnte, da wie bereits dargelegt auch „im Kopf“ gespeicherte Klauseln den Anforderungen der AGB-Legaldefinition genügen können. Berger/Kleine, BB 2007, 2137; Schiffer/Weichel, BB 2011, 1283, 1286. BGH NJW 1988, 410, 411; Brandhoff, Individualvertrag, S.  64. 295 Vgl. Schiffer/Weichel, BB 2011, 1283, 1286. 296  Kessel/Jüttner, BB 2008, 1350, 1351. 297  Schiffer/Weichel, BB 2011, 1283, 1286. 293  294 

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Letztlich schafft die Rechtsprechung des BGH für die Verwender von Ver­ tragsformularen den Anreiz, sich anlässlich des Vertragsschlusses im Wider­ spruch zu ihren vertraglichen Zielen zu verhalten. bb)  Konsequenzen für den unternehmerischen Geschäftsverkehr Um der strengen AGB-Inhaltskontrolle zu entgehen, müssen Unternehmer unab­ hängig davon, ob sie eine Ware im Massenverkehr anbieten oder eine komplexe Transaktion durchführen, stets jede einzelne bedenkliche Klausel umfassend er­ örtern und für nahezu jegliche Änderungsvorschläge der Gegenseite explizit öff­ nen. Zudem wird der gesamte Verhandlungsprozess in allen Einzelheiten zu dokumen­tieren sein.298 Diese Aufgabe lässt sich in vielen Bereichen des unter­ nehmerischen Geschäftsverkehrs nicht mit einem vertretbaren Aufwand bewälti­ gen.299 Daher ist prinzipiell davon auszugehen, dass sämtliche Nebenbestim­ mungen im unternehmerischen Geschäftsverkehr von den Gerichten als AGB qualifiziert werden und der Kontrolle nach §§  307 ff. BGB unterworfen wer­ den.300 Dies gilt insbesondere für solche Klauseln, die unveränderten Einzug in den endgültigen Vertragstext finden, wie dies bei branchenüblichen Klauseln der Fall ist, die von den Parteien typischerweise gerade nicht oder jedenfalls nicht hinreichend diskutiert werden.301 Die Konsequenz ist, dass auch essentielle Klauseln eines Vertragswerks wie etwa Haftungsausschlüsse und -begrenzungen in aller Regel als nicht ausgehandelt anzusehen sind, obwohl selbst der Klausel­ gegner die Sachgerechtigkeit solcher im nationalen und internationalen Handels­ verkehr gängigen Vertragsbedingungen vielfach anerkennt.302 Diese in der Lite­ ratur als irrsinnig empfundenen Vorgaben treiben die Unternehmer bei komple­ xeren Vertragswerken regelmäßig zu einer Flucht aus dem deutschen Recht.303

298  Berger/Kleine, BB 2007, 2137; Langer, WM 2006, 1233, 1237; Westphalen, NZM 2016, 369, 375. 299  Berger/Kleine, BB 2007, 2137; Langer, WM 2006, 1233, 1237; Leuschner, JZ 2010, 875, 877. 300  Schiffer/Weichel, BB 2011, 1283, 1286. 301  Leuschner, AGB-Recht für Verträge zwischen Unternehmen, S.  44; Leuschner, JZ 2010, 875, 876; für den Unternehmenskauf Wittuhn/Quecke, NZG 2014, 131, 133 f. 302  Berger/Kleine, BB 2007, 2137. 303  Kästle, NZG 2014, 288, 294 f.; Lischek/Mahnken, ZIP 2007, 158, 163.

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B.  Das deutsche Recht

7.  Die Inhaltskontrolle a)  Die Bedeutung der Generalklausel aa)  Gesetzgeberische Vorgaben Die AGB-Inhaltskontrolle erfolgt im unternehmerischen Geschäftsverkehr aus­ schließlich am Maßstab des §  307 Abs.  1 und 2 BGB.304 Nach der Generalklausel in §  307 Abs.  1 S.  1 BGB305 sind Bestimmungen in AGB unwirksam, die den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Mit der Bezugnahme auf den Grundsatz von Treu und Glauben hat der Gesetz­ geber unmissverständlich an die frühere, von der Rechtsprechung auf der Basis des §  242 BGB entwickelte Inhaltskontrolle anzuknüpfen gesucht.306 Die in die­ ser Norm geregelte Schranke der Vertragsgestaltungsfreiheit geht mit einer ge­ genüber §  138 BGB deutlichen Steigerung der Kontrollintensität einher.307 Un­ ter Verzicht auf das Erfordernis einer groben Interessenbeeinträchtigung von er­ heblicher Stärke, die zusätzlich eine subjektiv verwerfliche Haltung voraussetzt, liegt die Schwelle der AGB-Inhaltsschranke erheblich niedriger als die der Sit­ tenwidrigkeitsschranke.308 Gleichzeitig soll nach der gesetzgeberischen Inten­ tion nicht jedwede Benachteiligung die Vertragsunwirksamkeit einzelner Klau­ seln nach sich ziehen. Vielmehr muss sie zum Schutz der Vertragsfreiheit eine gewisse Intensität erreichen.309 Diese Intention brachte der Gesetzgeber mit dem Erfordernis nicht irgendeiner, sondern einer „unangemessenen“ Benachteiligung zum Ausdruck, die darüber hinaus gegen die Gebote von Treu und Glauben ver­ stoßen muss.310 Den beiden ergänzenden Tatbestandsmerkmalen sollte insoweit eine Filterfunktion zukommen, wie dies auch beim Erfordernis eines „erhebli­ chen“ Ungleichgewichts im französischen Recht nach Art.  1171 C. civ. der Fall 304 

Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  307 Rn.  6; seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr und zur Änderung des Erneuerba­ re-Energien-Gesetz vom 22.07.2014 gilt für den unternehmerischen Verkehr zusätzlich die im Rahmen dieser Untersuchung nicht näher zu beleuchtenden Nr.  1a und 1b des §  308 BGB, vgl. Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  372. 305  Wortgleich vor der Schuldrechtsreform §  9 Abs.  1 AGBG. 306  Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn. Rn.  1. 307  Stoffels, AGB-Recht, Rn.  382; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  307 Rn.  1. 308  BGH NJW 1997, 3372, 3374; BGH NJW 2001, 2331, 2333; BGH NJW-RR 2012, 626, 629; OLG Stuttgart NJW-RR 2015, 1184, 1187; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  384. 309  Palandt/Grüneberg, §  307 Rn.  12; Staudinger/Coester, §  307 Rn.  91; Wolf/Lindacher/ Pfeiffer/Pfeiffer, §  307 Rn.  177; a. A. Stoffels, AGB-Recht, Rn.  471. 310  Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 7/5422, S.  6; Staudinger/Coester, §  307 Rn.  91; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  101, 128.

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ist, um der für eine Generalklausel typischen Gefährdung der Vertragsfreiheit, Rechtssicherheit und Rechtsklarheit entgegenzuwirken.311 bb)  Höchstrichterliche Umsetzung (1)  Die Formel der Rechtsprechung zur unangemessenen Benachteiligung Mit diesen möglichst allgemein gehaltenen Wertungsvorgaben ausgestattet, wur­ den die Gerichte mit der konkreten Auslotung der entsprechenden Grenzen der Vertragsgestaltungsfreiheit betraut.312 In Ausübung dieser Befugnis nimmt der BGH in ständiger Rechtsprechung das Vorliegen einer nach §  307 Abs.  1 S.  1 BGB unwirksamen Klausel an, „wenn der Verwender durch einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Be­ lange hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugeste­ hen.“313

Entgegen der oben dargestellten – im überwiegenden Schrifttum bestätigten – gesetzgeberischen Vorgaben verzichtet der BGH in seiner Präzisierung des Prüf­ programms auf das Erfordernis einer gewichtigen Beeinträchtigung des Klausel­ gegners. Vielmehr können auch nur geringfügige Belastungen bereits als unan­ gemessene Benachteiligung angesehen werden, wenn die Klausel durch kein legitimes Interesse des Verwenders gerechtfertigt ist.314 Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt entgegen dem, was der Gesetzgeber mit dem Normwortlaut nahezulegen scheint, weniger in der (isolierten) Messung der Benachteiligungs­ intensität als in der hinreichenden Ausbalancierung der beim Klauselgegner her­ vorgerufenen Nachteile durch berechtigte Interessen des Verwenders. (2)  Das Erfordernis einer typisierend-generell zu ermittelnden Benachteiligung des Klauselgegners (a)  Abgrenzung zur Einzelfallkontrolle Bei der Untersuchung der Benachteiligung des Klauselgegners soll ein generali­ sierender, überindividueller Prüfungsmaßstab und eine von den konkreten Um­ 311 

Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  101. Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  307 Rn.  4. 313  Siehe zuletzt BGH NJW 2017, 1669, 1670; BGH NJW 2017, 1941, 1942; BGH NJW 2017, 3145, 3146; BGH NJW 2017, 3707, 3708; BGH NJW-RR 2018, 683, 686. 314  Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  101; prominente Beispiele dafür, dass auch marginale Benachteiligungen unangemessen sein können, sind die Urteile des BGH zu den Wertstellungs- und Gebührenregelungen der Banken, vgl. BGH NJW 1994, 318; BGH NJW 1997, 3168. 312 

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B.  Das deutsche Recht

ständen des Einzelfalls losgelöste typisierende Betrachtungsweise zugrunde ge­ legt werden.315 Daher ist insbesondere nicht zu berücksichtigen, ob die Vertrags­ gegenseite aufgrund ihrer Verhandlungsmacht im Einzelfall die Möglichkeit gehabt hätte, eine für sie günstigere Vereinbarungen zu treffen.316 Ebenso sind persönliche Umstände wie die individuelle Schutzbedürftigkeit, Geschäftskun­ digkeit oder Rechtskenntnis des Vertragspartners auszublenden.317 Schließlich ist unerheblich, ob sich die der Klausel innewohnende unangemessene Benachteili­ gung im Einzelfall auch tatsächlich ausgewirkt hat, etwa weil sich der Verwender auf Rechte aus der AGB-Klausel beruft.318 Die Entkoppelung der Prüfung von den individuellen Umständen des Einzel­ falls steht in Einklang mit dem Geltungsbereich des AGB-Rechts.319 Es wäre schlichtweg wertungswidersprüchlich, bewusst auf individualisierende Aspekte bei der AGB-Legaldefinition und infolgedessen bei der Bestimmung des norma­ tiven Geltungsbereichs zu verzichten, um diesen sodann wieder anlässlich der Inhaltskontrolle zur Geltung zu verhelfen. Der abstrakte Kontrollmaßstab folgt zudem – im Sinne eines argumentum e contrario – aus §  310 Abs.  3 Nr.  3 BGB, dem zufolge lediglich bei Verbraucherverträgen die den Vertragsschluss beglei­ tenden Umstände zu berücksichtigen sind. (b) Vergleichsmaßstab Aus alledem darf indes nicht geschlossen werden, dass die Klausel vollkommen losgelöst von ihrem Kontext zu beurteilen ist. Das heißt, eine Klausel kann nicht per se eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners zur Folge ha­ ben. Vielmehr sind der Vertragstyp, in den die Klausel eingebettet wurde, der Vertragsgegenstand sowie die typischerweise betroffenen Verkehrskreise und Kundengruppen mit deren unterschiedlichen Interessen und Schutzbedürfnissen uneingeschränkt zu berücksichtigen.320 Dies folgt im Hinblick auf die vertrags­ 315 

Ständige Rspr., siehe nur BGH NJW 2017, 1301, 1304; BGH NJW 2017, 3145, 3146; BGH NJW 2018, 383, 386 (Unbeachtlichkeit der Rechtsform des Verwenders als Versiche­ rungsverein auf Gegenseitigkeit, der von dem Gedanken genossenschaftlicher Selbsthilfe ge­ prägt ist); aus der Literatur vgl. Erman/Roloff, §  307 Rn.  9; Niebling/Niebling, §  307 Rn.  1; Palandt/Grüneberg, §  307 Rn.  8; Staudinger/Coester, §  307 Rn.  109; Ulmer/Brandner/Hensen/ Fuchs, §  307 Rn.  110; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  307 Rn.  174. 316  BGH NJW 2017, 2986, 2991. 317  Niebling/Niebling, §  307 Rn.  1; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  110. 318  Staudinger/Coester, §  307 Rn.  110; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  110; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  307 Rn.  80. 319  Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  307 Rn.  78; siehe auch Palandt/Grüneberg, §  307 Rn.  8. 320  Palandt/Grüneberg, §  307 Rn.  12; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  110; Wolf/ Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  307 Rn.  82 f.

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gegenständliche Kontextualisierung bereits aus §  9 Nr.  2 UKlaG, wonach das Gericht in der Urteilsformel auch die Art der betroffenen Rechtsgeschäfte zu bezeichnen hat.321 Die Relevanz des betroffenen Verkehrskreises lässt sich jeden­ falls mittelbar und eingeschränkt aus §  310 BGB ableiten, der zwischen Unter­ nehmern (Abs.  1), Verbrauchern (Abs.  3) und sonstigen Kunden, die als Ver­ tragspartner einem nicht unternehmerisch handelnden Verwender gegenüberste­ hen und auch selbst nicht als Unternehmer auftreten, differenziert.322 Es kommt entscheidend darauf an, wie die Klausel bei Verträgen dieser Art in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung aller nicht fernliegenden Fallgestal­ tungen gegenüber den typischerweise beteiligten Vertragsparteien verwendet werden kann.323 So stellte der BGH bereits vor dem Inkrafttreten des AGBG klar, dass es einen Unterschied machen kann, ob dem Vertrag eine gebrauchte oder fabrikneue Sache zugrunde liegt.324 Einem weiteren Urteil des BGH, das einen formularmäßigen Ausschluss des Eigentumsvorbehalts in Einkaufsbedin­ gungen eines Supermarktes zum Gegenstand hatte, ist zu entnehmen, dass die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit einer solchen Klausel nicht „schlechthin“ be­ stimmt werden kann, sondern „je nach Wirtschaftszweig und Marktform“ unter­ schiedlich beurteilt werden muss. In der Entscheidung wurde der generelle Aus­ schluss des Eigentumsvorbehalts wegen des typischerweise breit gefächerten Angebots eines Verbrauchermarktes für wirksam erklärt.325 Werden also bestimmte AGB einheitlich für verschiedene Vertragstypen, im Hinblick auf verschiedene Vertragsgegenstände oder gegenüber verschiedenen Kundenkreisen verwendet, so kann ihre rechtliche Bewertung unterschiedlich ausfallen.326 Die Unwirksamkeit kann sich mithin auf bestimmte Vertragstypen, Vertragsgegenstände oder auch auf die Verwendung in einem bestimmten Ver­ kehrskreis beschränken.327

321 

Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  307 Rn.  182. Staudinger/Coester, §  307 Rn.  112; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  111. 323  BGH NJW 2017, 1301, 1304. 324  BGH NJW 1957, 17, 18; bestätigt in BGH NJW 1974, 1322, 1323; BGH NJW 1979, 1886; BGH NJW 1986, 2102, 2103; dieser spezielle Rechtsgedanke lässt sich heute auch aus §  309 Nr.  8b BGB ableiten, der nur für „neu hergestellte Sachen“ gilt, vgl. BGH NJW 1979, 1886, 1888; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  111. 325  BGH NJW 1981, 280, 281. 326  Palandt/Grüneberg, §  307 Rn.  8; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  307 Rn.  84. 327  Palandt/Grüneberg, §  307 Rn.  12. 322 

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B.  Das deutsche Recht

(3)  Die berücksichtigungsfähigen Interessen des Verwenders Die typisierend-generelle Betrachtungsweise gilt indes nur für den Klauselgeg­ ner. Auf der Seite des Verwenders sind demgegenüber auch individuelle Bedürf­ nisse und Interessen zu berücksichtigen.328 Daher hat der Verwender den speziellen Zweck der jeweiligen Vertragsgestal­ tung nachvollziehbar offen- und darzulegen.329 Die berücksichtigungsfähigen Aspekte lassen sich schwerlich abschließend aufzählen.330 Denkbar sind insbe­ sondere wirtschaftspolitische331, wettbewerbliche332, betriebswirtschaftliche333 Erwägungen oder allgemeine Rationalisierungsgesichtspunkte im Sinne einer gleichförmigen Vertragsabwicklung bei lediglich untergeordneter Benachteili­ gung des Klauselgegners.334 (4)  Die Rolle der Verkehrssitte Obwohl die Verkehrssitte in §  307 Abs.  1 S.  1 BGB im Unterschied zu §  242 BGB keine ausdrückliche Erwähnung gefunden hat, kann auch diese bei der Be­ stimmung der Angemessenheit einer Klausel ausschlaggebend sein.335 Dies wird mittelbar aus §  310 Abs.  1 S.  2 BGB abgeleitet, wonach auf die im Handelsver­ kehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche angemessen Rücksicht zu nehmen ist.336 Die Relevanz von Verkehrssitte und Handelsbräuchen lässt sich damit

328 

Staudinger/Coester, §  307 Rn.  109; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  112. Stoffels, AGB-Recht, Rn.  469; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  307 Rn.  158. 330  Ebenso Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  103. 331  BGH NJW 2018, 383, 385. 332  BGH NJW-RR 2008, 818, 819. 333  BGH NJW 2017, 2986, 2991; BGH NJW 2018, 383, 385. 334  Bspw. Einzugsermächtigungsklauseln in den AGB des Betreibers einer Breitbandka­ bel-Verteileranlage (BGH NJW 1996, 988, 989), eines Mobilfunkanbieters (BGH NJW 2003, 1237, 1238) eines Sportstudiobetreibers (BGH NJW 2008, 2495) der formularmäßige Aus­ schluss des Eigentumsvorbehalts in Einkaufsbedingungen eines Supermarktes (BGH NJW 1981, 280, 281) oder eine Preisanpassungsklausel in einem Gaslieferungsvertrag (BGH NJW 2014, 2708, 2712); zustimmend das überwiegende Schrifttum, vgl. Erman/Roloff, §  307 Rn.  12; Staudinger/Coester, §  307 Rn.  156; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  121; Wolf/ Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  307 Rn.  161. 335  BGH NJW 2014, 1444, 1445 zu Schönheitsreparaturklauseln; unbeachtlich ist dagegen die bloße (Branchen)Üblichkeit der Klausel, weil sich hieraus im Unterschied zur Verkehrssit­ te keine Anerkennung durch die Beteiligten Verkehrskreise als für beide Seiten sach- und inte­ ressengerecht ableiten lässt, vgl. BGH NJW 1984, 2160; BGH NJW 1985, 3016, 3017 (Textil­ veredelungsurteil); BGH NJW 1989, 582, 583; BGH NJW 1991, 2414, 2416; BGH NZA-RR 2013, 319, 324; BGH NJW 2017, 1301, 1304; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  307 Rn.  103. 336  Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  307 Rn.  209. 329 

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rechtfertigen, dass zu der tatsächlichen Praktizierung auch die Kenntnis und Bil­ ligung durch die betroffenen Verkehrskreise hinzutritt.337 (5)  Der Abwägungsvorgang Die Generalklausel fordert somit eine umfassende Abwägung der individuellen Interessen des Verwenders gegen die typische Benachteiligung eines Durchschnittskunden unter Berücksichtigung der generellen Interessen des betroffenen Verkehrskreises und der Verkehrssitte.338 Die Unangemessenheit einer Klausel ist dabei grundsätzlich zu verneinen, wenn die Benachteiligung des Vertragspart­ ners durch höherrangige oder zumindest gleichwertige Interessen des AGB-Ver­ wenders gerechtfertigt ist.339 Das Ziel der richterlichen Untersuchung liegt dem­ gemäß darin, die Eignung der vertraglichen Gestaltung als Mittel zur Herbeifüh­ rung eines ausgewogenen Interessenausgleichs zu bewerten.340 Dabei wiegt der Rechtfertigungsdruck für den Verwender umso stärker, je tiefer die zu prüfende Klausel in die geschützte Interessensphäre seines Vertragspartners eingreift.341 Es liegt auf der Hand, dass das konkrete Abwägungsergebnis in Ermangelung eines eindeutigen Referenzmaßstabs kaum zu prognostizieren ist. Vor diesem Hintergrund wird die praktische Relevanz des §  307 Abs.  2 BGB deutlich, der für eine Erhöhung der Rechtsklarheit sorgen soll. b)  Die „Regelbeispiele“ für eine unangemessene Benachteiligung aa) Normzweck Nach §  307 Abs.  2 BGB ist eine unangemessene Benachteiligung im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der ge­ setzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist (Nr.  1) oder wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags erge­ ben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist (Nr.  2). Zutreffend bezeichnet das überwiegende Schrifttum die Tatbestandsmerkmale des §  307 Abs.  2 BGB als „Regelbeispiele“, die dem Zweck dienen, dem Rechts­ anwender die Feststellung einer unangemessenen Benachteiligung zu erleich­ 337 

Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  143. BGH NJW 2008, 1064, 1065; BGH NJW 2010, 2046, 2047; BGH NJW 2010, 2272, 2274; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  473; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  307 Rn.  157; a. A. Ul­ mer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  99, der für eine an normativ vorgegebenen Wertungen ausgerichtete Gewichtung plädiert und dabei die Grenzen zu §  307 Abs.  2 Nr.  2 BGB verwischt. 339  BGH NJW 2005, 1774, 1775; BGH NJW 2008, 1064, 1065; BGH NJW 2010, 2272, 2274; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  307 Rn.  130. 340  BGH NJW 1997, 193, 195; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  468. 341  Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  104. 338 

258

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tern.342 An die Stelle einer von Unwägbarkeiten geprägten umfassenden Interes­ senabwägung wird nämlich der Fokus des dem prinzipiell vorrangig zu prüfen­ den §  307 Abs.  2 Nr.  1 BGB auf das dispositive Gesetzesrecht gerichtet, das als Modell eines gelungenen Interessenausgleichs dienen soll.343 Die in §  307 Abs.  2 Nr.  2 BGB normierten Kriterien sind dagegen vor allem für nicht gesetzlich ver­ ankerte Vertragstypen von Bedeutung, denen der Rückgriff auf gesetzliche Wer­ tungen verschlossen ist.344 Fuchs spricht insoweit von einer „gewissen Verlagerung der Darlegungslast auf den Verwender“.345 Bei Vorliegen einer der Tatbestände des §  307 Abs.  2 BGB obliegt es ihm nämlich, die damit indizierte unangemessene Benachteili­ gung des Klauselgegners durch Vorbringen besonderer rechtfertigender Elemen­ te zu widerlegen.346 bb)  Ausmaß der Vermutungswirkung In der Rechtsprechung ist die vom Gesetzgeber intendierte Entlastungswirkung teilweise unzutreffend gewürdigt worden, indem auf eine genaue Unterschei­ dung der einzelnen Tatbestände durch eine pauschale Anwendung des §  307 BGB verzichtet wurde oder die Generalklausel des §  307 Abs.  1 S.  1 BGB heran­ gezogen wurde, obwohl bereits §  307 Abs.  2 BGB einschlägig war347. Richtiger­ weise ist §  307 Abs.  1 S.  1 BGB i. V. m. einer der in Abs.  2 genannten Varianten anzuwenden, da §  307 Abs.  2 BGB schon ausweislich seines Wortlauts keine vollständige Ersetzung der Tatbestandsvoraussetzungen des Abs.  1, sondern nur eine Zweifelsregelung für eine unangemessene Benachteiligung bereithält.348 Die Feststellung der Voraussetzungen der in §  307 Abs.  2 BGB normierten Re­ gelbeispiele – die durchaus auch nebeneinander zur Anwendung gelangen kön­ 342  Palandt/Grüneberg, §  307 Rn.  28; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  499; Ulmer/Brandner/Hen­ sen/Fuchs, §  307 Rn.  3, 193, 195. 343  Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  193, 197; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  307 Rn.  97; weitergehend für generelle Vorrangstellung der Nr.  1 gegenüber Nr.  2 Stoffels, AGB-Recht, Rn.  501. 344  Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  193. 345  Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  195. 346  So auch schon RegBegr. AGBG BT-Drucks. 7/3919 S.  23; siehe auch BGH GRUR 2005, 62, 68; BGH NJW 2013, 995, 1000; BGH NJW 2013, 3716, 3719; BGH NJW 2014, 2420, 2428; BGH BB 2014, 1866, 1874; BGH NJW 2018, 383, 385. 347  BGH NJW 1984, 871, 872 (pauschal §  9 AGBG); BGH NJW 1995, 2034, 2035 (pau­ schal §  9 AGBG); BGH NJW 1997, 3168 (Anwendung der Generalklausel, obwohl §  9 Abs.  2 Nr.  1 AGBG einschlägig war); weitere Nachweise und Kritik bei Staudinger/Coester, §  307 Rn.  84, 227; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  496; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  196. 348  So auch der BGH in NJW 2017, 3649, 3654; NJW 2018, 291, 293; ZVertriebsR 2018, 38, 42.

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nen349 – befreit den Richter also nicht von der Überprüfung der Vereinbarkeit der Klausel mit den Grundsätzen von Treu und Glauben.350 Die Besonderheit der in §  307 Abs.  2 BGB normierten Regelbeispiele liegt demgemäß allein in der Be­ reitstellung eines die Interessenabwägung erleichternden Referenzmaßstabs. cc)  §  307 Abs.  2 Nr.  1 BGB (1)  Die Leitbildfunktion des dispositiven Rechts So ordnet §  307 Abs.  2 Nr.  1 BGB den Vergleich der betreffenden Klausel mit dem sonst geltenden dispositiven Gesetzesrecht an. Es ist also zu untersuchen, ob zum Nachteil des Klauselgegners eine inhaltliche Abweichung zur Rechtslage ausbedungen wird, die sich ohne die entsprechende Klausel ergäbe.351 Im Unter­ schied zu §  307 Abs.  3 S.  1 BGB, der gleichsam eine Abweichung von Rechts­ vorschriften voraussetzt, um die AGB-Inhaltskontrolle überhaupt erst zu eröff­ nen, genügt indes nicht jede Rechtslagendivergenz. Vielmehr muss das Resultat dieser Abweichung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Rege­ lung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren sein.352 Der Gesetzgeber knüpft mit diesem letztgenannten Kriterium an die von Raiser entwickelte und von der Rechtsprechung353 aufgegriffene Richtlinien- und Leitbildfunktion des dispositiven Rechts an.354 (2)  Identifikation der Regelungen mit Leitbildcharakter Nach ständiger Rechtsprechung ist von maßgeblicher Bedeutung, ob die disposi­ tive gesetzliche Regelung, von der abgewichen wird, nicht nur auf Zweckmäßig­ keitserwägungen beruht, sondern eine Ausprägung des Gerechtigkeitsgebots darstellt und dementsprechend eine bedeutende Schutzfunktion zugunsten des Klauselgegners erfüllt.355 In der Literatur stößt diese Einteilung der Regeln des dispositiven Rechts in solche, die bloßen Zweckmäßigkeitserwägungen dienen 349  BGH NJW 1988, 2664, 2665 (Haftungsfreizeichnung eines Gaststättenvermieters für die Konzessionsfähigkeit der Gaststätte); Staudinger/Coester, §  307 Rn.  225; Wolf/Lindacher/ Pfeiffer/Pfeiffer, §  307 Rn.  97. 350  Deutlich in BGH NJW 2017, 3649, 3654; siehe auch BGH GRUR 2005, 62, 68; a. A. Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  194 (Die Merkmale der Nr.  1 und Nr.  2 führen ohne weiteres zur Unwirksamkeit der fraglichen Klausel). 351  Stoffels, AGB-Recht, Rn.  516. 352  RegBegr. AGBG BT-Drucks. 7/3919 S.  23; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  221. 353  So insbesondere BGH NJW 1964, 1123. 354  RegBegr. AGBG BT-Drucks. 7/3919 S.  23; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  502; Wolf/Linda­ cher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  307 Rn.  104. 355  BGH NJW 1991, 2414, 2415; BGH NJW-RR 1996, 1009; BGH NJW 1999, 635, 636;

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und solchen, die Ausprägung eines Gerechtigkeitsgebots sein sollen, mangels klarer Abgrenzungskriterien überwiegend auf Kritik.356 Die damit einhergehende Rechtsunsicherheit wird dadurch verschärft, dass der Begriff der „gesetzlichen Regelungen“ i. S. d. §  307 Abs.  2 Nr.  1 BGB von der Rechtsprechung im denkbar weitesten Sinne ausgelegt wird. Obwohl sich mit der gesetzgeberischen Diffe­ renzierung zwischen „Rechtsvorschriften“ in §  307 Abs.  3 S.  1 BGB und „ge­ setzlichen Regelungen“ in §  307 Abs.  2 Nr.  1 BGB eine enge Auslegung des letztgenannten Begriffs durchaus rechtfertigen ließe, soll dieser nicht lediglich kodifizierte Einzelbestimmungen erfassen, sondern auch allgemeine von der Rechtsprechung entwickelte Rechtsgrundsätze.357 Das heißt, die Grundgedanken eines Rechtsbereichs können auch in allgemeinen, am Gerechtigkeitsgedanken ausgerichteten und auf das betreffende Rechtsgebiet anwendbaren Grundsätzen ihren Niederschlag gefunden haben.358 Unter Rechtsvorschriften sind daher nicht nur gesetzlich festgehaltene Regeln zu verstehen, sondern auch alle ungeschrie­ benen Rechtsgrundsätze, die Regeln des Richterrechts und sogar die aufgrund ergänzender Auslegung nach §§  157, 242 BGB und aus der Natur des jeweiligen Schuldverhältnisses zu entnehmenden Rechte und Pflichten.359 (3)  Das haftungsrechtliche Verschuldensprinzip Zu den allgemein anerkannten Rechtsgrundsätzen in diesem Sinne gehört insbe­ sondere das haftungsrechtliche Verschuldensprinzip.360 Die prinzipielle Anknüp­ fung der Einstandspflicht an ein schuldhaftes Verhalten erschließt sich aus zahl­ reichen Vorschriften des Schuldrechts (insbesondere in §  280 BGB für das Leis­ tungsstörungsrecht sowie §  823 BGB für das Deliktsrecht).361 Sie gilt insoweit

BGH NJW 2014, 2420, 2428; BGH NJW 2017, 1461, 1464; BGH NJW 2017, 3707, 3708; Palandt/Grüneberg, §  307 Rn.  30; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  222. 356  Stoffels, AGB-Recht, Rn.  503 („nicht durchführbar“); Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  222 („mit großen Schwierigkeiten verbunden“); Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  307 Rn.  117 („wenig brauchbar“). 357  BGH NJW-RR 1996, 1009; BGH NJW 1999, 635, 636; Niebling/Niebling, §  307 Rn.  7. 358  BGH NJW 1991, 2414, 2415; BGH NJW-RR 1996, 1009. 359  BGH NJW 1998, 1640, 1642; BGH NJW 2013, 291, 294; BGH NJW 2013, 3716, 3717; Niebling/Niebling, §  307 Rn.  7; Palandt/Grüneberg, §  307 Rn.  29; krit. Stoffels, AGB-Recht, Rn.  510 unter Verweis auf Art.  2 EGBGB sowie Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  206 f. im Hinblick auf §  307 Abs.  3 S.  1 BGB. 360  BGH NJW 1991, 2414, 2415; BGH NZBau 2016, 213, 215; BGH NJW 2018, 291, 293; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  214; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  307 Rn.  121. 361  Stoffels, AGB-Recht, Rn.  513.

