Der Jahreswechsel im Kirchenlied: Zur Geschichte, Motivik und Theologie deutscher und schweizerischer Lieder [1 ed.] 9783666624360, 9783525624364, 9783647624365

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Der Jahreswechsel im Kirchenlied: Zur Geschichte, Motivik und Theologie deutscher und schweizerischer Lieder [1 ed.]
 9783666624360, 9783525624364, 9783647624365

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© 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525624364 — ISBN E-Book: 9783647624365

Arbeiten zur Pastoraltheologie, Liturgik und Hymnologie

Herausgegeben von Eberhard Hauschildt, Franz Karl Praßl und Anne M. Steinmeier

Band 85

© 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525624364 — ISBN E-Book: 9783647624365

Ute Nürnberg

Der Jahreswechsel im Kirchenlied Zur Geschichte, Motivik und Theologie deutscher und schweizerischer Lieder

Vandenhoeck & Ruprecht © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525624364 — ISBN E-Book: 9783647624365

Mit 7 Abbildungen und 6 Tabellen Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 0570-5517 ISBN 978-3-647-62436-5 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen / Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U. S. A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: textformart, Göttingen | www.text-form-art.de

© 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525624364 — ISBN E-Book: 9783647624365

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Untersuchungsgegenstand: Kirchliche Neujahrslieder . . . . . . . . . . . 14 Stand der Forschung, Definitionen und Fokus . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Teil I: Ursprung und Hintergrund der kirchlichen Neujahrslieder Deutschlands und der Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 1 Die Wurzeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 1.1 Eine vierfache Annäherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 1.2 Erste Beobachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 2 Kalendergeschichtliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 2.1 Der Termin des Jahresbeginns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 2.1.1 Der heidnische Ursprung des Jahreswendefestes . . . . . . . 25 2.1.2 Mittelalterliche Zeitrechnung und Neuzeit . . . . . . . . . . 28 2.1.3 Brauchtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 2.1.4 Zeitmessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 2.1.5 Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2.2 Bedeutung der unterschiedlichen Jahresanfänge für die Untersuchung von Neujahrsliedern . . . . . . . . . . . . . . 35 3 Liturgiegeschichtliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 3.1 Bestimmung des Festgegenstandes durch die Jahrhunderte . . . . 37 3.1.1 Namengebung und Beschneidung Jesu Christi . . . . . . . . 39 3.1.2 Bußfest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 3.1.3 Marienfeier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 3.1.4 Narrenfest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 3.1.5 Neujahr im eigentlichen Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 3.2 Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525624364 — ISBN E-Book: 9783647624365

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Inhalt

4 Liedgeschichtliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 4.1 Geistliche Gesänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 4.1.1 Lateinische Hymnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 4.1.2 Lateinisch-deutsche Gesänge/Cantiones . . . . . . . . . . . . 48 4.1.3 Deutschsprachige Hymnen, Weihnachtsspiele und Kindelwiegen 49 4.1.4 Geistliche Lieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 4.2 Brauchtums- und Volksgesänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 4.2.1 Heische- und Anklopflieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 4.2.2 Nachtwächtergesänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 4.2.3 Minnesang und Frauenpreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 4.2.4 Kinderlieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 4.3 Ergebnis: Die Traditionsstränge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 5 Poetologische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 6 Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 Teil II: Geschichte und Entwicklung der kirchlichen Neujahrslieder seit dem 16. Jahrhundert mit exemplarischen Analysen . . . . . . . . . . 75 1 Das Neujahrslied von 1500–1600: Benennung von Tugenden und gute Wünsche . . . . . . . . . . . . . . 75 1.1 Zeitgeschichtliche und liturgiegeschichtliche Aspekte . . . . . . . 75 1.1.1 Reform der Fest- und Feiertage . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 1.1.2 Das „Neue Jahr“ in der Bewertung der Reformatoren . . . . 77 1.1.3 Erste „Neujahrs“-Gottesdienste . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 1.2 Aspekte der Entwicklung der Gesangbuchrubrik . . . . . . . . . . 82 1.3 Exemplarische Liedanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 1.3.1 Nun woelle Gott, dass unser Gsang – Johannes Zwick (1533/34) 85 1.3.2 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 2 Das Neujahrslied von 1600–1700: Anrufung und Fürbitte . . . . . . . 101 2.1 Zeitgeschichtliche und liturgiegeschichtliche Aspekte . . . . . . . 101 2.1.1 Das Jahr 1600 – Ein besonderer Jahreswechsel? . . . . . . . . 101 2.1.2 Neujahr als Kirchenfest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 2.1.3 Neujahrsblätter in Zürich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 2.1.4 Erbauungsbücher, Gebete und Predigt . . . . . . . . . . . . . 107 2.1.5 Zeitgenössische Poetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 2.2 Aspekte der Entwicklung der Gesangbuchrubrik . . . . . . . . . . 110 2.3 Exemplarische Liedanalysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 2.3.1 Hilf, Herr Jesu, lass gelingen – Johannes Rist (1642) . . . . . . 116 2.3.2 Nun lasst uns gehn und treten – Paul Gerhardt (1648 [53?]) . . 125 2.3.3 Jesus ist der schönste Nahm – Johannes Scheffler (um 1657) 133 © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525624364 — ISBN E-Book: 9783647624365

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3 Das Neujahrslied von 1700–1800: Reflexion des Selbst und der flüchtigen Zeit . . . . . . . . . . . . . . . 147 3.1 Zeitgeschichtliche und liturgiegeschichtliche Aspekte . . . . . . . 147 3.1.1 Die Jahrhundertwende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 3.1.2 Gottesdienste am Altjahresabend . . . . . . . . . . . . . . . . 150 3.1.3 Zeitgenössische Poetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 3.1.4 Bachs Neujahrskantaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 3.2 Aspekte der Entwicklung der Gesangbuchrubrik . . . . . . . . . . 155 3.3 Exemplarische Liedanalysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 3.3.1 Er ruft der Sonn und schafft den Mond – C. F. Gellert 1757 . . 160 3.3.2 Ach, wiederum ein Jahr verschwunden – Johann Caspar Lavater (1771) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 4 Das Neujahrslied von 1800–1900: Erinnern und Sinnsuche . . . . . . . 176 4.1 Zeitgeschichtliche und liturgiegeschichtliche Aspekte . . . . . . . 176 4.1.1 Die Jahrhundertwende 1799–1801: Kirchliche und staatliche Feierlichkeiten . . . . . . . . . . . . 176 4.1.2 Silvestergottesdienste und „watch-nights“ . . . . . . . . . . . 179 4.2 Aspekte der Entwicklung der Gesangbuchrubrik . . . . . . . . . . 182 4.3 Exemplarische Liedanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 4.3.1 Das Jahr geht still zu Ende – Eleonore Fürstin Reuss (1857) . . 191 4.3.2 Das Neue Jahr als transzendente Zeit . . . . . . . . . . . . . . 197 4.4 Ergebnisse und Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 5 Das Neujahrslied von 1900–1945: Halt in Krise und existentieller Gefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 5.1 Zeitgeschichtliche und liturgiegeschichtliche Aspekte . . . . . . . 198 5.1.1 Die Jahrhundertwende – Staatliche und kirchliche Feierlichkeiten . . . . . . . . . . . . 198 5.1.2 Liturgisches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 5.1.3 Poetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 5.1.4 Kirchenmusik und Gesangbücher . . . . . . . . . . . . . . . . 202 5.2 Aspekte der Entwicklung der Gesangbuchrubrik . . . . . . . . . . 203 5.3 Exemplarische Liedanalysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 5.3.1 Der du die Zeit in Händen hast – Jochen Klepper (1938) . . . 204 5.3.2 Von guten Mächten treu und still umgeben – Dietrich Bonhoeffer (1944/45) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 5.3.3 Herr der Stunden, Herr der Tage – Hermann Hiltbrunner (1945) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 5.4 Ergebnisse und Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225

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6 Das Neujahrslied von 1945 bis heute: Segensbitte und Geleit . . . . . . 226 6.1 Zeitgeschichtliche und liturgiegeschichtliche Aspekte . . . . . . . 226 6.1.1 Liturgikfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 6.1.2 Kirchliche Angebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 6.2 Aspekte der Entwicklung der Gesangbuchrubrik . . . . . . . . . . 229 6.2.1 Rubrikvergleiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 6.2.2 Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 6.3 Exemplarische Liedanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 6.3.1 Geh unter der Gnade – Manfred Siebald (1987) . . . . . . . . 237 6.3.2 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 Teil III: Kirchliche Neujahrslieder: Ihre Motivik, Theologie und Charakteristik . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 1 Motivik und Theologie der kirchlichen Neujahrslieder . . . . . . . . . 247 1.1 Motivvielfalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 1.1.1 Grenze: Zwischen Ende und Anfang . . . . . . . . . . . . . . 249 1.1.2 Schwelle: Rückschau / Selbstschau / Vorschau . . . . . . . . . 250 1.1.3 Übergang: Alt wird Neu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 1.1.4 Veränderung: Raum / Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 1.1.5 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 1.2 Theologische Deutung des Motivfeldes . . . . . . . . . . . . . . . . 259 1.2.1 Anthropologische Grundkonstanten . . . . . . . . . . . . . . 259 1.2.2 Kanon oder „Fest der Beliebigkeit“? . . . . . . . . . . . . . . . 261 1.2.3 Veränderungen und „Verluste“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 1.2.4 Tempi passati oder Wiederaufnahme „vergangener Motive“? 266 1.3 Die Zeit – Zur Motivdominanz in Jahreswendeliedern . . . . . . . 271 1.3.1 Die Zeit im Fokus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 1.3.2 Von der Zeit singen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 1.3.3 Des Menschen Zeit und Gottes Ewigkeit . . . . . . . . . . . . 275 1.3.4 Religiöse Poesie als „Indikator“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 2. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 Teil IV: Fest- und Gottesdienstpraxis heute: Einflüsse, Veränderungen und Auswirkungen bezogen auf das kirchliche Neujahrslied . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 1 Singen an Übergängen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 1.1 Sinn und Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 1.2 Seelentrost, Biographie und Erfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . 283 1.3 Funktion der Lieder im Gottesdienst . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525624364 — ISBN E-Book: 9783647624365

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2 Beobachtungen und Anfragen zur gegenwärtigen Gottesdienstpraxis am Jahresübergang . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 2.1 Neujahrsgottesdienste in Gefahr? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 2.1.1 Betonung des Altjahres-Abends: Silvestergottesdienste . . . 287 2.1.2 Ausfall von Neujahrsgottesdiensten . . . . . . . . . . . . . . . 289 2.1.3 Jahresende und Jahresanfang zusammengenommen . . . . . 291 2.2 Gottesdienste zur Jahreswende: eine (neue) Kasualie? . . . . . . . . 292 2.2.1 Jahreswende-Gottesdienste als Kasualfeiern verstehen . . . . 292 2.2.2 Jahreswendegottesdienste als „Stabilisatoren“ und Trauerhilfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 2.2.3 Gottesdienste zur Jahreswende: lebensgeschichtliche Verbindungen . . . . . . . . . . . . . . . 300 2.2.4 Gottesdienste zur Jahreswende – ein ‚altes‘ Kasual . . . . . . 302 2.3 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 3 Im größeren Kontext betrachtet: Heortologische Neuerungen und ihr möglicher Einfluss . . . . . . . . 303 3.1 Das besondere Datum: Jahrestagkultur und Ideenfeste . . . . . . . 304 3.2 Kasualisierung des Kirchenjahres? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 3.3 Kirchenjahr-Neustrukturierung und deren Einfluss auf die kirchliche Jahreswendefeier . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 4 Jahreswechsel – Zeitenwechsel: Zeit und gegenwärtiger Umgang mit der Zeit . . . . . . . . . . . . . . . 313 4.1 Das neue Jahr: Zeit und Gegenwart in der Spätmoderne – eine Wahrnehmungsskizze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 4.1.1 Veränderungen und Strategien – Von Beschleunigung und Schmerzvermeidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 4.1.2 Entfremdung und Fragmentierung . . . . . . . . . . . . . . . 316 4.2 Jahreswende-Gottesdienste als „Zeitansagen“ – Chancen der theologischen Gegenwartsdeutung . . . . . . . . . . 318 Teil V: Ertrag und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 1 Ertrag zu Geschichte, Motivik und Theologie kirchlicher Neujahrslieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 2 Problemfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 3 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324

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Inhalt

Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 1 Liedtexte (nach ihrem Initium alphabetisch sortiert) . . . . . . . . . . . 327 2 Tabellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 3 Bilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 Verzeichnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 1 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 2 Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 3 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 3.1 Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 3.1.1 Gesangbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 3.1.2 Weitere Quellen und wissenschaftliche Quellenwerke . . . . 379 3.1.3 Liedsammlungen / Chorstücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 3.1.4 Lieder und Gedichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 3.1.5 Predigten und Erbauungsliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . 381 3.1.6 Weitere Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 3.1.7 Unveröffentlichte Quellen / Internetadressen . . . . . . . . . 384 3.2 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 3.2.1 Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 3.2.2 Hilfsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 3.2.3 Archive und Sammlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 Lied- und Gedichtanfänge, die im Text Erwähnung finden . . . . . . . 401 Namen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 Sachbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406

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Vorwort

Die Theologische Fakultät der Universität Zürich hat die vorliegende Doktorarbeit im Frühjahrssemester 2014 angenommen. Der Titel lautete: „‚Hilf, das neue Jahr geht an…‘ – Zur Geschichte, Motivik und Theologie kirchlicher Neujahrslieder in Deutschland und der Schweiz“. Im Frühjahr 2015 hat die Fakultätsversammlung sie mit dem Jahrespreis ausgezeichnet. Sie wurde gekürzt, überarbeitet und mit einem leicht veränderten Bildanhang versehen. Dieses Buch entstand über viele Jahreswenden hinweg. Meinem Doktorvater Prof. Dr. Ralph Kunz, an dessen Lehrstuhl in Zürich ich mehrere Jahre mitarbeiten durfte, danke ich sehr herzlich. Er hat das hymnologische Thema angenommen, hat es begleitet und hat meinem Forschungsvorhaben großes Vertrauen entgegenbracht. Prof. Dr. Andreas Marti, Bern, danke ich für die Übernahme des Zweitgutachtens. Schon während der Abfassung der Dissertation standen wir im Austausch, und er gab mir hilfreiche Anregungen und Hinweise. Einen besonderen Dank richte ich an Prof. Dr. Hermann Kurzke, Mainz. Während des Studiums konnte ich durch ihn am interdisziplinären Arbeitskreis für Hymnologie in Oberseminaren teilnehmen. Ihm verdanke ich auch die Anregung zu dieser Arbeit. Manches Mal ermutigte er mich mit seinem breiten Fachwissen, seinem Interesse und durch seine freundliche Begleitung. Seinen Mitarbeitern am Mainzer Gesangbucharchiv, deren Hilfe ich in mehreren Aufenthalten und auch darüber hinaus jederzeit in Anspruch nehmen durfte, danke ich ebenfalls ganz herzlich. Das Studium der Quellen, das in Mainz unkompliziert möglich ist, war bereichernd und der mir zur Verfügung gestellte elektronische Liedkatalog ein wertvolles Hilfsmittel. Es freut mich sehr, dass diese Arbeit von den Herausgebern in die Reihe Arbeiten zur Pastoraltheologie, Liturgik und Hymnologie aufgenommen wurde. Christoph Spill und vor allem Dr. Elke Liebig danke ich für die Betreuung und Begleitung bis zur Drucklegung. Die Evangelisch-Reformierte Kirche des Kantons Schaffhausen und der Emil Brunner-Fonds der Reformierten Kirche des Kantons Zürich haben das Erscheinen dieses Buches großzügig unterstützt, wofür ich sehr dankbar bin. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525624364 — ISBN E-Book: 9783647624365

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Vorwort

Mit vielen Menschen war ich während der Abfassung der Dissertation im Gespräch, wofür ich mich bedanken möchte: Während meiner Assistenzzeit in Zürich brachte mich das konzeptionelles Mitdenken und Interesse von Prof. Dr. Thomas Schlag an schwierigen Punkten weiter. Im Austausch stand ich auch mit den ehemaligen Mitassistierenden Dr. Josef Fuisz, Dr. Silke Harms und Dr. Claudia Kohli-Reichenbach. Bei Fragen zur lateinischen Übersetzung durfte ich mich an Dr. Konrad Haldimann wenden. Zur Liturgiegeschichte gab mir Dr. Alfred Ehrensperger erhellenden und freundlichen Rat. Hans-Jürg S­ tefan führte mich in seine Privatsammlung v. a. Reformierter Schweizer Gesang­ bücher ein, die ich jederzeit einsehen durfte. Allen sei hierfür gedankt. Manches Gespräch auf Tagungen der Internationalen Arbeitsgemeinschaft für Hymnologie ergab hilfreiche Hinweise. Hier danke ich Prof. em. Dr. Jürgen Henkys, der leider vor Kurzem verstorben ist, Prof. Dr. Ansgar Franz, Dr. Maria Pfirrmann und Esther Handschin sehr. Der engste Austausch bestand mit meinem Vater, der während der ganzen Zeit und unermüdlich die oft mühselige Arbeit des Korrekturlesens übernommen hat. Nicht nur sein Interesse, sein kritischer Sachverstand und seine Stilsicherheit waren in den Jahren der Entstehung eine große Stütze und Ermunterung. Ihm gebührt besonderer Dank, denn ohne ihn und weitere familiäre Unterstützung wäre dieses Projekt wohl kaum zu einem Abschluss gekommen. Ebenfalls um die Korrektur verdient gemacht haben sich Dr. Veronika Bachmann und mein Bruder Johannes Hülsemann, denen ich genauso herzlich danke. Dass ich auch in der Zeit der Familiengründung und nun mit zwei Kindern das Projekt weiterverfolgen konnte, verdanke ich maßgeblich den beiden Großmüttern. Mit ihrem Engagement in der Kinderbetreuung haben sie mir Zeit zum weiteren Forschen gegeben. Ihnen beiden tausend Dank! Den Dank für meinen Mann, Dr. med. Bernd Nürnberg, kann ich kaum in Worte fassen. Er hat mich über eine lange Zeit und auch in zahlreichen Urlauben mit diesem Projekt teilen müssen. Er hat mir zur Seite gestanden, mich ermutigt, wenn es einmal nicht so gut voran ging, und hat auch den Glauben an eine Fertigstellung des Projektes in mir wachhalten können. Ihm, meinen Eltern und unseren fröhlichen Kindern Patrick und Johanna ist diese Arbeit in Liebe gewidmet. Dachsen am Rheinfall, 1. Advent 2015

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Ute Nürnberg

Einleitung

Mein sind die Jahre nicht, Die mir die Zeit genommen; Mein sind die Jahre nicht, Die etwa möchten kommen; Der Augenblick ist mein, Und nehm ich den in acht So ist der mein, Der Jahr und Ewigkeit gemacht. („Betrachtung der Zeit“, Andreas Gryphius – 1616–1664)

Der Beginn eines Kalenderjahres wird in vielen Kulturen und Religionen festlich begangen. Neujahr markiert einen besonderen Einschnitt im Lauf der Zeit, weshalb ihm auch besondere Aufmerksamkeit zukommt. Es ist nur ein Augenblick, der ein altes von einem neuen Jahr trennt. Auf der Schwelle zwischen beiden bewegt die Eigentümlichkeit des Ereignisses den Menschen – mit einem Blick zurück in das nun schon Gewesene und einem Blick nach vorn in das unbestimmte Zukünftige. Poeten hat der Anlass zu Texten und Gedichten, Komponisten zu Hymnen und Liedern inspiriert. In der Form des Kirchenliedes können sie uns heute Aufschluss darüber geben, wie in der christlichen Tradition und speziell in der evangelischen Konfession mit dem ursprünglich nichtkirchlichen Festgegenstand umgegangen wurde. Das Medium Kirchenlied gibt nicht nur Auskunft über private Frömmigkeit oder theologische Deutungen des Festes, sondern auch über den jeweiligen Zeitgeschmack in der Musik oder die vorherrschende theologische wie kulturgeschichtliche Strömung. In evangelischen Gemeinden des deutschen Sprachraums wird der Übergang in ein neues Kalenderjahr gottesdienstlich begleitet. Ob nun eine Andacht zum Altjahresabend stattfindet oder ein Gottesdienst am Neujahrsmorgen: Es werden Lieder gesungen, die die Gottesdienste prägen. Sie sind Dokumente unterschiedlicher Epochen. Allerdings stellen die heute gesungenen Lieder nur noch einen Bruchteil dessen dar, was jemals in kirchlichen Gebrauch genommen worden ist.

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Einleitung

Untersuchungsgegenstand: Kirchliche Neujahrslieder Hier wird der Versuch unternommen, die Geschichte der Gesangbuchrubrik „Neujahrslied“1 von den Anfängen in der Reformationszeit bis zur Gegenwart dazustellen. Dazu kommt das Interesse an der in den Liedern enthaltenen Motivik und der Theologie, die sie vermitteln. Diese Liedrubrik2 ist für eine Darstellung im Wandel der Zeit besonders geeignet. Zum einen fand das Fest eigens zum Beginn eines Kalenderjahres erst spät Aufnahme in das Kirchenjahr. Zum anderen lassen sich auf verschiedenen Ebenen Veränderungen wahrnehmen. Denn indem die Feier des Neuen Jahres den überkommenen Festgegenstand, den man mit dem Datum des 1. Januar verband – Namengebung und Beschneidung Jesu Christi –, zunächst überlagerte und dann nahezu verdrängte, wurden neue theologische Deutungen notwendig, die sich neben Predigten und Ge­beten eben auch in den Liedern für Gottesdienst und Hausandacht widerspiegeln. Das Neujahrsfest in seiner christlichen Deutung anhand von Kirchenliedern zu erschließen, stellt eine reizvolle Aufgabe dar. Es wird versucht, das Werden, den Wandel und das (heutige) Profil des ursprünglich nicht christlichen Festtages zu ergründen. Neujahr als kirchlicher Festgegenstand ist dem Bedürfnis der Gesellschaft entwachsen, diesen Übergang auch von Seiten der Kirchen zu begleiten; auf ähnliche Weise fanden auch Totensonntag3 und Erntedank4 Eingang in den Kirchenjahreskreis. 1 Untersucht werden deutschsprachige Kirchenlieder (in Deutschland und der Schweiz) von der Reformationszeit bis heute. Es sind nicht allein Lieder zum „Neuen Jahr“, sondern auch Lieder zum Ende eines Jahres oder Gesänge, die den Jahreswechsel thematisieren. Letztere kommen erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts auf. 2 Hymnologische Untersuchungen zu einer einzelnen Rubrik des Gesangbuches in historischer oder aktueller Perspektive existieren bisher in geringer Zahl. Als solche angesehen werden können – in unterschiedlicher Ausprägung und Verschiedenheit in dem Umfang des untersuchten Zeitraumes – eine Studie zu Weihnachtsliedern: Rößler, Texte, Typen und Themen, Stuttgart 1981. Über Tauflieder: Laubach, Tauflied, Hamburg 1969 sowie Martini, Sprache und Rezeption, Göttingen 2002. Zu Herz Jesu Liedern: Haag, Politische Instrumentalisierung, Mainz 2000. Zu Sterbeliedern siehe: Fischer, Sterben und Tod, Paderborn 2004; außerdem Lorbeer, Sterbe- und Ewigkeitslieder, Göttingen 2012; Zu Himmelfahrt: Ühlein, Kirchenlied und Textgeschichte, Würzburg 1995 sowie Schindling, Christi Himmelfahrt, Saarbrücken 2008. Zu Trostliedern: Piper, Anfechtung und Trost, (Diss. unveröffentlicht), Göttingen 1964. Und schließlich zu Dreikönigsliedern: Fugger, Königreich am Dreikönigstag, Paderborn u. a. 2007. 3 Zum Totensonntag oder auch Ewigkeitssonntag wurde durch König Friedrich Wilhelm III . von Preußen für die evangelischen Kirchen auf preußischem Gebiet der Sonntag vor dem ersten Advent bestimmt. Dies geschah per Kabinettsorder vom 24. April und Verordnung vom 25. November 1816. Als allgemeines Kirchenfest dient er der Erinnerung an die Verstorbenen. Vgl. Jannasch, Art. „Totensonntag“, 957. 4 Erntedank wurde nach der Reformation in den evangelischen Kirchen am Michaelistag (29. September) gefeiert oder am vorangehenden oder darauf folgenden Sonntag.

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Einleitung

In den untersuchten Kirchengesangbüchern sind die Lieder unter der Überschrift „Neujahr“, „Jahreswende“, „Jahreswechsel“ und „Altjahresabend“ zu finden. Es sind Gesänge, die primär für den einen Festanlass im Jahr vorgesehen sind. In heutigen Gesangbüchern sind deshalb auch nur wenige Neujahrs- oder Jahreswendelieder aufgeführt. Dass man sich wissenschaftlich mit ihrer Materie beschäftigt, mag zunächst randständig und unergiebig erscheinen. Von der jetzigen Gottesdienstpraxis ausgehend zeigt sich aber, dass die Lieder öfter als nur am Altjahresabend oder Neujahrsmorgen gesungen werden. Der Verwendungszweck wird vielfältiger, wenn nur einzelne Strophen gewählt oder einzelne ausgelassen werden. Auf diese Weise können Neujahrslieder zu Liedern für alle Arten von Übergängen werden: für Taufen, Konfirmationen, Hochzeiten, Beerdigungen und Ordinationen. Diesem Phänomen – der Verwendung bei Kasualien – wird eingehender nachgegangen werden. Vergleicht man Gesangbücher unterschiedlicher Zeiten, wird anhand der Systematik eine Schwierigkeit deutlich: Es ist verschieden, welchen Platz der Rubrik „Neujahrslied“ (sowie „Jahreswende“ oder „Altjahresabend“) zugewiesen wird. Mal ist sie in den Weihnachtsfestkreis integriert und gleich im Anschluss an die Weihnachtslieder zu finden, mal ist sie unter den „besonderen Fest­zeiten“ oder einfach „im Jahreslauf“ aufgeführt. Dieser erste Befund lässt bereits er­ kennen, dass unterschiedliche Interpretationen und liturgische Bewertungen existieren, denen nachzugehen ist. Eine Eigenheit der Neujahrslieder unterscheidet sie von anderen Festzeit­ liedern: Sie nehmen ein weltliches Ereignis auf und deuten es in christlicher Perspektive. Daher ist anzunehmen, dass sie mehr als andere Lieder auch die Zeit ihrer Entstehung widerspiegeln: soziale Verhältnisse, politische Strukturen, aktuelle Ereignisse und die vorherrschende Theologie. Ob nun in zeitgeschichtlichen Bezügen, in der gewählten Form, der Sprache und Wortwahl oder auch in der Betonung einzelner Motive und deren theologischer Deutung: Implizit wird das jeweilige Festverständnis eines Zeitalters deutlich. Über den Gottesdienst hinaus sind Neujahrslieder Gegenstand der persönlichen Jahreswendebetrachtung: Sie werden auch in Schule und Haus verwendet. Hierzu gibt es leider kaum Quellen, die ausgewertet werden könnten. Es sind eher vereinzelte Notizen und Aussagen, die, wo sie auszumachen sind, berücksichtigt werden sollen. Eine Untersuchung zum Festverständnis ließe sich selbstverständlich auch anhand von Predigten oder von Gebeten durchführen. Doch damit wäre der

Der preußische König legte 1773 den ersten Sonntag nach Michaelis für Erntedank fest. Vgl. Rauchenecker, Brauchtum, 200.

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Einleitung

Fokus zu sehr auf den Gottesdienst oder die private Andacht gerichtet. Kirchliche Neujahrslieder fanden und finden auch außerhalb des Gottesdienstes Verwendung. Sie erklingen auf Straßen, in Schulen, in Häusern und in Feierstunden und sind damit Bindeglieder zwischen Alltag und Feier wie auch zwischen Gesellschaft und Gemeinde.

Stand der Forschung, Definitionen und Fokus Eine Arbeit zur gesamten Geschichte der Gattung Neujahrslied ist ein Desiderat der Forschung.5 Dies liegt nicht zuletzt an der Vielgestalt des Neujahrsliedes und seiner langen Tradition, die weit über die Reformationszeit zurückreicht. Aus der umfassenden Liedgattung sei hier nur ein Teilaspekt herausgegriffen, indem das Kirchenliedgut zum Zwecke der Hausandacht und des Gottesdienstes betrachtet wird. Doch selbst bei dieser Beschränkung sind der Untersuchung verschiedene Grenzen gesetzt, die hier genannt werden sollen: Zum zentralen Untersuchungszeitraum (Reformationszeit bis heute) fehlen umfassende diachrone Arbeiten im Bereich der Liturgik. So harrt beispielsweise die Geschichte der Schriftlesung und der damit verbundenen Perikopenbestimmung bisher noch ihrer Darstellung. Eine solche könnte aufzeigen, wann die Auswahl biblischer Texte für die Festtagspredigten geändert wurde, aus welcher Motivation heraus dies geschah und was dies für Auswirkungen hatte. Auch die Aufarbeitung des umfangreichen Materials von Andachts- und Erbauungsbüchern ist eine bleibende Aufgabe der Forschung. Um etwas über die Art und Weise herauszufinden, wie das Neujahrsfest durch die Zeit und in verschiedenen Gegenden des deutschsprachigen Raumes gefeiert wurde, muss man häufig auf Notizen von Theologen, Historikern und auch Schriftstellern zurückgreifen. Ein ganzheitliches Bild lässt sich leider nicht erstellen. Mit der Fragestellung und Untersuchung der Gesangbuchrubrik werden unterschiedliche Forschungsfelder berührt. Neben der Interdisziplinarität, die der Untersuchungsgegenstand Kirchenlied vorgibt, sind es zwei große Gebiete, zu denen die vorliegende Arbeit beitragen möchte. Zunächst ist das Gebiet der Festforschung zu nennen: Feste und Festzeiten sind in jüngster Zeit Gegenstände ganz unterschiedlicher wissenschaftlicher Beschäftigungen geworden. Hier kommen Aspekte kultureller Identität, kultureller Tradition und Geschichte mit sozialen, biographischen und religiösen Gesichtspunkten zusammen, die das wissenschaftliche Interesse wecken. Zudem

5 Vgl. Mauser, Betrachtung des Schlaffs, 275, Anm. 4.

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Einleitung

hat sich die Festkultur in der Spätmoderne gewandelt: Feste verblassen oder verschwinden, einzelne traditionelle Feste erhalten eine neue Prägung. Mancherorts entstehen neue Feste oder einzelne werden aus anderen Kulturkreisen übernommen. Auch die Feste der christlichen Kirchen unterliegen einem Wandel. Nicht zuletzt können wirtschaftliche und politische Überlegungen die Festkultur beeinflussen, wie es am Beispiel des Buß- und Bettages in Deutschland deutlich geworden ist, der seit 1995 nicht mehr in allen Bundesländern arbeitsfreier Feiertag ist. Ein weiteres Feld, das diese Arbeit berührt, ist die in den letzten Jahren vermehrt geforderte und nun auch zunehmend geleistete Frömmigkeitsforschung. Diese versucht, die Ausprägung und Gestaltung der Frömmigkeit in unterschiedlichen christlichen Konfessionen, Regionen und Gruppierungen historisch zu erschließen. Als Quellen dienen Medien für die private Andacht wie Gebetbücher, Andachtsbücher, Erbauungsbücher, Darstellungen von Heiligenviten und Ähnliches. Kirchengesangbücher stellen unter den schriftlichen Medien besonders aufschlussreiche Quellen dar. Zum einen sind sie offizielle Dokumente, die ein Fürst oder eine Kirchenleitung in Auftrag gab und die in Gottesdiensten verwendet wurden bzw. werden; zum anderen sind sie Medien im privaten Gebrauch, für Andachten in der Gruppe oder für den Einzelnen allein. Oft findet man in Kirchengesangbüchern persönliche Zeugnisse: Notizen, Lesezeichen, Heiligenbilder, Gebete und Widmungen. Die Durchsicht der recht übersichtlichen Forschungsliteratur macht deutlich, dass im Phänomen „Neujahrslied“ unterschiedliche Forschungsinteressen zusammenkommen. Neujahrslieder sind eng mit dem Fest und einem reichhaltigen Brauchtum verknüpft. Ihre Verwendung auf Straßen, in Häusern, auf Banketten, Neujahrsempfängen und eben auch in Kirchen macht sie für Kulturund Musikwissenschaftler, Germanisten, Theologen und Historiker zu einem interessanten Forschungsgegenstand. Vorarbeiten über das deutschsprachige Kirchenlied des Neujahrsfestes gibt es nur wenige. Sie sind zudem recht alt, widmen sich dem Thema nur beiläufig oder behandeln nicht den hier gewählten Untersuchungszeitraum: Es existiert bisher nur eine Dissertation, die sich dezidiert mit der Geschichte des kirchlichen Neujahrsliedes befasst. Sie wurde 1910 von Fritz Bünger unter dem Titel „Geschichte der Neujahrsfeier in der Kirche“ vorgelegt. Er beschäftigt sich darin mit den Hymnen und Liedern zum Neujahrsfest  – allerdings nur als einem Nebenaspekt. Bünger bündelt seine Beobachtungen in kurzen Kapiteln, die er quasi als Exkurse in die Hauptuntersuchung einschiebt. Obgleich sie vorwiegend aus Quellenbeschreibungen bestehen, bilden sie eine gute Basis zur weiteren Erforschung. Bünger macht einführend deutlich, dass er sich hinsichtlich der Gesänge aus mehreren Gründen auf „Terra incognita“ bewegt: © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525624364 — ISBN E-Book: 9783647624365

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Ein Versuch, die verschiedenen Epochen in der Geschichte der Neujahrsfeier auch im Lichte des Kirchenliedes zu betrachten, ist in gewissem Sinne ein Wagnis; nicht nur fehlt es hier gänzlich an Vorarbeiten für unser spezielles Thema, sondern die Aufgabe unterliegt auch den eigentümlichen Schwierigkeiten der hymnologischen Untersuchungen überhaupt: Die Forschung auf diesem Gebiete steht noch in ihren Anfängen.6

Trotz der benannten Probleme unternimmt Bünger den Versuch, die Forschung an dieser Stelle voranzutreiben. Zu würdigen ist seine Untersuchung der ihm zugänglichen Quellen von der alten Kirche bis zur Zeit der Reformation. Da seine Arbeit aber hauptsächlich der Geschichte der Neujahrsfeier gilt, bleibt die Untersuchung der Kirchenlieder zufällig und sporadisch. Die Quellenlage hat sich bis heute kaum gebessert, denn eine Gesamtedition der mittelalterlichen Quellen7, vor allem der deutschsprachigen Lieder, wie Bünger sie sich wünschte, liegt bis heute nicht vor. Von einer anderen Seite nähert sich der Germanist Arne Holtorf den mittelalterlichen Liedquellen. Er untersucht in seiner Dissertation Liebeslieder des ausgehenden Mittelalters, die Neujahrswünsche enthalten.8 Zunächst stellt er die verstreuten Quellen zusammen und fragt anschließend nach der Funktion der Lieder und ihrer Rolle im „praktischen Leben“9. Sowohl Fritz Bünger als auch Arne Holtorf definieren, jeder für sich, welche Lieder sie dem Begriff „Neujahrslied“ subsumieren: Bünger versteht das Neujahrslied im „Vollsinn des Wortes“ als ein Lied, welches den Gedanken, „die Zeit im Lichte der Ewigkeit zu betrachten, den Festtag als ‚Markstein des Erdenlebens‘ zu werten“, in den Mittelpunkt stellt.10 Eine solche Definition ist nicht zwangsläufig theologisch zu verstehen. Sie bezieht sich hier auf das Kirchenlied zum Neuen Jahr, wie es Bünger in Gesangbüchern des beginnenden 20. Jahrhunderts vorfindet. Dass sie nicht allen Epochen des kirchlichen Neujahrsliedes entspricht, wird in dieser Arbeit deutlich werden. Arne Holtorf hingegen möchte die geistlichen Lieder und Kirchenlieder zum Neuen Jahr aus der Definition dessen, was er unter Neujahrslied versteht, ausgeschlossen wissen. Es wird nicht ganz deutlich, weshalb er dies so streng hand-

6 Bünger, Geschichte der Neujahrsfeier, 29. 7 Ein Projekt, das die Melodien handschriftlicher geistlicher Gesänge des Mittelalters erfassen sollte, wird nicht mehr fortgeführt. Das Quellenwerk in mehreren Bänden hätte die Melodiensammlung von Zahn und Bäumker ablösen sollen. Vgl. Max Lütolf, Das deutsche Kirchenlied – Kritische Gesamtausgabe der Melodien, 6. Bände, 2003 ff. 8 Holtorf, Neujahrswünsche im Liebesliede, Göppingen 1973. 9 Ebd., III . 10 Bünger, Neujahrsfeier, 142.

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Einleitung

haben will. Vermutlich liegt das daran, dass es ihm allein um das Volkslied geht; er schreibt für das entsprechende Handbuch. Ganz kann er aber an den kirchlichen Liedern nicht vorbeigehen, denn dazu sind die wechselseitigen Einflüsse und Abhängigkeiten auf diesem Felde zu groß. Sowohl Bünger als auch Holtorf untersuchen vorwiegend Liedgut des Mittel­ alters. Einen Blick auf die folgenden Jahrhunderte bis in unsere Zeit werfen dann Gerlinde Haid11 und Walter Escher12 mit ihren volkskundlichen Untersuchungen zum Neujahrssingen bzw. Silvestersingen im niederösterreichischen Pristingtal und dem schweizerischen St. Antönien. Ihre Studien widmen sich, wie die von Holtorf, vorwiegend den Volksgesängen. Doch untersuchen beide auch geistliche Lieder, weil sie zum Repertoire der Sänger gehören. Ihr Forschungsinteresse gilt vorwiegend der Singpraxis und den dazugehörenden Bräuchen und Riten. In Bezug auf Kirchengesangbücher und die darin enthaltenen Lieder zum Neuen Jahr sind für den Zeitraum des 16. bis 19. Jahrhunderts nur Einzeluntersuchungen in geringer Zahl zu finden. Erst zu den Liedern des 20. Jahrhunderts wird die Literatur umfangreicher: Eine Fülle von Forschungsarbeiten entstand zu den beiden bekanntesten Liedern, deren Texte aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs stammen und die aus unterschiedlichen Gründen ein breites Interesse geweckt haben. Es handelt sich um Jochen Kleppers „Der du die Zeit in Händen hast“ und Dietrich Bonhoeffers „Von guten Mächten treu und still umgeben“. Diese Lieder werden im Analyseteil der vorliegenden Arbeit entsprechend ausführlich behandelt. Die jüngste Arbeit, die die Verwendung kirchlicher Neujahrslieder im Gottesdienst miterfasst, ist die Habilitationsschrift „Schwellenzeit  – Erkundungen zur kulturellen und gottesdienstlichen Praxis des Jahreswechsels“ von Kristian Fechtner13. Er nähert sich in seiner kulturhermeneutischen und liturgiegeschichtlichen Untersuchung der Praxis der Jahreswechselfeier, wie sie sich in der protestantischen Landeskirche Hessen-Nassau darstellt. Das fünfte Kapitel seiner Arbeit ist an dieser Stelle von besonderem Interesse, denn es bietet die Auswertung einer empirischen Studie, die Fechtner an der Wende der Jahre 1996/1997 durchgeführt hat.14 Jeder zweiten Pfarrperson der Hessischen Landeskirche ließ er einen Fragebogen zukommen, in dem Auskünfte zur Gestaltung und dem Besuch der Jahreswendegottesdienste erbeten wurden. Darin fragte er auch nach den verwendeten Liedern und konnte so „Spitzenreiter“

11 12 13 14

Haid, Neujahrssingen und Neujahrslied, Wien 1974. Escher, Dorfgemeinschaft und Silvestersingen, Basel 1947. (PThK 5), Gütersloh 2001. Ebd., 160–228.

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Einleitung

ausmachen.15 Im vierten Teil dieser Arbeit wird diese Beobachtung zu diskutieren sein. Zum hier gewählten Zeitraum, der bearbeitet wird: Büngers Untersuchung zum Neujahrslied der Kirche endet praktisch mit dem Auftreten des „Neujahrsliedes im eigentlichen Sinne“, das er in die Reformationszeit datiert. Die weitere Entwicklung bis 1910, dem Erscheinungsjahr seiner Arbeit, fasst er in wenigen Sätzen zusammen. Diese Entwicklung ist allerdings komplexer, als er annimmt, und verdient eine genauere Untersuchung. Bünger schließt mit der Feststellung, dass das Neujahrslied, so wie wir es heute kennen, bereits im 16. Jahrhundert ausgebildet ist, von da an zum festen Bestand der evangelischen Kirchenliederbücher gehört und bei wachsender Beliebtheit die bisherigen Festgegenstände (Beschneidung und Namengebung Jesu Christi) verdrängt.16 Wie bereits festgestellt wurde, versammeln sich derzeit unter der Rubrik „Jahreswende“ oder „Neujahr“ nur wenige Lieder. Diese überschaubare Textbasis scheint auf den ersten Blick eine einfache Gesamtdarstellung der Rubrikgeschichte zuzulassen. Diachron betrachtet wird allerdings schnell deutlich, dass es ein unterwartet weites Feld ist, auf das man sich hier begibt. Zum einen ist es ein großer Zeitraum, der hier untersucht werden soll, zum anderen sollen verschiedene Konfessionen berücksichtigt werden. Auch wenn sich die Untersuchung nur auf Kirchengesangbücher stützt und Gesangbücher für das Militär, die Schule und Jugendkreise außer Acht lässt, ist das Material nicht zu überschauen. Zu einer Vielzahl von Gesangbüchern kommt eine Vielzahl von Bearbeitungen der Lieder, von Varianten und Neubearbeitungen, sodass die Darstellung nur exemplarisch geleistet werden kann. Für die Liedauswahl waren folgende Kriterien bestimmend: Behandelt werden vorwiegend Lieder, die noch heute in Gesangbüchern vertreten sind oder die es bis zu den Vorgängern der heutigen Gesangbücher EG und RG noch waren. Es versteht sich bei einer diachronen Untersuchung von selbst, dass sowohl das älteste Lied als auch ein jüngstes hinzugenommen wird, das in Gesang­büchern steht. Von jedem bearbeiteten Lied sind die Autorin oder der Autor bekannt, wodurch sich Bezüge zu deren Theologie und Frömmigkeit aufzeigen lassen.17 Bis auf eine Ausnahme (Gellert) besitzen die Lieder aller Dichter und der Dichterin eine Rezeptions- und Wirkungsgeschichte, die sich von ihrer Entstehung bis ins 20. Jahrhundert nachzeichnen lässt. Die Lieder sind: 15 Die drei Lieder, die am häufigsten genannt wurden – als Gesänge in den Gottesdiensten – waren: „Nun lasst uns gehn und treten“, „Der du die Zeit in Händen hast“ und „Von guten Mächten“. Vgl. Fechtner, Schwellenzeit, Übersicht im Tabellenanhang, 258 f., Abb. 32: Lieder im Silvestergottesdienst. 16 Vgl. Bünger, Neujahrsfeier, 149 f. 17 Dies wäre aber bei Weitem nicht mit allen Gesangbuchliedern möglich. Besonders im­ katholischen Bereich sind viele Autoren der Lieder unbekannt oder ungenannt.

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Einleitung Liedbeispiele

Autoren

Entstehung Text

Komponisten/Melodie

Entstehung Melodie

Nun woelle Gott, dass unser Sang

Johannes Zwick

1533/34

Melodie zu: Gelobet seist du Jesu Christ

um 1460

Hilf, Herr Jesu, lass gelingen

Johannes Rist

1642

Johann Schop

1642

Nun lasst uns gehn und treten

Paul Gerhardt

1648[53?]

Melodie zu: Wach auf mein Herz und singe von Nikolaus ­Selnecker und Bartholomäus Gesius

1587 bzw. 1603

Jesus ist der schönste Nam

Johannes Scheffler

um 1657

Melodie zu: Jesus meine Zuversicht von Johann Crüger

1656

Er ruft der Sonn und schafft den Mond

Christian Fürchtegott Gellert

1757

Melodie zu: Es ist das Heil uns kommen her

um 1390

Ach, wiederum ein Jahr verschwunden

Johann Caspar Lavater

1771

Melodie: Wie gross ist des Allmächt’gen Güte – frz. (Psalm-) Melodie zu Ps 118; von Clément Marot

1551

Das Jahr geht still zu Ende

Eleonore Fürstin Reuss

1857

Bartholomäus Gesius: Befiehl du deine Wege

1603/1730

Der du die Zeit in Händen hast

Jochen Klepper

1938

Johann Balthasar König bzw. Siegfried Reda

1738 1960

Von guten Mächten treu und still um­ geben

Dietrich Bonhoeffer

1944/45

Otto Abel

1959

Herr der Stunden, Herr der Tage

Hermann Hiltbrunner

1945

Albert Moeschinger

1947

Geh unter der Gnade

Manfred Siebald

1987

Manfred Siebald

1987

Die Motive und die Theologie, wie sie uns in den Liedern begegnen, sollen untersucht werden. Im Nachzeichnen der Entwicklung wird sich erweisen, dass das Neujahrslied im Laufe der Zeit eine Art „Häutung“ erfährt. Es sterben einzelne Motivstränge ab oder ziehen innerhalb des Gesangbuches an anderer Stelle ein – sie werden also „abgekoppelt“ oder neu verstanden. Der Festgegenstand „Jahreswechsel“ wird liturgisch und hymnologisch immer ausgeprägter und schließlich dominant. Erst durch diesen Prozess entstehen die Lieder, die wir heute als „Neujahrslieder“ identifizieren und als solche verwenden. Schließ© 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525624364 — ISBN E-Book: 9783647624365

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Einleitung

lich soll die heutige Situation der Jahreswende-Gottesdienste und der darin verwendeten Lieder behandelt werden. Zu berücksichtigen ist auch, dass es einen parallelen säkularen Strang des Neujahrsliedes im Volksliedgut gibt. Er ist älter, verläuft kontinuierlich neben dem kirchlichen her, und es bestehen wechselseitige Bezüge. Im Sinne der Beschränkung kann dieser „Volksliedstrang“ allerdings nur punktuell in den Blick kommen. Wo dies sinnvoll ist, werden Verbindungen und Bezüge aufgezeigt. Der Aufbau der Arbeit ist so gewählt, dass die Geschichte des Liedes und Einzeluntersuchungen am Anfang stehen. Anschließend können Entwicklungslinien aufgezeigt und gegenwärtige liturgische Festfragen aufgenommen werden. Das Vorgehen gestaltet sich dementsprechend so: In einem ersten Teil wird den Wurzeln und Ausgangsbedingungen nachgegangen, indem nach dem Ursprung und dem Hintergrund der kirchlichen Neujahrslieder gefragt wird (Teil I). Der Teil  II setzt bei der Entstehung des Neujahrsliedes als eigener Gattung im Gesangbuch ein. In chronologischer Darstellung werden von der Reformationszeit bis heute einzelne Lieder analysiert und auf diese Weise auch die Geschichte der Liedrubrik umrissen. Den Analysen der Liedtexte nach literaturwissenschaftlichen Kriterien der Gedichtanalyse geht für jedes Jahrhundert eine Betrachtung zur Zeitgeschichte bzw. Liturgiegeschichte voran. Der Fokus liegt hier vorwiegend auf der Gestaltung der Jahrhundertwendefeiern, wie sie die Kirchen feierten und wie es für den deutschsprachigen Raum zurückverfolgbar ist. Bei dem hier vollzogenen Gang durch die Jahrhunderte eröffnen sie jeweils ein Kapitel. Als herausgehobene Jahresübergänge sind sie vergleichsweise gut dokumentiert, obwohl sich das Bewusstsein für einen „außergewöhnlichen“ Jahresübergang erst in jüngerer Zeit entwickelt hat. Die Milenniumsfeier zum Jahr 2000 bot den Anlass für eine bessere Erforschung der Jahrhundertwendefeiern. Dem kurzen Blick auf den jeweiligen Jahrhundertbeginn folgt je ein Abschnitt über die Gesangbuch- bzw. Rubrikgeschichte. Mit diesen Vorinformationen lassen sich die Lieder besser verorten; es können Verbindungslinien hergestellt werden. Das Vorgehen macht auch Neuerungen und Änderungen erkennbarer. Die Motive, die in den Liedtexten begegnen, werden systematisiert und einer theologischen Deutung unterzogen. Veränderungen in den Motivfeldern werden dargestellt und diskutiert (Teil III). Der vierte Teil der Arbeit widmet sich der heutigen liturgischen, heortolo­ gischen und hymnologischen Situation an der Wende zwischen zwei Kalenderjahren. Hier gilt es, zuvor gemachte Beobachtungen zu vertiefen. Durch die Einbindung in gegenwärtige Diskussionen werden die Ergebnisse in einen größeren Kontext gestellt und von verschiedenen Seiten her beleuchtet (Teil IV). Den Abschluss bildet ein Fazit mit Ausblick (Teil V).

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Teil I: Ursprung und Hintergrund der kirchlichen Neujahrslieder Deutschlands und der Schweiz

1

Die Wurzeln

1.1

Eine vierfache Annäherung

Dem Hauptteil der Untersuchung mit der Analyse von Neujahrs- und Jahreswendeliedern ab dem 16. Jahrhunderts, geht hier eine Annäherung auf vier Ebenen voran. Es wird versucht, die Geschichte des Neujahrsfestes im Europäischen Raum nachzuzeichnen; es werden Fragen nach Zeitrechnung und Kalender aufgegriffen. So wird ein Rahmen abgesteckt und aufgezeigt, womit das Fest verbunden war und welche Probleme sich v. a. in der Interaktion zwischen Kirche und Staat ergaben (I.2). Anschließend steht die Liturgiegeschichte im Zentrum. Dies, um einen Überblick zu gewinnen, welche theologischen Entscheidungen und Praktiken kirchlicherseits bis zur Reformationszeit mit dem Festtag verbunden sind (I.3). Ein dritter Zugang bezieht sich liedgeschichtlich auf die möglichen gesanglichen und musikalischen Vorläufer des Neujahrsliedes der Kirche. Es ist zu fragen, welchen Sitz im Leben lateinische und deutschsprachige Hymnen und Lieder zum neuen Jahr bis zum ausgehenden Mittelalter hatten und welche Bräuche und Motive damit verbunden waren (I.4). Als vierte Annäherung rückt der Text in den Fokus. Aus der Sicht der Poetik wird nach der Gattung von Neujahrsgedichten bzw. Neujahrsliedern gefragt. Diese Bestimmung ist für die dann folgenden Liedanalysen notwendig und hilfreich (I.5).

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1.2

Ursprung und Hintergrund der kirchlichen Neujahrslieder

Erste Beobachtungen

Ein erster Blick in Gesangbücher beider Konfessionen macht deutlich, dass eine eigene Rubrik fast ausschließlich in evangelischen Gesangbüchern zu finden ist, selten in katholischen. Dies liegt an der konfessionell verschiedenen Bewertung des Festes, wie ausgeführt werden wird.1 Wie umfangreich das Material ist, auf das sich die Untersuchung bezieht, lässt eine erste Zusammenstellung von Liedern in der Gesangbuchrubrik „Neujahrslied“ und „Jahreswende“ erahnen. Eine stichprobenartige Durchsicht von fast 30 Gesangbüchern unterschiedlicher Zeiten und Regionen macht deutlich, dass der Liedbestand weitaus größer ist, als es die schmalen Rubriken heutiger Gesangbücher vermuten lassen. In fünfhundert Jahren kommen bei dieser Erhebung an die 170 Lieder zusammen.2 Ausgehend von dieser überraschend großen Zahl lassen sich zum Untersuchungsgegenstand folgende Hypothesen aufstellen, die es zu begründen gilt: – Seit der Reformation findet das neue Jahr als Rubrik in Gesangbüchern der unterschiedlichsten Regionen und Zeiten stets einen Platz. Dies ist insofern erstaunlich, als es durchaus Gründe gegeben hätte, diesem ins Kirchenjahr eingedrungenen Fest keinen eigenen Bereich einzuräumen. – Die Vielzahl der Lieder verdeutlicht, dass das Neue Jahr einen Festanlass darstellt, der Dichter und Komponisten inspiriert. In der Produktivität gibt es keinen Unterschied zwischen „weltlichen“ und „geistlichen“ Dichtern, wie kleine Gedichtbände zum Neuen Jahr zeigen. Der Übergang von einem Jahr zum anderen veranlasste Gellert wie Goethe, Mörike wie Fontane, Busch wie Benn zu neuen Gedichten. – Das umfangreiche Corpus von Neujahrsliedern der Gesangbücher zeigt zudem, dass es außer einer ausgeprägten Produktion eine große Fluktuation gegeben hat. Es ist ein natürlicher Prozess, dem jede Gesangbuchrubrik unterliegt, dass die herrschende Theologie, Musiktheorie sowie gewählte Gesangbuchkonzeptionen, aber auch verschiedene Geistesströmungen Einfluss auf die Lied­auswahl nehmen. Wie sich das Liedrepertoire entwickelt, welche Zugänge und Abgänge zu verzeichnen sind, soll von Jahrhundert zu Jahrhundert nachvollzogen werden. – Eine weitere These bezieht sich auf den Umfang der Rubrik in der hier vorgenommenen Gesangbuchauswahl: Es ist festzustellen, dass es einzelne Gesang­bücher gibt, die um die 20 Lieder aufführen, während bei anderen unter Neujahr nur zwei bis drei Lieder zusammenstehen. Das führt zu der 1 Vgl. hierzu den Exkurs: Die Feier des 1. Januars in der katholischen Kirche. 2 Zu der Aufstellung der Lieder zusammen mit den Gesangbüchern, in denen sie zu finden sind, vgl. die Tabelle im Anhang.

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Kalendergeschichtliche Aspekte Kalendergeschichtliche Aspekte

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Frage, aus welchen Gründen die Rubrik in einem Fall sehr schmal und in einem anderen so umfangreich gestaltet wurde. – Schließlich zeigen sich deutliche Unterschiede, an welcher Stelle im Gesangbuchaufriss dem Neuen Jahr sein Platz eingeräumt wird. Dies ändert sich durch die Jahrhunderte. Um diese Änderungen werten zu können, hilft es, jeweilige Gesangbuchkonzepte einzubeziehen, wie sie aus den Gesangbuch­ vorreden und anderen Quellen erschlossen werden können.

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Kalendergeschichtliche Aspekte

Widmet man sich den Jahreswendeliedern als Forschungsgegenstand, so stellt sich die Frage, bei welchen Gelegenheiten bzw. an welchen Tagen sie gesungen wurden und gesungen werden. Die naheliegende Antwort: „Am letzten Tag eines Jahres oder am ersten Tag eines Jahres“, stellt sich bei genauerem Hinsehen als unpräzise heraus. In dieser Aussage wird nicht deutlich, was mit „Jahr“ gemeint ist, geschweige denn, wann das Jahr beginnt. Bei diachroner Betrachtung wird offensichtlich, dass die Festlegung des Jahresanfangs eine Konvention – eine relativ willkürliche Festlegung – ist, die im Verlauf der Geschichte mehrfach Änderungen unterlag. Heute werden die kirchlichen Jahreswendelieder an der Wende vom 31.12. eines Jahres zum 1.1. des folgenden gesungen: am sogenannten Altjahresabend und am Neujahrsmorgen. Seit wann dies so ist, soll ein Blick in die Kalendergeschichte aufzeigen. So wird deutlicher, wie ein Jahresanfang bestimmt wird. Der Blick richtet sich zunächst auf die Zeitrechnung der ältesten Kulturen. Darum wird der Fokus der Fragestellung auf Europa und, noch genauer, auf den deutschsprachigen Raum gerichtet.

2.1

Der Termin des Jahresbeginns

2.1.1

Der heidnische Ursprung des Jahreswendefestes

Die Entstehung von Kalendern ist untrennbar mit der Wahrnehmung von Naturabläufen verbunden: Mit dem Werden und Vergehen in der Natur, mit dem Neuaufleben nach dem Winter ist in unseren Bereiten ein Rhythmus vorgegeben, der sich beständig wiederholt und der gleich bleibt. Die Zeit in Kalendern zu bemessen und dies vom Naturjahr ausgehend zu bestimmen, ist den Kulturen seit jeher ein Anliegen. Die Art und Weise jedoch ist sehr unterschiedlich: In Ägypten ist der Lebensrhythmus der Menschen sehr durch die Natur beeinflusst. Die Landwirtschaft am Nil wird – vormals wie heute – durch die jahreszeitlichen Veränderungen und deren Extreme in hohem Maße geprägt: durch © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525624364 — ISBN E-Book: 9783647624365

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Ursprung und Hintergrund der kirchlichen Neujahrslieder

Hochwasser ebenso wie durch Hitzeperioden. Die Beobachtung der Gestirne und die Orientierung an ihnen war zunächst auf den Mond, ab ca. 2000 v. Chr. dann auf die Sonne bezogen. Diese Beobachtungen in Verbindung mit den begegnenden Naturereignissen ließ die Ägypter eine Jahreslänge von 365 Tagen berechnen – was dem tropischen Jahr von 365,25 Tagen schon ungemein nahe kam.3 Sehr wahrscheinlich wurde dieser so zugeschnittene Kalender für Ägypten im Jahre 4241 v. Chr. eingeführt.4 Der Beginn eines Jahres war wohl ursprünglich mit der jährlichen Nilüberschwemmung verbunden – einem periodisch wiederkehrenden Ereignis. Dann wurde der Jahresbeginn an die Gestirne, genauer an den Stern Sothis (Sirius) gekoppelt, wenn er am Morgenhimmel erschien.5 Die Weltgeschichte der jüdischen Zeitrechnung beginnt im Jahr 3761 v. Chr. Die Zeitmessung beruht auf dem Mondjahr, das 354 Tage 12 Monaten zuteilt. Die Abweichung vom Sonnenjahr wird durch Monate von verschiedener Länge (29 oder 30 Tage) sowie unterschiedlich lange Jahre (12 oder 13 Monate) ausgeglichen.6 Ein Jahr beginnt mit dem 1. Tischri7. Bei der Festlegung des Jahresanfangs ist allerdings zu beachten, dass alle Feiertage des Kalenders von ihm ausgehend berechnet werden und der 1. Tischri daher kein Sonntag, Mittwoch oder Freitag sein darf; es käme sonst zu Feiertagen, die aufeinander folgen, wie der Versöhnungstag und der Sabbath, wodurch das Ausüben der religiösen Pflichten erschwert würde.8 Daher gibt es „Vertagungen“ des Jahresbeginns9 und somit einen flexiblen Umgang in der Jahresbeginndatierung. Vergleichsweise jung ist der Kalender des römischen Reichs. Den Jahresbeginn feierte man vor der Regentschaft Caesars stets am 1. März, an dem die neuen Konsuln ins Amt eingesetzt wurden. Die Jahreslänge war aber durchaus verschieden, und es wurden aufgrund der zu kurzen Berechnung eines Jahres recht willkürlich ganze Schaltmonate eingeschoben, um die Abweichungen auszugleichen.10 3 Vgl. Bieritz, Kirchenjahr, 357. 4 Vgl. Fraser, Zeit, 102. 5 Vgl. Bieritz, Kirchenjahr, 357. Durch die ungenaue Jahreslängenberechnung „wanderte“ der Siriusaufgang durch den fixierten Kalender und kehrte erst nach 1461 Jahren wieder zum Ausgangspunkt zurück. Vgl. ebd. 6 Dreizehnmonatige Jahre sind die eigentlichen Schaltjahre. Vgl. Basnizki, Kalender, 36 ff. 7 Meist im September. 8 Vgl. Basnizki, Kalender, 39. Er weist darauf hin, dass dies nur eine Erklärungsmöglichkeit für die Vertagungen ist. Weitere Argumente sind rein astronomische Vorgänge, die dann in volkstümliche Vorgänge gebracht wurden, oder Maimonides Annahme, dass jeder astro­nomische Wert nur einen Mittelwert darstellt, der sich vom wahren Wert im positiven wie im negativen Sinn unterscheidet. Vgl. Basnizki, Kalender, 40 f. 9 Es sind ein oder zwei Tage, um die der Jahresbeginn abweichend vom astronomischen Neumond verschoben wird. Vgl. ebd., 39. 10 So schreibt Cicero in einem Brief vom 13.2.50 v. Chr. von Kleinasien aus an seinen Freund Atticus in Griechenland mit einer beiläufigen Bitte: „Sobald du erfahren wirst, ob in diesem Jahr [in Rom ein Schaltmonat] eingeschaltet werden wird oder nicht, so berichte mir

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Im Jahr 153 v. Chr. wurde der Amtsantritt der Konsuln vom 1. März auf den 1. Januar eines Jahres verschoben; mit dieser Verwaltungsreform ging die Verschiebung des Jahresanfangs allerdings noch nicht einher.11 Erst unter Julius Caesar wurde dieser vorverlegt. Es war wohl eine Ägyptenreise, die Julius ­Caesar auf den Gedanken brachte, eine Kalenderreform durchzuführen, wodurch der Jahresbeginn nun wieder mit dem Konsulatswechsel in Rom zusammenfiel. Der sogenannte Julianische Kalender wird mit dem 1. Januar 45 v. Chr. eingeführt; er hat 365 Tage und einen Schalttag alle 4 Jahre. Dieser Kalender ist recht genau und bewährte sich offensichtlich, denn er wurde auch nach der baldigen Ermordung Caesars beibehalten. Im römischen Volk ging mit dem Fest zum Jahresbeginn bereits ein reges Brauchtum einher: Die Feierlichkeiten und Festbräuche, die mit dem Amtsund Jahreswechsel verbunden sind, beschrieb Ovid anschaulich im ersten Buch seines poetischen Festkalenders12. Man brachte Opfer dar, es wurden gute Wünsche an andere übersandt, meist mit Geschenken („strenae“13) verbunden. Hierzu konnten altheilige Baumzweige, Wachslichter und Süßigkeiten dienen, es gab aber auch Geldgeschenke, die sich wachsender Beliebtheit erfreuten. Für diesen Tag wurde sowohl für Rom als auch für die Provinzen von Umzügen mit Verkleidungen (Tiermasken) und Tanz und Gesang auf den Straßen berichtet, die manches Mal auch mit Lärm und Unfug einhergingen.14 Das Fest war religiös konnotiert, indem ein Gott der römischen Götterwelt damit verbunden wurde: Sinnbildlich für die ungewisse Zeit des Übergangs stand Gott Janus, der mit seinem zweigesichtigen Kopf sowohl zurück als auch nach vorne blickt. Er schaut Vergangenes und Zukünftiges. In Rom wurde nach 45 v. Chr. den Januarkalenden ein mehrtägiges, ausge­ lassenes Fest vorgelagert. Die sogenannten Saturnalien (ursprünglich zu Ehren Saturns) feierte man zwischen dem 17. und 23. Dezember; verschiedene Kaiser kürzten oder verlängerten die Feierlichkeiten um einige Tage. Auf diese Weise wurden sie sogar bis zum 30. Dezember ausgedehnt.15 Damit waren sie von den Neujahrsfeierlichkeiten kaum noch getrennt.

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das Gewisse von der Sache.“ Cicero, Briefe, 333. (Hervorhebung getilgt). Ob und wann Schaltmonate eingefügt wurden, war offensichtlich nicht einheitlich festgelegt. Gegen Schwarzenberger, Liturgische Feier, 217. Er sieht die Verlegung des Jahresanfangs in enger Folge zur Verwaltungsreform. Vgl. Ovidii fastorum I, I, 63 ff. Zu Neujahrsgeschenken und ihrer Tradition bis ins Mittelalter hinein ist hilfreich: Jan Hirschbiegel, Étrennes. Untersuchungen zum höfischen Geschenkverkehr im spät­mittel­ alterlichen Frankreich der Zeit König Karls VI . (1380–1422) (Pariser Historische Studien, 60), München 2003, bes. die Seiten 37–69, auf denen der Autor den antiken Wurzeln, volkskundliche Traditionen und dem höfischen Brauch von strenae und étrennes nachgeht. Vgl. Müller, Neujahrsfeier im römischen Kaiserreich, 464–487. Vgl. Nilsson, Art. Saturnalia, 201 ff.

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2.1.2

Ursprung und Hintergrund der kirchlichen Neujahrslieder

Mittelalterliche Zeitrechnung und Neuzeit

Mit der Anerkennung des Christentums als Staatsreligion kam es lokal zu Änderungen. Diese betrafen sowohl die Festlegung des Datums eines Jahresbeginns als auch die Art und Weise, das Ereignis zu begehen. Es lag nicht an dem Anspruch, einzelne Ereignisse im Jahresverlauf christlich zu feiern, sondern an dem „Ausgriff der Kirche nach der Zeit in ihrer Gesamtheit“, der zu einem Konflikt zwischen klassisch-römischer Zeitrechnung und christlicher Festkultur führte.16 Zwischen dem 4. Jahrhundert und dem Ausgang des 18. Jahrhunderts findet man in Europa nicht weniger als sechs jeweils anders datierte Jahresanfänge. Es wird von unterschiedlichen „Kalenderstilen“ gesprochen, deren Namen sich von den Daten herleiten, von denen ausgehend ein Jahr berechnet wird. In der altrömischen Zeit wurde das Jahr, wie weiter oben geschildert, am 1. März begonnen.17 Dies ist der „altrömische Stil“, dem wir einige noch heute übliche Monatsnamen18 verdanken. Die christliche Kirche führt eine eigene Zeitrechnung ein, die sich an den Heilsereignissen im Leben Jesu orientiert. Für sie ist der Jahresbeginn die Geburt Jesu, die etwa ab dem 4. Jahrhundert (in Rom) auf den 25. Dezember datiert wird19 („Nativitäts- oder Weihnachtsstil“)20. Eine mögliche Begründung für diese Festlegung ist, dass dem bis dato gefeierten „Natale Sol Invictus“ (die Geburt der unbesiegbaren Sonne), das unter Kaiser Aurelian im Jahr 275 n. Chr. als Staatsfeiertag eingeführt wurde, ein eigenes christliches Fest gegenüberstehen sollte. Der Geburtstag der siegreichen Sonne wurde als Geburtstag Jesu, dem „Licht der Welt“ (Joh 8,9), christlich interpretiert. Der 1. Januar, unter Caesar als Jahresbeginn festgelegt, ist von Weihnachten aus gerechnet der Oktavtag21. Das Lukasevangelium (Kap. 2) berichtet, dass Jesus, 16 Vgl. Wallraff, Jahrestage – Jahreswechsel, 173. 17 Über das Verhältnis der Kalendae Ianuariae und Martiae im Germanien des Mittelalters vgl. Schneider, Kalendae Ianuariae. 18 Vom März aus berechnet ist der Monat September der 7.  (lat. septem), Oktober der 8. (lat. octo) Monat, usw. 19 Es gibt verschiedene Erklärungsmodelle, wie es zu der Berechnung des 25. Dezembers als Christgeburtstag kam. Zu den zwei Hypothesen („Berechnungshypothese“ und „Reli­ gions­geschichtliche Hypothese“) vgl. Bieritz, Feste, 190 f. Zu einer Diskussion der Thesen vgl. in jüngster Zeit Förster, Anfänge von Weihnachten und Epiphanias, Tübingen 2007. 20 Bis in den heutigen Sprachgebrauch hat sich diese Jahresberechnung in der Redewendung „nach Christi Geburt“ erhalten. 21 Holtorf bemerkt, dass die Kirche im Blick auf die althergebrachten Jahresanfangsbräuche keinen leichten Stand gehabt haben dürfte. Durch die Orientierung am Julianischen Kalender und die Verknüpfung von 25.  Dezember und 1.  Januar durch den Oktavtag verband sie den althergebrachten mit dem eigenen Jahreswechseltermin. Vgl. Holtorf, Neujahrswünsche, 69 f. Er folgert: „So ist es nicht erstaunlich, wenn sich in die christliche

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als ein jüdischer Junge, dem Brauch gemäß nach acht Tagen beschnitten wurde. Von dieser „Circumcision“ (= Beschneidung) ausgehende Kalender repräsentieren den „Circumcisionsstil“. Als „Annuntiations- bzw. Marienstil“ wird die Jahresanfangsrechnung ab dem 25. März bezeichnet, also ab der errechneten Empfängnis Jesu. Dem eigentlichen Hochfest entsprechend, versuchte man andernorts Ostern zum Jahresanfang zu machen („Paschalstil“), um so dem Fest der Auferstehung Jesu noch mehr Gewicht zu verleihen und diese zum Berechnungs- und Ausgangspunkt zu machen. Da Ostern aber nicht an einem bestimmten Datum­ gefeiert wird und die Jahre deshalb einmal kürzer und einmal länger ausfielen, erwies sich dieser Zählstil als wenig geeignet. Schließlich wurde auch der 1. September („Byzantinischer Stil“) als Jahresanfang gebräuchlich.22 Am 6. Januar, an Epiphanias, endet der Weihnachtsfestkreis und die Zeit der „Zwölften“23. Der Tag war auch einmal Beginn des Neuen Jahres, wie die Bezeichnungen „Großneujahr“ und „Hochneujahr“ noch erkennen lassen. Liturgisch war er mit der Taufe Jesu und dem Weinwunder auf der Hochzeit zu K ­ anaa verbunden. Im Volksleben bleibt in unseren Breiten der 1.  Januar als Neujahrstag das ganze Mittelalter hindurch bedeutsam24 und wird im 16. Jahrhundert auch offiziell wieder vorherrschend. Zu welchen Verwirrungen die offensichtlich gleichzeitig herrschenden Jahresanfangsberechnungen mit Weihnachten und 1. Januar führten, wird an Aussagen Feier des 1. Januar Neu-Jahrs-Gedanken einschleichen, es war das einfach ein notwendiges Zugeständnis an den volkstümlichen Charakter dieses Tages und für die Kirche der beste Weg, Gehör zu finden.“ Ebd., 70. 22 Unter Konstantin begann am 23.  September 313 n. Chr. eine fünfzehnjährige Steuer­ berechnungsperiode; dieses Datum wurde dann auch zunächst zum Jahresbeginn. In der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts wurde der Jahresanfang dann auf den 1. September vorverlegt. Vgl. Mateos, Typicon, 54 f. 23 Der 6. Januar wird als Abschluss der Zeit der Zwölften auch „Oberster“ (gemeint ist Tag) oder Großes bzw. Hohes Neujahr genannt. Vgl. Holtorf, Neujahrswünsche, 97. 24 Vgl. Fechtner, Schwellenzeit, 116. Herborn stellt in seiner Untersuchung von Urkunden und Quellenwerken des Rheinlandes bis 1600 einen sehr uneinheitlichen Datierungsgebrauch fest. Er kann nachweisen, dass deutschsprachige Dokumente die Begriffe Neujahrstag oder – verkürzt – Jahrstag für den 1. Januar verwenden, wenn auch der offizielle Jahresanfang des Gebietes auf einen anderen Termin fiel. Dem gegenüber verwenden lateinische Quellen die römische Tagesbezeichnung „dies Kalendas“ bzw. „Kalendarum Januarii“. Ab dem 13.  Jahrhundert wird nördlich der Alpen die Datierung nach dem christlichen Fest- und Heiligenkalender populär und in Datierungszeilen ist nun „circumcisio domini“ als Tagesbezeichnung zu lesen – für die gleich dazu ins Deutsche übersetzt nicht „Beschneidung des Herren“ steht, sondern auf die Begriffe „Jahrstag“ oder „Neujahrstag“ zurückgegriffen wird. Vgl. Herborn, Kalendae Januarii, 9 f.

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des Kölner Ratsherren Hermann Weinsberg deutlich.25 Er verfasste eine Chronik, die nahezu das ganze 16. Jahrhundert umfasst (die Jahre 1517 bis zu seinem Tod 1597) und als bedeutendste Stadtchronik des Jahrhunderts angesehen werden kann. 1550 hatte sich Weinsberg einen Almanach zugelegt, in dem er auf zusätzlich eingebundenen Seiten Nachrichten notierte, die ihn interessierten. Ab etwa 1555 bis Ende 1560 führte er zusätzlich ein Materialienbuch, bis er 1560 seine große Chronik begann: „gedenkboich der jaren“. Hier trug er innerhalb von etwa acht Monaten sein Wissen aus Erzählungen und Erinnerungen über die Jahre 1517 bis 1550 zusammen; ab da halfen ihm seine Almanache und das Materialienbuch zur Aufarbeitung. Schließlich führte er das Werk tagebuchartig bis zu seinem Tode fort. Auf diese Weise entstanden drei voluminöse Bände, von ihm als „Liber iuventutis“, „Liber senectutis“ und „Liber d ­ ecrepitudinis“ bezeichnet. Darin wird deutlich, dass Weinsberg über viele Jahre mit zwei Jahresanfängen operiert, indem er vielfach Weihnachten oder aber Neujahr als Jahresanfänge markiert. Die Tage nach Weihnachten zählt er häufig schon zum neuen Jahr, beginnt die Eintragungen am 1.  Januar allerdings mit der Überschrift: A[nno N. N.] angefangen.26 Der Uneinheitlichkeit in den Jahresbeginndatierungen bei ihm selbst und in der Kölner Umgebung ist sich Weinsberg bewusst; an Weihnachten 1570 bemerkt er hierzu: Anno 1570 den 25. dec. Hie sult ich setzen und uff christag das 1571. jar ansetzen und rechnen, wie recht, dan man schribt van der geburt Christi das jar an, nit van der besnidung, uff Colnischen und Romischen brauch, wiewol die Treirschen van der menschwerdung, die Nidderlander zum teil van der ufferstehung Christi. Doch in dissem halt ich den brauch der almanach.27

Die Almanache setzten den Jahresbeginn am 1. Januar an. Gegen Ende seines Lebens geht Weinsberg ganz auf den Weihnachtstag als Jahresbeginn über, wie es die offiziellen Stellen Kölns immer taten und wie es der Kölner Rat bis in die Franzosenzeit28 beibehalten wird. Weinsberg nennt für den Schritt theologische, aber auch pragmatische Gründe. Um die weiter bestehende Spannung 25 Vgl. hierzu im Folgenden ebd., 24 f. Zum Leben Weinsbergs siehe Wolfgang Herborn, Hermann von Weinsberg (1518–1597), in: Rheinische Lebensbilder 11 (1988), 59–76. 26 Ab 1551 erweitert Weinsberg seine Überschriften: A[nno N. N.] mit gott angefangen. Die Unterschiede in den Datierungen werden nur aus der EDV-Edition des Werkes, nicht aber aus der gedruckten Buchform ersichtlich. Herborn stellt fest, dass Weinberg die Jahre 1552, 1553, 1557, 1559 und 1561 mit dem 1.  Januar beginnen lässt, während die Jahre 1554, 1558 und 1560 mit Weihnachten anfangen. Für die anderen Jahre lassen sich keine genauen Aussagen treffen. Vgl. ebd., 26. 27 Liber iuventutis, Bl. 595 RSf. Dazu: Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde, Buch Weinsberg, II, 214. 28 Vgl. Herborn, Kalendae Januarii, 23.

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zwischen den Jahresdatierungen zu lösen, schlägt er vor, die Tage vom 25. bis 31. Dezember als einen einzigen Tag anzusehen oder aber die Oktav vom 25.12. bis zum 1.1.29 Dieser Vorschlag ist in der Praxis natürlich nicht durchführbar, aber er ist Ausdruck eines Gefühls der Zusammengehörigkeit der Tage als Zeit „zwischen den Jahren“. Die Zeit des Übergangs wird hier als Einheit wahrgenommen. Die acht Tage waren für den Kölner Rat „dies nefasti“, zu deutsch „verbotene Tage“, an denen der offizielle Geschäftsverkehr und das Gerichtswesen ruhten,30 wodurch sich eine solche Wahrnehmung des Zeitabschnittes herausgebildet haben könnte. Auch von der Durchführung der sogenannten Gregorianischen Kalenderreform gibt Weinsbergs Chronik Zeugnis. 1582 hatte Papst Gregor der XIII. veranlasst, die mittlerweile merkbare Abweichung des Kalenders vom Jahreslauf, die durch die zu kurze Berechnung eines Jahres entstanden war, durch Ausschaltung von zehn Tagen zu korrigieren. Die überwiegende Zahl der katholischen Bistümer in deutschen Landen folgte dieser Änderung und führte den neuen Kalender ab 1583 zu unterschiedlichen Zeitpunkten ein – so auch Köln im November 1583. In Weinsbergs Chronik ist dies durchgeführt und durch den Zusatz „novo stilo N N“ gekennzeichnet.31 Protestantische Gebiete dagegen weigerten sich zunächst, den neuen Kalender anzunehmen, sodass in vielen Gegenden, und besonders in der Schweiz32, das ganze 17. Jahrhundert lang zwei Kalender parallel Gültigkeit besaßen. Wichtig ist, dass die (Wieder-)Einführung des 1.  Januars als Jahresanfang nicht zu Beginn der Kalenderreform geschah, sondern eine Entwicklung war, die damit einherging. Und erst 1691 veranlasst Papst Innozenz XII. seine Kanzlei, die Jahreszählung mit dem 1. Januar zu beginnen und gibt auf diese Weise ein prägendes Vorbild. Die Rückkehr zum 1. Januar als Jahresbeginn ist bemerkenswert, da, wie gesehen, mehrere Daten zur Verfügung gestanden hätten, die auf Christi Leben 29 Nach Weinsberg solle man die „ganse octava oder octidium inclusive von christag an, biß circumcisionis in prim[a] janvarii … vor ein tagh, also die ganse wogh der octaven, vor einen einigen tag achten und halten.“ Liber decrepitudinis, Bl. 246 VS (1591/92). 30 Vgl. Liber senectutis, Bl. 164 VS . 31 So z. B. in den Jahren 1584 (Bll. 438 RS) und 1585 (482 VS). Weinsberg sinniert an seinem 72. Geburtstag (3. Januar 1590) darüber, dass er eigentlich erst zehn Tage später Geburtstag habe, aber bei der neuen Rechnung bleiben wolle (vgl. Liber decrepitudinis, Bl. 162 VS). 32 Erst 1700 lenkten die reformierten Gebiete ein: Die Kantone Zürich, Bern, Basel, Genf, Thurgau und Schaffhausen ließen auf den 31.  Dezember 1700 gleich den 12.  Januar 1701 folgen. Glarus, Appenzell und St. Gallen (Stadt) stellten erst 1724 ihren Kalender um. Der Stand Appenzell Außerrhoden hielt sogar bis 1789 am Julianischen Kalender fest. Im Volksbrauchtum dieser Gegend hat sich der alte Jahresanfang bis heute gehalten, indem am 13. Januar, dem alten Neujahrstag, in den Ortschaften maskierte und geschmückte „Silvesterkläuse“ von Haus zu Haus mit Schellen unterwegs sind, ein Brauch, der sich aus dem Neujahrssingen heraus entwickelt hat. Zu den Kalendereinführungen vgl. ­Grotefend, Taschenbuch, 26 ff.

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bezogen den Jahresanfang hätten markieren können. Trotzdem entschied sich der Papst für das Datum, das aus der Regierungszeit von Julius Caesar – und damit aus vorchristlicher Zeit – stammte.33 Die Jahresbeginndatierung auf den 1.1. ist in der Folgezeit nur noch einmal in Frage gestellt worden, indem im Zuge der Französischen Revolution versucht wurde, auch die Zeitrechnung des Kalenders zu revolutionieren: ein Jahr sollte nun am 22.  September (Tag der Ausrufung der Revolution) beginnen.34 Dem Versuch, mit den revolutionären Neuerungen in der Gesellschaft auch die Zeitrechnung zu erneuern, war jedoch kein bleibender Erfolg beschieden. Dass Kalenderfragen das Christentum bis ins 20.  Jahrhundert weiter beschäftigen, zeigt das Beispiel der griechisch-orthodoxen Kirche. Sie ging 1924 neu zum Gregorianischen Kalender über. Hierüber kam es zum Streit und schließlich zum Schisma. Es spaltete sich eine Anzahl von Bischöfen, Priestern, Mönchen und Laien ab, die den Julianischen Kalender beibehielten. Diese „Altkalendarier“ oder auch „Palaiohemerologiten“ sind weiterhin in Griechenland, den USA und Kanada zu finden.35 Weitere Orthodoxe Kirchen, die ebenso beim „alten“ Kalender blieben (13 Tage hinter dem Gregorianischen zurück) sind beispielsweise das Patriarchat Jerusalem, die Russische, Georgische und Serbische Orthodoxe Kirche, das Sinai­ kloster sowie einige Klöster auf dem Berg Athos.36 Die Orthodoxen Kirchen rechnen bis heute uneinheitlich. Sich auf den neuen Kalender zu einigen wäre ihnen sicherlich leichter gefallen, wenn dieser nicht den Namen eines katholischen Papstes tragen würde.37 2.1.3 Brauchtum Die Feier des Neuen Jahres ist im Mittelalter von Ominabräuchen bestimmt. Die letzte Nacht des alten Jahres wird als Stellvertreter des Neuen Jahres betrachtet. Die in der Nacht geschehenden Zeichen werden darauf bezogen. Man versucht sie zu deuten und sie positiv zu beeinflussen.38 Ominabräuche begleiten

33 Nichtsdestotrotz bezieht sich die gesamte Zeitrechnung auf die Geburt Christi. Sie stellt das Zentrum der Berechnungen dar, ist sozusagen die „Mitte der Zeit“ oder der „Drehund Angelpunkt“ der Geschichte. 34 Das Jahr mit 365 Tagen (alle vier Jahre 366 Tage) blieb in 12 Monate unterteilt. Mit dem 22.9. als Jahresanfang verbindet sich der Herbstbeginn des Naturjahres. Die Monatsnamen richteten sich nach den Jahreszeiten. Ausführlicher dazu Fraser, Zeit, 116, v. a. Anm. 118. 35 Vgl. von Lilienfeld, Art. Orthodoxe Kirchen, 453. 36 Vgl. Döpmann, Gottesdienst, 132. 37 Vgl. Filk/Giulini, Am Anfang, 52. 38 Vgl. Baumann, Aberglaube für Laien, 373.

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die Zeit zwischen den Jahren bis in unsere Tage.39 Solche Omina reichen vom Werfen von Apfelschalen, um den Anfangsbuchstaben des zukünftigen Partners heraus­zufinden, bis zu der Annahme, dass die Tiere im Stall während der „Rauhnächte“ mit menschlicher Stimme sprechen können und von der Zukunft erzählen. Wer sie jedoch hört, der sterbe gleich darauf. 2.1.4 Zeitmessung Vom Spätmittelalter hin zur frühen Neuzeit kommt es zu einem fundamentalen Wandel in der Wahrnehmung der Zeit. Die Tageseinteilung des Mittelalters war durch den Glockenschlag und das Stundengebet bestimmt, die mit Sonnenaufgang und Sonnenuntergang verbunden waren und daher den Zeitpunkt mit den Jahreszeiten wechselten.40 Die zunehmende Urbanisierung mit Märkten und Handel und die Entstehung eines Geld- und Kapitalwesens führen zu einem veränderten Blick auf den Faktor Zeit: Sie bekommt ökonomischen Wert, weshalb man sie besser organisieren und nutzen möchte. Die Stundeneinteilung des Tages wird mit der Erfindung der mechanischen Räder­uhr (Ende 13. bzw. Anfang 14. Jahrhundert) gleichmäßig und einheitlich.41 Hier nimmt die „Revolutionierung des europäischen Zeitbewusstseins“ ihren Anfang. Für unseren Zusammenhang bedeutsam ist eine Verschiebung des Zeitgefüges, das mit der Neuorganisation der Zeit einhergeht. So trennen sich die Rhythmen des geistlichen und des weltlichen Lebens – es steht die „Zeit der Kirche“ der „Zeit des Händlers“ gegenüber.42 Im 16. Jahrhundert wird dies an der erstmaligen Verwendung des Begriffes „Kirchenjahr“ erkennbar.43

39 Bis heute halten sich Ominabräuche in der Silvesternacht. Dazu gehört das beliebte Bleigießen, eine Schuppe des Festkarpfens im Portemonnaie  – damit darin immer genug Geld zu finden sei – oder auch die Erstellung von Horoskopen für das anbrechende Jahr. In zahlreichen kulturwissenschaftlichen Publikationen werden Silvester- und Neujahrsbräuche beschrieben. Viel Aberglaube ist mit der letzten Nacht des Jahres und dem ersten Tag des Jahres verbunden. Dieser bezieht sich auf das Essen, di ersten Begegnungen am Tag, auf das Wetter und gückbringendes Handeln, wie ein Sprung vom Stuhl um Mitternacht. Vgl. hierzu beispielsweise die Artikel Neujahr und Silvester in: Hiller, Lexikon des Aberglaubens, 162 f sowie 207 f. 40 Vgl. Dux, Zeit in der Geschichte, 320 ff. 41 Vgl. Wendorff, Zeit und Kultur, 148. 42 Auf diesen plakativen Gegensatz bringt es LeGoff in seinem gleichnamigen Aufsatz;­ LeGoff, Zeit der Kirche und Zeit des Händlers. 43 Vom „Kirchenjahr“ spricht erstmals der Magdeburger Pfarrer Pomarius in einer Postille des Jahres 1589. Der Gedanke von einem Kirchenjahr ist allerdings schon am Ende des 15. Jahrhunderts nachweisbar. Vgl. hierzu Kranemann, Geschichte und Bedeutung, 37 f.

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Ursprung und Hintergrund der kirchlichen Neujahrslieder

2.1.5 Auswertung Die Beschäftigung mit der wechselhaften Geschichte des europäischen Jahresbeginns hat mehreres deutlich gemacht: zum einen, dass einmal eingeführte Kalender, die den Lebensrhythmus einer Gesellschaft bestimmen, nicht so leicht verändert werden können, zum anderen, dass die Geschichte unseres Kalenders das Ringen der weltlichen und geistlichen Mächte um Vorherrschaft und um entsprechendes Bestimmungsrecht widerspiegelt. Offensichtlich bilden Zeitrechnung, Religion und Kultur einer Gesellschaft eine eng zusammenhängende Einheit. Die Bestimmung über die Zeit, die Festlegung, ab welchem Ereignis oder Datum alles berechnet wird, kann eine religiöse oder eine rein pragmatische Entscheidung sein. Die großen Weltreligionen, das Christentum, das Judentum44, der Islam45 sowie der Buddhismus führen je eigene Chronologien. Und obwohl z. B. Japan und Indien den Gregorianischen Kalender ein­geführt haben, sind für beide Länder die Bezugspunkte immer noch andere: für Japan ist es die erste Kaiserkrönung des Landes 660 v. Chr., während für Indien das Jahr 78 n. Chr. den Bezugspunkt bildet – in der Sakazeit (Saka = Name eines skythischen Stamms).46 Kalender sind Festlegungen, die eine Gesellschaft oder Gemeinschaft für sich trifft. Sie sind „symbolische Ordnungen der Zeit“47. Das heißt nicht, dass diese Ordnungen unerschütterlich sind, und die Geschichte zeigt auch deutlich, dass „in und mit ihnen und ebenso gegen sie […] Auseinandersetzungen geführt“48 werden. Kalendergestaltungen im religiösen Bereich machen zudem theologische Aussagen. Beginnt das Judentum mit der Zeitrechnung seit der Erschaffung der Welt, versteht es die ganze Weltgeschichte als Heilsgeschichte für die Menschheit, an deren Anfang und Ende Gott steht. Im Christentum ist die Geburt Jesu von Nazareth, des Christus, das zentrale Ereignis. Es markiert die „Mitte der Zeit“49 und unterteilt diese in ein Vorher und ein Nachher. „Von den Anfängen 44 „Die Epoche der jüdischen Zeitrechnung ist die Erschaffung der Welt irgendwann zwischen 3762 und 3761 v. Chr., je nachdem, wie gerechnet wird. Die gebräuchliche Zahl ist 3761 v. Chr. Diese Zahl – die Zahl der Jahre zwischen dem Sündenfall und dem Jahr des Heils – blieb bis zu den Fortschritten der wissenschaftlichen Kosmologie eine Grund­ tatsache religiösen Wissens.“ Fraser, Zeit, 119 f. 45 Die Zeitrechnung im Islam beginnt nach unserer Zeitrechnung mit dem Jahr 622 n. Chr. Es ist das Jahr, in dem Mohammed nach Medina floh. 46 Vgl. Fraser, Zeit, 120. 47 Fechtner, Rhythmus des Kirchenjahres, 28. 48 Ebd. 49 Der erste, der Christi Geburt als Zeitenwende ansah und die Jahre nach Christi Geburt berechnete, war wohl der Mönch Dionysius Exiguus, im Jahr 525 n. Chr. Diese Zählweise verwendete allerdings erst 200 Jahre später der Angelsachse Beda Venerabilis († 735) in seinen historischen Arbeiten. Vgl. von den Brincken, Historische Chronologie, 82–85.

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in der Vergangenheit und von dieser Mitte der Zeit aus erschließt sich Sinn und Ziel der Zukunft.“50 Erfindungen und sich wandelnde Gesellschaftsstrukturen haben Einfluss auf den Umgang mit der Zeit und wie diese von den Menschen bewertet wird. Dass das Kirchenjahr als Gegenüber zum weltlichen (Kalender-)Jahr wahrgenommen wird und hier Zeitrhythmen auseinander treten, ist ein Ergebnis des fundamental gewandelten Zeitverständnisses vom Mittelalter hin zur Neuzeit.

2.2

Bedeutung der unterschiedlichen Jahresanfänge für die Untersuchung von Neujahrsliedern

Der Blick in die Kalendergeschichte sollte das Feld umreißen, auf dem die Neujahrslieder angesiedelt und zu verstehen sind. Für den Fortgang der Untersuchung, die zunächst noch im Mittelalter und dann vertieft ab der Reforma­ tionszeit forscht, ist Folgendes festzuhalten: Im Mittelalter kann man nicht einheitlich von dem Jahresanfang sprechen. Das hat der Blick auf die Geschichte der Zeitrechnung und des Kalenders gezeigt, samt dessen Veränderungen durch die Jahrhunderte. Die Eigenschaft der Zeitrechnung, eine Konvention zu sein, wurde daran ablesbar, dass je nach Zeitalter, Region und Konfession andere Jahresanfänge gegeben waren. Es zeigte sich, dass alle drei Festtage, der 25. Dezember/Weihnachten, 1. Januar/Neujahr und 6. Januar/Epiphanias als Jahresanfang dienen konnten.51 Mit der schwankenden Datierung des kalendarischen Jahresbeginns hängt auch zusammen, dass im Laufe des Mittelalters Lieder für die Feste Weihnachten und Ostern Neujahrslieder genannt werden könnten.52 Aber auch der Frühling als Jahreszeit wird als Zeitraum gesehen, in dem sich das Jahr erneuert. So ist es allein auf den Termin bezogen möglich, ein Lied „Neujahrslied“ zu nennen, dessen Inhalt keine Bezüge hierzu aufweist; ein „Neujahrslied“ kann das Neue Jahr zum Thema haben und trotzdem nicht mit einem Neujahrstermin verbunden sein.53 Mit der Reformationszeit, mit der die vorliegende Untersuchung grundlegend einsetzt (vgl. Kap.  II), lässt sich eine „Vereinheitlichung“ wahrnehmen. Wie Obenstehendes erkennbar macht, ist es damals die Kirche, die – wohl aufgrund eines Bildungsmonopols – über die Zeitrechnung bestimmt. Gegen Ende der Reformation beginnt die Vereinheitlichung der unterschiedlichen Jahresanfangsdatierungen. Die Aufspaltung in verschiedene Konfessionen hat hierauf 50 Gubler, Zeit in Händen, 154. 51 Aufgrund des geringen zeitlichen Abstandes ist im allgemeinen Sprachgebrauch oft von der Zeit „zwischen den Jahren“ die Rede. Vgl. Siuts, Ansingelieder, 26. 52 Vgl. Holtorf, Neujahrslied, 363. 53 Vgl. ebd.

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zunächst eine hemmende Wirkung, aber schließlich wird doch ein Konsens erreicht: Um 1750 ist europaweit das Jahresende der 31.  Dezember, der Jahresanfang der 1.  Januar. Das Kirchenjahr  – jünger als die Zeitrechnung n. Chr. Geburt – hat auf den bürgerlichen Kalender keinen Einfluss gehabt. Beide stehen bis heute nebeneinander. Den Jahreswendeliedern, wie wir sie in Gesangbüchern finden, merkt man an mancher Stelle diese Bezüge und Hintergründe noch an. Luther rechnete Jahre eindeutig beginnend mit dem 25. Dezember. Am Beispiel des „Vom Himmel hoch, da komm ich her“ wird dies besonders anschaulich, wo es in der letzten Strophe heißt: „Des freuet sich der Engel Schar und singet uns solch neues Jahr“.54 Die deutschsprachigen Lieder zum Neujahrstag (und später auch zum Altjahresabend), die im Laufe der Zeit für den Kirchengesang entstehen, sind erst mit der Festlegung des 1. Januars als Jahresbeginn terminlich fixiert. Inhaltlich sind sie jedoch weiterhin der liturgischen Tradition des Tages verpflichtet (Fest der Namengebung und Beschneidung Jesu Christi) oder nehmen neue theologische Themen auf. Während sich Holtorf bei seiner Untersuchung des volkstümlichen Neujahrsliedes in seiner Auswahl der Lieder allein auf deren inhaltlichen Bezug bzw. die explizite Nennung des Neuen Jahres stützt, kann dieses Kriterium im Blick auf die geistlichen Lieder ab der Reformationszeit nicht gelten. Als Kriterium für den zu untersuchenden Liedbestand wird daher deren Rubrizierung genommen: Jeder Gesangbuchherausgeber hat eigene Vorstellungen, welche Lieder unter der Rubrik „Neujahr“ oder später unter „Jahreswechsel“ bzw. „Jahreswende“ zu finden sein sollen. Er nimmt wahr, was gebräuchlich oder beliebt ist, und entscheidet, Lieder neu einzuführen, die sich in die Rubrik seiner Meinung nach am ehesten einordnen lassen. Ein Zweites ist nach dem Gang durch die Kalendergeschichte festzuhalten: Mit der Feier der Jahreswende, wann auch immer diese nun datiert war, ging ein reges Brauchtum einher. Ob Maskeraden, Spiele, Festgelage oder Orakel – eine Vielzahl von Vergnügungen und besonderen Feierlichkeiten ist mit dem Fest verbunden. Musik spielt dabei eine wichtige Rolle. Sie konnte als Mittel dienen, die Besonderheit eines solchen Übergangs herauszustellen und ihn zu gestalten. Einige Elemente des Brauchtums, wie gute Wünsche und Vorbereitungen für einen Neubeginn, werden auch im kirchlichen Liedgut wieder begegnen. Die Lieder nehmen zwei „Zeitrechnungen“ auf, indem sie den weltlichen und den kirchlichen Kalender (das Kirchenjahr) miteinander verbinden. Für die Lieder gilt dasselbe wie für den Jahreswechsel an sich: Hier wie dort werden die kulturelle Welt und die soziale Zeit aufgenommen und „transzendent“55. 54 EG 24,15. 55 Vgl. Fechtner, Rhythmus des Kirchenjahres, 89.

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Liturgiegeschichtliche Aspekte

Im Anschluss an die Betrachtung der geschichtlichen Entwicklung des kalendarischen Jahresbeginns im europäischen Raum soll der Kreis nun enger gezogen werden. Leitend ist an dieser Stelle die Frage, wie die Kirche das Neujahrsfest behandelte; denn das Begehen dieses Festes als eines genuin profanen Brauchs stellte und stellt für die christlichen Kirchen eine Herausforderung dar.

3.1

Bestimmung des Festgegenstandes durch die Jahrhunderte

Die Kirche, in die Gesellschaft mit einem Kalender eingebettet, orientierte sich in der Jahreszählung zwar an diesem, entwickelte parallel aber einen eigenen Zyklus, der sich vornehmlich an der Heilsgeschichte Jesu Christi orientierte. Die Einteilung des Jahres als eines „Kirchenjahres“ ist eine allmähliche Entwicklung. Dazu gehört, dass die ersten Christen zwar die Sieben-Tage-Woche des Judentums adaptieren, nicht aber den Sabbat übernehmen, sondern den Sonntag als Tag des Herren heiligen und feierlich begehen, an dem „die Auferstehung des Herren vergegenwärtigt“56 wird. Die Gottesdienste finden am Sonntag statt, der der erste Tag der Woche ist. Abgesehen von dem Wochenrhythmus gibt es jährlich wiederkehrende Ereignisse, wie Ostern verbunden mit Taufen, die zu diesem Ereignis stattfinden. Ostern mit dem Osterfestkreis gilt als Ursprung für die Ausbildung eines Kirchenjahres. Es ist als jährliche Feier im 2. Jahrhundert belegt, dürfte aber schon früher als solche stattgefunden haben.57 Der Wochen- und der Jahresrhythmus bestimmen die Gottesdienste und hohen Festtage gleichermaßen. „Beide Zeitebenen – Jahr und Woche – sind originäre Rhythmen liturgischer Praxis im Christentum, sie lassen sich nicht voneinander ableiten.“58 Dabei ist die enge Verbindung zum jüdischen Festkreis weiterhin gegeben. „Die jüdischen Feste gehen nicht bruchlos in christliche über, aber sie bilden mit ihnen – noch in der Abgrenzung voneinander – einen religiösen Deutungszusammenhang.“59 Die Liturgie zum jüdischen Neujahrsfest kennt mehrere biblische und theologische Motive, die später in der christlichen Interpretation des Festes kaum mehr erscheinen. So wird ganz natürlich angenommen, dass Weltanfang und Jahresanfang zusammengehören, so dass die jüdische Liturgie Neujahr auch 56 Ebd., 23. 57 Ebd. 58 Ebd. 59 Ebd., 23 f.

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als „Geburtstag der Welt“ bezeichnet.60 Als weiteres Motiv ist Neujahr mit dem Gottesgericht verbunden.61 Der Talmud beschreibt, dass an diesem Tag die­ Bücher im Himmel geöffnet werden und die ganz und gar Gerechten endgültig in das Buch des Lebens, die vollkommen Bösen jedoch in das Buch des Todes eingetragen werden. Für diejenigen, bei denen die Zugehörigkeit noch nicht deutlich erkennbar ist, die „Mittelmäßigen“, steht die Entscheidung bis zum Versöhnungstag (zehn Tage nach Neujahr) aus.62 Die Zeit zwischen diesen beiden Festen wird „Zehn Tage der Umkehr“ genannt.63 Ein achttägiger Abstand zwischen Festtagen, die aufeinander bezogen sind, ist im christlichen Festkalender mehrfach anzutreffen. Zunächst zeichnen sich die großen Christfeste dadurch aus, dass sie an drei und später zwei Tagen gefeiert werden; zudem erhält der Oktavtag64 nach dem Fest eine weitere Bedeutung. „Der achte Tag gilt noch einmal als verstärkender Nachklang zum­ vorwöchentlichen Fest.“65 Dies ist bei Ostern und in abgeschwächter Form auch an Pfingsten zu beobachten, aber besonders deutlich im Weihnachtsfestkreis, wo Neujahr zum Weihnachtsfest im zeitlichen Abstand der Oktav liegt. Der Wunsch, die Oktav sowohl nach dem Fest als schließlich auch vor dem Fest besonders zu betonen, hat wohl auch die Entstehung der Adventszeit bestimmt. Hier sind dem Fest gleich vier Wochen der Vorbereitung vorangestellt worden.66 Das früheste Zeugnis für eine Adventszeit, die mit Fasten einherging, stammt von Bischof Perpetuus von Tours († 490 n. Chr.).67 Im Rom des 7. Jahrhunderts ist der 1. Adventssonntag dann Beginn des liturgischen Jahres.68 60 Vgl. Stemberger, Jüdische Religion, 80. 61 Im Babylonischen Talmud (bRhSh, Ordnung Mo’ed, Traktat Rosh ha shana)  und in der Mischna (mRhSh) ist davon zu lesen. Der erste Tischri ist Gerichtstag (mRhSh, I,2). An ihm wird über Wohl und Wehe des Einzelnen im kommenden Jahr entschieden (bRhSh, 8a). 62 Vgl. Stemberger, Jüdische Religion, 80 f. Stemberger führt aus (81): „Aus der Vorstellung der zu Neujahr hervorgebrachten himmlischen Bücher entstand auch der Neujahrswunsch: ‚Für ein gutes Jahr mögest du eingeschrieben werden‘.“ 63 Die Tage sind eine Art Bewährungsfrist, vgl. bRhSh, 16 b. 64 Bornmann geht davon aus, dass die großen kirchlichen Feste  – das Christfest, Ostern und Pfingsten – in frühester Zeit acht Tage lang gefeiert worden sind und vermutet, dass die Sitte vom Osterfest her in Anlehnung an das siebentägige jüdische Passafest (vgl. Joh 7,37) entstanden ist. Es war wohl die Synode von Konstanz im Jahr 1094, die die Feste auf drei Tage beschränkte. Vgl. Bornmann, Zeitrechnung und Kirchenjahr, 17. 65 Fechtner, Rhythmus des Kirchenjahres, 39. 66 Bieritz vermerkt, es spreche viel dafür, dass es in Rom ursprünglich sechs Advents­ sonntage gab. Vgl. Bieritz, Feste, 204. In der Kirchenprovinz Mailand wird noch heute neben dem römischen Ritus der Ambrosianische Ritus verwendet, der die Adventszeit am ersten Sonntag nach dem Martinstag (11. November) beginnen lässt, womit sie weiterhin sechs Wochen lang ist. 67 Vgl. ebd., 203. Zu der Zeit wurde vom 11. November bis 25. Dezember gefastet. 68 Vgl. Praßl, Christliches Neujahrsfest, 223.

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Da der erste Adventssonntag der Festlegung nach den liturgischen Kalender eröffnete, wurde der 1. Januar nicht als zweiter Jahresbeginn gefeiert, sondern mit anderen Deutungen versehen. Er wurde kirchlicherseits durch die Jahrhunderte mit unterschiedlichen Festgegenständen verbunden, die im Folgenden, der Systematisierung Büngers folgend,69 kurz dargestellt werden. 3.1.1

Namengebung und Beschneidung Jesu Christi

Etwa ab dem 7. Jahrhundert70 und das ganze Mittelalter hindurch galt in der Kirche der 1. Januar als Fest der Namengebung und Beschneidung Jesu Christi. Diese Festlegung ergibt sich, nachdem das Christfest zuvor auf den 25. Dezember datiert wurde, aus der Bestimmung, dass ein jüdischer Junge am achten Tag nach seiner Geburt beschnitten werden soll. So wird es auch von Jesus berichtet (Lk 2,21).71 Als Fest der Beschneidung des Herrn feierte man in Spanien und Gallien den 1.1. bereits seit dem 6. Jahrhundert; im 13./14. Jahrhundert von Rom übernommen blieb es dies in der katholischen Kirche bis zur jüngsten Reform.72 In der biblischen Leseordnung der Alten Kirche war für diesen Tag Lk 2,21 vorgesehen. Von diesem Text her lassen sich sowohl die „Beschneidung“ als auch die „Namengebung“ Jesu Christi als Festgegenstand ableiten. In den folgenden Jahrhunderten wird beidem in Liturgie und Predigt Rechnung getragen, der Schwerpunkt allerdings unterschiedlich gelegt und das Ereignis theologisch auf ganz verschiedene Weise interpretiert. So gibt es z. B. einige allegorische und mystische Deutungen.73 Das Gewicht, das Neujahr als Fest im Verhältnis zu Weihnachten bekommt, wird unterschiedlich bestimmt. Eine Millstätter Predigt und drei St. Pauler Predigten an der Wende des 12./13. Jahrhunderts erläutern den Gläubigen, dass der Tag „ebenwihe“ genannt werde und er ebenso heilig sei, wie die Weihnachtsnacht.74 Der zeitliche Abstand zum Weihnachtsfest im Umfang von acht Tagen wird theologisch auf die Auferstehung der Menschen von ihren Sün69 Vgl. Bünger, Neujahrsfeier, passim. 70 Schwarzenberg vermutet mit aller Vorsicht, dass diese Festbestimmung noch älter sein könnte, da bereits das Konzil von Tours um 567 n. Chr. mit „in ipsis kalendis circumcisionis missa“ bezeichnet ist. Cabrol bemerkt, dass das Konzil von diesem Fest nicht als einer Neuheit spricht, und schließt daraus, dass es schon vorher Brauch geworden sein muss. Vgl. Cabrol, Art. „Circoncision (Fête de la)“, 1718. 71 Davon berichtet nur der Evangelist Lukas in der Vorgeschichte zum Auftritt und Wirken Jesu; dies gehört zum lukanischen Sondergut. 72 Vgl. Bieritz, Kirchenjahr, 382. 73 Vgl. Fechtner, Schwellenzeit, 122. Das 17. Jahrhundert schließlich kennt eine Blut­t heolo­ gie, die auch die ersten Tropfen des Blutes Christi bei der Beschneidung als heilsbringend ansieht. Vgl. hierzu den Exkurs zur Beschneidung und dem Namen Jesus. 74 Vgl. Schiewer, Predigt um 1200, 148.

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den zum Ewigen Leben gedeutet.75 Weitere Aspekte, die in mehreren Predigten zur Oktav des Weihnachtsfestes begegnen, sind die Beschneidung im geistlichen Sinn – dem sensus moralis entsprechend –, indem sich der Mensch der Beschneidung seiner sündhaften Sinne unterziehen solle. Hinzu kommt der Gedanke der Gesetzeserfüllung, wenn Jesus, dem alten Bund entsprechend, beschnitten wird.76 3.1.2 Bußfest Gegen die Feierbräuche zum neuen Jahr, wie sie im römischen Reich verbreitet waren, erhoben sich in christlichen Gemeinden kritische Stimmen. Zu Beginn des dritten Jahrhunderts fragt beispielsweise Tertullian mahnend, ob es Christen anstehe, diese Feiern mitzubegehen  – umgekehrt würden die Heiden aus Scham die viel edleren Feiern der Christen niemals mitzelebrieren.77 Im vierten Jahrhundert, nach der Konstantinischen Wende, wird der hier wahrgenommene Gegensatz nun besonders betont, indem die Jahreswende kirchlicherseits zum Bußtag bestimmt wird. „Die Gemeinde fastete; sie kam zusammen, Bußpsalmen zu singen, scharfe Schriftworte gegen den Götzendienst verlesen und durch die Predigt anwenden zu hören.“78 Auch Augustin trat für eine ernste Haltung ein: Wenn jene sich freuen, so lasst uns für sie seufzen und durch ihre jauchzende Lust uns mahnen, wie beklagenswert sie sind; lasst uns, die wir frei geworden, für sie die Hoffnung nicht aufgeben; und zürnen sie uns darüber, so wollen wir b ­ eten.79

Wie zahlreiche Predigten gegen die Festbräuche der Heiden bezeugen, die vieler­ orts gehalten wurden,80 müssen zum einen die Feierlichkeiten auf dem Gebiet des römischen Reiches sehr verbreitet gewesen sein; zum anderen wird deutlich, dass die heidnischen Feierlichkeiten „lasciver“ ausfielen als noch zu Zeiten Ovids.81 So erfährt man aus den Predigten, dass das Fest mit Wahrsagereien, Be75 Vgl. ebd., 149. Schiewer trägt Aspekte unterschiedlicher Predigten zusammen. So wird in einer Oberaltaicher Predigt beschrieben, dass die vergangenen sieben Tage der Feier der Geburt Christi galten und nun der achte Tag höher zu ehren sei, da die sieben Tage für die Unbeständigkeit der Welt stehen würden und der achte nun für die Stetigkeit der ewigen Gnade. Eine Zürcher Predigt sieht jeden Oktavtag als Tag an, der auf das Ewige Leben hinweist. 76 Vgl. ebd., 147–153. 77 Vgl. Tertullian, De idololatria, c 14. 78 Kleinert, Geschichte der Neujahrsfeier, 166. 79 Enarr. in ps. 98. Zit. nach Kleinert, ebd. 80 Kritische Äußerungen sind aus Turin (Maximus), Ravenna (Petrus Chrysologus), dem Pontischen Amasea (Asterius), dem gallischen Arelate (Ceasarius), dem syrischen Antiochien (Chrysostomus) und dem afrikanischen Hippo (Augustin) bekannt. Vgl. Kleinert, Geschichte der Neujahrsfeier, 166. 81 Vgl. ebd.

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Liturgiegeschichtliche Aspekte Liturgiegeschichtliche Aspekte

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kränzungen der Häuser, ausgelassenen Tänzen und Gesängen, mit Fackeln auf dem Markt und ausgiebigen Umtrünken in den Schänken begangen wird, wobei in den Wirtshäusern „Männer und Weiber bunt durcheinander von der Morgendämmerung an beim ungemischten Wein sitzen“82. Caesarius beschreibt in seinen Volkspredigten schließlich Maskeraden, in denen Männer als Frauen und Frauen als Männer verkleidet auftreten, in denen die Akteure sich aber auch als Tiere verkleiden, so z. B. als Hirsche oder Kälber.83 Die Beteiligung von Christen an den ‚heidnischen Kalendenfeiern‘ wird schließlich durch Synoden verboten. Das Konzil von Tours im Jahr 567 n. Chr. hält fest, dass eine Feier zu Ehren des Gottes Janus mit dem Glauben an einen dreieinigen Gott nicht vereinbar sei.84 Von der Diözesansynode von Auxerre wird die Teilnahme an dem Fest ausdrücklich verboten.85 In den sogenannten Capitula Martini86 spricht sich ein Bischof von Barcelona ebenfalls dagegen aus. In Bußbüchern ist für die Teilnahme an den Kalendenfesten eine Kirchenbuße von bis zu drei Jahren vorgesehen.87 3.1.3 Marienfeier Vom 8. bis ins 10. Jahrhundert hinein ist für den 1. Januar ein „Fest zur Ehren der Mutter Gottes“ belegt, das aber nur eine „liturgiegeschichtliche Episode“88 geblieben ist: In der römischen Kirche kommt nun als Parallelbildung zum Christusjahr auch ein Marienjahr auf und vielerorts wird das Be­schnei­dungsmotiv in der Liturgie mit dem Marienkult verbunden oder gar ver­schmolzen.89 Es lässt sich nur vermuten, vor welchem religionsgeschichtlichen Hintergrund diese Entwicklung verlief: Die heidnisch-germanische Religion zeichnete sich durch die Verehrung weiblich-göttlicher Kräfte aus, die mit Marienfrömmigkeit und Verklärung der Jungfrau Maria in Einklang gebracht werden konnten. Als Rom zwei andere byzantinische Marienfeste übernahm, nämlich die Verkündigung Mariens am 25.3. und die Himmelfahrt Mariens am 15.8., verlor das Fest an Bedeutung.90 82 Ebd. 83 Vgl. Arelate, Predigten, 10 ff. 84 Concilium Turonense, can. 23 (22): CCL 148 A, 191. 85 Synodus Dioecesana Autissiodorensis, can. 1: CCL 148 A, 265. 86 Mansi, Sacrorum conciliorum nova, IX , 854 ff. 87 So mit ähnlichen bis gleichlautenden Formulierungen z.B.im Poenitentiale Romanum (can. 36, Schmitz, Bussbücher, 479) im Poenitentiale Egberti (C. VIII, 4, Schmitz, Bussbücher, 581) und Merseburgense (C. 32, Schmitz, Bussbücher, 702), aber auch im Poenitentiale Valicellanum I (can. 88) und Valicellanum II (can. 62). 88 Vgl. Fechtner, Schwellenzeit, 123. 89 Vgl. ebd. 90 Vgl. Bieritz, Kirchenjahr, 382.

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Ursprung und Hintergrund der kirchlichen Neujahrslieder

Im 20. Jahrhundert wird diese nahezu vergessene Bestimmung des Festgegenstandes wiedererweckt, indem das II. Vatikanische Konzil dem 1.  Januar ein Marienfest zuweist: das „Fest der göttlichen Mutterschaft der heiligen M ­ aria“ (Sollemnitas sanctae Dei Genetricis Mariae).91 3.1.4 Narrenfest Am Neujahrstag und um diesen herum wird ab dem 12.  Jahrhundert ein „Narren­fest“ gefeiert. Dieses „festum stultorum“ feiert vorwiegend der niedere Klerus.92 Das ausgelassene Treiben am Neujahrstag, wie es noch zur Römerzeit üblich war, wird hier schlussendlich von der Kirche aufgenommen – nachdem dieser Entwicklung lange durch ein Bußfest entgegenzuwirken versucht worden war. Kleinert spricht hier von einem „Umschwung von der asketischen zur festfrohen Anschauung“93. Dieses kirchlich-karnevaleske Fest zeichnet sich dadurch aus, dass mit den institutionalisierten Hierarchien in der Kirche symbolisch gebrochen und auf ironische Weise mit den gottesdienstlichen Formen gespielt wird.94 Das Narrenneujahr wird über den Klerus hinaus auch von der einfachen Bevölkerung begangen und scheint beliebt zu sein: In Deutschland beweisen Volkslieder, wie ‚Wolup ir narren alle mit mi To dissem newen jare‘ u. a. für (sic!) die zeitweise Volkstümlichkeit des Narrenneujahrs, und noch im Jahre 1651 mußte die Cölner Synode […] gegen die Bräuche des Narrenfestes einschreiten.95

Bereits mit dem Ende des 13. Jahrhunderts, vermehrt im 14. und 15. Jahrhundert, versucht die Kirche, das Fest zurückzudrängen und einzuschränken; und es wird auch durch die kaiserliche Autorität verboten.96 3.1.5

Neujahr im eigentlichen Sinne

Im 15. Jahrhundert beginnt dann eine neue Phase der kirchlichen Festdeutung, deren Bogen sich bis in die heutige Zeit spannt. Das Fest wird als eigene Feier für den Beginn eines neuen Jahres verstanden und auch entsprechend religiös be91 Calendarium Romanum. Der Römische Kalender: gemäss Beschluss des Zweiten Vatikanischen Konzils erneuert von Papst Paul VI . eingeführt. Hg. [und übers.] von d. Liturg. Inst. in Salzburg, Trier und Zürich, (Nachkonziliare Dokumentation 20), Trier 1969. 92 Kleinert, Geschichte der Neujahrsfeier, 175. 93 Ebd., 173. 94 Vgl. Fechtner, Schwellenzeit, 123. 95 Kleinert, Geschichte der Neujahrsfeier, 175 f. 96 Vgl. Fechtner, Schwellenzeit, 124.

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wertet. Schon im 14. Jahrhundert hatte Johannes Tauler seine Neujahrspredigt mit den Worten begonnen: „Mit diesem fröhlichen neuen Jahr soll sich ein jeder Christenmensch von seinen alten Gebrechen und Gewohnheiten beschneiden und oftmals seinen guten Vorsatz erneuern“97 – eine Deutung, die auch heutigen Ohren nicht fremd ist. Kleinert beobachtet, dass sich im ausgehenden Mittelalter mehrere Prediger auf das Neue Jahr als eigentlichen Festgegenstand des Gottesdienstes am 1. Januar beziehen. Sie folgen auch dem Brauch, Glückwünsche auszuteilen, wenngleich sie diese mit guten Ratschlägen und Mahnungen verbinden. An Bräuche des Mittelalters schließen sich wohl auch „Ständevögelserien“ an, die in Predigten vorkamen oder die ganze Predigt ausmachten. Hier wird den Ständen einer Gesellschaft symbolisch ein Vogel überreicht, dessen Eigenschaften auf sie hin gedeutet werden.98 Auch wenn Martin Luther und Jean Calvin diese z. T. neuen Bräuche meiden, zeigt sich doch, dass sie weite Verbreitung finden: Das erstarkende Volksleben hat an die Kirche die Mahnung gebracht, dass ihr Beruf, ein Sauerteig in der Welt zu sein, mit der Aufrichtung eines auf rein kirch­ lichen Motiven erbauten Feiercyclus neben und über dem bürgerlichen Leben noch nicht erschöpft ist, sondern ihre Einwirkung in die auf dem Volksboden selbst erwachsenen oder eingewurzelten Gefilde fester Lebenseinrichtung fordert.99

3.2 Auswertung Wie deutlich geworden ist, gingen die Alte Kirche und die Kirche des Mittelalters recht unterschiedlich mit dem „Jahresbeginn“ als Fest um. Denn es ist ein ursprünglich heidnisches Fest, das ihr hier begegnete. Zunächst stand die Kirche diesem ablehnend gegenüber und grenzte sich von ihm ab. Die Form, die sie für die Feierlichkeiten suchte, lief den Feiergewohnheiten im Volk entgegen. Die Feiern waren nicht ausschweifend, sondern nüchtern, sie widmeten sich der Buße und dem Fasten. Erst allmählich kam es zu einer Öffnung den weltlichen Feierlichkeiten gegenüber und schließlich zur Aufnahme des Festes auch im 97 Hamberger, Tauler’s Predigten, I 99. 98 Neben protestantischen Predigten findet sich diese Form auch auf der Seite der Gegenreformation. Dietrich Schmidtke bietet einen exemplarischen Versuch, solche Stände­ vögelserien, die von „Obrigkeitsadler zu Dienstbotenkranich“ reichen, zu erfassen. Er zieht hierfür Predigten der Katholiken Johannes Rasser (Elsaß, 1580) und Matthäus Tympe (Westfalen, 1614) heran. Schmidtke vermerkt, dass es auch eigenständige Neujahrsaviarien sowie Neujahrsbestiarien (die vierfüßige Tiere aufzählen) und Neujahrslapidarien gibt, die in der Erforschung der Literatur des Mittelalters bislang weitgehend unbeachtet blieben. Vgl. Schmidtke, Ständevögelserien, bes. 253 f. 99 Kleinert, Geschichte der Neujahrsfeier, 177.

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Ursprung und Hintergrund der kirchlichen Neujahrslieder

kirchlichen Bereich. Da das Fest aber immer ein „Eindringling“ in den Kirchenjahresfestkreis bleibt, wird es in seiner Bedeutung je neu bestimmt und theologisch mit unterschiedlichen Themen verbunden. Dieser Prozess geht über das Mittelalter hinaus weiter; und die kirchlichen Neujahrslieder spiegeln ihn wider, was im Analyseteil zu behandeln sein wird. Exkurs: Die Feier des 1. Januars in der katholischen Kirche Die Liturgie der römisch-katholischen Kirche hält über Jahrhunderte ganz am Festgegenstand der Beschneidung und Namengebung Jesu Christi am 1. Januar fest. Eigene Gottesdienste, die den kalendarischen Jahresbeginn bedenken, hat es in der katholischen Kirche nicht gegeben; und dementsprechend sind in katholischen Gesangbüchern kaum Kirchenlieder zu finden, die diesen besingen. Die traditionelle Zuordnung der Beschneidung und Namengebung Jesu Christi am Oktavtag zur Weihnacht bleibt präsent, bis durch Einführung eines eigenen „Namen-­Jesu-Festes“ im Jahr 1721100 alleinig die Beschneidung mit dem 1. Januar verbunden bleibt. Ein eigenes Fest zum Namen Jesus war bereits 1530 von Papst Klemens VII dem Franziskanerorden gestattet worden. Es sind Bernhard von Siena (1380–1444) und sein Schüler Johannes von Capestrano (1386–1456), die die Verehrung des Namens Jesu zu ihrer Aufgabe gemacht hatten. Kaiser Karl VI. erbat schließlich die Einführung des Festes für die gesamte Lateinische Kirche, was 1721 durch Innozenz XIII gewährt wurde.101 Das Fest wird bis zur Liturgiereform am Sonntag zwischen dem 1. und 5. Januar gefeiert und, falls es einen solchen nicht gibt, am 2. Januar.102 Das separate Namensfest sorgt zugleich für eine Schwächung der Festbedeutung des 1. Januar. Hierin kann einer der Gründe dafür liegen, dass das II. Vatikanische Konzil (1962–1965) dieses Fest zu einem „Hochfest der Mutter des Herrn“ bzw. zum „Hochfest der Gottesmutter Maria“ macht. Damit ist es wieder ein Festtag für Maria, wie es das vom 8. bis ins 10. Jh. war.103 Die klassische mittelalterliche Ordnung des Offiziums am 1.1. stellt die im-

100 Auf der Maur sieht diese Isolierung des Festes der Tendenz geschuldet, historisierende Feste eigenständig zu machen: Dies geschah auch mit der Oktavfeier für Himmelfahrt (11. Jh.), dem Fest der Verklärung Christi (1457), dem Fest des Kostbaren Blutes (1849) und dem Fest der Hl. Familie (1921). Vgl. Auf der Maur, Feiern im Rhythmus, 217. 101 Vgl. Franz Grundmayr, Liturgisches Lexicon der Römischkatholischen Kirchenbräuche, Augsburg 31822, 245. 102 Das Missale Romanum, das Römische Messbuch, wurde gemäss Beschluß des Zweiten Vatikanischen Konzils erneuert und von Papst Paul VI . eingeführt. Siehe Missale Roma­ num. Der große Sonntags-Schott. 103 Das Fest hat vermutlich noch vor dem 7. Jahrhundert – wahrscheinlich unter östlichem Einfluss – in Rom Eingang gefunden, als Natale sanctae Mariae. Natale ist hierbei als Gedenktag und nicht als Geburtsfest im engeren Sinne zu verstehen. Vgl. Bieritz, Kirchenjahr, 382.

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Liturgiegeschichtliche Aspekte Liturgiegeschichtliche Aspekte

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merwährende Jungfräulichkeit der Gottesmutter in den Mittelpunkt.104 Die Antiphonen zum Fest der Oktav zeugen von dieser Festbestimmung. Zu ihnen gehört die „marianische“ Psalmenreihe, die bis heute gesungen wird.105 Die Jungfrauengeburt und die Präexistenz Christi beim Vater werden so miteinander verbunden. Die Beschneidung ist nun nicht mehr im Blick, höchstens indirekt, wenn das Fest überschrieben wird mit: „In octava nativitatis domini – Sollemnitas sanctae Dei genetricis Mariae“. Es ist zugleich Hochfest der Gottesmutter Maria und „Gedächtnis des Tages, an dem der Erlöser den Namen Jesus erhielt.“106 In der Theorie bleibt das „Neue Jahr“ nicht ganz unbeachtet, in der Praxis wird es jedoch kaum thematisiert. Dabei bietet das Missale Romanum ein eigenes Formular „Zum Jahresbeginn“ (Meßbuch 1975 III. Nr. 24). Es schließt allerdings gleichzeitig aus, dieses am 1. Januar, dem „Hochfest der Mutter des Herrn“ zu verwenden.107 Ein „Name-Jesu-Fest“ wurde schließlich von Papst Johannes Paul II. auf den 3. Januar festgelegt. Und so gibt es seit 2002 den nicht gebotenen Gedenktag zum 3. Januar als „Heiligster Name Jesu“.108 Die Einführung eines eigenen Namenfestes hat auch Auswirkungen auf die „Namen-Jesu“-Lieder. Sie sind nicht mehr mit dem Evangelium zum Neujahrstag verknüpft; und die ursprüngliche Verbindung wird gelöst. Für den Kirchenliedbestand zum Neuen Jahr sind katholische Gesangbücher, aus den genannten liturgiegeschichtlichen Gründen, keine umfassenden Quellen. Befinden sich in den Gesangbüchern Lieder zum Neuen Jahr, so sind sie­ Relikte der Gegenreformation oder seltene Produkte, die der persönlichen geistlichen Erbauung dienen sollen. 104 Vgl. Kunzler, Liturgie, 607. 105 Zu den Psalmen siehe: „Psalmen und Canticum aus dem Commune für Markenfeste“. In: Die Feier des Stundengebetes. Stundenbuch. Für die katholischen Bistümer des deutschen Sprachgebietes; Bd. 1, Advent und Weihnachtszeit, Freiburg, Basel u. a. 1978, 236. Zu den Antiphonen mit zitierten Incipits siehe Martimort, Handbuch der Liturgie­ wissenschaft, Bd.  2, 289. Generell hierzu: Polycarpus Radó, Einchiridium liturgicum. Bd. 2, Rom – Freiburg – Barcelona 21966, 1130–1131. 106 Calendarium Romanum, 35 ff. 107 Unter „III . In verschiedenen öffentlichen Anliegen“ heißt es: „24. Zum Jahresbeginn. Diese Messe wird nicht am 1. Januar, dem Hochfest der Mutter des Herrn, genommen.“ Dies erstaunt Auf der Maur: „Wenn dies Formular nicht für den 1. Januar gedacht ist“, so fragt er mit Recht, „… – wann aber sonst; etwa zum chinesischen oder anderen Neujahrsterminen?“ Auf der Maur, Feiern im Rhythmus, 176. 108 Die Grundordnung des Kirchenjahres und des römischen Generalkalenders unterscheidet zwischen Sonntag (Dominica), Hochfest (Sollemnitas), Fest (Festum), gebotenem (Memoria obligatoria) und nichtgebotenem Gedenktag (Memoria ad libitum) sowie Wochentag (Feria). Vgl. Grundordnung, Art. 59, I, 3. Ein Hochfest der Gottesmutter Maria hatte 1931 Papst Pius XI . für den 11. Oktober bestimmt (zur Erinnerung an die Fünfzehnhundertjahrfeier des Konzils in Ephesus); es wurde im Rahmen der Liturgiereform von 1970 auf den 1. Januar verlegt; das „Name-Jesus-Fest“ rückte dadurch auf den 3. Januar.

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Ursprung und Hintergrund der kirchlichen Neujahrslieder

Liedgeschichtliche Aspekte

Bevor im Analyseteil einzelne Neujahrslieder der Kirche beginnend mit der­ Reformationszeit untersucht werden, ist noch ein Schritt zurück angebracht, verbunden mit der Frage nach deren möglichen Wurzeln und Vorbildern. Denn die Praxis, das neuanbrechende Jahr zu besingen, beginnt schon sehr früh, wie die voranstehenden Beobachtungen zu Kalender- und Liturgiegeschichte bereits erahnen lassen. Dieser Schritt zurück, so die Hoffnung, vermag Aufschluss­ darüber zu geben, was im kirchlichen Neujahrslied althergebracht und übernommen ist, was verändert wird oder neu entsteht. Die Quellenlage für diesen Abschnitt der Liedgeschichte ist schwierig. Doch es soll wenigstens in Ansätzen dargestellt werden, welches Liedgut aus der Tradition vorhanden ist, wenn sich die Protestanten im Zuge der Reformation auch um eigene gottesdienstliche Lieder zum Jahresbeginn bemühen, die in deutscher Sprache abgefasst sind. Um zu erkennen, was überliefert und übernommen oder was lediglich um­ geformt wurde, gilt die Aufmerksamkeit v. a. theologischen Themen. Die hier unternommene „Ahnensuche“ erstreckt sich auf zwei Gebiete: die geistlichen Gesänge (3.1) und die Brauchtums- und Volksgesänge (3.2). Diese Unterscheidung ist nicht immer trennscharf, da es im Mittelalter und Spätmittelalter Lieder gibt, die zu beiden Bereichen gezählt werden können. Überhaupt gilt für Geistliches und Weltliches im Spätmittelalter, dass eine scharfe Unterscheidung unangebracht ist; beides ist miteinander aufs Engste verzahnt.109 Trotzdem lässt sich feststellen, dass es im Spätmittelalter ganz unterschiedliche religiöse Gesänge gab, die vorwiegend außerhalb der gottesdienstlichen Zusammenkünfte gesungen wurden. Die „religiöse Stimmung“ brachte hier Lieder hervor, die von Gruppen wie Geißlern und mystischen Gemeinschaften gesungen wurden  – auf diese Weise aber nicht eine solche Verbreitung fanden, wie z. B. Lieder zur­ Heiligen- und Marienverehrung oder zu anderen Festzeiten, die bei Prozessionen, Wallfahren und besonderen Andachten erklangen.110

4.1

Geistliche Gesänge

4.1.1

Lateinische Hymnen

Die Quellenlage an lateinischen Hymnen, die das Neue Jahr besingen, ist disparat. Trotzdem sollen einige wenige Beispiele vorgestellt werden, die als „Vorfahren“ unserer kirchlichen Neujahrslieder angesehen werden können.

109 Siehe hierzu beispielsweise Huber/Wachinger/Ziegler, Geistliches, Tübingen 2000. 110 Vgl. hierzu ausführlicher Papsch, Spätmittelalterliche Frömmigkeit, 317 ff.

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Liedgeschichtliche Aspekte Liedgeschichtliche Aspekte

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Das wahrscheinlich ältestes lateinisches Neujahrslied, das den kalendarischen Jahresanfang behandelt, findet Bünger in dem Hymnus ‚In Novo Anno‘ „fove nunc, sancte Domine“. Dieser ist handschriftlich aus dem 11. Jahrhundert überliefert – in einem mozarabischen Brevier aus dem Kloster San Millan de la Cogolla.111 Von diesem Fund ausgehend wagt Bünger sogar die Behauptung, dass es die spanische Kirche gewesen sei, die dem Neujahrsgedanken als erste überhaupt in ihren kirchlichen Feiern Rechnung trug.112 Wie weiter oben deutlich wurde (Kap. 3.1.2 Bußfest), hat die Kirche dem ausgelassenen heidnischen Neujahrsfest zunächst eine ausgeprägte Bußpraxis entgegengesetzt. Aus dieser Zeit sind uns zwei Lieder überliefert, die diesen Aspekt noch deutlich erkennen lassen. Es sind dies „Benignitas fons, Deus“113 und „Auctor perennis gloriae“114. Der Hymnus „Benignitas fons, Deus“ galt ursprünglich den Kalenden des Januars, wie spanische Handschriften aus dem 9. und 10. Jahrhundert belegen115, und wird in späterer Zeit auf „jejunia Epiphaniae, Quadrages“ bezogen.116 Den Gesang zeichnen ein „ernstes Sündenbewusstsein, tiefer Bußschmerz“ und ein „flehentliches Gebet um Gnade“ aus.117 Der andere Hymnus „Auctor perennis gloriae“ wurde in der neapolitanischen Abtei S. Severin am achten Tag nach Christi Geburt verwendet. Die Oktav wird hier weniger zur Nachfeier des Weihnachtsfestes; sie dient vielmehr dem Hinweis auf das Endgericht, ist ganz von Buße geprägt und vom Vertrauen auf den Erlöser.118 Diese ersten Belege kirchlicher Gesänge anlässlich des Neujahrsfestes sind zugleich Zeugnisse für die Aufgabe des Widerstandes, den die Kirche dem­ heidnischen Fest entgegenbrachte. Die Betonung der Buße und des Fastens ist bei Pseudo-Alcuin119 noch zu finden – bald darauf aber schon nicht mehr. Mit Bünger lässt sich dieser Umstand so deuten, dass die Kirche von da an einer „erprobten Strategie“ folgte: Die Kirche hatte eingesehen, dass Mahnungen, Vorschriften, theoretische Polemik nicht genügten, und war dem Festverlangen der Menge entgegengekommen, indem sie nach bewährter Praxis ein eigenes christliches Fest an die Stelle des bekämpften heidnischen setzte.120 111 Vgl. Dreves, Analecta hymnica medii aevi, XXVII 271, Nr. 196. 112 Vgl. Bünger, Neujahrsfeier, 135. 113 Dreves, Analecta hymnica, XXVII 68, Nr. 10. 114 Ebd., XIV 40, Nr. 26. Der Hymnus ist außerdem in drei Einzelhymnen zu finden: „ad septimam“, „ad octavam“, „ad nonam“: Ebd., XXVII 104 Nr. 57, 105 Nr. 58 und 109 Nr. 70. 115 Ebd., XXVII 68 Nr. 10. 116 Chevalier, Repertorium hymnologicum, I, Nr. 2467. 117 Vgl. Bünger, Neujahrsfeier, 30. 118 Vgl. ebd., 30 f. 119 Pseudo Alcuin, Liber de divinis officiis. 120 Bünger, Neujahrsfeier, 31. 

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Ursprung und Hintergrund der kirchlichen Neujahrslieder

4.1.2

Lateinisch-deutsche Gesänge/Cantiones

Neben den rein lateinischen Hymnen sind uns auch einige Gesänge schriftlich überliefert, die die Sprachen Latein und Deutsch mischen oder nebeneinander stellen. In einer Breslauer Handschrift121 aus dem 15. Jahrhundert ist als eine­ lateinisch-deutsche Aufzeichnung das Neujahrslied „In hoc anni circulo“122 zu finden. Die erste Strophe lautet: In hoc anni circulo Vita datur saeculo Nato nobis parvulo Per Virginem Mariam. Verbum caro factum est Per virginem Mariam.

Bereits 1421 bietet eine Münchner Papierhandschrift123 als Übertragung124 mit insgesamt 15 Strophen: In des jares zirclikeit wart leben geborn der werlte breit, das geit uns alle seligkeit und auch die Maid Maria. Gotes sun der mensche wart von der jungfrauen zart.

Eine weitere deutsche Fassung125 beginnt mit: Zu disem neuen jare zart ein kindelein geboren wart uns zu trost, zu seligkeit der jungfrau son Mariae.

Die Menschwerdung des Gottessohnes wird mit wenigen und kurzen Worten beschrieben. Er wird in die „Zirkelhaftigkeit“ des Jahres geboren, womit sowohl der Kreislauf eines Jahres als auch der Kreislauf mehrerer Jahre und damit die Zeit an sich gemeint sein können.

121 Vgl. Janota, Studien, passim; Breslauer Hs. I. 8o. 113. Bl. 3a–4a; aus dem 15. Jahrhundert. 122 Das Lied wird häufig anders zitiert – nach Zeilen, die ihm vorangehen mit: Verbum caro factum est. So z. B. in Piae Cantiones, Greifswald 1582, 3. 123 Germ. Nat.-Museum Nürnberg Nr. 3910. WK II, Nr. 542. Hier zitiert nach Docen, Miscellaneen, 1. Bd., 286. 124 Mone teilt eine „verkürzte Bearbeitung“ aus einer Trierer Handschrift mit: „Mit diesen nuwen Jaire / so wirt vns offenbaire.“ Mone, Lateinische Hymnen II, 83 f. 125 Hier wiedergegeben nach von Fallersleben, Geschichte, Nr. 170, 317.

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Liedgeschichtliche Aspekte Liedgeschichtliche Aspekte

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Indem es in einer Trierer Handschrift von 1482 überschrieben ist mit: „Anni noui canticum“ wird das Lied vom Schreiber ganz deutlich den Neujahrs­liedern zugerechnet.126 Janota bemerkt jedoch zu Recht, dass sich die ausführliche Fassung des Liedes „nicht so genau auf einen Termin festlegen“ lässt.127 Dieser Meinung muss auch Wackernagel gewesen sein, der den lateinischen Text unter dem Titel „De nativitate Christi“128 und „In natali domini“129 aufführt. Das Lied findet sich ebenfalls im Gesangbuch „Geistliche Lieder und Psalmen“ 1567 von Leisentrit.130 Folgt man Hans Spanke, so handelt es sich hier um ein Weihnachtslied, das in Südfrankreich entstand. Bei der Übernahme des Liedes sei es zu einem Tanzlied umgeformt worden, indem der musikalische Bau verändert wurde.131 4.1.3

Deutschsprachige Hymnen, Weihnachtsspiele und Kindelwiegen

Das deutschsprachige geistliche Lied ist im ausgehenden Mittelalter weniger in der Liturgie (hier nur für Predigtlied belegt) als im außerliturgischen Bereich zu finden.132 So erklären sich wohl auch die vielen Übertragungen in die deutsche Sprache. Zur Frage, seit wann es im Volk eigene Lieder zum Neuen Jahr gibt, kann ein Beleg aus dem 8. Jahrhundert beitragen. Dass es zu der Zeit im deutschsprachigen Gebiet Brauch war, zu Neujahr Lieder zu singen, belegt indirekt ein Brief, den Bonifatius 742 n. Chr. an Papst Zacharias schrieb. Er beklagt sich darin, dass die Missionare in ihren Gebieten Bräuche verböten, die hingegen in Rom erlaubt seien: […] in die vel nocte, quando Kalende Januarii intrant, paganorum consuetudine choros ducere per plateas et adclamationes ritu gentilium et cantationes sacrilegas celebrare et mensas illa die vel nocte dapibus onerare.133 126 Vgl. Conrad Borchling, Mittelniederdeutsche Handschriften in den Rheinlanden und in einigen anderen Sammlungen (Vierter Reisebericht), (Nachrichten von der Königl. Gesell­schaft der Wissenschaften zu Göttingen, Phil. hist. Klasse 1913, Beiheft), Berlin 1913, 181. 127 Janota, Studien, 100, Anm. 440. 128 WK I, Nr. 264. 129 WK I, Nr. 265 f. 130 Gesangbuch Bautzen (Bussidin) 1567. 131 Vgl. Spanke, Tanzmusik, 166. 132 Vgl. Papsch, Spätmittelalterliche Frömmigkeit, 332. 133 MGH, Epist. III, 301. Die Antwort des Papstes macht deutlich, dass dieser ebenfalls für die Abschaffung dieser Bräuche ist, was cap. IX der römischen Synode von 743 n. Chr. zusätzlich unterstreicht. Vgl. Concilium Romanum I, cap. IX : Mansi, Sacrorum conciliorum nova, IX , 858.

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Für das erste Viertel des 14. Jahrhunderts findet sich ein Beleg zu Neujahrsliedern in Heinrich Seuses Bericht über seine Jugendzeit – allerdings ohne Nennung von Beispielen. Der Mystiker schildert, dass in Konstanz, wo er aufgewachsen ist, und in anderen schwäbischen Orten, die männliche Jugend in der Nacht bei Jahresbeginn ausging. Die jungen Burschen trugen bei ihrem Umzug Lieder und Sprüche vor, mit denen sie bei ihren Mädchen um Kränze warben: Als ze Swaben in sinem lande an etlichen steten gewonlich ist an dem ingendem jare134, so gand die jungling dez nahtes us in unwisheit135 und bitent dez gemeiten136. daz ist sú singend lieder und sprechent schönú gediht und bringent es zů, wie sú múgent mit hoflicher wise, daz in ire liep schapel137 geben.138

Das bekannte „Puer natus in Bethlehem“ (1320, Prager Handschrift) wird von Heinrich von Laufenberg 1439 ins Deutsche übertragen. Es heißt nun: „Ein Kind geborn zu Bethlehem“. Dass Weihnachten für ihn zugleich Neujahrsfest ist, belegt der Refrain: „Frewet euch mit reichem schall, zu diesem newen Jahr“.139 Im Jahr 1520 berichtet Johannes Bohemus, dass man sich am Neujahrstage gegenseitig Glück wünschte und dass Geschenke verteilt wurden, wobei er gleichzeitig den Bezug zu alten römischen Festbräuchen feststellt:140 Kalendis Ianuarij, quo tempore et annus et omnis computatio nostra inchoatur, cognatus cognatum, amicus amicum accedunt et consertis manibus inuicem in novuum annu(m) prosperitatem imprecantur diemque illum festiua co(n)gratulatione et comporatione deducunt. Tunc etiam ex auita consuetudine ultro citroque munera mittu(n)tur, quae a Saturnalibus, quae eo tempore celebrabantur, a Rho­ ma­nis Saturnalitia, a Graecis Apophoreta dicta sunt.141 134 Mit „ingendem jare“ ist das beginnende Jahr, also Neujahr gemeint, wie es auch aus dem Kontext des Zitates hervorgeht. Holtorf ergänzt den Hinweis, dass ein weiterer Brauchtermin Mittsommer sein konnte. Vgl. Holtorf, Neujahrslied, 382. 135 Torheit. 136 Um Liebeslohn bitten. 137 Kopfschmuck: Kranz aus Blumen oder Metall. 138 Seuse, Deutsche Schriften, 26. Um den Schapel wird in einem Wettstreit gesungen – es kann auch ein Lieder- oder Rätselwettstreit gewesen sein. Vgl. Holtorf, Neujahrslied, 382. Der genaue Ablauf dieses Wettsingens ist uns leider nicht überliefert. 139 Zu finden in „Froß Catholisch Gesangbuch“ 1625 vom Göttweiger Abt David Gregor Corner. 140 Johannes Bohemus, „Mores leges et ritus omnium gentium“, 1520. 141 Text nach Johannes Bohemus, Omnivm Gentivm Mores, Lege & Ritus ex multis clarissimis reru(m) scriptoribus, a Ioanne Boemo Aubano Teutonico nuper collecti, et nouissime recogniti. Tribus libris absolutum opus, Aphricam, Asiam, & Europam describentibus. […], Antverpiae […] AN. M. D. XXXVII, 99 f. (In der Ausgabe von 1520 begann das Zitat mit der später korrigierten Angabe „Kalendis Decembris“) Übersetzung des Zitates: „Am ersten Januar, mit dem das Jahr und unsere ganze Zeitrechnung beginnt, sucht der Verwandte den Verwandten, der Freund den Freund auf. Man reicht sich die Hand,

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Liedgeschichtliche Aspekte Liedgeschichtliche Aspekte

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Neben den deutschsprachigen Gesängen, die bei außerliturgischen Andachten, bei Prozessionen und Bittfahrten erklangen142, gab es auch welche für drama­ tische Aufführungen an den höchsten Feiertagen. Weihnachtsspiele und sogenannte Kindelwiegenspiele beinhalten Lieder, die in unserem Zusammenhang interessant sind. Leider sind nur wenige Handschriften erhalten, die Aufführungen von mittelalterlichen Spielen wieder­ geben. Als ein Beispiel sei hier aber das Sterzinger Weihnachtsspiel genannt, das im Jahr 1511 aufgezeichnet wurde, wobei es durchaus älter sein könnte. In ihm rahmt das „Resonet in laudibus“ als Gesang der Engel das Geschehen. Im Verlauf der Feier wechseln deutsche und lateinische Gesänge und Maria und Joseph singen die deutschen Wiegenliedstrophen.143 Neben den Weihnachtsspielen wird das „Kindelwiegen“ beschrieben. Ursprünglich wurde es in Klöstern und vom Klerus durchgeführt (Ersterwähnung 1161/62 für das Augustinerchorherrenkloster Reichersberg in Österreich) und ist im 14.  Jahrhundert dann auch Brauch bei Nonnen und Beginen; ab dem 15. Jahrhundert geht er in bürgerliche Kreise über.144 Zum Kindelwiegen wird im Kirchenschiff eine Wiege aufgestellt. Diese wird gewiegt, im Reigen umtanzt, und es werden Lieder gesungen. Das Kindelwiegen zeigt auch beispielhaft, wie ein Festbrauch, den ursprünglich Erwachsene ausübten, auf Kinder übergeht. Denn es handelt sich um ein ausgelassenes Treiben, das man mit der Zeit Erwachsenen nicht länger zubilligte, während man den Kindern die Freude liess. Zwei Beschreibungen des Kindelwiegens sind uns aus dem 16. Jahrhundert erhalten. Die eine stammt von Johannes Bohemus aus dem Jahr 1520: Wie freudig die Geburt Christi in der Kirche nicht nur vom Klerus, sondern auch vom ganzen Volk begangen wird, kann man aus folgendem ersehen. Man stellt auf den Altar ein Knabenfigürchen, das den Neugeborenen darstellt. Die Buben und Mädchen führen im Kreis einen Reigentanz auf; und die älteren Leute singen dazu in einer Art, die sich nicht viel von der Weise unterscheidet, in der einst die Kory-

wünscht sich gegenseitig Glück zum Neuen Jahr und verbringt den Tag mit feierlicher Beglückwünschung und heiterer Unterhaltung. Nach uraltem Brauch werden auch Geschenke gewechselt, welche nach den Saturnalien, die in dieser Zeit gefeiert wurden, von den Römern Saturnalicien, von den Griechen αποφόρητα genannt wurden.“ Faßnacht, Volksbräuche, 158. 142 Vgl. Bünger, Neujahrsfeier, 74. 143 Vgl. Berthold, Kindelwiegenspiele, 217. 144 Der Brauch war im Mittelalter und der frühen Neuzeit weit verbreitet. Er ist auch in Nonnenklöstern und Schwesternhäusern von Schleswig Holtstein bis hin nach Süddeutschland und Böhmen und in den Osten bis nach Schlesien nachgewiesen. Vgl. Koldau, Frauen – Musik – Kultur, 725, Anm. 390.

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Ursprung und Hintergrund der kirchlichen Neujahrslieder

banten in der Höhle auf dem Idaberge um den wimmernden Jupiter nach der Sage frohlockt haben.145

Der zweite Beleg stammt von Enoch Widmann, der in seiner Chronik der Stadt Hof in Franken berichtet und explizit die zum Brauch verwendeten Lieder nennt: Am heiligen christtag zur vesper, da man nach alter gewonheit das Kindlein Jesu wiegete (wie mans nennet) und der organist das resonet in laudibus, in dulci ­jubilo, item Joseph lieber Joseph mein! schluge, auch der chor darauf sunge und sich solche gesenge wegen ihrer proportion etlicher massen zum tanz schicketen, da pflegten die Knaben kleine Mägdlein in der kirchen aufzuziehen und umb den hohen altar zu tantzen, welches wol alte betagte kappen theten, den jungen vortanzeten, sich der frohlichen, freudenreichen geburt Jesu Christi nach euserlicher grober weis dadurch zu erinnern.146

Als wichtige Lieder für den Brauch des Kindelwiegens sind uns somit „Resonet in laudibus“, „In dulci Jubilo“ und „Joseph, lieber Jospeh mein“ überliefert. Der beschriebene Tanz wurde „Pomwitzel-Tanz“147 genannt. Kohler zeichnet zwei Linien nach, die zu dem Brauch des Kindelwiegens mit Tanz führten: eine entstammt den Volksbräuchen (Weihnachtstanz, Wiegenlieder) und eine der kirchlichen Tradition (ab dem 4. Jahrhundert von Bethlehem ausgehende Krippenszene, aufgenommen in den mystischen Bräuchen von Frauenklöstern, mit Christuskindfiguren, so dass die Wiegenfeier in der Kirche des Spätmittelalters bekannt und sehr beliebt war).148 Des Weiteren geht Kohler davon aus, dass die Tänze zur Weihnacht ursprünglich von Erwachsenen aufgeführt wurden, ebenso wie der vor der Kirche vollführte Lobetanz149. Wie er auf die Kinder überging, versucht Kohler folgendermaßen zu erschließen: Die Vorgänge setzen voraus, daß die altüberliefert-weltlichen Weihnachtstänze im 14. und 15. Jahrhundert in sozialen Schichten gepflegt wurden, in denen der ursprüngliche Sinn schnell verfallen war. Bei zunehmender behördlicher Strenge mußten sie wegen Verstößen gegen die öffentliche Ordnung untersagt werden; sie konnten sich später nur noch in abgelegenen Bezirken in Restformen erhalten oder waren die Verbote der Auftakt für den Wechsel zum Kinderspiel, und als solches fand der Brauch den Weg in den kirchlichen Bereich, wo ihm ein neuer Inhalt gegeben wurde.150 145 Übersetzung von Faßnacht, Volksbräuche, 157 f. 146 Zit. nach Josef Dünninger, Fränkische Weihnacht. In: Frankenland. Zeitschrift des Frankenbundes 6/1960, 197–229.207. 147 Zu Pomwitzel vgl. Kohler, Luther und der Festbrauch, 78. 148 Vgl. Kohler, Luther und der Festbrauch, 78 f. 149 Tanz, der seit der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts v. a. in Hessen, in Thüringen und Meissen beliebt war. Vgl. ebd., 78, Anm. 42. 150 Ebd., 79.