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als Ausdruck des Gerechtigkeitsgebots gleichermaßen für vertragliche wie für gesetzliche Schadensersatzansprüche.362 Daraus wird in ständiger Rechtsprechung abgeleitet, dass es sich hierbei um einen allgemeinen Grundsatz des Haftungsrechts und mithin um einen wesentli­ che Grundgedanken einer gesetzlichen Regelung i. S. v. §  307 Abs.  2 Nr.  1 BGB handelt.363 Ausnahmen sollen lediglich für die gesetzlich geregelten Fälle der Gefährdungshaftung, für ein im Wege einer Individualvereinbarung übernom­ menes Beschaffungsrisiko sowie für Garantieerklärungen i. S. d. §  276 Abs.  1 S.  1 HS.  2 BGB bestehen.364 Da jedoch die Gefährdungshaftungstatbestände nur wenige Randbereiche des Wirtschaftsverkehrs betreffen und die Anforderungen der Rechtsprechung an die vertragliche Übernahme eines Beschaffenheitsrisikos oder gar die Abgabe einer Garantieerklärung sehr hoch sind, dürften diese in der Praxis zu vernachlässigen sein. Es ist also grundsätzlich davon auszugehen, dass die formularmäßige Vereinbarung einer verschuldensunabhängigen Haftung als unzulässig anzusehen ist und nur durch Gewährung kompensatorischer Vorteile ausgeglichen oder durch höherrangige Interessen des Verwenders gerechtfertigt werden kann.365 dd)  §  307 Abs.  2 Nr.  2 BGB (1)  Das Aushöhlungsverbot Das in §  307 Abs.  2 Nr.  2 BGB geregelte Aushöhlungsverbot wurde für Klauseln geschaffen, die trotz fehlender Abweichung von Regelungen, die Ausdruck eines besonderen Gerechtigkeitsgebots sind, rechtlich zu missbilligen sind.366 Im Un­ terschied zur Leitbildfunktion des dispositiven Rechts, die das potenzielle, quasi fingierte Vertrauen des Klauselgegners in die Unantastbarkeit zentraler gesetzli­ cher Gerechtigkeitsgedanken schützt, knüpft das Aushöhlungsverbot an die durch den Verwender etablierte Vertrauenskulisse. Dies verlagert den Blickpunkt zwangsläufig vom Gesetzesinhalt auf die den Vertragsschluss begleitenden Rah­ menbedingungen, weshalb das Regelbeispiel in §  307 Abs.  2 Nr.  2 BGB abwei­ chend von Nr.  1 nicht die „gesetzlichen Regelungen“, sondern vielmehr die „Na­ tur des Vertrages“ als Referenzmaßstab bereithält. 362 

BGH NJW 1991, 2414, 2415; BGH NJW 2006, 47, 49; BGH NJW-RR 2015, 690, 691; BGH NZBau 2016, 213, 215. 363  BGH NJW 2006, 47, 49; BGH NJW-RR 2015, 690, 691; BGH NZBau 2016, 213, 215; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  314. 364  Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  214. 365  BGH NJW 1991, 2414, 2415; BGH NZBau 2016, 213, 216. 366  Im Ergebnis ebenso Stoffels, AGB-Recht, Rn.  522 („Auffangbecken“); Ulmer/Brandner/ Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  238; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  307 Rn.  139.

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B.  Das deutsche Recht

(2)  Die „Natur des Vertrages“ Die Konturen der Vertragsnatur werden maßgeblich vom Erwartungshorizont eines redlichen und vernünftigen Durchschnittskunden gezeichnet.367 Es ist zu untersuchen, auf welche wesentlichen Vertragsleistungen sich der Kunde nach den gegebenen Umständen verlassen durfte.368 Unerheblich ist demgegenüber, worauf er sich im konkreten Fall tatsächlich verlassen hat. Insbesondere sind nicht in die Vertragssphäre integrierte Hoffnungen und Wünsche für die Bestim­ mung der „Natur des Vertrages“ irrelevant.369 Entscheidend kommt es darauf an, welche wesentlichen Vertragsvorteile der Verwender nach seinen bereitgestellten Informationen, wie sie sich beispielsweise aus Werbeäußerungen oder Informa­ tionsprospekten ergeben können, versprochen hat. Dabei wird regelmäßig der Zweck des gewählten Vertragstyps ausschlaggebend sein, soweit nicht aus­ nahmsweise eine vorrangig geltende abweichende Individualvereinbarung ge­ troffen wurde.370 (3)  Die „wesentlichen Rechte und Pflichten“ (a)  Allgemeine Charakteristiken Die „wesentlichen Rechte und Pflichten“ erfassen nicht lediglich die beiderseiti­ gen Hauptleistungspflichten, sondern können sich vielmehr auch auf die Nebenund Schutzpflichten erstrecken, sofern sie für den Kunden von grundlegender Bedeutung sind.371 Entscheidend handelt es sich nach ständiger Rechtsprechung um solche Rechte und Pflichten, „deren Erfüllung die ordnungsgemäße Durch­ führung des Vertrags überhaupt erst ermöglicht und auf deren Erfüllung der Ver­ tragspartner daher vertraut und auch vertrauen darf“.372 Die Pflichten müssen 367  Stoffels, AGB-Recht, Rn.  528, 532; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  242, 244 f.; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  307 Rn.  139. 368  Stoffels, AGB-Recht, Rn.  528. 369  Stoffels, AGB-Recht, Rn.  532; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  197. 370  Palandt/Grüneberg, §  307 Rn.  34 („vertragstypischen Gerechtigkeitserwartungen des redlichen Geschäftsverkehrs“); Staudinger/Coester, §  307 Rn.  271 („vertragstypenspezifische Gerechtigkeitserwartungen“); Stoffels, AGB-Recht, Rn.  532; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  245 („vertragstypenspezifischen Gerechtigkeitsvorstellungen des redlichen Ge­ schäftsverkehrs“); Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  307 Rn.  135 („verkehrstypische Zwe­ cke“). 371  Staudinger/Coester, §  307 Rn.  273 f.; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  531; Ulmer/Brandner/ Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  240, 249; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  307 Rn.  143. 372  BGH NJW 1993, 335; BGH NJW 2001, 292, 302; BGH NJW-RR 2006, 267, 269; Ul­ mer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  240, 248; krit. Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  307 Rn.  138, der zusätzlich fordert, dass sich die Rechte und Pflichten in den Grenzen einer zumut­ baren Belastung halten.

VI.  Klauselkontrolle des AGB-Rechts

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also für die Erreichung des Vertragszwecks von besonderer Bedeutung sein, was insbesondere der Fall ist, wenn diese durch den Verwender besonders hervorge­ hoben wurden und der Vertragspartner darin einen besonderen wirtschaftlichen Vorteil sieht.373 Somit entsprechen die Anforderungen, die an die „wesentlichen Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben“ zu stellen sind, im Ansatz dem wesentlichen Charakter einer Vertragspflicht nach Art.  1170 C. civ. („obligation essentielle“). Demgemäß unterfiele auch die Verpflichtung der Chronopost-Gesellschaft zur zügigen und vor allem pünktlichen Lieferung, die sich sowohl aus der Werbung, den Hinweisen auf den Umschlägen sowie den erhöhten Versandkosten entnehmen lässt, dem Anwendungsbereich des §  307 Abs.  2 Nr.  2 BGB.374 (b)  Der cheapest cost avoider Auch ohne besondere Hervorhebung kann eine Vertragspflicht unter dem aus der Rechtsökonomie bekannten Aspekt der Risikobeherrschbarkeit (cheapest cost avoider) als wesentlich zu qualifizieren sein. Maßgeblich ist dabei die Frage, in wessen Sphäre das betreffende Risiko fällt und ob die Verwirklichung des Risi­ kos effizienter und kostengünstiger durch den Verwender oder den Kunden ver­ hindert werden kann. Lässt sich eine Vertragspflicht ausschließlich der Risi­ kosphäre des Verwenders zuordnen, so spricht dies für das Vorliegen einer we­ sentlichen Vertragspflicht, von der er sich nicht freizeichnen kann, ohne die Rechte seines Vertragspartners i. S. d. §  307 Abs.  2 Nr.  2 BGB auszuhöhlen.375 So wurde beispielsweise die Pflicht zur Überwachung der ordnungsgemäßen Befüllung des Heizöltanks bei der Lieferung von Heizöl als wesentlich einge­ stuft, weil der Lieferant im Unterschied zum Kunden über die technischen Gerä­ te sowie das technische Fachwissen verfügt, um die Fehlerfreiheit des Tankvor­ gangs zu gewährleisten.376 373  So etwa im Tankschecksystem-Fall, in dem den Kunden die Möglichkeit zum bargeldlo­ sen Tanken angeboten wurde, BGH NJW 1985, 914, 916. 374  Cass. com., Urt. vom 22.10.1996 – 93-18.632 = Bulletin civil IV, Nr.  261, S.  223 = D. 1997, 175, Anm. Delebecque = JCP G 1997, I, 4002, Anm. Fabre-Magnan = JCP G 1997, I, 4025, Anm. Viney = JCP G 1997, II, 22881, Anm. Cohen = RTD civ. 1997, 418, Anm. Mestre = RTD civ. 1998, 213, Anm. Molfessis = RTD com. 1997, 319, Anm. Bouloc. 375  BGH NJW 1988, 1785, 1787 f.; BGH NJW 1991, 1886, 1888; BGH NJW 1991, 2414, 2416; BGH NJW 1992, 1761, 1762; BGH NJW 1997, 1700, 1702; BGH NJW 2002, 673, 675; BGH NJW 2005, 422, 424; BGH NJW 2013, 291, 296; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  490; Ulmer/ Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  156 f. 376  BGH NJW 1971, 1036, 1037 f.; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  158; in ei­ nem Lagervertrag gehört zu den wesentlichen Pflichten die sorgfältige Aufbewahrung und Aus­ lieferung, vgl. BGH NJW 1984, 1350, 1351.

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B.  Das deutsche Recht

Unzulässig sind ferner Haftungsklauseln in den AGB eines Kreditkartenunter­ nehmens, die auf den Kunden die Gefahr des bestimmungswidrigen Gebrauchs der Kreditkarte durch die Vertragsunternehmen abwälzen, da dieses Risiko aus der Sphäre der Vertragsunternehmen herrührt, die vom Kreditkartenunternehmen ausgesucht werden, während die Kunden diese Auswahl in keiner Weise beein­ flussen noch die Vertragsunternehmen überwachen können.377 Ebenso wurde in einem Werkvertrag über eine Wagenwäsche die Verpflich­ tung des Autowaschanlagenbetreibers, das Fahrzeug vor Schäden beim Wasch­ vorgang zu bewahren, als wesentlich qualifiziert, weil dieser durch ständige War­ tung, Kontrolle und Überwachung der Anlage sowie durch sorgfältige Auswahl des Bedienungspersonals Schäden an den Fahrzeugen besser vermeiden kann als die Kunden, die ihre Fahrzeuge der Obhut des Betreibers überantworten, ohne den Waschvorgang selbst beeinflussen zu können. Insbesondere hat es der Be­ treiber in der Hand, bestimmte Fahrzeugmodelle, die er für schadensanfällig hält, von der Benutzung seiner Anlage auszuschließen und dadurch sein Risiko zu verringern.378 Im Unterschied dazu fand das Argument der effizienteren Risikobeherrschbar­ keit bei der Wirksamkeitskontrolle von Haftungsklauseln nach der französischen Rechtsprechung zum alten Recht keine Berücksichtigung. Dies verdeutlichen insbesondere die Urteile der Cour de cassation aus dem Jahr 2017, in denen der vollständige Haftungsausschluss des Lagerhalters für Beschädigungen am einge­ lagerten Material für zulässig erklärt wurde.379 Der BGH erklärte einen Haftungsausschluss ausnahmsweise in den Dock- und Reparaturbedingungen einer Seeschiffswerft mit der Begründung für zulässig, dass bei der Durchführung der Reparaturarbeiten die fachlich qualifizierte Besat­ zung auch während der Reparaturdauer an Bord blieb, sich über die Art und den Fortgang der Werftarbeiten an Bord laufend informieren und die Instandsetzung daher mit überwachen konnte.380

BGH NJW 1984, 2460, 2461; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  490. BGH NJW 2005, 422, 424; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  490; Ulmer/Brandner/Hensen/ Fuchs, §  307 Rn.  158; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  307 Rn.  143. 379  Cass. com., Urt. vom 26.04.2017 – 15-23.239 = RTD civ. 2017, 851, Anm. Barbier = RDC 2017, 431, Anm. Knetsch = CCC 2017, Komm. Nr.  140, Anm. Leveneur; Cass. com., Urt. vom 26.04.2017 – 15-23.245. 380  BGH NJW 1988, 1785, 1787; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  158; gegen­ über dem Eigner eines kleinen Binnentankschiffs, das über keine nennenswerte Mannschaft verfügt, wurde die Wirksamkeit der Haftungsklausel dagegen folgerichtig abgelehnt, vgl. BGH NJW-RR 1989, 953, 955. 377  378 

VI.  Klauselkontrolle des AGB-Rechts

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(c)  Der cheapest insurer Ergänzend wurde die Zulässigkeit der Haftungsklausel mit dem branchen­ üblichen, praktisch lückenlosen Kaskoversicherungsschutz des Schiffseigners gerechtfertigt.381 Denn wäre die Werft gezwungen, trotz des aufseiten des Schiffseigners bestehenden Kaskoversicherungsschutzes ihrerseits eine Haft­ pflichtversicherung für das volle Sachschadensrisiko abzuschließen, müsste der Schiffseigner nicht nur seine Prämie für die eigene Kaskoversicherung aufbrin­ gen, sondern im Hinblick auf die von der Werft zusätzlich abzuschließende Haft­ pflichtversicherung auch eine entsprechende Erhöhung des von ihm zu ent­ richtenden Werklohns in Kauf nehmen.382 Als weiterer Gesichtspunkt wurde an­ geführt, dass der der Werft entstehende zusätzliche Prämienaufwand die Eigner unterschiedlich risikogeneigter Schiffe gleichermaßen treffen würde. Dadurch würden nicht nur solche Kunden zusätzlich belastet, deren Interessen bereits aus­ reichend gewahrt sind. Diese Kunden müssten vielmehr einen Teil der Repara­ turkosten für Schiffe mit besonders hohem Schadenspotential mittragen, wäh­ rend die Eigner dieser Schiffe dadurch einen sachlich nicht gerechtfertigten Vor­ teil erhielten.383 Damit knüpfte der BGH an die Argumentation an, die er bereits im Hinblick auf einen Haftungsausschluss in einem Vertrag über die Bewachung von Wasser­ fahrzeugen durch eine Wachschiffstation angeführt hatte. In diesem Urteil wurde die Angemessenheit der Klausel sogar maßgeblich darauf gestützt, dass der Kas­ koversicherungsschutz auf Kundenseite üblich war.384 Neben der Risikobe­ herrschbarkeit spielt bei der Anwendung des §  307 Abs.  2 Nr.  2 BGB demgemäß die Versicherbarkeit der auf den Kunden transferierten Risiken eine ebenso ge­ wichtige Rolle.385 Entsprechend der aus der Rechtökonomie bekannten Bestim­ mung des cheapest insurer sollen die Risiken letztlich von der Vertragspartei getragen werden, der es leichter und kostengünstiger möglich oder eher zumut­ bar ist, Versicherungsschutz für das Risiko zu beschaffen.386

381 

BGH NJW 1988, 1785, 1787. BGH NJW 1988, 1785, 1787. 383  BGH NJW 1988, 1785, 1787; dieser Rechtsgedanke wurde später auf einen Stromliefe­ rungsvertrag übertragen, um eine haftungsbeschränkende Klausel wir wirksam zu erklären, BGH NJW 2013, 291, 297. 384  BGH NJW 1961, 212, 213. 385  Siehe BGH MDR 1962, 114; BGH NJW 1962, 1195, 1196; BGH NJW 1991, 1886, 1888; BGH NJW 1992, 1761, 1762; BGH NJW 1997, 1700, 1702; BGH NJW 2002, 673, 675; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  491. 386  Palandt/Grüneberg, §  307 Rn.  19; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  491; Ulmer/Brandner/Hen­ sen/Fuchs, §  307 Rn.  156 f. 382 

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B.  Das deutsche Recht

Es genügt also nicht, dass dem Kunden der Abschluss einer Versicherung nur möglich ist.387 Vielmehr kommt es im Hinblick auf die Prämienbelastung darauf an, dass der Abschluss einer Versicherung durch den Kunden sinnvoller und die­ sem daher zumutbar ist. Dabei wird grundsätzlich vorausgesetzt, dass der Kunde einen üblichen, praktisch lückenlosen Versicherungsschutz genießt oder auf ei­ nen solchen jedenfalls zurückgreifen könnte.388 Bisweilen wurde lediglich für Haftungsklauseln in Stromlieferungsverträgen die sinnvollere Versicherbarkeit des Schadensrisikos durch die Kunden angenommen, ohne dass es einer entspre­ chenden Branchenüblichkeit eines entsprechenden Schutzes bedurfte.389 Die Entscheidungen wurden auf die Begründung gestützt, dass der Kunde den Um­ fang des zu versichernden Interesses am besten beurteilen kann und der Ab­ schluss einer Versicherung durch ihn ökonomischer ist als eine sonst erforderli­ che Preiserhöhung, die jeden Kunden zusätzlich belasten würde.390 Trotz der Übertragbarkeit dieses Rechtsgedankens auf andere Vertragstypen hat eine darü­ ber hinausgehende Ausdehnung bisweilen nicht stattgefunden. Es ist daher da­ von auszugehen, dass Stromlieferungsverträge eine Sonderrolle bei der Berück­ sichtigung der Versicherbarkeit des Haftungsrisikos einnehmen. Auch im Hinblick auf die Versicherbarkeit der zu verlagernden Schadensrisi­ ken verzichtete die französische Rechtsprechung zum alten Recht demgegenüber auf rechtsökonomische Erwägungen. Entscheidend war danach nicht, wer als besserer Versicherungsnehmer in Betracht kommt, sondern allein, ob überhaupt die Möglichkeit besteht, die entsprechenden Risiken zu versichern.391 (d) Zwischenergebnis Lediglich nach der deutschen Rechtsprechung sind die rechtsökonomischen Er­ wägungen der effizienteren Risikobeherrschbarkeit und Versicherbarkeit der zu übertragenden Schadensrisiken bei der Beurteilung der Wirksamkeit von Haf­ tungsklauseln inzwischen als etabliert anzusehen. Nach der Rechtsprechung der Cour de cassation zum alten Recht spielen diese Faktoren dagegen keine Rolle. Danach sind Haftungsklausel nur dann unwirksam, wenn die Übertragung des Haftungsrisikos die Anreizwirkung des Schuldners an der ordnungsgemäßen Er­ BGH NJW 1992, 1761, 1762; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  491. BGH NJW 1961, 212, 213; BGH NJW 1988, 1785, 1789; BGH NJW 1992, 1761, 1762; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  491; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  157. 389  BGH NJW 1998, 1640, 1644; BGH NJW 2013, 291, 297. 390  BGH NJW 1998, 1640, 1644; BGH NJW 2013, 291, 297; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  491. 391  Vgl. etwa Cass. civ. 3e, Urt. vom 23.05.2013 – 12-11.652 = D. 2013, 2142, Anm. Ma­ zeaud; Cass. com., Urt. vom 26.04.2017 – 15-23.239 = RTD civ. 2017, 851, Anm. Barbier = RDC 2017, 431, Anm. Knetsch = CCC 2017, Komm. Nr.  140, Anm. Leveneur; Cass. com., Urt. vom 26.04.2017 – 15-23.245. 387  Ausdrücklich 388 

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füllung seiner Leistungspflicht insgesamt aushöhlt und der Gläubiger das poten­ zielle Schadensrisiko überhaupt nicht versichern kann. (4)  Erfordernis der Vertragszwecksgefährdung Laut dem Gesetzeswortlaut genügt indes auch nach deutschem Recht nicht jede Enttäuschung der objektiven Erwartungen im Hinblick auf die wesentlichen Rechte und Pflichten. Vielmehr bedarf es einer hinreichend gravierenden Be­ nachteiligung des Vertragspartners, die eine Gefährdung der Erreichung des Ver­ tragszwecks zur Folge hat.392 Damit soll verhindert werden, dass der Verwender das, was er seinem Vertragspartner mit der einen Hand gibt, mit der anderen Hand wieder wegnimmt, indem er eine Vertragsleistung verspricht, von der er sich durch die Gestaltung seiner AGB wieder freizeichnet.393 Stoffels erkennt insoweit sehr zutreffend die Nähe dieses Regelungszwecks zum Verbot des wi­ dersprüchlichen Verhaltens nach §  242 BGB (venire contra factum proprium).394 Ob es zur Erfüllung dieses Tatbestandsmerkmals ebenso wie nach der Chronopost-Rechtsprechung einer vollständigen Neutralisierung einer als wesentlich qualifizierten Vertragspflicht bedarf oder bereits eine geringfügige Enttäuschung der Erwartungen des Klauselgegners ausreicht, wird durch die noch zu erörtern­ den Kardinalpflichtenrechtsprechung – den für die Praxis relevantesten Anwen­ dungsfall des §  307 Abs.  2 Nr.  2 BGB395 – näher zu beleuchten sein. In der Tat geht die Bestimmung nämlich auf die Rechtsprechung zum Verbot der Aushöh­ lung sogenannter Kardinalpflichten zurück, in der Freizeichnungsklauseln für unwirksam erklärt wurden, wenn sich der Verwender mit ihnen einer Kardinal­ pflicht entziehen und den Vertrag seines Sinnes entleeren würde.396 c)  Die Rolle der speziellen Klauselverbote für den unternehmerischen Geschäftsverkehr Die speziellen Klauselverbote der §§  308 Nr.  1, 2 bis 8 sowie 309 BGB beinhal­ ten exemplarische Konkretisierungen des in der Generalklausel festgelegten Wertmaßstabs.397 In Ergänzung zu den Regelbeispielen in §  307 Abs.  2 BGB er­ möglichen die Katalogtatbestände dieser Normen eine erhebliche Steigerung der Rechtssicherheit bei der Beurteilung der Wirksamkeit von Vertragsklauseln. 392 

Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  307 Rn.  145. Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  240. 394  Stoffels, AGB-Recht, Rn.  523 f. 395  Palandt/Grüneberg, §  307 Rn.  37. 396  RegBegr. AGBG BT-Drucks. 7/3919 S.  23; BGH NJW 1985, 914, 916; Ulmer/Brandner/ Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  240; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  307 Rn.  132. 397  Stoffels, AGB-Recht, Rn.  463. 393 

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B.  Das deutsche Recht

Während §  308 BGB Klauselverbote mit Wertungsmöglichkeiten bereithält, die sich in der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe niederschlagen, sieht §  309 BGB Klauselverbote ohne Wertungsmöglichkeiten vor, die sich dadurch aus­ zeichnen, dass dem Richter kein Wertungsspielraum eingeräumt wird. Nach der gesetzgeberischen Intention sollen die speziellen Klauselverbote im unternehmerischen Geschäftsverkehrs keine präjudizierende Wirkung entfalten. Vielmehr soll hier allein die allgemeine Interessenabwägung der Generalklausel eine auf den unternehmerischen Geschäftsverkehr zugeschnittene flexible Ver­ tragsgestaltungsfreiheit gewährleisten.398 Die in den §§  308, 309 BGB normier­ ten Katalogtatbestände sollen also eine Indizwirkung weder für noch gegen die Zulässigkeit einer Klausel erzeugen.399 Der Richter hat bei der Untersuchung einer Vertragsbestimmung, die gemäß §§  308, 309 BGB im Verkehr mit Verbrau­ chern stets unwirksam ist, unter Berücksichtigung der „Parallelwertung in der Unternehmersphäre“ zu beurteilen, inwiefern auch im Verkehr zwischen Unter­ nehmern eine solche Klausel nach umfassender Interessenabwägung gemäß §  307 Abs.  1 S.  1 BGB als unangemessen anzusehen ist.400 Dieses Bestreben brachte der Gesetzgeber mit der bei unbefangener Lektüre sibyllinisch klingenden Formulierung in §  310 Abs.  1 S.  1 i. V. m. S.  2 HS 2 BGB zum Ausdruck. So stellt §  310 Abs.  1 S.  1 BGB einleitend klar, dass die speziel­ len Klauselverbote der §§  308 Nr.  1, 2 bis 8 sowie 309 BGB auf AGB gegenüber einem Unternehmer keine Anwendung finden, um im darauffolgenden Satz da­ durch relativiert zu werden, dass §  307 Abs.  1 und 2 BGB auch insoweit anzu­ wenden ist, als dies zur Unwirksamkeit der in §  308 Nummer 1, 2 bis 8 BGB und §  309 BGB genannten Klauseln führt. Die praktische Umsetzung des in dieser Formulierung zum Ausdruck gekom­ menen gesetzgeberischen Ansinnens stößt im Hinblick auf die Klauselverbote des §  308 BGB aufgrund der in den unbestimmten Rechtsbegriffen liegenden Wertungsspielräume auf keine Schwierigkeiten.401 Anders verhält es sich dage­ gen bei den Klauselverboten ohne Wertungsmöglichkeiten. Entgegen der gesetz­ geberischen Vorgaben tendiert die höchstrichterliche Rechtsprechung insoweit zur Annahme einer umfassenden Ausstrahlungswirkung im Sinne einer prinzipi­ ellen Indiz- und Vermutungswirkung der in §  309 BGB normierten Katalogtatbe­ stände auf den unternehmerischen Geschäftsverkehr.402 398 

RegBegr. Gesetzentwurf AGBG, BT-Drucks. 7/3919, S.  43. RegBegr. Gesetzentwurf AGBG, BT-Drucks. 7/3919, S.  43 f.; MünchKomm/Basedow, §  310 Rn.  7. 400  MünchKomm/Basedow, §  310 Rn.  7. 401  Palandt/Grüneberg, §  307 Rn.  40; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  556; Ulmer/Brandner/Hen­ sen/Fuchs, §  307 Rn.  381, 383. 402  BGH NJW 1981, 1501, 1502; BGH NJW 1984, 1750, 1751; BGH NJW 1988, 1785, 399 

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d)  §  309 Nr.  7 BGB aa)  Ausmaß des Klauselverbots Von besonderer praktischer Bedeutung sind insoweit die Klauselverbote des §  309 Nr.  7 BGB, die in AGB den Ausschluss oder die Begrenzung der Haftung für Schäden aus der Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit sogar bei einfacher Fahrlässigkeit des Verwenders oder seiner Erfüllungsgehilfen (lit.  a) sowie in den übrigen Fällen (lit.  b) erst bei grob fahrlässiger Pflichtverlet­ zung für unwirksam erklären.403 Auch wenn der Normwortlaut einen als solchen gekennzeichneten Haftungs­ ausschluss zu fordern scheint, wird dies von der Rechtsprechung nicht vorausge­ setzt.404 Es macht also keinen Unterschied, ob sich eine Klausel unmittelbar oder nur mittelbar auf die Haftung des Verwenders auswirkt.405 Ersteres kann etwa durch allgemeine Gewährleistungsausschlüsse, summenmäßige Haftungs­ beschränkungen, den Ausschluss der Haftung für bestimmte Schadenstypen oder die zeitliche Beschränkung der Haftung durch Ausschlussklauseln oder verjäh­ rungsverkürzende Klauseln geschehen.406 Letzteres kann wiederum dergestalt ausbedungen werden, dass durch die Klausel bereits der Pflichtenkreis des Ver­ wenders eingeschränkt wird.407 Für die extensive Auslegung des normativen Wirkungsbereichs streitet jedenfalls, dass die Übergänge zwischen Pflicht- und

1788; BGH 1996, 389; BGH NJW 2007, 3421, 3422; BGH 2007, 3774, 3775; BGH NJW 2014, 211, 213; Niebling/Niebling, Vor §  307 Rn.  6; Palandt/Grüneberg, §  307 Rn.  40; Leuschner, JZ 2010, 875, 876; kritisch Stoffels, AGB-Recht, Rn.  557 („Besser wäre es, die speziellen Klausel­ verbote als Aufgreifkriterien für eine eingehende Inhaltskontrolle zu begreifen“); ebenso Ul­ mer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  382; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  307 Rn.  185. 403  Der Ausschluss der Haftung für Vorsatz ist bereits nach §  276 Abs.  3 BGB auch in Indi­ vidualvereinbarungen unzulässig. 404  BGH NJW 2001, 751, 752. 405  Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  270. 406  Erman/Roloff, §  309 Rn.  69; MünchKomm/Wurmnest, §  309 Nr.  7 Rn.  23; Ulmer/Brand­ ner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  299; Ulmer/Brandner/Hensen/Christensen, §  309 Nr.  7 Rn.  27 f. 407  Siehe bspw. BGH NJW 1983, 1322, 1324 (Klauseln, in denen sich der Luftfrachtführer Änderungen der zugesagten Flugzeiten vorbehält); BGH NJW 2001, 751, 752 (Klausel eines Kreditinstituts, die beim Online-Service zweitweilige Beschränkungen und Unterbrechungen des Zugangs zulässt); BGH NJW 2014, 454, 455 (Klausel, die einen Möbelhändler nur zur rechtzeitigen, ordnungsgemäßen Ablieferung der Ware an das Transportunternehmen verpflich­ tet); Erman/Roloff, §  309 Rn.  67; MünchKomm/Wurmnest, §  309 Nr.  7 Rn.  23; Staudinger/ Coester, §  307 Rn.  435; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  270; Ulmer/Brandner/Hen­ sen/Christensen, §  309 Nr.  7 Rn.  30.

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Haftungsausschlüssen fließend und häufig nur eine Frage der Klauselformulie­ rung sind.408 Ferner ist nach dem Normwortlaut unerheblich, ob die Haftung gänzlich aus­ geschlossen oder nur beschränkt wird. Die Norm beruht nämlich im Kern auf dem Rechtsgedanken, dem Vertragspartner im Fall von schwerwiegenden Ver­ tragsverletzungsfolgen (lit.  a) oder -handlungen (lit.  b) den Anspruch auf den vollen Schadensersatz ungeschmälert zu sichern.409 Um also jegliche Abgren­ zungsschwierigkeiten zu vermeiden, wird nicht nur ein vollständiger Ausschluss der Haftung, sondern auch jegliche noch so geringfügige Haftungsbegrenzung etwa durch Haftungshöchstsummen, die Verkürzung der Verjährungsfrist, den Ausschluss der Haftung für Folgeschäden oder die Beschränkung der Haftung auf „vorhersehbare“ Schäden erfasst.410 bb)  Geltungsumfang für den unternehmerischen Geschäftsverkehr (1)  Das „Gleichschritt“-Urteil des BGH Mit dem „Gleichschritt“-Urteil aus dem Jahr 2007 stellte der BGH klar, dass den in §  309 Nr.  7 BGB enthaltenen Klauselverboten eine Indizwirkung bei der Be­ stimmung einer treuwidrigen unangemessenen Benachteiligung nach §  307 Abs.  1 S.  1 BGB auch im unternehmerischen Geschäftsverkehr zukommt.411 Der Entscheidung lag ein Gebrauchtwagenkaufvertrag zwischen Unternehmern unter formularmäßigem Ausschluss der Gewährleistungsansprüche zugrunde. (2)  §  309 Nr.  7 lit.  a BGB Aus der Urteilsbegründung geht hervor, dass der BGH die Indizwirkung des Haf­ tungsfreizeichnungsverbots für die Verletzungen des Lebens, des Körpers und der Gesundheit auf den gesamten §  307 Abs.  1, 2 BGB erstreckt, mithin also nicht lediglich auf die Tatbestände des §  307 Abs.  2 BGB. Dadurch erübrigt sich im unternehmerischen Geschäftsverkehr bei einer am Maßstab des §  309 Nr.  7 lit.  a BGB unzulässigen Klausel auch die sonst notwendige generalisierende In­ 408  Zum Problem der Abgrenzung zu §  307 Abs.  2 Nr.  2 BGB, vgl. instruktiv Ulmer/Brand­ ner/Hensen/Christensen, §  309 Nr.  7 Rn.  31. 409  Erman/Roloff, §  309 Rn.  67. 410  Staudinger/Coester-Waltjen, §  309 Nr.  7 Rn.  25; Ulmer/Brandner/Hensen/Christensen, §  309 Nr.  7 Rn.  26, 29; für die Beschränkung der Haftung eines Textilreinigers auf den „Zeit­ wert“ des Textils BGH NJW 2013, 2502, 2503; für die Verkürzung der Verjährung von Ge­ währleistungsansprüchen, ohne die in §  309 Nr.  7 BGB bezeichneten Klauselverbote auszuneh­ men BGH NJW 2007, 674, 675; BGH NJW 2013, 2584; BGH NJW 2014, 211, 213; BGH NZG 2016, 31, 33. 411  BGH NJW 2007, 3774.

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teressenabwägung. Der BGH rechtfertigt dies damit, dass es sich um besonders wichtige persönliche Rechtsgüter handelt, die keinen Raum für eine Differenzie­ rung zwischen Unternehmern und Verbrauchern gestatten.412 Die entscheidende praktische Konsequenz liegt darin, dass nicht lediglich dem vollständigen Aus­ schluss der Haftung, sondern auch jeder noch so geringfügigen Haftungsbe­ schränkung für die genannten Schäden die Wirksamkeit im unternehmerischen Geschäftsverkehr zu versagen ist.413 (3)  §  309 Nr.  7 lit.  b BGB Im Hinblick auf die Ausstrahlungswirkung des §  309 Nr.  7 lit.  b BGB auf den unternehmerischen Geschäftsverkehr erwies sich der BGH dagegen als deutlich vorsichtiger, indem er die Indizwirkung auf das Vorliegen der Voraussetzungen des §  307 Abs.  2 Nr.  2 BGB beschränkte und daraus die zutreffende Konsequenz zog, dass nur bei einem vollständigen Haftungsausschluss die Unzulässigkeit sicher angenommen werden kann. Allein ein derart weitreichender Haftungsaus­ schluss benachteiligt den Vertragspartner des Verwenders nämlich auch im unter­ nehmerischen Geschäftsverkehr unangemessen, weil er den Vertragszweck ge­ fährdet.414 Dies entsprach bereits vor dem Inkrafttreten der Schuldrechtsreform der Rechtsauffassung des BGH.415 Hintergrund ist die enge Verwandtschaft des §  309 Nr.  7 lit.  b BGB mit der noch zu schildernden Kardinalpflichtenrechtsprechung. Im Unterschied zu §  309 Nr.  7 lit.  a BGB knüpft der Vorwurf nicht an den Verletzungserfolg, also die beim Vertragspartner hervorgerufenen Nachteile, sondern mit dem Verbot der Frei­ zeichnung für grob fahrlässige Pflichtverletzungen ausschließlich an die Verlet­ zungshandlung an. Ein objektiv grober Pflichtenverstoß rechtfertigt nämlich für sich allein noch nicht den Schluss auf grobes Verschulden, auch wenn ein solcher häufig damit einhergeht.416 Grobe Fahrlässigkeit erfordert vielmehr einen schweren, in subjektiver Hinsicht schlechthin unentschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt nach §  276 Abs.  2 BGB. Die verkehrsübliche Sorgfalt muss in ungewöhnlich hohem Maße verletzt

412 

BGH NJW 2007, 3774, 3775. Bestätigt in BGH NJW 2014, 211, 213. 414  BGH NJW 2007, 3774, 3775; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  285. 415  Siehe etwa BGH NJW 1984, 1350, 1351; BGH NJW 1985, 2258, 2261; BGH NJW-RR 2006, 267, 269; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  285. 416  Ständige Rspr., siehe nur BGH NJW-RR 2009, 812, 813; BGH VersR 2014, 481, 482; BGH NJW-RR 2017, 146, 147. 413 

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und dasjenige unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen.417 Bei einer vollständigen Haftungsfreizeichnung für grobes Verschulden liegt die Vertragszweckgefährdung im Sinne des §  307 Abs.  2 Nr.  2 BGB auf der Hand. Für summenmäßige Haftungsbeschränkungen gilt dies nur, wenn die typi­ scherweise bei Geschäften der fraglichen Art entstehenden Schäden nicht von der Haftungshöchstsumme abgedeckt sind. Im Übrigen lehnt das überwiegende Schrifttum mit der bisherigen Rechtsprechung einen Verstoß gegen das Aushöh­ lungsverbot grundsätzlich ab.418 e)  Die Kardinalpflichtenrechtsprechung nach §  307 Abs.  2 Nr.  2 BGB aa)  Entstehung und Rechtsgedanke Aus der differenzierten Regelung in §  309 Nr.  7 BGB darf nicht gefolgert werden, dass alle nicht erfassten Haftungsklauseln zulässig sind.419 Der BGH unterwirft Haftungsausschlüsse vielmehr auch im Übrigen, also insbesondere für fahrlässi­ ge Pflichtverletzungen, die keinen Körperschaden zur Folge haben, dem strengen Maßstab seiner Kardinalpflichtenrechtsprechung auf der Grundlage des Aushöh­ lungsverbots nach §  307 Abs.  2 Nr.  2 BGB. Danach darf der Verwender seinem Vertragspartner durch AGB nicht solche Rechtspositionen entziehen oder verkür­ zen, die er ihm nach dem Inhalt und Zweck des Vertrags zu gewähren hat.420 Der diesem Tatbestand zugrunde liegende Regelungszweck wurde vom BGH im Hinblick auf Haftungsfreizeichnungen von Frachtführern, Schiffseignern und Schiffern für verschuldete Fahr- und Ladungsuntüchtigkeit der Schiffe entwi­ ckelt.421 Mit Inkrafttreten des AGBG wurde diese Rechtsprechung allmählich auf sämtliche Verträge ausgedehnt.422 So nahm der BGH in seinem Kalt­lager-Urteil an, dass die summenmäßige Beschränkung der Haftung für grob fahrlässige Ob­ hutspflichtverletzungen des Kühlhallenbetreibers seinen Vertragspartner wegen 417  BGH NJW-RR 2009, 812, 813; BGH NJW-RR 2014, 90, 92; BGH VersR 2014, 481, 482; BGH NJW-RR 2017, 146, 147; BGH NJW-RR 2017, 596, 597. 418  BGH NJW 1998, 1640 (Summenmäßige Haftungsbegrenzung für grobe Fahrlässigkeit eines Stromversorgungsunternehmens auf 5.000 DM); Palandt/Grüneberg, §  309 Rn.  56 f.; Ul­ mer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  286. Überraschend war daher ein Urteil des BGH aus dem Jahr 2013, in dem die klauselmäßige Verkürzung der Gewährleistungsrechte des Käufers auf ein Jahr ab Ablieferung wegen Verstoßes gegen §  309 Nr.  7 lit.  a und b BGB ohne tieferge­ hende Begründung für unwirksam erklärt wurde, vgl. BGH NJW 2014, 211, 213. 419  Ulmer/Brandner/Hensen/Christensen, §  309 Nr.  7 Rn.  3. 420  BGH NJW-RR 1996, 783, 788; BGH NJW-RR 2010, 1497, 1498. 421  BGH NJW 1956, 1065, 1066 f.; BGH VersR 1966, 871; BGH NJW 1968, 1567, 1568; BGH VersR 1975, 1117; BGH NJW 1976, 672, 673; BGH NJW 1978, 1314. 422  Ulmer/Brandner/Hensen/Christensen, §  309 Nr.  7 Rn.  33.

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der damit verbundenen Aushöhlung seiner vertragswesentlichen Rechte und Pflichten i. S. d. §  9 Abs.  2 Nr.  2 AGBG (jetzt §  307 Abs.  2 Nr.  2 BGB) entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt.423 Im darauf ergangenen Textilveredelungs-Urteil entwickelte der BGH die seither verwandte Formel, dass sich der Verwender nicht formularmäßig von der schuldhaften Ver­ letzung solcher Pflichten freizeichnen darf, deren Erfüllung die ordnungsgemäße Durchführung des Vertrages überhaupt erst ermöglicht, auf deren Erfüllung der Vertragspartner daher vertraut und auch vertrauen darf.424 bb)  Unantastbarkeit des vertragstypischen und vorhersehbaren Schadens Neben der Unzulässigkeit eines vollständigen Haftungsausschlusses für die Ver­ letzung einer als wesentlich qualifizierten Vertragspflicht kann dem Aushöh­ lungsverbot auch die bloße Begrenzung des Haftungsumfangs unterfallen. Wäh­ rend sich nach der Chronopost-Rechtsprechung die Zulässigkeit einer Haftungs­ höchstsumme nach ihren Auswirkungen auf die Anreize des Schuldners an der ordnungsgemäßen Erfüllung der ihm obliegenden Leistung richtet, ist nach der ständigen Rechtsprechung des BGH eine solche Haftungsbegrenzung nur dann wirksam, wenn die Höchstsumme so bemessen ist, dass dem Kunden die ver­ tragstypischen, vorhersehbaren Schäden erstattet werden können.425 cc)  Objektiver Maßstab Dabei kommt es nicht auf die individuelle Perspektive des Klauselverwenders an, sondern darauf, was für einen vernünftigen Dritten in seiner Lage bei Ver­ tragsschluss vorhersehbar war.426 So kann auch der entgangene Gewinn zum ab­ sehbaren Schaden zu zählen sein, wenn der anvertraute Gegenstand typischer­ weise zur Weiterveräußerung bestimmt ist.427 Im Übrigen wird vorrangig der Sachwert die Grenze des vorhersehbaren Schadens bilden.

423 

BGH NJW 1984, 1350. BGH NJW 1985, 3016. 425  BGH NJW 1984, 1350, 1351 (Kaltlager-Urteil); BGH NJW 1985, 3016, 3018 (Textil­ veredelungs-Urteil); BGH NJW 1993, 335, 336; BGH NJW 2001, 292, 302; BGH NJW 2002, 673, 675 (Ausschluss der Haftung für Schäden an Einrichtungsgegenständen des Mieters); BGH NJW-RR 2006, 267, 270; BGH NJW 2013, 291, 295; Palandt/Grüneberg, §  309 Rn.  51; Staudinger/Coester, §  307 Rn.  448; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  977; Ulmer/Brandner/Hensen/ Fuchs, §  307 Rn.  302. 426  BGH NJW 2013, 291, 296. 427  BGH NJW 1985, 3016, 3018 (Textilveredelungs-Fall). 424 

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B.  Das deutsche Recht

dd)  Gestaltungsmöglichkeiten des Verwenders Entscheidend ist allein, dass dem Kunden die Möglichkeit der Geltendmachung der vertragstypischen, vorhersehbaren Schäden eingeräumt wird. Unerheblich ist dagegen aufgrund der für das AGB-Recht maßgeblichen überindividualisieren­ den Betrachtungsweise, ob dieses Recht vom Kunden im konkreten Einzelfall auch tatsächlich ausgeübt wird. Dementsprechend hat der BGH die summenmäßige Haftungsbeschränkung eines Paketbeförderungsdiensts auf 500 DM für wirksam erklärt, weil den Kun­ den unter ausdrücklichem Hinweis die Möglichkeit eingeräumt wurde, durch Angabe eines höheren Sachwerts des Versandstücks eine höhere Haftungs­ höchstgrenze bis zu 15.000 DM (international bis zu 50.000 USD) zu vereinba­ ren. Der Verwender darf nämlich darauf vertrauen, dass sich seine Kunden ver­ tragstreu verhalten und den richtigen Wert der Versandstücke deklarieren.428 Der Verwender ist jedoch nicht verpflichtet, das bei der Erbringung seiner we­ sentlichen Vertragspflicht entstehende Risiko durch eine entsprechende – allge­ meine oder besondere – Erhöhung seines Entgelts abzudecken. Es genügt viel­ mehr, dass er in seinen AGB eine den vertragstypischen und vorhersehbaren Schaden abdeckende Versicherung empfiehlt und bei Vertragsschluss mit den zum sofortigen Abschluss eines Versicherungsvertrages erforderlichen Antrags­ formularen ausgestattet ist.429 Wichtig ist dabei, dass die Vertragsgegenseite auf diese Möglichkeit ausdrücklich hingewiesen wird, da sie nur so frei darüber ent­ scheiden kann, ob sie die riskantere günstigere Alternative oder die teurere Absi­ cherung wählt.430 Schließlich kann eine summenmäßige Haftungsbegrenzung auch dann als an­ gemessen anzusehen sein, wenn es der Vertragspartner des Verwenders durch sein Verhalten selbst beeinflussen kann, ob der bereits eingetretene Schaden un­ terhalb der durch die Klausel fixierten Schwelle bleibt. So erklärte der BGH die summenmäßige Haftungsbeschränkung auf 5  % des Kaufpreises für die verzö­ gerte Lieferung eines Neuwagens unter der Erwägung für wirksam, dass die Höhe des Verzugsschadens vom Käufer vergleichsweise gering gehalten werden kann, indem er zeitgleich mit der den Schuldnerverzug begründenden Mahnung eine kurz bemessene Nachfrist mit Ablehnungsandrohung setzt, um sich nach Ablauf der Frist alsbald vom Vertrag lösen und Schadensersatz wegen Nichter­ füllung verlangen zu können.431 428 

BGH TranspR 2002, 448, 450. BGH NJW 1980, 1953, 1955; bestätigt in BGH NJW 2013, 2502, 2504. 430  BGH NJW 2013, 2502, 2504; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  302. 431  BGH NJW 2001, 292, 295; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  303; zum wesent­ lichen Charakter der Verpflichtung zur rechtzeitigen Lieferung, siehe BGH NJW 1994, 1060, 429 

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Unter Zugrundelegung dieser Wertungen wäre die summenmäßige Haftungs­ beschränkung der Chronopost-Gesellschaft als unwirksam zu beurteilen gewe­ sen, weil den Kunden des Transportunternehmens weder die Möglichkeit einge­ räumt wurde, durch Angabe eines höheren Haftungsrisikos des Versandstücks eine höhere Haftungshöchstgrenze zu vereinbaren, noch bei Vertragsschluss eine den vertragstypischen und vorhersehbaren Schaden abdeckende Versicherung angeboten wurde. ee)  Praktische Irrelevanz der sonstigen Haftungsklauseln Sieht man von diesen Gestaltungsmöglichkeiten ab, kann eine summenmäßige Beschränkung der Haftung für leichte Fahrlässigkeit lediglich im Hinblick auf untypische und unvorhersehbare Schadensrisiken ausgeschlossen werden. Ob ein solcher Haftungsausschluss neben der von der Rechtsprechung praktizierten Adäquanztheorie bei der Schadenszurechnung überhaupt praktische Wirkung entfalten kann, darf angesichts der gleichen Voraussetzungen angezweifelt wer­ den. Auch hier ist nämlich keine konkrete ex-post-Betrachtung, sondern viel­ mehr der ex-ante-Standpunkt eines optimalen Beobachters in der Lage des Schä­ digers maßgeblich.432 ff) Zwischenergebnis Somit bewirkt die in §  307 Abs.  2 Nr.  2 BGB verankerte Kardinalpflichtenrecht­ sprechung in Kombination mit der „Gleichschritt“-Rechtsprechung eine gravie­ rende Reduktion der Privatautonomie bei der Gestaltung von Haftungsklauseln durch AGB. Dies gilt insbesondere für die im Wirtschaftsverkehr verbreiteten summenmäßigen Haftungsbeschränkungen, die für die Bewertung der zu versi­ chernden unternehmerischen Risiken von essentieller Bedeutung sind. f)  Relation der zu prüfenden Klausel zum Gesamtvertrag aa) Einleitung Für den Verwender stellt sich damit die praktisch bedeutsame Frage, inwieweit eine bei isolierter Betrachtung als unangemessen zu qualifizierende Klausel durch anderweitige vertragliche Vorteile kompensiert werden kann. Grundsätzlich ist der Gegenstand der AGB-Inhaltskontrolle auf die jeweils zu untersuchende Klausel zu begrenzen.433 Das gesamte Vertragswerk hat im Rah­ 1063 (Vertragshändlervertrag der Kraftfahrzeug-Branche); BGH NJW-RR 2003, 1056, 1060 (Kommissionsvertrag). 432  MünchKomm/Oetker, §  249 Rn.  111. 433  Stoffels, AGB-Recht, Rn.  485; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  116.

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men der Beurteilung außer Betracht zu bleiben. Dies wird allgemein aus dem Wortlaut der §§  307 ff. BGB abgeleitet, die auf die zu untersuchende Bestim­ mung regelmäßig im Singular Bezug nehmen.434 Andererseits ist allgemein an­ erkannt, dass eine vollkommene Ausblendung der übrigen Vertragsbestandteile nicht der Intention des Gesetzgebers entsprechen kann.435 Dieser Rechtsgedan­ ke kann mittelbar dem §  306 Abs.  3 BGB entnommen werden, der eine Gesamt­ würdigung des Vertragsinhalts erfordert. Daraus wird abgeleitet, dass die betreffende Klausel in ihrem Zusammenhang mit den übrigen Vertragsbedingungen einschließlich individueller Absprachen gewürdigt werden kann und muss, soweit diese sachlich-kongruent auf den Klauselinhalt ausstrahlen.436 Die Wechselwirkung einzelner Klauseln zum gesamten Vertragsinhalt kann sich sowohl zugunsten als auch zulasten des Verwenders auswirken: Auf der ­einen Seite können einzelne nachteilige Klauseln, die für sich genommen nicht die Schwelle der Unangemessenheit überschreiten, in ihrer Kumulation eine un­ angemessene Benachteiligung des Vertragspartners bewirken (Summierungsef­ fekt).437 Auf der anderen Seite kann eine bei isolierter Betrachtung als unange­ messen zu qualifizierende Klausel unter besonderen Voraussetzungen durch sonstige vertragliche Vorteile ausgeglichen werden (Kompensationseffekt).438 bb) Summierungseffekt In der Tat kann die belastende Wirkung einer bei isolierter Betrachtung noch hinnehmbaren Klausel in ihrem Zusammenspiel mit anderen Vertragsbestim­ mungen derart verstärkt werden, dass in der Gesamtwirkung die Voraussetzun­ gen einer unangemessenen Benachteiligung erfüllt sind.439 Die einzelnen Anfor­ derungen an den Summierungseffekt nachteiliger Klauseln entwickelte der BGH auf dem Gebiet des Mietrechts. Unwirksam ist etwa die Verpflichtung des Mie­ ters zur laufenden Vornahme von Schönheitsreparaturen in Kombination mit der

Stoffels, AGB-Recht, Rn.  485. Stoffels, AGB-Recht, Rn.  485; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  116. 436  BGH NJW 1989, 582; BGH NJW 1993, 532; BGH NJW 2010, 57; BGH NJW 2018, 383, 385; Palandt/Grüneberg, §  307 Rn.  13. 437  Siehe etwa BGH NJW 1993, 532; BGH NJW 1995, 254, 255; BGH NJW 2003, 2234, 2235; BGH NJW 2003, 3192 f.; BGH NJW 2007, 997, 999; BGH NJW 2018, 383, 385; Pa­ landt/Grüneberg, §  307 Rn.  13; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  486; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  116; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  307 Rn.  213. 438  Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  116. 439  Palandt/Grüneberg, §  307 Rn.  13; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  486; Wolf/Lindacher/Pfeif­ fer/Pfeiffer, §  307 Rn.  213. 434  435 

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Verpflichtung zur Vornahme von Anfangs-440 oder Endrenovierungsarbeiten beim Auszug441 (ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt der letzten Schönheitsrepara­ tur).442 Gleiches wurde für eine Vorauszahlungspflicht in einem Mietvertragsfor­ mular unter gleichzeitigem Verbot der Aufrechnung des Mieters mit etwaigen Gegenforderungen wegen der damit verbundenen gravierenden Einschränkung des Minderungsrechts nach §  536 Abs.  1 S.  2 BGB angenommen.443 Dass diese Maßstäbe auch außerhalb des Mietrechts gelten, belegt unter ande­ rem ein Urteil des BGH aus dem Jahr 2006 zu den AGB eines Luftfahrtunterneh­ mens.444 In der Sache wurde eine Klausel, die dem Luftfahrtunternehmen gestat­ tet, bestimmte Gegenstände zurückzuweisen, aufgrund ihrer Wechselwirkung mit einer unzulässigen Haftungsbegrenzungsklausel für unwirksam erklärt.445 Das Gericht stellte insoweit fest, dass das Zurückweisungsrecht nur der Durch­ setzung der Haftungsbegrenzungsklausel diente.446 Entscheidend kommt es also darauf an, dass sich die Klauseln auf die gleiche Rechtsposition beziehen, also eine konkrete Vertragspflicht des Klauselgegners verstärken oder einen Anspruch desselben verkürzen.447 Die kumulative Beein­ trächtigung sachlich nicht zusammenhängender Rechtspositionen kann dagegen nicht zur Rechtfertigung einer unangemessenen Benachteiligung herangezogen werden, weil dies der gesetzgeberischen Wertung der grundsätzlich selbständi­ gen Klauselkontrolle zuwiderlaufen würde.448 Liegt ein solcher sachlich zusam­ menhängender Verstärkungseffekt vor, führt dies grundsätzlich dazu, dass alle sich gegenseitig in ihrer nachteiligen Wirkung ergänzenden oder verstärkenden Klauseln unwirksam sind.449 Auch wenn die Unangemessenheit bereits beim Wegfall einer Klausel entfallen würde, kann es nach der überzeugenden Auffas­ 440 

BGH NJW 1993, 532 f. BGH NJW 2003, 2234; BGH NJW 2003, 3192; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  486. 442  Palandt/Grüneberg, §  307 Rn.  13; zulässig ist in einem gewerblichen Mietvertrag dage­ gen die Kombination aus bedarfsabhängiger Schönheitsreparaturklausel mit der Verpflichtung zur Rückgabe des Mietobjekts in einem bezugsfertigen Zustand, weil in diesem Fall nicht zwangsläufig und bedarfsunabhängig eine Endrenovierung vorzunehmen ist, vgl. BGH NJW 2014, 1444. 443  BGH NJW 1995, 254, 255; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  486. 444  BGH NJW 2007, 997; ebenso wurden diese Grundsätze auf eine Gewährleistungsbürg­ schaft (BGH NJW 2011, 2195) sowie auf Darlehensverträge (BGH NJW 2017, 2986; BGH NJW 2018, 383) übertragen. 445  BGH NJW 2007, 997, 999. 446  BGH NJW 2007, 997, 999. 447  So etwa die Renovierungspflicht des Mieters, BGH NJW 2003, 2234, 2235. 448  BGH NJW 2006, 2116, 2119 („inhaltlich zusammengehörige Klauseln“); BGH NJW 2018, 383, 385 f. („sachlich zusammenwirkender Klauseln“); Staudinger/Coester, §  307 Rn.  139 spricht insoweit von einem „Verstärkungszusammenhang“. 449  BGH NJW 2007, 997, 999; BGH NJW 2011, 2195, 2197; BGH NJW 2017, 2986, 2992; 441 

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sung des BGH nicht die Sache des Gerichts sein, auszusuchen, welche der Klau­ seln bestehen bleiben soll.450 Dieser Rechtsgedanke beansprucht unabhängig davon Geltung, ob eine der betroffenen Klauseln bereits für sich genommen eine hinreichende unangemessene Benachteiligung enthält.451 Letzteres wird aus der generalpräventiven Funktion der AGB-Kontrolle sowie aus dem Transparenzge­ bot abgeleitet, da für den Vertragspartner nicht klar erkennbar ist, welche Klausel gelten soll, so dass er von der Geltendmachung eigener Rechte abgehalten wird.452 Zudem ist es dem Verwender grundsätzlich versagt, sich darauf zu be­ rufen, dass eine der von ihm gestellten Klauseln unangemessen und deswegen bei der Abwägung der beiderseitigen Interessen nicht zu berücksichtigen sei.453 cc) Kompensationseffekt (1) Grundsatz (a)  Die Vorgaben der Regierung Neben dem soeben geschilderten Verstärkungseffekt ist folgerichtig auch die Kompensation einer bei isolierter Betrachtung nach §  307 Abs.  1 S.  1 BGB unzu­ lässigen Klausel durch anderweitige Besserstellungen des Vertragspartners unter bestimmten Voraussetzungen anerkannt.454 Ausweislich der Regierungsbegrün­ dung können unangemessene Benachteiligungen des Kunden im kaufmännischen Geschäftsverkehr tragbar sein, soweit sie „im Zusammenhang mit einer Vielzahl von Geschäften zwischen den Vertragsparteien zu sehen sind und durch Vorteile anderer Art ausgeglichen werden können“.455 Bezüglich der konkreten Anforde­ rungen, die an den Ausgleich einer nachteiligen Klausel durch „Vorteile anderer Art“ zu stellen sind, schweigen Gesetz und Regierungsbegründung indes.

Niebling/Niebling, Vor §  307 Rn.  55; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  486; Ulmer/Brandner/Hensen/ Fuchs, §  307 Rn.  155; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  307 Rn.  213. 450  BGH NJW 1995, 254, 255; BGH NJW 2007, 997, 999; BGH NJW 2011, 2195, 2197; BGH NJW 2017, 2986, 2992; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  486; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  307 Rn.  213. 451  BGH NJW 1995, 254, 255 f.; BGH NJW 2003, 2234, 2235; BGH NJW 2007, 997, 999; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  486; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  307 Rn.  213. 452  BGH NJW 1995, 254, 256; BGH NJW 2003, 2234, 2235; BGH NJW 2003, 3192 f.; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  155. 453  BGH NJW 2011, 2195, 2197; BGH NJW 2018, 383, 386; Ulmer/Brandner/Hensen/ Fuchs, §  307 Rn.  155. 454  Im Hinblick auf die absoluten Verbotsklauseln des §  309 BGB soll der Kompensations­ einwand dagegen ausgeschlossen sein, vgl. Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  307 Rn.  221. 455  RegBegr. Gesetzentwurf AGBG, BT-Drucks. 7/3919, S.  43.

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(b)  Voraussetzungen im Einzelnen (aa)  Erfordernis eines sachlich zusammenhängenden, angemessenen Ausgleichs Um dem Rechtsanwender einen objektiven Beurteilungsmaßstab an die Hand zu geben und ihm insbesondere eine umfassende Abwägung der Äquivalenz der vertraglichen Leistungen und Pflichten zu ersparen, besteht vor diesem Hinter­ grund trotz im Einzelnen divergierender Formulierungen weitgehend Einigkeit darüber, dass nicht jeder erdenkliche Vorteil bei der Beurteilung zu berücksichti­ gen sein kann. Einschränkend wird gefordert, dass sich die vorteilhafte Vertrags­ bestimmung in einem sachlichen Regelungszusammenhang mit der zu kontrol­ lierenden Klausel befinden muss.456 Weiterhin soll die kompensierende Wirkung einer vorteilhaften Regelung voraussetzen, dass sie durch ihr Gewicht die Be­ nachteiligung aufzuwiegen vermag, mithin einem annähernd gleichwertigen Vorteil beim anderen Vertragsteil entspricht.457 Ein solcher „angemessener Aus­ gleich“ ist nur dann gegeben, wenn die unangemessene Benachteiligung des Ver­ tragspartners durch die vorteilhafte Bestimmung vollständig aufgehoben wird.458 Unerheblich ist dagegen, ob es sich bei der betreffenden Vertragsbestimmung um eine AGB-Klausel oder um eine Individualvereinbarung handelt.459 (bb)  Remissionsrechte der Einzelhändler Als Beispiel für eine sachlich gleichwertige Kompensation lässt sich ein Urteil des BGH aus dem Jahr 1981 anführen, dem ein Liefervertrag zwischen einem Gebietsgroßhändler und einem Zeitschriften-Einzelhändler zugrunde lag. Der BGH entschied, dass die dem Zeitschriften-Einzelhändler in den Liefer- und Zahlungsbedingungen des Großhändlers auferlegte Pflicht, das volle Sortiment des Großhändlers zu führen (Dispositionsrecht des Großhändlers), den Einzel­ händler zwar bei isolierter Betrachtung unangemessen benachteiligte, jedoch die 456  BGH NJW 2003, 888, 890 f. „konnexe, in Wechselbeziehung stehende Klauseln“; bestä­ tigt in BGH NJW 2017, 325, 326; Erman/Roloff, §  307 Rn.  11 „sachlicher Zusammenhang“; Staudinger/Coester, §  307 Rn.  125 „sachlicher Zusammenhang“; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  487 „sachlicher Zusammenhang“; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  307 Rn.  127 „zusammenge­ hörender, zweckkongruenter Regelungskomplex“; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  151 „funktionsgleiche Regelungen“; Palandt/Grüneberg, §  307 Rn.  14 „sachlich zusam­ mengehörende Regelungen“, „Wechselverhältnis“. 457  So ausdrücklich BGH NJW 1996, 389, 390; im Ergebnis ebenso BGH NJW 1997, 2598, 2599 „angemessener Ausgleich“; bestätigt in BGH NJW 2002, 894; Staudinger/Coester, §  307 Rn.  125; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  487; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  151; Wolf/ Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  307 Rn.  127, 215 f. 458  BGH NJW 2017, 325, 326. 459  BGH NJW 2017, 325, 326; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  307 Rn.  215.