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Liedgeschichtliche Aspekte Liedgeschichtliche Aspekte

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Weihnachtsspiele und Kindelwiegen waren so durchaus Festlichkeiten, die Erwachsene gestalteten, bis sie zu etwas wurden, das nur noch Kinder ausübten bzw. ausüben durften. Als Kinderspiele gehören sie bis heute zur kirchlichen Festbegehung.151 4.1.4

Geistliche Lieder

Vor der Zeit der Reformation war der einzig berechtigte Gesang im Gottesdienst der Kirche der lateinische von Klerus und Schola. Nur in Ausnahmefällen durften deutsche Gesänge lateinische ersetzen; ansonsten erklangen sie eigenständig und wurden keineswegs als gleichberechtigt zum lateinischen Gesang angesehen. Die deutschsprachigen Gesänge waren in Verbindung mit Sequenzen und der Predigt neben dem Choral geduldet152 mancherorts sogar gefördert153. Auf der Suche nach ersten Neujahrsliedern, wird man unter den Leisen der Anfangszeit bis ins 12. und 13. Jahrhundert hinein nicht fündig.154 In der Meister- und Flagellantenpoesie gibt es nur einige wenige Belege, bis man schließlich in der Mystik auf aussagekräftigeres Material stößt. Der erste deutschsprachige Gesang am Neujahrsfest gilt dem Namen Jesu. Es handelt sich um eine Übersetzung des „Jesus dulcis memoria“155, das die Tradition Bernhard von Clairvaux zuschreibt, das aber wohl von einem unbekannten Autor156 im Geiste Bernhards geschrieben worden ist.157 Die älteste datierte Handschrift, die das lateinische Original wiedergibt, stammt aus dem Jahre 1267, der älteste undatierte Text dürfte in den letzten Jahren des 12. Jahrhunderts aufgezeichnet worden sein.158 151 Weihnachtsspiele mit Kindern sind heute sehr weit verbreitet. Das Kindelwiegen hingegen wird als fröhlicher und musikalisch-tänzerischer Brauch im Kirchenraum derzeit wiederentdeckt. In der Kirche St. Gertrud in Klosterneuburg wurde zu Jahresbeginn 2013 zum zweiten Mal der Brauch des Kindelwiegens wiederbelebt und fand regen Anklang. 152 Bünger, Neujahrsfeier, 74. 153 Vgl. Praßl, der für die Region Salzburg zwei Bücher mit der Ordnung der Liturgie anführt: Der „Liber ordinarius“ eines gewissen Mengotus und ein weiterer „Liber ordinarius“ aus dem späten 12. Jahrhundert. Vgl. Praßl, Mittelalter, 36. 154 Bünger, Neujahrsfeier, 74. 155 Fassungen wie „O Jesu süß / wer dein gedenckt“ und „Jesu wie süß, wer dein gedenckt“ wurden konfessionsübergreifend rezipiert.Vgl. Gruber, Clemens Brentano, 168. 156 Vgl. Wilmart, Jubilus, 222–226. Er kommt durch die Beschäftigung mit dem Textbefund und dem Textinhalt zu der Annahme, dass der Autor ein Zisterzienser des 12. Jahrhunderts aus der Gegend von Yorkshire gewesen sein könnte. 157 Zur Verfasserfrage, einer Analyse und Interpretation des lateinischen Textes vgl. Gruber, Clemens Brentano, 155–168. 158 Vgl. Wilmart, Jubilus. Es ist die Handschrift Paris, B. N. Fr. 25408. Der undatierte Text ist bei Wilmart Nr. 52 aufgeführt und entspricht Oxford B. L., Laud. Misc. 668.

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Ursprung und Hintergrund der kirchlichen Neujahrslieder

Das vielstrophige Lied159 wird vom römischen Brevier in drei Einzelhymnen unterteilt und für das Stundengebet der Mönche meist noch weiter zergliedert, so dass mit jeder Stunde eine möglichst gleiche Anzahl von Liedstrophen verbunden ist.160 Die deutschsprachigen Übersetzungen kommen im späten Mittelalter auf161 und sind zahlreich. Die wohl älteste Übertragung ist „Nie wart gesungen süzer gesanc“ in einer Münchner Handschrift des Jahres 1347162. Sie umfasst elf Strophen des Originals. Im gleichen Jahrhundert finden sich weitere Lieder zum dem Motiv des „süßen Namens“, wie „An gesum gedenken ist suesekeit“, „Har gesu gat in paradis“ (mit einer lateinischen Anfangsstrophe) und „Christ, dines geistes sue­sicheit gip mir gereit“163 sowie „Christ, dînes geistes süezekeit machet die sêle viel gemeit“164 (siehe hierzu auch weiter unten den Exkurs: Zur Beschneidung und dem Namen Jesus). Die deutsche Übersetzung des Hymnus „Jesu dulcis memoria“, dessen ältester undatierter Beleg aus den letzten Jahren des 12. Jahrhunderts stammt165, wurde, wie Gruber beschreibt, zunehmend zu dem Namen Jesu in Beziehung gesetzt.166 Während die Belege aus dem 13. Jahrhundert in England und Frankreich diese Verbindung nicht herstellen und die Titel noch allgemein gehalten von „Oratio“, „Contemplatio“ und „Meditatio“ sprechen, erscheint der Name Jesu erstmalig Ende des 13. Jahrhunderts in einer Handschrift aus Einsiedeln.167 Das Motiv des Namens klingt auch noch im 15.  Jahrhundert vielfach an, in neuen Übersetzungen oder Nachbildungen, die bisweilen auch auf niederdeutsch verfasst sind.168 Ein selbständiges Lied der Zeit ist „Ihesus ist ein süesser

159 Eine lateinische Fassung mit fünfzig Strophen bietet Wackernagel, Kirchenlied, I., Nr. 183, 117–119. 160 Vgl. Gruber, Clemens Brentano, 159 f. 161 Aus dem 14. Jahrhundert stammen die frühesten Übersetzungen: „Nie wart gesungen­ süzer gsanc“ (Hss. München Cod. Germ. 717,4 auf das Jahr 1347 datiert) und „Jesu dulcis memoria/An gesum gedenken ist suezekeit“ (Hs. Hasel, XI, 8). Auch zu finden bei Bremme (Hg.), Hymnus Jesu dulcis Memoria, Mainz 1899: Hymnus, Nr. 1, 313. Außerdem Nr. 2 und 3, 114 f. 162 Wackernagel, Kirchenlied, II ., Nr. 488. 163 Ebd., Bd. II, Nr. 495. 164 Von Fallersleben, Geschichte, 92. 165 Vgl. Gruber, Clemens Brentano, 155. 166 Die Verbindung des Hymnus mit dem Namen Jesu wird allerdings erst 1721 festgeschrie­ ben. Papst Innozenz XIII . setzte die Feier des Namen Jesu als offizielles Fest ein und bestimmte den 2. Sonntag nach Epiphanias dazu. „Später wurde dieses Fest am 2. Januar begangen. Damit wurde der Hymnus zu einem Weihnachts- oder genauer zu einem Neujahrslied.“ Ebd., 160. 167 Nr. 13 bei Wilmart. 168 Vgl. Bünger, Neujahrsfeier, 75.

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Liedgeschichtliche Aspekte Liedgeschichtliche Aspekte

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nam“169, das eine weite Verbreitung fand, aber auch sehr häufig umgeändert wurde. Die „Süßigkeit“ des Namens entspringt der mittelalterlichen Mystik. Sie steht für die Empfindung unsagbarer Freude; die „Süße geht von Gott aus und teilt sich dem Menschen mit, der in der Erfahrung der Süße wiederum auf Gott bezogen ist.“170

4.2

Brauchtums- und Volksgesänge

4.2.1

Heische- und Anklopflieder

Die Lieder, die dem Volksbrauch gemäß an Neujahr gesungen werden, tragen Bezeichnungen wie Anklopflieder, Klopfanlieder, Klöpfellieder oder Neujahrsansingelieder. Wo mit den Liedern um Geld oder milde Gaben gebeten wird, gehören sie zu der großen Gruppe der Heischelieder, die im Verlauf eines Jahres zu verschiedenen Gelegenheiten gesungen werden. Es zählen dazu Lieder der Sternsinger am Dreikönigstag, Lieder für das „Schnörzen“171 an St. Martin sowie manche Nikolaus- und Weihnachtslieder.172 Die Lieder zum neu anbrechenden Jahr wurden von Gruppen, die von Haus zu Haus zogen, um die Weihnachtszeit herum oder am Neujahrstag gesungen; für den Neujahrsabend ist der Brauch seit Beginn des 13. Jahrhunderts belegt173, geht aber auf viel ältere Traditionen zurück. Gruppen von Neujahrssängern ziehen umher und singen den Einwohnern der Häuser gute Wünsche zu – weshalb man auch von „Ansingen“ spricht. Manche Lieder sind sehr umfassend und bestehen aus einer Vielzahl von Strophen174, die auf einzelne Bevölkerungsgruppen, Zivilstände und Ämter zugeschnitten sind. Sie eignen sich daher nicht zur Gänze für den Gesang vor einem Haus, und es werden Strophen ausgewählt, die zu den jeweiligen Haus­bewohnern passen: Für den Bürgermeister erklingen die Strophe zur

169 Vor allem im 17.  und 18.  Jahrhundert ist es in katholischen Gesangbüchern weit verbreitet, es wird im Zuge der aufklärerischen Gesangbuchrevisionen dann verdrängt. In­ Dreves Gesangbuch, Freiburg i. Br. 1885, findet sich ein Wiederbelebungsversuch. Man trifft es in katholischen Gesangbüchern nach dem Zweiten Weltkrieg vereinzelt noch an, ab 1975 mit dem Gotteslob dann nicht mehr. 170 Lorbeer, Sterbe- und Ewigkeitslieder, 404. 171 Bezeichnet den regionalen Brauch, dass Kinder von Haus zu Haus ziehen und für ihre Lieder an der Tür Süssigkeiten erhalten. 172 Eine ausführliche Untersuchung der gebräuchlichen Heische- und Ansingelieder hat Heinrich Siuts in seiner Habilitation vorgelegt. Vgl. Siuts, Ansingelieder. 173 Vgl. Strobach, Deutsche Volkslieder II, 348. 174 Holtorf kennt Beispiele mit über 50 zweizeiligen Strophen. Vgl. Holtorf, Neujahrslied, 370.

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Ursprung und Hintergrund der kirchlichen Neujahrslieder

Obrigkeit – den Eheleuten, den Jungen und Kranken die ihnen entsprechenden Strophen.175 Neben diesen besonders langen Liedern gibt es aber auch besonders kurze, wie beispielsweise folgendes, das im 15. Jahrhundert von Kindern und Erwachsenen gesungen wurde: Gebt uns eine Gabe zu diesem neuen Jahre, heuer einen Pfennig, übers Jahr einen Schilling! (Nach Empfang der Gabe): Froh, Herr, froh!176

Diesem Beispiel ähnliche Lieder sind uns durch Zitate in Predigten des 15. Jahrhunderts überliefert, so dass wir noch Kenntnis von ihnen haben.177 Der Quellenbestand ist nicht sehr umfassend, aber er lässt den Schluss zu, dass mitunter Heischelieder und profane Neujahrslieder zum Ausgangspunkt einer Neujahrspredigt gemacht wurden.178 Ein besonderes Motiv, das in verschiedenen Variationen in Neujahrsliedern und Neujahrsglückwünschen erscheint, ist das Wünschen von goldenen Gegenständen179. So wird dem Hausherrn ein goldener Tisch gewünscht, oder eine goldene Schnur erbeten, die um das Haus gehen soll.

175 Vgl. Escher, Dorfgemeinschaft und Silvestersingen, Basel 1947. 176 Vgl. Siuts, Ansingelieder, 52. Siehe dazu auch die Ausführungen von Kohler, Luther und der Festbrauch, 85. Den Ausruf „Froh, Herre, froh!“ deutet Holtorf als Dankesformel und zieht eine Parallele zu Freudenrufen des geistlichen Liedes, am Beispiel von „Als ich bei meinen Schafen wacht“. Dort heißt es in der Schlusswendung des Refrains: „froh, froh, froh, benedicamus domino.“ Vgl. Holtorf, Neujahrslied, 375. Damit dürfte es sich bei dem Lied um einen Benedicamus-Tropus handeln. 177 Vgl. Klapper, Neujahrsliedchen, 215–218. Eine der Predigten („Sermo de novo anno“) wurde kürzlich durch Dietrich Kurze zugänglich gemacht, in der das Lied „Volge, kynt, volge“ zitiert wird, dessen Schlusswendung die oben genannten Zeilen mit dem „froh, Herre, froh“ sind. Der Sermon befindet sich in einer Handschrift, die etwa aus dem Jahr 1440 stammt: Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin, Theol. Lat. Qu. 288, fol. 33ra bis 33vb. Zum Wortlaut der Predigt siehe Kurze, Neujahrslied und Neujahrs­ predigt, 25–27. Außerdem gibt Kurze fünf Variationen des „volge, kint, volge“ aus Berlin, Breslau und Leipzig wieder (ebd., 28–30). 178 Kurze, der eine Predigtsammlung aus Berlin und einzelne Predigten aus Schlesien und der Oberlausitz untersucht, vermutet hierzu, dass „die mittelalterliche Kirche, hier vertreten in deutschen Predigern, Neujahrsliedgut verwendet – wohl mit der Intention, bei den Angesprochenen kommunikative Vertrautheit zu schaffen und sie so aufzuschließen für den Heilsweg, dessen Zielrichtung schon im profanen Gesang entdeckt werden konnte.“ Kurze, Neujahrslied und Neujahrspredigt, 19.  179 Vgl. Hünnerkopf, Art. „Gold, golden“.

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Liedgeschichtliche Aspekte Liedgeschichtliche Aspekte

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Brauchtumsträger sind Gruppen, die singend von Haus zu Haus ziehen: Es sind Kinder, Schüler, (Handwerks-)Burschen, Gemeinde- und Kirchendiener, Hirten, Nachtwächter und andere, die einzeln oder gemeinschaftlich umherziehen.180 Ihre Lieder, von alter Tradition, sind mündlich überliefert. Doch „wo kirchliche Institutionen Einfluss auf solche Bräuche hatten, wurden geistliche Lieder verwendet, die u. a. im Zuge der Gegenreformation für die kirchliche Neujahrsfeier geschaffen wurden.“181 Geistliche Ansingelieder sind im Mittelalter vorwiegend von Lateinschülern gesungen worden. Auf diese Form des Broterwerbs oftmals sehr angewiesen, haben sie den Heischetermin des Neujahrs ebenso wie andere Gruppen genutzt. In Klosterabrechnungen des süddeutschen Raumes sind Eintragungen über Beträge zu finden, die zur Jahreswende an heischende Schüler und ihre Lehrer ausbezahlt wurden.182 Da aber auch Gruppen aus Klöstern diesen Brauch nutzten, um ein Zubrot zu erwerben, sind in den Klosterhaushaltsbüchern auch Einnahmen durch die eigenen Ansinger verzeichnet.183 Diese Gruppen wurden als „Göller“ oder „Goldner“ bezeichnet.184 Bis heute hält sich das Ansingen als Brauch der Silvesternacht oder des Neujahrstages, mancherorts wird es neu belebt.185 Wo die Brauchträger Berufsgruppen waren, die in manchen Gegenden nach und nach ausstarben, verschwand mit ihnen auch das Ansingen bzw. Heischen.186 Gegenden, in denen sich das Neujahrssingen bis heute halten konnte, sind in Deutschland beispielsweise der Harz, das Sauerland und die Lüneburger Heide. In Norddeutschland findet weiterhin das Rummelpottsingen statt. In der Schweiz ist das Neujahrssingen nur in wenigen Regionen oder Orten zu finden. So z. B. in St. Antönien, in Rheinfelden (als Brunnen-Singen187) und einzelnen Alpentälern. Zu den Gegenden in Österreich, in denen sich der Neujahrssingebrauch bis heute gehalten hat, gehören: das Burgenland, Niederösterreich, die Steier180 Vgl. Haid, Art. Neujahr, 1603. 181 Ebd. 182 Vgl. Holtorf, Neujahrslied, 372. 183 Vgl. u. a. die beiden Belege bei Holtorf, Neujahrswünsche, 209. 184 Holtorf leitet diese Bezeichnungen vom mhd. „gellen“, also laut tönen, ab und nimmt an, dass diese Gruppen mit lauten Glocken unterwegs waren. Vgl. ebd., 209 f. 185 So z. B. in Diessenhofen bei Schaffhausen/CH . 186 So z. B. in Mecklenburg-Vorpommern aufgrund der veränderten ökonomischen Situation. Vgl. Müns, Brautkrone bis Erntekranz, Rostock 2002, 56. 187 Die Tradition geht auf das Jahr 1541 zurück, in dem die Stadt von der Pest heimgesucht wurde. Das Singen findet an den Brunnen statt, da man damals verseuchtes Wasser als Grund für die Pest vermutete. Die Sänger sind zwölf Männer der Sebastiani-Bruderschaft, die sowohl an Heilig Abend als auch in der Silvesternacht durch die Stadt ziehen, um an den Brunnen zu singen.

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Ursprung und Hintergrund der kirchlichen Neujahrslieder

mark, das Salzkammergut, Kärnten und einige Täler Südtirols; es werden über­ wiegend geistliche Lieder gesungen.188 Die Verdrängung althergebrachter Wunsch- und Heischelieder ist in Nordtirol zu beobachten. Dort wurde das ältere Liedgut weitgehend durch christliche Lieder ersetzt. Siuts hat festgestellt, dass das Neujahrssingen einen sehr verbreiteten Brauch darstellt, der in vielen Nationen zu finden ist. Ein „Ursprung“ lässt sich nicht ermitteln. In seiner Untersuchung kann Siuts zudem zeigen, dass im deutschsprachigen Raum einige Lieder nur in ganz bestimmten Gegenden, manche hingegen weiträumig zu finden sind, d. h. dass einige Lieder von Ort zu Ort getragen wurden und Aufnahme in entfernteren Gebieten fanden, während andere in einer Gruppe bzw. einem Ort entstanden und diese oder diesen nicht verlassen haben.189 Auch ist anzunehmen, dass manche Lieder mit Tanz verbunden waren.190 In enger Verwandtschaft zum Neujahrssingen stehen weitere Ansingebräuche, die in großer zeitlicher Nähe oder sogar überschneidend gepflegt werden. So gibt es in Tirol die Klöpfelnächte191 und auch im Fränkischen ist der Brauch bekannt, wo der letzte Klöpfeltag „Gutheil-Tag“ genannt wird.192 Man singt „Klopfans“193.

188 Vgl. Haid, Neujahr, 1603. 189 Ähnliches beobachtet Holtorf in Bezug auf ein Lied der „Kästräger“. Dieses Lied in einer Mischung aus Deutsch und Latein habe sich im Ansingebrauch des Jahreswechsels erhalten können, da es von einer exklusiven Gemeinschaft getragen wurde. Vgl. ­Holtorf, Neujahrslied, 375. Der Liedtext lautet: „Eja, Eja, voll der Freuden / Cunctis, cunctis­ laudibus, / Laetamendo wir uns zeigen / Initio anni honoribus, / Hochdenselben anzusingen / Ein fröhlich Jahr sine termino / Alle Gaben von dem Himmel / Gratulamur saeculo.“ Zu finden in: Haager, Vortrag, 86 f. 190 Haid, Neujahr, 1603. 191 „In superiore Germaniae parte, ea praecipue quae ad Almonam flumen vergit marchionatu Onolsbacensi comprehensa, cujus incolae plurimas gentilismi reliqiuas retinent, tempore adventus Christi sive media hieme (am Anklopferleinstag) vulgus per vias et pagos currit malleisque pulsat fores et fenestras indesinenter clamens; ‚Guthyl Guthyl!‘ quod quidem non salutem per Christi adventum partam indicat, quasi gut heil, bona salus; multo minus fictitiam sanctam Günthildem, quam rustici illius tractus mivis fabulis ac nugis celebrant: sed nomen ipsum visci est.“ Johann Georg Keysler, Antiquitates selectae Septentrionales et Celticae… cum figuris, Hannover 1720, 307. 192 Siuts, Ansingelieder, 153. 193 Das geistliche Klopfanmotiv ist Offb 3,20 entnommen und war im 14. und 15. Jh. sehr populär. Es existieren Klopfandarstellungen in Gebetbuchbildern, die das Jesuskind zeigen, das an das menschliche Herz klopft. Als Beispiel abgebildet sei die etwas jüngere Darstellung des Jesusknaben vor der verschlossenen Herzenspforte (Hieronymus Wierix um 1595; Abb. I im Anhang). Im Bilderkreis des Jesuskindes und der minnenden Seele hat sich dieses Motiv noch bis ins 17. und 18. Jahrhundert erhalten. Die etwas andere Darstellung des an das Tabernakel klopfenden Kindleins („Tabernakelklopferle“)

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Liedgeschichtliche Aspekte Liedgeschichtliche Aspekte

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Das Singen von „Rummeltopfliedern“, vorwiegend in Norddeutschland, ist auch zu diesen Bräuchen zu zählen. Moser nimmt an, dass aus dem Neujahrssingen am 6. Januar (noch „Großneujahr genannt) im 16.  Jh. das Sternsingen hervorgegangen ist.194 Denn mit den älteren Wunschstrophen werden geistliche Erzähllieder zu den vier Hauptstücken verbunden, derer man an dem Fest gedachte. Diese vier Hauptstück sind: die Taufe Jesu, die Hochzeit zu Kanaa, das Fest der Erscheinung und die Ankunft der Magier oder Weisen. Es gibt zahlreiche Belege, auch schon aus früher Zeit, die festhalten, dass das heischende Neujahrssingen nicht überall gerne gesehen war. Der früheste Beleg stammt aus dem Jahr 1308, aus der Polizeiverordnung der Stadt Nordhausen.195 Des Öfteren kam es zum Missbrauch des Singens, um Gaben zu erbetteln. Der Anstoß, der daran genommen wurde, führte dazu, dass das Singen in manchen Gegenden stark zurückging196 oder ausstarb. Ein Rätschlied197 sei hier noch genannt, das den Namen Jesus mit dem neu anbrechenden Jahr verbindet, wenn es auch im Saarland zum Osterfest, respek­ tive an den Kartagen198 verwendet wurde:

ist auch Ende des 19. Jahrhunderts noch ein begehrtes Devotionalienbild. Vgl. Spamer, Andachtsbild, 16 f. Im protestantischen Kirchenlied ist das Anklopfmotiv ebenfalls zu finden: z. B. in Str. 3 von „Ich habe nun den Grund gefunden“ (Johann A. Rothe; EG 354): „Wir sollen nicht verloren werden, / Gott will, uns soll geholfen sein; / deswegen kam der Sohn auf Erden / und nahm hernach den Himmel ein, / deswegen klopft er für und für / so stark an unsers Herzens Tür.“ Oder auch in der heute ausgesonderten 2. Strophe des „Schmücke dich, o liebe Seele“ (EG 218) von Johann Franck: „Dürstend nach dem Himmelssegen eile deinem Herrn entgegen, der mit süßen Gnadenworten klopft an deines Herzens Pforten; eile, sie ihm aufzuschließen, wirf dich hin zu seinen Füßen.“ 194 Vgl. Moser, Liedimmanenz, 73. Die Dreikönigslieder sind in Österreich ab 1520 allenthalben zu finden. Vgl. Haid, Neujahrssingen und Neujahrslied, 20. 195 Bei Holtorf sind mehrere Belege zusammengetragen, die das Neujahrssingen in Verbindung mit Bitte um Gaben oder Geschenke verbieten. So im Statutenbuch der Stadt Schaffhausen 1385, im Memminger und dem Ravensburger Stadtrecht (14. Jh.) sowie dem Saalfelder Stadtrecht (1400) und anderen. Vgl. Holtorf, Neujahrswünsche, 203 f. 196 „Das Neujahrssingen ist seit einigen Generationen stark im Rückgang begriffen, zumeist wohl, weil das damit verbundene Betteln als lästig empfunden wurde. Doch ist es gewiß bedauerlich, wenn vereinzelte Mißbräuche einen in sich schönen Brauch zerstören, der die Verbundenheit des Einzelnen mit der Dorfgemeinschaft betonte.“ Künzig, Neujahrslieder, 247. 197 Da in der Karwoche kein Glockengeläut stattfinden darf, wird mit Klappern und Ratschen gelärmt. Der Gebrauch der Klapper im kirchlichen Dienst ist erstmals für das 9.  Jahrhundert belegt; gelärmt wurde im 16.  Jahrhundert während der Gottesdienste an den drei Tagen vor Ostern. Vgl. Kohler, Luther und der Festbrauch, 121 und Anm. 41. 198 Eine Reminiszenz an Ostern als Jahresbeginn?

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Ursprung und Hintergrund der kirchlichen Neujahrslieder

Wohlauf im Namen Jesu Christ Das neue Jahr vorhanden ist (das neue Jahr das wird euch wahr, drum wünsch ich euch allen ein gutes neues Jahr, ein gesegnetes Jahr, ein fruchtbares Jahr.)199

In Württemberg, Baden und Galizien wird das Lied am 1.1., im Schweizer Kanton Glarus am 31.12. gesungen.200

4.2.2 Nachtwächtergesänge Eine besondere Form der Neujahrslieder findet man unter den Gesängen der Nachtwächter in Städten des Mittelalters bis hinein in unsere Zeit. Nachwächterlieder sind bisher kaum erforscht. Die einzige umfangreichere Zusammenstellung überwiegend mündlich gesammelten und ihm zugesandten Materials liefert Josef Wichner.201 Nachtwachen haben ihren Ursprung im militärischen Bereich. Sie sind bereits bei den Griechen und Römern bekannt. Mit größeren Siedlungen werden Nachtwächter auf Türmen eingesetzt und weitere, die durch die Gassen gehen.202 In den Städten hatten Nachtwächter und Türmer die Aufgabe, die Stadttore zu bewachen, für Ruhe zu sorgen, Störenfriede und Diebe festzunehmen, Feuer­ wache zu halten und zur Vorsicht vor Bränden zu mahnen.203 Ein Nachwächter hatte vielerorts im Sommer bis um 3 Uhr morgens, im Winter bis um 5 Uhr morgens seine Rundgänge zu machen. Diesen Dienst versahen wenig begüterte Männer, und die Arbeit besaß kein hohes Ansehen: In der Bewertung durch die geschlossenen Innungen und Zünfte galten Nachtwächter als ebenso ehrlos wie Zöllner, Totengräber, Scharfrichter und Schinder, weshalb ihre Söhne kein Handwerk erlernen durften.204

199 Siuts, Ansingelieder, 204. 200 Ebd., 204 f. 201 Wichner, Stundenrufe. Wissenschaftlichen Kriterien genügt die Sammlung allerdings kaum. 202 Sprachhistorisch weisen mehrere Formen darauf hin, dass es das Wächteramt schon früh gab: Im Gotischen ist vom „wardja“ – Wärter – die Rede, im Althochdeutschen ist der Wächter als „wahtâri“ bekannt und im Mittelhochdeutschen als „wahtaere“. Vgl. Schade, Klopfan, 685. 203 Ihre Aufgaben übernahmen später die Polizei und die Feuerwehr. 204 Vgl. Wichner, Stundenrufe, 18. Wichner weist an gleicher Stelle darauf hin, dass erst das Reichsgesetz von 1731 Nachtwächter und andere Berufsgruppen den übrigen Bürgern gleichstellte.

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Türmer und Wächter verbanden ihren Dienst mit Gesängen. Das belegt schon früh ein Lied aus dem 13. Jahrhundert. Es zeigt, dass der Türmer die Aufgabe hatte, das Anbrechen eines neuen Tages kundzutun, und er diesem Auftrag durch lauten Gesang nachkam: Der wechter uf der zinne saz, Sine tageliet er sanc, Daz im sin stimme erklanc Von grozem done. Er sanc: „ez taget schone, Der tag, der schinet in den sal, Wol uf, ritter, uber al, Wol uf, ez ist tag!205

Mit Einführung der Uhren (die erste Turmuhr gab es 1364 in Augsburg)206 kam die Aufgabe hinzu, die Stunden auszurufen. Auch aus diesen Stundenrufen wurden vielerorts Gesänge, die weithin hörbar nun nicht nur Wachsamkeit anmahnten, sondern auch die Uhrzeit mitteilten. Es gibt viele Liedbeispiele, in denen die Ausrufe der vollen Stunden am Abend und in der Nacht mit religiösen Motiven verbunden wurden, indem z. B. den Stundenzahlen biblischen Erzählungen beigestellt wurden, die von Ereignissen zur gleichen Tageszeit berichten. Die Stundengesänge207 waren selbstverfasst oder überliefert. Mancherorts waren es auch Dichtungen, die aus der Feder des Dorfgeistlichen208 stammten. Die nach Wichner älteste bekannte Stundenrufformel stammt aus dem 15. Jahrhundert:

205 Zit. nach Wichner, Stundenrufe, 7. Ob es wirklich das älteste nachweisbare Nachtwächterlied ist, wie Wichner behauptet, ist fraglich. 206 Ein sehr aufschlussreiches Kapitel über die gesellschaftlichen Veränderungen durch die Einführung von Chronometern und Turmuhren liefert Grethlein, der die Grundbedingungen des heutigen Lernens und der Bildung geschichtlich herleitet. Er beschreibt anschaulich, wie die Einführung der Einteilung der Zeit durch die weithin sichtbare Uhr am Kirchturm das gesamte gesellschaftliche Leben beeinflusst. Vgl. Grethlein, Religions­ pädagogik, 259 ff. Dass die Uhren an Kirchtürmen so groß gestaltet sind und oft auch Sonnenstand, Mond und Sternsystem wiedergeben, ist eine Würdigung der göttlichen Ordnung; die zugrundeliegenden Gesetzmäßigkeiten in dieser Form dargestellt sollen den Menschen diese vergegenwärtigen; Figuren, die sich automatisch bewegen, verweisen den Menschen auf seinen Platz, an dem er sich zu bewegen hat. Vgl. Spiegel, Religion und Zeitstrukturierung, 140. 207 Das älteste Nachtwächterlied mit Noten ist in Wolfgang Schmeltzels Quodlibet-Sammlung von 1544 zu finden. 208 Aufgrund einer Liedsammlung von Pfarrer Burke zieht Wichner den Schluss, dass der Ortsgeistliche in vielen Fällen „den Nachtwächter in den Dienst der Kirche gestellt und ihn zu einem Prediger gemacht [hat], der auch in dunkler Nacht das Heil verkündet und vor dem Bösen warnt“. Wichner, Stundenrufe, 22.

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Ursprung und Hintergrund der kirchlichen Neujahrslieder

Merkt, ihr herren209, und lasst euch sagen Die glock’ hat Sechse geschlagen. Hüets fewr! Wolhin gueter sechse!210

Von den Nachtwächterliedern gab es besonderen Anlässen entsprechende Versionen: So konnte in ihnen auch der jeweilige Herrscher besungen werden, es wurde auf Kirchenfeste Bezug genommen und eben auch das Neue Jahr berücksichtigt, so dass der Nachtwächter allen Einwohnern der Stadt gute Wünsche zusang. Dies ist im größeren Rahmen der „Heischelieder“ zu sehen und geschah wohl auch, um sich  – wie es andere Gruppen und Handwerker auch taten  – am Jahresende einen zusätzlichen Verdienst zu ersingen. Im Unterschied zu den Heischegesängen von umherziehenden Gruppen sind die Wünsche des Nachtwächters nicht an bestimmte Hausbewohner sondern an alle Orts­ansässige gleichzeitig gerichtet.211 Dieser Brauch war von Ort zu Ort unterschiedlich gern gesehen: „Bereits 1443 gab der Rat von Konstanz den Turmwächtern einen Eimer Wein zur Vergütung, damit sie Weihnachten nicht ‚umgehn blasen um guote Jahr‘.“212 Ein St. Gallener Edikt von 1611 zeugt davon, dass der Bevölkerung das Sammeln von Neujahrsgaben durch die Wächter beschwerlich wird.213 In den Liedstrophen oder ganzen Nachtwächterliedern zum neuen Jahr werden Stoffe der Weihnachtsgeschichte aufgenommen, aber auch Passisonsgeheimnisse, die dann mit Elementen des Tageliedes und mit der Person des Nachtwächters verbunden werden.214 209 An den Nachtwächtergesängen lässt sich der gesellschaftliche Wandel verfolgen: sind an dieser Stelle mit den Herren die Ratsherren oder Patrizier gemeint, werden die ­Lieder später an die „Herren und Bürger“, als Sammelname die „Leute“ oder auch die „Herren und Frauen“ oder vornehm die „Damen und Herren“ adressiert. Vgl. ebd., 15.  Volkstümlich geworden ist der Gesang „Hört, ihr Herrn, und lasst Euch sagen, / Unsre Uhr hat zwölf geschlagen“. 210 Bei ebd. 211 Vgl. Haid, Neujahrssingen und Neujahrslied, 46. Haid weist ebd. darauf hin, dass es sich bei Neujahrsliedern der Nachtwächter um einen der wenigen Fälle handelt, wo mit einem Brauchtyp (dem des Ansingens) auch ein ganz bestimmter Liedtyp (Stundenruf/ Nachtwächterlied) verbunden ist. 212 Zit. nach Meyer, Badisches Volksleben, 68. 213 Vgl. Ziegler, Weihnacht und Neujahr, 53. Ziegler führt aus, dass das Neujahrssammeln auch in der Folgezeit umstritten bleibt. Noch im 18. Jahrhundert sammeln Musiker und Wächter in geschlossen Büchsen Almosen zu Neujahr. Aufkommender Konkurrenz durch andere Gruppen wird Einhalt geboten, wie die „Neuordnung wegen Neujahrssammeln“ von 1785 belegt. Neujahrssingen ist in der Stadt seit 1673 verboten. Vgl. Ziegler, Weihnacht und Neujahr, 53 ff. 214 Vgl. Hamacher, Beiträge, 10.

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Im badischen Messkirch wurde das Neujahrslied des Nachtwächters nach Aufhebung des Amtes durch eine Neujahrssängergruppe übernommen, die um Mitternacht vor den Häusern sang: Wacht auf, wacht auf ihr liabe Leit! Das alte Jahr verflossen ischt, Das neue vor der Türe ischt, Behüat euch Gott im neuen Jahr Vor Wassers- und vor Feuersnot Un vor ama unversehene schnella Tod!215

Die Lieder konnten auch ausgesprochen lang ausfallen. Als Beispiel sei das Lied genannt, das mindestens bis 1897 in Weikersheim216 gesungen wurde; die Entstehungszeit des Liedes ist, wie bei mündlich überlieferten Liedern häufig, leider nicht bekannt: Wiederum ein Jahr verschwunden Mit sorgenvollen, bangen Stunden! So wollen wir im neuen Jahr’ der ersten Stund Gott loben und preisen mit Herz und Mund. Zu dir erhebt sich un’sre fromme Seele, O Weltenlenker, Herr Gott Zebaoth; Im frommen Augenblick’ falten wir die Hände, Denn wir erkennen: Du allein bist Gott! Das Jahr bricht an, erhebe dich, o Seele, Und sing’ dem Schöpfer einen Lobgesang! Vom Tod’ zum Leben hat er uns gerufen, Drum sinke hin und bet’ ihn freudig an! Es wachte über uns der treue Hüter, Dess’ Auge nie ein Schlummer hat berührt. Der aus der Nächte sorgenvollem Grauen Zum Licht’ des Lebens uns emporgeführt. So wollen wir im neuen Jahr’ das Tagewerk beginnen Und frei und mutig immer vorwärts geh’n, Zu jeder guten Tat stets ausgerüstet, Zum Kampf für Recht und Tugend mutvoll steh’n. Nun sei auch im neuen Jahre Gottes starke Hand Mit dem Könige in unser’m Land! Dem Geistlichen kehr’ Gottes Wort Nicht leer zurück an seinen Ort! Das Amt der Lehrer trage Frucht,

215 Wiedergegeben nach Künzig, Neujahrslieder, 246. 216 Wichner, Stundenrufe, 157 f.

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Ursprung und Hintergrund der kirchlichen Neujahrslieder

Die Jugend wachs’ in guter Zucht! Dem Herrn Stadtschultheiß und Gemeinderat Wünsch’ ich Gottes Segen früh und spat! Das Wohl der Bürger sich vermehr’ Zu jedermanns Lob, Preis und Ehr’! In Haus und Feld, in Keller und Stall, Da wohn’ der Segen überall! Ich wünsche, daß Mann, Frau und Kind Und das Gesind stets einig sind, Ja, der Herr, unser Gott, wolle uns gesund erhalten Und mit seinem Segen über uns walten … Dies ist mein Wunsch im neuen Jahr, Gott gebe, daß es werde wahr! Pros’t Neujahr!

Auffällig ist an diesem Lied der Wechsel in Reim und Versmaß. Ab Zeile fünf bis einschließlich zwanzig („zum Kampf für Recht und Tugend mutvoll steh’n“), wird vom Paarreim in einen unterbrochenen Kreuzreim im Schema xaxa gewechselt. Das Versmaß ist uneinheitlich (überwiegend jedoch Jambus) und auch die Wortwahl wechselt. So ändert sich die schlicht gehaltene Gestaltung in eine hymnisch pathetische. Die ersten vier Zeilen leiten das Lied ein, dann folgt ein durch psalmbezogene Wortwahl bestimmter Kreuzreimabschnitt. Es schließt sich ein einheitlicher Teil mit Wünschen für unterschiedliche Berufe und Gruppen in der Stadt an. Abgeschlossen wird sowohl mit einem „Amen“ (hier auf Deutsch wiedergegeben) und einem Trinkspruch: „Pros’t Neujahr“217. Vermutlich wurden hier zwei Lieder miteinander verbunden. Als ein biblisches Motiv zur Verwendung in den Nachtwächterliedern hätte sich das des Wächters und des Wachens an sich angeboten. Doch wird es kaum benannt.218 Wie deutlich geworden ist, handelt es sich bei den Nachtwächterliedern um traditionsreiche Gesänge. Sie sind durch ihre Mischung aus volksliedhaftem

217 Der Trinkspruch weist darauf hin, dass Teile des Liedes nicht vor dem 18. Jahrhundert entstanden oder dieses mit Beginn des 18.  Jahrhunderts eine Überarbeitung erfuhr. Denn „Prosit“ (lat. „Es möge zuträglich sein“) löst das „sit saluti“ beim Zutrunk ab. Als Trinkspruch aus der Studentensprache ging es in die Allgemeinsprache über. Hier wird bereits die umgangssprachliche Kurzform „Prost!“ verwendet (erstmals belegt 1711). Vgl. Friedrich Kluge, Art. Prosit, Prost. In: Ethymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, Berlin/New York 1975, 567. 218 Im Kirchenlied finden wir das Motiv des Wachens und insbesondere der Wächter häufig in Verbindung mit der Vorstellung des Bräutigams, auf den, wie ein Gleichnis schildert (Mt 25,1–13), zehn für das Fest vorbereitete Jungfrauen warten; siehe „Wachet auf, ruft uns die Stimme, der Wächter sehr hoch auf der Zinne “ (EG 147 wie auch RG 850) u. a.

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Liedgeschichtliche Aspekte Liedgeschichtliche Aspekte

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und religiösem Material eine besondere Liedform, die sowohl in den Bereich des Volksliedes als auch in den des geistlichen Liedes ausgestrahlt hat.219 Das Tagelied der scheidenden Liebenden nach einer gemeinsam verbrachten Nacht ist ebenfalls mit den Nachtwächtern verbunden. Einerseits war der Nachtwächter Beschützer und Helfer, der, oft gegen Bezahlung, die heimlichen Treffen der Liebenden ermöglichte und schwieg, andererseits war sein Ruf gefürchtet, konnte er doch vor der Zeit das Ende der Nacht ankündigen und das Liebespaar aufschrecken.220 4.2.3

Minnesang und Frauenpreis

Dem höfischen Minnesang waren Neujahrslieder als eigene Gattung zunächst unbekannt und eher eine Sache der Leute aus dem Volk.221 So vermutet Arne Holtorf, dass es zwei Momente sind, die zum Eindringen des Neujahrs­w unsches in die Liebesliedtradition führen, die sich vom Minnesang herleitet. Es seien „die stärkere Ausbildung des Jahreswechsels im bürgerlich-städtischen Leben als Fest- wie auch Rechtstermin und die fortgesetzte Pflege des als ‚höfisch‘ empfundenen Liebesliedes durch patrizische oder adelige Kreise“222. In der mittelalterlichen Liebeslyrik kann das Neue Jahr Anlass bieten, einer verehrten Dame ein Lied zum Geschenk zu machen. Dies entspricht dem Geschenkebrauch zum Neuen Jahr, wie er seit der Antike geübt wird. Es sind drei Bestandteile, die Holtorf als Kennzeichen für Neujahrslieder des 14. und 15. Jahrhunderts herausarbeitet: zunächst der Wunsch zum Neuen Jahr, dann die Dienstversicherung des Mannes und schließlich die Bitte um Erhörung, die zumeist mit einer Treueversicherung einhergeht.223 Nicht jeder Text,

219 Das Wächterlied im höfischen Bereich ist von der Volkspoesie aufgenommen worden. Doch das Bild des Wächters hat daneben durch Umarbeitung von Tageliedern auch Eingang ins Kirchenliedgut gefunden. Hier erscheint Christus als „Seelenwächter“: „Gott ist der Christen Hilf und Macht, / Ein’ feste Citadelle; / Er wacht und schildert Tag und Nacht, / Thut Rond’ und Sentinelle.“ Hier nach Wichner, Stundenrufe, 13. Der mehrstrophige Text ist bereits bei Hans Michael Moscherosch (1601–1669) in dessen „Sati­ rische[r] Geschichte“ zu finden. Das Motiv des Nachtwächters hat in Verbindung mit dem Neuen Jahr auch spätere Poeten inspiriert; genannt sei hier der „Neujahrswunsch des Nachtwächters zu Ternate“ von Johann Peter Uz im 18. Jahrhundert. 220 Vgl. Wichner, Stundenrufe, 8 f. Der Marner nimmt dieses Motiv auf und lässt den Nachtwächter singen: „Ich künde mit Getöne: / Der Tag, der viel schöne, / Will auf sein. / Wer heimlich minne, / Der beginne / Zu wachen. Es ist Zeit. / Ich höre auf den Zwei[’]en / Singen und schreien / Die Vögelein.“ Es ist ein höfisches Motiv, dessen sich später auch das Volkslied bedient. Vgl. Wichner, Stundenrufe, 12. 221 Vgl. Holtorf, Neujahrswünsche, 380. 222 Ebd. 223 Vgl. ebd., 23.

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Ursprung und Hintergrund der kirchlichen Neujahrslieder

der von Holtorf als Neujahrslied untersucht wird, weist alle drei Merkmale auf. Es gibt Lieder, in denen eines fehlt, in manchen Fällen auch zwei.224 Der Glückwunsch zum Neuen Jahr, der in aller Regel der Dame gilt, wird von manchen Sängern auch verwendet, um den eigenen Hoffnungen Ausdruck zu geben.225 Die Wünsche sind in den Formulierungen verschieden. Holtorf unterscheidet drei Gruppen: Es gibt den „einfachen“ Wunsch, dass es ein gutes Jahr werde (wie z. B. „wonssche ich ein vrolich nyewe jaer“), den „vollen“ Wunsch (wie z. B. „Ghelucke und heil zu nuowen jaer“) und den „reichen“ Wunsch, der durch längere, poetisch ausgeschmückte Wunschformeln gekennzeichnet ist.226 Ist vom „Neuen Jahr“ in den Liedern die Rede, bezeichnet dies nicht nur den kalendarischen Jahresbeginn, sondern kann auch das sich erneuernde Jahr, den Zeitraum des Wiederauflebens der Natur  – also den Frühling  – meinen. Eine weitere Möglichkeit ist, dass sich die Formulierung auf den Beginn eines neuen Jahres des „Sich-Einander-Versprechens“ bezieht. Sich einander die Liebe für den Zeitraum eines Jahres zu versichern ist ein Motiv, das in Liebesliedern des Mittelalters häufiger begegnet und als „Buhlschaft für ein Jahr“227 bezeichnet wird. Es handelt sich um ein vorwiegend literarisches Motiv, aber eine Entsprechung in der Lebenspraxis ist nicht auszuschließen. Beispiele für Lieder mit diesem Motiv sind bei Oswald von Wolkenstein (†  1445), im Liederbuch der Clara Hätzlerin († 1476/77?) und aus der Feder von Hans Sachs († 1576) zu finden. H ­ oltorf kommt anhand der Untersuchung verschiedenster Lieder zu dem Schluss, dass sich in ihnen die Verbindung zweier Traditionen – der höfischliterarischen und der bürgerlich-brauchtümlichen – erkennen lasse.228 Es verschmelzen hier die zwei Elemente einer „höfischen Sommerliebe“ und einer der bürgerlich-brauchtümlichen Tradition entsprechenden „Liebesbindung für ein Jahr“: Die Liebesbindung des Neujahrsliedes ist nicht in die Saison eingebettet, sie ist nicht – und sei es nur spielerisch – mit dem jahreszeitlichen Geschehen in der Natur verknüpft, sondern das Jahr ist für den, bzw. die Liebenden ein zeitliches Maß, den Raum zwischen zwei Jahreswechseln umfassend, dem entsprechende zeitliche Einheiten sowohl vorausgehen wie folgen.229

224 Vgl. ebd. 225 Vgl. Sittig, Liebeslied, 241. 226 Vgl. Holtorf, Neujahrswünsche, 24. 227 So Holtorf, Neujahrswünsche 267–294. Lutz bezeichnet das Motiv als „Partnerschaft auf Zeit“. Siehe Eckart Conrad Lutz, Das Dießenhofener Liederblatt. Ein Zeugnis spät­ höfischer Kultur, (Literatur und Geschichte am Oberrhein 3), Freiburg i. Br. 1994, 28–34. 228 Holtorf, Neujahrswünsche, 295. 229 Ebd., 303.

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Liedgeschichtliche Aspekte Liedgeschichtliche Aspekte

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Das für ein Jahr gegebene Liebesversprechen ist nicht nur eine einmalige Angelegenheit. Vielmehr wird es wohl jährlich wiederkehrend erneuert worden sein.230 Die überwiegende Zahl der Liebeslieder des 15. Jahrhunderts, in denen das Neue Jahr Erwähnung findet, stellt nicht diesen Anlass in den Mittelpunkt des Liedgeschehens, sondern diese Lieder „begnügen sich zumeist mit einem kurzen Hinweis oder Glückwunsch zu niuwen jar, um sich dann hauptsächlich mit anderen Motiven zu beschäftigen.“231 Dies sind die Werbung um die Gunst der Dame, der sich Elemente der Trennungs-, Sehnsuchts- und Klagelieder anschließen; und auch die Dienstbereitschaft wird ausführlich betont.232 Während viele Lieder das Neue Jahr „floskelhaft“ anführen, so dass die Erwähnung ebenso gut entfallen könnte, gibt es doch auch Beispiele für Lieder, die die Zeit des Jahreswechsels zum eigentlichen Thema erheben, um das die Gedanken kreisen.233 So, wie das Neue Jahr in den Liedern begegnet, ist es der Freudenbringer schlechthin, von dem neue Hoffnungen ausgehen. Im Vordergrund steht der Wunsch, dass sich die Liebe erfüllen möge.234 Eine entsprechend positive Grundstimmung ist den Liedern abzulauschen, Klage oder gar Resignation klingen selten an.235 4.2.4 Kinderlieder Einen weiteren möglichen Quellenstrang für kirchliche Neujahrslieder stellen Kinderlieder und Kindergesänge dar. Bünger vermutet, dass Neujahrslieder später durch die Kinderchöre Eingang in Gottesdienste erhielten.236 Weitere Lieder zum Neuen Jahr lassen diese Verbindung erkennen. So z. B. „Helft mir, Gott’s Güte preisen, ihr lieben Kinderlein“. Manche Sprechperspektive der Lieder macht deutlich, dass sie von Kindern oder Jugendlichen gesungen wurden, wie z. B. im beschriebenen Ansingen (vgl. I,4.2.1). Kindergesänge zum Neuen Jahr können ganz unterschiedlicher Herkunft sein, mit ebenso unterschiedlichen Intentionen: Zunächst sind die Lieder zu nennen, die ehemals von Erwachsenen gesungen, auf die Kinder übergingen. Hinzu kommen Lieder, die extra für Kinder verfasst wurden  – pädagogisch oder unterhaltend. Auf das Christkind bezogene Kinderlieder finden sich in den Kindelwiegenspielen. Und schließlich gibt es Lieder, die für das Vorsingen durch Kinder geschrieben wur230 Vgl. ebd., 296 f. 231 Sittig, Liebeslied, 256. 232 Ebd. 233 So z. B. Lochamer Liederbuch No. 15. 234 Vgl. Sittig, Liebeslied, 257. 235 Vgl. ebd. 236 Bünger, Neujahrsfeier, 148.

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Ursprung und Hintergrund der kirchlichen Neujahrslieder

den, sich aber an ein erwachsenes Publikum richten, und deren Textsinn von den Kindern sicherlich schwer erfasst werden konnte.237 Kinder singen und sagen noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts eigene Verse und Liedchen, wie Künzig aus dem Badischen mitteilt. Hier ein Beispiel: Ich bin ein kleiner Mann / Und wünsch euch, was ich kann, Ich wünsch euch so viel Glück / Als Gott vom Himmel schickt.238

4.3

Ergebnis: Die Traditionsstränge

Das geistliche Neujahrs-, bzw. Jahreswendelied wurzelt sowohl im lateinischen Hymnus als auch im Volkslied. Durch die Jahrhunderte entstehen sowohl weltliche Volkslieder als auch geistliche Lieder zum Jahresende und zu Neujahr. So, wie das Jahreswendfest im Kirchenjahr ein Bindeglied zwischen weltlichem und sakralem Raum darstellt, werden diese beiden Sphären vielfach auch im Neujahrslied miteinander verbunden. Es sind zwei Stränge239, der des kirchlichen Neujahrslieds neben dem des Neujahrslieds im Volksgut, die sich parallel fortentwickeln, gegenseitig beeinflussen und auch Gegensätzliches aufweisen können. In der folgenden Untersuchung ist dies stets zu bedenken, wenn auch nur punktuell darauf eingegangen werden kann. Das Phänomen „Neujahrslied“ ist keineswegs lokal gebunden. Überall im deutschsprachigen Raum sind die Gesänge zu finden. Auch für die deutschsprachigen Sprachinseln im Ausland gilt, dass sie alle Neujahrslieder kennen und singen (im Westen in Pennsylvania, im Osten in Gegenden wie Galizien, Siebenbürgen, Syrmien, Sathmar, Batschka, Dobrudscha und der Krim).240 Es ist wichtig zu erwähnen, dass es neben den Liedern auch eine vielfältige instrumentale Neujahrsmusik gab und gibt, wenn dem hier auch nicht weiter nachgegangen werden kann. Es gab ein rein instrumentales Neujahrsbegrüßen 237 Zu diesen Liedern zählt wohl auch Johannes Zwicks „Nun wolle Gott, dass unser Sang“ (vgl. Kap. II, 1.3.1). 238 So in Gersbach und Schopfheim; wiedergegeben nach Künzig, Neujahrslieder, 247. 239 Als ein aktuelles Beispiel für ein „weltliches“ Neujahrslied kann das Lied „Happy new year“ angesehen werden. Der Gedanke, dass es kein Lied zum Neujahr gibt, das wie „Happy Birthday“ von allen Menschen der Welt zu dem Anlass gesungen werden könnte, brachte die Sängerin und Schauspielerin Özay Fecht auf den Gedanken, ein Neujahrslied zu schreiben, das in allen Sprachen der Welt gesungen werden kann und soll. Gemeinsam mit der Schweizer Musikerin Corine Curschellas hat sie dieses Projekt als „Worldsong“ umgesetzt. Mittlerweile existiert das Lied in über fünfzig Sprachen, bzw. Versionen. www.happynewyearsong.ch. 240 Eine vollständige Aufzählung mit Übersichtskarten ist zu finden bei Siuts, Ansingelieder.

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Poetologische Aspekte Poetologische Aspekte

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(und gibt es vereinzelt noch heute), das auch dem Heischen diente; es stellte eine lose Form des Neujahrsspielens dar, das von fahrenden Spielleuten und sesshaften Dorfmusikanten praktiziert wurde.241 In der Aufklärungszeit entwickelte sich aus dem Anblasen des Thurnermeisters das „Turmblasen“242, das sich bis heute in den Bräuchen zu Weihnacht und Neujahr hält. Für den Weitergang der Untersuchung ist festzuhalten, dass das Liedgut zum Neuen Jahr bis zur Reformationszeit bereits mit vielen Brauchtypen und damit auch verschiedensten Brauchträgern verknüpft ist. Als Brauchträger können Schüler, Kinder, Knechte, Lehrer, Kirchenchöre, Nachtwächter, Bettler, Musikanten aber auch Burschenschaften und Zünfte benannt werden. In diesen vielfältigen Bezügen steht das Liedgut zum Neuen Jahr und hält sich oft länger als die brauchtragenden Gruppen, aus denen es hervorgegangen ist.243

5

Poetologische Aspekte

Bis hier wurden Neujahrslieder v. a. auf ihren Inhalt und ihre möglichen Wurzeln hin beschrieben. Ihre vielfältige Gestalt im weltlichen wie geistlichen Bereich lässt eine einheitliche Beschreibung der Form kaum zu. Für das Neujahrslied im ‚eigentlichen Sinne‘244, mit einem Text, der den Anlass des Neuen Jahres bedenkt, lässt sich jedoch eine Gattungsbestimmung vornehmen. Neujahrsgedichte werden, literaturwissenschaftlich betrachtet, der großen Gruppe der „Gelegenheitsdichtung“ zugezählt. Mit dem Wort Gelegenheitsdichtung, oder auch Kasualpoesie, werden Dichtungen bezeichnet, die aus bestimmten öffentlichen, familiären oder privaten Anlässen, manchmal auch auf Bestellung oder gegen Lohn, verfasst werden. Sie dienen der festlichen Erhöhung eines Tagesereignisses. Oft rechnet man sie zur „Gebrauchsliteratur“. Ihr künstlerischer Wert ist umstritten. Neben dem Neuen Jahr sind es vorwiegend besondere Ereignisse im Lebenslauf, die Anlässe für Gelegenheitsgedichte bieten.245 241 So etwa das „Anblasen“ des Thurnermeisters und das steirische „Neujahrsgeigen“, das wohl im dörflichen Bereich entstanden ist. Vgl. Haid, Neujahrssingen und Neujahrs­ lied, 31.  242 Vgl. ebd., 32. 243 Vgl. hierzu auch ebd., 175. 244 Zu den Liedern gehört der Großteil der untersuchten Gesänge im folgenden Analyseteil. 245 Das können sein: Geburt (Genethliakon), Geburtstag, Taufe, Hochzeit (Epithalamium), Promotion, Amtsantritt, Abschied (Apopemptikon) und Abreise (Propemptikon), Begrüßung/Rückkehr, Genesung (Soteria), Jubiläum, Krönung und Sieg (Epinikion), Huldigung (Enkomion), Tod (Epikedeion) und Begräbnis. Auch Einweihungen, Widmungen und Geschenke oder der Dank werden mit einem solchen Gedicht begleitet oder von ihm ausgedrückt. Vgl. Art. Gelegenheitsdichtung in: Gero von Wilpert, Sachwörterbuch der Literatur, Stuttgart 82001, 301.

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Ursprung und Hintergrund der kirchlichen Neujahrslieder

Gedichte in dieser Form kennt man seit der Antike. Renaissance und Humanismus bieten sie vorwiegend als lateinische Gelehrtengedichte. Im Barock wird das Gelegenheitsgedicht volkssprachlich abgefasst; es ist sehr beliebt, erlebt hier seine Blüte und wird zu einer „Massenerscheinung“. Doch wo in Massen produziert wird, geht häufig die Qualität verloren. So warnte Opitz vor einer Inflation mittelmäßiger Gelegenheitsdichtung, da sie die Poesie diskreditiere.246 Dass diese Art der Dichtung so breites Interesse fand und auf eine hohe Nachfrage stieß, erklärt sich dadurch, dass Gelegenheitsgedichte das soziale Ansehen und den nachhaltigen Ruhm ihrer Adressaten beförderten. Mit Goethe, der seine Gedichte auch als Gelegenheitsgedichte bezeichnet247, erfährt der Gattungsbegriff eine Änderung bzw. Ausweitung. Goethe versteht hierunter nicht nur Gedichte, die zu einem besonderen Ereignis geschaffen werden, sondern auch solche, deren Entstehung von einem besonderen Ereignis angestoßen worden ist. Das Ereignis regt zur Darstellung eines „individuellen, verinnerlichten und ins Gültige erhobenen Erlebnisses“248 in Versform an. Hier entsteht die Unterscheidung zwischen „Erlebnislyrik“ als ‚reiner‘ Dichtung und der „Gelegenheitslyrik“, die mit einer Wertung einhergeht. Der Wert der Gelegenheitsdichtung wird niedriger eingeschätzt; man stuft sie als ein beiläufiges Nebenprodukt ein.249 Jedoch wird ihre sozialhistorische Bedeutung, indem sie sich als eine Form der Dichtung präsentiert, die gesellschaftlich be­ einflusst gewesen ist und auch die Gesellschaft beeinflusst hat (man denke an

246 Martin Opitz beschreibt das Problem des inflationären Dichtens zu allerlei Gelegen­ heiten folgendermaßen: „Es wird kein buch / keine hochzeit / kein begräbnuß ohn vns gemacht; vnd gleichsam als niemand köndte alleine sterben / gehen vnsere gedichte zuegleich mit jhnen vnter. Mann will vns auff allen Schüsseln vnd kannen haben / wir stehen an wänden vnd steinen / vnd wann einer ein Hauß ich weiß nicht wie an sich gebracht hat / so sollen wir es mit vnsern Versen wieder redlich machen. […] ja deß närrischen ansuchens ist kein ende.“ Opitz, Buch von der deutschen Poeterey, 18. 247 So zu Johann Peter Eckermann am 18.9.1823. 248 Von Wilpert, Sachwörterbuch, 301. Die Dichtung Paul Gerhardts wurde häufig als Stimmungslyrik oder Erlebnislyrik aufgefasst, was ihm den Titel „Goethe des 17. Jahrhunderts“ einbrachte. Hahn verweist mit Recht darauf, dass die Lyrik zur Zeit Paul­ Gerhardts vorwiegend zu Gelegenheiten entstand, daher Gelegenheitsdichtung war, deren Anfertigung erlernbar war. Vgl. Hahn, Paulus Gerhardtus, 129 f. Damit zeigt sich in der beschriebenen Einschätzung der Gerhardtschen Lyrik ein Anachronismus. 249 Von Wilpert, Sachwörterbuch, 301. Segebrecht sieht in der Art, wie die Literaturwissenschaft zwischen Gelegenheitsdichtung und Gelegenheitsgedicht, wie Goethe sie versteht, differenziert, eine Unterscheidung, die die Diskriminierung weiter verstärkt. So merkt er an: „Der Zwang, Goethes „Gelegenheitsgedicht“ von dem gleichnamigen literarischen Produkt abzugrenzen, mit dem es, wie man meinte, nichts zu tun hatte, führte zu seiner immer erneuten Diskriminierung, Isolierung und Eliminierung im gleichen Maße, in dem die Auffassung von Goethes Gelegenheitsgedicht sich stabilisierte.“ Segebrecht, Gelegenheitsgedicht, 10.

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Zwischenergebnis Zwischenergebnis

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das Leichencarmen250 oder auch an Lobgedichte auf herausragende Persönlich­ keiten), heute zunehmend erkannt und gewürdigt. An diesem Punkt ihrer Geschichte angelangt, droht die Lyrik in zwei verschiedene Richtungen auseinanderzulaufen. Da ist zum einen die kunstvolle, aber lebensferne Lyrik, die ihre Autonomie behauptet und droht, zur Privatangelegenheit des Autors zu werden und sich in „freischwebende Gefilde purer Allgemeingültigkeit“ zu entfernen.251 Und da ist auf der anderen Seite die als kunstlos verschriene Lyrik, die zu Gelegenheiten entsteht, sich dem tatsächlichen Leben zuwendet, aber eben als „Nicht-Kunst“ in Mißkredit gebracht wird, weil sie „öffentlichkeitszugewandt, wirkungsbedacht und ‚dienlich‘“ ist.252 Ein solches Auseinanderdriften der Lyrik möchte Goethe vermeiden. Ihm geht es um Einheit und Bedeutung; er möchte die konkrete gesellschaftliche Funktion der Lyrik erhalten und sie zugleich davor bewahren, sich selbst zu isolieren.253 Für Neujahrsgedichte bzw. -lieder kann aus dieser Gattungsdiskussion Folgendes abgeleitet werden: Sie gehören zu den Gelegenheitsgedichten, insofern sie einen besonderen Tag oder Anlass thematisieren und hervorheben. Sie sind ihrem textlichen Ursprung nach Auftragsdichtung oder Gebrauchslyrik, die Einfluss auf die Gesellschaft und das soziale Miteinander zu üben versucht oder auch tatsächlich ausübt. Nicht erst seit der Romantik, aber hier besonders, sind auch solche Neujahrs­ lieder anzutreffen, die eher der „Erlebnislyrik“ zuzurechnen sind. Das Neue Jahr, der Übergang mit seinen Unsicherheiten, wird zum Anlass genommen, individuelles Erleben und Denken in Verse zu fassen. Es ist der „Kasus“, der bedacht wird. Diese z. T. sehr privaten nachdenklichen und tiefgründigen Gedichte erhalten, in Kirchenliedform gebracht, eine Öffentlichkeit; und ihnen kommt die Funktion zu, einen besonderen Anlass – das anbrechende Neue Jahr – hervorzuheben sowie der Gelegenheit „Gottesdienst“ dienlich zu sein. Betrachtet man Produktion und Rezeption solcher Liedtexte, fallen „Gelegenheit“ und „Erlebnis“ zusammen. Dies gilt es bei der Analyse der Lieder weiterhin zu bedenken.

6 Zwischenergebnis Bei der Suche nach möglichen Wurzeln der Kirchlichen Neujahrslieder wurde deutlich, dass auch Lieder zum Altjahresabend bzw. zur Jahreswende allgemein 250 Leichen- und Hochzeitscarmina untersucht Segebrecht auf ihre Gattungstypik hin. Er widmet sich auch der Frage nach den Produktions- und Rezeptionsbedingungen solcher Dichtung. Vgl. Segebrecht, Gelegenheitsgedicht, 152–197. 251 Ebd., 326. 252 Ebd. 253 Vgl. ebd., 326 f.

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Ursprung und Hintergrund der kirchlichen Neujahrslieder

eingeschlossen sind und damit auch Gegenstand der weiteren Studie sein müssen. Für die nun folgenden Analysen sind einzelne Aspekte noch einmal zu betonen: Die terminliche Festlegung eines Jahresbeginns im europäischen Raum ist bis in die Zeit des Konfessionalismus nicht einheitlich. Die Fixierung des Jahresbeginns ist eine Konvention und keinesfalls naturgegeben; sie wird zeitweise zum Machtspiel zwischen Kirche und Staat, in der Reformationszeit auch zum Machtspiel der Konfessionen untereinander. Die Kirchen reagieren auf die paganen Neujahrsfeierlichkeiten in der Bevölkerung mit unterschiedlichen, sich wandelnden Strategien: Beginnend mit einer absoluten Ablehnung der Feier als ausgelassenem Fest, dem kirchlicherseits Buße und Fasten entgegengestellt werden, wandelt sich die Haltung hin zu einer Öffnung und mündet schließlich darein, das Fest als Ganzes anzunehmen und zu begehen. Allerdings sind nun im Verlauf des liturgischen Jahres zwei Jahresanfänge gegeben: der erste Advent als der Kirchenjahresbeginn und der erste Januar als Jahresbeginn des bürgerlichen Kalenders. Es zeigte sich, dass es ein ganzes Bündel geistlicher wie weltlicher Lieder unterschiedlicher Gattungen und Formen gibt, die bereits vor der Reformationszeit den Jahresanfang thematisieren oder mit ihm in Verbindung stehen. Hier laufen zwei Traditionsstränge parallel, die zueinander in Verbindung stehen und miteinander im Austausch sind. Eine trennscharfe Unterscheidung von geistlichem Lied und Volkslied ist kaum möglich. Mit dem ausgehenden Mittelalter präsentiert sich ein Geflecht von Bräuchen und Gesängen, die die Zeit von Weihnachten bis Epiphanias gestalten und begleiten. Unter dem Begriff „Neujahrslied“ rangieren Lieder ganz unterschiedlicher Art. Den Liedern ist jeweils ein enger Bezug zur Liturgie oder zum Brauchtum anzumerken. Die in ihnen verwendeten Motive entstammen der Bibel, der Frömmigkeitspraxis, dem gemeinschaftlichen Zusammenleben, dem erzieherischen Bereich, dem Volksaberglauben und der Liebeslyrik. Sie dienen den verschiedensten Zwecken, bis hin zum Broterwerb bei der Verwendung als „Ansingelied“. Was unter dem „neuen Jahr“, das besungen wird, zu verstehen ist, variiert, da der Termin nicht fixiert ist; es hängt zudem von der (Sing-)Situation und den Traditionsträgern ab. Die Erhebung zu möglichen Vorläufern der kirchlichen Lieder hat ein Motivreservoir und auch ein Melodienreservoir umrissen. Beides erlaubt im Fortgang der Untersuchung nun Rückbezüge. Eine Beobachtung ist zudem, dass Brauchformen typbildend auf Neujahrsgesänge wirken.254 254 Vgl. Haid, Neujahrssingen und Neujahrslied, 40. Die speziellen Brauchformen Dreikönigssingen, Lichtmesssingen und Turmblasen werden an dieser Stelle allerdings nicht mehr weiter verfolgt, da sie bereits früh eine eigene Entwicklung genommen haben.

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Zwischenergebnis Zwischenergebnis

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Bezogen auf den Brauch des Ansingens bleibt festzuhalten, dass auch einzelne Kirchenlieder als Ansigelieder Verwendung finden.255 Der alte Volksbrauch wird auf diese Weise christlich überformt. Die Jahresendbräuche, zu denen auch Adventsbräuche zählen, sowie die Lieder, die auf das Heilsgeschehen bezogen sind, zeigen zwar alle christliche Züge, doch es „bricht immer wieder eine ältere Schicht durch, die auf eine vorchristliche Feier der Jahreswende schließen lässt.“256 Die Beschränkung auf „Kirchliche Neujahrslieder“ geschieht im Folgenden allein über die Rubrizierung in Gesangbüchern. In jedem Gesangbuch hat der Herausgeber oder haben die Redaktoren oder Kommissionen eine Zuordnung getroffen, die ein Lied als „Neujahrslied“ deklariert. Wie und aus welchen Gründen hier ausgewählt und zugeordnet wurde, lässt sich mit etwas Glück aus Gesangbuchvorreden oder Kommentaren erschließen. Oft kann jedoch nur vermutet werden, dass es theologische, frömmigkeitspraktische, traditionsbedingte oder geschichtliche Argumente sind, die für Auswahl und Zuordnung maßgeblich waren.

255 Vgl. ebd., 28 f. Sie beschreibt diesen Vorgang anhand des Krippenliedes „Juche und hopse“ von Raimund Zoder. 256 Siuts, Ansingelieder, 26.

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Teil II: Geschichte und Entwicklung der kirchlichen Neujahrslieder seit dem 16. Jahrhundert mit exemplarischen Analysen

Die eingehendere Untersuchung vom Wandel der Kirche betrachtet nun bedeutende Lieder zum Jahresübergang. Wie wird das zu Ende gehende Jahr und wie wird Neujahr theologisch gedeutet? Der Gang durch fünfhundert Jahre führt vom ältesten bekannten Gesangbuchlied zum Neuen Jahr bis zu einem der jüngsten. Die Jahrhundertwendefeiern eröffnen die Unterkapitel, die in Jahrhunderte unterteilt präsentiert werden. Sowohl Zeitgeschichte als auch Liturgiegeschichte, Veränderungen in der Gesangbuchproduktion sowie innerhalb der Gesangbücher und der Rubrik zum Neuen Jahr zeigen das Umfeld auf, in dem die Lieder entstanden sind. Das Material gibt Aufschluss über die Frömmigkeits- und Festgeschichte im Zusammenhang mit dem Jahresübergang.

1

Das Neujahrslied von 1500–1600: Benennung von Tugenden und gute Wünsche

1.1

Zeitgeschichtliche und liturgiegeschichtliche Aspekte

Mit dem Jahreswechsel 1499/1500 existierte noch kein ausgeprägtes Zeitdenken in Jahrhunderten; und daher wurde von diesem Jahreswechsel keine besondere Notiz genommen. Ein Bewusstsein für Jahrhundertfeiern entwickelte sich erst noch. Der erste Januar wird kirchlicherseits als Fest der Namengebung und Beschneidung Jesu Christi als Oktav zu Weihnachten gefeiert. Der Reformation verdanken wir dann die ersten deutschsprachigen Gesänge zu Gottesdiensten am Beginn eines neuen Jahres. Denn mit ihr ging die Reform der Fest- und Feier­tage einher; und die damit verbundene theologische Neubewertung einzelner Festzeiten bildete die Voraussetzung für eigene volkssprachliche Neujahrs­ lieder in der Kirche. Als Gottesdienste stattfanden, die vermehrt das Neujahrsfest an sich ins Zentrum rückten, entstand auch das Bedürfnis nach eigenen Liedern aus diesem Anlass. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525624364 — ISBN E-Book: 9783647624365

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1.1.1

Geschichte und Entwicklung der kirchlichen Neujahrslieder

Reform der Fest- und Feiertage

Die Zahl der Feiertage hat im ausgehenden Mittelalter laufend zugenommen. Das Dekretale von Gregor IX . lässt auf fünfundachtzig arbeitsfreie Tage schließen.1 Die Reformation führt dann in Bezug auf die kirchlichen Festtage zu vielen Neuerungen. Vor allem wird die Zahl der Feste reduziert.2 Dies geschieht aus mehreren Gründen. Zum einen wird die theologische Prämisse formuliert, dass sich ein Fest biblisch begründen lassen müsse.3 So werden eine Reihe von Festtagen, besonders diejenige, die den Heiligen gewidmet sind, ersatzlos gestrichen. Zum anderen hat die Vielzahl der Feiertage ökonomische und soziale Folgen, die besonders die unteren Bevölkerungsschichten belasten. Auch aus diesem Grund ist eine Reduzierung der Festtage angezeigt. Es werden die Apostelfeste und Marienfeste in Frage gestellt. In reformierten Gebieten gehen die Forderungen so weit, sich ganz auf die Sonntagsgottesdienste zu beschränken. Mit der Reduzierung der Festtage erhöhte sich umgekehrt auch deren Bedeutung. Über das Neujahrsfest geben Drucke von Bildern und Karten Auskunft. Sie zeigen, dass es im 15. Jahrhundert Brauch ist, Neujahrswünsche zu verschenken oder zu versenden.4 Auf den Drucken ist häufig das Jesuskind zu sehen, das auf einer erblühten Blume steht; oder es sitzt mit Schmuck behängt auf einem Kissen, einen Kuckuck – den Vogel des Glücks und Wunsches – in den

1 So Merkel, Feste und Feiertage IV., 123. 2 „Der lutherische Festkanon, der sich im 16. Jahrhundert herausbildete und in den reformatorischen Kirchenordnungen seinen Niederschlag fand, umfasste neben den Christus­ festen (hierzu gehörten auch: Beschneidung am 1.1., Epiphanie am 6.1., Darstellung am 2.2., Verkündigung am 25.3., Heimsuchung am 2.7.) die Tage der Apostel und Evangelisten, den Tag Johannes des Täufers (24.6.), Michaelis (29.9.), regional auch Maria M ­ agdalena (22.7.), Allerheiligen (1.11.) und eine Reihe kleinerer Gedenktage, die in der Regel auf den folgenden Sonntag verlegt wurden. Aposteltage galten als halbe Feiertage, die gottesdienstlich begangen wurden, aber nicht gänzlich arbeitsfrei waren. Fronleichnam und Mariae Himmelfahrt (15.8.) wurden anfangs noch beibehalten, verschwanden dann aber ebenso wie die Masse der Heiligen-, Marien- und Aposteltage, für die es keinen biblischen Anhalt gab.“ Bieritz, Kirchenjahr, 384. 3 Vgl. Wiggermann, Feste/Feiern, 93. 4 Vgl. Heitz, Neujahrswünsche, Strassburg 1899. Weitere Bilder präsentiert Spamer, Andachtsbild, München 1930. In einem kolorierten Kupferstich zu Neujahr von 1520 aus Bayern (Spamer, Tafel IV, 2) ist das Jesuskind vor einer Tür stehend zu sehen, aus der eine Nonne schaut. Es spricht zu ihr: „Ich hab das Ney Jar angesungen / nun Ist mir gar woll gelungen / das Ich bin gelassen ein / das freiet sich das hertze mein.“ Die Nonne antwortet: „pis mir wilkum mein lieber herr, Ich thue di[r] / auff das hercze mein, kum mit dein gnadn der[yn]“. Hier verbindet sich die Tradition des Ansingens mit mystischer Jesusfrömmigkeit, hat doch die Tür, in der die Nonne steht, die Form eines Herzens. Inn der Interpretation des Künstlers bittet der Jesusknabe mit Hilfe eines Neujahrsgesangs um Einlass in das Herz eines gläubigen Menschen.

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Händen.5 Oftmals ist die Darstellung schon mit dem Leidensmotiv verbunden, indem die Passionswerkzeuge abgebildet werden. Neben der Darstellung des Jesuskindes auf einem Esel oder Steckenpferd reitend oder mit Spielzeug versehen, ist die Darstellung des Kindes, das auf einem Glücksschiff fährt, sehr eindrucksvoll.6 1.1.2

Das „Neue Jahr“ in der Bewertung der Reformatoren

Von Luther ist bekannt, dass er den bürgerlichen Jahresanfang nicht zum Thema der Gottesdienste am 1. Januar machen wollte. In einer Predigt sagt er hierzu deutlich: Man heisst diesen neuen Tag den neuen Jahrstag nach der Römer Weise. Wir ­Christen fangen unsern neuen Jahrstag an am heiligen Christtage, wie die Jahrszahl zeuget, dass man schreibet: Im Jahr nach Christi Geburt. Aber die Römer fangen das Jahr an Calendiis Januarii, das ist auf den ersten Tag des Jänners. […] Denselben neuen Jahrstag und anders, so wir von den Römern haben, lassen wir itzt fahren. Weil man aber auf diesen Tag gelegt hat das Fest der Beschneidung Christi, ists billig, dass wir heute davon predigen.7

Und an diese Vorgabe hat sich Luther bei allen seinen Predigten zum 1. Januar gehalten.8 Aber bereits sein Freund Melanchthon ist anderer Ansicht. Predigte er auch nicht selbst, so verfasste er doch erläuternde Texte für die Wittenberger Studenten. So findet man eine Postille zum „Dies Circumcisionis Domini“, eingeleitet von einem Neujahrsgebet, in dem Gott gedankt wird. Die Andacht wird beschlossen durch ein schlichtes Neujahrslied.9 Dieses Lied „Ipse Deus sapiens“ verwendet Melanchthon häufiger. Sein Ursprung lässt sich schwer datieren; Die ersten Zeilen finden sich bereits 1556.10 5 So z. B. die Darstellung Nr. 1 bei Heitz, Neujahrswünsche. Eine weitere Darstellung zeigt das mit Schmuck behängte Jesuskind hier mit einem Papagei in den Händen auf einem Sitzkissen, umgeben von Neujahrswünschen auf Spruchbändern (Schwaben, ca. 1470); siehe Abb. IV im Anhang. Eindrucksvoll ist auch das über eine Rosenblüte schreitende Jesuskind mit segnender rechter Hand, einem Neujahrswunsch auf einem Spruchband in der anderen und den Kreuzbalken im Hindergrund. In der Darstellung bei Heitz, Neujahrswünsche, Abb. Nr. 4, lässt der wehende Mantel Einblick auf das Genital zu und erinnert an Jesu Beschneidung. Ein Detail, das in der Version von Israhel van Meckenem (im Anhang, Abb. II) nicht zu sehen ist. 6 So auch bei Heitz, Neujahrswünsche, Nr. 7. Das beladene kleine Schiff ziert ein Spruchband: „Zuch vff den segel, wir sint am land / und bringen gut ior maniger hand.“ (s. Anhang, Abb. V). 7 WA 34, I, 1. 8 Vgl. Kawerau, Geschichte der Neujahrsfeier, 19.  9 Vgl. Bünger, Neujahrsfeier, 120. 10 Corp. Ref. IX , Nr. 6152, Sp. 19. Bünger nennt als ersten (vollständigen) Beleg, das Jahr 1557, vermutet jedoch, dass der Text älter ist, aber nicht über das Jahr 1549 zurückreicht. Leider nennt er für diese Vermutung keine Begründung. Vgl. ebd.

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Geschichte und Entwicklung der kirchlichen Neujahrslieder „Ipse Deus sapiens verbo qui cuncta creavit, Et certis annum legibus ire iubet, Efficiat, nobis veniens sit faustus ut annus, Protegat et dextra teque tuosque sua. Et quoniam guatum misit, qui colligat agmen, Cuius sit doctor, vita, caputque, λόγος Hic λόγος aeterno natus Patre, semper adesse, Et custos nobis caput esse velit. Viribus humanis non est Ecclesia tuta, Languida nos homines quid nisi massa sumus? Sed nostram indueris cum miro foedere carnem, Gnate Dei, semper nos tua membra regas; Et facias tecum nos unum ut simus in aevum, Vera laude tuus quo celebretur honos.“11

Gott, der Allwissende, der durch sein Wort alles geschaffen hat und der dem Jahr Lauf und Bahn gibt, möge wirken, daß uns das kommende Jahr ein gesegnetes wird. Und seine Rechte schütze dich und die deinen. Denn er hat ja den Menschgewordenen ­ ausgeschickt, der die Gemeinde vereint nämlich als Lehrer, Menschensohn, Haupt und Wort Es sei auf Erden das Wort – des Vaters Wort von Ewigkeit immer zugegen und es sei das Haupt uns Hüter. Nicht Menschenmacht schafft Sicherheit der Kirche. Was sind wir Menschen anderes, denn eine träge Masse? Aber du hast ja, welch Wunder, den Bund des Fleisches geschlossen. Gottes Sohn, dein Leib leite uns immer; vereine dich mit uns, auf dass wir das ewige Leben haben. Aufrichtig sei das Lob, womit wir dir Ehre erweisen wollen.

Dass Melanchthon sowohl den Kirchenjahresanfang und Weihnachtstag als auch den bürgerlichen Jahresanfang berücksichtigte, wird anhand einiger Briefeinleitungen deutlich. 1554 schrieb er noch am Weihnachtstag, dem 25.  Dezember, Neujahrsgrüße an den Kurfürsten August von Sachsen: „Gottes Gnad […] und ein neu friedlich und fröhlich Jahr zuvor“12. Sein „Ipse Deus sapiens“ verwendet er an anderen Daten: 1557 in einem Brief vom 17. Januar; und 1559 leiten die Gedanken zum neuen Jahr gleich mehrere Briefe ein: am 1.  Januar­ („Calendis Ianuarii“)13, am 11. Februar14 und am 1. Dezember15. Zum 1. Januar des Folgejahres schickt er den Text als Neujahrsgruß an Jacob Bording16 und versendete ihn am gleichen Tag noch ein zweites Mal17. Eventuell hängt die zunehmende Berücksichtigung des Neujahrstages am 1. Januar mit Melanchthons 11 Wortlaut nach Corp. Ref. IX , Nr.  6152; Ebenso verwendet in Corp. Ref. IX , Nr.  6140, Nr. 6664 und 6645, Nr. 6686, Nr. 6881 sowie Nr. 6902. 12 Corp. Ref. VIII, Nr. 5702. 13 Corp. Ref. IX , Nr. 6664. 14 Corp. Ref. IX , Nr. 6686. 15 Corp. Ref. IX , Nr. 6881. 16 Corp. Ref. IX , Nr. 9602. 17 Corp. Ref. IX , Nr. 6665.

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humanistischem Hintergrund und seinem besonderen Interesse für Kalenderfragen zusammen. Wie Luther hatte Melanchthon in den zwanziger und dreißiger Jahren noch die Tagesbezeichnungen nach Heiligen verwendet; später wurde er damit zurückhaltender.18 In den vierziger Jahren schuf er sich dann einen eigenen Kalender, der von den kirchlichen Fest- und Namenstagen nur noch diejenigen enthielt, die dem reformatorischen Denken entsprachen, und ergänzte weitere Gedächtnistage.19 Mit diesem Kalender unternahm er „Tagesgedächtnisse“, die eine besondere Form seiner Frömmigkeit darstellten.20 Daraus lässt sich folgern, dass Melanchthons Einfluss „wesentlich dazu beigetragen hat, die in dem Zuge der Zeit liegende Tendenz auf Betonung des Jahreswechsels auch gegen Luthers Beispiel festzuhalten.“21 In dieser Hinsicht ausschlaggebend war sicherlich auch der Umgang mit dem Kalender im Gebiet der Schweiz. Deren Reformatoren begannen bereits in den zwanziger Jahren, nicht mehr die Heiligentage für Datumsangaben zu gebrauchen, sondern die profane Datierung zu verwenden.22 Die reformierte Baseler Kirche misst dem Neujahrstag früh eine religiöse Würde bei: 1565 wird in der Stadt und wohl auch bald auf dem Land der „Neu Jahrs Tag gleich den Sonntägen“ gefeiert.23 Einige Kirchenordnungen der Reformationszeit spiegeln die nun aufkommende Tendenz wider, dem 1.  Januar als Jahresanfang einen eigenen liturgischen Raum zu gewähren. Als eigener Feiertag ist der „Neujahrstag“ schon 1531 in der Kirchenordnung Göttingens24, 1533 in der Kirchenordnung von Brandenburg-Nürnberg sowie Wittenberg25, dann 1539 unter den „furnemen“ Festen von Pfalz-Zweibrücken26 aufgeführt. Das Stift Osnabrück bestimmt das Fest 1543 18 Vgl. Jung, Frömmigkeit und Theologie, 72. 19 Vgl. ebd. Jung beschreibt, dass diese Gedenktage „auf den ersten Blick profan erscheinende Ereignisse der jüngeren oder älteren Geschichte und aus seinem persönlichen­ Leben“, aber auch „Ereignisse aus der Passionszeit sowie Ostern, Pfingsten und das Dreieinigkeitsfest aus dem … kirchlichen Festkalender“ waren. 20 Vgl. hierzu das ganze Kapitel über Melanchthons Tagesgedächtnis ebd., 71–86. Jung betont, dass Melanchthons Tagesgedenken eine interessante Form einer kalenderbezogenen Frömmigkeitspraxis darstellt, die es so in der Reformationszeit nicht noch einmal gibt und die in modifizierter Form schließlich im Pietismus Verbreitung findet. Vgl. Jung, Frömmigkeit und Theologie, 79. 21 Bünger, Neujahrsfeier, 121. 22 Vgl. Jung, Frömmigkeit und Theologie, 72. 23 Meier, Freud und Leid, 2, 285. 24 Sehling, Kirchenordnungen, 6/2, 911. Dort heißt es, dass man „Wynachten, Ostern, Pingisthen; dartho den nygen jaresdach, epiphanie“ und weitere Festtage feiert. 25 Sehling, Kirchenordnungen, 1, 701. 26 Gefeiert werden die Festtage „als da sindt der Sontag und die furnemen fest: der Christag, Nativitatis Domini, und der nechst tag darnach, der new jars tag, Circumcisionis Domini, etc.“, Sehling, 18/1, 58. Interessant ist die parallele Nennung „Neujahrstag“ und „Beschneidung Christi“.

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Geschichte und Entwicklung der kirchlichen Neujahrslieder

als „ganzen“ Feiertag, der mit zwei oder gar drei Predigten begangen wird.27 Die Ordnung von Leiningen-Westerburg (1566)28 erläutert die doppelte Bezeichnung des Festes am Jahresbeginn: Man feiere alle Sonntage und Festtage, wie auch „den tag der beschneidung Christi, woelchen man den neuwen Jars tag nennet.“29 Die Nutzung der beiden Bezeichnungen für den Gottesdienst am 1. Januar, ob nun Circumcisionis/Beschneidung des Herrn oder Neujahrstag gibt freilich noch keine Auskunft darüber, ob der Gottesdienst mehr dem althergebrachten Festgegenstand oder dem anbrechenden neuen Jahr galt. Hier können allein Predigten Aufschluss geben. Es bleibt auch festzuhalten, dass es noch einhundert Jahre später Kirchenordnungen gibt, die kein Neujahrsfest nennen. Der Umgang mit dem „Sonderling“ bleibt demzufolge innerhalb der protestantischen Landschaft uneinheitlich. 1.1.3

Erste „Neujahrs“-Gottesdienste

Mit der Loslösung vom Weihnachtsfest bzw. dem Verrücken um die Weihnachtsoktav wird der Jahreswechsel liturgisch selbständig und zu einem eigenen Thema. Er besetzt nun gleichfalls den Tag, der, beginnend mit dem 6.  Jahrhundert, als „Beschneidung und Namengebung Jesus Christi“ gefeiert wurde. Dadurch entsteht eine Spannung zwischen althergebrachtem und neu hinzu­ gekommenem Festgegenstand. Hatten deutschsprachige Prediger des 14. und 15. Jahrhunderts das neu anbrechende Jahr, profane Neujahrslieder oder den Brauch, Neujahrsgeschenke zu überbringen,30 nur zum Anlass genommen, in der Predigt christologische Ausführungen zu machen, verändert sich dies im 16.  Jahrhundert. Von nun an finden sich Belege dafür, dass der Jahreswechsel gottesdienstlich begangen wird, indem sich die Predigt und in der Folge auch die Liturgie vermehrt dem „Neujahr“ – als alleinigem Festgegenstand – zuwendet. Auf diese Weise treten 27 Die drei Predigten werden bestimmt als Katechismuspredigt, Evangeliums- bzw. Hauptpredigt und Epistelpredigt. 28 In der Pfalz/Nassau. 29 Sehling, 19/1, 259. Auch die Kirchenordnung von Hessen 1566 nutzt die doppelte Bezeichnung des Festtages: als Tag der Beschneidung, der auch „Neu Jahrstag“ genannt wird. Vgl. Sehling, 8/1, 228. 30 Der Brauch, in der Predigt symbolisch Neujahrsgeschenke auszuteilen, kam im deutschen Sprachraum im 14. Jahrhundert auf und blieb, trotz mancher Kritik – u. a. auch Martin Luthers – „über die Schwelle des Reformationsjahrhunderts in Brauch. Da stiegen Prediger wie Johannes Tauler, Gottschalk Hollen, Johann Herolt, Johannes Nider, Geiler von Kaysersberg und andere am 1. Januar auf die Kanzel und übereigneten ihrer Zuhörerschaft je nach Stand und Beruf symbolische Geschenke, die sie allegorisch bzw. metaphorisch auslegen und so zur Ermahnung und Erbauung nutzen konnten.“ Kurze, Neujahrslied und Neujahrspredigt, 24. 

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Namen­gebung und Beschneidung mehr und mehr in den Hintergrund. So gibt Veit Dietrich seiner Gemeinde umfangreiche Ermahnungen mit auf den Weg ins neue Jahr und der Württemberger Johannes Brenz verfasst 1548 eine ­„homilia de novo anno“, die als eine der ersten Neujahrspredigten im eigentlichen Sinne aufgefasst werden kann: Sie enthält einen umfangreichen Rückblick auf die Vergangenheit und einen Ausblick auf die Zukunft.31 Die liturgischen Teile, die nun zu dem Neujahrsgottesdienst entstehen, beschäftigen sich v. a. mit „Rück- und Ausblicken, Paränesen und Segenswünschen.“32 Die Motive, die den Gottesdienst bestimmen, sind „Dank und Bitte, Erinnerung, Mahnung und Wunsch“.33 In diesem Rahmen werden schließlich auch Lieder benötigt, die eigens auf den Jahreswechsel zugeschnitten sind. Fritz Bünger stellt nach seiner Untersuchung von lateinischen Hymnen und anderen Liedern fest, dass das Kirchenlied zur Jahreswende, so wie wir es heute kennen – allein auf den Jahreswechsel bezogen – eine evangelische Erfindung der Reformationszeit ist. Im katholischen Bereich wird dem bürgerlichen neuen Jahr kein Raum gegeben. Beschneidung und Namengebung bleiben Feieranlass. Evangelische Kantionale aus der zweiten Hälfte des Reformationsjahrhunderts scheinen geeignet, über die musikalische Gestaltung der Gottesdienste am 1.  Januar Auskunft zu geben. Doch man wird hier kaum fündig. Im Werk von Franz Eler, lutherischer Kirchenmusiker in Hamburg, ist der Neujahrstag aufgeführt; ihm sind allerdings Weihnachtslieder zugewiesen.34 Die Kirchen­ordnungen von Pommern (1569) und Mansfeld (1580) verfahren entsprechend.35 In der Kirchenordnung von Pfalz-Zweibrücken (1557) wird immerhin festgehalten, dass die Feiertage der gewöhnlichen Sonntagsordnung mit „Lection, Gesang, Predigt, Communion“ folgen, „allein das die Introitus und Sequentz oder anstatt derselben ander deutsch geistliche lieder de Tempore gesungen werden.“36 Acht Jahre später mahnt die Kirchenordnung von PfalzZweibrücken, dass am Neujahrstag neben anderen Weihnachtliedern nicht vergessen werden sollen: „In friden dein“37 und „Herr, nun lesses tu“38.39 Die 31 Vgl. Bünger, Geschichte der Neujahrsfeier, 117. 32 Fechtner, Schwellenzeit, 127. 33 Ebd. 34 Vgl. Eler, Cantica Sacra, LXI .f „In vigilia circumcisionis“ ist verbunden mit Gesängen wie „Puer natus in Bethlehem“, „Dies est laetitiae“, „Verbum caro factum est“, „In dulci­ jubilo“ u. a. 35 Vgl. Sehling, Kirchenordnungen, 4, 477 und Sehling, Kirchenordnungen, 2, 235. 36 Sehling, Kirchenordnungen, 18/1, 206. 37 Gemeint ist „Im Frieden dein o Herre mein“ bereits in Nürnberg 1531 (heute RG 324 bzw. EG 222). 38 Als Canticum das ins Deutsche übertragene „Nunc dimittis“: „Herr, nun lässest du deinen Diener“; zu finden bei Babst, Leipzig 1545. 39 Sehling, Kirchenordnungen, 18/1, 340.

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Geschichte und Entwicklung der kirchlichen Neujahrslieder

Beispiele zeigen zum einen, dass weiterhin eine enge Beziehung zwischen Weihnachten und dem Neuen Jahr gesehen wird, indem Weihnachtslieder gesungen werden. Als Oktavtag zu Weihnachten ist Neujahr so auch musikalisch in den Weihnachtsfestkreis eingebettet. Zum anderen lässt sich anhand der Beispiele erkennen, dass das Liedrepertoire erweitert wird.

1.2

Aspekte der Entwicklung der Gesangbuchrubrik

Für den ersten Januar finden sich in den Gesang- und Messbüchern des Mittelalters sogenannte De-tempore-Lieder. Es sind Lieder, die den Tag oder das Jahr strukturieren, wie Tagzeitlieder und Festlieder. Auch Psalmen sind einzelnen Tagen zugeordnet.40 Die Feier des profanen Neuen Jahres wird schon in der Kirche des Mittelalters durch Theologen divergent bewertet. Die verschiedenen Positionen setzen sich auch in der Reformationszeit fort; und wir können sie bis in die ersten deutschsprachigen Gesangbücher hinein verfolgen: In katholischen Zeugnissen wird am bisherigen Festgegenstand der Namengebung und Beschneidung Jesu Christi festgehalten.41 Auch in den Wittenberger Gesangbüchern und in weiteren, die durch Luther und seine Haltung zum Neujahrstag beeinflusst waren, ist kein Lied zu finden, das sich dezidiert einer Neujahrsthematik widmen würde. Sie berücksichtigen das „neue Jahr“, bieten hierzu aber Lieder zur Beschneidung und dem Namen Jesus. Einzelne Gesangbücher der Zeit erweitern den Liedbestand, indem sie zu den bisherigen Liedern neue aufnehmen, die den Neujahrstag besingen; so z. B. das Bonner von 1575, das Beschneidungs- und Neujahrslieder gemischt präsentiert und jedem Lied noch eine eigene Überschrift zukommen lässt: Von der Beschneidung („Gott hat ein ewig Bundniß gestelt“); Ein Gesang des Jungen Volcks zum guten Jahr („Nun woelle Gott dß vnser Gesang“); Ein kurtz Kinderlied am Newen jahrsstag zu singen („Als Christe vnser seligkeit“); Ein ander Gesang / wie sich Christus dem Gesetz vnterworffen / vnd vns frey gemacht hat („Der von dem Gesetz gefreyet war“). Lieder zur Namengebung und Beschneidung zusammen mit Liedern zum Neuen Jahr in einem Gesangbuch finden sich beispielsweise auch in Strassburg 1557, Frankfurt 1569 und Tü­ bingen 1591. Auf das Neujahrslied „Nun wolle Gott, dass unser Sang“ des Konstanzer Reformators Johannes Zwick wird im Folgenden näher eingegangen. Andere be-

40 Vgl. Reindell, De-tempore-Lied, Würzburg 1942. 41 So z. B. im Gesangbuch von Konstanz 1594, das „Am newen Jahrßtag“ das Lied „Jesus ist ein suesser Nam“ aufführt.

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merkenswerte Lieder zum Neuen Jahr sind „In Gottes Namen fahren wir“­ (Erfurt 1527), von Nikolaus Hermann (um 1480–1561) gedichtet und mit der Melodie eines Wallfahrtsliedes aus dem 13. Jahrhundert versehen, das den Gedanken des Lebens als eines Pilgerwegs aufnimmt;42 außerdem auch „In dir ist Freude“ aus dem Jahr 1598, das auf die beschwingte Melodie eines Tanz­liedes gedichtet wurde und einen besonderen Fall unter den Neujahrsliedern darstellt. Johannes Lindemann hat es wohl vorgefunden43 und in seine Sammlung von zwanzig lateinischen und deutschen Neujahrs- und Weihnachtsgesängen44 aufgenommen. Einen Bezug zu Neujahr oder Weihnachten stellt der Text nicht direkt her; er ist offen gehalten und in seiner Betonung der Heilsbedeutung Jesu für das Leben der Menschen beiden Anlässen gemäß. Bezeichnend ist die Reihenfolge Neujahr – Weihnachten im Titel der Sammlung, die offenbar noch von der liturgischen Gleichsetzung der Feste ausgeht: Weihnachten ist auch Jahresbeginn, was Luther, wie gesehen, vehement vertrat. Trotz der thematischen Unbestimmtheit wurde das Lied in seiner Erstfassung bei den Neujahrsliedern einsortiert und auch später noch als solches wahrgenommen, wie die Stellung in Bachs Orgelbüchlein zeigt.45 An den Rubriküberschriften und manch einem Liedinitium wird zudem deutlich, dass es sich beim Neujahrsfest um eine Feierlichkeit handelt, an der Kinder beteiligt sind, die selbst singen oder an die sich die Lieder richten.­ „Hoert ihr lieben Kinderlein / Spricht das hertze Jesulein“46 (im Gesangbuch Dresden 1593) ist ein solches Lied mit ausgesprochenem Kinderbezug, indem es ganz auf die angesprochenen Kinder eingeht. Es ist überschrieben mit: „Ein ander Lied / in welchem das Kindlein Jhesus die Kinder vermanet / das sie fleißig beten vnd studieren sollen / Jm thon / Singen wir aus Hertzen Grund.“47 Die Besonderheit des Liedes liegt in einer ungewöhnlichen Perspektive bzw.

42 Der Reisegedanke ist in dem Lied so vorherrschend, dass es in die Rubrik „Auf Reisen“ gestellt wird. So beispielweise im EKG Berlin 1954. 43 Vgl. Marti, Freude, 49. 44 Unter dem Titel: AMORVM FILII DIE DECADES DVAE: Das ist Zwantzig Liebliche vnd gantz Anmutige Lateinische und Deutsche Newe Jharß / oder Weyhenachten Gesenglein / zu Lob vnd Ehren dem Newgeborenen Christkindlein JESV / Zum theil vnter etliche fröliche Madrigalia vnd Baletti / Auch andere liebliche Italienische Gesänglein / zu Fünff Stimmen / für dieser zeit vnterschiedlichen applicieret / Jetzund aber zu Erweckung der Gottsäligkeit / vnd mehrem Anlaß Christlicher Frewde: Allen Liebhabern der Edlen / Himlischen vn[d] Ewigbleibenden MVSICA / inn öffentlichen Druck publiciret vnd mitgeteilet / Durch Joannem LInDeMan …“ Als Liederbuch zu fünf Stimmen war es wohl für den Chorgesang vorgesehen. 45 Vgl. Marti, Freude, 49. 46 Es ist später kaum noch in Gesangbüchern vorhanden. In Leipzig 1614 (unter der Rubrik „Christliche Wiegenlieder“) und Hamburg 1703 (PPM) wird man aber fündig. 47 Dresden 1593.

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Geschichte und Entwicklung der kirchlichen Neujahrslieder

Sprechsituation. Es ist das Kind Jesus, das zu anderen Kindern spricht. So begegnet der zukünftige Christus den heranwachsenden Christenkindern im ähnlichen Alter und damit sozusagen „auf Augenhöhe“. Der mahnende Charakter, den die Überschrift erwarten lässt, bestätigt sich im Liedtext nicht. Vielmehr handelt es sich um eine Schutz- und Begleitzusage an lernfleißige Kinder. Daher hatte das Lied wohl seinen Platz in der Schule oder im Haus.48 Dies zeigt sich auch daran, dass es vereinzelt in der Gesangbuchsystematik bei den christlichen „Wiegenliedern“ erscheint.49 Als weiteres Beispiel führt Bonn 1575 „Ein kurtz Kinderlied am Newens Jarßtag zu singen“ an, das beginnt: „Ach Christe vnser seligkeit50 / der du bist in deiner Kindheit / An dem achten Tag beschnitten / nach den Mosaischen Sitten.“ Obwohl für den Gesang der Kinder gedacht, ist es vom Inhalt her eher für Erwachsene bestimmt. Denn es bedenkt den Bund, das Gesetz, Jesu Sühnewerk und sein Leben nach den göttlichen Geboten. Zu Beginn des 17.  Jahrhunderts zeichnet sich das lutherische Gemeindelied durch ein ganz besonders starkes Interesse an der Vergegenwärtigung Jesu Christi aus. Im Ablauf des Kirchenjahres wird hier an die Stationen des Lebens Jesu nicht allein „erinnert“, sondern es wird versucht, sich den erwünschten Retter unmittelbar affekthaft „einzubilden“.51 So vergegenwärtigen die Lieder […] die Lebensstationen Jesu nicht mehr nur wie diejenigen des Reformationszeitalters in lehr- und bekenntnishafter, der Anschauung nur im Zusammenhang mit dem Bekenntnis selbst Raum gewährender Abstraktheit und Kürze; vielmehr gewinnt – erinnert sei nur an den ausgedehnten Blutund Wundenkult der Passions- und Karfreitagslieder – das Sich-Hineinversenken in das Leben Jesu, in seine Psyche, seine Gefühle und Schmerzen, eine bemerkenswerte, sehr affekthaltige Eigenbedeutung für die Gläubigen.52

Der Lebensstation Jesu, an der er als acht Tage alter Säugling beschnitten wird, hat Paul Gerhardt demgemäß „nachgefühlt“, wenn er ein Lied beginnen lässt mit

48 Zu dem Inhalt und Ablauf von Hausandachten der Zeit und Gesängen im Tagesverlauf eines Haushaltes siehe das Kapitel „Gesangbücher in der Hausandacht“ bei Lorbeer, Sterbe- und Ewigkeitslieder, 149 f. 49 So z. B. Dresden 1593, das unter der Überschrift „Christliche Wiegenlieder“ folgendes präsentiert: „Hört jhr liebsten Kinderlein / sprich das hertze Jhesulein“ sowie „Das alte Jahr ist nu dahin“ (vorgestellt als ein „schoen Lied für die Kinder zum Newen Jahre / Jm thon / Von Himmel hoch da kom ich her“). 50 Ebenso in Frankfurt 1569 und Dresden 1593, zu finden. 51 Vgl. Kemper, Kirchenlied in der Krisen-Zeit, 106. 52 Ebd., 106 f.

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Warum machet solche Schmerzen, / Warum machet solche Pein, / Der von unbeschnittnem Herzen, / Dir, herzliebstes Jesulein, / Mit Beschneidung, da du doch / Frei von des Gesetzes Joch. / Weil du, einem Menschenkinde / Zwar gleich, doch ganz ohne Sünde?53

1.3

Exemplarische Liedanalyse

Nicht zufällig erscheint das erste Mal ein Kirchenlied zum Neuen Jahr in einem Gesangbuch im heutigen Grenzgebiet zwischen Deutschland und der Schweiz – im Gesangbuch von Konstanz. An diesem Ort und in der Region gibt es zur Reformationszeit ein reiches Neujahrsbrauchtum verbunden mit einer Theologie, die dem Neujahrsfest als gesellschaftlichem Ereignis positiv entgegentritt. Während man, wie gesehen, in Wittenberger Gesangbüchern der Zeit wohl aufgrund Luthers ablehnender Haltung Lieder zum Anlass des neuen Jahres vergeblich sucht, sind die Pfarrer und die Gemeinden von Konstanz hierin aufgeschlossener. 1.3.1

Nun woelle Gott, dass unser Gsang – Johannes Zwick (1533/34)

Bei diesem ersten Gesangbuchlied zum neuen Jahr handelt es sich um ­Johannes Zwicks „Nun woelle Gott, dass unser Gsang“. Mit dem Lied werden depre­ katorisch Glück- und Segenswünsche für alle Stände und Berufe, aber auch für individuelle Lebenssituationen vorgebracht. Trotz der oberdeutschen Mundart,  in der es ursprünglich verfasst wurde, hat es eine weite Verbreitung ge­ funden.54 Johannes Zwick gehörte, zusammen mit seinem Bruder Konrad sowie seinen Vettern Ambrosius und Thomas Blaurer (auch: Blarer), zu den Wegbereitern der Reformation in Konstanz.55 Näheres zur Persönlichkeit und Tätigkeiten Zwicks, der bereits mit 46 Jahren an der Pest verstarb, erfährt man am ehesten

53 Das Lied findet sich bis zur Aufklärung in vielen Gesangbüchern, danach nur selten und im 20. Jahrhundert kaum mehr. 54 Indem es aus dem Schweizerdeutschen ins Hochdeutsche übertragen wurde, konnte es Eingang in andere Gesangbücher finden. Vgl. Strobach, Deutsche Volkslieder II, 348. 55 Die Stadt Konstanz wurde 1527 reformiert, doch nur für kurze Dauer: Unter dem Druck der Habsburger erfolgte 1548 die gänzliche Rekatholisierung der Stadt.

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Geschichte und Entwicklung der kirchlichen Neujahrslieder

aus den Aufzeichnungen seines Verwandten und Freundes Ambrosius Blarer. Eigentlich zu einem exzellenten Juristen ausgebildet,56 begeisterte sich Johannes Zwick für die reformatorischen Ideen und wurde 1522 Pfarrer in Riedlingen, 1525 dann Pfarrer in Konstanz. Zwick sind Lieder im Gottesdienst ein Anliegen. So betont er den pädagogischen Wert des Gesanges. In seiner berühmten Vorrede zum Konstanzer Gesangbuch (1540) erklärt er: Wann nun hertz, wort vnd stimm sich miteinander übend gegen Gott, vnd der mensch vsserlich vnd innerlich gegen Gott redt oder singt, der bättet vnd singt vff die besten wyß. Item wort vnd stimm kommend dem hertzen wol in vil wäg. Es machets inbrünstiger, vnd das es sin selbs nit bald vergisst. Es weeret darby vil ­anderen fantisyen vnd zufällen. Vnd sol ein mensch an der predig wol ein halb stund anderen dingen nachsinnen, spräche es dem prediger die wort nach, oder dz es by einen yeden guten puncten Amen sagte, es geschähe jm vil minder.57

Johannes Zwick ist kein Dichter der großen Worte. Seine Gedichte „zeigen das Bestreben, so schlicht und einfach wie möglich zu sein“58. Er schreibt nicht aus dem persönlichen Erleben, sondern für das Haus, die Schule und die Kirche.59 Sein pädagogisches Bestreben zeigt sich besonders an der Vielzahl der Schriften, die er für Kinder verfasste.60 Der Einfluss seines Gesangbuchs erstreckte sich auf die Schweizer Orte und den Südwesten Deutschlands und half nach Zwinglis Tod bei der Einführung des Kirchengesangs in Zürich.61 Der folgende „Neujahrsgesang“ gehörte sicherlich zu den Liedern, die seiner Vorstellung nach über den gottesdienstlichen Gebrauch hinaus, auch im weltlichen Singen für Qualität sorgen sollten.62

56 Der damals berühmte Freiburger Jurist Zasius hatte ihn eine aufgehende Sonne genannt. Vgl. Spitta, Lieder der Konstanzer Reformatoren, III ., 324. 57 Vorwort des Konstanzer Gesangbuches. 58 Spitta, Lieder der Konstanzer Reformatoren, III ., 327. 59 Vgl. ebd. 60 Zwicks „Gebätt für Jung lüt“ (ca. 1535) enthält 38 seiner Gedichte. Das Buch wurde von Ferdinand Chors als Quelle für Lieder aus der Feder Zwicks wiederentdeckt. Vgl. Ferdinand Chors, Monatschrift für Gottesdienst und kirchliche Kunst II ., 346. 61 Vgl. Möller, 16. Jahrhundert, 92. 62 In der Vorrede zum Gesangbuch spricht Zwick von Liedern, die „außerhalb, anstatt der üppigen und schändlichen Weltlieder“ gesungen werden sollen.

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Nun woelle Gott, dass unser Gsang – Johannes Zwick (1533/34) Ein gsang deß jungen volcks zum gůten jar / in der melody / Gelobet syst du Jesu Christ. J. Z. [Original 1540, hier nach Wackernagel III, 680 – aus Strassburg 1537] (1) NVn wœlle Gott, dß vnser gsang / mit lust vnd frœud vß gloubẽ gang /  Zů wünschen eüch ein gůtes jar / vñ ers mit gnaden mache war / Alleluia. (2) Kein mensch noch stand mag hie beston / der Gott nit wirt zũ ghilffen hon /  Das er jn leit all tag vnnd stund / drumb wünschend wir vß hertzen grund /  Alleluia. Der Oberkeit (3) Der Oberkeit dass sy jrn gwalt / von Gott annemm / vnd recht verwalt /  Es geb jr Gott vil ernst vnd flyß / dass sy vfrecht sey frumm vnd wyß / Alleluia. (4) Zů handlen was Gott loblich ist / vnd sinem sun Herr Jesu Christ / Vñ blyb an sinen worten trüw / dass sy Jr arbeit nit gerüw / Alleluia. Der Gemeind (5) Einr gantzẽ gmeind gehorsamkeit / zů fürdrung zucht vñ frid / dass gsunder lyb hab gsunde glid / Alleluia. Den hußhalteren (6) Eim yeden huß vnd was darinn / dem wünschen wir ein rechten sinn /  Zů Gottes pryß vnd eer allzyt / der huß vnnd hof vnd alles gyt / Alleluia. Den Diensten (7) Eüch diensten ghorsam trüw vñ still / ouch fridlich zsyn wie Gottes will /  Es ist ouch Christus üwer knecht / wær das geloubt der dienet recht / Alleluia. Den Eelüten (8) Eelüt die læbind fridenrych / vnnd tragind liebs vnnd leids gelych / Es sey ein fleisch ein hertz vnd geist / die gnad / Herr Gott an jnen leist / Alleluia. Den jungen lüten (9) Ouch dass wir jungen fœrchtind Gott / vnd haltind sine heilgen gbott /  vnd wachsind vf in zucht vnd leer / dem gmeinen nutz vnd Gott zů eer / Alleluia. Den vatter / müter vnd schůlmeisteren (10) Wæm das von hertzen gelægen an / vñ der mit vns mag arbeit han /  Daß wir nach Gott erzogen wol / den selben Gott belonen sol / Alleluia. Den jungen gsellen vnd tœchteren (11) Die jungeñ gsellen allgemein / die tœchtern ouch behalt Gott rein /  Vnnd geb jn künschen sinn vnnd můt / zů überwinden fleisch vnd blůt / Alleluia. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525624364 — ISBN E-Book: 9783647624365

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Geschichte und Entwicklung der kirchlichen Neujahrslieder

Den krancken (12) Jr krankẽ habend schmertzẽ vil / ouch tag vnnd nacht gar lange wyl /  So mach üch Gott im hertzen gsund / gerüst mit dult zů aller stund / Alleluia. Denen die allerley crůtz tregend (13) Anfechtung / gefencknuß / truebsal / gschrey / veruolgung groß vnd ­mancherley / Erlydend vil vff dieser erd / Gott helff jn tragen solche bschwærd / Alleluia. Den armen (14) Es geb üch armeñ Gott der Herr / das tæglich brot vnd was üch mer /  An lyb vñ seel gar vil gebrist / voruß gedult durch Jesum Christ / Alleluia. Den arbeiteren (15) Die tæglich an der arbeit sind / mit frommkeit zneeren wyb vnnd kind /  Den wünschend wir dass jr genieß / in Gottes sægen wol erschieß / Alleluia. Den rychen (16) Die zytlich gůt vnd rychthumb hond / daby in grossen sorgen stond /  Die teilind vß vñ rüstind sich / dass sy vor Gott ouch syend rych / Alleluia. (17) Vnd dienind gern dem gmeinen nutz / dem armen mañ zů hilff vñ schutz / Ouch ziehind dkind darzů mit flyß / daß ist der rychen grosser pryß / Alleluia. Allen Sündern (18) Jr sünder sůchends himmelrych / vnd dass üch Gott die sünd verzych /  Bekeer üch all nach sinem wort / vnd mach üch sælig hie vnd dort / Alleluia. Den Predigern (19) Die vnns mit ernst den glouben leern, / der falschen leer vnd läben weern / Vnd fürend Gottes wort vnd werck, / den gebe Gott sin gnad vnd sterck. Beschluß (20) Das wünschend wir von hertzen all, / zůsyn ein volck das Gott gefall, / Ein eerlichs volck, ein heilge statt, / die sæch vff Gott gantz styff vnd satt. (21) Es sy mit vnns sin Göttlich hand, die bhüt vnnd bschirm vor aller schand, / Er geb mit gnad vil gůter jar / In siner lieb, das werde waar.

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1.3.1.1 Ältester Druck Das Lied erschien wohl zunächst in einem nicht mehr erhaltenen Vierliederdruck von 1534. Es war auch im (verlorenen) Konstanzer Gesangbuch von 1533 oder 1534 abgedruckt. Das Gesangbuch von Nürnberg 153463 enthielt es wohl auch, doch dies ist ebenfalls verschollen. Die ältesten greifbaren Versionen stammen aus dem Gesangbuch für Konstanz (Zürich 1536 oder 1537 – fehlendes Titelblatt) sowie aus dem Gesangbuch von Strassburg 1537 (Psalmen und geystliche Lieder). In der zweiten Auflage des Konstanzer Gesangbuchs von 1540 fehlen einige Seiten. Leider eben an der Stelle, an der „Nun wölle got, das unser gsang“ aufgeführt ist (S. 133/134). Die Lücke ließ sich allerdings durch das Auffinden eines Gesangbuchfragments der ersten Auflage (s. o.) schließen.64 Anders als Wackernagel65 geht Moeller66 davon aus, dass Zwick nicht schon in den zwanziger Jahren mit der Abfassung von Liedern begann, sondern erst nach 1530. Dann würde „Nun wolle Gott, dass unser Gsang“ zu seinen frühen Werken zählen. Über die Entstehung des Liedes ist kaum etwas bekannt. Jenny hat eine gewisse Nähe zu einem Sendschreiben des Ambrosius Blaurer an die Vaterstadt Konstanz (Neujahr 1532) festgestellt. Es ist ein Schreiben, das von Zwick öffentlich verlesen wurde und das er in den Druck gab.67 Demzufolge könnte das Lied bereits 1532 oder 1533 entstanden sein.68 1.3.1.2 Ein Neujahrslied, das nicht neu ist? Zwick hat das Lied für junge Sänger geschrieben, wie es in der Überschrift „ein gsang des jungen Volcks zum guten jar“ festgehalten ist. Anhand der Gestaltung des Liedes und seines Inhalts, aber vor allem durch die beschriebene Sängergruppe – junges Volk – liegt die Vermutung nahe, dass das Lied an die Traditionen der Heische- und Ansingelieder zum Neuen Jahr anschließt, wie sie bis heute in ländlichen Gegenden Deutschlands, der Schweiz und Österreichs Brauch sind69 Wie bereits festgestellt wurde, sind es vor allem Kinder- und Schulchöre, 63 „Der Se-/quents, San/cti spiritus assit etc. Vnd / das, Te deum laudamus teütsch, / darnach ein Geistlich gesang zů / dem Newen Jar, mit einer angehenckten Predgit, von der Kin-/der zucht, Durch Joannem Fritz / von Memmingen verteütscht. / M. D. XXXIIII .“ (Nürnberg 1534). 64 Vgl. für die Beschreibung des Fragments den Aufsatz von Vischer, Erste Auflage. 65 Vgl. Wackernagel, Kirchenlied, III ., 598, Anm. 66 Vgl. Moeller, Johannes Zwick und die Reformation in Konstanz, 162, Anm. 120. 67 Siehe hierzu die Synopse in Jenny, Geschichte, 219–223. Da einige Strophen im Sendschreiben Blarers keine Entsprechung haben und auch sonst der Bezug eher assoziativ ist, könnte es noch weitere Quellen für das Lied geben. 68 Vgl. ebd., 218–223. 69 Siehe zu Heische- und Ansingeliedern den entsprechenden Abschnitt im Teil  I dieser Arbeit.

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die schon lange vor der Reformation um Neujahr herum von Haus zu Haus ziehen, um singend gute Wünsche zu vermitteln und Geld zu sammeln. Zwick schließt mit seinem Lied auch in einem anderen Bereich an überlieferte Formen an. Mit „Gelobet seyst du Jesu Christ“ verwendet er die Melodie eines bekannten Weihnachtsliedes für seinen Text. Dieses Vorgehen ist später bei vielen Liedern zur Jahreswende zu beobachten: Durch die Einbindung des Festes in den Weihnachtsfestkreis liegt die Verwendung von Weihnachtsliedmelodien nahe. Auf diese Weise wird musikalisch eine Beziehung hergestellt, wenn auch auf der Textebene nicht mehr von Weihnachten, sondern vom Neuen Jahr die Rede ist. Auch in der Form des Liedtextes orientiert sich Zwick an einer überkommenen Form: Der Text entspricht einer ausführlichen Fürbitte für Menschen jeden Alters in der Gemeinde und der Gesellschaft. Mit dem Liedtext versucht er, wie auch andere Reformatoren, das Fürbittgebet neu zu bestimmen und das Gemeindegebet von dem Verdacht, ein Werk zu sein, zu befreien. Durch die Besinnung auf das Vaterunser als das vorbildhafte Gebet, wird eine gewisse Reihenfolge der Fürbitten gebräuchlich, wie sie auch bei Zwick zu finden ist: Es geht zunächst um „Gottes Sache in der Welt“ (Vaterunserbitten 1–3), dann um „Bedürfnisse des irdischen Lebens“ (Vaterunserbitte 4) und abschließend um die „Angefochtenen und Bedrängten (Vaterunserbitten 5–7).70 Aus welchem Überlieferungsgut Zwick für die Abfassung des Liedes geschöpft haben mag, soll eine Untersuchung zeigen. 1.3.1.3 Erster Neujahrsgesang im Gesangbuch „Nun woelle Gott, dass unser Sang“ ist ein umfassender Neujahrswunsch für die Christen, oder auch eine „förmliche Neujahrsgratulation, im großen Style“71. Die 21 Strophen sind vierzeilig, mit zwei Paarreimen durchweg im vierhebigen Jambus gehalten. Das Zeilenende ist jeweils betont, männlich. Als Perspektive wurde diejenige jugendlicher Sänger gewählt: Dies wird besonders deutlich an der dezidierten Zuweisung in der Liedüberschrift durch die Sprechperspektive des „wir“ – an zwei Liedstellen näher bestimmt.72 Aufbau und Gestalt entsprechen der Volksliedstrophe. Mit jeweils vier kurzen, prägnanten Zeilen und dem Reimpaar bleiben die Strophen leicht im Gedächtnis. Auch die Stilmittel, die Zwick verwendet, erleichtern das Auswendiglernen. Mehrfach ist ein Stabreim verwendet, in Formulierungen wie: „Lieb und Leid“, „Lehr und Leben“, „Wort und Werk“. Es handelt sich hierbei um geprägte 70 Vgl. Schulz, Gebet, 751. 71 Cunz, Geschichte, 301. 72 Dies geschieht in den Strophen, in denen die Sänger sich als „wir jungen“ bezeichnen, die noch aufwachsen werden (Str. 9) und die für ihre Erzieher, die mit ihnen „arbeit han“ mögen, Gottes Lohn erbitten (Str. 10).

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Wendungen, wie sie v. a. das Volkslied aber auch das geistliche Lied des ausgehenden Mittelalters auszeichnen. Die Bitten sind nicht allein auf das geistliche Leben der Menschen bezogen. Vielmehr wird Geistliches und Weltliches miteinander verbunden73 und theologisch gedeutet. „Kein Mensch und Stand“ mag bestehen, wenn Gott ihn nicht „mit starker Hand“ hält (Str. 2). In nahezu jeder Strophe ist auf Gott Bezug genommen, von dem Hilfe, Schutz und Stärkung zu einem tugendhaften Leben erhofft werden. Zu den von Zwick genannten Tugenden zählen Ernst, Fleiß, Gerechtigkeitssinn, Frömmigkeit und Weisheit, Zucht, Ehrbarkeit, Treue, Gehorsam, Friedensliebe, Liebe zum Ehepartner, Manieren, Keuschheit, Gesundheit, Freigiebigkeit, Nächstenliebe, Reue und Heiligung. Für diese Gestaltung mag Zwick Vorbilder in biblischen Tugendkatalogen74 gefunden haben, in denen das Leben der Christen von seiner sittlichen Seite her beschrieben wird. Ähnlich verfährt auch Luther in seiner sogenannten „Haustafel“75 (zweiter Anhang zum kleinen Katechismus 1529). Ein auffälliges Gliederungsmerkmal des Liedtextes sind die Überschriften zu den einzelnen Strophen. Mit Ausnahme der beiden einleitenden werden alle Strophen mit Überschriften versehen, die in Kurzform festhalten, wem der Stropheninhalt zugedacht ist. Es gibt mehrere Doppelstrophen. Für die ersten Wunschstrophen ist eine Reihenfolge erkennbar, wie sie beispielsweise auch in Luthers Haustafel zu finden ist: Als erstes wird die Obrigkeit angesprochen. Dann wird der Blick auf die (Kirch-) Gemeinde gerichtet, um dann auf das Haus, als kleinste Einheit der Gesellschaft, überzugehen. Die drei genannten Bereiche entsprechen der protestantischen Drei-Stände-Lehre76. Die sich anschließenden Strophen wirken diesem klaren Schema gegenüber recht unsortiert, doch richten sie sich alle an Personen, die in einem Haushalt zusammenleben oder zusammen73 Vgl. Dienst, Neujahr – Fest der Beliebigkeit?, 42. 74 Sie sind an mehreren Stellen in den neutestamentlichen Briefen zu finden: Gal. 5,22; Eph. 4,2 ff; Kol. 3,12 ff; 2. Kor 6,6; 2. Petr 1,7 und sind, wie ihre Form vermuten lässt, geprägte Stücke. Die Tugenden, die genannt werden, sind Früchte des Glaubens und keineswegs etwas, das sich einfordern lässt. Dem entsprechen Zwicks Formulierungen. 75 Zu der auf Luthers Haustafel bezogenen Literatur vgl. die Dissertation von Behrendt, Haustafelliteratur und Dreiständelehre, Berlin 2009. 76 Die Gesellschaft wird demnach nicht wie bisher in Klerus, Adel und Volk unterteilt, sondern in politia, ecclesia und oeconomia – Regierung, Kirchgemeinde und Hausgemeinschaft – gegliedert. Das neue Drei-Stände-Schema findet in der Zeit der kursächsischen Visitation zum ersten Mal Verwendung. So z. B. in Luthers Schriften „Vom Abendmahl Christi, Bekenntnis (1528), „Kleiner Katechismus“ und „Haustafel“ (1529) sowie „Vom Kriege wider die Türken“ (1529). Ebenfalls 1529 hat in Wittenberg der Thüringer Reformator Justus Menius seine „Oeconomia christiana, das ist von christlicher Haushaltung“, versehen mit einer Vorrede Luthers, in den Druck gegeben. Vgl. Schwarz, Ecclesia, oeconomia, politia, 78 f, Anm. 73.

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arbeiten.77 Anhand der Bitte, die der Lieddichter für jede der genannten Gruppen vorbringt, zeigt sich im Rückschluss, welche Gefährdungen er für diese und für ein ungestörtes und friedliches Zusammenleben sieht. Er möchte mürrischer Dienstverrichtung, Streit und Zwietracht sowie dem Lotterleben wehren, indem er wünscht, dass Diener treu und ohne viele Worte ihren Dienst versehen, dass Eheleute in Liebe und Leid zusammenhalten, dass die Jugendlichen in Gottesfurcht leben und in Zucht und mit Bildung aufwachsen, um der Gemeinschaft zu nutzen und Gott Ehre zu erweisen. Den Lehrern und Eltern solle es eine Herzensangelegenheit sein, die Kinder nach Gottes Gebot zu erziehen, und die Unverheirateten sollen rein bleiben, indem sie sich in Keuschheit üben. Die sich nun anschließenden Bitten sind an diejenigen gerichtet, die leiden oder unter großer Verantwortung stehen. Es ist keine strukturierte Reihenfolge mehr erkennbar. Es fällt auf, dass den Kranken nicht körperliche Heilung, sondern Gesundheit des Herzens gewünscht wird; ob Gesundheit oder Krankheit – es lässt sich beides damit tragen. Den in allerlei Situationen Leidenden wird Gottes Beistand und Unterstützung gewünscht. Den Armen soll das tägliche Brot und darüber hinaus alles zukommen, was ihnen an Leib und Seele fehlt. Und schließlich möge den Arbeitenden, die Frau und Kind zu versorgen haben, ihr Einkommen (=genieß) wachsen. Die Reichen werden in der Aufzählung nicht den Armen beigestellt. Sie bekommen zudem zwei Strophen zugedacht, in denen sie ermahnt werden. Sie sollen daran denken, dass ihr Hab und Gut nur zeitlich ist und vor Gott andere Dinge als Reichtum zählen, nämlich solche, wie sie in der anschließenden Strophe ausgeführt werden: gemeinnützig zu sein, den Armen zu helfen, sie zu schützen und auch die Kinder dahingehend zu erziehen. Die „Sünderstrophe“ befasst sich nun nicht mit den Sündern (als einer erkennbaren Gruppe, wie es die anderen sind), sondern ist allen Sündern gewidmet. Dies ist eine Adressatenausweitung, wie sie bisher nicht begegnete. Alle Sünder sollen nach dem Himmelreich suchen, um Gottes Vergebung zu erlangen. Gottes Wort möge sie bekehren und selig machen – im Diesseits und im Jenseits. Die folgende Strophe fällt durch ihre Stellung nach der Sünderstrophe und durch die angesprochene Gruppe besonders ins Auge: die der Prediger. Dass sie Predigern (und nicht Priestern, Mönchen, etc.) zugedacht ist, weist das Lied als eine reformatorische Schöpfung aus. Die Wünsche, die den Predigern zugeeignet werden, lassen Rückschlüsse auf ihre damalige Situation zu: Sie mögen „mit Ernst den Glauben lehren“, das heißt, ihr Amt und ihre Aufgabe ernst nehmen – 77 Sie sind an die Dienerschaft eines Hauses, an Eheleute, Kinder- und Jugendliche, Eltern und Lehrer, sowie unverheiratete Männer und Frauen gerichtet.

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was wohl nicht immer gegeben war. Sie möchten falscher Lehre und falschem Leben wehren (wie sie aus Sicht der Reformatoren einerseits in der römisch-­ katholischen Kirche und andererseits bei den sogenannten „Schwärmern“ zu finden war). Da dies keine leichte Aufgabe ist, brauchen die Prediger Gottes Gnade und Stärke, um die ebenfalls gebeten wird. Mit dieser ungewöhnlichen Strophe endet der Fürbittreigen, der litaneiartig alle Bereiche der Gesellschaft, alle Lebensalter, Rollen und Lebensumstände bedenken will. Die Zueignung der Wünsche an Einzelne mündet nun in eine allen geltende Strophe. Die vorhergehend einzeln aufgeführten Gruppen der Gesellschaft werden in dem Begriff „Volck“ zusammenführt. Sie allesamt sollen ein gottgefälliges, ehrliches Volk sein, das ganz auf Gott ausgerichtet ist. Das Volk soll „eine heilge statt“ – also eine heilige Stätte – sein; dahinter steht das Verständnis, dass heilige Stätten von dem Gott zeugen, dem sie gewidmet sind, und dass sie als Orte gelten, in denen dieser Gott sich niederlässt. Letzteres mündet in die Abschlussbitte, die uns allen zuspricht und allumfassend formuliert: Gottes Hand möge alle behüten und vor aller Schande schützen, und er möge allen viele Gute (Lebens-)Jahre schenken. Wie der Nachvollzug der Bitten gezeigt hat, nennt das Neujahrslied alle Dimensionen der Gottes-, Nächsten- und Selbstbeziehung, indem es die einzelnen Gruppen in ihrer Position, bzw. Rolle in der Gesellschaft anspricht. Es verweist jeden Stand und jede Gruppe auch auf die vielen anderen: Es verweist Alte auf Junge und genauso umgekehrt, weist auf Benachteiligte der Gesellschaft hin, damit sich alle umeinander sorgen mögen, um aufeinander acht zu geben und sich wechselseitig zu unterstützen. Schließlich wird an keiner Stelle der Bezug zu Gott aus den Augen verloren. Alle werden auf diese zentrale Beziehung hingewiesen, indem allein von Gott alles Gute, der Schutz und die Kraft für jedes Leben im anbrechenden neuen Jahr erbeten und erhofft werden. Dass das Lied das erste Neujahrslied ist, das sich in einem Kirchengesangbuch findet, bedeutet zu der damaligen Zeit nicht unbedingt, dass es auch im Gottesdienst eingesetzt wurde. Dass ihm eventuell doch eine liturgische Funktion zukam, könnte auf folgender Tradition fußen: Im Spätmittelalter hatte sich der Brauch eingebürgert, dass der Prediger von der Kanzel aus den anwesenden Ständen Neujahrswünsche78 zusprach: Der Chor hätte dann mit dem Lied 78 Von diesem Brauch berichtet z. B. Strigenicius (†1603), der Hofprediger in Meißen war. In seiner Predigtsammlung „Der süsse Jesu Christ“ (1598) erinnert er sich „des alten löblichen Brauchs, da man etwan inn der Kirchen das Newe Jahr hat pflegen auszutheilen, vnnd einem jeglichen Stande was sonderlichs zugeeignet, von seinen lieblichen Bildnissen, so GOtt in die Natur abgemalet, darbey sich ein jeder in seinem Beruff, seines Ampts erinnern sollte. Der Weltlichen Obrigkeit hat man ein Pellican geben, der sein Blut für seine jungen lest. Den Untertanen ein Bienlein, welches seinen Weifel und Könige ehret, vnd in Unterthenigkeit gute Ordnung helt. Den Predigern, Noah Täublein. Den Zu-

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diese Tradition zunächst unterstützt79; und es ist möglich, dass die Gewohnheit der Neujahrswünsche im Gottesdienst schließlich ganz von der Pfarrperson auf einen singenden Chor überging. Diese Vermutung wird von der 19. Strophe gestützt, in der schließlich auch den Predigern zugesungen wird. Durch den Übergang des Liedes vom Chor- zum Gemeindegesang, singen sich die Gemeindegruppen die Wünsche endlich gegenseitig zu. Der Gesang schließt auch den Pfarrer mit ein und nimmt man es genau, dann singen sich die einzelnen Sängerinnen und Sänger die Wünsche sogar selbst zu. 1.3.1.4 Tradierungs- und Rezeptionsgeschichte Hinsichtlich der Verbreitung des Liedes lässt sich feststellen, dass es schon früh den Weg ins deutsche Singgut gefunden hat. Es ist eins der ersten Beispiele eines evangelischen Kirchenliedes, das, aus dem Schweizer Raum stammend, sehr bald auch in ganz Deutschland verbreitet ist.80 1557 ist es im Straßburger Gesangbuch zu finden, 1569 im Frankfurter und 1575 im Bonner Gesangbuch81. Die baldige Aufnahme in diese Gesangbücher zeigt, dass es damals ein Bedürfnis für Neujahrslieder gab, die zu Hause oder im Gottesdienst gesungen wurden. Das Lied wird offensichtlich als hilfreicher Gesang für die besondere Festzeit82 „Neujahr“ angesehen. Man könnte annehmen, dass die Abfassung des Liedes in oberdeutschem Dialekt einer weiten Verbreitung hinderlich war, doch bildete die Mundart keineswegs eine Sprachbarriere. So wurden gute Übertragungen in das Hoch­

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hörern ein Schäflein, das seines Hirten Stimmer erkennet, demselbigen trewlich folget, vnd giebt seine Milch und Wolle gerne. Haußväter und Haußmütter, hat man verehret mit einem Ameißlein, welches im Sommer embsig eintreget, vnnd das seine fleissig zu rathe helt. Die Kinder mit einem Storck, der seine alte Eltern eßet, träncket vnnd tregt. Das Gesinde mit einem Kranich, der wacker ist. Schulmeister und Schüler, mit der Gluckhenne. Widwer vnnd Widwen mit einem Turteltäublein, welches seines Gatten nicht vergisset, vnd behelt seinen Widwenstuel vnverruckt. Jungfrawen hat man verehret mit einem Schneckenheußlein, daß sie solten daheime im Hause bleiben, vnnd nicht ­außspaciren.“ Gregor Strigenitz, Der suesse Jesu Christ. Das ist: Acht Schoener ­lieb=licher vnnd troestlicher Weynacht Pre=digten …, Leipzig 1598, 73 f. Vgl. Mahrenholz, Handbuch zum EKG III /1, 209. Vgl. von Greyerz, Volkslied der deutschen Schweiz, 211. Das älteste erhaltene Exemplar des Bonner Gesangbuches (1550) befindet sich heute in der Bibliothek des Vatikans in Rom. Im Sinne eines „Unionsgesangbuches“ war es von Erzbischof Hermann von Wied in Auftrag gegeben worden, basierte auf Bucers „Strassburger Gesangbuch (1538)“ und beinhaltete Lieder der Lutheraner und Reformierten, der Böhmischen Brüder und Psalmgesänge der Wiedertäufer. Vgl. Klusen, Bonner Gesangbuch von 1550, passim. Jenny sieht in den Konstanzer Liederdichtern die Schöpfer und damit Väter des frei gedichteten biblischen Festliedes (abgesehen von dem Gesangbuch der Böhmischen Brüder, das in der Zeit eine Sonderstellung innehat). Vgl. Jenny, Geschichte, 99.

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deutsche angefertigt, bei denen es aufgrund der vielen Elisionen von Vokalen in Artikeln und Wortauslauten der Originalsprache jedoch nicht immer leicht fiel, das Versmaß beizubehalten.83 Die Übertragungen ermöglichten eine Verbreitung im gesamten deutschsprachigen Raum.84 Ein interessantes Beispiel der Liedadaption, das so noch nicht wahrgenommen wurde,85 stammt aus dem Jahr 1543. Da diente das Lied bereits Herzogin Elisabeth von Braunschweig-Calenberg, der sogenannten Reformationsfürstin86, als Grundlage für ein Neujahrslied, das sie auf einen Fürsten dichtete.87 In den Gesangbüchern der Folgezeit werden bei „Nun wolle Gott, dass unser Sang“ die Überschriften der einzelnen Strophen häufig fortgelassen. Oder es wird eine Strophe am Ende hinzugedichtet, die als Doxologie den Abschluss bildet.88 Im Laufe der Zeit entfallen schließlich mehrere Strophen: diejenigen für Väter, Mütter und Schulmeister sowie diejenigen für die jungen Gesellen und Töchter. Zudem werden Strophen ausgespart, die eine bereits vorangegangene 83 Es konnte dadurch sogar notwendig werden, eine andere Melodie zu verwenden. 84 Dieser Verbreitung nachzugehen fand bereits Friedrich Spitta, Professor an der Straß­ burger Universität, reizvoll: „Es wäre eine interessante Aufgabe, im einzelnen nachzuweisen, wie die Klänge vom Bodensee in kurzer Zeit bis zur Nordsee und dem baltischen Meer gedrungen sind, wie sie in lutherischen, böhmischen, reformierten Gesangbüchern Aufnahme gefunden haben.“ Spitta, Lieder der Konstanzer Reformatoren, I., 359. Genauso interessant sind allerdings die Ausnahmen: Spitta stellt fest, dass in keinem Gesangbuch Luthers ein Konstanzer Lied vertreten ist. Noch folgenschwerer ist, dass auch in das Babst’sche Gesangbuch kein einziges Lied der Konstanzer Reformatoren Eingang fand. Als möglichen Grund hierfür sieht Spitta die Ablehnung der Wittenberger Konkordie durch die Konstanzer an. Vgl. Spitta, Lieder der Konstanzer Reformato­ ren, I., 395. 85 Albrecht Classen druckt das Lied ab, gibt aber nur allgemein an, dass es zu entlehnten, früher erschienenen geistlichen Liedern gehört. Vgl. Classen, Religiöse Frauenlieder, 275. 86 Elisabeth, eine geborene von Brandenburg (1510–1558), setzte zusammen mit dem hessischen Reformator Anton Corvinus im heutigen Südniedersachsen die Reformation durch. 87 Das Lied ist unter der Nr. 11 im Anhang nachzulesen. Einzelne Wendungen sind voll­ ständig übernommen. Interessant ist zudem der freie Umgang mit dem „alleluia“ am Ende jeder Strophe, das in der 2. und 5. Strophe abgewandelt wird in ein „alle“ mit Doppelpunkt und als „Singaufforderung“ an eine Gruppe aufgefasst werden kann. Die Herzogin verfasste außerdem zwei sehr persönliche Neujahrsgrüße an ihren Mann (die Nummern 7 und 8, abgedruckt bei ebd., 288–291). In einem ersten Lied bittet sie um Schutz und dass sie ein Kind empfangen möge. Im zweiten bedankt sie sich überschwäng­ lich für die Geburt der Tochter Catharina (später Frau des katholischen Burggrafen von Rosenberg). 88 So z. B. in PPM 1674, Nr. 183, als 22. Strophe: „Ehr sey Gott Vatter und dem Sohn / Samt heilgem Geist im höchsten thron / Wie es im anfang war allzeit / Jsts jetzt / und bleibt in ewigkeit / Alleluia.“

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nur ergänzen oder einen Gedanken weiter ausführen (nach der ursprünglichen Zählung die Strophen vier, zehn und siebzehn) oder die Sängergruppe als Kinder und Jugendliche kennzeichnen.89 Der bereits sehr dichte Liedtext wird auf diese Weise ganz auf das Wesentliche reduziert; pro Gruppe gibt es nun nur eine Strophe mit einem konkreten Wunsch. Ein Nebeneffekt ist, dass das Lied auf diese Weise noch leichter zu memorieren ist. Ursprünglich war dem Ende einer jeden Strophe ein „Alleluja“ angefügt, das aber schon bald entfiel. Durch eine Verkettung mehrerer Umstände gerieten die Konstanzer Lieder­ dichter Johannes Zwick sowie Ambrosius und Thomas Blaurer samt ihren Liedern in Vergessenheit. Dazu trug zum einen die totale Rekatholisierung Konstanz’ ab 1548 bei, durch die alle Reformatoren aus der Stadt vertrieben wurden  – ein Ereignis, das Zwick freilich nicht mehr erlebte. Die Lieder verloren auf diese Weise ihre Gemeinde, ihren „Sitz im Leben“. Zum anderen fanden die Konstanzer Gesänge bei Martin Luther keine Aufnahme. Ursprünglich in Straßburger Gesangbüchern zu finden, wurden sie durch Buzer daraus entfernt.90 Trotz dieser Umstände – Verlust der ursprünglichen Heimat durch die Auflösung der reformierten Gemeinden in Konstanz und Ablehnung aus persönlichen Gründen  – hielten sich die Lieder über Jahrhunderte in Gesangbüchern der deutschen und romanischen Schweiz und auch des westlichen Deutschlands, bis sie in der Zeit des Rationalismus ganz verschwanden.91 Dieses Schicksal war auch dem Lied „Nun wollte Gott, dass unser Sang“ beschieden. Es hat „in der Aufklärung ‚schöneren‘ Liedern weichen müssen“.92 Nahezu zweihundert Jahre gerät es in Vergessenheit. Erst mit Friedrich Spitta, der die Konstanzer Reformatoren als Dichter wiederentdeckt und die Wiederaufnahme ihrer Lieder in Gesangbücher bewirkt93, wird es erneut bekannt. Zu „Nun wolle Gott, dass unser Sang“ hat Spitta in der ersten Ausgabe der Monatschrift für Gottesdienst und kirchliche Kunst des Jahres 1900 einige Vorschläge für die 89 So sind z. B. im EKG Darmstadt 1950 (Nr. 36) die ursprünglichen Strophen Nr. 4, 10, 11 und 17 weggelassen. 90 Dies geschah 1545. Aus dem Straßburger Gesangbuch sollten sämtliche Konstanzer Lieder ausgeschlossen werden. Vgl. Spitta, Gesang des jungen Volkes, 2.  91 Vgl. Spitta, Gebete und Lieder, VI . 92 Mahrenholz, Handbuch zum EKG III /1, 207. Die Gesangbuchrestauration brachte nur hie und da einige wenige Lieder erneut in Gebrauch. Vgl. Spitta, Gebete und Lieder, VI . 93 Vgl. Moeller, Johannes Zwick und die Reformation in Konstanz, 209. Friedrich Spitta verfasste zu dem Thema eine Reihe für die Monatschrift für Gottesdienst und kirchliche Kunst (vgl. Literaturverzeichnis). Er gab außerdem mehrere Schriften Zwicks neu heraus und übertrug v. a. dessen Gebete und Liedtexte ins Hochdeutsche; so z. B. „Gebete und Lieder für die Jugend von Johannes Zwick, Göttingen 1901“. Eine Übertragung des Liedes ins Hochdeutsche hatte bis dato nur Eingang in das Gesangbuch für Elsaß-­Lothringen und in das Gesangbuch für die evangelischen Gemeinden in Ägypten gefunden. Vgl. Spitta, Gesang des jungen Volkes, 2.

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Verwendung, bzw. Aufführung im Gottesdienst gemacht.94 Das Lied wird von ihm als Schlusslied für den Kindergottesdienst empfohlen. Als Variante schlägt er vor, dass der Kinderchor am Ende des Neujahrsgottesdienstes auftreten könne. Er beschreibt, wie die einzelnen Strophen auf den in Gruppen gegliederten Kinderchor aufgeteilt werden könnten, wobei er u. a. Jungen und Mädchen im Wechsel singen lassen würde. Für die letzten beiden Strophen wird die Gemeinde in den Gesang einbezogen: Sie soll einstimmen, am Ende auch aufstehen und jeder solle die Wünsche durch ein Händeschütteln mit den jeweiligen Sitznachbarn bekräftigen. Spitta erhofft sich, dass ein solcher oder ähnlicher Brauch in den Gemeinden eingeführt werden wird. Der Beginn des 20.  Jahrhunderts95 sei eine gute Gelegenheit dafür. Inwieweit Spittas Vorschlag Aufnahme und sein Aufführungsbeispiel Nachahmung fand, ist ungewiss; die Ausführungen zeigen aber, dass Spitta ein gutes Gespür dafür besaß, dass einem Neujahrslied über den Gemeindegesang hinaus weitere liturgische Funktionen zukommen können und sollen.96 1.3.1.5 Zum heutigen Gebrauch Das Lied war im EKG 1950 noch vorhanden, findet sich heute jedoch nur noch im Regionalteil des EGs von Österreich.97 Die Vermutung, dass es im Neujahrsbrauchtum verankert ist und daher in dieser Region beibehalten wird, bestätigt sich nicht. Die Kommission für den Regionalteil EG/Ö wollte es in der Rubrik erhalten – wenn auch sein „Sitz im Leben“ schwindet, indem die Zahl der gehaltenen Neujahrsgottesdienste kontinuierlich abnimmt.98 Obwohl es aus dem Konstanzer Raum stammt, ist das Lied von Zwick im RG der deutschsprachigen Schweiz nicht zu finden. Es war im Probeband des RKG vorhanden99, schafft es aber nicht in den regulären Band. 94 Vgl. ebd., 3. An Spittas praktischen Hinweisen zeigt sich einmal mehr seine Bezogenheit auf die Praxis der Gemeinde, die zu seiner Zeit ein Novum im Bereich der praktisch theologischen Forschung darstellt. Sowohl er als auch sein Mitstreiter Julius Smend nehmen den Standpunkt des „kirchliche Praxis erlebenden, gestaltenden und daraufhin reflektierenden Kirchenmanns“ ein und nicht den eines „Analytikers, der in methodischer Distanz an die Sache herangeht.“ Klek, Erlebnis Gottesdienst, 197, (Hervorhebungen getilgt). 95 Spitta schreibt auf die Jahreswende 1900/1901 bezogen. 96 „Wir bedürfen viel, viel mehr, als es bisher der Fall gewesen, in unseren Gottesdiensten des Ausdrucks der Gemeinschaft und sollten glücklich sein, wo sich uns Formen bieten, in denen wir dieses Bedürfnis befriedigen können. Zwicks Lied kann uns dazu verhelfen.“ Spitta, Gesang des jungen Volkes, 3. 97 Vgl. Evangelisches Gesangbuch. Ausgabe der Evangelischen Kirche in Österreich, Würzburg 1994, Nr. 556. 98 So die schriftliche Auskunft des Kommissionsmitgliedes Prof. Werner Horn, Klagenfurt. 99 Probeband RKG Nr. 192. Die Mehrheit plädierte für eine Streichung des Liedes; so die handschriftliche Notiz von Dr. Fritz Enderlin in seinem Gesangbuchexemplar des Probebandes (heute in der Sammlung Jenny in der Zentralbibliothek der Universität Zürich).

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1.3.2 Ergebnisse Der Anlass des Liedes ist das anbrechende Jahr; die Liedanalyse und die Entstehungssituation machen jedoch deutlich, dass Zwick Elemente aufnimmt und verarbeitet, die er vorgefunden hat: aus dem Volksbrauch des Neujahrssingens die Gestaltung, dass ein Kinderchor dieses Lied singt, aus dem Brauch des Neujahrsausteilens wie auch eines Neujahrsbriefes die Anrede aller Stände und Lebenssituationen und aus dem Gedankengut der Reformation Ethik und Sittenlehre, die über Ort und Aufgabe eines jeden in der Gesellschaft belehren möchte. Die Gestaltung als Wunschreihe entspricht dem liturgischen Element der Fürbitte; durch die Verwendung einer Weihnachtsliedmelodie bleibt das Lied in den Weihnachtsfestkreis eingebettet. Es sind unterschiedliche Elemente, die in Zwicks Lied zusammenkommen, doch in der Kombination ergeben sie eine neue Liedgattung: das deutschsprachige Kirchenlied, das auf das neue Jahr bezogen ist. Bünger wagt die These, dass das Neujahrslied der Kirche auf das Kinderlied zurückgehe. Doch allein von der Tatsache her, dass dieses Lied durch „junge Lüt“ vorgetragen wurde, kann dies nicht aufrechterhalten werden. Es handelt sich ausschließlich um den Sängerkreis, von dem Bünger ausgeht. Die Melodie des „Vom Himmel hoch“ könnte dies zusätzlich stützen. Doch der Inhalt des Liedes entspricht keineswegs einem „Kinderniveau“, sondern verfolgt hohe ethisch-sittliche und theologische Ziele. Das Lied spiegelt den hochmittelalterlichen Ordo-Gedanken wider, demzufolge alle Dinge ihren Ort und ihr Wesen der Beziehung zu ihrem Schöpfer gemäß haben.100 Es werden Tugenden des sittlichen Zusammenlebens genannt. Implizit wird ein Gesellschaftsbild entworfen, das der protestantischen Drei-Stände-Lehre entspricht und den Klerus, nun in der Form des Predigers, in diese Welt hineinholt, indem der Sonderstatus ganz aufgehoben und der Prediger zu einem Menschen unter vielen wird, der – wie alle anderen auch – eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen hat. Exkurs: Haustafellieder – von Ständen und christlicher Tugendethik Dass das Neue Jahr mit einer „Ständedidaxe“101 verbunden wurde, zeigen mehrere Dokumente der Reformationszeit. Luthers Drei-Stände-Schema ist in diesem Zusammenhang aber kein Novum, sondern hat bereits vorreformatorisch Tradition, wie eindrücklich ein Flugblatt aus Ulm, datiert auf das Jahr 1504, belegt.102 Es ist auf eine Predigt bezogen und auf dem dazugehöri100 Vgl. Dienst, Neujahr – Fest der Beliebigkeit?, 42. 101 Schreyl, Neujahrsgruß, 23–27. 102 „Ain guts news seligs iar an der cantzel geben in der loblichen stat Ulm Den herrñ. müs[s]sig genden vnd gemainem man. Jm fünf[fz]ehenhundert vnd vierden jar“, Ulm 1504. Zu finden in Schilling, Bildpublizistik, Abb. 16, 249 f.

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gen Holzschnitt ist das Jesuskind zu sehen, wie es ein Kalb, einen Löwen und ein Schaf an der Leine führt. Dies sind „tierallegorische Verkörperungen der drei Stände“.103 Worauf Zwick für den Neujahrsgesang zurückgriff, wird durch Textvergleiche erkennbar. Er könnte sich an einem Brief des Ambrosius Blarer orientiert haben, wie Jenny104 ausführlich beschreibt. Es ist jedoch wahrscheinlicher, dass sich Zwick an der „Haustafel“ Luthers orientierte oder die dahinterstehenden Bibelstellen als Vorlage nahm. Hierfür spricht eine größere Übereinstimmung in der Erwähnung der Gruppen zwischen Luthers Haustafel und Zwicks Lied als zwischen dem Lied und dem Brief Blarers. So lässt sich an dieser Stelle feststellen, dass „Nun wolle Gott, dass unser Sang“ der früheste Beleg für ein „Haustafellied“ in einem Gesangbuch sein muss. Von dieser Art geistlicher Lieder sind nur wenige bekannt; und es ist zudem eine Gattung, die sich in der Praxis und damit auch in den Gesangbüchern nicht lange gehalten hat.105 Hier ein kurzer Blick auf die wenigen bekannten Lieder: Im Jahr 1545 gibt der Nördlinger Superintendenten Kaspar Löhner (1493–1546) seinem Kleinen Katechismus eine von ihm in Liedform gefasste Haustafel106 bei. Der Bezug zu Luthers Textfassung ist deutlich zu erkennen. Das Lied wird später von Johann Lauterbach bearbeitet und um die Gruppen der „Zuhörer“ und „Untertanen“ erweitert.107 Von Nikolaus Herman (um 1500–1561) in St. Joachimsthal ist ein weiteres Haustafellied bekannt. Es erschien 1562 als Einzelschrift.108 In einer kurzen Vorrede nimmt der Verfasser Bezug auf die „Tabula Cebetis“109, ein antikes grie103 Ebd., 250. 104 Vgl. Jenny, Geschichte, 218 ff. 105 Die Lieder sind in ihrer Art sehr belehrend und wurden sicherlich vor allem zu Unterrichtszwecken verwendet. Als Kirchenlieder sind sie eher ungeeignet und als solche auch nicht weiter überliefert worden. 106 Löner, Gesang von allen Stenden. 107 Lauterbach, Haußtaffel. 108 Die Schrift umfasst elf Blätter. Das Dokument ist am Textende auf 1560 datiert. 109 Die Erzählung zu der „Tabula Cebetis“ stammt wohl aus dem ersten Jahrhundert n. Chr., obwohl sie dem Cebes, einem Schüler des Sokrates zugeschrieben wird. In der Erzählung erklärt ein weiser alter Mann einer Gruppe von Pilgern im Heiligtum des Kronos eine „Bildtafel des Kebes“. Dargestellt wird dort das Leben des Menschen im Streben nach der Glückseligkeit. Dies wird in drei Burgringen mit Toren um eine „Akropolis“ herum – den Sitz der Glückseligkeit – verbildlicht. Der Lebensweg ist begleitet von Tugenden und Lastern, allegorisch als Personen dargestellt. Zur Glückseligkeit gelangt aber nur, wer sich im Leben richtig entscheidet: für die Tugenden und die Bildung. Die griechische Erzählung von der „Tafel des Kebes“ wurde zu Beginn des 16. Jahrhunderts in mehrere europäische Sprachen übersetzt und war sehr beliebt. Von Holbein ins Bild gesetzt, ziert sie bereits 1522 das Titelblatt des Neuen Testaments von Erasmus. Die Übertragung des Textes in die deutsche Sprache wurde von Georg Witzel (Mainz 1545) und Hans Sachs (Nürnberg 1551 – als Manuskript bereits 1531) geleistet. Letzte-

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chisches Gemälde, das vor Lastern warnen und die Jugend zur Tugend ermahnen wollte. In der griechischen Originalerzählung erschließe sich das Bild dem Betrachter nicht, wenn es nicht durch einen Priester erklärt werde. Die Haustafel sei im Gegensatz dazu jedem verständlich, der sie lese. Der Liedtext widmet sich vergleichsweise ausführlich dem Lehrer und seinen Schülern. Die Orientierung an Luthers Vorlage wird durch die Aufnahme des Schlussversleins der Haustafel „Ein jeder lerne seine Lektion“110 deutlich. Aus dem Jahr 1664 ist ein Flugblatt111 erhalten, mit dem der Nürnberger Pfarrer Johann Saubert die gleichzeitig erscheinende Neujahrspredigt durch ein Liedblatt ergänzt. Dem Lied liegt ebenfalls die lutherische Haustafel zugrunde. In reformierten Psaltern der Zeit bildet die Haustafel den Bezugsrahmen für Psalmempfehlungen. Gruppen und Einzelpersonen, wie Hausvätern, Regierenden, Schulmeistern, Schülern, Kranken und Reisenden werden verschiedene Psalmen als persönliches Gebet nahegelegt.112 Es gibt aus dem 16. Jahrhundert mehr Beispiele für gereimte Haustafeln als für Lieder. Berendt hat sich um eine Zusammenstellung und Darstellung bemüht. Es sind Texte von Johann Holtheuser, Konrad Graff, Johannes Ghro, Elias Noricus und Adelarius Roth sowie vom Schweizer Pfarrer Josua Maaler und anonyme Texte auf Einblattdrucken zum Neuen Jahr.113

rer war ein Bild von Erhard Schön beigegeben. Sie wurde 1570 erneut gedruckt. Eine Zusammenstellung aller Übersetzungen sowie beigegebener Bilder ist zu finden in: Sider, Cebes’ Tablet. Zu den philologischen, theologischen, künstlerischen und pädagogischen Aspekten sowie der Wirkungsgeschichte vgl. Hirsch-Luipold u. a., Bildtafel des Kebes, Darmstadt 2005. Eine Darstellung der „Tabula Cebetis„aus dem Jahr 1551 findet sich im Anhang dieser Arbeit (Abb. III). 110 Luther beendet seine Haustafel mit dem Verslein: „Ein jeder lern sein lection, so wird es wol jm hause ston.“ Luther, WA 30, 402. 111 „Christlicher Wunsch / Zu einem Glueckseligen / Fried= und Freudenreichen Neuen Jahr 1664 […]“, Nürnberg: Johann Minderlein 1663. Schilling, Bildpublizistik, Abb. 17. Schillings Bemerkung, dass Neujahr am 25. Dezember gefeiert wurde und so mit dem Fest der Beschneidung und Namengebung Jesu Christi zusammenfiel (Schilling, Bildpublizistik, 251, Anm. 26) ist, wie die Auseinandersetzung mit dem Kalender und Kirchenjahr gezeigt hat, ein Fehlschluss. 112 Vgl. Marti, Genfer Psalter, 65. 113 Vgl. Behrendt, Haustafelliteratur und Dreiständelehre, Kapitel V.: Gereimte Haustafeln (Lieder und Gedichte), 267 ff.