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B.  Das deutsche Recht

Zubilligung des Rechts, innerhalb des Verkaufszeitraums nicht abgesetzte Zeit­ schriften gegen Gutschrift des Einkaufspreises zurückzugeben (Remissionsrecht des Einzelhändlers), als vollwertiger Ausgleich zu werten war, der letztlich der Unwirksamkeit der Klausel entgegenstand.460 (cc)  Die leasingtypische Abtretungskonstruktion Ebenso hat der BGH mehrfach betont, dass der für das Finanzierungsleasing ty­ pische Ausschluss der mietrechtlichen Gewährleistung des Leasinggebers ge­ genüber dem Leasingnehmer zulässig ist, wenn zugleich die kaufrechtlichen Gewährleistungsansprüche des Leasinggebers gegen den Lieferanten an den Leasingnehmer endgültig, vorbehaltlos und unbedingt abgetreten werden.461 (dd)  Alternativer Versicherungsschutz Schließlich ist diesem Bereich auch die oben bereits untersuchte Gewährung von Versicherungsschutz als Ausgleich für eine Haftungsfreizeichnung zuzuord­ nen.462 Entscheidend muss eine solche Versicherungsregelung gewährleisten, dass der Schaden des Kunden entweder vom Verwender oder jedenfalls vom Schadensversicherer erstattet wird. Nur dann soll in aller Regel nicht davon aus­ gegangen werden können, dass der Kunde durch die Risikoverlagerung unange­ messen benachteiligt wird.463 (c) Fazit Die zur Kompensation unzulässiger Klauseln ergangenen Urteile verdeutlichen die an das Erfordernis eines zweckkongruenten und angemessenen Ausgleichs zu stellenden Anforderungen: Die vorteilhafte Klausel oder Vereinbarung muss geeignet sein, die aus der nachteiligen Klausel hervorgehende Beschränkung oder Entziehung einer Rechtsposition vollständig zu neutralisieren. So wurde der mit der Sortimentspflicht einhergehende Entzug der unternehmerischen Ent­ scheidungsfreiheit des Einzelhändlers neutralisiert, indem die Entscheidungs­ freiheit durch das Remissionsrecht unverkaufter Zeitschriften wiederhergestellt wurde. Nach dem gleichen Rechtsgedanken kann eine haftungsausschließende oder haftungsbeschränkende Klausel durch den Eintritt eines voll haftenden 460  BGH NJW 1982, 644 f.; Palandt/Grüneberg, §  307 Rn.  14; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  487; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  152. 461  BGH NJW 1982, 105 f.; BGH NJW 1987, 1072, 1073; BGH NJW-RR 2003, 51, 52; BGH NJW 2006, 1066, 1067 f.; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  487. 462  Vgl. BGH NJW-RR 1991, 570, 572; BGH NJW 1996, 1407, 1408; Staudinger/Coester, §  307 Rn.  126. 463  BGH NJW 1996, 1407, 1408.

VI.  Klauselkontrolle des AGB-Rechts

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Dritten ausgeglichen werden. Faktisch werden nämlich lediglich die Anspruchs­ gegner ausgetauscht, während die Höhe des Schadensersatzanspruchs unberührt bleibt. Dies kann etwa durch Abschluss eines Versicherungsvertrages oder, wie im Fall des Finanzierungsleasings, durch Abtretung der inhaltlich äquivalenten Ansprüche des Leasinggebers gegen den Verkäufer geschehen. Daher lässt sich eine Beschränkung der Gewährleistungsrechte nicht etwa durch die Verlängerung der Verjährungsfrist ausgleichen, da insoweit keine Neu­ tralisierung stattfindet, sondern lediglich eine vorteilhafte Klausel mit einer nachteiligen Klausel nach billigem Ermessen verglichen werden müsste.464 (2)  Das „Preisargument“ (a)  Grundsätzliche Irrelevanz Gleiches gilt für die Koppelung nachteiliger Klauseln an ein günstiges Entgelt (Preisargument).465 Es entspricht insoweit allgemeiner Auffassung, dass eine un­ angemessene Benachteiligung in einer AGB-Klausel nicht durch einen niedrigen Preis kompensiert werden kann.466 Die Unbeachtlichkeit solcher preiskalkulatorischer Erwägungen wird allge­ mein daraus abgeleitet, dass es bereits mangels hinreichender Sachkunde nicht die Aufgabe des Richters sein kann, den gerechten Preis (iustum pretium) zu er­ mitteln.467 Vielmehr muss die Bewertung des Äquivalenzverhältnisses dem Marktmechanismus, also der am relevanten Markt herrschenden Angebots- und Nachfragesituation überlassen bleiben.468 Ohnehin würde die Ermittlung eines 464  So im Ergebnis auch BGH NJW 1996, 389, 390; im Hinblick auf Haftungsklauseln auch Stoffels, AGB-Recht, Rn.  487. 465  Kötz, Gutachten für den 50. DJT, A 27 ff.; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  145. 466  BGH NJW 1957, 17, 19 („die Verkäufer müssen ihre Preise nach solchen Bedingungen kalkulieren, die sich mit den Geboten von Treu und Glauben vereinbaren lassen“); BGH NJW 1961, 212, 213; BGH NJW 1980, 1953, 1954; BGH NJW 1993, 2442, 2444; BGH NJW-RR 2008, 818, 820; BGH NJW 2014, 630, 634; BGH NJW 2017, 2986, 2990; MünchKomm/ Wurmnest, §  307 Rn.  43 f.; Niebling/Niebling, Vor §  307 Rn.  62; Palandt/Grüneberg, §  307 Rn.  18; Staudinger/Coester, §  307 Rn.  129 ff.; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  493; Ulmer/Brandner/ Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  145; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  307 Rn.  224; Leyens/H.-B. Schäfer, AcP 210 (2010), 771, 789; eine Ausnahme von der Unzulässigkeit des Preisarguments macht der BGH allerdings ausdrücklich im Bereich der Elektrizitätsversorgung, vgl. BGH NJW 1998, 1640, 1644; dies ist mit BT-Drucks 7/3919, 23 vereinbar („§  7 Abs.  1 schließt die Berücksichtigung der Höhe des Entgelts bei der Beurteilung der Angemessenheit von AGB nicht schlechthin aus.“). 467  MünchKomm/Wurmnest, §  307 Rn.  44; Palandt/Grüneberg, §  307 Rn.  18; Staudinger/ Coester, §  307 Rn.  131; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  145. 468  BGH NJW-RR 2008, 818, 820; Staudinger/Coester, §  307 Rn.  131.

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B.  Das deutsche Recht

angemessenen Preises regelmäßig bereits daran scheitern, dass der kausale Zu­ sammenhang zwischen Klausel- und Entgeltgestaltung betriebswirtschaftlich nicht nachweisbar ist.469 Außerdem würde die Inhaltskontrolle letztlich leerlau­ fen, wenn man den Verwendern mit dem Preisargument eine pauschale Rechtfer­ tigung aller belastenden Klauseln an die Hand geben würde.470 (b) Ausnahmen Das „Preisargument“ soll daher für die Angemessenheitsprüfung nach §  307 Abs.  1 S.  1 BGB allenfalls bei Hinzutreten besonderer Umstände Berücksichti­ gung finden dürfen.471 Anführen lässt sich insoweit ein Urteil des BGH zu den Bewachungsbedingungen eines Parkplatzbetreibers. Danach war die Geringwer­ tigkeit der Hauptleistung als Faktor bei der Beurteilung der Wirksamkeit einer Klausel zu berücksichtigen, die die Haftung für regelmäßig unkalkulierbare Kos­ ten eines sich selten verwirklichenden, aber gewichtigen Schadensrisikos ausge­ schlossen hatte (Haftung für den Verlust von Handelsware).472 Ebenso soll zu verfahren sein, wenn der Verwender seinem Kunden eine Tarifwahl zwischen mehreren Vertragsmodellen eröffnet, in denen eine unterschiedliche Risikotra­ gung mit einer entsprechenden Preisgestaltung verknüpft ist.473 Insgesamt zeich­ net sich eine sehr restriktive Berücksichtigungsfähigkeit des Preisarguments ab. Insbesondere im Hinblick auf die Möglichkeit einer Tarifwahl ist bisher noch kein Urteil ergangen, das eine Ausnahme von der Kardinalpflichtenrechtspre­ chung ausdrücklich gestattet hätte. Demgemäß ist grundsätzlich davon auszuge­ hen, dass eine Kompensation nur bei sachlicher Kongruenz der jeweiligen Vorund Nachteile in Betracht kommt. (c)  Der Umgang mit dem „Preisargument“ im Faurecia-Urteil Demgegenüber entspricht es der bisherigen Handhabung der französischen Rechtsprechung, das Preisargument in einer der zivilrechtlichen Generalklausel des §  138 BGB vergleichbaren Weise bei der Beurteilung der Wirksamkeit einer Haftungsklausel unabhängig vom Vertragswert oder einer etwaigen Tarifwahl zu 469 

Staudinger/Coester, §  307 Rn.  130; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  307 Rn.  224. BGH NJW-RR 2008, 818, 820; Staudinger/Coester, §  307 Rn.  132. 471  BT-Drucks. 7/3919, S.  23 („Der Klauselverwender wird sich aber nur unter besonderen, von ihm darzulegenden Umständen darauf berufen können, eine den anderen Vertragsteil be­ nachteiligende Klausel werde durch einen besonders niedrigen Preis ausgeglichen.“); BGH NJW-RR 2008, 818, 820. 472  BGH NJW 1968, 1718, 1720; ähnlich auch BGH NJW 1980, 1953. 473  BGH NJW-RR 2008, 818, 820; siehe auch BGH NJW 2009, 3227, 3228 zu der Tarifwahl in den AGB eines Mobilfunkbetreibers. 470 

VI.  Klauselkontrolle des AGB-Rechts

283

berücksichtigen.474 Dies gilt nicht nur für den ohnehin auf den Schutz des wirt­ schaftlich unterlegenen Vertragspartners zugeschnittenen Art. L. 442-1 I Nr.  2 C.  com., sondern auch für die Chronopost-Rechtsprechung. Belegen lässt sich dies anschaulich anhand des zweiten Faurecia-Urteils der Cour de cassation, wo die Zulässigkeit der haftungsbeschränkenden Klausel sogar maßgeblich darauf gestützt wurde, dass das Softwareunternehmen einem Preisnachlass in Höhe von 49  % zugestimmt hatte und dem Automobilzulieferer im Hinblick auf das zu entwickelnde Programm Ausschließlichkeits- sowie Vorzugsrechte eingeräumt hatte.475 Unterstellt, die summenmäßige Haftungsbeschränkung stünde in An­ wendung der vom BGH gestellten Anforderungen an das „Aushandeln“ i. S. d. §  305 Abs.  1 S.  2 BGB nicht hinreichend zur Disposition, wie dies nach dem bereits Gesagten anzunehmen ist, so dürften unter Berücksichtigung des außer­ gewöhnlich hohen Transaktionsvolumens im Verhältnis zum Haftungsrisiko kei­ ne Zweifel an der Unwirksamkeit der Klausel nach deutschem Recht gem. §  307 Abs.  2 Nr.  2 BGB bestehen. (3)  Kollektiv ausgehandelte Vertragswerke Einen weitergehenden Maßstab legt die Rechtsprechung demgegenüber in den Fällen kollektiv ausgehandelter Vertragswerke an, die von den beteiligten Krei­ sen als insgesamt ausgewogen anerkannt sind.476 Unter diesen Voraussetzungen lockert sich nach der Rechtsprechung des BGH der strenge Kontrollmaßstab des AGB-Rechts. Von solchen Vertragswerken darf nämlich typischerweise erwartet werden, dass sie einen auf die Besonderheiten der jeweiligen Materie abge­ stimmten, im ganzen ausgewogenen Ausgleich der beteiligten Interessen bereit­ halten.477 Von den Bestimmungen des dispositiven Rechts wird erwartungsge­ mäß sowohl zugunsten des Verwenders als auch zum Vorteil des Klauselgegners abgegangen.478 Wird daher ein solches Regelungswerk Vertragsbestandteil, so hat die grund­ sätzlich vorzunehmende klauselbezogene Inhaltskontrolle gem. §  307 Abs.  1 S.  1 BGB zu unterbleiben. Das Vertragsgefüge ist vielmehr auf der Grundlage einer

Leyens/Schäfer, AcP 210 (2010), 771, 772. Cass. com., Urt. vom 29.06.2010 – 09-11.841 = Bulletin civil IV, Nr.  115 = D. 2010, 1832, Anm. Mazeaud = JCP G 2010, Nr.  787, S.  1450, Anm. Houtcieff = JCP E 2010, Nr.  1790, S.  25, Anm. Stoffel-Munck = RDC 2010, 1220, Anm. Laithier = RDC 2010, 1253, Anm. Deshayes = RTD civ. 2010, 555, Anm. Fages. 476  Palandt/Grüneberg, §  307 Rn.  15; Staudinger/Coester, §  307 Rn.  128; Ulmer/Brandner/ Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  154. 477  BGH NJW 1983, 816, 818. 478  BGH NJW 1983, 816, 818. 474 Vgl. 475 

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B.  Das deutsche Recht

Gesamtbilanz der beiderseitigen Interessenlagen zu untersuchen.479 Aus einzel­ nen Klauseln erwachsende Nachteile können durch sämtliche, nicht zwangsläu­ fig rechtlich konnexe Vorteile kompensiert werden.480 Dies gilt indes nur für die Angemessenheitsprüfung nach §  307 Abs.  1 S.  1 BGB, während den speziellen Klauselverboten der §§  308, 309 BGB weiterhin eine isolierte Betrachtung zu­ grunde zu legen ist.481 Diesen Maßstab hat der BGH bisweilen lediglich auf die VOB/B482 (Vergabeund Vertragsordnung für Bauleistungen – Teil B), die ADSp483 (Allgemeine Deutsche Spediteurbedingungen) sowie in einem Urteil auf die AGNB484 (All­ gemeine Güternahverkehrsbedingungen) angewendet. Der BGH spricht insoweit von „allgemein geregelten Vertragsordnungen“ oder von „fertig bereitliegenden Rechtsordnungen“.485 Dagegen wurden Kfz-Reparaturbedingungen sowie den AGB für Datenverarbeitungsprogramme (BVB) der globale Maßstab unter dem Hinweis versagt, dass die bloße Beteiligung der anderen Marktseite an der Auf­ stellung der AGB nicht genügt, sondern allenfalls eine Indizwirkung im Rahmen der Abwägung nach §  307 Abs.  1 BGB entfalten kann.486 Stets ist erforderlich, dass die privilegierten Klauselwerke als Ganzes ohne Änderung in den Vertrag einbezogen werden.487 Sobald von diesen Klauselwer­ ken auch nur geringfügig abgewichen wird, unterliegen sämtliche Klauseln der üblichen, klauselbezogenen Inhaltskontrolle.488 Dies ist auch konsequent, da es sich bei dem Klauselwerk dann nicht mehr um einen nach Auffassung der betei­ 479 

BGH NJW 1983, 816, 818. BGH NJW 1983, 816, 818; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  154. 481  Palandt/Grüneberg, §  307 Rn.  15; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  154. 482  BGH NJW 1983, 816; BGH NJW 1990, 2384; BGH NJW 1991, 1812; BGH NJW 1999, 942, 943; BGH NJW 2004, 1597; BGH NZBau 2008, 640, 641 (Maßstab gilt nicht gegenüber Verbrauchern); instruktive Darstellung der Rechtsprechungsentwicklung des BGH zur AGB-Rechtlichen Privilegierung der VOB/B in Kuffer, NZBau 2009, 73 ff. 483  BGH NJW 1982, 1820, 1821; BGH NJW 1995, 1490, 1491; BGH NJW 1995, 3117, 3118; BGH NJW-RR 1997, 1253, 1255. 484  BGH NJW 1995, 2224, 2225 („die AGNB wurden 1955 von der Arbeitsgemeinschaft Güternahverkehr, dem DIHT, dem Gesamtverband des deutschen Groß- und Einzelhandels und dem deutschen Transportversicherungsverband aufgestellt. Es handelt sich bei ihnen um um­ fassende, fertig bereitliegende Rechtsordnungen, die seit Jahrzehnten angewandt werden, wenngleich auch die AGNB nicht so allgemein gebräuchlich wie die ADSp sind.“). 485  BGH NJW 1982, 1820, 1821; BGH NJW 1995, 3117, 3118. 486  BGH NJW 1987, 2818, 2819 (Kfz-Reparaturbedingungen); BGH NJW 1991, 976 (AGB für Datenverarbeitungsprogramme). 487  BGH NJW 1983, 816, 818; BGH NJW 1991, 1812, 1813; BGH NJW-RR 1991, 727; BGH NJW 1996, 2158, 2159; BGH NJW 2003, 1321, 1322; BGH NJW 2004, 1597, NJW-RR 2004, 957; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  281. 488  Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  154. 480 

VI.  Klauselkontrolle des AGB-Rechts

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ligten Verkehrskreise in der Gesamtbilanz ausgewogenen Interessenausgleich handeln kann.489 Jene Rechtsprechung des BGH wurde im Hinblick auf die VOB/B durch das zum 01.01.2009 in Kraft getretene Forderungssicherungsgesetz in §  310 BGB Abs.  1 S.  3 BGB gegossen und somit gesetzlich fixiert.490 Dies lässt die Frage aufkommen, ob daraus im Umkehrschluss abgeleitet werden kann, dass die ADSp sowie die AGNB keine Sonderrolle (mehr) bei der Klauselkontrolle ein­ nehmen sollen. Dafür würde jedenfalls ein Urteil des BGH aus dem Jahr 2005 sprechen, in dem die Haftungsbeschränkung aus Nr.  24 ADSp a. F. in Anwen­ dung der allgemeinen Grundsätze nach §  9 Abs.  2 Nr.  2 AGBG ohne Bezugnah­ me auf eine etwaige Sonderrolle der ADSp als „fertig bereitliegende Rechtsord­ nung“ für unwirksam erklärt wurde.491 dd)  Zwischenergebnis und Konsequenzen Von diesen besonderen Regelungswerken abgesehen sind die hohen Anforderun­ gen an eine wirksame Kompensation kaum geeignet, eine auch für aufwendig zwischen den Vertragsparteien verhandelte Transaktion überzeugende Lösung anzubieten. Anders als die vom Schrifttum sowie vom BGH vorgeschlagene Ter­ minologie nahezulegen scheint, entpuppt sich der Kompensationsgedanke unzu­ lässiger Klauseln durch sonstige Vorteile als das Erfordernis einer vollständigen Neutralisierung des beim Klauselgegner durch die zu bewertende Klausel verur­ sachten Rechtsnachteils. Insbesondere kann die nach AGB-Recht unzulässige Reduktion der Haftung für die sogenannten Kardinalpflichten nur dadurch kom­ pensiert werden, dass der Anspruch des Kunden auf Erstattung des vertragstypi­ schen, vorhersehbaren Schadens anderweitig befriedigt wird. Im Übrigen ist die Belastung des Klauselgegners mit einem solchen Haftungsrisiko auch bei erheb­ lichen sonstigen Vorteilen unzulässig. Daher hat eine etwaige Kompensation der im Wirtschaftsverkehr üblichen summenmäßigen Haftungsbeschränkungen durch Erleichterung der Haftungsvo­ raussetzungen in Gestalt eines Verzichts auf das Erfordernis eines Verschuldens­ nachweises etwa in Form einer Garantiezusage oder des Schadensnachweis durch Vereinbarung von Schadenspauschalen außer Betracht zu bleiben, da es sich hierbei um zwei unterschiedliche Rechtsbereiche handelt, die keiner kon­

489 

Staudinger/Coester, §  307 Rn.  128. Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  154; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  307 Rn.  206; Kuffer, NZBau 2009, 73, 76. 491  BGH NJW-RR 2006, 267, 270. 490 

286

B.  Das deutsche Recht

gruenten Rechtsverlagerung zugänglich sind.492 Der Kunde trägt nämlich trotz der Erleichterung der Voraussetzungen in der Anspruchsgeltendmachung unver­ ändert das Risiko für die Verletzung von Kardinalpflichten. Die strengen Anforderungen an die Kompensation nachteiliger Klauseln sind aus Gründen der Rechtssicherheit jedenfalls für Verträge des Massenverkehrs zu begrüßen. Jeder andere Beurteilungsmaßstab würde nämlich unweigerlich dazu führen, dem Richter die Abwägung dieser nicht vergleichbaren Rechtspositionen nach billigem Ermessen aufzubürden. Es fehlt schlichtweg ein rechtlicher Maß­ stab, der eine zuverlässige Abwägung sämtlicher Rechte gewährleisten könnte. Dies liegt daran, dass etwa die für den unternehmerischen Geschäftsverkehr be­ deutsame Frage, wie niedrig eine summenmäßige Haftungsbeschränkung zu sein hat, um eine verschuldensunabhängige Haftung aufzuwiegen, ebenso wie der „gerechte Preis“ allein von der individuellen Überzeugung der kontrahieren­ den Rechtssubjekte abhängt. Die strengen Anforderungen an die Kompensation verdeutlichen insoweit die Ungeeignetheit der AGB-Inhaltskontrolle für kom­ plexe Transaktionen, wie dies insbesondere bei Unternehmenskaufverträgen der Fall ist. g)  Abweichender Maßstab im unternehmerischen Geschäftsverkehr Schließlich bleibt zu erörtern, inwieweit die Geschäftserfahrenheit des Vertrags­ partners bei der Beurteilung der Angemessenheit einer Freizeichnungsklausel zu berücksichtigen ist. Grundsätzlich ist anerkannt, dass der spezifischen Geschäftserfahrenheit des unternehmerischen Vertragspartners bei der Beurteilung der Angemessenheit ­einer AGB Rechnung zu tragen ist.493 Die branchenspezifische Ungleichbehand­ lung einzelner Klauseln setzt dabei voraus, dass nach dem betroffenen Ver­ kehrskreis unter Zugrundelegung der für das AGB-Recht üblichen generalisie­ renden Betrachtungsweise eine abweichende Schutzbedürftigkeit des unterneh­ merischen Vertragspartners besteht.494 So hatte der BGH bereits vor dem Inkrafttreten des AGBG festgestellt, dass es bei der Vielschichtigkeit des heuti­ gen Wirtschaftslebens nicht möglich ist, für die Bestimmung der Zulässigkeit einer Klausel allgemeine Grundsätze aufzustellen. Vielmehr sind für die Rechts­ beziehungen zwischen den einzelnen Produktionsstufen der Industrie andere 492 

90.

So im Ergebnis auch Leuschner, AGB-Recht für Verträge zwischen Unternehmen, S.  2,

493  Die Schutzbedürftigkeit wegen unterlegener Verhandlungsmacht wird dagegen biswei­ len nur im Schrifttum gefordert, vgl. MünchKomm/Basedow, §  310 Rn.  8; Ulmer/Brandner/ Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  378; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  307 Rn.  187. 494  Palandt/Grüneberg, §  307 Rn.  39; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  375.

VI.  Klauselkontrolle des AGB-Rechts

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Grundsätze zu entwickeln als für die Rechtsbeziehungen zwischen Industrie und Handel oder zwischen Großhandel und Einzelhandel und wiederum andere Grundsätze für die Rechtsbeziehungen zwischen dem Handel und dem Ver­ braucher.495 Die spezifischen Erfahrungen mit Klauselinhalten und ihrer Wirkungsweise können eine geringere Schutzbedürftigkeit eines unternehmerischen Klauselgeg­ ners nach sich ziehen.496 Daraus darf indes nicht abgeleitet werden, dass die Schutzbedürftigkeit von Kaufleuten von vornherein entfällt.497 Entscheidend kommt es allein darauf an, ob der unternehmerische Klauselgegner Geschäfte der betreffenden Art häufiger abschließt und daher mit den Risiken besser ver­ traut und zu einer entsprechenden Vorsorge in der Lage ist.498 Zu berücksichti­ gen ist also, ob der Klauselgegner nach seiner unternehmerischen Tätigkeit mit dem jeweiligen Vertragsproblem sachlich kompetent befasst ist. Ist dies nicht der Fall, unterliegt ein Unternehmer grundsätzlich den gleichen Bewertungsmaßstä­ ben wie ein Privatkunde. Letzteres gilt insbesondere für solche Verträge, die au­ ßerhalb des eigentlichen Kernbereichs der Unternehmenstätigkeit liegen und für den Klauselgegner daher ähnlich wie bei Verbrauchern nur einen einmaligen oder gelegentlichen Vorgang darstellen.499 Insoweit wurde beispielsweise ein Kaufmann, der im Speditions- und Fracht­ führergewerbe international tätig war, beim Abschluss eines Versicherungsver­ trages als schutzwürdig erachtet, weil keine spezifisch-versicherungsrechtlichen Kenntnisse erwartet werden durften.500 Ebenso hat der BGH die Schutzbedürf­ tigkeit eines Unternehmers beim Abschluss eines Formularmietvertrags über Ge­ schäftsräume im Hinblick auf eine Endrenovierungsklausel unter dem Gesichts­ punkt bejaht, dass er über keine hinreichenden sachlichen Kenntnisse verfügen kann, da Geschäftsräume regelmäßig langfristig angemietet werden und sich die Problematik der Endrenovierung notwendigerweise erst am Ende der Vertrags­ laufzeit, also nach dem Vertragsschluss, stellt.501 Vor allem ist der Geschäfts­

495  BGH NJW 1957, 17, 18; für eine solche gruppenspezifische Abstufungen nach der Grö­ ße oder Funktion des Unternehmens, vgl. aus der neueren Literatur Ulmer/Brandner/Hensen/ Fuchs, §  307 Rn.  111, 378; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  307 Rn.  184. 496  Palandt/Grüneberg, §  307 Rn.  39; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  375; Wolf/ Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  307 Rn.  185, 195 ff. 497  BGH NJW 1985, 559, 560. 498  BGH NJW 2005, 2006, 2007; Palandt/Grüneberg, §  307 Rn.  39; Ulmer/Brandner/Hen­ sen/Fuchs, §  307 Rn.  375. 499  MünchKomm/Basedow, §  310 Rn.  8; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  378; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  307 Rn.  198 f. 500  BGH NJW 1985, 559, 560; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, §  307 Rn.  199. 501  BGH NJW 2005, 2006, 2007.

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B.  Das deutsche Recht

raummieter nicht generell weniger schutzbedürftig als der Wohnraummieter, der lediglich in bestimmten Teilbereichen besonderen Schutz genießt.502 Anders beurteilte der BGH dagegen die Wirksamkeit einer Spannungsklausel in einem Wärmelieferungsvertrag, nach dem sich der Gaspreis entsprechend der Preisentwicklung für leichtes Heizöl ändern sollte. Nachdem der BGH im Jahr 2010 solche Klauseln gegenüber Verbrauchern noch für unwirksam erklärt hat­ te503, nahm er mit zwei Urteilen aus dem Jahr 2014 die Angemessenheit einer entsprechenden ölpreisindexierten Preisanpassungsklausel gegenüber Unterneh­ mern an.504 Von einem energieintensiven Industrieunternehmen, das den Me­ chanismus einer ölpreisindexierten Preisgleitklausel kennen muss, sei nämlich zu erwarten, dass es sämtliche Kosten sorgfältig kalkuliere und deshalb einer solchen Klausel des Gaslieferanten besondere Aufmerksamkeit schenke. Weil die Kostenkalkulation zum Kernbereich kaufmännischer Tätigkeit gehöre, sei es die Aufgabe des Klauselgegners, selbstverantwortlich zu prüfen und zu entschei­ den, ob ein Gaslieferungsvertrag, der eine Spannungsklausel beinhaltet, für ihn als Abnehmer akzeptabel ist.505 Zusätzlich wurde die Entscheidung darauf ge­ stützt, dass die Bindung des Gaspreises an die Preisentwicklung für Heizöl in der Wirtschaft nicht nur weit verbreitet, sondern auch anerkannt ist, was bei der Be­ urteilung der Angemessenheit einer Klausel nach §  310 Abs.  1 S.  2 HS 2 BGB zu berücksichtigen sei.506 Das heißt, Unternehmer können durchaus gehalten sein, sich nicht ausschließ­ lich mit dem Preis und den Leistungseigenschaften auseinanderzusetzen, son­ dern in die Abwägung darüber hinaus solche Klauseln aufzunehmen, die für den betreffenden Geschäftskreis typisch sind und mit einem für den Unternehmer zumutbaren Aufwand in die Kostenkalkulation eingespeist werden können. Letztlich belegen diese Urteile den Ausnahmecharakter der Berücksichtigungs­ fähigkeit der typischen Geschäftserfahrenheit des Klauselgegners im unterneh­ merischen Geschäftsverkehr. Insbesondere ist auf dem Gebiet von Freizeich­ nungsklauseln bisweilen noch kein höchstrichterliches Urteil ergangen, das eine nach der Geschäftserfahrung differenzierende Lösung gestatten würde.

8. Ergebnis Die gesetzgeberische Grundentscheidung, den Geltungsbereich des AGB-Rechts nicht auf Verbraucherverträge zu beschränken oder in sonstiger Weise vom Vor­ 502 

Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  378. BGH NJW 2010, 2789. 504  BGH NJW 2014, 2708; BGH NJW 2014, 3508. 505  BGH NJW 2014, 2708, 2713. 506  BGH NJW 2014, 2708, 2713. 503 

VII.  Fazit zum deutschen Recht

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liegen einer generellen Paritätsstörung abhängig zu machen, führte in der Recht­ sprechung dazu, dass sich die AGB-Inhaltskontrolle in Ermangelung klarer Richtlinien zu einem Schutzinstrument entwickelt hat, das nahezu sämtliche Ne­ benbestimmungen des Rechtsverkehrs einem strengen Gerechtigkeitsmaßstab unterwirft. Diese von einem bedeutenden Teil des Schrifttums als übertrieben empfundene Ausdehnung der AGB-Inhaltskontrolle auf geradezu sämtliche Ver­ träge ist im Kern dem Umstand geschuldet, dass es sich bei der Verwendung von AGB gegenüber Unternehmern um keinen einheitlichen Tatbestand handelt, wie dies §  310 Abs.  1 S.  1 BGB nahezulegen scheint, die vom BGH gewählten Ab­ grenzungskriterien indes in sämtlichen Fällen die Eröffnung der AGB-Inhalts­ kontrolle nahelegen.507 Als Paradebeispiel lassen sich etwa großvolumige Unternehmenskaufverträge nennen, die wegen der immensen Vertragsrisiken umfassend unter fachkundiger Beratung zwischen den Vertragsparteien erörtert und verhandelt werden. Den Anforderungen der Rechtsprechung an das „Aushandeln“ i. S. d. §  305 Abs.  1 S.  3 BGB und damit an das Vorliegen einer der AGB-Inhaltskontrolle entzogenen Individualabrede dürften diese Verträge nicht genügen.508 Erschwerend kommt hinzu, dass die Kompensation unterschiedlich gepolter AGB nur in sehr engen Grenzen möglich ist. Vor allem ist der für den Wirtschaftsverkehr wichtige Aus­ gleich einer summenmäßigen Haftungsbeschränkung durch eine verschuldens­ unabhängige Haftung ausgeschlossen, soweit das Vertragsformular nicht auf ein Regelwerk zurückzuführen ist, das von den betreffenden Verkehrskreisen ge­ meinsam erarbeitet wurde, wie dies wohl lediglich bei der VOB/B der Fall ist.

VII.  Fazit zum deutschen Recht Zum Schutz der intellektuell oder wirtschaftlich unterlegenen Vertragspartei sieht §  138 BGB eine alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigende allgemei­ ne Vertragswirksamkeitskontrolle vor. Anders verhält es sich dagegen bei der erst mit der Schuldrechtsreform in das BGB eingefügten AGB-Inhaltskontrolle. Hier besteht zwar Einigkeit darüber, dass AGB einer Kontrolle zu unterliegen haben. Dagegen divergieren die Ansichten bei der Beantwortung der Frage, ­warum eine Kontrolle geboten ist. Die Konsequenz ist, dass sich die AGB-In­ haltskontrolle in der Rechtsprechung des BGH zu einem für nahezu sämtliche Koch, BB 2010, 1810, 1811. Vgl. insbesondere BGH NJW 2003, 1805, dem ein Generalunternehmervertrag mit der schlüsselfertigen Errichtung von 128 Wohneinheiten mit einem Vertragsvolumen von etwa 15 Mio. Euro zugrunde lag. 507 Vgl. 508 

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B.  Das deutsche Recht

Nebenbestimmungen geltenden Kontrollinstrument entwickelt hat, das zudem von einer sehr niedrigen Eingriffsschwelle geprägt ist, wohingegen die Voraus­ setzungen des §  138 BGB von der Rechtsprechung deutlich strenger ausgelegt werden.

C.  Rechtsvergleichende Zusammenfassung und Bewertung I. Einleitung Bis zur französischen Schuldrechtsreform war die Vertrags- und Klauselgerech­ tigkeitskontrolle im unternehmerischen Geschäftsverkehr nach Maßgabe des französischen Rechts deutlich zurückhaltender als nach deutschem Recht. Dies war im Wesentlichen der im Vergleich zum modernisierten deutschen Recht vor­ industriell geprägten Grundkonzeption des C. civ. geschuldet, die einer tief­ greifenden richterlichen Vertragsgerechtigkeitskontrolle entgegenstand. Die nunmehr geltende Kombination aus generalklauselartigen Kodifikationen der bisherigen Rechtsprechung mit dem modernen Kontrollinstrument gegen miss­ bräuchliche Klauseln in contrats d’adhésion konfrontiert die französischen Ge­ richte fortan mit der Entscheidung, ob sie an ihrer liberalen Rechtsprechung fest­ halten oder ihre Kontrollintensität in einer dem inzwischen etablierten deutschen Recht vergleichbaren Weise erhöhen wollen. Im Folgenden wird dafür plädiert – soweit es die reformierten Bestimmungen des französischen Schuldrechts gestat­ ten – die richterliche Vertragsgerechtigkeitskontrolle nach deutschem Vorbild auszugestalten und damit prinzipiell zu intensivieren. Im Hinblick auf die In­ haltskontrolle einzelner Klauseln wird dagegen ein an den Erkenntnissen der Rechtsökonomie orientierter Lösungsweg vorgeschlagen.

II. Vertragsunwirksamkeit 1.  Gemeinsamer Regelungsgedanke und Maßstab Zutreffend ziehen beide Rechtsordnungen aus dem vorrangig interpersonalen Schutzzweckgedanken der Vertragswirksamkeitskontrolle die Schlussfolgerung, dass sie im unternehmerischen Geschäftsverkehr nur von marginaler Bedeutung sein muss. Im Gegenteil birgt der übermäßige Schutz schwacher Marktteilneh­ mer nämlich stets das Risiko, das Funktionieren des Wettbewerbs insgesamt zu gefährden. Eine zu hohe richterliche Kontrolldichte würde zwangsläufig dazu

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C.  Rechtsvergleichende Zusammenfassung und Bewertung

führen, dass unerfahrenen oder finanzschwachen Unternehmern der Marktzu­ gang erschwert würde. Verträge würden aus Furcht vor der nachträglichen ge­ richtlichen Geltendmachung der Vertragsnichtigkeit durch schwache Marktteil­ nehmer nur zwischen etablierten und solventen Unternehmen geschlossen wer­ den. Schon aus diesem Grund ist nachvollziehbar, weswegen sowohl die deutsche Rechtsprechung am Maßstab des §  138 Abs.  2 BGB als auch die Cour de cassa­ tion in Anwendung der nunmehr in Artt.  1143, 1169 C. civ. kodifizierten Rechts­ institute den überlegenen Vertragsparteien weitgehende Gestaltungsbefugnisse einräumen. Dem Übervorteilenden wird im freien Spiel der Kräfte prinzipiell gestattet, seine eigenen Belange ohne Rücksicht auf den wirtschaftlich unterle­ genen Vertragspartner zu verfolgen.1 Aufgrund der divergierenden vertragsrecht­ lichen Grundprinzipien der beiden Rechtsordnungen zeichnet sich das französi­ sche Recht bei der konkreten Auslotung der Grenzen der als zulässig anzusehen­ den Vertragsgestaltung durch eine im Vergleich zum deutschen Recht deutlich liberalere Handhabung aus.

2.  Objektive Vertragsgerechtigkeitskontrolle Der gravierendste Unterschied geht aus dem Umstand hervor, dass der französi­ sche Gesetzgeber im Zuge der Reform nur in formeller Hinsicht auf das Rechts­ institut der cause verzichtet hat und daher in Art.  1169 C. civ. mit der Anordnung der Unwirksamkeit eines entgeltlichen Vertrages, der einen „lächerlich gerin­ gen“ Gegenwert („contrepartie dérisoire“) vorsieht, eine Rechtsnorm kodifiziert hat, die es gestattet, Verträgen unabhängig von der Schutzbedürftigkeit einer Ver­ tragspartei allein anhand der Gegenüberstellung der beiderseitigen Vorteile die Wirksamkeit zu versagen. Der deutsche Gesetzgeber brachte demgegenüber in §  138 Abs.  2 BGB die allgemeine Grundentscheidung zum Ausdruck, dass der Vergleich der beiderseitigen Leistungspflichten unabhängig vom Grad der Pari­ tätsstörung keinesfalls zur Unwirksamkeit des Vertrages führen kann. Erforder­ lich ist stets auch die Ausbeutung einer subjektiven Schwächeposition intellektu­ eller oder wirtschaftlicher Art. Die praktische Relevanz dieses dogmatischen Unterschieds lässt sich anhand des ersten Urteils der Getränkelieferungsrechtsprechung der Cour de cassation veranschaulichen, in dem die Vereinbarung einer ausschließlichen Mindestbe­ zugsmenge des Getränkebedarfs für die Dauer von 5 Jahren wegen Vorliegens einer unzulässigen „contrepartie dérisoire“ für unwirksam erklärt wurde, weil sich der Lieferant im Gegenzug lediglich dazu verpflichtet hatte, dem Wirt ein 1  So schon RGZ 128, 92, 97 („Im Wirtschaftskampfe kann es niemand verwehrt werden, seine eigenen Belange auch dann zu verfolgen, wenn dadurch ein anderer geschädigt wird.“).

II. Vertragsunwirksamkeit

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Darlehen in Höhe von 40.000 Francs zu vermitteln und sich für den Darlehens­ rückzahlungsanspruch gegenüber dem kreditgewährenden Bankinstitut zu ver­ bürgen. Nach deutschem Recht wäre der Vertrag angesichts der kurzen Dauer der Bezugspflicht2 sowie des Fehlens einer etwaigen intellektuellen oder wirt­ schaftlichen Ausbeutungslage des Gastwirts als wirksam anzusehen. Die gemischt objektiv-subjektive Konzeption des deutschen Rechts ist hier angesichts der potenziellen Leitgedanken staatlicher Intervention zu favorisie­ ren. Der Gastwirt kann nämlich durchaus ein Interesse am Abschluss eines sol­ chen Vertrages haben, da dieser für ihn nicht zwangsläufig schädlich ist. Der Schutz vor der Vereinbarung eines „lächerlich geringen“ Gegenwerts wird ihm unabhängig von seiner Schutzbedürftigkeit im Einzelfall oder den gesamtwirt­ schaftlichen Implikationen der Vereinbarung aufgedrängt. Mit anderen Worten ist die Aufrechterhaltung der Funktionen der cause nicht sinnvoll, soweit jene, wie dies bei der „contrepartie dérisoire“ der Fall ist, keinen überzeugenden Zweck verfolgen. Wenn sich eine Vertragspartei weder in einer wirtschaftlichen noch in einer intellektuell unterlegenen Position befindet, besteht kein Anlass, den gesamten Vertrag allein wegen der Vereinbarung eines „lächerlich geringen“ Gegenwerts für unwirksam zu erklären.

3.  Schutz der wirtschaftlich unterlegenen Vertragspartei a)  „Vorsprung“ der deutschen Rechtsordnung In Art.  1143 C. civ. kodifizierte der französische Gesetzgeber eine mit §  138 Abs.  2 BGB vergleichbare gemischt objektiv-subjektive Regelung, die dem Schutz der in ihrer Willensfreiheit beeinträchtigten Vertragspartei dient. Vor dem Hintergrund, dass die deutsche Rechtsordnung bereits mit dem Inkrafttreten des BGB die bis heute noch geltenden Maßstäbe zum Wuchertatbestand vorgegeben hat, die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung in einem Jahrhundert kon­ kretisiert wurden, während sich der entsprechende Schutz in Frankreich erst mit den Anfängen der Rechtsprechung zur violence économique im Jahr 2000 entwi­ ckeln konnte, wird im Hinblick auf die konkrete Grenzziehung zwischen zuläs­ siger Rechtsausübung und rechtlich zu missbilligender Benachteiligung der un­ terlegenen Vertragspartei deutlich, dass sich im deutschen Recht im Vergleich zum französischen Recht schärfere Konturen herausbilden konnten, die insge­ samt zur Steigerung der Rechtssicherheit und zur Verbesserung der Rechtsposi­ tion der benachteiligten Vertragspartei geführt haben. 2 Die äußerste zeitliche Grenze von Bierlieferungsverträgen liegt nach der Rechtspre­ chung des BGH erst bei 20 Jahren, vgl. BGH NJW 1992, 2145.

294

C.  Rechtsvergleichende Zusammenfassung und Bewertung

b)  Die missbräuchliche Ausbeutung der unterlegenen Verhandlungsposition Bei der Ausgestaltung der Tatbestandsvoraussetzungen des Art.  1143 C. civ. er­ möglichte der französische Gesetzgeber eine wertungsmäßige Perpetuierung der Rechtsprechung der Cour de cassation zur violence économique, die sich durch eine starke Zurückhaltung der richterlichen Intervention zum Schutz der willens­ freiheitsbeschränkten Vertragspartei auszeichnet. Der im Vergleich zum deutschen Recht erheblich liberalere Ansatz geht beson­ ders deutlich aus den Anforderungen hervor, die von der Rechtsprechung der Cour de cassation an das Vorliegen eines Missbrauchs (abus) gestellt wurden. Jenes Tatbestandsmerkmal sollte nämlich nur dann erfüllt sein, wenn dem Be­ nachteiligten der Nachweis einer missbräuchlichen Ausbeutung seiner unterlege­ nen Stellung durch aktive Einflussnahme der überlegenen Vertragspartei gelingt. Es handelt sich also nicht nur um ein an die Kenntnis und Absichten des Über­ vorteilenden anknüpfendes Tatbestandsmerkmal. Vielmehr enthält es eine nach außen hervortretende Komponente, die sich dadurch auszeichnet, dass die über­ legene Vertragspartei in verwerflicher Weise die unterlegene Vertragspartei be­ droht haben muss. Im deutschen Recht erfordert die dem abus entsprechende Ausbeutung einer Schwächeposition nach §  138 Abs.  2 BGB dagegen lediglich, dass der Wucherer Kenntnis von dem auffälligen Leistungsmissverhältnis und der Schwächepositi­ on seines Vertragspartners hatte und sich diese Situation bei Vertragsschluss vor­ sätzlich zunutze gemacht hat. Für das wucherähnliche Rechtsgeschäft nach §  138 Abs.  1 BGB liegt eine Ausbeutung sogar bereits dann vor, wenn sich die überle­ gene Vertragspartei zumindest leichtfertig dieser Erkenntnis verschlossen hat. Das Erfordernis der aktiven Einwirkung auf das Opfer ist dagegen allein der widerrechtlichen Drohung nach §  123 Abs.  1 Alt. 2 BGB zuzuordnen, die dafür kein auffälliges Missverhältnis zwischen den Leistungspflichten voraussetzt. Zu präferieren sind die geringeren Anforderungen der deutschen Rechtspre­ chung. Dafür spricht zunächst, dass die Beeinträchtigung der Willensfreiheit der abhängigen Vertragspartei durch ein aktives Drohverhalten des Übervorteilen­ den nicht verstärkt wird, da sie sich im Regelfall nach dem gegebenen Kontext ihrer (geschwächten) Verhandlungsposition auch ohne entsprechende „Erinne­ rung“ von Seiten des Übervorteilenden bewusst sein wird. Ferner lassen sich solche Einwirkungshandlungen in der Praxis nur sehr schwer nachweisen. Schließlich würde das Erfordernis einer aktiven Drohungshandlung neben einem bereits vorhandenen Abhängigkeitsverhältnis nur dann überzeugen, wenn Art.  1143 C. civ. der Reduktion von Transaktionskosten dienen würde, da jede Drohung typischerweise mit einem gewissen Vorbereitungsaufwand aufseiten des Übervorteilenden und Verteidigungsaufwand aufseiten des Übervorteilten

II. Vertragsunwirksamkeit

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verbunden ist.3 Dann wäre indes das eindeutig dem Schutz der unterlegenen Vertragspartei zuzuordnende Erfordernis der Erlangung eines „offensichtlich übermäßigen Vorteils“ kaum nachvollziehbar. Im Ergebnis sollte der Missbrauch in Art.  1143 C. civ. daher in Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung der Cour de cassation zur violence économique unab­ hängig vom Vorliegen etwaiger Drohungshandlungen im Sinne eines rein an die Vorstellungen und Absichten des Übervorteilenden anknüpfenden Tatbestands­ merkmals ausgelegt werden. Eine solche Handhabung stünde auch im Einklang mit dem generalklauselartigen Normwortlaut sowie dem Ziel der Reform, der unterlegenen Vertragspartei einen effizienteren Schutz zu gewähren. c)  Anforderungen an den ungerechten Vertragsinhalt Während die überlegene Vertragspartei nach der Rechtsprechung der Cour de cassation zur violence économique aus der Vertragspflicht der unterlegenen Ver­ tragspartei unmittelbare oder mittelbare Vorteile von besonderem Ausmaß zie­ hen muss, die offensichtlich außer Verhältnis zu dem stehen, was ihr der Vertrag eingebracht hätte, wenn er ohne diesen Druck geschlossen worden wäre, ist nach deutschem Recht allein das Wertverhältnis zwischen den beiderseitigen Leis­ tungspflichten ohne Berücksichtigung der mittelbaren Vor- oder Nachteile zu würdigen. Für den Abwägungsmaßstab des deutschen Rechts spricht, dass die Schutzbedürftigkeit der unterlegenen Vertragspartei und damit die Unwirksam­ keit des Vertrages nicht von der aus der Sphäre der begünstigten Vertragspartei herrührenden Frage abhängen kann, welche mittelbaren Vorteile sie aus der ihr gebührenden Vertragsleistung erzielt. Es handelt sich hierbei nämlich um einen Aspekt, der aus der Warte der übervorteilten Vertragspartei vom Zufall abhängt. Daher sollte der „offensichtlich überzogene Vorteil“ gem. Art.  1143 C. civ. ent­ sprechend den Anforderungen an den objektiven Tatbestand des §  138 Abs.  2 BGB allein nach dem Verhältnis der beiderseitigen Leistungspflichten zu bestim­ men sein. Dies ist auch möglich, da Art.  1143 C. civ. weder durch seine Ver­ wandtschaft zum Verbraucherschutzrecht (Gegenüberstellung der Leistungs­ pflichten) noch durch die Rechtsprechung zur violence économique (Berücksich­ tigung mittelbarer Vorteile) eindeutig zugunsten der einen oder der anderen Auslegung prädeterminiert ist.

4.  Schutz der intellektuell unterlegenen Vertragspartei Anders verhält es sich bei der Beurteilung der Schutzwürdigkeit der intellektuell unterlegenen Vertragspartei. Nach französischem Recht sind nach dem Video­ 3 Vgl.

Posner, Economic analysis of law, S.  115.

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C.  Rechtsvergleichende Zusammenfassung und Bewertung

verleih-Urteil der Cour de cassation, dessen Wertungen im Tatbestandsmerkmal des „illusorischen Gegenwerts“ („contrepartie illusoire“) aus Art.  1169 C. civ. ihren Niederschlag gefunden haben, Unternehmensgründer vor offensichtlich unrentablen Investitionen geschützt. Entscheidend kommt es allein darauf an, dass aus dem geplanten Vorhaben erkennbar für die Vertragsgegenseite keine die Verluste aufwiegenden Gewinne zu realisieren sind. Nach deutschem Recht kön­ nen Fehlinvestitionen dagegen nur dann die Vertragsunwirksamkeit oder -aufhe­ bung rechtfertigen, wenn sich die unterlegene Vertragspartei als intellektuell un­ fähig erweist, auch bei zumutbaren Anstrengungen ihren Irrtum zu erkennen und sich die beiderseitigen Leistungspflichten in einem auffälligen Missverhältnis zueinander befinden (§  138 BGB) oder die Gewinnerzielung von der anderen Vertragspartei besonders zugesichert wurde oder in sonstiger Weise als vertrags­ erheblich zu qualifizieren ist (§§  119 Abs.  2, 313 Abs.  2 BGB). Aus rechtsökonomischer Perspektive erweist sich das französische Recht bei der rechtlichen Behandlung von Fehlinvestitionen gegenüber dem BGB als vor­ zugswürdig. Das Interesse an einer effizienten Wirtschaft verbietet es, den Ab­ schluss von Verträgen zu billigen, die der Realisierung unrentabler Vorhaben und damit der „Vergeudung“ von Ressourcen dienen. Berücksichtigen ließe sich die­ ses gesellschaftsökonomische Interesse durch eine extensive Auslegung der „verkehrswesentlichen Eigenschaft“ i. S. d. §  119 Abs.  2 BGB sowie der Ge­ schäftsgrundlage nach §  313 Abs.  1 BGB dergestalt, dass auch wirtschaftliche Spekulationen einer Vertragspartei erfasst sind, soweit diese für die andere Ver­ tragspartei erkennbar waren.

III. Klauselunwirksamkeit 1.  Die Ermittlung des Kontrollzwecks vorformulierter Klauselwerke Die Beantwortung der Frage, wie ein Klauselkontrollsystem zu funktionieren hat, damit es imstande ist, sämtlichen Bedürfnissen des unternehmerischen Ge­ schäftsverkehrs vom alltäglichen Abschluss eines Telefonvertrags bis zum groß­ volumigen Unternehmenskaufvertrag angemessen Rechnung zu tragen, hängt entscheidend vom Regelungszweck ab, den man der Kontrolle vorformulierter Vertragsbedingungen beimisst. Hat man diesen Regelungszweck herausgearbei­ tet, kann insbesondere auch die Relevanz des Art.  1170 C. civ. neben dem Art.  1171 C. civ. sowie des Art.  1171 C. civ. neben dem spezialgesetzlichen Art. L. 442-1 I Nr.  2 C.  com. aufgeklärt werden. Seit dem Inkrafttreten des AGBG entwickelten sich im deutschen Schrifttum zahlreiche Ansätze, um das Kontrollbedürfnis vorformulierter Vertragsbedin­

III. Klauselunwirksamkeit

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gungen zu rechtfertigen.4 Wie bereits aufgezeigt, kann der tragende rechtliche Gesichtspunkt der AGB-Inhaltskontrolle jedenfalls nicht im Schutz der intellek­ tuell, wirtschaftlich oder „situativ“ unterlegenen Kundschaft liegen. Aufbauend auf Schmidt-Rimplers Lehre von der Richtigkeitsgewähr des Ver­ tragsinhalts bedarf es zur Ermittlung des Regelungszwecks zunächst einer Aus­ einandersetzung mit den Fragen, warum sich die Kunden des AGB-Verwenders nicht an der Vertragsgestaltung beteiligen, das Klauselwerk des Verwenders also nur entweder als Ganzes annehmen oder ablehnen und warum der Verwender von AGB den Vertragsinhalt ausschließlich nach seinem Interesse ausgestaltet, ohne den Interessen seines Kundenkreises Rechnung zu tragen.

2.  Begrenzte Rationalität als Ursache der einseitigen Vertragsgestaltung Wer sich am Markt eine Ware oder Dienstleistung beschaffen will, berücksichtigt im Regelfall allein die Produkteigenschaften sowie den hierfür zu entrichtenden Preis, den er gegebenenfalls mit anderen Angeboten vergleichen wird.5 Demge­ genüber werden die mit dem Vertrag verbundenen AGB üblicherweise schon nicht zur Kenntnis genommen, geschweige denn in die Abwägung der für und gegen den Vertragsschluss sprechenden Argumente einbezogen.6 Erklären lässt sich dies anhand der vom amerikanischen Sozial- und Wirt­ schaftswissenschaftler Herbert A. Simon entwickelten Theorie der begrenzten Rationalität (bounded rationality oder auch satisficing, eine Wortschöpfung aus satisfy und suffice).7 Danach ist die teilweise unterstellte oder geforderte Be­ rücksichtigung und Abwägung sämtlicher Faktoren, die den Nutzen sowie den Wert des zu erwerbenden Produkts ausmachen, für den durchschnittlichen Ab­ nehmer wegen der Beschränktheit des menschlichen Aufnahmevermögens nicht zu bewerkstelligen.8 Es erfolgt vielmehr eine Eingrenzung der Abwägung auf Nachweise bei Nicklisch, BB 1974, 941, 942. Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, S.  327; Grunsky, BB 1971, 1113, 1116. 6  Palandt/Grüneberg, Überbl. v. §  305 Rn.  6; a. A. Grunsky, BB 1971, 1113, 1116. 7  Grundlegend die Sammlung in Simon, Models of bounded rationality, Volume 1; Simon, Models of bounded rationality, Volume 2; siehe auch die Darstellung in Salehnejad, Bounded Rationality, S.  2 f., 70 ff.; Eidenmüller, JZ 2005, 216, 218. 8  Die entsprechende Annahme etwa in Grunsky, BB 1971, 1113 ff. unterliegt dem bekann­ ten Fehler der neoklassischen Wirtschaftsschule, wonach zwecks Rechtfertigung eines voll­ kommen freien Marktes von einer vollständigen Rationalität der Wirtschaftsteilnehmer ausge­ gangen wird, vgl. Drexl, Selbstbestimmung, S.  330 f.; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  86; Adams, BB 1989, 781, 783; Eidenmüller, JZ 2005, 216, 218 f.; Posner, der bedeutenste und meistzitierte Vertreter dieser Ansicht, ist in seinem Lehrbuch Economic analysis of law, S.  116 unterdessen von seiner Position abgerückt. 4  5 

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C.  Rechtsvergleichende Zusammenfassung und Bewertung

solche Aspekte, die mit den zur Verfügung stehenden kognitiven Ressourcen ­gestemmt werden können, sich mit möglichst niedrigem Aufwand beurteilen las­ sen und zugleich mit größtmöglicher Wahrscheinlichkeit zum erwünschten Er­ gebnis führen.9 Der Preis genügt dabei am ehesten diesen Anforderungen, da es insoweit aus­ reicht, die Entgelte der unterschiedlichen Anbieter einander gegenüberzustel­ len.10 Gleichermaßen können die Eigenschaften des Leistungsgegenstands und in Ausnahmefällen auch bestimmte, im Verkaufsgespräch besonders hervorge­ hobene, leicht vergleichbare Nebenbestimmungen wie etwa der Liefertermin oder die Zahlungsfrist ohne Schwierigkeiten dem Abwägungsvorgang zugeführt werden.11 Anders verhält es sich demgegenüber bei den Vertragsformularen des Massen­ verkehrs.12 Typischerweise handelt es sich hierbei um umfassende Klauselwer­ ke, die zuweilen auch gezielt jeglicher Transparenz entbehren und der Aufwand für die Lektüre (Informationszugang) sowie das Verständnis (Informationsverar­ beitung) abschreckend hoch wäre.13 Erschwerend kommt hinzu, dass eine Ab­ wägung der rechtlichen und wirtschaftlichen Implikationen der einzelnen beund entlastenden Klauseln ohne fachkundige Beratung meist nicht möglich ist.14 Der sich vor diesem Hintergrund bereits mit der Erschließung der AGB überfordert fühlende Kunde errechnet sich aus der vertieften Auseinanderset­ zung mit den AGB keinen den Aufwand rechtfertigenden Vorteil.15 Es lohnt sich für ihn nicht, Zeit und Geld in den ohnehin meist aussichtslosen Versuch zu investieren, durch Verhandlungen mit dem Verwender eine Abände­ rung der AGB zu erreichen oder andere Anbieter ausfindig zu machen, deren Vertragsbedingungen eine für ihn günstigere Regelung vorsehen.16 Liegen bei­ spielsweise die Kosten für den Rücktransport eines Kaufgegenstands, der in ­einem von hundert Fällen einen Defekt aufweist, bei 10 Euro, so wäre bereits die Möslein, Dispositives Recht, S.  310 f.; Lindacher, JZ 1981, 132. Grunsky, BB 1971, 1113, 1117; Hippel, BB 1973, 993; Löwe, BB 1972, 185, 186. 11  Kötz, Gutachten für den 50. DJT, A 34; Kötz, JuS 2003, 209, 211; Lindacher, JZ 1981, 132; Löwe, BB 1972, 185, 186. 12  Grunsky, BB 1971, 1113, 1117; Löwe, BB 1972, 185, 186. 13  Ulmer/Brandner/Hensen/Habersack, Einl. BGB Rn.  8; Braun, BB 1979, 689, 690; Köndgen, NJW 1989, 943, 946 f.; Wackerbarth, AcP 200 (2000), 45, 70. 14  Adams, BB 1989, 781, 783; Grunsky, BB 1971, 1113, 1117; Hippel, BB 1973, 993, 994; Kötz, JuS 2003, 209, 211; Leyens/H.-B. Schäfer, AcP 210 (2010), 771, 782; Wackerbarth, AcP 200 (2000), 45, 70. 15  Palandt/Grüneberg, Überbl. v. §  305 Rn.  6; Raiser, Das Recht der AGB, S.  19; Adams, BB 1989, 781, 784; Kötz, JuS 2003, 209, 211; Leyens/H.-B. Schäfer, AcP 210 (2010), 771, 783; Lindacher, BB 1972, 296, 297; Lindacher, JZ 1981, 131; Nicklisch, BB 1974, 944. 16  Kötz, JuS 2003, 209, 211; Wackerbarth, AcP 200 (2000), 45, 70. 9 

10 

III. Klauselunwirksamkeit

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Investition von mehr als 10 Cent in den Versuch, die Rücksendekosten im Ver­ handlungswege auf den Verkäufer zu übertragen oder alternative Anbieter mit günstigeren AGB ausfindig zu machen, als irrational zu bewerten.17 Dem Kun­ den bleibt letztlich zu hoffen, dass die für ihn nachteilige Klausel nicht zum Tragen kommen wird, sei es, weil der Vertrag glatt abgewickelt wird oder weil sich der Verwender aus Kulanz oder sonstigen Gründen nicht auf die Klausel berufen wird.18 Wird die nachteilige Klausel ausnahmsweise im Nachhinein doch von Bedeutung, belegen Praxiserfahrungen, dass mit einem signifikanten Kundenschwund ohnehin nicht zu rechnen ist.19 Hintergrund ist hier der Um­ stand, dass der Kunde in diesem Fall zwar den mit der betreffenden Klausel verbundenen Nachteil in seine Abwägung einbeziehen kann, er aber nach wie vor nicht vom Aufwand befreit wäre, zu prüfen, inwiefern konkurrierende An­ bieter nicht dieselben, ähnliche oder sonstige nachteilige Klauseln vorsehen. Im Regelfall bedenkt der Abnehmer aus Zeitmangel oder Gleichgültigkeit jedoch erst gar nicht, dass es nach beiderseitigem Leistungsaustausch noch zu irgend­ welchen Störungen kommen könnte, deren Abwicklung unter Umständen in den AGB geregelt ist.20 Das heißt, die als unverhältnismäßig empfundenen, sogenannten „prohibiti­ ven“ Transaktionskosten verhindern den Wettbewerb der Vertragskonditionen, also den Vergleich der AGB unterschiedlicher Anbieter durch die Kunden, weil der Aufwand, der für die Informationsbeschaffung und -verarbeitung vonnöten wäre, außer Verhältnis zum erwarteten Vorteil stünde.21

3.  Fehlender Konditionenwettbewerb als Ursache der eigennützigen Vertragsgestaltung Auf der Seite des Verwenders bewirkt der fehlende Konditionenwettbewerb, dass er seine Marktposition keineswegs durch eine attraktive Gestaltung seines Konditionenangebots verbessern kann.22 Ihm fehlt in Konsumgütermärkten jeg­ Beispiel angelehnt an Kötz, JuS 2003, 209, 212; Möslein, Dispositives Recht, S.  304. Habersack, Drittinteressen, S.  107; Nicklisch, BB 1974, 941, 944, 946. 19  Leyens/H.-B. Schäfer, AcP 210 (2010), 771, 784; zur Problematik der Wiederholungs­ käufe, vgl. die ausführlichen Erwägungen in Adams, BB 1989, 781, 784 f. 20  Löwe, BB 1972, 185, 186; Wackerbarth, AcP 200 (2000), 45, 70. 21  Fuchs, in: Festschrift für Blaurock, S.  91, 97 („Transaktionskostenproblem“); Habersack, Drittinteressen, S.  106; Habersack, in: Festschrift für Köhler, S.  209, 210; MünchKomm/ Basedow, Vorb. §§  305–310 Rn.  5; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  86; Wendland, Vertragsfreiheit, S.  598; Adams, BB 1989, 781, 784; Leuschner, AcP 207 (2007), 491, 496; Leuschner, JZ 2010, 875, 879; Leyens/H.-B. Schäfer, AcP 210 (2010), 771, 783, 788; Kötz, JuS 2003, 209, 211. 22  Stoffels, AGB-Recht, Rn.  86; Adams, BB 1989, 781, 784; Leyens/H.-B. Schäfer, AcP 210 (2010), 771, 783 f. 17  18 