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1600–1700: Anrufung und Fürbitte 1600–1700: Anrufung und Fürbitte

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Das Neujahrslied von 1600–1700: Anrufung und Fürbitte

2.1

Zeitgeschichtliche und liturgiegeschichtliche Aspekte

2.1.1

Das Jahr 1600 – Ein besonderer Jahreswechsel?

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Betrachtet man die Feierlichkeiten hin zum Jahr 1600, so wird deutlich, dass sich ein verändertes Geschichtsbewusstsein bemerkbar macht. Dem Jahr 1500 war von Zeitzeugen noch keine besondere Bedeutung beigemessen worden. In Jahrhunderten dachte man noch nicht, obwohl der Begriff „Saeculum“ bekannt war. Denn schon die römische Antike verwendete ihn und meinte damit eine biologische Frist, die der „Generation“ oder des „Menschenalters“.114 Im Mittelalter hatte der Begriff eine andere Bedeutung, indem Zeit und Welt voller Makel als „saeculum“ dem Göttlichen und Ewigen gegenübergestellt wurden: „Wer das „saeculum“ thematisierte, der klagte dabei zumeist über die ‚Welt‘ oder den Lauf der ‚Zeiten‘, nicht aber über das ‚Jahrhundert‘.“115 Nun erst, mit dem Jahr 1600 wird – zum ersten Mal in der Christentumsgeschichte – einem runden chronologischen Datum gesteigerte Aufmerksamkeit gewidmet.116 Dass man es als besonderes Datum wahrnimmt, liegt u. a. an der neuen Einteilung der vergangenen Zeit, wie sie mit den Magdeburger Zenturien vorgenommen wird. Ein Autorenkollektiv unterteilt hier die beschriebenen Jahre in einzelne Bände der „Hundertschaften“, lat. „Centurien“. Diese Bücher erschienen in Basel während der Jahre 1559 bis 1574 und stellen die erste große Kirchengeschichte von protestantischer Seite dar.117 Dass 1600 nicht nur kalendarisch, sondern auch in der Festpraxis als ein bedeutsames Jahr begangen und hervorgehoben wurde, lässt sich anhand der Quellen nur vereinzelt erheben. Kaufmann findet bei der Feier des Jahres 1600 im deutschen Luthertum erstmals ein Gedenken des vergangenen Jahrhunderts, das überregional bzw. überterritorial in Gottesdiensten oder akademischen Zusammenkünften stattfand,118 während Brendecke erläutert, dass die Wahrnehmung des Jahreswechsels auf 1600 sich nur anhand weniger Stimmen „aus einem Feld von Schweigen“ rekonstruieren lässt und das saeculum offen114 Es fanden auch „Säkularspiele“ statt, im Abstand von 100, oder auch 123 und 119 Jahren. Während Horaz unter „Saeculum“ einen Zeitraum von 110 Jahren verstand, umfasste es für Varro 100 Jahre. Vgl. Ginzel, Handbuch 201 f. 115 Ebd. 116 Vgl. Kaufmann (1999), Deutungen der Jahrhundertwende, 126. 117 Vgl. Brendecke, 1600. Jahrhundertwende im Glaubensstreit, 164. Die Zeituntergliederung in centuriae (daher engl. Century) war für die Autoren ein „Hilfskonstrukt“, mit dem man eine neutrale Form hatte, Geschichte unabhängig von Päpsten, Kaisern, Königen und ihren Reichen zu beschreiben. Vgl. Brendecke, Begriffsgeschichtliche Erinnerungen, 25. 118 Vgl. Kaufmann (1999), Deutungen der Jahrhundertwende, 73–128.

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sichtlich nur eine Möglichkeit aber keineswegs eine Verpflichtung barg, sich darauf in rhetorischer, polemischer oder publizistischer Absicht zu beziehen.119 Für die Katholische Kirche wird 1600 zu einem besonderen Jahr, da es als ein päpstliches Jubeljahr120 mit einem Jubiläums-Ablass verbunden ist. Dies ruft von lutherischer und calvinistischer Seite Kritik hervor. Kaufmann deutet dies so: Das lutherische Deutschland […] scheint das Jahrhundertjubiläum und die mit ihm verbundenen Ablassgnaden besonders intensiv registriert und aufs Ganze gesehen besonders leidenschaftlich bekämpft zu haben, auch und vor allem deshalb, weil der sich tridentinisch erneuernde, jesuitisch geprägte, in der Gregorianischen Kalenderreform seinen Herrschaftsanspruch über die Zeitrechnung inszenierende Katholizismus eine fundamentale theologische und religionspolitische Herausforderung darstellte.121

In Gegenden, die „konfessionelle Konfliktzonen“ darstellten, versuchten die protestantischen Prediger vor dem Ablass zu warnen, der sich, wie sie in ihren Predigten betonen, biblisch nicht begründen lasse und zudem willkürlich festgelegt werde.122 Dem gegenüber, wohl auch als Protesthaltung, wird ein „evangelisches Jubeljahr“123 begangen, das dazu dient, der Reformation zu gedenken. Dies bildet z. B. für den Tübinger Theologieprofessor Matthias Hafenreffer die „entscheidende konfessionelle Alternative zum römischen Jubeljahr.“124 Der Stettiner Pastor Cramer sieht im Rückblick auf das vergangene Jahrhundert nie

119 Vgl. Brendecke, Die Jahrhundertwenden, 109. 120 Jubeljahre werden in der katholischen Kirche seit 1300 gefeiert. Der Abstand zwischen den besonderen Jahren schwankte, bis er von Papst Paul II . 1470 auf 25 Jahre festgelegt wurde (beginnend mit 1475). So sollte jede Menschengeneration mindestens einmal ein Jubeljahr feiern können. Im 19.  Jahrhundert wurde aufgrund verschiedener Umstände, v. a. der politischen Situation, auf nahezu alle Jubeljahrfeiern verzichtet. Vgl. hierzu Smo­linsky, Art. Jubeljahr, 282–285. Und auch Jung-Inglessis, Das Heilige Jahr, Bozen 1974. 121 Kaufmann (1999), Deutungen der Jahrhundertwende, 107 f. 122 Ebd. Kaufmann untersucht in diesem Zusammenhang Predigten Jakob Heilbrunners, erster Hofprediger Philipp Ludwigs von Pfalz-Neuburg, und des Augsburger Predigers Bartholomäus Rülich. 123 So betitelt von Daniel Cramer, ab 1597 Hofprediger an der Marienkirche Stettins, Doktor der Universität Wittenberg. Vgl. Cramer, Zwo Historische Jahrpredigten. 124 Kaufmann (2006), Deutungen der Jahrhundertwende, 457. Matthias Hafenreffer äußert sich dahingehend in einer Predigt vom Neujahrstag 1600 – „Concio Secularis, Das ist: Erinnerungs / unnd Danckpredigt / wegen der vielfältigen und grossen Gutthaten / welche der Allmechtige Gott / uns in den nächst abgelauffenen hundert Jaren / Nämlich von Anno 1500. biß auff Annum 1600. von der Seeligmachenden Geburt / unsers lieben Herrn und Heylands Jesu Christi gezelet / zu Seel und Leib / Vätterlich und Reichlich erzeiget hat …“, Tübingen, Erhard Cellius, 1600; VD 16 H 147.

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dagewesene große Wohltaten, Werke und Wunder Gottes125, die das Jahrhundert für die Lutherischen geschichtlich besonders gewichtig werden lässt. Mit dem evangelischen Jubeljahr wird der Reformation gedacht und zugleich der Hoffnung Ausdruck gegeben, dass die wahre Kirche in den drohenden Wirren des Endes erhalten bleibe.126 Zu dieser Zeit sind Feiern, die das Erinnern ins Zentrum rücken, ein junges Phänomen. Wenn die Tübinger Universität 1578 eine „Jubiläumsfeier“127 zum 100 jährigen Bestehen zelebriert, ist dies noch etwas Besonderes. Wie die unzähligen Jubiläen, die bis heute gefeiert werden, bewirkt ein Fest der Erinnerung, dass ein Kollektiv zurückschaut und zugleich seine Gruppenidentität stärkt. Auf diese Weise wird „das Prinzip des historischen Jubiläums, des fristgerechten Feierns und Erinnerns […] geboren.“128 Die Konflikte der Zeit verunsichern und verstören. So ist es nicht verwunderlich, dass es wohl in den Jahren vor 1600 mit der Zeitenwende verbunden populäre Erwartungen eines apokalyptischen Umbruchs gegeben hat.129 Mittelalterliche Apokalyptik spiegelt sich in protestantischen Predigten, in denen sich die Vorstellung eines weltgeschichtlichen Verfalls hält: Je älter die Welt geworden sei, desto schwächer, verkommener und sündhafter seien das Menschengeschlecht und die Natur geworden.130 Aufs Ganze gesehen ergibt sich zum Jahr 1600 nur ein bruchstückhaftes Bild eines Übergangs in ein neues Jahrhundert, das dann weiter von konfessionellen Streitigkeiten geprägt sein wird und schließlich zu dem Krieg führt, der in Europa ganze Landstriche entvölkert. Dem zu Ende gegangenen Jahrhundert wird man schließlich den Beinamen „Reformationsjahrhundert“131 geben. 125 Vgl. Wittenberg 1600, B 1r. 126 Ebd., F 2r. 127 Brendecke betont, dass der Begriff Jubiläum, wie er heute verstanden wird, als „das fristgerechte, feierliche und gemeinsame Erinnern einer Gruppe an ihre eigene Geschichte“ erst eine nachreformatorische Erscheinung ist. Die mittelalterlichen Memorialprak­ tiken hätten sich in der Regel auf Jahre und nicht auf Jahrzehnte oder Jahrhunderte bezogen; zudem sei nicht der zeitliche Abstand betont worden, was die Vergangenheit zur Vergangenheit werden liesse. Vielmehr sei das Vergangene vergegenwärtigt worden: „Das Heilige Jahr der katholischen Kirche zelebrierte nicht das Vergehen von Zeit,­ sondern die wiederkehrende Öffnung des apostolischen Gnadenschatzes. Seine Bedeutung gründet nicht auf dem Verweis auf historische Leistungen, sondern auf der Schlüsselgewalt zu einem außerzeitlichen Gut.“ Siehe hierzu Brendecke, Jahrhundertwenden, 91. 128 Brendecke, 1600. Jahrhundertwende im Glaubensstreit, 165. 129 Vgl. Kaufmann (1999), Deutungen der Jahrhundertwende, 104. Zur Endzeiterwartung um 1600 vgl. auch Brendecke, Jahrhundertwenden, 110–118. 130 Vgl. Barnes, Kosmos und Apokalypse, 129. In deutschen Landen fand sich weit verbreitet die Vorstellung eines „buchstäblich herabfallenden Himmels“, der Barnes anhand von astronomischen und theologischen Schriften nachgeht. Vgl. ebd., 130. 131 Vgl. Kaufmann (1999), Deutungen der Jahrhundertwende, 104.

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2.1.2

Geschichte und Entwicklung der kirchlichen Neujahrslieder

Neujahr als Kirchenfest

Mit dem ausgehenden 16.  Jahrhundert hat sich das Neujahrsfest, nahezu einheitlich am 1. Januar gefeiert, seinen Platz im Kirchenjahr, den Gemeinden und der Frömmigkeitspraxis erobert. In mancher Kirchenordnung wird es zu den großen Festtagen gezählt. So z. B. in der Kirchenordnung von Strassburg (1598), die es in eine Reihe mit Weihnachten, Ostern, Pfingsten, Karfreitag und Himmelfahrt stellt.132 2.1.3

Neujahrsblätter in Zürich

An dieser Stelle ist ein Seitenblick auf „Neujahrsblätter“ sinnvoll, wie sie von 1645 bis 1939 in Zürich erschienen und verteilt worden sind. Aus ihnen kann man zwar nicht konkrete zeitgeschichtliche Ereignisse ab- oder herauslesen. Doch zu der theologischen und weltlichen Deutung des Neuen Jahres – und was sich mit ihm an Gedankengut verbindet – liefern sie zeitgenössische Ansichten, die die Analyse der Neujahrslieder bereichern können. Die ersten „Neujahrsblätter“ erscheinen zu Beginn des Jahres 1645 in Zürich und werden als Flugblätter an Kinder ausgeteilt. Die Gestaltung der Blätter geschieht durch den Zürcher Maler und Radierer Conrad Meyer in Zusammenarbeit mit dem Theologen Johann Wilhelm Simler. Den Auftrag dazu haben beide von dem Bibliothekscollegium der Burgerbibliothek erhalten; und es wird hier eine Tradition von Neujahrsblättern ins Leben gerufen, die sich bis in das Jahr 1939 fortsetzt.133 Für die Untersuchung von Neujahrsliedern sind die Flugblätter dahingehend interessant, welche Themen und Motive sie aufgreifen und welche Absicht sich in ihnen spiegelt. Ihr Inhalt ist vorwiegend theologisch. Die Neujahrsblätter der Jahre 1645–1672 werden von Sulmoni auf ihre Kombination von Text und Bild hin untersucht, verbunden mit der Frage, welche Funktion das Neujahrsblatt erfüllt oder welches Ziel mit ihm erreicht werden soll. Bei den Blättern handelt es sich um ein Medium, das der Erbauung dienen soll: Gelegenheitsdichtung verschiedener Gattungen wird präsentiert und illustriert.134 Sie dienen nicht allein der persönlichen Erbauung, sondern wirken 132 Vgl. Strassburger Kirchenordnung 1598 (bei Graff, Geschichte der Auflösung, Bd. 1, 113). 133 Vgl. hierzu Sulmoni, Bild-Text-Kombinationen in den Neujahrsblättern, 17. 134 Vgl. ebd., 80 f. Die Neujahrsblätter lassen sich in drei Serien unterteilen. Die erste, bestehend aus Einblattdrucken variierender Größe mit Kupferstich und Text, reicht von 1645–1758. Die zweite Serie beginnt 1759 und erstreckt sich bis zum Jahr 1841. Das Format ändert sich in eine Heftform im Quart- und Hochformat, bestehend aus einem Kupferstich und 4–8 Seiten Text. Nach 1841 werden, auf den Vorschlag Salomon Vöglins hin, die Neujahrsblätter als wissenschaftliche Abhandlungen gestaltet, die als Fortsetzungen erscheinen. Diese sind natürlich nicht mehr an Kinder, sondern an erwachsene Leser gerichtet. Vgl. hierzu Sulmoni, Bild-Text-Kombinationen in den Neujahrsblättern, 23 f.

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auch als „Herrschaftsinstrument“135, da sie vom Staat in Auftrag gegeben werden. Als Geschenk an die Jugend der Stadt Zürich kann der Staat seine Anliegen unter das Volk bringen. Es geht ihm um die Wahrung der Gesellschaftsordnung; und er hat Sorge um das Wohl der Bürger, die sich u. a. darin äussert, dass eine Menge von Ge- und Verboten aufgestellt werden. Mit der Forderung nach Gehorsam erhalten die Neujahrsblätter so auch eine disziplinierende Funktion. Sulmoni hat funktionale und inhaltliche Parallelen zwischen den sogenannten „Sittenmandaten“ und den Neujahrsblättern aufzeigen können. Die Sittenmandate beinhalteten konkrete Anweisungen zu den Ge- und Verboten und werden in den Kirchen von den Pfarrern der Stadt in regelmäßigen Abständen verlesen. Zudem finden sie Eingang in die Neujahrsblätter.136 Die Bilder, mit denen die Blätter illustriert werden, sind so gewählt, dass sie das pädagogische Anliegen unterstreichen. Viele zeigen zudem Motive biblischen Ursprungs. So begegnet man zum einen dem Bild des bereits jung gebogenen Baumes, damit er recht gerade wachse (Neujahrsblatt auf das Jahr 1650)137, zum anderen aber auch dem Baum, der abgehauen werden soll, wenn er nicht binnen Jahresfrist Frucht brächte138 (Gleichnis vom unfruchtbaren Feigenbaum, Radierung rechts auf dem Neujahrsblatt auf das Jahr 1662)139. Weitere Themenkreise sind: Verlust und Gewinn, das menschliche Alter, die Vergänglichkeit als „memento mori“, Sünde, Selbsterkenntnis, Buße und Gottes Vorsehung.140 Mehrere Illustrationen der ersten Serie Zürcher Neujahrsblätter widmen sich den drei christlichen Hauptständen, die bereits in der Beschäftigung mit den Haustafelliedern begegnet sind.141 Die Zusammenarbeit von Obrigkeit und Kirche bei den Sittenmandaten, wie sie auch die Neujahrsblätter erkennen lassen, ist der besonderen historischen Situation in der Stadt Zürich geschuldet. Beide Institutionen sind aufeinander angewiesen. Die neue Theologie und die Ordnung in der Stadt sind zu der Zeit durch gegenreformatorische Bemühungen und Unruhen bedroht. Ruhe und Ordnung herzustellen und zu wahren ist die dringlichste Aufgabe, die ein gemeinsames Vorgehen verlangt. Es liegt nahe, damit bei der Jugend anzufangen. Und so bietet nicht von ungefähr das erste Neujahrsblatt aus dem Jahr 1645 eine 135 Ebd., 473. 136 Vgl. hierzu v. a. den zweiten Teil der Dissertation von Sulmoni über das ethisch-sittliche Programm und das protestantische Arbeitsethos in den Neujahrsblättern, ebd., 127–232. 137 Abgebildet in Sulmoni, Bild-Text-Kombinationen in den Neujahrsblättern, 157. 138 Lk 13,6–9. 139 Abgebildet in Sulmoni, Bild-Text-Kombinationen in den Neujahrsblättern, 311. 140 Zu jedem Neujahrsblatt und Themenkreis ausführlich siehe ebd. 141 Siehe Exkurs: Haustafellieder – von Ständen und christlicher Tugendethik.

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„Tischzucht“.142 Zusammen mit der „Kinderzucht“ (Neujahrsblatt von 1650) gehört sie zu beliebten Textgattungen des 16. Jahrhunderts, die von Conrad Meyer für die Neujahrsblätter wieder aufgegriffen werden.143 Aus besagter Absicht, die Neujahrsblätter disziplinierend zu verwenden, sind Tugend und Lebenswandel zentrale Themen. Es klingt u. a. das Motiv des „Hercules in bivio“144 – des Herkules am Scheideweg – an. Wer die Weggabelung erreicht, muss sich entscheiden, welchen Pfad er einschlagen will: Tugend oder Laster?145 Interessant ist, dass einzelne Neujahrsblätter nicht nur reine Gedichte enthalten, sondern auch „Gesänge“. Sie stehen damit in der Tradition, das Neue Jahr als Anlass zur Gelegenheitsdichtung146 zu nehmen, oder auch, es zu besingen. So existiert z. B. zum Neujahrsblatt auf das Jahr 1662147 eine Variante, die einen 19-strophigen Gesang inklusive einer vierstimmigen Partitur beinhaltet.148 Die Pflichten der Stände werden – von der Obrigkeit bis zum Bauern – aufgezählt und beschrieben. Auch das Neujahrsblatt auf das Jahr 1669 bringt einen „Vermahnungsgesang“, dessen Überschrift deutlich Inhalt und Absicht anzeigt: Treuhertziges Vermahnungsgesang / so wol für die schon erwachsene / alss auch für die noch minderjaehrige Jugend: Selbige hierdurch; neben Vorstellung des verlohrnen Sohns; ab dem gefaehrlichen Lasterwaeg / auf die sichere Tugendbahn zubringen.149 142 143 144 145

Abgebildet in Sulmoni, Bild-Text-Kombinationen in den Neujahrsblättern, 129. Vgl. ebd., 158. Über die Geschichte dieses Motivs vgl. ebd., 164. Das Motiv wird durch die Unterscheidung zwischen einem schmalen, steinigen Pfad und einem breiten, bequemen Weg zu einem beliebten Sujet der pietistischen Erbauungsliteratur. 146 Die Gelegenheitsdichtung erlebt im 17. Jahrhundert eine wahre Blüte und wird zu einer Massenerscheinung. Zu dieser Vermehrung bemerkt Urs Herzog: „Von der Wiege bis zur Bahre ist kein bedeutenderes Datum, das nicht bedichtet würde: die festlichen Tage des Einzelnen, der Familie, Examina, Amtseinsetzung, Beförderung und so fort. Die Ereignisse der Stadt, des Landes und des Reiches, die geistlichen und weltlichen Würdenträger, vom Kaiserhaus abwärts … alles und jedes wird laufend mit Versen und ganzen kleinen Dichtungen bedacht.“ Urs Herzog, Deutsche Barocklyrik, München 1979, 43. Zu der hier begründeten Dichotomie einer „als kunstlos verschrienen, aber dem tatsächlichen Leben zugewandten Lyrik“ – der Casuallyrik, und einer Lyrik, die sich der „Occasionalität“ verwehrte, wodurch sie einerseits als kunstvoll angesehen, aber andererseits lebensfern wurde, vgl. Segebrecht, Gelegenheitsgedicht, bes. 326. 147 In der Zentralbibliothek Zürich befindet sich das Neujahrsblatt in zwei Zuständen und der erwähnten Variante. 148 Der Liedtext findet sich auch in der dritten Auflage der „Teusche(n) Gedichte“ von­ Johann Wilhelm Simler, Zürich 1663. 149 Siehe Abb. 7 in Sulmoni, Bild-Text-Kombinationen in den Neujahrsblättern, 191. Um einen kleinen Einblick zu geben, wie in dem Lied vor Glücksspiel und aus ihm resultierender Gewalt sowie der Völlerei gewarnt wird, sei hier die erste Strophe des 6-strophigen

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Die Jugend soll vom schlechten Vorbild des verlorenen Sohnes abgeschreckt werden und lernen, tugendhaft zu leben. Inwieweit die Jugend, an die die Neujahrsblätter verteilt wurden, wirklich in der Lage war, deren Inhalt zu verstehen, aufzunehmen und im eigenen Leben umzusetzen, muss an dieser Stelle offen bleiben. 2.1.4

Erbauungsbücher, Gebete und Predigt

Nicht nur die Zunahme von Neujahrsliedern lässt sich beobachten. In Erbauungsbüchern findet man nun auch in größerer Zahl Gebete zum Neuen Jahr, was darauf schließen lässt, dass der Übergang in das neue Jahr von einzelnen Gläubigen in privater Andacht und im Gebet begangen wurde. Im „Paradiesgärtlein“ von Johann Arndt sind beispielsweise mehr Gebete zum „Neuen-JahrsTage“ ausgewiesen als zu Weihnachten. Die Gebete gelten dem Namen Jesu, dem Dank für Erhalt und Schutz, der Bitte um allgemeinen Frieden, dem zeitlichen und ewigen Wohlergehen; es sind 2 Lobsprüche und der Jubilus Bernardi­ („Jesus dulcis memoris“) zu diesem Anlass aufgeführt.150 Gebete und Lieder der Erbauungsschriften beeinflussen sich gegenseitig. So findet sich beispielsweise in der Zuschrift des Traktats: Schriftgemäße Anweisung, recht und Gott wohlgefällig zu beten (Halle 1694), das August Hermann Francke verfasste, der Erstabdruck des Liedes „Gottlob, ein Schritt zur Ewigkeit“.151 Es basiert auf dem Neujahrslied Valentin Andreäs (1636): „Gottlob ein Schritt zur Ewigkeit ist abermals vorbei“ Gleichzeitig entspricht der besungene Schritt dem Wahlspruch Franckes: „Quocunque die ante aeter­nitatem uno stamus pede“.152 Dies ist nur ein Beispiel, wie der Anlass des neu anbrechenden Jahres einen Theologen inspiriert, auf ein bestehendes Kirchenlied zurückgreifen lässt und zu einer eigenen Liedschöpfung anregt. Es gibt vielzählige VerbindunGesanges wiedergegeben: „Frisch auf / frisch auf / ihr Knaben / ihr Jungfern auch zugleich / auff weitem Erdenreich: / Frisch auf / euch zuerlaben / ohn Kart- und Würffel­ spil / ohn wetten / fluochen / rauffen / auch nicht; wie ihrer vil; / mit unmass /fressen / sauffen!“ Die weiteren Strophen wenden sich gegen Müßiggang, Prunksucht, Tanzen und Kegeln, Tabak- und Alkoholkonsum und stellen diesem allen ein Bild tugendhaften Lebens gegenüber. 150 Vgl. Johannes Arndt, Paradiß Gärtlein …, Magdeburg 1615, 2. Register zu den Sonnund Festtagsevangelien. 151 Über die Entstehung des Liedes heißt es, Francke habe es 1691 nach seiner „ungerechten Absetzung und Verbannung aus Erfurt, auf der Reise nach Gotha ‚in Empfindung des überschwänglichen Trostes des heiligen Geistes‘“ verfasst. So zu lesen in: Deutsches Gesangbuch. Eine Auswahl geistlicher Lieder aus allen Zeiten der christlichen Kirche. Hg. von Philipp Schaff, Philadelphia 1859, 531. 152 Zit. nach Koch. Er übersetzt den Gedächtnisspruch zu Francke: „Jeden Tag stehen wir mit einem Fuß vor der Ewigkeit.“ Koch, Geschichte des Kirchenlieds. Erster Haupttheil, 2. Bd., 48.

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gen zwischen Gebeten in Erbauungsschriften und Kirchenliedern der Zeit. Als Vorlagen für geistliche Lieder werden besonders die Schriften Martin Mollers („Meditationes“), Johann Arndts („Paradiß Gärtlein“) oder auch Johann Gerhards („Meditationes Sacrae“) genutzt.153 Die Predigt als religiöse Textgattung bleibt am Neujahrstag vorwiegend mit dem Tagesevangelium der Namengebung und Beschneidung Jesu Christi verbunden. Dies ist insofern auffällig, als doch Lieder und Gebete nun vermehrt den Neujahrstag an sich besingen und bedenken. Die wahrzunehmende Differenz lässt folgendes vermuten: Zum einen ist die Predigt das „konservativere“ Medium. Evangelische Prediger pflegen das zu predigen, was auch bisher zu Anlass und Fest gepredigt wurde. Ihre Predigten sind weniger „beweglich“ als Kirchenlieder. Letztere sind „aktueller“, indem sie Entwicklungen aufgreifen, die im Schwange sind. Auch Gebete sind als persönliche Glaubensäußerungen ein Medium, das individuell Gegebenheiten reflektiert und damit am „Puls der Zeit“ bleibt. Das Medium Predigt gehört zwingend in die Kirche und den Gottesdienst, während die Lieder auch an anderen Orten und zu anderen Gelegenheiten gesungen werden können. Und so ist davon auszugehen, dass die Neujahrslieder und -gebete der Zeit vorwiegend außerhalb der Festversammlung in der Kirche Verwendung fanden: beim Neujahrssingen der Kurrenden und bei Andachten in den Häusern. 2.1.5

Zeitgenössische Poetik

Den Zeitereignissen gegenüber bleiben die Neujahrslieder in Gesangbüchern verschlossen. Dies hat mehrere Gründe. Zum einen sind viele Gesangbücher vornehmlich rückwärts gerichtet und nehmen aktuelle Lieder nicht auf. Bei orthodoxen Hymnologen löst das neue Liedgut Bedenken aus. Sie befürchten, dass falsche Lehren auftauchen könnten und das einfache Volk durch die Vielzahl neuer Lieder verwirrt würde.154 Das Zeitgeschehen spiegelt sich also mehr in der weltlichen Poetik und damit in den Neujahrsgedichten. In einer Zeit des Krieges und gewaltsamer Auseinandersetzungen rückt der drängende Wunsch nach Frieden in den Vordergrund. Die wird z. B. im Gedicht von Daniel Georg Morhof „Er wünschet den Friede zum Neuen-Jahre“ deutlich. Hier wird von Gott das Ende der Schreckenszeit erbeten: „Unser Seufftzen steht nach Dir / Friede / Friede / komm herfür.“155 Von 153 Althaus zeigt dies bei Johann Heermann, Johann Rist, Paul Gerhardt, Ernst Christoph Homburg, Benjamin Schmolck und weiteren Dichtern, die alle Gebete aus der Erbauungsliteratur zu Kirchenliedern umgeformt haben. Vgl. Althaus d. Ä., Forschungen, 4. 154 Vgl. Bunners, Gesangbuch, 127. 155 Szyrocki, Lyrik des Barock, 251 f.

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Martin Opitz, der mit seinem Werk „Von deutscher Poeterei“ die deutschsprachige Dichtung maßgeblich formte, ist ein Gedicht mit dem Titel „Auf den Anfang des 1621. Jahres“156 überliefert. Wer dieses alte Jahr will recht und wohl vollenden, Und nach dem neuen sich zu guter Stunde wenden; Der lege von sich weg der Eitelkeit Begier, Die nicht hierher gehört und lobe GOtt mit mir. Es schwinge, wer da will, die sterblichen Gedancken Hoch ueber seine Kraft. Ich will mit nichten wancken Jn dieser grossen Fluth; will preisen Eifers voll Den, dessen Tag kein Mensch ergruenden kan noch soll: Er hat aus lauter Nichts zum ersten wollen machen Durch seines Wortes Kraft, den Ursprung aller Sachen, Den Klumpen der Natur: Jn dieser schweren Last Lag alles, was ietzt ist vermischet, eingefaßt. […]

Als Gegenbild zu Zerstörung und Tod entwirft Opitz eine Schöpfungsgeschichte „von großer poetischer Kraft“, indem er „christlich-stoische und humanistische Gedanken verbindet […] mit dem Lob Gottes, mit Preis und Dank.“157 Dieses Gedicht habe, nach Mausers Einschätzung, in vielfacher Weise nachgewirkt, wofür er jedoch leider die Belege schuldig bleibt.158 Ein Motiv, das in der Lyrik des Barock und auch in der Neujahrsdichtung der Zeit an Bedeutung gewinnt, ist das Motiv der Vanitas. Zeit und Vergänglichkeit werden besonders wichtig im Zusammenhang mit Gedanken an Tod und Sterben und einem nahen Ende der Welt. Im 17. Jahrhundert bedeutet ‚Zeitzuhaben‘ vor allem, diese richtig zu nutzen, da sie – vermeintlich kurz – einfach verstreichen könnte.159 Die Feststellung, dass alles Irdische vergänglich ist, bewirkt eine 156 Martin Opizen von Boberfeld Teutsche Gedichte, in vier bänden abgetheilet, Von neuem sorgfaeltig uebersehen, allenthalben fleißig ausgebessert, mit noethigen Anmerckungen erlaeutert, von Daniel Wilhelm Triller … Und mit Kupfern gezieret durch Martin­ Tyroff. Dritter Band enthaltend Geistliche Gedichte. Mit Königlich-Polnisch und Chur= Saechsischer Freyheit. Franckfurt am Mayn, Bey Franz Varrentrapp. MDCCXXXXVI, 237. 157 Mauser, Betrachtung des Schlaffs, 276. Opitz greift bei der poetischen Beschreibung von der Erschaffung der Welt auf das erste Buch der Metamorphosen des Ovid zurück. Ebenso scheint Ciceros 2. Buch „De Natura Deorum“ (Vom Wesen der Götter) Opitz eine Orientierung gegeben zu haben. Vgl. Triller (Hg.), Martin Opizen, 237, Anm. (a). 158 Es ist jedenfalls schon kurz darauf zur Vorlage für das „New=Jahrs gedichte“ von Albinus geworden, das mit „Wer dieses Alte Jahr will recht vnnd wol beschließen (…)“ aus dem Jahr 1636. Vgl. van Stekelenburg, Michael Albins ‚Dantiscanus‘, 144, Anm. 101. 159 Vgl. Frey, Paul Flemings deutsche Lyrik, 76.

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intensive Auseinandersetzung mit dem Gedanken eines „Carpe-Diem“, aus dem sich die Aufforderung ableitet, die Zeit auszukosten; und zwar in dem Rahmen, den christliche Moralvorgaben abstecken.160 Als ein Gedicht, das auch Eingang in Gesangbücher gefunden hat, sei hier „Beschluß deß Jahres“ von Andreas Gryphius genannt. Darin wird daran erinnert, dass die christlichen Vanitas- und Heilsvorstellungen unumstößliche Geltung besitzen.161 Dass die Bedrohtheit und Vergänglichkeit alles Irdischen vielfältig in Erinnerung gerufen wird im Blick auf das scheidende Jahr und die Zeitumstände mit Not und Leiden, ist eine nachvollziehbare Reaktion und ein Weg der Verarbeitung des Erlebten. Mauser meint beobachten zu können, dass dem Jahresende nun mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird, als dem Jahresbeginn. Gleichzeitig weist er aber auch darauf hin, dass Dichter, wie Gryphius, Gedichte sowohl zum Ausklang eines Jahres, als auch zum Beginn eines neuen schufen.162 Es mag auch den Zeitumständen geschuldet sein, dass das Abschiedliche verstärkt mit dem Jahreswechsel verbunden ist. Der Abschluss eines Jahres mit negativen Ereignissen erlangt größere Bedeutung und bewegt die Dichterseele mehr, als das anbrechende neue Jahr.

2.2

Aspekte der Entwicklung der Gesangbuchrubrik

Im 17. Jahrhundert nimmt die Gesangbuchproduktion kontinuierlich zu. Dies liegt nicht nur an einem gestiegenen gottesdienstlichen Bedarf und der zersplitterten territorialen Situation, sondern vornehmlich auch an dem wachsenden Bedürfnis nach diesem Medium in der Frömmigkeitspraxis.163 Gesangbücher werden eher in geringem Maße in Gottesdiensten verwendet (wo sie zunächst nur Pfarrer, Schulmeister, Küster, Kantor und Chor benutzen); die Gemeinde singt auswendig oder wird durch mehrstimmigen Chorgesang unterstützt.164 Begleitung durch Instrumente oder die Orgel gibt es so gut wie

160 Vgl. ebd., 77. 161 Vgl. van Stekelenburg, Michael Albins ‚Dantiscanus‘, 144, Anm. 101. 162 Gryphius’ Gedichte zum Neuen Jahr sind: „Auf den Anfang des 1650sten Jahres“ und „Auf den Anfang des 1660sten Jahres“. In: Gryphius, Werke, Bd. 1, 104 f. 163 Vgl. Christian Bunners, Gesangbuch, 124. 164 Das sogenannte Kantional wurde zuerst vom württembergischen Theologen Lucas Osiander entwickelt, der sich am vierstimmigen Psalmengesang der Reformierten orientierte. Neu liegt der Cantus firmus nun in der Oberstimme und nicht, wie zuvor, im­ Tenor. Die Oberstimme singt die Gemeinde, der Chor begleitet und stützt durch schlicht gehaltene vier- oder fünfstimmige Sätze als Contrapunctus simplex. Vgl. Lorbeer, Sterbe- und Ewigkeitslieder, 146.

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nicht.165 Dafür werden Gesangbücher auch in der Schule und vor allem in den Häusern verwendet; natürlich nur in Häusern, in denen man des Lesens und Singens kundig ist. Mit Gesangbüchern für Hausandachten bereitet man den Gottesdienstbesuch vor oder nach; gesungen wird – als eine besondere Form des Betens – nicht nur in der Andacht, sondern auch bei den Mahlzeiten oder dem Anziehen oder Ablegen der Kleider.166 Das Repertoire für die Hausandachten ist wesentlich umfangreicher, flexibler  und offener für Neues, als die Liedzusammenstellungen für den Gottesdienst. Dies zeigen Beispiele aus den Württemberger Anhang-Gesang­ büchern.167 Die Hausandacht ist auch der Ort, an dem Autorengesangbücher in Gebrauch sind. Die theologischen Strömungen der Orthodoxie und des Pietismus haben nun großen Einfluss auf die Gesangbuchgestaltung. Während die orthodoxe Gesangbuchtradition das geistlich bestimmte Singen vornehmlich als liturgisch, katechetisch, der Sache nach konfessorisch und lebensweltlich-kasuell ausgerichtet versteht, konzentriert sich die Gesangbuchfrömmigkeit des Pietismus anfänglich auf die innere Aneignung und spirituelle Erfahrung des Gesungenen.168 Die Unterscheidung zwischen Kirchen- und Hausgesangbuch beginnt sich in einigen Regionen bereits lange vor 1700 zu nivellieren, indem die alten Kirchgesänge nun auch in die Hausandacht und die neuen Hausgesänge nach und nach Aufnahme in den Gottesdienst finden.169 Zeigte sich im 16.  Jahrhundert das Bedürfnis, Gebete zu individualisieren, weitet sich dies im 17. Jahrhundert auch auf die Kirchenlieder aus. Mit deren zunehmender Individualisierung werden neue Rubriken in den Gesang­büchern notwendig. Manche Gesangbuchgliederungen entsprechen theologischen Systemen bzw. Dogmatiken. Andere sind Zeugnisse einer „Liedkasuistik“, bei der

165 Eine Ausnahme gibt es hier in Hamburg. Im „Melodeyen Gesangbuch“ von 1604 ist belegt, dass der Chorgesang bereits um 1600 durch die Orgel abgelöst worden ist. Vgl. von Schade, Gottes Lob, 119 f. 166 Vgl. Lorbeer, Sterbe- und Ewigkeitslieder, 149. 167 Vgl. ebd., 151. 168 Vgl. Bunners, Gesangbuch, 125. 169 Vgl. Lorbeer, Sterbe- und Ewigkeitslieder, 153. Röbbelen gibt zu bedenken, dass die Tatsache, zwischen Kirchengesangbuch und Hausgesangbuch zu unterscheiden an sich beachtenswert ist. In der Praxis bedeutete die Unterscheidung, die sich bereits im Titel eines Buches fand, aber nicht, dass wirklich so streng getrennt wurde; Kirchengesang­ bücher dienten auch dem Hausgebrauch und umgekehrt. Privatgesangbücher gaben aber eine größere Freiheit in der Gestaltung und konnten so z. B. „Modedichter“, Werke von Hofpredigern oder sonstigen kirchlichen Würdenträgern aufnehmen. Vgl. Röbbelen, Theologie und Frömmigkeit, 20.

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Geschichte und Entwicklung der kirchlichen Neujahrslieder

die Gesangbuchredaktoren um Vollständigkeit bemüht sind; sie nehmen viele neue Lieder auf oder verfassen sie, wo sich Lücken auftun, kurzerhand selbst.170 „Kirchenjahreszeitliche und heilsgeschichtliche Rubriken“ treten zurück oder werden erweitert um solche, die „mehr kasuell und individuell orientiert“171 sind. Am Übergang zum 17. Jahrhundert lässt sich nicht nur an den Kirchenordnungen, sondern auch an der Zunahme der Lieder in Kirchengesangbüchern zur untersuchten Rubrik ablesen, dass das ursprünglich weltliche Fest mehr und mehr zur Inspiration geistlicher Texte und Lieder führt. Die traditionellen Festgegenstände der Beschneidung und Namengebung Jesu Christi treten in den Hintergrund. Es wird das neu anbrechende Jahr besungen und ab jetzt ist deutlich, dass „das Neujahrslied in der protestantischen Kirche feste Wurzeln gefasst hat.“172 Bereits im ausgehenden 16. Jahrhundert hatte in Gesangbücher- und Liedersammlungen eine Vielzahl von Gesängen Eingang gefunden, die im Besonderen den Neujahrsgedanken aufnehmen und ihm nachgehen. Es sind dies Lieder wie Bartholomäus Ringwalds (1530–1598): „Gott Vater, der du deinen Sohn“; Johann Heermanns (1585–1647) „Jesu, nun sei gepreiset, zu diesem neuen Jahr“173 und Cyriacus Schneegaß’ (1546–1597) „Das liebe neue Jahr geht an“; „Herr Gott Vater, wir preisen dich“ sowie „Herr Gott, bey gutem Friede“. Dazu gehören auch die Lieder von Jacob Ebert (1549–1615) „Das alte Jahr ist nun vergahn“174, Thomas Hartman (1548–1609) „Wir dancken Gott dem Sohne“175, Martin

170 Für den „Evangelischen Liederschatz“ (1705–1706) dichtete Johann Christoph Olearius selbst etwa 240 Lieder, um Lücken zu schließen. Die „Theologia in Hymnis“ von Johann Jacob Gottschaldt weist bereits im Titel auf die angestrebte Vollständigkeit hin, wenn es heißt: „Oder: Universal-Gesang-Buch, Welches auf alle Fälle, alle Zeiten, alle GlaubensLehren, alle Lebens-Pflichten, auf alle Evangelia und Episteln, auf allerley Stände und Personen, besonders auf den Catechismum gerichtet.“ Vgl. Zell, Problem der geistlichen Barocklyrik, 106. 171 Bunners, Gesangbuch, 126. 172 Bünger, Neujahrsfeier, 149. 173 Dresden 1593. Dass das Lied sehr beliebt war, zeigt sich an der kontinuierlichen Tradierung bis in das 20. Jahrhundert hinein. Neben einigen anderen Gesangbüchern ist es in wichtigen Büchern, wie PPM (1674/1703), bei Freylinghausen (1704/1741), bei Porst (1748/1765/1892), im Brüdergesangbuch (1749), im Gesangbuch Stuttgart 1938, dann im EKG 1950 und heute noch im EG von Österreich (Wien 1980) zu finden. 174 Siehe Wackernagel V., Nr. 627, 412. Ein Zeitbezug wird hier deutlich, indem die Bedrohung durch die osmanischen Truppen, die um die Jahrhundertwende Österreich bedrängten, erwähnt wird (Str. 4): „Es hat sich Krieg vnd tewre zeit, / der Teuffel, Türck vnd ander Leut / Wol sehen lahn vnd viel gedrengt, / aber dein gut hat vns vmb­ schrenckt / Das vnser Land vnnd dis gemein / mit vnsern Weib vnd kindern klein / dennoch zu frieden blieben sein.“ Das Lied erschien in „Geistliche deutsche Lieder“ von Bartholomäus Gesium, Frankfurt/Oder 1601. 175 Siehe Wackernagel V., 306 (Nr. 472).

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Behm (1557–1622) „O Herr, mein Herz heb ich zu dir“176 und Sebastian Artomedes „Nachdem die Sonn beschlossen“177. Zu den Liedern, die auch im 20. Jahrhundert noch in Gesangbüchern vertreten sind, zählen „Helfft mir, Gotts Güte preisen, ihr lieben Kinderlein“ von Paul Eber (1511–1569)178 – das Lied entstand in seinem Todesjahr – „Das alte Jahr vergangen ist“ von Johann Steuerlein (1546–1613)179 – das Lied entstand 1588 und „Freut euch, ihr lieben Christen all“, das von einem unbekannten Verfasser aus Prag stammt (Erscheinungsjahr 1612)180. Anhand der Rubriküberschriften verschiedener Gesangbücher zeigt sich deutlich, wie der althergebrachte und der neue Festgegenstand nun parallel fortgeführt werden. Zum Beispiel stellt das Gesangbuch von Essen 1614 neben die Rubrik „Von der Beschneydung vnsers Herren vnnd Heylandes Jesu Christi“ die Rubrik „Auff das Newe Jahr“.181 Einzelne Gesangbücher bringen nach der Rubrik „Weihnachten“ gar keine Lieder zur Beschneidung, sondern ausschließlich zum „Neuen Jahr“.182 In die geistliche Lyrik und damit auch in die Kirchenlieder des 17. Jahrhunderts dringen über die Gebetsliteratur katholische unreformatorische Vorstellungen ein: die Jesusminne mit der Verehrung des Blutes Christi wie auch der Seitenhöhle.183 Dies ist Ausdruck eines Bedürfnisses nach Verinnerlichung der Frömmigkeit; die protestantische Volksfrömmigkeit näherte sich in dem Be-

176 Siehe Wackernagel V., 201 (Nr.  286). Das Lied ist überschrieben „Vom Jenner“; und Behm verbindet die Wiederkehr der Sonne und die Bitte um Bewahrung vor schädlichem Frost mit Jesus, der ein gutes Jahr bescheren möge, dessen Name alle vor Gott bestehen lässt und dessen Willen im Glauben gehorcht werden soll. Das Lied ist auf das anbrechende Jahr bezogen, fügt dem „neuen Jahr“ in der letzten (7.) Strophe aber noch eine weitere Bedeutung hinzu, die eine eschatologische Ausrichtung hat: in dem neuen Jahr – hin zum neuen Jahr im „Himmels Saal“. 177 Siehe Wackernagel V., 127 (Nr. 171). 178 Als „Helft mir Gotts Güte preisen, ihr Christen insgemein“ z. B. in Straßburg 1980 sowie Göttingen 1987, Nr. 37 oder auch EG (R/W/L) Nr. 549. 179 Z. B. in EG 59. Es wird auch im neuen Gesangbuch der SELK vertreten sein. 180 Z. B. in EG 60. 181 Im Gesangbuch Tübingen 1591 begegnen drei Lieder zur Beschneidung Jesu, von denen 2 aus Konstanz stammen (Johannes Zwicks: Der von dem Gsätz gefreyet war“ und­ Thomas Blaurers: „Gott hat ein ewig Bündnüs gestellet“). An Neujahrsliedern findet man vier, u. a. das von Johannes Zwick („Nun wolle Gott, dass vnser Gsang“), das hier besprochen werden wird. 182 So z. B. PPM 1674. 183 Vgl. Zell, Problem der geistlichen Barocklyrik, 106. Als ein Beispiel für die Verehrung der Seitenhöhle: „Jesu / liebste seele / Deiner wunden höle Ist mein auffenthalt / Wenn die höllen=gluthen Und die sündenfluthen / Toben mit gewalt / Lauff ich zu Und finde ruh / In der offnen seiten=ritze / da ich sicher sitze.“ (Hier nach Hanau 1713, Nr. 76, Str. 1).

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Geschichte und Entwicklung der kirchlichen Neujahrslieder

reich der katholischen an. Zell vermutet, dass die Menschen in der Kirche nach Ruhe und Geborgenheit im Glauben, nach Andacht suchten, diese dort aber nicht finden konnten – in einer Kirche, die geprägt war durch die Strenge der lutherischen Orthodoxie.184 Lorbeer verzeichnet eine sprunghafte Vermehrung der Lieder „Vom süßen Namen Jesu“ für die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts. Sie stehen bei den Neujahrsliedern oder bekommen eine eigene Rubrik wie „Von der Fürtrefflichkeit deß holdseeligsten Namens JESU “185, die der Rubrik „Neujahr“ zur Seite gestellt wird, „wenn sie sie nicht ganz ersetzt.“186 Kirchenlieder zur Beschneidung Jesu existieren weiter, sind aber kaum bekannt und in Gebrauch. So klagt Johann Rist in der Vorrede zu „Neue Musikalische Festandachten“ (1655): Auf das herrliche Fest der Beschneidung Christi werden wir schwehrlich über zwo Gesänge haben / wiewol auch eben diselben in den wenigsten Evangelischen Kirchen bekant sind / und demnach gahr selten / sonderlich dieser Oehrter / werden gebrauchet.187

Unter den verwendeten Melodien ist bei den Neujahrsliedern die des „Vom Himmel hoch, da komm ich her“ sehr beliebt. Mit dieser Melodie wird der Bezug zu Weihnachten beibehalten und die „weihnachtliche Stimmung“188 weitergetragen. Auch wenn die Texte nun andere Bezüge herstellen, machen doch die übernommenen Melodien deutlich, dass das Fest in der Weihnachtszeit liegt – und so bleibt zumindest klanglich die Verbindung erhalten.

2.3

Exemplarische Liedanalysen

Das kirchliche Neujahrslied, wie es sich im 17. Jahrhundert darstellt, wird im Folgenden anhand von drei Haupttypen barocker Dichtkunst der Theologen Johannes Rist, Paul Gerhardt sowie Johann Scheffler (später bekannt als Angelus Silesius) untersucht. Johannes Rist (1607–1667)189, Sohn eines evange­ lischen Pastors, war ein Theologe, der neben Paul Gerhardt als bedeutendster evangelischer Dichter geistlicher Texte und Lieder des 17. Jahrhunderts gilt. Er lebte und wirkte im Norden Deutschlands, in der Umgebung von Hamburg.

184 185 186 187 188 189

Vgl. ebd., 109 f. So im Nürnbergischen Gesangbuch von 1677. Lorbeer, Sterbe- und Ewigkeitslieder, 405. Rist, Neue Musikalische-Festandachten, folio [A vi] verso. Boy, Die Neujahrslieder, 289. Zum Lebenslauf und über die Person Johannes Rist siehe Rößler, Liedermacher, 471–511.

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Rist war Pfarrer mit Sammelleidenschaft und Interesse für Pflanzen und Medizin, daneben ein fleißiger Schriftsteller und Poet190. Seine geistliche Lyrik umfasst mehr als 650 Gedichte. Sie wurden von ihm vorwiegend für die private und häusliche Andacht geschrieben, oder für die gesellschaftlich bürgerlichen Musizierzirkel. Der bekannteste protestantische Liederdichter nicht nur dieser Zeit ist Paul Gerhardt (1607–1676). In aktuellen evangelischen Gesangbüchern sind seine Lieder neben denen Luthers am häufigsten vertreten. Sein Liedschaffen wurde durch Johann Crüger (1598–1663), Kantor in St. Nikolai in Berlin, erstmals bekannt: In der zweiten Auflage der Crüger’schen „Praxis Pietatis Melica“ von 1647 sind 18 Gerhardt’sche Lieder zu finden.191 In ihrer Form entsprechen sie subjektiven Erbauungsliedern.192 Sie wurden zu Festen des Kirchenjahres und zu bestimmten Anlässen verfasst, wie sie sich im Leben eines Christen ereignen (Kasual-Lieder). Die meisten handeln – wohl zeitbedingt – von Kreuz und Trost, weitere Schwerpunkte sind Lob und Dank sowie Tod und Ewigkeit.193 In Johannes Schefflers (1624–1677)194 begegnet man einer markanten Person in den gegenreformatorischen Strömungen. Durch seine Konversion (von evangelisch zu katholisch) hatte er auf die Frömmigkeit beider Konfessionen großen Einfluss. 1657 veröffentlichte er die Epigramme „Geistreiche Sinn- und Schlussreime“, die aber in der zweiten Auflage (die um ein sechstes Buch erweitert ist) unter dem Titel „Cherubinischer Wandersmann“195 erschien. Einen gefühlsbetonten Weg zu Gott beschrieb Scheffler in seinem Werk „Heilige Seelen-Lust Oder Geistliche Hirten-Lieder Der in jhren JESUM verliebten Psyche“. Versehen 190 Von ihm ist eine ganze Reihe von Trauer- und Freudenspielen erhalten. Er verfasste sehr gerne Gelegenheitsgedichte auf Personen und Ereignisse von überregionaler Bedeutung. Auch persönliche Erlebnisse brachte er in Reimen zu Papier. Er verfasste gereimte Passionsandachten („Der zu seinem allerheiligsten Leiden und Sterben hingeführter und an das Kreuz gehefteter Jesus Christus“, Hamburg 1648), Lieder zu den Sonntagsevangelien des Kirchenjahres („Sabbatische Seelenlust“, Hamburg 1651), Lieder zu Klage und Buße, Lob und Dank, Sterben und Gericht sowie Hölle und Himmel („Neuer Him(m)lischer Lieder sonderbares Buch“, Hamburg 1651) – um nur ein wenig Einblick in die Breite und den Umfang seines Werkes zu geben. Ganz im Geiste des Barocks verfasst, sind seine Lieder sehr ausführlich und dementsprechend lang – was schon bei seinen Zeitgenossen Kritik hervorrief (vgl. Rössler, Liedermacher, 490). 191 Die PPM wird fast 100 Jahre lang immer wieder nachgedruckt. In der Auflage von 1661 ist die Zahl der Gedichte Gerhardts auf neunzig angewachsen. 192 Vgl. Muntanjohl/Heymel, Gottesdienste, Gemeindearbeit und Seelsorge, 30. 193 Vgl. von Cranach-Sichart (Hg.), Paul Gerhardt, 22.  194 Vgl. zum Lebenslauf Schefflers: Rößler, Liedermacher, 516 ff. 195 Der im Titel genannte Cherubim deutet an, dass hier eine literarische Wanderung als mystische Bewegung hin zu Gott unternommen wird; allerdings in einer intellektuellen Auseinandersetzung, wohl wissend, wie paradox der Versuch ist, Unsagbares in Worte zu fassen.

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Geschichte und Entwicklung der kirchlichen Neujahrslieder

mit Melodien von Georg Joseph, fürstbischhöflicher Musiker in Breslau, ist ein Großteil der Texte zu Liedern geworden.196 Die Texte Rists, Gerhardts und Schefflers waren ursprünglich für den häuslichen Gebrauch bestimmt. Sie erschienen mit beigegebenen Noten in Liedersammlungen, wenn sie nicht schon lokal begrenzt in Gesangbücher kamen. Besonders der Pietismus sorgte dafür, dass die Werke in den kirchlichen Gebrauch übergingen197 und weite Verbreitung fanden. 2.3.1

Hilf, Herr Jesu, lass gelingen – Johannes Rist (1642)

1. HIlff, HErr Jesu, laß gelingen/ Hilff, das Neüe Jahr geht an/ Laß’ es neüe Kräffte bringen/ Daß auffs neü’ ich wandlen kan/ Neües Glük unn neües Leben Wollest du mit Gnaden geben.

5. Laß mich beügen meine Knie Nur zu deines Namens Ehr’/ Hilff daß ich mich stets bemühe Dich zu preisen mehr und mehr/ Laß mein Bitten und mein Flehen Doch im Himmel vor dir stehen.

2. Alles was ich außzurichten Und zu reden bin bedacht/ Müsse mich mein Gott verpflichten/ Deines theüren Namens Macht, Daß auch das / was ich gedencke/ Dich zu preisen stets sich lencke.

6. Laß mich HErr in deinem Namen Frölich nehmen Speiß’ und Tranck/ Gühter / die von dir her kamen/, Fordern ja von mir den Danck/ Deine Weißheit kan mich stärcken Zu der Lieb und guhten Wercken.

3. Meiner Hände Werck’ und Thaten/ Meiner Zungen Red’ und Wohrt Müsse nur durch dich gerathen Und gantz glücklich gehen fohrt/ Neüe Krafft laß mich erfüllen Zu verichten deinen Willen.

7. Mein Gebeht das muß auffsteigen, Herr für deinen GnadenThron/ Denn wirst du zu mir dich neigen Wie zu deinem lieben Sohn’/ HERR ich weiß / es wird für allen Diß mein Opffer dir gefallen.

4. Was ich dichte, was ich mache/ Das gescheh’ in dir allein/ Wenn ich schlaffe / wenn ich wache/ Wollest du HErr bey mir seyn/ Geh’ ich aus / halt an zur Seiten/ Komm’ ich heim / so hilff mich gleiten.

8. Laß diß seyn ein Jahr der Gnaden/ Laß mich büssen meine Sünd’/ Hilff / daß sie mir nimmer schaden Sondern bald Verzeihung find’ HErr’ in Dir / nur Du mein Leben Kanst die Sünd’ allein vergeben.

196 Nahezu fünfzig davon wurden über Hallesche Gesangbücher zum Kirchenliedgut. 197 Vgl. Arndal, Brorson und die Tradition, 113. Als Beispiel nennt Arndal Freylinghausens „Geist-reiches Gesang-Buch (1704 und 1714), in dem die Lieder neben den alten luthe­rischen Liedern und den neuen pietistischen einen breiten Raum einnehmen. Vgl. ebd.

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9. Tröste mich mit deiner Liebe/ Nim O Gott mein Flehen hin/ Weil ich mich so sehr betrübe Ja voll Angst und Zagen bin/ Stärcke mich in meinen Nöhten/ Daß mich Sünd’ und Todt nicht tödten.

13. HErr du wollest Gnade geben Daß diß Jahr mir heilig sey Und ich Christlich könne leben Sonder Trug und Heücheley/ Daß ich noch allhier auff Erden Fromm und selig möge werden.

10. Salb’ O Vater / meine Wunden Wasche mich mit Jsop ab/ Zwahr ich bin noch unverbunden, Doch verletzet biß auffs Grab/ Tilg’ HErr meine Missethaten So wird meiner Noth gerathen.

14. Laß mich armen Sünder ziehen Deinen Weg der Frömmigkeit/ Laß mich Stoltz und Hoffart fliehen/ Laß mich beten jederzeit/ Laß mich Schand und Unzucht meiden/ Laß mich willig Unglück leiden.

11. Grosse Sünder kanst du heilen/ Ach! Ich bin in Jhrer Zahl/ Du / du kanst mir Gnad’ ertheilen/ Hilff mir doch aus dieser Quahl/ Denn du kennest ja die Schwachen Die du wiedrum starck wilt machen.

15. JEsus richte mein Beginnen/ JEsus bleibe stets bey mir/ JEsus zaume mir die Sinnen/ JEsus sey nur mein Begier/ JEsus sey mir in Gedancken/ JEsus lasse nie mich wancken.

12. Zehle loß mich Hochbetrübten, Der ich nicht bezahlen kan/ Liebe mich in dem Geliebten/ Dein Sohn JEsus nimt mich an/ JEsus läst mich nicht verderben/ JEsus läst mich nicht im Sterben.

16. Jesu / laß mich frölich enden Dieses angefangne Jahr/ Trage stets mich auff den Händen Halte bey mir in Gefahr/ Freüdig wil ich dich ümbfassen, Wenn ich sol die Welt verlassen.

(Text nach: Himmlische Lieder 1642)

2.3.1.1 Ältester Druck Das Lied erschien erstmals im dritten Heft, dem dritten Zehnt der „Himmlischen Lieder“ (1642) von Johannes Rist und umfasste 16 Strophen zu je sechs Versen. Es ist gleich zu Beginn des Heftes zu finden und steht unter der Überschrift „In und mit dem allersüßesten Namen Jesu“. Rists Motivation zu einem solchen Lied liegt in seiner Feststellung, dass generell geeignete Festlieder fehlen.198 Er macht sich 198 Er schätzt das Angebot an De-tempore-Liedern folgendermaßen ein: „genugsahm kund und am Tage ist, daß wir in unsern Evangelischen Kirchen, an derogleichen Mangel haben, sintemahl diselbe so gar dünne geseet, das derer zu Zeiten kaum Drei oder Vier, Ja bißweilen kaum Ein Einziges zu finden, so Sich recht auf die Feiertage schikken, und durch welche man Sich die vielfältige uns bezeigte, unaussprächliche Wolthaten GOttes mit sonderbahrem Vortheil und Jnnlicher Erlustigung der Seelen könte zueignen, oder zu Nütze machen.“ Johannes Rist, Neue Musikalische Fest-Andachten, Vorrede, fol. [A vi] verso. Ein weiteres Neujahrslied, das Rist verfasste, ist: „Das alt’ ist abgegangen,

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zur Aufgabe, diesem Umstand abzuhelfen, und verfasst eine Reihe von Festzeitliedern. Die Melodien dazu lässt er, wenn möglich, von bekannten Komponisten erstellen.199 Die Originalmelodie stammt von Johann Schop. 2.3.1.2 Entstehung und Analyse Der Wortbedeutung „Jesus“ (= Der Herr hilft!) nachsinnend, bedenkt Rist alles Handeln, das im Neuen Jahr geschehen soll. Die Basis bildet das Psalmwort: „O Herr, hilf; o Herr, lass wohl gelingen!“ (Ps 118, 25). Der natürliche Sprechbetonung des Wortes „Jesus“ entsprechend, hat Rist als Versmaß den Trochäus gewählt. Bis auf die zweite und die vierte Verszeile sind alle Versschlüsse weiblich. Das Reimschema jeder Strophe ist ein Kreuzreim mit einem anschließenden Paarreim. Dadurch werden die beiden letzten Zeilen jeder Strophe betont. In diesen abschließenden Verszeilen ist sentenzenartig die Hauptaussage einer Strophe zusammengefasst, was durch einen vorangehenden Doppelpunkt noch unterstrichen wird. So z. B. Str. 3: „[…] ganz glücklich gehen fort: / Neue Kraft lass mich erfüllen / Zu verrichten deinen willen“. Mit diesem Strophenaufbau wird der Text sehr eindringlich, allerdings auch wenig flüssig. Jeder Strophe hebt neu an und könnte auch ganz für sich alleine stehen. Mit Rists Lied erschließt sich ein „Gebiet der mehr privaten Neujahrsbetrachtung.“200 Im Text hält ein Ich im Gebet enge Zwiesprache201 mit Gott, bzw. ­Jesus; es spricht wohl zu beiden, denn die Ansprache und Perspektive wechselt im Verlauf des Gedichts; so wird der „Herr, Jesu“ (Str. 1) oder nur der „Herr“ (Str. 4, 6, 7, 8, 10, 11, 13) angeredet, später ist dann über „Dein Sohn Jesus“ (Str. 12) eindeutig der Vater gemeint. Anlass für das lange Gebet ist das neu anbrechende Jahr und sind die Chancen für einen Neuanfang, die es eröffnet. So wird in der ersten Strophe gleich fünfmal vom Neuen gesprochen: Da sind das neue Jahr, neue Kräfte und neues Wandeln, das möglich werden soll, wie auch neues Glück und neues Leben.

Das neüe Jahr tritt auff“, das er mit „Gottseliger Anfang des neüen Jahres, In einem andächtigen Liede Allen Christlichen Haußvätteren, Haußmütteren, Kinderen und Gesinde fürgestellet“ überschreibt; vgl. Wackernagel III ., 250, 261. 199 Wie z. B. die Hamburger Komponisten Johann Schop, Thomas Selle und vor allem Johann Crüger in Berlin. Dem bis dato eher unbekannten Andreas Hammerschmidt verhalf Rist zu Wohlstand und Ansehen. 200 Mahrenholz, Handbuch zum EKG III /1, 208. 201 Rists Lieder weisen eine bestimmte Art von Innerlichkeit auf, die Scheitler in die Tradition subjektiver Erbauungsliteratur einreiht: „Die Zugehörigkeit von Rists Liedern zu dieser Tradition erweist sich in der bewußten Verwendung von Erbauungsbüchern einer bestimmten Richtung der ‚Innerlichkeit‘ (Arndt, Gerhard, Stegmann), der Verwendung mittelalterlicher Vorbilder (z. B. Pseudo-Bernhard), im Einsatz von Motiven des Blutund Wundenkults und der Jesusliebe.“ Scheitler, Das Geistliche Lied, 260.

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Der Wunsch wird Jesus angetragen. Mit der Verdoppelung des Imperativs „Hilf!“, als Anapher zu Beginn der ersten und zweiten Zeile, wird die Dringlichkeit des Gebets betont und wird die Notwendigkeit der erbetenen Hilfe hervorgehoben. Gleichwohl ist dem Beter bewusst, dass er die Hilfe nicht durch sein Dazutun herbeizuführen vermag, da sie ihm  – wenn überhaupt  – „allein aus Gnade“ zuteilwird: „Neues Glück und neues Leben wolst du mir aus Gnade geben“ (Str. 1, V. 5 u. 6). Die Exklusivität, dass Hilfe allein von Gott kommen kann, wird sprachlich dadurch betont, dass vermehrt Wörter wie: alles, stets, allein, nur und ganz verwendet werden. Ausrufe verstärken den Eindruck der Dringlichkeit: „Laß mich, Herr!“ (Str. 6), „Ach! ich bin in ihrer Zahl!“ (Str. 11) oder auch ein einzelnes „Herr!“ (Str.7). Die folgenden sechs Strophen führen aus, was der Beter im neuen Jahr zu tun gedenkt; und dass dies alles nur mit Jesu Hilfe und Beistand möglich sein wird. Es schwingt Joh 15,5 mit: Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht. Ohne mich könnt ihr nichts tun“. Die Beziehung zwischen dem Beter und Jesus wird so eng vorgestellt, wie es nur geht; es wird zu einem wechselseitigen Ineinander-Bleiben – als reziproke Immanenz – was in mehreren Strophen klar erkennbar ist.202 Aus diesen Strophen klingt die Weisheit des Psalmisten, dass nichts, was der Mensch tut, nicht schon vorher von Gott, dem Herrn, gewusst würde (vgl. Ps 139). Die sechzehn Strophen lassen sich in drei Abschnitte unterteilen: In Strophe 1–7 blickt das Ich positiv gestimmt auf das neu vor ihm liegende Jahr. Es vertraut auf Jesu Zuwendung und Beistand. Wesentlich ist die darin enthaltene Dynamik: Der Beter möchte nicht ausschließlich den Willen Gottes erleiden, sondern selbst aktiv werden, indem er dessen Willen ausführt.203 Die Strophen 8–12 stellen die Schulderkenntnis, die das Leben beschwert, in den Mittelpunkt des Liedes: Das Ich spricht von sich als einem großen Sünder, der betrübt ist, der Angst, Verzagen und Not erlebt. Er leidet große Qual (Str. 11) und befindet sich in Todesnot, wenn er hofft, durch Jesus Stärkung zu erfahren, um Sünde und Tod zu überwinden (Str. 9). Diese ganze Selbstreflexion bezieht auffallenderweise nicht das vergangene Jahr und konkrete Verfehlungen mit ein. Sie gibt eine Art „Status quo“ an: Der Mensch ist Sünder und sucht Vergebung.

202 Str. 2: „All mein trachten und mein sinnen / Werde stets durch dich vollbracht“; Str. 3: „Meiner hände werck und thaten / Meiner zungen red’ und wort / Müssen nur durch dich gerathen“; sowie Str. 4: „Was ich dichte, was ich mache, das gescheh in dir allein.“ 203 Vgl. Mahrenholz, Handbuch zum EKG III /1, 208. Dies zeigt sich an Textstellen, wie Str. 3: „Neue Kraft lass mich erfüllen / Zu verrichten deinen Willen“; Str. 5: „Hilff, daß ich mich stets bemühe / Dich zu preisen mehr und mehr“; sowie Str. 6: „Deine weisheit kann mich stärken / Zu der lieb’ und guten wercken“.

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Von der Sündenlast befreien kann allein Jesus. Er ist der Heiler, oder auch Arzt204, der die Wunden der Sünden abwaschen und die Missetaten tilgen kann. Nur er kann diese Gnade erweisen (Str. 10 und 11). Der Ysop, der in diesem Zusammenhang genannt wird, wurde bei den Israeliten zur Herstellung von Reinigungswasser verwendet, worauf auch Ps 51,9 Bezug nimmt, in dem es heißt: „Entsündige mich mit Ysop, dass ich rein werde.“205 In Strophe 12 wird die Hoffnung zur Gewissheit, dass Jesus die Sünder annimmt. Und dadurch, dass Jesus dies tut, wird der sündige Mensch auch durch Gott angenommen: „Liebe mich in dem Geliebten / Dein Sohn Jesus nimmt mich an.“ Eine angenommene Immanenz von Vater, Sohn und Mensch wird hier wieder besonders deutlich. Die Strophen 13 und 14 sind wiederum dem anbrechenden neuen Jahr gewidmet. Es soll ein „heiliges“ Jahr werden, in dem das betende Ich christlich leben und seiner Sündhaftigkeit zum Trotz den Weg der Frömmigkeit gehen kann. Das Ich bittet um die Kraft, christlichen Tugenden Widersprechendes, wie Betrug, Heuchelei, Stolz, Hoffart, Schande und Unzucht, zu meiden und auch widrige Ereignisse hinzunehmen206. Während in Strophe 14 schon ein vorläufiger Höhepunkt erreicht ist, indem das eindringliche „Laß mich“ am Beginn nahezu jeder Zeile steht, ist der endgültige Höhepunkt in Strophe 15 zu finden, wenn an wirklich jedem Zeilenbeginn die Anapher „Jesus“ verwendet wird. Die Strophe ist eine Art Herzensgebet oder ein „immerwährendes, tief sich einprägendes Jesusgebet“207: Das Verhältnis zwischen dem Beter und Jesus wird hier so eng und innig, wie es anders kaum möglich ist; in allem, was der Mensch beginnt, in seinen Gedanken und Zielen wird Jesus um seine Anwesenheit und seinen Beistand gebeten. Die umgestellte Wortfolge „Jesu, lasse nie mich wanken“, statt „lasse mich nie wanken“, betont besonders den Wunsch, dass Jesus fest zum Beter halten möge und keine Zweifel aufkommen. Die letzte Strophe geht über die Betrachtung des Jahresbeginns hinaus, indem auch das Ende des bevorstehenden Jahres miteinbezogen wird: „Jesu laß mich fröhlich enden / Dieses angefangne Jahr“.208 Schließlich wird ein eschatologischer Ausblick gewagt: „Freudig will ich dich umfassen / Wan ich sol die welt verlassen“. Selbst wenn der Beter das Jahr nicht vollenden können sollte, so nimmt er dies auch als Gottes Willen an, dem er sich ganz und gar fügt. Der Tod

204 Die Beschreibung von Jesus als einem Arzt ist bei Rist ein naheliegendes Motiv: Er war neben seinem Pfarramt ein begeisterter Pharmakologe und vertrieb Heilmittel. 205 Vgl. Neumann-Gorsolke, Art. Ysop, 1487. 206 Str. 14, V. 6: „Laß mich willig unglück leiden.“ 207 Rößler, Liedermacher, 502. 208 Jesus wird wie ein Schutzengel angesprochen, der den Beter auf Händen tragen und ihm in Gefahren beistehen soll.

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wird nicht als Trennung von der Welt beklagt, sondern als Zusammenführung, als körperliches Nahesein mit Jesus (ihn „umfassen“) gesehen. Rists Lied ist ein gutes Beispiel dafür, dass in den Neujahrsgottesdiensten eine thematische Verschiebung stattfindet. „Bisher war der Neujahrstag liturgisch als Erinnerung an die Beschneidung Jesu gefeiert worden; jetzt verlagert sich der Festinhalt immer mehr auf die Namengebung Jesu.“209 Der Name wird in dem Gedicht mehrfach verwendet oder beschrieben. Jesu Name hat „Macht“ (Str. 2), zur Ehre seines Namens möchte der Beter niederknien (Str. 5), alles soll „in deinem Namen“ geschehen (Str. 6). Die Namenstheologie, der Namenglaube und der Heilsbedeutung des Namens wird im Neujahrslied Schefflers weitaus prominenter begegnen und in einem Exkurs vertieft. Ein weiteres Motiv, das in Rists Lied in den Vordergrund tritt, ist die Bitte um ein Jahr „voll Gnade“ – also um ein „Gnadenjahr“ – das Jesus regiert210. Die Rede vom Gnadenjahr geht auf die israelitische Tradition zurück, alle 7 Jahre ein Jubeljahr einzulegen, in dem ein Acker nicht bebaut wird. Damals war üblich, dass nach 7x7 Jahren dann im 50. Jahr eine vorhandene Schuld getilgt wurde, so dass Sklaven, die wegen ihrer Schulden in die Versklavung gerieten, ihre Freiheit zurückerlangen konnten. In Lk 4,16–20 wird Jesus mit dem Propheten Jesaja in enge Verbindung gebracht (vgl. Jes 61,1–2), der bereits das Gnadenjahr des Herren verkündigen sollte, das nun mit Jesu Wirken angebrochen scheint. Dieser Auslegung folgend ist das Gnadenjahr, von dem im Liedtext die Rede ist und das Jesus regieren soll, also ein Jahr, in dem allen ihre Schulden erlassen werden und sie Freiheit erlangen sollen. So ist „Hilf, Herr Jesu“ ein gutes Beispiel dafür, wie, von dem Namen „Jesus“ ausgehend, eine Erlösungstheologie entfaltet wird, die beständig neu angenommen werden kann. 2.3.1.3 Rezeptionsgeschichte Vielleicht gehörte das Lied mit zu den wenigen, die Rist in seiner Gemeinde singen ließ. In seinen „Musikalischen Festandachten“ schreibt er über die Lieder aus seiner Feder: Ich doch gleichwol in Meiner eigenen Kirche / von der Gemeine hieselbst derer keines lasse singen / ausgenommen den Beschluß Eines Weihenacht= und Neüen Jahr Gesanges / welche / nachdeme Sie die Kinder ernstlich in der Schule gelernet / die Gemeinde an besagten heiligen Festtagen / in deme das Volk aus der Kirche zu gehen beginnet / bisweilen lässet erklingen.211

Das Lied ist wegen seiner vielen Strophen schon bald gekürzt worden. PPM 1703 bietet es gleich in zwei Fassungen: in dem Gesangbuch ist es einmal mit fünfzehn 209 Rößler, Liedermacher, 501. 210 Mahrenholz, Handbuch zum EKG III /1, 208. 211 Rist, Neue Musikalische Fest-Andachten, Vorrede, fol. [A viii] recto.

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und ein weiteres Mal mit fünf Strophen zu finden. Fünfstrophig steht es bis heute im Gesangbuch (EG 61). Die Strophenauswahl erfolgte offensichtlich nach deren inhaltlichem Bezug auf das neue Jahr. So sind die vier Strophen, die das anbrechende Jahr erwähnen (Strophen 1, 8, 13 und 16 des Originals) sowie eine weitere Strophe aus dem „Bußteil“ (Str. 9) ausgewählt und zusammengestellt worden. Im englischsprachigen Raum haben zwei Übertragungen des Liedes Popularität erlangt.212 Die 15. Liedstrophe wird schließlich berühmt, indem Johann Sebastian Bach sie als Text für den Schlusschoral der Kantate IV213 im Weihnachtsoratorium verwendet. Von den sechs Kantaten ist es diejenige, die zur Aufführung am Neujahrstag bestimmt ist. Bach übernimmt allerdings nur den Text und komponiert dazu eine eigene Melodie214, die wie ein Kirchenlied klingt.215 Es gibt noch ein weiteres Lied, das Johannes Rist für den Jahresschluss vorgesehen hat: „Abermals ist eins dahin von der Zeiten Anbeginn“. Es ist vor allem in Gesangbüchern Preußens vertreten216, hat darüber hinaus aber kaum Verbreitung gefunden. 2.3.1.4 Das Neue Jahr als Gnadenjahr Das Lied buchstabiert durch, welche Bedeutung das „simul iustus et peccator“ am Übergang in ein neues Jahr hat. Das Bewusstsein der eigenen Schwachheit in Glauben und Lebenswandel des zurückliegenden Jahres führt zu den Bitten an Jesus, neue Kräfte zu schenken, die dazu verhelfen, das beginnende Jahr in dieser Hinsicht besser zu meistern. Gerade darin erweist sich für den Beter die Gnade Gottes, die den bereuenden Sünder immer wieder annimmt. Es wird Got212 Für James Mearns ist es „one of the best German New Year’s Hymns, and became speedily popular (though often abridged).“ Julian, Dictionary, 523. Die Übertragungen stammen von Catherine Dunn („Help, Lord Jesus, let Thy blessing“ – Hymns from the German, 1857) und Catherine Winkworth („Help us, O Lord, behold we enter“ – Chorale Book for England, 1863). 213 BWV 248IV. Sie erklang erstmals in Leipzig, am Jahresbeginn 1735. Vgl. Schulze, BachKantaten, 641. 214 Den möglichen Gründen für die Tatsache, dass häufig nur die Texte von Rist und nicht auch die dazugehörigen Melodien von Komponisten aufgenommen und verarbeitet wurden, geht Küster nach: Küster, Wege zu Johann Rist, 164 ff. 215 Vgl. hierzu Dürr, Kantaten von J. S. Bach, 192. Für die zwei Bassrezitative der Kantate verwendet Bach die erste Strophe eines weiteren Liedes von Rist. Es handelt sich um „Jesu, du mein liebstes Leben“. Im Rezitativ „Immanuel, o süßes Wort“ sind die Anfangsstollen zu finden, im Rezitativ „Wohlan, dein Name soll allein“ findet sich der Abgesang, aus zwei Textdurchgängen gebaut. Vgl. Küster, Wege, 169. Ein zentrales Stück der Kantate ist die sogenannte „Echo-Arie“. Die Solistin (Sopran) verkörpert die gläubige Seele, die sich im Zwiegespräch befindet. Die Sopranstimme aus dem Chor, die als Echo erklingt, kann als „Jesuskind“ gedeutet werden. Die Tradition eines solchen Zwiegespräches reicht weit in das 17. Jahrhundert zurück. Vgl. hierzu näher Koch, Tröstendes Echo. 216 So z. B. in PPM 1703, Berlin 1748 (Porst), Magdeburg 1786 und Berlin 1892 (Porst).

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tes Schutz erbeten, denn das lyrische Ich fühlt sich hilflos, angesichts der Zeit, die vor ihm liegt. Es fühlt sich auf Gott angewiesen und von seiner Gnade abhängig, um den vor ihm liegenden Zeitabschnitt schließlich gut verleben zu können. 2.3.1.5 Vergleich mit Zwicks Neujahrslied Zwischen den Liedern von Zwick und Rist liegen mehr als einhundert Jahre. Es ist ein auseinandersetzungsreicher, von Krieg und Not geprägter Zeitraum. Hinsichtlich der Poesie und Frömmigkeitsgeschichte treten in den hundert Jahren auch große Veränderungen auf. Ein Vergleich der zwei Lieder lässt dies ansatzweise deutlich werden: Beide Theologen, Zwick wie Rist, haben für ihre Neujahrslieder ein leicht zu merkendes Reimschema und Versmaß gewählt. Den Liedern gemein ist darüber hinaus die Vielzahl der Strophen. Lieder von ausgesprochen großem Umfang kennzeichnen auch manch andere Dichtung Rists, was von seinen Zeitgenossen z. T. kritisch gesehen wird („Es rinnt ja so“, hat jemand durch Umstellen der Buchstaben des Namens „Johannes Rist“ bemerkt). Neben den genannten Gemeinsamkeiten überwiegen jedoch Unterschiede: Einen auffälligen Gegensatz bilden die Perspektiven. Während Zwick sein Lied distanziert, fast neutral beschreibend gestaltet, wählt Rist die Sicht eines betenden Ichs. Es ist eine gewisser Abstand, der in Zwicks Lied zwischen Sängern, Gemeinde und Gott besteht  – während bei Rist ein ganz enges Verhältnis, ja nahe­zu eine mystische Vereinigung des Gläubigen mit Jesus Christus erhofft wird. Zwicks Lied ist so formuliert, dass es von einem Teil der Gemeinde – dem jungen Volk – für die Gemeinde gedacht ist. Die Perspektive macht es für den Gemeindegesang verwendbar. Demgegenüber ist Rists Lied das persönlich formulierte Gebet eines Individuums an seinen Gott. Scheitler sieht es nicht als ein Kirchenlied sondern weist es der persönlichen Erbauung zu und stellt es damit in die Tradition des geistlichen Liedes. Der Tradition und traditionellen Formen verbunden ist Zwicks Lied noch, wenn das Neujahrssingen des Volks­ brauches und Formulierungen in Erinnerung an altchristliche Litaneien217 gewählt werden. Rist nimmt eine ganz andere Haltung ein, indem er bewusst „die Ausdrucksmöglichkeiten eines Gedichts“218 für sein Anliegen verwendet; seine Betrachtung richtet sich nach innen; und es ist die Reflexion, nicht die Verkündigung, die für ihn im Vordergrund steht. Ein Vergleich der verwendeten Zeitperspektiven verdeutlicht dies noch einmal: Für Johannes Zwick ist das anbrechende neue Jahr der Anlass, den einzel217 Vgl. Scheitler, Das Geistliche Lied, 260. Die typischen Merkmale einer Litanei findet Scheitler in der Parallelität der Strophenanfänge, der „Wir-Form“ und dem „bekräftigenden liturgischen Gebetsschluss ‚Das werde war‘.“ Ebd. 218 Ebd., 261.

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nen Gruppen der Gesellschaft Neujahrswünsche zuzusingen. Diese Wünsche sind ganz zukünftig auf das neue, nun vor allen liegende, Jahr ausgerichtet. Anders ist im Lied: „Hilf, Herr Jesu, lass gelingen“ der Blick sowohl nach vorne, auf das anbrechende Jahr, als auch zurück auf die vergangene Zeit, bzw. auf die eigene Person gerichtet. Auf diese Weise bringt Rist die Themen Lebenszeit und Sünde miteinander in Verbindung. Das Ich und seine Lebenszeit werden betrachtet. In der letzten Strophe weitet sich der Blick sogar vom Jahres- hin zum Lebensende. Es wird deutlich, dass Zwick sein Lied genau für den Neujahrstag und das anbrechende Jahr, Rist jedoch eher für den Übergang, und damit rückwärts wie vorwärts gewandt, geschrieben hat. Schließlich findet sich doch ein gemeinsamer Fokus der beiden Lieder: die Tugenden. Für Zwick stehen sie in enger Verbindung mit der Rolle, dem Amt und dem Stand einer Person im Gefüge der Gesellschaft. Die vorherrschenden Themen sind somit Sittlichkeit und Ordnung innerhalb des Kreises der Menschen, die zusammenleben. Demgegenüber spricht Rists Neujahrslied von den Tugenden und Verfehlungen einer Einzelperson. Die Erkenntnis eigener Sündhaftigkeit und die Bitte um Gottes Vergebung stehen im Vordergrund. Das dichterische Ich – in der Barockzeit noch nicht individuell, sondern als religiöses Ich gedacht – wendet sich ganz allein an Gott, zu dem es betet. Die Ansprache in beiden Liedern zielt also in unterschiedliche Richtungen. Das Gottesbild, das in beiden Liedern entworfen wird, erscheint deckungsgleich: Von Jesus, bzw. Gott, kommen Beistand, Hilfe, Schutz, Segen, Stärke und Heilung. Das Menschenbild variiert jedoch, was auf die unterschiedlichen dichterischen Rolleneinnahmen und Aussagen zurückzuführen ist. Ein jugendlicher Chor spricht anders von sich, als ein einzelner (erwachsener) Beter. Allerdings sind beide Texte geprägt durch die Unterscheidung von Stärke und Schwäche, die Betonung der Abhängigkeit in der Beziehung zu Gott und dessen alles verbindender Liebe. Biblische Bezüge werden vorwiegend von Rist hergestellt, indem er von Gott im Himmel und seinem Gnadenthron spricht, zu dem das Gebet aufsteigen soll, von Jesus als einem Arzt, dem Gnadenjahr, das er schenken soll, oder Jesus, der auf Händen trägt (wie ein Engel). Rist verwendet die Motive, um das Verhältnis zwischen Gott und Mensch näher zu beschreiben. Hinsichtlich liturgischer Bezüge fällt auf, dass das überkommene Motiv des 1. Januars, die Beschneidung – liturgisch ja damals mit Neujahr verbunden – ungenannt bleibt.219 Nur die Namengebung wird von Rist berücksichtigt, indem er der wörtlichen Bedeutung des Namens „Jesus“ nachgeht. In ihrer Funktion als Fürbitten und Gebet kommen beide Lieder zusammen. 219 Rist hatte den Mangel an Beschneidungsliedern zwar selbst beklagt, aber das Motiv dann doch nicht in der eigenen Dichtung behandelt.

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2.3.2

Nun lasst uns gehn und treten – Paul Gerhardt (1648 [53?])

2.3.2.1 Ältester Druck Neujahrslied Mel.: Wach auf, mein hertz, und singe. 1. NVn laßt uns gehn und treten Mit singen und mit bäten Zum Herrn, der unserm Leben Bis hierher Kraft gegeben. 2. Wir gehn dahin und wandern Von einem jahr zum andern, Wir leben und gedeyen Vom alten bis zum neuen, 3. Durch so viel angst uñ plagen, Durch zittern und durch zagen, Durch krieg und grosse schrecken, Die alle welt bedecken. 4. Denn wie von treuen müttern In schweren ungewittern Die kindlein hier auf erden Mit fleiß bewahret werden: 5. Also auch und nichts minder Läßt Gott jhm seine kinder, Wenn noth und trübsal blitzen, In seinem schoosse sitzen. 6. Ach Hüter unsers lebens! Fürwahr, es ist vergebens Mit unserm thun und machen, Wo nicht dein augen wachen. 7. Gelobt sey deine treue, Die alle morgen neue; Lob sey den starcken händen, Die alles hertzleid wenden. 8. Laß ferner dich erbitten, O Vater, Vnd bleib mitten

In unserm creutz uñ leyden Ein Brunnen unsrer freuden. 9. Gib mir und allen denen, Die sich von hertzen sehnen Nach dir und deiner hulde, Ein hertz, das sich gedulde!220 10. Schleuß zu die Jammerpforten Vnd laß an allen orten Auf so viel blutvergiessen Die freudenströme fliessen. 11. Sprich deinen milden segen Zu allen unsern wegen; Lass grossen und auch kleinen Die gnadensonne scheinen. 12. Sey der verlaßnen Vater, Der irrenden berather, Der unversorgten gabe, Der armen gut und habe. 13. Hilf gnädig allen krancken, Gib fröliche gedancken Den hochbetrübten seelen, Die sich mit schwermut quälen. 14. Uñ endlich, was das meiste, Füll uns mit deinem Geiste, Der uns hier herrlich ziere Und dort zum himmel führe. 15. Das alles wollst du geben, O meines lebens leben, Mir und der Christen schaare Zum selgen neuen jahre!

220 Die Strophe 9 hat Aufnahme in einen Roman gefunden: In den „Buddenbrooks“ von Thomas Mann wird sie humorig-ironisierend in ein Gespräch über den deutsch-­dänischen Krieg eingebracht. Konsul Thomas Buddenbrook erwähnt seinem Barbier Wenzel gegen-

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2.3.2.2 Entstehung Das Lied ist wahrscheinlich nur wenig später entstanden als jenes von Johannes Rist. Hier begegnen Lebenswege in enger Gottesbeziehung, mit inniger Bitte und Lob, trotz drohender Gefahren und Schrecken. Über die Liedentstehung ist kaum etwas bekannt. Die älteste erhaltene Druckversion stammt aus dem Jahr 1653. Dass Gerhardt es bereits im letzten Kriegsjahr, also 1648 verfasste, kann nur vermutet werden. Grundlage für diese Annahme ist die gehäufte Erwähnung von Zuständen, die mit Kriegsverhältnissen assoziiert werden: Angst und Plagen, Not, Trübsal und Schrecken. Man könnte meinen, dies seien die „grundlegenden Erfahrungen, aus denen heraus der Weg in ein neues Jahr beschritten wird.“221 Ein solcher vermuteter Entstehungsanlass könnte jedoch auch früher gegeben gewesen sein. 2.3.2.3 Fürbitte zum anbrechenden Jahr Paul Gerhardts (1607–1676) Jahreswendelied umfasst fünfzehn Liedstrophen, die aus je vier in Paaren gereimten Versen bestehen. Das macht ein Memorieren trotz der Vielzahl der Strophen leicht. Als Versmaß wurde der Jambus gewählt, der als „schreitendes“ Versmaß den Liedinhalt besonders zu Beginn ideal unterstützt, in dem das Vor-Gott-Treten und das Abschreiten des Lebensweges eines Menschen dargestellt wird. Das Lied lässt einen klaren Aufbau erkennen: Ausgehend von der Aufforderung in Str. 1, mit Singen und Beten vor Gott zu treten, wird eine Situationsanalyse gegeben, die beschreibt, wie es den Betenden momentan ergeht (Str. 2 u. 3). Es folgt eine Darstellung der Eigenschaft Gottes, der seine Kinder wie eine Mutter schütze (Str. 4 u. 5). In direkter Gebetsansprache wird dann eine Reihe von Anliegen vorgebracht (Str. 6 bis 14). Die Bitten um Beistand und Hilfe gelten allen menschlichen Handlungen, gelten Leidenden, Kreuztragenden und denen, die sich nach Gottes Huld sehnen. Es wird um das Ende der Kriegsnot gebeten, um Segen und Gnade auf den Lebenswegen der Menschen, Hilfe für Notleidende und Kranke. Der Liedtext entspricht mit allen Elementen dem gottesdienstlichen Fürbittgebet. Das sogenannte „Allgemeine Gebet“ hatte Luther für die deutsche Messe sozusagen wiederentdeckt und die Litanei und Ektenie als Betformen übernommen. Gerhardts Text ist ein Fürbittgebet, dessen erste Worte eine liturgische Aufforderungsformel aufnehmen. Das lateinische „Oremus“, oft mit „Lasset uns beten“ wiedergegeben, klingt in „Nun lasst uns gehn und treten […] mit beten“ an.

über, er habe sich als kleiner Junge immer über diesen Gesangbuchvers geärgert. Denn im Geist habe er bei dem Vers „Gib mir, gib allen denen, die sich von Herzen sehnen“ das „denen“ immer mit „ä“ geschrieben. Er habe nicht akzeptieren wollen, „daß der Herrgott auch den Dänen irgend etwas geben sollte“. Mann, Buddenbrooks, 344. 221 Fechtner, Schwellenzeit, 196.

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Die Situationsschilderung dient der Selbstvergewisserung, während die Schilderung der Eigenschaft Gottes als Anamnese dessen Treue betont. Die Bittenreihe nimmt „klassische“ Topoi auf222, nimmt aber auch auf das Zeitgeschehen Bezug, wie die zehnte Strophe mit der Bitte um das Ende der Kriegsnot vermuten lässt. Gerhardts Wortwahl zeugt von vielen biblischen Anleihen. Es sind v. a. zwei Texte, auf die er Bezug zu nehmen scheint: Psalm 42 und das Tempelweihegebet Salomos in 1. Könige 8. Knapp gibt als Referenz zudem Klagelieder 3, 22–24 an.223 Eröffnet wird das Lied mit einer Aufforderung: mit Gesang und Gebet vor den Herren zu treten, den Erhalter des Lebens.224 Es ist dies eine „Selbstermunterung“225, wie sie in den Psalmen und auch in mehreren Liedanfängen Gerhardts zu finden ist. Im alttestamentlichen Sprachgebrauch meint vor Gott tre222 Das deutschsprachige Fürbittgebet im Gottesdienst hat zu Gerhardts Zeiten noch keine lange Tradition; es hatte erst durch die Reformatoren (Wieder-)aufnahme in die Praxis gefunden. Vgl. Schulz, Gebet, 742 f. In der Agende von Löhe sind Gebete aus dem 16.–18. Jahrhundert zusammengestellt. Als Beispiel eines Fürbittgebetes zum Neuen Jahr sei ein Ausschnitt aus einem Gebet von Olearius („Handbuch“ und „Die Himmelspforte“ 1673 bzw. 1679) wiedergegeben: „Und weil im künftigen Jahre, wie in unserm ganzen Leben, keine Stunde und kein Augenblick vergeht, da wir ohne Deinen Schuz nicht in Großes Elend gerathen könnten; so halte Deine Gnadenhand väterlich über uns. Barmherziger Gott und Vater, erhöre unser Gebet, erbarm Dich aller Menschen. Erhalt uns Dein reines Wort, heilige alle Lehrer und Prediger, erbaue Kirche und Schule. Behüte uns vor falscher Lehre, stärke alle treuen Regenten, fördere guten Rath und That. Segne Väter und Mütter, regiere Kinder und Gesinde. Bewahre uns vor Krieg und Blutvergießen. Wende ab Pest und Theurung. Steure dem Grimm des Teufels, sende uns Deine heiligen Engel. Beschere gut Wetter. Kröne das Jahr mit Deinem Gute. Gib Frieden im Lande, unseren Herzen Freude, unserem Leibe Gesundheit, unserer Gemeinde Einigkeit. Benedeie unsere Nahrung. Fördere das Werk unserer Hände. Nähre treue Arbeiter. Bekehre die Sünder, kräftige die Frommen, bringe zurecht die Irrigen. Erleuchte unsere Feinde, wehre allen Verfolgern, schüze Witwen und Waisen. Versorge die Armen, speise die Hungrigen, tränke die Durstigen, erquicke die Verjagten, erlöse die Gefangenen, tröste die Elenden, erfreue die Traurigen, pflege die Kranken, hilf den Hilflosen, errette die Bedrängten, hilf den Gebärenden, bewahre die Reisenden, sei bei den Sterbenden. Durch Jesum Christum, Deinen lieben Sohn, unsern Heiland und Erlöser. Amen.“ Löhe, Agende, 248. 223 Knapp, Liederschatz, 935. 224 Die Situationsschilderung erinnert an Psalm 42: Der Beter möchte „mit ihnen wallen zum Hause Gottes mit Frohlocken und Danken unter dem Haufen derer, die da feiern“ (V. 5). „Tags sendet der Herr seine Güte und „des Nachts singe ich ihm und bete zum Gott meines Lebens“ (V. 9). 225 Weitere Liederöffnungen dieser Art sind: „Du meine Seele singe!“, „Sollt ich meinem Gott nicht singen?“, „Auf, auf mein Herz, mit Freuden!“, „Befiehl du deine Wege!“.­ Bunners stellt fest: „Die Aufforderungen erinnern an die Selbstermunterungen in vielen biblischen Psalmen oder an das Gespräch mit dem eigenen Herzen, wie es in der Tradition der Mystik geübt worden ist. Selbstermunterungen machen eine Grundbewegung des Gotteslobes deutlich: Ich bleibe nicht verschlossen in mir selbst und in meiner Welt. Ich beziehe mich auf Gott als auf meine Lebensquelle, schwinge mich ein in ihn als in mein wahres Lebenselement.“ Bunners, Paul Gerhardt, 166.

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ten in den Tempel gehen; zur Zeit Gerhardts geschieht dieses Gott-Aufsuchen im Gottesdienst. Im Anschluss an diese flüchtig skizzierte Situierung wird das Leben der Menschen beschrieben: Es besteht aus einer Wanderschaft, die von einem Jahr zum anderen, vom alten zum neuen führt. Der Jahreswechsel wird Anlass, hier einmal innezuhalten: Er wird als Übergang wahrgenommen und als solcher beschrieben. So ist im jetzigen Zeitpunkt alles Vergangene alt und wird zurückgelassen; das sich nun eröffnende Jahr ist neu – und entspricht einem unbekannten Weg. Dieser Weg wird daraufhin geschildert, als ob auf ihm unweigerlich vielerlei Gefahren begegnen werden. Er ist voller Angst, Plagen, Krieg und Schrecken, und dem Wanderer scheint es unmöglich, ihnen auszuweichen, da sie „die ganze Welt bedecken“. Mit wenigen Worten wird hier das Bild einer permanenten Bedrohung entworfen, doch gleich darauf wird ein Gegenbild gezeichnet: In dem Zustand der Gefährdung kann Schutz gefunden werden; wie Kinder in den Schoß der Mutter fliehen, finden die Gläubigen in Gottes Schoß Schutz und Geborgenheit. An diesem „weiblichen“ Gottesbild ist in späterer Zeit Anstoß genommen worden; und es gab an dieser Stelle Umdichtungen, ein männliches Gottesbild zu zeichnen.226 Mit der fünften Strophe endet die schildernde, bildreiche Situationsbeschreibung. Es spricht nun ein „Ich“ den Hüter des Lebens, also Gott, direkt an, indem es ihn lobt und Bitten an ihn richtet: Gott möge wachen, damit menschliches Handeln nicht vergeblich sei, er möge Herzeleid wenden, im Leid beistehen und Freude schenken, Geduld verleihen und möge dem Jammer ein Ende setzen, indem er Frieden spende. Die Bitten sind umfassend und universal formuliert: Sie gelten für alle Menschen und die ganze Welt, wie die gehäufte Verwendung der Worte alles und alle (alle Welt, alles Herzeleid, alle Orte, alle Wege, alle Kranken) bekräftigt. Alle Menschen, die den Lebensweg gehen, ob groß, ob klein, soll Gottes Segen begleiten, und seine Gnade soll alle erleuchten. Selbst wo man glaubt, dass spezifischere Fürbitten ausgesprochen werden, sind sie doch sehr allgemein gehalten und gelten denen, in deren Leben etwas fehlt; der Ausgleich dieses Mangels wird in Gott und durch Gott erhofft. So möge Gott Vater der Verlassenen, Berater der Irrenden, Gabe der Unversorgten und Besitz der Armen sein. Er möge helfend den Kranken beistehen und „hoch betrübten Seelen“227 mit fröhlichen Gedanken aus der Schwermut heraushelfen. Alle Gebets226 So bei Mylius, hier das Gesangbuch Berlin 1780 (Nr.  144  – geändertes Initium: Mit Freuden laßt uns treten; die Strophen 4 und 5): „ 4.  Doch, eilen treue Mütter, bey schwerem Ungewitter und drohenden Gefahren, die Kinder zu bewahren: 5.  So eilet voll Erbarmen auch Gott mit Vaterarmen, wenn Trübsalswetter blitzen, die Seinen zu beschützen.“ 227 Diese Formulierung ist im Psalm 42 gleich an zwei Stellen zu lesen: „Was betrübst du dich, meine Seele?“ (V. 6) und „Betrübt ist meine Seele in mir“ (V. 7).

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anliegen laufen auf die Bitte der 14. Strophe zu, die als das größte Anliegen herausgestellt wird: „[…] was das Meiste, füll uns mit deinem Geiste.“ Gottes Geist wird erbeten, um die Gläubigen auf Erden zu zieren, womit wohl ein gottgefälliger Lebenswandel gemeint ist, zu dem Gottes Geist verhilft. Auf diese Weise möge Gott Orientierung geben, und die Menschen auf das Jenseist ausrichten.228 Mit der letzten Strophe wird, wie geschildert, die Bitten zusammenfassend um deren Erfüllung gebeten: „Das alles woll’st du geben“. Ist die Bitte auch von einer Einzelperson ausgesprochen, ist sie hier zudem auf die „Christenschar“ hin formuliert. Das Erbetene möge Gott zum „sel’gen neuen Jahr“ gewähren. Diese Wortwahl eröffnet  – erst am Gedichtende platziert  – eine neue Bedeutungsebene: Es ist nicht mehr vom glücklichen oder neu angefangenen Jahr die Rede, sondern vom „seligen“ neuen Jahr. Hier wird mit nur einem Wort das Jenseits einbezogen und mit dem Diesseits verbunden; die irdische Lebenszeit des Menschen wird auf Gottes Ewigkeit hin transzendiert. Das Motiv der Lebenszeit, oder auch das des Lebens, zieht sich als roter Faden durch alle Strophen. Gleich zu Beginn wird Gott als derjenige identifiziert, der dem Leben der Betenden bis zum jetzigen Zeitpunkt Kraft gegeben hat. Dieses Leben wird als Wanderung von einem Jahr zum anderen und als Wanderung durch Gefährdungen und Bedrohungen hindurch beschrieben. Die skizzierten Lebenssituationen kennzeichnet Leid, Sehnsucht und Jammer, es wird der Menschen gedacht, die Mangel leiden: Ihnen fehlen Gemeinschaft, Orientierung, finanzielle Mittel; oder sie sind an Leib und Seele krank geworden. Bedeutend herausgestellt oder gar enggeführt wird das „Lebensmotiv“ in der letzten Strophe, in der es heißt: „O meines Lebens Leben“. Gott ist nicht nur der Lebensbegleiter und -erhalter, er ist auch der Inhalt des Lebens derer, die an ihn glauben. Die Gesprächssituation, wie sie in dem Lied geschaffen wird, kennzeichnet den Beter als Kind und nennt Gott, zu dem gebetet wird, dessen Vater. Mit der Anrede „Vater“ wird die gleiche Anrede gewählt, wie im Vaterunser. Tatsächlich ist das Vaterunser zu Zeiten Gerhardts Vorbild für das „Allgemeine Gebet“ gewesen, das heute „Fürbitte“ genannt wird. Da die Fürbitte meist mit dem Vaterunser endet, wird die Anrede von vorneherein einheitlich gewählt. Das Bild vom „Vater“ und seinen „Kindern“ steht für die theologische Erkenntnis, dass zwischen Gott und den Menschen eine große Differenz besteht, dass es Gott ist, der den Menschen das Leben geschenkt hat und mit ihnen in Beziehung stehen 228 Im Reformierten Gesangbuch der Schweiz lautet die letzte Strophe: „Das wollest du uns allen / nach deinem Wohlgefallen, / du unsers Lebens Leben, / zum neuen Jahre geben“ (RG 548, 15). Durch die Abwandlung des Textes wird das vorher im Text bestehende Nebeneinander vom einzelnen Ich und der Christenschar a­ ufgelöst und in ein „uns“ überführt.

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will; darüber hinaus beinhaltet eine solche Rede auch die Einsicht, dass menschliches Leben nicht aus sich selbst heraus gelingen kann. Die Beschreibung der Eigenschaften Gottes verstärkt diesen Gedanken: Gott ist „Hüter unseres Lebens“, derjenige, der trösten kann, der Freude schenkt und Segen zuspricht. Es ist gleichgültig, ob nun „Große und Kleine“ in den Blick kommen – alle sind sie Kinder Gottes. Der Liedtext wirkt sehr dicht und kompakt. Dies erzielt Gerhardt durch die Verwendung unterschiedlicher Stilmittel. Zum einen verwendet er fast durchgängig Enjambements. Die Aussagen in der ersten Zeile einer Strophe finden durch die folgenden Zeilen Ergänzung, Fortführung und Präzisierung, wodurch ein Gedankenfluss erzeugt wird, der mitzieht und dem leicht zu folgen ist. Das nahezu durchgängig verwendete Stilmittel des Enjambements ist besonders gut geeignet, den Inhalt des Textes zu unterstreichen. Der Doppelcharakter, der einen Jahreswechsel auszeichnet, nämlich das Ende und ein zeitgleicher Übergang, das Innehalten und sofortiges Fortsetzen, wird mit dem Zeilensprung hör- und spürbar. Darüber hinaus verwendet Gerhardt mehrfach sogenannte Zwillingsformeln229, die der Anschaulichkeit aber auch der Betonung einzelner Textstellen dienen. Schließlich durchziehen die Strophen eine ganze Anzahl von Assonanzen (z. B. das alles wollst du geben, / O meines lebens leben); und die Verwendung von Anaphern schafft Struktur und Einheit, wie z. B.: „Sey der verlassnen Vater, der […], / der […], / der armen gut und habe“ (Str. 12). Die beschriebene Dichte des Textes und sein logischer Aufbau sind sicherlich die Hauptgründe dafür, dass das Lied über die Jahrhunderte hinweg meist in voller Länge in den Gesangbüchern zu finden ist. Die Bitten für die Benachteiligten der Gesellschaft werden in ihrer Dringlichkeit besonders markant, wenn man die Zeitumstände und sozialen Probleme zu Lebzeiten Gerhardts in die Überlegungen einbezieht. Bunners beschreibt die Armut und das Betteln sowie die Lebensumstände der Menschen am Rande der damaligen Berliner Gesellschaft und erwähnt auch, dass die Stadt und die Kirchgemeinden zwar für die Armenversorgung zuständig, deren finanzielle Mittel aber beschränkt waren.230 Es gelang erst ab 1693 durch Philipp Jakob Spener, das Armenwesen in Berlin nachhaltig zu reformieren.231 229 Diese Phraseologismen sind „Singen und Beten“, „Angst und Plagen“, „Zittern und Zagen“, „Krieg und Schrecken“, „Not und Trübsal“, „Tun und Machen“, „Kreuz und Leiden“, „Grosse und Kleine“ sowie „Hab und Gut“, das des Reimes wegen umgestellt wurde und dadurch sprachlich umso auffälliger ist. Meines „Lebens Leben“ kann als engster Phraseologismus gelten, auf den, in der letzten Strophe platziert, diese Reihe zuläuft. Bei Gerhardt sind auch Drillingsformen zu finden: So z. B. in „Befiehl du deine Wege“ (Str. 1,V. 5 u. 6): Der Wolken, Luft und Winden / Gibt Wege, Lauf und Bahn“. 230 Bunners, Paul Gerhardt, 190. 231 Ebd., 191.

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Ob nun konkrete Zustände hinter den Gebetsanliegen stehen, oder einer traditionellen Aufzählung gefolgt wird: Die Bitten sind eindringlich, knapp in der Sprache, aber sehr bildreich und anschaulich. So können sie leicht zur eigenen Bitte werden und lassen dem Sänger Raum für eine eigene Inter­ pre­tation. 2.3.2.4 Rezeptionsgeschichte Diese Stärken des Textes haben wohl dazu beigetragen, dass das Lied durch die Jahrhunderte das Lied zur Jahreswende wurde. Obwohl es fünfzehn Strophen umfasst, werden keine gestrichen, nur selten einzelne zusammengefasst232. Das Lied war und ist bleibend beliebt – es gibt keine Überlieferungsbrüche. Zwar wird es in der Aufklärungszeit verändert, aber nicht wesentlich umgedichtet. So heißt es u. a. bei Mylius im Berliner Gesangbuch von 1780: „Mit Freuden lasst uns treten vor Gott, ihn anzubeten! vor Gott, der unserm Leben bisher hat Kraft gegeben“.233 Heute wird es aufgrund seiner Länge selten ganz gesungen. F ­ echtners empirische Untersuchung hat u. a. erhoben, welche Strophen des Liedes in heutigen Gottesdiensten häufig ausgelassen werden. Es sind dies Strophen, die dem derzeitigen Sprachgebrauch, Wirklichkeitsbezug oder der heutigen Frömmigkeit nicht mehr entsprechen, wo sie „Jammerpforten“ und „Blutvergießen“ (Str. 10) oder „Kreuz und Leid“ (Str. 8) erwähnen.234 Gotteslob basierte, altlutherisch aufgefasst, auf der Differenz, die ontologisch zwischen Schöpfer und Geschöpf besteht. Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass das menschliche Dasein keinen Bestand aus sich heraus hat; eine Erkenntnis, der sich der sündige Mensch gerne verschließt, wenn er versucht, aus sich selbst zu leben.235 Gerhardt hat acht Lieder geschrieben, die sich dem Weihnachtsfestkreis zuordnen lassen236; hinzu kommt dieses Lied zum Jahreswechsel. Nur für die Passionszeit hat er mehr Lieder verfasst.237

232 Im Gesangbuch Berlin 1829, an dem Schleiermacher beteiligt war, fehlen beispielsweise die Strophen 5 (die die Strophe mit dem Müttervergleich weiter illustriert) und Strophe 10 (mit den Jammerpforten). Stuttgart 1854 (150 Kernlieder) streicht zwei Strophen, die Not und Kriegsschrecken benennen (Str. 3 und 10 des Originals). 233 Berlin (Mylius) 1780, Nr. 144. Es hat hier weiterhin 15 Strophen. 234 Vgl. Fechtner, Schwellenzeit, 197. 235 Vgl. Bunners, Paul Gerhardt, 163. 236 Die Beschneidung Jesu veranlasst Gerhardt zu dem Lied „Warum machet solche Schmerzen“ (Text im Anhang, Nr. 14), das ein paar Jahre vor „Nun lasst uns gehn und treten“ erschien. Das Lied konnte sich über die Aufklärung hinaus in den Gesangbüchern nicht halten. Vereinzelt erscheint es aber noch einmal, so z. B. in Berlin 1891. 237 Vgl. Bunners, Paul Gerhardt, 143.

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Im 20. Jahrhundert hat das Lied mehrere Theologen in existentiellen Krisen­ situationen begleitet. Dazu gehören der Jesuitenpater Alfred Delp238, Jochen Klepper239 und Dietrich Bonhoeffer240. 2.3.2.5 Das Neue Jahr und das Leben als Gemeinde in der Welt Da das Lied sich durch die Jahrhunderte ungebrochener Beliebtheit erfreut, scheint es den Ansprüchen an ein „Jahreswendelied“ genau zu entsprechen. Existentielle Bedrohungen werden genannt, Schutz wird verheißen, Bitten für alle Lebenssituationen und Umstände werden ausgesprochen. Dass es durch die Jahrhunderte in kaum einem Gesangbuch fehlt, liegt vermutlich daran, dass es sowohl am Silvesterabend als auch am Neujahrsmorgen gesungen werden kann. Es bezieht sowohl das alte als auch das neue Jahr ein, wenn es heißt: „wir […] wandern / Von einem jahr zum andern / Wir leben und gedeyen / Vom alten bis zum neuen“. Mit dem ausgeprägten Fürbittcharakter ist es auch für manch anderen Gottesdienst, der einen Übergang begleitet, geeignet. Die Fürbitte kann das konkrete Handeln nicht ersetzten, „sie weckt aber die Aufmerksamkeit der Betenden und bewahrt sie vor Resignation, weil sie im Gebet Gott anheim stellen, was sie aus eigener Kraft nicht leisten können.“241 Die Fürbitte dient dazu, Sorgen und Nöte der Menschen vor Gott zu bringen; und es wird das Leben in der Welt bedacht.242 Die ethische Ausrichtung erinnert die Gemeinde über den Gottesdienst hinaus an ihre Rolle und Pflichten in der Gesellschaft.243 Zugleich wird für die Regierenden gebetet, wodurch die Fürbitte auch politisch wird. Ganz gleich ob gute oder schlechte Regierung: sie ist als 238 „Zu Silvester 1944 gelangt der Text von Paul Gerhardts Jahreswendelied in Alfred Delps Zelle.“ Ebd., 240. 239 Jochen Klepper notiert am Neujahrstag 1942 in seinem Tagebuch: „Das Herz erzittert vor dem neuen Jahr, als habe man eine Weite des Grauens betreten, sei in sie hineingewiesen. Welches Gewicht haben an diesem Neujahrsmorgen die einzelnen Strophen des Liedes ‚Nun laßt uns gehn und treten‘ gehabt.“ 240 Das Lied wurde in Bonhoeffers Familie an den Adventssonntagen gesungen. „Alle dreizehn Strophen des Liedes wußten die Kinder auswendig. Der Vater Karl Bonhoeffer, Professor für Psychiatrie und Neurologie in Berlin, liebte aus diesem Lied besonders die Strophe, die der ‚hochbetrübten Seelen, die sich mit Schwermut quälen‘ gedenkt.“­ Bunners, Paul Gerhardt, 249. In der Gefangenschaft bekommt das Jahreswendelied Gerhardts wieder eine wichtige Bedeutung für Bonhoeffer. Er weist seine Verlobte auf einzelne Strophen hin (vgl. ebd., 252). Und in einem Weihnachtsbrief 1943 an seine Eltern zitiert er die zehnte Strophe des Liedes: „Schleuß zu die Jammerpforten / und laß an allen Orten / nach so viel Bluvergießen / die Freudenströme fließen.“ 241 Schulz, Gebet, 751. 242 Vgl. ebd. 243 Die Fürbitte stellt für Luther ein untrügliches Kennzeichen der Kirche als Kirche dar, indem sie im Unterschied zu religiösen Vereinigungen nicht nur nach innen sondern auch „nach außen“ betet. Vgl. hierzu Wannenwetsch, Die ethische Dimension, 386.

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weltliche Herrschaft eine vorläufige, ist Dienerin Gottes (so Röm 13,4) und auf Gottes Beistand angewiesen244 – zu ihrem Wohl und dem Wohl der Untertanen wird für die Regierenden gebetet. Gerhardt strukturiert sein Lied nicht nach dem Ständeschema, obwohl dies im 17. Jahrhundert eine immer stärker werdende Tendenz im Fürbittgebet ist; viele Gebete werden der gesellschaftlichen Ordnung entsprechend gegliedert, und der Landesherr erscheint darin mit Namen, Familienangehörigen und Räten inklusive der Titel.245 Mit der Sprechperspektive eines einzelnen Ichs und der Gemeinde ist das Lied „modern“ und bis heute beliebt. Für Fechtner zeigt sich hier bereits ein individualisierender Zug, „inmitten dessen, daß das Geschick der versammelten Gemeinde vor Gott gebracht wird“, weil hier am Jahresübergang der Lebensabschnitt des Einzelnen in den Blick genommen wird.246 2.3.3

Jesus ist der schönste Nahm – Johannes Scheffler (um 1657)

1. JEsus ist der schönste Nahm Aller, die vom Himmel kamen, Huldreich, prächtig, tugendsam, Über alle Götter Nahmen. Seiner großen Liebligkeit Gleicht kein Nahme weit und breit. 2. JEsus ist das Heil der Welt, Und ein’ Artzney für die Sünden; JEsus ist ein starker Held, Unsren Feind zu überwinden: Wo nur JEsus wird gehört, Jst der Teuffel schon gestöhrt. 3. JEsus ist der Weisen Stein, Der Gesundheit giebt und Leben; JEsus hilfft von aller Pein, Die den Menschen kann umgeben. Lege JEsum nur auffs Hertz, So verliehrt sich aller Schmertz. 4. JEsus ist der süsse Bronn, Der die Seelen all’ erquikket; JEsus ist die ewge Sonn,

Derer Strahl uns gantz verzükket. Wiltu froh und freudig seyn, Laß nur jhn zu dir hinein. 5. JEsus ist ein ewger Schatz Und ein Abgrund alles guten; JEsus ist ein Freuden=Platz Voller süsser Himmels=Flutten, JEsus ist ein kühler Thau, Der erfrischet Feld und Au. 6. JEsus ist der liebste Thon, Den mir alle Welt kan singen; Ja ich bin im Himmel schon, Wenn ich JEsum hör’ erklingen: JEsus ist meins Hertzens Freud Und mein’ ewge Seligkeit. 7. JEsus ist mein Himmel=Brodt, Das mir schmekt, wie ich begehre; Er erhält mich für dem Tod, Stärkt mich, daß ich ewig wehre: Zukker ist er mir im Mund, Balsam, wenn ich bin verwundt.

244 Vgl. ebd. 245 Vgl. Schulz, Gebet, 751. 246 Fechtner, Schwellenzeit, 128.

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8. JEsus ist der Lebens=Baum Voller edlen Tugend=Früchte; Wenn er findt im Hertzen Raum, Wird das Unkraut gantz zu nichte: Alles Gifft und Unheil weicht, Was sein Schatten nur erreicht.

9. JEsus ist das höchste Gutt In dem Himmel und auff Erden; JEsu Nahme macht mir Muth, Daß ich nicht kan traurig werden; JEsu Nahme soll allein Mir der liebste Nahme seyn.

2.3.3.1 Ältester Druck Der Text entspricht dem 35. Lied der Sammlung „Heilige Seelenlust, oder geistliche Hirtenlieder der in ihren Jesum verliebten Psyche“. Diese umfasst 205 Lieder und wurde von Scheffler 1657 herausgegeben. Es sind fünf Bücher. Der Text befindet sich im ersten und trägt die Überschrift: „Sie [die Psyche] lobt die Vortrefflichkeit des Namens Jesu“247. 2.3.3.2 Der Name ist Programm In neun Strophen zu je sechs Zeilen werden die Vorzüge des Jesusnamens bedacht und erläutert. Der Trochäus, der als Versmaß zugrunde liegt, korrespondiert – wie bereits bei Rist – mit der natürlichen Betonung des Wortes „Jesus“. Dieser Name bildet das Zentrum der Gedanken im Text.248 Mit dem Reimschema ababcc ist eine weitere Parallele zu Rists Lied249 gegeben. Der Paarreim in den letzten beiden Zeilen betont diese Mitte, hier wie dort, wodurch die Aussagen besonders hervorgehoben werden. „Was bedeutet Jesus dem Menschen?“, ist die zentrale Frage, auf die in jeder Strophe neu versucht wird, eine Antwort zu geben. Sie bildet den roten Faden, der den Text durchzieht. Auffällig ist, dass nicht konjunktivisch danach gefragt wird, was Jesus für jemanden sein könnte, sondern es wird danach gefragt, was er für ihn bereits ist. Für den Versuch einer Antwort möchte das dichterische Ich nun den bestmöglichen Vergleich finden; es sucht nach Metaphern, die die Bedeutung am ehesten zu erfassen und wiederzugeben vermögen. Viele Bilder werden zu Hilfe genommen und angeführt, die durch ihre Verschiedenheit erschlagend wir247 Die Überschrift, die den Text als Worte der Psyche = Seele vorstellt, geht mit der Aufnahme in Gesangbücher verloren. Arndal charakterisiert Schefflers Lieder als „geistliche Schäferlieder, die das Schäferkostüm, die Motivik des Hohen Liedes und die erotisch mystische Bildlichkeit verwenden, um in einer artistisch anspruchsvollen Weise die kindliche Naivität und Intimität im Verhältnis zwischen Jesus und der Seele zum Ausdruck zu bringen.“ Arndal, Brorson und die Tradition, 113. 248 In ähnlicher Weise behandelt das Lied „Iesus ist ein süsser nam“ die Deutung des Namens Jesus. Es ist bereits an der Wende zum 17. Jahrhunderten in katholischen Gesangbüchern zu finden. Für den Text siehe Anhang, 1. Liedtexte, Nr. 6. 249 Vgl. hierzu das Kapitel „Hilf, Herr Jesu, lass gelingen – Johannes Rist (1642).

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ken aber zunächst kaum fassbar sind. Von Strophe zu Strophe wird dem Leser bzw. Sänger deutlicher, wie schwierig das hier betriebene Unternehmen ist. Sobald ein Vergleich gezogen ist, scheint er nicht mehr zu genügen. Ein neues Bild wird gesucht und angefügt. Offensichtlich kann keine einzige Metapher allein zufriedenstellend fassen, was Jesus dem Ich bedeutet. Die Metaphern, die gewählt werden, sind: Jesus – der schönste Name, das Heil der Welt, ein starker Held, der Stein der Weisen, Vertreiber der Schmerzen, der süße Brunnen, bzw. die süße Quelle, die ewige Sonne, ein ewiger Schatz, ein Abgrund alles Guten, ein Freudenplatz, ein kühler Tau, der liebste Ton, bzw. Klang, die Herzensfreude und ewige Seligkeit, Himmelsbrot, Lebensbaum wie auch das höchste Gut! In jeder Strophe wird die Formulierung „Jesus ist“ mindestens einmal verwendet, immer aber zu deren Beginn. Dieses Strukturmittel findet eine Klimax in der 5. Strophe: Hier werden gleich drei Aussagen aneinander gereiht, die mit „Jesus ist“ beginnen. Die Formulierung sticht hervor, da sie auf eine Vergleichspartikel verzichtet: Jesus ist nicht „wie“ etwas, sondern er ist es ganz und gar. Er ist nicht wie ein starker Held, sondern ist der Held. Die Erzählung von der göttlichen Namengebung, verkündet von einem Engel (Lk 1,31), wird in der ersten Strophe aufgegriffen. Der Name „Jesus“ wird als so außergewöhnlich vorgestellt, dass er, obwohl auch andere Namen „vom Himmel kamen“, von allen der schönste ist, voller Huld, prächtig250 und trotzdem „tugend­sam“. Gleichzeitig ist er über alle Götternamen251 erhaben. Was die Herkunft der Metaphern und Motive252 angeht, die Scheffler verwendet, um Jesu Bedeutung zu beschreiben oder eben sich ihr anzunähern, bildet nicht nur die Bibel eine Inspirationsquelle. Jesus als „Heil der Welt“ zu bezeichnen, entspricht der Interpretation der angenommenen ursprünglichen Wortbedeutung des hebräischen Namens253. Vom Herrn, der „wie ein starker Held“ bei ihm sei, spricht Jeremia in seinen Klagen (Jer 20,11). „Der Weisen Stein“ – also der Stein der Weisen – 250 Eine Reihung von Eigenschaften Gottes, wie sie in Psalm 111 gegeben ist. 251 Es wird davon ausgegangen, dass es wohl weitere Götter geben mag, aber dem genannten die höchste Ehre gebührt. Damit sei an das Erste Gebot aus der Reihe der Zehn Gebote erinnert, das zwar von der Existenz weiterer Götter ausgeht, aber die alleinige Anbetung JHWHs verlangt. 252 Zu den verwendeten Metaphern vergleiche auch das Gedicht „Komm, mein Herze, komm mein Schatz“, von Scheffler („Geistliche Hirtenlieder“, Erstes Buch, VII). In ganz ähnlicher Weise werden hier Metaphern für die Bedeutung Jesu aneinandergereiht. Der Schatz, der Freudenplatz, das Balsamöl und das Manna werden darin ebenso genannt, wie das Licht, die Arznei und der Held. Die Überschrift ist für das Verständnis des­ Gedichtes bedeutsam: „Sie [die Psyche] rufet ihm abermal sehr begehrlich“. 253 In Hebräischen Lexika wird die Bedeutung des Namens aus dem Gottesnamen jhwh und šua („edel“, „vornehm“) hergeleitet oder aber als Derivation von dem Verb „jaša“

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findet sich nicht in der Bibel sondern galt Alchimisten seit der Spätantike als sagenumwobene Substanz, mit deren Hilfe man unedle Metalle in Gold oder Silber verwandeln könnte, wenn man nur solch einen Stein besäße. S­ cheffler verwendet das Bild wohl eher in Bezug auf eine zweite Eigenschaft, die dem Stein zugeschrieben wird: Es heißt, er könne auch jede erdenkliche Krankheit heilen. Wird Jesus mit diesem Stein gleichgesetzt, so kann man ihn als Universalmedizin ansehen; gibt er doch „Gesundheit“ und „Leben“ (Str. 3,2). Er heilt von den Sündenschmerzen, was durch die Formulierung „lege Jesum nur auffs Hertz“254 deutlich wird. Ein Herz, das in Unruhe ist, findet durch ihn wieder zum Gleichschlag. Dass Scheffler Alchimie in den Text einbringt, ist für seine Zeit nicht ungewöhnlich. Barockmystiker bis hin zu radikale Pietisten schätzten diese Kunst, da sie in ihr das Modell einer universellen Reinigung und Erneuerung sahen.255 Gott wird fernerhin als Abgrund alles Guten bezeichnet. Abgrund256, mit dem heutige Leser ausschließlich Negatives verbinden, indem sie ihn mit „gähnend“ und „finster“ zusammendenken, steht an dieser Stelle für das Unendliche und Gute. Gott wird zum „minneclichen grundlosen abgrunde“, wenn Johannes­ Tauler (um 1300–1361) über ihn predigt257; und so will der „Abgrund“ im Liedtext von Scheffler auch verstanden sein. Der göttliche Abgrund bringt Gutes hervor, besitzt kein Ende, hat keinen Boden; er ist einfach unbegrenzt. Weitere Substantive, wie Quelle, Sonne, Schatz, Freude des Herzens und ewige Seligkeit – sind Motive, die wir vorwiegend in den Psalmen finden. Die anderen Bilder, wie der Freudenplatz (ist ein locus amoenus gemeint?), der kühle Tau und der Ton (als Klang?), scheinen der eigenen Kreativität des Dichters zu entspringen. Das Himmelsbrot entspricht dann wieder dem biblischen Manna258 (d. h. retten), bestimmt. Bei Matthäus liegt letztere Etymologie des Namens nahe, wenn es in Mt 1,21 heißt: „Und du sollst seinen Namen Jesus nennen; denn er wird sein Volk retten von seinen Sünden.“ 254 Hier kann ganz real an ein Kruzifix oder eine Kette mit Kruzifix gedacht werden, das auf die Brust gelegt, diese Reaktion hervorruft. Einen solchen Anhalt in der Glaubenspraxis hat auch die Formulierung „halt mir dein Kreuz vor, wenn mein Auge bricht“ in der 5. Strophe von „Bleib bei mir Herr, der Abend bricht herein“ (nach dem engl. Abide with me von Henry Francis Lyte 1847; EG 488, RG 603). Zu denken ist hier auch an die Praxis mancher Priester, Sterbenden ein Kruzifix vor Augen zu halten. 255 Vgl. hierzu Dohm, Poetische Alchimie, Tübingen 2000. 256 „Abgrund“ ist ein beliebtes Motiv in der Lyrik der Mystik. Es kann sowohl im nega­ tiven als auch im positiven Sinne gebraucht werden. Zur Begriffsgeschichte von den biblischen Belegen über die Verwendung bei Augustin, Tauler, Eckehart bis hin zu Luther vgl. Reinhuber, Kämpfender Glaube, 96 ff. 257 Vgl. Vetter (Hg.), Predigten Taulers, 407,3. 258 Im Zusammenhang, der sich aus der Strophe ergibt, wird wohl das Brot des Abendmahls gemeint sein. Der Gläubige begehrt das Brot, in dem er Jesu Leib zu schmecken bekommt und sich im Tode bewahrt und für ein ewiges Leben gestärkt weiß.

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(Ex 2,16); und der genannte Lebensbaum schließlich verbindet Anfang und Ende: Er ist der Baum des ewigen Lebens, den es der biblischen Erzählung nach im Paradies neben dem Baum der Erkenntnis von Gut und Böse gab. Und er ist der Baum, von dem im Buch der Offenbarung denen Nahrung versprochen wird, die Gottes Gebote halten (vgl. Offb 2,7). Obwohl das Gedicht nur aus einer einzigen Aufzählungsreihe zu bestehen scheint, enthält es zwei Ebenen, die in ihm mit einander verknüpft werden: den Bereich des Himmels und den der Erde. Mehrfach wird der Himmel erwähnt: Von ihm stammt der Name (Str. 1,2), der Freudenplatz Jesus ist voller Himmelsfluten (Str. 5,4) und schließlich wähnt sich das lyrische Ich bereits im Himmel, sobald es den Namen „Jesus“ vernimmt (Str. 6,3). Das Himmelsbrot (Str. 7,1) gehört ebenso in dieses Reihe. Und die Verbindung von Himmel und Erde besteht in Jesus als dem höchsten Gut beider Sphären, wie in der letzten Liedstrophe summierend betont wird. Die Bilder, die Scheffler in seinem Text aneinanderreiht, sprechen von allen menschlichen Sinnen – und damit auch alle Sinne an. Es gibt etwas zu sehen (z. B. die Sonne und ihre Strahlen), zu hören (den Namen Jesus als Gesang), zu schmecken (Manna, Zucker und Tugendfrüchte). Für das Gefühl steht die häufige Erwähnung des Herzens, stehen die Äußerungen von Verzückung und Freude aber auch nachlassender Schmerz. Zu fühlen gibt es ferner kühlen Tau und endlich Balsam für die Wunden. Allein der Geruchssinn scheint ausgespart, doch lässt sich daran denken, dass Balsam auch ein Öl ist, das Wohlgeruch verbreitet. Von den Gegenkräften zu Jesus spricht der Liedtext ebenfalls. Es wird der Teufel genannt, als „unser“ Feind, den Jesus zu überwinden angetreten ist (Str. 2), und in Strophe 8 wird ein floraler Vergleich gezogen, indem das Böse als Gift und Unheil vorgestellt wird, die das „Unkraut“ im Garten des Herzens sind. Die innere Betroffenheit und das Bezogensein auf Jesus durchziehen das Lied, indem vom Herzen, von der Seele und vom Gemüt direkt oder indirekt die Rede ist. Strophen, die eher abstrakt konstatieren, dass Jesus dieses oder jenes ist, wechseln sich mit Strophen ab, die genau beschreiben, was Jesus für den Menschen bedeutet, der hier spricht. Die Bestimmtheit, die aus den Formulierungen klingt, wird nichtzuletzt durch die umfassenden aber auch exkludierenden Worte ganz, alle, nur sowie mehrere Superlative erzeugt (liebste, schönste, höchste). Jesus als „Name“ rahmt das ganze Lied, da er nur in der ersten und letzten Strophe genannt wird. Am Liedende fällt besonders die Formulierung „Jesu Name macht“ ins Auge, die sich von den vielen voranstehenden „Jesus ist“ deutlich abhebt. Der zuvor erzeugte Eindruck von einer gewissen Statik wandelt sich an dieser Stelle in Dynamik. Der Name „ist“ nicht nur, er versetzt auch in Bewegung. Dies tut er, indem er etwas zu bewirken vermag – er schenkt Mut. Gemeint ist allerdings nicht der Mut, der für Kämpfe oder Auseinandersetzungen © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525624364 — ISBN E-Book: 9783647624365

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notwendig wäre, sondern Lebensmut: der Mut, das Leben zu meistern. „Dass ich nicht kann traurig werden“ erinnert an die betrübten Seelen: Betrübtheit zum Tode259 – die ist es, vor der Jesus vor allem bewahren kann. Die letzten zwei Zeilen „Jesu Name soll allein / mir der liebste Name sein“, sind die Quintessenz der vorangegangenen Überlegungen und beziehen sich zugleich wieder auf die Anfangszeile des Textes. Waren die Überlegungen von dem „schönsten“ Namen ausgegangen, ist dieser im Verlauf der Strophen dem lyrischen Ich ans Herz gewachsen – als der „liebste“ Name. Es hat eine Aneignung stattgefunden, die den zunächst als schön empfundenen Namen „Jesus“ schließlich zum „Lieblingsnamen“ hat werden lassen. Einen Lieblingsnamen macht aus, dass man ihn liebt, ihn als wohlklingend empfindet, gerne ausspricht, mit ihm etwas Positives verbindet. Zu diesem allen kann das Lied verhelfen. Überdies stellt man sich bei der Erwähnung eines Namens auch etwas vor: Wenn schon kein Gesicht, da eine Begegnung von Person zu Person nicht möglich ist, dann doch das, was man von der Person erzählt bekommen hat. Auf Jesus bezogen ruft die Namensnennung auch auf, was ein gläubiger Mensch im Laufe seines Lebens in seiner Jesusbeziehung erfahren hat.260 2.3.3.3 Rezeptionsgeschichte Das Lied ist, wahrscheinlich aufgrund der Schefflerschen Biographie mit dem Schritt der Konversion, beiden Konfessionen bekannt geworden. Die unmittelbare Verbindung mit dem Neujahrsfest hat sich jedoch in keiner der beiden halten können: Sowohl in katholischen, als auch in evangelischen Gesangbüchern verließ das Lied die Rubrik „Neujahr“ bzw. „Jahreswende“ und wurde den Jesus­ liedern beigestellt; oft unter der eigenen Rubrik „Der Name Jesu“261. Der Text wurde in einzelnen Gesangbuchausgaben, wenn überhaupt, nur geringfügig verändert. Heute ist das Lied nur noch in Gesangbüchern zu finden, die die Jesus­verehrung besonders betonen, wie z. B. im Gesangbuch der Apostolischen Gemeinschaft: „Singt dem Herren“262; es steht dort unter der Rubrik „Lob und Anbetung“.

259 Vgl. auch Mk 14,34 – die Gethsemaneszene – in der Jesus auf sich selbst bezogen formuliert, seine Seele sei zu Tode betrübt. Dies kann verstanden werden als tiefe Betrübnis und dem Tode nahe zu sein oder dass die Seele so tief, bis zum Tod, betrübt ist. 260 Die Aneignung der Bedeutung von Jesus für das eigene Leben bzw. das eigene Ich wird in dem Lied besonders deutlich, wenn man die verwendeten Personalpronomen genauer betrachtet. Das Ich spricht zwischenzeitlich ein Du an (Str. 3 und 4), spricht auch von „uns“ (Str. 2 und 4). Nach der 4. Strophe wird nur noch vom Ich gesprochen oder neutral formuliert. 261 So z. B. in Strassburg 1743. 262 Singt dem Herrn, Bielefeld 2009.

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2.3.3.4 Das Neue Jahr und der heilbringende Name Die Meditation über den Jesusnamen hat ihren Platz unter den Neujahrsliedern rein durch die liturgische Bestimmung, die dem Festtag zugedacht worden ist: Als Fest zur „Beschneidung und Namengebung“ Jesu Christi in der Octav zu Weihnachten. Die Deutung des Namens „Jesus“ und seine Bedeutung für den Gläubigen und sein Leben umfasst allerdings auch dessen Lebenszeit und den hier neu anbrechenden Jahresabschnitt. Die Meditation des Jesusnamens soll dessen Heilsbedeutung ausloten. Auch erlaubt der Name die direkte Anrede und ein persönliches In-Beziehung-Treten. Exkurs: Beschneidung und der Name „Jesus“ An dieser Stelle erscheint angezeigt, den Themen „Beschneidung“ und „Name Jesus“ eine eingehendere Betrachtung zukommen zu lassen; auch in der Hinsicht, wie beide in Neujahrsliedern Erwähnung fanden und bearbeitet wurden. Denn Lieder eigens zum Thema Beschneidung Jesu oder eigene Lieder zu dessen Namengebung, oder aber Lieder, die beides zugleich besingen, lassen sich viele finden. Wenn beides in einem Lied besungen wird, rückt häufig die Bedeutung des Namens in den Vordergrund. Auf welche theologischen Konzepte wird hier zurückgegriffen? Im Alten Testament hat die Beschneidung eine hervorgehobene Bedeutung. Sie ist Zeichen des Abrahambundes (Gen 15 und Gen 17). Gott gibt Einzelpersonen und dem Volk Israel mehrere Bundesversprechen; so ist z. B. das Zeichen für den Mosebund am Sinai, der Sabbat (Ex 31,16). Ein neuer Bund wird vom Propheten Jeremia angekündigt (Jer 31,31–34). Das wiederum wird in Hebr 8–10 aufgenommen. Bezogen auf Gottes Verheißung, dass er sein Gesetz in aller Herzen geben und ihnen in den Sinn schreiben wird, sodass sie sein Volk sind und er ihr Gott ist, wird das Heilsgeschehen in Jesus Christus gedeutet. Für die Gläubigen des Mittelalters ist die Beschneidung Jesu kein lange vergangenes, sondern vielerorts ein durchaus gegenwärtiges Ereignis. Das liegt nicht zuletzt an den Reliquien Jesu, die aus seiner ersten Zeit auf der Erde stammen: Es sind die Nabelschnur von der Geburt (lat. umbilicus) und die Vorhaut von der Beschneidung (praeputium)263.

263 Zu den mit dem sogenannten Praeputium verbundenen geschichtlichen Ereignissen, die auf die Reliquie bezogenen dogmatischen Deutungen und einer harschen Kritik an der bis zu seiner Zeit praktizierten Praeputiumsverehrung siehe Müller, Hochheilige Vorhaut Christi. Aus dem Mittelalter ist bekannt, dass die gesteigerte Reliquienverehrung dazu führte, dass sich die Städte Charroux bei Poitiers, Antwerpen, Paris, Brügge, Boulogne, Conques, Hildesheim, Calcata und wohl noch weitere im Besitz des Praeputiums Christi wähnten (ebd., 24). Die Reliquie in Amsterdam wurde durch die Calvinisten 1566 zerstört (ebd., 117).

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Mit dem Ereignis der Beschneidung verknüpfte sich auch eine eigene Bluttheologie264, die Jesu Heilshandeln bereits in den ersten Blutstropfen beginnen sieht, die er als Säugling vergoss, als er beschnitten wurde. Bernhard von Clairvaux vertritt diese Deutung, und Jacobus de Voragine nimmt auf dessen Gedanken Bezug. Allerdings zählt er alle von den Evangelisten berichteten Ereignisse, an denen Jesus Blut vergossen hat, bereits zu dessen Heilswerk. Dementsprechend vermerkt er zum Fest der Namengebung und Beschneidung Jesu Christi: Sache dieses Festes ist, daß Christus heute das erste Blut für uns hat vergossen, das er hiernach noch oftmals getan. Zu fünf Malen vergoß er sein Blut für uns; das erste an dem heutigen Tag der Beschneidung, das war ein Anfang unserer Erlösung; das andere in seinem Gebet, da er den blutigen Schweiß vergoß, in dem zeigte er ein Verlangen unserer Erlösung; das dritte vergoß er, da man ihn geißelte, das war ein Verdienen unserer Erlösung, denn wir wurden durch seine Wunden geheilt; das vierte vergoß er am Kreuz und das war der Preis unserer Erlösung, denn da büßte er, was er nicht verbrochen hatte; das fünfte vergoß er, da seine Seite mit einem Speer ward aufgeschlossen, das war das Sakrament unserer Erlösung; denn es floß Blut und Wasser heraus, zu einem Zeichen, daß wir durch das Wasser der heiligen Taufe sollten gereinigt werden von unsern Sünden; ihre Kraft aber sollte die Taufe von dem Blut Christi empfangen.265

Mit der Beschneidung ist im Alten Testament die Namengebung eng verbunden. Namen sind mit besonderen Bedeutungen belegt: An erster Stelle ist hier an die Bekanntmachung des Gottesnamens zu denken: JHWH macht seinen Namen unter den Menschen bekannt – er kann so gerufen und angesprochen werden und wird dadurch auch in gewisser Weise verfügbar (Ex 3,14 f.). Die Kostbarkeit seines Namens wird durch das Gebot der Heiligung betont und ein ehrfurchtsvoller Umgang mit dem Namen eingefordert.266 Ein Name dient nicht nur dazu, dass jemand gerufen und angesprochen werden kann, sondern wird bisweilen auch zum Mittel prophetischer Verkündigung, wenn beispielsweise Jesaja seinen Sohn Sear-Jasub („Ein Rest bekehrt sich“ – Jes 7,3) genannt hat.267 Als Kind mit jüdischer Mutter wird Jesus am 8.  Tag nach der Geburt beschnitten. Als junger Mann lässt er sich darüber hinaus auch taufen. Unter seinen Anhängern, die nach seinem Vorbild leben, entbrennt ein Streit, ob Beschneidung und/oder Taufe maßgeblich sind, um Christ sein zu können. Denn 264 Diese Vorstellung wird im 17. Jahrhundert wieder aufgegriffen, indem der Jesusminne sowie der Verehrung des Blutes Christi und seiner Seitenhöhle neue Bedeutung zugemessen wird. 265 de Voragine, Legenda aurea, 106. 266 Dem Gebot gemäß wird von gläubigen Juden der Name Gottes (JHWH) niemals ausgesprochen, sondern durch „Adonai“ („mein Herr, Gott“) ersetzt. 267 Adam, Art. Name, Namengebung, 406.

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während Judenchristen den Brauch der Beschneidung beibehalten, wehrt sich Paulus dagegen, diesen auch den Heiden aufzuzwingen, die Christen werden wollen (auf dem Apostelkonzil wird festgelegt, ihnen diese Last nicht aufzubürden – Apg 15,1; s.a. Galaterbrief). Paulus sieht in der Beibehaltung der Beschneidung eine Wiederaufrichtung des Gesetzes, wodurch das Gerechtwerden durch den Glauben verleugnet wird (Gal 2,21; 5,2). Er fordert die Beschneidung des Herzens268, „die im Geist und nicht im Buchstaben besteht“ (Röm 2,29). Den Judenchristen, die die Beschneidung fordern, wird die Taufe als die „Beschneidung Christi“ entgegengehalten (Kol 2,11 f). Die Taufe ist zudem ein Ritual, das sowohl Männer als auch Frauen vollziehen können. Der Name „Jesus“ Mit dem Namen „Jesus“ verbindet sich wiederum eine eigene Tradition und Theologie. Das Außergewöhnliche dieses Namens stellen bereits die biblischen Texte heraus. Entsprechend der wundersamen Geburtsgeschichte Jesu ist auch dessen Namengebung269 eine besondere Begebenheit. Der Name ist hier nicht, wie sonst üblich, allein die Wahl und eigene Entscheidung seiner Mutter Maria; er ist gottgegeben und vorherbestimmt. Das Lukasevangelium berichtet von einem göttlichen Boten, der Maria ihre Schwangerschaft ankündigt, gleichzeitig auch das Geschlecht des Kindes anzeigt und dessen Namen „Jesus“ mitteilt (vgl. Lk 2). Der Name ist demzufolge bereits vor der irdischen Existenz mit dem Kind verbunden und wird Maria zu dessen Benennung offenbart. „Jesus“ wurde im Christentum seit jeher eine Ehrfurcht entgegengebracht, die der Verehrung des Gottesnamens, wie wir sie aus dem Judentum kennen, vergleichbar ist. Neutestamentlich sind als Grundlage hierfür Aussagen heranzuziehen, wie in Phil 2,9 ff., dass Jesus einen Namen hat, der über allen Namen steht. Dem Namen „Jesus“ wohnt zudem Macht inne: Im Namen Jesu kann Petrus zusammen mit Johannes einen Lahmen heilen (vgl. Apg 3,1–10). In Israel ist um die Zeitenwende herum „Jesus“ kein ungewöhnlicher oder seltener Name. Das ist aber keine Tatsache, auf die die Evangelien eingehen; ihnen ist allein die Bedeutung des Namens: Jesus (hebr. Jeschua oder Jehoschua) 268 Von der Beschneidung des Herzens der Gläubigen ist in mehreren Neujahrsliedern die Rede. Dieses Motiv bietet die Gelegenheit, das Ereignis im Leben Jesu mit einer Bedeutung für das Leben seiner Nachfolger zu verbinden. 269 Dass die Namengebung bereits im Alten und Neuen Testament ein bedeutsames Geschehen ist, wird an vielen Textstellen deutlich. Die Geschichte des Täufers Johannes zeigt dies ganz besonders. Als das Kind beschnitten wird und die Mutter, Elisabeth, den Namen „Johannes“ vorschlägt, wird dieser vom Umfeld nicht gutgeheißen. Nachdem aber auch Zacharias als Vater für Johannes plädiert (er ist seit der Ankündigung der Geburt des Kindes und Bekanntgabe des Namens durch einen Engel verstummt), erhält das Kind den ihm vorbestimmten Namen Johannes (und Zacharias seine Stimme zurück). Vgl. Lk 1,57 ff.

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wichtig, was übersetzt heißt: „Gott rettet“ oder „Gott schafft Heil“270. Es ist ein sogenannter „sprechender Name“; für Stock ist es sogar eine Art „ProgrammName“, denn er versteht ihn als eine „Überschrift“ für das gerade begonnene Leben.271 Die vorgeburtlich bestimmten Namen Jesus und Immanuel d ­ rücken bereits „die sich in ihm vollziehende Erlösungstat, bzw. die Menschwerdung Gottes aus“.272 Mit dem Namen ist Jesus rufbar und verfügbar, ebenso wie JHWH (s. o.). Es ist der Name, den sein Umfeld hauptsächlich und ganz selbstverständlich verwendet, um ihn anzusprechen. Die Hoheitstitel, die Jesus zugesprochen werden oder mit denen er von sich selbst spricht, stehen dahinter zurück. Die Titel „Gottessohn“; „Menschensohn“, „Davidssohn“, „Messias“ u. ä. ergänzen lediglich die Bedeutung, die der Namen „Jesus“ an sich schon hat. Die volle Offenbarungsgegenwart ist nach neutestamentlichen Belegen (Apg 4,12; 10,43) gegeben, wenn der Name „Jesus“ ausgesprochen wird, als „das volle gegenwärtige Heil von Gott her; und die Anrufung seines Namens (Apg 9,14) ist gleichbedeutend mit dem Gebet in seinem Namen (Joh 14,13 ff.; 15,16): Der Beter weiß sich in der unsichtbaren und trotzdem wirklichen Verbindung mit dem Herrn.“273 In der Glaubenspraxis von Christen lebte und lebt heute noch die geschilderte Metaphysik des Namens durch das sogenannte „Jesusgebet“274 oder auch „Herzensgebet“. In der Ostkirche hat es eine bis in unsere Zeit reichende, weit verbreitete Tradition.275 Zunächst ist es nur Jesu Name, später wird dieser um eine Formel erweitert und die Gebetsworte werden beständig rhythmisch und monoton wiederholt. Das Sprechen ist ganz auf den Atemrhythmus des Beters abgestimmt, so dass sich das Gebet mit dem „naturhaften Lebensvollzug“ des Ein- und Ausatmens verbindet.276 Diese Gebetsform, die bereits das frühe Mönchtum kannte, soll „das Zentrum des Menschen, das Herz, für die Gegenwart Gottes öffnen“.277 270 Als Herleitungen sind möglich: jhw + jaša = Gott rettet; oder aber jhw + šua (= um Hilfe rufen). 271 „Der Name wird [vom Engel] angeordnet wegen seiner Bedeutung. ‚Er wird sein Volk erlösen von ihren Sünden‘ – das ist, bevor der Namensträger dazu etwas hat tun können, die Überschrift über seiner Geschichte; der Name formuliert die Sendung, die in der Geschichte zu erflüllen ist“. Stock, Poetische Dogmatik, 20. 272 Reicke, Art. Namenglaube, 1305. 273 Adam, Art. Name, Namengebung, 406. 274 Siehe hierzu ausführlicher: Bacht, Das Jesusgebet; Schultze, Untersuchungen über das Jesusgebet; Loretz (Hg.), Im Namen Jesu ist Heil. 275 Vgl. Bacht, Jesus-Gebet, 336. 276 Vgl. ebd. 277 Albrecht, Art. Herzensgebet, 226 f. Eine ähnliche Wirkung wie das Herzensgebet erzielen wiederholtes Psalmbeten, wie des Wochenpsalms oder Kompletpsalms sowie in neuerer Zeit die Wiederholungsgesänge von Taizé. Hierzu Vogel, Lied als geistliche Übung, www. spiritualitaet.evang.at/downloads/vogel_dasliedalsgeistlicheuebung.pdf (8.3.2013): „Das ruminierende Singen, bei dem es möglich ist, sich ganz in den Wortklang fallen zu­

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Im Glaubensleben einzelner Christen spielte der Jesusname eine besondere Rolle. So schrieb Bernhard von Clairvaux dem Namen Jesu im übertragenen Sinne Heilkraft zu: „Hier, meine Seele, hast du im Namen Jesus wie in einem Fläschchen verwahrt dein Elixier. Es ist unbedingt heilkräftig und wird bei all deinen Krankheiten nie seine Wirkung verfehlen. O trage diese Arznei stets auf der Brust, habe sie immer zur Hand, damit all dein Sinnen und Handeln auf Jesus ziele. Schließlich ergeht ja doch die Aufforderung an dich: Drücke mich wie ein Siegel auf dein Herz.“278

Aus den selbst aufgezeichneten Visionen der Margaretha Ebner (ca.1291–1351) geht hervor, dass der Name für sie Gnadenvermittler ist.279 Auch Christine Ebner (1277–1356), Dominikanerin in Engelthal (Nürnberg) betet repetitiv das Jesus-Gebet, zu dem „Jesus dulcis memoria“ wohl den Anstoß gab.280 Heinrich Seuse (1295 oder 1297–1366) propagierte die Namen-Jesu-Verehrung vermittels des Monogramms IHS (= Iesus Hominum Salvator)281, das er auf der Kleidung trug und sich sogar selbst auf die Brust ritzte.282 In einer Predigt des 15. Jahrhunderts werden die fünf Buchstaben des Jesus­ namens zum Ausgangspunkt des theologischen Nachdenkens, indem von jocunditas, eternitas, sanitas, ubertas und sacietas esuriencium gesprochen wird.283 lassen, ohne das einzelne Wort kognitiv mitzudenken, nimmt Elemente des Rosenkranzes ebenso auf wie die alte Tradition des ostkirchlichen Herzensgebets. So beleben diese Gesänge die Praxis des Herzensgebetes auf eine neue Weise.“ 278 Clairvaux, Sermones, 87. Das Zitat stammt aus der 15. Predigt zum Hohelied, die auf­ lateinisch verfasst ist. Obenstehende Übersetzung ist zit. nach Quast, drücken und schriben, 295. 279 Sie berichtet in einer Aufzeichnung des Jahres 1335, dass ihr der Name Jesus Christus tief eingedrückt wurde. Vgl. Strauch, Margaretha Ebner, 10–15. 280 Vgl. Gnädinger, Johannes Tauler, 86, Anm.  181. Eine Verbindung mit dem Hymnus „Jesus dulcis memoria“ besteht also sowohl hinsichtlich des Neujahrstags als auch hinsichtlich des Herzensgebets. 281 Eine detaillierte Studie zum Gottesnamen und Jesusnamen in allen seinen Abkürzungen, wie dem IHS , bietet Traube, Nomina Sacra, München 1907. 282 In seiner Beschreibung spricht Seuse in der 3. Person von „er“ – meint wohl aber sich selbst. Zur Bedeutung des Zeichens IHS und der Tätowierung siehe die Kapitel XLV und IV seiner Vita. Mit Selbstbeschriftungen und dem Verhältnis von Innen und Außen des menschlichen Körpers bei Mystikern des Mittelalters befasst sich: Beling, Körper als Pergament der Seele, 109–132. In einem Neujahrslied nimmt Benjamin Schmolck Bezug auf das Beschriften der Brust, wenn er dichtet: „Wir gehn in JEsu namen / Jns neue Jahr hinein; / der anfang und das amen / Soll diese losung seyn: / Er wird uns heut mit blut / An unsre brust geschrieben, / Drum sollen wir Jhn lieben, / Als ein erkohrnes gut.“ So in Göttingen 1737, Nr. 205, Str. 1. 283 Georg Buchwald, Eine mittelalterliche Neujahrspredigt. Aus einer Handschrift der Leipziger Universitätsbibliothek mitgeteilt. In: Beiträge zur sächsischen Kirchengeschichte 27 (1914), 16–28; (Edition der Predigt auf den Seiten 19–28).

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Die theologische Bedeutung des Namens „Jesus“ beschreibt aus seiner Sicht Benjamin Schmolck in der Vorrede zu der Schrift „Das Namenbuch Christi und der Christen zu heiliger Erbauung“ (1726) so: Der allersüßeste und lieblichste Name unsers Jesu ist uns ohne dieses ein angenehmer Jubel in unsern Ohren und riecht kräftig, wie eine ausgeschüttete Salbe. … In diesem Namen wirf dein Panier auf. Dieser Name sei dir ein festes Schloß. Zu diesem Namen stehe deines Herzens Lust. Beuge in diesem Namen deine Knie und dein Herz und hüte dich, daß dieser Name bey dir und durch dich nicht verlästert werde.284

Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf schätzt am Namen Jesus allein schon seine missionarische Dimension. In einem Vortrag auf einer Synode in Marienborn, Ende Dezember 1740, betont er, dass die Missionare bei der Predigt unter den Heiden nicht bei Gott, sondern bei der Verkündigung des Mensch gewordenen Gottes und des gekreuzigten Heilandes beginnen sollten.285 Für Zinzendorf wird somit der Name Jesus zu einer „Minimalbotschaft“. Denn, so gibt er den Missionaren mit, bereits der Name „Jesus“ vermöge Glauben zu schaffen und seine göttliche Qualität gewönne die menschlichen Herzen: „Es liegt in dem Namen schon was besonders. Er hat so zu reden eine magische, göttliche Kraft und greift die Herzen an.“286 Hermann Brandt weist auf die, für heutige Leser ungewohnte, durchaus bejahende Verwendung des Wortes „magisch“287 bei Zinzendorf hin. Dieser verwendet „Magie als eminent positive innerreligiöse Kategorie“ und zieht keine Trennlinie zwischen Magie und Religion.288 Das „Magische“ des Jesusnamens steht der pietistischen Bußlehre und „Bemühung um die eigene Bekehrung“289 284 Aus der Vorrede: Benjamin Schmolck, Das Namenbuch Christi und der Christen zu­ heiliger Erbauung, Der Gemeine Gottes Zur Heiligen Dreyfaltigkeit vor Schweidnitz in denen Amts-Predigten Ao. 1725. geöffnet, Breßlau und Liegnitz 1726, XXf. 285 So auch Zinzendorf in seiner Instruktion an die Missionare unter den Samojeden – im Norden des Russischen Reiches (1736): „Laßt euch nicht durch die Vernunft blenden, als müßten die Leute in der Ordnung erst an Gott glauben lernen, darnach an Jesum. Es ist falsch, denn daß ein Gott sei, ist ihnen offenbar. Vom Sohne müssen sie unterrichtet werden. Es ist in keinem anderen Heil, es ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben.“ Bintz (Hg.), Zinzendorf, 40. 286 Bintz, Zinzendorf, 63. 287 Dem Wort „magisch“ kommt zweierlei Bedeutung zu. Zum einen kann es als „Fremd­ bezeich­nung“ verstanden werden und als „negativ wertendes Urteil zur Charakterisierung von Anschauungen und Praktiken, die als unvereinbar mit dem christlichen Glauben eingestuft werden“. Zum anderen kann es positiv aufgefasst werden, als „Zauberkraft, geheimnisvolle Kraft“, und damit Ausdruck für etwas „geheimnisvoll Anziehendes, Schönes und Beglückendes“ sein. Vgl. Brandt, Christen am 1. Januar, 123. 288 Ebd., 125. 289 Ebd., 124.

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entgegen; es ist verbunden mit der „Praxis christlicher Gelassenheit, immer wieder auch mit Humor, und mit der Abkehr von aller Agressivität gegenüber den ‚Heiden‘“290. Somit bewahrt der Name vor strengem Missionierungseifer und befreit durch Selbstbeherrschung. Beschneidung und Name Jesus im Kirchenlied Hymnologisch betrachtet findet der Beschneidungsgedanke seit dem 16. Jahrhundert in lateinischen Gesängen vielfach Berücksichtigung, wie das Repertorium von Chevaliers und viele Messalien und Breviere erkennen lassen.291 Über die ersten deutschsprachigen Belege lassen sich keine gesicherten Aussagen machen. Auffällig ist, dass der Name-Jesu-Gedanke als Festgedanke neben der Beschneidung zu Beginn der deutschsprachigen kirchlichen Neujahrslieder noch nicht in Erscheinung tritt. Im 14. und 15. Jahrhundert findet es dann Erwähnung und rückt als Motiv nach und nach in den Vordergrund. Bis hin zu Liedern, die alleine dem Namen Jesu gelten. Der Beschneidungsgedanke wird dadurch langsam aber sicher abgelöst.292 Aus dem Frauenkloster in Pfullingen ist „Jesus, du süßer Name“293 – ein „Lied von dem Neuen Jahr und Namen Jesus“ anonym überliefert. Man findet es in einer Liederhandschrift um das Jahr 1480. Es ist ein frühes Zeugnis für die Verbindung von „Neuem Jahr“ und „Jesu Name“, noch dazu aus einem Frauenkreis. Die Erzählung von der Namengebung Jesu, wie sie im Lukasevangelium zu lesen ist, bildet die Referenz für ein Name-Jesu-Lied im Wittenberger Gesangbuch von 1562: Am newen Jarstage (Ev. Luc. 2) Da Jhesus nach Jüdischer art/ Am achten Tag beschnitten ward/ Wurd sein name Jhesus genant/ Denn er was der rechte Heiland. Ehe denn sein Mutter jn empfieng/ Jm leib / vnn mit jm schwanger gieng/ Gab jm der Engel diesen nam/ Den er in der Beschneidung bekam.

290 Ebd., 125. 291 Bünger, Neujahrsfeier, 77. 292 Vgl. ebd., 76. Die Beschneidung gehört lange Zeit zu den Etappen des blutigen Leidens Jesu Christi, denen sich die Jesusminne widmet. Jesus ist der „Blutbräutigam“ und sein Leiden ein zentraler Topos. Vgl. Schneider, Christi Blut, 740. 293 Die ersten 6 Strophen sind abgedruckt in: Rößler, Liedermacher, 127.

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Geschichte und Entwicklung der kirchlichen Neujahrslieder

Kein Mensch den Namen hat erdacht/ Der Engel jn vom Himel bracht/ Gott selbs jn also heissen wolt/ Denn er sein Volck erloesen solt. Nicht aus einer zeitlichen not/ Sondern von Suend / von Hell vnd Tod/ Vnd vns durch sein leiden vnd todt Ein ewigs Reich erwuerb bey Gott. Es ist kein ander Heiland nicht/ Wiewol die Welt jr sehr viel ticht/ Allein hilfft vns aus aller not/ Jhesus der ware Mensch vnd Gott. Lob / ehr vnd preis zu aller zeit/ Sey dir Heiland der Christenheit/ Hilff das der suesse Name dein/ Am tod erquick die Selle mein/ Amen.

Der Name „Jesus“ wird in dem Lied nicht erläutert, die Kenntnis seiner Bedeutung wird aber beim Sänger vorausgesetzt. Dass er der Heiland ist, wird mehrfach betont. Der Name, den Gott ihm durch den Engel und Maria geben lässt, steht auch für den vorbestimmten Auftrag: sein Volk zu erlösen. Das Heil ist nicht auf zeitliche Not bezogen, sondern über die Zeit hinaus auf Sünden, Hölle und Tod, auf das ewige Reich Gottes hin. Die vorletzte Strophe hat Bekenntnischarakter, indem Jesus der eine und wahre Heiland – Mensch und Gott – genannt wird. Eine Doxologie führt abschließend zu der Bitte, dass der „suesse Name“ Jesu, zum Zeitpunkt des Todes die Seele des Beters „erquicke“. Gemeint ist hier im ursprünglichen Wortsinn eine „Belebung“ – das Leben nach dem Tod. Mit dem Lied werden Geburt und Auftrag Jesu, sein heilvolles Sterben und Auferstehen in enge Verbindung zu Lebensende, Sterben und Tod des Gläubigen gebracht. Bemerkenswert ist die Bedeutung des Jesusnamens für den Einzelnen: Er vermittelt bereits Heil.294 Er spendet der Seele des Beters das Leben nach dem Tod. 294 Diese Form der Namenstheologie findet sich in weiteren Kirchenliedern; eines der jüngeren Beispiele im englischsprachigen Bereich das Lied „Amazing grace“ von John Newton (1725–1807): „How sweet the name of Jesus sounds In a believer’s ear. It soothes his sorrows, heals his wounds, And drives away his fear.“ Allein der Klang des Namens, wenn dieser ausgesprochen und mit gläubigen Ohren­ gehört wird, besänftigt Sorgen, heilt Wunden und vertreibt die Angst.

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1700–1800: Reflexion des Selbst und der flüchtigen Zeit 1700–1800: Reflexion des Selbst und der flüchtigen Zeit

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Der Name Jesus wird manchem Theologen zum „Erkennungszeichen“. So bedenkt Benjamin Schmolck Jesus als „Losungswort“, das dem Gläubigen „alles“ ist, in seinem Neujahrslied von 1726 (hier die erste Strophe): Jesus soll die Losung sein, da ein neues Jahr erschienen; Jesu Name soll allein denen zum Paniere295 dienen, die in seinem Bunde stehn und auf seinen Wegen gehn.

Eine Losung vereinbaren Krieger untereinander. Es ist das Unterscheidungsmerkmal zwischen Freund und Feind. Als solches wird es geheim gehalten  – einzig Eingeweihte kennen es. Zum Panier erhoben, ist im Wort „Jesus“ dessen Begleitung und Schutz für alle unter dem Banner, aber auch deren Gruppenkennzeichnung gegeben. In heutigen Gesangbuchliedern zum Jahreswechsel ist der Name Jesus meist vorhanden, auch in Anspielung auf seine wörtliche Bedeutung; doch es sind Anspielungen, „die nur verstehen kann, wer weiss, dass Neujahr das Namen-JesuFest ist.“296

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Das Neujahrslied von 1700–1800: Reflexion des Selbst und der flüchtigen Zeit

3.1

Zeitgeschichtliche und liturgiegeschichtliche Aspekte

3.1.1

Die Jahrhundertwende

Das Ende des 17. Jahrhunderts kennzeichnen Kalenderstreitigkeiten. Wann genau endet das Säkulum? Mathematisch korrekt endet es mit Ablauf des 1700. Jahres. Leibniz z. B. zählt das Jahr 1700 noch zum Ende des 17. Jahrhunderts297, aber es gibt auch zahlreiche Vertreter der anderen Meinung.298 An dem Streit 295 Das militärisch klingende Wort Panier, für Fahne oder Banner, ist in EG 62,1 durch „heut zum Zeichen…“ ersetzt, wodurch die Liedzeile an Kraft verliert. 296 Jenny, Gottesdienst feiern, 449. Diese Bezüge bestehen z. B. in „Jesus ist der schönste Nam“, „Jesus soll die Losung sein“, „Jesus, Jesus, nichts als Jesus“, „Hier ist Immanuel, das soll die Losung bleiben“ (B. Schmolck), „Jesu, Jesu, du mein Leben“ und in weiteren Jesusliedern. 297 Vgl. Brendecke, 1700. Jahrhundertwende zwischen Terminstreit und Kalenderreform, 196. 298 Zu den unterschiedlichen Positionen: Die Vertreter des Jahrhundertendes am 31. Dezember 1699 sahen das Jahr 1700 bereits zum 18. Jahrhundert gehörig, während die Verfechter des späteren Termins, 31. Dezember 1700, das hundertste Jahr eines Jahrhun-

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Geschichte und Entwicklung der kirchlichen Neujahrslieder

um die Datierung des Jahrhundertendes zeigt sich zum einen, dass das Thema „Jahrhundert“ und das Ende desselben Interesse hervorrufen299; zum anderen wird deutlich, dass der Begriff „Jahrhundert“ nun geläufiger ist, als noch 100 Jahre zuvor.300 Im Rückblick auf die vergangenen hundert Jahre sucht man später nach treffenden Beschreibungen. Das hier endende Jahrhundert hat der 30-jährige Krieg bestimmt, und es erhält bereits von Zeitzeugen die Beinamen „Eisernes oder Martialisches Saeculum“.301 Ein weiterer Kalenderstreit, nämlich der um die Gregorianische Kalenderreform, wird nun beigelegt. Die protestantischen Gebiete, die die Umstellung vom Julianischen auf den Gregorianischen Kalender bisher nicht durchführen wollten, sind nun damit konfrontiert, dass die Abweichung der Kalender voneinander noch größer werden würde, da der Julianische Kalender vorsieht, dass im jeweils hundertsten Jahr das Schaltjahr auszufallen hat. 1699 einigen sich die protestantischen Stände des Regensburger Reichstages auf einen „verbesserten protestantischen Kalender“, der nun dem gregorianischen Kalender entspricht.302 Im Protestantismus zeigten sich im Umgang mit dem bevorstehenden Jahrhundertwechsel verschiedenartige Strömungen. Zum einen gibt es die Erwartung eines nahen Weltendes, die in der lutherischen Orthodoxie vorherrscht und sich durch den dreissigjährigen Krieg verstärkt.303 Zum anderen kommen nun neu chiliastische Prognosen auf. Beides ist nicht im Zusammenhang mit den Kalenderfragen zu sehen, sondern eher ein Ergebnis der beständig, existenzbedrohenden und furchterregenden Ereignisse und Entwicklungen.304 Im Pietismus zeigt sich der chiliastische Typus der Endzeiterwartung besonders deutlich. Es vollzieht sich ein Paradigmenwechsel: Von einer Naherwartung wird abgerückt und stattdessen angenommen, dass nicht das Ende der Welt sondern der Beginn eines neuen Zeitalters bevorstehe.305 Aus den vielen Stimmen, die sich zu der Frage der Zukunft der Welt äußern, sei an dieser Stelle Philipp Jakob Spener erwähnt, mit seiner „Hoffnung besserer

derts verfließen lassen wollten, bevor sie vom neuen Jahrhundert sprechen. Vgl. hierzu knapp Jakubowski-Tiessen, Reflexionen zur Jahrhundertwende, 172 f. 299 Brendecke, 1700. Jahrhundertwende zwischen Terminstreit und Kalenderreform, 196. 300 Im Grimmschen Wörterbuch liest man über die Etablierung der sprachlichen Neubildung, sie sei „seit dem ende des 17. jahrh. … vollständig durchgedrungen.“ Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 4, Sp. 2243. 301 Vgl. Burkhardt, Entstehung der modernen Jahrhundertrechnung, 6. 302 Vgl. Brendecke, 1700. Jahrhundertwende zwischen Terminstreit und Kalenderreform, 196. 303 Vgl. Schneider, Unerfüllte Zukunft, 188. 304 Vgl. ebd. 305 Vgl. ebd.

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Zeiten“. In diesem Sinne predigt er am 1. Januar 1701 in Berlin zum Jahrhundert­ wechsel.306 Seine Hoffnung auf eine bislang unerfüllte Zukunft leitet Spener aus nicht eingetroffenen biblischen Verheißungen ab (Röm 11,25 f.: Judenbekehrung, Offb  18 f.: Fall des römischen Babel), durch deren Erfüllung die Kirche herrlicher und seliger werde, als sie derzeitig sei.307 Hinsichtlich konkreter Aussagen zu seiner Zukunftshoffnung hält er sich allerdings zurück – ganz im Gegensatz zu manch radikalerem Zeitgenossen.308 Die Jahrhundertwende kommt, während das erwartete tausendjährige Reich ausbleibt. Dies sorgt jedoch keineswegs dafür, dass die Zukunftshoffnungen zerplatzen  – vielmehr wird als Reaktion darauf nach dem Fehler in der Berechnung gesucht – und es werden neue Prognosen gestellt.309 Im katholischen Bereich lassen sich anhand der (begrenzten) schriftlichen Zeugnisse keine ähnlichen Entwicklungen ausmachen. Es scheint, dass die Jahrhundertwende hier andere, möglicherweise auch gar keine Reaktionen auslöste. Wenn, dann ist es nicht das Weltende, sondern die „Rettung der Seele aus der Diesseitsverfangenheit, aus dem ‚Jammerthale‘“, um die die Gedanken kreisen; es ist das eigene Ende, das individuelle Sterben als „Hinübertritt aus der Welt“, das bedacht wird.310 Als Vertreter eines „profanen“ Zukunftsbildes an der Schwelle zum 18. Jahrhundert sei an dieser Stelle noch Gottfried Wilhelm Leibniz genannt, der, wie andere Wissenschaftler der Zeit, voller Geschichtsoptimismus in eine positive Zukunft schaut.311 Er ist voller Gewissheit, Neues schaffen zu können. Nur mit der providentia dei kann er sich die Verwirklichung des Fortschritts durch die Menschen vorstellen.312

306 Spener, Lauterkeit, 186–205. 307 Vgl. Spener, Pia Desideria, 44. 308 Vgl. Schneider, Unerfüllte Zukunft, 190 f. Schneider resümiert: „Die Radikalen unterschieden sich von Spener in mehreren Punkten: Vor allem zogen sie aus der Erwartung der nahe bevorstehenden Zeitenwende unterschiedliche Konsequenzen. Schöpfte Spener aus der Zukunftshoffnung Impulse für eine innerkirchliche Reform, die jene verheißene herrliche Zeit anbahnen sollte, so verwarfen die Radikalen solche Reformversuche als inkonsequenten Irrweg. Nach ihrer Meinung musste sich jetzt die Scheidung zwischen Gotteskindern und dem antichristlichen Babel vollziehen.“ (190, Hervorhebung getilgt). 309 Vgl. ebd., 210. 310 Holzem, Zeit – Zeitenwende – Endzeit?, 223. 311 Vgl. Jakubowski-Tiessen, Reflexionen zur Jahrhundertwende, 185. 312 Vgl. ebd., 186.

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3.1.2

Geschichte und Entwicklung der kirchlichen Neujahrslieder

Gottesdienste am Altjahresabend

Gottesdienste am Altjahresabend, dem 31.  Dezember, kommen erst seit dem 17. Jahrhundert, dann aber vor allem mit der Aufklärungszeit auf.313 Es sind Feiern, die dem Neujahrsmorgen quasi zuwachsen. Diese Gottesdienste schauen auf das zu Ende gehende Jahr zurück, dienen dem Dank für das, was das Jahr gebracht hat, und dem Lob Gottes. Der dankbare Jahresrückblick geschieht mitunter „durch eine liturgisch gestaltete Verlesung der kirchlichen Statistik“.314 Besonderes Gewicht bleibt aber auf der Feier des Neujahrsmorgens, die den weltlichen Jahresbeginn mit dem Fest des Namens Jesu verbindet. Der Neujahrstag ist der Festtag, an dem die Kirche stellvertretend das Geschick ihrer weltlichen Umgebung Gott anbefehlen will. Das geschieht im jetzt anbrechenden 18. Jahrhundert „mit seinem ungebrochenen Obrigkeits- und Untertanenverhältnis unproblematisch.“315 Häufig wird das deutsche „Te deum“ zum Jahresende wie auch bei Dank- und Freudenfesten und Herrscherhuldigungen angestimmt oder aber gebetet.316 3.1.3

Zeitgenössische Poetik

Dem Jahrhundertbeginn wird im jungen Medium Zeitung nicht eben viel Beachtung geschenkt. Das dürfte daran liegen, dass die Zeitung zu der Zeit noch ein schmales Mittelungsblatt ist, das in- und ausländische Nachrichten vor allem zum Thema Politik enthält.317 Wenn, dann sind es Gedichte, mit denen, in der Zeitung abgedruckt, das neue Jahrhundert begrüsst wird. Ihr Inhalt ist vorwiegend die „Sehnsucht nach einem dauerhaften Frieden“318. So ist im „Hamburg Relations Courier“ (Nr. 199, 1700) zu lesen: Schmücke du des Königs Cron / Mit Gesundheit / Freud und Wonne / Laß umstrahlen seinen Thron / Die erwünschte Glückes-Sonne. / Schütz / O HERR ! Sein Reich und Lande! / Stöhr der Friedens=Stöhrerinn / Und verknüpff des Fürsten Sinn / Mit dem edlen Friedens=Bande.319 313 Vgl. Jenny, Gottesdienst feiern, 449. Anders Bünger, Neujahrsfeier, 150, der die allmähliche Etablierung dieser Sitte erst für das 19. Jahrhundert annimmt, wo sie sich gegen manche Hindernisse staatlicherseits verbreitet habe. 314 Jenny, Gottesdienst feiern, 449. 315 Vgl. Mahrenholz, Handbuch zum EKG III /1, 227. 316 So wird z. B. im katholischen Gesangbuch von Landshut 1777, auf Seite 137 vermerkt: „Te Deum laudamus deutsch „zum Ende des Jahres, und bey Dank- und Freudenfesten zu bethen oder zu singen““. 317 Hierzu beachtenswert: Schröder, Zeitungen, Tübingen 1995. 318 Jakubowski-Tiessen, Reflexionen zur Jahrhundertwende, 174. 319 Zit. nach ebd., 174, Anm. 41.

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Uns begegnet hier eine Fürbitte in Gedichtform, die dem Regenten allerlei Gutes wünscht und dem Land den Frieden. Die Poetiken der Zeit ordnen Neujahrslieder der „Casuallyrik“ zu. Magnus Daniel Omeis führt sie als eine von zwölf Gedichtarten auf, die „im gemeinen Leben öffters fürkommen“. Die elf anderen haben zum Anlass: Geburt, Namenstag, Ehrenbezeugung, Lob, Dank, Siegesglückwunsch, Hochzeit, Trauerfeier (Leich), Glückwunsch zur Genesung, Glückwunsch zur bevorstehenden Reise oder sie dienen als Willkommensgruß.320 Omeis macht jeweils Vorschläge, was der Poet zum Thema erheben könne, und fügt deutsch­sprachige und lateinische Beispielgedichte an. Zum Neuen Jahr bemerkt er, dass der Dichter Dinge vorstellen könnte, die sich im vergangenen Jahr ereignet haben und erinnerungs- und denkwürdig sind. Oder aber er gratuliere zum glücklich zurückgelegten Jahr. Schließlich könne man auch das ganze Gedicht anhand einer Allegorie aufbauen; als Beispiel nennt er u. a. eine Fahrt auf dem Meer.321 Das Neujahrsgedicht wird nun oft dazu verwendet, aktuelle Ereignisse zu thematisieren oder zu kommentieren. Zu erwähnen sind hier Werke, wie das des Dichters Johann Peter Uz: „Neujahrs-Wunsch des Nachtwächters zu Ternate“322 – eine Sozialsatire. Des Weiteren gleich mehrere Gedichte von Gotthold Ephraim Lessing – zum Eintritt der Jahre 1752, 1753, 1754 und 1755.323 Ein originäres Gedicht ohne literarische Vorläufer, das bisher kaum beachtet wurde, ist Barthold Heinrich Brockes’ Neujahrsgedicht „Betrachtung des Schlaffs“.324 Das Gedicht mit 787 Versen zeichnet sich durch eine veränderte Vorstellung von einem erfüllten Leben und, damit zusammenhängend, auch gewandelter Trostgründe bei schwerem Leid aus.325 Es ist ein Dokument einer sich umgestaltenden Zeit und eines neuen Weltverständnisses; denn zu dem „Vertrauen in überlieferte religiöse Vorstellungen tritt hier ein sich radikali­ sierendes Welterklärungs-Bedürfnis und eine diesem Bedürfnis entsprechende Verstehensweise von Natur und Mensch.“326 Neu ist auch, dass das Gedicht

320 Vgl. Omeis, Reim- und Dichtkunst, 151 ff. 321 Vgl. ebd., im Abschnitt über Neujahrslieder. 322 Johann Peter Uz, Sämtliche poetische Werke: Lyrische Gedichte, Bd. 1, 100 f. 323 Es sind Oden auf Friedrich den Großen. 324 Vgl. Genest / Brockes, Brockes, Raths-Herrn der Stadt Hamburg, verdeutschte GrundSätze … Dritter Theil, Hamburg 1728, darin „Betrachtung des Schlaffs, als eine Göttliche Wolthat. bey dem 1728sten Jahres-Wechsel“, 667–692. 325 Vgl. Mauser, Betrachtung des Schlaffs, 278. 326 Ebd. Mauser unternimmt des Weiteren eine Interpretation des umfangreichen Gedichtes, die sehr aufschlussreich ist: so z. B. in Bezug auf Barthold Heinrich Brockes Verständnis vom Schlaf, seiner Bedeutung für den Menschen und die Frage nach der Herkunft von Träumen.

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Geschichte und Entwicklung der kirchlichen Neujahrslieder

nicht in einer poetischen Tradition, wie der des Lehrgedichtes327 steht. Vielmehr ist es Ausdruck eines sich verändernden Kulturbewusstseins: „Neujahr bedeutete für die diesseitig orientierte bürgerliche Welt, Bilanz zu ziehen, und das hieß auch, über die Formen einer vernünftigen Lebensführung nachzu­ denken.“328 Im Gymnasium Zittau lässt der Pädagoge Christian Weise seine Schüler eine Aufführung gestalten, die den Jahrhundertwechsel zum Inhalt hat. Dazu gehört ein „historischer Zug“ mit Schülern, die als Allegorien verkleidet (wie Krieg und Frieden, Überfluß und Gerechtigkeit) das endende Jahrhundert repräsentieren, gefolgt von Schülern, die das 18. Jahrhundert verkörperten. Die Trennung zwischen den beiden Gruppen, sprich Jahrhunderten, markiert eine Janusfigur, begleitet vom Chor der Schüler. Brendecke verdeutlicht an diesem Beispiel ein wachsendes Interesse, das Jahrhundert „verlebendigt“, als lebende „Figur der historischen Imagination“ anzusehen: Ein lebendiges Jahrhundert aber konnte auch sterben, so daß nun die Rede­ wendung auftrat, man stehe am ‚Grab‘ oder ‚Sterbebett‘ des Jahrhunderts. Ein gestorbenes Jahrhundert verdiente eine Totenrede. Historische Bilanzen und Bücher, die den Verlauf des Jahrhunderts kommentierten, erschienen nun häufig und termingerecht zu seinem Ende.329

Die Aufklärung befindet sich in ihrer mittleren Phase, und Dichter der Empfindsamkeit wie auch des Sturm und Drang widmen sich religiösen Themen, die vielfach nicht nur ihre geistliche sondern auch die weltliche Lyrik bestimmen, so dass hier Grenzen verschwimmen. Die Dichter, die oftmals aus Pfarrhäusern stammen oder selbst Theologie studiert haben, befördern damit einen „Sakralisierungsprozess“.330 Der lässt sich bereits in der Empfindsamkeit beobachten, wenn die „heilige Poesie“ sich selbst feiert und im gleichen Zuge auch die „Grundwerte bürgerlicher Kultur: Religion, Tugend, Familie, Freundschaft und Liebe (auch zum Vaterland).“331

327 Zum Lehrgedicht als Gattung siehe Albertsen, Das Lehrgedicht, Aarhus 1967. 328 Vgl. Mauser, Betrachtung des Schlaffs, 277. 329 Brendecke, 1700. Jahrhundertwende zwischen Terminstreit und Kalenderreform, 197. (Hervorhebungen getilgt). 330 Vgl. Kemper, Geschichte der deutschen Lyrik, 100 f. 331 Ebd.

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3.1.4

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Bachs Neujahrskantaten

Für das theologische Festverständnis des anbrechenden neuen Jahres nicht zu unterschätzen sind Bachs Kantaten zum Neujahrstag. Ihre Zahl ist überschaubar – die Kantaten zum Sonntag nach Weihnachten können hinzugezählt werden, da sie nicht der Empfehlung folgen, Weihnachtslieder zu verwenden, sondern bereits auf den Jahreswechsel eingehen. Für den Sonntag nach Weihnachten, der sich festzeitlich nicht häufig ergibt, komponierte Bach insgesamt drei Kantaten: In seine Weimarer Zeit (1714 bis 1717) fällt „Tritt auf die Glaubensbahn“ (BWV 152 – Ende 1714) und in Leipzig entstanden „Das neugeborne Kindelein“ (BWV 122 – erstmals 31. Dez. 1724) sowie „Gottlob, nun geht das Jahr zu Ende“ (BWV 28 – 1725). Zum Neujahrsfest schuf Bach: „Lobe den Herrn, meine Seele“ (BWV 143 – Entstehungszeit unbekannt) und in enger Folge „Singet dem Herrn ein neues Lied“ (BWV 190 – 1. Januar 1724), „Jesu, nun sei gepreiset“ (BWV 41 – 1. Januar 1725), „Herr Gott, dich loben wir“ (BWV 16 – 1. Januar 1726)332 sowie „Gott, wie dein Name, so ist auch dein Ruhm“ (BWV 171 – 1. Januar 1729 (?)). Unter den genannten Kantaten sind einige, in denen Kirchenliedertexte zum Neuen Jahr zitiert oder bearbeitet werden – sogenannte Choralkantaten. Drei Strophen des Liedes „Das neugeborne Kindelein / das herzeliebe Jesulein“ von Cyriacus Schneegaß finden sich in der gleichnamigen Kantate. Die erste sowie die letzte Strophe des Liedes rahmen hierbei die Kantate und beide wurden im Originaltext belassen. Übernommen ist zudem die vorletzte Strophe des Originals. Der unbekannte Texter fügte Interpolationen ein, so dass sie auf die doppelte Länge angewachsen ist: Ist Gott versöhnt und unser Freund, / O wohl uns, die wir an ihn glauben, / was kann uns tun der arge Feind? / Sein Grimm kann unsern Trost nicht rauben; / trotz Teufel und der Höllen Pfort, / ihr Wüten wird sie wenig nützen, / das Jesulein ist unser Hort. / Gott ist mit uns und wird uns schützen.

Schulze bemerkt verwundert, dass weder Bezüge zum Evangelium des Sonntages nach Weihnachten (aus Luk. 2) noch Anspielungen auf dessen Inhalt zu er-

332 Die Kantate beginnt mit einem deutschen „Te deum“  – „Herr Gott, dich loben wir“. Den Text zur Kantate schrieb der Darmstädter Hofpoet und Hofbibliothekar Georg Christian Lehms.

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Geschichte und Entwicklung der kirchlichen Neujahrslieder

kennen sind.333 Doch kann ein solcher Bezug durchaus hergestellt werden, und zwar durch das Signalwort „Bund“: Gott, so euch aus dem Paradies / Aus englischer Gemeinschaft stieß, / Läßt euch nun wiederum auf Erden / Durch seine Gegenwart vollkommen selig werden: / So danket nun mit vollem Munde / Vor die gewünschte Zeit im neuen Bunde.334

In Jesu Leben werden beide Bundesschlüsse relevant: der Abrahamsbund, durch die Beschneidung – womit sich die Verheißung erfüllt, dass der Messias aus Davids Stamm hervorgeht. Und auch der neue Bund, der darüber hinaus die sündigen Menschen mit Gott versöhnt – durch sein Sterben am Kreuz. Das Neujahrslied von Paul Eber „Helft mir, Gotts Güte preisen, ihr lieben Kinderlein“ hat Bach sowohl in der Kantate BWV 16 als auch BWV 28 zitiert. Beide Kantaten münden in die Schlussstrophe des Liedes: „All solch dein Güt wir preisen…“. Es ist anzunehmen, dass die Kirchenlieder, die Bach in den Kantaten zum Jahreswechsel zitiert oder verarbeitet, zu damaligen Zeit recht bekannt gewesen sind. Es lässt sich allerdings kaum erheben, ob die Verwendung einen Einfluss darauf hatte, dass die Lieder bekannt blieben und sich in den Gesangbüchern hielten. Eine interessante Frage wäre, ob die kirchenjahreszeitlichen Zuordnungen, die Bach mit seinen Choralzitaten trifft, alle aus der Tradition übernommen sind, oder ob er neue Zuordnungen macht, die in der Folge vielleicht auch Einfluss darauf hatten, wie die Lieder in Gesangbüchern Rubriken zugeordnet wurden. Aber damit wäre die Bedeutung der Kantaten für hymnologische Fragestellungen vielleicht überschätzt. Auch die Frage, ob die zitierten Choräle in den Kantaten nur konzertant erklangen oder zumindest der Schluss­ choral auch von der anwesenden Gemeinde mitgesungen wurde, lässt sich nicht abschließend klären.335

333 Vgl. Schulze, Bach-Kantaten, 56. 334 Text: 3.: Recitativ und Choral. 335 „Im Schlusschoral der Bachkantaten ist die Gemeinde am Geschehen beteiligt, sei es, dass der Choral … symbolhaft die Gemeinde repräsentiert, sei es, dass die Gemeinde aktiv durch Mitsingen beteiligt ist. Letzteres ist zumindest für die Bachsche Musik nicht bewiesen und wird auch sehr kontrovers diskutiert.“ Zedler, Kantaten von Johann­ Sebastian Bach, 16.

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3.2

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Aspekte der Entwicklung der Gesangbuchrubrik

Der Umfang der Gesangbuchrubrik zum Neuen Jahr wächst nun, wie der Umfang der Gesangbücher insgesamt, merklich an. In „Praxis Pietatis Melica“ von 1703 sind nicht weniger als 37 Lieder zu Neujahr aufgeführt. Ein Großteil widmet sich hier dem Namen „Jesus“, obwohl gleich darauf eine eigene Rubrik der „Jesuslieder“ folgt. Der Festgegenstand „Name Jesus“ ist fest mit Neujahr verknüpft; und daher werden die Lieder zum Namen Jesus und zur Verehrung Jesu trotz der verwandten Thematik in separaten Rubriken belassen.336 Hier wird genau unterschieden. Das Gesangbuch von Hanau 1713 zeigt eine deutlich andere Rubrik-Gewichtung und zählt die „Name Jesus=Lieder“ allgemeiner zu den Jesusgesängen. Wir finden zwölf Lieder als „Neujahrs=Gesaenge“ und gleich im Anschluss ganze dreissig „Lieder vom namen JEsu“. Wenige Jahre später bietet Göttingen 1737337 eine andere Systematisierung. In diesem Gesangbuch werden 1200 Lieder in „die bestmöglichst […] Theologische Ordnung gebracht, mit gehörigen Rubricken“338 Lieder zum Namen „­ Jesus“ muss man nun in der Rubrik „Von Jesu Namen, Person, Eigenschaften und Ämtern“ suchen. Die Neujahrsrubrik ist um diesen Liedbestand reduziert und heißt nunmehr: „Von Christi Beschneidung und aufs Neue Jahr“. Entsprechend geringer ist schließlich auch ihr Umfang: Unter der Überschrift sind zwölf Lieder aufgeführt. Drei Lieder handeln von der Beschneidung339, neun widmen sich dem Neuen Jahr340. Hinsichtlich der Rubrizierungen wird in dem Gesangbuch

336 In der Rubrik zum Neuen Jahr befinden sich die Jesuslieder „Jesus ist der schönste Nam“, „Jesu nun sei gepreiset, zu diesem neuen jahr“ und „O Jesu süß / wer dein gedencket“. Einzelne Lieder bedenken die Bedeutung, die Jesus für den Betenden hat: „Jesu meiner seelen wonne / Jesu meine beste lust“ und auch „Jesu meiner seelen ruh / und mein bester Schatz dazu“ oder „Jesus meine freud und lust / Jesu meine speiß und kost“ sowie „Jesus ist und bleibt mein leben / Jesus ist mein eigenthum“. 337 Hannover/Göttingen 1737. Das lutherische Gesangbuch war als Universalgesangbuch für das ganze Hannoversche Kurfürstentum vorgesehen. Es wurde vom Herzogtum Lauenburg als Landesgesangbuch angenommen. Eine zweite Ausgabe erschien 1742. Vgl. Koch, Geschichte des Kirchenliedes, V, 565. Die hierin präsentierte Liedersammlung von Peter Busch (1682–1744) wurde von Balthasar Mentzer (1679–1741) als Zensor bearbeitet. Beide haben je eine Vorrede zum Gesangbuch verfasst. 338 So auf dem Titelblatt vermerkt. 339 Es handelt sich um „Wir gehn in Jesus namen / Jns neue Jahr hinein“ von Benjamin Schmolck, mit einem recht blutrünstigen Text, sowie „Warum machet solche Schmerzen“ von Paul Gerhardt und „Wer sich im Geist beschneidet“ von Laurentius Laurenti. Vgl. Göttingen 1737, Nr. 205–207. 340 „Nun dancket GOTT mit hertz und mund“ (Heinrich Elmenhorst), „Das alte jahr vergangen ist“, „O grosser GOtt, wir dancken dir“, „Das alte Jahr ist nun dahin“, „Hilf! HErr

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Geschichte und Entwicklung der kirchlichen Neujahrslieder

Neues versucht. Es präsentiert eine Systematik, die die Lieder besser auffindbar machen soll als die „allumfassenden“ Rubriken, an denen in der Vorrede Kritik geübt wird. Die herkömmliche Rubrizierung würde nicht helfen, die passenden Lieder zu finden.341 Der Censor, Balthasar Mentzer, unterteilt das Gesangbuch in die beiden großen Abteilungen: in „Von Gott“ und „Vom Menschen“.342 Seiner Kritik entsprechend untergliedert Mentzer jede Rubrik noch einmal in generelle und besondere Teilrubriken. Ob die Einteilung dadurch übersichtlicher wird, sei dahingestellt. Interessant ist allerdings, dass sich Mentzer für die Zuordnung der Gesänge nicht nur auf sein eigenes Urteil verlässt. Wo ihm die Autoren bekannt sind, geht er den Originaltexten nach, um zu sehen, wie die Dichter ihre Texte selbst verstehen und verstanden wissen wollen und welchem Thema sie sie zugeordnet haben.343 Mentzer gibt an, er habe bei der Zusammenstellung einen Mangel an Glaubens- und Lebenslehren sowie Festzeitliedern festgestellt, dem er mit neu hinzugefügten Liedern abhelfen möchte.344 JEsu, laß gelingen“ (Johannes Rist), „Nun lasst uns gehn und treten“ (Paul Gerhardt), „So ist das Jahr nun auch verflossen“, „Nachdem das alte jahr verflossen“, „Durch trauren und durch plagen“ (Gottfried Wilhelm Sacer). Göttingen 1737, Nr. 208–217. 341 Balthasar Mentzer erläutert, welche Systematiken ihm in den durchforsteten über 100 Gesangbüchern begegnet sind, und erklärt anschließend, wie er sein Gesangbuch gegliedert hat: „Wegen der Rubricken und der Ordnung derselben in diesem Gesang=Buche aber, findet man dieses zu erinnern, daß, ob man gleich das Werck nach den bisher gebräuchlichen Rubricken anfänglich eingerichtet hatte, man sich dennoch entschlossen hat, es in eine bessere Ordnung zu bringen, weil die bisherige Gesang=Bücher mehren­ theils schlecht und unordentlich eingerichtet sind. Einige, welche in den neuern Zeiten solche besser nach den Zeiten und Festen, oder nach dem Catechismo haben einrichten wollen, haben dennoch gefunden, daß sich nicht alle Gesänge, als nur gezwungen und mit einem Zusatze in solche Ordnung haben bringen lassen wollen. Einige haben allzu viele Rubricken gemacht, deren eine gute Anzahl füglich unter eine General=Rubrick, zum Exempel, vom Christlichen Leben und Wandel, ingleichen unter die: Von GOttes Wercken und Wohlthaten, gebracht hat werden können. Man hat dannenhero das Gesangbuch nach der Ordnung der Theologie, so viel es möglich gewesen ist, einzurichten getrachtet, so, daß der erste Theil von GOtt, der andere vom Menschen handelt.“ § 5 der Vorrede des Censoris. 342 Im ersten Teil „Von Gott“ sind auch die Lieder zu Jesus und dem Heiligen Geist zu finden. Der zweite Teil „Vom Menschen“ zeichnet sich durch eine sehr genaue Unterteilung aus; manchmal stehen unter einer Überschrift nur ein oder zwei Lieder. 343 Vgl. § 6 der Vorrede. 344 So heißt es in der Vorrede: „… hat man dem Mangel der Lieder bestmöglichst abzu­helf­fen gesucht, weil der selige Lutherus selber schreibet: Es ist eine Ungestalt, immerdar einen Gesang singen …“ Ebd., § 2 der Vorrede. Explizit wird von Mentzer für die Aufnahme zeitgenössischer Lieder plädiert. Außerdem zeigt sich sein Bemühen, in der Sammlung Lieder vorzulegen, die Qualität besitzen. Aus über 100 Gesangbüchern wurden jene Lieder zusammengetragen, „die nehmlich die lehrreicheste(n) und erbaulichste(n) über die Materie wären“. Ebd., § 4 der Vorrede.

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Die Neujahrslieder sind im ersten Teil unter Jesu „Stande der Erniedrigung“ eingeordnet. Hier wird die Beschneidung in Verbindung mit Neujahr als eine Station auf dem Lebensweg Jesu chronologisch eingeordnet. Die Lieder folgen damit gleich auf die Rubrik „Von der Ankunfft und Geburt Jesu Christi“ mit Advents- und Weihnachtsliedern. Das Gesangbuch Leipzig 1737 trägt in seiner Systematik den verschiedensten Casus Rechnung.345 Neujahr gehört zu den „Jährlichen Casus“. Im Gesangbuch von Kassel 1784 sind Neujahrslieder gleich zu Beginn als „Zeit- und Zufalls­ lieder“ zu finden und es schließen sich Lieder zu den „Jahreszeiten“ an. Allein der Vergleich der hier beschriebenen Gesangbuchsystematiken zeigt, dass die Einordnung der Neujahrslieder mit den alten Festgegenständen Beschneidung/Namengebung und/oder Neujahr hinterfragt wird. Es zeichnet sich die Loslösung der „Name-Jesus-Lieder“ ab, die in einer anderen Rubrik – die der Jesuslieder – zu stehen kommen, eine eigene Rubrik erhalten oder gar ganz entfallen. Der Rückblick auf das zu Ende gehende Jahr und die gleichzeitige Vorschau auf das vorausliegende wird vermehrt ein Thema in den Liedern. Dies korrespondiert mit dem Aufkommen von Altjahresabend-Gottesdiensten. Die Praxis Pietatis Melica von 1703 bietet gleich fünf Lieder, die mit den Worten „Das alte Jahr“ beginnen.346 Der Kontrast zwischen dem vergangenen und verschwundenen alten Jahr und dem neuen, verheißungsvollen Jahr, voller Hoffnungen und Wünsche, wird besonders herausgestellt. Im gleichen Gesangbuch beginnt nur ein Neujahrslied in der Weise, dass das neue Jahr zuerst genannt wird: „Das liebe neue Jahr geht an / Das alte hat ein ende.“ Bemerkenswert ist auch die Formulierung in einem anderen Liedinitium: „Das alt ist abgegangen / Das neue Jahr tritt auf.“347 Hier werden die Jahre gleichgestellt mit Personen auf einer Bühne; wie Schauspieler, die einen Auftritt haben. Als Akteur betritt das Jahr die Weltbühne und muss nach dem Spiel wieder abgehen. Das Thema der Erneuerung besingt das Lied „Nun das alte jahr ist hin und vorbey gegangen, / lasset uns mit frohem sinn dieses neu’ anfangen, / bis das alte gar vorbey, und da alles worden neu.“348 Es geht nicht nur um die Erneuerung des Jahres, sondern universal ausgreifend auch um die Verwandlung der 345 Die Herausgeber unterteilen in sehr kleine Rubriken oder geben sogar einzelnen Liedern Überschriften, um das Auffinden zu erleichtern. Zusätzlich zu dem Rubrikregister  werden alle Lieder dieses Gesangbuches in einem alphabetischen Register aufgeführt. 346 Diese sind: „Das alte Jahr ist nun vergangn / Das neue hat sich angefangn“, „Das alte Jahr vergangen ist, ein neues wir anfangen“, „Das alte Jahr ist nun vergahn / Heut fangen wir ein neues an“, „Das alte jahr ist nun dahin / Dir / höchster Gott / ist unser Sinn“, „Das alte Jahr fürüber ist, ein neues wir anfangen“. 347 PPM 1703. 348 16 Strophen mit Melodie. Hier nach Freylinghausen, Halle 1741, Nr. 109.

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Geschichte und Entwicklung der kirchlichen Neujahrslieder

Welt, gleichsam der Ankündigung des neuen Himmels und der neuen Erde, wie sie im Buch der Offenbarung (21,1 ff.) zu lesen ist. „Hoer / liebe seel sey wolgemut“ von Christoph Arnold ist ein Beispiel dafür, dass sich die Bluttheologie weiterhin hält. Die Verbindung von Beschneidung, Blut Christi und dem Herz des Gläubigen geschieht hier nicht in der Paralle­ lisierung von Beschneidung Jesu und Beschneidung des Herzens des Gläubigen, sondern in einer sehr bildhaften Zusammenfügung: (Strophe 2): Dein Jesus sprenget dich [die Seele] mit blut In dem er wird beschnitten Diß koemmet dir und mir zu gut Wann wir nur darum bitten Und halten unsre hertzen dar So netzet er sie gantz und gar Daß sie sich wieder laben. Wol denen, die diß Jesulein Jn aller suenden angst und pein Zu ihren labsal haben.349

Und auch Benjamin Schmolck lässt Jesu Beschneidung und die Beschneidung der Gläubigen anschaulich werden, wenn er dichtet: Ach gib, daß wir im glauben Auf dieses blut=bad sehn; Und laß den trost nicht rauben, Der uns dadurch geschehn; Beschnittener HErr Christ! Wer deiner sich wil ruehmen, Dem muß da auch geziemen, Daß er beschnitten ist. Beschneid hertz, mund und augen Beschneide hand uns fuß Daß, was dir nicht wil taugen, Von uns sich scheiden muß; Beschneide fleisch und blut Mit deines creutzes messer, Und mach uns taeglich besser Durch deines Vaters ruth.350 349 PPM 1703, 188. 350 Benjamin Schmolck, „Wir gehn in JEsu namen Jns neue Jahr hinein“, Str. 5+6, hier nach Göttingen 1737, Nr.  205. Wenn von der Beschneidung einzelner Körperteile (Hand und Fuß) gesprochen wird, mag sich dies auf ein Wort aus der Bergpredigt beziehen

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Unter die Überschrift „Jesus Nahme zum Neuen Jahre 1725“ stellt Benjamin Schmolck sein Lied „Jesus soll die Losung sein“. Es erschien in „Mara und Manna, Oder: Neue Sammlung von Creutz- und Trost-, Klage- und Freuden-Liedern […] Breslau und Liegnitz 1726. In der Originalfassung ist es ein Neujahrsgesang für den Kaiser und die ganze Obrigkeit, für die ständische Gesellschaft in der Stadt und auf dem Land.351 Freylinghausen (1706) bietet unter den Neujahrsliedern eines, das von zwei Chören im Wechsel zu singen ist: „Heut faenget an das neue jahr mit neuem gnadenschein“352. Die Aufführungspraxis des Liedes ist erwähnenswert. Die ersten 18 Strophen werden bis einschließlich Str. 8 jeweils zur Hälfte im Wechsel gesungen. Ab Str. 9 sind es ganze Strophen, die jeweils der eine, dann der andere Chor singt. Schließlich erklingt von allen gemeinsam „Nun lasset uns alle dem Herren ergeben“ (zwei Strophen zu einer anderen Melodie353). Hinsichtlich der Melodiezuweisungen fällt bei den Neujahrsliedern der Gesangbücher des 18. Jahrhunderts auf, dass sie zunehmend eigene Melodien besitzen. Diese werden auch als bekannt vorausgesetzt. Dies zeigt einmal mehr, dass dem Fest im Liedgut eine Eigenständigkeit erwachsen ist, die es auch klanglich aus der Verbindung mit Weihnachten löst. Wesentliche Veränderungen findet man z. B. im Cramerschen Gesangbuch, dessen erste Ausgabe 1780 in Altona erschien. Die Systematik des Gesangbuches sortiert die Zeitlieder an die erste Stelle. So sind nach den Morgen-, Tisch-, Abend- und Sonntagsliedern auch Gesänge zum Anfang des Kirchenjahres und die Neujahrslieder zu finden.354 In die Texte wird z. T. erheblich eingegriffen.

(Mt 5,30). „Und wenn dich deine rechte Hand zur Sünde verführt, dann hau sie ab und wirf sie weg. Es ist besser für dich, du verlierst eines deiner Glieder, als dass du mit unversehrtem Körper in die Hölle kommst.“ 351 Vgl. Mahrenholz, Handbuch zum EKG III /1, 226. Wegen ihrer Zeitgebundenheit sind die auf den Kaiser, die Großen der Stadt und den Magistrat bezogenen Strophen­ gestrichen worden. So hiess es ursprünglich z. B.: „Unsers Kaisers Majestät / kröne Jesu­ teurer Name, / daß sein Thron auf Glücke steht / und des großen Karles Same / noch durch seinen Tau gedeiht / über aller Zeiten Zeit.“ Mahrenholz, Handbuch zum EKG III /1, 226. 352 Halle 1706. Der vollständige Text ist unter Nr.  4 im Anhang abgedruckt und hat zur Melodie: „Nun sich der tag geendet hat.“ Das Lied ist später z. B. im Mennonitischen Gesangbuch, Lancaster 1854, enthalten. Der erste Teil wird auf die Melodie „Lobt Gott, ihr christen“ gesungen. 353 Die Melodie ist „Ich liebe dich hertzlich / o Jesu“. 354 Vgl. so in der dritten Ausgabe von Altona 1784. Das von Johann Andreas Cramer erstellte Gesangbuch war über hundert Jahre in Gebrauch und erfuhr nur geringe Anpassungen, bis 1883 das Evangelisch-lutherische Gesangbuch der Provinz Schleswig-­ Holstein eingeführt wurde.

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3.3

Exemplarische Liedanalysen

3.3.1

Er ruft der Sonn und schafft den Mond – C. F. Gellert 1757

Im Werk Christian Fürchtegott Gellerts (1715–1769) kommen die drei grundlegenden Strömungen der Aufklärung zusammen: der Rationalismus, der Pietismus und die Empfindsamkeit. Für letztere ist Gellert einer der bedeutendsten Vertreter seiner Zeit.355 Als Autor erarbeitet er philosophisch-moralische Schriften und widmet sich als zweitem Schwerpunkt der Poesie. Gleichzeitig ist er bemüht, als akademischer Lehrer wie als Schriftsteller die Kräfte des Verstandes und der Empfindung ebenso auszubilden wie die Werte der christlichen Religion und die Ideen der Aufklärung miteinander auszusöhnen.356

Er arbeitet auf dem Hintergrund einer sich bereits auflösenden feudalen Gesellschaftsordnung und eines gleichzeitig erstarkenden bürgerlichen Selbstbewusstseins.357 Am neuen Jahre [1.] Er ruft der Sonn und schafft den Mond, Das Jahr darnach zu theilen.358 Er schafft es, daß man sicher wohnt, Und heißt die Zeiten eilen. Er ordnet Jahre, Tag und Nacht; Auf, lasst uns ihm, dem Gott der Macht, Ruhm Preis und Dank ertheilen!

[2.] Herr, der da ist, und der da war, Von dankerfüllten Zungen Sey dir für das verflossne Jahr Ein heilig Lied gesungen; Für Leben, Wohlfarth, Trost und Rath, Für Fried und Ruh, für jede That, Die uns durch dich gelungen.

355 Vgl. Pellegrini, Krise der Aufklärung, 42 f. 356 Vgl. Singh, Gellert, 8 f. Gellert schreibt in einer „Anrede an den Leser“ zu Beginn der Liedersammlung über die Dichtkunst und ihre Möglichkeiten, auf den Menschen einzuwirken: „Wenn die Sprache der Poesie vorzüglich geschickt ist, die Einbildungskraft zu beleben, den Verstand auf eine angenehme Weise zu beschäftigen und dem Gedächtnisse die Arbeit zu erleichtern; wenn sie geschickt ist, das Herz in Bewegung zu setzen und die Empfindungen der Freude, der Liebe, die Bewunderung, des Mitleidens, des Schmerzes zu erwecken oder zu unterhalten, so ist es unstreitig eine große Pflicht der Dichter, diese Kraft der Poesie vornehmlich den Wahrheiten und Empfindungen der Religion zu widmen.“ Gellert, Geistliche Oden und Lieder, 225. 357 Vgl. Singh, Gellert, 9. 358 Diesen Gedichtanfang verwendet Johann Gottfried von Herder in seinen Zusätzen zu der „ältesten Urkunde des Menschengeschlechts“: in der Beschreibung der Schöpfungstage im Abschnitt „Die Mosaische Schöpfungsgeschichte“. Von Herder, Sämmtliche Werke, Bd. 5, 23.

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[3.] Laß auch dieß Jahr gesegnet seyn, Das du uns neu gegeben. Verleih uns Kraft, die Kraft ist dein, In deiner Furcht zu leben. Du schützest uns, und du vermehrst Der Menschen Glück, wenn sie zuerst Nach deinem Reiche streben.

[5.] Hilf deinem Volke väterlich In diesem Jahre wieder. Erbarme der Verlassnen dich, Und der bedrängten Glieder. Gieb Glück zu jeder guten That, Und laß dich, Gott, mit Heil und Rath Auf unsern Fürsten nieder;

[4.] Gieb mir, wofern es dir gefällt, Des Lebens Ruh und Freuden. Doch schadet mir das Glück der Welt: So gieb mir Kreuz und Leiden. Nur stärke mit Geduld mein Herz, Und laß mich nicht in Noth und Schmerz Die Glücklichern beneiden.

[6.] Daß Weisheit und Gerechtigkeit Auf seinem Stuhle throne; Daß Tugend und Zufriedenheit In unserm Lande wohne; Daß Treu und Liebe bey uns sey; Dieß, lieber Vater, dieß verleih In Christo, deinem Sohne.359

3.3.1.1 Ältester Druck Das Lied erschien 1757 in der Erstausgabe von Gellerts Werk: Geistliche Oden und Lieder.360 In einem gesonderten Verzeichnis innerhalb des Bands gibt ­Gellert selbst die Melodien an, auf die er einzelne Gedichte singen lassen möchte. Im vorliegenden Fall bestimmt er dazu „Es ist das Heil uns kommen her“.361 Das Lied ist überschrieben mit „Am neuen Jahre“ und daher nicht ausschließlich für den Neujahrstag vorgesehen, sondern auch für die ersten Tage danach. 3.3.1.2 Analyse: Formale und Inhaltliche Struktur Gellerts Gedicht über den Schöpfer der Welt und der Zeit und dessen Verbindung mit dem Leben der Menschen ist vergleichsweise kurz. Es sind sechs jambische Strophen als Siebenzeiler, mit der Reimstellung ababccb. In dieser Form sind auch viele Balladen verfasst. Schon bei einer flüchtigen Beschäftigung mit dem Text springt die Häufung von Substantiven ins Auge. Sie stehen an den Versenden, wodurch sie besonders prominent werden. Leider bilden sie nur wenig originelle Reime: Rath / That (Str. 2 und wiederholt in Str. 5), Freuden / Leiden (Str. 4), Herz / Schmerz (Str. 4), Gerechtigkeit und Zufriedenheit (Str. 6). Es fallen zudem viele „geprägte“ Formen auf, die sich als biblische Psalm­ bezüge, biblische Gottesprädikationen oder liturgische Anleihen entpuppen. 359 Aus: Gellert, Geistliche Oden und Lieder, 187 ff. 360 Gellert, Geistliche Oden und Lieder. Zu Lebzeiten Gellerts erfuhr das Werk sechs Auflagen. 361 Vgl. ebd., 402. Dieses Lied von Paul Speratus war bereits im Achtliederbuch (1524) von Martin Luther enthalten. Es stand an zweiter Stelle hinter Luthers „Nun freut euch, lieben Christen gmein“. Es steht noch heute im EG 342 (in der Rubrik: „Rechtfertigung und Zuversicht“) und RG 274 (in der Rubrik „Bekenntnis des Glaubens“).

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Die erste und letzte Strophe des Gedichtes weisen eine strukturelle Übereinstimmung auf, indem die erste, dritte und fünfte Zeile mit dem gleichen Wort beginnen (Anaphern „Er“ bzw. „Daß“). Diese Entsprechung bindet das Gedicht­ ende an den Anfang zurück. Und so ergibt sich ein Rahmen für die dazwischen liegenden Strophen. Gellerts Schöpfung „Am neuen Jahre“ beginnt mit einem unbestimmten „Er“, das, wie gesagt, in den ersten sechs Zeilen der ersten Strophe zweimal wiederholt wird. Allerdings wird hier zunächst noch nicht gesagt, von wem die Rede ist.362 Die Information, dass der „Gott der Macht“ gemeint sei, liefert erst das Strophenende (Z. 6). Der Gott der Macht wird als Schöpfergott gepriesen. Nicht alle Schöpfungswerke Gottes werden vorgestellt und allein das Schöpfungswerk Zeit, eingeteilt in Jahre mit Tagen und Nächten, gelobt und dafür gedankt. Die großen Himmelskörper, Sonne und Mond, werden als Teile dieses Schöpfungswerkes eingeführt. Zu Beginn des Liedes fällt jedoch auf, dass die Sonne bereits existieren muss; es genügt, nach ihr zu rufen, während der Mond geschaffen wird.363 Dies kann so gedeutet werden, dass die Sonne mit Gottes Sohn identifiziert wird: somit sind beide nicht geschaffen, sondern seit Anbeginn existent. Sonne und Mond sind mit einer Aufgabe betraut: Sie sollen das Jahr unterteilen. Es wird nicht ausgeführt, ob hier an ein Sonnen- und ein Mondjahr gedacht ist; viel eher sind jedoch allein Tag und Nacht als Zeiteinteilungsabschnitte gemeint (vgl. „er ordnet Jahre, Tag und Nacht“ Str. 1, V. 5). Es wird betont, dass Gott nicht nur das Jahr, eingeteilt in Tage und Nächte, schafft und ordnet, sondern dass er auch über den Zeitenlauf bestimmt („heißt die Zeiten eilen“). Während in fünf Zeilen recht distanziert oder auch objektiv die Schöpferkraft Gottes vorgestellt wurde, wird in den abschließenden zwei Zeilen der Strophe eine Aufforderung oder Ermunterung ausgesprochen. Mit dem „lasst uns“ spricht eine Einzelperson eine Gruppe an, und fordert sie auf, diesen so vorgestellten Gott zu rühmen, zu preisen und ihm zu danken. In Strophe 2 wechselt die Sprecherperspektive, indem das Ich nun den „Herrn“ direkt anspricht. Es wird jedoch wieder eine unpersönliche Formulierung gewählt, wenn es heißt: „Von dankerfüllten Zungen / Sey dir für das verflossne Jahr / Ein heilig Lied gesungen“. Diese Aussage ist selbstreferenziell, in362 In späteren Gesangbüchern wird diese Spannung aufgelöst, indem es bereits in der ersten Liedzeile heißt: „Gott ruft der Sonn und schafft den Mond“; so im wichtigen Aufklärungsgesangbuch von Mylius, Berlin 1780, wie auch in den Gesangbüchern Königsberg 1818, Nürnberg 1855, Frankfurt 1907, Darmstadt 1935. Das Gleiche geschieht durch die Variante „Gott ruft der Sonne, ruft dem Mond“ z. B. in Berlin 1829, Berlin 1853 und­ Bremen 1939 (Deutsche Christen). 363 Eine Variante dieser Liedzeile stellt Sonne und Mond auf die gleiche Stufe. „Gott schuf die Sonne und den Mond“ Braunschweig 1779.

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dem das Lied, das gerade erklingt, als heiliges Lied beschrieben, gewidmet und begründet wird. Es entspringt dem Dank für das zurückliegende Jahr und allem Guten, das der Sängergruppe widerfahren ist. Der Dank gilt auch allen gelungenen Vorhaben, die sich durch Gottes Beistand verwirklichen ließen. „Leben“ und „Ruh“, für die gedankt wird, begegnen erneut in Strophe 4. Zunächst geht der Dank aber in einen Wunsch über. Die 3. Strophe bittet, auf die Gruppe bezogen, um Kraft, in Gottesfurcht leben zu können. Es wird festgestellt, dass Gott alle schützt und den Menschen Glück zukommen lässt, die ihm folgen und sich nach seinem Reich sehnen oder es verwirklichen wollen. Der so vorgestellt Gott des guten, angenehmen Lebens und des Glücks erhält in der 4. Strophe eine andere Facette. Die „Uns-Bitte“ wird nun in die private Bitte eines Einzelnen überführt, der sich, wie eben für alle, auch für sich ein Leben in Ruhe und mit Freuden wünscht. Von Gott kommt aber auch das Negative und Bedrückende im Leben. Das wird an der Bitte deutlich, den Einzelnen mit „Kreuz und Leid“ zu versehen, wenn dies notwendig sein sollte. Der Grund, der hierfür sprechen könnte, wäre, dass dem Beter in Gottes Bewertung das „Glück der Welt“ schadete. Sollte es so kommen, wünscht sich der Beter zugleich Stärkung von Gott, der sein Herz, also ihn selbst, mit Geduld sowie mit Neidlosigkeit gegenüber anderen, die glücklicher sind, ausstatten möge. Die Vorstellung, dass Leiden eine Prüfung, wenn nicht gar Strafe Gottes ist, schwingt hier mit. Der privaten Bittstrophe folgt eine „Denen-Fürbitte“, wie sie uns schon bei Paul Gerhardts Lied begegnet ist. Es wird um Hilfe für das ganze Volk, für Gottes Volk, gebetet. An Gottes Eigenschaften eines Vaters wird appelliert, dass er sich den Verlassenen und den Bedrängten im Volk zuwenden möge. Von ihm wird Glück und Gelingen für gute Taten erhofft und sein Heil und Ratschlag für den Regierenden, den Fürsten, erbeten. Die sechste Strophe beschließt das Lied mit einer dreigegliederten Bitte für die Regierung, das Land und seine Bewohner. „Weisheit und Gerechtigkeit“ für den (Landes-)Fürsten entspricht den klassischen Tugenden biblischer Könige, wie beispielsweise denen König Salomos. „Tugend und Zufriedenheit“ im Land sind Garanten für ein friedliches Zusammenleben. Und wenn es heißt, dass „Treu und Liebe bey uns sey“, kann dies wörtlich zu nehmen sein oder aber im übertragenen Sinne Ausdruck der Hoffnung auf Gottes Beistand in Form des­ Heiligen Geistes sein. So interpretiert, ergibt sich dann auch eine Nennung aller Personen der Trinität in den letzten drei Liedzeilen: Heiliger Geist, Gott Vater und Christus der Sohn. Für die Deutung der Treu und Liebe als Chiffre für den Heiligen Geist spricht auch, dass alle in Strophe 6 genannten Eigenschaften personifiziert werden: Weisheit und Gerechtigkeit thronen, Tugend und Zufriedenheit wohnen, Treu und Liebe sind bei den Menschen. Das wiederholte „dieß“ bezieht sich auf alle vorangegangenen Bitten und betont die Eindringlichkeit, mit der von Gott deren Erfüllung gewünscht wird. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525624364 — ISBN E-Book: 9783647624365

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Das Gedicht durchziehen mehrere geprägte Formeln aus Bibel und Liturgie. An erster Stelle fallen die Gottesprädikationen auf: „dem Gott der Macht“ (Str. 1,6), „Herr, der da ist und der da war“ (Str. 2,1), „die Kraft ist dein“ (Str. 3,2) und „du vermehrst der Menschen Glück“ (Str. 3,5.6). Als mächtiger Gott, ewig, kraftvoll und Glücksvermehrer vorgestellt, entspricht die Beschreibung Gottes der eines absolutistischen Herrschers.364 Die Erwähnung von Gottes Kraft und seinem Reich in der 3. Strophe nimmt Bezug auf die Schlusssequenz des Vaterunsers: „denn dein ist das Reich, und die Kraft und die Herrlichkeit“. Es kommt hier ein großer Abstand zum Ausdruck, der zwischen Gott und den Menschen besteht: Von Gott kommt alles und Gott fügt alles. Ohne ihn ist nichts Gutes möglich. Weitere biblische Bezüge sind der Rekurs auf die Schöpfung der Himmelskörper (Gen 1,3–5) und die damit einhergehende Schaffung der Zeit. Was das Jahr bringen wird, ob Glück oder Leid, alles wird als von Gott kommend akzeptiert. Kreuz und Leid werden als „Erziehungsmaßnahme“ verstanden, um erfahrenes Glück mehr wertzuschätzen. Die Dinge, die in Bezug auf das alte und das neue Jahr gesagt werden, verdienen noch einen näheren Blick: Das alte, „verflossene“ Jahr zeichnete sich durch Leben, Wohlfahrt, Trost und Rat, durch Frieden und Ruhe und durch Gott gelingende Taten der Menschen aus. Es sind überwiegend positive Ereignisse des letzten Jahres, die aufgezählt werden; allein Trost und Rat verweisen auf Hilfe, die Gott gewährt hat und hinter deren Nennung geschehenes Unglück oder Trauer oder auch Sorgen und Ratlosigkeit zu vermuten sind. Die Erwähnung bereits geschehener Hilfe macht zum einen nicht notwendig zu benennen, in welchen Situationen konkret geholfen wurde, zum anderen kann aber auch ganz vermieden werden, von Negativem im letzten Jahr zu sprechen. So wirkt das vergangene Jahr in der Rückschau positiv. Auffallend oft wird das Jahr mit Glück365 in Verbindung gebracht („du vermehrst der Menschen Glück“ Str. 3,6.7; „Glück der Welt“ Str. 4,3; „die Glücklichern“ Str. 4,7 und „gieb Glück“ Str. 5,5) und wird um Segen gebetet, wie er im vergangenen Jahr wahrgenommen wurde: „Laß auch dieß Jahr gesegnet seyn“ (Str. 3,1). Glück und Segen sind, neben allen Tugenden, positiven Dingen und Eigenschaften, die genannt werden, die Hauptwünsche für das neue Jahr. Besonders überraschende Motive liefert Gellert im Bezug auf den Jahresbeginn also nicht. Allerdings ist „Glück“ ein zentrales Stichwort im Denken und Werk des Moralprofessors und Literaten Gellert.366 Und nicht nur bei ihm: in der Aufklärung 364 Zu diesem Gedanken vgl. auch Schlingmann, Gellert, 177. 365 Glücksstreben und das Glück sind zentrale Begriffe der Aufklärung. 366 Pellegrini bemerkt hierzu: „Gellert führte auf dem Gebiet der Morallehre den Gedanken ein, daß irdische Werte den religiösen nicht widersprechen müssen, die Überzeugung,

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beschäftigen sich Philosophie und Theologie mit dem Gegenstand „Glück“, der Begriff erlebt einen Aufschwung. Zuvor jedoch hatten gerade die reformatorischen Theologen367 das menschliche Glücksstreben kritisch betrachtet, da es die Gefahr von Egozentrismus beinhalte und dazu verleite, einen Zusammenhang zwischen einem bestimmten Lebenswandel und Glück herzustellen. Damit ginge die Unverfügbarkeit des Glückes verloren. Aufklärungstheologen beschäftigen sich nun trotzdem mit dem diesseitigen Glück, aufgrund der Einsicht, dass das jenseitige Glück der Vernunft prinzipiell unzugänglich ist.368 Sie sind optimistisch, dass sich Glücksstreben und moralische Lebensführung miteinander vereinbaren lassen. Kant wird dies bestreiten, und in der Folge gerät der Glücksbegriff aufs Abstellgleis: Philosophie und Theologie des 19. Jahrhunderts in Kontinentaleuropa widmen sich ihm nicht mehr.369 Doch zurück zu Gellert. Er teilt noch den beschriebenen Optimismus der Aufklärungstheologen, ist doch für ihn Tugend „die Übereinstimmung aller unserer Absichten, Neigungen und Unternehmungen mit der göttlichen Anordnung, die sich stets auf unser Glück und das Beste unserer Nebenmenschen bezieht.“370 So erklärt sich das positive Weltbild, das in dem Neujahrslied spürbar wird, wenn selbst Kummer und Leid als etwas verstanden werden, was dem Menschen von Gott zugemutet, was aber schlussendlich zu seinem Glück führen wird. 3.3.1.3 Rezeptionsgeschichte Gellerts Gedichte waren sehr erfolgreich, vielleicht gerade deshalb, weil sie für die Zeit sehr ungewöhnlich waren.371 Schon bald nach deren Erscheinen machten sich viele Komponisten daran, diese zu vertonen. Im 18. Jahrhundert gibt

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daß der Schöpfer den Menschen zum Glück bestimmt habe und eine Übereinstimmung der gottgeschaffenen Menschennatur mit den Geboten der Moral und der christlichen Tugend möglich sei.“ Pellegrini, Krise der Aufklärung, 57. Vgl. hierzu das Kapitel „Das wankelmütige Glück. Von der Reformation bis zur Gegenwart“, Lauster, Gott und das Glück, 91–116. bes. 97. Vgl. ebd., 98. Vgl. ebd., 112. Lauster kommt nach seiner Lektüre von Werken Kants zum Schluss, dass er nicht „Totengräber des Glücks“ genannt werden kann, wie oft von ihm behauptet wurde. Er erklärt das Verschwinden des Glücks aus dem Nachdenken der Intellektuellen des 19. wie auch 20. Jahrhunderts als kulturgeschichtliches Phänomen. Nachdem es in der Existenzphilosophie des 20. Jahrhunderts noch einmal begegnet – allerdings in „negativ-pessimistischer Brechung“ – ist es wohl doch ein Gegenstand, der dem subjektiven Erleben und der inneren Empfindung zugeschrieben wird und damit im Bewusstsein der Menschen dem Blick von außen verschlossen bleibt. Vgl. Lauster, Gott und das Glück, 112 f. Gellerts Vorlesung trug den Titel: „In wie fern die Tugend der Weg zur Glückseligkeit sey, und worinnen das Wesen der Tugend bestehe“. Sie erschien posthum. Zum Zitat siehe Gellert, Gesammelte Schriften, II, 67. Bei seinen Zeitgenossen lösen Gellerts Lieder „ein solch aufsehenerregendes Erstaunen aus, dass sich Inhalt und Gestalt des Kirchenlieds grundlegend wandeln“. Rößler, Lieder­ macher, 686.

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es keinen weiteren deutschen Dichter, dessen Lieder-Sammlung als Ganzes so häufig in Musik umgesetzt worden ist.372 Gellerts Lieder finden Eingang in zeitgenössische protestantische und auch katholische Gesangbücher. Über Johannes Friedrich Schmidlin gelangen sie in Gesangbücher der Schweiz. Dort haben die Gesänge über die Zeit vor allem in der Schweiz bleibenden Erfolg gehabt, wie Marti in einer Studie herausgearbeitet hat.373 Die Nachhaltigkeit erklärt sich Marti dadurch, dass im Luthertum des 19.  Jahrhunderts die restaurativneukonfessionalistische Theologie die Aufklärung zu überwinden suchte und Gellerts Lieder an Akzeptanz verloren, „während in der Schweiz die aufklärerischen Ideen der ‚liberalen‘ Theologie lebendig blieben.“374 „Gott ruft der Sonne, schafft den Mond“ erfährt häufig leichte Veränderungen im Initium, sei es, dass die Himmelskörper beide geschaffen werden, oder dass der Mond durch den Wind ersetzt wird: „Gott ruft der Sonne, ruft dem Mond“ (im Gesangbuch Schleiermachers; Berlin 1829) wie auch „Gott rief der Sonn und schuf den Wind“ (Magdeburg 1850). Das Lied wird außerdem ins Polnische übersetzt. Dort heißt es: Bóg słońce i miesiąc stawił, oder auch Bóg słońce i księżyc stworzył.375 Ein weiteres Neujahrslied „Auf das Neue Jahr 1759“ mit dem Initium „Ein Herz, das Tugend liebt“ hat Gellert nicht selbst herausgegeben; und bis heute ist nicht geklärt, ob es wirklich von ihm stammt. 3.3.1.4 Das Neue Jahr mit Hoffnung und die Sehnsucht nach Glück Gellerts Lied gehört zu den gut gestimmten Rückschauen auf ein zu Ende­ gehendes Jahr. Er stellt das Positive heraus. In Gott wird die Quelle des Glücks gesehen, das den Menschen widerfährt. Darum wird Gott der Dank ausgesprochen. Das Glück in der zurückliegenden Zeit wird als Segen Gottes empfunden und darum auch für die kommende Zeit darum gebeten, dass Gott seinen Segen spenden möge. Der Gedanke an Leiden und Not, die in dieser Zukunft liegen können, wird nicht ausgeblendet. Gottes Segen könne sich in solchen Situa372 „Oblgeich G[ellert] eine ganze Reihe von Choral-Melodien angegeben hatte, nach denen seine Lieder gesungen werden können, entstand unter den deutschen Musikern ein förmlicher Wettstreit um die Composition dieser Dichtungen.“ Friedländer, Lied im 18.  Jahrhundert. I,1–2; II,55. Mit den vielen Vertonungen verbinden sich große Komponisten, wie Georg Philipp Telemann, Carl Philipp Emanuel Bach, Joseph Haydn und Leopold Mozart wie auch Ludwig van Beethoven. So wirken Gellerts Geistliche Oden bis in die Gegenwart hinein. 373 Zur Rezeption und Verbreitung von Gellert-Liedern in Schweizer Gesangbüchern, vgl. eine kleine Studie von Andreas Marti in Form einer Überblickstabelle: www.liturgie kommission.ch/customer/files/14–04–04-Gellert_Rez_CH.pdf. (letzter Aufruf 18.8.2015) Zur Interpretation der Liste siehe auch: Marti, Gellert-Lieder, 175–185. 374 Marti, Gellert-Lieder, 179. 375 Vgl. Drews, Deutsch-polnische Literaturbeziehungen, 153.

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tionen darin zeigen, dass er die Stärke verleiht, damit umgehen und es in fester Glaubenshaltung (er-)tragen zu können. Da Glück nichts von Dauer ist und jederzeit verloren gehen kann, ist die Sehnsucht nach Glück eine Lebenskonstante. Dieser Sehnsucht wird in der Bitte, Gottes Segen weiterhin erfahren zu dürfen, Ausdruck verliehen. Gott möge Glück und Wohlstand des Einzelnen, des Volkes wie auch des regierenden Fürsten mehren. Es wird darauf gehofft, dass auf den guten Taten der Menschen ebenfalls Gottes Segen ruht und diese glücken. Gottes Beistand wird auch für diejenigen erhofft, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen; für die Bedrängten und Verlassenen. Gottes Treue, so kann man abschließend sagen, wird in erfahrenem Segen, in erfahrenem Beistand und erfahrener Stärkung in der zurückliegenden Lebenszeit erkennbar. Darauf beruht die Hoffnung, dass Gottes Segen und das Geschenk des Glücks einem auch im neu anbrechenden Jahr widerfahren werden. 3.3.2

Ach, wiederum ein Jahr verschwunden – Johann Caspar Lavater (1771)

Johann Caspar Lavater (1741–1801) entstammt einer Zürcher Patrizierfamilie. Er schreibt leidenschaftlich gerne und dichtet viel. Mit den von ihm im Volkston gehaltenen „Schweizerlieder(n)“ erlangt er erste Berühmtheit. Mit seinen Erbauungsschriften und den im Druck erschienenen Predigten stößt er die Erweckungsbewegung an und wird deren Wegbereiter.376 Ab 1769 wirkt Lavater als Waisenhausprediger, von 1778 bis zu seinem Tod als Pfarrer von St. Peter in Zürich. Er besitzt viele freundschaftliche Kontakte zu Intellektuellen seiner Zeit. Ein Leben lang pflegt er Beziehungen zu führenden Theologen, Dichtern der beginnenden deutschen Klassik, wie dem jungen Goethe, Dichtern des Idealismus, Vertretern des Pietismus und des Mystizismus.377 Gellert hat er persönlich kennengelernt378 und verehrt. 1770 schreibt er eine „Ode an den sel. Gellert“. Drei Jahre bevor er das folgende Neujahrslied verfasst, notiert er in seinem Tagebuch (1. Januar 1769): „[…] Ich schlief äußerst ruhig und sanft noch bis um halb 6 Uhr, erwachte mit Freude und Dank; bethete Gellerts Neujahrslied379, und las die 4 ersten Capitel des Evangeliums Matthäi.“380 376 Vgl. Heydrich, Lied der Erweckungsbewegung, 138. 377 Vgl. ebd., 139. 378 Auf einer Reise nach Norddeutschland macht er 1763 einen Zwischenhalt in Berlin, wo er nicht nur Gellert, sondern auch Moses Mendelssohn und Friedrich Gottlieb Klopstock trifft. Vgl. Brecht/Deppermann u. a. (Hg.), Geschichte des Pietismus, Bd. 2, 720. 379 Welches Lavater meint, konnte leider nicht erschlossen werden. 380 Lavater, Geheimes Tagebuch, 18 f.

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Lied am Ende des Jahres. [1.] Ach! Wiederum ein Jahr verschwunden: Ein Jahr -- und kommt nicht mehr zurück! Ach! Mehr als achtmahltausend Stunden Sind weg, als wie ein Augenblick! Weg meine Tugenden und Sünden. Doch nein! -- Der Richter aller Welt Läßt jegliche mich wieder finden, Wann Er vor seinen Thron mich stellt. [2.] Gedanken! Worte! Thatenheere!381 Wie? -- Dürft ihr GOttes Licht nicht scheun?382 Wenn ich dieß Jahr gestorben wäre, Wo würd’ itzt meine Seele seyn? Stünd’ ich verklärt bey GOttes Kindern? Wär’ ich von seiner Lieb’ entflammt? Wie, oder hätte mit den Sündern Der Allgerechte mich verdammt? [3.] Den GOtt, der täglich Leben giebet, Hat ihn mein Undank nie betrübt? Den GOtt, der ewig mich geliebet, Hab’ ich ihn redlich stets geliebt? Lebt’ ich für Ihn, nach seinem Willen, Stets, als vor seinem Angesicht? Fromm öffentlich, und fromm im Stillen; War ich ein Beyspiel jeder Pflicht? [4.] Wie? – Darf ich den Gedanken wagen: Wär ich itzt reif zur Ewigkeit? Was würde mein Gewissen sagen, Wenn GOtt mir rief: Du stirbst noch heut? Wie? Könnt’ ich heute froh erscheinen O Allerheiligster vor dir? Hab ich dann nichts mehr zu beweynen? Ist keine Sünde mehr in mir? [5.] Ach, Vater, du kennst meine Sünden: Wie viel sind ihrer nur dieß Jahr! Mit banger Schaam muß ich empfinden, Wie oft mein Herz dir untreu war: Ja, Vater! Es ist Gnade, Gnade, 381 Anm. von J. C. Lavater: „Thatenheere ] Ihr häufigen Thaten.“ 382 Anm. von J. C. Lavater: „Dürft ihr Gottes Licht nicht scheun ] Seyd ihr so rein, dass ich mich Euer vor dem Angesicht Gottes nicht schämen darf?“

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Wenn du nur noch ein Jahr mir schenkst, Und von der Laster krummen Pfade Mein Herze ganz zur Tugend lenkst. [6.] Nur Ein Jahr, Vater, noch auf Erden! Itzt droht mir noch der Sünden Schuld. – Ich muß und will noch frömmer werden! Ach, schone, trage noch Geduld! Ach, ach vergieb! – Kaum darf ich denken, Wie oft ich dein Gebot entweyht: Doch, ach! Du willst mir Gnade schenken, Wenn mich die Sünde herzlich reut. [7.] Nein, Vater, sie sind nicht zu zählen, Die Sünden dieses Jahres: Nein! Wie kann ichs dir und mir verheelen: Ich bin nicht werth, noch hier zu seyn. Zu oft ließ ich mein Herz erkalten, Zu oft verletzt’ ich meine Pflicht; Ich darf vor dir nicht Rechnung halten, Ich zittre! -- Geh nicht ins Gericht! [8.] Nein, Vater, sie sind nicht zu zählen, Die Gnaden dieses Jahres: Nein! Wie kann ichs dir und mir verhehlen: Ich bin nicht werth, mehr hier zu seyn. Wo fang ich an? GOtt, welche Menge, Vom ersten bis zum letzten Tag! Ich weiß, daß, wenn ich Jahre sänge,383 Ich dir zu danken nicht vermag. [9.] Wie manchen ruhevollen Morgen Erwacht ich munter und gesund! Wie oft, genoß froh, ohne Sorgen Die Speise, die Gott gab, mein Mund! Wie viele schreckliche Gefahren Hat Er von mir hinweggewandt! Wenn tausend andre elend waren, Erhielt mich seine Vaterhand. [10.]384 (Ich darf nicht weynen, muß nur preisen; Weil kein vertrauter Freund mir starb; 383 Anm. von J. C. Lavater: „Ich weiß, daß, wenn ich Jahre sänge ] Wenn ich viele Jahre unaufhörlich Danklieder singen würde; ich könnte dir nicht genug danken.“ 384 Anm. von J. C. Lavater: „Diejenigen Stellen, welche in () eingeschlossen sind, schicken sich nicht für alle: Sie müssen erst gelesen werden, eh sie gebethet werden können.“

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Dort klagen Aeltern, Wittwen, Waysen; Ein Kind, ein Mann, ein Vater starb. Ich lebe noch bey meinen Lieben, Die mir mein Gott zum Seegen gab; Gott wollte mich noch nicht betrüben, Und zog uns noch zurück vom Grab.) [11.] Das Wort des Herren konnt’ ich hören, (Mit Freyheit in den Tempel gehn; Ihn öffentlich da zu verehren, Und neue Huld von ihm zu flehn.) Wie oft erwachten fromme Triebe Zu besserm Eifer in der Brust! Wie oft empfand ich seine Liebe; Und, ihn zu lieben, neue Lust! [12.] Und mußt’ ich auch mit Schmerzen ringen; So hielt mich seine rechte Hand; Bald konnt ich wieder Lob ihm singen, Weil ich gehoffte Hülfe fand. O Gott! Dir danket mein Gemüthe, Dich bethet meine Seele an: Im Staube preis’ ich deine Güte, Die Undank nicht ermüden kann! [13.] Verzeih den Undank, schenk Erbarmen; Gedenke meiner Sünden nicht! Und zeig dem Reuenden und Armen, Der Gnade sucht, dein Angesicht! Wie freudig will ich dann mein Leben Von nun an deinem Dienste weyhn; Wie eifrig will ich mich bestreben, Durch deinen Geist ein Christ zu seyn! [14.] Ich danke dir für alle Gnaden, Die du dieß Jahr der Welt erzeigt. Ach! Eil das Elend abzuladen, Das noch der Armen Nacken beugt!385 Ja! Ich will aller Menschen Seelen Ich, aller Bruder; ich, ein Christ, Aufs’ neue deiner Huld empfehlen, Weil du ihr aller Heiland bist!

385 Anm. von J. C. Lavater: „Das noch der Armen Nacken beugt] Das Elend, welches noch wie ein Joch oder eine schwere Last die Armen niederdrückt; worunter sie noch seufzen müssen, wollest du bald ihnen abnehmen.“

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3.3.2.1 Älteste Fassung Lavaters „Lied am Ende des Jahres“ erschien 1771 in seiner Sammlung „Christliche Lieder“. 3.3.2.2 Analyse In Lavaters Lied wird das Verschwinden eines Jahres bedauert. Von dem Jahr wird gleich zu Beginn wie von einer Person gesprochen, die verschwunden ist und auch nicht mehr zurückkommen wird. Die Linearität der Zeit, die Unwiederbringlichkeit des vergangenen Augenblicks, Tages, Monats oder Jahres wird mit diesen Zeilen wahrgenommen und beklagt. Hier begegnet der Gedanke der schnell verfliegenden Zeit, wenn Lavater dichtet: „Ach! Mehr als achtmahl­ tausend Stunden / Sind weg, als wie ein Augenblick.“ Der Dichter hat nachgerechnet, wieviel Zeit in Stunden vergangen ist. Das ist die erste von mehreren Bilanzen, die er dicht aufeinander folgend im Reim festhält. Mehrfach begegnen Ausrufe des Schmerzes und Bedauerns; allein der Ausruf „Ach!“ wird achtmal verwendet.386 Nacheinander werden eine Reihe von Fragen aufgeworfen und eine Reihe von Bitten zusammengestellt, denen mit Ausrufezeichen Nachdruck verliehen wird. Es ist eine Gewissensprüfung, die Lavater in seinem Liedtext zum endenden Jahr 1771 vollzieht. Das eine Jahr der menschlichen Lebensspanne, das offenkundig zu Ende geht, mag für menschliche Augen verschwunden sein; doch ist es aufgehoben bei Gott. Und nicht nur die Zeit des Menschen, sondern auch seine Taten des vergangenen Jahres, bleiben bewahrt – die guten und die schlechten. Aus der Gewissheit heraus, dass „der Richter aller Welt“ darüber urteilen wird, hebt eine Selbstprüfung an, die einem „Was-wäre-Wenn“ nachsinnt: Was wäre, wenn man im vergangenen Jahr bereits gestorben wäre oder jetzt unmittelbar sterben müsste? Wie sähe die eigene „Bilanz“ aus, und wie würde das Urteil Gottes ausfallen? Dies sind die Fragen, die an das Gewissen appellieren und nachforschen, ob in Worten und Taten gefehlt wurde (Str. 2). Wie sieht es mit dem Dank Gott gegenüber, der Liebe zu ihm, einem gottgefälligen Leben nach seinem Willen und der Frömmigkeit aus (Str. 3)? Der Liedtext gibt einige Kriterien wieder, an denen sich ein gottgefälliges Leben ablesen lässt. Die Selbstprüfung lässt schnell deutlich werden, dass das lyrische Ich diesen Maßstäben häufig nicht gerecht wurde. Die Erkenntnis, wie viele Sünden alleine im zurückliegenden Jahr begangen wurden, führt zu Scham und Reue. Es tritt die Erkenntnis ein, dass hier allein Gottes Gnade hel386 Ausrufe sind für die Poetik der Empfindsamkeit kennzeichnend, setzt sich die empfindsame Dichtung doch zum Ziel, Gefühl und Verstand miteinander in Einklang zu bringen und den Gegensatz, den die Aufklärung daraus machte, aufzulösen.

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fen kann. Diese könne sich auch in einer „Fristverlängerung“ äußern, um die das lyrische Ich schließlich in der 6. Strophe bittet: Würde ihm ein weiteres Jahr geschenkt, so könnte das Ich weiter an sich arbeiten. Es „muss und will noch frömmer werden“ (Str. 6, V. 3). Die Bitte um Vergebung und die Gewissheit der Gnade bei wahrer Herzensreue führen schließlich zum Schuldeingeständnis. Die Strophen 7 und 8 sind parallel gestaltet. Sie beginnen beide mit dem Ausruf: „Nein! Vater, sie sind nicht zu zählen […]“ In dem einen Fall sind es unzählige Sünden, in dem anderen unzählige Gnaden, die das Ich ausrufen lassen „ich bin nicht werth, noch [bzw. mehr] hier zu sein“. Als Hauptsünden gesteht es sich das Erkalten seines Herzens – was bildlich für Mitleidslosigkeit stehen kann – sowie häufige Pflichtverletzungen ein. Die Angst vor dem Richterspruch Gottes ist groß: „Ich zittre! – Geh nicht ins Gericht“. Demgegenüber stehen nun unzählige Gnaden, an die sich das Ich erinnert und die ihm „vom ersten bis zum letzten Tag“ des Jahres zugekommen sind (Str. 8). Den hierfür angemessenen Dank meint das Ich in diesem Leben nicht leisten zu können: So viele Jahre könnte es Gott gar nicht loben, wie dazu nötig wären. Die Gnade und den Schutz, welche Gott das Jahr über gewährte, benennt Strophe 9. Die folgende Strophe, die für Erhalt und Schutz der nahen Verwandten und Freunde dankt, wurde von Lavater mit einer Fußnote versehen (s. o.). Mit seelsorglichem Feingefühl vermerkt er, dass diese Strophe nur beten solle, wer den Inhalt genauso mitsprechen kann. (Wer einen Verlust zu beklagen hat, lasse diese Strophe einfach aus). Mit der 11. Strophe wird ein Umstand betont, der auf aktuelle Ereignisse anzuspielen scheint, denn der Dank ist außergewöhnlich: Er gilt der uneingeschränkten Möglichkeit, die Religion öffentlich auszuüben.387 Man konnte das Wort des Herren hören und frei „in den Tempel“ – das Gotteshaus – gehen. Die dort geübte Verehrung und die Bitten verhalfen zu religiösen Erlebnissen: der Weckung von frommen Trieben „zu besserm Eifer“ sowie der Erfahrung von Gottes Liebe und neuer Lust, diese Liebe zu erwidern. Der Rückblick zeigt, dass auch in Krankheit Gottes Beistand spürbar war und zur Heilung verhalf. Den Dank dafür drückt das Ich mit einer gewissen Selbstdistanz aus: „mein Gemüthe“ und „meine Seele“ danken und beten, während das Ich im Staube liegt und Gott preist. Die abschließende Bitte um Erbarmen und Sündenvergebung mündet in eine Selbstverpflichtung, die nur scheinbar an die Bedingung geknüpft ist, dass Vergebung geschieht. Denn da sie schon geschehen ist, wird das ganze Leben dem Dienst an Gott gelten. Gottes Geist wird hierfür als notwendig angesehen 387 Es ist anzunehmen, dass den Hintergrund für diesen Dank die Hugenottenverfolgung in Frankreich bildet, die auch zahlreiche Flüchtlinge nach Zürich brachte. Erst mit dem Toleranzedikt von 1787 wird in Frankreich wieder protestantisches Leben möglich.

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(„durch deinen Geist“), aber dann sind alle Bedingungen gegeben, das Ich einen eifrigen Christen sein zu lassen. Der bisher ganz auf die eigene Person gerichtete Blick wird erst in der letzten Liedstrophe geweitet. Es kommen nun die gesamte Welt und die Menschheit in den Blick. Der Einzelne dankt für alle Gnaden, die Gott der Welt zuteilwerden ließ. Er bittet um Entlastung für die Armen und für alle Menschenseelen. „Ich, aller Bruder, ich ein Christ“ steht für ein ausgeprägtes Gefühl der Zusammengehörigkeit aller Gläubigen in einer weltweiten Gemeinschaft. Dass ein einziger Mensch für die Welt bittet ist nicht zu hoch oder gewagt. Denn er vertraut auf die Verheißung, dass der, an den das Gebet gerichtet ist, für alle Genannten der Heiland ist. Der letzte Satz „Weil du ihr aller Heiland bist“ wird zu einem Glaubensbekenntnis. Der Liedtext ist geprägt von einer Selbstzerknirschung, wie sie nur selten zu finden ist.388 Das schlechte Gewissen, die unerfüllte Pflicht und vernachlässigte Gottesliebe lasten schwer.389 Die Sprechperspektive wandelt sich in der vierten, ganz deutlich ab der fünften Strophe. Während zu Beginn „über“ Gott nachgedacht wurde, mit einer gewissen Distanz, wird nun Gott als Gegenüber direkt angesprochen: „O Allerheiligster“ (4,6) und „Ach, Vater!“ (5,1). Es ist die Anrede, wie sie Jesus verwendete und wie sie im Vaterunser für alle seine Jünger und Anhänger möglich wird. Die Anrede „Vater“ steht in den Strophen 5 bis 8 in der ersten Zeile, in Strophe 9 wird die „Vaterhand“ erwähnt und in Strophe 10 ist dann von einem menschlichen Vater die Rede. In der Rückbesinnung auf Verstorbene des letzten Jahres werden Eltern genannt, die den Verlust eines Kindes beklagen müssen, Witwen, die ihren Mann und Waisen, die ihren Vater verloren haben.390 Das lyrische Ich dankt, dass es weiterhin bei seinen Lieben leben darf, und sieht dies als von Gott gegebenen Segen an. Das Gottesbild schwankt zwischen dem strafenden Richtergott, der verdammt, und dem allliebenden Erbarmer, der sich dem Menschen zuwendet und seine Kinder freudig aufnimmt. Während Gott nur diese beiden Seiten zu haben scheint, wird der Mensch wesentlich komplexer dargestellt. Dies zeigt sich allein schon an der Differenzie388 Hier zeigt sich nicht mehr die Bußfrömmigkeit des Barock, sondern deren verschärfte Ausformung, wie sie der Pietismus kennt. Erinnert sei an Laurentius Laurenti, der zu den bedeutendsten Dichtern des frühen Pietismus zählt und die Forderung nach wahrer Buße einst so formuliert hat: „Das mittel ist die buß’ / wodurch das steinern hertze, / in wahrer reu’ und schmertze / zerknirschet werden muß.“ Vgl. Koch, Geschichte des Kirchenlieds, IV, 281. 389 Das Gedicht trifft sich hier mit pietistischen Anschauungen in dem Gefühl mangelhafter Frömmigkeit und unzureichender christlicher Lebensführung. Auch die Haltung einer genauen Selbstbetrachtung findet sich im Pietismus. 390 Es wird nicht ganz deutlich, ob damit mehrere Verstorbene gemeint sind, oder ein männlicher Verstorbener, der Sohn, Ehemann und/oder Vater gewesen ist.

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rung verschiedener innerer Instanzen. Es wird von Herz (5,4+8; 6,8 mit „herzlich“ und 7,5), von Seele (2,2 und 12,6; in 14,5 Menschenseelen) und Gemüth (12,5) gesprochen, pars pro toto werden der Mund (9,4) und die Brust (11,6) des Einzelnen, ganz umfassend wird sein „Leben“ (13,5) genannt. Das Gedicht zeichnet sich durch eine Vielzahl von Fragen aus. Man beachte, wie oft allein die Frageworte „Wie“ (in Kombination als „wie viel“, „wie oft“) und „Wo“ am Beginn einer Zeile stehen. Diese vielen Fragen stellt sein Gewissen (so tatsächlich erwähnt in 4,3) an den Einzelnen. In der Selbsterforschung, der Schulderkenntnis, Reue und Bitte an Gott um Vergebung sind alle Elemente der klassischen Bußpraxis gegeben. Lavaters Gedicht streift an einigen Stellen bekannte Bibeltexte. Zum Beispiel klingt, wenn es heißt „ich bin nicht werth, mehr hier zu sein“, das Wort des verlorenen Sohnes an: „Ich bin nicht wert, dein Sohn zu sein“ (Lk 15,19). Das Bild vom krummen Pfad, auf dem sich das Herz bewegt, erinnert an Psalm 1: „Wohl dem, der nicht wandelt den Pfad der Gottlosen“ (Ps 1,1). Dem Ideal nach sollte das Herz auf dem geraden Weg der Tugend gehen. „Du stirbst noch heut’“ erinnert an die Erzählung vom reichen Kornbauern, dem alles Sammeln der Schätze nichts nutzte, da ihn der Tod ereilen wird (Lk. 12,16–21). Bei aller Selbsterforschung, die in dem Lied angestellt wird, ist nicht nur die private, sondern auch die öffentliche Frömmigkeit etwas, das mehrfach genannt wird (Str. 3 und Str. 11). 3.3.2.3 Rezeptionsgeschichte Ein Gesangbuch, das das Lied Lavaters bald nach der Entstehung desselben aufnimmt ist Braunschweig 1779. Mit der ihm eigenen Melodie ist es 1787 im Zürcher Aufklärungsgesangbuch und 1797 im Gesangbuch von St. Gallen zu finden. Es wird in die beiden überkantonalen Gesangbücher des 19. Jahrhunderts (4-örtig391/8-örtig392) übernommen und schweizweit bekannt. Auch in Württem­ berger Gesangbüchern ist es vertreten; Stuttgart 1912 führt es auf, ebenso das­ methodistische Gesangbuch von 1926393. Um das sehr individualistische Lied zum Gemeindelied zu machen, wurde von den 14 Strophen des Originals oftmals nur eine Auswahl zusammengestellt. Für den Gemeindegesang ungeeignet erwies sich wohl die Sprecherperspektive 391 Das sogenannte Vierörtige Gesangbuch der ostschweizer Kantone Glarus, Graubünden, St. Gallen (das sich erst 1871 anschloss) und Thurgau erschien 1868 und basierte weitgehend auf dem Zürcher Gesangbuch von 1853. Vgl. Blume, Geschichte, 394. 392 Das sogenannte Achtörtige Gesangbuch (1886 und 1890) galt für die Kantonalkirchen von Zürich, Bern, Basel-Stadt und Basel-Land, Aargau, Freiburg, Schaffhausen und­ Appen­zell. Vgl. ebd. 393 Gesangbuch der Bischöflichen Methodistenkirche für die Gemeinden deutscher Zunge in Europa, Bremen 1926.

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mit der massiven Selbstanklage. Das RKG weist das Lied mit sechs Strophen auf (Nr. 135), mit den Strophen 1, 2, 3, 5, 13 und 14 des Originals und leichten textlichen Veränderungen. In das RG von 1998 hat es keine Aufnahme mehr gefunden. 3.3.2.4 Das neue Jahr als neue Chance Der Überschrift nach ist das Lied Lavaters ein Lied am „Ende des Jahres“ und damit ein Lied, das nicht das neue Jahr, sondern das zu Ende gehende Jahr thematisiert. Es entspringt dem bewegten Gemüt des Dichters am Jahresübergang. Wir würden, was Lavater in dem Text vollzieht, heute eine Standortbestimmung oder Bilanzierung nennen. Das zurückliegende Jahr wird sowohl auf die menschlichen Sünden als auch auf die göttlichen Gnadenerweise hin betrachtet. Der Jahresübergang wird zum Zeiteinschnitt, zu einem Summenstrich unter dem „Sündenregister“. Das neue Jahr wird als Chance wahrgenommen, dafür zu sorgen, dass die nächste Jahresbilanz besser ausfällt. Das fromme Ich nimmt sich vor, in einer engen Gottesbeziehung zu stehen und weniger gegen Gottes Willen und Gebote zu handeln. Modern gesprochen werden hier „gute Vorsätze“ gefasst, die aber ganz im Sinne des „simul iustus et peccator“ zu verstehen sind. Geistliche Bilanz und Buße zum Jahresende stehen so einem Neuanfang mit guten Vorsätzen für das geistliche Leben gegenüber. Die Worte Gottesfurcht und Frömmigkeit sowie die Annahme eines göttlichen Gerichtes, vor dem sich der Gläubige einst verantworten muss, sind Kennzeichen einer strengen Glaubensausrichtung, die den Wert der Tugenden und der Pflichten betont. Die Lebenszeit wird als Frist verstanden, die dem Menschen geschenkt ist, um sich zu bewähren. Als Christ kann er sie nutzen, um „frommer“ zu werden, das heißt danach zu streben, die sittlichen und religiösen Gebote Gottes mehr und mehr zu erfüllen. Wenn, wie in diesem Lied, von Gott eine „Fristverlängerung“ erbeten wird, stellt sich die Frage, ob dies legitim ist. Das Vorbild für diese Bitte ist im Feigenbaumgleichnis zu suchen, in dem noch um ein einziges weiteres Jahr für den bisher unfruchtbaren Baum gebeten wird, ihm eine letzte Chance zu geben, gute Früchte zu bringen. Die Bitte um „Fristverlängerung“ findet sich aber auch bereits in den Psalmen, die noch davon ausgehen, dass es kein Leben jenseits des Lebens gibt. Darum kann der Psalmist Gott bitten, ihm noch Lebenszeit zukommen zu lassen, denn nur so könne er weiterhin Gott loben.

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Das Neujahrslied von 1800–1900: Erinnern und Sinnsuche

4.1

Zeitgeschichtliche und liturgiegeschichtliche Aspekte

4.1.1

Die Jahrhundertwende 1799–1801: Kirchliche und staatliche Feierlichkeiten

Anders als noch hundert Jahre zuvor entscheidet man sich im Terminstreit, wann genau das neue Jahrhundert zu feiern ist, in den meisten Fällen für den Jahresbeginn 1801.394 Allerdings werden die Pfarrer des Herzogtums BraunschweigLüneburg in einem Zirkularschreiben395 (Anfang November 1799) dazu angehalten, in ihren Predigten zu Beginn des Jahres 1800 von dem Beginn eines neuen Jahrhunderts zu sprechen. Den Schwerpunkt der Feierlichkeiten sieht Brendecke in der mittel- und norddeutschen Neutralitätszone, dem reichen Sachsen und protestantischen Gebieten.396 Er räumt ein, dass es auch anderenorts eine große Zahl kleinerer Feierlichkeiten gegeben haben mag, von denen jedoch nichts überliefert ist.397 Von Goethe und Schiller wissen wir, dass sie zweimal den Jahrhundertwechsel feierten, da sie zunächst „Neunundneunziger“398 gewesen waren. Über die Art und Weise, das neue Jahrhundert zu begrüßen, finden sich verschiedenste Nachrichten. Von der Nacht zum 1. Januar 1801 wird aus Kur­sachsen berichtet399, dass um Mitternacht das neue Jahrhundert eingeläutet wurde und man es mit Gesängen und Umzügen empfing. In den Fenstern der Häuser standen beleuchtete Transparente mit Sinnsprüchen, die alles festlich erhellten. Am Morgen zog man gemeinsam zur Kirche, wo die Predigt gehört und Danklieder gesungen wurden. Landauf, landab verlieh man der Festfreude durch Lobgesang von Glocken begleitet, durch Pauken und Trompeten, durch Gewehrschüsse und Kanonendonner, Ausdruck.400 In manchen Orten wurden die über Hundertjährigen einer Kirchgemeinde besonders ins Zentrum der Feierlichkeiten gerückt; 394 Vgl. Brendecke, Jahrhundertwenden, 179. 395 Es erging Anfang November 1799 an die Prediger und ist bei Brendecke beschrieben; ebd., 180. Genanntes Zirkular des Konsistoriums Wolfenbüttel vom 7. Nov. 1799 befindet sich im Landeskirchenamt Braunschweig, V1160. 396 Vgl. ebd. 397 Vgl. ebd. 398 Sauer, Säculardichtungen, XCIX. Schiller und Goethe planen, den Silvesterabend 1800/1801 gemeinsam zu verbringen und ihn besonders zu gestalten. Doch schließlich wird es ein ruhiger Abend zusammen mit Schelling. Die Pläne beschreibt Sauer, Säculardichtungen, XCIXf. 399 Die Beschreibung basiert auf umfangreichen Broschüren, die die Städte Zeitz, Pirna, Eisleben und Schneeberg anlässlich der Jahrhundertwendefeierlichkeiten herausgaben. Vgl. hierzu Flügel, Festkultur im 17. Jahrhundert, 50. 400 Vgl. von Krusenstjern, „O Jahrhundert! komm, beginne…!“, 247.

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sei es durch eine besondere Rolle im Gottesdienst oder an der Spitze eines Zuges durch den Ort.401 Von staatlicher Seite, im preussischen Ministerium, wurde auf eine Anfrage des Konsistoriums Halberstadt hin eine Verordnung erarbeitet, die für die kirchlichen Feiern der Jahrhundertwende bestimmt war. Sie wurde am 27. November von Friedrich Wilhelm III. unterzeichnet und ging am 14.  Dezember 1800 an die untergeordneten Konsistorien; um einer Einheitlichkeit der Feierlichkeiten willen, wurde sie auch an die reformierten und katholischen Kirchen des Landes gerichtet.402 Darin wird verfügt, dass für die Predigten am Morgen wie auch am Nachmittag des 1. Januars 1801 ein „schicklicher Text“ zu wählen ist, mit dem „das Gefühl der Gemeinden für das gemeine Beste, für den Landesherrn, und für die treue Erfüllung der einem jeden obliegenden Pflichten“ belebt wird. In Bezug auf die Gebete wird ein feierliches Anfangsgebet gewünscht und ein ebensolches nach dem Vortrag sowie ein „Te Deum“403. Ortsereignisse des vergangenen Jahrhunderts mögen in der Predigt oder im Anschluss daran berichtet werden und, soweit es die Urkunden zulassen, auch eine Übersicht von der „Zu- und Abnahme der Bevölkerung des Ortes“ gegeben werden.404 Preußen hatte doppelten Anlass zu feiern, insofern der 18. Januar 1801 für Friedrich Wilhelm ein Thronjubiläum bedeutete. Anders als 1701, als man das neue Jahrhundert als „schmückendes Beiwerk des neuen Königsthrones“ be401 Von besonderen Feiern mit „lebenden Saecula“ wird aus Danzig, dem niederlausitzischen Triebel und Schneeberg berichtet. Vgl. hierzu Brendecke, Jahrhundertwenden, 184 f. 402 Vgl. ebd., 187 f. 403 Das „Te deum“, ursprünglich der lateinische Hymnus „Te deum laudamus“, schätzte­ Luther sehr. Er nannte es das „drit Symbolon oder Bekentnis“ (WA 50,265) und verfasste deutschsprachige Neubearbeitungen. Anhaltend beliebt war das sogenannte „deutsche Te deum“ von Ignaz Franz (1719–1790): „Großer Gott, wir loben dich“ sowie das „Nun danket alle Gott“ von Martin Rinckart (1586–1649). Vgl. Springer, Art. Te Deum, 27. Der ursprüngliche liturgische Ort dieses Hymnus ist der Schluss der Matutin (Nachtgebet im Stundenbuch) an Sonn- und Festtagen. Die Verwendung des Te Deum, zumal nun auf deutsch, blieb nicht auf den Gottesdienst beschränkt, wie an der Jahrhundertwendefeier zu sehen ist. Es wurde auch zu Siegesfeiern gesungen und bei politischen Feiern zum Ruhme eines Herrschers angestimmt. 404 Der ausführliche Wortlaut der Anordnung ist zu finden bei Brendecke, Jahrhundertwenden, 187. Hieraus die Zitate. Im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel wurde, vom Herzog geprüft, durch das Konsistorium ein Zirkular verteilt, das detaillierte Anordnungen für den besonderen Neujahrsgottesdienst traf. Es lagen drei Festgebete bei, es wurden die Lieder für die drei möglichen Neujahrsandachten (morgens, mittags, abends) bestimmt und jeweils vier – für die Frühandacht drei – Bibelstellen vorgeschlagen, aus denen ausgewählt werden konnte. Vgl. Brendecke, Jahrhundertwenden, 89. Im selben Schreiben erging die Aufforderung, dass die Prediger ihre Predigten zu dem besonderen Ereignis in leserlichen Abschriften an das Konsistorium senden sollten, wo sie zur Erinnerung aufbewahrt werden würden. So sind bis heute 182 Predigtmanuskripte erhalten. Sie sind im Landeskirchenamt Braunschweig aufbewahrt, in dem sich auch das Zirkular, datiert vom 19. Nov. 1800 (V 1160), befindet.

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grüsste, entschied sich Friedrich Wilhelm aber gegen eine Veranstaltung eigens zu seinen Ehren.405 Damit liess er zwar der Jahrhundertwende den Vortritt, sorgte aber, wie gesehen, für die Gestaltung der Feierlichkeiten nach den Bedürfnissen seiner Regierung. In einem Brief aus Berlin an seine Schwester Charlotte (14. Febr. 1801) hielt Schleiermacher fest, wie er den Jahrhundertwechsel erlebte: […] hier ist in der Nacht gar nichts feierliches gewesen, weder Glockenläuten noch Kanonendonner, und die meisten Menschen haben den Übergang trinkend oder spielend oder tanzend gemacht; von Bällen und Punschgesellschaften hörte man überall reden.406

Da Schleiermacher an dem Tag „nur nachmittags“ zu predigen hatte, nahm er an einem Gottesdienst im Dom teil, der so gut besucht war wie selten. Seine Bemerkungen zur Predigt, aber vor allem zum Gesang407, sind aufschlussreich: Der Hofprediger Stosch ist sonst einer unsrer besten Kanzelredner, aber an solch’ einem Tage erfüllt selten jemand die Erwartung der Menschen, und so ist es ihm auch ergangen. Nach der Predigt wurde das von Niemeyer veränderte ‚Herr Gott, Dich loben wir‘408 gesungen, aber da dachte ich wieder mit Seufzen an die Gemeine zurück. Weil das so selten gesungen wird, wusste kein Mensch Bescheid, die Leute warteten immer erst auf die Musik und die meisten wurden durch die Wiederholungen und Nachspiele so confus, dass sie um ganze Zeilen vor oder zurück waren.409

Für die Feier des besonderen Ereignisses der Jahrhundertwende in den Kirchen wurden eigens neue Lieder geschaffen, da die „gewöhnlichen Kirchenlieder“ für einen solchen Anlass nicht zu genügen schienen. So berichtet Sauer410, dass Pfarrer und auch Küster zur Feder griffen, wodurch eine „ehrsame Pastoren und Küsterpoesie“ entstand. Das Vorgehen der Dichter bestand darin, alte Gesang405 Vgl. Brendecke, Jahrhundertwenden, 188 f. 406 Schleiermacher, Leben: In Briefen, 227 f. 407 Dieser knapp wiedergegebene Eindruck von dem Gottesdienst im gefüllten Berliner Dom zeigt, dass es dort ein großes Interesse an der gottesdienstlichen Begleitung des Jahreswechsels oder eben in diesem Fall des Jahrhundertwechsels gab. Und Schleiermacher reflektiert darüber, was die aufklärerischen Veränderungen an den bekannten Gesängen für Konsequenzen haben: Er bemerkt, dass eine doppelte Verunsicherung entsteht. Zum einen, weil die Lieder zu dem Anlass sowieso selten gesungen werden, und zum anderen durch die Texteingriffe. Das gemeinsame Singen gerät darum durcheinander und wird schleppend. Es sind sicher Erfahrungen wie diese, die Schleiermacher dazu führen, an einem neuen Gesangbuch zu arbeiten, das Lieder wieder in der Form bietet, wie sie vor den aufklärerischen Eingriffen bestanden haben (Gesangbuch Berlin 1829). 408 Siehe „Schlussgebet und Segen“ im Anhang, Nr. 3. Es handelt sich um ein Te Deum (vgl. hierzu Fußnote 404 dieser Arbeit). 409 Schleiermacher, Leben: In Briefen, 227 f. 410 Sauer, Säculardichtungen, CIX .

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buchverse zu variieren und vor allem Psalmen als Quelle zu verwenden. Zudem war Gellert „das am meisten bewunderte und nachgeahmte Vorbild“, wobei aber auch viele „wohlgemeinte aber klägliche Verse“ zu dem Anlass entstanden.411 4.1.2

Silvestergottesdienste und „watch-nights“

Gottesdienste am Jahresende – zu Silvester – werden im ausgehenden 18. Jahrhundert zunehmend zur Gewohnheit. Dies liegt u. a. an den Totenfesten412, die vielerorts an diesem Tag abgehalten werden. Solch eine Feier ist bereits ab 1799 für Vilbel413 belegt, wo Pfarrer Bus halbjährlich am letzten Sonntag des Juni (zum Johannisfest) und des Dezembers (Silvester) entsprechende Gedenkgottes­ dienste abhielt.414 Das erste größere Gebiet, das schließlich förmlich einen „Silvestergottesdienst“ einführte und den Jahresschluss als Dankesfeier beging, war Bayern im Jahr 1818.415 Es mehren sich die Betrachtungen zum Jahresende, Jahresschlussgebete, Betstunden und Belege für Jahresschlusspredigten, wie Graff festhält.416 Entscheidend für die weitere Ausbreitung der Altjahresandachten ist wohl die allgemeine Erlaubnis solcher Feiern, die 1843 in Preußen erteilt wird.417

411 Ebd.; sowohl die Lieder von Christian Fürchtegott Gellert als auch von Friedrich Gottlieb Klopstock haben großen Einfluss auf die Kirchenliedproduktion der Zeit. 412 Es sind Feiern gemeint, in denen die Namen der Verstorbenen – einschließlich der Gefallenen der Kriege – verlesen werden: „Daß man solche Feiern ‚Totenfeier‘ oder ‚Totenfest‘ nannte, hängt damit zusammen, daß im 18. Jahrh. für Beerdigungen oder Leichenfeier häufig ‚Totenfeier‘ gesagt wurde.“ Graff, Geschichte der Auflösung, Bd. 2, 87. Einen anderen Termin zur Verlesung der Namen von Verstorbenen wählte Breitenstein, der in seiner Liturgie (Halle 1804) hierfür den Karfreitag vorsah. Vgl. Wagnitz, Liturgisches Journal IV., 91. 413 Bus, Beyträge zur Veredelung religiöser Feyerlichkeiten, Frankfurt a. M. 1802. Pfarrer Bus (ca. 1769–1814) schlägt zudem vor, den Silvestertag als Bußtag zu begehen – und diesen an Stelle von mehreren Tagen im Jahr zum einzigen Bußtag zu machen (vgl. ebd., II, 109). Er weist damit auf ein Problem hin, das ab Mitte des 19. Jahrhunderts nach einer Lösung sucht: Die Vielzahl der Bußtage, noch dazu in den deutschen Ländern unterschiedliche, führt dazu, dass ein einheitlicher Buß- und Bettag angestrebt wird. Der Terminvorschlag ist allerdings nicht Silvester, wie bei Bus, sondern der Mittwoch vor dem letzten Sonntag im Kirchenjahr; einheitlicher Feiertag wird dieser Termin per Gesetz dann erst 1934. 414 Vgl. Graff, Geschichte der Auflösung, Bd. 2, 86. Später hielt Pfarrer Bus die Feiern am Sonntag nach Ostern und dem letzten Sonntag im September, an denen die Witterung nicht so rau war, wie im Dezember. Durch den Frühlings- und Herbsttermin wurde auch eher der Bezug zu Sterben und Auferstehen hergestellt. Vgl. ebd. 415 Der Gottesdienst wird veranstaltet „zur dankbaren Feyer des Jahresschlusses“. Vgl. Kreßel, Liturgie, 45. 416 Graff, Geschichte der Auflösung, Bd. 2, 97 f. 417 Vgl. Jacobson, Kirchenrecht des Preußischen Staates, 467.

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Geschichte und Entwicklung der kirchlichen Neujahrslieder

Den gottesdienstlichen Feiern am Jahreswechsel schreibt Schleiermacher eine besondere Eigenheit zu. So bietet für ihn der Neujahrstag mit Gottesdienst und Predigt die Gelegenheit, das bürgerliche Leben überhaupt auf religiöse Weise zu behandeln und einen Begriff der Zeit, wie er als Wechsel Eindruck in das Gemüth macht; wir haben so einen eigenthümlichen Stoff und eine Opposition dagegen würde an unrechter Stelle sein.418

Lebensgestaltung und das Thema Zeit und Zeitenwechsel stehen für Schleiermacher hier also im Vordergrund. Mit dieser Sichtweise steht er der vieler zeitgenössischer Theologen entgegen. So hält z. B. Alexander Schweizer (1808–1888) das Neujahrsfest weiterhin für ein Christusfest, wenn ihm die Beschneidung auch eher ein Relikt der Liturgiegeschichte zu sein scheint. Schweizer möchte das Neujahrsfest stärker in den Weihnachtsfestkreis eingliedern, indem dem Fest durch die Fortwirkung des Weihnachtsfestes sein kirchlicher Charakter verliehen werde.419 Ganz in der bisherigen liturgischen Tradition stehend betont Christian Palmer (1811–1875) ein Dreifaches: Dass das Neujahrsfest sowohl Oktavtag zu Weihnachten als auch Beschneidungs- wie auch Namensfest Jesu ist.420 Mit der Zeit mehren sich jedoch Stimmen wie die Schleiermachers, die das Neujahrsfest in der Kirche immer mehr ereignisbezogen verstehen. Dementsprechend werden nun auch die Gottesdienste und Predigten gestaltet. Gegen Mitte des Jahrhunderts bemerkt Palmer, dass das Fest immer mehr mit „Casuellem“ verschmolzen sei.421 Die Positionen in der Bewertung des Festgegenstandes für das neue bürgerliche Jahr in der Kirche sind somit uneinheitlich. Die Spannung, die sich hier auftut, wird sich halten und weiter für Diskussionen sorgen. Eine besondere christliche Feierform der Silvesternacht entsteht in dieser Zeit in England und hierzu werden auch viele eigene Lieder geschaffen. Der besonderen Form und des eigenen Liedguts wegen ist dies an dieser Stelle erwähnenswert: Besondere Altjahresgottesdienste werden durch John Wesley eingeführt. Die sogenannten „Watch-nights“ der Methodisten422. Diese werden besonders in der Nacht hin zum Beginn des neuen Jahres gefeiert. Sie haben ihre Wurzeln in der Gemeinschaft in Herrenhut. Diese entwickelte die spezielle Form einer 418 Schleiermacher, Praktische Theologie, 153. 419 Vgl. Schweizer, Homiletik, 243. 420 Vgl. Palmer, Homiletik, 226. 421 Vgl. ebd., 121. 422 Für den Hinweis auf die Tradition der „watch-nights“ danke ich Pfarrerin Esther Handschin/Salzburg.

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nächtlichen Gebets-Vigil423, die John Wesley wohl zu monatlichen nächtlichen Gebetswachen an Freitagabenden inspirierte.424 Den Ursprung der methodistischen Watch-nights sieht Chapman hingegen in informellen Gottesdiensten mit Lobpreis, Gebet und Liedgesang zu später Stunde, die sich um 1740 bei den Bergarbeitern von Kingswood (bei Bristol) als geistliche Alternative zum Wirtshausbesuch entwickelt haben dürften.425 Wesley selbst schätzte die monatlichen Watch-nights sehr, da sie seiner Meinung nach das geistliche Wachstum der Methodisten beförderten, und zahlreiche Tagebucheinträge zeigen, dass er die Zusammenkünfte als sehr feierliche Anlässe wahrnahm und als eine große Ermutigung für die Anwesenden.426 Später (nur noch) vierteljährlich abgehalten, wurden die Watch-nights mit dem „Quaterly meeting“ oder dem Fastentag verbunden. Dass sie sich durch die Zeit als Feierform hielten, liegt an der Verbindung mit der Nacht vom alten zum neuen Jahr: Im Britischen Methodismus gibt es weiterhin Watch-nights am Silvesterabend, die als Alternative zu den säkularen Feierlichkeiten abgehalten werden und sich, wie Chapman notiert, wieder eines wachsenden Interesses erfreuen.427 Die Watch-nights der amerikanischen Methodisten finden zu Weihnachten und Silvester statt428 und haben gerade in afrikanischen Gemeinden der USA einen besonderen historischen Hintergrund.429 423 Ihren Anfang nahmen die Herrenhuter Nachtwachen in der Nacht vom 21.  auf den 22. Mai 1727. Die „Herrschaftlichen Ge- und Verbote“ sahen diese für die Männer im Alter von 16 bis 60 Jahren vor. Einige von ihnen hielten die Nachtwachen mit Gebet und Gesang an sechs verschiedenen Plätzen, während die anderen Herrenhuter schliefen. Vgl. Modrow, Zinzendorf und die Brüdergemeine, 45 f. 424 Vgl. Chapman, Methodist Worship, 151 f. Es ist möglich, dass Wesley diese Form von Gottesdiensten bei einer Reise nach Deutschland 1738 kennenlernte. Jedenfalls stand er mit den Herrenhutern in Kontakt. Aus den Aufzeichnungen eines Londoner Buchhändlers, James Lackington, erfahren wir Näheres über den Gottesdienstverlauf. Die Gottesdienste, denen er beigewohnt haben muss, begannen abends um sieben Uhr mit dem Singen von Liedern. Es folgten Gebet, Predigt, wieder Gesang, Gebet, eine Ermahnung und danach abwechselnd Gesang und Gebet bis Mitternacht. Vgl. Lackington, Memoirs, 61. 425 Vgl. ebd., 151. Die nächtlichen Versammlungen riefen Wesleys Gegner auf den Plan, mit Gerüchten, was bei den nächtlichen Versammlungen wohl geschehe. Die Treffen fanden stets an einem Freitag in zeitlicher Nähe zum Vollmond – davor oder danach – statt, was suspekt gewesen sein muss. Dies hatte allerdings den Grund allein darin, dass die Teilnehmer in der hellen Nacht gut nach Hause kommen sollten. Vgl. Chapman, Methodist Worship, 153. 426 Vgl. Chapman, Methodist Worship, 154. 427 Ebd., 156. 428 „In America, watch-nights have been confined to two evenings in the year – Christmas and New Year’s eve – and are usually seasons of great spiritual profit.“ Gorrie, Episcopal Methodism, 311. 429 In Afrikanischen Gemeinden der USA haben die watch nights am Jahresende bis heute eine starke Tradition. Den Gottesdiensten kommt als Familienereignis mancherorts eine höhere Bedeutung zu als dem Weihnachtsfest. Diese Betonung des Festes gründet

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Geschichte und Entwicklung der kirchlichen Neujahrslieder

Charles Wesleys Lieder und weitere Lieder der Methodisten für die Watchnights am Silvesterabend wären eine eigene Untersuchung wert.430 Die Gesang­ bücher der deutschsprachigen Methodisten ab Mitte des 19.  Jahrhunderts enthalten Lieder von Charles Wesley, ins Deutsche übertragen, aber auch deutschsprachige Neujahrslieder, wie sie bereits besprochen wurden (z. B. Lava­ters „Ach, wiederum ein Jahr verschwunden“ und Rists „Hilf, Herr Jesu“ in der Zionsharfe von 1878431). Hinzu kommen Lieder für die „Bundeserneuerung“, eine Taufbestätigungsfeier (Covenant service) am ersten Sonntag des neuen Jahres.

4.2

Aspekte der Entwicklung der Gesangbuchrubrik

Die Gesangbücher im 19. Jahrhundert zeichnen sich durch eine Zweibahnigkeit aus, indem in den Stammteilen bevorzugt Lieder des 16. und 17. Jahrhunderts und in Anhängen die neueren Gesänge (pietistisch und neupietistisch) präsentiert werden, häufig auch „Geistliche Volkslieder“432 genannt.433 Zudem entspreauf einem geschichtlichen Ereignis. Es wird an den sogenannten „freedom’s eve“ von 1862 erinnert. Abraham Lincoln hatte am 22.  September 1862 die „Emanzipations-­ Proklamation“ unterzeichnet, die am 1. Januar 1863 in Kraft getreten ist. Lincoln weist an: „… I do order and declare that all persons held as slaves within said designated States [Anm.: die Südstaaten] and parts of States are, and henceforward shall be, free; and that the Executive Government of the United States, including the military and naval authorities thereof, will recognize and maintain the freedom of said persons.“ Um die bisherigen Sklavenhalter vor Gegengewalt zu schützen, hält er außerdem fest: „And I hereby enjoin upon the people so declares to be free to obstain from all violence, unless in necessary self-defence; and I recommend to them that, in all case when allowed, they­ labor faithfully for reasonable wages.“ Lincoln, Writings and Speeches, 168. Die Emanzipations-Proklamation war der erste Schritt zur Abschaffung der Sklaverei in Amerika und brachte vielen Schwarzen die Freiheit. Damals versammelten sich Mitglieder der black communities zu einer Nachtwache, um gemeinsam den Jahresbeginn zu erwarten und mit Gebet, Predigt und Gesang dem Tag entgegenzugehen, der die Freiheit versprach. Ein entsprechendes Lied, das zu diesen Gottesdiensten gesungen wird, ist „We can be free and we can sing – let freedom ring“. 430 Charles Wesleys Hymnen für die besonderen Nachtgottesdienste wurden in Einzelzusam­ menstellungen veröffentlicht: Elf Lieder stehen in der Sammlung „Hymns for the WatchNight“ (1746) und weitere sieben finden sich in den „Hymns for New Year’s Day“ (1749). 431 Zionsharfe. Gesangbuch für die deutschen Wesleyanischen Methodisten. Cannstatt 1878. 432 Zu den Schwierigkeiten des Begriffes „Geistliches Volkslied“ in Abgrenzung zum Kirchenlied vgl. Wolfgang Suppan, Volkslied. Seine Sammlung und Erforschung, Stuttgart 21978, 33. Bezogen auf das neue Jahr entstehen einige geistliche Volkslieder als „typische Kunstprodukte“, die dann v. a. über Schulbücher Verbreitung finden. Vgl. Siuts, Ansinge­lieder, 28.  433 Vgl. Bunners, Gesangbuch, 138. Bunners führt aus, dass die Fachhymnologen der Zeit unter „Kirchenlied“ nur das Lied für den Gebrauch im Gottesdienst fassen wollten,­ wodurch ein „Strukturzwang“ entstand. Erweckliche Lieder mit individueller Got-

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chen liturgisch ausgerichtete Gesangbücher nicht mehr den Singanforderungen, die sich aus neuen sozialen Formierungen innerhalb des Christentums ergeben. Um diesen Bedarf zu decken entstehen nun Liederbücher beispielsweise für die Sonntagsschularbeit, die Äussere Mission, den Christlichen Verein Junger Männer (CVJM), für Einrichtungen der Inneren Mission, die Evangelische Allianz und auch Jünglings- und Jungfrauenvereine.434 Es kommen verschiedene Entwicklungen zusammen, die Gesangbuchheraus­ geber veranlassen, bei den Gesangbüchern insgesamt, wie bei der Rubrik Neujahrslieder im Besonderen, umfassende Veränderungen vorzunehmen. Den Forderungen der Aufklärung nach Ratio folgend wird eine Vereinfachung der Liedtexte angestrebt. Emotionen und Empfindungen stehen dem Verstand nur scheinbar als Gegensatz gegenüber; es geht nunmehr darum, Empfindungen mit dem Verstand nachzuvollziehen. Die Anpassungen von Kirchenliedern sind kein neues Phänomen435, allerdings geschah dies bisher in geringerem Maße. Jetzt werden ganze Liedtypen aussortiert, Lieder sprachlich angepasst wie auch theologisch verändert436. Mystische Lieder sind die Verlierer, wenn der Maßstab von Rationalität angelegt wird und finden keine Berücksichtigung mehr. Insgesamt werden neue Lieder bei der Auswahl bevorzugt. Der Melodiebestand wird auf die bekanntesten reduziert. Dies geschieht unter anderem deshalb, um die Konzentration beim Singen auf die noch unbekannten437 oder stark veränderten Texte zu richten. Rationalistischen Theologen stoßen Liedpassagen auf, die eine Wunden- und Bluttheologie transportieren. So werden Erwähnungen des Blutes Christi in ihren Gesangbüchern aus sprachlichen Gründen (es wird mehr abstrakt als konkret formuliert) und aus theologischen Erwägungen (es bestehen Vorbehalte gegen die Satisfaktionslehre) weitgehend getilgt.438 tesbeziehung oder missionarische Lieder entsprachen dem Kriterium kaum. Die Einschätzung der Fachhymnologen, die Liedauswahl betreffend, stand jedoch häufig im Gegensatz zur Meinung der Gemeindeglieder. Vgl. ebd., 138 f. 434 Vgl. ebd., 139. 435 Gesangbücher sind spätestens seit Mitte des 17. Jahrhunderts Medien, die kontinuierlich überarbeitet und modifiziert werden. Vgl. Barbara Stroeve, Gesungene Aufklärung, Untersuchungen zu nordwestdeutschen Gesangbuchreformen im späten 18. Jahrhundert. Oldenburg 2005, 66. 436 Kurzke stellt Kriterien zusammen, die den Eingriffen und Veränderungen zu Grunde lagen. Vgl. Kurzke, Aufklärung und ihre Folgen, 156 f. 437 Blankenburg stellt fest, dass man seitdem „nahezu ausschließlich von dem überkommenen Melodiengut“ lebte. Blankenburg, Geschichte der Melodien, 111. 438 Vgl. Schneider, Christi Blut, 741. Schneider führt aus, dass jedoch die Erweckungsbewegung unbeeindruckt von der aufklärerischen Kritik auf die Tradition des 17./18. Jahrhunderts zurückgriff, von Christi Blut zu sprechen. Die Betonung des Blutes Christi, wie sie dann in der deutschen Gemeinschaftsbewegung zu finden ist, geht jedoch auf angelsächsische Wurzeln zurück. Vgl. ebd.

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Geschichte und Entwicklung der kirchlichen Neujahrslieder

Das ist dann auch der Zeitpunkt, ab dem sich die Beschneidungslieder gleich in zweifacher Hinsicht nicht mehr halten können. Denn zum einen sind sie mit der Bluttheologie verbunden (das erste Blut, das Jesus vergießt), zum anderen unterliegen sie einem „Sexualtabu“. Die Rubrizierung der Gesangbücher erfolgt zunehmend nicht nach dogma­ tischen Loci, sondern es geht um den Kasus, zu dem die Lieder benötigt werden. Die Lieder sollen für die bestimmten Situationen auffindbar gemacht werden.439 Die nach aufklärerischen Kriterien erstellten Gesangbücher geraten ab der Mitte des Jahrhunderts in die Kritik.440 Die Rückbesinnung auf die Lieder der Reformation kommt durch kirchenpolitische Entwicklungen voran. Im Nachgang zum Wiener Kongress gibt es Bemühungen um die Neuordnung der evangelischen Landeskirchen441, die auch Einfluss auf die Gesangbuchproduktion haben. So wird von den Landeskirchen 1852 ein gemeinsames Reformgesangbuch442 herausgegeben, das 150 sogenannte Kernlieder enthält. Die Zusammenstellung ist Ausdruck der Bestrebung, sowohl die Lieder der Reformation zurückzugewinnen443 als auch ein einheitliches Liedgut zusammenzutragen, das das Verbindende herausstellt. Innerhalb der Gesangbuch-Systematiken kommen die Lieder zum Jahreswechsel bzw. Neuen Jahr an unterschiedlicher Stelle zu stehen. So präsentiert z. B. Stuttgart 1819 im Anschluss an Weihnachten ein Lied zur „Beschneidung Christi“444, 439 Vgl. Lorbeer, Sterbe- und Ewigkeitslieder, 155. 440 Es wird von einer „Gesangbuchnot“ gesprochen (so der Titel einer Streitschrift von Rudolph Stier, Leipzig 1838) und es entwickeln sich heftige Debatten über das aufklärerische Liedgut, das die Anbindung an die Tradition gekappt hatte. In der Rückbesinnung auf die Reformation preist beispielsweise Ernst Moritz Arndt den Reformator Martin Luther und hält die neuen Lieder für wässrig und unkräftig; vgl. Arndt, Vom Wort und dem Kirchenliede, 28. Mit der Einschätzung Karl von Raumers (1783–1865) beginnt eine Sicht auf die Kirchenliedtradition, die das reformatorische Liedgut zum Ideal erhebt und alles später Entstehende in eine Verfallsgeschichte einreiht. (vgl. Völker, Art. Gesangbuch, 557). Diese Sicht beeinflusst auch die nachfolgende Hymnologie bis ins 20. Jahrhundert. 441 1851 führten die Bemühungen zu einem „Deutschen Kirchentag“ in Elberfeld und dann zur „Eisenacher Konferenz“ im Jahr 1852. Vgl. Rössler, Art. Gesangbuch, 1315–1320. 442 Unter dem Titel: Deutsches evangelisches Kirchengesangbuch in 150 Kernliedern, Stuttgart und Augsburg 1854 [Faksimile Köln 1995]. Es war als gemeinsame Basis für künftige landeskirchliche Gesangbücher und Provinzialgesangbücher gedacht. Somit war es kein eigentliches Gesangbuch sondern bildete die Vorstufe für ein gemeinsames Gesangbuch. 443 Vgl. Tiggermann, Bedeutung des Singens, 119. 444 Das Lied ist erwähnenswert, ist es doch eines, das Jesus als Heiland aller Völker, besonders aber der Juden und Heiden vorstellt: „Gott ist der juden Gott / Und auch der Gott der heiden; / Denn Gottes Sohn erlöst / Die juden und die heiden. / Acht tage erst ein kind, / Ehrt er schon mosis recht, / bestärkt den bund des Herrn, / und heiligt sein geschlecht.“ Die Strophen 3 und 4 sprechen Juden wie Heiden in missionarischer Absicht an und thematisieren eine „Verstocktheit“ der Juden, indem sie in eine Fürbitte mün-

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während der „Jahreswechsel“ (mit „Neujahrslieder“ in einer Klammer und kleiner direkt daruntergedruckt) separiert ist und sich weit hinten im Gesangbuch befindet. Man hat hier die Gesänge den „Zeit- und Zufallsliedern“ zugeordnet.445 Schoeberleins446 Zusammenstellung „Kirchliche Chorgesänge auf alle Festund Feiertage des Jahres“ (1868) präsentiert eine Vielzahl von Gesängen zum Jahreswechsel, wobei zwischen Liedern zum Jahresschluss und zum Jahresanfang unterschieden wird. Der Jahresschluss wird in sich aufgeteilt in „Lob und Danklieder“ und „Lieder von der Vergänglichkeit“. Die Lieder zum Jahresanfang umfassen ebenfalls zweigeteilt „Lieder von der Beschneidung und dem Namen Jesu“ sowie „Bitt- und Loblieder“.447 Zudem gibt Schoeberlein eine kleine Einführung zu dem Abschnitt „Neujahr“, in der er beschreibt, dass weiterhin Uneinigkeit über die Verbindung der traditionellen Festbestimmung Beschneidung und Namengebung Jesu Christ mit dem Kalenderjahresbeginn herrscht.448 Er selbst sieht den Bezug zu Weihnachten in der Oktav weiterhin gegeben. Dies zeigt sich in einem Verweis auf die Weihnachtslieder449; er wählt die Methode des Verweises, um die Weihnachtslieder an dieser Stelle nicht wiederholen zu müssen. Das Bewusstsein für die Differenz zwischen „bürgerlichem Jahr“ und „Kirchenjahr“ nimmt zu. Da der Beginn von beiden Jahresrechnungen privat wie auch gottesdienstlich begangen wird, unterscheiden manche Gesangbücher zwischen entsprechenden Rubriken. So differenziert z. B. Gotha 1828 im dritten Hauptteil unter „Lieder bei besonderen Gelegenheiten“:

den: 3)„Volk jakobs, nimm ihn an! / O nehmt ihn an, ihr heiden! / Vergebung bringet er / Und seines reiches freuden. / Verkündigt wird nun mehr / sein evangelium, / Gepredigt wird sein lob, / des Welterretters ruhm!“ 4) „Doch abrahams geschlecht /  Verwirft ihn, will nicht wissen / Wer sein erlöser ist, / Und irrt in finsternissen! /  Wie traurig: Gott du hast / So viel für uns gethan; / ach nimm auch israels / Verirrte kinder an!“ 445 Ebenso unterteilt z. B. auch Halle 1842. Lieder „Auf das Fest der Beschneidung und des Namens Jesu“ stehen gleich im Anschluss an die Weihnachtsliederrubrik (ab Seite 23), versehen mit der Bemerkung in Klammern: Vergleiche Neujahrslieder. „Jahreswechsel (Auf das Fest des bürgerlichen Neujahrs)“ heißt dann eine weitere Rubrik (ab Seite 115). 446 Ludwig Schoeberlein (1813–1881) war als Professor für Systematik und Liturgik an der Universität Göttingen und Mitglied der liturgischen Kommission wie auch Gesangbuch-Kommission sehr daran interessiert, die Liturgie in der Lutherischen Kirche, v. a. der Hannoverschen Landeskirche, zu beleben. 447 Vgl. Schoeberlein/Riegel, Chorgesänge, 170–218. 448 „Wir finden es ganz angemessen, daß in der Feier des Neujahrstages mit dem Gesichtspunkte der Beschneidung Jesu, woran sich die Namengebung unmittelbar anschließt, auch die Beziehung auf den Schluss des alten und den Anfang des neuen Jahres verbunden werde. Bildet doch die Namengebung auch den passendsten Anknüpfungspunkt für die rechte Feier des Jahresanfangs.“ Ebd., 171. 449 Ebd.

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Geschichte und Entwicklung der kirchlichen Neujahrslieder

I) Lieder bei besonderen kirchlichen Dingen und Handlungen 1) Kirchenjahr450; 2) Am Schlusse des bürgerlichen Jahres; 3) Neujahr.

Im Gesangbuch Dresden 1837 wird der Jahreswechsel (Lieder 775–786) unter „Verhalten zu besonderen Festzeiten“ eingeordnet. Zu ihm gehören sowohl Jahresschlusslieder wie auch Neujahrslieder. Gleich darauf folgt die Rubrik „Beschluß des Jahres“ (Lieder 787 und 788). Sie doppelt hier nicht nach, sondern enthält zwei Lieder, die auf das Ende eines Lebensjahres zu singen sind – also vor oder zu einem Geburtstag.451 Darauf folgen Lieder „Bei dem Anfange und Beschlusse des Kirchenjahres“452 (Lieder 789–792), wobei hier nicht nur „neue“ Lieder zu finden sind, sondern auch das „Hilf, Herr, lass es wohlgelingen“, das bisher überwiegend als Neujahrslied453 angesehen und dementsprechend ein­ geordnet wurde. Das bekannteste Silvesterlied der Zeit ist „Wie bald ist doch ein Jahr vergangen“ (z. B. im GB von Osnabrück 1816) von J. C. Lavater; weite Verbreitung haben auch die Lieder von Johann Heinrich Voß „Des Jahres letzte Stunde“ und „Das Jahr ist hingeschwunden“.454 Weitere Lieder sind z. B. „Wir treten in das neue Jahr“ von Samuel Preiswerk (1844) und das bis heute gesungene455 „Lobpreiset all zu dieser Zeit“ von Heinrich Bone (1852). Häufig wird auf bekannte Melodien ein neuer Text gedichtet, so als Beispiel der Text des Juristen und Politikers Christian Ludwig von Pfeil (1712–1784) zu „Liebster Jesu, wir sind hier“: 1. Segnet uns zu guterletzt auch noch dieses Jahres Ende! Segnet künftig, segnet jetzt, o ihr treuen Jesushände; segnet, daß an Leib und Seele niemand etwas Gutes fehle.

450 Zum Kirchenjahr ist hier nur ein Lied verzeichnet: „Fest steht dein Wort, wie Felsen stehen“. In Lübben 1820 hiess es: „Vest steht dein Bund, wie Felsen stehen“, das der Herkunftsangabe nach aus dem Hanauer Gesangbuch übernommen wurde. In Königsberg 1859 heißt es schließlich: „Fest steht mein Bund, wie Felsen stehen“ (Hervorheb. durch die Vf.in). 451 Es sind dies: „Schon wieder eilt von unsrer Zeit ein Lebensjahr dahin“ und „Ewig und unwandelbar, Gott ist deine Gnade“. 452 Nr. 789 „Nun kommt das neue Kirchenjahr“ ist schon in PPM 1703 vorhanden. Als zugehörige Melodie wird angegeben: Das alte Jahr vergangen ist. Vgl. Dresden 1837, 836. 453 Es handelt sich um eine vierstrophige, textlich leicht veränderte Version des „Hilf, Herr Jesu, lass gelingen“ von Johannes Rist. 454 Vgl. Graff, Geschichte der Auflösung, Bd. 2, 99. 455 Im GL 158 und im EG R/W/L 550; hier sind die Strophen 1+2 nach Heinrich Bone.

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2. Helft, so wir gefallen sind, helft uns, wieder aufzustehen; lehrt uns treulich und geschwind in den Wegen Jesu gehen, daß an Weisheit, Gnad und Segen wir auch täglich wachsen mögen. 3. Ja, versiegelt dieses noch, o ihr treuen Jesushände, am Beschluß des Jahres doch, daß wir alle bis ans Ende Glauben immer fester fassen, nicht von ihm uns trennen lassen. (Magdeburger Gesangbuch 1887)456

Es setzt sich fort, dass Gedichte, die ursprünglich als Gelegenheitsgedichte zum Anlass des neuen Jahres entstanden, mit Melodien versehen werden und als ursprünglich private Dichtung eine Öffentlichkeit erhalten. Ein interessantes Beispiel der Zeit um die Jahrhundertwende ist das rasch volkstümlich457 gewordene Neujahrslied „Des Jahres letzte Stunde“ von Johann Heinrich Voss (1751–1826) mit einer Melodie von Johann Abraham Peter Schulz458 (1747–1800). Von der Familie des Schriftstellers Theodor Storm (1817–1888) wissen wir, dass sie das Lied regelmäßig am Silvesterabend um Mitternacht gesungen hat.459

456 Evangelisches Gesangbuch für die Provinz Sachsen. Auf Beschluß der Provinzialsynode ausgearbeitet und herausgegeben mit Genehmigung der kirchlichen Behörden, Magde­ burg [Hofbuchdruckerei von Karl Friese] 1887. Das Lied befindet sich unter: A. Festlieder, III . Neujahr. Im Gesangbuch sollen die besten aus mehr als 100 Gesangbüchern, Theologischen Büchern und Poetischen Schriften ausgewählten Lieder zusammenstehen. Gesichtet wurden hierfür Bücher der Städte Hannover, Zelle und Stade. Vgl. § 4 der Vorrede. 457 Auch in Kommersbücher der Burschenschaften hält das Lied Einzug. So ist es im Allgemeinen Deutschen Commersbuch von 1858 vertreten, das 2008 in der 165. Auflage erschien. Das Commersbuch von 1867 führt Voß’s Lied unter Studentenliedern, nicht unter Volksliedern auf. Vgl. Schauenburg, Allgemeines deutsches Commersbuch, 176; Nr. 39. 458 Von Schulz stammen auch die bekannten Melodien zum Abendlied des Matthias Claudius „Der Mond ist aufgegangen“ oder zum Weihnachtslied „Ihr Kinderlein, kommet“. Die Melodie entstand während seiner Zeit in Kopenhagen, und das Lied „gehörte anscheinend ein Jahrhundert lang zum festen Silvesterbrauchtum im norddeutschen Bürgertum“. Lohmeier, Kopenhagen, 89. 459 „Am Sylvesterabende versammelten sich alle bei Johannes Storm, um bei einem Glase Punsch den Zwölfuhrschlag vom alten Kirchturme zu erwarten. Einer stand am Fenster und hielt dessen Flügel etwas geöffnet. Wenn der erste Schlag erdröhnte, stimmten alle das Lied von Johann Heinrich Voß an … nach dessen Beendigung sie sich die Hände reichten.“ Storm, Theodor Storm, 201.

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Geschichte und Entwicklung der kirchlichen Neujahrslieder

[1.] Des Jahres letzte Stunde ertönt mit ernstem Schlag trinkt, Brüder, in die Runde und wünscht ihm Segen nach! Zu jenen grauen Jahren entfliegt es, welche waren es brachte Freud’ und Kummer viel und führt’ uns näher an das Ziel. [2.] In stetem Wechsel kreiset Die flügelschnelle Zeit: Sie blühet, altert, greiset und wird Vergessenheit. Kaum stammeln dunkle Schriften auf ihren morschen Grüften, und Schönheit, Reichthum, Ehr’ und Macht sinkt mit der Zeit in öde Nacht. [3.] Sind wir noch alle lebend, wer heute vor dem Jahr, in Liebesfülle strebend mit Freuden fröhlich war? Ach, mancher ist geschieden und liegt und schläft in Frieden! Klingt an und wünschet Ruh’ hinab in unsrer Freunde stilles Grab!

[4.] Wer weiss, wie mancher modert ums Jahr, versenkt ins Grab! Unangemeldet fordert der Tod die Menschen ab. Trotz lauem Frühlingswetter wehn oft verwelkte Blätter. Wer von uns nachbleibt, wünscht dem Freund im stillen Grabe Ruh’ und weint. [5.] Der gute Mann nur schliesset die Augen ruhig zu; Mit frohem Traum versüsset ihm Gott des Grabes Ruh’. Er schlummert leichten Schlummer nach dieses Lebens Kummer; dann weckt ihn Gott, von Glanz erhellt zur Wonne seiner bessern Welt. [6.] Auf, Brüder, frohen Mutes auch wenn uns Trennung droht! Wer gut ist, findet Gutes im Leben und im Tod. Dort sammeln wir uns wieder und singen Wonnelieder. Klingt an, und: Gut sein immerdar! sei unser Wunsch zum neuen Jahr.

Es wird auch zum Lesestoff für Gymnasiasten, weshalb Johann Gabriel Seidl es 1850 für den Unterricht ausführlich bespricht. In seiner Bewertung eigne sich das Lied „seines feierlichen, wahrhaft religiösen Tones wegen, zum Kirchgesange“. Seidl weist darauf hin, dass es aus diesem Grund von fremden Händen umgetextet und in Gesangbücher übernommen wurde.460 Doch auch Voss selbst hat, einer Bitte Gerhard Anton von Hamelns folgend461, aus seinem Lied eine Kirchenliedfassung462 gemacht – die bereits 1791 im Oldenburgischen Gesangbuch463 erschien.

460 Seidl, Erklärung, 250. So ist es beispielsweise im Gesangbuch von Wien 1826 unter der Nr. 568 zu finden. 461 Vgl. Müller, Vossens Kirchenlieder, 7. 462 Die beiden Textversionen im Vergleich befinden sich im Anhang, 1. Liedtexte, Nr. 1. 463 Gesangbuch zur öffentlichen und häuslichen Andacht für das Herzogthum Oldenburg. Nebst einem Anhange von Gebeten. Z P Z Oldenburg, 1791. Gedruckt und verlegt von Gerhard Stalling, privil. Buchdrucker.

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Er musste hierzu die Situation „neutralisieren“, da die Szenerie einer fröhlichen Trinkrunde nicht dem Gesang der andächtig versammelten Gemeinde entsprach. Der Beginn der ersten Strophe lautet in der neuen Fassung in eigener Melodie: Das Jahr ist hingeschwunden, Wie Schaum im wilden Bach. Denkt seinen heitern Stunden, Denkt seinen trüben nach.

Eine weitere große Veränderung zeigt sich im Vergleich der Texte, indem Voss die Gedanken nun nicht mehr auf das scheidende Jahr und die dahinfliegende Zeit sondern auf die Vergänglichkeit und das Sterben der Menschen bezieht. So lautet die zweite Strophe abgewandelt: Im steten wechsel kreiset Des menschen kurze zeit; Er blühet, altert, greiset, Und geht zur ewigkeit. Bald schwinden selbst die schriften Auf seinen morschen grüften; Und schönheit, reichthum, ehr’ und macht Sinkt mit hinab in todesnacht.