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C.  Rechtsvergleichende Zusammenfassung und Bewertung

licher Anreiz, mit besonders kundenfreundlichen Vertragsbedingungen zu ­werben.23 Im Gegenteil würde ein Unternehmer mit kundenorientierten AGB gegenüber einem Konkurrenten, der sämtliche Vertragsrisiken in seinen Vertragsformularen vollständig auf seine Kunden „abwälzt“, einen erheblichen Wettbewerbsnachteil erleiden.24 Letzterer könnte nämlich, ceteris paribus, aufgrund der oben be­ schriebenen, beschränkten Rationalität der Kunden bei ihrer Erwerbsentschei­ dung, seine Produkte zu niedrigeren Preisen vertreiben.25 Hinzu kommt, dass etwa die Anpreisung eines großzügigen Gewährleistungsregimes den Kunden die Möglichkeit einer mangelhaften Leistung vergegenwärtigt und sich insoweit sogar negativ auf die Konsumentscheidung auswirken, mithin die erhoffte Stei­ gerung des Umsatzes konterkarieren kann.26 In den Wirtschaftswissenschaften wird dieses Phänomen als ein Anwendungs­ fall der sogenannten Principal-Agent-Theorie betrachtet. Diese besagt, dass ein Unternehmer (agent) seinen Informationsvorsprung gegenüber seinem Vertrags­ partner (principal) opportunistisch ausschließlich zur eigenen Gewinnmaximie­ rung ausnutzen wird.27 In einem vollkommen freien Markt würde der fehlende Konditionenwettbe­ werb die konkurrierenden Unternehmer zu einem „race to the bottom“ veranlas­ sen, in dem sich derjenige Marktteilnehmer durchsetzt, der die kundenfeindlichs­ ten AGB anbietet.28 23  Ganz h. M., vgl. schon Adams, BB 1989, 781, 784; Brandner, JZ 1973, 613, 615; Braun, BB 1979, 689, 690; Hippel, BB 1973, 993 f.; aus dem neueren Schrifttum etwa MünchKomm/ Basedow, Vorb. §§  305–310 Rn.  4 ff.; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  86; Habersack, Drittinteressen, S.  107; Kötz, JuS 2003, 209, 213; Leyens/H.-B. Schäfer, AcP 210 (2010), 771, 784; Wackerbarth, AcP 200 (2000), 45, 70 f. 24  Grundlegend zur Entstehung und den Konsequenzen einer adversen Selektion bei Infor­ mationsdefiziten des Abnehmerkreises ist das Gebrauchtwagenhändler-Beispiel in Akerlof, Quarterly Journal of Economics 84 (1970), 488, 488 ff.; ebenso anschaulich das Restaurantbe­ treiber-Beispiel in H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S.  372 f. sowie speziell für AGB das Banken-Beispiel in Kötz, JuS 2003, 209, 213. 25  Drexl, Selbstbestimmung, S.  331; Adams, BB 1989, 781, 784; Leyens/H.-B. Schäfer, AcP 210 (2010), 771, 789; Wackerbarth, AcP 200 (2000), 45, 70. 26  Posner, Economic analysis of law, S.  116; siehe auch Kötz, Gutachten für den 50. DJT, A 35 („Hinzu kommt, daß in vielen Fällen der werbende Hinweis auf eine verbraucherfreund­ liche AGB-Klausel schlecht in die übrige Werbestrategie des Unternehmers hineinpaßt: Wer immer wieder behauptet, daß seine Waren stets von tadelloser Beschaffenheit seien, wird un­ gern im gleichen Atemzug sagen, daß gerichtliche Auseinandersetzungen am Wohnsitz des Käufers, nicht – wie bei der Konkurrenz – am Sitz des Unternehmers gefürt werden könnten.“). 27 Instruktiv aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht Alparslan, Prinzipal-Agent-Theorie, S.  11 ff.; Beck, Mikroökonomie, S.  208; Frambach, Basiswissen Mikroökonomie, S.  230; Oehlrich, Organisation, S.  115, 120 ff. 28  Fuchs, in: Festschrift für Blaurock, S.  91, 97 f.; Wendland, Vertragsfreiheit, S.  599;

III. Klauselunwirksamkeit

301

Bei der konkreten Vertragsgestaltung manifestiert sich dies dadurch, dass die Risiken nicht nach dem Prinzip der überlegenen Kostenvermeidung (cheapest cost avoider) zwischen den Vertragsparteien fair aufgeteilt und zugeordnet wer­ den, wie dies nach Verhandlungen zwischen zwei gleich informierten Vertrags­ parteien zu erwarten wäre.29 Es besteht für den agent kein Anlass, sich bei der Gestaltung seiner Vertragsklauseln von der Beherrschbarkeit oder Versicherbar­ keit der Schadensrisiken leiten zu lassen. Vielmehr werden umfassend auch sol­ che Haftungsrisiken auf den principal umgelegt, die eindeutig der Einflusssphäre des agents zuzuordnen sind oder durch diesen mit einem geringeren Prämienauf­ wand versichert werden könnten und dementsprechend die Risikovorsorge durch ihn kostengünstiger betrieben werden könnte.30 Dieses Phänomen wird dadurch verdeutlicht, dass größere Unternehmen je nachdem, ob sie in dem abzuschlie­ ßenden Vertrag als Käufer oder Verkäufer auftreten, unterschiedliche Einkaufsund Lieferbedingungen bereithalten.31 Insgesamt verfolgen die einschlägigen Mustertexte vorrangig das Ziel, sämtliche aktuellen und potenziellen Vertrags­ kosten vom Verwender auf den Kunden zu verlagern.32

4. Zwischenergebnis Geklärt ist damit, warum der Verwender seine AGB ausschließlich nach seinen eigenen Interessen ausgestaltet und warum der Kunde diese typischerweise un­ belesen entweder als Ganzes annimmt oder ablehnt. Wie jedoch den §§  145 ff. BGB über den Vertragsschluss zu entnehmen ist, können jene Charakteristiken der AGB für sich genommen nicht für die Rechtfertigung der Inhaltskontrolle ausschlaggebend sein. Das BGB sieht nämlich für den wirksamen Abschluss ­eines Vertrages die fehlende Einflussnahme durch den Annehmenden als den Regelzustand an.33 Der Vertrag kommt sogar nur dann wirksam zustande, wenn

Adams, BB 1989, 781, 784; Kötz, JuS 2003, 209, 213; Leyens/H.-B. Schäfer, AcP 210 (2010), 771, 784, 788; Wackerbarth, AcP 200 (2000), 45, 71; siehe auch BGH NJW-RR 2008, 818, 820. 29  Kötz, JuS 2003, 209, 214; Leyens/H.-B. Schäfer, AcP 210 (2010), 771, 780; allgemeine Kriterien bei der Bestimmung des „cheapest cost avoider“ in H.-B. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S.  252 ff. und darauf aufbauend die Erzielung einer gerechten Risikoverteilung S.  430 ff. 30  Palandt/Grüneberg, Überbl. v. §  305 Rn.  6; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  72 f.; siehe aus dem älteren Schrifttum bereits Adams, BB 1989, 781, 782; Lindacher, BB 1972, 296. 31  Raiser, Das Recht der AGB, S.  22. 32  Leyens/H.-B. Schäfer, AcP 210 (2010), 771, 778; Lindacher, BB 1972, 296; Löwe, BB 1972, 185, 186; Nicklisch, BB 1974, 941. 33  Fuchs, in: Festschrift für Blaurock, S.  91, 101; Wackerbarth, AcP 200 (2000), 45, 64.

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C.  Rechtsvergleichende Zusammenfassung und Bewertung

das fertige Angebot ohne Erweiterungen, Einschränkungen oder sonstigen Än­ derungen angenommen wird.34 Dass der Verwender Änderungsvorschlägen der Kunden mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht entgegenkommen wird, ist bei sämtlichen Vertragsangeboten und nicht nur bei solchen unter Einbeziehung von AGB denkbar und daher kein hinreichender Anlass, die Kontrolle des Vertrags­ inhalts zu rechtfertigen.35 Daher muss es entscheidend auf einen anderen Aspekt ankommen, der dem gesetzgeberischen Eingriff in die Privatautonomie zugrun­ de liegt.36

5.  Rationalisierungsfunktion vorformulierter Vertragsbedingungen a)  Raisers Rationalisierungsgedanke Wie bereits dargelegt, ist der Geltungsgrund des AGB-Rechts weder im Schutz des wirtschaftlich, noch des intellektuell, noch des „situativ“ unterlegenen Kun­ den zu erblicken. Um den Regelungszweck zu begreifen, bedarf es einer Rück­ besinnung auf die Funktionen der AGB, wie sie bereits von Raiser überzeugend erläutert wurden. Raisers „bahnbrechende Monographie“37 über „Das Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen“ aus dem Jahr 1935, die die Schaffung des AGBG aus dem Jahr 1976 maßgeblich beeinflusst hat, ist für das heutige Begriffsverständnis von herausragender Bedeutung.38 Richtungsweisend ist insoweit die Feststel­ lung, dass sich die zahlreichen Erwägungen, die einen Unternehmer zur Verwen­ dung von AGB bewegen, insbesondere auf „das Streben nach Rationalisierung der Massenverträge“ zurückführen lassen.39 Der ökonomische Ausdruck der Rationalisierung tauchte im deutschen Sprach­ gebrauch erstmalig in den 1920er Jahren auf.40 Man versteht hierunter allgemein die Steigerung der wirtschaftlichen Effizienz durch Erhöhung der Produktivität und Verringerung der Gesamtkosten.41 Im Idealfall führt dies auf der Seite des 34  §  150 Abs.  2 BGB: „Eine Annahme unter Erweiterungen, Einschränkungen oder sonsti­ gen Änderungen gilt als Ablehnung verbunden mit einem neuen Antrag“. 35  Wackerbarth, AcP 200 (2000), 45, 64. 36  So im Ergebnis auch Adams, BB 1989, 781, 784 („Es wäre jedoch übereilt, lediglich aufgrund dieser Überlegungen einen Staatseingriff zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu befürworten“). 37  BT-Drucks. 7/3919, S.  11; Hippel, BB 1973, 993. 38  So auch Stoffels, AGB-Recht, Rn.  17; Ulmer/Brandner/Hensen/Habersack, Einl. BGB Rn.  10; Hensen, JA 1981, 133. 39  Raiser, Das Recht der AGB, S.  19 f. 40  Buchholz, Geschichte und Begriff der Rationalisierung, S.  23. 41  Vgl. die Definitionsansätze in Buchholz, Geschichte und Begriff der Rationalisierung, S.  23 ff.

III. Klauselunwirksamkeit

303

Unternehmers aufgrund der Erhöhung des Abnehmerkreises zu einer Maximie­ rung der Gewinne und auf der Seite der Kunden als Repräsentanten der Gesell­ schaft aufgrund sinkender Preise zu einer Steigerung des Gemeinwohls. b)  Verwirklichung des Rationalisierungsgedankens durch das dispositive Vertragsrecht Ausgehend von dieser Prämisse wurde schon früh erkannt, dass Rationalisierung nicht nur durch die mit dem technischen Fortschritt einhergehende Optimierung der Herstellungsprozesse erreicht werden kann. Vielmehr bergen auch die Ver­ tragsvorbereitung und -verhandlung ein erhebliches Einsparungspotential. Durch die Zurverfügungstellung einer dispositiven Vertragsrechtsordnung leistete der Gesetzgeber einen effizienten Beitrag zur Rationalisierung der wirtschaftlichen Austauschbeziehungen. Zum Abschluss eines wirksamen Vertrages genügt näm­ lich bereits die Einigung über die wesentlichen Vertragsbestandteile, also die Hauptleistungspflicht sowie das korrespondierende Entgelt.42 Im Übrigen richten sich der Leistungsort, der Leistungszeitpunkt sowie insbesondere das Leistungs­ störungsrecht nach dem subsidiär zur Verfügung stehenden dispositiven Ver­ tragsrecht.43 Jenes kann aus der Perspektive der Rechtsökonomie als eine Rekon­ struktion eines vollständigen Vertrages angesehen werden, also eines Vertrages, bei dem sich die Vertragsparteien über sämtliche Unwägbarkeiten ausgetauscht und die Vertragsrisiken dergestalt aufgeteilt haben, dass insgesamt der beidersei­ tige Vorteil aus dem Vertrag maximiert wird.44 Das Gesetz ermöglicht auf diese Weise eine umfassende Reduktion des Ver­ tragsvorbereitungs- sowie Verhandlungsaufwands und damit der sogenannten Transaktionskosten, also der Kosten, die im Zusammenhang mit dem Vertrags­ schluss anfallen. Diese Kostenersparnis schlägt sich im freien Wettbewerb prin­ zipiell in der Senkung des für die angebotene Ware oder Dienstleitung zu ent­ richtenden Entgelts nieder und kommt allen Teilnehmern des Rechtsverkehrs zugute (Wohlfahrtsgewinne).45

Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, S.  318; Adams, BB 1989, 781; Wackerbarth, AcP 200 (2000), 45, 77. 43  Wackerbarth, AcP 200 (2000), 45, 77. 44  Möslein, Dispositives Recht, S.  40; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S.  433; Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, S.  318. 45  Adams, BB 1989, 781. 42 

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C.  Rechtsvergleichende Zusammenfassung und Bewertung

c)  Die lückenfüllende Funktion vorformulierter Vertragsbedingungen Raum für das „selbstgeschaffene Recht der Wirtschaft“46, also für die privatwirt­ schaftliche Gestaltung der Rechtsbeziehungen durch vorformulierte Vertragsbe­ dingungen, bleibt in solchen Bereichen, in denen das dispositive Gesetzesrecht an seine Grenzen stößt.47 Man spricht in diesem Zusammenhang daher auch von der Lückenausfüllungs-48 oder auch Typisierungsfunktion49 von vorformulierten Vertragsbedingungen: Einerseits gestatten vorformulierte Klauselwerke die Anpassung der klassi­ schen Vertragstypen, mithin des dispositiven Rechts ( etwa über Kauf-, Miet-, und Werkverträge), an die Bedürfnisse des sich ständig wandelnden Wirtschafts­ lebens.50 Im weitesten Sinne gehört in diesen Aufgabenkreis der AGB auch die Klärung derjenigen Rechtsfragen, die nach dem Willen des Gesetzgebers vorran­ gig von den Parteien zu präzisieren sind, wie dies etwa beim Leistungszeitpunkt nach §  271 Abs.  1 BGB sowie -ort nach §  269 Abs.  1 BGB der Fall ist. Andererseits dienen vorformulierte Vertragsbedingungen der Schaffung einer rechtssicheren Vertragsordnung für neu entstandene Vertragstypen (wie bspw. Factoring-, Franchise-, Leasing- oder Vertragshändlerverträge), für die keine hinreichenden gesetzlichen Regelungen zur Verfügung stehen.51 In diesen vom dispositiven Recht allenfalls rudimentär erfassten Bereichen rentiert sich für den Anbieter einer Ware oder Dienstleistung des modernen Mas­ senverkehrs die Erarbeitung gleichförmiger vertraglicher Nebenbedingungen, weil sie den internen Organisations- sowie den externen Vertragsanbahnungs-, Vertragsverhandlungs- sowie Vertragsdurchführungsaufwand entlasten.52 Auch werden durch die Standardisierung in der Vertragsgestaltung Zeit und Kosten für die Beilegung späterer Meinungsverschiedenheiten über den Klauselinhalt auf ein angemessen prognostizierbares und kalkulierbares Maß verringert.53 Dies 46  Großmann-Doerth, Selbstgeschaffenes Recht der Wirtschaft und staatliches Recht, 1933 Freiburg i. Br. 47  BT-Drucks. 7/3919, S.  9; siehe auch Leuschner, AcP 207 (2007), 491, 504, der es ange­ sichts der beschränkten Ressourcen des Gesetzgebers für unmöglich hält, „jeder Branche das passende ‚Rechtskleid‘ zu schneidern“. 48  Kötz, Gutachten für den 50. DJT, A 24; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  124. 49  Stoffels, AGB-Recht, Rn.  71. 50  BT-Drucks. 7/3919, S.  9; Palandt/Grüneberg, Überbl. v. §  305 Rn.  4; Stoffels, AGBRecht, Rn.  68; Ulmer/Brandner/Hensen/Habersack, Einl. BGB Rn.  4. 51  BT-Drucks. 7/3919, S.  9; Niebling/Niebling, Vor §§  305–310 Rn.  4; Palandt/Grüneberg, Überbl. v. §  305 Rn.  4; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  71; Ulmer/Brandner/Hensen/Habersack, Einl. BGB Rn.  4; Hensen, JA 1981, 133, 134; Nicklisch, BB 1974, 941. 52  Habersack, Drittinteressen, S.  108; Kötz, Gutachten für den 50. DJT, A 24 f.; Stoffels, AGB-Recht, Rn.  67, 85; Leyens/H.-B. Schäfer, AcP 210 (2010), 771, 779. 53  Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  121.

III. Klauselunwirksamkeit

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kommt auch dem Kunden zugute, dem eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Materie sowie der Einstieg in Vertragsverhandlungen erspart wird. Insgesamt führt die Erarbeitung und Verwendung von AGB in den nicht hinreichend vom dispositiven Recht geregelten Bereichen daher aus der Warte der Rechtsökono­ mie zu einer Steigerung der wirtschaftlichen Wohlfahrtsgewinne (Ressourcenal­ lokation) durch Reduktion der allseitigen Transaktionskosten und Beschleuni­ gung des Rechtsverkehrs, vorausgesetzt, dass die vertiefte Auseinandersetzung mit dem Klauselinhalt vonseiten der Kunden unterbleibt.54 d)  Verhaltenssteuernder Zweck der Kontrolle vorformulierter Vertragsbedingungen aa)  Rechtsökonomischer Hintergrund Berücksichtigt man nun, dass der Verwender nach dem oben Gesagten die einsei­ tige Inanspruchnahme der Vertragsgestaltungsfreiheit in Ermangelung eines Konditionenwettbewerbs stets zu seinem eigenen Vorteil ausnutzt, wird das hin­ ter der Kontrolle vorformulierter Vertragsbedingungen stehende wirtschaftliche Steuerungsinteresse deutlich: Das Ziel des AGB-Rechts liegt nicht darin, den Schwachen vor dem Starken zu schützen, sondern vielmehr darin, für die Kunden bei der alltäglichen Be­ schaffung von Waren oder Dienstleistungen Anreize zu schaffen, die allseitigen Transaktionskosten zwecks Förderung der Gesamtwirtschaft möglichst gering zu halten.55 Dies wird dadurch realisiert, dass die Wirtschaftsteilnehmer dafür „be­ lohnt“ werden, wenn sie sich nicht mit dem „Kleingedruckten“ auseinanderset­ zen, indem sie sich dann darauf verlassen können, dass jede Abweichung von berechtigten Gerechtigkeitserwartungen an die nähere Ausgestaltung des Vertra­ ges der richterlichen Vertragskontrolle zum Opfer fällt.56 Das Interesse an einer funktionierenden und vor allem effizienten Volkswirtschaft verbietet es, die Marktteilnehmer dazu anzuhalten, sich stets umfassende Gewissheit über die rechtlichen Konsequenzen der ihnen vorgelegten AGB zu verschaffen.

54  Stoffels, AGB-Recht, Rn.  85; Leyens/Schäfer, AcP 210 (2010), 771, 779; zur ökonomi­ schen Analyse des Rechts, vgl. Scheufen, Angewandte Mikroökonomie und Wirtschaftspolitik, S.  5 ff.; grundlegend im Hinblick auf die Anforderungen an eine effiziente Ressourcen­allo­ka­ tion ist das sog. Coase-Theorem, vgl. Coase, The Problem of Social Cost, 3 J. L. & Econ. 1, 1960. 55 Vgl. Leyens/Schäfer, AcP 210 (2010), 771, 775; diametral entgegengesetzt BT-Drucks. 7/3919, S.  23. 56 Vgl. Wackerbarth, AcP 200 (2000), 45, 81; kritisch Leyens/H.-B. Schäfer, AcP 210 (2010), 771, 791.

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C.  Rechtsvergleichende Zusammenfassung und Bewertung

Bei der Abwägung der für und gegen den Vertragsschluss sprechenden Argu­ mente sollen nur solche Faktoren berücksichtigt werden, die für die Steigerung des Gemeinwohls von Relevanz sind und zugleich mit keinen nennenswerten Suchkosten einhergehen. Dies betrifft sowohl den Preis als auch die qualitätsprä­ genden Produktmerkmale.57 Insoweit soll der Kunde durchaus gehalten sein, die Angebote unterschiedlicher Anbieter miteinander zu vergleichen, um derge­ stalt wiederum Anreize für die Anbieter zu schaffen, ihre Produktion stetig zu optimieren. Die Kunden sollen zwischen Anbietern gleicher Produktqualität den preiswerteren aussuchen und zwischen Anbietern, die das gleiche Entgelt for­ dern, denjenigen, der hierfür eine höhere Produktqualität anbieten kann. Demgegenüber soll das Konditionenangebot des Verwenders nicht in den Ab­ wägungsvorgang einfließen.58 Zum einen ist die Gewichtung sowie der Ver­ gleich der Vertragskonditionen unterschiedlicher Anbieter aufgrund ihrer typi­ schen Komplexität nur unter unverhältnismäßigem Zeit- und Kostenaufwand möglich, der eine Verlangsamung des gesamtwirtschaftlichen Warenaustauschs (Ressourcenallokation) nach sich ziehen würde,59 zum anderen ist der Einsatz „guter“ AGB zu hohem Preis oder „schlechter“ AGB zu niedrigem Preis geeig­ net, den Wettbewerb zu verzerren, da die AGB im Unterschied zum Preis-Leis­ tungs-Verhältnis nicht geeignet sind, die Effizienz des Unternehmens widerzu­ spiegeln.60 Unternehmer können nämlich ohne großen Aufwand durch schlich­ ten Austausch der Vertragsformulare nach Belieben besonders kundenfreundliche oder -feindliche AGB anbieten, während die Optimierung des Leistungsangebots typischerweise mit deutlich höheren Anstrengungen verbunden ist. Während also die Inhaltskontrolle vorformulierter Vertragsbedingungen den Anbieter einer Leistung des alltäglichen Geschäftsverkehrs dazu veranlassen So auch Wackerbarth, AcP 200 (2000), 45, 71, 80; hinzukommen können ggf. auch zugunsten des Kunden vom dispositiven Recht abweichende, leicht verständliche Klauseln wie etwa Verlängerungen der Gewährleistungsfrist. 58  So im Ergebnis auch Habersack, Drittinteressen, S.  108 f.; Eidenmüller, JZ 2005, 216, 222 („die Kontrolle von AGB [ist] aus ökonomischer Sicht aufgrund der rationalen (nicht irra­ tionalen!) Ignoranz der Klauselgegner und des dadurch ausgelösten Mechanismus der adversen Selektion gerechtfertigt“); Leyens/H.-B. Schäfer, AcP 210 (2010), 771, 788; Lieb, AcP 178 (1978), 196, 202; Wackerbarth, AcP 200 (2000), 45, 71 f., 80; a. A. Grunsky, BB 1971, 1113, 1116; Lindacher, BB 1972, 296, 298 f.; Nicklisch, BB 1974, 946. 59  Adams, BB 1989, 781, 787 f. 60  So im Ergebnis auch Kötz, Gutachten für den 50. DJT, A 29 („Denn nur wenn sich die Schadensgeneigtheit einer Ware oder Leistung in ihrem Preis widerspiegelt, ist die Gewähr dafür gegeben, daß von der Ware oder Leistung das volkswirtschaftlich optimale Quantum konsumiert wird. Freizeichnungsklauseln, Haftungsbeschränkungen und Risikoentlastungen haben gerade den umgekehrten Effekt: sie nehmen die Fehlerkosten aus der Aufwandsrech­ nung des Unternehmers heraus, wälzen diese Kosten auf den Verbraucher ab und führen damit zu einer volkswirtschaftlich unrichtigen Preisbildung.“). 57 

III. Klauselunwirksamkeit

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soll, seine beschränkten Ressourcen auf die Verbesserung seines Leistungsange­ bots zu konzentrieren und auf Vertragsformulare nur dann zurückzugreifen, so­ weit dies durch die Atypizität der Rechtsbeziehung zum Kundenkreis geboten ist, sollen die Abnehmer ihre Transaktionskosten auf den Vergleich der Leis­ tungsqualität sowie das hierfür zu entrichtende Entgelt der unterschiedlichen An­ bieter beschränken.61 bb)  Gesetzliche Bestätigung der Steuerungsfunktion Folgerichtig werden die Angemessenheit des Preises sowie leistungsbeschrei­ bende Klauseln sowohl im deutschen Recht gem. §  307 Abs.  3 S.  1 BGB62 als auch im französischen Recht nach Art.  1171 Abs.  2 C. civ. vom Anwendungsbe­ reich der speziellen Inhaltskontrolle vorformulierter Vertragsbedingungen aus­ geklammert.63 Damit bestätigen die Gesetzgeber beider Rechtsordnungen die Unbeachtlichkeit einer etwaigen wirtschaftlichen Überlegenheit des Verwen­ ders.64 Andernfalls ließe sich nicht rechtfertigen, weshalb die Preisgestaltung, die typischerweise im Zentrum der Vertragsverhandlungen steht und infolgedessen bei Vorliegen einer wirtschaftlichen Ungleichgewichtslage besonders miss­ brauchsanfällig ist, nicht der Kontrolle unterliegen soll.65 Vielmehr unterliegen Preis- und Leistungsbestimmungen im deutschen Recht lediglich dem Transpa­ renzgebot nach §  307 Abs.  3 S.  2 i. V. m. Abs.  1 S.  2 BGB, um die Funktionsvor­ aussetzungen für die Gewährleistung eines entsprechenden Wettbewerbs zu wahren.66 Vor diesem Hintergrund wäre eine Ergänzung des Art.  1171 Abs.  2 C. civ. um das Erfordernis der klaren und verständlichen Formulierung solcher 61 Ähnlich Löwe, BB 1972, 185, 186; Wackerbarth, AcP 200 (2000), 45, 71 f., 80; a. A. Grunsky, BB 1971, 1113, 1117, der für eine verstärkte Wahrnehmung der AGB durch die Kun­ den generell plädiert; Lindacher, BB 1972, 296, 298 f. etwartet dies dagegen lediglich von Kaufleuten oder jedenfalls von Unternehmen mit eigener Rechtsabteilung. 62  Die Inhaltskontrolle gilt danach „nur für Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedin­ gungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden“. 63  Zum deutschen Recht Palandt/Grüneberg, §  307 Rn.  41. 64  MünchKomm/Basedow, Vorb. §§  305–310 Rn.  4 ff.; Leyens/H.-B. Schäfer, AcP 210 (2010), 771, 786; siehe aber BGH NJW 2014, 206, 208, dem zufolge es sich bei dem „Schutz des schwächeren Vertragspartners“ sowie dem „Ausgleich wirtschaftlichen Machtgefälles“ um einen zusätzlichen Schutzzweck des AGB-Rechts handeln soll, der sich aber in der Rechtsan­ wendung nicht niederschlägt („es [kommt] nicht darauf an, ob der Vertragspartner des Verwen­ ders auf Grund seiner Verhandlungsmacht die Möglichkeit gehabt hätte, für ihn günstigere, der Gesetzeslage entsprechende Vereinbarungen zu treffen“). 65  Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  21; Möslein, Dispositives Recht, S.  311; Leusch­ner, AcP 207 (2007), 491, 495; Leuschner, JZ 2010, 875, 878; Leyens/H.-B. Schäfer, AcP 210 (2010), 771, 786; Wackerbarth, AcP 200 (2000), 45, 57 f. 66  Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, §  307 Rn.  22.

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C.  Rechtsvergleichende Zusammenfassung und Bewertung

Klauseln, wie dies auch für das Verbraucherrecht nach Art. L. 212-1 Abs.  3 C.  con.67 geschehen ist, wünschenswert gewesen. Fortschrittlicher ist das französische Recht im Verhältnis zum deutschen Recht demgegenüber bei der Ausgestaltung der Anforderungen an einen contrat d’adhésion bzw. einer AGB. Im Unterschied zu §  305 Abs.  1 S.  1 BGB verzichtet Art.  1110 Abs.  2 C. civ. in der Fassung seit dem 01.10.2018 auf das Erfordernis der Mehrfachverwendungsabsicht. Dies ist mit dem Regelungszweck zu verein­ baren, da es allein darauf ankommt, für den Kunden Anreize zu schaffen, sich nicht mit dem Inhalt der Nebenbestimmungen auseinandersetzen zu müssen. Die Frage, ob der Verwender oder ein Dritter die Absicht hatte, die jeweiligen Klau­ seln in weiteren Verträgen zu verwenden, ist dagegen irrelevant. e)  Geltungsbereich der Inhaltskontrolle vorformulierter Vertragsbedingungen aa)  Sorgfaltsanforderungen an den Klauselgegner In der konkreten Auslotung der Sorgfaltsanforderungen, die an den Klausel­ gegner zu stellen sind, erweist sich das französische Recht ausweislich der Le­ galdefinition des contrat d’adhésion in Art.  1110 Abs.  2 C. civ. gegenüber der AGB-Legaldefinition in §  305 Abs.  1 BGB als deutlich fordernder. Während nach deutschem Recht eine Nebenbestimmung auch dann der strengen AGB-In­ haltskontrolle zu unterziehen ist, wenn sie leicht verständlich ist und neben ihr keine weiteren Nebenbestimmungen vorgesehen sind, wird dem Klauselgegner nach französischem Recht zugemutet, sich neben dem Preis sowie den Leis­ tungscharakteristiken auch mit den vertraglichen Nebenbestimmungen auseinan­ derzusetzen, soweit diese keine „Gesamtheit von Klauseln“ bilden. Das franzö­ sische Recht erwartet von den Teilnehmern des Geschäftsverkehrs demgemäß unabhängig davon, ob sie als Verbraucher oder Unternehmer am Markt auftreten, sich mit den Nebenbestimmungen „kurzer“ Verträge auseinanderzusetzen und diese in die Gesamtabwägung mit einzubeziehen. Verzichten sie bei solchen Ver­ trägen darauf, werden sie subsidiär über Art.  1170 C. civ. lediglich davor ge­ schützt, dass die unbeachtet gelassenen oder bewusst in Kauf genommenen Klauseln keiner wesentlichen Vertragspflicht die Substanz entziehen. In der Praxis kann jedoch bereits eine einzelne Klausel aufgrund ihrer hohen rechtlichen oder wirtschaftlichen Komplexität geeignet sein, den Wettbewerb zwischen den unterschiedlichen Anbietern auch im unternehmerischen Ge­ 67  „L’appréciation du caractère abusif des clauses au sens du premier alinéa ne porte ni sur la définition de l’objet principal du contrat ni sur l’adéquation du prix ou de la rémunération au bien vendu ou au service offert pour autant que les clauses soient rédigées de façon claire et compréhensible“.