Der religiöse Ton, den Seidl bereits beim Original festgestellt hat, wird durch die Abwandlung verstärkt und kommt dabei doch ohne große theologische oder christologische Textveränderungen aus. Mit der Betonung der Vergänglichkeit des Menschen klingen biblische Texte, wie Psalm 90, und in der Beschreibung und dem Bedenken der Zeit das sogenannte „Zeitlied“ aus Kohelet 3 an. In der 5. Strophe wird der Auferstehungshoffnung Ausdruck gegeben, während die letzte Strophe dazu anhält, ein tadelloses Leben zu führen. Der Wunsch nach „Gut-Sein“ entspricht dem aufklärerischen Streben nach Humanität. In den humanistischen Gymnasien, die im Rahmen der Humboldtschen Bildungsreform in diesem Jahrhundert entstehen, ist der Text als Lesestoff darum wohl so willkommen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass mit dem 19. Jahrhundert in der Gesangbuchrubrik „Neujahr“ die größten Veränderungen auftreten. Dies zeigt sich in einer Verlagerung der Thematik: Das Thema „Zeit“ rückt allgemein in den Fokus, während Namengebung und vor allem Beschneidung Jesu in den Hintergrund treten. In der Bewertung der Lieder, um sie Rubriken zuzuordnen, kommen sie so zunehmend bei den „Zeit und Zufallsliedern“ zu stehen. In den Gesangbuchsystematiken spiegelt sich, dass die Zeit in der Wahrnehmung ausdifferenzierte Erwähnung findet: Das bürgerliche wird vom kirchlichen Jahr unterschieden, indem beide Jahresanfänge aufgeführt werden. Neujahr gliedert © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525624364 — ISBN E-Book: 9783647624365

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Geschichte und Entwicklung der kirchlichen Neujahrslieder

sich nun in Altjahresabend und Neujahrsmorgen. Durch die Kategorisierung als „Zeitlieder“ werden die Lieder zu beiden Anlässen nicht mehr als in den Weihnachtsfestkreis eingebettet verstanden sondern stehen bei anderen Zeitliedern, wie denen zu „Morgen“, „Mittag“ und „Abend“. Indem sie am Ende oder Anfang eines neuen Jahres zu singen sind, haben die Lieder auch eine große Ähnlichkeit mit Liedern zu Geburtstagen. Die separierte Stellung, losgelöst von den Weihnachtsliedern, lässt sich dadurch erklären, dass die Gesangbücher der Zeit vorwiegend der persönlichen Erbauung und Hausandacht dienen. Die Lieder sollen für den privaten Benutzer leicht auffindbar sein. Die Krise in der Kirchenmusik zu Beginn des 19. Jahrhunderts464 befördert auch ein abnehmendes Wissen um das Kirchenjahr – selbst in lutherischen Regionen. Dies ist wohl mit ein Grund, warum die Lieder häufiger nach Inhalten als nach dem Kirchenjahresablauf sortiert und präsentiert werden. Durch die Aufnahme von geistlichen Liedern in Gesangbuchanhänge treffen nun die bisher parallel verlaufenden Linien von weltlichen und kirchlichen Neujahrsliedern zusammen.

4.3

Exemplarische Liedanalyse

Aus dem 19. Jahrhundert hat sich bis heute ein Neujahrslied gehalten, dessen Text von einer Frau gedichtet wurde. Die Verfasserin, Eleonore Fürstin Reuß, geb. Gräfin zu Stolberg-Wernigerode (*1835 in Gedern am Vogelsberg/Hessen – †1903 in Ilsenburg/Harz), schrieb es mit zweiundzwanzig Jahren am Jahresende 1857. Ihr Mann war der siebenunddreissig Jahre ältere Heinrich LXXIV. Fürst Reuss zu Köstritz. Das Paar lebte bis zum Tod des Fürsten 1886 auf dem Oberlausitzer Gut Jänkendorf. Dort engagierte sich die Fürstin diakonisch.465 Ihrem Interesse für Literatur und Musik hat sie im Unterricht bei Prof. Förstemann und dem Musikdirektor Trautermann nachgehen können.466 Als Schriftstellerin verfasst sie auch Lieder – zunächst als private Schöpfungen – die in der Folge ebenfalls zu Kirchen­ liedern wurden. Vor allem in pietistischen Kreisen und in der Gemeinschafts464 Im Laufe des 18. Jahrhunderts hat der Beruf des Kantors eine soziale und künstlerische Abwertung erfahren. Das Preußische allgemeine Landrecht von 1794 führt die Kantoren nicht mehr als eigenen Stand sondern zählt sie zur Gruppe der niederen Kirchenbediensteten. Kantoren musizieren nun vorzugsweise weltliche Musik, da dies besser bezahlt wird. Kirchenchöre lösen sich auf oder wandeln sich in Gesangsvereine. Vgl. Stroeve, Gesungene Aufklärung, 62 f. 465 Sie kümmerte sich v. a. um die Kinder in Jänkendorf, mit Erstausstattungen für Wöchnerinnen, Einrichtung einer Kleinkinderschule und einer jährlichen Bescherung für die Schuljugend. Vgl. Schott, Eleonore Fürstin von Reuß, 145 f. 466 Vgl. Locher, Mark Twain, 71.

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bewegung schätzte man ihre Lieder.467 Ihr Sprachstil weist sie als empfindsame Dichterin aus; sie lässt ihr Herz sprechen und „schämt sich ihrer Tränen nicht“468. 4.3.1

Das Jahr geht still zu Ende – Eleonore Fürstin Reuss (1857)

Beim Schluß des Jahres [1.] Das Jahr geht still zu Ende, Nun sei auch still mein Herz, In Gottes treue Hände Leg’ ich nun Freud und Schmerz, Und was dies Jahr umschlossen, Was Gott der Herr nur weiß, Die Thränen, die geflossen, Die Wunden brennend heiß!

[4.] Hier gehen wir und streuen Die Thränensaat in’s Feld, Dort werden wir uns freuen Im sel’gen Himmelszelt; Wir sehnen uns hinieden Dorthin in’s Vaterhaus, Und wissen’s, die geschieden, Die ruhen dort schon aus.

[2.] Warum es so viel Leiden, So kurzes Glück nur giebt? Warum denn immer scheiden, Wo wir so sehr geliebt? So manches Aug’ gebrochen Und mancher Mund nun stumm, Der erst noch hold gesprochen, Du armes Herz, warum?

[5.] O das ist sichres Gehen Durch diese Erdenzeit: Nur immer vorwärts sehen Mit sel’ger Freudigkeit; Wird uns durch Grabeshügel Der klare Blick verbaut, Herr, gieb der Seele Flügel, Daß sie hinüber schaut!

[3.] Daß nicht vergessen werde, Was man so gern vergißt: Daß diese arme Erde Nicht unsre Heimath ist. Es hat der Herr uns allen, Die wir auf Ihn getauft, In Zions goldnen Hallen Ein Heimathrecht erkauft.

[6.] Hilf Du uns durch die Zeiten Und mache fest das Herz, Geh selber uns zur Seiten Und führ’ uns heimathwärts. Und ist es uns hinieden So öde, so allein, O laß in Deinem Frieden Uns hier schon selig sein.

4.3.1.1 Entstehung und ältester Druck „Das Jahr geht still zu Ende“ verfasste Fürstin Reuss zur Jahreswende 1857/1858. Als gegebener Anlass hierzu gilt die Nachricht vom plötzlichen Tod der mit ihr befreundeten Dichterin Marie Nathusius. Erschienen ist das Gedicht erstmals 1867 im Büchlein „Gesammelte Blätter“ in Berlin. Überschrieben mit „Beim Schluß des Jahres“ ist es ganz am Ende des Bändchens zu finden.469 467 Vgl. Schott, Eleonore Fürstin von Reuß, 146. 468 Heydrich, Untersuchungen, 89. 469 Reuss, Gesammelte Blätter, 137 ff.

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4.3.1.2 Analyse: Trauer und Fragen anlässlich eines Todesfalls Das Gedicht der Fürstin umfasst sechs Strophen zu je acht Zeilen. Diese sind im Kreuzreim und dreihebigen Iambus verfasst. Die Zeilen enden im Wechsel mit einer weiblichen und einer männlichen Kadenz. Im gesamten Text wird über den Verlust geliebter Menschen im zurück­ liegenden Jahr nachgedacht, zu dem das Jahresende Anlass gibt. Es ist eine Rückschau, die die Frage nach dem Warum des Sterbens aufwirft, nach dem Verbleib der Toten und nach der Bestimmung des Menschen. Der Eindruck eines Voranschreitens durch die Lebenszeit, das im Gedicht immer wieder als Motiv anklingt, wird mit der Wahl des Iambus als Versmaß rhythmisch verstärkt. Es ist ein in der Romantik häufig verwendetes Stilmittel, wenn zu Beginn des Gedichtes ein lyrisches Ich Zwiesprache mit dem eigenen Herzen470 hält. Das Ich distanziert sich von dem Sitz der Gefühle, eben dem Herzen, und kann nun vermeintlich rational die Gefühlslage analysieren. Gleich zu Beginn steht eine Aufforderung, die das Ich an sein eigenes Herz richtet: Es solle still sein – der Stille entsprechen, mit der das Jahr zu Ende geht. Diese Selbstberuhigung erscheint sehr notwendig, habe doch das angesprochene Herz im vergangen Jahr Freudiges und Schmerzvolles erfahren. Offensichtlich überwiegt der Schmerz. Das Herz als Sitz der Empfindung und des Gefühls ist in Unruhe. Es ist nicht ganz deutlich, welche Art von Stille das Herz erreichen soll. Ist es so laut, schlägt es so lärmend, dass es wieder leise werden muss? Oder schlägt es so unruhig und schnell, dass es langsamer schlagen (oder sogar regungslos werden und still­stehen) sollte? Beides ist möglich. Denn auch die Stille des Jahresendes kann im Sinne von „unhörbar“ oder aber von „unaufgeregt“ verstanden werden. In der Bibel wird v. a. in alttestamentlichen Stellen vom Herzen als dem Sitz der Gefühle gesprochen. Mit Herz ist in der überwiegenden Zahl der Nennungen nicht das Organ gemeint, sondern das Innere des Menschen, in dem die Lebenskraft, Fühlen, Wollen, Denken und auch das Urteilen ihren Sitz haben.471 Dieser Vorstellung entspricht, wie im Lied vom Herzen die Rede ist. Ein Mensch fühlt und denkt mit dem Herzen; in seinem Inneren werden Lebensentscheidungen getroffen. Ein verstocktes Herz ist ein Herz, das hart geworden ist. Das Fühlen, Wollen, Sehen und Hören, schließlich auch das Verstehen kommen zum Erliegen. Das ist sicher nicht der Zustand des Herzens, an den das lyrische Ich als Ziel denkt. Aber ein Betäuben des Gefühls, ein Abnehmen der Schmerzempfindung würde Linderung bringen. Ein stilles Herz schließlich ist ganz zur 470 Das Herz findet im Gedicht dreimal Erwähnung: 1,3: „sei auch still mein Herz“, 2,8: „Du armes Herz“ und in 6,2: „mache fest das Herz“. 471 Vgl. Krüger, „Herz“, bes. 92.

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Ruhe gekommen. In der Aufforderung des Ichs an sein eigenes Herz liegt, so gesehen, auch ein Ausdruck von Todessehnsucht472. Entlastung sucht das gläubige Ich in einem Akt der Übergabe: Alles, was von Gott kam, das Gute und Schlechte, wird in seine Hände zurückgelegt. Die vielen Verwundungen und Tränen und auch alles, was dem Menschen nicht bewusst ist und was Gott alleine weiss, wird diesem überantwortet. Die zweite Strophe greift nun die quälende Frage auf, die sich dem Menschen angesichts von Leid und Sterben unwillkürlich stellt: „Warum?“. Gleich dreimal liest man das Fragewort473 in dieser Strophe („Warum?“ steht in der ersten und dritten Zeile und prominent als letztes Wort am Strophenende). Durch die Wiederholung wird das Drängende, das in der Frage liegt, besonders unterstrichen: Warum gibt es so viel Leid und warum ist Glück, wenn man es erlebt, nur von kurzer Dauer? Warum wird man von geliebten Menschen durch den Tod getrennt? Auffällig ist, dass nicht von einer einzelnen verstorbenen Person gesprochen wird. Manch gebrochenes Auge und manch nun stummer Mund stehen pars pro toto für alle Verstorbenen, an die sich das lyrische Ich erinnert. Augen und Münder, das Sehen und Sprechen, beides ist zum Kontakt und zur Kommunikation notwendig; doch da die Verstorbenen Augen und Münder für immer geschlossen haben, ist die Möglichkeit, einander zu sehen und zu sprechen, dahin. Das Ich bedauert sein eigenes Herz. Es ist ein „armes Herz“, das mit diesem Beziehungsabbruch, mit Sterben und Leid weiterleben muss; ein Ausdruck von Selbstmitleid. In der folgenden Strophe wird die Frage nach dem Warum von Leid und Tod in der Welt nicht mit einem einfachen „Darum“ beantwortet. An mögliche Antworten tastet sich das Ich vorsichtig heran. Ein „Darum, dass“ muss man sich zum Beginn der dritten Strophe dazudenken: Darum, dass nicht vergessen wird, dass die Erde474 nicht die Heimat der Menschen ist. Es ist ein weit verbreiteter Charakterzug, dass Menschen ihr Leben in einer „Todesvergessenheit“ verbringen und gestalten. Der Liedtext betont hingegen, dass der Tod eines geliebten Menschen selbst zur Mahnung wird, zu einem memento mori – bedenke, dass du sterblich bist. 472 Die Todessehnsucht ist ein wesentliches Motiv in der Lyrik wie auch der Kunst der­ Romantik. Als Vanitasmotiv begegnete es bereits in der Barockzeit und rückt hier nun wieder ins Zentrum. In der Kunst zeigt sich die Todessehnsucht beispielsweise bei­ Caspar David Friedrich (1774–1840). In seinen Bildern drückt er die Todessehnsucht in Friedhofsdarstellungen durch ein geöffnetes Grab aus. 473 Erinnert sei daran, dass die „Warum-Frage“ bereits im Psalm 22 gestellt wurde, den Jesus am Kreuz zitiert haben soll. 474 Es ist von der „armen Erde“ die Rede; ganz entsprechend dem „armen Herzen“ eine Strophe zuvor.

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Das Motiv der Erde als Fremde – und im Kontrast dazu der Himmel als Heimat der Getauften –, rekurriert auf das Pilgerdasein des Menschen475. Es richtet sich der „Blick des Erdenpilgers nach dem Vaterhaus im Himmel“.476 So wird das Leben verstanden als eine Wanderschaft aus der Fremde hin zur Heimat. Und die endgültige Antwort auf die das Leben begleitende Warum-Frage wird sich wohl nur dort finden lassen. Die Hoffnung auf eine Heimat im Himmel speist sich aus dem Sühnetod Jesu. Heißt es doch, dass der Herr den Seinen in „Zions goldnen Hallen“477 das „Heimatrecht“ erkauft hat. Die folgenden drei Strophen bedenken nun den hier vorgestellten Gegensatz zwischen Erde und Himmel. Das Leben auf der „armen Erde“ mit Tränen und voller Sehnsucht zeichnet sich durch das Getrenntsein von dem Vater(haus) und den Verstorbenen aus. Die himmlische Heimat, die als Ort geschildert wird, wo die Verstorbenen bereits sind und wo Freude herrscht, ist das Ziel. Mit dem Motiv der Tränen-Saat klingt Psalm 126,5+6 an: „Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten. Sie gehen hin und weinen und streuen ihren Samen und kommen mit Freuden und bringen ihre Garben.“ Es ist ein Sehnen, das die Menschen bereits im Leben auf das Jenseits hin­ leben lässt. Im Unterschied zum Sehnen, als starkem Gefühl, geht es dann vielmehr um ein Wissen, wenn sich die Frage erhebt, wo die Toten denn sind. Die Jenseitshoffnung wird nicht als individueller Glaube sondern als kollektives Wissen formuliert: „Und wissen’s, die geschieden, / die ruhen dort schon aus.“ Das lyrische Ich glaubt nicht, dass es so ist, sondern es weiss es und drückt dies sogar im Plural aus. Aus diesem himmelwärts gerichteten Blick schöpft das lyrische Ich Ausdauer und Kraft für „sichres Gehen“ während der Zeit, die es mit seinem Dasein auf der Erde fristet. Das Ich ist sich bewusst, dass der Tod geliebter Menschen, hier durch „Grabeshügel“ verbildlicht, den Blick auf diese Hoffnungsperspektive verstellen kann. Für solche Situationen wünscht es sich vom Herren ­„Flügel“ für seine Seele. Mit ihrer Hilfe könnte es dann über die Hügel hinwegblicken und die alte Perspektive wiedergewinnen. Das Bild der „Flügel“ vermittelt zum einen Leichtigkeit, die einen der Trauer und Schwermut enthebt. Zum anderen steht es dafür, mit der Sicht nicht an Erde und Grabeshügeln verhaftet zu bleiben. Außerdem wird hier das Bild einer beflügelten Seele evoziert, die sich von der Erde weg schon in himmlische Sphären aufschwingt. Die Jenseitshoffnung ist es, die Trauer und Trostlosigkeit, die den Text bis hierhin bestimmt haben, wieder in Lebensmut wandelt. 475 Der Mensch, der unterwegs ist, der homo viator, begegnet in der Romantik besonders prominent bei Joseph von Eichendorff und seinem Werk „Aus dem Leben eines Taugenichts (1826). 476 Boy, Neujahrslieder, 292. 477 Eine Umschreibung für das himmlische Jerusalem, vgl. Hebr 12,22.

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War bisher von Gott berichtend die Rede (Gottes Hände, der Herr hat allen das Heimatrecht erkauft; das Vaterhaus), so wird er am Ende der fünften Strophe direkt angesprochen und um die Gabe der Flügel gebeten. Die direkte Anrede als Gebetsanliegen wird in der letzten Strophe beibehalten und fortgeführt. Hier werden nun mehrere Bitten an das göttliche Du aneinandergereiht: Es geht um Beistand und Geleit durch das Leben. Hilfe wird erbeten, die Zeiten zu meistern, und eine Festigung des Herzens gewünscht. „Ein festes Herz“ meint hier nicht etwa, dass es gefühllos oder versteinert werden soll. Vielmehr wird die biblische Vorstellung eines „festen Herzens“ aufgegriffen – eines Herzens, das unbeirrt ist und glaubensstark.478 Des Weiteren wird um Beistand auf dem Weg gebeten, d. h. Gott möge mitgehen durch die Zeit und zur Heimat bei sich führen, da ihm im Gegensatz zum Menschen der Weg bekannt ist. Und die letzte Bitte ist als Ausruf formuliert: „Und ist es uns hinieden / So öde, so allein / O laß in Deinem Frieden / Uns hier schon selig sein.“ Frieden, Seligkeit und Glück sind die Güter, nach denen sich das lyrische Ich sehnt. Es erwartet, diese bei Gott zu finden, nicht erst im „Himmelszelt“, sondern auch schon auf dem langen Weg dorthin. In allen Situationen der Trostlosigkeit und Einsamkeit bleibt die Hoffnung, bereits jetzt Anteil an Gottes Seligkeit zu erhalten. 4.3.1.3 Ein Lied von Zeitlichkeit, Vergänglichkeit und Ewigkeit „Das Jahr geht still zu Ende“ ist ein Beispiel für die melancholische Rückschau auf ein endendes Jahr. Das „Ende“ ist der Vergleichspunkt zwischen einem Jahr und einem menschlichen Leben. Das Jahr scheidet dahin, wie auch Menschen, die in diesem Jahr verstorben sind. Die Endgültigkeit des Todes und das Ruhen in Gottes Frieden werden in dem Lied bedacht. Die Stille, mit der das Jahr ausklingt, wird zum Vorbild für den eigenen Gemütszustand, der von einer solchen Stille noch entfernt ist. Zeit und Vergänglichkeit verbinden sich in den Motiven Jahresende und Lebensende: Ihnen wird die Ewigkeit und das ewige Leben gegenübergestellt. Im Unterschied zum alten Jahr, das Leid und Schmerz brachte, ist das Neue Jahr mit der hoffnungsvollen Aussicht auf die selige Ewigkeit verbunden. Die Jenseitsvorstellung, die das Lied transportiert, begegnet nur skizzenhaft: Die Verstorbenen sind bei Gott in der Heimat, wo sie nach dem Pilger­dasein 478 Das „feste“ Herz findet sich als Motiv bereits bei den Ägyptern. Herz, das kann den Charakter eines Menschen meinen. Zudem wird Personsein in Ägypten über die Beziehungen definiert, in denen man lebt. Darum werden Isolierung, Einsamkeit, Selbstgenügsamkeit und Unabhängigkeit als schlimmste Übel angesehen; und in der Fremde leben zu müssen, ist demzufolge kein wahres Leben. Es sei denn, man hat sein Herz als Gefährten. Mit einem festen Herz kann jemand in der Fremde die Einsamkeit überstehen; das aus seinen sozialen Bindungen herausgefallene, gefährdete Selbst vermag sich damit aus eigener Kraft zu erhalten. Vgl. hierzu Assmann, Konzept der Fremdheit in Ägypten, bes. 94 f.

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auf der Erde ausruhen dürfen. Der Text sagt es nicht in aller Klarheit, aber es schwingt die christliche Hoffnung mit, dass diejenigen, die jetzt Verstorbene zu betrauern haben und von ihnen getrennt sind, nach ihrem eigenen Tod in das gleiche „Vaterhaus“ einkehren dürfen, wo alle wieder vereint sein werden. Es geht aber nicht um ein rein jenseitiges Ziel, sondern auch um das Hier und Jetzt, in dem schon etwas von der himmlischen Seligkeit erlebt werden kann. Der Göttliche Frieden, die Ruhe, soll schon jetzt Einzug halten. Eine emotionale Ruhe, könnte man meinen; „ein Empfinden ewiger Ruhe, das Ende aller Auflehnung“479 oder aber eine Glaubensruhe, die nicht mehr nach dem Warum fragt und auf Gottes Fügung vertraut. 4.3.1.4 Rezeptionsgeschichte Das Lied war zunächst eine private Dichtung, wurde dann aber „überaus volkstümlich“.480 Es zählt zu den wenigen Liedern, die von Frauen stammen und einen Platz im Hauptteil kirchlicher Gesangbücher gefunden haben. In seiner Gestaltung fällt das Lied aus der Reihe; und Rössler bemerkt hierzu: „Lieder dieser Art finden höchstens Eingang in die Gesangbuch-Anhänge der Volks- und Jugendlieder, die meist mit dieser Verbotstafel gekennzeichnet sind: Nicht für den Gottesdienst geeignet!“481 Nichtsdestotrotz schafft es das Lied vergleichsweise schnell in das Schlesische Gesangbuch und verbreitet sich von dort aus.482 Bereits 1905 stellt Nelle fest, dass es in „keinem neueren Gesangbuche“ fehlt.483 Im reußischen Gesangbuch von 1911484 ist es abgedruckt, allerdings wird die Fürstin darin nicht unter den reußischen Liederdichtern aufgeführt. Michel vermutet, dass sie zwar den Namen Reuss trug, allerdings nicht in dem Gebiet lebte, weshalb man sie nicht zu dieser Gruppe zählte.485 Ihr Lied ist darüber hinaus im methodistischen Gesangbuch von 1926 zu finden, ebenso wie im Gesangbuch der Deutschen Christen Bremen 1939 und Weimar 1941. Das EKG 1950 führt es auf, außerdem Sibiu 1974, Wien 1980 und schließlich das EG 1993486. In reformierten Gesangbüchern der Schweiz ist es nicht zu finden, was daran liegen mag, dass es sehr privat formuliert ist. Lutherische Gesangbücher, die sich sowohl als Kirchen- wie auch Hausgesangbücher verstehen, waren für geistliche Lieder aufnahmebereiter. 479 Sauer-Geppert, Sprache und Frömmigkeit, 107. 480 Henkys, Geheimnis der Freiheit, 196. 481 Rößler, Liedermacher, 169. 482 So ist es vertreten im Gesangbuch von Sachsen 1883, Schleswig-Holstein 1883, in Königsberg 1899, Frankfurt 1910 und dem wichtigen DEG 1915, das Ausgangspunkt für die Gesangbuchvereinheitlichungen wurde. 483 Nelle, Kirchenliederdichter, 639. 484 Evangelisch-Lutherisches Gesangbuch für die Fürstentümer Reuß, Greiz und Gera 1911. 485 Vgl. Michel, Gesangbuchfrömmigkeit, 243, Anmerkung 511. 486 Hier Nr. 63.

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4.3.2

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Das Neue Jahr als transzendente Zeit

Dass das Lied bis heute in den Gesangbüchern einen Platz hat, spricht dafür, dass hier ein Thema angesprochen wird, das den modernen Menschen immer noch oder gar in besonderem Maße bewegt: Zeit und Zeitlichkeit und darin enthalten Vergänglichkeit und Begrenztheit des Lebens. Dem postmodernen Menschen entspricht auch, dass in dem Lied Fragen gestellt werden. Sie sind der Sprechperspektive nach an das Herz gerichtet oder ganz offen formuliert. Indirekt können sie aber auch als Klage an Gott oder sogar Frage an ihn gedeutet werden. Die Verlusterfahrung durch den Tod eines nahe stehenden Menschen wird thematisiert und emotional verarbeitet. Der Krise steht die Jenseitshoffnung gegenüber, die hier aus der Trauer zu führen vermag. Die menschliche Zeitlichkeit wird so durchlässig für die Wahrnehmung der göttlichen Ewigkeit bereits im Leben und als Ziel des Lebens. Wo das lyrische Ich am Übergang in ein Neues Jahr steht, da rechnet es mit göttlichem Beistand: Gottes Führung durch die Zeiten in die Heimat wird erbeten. Wenn es heißt „Geh selber uns zur Seiten“, dann entspricht das einem Bild von Gottes Begleitung, als der des Ewigen, der in der Zeit mitgeht; Jesus wird so ganz indirekt genannt. Alles Erlebte und alles zukünftig zu Erlebende wird in der Beziehung zu Gott verstanden, und die Lebenszeit, vergangene und kommende, wird transzendent auf Gott hin.

4.4

Ergebnisse und Vergleich

Wie im Volksbrauchtum so wird auch in der Liturgie das Jahresende zum bedeutenderen Gegenstand als der Neujahrsmorgen bzw. das Neujahrsfest. Den Themen Zeit und Zeitlichkeit wird in diesem Zusammenhang vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt. Lieder, die privater Frömmigkeit entspringen, bekommen im Medium des Gesangbuchs eine große Öffentlichkeit. Die Emotionalität, die mit dem Jahreswechsel verbunden ist, findet in diesen Liedern ihren Ausdruck. Das Liedbeispiel von Eleonore Fürstin Reuss zeigt, wie nun auch direkte Fragen, die Frage nach dem Sinn von Leid, nach dem Warum, ausgesprochen werden können, auch wenn sie ausschließlich das Innere des Menschen bewegen und nicht als direkte Klage oder Anklage an Gott gerichtet werden. Die Erfahrung eines Verlustes wird in ein Gedicht gekleidet. Es klingt darin bereits die Krise der eigenen Existenz an, wie sie in Liedern des 20. Jahrhunderts noch verstärkt in den Vordergrund treten soll. Der Trauer wird in dem Lied die Hoffnung gegenübergestellt, die der Glaube für das Jenseits gibt. Damit formuliert das lyrische Ich zugleich seinen Trost.

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Geschichte und Entwicklung der kirchlichen Neujahrslieder

5

Das Neujahrslied von 1900–1945: Halt in Krise und existentieller Gefahr

5.1

Zeitgeschichtliche und liturgiegeschichtliche Aspekte

5.1.1

Die Jahrhundertwende – Staatliche und kirchliche Feierlichkeiten

In Paris findet die Jahrhundertausstellung statt. In Rom ist ein Heiliges Jahr ausgerufen. Die Zeit wird als unübersichtlich und bewegt wahrgenommen, was zu ambivalenten Gefühlen führt: Zum einen herrscht Ratlosigkeit, Verunsicherung wie auch Angst vor der Zukunft, zum anderen zeigt sich der Wille zur Erneuerung und zum Fortschritt.487 Der Schriftsteller Thomas Mann versteht rückblickend das „Fin de siècle“ symbolisch als Endphase des „bürgerlichen Zeitalters“, das für ihn nicht mit der Jahrhundertwende sondern mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges endete.488 In der protestantischen Publizistik lassen sich recht unterschiedliche Einschätzungen der zurückliegenden einhundert Jahre wahrnehmen. Pessimistisch schauen nationalprotestantische und antikatholische Autoren in die Zukunft, die das Jahrhundert und die Jahrhundertwende im Sinne der Decadence als Verfall deuten; demgegenüber sind kulturprotestantisch oder missionarisch ausgerichtete Autoren, die dem gesellschaftlichen Wandel gegenüber aufgeschlossener sind, eher optimistisch eingestellt.489 Die wiederum eintretende Diskussion um das Datum der Jahrhundertwende­ feier wird für Preußen durch Wilhelm II. beendet, der den 1. Januar 1900 für die Feierlichkeiten bestimmt.490 Der evangelische Oberkirchenrat ordnet mit Ermächtigung des Kaisers an, wie die Feierlichkeiten in der Kirche zu gestalten seien491: mit festlichem Silvesterläuten sowie, wenn möglich, am Jahresbeginn 487 Vgl. Drehsen/Sparn, Die Moderne, 15. 488 Vgl. Rasch, Décadence, 123. Der Gedanke, dass die Zeit nur künstlich in Abschnitte unterteilt wird, lässt Thomas Mann seine Romanfigur Hans Castorp äussern: „Die Zeit hat in Wirklichkeit keine Einschnitte, es gibt kein Gewitter oder Drommetengetön beim Beginn eines neuen Monats oder Jahres, und selbst bei dem eines neuen Säkulums sind es nur wir Menschen, die schießen oder läuten.“ Mann (1924), Zauberberg, Beginn des Abschnitts „Launen des Merkur“. 489 Vgl. hierzu den Beitrag von Oelke, Jahrhundertwechsel 1899/1900. 490 Vgl. hierzu Brendecke, Jahrhundertwenden, 226 ff. Dort mit Abbildung eines Telegramms von Wilhelm II . an den Reichskanzler Fürst zu Hohenlohe, der am 4. Dezember 1899 um die Entscheidung hinsichtlich des Termins gebeten hatte. Wilhelm antwortet, indem er „Am 1. Januar 1899“ handschriftlich hinzufügt – ein Schreibfehler, der zeigt, wie ungewohnt die Jahreszahl 1900 noch für ihn war. 491 Vgl. zum Erlass: Allgemeines Kirchenblatt für das evangelische Deutschland, hg. v. Theodor Schott im Auftrage der evangelischen Landeskirchenbehörden, 48 (1899), 500 f.

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oder Neujahrsmorgen Choräle, die von Bläsern auf den Türmen zu spielen seien. Die Jahresschlussandacht sei feierlich zu gestalten und für den Hauptgottesdienst am Neujahrstag der Lesungstext Hebr 13,8 zu verwenden: „Jesus Christus ist derselbe gestern und heute und bleibt es auch in Ewigkeit.“ Zudem wird als Schlussgesang das „Te Deum“ oder „Nun danket alle Gott“ vorgesehen und ein Einschub in das gewohnte Neujahrsgebet angeordnet – ein Dank für die Reichseinigung. Auch in anderen Herzogtümern wurde durch die Konsistorien über den Termin und die kirchliche Gestaltung der Jahrhundertwendefeier nachgedacht. Verbindliche Vorgaben wurden aber kaum gemacht und somit Gestaltungsspielraum gelassen.492 Der Beginn des 20. Jahrhunderts wurde in den Dörfern und Städten der deutschen Bundesstaaten mit biederen Festakten, Gottesdiensten und Blaskapellen gefeiert.493 Vielfach wird er als „Volksfest“ bezeichnet.494 Borst beschreibt die hohe Militärpräsenz, die vor allem im Badischen mit dem Jahrhundertwendefest verbunden war.495 Das Motto „Heil dem neuen Jahrhundert“ wird in Ansprachen, Zeitungsartikeln und in Illustrationen aufgegriffen und ziert eigens herausgegebene Jubiläumsmedaillen.496 5.1.2 Liturgisches Mit dem ausgehenden 19. Jahrhundert wird von protestantischen Liturgikern noch einmal der Versuch unternommen, das Neujahrsfest in Verbindung mit der Namengebung Jesu Christi zu feiern.497 Es wird nicht ganz deutlich, ob die Beschneidung bei der Namengebung immer mitgedacht ist. Kristian Fechtner dagegen kann anhand einer regionalen Studie, der „Evangelischen Kirchen-

492 Bayern lässt z. B. den Termin offen, bei dem es sich nicht um eine „kirchliche Frage“ handle, und rät den Pfarrern, bei der zeitlichen Festsetzung der Jahrhundertwende der Mehrheitsmeinung in der eigenen Gemeinde zu folgen. Vgl. ebd., 28 f. 493 Borst, Silvester 1900, 7–19. In Freiburg im Breisgau gab es in fast allen Kirchen eine Jahres­ schlussfeier, in der die Geistlichen auch von der Jahrhundertwende sprachen. Vgl. ebd., 7. 494 Vgl. Borst, Silvester 1900, 8. 495 „Liest man die Silvester- und Neujahrsberichte [des Altwürttembergischen] der Reihe nach durch, so ist man fast peinlich berührt von der Totalpräsenz des Militärs. Überall münden die Festbekundungen in das Platzkonzert der Regimentsmusik, in die An­ sprache des Kommandeurs, in die selbstgezimmerten und wehrhaften Prologe. Eine Atmosphäre, geschwängert vom Staub der paradierenden Kompagnien und vom Platzpatronendampf der Kaisermanöver.“ Ebd., 9. 496 Vgl. Siebenmorgen, 1900, 270. 497 So betont Ernst Christian Achelis in seinem Lehrbuch der Praktischen Theologie, Leipzig 21898: „In der evangelischen Kirche ist mit dem Neujahrsfest das Fest des Namens Jesu (Lc 2,21) verbunden.“ (Bd. 1, 280).

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kunde“ für die evangelisch-lutherische Landeskirche des Königreichs Sachsen498 und eines Berichts aus Schlesien499 aufzeigen, dass sich hier der Kasus Neujahr durchgesetzt hat und die bisherige liturgische Bestimmung gänzlich verdrängt wurde. In der Schweiz kommen nun auch Gottesdienste zum Ende des Jahres, dem Jahresbeschluss auf. Sie scheinen im Kanton Basel im Gegensatz zu den Neujahrsgottesdiensten relativ jung zu sein; für die Stadt Basel stammt das früheste Zeugnis aus dem Jahre 1839.500 Ab den 1880er Jahren werden sie vielerorts eingeführt. Sie werden „hochgeschätzt“ und gehören zu „den bestbesuchten des Jahres“501. Die Gottesdienste, meist kurz vor Mitternacht gehalten, sind feierlich und werden oftmals mit ausgezeichneter Musik gestaltet. In den Gottesdiensten werden die Amtshandlungen des vergangenen Jahres verlesen, und es wird der Verstorbenen gedacht. In kleineren Gemeinden werden die Angehörigen Verstorbener gesondert zur Jahresschlussandacht eingeladen und die Namen der Entschlafenen beim Entzünden von einzelnen Kerzen, die später auf das Grab gestellt werden können, genannt.502 Die Weihnachtsbotschaft klingt in den Liedern nach: „Vielfach tritt, ausgehend von der christlichen Weihnachtsbotschaft, in den Texten der Wunsch nach Frieden auf, in jüngeren Liedern ganz konkret.“503 Der Beginn des 20. Jahrhunderts ist durch liturgische Neuaufbrüche gekennzeichnet. Mit dem Ende des Wilhelminischen Reiches 1918/1919, am Ende des Ersten Weltkrieges, findet auch ein Paradigmenwechsel in allen Bereichen der evangelischen Theologie statt. Er zeigt sich in „einer Fülle von Aufbrüchen, die in unterschiedlichen Strömungen, Zirkeln oder festen Organisationsformen manifestiert wurden“, die unter der Bezeichnung „Jüngere Liturgische Bewegung“ zusammengefasst werden.504 Hierunter fallen u. a. die Berneuchner, die evangelische Michaelsbruderschaft und auch die kirchliche Arbeit Alpirsbach. Liturgische Fragen, eben auch zur Gestaltung des Jahresbeginns (ob nun Kirchenjahr oder bürgerliches Jahr), werden wieder vestärkt gestellt und diskutiert. 498 Drews, Evangelische Kirchenkunde, 225. 499 Das Neujahrsfest, im Volk „Neujahrs heilig Tag“ genannt, kommt Festen wie Weihnachten, Ostern und Pfingsten fast gleich und hat den Charakter „als Gedenktag an Christi Beschneidung völlig verloren“, wodurch es ganz „zur Feier des Beginns des bürgerlichen Jahres geworden ist.“ Schian, Leben der evangelischen Kirche, 200. 500 Vgl. Wunderlin, Silvester und Neujahr, 86. 501 Strübin, Jahresbrauch, 26. Bezogen auf Gelterkinden bemerkt Strübin 1966 einen deutlichen Rückgang der Besucherzahlen beim Silvestergottesdienst im Vergleich zu „früher“, was er rund dreissig Jahre später erneut feststellt. Vgl. Strübin, Gelterkinden, 162 und Strübin, Jahresbrauch, 26. 502 Ebd. 503 Strobach, Deutsche Volkslieder II, 348. 504 Rheindorf, Liturgie und Kirchenpolitik, 21.

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So kommen im Landeskirchenamt Hannovers während des Zweiten Weltkrieges, im Jahr 1941, mehrere Theologen zusammen, die sich verschiedensten liturgischen Fragen widmen. Es sind die „Gründungsväter“ der „Lutherischen Liturgischen Konferenz Deutschlands“.505 Joachim Beckmann, ein Schüler J­ ulius Smends, und Christhard Mahrenholz sind in dieser Arbeitsgemeinschaft der Jahre 1941–1944 federführend tätig. Nach einem Abbruch der gemeinsamen Arbeit sind es diese beiden, die für deren Neubelebung im Jahr 1947 sorgen. In unserem Zusammenhang herrscht innerhalb der Arbeitsgemeinschaft Uneinigkeit darüber, wann das Kirchenjahr anfängt und wann genau es endet. Auch der Weihnachtsfestkreis506 wird diskutiert. Es geht um eine dogma­ tische Verhältnisbestimmung: Betont man die Eschatologie oder die Epiphanie – unter­streicht man mehr das Ende oder den Anfang? An Stelle nur eines Sonntages, der den Übergang von Trinitatiszeit zu Adventszeit markiert, sollen fortan drei Sonntage diesen Übergang verdeutlichen. Damit gewinnt das Ende des Kirchenjahres an dramaturgischer Bedeutung – als ausführliches memento mori, das nahezu einen eigenen kleinen Festkreis im großen Festkreis bildet.507 Der Kontrast zum Neubeginn, der Erwartung der Geburt des Heilands, wird darüber hinaus stärker. Dass dieses Thema in den Fokus des Interesses rückt, erklärt sich aufgrund der allgemeinen Präsenz von Tod und Sterben und einschneidenden Verlusterfahrungen in der Kriegszeit. In der Diskussion um Kirchenjahresende und -anfang wird der bürgerliche Neujahrstag nicht bedacht. Und so bleibt auch die Frage aus, in welchem Verhältnis die beiden Jahresanfänge aus liturgischer Sicht zu sehen sind. Die Betonung des Kirchenjahresendes steht in dieser Zeit im Vordergrund. 5.1.3 Poetik Die Lyrik um 1900 zeichnet sich durch eine wahre Vielgestaltigkeit aus, mit Ambivalenzen, Widersprüchen und Zerrissenheit. Die drei großen Zentren für Lyrik sind zu der Zeit Berlin (mit den Naturalisten Arno Holz und Johannes Schlaf, Gruppierungen um Julius und Heinrich Hart, Konkurrenz von Leitzeitschriften einer exzentrischen Boheme), München (Kreis um Stefan George) und 505 Vgl. ebd., 14. 506 In diesem Zusammenhang wird die Frage nach dem Stephanustag (Stephanus, der erste uns bekannte Märtyrer), dem 26. Dezember, laut, der in der gemeindlichen Praxis vom zweiten Weihnachtsfeiertag überlagert wurde. Rheinsberg vermutet den Grund dafür in den historischen Entwicklungen: „Zum Zeitpunkt der Beratungen über diesen Tag waren bereits etliche Mitglieder der Bekennenden Kirche Opfer des Nationalsozialismus geworden.“ Ebd., 104. 507 Vgl. ebd.

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Wien (Zentrum des „Sprachzweifels und der Sprachkrise“).508 Die neuen Strömungen, wie Impressionismus und Neuromantik, Jugendstil und Symbolismus, dann auch Expressionismus, Dadaismus, Futurismus (Italien) und Surrealismus (Frankreich) stehen im Gegenüber zum Naturalismus und Realismus; sie wenden sich gegen eine Auffassung der Funktionalität und Nützlichkeit von Literatur.509 Der Fortschrittsglaube, der den Beginn des 20.  Jahrhunderts dominiert, hallt auch in den Gedichten der Zeit wider. So beschließt der Schriftsteller Max Haushofer sein 1899 abgefasstes Gedicht „An des Jahrhunderts Neige“ mit einem mechanischen Bild: Die Weltuhr schläft, Ihr grosser Zeiger schreitet Voran, sein Gang ist schicksalsreich und stät; Der Menschheit Hoffnung aber und ihr Segen, Sie geh’n mit ihm der Zukunft froh entgegen!510

Mit der Industrialisierung haben die Menschen einen einschneidenden Wechsel im Umgang mit der Zeit und eine Beschleunigung erlebt, wie es beides zuvor noch nie gegeben hatte: Mit der zunehmenden Urbanisierung wandeln sich bürgerliche Lebensverhältnisse, Berufe und Wissenschaften werden professiona­ lisiert und es bildet sich die Dichotomie von Arbeit und Freizeit heraus.511 Der Jahrhundertwechsel steht auch im Zeichen eines „Höher, Schneller, Weiter“; ein Ende dieser Entwicklung scheint kaum vorstellbar. 5.1.4

Kirchenmusik und Gesangbücher

Das ausgehende 19. Jahrhundert hat auch bezogen auf die Gestaltung der Gesangbücher große Neuerungen gebracht. Das Vereinheitlichungsbestreben hat nun zu Gesangbüchern mit einem einheitlichen Stammteil und regionalen Anhängen geführt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts sind Julius Smend und Friedrich Spitta besondere Einflussgrößen, sowohl hinsichtlich der Liturgie als auch in der Auswahl von Kirchengesängen. Als Professoren an der evangelisch-theologischen Fakultät in Strassburg begründen sie die einflussreiche und bedeutende „Monatschrift für Gottesdienst und Kirchliche Kunst“ (MGkK). Dass sie im oberdeutschen Raum leben und lehren gehört sicherlich mit zu den Gründen, wes508 Vgl. Schnell, Jahrhundertwende, 473. 509 Vgl. ebd. 510 Zum ganzen Gedicht siehe: Max Haushofer, An des Jahrhunderts Neige. In: Die Gartenlaube, Nr. 28/1899, 869 f. 511 Linke, Sprachkultur und Bürgertum, 56.

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halb sie in ihrer Arbeit und ihren Ansichten eine gewisse Unabhängigkeit von den laufenden Agendendiskussionen in lutherischen Regionen besaßen. Die Betonung der Musik und des Kirchgesanges im Gottesdienst gelang in der Form des oberdeutschen Predigtgottesdienstes leichter, da er „flexibler als die Messform ist und viele Gelegenheiten zur Einfügung verschiedener musikalischer Stücke bietet.“512

5.2

Aspekte der Entwicklung der Gesangbuchrubrik

Es wird von dem Brauch berichtet, mit dem Gesangbuch Aussagen über das kommende Jahr zu treffen. In manchen Familien ist es üblich, zu Silvester das Gesangbuch willkürlich aufzuschlagen und der Rubriküberschrift zu entnehmen, was das neue Jahr bringen wird: stößt man auf „Lieder über Tod und Grab“ steht ein Todesfall bevor, „Vertrauens- und Trostlieder“ verheißen ein gutes Jahr.513 Im Gesangbuch Meiningen 1907 findet man die Rubrik „Jahresschluss“ ergänzt mit dem Verweis auf weitere Gesänge unter „Lieder von der Flüchtigkeit und vom Gebrauch der Zeit“. Bei „Neujahr“ und dem „Namenstag Jesu“ wird zudem auf die weitere Rubrik „Lob-, Dank- und Jesuslieder“ hingewiesen. Das Gesangbuch Brandenburg und Pommern 1931 präsentiert den „Jahreswechsel“, dem Kirchenjahr folgend, im Anschluss an Weihnachten. Im Liederverzeichnis zu Beginn gibt es einen Verweis auf weitere Lieder, die sich zum Anlass ebenfalls eignen würden. Es sind Lieder, die sich an Jesus wenden, Dank- und Vertrauenslieder sowie Lieder von der Vergänglichkeit.514

512 Meyer-Blanck, Gottesdienstlehre, 176. 513 Geiger u. a. (Hg.), Atlas der schweizerischen Volkskunde. Komment. II, 829. In gleicher Weise gibt es den Brauch, mit der Bibel in der Silvesternacht Informationen über das bevorstehende neue Jahr zu erhalten. Das sogenannte „Däumeln“ war im 19. Jahrhundert eine weit verbreitete Praxis in christlichen Häusern. Mit dem Daumen blätterte man die Seiten der Bibel rasch durch und schlug eine zufällige Seite auf, die Auskunft geben sollte. Vgl. Petzold, Magie, 128. Diese Form der „Bibliomantie“ war durch Nikolaus Graf von Zinzendorf erneut angeregt worden. Eine weitere Form war und ist das sogenannte „Bibelstechen“. 514 Vgl. Brandenburg und Pommern 1931, VIII . Jesusstrophen aber auch Jesuslieder, wie „Jesu, geh voran“, „In dir ist Freude, in allem Leide, o du süßer Jesu Christ“ und „Ach, bleib bei uns, Herr Jesu Christ“; Vertrauenslieder, wie „Befiehl du deine Wege“ und „So nimm denn meine Hände“; außerdem Lieder, die Vergänglichkeit behandeln, wie „Bis hierher hat mich Gott gebracht“ und „Ich bin ein Gast auf Erden“. Ebd.

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5.3

Exemplarische Liedanalysen

5.3.1

Der du die Zeit in Händen hast – Jochen Klepper (1938)

Autograph mit Korrekturen515 1. Der du die Zeit in Händen hast, Herr, nimm auch dieses Jahres Last und wandle sie in Segen. Nun von dir selbst in Jesu Christ die Mitte fest gewiesen ist, führ uns dem Ziel entgegen.

4. Der Mensch ahnt nichts von seiner Frist. Du aber bleibest, der du bist, in Jahren ohne Ende. Wir fahren hin durch deinen Zorn, und doch strömt deiner Gnade Born in unsre leeren Hände.

2. Da alles, was der Mensch beginnt, vor seinen Augen noch zerrinnt, sei du selbst der Vollender! Die Jahre, die du uns geschenkt, wenn deine Güte uns nicht lenkt, veralten wie Gewänder.

5. Und diese Gabe, Herr, allein laß Wert und Maß der Tage sein, die wir in Schuld verbringen. Nach ihnen sei die Zeit gezählt; was wir versäumt, was wir gefehlt, darf nicht mehr vor dich dringen.

3. Wer ist hier, der vor dir besteht? Der Mensch, sein Tag, sein Werk ­vergeht. nur du allein wirst bleiben. Nur Gottes Jahr währt für und für, drum kehre jeden Tag zu dir, weil wir im Winde treiben.

6. Der du allein der Ewge heißt und Anfang, Ziel und Mitte weißt im Fluge unserer Zeiten: Laß – sind die Tage auch verkürzt, Wie wenn ein Stein in Tiefen stürzt – Uns dir nur nicht entgleiten!516

5.3.1.1 Entstehung515 Die Frühfassung des Gedichtes liegt in unterschiedlichen Versionen vor. Zunächst gibt es einen Tagebucheintrag Jochen Kleppers vom 20.10.1937. Der Text besitzt dort keine Überschrift.517 Er endet mit den Zeilen: „Laß – sind die Tage 515 Faksimile in der Festschrift Oskar Söhngen: Gestalt und Glaube, 75. 516 Im Gedichtband „Kyrie“, dessen Wortlaut auch der Gesangbuchtext entspricht, lautet die zweite Hälfte der letzten Strophe abgeändert: … bleib du uns gnädig zugewandt und führe uns an deiner Hand, damit wir sicher schreiten! 517 Wohl aber geht dem Gedicht ein alttestamentliches Bibelzitat voran, gefolgt von einer Beschreibung der Natur. Klepper schreibt: „Wenn du der Stimme des Herrn, deines Gottes, gehorchen wirst, wirst du gesegnet sein, wenn du eingehst, gesegnet, wenn du ausgehst. 5. Mose 28,1.6. – Welche herbstliche Verklärung nach einem kühlen Nebelmorgen: goldene Blätter, rote Ahornwipfel wie Gewölk; kahles Geäst, taufeucht, sonnenbeglänzt: wie dunstiger Wald. Die lichten bunten Stuben von zitterndem Glanze erfüllt, Licht wie von vielen Kerzen um den Sonnenuntergang in der Diele. – Und welcher kühle Silberglanz des Abends!“ Tagebuch 19.10.1937. Vgl. Klepper, Schatten.

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auch verkürzt, / wie wenn ein Stein in Tiefen stürzt – / uns dir nur nicht entgleiten“. Am 24.  Dezember 1937 schickte Klepper das Gedicht handgeschrieben und mit einer Widmung518 versehen zusammen mit anderen Gedichten an seinen ehemaligen Lehrer, Professor Rudolf Hermann.519 Erstmalig veröffentlicht wurde das Neujahrslied, nachdem Klepper, der mit Zensur belegt war520, am 30. Dezember die Geneh­migung der Zensurbehörde erreichte. Ein befreundeter Verleger brachte es in die Neujahrsausgabe der „Deutschen Allgemeinen Zeitung“ (DAZ), die am 1. Januar 1938 erschien.521 Dem Text ist hier ein Psalmzitat vorangestellt (Ps 102, 24–28): Er demütigt auf dem Wege meine Kraft; er verkürzt meine Tage. Ich sage: Mein Gott, nimm mich nicht weg in der Hälfte meiner Tage! Deine Jahre währen für und für. Du hast vormals die Erde gegründet, und die Himmel sind deiner Hände Werk. Sie werden vergehen, aber du bleibest. Sie werden veralten wie ein Gewand; sie werden verwandelt wie ein Kleid, wenn du sie verwandeln wirst. Du aber bleibest, wie du bist, und deine Jahre nehmen kein Ende. Die Kinder deiner Knechte werden bleiben, und ihr Same wird vor dir gedeihen.522

518 Das Gedicht befand sich im Nachlass Rudolf Hermanns. Es ist mit der Widmung versehen: Herrn und Frau Professor Hermann / mit den herzlichsten Wünschen und Grüßen  zu Weihnachten und zur Jahreswende / von / ihrem dankbaren / Jochen Klepper /  24.XII .1937“. Abgedruckt sind die handschriftlichen Seiten bei Assel (Hg.), Zeit in Händen, 131 f. 519 Rudolf Hermann (1887–1962), Professor für Religionsphilosophie und Systematik in Breslau, wo Klepper studierte; später Professor in Berlin. Sowohl seine Frau Milli als auch Rudolf Hermann bedanken sich für die Weihnachtsgabe und ausdrücklich für das „Neujahrslied“; so im Brief von Milli Hermann, Greifswald, Neujahr 1938 und im Brief von Rudolf Hermann, Greifswald, den 28.6.1938. Vgl. ebd., 60 f. 520 Aufgrund seiner Eheschließung mit der jüdischen Witwe Johanna Stein-Gerstel wurde ihm das Publizieren schwer gemacht. Von der Reichsschrifttumkammer ausgeschlossen, erhielt Klepper nach einer von ihm eingereichten Beschwerde eine vorläufige Sonder­genehmigung;  – allerdings mit der Auflage, alle Manuskripte vor ihrer Veröffentlichung der Kammer vorzulegen. Vgl. Wecht, Jochen Klepper, 162. Über ­K leppers Lied fällte das Kammergutachten folgendes Urteil: „Dieses Gedicht […] ist eine lyrische Para­phrase über den 102. Psalm und vertritt eine Gesinnung, die absolut jüdisch genannt werden muss. […] Gegen die Frömmigkeit dieses lyrischen Dichters soll gewiss nichts gesagt werden, aber das heutige Deutschland darf bestimmt ein Neujahrslied in einem anderen, positiveren Ton erwarten, der es nicht nötig hat, auf die knechtische Einstellung der Psalmen zurückzugreifen.“ Zit. nach Riemenschneider, Fall Klepper, 54. 521 Vgl. Wecht, Jochen Klepper, 159 ff. Klepper war mit einem der Redakteure der DAZ­ befreundet, mit Hans Eberhard Friedrich. Das Gedicht, das wahrscheinlich für die Dezembernummer des „Eckart“ vorgesehen war [gemeint ist die Zeitschrift Eckart – Blätter für Evangelische Geisteskultur, Anm. d. Verf.in], erschien so in der Neujahrsausgabe. Vgl. Henkys, Zeit im Liede, 55. 522 Text nach Lutherbibel 1912.

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Der Liedtext wurde in der Version, wie er heute im Gesangbuch zu finden ist523, erstmals in der kleinen Gedichtsammlung „Kyrie“524 veröffentlicht; hier überschrieben mit „Neujahrslied“525. Ebenfalls vornean steht eine Textstelle aus Ps 102, jedoch kürzer, als die in der DAZ zitierte (nur die Verse 25b–28). So entfallen die Verse, in denen von den „verkürzten“ Tagen die Rede ist. Statt die Psalmstelle anzugeben, versieht Klepper die Verse einzig mit der Quellenangabe „Die Bibel“. Abgesehen von unbedeutenden Änderungen nimmt Klepper eine sehr auffällige Korrektur vor, indem er für den Gedichtband die letzte Liedstrophe umtextet. Warum er dies tut, lässt sich nicht mehr erschließen. Auf die Änderung der gesamten Liedaussage, die sich daraus ergibt, soll im Folgenden eingegangen werden. 5.3.1.2 Analyse Kleppers Lied mit sechs Strophen zu je sechs Zeilen ist im Versmaß des Iambus verfasst. Das Versmaß weist jeweils vier Hebungen, bzw. drei Hebungen in der dritten und der letzten Zeile einer jeden Strophe auf. Durch den schreitenden und vorantreibenden Iambus wird der Inhalt, nämlich eine Betrachtung der von Gott gegebenen verrinnenden Lebenszeit des Menschen, klanglich unterstrichen und hörbar. Es ist das „Vanitas“-Motiv, das Klepper bearbeitet. Die Sprecherperspektive des Liedtextes ist die eines einzelnen Beters im Gespräch mit Gott. Klepper knüpft damit an die Psalmtradition an. Die Basis für das Gedicht Kleppers bilden der Herrenhuter Losungstext aus Ps 90 sowie der dem Gedicht vorangestellte Ps 102 und Dtr 28,1.6. Das Motiv der Zeit, die in Gottes Händen steht, entspringt Psalm 31,6: „Meine Zeit steht in deinen Händen“. Dieses Wort ist in den Schriften Kleppers – in seinen Gedichten, Liedern und dem Tagebuch – stets präsent.526 Es lassen sich mehrere Isotopieebenen erkennen, die den Text durchziehen, wodurch er dicht und eng verflochten wirkt. Im Vordergrund steht, dem Gedichtanlass gemäss, das neue Jahr, das im Isotop Zeit mit den Begriffen „Jahr“, „Zeit(en)“, „Tag(e)“, „Frist“ und auch „nun“ und „der Ewge“ verbunden wird. Eine zweite Isotopieebene lässt sich mit Statik überschreiben. Hierzu zählen die Worte „fest“, „Vollendung“, „bestehen“, „bleiben“ und „sicher“. Als Zustand nach einer 523 Es findet sich in folgenden Gesangbüchern von heute: EG (Nr.  64), GL (Nr.  157), RG (Nr. 554), KG (Nr. 355), EMK (Nr. 104), BG (Nr. 855) und CG (Nr. 576). 524 Jochen Klepper, Kyrie. Geistliche Lieder, Berlin 1938, 43. 525 Die Gedichte in dem Bändchen orientieren sich zum einen an Stationen des Lebensweges, mit Liedern zum Geburtstag, zur Hochzeit oder eben zum Neuen Jahr; zum anderen orientieren sie sich am Kirchenjahr: mit Weihnachten, Gründonnerstag und anderen Festtagen. Vgl. Kohler, Glaube und Wort, 131 f. 526 Hahn, Zeit und Ewigkeit, 116.

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vollzogenen und abgeschlossenen Bewegung kann „zugewandt“ hier gleichfalls eingereiht werden. Ganz im Gegensatz zu dieser zweiten Isotopieebene lassen sich zahlreiche Begriffe der Dynamik finden: „nehmen“, „wandeln“, „führen“, „weisen“, „zerrin­nen“, „lenken“, „vergehen“, „kehren“, „treiben“, „fahren“, „strömen“, „dringen“, „Flug“ und „schreiten“. Auch „veralten“ kann in diese Zusammenstellung aufgenommen werden, als Beschreibung eines, wenngleich langsamen, Prozesses. Es sind ungleich mehr Begriffe, die mit Dynamik zusammenhängen, als mit Statik. Ein Gefühl für die rasch vergehende Zeit, das sich beim Leser bzw. Sänger dieser Vanitasbetrachtung einstellt, wird auf diese Weise erzeugt und intensiviert. Ein Motiv, das markant wiederkehrt, ist das der Hand: In der ersten Strophe ist von Gottes Händen die Rede, die die Zeit halten. In der vierten Strophe sind es die Hände der Menschen, die, als leere Hände beschrieben, von Gott gnädig gefüllt würden. In der letzten Strophe der aktuellen Gesangbuchversionen527 vereinigen sich die genannte göttliche und die menschliche Hand im Wunsch eines Händehaltens, wenn der Beter Gott gegenüber formuliert: „[…] führe uns an deiner Hand, / damit wir sicher schreiten“. In diese, von der Urfassung so stark abweichende letzte Strophe hat Klepper im Gedichtende biblische Motive aufgenommen: Die Bitte um das Zugewandtbleiben Gottes erinnert an den Aaronitischen Segen528 und ist Ausdruck dafür, dass Gott bisher als menschenfreundlicher Gott wahrgenommen wurde. Die Aufforderung, die Menschen an der Hand zu nehmen und zu führen, nimmt Bezug auf das Bild der Gotteskindschaft: Menschen vertrauen sich Gottes Führung an, da sie glauben, dass er ihren Lebensweg kennt, und sie hoffen, so auf ihrem persönlichen Weg „sicher schreiten“ zu können. Die veränderte Fassung der letzten Strophe ist nicht gänzlich von der Erstfassung abgelöst, denn das Motiv der Hand Gottes ist in beiden Strophenfassungen vorhanden. In der älteren ist sie indirekt angesprochen, indem die flehentliche Bitte formuliert wird: „Lass […] uns dir nur nicht entgleiten“. Hier wird darauf gehofft, von den Händen Gottes gehalten zu werden. Der (Lied-)Text beschreibt die Eigenschaften Gottes in Abgrenzung von den Eigenschaften der Menschen. Der erkennbar große Unterschied wird mehrfach herausgestellt: Gott lenkt – der Mensch wird geführt. Gott verfügt über die Zeit und schenkt sie den Menschen; seine Zeit bleibt, seine Jahre haben kein Ende, während die Zeit der Menschen befristet ist. Ein Gefühl Gottes wird benannt, ist aber übertragen zu verstehen: „Wir fahren hin, durch deinen Zorn“. Mit Zorn wird das Sterben der Menschen und die

527 Siehe Anm. 524. 528 Num. 4,24–26.

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Tatsache, dass sie sterben müssen, umschrieben. Dieser Zorn wird klassischerweise auf den Sündenfall der Menschen bezogen. Im Übertreten des Gebotes, nicht vom Baum der Erkenntnis zu essen, liegt in der biblischen Darstellung die Ursache dafür, dass die Menschen Gut und Böse erkannten. Aber sie mussten in der Folge das Paradies verlassen und wurden sterblich. Trotz allem bleibt Gott den Menschen gnädig, und sein Heilshandeln dient der Überwindung der Trennung von den Menschen durch Sünde und Tod. Die fünfte Strophe von Kleppers Text lässt sich nicht so leicht deuten. Es wird gewünscht, dass das Geschenk der Gnade Gottes „Wert und Maß“ der Tage sein möge. Die in Schuld verbrachten Tage, das Versäumte und Verfehlte, wird durch die Gnade „abgeschirmt“ – die Schuld darf nicht mehr vor Gott dringen. Die Formulierung „darf nicht mehr“ ist an dieser Stelle zweideutig: ist es der Wunsch des Menschen, dass die Schuld nicht mehr vor Gott dringen darf, oder ist es von Gottes Seite her so bestimmt? Klepper vermittelt ein Bild von Gott als dem Spender der Zeit, der Gnade schenkt, Schuld vergibt, mit Güte lenkt und Bürden in Segen zu wandeln vermag. Er ist allerdings nicht allein der Spender der Menschenzeit, sondern zu ihm kehrt sie auch zurück. In seiner Ewigkeit wird die verlebte Zeit der Menschen aufbe­wahrt. Dies fasst Klepper in die Worte „kehre jeden Tag zu dir“. Die Verwendung von „kehre“ ist das Ergebnis mehrfacher Abänderungen der Gedichtzeile. Vorher hatte Klepper es u. a. mit „wandle“ versucht. „Kehre“, für das er sich schließlich entscheidet, lässt an dieser Stelle des Gedichtes eine Doppeldeutigkeit entstehen: Zum einen kann es kehren im Sinne von „zurückkehren“ verstanden werden. Zum anderen assoziiert man mit kehren auch die Tätigkeit des „Zusammenkehrens“. Versteht man es so, dann ergibt sich mit der folgenden Zeile zusammengelesen ein Bild, das Menschen als Laub529 versteht, das im Wind (der Zeit) umhertreibt. „Im Fluge unserer Zeiten“ (Str. 6,3) beschreibt zum einen die schnell verge­ hende Zeit und zum anderen und im Besonderen die schnell vergehende (Lebens-)Zeit eines jeden Menschen  – daher der Plural. Dem Fluge der Menschenzeit gegenüber steht Gott als der Ewige und somit als ein beständiger Bezugspunkt. Während der Mensch nicht fähig ist, die Zeit zu überblicken, und ahnungslos ist, was die ihm zugemessene Zeit anbelangt, hat Gott Kenntnis vom Anfang und Ziel der gesamten Zeit; der Weltzeit wie auch Lebenszeit eines jeden Menschen. Anfang, Mitte und Ende der Zeit, verbunden mit einem Ziel, beschreiben den linearen Zeitverlauf. Der feste Punkt in der vergehenden, fließenden, ja verfliegenden Menschenzeit ist die Mitte der Zeit, die von Gott durch Jesus Christus 529 Vielleicht in Abwandlung der Metapher vom Menschen, der „wie Gras“ oder „wie eine Blume“ ist. Vgl. Ps 103,15.

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bestimmt worden ist; denn von Christi Geburt an berechnet sich unsere (Ka­ lender-)Zeit. Mit der Beschreibung als Mitte der Zeit eröffnen sich mehrere Bedeutungsebenen. Zum einen beinhaltet sie, dass auf sein (vermutetes) Geburtsjahr hin und von diesem Jahr an unsere Zeitrechnung eingerichtet ist. Die Zeit ist geteilt in „vor Christi Geburt“ und „nach Christi Geburt“. Unter „Mitte der Zeit“ kann aber auch verstanden werden, dass der Sohn Gottes in die Zeit kam und mit seinem Leben, Sterben und Auferstehen den Tod überwand. Dies wurde für Christen zum zentralen Ereignis, zum Zentrum – zur Mitte der Geschichte. Und schließlich kann „Mitte der Zeit“ darauf verweisen, dass es außer der Mitte auch Ränder bzw. ein Ende der Zeit gibt. So klingt über die gegenwärtige Zeit­ hinaus die erwartete Wiederkunft des Christus an. 5.3.1.3 Das Neue Jahr und Menschenzeit sowie Gotteszeit Die theologische Basis für das Gedicht Kleppers bilden die genannten Psalmen, darüber hinaus aber auch die Zeittheologie seines Professors Rudolf Hermann.530 Es wird nicht ganz deutlich, ob Klepper ein dezidiertes Vorsehungsverständnis hat, das hinter den Zeilen steht. Hat Gott die Zeit des Menschen schon von Anbeginn bestimmt, ohne dass er weiter Einfluss nimmt, oder bleibt ihm die Möglichkeit einzugreifen? Doch selbst wenn er sie hätte: Vergangenes kann er nicht ungeschehen machen. Dass Gott geschehenes Böses in Gutes wandeln kann, dessen ist sich Klepper sicher. Undeutlich bleibt auch, wie die Nennung der „Last des Jahres“ zu verstehen ist. Es könnte die Last des anbrechenden Jahres gemeint sein, wofür die Überschrift Neujahrslied sprechen würde. Die vorangegangene Analyse legt allerdings eher eine retrospektive Sichtweise nahe. Denn es kann nur Zeit, die vergangen ist, zu Gott zurückkehren. Des Jahres Last, das ist erlebte Zeit, die Gott anbefohlen wird, damit er sie in Segen wandle. Und wenn in der fünften Strophe von dem Versäumten und Gefehlten gesprochen wird, geschieht dies auch in einer Art Rückschau. In der Singpraxis von heute, in der den Sängern die Entstehungssituation meist nicht bekannt ist, wird das Lied eher am Altjahresabend gesungen. So befindet sich der Singende in der Rückschau und „die Last“ wird interpretiert als alles Schwere, das sich im Jahresverlauf angesammelt hat. Es ist eine auffällige und bedeutsame Änderung, die Klepper in der kurzen Zeit zwischen Abfassung und Veröffentlichung des Textes an der letzten Strophe vornimmt. Indem er aus dem Bild eines in Tiefen stürzenden Steines eine 530 Assel, Briefwechsel, 157–159, weist darauf hin, dass Klepper im Frühjahr 1936 Hermanns Aufsatz „Zur Frage der ‚christlichen Geschichtsdeutung‘“ erhalten hat. Dieser Aufsatz ist zu finden in: Wort und Tat. Zeitschrift für evangelische Wahrheit und kirchliche Verantwortung, 12. Jg. 1936, 69–75.

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Bitte um Zuwendung, Führung und Sicherheit macht, kehrt er den Schluss ins Positive. Aus der vertikalen Bewegung des einsamen Fallens in ungewisse Tiefen, bei dem Gottes Beistand ebenso unsicher scheint, wird nun eine horizontale Bewegung des gemeinsamen sicheren Schreitens durch die Zeit. 5.3.1.4 Rezeptionsgeschichte Die Jahre 1937 bis 1940 sind hinsichtlich der Gedichte, die Kirchenlieder wurden, Kleppers produktivste Zeit.531 Sein Gedichtbändchen „Kyrie“ fand viele Leser. Bereits 1939 erschien eine zweite Auflage (6.–8. Tausend) und 1941 eine auf 30 Lieder erweiterte dritte (9.–15. Tausend).532 Bereits die frühen geistlichen Gedichte ohne Melodien bezeichnete Klepper als Kirchenlieder;533 mit der Bezeichnung wollte er den von ihm vorgesehenen ‚Wirkungsort‘ bestimmen.534 Dass noch zu seinen Lebzeiten eine Gesangbuchkommission mit ihm Kontakt aufnimmt und eine gekürzte Fassung von „Ich liege, Herr, in deiner Hut“ als Abendlied ins Reformierte Kirchengesangbuch der deutschsprachigen Schweiz aufnehmen möchte, freut ihn sehr.535 Die Rezeption von „Der du die Zeit…“ hat in der Schweiz einen besonderen Verlauf genommen. Im Reformierten Kirchengesangbuch (RKG) war zunächst nur die letzte Strophe zu finden, die beginnt mit: „Der du allein der Ewge heisst“. Sie stand unter der Rubrik „Sendungslieder“. Die Kommission, die dann über die Lieder für das RG zu befinden hatte, entschied sich, das Lied mit allen Strophen aufzunehmen. Im gleichen Zuge wurde es nun neu unter die Rubrik „Jahreswechsel“ gestellt. Der Vorschlag, den Einzelvers zusätzlich an gewohnter Stelle bei den Sendungsliedern abzudrucken, fand keine Mehrheit.536 Aufgrund der Tradition und Bekanntheit der letzten Strophe in der deutschsprachi-

531 Vgl. eine chronologische Aufstellung aller Lieder (insgesamt 33) bei Wecht, Jochen Klepper, 156 ff. 532 Vgl. ebd., 156. 533 Siehe die Sammlung „Jochen Klepper. Du bist als Stern uns aufgegangen“, Berlin 1937. „Du bist als Stern uns aufgegangen“ ist das erste Kirchenlied, das Klepper verfasste (1935); er bezeichnete es als einen Versuch. 534 Vgl. Wecht, Jochen Klepper, 155. Wahrscheinlich schon im Jahr 1938 diskutierten der Literaturwissenschaftler Dr. Fritz Dehn und der Dozent an der Theologischen Hochschule der Bekennenden Kirche in Berlin, Pfarrer Heinrich Vogel, ob nicht einige der Gedichte als Kirchenlieder geeignet wären, in ein Gesangbuch aufgenommen zu werden. Bei dem Reformationslied und dem Neujahrslied waren sie sich einig: „Die könnten wirklich in der Kirche gesungen werden.“ Fritz Dehn an Jochen Klepper, 9.12.o. J. [wohl 1938 – durch Martin Wecht von Kleppers Tagebucheintrag am 16.12.1938 rückgeschlossen], zit. aus der Quellensammlung von Wecht, Jochen Klepper, 484. 535 „Nun ist da, was ich erst am Ende meines Lebens für möglich hielt, ja, nach dem Tode.“ Klepper, Schatten, 723. 536 Sitzung der Kleinen Kommission 918.

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gen Schweiz, konnte sich auch die Empfehlung des beratenden Germanisten537 nicht durchsetzen, die ältere Fassung von Kleppers Lied zu verwenden, mit: „wie wenn ein Stein in Tiefen stürzt“. Über die Melodie kommt es zu Diskussionen, da das Lied als ö-Lied auch im KG abgedruckt werden soll. Auf der Suche nach der geeigneten Melodie wird von der Großen Kommission (GK) die in „Kumbaya“538 verwendete favorisiert (bei Johann Balthasar König von 1738)539, während von katholischer Seite „O Herz des Königs aller Welt“ gewünscht wird. Die Gesamtkommission entscheidet sich für die Melodie von König, mit der es nun auch in KG 355 zu finden ist. Die Melodie der Nr. 45 im EKG (Siegfried Reda 1960) wurde von der AÖL 2008 als Zweitmelodie anerkannt. Damit gehört es nun zu den „ö“-Liedern. 5.3.1.5 Das Neue Jahr – Den Gefährdungen durch die Zeit standhalten Wie deutlich wurde, ist das Gedicht Kleppers sehr bald zu einem Kirchenlied geformt worden. Die Thematisierung einer schweren Zeit als „Jahres Last“ und das ausgesprochene Grundvertrauen in Gottes Begleitung durch diese Zeit machen es zu einem wichtigen Lied auf der Schwelle zu einem neuen Jahr, wobei es durch die rückschauende Perspektive am ehesten zu Silvester passt. Die Ambivalenz der Gefühle an diesem Übergang wird selten so in Worte gefasst, wie hier. Gefährdung und Vertrauen darauf, den Gefährdungen mit Gottes Beistand standhalten zu können, kommen zum Ausdruck. Statik und Dynamik, das Innehalten und Fortschreiten in der Zeit werden in Worten verdichtet, wie auch die Fragmentarität und Bedrohung des Seins (v. a. in der Urform der letzten Strophe). Die Zeit steht im Zentrum – ein Thema, das Klepper sehr beschäftigt hat. Nach Hahn ist er neben Paul Gerhardt „der wohl einzige evangelische Dichter, der sehr bewusst die Zeitzyklen wahrnahm: den Rhythmus des Tages, den Weg des Kirchenjahres, aber auch den Lebenslauf.“540 Als Lied findet es über die Jahreswende hinaus auch Verwendung an Kasualgottesdiensten, den Übergängen auf dem Lebensweg.

537 Aus Hermann Kurzkes Gutachten: „Die poetische Analyse muss der Erstfassung den Vorzug geben. Sie enthält starke neue Bilder der Gefahr (verkürzte Tage, der stürzende Stein, die Gefahr des Entgleitens). Je sinnfälliger die Gefahr dargestellt wird, umso stärker wirkt die Zusage von Gottes Schutz. In Strophe 6 wie Vorlage aber ist alles harmlos, das Geführtwerden von viel geringerem Reiz, da keine sinnfällige Gefahr droht.“ 538 Kumbaya (Zürich 1980), Nr. 215. 539 Als weitere Möglichkeiten werden aufgeführt: Zahn II 2544: „Nun Hosianna, D ­ avids Sohn“ sowie EKG 245: „Kommt her zu mir, spricht Gottes Sohn“ (Melodie aus dem 15. Jahrhundert; geistlich 1530). Von Jürgen Petzold stammt der vierstimmige Satz. Zudem sendete er am 24.1.1985 eine selbst komponierte Melodie zu dem Text an HansChristian Drömann. 540 Hahn, Zeit und Ewigkeit, 116.

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Diesseitiges und Jenseitiges trifft am Übergang zusammen. Und das Zusammentreffen wird transzendiert. Der Jahreswechsel wird so zum Paradigma des einstigen, totalen Übergangs und des Zeitenendes. 5.3.2

Von guten Mächten treu und still umgeben – Dietrich Bonhoeffer (1944/45)

[1.] Von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar, so will ich diese Tage mit euch leben und mit euch gehen in ein neues Jahr. [2.] Noch will das alte unsre Herzen quälen, noch drückt uns böser Tage schwere Last. Ach Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen das Heil, für das du uns bereitet hast. [3.] Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern, des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand, so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern aus deiner guten und geliebten Hand. [4.] Doch willst du uns noch einmal Freude schenken an dieser Welt und ihrer Sonne Glanz, dann woll’n wir des Vergangenen gedenken und dann gehört dir unser Leben ganz. [5.] Lass warm und hell die Kerzen heute flammen, die du in unsre Dunkelheit gebracht, führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen! Wir wissen es, dein Licht scheint in der Nacht. [6.] Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet, so lass uns hören jenen vollen Klang der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet, all deiner Kinder hohen Lobgesang. [7.] Von guten Mächten wunderbar geborgen erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen, und ganz gewiss an jedem neuen Tag.

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5.3.2.1 Älteste Textfassung Das Gedicht des Theologen Dietrich Bonhoeffer entstand zum neuen Jahr 1944/1945 in der Situation der Gefangenschaft. Am 5. April 1943 hatte man ihn festgenommen, und er wurde mit dem Vorwurf der „Wehrkraftzersetzung“ im Keller des Reichssicherheitshauptamtes in Berlin gefangen gehalten. Das Gedicht ist Teil eines Briefes, den er handschriftlich an seine Verlobte, Maria von Wedemeyer, schrieb. Der Brief ist erst seit 1988 allgemein zugänglich;541 vorher kursierte der Liedtext als Abschrift, die Bonhoeffers Mutter Paula542 mit einer Schreibmaschine angefertigt hatte.543 1945 wird Bonhoeffer kurz vor Kriegsende gehängt. Sein Gedicht erscheint erstmalig, als sich sein Todestag jährt: Der Ökumenische Rat in Genf veröffentlicht es am 9. April 1946.544 5.3.2.2 Analyse Der Text, entstanden zu einem Jahresübergang in ungewisser Zeit, besteht aus sieben Strophen. Im Original hat Bonhoeffer sie nummeriert; dies hat er nur mit einem einzigen weiteren Gedicht545 getan, und es lässt vermuten, dass er die Strophen als Liedstrophen verstanden hat.546 Jede Strophe steht in einem fünfhebigen Iambus, ist über Kreuz gereimt und wechselt zwischen weiblicher und männlicher Kadenz. Die Worte „Von guten Mächten“ leiten sowohl die erste als auch die letzte Strophe ein und bilden so einen Rahmen. Es ist ein Weg, der durch die sieben Strophen beschritten wird, so dass die Wiederholung der Anfangsworte am Ende des 541 Vgl. Henkys (2001), Von guten Mächten, 453. Maria von Wedemeyer-Weller veröffentlichte den Brief erstmals 1967 auszugsweise in einer englischen Übersetzung. Vgl. Henkys/ Schmid, Von guten Mächten, ÖLK . Ein Abdruck der Briefseite mit dem Gedicht findet sich im Geistlichen Wunderhorn, Henkys (2001), Von guten Mächten, 454. Bethge, Zur Textgestalt, 5–6. 542 Sie erhielt das Gedicht ihres Sohnes in Kopie, einem Brief zu ihrem Geburtstag beigelegt; datiert vom 28.12.1944. Vgl. Fuhrmann, Von guten Mächten, 200. 543 Zu den Abweichungen vom Original und Textvarianten vgl. Henkys (2005), Von guten Mächten, 262. 544 Vgl. Eberhard Bethge, Liedpredigt zu „Von guten Mächten“ am 17.1.1988. In: Ders. (Hg.), Erstes Gebot und Zeitgeschichte, München 1991, 142–153, hier 143. 545 Es handelt sich um „Christen und Heiden“. Faksimiles der Autographe sind zu finden bei Henkys, Dietrich Bonhoeffers Gefängnisgedichte, 57–65. 546 Die Allgemeinheit eines Kirchenliedes erlangt nur die Formulierung in der siebten Strophe; vgl. Schönherr/Fischer, Von guten Mächten, 37. Nachdem Henkys lange annahm, dass kein Lied des von Bonhoeffer verwendeten Gesangbuches den Hintergrund des Gedichtes bilden konnte, hat er nun doch ein Lied identifiziert, das als „verborgenes“ Vorbild gedient haben könnte. Gottfried Arnolds „So führst du doch recht selig, Herr, die Deinen“ bedeutete Bonhoeffer sehr viel und er empfahl es auch seiner Braut zur Lektüre. Die achtzeiligen Strophen dieses Liedes stimmen in der ersten Hälfte jeweils genau mit dem Metrum von „Von guten Mächten“ überein. Vgl. Henkys, Geheimnis, 283.

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Liedes nicht als Rückgriff und damit Kreisschluss zu verstehen sind, sondern als Ziel eines Weges: Es ist ein anderer Punkt erreicht und eine neue Sicht der Dinge eingetreten. Wie der Weg aussieht und wo er hinführt wird anhand der Sprecherperspektive in dem Text deutlich. Fuhrmann547 hat diese eingehend herausgearbeitet. Spricht das einzelne „Ich“ zu Beginn eine sehr vertraute Gruppe (das „Euch“) an, so ist dieses Vertrautsein so groß, dass eine nähere Erläuterung unnötig ist. Ein Ich und die ihm Nahestehenden sind in Beziehung gesetzt zu den „guten Mächten“, die von Henkys als „Engel“548 identifiziert werden. Engel als Zwischenwesen sind Garanten für Gottes Beistand; sie vermitteln Trost, Schutz und Geborgenheit – auch Zuversicht. Ihr Wirken ist kein Getöse und geht nicht laut vonstatten. Es ist „still“, wo sie zugegen sind.549 Engel müssen aber nicht Personen sein. Für Bonhoeffer wird Gelesenes und Erfahrenes, wird Gehörtes und Gesprochenes zu wertvollem Trost in der Einsamkeit. So äußert er sich zu seiner Situation und im Blick auf Weihnachten und den Jahreswechsel seiner Verlobten gegenüber im Briefzusammenhang: Es werden sehr stille Tage in unserm Häuschen sein. Aber ich habe immer wieder die Erfahrung gemacht, je stiller es um mich herum geworden ist, desto deutlicher habe ich die Verbindung mit euch gespürt. Es ist, als ob die Seele in der Einsamkeit Organe ausbildet, die wir im Alltag kaum kennen. So habe ich mich noch keinen Augenblick allein und verlassen gefühlt. Du, die Eltern, Ihr alle, die Freunde, die Schüler im Feld, Ihr seid mir immer ganz gegenwärtig. Eure Gebete und guten Gedanken, Bibelworte, längst vergangene Gespräche, Musikstücke, Bücher bekommen Leben und Wirklichkeit, wie nie zuvor. Es ist ein großes unsichtbares Reich, in dem man lebt und an dessen Realität man keinen Zweifel hat. Wenn es im alten Kinderlied von den Engeln heißt, „zweie, die mich decken, zweie, die mich wecken“, so ist diese Bewahrung am Abend und am Morgen durch gute unsichtbare Mächte etwas, was wir Erwachsenen heute nicht weniger brauchen als die Kinder.550

In den folgenden Strophen werden Gott gegenüber Bitten geäußert; die erste beginnt mit einem direkten Anruf „Ach, Herr“ (Str. 2, V. 3). Der Beter nennt sich und die Seinen zusammengenommen „wir“. Dem steht das göttliche „Du“ (groß547 Fuhrmann, Von guten Mächten, 180 f. 548 Vgl. Henkys (2001), Von guten Mächten, 456. Er weist den engen Bezug zu zwei Psalmstellen auf, die den Hintergrund gebildet haben dürften: Ps 139,5 „Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir.“; sowie Ps 91,11 „Er hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen.“ Vgl. ebd. Fuhrmann greift dies auf und verdeutlicht weitere Bezüge, indem sie das Gedicht in einer Synopse mit Psalm 91, Psalm 34 und dem Lied „So führst du doch recht selig“ von Gottfried Arnold (in Anlehnung an Psalm 4) vergleichend zusammenstellt. Siehe Fuhrmann, Von guten­ Mächten, 197 f. 549 Dies erinnert an den Propheten Elija, von dem es heißt, Gott sei ihm nicht im Vulkanausbruch u. ä. begegnet, sondern in einem sanften Säuseln. Vgl. 1. Kön 19,11 ff. 550 Bonhoeffer, Brautbriefe, 208.

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geschrieben!) gegenüber. Die sich anschließenden Strophen sind ebenfalls wir/ Du-Strophen, bis auf die letzte. In dieser ist das Anredeverhältnis aufgehoben, wenn es heißt (Str. 7, V. 3)551: „Gott ist bei uns“ und nicht „Du bist bei uns“. Es findet sich hier keine Anrede eines Gegenübers. Vielmehr wird eine allgemeingültige Aussage gemacht. Das Gedicht schreitet so von der Ich-Ihr ­Strophe über die Wir-Du-Strophen hin zur Wir-Gott Strophe fort. Das Zwischenmenschliche erweitert sich um die göttliche Dimension. 5.3.2.3 Weitung des Horizonts Dass der Text des Liedes in einer Extremsituation verfasst wurde, ist ihm an mancher Stelle anzumerken. Das wird besonders deutlich, wenn man darauf achtet, wie das Motiv der Zeit aufgenommen und gedeutet ist: An der Wende vom einen zum anderen Jahr werden hier Menschenzeit, Gotteszeit und aktuelle Zeitumstände miteinander verknüpft und theologisch ausgelegt. Da ist zum einen von „diesen Tagen“ die Rede und dem Willen des lyrischen Ichs, mit den Angeredeten in ein neues Jahr zu gehen, ja viel mehr noch: Es ist der Wille, mit ihnen zu leben. Diese Tage, das sind die Tage des Übergangs, von einem in das andere Jahr. Das alte Jahr552 (Str. 2, V. 1) wird negativ charakterisiert und personifiziert, indem ihm ein Wille zugesprochen wird. Aus Sicht des lyrischen Ichs scheint es der Wille des alten Jahres zu sein, die Herzen der Menschen zu quälen. Das zurückliegende Jahr zeichnet sich durch böse Tage aus, die bis zum jetzigen Zeitpunkt alle belasten. Die beschriebene Situation ist bedrückend, nicht nur die Herzen der Menschen sind beschwert, sondern es sind auch ihre Seelen betrof551 Abweichend vom Original ist die Formulierung „Gott ist mit uns“ verbreitet worden. Darin schwingt die wörtliche Übersetzung des hebräischen Namens „Immanuel“ mit – und die Weihnachtsbotschaft klingt leise an. Allerdings wird der so gering wirkende Unterschied zwischen einem „mit“ und einem „bei“ theologisch bedeutsam: „Erstere Formulierung transportiert ihrer Bedeutung nach eher die Tendenz, dass Gott alles menschliche Agieren gutheißt. In der ursprünglichen Wendung Gott ist bei uns zeigt sich das Wesen Gottes als treuer Bundesgott. Er ist ein Gott der Menschen, die er selbst im Leid nicht allein lässt, sogar selbst Mensch wird, um mit ihnen zu leiden. Er trachtet danach, sie so von jeglicher Not zu befreien.“ Fuhrmann, Von guten Mächten, 183. Die Formulierung „Gott mit uns“ („Nobiscum deus“) ist nicht ganz unbelastet, denn sie hat auch militärische Anklänge. Die Formel war der Schlachtruf des späten Römischen und des Byzantinischen Reiches; ins Deutsche übersetzt wurde sie auch vom deutschen Orden verwendet. Vgl. Haldon, Warfare, State and Society, 24.  Der Ausspruch war Wahlspruch des preußischen Königshauses und der deutschen Kaiser. Er stand auf den­ Koppelschlössern der deutschen Soldaten des Ersten Weltkriegs und wurde auch nach dem Ende der Monarchie von Reichswehr und Wehrmacht benutzt. 552 Durch die gelegentliche Großschreibung des „alten“ in Strophe 2 (erste Zeile) wurde die Beziehung zwischen der ersten und zweiten Strophe, zwischen dem erwähnten neuen und dem alten Jahr nicht mehr erkennbar.

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fen; sie sind „aufgeschreckt“. Hinsichtlich der Bitte um Heil, vielleicht auch Heilung, ist das Wörtchen „noch“ von Bedeutung. Als Anapher der ersten Zeilen der 2. Strophe sticht es besonders hervor. Das „Noch“ klingt an das biblische „noch nicht“ an, das mit der göttlichen Verheißung der Vollendung verbunden ist. Das Heil steht noch aus, das Heil, für das der Schöpfer die Menschen geschaffen hat. Daran erinnert der Beter sein Gegenüber. Denn Heil, das ist eine Kategorie, die nicht mit „Glückhaben“ gleichgesetzt werden kann.553 Es geht vielmehr um Ganzheit, ein Heilwerden wie auch um die Erlösung aus Schuld und Not und die Erlösung von dem Bösen. Die Lebenszeit des Menschen, wie auch der Beginn seines Lebens, werden hier in Erinnerung gerufen. Und die folgenden zwei Strophen entwerfen nach der skizzierten Situationsbeschreibung zwei unterschiedliche Zukunftszenarien. Wenn das neue Jahr fortführt, was das alte gebracht hat, so wird es gleichfalls von Leid geprägt sein; geprägt von größtem Leid, wie es durch den schweren, bitteren und randvollen Kelch des Leids554 verbildlicht wird. Hintergrund dieses Bildes ist die neutestamentliche Gethsemane-Szene. Jesus ringt mit seinem Vater. Er hat Todesangst. In den Worten „Lass diesen Kelch an mir vorübergehen“ (Mk 14,36/Mt 26,39) äußert er die Hoffnung, dass sich alles noch einmal zum Guten wendet, legt dann aber alles in Gottes Hände, indem er wünscht, dass nicht sein eigener, sondern Gottes Wille geschehen möge. Bonhoeffer variiert die Szene, indem er nun in der Mehrzahl, einem „Uns“, von dem Kelch spricht, der durch Gott gereicht wird: „Der Jesus zugemutete Kelch geht auch nicht an denen vorüber, die Jesus nachfolgen“.555 Sollte Gott mit dem kommenden Jahr dieses Leid bringen, so würde es das „Wir“ trotzdem dankbar, furchtlos und vertrauensvoll entgegennehmen. Das Hiobmotiv klingt an, in dem das Schlechte, wie auch das Gute als von Gott kommend angesehen und angenommen wird (Hiob 1,21: „Der HERR hat’s gegeben, der HERR hat’s genommen; der Name des HERRN sei gelobt.“). Die positive Wendung als die andere Entwicklungsmöglichkeit, wird in der vierten Strophe entfaltet. Das neue Jahr könnte auch besser werden, als das zu Ende gehende. Wenn der Wunsch geäußert wird, „noch einmal“ Freude geschenkt zu bekommen, ist dies eine doppeldeutige Formulierung. Zum einen 553 Das betont Henkys (2001), Von guten Mächten, 457. 554 Das Motiv begegnet bei Bonhoeffer bereits in einer Meditation zu Psalm 119 (1939/1940), worauf Henkys hinweist. Vgl. Henkys/Schmid, Von guten Mächten, ÖLK . „Sollte aber Gott einem der Seinen wirklich den Kelch des Leidens um Christi willen bis zum bitteren Ende in Kreuz und Tod zu trinken geben – wessen er doch zu allen Zeiten immer nur wenige gewürdigt hat –, so hat er gewiss ihr Herz vorher so bereitet, dass gerade sie es sind, die es mit starkem Glauben in ganz neuer und vollmächtiger Weise bezeugen: ‚wohl denen, die im Gesetz des Herrn wandeln.‘“ Bonhoeffer, Werke 8, 506. 555 Henkys, Geheimnis, 275.

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kann sie so verstanden werden, dass hier auf gute und schöne Momente in vergangenen Jahren rekurriert wird. Das „noch einmal“ wäre dann als Wieder­ho­ lung erfahrener Freude zu verstehen. „Noch einmal“ kann aber auch als „noch ein einziges Mal“ interpretiert werden; dann wäre es als ein letzter Wunsch aufzufassen. Die Freude bezieht sich auf das Helle in der Welt: „der Sonne Glanz“. Hier wird die Assoziation mit einem hellen und freundlichen Tag hervorgerufen, zu der im Gegensatz Teile der Strophe 5 stehen. Wichtig sind die zwei Zeitdimensionen, die in Strophe 4 benannt werden. Die ersten beiden Zeilen sind auf das Zukünftige gerichtet, von dem Gutes erhofft wird. Sollte es eintreten, „dann“ würde der Blick in die Vergangenheit ein anderer; das „Gedenken“ an die Vergangenheit zeigte, dass auch aus Bösem­ Gutes erwachsen kann (vgl. Gen. 50, das Ende der Josefserzählung), und das gesamte Leben der Menschen würde Gott übereignet. Träte das Gute ein, so wäre das Vergangene aber nicht fortgewischt und aus der Erinnerung verbannt. „Die dann zur Vergangenheit gewordenen Leiden werden nicht einfach verschwunden sein. Sie bleiben im Gedenken gegenwärtig und machen mit allem Neuen zusammen die Ganzheit der wiedererlangten irdischen Existenz aus – im Dank: und dann gehört Dir unser Leben ganz.“556 In der fünften Strophe vereinigen sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Aus der Vergangenheit bis in die Gegenwart dehnt sich die Dunkelheit der Menschen. Das Bild „unsere Dunkelheit“ erfährt keine Präzisierung. Es steht für sich. In der Vergangenheit liegt auch das Handeln Gottes, der Kerzen in die Dunkelheit gebracht hat, so dass sie jetzt leuchten. Die Kerzen, ob es nun weihnachtliche Kerzen sind oder ein Sinnbild für Jesus als Licht der Welt, sollen warm und hell sein; das ist die Bitte für die jetzige Situation, das Heute. Auf die Dimension der Zukunft bezogen wird die Bitte geäußert, „uns“, also das Ich und das Ihr, wieder zusammenzuführen, da sie voneinander getrennt sind. Man merkt auf bei „wenn es sein kann“ (Str. 5, V. 3). Gott wird Verfügungsgewalt über die Zukunft zugetraut. Er möge doch eingreifen, wenn es sein kann, und alles zum Guten wenden. Im Wissen darum, dass Gott auch die Dunkelheit erhellt557, so dass die Finsternis bzw. Nacht nicht dunkel ist, wird zu Strophe 6 übergeleitet. Hier rückt augenblicklich die Situation wieder ins Blickfeld. „Nun“ herrscht tiefe Stille, die sich ausbreitet. Und, wo es eigentlich nichts mehr zu hören gibt, wird etwas zu hören erbeten. Es soll der volle Klang der Welt sein. Es kann nur gemutmaßt werden, was mit dem „vollen Klang der Welt“ gemeint ist: ob nun 556 Henkys (2001), Von guten Mächten, 458. 557 Vgl. Ps 139,12: „Denn auch Finsternis ist nicht finster bei dir, und die Nacht leuchtet wie der Tag.“

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das Zusammenspiel aller Klänge, Töne, Geräusche, die jeder Einzelne im Laufe seines Lebens aufnimmt und die in der Stille „nachklingen“ und wieder lauter werden mögen, oder ob vielleicht der volle Klang der Kirchenglocken558 zu Silvester angesprochen wird. Henkys lässt diese Assoziation aufkommen, ob bewusst oder unbewusst, indem er aus dem Kirchenlied des Hofpredigers Rudolf Kögel (1829–1896) zitiert. Kirchenglocken, die erklingen, werden volkstümlich auch als „Stimme Gottes“ interpretiert. Bei Kögel heißt es: „Zions Stille soll sich breiten / um mein Sorgen, meine Pein; / denn die Stimmen Gottes läuten / Frieden, ewgen Frieden ein.“559 Die Welt weitet sich im Gefühl des Beters „unsichtbar“. Sie ist entweder nicht zu sehen – da in Dunkelheit verborgen – oder es ist nur spür- und nicht sichtbar, dass sich die Welt verändert und eine andere Dimension bekommt. Wie auch immer: Diese geweitete, transzendierte Welt, wird nicht nur spür- sondern auch hörbar und repräsentiert durch den Lobgesang von Gottes Kindern.560 Ob hier das „Gloria in excelsis Deo“ der weihnachtlichen Engelschöre in der Stille hörbar wird? Die letzte Strophe schließlich bringt Gegenwart, Vergangenes und Zukünftiges in Verbindung und rückt sie eng zusammen. Die gegenwärtige Situation ist durch wunderbare Geborgenheit gekennzeichnet, die der Mensch von guten, göttlichen Mächten erfährt. Der Blick in die Zukunft ist ein getrostes Erwarten der Dinge, die kommen werden: ob nun Gutes oder Böses, wie in den 558 Dass Bonhoeffer in seinem Kellergefängnis Kirchenglocken hören konnte, wissen wir aus einer Bemerkung im Pfingstbrief von 1943: „Als die Glocken heute früh läuteten, hatte ich große Sehnsucht nach einem Gottesdienst, aber dann habe ich es gemacht wie Johannes auf Patmos und für mich allein einen so schönen Gottesdienst gehalten, dass die Einsamkeit gar nicht zu spüren war, so sehr wart ihr alle, alle dabei und auch die Gemeinden, in denen ich Pfingsten schon gefeiert habe.“ Zitat aus einem Brief an Karl und Paula Bonhoeffer an Pfingsten 1943. Siehe 14.VI in: Widerstand und­ Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft. (Werke – Dietrich Bonhoeffer 8), Gütersloh 1998, 99. Welche Glocken es genau waren, die Bonhoeffer hören konnte, lässt sich heute kaum mehr feststellen. Sicher ist, dass es um das Gebäude in der Prinz-­ Albrecht-Str.  8 (heute Niederkirchnerstraße auf der Grenze zwischen Berlin-Mitte und Kreuzberg) einige Kirchen gab, die 1943 noch nicht zerstört und ausgebrannt waren. Der Ruf der Kirchenglocken zum Gottesdienst weckt in Bonhoeffer das tiefe Bedürfnis nach Gemeinschaft. In seiner privaten Gottesdienstfeier sind die Menschen, die er liebt, für ihn zugegen. Die enge Gefängniswelt weitet sich für ihn in solchen Momenten. 559 Es steht als Nummer 128 im Evangelischen Gesangbuch für Brandenburg und Pommern, Frankfurt 1931, das Bonhoeffer benutzt haben muss; vgl. Henkys/Schmid, Von guten Mächten, ÖLK , Anm. 9. 560 Henkys erinnert in diesem Zusammenhang an die Formulierung des Nicaenum, in dem es heißt, Gott habe die „sichtbare und die unsichtbare Welt“ geschaffen. Vgl. ebd. Die Engel entstammen dieser unsichtbaren Welt, mit der sich die stille Welt des Beters im Gedicht verbindet.

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vorangegangenen Strophen ausgemalt wurde; beides soll angenommen werden. Die letzten zwei Zeilen beziehen sich wohl auf den Beginn der Welt oder den Lebensanfang eines jeden Menschen. Nach biblischer Darstellung war Gott, der Schöpfer, jeden Tag zugegen und wird es als treuer Gott deshalb auch weiterhin sein. Es klingt die Schöpfungsgeschichte und die Schaffung der Zeit(-rhythmen) an: „Da ward aus Abend und Morgen der erste Tag“ (1. Mose 1,5). Aus dem erfahrenen Beistand in der Vergangenheit, dem Licht, das Gott mit Christus in die Welt brachte, und dem Heil, auf das hin er die Menschen geschaffen hat, erwächst nun die Gewissheit, dass Gott auch zukünftig bei den Menschen sein und sie begleiten wird. Wenn hier von jedem neuen Tag die Rede ist, kann das zwar die Tage eines Lebens meinen, weitet die Zeitdimension aber auch eschatologisch – bis hin zum Ende aller Zeit. Im Lied von Bonhoeffer wird ein Weg beschritten, der mit zwei Worten aus der ersten und letzten Strophe beschrieben werden kann: es sind dies „getröstet“ und „getrost“561. Auf den gleichen Wortstamm zurückgehend, haben sie unterschiedliche Bedeutungen. Getröstet impliziert vorangegangene Trauer, die aufgefangen wurde, so dass die Tränen getrocknet sind. „Getrost“ hingegen bezeichnet eine innere Haltung, eine Einstellung dem Leben und der kommenden Zeit gegenüber. Das Grundgefühl der Trauer, das den Beginn des Textes bestimmt verändert sich im Verlauf und weicht einer Haltung, die getrost auf Zukünftiges zugehen lässt. 5.3.2.4 Rezeptionsgeschichte Der Gedichttext von Bonhoeffer ist vielfach vertont worden. Nach Henkys liegt die Zahl der gedruckten Vertonungen zwischen 25 und 50.562 Die hierzulande bekanntesten Melodien563 stammen von Otto Abel (1959), Siegfried Fietz (1970) und Kurt Grahl (o. J.). Bei der Vertonung des Gedichttextes ergibt sich die Schwierigkeit, eine Melodie zu finden, die zu allen Strophen passt, damit nicht das Wort-Melodie-Verhältnis ungleich ausfällt. Die genannten sind allerdings entweder zu fröhlich – Kritiker sagen auch „seicht“ – so im Falle der Sacropop-

561 Getrost, das ist ein Wort, mit dem Luther in der Übersetzung des Neuen Testaments das griechische Wort θαρσεω wiedergibt. Bekannte Stellen, in denen das Wort in der Ansprache Jesu an seine Jünger und an andere verwendet wird sind: Joh 16,33 „In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ Mk 6,50b „Aber sogleich redete er mit ihnen und sprach zu ihnen: Seid getrost, ich bin’s; fürchtet euch nicht.“ 562 Vgl. Henkys (2001), Von guten Mächten, 460. 563 Das Lied ist in mehrere Fremdsprachen übertragen worden, so ins Niederländische, Norwegische, Schwedische, Ungarische und Amerikanische. Als Melodien werden im Ausland vorwiegend die Melodien von Joseph Gelineau (1971) und von Charles Hubert Hastings Parry (1904, By Gracious Powers – Intercessor) verwendet. Vgl. ebd.

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Melodie von Fietz564, oder sind zu schwermütig, sodass das im Text angelegte Tröstliche und Hoffnungsvolle nicht recht zur Geltung kommen kann. Die Melodie von Abel entspricht dem Inhalt, den der Text transportiert, wohl deshalb am besten, weil dem Komponisten zunächst nur die letzte Strophe des Liedes bekannt war. So bezog sich die Vertonung zunächst allein auf sie.565 Aufgrund der Kürze der Strophe, ließ er die letzten zwei Verse wiederholen. Dies entfällt, wenn das ganze Lied mit dieser Melodie gesungen wird. Den Weg in die heutigen Gesangbücher hat das vertonte Gedicht Bonhoeffers auf unterschiedliche Weise gefunden. Nachdem vielzählige Vertonungen entstanden waren, kam das Lied in Beihefte zum Evangelischen Gesangbuch. Das Genfer ökumenische Liederbuch, englischsprachige Hymbooks, niederländische und schwedische Liederbücher nahmen es auf. Gegen den Widerstand des engen Freundes und Wegbegleiters Bonhoeffers, Eberhard Bethge566, fand es Aufnahme in das Begleitheft 84 (Nr. 615) zum EKG und schließlich in das EG. Im reformierten Gesangbuch der Schweiz ist nur der Text des Gedichtes zu finden und zusätzlich die letzte Strophe mit Melodie von Otto Abel zum Gesang vorgeschlagen. Die hier getroffene Entscheidung, den Text als Text zu belassen und in dieser Form im Gesangbuch zu präsentieren, gründet auf dem Respekt vor dem „sehr persönlichen Duktus des Werkes im Angesicht des Todes.“567 5.3.2.5 Ein besonderer Abend – Silvester In ihrer Dissertation und einem späteren Aufsatz mach sich Siri Fuhrmann dafür stark, „Von guten Mächten“ als ein Abendlied zu klassifizieren. Jedoch muss man fragen, ob es das wirklich ist, denn nur in der letzten Strophe fällt das Wort Abend zusammen mit dem Morgen. 564 Eine der hervorstechenden Schwierigkeiten an dieser Melodie sieht Henkys nicht darin, dass es Sacropop ist, der hier erklingt, sondern in der Verwendung der letzten Strophe als Kehrvers. Der Glaubensweg und die Entwicklung, die der Liedtext nachvollzieht, erübrige sich, wenn das Resultat vorweggenommen werde. Vgl. ebd., 461. 565 „Zum geistlichen Lied ist Bonhoeffers Text in der DDR geworden. Der Kirchenmusiker und Komponist Theophil Rothenberg berichtete, er habe in evangelischen Jugend­ kreisen – in der „Jungen Gemeinde“ also, die damals staatlich beargwöhnt und administrativ eingeschränkt wurde  – mehrfach erlebt, dass am Ende des Gruppenabends ein Jugendlicher für den Kreis das Abendgebet hielt und dabei Von guten Mächten wunderbar geborgen sprach. Von den übrigen Strophen habe man gar nichts gewusst. Daraufhin habe er Otto Abel um eine Vertonung gebeten, die dann sogleich in die von Rothenberg herausgegebene Sammlung Die singende Schar aufgenommen wurde.“ Ebd., 459. Gemeint ist die Sammlung „Die singende Schar. Ein Liederbuch junger Christen, Bd.  III, Berlin-Ost 1959. 566 Bethges Bedenken in Bezug auf die „Entindividualisierung“ des Textes und die Loslösung vom Entstehungskontext werden besonders deutlich in der von ihm gehaltenen Predigt über das Lied. Vgl. Bethge, Liedpredigt. 567 Fendler, Von guten Mächten, 314.

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Fuhrmann führt mehrere Beobachtungen an, die das Lied für sie zu einem Abendlied werden lassen: Textparallelen zum Kompletpsalm 91, die Wortwahl, v. a. Signalworte aus dem Wortfeld hell-dunkel sowie die Verwendung verschiedener Zeitebenen. Weitere Argumente zur Stützung der These bezieht sie aus Bonhoeffers Gebetspraxis  – er verwendete Luthers tageszeitliche Segensgebete –, Bonhoeffers Erwähnung des Engelliedes der Kinderzeit in dem Brief, der auch das Gedicht enthielt, und nicht zuletzt die Rezeption des Textes, derart, dass es in der Nachkriegszeit von der Jungen Kirche in Teilen als Segensgebet während ihrer Abendandachten verwendet wurde.568 Jahreswechsellied oder Abendlied als Klassifizierung widersprechen einander nicht. Die Gemeinsamkeit besteht darin, dass der Text auf ein Ende hin verfasst wurde. Ob es nun das Ende eines alltäglichen Abends oder eines besonderen Abends im Jahresverlauf, nämlich des Silvesterabends ist: Die zurückliegende Zeit wird reflektiert. Und die Deutung bleibt auch dahingehend offen, dass es sich um eine dritte Art Abend, nämlich den Lebensabend eines Menschen handeln könnte, der hier den Hintergrund bildet. Es herrschen Stille und Dunkelheit. Der Abend wird nicht benannt, aber die Wortwahl, Zeitperspektive, Emotionen und die erzeugte Atmosphäre sprechen stark für das Tagesende. Für Fuhrmann ist er gewissermaßen symbolisch vertreten „durch die Dunkelheiten des Lebens, Zeiten der Anfechtung und der Angst, denen die göttlich schützende Bewahrung kontrastierend gegenüber gestellt wird.“569 Die Beschreibung entspricht dem Element der Gefährdung, das krisenhafte Übergänge  – seien es Abend, Jahresende, Lebensende oder eben Lebensbedrohung  – miteinander verbindet. Diese Interpretationsoffenheit ist es dann wohl auch, die dem Text eine breite Rezeption beschert hat. Ursprünglich war es ein ganz intimer Weihnachtsgruß an Bonhoeffers Verlobte und an seine Familie, der in unserer medialen Welt inzwischen zu allen möglichen (und unmöglichen) Zwecken herangezogen wird.570 Seinen Platz hat es als Kirchenlied an dem besonderen Abend des Jahres: Silvester. Es dient aber nicht nur zur Begleitung des Jahresübergangs, sondern auch dem Übergang vom Tag zur Nacht und an verschiedenen Übergängen im Lebenslauf: Es erklingt zu Konfirmationen, Abiturgottesdiensten, Hochzeiten, Ordinationen und Beerdigungen. Mit der Kategorie Abend/Silvesterabend ist allerdings noch nicht erfasst, was das Lied so geeignet macht, auch Lebensübergänge und Kasualfeiern der Kirche 568 Vgl. Fuhrmann, Von guten Mächten, 208. 569 Ebd. 570 Henkys beschreibt anschaulich, wie sich der Gedichttext oder nur Teile davon in den unterschiedlichsten Medien wiederfinden. „Man trifft sie auf Kalenderblättern, Postern und Postkarten, in Todesanzeigen und hinterlassenen Eintragungen, in Schul- und Andachtsbüchern, bei Kasualreden in der Kirche und sogar als überlegt montiertes Zitatfragment im weltlichen Gedicht.“ Henkys (2001), Von guten Mächten, 459.

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zu begleiten. Hierfür ist die Schwellensituation bestimmend: Auf der Schwelle geschieht der Rückblick auf böse und schwere Tage. Hier findet ebenso die Selbstreflexion darüber statt, wo man augenblicklich steht und wie die eigene Verfassung ist. Und es wird ein Ausblick auf die kommende Zeit versucht: auf eine Zeit, die noch nicht bestimmt, dem Menschen nicht ersichtlich ist und eine Krise hervorruft. Darum werden unterschiedliche Szenarien durchgespielt, die geschehen könnten: ein neues Jahr, das den Tod bringt, oder ein neues Jahr, das in die Freiheit führt. Über allem steht die Verheißung, dass Gott bei den Menschen sein und bleiben wird und dass die guten Mächte wirken werden. Darauf wird getrost gehofft. 5.3.3

Herr der Stunden, Herr der Tage – Hermann Hiltbrunner (1945)

[1.] Herr der Stunden, Herr der Tage! Sieh, wir stehn in Deiner Hand; Aus dem Meer von Leid und Klage Führe uns auf festes Land. [2.] Herr der Tage, Herr der Jahre! Dieser Erde Zwischenspiel: Wende es ins Wunderbare, Weis uns aller Ziele Ziel. [3.] Herr der Jahre, Herr der Zeiten! Dir sind wir anheimgestellt; Wollest unsre Schritte leiten, Herr der Menschen, Herr der Welt.571

5.3.3.1 Älteste Textfassung Der Gedichttext Hermann Hiltbrunners (1893–1961) erschien das erste Mal 1945 in der Sammlung „Geistliche Lieder“. Diese gibt „zum opus 33 vereinigte Gedichte“572 aus den Jahren 1939 bis 1943 wieder. Der Text besitzt keine Überschrift. 5.3.3.2 Analyse – Gottes Hand und die Schritte der Menschen Das dreistrophige Gedicht zu je vier Zeilen zeichnet sich durch die häufige Wiederholung einer Gottesanrede aus, die jeweils leicht abgeändert wird. Die ersten Zeilen der Liedstrophen sind parallel aufgebaut und verbinden sie miteinander. Der jeweils zweite Teil der ersten Zeile wird zum ersten Teil der Anfangszeile der Folgestrophe: „Herr der Stunden, Herr der Tage“; „Herr der Tage, Herr der Jahre“; 571 Hiltbrunner, Geistliche Lieder, 111. 572 So die Bemerkung auf der Rückseite des Titelblatts.

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„Herr der Jahre, Herr der Zeiten“. Die Analepse wird hier nicht innerhalb einer Strophe sondern über drei Strophen hinweg verwendet. Auffällig ist die Steigerung der Zeiteinheiten, über die der Herr regiert. Beginnend bei den Stunden, über Tage, Jahre, hin zu den Zeiten. Die Ewigkeit wird nicht genannt. Dies mag daran liegen, dass das Gedicht auf „dieser Erde Zwischenspiel“ abhebt. Damit ist es nicht auf ein Jenseits gerichtet, sondern ganz auf das Diesseits fokussiert. Der fern wirkende „Herr“ über alle Zeiten wird in der letzten Strophe einer, der den Menschen nahe ist und sie begleitet, weshalb er als Herr der Menschen und Herr der Welt bezeichnet wird. Eine zweite „Weitung“ geschieht in Bezug auf die Umgebung der Menschen. Vom Meer ausgehend wird das Land ersehnt, dann ist von der Erde und schließlich von der ganzen Welt die Rede – die Welt als Kosmos verstanden. In dem Text spricht eine Gruppe zu dem Herrn, der in einem vertrauten „Du“ angesprochen wird. Die Gruppe macht Selbstaussagen über ihre Sicht des Verhältnisses zum „Herrn“. Sie stehe in Gottes Hand (Str.  1, V.2)  – eine auffällige Aussage, da doch die gewohnte Redewendung ist, dass etwas in Gottes Hand „liegt“. Gleich dem Volk Gottes in Ägypten, das durch das Meer ins gelobte Land geführt wird, wünscht sich die Gruppe aus dem „Meer von Leid und Klage“ herausgeführt zu werden. „Dir sind wir anheim gestellt“ (Str. 3, V. 2) betont die Abhängigkeit der Gruppe vom Wollen und Wirken des Herrn. Der Schilderung der Situation, dass sich alle in einem Meer von Leid und Klage befänden, folgt die Einschätzung, dass ihnen die Erde ein Zwischenspiel gebe, sozusagen nur eine Episode von Zeit, umrahmt von Ewigkeit. Dieses Spiel wird als gar nicht „wunderbar“ wahrgenommen, weshalb von dem Herrn der Zeit – der auch der Herr des Zwischenspiels sein muss – erbeten wird, dieses ins „Wunderbare“ zu wenden. Das Ziel hinter allen Zielen ist der Gruppe unbekannt. Sie bittet darum, es gezeigt zu bekommen. Es sind mehrere Imperative, die den Herrn zur Handlung auffordern: sieh, führe uns, wende, weis uns. Doch in der letzten Strophe wird der direkte Imperativ nicht mehr verwendet. Wenn es um das Wollen des Herrn geht, dann kann hier nur ein Wunsch ausgesprochen werden, indem im Konjunktiv II573 formuliert wird „wollest unsre Schritte leiten“574. Der Unterschied zwischen Statik und Dynamik bestimmt die drei Strophen. Während die Gruppe in Gottes Hand „steht“, soll der Herr „herausführen“ (Str. 1).

573 Er wird im Deutschen häufig verwendet, um jemanden höflich aufzufordern. 574 Die Bitten um Führung (Str. 1) und Leitung (Str. 2) erinnern an eine Liedstrophe von Heinrich Albert (1642), die heute noch gerne als Kindergebet verwendet wird: „Führe mich, o Herr, und leite / meinen Gang nach deinem Wort. / Sei und bleibe Du auch heute / mein Beschützer und mein Hort. / Nirgends als von dir allein / kann ich recht bewahret sein.“ Vgl. EG 445: Gott des Himmels und der Erden, Str. 5.

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Während die Gruppe dem Herrn anheim „gestellt“ ist, soll der Herr ihre Schritte leiten, soll ihr Fortschreiten anführen. Die gängigen Formulierungen: „es“ steht in deiner Hand und „es“ ist dir anheimgestellt, die manches an Gott gerichtete Gebet kennzeichnen, werden hier durch den Einbezug von Personen „verfremdet“ und dadurch sehr eindringlich. Denn wenn „wir“ in Gottes Hand stehen und „wir“ ihm anheimgestellt sind, wird aus unpersönlicher Sprache existentielle Betroffenheit. Die Anreden „Herr“, die näher bestimmt werden durch „der Stunden“, „der Tage“, etc., sind Ehrbezeugungen: Der Herrschaftsbereich des Angesprochenen wird damit näher bezeichnet und gleichzeitig anerkannt. Diese Anerkennung bezieht sich nicht nur auf das Herrschen über Zeit und Raum, sondern auch über das Handeln der Menschen und ihre Ausrichtung im Leben. So ist das Lied Ausdruck der Ehrfurcht und Ehrerbietung der Gläubigen. Gott, dem Herrn, traut man die Kraft zur Veränderung zu, während ihm gegenüber die eigene Begrenztheit im Nichtwissen um das Ziel der Ziele eingestanden wird. Es wird Gottes Wissen um die Dinge betont und von ihm Führung und Begleitung erhofft. Der Liedtext zeichnet sich durch eine knappe Sprache aus. Es ist fast ein Telegrammstil, in dem von Gott als Herrn der Zeit gesprochen wird. Die Haupt­ aussage einer Strophe liest man gleich zu deren Beginn. Durch Nebensätze und Ergänzungen wird sie jeweils nur knapp erweitert. Der Text wirkt zudem so dicht, weil er nahezu ohne Adjektive auskommt (bis auf „festes Land“). Einen Eindruck zusätzlicher Verknappung und Dichte erzeigt Hiltbrunner durch Alliterationen wie „Lebens Leben“ und „Ziele Ziel“. Die verwendeten Motive lassen keinen direkten Bezug zur Zeit der Textentstehung erkennen; so ist beispielsweise von Krieg nicht explizit die Rede. Stattdessen kann jede Sängerin und jeder Sänger ein „Meer aus Leid und Klage“ (wie das „Jammertal“, als das die Welt in manchen älteren Kirchenliedern bezeichnet wird) als metaphorische Sprache annehmen und eigenständig mit Inhalt füllen. Auf diese Weise wirkt das Lied zeitlos und zeitungebunden, quasi überzeitlich. Und das, obwohl es die Zeit zum Hauptmotiv hat. 5.3.3.3 Rezeptionsgeschichte Hiltbrunners Lied fand als Werk eines bedeutenden schweizer Lyrikers den Eingang ins RKG 1952 und ist auch im heutigen RG vertreten (RG 553). Man findet es außerdem im Gesangbuch von Sibiu 1974. Es wird im RG für weitere Verwendungen vorgeschlagen, indem es auch den beiden Rubriken „Geburtstag“ und „Älter werden“ zugeordnet wird.575 Mit der

575 Vgl. RG , 46 f.

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getragenen Melodie in der Kirchentonart äolisch von Albert Moeschinger576 eignet es sich für Trauerfeiern und Beerdigungen.577 5.3.3.4 Jahreswende als Zeitenwende Das Lied stellt die Herrschaft Gottes über die Zeit in den Mittelpunkt; er regiert Stunden, Tage, Jahre und Zeiten. Doch es wird kein entfernter Gott vorgestellt, sondern einer, der aus der Not retten kann, der die Erdenzeit ins Wunderbare zu wandeln und die Schritte der Menschen zu leiten vermag. Gott, die Menschen und die Zeit werden zueinander in Beziehung gesetzt. Der Zeitbegriff wird allgemein verwendet: Der Anbruch einer neuen Zeit oder eines neuen Jahres kommt nicht direkt zur Sprache. Zunächst wird mit dem gewählten Wort „Zwischenspiel“ die Vergänglichkeit und Vorläufigkeit der Erde und ihrer Zeit betont. Der Wunsch, Gott möge dieses Zwischenspiel der Erde ins „Wunderbare“ wenden, zeigt umgekehrt betrachtet, dass wohl eine Unvollkommenheit oder auch Trostlosigkeit der Erde angenommen wird, die nur von Gott gewandelt werden kann. Der Zeithorizont hierfür bleibt offen. Ebenso, ob der Wandel das Individuum, alle Menschen zusammengenommen oder auch die Erde betreffen wird.

5.4

Ergebnisse und Vergleich

Drei Lieder des 20.  Jahrhunderts sind untersucht worden. Trotz der unterschiedlichen Verfasserschaft und Situationen, die hinter den Liedern stehen, lassen sich einige Ähnlichkeiten oder gar Gemeinsamkeiten feststellen. Die „Hand Gottes“ ist ein Motiv, das in allen drei Texten erscheint. Es fragt sich, warum alle drei Autoren dieses Motiv wählen, um von Gott zu sprechen. Da ist zum einen die Hand, die als Teil für das Ganze steht. Gott wird anthro­ pomorph gedacht: Er hat Hände, in denen er die Zeit, die Menschen, die Welt hält. Seine Hände sind Schöpferhände; ihrer Kunstfertigkeit verdanken die Menschen ihr Leben und ihre Lebenszeit. Seine Hände sind Segenshände: Sie bieten Schutz, Geborgenheit und Halt. Und schließlich sind seine Hände das Symbol für die Möglichkeit des Kontaktes zwischen Mensch und Gott, für die enge Verbindung, wie die eines Vaters oder einer Mutter zu ihrem Kind, die das Kind an die Hand nehmen, seinen Weg bestimmen und dafür sorgen, dass es nicht fällt. 576 Für die Version im RG 553: Melodie: 1947, Satz: 1952. 577 Auf der Internetseite der Liturgiekommission der Schweiz ist es in einer Liste der hierzu geeigneten Lieder aufgeführt. Vgl. www.liturgiekommission.ch/customer/files/14-02-03Trauerfeier.pdf (9.4.2014)

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Geschichte und Entwicklung der kirchlichen Neujahrslieder

Warum verwenden alle drei Dichter dieses Motiv? Es ist wohl die Notlage, die sie dazu bringt. Ein abstrakter, entfernter Gott hilft hier nicht. Gott braucht ein Gesicht, er braucht Hände, die im wahrsten Sinne des Wortes „eingreifen“ können. Verständnis suchen die Autoren  – für ihre Lage, für ihre Klage und ihre Hoffnung bezogen auf die Zukunft. In Jesus, der Mensch war, mit Gesicht und Händen, der gelitten hat und einen Weg ging, welcher von Gott bestimmt war, ist Gott den Menschen nahe gekommen, zum Heil derer, die an ihn glauben. Und doch ist von Jesus nur bei Klepper und da auch nur in der ersten Strophe die Rede. Im Blick auf die Deutung des anbrechenden neuen Jahres und der Interpretation des vergangenen wird deutlich, wie in Krisenzeiten die Lebenszeit des Menschen in das Zentrum rückt. In der Bedrohung wird dem Einzelnen deutlich, dass sein Leben im kommenden Jahr zu Ende gehen kann (vgl. etwa­ Lavater) und dass das Leben und Lebenswerk Fragment bleiben könnte. Es kommen Fragen nach Gottes Führung und Vorsehung auf. Wie soll der Mensch mit seiner Lage umgehen? Wie soll er den Gefahren begegnen? Alle drei Autoren legen ihre Lebenszeit vertrauensvoll in Gottes Hände. Aus den bisher gemachten Erfahrungen mit Gott und seiner Führung schöpfen sie Hoffnung für das neu anbrechende Jahr. Sie hoffen auf eine Besserung der Umstände, auf das „Neue“, das Gott verheißen hat: „Siehe, ich mache alles neu.“578

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Das Neujahrslied von 1945 bis heute: Segensbitte und Geleit

6.1

Zeitgeschichtliche und liturgiegeschichtliche Aspekte

6.1.1 Liturgikfragen Gegen die „Kasualisierung des protestantischen Neujahrsgottesdienstes“579 wenden sich nach dem Zweiten Weltkrieg die Betreiber einer Agendenreform. Mit Hilfe der evangelischen Agenden wird nun versucht, den Neujahrstag wieder zum Fest der Namengebung und Beschneidung Jesu Christi zu machen.580 So erläutert beispielsweise Peter Brunner bezogen auf eine Kirchenagende für Rheinland und Westfalen, dass der 1. Januar als von Julius Caesar festgelegter Termin für den Beginn eines neuen Jahres allein nicht feierwürdig sei: „Der 1.I. bleibt

578 Offb 21,5. 579 Fechtner, Schwellenzeit, 130. 580 So beobachtet von Dienst, Neujahr – Fest der Beliebigkeit?, 42, der als Belege folgende Agenden nennt: K. B. Ritter, Gebete für das Jahr der Kirche, Kassel 21948; Kirchenagende I/1, Gütersloh 1949, 75 und Agende für die evangelisch-lutherischen Kirchen und Gemeinden, Berlin 1955, 31.

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1945 bis heute: Segensbitte und Geleit 1945 bis heute: Segensbitte und Geleit

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darum für die Kirche der Tag der Beschneidung des Herrn und der Tag, an dem der Herr den Namen Jesus empfing. Auf dem letzteren wird dem Wortlaut des Evangeliums entsprechend der Ton zu liegen haben.“581 Interessanterweise unternimmt Brunner innerhalb der Festbestimmung eine wohl gängig gewordene Gewichtung, dass vor allem die Namengebung betont wird, während die Beschneidung in den Hintergrund rückt. Zur Bezeichnung des Tages macht Brunner verschiedene Vorschläge – doch „am Neujahrstag“ solle die Kirche nicht verwenden: „Wir nennen den Tag entweder ‚am Tag der Beschneidung des Herrn‘ oder ‚am Namenstag des Herrn‘, oder wir versuchen, beides zu vereinigen: ‚am Tage der Beschneidung und Namengebung des Herrn‘.“582 Dass die sich restaurativ an Luther und andere angelehnte Haltung und dogmatische Festschreibung in Agenden nicht durchgesetzt hat und bis heute „mehr oder minder irrelevant für die neuere kirchliche Praxis“583 blieb, ist verständlich. Es liegt an der betonten Herauslösung des Kirchenjahres aus dem kulturellen Festkalender, indem der Lebenswelt eine abstrakte Festbestimmung entgegengestellt wird  – so dass das Fest liturgische „Plausibilität und Vita­ lität“584 einbüßt. Das Auseinanderdriften von Kirchenjahr und bürgerlichem Jahr wird zum zentralen Punkt liturgischer Überlegungen. Inwiefern kann ein Kirchenjahr gefeiert werden, wenn es sich der feiernden Gemeinde nicht erschließt? Soll man erzieherisch und unterweisend ein Verständnis dafür wecken oder ganz vom Kirchenjahr abgehen? Wilhelm Jannasch votiert: „Zwischen dem überfeinerten Kirchenjahr-Empfinden mancher Theologen und dem der Gemeinden besteht im Übrigen eine so große Kluft, daß die gemeindliche Erziehung und Unterweisung besser auf zentralere Dinge zu lenken wäre als auf das Kirchenjahr. Für den Nicht-Theologen wird es immer unverständlich bleiben, wenn eine ev. ‚Kirche in der Welt‘ gegen das Eindringen einzelner bürgerlicher Feste in das Kirchenjahr polemisiert: Weshalb sollen Christen zwar Erntedank, nicht aber den Jahreswechsel gottesdienstliche feiern dürfen?“585 Und schließlich ist bei Friedrich Kalb das bereits bekannte Argument zu lesen, dass der Jahreswechsel wegen des säkularen Anlasses besonders an­ fällig dafür sei, den Menschen selbst und nicht Gott ins Zentrum zu rücken – durch eine rührselige Rückschau auf Erlebtes und Erlittenes wie auch auf

581 Brunner, Schriftlesung im Gottesdienst, 140. 582 Ebd. 583 Fechtner, Schwellenzeit, 130. 584 Ebd.,131. 585 Jannasch, Art. „Kirchenjahr“, 1442.

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Geschichte und Entwicklung der kirchlichen Neujahrslieder

Geleistetes.586 Seine Konsequenz ist nicht, die Jahreswende gar nicht gottesdienstlich zu feiern, sondern er möchte sie in „rechter Weise“ gottesdienstlich begangen wissen.587 Das Verblassen des Festanlasses Beschneidung und Namengebung Jesu Christi, das im protestantischen Bereich dazu führt, ihn wieder stärken zu wollen, vollzieht sich auch im katholischen Bereich, allerdings mit einer anderen Konsequenz. Hier führt das Schwinden der Festbedeutung dazu, dass eine Neubestimmung für notwendig erachtet wird. „Seit 1969 gilt der 1. Januar in der römisch-katholischen Kirche wieder als ‚Hochfest der Gottesmutter Maria‘, ohne dass die Beschneidung und Namengebung Jesu und der Jahresbeginn ganz übersehen würden.“588 Die Beschneidung als Festgegenstand ist bis heute evangelischer- wie auch katholischerseits nahezu in Vergessenheit geraten. Doch das Thema ist in jüngster Zeit durch ein Gerichtsurteil in Deutschland wieder ins allgemeine Bewusstsein gerückt.589 Darauf wird unter der Frage nach der Wiederaufnahme vergangener Motive590 weiter einzugehen sein. 6.1.2

Kirchliche Angebote

Nach den theoretischen Erwägungen zum Festgegenstand sei ein Blick auf die Praxis geworfen, auf das Angebot und die Gestaltung der Jahreswendefeier in der Kirche. Die Möglichkeiten, den Übergang in das neue Jahr zu feiern, sind heute noch so vielfältig wie eh und je. Die gottesdienstlichen Feiern sind ein Angebot von vielen. Sie können als Feiermöglichkeit ausschließlich, zusätzlich oder gar nicht wahrgenommen werden. Gerade zum Jahresausklang lassen sich bei den Andachten und Gottesdiensten viele Varianten ausmachen, die die Gottesdienstbesucher ansprechen wollen. Die Tageszeit ist für die Gestaltung und nicht zuletzt auch für die Teilnehmerzahlen ausschlaggebend. Es ist ein Unterschied, ob die Veranstaltung am frühen Abend, etwa 17 Uhr, stattfindet, um 22 Uhr, zwischen Abendessen und Feuer­werk um Mitternacht, oder um 23:30 Uhr mit Ende kurz vor Mitternacht, so dass man als versammelte Gemeinde gemeinsam das neue Jahr begrüßen kann. Von den Kirchen werden neben Andachten und Gottesdiensten in jüngster Zeit neue Formen erprobt, den Jahreswechsel zu feiern. So gibt es z. B. Angebote, mit einer nächtlichen Wanderung von einem spirituell bedeutsamen Ort 586 Vgl. Kalb, Grundriß der Liturgik, 82. 587 Ebd. 588 Jenny, Gottesdienst feiern, 449. 589 Vgl. das Urteil vom Kölner Landesgericht, datiert auf den 7. Mai 2012: Az 151 Ns 169/11 590 Siehe Teil III: Tempi passati oder Wiederaufnahme „vergangener Motive“?

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1945 bis heute: Segensbitte und Geleit 1945 bis heute: Segensbitte und Geleit

229

zu einem anderen. Es sind Nachtwanderungen ins neue Jahr, die von Mal zu Mal auf wachsendes Interesse stoßen.591 Es gibt auch „Einkehrtage“ zwischen den Jahren, in denen Klöster und Tagungshäuser anbieten, theologisch begleitet mit zufällig zusammenkommenden Menschen ein Jahr ausklingen und das neue beginnen zu lassen. Die wachsende Zahl der Angebote ist ein Zeichen dafür, dass sie auf ein Bedürfnis oder zumindest auf Interesse stoßen. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Es ist sicher der „Reiz des Neuen“, der einzelne dazu bewegt, die Veranstaltungen zu besuchen. Sie sind auf der Suche nach „ungewöhnlichen“ Angeboten und Erlebnissen. Hinzu kommt der Wunsch nach spirituellen Angeboten – der neu erwachte Spiritualitätsdiskurs bildet den Hintergrund für viele der angebotenen Veranstaltungen. Die Zeit zwischen den Jahren, die der Bevölkerung häufig arbeitsfreie Tage beschert, bietet sich zur Einkehr, Selbstschau, Standortbestimmung, zum Bilanzieren und Neubeginnen an.

6.2

Aspekte der Entwicklung der Gesangbuchrubrik

Die Gesangbücher, die seit 1945 erscheinen, bieten ein im Wesentlichen konstantes Liedrepertoire unter der Rubrik Jahreswende. Als „Neuzugänge“ sind lediglich Kleppers Lied „Der du die Zeit in Händen hast“ und Bonhoeffers „Von guten Mächten“ zu verzeichnen. Diese geringe Dynamik ist auf verschiedene Faktoren zurückzuführen. Zunächst hat die „Singtradition“ großen Einfluss, wie auch eine „Kanonisierung“ der Lieder, die zum Jahreswechsel gesungen werden. Da er nur einmal jährlich vorkommt, ist es nicht ratsam, viele neue Lieder hinzuzunehmen. Man bleibt beim Bekannten. Eine Möglichkeit, das Repertoire zu erweitern, ist jedoch, innerhalb des Gesangbuches auf andere Lieder, die sich ebenfalls zum Jahreswechsel singen lassen, zu verweisen.592 591 Diese Wanderungen finden im Raum Zürich z. B. von der Zürcher Innenstadt zum Kloster Kappel statt. 2009/2010 bot das Zürcher Pilgerzentrum diese achtstündige Wanderung mit Zwischenhalten an. Pausen sind das gemeinsame Anstoßen um Mitternacht und eine Suppe und Tee bei einem Zwischenhalt. Am Ende steht das gemeinsame Frühstück. Vom Tagungszentrum Boldern wurden Silvester 2009 und 2010 jeweils Silvester-Nacht-Wanderungen vom Zollikerberg bei Zürich zum Tagungshaus in Männedorf organisiert. 592 In den Verweisen finden sich Lieder, die entweder ursprünglich zu Neujahrsliedern zählten oder historisch mit ihnen verbunden sind, wie „Vom Himmel hoch, da komm ich her“ (Strophe 15; Weihnachten als Jahresbeginn noch bei Luther), „Freuet euch, ihr Christen alle“ (Str. 4; Wunsch nach Frieden und einem seligen Jahr; ursprünglich ein Lied im Weihnachtsspiel von Christian Keimann für das Gymnasium Zittau; vgl.­ Dietrich Schubert, Freuet euch, ihr Christen alle, LKEG 13, Nr. 34, ) und „In Gottes Na-

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Geschichte und Entwicklung der kirchlichen Neujahrslieder

Gesangbücher, die noch zwischen Altjahresabend und Neujahrsmorgen unterscheiden, sind selten. Nun wird in der Mehrzahl von Jahreswende oder Jahreswechsel gesprochen. Unter dieser Überschrift stehen Altjahresabend-Lieder und Neujahrsmorgen-Lieder beieinander; sie werden nicht mehr getrennt präsentiert, und es wird die Zuordnung für den Gebrauch dem Gesangbuchbenutzer überlassen. Die Rubrik wird schlank gehalten, indem Lieder, die thematisch Ähnliches zur Rubrik beisteuern würden, keine direkte Aufnahme finden. 6.2.1 Rubrikvergleiche 6.2.1.1 Beobachtungen im Rubrikvergleich von EKG/EG und RKG/RG Zu der Frage, inwiefern sich reformiertes und lutherisches Liedgut zum Jahreswechsel nach 1945 unterscheiden, wird in der folgenden Tabelle (vgl. Tab. 1) ein Vergleich angestellt. Aufgelistet werden die Lieder der Gesangbuchvorläufer, des EKG (Stammteil) und des RKG. In gleicher Einteilung nach Jahrhunderten werden dann die Lieder des EG (Stammteil) und des RG erfasst. Im Vergleich des Liedrepertoires von EKG und RKG unter der Rubrik Jahreswende bzw. Jahreswechsel lässt sich Folgendes sagen: Die Rubriken präsentieren zehn (EKG) bzw. neun (RKG) Gesänge. Das Schwergewicht der Lieder liegt im EKG auf dem 16. Jahrhundert (vier Lieder), während im RKG für jedes Jahrhundert (bis auf das 20. Jahrhundert) gleichmäßig verteilt jeweils zwei Lieder stehen. Die Schnittmenge zwischen den Liedrepertoires ist klein: Nur zwei Lieder kommen in beiden Büchern vor („Das alte Jahr vergangen ist“ sowie „Nun lasst uns gehn und treten“). Veränderungen, die sich vom EKG hin zum EG ergeben: Die Rubrik wird schmaler. Es werden drei von zehn Liedern gestrichen; Lieder, die allesamt aus dem 16. Jahrhundert stammen („Nun wolle Gott, dass unser Sang“, „Helft mir, Gotts Güte preisen“ und „Jesu, nun sei gepreiset“). Als neues Lied kommt „Von guten Mächten treu und still umgeben“ hinzu, so dass die Gesamtzahl nun acht ist. Drei Lieder stammen, wie bisher, aus dem 17. Jahrhundert und bilden den zeitlichen Schwerpunkt, gefolgt von zweien im 20. Jahrhundert und jeweils einem aus dem 16., 18. und 19. Jahrhundert. Vom RKG hin zum RG ist ein noch größerer Schwund zu verzeichnen: Es werden fünf Gesänge aussortiert („Helft Gottes Güte preisen“, „Das alte Jahr vergangen ist“, „Durch Trauern und durch Plagen“, „Ach, wiederum ein Jahr verschwunden“ und „Ein neues Jahr ist angefangen“). Damit ist das 16.  Jahrhundert nun nicht mehr vertreten. Wohl aufgrund der Schicksalsergebenheit men fahren wir“ – ursprünglich ein Pilger- bzw. Kreuzfahrerlied (als aktuelle Verweis-­ Beispiele aus dem EG R/W/L, 16).

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1945 bis heute: Segensbitte und Geleit 1945 bis heute: Segensbitte und Geleit

Tabelle 1 Text aus dem

Gesangbuch/Rubriktitel/Liedinitium EKG – Jahreswende*

RKG – Jahreswechsel

16. Jh.

Nun wolle Gott, daß unser Sang Helft mir, Gotts Güte preisen Das alte Jahr vergangen ist Jesu nun sei gepreiset

Helft Gottes Güte preisen, ihr Christen, stimmet ein Das alte Jahr vergangen ist

17. Jh.

Freut euch, ihr lieben Christen all Hilf, Herr Jesu, lass gelingen Nun lasst uns gehn und treten

Nun lasst uns gehn und treten Durch Trauern und durch Plagen

18. Jh.

Jesus soll die Losung sein

Hilf, A und O, Anfang und Ende Ach, wiederum ein Jahr verschwunden

19. Jh.

Das Jahr geht still zu Ende

Wir treten in das neue Jahr Ein neues Jahr ist angefangen

20. Jh.

Der du die Zeit in Händen hast

Herr der Stunden, Herr der Tage

Text aus dem

Gesangbuch/Rubriktitel/Liedinitium EG – Jahreswende**

RG – Jahreswechsel

16. Jh.

Das alte Jahr vergangen ist



17. Jh.

Freut euch, ihr lieben Christen all Hilf, Herr Jesu, lass gelingen Nun lasst uns gehn und treten

Nun lasst uns gehn und treten

18. Jh.

Jesus soll die Losung sein

Hilf, A und O, Anfang und Ende

19. Jh.

Das Jahr geht still zu Ende

Wir treten in das neue Jahr Lobpreiset all zu dieser Zeit

20. Jh.

Der du die Zeit in Händen hast Von guten Mächten treu und still umgeben

Der du die Zeit in Händen hast Herr der Stunden, Herr der Tage

* Liste der Lieder im Stammteil. ** Liste der Lieder im Stammteil; weitere Lieder in Regionalanhängen: z. B. Rheinland / Westfalen / Lippe (EG 549–551): „Helft mir Gotts Güte preisen; Lobpreiset all zu dieser Zeit; Das Jahr geht hin, nun segne du“.

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Geschichte und Entwicklung der kirchlichen Neujahrslieder

bzw. der ausgeprägten Bußthematik und vieler altertümlichen Formulierungen auf textlicher Ebene scheiden die Lieder von Sacer, Lavater und Buchta aus.593 Neu hinzugenommen werden „Lobpreiset all zu dieser Zeit“ und „Der du die Zeit in Händen hast“594. Von den nun insgesamt sechs Liedern stammen je eines aus dem 17. und 18. sowie zwei aus dem 19. bzw. 20. Jahrhundert.595 Die Schnittmenge zwischen dem Liedrepertoire im EG -Stammteil und im RG bleibt die gleiche wie bei den beiden Vorläufern. Sie erweitert sich um einen Titel, wenn man „Von guten Mächten treu und still umgeben“ hinzunimmt, das im RG unter der Rubrik jedoch bloß als Text zu finden ist. 6.2.1.2 Erweiterter Vergleich Stellt man weitere aktuelle Gesangbücher neben das EG und RG, ergibt sich für die Lieder zur Jahreswende in den verschiedenen Konfessionen das folgende Bild (vgl. Tab. 2). Wieder wird in der Rubrizierung – wie schon bei EG und RG – nicht zwischen Liedern zum Altjahresabend und Neujahrsmorgen unterschieden. Die Rubriküberschriften sind „Jahreswende“ (im EG und dem Gesangbuch der EMK), „Jahreswechsel“ (in RG, CK und dem Gesangbuch der Brüdergemeine) sowie „Zum Jahreswechsel“ (bei GL und KL). In vier Gesangbüchern folgen diese Festzeitlieder der Rubrik Weihnachten (so in EG, GL , KG, CK); in den Gesangbüchern RG, EMK und BG steht die Rubrik von Weihnachten losgelöst.596 So beschließt die Rubrik Jahreswechsel im RG den Teil „Schöpfung, Jahreszeiten, Erntedank“. Im CK eröffnen die Lieder den Teil: „Das Jahr mit Gott“. Im Gesangbuch der Brüdergemeine steht der Jahreswechsel unter der Überschrift „Wir singen von Zeit und Ewigkeit“. Es zeigt sich, bis in die Gesangbuchsystematiken hinein, die konfessionell verschieden stark ausgeprägte Orientierung am Kirchenjahr. Außerdem geschieht die Gruppierung zu den „Zeitliedern“ aufgrund des hervorgetretenen Hauptmotivs. Die Lieder entsprechen dem modernen Festgedanken, der das Jahr und die Zeit an sich ins Zentrum stellt. Man findet heute insgesamt zwanzig Lieder in den hier verglichenen Gesangbüchern, die zum Anlass Jahreswende/Jahreswechsel gesungen werden. 593 Von Sacer stammt „Durch Trauern und durch Plagen“, von Lavater „Ach, wiederum…“ und von Buchta „Ein neues Jahr ist angefangen“. 594 Die letzte Strophe des Liedes von Klepper stand im RKG bei den Liedern zum Abschluss eines Gottesdienstes. 595 Hinzuzählen kann man noch „Von guten Mächten“, das in der Rubrik jedoch nur als Text abgedruckt ist (RG 550); „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ – die Schlussstrophe des Gedichtes befindet sich mit der Melodie von Otto Abel im gleichen Gesangbuch, allerdings unter der Rubrik „Sendung und Segen“; vgl. RG 353. 596 Im RG beendet der Jahreswechsel den Teil  „Schöpfung, Jahreszeiten, Erntedank“. Im CK eröffnet die Unterrubrik den Teil: Das Jahr mit Gott. Im Gesangbuch der Brüdergemeine steht der Jahreswechsel im Teil „Wir singen von Zeit und Ewigkeit“.

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× (15)

Nun lasst uns gehn und treten

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× (15)

Jahreswechsel (von Weihnachten losgelöst)

RG

Zum Jahreswechsel

GL

Zum Jahreswechsel

CK

Jahreswechsel [+ Namengebung Jesu]

Rubriktitel

KG

Gesangbuch

× (15)

Jahreswende (von Weihnachten losgelöst)

EMK

× (5)

× (15)

Jahreswechsel (von Weihnachten losgelöst)

BG

* Tabelle zum Liedbestand in der untersuchten Rubrik aktueller Gesangbücher. Das Vorkommen der Lieder ist mit × markiert und die Strophenzahl steht in Klammern dahinter.

Ein Jahr Vergänglichkeit und schneller Lebenstage

× (6)

Hilf, Herr Jesu, lass gelingen

18. Jh.

× (5)

Freut euch, ihr lieben ­ Christen all

17. Jh.

× (6)

Das alte Jahr vergangen ist

Liedinitium

Jahreswende

EG

16. Jh.

Text aus dem

Tabelle 2* 1945 bis heute: Segensbitte und Geleit 1945 bis heute: Segensbitte und Geleit

233

19. Jh.

18. Jh.

Text aus dem

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× (3)

× (3)

Wir treten in das neue Jahr in Jesu heilgem Namen

× (6)

× (5)

× (6)

Jahreswechsel (von Weihnachten losgelöst)

RG

Lobpreiset all zu dieser Zeit

Das Jahr geht still zu Ende

Lebe dieses neue Jahr, Jesu, in uns allen

Jesus soll die ­ Losung sein

Hilf, A und O, Anfang und Ende

Herr, sei gepriesen für das ­ vergangne Jahr

[Es ist in kei­nem andern Heil, kein Name sonst ­ gegeben]

Liedinitium

Jahreswende

EG

× (3)

Zum Jahreswechsel

GL

× (3)

Zum Jahreswechsel

CK

× (3)

× (3)

[× (2)]

Jahreswechsel [+ Namengebung Jesu]

Rubriktitel

KG

Gesangbuch

× (3)

× (6)

Jahreswende (von Weihnachten losgelöst)

EMK

× (3)

× (6)

× (4)

× (5)

× (6)

Jahreswechsel (von Weihnachten losgelöst)

BG

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× (7)

× (7)**

× (3)

× (6)

× (6)

× (3)

× (6)

× (3)*** und × (7)****

× (1)

× (3)

× (6)

* Ein Kanon. ** Hier nur der Text; die letzte Strophe befindet sich als Sendungs- und Segenslied im RG unter der Nr. 353. *** Mit der Melodie von Siegfried Fietz (mit nur 3 Strophen; auf Melodie und Textinhalt im Zusammenklang rücksichtnehmend). **** Mit der Melodie von Otto Abel (mit 7 Strophen).

Von guten Mächten treu und still umgeben

Unsere Zeit, ­ unsere Zeit, in ­ Gottes Händen*

Herr der Stunden, Herr der Tage

Geh unter der Gnade

× (6)

× (5)

Jahreswechsel (von Weihnachten losgelöst)

× (6)

× (6)

× (5)

Jahreswende (von Weihnachten losgelöst)

BG

Der du die Zeit in Händen hast

Jahreswechsel [+ Namengebung Jesu]

EMK

× (4)

Zum Jahreswechsel

CK

Das Jahr geht hin, nun segne du

Zum Jahreswechsel

Rubriktitel

KG

20. Jh.

Jahreswechsel (von Weihnachten losgelöst)

GL

Bleib bei uns, wenn der Tag entweicht

Liedinitium

Jahreswende

RG

19. Jh.

Text aus dem

EG

Gesangbuch 1945 bis heute: Segensbitte und Geleit 1945 bis heute: Segensbitte und Geleit

235

236

Geschichte und Entwicklung der kirchlichen Neujahrslieder

Die Anzahl der jeweils dargebotenen Lieder weist große Unterschiede auf: Die wenigsten Gesänge, nämlich je zwei, bieten GL und KG, was sich aufgrund der theologischen Haltung zum Fest auch hat erwarten lassen.597 CK enthält darüber hinaus drei weitere. Zwei davon hat es wiederum mit dem RG gemein („Wir treten in das neue Jahr“ und „Herr, der Stunden, Herr der Tage“); mit dem dritten Lied, einem Lied zur Namengebung Jesu, das sich nur hier findet, wird der Bezug zur früheren Festbedeutung wachgehalten. Sieben bis acht Lieder versammeln EG, RG und EMK in der Rubrik. Spitzenreiter, mit zehn dargebotenen Liedern, ist das Gesangbuch der Brüdergemeine. Mit ihrer Tradition der „Watch-nights“ – langen nächtlichen Feiern zu Silvester  – ist sie auf viele Gesänge angewiesen. Die meisten sind aus dem 18.  und 19. Jahrhundert und stammen aus der Feder Zinzendorfs oder aus dem Umfeld der Brüdergemeine.598 Nur ein Lied der Rubrik ist in allen Gesangbüchern vorhanden: Kleppers „Der du die Zeit in Händen hast“; dicht gefolgt von „Lobpreiset all zu dieser Zeit“, das lediglich im Stammteil des EG fehlt (in manchem Regionalanhang, wie z. B. EG R/W/L befindet es sich). Bis auf einen Kanon (Unsre Zeit, unsre Zeit in Gottes Händen) sind alle Lieder Strophenlieder. Auffällig ist hierbei die „Strophenkonstanz“: alle Gesangbücher geben die gleiche Anzahl von Strophen wieder, wenn sie das gleiche Lied präsentieren. Selbst Gerhardts „Nun lasst uns gehn und treten“ erscheint in allen Gesangbüchern mit fünfzehn Strophen. Elf Lieder, also die gute Hälfte, findet man nur in je einem der Gesangbücher, während es in allen anderen fehlt.599 Die sprachlichen Bilder und Themen, die die Lieder vorwiegend bestimmen, sind Zeit (Gottes Zeit und Menschenzeit), Vergänglichkeit und Abend. Die Beschneidung wird gar nicht mehr erwähnt, ein dezidiertes Name-Jesus-Lied erscheint nur einmal.

597 Vgl. hierzu den Exkurs zur Feier des 1. Januars in der katholischen Kirche. 598 Beispielsweise textete Zinzendorfs Großmutter Henriette Katharina von Gersdorff „Ein Jahr Vergänglichkeit und schneller Lebenstage“. Von Arno Pötzsch, der in seinem L ­ eben zunächst der Brüdergemeinde, dann der Michaelsbruderschaft (Berneuchener Bewegung) eng verbunden war, stammen zwei Texte der Lieder aus dem 20. Jh. („Bleib bei uns, wenn der Tag entweicht“ und „Das Jahr geht hin, nun segne du“). 599 Es handelt sich im EG um „Das alte Jahr vergangen ist“, „Freut euch, ihr lieben Christen all“ und „Hilf, Herr Jesu, lass gelingen“. Im RG singulär ist „Hilf A und O, Anfang und Ende“, im CK das bereits erwähnte „Es ist in keinem andern Heil, kein Name sonst gegeben“. Nur im Gesangbuch der EMK befinden sich „Geh unter der Gnade“ und der Kanon „Unsre Zeit, unsre Zeit in Gottes Händen“. Schließlich sind nur im Gesangbuch der Brüdergemeine „Das Jahr geht hin, nun segne du“, „Ein Jahr Vergänglichkeit und schneller Lebenstage“, „Herr, sei gepriesen für das vergangne Jahr“ sowie „Lebe dieses neue Jahr, Jesu, in uns allen“ vertreten.

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1945 bis heute: Segensbitte und Geleit 1945 bis heute: Segensbitte und Geleit

237

6.2.2 Folgerungen Die Zusammenschau der untersuchten Rubrik in sieben konfessionsverschiedenen Gesangbüchern hat gezeigt, dass nur wenige Lieder „konsensfähig“ sind. „Der du die Zeit in Händen hast“, das alle Gesangbücher aufführen, scheint mit seiner Zeittheologie und dem Aufgreifen existentieller Ängste als gesungener Begleiter des Übergangs besonders geeignet. Der Zeithorizont, den es eröffnet, das Bezogensein Gottes auf das menschliche Leben – mit Geleit und Halt in der gefährdenden Zeit eines Übergangs –, das es formuliert, entspricht der heutigen Festinterpretation; es hilft aber vor allem dazu, die gemischte Stimmung, die ein Übergang bei den Menschen hervorruft, aufzunehmen und aufzufangen. Die Melodie transportiert ebenfalls eine Gestimmtheit, die in der Schwebe bleibt. All dies mag dazu beigetragen haben, dass alle Gesangbuchkommissionen bzw. Redaktionen das Lied zum Jahreswechsel aufführen. Die vergleichsweise große Zahl von Liedern, die sich jeweils nur in einem der Gesangbücher finden, ist weiterhin Hinweis darauf, dass die Rubrik „in Bewegung“ ist; es gibt Lieder eigener Tradition, wodurch die Liedauswahl jeweils beeinflusst bleibt. Betrachtet man die Tabelle daraufhin, welche Jahrhunderte Schwerpunkte bilden, wird deutlich, dass die Mehrzahl der Lieder (mit Ausnahme des EG – 3:5 und des Gesangbuchs der Brüdergemeine  – 5:5, d. h. ausgeglichen) aus dem 19. und 20. Jahrhundert stammt. Dies mag an der Sprache, die unserer Sprache näher ist, aber vor allem auch an der heutigen Festdeutung liegen, der diese Lieder mehr zu entsprechen scheinen.

6.3

Exemplarische Liedanalyse

Eines der jüngsten Lieder, das Eingang in ein Gesangbuch gefunden hat, ist „Geh unter der Gnade“ von Manfred Siebald. Eigentlich zu einem anderen Anlass als Sololied entstanden, ist es ein Beispiel für ein in einen anderen Kontext überführtes Lied, das nun von der Gemeinde gesungen wird. 6.3.1

Geh unter der Gnade – Manfred Siebald (1987)

(Refrain:) Geh unter der Gnade, geh mit Gottes Segen, geh in seinem Frieden, was auch immer du tust. Geh unter der Gnade, © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525624364 — ISBN E-Book: 9783647624365

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Geschichte und Entwicklung der kirchlichen Neujahrslieder

hör auf Gottes Worte, bleib in seiner Nähe, ob du wachst oder ruhst. 1. Alte Stunden, alte Tage – lässt du zögernd nur zurück. Wohlvertraut wie alte Kleider sind sie dir durch Leid und Glück. Refrain 2. Neue Stunden, neue Tage zögernd nur steigst du hinein. Wird die neue Zeit dir passen? Ist sie dir zu groß, zu klein? Refrain 3. Gute Wünsche, gute Worte wollen dir Begleiter sein. Doch die besten Wünsche münden alle in den einen ein: Refrain

6.3.1.1 Entstehung Manfred Siebald (*1948), Professor für Amerikanistik, schrieb und komponierte das Lied im Jahr 1987 aus einem besonderen Anlass. Er drückte damit seine Wünsche zum 60. Geburtstag des ihm befreundeten Verlegers Friedrich ­Hänssler aus.600 Der Leitgedanke, aus dem heraus Siebald das Lied entwickelt, ist der im Freundeskreis von C. S. Lewis üblich gewesene Abschiedsgruß „Go under the mercy“601. Das Liedinitium ist eine direkte Übersetzung, wobei mercy nicht mit „Barmherzigkeit“ sondern mit dem umfassenderen Begriff „Gnade“ wieder­ gegeben wird. Siebald versucht, den Gedanken zu entfalten, „dass das Leben unter der Gnade Gottes zwar ein Geschenk ist, dass dieses Geschenk aber immer wieder angenommen werden will.“602 Das Lied wurde auf Hänsslers Geburtstagsfeier uraufgeführt603 und später in Konzerten und aus weiteren Anlässen von Siebald vorgetragen. Auf der CD „Spuren“ wurde es 1988 das erste Mal veröffentlicht. 600 Vgl. Siebald, Liedergeschichten, 140. 601 Vgl. das autobiographische Buch „A Severe Mercy“ (eine harte Gnade)  von Sheldon­ Vanauken über den Gebrauch des Grußes im Freundeskreis von C. S. Lewis. 602 Siebald, Liedergeschichten, 140. 603 Siebald trug es zusammen mit Cae und Eddie Gauntt vor. Vgl. ebd., 141.

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1945 bis heute: Segensbitte und Geleit 1945 bis heute: Segensbitte und Geleit

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6.3.1.2 Analyse Das auffallendste Merkmal des Liedes ist seine Strophen-Refrain-Struktur  – bei genauerem Hinsehen eine Refrain-Strophen-Struktur; denn das Lied endet nicht nur mit dem Refrain, sondern beginnt auch mit ihm. Die Strophen wirken eher wie das Beiwerk zum Refrain, wodurch das übliche Schema verkehrt wird. Dies ist eine Liedstruktur, wie sie in der Popmusik oft anzutreffen ist. Sie kennzeichnet auch Lieder des sogenannten „Sacropop“, zu dem „Geh unter der Gnade“ zu zählen ist. Das Reimschema der Strophen ist einheitlich xaxa und damit ein unterbrochener Reim. Das Versmaß steht im Trochäus mit wechselnden weiblichen und männlichen Endungen. Wie schon bei Hiltbrunner sind die jeweils ersten Zeilen der Strophen parallel aufgebaut, doch sind es in diesem Fall keine wörtlichen Teilübernahmen, die die Strophenanfänge miteinander verbinden. „Alte Stunden, alte Tage“ (Str. 1,1) finden eine Entsprechung in „Neue Stunden, neue Tage“ (Str. 2,1). „Alt“ und „neu“ werden in den dritten Zeilen der beiden Strophen wieder aufgenommen und mit anderen Nomen kombiniert: „alte Kleider“ (Str. 1,3) und „neue Zeit“ (Str. 2,3). Die Struktur der dritten Strophe weicht geringfügig ab. In der ersten Zeile sind „Gute Wünsche, gute Worte“ gereihte Nomen mit dem jeweils gleichen Adjektiv „gut“. Statt des zu erwartenden „gute“ in der dritten Zeile wird der Superlativ „beste“ gewählt. Mit dieser nicht mehr zu steigernden Wendung und einer Schlussbemerkung wird zum Refrain übergeleitet. „Wünsche“ und „Worte“, die sich von denen der vorangegangenen beiden ersten Strophenzeilen abheben, sind noch einmal mit dem Refrain zu hören. Der Schluss der letzten Strophe qualifiziert den Refrain als den besten aller Wünsche, in den alle münden und der somit alle – und es darf vermutet werden, auch unausgesprochenen Wünsche – umfasst. Ein Kreis schließt sich, indem der Refrain vom Anfang des Liedes noch einmal am Ende erklingt. Die Sprechperspektive des Liedes gibt Rätsel auf: Der Refrain ist, wie gesehen, eine Entlassung, Ermahnung und Segnung in einem. Wer redet ein Gegenüber, ein Du, so an? Es ist der Idee nach ein Beobachter, der jemanden am Übergang in eine neue Zeit betrachtet. Dabei wird jener zu einem auktorialen Erzähler, der den beobachteten Menschen äußerlich, aber auch innerlich kennt. Er betrachtet jemanden beim Ablegen und Anprobieren von alten und neuen „Zeitkleidern“. Das Bild der Zeit als Kleid, ein Kleid, das alt und vertraut oder neu und un­ gewohnt ist, verwendet Siebald für den Eintritt in einen neuen Lebensabschnitt; er interpretiert den Übergang als „menschliche Schwierigkeit und gleichzeitig als göttliche Gelegenheit“.604 Das Bild von der Zeit als neuen Kleidern, die zu

604 Ebd., 141 f.

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Geschichte und Entwicklung der kirchlichen Neujahrslieder

groß oder zu klein sein könnten, verwirrt zunächst. Zeit ist Zeit. Es gibt kurze und lange, aber nicht zu große oder zu kleine. Das Bild lässt nunmehr weiter­ denken: In (zu viel – also) zu große Zeit kann der Mensch hineinwachsen. Zur Not schneidet er sie sich zurecht oder er „schlägt sie“ – weil zu viel – „tot“. Zu große Zeit kann Langeweile erzeugen. Zu kleine Zeit hingegen gemahnt an ein „memento mori“ und das Ausschöpfen der Zeit, die für den einzelnen früher ablaufen könnte, als gedacht. Leben bleibt Fragment, wenn die Zeit kürzer ist, als die Pläne reichen, mit denen man sie noch füllen möchte. Der Beobachter nimmt bei seinem Gegenüber während des Ablegens der alten vergangenen Zeitkleider ein Zögern wahr und beschreibt das Seelenleben des Einzelnen, welches das Zögern erklärt: Die vergangene Zeit mit Leid und Glück hat die alten Kleider so vertraut gemacht, dass man sie nicht ablegen möchte. Eine Beobachtung von außen ist auch das Zögern beim Anlegen der neuen Zeit, der neuen Kleider. Die sich anschließenden Fragen gewähren wieder einen Blick in das Innere des Menschen bei der „Anprobe“ der unbekannten Zeitkleider. „Wird die neue Zeit dir passen?“ – so fragt sich der Akteur ebenso wie der Beobachter. „Ist sie dir zu groß, zu klein?“ Mit den Fragen werden die Befürchtungen und Hoffnungen laut, die sich auf die neue Zeit richten. Die dritte Strophe bringt weitere Akteure in den Blick: gute Wünsche und gute Worte, die personifiziert eingeführt werden. Von ihnen wird gesagt, dass sie Begleiter des „Du“ sein wollen. Dies verleiht ihnen eine Eigendynamik und spricht ihnen einen eigenen Willen zu. Beide, sowohl die Wünsche als auch die Worte, haben eine positive Gesinnung: Sie sind gut und wollen begleiten, – begleiten auf einem Weg, der nicht explizit genannt wird, der aus den Zeitmetaphern aber herauszulesen ist: Es ist der Lebensweg des Menschen, den dieser beschreiten soll, indem er sich begleitet weiss: Von Gnade, Segen, Frieden, guten Wünschen und Worten. Auch wenn der Liedtext zunächst recht einfach konzipiert erscheint, offenbart die genaue Analyse eine komplexe Struktur aus Wiederholungen, parallelen Bauelementen und enger Verzahnung. Zu letzterer tragen die Anaphern mit „geh“ und die Binnenanaphern „alt“ und „neu“ bei. Alliterationen häufen sich mit den Konsonanten g und w (im Refrain acht bzw. dreimal verwendet; ferner auch in den Strophen). Durch weitere Vokal- und Konsonantenhäufungen entsteht der Eindruck einer besonderen Textdichte. Als Beispiel sei an dieser Stelle nur auf die letzten zwei Zeilen der 3. Liedstrophe verwiesen: „Doch die besten Wünsche münden / alle in den einen ein“605. Ebenso, wie sich die Strophen durch parallele Strukturelemente auszeichnen, sind diese auch im Refrain zu finden. Er ist achtzeilig und damit doppelt 605 Wiederholte Buchstaben sind unterstrichen, wiederholte Konsonanten zusätzlich kursiv gekennzeichnet.

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so lang, wie die einzelnen Strophen. Die Silbenzahl einer jeden Refrainzeile beträgt sechs, während in den Strophen acht- mit siebensilbigen Zeilen abwechseln. Das Reimschema des Refrains ist a b c d a e f d. Damit reimen sich nur die Zeilen 1 und 5 (identischer Reim: Gnade) sowie 4 und 8 (Reim: tust/ruhst). Am Inhalt, wie auch am parallelen Aufbau wird deutlich, dass der Refrain aus zwei mit einander verbundenen Vierzeilern besteht. Die parallele Struktur innerhalb der acht Zeilen zeigt sich noch in weiteren Elementen: Die Zeilen 1 und 5 sind identisch: „Geh unter der Gnade“. Drei von vier Zeilen beginnen mit einem Imperativ: „Geh“ (Anapher in Z. 1, 2, 3, 5), des Weiteren mit dem Imperativ „hör“ (Z. 6) sowie „bleib“ (Z. 7). Die Vierzeiler sind bis auf die letzten Zeilen strukturgleich: Auf Imperative folgen Präpositionen (unter, mit, in606; sowie: unter, auf, in), an die die Nomen „Gnade“, „Segen“, „Frieden“, „Worte“ und „Nähe“ mit näheren Bestimmungen angeschlossen sind. Es ist „Gottes Segen“ und „sein Frieden“, so wie es auch „Gottes Worte“ und „seine Nähe“ sind. Das Versmaß der Zeilen lässt sich als ein Auftakt mit anschließend einzelnem daktylischen und einzelnem trochäischen Versfuß identifizieren. Die vierten Zeilen drehen die Struktur um: zunächst ein Trochäus, dann ein Daktylus und eine männliche Endung. Der Unterschied zwischen den jeweils ersten drei und der vierten Zeile ist deutlich hörbar. Während der Auftakt in den ersten drei Zeilen den Imperativ „geh“, bzw. „hör“ und „bleib“ in hohem Maße betont, verklingen die vierten nahezu in Betonungs- und Bedeutungslosigkeit. Der Inhalt des Refrains lässt sich als Entsendung und Ermahnung, zugleich aber auch als Segensspruch charakterisieren. „Geh unter der Gnade“, die einzige Zeile, die sich wiederholt, fungiert als Abschiedsgruß. Zudem erinnert „Geh mit Gottes Segen“ an den noch kürzeren und bekannten Reisesegen „Geh mit Gott“. Mit „Was auch immer du tust“ (Z. 4) klingt das biblische Wort an: „Alles, was ihr tut, mit Worten oder mit Werken, das tut alles im Namen des Herrn Jesus und dankt Gott dem Vater durch ihn“ (Kol 3,17). Unter den imperativischen Aufforderungen des Refrains begegnet eine höchst ungewohnte: „Bleib in seiner [Gottes] Nähe“. Aus dem Rahmen fällt sie insofern, als hier mit der Vorstellung von einem Gott, der immer bei den Menschen ist, gebrochen wird. Der Aufforderung nach scheint Gott eben nicht immer bei den Menschen zu sein. Vielmehr muss der Mensch etwas dafür tun, um in der Reichweite Gottes zu sein und zu bleiben. Ob er wach ist oder schläft: er ist in Gefahr, die Nähe zu Gott zu verlieren. Dies ist nun aber wieder ein Gedanke, der 606 In umgekehrter Reihenfolge sind diese drei Präpositionen im Zusammenhang mit­ Luthers Abendmahlslehre berühmt geworden. In der Konkordienformel wird gut dreißig Jahre nach Luthers Tod formuliert, dass sich Christi Selbstvergegenwärtigung im Abendmahl „in, mit und unter Brot und Wein“ ereigne.

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den biblischen Schriften nicht unbekannt ist. Siebald gibt dazu folgende Auskunft: „[…] um Gottes Gnade zu erfahren, muss ein Mensch die Nähe Gottes suchen: ‚Naht euch zu Gott, so naht er sich zu euch‘ (Jakobus 4,8).“607 Die Dichte und Verzahnung besteht nicht nur auf der textlichen Ebene, sondern auch in Bezug auf die Melodie. Die Liedmelodie und die beobachteten Stilmittel in der Textgestaltung hängen eng zusammen. Das Wort-Ton-Verhältnis ist stimmig. Die Pause, die durch die auftaktige Silbenbetonung nach den Imperativen an den Zeilenanfängen des Refrains entsteht, wird musikalisch markiert und gestützt (eine Achtelpause). Die Melodie verläuft zunächst in einem aufsteigenden Bogen, der mit dem Wort Gnade in einen Terz-Sprung nach oben mündet. Es folgt eine erneut aufsteigende Sequenz, die diesmal mit der Betonung des Wortes Segen in eine absteigende Terz übergeht. Die dritte Zeile steigt zu einer Quart auf, um gleich wieder zum Ausgangston zurückzukehren. Die vierte Zeile hebt sich, wie beschrieben, durch einen anderen Rhythmus von den vorangegangenen ab und „verebbt“ nicht nur textlich, sondern auch musikalisch, indem sie auf einem Ton verbleibt. Im zweiten Vierzeiler des Refrains ist die Melodie über drei Zeilen hinweg eine Wiederholung. Die letzte, abschließende Zeile, wird mit nur zwei Tönen, die in einem Ganzton absteigen, musikalisch umgesetzt. Es fällt aber auf, dass der Tonwechsel mehrfach nicht von einem Wort zum nächsten, sondern innerhalb eines Wortes geschieht: dadurch werden die Worte „Gnade“, „Segen“, „Frieden“ und schließlich auch „oder“, als Vergleichspartikel, betont. Die Melodie der Strophen zeichnet sich im Unterschied zu den Bögen des Refrains durch große Intervallsprünge aus, weshalb sie wenig eingängig und nicht leicht nachzusingen ist. Der Refrain und die Strophen stehen also auch musikalisch in einem Kontrast, der sich dahingehend äußert, dass der Refrain melo­diöser wirkt als die Strophen; diese werden dadurch deutlicher als eine Unterbrechung des Eigentlichen wahrgenommen. Aus den genannten Gründen ist das Lied eher für den Wechselgesang zwischen einer Einzelstimme, die die Strophen singt, und einem Chor oder der Gemeinde, die den Refrain übernehmen, geeignet. 6.3.1.3 Das neue Jahr als große Unbekannte Auch wenn das Lied ursprünglich nicht als Neujahrslied gedacht war, entspricht es in vielen Elementen der Vorstellung von einem Neujahrslied. Zum einen ist von der Zeit die Rede – von Stunden und Tagen, und damit indirekt von der Lebenszeit des Menschen. Zum anderen wird die Divergenz zwischen alt und neu aufgetan. Mit Zurücklassen des Alten und Zugehen auf das Neue wird der Übergang in ein Bild gefasst. Das Gefühl von Unsicherheit, das auf der Schwelle ent607 Siebald, Liedergeschichten, 140.

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steht, wird durch Fragen verbalisiert; sie gelten der vorausliegenden Zeit, die als große Unbekannte wahrgenommen wird. Die Zeit liegt voller Möglichkeiten, in die die im Lied angesprochene Person erst hineinfinden muss. Eine äußerliche Wandlung, im Bild neuer Kleider, muss auch mit einer innerlichen „Anpassung“ einhergehen. Gute Wünsche und gute Worte, die gibt man mit auf den Weg, wenn jemand eine Reise unternimmt, man gibt sie aber auch mit auf den Weg in ein neues Jahr (ob nun Lebensjahr oder Kalenderjahr). Ein tugendhaftes Leben, das den Menschen zum Segen für andere macht, in dem der Mensch nach Gottes Wort handelt und sich auf ihn ausrichtet, das ist das im Refrain vorgestellte Ideal.608 6.3.1.4 Rezeptionsgeschichte „Geh unter der Gnade“ wurde in das Liederheft zum Kirchentag 2003 in Berlin aufgenommen. Dort ist es unter der Nr. 148 in der Rubrik „Sendung und Segen“ zu finden.609 Die Beobachtungen haben gezeigt, dass das Lied lauter Elemente aufweist, die es für die Verwendung am Neujahrstag geeignet erscheinen lassen. Im Regionalteil des EG Württemberg ist es vorhanden (Nr. 543). Über das Jugendlieder­buch „kreuz & quer“ (dort Nr. 121) der EMK fand es jüngst Eingang in die Rubrik „Jahreswende“ des methodistischen Gesangbuchs.610 In der „Lobpreis-Szene“ ist es bekannt und beliebt, wie die Aufnahme in mehrere Liedersammlungen zeigt.611 Die Gesangbuchkommission für das derzeit entstehende Gesangbuch der SELK hat es in die engere Wahl genommen. Es befindet sich auf der Liste der „noch unentschiedenen“ Lieder.612 Von einer positiven Resonanz und einer häufigen Verwendung des Liedes berichtet auch Siebald. Aus erhaltenen Zuschriften werde deutlich, dass das Lied zu ganz unterschiedlichen Gelegenheiten gesungen wird. Anlässe könnten die Jahreswende, Gottesdienstbeschluss, Trauungen, Beerdigungen, Verabschiedun­gen von Gemeindemitgliedern und die Aussendung von Missionaren sein.613 Es ist

608 Damit hat es eine ähnliche ethische Ausrichtung, wie die Haustafellieder, vgl. den Exkurs: Haustafellieder – von Ständen und christlicher Tugendethik. 609 Gemeinsam unterwegs. Lieder und Texte zur Ökumene. Hg.: Ökumenischer Kirchentag Berlin 2003 e. V., Stuttgart 2003, 125. 610 EMK Nr. 106. 611 Liedersammlungen, die das Lied enthalten: Feiert Jesus 1 (Nr. 254), Ich will dir danken! (Nr. 130), Feiern & Loben (Nr. 438), Jesu Name nie verklinget 6 (Nr. 1824), Songs junger Christen 3 (Nr. 248), Lebenslieder (Nr. 251) und Leben aus der Quelle (Rubrik Segen: Nr. 101). 612 Vgl. www.kirchenmusik-selk-nord.de/gesangbuch/werkstatt/liederbuch/liste-der-unent schiedenen-lieder/ (18.8.2015). 613 Vgl. Siebald, Liedergeschichten, 141.

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wohl die Mischung aus Übergangs- und Segensthematik, die das Lied für diese verschiedenen Anlässe geeignet macht. 6.3.2 Ergebnisse Für das 20. Jahrhundert lässt sich anhand der Liedanalysen festhalten, dass sich nicht nur in Liturgie und Predigt sondern auch im Kirchenlied zum Neuen Jahr/ Jahreswechsel der Festgegenstand „Zeit“ durchgesetzt hat. Das jüngste hier analysierte Lied von Siebald greift mit Glück- und Segenswünschen allerdings auch ein altes Thema wieder auf, das ureigens mit dem Festbrauch zum Neuen Jahr verknüpft war und ist. Ursprünglich als Geburtstagslied verfasst, weist es auf die Verwandtschaft von Geburtstag und Jahreswende hin (auf die ähnlichen ritualisierten Handlungen und damit einhergehenden Semantiken hatte bereits Fechtner aufmerksam gemacht).614 Den Geburtstag zu begehen oder zu feiern ist in unseren Breiten das bedeutend jüngere Kulturphänomen gegenüber der Feier des Jahreswechsels, mit der Glück- und Segenswünsche schon im alten Rom einhergegangen sind; sie finden sich auch im ältesten hier untersuchten Lied von Johannes Zwick. Heute, wenn die Suche nach dem Glück, die Frage nach gelingendem Leben und das Bedürfnis nach Begleitung und Halt in unübersichtlicher Zeit die Menschen unserer Gesellschaft besonders bewegen, sind das alte Fragen mit neuer Relevanz. Für die Neujahrslieder des 20.  Jahrhunderts ist außerdem die Tendenz zu erkennen, Zeit biographisch und in die Glaubensperspektive gestellt zu deuten. Wenn zu Beginn des Jahrhunderts die Krise als Motiv hervortritt, ob nun als höhere Gewalt, unmenschliches politisches System, persönliches Schicksal oder Krise des Glaubens, so wird dem Sprache verliehen, die nicht verstummen lässt. Die Krise am Übergang in ein neues Jahr wird theologisch gedeutet und der Mensch in einen größeren Zusammenhang von Gemeinschaft mit der Gemeinde und Gott gestellt. Das Lied von Siebald am Ende des Jahrhunderts schlägt der Krise gegenüber hoffnungsvollere Töne an. Wünschenswert wäre, den ernsthaften und bedeutungsschweren Liedern vom Text her zuversichtlichere und in der Melodie hellere Lieder an die Seite zu stellen. Damit würde die Rubrik an Weite gewinnen. Von den derzeitigen Liedmelodien ausgehend scheint der Jahreswechsel überwiegend etwas Beschwerliches, Melancholisches oder Trauriges an sich zu haben.615 614 Ähnlichkeiten bestehen im Schreiben von Glückwunsch- bzw. Neujahrskarten; außerdem im gemeinsamen Anstoßen und Aussprüchen wie „Alles Gute zum neuen (Lebens-) Jahr!“. Vgl. Fechtner, Schwellenzeit, 48. 615 Ein Gefängnisseelsorger äußerte mir gegenüber einmal die Erfahrung, dass er am Neujahrstag kaum die zur Verfügung stehenden Lieder aus dem Gesangbuch singen lassen

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Schaut man hinsichtlich der Melodien zurück durch die Jahrhunderte, ergibt sich ein anderes Bild: Die ersten Lieder zum Neuen Jahr zeichneten sich dadurch aus, dass typische Weihnachtsgesänge mit neuen Texten versehen wurden. Gerne zog man „Vom Himmel hoch, da komm ich her“ oder „Gelobet seist Du Jesu Christ“616 dazu heran. Der enge Bezug von Weihnachten zu dem Lied am neu anbrechenden Jahr wurde auf diese Weise bereits über den Klang hergestellt. Jedem Sänger konnte allein aufgrund der Melodie die Einbettung im Weihnachtsfestkreis deutlich werden. Mit zunehmender Eigenständigkeit des Festgegenstands „Neues Jahr“, bzw. dem der „Zeit“ an sich, werden auch die Liedmelodien „eigenständig“; d. h. die Neujahrslieder erhalten oft schon von ihrer Einführung an eine eigene Melodie. Wenn aber eine bereits bekannte Melodie verwendet wird, dann ist es keine Weihnachtsliedmelodie mehr, sondern beispielsweise die eines Bußliedes.617

könne, da sie, vorwiegend wegen ihrer Melodien aber auch wegen mancher Inhalte im Gefängnistrakt zu negativer Stimmung führen würden. 616 Mit der Melodie von „Vom Himmel hoch“ verbunden waren z. B.: „Das alte Jahr ist nun dahin, dir höchster Gott“ (Burchart Wiesenmeyer), „Das alte Jahr vergangen ist“ (Johann Steuerlein), „Nun wolle Gott, das unser Sang“ (Johannes Zwick) und „O trautes, liebes Jesulein“ (Bartholomäus Helder). Zu der Melodie von „Gelobet seist du Jesu Christ“ sang man z. B. ebenfalls das Zwick’sche „Nun wolle Gott, dass unser Sang“. 617 „Hilf, Herr Jesu, lass gelingen“ wird z. B. im Gesangbuch von Weimar 1783 zur Melodie des Bußliedes „Herr, ich habe mißgehandelt“ gesungen. Für „Gottlob ein Schritt zur Ewigkeit“ wird im Gesangbuch Hamburg 1949 die Melodie von „Es ist gewisslich an der Zeit“ verwendet; ein Lied über das jüngste Gericht.

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Teil III: Kirchliche Neujahrslieder: Ihre Motivik, Theologie und Charakteristik

1

Motivik und Theologie der kirchlichen Neujahrslieder

Im Analyseteil der Arbeit haben sich, bezogen auf die vorherrschenden Leitgedanken, in den Neujahrsliedern verschiedener Jahrhunderte unterschiedliche Schwerpunkte gezeigt. Zum einen wurde deutlich, wie vielfältig die in den­ Liedern verwendeten und mit dem Neuen Jahr verknüpften Motive sind. Die Bezüge sind biblischer Natur, aber auch zeitgeschichtlich und politisch, mit Anleihen bei älteren Kirchenliedern. Je nach Autor oder Autorin und Zeit fällt die theologische Deutung des Festtages anders aus. Es gibt kaum Verbindungen zu profanen Neujahrsliedern. Auch das vielfältige Volksbrauchtum zum Fest findet bis auf Glück- und Segenswünsche kaum Widerhall in den kirchlichen Gesängen. Dies liegt vermutlich daran, dass es vorwiegend mit Aberglauben und Zukunftsdeutung einhergeht, dem sich christliche Liederdichter in ihren ­Texten nicht widmen (wollen). Es ließ sich feststellen, dass die kirchlichen Neujahrslieder, wie alle Kirchenlieder, dem Zeitgeschmack unterliegen, weshalb sie verändert, ausgemustert, wiederentdeckt oder, vom ursprünglichen Fest los­gelöst, zu anderen Anlässen gesungen werden. Aus den beschriebenen Gründen wechseln manche darum die Gesangbuchrubrik.1 Die Kernmotive gilt es nun in einer Zusammenschau, ausgehend von den Liedanalysen und dem darüber hinaus gesichteten Material, zusammenzustellen. Können charakteristische Elemente festgemacht werden, die ein Neujahrslied im Kirchengesangbuch als solches auszeichnen? Und wie verhalten sie sich zu den jüngeren Liedern am Jahresende/zu Silvester? Und schließlich ist zu fragen, wie das Neujahrslied sich von Liedern anderer Rubriken abgrenzt, die ganz ähnliche Themen behandeln.

1 Vgl. zu den „Namen-Jesu-Liedern“ den Exkurs „Beschneidung und der Name ‚Jesus‘“.

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Kirchliche Neujahrslieder: Ihre Motivik, Theologie und Charakteristik

1.1 Motivvielfalt Es hat sich der Eindruck verstärkt, dass es nicht beliebig ist, welche Motive mit dem Neuen Jahr verbunden werden. Im Laufe der Zeit hat sich ein Motivkanon herausgebildet. Anhand dieses Kanons werden die Lieder der Jahreswende zugeordnet, als Lieder für diese Gelegenheit identifiziert und als solche in Gottesdienst und Haus verwendet. Dieses soll nicht heißen, dass unser heute bestehendes Repertoire nicht weiterhin veränderbar oder kreativ erweiterbar wäre. Im Folgenden geht es darum, die Haupt- oder Kernmotive herauszuarbeiten und systematisiert zu präsentieren. Es ist wichtig zu betonen, dass die so beschriebenen Motive der Neujahrslieder (und auch zum Alten Jahr) im Liedgut keineswegs separiert begegnen, wie die Herausarbeitung suggerieren könnte. Vielmehr verbinden sich in manchen Liedern gleich mehrere Motive/Motivfelder miteinander. Das Ende des Jahres kann auf verschiedene Weise interpretiert werden. Es birgt Ambivalenzen in sich, und so widersprüchlich die Emotionen sind, die es in den Menschen auslöst, so unterschiedlich sind auch die Motive, die die Liederdichterinnen und -dichter gewählt haben. Sucht man nach einer Systematik für die unterschiedlichen Motive, lassen sich vier Kategorien benennen, die den Jahreswechsel hauptsächlich kennzeichnen. Jahreswechsel Grenze (zwischen Ende und Anfang) Schwelle (Rückschau/Selbstschau/Vorschau)

Veränderung (von Raum und Zeit) Übergang (von Alt zu Neu)

Als erstes ist hier die Grenze zu nennen. Mit seinem letzten Tag kommt das Jahr an sein Ende2. Es ist begrenzt. Um Mitternacht (des 31.12.) ist diese Grenze erreicht. Als zweite Kategorie ist die Schwelle anzusehen. Sie markiert den Zwischenraum zwischen dem alten und dem neuen Jahr. Auf einer Schwelle ist es

2 Ende, das kann als Grenze aber auch als Abbruch oder als Erreichen eines Zieles verstanden werden. Abbruch und Ziel sind Motive, die in den untersuchten Kirchenliedern selten bis gar nicht Erwähnung finden. Dies mag daran liegen, dass in den meisten das neu anbrechende Jahr als ein weiteres, ein zweites Jahr angesehen und als Ergänzung mitgedacht wird; da es folglich weitergeht, ist von „Abbruch“ keine Rede. Das Ziel wird, wenn es denn genannt wird, eschatologisch interpretiert: als Ziel im Jenseits, auf das die Gläubigen hinleben.

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Motivik und Theologie der kirchlichen Neujahrslieder Motivik und Theologie der kirchlichen Neujahrslieder

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möglich zu verharren. Sie lässt sich aber auch ungehemmt überschreiten. Die dritte Kategorie ist, daran anknüpfend, der Übergang. Und als Viertes gehört dann auch die Veränderung dazu, die vom alten hin zum neuen Jahr wahrzunehmen ist oder sich unmerklich vollzieht. Mit jeder dieser vier Kategorien können weitere Motive verknüpft werden, die im Folgenden eine Zuordnung erfahren. Hier wird eine allgemeine Beschreibung versucht, die auf einer Vielzahl von Neujahrsliedern basiert, aber nicht auf dichterische Vorlieben, theologische Strömungen mit Bevorzugungen einzelner Motive eingehen kann. Die Beobachtungen werden in aller Kürze zusammengetragen und die Belege knapp gehalten. Die leitenden Fragen sind die nach theologischen Aussagen und Bibelbezügen, welche dogmatischen Topoi vorherrschen und welche Gefühle in den Liedern zum Ausdruck kommen, wenn es um das neu anbrechende Jahr geht. 1.1.1

Grenze: Zwischen Ende und Anfang

Dass ein Zeitabschnitt zu Ende geht, wird in den untersuchten Kirchenliedern vielfältig beschrieben. Besonders eindrucksvoll geschieht dies, indem das Jahr als Person vorgestellt, also personifiziert wird. Es wird von ihm als Jahr gesprochen, das nun „dahinscheidet“. Es stirbt. So betrachtet, werden die Neujahrslieder zu Begräbnisgesängen und leisten Trauerarbeit. Theologisch aufgefangen wird die hier beschworene Trauer mit dem Trost der Gewissheit, dass die Zeit an sich, wie auch die Lebenszeit eines Menschen, nicht nur von Gott gegeben wurde, sondern auch zu ihm zurückkehrt und bei ihm auf ewig bewahrt bleiben wird3. Ein solcher Trost kann aber auch in Beunruhigung umschlagen. Dann nämlich, wenn der Einzelne zu der Annahme gelangt, dass nicht nur die gute, sondern auch die schlechte Zeit mit allen Übeltaten aufbewahrt bleiben wird4. Dies führt zur Frage, wie die Schuld, die jeder einzelne Mensch auf sich geladen hat, gesühnt werden kann. Die Antwort, die in vielfältiger Weise in den Liedern begegnet, ist Jesu Tod am Kreuz, mit dem er ein für alle Mal und für alle Zeit diese Schuld getilgt hat.5 Die Endgültigkeit des Ereignisses, dass ein Jahr vergeht, verbunden mit der Erkenntnis, dass die vergangene Zeit unwiederbringlich vorbei ist, ruft bei den

3 Zur Zeit, die bewahrt wird und bei Gott aufgehoben bleibt, vgl. z. B. Jochen Kleppers Lied: Der du die Zeit in Händen hast. 4 Besonders eindrucksvoll tritt das Motiv im Lied Lavaters hervor: Ach, wiederum ein Jahr verschwunden. 5 So z. B. im Lied „Warum machet solche Schmerzen“ von Paul Gerhardt (Text im Anhang Nr. 14).

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Kirchliche Neujahrslieder: Ihre Motivik, Theologie und Charakteristik

Dichterinnen und Dichtern eine Reihe starker Gefühle hervor. In den Texten reicht dies von Bestürzung über Wehmut bis hin zu Melancholie.6 Ende und Anfang stoßen am Grenzzaun zweier Jahre aneinander: Das Motiv der endenden bzw. begrenzten Zeit im Unterschied zur Ewigkeit, gehört für die christliche Dogmatik zu den Grundfragen der Gotteslehre. Die Begriffe Zeit und Ewigkeit stehen sich hier als Gegensätze gegenüber und zugleich zueinander in Beziehung. Es sind große Begriffe, die die theologischen Denker von jeher beschäftigen. Die Zeit wird häufig so beschrieben, dass sie von einem Anfang und einem Ende begrenzt ist. Oft wird sie mit dem menschlichen Leben in eins gesetzt, das auch durch einen Anfang und ein Ende begrenzt ist – dazwischen liegt die Lebensspanne, die dem Menschen von Gott zuteil wird. Demgegenüber ist Ewigkeit unendlich, sie umfasst die begrenzte Zeit, birgt und bewahrt sie. Die Zeit und gelebte Lebenszeit werden in Gottes Ewigkeit bewahrt.7 Wie gezeigt wurde, eröffnen „Ende“ und „Anfang“ für die Kirchenlieder ein großes Feld, aus dem ausgewählte Motive mit dem zu Ende gehenden Jahr verknüpft werden können. Zeit und Ewigkeit werden zu Hauptthemen der Neujahrslieder gegen Ende des 18. Jahrhunderts und auch im Jahrhundert darauf.8 Wird das Jahresende als Grenze aufgefasst, wird demgegenüber der Anfang eines Jahres häufig als Neubeginn gesehen. Anfänge wie Neubeginne haben in der christlichen Tradition einen besonderen Stellenwert. Die Bibel kennt verschiedenartige (Neu-) anfänge, wie den Anfang der Welt, die Schöpfung, mit einem zweiten (Neu-) beginn nach der Sintflut. Gedacht werden kann hier auch an Neuanfänge in Biographien, wenn beispielsweise die Jünger ihre Familien verlassen und ihre Berufe aufgeben, um mit Jesus von Nazareth zu ziehen. Und nicht zuletzt bleibt die Verheißung der Neuschöpfung zu nennen: eines neuen Anfangs am Ende von Zeit und Welt. 1.1.2

Schwelle: Rückschau / Selbstschau / Vorschau

Das Jahresende ruft vorwiegend ein Gefühl von Gewissheit hervor, weil eine Rückschau festhält, wie das Jahr gewesen ist – es war so und nicht anders. Das Ende weckt aber auch Zweifel, indem sich die Fragen aufdrängen, was hätte anders sein können, oder was zu einem anderen Verlauf geführt hätte. Dem gegen­ über kennzeichnen den Jahresbeginn die Gefühle von Ungewissheit und Hoff6 Vgl. hierzu die emotionalen Ausrufe im Lied Lavaters oder die Gefühlsbeschreibungen im Lied von Eleonore Fürstin Reuss. 7 Schon früh kam es dazu, dass Theologen Gott und die Ewigkeit gleichgesetzt haben: „Die Ewigkeit ist nichts anderes als Gott selbst“, stellt Thomas von Aquin fest: „aeternitas non est aliud quam ipse deus.“ Thomas von Aquin, s. th. I q 10a 2 ad 3. 8 Diese Beobachtung wird weiter unten bei „Die Zeit – Zur Motivdominanz in Jahreswende­ liedern“ weiter ausgeführt.

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Motivik und Theologie der kirchlichen Neujahrslieder Motivik und Theologie der kirchlichen Neujahrslieder

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nung: Ungewissheit, was sein wird, und Hoffnung, dass es gut, glücklich oder sogar besser sein werde. Die widersprüchlichen Gefühle werden auf der Schwelle besonders wahrgenommen. Im Gegensatz zum „Ende“ kommt der Schwelle die Eigenschaft zu, dass es mit ihr, oder genauer gesagt, jenseits von ihr, weitergeht. Auf der Schwelle ergeben sich drei Perspektiven – gleichsam, als ob man auf einer Türschwelle stehen bliebe: Es gibt die Möglichkeit der Rückschau, dann aber auch der Betrachtung der gegenwärtigen Situation (als Selbstschau) und die Vor(aus)schau auf das, was noch kommen wird. Auch wenn unter dem Begriff Neujahrslieder alle Lieder des Jahresübergangs, ob Silvester oder Neujahr zugedacht, zusammen­ gefasst werden, gibt es doch Perspektivunterschiede. Es zeigt sich, dass Altjahreslieder mehr die Rückschau und Selbstschau betonen, während Neujahrs­ lieder den Fokus überwiegend auf das Jetzt und auf das Zukünftige legen.9 1.1.2.1 Das Jahr Die Zeitspanne „ein Jahr“  – sie wird häufig thematisiert und bedacht. Während man individuell zum eigenen Geburtstag jedes Jahr erneut die Gelegenheit hat, auf die ganze bereits vergangene Lebenszeit zurückzublicken, betrifft der Rückblick beim Jahreswechsel nur ein zurückliegendes Jahr. Ein weiterer Unterschied ist, dass der Geburtstag nur Teil einer persönlichen Biographie ist, während beim Jahreswechsel über das Erleben des Einzelnen hinaus die Er­ eignisse in der Gesellschaft, in anderen Ländern und schließlich der ganzen Welt resümiert wird. Ein solcher Rückblick wird demnach umfassend. Wie die Analysen gezeigt haben, kommen in den Liedern persönliche und überindividuelle Situationen zur Sprache. Die „Jahresspanne“ – sie ist für Lavater Anlass, das eigene Handeln und Tun des vergangenen Jahres zu überdenken, das Gewissen zu prüfen und Gott gegenüber Reue zu zeigen für das, was schuldhaft und böse war. Damit verbunden ist der Wunsch Gott gegenüber, ein weiteres Lebensjahr geschenkt zu bekommen und vollenden zu dürfen.10 Die Situation im Land, die des Volkes, der Regierung und auch der Welt wird Gott in der Fürbitte dargelegt. Die Formulierungen sind allgemein gehalten und werden durch die Umstände und Zeiteinflüsse mit Inhalt gefüllt, der die Singenden im Alltag beschäftigt.11

9 Neujahrslieder mit prospektiver Ausrichtung sind z. B.: „Nun woelle Gott, dass unser Sang“, „Hilf, Herr Jesu, lass gelingen“, „Er ruft der Sonn und schafft den Mond“. 10 Vgl. Lavaters „Ach wiederum ein Jahr verschwunden“. Vgl. auch den Wunsch im Lied von Zwick, dass Gott mit Gnade viele gute Jahre geben möge (Str. 21 des Liedes). 11 Beispielsweise benennt Gerhardt Krieg, Not und Schrecken wie auch Blutvergiessen (in „Nun lasst uns gehen und treten“, siehe dort); und Gellert bittet um Gottes Segen für Volk und Land (vgl. „Er ruft der Sonn“, siehe dort).

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Kirchliche Neujahrslieder: Ihre Motivik, Theologie und Charakteristik

Durch biblische Bezüge wird das Motiv der Jahresspanne ausgekleidet. Da ist zum einen das „Gnadenjahr“ oder „Jubeljahr“12 (vgl. 3. Mose 25,8–55 als Erlassjahr der Schulden und des Besitzausgleiches), auf das Bezug genommen wird. Auch das Motiv des Baumes, dem noch ein Jahr erbeten wird, um doch noch Früchte zu treiben, wird poetisch verarbeitet.13 Gottes Leitung und Führung für die Lebensjahre wird erbeten.14 Und das Jahr wird in Relation zu Gottes Ewigkeit gesetzt, die die Zeit umschließt und keine Unterteilung in Jahre kennt.15 1.1.2.2 Buße Der Blick auf Vergangenes und das Eingeständnis von Misslungenem und Vertanem, von schlechtem Tun oder Lassen führen mit Blick auf die Zukunft zu Verhaltensänderungen oder zumindest dazu, dass man beabsichtigt, etwas zu ändern. Die vielzitierten „guten Vorsätze“ für das neue Jahr entspringen den Erkenntnissen der persönlichen Jahresbilanz. Damit verbunden, äußert sich die Hoffnung auf ein besseres neues Jahr, oder zumindest auf eines, das anders wird, als das vergangene. Dies wiederum hat viel mit dem biblischen Motiv der Umkehr zu tun, aber auch mit der Verlässlichkeit und Treue Gottes, der den Menschen auf seinem Weg durch die Zeit begleiten will. Er hält zu ihm im Guten, wie im Schlechten – mit allem Auf und Ab. Das Innehalten auf der Schwelle zum neuen Jahr erlaubt auch eine Situationsanalyse: Die Selbstreflexion ist mit vielen Fragen verbunden: Wie ging es mir bisher, wo stehe ich jetzt? Wie kam es zu der jetzigen Situation – im Positiven, wie im Negativen? Was hat die vergangene Zeit mit mir gemacht und umgekehrt: Wie habe ich die vergangene Zeit genutzt? Die Erkenntnis von Positivem wie auch Negativem, von Angefangenem, Unvollendetem, von Fragmentarischbleibendem stellt sich ein. Es gilt, damit umzugehen, damit „ins Reine“ zu kommen. Der Rückblick mit persönlicher Bilanz führt zu Selbsterkenntnissen. Daher sind mit vielen Liedern Bilder der Buße und der Reue verbunden.16 Sünden wer12 So z. B. Rist (Str. 8,1 f; „Laß diß seyn ein Jahr der Gnaden, laß mich büssen meine Sünd’“). 13 Das Gleichnis vom Feigenbaum steht in Lk 13,6–9. Ein Beispiel, bei dem das lyrische Ich sich selbst als den Baum sieht, der noch ein Jahr zum Hervorbringen von Früchten gewährt bekommen hat, ist: „So ist das Jahr nun auch verflossen in dieser suessen Gnadenzeit“. Strophe 3: „Jch war aus Adams boesem Stamme ein unfruchtbarer Feigen Baum: Du fuehrtest mich zu deinem Lamme, gabst mir in deinem Weinberg Raum; dein Gnaden-Wort, das voller Kraft, gab mir stets neuen Lebens=Saft.“ (nach Nürnberg 1770, Nr. 108; auch noch z. B. in Frankfurt 1863 vertreten). 14 So z. B. mit dem starken Bild bei Klepper: „Die Jahre, die du uns geschenkt, / wenn deine Güte sie nicht lenkt, / veralten wie Gewänder.“ (Str. 2,3 f). 15 So z. B. bei Klepper (Str. 3,4: „Nur Gottes Jahr währt für und für“; und Str. 4,2 f: „Du aber bleibest, der du bist in Jahren ohne Ende“). 16 Unter den Liedern aus dem Analyseteil sind es vor allem die Lieder von Lavater und­ Klepper, die auf Schuldhaftiges und Umkehr eingehen.

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den als Verwundungen beschrieben, die nur Gott oder Jesus als Arzt17, Heiler und Retter zum Verschwinden bringen kann. Im Gegensatz dazu wird meist dann optimistisch ins neue Jahr geblickt, wenn auch bisher positiv bilanziert werden konnte. Wer gewiss ist, dass Gott beigestanden und getragen hat, der vertraut auch ohne Anfechtung weiter darauf.18 Etwas, das die besprochenen Lieder nicht oder nur undeutlich thematisieren, ist selbstverschuldetes und durch die Menschheit verschuldetes Unglück, Leid und Böses. Es wäre wünschenswert, diese „Motivlücke“19 in der Gesangbuchrubrik durch ein (modernes) Lied zu schließen. 1.1.2.3 Lob und Dank in Gebet und Fürbitte Mit dem Neuen Jahr verbinden sich auffällig viele Psalmvertonungen und -umdichtungen. Der Rückgriff auf den Psalter in diesem Zusammenhang verwundert nicht. Denn der Übergang vom alten zum neuen Jahr eröffnet einen Raum, in dem der einzelne Gläubige auf das Vergangene zurückschaut und sich klagend, dankend oder lobend an seinen Schöpfer wendet. Aus diesem Grund entsprechen viele Neujahrslieder dieser uralten Form des gesungenen Gebets. Lob und Dank gelten Gottes Gnadenerweisen, seinem Segen und seiner Treue im Verlauf der zurückgelegten Zeit. Man könnte meinen, dass sowohl Lob als auch Dank in nahezu allen Liedern gefunden werden könne. Da die Lieder allerdings in sich schon ein Lob Gottes darstellen, wird das Lob selten explizit formuliert.20 Auch ausdrücklicher Dank begegnet in den untersuchten Liedern kaum, was sicherlich an den besonderen „Sprechsituationen“ liegt, die durch Bitte oder Selbstreflexion entstehen.21 Mehrere der untersuchten Lieder münden in Gebete, sind im Ganzen Gebete an Gott oder beinhalten Bitten für andere. Durch beides sind sie Ausdruck der engen Beziehung zu Gott und zum Nächsten – des Einzelnen, als auch von der Gemeinde. Im Gebet wendet sich der Einzelne mit konkreten Anliegen an das göttliche Gegenüber. Die Bitten beziehen sich auf das bisherige Leben, die jetzige Situation, auf das kommende Jahr. Sie können Ausdruck der Verunsicherung 17 Das Motiv des Arztes begegnet unter den hier behandelten im Lied „Hilf Herr Jesu, lass gelingen“, (siehe dort). 18 Überwiegend positiv dichtet beispielsweise Gellert (vgl. „Er ruft der Sonn“). 19 Etwa in der Art, wie das Motiv im Lied „Man wünschet gute Zeiten“ bearbeitet wird, wenn dieses auch nicht den heutigen Sprachgewohnheiten entspricht, vgl. im Anhang, 1. Liedtexte, Nr. 7). 20 Lob formuliert Gerhardt (Str.  7,1+3); und ein einziges Loblied ist Schefflers Lied zum Namen Jesus. 21 Dank formuliert v. a. Lavater (vgl. Str.  12). Rist formuliert, dass Dank erforderlich ist (vgl. Str.  6,4). Aufgrund der Sprechperspektive und inhaltlichen Ausrichtung sind bei Zwick, Reuß und Klepper, bei Bonhoeffer, Hiltbrunner und Siebald keine Dankesbezeugungen zu finden.

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sein, die sich verbunden mit einem Kalenderjahrwechsel einstellt. Sie können sich aber auch auf erfahrene Hilfe und Stärkung beziehen, auf durchgestandene Krisen. Diese können z. B. Krisen sein, die die Glaubens- und Gottes­ beziehung eines Einzelnen auf die Probe gestellt haben, durch die er hindurchgegangen ist und die er überwunden hat.22 Die Überwindung der Krisen kann zu einer Festigung der Gottesbeziehung geführt haben oder noch dazu führen. Mit der Fürbitte wird schließlich der Mitmensch23 in das Gebet einbezogen und dadurch die Ich-Bezogenheit durchbrochen. Über die Bitte für einen selbst hinausgreifend, möge auch dem Nächsten Gottes Beistand, Hilfe, Schutz, Stärkung und Segen zuteilwerden. Eine gesunde Gottes-, Selbst- und Mitmensch­ beziehung scheint die Richtschnur für Neujahrsbitten zu sein. 1.1.2.4 Segen Die Gewissheit einer guten, menschenfreundlichen Begleitung durch Gott wird theologisch in den Begriff des „Segens“ gefasst. Segen lässt sich ständig erneuern und Segen äußert sich ständig neu. Worin erfahrener Segen bestanden hat, ist subjektives Empfinden. Die Neujahrslieder werden daher in diesem Punkt wenig konkret und überlassen es den einzelnen Sängerinnen und Sängern, das Wort „Segen“ zu füllen. Fürbitte und Segen hängen eng zusammen. Die Segensbitte an den Beginn eines neuen Jahres zu stellen, greift über den Einzelnen hinaus und umfasst die versammelte Gemeinde, Kirche, Gesellschaft, Mensch, Tier und Welt. Der Inhalt der Segensbitte kann vielfältig sein und zeigt, wie verschieden Segen gedeutet wird: Gott möge das Gute fördern, dem Bösen wehren und es vermindern, Gelingen von Plänen und Vorhaben geben; er möge Kraft und Stärke, Ausdauer und Geduld verleihen und auch in schwerer Zeit seine Allgegenwart und seinen Beistand spüren lassen.

22 Beispiele hierfür sind die untersuchten Lieder von Lavater, Fürstin Reuss und in Ansätzen auch die von Klepper und Bonhoeffer. 23 Neujahrswünsche bestimmen das Lied von Zwick für die einzelnen Stände der Gesellschaft; und das Lied von Siebald ist ein Segenswunsch für ein einzelnes Gegenüber, ein Du. Bitten für eine Gruppe finden sich in der Formulierung für „uns“ in den Liedern von Gerhardt („mir und der Christen schaar“ Str. 15,3), von Gellert (für sich, uns, Volk und Land), bei Lavater, der alle in Gottes Hand befiehlt (Str. 14), und als Bitten für „uns“ bei Fürstin Reuß, Klepper, Bonhoeffer und Hiltbrunner. Die Lieder von Rist und Scheffler sind sehr persönlich formuliert und keine Bitten für andere. Ein „Du“ kommt bei S­ cheffler allerdings doch ein wenig in den Blick, indem er den Namen Jesus einem „Du“ anempfiehlt. (Str. 3,5 f: „Lege Jesum nur auffs Hertz / So verliert sich aller Schmerz“; und auch Str. 4,5 f: „Wiltu froh und freudig seyn / Laß nur jhn zu dir hinein“).

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1.1.2.5 Abschied – Begrüßung Die Schwelle, der Übergang ins neue Jahr, erfordert Abschiednehmen. Denn am Vergangenen festzuhalten, erschwert das Voranschreiten in die Zukunft. Abschiednehmen hat auch etwas mit Annahme zu tun. Das Vergangene ist vergangen und lässt sich nicht mehr ändern. Dies kann Gott geklagt werden24, doch es gilt, dies anzuerkennen und anzunehmen.25 Nur dann kann losgelassen werden. Auf der Schwelle wird der Blick dem Kommenden zugewendet. Das neue Jahr wird begrüßt und meist als unbekannte, neue Zeiteinheit beschrieben26. Gelingt das Ablegen des Vergangenen, kann die Begrüßung des Neuen Jahres unbelastet und freundlich ausfallen. Die Gefühle, die sich damit verbinden, sind jedoch nicht überschwänglich. Die Freude ist gemäßigt – Jubelrufe fehlen. 1.1.2.6 Unsicherheit – Angst / Sicherheit – Geborgenheit Der Gang über die Schwelle ist von gegensätzlichen Gefühlen begleitet, die sich bei Menschen in allen Arten von Übergängen einstellen. Da ist zum einen die Angst vor der unbekannten Zukunft, außerdem auch Unsicherheit.27 Diesen Gefühlen gegenüber stehen Sicherheit und Geborgenheit28, die dem Vertrauen auf Gottes Begleitung und Vorsehung entspringen. Es gibt viele Jahreswendelieder, in denen das Lyrische Ich zwischen diesen starken Gefühlen schwankt, wenn es auf der Schwelle zum Neuen Jahr verweilt und sich der gegenwärtigen Situation bewusster wird. 1.1.3

Übergang: Alt wird Neu

Mit dem Anbrechen eines neuen Jahres wird das zu Ende gehende als „alt“ qualifiziert. Es wird in der Rückschau als vergangene Zeiteinheit wahrgenommen, die zurückgelassen wird. „Alt“ kann sie aber auch als etwas Gebrauchtes, ­etwas Benutztes, beschreiben, das mit dem jetzigen Stand nicht mehr mithält. Bei einer solchen Betitelung strahlt das neue Jahr zwangsläufig mehr Anziehungskraft aus. Es ist unverbraucht, unbestimmt und völlig offen. Es liegt an jedem selbst, was er daraus macht. 24 Erinnert sei hier an den klagenden Ausruf „Ach!“ in Lavaters „Ach, wiederum ein Jahr verschwunden“. 25 Wenn beispielsweise Klepper formuliert: „Herr, nimm auch dieses Jahres Last / und wandle sie in Segen“. 26 So z. B. bei Siebald, im Bild der neuen Kleider, an die man sich erst einmal gewöhnen muss. 27 Dies wird deutlich in der Bitte um Hilfe, wie in „Hilf, Herr Jesu, lass gelingen“. 28 Sicherheit und Geborgenheit, wie sie beispielsweise im Wort „getrost“ vermittelt werden: „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag“ (vgl. Bonhoeffers „Von guten Mächten“, Str. 7,1+2).

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Mit „alt und neu“ verbindet sich der biblische Gedanke des „neuen Menschen“ und damit der Gedanke einer beständig möglichen Umkehr. „Jetzt“ – im Übergang vom alten zum neuen Jahr – kann eine Wende geschehen, kann aus dem alten ein neuer Mensch werden. Jetzt kann auch eine neue Richtung eingeschlagen werden. Hier bietet sich ein Zeitpunkt zu Bilanz und Entscheidung. Der Jahresübergang ist nicht einmalig, sondern kehrt immer wieder. Natürlich ist Umkehr jeden Tag möglich. Doch dieser besondere Tag im Jahr mit der Jahreswende scheint auch für eine persönliche Zeitenwende stehen zu können. Es ist ein feststellbares Datum im Jahresverlauf, ein der Zeit fast enthobenes Ereignis. Ein biblisches Motiv, das Umkehr versinnbildlicht, ist das Ablegen von ­a lten Kleidern und das Anziehen von neuen.29 Die innere Umkehr will hier ihren Ausdruck nach außen finden  – als sichtbares Zeichen für die Mitmenschen und auch für den einzelnen selbst. Doch mit dem Kleiderwechsel allein ist es nicht getan – die neue Haltung muss sich im Alltag bewähren. Die Versuchung zu sündigen ist nicht abgelegt, wie alte Kleidung, sondern besteht weiter.30 Die „guten Vorsätze“ zum Neuen Jahr spielen auch in diesem Zusammenhang eine Rolle. 1.1.4

Veränderung: Raum / Zeit

Der Übergang von einem Jahr zum anderen hat mit Veränderungen zu tun, die sich in Zeit und Raum abspielen. Es ist „neue Zeit“, die sich dem Einzelnen eröffnet, ist unbekannter „neuer Raum“, als der das beginnende Jahr wahrgenommen werden kann. Je nach Lebensalter und Lebenssituation werden diese Veränderungen positiv oder negativ gedeutet. Das Neue wirkt bedrohlich oder ermutigend – je nach Empfindung und Lage. Einige Lieder benennen oder wünschen nur die Veränderung oder den Wandel31 und überlassen es der singenden Gemeinde – und somit jedem einzelnen – den Worten Inhalt zu geben. 1.1.4.1 Kreisend oder fortschreitend – Dynamik Auf das Thema „Zeit“ bezogen, zeigt sich in vielen Liedern sowohl die Vorstellung von „Schon-da-Gewesenem“, das wiederkehrt, als auch von „GanzNeuem“, das voranbringt. Beide Dynamiken hängen damit zusammen, wie der Lauf der Zeit generell verstanden und eingeschätzt wird. Gibt es noch Neues unter der Sonne oder war alles schon einmal da? Gibt es echten Fortschritt, an dem der Mensch mitwirkt, oder ist alles vorherbestimmt und damit festgelegt? Beide Ansichten gehen von „Bewegung“ aus. Erstere führt jedoch nur bis zum 29 Vgl. das analysierte Lied von Manfred Siebald: Geh unter der Gnade. 30 Vgl. hierzu auch „Buße“, Teil III, 1.1.2.2. 31 Vgl. z. B. bei Hiltbrunner „Dieser Erde Zwischenspiel: Wende es ins Wunderbare“ (Str. 2,2 f).

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Hier und Jetzt, letztere führt über das Jetzt hinaus in die Zukunft. Echte Veränderung kann von beiden nicht erwartet werden. Denn im ersten Fall führt die Wandlung nur zu etwas, das schon da gewesen ist – also einem bekannten Zustand. Und im zweiten erscheint nur vermeintlich Neues, von dem angenommen werden kann, dass es Gott bereits bekannt und allein dem Menschen unbekannt war. Die beiden Dynamiken, die im Zeitverlauf angenommen werden, sind freilich in vielen untersuchten Kirchenliedern nur zwischen den Zeilen zu finden. Es sind andere Themen, die im Vordergrund stehen. 1.1.4.2 Alt und Jung – Erneuerung Der Wechsel der Jahre wird in manchen Liedern als „Erneuerung“, allerdings als „Verjüngung“ begriffen. Ein altes Jahr wird nicht von einem neuen, sondern von einem jungen abgelöst. Der Jahreswechsel kommt hier einem Generationenwechsel gleich. Der Personifizierung des zu Ende gehenden Jahres als­ Altes Jahr, das stirbt, entspricht damit eine Personifizierung des Neuen Jahres als einem jungen Jahr, das das Leben noch vor sich hat. Die Jahresspanne wird mit der Lebensspanne der „Person“ – sprich dem Jahr – gleichgesetzt. Das Alte Jahr haucht an Silvester sein Leben aus, das Neue Jahr wird zu Mitternacht geboren und jeden Tag einen Tag älter. Zu der Erneuerung gehört auch das biblische Bild der „Neuen Kreatur“ (vgl. 2. Kor 5,17), die Gott schaffen will.32 Und auch die innere Erneuerung, die mit Buße und Umkehr zusammenhängt. 1.1.4.3 Vergänglichkeit / (Lebens-)Zeit / Ewigkeit In Liedern zum Jahreswechsel, die vor allem die Zeit in den Fokus nehmen, begegnen vornehmlich die drei Bereiche Vergänglichkeit, (Lebens-)Zeit oder Ewigkeit. Die Vergänglichkeit, eine mit dem Zeitverlauf untrennbar verbundene Tatsache, wird in den behandelten Liedern ausschließlich auf menschliches Leben bezogen. Das menschliche, endliche und somit vergängliche Leben wird im Gegensatz zur göttlichen Unendlichkeit in Zeit und Ewigkeit gesehen.33 Der Lebensweg und die Lebenszeit sind Bilder, die vielfach in der Bibel zu finden sind und die im Zusammenhang mit der Jahreswende von den Dichtern aufgenommen werden. Hinter mancher Liedstrophe steckt die Frage nach dem Zusammenhang von Diesseits und Jenseits sowie der Verbundenheit von der 32 Vgl. dazu die Strophe 5 von „Hilf, A und O, Anfang und Ende“ RG 549 (T: Hieronymus Annoni 1728; M: Guillaume Franc, Genf 1543/Lyon 1547): „Du bist’s, du schaffest alles Neue; / nimm denn das Alte hin / auf dass dich auch an uns erfreue / der neu geschaffne Sinn. / Lass uns ein neues Licht aufgehen, / zeig uns der Wahrheit Spur, / sprich, Herr, in Kraft und lass erstehen / die neue Kreatur.“ 33 Dies geschieht besonders eindrücklich im Lied von Klepper.

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Jetztzeit mit der Ewigkeit. Der Tod, auch der eigene, wird als Tatsache bzw. Möglichkeit wahrgenommen und thematisiert.34 Es ist festzustellen, dass die untersuchten Lieder mit ihren Bitten und Wünschen vorwiegend auf das Diesseits gerichtet sind. Das Jenseits oder auch Eschaton wird kaum thematisiert oder nur angedeutet. Explizit widmet Fürstin Reuß der Jenseitsvorstellung eine Strophe (Str. 4): „Hier gehen wir und streuen / Die Thränensaat in’s Feld, / Dort werden wir uns freuen / Im sel’gen Himmelszelt; / Wir sehnen uns hinieden / Dorthin in’s Vaterhaus, / Und wissen’s, die geschieden, / die ruhen dort schon aus.“ Als Andeutung des Jenseits ist z. B. das Anbrechen vom „neuen Tag“ am Ende von Bonhoeffers Gedicht interpretierbar; er kann auch für den Anbruch von Gottes ewigem Tag stehen. Wo das Sterben von Mitmenschen oder der mögliche eigene Tod zur Sprache kommt, dienen die Lieder einem „Memento mori“. In diesem Motiv stehen die Lieder der Jahreswende Gesängen zum Totensonntag oder zur Beerdigung nahe, die alle zusammen die Vergänglichkeit des Menschen thematisieren und das Bewusstsein dafür schärfen. 1.1.5 Fazit Grenze, Schwelle, Übergang und Veränderung haben sich als die geeigneten Kategorien herausgestellt, denen sich die Hauptmotive der untersuchten Kirchen­ lieder zuordnen lassen. Natürlich ist die Systematisierung nicht als scharfe­ Trennung zu verstehen; zumal sich in einzelnen Liedern mehrere Motive finden. Nicht verwunderlich ist, dass darunter grundlegende Elemente der persönlichen Gottesansprache sind. Gebet und Fürbitte entsprechen Elementen des Gottesdienstes und auch den Vaterunserbitten der versammelten Gemeinde. Das Element der Buße und die Bitte um Segen sind damit verbunden. Das Feld der Veränderung in Raum und Zeit, auch der Dynamik, entspricht dem gottes­ dienstlichen Anlass als einem Ritual am Übergang. Die Möglichkeiten, die darin liegen, werden benannt. Mit der exemplarischen Untersuchung konnte nicht in aller Breite untersucht werden, welche Motive die Kirchenlieder zum Neuen Jahr/Jahreswechsel kennzeichnen. Doch Wesentliches liess sich erfassen. Am Ende steht auch die Feststellung, dass Kirchenlieder zum Neuen Jahr und zum Altjahresabend mehr und mehr zusammen gesehen werden, weil sie ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal verlieren: Es zeigte sich, dass das Stichwort „Neues Jahr“, das bislang eine eindeutige Zuordnung zuliess, in den jüngeren Liedern nicht mehr gegeben ist. Dort liegt das Augenmerk ganz auf der Zeit im Allgemeinen und nicht 34 So z. B. in Lavaters Lied am Ende des Jahres mit der Selbstbefragung (Str.  4,2 f): „Was würde mein Gewissen sagen, / Wenn Gott mir rief: Du stirbst noch heut?“

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mehr auf dem neu beginnenden Zeitabschnitt eines Jahres. So wird nunmehr die Zeit an sich theologisch reflektiert und in ihrer Bedeutung für Individuum, Gemeinde und Welt im Bezug auf Gott bedacht.

1.2

Theologische Deutung des Motivfeldes

1.2.1

Anthropologische Grundkonstanten

Es hat sich gezeigt, dass die Rubrik „Neujahr/Jahreswende“ in den Kirchengesangbüchern an unterschiedlichen Stellen verortet wurde – je nach Systematik aber auch nach zeitgebundener theologischer Einschätzung. Dies ist ein weiteres Indiz dafür, dass sich die Bedeutung des Festes und seine Verankerung im Kirchenjahr wandeln. Jahreswende/Neujahr löst sich zusehends aus dem Weihnachtsfestkreis, in den es ursprünglich eingebettet wurde. Je mehr sich auch das kirchliche Fest dem Phänomen „Zeit“ öffnet und dies zum eigentlichen Festgegenstand macht, wird es autonomer. Die Untersuchung der Liedmotive hat einen bunten Fächer zentraler christlicher Topoi und Glaubenspraktiken erbracht, die mit dem Übergang in ein neues Jahr verbunden wurden oder verbunden sind. Ihnen allen ist gemein, dass sie (Glaubens-)Aspekte wiedergeben, die nicht exklusiv der Jahreswende zugeschrieben werden können, sondern die auch bei anderen Gelegenheiten im Kirchenjahresverlauf einen Platz haben. Mit Ohnesorg kann davon gesprochen werden, dass hier anthropologische Grundbedürfnisse einen Ausdruck finden bzw. anthropologische Motive zusammenkommen, die sich so auch anlässlich anderer Kirchenfeste finden oder sich ihnen zuordnen lassen.35 In dem Ganzen lassen sich seinen Überlegungen zufolge zwei ‚anthropologischen Grundkonstanten‘ erheben36: Da ist zum einen die Suche nach Harmonie, Ganzheit und Heil des Erlebens (sozusagen einem Angenommensein trotz der Erfahrung, anders zu sein, und der Erfahrung von „Zerrissenheit und Zerstörung von Natur und Leben“). Als zweite Konstante bestimmt er Leiderfahrungen, die gesellschaftlich bedingt sind, als da sind Erfahrungen wie Rüstung, Krieg,­ 35 Ohnesorg nimmt beim Weihnachtsfest besonders den Wunsch nach Harmonie, Geborgenheit und nach einem Bereich, der Halt gibt, wahr. Hingegen werden Kontingenz­ erfahrungen, wie die Abhängigkeit von der Natur, die eigene Sterblichkeit, aktive oder passive Schulderfahrung am Buß- und Bettag und dem Ewigkeitssonntag aufgenommen. Erfahrenes gesellschaftliches Leid ist am Volkstrauertag bestimmend. Und der Dank, wie beim Erntedankfest, gründet in der Erfahrung, dass man im Leben angewiesen ist auf andere und sein Sein sich nicht selbst verdankt. Für Ostern und Pfingsten erhebt­ Ohnesorg die Freude über das Wiedererwachen der Natur mit Aufblühen und Wachstum als Gleichnis für die Erfahrungen von Aufbruch und Neuanfang auch im menschlichen Leben. Vgl. Ohnesorg, Zeiterfahrung, 372. 36 Vgl. zum Folgenden ebd., 372 f.

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Zerstörung der Umwelt und Ungerechtigkeit, kurz die Erfahrung „zerstörter Ganzheit, des Todes und von Schuld“. Diese korrelieren in der theologischen Tradition mit der „Zuwendung Gottes, der diese Welt und die Menschen bejaht und liebt, wodurch der Einzelne sich im Leben gewollt und getragen weiß.“ Fragmentarität, Tod und Schuld bezieht er auf den Gekreuzigten und Auferstandenen, während ihm die „Vergebung von Schuld, dem noch Ausstehenden (Eschatologie), mit der verheißenen Einheit und Ganzheit des Lebens und der Menschheit“ verbunden ist. Das Spannungsfeld, in dem jedes menschliche Leben steht, die Spannung zwischen der Suche nach Glück und gelingendem Leben auf der einen Seite und dem Zerstörerischen und Bösen in der Welt und im eigenen Leben auf der anderen, rückt am Übergang in ein neues Jahr besonders ins Bewusstsein. Die Sehnsucht nach Ganzheit, Glück, nach dem Guten und Gelingenden ist auf Zukünftiges ausgerichtet, auf den neuen Zeitabschnitt „Jahr“, in der Glaubensperspektive aber auch auf Gottes Ewigkeit und die Heilsverheißung hin, die in Leben, Sterben und Auferstehen Jesu Christi gegeben ist. Es mag an einem persönlichen Bilanzziehen liegen oder am Vergleich mit anderen und deren Jahresverlauf, dass die Sehnsucht nach gelingendem Leben am Jahresübergang bei vielen besonders hervortritt. Das Gespür für die Lebenswiderfahrnisse ist dann ebenfalls stark. Das Böse zeigt sich als „Einbruch von Sinnlosem und Sinnwidrigen“, es ist destruktiv, vernichtend; eine „negierende Negation ohne die Eröffnung konstruktiver Verstehens- und Zukunftshorizonte. Böses zerstört ohne Sinn, Ziel und Verstand, und weil es sinnlos schädigt und zerstört, ist es böse.“37 Mit dieser Erfahrung gilt es umzugehen. Auch mit den Kontingenzen des Lebens. Dalferth formuliert es so: „Es geht darum, aus der Unterbrechung des Lebens durch Unverfügbares und Unbegreifliches einen Weg zurück in das Leben zu finden, der das Unverfügbare und Unbegreifliche nicht negiert, minimiert und auflöst, sondern mit ihm und angesichts von ihm zu leben erlaubt.“38 Die beiden anthropolgischen Grundkonstanten finden sich in den Liedern zur Jahreswende. Es ist ein Singen auf der Suche nach gelingendem Leben und Gottes Segen, aber auch ein Singen, um Unbegreifliches und Nichtbeeinflussbares zu benennen und um zu lernen, damit umzugehen.

37 Dalferth, Malum, 15. Dalferth spricht lieber von „malum-Erfahrungen“, weil das Wort „böse“ allzuschnell auf moralisch Böses, d. h. böses Handeln und böse Absichten ein­ geschränkt wird. Vgl. ebd. 38 Dalferth, Malum, 524.

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1.2.2

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Kanon oder „Fest der Beliebigkeit“?

Von Karl Dienst wurde Anfang der 80er Jahre anhand von Neujahrspredigten die Frage erörtert, ob Neujahr zu einem Fest der Beliebigkeit geworden sei. Er stellt fest, dass insbesondere die „homiletische Großwetterlage“ – neben Biographie und Alltagswelt des Predigers  – Einfluss auf die Neujahrsverkündigung habe.39 Die Themen der Predigten in den 70er Jahren würden weitgehend aus dem Feld der Sozial- und Gesellschaftskritik stammen, während sich zu Beginn der 80er eine Wende hin zur Sinnfrage erkennen ließe.40 Dienst sieht ein weites Spektrum, das sich dem Prediger für Neujahr eröffne, (es reiche von „Grün“ bis „Frieden“), da doch der Neujahrstag zu allen Zeiten „Gelegenheit zu intensiver Kultur- und Zivilisationskritik (z. B. ‚Zwischen Partyseligkeit und Katzen­ jammer‘)“41 geboten habe und biete. Zur Untermauerung seiner These, dass Neujahr hinsichtlich der Predigtthemen zu einem Fest der Beliebigkeit wurde, was sich besonders in der Betonung der Frage nach dem „Sinn“ zeige, untersucht Dienst allerdings keine zeitgenössischen Predigten oder Predigtstudien. Vielmehr bezieht sich seine Argumentation überraschenderweise auf das Gesangbuch (EKG und zahlreiche Beihefte). Die Lieder zu Neujahr, die er dort vorfindet, zeigten seiner Meinung nach deutlich, dass „Neujahr in historischsystematischer und hermeneutischer Dimension starken Veränderungen unterworfen ist, die das Urteil ‚Beliebigkeit‘ schon rechtfertigen.“42 Außerdem warnt Dienst davor, auf traditionelle Agenden zu verzichten, da dies zu thematischen Gottesdiensten führe, in denen das Liturgische dem Homi­letischen entspreche.43 In aller Kürze zieht Dienst daraufhin Kirchenlieder heran, um an ihnen den Wandel der Motive und Festbestimmungen zu demonstrieren: Beschneidung und Namengebung Jesu Christi entsprechend dem Tagesevangelium; dann schon bald Dank- und Bittfest oder auch der Weihnachtsbezug durch die Oktav.44 Für das 20. Jahrhundert konstatiert er eine Dominanz des Gedankens der fliehenden Zeit und der Frage nach dem Sinn, wie sie in den Liedern Kleppers „Der du die Zeit in Händen hast“ und Bonhoeffers „Von guten Mächten treu 39 40 41 42 43

Vgl. Dienst, Neujahr – Fest der Beliebigkeit?, 40. Vgl. ebd., 40 f. Ebd., 40. Ebd., 41. „Verzichtet der Pfarrer auf traditionelle Agenden, bedient er sich z. B. „Entwürfe“ (sic.) neuerer Herkunft, so entspricht das Liturgische dem Homiletischen; der neue ‚Arper-­ Zillessen‘ als Standardwerk thematischer Gottesdienste ist perfekt.“ Ebd., 40. Diese Bemerkung zielt wohl vorwiegend auf lutherische Gottesdienste; reformierte Theologen sind von jeher freier in der Themenwahl und Gestaltung der Gottesdienste im Jahresverlauf. 44 Vgl. ebd., 41 f.

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Kirchliche Neujahrslieder: Ihre Motivik, Theologie und Charakteristik

und still umgeben“ in der Tendenz erkennbar sei.45 Und gerade die Frage nach dem Sinn eröffne „beliebigen“ Interpretationsspielraum: Ist ‚Sinn‘ vom Menschen zu konstituieren, wird eine Verkündigung an Neujahr, die auf die Sinnfrage konzentriert ist, diesen Tag zu einem Fest der Beliebigkeit machen – im Sinne dessen, was der einzelne Pfarrer oder was seine Gruppe gerade für ‚Sinn‘ hält.46

Dienst ist trotz des polemischen Tons sicher recht zu geben, dass das Neujahrsfest auch von Kirchenseite her Gelegenheit bot und bietet, gesellschaftskritische und zeitkritische Anmerkungen aus christlicher Sicht zu machen. In dieser Hinsicht ist der Neujahrsgottesdienst ein „res mixtae“, denn hier lassen sich in besonderer Weise der Blick auf das Zeitgeschehen und die biblische Botschaft miteinander verbinden. Anhand der Kirchenlieder vermag Dienst jedoch nur zu zeigen, wie das Fest in liturgischer Sicht geweitet wurde: von Jesu Beschneidung über die Namengebung hin zu dem Neujahrsfest des bürgerlichen Kalenders, das Anlass zu Fürbitte, Rückschau und umfassenden Wünschen gibt, bis schließlich der Gedanke der fliehenden Zeit ins Zentrum rückt. Die Frage nach dem Sinn, die Dienst zu Beginn der 80er Jahre nun als so zentral ansieht, führt ihn zu seiner Kritik der „Sinnsuch-Lastigkeit“ des Neujahrsfestes. Dienst stellt den biblischen Glauben ins Zentrum der Neujahrsverkündigung, den Glauben, der „Gott als Schöpfer, Richter und Retter“ zur Sprache bringt und damit mehr ist, als nur ein „Motivliferant und Sinngarant“.47 In ein ähnliches Horn wie Dienst, stößt Brandt, wenn er einen Profilverlust des Neujahrsfestes beklagt. Er betont, dass nicht nur dem Geistlichen, sondern auch dem Laien das spezifisch Christliche des Neujahrsfestes wieder deutlicher werden müsse. Sonst drohe zum einen die Abschaffung des Feiertages und zum anderen (mit dem Verlust der Themen Namengebung und Beschneidung) theologisch das Verschwinden eines entscheidenden Stückes der Heilsgeschichte Gottes; und damit auch ein zentraler Aspekt des biblischen Christuszeugnisses.48 Es würde nicht mehr deutlich, dass der Sohn Gottes in das jüdische Volk gesandt ist, in dem er nach dessen Riten beschnitten wird und einen h ­ ebräischen Namen erhält – auf Gottes Geheiß.49 Dienst und Brandt kritisieren, dass das Neujahrsfest kirchlicherseits „sinnentleert“ werde. Auf der Suche nach der theologischen Füllung bzw. Deutung, ziehen interessanterweise beide das Kirchenliedgut heran. Dienst bezieht sich mit sei­ner 45 Ebd., 43. 46 Ebd., 44. 47 Ebd. 48 Vgl. Brandt, Christen am 1. Januar, 81. 49 Vgl. ebd., 82.

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Frage vornehmlich auf Lieder der Reformationszeit, während Brandt bei Paul Gerhardt und Salomo Lisco(w) einsetzt und Zinzendorf zu Wort kommen lässt. Dass beide Kritiker weder Kirchenordnungen oder Agenden noch Predigthilfen heranziehen, ist auffällig. Es ist das Kirchenlied zu dem besonderen Anlass Neujahr, auf das sie zurückgreifen. Was Dienst und Brandt nur in Ansätzen dargestellt haben, soll an dieser Stelle weitergedacht werden. Dies geschieht in der Annahme, dass das aktuelle ebenso wie das ausgestorbene Kirchenliedgut für die Feier des Neuen Jahres Aspekte für die heutige theologische Festbestimmung liefern kann, womit es einer drohenden „Sinnentleerung“ entgegensteht und Liturgik wie Homiletik neue Impulse zur Festgestaltung zu geben vermag. Das theologische Motivkonzert der Lieder, das weiter oben zusammengetragen und interpretiert wurde, widersteht dem Vorwurf der Beliebigkeit. Zwar sind die Lieder Werke von einzelnen Gläubigen, die individuell verschieden sind. Aber trotz der Vielfalt der Stimmen und Frömmigkeitsstile hat die Rubrik­ geschichte doch zu einem gewissen Kanon geführt, der die Zeit überdauert hat. Auch hat die Fluktuation in der Gesangbuchrubrik Neujahr/Jahreswende im 20. Jahrhundert abgenommen. Die Lieder geben so durch die heutigen Gesangbücher im wahrsten Sinne des Wortes den Ton an – in der Stimmung, die sie transportieren, aber vor allem auch darin, wie das bürgerliche Fest christlicherseits gedeutet werden möge. Worauf Dienst und Brandt mit Recht hinweisen, ist der abnehmende Christusbezug in der Festdeutung. Und es bleibt weiterhin die Frage nach dem „Sinn“ – und wie diese sich dem Fest „Neujahr“ gemäß aus theologischer Sicht beantworten lässt. Im Folgenden geht es nun darum, wie sich der behauptete Verlust des Christusbezuges anhand der Lieder nachzeichnen lässt. Wäre es möglich, etwas Verlorenes wiederzugewinnen? Und weiter: Im 20. Jahrhundert dominiert das Motiv der „Zeit“ in den Kirchenliedern. Wie ist es möglich, die Zeit Festgegenstand sein zu lassen, sie aber zugleich mit Gott und den Menschen derart in Beziehung zu setzen, dass sie eine „sinnvolle“ und „christliche“ Deutung des Festes erlaubt? 1.2.3

Veränderungen und „Verluste“

Im Analyseteil dieser Arbeit ließ sich nachvollziehen, dass die kirchlichen Neujahrslieder im Laufe der Jahrhunderte verschiedenartige „Verluste“ erfahren haben. Es sind unterschiedliche Faktoren, die dazu führten; und im Ergebnis liegt nun das Liedgut in der Rubrik „Neujahrslieder“ bzw. „Jahreswende“ so vor, wie wir es in aktuellen Gesangbüchern zusammengestellt sehen. Die Verluste, oder wenn man so will auch „Häutungen“, haben erst zu den Neujahrsliedern geführt, als die wir sie heute ansehen und verstehen. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525624364 — ISBN E-Book: 9783647624365

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Der Wandel vollzieht sich auf verschiedenen Ebenen. Da sind zum einen die liturgischen Vorgaben, zum anderen die Motive und ihre Deutung. Des Weiteren nehmen sich ändernde Feiergewohnheiten und auch sich verändernde politische Verhältnisse Einfluss. Die liturgischen Vorgaben haben sich im protestantischen Bereich um den Festgegenstand „Neues Jahr“ erweitert und schließlich „Beschneidung und Namengebung“ in den Hintergrund treten lassen bzw. ganz verdrängt. Die Beschneidung geht in ihrer konkreten Benennung ganz verloren, Lieder zur Namengebung wandern aus der Gesangbuchrubrik aus, indem sie zu den „Jesus­liedern“ verschoben werden oder sie entfallen ganz. Schematisch lässt sich der Wandel wie folgt darstellen:

Name „Jesus“

Beschneidung

Wird eigene Rubrik

1. Januar

Neujahr Fürbitte / Gebet /  Mitmenschen

Altes / Rückschau /  Buße (Lebens-)Zeitbetrachtung /  Vergänglichkeit

Lob und Dank Neues / Vorausschau / Hoffnung /  Segen

Auf der Ebene der Motive betrachtet wurde deutlich, wie die Beschneidung entschärft und sie vom konkreten Vorgang in ein anderes, geistiges Bild überführt wird, nämlich die Beschneidung des Herzens. Auch ist sie als Thema ganz gemieden bzw. gestrichen worden. Dieser Motivschwund geschieht in der Zeit der Aufklärung. Die Aufklärung ist es auch, die mystische Motive, wie sie überkommene Neujahrslieder beinhalten, zu verdrängen sucht. Die an die Beschneidung wie auch an die mystischen Motive geknüpften theologischen Aussagen über Jesu Blut und die Bedeutung des Jesusnamens verlieren an Relevanz für die Glaubenspraxis. Infolgedessen findet man sie in den Gesangbüchern im Laufe der Zeit immer seltener. Veränderungen in den Feiergewohnheiten am Jahresübergang beeinflussen die Lieder dahingehend, dass die Liedträgerschaft eine andere wird: Von vor© 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525624364 — ISBN E-Book: 9783647624365

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nehmlich Kinderchören verlagert sie sich hin zur Gemeinde der Erwachsenen; dies geht ebenfalls mit textlichen Veränderungen einher.50 Mit der vorverlagerten Feier am Silvesterabend, wie sie durch die Elektrifizierung der Städte und später auch der Dörfer ab Mitte des 19. Jahrhunderts möglich wird, erscheint der Jahresübergang vornehmlich als ein Feierereignis für Erwachsene. Dass Kinder Jahreswende- und Neujahrslieder singen ist heute nur noch in wenigen Gegenden Brauch – im Kurrende- oder auch Neujahrssingen. Eine weitere Ebene, auf der sich „Verluste“ ereignen, ist die der politischen Gegebenheiten. Dem sich wandelnden Gesellschaftssystem werden auch die Neujahrslieder angepasst. Lieder oder Strophen etwa, die an die Obrigkeit gerichtet waren, schwinden oder werden textlich verändert. Bezüge zu einer Region oder Stadt müssen weichen, sobald die Lieder in überregionale Gesang­ bücher Einzug halten. Einige der genannten Faktoren, die zu Wandel oder Verlust für das Neujahrsliedgut geführt haben, sind natürlich auch für andere Kirchenlieder relevant gewesen, wie etwa die Veränderungen der Gesellschaftsordnung sowie der Brauchtums- und weltlichen Feiergewohnheiten. Von Haid stammt die Einschätzung, dass Neujahrslieder im geistlichen Bereich immer wieder eine große Rolle gespielt hätten, indem sie religiöse Neujahrsgedanken verkündet haben, die sich einprägen sollten.51 Dies ließ sich anhand der durchgeführten Analyse bestätigen. Haid folgert weiter, dass das geistliche Neujahrslied durch den Einfluss der Obrigkeit jeweils die „modernsten“ Auffassungen von dem Fest widerspiegelte52. Abgesehen davon, dass nicht deutlich wird, welche Obrigkeit Haid meint – ob weltliche oder geistliche oder beide zusammen – ist diese These in zweierlei Hinsicht zu hinterfragen. Wenn Haid davon ausgeht, dass die Lieder alle dem Zweck der Verkündigung und Einprägung dienen, sucht sie die Verwendungsabsicht zu ergründen, nicht aber die Liedentstehung. Wie gesehen, ist aber ein großer Teil  aus privater Frömmigkeit und Neujahrsbetrachtung hervorgegangen und hat erst später Eingang ins Gesangbuch gefunden. Diese Lieder sind theologisch in einem „zweckfreien“ Raum entstanden und haben als künstlerische Produkte erst in zweiter Hinsicht, durch die Verwendung im Gemeindegesang, ihre Bestimmung erfahren. Die leitenden Auswahlkriterien können dann zwar Verkündigung und Ein­ prägung sein, aber es spielen eben auch weitere Kriterien eine Rolle. Die durchgeführten Liedanalysen stützen die These Haids, dass sich jeweils die „modernsten“ Auffassungen von dem Fest in den Liedern spiegeln. Aller-

50 Vgl. oben unter Zwicks „Nun wolle Gott, dass unser Gsang“. 51 Vgl. Haid, Neujahrssingen und Neujahrslied, 45. 52 Vgl. ebd.

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dings ist dies nicht nur auf den „unmittelbaren Einfluss der Obrigkeit“53 zurückzuführen, wie sie schreibt, sondern auch auf die Einwirkung durch die vorherrschende Theologie sowie den Zeitgeschmack in Dichtung und Melodiegestaltung. Nicht zuletzt haben die Vorlieben der Redaktoren oder in jüngster Zeit auch der Gesangbuchkommissionen die Liedauswahl und Liedpräsentierung maßgeblich bestimmt. 1.2.4

Tempi passati oder Wiederaufnahme „vergangener Motive“?

Anhand der Kirchenlieder lässt sich also die Verdrängung der Festgegenstände Beschneidung Jesu und Namengebung Jesu nachzeichnen. Wie gezeigt wurde, hat  – zumindest im evangelischen Bereich  – der Festgegenstand Jahresende/ Jahresbeginn jene zunehmend überlagert oder ganz zum Verschwinden gebracht. Wohl gab es Anfang des 20. Jahrhunderts in der Liturgiewissenschaft Bestrebungen, die früheren Bedeutungen zurückzugewinnen bzw. noch einmal zu betonen. Dass dies heutzutage aber kaum noch ein Thema ist, kann als ein weiteres Indiz dafür angesehen werden, dass das Neue Jahr zum unhinterfragten Festgegenstand geworden ist. Das mit einem Urteil zum Arztrecht54 jüngst wieder aufgekommene Thema der Beschneidung hat Alexander Deeg und Johannes Misterek dazu veranlasst, für eine Wiedergewinnung des „Tages der Beschneidung und Namengebung Jesu“ am „Neujahrstag“ zu plädieren. Allerdings mit einer anderen Stoßrichtung als frühere Wiedergewinnungsversuche. Sie stellen fest, dass das religionshistorische Erinnertwerden der Gemeinde, dass Jesus ein Jude gewesen ist, zwar „politisch korrekt“ wäre, aber doch „homiletisch dünn“ bliebe.55 Die Autoren 53 Ebd. 54 Das sogenannte Beschneidungsurteil des Kölner Landgerichtes vom Frühling 2012 hat auf juristischer Ebene und in der Folge auch in der Gesellschaft für heftige Diskussionen gesorgt. Ein Arzt, der einen vierjährigen muslimischen Jungen auf Wunsch der Eltern beschnitten hatte, wurde zwar von der Anklage der gefährlichen Körperverletzung freigesprochen, da er sich im „Verbotsirrtum“ befunden habe. Das Gericht stellte zugleich die prinzipielle Strafbarkeit von Beschneidungen nicht einwilligungsfähiger Jungen aus rein religiösen Gründen fest (vgl. hierzu das Urteil des Kölner Landgerichtes vom 7.5.2012, Az 151 Ns 169/11). Das Kindeswohl und das Recht auf körperliche Unversehrtheit wurden in der Urteilsbegründung an erste Stelle gesetzt. Ein fast vergessenes Thema war plötzlich wieder in aller Munde. In dem Urteil sahen sowohl jüdische als auch muslimische Teile der Bevölkerung ihre Freiheit in der Religionsausübung bedroht. Nach eingehenden Diskussionen wurde ein Gesetz verabschiedet, das die Beschneidung aus religiösen Gründen bei nicht-einwilligungsfähigen Jungen straffrei stellt. Eine Regelung, die im Familienrecht verankert wurde, da es um die Fürsorgepflicht der Eltern eines Kindes geht (siehe § 1631d BGB – Beschneidung eines männlichen Kindes, m.W.v. 28.12.2013). 55 Deeg/Misterek, Für eine Wiedergewinnung des „Tages der Beschneidung und Namengebung Jesu“ am „Neujahrstag“, 2. Am Bild des häufig in Kirchen anzutreffenden acht-

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sehen nun in der Leiblichkeit der beiden religiösen Vollzüge Beschneidung und Taufe den Verbindungspunkt, der es möglich mache, „unsere Verwurzelung in Gottes Verheißung zu bedenken und zu feiern“.56 Da die Taufe in christlichen Gemeinden die Beschneidung abgelöst hat, bzw. an deren Stelle getreten ist, plädieren Deeg und Misterek dafür, am Neujahrstag mit Blick auf die Beschneidung Jesu der Taufe zu gedenken. Sie sehen darin eine besondere Chance am Oktavtag zum Weihnachtswunder (das darin besteht, dass Gott seiner Schöpfung treu ist und sich selbst seiner Schöpfung aussetzt).57 Bei aller Mühe, die die Autoren darauf verwenden, den Zusammenhang von Beschneidung und Taufe aufzuzeigen und deren Verbindung mit dem Neujahrstag herzustellen, wird doch wenig plausibel, worin die „besondere Chance“ zu sehen ist, die in der Tauferinnerung am Neujahrstag liegen soll. Neujahr als „Fest der Beschneidung und Fest der Verheißung“ erhält durch die Tauferinnerung nicht einen alten Festgegenstand zurück. Denn letztlich wird der bereits bestehende Gedenktag der Taufe Jesu58 nur vorverlegt. Die Erinnerung an die eigene, persönliche Taufe, hat zudem mehr und mehr einen Platz in der Osterliturgie gewonnen. Es würde somit eine liturgische Doppelung eingeführt, wie sie an sich auch im katholischen Bereich hinsichtlich des Neujahrsfestes entstanden ist; nur dass dort, statt einmal mehr der Taufe, einmal mehr der Gottesmutter Maria gedacht wird. Verschiedene Versuche, den vorreformatorischen Festgegenstand der Beschneidung und Namengebung am Neujahrstag wieder zu stärken, sind fehlgeschlagen. Neujahr behauptet seinen Platz als Festtag, an dem die Zeit an sich im Vordergrund steht. Es wird deutlich, dass das weltliche Neujahrsfest religiöse Bedürfnisse hervorruft, die mit der Lebenswirklichkeit der Menschen stärker verbunden sind, als ein biographisches – wenn auch gewichtiges – Ereignis im Leben Jesu. Somit hat auch Deegs und Mistereks jüngster Erneuerungsversuch einen schweren Stand. eckigen Taufsteins verdeutlichen sie den symbolischen Zusammenhang von Jesu Beschneidung am 8.  Tag nach seiner Geburt und den 8.  Tag, der der erste der neuen Schöpfung ist; in den 8. Tag werden die Getauften durch das Wasser der Taufe hineingenommen. Vgl. ebd. 56 Ebd., 4. 57 Vgl. ebd, 7. 58 Die römisch-katholische Kirche gedachte bis 1970 am Epiphaniasfest sowohl der Taufe Jesu, als auch der drei Könige und der Hochzeit zu Kanaa. Jetzt ist der Sonntag nach­ Epiphanias zur Erinnerung an Jesu Taufe vorgesehen. Luther stellte die Taufe Jesu am Epiphaniastag in den Vordergrund, es gehörten für ihn aber auch weiterhin die „heiligen drei Könige“ und die „Hochzeit zu Kanaa“ zu diesem Tag. Später wurden die drei Themen auf die Epiphaniaszeit verteilt, so dass auch evangelischerseits der Sonntag nach Epiphanias der Erinnerung an Jesu Taufe gewidmet ist. In der orthodoxen Kirche wird bis heute Epiphanias selbst, der 6. Januar, als Tauferinnerungstag begangen.

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Wenn sich die alten Festgegenstände weder in der Liturgie noch in der Predigt der Neujahrsgottesdienste halten können, so bleibt doch zu fragen, ob es in den Liedern möglich und sinnvoll wäre, ihrer zu gedenken. Auch Kirchenlieder predigen, wenn auch auf ihre Art – und können in Sprachbildern und verdichteter Sprache vielleicht besser als die Predigt wiedergeben, was am Neujahrstag mit Beschneidung und Namengebung Jesu Christi einmal Festgegenstand war. Wäre hier der Ort, eine nahezu verdrängte Erinnerung zu bewahren? Gäbe es also aus hymnologischer Sicht Argumente, die nahezu verloren gegangenen Motive wieder aufzunehmen oder zu stärken? In diesem Zusammenhang ergibt sich noch eine Frage allgemeinerer Art, nämlich, wie man mit Motiven umgehen sollte, die in alten Kirchenliedern begegnen, sich aber dem heutigen Bewusstsein sperren. Im konkreten Fall bedeutet dies: Geht mit der Beschneidung und Namengebung Jesu Christi nicht nur im Gottesdienst sondern auch in den dazugehörigen alten Kirchenliedern etwas verloren, was dem Christen von heute doch etwas sagen könnte? Es ist ein biographisches Detail aus dem Leben des Jesus von Nazareth, kein Heilsereignis, das besungen wurde. Und doch könnte es heute das Bewusstsein für die jüdischen Wurzeln des Christentums schärfen. Das Kirchenlied bewahrt eine Erinnerung, deren Aussagekraft wieder mehr Gewicht zukommen könnte.59 Denn Christen laufen Gefahr, das Jüdischsein Jesu zu verdrängen, wenn allein dessen Taufe hervorgehoben wird und man sich nur daran erinnert, ganz gleich ob am Neujahrstag, am 6. Januar oder am Sonntag nach Epiphanias. Die Verwurzelung im Judentum käme mehr zum Tragen, wenn auch die Beschneidung Jesu wieder verstärkt ins Bewusstsein gerufen würde. Die Perikope, ein einzelner Vers (es ist der kürzeste Evangeliumstext zu einem Festtag), ist sehr markant und in ihrer Kürze eindrucksvoll. In den aktuellen Gesangbüchern befinden sich unter der Rubrik Jahreswechsel so gut wie keine Lieder mehr, die die Beschneidung oder Namengebung zum Inhalt haben (vgl. auch die Tabelle 2 weiter oben – Teil II, 6.2.1.2).60 Es ist fraglich, ob sich Lieder, die die Beschneidung thematisieren, wieder einführen oder neu ersinnen ließen. Denn dieses Thema in einem Kirchenlied ist für heute Singende schwierig. „Jesu Vorhaut wird beschnitten“, wie man einstmals gesungen 59 Christa Reich stellt bei Passionsliedern jüngeren Datums fest, dass die Autoren wieder Bilder aufgreifen, die in der Alten Kirche lebendig waren, dann aber in Vergessenheit gerieten: das Bild vom Holz des Kreuzes, das zum Lebensbaum wurde, der Früchte trägt (EG 97), und weitere Bilder, die benutzt werden, um Jesus selbst zu benennen, wie Lebensbaum des Paradieses, Gotteslamm auf Erden und Befreier (EG 96) sowie das Bild vom Weizenkorn (aus Joh 12,24). Vgl. Reich, Evangelium, 172. 60 Anders als die Beschneidungslieder, die als Ganzes verschwinden, gibt es einige Beispiele von Kirchenliedern, in denen jüdische Bezüge oder Bilder für das Volk Israel durch Eingriffe in den Text zum Verschwinden gebracht wurden. Als Beispiel sei hier genannt:

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hat, ist zwar eine präzise Beschreibung des Vorgangs, bricht aber mit heutigen Singgewohnheiten.61 Mit der Beschneidung war lange Zeit eine Bluttheologie verbunden, die heute nicht mehr vertreten wird. Schließlich ist der ganze Bereich der Beschneidung der eines Faktums, das in der Lebenswelt von Christen keinen Raum einnimmt. Neujahr wieder als Beschneidungsfest zu feiern, würde also auf viele Schwierigkeiten stoßen. Zu wenig ist das Wissen um Jesu Jüdischsein und um die Bedeutung des Beschneidungsfestes im Bewußtsein der Gläubigen verankert. Als erste Station auf dem Lebensweg Jesu ist es vielleicht noch zu vermitteln – doch der Beginn eines neuen Kalenderjahres dominiert in der Wahrnehmung der Gottes­dienstbesucher derart, dass dazu ein jüdisches Beschneidungsfest zu sehr im Kontrast steht. Das Auseinanderklaffen von populärer Festbestimmung und heilsgeschichtlicher Station ist deutlich erkennbar und ein Lebensweltbezug aus Sicht der Gläubigen kaum mehr herzustellen. Hier stößt die wünschenswerte Aneignung, wie sie Dahlgrün beschreibt, an ihre Grenzen: „Die Feste im Ablauf des Kirchenjahres sollen nicht allein ein Gedenken an die Heilsgeschichte mit ihren unterschiedlichen Stationen ermöglichen, sondern ein Vergegenwärtigen ihres Gehaltes, das den Menschen mit allen Sinnen und Emotionen einbezieht und damit den Feiernden eine Möglichkeit bietet, sich dieses Geschehen nahekommen zu lassen und es – pro me, pro nobis – anzueignen.“62 Und ­Leipold formuliert zwei Voraussetzungen, die gegeben sein müssten, um aus einem Gottes­ „Lobe den Herren“, in dem es im Original hiess: „Lob ihn mit Abrahams Samen“ (Str. 5). Stattdessen singt man im EG 316 und RG 242,5 die ökumenische Fassung von 1973. In der fünften Strophe heißt es nun: „Lob ihn mit allen, die seine Verheißung bekamen“. Hier wurde textlich geglättet. Kurzke plädiert jedoch dafür, eine wie oben beschriebene Formulierung als Archaismus nicht zu scheuen, da sie aus Sicht der Theologie die Beziehung und Rückbindung des Christentums an Israel aufrecht erhalte und aus Sicht der Poesie einen „Widerhaken des Verstehens“ darstelle, der „im Gemüt zu arbeiten“ pflege. Vgl. Kurzke, Umgang mit alten Liedern, 184. Das EG bietet das Lied neben der ökumenischen Fassung auch als Version, die „Abrahams Samen“ beibehält (EG 317). Die Gründe, weshalb „O Traurigkeit, o Herzeleid“ seit Jahrhunderten ohne die sogenannte „Judenstrophe“ („Es muß da sein / aus Marmelstein / der Juden Herz gewesen“) wiedergegeben wird, sind in Antijudaismusvorwürfen zu suchen. Die Strophe ist heute zu sehr gefährdet, missverstanden zu werden, wenn auch die theologischen und poetischen Argumente, die Stock zu ihrer Verteidigung ins Feld führt, sehr bedenkenswert sind. Vgl. Stock, O Traurigkeit, o Herzeleid, 196. 61 Von der Beschneidung zu singen widerspräche einem Sexualitätstabu, mit dem Kirchenlieder belegt sind. Sexualität und auch Erotik werden als Bereiche des Menschseins gar nicht oder nur versteckt thematisiert, ebenso die Erotik in der göttlichen Beziehung. Dies geschieht dann z. B. durch die Verwendung mehrdeutiger Bilder. In sittenstrenger Absicht wurden Erotica in Kirchenliedtexten durch die Aufklärung beseitigt, die seit den Siebzigerjahren des 18.  Jahrhunderts auch in den Gesangbüchern wirksam wird. Vgl. Kurzke, Purifizierung und Re-Erotisierung, 39. 62 Dahlgrün, Christliche Spiritualität, 452.

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dienst ein gelungenes gottesdienstliches Fest zu machen: nämlich, dass es auf einem biblischen Thema beruht, „das eine für seine festliche Begehung hinreichende öffentliche Bedeutung besitzt“ und eine Gemeinschaft vorhanden ist, „die bei einem solchen Thema zumindest ähnlich empfindet.“63 Wendet man diese Bedingungen auf die Beschneidung Jesu als Festgegenstand an, so liegt die Diskrepanz offen zu Tage. Alle benannten Schwierigkeiten lassen es unwahrscheinlich bis unmöglich erscheinen, dass Beschneidungslieder, in der Form, wie es sie einmal gegeben hat, wieder Aufnahme in die Rubrik „Jahreswende“ finden könnten. Ein wenig anders verhält es sich mit der Namengebung. Auch sie ist ein schwer zugängliches Thema geworden, denn der Großteil der Gläubigen weiss nicht mehr um die Bedeutung des Namens „Jesus“ oder um die Übersetzung des Namens „Immanuel“. Die Heiligkeit, die ihm Jahrhunderte lang zugeschrieben wurde, ist dem Namen abhanden gekommen.64 Einen Namenglauben oder eine dezidierte Namensverehrung findet man heute kaum noch. Die Ehrfurcht, die das Judentum dem Gottesnamen JHWH entgegenbringt, kennt das Christentum in dieser Form nicht (mehr). Auch von einer Wirkmächtigkeit, die allein vom Aussprechen des Jesusnamens herrührt, wird selten mehr ausgegangen. Ausnahmen könnten noch im weiterhin praktizierten Herzensgebet oder in der katholischen Exorzismuslehre gesehen werden. Immerhin hat in den letzten Jahren innerhalb der protestantischen Theologie eine Diskussion um die Heiligkeit eingesetzt, die auch bezüglich des Jesusnamens zu einer Renaissance dieser Form der Frömmigkeit führen könnte. Die Kirchenlieder im heutigen EG und RG zeigen nur noch rudimentäre Bezüge zu dem verdrängten Festgegenstand „Namengebung“. „Jesus soll die Losung sein“ (EG 62) ist zu einer Chiffre geworden, die sich von den Singenden kaum mehr aufschlüsseln lässt. Es ist zu fragen, ob hier Anmerkungen zum besseren Verständnis verhelfen oder auch den Hintergrund erhellen könnten. So 63 Leipold, Feier der Kirchenfeste, 151. 64 Im katholischen Bereich steht noch im 19. Jahrhundert der Jesusname mit Heiligkeit und Wirkkraft in Verbindung. Als Beispiel sei hier eine Abhandlung über den Jesusnamen in Form einer Predigt genannt, Regensburg 1853. Sie findet sich in der katholischen Monatschrift „Der Prediger und Katechet“, hg. von Ludwig Mehler, 3. Jg., 1. Bd. In seiner Predigt auf das Fest des heiligsten Namens Jesu, zugleich auf den zweiten Sonntag nach der Erscheinung des Herrn, bedenkt Franz Klemm die verschiedenen Dimensionen, die der Jesusname seiner Meinung nach besitzt: Da ist zum einen die Frage nach der tieferen Bedeutung des Namens und zum anderen die Frage, wie wichtig und einflussreich er für das Leben sein sollte. Klemm führt mit biblischen Beispielen aus, ­inwiefern dieser Name allmächtig, siegreich und ewig sei. Daraus folgt für ihn, dass der Name nie ohne Überlegung und tiefe Ehrfurcht auszusprechen sei und es sich im Leben als „mächtiger Antrieb“ erweisen sollte, „so zu denken, so gesinnt zu sein, so zu handeln, wie Jesus selbst dachte, gesinnt war und handelte.“ Vgl. Klemm, Fest des heiligsten N ­ amen Jesu, 57.

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würde auch manch anderer Text verständlicher. Der liturgische Bezug würde betont und wachgehalten oder gar neu vermittelt. Es wäre wünschenswert, dass neue Neujahrslieder weiterhin einen Christusbezug herstellen, dann aber eher in dem Sinne, dass sie neue Worte und neue Sprachbilder finden, auf dass sie in neuer Weise sowohl vom kleinen jüdischen Kind in der Krippe als auch von dem erwachsenen Wanderprediger Jesus und seiner (Heils-)Bedeutung für das Christenleben und für die Zeit, in der wir leben, singen.

1.3

Die Zeit – Zur Motivdominanz in Jahreswendeliedern

1.3.1

Die Zeit im Fokus

Die Trias Gott, Mensch und vor allem Zeit wird in den Neujahrsliedern des 19. und 20. Jahrhunderts dominant. Das hat die Liedanalyse gezeigt. Die Lieder spiegeln Zeit in ihren vielfältigen theologischen Bezügen: Die Zeit, als Zeit Gottes, als Zeit, die den Menschen zur Verfügung steht – also Lebenszeit. Außerdem als Zeit im Gegensatz zur Ewigkeit und damit als Motiv, das aus der Erkenntnis der menschlichen Vergänglichkeit wie auch Endlichkeit erwächst. Es ist nicht zufällig, dass das Motiv so hervortritt und vielfältig bearbeitet wird; denn „Zeit“ ist ein großes Thema der Kultur-, Geistes- und Theologiegeschichte, v. a. der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Umbruchs- und Krisenzeiten sowie lange Kriegsjahre zeichnen diesen Zeitabschnitt. Der sich wandelnde Umgang mit der Zeit ist nur eine der großen Umwälzungen, die die Industrialisierung mit sich gebracht hat. Die Maschinisierung führt zum Verlust von Individualität in monotonen Arbeitsabläufen, deren Taktung und Rhythmus nun nicht mehr Menschen, sondern Maschinen vorgeben. Wie geht der Mensch damit um? In der Kunst werden die Veränderungen kritisch beleuchtet – ein besonders eindrucksvolles Beispiel ist bis heute der Film­ „Modern Times“ von Charly Chaplin (entstanden in den Jahren 1933–36). Mit Dehnung und Zerschmelzung von Zeit setzt sich der surrealistische Künstler Salvador Dali auseinander. In seinem Bild „Die Beständigkeit der Erinnerung“ (1931) werden weiche, zerschmelzende Uhren zum Symbol für Vergänglichkeit. Die Philosophie widmet sich, ausgehend von Arbeiten Edmund Husserls, der Existenz des Menschen in der Zeit. Søren Kierkegaard befasst sich mit der Auswirkung der Angst der Menschen auf ihre Lebenszeit. Martin Heidegger verfasst sein Werk „Sein und Zeit“ und nimmt erstmals die Kategorie „Zeit“ als Verstehenshorizont, um menschliches Dasein zu verorten. Die moderne Angst, dass alles sinnlos sei, tritt an die Stelle alten Gottvertrauens.65 65 Vgl. Janke, Plato, 234. Bereits Nietzsche hatte formuliert: „Die eigentliche große Angst ist: Die Welt hat keinen Sinn mehr.“ Nietzsche, Sämtliche Werke, Bd. 11, 626.

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Kirchliche Neujahrslieder: Ihre Motivik, Theologie und Charakteristik

Schließlich beschäftigt sich der Theologe Paul Tillich, der als junger Mann im Ersten Weltkrieg kämpfen musste, in seiner Seinsphilosophie vielfach mit Lebensangst und Lebensmut. Er bedenkt auch das Problem der Kontingenz und die Bejahung der Kontingenz im Glauben. Auch im 21. Jahrhundert stellt sich die Frage nach dem Sein-in-der-Zeit und wird mit einer neuen Herausforderung konfrontiert: der Vergleichzeitigung der Welt (durch neue Medien und Kommunikationsmöglichkeiten) und der Beschleunigung, die nicht nur Industrie, Forschung und Medizin, sondern auch das alltägliche Erleben der Menschen bestimmt. Für die Zeit, in der wir uns befinden, stellt Hartmut Rosa fest, dass nicht das Geld, sondern die Beschleunigung der Zeit die Welt regiert.66 Dabei ergibt sich das Paradoxon, dass wir „je mehr Zeit wir sparen, desto weniger haben“.67 Die Balance zwischen Beharrung und Beschleunigung sei verloren gegangen, weshalb es zu einem „rasanten Stillstand“ komme. Das Leben zeichnet sich dadurch aus, dass es „Leben in der Option“ ist, weil Bindungen lockerer und Identitäten flüssiger werden; elementare Unbestimmtheit mache das Lebensgefühl aus.68 Und schließlich nimmt Rosa als Grund der Beschleunigung eine Flucht an: die Flucht vor dem letzten „Optionenvernichter“69, sprich dem Tod.70 Das alte Motiv der Vanitas kommt an der Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert neu zur Geltung. Denn der medizinische Fortschritt und die steigende Lebenserwartung gehen mit einer Tabuisierung des Todes einher. Tod und Sterben werden in eigene Institutionen verlagert (Krankenhaus, Pflegeheim, Hospiz) und damit aus der alltäglichen Erfahrungswelt der Gesellschaft herausgenommen. Vergänglichkeitsmahnungen sind unpopulär geworden. Die Lebensphase des Alters wird de facto immer länger, aber durch die Orientierung der Alten an den Jüngeren zu einer Phase, die sich neu untergliedert. Das Alter zu gestalten und seinen Eigenwert zu würdigen, wird zu einer der großen Herausforderungen unserer Zeit und unseres Kulturraums.

66 Vgl. Rosa, Beschleunigung, 43. 67 Ebd. Übrigens widmet sich diesem Phänomen auch die Literatur. Hier wäre z. B. an Michael Endes märchenhaften Roman „Momo“ zu denken, in dem die Menschen Zeit ansparen wollen, die ihnen jedoch von der Zeitsparkasse bzw. den grauen Männern entzogen wird. Michael Ende, Momo. Oder die seltsame Geschichte von den Zeit-Dieben und von dem Kind, das den Menschen die gestohlene Zeit zurückbrachte. Ein MärchenRoman. (Neuausgabe), Stuttgart 2013. 68 Vgl. ebd., 178. 69 Ebd., 474. 70 Die hier in Kürze genannten Beobachtungen werden unter IV.4 Jahreswechsel – Zeitenwechsel entfaltet.

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Motivik und Theologie der kirchlichen Neujahrslieder Motivik und Theologie der kirchlichen Neujahrslieder

1.3.2

273

Von der Zeit singen

Da das Motiv der Zeit in den Jahreswende- und Neujahrsliedern so prominent geworden ist, erscheint es sinnvoll, der „Zeit“ auch in anderen Kirchenliedern nachzugehen. Denn in diesem Motiv weisen die untersuchten Lieder große Überschneidungen mit anderen „Zeitliedern“ auf. „Zeitlieder“, so könnte man zunächst einmal definieren, sind Lieder, die zu besonderen Zeiten gesungen werden. Hierzu gehören Lieder am Morgen, am Mittag und am Abend71, d. h. die Tagzeiten, aber auch Lieder zu besonderen Festzeiten, womit sich der Blick auf große Liedbereiche des Gesangbuches weitet. Hinzuzählen lassen sich gewissermaßen auch Kirchenlieder zu besonderen Anlässen im Laufe eines Menschenlebens, also zu Kasualien72. Es sind besondere Stationen im Lebenslauf, die mit Hilfe der Lieder besonders benannt und ausgeschmückt werden. Zu den Zeitliedern gehören auch Lieder zum Kirchenjahresende73 und Kirchen­jahres­ beginn74 (der mit dem 1. Advent zusammenfällt). Zeitlieder können aber auch Gesänge genannt werden, die das Thema „Zeit“ behandeln. Mit der Untersuchung von Kirchenliedern, die „Zeit“ zu ihrem Thema machen, hat sich Antje Jackelén befasst.75 Im ersten Teil ihrer Untersuchung zu „Zeit und Ewigkeit“ in Kirche, Naturwissenschaft und Theologie, nimmt sie sich in einer qualitativen Analyse Lieder aus sechs Gesangbüchern vor, um „erzählter Zeit“ nachzuspüren. Sie entnimmt sie Gesangbüchern aus Deutschland (EG und GL), aus Schweden (Den Svenska Psalmboken von 1986 und Psalmer i 90-talet von 1994) sowie zwei Australischen Gesang­büchern („The Australian 71 Fuhrmann hat zum Abend im Kirchenlied (und auch darüber hinaus) folgende Motivfelder erhoben: Der Abend als Kontrasterfahrung von Licht und Dunkelheit, als Naturereignis und Zeit des Dankes für die Schöpfung sowie als Zeit der Tagesreflexion und Gewissensforschung; der Abend als Übergang von der Aktion zur Reaktion, als Zeit der Bergung und Gefährdung und schließlich als „Vorbote des Todes“ und Künder des Eschaton. Vgl. Fuhrmann, Abend, 26 ff „Thematische Auswertung“. 72 Die Nähe ist wiederum in der Begleitung eines Übergangs zu sehen, der aber nicht mehr ein alltäglicher bzw. allabendlicher, sondern ein Lebensübergang in der Biographie einzelner Menschen ist. Aufgrund der tröstenden Dimension, wie sie weiter oben festgehalten wurde, stehen innerhalb der Gattung „Kasuallieder“ die Beerdigungslieder den Liedern zum Jahreswechsel besonders nahe. 73 Wie bereits festgestellt, doppelt sich der Jahresbeginn nicht nur im Kirchenjahr, sondern auch im Kirchengesangbuch. Allerdings handelt es sich bei Liedern zum Kirchenjahresende eher um „rare“ Exemplare. Am Kirchenjahresende (Ewigkeitssonntag) wird z. B. nach evangelischer Tradition oft gesungen: „Wachet auf, ruft uns die Stimme.“ 74 Vereinzelt gibt es trotz Adventsrubrik auch eine eigene Rubrik „Kirchenjahresbeginn“, in der sich dann aber nur ein oder zwei Lieder befinden, wie: „Nun kommt das neue Kirchenjahr“. Man findet die Rubrik z. B. in PPM 1703, Berlin 1829 oder auch im EKG 1950 (Stammteil). 75 Jackelén, Zeit und Ewigkeit, Neukirchen-Vluyn 2002.

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Kirchliche Neujahrslieder: Ihre Motivik, Theologie und Charakteristik

Hymn Book with Catholic Supplement“ und „Sing Alleluia. A Supplement to The Australian Hymn Book“). Mit den Kirchenliedern bietet sich Jackelén ein „Einstieg von unten“, als phänomenologischer Zugang, der nicht von der „Abstraktion und der historischen Entwicklung dogmatischer Begriffe“ ausgeht.76 Es geht ihr ferner nicht um das Aufspüren des Zeitgeistes verschiedener Epochen, sondern um das „Hören auf verdichtete Lebenserfahrung.“77 Jackelén untersucht die Lieder der sechs Gesangbücher auf ihre Zeitterminologie hin78: Sie sucht nach „Zeitworten“, wie Zeit(en), Zukunft, zeitlich, be­zeiten, jederzeit. Dann nach zusammengesetzter Zeitterminologie: Gnadenzeit, Erdenzeit, Leidenszeit(en), Morgenzeit, Weihnachtszeit, Sommerzeit, Lebenszeit, Freudenzeit, Erlösungszeit, Erquickungszeit, Prüfungszeit, Abendzeit, Nachtzeit, Folgezeit und Gezeiten. Dann nimmt sie sich die Ewigkeitsterminologie vor: Ewigkeit(en), ewiglich, der/das Ewige und allewig, ewig.79 Und schließlich untersucht sie die Lieder nach ihrer Alltags- und Jahreszeitterminologie: Tag, Nacht, Morgen, Abend, Jahr, Stunde sowie Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Begriffe wie täglich, gestern, morgen(s), Mittag, Sekunde, Minute, Woche, Jahrhundert und Jahrtausend sind in den untersuchten Kirchenliedern kaum zu finden. Ihre Ergebnisse können hier nicht in Gänze vorgestellt werden. Folgende Beobachtungen sind jedoch hervorzuheben: Zum Stichwort „Zukunft“ wird deutlich, dass dies ein Thema ist, das hauptsächlich in Liedern des 20. Jahrhunderts begegnet. „Hier steht der Mensch angesichts bedrohlicher und bedrohter Zukunft zwischen gelassener Ergebung und hoffnungssuchender Ergreifung. Unklar bleibt, ob er irdischer oder himmlischer Zukunft habhaft werden will, denn volles Heil ist ohne Einbeziehung der ganzen leidenden Schöpfung nicht mehr denkbar.“80 Die Vergegenwärtigung vergangener Ereignisse, also vergangener Zeit, beobachtet Jackelén besonders häufig in Oster- und Weihnachtsliedern. Indem Jesu Passion und Auferstehung in neuerer Zeit im Präsens berichtet wird, kommt die Auferstehung nicht als einmaliges Ereignis, sondern als etwas zur Sprache, das sich „in der Überwindung von Leiden und im Sieg über menschlichen Tod als fortlaufender Wiederauferstehungsprozeß entfaltet.“81 Unter den Liedern, die besonders prädestiniert für die Vergegenwärtigung von Vergange-

76 77 78 79

Ebd., 13 f. Ebd., 14. Ebd., 23 ff. Sie bleibt ganz bei den Wortverbindungen „Zeit“ und „Ewigkeit“, so dass Begriffe wie „immerdar“ und „fortwährend“ nicht berücksichtigt werden. 80 Jackelén, Zeit und Ewigkeit, 77. 81 Ebd., 78.

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nem erscheinen, wie etwa Lieder zu Taufe und Abendmahl, weisen die jüngsten genau die entgegengesetzte Zeitorientierung auf, indem sie sich der Vergegenwärtigung des Zukünftigen widmen.82 1.3.3

Des Menschen Zeit und Gottes Ewigkeit

Auf vier Weisen wird Ewigkeit in den Liedern zum Thema: als das, was auf die Zeit folgen wird (linear gedacht), als Gegenüber zu Zeit (mit Interaktion in die eine oder andere Richtung), als die Zeit umgreifend oder als Ewigkeit, die in die Diesseitigkeit eingeordnet wird und „sich vor dem Forum der Zeit verantworten zu müssen scheint“83. Chronologisch betrachtet, ist die größte Veränderung im Verständnis von Zeit und Ewigkeit in Kirchenliedern das Zurücktreten der Ewigkeitsperspektive. Hatte diese lange Zeit dominiert und dem Menschen nach seinem Präludium des oft beschwerlichen Lebens das eigentliche Leben in einer Ewigkeit jenseits der Zeit vor Augen gestellt, ist dies heute anders. Die Ewigkeitsperspektive verändert das diesseitige Leben; sie dient nun dazu, Lebenszeit lebenswerter zu machen und schenkt Hoffnung.84 Das Zeitverständnis und, davon abhängig, auch das Ewigkeitsverständnis85 haben sich seit der Aufklärung beständig gewandelt. Ewigkeit, die ganz selbstverständlich allein auf das Seelenheil entschlafener Christen bezogen ist, gelangt an ihre Grenzen, wenn die gesamte Schöpfung mehr und mehr ins Bewusstsein rückt.86 „Zeitmangel“ liegt dem modernen Menschen als Zeitauffassung am nächsten. Dies müsste sich auch in neueren Kirchenliedern widerspiegeln, ist doch nach Ratschow der moderne Mensch „insofern modern, als er von der Empfindung lebt, daß er keine Zeit hat.“87 Das Gefühl von Zeitmangel zeigt sich tatsächlich im modernen Kirchenliedgut. So hat Fuhrmann in ihrer Studie zu Abendliedern festgestellt, dass die jüngsten von ihr untersuchten Lieder als Novum das Motiv der „Schnell-vergehenden-Zeit“ aufgreifen. Dies im Kontrast zu sehr konstant traditionellen Motiven, die das Abendlied bis in die Gegenwart kenn-

82 Vgl. ebd. 83 Ebd. 84 Vgl. ebd., 79 f. 85 Interessant ist die Bemerkung, dass die Eschatologie in den Dogmatiken einen neuen Platz erhalten hat. War sie früher Anhängsel, ist sie heute zu einem zentralen Topos geworden. Vgl. ebd., 268 f. 86 Vgl. ebd., 79 f. 87 Ratschow, Auffassung des Zeitproblems, 377. Ratschow fragt, ob es das „Keine-Zeit-Haben“ oder eher das „Keine-Ewigkeit-haben“ ist, von dem gesprochen werden sollte.

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Kirchliche Neujahrslieder: Ihre Motivik, Theologie und Charakteristik

zeichnen.88 Und damit korrespondieren wiederum die weiter oben gemachten Beobachtungen zu den Liedern von Klepper und Hiltbrunner. 1.3.4

Religiöse Poesie als „Indikator“

Die Lieder sind ein „Indikator“ für eine Leerstelle im Kirchenjahr, die hier, aus Volksfrömmigkeit und Dichterfeder gespeist, aufgefüllt wird. Sie zeigen an, dass es kaum einen besseren Anlass im Kirchenjahresverlauf gibt, ein christliches Nachdenken über dieses Thema zu ermöglichen. Am ehesten geschieht dies sonst noch am Ende des Kirchenjahres (Totensonntag, Ewigkeitssonntag) – dann aber in eschatologischer Perspektive. Andere gottesdienstlich begleitete Ereignisse, die die Zeit und das Verhältnis des Menschen zu Zeit und Ewigkeit thematisieren, sind Trauerfeiern bzw. Beerdigungen. Es gibt aber zwei markante Unterschiede: Zum einen kehren Trauerfeiern im Unterschied zum Jahreswechsel nicht jährlich wieder – sie sind als Kasualfeiern auf Individuen bezogen, während der Jahreswechsel im Kirchenjahr verankert ist. Und zum anderen gibt es einen Unterschied in der „Jenseitsbezogenheit“. Trauerfeiern und Beerdigungen dienen nicht nur dem Gedenken des Verstorbenen und dem Trost der Hinterbliebenen, sondern auch der Verkündigung der christlichen Auferstehungshoffnung, die den Horizont über den Tod hinaus weitet – hin zur göttlichen Ewigkeit. Gottesdienste am Jahresende und zum Neuen Jahr betrachten und bedenken hingegen vorwiegend das „Diesseits“: das Leben mit seinen Schönheiten und Vorzügen, aber auch mit Widrigkeiten und Unzulänglichkeiten; das Leben der Geschöpfe Gottes in der von ihm geschaffenen Welt. Die Wahrnehmung von Werden und Vergehen, von Wandlung und Veränderung steht im Vordergrund. Das verleitet allerdings dazu, vorwiegend vom Menschen und weniger von Gott zu sprechen. Der Silvesterabend gibt Gelegenheit, das Menschsein mit Blick auf die zurückgelegte Zeit zu bedenken. Die Erinnerung an die Vergänglichkeit kann hier eine heilsame Mahnung sein, die den Einzelnen seinen Lebenswandel, sein Verhältnis zu Gott und den Menschen, aber auch zu der Welt, in der er lebt, überdenken lässt. Frohes und Unerwartetes, Neues und Hoffnungsvolles kommt dabei in den Blick, ebenso Unbewältigtes und Schweres, Schuldhaftes und Erlittenes. Die Letztgenannten können als „Seelenlast“ zusammengefasst werden. Darum ist mit dem Altjahresabend auch der Aspekt der Reue und Buße verbunden, wenn dies auch nicht immer explizit zur Sprache kommt; häufig wird dem aber dadurch Rechnung getragen, dass die Gottesdienste mit Abendmahl gefeiert werden. 88 Vgl. Fuhrmann, Abend, 259. Dieses Motiv findet Fuhrmann in den Liedern „Nun trägt der Abendwind den Tag“ und „Schnell eilt der Tag dem Abend zu“.

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Neujahrsgottesdienste stellen heute, wie auch an den jüngeren Liedern gesehen werden konnte, vor allem das Element „Zeit“ in das Zentrum theologischer Überlegungen. Zeit und Zeitumstände, auch die Deutung aktueller Ereignisse, rücken in den Fokus. Es bleibt aber nicht bei einer rein „diesseitigen“ Beschreibung, wenn Zeit transzendiert wahrgenommen wird, deutbar als „Gottes­zeit“. Sie ist „Gotteszeit“ in mehrfacher Hinsicht. Zum einen beschreibt sie Gott, als Schöpfer und Schenker der Zeit. Zum anderen bezieht sie sich auf Gott in der Zeit – der Ewigkeit, die in die Zeitlichkeit kommt, in Jesus Christus, dem Menschgewordenen – woran das kurz zuvor gefeierte Weihnachtsfest erinnert hat. Und schließlich kann „Gotteszeit“ auch meinen, dass sich Menschen Zeit für Gott nehmen, indem sie an einem Festtag den Gottesdienst besuchen. Es ist „heilige“ Zeit, die, im Unterschied zum Alltag, Raum für „das Andere“ lässt.89 Die Zweidimensionalität des Menschen, die Jan Assmann anhand der Dualität von Fest und Alltag beschreibt90, wird in Gottesdiensten zum Jahreswechsel aufgehoben. Hier kommen Alltag und Festtag zusammen, indem in den Silvestertag alle Tage des Jahres in nur einen Festtag münden und ebenso gewürdigt werden. Alltagszeit und Festzeit, wenn man so will, bürgerliches Jahr und Kirchenjahr sind an diesem Tag gleich einer Schnittstelle miteinander verbunden. Anhand von Predigten zur Jahreswende kommt Andreas Strauch zu dem Schluss, dass die Jahreswendepredigt in ihrem gottesdienstlichen Kontext das Leben feiert, „indem sie von ihm herkommt und zu ihm hinführt.“91 Der Einschnitt zwischen zwei Jahren wird, so Strauch, „dazu genutzt, den Alltag im Lichte des Glaubens (und der Lebensweisheit) zu bedenken, zu deuten und ihn in den Zusammenhang des Ganzen des Lebens zu stellen.“92 Der Gottesdienst wird aber auch zum „Ausdruck der neuen Zeit […], die Christus schenkt.“93 Damit liegt in der Feier auch ein verwandelndes und wirklichkeitsveränderndes Moment. Was Strauch für die Predigt erhebt, kann mit Abstrichen auch für die Kirchenlieder gelten. Sie unterliegen natürlich ganz anderen Produktions- und Rezeptionsmechanismen als die Predigt. Aber auch in ihnen und durch sie wird 89 So Assmann: „Die Sprachen haben diesem Anderen den Namen des Heiligen gegeben und das Fest, als Zielort des Anderen, ‚heilige Zeit‘ (hieros chronos) genannt.“ Assmann, Mensch, 17. 90 „Es ist der sich erinnernde, der ‚in zwei Zeiten“ lebende, der zweidimensionale Mensch, der Feste feiert. Und es ist die ‚andere Zeit‘, die im Fest vergegenwärtigt, d. h. zur Gegenwart gemacht wird. Der Mensch, der sich der ‚anderen Zeit‘ erinnert, besinnt sich auf seine Zugehörigkeit zu einer umfassenden Gemeinschaft.“ Ebd., 25 ff. Die „andere Zeit“ ist für Assmann diejenige, die im Alltag ausgeblendet wird. 91 Strauch, Predigt zur Jahreswende, 115. 92 Ebd. 93 Wiggermann, Feste/Feiern, 94.

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Kirchliche Neujahrslieder: Ihre Motivik, Theologie und Charakteristik

das Leben gefeiert. Sie enthalten Glaubenserfahrungen, die mit dem Leben verbunden sind, und führen die singenden und gleichzeitig rezipierenden Gottesdienstmitglieder vom Leben und Alltag ausgehend über den Festtag wieder in ihr Leben und den Alltag hinein. Die Lieder machen vielleicht auch gerade durch ihre sperrige Sprache – und den dadurch deutlich hervortretenden zeitlichen Abstand zwischen Produktion und Rezeption  – aufmerksam auf das eigene Leben und Erleben. Sie tun dies, indem sie Glaubensaussagen beinhalten oder zu angebotenen Glaubensaussagen werden, wenn sie z. B. die Sprech­ perspektive von einem Gebet einnehmen.

2. Fazit In dem Maße, wie der Themenkreis Jahr, Lebenszeit und Zeit an sich in den Vordergrund tritt, entstehen persönliche, fromme auch mystische Gebete bzw. Liedtexte zu dem Anlass Jahreswechsel. Der Biblische Anhalt, den Kirchenlieder für Luther haben sollten, ist nicht vorgegeben; manches legt sich nahe, bedarf aber der dichterischen Kreativität. An den Kirchenliedern dieser Gesangbuchrubrik zeigt sich deutlich, was Barth das Kirchenliedgut allgemein betrachtend, kritisch im Luthertum des 17. Jahrhunderts als Formierung eines „Nebenzentrums“ hervortreten sah: Der Mensch, der sich mit seinen Gefühlen, Stimmungen und Gedanken zum Zentrum macht, neben dem oder hinter dem Gott nach und nach zurücktritt.94 Seine Sicht erklärt sich aus der Betonung der göttlichen Offenbarung, die er in Liedern, die dem eigenen Erleben, Nachdenken und Glauben Raum geben, nicht wiederfindet. Aber das ist doch gerade der Gewinn, den die geistliche Lyrik hervorbringt: „das Neuzeitliche, die Lösung aus den objektiven Bindungen, den Ton der Innigkeit, der Andacht, der IchAussprache im geistlichen Lied.“95

94 Vgl. Karl Barth, Lehre vom Wort Gottes, 276 f. Bei Philipp Nicolai sei dies mit Händen zu greifen und als Entwicklung im 17. Jahrhundert unaufhaltsam weitergegangen: auch Heermann, Rist, Franck, Schütz, Neander und Gerhardt sieht er in dieser Linie. Vgl. ebd. 95 Zell, Problem der geistlichen Barocklyrik, 58.

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Teil IV: Fest- und Gottesdienstpraxis heute: Einflüsse, Veränderungen und Auswirkungen bezogen auf das kirchliche Neujahrslied

Der folgende Teil der Arbeit versucht nun zu erfassen, welches Festverständnis derzeit die Gottesdienstpraxis, das Kirchenjahr und schließlich auch die hymnologische Arbeit und Praxis bestimmt. Hierzu wird aktuellen Fragestellungen auf den praktisch-theologischen Feldern nachgegangen, die schon die bisherige Untersuchung begleitet haben. Hymnologie, Liturgik und Heortologie rücken noch einmal gesondert in den Blick.

1

Singen an Übergängen

1.1

Sinn und Wirkung

Für Lieder zu Jahreswechsel und Neujahr gilt, wie für weitere (Instrumental-) Musik zu diesem besonderen Anlass, dass sie das gesprochene Wort im Gottesdienst unterstützen und darüber hinaus einen besonderen Raum eröffnen. Das Wort bekommt durch die Musik eine zusätzliche Dimension. Mit der eigenen Stimme gesungen, erhalten Kirchenlieder für die Sängerin oder den Sänger eine besondere Qualität. An dieser Stelle lohnt es sich, einen Schritt zurück zu tun und grundsätzlicher zu fragen: Was ist das für ein Phänomen, dass der Mensch besonders an Übergängen im Leben zu singen beginnt? Was macht Gesang zu so einem geeigneten Medium, einen Übergang zu begleiten? Offensichtlich entspricht gemeinschaftliches Singen dem Grundbedürfnis des Menschen nach sozialer Zusammengehörigkeit.1 Das Singen spiegelt Gruppensolidarität wider und fördert sie. Daher wird bei Übergängen gesungen, die einen Statuswechsel zum Anlass haben, wie z. B. der Eintritt in den Kindergar1 Vgl. Stadler Elmer, Entwicklung des Singens, 152.

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Fest- und Gottesdienstpraxis heute

ten und die Einschulung (meist als Willkommen der älteren Kinder/Schüler an die jungen neuen), oder aber bei Aufnahmeritualen, wie es sie für Burschenschaftler gibt oder bei der Vereidigung von Soldaten. Lieder als „Ständchen“ dargebracht begleiten Übergänge, wie Geburtstage, Jubiläen und Abschieds­ feiern. Singen kann eine dem Alltag enthobene Wirklichkeit erzeugen2 und Besonderes würdigen. Gemeinschaftliches Singen von Liedern stärkt das Gefühl der Zusammengehörigkeit und grenzt eine Gruppe von Nichtmitgliedern ab.3 Dies wird besonders deutlich an Fan-Gesängen von Fußballvereinen4, über die sich die Fans im Stadion identifizieren; sie feuern damit die Mannschaft an, versuchen, die gegnerischen Fans und deren Mannschaft „niederzusingen“, und feiern mit den Gesängen den errungenen Sieg. Das Beispiel eines Fußballspiels bei internationalen Begegnungen zeigt auch, dass die Nationalhymnen eine große Bedeutung haben. Am Übergang zum eigentlichen Spiel werden die Mannschaften vorgestellt, und das Singen der jeweiligen Nationalhymne macht den Zuschauern und den Spielern noch einmal bewusst, dass die Mannschaft ein Land repräsentiert. Singen an Übergängen betont die Solidarität der Gruppe mit dem Einzelnen, oder aber es bestärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl und das Bewusstsein, als Gruppe an einem Übergang zu stehen und diesen zu vollziehen. Wer gleichzeitig und gemeinsam Lautäußerungen beim Singen vollzieht, der macht eine intensive soziale Erfahrung: Das gleichzeitige Tun führt dazu, denselben Zustand zu erleben, in dem Emotionen und Stimmungen geteilt werden.5 Jüngst hat eine Studie herausgefunden, dass sich beim angeleiteten Singen in Chören nicht nur der Atem angleicht, sondern auch die Herzfrequenz aller Sängerinnen und Sänger.6 So wird schon rein physisch über das Singen eine Gleichgerichtetheit erzeugt. 2 Vgl. ebd. 3 Vgl. ebd., 159. 4 Mit diesem Thema beschäftigen sich vertieft: Kopiez/Brink, Fußball-Fangesänge, Würzburg 1999. 5 Hierin liegt die positive Eigenschaft des Singens, das allerdings auch missbraucht werden kann. Vgl. hierzu Stadler Elmer, Erziehung und Verführung, 225. In diesem Zusammenhang ebenfalls aufschlussreich ist: Eibl-Eibesfeldt, Das Lied im Dienste der Wertevermittlung und Indoktrination. 6 Studien hatten zuvor schon belegt, dass Singen im Chor die Bewegung von Muskeln und Nervenaktivitäten in großen Teilen des Körpers synchronisiert. Bei dieser Studie an der schwedischen Universität Göteborg wurden nun fünfzehn Jugendliche angewiesen im Chor zunächst zu summen und nach eigenem Bedürfnis zu atmen, dann ein Kirchenlied zu singen (Fairest Lord Jesus – schwedisch: Härlig Är Jorden) und schließlich ein langsames Mantra anzustimmen, bei dem gemeinsam geatmet wurde. Der Puls der Sänger glich sich an – beim Mantra am stärksten. Außerdem spiegelte sich auch die Musikstruktur in der Herzfrequenzrate wider. Aufgrund dieser Ergebnisse kann angenommen werden, dass Singen als gemeinsames Tun auch zu gemeinsamen Sichtweisen und gemeinsamen Intentionen führt und damit auch der Kooperation dienlich ist: „In other words,

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Singen an Übergängen Singen an Übergängen

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Was macht Singen darüber hinaus so geeignet, den Jahreswechsel und andere Übergänge in gottesdienstlichen Feiern zu begleiten? Da ist zum einen die Eigenschaft des Liedes, wie auch der Musik an sich, nur im Vollzug existent zu sein. Das Lied hat einen Anfang und ein Ende. Instrument und Stimme füllen für einen bemessenen Zeitabschnitt den Raum, um dann zu verklingen. Es ist „vergängliche“ Kunst, die durch das Musizieren hörbar und damit erlebbar wird. In dem zeitlichen Rahmen einer Liedstrophe oder eines ganzen Liedes entfaltet sich schließlich auch die Wirkung: auf den Sänger selbst, auf die Mitsingenden, auf die Musizierenden, die alle auch Hörer sind. Im Liedtext bekommen existentielle Anfragen und Kontingenzen des Lebens ein Gewand poetischer Sprache – unterstützt durch die Melodien. Drängen sich am Übergang von einem Jahr zum anderen Gedanken an die Vergänglichkeit allen Seins auf, so finden Sänger und Hörer im Kirchenlied ein Pendant, das ebenfalls unter dem Vorzeichen steht, vergänglich zu sein. Es bezieht sich auf Werden und Vergehen und deutet beides theologisch. Das Lied hat natürlich seine Grenzen; wenn es Kontingenzen benennt, dann geschieht dies nur, um der Kontingenz zu begegnen. Bewältigen lässt sie sich auf diese Weise nicht. Singen am Jahreswechsel findet seine Begründung sicher auch darin, dass es die singende Person ihrer selbst vergewissert. Wer singt, bekundet, dass er ist. Es dient auch nicht nur dazu, die eigene Existenz hörbar werden zu lassen, sondern auch zur Selbstentfaltung der Akteure. Klusen hält fest: Singen verhilft dem einzelnen zum Ausdruck seines Selbst. Indem er sich im Lied ausdrückt, findet er zu sich, zu seiner Identität. Singend bestätigt er sich in ­seiner Existenz, und Selbstbestätigung ist für die Selbstfindung wichtig. Aber Singen hilft nicht nur dem einzelnen als Individuum, sondern auch als soziales Wesen. In der Teilhabe am Singen einer Gruppe fügt der einzelne Singende seine Individualität in soziale Bindungen ein […], was jeder neben der Selbstbestätigung braucht: die Fremdbestätigung, die Geborgenheit, Sicherheit und soziale Anerkennung, die er ebenso nötig hat wie sein Selbstbewusstsein.7

Hier zeigt sich eine weitere Funktion: Singen vermag Emotionen zu regulieren.8 Dies erscheint auf der Schwelle zum neuen Jahr besonders hilfreich, da hiermit singers may change their egocentric perspective of the world to  a we-perspective which causes them to perceive the world from the same point of view (of for example religion, politics or football team) and thus defining who we are.“ Vickhoff u. a., Music structure. 7 Klusen, Deutsche Lieder, XXXIX . 8 Dass Singen der Regulation von Emotionen dienen kann, indem es gegensätzliche Emotionen ins Gleichgewicht bringt oder auch im Gleichgewicht hält, hat Adamek als ein Ergebnis seiner empirischen Untersuchung festgehalten. Vgl. Adamek, Singen als Lebenshilfe, 208 ff. Stadler Elmer stellt in diesem Zusammenhang fest, dass spontanes Singen bei kleinen Kindern als vitaler Ausdruck nur dann beobachtet werden kann, wenn sie sich wohlfühlen. Vgl. Stadler Elmer, Erziehung und Verführung, 225.

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Fest- und Gottesdienstpraxis heute

widersprüchliche Emotionen verbunden sind und vielfach Ängste aufkommen. Diesem Gefühlsgemenge singend zu begegnen kann dazu verhelfen, emotionale Stabilität wiederherzustellen. Bei negativer „Grundgestimmtheit“ vermag es negative Emotionen „umzufärben“.9 Umgekehrt bringt es überschwängliche positive Emotionen wieder auf ein normales Maß. Da Singen nicht nur Emotionen auslösen kann sondern auch bereits erlebte Gefühlszustände zu vergegenwärtigen vermag10, wird es zu einem Band durch die Zeit.11 Es bietet die Möglichkeit, „Gefühlszustände als Muster zu verallgemeinern, wodurch den Erfahrungen eine Bedeutung und eine Beständigkeit im Wandel gegeben werden.“12 Weiter positiv wirkt sich beim Singen an Übergängen aus, dass es nicht möglich ist, gleichzeitig zu singen und zu grübeln. Dieses Phänomen erklärt sich Karl Adamek hirnphysiologisch so, „dass beim Singen in der Regel die rechte Hirnhälfte dominiert und linkshemisphärisch, an Sprache gebundene Aktivitäten wie das Grübeln, in den Hintergrund treten oder teilweise unterbrochen werden.“13 Weiter beschreibt er, dass durch Singen kognitive Wahrnehmungsbarrieren oder auch Wahrnehmungsverzerrungen temporär nachlassen, woraus die Möglichkeit resultiert, eine neue Perspektive auf die Wirklichkeit zu gewinnen.14 Wie genau dies alles vonstattengeht, muss weiter erforscht werden. Inte­ressant ist jedoch in unserem Zusammenhang, dass das Singen Gedankenströme unterbricht, die sich möglicherweise negativ auf den Menschen und seine Weltsicht auswirken. Dies unterstreicht auch die Bedeutung des Lieder­ singens bei Trauerfeiern15. 9 So Stadler Elmer, Erziehung und Verführung, 214. 10 Vgl. Stadler Elmer, Entwicklung des Singens, 145. 11 Evergreens werden in der Musiktherapie mit alten Menschen als Erinnerungsträger eingesetzt; auch bei Alzheimer und weiteren demenziellen Erkrankungen. Alzheimer beeinflusst das Gedächtnis auf eine Weise, die sich von dem Einfluss der Demenzen mit anderer Genese und dem Altern an sich unterscheidet. Darin liegt begründet, dass von Alzheimerpatienten die alt bekannten Lieder schlechter wiedererkannt werden als bei anderen Patienten mit Gedächtnisbeeinträchtigung. Vgl. hierzu die Studie von Bartlett u. a., Recognition of familiar and unfamiliar melodies. 12 Stadler Elmer, Entwicklung des Singens, 145. 13 Adamek, Singen als Lebenshilfe, 217. 14 Ebd. 15 Dass während Trauerfeiern auch von der Gemeinde gesungen wird, liegt nicht besonders nahe, wenn man ihre Gefühlslage betrachtet. Sie ist in Trauer und das schnürt die Kehle zu, engt ein, verschlägt das Wort – und lässt weinen, seufzen, stöhnen. Dass trotzdem gesungen wird, mag zum einen an der bereits genannten emotional ausgleichenden Wirkung des Singens liegen. Zum anderen leihen die Lieder den Trauernden Worte, die sie selbst nicht mehr finden könnten. Sie unterbrechen negative Gedankengänge und haben Einfluss auf die Gestimmtheit. Im besten Fall sind sie vertraut und klingen in der Gruppe weiter, wenn die eigene Stimme versagt.

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Singen an Übergängen Singen an Übergängen

1.2

283

Seelentrost, Biographie und Erfahrung

Was sich über das Singen an Übergängen im Allgemeinen feststellen ließ, gilt im Besonderen auch für das Singen von Jahreswende- und Neujahrsliedern im Gottesdienst. Die Lieder wirken auf verschiedenen Ebenen bzw. sie wirken auf die verschiedenen Gemütszustände ein. Zunächst ist da die poimenische Dimension: Der Seele wird Sorge getragen; der Seele, die mit ihren Ängsten, Sorgen, Nöten aber auch voll Dank und Lob vor ihren Schöpfer tritt. Ihr gilt die gläubige Selbstvergewisserung von Gottes Nähe, Segen und Beistand durch die Zeit. Gottes Treue wird in vielen Neujahrsliedern genannt. Wird von erfahrener Hilfe und Rettung durch Gott gesungen, so können diese Liedstrophen den Singenden Halt geben; gerade wenn sie diese Erfahrung von Rettung und Hilfe im Augenblick nicht teilen, aber weiterhin darauf hoffen. Dass mit einem zu Ende gehenden Jahr auch das Gefühl von Trauer verbunden ist, wurde bereits betont. Die Endlichkeitserfahrung versetzt in Melancholie oder lässt nostalgisch werden. Viele Jahreswende- und Neujahrslieder haben hier tröstende Funktion. Sie verweisen auf Gottes Plan, der den Menschen nicht erkennbar ist. Diese Lieder fragen nach einem tieferen Sinn und betten Fragmentarisches in ein großes Ganzes – eben in Gottes Plan – ein. Jedes Jahr aufs Neue die gleichen Neujahrslieder zu singen, hat auch eine biographische Dimension. Singen begleitet den Menschen, auf sein Leben hin betrachtet, länger als die Sprache.16 Mit Liedern verbinden sich in der Erinnerung Situationen, Menschen und Emotionen.17 Singerfahrungen sind nicht nur positiv besetzt18, was manchen Heranwachsenden und auch Erwachsenen das Singen verleidet hat; aber Singen kann auch noch im Erwachsenenalter erlernt werden. Werden zur Jahreswende in den Gottesdiensten wiederkehrend die gleichen Lieder gesungen, besteht die Möglichkeit, dass sie sich von Jahr zu Jahr mit neuen gemachten Erfahrungen verbinden; natürlich lässt sich dies auch für alle 16 „Singend sich zu äußern, gehört zu jenem alten Bestand der früh erworbenen und zuletzt sterbenden Inhalte des menschlichen Bewusstseins  – im Gegensatz zur Sprache.“ Klusen, Singen, 59. Dies zeigt sich eindrucksvoll in der Arbeit mit Alten und Dementen. Trotz des Verlustes der Sprache können sie bisweilen noch Lieder wenigstens mitsingen oder -summen. 17 Zur Bedeutung des Gesangs der Mutter für die frühkindliche Entwicklung sowie das Erlernen des Singens vgl. Adamek, Singen als Lebenshilfe, 48 f. 18 In Adameks Untersuchung gab die Hälfte der Befragten an, im Laufe ihres Lebens bezüglich des Singens traumatisierende Erfahrungen gemacht zu haben. Vgl. ebd., 144 ff. Dies ist ein wichtiger Befund, gerade bezogen auf das Gemeindesingen. Die Hemmungen und Blockaden beim Singen werden in der Gruppe zwar weniger ausgeprägt sein, führen aber dazu, dass viele Anwesende gar nicht singen.

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Fest- und Gottesdienstpraxis heute

anderen Gelegenheiten annehmen, in denen Lieder, welcher Art auch immer, gesungen werden. Jedes Lied kann im Laufe eines Lebens zu einer „Wegmarke“ werden, von der aus sich zurück und nach vorne schauen lässt. Selbst, wenn der Einzelne nicht alle Jahre wieder an Jahreswendegottesdiensten teilnimmt – in denen ja auch nicht immer die gleichen Lieder gesungen werden – ist diese Verbindung über längere Zeitabstände möglich. Die Lieder, die dort ihren Platz haben, vermitteln Kontinuität durch die Zeit. Mit ihnen verbindet jede Sängerin und jeder Sänger andere Gedanken, Gefühle und Erlebnisse. Nicht zuletzt sind die Lieder an sich biographisch geprägt, da sie jeweils von einem gläubigen Individuum verfasst worden sind (wenn wir die- oder denjenigen auch nicht immer kennen) und eine Glaubenshaltung wie auch eine Lebenserfahrung aus ihnen spricht (wenn auch oft in Sprache und Ausdrucksweise anderer Zeiten). Über die Musik, ob nun Lied oder Musikstück, kann man an kollektive wie individuelle Erfahrungen anknüpfen und Erinnerungen können belebt werden.19 Eine Beschreibung von Stefanie Stadler Elmer trifft in besonderer Weise auf die gottesdienstliche Feier des Jahreswechsels zu. Sie schreibt: „Die Musik vermittelt […] die Vorstellung, dass eine vergangene Zeit oder ein vergangener Zustand wieder vergegenwärtigt und in Zukunft wieder hergestellt werden könnte. Es ist eine eigenartige Erfahrung von Zeit, die dem Wunsch entgegenkommt, der Vergänglichkeit auszuweichen und einer unbestimmten Zukunft eine Orientierung zu geben.“20 So betrachtet kann Musik und können Lieder Beständigkeit vermitteln, wo der Gedanke an die Vergänglichkeit drückend wird. In beidem liegt auch das Potential, unsichere Zukunftsperspektiven in hoffnungsvollere Bahnen zu lenken. Im Idealfall sind die Lieder bekannt und wecken Erinnerungen an alte Gefühle. Mit ihrer Hilfe besteht die Möglichkeit, „ehemalige Stimmungen und Zustände zu aktualisieren“, und dies „verweist auf einen besonderen Umgang mit Zeit und Erfahrung von Zeit.“21 Die Lieder entsprechen damit einem Bedürfnis, im Unsicheren und Unbekannten nach Sicherem und Bekanntem zu suchen. Schließlich ist der Menschen, der mit Ungewissheiten konfrontiert wird, bestrebt, diese umzudeuten – so dass sie den Anschein von stabilen Zuständen erhalten.22 Indem gottesdienstliche Feiern am Jahresende oder Jahresbeginn dem Thema „Zeit“ einen eigenen Raum geben, werden in diesem Raum für alle Mitfeiernden die eigene Lebenswelt und Glaubenswelt zu einander in Beziehung gesetzt. Indem die „Zeit“ gefeiert und besungen wird, tritt sie einem für einen kurzen Zeit19 Vgl. Stadler Elmer, Erziehung und Verführung, 226. 20 Ebd. 21 Stadler Elmer, Entwicklung des Singens, 153. 22 Vgl. Valsiner, Human cultural development, 132 f.

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Singen an Übergängen Singen an Übergängen

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raum als Gegenstand gegenüber. Zeit, das ist etwas, das jeden Menschen umgibt und durchdringt, ein Element in dem er und nach dem er lebt, und sich orientiert, in der Regel ohne tiefergehend darüber nachzudenken. Die Kirchenlieder machen es möglich, dass Sängerinnen oder Sänger Weisungen, die die Texte enthalten, vernehmen und auch annehmen können. Die Verbindung von Wort und Musik sorgt dafür, dass die Inhalte sie auf einer Ebene erreichen, die außerhalb der Vernunft liegt.23 Auch die Tonalität der Melodie, ob Dur oder Moll, hat starken Einfluss darauf, wie das Lied bei den Einzelnen Aufnahme und Anklang findet.

1.3

Funktion der Lieder im Gottesdienst

Der Gemeindegesang ist im Sinne Langes, nicht als Verkündigung, sondern als Kommunikation des Evangeliums zu verstehen.24 Lange hat Musik im Gottesdienst als Kommunikation betrachtet  – man redet in besonderer Weise mit­ einander – und nicht als „Monolog“, einseitig verkündigend. Das gemeinschaftliche Singen der Kirchenlieder verbindet mit Gläubigen durch die Zeit zurück und in der gegenwärtigen Zeit. Der Anlass, dass ein Jahr zu Ende geht, ist in den Liedern benannt, bedacht, theologisch gedeutet und mit der Lebenswirklichkeit verknüpft. Die widersprüchlichen Emotionen, die der Jahresübergang bei den Gottesdienstbesuchern hervorruft, werden in Worte gefasst, die der Einzelne nicht suchen muss, und die erklingen. Die Untersuchung hat gezeigt, dass melancholische und getragene Melodien die Gesangbuchrubrik dominieren. Damit haben sie auch einen erheblichen Einfluss auf die Emotionen, die im Gottesdienst vorherrschen oder geweckt werden. In der Praxis werden Pfarrpersonen und Kirchenmusiker daher Kombinationen mit weihnachtlichen Liedern (die erklingen lassen, dass das Neujahrsfest im Weihnachtsfestkreis liegt) oder Glaubensliedern mit fröhlicheren Melodien bevorzugen. Nicht nur der Gottesdienst an sich und als Ganzes genommen, sondern auch die für ihn vorgesehenen Lieder haben eine stabilisierende Wirkung. Sie sind im Idealfall bekannt, da sie vielleicht auch zu anderen Gelegenheiten gesungen wurden, und sie können jährlich wiederkehren. Die Kirchenlieder zur Jahreswende, die bis heute in der Gesangbuchrubrik zu stehen kommen, sind Pfeiler im Strom der Zeit, die das Individuum von heute rückbinden an Vergangenes, 23 Vgl. Stadler Elmer, Entwicklung des Singens, 159. In der Tatsache, dass Lieder Botschaften und Weisungen abseits der Vernunft nahe bringen, liegt zugleich die Chance aber auch die Gefahr des Singens von Liedern. 24 Lange, Kirche für die Welt, 101 f.