III. Klauselunwirksamkeit

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schäftsverkehr zu gefährden.68 Man denke etwa an die schlichte Verkürzung der Gewährleistungsfrist von 2 Jahren auf 1 Jahr: Angesichts der zahlreichen al­ gorithmusbasierten Restwert-Berechnungsmethoden ist ohne tiefergehende Aus­ einandersetzung mit der Materie für den Abnehmer, der außerhalb seiner Spe­zia­ li­sie­rung handelt, kaum nachvollziehbar, wie sich eine solche Klausel preislich auswirken müsste. Entsprechend der Principal-Agent-Theorie wird der Klausel­ verwender daher geneigt sein, seinen Wissensvorsprung zulasten des Abnehmers bei der Preisgestaltung opportunistisch auszunutzen. Im Ergebnis sind somit die „milden“ Verhaltensanforderungen des deutschen Rechts vorzuziehen, die den Kunden bereits die Lektüre einzelner und leicht verständlicher Nebenbestimmungen ersparen.69 bb)  Sicherstellung der Privatautonomie Um dem Grundsatz der Privatautonomie angemessen Rechnung zu tragen, muss es dem Vertragspartner des Verwenders jedoch auch möglich sein, auf die Vortei­ le des ihm gesetzlich eingeräumten Mindestschutzniveaus verzichten zu können. Entsprechend Schmidt-Rimplers Lehre von der Richtigkeitsgewähr des Vertrags­ inhalts sind hierfür die Funktionsvoraussetzungen des Vertragsmechanismus wiederherzustellen. Dabei sind zwei Fallgestaltungen voneinander zu unter­ scheiden, von denen nur letztere von praktischer Relevanz ist: Unzweifelhaft sind die Funktionsvoraussetzungen des Vertragsmechanismus erfüllt, wenn der Klauselverwender etwaigen Änderungs- oder Beseitigungsbe­ gehren im Hinblick auf einzelne Klauseln uneingeschränkt nachkommt. In die­ sem Fall bestehen keine Zweifel daran, dass solche Klauseln i. S. d. §  305 Abs.  1 S.  3 BGB „ausgehandelt“, i. S. d. Fassung des Art.  1110 Abs.  2 C. civ. nach der gesetzesvertretenden Verordnung in die Vertragsverhandlung einbezogen wur­ den und i. S. d. Fassung des Art.  1110 Abs.  2 C. civ. seit dem 01.10.2018 verhan­ delbar waren, soweit sie dann überhaupt noch als vom Verwender gestellt bzw. déterminées à l’avance anzusehen sind. Deutlich schwieriger erweist sich die Vereinbarkeit der genannten Rechtsnor­ men mit dem rechtsökonomischen Steuerungsinteresse, wenn die Klausel unver­ ändert vom Klauselgegner akzeptiert wurde. In diesem Fall hat der Klauselver­ wender sicherzustellen, dass sich der Klauselgegner frei und aufgeklärt von der Sinnhaftigkeit der Klausel überzeugen konnte. Dies ist abzulehnen, wenn der Klauselgegner den Inhalt der Klauseln zwar begriffen, aber nur „zähneknir­ 68  Aus diesem Grund sollte auf das Erfordernis der „Vorformulierung für eine Vielzahl von Verträgen“ nach §  305 Abs.  1 S.  1 BGB nicht nur in Verbraucherverträgen nach §  310 Abs.  3 Nr.  2 BGB, sondern auch im unternehmerischen Geschäftsverkehr verzichtet werden. 69 A.A. Wackerbarth, AcP 200 (2000), 45, 81.

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C.  Rechtsvergleichende Zusammenfassung und Bewertung

schend“ akzeptiert hat, da sich die Anreizfunktion der Inhaltskontrolle vorformu­ lierter Vertragsbedingungen vom Verwender ansonsten leicht umgehen ließe. Vielmehr können die Funktionsvoraussetzungen des Vertrages erst dann herge­ stellt werden, wenn der Klauselgegner in Kenntnis der rechtlichen Implikationen der betreffenden Klausel ihre Abweichung von den Gerechtigkeitsvorstellungen des Gesetzgebers im Hinblick auf den konkreten Vertrag für richtig hält. Diesen Anforderungen genügt die Auslegung des „Aushandelns“ durch die Rechtsprechung des BGH, soweit sie voraussetzt, dass die Klausel umfassend vom Verwender erklärt und erläutert wurde. Zu weit geht sie jedoch, wenn sie diese Verhaltensanforderungen an den Klauselverwender auch gegenüber einem aufgeklärten Unternehmer im Hinblick auf sämtliche, insbesondere auch bran­ chenübliche Klauseln stellt. Hier muss nach den besonderen Bedürfnissen des Handelsverkehrs auf die zeitraubende und letztlich überflüssige Aufklärungsob­ liegenheit verzichtet werden können. Dies ist jedoch mit dem Erfordernis eines „Aushandelns“, das eine tatsächliche und nicht nur potenzielle Diskussion nahe­ legt, nur schwer vereinbar. Insoweit erweist sich der Normwortlaut des Art.  1110 Abs.  2 C. civ. in der Fassung seit dem 01.10.2018 als deutlich vorteilhafter, da sich die Vertragsparteien über die bloße Verhandelbarkeit einer Klausel auch stillschweigend einig sein können, ohne tatsächlich den Inhalt der ihnen bekann­ ten und als überzeugend empfundenen Nebenbestimmung im Detail besprochen zu haben. Insoweit ist der Normwortlaut der französischen Bestimmungen in stärkerem Maße als §  305 Abs.  1 S.  3 BGB des deutschen Rechts geeignet, den besonderen Bedürfnissen des unternehmerischen Geschäftsverkehrs Rechnung zu tragen. f)  Maßstab der Inhaltskontrolle vorformulierter Vertragsbedingungen Sind die dergestalt auszulegenden Voraussetzungen der den Geltungsbereich der speziellen Inhaltskontrolle definierenden Normen erfüllt, ist es gerechtfertigt, in einer der Rechtsprechung zu §  307 BGB entsprechenden Weise hohe Anforde­ rungen an die Wirksamkeit einer Klausel zu stellen. Nur so kann gewährleistet werden, dass der Kunde auf eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Klau­sel­ inhalt verzichtet. In Abkehr von den für diese Zwecke unzureichenden Maßstä­ ben der Chronopost-Rechtsprechung, die Klauseln lediglich bei vollständiger Neutralisierung einer wesentlichen Vertragspflicht die Wirksamkeit versagen, sollte ein erhebliches Ungleichgewicht zwischen den beiderseitigen Rechten und Pflichten nach Art.  1171 C. civ. bereits dann anzunehmen sein, wenn von grund­ legenden gesetzlichen Gerechtigkeitsvorstellungen oder sonstigen berechtigten Erwartungen abgewichen wird.

III. Klauselunwirksamkeit

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Anders als nach dem zweiten Faurecia-Urteil, bei dem die Wirksamkeit der haftungsbeschränkenden Klausel maßgeblich auf den Preisnachlass sowie die dem Automobilzulieferer im Hinblick auf das zu entwickelnde Programm einge­ räumten Ausschließlichkeits- sowie Vorzugsrechte gestützt wurde, sollte die Kompensation nachteiliger Klauseln durch anderweitige Vorteile dabei nur in engen Grenzen gestattet werden. Entsprechend der Rechtsprechung des BGH darf eine nachteilige Nebenbestimmung eines vorformulierten Klauselwerks nur einem solchen Ausgleich zugänglich sein, der die vollständige Neutralisierung des Nachteils sicherstellt und damit keiner Bewertung durch das Gericht bedarf. Ebenso darf auch eine Preisreduktion aufgrund ihrer fehlenden Nachweisbarkeit und betriebswirtschaftlichen Bewertbarkeit nicht zur Wiederherstellung des Gleichgewichts zwischen den beiderseitigen Rechten und Pflichten herangezo­ gen werden. Argumentativ lässt sich insoweit durchaus der Rechtsgedanke der Bereichsbeschränkungen in Art.  1171 Abs.  2 C. civ. sowie §  307 Abs.  3 S.  1 BGB heranziehen. g)  Konsequenzen für das französische Klauselkontrollsystem Die obigen Erwägungen erlauben eine klare Einordnung des Art.  1171 C. civ. in das ohnehin schon komplexe System der französischen Klauselkontrollmecha­ nismen: Für die in der Praxis weit überwiegende Zahl von Verträgen, die unter Zugrun­ delegung eines aus zahlreichen Nebenbestimmungen bestehenden Vertragsfor­ mulars zustande kommen, ohne dass sich der Kunde bei Vertragsschluss Gedan­ ken über alle rechtlichen Konsequenzen macht, gilt die für contrats d’adhésion vorgesehene Inhaltskontrolle nach Art.  1171 Abs.  1 C. civ. Die der Norm zugrun­ deliegende verhaltenssteuernde Funktion verursacht dabei eine umfassende Ver­ drängung der Vertragsfreiheit. Besteht das Vertragsformular dagegen nur aus einer oder wenigen Klauseln, die keine Gesamtheit von Klauseln i. S. d. Art.  1110 Abs.  2 C. civ. bilden, oder kann der Kunde nicht beweisen, dass eine Klausel nicht verhandelbar war, dann ist der Anwendungsbereich des Art.  1170 C. civ eröffnet. In diesem Fall kann sich der Klauselgegner zumindest gegen eine vertragspflichtneutralisierende Wirkung der Klausel wehren. Diesen ohnehin schon deutlich gegenüber Art.  1171 Abs.  2 C civ. geschwächten Schutz kann der Klauselverwender unter Zugrun­ delegung der Wertungen des Faurecia-Urteils abwenden, wenn ihm der Nach­ weis gelingt, dass die Klausel verhandelbar war. Hierbei kann auch ein im Hin­ blick auf die zu untersuchende Klausel gewährter Preisnachlass oder die Einräu­ mung vergleichbarer Rechtsvorteile für die Abwägungsentscheidung von Bedeutung sein. Dem Richter wird insoweit nach französischen Recht auf der

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C.  Rechtsvergleichende Zusammenfassung und Bewertung

Grundlage des Art.  1170 C. civ. eine minimale Interventionsbefugnis im Hinblick auf Klauseln eingeräumt, die nicht in eine Gesamtheit von Klauseln eingebettet waren oder deren Verhandelbarkeit sich nicht aufklären lässt. Ebenso wie Art.  1170 C. civ. unterliegt auch Art. L. 442-1 I Nr.  2 C.  com. in praktischer Hinsicht einem nur sehr eingeschränkten Anwendungsbereich. Die Norm dient im Unterschied zu Art.  1171 C. civ. nicht der Steuerung des Verhal­ tens der Kunden im alltäglichen Geschäftsverkehr, sondern allein dem Schutz der wirtschaftlich unterlegenen Vertragspartei. Folgerichtig ermittelt die Cour de cassation das Vorliegen eines erheblichen Ungleichgewichts nach dieser Norm auf der Grundlage einer Abwägung sämtlicher Rechte und Pflichten zwischen den Vertragsparteien, womit letztlich Art. L. 442-1 I Nr.  2 C.  com. eine gegenüber Art.  1171 Abs.  1 C. civ. umfassendere Wür­ digung des Vertragsinhalts anordnet. Angesichts der unterschiedlichen Rege­ lungsinteressen und Bewertungsmaßstäbe wird deutlich, dass Art.  1171 C. civ. entgegen teilweise vertretener Auffassung im Schrifttum nicht im Wege der Spe­ zialität hinter Art. L. 442-1 I Nr.  2 C.  com. zurückzutreten hat.70 In Anbetracht der mit Art.  1171 C. civ. anvisierten Reformziele ist nämlich davon auszugehen, dass Art. L. 442-1 I Nr.  2 C.  com. keine abschließende Regelung zu der Frage bereithält, welche Vertragsinhalte im unternehmerischen Geschäftsverkehr generell erlaubt sind, sondern allein die Voraussetzungen determiniert, unter denen ein Vertrag wegen wirtschaftlicher Ausbeutung eines Vertragspartners aufgeho­ ben werden kann. Aus diesem Grund sollte Art.  1171 C. civ. auch im Geltungsbe­ reich der in Art. L. 442-1 I Nr.  2 C.  com. genannten Verträge umfassend zur An­ wendung kommen. Im Verhältnis zu Art. L. 212-1 C.  con. des Verbraucherschutzrechts wurde teil­ weise behauptet, der praktische Nutzen des Art.  1171 C. civ. wurde überhaupt erst durch die Schutzlücke geschaffen, die dadurch entstand, dass sämtliche Unter­ nehmer, die im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit handeln, unabhängig von ihrer Spezialisierung im Einzelfall vom persönlichen Anwendungsbereich des Verbraucherrechts ausgeklammert wurden.71 Diese Sichtweise verkennt jedoch, dass Art.  1171 C. civ. im Unterschied zu Art. L. 212-1 C.  con. nicht der Umset­ zung einer unionsrechtlichen Richtlinie dient und daher nicht der vereinheitli­ chenden Rechtsprechung des EuGH unterliegt. Die Schöpfung einer weiteren, vom Unions­recht losgelösten Rechtsnorm gegen missbräuchliche Klauseln ge­ stattet dergestalt eine flexible und wertungswiderspruchsfreie Anpassung der Kon­troll­intensität an die Besonderheiten des unternehmerischen Geschäftsver­ kehrs. 70  71 

So im Ergebnis auch Niggemann, RIW 2018, 658, 662 f. Vgl. bspw. Chénedé, JCP G 2016, 1334, 1335.

III. Klauselunwirksamkeit

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Somit ist der Begriff des erheblichen Ungleichgewichts je nachdem, ob er im Rahmen von Art. L. 212-1 C.  con., Art. L. 442-1 I Nr.  2 C.  com. oder Art.  1171 C. civ. zur Anwendung kommt, einem unterschiedlichen Maßstab zu unter­ werfen. h)  Klauselkontrolle in den unterschiedlichen Kategorien des unternehmerischen Geschäftsverkehrs aa) Einteilung Nachdem nun der Regelungszweck, der Geltungsbereich sowie die Kontrollin­ tensität der auf vorformulierte Vertragsbedingungen zugeschnittenen richterli­ chen Interventionsbefugnisse geklärt sind, soll im Folgenden die Relevanz der einzelnen Kontrollmechanismen in den unterschiedlichen Bereichen des unter­ nehmerischen Geschäftsverkehrs näher beleuchtet werden. Im Wesentlichen las­ sen sich insoweit drei Kategorien von Unternehmerverträgen ausmachen, für die mit abnehmender Intensität der Geltungsgrund der Inhaltskontrolle vorformu­ lierter Vertragsbedingungen Bedeutung erlangen kann. Es handelt sich an erster Stelle um Vertragsschlüsse des alltäglichen Geschäftsverkehrs, in denen der Ver­ tragsgegenstand dem Vertragspartner des Verwenders unmittelbar zugutekom­ men soll, an zweiter Stelle um unternehmensprägende Dauerschuldverhältnisse wie Vertriebsverträge oder Franchiseverträge sowie an letzter Stelle um großvo­ lumige Transaktionen wie Unternehmenskaufverträge, die typischerweise mit umfassenden Vertragsverhandlungen einhergehen. bb)  Verträge des alltäglichen Geschäftsverkehrs Der bevorzugte Geltungsbereich der für vorformulierte Vertragsbedingungen vorgesehenen Inhaltskontrolle ist der alltägliche Geschäftsverkehr als der Ort, an dem Wirtschaftsgüter des unmittelbaren Gebrauchs routinemäßig zugewiesen werden und die Kunden nach dem bereits Gesagten zwecks Optimierung der Ressourcenallokation möglichst wenigen Faktoren Rechnung tragen sollen.72 Zu Recht wurde daher schon bei der Ausarbeitung des AGBG festgestellt, dass der Regelungszweck unabhängig davon Gültigkeit beansprucht, ob es sich bei dem Kunden um einen Verbraucher oder einen Unternehmer handelt.73 Auch Kaufleu­ te, Freiberufler sowie Gesellschaften können nämlich in Ausübung ihrer profes­ sionellen Tätigkeit74 solche Verträge schließen. Man denke beispielsweise an den Abschluss eines Mietvertrages über die Räumlichkeiten für eine Betriebsfeier, Brandhoff, Individualvertrag, S.  23; Lischek/Mahnken, ZIP 2007, 158, 159. Leyens/H.-B. Schäfer, AcP 210 (2010), 771, 796 f. 74  Vgl. die Unternehmerdefinitionen in §  14 BGB sowie Art. liminaire C.  con. 72 Vgl. 73 

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C.  Rechtsvergleichende Zusammenfassung und Bewertung

eines Leasingvertrages über einen Dienstwagen, eines Mobilfunkvertrags für ein Diensthandy oder die Beschaffung von Büromaterialien für die berufliche Tätig­ keit.75 Regelmäßig betraut der Unternehmer mit dem Abschluss jener Verträge seine Angestellten, die sich in ihrer fachlichen Expertise nicht von einem Ver­ braucher unterscheiden.76 Die Aufgabendelegation ist rational, weil typischer­ weise keine Verhandlungen über die einzelnen Klauseln stattfinden, die eines erweiterten Entscheidungsspielraums bedürften. Weder prüft der Unternehmer oder sein Angestellter die Klauseln, noch erwartet er von dem Verwender die Bereitschaft zu Änderungen.77 Richtigerweise sahen die Gesetzgeber beider Rechtsordnungen daher davon ab, die richterliche Inhaltskontrolle vorformulierter Vertragsbedingungen vom Vorliegen einer wirtschaftlich überlegenen Stellung des Verwenders abhängig zu machen. Regelmäßig werden anlässlich solcher Geschäfte schlichtweg die AGB derjenigen Vertragspartei herangezogen, die als Schuldnerin der den Vertrag cha­ rakterisierenden Leistungspflicht auftritt, also in den oben genannten Vertragsty­ pen der Vermieter, der Leasinggeber, der Mobilfunkanbieter oder der Verkäufer. Dies liegt daran, dass allein diese Vertragspartei aufgrund der Ausrichtung ihrer geschäftlichen Tätigkeit auf den entsprechenden Vertragstyp ein besonderes In­ teresse an der einheitlichen Gestaltung ihrer Rechtsverhältnisse hat, während dies für den Klauselgegner aufgrund der nur sporadischen Inanspruchnahme ty­ pischerweise nicht zutrifft. Entscheidend ist allein, dass der Unternehmer wie ein Verbraucher am Markt auftritt und zwecks Beschleunigung der Ressourcenallo­ kation Anreize dafür zu schaffen sind, ihn von einer den Warenaustausch ver­ langsamenden, vertieften Auseinandersetzung mit dem Klauselinhalt abzuhalten. Die Kunden sollen sich aufgrund ihrer „beschränkten Rationalität“ lediglich auf leicht kalkulierbare und vergleichbare Faktoren konzentrieren und sich im Übri­ gen auf eine angemessene Gestaltung der vertraglichen Nebenbestimmungen verlassen dürfen. Diesem Bedürfnis wird die Rechtsprechung des BGH am Maß­ stab der §§  305 ff. BGB gerecht, indem sie den Anwendungsbereich des AGBRechts auf solche Verträge erstreckt und die Nebenbestimmungen einer rigiden Inhaltskontrolle unterzieht. Dem sollten auch die französischen Gerichte in An­ wendung der Artt.  1110 Abs.  2, 1171 Abs.  1 C. civ. uneingeschränkt folgen. Die Eigentümlichkeiten des multiplen Kontrollsystems des modernisierten französi­ schen Schuldrechts kommen voll zum Tragen, wenn ein Vertrag nur aus einer leicht verständlichen Klausel besteht oder sich nicht mit hinreichender Gewiss­ heit aufklären lässt, inwieweit über eine Klausel verhandelt wurde. In diesem Weitere Beispiele bei Kötz, JuS 2003, 209, 211. Leyens/H.-B. Schäfer, AcP 210 (2010), 771, 796. 77  Koch, BB 2010, 1810, 1811; Lischek/Mahnken, ZIP 2007, 158, 159. 75  76 

III. Klauselunwirksamkeit

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Fall gestattet Art.  1170 C. civ. dem Richter, dem Klauselgegner jedenfalls einen Minimalschutz gegen solche Klauseln einzuräumen, die einer wesentlichen Ver­ tragspflicht die Substanz entziehen. Demgegenüber wird der Richter nach deut­ schem Recht vor die Entscheidung gestellt, eine Klausel entweder uneinge­ schränkt dem strengen Maßstab des AGB-Rechts zu unterwerfen oder – von den äußersten Grenzen der Sittenwidrigkeit nach §  138 BGB abgesehen – auf eine Kontrolle insgesamt zu verzichten. cc)  Vertriebs- und Franchiseverträge Ebenso wie für Verträge des alltäglichen Geschäftsverkehrs besteht für Vertriebsund Franchiseverträge, mithin Vertragstypen, die sich nicht in einem einmaligen Austausch erschöpfen, sondern von einer kontinuierlichen Bezugsbindung ge­ prägt sind, nach allgemeinem Vertragsgerechtigkeitsempfinden ein staatliches Interventionsbedürfnis. Ausschlaggebend sind dabei jedoch weniger verhaltens­ steuernde Interessen als die Gefahren, die mit der typischen Abhängigkeit einzel­ ner Unternehmer von ihrem Geschäftspartner einhergehen. Der grundlegende Unterschied zu den Verträgen des alltäglichen Geschäftsverkehrs liegt also darin, dass das Kontrollbedürfnis hier primär auf dem Befund beruht, dass bei diesen Vertragstypen regelmäßig gravierende wirtschaftliche Disparitäten festzustellen sind, die sich in ungerechten Verhandlungsergebnissen niederschlagen.78 Dem Regelungsbedürfnis wird das französische Recht überzeugend in Art. L. 442-1 I Nr.  2 C.  com. gerecht, indem der Richter bei der Beurteilung der Angemessenheit des Vertragsinhalts das gesamte vertragliche Äquivalenzverhältnis, also insbe­ sondere auch den Preis zu berücksichtigen hat, soweit eine hinreichende Paritäts­ störung im Einzelfall festzustellen ist. Dagegen erweisen sich die in Art.  1171 C. civ. sowie in §§  307 ff. BGB normierten Klauselverbote sowohl nach ihrem rechtsökonomischen Steuerungszweck als auch nach ihren in Art.  1171 Abs.  2 C. civ. sowie §  307 Abs.  3 S.  1 BGB normierten Bereichsbeschränkungen als un­ geeignet, vertragsgerechte Ergebnisse zum Schutz des unterlegenen Geschäfts­ partners zu erzielen. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Inhaltskontrolle vorformulierter Vertragsbedingungen der Definition nach auch für diese Ver­ tragstypen des unternehmerischen Geschäftsverkehrs eröffnet wäre, da das Ver­ handlungsresultat nicht der Überzeugung des Abnehmers entspricht, sondern die Nebenbestimmungen der überlegenen Vertragspartei vielmehr „zähneknir­ schend“ akzeptiert werden. Die auf vorformulierte Vertragsbedingungen zuge­ schnittene Inhaltskontrolle kann dem interpersonalen Schutzbedürfnis nicht in

78 

Wolf, Entscheidungsfreiheit, S.  16; Wackerbarth, AcP 200 (2000), 45, 72 f.

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C.  Rechtsvergleichende Zusammenfassung und Bewertung

hinreichendem Maße gerecht werden, da sich wirtschaftliche Disparitätsstörun­ gen vorrangig im Preis-Leistungs-Verhältnis niederschlagen.79 dd)  Großvolumige Transaktionen Ganz anders liegen die Dinge dagegen bei komplexen, typischerweise großvolu­ migen Vertragswerken, denen regelmäßig ebenfalls vorformulierte Klauseln in Gestalt elektronisch gespeicherter Mustervertragstexte und Textbausteine zu­ grunde gelegt werden.80 Man denke hier an Anlagenbauverträge oder Unterneh­ menskäufe im Bieterverfahren, die sich durch hohe Vertragsvolumina, die Hin­ zuziehung hochspezialisierter Rechtsanwälte, umfassende Vertragsverhandlun­ gen sowie das zumindest partielle Eingehen auf Änderungswünsche der anderen Partei auszeichnen.81 Anlässlich solcher Verträge werden Vertragsverhandlungen durch einen auf einem Mustertext basierenden Vertragsentwurf eingeleitet, der regelmäßig auf einem Standardtext für vergleichbare Sachverhalte beruht.82 Der Vertragsgegenseite wird sodann Gelegenheit eingeräumt, den Vertrag zu prüfen und im Bedarfsfall Änderungsvorschläge in Gestalt von sogenannten Mark-ups zu unterbreiten. Der wechselseitige Austausch der Änderungsvorschläge läuft schließlich auf ein in sich geschlossenes Gesamtvertragswerk hinaus, das der allseitigen – in Anbetracht der typischerweise begleitenden rechtsanwaltlichen Beratung auch aufgeklärten – Überzeugung entspricht, auch wenn einzelne Klauseln keiner Veränderung unterzogen sein mögen (Paketlösung).83 Im Unterschied zum alltäglichen Geschäftsverkehr besteht bei solchen Verträ­ gen ein beiderseitiges Interesse an einer vertieften Auseinandersetzung mit dem Klauselinhalt, um zu verhindern, dass wesentliche Aspekte übersehen und des­ halb nicht geregelt werden oder bei der Formulierung handwerkliche Fehler un­ terlaufen und daher auch eine beiderseitige, aufgeklärte Überzeugung von der Sinnhaftigkeit und Ausgeglichenheit der erzielten Vereinbarung.84 Für den Klauselgegner lohnt sich eine vertiefte Kenntnisnahme, Prüfung und Abwägung des vom Verkäufer vorgeschlagenen Mustertextes sowie die Aufnahme von Ver­

Wackerbarth, AcP 200 (2000), 45, 72. Kötz, JuS 2003, 209, 211; Lischek/Mahnken, ZIP 2007, 158, 159. 81  Stoffels, AGB-Recht, Rn.  148b; Fuchs, in: Festschrift für Blaurock, S.  91, 99 ff.; Kötz, JuS 2003, 209, 211; Leuschner, JZ 2010, 875, 880; Leyens/H.-B. Schäfer, AcP 210 (2010), 771, 790. 82  Leyens/H.-B. Schäfer, AcP 210 (2010), 771, 791. 83  Fuchs, in: Festschrift für Blaurock, S.  91, 101; Koch, BB 2010, 1810 f.; Lischek/Mahnken, ZIP 2007, 158, 159. 84  Lischek/Mahnken, ZIP 2007, 158, 159. 79  80 

III. Klauselunwirksamkeit

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handlungen über bestimmte, als problematisch empfundene Klauseln.85 Im Un­ terschied zum alltäglichen Geschäftsverkehr stehen hier nicht die Konkurrenz der Anbieter sowie die Anonymität des Kundenkreises im Vordergrund, sondern vielmehr ist für solche Verträge die Individualität der vom Abnehmer verfolgten Interessen kennzeichnend und ausschlaggebend. In diesem Zusammenhang wäre der dem Faurecia-Urteil der Cour de cassa­ tion zugrunde liegende Vertrag der letztgenannten Kategorie von Vertragstypen zuzuordnen. Auch wenn der Erwerb einer Software zur Unterstützung der unter­ nehmerischen Tätigkeit grundsätzlich dem alltäglichen Geschäftsverkehr zuzu­ ordnen ist, da auch bei der Erstellung komplexer Programme zahlreiche Anbieter im Wettbewerb zueinander stehen, verdrängen im konkreten Fall die Individua­ lität der in Anspruch genommenen Leistung, das Ausmaß der Vertragsverhand­ lungen sowie die Höhe der Transaktionskosten den Alltagscharakter des Ver­ trages. Infolgedessen entfällt hier die in der Principal-Agent-Theorie beschriebene Problematik bei der Verwendung vorformulierter Nebenbestimmungen, die sich dadurch auszeichnet, dass sich der Klauselgegner keine Gedanken über den Klauselinhalt macht.86 Während sich die Kunden im alltäglichen Geschäftsver­ kehr auf die Angemessenheit und Äquivalenz der Nebenbestimmungen verlas­ sen können sollen, um ihre Ressourcen auf die wettbewerbsrelevanten Faktoren zu fokussieren, besteht für diese Vertragstypen somit auch kein Kontrollbedürf­ nis, da im Sinne der klassischen Vertragsgerechtigkeitstheorien die Parteien in freier und aufgeklärter Selbstbestimmung von der Richtigkeit der getroffenen Vereinbarung überzeugt sind. Nach der Rechtsprechung des BGH unterliegen in solchen Verträgen jedoch auch die gängigen, branchenüblichen Klauseln der Gefahr, der Inhaltskontrolle des AGB-Rechts unterzogen zu werden, weil diese regelmäßig nicht den Anfor­ derungen an das Aushandeln i. S. d. §  305 Abs.  1 S.  3 BGB genügen dürften.87 Problematisch ist insoweit das Erfordernis, dass die Klausel nicht nur der freien und aufgeklärten Überzeugung des Kunden zu entsprechen hat, sondern der Ver­ wender seine Klausel darüber hinaus hinreichend zur Disposition gestellt haben muss. Angesichts der hohen Anforderungen, die an dieses Tatbestandsmerkmal gestellt werden, dürfte auch die gegen einen Preisnachlass vereinbarte Haftungs­ höchstsumme des dem Faurecia-Urteil zugrundeliegenden Softwarevertrags nicht i. S. d. §  305 Abs.  1 S.  3 BGB ausgehandelt sein. Ferner dürfte die aus ver­ 85  Brandhoff, Individualvertrag, S.  23; Fuchs, in: Festschrift für Blaurock, S.  91, 101; Kötz, JuS 2003, 209, 211. 86  Leyens/H.-B. Schäfer, AcP 210 (2010), 771, 790 („In diesem Fall ist die AGB-Kontrolle überflüssig, stört die Privatautonomie und erweist sich als kontraproduktiv“). 87  Kritisch auch Leuschner, JZ 2010, 875, 880.

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C.  Rechtsvergleichende Zusammenfassung und Bewertung

sicherungsrechtlichen Gründen beliebte Kombination einer verschuldensunab­ hängigen Haftung mit einer Haftungshöchstgrenze angesichts der fehlenden Zweckkongruenz keiner Kompensation zugänglich und daher insgesamt als un­ wirksam anzusehen sein. Das Kriterium der Abänderungsbereitschaft kann für den verhaltenssteuernden Regelungszweck dieser Materie indes von keiner Be­ deutung sein. Dafür spricht speziell im deutschen Recht die RegBegr. zum AGBG, der zufolge der Nachweis des Aushandelns allein voraussetzen sollte, dass der Kunde „eingehend und unmißverständlich“ über den Inhalt und die rechtliche Tragweite der Klausel aufgeklärt wurde.88 In Anwendung der oben geschilderten Grundsätze sollten die Gerichte beider Rechtsordnungen die Klauseln solcher Verträge als ausgehandelt nach §  305 Abs.  1 S.  3 BGB bzw. als verhandelbar nach Artt.  1110 Abs.  2, 1171 Abs.  1 C. civ. ansehen, um dem Regelungszweck der Norm angemessen Rechnung zu tragen. Schließlich dürfte auch Art.  1170 C. civ. ausweislich des zweiten Faurecia-Ur­ teils der Cour de cassation für diesen Bereich des unternehmerischen Geschäfts­ verkehrs keine Beschränkungen bereithalten, soweit die Klausel der zwischen den Parteien gewollten Risikoverteilung entspricht. i) Resümee Entgegen weit verbreiteter Auffassung ist das richterliche Kontrollbedürfnis ein­ seitig vorformulierter Nebenbestimmungen nicht dem Umstand geschuldet, dass sich der Klauselgegner nicht mit dem Inhalt befassen oder über diesen verhan­ deln kann, weil er etwa intellektuell, wirtschaftlich oder „situativ“ unterlegen ist, sondern vielmehr, weil er sich aus Gründen der effizienten Ressourcenallokation nicht mit dem Inhalt der Nebenbestimmungen beschäftigen soll. Der Inhaltskon­ trolle vorformulierter Vertragsbedingungen liegt das staatliche Steuerungsinter­ esse zugrunde, einen Anreiz für die beschränkt rational agierenden Kunden des alltäglichen Geschäftsverkehrs zu schaffen, sich auf die wettbewerbsrelevanten Faktoren zu konzentrieren. Dazu gehören unzweifelhaft der Preis sowie die Leis­ tungscharakteristiken. Die vertraglichen Nebenbestimmungen sollen demgegen­ über nach deutschem Recht nur dann in die Vertragsschlussentscheidung des Unternehmers einfließen, wenn sie im betreffenden Verkehrskreis allgemein üb­ lich sind und ohne größeren Aufwand in die Gesamtabwägung eingespeist wer­ den können. Nach französischem Recht wird dem Kunden dagegen sogar unab­ hängig davon, ob es sich um einen Verbraucher oder einen Unternehmer handelt, zugemutet, sich mit den Nebenbestimmungen des Vertrages auseinanderzuset­ zen, soweit diese insgesamt keine Gesamtheit von Klauseln (ensemble de clauses) i. S. d. Art.  1110 Abs.  2 C. civ. bilden. 88 

RegBegr. Gesetzentwurf AGBG, BT-Drucks. 7/3919, S.  17.