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das im Singen vergegenwärtigt wird. Sie sind feste Anhaltspunkte in der voranschreitenden Zeit, die Beständigkeit vermitteln. Ihrem Wesen nach sind die Kirchenlieder zu dem Anlass Jahreswende ebenfalls Kasuallieder. Wie gezeigt wurde, sind die Texte der Neujahrslieder und auch die später entstandenen Jahres(w)endelieder ihrem Ursprung nach „Gelegenheitsgedichte“. Sie besingen den „Casus“ eines besonderen Festtages. Der Kasus ist Veranlassung zu dem Gedicht bzw. Lied und bestimmt zugleich dessen Inhalt. Diese Kirchenlieder sind Produkte der persönlichen Auseinandersetzung christlicher Dichterinnen und Dichter mit der Tatsache des zu Ende­ gehenden Jahres. Sie begleiten nicht nur den Übergang sondern können auch die transformative Kraft der Feiern verstärken und stützen. Die zwiespältigen Gefühle, die der Übergang hervorruft, können hier ihren Ausdruck finden. Sie werden vor Gott gebracht, um die Situation zu benennen und zu reflektieren; manches Mal wird auf eine Verwandlung oder Veränderung von Gott her gehofft. Viele Texte werden im Verlauf zu Gebeten, wenn sie es nicht schon von Anfang an sind. Sofern es Lieder aus anderen Zeiten sind, bilden sie einen Gegenpol zum „Zeitgeist“ und zur gegenwärtigen Sprache und dem Sprachgebrauch. Manches sperrt sich dem allgemeinen Verständnis von heute, wird aber dadurch auch wieder interessant oder gar geheimnisvoll.25 Weil die Lieder die Feiern stark prägen, ist der Umstand, dass sie überwiegend melancholische Melodien besitzen, noch einmal zu bedenken. Die eigenen Melodien sind häufig zusammen mit den Liedern entstanden. Sie lassen weder etwas Weihnachtliches anklingen, noch sind sie ausgesprochen fröhlich.

2

Beobachtungen und Anfragen zur gegenwärtigen Gottesdienstpraxis am Jahresübergang

Im Gang durch die Geschichte des kirchlichen Neujahrsliedes sind wir nun in der Gegenwart angekommen. Der Wandel oder besser gesagt, die Aktualisierung, der das Festverständnis gegenwärtig unterliegt, lässt eine umfassende Reflexion nur schwer zu. Doch sollen hier Tendenzen aufgezeigt werden; Tendenzen, die sich hinsichtlich unserer Fragestellung an kirchlichen Publikationen, Printmedien und Internetseiten ablesen lassen. Ebenso sind die Diskussionen, die auf das Fest bezogen in der praktisch-theologischen Literatur geführt werden, aufschlussreich. Sie beziehen sich auf die Durchführung oder 25 Dies wurde beim Lied „Jesus soll die Losung sein“ deutlich, dessen Initium zu einer­ Chiffre geworden ist, die sich kaum noch erschließt, es sei denn, man weiß, dass Jesus als Name gemeint ist und was dieser Name bedeutet.

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Nicht­durchführung von Gottesdiensten zum Jahreswechsel, auf den Sinn dieser Feiern, welcher dann auch deren Ausgestaltung bestimmt, sowie auf die Verbindung mit der Glaubens- und Lebenswelt der teilnehmenden Gottesdienstbesucher.

2.1

Neujahrsgottesdienste in Gefahr?

Es sind verschiedene Faktoren, die derzeit darauf Einfluss nehmen, dass der angestammte „Sitz im Leben“ kirchlicher Neujahrslieder, der Neujahrsgottes­ dienst, verloren zu gehen droht. Neujahrsgottesdienste erleiden einen Bedeutungsverlust, der so weit führen könnte, dass diese Gottesdienste gänzlich abgeschafft werden. Das liegt zum einen daran, dass die Gottesdienste zu Silvester, dem Vorabend, wachsenden Zulauf haben, wohingegen viele Gemeinden dann auf den vergleichsweise schlecht besuchten Neujahrsgottesdienst verzichten. Zum anderen liegt es aber auch an der Aufhebung der Dichotomie Silvester/Neujahr durch die thematische Zusammenfassung beider Ereignisse in nur noch einem Gottesdienst  – nämlich am Altjahresabend. Was bedeuten diese Entwicklungen für die Fest- und Frömmigkeitspraxis und nicht zuletzt für die Kirchenlieder zum Neuen Jahr? 2.1.1

Betonung des Altjahres-Abends: Silvestergottesdienste

Ein Ergebnis der Umfrage zur gottesdienstlichen Praxis am Jahresübergang, die Kristian Fechtner26 im Bereich der Evangelischen Kirchen von Hessen und Nassau durchgeführt hat, ist, dass es einen deutlichen Relevanzunterschied zwischen Jahresendgottesdiensten und Gottesdiensten zum Neuen Jahr gibt. Es ist möglich, dass die Umfrage in anderen Regionen Deutschlands und der Schweiz andere Ergebnisse gebracht hätte, doch kann vermutet werden, dass es sich hier um eine allgemeine Tendenz handelt. Fechtner stellt fest, dass das Gewicht, welches der Neujahrsgottesdienst in früheren Zeiten hatte, gegenwärtig schwindet. Dies zeige sich an abnehmenden Besucherzahlen. Hingegen wären die Gottesdienste am Silvesterabend, die dem Neujahrsfest erst spät vorgeschaltet wurden, nun zum bedeutenderen Anlass geworden; dies zeigten deutlich die wachsenden Teilnehmerzahlen.27 Ausgehend von diesen Ergebnissen ist zu vermuten, dass die Gottesdienstteilnehmer die Feiern am Altjahresabend als mehr zu dem Fest passend ansehen 26 Fechtner, Schwellenzeit. 27 In nahezu jeder dritten Gemeinde, die an der Untersuchung teilnahm, hatte die Besucherzahl der Gottesdienste zu Silvester in den Vorjahren zugenommen. Vgl. ebd., 169.

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als die Gottesdienste am Neujahrsmorgen. Letztere wirken wohl wie das Fest nach dem Fest – wie ein Nachklang zum Festhöhepunkt um Mitternacht. So betrachtet, sind die Neujahrsgottesdienste bereits Teil des neuen Jahres. Im Spiegel der Gottesdienstrealität kommt dem Abschied vom alten Jahr größere Bedeutung zu als der Begrüßung des neuen. Es gibt verschiedene Gründe dafür, dass Gottesdienstbesucher die Silvestergottesdienste den Neujahrsgottesdiensten vorziehen. Ein Hauptgrund ist sicherlich der zeitliche Ablauf der weltlichen Jahreswendefeiern – eben bis in die frühen Morgenstunden. Der Besuch eines Morgengottesdienstes würde für viele nur eine kurze Nachtruhe bedeuten. Silvestergottesdienste stimmen auf das Fest ein, wie Fechtner feststellt, wenn sie am späten Nachmittag oder – in der Mehrzahl – am frühen Abend stattfinden: Das gottesdienstliche Geschehen gehört in die „Eingangsphase“ des Jahreswechsels, meist zwischen 17 und 21 Uhr.28 Ein weiterer Grund für die zunehmende Beliebtheit ist in den unterschiedlichen Atmosphären zu suchen, die in den Gottesdiensten herrschen. In den Abendstunden und einer dunklen Kirche gelingt es leichter, Atmosphäre zu erzeugen. Eine Atmosphäre, die Wirkung entfaltet und bei den Anwesenden Eindruck hinterlässt. Gerade diese Stimmung macht für viele den Reiz aus, zur Andacht oder zum Gottesdienst zu kommen. Werden die Feiern mit Kerzen (zusätzlich zu den Lichtern am Weihnachtsbaum) und besonderer Musik gestaltet, ähneln sie den Spätgottesdiensten am Weihnachtsabend. Nicht zuletzt liegt im Silvesterabend als letztem Abend des Jahres der Reiz, auf das vergehende Jahr zurückzublicken und Bilanz zu ziehen; so wie es im Großen bei Wirtschaftsunternehmen geschieht, mit Gewinnen und Verlusten, wird eine ganz persönliche Jahresbilanz gezogen und diese

28 Vgl. ebd. In Fechtners Studie gab es entgegen seinen Erwartungen keinen Gottesdienst nach 21 Uhr. Fechtner deutet diese Terminierung so, „dass die kirchliche Feier (wenigstens in ihrer zeitlichen Ansetzung) nicht als Alternative fungiert oder in bewusste Konkurrenz zu anderen öffentlichen Festivitäten und Ritualen gesetzt wird, die den letzten Abend des Jahres ausfüllen“. Fechtner, Schwellenzeit, 169. Ankündigungen von Silvestergottesdiensten in der Tagespresse und auf Kirchgemeindehompages kann man jedoch entnehmen, dass es vor allem Gemeinden in großen Städten sind, die doch Gottesdienste nach 21 Uhr oder sogar kurz vor Mitternacht anbieten (so im Jahr 2013/14 einzelne Beispiele: Um 23.00 Uhr ist Andacht zum Jahreswechsel in der Frauenkirche Dresden, um 23.15 Uhr Besinnung von Jahr zu Jahr im Hamburger Michel. Um 23.30 Uhr findet eine Andacht zum Jahreswechsel im Berliner Dom statt und zur gleichen Zeit kommt man in der Stiftskirche Stuttgart zu einem Kurz-Gottesdienst zum Jahreswechsel zusammen. In Zürich Höngg findet kurz vor Mitternacht eine Besinnung zum Jahreswechsel statt, verbunden mit dem Ausläuten des alten Jahres und dem gemeinsamen Anstoßen. Ein besonderes Angebot macht die reformierte City-Kirche Zug mit einer Wanderung vom Alten ins Neue Jahr; beginnend um 20.30 Uhr mit 2.5 Stunden Weg zur Kirche Hünenberg.

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in der Gemeinschaft einer Gottesdienstgemeinde vor Gott gebracht. Hier ist Raum für Erinnerungen. Es wird eigenes Erleben mit dem Silvesterabend verknüpft. Dadurch entsteht eine persönliche Betroffenheit und Bedeutung, hinter der der Gottesdienst am Neujahrsmorgen ansteht29. Dem gegenüber liegt im Neujahrsgottesdienst die Hoffnung des Neuanfangs und der Unbestimmtheit. Die Ausrichtung der Feier gilt dem neuen Jahr, das offen und noch kaum bestimmt vor allen liegt. 2.1.2

Ausfall von Neujahrsgottesdiensten

Als Reaktion auf zurückgehende Besucherzahlen bei Neujahrsgottesdiensten, werden oftmals überörtliche Gottesdienste angeboten, während durch dieses Angebot gleich in mehreren Gemeinden einer Region die Neujahrsgottesdienste entfallen.30 Auf diese Weise wird, im regionalen Gottesdienst gebündelt, doch eine gewisse Besucherzahl erreicht; gleichzeitig wird in Zeiten knapper Kassen, Personal eingespart. Nicht zuletzt müssen dementsprechend in der kalten Jahreszeit auch weniger Kirchen beheizt werden.31 Auf die Entscheidung, keinen Neujahrsgottesdienst stattfinden zu lassen, hat auch der Wochentag Einfluss, auf den der Neujahrstag fällt. So war beispielsweise im Jahr 2007 der Neujahrstag ein Montag. Hermann Brandt vermutet, dass deswegen vielerorts die Neujahrsgottesdienste entfallen sind; es werde mit einer noch geringeren Teilnehmerzahl gerechnet als an Sonntagen. Vielen läge näher, den Neujahrstag als staatlich freien Tag zu betrachten, „auszuspannen“ und die Gottesdienste nicht durchzuführen32. Im Falle der deutschsprachigen Schweiz hat der Wochentag, auf den Neujahr fällt, kaum Einfluss auf eine Durchführung oder Nichtdurchführung von Neujahrsgottesdiensten. Denn auf den 1. Januar folgt ein zweiter arbeitsfreier 29 In unserem Kulturkreis ist der Abend die geeignete Zeit, um zusammenzukommen­ („Social time“). Auch bei den großen kirchlichen Festen wird der Gottesdienst am Vorabend zur Konkurrenz oder bekommt gar mehr Bedeutung; so bei der Osternachtfeier im Verhältnis zum Ostermorgengottesdienst oder auch der Christnachtfeier im Verhältnis zum Weihnachtsgottesdienst. 30 Vgl. Fechtner, Schwellenzeit, 168. Gleiches stellt der Begleitausschuss zur Perikopenrevision fest: „Der Gottesdienst an Neujahr … wird immer häufiger zu einer Alternative zum Gottesdienst am Altjahresabend und entfällt oft ganz.“ Goldschmidt, Kirchenjahr und Lebenswelt, 35. 31 In Zeiten sinkender Kirchensteuereinnahmen drängen sich Fragen der Wirtschaftlichkeit auch auf Gottesdienste bezogen auf. Wenn man sparen kann, indem der Kirchenraum zur Winterzeit für einen Anlass weniger zu heizen ist, kann dies bei großen und sehr kalten Kirchen und wenigen zu erwartenden Gottesdienstbesuchern ein starkes Argument liefern, auf einen Gottesdienst zum Neujahrstag zu verzichten. 32 Vgl. Brandt, Christen am 1. Januar, 79.

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Feiertag, der sogenannte Berchtoldstag33, und der Neujahrstag behält so sein Gewicht; eingerahmt von Silvester und Berchtoldstag. Die beiden Feiern Altjahresabend/Silvester und Neujahr haben zudem in den Gemeindetraditionen einen starken Rückhalt, so dass Neujahrsgottesdienste weiterhin stattfinden. Neben der Frage des Wochentages benennt Brandt einen weiteren, wesentlich schwerwiegenderen Grund, der das Neujahrsfest in der Kirche fraglich werden lässt: Er warnt vor einem Inhaltsverlust, der in der Konsequenz zur Aufgabe des Feiertages führen könne.34 Die beschriebenen Entwicklungen in der Gottesdienstpraxis lassen sich im Kern darauf zurückführen, dass ein Bewusstsein für die theologische Notwendigkeit von Gottesdiensten am 1.  Januar bei Laien wie Theologen mehr und mehr schwindet. Der Lebensweltbezug35 lässt sich wohl nicht mehr genügend vermitteln oder herstellen. Kirchlicherseits an einem Fest festzuhalten, dessen Bedeutung ausgehöhlt wurde und das dem Menschen von heute selten etwas sagt, ist eine große Heraus­ forderung. Ein Beispiel dafür, dass dies nicht gelang, ist das Schicksal des Bußund Bettages36 in Deutschland. Sein Bedeutungs- und damit einhergehend sein Relevanzverlust haben von Seiten des Gesetzgebers in nahezu ganz Deutschland37 zur Aufhebung des Arbeitsverbotes geführt. Er wird weiterhin in der Kirche gefeiert, hat aber die ehemalige Bedeutung eingebüßt. 33 Der Berchtoldstag wird überwiegend in Kantonen mit alemannischer Vergangenheit begangen. Wahrscheinlich leitet sich die Bezeichnung vom „Perchten“ ab, dem Herumlaufen mit wilden Masken, was als alemannische Tradition gilt. Die Kantone, die den 2. Januar als arbeitsfreien Tag begehen sind: Bern, Freiburg, Glarus, Jura, Luzern, Neuenburg, Obwalden, Schaffhausen, Solothurn, Thurgau, Waadt, Zug, Zürich und teilweise auch A ­ argau. Aus ökonomischen Beweggründen wird das Arbeitsverbot in manchen Regionen aufgeweicht, und Geschäfte dürfen an diesem Tag öffnen, wenn sie es möchten. 34 Vgl. Brandt, Christen am 1. Januar, 81. Das Eintreten von Brandts Befürchtung, dass der Staat an dem Neujahrstag wieder arbeiten lassen könnte, indem das Arbeitsverbot aufgehoben wird, ist wenig wahrscheinlich. Es sind nicht unbedingt theologische, sondern feierpraktische Gründe, dass der 1. Januar arbeitsfrei bleibt. Schließlich wird in den Tag bis weit nach Mitternacht hineingefeiert. 35 Hierzu bemerkt Fechtner: „Gottesdienst und Predigt an der Schwelle zwischen den Jahren sind nicht vorgängig aus einer liturgischen oder homiletischen Binnenlogik zu verstehen und zu entwickeln, sondern gewinnen erst in ihrem kulturellen und lebensweltlichen Kontext Sinn und Bedeutung.“ Fechtner, Schwellenzeit, 37. 36 Der Buß- und Bettag in Deutschland ist gemeinsamer Feiertag der röm.-katholischen wie auch der reformatorischen Konfessionen und wird am Mittwoch vor dem Ewigkeitssonntag gefeiert. In der Schweiz ist der „Eidgenössische Dank- Buß- und Bettag“ ein staatlich angeordneter überkonfessioneller Festtag (auch die Israelitischen Kultusgemeinden feiern ihn mit). Er wird (mit Ausnahme des Kantons Genf) jeweils am dritten Sonntag des Septembers gefeiert. Das erste Mal feierte man ihn am 8. September 1796. Besonders bedeutsam wurde er im Zusammenhang mit der Gründung des Bundesstaates 1848 und er hat bis heute einen hohen Stellenwert. 37 Nur im Freistaat Sachsen ist der Tag weiterhin arbeitsfrei.

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Es ist nicht ausgeschlossen, dass es dem Neujahrsfest in der Kirche ähnlich ergeht. Doch sind die beeinflussenden Faktoren hier andere. Es wäre die Kirche selbst, die ein gottesdienstliches Feiern des bürgerlichen Jahresbeginns aufgibt. Das Fest ist zu dem ursprünglichen Kirchenjahr aufgrund eines Bedürfnisses der Gläubigen nach gottesdienstlicher Begleitung hinzugekommen. Nun, da sich die Feierlichkeiten auf den Vorabend verschieben, sind die Bedürfnisse in der Wahrnehmung der Kirche anders gelagert. Gepaart mit ökonomischen Zwängen kommen pragmatische Argumente zusammen, den Neujahrstag nicht mehr gottesdienstlich zu begehen. Es bleibt jedoch anzufragen, was aus theo­logischer Sicht an seelsorglichen und ritualtheoretischen Dimensionen verloren ginge. Von Seiten des Staates her gesehen wird am 1.1. als einem arbeitsfreien Tag sicherlich festgehalten werden – allein schon aufgrund der Feierlichkeiten bis in die frühen Morgenstunden.38 2.1.3

Jahresende und Jahresanfang zusammengenommen

Auch homiletisch betrachtet macht eine neu aufgekommene Predigtpraxis in den Altjahresabendgottesdiensten den Neujahrsgottesdienst entbehrlich. In zunehmendem Maße entscheiden sich Predigerinnen und Prediger am Silvesterabend für die neue Jahreslosung39 als Predigttext. Dies zeigt sich auch daran, dass die Predigthilfen Exegesen und Meditationen zu den entsprechenden Bibel­versen anbieten und dass eigene Publikationen zu den Jahreslosungen erscheinen. Durch eine Predigt zur Jahreslosung des neuen Jahres bereits im Silvestergottesdienst, werden Rückschau und Vorausschau in eins genommen. Eine Rückschau, die dem Gottesdienst am Jahresende das Gepräge geben könnte, gerät auf diese Weise ins Hintertreffen. Mit der Jahreslosung werden die Gottesdienstteilnehmer zugleich in den Silvesterabend und in das neue Jahr entlassen. Auf diese Weise schwindet die Plausibilität eines Neujahrsgottesdienstes tags darauf. Auch eine weitere Variante – den ersten Sonntag nach dem 1. Januar zur Begrüßung des angebrochenen neuen Jahres zu nutzen – stellt infrage, ob eigens 38 Ein Arbeitsverbot für den Neujahrstag kennt bereits das Volk Israel in biblischer Zeit (am 1. Tischri, dem ersten des 7. Monats, siehe Num 29,1). 39 Die Jahreslosung geht nicht etwa auf die Herrenhuter Brüdergemeine zurück, sondern auf Otto Riethmüller (1889–1938). Als langjähriger Vorsitzender des Burckhardthauses in Berlin-Dahlem gab er die Losung in Absprache mit dem Dachverband der evangelischen Jungmännerbünde (einem Vorläufer des CVJM) ab 1930 heraus. Heute wird die Jahreslosung von der Ökumenischen Arbeitsgemeinschaft für Bibellesen (ÖAB) bestimmt. Die erste Jahreslosung für 1930 lautete „Ich schäme mich des Evangeliums von Jesus Christus nicht“ (Röm 1,16). Vgl. hierzu und zur weiteren Geschichte der Jahreslosung: Micheel, Geschichte des Jahreslosung, 7 f.

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ein Neujahrsgottesdienst gefeiert werden sollte. Wenn dieser Sonntag gar auf Epiphanias oder kurz danach fällt, lassen sich Neujahr und Epiphanias sogar zugleich feiern. Durch die Praxis, am Silvesterabend nicht nur das zu Ende gehende Jahr zu bedenken, sondern auch schon das neue Jahr zu begrüßen, wird eine historisch gewachsene Unterscheidung vom Gottesdienst am Abend vor der Jahreswende und einem Gottesdienst am Morgen danach40 aufgehoben. Ritualtheoretisch gesprochen geht hier der „Übergang“ verloren, der sich vom Abschiednehmen am Altjahresabend hin zur Aneignung des neuen Status, am Neujahrsmorgen, vollzieht. Auf nur einen stattfindenden Gottesdienst reduziert, wird die Jahreswende mit beiden Seiten thematisiert. Es wird sowohl die Rückschau als auch die Vorschau zum Tragen kommen, und beide müssen in das Licht der christlichen Botschaft gestellt werden. Das lässt den Übergang zwar nicht ganz verloren gehen, bettet ihn aber in nur einen Gottesdienst. Dieser nimmt den Übergang dann vorweg, indem er ihn symbolisch bereits vollzieht. Aus Sicht der Gestaltenden eines Silvestergottesdienstes dieser Art stellt sich die Frage, ob dieser durch die Zusammennahme der zwei großen Themen nicht „überfrachtet“ wird; überfrachtet in der Hinsicht, dass weder die Rückschau noch die Vorausschau angemessenen Raum erhalten. Es liegt in den Händen der Liturginnen und Liturgen, hier weise auszuwählen und thematische Schwerpunkte zu setzen, damit die „bedeutende pastorale Chance“41, die der Anlass bietet, so gut wie möglich wahrgenommen wird.

2.2

Gottesdienste zur Jahreswende: eine (neue) Kasualie?

2.2.1

Jahreswende-Gottesdienste als Kasualfeiern verstehen

Gottesdienstfeiern am Silvesterabend ziehen ein sehr durchmischtes Publikum an. Darunter sind viele, bei denen sich nach der weihnachtlichen Familienfeier Einsamkeit eingestellt hat. Es sind auch Menschen darunter, die ihr Weg nicht zu Weihnachten, wohl aber zu Silvester /Neujahr in die Kirche führt. Die abendliche Feier vor dem „eigentlichen“ Ereignis um Mitternacht, steht im Schatten des vorangegangenen Weihnachtsfestes und der am selben Abend stattfindenden säkularen Feierlichkeiten. In der Praxis ist es für die Pfarrerin

40 Nach jüdisch-christlicher Auffassung beginnt der Tag mit dem Sonnenuntergang. So verstanden würde der Neujahrstag bereits mit dem Eintritt der Dunkelheit am Silvesterabend beginnen und der Silvestergottesdienst zum Neujahrsgottesdienst. Liturgisch gesehen wäre dies eine Parallele zu katholischen Samstagabendgottesdiensten, die dem Sonntagmorgengottesdiensten weitgehend entsprechen. 41 Auf der Maur, Feiern im Rhythmus, 176.

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oder den Pfarrer ein weiterer Gottesdienst nach den Weihnachtstagen und gegebenenfalls einem zusätzlichen Sonntaggottesdienst. Sowohl bei den Gottesdienstgestaltern als auch bei den Gottesdienstbesuchern ist jedoch ein Empfinden dafür vorhanden, dass es um einen sehr „eigenen“, einen speziellen Gottesdienst geht. Es ist ein Bedürfnis vorhanden, den Übergang geistlich begleitet zu begehen. Worin liegt die Besonderheit der Gottesdienste zum Jahreswechsel? Um dies genauer zu erfassen, hilft die Annahme, dass wir es bei einem Gottesdienst an der Wende der Jahre mit einer „Kasualfeier“ zu tun haben.42 Das ist eine Bestimmung, die sich nicht auf Anhieb erschließt, doch viele Faktoren sprechen dafür. Zunächst: Als Kasualie43 (von lat. casus = Fall) bezeichnet man traditionell eine gottesdienstliche Feier, die aus einer lebensweltlich begründeten Notwendigkeit heraus, pastorales Handeln gleichermaßen auf Kirche und Familie bezieht44. Dass es bei Kasualgottesdiensten45 nicht al42 Dieser Gedanke folgt einer Prämisse von Fechtner. Eine Leitlinie seiner Untersuchung in „Schwellenzeit“ ist es, den Jahreswechsel als „Kasus“ und den Jahreswechselgottesdienst als einen Kasualgottesdienst zu verstehen. Vgl. Fechtner, Schwellenzeit, 30–37 sowie 214–224. Hingegen würde beispielsweise Lutz Friedrichs den Jahreswendegottesdienst einer anderen Kategorie von Gottesdiensten zuordnen – nämlich solchen zu Ereignissen bzw. aus Anlässen. Er versteht den Gottesdienst als Ritual und unterscheidet drei Arten: den Sonntagmorgengottesdienst – als „kultrituelle Sinnvergewisserung“, Kasualien – als „religiöse Rituale der Lebenskrise“ und endlich (in Anlehnung an Victor Turner) Festgottesdienste – als „Religiöse Rituale ‚kalendarischer Riten‘“, wozu er Gottesdienste zu Ereignissen wie Weihnachten, Ostern und Erntedank zählt. Lutz Friedrichs, Kasual­ praxis in der Spätmoderne. Studien zu einer Praktischen Theologie der Übergänge. (Arbeiten zur Praktischen Theologie 37), Leipzig 2008, 45. Gottesdienste am Übergang von einem ins andere Kalenderjahr sind mit Friedrichs Einteilung betrachtet nicht rein einer Kategorie zuzuordnen. Die Gottesdienste sind sowohl als religiöse Rituale kalenda­ rischer Riten anzusehen als auch als religiöse Rituale der Lebenskrise. 43 Neben dem Begriff „Kasualie“ begegnet auch die Bezeichnung „Amtshandlung“, die allerdings wegen der suggerierten Pfarrerzentrierung – trotz Beteiligung einer Gemeinde – und der so vermittelten „Kirchenzentriertheit“ nicht das Eigene und Eigentliche der Feiern transportiert. Im Begriff „Amtshandlungen“ schwingt das Verständnis mit, als einer „amtlich handelnden Form von Kirche, die sich an der Arbeitsweise von staatlichen Behörden orientiert, aber dadurch ihre Aufgabe als Organisation in einer Zivilgesellschaft verfehlt.“ Vgl. Grethlein, Grundinformation Kasualien, 16. 44 Vgl. ebd., 15. 45 Kasualien als besondere Art und als von Sonntagsgottesdiensten abgegrenzt wahrzunehmende Gottesdienste zu betrachten, ist noch ein vergleichsweise junges Phänomen. Bei Schleiermacher findet sich die Unterscheidung, indem er bezogen auf Predigten zwischen der sonntäglichen Gottesdienstpredigt und „Casualreden“ differenziert. Vgl. Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Die Praktische Theologie nach den Grundsäzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt. Aus Schleiermachers handschriftlichem Nachlasse und nachgeschriebenen Vorlesungen herausgegeben von Jacob Frerichs, (Friedrich Schleiermacher’s Sämmtliche Werke. Erste Abtheilung: Zur Theologie, Dreizehnter Band), Berlin 1850, Photomechanischer Nachdruck Berlin/New York 1983, 153.

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lein um die Begehung eines Übergangs auf dem Lebensweg einer einzelnen Person oder eines Paares geht, betont Wolf-Eckart Failing. Vielmehr drehe es sich „um die Aneignung von Lebenswelt und nicht nur Lebensgeschichte, die Welt zur Bühne von Subjektivität veräußerlicht oder verdinglicht – in jedem Fall als etwas Sekundäres“46 verkenne. Es gehe nicht um eine einzelne biographische Situation, sondern für alle Beteiligten um das allgemein begegnende Faktum Tod (Beerdigung), Leben (Taufe) oder Sexualität, Erotik und gelebte Sozialität (Trauung).47 Für die Gottesdienste, die den Jahreswechsel aufnehmen und begehen, kann in Anlehnung an Failings Beschreibung gelten, dass sie den Übergang auf dem Lebensweg aller anwesenden Personen begleiten. In ihnen wird Lebenswelt wie auch Lebensgeschichte zur Sprache gebracht und im Licht der christlichen Botschaft neu angeeignet. Die großen Themen von Tod und Leben sowie gelebter Sozialität in Beziehung zu Gott sind dem Anlass inhärent. Sie alle finden ihren Widerhall in dem einen Thema „Zeit“. Dass es überhaupt möglich geworden ist, gottesdienstliche Jahreswendefeiern als Kasualien anzusehen, liegt an einer Ausweitung des Begriffes in der jüngsten Vergangenheit. Die großen Veränderungen in der Lebenswelt, besonders im Sozialgefüge Familie, die sich in den zurückliegenden Jahren beobachten ließen,48 haben zu der genannten Ausweitung geführt. Das Grundanliegen von Kasualien ist, mit Grethlein gesprochen, „an bestimmten Übergängen im Leben den Kontakt zwischen dem persönlichen, meist familiären Leben und dem Evangelium bzw. überindividuell formuliert: der Kirche und der Lebenswelt“ zu bahnen.49 Folgt man diesem Gedanken, so sind am Jahresübergang alle 46 Failing, Lebenswelt, 225. Kasualie bezeichnet nun nicht mehr ausschließlich eine Handlung, die sich allein kirchlich begründet, sondern eine Handlung, die ihre Begründung in der Lebenswelt findet. Vgl. Grethlein, Grundinformation Kasualien, 98. 47 Vgl. Failing, Lebenswelt, 225. 48 Die klassischen kirchlichen Stationen auf einem Lebensweg, Taufe, Kommunion und Firmung bzw. Konfirmation, Trauung und Beerdigung, unterliegen alle den zu beobachtenden Wandlungen und Veränderungen im Sozialgefüge und dem Leben einzelner Perso­ nen. So gibt es z. B. immer seltener eine „Normalbiographie“, von der man lange ausgehen konnte. Getauft wird nicht mehr unbedingt am Beginn des Lebens, wenn überhaupt. Kommunion und Konfirmation unterliegen keiner Selbstverständlichkeit, selbst wenn getauft wurde. Trauungen finden in manchen Biographien gar nicht, in anderen gleich mehrfach statt. Eingetragene Lebenspartnerschaften und Segensgottesdienste für gleichgeschlechtliche Paare sind Ergebnisse eines gesellschaftlichen Umdenkens im Umgang mit Homosexuellen, in deren Biographien ein neuer „Kasus“ möglich geworden ist. Beerdigungen unterliegen ebenfalls einem Wandel: bei neuen Formen der Bestattung, ob Friedwald, anonymes Grab oder Aschepressung zu einem Diamanten und damit Schmuckstein – die kirchliche Begleitung ist nicht immer gewünscht. Und für nahezu alle Kasualien gibt es säkulare Pendants, so dass es sich auch ohne Kirche (und ihre K ­ asualien) leben lässt. 49 Grethlein, Grundinformation Kasualien, 18 (Hervorhebungen getilgt).

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Gottesdienstteilnehmer diejenigen, an denen das Kasual vollzogen wird. Denn alle verbindet, dass sie sich an einem Übergang in ihren individuellen Lebensläufen befinden. Sie suchen zu diesem Zeitpunkt, aus diesem Anlass, die Verbindung zwischen ihrem Leben und dem Evangelium. Es ist der „Fall“ – der „Casus“ – des zu Ende gehenden Jahres, der in den Gottesdienstteilnehmern das Bedürfnis geweckt hat, den Übergang geistlich begleitet und im Lichte des Evangeliums zu begehen. Im Unterschied zu den klassischen Kasualien, die (in der Regel) nur einmal im Leben einer Person vollzogen werden,50 wiederholt sich der Jahresübergang alle 365/66 Tage. Ein weiterer Unterschied liegt darin, dass nicht einzelne oder wenige Personen im Zentrum stehen, wie ein Täufling, die Konfirmanden, ein Brautpaar oder eine Verstorbene – während alle anderen als „Zeugen“ der Handlung zugegen sind. Vielmehr sind alle, die zum Jahresübergang im Kirchenraum versammelt sind, Kasualempfänger und Kasualzeugen zugleich. Der Jahreswechsel ist nur einer von mehreren Übergängen, die neben die „klassischen“ Kasualien getreten sind und im Leben eine herausgehobene Bedeutung erhalten; er gehört zu Übergängen, die die Kirche zu neuen gottesdienstlichen Handlungen51 herausfordern. Ulrike Wagner-Rau zählt ganz unterschiedliche Ereignisse in Lebensläufen auf, die von Betroffenen als prekär wahrgenommen werden und Gelegenheiten zu Kasualien böten, wenn sie nicht bereits als „neue Kasualien“ schon als solche behandelt würden; sie nennt:

50 So jedenfalls die ursprüngliche Annahme, die von „Normalbiographien“ ausging. In einer „Normalbiographie“ folgte auf Taufe und Konfirmation die Partnerwahl mit Eheschließung und am Lebensende die Beerdigung. Bei der Normalbiographie oder auch dem „traditionellen Lebenslauf“ sind die „Lebensphasen und ihre Anzahl eindeutig definiert. Sie folgen einer spezifischen, stark orientierenden Ordnung: Sie sind, jedenfalls der Norm nach, unumkehrbar und unwiederholbar.“ Friedrichs, Kasualpraxis, 21. Dem gegenüber stehen heute in zunehmendem Maße Biographien, in denen Lebensphasen wiederholt, in andere Reihenfolge gebracht oder ausgelassen werden. So, wenn z. B. Jugendliche schon Eltern werden, wenn im Lebensverlauf mehrfach geheiratet wird, wenn Frauen und Männer sich gegen Heirat oder Familiengründung entscheiden oder aber im fortgeschrittenen Alter Eltern werden oder neue Familien als Patchwork gründen. Auch im Berufsleben sind viele Wechsel des Arbeitgebers oder sogar des Berufzweiges an der Tagesordnung. Von einer Wiederholung oder einem Nachholen einer Lebensphase kann bei Senioren gesprochen werden, die sich als Studenten einschreiben. Die Beispiele zeigen: Es kann immer weniger von konventionellen Lebens(ver)läufen gesprochen oder in der Mehrheit eine Normalbiographie angenommen werden. 51 Grethlein setzt sich an dieser Stelle dafür ein, Einschulungsgottesdienste und Krankensalbungen in Spitälern als Kasualien zu verstehen, die den häufig prekären Übergang in die Großinstitutionen Schule und Krankenhaus gestalten und/oder begleiten. Diese Handlungen zeichnet zudem aus, dass sie über den Raum der Kirche in den nichtkirchlichen Bereich hineinragen. Vgl. Grethlein, Grundinformation Kasualien, 323 ff.

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Geburt, Kindergartenabschluss, Schulbeginn, Übergang zum Erwachsenwerden […], Volljährigkeit, Bildung dauerhafter Paare und Lebensgemeinschaften, Trennungen/Scheidungen, Familienbildung/Kinder und Beruf, Berufs- und Wohnortswechsel, Trennung von den Kindern, Krisen der Lebensmitte, lebensbedrohliche oder chronische Erkrankungen, Älterwerden/Wechseljahre, Ende der Berufstätigkeit/Beginn des Alters, einschneidendes Abnehmen der Lebenskräfte und Wirkmöglichkeiten, Vorbereitung aufs Sterben und auf die Begleitung von Sterbenden, Tod, Trauer/Totengedenken.52

Manche Begebenheiten in dieser Aufzählung können sich in einem Lebensverlauf mehrfach ereignen. Einige sind mit dem Erreichen eines bestimmten Alters verbunden, wie der Schulbeginn, andere sind plötzlich eintretende Ereignisse mit einschneidenden Folgen und Veränderungen für den Einzelnen, aber auch für sein Umfeld. Theologisch muss hier sehr gut abgewogen werden,­ welche der Übergänge mit welchen Ritualen begleitet werden sollten und welche nicht. Grethlein fragt, ob eine Inflation von Kasualien zu erwarten sei, da es nahe liegen könne, möglichst viele Übergänge als Kasualie auszumachen.53 Dem ist allerdings schon rein pragmatisch ein Riegel vorgeschoben: Pfarrpersonen sind schließlich trotz zurückgehender Frequenz der „Kernkasualien“ in ihrer Arbeitskraft begrenzt. Es ist auch genau abzuwägen, welche Übergänge begleitet werden sollten und wie die Gestaltung eines Rituals jeweils aussehen könnte. Solche Überlegungen kommen meist erst dann auf, wenn Personen ihren Wunsch nach einem solchen Ritual an die Pfarrerin/den Pfarrer heran­ tragen. Doch dies geschieht eher selten, wie beispielsweise bei der Bitte um Gestaltung eines Trennungsrituals anlässlich einer Ehescheidung. Was Wagner-Rau nicht in die Überlegungen miteinbezieht, sind regelmäßig wiederkehrende Übergänge im Leben, die ebenfalls als „schwierig“ wahr­ genommen werden, wie beispielsweise der eigene Geburtstag54. Insbesondere 52 Wagner-Rau, Segensraum, 189 f. Es fehlen in der Aufzählung Ereignisse wie der Abschluss der Schule/Ausbildung oder ein früherer Schulabgang, der Verlust der Arbeit und Beförderungen. Das bewusste Begehen von Übergängen im Leben ist im Übrigen eines der Hauptmerkmale des Hinduismus. Übergangsrituale haben hier ein besonderes Gewicht: Geburt, die erste Aufnahme von fester Nahrung (Reis), erstes Haareschneiden bei Jungen, Reinigung nach der ersten Menstruation bei Mädchen; dann Heirat und Segnung der Schwangerschaft, gelungene Entbindung und Überleben des Kindes während der ersten sechs Tage, dann Bestattungszeremonien und über den Tod hinaus Opfer für die verstorbenen Ahnen. 53 Vgl. Grethlein, Grundinformation Kasualien, 324. 54 Zum Phänomen „Geburtstag“, seiner Geschichte und kulturbedingten Bedeutung fehlen bisher einschlägige Studien. Die Bibel nennt bereits Geburtstage. Im europäischen Raum und hier in den katholischen Gebieten feierte man bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts vorwiegend den Namenstag einer Person, nicht deren Geburtstag. Es gibt Gesangbücher, die eigene Rubriken mit Liedern zu „Geburtstagen“ aufweisen. Sie waren ursprünglich

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runde Geburtstage stellen Meilensteine auf dem Lebensweg dar. Auch den Jahres­wechsel führt Wagner-Rau in ihrer Liste nicht auf. Geburtstag wie Jahreswechsel sind jedoch Ereignisse, die sich im Leben eine jeden einzelnen Menschen wiederkehrend einstellen. Die Bedeutung, die jemand diesen Übergängen beimisst, ist zugegebenermaßen höchst individuell. Der Rahmen reicht hier von Ignorierung (es ist ein Datum wie jedes andere auch) bis zu jährlichen (Feier-) Höhepunkten. 2.2.2

Jahreswendegottesdienste als „Stabilisatoren“ und Trauerhilfen

Das Thema Zeit in allen möglichen Bezügen bestimmt Gottesdienste zur Jahreswende. Fokussiert geschieht dies mit dem Blick auf ein Jahr als „Abstraktum“. Es ist das scheidende Jahr, von dem Abschied genommen wird. In der abschiedlichen Situation zeigen sich starke Ähnlichkeiten mit der Kasualie Beerdigung bzw. Trauerfeier: Es geht darin sowohl um die versammelten Menschen (als Hinterbliebene)  als auch um das Jahr (als Verstorbenes). Das Jahr, von dem Abschied genommen wird, ist für jeden Anwesenden ein individueller Biographieabschnitt seines Lebens; zugleich ist das scheidende Jahr aber auch das der Gesellschaft. Auch als solches wird es vor Gott gebracht. Im Unterschied zur (ursprünglichen) Einmaligkeit der Kasualie ist ein Gottesdienst zum Fall „endendes und neu beginnendes Jahr“ ein solcher, der im Jahresabstand wiederholt gefeiert und besucht werden kann. Freilich ist die sich versammelnde Gemeinde stets eine andere, doch dem Einzelnen steht es offen, Jahr um Jahr daran teilzunehmen. Der Anlass „Jahreswende“ ist von verschiedenen Gefühlslagen geprägt. Auch hierin zeigt sich die Nähe zur Trauerfeier. Auf der Schwelle zum neuen Jahr werden viele in ihrem Leben „erschüttert“. Der Verlust eines Jahres im Leben ist zu beklagen. Dieser Verlust löst verschiedene Reaktionen und damit auch sehr unterschiedliche Gefühle aus: Während der eine meint, ihm werde etwas genommen, das er gerne festhielte, kann bei einer anderen hingegen Freude oder Erleichterung vorherrschen, dass es (endlich) ein Ende nimmt und vorbei ist. Die Gefühlslage der Anwesenden ist ebenso ambivalent, wie bei Hinterbliebenen auf einer Trauerfeier. Mit Hilfe der biblisch-christlichen Sprachmuster und der Symbole wird diese Situation gedeutet. Dies führt im besten Fall dazu, dass sich der Gemütszustand der Anwesenden von der Erschütterung hin zu neu gewon-

nicht für den Gottesdienst sondern für den privaten Gebrauch gedacht. Heute beinhaltet beispielsweise das RG einen Kanon zum Geburtstag (RG 734, Dass Erde und Himmel dir blühen).

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nener Orientierung und Vergewisserung55 für das eigene Leben verändert. Oder aber, dass sie sich eines neu anbrechenden Zeitabschnittes bewusst werden, sich diesem öffnen und positiv gestimmt darauf zugehen. Die mit dem Übergang verbundenen Erschütterungen und Verunsicherungen können im Ritual des Gottesdienstes als einer gewohnten, gleichbleibenden Form aufgehoben und abgelegt werden. Der Gottesdienst hat stabilisierende Funktion.56 In der „Kirche bei Gelegenheit“, wie sie sich im Gottesdienst anlässlich der Jahreswende darstellt, suchen die Gottesdienstbesucher nach der „Fülle aktueller Verschränkungsmöglichkeiten von Problem- wie Lebenssituation mit biblischer Orientierung und Vergewisserung“.57 Der Silvester-Gottesdienst nimmt in psychischer Hinsicht den Prozess der Trennung von dem Bisherigen und die Adaption an den neuen Status im Ritual vorweg und stellt ihn symbolisch dar.58 Der Neujahrsgottesdienst dient der Aneignung des neuen Status und der Wahrnehmung von Erneuerung, Wandlung und Zuversicht. Dadurch, dass das Jahr im Mittelpunkt der Feiern steht, sind zugleich alle Anwesenden einbezogen. Sie tragen Erfahrungen und Erlebnisse mit sich, die sie als Erinnerungen an ein vergangenes Jahr behalten werden, und sie bringen Hoffnungen, Wünsche, Fragen und Unsicherheiten mit, die sich auf das neu beginnende Jahr beziehen. 55 Die Kategorien Orientierung und Vergewisserung verwendet Nüchtern, um sein Modell von „Kirche bei Gelegenheit“ zu charakterisieren. Er schreibt dazu: „‚Kirche bei Gelegenheit‘ entsteht, wenn sich Kirche durch die Lebenswelt herausfordern lässt und den christlichen Glauben als Orientierung und Vergewisserung in konkrete Lebenssituationen einbringt. Orientierung meint eher eine verstandesmäßige und auf Handeln und Veränderung bezogene Wirkweise, Vergewisserung eher eine emotionale und stabilisierende. Obwohl die Theorie sehr schön zwischen beiden Wirkweisen zu unterscheiden vermag, sind in der Praxis Orientierung und Vergewisserung eng miteinander verknüpft. Was vergewissert, orientiert auch, und was orientiert, vergewissert.“ Nüchtern, Kirche bei Gelegenheit, 109. Beides charakterisiert auch die „Gelegenheit Jahreswende“. 56 Kasualgottesdienste, als auf das Leben bezogene Riten, haben eine emotional stabilisierende Funktion. Der Umstand, dass mancher Kirchgänger nicht zu Weihnachten, wohl aber in der Übergangssituation Silvester/Neujahr den Gottesdienst besucht, kann darauf hindeuten, dass das kirchliche Angebot zu dieser „Gelegenheit“, um es mit den Worten Nüchterns zu beschreiben, wie eine Ambulanz oder Agentur wahrgenommen wird. Vgl. Nüchtern, Kirche bei Gelegenheit, 10.  Somit scheinen Silvester- und Neujahrs­ gottesdienste einem Bedürfnis nach biblischer Orientierung und Vergewisserung entgegenzukommen; gleichzeitig fungieren sie als Anlauf- und Sammelstelle für wechselnde Teilnehmer, die keine andauernde Betreuung oder die Gemeinschaft einer Kirchgemeinde suchen. 57 Nüchtern, Kirche bei Gelegenheit, 10. 58 In Anlehnung an Yorick Spiegel, der aus sozial-psychologischer Sicht das Konzept der „rites de passage“ heranzog, um die Bestattung und die Begleitung der hinterbliebenen Trauernden besser zu verstehen. Vgl. Spiegel, Prozeß des Trauerns, 101.

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Auf der Schwelle zum neuen Jahr werden die Gottesdienstbesucher mit der Kontingenz ihres Daseins konfrontiert, d. h. dieser Übergang stößt den einzelnen darauf, dass es bei allem Planen und Handeln in seinem Leben doch Bereiche gibt, die für ihn unverfügbar sind, die er auch nicht in der Hand hat (wie Geburt, Krankheit, Unfall, Tod, glückende Liebe, etc.). Angesichts des Abschiedes von gelebtem Leben (dem scheidenden Jahr), wird in den Gottesdiensten die Botschaft von der Rechtfertigung auszurichten sein: Sie verweist auf den Glauben und die „heilsame Differenz zwischen dem, was der Mensch zur Erfüllung des Lebens beitragen kann, und dem, was nur Gott zu dieser Erfüllung beizutragen vermag.“59 Nimmt man die Kategorie „Segen“ als Vergleichspunkt, tritt ein weiteres Kennzeichen einer Kasualie hervor. Während bei „Kernkasualien“ einzelne Personen einen besonderen Segen erhalten, ist ein persönlich zugesprochener Segen bei Gottesdienstfeiern am Jahresübergang in der Regel nicht vorgesehen. Auf den ersten Blick scheint es hier keinen Unterschied zum sonntäglichen Gottesdienst zu geben, der mit einem Segen abschließt, indem er gesprochen oder erbeten wird. Trotzdem, der Segen60, der Gottesdienste an der Jahreswende beschließt, gilt allen Anwesenden als der „Kasualgemeinde“. Er kann im Zusammenhang mit dem Anlass des gesamten Gottesdienstes umfassender gedeutet werden als der Schlusssegen an einem gewöhnlichen Sonntaggottesdienst. So ist er dahingehend interpretierbar, dass er nicht nur eine Woche, bis zum nächsten Sonntag, an dem er wieder gesprochen wird, sondern die kommende Wegstrecke eines ganzen Jahres umfasst. Er hat Geltung oder Bestand, bis er im Jahr darauf erneuert oder vielmehr bekräftigt wird. Er entspricht dem Bedürfnis, für einen beginnenden längeren Weg, einen Teilabschnitt des Lebens, den Segen zu empfangen und kommt der „wachsenden Segensbedürftigkeit“61 der Menschen an diesem besonderen Übergang entgegen. Begleitet vom Segen […] wird das Gehen der Gemeinde zur Sendung. Sendung […] bedeutet immer mit etwas versehen, beauftragt werden und etwas überbringen. Die aus dem Gottesdienst gehende Gemeinde wurde versehen mit Zuspruch und Wegzehrung. Nun soll sie in Kraft dieser Speise ihren Weg in der Welt, jeder in seinem Stand und Beruf, gehen62

59 Albrecht, Kasualtheorie, 214. 60 In der evangelischen Theologie war der Segen lange Zeit ein vernachlässigtes Thema. Im Zusammenhang mit der neueren Kasualiendiskussion und einer „Akzentverschiebung auf das Rituell-Liturgische“, so Friedrichs, Kasualpraxis, 39, rückte er in den Fokus des Interesses. Es ist wohl kein Zufall, dass das jüngste besprochene Neujahrslied der vorliegenden Arbeit ein Segenslied ist. (Vgl. Teil II . 6.3 „Geh unter der Gnade“). 61 So formuliert Frettlöh, Theologie des Segens, 13.  62 Seitz, Gottesdienst und Frömmigkeit, 613.

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Die seelsorgliche Dimension, die der Segen hat, beschreibt Manfred Haustein: Das, was von Gott ausgeht, ist im Segen konzentriert (Kraft, Friede Gnade u. a.). Er ist Ausdruck der Zuwendung Gottes zu den Menschen und entspricht damit dem menschlichen Grundbedürfnis nach Zuwendung, die für die Entwicklung, das Gedeihen und die Heilung menschlichen Lebens elementar ist.63 Vergleicht man ein neues Jahr mit einem Teilabschnitt auf der Wegstrecke eines individuellen Lebens, so erhält der Segen am Ende der gottesdienstlichen Feier die Qualität eines Reisesegens. 2.2.3

Gottesdienste zur Jahreswende: lebensgeschichtliche Verbindungen

Als eine der wesentlichen Motivationen der Kirchgänger, an einem Gottesdienst zur Jahreswende teilzunehmen, wurde die eigene Biographie erkannt. Der Übergang von einem Jahr ins andere wird für jeden Einzelnen zu einem Übergang von einem Jahr des Lebens in ein nächstes, und gleichzeitig verkürzt sich die restliche Lebensspanne. Im Gegenzug wird der Zeitraum, auf den das Individuum zurückzuschauen vermag, länger. Der Zeiteinschnitt „Jahreswende“ wird gottesdienstlich begangen und, weil es Gottesdienste zum ‚Kasus eigener Geburtstag‘64 nicht gibt, für manch einen bewusst oder unbewusst zu einem Ersatz dafür. Jahreswende und eigener Geburtstag hängen zusammen. Denn dass man ein Jahr älter geworden ist, gelangt bei beiden Anlässen besonders ins Bewusstsein. Lebenszeit wird in beiden Fällen als soziale Zeit strukturiert und ein Überschritt vom alten (Lebens-) Jahr ins neue durch die ausgewiesenen Festzeiten inszeniert.65 Es lässt sich hier das Bedürfnis erkennen, die eigene Biogra63 Vgl. Haustein, Gottesdienst und Seelsorge, 660. 64 Dass der individuelle Geburtstag in unserer Gesellschaft heute große Bedeutung hat, ist erst eine junge Erscheinung. Lange erschien die Sitte, Geburtstag zu feiern, als heidnisch, „weil sie nach römischer Anschauung dem Genius des Geborenen galt. Christen gedachten des Todestages, des Eintritts in die Gemeinschaft mit Gott als dem wahren Geburtstag.“ Demant, Sternstunden der Geschichte, 82. Geburtstage von herausragenden Persönlichkeiten wurden gefeiert. Erst seit dem 19. Jahrhundert hielt die Geburtstagsfeier auch im bürgerlichen Raum Einzug – zunächst bei den Protestanten. Katholiken feierten bis in die jüngste Vergangenheit hinein, eher den Namenstag einer Person. Geburtstag zu feiern setzt das „Bewusstsein persönlicher Eigenart und Einzigkeit, wie es sich mit der Aufklärung und der Auflösung traditioneller Strukturen herausbildete“ voraus. Schmidt, Kalender und Gedächtnis, 80. Schmidt hebt zudem hervor, dass die Feier des Geburtstages auch Ausdruck eines anderen Zeitverständnisses ist, als die Feier des Namenstages. Beim Geburtstag wird der Lebensverlauf linear betrachtet, als Zeit, die vergeht. Der Namenstag hingegen ist an die Zeit der Heiligen geknüpft, die ewig dauert und in der sich immer gleiche Jahreszyklen aneinanderreihen, „an denen der Einzelne durch sein Leben kurz teilhat“. Schmidt, ebd. 65 Vgl. Fechtner, Schwellenzeit, 48 f. (Geburtstagsfest und Feier des Jahreswechsels). Fechtner weist darauf hin, dass die Parallelen von Geburtstag und Jahreswechsel bereits von

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phie, die persönliche Lebensgeschichte zu bedenken. Und dies nicht zu Hause, im Privaten, sondern in der Gemeinschaft der Gemeinde. Wer diesen Rahmen wählt, dem geht es nicht um die persönliche Biographie an sich, sondern er möchte sie in die Beziehung zu Gott setzten. Das individuelle Leben aus der Perspektive Gottes zu bedenken, ist also einer der wesentlichen Charakterzüge der Jahreswendefeiern.66 Hierin liegt nicht nur eine Besonderheit sondern auch eine Gefahr: Die Besonderheit, den Lebensgeschichten Raum zu geben, zeigt sich deutlich, wenn man das Kirchenjahr betrachtet. Lebensgeschichte kommt dezidiert wohl nur am Ewigkeitssonntag oder bei Beerdigungen zur Sprache. Es geht dabei um „überindividuelle“ Lebensgeschichte, wenn dem Kollektiv der im Jahr Verstorbenen gedacht wird. Und es geht um „individuelle“ Lebensgeschichte, wenn bei einer Bestattung der einzelne Verstorbene im Zentrum steht.67 Der Jahreswechsel vereint beide, sowohl das kollektiv verlebte Jahr (mit den Ereignissen in Gesellschaft und Welt), wie auch das individuell verbrachte Jahr jedes einzelnen Gottesdienstteilnehmers. Zum Thema wird die Zeit gemacht; Zeit an sich, aber auch die Lebenszeit – alles bezogen auf Gott, den Zeitschenker und Zeitlenker. Die Gefahr besteht nun, wie bei allen Kasualien, dass vorwiegend das Bedürfnis des Kasualempfängers bzw. der Kasualempfänger in den Vordergrund rückt. So kritisierte schon Rudolf Bohren, dass die Bedürfnisse der Menschen zu einseitig berücksichtigt würden, was auf Kosten der Botschaft ginge.68 Das Evangelium im Gottesdienst nicht übertönen zu lassen von den existentiellen Sorgen und Nöten, Ängsten und Hoffnungen, die am Übergang in den Vordergrund drängen, ist für die Gestalter der Feier eine Herausforderung und gleichzeitig ein heilvolles Unternehmen. Es ist u. a. dann heilvoll, wenn es mit zurückgelegter Zeit anders verfährt, als es die Wirtschaft tut, die Bilanz zieht. Wichtig ist nicht das Bilanzieren, sondern das Erinnern; das VergegenwärtiChristian Palmer in der Mitte des 19. Jahrhunderts aufgezeigt und praktisch-theologisch gedeutet wurden. Vgl. ebd., 48, Anm. 28. 66 Für die Jahreswendefeiern und die dazu gehörenden Lieder kann ebenfalls gelten, was Strauch für die Predigt zur Jahreswende formuliert hat: Dass sie alle ausgehen von menschlichem Erleben und nicht von einer Heilstatsache. Es wird hierin aber nicht nur das Leben gefeiert – das Leben mit Gott – sondern auch (indem in und hinter der Wirklichkeit des Lebens Gottes Wahrheit geschaut wird)  das Leben aus Gott. Vgl. Strauch, Predigt zur Jahreswende, 116. 67 Natürlich kommen „kollektive“ und „individuelle“ Lebensgeschichte bei beiden Anläs­ sen ins Bewusstsein der Gottesdienstteilnehmer: Der Verstorbenen zu gedenken gemahnt an die eigene Sterblichkeit, während das Gedenken an einen einzelnen Verstorbenen in Verbindung gebracht wird mit allen weitern Verstorbenen, von denen der Einzelne im Lauf seines Lebens bereits hat Abschied nehmen müssen. 68 Vgl. Bohren, Kasualpraxis, 16 f.

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gen und Aneignen und zugleich das Abschiednehmen und Ablegenkönnen. Das Erinnern steht im Zusammenhang mit der persönlichen Gotteserfahrung, mit der Geschichte, die Gott mit jedem einzelnen verbindet. Dazu gehört die Verheißung der Erneuerung, die nicht in weiter Zukunft liegt, sondern im Hier und Jetzt ihren Anfang nehmen kann bzw. immer wieder nimmt. 2.2.4

Gottesdienste zur Jahreswende – ein ‚altes‘ Kasual

Geht man davon aus, dass Gottesdienste zur Jahreswende, ob nun zum Jahresausklang oder zum Jahresbeginn, Kasualgottesdienste sind, dann muss man hier weiter differenzieren.69 Sie gehören nicht zu den „neuen Kasualien“, wie Gottesdienste zum Schulbeginn oder zur goldenen Konfirmation. Vielmehr ist die gottesdienstliche Begleitung des Übergangs in ein neues Jahr als Kasualfeier anzusehen, seit die Themen Neujahr und „Zeit an sich“ in den Mittelpunkt gerückt sind. Die Gottesdienste als Kasualfeiern zu bezeichnen wird freilich erst in unserer Gegenwart möglich, in der sich die Wahrnehmung und die Definition dessen, was unter Kasualie zu verstehen ist, erweitert haben. Kasualie ist nicht etwas, das sich konstruieren lässt, sondern sich, wie die Geschichte der „Kasualien“ generell erkennen lässt, in „langwierigen und oft verschlungenen Wegen“70 herauskristallisiert hat. Daher kann gesagt werden, dass der Gegenstand Jahreswende nicht zu den „neuen“ Kasualien zählt, sondern ein vergleichsweise altes Kasual darstellt, das in seiner Qualität als „Kasual“ erst bestimmt oder, besser gesagt, als solches entdeckt werden musste. Sind Gottesdienste zur Jahreswende als Kasualien bestimmt, dann weitet sich das Verständnis und die Deutungskraft bei den Ausführenden, in manchen Fällen vielleicht auch bei den Teilnehmenden.

2.3 Fazit Verschiedene Faktoren haben Einfluss auf die gegenwärtige Gottesdienstpraxis an der Wende vom Alten zum Neuen Jahr. Die Art und Weise, das Fest in der Gesellschaft zu feiern, der Wochentag, die Nähe zu Weihnachten aber auch neue Gewohnheiten in der homiletisch-liturgischen Praxis und nicht zuletzt auch ökonomische Zwänge sind hier zu nennen. Sie stellen derzeit v. a. den Neujahrsgottesdienst in Frage. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Dinge hinsichtlich 69 Der Begleitausschuss Perikopenrevision spricht ohne weitere Erläuterungen sowohl bei den Altjahresabend-Gottesdiensten als auch bei denen zum Neujahrsmorgen von Kasual­ gottesdiensten. Vgl. Goldschmidt, Kirchenjahr und Lebenswelt, 34 f. 70 Grethlein, Grundinformation Kasualien, 393.

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einer generellen Durchführung oder Nichtdurchführung der Neujahrsgottesdienste entwickeln. Es wird hier ein Ritual am Übergang vollzogen. Dieses Übergangsritual lässt sich, seitdem Neujahr und das Thema Zeit zum eigentlichen Festgegenstand geworden sind, als Kasualfeier verstehen. Diese Einordnung führt zu einem vertiefteren Verständis dessen, was die Feiern leisten können. Das bietet eine pastorale Chance in dem Sinne, dass sich hier ein Bedürfnis ausdrückt. Seien es Krise, persönliche Bilanz oder vielmehr Erinnerung – es wird auf das Bedürfnis reagiert, an diesem Übergang geistlich begleitet zu werden. Individuelles kommt im Überindividuellen zur Sprache. Persönliche Biographie, kollektives Zeiterleben sowie Zeit und Ewigkeit Gottes werden zueinander in Beziehung gesetzt. Bei den Teilnehmenden ist die Gefühlslage sehr durchmischt, wenn es um die Rückschau auf das zu Ende gehende Jahr geht. Aber ähnlich durchmischt ist auch die Schau nach vorne, auf die unbestimmte neue Zeit. Die verschiedenen Emotionen werden in Wort und Musik zum Ausdruck gebracht. In gewisser Weise wird hier Trauerarbeit geleistet und zugleich Dankbarkeit Ausdruck verliehen. Orientierung und Vergewisserung, Trauer und Loslassen, Hoffnungschöpfen und (Lebens-)Wege-Weitergehen sind somit zentrale Themen für die Gottesdienstfeiern der Jahreswechsel. Das eigene Leben wird in einem größeren Zusammenhang gesehen und mit der christlichen Verkündigung verknüpft. Dazu werden Deutungsangebote gemacht. Der Gefahr, den Menschen zum Mittelpunkt der Aussagen werden zu lassen und Gott an den Rand zu drängen, müssen Predigende stets gewahr bleiben. Es lässt sich festhalten: Das Thema „Zeit“ bewegt den Menschen von heute in besonderem Maße. Wie geht man mit der eigenen Zeit und der Zeit anderer um? Hat man selbst die Zeit im Griff oder ist es umgekehrt? Und schließlich: Wo es um das Thema „Zeit“ geht, werden gottesdienstliche Jahreswendefeiern zu „Zeitansagen“, in denen prophetische Rede ebenso ihren Platz hat wie Sozial­ kritik. Die bisherigen Beobachtungen und Anfragen stehen in einem größeren Zusammenhang, auf den genauer einzugehen ist. Wie steht es mir der Verortung des Festes im Kirchenjahresverlauf?

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Im größeren Kontext betrachtet: Heortologische Neuerungen und ihr möglicher Einfluss

Das Kirchenjahr ist in jüngster Zeit neu in den Fokus der Liturgiewissenschaft gerückt. Die Herausforderungen im Umgang mit der „Zeit“ im Allgemeinen stellen sich auch im Umgang mit dem Kirchenjahr. Nicht, weil sich das Kirchenjahr gewandelt hätte, sondern weil sich die Zeit- und Lebensumstände verändert haben und noch verändern, in die es gestellt ist. Die in ihm überlieferte Tra­ © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525624364 — ISBN E-Book: 9783647624365

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dition soll wieder verständlicher gemacht werden; nicht nur für Katechese und Liturgie, auch für die Frömmigkeitspraxis der Gemeindemitglieder sollen neue Zugänge geschaffen werden. Die Genese von bürgerlichem Kalender und dem darin eingebetteten Kirchenjahr, das allerdings seinem eigenen Rhythmus folgt, ist eine spannungsvolle Geschichte, der hier nicht weiter nachgegangen wird. Vielmehr drängt sich die Frage in den Vordergrund, wie das Kirchenjahr mit seiner eigenen Rhythmik wieder mehr Lebensrelevanz und Nachvollziehbarkeit gewinnen kann. Die verschiedenen Zeitrhythmen bürgerliches Jahr und Kirchenjahr sollten sich für den einzelnen Gläubigen nicht als Spannungsfeld darstellen, sondern als sich ergänzendes Miteinander oder auch verträgliches Ineinander. In den Überlegungen zu einer Revision der Perikopen für die Sonntage des Kirchenjahres wird betont, wie wichtig ein nachvollziehbarer Lebensweltbezug ist.71 Das Kirchenjahr enthält, wie gesehen, heute zwei „Jahresanfänge“. Das Neujahrsfest des bürgerlichen Kalenders ist als „Eindringling“ dazugekommen und steht jetzt neben dem 1. Advent als dem Kirchenjahresbeginn.

3.1

Das besondere Datum: Jahrestagkultur und Ideenfeste

Während der 1. Advent vom Datum her nicht festgelegt ist, wohl aber mit dem Wochentag Sonntag (vier Sonntage vor Weihnachten), ist der 1. Januar ein fixer Termin. Mit dem Übergang vom 31.12. des alten zum 1.1. des neuen Jahres wird der ganz alltägliche Übergang von Nacht zu Tag an einem besonderen Datum hervorgehoben. Theologisch gedeutet bietet der Übergang die Gelegenheit, die Beziehung von menschlicher Lebensgeschichte und göttlicher Heilsgeschichte zur Sprache zu bringen. Bei dem besonderen Datum, das im lebensgeschichtlichen Zusammenhang gesehen und interpretiert wird, zeigen sich deutliche Parallelen zu der Jahrestagskultur und der Kreierung von Ideenfesten, wie sie in jüngster Zeit an Bedeutung gewinnt. Die Jahrestagskultur dringt immer mehr in das allgemeine Bewusstsein ein, und auch bei den Ideenfesten zeichnet

71 Maßgabe soll sein, dass ein „möglichst breites Spektrum an Themen der heutigen Lebenswelt bei der Auswahl der Perikopen Berücksichtigung findet.“ Goldschmidt, Kirchenjahr und Lebenswelt, 25. Die Themenkomplexe, die genannt werden, sind: Naturwissenschaft und Schöpfung, Leben in Beziehung, Persönliche Verantwortung, Macht/ Machtmissbrauch, Leiden, Globalisierung, Weltweite Gerechtigkeit, Gelingendes Leben, Ängste, Arbeit, Lebensphasen gestalten, Christliche Identität im religiösen Pluralismus, Locality (mit den Themen virtuelle Identität, virtuelle Welt, Individualisierung und Gemeinschaft); hinzu kommen die Themen Frieden, Theodizee, Integration, Humor/ Heiterkeit, Tod wie auch Werden und Vergehen. Vgl. ebd., 25 ff.

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sich eine zunehmende Relevanz ab – jedenfalls hat ihre Zahl in den letzten Jahren stark zugenommen. Unter Jahrestagskultur ist Folgendes zu verstehen: Je länger ein Mensch lebt, desto mehr Ereignisse und Erfahrungen verknüpfen sich für ihn mit besonderen Daten. Die Jahrestage besonderer Ereignisse auf dem eigenen Lebensweg werden häufig auch auf besondere Weise begangen und mit Ritualen verbunden. Dies können überlebte Unfälle und Katastrophen, Todestage nahestehender Menschen, wie auch das Kriegsende sein, das noch heute Männer bewegt, mit Gedanken an ihre gefallenen Freunde und Verwandten sowie an die Umstände eigenen Über- und Weiterlebens. Die Erinnerung an die einschneidenden Erlebnisse ist fest mit den Daten verbunden, an denen sie geschehen sind. Jedes Mal, wenn sich das Ereignis jährt, gibt dies den Anstoß dazu, sich zu erinnern, sich dem Ereignis in der Rückschau erneut zu stellen. Bei negativen Ereignissen geschieht dies alles in der Hoffnung, die Erinnerung daran (irgendwann einmal) zu bewältigen. Ereignisdaten beeinflussen das Handeln und Denken der Betroffenen. Im öffentlichen Raum halten Medien die Jahrestage wichtiger Ereignisse präsent. Manche Tageszeitungen präsentieren in einer kleinen Spalte Ereignisse aus der Geschichte, die sich am jeweiligen Tagesdatum ereignet haben. Ideenfeste unterscheiden sich von der Jahrestagskultur, indem sie nicht an ein Ereignis, sondern an grenzüberschreitend wichtige Themen erinnern oder sich aktuellen (weithin ungelösten) Weltproblemen widmen. Dies geschieht mit Internationalen Tagen und Welttagen, deren Zahl stetig zunimmt. Den Anfang machten 1947 die United Nations mit dem 24. Oktober, den sie zum Tag der Vereinten Nationen (UN) bestimmten. Das geschah mit dem Ziel, den Menschen rund um den Globus bekannter zu werden und eine größere Aufmerksamkeit zu bekommen. Auch die katholische Kirche72 nahm diese Datumswidmungen auf. Schließlich erfinden PR-Agenturen „Welttage“ und „Aktionstage“, so dass mittlerweile 70 Tage des Jahres „gewidmet“ sind. Damit verwässert sich aber der ursprüngliche Zweck, besondere Aufmerksamkeit für bestimmte Probleme oder besondere Bevölkerungsgruppen zu wecken. Welttage gibt es heute für gesundheitliche Ziele, wie Nichtrauchen, Vegetarismus, für Blutspenden und geistige Gesundheit – aber auch Krankheiten wie Alzheimer, Osteoporose, Polio und Lepra werden Tage gewidmet. Es gibt sie ferner für gesellschaftliche Phänomene, so den Weltspartag und den Welttag der Hauswirtschaft und

72 Durch Päpste wurden bestimmt: 24. Januar als Welttag der sozialen Kommunikationsmittel (am Tag des Patrons der Journalisten, Franz von Sales; proklamiert durch Papst Paul VI ., 1967), 1. Januar als Weltfriedenstag (Papst Paul VI ., 1968) und der 11. Februar als Welttag der Kranken (Papst Johannes Paul II ., 1992).

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Fest- und Gottesdienstpraxis heute

den der Beseitigung der Rassendiskriminierung. Wenn jedoch der Weltfriedenstag (1. Januar) in einer Reihe mit dem Welttag der ­Poesie (21. März), dem Welttag des Meeres (22. September.) und dem Welt-Ei-Tag (2. Freitag im Oktober), dem Welttierschutztag (4. Oktober) und dem Welttag der Lehrer (5. Oktober) steht, wird die Unternehmung fragwürdig. Auch wenn jeder dieser Tage seine Berechtigung haben mag, zeigt sich deutlich, dass weniger mehr wäre. Leicht kommt es zu einer „Übersättigung“, und weil Wichtiges und Nebensächliches wahllos nebeneinander stehen, wird anstelle von Interesse und Aufmerksamkeit genau das Gegenteil erreicht. Es wird der Eindruck von Handeln erweckt, aber es verändert sich durch die Widmungen nichts. Vielmehr könnte sich Frustration ausbreiten, dass wir wohl in fünfzig Jahren immer noch den „Welttag der Flüchtlinge“, den „Welttag zur Unterstützung der Opfer von Folter“ und den „Internationalen Tag gegen Nuklearversuche“ begehen müssen.

3.2

Kasualisierung des Kirchenjahres?

Eine Umformung und Neubestimmung, wie sie sich seit Ende der 40er Jahre mit den Jahres- und Gedenktagzuweisungen im bürgerlichen Kalender vollzog, hat auch das Kirchenjahr durchlaufen. Dies geschah allerdings in einem wesentlich längeren Zeitraum. In der Vergegenwärtigung von Heilsereignissen im Leben Jesu und darüber hinaus ist das Kirchenjahr eine gewachsene, aber keine statische Größe. Jedes Jahr wiederholt sich zwar der immer gleiche Ablauf. Aber auch hier ist Dynamik vorhanden, wie die Hinzunahme der Feste Neujahr, Erntedank und Totensonntag zeigt. Das Kirchenjahr bleibt in Bewegung. Derzeit hat eine neue Dynamik eingesetzt: die Kasualisierung des Kirchenjahres. Es gibt verschiedene Faktoren, die Einfluss darauf haben, dass das Kirchenjahr in der kirchlichen Praxis von heute nicht mehr als Einheit oder zusammenhängendes Ganzes wahrgenommen wird oder als solches überhaupt noch wahrgenommen werden kann. Dazu zählt zuvorderst die Zunahme von ausgewiesenen Zielgruppengottes­ diensten (wie Gottesdiensten für Jugend, Senioren, Familien, Motorradfahrer, Tierbesitzer, etc.); daneben aber auch eine Rückgang der Häufigkeit, mit der Gottesdienste stattfinden; sei es durch Gemeindezusammenlegungen, sei es in Gemeinden, die sich in einer Diasporasituation befinden. In beiden ­Fällen kommt es dazu, dass nicht mehr jeden Sonntag in jeder zur Verfügung stehenden Kirche Gottesdienst gefeiert wird. In einer neu zusammengelegten Gemeinde ist es der Pfarrperson oft nicht mehr möglich, an jedem Sonntag in allen Kirchen zu predigen. Es ist auch nicht zwangsläufig so, dass weniger häufig stattfindende Gottesdienste automatisch zu einer größeren Teilnehmerzahl führen; schon gar nicht in einer Diasporasituation, in der die Mitglieder z. T. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525624364 — ISBN E-Book: 9783647624365

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weite Wege gehen müssen, um am Gottesdienst teilnehmen zu können. Das erfordert auf Seiten der Gottesdienstbesucher eine hohe Motivation. Ein weiterer Punkt, der das Kirchenjahr nicht mehr als Einheit erkennbar werden lässt, ist die Spezialisierung von Gottesdiensten. Gemeint sind Gottesdienste, die auf besondere Ereignisse zugeschnitten sind oder auf solche eingehen, wie z. B. Jahrmarkt/Kirchweih, Schuljahresbeginn/Schuljahresende und Jubiläen, oder Gottesdienste, die besondere Formen haben; so die Thomas­ messen und Taizégottesdienste. Auch durch eine Predigtreihe, über mehrere Sonntage in Folge, wird das Kirchenjahresgepräge der einzelnen Sonntage weniger erkennbar. Markant und feststehend sind aber nach wie vor die drei großen Feste (Weihnachten, Ostern und Pfingsten). Die genannten Entwicklungen und Faktoren, die eine Erkennbarkeit des Kirchenjahres schwinden lassen, führen auch zu dessen „Kasualisierung“. Es sind zwei Ebenen, auf denen diese einsetzt: Zunächst auf Ebene der Rezipienten. In einer immer mobiler werdenden Gesellschaft mag das „Haus in der Zeit, das Kirchenjahr“73 für viele Menschen viel zu groß geworden sein: Karl-Heinrich Bieritz bemerkt hierzu, dass der gelegentliche Besuch von Gottesdiensten zu einem völlig neuen Bild vom Kirchenjahr führe, das individuell verschieden sei und eigenen Zeitrhythmen folge. Um im Bild zu bleiben: Jede und jeder zimmert sich hier sein eigenes Haus oder bewohnt nur wenige Räume im großen „Haus Kirchenjahr“.74 Dass sich für jeden Einzelnen immer ein neues Bild ergibt, muss aber nicht bedeuten, dass das Kirchenjahr vernachlässigbar wäre. Die zweite Ebene einer Kasualisierung des Kirchenjahres ist die der Produ­ zenten: Wenn nur von „Fall zu Fall“ Gottesdienste gestaltet werden, steht jeder Gottesdienst für sich und stellt einen special event dar. Er wird in seiner Einmaligkeit auf eine bestimmte Situation oder einen bestimmten Anlass (sprich Kasus) hin gestaltet. So zielgruppen- oder anlassorientiert die Gottesdienste hier auch sein können: die Gefahr liegt nahe, nur noch auf Bedürfnisse und Anlässe

73 Bieritz, Kirchenjahr, 386. 74 „Wer heutzutage am kirchlichen Leben partizipiert, tut dies in der Regel auf anderer Grundlage als der Bewohner des ‚ganzen Hauses‘, der wirklich noch von Glockengeläut zu Glockengeläut, von Morgen- zu Abendgebet, von Sonntag zu Sonntag, von Festzeit zu Festzeit lebte. Vielleicht findet er auf der Zeitebene des Monats oder auf der Zeitebene des Jahres einen neuen Rhythmus für seinen Gottesdienstbesuch. Für ihn gewinnt dann natürlich – im Bilde gesprochen – das Haus in der Zeit ein völlig anderes Gesicht: Die meisten Räume des großen Hauses nimmt er gar nicht mehr wahr; und was er bei seinen gelegentlichen Besuchen kennenlernt, muss sich für ihn zu einem ganz eigenen Bilde mit eigenen Bedeutungen zusammenfügen. Im Grunde erbaut er sich ein eigenes Haus, das nur noch wenig mit dem kunstvoll-komplexen Gebäude des überlieferten Kirchenjahres zu tun hat.“ Bieritz, Kirchenjahr, 386.

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einzugehen. Eine Einbeziehung der Lebenswelt der Gemeindemitglieder hat zwar ihre Berechtigung. Hier aber das rechte Maß zu finden, ist die Herausforderung. Die Orientierung am Kirchenjahr vermag da einer Zerstreuung entgegenzu­ wirken. Im bunten Reigen der Anlässe eines Kalenderjahres, wie Frühlings­ feiern, Jahrmärkte, Schulbeginn, Herbstfeste, Jubiläen wie auch außergewöhnlichen Ereignissen (Katastrophen, Unglücke, Familiendramen u. ä.), könnte eine angemessene Reaktion sein, die wesentlichen und großen Feste der Kirche verstärkt zu betonen, um ihre Bedeutung und Gewichtigkeit aus der Menge der Feiern herauszuheben. Am Kirchenjahr als fester Struktur festzuhalten, wenngleich die Gemeindeglieder in anderen Rhythmen leben und nur partiell daran teilhaben, hat gute Gründe. Es muss als Gliederung erkennbar bleiben, im Bild von Bieritz als das Haus, in dem sich für den Besucher einzelne Türen auftun und Einblick gewähren, vielleicht auch neugierig machen auf weitere Zimmer. Es verschafft Orientierung zu erkennen, an welcher Stelle im Kirchenjahr man gerade angelangt ist, was vorher war, was nachher kommen wird. Und das jedes Jahr aufs Neue. In einer Zeit, in der das Wissen um Glaubensinhalte schwindet, können solche auf diese Weise anschaulich vermittelt werden. In jüngster Zeit ist die Frage nach der Lebbarkeit und der Vermittelbarkeit des Kirchenjahres neu gestellt worden. Bedarf es vielleicht zeitgemäßerer, veränderter Strukturen? Und was würde das, bezogen auf den Übergang von einem zum anderen Kalenderjahr, bedeuten?

3.3

Kirchenjahr-Neustrukturierung und deren Einfluss auf die kirchliche Jahreswendefeier

Das Kirchenjahr samt seiner Struktur und Ausgestaltung, steht neu zur Diskussion; all dies unter dem Aspekt, wie eine neue Struktur vermittelbarer wäre, ohne den Inhalt zu verwässern oder Wesentliches aufzugeben. Es ist anzunehmen, dass sich mit einer neuen Struktur, wie sie z. B. von der Liturgiekommission der EKD vorgeschlagen wird75, auch die Stellung und Bedeutung der Jahreswende innerhalb des Kirchenjahres wandelt. Am Ende muss gefragt werden, ob sich damit auch Veränderungen in der theologischen Interpretation des Festes ergeben. 75 Ein Arbeitsausschuss der Liturgischen Konferenz hat 2005 ein Impulspapier veröffentlicht, das die grundlegenden Fragestellungen und Aufgaben für die Neustrukturierung des Kirchenjahres zusammenträgt. Es hat den Titel „Kirchenjahr erneuern. Gottesdienstliche Praxis im Rhythmus des Jahreskreises“ und beinhaltet zehn Maßgaben zur liturgischen Erneuerung des Kirchenjahres. Im Jahr 2009 legte die Konferenz das „Kirchenjahr elementar“ als Publikation vor. Es war im Jahr 2012 bereits in der 4. Aufl. erhältlich.

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Es ist die grundsätzliche Betrachtung der Beziehung zwischen Kirchenjahr und bürgerlichem Jahr, die bei den Überlegungen am Anfang steht. Dem heutigen Kirchgänger aber auch manchem Theologen erschließt sich ein Zusammenhang der beiden Kalender nur schwer. Die Rhythmen sind zu unterschiedlich, die großen Feste der Kirche bis auf Weihnachten nicht an Daten gebunden. Der 2009 von der Liturgischen Konferenz veröffentlichte Vorschlag für ein „elementares Kirchenjahr“ sieht für die evangelischen Landeskirchen Deutschlands Folgendes vor: Das Kirchenjahr mit seinen Festen wird auf neue Weise strukturiert – und zwar nach den zwölf Monaten des bürgerlichen Kalenders. Damit schreibt die Kirche ihren Rhythmus in den bürgerlichen Kalender ein. Das Kirchenjahr beginnt aber nicht mit dem Januar, sondern unverändert mit dem Advent bzw. dem ihm (nahezu) entsprechenden Monat Dezember. Die Einteilung nach den zwölf Monaten lässt sich nicht strikt auf das Kirchenjahr anwenden. Die drei großen Feste Weihnachten, Ostern und Pfingsten werden jedenfalls weiterhin gesondert behandelt. Die Gründe, das Kirchenjahr so zu strukturieren, werden von der Kommission zu Beginn der Broschüre „elementares Kirchenjahr“ benannt. Die Kirche „bedient sich […] in ihren Organisationsformen der vierwöchigen Taktung“76, die der Kalender mit seinem Monatsrhythmus vorgibt, auch wenn das Kirchenjahr diesen nicht kennt. Zielgruppengottesdienste, wie sie in Altenheimen, Krankenhäusern, Gefängnissen und Einrichtungen für Behinderte angeboten werden, folgen häufig auch diesem Rhythmus und fallen beliebig auf einzelne Sonntage des Kirchenjahres, so dass sich ein zufälliger Ausschnitt ergibt. „Bei einer solch zufälligen Auswahl entfallen zentrale Texte der biblischen Tradition, und der geschlossene Symbolzusammenhang des Kirchenjahres geht verloren.“77 Nun könnte man vermuten, dass mit einem „elementaren Kirchenjahr“ der in vielen Kirchgemeinden bestehenden geringen Berücksichtigung des Kirchenjahres entgegengewirkt werden kann. Was vorher schwer verständlich war und den Lebensbezug vermissen ließ, wird durch eine Elementarisierung nicht eben besser verständlich werden. Aber dieses Ziel ist mit dem elementaren Kirchenjahr auch gar nicht ins Auge gefasst. Vielmehr ist damit die Hoffnung verbunden, dass themenbezogene Gottesdienste, wie z. B. Schulgottesdienste, die ohne­ hin von der Ordnung der Lesungen und Predigttexte (OLP) abweichen, „eine neue Anbindung an die Tradition des Kirchenjahres gewinnen.“78 Elementarisierungen laufen jedoch Gefahr, zu stark zu vereinfachen und Zusammenhänge unkenntlich werden zu lassen. Die in der Handreichung präsentierte „Gestal76 Liturgische Konferenz (Hg.), Elementares Kirchenjahr, 4. 77 Ebd. 78 Ebd.

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Fest- und Gottesdienstpraxis heute

tungshilfe für das Kirchenjahr“ nimmt aber für sich in Anspruch „quantitativ zu verdichten, ohne dabei qualitativ an Substanz zu verlieren.“79 Der Reichtum der Tradition soll auch unter veränderten Bedingungen bewahrt bleiben, und die Verfasser äußern die Hoffnung, dass der vorgelegte Vorschlag die Tradition „vielleicht aufgrund höherer Durchsichtigkeit belebt.“80 In unserem Zusammenhang ergibt sich die Frage, an welcher Stelle, mit welcher Ausprägung und Gestalt die Jahreswende ihren Platz finden soll: Obwohl sie ein Übergang ist, wird sie ganz dem Monat Dezember zugeordnet (Neujahr wird im Januar nicht mehr erwähnt). Von Weihnachten, das gesondert behandelt wird, abgesehen, stellt sich der Dezember in dem ‚elementaren Kirchenjahr‘ folgendermaßen dar81:

Dezember: Sehnsucht nach Fülle  Psalm 24 Sehnsucht nach der heilen Welt: Eschatologie, Maria, Geburt Jesu (s. Proprium Weih­ nachten), aber auch Wendezeit: Rückblick und Hoffnung ins Unbekannte. Advent I: der Kommende

Advent II: Erwartung

Jahreswende: Übergang

AT Sacharja 9, 8–12

Freue dich, Tochter Zion

1 Macht hoch die Tür (KL)

EP Offenbarung 3, 15–22

Sendschreiben nach ­Laodizea

13 Tochter Zion

Ev Lukas 21, 25–33

Seht auf und erhebt eure Häupter

AT Jesaja 63, 15–16 (17–19a) 19b; 64, 1–3

Dass du den Himmel zerrissest

7 O Heiland, reiß die Himmel auf

Ep Jakobus 5,7–11

Seid geduldig

Ev Lukas 1, (39–45), 46–55.(56)

Marias Lobgesang

11 Wie soll ich dich empfangen

AT Jesaja 30, 15–17

Stillesein und Hoffen

65 Von guten Mächten (KL)

Ep 2. Petrus 3, 8–14

Wir erwarten einen neuen Himmel

58 Nun lasst uns gehen und treten

Ev Lukas 2, 25–38

Simeon und Hanna

Tabellenausschnitt zitiert nach: Elementares Kirchenjahr, 6. 79 Ebd. 80 Ebd. 81 Ebd., 6.

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Sehnsucht ist das Stichwort, unter dem der Dezember steht. Sehnsucht nach Fülle und der „heilen Welt“, wie sie die Eschatologie vor Augen hat. Zugleich ist der Dezember Wendezeit – nicht im Sinne von Umkehr, sondern im Blick zurück auf die vergangene Zeit und im hoffnungsvollen Blick nach vorne, auf die neue, die unbekannte Zeit. Advent und Jahreswende haben den nach vorne gerichteten Blick gemeinsam: hoffnungsvolle Erwartung, Sehnsucht nach Vervollkommnung. Erwartet wurde und erschienen ist schließlich Jesus, der Messias, der die Welt und die Menschen rettet. Die drei Texte, die für die Jahreswende vorgeschlagen werden, beinhalten diese Gedanken. Genannt wird zunächst der alttestamentliche Umkehrruf des Jesaja, stille zu sein und zu hoffen. Sodann wird für die Epistellesung eine Stelle aus dem 2. Petrusbrief, der zur Buße gemahnt und die Hoffnung auf einen neue Himmel und eine neue Erde bezeugt, vorgeschlagen. Und schließlich, als Evangeliumstext, wird die Erzählung von Simeon und Hanna genannt. In dieser Erzählung wird das Jesuskind als Heiland der Welt erkannt und gepriesen. Neujahr oder Beschneidung und Namengebung Jesu finden in der Systematik gar keine Aufnahme mehr.82 Dadurch, dass Epiphanias in der allgemeinen Wahrnehmung an Bedeutung einbüßt, wird die Jahreswende immer mehr als Abschluss der Weihnachtszeit empfunden. Die Weihnachtstage, der Weihnachtsfestkreis  – beides scheint schon mit dem Ende des Kalenderjahres und dem Anfang eines Neuen Jahres abgeschlossen zu sein. Hier zeigt sich erneut, wie stark der Jahreswechsel das Kirchenjahr und das bürgerliche Jahr verbindet und als Übergang prägt. Wenn ein „elementares Kirchenjahr“ den Monatsrhythmus des Kalenderjahres aufnimmt, geschieht eine Synchronisierung, die trotz allem Ungleichzeitigkeiten beibehält; dies zum einen in der Form der drei großen Festkreise Weihnachten, Ostern und Pfingsten, zum anderen aber auch in der weiter bestehenden Betonung, dass das Kirchenjahr im Advent beginnt und letztlich das bürgerliche Jahr nur mit dem Silvesterabend Erwähnung findet. Neujahr tritt hinter dem an die Epiphaniassonntage angelehnten Thema „Gott ist in der Welt“ zurück (siehe folgende Tabelle).

82 Der Begleitausschuss der Perikopenrevision stellt fest, dass der Tag der Beschneidung und Namengebung heute „kaum gefeiert“ wird und in „Konkurrenz mit dem Jahreswechsel“ steht. Vgl. Goldschmidt, Kirchenjahr und Lebenswelt, 35.

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Fest- und Gottesdienstpraxis heute

Januar: Glanz in der Welt  Psalm 100 Gott ist in der Welt: mit der Taufe Jesu wird sein Wirken öffentlich erfahrbar (Orientierung an den Sonntagen nach Epiphanias). Erleuchtung

Göttliche Zeichen

Glauben lernen

AT Jesaja 60, 1–6

Werde licht!

Ep Apostel­geschichte 8, 26–39

Der Kämmerer aus Äthiopien

Ev Matthäus 3, 13–17

Taufe Jesu

AT 2. Mose 33, 17b-23

Mose schaut Gottes Herrlichkeit

325 Sollt ich mei­ nem Gott nicht singen

Ep 2. Korinther 4, 6–10

Schatz in irdenen Gefäβen

Ev Markus 4, 35–41

Sturmstillung

70 Wie schön leuchtet der Morgenstern

AT 1. Samuel 3, 1–10. (11–14)

Samuels Befreiung

66 Jesus ist ­ kommen

Ep 1. Korinther 2, 1–10

Gottes Weisheit

Ev Lukas 2, 41–52

Der zwölfjährige Jesus

440 All Morgen ist ganz frisch und neu (KL)

450 Morgenglanz der Ewigkeit 72 O Jesu Christe, wahres Licht

Tabellenausschnitt zitiert nach: Elementares Kirchenjahr, 7.

Die Verfasser des „elementaren Kirchenjahres“ versprechen sich durch die Neugestaltung einen größeren Lebensweltbezug. Doch der verstärkte Bezug auf die Jahreszeiten als Größe, in die hinein das Kirchenjahr einst gewachsen ist83, stellt diesen allein noch nicht her. Es sind vielmehr existentielle Themen, die mit den Festzeiten verbunden werden und diese neu erschließen könnten. Zudem wird die „festlose“ Zeit in diesem Konzept mehr gedeutet als es bis anhin geschehen ist. Ob der größere Lebensweltbezug tatsächlich vorhanden ist oder nur behauptet wird, muss sich in der Praxis erweisen. Es ist möglich, dass sich das Kirchenjahr in der elementarisierten Form Kindern leichter vermitteln lässt, aber auch hierzu kann erst die Praxis Aufschluss geben.

83 Vgl. Vorwort der Handreichung, Elementares Kirchenjahr, 4 f.

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Jahreswechsel – Zeitenwechsel Jahreswechsel – Zeitenwechsel

4

Jahreswechsel – Zeitenwechsel: Zeit und gegenwärtiger Umgang mit der Zeit

4.1

Das neue Jahr: Zeit und Gegenwart in der Spätmoderne – eine Wahrnehmungsskizze

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Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts ist das dominierende Motiv der Kirchen­ lieder zur Jahreswende Zeit. Die Zeit in ihren verschiedenen Dimensionen, wie Lebenszeit, Weltzeit, Zeit Gottes. Es geht um die Wahrnehmung der Zeit sowie um die Zeitzeichen, wie sie sich in Kirche und Welt darstellen. Es geht aber auch um die Erinnerung an Zeit – individuelle sowie kollektiv gelebte Zeit. Zeit, das ist eines der wesentlichen Themen, die die Menschen von heute bewegen: Die Wahrnehmung des Phänomens und das Verhältnis des heutigen Menschen zum Faktor Zeit hat sich seit der Erfindung der Uhr, mit der Industrialisierung und einer Zeitgleichschaltung84, rasant gewandelt. Die Veränderungen lassen sich im Allgemeinen erst mit einem gewissen zeitlichen Abstand genau beschreiben, daher können die derzeitigen Entwicklungen auch nur skizziert werden. Aber selbst eine solche Skizze macht bereits deutlich, wie vielfältig die derzeitigen Veränderungen sind und welch großen Einfluss sie auf das Leben eines jeden von uns haben. Es werden Strategien notwendig, um mit diesen Veränderungen umzugehen. Mit der Frage nach dem gegenwärtigen Zeitempfinden und dem Umgang mit der Zeit können wir auch annäherungsweise die Grundgestimmtheit derer beschreiben, die einen Gottesdienst am Jahres­ wechsel besuchen. Können die Kirchenlieder der Grundgestimmtheit entsprechen und vermögen sie es, ihrerseits Bewältigungsstrategien anzubieten? Dies müsste ein wesentliches Kriterium bei der Auswahl geeigneter Kirchenlieder zu diesem Anlass sein.

84 Bis gegen Ende des 19.  Jahrhunderts galt in jeder größeren Stadt Europas eine eigene Ortszeit. Nach Einführung einer Eisenbahnzeit für die Abstimmung von Fahrplänen und Ankunfts- und Abfahrtszeiten, zunächst allein für die Eisenbahngesellschaften, wurde diese im Jahr 1880 für ganz England übernommen. Eine Zeitumstellung auf mitteleuropäische Eisenbahnzeit (M. E. Z.) erfolgte in Deutschland 1893. Vgl. Schivelbusch, Geschichte der Eisenbahnreise, 44.

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4.1.1

Fest- und Gottesdienstpraxis heute

Veränderungen und Strategien – Von Beschleunigung und Schmerzvermeidung

Die Erinnerung an gelebte Jahre verändert sich in dem Maße, wie Forschung und Entwicklung, Produktion und Organisation in immer kürzeren Intervallen voranschreiten. Die „Beschleunigung“85 der Zeit geht mit einer „Schrumpfung der Gegenwart“86 einher. Genauer gesagt: Wenn der Mensch von heute auf vergangene Jahre zurückblickt, so schaut er in eine ihm immer ferner und fremder werdende Welt zurück; sie erscheint ihm in wichtigen Lebenshinsichten veraltet. Umgekehrt vermag er immer weniger vorauszusehen, was die kommenden Jahre bringen werden. Der Zeitraum, den er einigermassen ermessen kann, ist die Gegenwart, die aber in dem Maße schrumpft, wie die Vergangenheit ihr näher rückt. Folgt man Hermann Lübbe, so wird der Begriff „Gegenwart“, der im Sprachgebrauch durchaus mehrere Jahrzehnte bezeichnen konnte, immer beschränkter, indem er zunehmend nur noch gegenwärtiges Geschehen bezeichnet. Ein weiteres Phänomen stellt sich ein: Nicht nur Vergangenheit und Zukunft sind diffus, auch die Gegenwart wird es mehr und mehr. Das verstärkt die Verunsicherung, die die Menschen von heute verspüren, wenn sie über die Zeit, in der sie leben, nachdenken. Mit der Vereinheitlichung und der Vermessung der Zeit ist auch ein Druck entstanden, den der Mensch von heute in besonderer Weise spürt. Es geht um immer mehr in immer weniger Zeit, um Zeitdruck, der zu Stress führt. Eine mögliche Reaktion darauf ist effizienteres Arbeiten. Eine Strategie gegen die wachsende Informationsflut ist die schnellere Verarbeitung. Das ist ein Prozess, der schon vor der Industrialisierung eingesetzt hat. So zeigt uns das Beispiel von Johann Wolfgang von Goethe, dass es bereits zu seiner Zeit darum ging, der zunehmenden Informationsfülle zu begegnen. Er berichtet, ein solches Lesetempo erreicht zu haben, dass er im Durchschnitt einen Octavband pro Tag las.87 Bezogen auf eine sich verändernde Zeitstruktur kann Hartmut Rosa drei Felder identifizieren, auf denen Beschleunigung eingesetzt hat. Er findet sie in der Technik, im sozialen Wandel und ganz allgemein im Lebenstempo.88 Es ist ein Paradoxon, dass es vorwiegend darum geht, die Zeit zu stauchen, obwohl sich gleichzeitig die Lebenszeiterwartung immer weiter dehnt. Bildung muss schneller und in kürzerer Zeit erworben, die Produktion muss angekurbelt werden; der Tag wird so z. B. bei der Hühnerhaltung in Gebäuden durch 85 Vgl. auch den gleichnamigen Titel von Rosa. 86 Siehe Lübbe, Gegenwartsschrumpfung. 87 Dies erwähnt er gegenüber Kanzler von Müller 1830; vgl. Lübbe, Gegenwartsschrumpfung, 271. 88 Vgl. Rosa, Beschleunigung, passim.

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Jahreswechsel – Zeitenwechsel Jahreswechsel – Zeitenwechsel

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entsprechend geschaltetes Licht auf einen 23-Stundentag verkürzt.89 Naturzyklen, nach denen sich die Menschen Jahrhunderte lang richten mussten, werden durch die Technik nivelliert: Auch wenn Nacht ist, können wir in Helligkeit leben, auch wenn Winter ist, können wir Wärme haben. Kälte schaffen wir an heißen Tagen mittels Klimaanlagen und Kühlschränken oder genießen sie sogar in Skihallen.90 In den durchgetakteten Terminkalender fügt sich mehr und mehr auch das Unvorhergesehene ein: Tod und Sterben werden in den Alltagsplan eingeordnet; die Zeit für Trauer nicht mehr angehalten.91 Durch die immer häufiger gewünschte Form der Urnenbestattung wird es möglich, den Beerdigungstermin nicht innerhalb weniger Tage stattfinden zu lassen, sondern mehrere Wochen hinauszuschieben. Das Datum wird danach gewählt, wann es den Hinterbliebenen am besten passt. Hier steht die Zeit nicht still, aufgrund eines tragischen und erschütternden Ereignisses, und Rosa weist zu Recht darauf hin, dass Trauer nur noch wenig Platz erhält. Vielleicht ist es aber nicht nur wenig, sondern zu wenig Platz; und was das in der Konsequenz für die Trauernden be­ deutet, wird Seelsorger und Psychologen beschäftigen.92 Die Art und Weise, wie wir heute mit der Zeit umgehen, oder aber, wie sie uns beherrscht, führt zu besonderen Verhaltensmustern. Für Jugendliche stellte Gertrud Höhler Anfang der 90er Jahre fest, dass sie „Virtuosen des Abschieds“ seien oder eben auch sein müssten, weil die Zeit es von ihnen verlangt. Ihre Ausführungen beziehen sich auf das Wertegerüst, das sie für die Jugendlichen der 80er und 90er Jahre in stetem Wandel begriffen sieht. In dem Wandel sind sie herausgefordert, immer wieder Abschied zu nehmen von Vertrautem, was Schmerz bedeutet. Höhler beschreibt ein zunehmendes „Sich-nicht-festlegen-Wollen“ und interpretiert es als eine Technik der Schmerzvermeidung. „Die Wegwerfbereitschaft der neuen Generation bedeutet die Vorbeugung gegen den Trennungsschmerz, die Vermeidung von Anhänglichkeit – auch wenn es um Wertkonzepte geht. Verlustangst lehrt die flüchtige Bindung. Absprungbereit nähert man sich Standorten, ohne sie entschieden zu besetzen.“93 Diese Sprungbereitschaft, wenn man so will auch Flexibilität, beschreibt Hartmut Rosa auf die Identität der Menschen von heute bezogen. Ihre Identität sei eine „situative Identität“94. Er meint damit, dass sich Menschen in ihrem Auftreten 89 Vgl. Rosa, Jedes Ding, 26. 90 Vgl. Rosa, ebd., 30. 91 Der Tod eines nahe stehenden Menschen bedeutete „in allen bekannten Kulturen immer einen Einbruch einer anderen Zeitdimension in unsere Alltagszeit. Der Tod stellt (oder stellte bisher) die Alltagszeit der Angehörigen gleichsam still.“ Rosa, ebd., 28. 92 Vgl. ebd. 93 Höhler, Virtuosen des Abschieds, 63. 94 Rosa, Situative Identität, 293 ff.

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Fest- und Gottesdienstpraxis heute

wie auch in ihren Handlungen und Entscheidungen am sozialen Kontext orientieren; sie agieren flexibel. Sie passen sich den Verhältnissen an. Anhand der wenigen Beispiele, wie das Leben und verschiedene Prozesse darin Beschleunigung erfahren, zeigt sich deutlich, dass sich unsere Wahrnehmung von Zeit und der Umgang mit der Zeit verändern und negative Auswirkungen auf die menschliche Psyche haben können.95 4.1.2

Entfremdung und Fragmentierung

Negative Begleiterscheinungen der Beschleunigung und des veränderten Zeitumgangs sind Entfremdung und Fragmentierung. Die Wegwerfmentalität und die immer kürzeren Intervalle bei Neuerungen, wie PC-Programmen, Kücheneinrichtungen, Automodellen und Mode, führen dazu, dass dem Menschen keine Zeit bleibt, sich die Dinge „anzuverwandeln“.96 Sie bleiben ihm fremd, er teilt mit ihnen keine Geschichte mehr. Die Entfremdung geschieht auch gegenüber den eigenen Handlungen. Zwar hätte der Mensch die Fähigkeiten dazu, sich z. B. intensiv mit einem Computer­ programm zu beschäftigen, bis er es wirklich beherrscht. Da dann aber vielleicht schon wieder ein neues auf dem Markt ist, für welches er nicht wieder so viel Zeit investieren möchte, handelt er oft, ohne genau zu wissen, was er da tut.97 So kommt es, dass er ständig verunsichert ist; in der Handhabung der Technik und der Dinge, schließlich sogar in seinen Handlungen. Subjekte in der Spätmoderne tendieren dazu „zu ‚vergessen‘, was sie eigentlich tun und wer sie sein wollten: Wir alle sind so sehr mit dem Abarbeiten der To-do-Listen und mit deren Kompensation durch ‚instant-gratification‘-Konsumaktivitäten (wie Fernsehen) beschäftigt, dass wir gar nichts mehr ausbilden, was den Anspruch auf ‚Authentizität‘ handlungspraktisch aufrecht erhalten könnte“.98 95 Nimmt der Einzelne die äußerliche Beschleunigung wahr, kann es bei ihm das Gefühl aufkommen lassen, dass das eigene Leben nicht voran geht; dass er auf der Stelle tritt. Ein Phänomen, das man eher bei Menschen im Seniorenalter vermutet, greift auch auf die jüngere Generation über. 96 Vgl. Rosa, Entfremdung in der Spätmoderne, 237 ff. Er führt die „Entfremdung von der Dingwelt“ anhand weiterer anschaulicher Beispiele aus. 97 Vgl. ebd., 239. Rosa schreibt hier: „Während sich die Dinge … immer weiterentwickeln, werde ich im Bezug und Verhältnis zu ihnen immer unfähiger. Tatsächlich verliere ich allmählich meine kulturellen und praktischen Kompetenzen, weil sie in immer schnellerer Folge durch Innovationen entwertet werden. Dies führt dazu, dass wir den Dingen gegenüber ein schlechtes Gewissen entwickeln, weil wir sie nicht richtig zu behandeln wissen.“ 98 Ebd., 244. Aus theologischer Sicht ist bemerkenswert, dass Rosa den Begriff der Ent­ fremdung, den er in die Analyse der Spätmoderne hineinbringt, ganz ohne das essentialistische Konzept der wahren Natur des Menschen denken möchte. Vgl. ebd., 249.

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Jahreswechsel – Zeitenwechsel Jahreswechsel – Zeitenwechsel

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Hinsichtlich der Wahrnehmung der Zeit durch die Individuen von heute, und ihres Gefühls von schnell oder langsam vergehender Zeit, meint Rosa, Folgendes beobachten zu können: Was wir erleben und tun wird immer fragmentierter. Das Leben besteht aus vielen Handlungsepisoden, die nicht auf Erinnerung angelegt sind. „Insofern sie nicht dazu geeignet sind, zu eigenen, identitätsstiftenden Erfahrungen zu werden, können wir sie sogleich wieder vergessen (was wir auch tun). […] Es scheint jedoch die Existenz oder Nicht-Existenz von nachhaltigen Erinnerungsspuren zu sein, welche die Länge der Erinnerungszeit bestimmt.“99 Obwohl der Mensch heute viel erleben kann und erlebt, bleibt davon wenig in Erinnerung. Zeit für ein Innehalten, Zurückschauen, Verarbeiten und Erinnern, auf dass etwas dauerhaft in Erinnerung bleibt, muss man sich bewusst nehmen. Dieses Erinnern ist wesentlich für die eigene Identität: „Wir sind … zu ganz wesentlichen Teilen das, was wir erinnern und vergessen. Unsere Erinnerung hat dabei nicht nur an der Erinnerung anderer teil, sondern auch an dem symbolischen Universum kultureller Objektivationen.“100 Was Assmann hier beschreibt, ist die Verschränkung zwischen individueller und kollektiver Identität anhand von individuellem Erinnern und kollektivem Gedächtnis. Erinnern und Vergessen bestimmen die menschliche Identität. Dabei wird sich selbst an Vergessenes noch latent erinnert; es kann wieder aufbrechen, weiterhin Einfluss nehmen und die Gegenwart bestimmen.101 Das Verhältnis vom Individuum zum Kollektiv der Gesellschaft ist auch in einer weiteren Hinsicht mit einem Wandel konfrontiert: Wo sich der Umgang mit der Zeit wandelt, wandeln sich auch gesellschaftliche Normen. Dadurch, dass in der spätmodernen Gesellschaft lange Zeit vorgegebene Rollenmuster in Auflösung begriffen sind und tradierte Normen an Geltungskraft verlieren, muss sich das Individuum neu orientieren. Anhand des Begriffes „Depression“ beschreibt der französische Soziologe Alain Ehrenberg das Leiden in und an der Gesellschaft, das über ein individuelles Krankheitsbild hinaus zu verstehen ist. Wenn maßgebliche Vorgaben und Leitplanken verloren gehen, steht der Ein99 Ebd., (Hervorhebung getilgt). 100 Assmann, Schatten der Vergangenheit, 61. Assmann widmet sich der Unterscheidung von drei Arten des Gedächtnisses: Dem biologisch neuronalen System (menschliches Gehirn), dem sozialen System körperlicher Interaktion und sprachlicher Kommunikation (Entstehungsbedingungen sozialer Gruppen) und dem System symbolischer Artikulationen und technischer Medien (als Grundlage einer raumübergreifenden Fernekommunikation wie auch langfristiger kultureller Überlieferung). „Alle drei … sind beteiligt, wo immer Erfahrungen niedergelegt und wieder aufgenommen werden, um weitere Kreise zu ziehen.“ Ebd., 60. 101 Bewusste und unbewusste Erinnerung sind in einem Individuum vorhanden. Oder, wie Freud es formuliert: „Selbst was vollkommen vergessen scheint, ist noch irgendwie und irgendwo vorhanden, nur verschüttet, der Verfügung des Individuums unzugänglich gemacht.“ Freud, „Konstruktionen in der Analyse“ (1937), 46.

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Fest- und Gottesdienstpraxis heute

zelne unter dem Druck „aus sich selbst heraus eine Person, ein Individuum“102 sein zu müssen. Die Handlungsmöglichkeiten und die Freiheit, die darin liegt, überfordern das Individuum. Fast in dem Zwang, ein Selbst zu werden und zu sein und ganz eigenständig zu handeln, stellt sich Depression ein; Ermüdung und Erschöpfung, ein ständiger Selbstzweifel, nicht zu genügen oder das Falsche zu tun. Ein Gefühl von Unzulänglichkeit103 breitet sich aus. Rosa interpretiert die gegenwärtigen Veränderungen in der Zeitwahrnehmung und der Zeitverwaltung als Auflösungsprozess. Wir seien dabei, „eine Gesellschaft zu schaffen, in der Prozesse, Ereignisse und Handlungen immer häufiger keine feste Zeit, keine erwartbare Dauer, keinen Ort in der zeitlichen Reihung mehr haben. Im Leben wie im Alltag und ebenso in der Geschichte weiß man nie, was als nächstes kommt und wie es kommt.“104

4.2

Jahreswende-Gottesdienste als „Zeitansagen“ – Chancen der theologischen Gegenwartsdeutung

An die Erfahrung der Auflösung von Strukturen, Abfolgen und Orientierungspunkten im Umgang mit der Zeit kann die theologische Deutung anschließen. Jahreswendegottesdienste, die sich dem Thema „Zeit“ widmen, können Hilfestellungen sein für gelingendes Leben. Sie können es in dem Sinne sein, dass der Mensch von heute ständig vor der Aufgabe steht, drei Zeitebenen miteinander zu koordinieren: die Alltagszeit, die eigene Lebenszeit und die historische Zeit, in der er lebt. Die Jahreswende gottesdienstlich zu begehen eröffnet eine vierte Zeitdimension, die der Festzeit. In dem Raum, der sich hier auftut, ist es möglich, die genannten drei Ebenen zusammen zu sehen, zu einander in Beziehung zu setzen und ein Ganzes werden zu lassen. Die Ebenen können wechselseitig kritisiert und gerechtfertig werden.105 Die Gefahr, in der jeder heute lebt, ist darin zu sehen, dass die drei Ebenen nicht mehr zusammen gebracht werden können, dass sie sich nicht mehr miteinander vereinbaren oder harmonisieren lassen.106 Driften die Ebenen für ein Individuum auseinander, dann kann man von „misslingendem Leben“ sprechen. Eine biographische (Orientierungs-) Krise entsteht. Sie äussert sich zum Beispiel darin, dass eine Person die tägliche Routine nicht mehr in Beziehung zu setzen vermag zu dem, was sie in ihrem Leben oder aus ihrem Leben machen wollte; oder aber die Routine oder Lebenspläne stimmen nicht (mehr) damit überein, was die gesellschaftliche Zeit fordert 102 103 104 105 106

Ehrenberg, Depression und Gesellschaft, 10.  Ebd., 195. Rosa, Jedes Ding, 33 (Hervorhebungen getilgt). Vgl. ebd., 23. Vgl. Giddens, „Time and Social Organization“, 144 ff.

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Jahreswechsel – Zeitenwechsel Jahreswechsel – Zeitenwechsel

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oder gebietet.107 Dies führt zur Entfremdung vom Alltag, vom Leben oder dem Zeitalter, wie Peter Alheit zu zeigen versucht.108 Der Raum, den die festliche Begehung des Jahreswechsels im Gottesdienst eröffnet, bietet die Möglichkeit, über gelebte Zeit (des Einzelnen, der Gesellschaft, der Welt) und zukünftige Zeit nachzudenken. Eine so herausgestellte Festzeit, die sich Zeit nimmt für das Thema „Zeit“, hat eine wichtige Funktion, ganz besonders dann, wenn sich auf dem Gebiet des Umgangs mit der Zeit so viel verändert, wie oben beschrieben wurde. Einmal aus der Zeit herauszutreten, indem in einer gottesdienstlichen Feier der Alltag beleuchtet wird, gibt den Gläubigen die Chance, ihre erlebte Zeit zu verarbeiten, sich sozusagen zu „synchronisieren“ und mit der kollektiv verlebten Zeit und Gottes Zeit in Beziehung zu setzen. Das ist notwendig, wenn sich der Mensch nicht verlieren will in Geschäftigkeit, durch die er atemlos voranschreitet. Der Feiertag lässt ihn innehalten und reflektieren. Aus der Alltagsroutine herausgetreten, wird die Zeit am Übergang zu transzendenter Zeit; transzendent auf Gott hin.109 Das Fest Silvester/Neujahr hat seinen Platz in den zwei Kalenderarten bürgerlicher Kalender wie auch Kirchenjahr; es bildet eine Schnittstelle. In der regelmäßigen Wiederkehr bietet es Verlässlichkeit. Gottesdienstlich begangen eröffnet es die Möglichkeit, Erinnerungen zu binden: an ein Datum, einen Festtag, ein Ereignis, das jährlich wiederkehrt und doch von Jahr zu Jahr verschieden erlebt wird. Wie wesentlich Erinnerung für Geist und Seele des Menschen ist, wurde weiter oben deutlich. Erinnern und Vergessen, d. h. Bewahren und Loslassen sind wichtige Elemente am Jahresübergang. In der theologischen Deutung schließlich liegt das Potential, mit sich selbst, mit den Mitmenschen und mit Gott ins Reine zu kommen. Heil(ung) und Heilwerden sind Elemente, die wieder zu „gelingendem Leben“ führen. Das ist keineswegs ein Weg der Selbsterlösung. Es geschieht in dem Bewusstsein von Angewiesenheit: Angewiesensein auf Gottes Gnade, auf Glück, auf Schutz, auf 107 Vgl. Rosa, Jedes Ding, 22. 108 Vgl. Alheit, „Alltagszeit und Lebenszeit“. 109 Die Unterbrechung des Alltags mit der Feier auf der Jahresschwelle konfrontiert mit der Möglichkeit des Anderswerdens. Die Feier bringt Diesseits und Jenseits nahe zu­ sammen. Ähnlich schreibt Gräb zum Religiösen und Transzendenten: „Implizit liegt das Religiöse eben schon in jeder Schwellenerfahrung. Sie ist Transzendenzerfahrung im Sinne des offenen, nicht festgelegten, in seinen Folgen prinzipiell unbestimmten Überschreitens des bisherigen Status, einer Lebensphase. Die Schwelle, das Liminale, ist die Unterbrechung der Alltagsroutinen und somit einer Konfrontation mit der grundsätzlich offenen Möglichkeit des Anderswerdens, Jenseitserfahrung mitten im Diesseits. Im Ritualvollzug selber ist erst zu sehen, wie diese Erfahrung und somit auch das Jenseits, das in ihr aufscheint, symbolisiert, zeichenhaft gedeutet wird.“ Gräb, Lebensgeschichtliche Sinnarbeit, 229.

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Fest- und Gottesdienstpraxis heute

Liebe, Beistand und Hilfe.110 Der Mensch erfährt eine Zusage, die über das hinausgeht, was er sich selbst zuzusagen vermag. In einer Zeit der Auflösung von orientierenden Werten und Maßgaben erhält der Einzelne das Angebot einer Handlungsorientierung.111

110 Fechtner formuliert zur Rechtfertigungsbotschaft, die in den Kasualien zum Tragen kommt: „In der eigenen Lebensgeschichte bleibt das gerechtfertigte Ich fragmentarisch und es erlebt sich in erfülltem Dasein, in der Schwebe zwischen beidem bleibt es unvollendet und auf Gott verwiesen.“ Fechtner, Kirche von Fall zu Fall, 40. 111 Orientierende Werte, in diesem Fall Tugenden, werden auf der Ebene der behandelten Lieder vor allem von Zwick und Gerhardt eingebracht. Tugenden wurden in der Reflexion der protestantischen Theologie häufig vernachlässigt. Der Hauptgrund lag wohl darin, dass Tugenden in den Verdacht gerieten, Werkgerechtigkeit Vorschub zu leisten.

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Teil V: Ertrag und Ausblick

1

Ertrag zu Geschichte, Motivik und Theologie kirchlicher Neujahrslieder

Die Wurzeln des kirchlichen Neujahrsliedes v. a. im evangelischen Bereich, sind in Brauchtumsgesängen zu suchen, die christlich überformt oder zu dem Anlass des Ansingens zum Neuen Jahr eigens gedichtet wurden. Die beiden Traditionsstränge des Neujahrsliedes im Volksliedgut und im Kirchenliedgut zeigen eine große Eigenständigkeit. Zeitweise berühren und vermischen sie sich, bis die Abgrenzung in neuester Zeit schwierig wird. Während Volkslieder das Thema Zeit mit dem Schicksal als Fatum verknüpfen, bedenken geistliche Lieder und Kirchenlieder die Zeit in Bezug zu Gott. Das „Ansingen“ des neuen Jahres mag der Brauch gewesen sein, der dazu geführt hat, dass ein Neujahrslied in eines der ersten reformierten Kirchengesangbücher Aufnahme fand, während Gesangbuchredaktoren lutherischer Provenienz zu diesem Anlass (vorläufig) keinen Gesang vorsahen. Sie blieben zunächst, bezogen auf den 1. Januar, beim überkommenen Festgegenstand der „Beschneidung und der Namengebung Jesu Christi“. Das Kirchenlied zum Neuen Jahr ist ein Produkt zu einer Gelegenheit. Die Texte lassen sich großteils der Gattung Gelegenheitsgedichte zuordnen. Seit der Reformationszeit werden deren Texter und Melodisten namentlich erfasst.1 Die Lieder sind häufig zunächst einmal Texte, die im privaten Bereich ent­stehen und mit einer Melodie versehen werden. Ursprünglich für die private Hausandacht geschaffen, finden sie später Eingang in Gesangbücher, die dann sowohl für Haus als auch Schule und Gemeindegottesdienst genutzt werden. Es lässt sich nicht ermitteln, ob sie dann doch noch mehr im Privaten als im Gottesdienst gesungen werden. Gottesdienste, die sich eigens dem Thema „Neujahr“ widmen, kommen jedenfalls seit dem Ende des 17. Jahrhunderts auf. 1 Martin Luther versah seine Lieder mit seinem Namen, u. a. um deren Inhalt vor Abänderun­ gen zu schützen. Katholische Lieder werden erst ab ca. 1760 mit Verfassernamen tradiert. Die Liedforschung findet hier ganz andere Voraussetzungen und Gegebenheiten vor.

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Ertrag und Ausblick

Das kirchliche Neujahrslied ist ein Medium, in dem zum Thema „Neujahr“ die Kreativität und theologische Interpretation von Einzelnen Raum gewinnen kann. Als „Eindringling“ ins Kirchenjahr wird das Fest von Jahrhundert zu Jahrhundert mit anderen Schwerpunktsetzungen gedeutet. Es bildet sich ein Kanon heraus, der die Volksfrömmigkeit und die theologische Poesie verschiedener Jahrhunderte abbildet und dem Fest bis heute das Gepräge gibt. Die Funktionen, die das Neujahrslied im Gottesdienst erfüllt, wandeln sich. Am Anfang steht der gute Wunsch zum Neuen Jahr und die Besinnung auf christliche Tugenden. Dann nimmt es klassische Gebetsformen auf, wie die Bitte und Fürbitte bezogen auf die neu anbrechende Zeit. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts rückt das Fliehen der Zeit ins Zentrum des theologischen Nachdenkens, wie auch die Einzelperson, das Individuum. Das Ich in seinem Verhältnis zur Zeit tritt als Thema in den Vordergrund. Mit dem Aufkommen eigener Altjahresandachten und Gottesdienste zum Jahresschluss erweitert sich das Spektrum des Neujahrsliedes. Es wachsen ihm der Bereich der rückblickenden Erinnerung und der der Sinnsuche zu. Die Lieder werden nun häufig gemeinsam unter die Rubrik „Jahreswechsel“ gestellt. Das 20. Jahrhundert mit den einschneidenden Erfahrungen der großen Weltkriege, findet seinen Niederschlag in den Neujahrsliedern bzw. nun auch Altjahresliedern dahingehend, dass sie Ausdruck der Suche nach Halt in der Krise oder in existentieller Gefahr werden. In jüngster Zeit schließlich rückt die Frage nach Gottes Segen für die vergangene und verlebte wie auch für die zukünftige, noch offene Zeit vermehrt ins Bewusstsein. Dies wirkt sich auch auf Kirchenlieder aus, die dem ‚Neujahrslied/Jahreswendelied‘ zugeordnet werden können, auch wenn sie für andere Anlässe verfasst wurden. Bedingt durch die Einheitsgesangbücher der Evangelischen Kirche in Deutschland wie auch ein einheitliches Reformiertes Kirchengesangbuch für die gesamte Deutschschweiz lässt sich eine gewisse Konstanz der Liedauswahl für die Rubrik Silvester/Neujahr bzw. Jahreswende/Jahreswechsel erheben. Kriterium der Zuordnung scheint allein das Stichwort „Neues Jahr“ zu sein und, wo dies nicht gegeben ist, dann die Thematisierung der Zeit an sich. Die Themenbereiche „Beschneidung Jesu“ und „Namengebung Jesu“, die noch vor der Reformation für das Fest bestimmend gewesen sind, finden sich in den Liedern von heute nicht mehr oder nur noch als Chiffren, die von der Allgemeinheit kaum mehr decodiert werden können. Von der Beschneidung zu singen steht im Konflikt mit einem unausgesprochenen Tabu, mit dem das Kirchenlied hinsichtlich Sexualität und allem, was damit zusammenhängt, belegt ist. Vom Namen Jesu zu singen entspricht einer Namensfrömmigkeit, die nahezu verloren gegangen ist. Von einer Wirkmächtigkeit allein auf Jesu Namen bezogen, wird heute nicht mehr ausgegangen, weshalb davon auch nicht mehr gesungen wird. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525624364 — ISBN E-Book: 9783647624365

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Problemfelder Problemfelder

Mit Zunahme bis hin zu Dominanz des Motives „Zeit“, wie sie ab dem Ende des 19. Jahrhunderts in der Gesangbuchrubrik festgestellt werden konnte, drückt sich ein Bedürfnis aus, dem Phänomen Zeit musikalisch, theologisch und gottesdienstlich Raum zu schenken. Dieses Hervortreten des Motives „Zeit“ im Gottesdienst wie auch den Kirchenliedern führt dazu, dass der Jahreswechsel bzw. das Neujahrsfest sich aus dem Weihnachtsfestkreis löst, in den es mit dem Bezug auf die Beschneidung und Namengebung Jesu noch eingebettet gewesen ist. Diese Loslösung zeigt sich auch auf der musikalischen Ebene. Ältere Neujahrslieder besaßen häufig noch Weihnachtsliedmelodien, was heute kaum mehr der Fall ist. Im gleichen Maße, wie sich Neujahr und die Neujahrslieder von Weihnachten loslösen, wird das Fest eigenständiger wahrgenommen. Nicht von ungefähr nehmen manche Gesangbuch­systematiken sie bei den „Zeitliedern“ auf. Das Neujahrslied bzw. Lied zur Jahreswende steht Kirchenliedern anderer Gesangbuchrubriken sehr nahe. Die Nähe ergibt sich aus der gemeinsamen Aufgabe, Übergänge zu begleiten. Dazu zählen die genannten Zeitlieder, wie Abend- und Morgenlieder, Kasuallieder (darunter insbesondere Bestattungslieder), Lieder zum Kirchenjahreswechsel und schließlich, außerhalb des Gesangbuches, Volkslieder und weltliche Gesängen zum Neuen Jahr/Jahreswechsel.

2 Problemfelder Die beschriebenen Veränderungen in der Gottesdienstpraxis haben auch Konsequenzen für das Kirchenlied zum Neuen Jahr bzw. Jahreswechsel. Fallen Neujahrsgottesdienste aus, verlieren die Neujahrslieder ihren angestammten Ort. Ein Festanlass, der nicht begangen wird, bedarf auch keiner Lieder. Es ist allerdings nicht anzunehmen, dass die Neujahrslieder ganz aus den Gesangbüchern verschwinden werden. Es gibt ganz unterschiedlich geartete Gründe, warum dies nicht geschehen wird. Da ist zunächst die Zusammenfassung vom Alten und dem Neuen Jahr, die die Lieder im Gesangbuch unter der Überschrift „Jahreswende“ erscheinen lässt und damit für beide Anlässe geeignet präsentiert. Zum anderen werden die Lieder für den privaten Gebrauch (das EG ist erklärtermaßen auch ein Hausbuch) in den Sammlungen bleiben. Neujahrslieder lassen sich, wie gesehen, auch noch im Sonntagsgottesdienst nach dem Neujahrstag singen. Sie finden auch neue Orte, so auf Wanderungen in das neue Jahr oder bei Exerzitien zwischen den Jahren. Und sie können Übergänge im Allgemeinen begleiten. Wenn in der Praxis Gottesdienste abgehalten werden, die Altjahresabend und Neujahr zusammennehmen, geschieht hier etwas, das die Rubriküberschriften vieler Gesangbücher bereits vollzogen haben: Es wird nicht mehr un© 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525624364 — ISBN E-Book: 9783647624365

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Ertrag und Ausblick

terschieden zwischen „Altjahresabend“ und „Neujahr“ sondern beides zusammen unter den Begriff „Jahreswende“ bzw. „Jahreswechsel“ gestellt. Lieder zum Ausgang des Jahres oder zum Beginn des neuen Jahres unterscheiden sich aber voneinander. In der Regel sind Lieder zum Altjahresabend rückwärtsgewandt: Sie blicken auf das vergangene Jahr oder die vergangene Zeit an sich zurück. Dementsprechend sind Themen wie Vergänglichkeit, Schuld, Bedauern und Abschied vorherrschend. Neujahrslieder öffnen umgekehrt mehr den Blick nach vorne und sind geprägt von Hoffnung, Neubeginn, Fragen und auch Befürchtungen. Vor allem jüngere Lieder, die für die Jahreswende bzw. den Jahreswechsel gedacht sind, weisen beide Perspektiven auf. Es gibt die Tendenz, Silvester und Neujahr in einem einzigen Gottesdienst am Altjahresabend zusammenzufassen und damit den Transitus vorwegzunehmen. Lieder, die die Elemente der Rückschau und der Vorschau beinhalten, sind für solche Feiern natürlich besonders geeignet. Es ist allerdings zu fragen, ob durch die Zusammenführung nicht ein Teil der transformativen Kraft der Gottesdienstfeiern verloren geht. Gottesdienste, die auf diese Weise „überfrachtet“ werden, laufen Gefahr, dass die Botschaft unklar wird. Außerdem wird durch das Zusammenfassen die Ambivalenz der Emotionen, die den Jahresübergang begleitet, eher verstärkt als aufgelöst.

3 Ausblick Nicol hat für die Wiederbelebung der Bedeutung des Himmelfahrtfestes nach Impulsen aus der Musik und der Poesie gesucht.2 Ähnliches ist in dieser Arbeit bezogen auf das Neujahrsfest in der Kirche geschehen. Neujahr tritt in der Kirchenpraxis hinter Silvester zurück. Aber es gibt gute Gründe, den geschehenen Übergang, die Aneignung des „Neuen“ mit einer eigenen Feier zu bedenken. Wenn die hier untersuchten Neujahrslieder mit ihren Motiven, den verschiedenen Frömmigkeitsrichtungen, aus denen sie stammen, und den unterschiedlichen Verwendungszwecken, denen sie dienen, dazu beitragen könnten, die Bedeutung des Jahreswechsels, vor allem aber wieder der Neujahrsfeiern in der gottesdienstlichen Praxis zu beleben, wäre viel gewonnen.3 Die „Kanonisierung“ von Motiven und ganzer Lieder in der Rubrik „Jahreswechsel/Jahreswende/Neujahr“ bringt Erkenntnisse über die theologische Deutung des genuin unkirchlichen Festes durch die Jahrhunderte und verschiedene Frömmigkeitsstile. Am Ende steht die Frage nach der Zukunft des Kirchenlied2 Vgl. Nicol, Himmelfahrt. 3 Die vorliegende Arbeit kann vielleicht für so manche Liedpredigt eine Hilfestellung bieten, ist sie doch zum Jahreswechsel eine beliebte Predigtweise.

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Ausblick Ausblick

gutes zum Jahreswechsel. In seiner Offenheit für die Lebenswelt heutiger Menschen ist das Fest geeignet, Gottes Segen und gelingendes Leben, den Umgang mit (existentiellen) Ängsten und das Gefühl von „Zeitnot“ bzw. „Schnell-vergehender-Zeit“ aber auch die (Gestaltungs-) Freiheit und Zukunft des Einzelnen in der Welt zu thematisieren. Hierzu fehlen entsprechende Lieder, die auch in neuen Sprachformen und Bildern diesen Themen Raum geben könnten. Es ist zu hoffen, dass die Beschäftigung mit dem poetischen Erbe zu dem Anlass der Jahreswende zu kreativen Neuschöpfungen führt. Hierzu auch einmal eine klassische Weihnachtsmelodie zu verwenden, könnte bei aller Eigenständigkeit, die das Fest im Kirchenjahresverlauf erhalten hat, dazu dienen, es wieder näher mit Weihnachten in Verbindung zu bringen. So könnte die Eingebundenheit in den Weihnachtsfestkreis wieder hörbar und im Singen erlebbar gemacht werden. Es ist offensichtlich, dass Gottesdienste zur Jahreswende auf ein Bedürfnis reagieren, den Übergang geistlich begleitet zu wissen. Das ist allerdings nicht der alleinige Grund, warum der Jahreswechsel auch in der Kirche gerne ge­ feiert wird. Hier füllt sich nämlich eine thematische „Lücke“ im Kirchenjahreskreis. Das Fest erscheint notwendig bzw. erhält besondere Bedeutung dadurch, dass es, anders als Beerdigungen oder das Totengedenken, Raum eröffnet, über das eigene Leben und die (Welt-)Zeit nachzudenken. Und dies vornehmlich diesseitig. Je mehr Bezug zur Lebenswelt in den Liedern hergestellt werden mag, desto geneigter werden Liedertexter sein, rein anthropozentrisch zu reden und zu singen. Eine gewisse Tendenz hierzu ist bereits in den behandelten Kirchenliedern zu beobachten. Bei der Auswahl der Lieder ist vor allem darauf zu achten, dass sie nicht die menschlichen Ängste und Nöte auf der Schwelle zum Neuen Jahr überbetonen und in ein Lamento verfallen, das von Gott nichts erwartet und ihm nichts zutraut. Wo geklagt wird, nur um zu klagen, und keine Perspektiven eröffnet werden, die weiterführen, kreist der Mensch um sich selbst. Das göttliche Gegenüber und seine Verheißung vermag diese „Selbstverkrümmung“4 aufzubrechen. Kirchenlieder zum Neuen Jahr besaßen durch die Jahrhunderte im Unterschied zur Liturgie die größere Innovationskraft. Neue theologische Strömungen und Motive spiegeln sich alsbald in ihnen, während liturgische Veränderungen mehr Zeit brauchten. Heute ist das Verhältnis eher umgekehrt. Während über neue Perikopenordnungen und eine Neustrukturierung des Kirchenjahres nachgedacht wird, sind die Gesangbuchlieder der Zeit hinterher. Offen ist, wie es überhaupt mit dem Kirchengesang und dem Medium Gesangbuch 4 Vom homo incurvatus in se, dem auf sich selbst hin verkrümmten Menschen, spricht bereits Augustinus. Mit dieser Selbstbezogenheit beschreibt Martin Luther die sündhafte menschliche Natur. Vgl. Martin Luther, Scholion zu Röm 5,4, WA 56, 304, 25–29.

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Ertrag und Ausblick

weitergehen wird, da sich Medien rasant wandeln und Beamer zur Projektion der Liedtexte in manchen Kirchen oder zu besonderen Gottesdiensten bereits Einzug halten. Neues Liedgut findet auf diesem Weg schneller Eingang in die Gottesdienste, verliert wohl aber auch seine ‚Halbwertzeit‘. Zukünftige Gesangbuchredaktionen (so es diese weiterhin geben wird) sind vor neue Herausforderungen gestellt. Die Auswahl wird schwieriger werden, ebenso die allgemeine Festlegung von Kriterien für neue Lieder. Denn noch sind Gesangbücher für ein halbes Jahrhundert konzipiert – und vom Tag ihres Erscheinens an veralten sie; in Anbetracht der oben beschriebenen „Beschleunigung“ sind sie ein Medium, das jetzt noch schneller veralten wird. Für den ausgewählten Kirchenliederbestand in diesem speziellen Fall, wie ebenso allgemein, mag auch in Zukunft gelten, was Lübbe bezogen auf klassische Literatur formuliert hat: „Klassisch ist, was sehr alt, wirkungsgeschichtlich nachweislich auch gegenwärtig wirksam und was in eben diesem Sinn unbeschadet seines Alters nicht veraltet ist.“5 Anthropologische Grundfragen und theologische Antworten finden wir in den Jahreswendeliedern unabhängig von ihrem Alter. Sie nicht über Bord zu werfen, das hat auch mit einer Sensibilität für die Gestaltung von Lebensübergängen in der Kirche heute, insbesondere mit den Kasualgottesdiensten zum Anlass „Jahreswende“ zu tun. In einer Zeit, die geprägt ist von dem Gefühl der Beschleunigung und Zeitnot, können die Lieder zu Ankerpunkten werden. Indem sie ein gewisses Alter besitzen und sich durch die Zeit bewährt haben, sind sie geeignet, auch Gläubigen der Gegenwart Jahr um Jahr geistlicher Beistand und Hilfe zu sein. Denn das Alte hat den Vorzug, „in sehr dynamischen Entwicklungen weniger rasch zu altern als das weniger Alte und somit Kontinuitätserfahrung zu verstatten.“6 Erinnerung und Erwartung sind die beiden Pole, zwischen denen sich das geistliche Kraftfeld des Jahreswechsels entfaltet. Es ist ein Fest, das dem Menschen von heute Gelegenheit gibt, seine eigene Lebenszeit, die Lebenszeit seiner Mitmenschen, die Weltzeit und Gottes Zeit bzw. Ewigkeit zu bedenken und miteinander in Einklang zu bringen – alles sozusagen zu synchronisieren. Dazu können Neujahrslieder Erinnerungs-, Glaubens- und Sprachhilfen sein.

5 Lübbe, Gegenwartsschrumpfung, 276. 6 Ebd., 286 f.

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Anhang

1

Liedtexte (nach ihrem Initium alphabetisch sortiert)

1. Des Jahres letzte Stunde Fassung für Oldenburg 1792:

Des Jahres letzte Stunde ertönt mit ernstem Schlag trinkt, Brüder, in die Runde und wünscht ihm Segen nach! Zu jenen grauen Jahren entfliegt es, welche waren es brachte Freud’ und Kummer viel und führt’ uns näher an das Ziel.

Das jahr ist hingeschwunden, Wie schaum im wilden bach. Denkt seinen heitern stunden, Denkt seinen trüben nach. Zu jenen grauen jahren Entfloh’ es, welche waren; Es brachte freud’ und kummer viel, Und führt uns näher an das ziel.

In stetem Wechsel kreiset Die flügelschnelle Zeit: Sie blühet, altert, greiset und wird Vergessenheit.

In stetem wechsel kreiset Des menschen kurze zeit; Er blühet, altert, greiset, Und geht zur ewigkeit.

Kaum stammeln dunkle Schriften auf ihren morschen Grüften, und Schönheit, Reichthum, Ehr’ und Macht sinkt mit der Zeit in öde Nacht.

Bald schwinden selbst die schriften Auf seinen morschen grüften; Und schönheit, reichthum, ehr’ und macht Sinkt mit hinab in todesnacht.

Sind wir noch alle lebend, wer heute vor dem Jahr, in Liebesfülle strebend mit Freuden fröhlich war? Ach, mancher ist geschieden und liegt und schläft in Frieden! Klingt an und wünschet Ruh’ hinab in unsrer Freunde stilles Grab!

Sind wir noch alle lebend, Wer heute vor dem jahr, Jn lebensfülle strebend, Mit freunden fröhlich war? Ach mancher ist geschieden, Und liegt und schläft in frieden! Wir wünschen Gottes ruh’ hinab Jn unser freunde stilles grab!

Wer weiss, wie mancher modert ums Jahr, versenkt ins Grab! Unangemeldet fordert der Tod die Menschen ab.

Wer weiß, wie mancher modert Ums jahr gesenkt ins grab! Unangemeldet fordert Der tod die menschen ab.

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Anhang

Trotz lauem Frühlingswetter wehn oft verwelkte Blätter. Wer von uns nachbleibt, wünscht dem Freund im stillen Grabe Ruh’ und weint.

Trotz lauem frühlingswetter Wehn oft verwelkte blätter. Wer von uns nachbleibt, wünscht dem freund Jm stillen grabe ruh’ und weint.

Der gute Mann nur schliesset die Augen ruhig zu; Mit frohem Traum versüsset ihm Gott des Grabes Ruh’. Er schlummert leichten Schlummer nach dieses Lebens Kummer; dann weckt ihn Gott, von Glanz erhellt zur Wonne seiner bessern Welt.

Der gute mann nur schließet Die augen ruhig zu; Mit frohem traum versüßet Jhm Gott des grabes ruh’. Er schlummert kurzen schlummer Nach dieses lebens kummer; Dann weckt ihn Gott, von glanz erhellt, Zur wonne seiner bessern welt.

Auf, Brüder, frohen Mutes auch wenn uns Trennung droht! Wer gut ist, findet Gutes im Leben und im Tod. Dort sammeln wir uns wieder und singen Wonnelieder. Klingt an, und: Gut sein immerdar! sei unser Wunsch zum neuen Jahr.

Wohlauf denn, frohes (sic!) muthes, Auch wenn uns trennung droht! Wer gut ist, findet gutes Jm leben und im tod’. Dort sammeln wir uns wieder, Und singen wonnelieder. Wohlauf, und: gut seyn immerdar! Sey unser wunsch zum neuen jahr.

Text: Johann Heinrich Voss 1784; Erstdruck in: Journal von und für Deutschland, Dezember 1784. Melodie: Johann Abraham Peter Schulz 1784.

2. Ein Jahr geht nach dem andern hin 1. Ein Jahr geht nach dem andern hin, Der Ewigkeit entgegen. Ach möchte doch der träge Sinn Dies fleißiger erwägen! Ach brächte doch ein jedes Jahr Viel neue gute Früchte dar!

4. Allein der treue Heiland spricht: „Laß ihn dies Jahr noch stehen; Trägt er auch jetzo Früchte nicht, Ich hoff’, sie noch zu sehen. Halt doch des strengen Urteils Lauf Noch dieses Jahr, mein Vater auf!“

2. Allein wo ist, wo ist die Frucht, Die wir bisher getragen? Wie oft hat Gott umsonst gesucht, Wie hat er müssen klagen! Es tat ihm weh, wenn seine Hand Anstatt der Frucht nur Blätter fand.

5. So gib denn, lieber Heiland, Kraft, Dies Jahr viel Frucht zu bringen. Ach laß doch deines Geistes Saft In unsre Zweige dringen. O schütt auf Kirche, Volk und Haus Viel Gnade, Kraft und Segen aus!“

3. „Haut ab“ spricht er, „den faulen Baum, Der keine Früchte träget! Was nimmt er andern Saft und Raum? Komm, Tod, der alles schläget, Komm, leg die Axt der Wurzel an, Tu einen Streich, so ist’s getan!“ Weise: Mach’s mit mir, Gott, nach deiner Güt’, Johann Jakob Rambach, 1693–1735, © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen (Text nach Methodistengesangbuch 1928).

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Liedtexte Liedtexte

3. „Schlussgebet und Segen. Allgemeiner Lobgesang. Herr Gott! dich loben wir! Herr Gott! dir danken wir! Zu dir, Allwaltender, empor, Steigt heut’ ein heilger Jubelchor! Du hast bis hieher uns gebracht, Für uns gesorgt, für uns gewacht, Ein ganz Jahrhundert strömtest du, Aufs neu’ uns Heil und Segen zu. Barmherzig ist der Herr, Weis’ und gerecht ist Er; Heilig ist unser Gott, Ein Helfer in der Noth! Der Sonnen und der Welten Heer Lenkt deine Hand, Allmächtiger, Die Jahre fliehn im schnellsten Lauf, Und kein Erschaffner hält sie auf. Jahrhunderte sind nichts vor dir, Du bleibest ewig, – Staub sind wir. Doch treibt der rasche Strom der Zeit, Auch uns zum Meer der Ewigkeit. Wenn dann, was irdisch ist, verstäubt, So wohnt in uns ein Geist, der bleibt Hoch über Erd und Zeit sich hebt, Und endlos wirkt und ewig lebt.

Noch ruht in ferner Zukunft Schooß, Der Völker Loos und unser Loos; Ein tröstend oder schreckend Bild, Für uns in Dunkel eingehüllt. Ach Seegen werde unser Theil! Wir hoffen, Vater, auf dein Heil. Noch kämpft die Menschheit hart und schwer Mit ihrer Feinde mächtgem Heer. Von Wahn und Lastertyranney, Wann, ach! wann wird sie endlich frey? O! führe sie durch Kampf und Streit Zum Ziele der Vollkommenheit! Noch tränkt das Land, noch färbt die Fluth Der Zwietracht Schwerdt mit Bruderblut! Barmherziger, des Friedens Glück Send’ uns auf Land und Meer zurück. Der Wahrheit segenvolles Licht Es weiche neuem Jrrthum nicht; Es fliehe vor der Tugend Macht Das Laster in die ewge Nacht. Gehorsam dir, weis’ und gerecht Sey jedes künftige Geschlecht Amen!

Sieh! dieser Geist, sein Werk, dein Bild, Dem tiefgerührter Dank entquillt, Der Wunder deiner Gnade voll, Weiß er nicht, wie er danken soll. Nimm Freudenthränen, reinen Sinn, Und Zuversicht zum Opfer hin. August Herrmann Niemeyer (aus: Säculardichtungen, 431 f., Nr. 159, Hervorhebungen getilgt).

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Anhang

4. Heut faenget an das neue jahr mit neuem gnadenschein Mel. Nun sich der tag geendet hat / etc. 1.) (1. Chor.) Heut faenget an das neue jahr mit neuem gnadenschein / (2. Chor.) Wir loben alle unsern GOtt / und singen insgemein. 2.) (1.Ch.) Seht / wie sich Gottes Vaterhuld erzeiget euch aufs neu / (2. Ch.) Wir mercken seine wunder=guet / und spueren seine treu. 3.) (1. Ch.) Was suchet doch der fromme GOtt durchs gute / so er thut? (2. Ch.) Ach! wer uns das recht lehren wolt / erweckte hertz und muth. 4.) (1. Ch.) Der Geist der spricht es deutlich aus: Er leitet euch zur buß; (2. Ch.) Wir buecken uns von hertzens=grund / und fallen ihm zu fuß. 5.) (1. Ch.) Wohl euch! wenn dieses recht geschieht / und geht von hertzens=grund: (2. Ch.) Ja / ja / es schreyet seel und geist / und nicht allein der mund. 6.) (1. Ch.) Thut das / und haltet bruenstig an / bis GOtt geholffen hat: (2. Ch.) Wir sencken uns in seine huld / und hoffen bloß auff gnad. 7.) (1. Ch.) Das ist gewiß der rechte weg / der euch nicht truegen kan; (2. Ch.) Ach JEsu / JEsu! seuffzen wir / nimm du dich unser an! 8.) (1. Ch.) Den hat euch GOtt zum gnaden=stul und Mittler vorgestellt: (2. Ch.) Drum nehmen wir ihn willig auff / weil er das Heil der welt. 9.) (1. Ch.) Wohl! dieser ist der wahre GOtt / in dem euch huelff bereit / er machet euch von suenden loß / und schenckt die seligkeit. 10.) (2. Ch.) Diß heute unsre hoffnung ist / und bleibet immerdar / JEsus / der starcke sieges=held / daempff nur der feinde schaar. 11.) (1. Ch.) Gar gerne will er dieses thun / wo ihr nicht widerstrebt / nur haltet seinem wircken still / und ihme euch ergebt. 12.) (2. Ch.) Wir wollens thun durch seine gnad / die Er im glauben schenckt / bey Ihm ist doch allein die krafft / die unsre hertzen lenckt. 13.) (1. Ch.) Diß glaubt / und zeigets in der that in eurem lebens=lauff / den welt=sinn leget gaentzlich ab / schwingt euch zu GOtt hinauff. 14.) (2. Ch.) Wir folgen diesem guten rath / weil es GOtt selbst gebeut / die seele suchet huelff und gnad / das hertz die suend bereut. 15.) (1. Ch.) Ja glauebet / GOttes huelff ist nah / und Christi guter Geist / ist warlich stets darauff bedacht / wie er euch huelffe leist. 16.) (2. Ch.) Den nehmen wir mit freuden an / der soll uns machen neu / die suende habe gute nacht / zusamt der heucheley. 17.) (1. Ch.) So fanget an und fahret fort in diesem neuen jahr / so bleibet euch der seegen nah / und weichet die gefahr. 18.) (2. Ch.) Des troesten wir uns allezeit von GOttes lieb und huld / und hoffen auff barmhertzigkeit im glauben und gedult. (Beyde Choer zusammen.) Mel. Ich liebe dich hertzlich / o Jesu / etc. (aus: Halle 1706 von Freylinghausen).

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Liedtexte Liedtexte

5. Hoer / liebe seel / sey wolgemuth Hoer / liebe seel / sey wolgemuth Laß tod und teuffel trauren Der nun wird in der hoellen=glut Vergebens auff dich lauren. Dann Christi blut hat sie geloescht Damit er unsre hertzen waescht Und reiniget von suenden. Darum laß trauren trauren seyn Halt dich zu deinem Jesulein Da wirst du freude finden.

So eil herzu mit vollem lauff O du elender suender Halt das gefaess des hertzens auf. Dein Gott ist viel gelinder Un guetiger / als du selbst meinst Zumahl wann du fuer ihm erscheinst Auff herzgebognen knien. Er hat noch niemand seine gnad Verweigert / wer um huelff und rath Anstaendig hat geschrien.

Dein Jesus sprenget dich mit blut In dem er wird beschnitten Diß koemmet dir und mir zu gut Wann wir nur darum bitten Und halten unsre hertzen dar So netzet er sie gantz und gar Daß sie sich wieder laben. Wol denen, die diß Jesulein Jn aller suenden angst und pein Zu ihren labsal haben. (Christoph Arnold, nach PPM 1703).

6. Iesus ist ein suesser nam IESVS ist ein suesser nam

de(n) ruffe(n) wir arme Suender an damit wir gnad erlangen vm(b) vnser suend begange(n) Genad HErr / genad vmb all vnser Suend vn(n) Missethat. IESVS ist ein Heiliger Nahm

der Suenden vber die massen gram drumb Gott Mensch wolt werden die Suenden tilgen auff Erden. Genad Herr genad vmb all vnser Suend vnnd Missethat.

IESVS ist der wahre Nahm

kein Luegen fuer jm kann bestahn wo wir die Suende meiden kein Secten Jesus wird leiden: : Genad etc.

IESVS ist deß Lebens Nahm

dem Todt den Todt er kuendiget an die Suend wolt er verderben darumb der Todt must sterben Genad etc.

IESVS ist der Himlische Nahm

der vnser Schwachheit an sich nam darunter die Helle zuuerstoeren die Seelen gen Himmel fuehren: : Genad etc.

IESVS ist der hoechste Thron

der lieben Heiligen ewige Cron jhr zahl er jmmer mehret wann er vns Suender bekehret: : Genad etc.

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Anhang

IESVS ist der liebste Nahm

den man von Hertzen lieb soll han den wollen wir lieben und loben solten alle Jesus Feinde toben: : Genad etc.

Ehr/Lob/Preiß vnnd Herrligkeit sey Gott der Heiligen Dreyfaltigkeyt vnd Jesus Nahm gebenedeyet von nun an biß in Ewigkeit: : Genad etc.

IESVS ist vnser Zuuersicht

verlaß vns Suender vnnd Suenderin nicht

HERR laß vns zu die lenden

hilff Jesus an vnserm ende: : Genad etc.

(aus: Paderborn 1609, Überschrift: Ein New Jahrsgesang; darunter die Notiz: „Ende der Weynachten Gesaeng“).

7. Man wünschet gute Zeiten 1. Man wünschet gute Zeiten, und Gott ist immer gut; wir sehn auf allen Seiten, was er uns gutes tut: doch wir sind Schuld daran, wenn sich die Zeit verschlimmert und sich das Herz bekümmert, wie es noch gehen kann.

4. Herr über alle Zeiten, ach bessre unsre Zeit und gib, daß bei den Leuten die Besserung gedeiht; begehre du uns Herr, so werden wir begehret, und was uns dann beschweret, mach uns erträglicher!

2. Gibt es von außen Friede, so ist von innen Streit; sein Segen wird nicht müde; wo bleibt die Dankbarkeit? der Missbrauch geht zu weit! das Himmelsbrod schmeckt bitter, man suchet solche Güter, die nur sind in der Zeit.

5. Salb des Regenten Krone mit Segen aus der Höh’, daß stets auf seinem Throne ein neues Heil aufgeh! den Segen send herab auf eines jeden Stande, daß man im ganzen Lande des Segens Fülle hab.

3. Kein Wunder, wenn die Erde nur Dorn und Disteln trägt; der Fluch ist die Beschwerde, die man im Busen hegt; es bringt sich Israel selbst in das Ungelücke und stößt die Hand zurücke, die alles Segens Quell.

6. Laß dein Fußtapfen triefen und kröne selbst das Jahr; hat uns die Not ergriffen, errett uns wunderbar! Sei du der Armen Teil, wisch ab der Witwen Tränen, erfüll der Kranken Sehnen, sei unser aller Heil!

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7. Laß auch bei Kirch und Schule, dein Aug und Herze sein; vor deinem Gnadenstuhle sei lauter Sonnenschein, und mach uns stets bereit, bis wir die Zeit beschließen, die Ewigkeit zu grüßen: dort ist die beste Zeit Melodie: Von Gott will ich nicht lassen. Verfasser: nicht genannt. Aus: Sammlung Christlicher Lieder für die öffentliche und häusliche Andacht, zum Gebrauch der deutschen evangelischen Kolonien an der Wolga, auf Wunsch der Wolgadeutschen in Deutschland nachgedruckt vom Missionswerk „Brücke zur Heimat“ in Kassel 1979, Nr. 586.

8. Maria durch ein Dornwald ging Wer hat’s getan? Wallfahrtsgesang 1. Maria durch ’nen Dornwald ging Kyrieleison. Maria durch ’nen Dornwald ging, Der hat in sieben Jahren kein Laub getragen! Jesus und Maria!

5. Wer soll dem Kind sein Täufer sein? Kyrieleison. Das soll der Sanct Johannis sein, Der soll dem Kind sein Täufer sein! Jesus und Maria!

2. Was trug Maria unter ihrem Herzen? Kyrieleison. Ein kleines Kindlein ohne Schmerzen, Das trug Maria unter ihrem Herzen! Jesus und Maria!

6. Was kriegt das Kind zum Pathengeld? Kyrieleison. Den Himmel und die ganze Welt, Die kriegt das Kind zum Pathengeld! Jesus und Maria!

3. Da haben die Dornen Rosen getragen, Kyrieleison. Als das Kindlein durch den Wald getragen! Da haben die Dornen Rosen getragen! Jesus und Maria!

7. Wer hat erlöst’ die Welt allein? Kyrieleison. Das hat gethan das Christkindlein, Das hat erlöst’ die Welt allein! Jesus und Maria!