III. Klauselunwirksamkeit

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Ist der Anwendungsbereich des auf vorformulierte Nebenbestimmungen zuge­ schnitten Klauselregimes eröffnet, so schützen die §§  307 ff. BGB das Vertrauen des Kundenkreises in eine ausgewogene, dem dispositiven Recht entsprechende Risiko- und Lastenverteilung. Gleichermaßen sollte die französische Rechtspre­ chung das Tatbestandsmerkmal des „erheblichen Ungleichgewichts“ in Art.  1171 Abs.  1 C. civ. extensiv auslegen. Entscheidend ist grundsätzlich das einfache Ab­ weichen der Nebenbedingungen von den grundlegenden Gerechtigkeitsvorstel­ lungen des dispositiven Gesetzesrechts oder den in sonstiger Weise erzeugten berechtigten Erwartungen des Kunden im alltäglichen Geschäftsverkehr.89 Die vom BGH praktizierte niedrige Eingriffsschwelle ist also durchaus mit dem nor­ mativen Regelungszweck in Einklang zu bringen und daher auch den französi­ schen Gerichten nahezulegen. Kann der Kunde nicht nachweisen, dass die betreffende Klausel nicht verhan­ delbar war oder beinhaltet das Vertragsformular nur sehr wenige Nebenbestim­ mungen, so gestattet das französische Recht eine im Vergleich zum deutschen Recht flexiblere und damit auch mit Rechtsunsicherheiten verbundene Beschrän­ kung der Vertragsfreiheit, indem der Richter in diesem Fall zumindest solchen Klauseln die Wirksamkeit versagen kann, die eine wesentliche Vertragspflicht neutralisieren und dem Schuldner den Anreiz an der ihm obliegenden Leistungs­ pflicht entziehen. Der Verwender kann sich auch von dieser Minimalschranke befreien, wenn ihm der Nachweis gelingt, dass die Klausel das Ergebnis einer ernstlichen Diskussion zwischen den Vertragsparteien widerspiegelt. Im Rechtsverkehr zwischen Unternehmern sind im Unterschied zu Verbrau­ cherverträgen aber nicht ausschließlich Konstellationen denkbar, in denen sich der Kunde auf die Angemessenheit des Klauselinhalts verlässt und verlassen können soll. Vielmehr kann hier der Vertragsinhalt in bestimmten Situationen effizienter durch die Vertragsparteien als durch das generalisierende dispositive Recht zu regeln sein, ohne dass die damit einhergehende Erhöhung der Transak­ tionskosten den wirtschaftlichen Austausch von Gütern gefährden könnte. Mit zunehmender Individualität der vertraglichen Austauschbeziehung steigt näm­ lich das Bedürfnis für eine vertragliche Ausbedingung der beiderseitigen Rechte und Pflichten. Geschieht dies allerdings zwischen Geschäftspartnern im Rahmen eines Dauerschuldverhältnisses, wie dies insbesondere bei Vertriebs- und Fran­ chiseverträgen der Fall ist, so besteht ein Interesse daran, die abhängige Vertrags­ partei vor der wirtschaftlichen Ausbeutung ihrer unterlegenen Verhandlungspo­ sition zu schützen. Diesem Bedarf wird das französische Recht mit Art. L. 442-1 I Nr.  2 C.  com. angemessen gerecht. Demgegenüber besteht in großvolumigen Transaktionen wie Unternehmenskaufverträgen, die angesichts der immensen 89 

Leyens/Schäfer, AcP 210 (2010), 771, 772.

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C.  Rechtsvergleichende Zusammenfassung und Bewertung

Vertragsrisiken umfassend unter fachkundiger Beratung zwischen den Vertrags­ parteien erörtert und verhandelt werden, kein Anlass für eine richterliche ­Klausel­gerech­tigkeitskontrolle. Großvolumige Transaktionen sollten daher dem Geltungsbereich der auf einseitig vorformulierte Nebenbestimmungen zuge­ schnittenen Inhaltskontrolle verschlossen bleiben, indem sie nach deutschem Recht als ausgehandelt i. S. d. §  305 Abs.  1 S.  3 BGB und nach französischem Recht als verhandelbar (négociable) gem. Artt.  1110 Abs.  2, 1171 Abs.  1 C. civ. anzusehen sind.

IV. Ergebnis 1.  Grundlegender Befund Die Beantwortung der Kernfrage dieser Arbeit, ob und bejahendenfalls in wel­ chem Umfang der unternehmerische Geschäftsverkehr einer richterlichen Ver­ tragsgerechtigkeitskontrolle unterliegt, hängt maßgeblich vom gesetzgeberi­ schen Interventionszweck sowie vom konzeptionellen Stellenwert der Vertrags­ freiheit in der betreffenden Rechtsordnung ab. Je stärker eine Rechtsordnung ihren Rechtssubjekten die Wahrnehmung und Verteidigung ihrer Interessen zu­ traut und zumutet, desto schwächer ist die Ausprägung der richterlichen Ein­ griffsbefugnisse. Nach der napoleonistischen vertragsfreiheitlichen Grundan­ schauung des C. civ. wurde der Kreis der zu missbilligenden Verträge und Klau­ seln im französischen Recht zunächst enger als im deutschem Recht gezogen. Anlässlich der Modernisierung des französischen Schuldrechts sollte sich die französische Regierung mit der Frage auseinandersetzen, inwieweit der seit der Kodifikation des C. civ. eingetretene gesellschaftliche Wandel eine stärkere Ein­ grenzung der Privatautonomie zugunsten einer richterlichen Vertragsgerechtig­ keitskontrolle gebietet. Die kaum zu überblickenden Vorschläge in den rechts­ wissenschaftlichen Debatten um die Ausgestaltung sowie die systematische Ein­ bettung der richterlichen Kontrollmechanismen führten letztlich zum Einsatz zahlreicher unbestimmter, teilweise noch nicht erprobter Rechtsbegriffe. Derge­ stalt wurde der Cour de cassation in weitem Umfang die Entscheidung darüber anvertraut, ob an ihrer prinzipiell liberalen Rechtsprechung festzuhalten oder eine Intensivierung der richterlichen Vertragsgerechtigkeitskontrolle notwendig ist. Dies wird die Zugänglichkeit des französischen Schuldrechts bis zur Konkre­ tisierung jener Rechtsbegriffe durch die Rechtsprechung erschweren, bietet je­ doch zugleich auch die Chance, den deutsch-französischen Rechtsvereinheitli­ chungsprozess weiter voranzutreiben.

IV. Ergebnis

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2.  Konsequenzen de lege lata In der Anfangsphase des modernisierten französischen Schuldrechts dürfte ins­ besondere für Verträge des alltäglichen Geschäftsverkehrs zwischen Unterneh­ mern eine Abwahl des französischen Rechts zu empfehlen sein, um den Unsi­ cherheiten bei der Auslegung des Art.  1171 C. civ. zu entgehen. Betroffen sind Verträge, die aus Gründen der Rationalisierung der routinemäßigen Bedarfsde­ ckung ohne Verhandlung unter Hinzuziehung regelmäßig komplexer Vertrags­ formulare geschlossen werden. Sollte sich die Cour de cassation den hier vorge­ schlagenen Lösungsweg zu eigen machen, wird sich die Kontrollintensität nach französischem und deutschem Recht angleichen, sodass sich die Problematik um die Wahl des besseren Rechts für diese Kategorie von Verträgen in Zukunft nicht mehr stellen könnte. Daraus darf indes nicht abgeleitet werden, dass Unternehmen im deutschfranzösi­schen Rechtsverkehr uneingeschränkt die Abwahl des französischen zu­ gunsten des deutschen Rechts zu empfehlen ist. Vielmehr bedarf es einer Diffe­ renzierung nach dem Kreis der betroffenen Rechtssubjekte, der Rechtsnatur des abzuschließenden Geschäfts sowie der Anzahl der im Vertrag enthaltenen Ne­ benbestimmungen. Enthält der Vertrag etwa kein komplexes Klauselwerk, sondern lediglich we­ nige überschaubare Nebenbestimmungen, so erfolgt die Inhaltskontrolle nach französischem Recht nicht nach Maßgabe des strengen, mit der deutschen AGB-Inhaltskontrolle vergleichbaren Art.  1171 C. civ., sondern allein nach Art.  1170 C. civ., der lediglich vertragspflichtneutralisierende und somit gravie­ rend ungerechte Klauseln für unwirksam erklärt. Gleichermaßen ist in Bezug auf großvolumige Transaktionen wie insbesonde­ re Unternehmenskaufverträge das französische Recht zu präferieren.90 Der Normwortlaut, die Entstehungsgeschichte sowie die rechtswissenschaftlichen Diskussionen um die Auslegung des den contrat d’adhésion definierenden Art.  1110 Abs.  2 C. civ. legen dem Rechtsanwender nahe, Unternehmenskaufver­ träge von der strengen Inhaltskontrolle am Maßstab des Art.  1171 C. civ. auszu­ klammern. Auch der weitaus mildere Kontrollmaßstab des Art.  1170 C. civ. dürf­ te aufgrund der Wertungen des zweiten Faurecia-Urteils der Cour de cassation auf jene Verträge nicht anzuwenden sein, sodass den Vertragsparteien in diesem Bereich richtigerweise weitreichende Gestaltungsspielräume eingeräumt wer­ den, während die Rechtsprechung des BGH auch großvolumige Transaktionen der strengen AGB-Inhaltskontrolle unterwirft. Selbst wenn jedoch – was nicht zu erwarten ist – die Cour de cassation solche Verträge in Anwendung des Art.  1171 90  Zur Abdingbarkeit der deutschen AGB-Inhaltskontrolle in internationalen Verträgen, vgl. Pfeiffer, NJW 2012, 1169.

322

C.  Rechtsvergleichende Zusammenfassung und Bewertung

C. civ. auf das Vorliegen eines „erheblichen Ungleichgewichts“ kontrollieren würde, sollte die Vertragsfreiheit danach keinesfalls stärker als nach der Recht­ sprechung zu §  307 BGB eingeschränkt werden. Im Bereich des Vertriebsrechts hält das französische Recht mit Art. L. 442-1 I Nr.  2 C.  com. ein Kontrollinstrument bereit, das dem Richter eine sehr umfassen­ de und im Vergleich zum deutschen Recht intensivere Eingriffsbefugnis ein­ räumt. Soweit die unterlegene Vertragspartei ihre Tätigkeit in Frankreich ausübt, könnte der Flucht aus dem französischen Recht das Expedia-Urteil der CA Paris entgegenstehen, in dem Art. L. 442-6 I Nr.  2 C.  com. a. F. als international zwin­ gende Eingriffsnorm i. S. d. Art.  9 Rom-I-VO qualifiziert wurde.91 Höchstrichter­ lich wurde dieser instanzgerichtliche Standpunkt indes noch nicht bestätigt. Einem kundigen Unternehmer, der den Abschluss eines Vertrages mit einem Unternehmensgründer beabsichtigt, dessen Vorhaben offenkundig unrentabel ist, dürfte die Wahl des deutschen Rechts zu empfehlen sein, welches im Unter­ schied zum französischen Recht der intellektuell unterlegenen Vertragspartei ei­ nen deutlich schwächeren Schutz gewährt. Anders verhält es sich demgegenüber bei Vertragsschlüssen mit Unternehmern, die sich in finanziellen Schwierigkei­ ten befinden. Hier ist aus der Warte der überlegenen Vertragspartei die Wahl des französischen Rechts vorzugswürdig.92 Zum geltenden Recht ist somit festzuhalten, dass keine generelle Aussage da­ rüber getroffen werden kann, welche Rechtsordnung der anderen überlegen ist. Vielmehr hängt die Vorzugswürdigkeit des deutschen oder des französischen Rechts von den jeweiligen Gegebenheiten des Einzelfalls ab.

3.  Konsequenzen de lege ferenda Im Hinblick auf die aktuelle Diskussion um die Schaffung eines deutsch-franzö­ sischen Wirtschaftsrechts ist das französische Schuldrecht dem deutschen Schuldrecht im Zuge seiner Modernisierung einen bedeutenden Schritt entge­ gengekommen. Grundlegend waren hierbei die Streichung der im deutschen Recht vollkommen unbekannten cause aus dem gesetzlichen Vokabular, die Ko­ difikation einer Bestimmung zum Schutz der abhängigen Vertragspartei sowie schließlich die Einführung der Inhaltskontrolle von Nebenbestimmungen in contrats d’adhésion. Während es sich bei dem letztgenannten Punkt um eine klare Innovation im französischen Zivilrecht handelt, können die ersten beiden Errun­ genschaften nur unter Vorbehalt als Abkehr von der bisherigen Rechtslage ange­ 91 

CA Paris, Urt. vom 21.06.2017 – 15/18784. des §  138 BGB insoweit möglich, da jedenfalls das wucherähnliche Rechtsge­ schäft nach §  138 Abs.  1 BGB nicht zum internationalen ordre public gehört, vgl. OLG Saar­ brücken, SchiedsVZ 2012, 47, 50 f. 92  Abwahl

IV. Ergebnis

323

sehen werden. Die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Funktionsbestandteile der cause wurden nämlich nicht aufgegeben, sondern in unterschiedlichen Rechtsnormen aufrechterhalten. Betreffend den Schutz der ab­ hängigen Vertragspartei überließ der Gesetzgeber der Rechtsprechung die Ent­ scheidung darüber, ob sie weiterhin an ihren hohen Interventionsvoraussetzun­ gen festhalten möchte. Daraus wird ersichtlich, dass die Reform des C. civ. vor allem formal den Weg für eine Annäherung zwischen den beiden Rechtsordnun­ gen eröffnet hat. Auch kontinentaleuropäische Rechtsordnungen erhalten jedoch nicht schon durch die Ausgestaltung ihrer Gesetze, sondern vor allem durch die gerichtliche Konkretisierung der Rechtsnormen ihr charakteristisches Gepräge. Daher wird es nicht zuletzt von der weiteren Entwicklung der Rechtsprechung abhängen, inwiefern der Rechtsvereinheitlichungsprozess weiter vorangetrieben wird. Dies gilt insbesondere für die Bestimmungen zum Schutz von wirtschaft­ lich unterlegenen Vertragsparteien sowie Unternehmensgründern. Hier gestattet die aktuelle Gesetzeslage den Gerichten, die bisher abweichende Rechtslage zwischen den beiden Rechtsordnungen zu vereinheitlichen. Im Hinblick auf den Schutz der wirtschaftlich unterlegenen Vertragspartei ist insoweit der Standpunkt der Rechtsprechung des BGH zu bevorzugen. Dies be­ deutet, dass die Cour de cassation den Missbrauch des Abhängigkeitsverhältnis­ ses i. S. d. Art.  1143 C. civ. nicht vom Nachweis einer Drohung, sondern allein von der Kenntnis der Ausbeutungslage sowie der verwerflichen Intention des Übervorteilenden abhängig machen sollte. Zudem sollte der „offensichtlich überzogene Vorteil“ nach Art.  1143 C. civ. nicht nach etwaigen mittelbaren Vor­ teilen, sondern allein nach dem Verhältnis der beiderseitigen Leistungspflichten zu bestimmen sein. Schließlich wäre es zu begrüßen, wenn die französischen Gerichte eine tatsächliche Vermutung der missbräuchlichen Ausbeutung des Ab­ hängigkeitsverhältnisses bei Vorliegen eines besonders gravierenden Ungleich­ gewichts anerkennen würden. Anders verhält es sich beim Schutz von Unternehmensgründern vor Fehlin­ vestitionen, die sich nur nach französischem Recht auf die Unwirksamkeit des Vertrages berufen können. Diese rechtsökonomisch fundierte Position der Cour de cassation ist gegenüber der ablehnenden Haltung der deutschen Rechtspre­ chung zu favorisieren. Umsetzen ließe sich dies im deutschen Recht durch eine Subsumtion der Rentabilitätsvorstellungen eines Unternehmensgründers unter das Tatbestandsmerkmal der „verkehrswesentlichen Eigenschaft“ i. S. d. §  119 Abs.  2 BGB oder der Geschäftsgrundlage nach §  313 Abs.  1 BGB. Im Übrigen ist zur Schaffung einer einheitlichen deutsch-französischen Ver­ tragsgerechtigkeitskontrolle eine Anpassung der Gesetzestexte erforderlich. Im Hinblick auf die Vertragswirksamkeitskontrolle ist dabei die gemischt objek­ tiv-subjektive Konzeption des deutschen Rechts zu bevorzugen. Damit wäre der

324

C.  Rechtsvergleichende Zusammenfassung und Bewertung

praktisch nicht immer sinnvolle Schutz vor einem „lächerlich geringen“ Gegen­ wert in entgeltlichen Verträgen unabhängig vom Vorliegen einer etwaigen Pari­ tätsstörung nach Art.  1169 C. civ. entbehrlich. Gleichermaßen könnte man bei korrekter Anwendung des Art.  1171 C. civ. auf den Schutz vor vertragspflichtneutralisierenden Klauseln nach Art.  1170 C. civ. verzichten. Die der Norm zugrunde liegende Chronopost-Rechtsprechung der Cour de cassation diente nämlich allein dem Zweck, eine Regelungslücke im C. civ. zu überwinden, die durch die Kodifikation des Art.  1171 C. civ. nun ge­ schlossen wurde. Betreffend der Inhaltskontrolle von Nebenbestimmungen zeichnet sich ein differenzierendes Bild ab. Sowohl die französische als auch die deutsche Rechts­ ordnung haben anlässlich der Regelung jener allein rechtsökonomische Interes­ sen tangierenden Materie sinnvolle Tatbestandselemente entwickelt. Bei der Be­ urteilung der Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Vertragsbestimmung der verschärften Kontrolle zu unterziehen ist, verzichtet die AGB-Definition in §  305 Abs.  1 BGB im Unterschied zur Definition des contrat d’adhésion nach Art.  1110 Abs.  2 C. civ. zu Recht auf das Erfordernis mehrerer Klauseln. Dies ist deshalb überzeugend, weil auch einzelne Klauseln komplexe wirtschaftliche oder rechtliche Implikationen aufweisen können, die ohne fachkundigen Rat kei­ ner Beurteilung zugänglich sind. Die französische Geltungsbereichsbestimmung ist vorzuziehen, soweit sie auf das ohnehin in der Rechtsprechung des BGH auf­ geweichte Erfordernis der Absicht mehrfacher Verwendung der zu untersuchen­ den Klausel verzichtet. Zudem bietet das weichere Ausschlusskriterium der „Verhandelbarkeit“ („négociables“) der Klauseln nach Art.  1110 Abs.  2 C. civ. gegenüber dem „Aushandeln“ nach §  305 Abs.  1 S.  3 BGB den Vorteil, insbeson­ dere komplexe Transaktionen, wo einzelne Klauseln stillschweigend von den Parteien ohne tiefergehende Diskussion als überzeugend gebilligt werden, von der strengen Inhaltskontrolle auszuklammern. Richtigerweise sehen beide Rechtsordnungen davon ab, die richterliche Un­ tersuchung auf die Preis- und Leistungsbestimmungen zu erstrecken. Dies ist deshalb überzeugend, weil wie bereits erörtert das Funktionieren des Marktes gerade voraussetzt, dass die Preis- und Leistungsbestimmungen der unterschied­ lichen Anbieter von den Kunden verglichen werden. Angesichts dessen sollte eine optimale Regelung ein Transparenzgebot vorsehen, wie dies etwa im deut­ schen AGB-Recht in Gestalt des §  307 Abs.  3 S.  2 i. V. m. Abs.  1 S.  2 BGB sowie im französischen Verbraucherschutzrecht nach Art. L. 212-1 Abs.  3 C.  con.93 ge­ schehen ist. 93  „L’appréciation du caractère abusif des clauses au sens du premier alinéa ne porte ni sur la définition de l’objet principal du contrat ni sur l’adéquation du prix ou de la rémunération au

IV. Ergebnis

325

Ist der Anwendungsbereich der spezifischen Inhaltskontrolle von Nebenbe­ stimmungen unter diesen Voraussetzungen eröffnet, ist die Durchführung einer intensiven gerichtlichen Vertragsgerechtigkeitskontrolle unter restriktiver Aner­ kennung von Kompensationsmöglichkeiten gerechtfertigt. Dementsprechend sollte die Cour de cassation das „erhebliche Ungleichgewicht“ nach Art. 1171 C. civ. entsprechend der Rechtsprechung des BGH zu § 307 BGB bereits dann annehmen, wenn von den grundlegenden Gerechtigkeitsvorstellungen des dispo­ sitiven Gesetzesrechts oder den in sonstiger Weise erzeugten berechtigten Erwar­ tungen des Kunden abgewichen wird. Letztlich hat die Reform des französischen Schuldrechts in erheblichem Maße zu einer Annäherung beider Rechtsordnungen auf dem Gebiet der richterlichen Vertragsgerechtigkeitskontrolle beigetragen und dadurch die Perspektive einer rechtsvereinheitlichenden Kodifikation verbessert. Insbesondere auf dem Gebiet der AGB-Inhaltskontrolle ließe sich der deutsch-französische Rechtsvereinheit­ lichungsprozess durchaus zum Anlass nehmen, nicht nur die vorhandenen Schwächen des deutschen, sondern auch die des reformierten französischen Rechts zu beseitigen.

bien vendu ou au service offert pour autant que les clauses soient rédigées de façon claire et compréhensible“.

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Stichwortverzeichnis Aachener Vertrag  3 ABGB  16 abus  45, 54, 63 ff., 72, 217, 294 AGB – AGBG  2, 14, 233 f., 237, 255, 272 f., 285 f., 296, 302, 313, 318 – Aushandeln  239 f., 242 ff., 283, 289, 310, 317 f., 324 – Entstehungsgeschichte  229 ff. – Gleichschritt-Urteil  270, 275 – Haftungsklauseln  230, 238, 264 ff., 272, 275, 282 – Inhaltskontrolle  199, 230 ff., 252 ff., 275, 282 ff., 297, 301, 306 ff. – Kardinalpflichtenrechtsprechung  233, 267, 271 ff., 282, 285 f. – Kompensationseffekt  276, 278 ff., 311, 318, 325 – Preisargument  281 f. – situative Unterlegenheit  236 ff., 297, 302, 318 – Summierungseffekt  276 ff. ALR  16 alltäglicher Geschäftsverkehr  296, 305 f., 312 ff., 316 ff. Äquivalenzstörung  8, 77 f., 111 f., 161, 204 f., 218 f., 222, 227 f. Aristoteles  79 Association Henri Capitant  4, 19 f. Automobilzulieferer  58, 60, 121, 126, 209, 283, 311 avantage (manifestement) excessif  36, 60 ff., 206 f. avant-projet Catala  19 ff., 28, 32, 36, 61 ff., 108 f., 160 f., 185 avant-projet Terré  20 ff., 32, 36, 62 f., 109, 160 f.

Baldus de Ubaldis  80 Beitrittsvertrag, siehe contrat d’adhésion Bonaparte, Napoleon  46 bonne foi  183 f. – les Maréchaux  181, 184 – prérogatives contractuelles  7, 180 ff. bonnes mœurs  28, 40, 77 bounded rationality  297 Bürgschaft  57, 103 Capitant, Henri  89 ff. Carbonnier, Jean  16 ff. Cartier  100 f. cause – cause de l’obligation  73, 87 ff., 118, 124, 207 – cause du contrat  87 ff., 97 – dualistische Konzeption  75, 90 f., 105 – Entwicklung  78 ff. – Legalitätsfunktion  77, 83 – Seriositätsfunktion  10 f., 73, 77 ff., 97, 99, 105, 108 ff., 134, 192 cheapest cost avoider  263 f., 301 cheapest insurer  265 f. Chirac, Jacques  19 f. Chronopost  11, 15, 113, 116 ff., 147, 263, 267, 273, 275, 283, 310, 324 CISG 3 clause abusive  25, 30, 40, 113, 127, 140 f., 144 ff., 154 f., 172 ff., 184, 312 clauses de dates de valeur  115 f., 118 clauses de réclamation de la victime  113 f., 118, 135 Comité de réforme du Code civil  17 conditions générales  163 ff., 177 Conseil constitutionnel  154 ff. contrainte  41 f. contrainte économique  52 ff., 59 f.

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Stichwortverzeichnis

contrat d’adhésion  11 ff., 135 ff., 161 ff., 177 ff., 192, 242 f., 308, 321, 324 contrat de gré à gré  14, 136, 161 f., 169 contrepartie convenue  73 ff., 105 ff., 191 f. Corpus Iuris Civilis  31 crainte  42 f., 54 ff., 65 ff. DCFR  18, 20 Demolombe, Charles  86 ff. dépendance économique  52, 54 f., 57 f., 66, 215 dérisoire  10 f., 73, 77 f., 99 f., 102 ff., 111 f., 133, 192, 207, 292 f., 324 déséquilibre significatif  12 ff., 36, 69, 123, 135, 145, 149, 154, 160, 162, 170, 231, 310 dispositions liminaires  40, 143, 185, 188 Doing Business  19, 29 dol  49 f., 62 Domat, Jean  46 f., 81 ff., 90, 97, 109 Drohung  siehe violence Dumoulin, Charles  80 ff. économie du contrat  109 f. EDF  123 ff. Eigenschaftsirrtum  213 f. Élysée-Vertrag  3 Entscheidungsfreiheit  5, 56, 197 f., 208, 210 f., 228, 280 erhebliches Ungleichgewicht, siehe déséquilibre significatif erreur  49 f., 62, 88, 96, 100, 107, 111 état de nécessité  62 ff. Faurecia  121, 125 ff., 133, 282 f., 311, 317 f., 321 faute lourde  120 Fehlinvestition  98, 192, 213 ff., 296, 323 Flume, siehe Selbstbestimmungstheorie Franchise  2, 5, 304, 313, 315, 319 französisch-italienisches Reformprojekt  17 Gandolfi Principles  20 GEKR  18 gesetzesvertretende Verordnung, siehe ordonnance Getränkelieferungsrechtsprechung  101 ff., 204, 292

grande distribution  13, 44, 52, 148, 153 guter Glaube, siehe bonne foi Haftungsklauseln  3, 11, 113, 117, 120 ff., 230, 238, 264 ff., 272, 275, 281 f. illusoire  10 f., 73, 77 f., 105, 107 ff., 111 f., 191, 208, 217, 296 Informationsgefälle 215 Institutiones Gai  31 Kant, Immanuel  37 Koalitionsvertrag 3 Konditionenwettbewerb  299 ff., 305 Konkurrenzen  14 f., 173 ff., 213 ff. Kraftfahrzeugmakler  59, 209 laesio enormis  218 f. Larousse-Bordas  53 ff., 65, 67 Leasingvertrag  96, 98, 100, 120, 223, 280 f., 304, 314 Leistungsstörungsrecht  260, 303 Leitbildfunktion des dispositiven Rechts  226, 233, 259, 261 lésion  45 ff., 62, 64, 67 ff., 99, 173 lex specialis  174 ff. 185 Locke, John  1 loi EGalim  148 ff. loi Hamon  143 loi LME  147 loi Scrivener  69, 72, 140 Macron, Emmanuel  3 Markenlizenzvertrag  96 ff. menace  41 ff., 55 missbräuchliche Klausel, siehe clause abusive non-professionnel  70, 142 ff. nullité  9, 42, 44, 50, 67, 178 OHADA (Organisation pour l’Harmonisa­ tion en Afrique du Droit des Affaires)  4 ordonnance  19, 24 ff., 36, 39, 44, 66, 162 ff. ordre public  28, 30, 40, 77 PCE (Principes contractuels communs)  20

Stichwortverzeichnis PECL (Principles of European Contract Law)  20, 23 PICC (Principles of International Commer­ cial Contracts)  20 Planiol, Marcel  48, 89 Point Club Vidéo  92, 110 f. Portalis, Jean-Étienne-Marie  37, 85, 98, 202 Pothier, Robert-Joseph  42 ff., 81 ff. Principal-Agent-Theorie  300 f., 309, 317 Québec  35 Raiser  1 f., 233, 235, 259, 302 Rechtsökonomie  6, 192, 263, 266, 296, 303, 305, 309, 315, 323 f. Regressfalle 3 rescision  46 ff. Rom-I-VO  4, 29, 322 Saleilles, Raymond  12, 136 ff. Sandhaufenphänomen  206 satisficing, siehe bounded rationality Schmidt-Rimpler, Walter  198 ff., 297, 309 Selbstbestimmungstheorie  197 Simon, Herbert A., siehe bounded rationality Smith, Adam  1 Sorbonne  3, 19 Störung der Geschäftsgrundlage  7, 84, 213 ff., 296, 323 Strafklausel  16, 35 Taubira, Christiane  24 Theorie von der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit  197 f. Theorie der Richtigkeitsgewähr  198 ff. Toullier, Charles  43, 86

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Transaktionen  251, 283, 285 f., 313, 316 ff., 320 ff. Treu und Glauben  7, 14, 186, 226, 231 ff., 252, 256, 258 f., 267, 273 UCC (Uniform Commercial Code)  4 UNIDROIT  20, 22 f. Verbraucherrechterichtlinie (93/13/ EWG)  72, 141, 170 Verbraucherschutz  12, 22, 44, 62, 69, 113, 140 ff., 172, 177 ff., 234, 295, 312, 324 Videoverleih  92 ff., 102, 118 f., 211, 213 ff. violence  68 – contextuelle  9 f., 36, 44, 59 ff. 167, 191, 205 ff., 222, 292 ff., 323 – économique  54 – morale  68 – personelle  9 f., 41 ff., 152 f., 205 ff., 222, 292 ff., 323 Wahrsager  91 Wegfall der Geschäftsgrundlage, siehe Störung der Geschäftsgrundlage wirtschaftliche Abhängigkeit, siehe dépendance économique Wolf, Manfred, siehe Theorie von der rechtsgeschäftlichen Entscheidungs­ freiheit Wucher  7, 10, 62, 205 ff., 228, 292 ff. wucherähnliches Rechtsgeschäft  224 – besonders grobes Missverhältnis  223 f. – Kreditverträge  196, 202 ff., 230 f., 234 f., 252, 282, 289 f., 315 – Maßstab der guten Sitten  222 f. – Miet- und Pachtverhältnisse  218 ff.