4. Wie soll dem Kind sein Name sein? Kyrieleison. Der Name der soll Christus sein Das war von Anfang der Name sein. Jesus und Maria! (aus: Geistliche Volkslieder mit ihren ursprünglichen Weisen gesammelt aus mündlicher Tradition und seltenen Gesangbüchern, hg. von August von Haxthausen, Paderborn 1850, 164).

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9. Ein schoen New Jahrs Lied. Mit diesem Newen Jahre/ So ist vns offenbare/ Wie das ein Jungfraw fruchtbare/ Die Welt hat sehr erfrewt/ Gelobt muß sein daß Kindelein/ Geehrt muß sein die Jungfraw fein/ Nun ewiglich vnd alle zeit./ Gelobt muß sein das Kindelein.

Maria die Jungfrawe in Krone/ Gieng schwanger mit Gottes Sohne/ Gebaeret hat sie die Sonne/ Jesus gebenedeyt Gelobt / etc.

Wie ward soll ihr zu muthe/ Da sie in Fleisch vnd Blute/ Ansah jhres Hertzen Hute/ Jesus gebenedeyt Gelobt etc.

Also hat der Herr begunnen/ Zu suchen alle stunden/ Sein Schaefflein waren jhm entrunnen/ Jesus gebenedeyt/ Gelobt muß sein etc.

Als acht Tag waren glitten/ Da ward das Kindlein bschnitten/ Nach der Jueden sitten/ Jesus gebenedeyt / Gelobt / etc. Die Engel sungen schone/ Gloria in dem Throne/ Zu Lob und Ehr Gottes Sohne/ Jesus gebenedeyt / Gelobt / etc.

Jesus begunt zu karmen1/ Er lag mit blossen Armen/ Er wolt sich vnser erbarmen/ Jesus gebenedeyt / Gelobt etc.

Gott Vatter Sohn / Heilger Geist/ Wir bitten dich allermeist/ Schencke vns deinen jungen schweiß2. Jesus gebenedeyt/ Gelobt muß sein / etc.

Kath. Gesangbuch Köln 1628, 648 ff; ursprünglich in einer Trierer Handschrift von 1483 zu finden.

1 Mhd. für wehklagen. 2 Poetisch für „Blut“.

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10. Mit diesem neuen Jahre 1. Mit diesem neuen Jahre wird allen offenbare, wie daß ein Jungfrau fruchtbare die ganze Welt erfreut.

3. Die Engel sungen schone: „Gloria in dem Throne“ zu Lob und Ehr Gottes Sohne. Jesus gebenedeit.

Refrain: Gelobt muß sein das Kindelein, geehrt muß sein die Jungfrau rein, nun ewig und zu aller Zeit.

4. Also hat Jesus begunnen zu suchen zu allen Stunden zu Schäflein, die ihm entrunnen. Jesus gebenedeit.

2. Maria, der Jungfrau Krone, ging schwanger mit Gottes Sohne. Geboren hat sie die Sonne: Jesus gebenedeit. Dem Deutsch unserer Zeit angeglichener Text aus: Hansen (Hg.), Das große Festtagsbuch, 19. Eine 14-strophige Liedfassung findet sich in der Wedener Liederhandschrift, Lied Nr. 3, Abdruck durch Franz Jostes: NdJb 14 (1889), 64 f. Dort mit der Überschrift: Eeen nyenyaersdach (een) loysschen.

11. Neujahrslied, ‚Im thon Gelobet seistu Jesu Christ‘ (1543) 1. Nün wolle gott das vnnser gesanngk, Alltzeit geschee dem herrenn zu dannck, So wunschenn wir ewer gnad ein gutes Jar, Das gott mit gnadenn mache war, alleluia, 2. Ewer fürstlich gnad standt nit bestat, Wo er gott nicht zum hülffenn hat, Der euch erhelt altag vnnd stundt, Wellichs wunschenn wir von hertzen grundt, alle: 3. Gott gebe das ewer gnad Irenn gewalt, Vonn gott annehme vnnd recht erhalt, Der gebe ewer gnadenn glück vnnd heill, Zuhanndeln, was gott gefellig sei, alleluia, 4. Noch weiter wünschen wir aus hertzen gründt, Das ewer gnad vnnderthan alle stundt, Inn gehorsamb vnnd gotseligkeitt, Ewer gnad alletzeit seint bereit, alleluia,

5. Das wünschen wir von hertzen all, Das es gott vnnd euch gefall, Ein erlichs volck ein heiligs Lanndt, Getrew vnnd gehorsamb werdt bekannt, alle: 6. Ewer gnad thüe aüff Ire milde hab, Vnnd schenck vnns eine gnedige gab, Zu diesem frolichenn Newenn Jar, Mit gesuntheit das vberlebe gar, alleluia, 7. Vnnd sei mit ewer gnad gottes hanndt, Die vnns behuet vor sundt vnnd schanndt, Verleihe viell seliger Jar, Inn frucht vnnd liebe, das werde war, alleluia.

(Herzogin Elisabeth von Braunschweig-Calenberg, Text nach A. Classen, Religiöse Frauenlieder, 276 f.).

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Anhang

12. Nun lasset uns alle dem HErren ergeben 1. Nun lasset uns alle dem HErren ergeben / in stetiger busse und glauben zu leben / die suend’ abzuschaffen / das gute zu suchen / die welt=lust und irrdische freud zu verfluchen; 2. Von JEsu zu nehmen den himmlischen seegen / den Er und versprochen ins hertze zu legen. Ach JEsu! ach JEsu! komm hilff uns in gnaden / gib seegen /  gib leben / wend’ unheil und schaden! (aus: Halle 1706 von Freylinghausen, Nr. 47).

13. Zürich am Ende des achtzehnten Jahrhunderts, oder die Hoffnung am Neujahrstag 1800. Oh wende dich von jenen Jammerscenen Mein trüber Thränenvoller Blick! Oh wende dich vom Blutfeld, von dem Stöhnen Zerstümmelter und Röchelnder zurück! O wende dich von der Verheerung Stätte, Wo Elend sich das Haar zerrauft! Vom Freiheits=Heuchler, der die Kette Als Menschenrecht preist – und verkauft! Zurück geweint sind schon, zurückgeschmachtet Des Dranges Wochen, Monden, Jahr’! Hab’ ich auch lang genug sie stumm betrachtet? Gewogen Rettung, Stärkung, Angst, Gefahr? Hab’ ich genug den Schohnenden bewundert, Dem nicht des Elends Fleh’n missfiel? Ich stehe still … Ein schreckliches Jahrhundert Eilt Gnadenvoll zu seinem Ziel. Ich öffne meinen Blick. Ich seh’ hinüber In Das, so kömmt – Mich hält und stützt Der Hoffnung Anker – wird das Auge trüber, Und glaubt’s zu sehn. – „Ein neues Blutschwert blitzt!“ Die Wolken flieh’n; Die Sonne strahlet wieder, Wenn Gottes Hand den Vorhang rückt; Mein ganzes Wesen sinkt anbethend nieder, Es hebt ein Tag sich aus den Mitternächten, Gesang, wo Jammerstimm’ erscholl – Jahrhundert, welches kömmt, in Deiner Rechten Seh’ ich ein Füllhorn, jedes Segen voll – Und vor Dir her das Jahr mit heut begonnen Ein Friedensjahr von Gott gekrönt – © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525624364 — ISBN E-Book: 9783647624365

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Und Freude da, wo Blut und Thränen ronnen, Und Recht – wo man das Recht verhöhnt. O Dich, Gerechtigkeit, Dich seh’ ich wieder, Des Eigenthums Beschützerin! Du, Billigkeit, steigst von den Himmeln nieder; Es herrscht wie nie – gesunder Menschensinn. Nicht Namen gelten mehr, nur biedre Thaten, Nur Recht, Verdienst und Tugend nur – Ihr Patrioten, Ihr Aristokraten Verehret jedes Rechtes Spur. Ich seh’ und ahne weise Freyheitsehrer – Sie fern von Herrschsucht, Stolz und Trutz; Sie, lebendes Gesetz; Sie fromme Schwörer, Zu seyn des Volkes Licht und Glück und Schutz; Sie, Hasser aller Unrechts=Künsteleyen, Sie Unschuldsretter, tapfer, treu – Sie fern und rein von alten oder neuen Erfindungen der Tyranney. Nicht seh’ ich Oestreichs Waffen, nicht den Franken, Nicht Russlands rohes Kriegesheer Bey mir – Ich höhre nicht, wie Buben zanken Der Nation Repräsentanten mehr. Ich sehe Väter nur und Söhn’ und Brüder; Die voll von edler Männer=Kraft, Ich sehe Hand in Hand des Staates Glieder Für Tugend nur voll Leidenschaft. Entflieh Gewölk, das meinen Blick verdunkelt! Ein Strahl von Gott zerstreu’ dich schnell! Jch seh’ ein Augenheer, das Liebe funkelt. – Der Anblick macht die trübe Seele hell; Es nähern sich die fern getrennten Herzen; Vertraun erwacht in jeder Brust. Des Städters Schmerzen sind des Landmanns Schmerzen, Des Landmanns Glück ist meine Lust. Ich bin nicht stolz auf meine Kron’ von Mauern; Der Stolz geziemt verarmten nicht; Und mich ergreift ein banges tiefes Trauern, Wenn man ein Wort, das Hochmuth athmet, spricht, O Söhn’, o Töchter, die ich selbst gebohren, Und treü und mütterlich gepflegt –

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Anhang

Umarmt mit Lust, was ausser seinen Thoren Den Namen Kanton Zürich trägt. Barmherzigkeit! ich sehe deine Hände Von lieblichmilden Gaaben voll; „Ach, sprichst du!“ wohin ich mein Auge wende, „Ist Noth und Last, die ich erleichtern soll – “ O meine Söhn’, o meine holden Töchter! Seyt milde – Gott giebt Dem, der giebt. Seyt Zeugen noch für künftige Geschlechter: Gott segnet Den, der hilft und liebt. Religion! … Von Dir auch will ich ahnen, Du Quell des Trosts in unsrer Brust! Vom Narrn verschmäht, verhöhnt nur von Satanen – Der reinsten Geister höchste Lust! Religion! Du schönste Menschenehre! Veredlerin von jedem Trieb! Besiegerin von jedem Lasterheere! (O wer Dich kennt, der hat Dich lieb!) Religion! Du wirst mit neuem Lichte Erheben bald Dein Haupt empor! Dich macht nicht mehr die Tollheit zum Gedichte – Dir leiht mein Volk sein offen Ohr. Dich ehrt Regent, und Volk und Schul’ und Lehrer! Dir beugt, was knieen kann, das Knie – Stehst Du verehrt im Kreise deiner Ehrer, Du sprichst mit Kraft zum Elend – flieh! Ach, ohne Dich, was könnt’ ich mir versprechen? Wo, wo ist Tugend ohne Dich? Bist du verhöhnt – so herrschen nur Verbrechen; Bist du geliebt – der Jammer wendet sich. Du lehrst den Sterblichen zum Himmel wallen, Ihn, beßten Erdenbürger sein! Du zwingst den Himmel selbst zum Wohlgefallen (An uns, machst selig uns und rein.) So krönet sich, Jahrhundert, noch dein Ende! Religion und Tugend geh’n Wie schwesterlich – verschlungen Arm und Hände, Und lassen bald uns nicht geglaubtes seh’n. Doch Hoffnung täuscht sich oft – was soll ich sagen? Bin ich allein von Täuschung frey? Ich bin es nicht – doch will ich nicht verzagen, Sind meine Söhn’ erfahrner Wahrheit treu. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525624364 — ISBN E-Book: 9783647624365

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„Wer wird den großen Stein vom Grabe wälzen?“ – Gott will – und weggewälzt ist er. Du kannst, o Gott, die härtsten Herzen schmelzen, Und sagst zum Laster: Bis hierher! Du kennst die Zahl von meinen bessern Söhnen; Die Thaten der Barmherzigkeit! Du kannst den Wunsch der frommen Tugend krönen; Und Du erfreüst wer gern erfreüt. Jahrhundert, schwinde nicht vor meinen Blicken, Bis frommer Sinn uns all vereint! Mir gönne Gott das himmlische Entzücken, Das Dank und Freudenthränen weynt. Gerechtigkeit, Religion und Tugend Beseele Stadt und See und Land! Verehrtes Alter! Hoffnungsvolle Jugend! Sey fromm und glücklich, Hand in Hand! Johann Caspar Lavater (aus: Säculardichtungen, 114–118).

14. Warum machet solche Schmerzen 1. Warum machet solche schmerzen Warum machet solche pein Der von unbeschnittnem hertzen Dir hertzliebstes Jesulein Mit beschneidung / da du doch Frey von deß gesetzes joch Weil du einem menschenkinde Zwar gleich / doch gantz ohne sünde.

3. Freut / ihr schuldner / euch deßwegen Ja sey froelich alle welt Weil heut anhebt zu erlegen Gottes Sohn das loesegeld. Das gesetz wird heut erfuellt Heut wird Gottes zorn gestillt: Heut macht uns / so sollten sterben Gottes Sohn zu Gottes erben.

2. Für dich darffst du diß nicht dulden Du bist ja deß bundes Herr Unsre / unsre grosse schulden Die so grausam / die so schwer Auff uns ligen / daß es dich Jammert hertz- und inniglich Die traegst du ab / uns zu retten Die sonst nichts zu zahlen haetten.

4. Wer mag recht die gnad erkennen? Wer mag dafuer danckbar seyn? Hertz und mund soll stets dich nennen Unsern Heyland / Jesulein: Deine guete wollen wir Nach vermoegen preisen hier Weil wir in der schwachheit wallen Dort soll baß dein lob erschallen.

(Paul Gerhardt 1647; Text nach PPM 1674).

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15. Wir gehen in Jesu Namen 1. Wir gehn in Jesu Namen Ins neue Jahr hinein. Der Anfang und das Amen Soll diese Losung seyn: Er wird uns heut geschrieben An unser Brust mit Blut. Drum sollen wir ihn lieben Als ein erkornes Gut.

4. Beschneid Herz Mund und Augen, Beschneide Hand und Fuß, Daß, was dir nicht will taugen, Von uns sich scheiden muß. Mit deines Creutzes Messer Beschneide Fleisch und Blut, Und mach uns täglich besser, Durch deine Vaters-Ruth.

2. Du Bräutigam im Blute: Vermähl uns heute dir; Du stellest uns zu gute, Dich dem Gesatze für; Erduldest harte Schmerzen In jedem scharffen Schnitt, Und teilest unsern Herzen Den schönsten Balsam mit.

5. Laß Kirche, Haus und Herze Dies Jahr im Segen stehn, Und deines Wortes Kerze Niemahlen untergehn; Es sey uns Tag und Nachte, Der Name, welcher dir Ein Engel selber brachte, Zum Schild und zum Panier.

3. Ach gib, daß wir im Glauben Auf dieses Blut-Baad sehn, Und laß den Trost nicht rauben, Der uns dadurch geschehn. Wer deiner sich will rühmen, eschnittener (sic!) Herr Christ, Dem muß es auch geziemen, daß er beschnitten ist.

6. Und fliessen unsre Jahre, Wie dort acht Tage hin, Laß an der Todten-Bahre Den Jesus-Namen blühn. Daß wir nach Jesu schreyen, In äusserster Gefahr: Bis wir dich benedeyen Im grossen neuen Jahr.

(Erbaulicher Musicalischer Christen-Schatz, Basel 1745, Nr. 93, S. 120).

16. In hoc anni circulo 1. Zu disem neuen jare zart ein kindelein geboren wart uns zu trost, zu seligkeit der jungfrau son, uns zu trost, zu seligkeit der jungfrau son Mariae.

3. Nu bitten wir das kindelein und die liebe muter sein, daß er uns genädig sei der jungfrau son, daß er uns genädig sei der jungfrau son Mariae.

2. Adam von dem apfel aß, das im ein großer schaden was, den uns abgenomen hat der jungfrau son, den uns abgenomen hat der jungfrau son Mariae. (Zitiert nach August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, Geschichte des deutschen Kirchenliedes bis auf Luthers Zeit, Hannover 21854, 317).

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Bonn 1575

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9. Als Jhesus geboren war, zu Herodes zeiten

8. Ach, wie ein süsser Name, ist der Nam Jesu Christ

7. Ach, wiederum ein Jahr verschwunden

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6. Ach, was ist doch Menschen liebe, was ist doch der Menschengunst

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Jena 1690

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Halle 1741

5. Ach Jesu! Dessen Treu im Himmel und auf Erden

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Dresden 1656

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Basel 1745 ×

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PPM 1703

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Hanau 1730

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Weimar 1783

4. Ach Gott! Wie groß ist deine Güte

3. Ach, Christe vnser seligkeit, der du bist in deiner Kindtheit

2. Abermals ist eins dahin, von der Zeiten Anbeginn

Lied / Initium 1. Abermals ein jahr verflossen, näher zu der Ewigkeit

2 Tabellen

Basel 1878 ×

Stuttgart 1912 ×

Tabellen Tabellen

341

Kiel 2000

Speyer 19941

Göttingen 1987 Hamburg 1984

Berlin (DDR)1980

Berlin 1954

Hamburg 1949

Zürich 1941

Halle 1940

Witten 1938

Gnadau 1917

Meiningen 1907

Speyer 1898

Berlin 1891

Berlin 1885

Stuttgart 1854

Berlin 1829

Freiberg 1795

Kiel 1789

Lied / Initium 10. A und O, Anfang und Ende, Jesu, wahres Gotteslamm! 11. Bis hierher ists gelungen; vorüber ist das Jahr 12. Christe, unser Seligkeit, der du in der Kindheit 13. Das alte Jahr ist nun dahin; dir, höchster Gott 14. Das alte Jahr ist nun dahin: erneure, Jesus, Herz und Sinn 15. Das alte Jahr ist nun vergahn, heut fangen wir ein neues an 16. Das alte Jahr ist nun ver­ gangen, das neue hat sich angefangen 17. Das alte Jahr vergangen ist, ein neues wir anfangen. Drum nun gedenk 18. Das alte Jahr vergangen ist, wir danken dir, Herr Jesus Christ

Dresden 1656

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Jena 1690

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PPM 1703

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Hanau 1730

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Halle 1741

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Weimar 1783 ×

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Freiberg 1795 ×

Berlin 1829 ×

Stuttgart 1854 ×

Basel 1878 ×

Berlin 1885 ×

Berlin 1891 ×

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Meiningen 1907 ×

Halle 1940 ×

Zürich 1941 ×

Hamburg 1949 ×

Berlin 1954 ×

Berlin (DDR)1980 ×

Hamburg 1984 ×

Göttingen 1987 ×

Speyer 19941 ×

Kiel 2000 ×

342 Anhang

Witten 1938

Gnadau 1917

Stuttgart 1912

Speyer 1898

Kiel 1789

Basel 1745

Bonn 1575

Lied / Initium 19. Das alte Jahr vorüber ist, ein neues wir anfangen, da findet nun ein jeder Christ 20. Das alt ist abgegangen, das neue Jahr tritt auf 21. Das ist der werthe Tag, der tag voll freud und Wonne 22. Das Jahr, das nun vergangen ist 23. Das Jahr entflieht. Mein ganz Gemüthe 24. Das Jahr geht still zu Ende 25. Das Jahr ist nun zu Ende 26. Das Jesulein soll doch mein Trost 27. Das liebe neue Jahr geht an 28. Das neugeborne Kindelein, das her(t)zeliebe Jesulein / herzigliebe Jesulein (1917) 29. Dein Bräutigam ruft dir mit deinem Nam 30. Dennoch kann man eine Last nach der andern überbringen

Dresden 1656

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Jena 1690

© 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525624364 — ISBN E-Book: 9783647624365

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PPM 1703

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Hanau 1730

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Halle 1741

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Basel 1745 ×

Weimar 1783 ×

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Kiel 1789 ×

Freiberg 1795 ×

Stuttgart 1854 ×

Berlin 1891 ×

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Stuttgart 1912 ×

Gnadau 1917 ×

Witten 1938 × ×

Halle 1940 ×

Hamburg 1949 ×

Berlin 1954 ×

Berlin (DDR)1980 ×

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Hamburg 1984 ×

Göttingen 1987 ×

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Speyer 19941 ×

Kiel 2000 ×

Tabellen Tabellen

343

Zürich 1941

Meiningen 1907

Speyer 1898

Berlin 1885

Basel 1878

Berlin 1829

Bonn 1575

Lied / Initium 31. Der du bist A und O, Anfang und Ende, ein Herr der Zeit 32. Der du die Zeit in Händen hast 33. Der erste Tag des Jahrs erscheint 34. Der erste Tag im neuen Jahr erscheint durch deine Guete 35. Der gwaltig Name Jesus Christ 36. Der heist und ist auch recht beglückt, dem Gott solch einen Freund zuschickt 37. Der von dem Gesetz gefreyet war 38. Des Jahres erster Morgen soll, Gott, dir heilig sein 39. Die Zeit ist nun gekommen, wir sehn das neue Jahr 40. Du, Gott, du bist der Herr der Zeit 41. Du halfst bis diesen Tag und wirst auch weiter helfen

Bonn 1575

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Dresden 1656

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Jena 1690

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Halle 1741

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Kiel 1789 ×

Freiberg 1795 ×

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Berlin 1829 ×

Stuttgart 1912 ×

Berlin 1954 ×

Hamburg 1984 ×

Göttingen 1987 ×

Speyer 19941 ×

Kiel 2000 ×

344 Anhang

© 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525624364 — ISBN E-Book: 9783647624365

Berlin (DDR)1980

Hamburg 1949

Zürich 1941

Halle 1940

Witten 1938

Gnadau 1917

Meiningen 1907

Speyer 1898

Berlin 1891

Berlin 1885

Basel 1878

Stuttgart 1854

Weimar 1783

Basel 1745

Hanau 1730

PPM 1703

Lied / Initium 42. Durch Trauern und durch Plagen, durch Not und Angst und Pein 43. Ein neues Jahr ist angefangen 44. Ein Jahr geht nach dem andern hin, der Ewigkeit entgegen 45. Ein Jahr ist hin, auf mein Gemuethe 46. Erhebt, Bewohner dieser Welt, erhebt den Gott der Zeit 47. Erhör uns Gott, erhöre; breit deines Namens Ehre an allen Orten aus 48. Erneure mich, o ewigs Licht! Und lass von deinem Angesicht 49. Er ruft der Sonn‘ und schafft den Mond 50. Es woll uns Gott gnädig 51. Ewig und unwandelbar, Gott ist deine Gnade

PPM 1703

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Basel 1745 ×

Weimar 1783 ×

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Meiningen 1907 ×

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Witten 1938 ×

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Zürich 1941 ×

Tabellen Tabellen

345

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Kiel 2000

Speyer 19941

Göttingen 1987

Hamburg 1984

Berlin (DDR)1980

Berlin 1954

Hamburg 1949

Halle 1940

Gnadau 1917

Stuttgart 1912

Berlin 1885

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Kiel 1789

Halle 1741

Hanau 1730

Jena 1690

Dresden 1656

Bonn 1575

Lied / Initium 52. Fahr nun hin, du schnöde Welt, fahr aus meinen ­Sinnen 53. Freut euch, ihr lieben ­ Christen all 54. Gott der Ewigkeiten! Du schuffst Welt und Zeiten 55. Gott der Juden, Gott der ­ Heiden 56. Gott hat ein ewig Bundniß gestelt 57. Gottlob, ein Schritt zur Ewigkeit ist abermals vollendet 58. Gott lob, so geht mit gutem Gluecke und besser als ich selbst gedacht 59. Gott Lob und Dank! Ein Jahr des Lebens 60. Gott mit uns, Immanuel! 61. Gott ruft der Sonne, ruft dem Mond (1829); Gott ruft der Sonn und schafft den Mond (1795/1907) / Gott rief die Sonne, schuf den Mond (1898)

Bonn 1575

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Jena 1690

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Weimar 1783 ×

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Berlin 1829 ×

Basel 1878 ×

Speyer 1898 ×

Meiningen 1907 ×

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Hamburg 1949 ×

Berlin 1954 ×

Hamburg 1984 ×

Göttingen 1987 ×

Speyer 19941 ×

Kiel 2000 ×

346 Anhang

Berlin (DDR)1980

Zürich 1941

Halle 1940

Witten 1938

Gnadau 1917

Stuttgart 1912

Berlin 1891

Berlin 1885

Stuttgart 1854

Kiel 1789

Halle 1741

Hanau 1730

PPM 1703

Dresden 1656

Lied / Initium 62. Heilger Name Jesu, mit allen Zungen wirst du 63. Helft Gottes Huld mir preisen, auf Christen stimmet ein (1829) // Helft Gottes Güte preisen, Ihr Christen, stimmet ein! (1878) 64. Helft mir Gottes Güte ­ preisen 65. Helft mir, Gotts Güte preisen, ihr Christen insgemein 66. Helft mir Gotts Güte preisen, ihr lieben Kinderlein 67. Herr, den die Sonnen und die Erden durch ihren Bau voll Pracht erhöhn 68. Herr Gott Vater wir preisen 69. Herr ist Immanuel! 70. Herr unser Gott, wir danken dir, Dann du bist gnädig 71. Heute schallt Jesus Nam auf Erden, heut zahlt Gott das erste Blut

Jena 1690

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Dresden 1656

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PPM 1703

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Hanau 1730

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Halle 1741

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Basel 1745

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Weimar 1783 ×

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Berlin 1829 ×

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Berlin 1891 ×

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Gnadau 1917 ×

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Hamburg 1984 ×

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Speyer 19941 ×

Kiel 2000 ×

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Tabellen Tabellen

347

Göttingen 1987

Berlin (DDR)1980

Hamburg 1949

Zürich 1941

Halle 1940

Witten 1938

Stuttgart 1912

Meiningen 1907

Speyer 1898

Berlin 1885

Stuttgart 1854

Freiberg 1795

Kiel 1789

Bonn 1575

Lied / Initium 72. Heut fänget an das neue jahr mit neuem gnadenschein 73. Heut öffnet sich die neue Bahn 74. Hier bin ich, Herr, mein ganz Gemüte erfüllt des Dankes heißer Drang 75. Hier ist Immanuel! Das soll die Losung bleiben 76. Hilf, A und O, Anfang und Ende 77. Hilf, Herr Jesu! Laß ge­ lingen/ Hilf, o Jesu (1898) 78. Hoer, liebe Seel, sei wohlgemut, laß tod und teufel treuren 79. Hoert, ihr lieben Kinderlein, spricht das Hertze Jesulein 80. Ich preise dich, Gott, der du mich 81. Ich will den Herren preisen, ganz frei vor jedermann

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Dresden 1656

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Jena 1690

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PPM 1703

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Hanau 1730

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Halle 1741

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Basel 1745 ×

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Weimar 1783 ×

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Basel 1878 ×

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Berlin 1885 ×

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Speyer 1898 ×

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Meiningen 1907 ×

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Gnadau 1917 ×

Witten 1938 ×

Halle 1940 ×

Zürich 1941 ×

Hamburg 1949 ×

Berlin 1954 ×

Hamburg 1984 ×

Göttingen 1987 ×

Speyer 19941 ×

Kiel 2000 ×

348 Anhang

Berlin (DDR)1980

Stuttgart 1854

Bonn 1575

Lied / Initium 82. Ich will in aller Not auf meinen Jesum bauen 83. In dir ist Freude, in allem Leide 84. Jeder Schritt der Zeit wallt zur Ewigkeit 85. Je mehr wir Jahre zählen 86. Jesu! Dein süß Gedächtnis macht, dass hier das Hertz vor Freuden lacht 87. Jesu, du mein liebstes Leben, meiner Selen Bräutigam 88. Jesu, du zartes Kindelein 89. Jesu, Jesu, du mein Leben, Jesu, meiner Seelen Heil 90. Jesu! Komm doch selbst zu mir, und verbleibe für und für 91. Jesulein, du bist mein, weil ich liebe 92. Jesu, liebster HerzensFreund

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Jena 1690

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PPM 1703

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Weimar 1783

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Freiberg 1795 ×

Stuttgart 1912 ×

Halle 1940 ×

Tabellen Tabellen

349

Kiel 2000

Speyer 19941

Göttingen 1987

Hamburg 1984

Berlin (DDR)1980

Berlin 1954

Hamburg 1949

Zürich 1941

Witten 1938

Gnadau 1917

Meiningen 1907

Speyer 1898

Berlin 1891

Berlin 1885

Basel 1878

Stuttgart 1854

Berlin 1829

Kiel 1789

Basel 1745

Halle 1741

Hanau 1730

Bonn 1575

Lied / Initium 93. Jesu, liebste Seele, deiner Wunden Höhle 94. Jesu, mein Bräutigam, o du mein Gotteslamm 95. Jesu, meine Freude 96. Jesu, meine Freud und Lust, Jesu meine Speiß und kost 97. Jesu, meine Freud und Wonne, Jesu meines Lebens Sonne 98. Jesu, meine Liebe, die ich oft betrübe 99. Jesu, meine Lust und Wonne, meines Herzens höchste Freud// meines herzens Gnaden-Sonne (1690) 100. Jesu, meiner Freuden Freude, Jesu, meines Glaubens Licht 101. Jesu(s), meiner Seelen Ruh, und mein bester Schatz dazu

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Jena 1690

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350 Anhang

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Kiel 2000

Speyer 19941

Göttingen 1987

Hamburg 1984

Berlin (DDR)1980

Berlin 1954

Hamburg 1949

Zürich 1941

Witten 1938

Gnadau 1917

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Meiningen 1907

Speyer 1898

Berlin 1891

Berlin 1885

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Freiberg 1795

Kiel 1789

Basel 1745

Halle 1741

Hanau 1730

Dresden 1656

Bonn 1575

Lied / Initium 102. Jesu, meiner Seelen Wonne, Jesu, meine beste Lust 103. Jesu, meines Herzens Freud, süsser Jesu! 104. Jesu, meines Herzens Lust. Sei gegrüsset! 105. Jesu, nun sey gepreiset zu diesem neuen jahr 106. Jesus ist der schöne Nam, aller, die auf Erden kamen 107. Jesus ist der schönste Nahm’ aller Nahmen, die man nennt 108. Jesus ist gar ein süßer Nam 109. Jesus ist mein Aufenthalt 110. Jesus ist mein freuden leben, Jesus ist mein lebenskron 111. Jesus ist und bleibt mein ­ Leben 112. Jesus, Jesus, nichts als Jesus 113. Jesus soll die Losung sein 114. Komm her, du ganze Christen­schar

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Jena 1690

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Halle 1741

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Basel 1745 ×

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Hanau 1730

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Weimar 1783

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PPM 1703

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Basel 1878 ×

Meiningen 1907 ×

Stuttgart 1912 ×

Witten 1938 ×

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Hamburg 1949 ×

Berlin 1954 ×

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Berlin (DDR)1980 ×

Hamburg 1984 ×

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Göttingen 1987 ×

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Speyer 19941 ×

Kiel 2000 ×

Tabellen Tabellen

351

Zürich 1941

Gnadau 1917

Speyer 1898

Berlin 1891

Berlin 1885

Stuttgart 1854

Berlin 1829

Freiberg 1795

Kiel 1789

Bonn 1575

Lied / Initium 115. Kommt, lasst uns preisen Gottes Treu, die an uns alle Morgen neu 116. Laßt uns alle fröhlich seyn/ preisen gott den Herren 117. Lauft ihr Jahre, lauft ihr Zeiten 118. Lieblicher Jesu, herzliche Wonn’, heiliger Heiland, gueldene Sonn 119. Liebster Immanuel, Herzog der Frommen 120. Meinen Jesum laß ich nicht 121. Meines Lebens beste Freude ist der Himmel 122. Mein Gemüt erfreuet sich, Jesu, wann ich denck an dich 123. Mein Gott, ich bring mein Herze dir 124. Mein Jesus ist mein, dem hab ich mein Leben

Jena 1690

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Basel 1745 ×

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Weimar 1783 ×

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Meiningen 1907 ×

352 Anhang

Kiel 2000

Speyer 19941

Göttingen 1987

Hamburg 1984

Berlin (DDR)1980

Berlin 1954

Hamburg 1949

Zürich 1941

Halle 1940

Witten 1938

Gnadau 1917

Stuttgart 1912

Speyer 1898

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Basel 1878

Stuttgart 1854

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Freiberg 1795

Kiel 1789

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Hanau 1730

PPM 1703

Dresden 1656

Bonn 1575

Lied / Initium 125. Mein schönster und liebster Freund unter den Leuten 126. Mit diesem Tage geht nun auch das Jahr zu Ende 127. Mit Freuden lasst uns treten, vor Gott ihn anzubeten 128. Mit Riesenschritten naht das Jahr dem Ziel der kurzen Bahn 129. Nachdem das alte Jahr verflossen, und wir 130. Nachdem die sonn beschlossen 131. Nun das alte Jahr ist hin und vorbey gegangen 132. Nun hat sich angefangen das liebe neue jahr 133. Nun lasst uns gehn und treten 134. Nun lasst vor Gott uns treten, mit Singen und mit Beten

Dresden 1656

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Jena 1690

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PPM 1703

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Hanau 1730

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Halle 1741

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Weimar 1783 ×

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Freiberg 1795 ×

Berlin 1829 ×

Stuttgart 1854 ×

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Speyer 1898 ×

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Meiningen 1907 ×

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Witten 1938 ×

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Zürich 1941 ×

Hamburg 1949 ×

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Berlin (DDR)1980 ×

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Göttingen 1987 ×

Speyer 19941 ×

Kiel 2000 ×

Tabellen Tabellen

353

Kiel 1789

Basel 1745

Bonn 1575

Lied / Initium 135. Nun lasst zu Gott uns treten 136. Nun treten wir ins neue Jahr, Herr Jesu Christ uns auch bewahr 137. Nun treten wir ins neue Jahr: Herr Jesu, rett uns aus Gefahr 138. Nun woelle Gott das unser gsang mit Lust und Freudt aus Glauben gang / Nun wolle Gott, dass unser Sang (1952); Nun wolle Gott, dass unser Sang hab einen frohen Glaubensklang (1949) 139. O Anfang sonder Ende, du großer Herr der Zeit 140. O Gott, du bist der Herr der Zeit 141. O Gott, du reines ­Wesen, gib, weil wir die Vater ­ nennen 142. O großer Gott, wir danken dir, dein Name sei gepriesen

Dresden 1656

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Jena 1690

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Hanau 1730

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Hamburg 1949 ×

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Hamburg 1984 ×

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354 Anhang

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Kiel 2000

Speyer 19941

Berlin (DDR)1980

Witten 1938

Gnadau 1917

Stuttgart 1912

Meiningen 1907

Berlin 1885

Stuttgart 1854

Berlin 1829

Freiberg 1795

Weimar 1783

Basel 1745

PPM 1703

Bonn 1575

Lied / Initium 143. O Haupt am Leibe der ­ selgen Gliederschaft 144. O Herr Christ, nimm uns wahr 145. O Jehova Elohim, Text des Jubelschalles aller Gottes cherubim, du Gott über alles 146. O Jesu Christ, mein schönstes Licht 147. O Jesu, süß, wer dein ­gedenkt 148. O trautes liebes Jesulein 149. Schau hin in die vergangnen Zeiten, o Christ, und sammle Weisheit ein 150. Schnell fließen Jahr auf Jahre hin 151. So ist das Jahr nun auch verflossen 152. Süsser Christ, du, du bist meine Wonne 153. Tausend Jahre sind vor dir wie einer unsrer Tage

Jena 1690

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Dresden 1656

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Weimar 1783

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Kiel 1789 ×

Freiberg 1795 ×

Speyer 1898 ×

Gnadau 1917 ×

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Tabellen Tabellen

355

Kiel 2000

Speyer 19941

Göttingen 1987

Hamburg 1984

Berlin (DDR)1980

Berlin 1954

Hamburg 1949

Zürich 1941

Halle 1940

Witten 1938

Stuttgart 1912

Meiningen 1907

Berlin 1891

Berlin 1885

Basel 1878

Stuttgart 1854

Berlin 1829

Basel 1745

Halle 1741

Hanau 1730

Bonn 1575

Lied / Initium 154. Verleihe deiner Christenschaar, O Gott, ein selig neues Jahr 155. Von guten Mächten treu und still umgeben 156. Von guten Mächten wunder­bar geborgen 157. Warum(b) machet solche Schmerzen 158. Wer rief die Sonn und schuf den Mond 159. Wer sich im Geist beschneidet 160. Wiederum ein Jahr verschwunden, 161. Wiederum ein Jahr verschwunden, wie der Schaum im wilden Bach 162. Wie schnell ist doch dies Jahr vergangen 163. Wie schnell ist doch ein Jahr vergangen 164. Wie schön leuchtet der Morgenstern

Jena 1690

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Dresden 1656

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PPM 1703

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Hanau 1730

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Halle 1741

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Weimar 1783

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Kiel 1789 ×

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Berlin 1829 ×

Basel 1878 ×

Berlin 1891 ×

Speyer 1898 ×

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Göttingen 1987 ×

Speyer 19941 ×

Kiel 2000 ×

356 Anhang

Hamburg 1984

Berlin (DDR)1980

Berlin 1954

Hamburg 1949

Zürich 1941

Halle 1940

Witten 1938

Gnadau 1917

Stuttgart 1912

Meiningen 1907

Berlin 1885

Stuttgart 1854

Freiberg 1795

Basel 1745

Bonn 1575

© 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525624364 — ISBN E-Book: 9783647624365 Lied / Initium 165. Wie viel wir Jahre zählen 166. Wir gehen in Jesu Nahmen ins neu Jahr hinein 167. Wir treten in das neue Jahr 168. Wo mein Schatz, da ist mein Herze 169. Wo treff ich meinen Jesus an? 170. Zions Freudentag erscheinet, Herr! 171. Zum neuen Jahr ein neues Leben, voll Wahrheit, Geist und Glaubenskraft Bonn 1575 Dresden 1656 Jena 1690 PPM 1703 Hanau 1730 Halle 1741 ×

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Basel 1745

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Weimar 1783 Kiel 1789

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Freiberg 1795 ×

Berlin 1829 Stuttgart 1854 Basel 1878 Berlin 1885 Berlin 1891 Speyer 1898 Meiningen 1907 Stuttgart 1912 Gnadau 1917

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Witten 1938 Halle 1940 ×

Zürich 1941 Hamburg 1949 Berlin 1954 Berlin (DDR)1980 Hamburg 1984 Göttingen 1987 Speyer 19941 Kiel 2000

357

Tabellen Tabellen

358

Anhang

3 Bilder

Abb. I: Der Jesusknabe vor der verschlossenen Herzenspforte. Wierix, Hieronymus, um 1595. Aufbewahrungsort: Rheinisches Bildarchiv, Köln.

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Abb. II: Das Jesuskind mit dem Neujahrswunsch. Israhel van Meckenem nach Meister E. S. (Kupferstich, letztes Drittel des 15. Jahrhunderts); Aufbewahrungsort: Albertina, Wien.

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Abb. III: Tabula Cebetis, Titelblatt. Johann Kramer, 1551, Aufbewahrungsort: Staatliche Graphische Sammlung, München.

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Anhang

Abb. IV: Jesus und der Papagei. Neujahrswunsch, ca. 1470. Aufbewahrungsort: Nationalbibliothek, Paris. Spruchbänder: „fil güt iar. fil güt iar. Iesus, fil güt iar. fil iar. Vil güter Jaur.“ (Schwaben)

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Abb. V: Das Jesuskind als Steuermann. Um 1450–1465/Schweiz. Aufbewahrungsort: Albertina, Wien. Eine Beschreibung des Bildes findet sich bei von Bartsch, Die Kupferstichsammlung der K. K. Hofbibliothek in Wien 1854, 261, Nr. 2500: „Die christliche Charitas, eine Blumenkrone haltend und in einem auf hoher See segelnden Schiffe sitzend. Das Jesuskind als Steuermann auf dem Vordertheil desselben stehend und die grosse Rahe richtend, weist mit der linken Hand auf einen Bandstreifen mit den Worten: Zuch vff den segel wir sint am land/vnd bringen gud ior manger hand. Gegenüber dem göttlichen Steuermann, auf dem Hinterhteil des Schiffes, bläst ein kleiner sitzender Engel eine Tuba. Ein zweiter Engel klettert am Mastbaum hinauf, um dort

das Banner mit dem Kreuz Christi aufzupflanzen. Den unteren Schiffsraum erfüllen Waarengüter. Im Unterrande liest man: Von Allexandria kom ich har gefarn / Und bringe vil guoter ior die will ich nit / sparn. Ich will sie geben umb kleines gelt / rechtun vnd got liep han ich damit wol vgelt.“ „Weihnachts- oder Neujahrsblatt. Die Darstellung soll dem Volke das grosse Heil versinnbilden, das von dem Lande der Verheißung (Aegypten) ausgegangen, im Westen der Erde (Europa) Wurzel fasste, um alle Güter des Christenthums den Gläubigen im reichlichen Maasse mitzutheilen. Die Wortbildung har statt her weiset bei diesem Blatte auf Schweizerursprung hin.“

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1 Abkürzungsverzeichnis Die verwendeten Abkürzungen richten sich nach dem von Siegfried M. Schwertner zusammengestellten internationalen Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete: IATG 2, Berlin/New York 21992. Darüber hinaus werden folgende Abkürzungen verwendet: AÖL Arbeitsgemeinschaft für Ökumenisches Liedgut bRhSh Babylonischer Talmud, Ordnung „Mo’ed“(Festzeiten), „Rosh ha-shana“ BG Gesangbuch der Brüdergemeine 2007 BWV Bach-Werke-Verzeichnis CG Christkatholisches Gesangbuch 2004/2005 EB Erk/Böhme: Deutscher Liederhort EG Evangelisches Gesangbuch EG R/W/L Evangelisches Gesangbuch für die Ev. Kirchen im Rheinland, Westfalen und der Lippischen Landeskirche 1996 EKG Evangelisches Kirchengesangbuch 1950 EMK Evangelisch-methodistisches Gesangbuch 1969 EM Evangelisch-methodistisches Gesangbuch 2002 GL75 Gotteslob 1975 GL13 Gotteslob 2013 JLH Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie KG Katholisches Gesangbuch der Schweiz 1998 KKG Kirchengesangbuch. Kath. Gesang- und Gebetbuch der Schweiz 1966/1967 LKEG Liederkommentar zum EG mRhSh Mischna, Ordnung „Mo’ed“ (Festzeiten), „Rosh ha-shana“ PPM Praxis Pietatis Melica RKG Reformiertes Kirchengesangbuch 1952 RG Gesangbuch der Evangelisch-reformierten Kirchen der deutschsprachigen Schweiz 1998 

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Verzeichnisse

2 Bildnachweis Abb. 1: Wierix, Hieronymus, Kupferstich um 1595 aus der Serie „Cor Jesu amanti sacrum“: Der Jesusknabe vor der verschlossenen Herzenspforte. Wallraf-Richartz-Museum und Fondation, Rheinisches Bildarchiv Köln, Graphische Sammlung, Inv.-Nr. 20613a. Abb. 2: Israhel van Meckenem/Meister E. S., Kupferstich, letztes Drittel des 15. Jahrhunderts: Das Jesuskind mit dem Neujahrswunsch. Albertina, Wien, Inv.-Nr.: DG1926/1010; www. albertina.at. Abb. 3: Johann Kramer, Holzschnitt von 1551, 40 x 30,2 cm: Tabula Cebetis, Titelblatt (Staatliche Grafische Sammlung, München), Quelle: http://www.zeno.org  – Contumax GmbH & Co. KG . Abb. 4: Jesus und der Papagei [Jésus et le perroquet], Neujahrswunsch [voeu pour la nouvelle anneé], ca. 1470. Holzschnitt, 19,6 x 13,3 cm. Original: Nationalbibliothek Paris, ID/Cote: RESERVE EA-5(8) – BOITE ECU. Abb. 5: Anonym: Das Jesuskind als Steuermann. Druckgraphik; Holzschnitt koloriert, um 1450–1465 aus der Schweiz. Albertina, Wien. Inv.-Nr.: DG1930/81; www.albertina.at.

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Quellen- und Literaturverzeichnis

3.1 Quellen 3.1.1 Gesangbücher (nach dem Jahr ihres Erscheinens und soweit ersichtlich mit Konfessionsangabe; Siglen nach DKL /RISM werden zusätzlich angegeben, wenn vorhanden. Sie erfassen und bezeichnen allerdings nur Quellen mit Noten bis zum Jahr 1800.) Nürnberg 1531 (ev.-luth.; NbgG 1531) Kirchenge= / senge / mit vil schönen / Psalmen vnnd Melodey / gantz geendert vnn gemert. 1531. Strassburg 1537 (ev.; Straß 1537) Psalmen vnd geystliche Lieder, die man zu Straßburg, vnd auch die man inn anderen Kirchen pflegt zu singen. Form und gebett zum eynsegnen der Ee, den heiligen Tauff Abentmal, besuchung der Krancken, vnd begrebnüß der abgestorbenen. Alles gemert vnd gebessert. Auch mit seinem Register. Straßburg durch Hans Preüssen, Inn verlegung Wolff Köpphel. Anno. M. D. XXXVII . Zürich 1540 (ref.; Kst 1540) Nüw gsangbüchle / von vil schönen Psalmen vnd / geistlichen liedern / durch ettliche / diener / der kirchen zu Costentz vn_ anderstwo merck- / lichen gemeert / gebessert vnd in gschick- / te ordnung zesamen gestellt / zu übung / vnnd bruch jrer ouch anderer / Christlichen kirchen. // Getruckt zu Zürych by Chri- / stoffel Froschouer / Im Jar / D. M. XL .

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Quellen- und Literaturverzeichnis Quellen- und Literaturverzeichnis

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Leipzig 1545 (Babst; ev.-luth.; LpzBa 1545) Geystliche Lieder. Mit einer newen vorrhede / D. Mart. Luth. Gedruckt zu Leipzig / durch Valentin Babst / in der Ritterstrassen. M. D.XLV. Bonn 1550 Ernst Klusen (Hg.), Das Bonner Gesangbuch von 1550, (Quellen und Studien zur Volkskunde 6), Kamp Lintfort, 1965. Strassburg 1557 (ev.-luth.; Straß 1557) Alle Psalmen / Hymni / vnnd Geystliche Lieder / die man zu Straßburg vnd anderen Kir= chen pflägt zu singen. Form vnd Gebett zum Ehe einsegen heiligen Tauff / Abendt=mal des Herren / Besuchung der Krancken / vnd begreb=nüß der abgestorbenen mit einem Register, Straßburg M. D.LVII . Wittenberg 1562 (ev.-luth.; HermN-S 1562 a) Die Sontags Euangelia / vnd von den fuernemsten Festen vber das gantze Jar / Jn Gesenge gefasset fur Christliche Hausueter vnd jre Kinder / Mit vleis corrigirt / gebessert vnd gemehret / Durch Nicolaum Herman im Jochimsthal. (…) Wittenberg 1562. Bautzen 1567 (Leisentrit; röm.-kath.; Leis 1567) Geistliche / Lieder und Psalmen / der alten Apostolischer recht vnd warglau=biger Christlicher Kirchen / so vor vnd nach der Predigt / auch bey der heiligen Communion / vnd sonst in dem haus Gottes / zum theil in vnd vor den Heusern / doch zu gewöhnlichen zeitten / durchs gantze Jar / ordentlicher weiß mögen gesungen werden / Aus klarem Göttlichem Wort / vnd Heiliger ge=schrifft Lehrern (Mit vorhergehenden gar schönen vnterweisungen) Gott zu lob vnd ehre / Auch zu er=bawung vnd erhaltung seiner heiligen allge=meinen Christlicher Kirchen / Auffs fleissigste vnd Chistlicheste zusamen bracht. Durch Johann: Leisentrit von Olmutz / Thumdechant zu Budissin &c. Frankfurt 1569 (ev.-luth.; Ffm 1569a) Kirche_ Gesäng / Aus dem Wittenbergischen / vnd allen an- dern den besten Gesang­ büchern / so biß an- hero hin vnd wider außgangen / colligirt vnd gesam- let / Jn eine feine / richtige vnd gute Ordnung gebracht / vnd auffs fleißigest / vnd nach den besten exemplaren / corrigiret vnd gebessert. Fürnemlich de(n) Pfarherrn / Schulmeistern vnd Cantoribus / so sich mit jren Kirchen zu der Christ- lichen Augspurgischen Confession bekennen / vnd bey denselben den Chor mit singen / regieren vnd / versorgen müssen / zu dienst vnd zum besten. M. D. LXIX Getruckt zu Franckfurt am Mayn / durch ­Johannem Wolffium. Bonn 1575 (Bonn 1575) Gesangbüchlein / Geistlicher Psalmen / Hymnen / Lieder vnd Gebett / Durch etliche Diener der kirchen zu(o) Bon(n) fleissig zusammen ge=tragen. Zum Dritten auffs new gemehrt / mit der Kirchenordnung / vn(d)  viel andern Geistlichen Liedern / so in etlichen andern Bönischen Gesangbüchern nit gefunden werden. Darzu auch das new Liedt / Wan(n) mein stündlein vorhanden ist / &c. 1575. Greifswald 1582 (ev. -luth.) Piae Cantio- / nes ecclesia- / sticae et schola- / sticae veterum episcopo- / rum, in Inclyto Regno Sueciae paßim vrsupatae, / nuper studio viri cuisdam Reuerendiß: de Ecclesia / Dei & Schola Aboensi in Finlandia optimè meriti / accuratè à mendis corre- / ctae, & nunc typis com- / missae, opera theo dorici petri / Nylandensis. / Hic adiecti sunt aliqout ex psal-

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mis recenttioribus. // Imprimebatur Gryphisuualdiae, / per Augustinum Ferberum. / Gryphisvvaldiae / Typis Augustini Ferberi. / Anno 1582. Hamburg 1588 (ev.-luth.; Mi Eler 1588) Eler, Franz, Cantica Sacra, Faksimile Nachdruck, Hildesheim / Zürich / New York 2002 [orig. Hamburg 1588]. Titel: CANTICA / SACRA , PARTIM EX / SACRIS LITERIS DE -/ SUMTA , PARTIM AB ORTHODO -XIS PATRIBVS ; ET PIIS ECCLESIAE / DOCTORIBVS COMPOSITA , ET IN VSVM / ECCLESIAE ET IVVENTVTIS COLLECTA , / ATQUE AD DVODECIM MODOS EX / DOCTRINA GLAREANI AC - CMMODATA ET / EDITA / AB / FRANCISCO ELERO / VLYSSEO. Acceßerunt in fine Psalmi Lutheri, & aliorum ejus seculi Doctorum, itidem Modis applicati. / HAMBVRGI / Excudebat Jacobus Wolff. / Anno M. D. XIIC . Tübingen 1591 (ev.-luth.; Würt 1591) Außerlesne / Reine / Geistli=che Lieder vnnd Psalmen: auch lehrhaffte vnnd trost=reiche Christliche Ge=säng. Auß gnädigem Befelch des Durchleuchtigen Hochgebor=nem Fuersten vnd Herrn / Herrn Ludwigen / Hertzogen zu Wuertemberg vnnd Theck / Grauen zu Mümpelgart / &c. zusamen geordnet / Fuer die Kirchen vnd Schulen / im loeblichen Fuersten­ thumb Wuertemberg. Tuebingen / bey Georg Gruppenbach. ANNO M. D.XCI . Dresden 1593 (ev.-luth.; Dres 1593b)  Gesangbuch: Christlicher Psalmen, vnd Kirchen Lieder, D. MARTINI LUTHERI, vnd anderer frommen Christen. Alle sampt mit den Noten, vnd jhren rechten Melodeyen, wie solche in der Churfürstlichen Sächsischen Schloßkirchen zu Dreszden gesungen werden. Desgleichen etliche mit Vier stimmen, künstlicher abgesetzet, Wie man in andern Theil zu finden. Jetzt vffs new nach den Festen vnd nach D. Lutheri Catechismo / auch vff die Begräbnis Lateinisch vnd Deutsch / fein ordentlich in zwey Theil verfasset vnd zusamen gebracht / Desgleichen zuuor niemals geschehen. Allen Christlichen frommen Hauszvätern vnd Hauszmüttern inn jhren Heusern mit jhren Kinderlein so wol als in Kirchen vnd Schulen / sehr nützlichen vnd dienstlichen. Gedruckt in der Churf. Stadt Dreßden / durch Gimel Bergen. ANNO M. D.XCIII . Konstanz 1594 (kath.) Catholische Kirchen Gesäng / vor vnd nach dem Ca=techismo / zu vnderschid=lichen Zeiten / durch das gantze Jahr zusingen. Sampt denn Fürnemsten Articklen vnsers Christlichen Glaubens / in kurtze Frag vnnd Antwort ge=stellt / durch Patrum Canisium Societatis JESV Theologum. Cum facultate Superiorum. Getruckt zu Constanz in ver=legung Abraham Gem=perlins. 1594. Andernach 1608 (kath.; d/lat And 1608) Catholische Geistliche Gesänge / Vom süssen Namen Jesu / vnd der Hochgelobten Mutter Gottes Mariae etc. Von der Fraternitet S. Ceciliae Zu Andernach in Lateinisch vnd Teutsche verß Componirt vnnd Collegirt. Köln 1608 [Faksimiledruck: Das Andernacher Gesangbuch (Köln 1608). Mit einem Nachwort herausgegeben von Michael Härting. (Denkmäler rheinischer Musik 13), Düsseldorf 1970]. Paderborn 1609 (kath.; Pdb 1609) Alte Catholische Geistliche Kirchen=gesaeng / auff die fuernem(m)=ste Feste / auch in Processionen / Creutzgaengen vnd Kirchenfaerten: Bey der H Meß / Predig / in Haeu= sern / vnd auff dem Feldt zuge=brauchen / sehr nuetzlich / sampt einem Cate=chismo. Durch gnedigem Consens Deß Hochwuerdige(n) Fuersten vnd Herrn / Herrn Diether=richen Bischoffen deß Stifftes Paderborn / &c. Auß=gangen. Gedruckt zu Paderborn / Bey

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Quellen- und Literaturverzeichnis Quellen- und Literaturverzeichnis

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MATTHAEO PONTANO, M. DC . IX . [Reprint: Das Paderborner Gesangbuch von 1609. Reprint mit Kommentar von Maria Kohle, (Studien und Quellen zur westfälischen Geschichte, 50/2), Paderborn 2004].

Essen 1614 (ev.-luth.): Ein Christliches / vnd recht reines Euangelisches Gesangbuch / darinnen Ordentlich verfasset der gantze Psalter Davids / auff die in Lutherischen Kirchen gewoehnliche Melodeyen zu singen zugerichtet / vnnd mit schoenen Summarien gezieret / in welchen sonderlich die Weissagungen von JEsu Christo rein vnd vnvervaelscht erklaert vnd gezeiget werden / Auch alle Hymnen / Lieder und Gesenge / welche in den christlichen Euangelischen der reinen vnverfaelschten Augspurgischen Confession zugethanen Kirchen gesungen werden. Gestelt durch den Ehrwirdigen / Hocherleuchten vnd thewren Mann Gottes Doct. Martinum Lutherum / Auch andere gottselige Theologen / Lehrer / vnd Liebhaber Goettlichs Worts. Diesem ist auch D. M. L. Catechismus / neben einem nuetzlichen Betbuechlein beygefuegt. Auff gnedige Anordnung / des Durchleuchtigen / Hochgebornen Fuersten vnd Herrn / Herrn Wolffgang Wilhelm / Pfalzgraffen bey Reyn / Hertzog in Beyern / Gülich / Cleve vnd Berg / Graff zu Veldentz / Sponheim / Marck / Ravensberg vnd Moers / Herrn zu Ravenstein. Gedruckt zu Essen MDCXIIII . Leipzig 1614 (ev.-luth.): Geistliche Lieder und Psalmen / durch Dr. Martinum Lutherum / vnd andere fromme Christen / nach Ordnung der Jahreszeit gestellet. Auffs new widerumb zugericht / mit vielen Liedern verbessert / Auch mit einem sonderlichen Register / was auff jeglichen Sontag vnd Fest zu singen sey, Leipzig 1614. Köln 1628 (kath.; KölnB 1628): Catholische / KirchenGesäng / auff / die fürnembste Fest des gantzen / Jahrs / wie man dieselben zu Cölln / vnd an=derstwo / bey allen Christlichen Cathol. / Lehren pflegt zu singen. / Auß den alten approbirten Authoren / der Catholischen Christlichen Kirchen / allen / Pfarrherrn / alten Leuten vnd jungen / Kindern zu gutem verfast. / Jetzo auffs new vbersehen / so viel die / Melodey als den Text belangt / corrigirt / mit new Gesängen vermehrt / vnd in / ein beständige Form gebracht / M. DC . XXVIII . / Getruckt zu Cölln / Bey Peter von Brachel vnter / der gülden Wagen / Mit Befreyung eines Ehrnvesten Rhats nicht nachzutrucken. Lüneburg 1651 (Rist; ev.-luth.; Rist-Sl 1651a): Sabbahtische / Seelenlust // Daß ist: / Lehr= Trost= Vermahnung= / und Warnungsreiche Lieder über / alle Sontägliche Evangelien deß / gantzen Jahres // Welche / so wol auf bekante / und in rei= / nen Evangelischen Kirchen gebräuchliche / alß auch gantz Neue // Vom Herren Thoma Sellio / bei der hoch= / löblichen Statt Hamburg bestaltem Cantore / wolge= setzete Melodeien können gesungen und ge= / spielet werden // Gott zu Ehren und Christlichen / Herzen zu nützlicher Erbauung abge= / fasset und heraus gegeben / von Johann Rist. / VS / Lüneburg //  Bei Johann und Heinrich Stern. / ANNO M DC LI . Dresden 1656 (ev.-luth.; Dres 1656) Dreßdenisch Gesangbuch Christlicher Psalmen und Kirchenlieder / Herrn D. Martini Lutheri / und anderer Gottseligen Lehrer und frommen Christen / theils mit den Noten und ihren rechten Me=lodeyen gesatzt / wie sie in der Churfürstl. Sächß. Schloß=Kirchen zu Dreßden gesungen werden / Jetzo auffs neue revidirt / nach der Jahr=zeit und Herrn Lutheri Catechismo fein ordentlich zugerichtet / und mit etlich 100. neuen Liedern / neben den vo= rigen Gesängen vermehret und verbessert / Allen Christlichen Haußvätern und Haußmüt-

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tern / so wohl in Häusern / als in Kirchen und Schulen sehr nützlich zugebrauchen. Cum gratia & privileg. Elector. Saxon. spezial. Dreßden / Verlegt und gedruckt durch Christian und Melchior Bergen / Gebrüdere / Churfürstl. Sächß Hofe Buch=druckere / im 1656. Jahre. Frankfurt am Main 1674 (PPM; ev.-luth; PraxFfM 1674): Johann Crügers / Neu zugrichtete / PRAXIS PIETATIS MELICA : / Das ist: / Ubung der /  Gottseligkeit / In Christlichen und trostreichen / Gesängen / Herrn D. Martin. Lutheri / fürnemlich / wie auch anderer / seiner getreuen Nachfolger / und / reiner Evangelischer Lehr /  Bekenner. / Ordentlich zusammen gebracht / Und zur Beförderung des so / Kirchen= als Privat-Gottesdiensts / mit bißhero gebräuchlichen / wie auch neuen / Melodeyen / neben darzu gehörigen Fundament / verfertigt / und mit vielen trostreichen / Gesäng vermehret /  Von / Peter Sohren / Bestalten Schul= und Rechen= / meister der Christlichen Gemeine zum / H.  Leichnam / in Königlicher Stadt / Elbing Preussen. / Mit Churf. Sächs. Freyheit. Drucks und Verlags / Balth. Christ. Wusts / in Franckf. / am Mayn. M DC LXXIV. Nürnberg 1677 (ev.-luth.; Nbg 1677): Nürnbergisches Gesang=buch / Darinnen 1160. außer= lesene / so wolt alt als neue / Geist= Lehr= und Trostreiche Lieder / auf allerley Zeit= Freud= und Leid= Fälle der gantzen Christenheit gerichtet / und mit Voransetzung der Autorum Na=men / auch theils vortreflich= schönen Melo= dien / Noten und Kuppfern gezieret / zu finden. Deme beygefüget ein Christliches Gebet= Büchlein / in welchem Morgen= Abend= Buß= Beicht= Communion= Räiß= Wetter= Krancken= und Sterb= Gebet kürtzlich enthalten. Alles zu GOttes Ehr / dann auch zu Be= förderung frommer Christen Hauß= und Kirchen= Andachten / aus vieler geistreicher Lehrer und berühm= ter Leute Schrifften mit besonderem Fleiß zusam= men getragen. Mit einer Vorrede Herrn Johann Sauberts / der H. Schrifft Doctoris, Prof. Primar. und Predigers in Altdorf. Nürnberg / In Verlegung Christoph Gerhards und Sebastian Göbels. A. C. M. DC . LXXVII . Jena 1690 (ev.-luth.) Reußisches vollstaendiges Gesang= und Handbuch / Darinnen der Kern schoe=ner Geistreicher Gesaenge aus denen besten und beruehmtesten Ge=sang=Buechern verfasset und zu= sammengetragen ist / Zu Befoerderung des oeffent=lichen Gottesdienstes in der Kir=che / so wohl auch eines jedweden Privat=Andacht zu Hauße / und auf der Reise / bey allerhand Faellen nuetzlich zuge=brauchen / mit einen dreyfachen Register / sambt beygefuegten Gebeth= und Hand=Buechlein / auff hohe Verordnung verfertiget und herausgegeben. JENA / Verlegts Tobias Oehrling / 1690. Hamburg 1703 (PPM; ev.-luth.) Johann Krügers / Neu zugrichtete / PRAXIS PIETATIS MELICA : / Das ist: / Ubung der /  Gottseligkeit // In Christlichen und trostreichen / Gesängen / Herrn D. Martin. Lutheri /  fürnemlich / wie auch anderer seiner / getreuen Nachfolger / und reiner Evangelischer Lehr /  Bekenner // Ordentlich zusammen gebracht // Und zur Beförderung des so / Kirchen= als Privat-Gottesdiensts // mit bißhero gebräuchlichen / wie auch neuen / Melodeyen / verfertiget / und mit / vielen trostreichen Gesängen / vermehret. / Von / Peter Sohren // Bestallten Schul= und Rechenmei=/ster der Christlichen Gemeine zum / H. Leichnam in Königlicher Stadt / Elbing Preussen. / HAMBURG // In Verlegung Johann Hinrich Völckers. / RATZEBURG / Gedruckt bey Sigismund Hoffmann // Im Jahr Christi 1703. Halle 1704 (Freylinghausen; ev.-luth.; Frey-G 1704) Geist=reiches Gesang=Buch / Den Kern Alter und Neuer Lieder / Wie auch die Noten der unbe= kannten Melodeyen / Und darzu gehörige nützliche Register in sich haltend; / In ge-

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Quellen- und Literaturverzeichnis Quellen- und Literaturverzeichnis

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genwärtiger bequemer Ordnung und Form / sammt einer Vorrede / Zur Erweckung heiliger Andacht und Erbauung im Glauben und gottseeligem Wesen herausgegeben / von /  JOHANN ANASTASIO Freylinghausen / Past. Adj. / HALLE / Gedruckt und verlegt im Wäysen= Hause / 1704. Mit Königl. Preuß. Privilegio. Halle 1706 (Freylinghausen; ev.-luth.; Frey-G 1706) Geist=reiches Gesang=Buch / Den Kern Alter und Neuer Lieder / Wie auch die Noten der un=bekannten Melodeyen Und dazu gehörige nützliche Register in sich haltend; In gegenwärtiger bequemer Ordnung und Form samt einer Vorrede / Zur Erweckung heiliger Andacht und Erbauung im Glauben und gottseligen Wesen / Zum drittenmal herauß gegeben von [I]OHANN ANASTASIO Frey=linghausen / Past. Adj. HALLE / Gedruckt und verlegt im Waeysen=hause / 1706. Mit Königl. Preuß. Privilegio. Hanau 1713 (ev.) Neu=Vermehrtes Hanauisches Gesang=Buch / darinn Zur Ubung der Gottseeligkeit / 719. außerlesene Lieder / so wol des Sel. Hn. D. M. Luthers / Als anderer Gottseel. Maenner enthalten; Nebst einem Gebet=Buechlein / in welchem Aus des sel. Hn. D. Joh. Arndens Paradiß=Gaertlein / auch andern Geistreichen Buechern zusammen getragene Morgen= und Abend= Krancken= Trost= und Sterbe= Buß= Beicht= und Communion= und andre Gebether mehr / beysammen gefunden werden. Mit Hochgraeffl. Hanauischer Freyheit. Im Jahr Christi 1713. Gotha 1715 (ev.-luth.; ChB Witt 1715) PSALMODIA SACRA , Oder: Andächtige und schöne Gesänge / So wohl des Sel. LUTHERI, als anderer Geistreichen Männer / Auf Hochfl. gnädigste Verordnung / In dem Fürstenthum Gotha und Altenburg / auf nachfolgende Art zu singen und zu spielen. Nebst einer Vorrede und Nachricht. GOTHA , Verlegts Christoph Reyher, 1715. Hanau 1730 (ev.-luth.) Neu=Vermehrtes Hanauisches Gesang=Buch, Darinn Zur Ubung der Gottseeligkeit / 703. auserlesene Lieder / So wol des Seel. Hn. D. martin Luthers / Als anderer Gottseeligen Männer enthalten; Nebst einem Gebet=Büchlein / In welchem Aus des seel. Hn. D. Joh. Arndens Paradiß=Gaertlein, auch andern Geistreichen Buechern zusam=men getragene Morgen= und Abend= Krancken= Trost= und Sterbe= Buß= Beicht= Communion= und andere Gebether mehr, beysammen gefunden werden. Mit Hoch=Gräflich=Hanauischen Gnädigsten Special Privilegio. Franckfurt am Mayn / Verlegts Joh. Maximil. von Sand seel. Handlung. 1730. Hannover / Göttingen 1737 (ev.-luth.) „Evangelische Lieder=Theologie, / Oder vollkomneres / Lehr= und Geistreiches / Gesang= Buch, Worin Alle Glaubens= und Sitten=Lehren Evangelischer Kirche In 1200. geistreichen Liedern berühmter Evangelischer Theologen und erbaulicher Lehrer, wie auch Gottseliger Standes=Personen befindlich: Die bestmöglichst in Theologische Ordnung gebracht, mit gehörigen Rubricken, deutliche Summarien, nützlichen Überschriften, kurtzer Erklärung dunckeler Redens=Arten, nöthi=ge der Autorum, nicht weniger Mit unterschiedenen nützlichen Registern, auch angehängtem Biblischen und geistreichen Gebet=Buche versehen, und Mit gnädigster Bewilligung zum Druck befordert sind. Hannover und Göttingen, Gedruckt und verlegt von Johann Christoph Ludolph Schultzen, Universitäts Buchdr. zu Göttingen. 1737. In Commission bey J. A. Gercken, Buchhändler in Hannover.

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Halle 1741 (Freylinghausen; ev.-luth; Frey/FranG 1741) Johann Anastasii Freylinghausen, Geistreiches Gesang- Buch, den Kern alter und neuer Lieder in sich haltend: Jetzo von neuen so eingerichtet, Daß alle Gesänge, so in den vorhin unter diesem Namen alhier herausgekommenen Gesang- Büchern befindlich, unter ihre Rubriquen zusammengebracht, auch die Noten aller alter und neuen Melodeyen beygefüget worden / mit einem Vorbericht herausgegeben von Gotthilf August Francken. Halle: Waisenhaus, 1741. Basel 1745 (ref.; Thom 1745) Erbaulicher / Musicalischer / Christen-Schatz, / Bestehend / Aus Fünfhundert / Geistlichen Liedern, / Mit / Zweihundert fünf und siebenzig / Melodien, / Welche man Theils mit einer, zwey, drey, und theils mit / vier Stimmen, durchgehends aber mit dem / General=Baß versehen; / Wozu / Um mehrerer Pünctlichkeit willen / Die Music in Holz gestochen worden. /  Gesammlet und herausgegeben / Von / Johann Thommen. / Cantorn bey St. Peter. / Mit Hochlöblicher Evangelischer Eydgenossenschaft / gnädigster Freyheit. / Basel, Gedruckt bey Daniel Eckenstein, und zu finden / bey dem Verleger, MDCCXLV. Berlin 1748 (Porst; ev.-luth.) Geistliche und Liebliche Lieder, Welche Der Geist des Glaubens durch Doct. Martin Luthern, Johann Hermann, Paul Gerhard, und andere seine Werckzeuge, in den vorigen und jetzigen Zeiten gedichtet, und die bisher in Kirchen und Schulen Der Kön. Preuß. und Churfl. Brandenburg. Lande bekandt, Und mit Königl. allergnädigster Approbation und Privielgio gedrucket und eingeführet worden, Nebst einigen Gebeten Und einer Vorrede Von Johann Porst, Königl. Preußischen Consistorial-Rath, Probst und Inspectore in Berlin. Berlin, verlegt sel. Josua David Schatz, Buchbinders an der langen Brücke, Erben, und gedruckt bey Samuel König, privil. Buchdrucker. 1748. London 1749 (ev. Brüderunität) Alt= und Neuer Brueder=Gesang. Londoner Gesangbuch, London 1749. Herausgegeben von Erich Beyreuther, Gerhard Meyer, Dietrich Meyer und Gudrun Meyer-Hickel. Drei Teile. (Nachdruck der Ausgabe London 1749–54). Hildesheim undNew York 1980. (Nikolaus Ludwig von Zinzendorf. Materialien und Dokumente. Reihe 4. Band 4). Berlin 1765 (Porst; ev.-luth.) Geistliche und Liebliche Lieder, Welche Der Geist des Glaubens durch Doct. Martin Luthern, Johann Hermann, Paul Gerhard, und andere seine Werckzeuge, in den vorigen und jetzigen Zeiten gedichtet, und die bisher in Kirchen und Schulen Der Kön. Preuß. und Churfl. Brandenburg. Lande bekannt, Und mit Königl. allergnäd. Approbation und Privilegio, Nebst Einigen Gebeten und einer Vorrede von Johann Porst, Königl. Preußischen ConsistorialRath, Probst und Inspectore in Berlin. Berlin, verlegts sel. Josua David Schatz, Buchbinders an der langen Brücke, Erben, und gedruckt bey Samuel König, privil. Buchdrucker. 1765. Nürnberg 1770 Sammlung der Geistlichen Lieder welche dem neuen Nürnbergischen Gesang=Buche auf Oberherrlichen Befehl einverleibet und zur Kirchen= und Hauß=Andacht gewidmet worden. Nürnberg, Jn Verlegung der Joh. Andr. Endter. Handlung, 1770. Landshut 1777 (kath.; Lhut 1777a) Der heilige Gesang zum Gottesdienste in der römisch=katholischen Kirche. Mit gnädigster Genehmhaltung. Gedruckt zu Landshut bey Maximil. Hagen, Landsch. und Stadtbuch­ druckern, 1777. auch alda, und bey Johann Georg Rueprecht, burgerl. Buchbinder in Mün-

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Quellen- und Literaturverzeichnis Quellen- und Literaturverzeichnis

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chen im Verlage. [Faksimile Ausgabe nach dem Exemplar der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, hg. v. der Stadt Landshut mit einem Nachwort von Gerhard Tausche, Landshut 2003]. Zürich 1778 (ev.-ref.; Kant ZchG 1778) Die CL . Psalmen Davids, Durch D. Ambros. Lobwasser in Teutsche Reimen gebracht. Samt andern auserleßenen. Psalmen, Fest- Kirchen und Lob-Gesängen, der lieben Kirchen Gottes zu gutem, mit allem Ernst und Fleisse zu vier Stimmen heraus gefertiget. Zürich, Getruckt bey David Geßner, An. MDCCLXXVIII . Braunschweig 1779 Neues Braunschweigisches Gesangbuch, nebst einem kurzen Gebetbuche, zum öffentlichen und häuslichen Gottesdienste. Mit Hochfürstl. Braunschw. Lüneb. gnädigstem Special= Privielgio, Braunschweig, gedruckt und verlegt von Friedrich Wilhelm Meyers Wittwe, und Johann Christoph Meyer. 1779. [angeb. II:] Episteln und Evangelia auf die Sonn- und Festtage, Braunschweig: Meyer, Johann Heinrich 1818.  Berlin 1780 (Mylius; ev.-luth.) Gesangbuch zum gottesdienstlichen Gebrauch in den Koeniglich=Preußischen Landen. Mit allergnaedigster Koenigl. Freyheit. Berlin 1780 verlegts August Mylius Buchhaendler in der Bruederstraße. Weimar 1783 (ev.-luth.) Neu eingerichtetes Sachsen=Weimar=Eisenach= und Jenaisches Gesang=Buch, bestehend in 1192. alten und neuen Liedern auf speciellen gnädigsten Befehl Ihro regierenden Herzogl. Durchl. zum allgemeinen Gebrauch in Dero sämmtl. Herzogthümern und incorporirten Landen, auch Hennebergischen Antheil, nebst einem Gebetbuch. Jetzt neu übersehen und mit einer Vorrede begleitet von Joh. Gottfr. Herder F. S. Oberhofprediger und Generalsuperintendent des Herzogthums Weimar. Mit Hochfürstl. gnädigsten Privilegio. Weimar, verlegts Carl Ludolf Hoffmanns seel. Erben, 1783. Altona 1784 (Cramer; ev.-luth.) Allgemeines Gesangbuch: auf Königlichen Allergnädigsten Befehl zum öffentlichen und häuslichen Gebrauche in den Gemeinden des Herzogthums Schleswig, des Herzogthums Hollstein, der Herrschaft Pinneberg, der Stadt Altona, und der Graffschaft Ranzau gewidmet und mit Königlichem Allerhöchsten Privilegio herausgegeben, Dritte Ausgabe, Altona 1784. Kassel 1784 (ev.-luth.) Neues Gesangbuch für die Evangelisch=Lutherischen Gemeinden in den Hochfürstlich Hessen=Casselischen Landen, Cassel 1784. Magdeburg 1786 (ev.-luth.) Neu=vermehrtes und verbessertes / Magdeburgisches Gesang=Buch, / darinnen / nebst denen in der Evangelisch=Lutheri=schen Kirchen gebräuchlichen alten, viele neue / auserlesene geistreiche Lieder enthalten, / deren Anzahl nunmehro auf 1000 gestiegen, / welches zu reicher Erbauung von aller= / hand christli= / chen Lehr=Puncten und Lebens=Pflichten, desgleichen in aller=hand Fällen, in Freude und Leid, im geistlichen Kampf, / Noth und Tod dienlich seyn kan; / Mit Genehmhaltung / E. E. Raths der alten Stadt Magdeburg, / Unter der Aufsicht des Ministerii daselbst, / mit sonderbarem Fleiß ausgefertiget. / Magdeburg, im Verlag der Pansaischen Buchdrucker. 1786.

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Kiel 1789 (ev.-luth.) Allgemeines Gesangbuch, auf Königlichen Allergnädigsten Befehl zum öffentlichen und häuslichen Gebrauche in den Gemeinen des Herzogthums Schleswig, des Herzogthums Hollstein, der Herrschaft Pinneberg, der Stadt Altona, und der Grafschaft Ranzau gewidmet und mit Königlichem Allerhöchsten Privilegio herausgegeben. Kiel, 1789. Gedruckt in der Königl. Schulbuchdruckerey von C. F. Mohr. Oldenburg 1792 (ev.-luth.) Gesangbuch zur öffentlichen und häuslichen Andacht für das Herzogthum Oldenburg. Nebst einem Anhange von Gebeten. Mit gnädigster Freyheit. Zweyte Auflage, Oldenburg, 1792. Gedruckt und verlegt von Gerhard Stalling, privil. Buchdrucker. Freiberg 1795 (ev.-luth.) Neueingerichtetes Freybergisches Gesangbuch nebst einigen Gebeten zur Kirchen= und Hausandacht ausgefertiget von dem gesamten geistlichen Ministerio allda mit einer Vorrede Christoph Gottlob Grundigs A. M. Past. und Superint. Mit gnaedigstem Privilegio. Auf Kosten des Stadt=Priester=Witwen= und Waisen=Fisci in Freyberg. Freyberg, gedruckt bey Joh. Christoph Friedrich Gerlach, 1795. St. Gallen 1797 (ref.; Kant Sgal 1797b) Neues Gesangbuch fuer die Kirchen und Gemeinen der Stadt St. Gallen. … St. Gallen, gedrukt in der Zollikoferischen Buchdruckerey. 1797. Königsberg 1818 (ev.-luth.) Neue Sammlung alter und neuer Lieder, die in den Preußischen Kirchen gesungen werden auch einiger Gebete, Gott zu ehren, und der Gemeine öffentliche und häusliche Andacht zu befördern, ausgefertiget. Mit Königl. Preuß. allergnädigst. Privilegio. Neueste, veränderte Auflage nebst Gellertschen u. andern neuen Liedern. Königsberg 1818, gedruckt und verlegt von Dan. Fried. Schultz / Buchdrucker. Wien 1826 (ev.) Christliches Gesangbuch. zum Gebrauch bey dem öffentlichen Gottesdienste der evangelischen Gemeinden in den kaiserlich königlichen deutschen und galizisch Erblanden. Mit Vorwissen der hochlöbl. k. k. vereinigten Hofstelle, und mit k. k. Consistorial=Genehmigung. Zweyte, unveränderte Auflage. Wien bey Carl Schaumburg und Comp. 1826. Berlin 1829 Gesangbuch zum gottesdienstlichen Gebrauch für evangelische Gemeinen [Preußen]. Mit Genehmigung Eines hohen Ministerii der geistlichen Angelegenheiten, Berlin: Reimer 1829. Halle 1842 (ev.) Evangelisches Kirchengesangbuch oder Sammlung der vorzüglichsten Kirchenlieder theils in alt=kirchlicher Gestalt mit den Varianten von Bunsen, Stier, Knapp, dem Berliner Liederschatz, dem Hallischen Stadtgesangbuche und dem Württembergischen Gesangbuchs= Entwurf, theils in abgekürzter und überarbeiteter Form. Mit einleitender Abhandlung und einem biographischen Register der Lieder=Verfasser, Halle 1842. Magdeburg 1850 (ev.-luth.) Gesangbuch zum gottesdienstlichen Gebrauche für die Stadt und das Herzogthum Magdeburg. Nebst einem Anhange einiger Gebete zur häuslichen Erbauung. Neunte Auflage. Mit

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Quellen- und Literaturverzeichnis Quellen- und Literaturverzeichnis

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Königl. Preuß. allergnädigsten Privilegio. Magdeburg, Druck und Verlag: Pansasch’sche Buchdruckerei (Giesau & Otto). 1850. Stuttgart 1854 („Eisenacher Entwurf“, ev.) Deutsches evangelisches Kirchengesangbuch. In 150 Kernliedern. Stuttgart und Augsburg. Buchdruckerei der J. G. Cotta’schen Buchhandlung. 1854 [Faksimile Köln 1995]. Lancaster 1854 (mennonitisch) Neu vermehrtes geistliches Lust-Gärtlein frommer Seelen: das ist, Heilsame Anweisungen und Regeln zu einem gottseligen Leben: wie auch schöne Gebete und Gesänge, täglich und auf alle Festtage im Jahr, in allerley Anliegen zu gebrauchen. Sammt einem nothwendigen Bericht von dem Gebrauch des Heiligen Abendmahls. Aufs neue mit Fleiss übersehen, mit schönen Gebeten und Liedern, wie auch mit dem geistlichen Rauchwerk vermehret. Lancaster: gedruckt von Johann Bär und Söhnen 1854. Nürnberg 1855 (ev.-luth.) Gesangbuch fuer die evangelisch-lutherische Kirche in Bayern, Nürnberg 1855. Frankfurt 1863 (ev.) Frankfurter Gesangbuch für Evangelische Gemeinden nebst einem Anhang von Gebeten. Frankfurt a. O. Druck und Verlag der Hofbuchdruckerei von Trowitzsch und Sohn. 1863. London 1863 Chorale Book for England. A complete hymn-book for public and private worship, in accordance with the services and festivals of the Church of England. Compiled and edited by William Sterndale Bennett and Otto Goldschmidt, London 1863. Cannstatt 1878 (method.) Zionsharfe. Gesangbuch für die deutschen Wesleyanischen Methodisten, Cannstatt 1878. Basel 1878 Evangelisches Gesangbuch für Kirche, Schule und Haus in Basel-Stadt und Basel-Land, Basel 41878. Sachsen 1883 (ev.-luth.) Gesangbuch für die evangelisch=lutherische Kirche des Königreichs Sachsen. Herausgegeben von dem evangelisch=lutherischen Landeskonsistorium im Jahre 1883. Leipzig und Dresden. In Kommission bei B. G. Teubner. Schleswig-Holstein 1883 (ev.-luth.) Evangelisch-lutherisches Gesangbuch der Provinz Schleswig-Holstein / [hrsg. von dem Königlichen evangelisch-lutherischen Consistorium in Kiel], Schleswig 1883. Freiburg i. Br. 1885 (Dreves; kath.) O Christ hie merk! Ein Gesangbüchlein geistlicher Lieder. Von Guido Maria Dreves S. J. Mit Approbation des hochw. Herrn Erzbischofs von Freiburg. Freiburg im Breisgau, Herdersche Verlagshandlung 1885.

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Magdeburg 1887 (ev.) Evangelisches Gesangbuch für die Provinz Sachsen. Auf Beschluss der Provinzialsynode ausgearbeitet und herausgegeben mit Genehmigung der kirchlichen Behörden, Magdeburg [Hofbuchdruckerei von Karl Friese] 1887. Berlin 1891 Unverfälschter Liedersegen. Gesangbuch für Kirchen, Schulen und Häuser. [Hg. v. Gerhard Chryno Hermann Stip], Hauptverein für christliche Erbauungsschriften. Klosterstrasse 65/67, Berlin 91891. Berlin 1892 (Porst, ev.-luth.) Geistliche und liebliche / Lieder, / welche / der Geist des Glaubens / durch D. Martin Luther, / Johann Heermann, Paul Gerhardt / und andere seine Werkzeuge in den vorigen / und jetzigen Zeiten gedichtet, und die / bisher in Kirchen und Schulen / der Königl. Preuß. und Kurfl. / Brandenb. Lande bekannt / und mit / Königl. Allergnädigst. Approbation und / Freiheit gedruckt und eingefuehrt worden, / nebst einigen Gebeten / Von / Johann Porst, / weil. Königl. Preußischem Consistorial=Rate, / Probste und Inspector in Berlin. / Verbessert und vermehrt. / Berlin, Jonas Verlagsbuchhandlung. / 1892. Speyer 1898 (ev.) Evangelisch=protestantisches Gesangbuch für Kirche und Haus. Z Speier. Verlag der protestantischen Pfarrwitwenkasse der Pfalz. 1889. Königsberg 1899 (ev.) Evangelisches Gesangbuch für Ost= und Westpreußen. Unter Zustimmung der ProvinzialSynode vom Jahr 1884 und mit Genehmigung des Evangelischen Ober-Kirchenrats herausgegeben vom Königlichen Konsistorium der Provinzen Ost= und Westpreußen. Dreizehnte Auflage. Die mit * bezeichneten Lieder sind auch im Evangelischen Militärgesangbuche enthalten. Druck und Verlag der Hartungschen Buchdruckerei, Königsberg i.Pr. 1899. Meiningen 1907 (ev.) Evangelisches Gesang- und Gebetbuch Zwölfte Auflage Meiningen. Druck und Verlag der Keyßer’schen Hofbuchdruckerei (Karl Keyßer). 1907. Frankfurt 1907 (ev.) Frankfurter Evangelisches Gesangbuch. Frankfurt a. M. 1907. Greiz und Gera 1911 (Reussisches Gesangbuch, ev.-luth.) Evangelisch-lutherisches Gesangbuch für die Fürstentümer Reuß. Große Ausgabe, Verlag der gemeinsamen Gesangbuchkasse, Greiz und Gera 1911. Frankfurt 1910 (ev.) Geistliche Lieder aus alter und neuer Zeit, Frankfurt a. M. 1910. Verein für Einrichtung deutsch=evan=gelischer Gottesdienste in Kurorten. Stuttgart 1912 (ev.) Gesangbuch für die evangelische Kirche in Württemberg 1912. Kleine Ausgabe mit Noten. Stuttgart. Verlagskontor des evangel. Gesangbuchs.

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Quellen- und Literaturverzeichnis Quellen- und Literaturverzeichnis

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Berlin 1915 (DEG ; ev.) Deutsches Evangelisches Gesangbuch für die Schutzgebiete und das Ausland. Herausgegeben vom Deutschen Evangelischen Kirchenausschuß, (Gedruckt in der Königlichen Hofbuchdruckerei von E. S. Mittler & Sohn, Berlin SW 68, Kochstrasse 68–71), Berlin 1915. Gnadau 1917 (ev. Brüder Unität) Gesangbuch der evangelischen Brüdergemeine. Verlag der Unitäts-Buchhandlung, Gnadau 1917. Methodistengesangbuch ca. 1928 Gesangbuch der Bischöflichen Methodistenkirche für die Gemeinden deutscher Zunge in Europa, Bremen o. J. (ca. 1928). Frankfurt 1931 Evangelisches Gesangbuch für Brandenburg und Pommern. Hg. von den Provinzialkirchenräten von Brandenburg und Pommern, Berlin / Frankfurt/O. 1931. Darmstadt 1935 (ev.) Gesangbuch für die evangelische Landeskirche in Hessen. Druck und Einbände: L. C. Wittich’schen Hofbuchdruckerei. In Kommission bei J. Waitz, Darmstadt 1935. Stuttgart 1938 (ev.) Gesangbuch für die evangelischen Kirchen und Schulen des Königreichs Württemberg. Mit 149 vierstimmig gesetzten Choralmelodien, Stuttgart 1938. Bremen 1939 (Deutsche Christen) Gesangbuch der kommenden Kirche, Verlag Kommende Kirche, Bremen 1939. Weimar 1941 (Deutsche Christen) Großer Gott wir loben dich. Der neue Dom. Verlag für deutschchristliches Schrifttum, Schneider & Co., Weimar 1941. [Zürich] 1941 (Probeband, ev.-ref.) Gesangbuch der evangelisch-reformierten Kirchen der deutschen Schweiz: Probeband [Zürich 1941]. Hamburg 1949 (ev.-luth.) Gesangbuch der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs V Einheitsgesangbuch der Evangelisch=lutherischen Landeskirchen in Schleswig=Holtstein=Lauenburg Mecklenburg Hamburg Lübeck Eutin und der Bremischen Evangelischen Kirche. Hamburg 1949. Darmstadt 1950 (EKG ; ev.-luth.) Evangelisches Kirchengesangbuch. Ausgabe für die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau, Darmstadt 1950. Kassel 1950 (EKG ; ev.-luth.) Evangelisches Kirchengesangbuch. Stammausgabe. (Herstellung: Bärenreiter=Druck Kassel unter Verwendung der Peter Jessen=Schrift von Rudolf Koch und Paul Koch=Notenschrift), Kassel 1950.

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Berlin 1954 (ev.-luth.) Evangelisches Kirchen-Gesangbuch. Ausgabe für die Evangelisch-Lutherische Kirche in Thüringen, Berlin 1954. Sibiu 1974 (ev.-luth.) Gesangbuch der Evangelischen Kirche Augsburgischen Bekenntnisses in der Sozialistischen Republik Rumänien. Hg. im Auftrag der 50. Landeskirchenversammlung (De. 1974) vom Landeskonsistorium der Evangelischen Kirche A. B. in der Sozialistischen Republik Rumänien, Sibiu 1974. Köln 1975 (GL 75, kath.) Gotteslob. Katholisches Gebet- und Gesangbuch; Ausgabe für das Erzbistum Köln zur Auslegung für den Gottesdienst, Köln 1995. Kassel 1979 (ev.) Sammlung Christlicher Lieder für die öffentliche und häusliche Andacht, zum Gebrauch der deutschen evangelischen Kolonien an der Wolga, auf Wunsch der Wolgadeutschen in Deutschland nachgedruckt vom Missionswerk „Brücke zur Heimat“, Kassel 1979. Berlin (DDR) 1980 (ev.-uniert) Evangelisches Kirchen-Gesangbuch. [Ausgabe für die Landeskirchen der Evangelischen Kirche der Union in der DDR], Berlin 1980. Strassburg 1980 (ev.-luth.) Recueil de cantiques de l’église de la confession d’augsbourg en alsace et en lorraine 7e ed., Straßburg 1980. Zürich 1980 (ökum.) Kumbaya. Ökumenisches Jugendgesangbuch. Lieder und Texte. Im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft „Neues Singen in der Kirche“ von Markus Jenny erstellt, hg. von Michael Dähler u. a., Zürich 1980. Wien 1980 (ev.) Evangelisches Kirchengesangbuch für die Evangelische Kirche Augsburgischen und Helvetischen Bekenntnisses in Österreich, Wien 71980. Hamburg 1984 (ev.-luth.) Evangelisches Kirchengesangbuch. Ausgabe für die Nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche. [Friedrich Wittig Verlag, Hamburg, 1984]. Göttingen 1987 (ev.-luth.) Evangelisch-Lutherisches Kirchengesangbuch, hg. v. der selbständigen Evangelischen Lutherischen Kirche, Göttingen 1987. Stuttgart 1993 (EG ; ev.-luth.) Evangelisches Gesangbuch. Stammausgabe der Evangelischen Kirche in Deutschland. (Satzund Notenherstellung: Universitätsdruckerei H. Stürtz AG , Würzburg. Druck und Bindung: Biblia-Druck, Stuttgart 1993.

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Quellen- und Literaturverzeichnis Quellen- und Literaturverzeichnis

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Speyer 1994 Evangelisches Gesangbuch. Ausgabe für die Evangelische Kirche der Pfalz (Protestantische Landeskirche), Speyer: Evangelischer Presseverband in der Pfalz, 1994. Basel 1998 (RG ; reformiert) Gesangbuch der Evangelisch-reformierten Kirchen der deutschsprachigen Schweiz, Basel 1998.  Zug 1998 (KG ; röm.-kath.) Katholisches Gesangbuch Gesang- und Gebetbuch der deutschsprachigen Schweiz| Herausgegeben im Auftrag der Schweizer Bischofskonferenz, Zug 1998. Kiel 2000 (ev.) Evangelisches Gesangbuch. Ausgabe für die Nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche. Sonderausgabe 2000, Friedrich Wittig Verlag Kiel. Stuttgart 2002 (method.) Gesangbuch der Evangelisch-Methodistischen Kirche, hrsg. von der Evangelisch-methodistischen Kirche in Deutschland, Österreich und Schweiz/Frankreich, Stuttgart 2002 (Neuauflage 2009). Lüneburg 2004 (ev.-freikirchlich, 7. Tages – Adventisten) Leben aus der Quelle. Lieder der Hoffnung, Ergänzungsliederbuch zu „Wir loben Gott“, Lüne­burg: Advent Verlag 2004. Basel 2005 (christkath.) Gebet- und Gesangbuch der Christkatholischen Kirche der Schweiz. Hg. vom Bischof und Synodalrat der Christkatholischen Kirche der Schweiz, Basel 2005. Basel 2007 (BG ; Brüdergemeine) Gesangbuch der Evangelischen Brüdergemeine, hg. v. der Herrenhuter Brüdergemeine Bad Boll – Herrenhut – Zeist, Evangelische-Brüder-Unität, Basel 2007. Bielefeld 2009 (apostol.) Singt dem Herrn, Christlicher Missionsverlag, Bielefeld 2009. Köln 2013 (GL 13, kath.) Gotteslob (katholisches Gebet- und Gesangbuch); Ausgabe für das Erzbistum Köln, Köln 2013.

3.1.2

Weitere Quellen und wissenschaftliche Quellenwerke

Bäumker, Wilhelm, Das Katholische Deutsche Kirchenlied in seinen Singweisen von den frühesten Zeiten bis gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts, Hildesheim 1926 [Nachdruck der Ausgabe Freiburg 1886–1911 – letzter Band hg. v. Joseph Gotzen]. Borchling, Conrad, Mittelniederdeutsche Handschriften in den Rheinlanden und in einigen anderen Sammlungen (Vierter Reisebericht), (Nachrichten von der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, Phil. hist. Klasse 1913, Beiheft), Berlin 1913. Dietz, Philipp (Hg.), Die Restauration des evangelischen Kirchenliedes. Eine Zusammen­ stellung der hauptsächlichen literarischen Erscheinungen auf hymnologischem Gebiete,

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Verzeichnisse

namentlich dem Gebiete der Gesangbuchliteratur seit dem Wiedererwachen des evangelischen Glaubenslebens in Deutschland, Marburg 1903. Fischer, Albrecht Friedrich Wilhelm, Kirchenlieder-Lexikon. Hymnologisch-literarische Nachweisungen über ca. 4500 der wichtigsten und verbreitetsten Kirchenliederdichter aller Zeiten in alphabetischer Folge nebst einer Übersicht der Liederdichter, Hildesheim 1967 [Nachdruck der Ausgabe Gotha 1878]. –, /Tümpel, Wilhelm, Das deutsche evangelische Kirchenlied des 17. Jahrhunderts, 6 Bde., Gütersloh 1904–1916 (Nachdruck Hildesheim 1964). Goldschmidt, Lazarus (Hg.), Der Babylonische Talmud. Nach der ersten zensurfreien Ausgabe unter Berücksichtigung der neueren Ausgaben und handschriftlichen Materials ins Deutsche übersetzt, 12 Bde., Berlin 1929–1936. Lütolf, Max (Hg.), Das deutsche Kirchenlied – DKL . Kritische Gesamtausgabe der Melodien. Abteilung II: Geistliche Gesänge des deutschen Mittelalters. Melodien und Texte handschriftlicher Überlieferung bis um 1530, Kassel 2009. Petri (Rutha) Nylandensis, Theodoricius, Piae Cantiones Ecclesiasticae et Scholasticae Veterum Episcoporum, Greisfwald 1582; Faksimile-Ausgabe hg. von Einari Marvia, (Documenta Musicae Fennicae 10), Helsinki-Helsingfors 1967. Mansi = Joannes Dominicus Mansi, Sacrorum conciliorum nova, et amplissima collectio. Tom. I–XXX . Florentiae (Venetiis) 1759–1792. Mone, Franz-Joseph, Lateinische Hymnen des Mittelalters, 3 Bde., Freiburg 1853–1855. Wackernagel, Philipp (Hg.), Das deutsche Kirchenlied von der ältesten Zeit bis zum Anfang des XVII . Jahrhunderts. I–IV, Hildesheim/Zürich/New York 1990 (Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1864–1877). Zahn, Johannes, Die Melodien der deutschen evangelischen Kirchenlieder aus den Quellen geschöpft und mitgeteilt, 6 Bde., Gütersloh 1889–1893 (Nachdruck Hildesheim 1963).

3.1.3

Liedsammlungen / Chorstücke

Böhme, Franz Magnus, Volksthümliche Lieder der Deutschen im 18. und 19. Jahrhundert, Leipzig 1895. –, (Hg.), Altdeutsches Liederbuch: Volkslieder der Deutschen nach Wort und Weise aus dem 12. bis zum 17. Jahrhundert, Leipzig 21913. Erk, Ludwig/Böhme, Franz Magnus, Deutscher Liederhort. Auswahl der vorzüglicheren Deutschen Volkslieder nach Wort und Weise aus der Vorzeit und Gegenwart, ges. und erl. von Ludwig Erk. Nach Erk’s handschriftlichem Nachlass und auf Grund eigener Sammlung neubearb. und fortges. von Franz Magnus Böhme, 3 Bde., neue, erw. Ausgabe, Leipzig 1893–1894 [Leipzig 21925]. Greyerz, Otto von, Das Volkslied der deutschen Schweiz, (Die Schweiz im deutschen Geistesleben. Eine Sammlung von Darstellungen und Texten, 48. und 49. Bändchen), Frauenfeld und Leipzig 1927. Haxthausen, August von, Geistliche Volkslieder in ihren ursprünglichen Weisen gesammelt aus mündlicher Tradition und seltenen alten Gesangbüchern, Paderborn 1850. Schmeltzl, Wolfgang, Guter, seltzamer und kunstreicher teutscher Gesang (Nürnberg 1544). Hg. v. Rudolf Flotzinger. (Denkmäler der Tonkunst in Österreich 147–148), Graz 1990 [Quodlibetsammlung 1544.] Schauenburg, Hermann, Allgemeines deutsches Commersbuch, Lahr 1867. Schoeberlein, Ludwig/Riegel, Friedrich, Kirchliche Chorgesänge auf alle Fest- und Feiertage des Jahres aus den Quellen vornehmlich des 16. und 17. Jahrhunderts geschöpft mit den nöthigen geschichtlichen und praktischen Erläuterungen versehen. (Schatz des liturgi-

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Quellen- und Literaturverzeichnis Quellen- und Literaturverzeichnis

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schen Chor- und Gemeindegesangs nach den Altarweisen in der deutschen evangelischen Kirche. Zweiter Theil: Die besonderen Gesangstücke), Göttingen 1868. Strobach, Hermann (Hg.), Schürtz dich Gretlein. Deutsche Volkslieder II. Arbeitslieder. Brauchtums-, Trink-, Tanz-, Scherz- und Spottlieder. Rätsel- und Wettstreitlieder. II, Wilhelmshaven 1987.

3.1.4

Lieder und Gedichte

Gellert, Johann Fürchtegott, Gellerts Dichtungen. Kritisch durchgesehene und erläuterte Ausgabe, hg. von Adolf Schullerus, Leipzig und Wien 1891. –, Gesammelte Schriften. Kritische, kommentierte Ausgabe, hg. v. Bernd Witte, Berlin/New York 1997. Genest, Charles Claude/Brockes, Barthold Heinrich, Herrn B. H. Brockes, Raths-Herrn der Stadt Hamburg, verdeutschte Grund-Sätze der Welt-Weisheit, des Herrn Abts Genest: nebst verschiedenen eigenen theils Physicalischen theils Moralischen Gedichten, als des irdischen Vergnügens in Gott Dritter Theil, Hamburg 1728. Gerhardt, Paul, Wach auf, mein Herz, und singe. Vollständige Ausgabe seiner Lieder und Gedichte, hg. von Eberhard von Cranach-Sichart, Wuppertal 2004. Gryphius, Andreas, Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke, hg. v. Marian Szyrocki und Hugh Powell, Bd. 1, Tübingen 1965. Hiltbrunner, Hermann, Geistliche Lieder. Vom Dauernden in der Zeit. Eine Sammlung tröstlicher Dichtung. (Vom Dauernden in der Zeit, V.), Zürich 1945. Klepper, Jochen, Kyrie. Geistliche Lieder, Berlin 1938. –, Unter dem Schatten deiner Flügel. Aus den Tagebüchern der Jahre 1932–1942, hg. v. Hildegard Klepper, Stuttgart 1956. Löner, Kaspar, Ain gaistlich Gesang von allen Stenden. In: Ders. (Hg.), Der Kleine Katechismus, Nördlingen 1545, Bl.B8v, VD 16:L 2290; auch Wackernagel, Bd. 2, 293, Nr. 2726. Opitz, Martin, Trostgedichte in Widerwärtigkeiten des Kriegs. In: Georg Schultz-Behrend (Hg.), Gesammelte Werke, Stuttgart 1979. Reuss, Eleonore Fürstin, Gesammelte Blätter, Berlin 1867. Rist, Johann, Neue Musikalische Fest-Andachten, Lüneburg 1655. –, Johann: Risten H. P. Himlischer Lieder, Bd. 3, Lüneburg 1642. Schmolck, Benjamin, „Mara und Manna, Oder: Neue Sammlung von Creutz- und Trost-, Klage- und Freuden-Liedern […], Breslau und Liegnitz 1726. Wesley, Charles, Hymns for the Watch-Night, [s.l., 1746?]. –, Hymns for New Year’s Day, 1750, Bristol: Farley [1749].

3.1.5

Predigten und Erbauungsliteratur

Arelate, Caesarius von (Hg.), Predigten in dt. Übers. mit einer einl. Monographie, hg. v. Carl Franklin Arnold, (Die Predigt der Kirche 30), Leipzig 1896. Arndt, Johann, Paradiß Gärtlein / Voller Christlicher Tugenden / wie dieselbige in die Seele zu pflantzen / Durch Andächtige / lehrhaffte und tröstliche Gebet / zu ernewerung des Bildes Gottes / zur ubung des wahren lebendigen Christenthumbs …: In welchem alle Artickel unser Christlichen Religion / neben den Hauptsprüchen H. Göttlicher Schrifft begriffen seyn; Mit dreyen nützlichen Registern … zu den vier Büchern vom wahren Christenthumb gehörig / Durch Johannem Arndt, General Superintendenten des Fürstenthumbs Lüneburg / etc., Magdeburg 1615. Buchwald, Georg, Eine mittelalterliche Neujahrspredigt. Aus einer Handschrift der Leipziger

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Verzeichnisse

Universitätsbibliothek mitgeteilt. In: Beiträge zur sächsischen Kirchengeschichte 27 (1914), 16–28. Cramer, Daniel, Zwo Historische Jahrpredigten / In welchen Aus glaub und denckwirdigen Geschichten kürtzlich widerholet wird / was Gott in nechst verwichener Hundert Jähriger zeit / für ein wundergrosses Werck / durch die Euangelische Reformation / wider des Bapsts Mord und Lügen / Durch Den Thewren Man Doctor Luther / und seine ware Astanten, gethan und außgeführet hat: Zu Christlicher Feire / gedechtnus und anmerckung des jetzt lauffenden waren Euangelischen Jubeljahrs / Ein Tausent Sechßhundert /  Wider Das itzige verdampte Römische Jubeljahr gerichtet / und am Newen Jahrßtag zu Stettin in Sa. Marien gehalten […], Wittenberg 1600. Clairvaux, Bernhard von, Sermones super Cantica Canticorum 1–35, Rom 1957. Hamberger, Julius, Johann Tauler’s Predigten. Nach den besten Ausgaben in die jetzige Schriftsprache übertragen, Prag 21872. Klemm, Franz, Auf das Fest des heiligsten Namens Jesus, zugleich auf den zweiten Sonntag nach der Erscheinung des Herrn. In: Ludwig Mehler (Hg.), Der Prediger und Katechet. Eine praktische, katholische Monatschrift, besonders für Prediger und Katecheten auf dem Lande und in kleineren Städten, 3. Jg., Regensburg 1853, 52–61. Schmolck, Benjamin, Das Namenbuch Christi und der Christen zu heiliger Erbauung: Der Gemeine Gottes Zur Heiligen Dreyfaltigkeit vor Schweidnitz in denen Amts-Predigten Ao. 1725. geöffnet, Breßlau und Liegnitz 1726. Strigenitz, Gregor, Der suesse Jesu Christ. Das ist: Acht Schoener lieb=licher vnnd troestlicher Weynacht Pre=digten Aus dem Alten Christlichen Deut=schen Liede: Ein Kindelein so loebelich etc. Gethan Zu Jehna in der Pfarr vnnd Stadtkirchen. Durch M. Gregorium Strigenicium damals Pfarrherrn vnnd Superinten=denten daselbst. Zum Andern mal mit fleis durchsehen, Leipzig 1598. Vetter, Ferdinand (Hg.), Die Predigten Taulers aus der Engelberger und der Freiburger Handschrift sowie aus Schmidts Abschriften der ehemaligen Straßburger Handschriften (DTMA XI), Berlin 1910.

3.1.6

Weitere Quellen

Arndt, Ernst Moritz, Von dem Wort und dem Kirchenliede nebst geistlichen Liedern. Bei­ Eduard Weber, Bonn 1819. Augustinus, Aurelius, Sermo 198. In: Patrologiae Cursus Completus, Series Latina, hg. von Jaques-Paul Migne, Bd. 38, Paris 1865, 1024–1026. Bohemus, Johannes, Omnivm Gentivm Mores, Lege & Ritus ex multis clarissimis reru(m) scriptoribus, a Ioanne Boemo Aubano Teutonico nuper collecti, et nouissime recogniti. Tribus libris absolutum opus, Aphricam, Asiam, & Europam describentibus. Accessit Libellus de Regionibus Septentrionalibus, earumque ge(n)tium ritibus, veteru(m) Scriptorum saeculo fere incognitis, Ex Iacobo Zieglero Geographo diligentiss. Antverpiae. In­ Aediebus Ioannis Steelsii, Sub Scuto Burgundiae. AN. M. D. XXXVII . Bonhoeffer, Dietrich, Brautbriefe Zelle 92. Dietrich Bonhoeffer  – Maria von Wedemeyer 1942–1945. Mit einem Nachwort von Eberhard Bethge. In: Ruth-Alice von Bismarck / Ulrich Kabitz (Hg.), München 1992. –, Illegale Theologenausbildung: Sammelvikariate 1937–1940. In: Ders., Werke, hg. von Dirk Schulz und Eberhard Bethge, Bd. 15, München 1998. –, Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft. (Werke – Dietrich Bonhoeffer 8), Gütersloh 1998. Concilium Turonense (Konzil von Tour 567 n. Chr.), c. 21. In: Concilia Galliae a. 511–a. 695, ed. Carolus de Clercq, (CChSL 148 A), Turnhout 1963.

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Quellen- und Literaturverzeichnis Quellen- und Literaturverzeichnis

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Cicero, M. Tullius, M. Tullius Cicero’s Sämmtliche Briefe. Übersetzt und erläutert von Christoph Martin Wieland, Bd. III ., Zürich 1809. de Voragine, Jacobus, Legenda aurea, hrsg. von Johann Georg Theodor Grässe, Leipzig 1890, (Neudruck Osnabrück 1969). Die Feier des Stundengebetes. Stundenbuch. Für die katholischen Bistümer des deutschen Sprachgebietes; Bd. 1, Advent und Weihnachtszeit, Freiburg, Basel u. a. 1978. Freud, Siegmund, Konstruktionen in der Analyse (1937). In: Ders., Gesammelte Werke, Bd. XVI, London 1950, 41–56. Grundmayr, Franz, Liturgisches Lexicon der Römischkatholischen Kirchenbräuche, Augsburg 31822. Herder, Johann Gottfried von, Johann Gottfried von Herders sämmtliche Werke: in vierzig Bänden, Bd. 5: Zur Religion und Theologie, Stuttgart und Tübingen 1852, 23. Jacobson, Heinrich Friedrich, Das evangelische Kirchenrecht des Preußischen Staates, Halle 1864. Krupp, Michael (Hg.): Die Mischna. 2.  Ordnung. Mo’ed  – Festzeiten. Teil  2, 8: Michael Krupp: Rosch ha-Schana – Neujahr. 2. verb. Auflage, Jerusalem 2004. Lackington, James, Memoirs of the First Forty-Five Years of the Life of James Lackington, the present Bookseller in Chiswell-street, Moorfields, London. Written by himself. In a Series of Letters to a Friend, London 1791. Lauterbach, Johann, Haußtaffel, Von allen heiligen Orden vnd Ständen ampt in dieser Welt. In: Ders. (Hg.), Cithara christiana, Leipzig 1585, vgl. Wackernagel, III ., Nr. 727. Lavater, Johann Caspar, Fünfzig Christliche Lieder, Zürich 1771. –, Geheimes Tagebuch. Von einem Beobachter seiner selbst. Leipzig, bey Weidmanns Erben und Reich 1771. Löhe, Wilhelm, Agende für christliche Gemeindendes lutherischen Bekenntnisses: erster Teil, Nördlingen 1853. Lincoln, Abraham, Political Writings and Speeches, ed. by Terence Ball, Cambridge 2013. Liturgische Konferenz (Hg.), Gottesdienst von Monat zu Monat. Elementares Kirchenjahr, Hannover 2009; als Datei im Internet abrufbar unter www.liturgische-konferenz.de (letzter Aufruf 18.8.2015). Luther, Martin, D. Martin Luthers Werke. 120 Bände, Weimar 1883–2009. Missale Romanum. Der große Sonntags-Schott für die Lesejahre A – B – C; Originaltexte der deutschsprachigen Altarausgabe des Messbuchs und des Lektionars ergänzt mit den lateinischen Texten des Missale Romanum, Freiburg i. Br. 1975. Nietzsche, Friedrich: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Einzelbänden (KSA), hg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari. München/New York 1980. Omeis, Daniel Magnus, Gründliche Anleitung zur Teutschen accuraten Reim- und Dichtkunst / durch richtige Lehr-Art / deutliche Reguln und reine Exempel vorgestellt […], Nürnberg 1704. Opitz, Martin, Martin Opizen von Boberfeld Teutsche Gedichte, in vier bänden abgetheilet, Von neuem sorgfaeltig uebersehen, allenthalben fleißig ausgebessert, mit noethigen Anmerckungen erlaeutert, von Daniel Wilhelm Triller … Und mit Kupfern gezieret durch Martin Tyroff. Dritter Band enthaltend Geistliche Gedichte. Mit Königlich-Polnisch und Chur=Saechsischer Freyheit. Franckfurt am Mayn, Bey Franz Varrentrapp. MDCCXXXXVI . –, Buch von der deutschen Poeterey (1624). Studienausgabe, hg. von Herbert Jaumann, Stuttgart 2002. Pseudo Alcuin, Liber de divinis officiis. In: Patrologia Latina, hg. von Jaques-Paul Migne, (PL 101), Paris 1851, 1174–1286. Radó, Polycarpus, Enchiridion liturgicum. Bd. 2, Rom – Freiburg – Barcelona 21966. Seuse, Heinrich, Deutsche Schriften. Hg. von Kurt Bihlmeyer, Stuttgart 1907.

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Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst, Die Praktische Theologie nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt, Berlin 1850. –, Aus Schleiermachers Leben: In Briefen. Bd. 1–4, hg. von Georg Reimer, Berlin 1860/1863. Schmitz, Hans Joseph, Die Bußbücher und die Bußdisciplin der Kirche. Nach handschriftlichen Quellen dargestellt, Mainz 1883. Schweizer, Alexander, Homiletik der evangelisch-protestantischen Kirche systematisch dargestellt, Leipzig 1848. Sehling, Emil (Hg.), Die Evangelischen Kirchenordnungen des XVI . Jahrhunderts. Bd. 1–5: Leipzig 1902–1913, Band 6–19: Tübingen 1955–2008. Spener, Philipp Jacob, Lauterkeit des Evangelischen Christenthums in auserlesenen Predigten, Halle 1706. –, Pia Desideria. Hg. von Kurt Aland. (Kleine Texte für Vorlesungen und Übungen 170), Berlin 31964. Tertullian, De idololatria. In: Ders., Private und katechetische Schriften. Aus dem Lateinischen übersetzt von Dr. K. A. Heinrich Kellner. (Bibliothek der Kirchenväter, 1.  Reihe, Band 7), München 1912, 137–174. Uz, Johann Peter, Sämtliche poetische Werke: Lyrische Gedichte, Bd. 1, (Sammlung der besten deutschen prosaischen Schriftsteller und Dichter 31), Karlsruhe 1776.

3.1.7

Unveröffentlichte Quellen / Internetadressen

Gellert-Lieder in Gesangbüchern der deutschsprachigen Schweiz (und Deutschlands im 20. Jh.) Studie von Andreas Marti: www.liturgiekommission.ch/customer/files/14-04-04Gellert_Rez_CH .pdf. (letzter Aufruf 18.8.2015). Liste der unentschiedenen Lieder für das neue Gesangbuch der SELK : www.kirchenmusikselk-nord.de/gesangbuch/werkstatt/liederbuch/liste-der-unentschiedenen-lieder/ (letzter Aufruf 18.8.2015). Protokolle der Arbeitsgruppe zur Erstellung des Reformierten Gesangbuches der Schweiz (Dokumentation im Archiv der Liturgie- und Gesangbuchkonferenz; Auskünfte von Christine Esser). Song zum „Neuen Jahr“ von Corine Curschellas in über 50 Sprachen: www.happynew yearsong.ch (letzter Aufruf 18.8.2015).

3.2 Literatur 3.2.1 Sekundärliteratur Achelis, Ernst Christian, Lehrbuch der Praktischen Theologie, Leipzig 21898 (11890). Adam, Alfred, Art.  Name, Namengebung. In: Biblisch-Theologisches Handwörterbuch zur Lutherbibel und zu neueren Übersetzungen, Göttingen 1954, 405–407. Adamek, Karl, Singen als Lebenshilfe. Zur Empirie und Theorie von Alltagsbewältigung. Plädoyer für eine „Erneuerte Kultur des Singens“, Münster/New York 1996. Albertsen, Leif Ludwig, Das Lehrgedicht. Eine Geschichte der antikisierenden Sachepik in der neueren deutschen Literatur mit einem unbekannten Gedicht Albrecht von Hallers, Aarhus 1967. Albrecht, Christian, Kasualtheorie. (Praktische Theologie in Geschichte und Gegenwart), Tübingen 2006. Albrecht, Ruth, Art.  Herzensgebet. In: Peter Dinzelbacher (Hg.), Wörterbuch der Mystik, Stuttgart 1989, 226 f.

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Quellen- und Literaturverzeichnis Quellen- und Literaturverzeichnis

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Quellen- und Literaturverzeichnis Quellen- und Literaturverzeichnis

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3.2.3

Archive und Sammlungen

Gesangbucharchiv der Johannes-Gutenberg Universität Mainz Gesangbuchsammlung Markus Jenny / Zentralbibliothek Zürich Privatsammlung Hans-Jürg Stefan – Zürich

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Lied- und Gedichtanfänge, die im Text Erwähnung finden (weitere in der Tabelle im Anhang) Abermals ist eins dahin, von der Zeiten Anbeginn 341 Ach, bleib bei uns, Herr Jesu Christ  203 Ach Christe vnser seligkeit  84 Ach, wiederum ein Jahr verschwunden  21, 167, 182, 230 f., 249, 255, 341 All solch dein Güt wir preisen  154 Als Christe vnser seligkeit  82 Als ich bei meinen Schafen wacht  56 An gesum gedenken ist suesekeit  54 Auctor perennis gloriae  47 Auf, auf mein Herz, mit Freuden!  127 Befiehl du deine Wege  21, 127, 130, 203 Benignitas fons, Deus  47 Beschluß des Jahres  186 f. Bis hierher hat mich Gott gebracht  203 Bleib bei mir Herr, der Abend bricht herein  136 Bleib bei uns, wenn der Tag entweicht  235 f. Bóg słońce i księżyc stworzył  166 Bóg słońce i miesiąc stawił  166 Christ, dines geistes suesicheit gip mir gereit 54 Christ, dînes geistes süezekeit machet die sêle viel gemeit  54 Das alte Jahr fürüber ist, ein neues wir anfangen 157 Das alte Jahr ist nun dahin  155, 157, 342 Das alte Jahr ist nun vergahn  112, 157, 342 Das alte Jahr ist nun vergahn / Heut fangen wir ein neues an  157

Das alte Jahr ist nun vergangn / Das neue hat sich angefangen  157 Das alte Jahr vergangen ist  113, 155, 157, 186, 230 f., 233, 236, 245, 342 Das alt‘ ist abgegangen, das neue Jahr tritt auf  117 f., 157, 343 Das Jahr geht hin, nun segne du  231, 236 Das Jahr geht still zu Ende  191, 195, 231, 234, 343 Das Jahr ist hingeschwunden, wie Schaum im wilden Bach  186, 189, 327 Das liebe neue Jahr geht an  112, 157, 343 Das Mittel ist die buß’ / wodurch das ­ steinern hertze  173 Das neugeborne Kindelein, das herzeliebe Jesulein  153, 343 Der du die Zeit in Händen hast  19–21, 204, 229, 231 f., 235, 237, 249, 261, 344 Der Mond ist aufgegangen  187 Der von dem Gesetz gefreyet war  82, 344 Der wechter uf der zinne saz  61 Des Jahres letzte Stunde  186–188, 327 Die Weltuhr schläft  202 Du meine Seele singe!  127 Durch Trauern und durch Plagen  156, 230–232, 345 Ein Herz, das Tugend liebt  166 Ein Jahr Vergänglichkeit und schneller Lebenstage 236 Ein Kind geborn zu Bethlehem  50 Ein neues Jahr ist angefangen  230–232, 345 Eja, eja, voll der Freuden / Cunctis, cunctis laudibus 58

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Er ruft der Sonn und schafft den Mond  21, 160, 251 Es ist das Heil uns kommen her  21, 161 Es ist ein keinem andern Heil, kein Name sonst gegeben  234, 236 Ewig und unwandelbar, gott ist deine Gnade  186, 345 Fairest Lord Jesus  280 Fest steht dein Bund, wie Felsen stehen  186 Fove nunc, sancte Domine  47 Freuet euch, ihr Christen alle  229 Freut euch, ihr lieben Christen all  113, 231, 236, 346 Frisch auf / frisch auf / ihr Knaben  107 Gebt uns eine Gabe  56 Geh unter der Gnade  21, 235–237, 239, 241, 243, 256, 299 Gelobet seist du Jesu Christ  21, 90, 245 Gott des Himmels und der Erden  223 Gott hat ein ewig Bundniß gestelt  82, 346 Gott ist der Christen Hilf und Macht  65 Gott ist der juden Gott / und auch der Gott der heiden  184 Gottlob ein Schritt zur Ewigkeit ist ­ abermals vorbei  107 Gott ruft der Sonn und schafft den Mond  162, 166, 346 Gott Vater, der du deinen Sohn  112 Großer Gott, wir loben dich  177 Happy Birthday  68 Har gesu gat in paradis  54 Härlig Är Jorden  280 Helft mir Gotts Güte preisen, ihr lieben Kinderlein  113, 347 Help, Lord Jesus, let Thy blessing  122 Help us, O Lord, behold we enter  122 Herr der Stunden, Herr der Tage  21, 222, 231 Herr Gott, bey gutem Friede  112 Herr Gott Vater, wir preisen dich  112 Herr, nun lesses tu  81 Herr, sei gepriesen für das vergangne Jahr  234, 236 Heut faenget an das neue jahr mit neuem gnadenschein  159, 330 Hier ist Immanuel, das soll die Losung bleiben 147 Hilf, A und O, Anfang und Ende  231, 234, 257, 348

Hilf, Herr Jesu, lass gelingen  116, 124, 134, 186, 231, 233, 236, 245, 251, 255 Hoert ihr lieben Kinderlein  83 Hört, ihr Herrn, und lasst euch sagen  62 Hört jhr liebsten Kinderlein  84 How sweet the name of Jesus sounds  146 Ich bin ein Gast auf Erden  203 Ich habe nun den Grund gefunden  59 Ich künde mit Getöne: Der Tag, der vil schöne 65 Ich liebe dich hertzlich / o Jesu  159, 330 Ihesus ist ein süesser nam  54 f. Ihr Kinderlein, kommet  187 Im Frieden dein o Herre mein  81 In dir ist Freude  83, 203, 349 In dulci Jubilo  52, 81 In friden dein  81 In Gottes Namen fahren wir  83, 229 In hoc anni circulo  48, 340 Ipse deus sapiens  77 f. Jesu, du mein liebstes Leben  122, 349 Jesu, geh voran  203 Jesu, Jesu, du mein Leben  147, 349 Jesu meiner seelen ruh / und mein bester Schatz dazu  155, 349 Jesu meiner seelen wonne / Jesu meine beste lust 155 Jesu nun sei gepreiset  155, 231 Jesus dulcis memoria  53, 143 Jesus, du süßer Name  145 Jesus ist ein suesser Nam  82 Jesus ist und bleibt mein leben  155, 351 Jesus, Jesus, nichts als Jesus  147, 351 Jesus soll die Losung sein  147, 159, 231, 234, 270, 286, 351 Joseph, lieber Joseph mein  52 Juche und hopse  73 Komm, mein Herze, komm mein Schatz 153 Kommt her zu mir, spricht Gottes Sohn  211 Laß diß seyn ein Jahr der Gnaden  116, 252 Lebe dieses neue Jahr, Jesu, in uns allen  234, 236 Lobe den Herren  269 Lobpreiset all zu dieser Zeit  186, 231 f., 234, 236 Lobt Gott, ihr christen  159

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Namen Namen Man wünschet gute Zeiten  253, 332 Merkt ihr Herren, und lasst euch sagen  62 Mit diesen nuwen Jaire / so wirt vns offenbaire 48 Nachdem das alte Jahr verflossen  156, 353 Nachdem die Sonn beschlossen  113, 353 Nie wart gesungen süzer gesanc  54 Nun dancket Gott mit hertz und mund  155 Nun danket alle Gott  177, 199 Nun das alte jahr ist hin und vorbey gegangen  157, 353 Nun freut euch, lieben christen gmein  161 Nun Hosianna, Davids Sohn  211 Nun kommt das neue Kirchenjahr  186, 273 Nun trägt der Abendwind den Tag  276 Nun wolle Gott, dass unser Sang  68, 82, 95 f., 99, 230, 245, 354 O grosser Gott, wir dancken dir  155 O Herr, mein Herz heb ich zu dir  113 O Herz des Königs aller Welt  211 O Jesu süß, wer dein gedencket  53, 155 O Traurigkeit, o Herzeleid  269 Puer natus in Bethlehem  50, 81 Resonet in laudibus  51 f. Sancti spiritus assit  89 Schmücke dich, o liebe Seele  59 Schmücke du des Königs Cron  150 Schon wieder eilt von unsrer Zeit ein ­ Lebensjahr dahin  186 Segnet uns zu guterletzt  186

So führst du doch recht selig, Herr, die Deinen 213 So ist das Jahr nun auch verflossen in dieser süessen Gnadenzeit  156, 252 Sollt ich meinem Gott nicht singen?  127, 312 So nimm denn meine Hände  203 Te deum  89, 150, 153, 177 f., 199 Unsers Kaisers Majestät  159 Unsre Zeit, unsre Zeit in Gottes Händen 236 Verbum caro factum est  48, 81 Volge, kynt, volge  56 Vom Himmel hoch, da komm ich her  36, 114, 229, 245 Von guten Mächten treu und still umgeben  19, 212, 230–232, 235, 261 Wachet auf, ruft uns die Stimme  64, 273 Wacht auf, wacht auf ihr liabe Leit  163 Warum machet solche Schmerzen  85, 131, 155, 249, 339 We can be free and we can sing  182 Wer dieses alte Jahr will recht und wohl vollenden 109 Wer sich im Geist beschneidet  155, 356 Wiederum ein Jahr verschwunden  21, 63, 167 f., 182, 230 f., 249, 251, 255, 341, 356 Wir dancken Gott dem Sohne  112 Wir gehen in Jesu namen Jns neue Jahr hinein  143, 158, 340 Zu disem neuen jare zart  48, 340

Namen Abel, Otto  21, 219 f., 232, 235 Adamek, Karl  281–283 Albert, Heinrich  21, 223, 225 Albinus 109 Alcuin 47 Alheit, Peter  319 Annoni, Hieronimus  257 Aquin, Thomas von  250 Arelate, Caesarius von  40 f. Arndt, Ernst Moritz  184 Arndt, Johann  107 f., 118

Arnold, Christoph  158, 331 Arnold, Gottfried  213 f. Artomedes, Sebastian  113 Assmann, Jan  195, 277, 317 Atticus 26 Bach, Carl Philipp Emanuel  166 Bach, Johann Sebastian  83, 122, 153 f. Beckmann, Joachim  201 Beethoven, Ludwig van  166 Behm, Martin  113

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Bethge, Eberhard  213, 220 Bohemus, Johannes  50 f. Bohren, Rudolf  301 Bone, Heinrich  186 Bonhoeffer, Dietrich  19, 21, 132, 212–214, 216, 218–221, 229, 253–255, 258, 261 Bonhoeffer, Karl  132, 218 Bonhoeffer, Paula  218 Bonifatius 49 Brandt, Hermann  144, 262 f., 289 f. Breitenstein, Johannes Philipp  179 Brockes, Barthold Heinrich  151 Brunner, Peter  226 f. Buchta, Chr. Heinrich  232 Burke, Pfarrer  61 Busch, Peter  24, 155 Bus, Philipp Heinrich  179 Buzer, Martin  96 Caesar, Julius  26–28, 32, 226 Calvin, Jean  43 Capestrano, Johannes von  44 Cebes 99 Chaplin, Charly  271 Cicero  26 f., 109 Clairvaux, Bernhard von  53, 140, 143 Claudius, Matthias  187 Cramer, Daniel  102 Cramer, Johann Andreas  159 Crüger, Johann  21, 115, 118 Curschellas, Corine  68 Dali, Salvador  271 Deeg, Alexander  266 f. Dehn, Fritz  210 Delp, Alfred  132 de Voragine, Jacobus  140 Dienst, Karl  91, 98, 226, 261–263 Dionysius Exiguus  34 Eber, Paul  113, 154 Ebert, Jacob  112 Ebner, Christine  143 Ebner, Margaretha  143 Eckermann, Johann Peter  70 Eichendorff, Joseph von  194 Elmenhorst, Heinrich  155 Ende, Michael  272 Enderlin, Fritz  97 Failing, Wolf-Eckart  294

Fecht, Özay  68 Fietz, Siegfried  219 f., 235 Förstemann, Ernst Wilhelm  190 Franc, Guillaume  257 Francke, August Hermann  107 Franck, Johannes  59, 278 Franz, Ignaz  177 Freylinghausen, Johann Anastasius  112, 116, 157, 159, 330, 336 Friedrich, Caspar David  193 Friedrich der Große  151 Friedrich, Hans Eberhard  205 Friedrich Wilhelm III . von Preußen  14 Fürstin Reuß, Eleonore  190, 254, 258 Fürst zu Hohenlohe  198 Gauntt, Cae und Eddie  238 Gelineau, Joseph  219 Gellert, Christian Fürchtegott Gellert  20 f., 24, 160–162, 164–167, 179, 251, 253 f. George, Stefan  201 Gerhard, Johann  108, 118, 188 Gerhardt, Paul  21, 70, 84, 108, 114–116, ­125–133, 155 f., 163, 211, 236, 249, 251, 253 f., 263, 278, 320, 339 Gersdorff, Henriette Katharina von  236 Gesium, Bartholomäus  112 Goethe, Johann Wolfgang von  24, 70 f., 167, 176, 314 Gottschaldt, Johann Jacob  112 Grahl, Kurt  219 Hafenreffer, Matthias  102 Hameln, Gerhard Anton von  188 Hammerschmidt, Andreas  118 Hänssler, Friedrich  238 Hart, Heinrich  201 Hart, Julius  201 Hartman, Thomas  112 Haushofer, Max  202 Haustein, Manfred  300 Haydn, Joseph  166 Heermann, Johann  108, 112, 278 Heidegger, Martin  271 Heilbrunner, Jakob  102 Heinrich LXXIV. Fürst Reuß zu Köstritz  190 Herkules 106 Hermann, Rudolf  205, 209 Herolt, Johannes  80 Hiltbrunner, Hermann  21, 222, 224, 239, 253 f., 256, 276

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Namen Namen Holbein d. J., Hans  99 Hollen, Gottschalk  80 Holz, Arno  201 Homburg, Ernst Christoph  108 Hubert, C.  219 Husserl, Edmund  271 Immanuel  122, 142, 147, 215, 270, ­346–348, 352 Jackelén, Antje  273 f. Jannasch, Wilhelm  14, 227 Janus  27, 41 Jesus  21, 29, 39 f., 44 f., 53 f., 59, 80, 82, 84, 107, 113, 115, 117–124, 133–147, 155 f., 158 f., 173, 184, 193, 197, 199, 203, 208, 216 f., 226 f., 231, 234, 241, 243, 247, 250, 253 f., 264, 266, 268, 270 f., 277, 280, 286, 291, 311 f., 330–335, 342, 344, 347, 351 f., 357, 362 Johannes der Täufer  76, 141, 333 Kaiser Karl V.  44 Kalb, Friedrich  227 f. Kant, Immanuel  165 Kaysersberg, Geiler von  80 Keimann, Christian  229 Kierkegaard, Søren  271 Klemm, Franz  270 Klepper, Jochen  19, 21, 132, 204–211, 226, 229, 232, 236, 249, 252–255, 257, 261, 276 Klopstock, Friedrich Gottlieb  167, 179 König, Johann Balthasar  21, 211 Konstantin 29 Lackington, James  181 Laufenberg, Heinrich von  50 Laurenti, Laurentius  155, 173 Lavater, Johann Caspar  21, 167–172, 174 f., 182, 186, 226, 232, 249–255, 258, 339 Lehms, Georg Christian  153 Leibniz, Gottfried Wilhelm  147, 149 Lessing, Gotthold Ephraim  151 Lewis, Clive Staples  238 Lincoln, Abraham  182 Lisco(w), Salomo  263 Lübbe, Hermann  314, 326 Luther, Martin  36, 43, 77, 79 f., 82 f., 85, 91, 95 f., 98–100, 115, 126, 132, 136, 156, 161, 177, 184, 219, 221, 227, 229, 241, 267, 278, 321, 325

Mahrenholz, Christhard  94, 96, 118 f., 121, 150, 159, 201 Mann, Thomas  125, 198 Mendelssohn, Moses  167 Mengotus 53 Menius, Justus  91 Mentzer, Balthasar  155 f. Meyer, Conrad  104, 106 Minderlein, Johann  100 Misterek, Johannes  266 f. Moeschinger, Albert  21, 225 Mohammed 34 Moller, Martin  108 Morhof, Daniel Georg  108 Mozart, Leopold  166 Nathusius, Marie  191 Neander, Joachim  278 Newton, John  146 Nicolai, Philipp  278 Nider, Johannes  80 Niemeyer, August Hermann  178, 329 Nietzsche, Friedrich  271 Ohnesorg, Peter  259 Olearius, Johann Christoph  112, 127 Omeis, Magnus Daniel  151 Opitz, Martin  70, 109 Osiander, Lucas  110 Ovid  27, 40, 109 Palmer, Christian  180, 301 Papst Gregor XIII 31 Papst Innozenz XII 31 Papst Innozenz XIII 54 Papst Johannes Paul II  45, 305 Papst Klemens VII 44 Papst Paul II 102 Papst Pius XI 45 Papst Zacharias  49 Parry, H.  219 Pfalz-Neuburg, Philipp Ludwig von  102 Pfeil, Christian Karl Ludwig von  186 Pötzsch, Arno  236 Preiswerk, Samuel  186 Rasser, Johannes  43 Reda, Siegfried  21, 211 Riethmüller, Otto 291 Rinckart, Martin  177 Ringwald, Bartholomäus  112

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Rist, Johannes  21, 108, 114–118, 120–124, 126, 134, 156, 182, 186, 252–254, 278 Rosa, Hartmut  272, 314–319 Rothenberg, Theophil  220 Rülich, Bartholomäus  102 Sacer, Gottfried Wilhelm  156, 232 Sachs, Hans  66, 99 Scheffler, Johann  21, 114–116, 121, ­133–137, 253 f. Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph  176 Schiller, Friedrich  176 Schlaf, Johannes  201 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst  131, 166, 178, 180, 293 Schmidlin, Johannes Friedrich  166 Schmolck, Benjamin  108, 143 f., 147, 155, 158 f. Schneegaß, Cyriacus  153 Schoeberlein, Ludwig  185 Schön, Erhard  100 Schop, Johann  21, 118 Schulz, Johann Abraham Peter  90, 127, 132 f., 187, 328 Schütz, Heinrich  150, 278 Seidl, Johann Gabriel  188 f. Selle, Thomas  118, 146 Seuse, Heinrich  50, 143 Siebald, Manfred  21, 237–239, 242–244, 253–256 Siena, Bernhard von  44 Simler, Johann Wilhelm  104, 106 Smend, Julius  97, 201 f. Spener, Philipp Jakob  130, 148 f. Speratus, Paul  161 Spitta, Friedrich  86, 95–97, 202 Stadler Elmer, Stefanie  279–282, 284 f. Stein-Gerstel, Johanna  205 Steuerlein, Johann  113, 245

Stier, Rudolph  184 St. Martin  55 Storm, Johannes  187 Storm, Theodor  187 Stosch, Bartholomäus  178 Strauch, Andreas  143, 277, 301 Strigenicius 93 Tauler, Johannes  43, 80, 136, 143 Telemann, Georg Philipp  166 Tertullian 40 Tillich, Paul  272 Trautermann, Musikdirektor  190 Turner, Victor  293 Twain, Mark  190 Tympe, Matthäus  43 Uz, Johann Peter  65, 151 Vanauken, Sheldon  238 Venerabilis, Beda  34 Vogel, Heinrich  210 Vöglin, Salomon  104 von Herder, Johann Gottfried  160 Voß, Johann Heinrich  186 f. Wagner-Rau, Ulrike  295–297 Wedemeyer, Maria von  213 Weinsberg, Hermann  30 f. Weise, Christian  152 Wesley, Charles  182 Wesley, John  180 f. Widmann, Enoch  52 Witzel, Georg  99 Zacharias  49, 141 Zasius 86 Zinzendorf, Nikolaus Ludwig Graf von  144, 181, 203, 236, 263

Sachbegriffe 1. Januar  14, 24 f., 27–32, 35 f., 39, ­41–45, 60, 76–81, 104, 124, 144, 149, 153, 167, 176 f., 182, 198, 205, 226, 228, 236, ­249–258, 262, 289–291, 304–306, 321 Abendmahl  91, 136, 241, 275 f. Abendmahlslehre 241 Aberglaube  32 f., 247

Agende  127, 226 f., 261, 263 –– Agendendiskussion 203 –– Agendenreform 226 Alchimie 136 Allegorie  151 f. Alltag  16, 214, 251, 256, 277 f., 280, 315, 318 f. Alte Kirche  43

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Sachbegriffe Sachbegriffe Altjahresabend  13, 15, 25, 33, 36, 71, 132, 150, 179, 181, 190, 199 f., 203, 209, 211, 218, 220 f., 229 f., 232, 236, 247, 251, 257 f., 276, 287, 289 f., 292, 298, 319, 322–324 Alzheimer  282, 305 Ambivalenz der Gefühle/Emotionen  211, 324 Amtshandlung  200, 293 Andachtsbücher  17, 221 Angst  117, 119, 125 f., 128, 130, 146, 158, 172, 198, 219, 221, 255, 271, 331, 336, 345 –– Todesangst 216 –– Verlustangst 315 Ansingen  55, 57, 62, 67, 73, 76, 321 Anthropologie  259, 326 Antijudaismusvorwürfe 269 Apokalyptik 103 Arbeitsverbot  290 f. Aufklärung  85, 96, 131, 152, 160, 164–166, 171, 183, 190, 264, 269, 275, 300 Äussere Mission  183 Babylonischer Talmud  38 Barockzeit  70, 108 f., 114 f., 124, 173, 193 Beerdigung  15, 179, 221, 225, 243, 258, 276, 282, 294 f., 297, 301, 315, 325 Beginen 51 Bergpredigt 158 Berneuchner 200 Beschleunigung  202, 272, 314, 316, 326 Beschneidung  14, 20, 29, 36, 39 f., 44 f., 54, 75–77, 79–82, 85, 100, 108, 112–114, 121, 124, 131, 139–141, 145, 154 f., 157 f., 180, 184 f., 189, 199 f., 226–228, 236, 247, 261 f., 264, 266–270, 311, 321–323, 339 Beschneidungsurteil 266 Betstunden 179 Bewältigungsstrategien 313 Bewusstsein  283, 300 f., 304, 322 Bibel  72, 135 f., 164, 192, 203, 206, 250, 257, 296 Bibliomantie 203 Bilanz  152, 171, 175, 229, 252, 256, 288, 301, 303 Bildung  61, 92, 99, 296, 314 Bildungsreform 189 Biographie  138, 250 f., 261, 273, 283, 294 f., 300 f., 303 –– Normalbiographie  294 f. black communities  182

Blutbräutigam 145 Böses  61, 137, 208 f., 212, 215–218, 251, 253 f., 260 Brauchtum  15, 17, 27, 32, 36, 72 –– Jahresanfangsbräuche 28 –– Ominabräuche  32 f. Brüdergemeine  181, 232, 236 f., 291 Bund  40, 78, 84, 139, 147, 154, 184, 186, 339 Burschenschaften  69, 187 Buße  43, 47, 72, 105, 115, 173, 175, 252, 256–258, 276, 311 Chor  52, 86, 93 f., 110, 122, 124, 152, 159, 242, 280, 330 –– Kinderchor  67, 97 f. –– Schola 53 Choral  53, 122, 154 Christentum  28, 32, 34, 37, 141, 183, 268–270 Christkind / Christuskind  52, 67 Chronik  30 f., 52 Demente 283 Demenz 282 De-tempore  82, 117 Deutscher Orden  215 Diasporasituation 306 Doxologie  95, 146 Drei-Stände-Lehre  91, 98 Einblattdrucke  100, 104 Eisenacher Konferenz  184 Elementares Kirchenjahr  309–312 Emanzipations-Proklamation 182 Emotionen  55, 107, 160, 165, 183, 221, 248, 256, 269, 275, 280–283, 285, 303, 324 Empfindsamkeit  152, 160, 171 Endlichkeitserfahrung 283 Endzeiterwartung  103, 148 Engel  36, 51, 124, 127, 135, 141 f., 145 f., 214, 218, 334 f., 340, 363 –– Schutzengel 120 Entfremdung  316, 319 Erbauung  45, 80, 104, 123, 144, 190 Erinnerung  14, 45, 81, 101–103, 110, 121, 123, 177, 216 f., 267 f., 271, 276, 283 f., 289, 303, 305, 313 f., 317, 319, 322, 326 Erotica 269 Erotik  269, 294 Erweckungsbewegung  167, 183 Eschatologie  201, 260, 275, 310 f.

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Ethik 98 Evangelien 141 Evangelische Allianz  183 Evangelium  45, 153, 167, 185, 227, 268, 285, 291, 294 f., 301 Ewigkeit  13, 18, 78, 107, 115, 129, 168, 189, 195, 197, 199, 208, 223, 232, 250, 252, 257 f., 260, 271, 273–277, 303, 312, ­326–329, 332 f., 341, 345 f., 349 Exegese 291 Exerzitien  229, 323 Existenzphilosophie 165 Fan-Gesänge 280 Feiertage  17, 26, 51, 75 f., 79–81, 117, 179, 185, 262, 290, 319 Feigenbaum  105, 252 Festforschung 16 Festgegenstand  13 f., 21, 37, 39, 42–44, 80, 82, 113, 155, 180, 228, 244 f., 259, 263 f., 266–268, 270, 303, 321 Festtage  14, 18, 23, 35, 37 f., 44, 76, 79 f., 104, 121, 139, 150, 177, 206, 247, 267 f., 277 f., 286, 290, 319 –– Berchtoldstag 290 –– Buß- und Bettag  17, 179, 259, 290 –– Dreikönigstag  14, 55 –– Epiphanias  28 f., 35, 54, 72, 267 f., 292, 311 f. –– Erntedank  14 f., 227, 232, 293, 306 –– Ewigkeitssonntag  14, 259, 273, 276, 290, 301 –– Fest der Hl. Familie  44 –– Heilig Abend  57 –– Himmelfahrt  14, 41, 44, 76, 104, 324 –– Hochfest der Gottesmutter Maria  44 f., 228 –– Jahreswechsel  14 f., 19–21, 24, 27 f., 36, 40, 57 f., 65–67, 71 f., 75, 79–81, 90, 97, 101, 110, 128, 130 f., 138, 147, 153 f., 178, 180, 184–186, 191, 197, 203, 205, 210–212, 214, 225, 227–233, 237, 243 f., 248, 251, 256–260, 263, 268, 270, 272 f., ­276–279, 281, 283–288, 292–295, ­297–303, 308, 310 f., 313, 318 f., 322–326 –– Johannisfest 179 –– Karfreitag  104, 179 –– Kirchenjahresende  201, 273 –– Marienfest  41 f., 76 –– Michaelistag 14 –– Narrenfest 42

–– Ostern  29, 35, 37 f., 59, 79, 104, 179, 200, 267, 293, 307, 309, 311 –– Passafest 38 –– Pfingsten  38, 79, 104, 200, 218, 307, 309, 311 –– Stephanustag 201 –– Totensonntag  14, 258 f., 273, 276, 290, 301, 306 Verklärung Christi  44 –– Versöhnungstag  26, 38 –– Volkstrauertag 259 Festverständnis  15, 153, 279, 286 Festzeitlieder  15, 118, 156, 232 Fin de siècle  198 Fragmentarität  211, 260, 283, 316, 320 Französische Revolution  32 Frömmigkeit  13, 17, 20, 46, 49, 79, 91, 111, 113, 115, 117, 120, 131, 171, 173–175, 196 f., 205, 265, 270, 299 –– Frömmigkeitsforschung 17 –– Frömmigkeitspraxis  72, 79, 104, 110, 287, 304 –– Volksfrömmigkeit  113, 276, 322 frühkindliche Entwicklung  283 Fußball 280 Gattungsdiskussion 71 Gebet  14 f., 17, 47, 55, 90, 93, 96, 100, 107 f., 111, 118–120, 123 f., 126 f., 129, 132 f., 140, 142, 166, 173, 175, 177, 181 f., 188, 195, 198, 214, 220, 224, 226, 253 f., 258, 278, 286 –– Festgebete 177 –– Fürbitte  90, 98, 101, 124, 126, 128 f., 132, 151, 184, 251, 253 f., 258, 262, 322 –– Gebetbücher  17, 113 –– Psalmbeten 142 –– Vaterunser  90, 129, 164, 173 Geburtstag  28, 31, 38, 69, 186, 190, 206, 213, 224, 238, 244, 251, 280, 296 f., 300 Gegenwart  14, 142, 154, 165 f., 217 f., 275, 277, 286, 302, 313 f., 317, 326 Gegenwartsschrumpfung  314, 326 Gelegenheitsdichtung  69–71, 104, 106, 115, 187, 286, 321 Gemeinschaftsbewegung  183, 190 Gericht  115, 169, 172, 175, 245, 266 Gesang  14 f., 17 f., 20, 27, 46–48, 51, 53, 55 f., 61 f., 64, 68 f., 75, 81 f., 84, 86, 89, 94, 96 f., 99, 106 f., 114, 121, 127, 137, 143, 156, 159, 166, 178, 181 f., 185, 189, 203, 220, 230, 236, 273, 279, 283, 321, 336

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Sachbegriffe Sachbegriffe Gesangbuch  12, 14 f., 20–22, 24, 45, 49 f., 55, 73, 75, 82–86, 89 f., 94–97, 99, 107 f., 110–114, 116, 121 f., 128 f., 131 f., 134, 138, 145, 150, 155–157, 159, 166, 174, 178, 182– 188, 190, 196 f., 202 f., 206, 210, 213, 218, 220, 224, 229–233, 236 f., ­243–245, 261, 263, 265, 273 f., 296, 321, 323, 325 f., 334 –– Achtliederbuch 161 –– Autorengesangbücher 111 –– Einheitsgesangbücher 322 –– Gesangbuchkommission  210, 237, 243, 266 –– Gesangbuchnot 184 –– Gesangbuchproduktion  75, 110, 184 –– Gesangbuchrestauration 96 –– Gesangbuchsystematik  25, 84, 157, 189, 232, 323 –– Gesangbuchvereinheitlichungen 196 –– Hausgesangbuch  111, 196 –– Kantionale  81, 110 –– Landesgesangbuch 155 –– Reformgesangbuch 184 –– Universalgesangbuch 155 –– vierörtiges Gesangbuch  174 Gesangsvereine 190 –– Gesellschaftssystem 265 Gesetz  82, 84 f., 139, 141, 179, 216, 266, 337, 339, 344 Gestirne 26 –– Mond  21, 26, 61, 160, 162, 166, 181, 187, 251, 336, 345 f., 356 –– Sonne  21, 26, 28, 86, 113, 133, 135–137, 160, 162, 166, 212, 217, 251, 253, 256, 329, 334–336, 345–347, 350, 352 f., 356 Gewissen  53, 137, 168, 171–174, 251, 258, 263, 313, 316 Glaube  12, 41, 92, 113 f., 122, 129, 136, 141, 144, 153, 158, 187, 194, 197, 204, 206 f., 216, 226, 262, 272, 278, 298 f., 308, 312, 330, 336, 340, 354 –– Glaubenshaltung  167, 284 –– Namenglaube  121, 142, 270 Glocken  57, 176, 218 Glück  50 f., 68, 73, 76, 118 f., 159, 161, 163– 167, 191, 193, 195, 238, 240, 244, 260, 319, 329, 335, 337 Gnade  21, 40, 47, 93, 117, 119–123, 126, 128, 168–172, 186, 204, 208, 235–243, 251, 256, 299 f., 319, 328 f., 345 goldene Gegenstände  56 Goldner / Göller  57

Gottesbild 124 Gottesdienst  13–17, 19 f., 32, 37, 43 f., 53, 59, 67, 71, 75, 77, 80 f., 86, 93 f., 96 f., 101, 108, 110 f., 115, 127 f., 131 f., 147, 150, 177–182, 196, 199 f., 202 f., 218, 227 f., 232, 248, 258, 261, 268 f., 276 f., 279, 283, 285, 287–294, 297–302, 306 f., 309, 313, 319, 321–326 –– Abendandacht 221 –– Hausandacht  14, 16, 84, 111, 190, 321 –– Kindergottesdienst 97 –– Morgengottesdienst  177, 288 –– Nachtgottesdienste 182 –– Neujahrsgottesdienste  81, 97, 121, 177, 200, 226, 262, 268, 277, 287–292, 298, 302 f., 323 –– Silvestergottesdienst  20, 179, 200, 287 f., 291 f. –– Zielgruppengottesdienste  306, 309 Gottesdienstbesucher  181, 228, 269, 285, 287–289, 293, 298 f. Gotteslamm  268, 342, 350 Handreichung  309, 312 Haustafel  91, 99 f. Heiden  40, 141, 144 f., 184 f., 213, 346 –– Heilsgeschichte  34, 37, 262, 269, 304 –– Heilstatsache 301 Heiland  127, 144–146, 170, 173, 184, 201, 310 f., 328, 352 Heiligentage 79 Heiliger Geist  107, 156, 163 Heiligkeit 270 Heimat  96, 193–195, 197, 333 Herrenhut 180 –– Herrenhuter Nachtwachen  181 Herz  14, 58, 76, 92, 127, 132, 136, 137–139, 141–144, 158, 160 f., 163, 174, 191–193, 195, 197, 215 f., 264 –– Herzensgebet  120, 142 f., 270 –– Herzfrequenz 280 Herzogtum  155, 176 f. Hiobmotiv 216 Horoskope 33 Hugenottenverfolgung 172 Humanismus 70 Hymnologie  11 f., 184, 279 Hymnus  13, 17, 23, 46–49, 54, 68, 81, 122, 143, 177, 182, 274 –– lateinische Hymnen  46, 48, 81 –– Nationalhymnen 280

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Register

Ideenfeste  304 f. IHS 143 Immanenz  119 f. Industrialisierung  202, 271, 313 f. Internetseiten  225, 286 Isotopieebenen  206 f. Jahreszählung  31, 37  Jahreslosung 291 Jahrestagkultur  304 f. Jahreszeiten  32 f., 35, 157, 232, 289, 312 Jahrhundertbeginn  22, 75, 150, 177, 198 f. Jenseits  92, 129, 175, 194, 197, 223, 248, 251, 257 f., 275, 319 –– Jenseitshoffnung  194, 197 Jerusalem  32, 194 –– Jesuskind  58, 76 f., 99, 122, 311, 363 –– Jesusliebe 118 –– Jesusminne  113, 140, 145 JHWH  135, 140, 142, 270 Jubeljahr  102 f., 121, 252 Jubiläum  69, 103, 280, 307 f. Junge Gemeinde  220 Jüngere Liturgische Bewegung  200 Jungfrauenvereine 183 Kaiser  27 f., 44, 101, 159, 198, 215 Kalender  23, 25–29, 31 f., 34–37, 39, 42, 72, 79, 100, 148, 262, 300, 304, 306, 309, 319 –– Altkalendarier 32 –– Bürgerlicher Kalender  36, 306, 309, 319 –– Calendarium Romanum  42, 45 –– Gregorianische Kalenderreform  31, 102, 148 –– Heiligenkalender 29 –– Kalenderjahr  13 f., 22, 243, 269, 293, 308, 311 –– Kalenderstile 28 –– Terminkalender 315 –– Terminstreit  147 f., 152, 176 Kanonisierung  229, 324 Kantate  122, 153 f. –– Choralkantate 153 Kanton  11, 31, 60, 174, 200, 290, 338 Kasualien  15, 273, 293–296, 301 f., 320 –– Kasualempfänger  295, 301 –– Kasualzeugen 295 –– Kernkasualien  296, 299 Kasualisierung des Kirchenjahres  306 f. Katechismus  91, 99

katholische Kirche  24, 39, 44, 102 f., 236, 305 Kindelwiegen  49, 51, 53 Kirchenleitung 17 Kirchenlied  18, 46, 89 Kirchenlieder  13 f., 16–18, 44, 54, 59, 64, 73, 81, 84 f., 89, 94, 98 f., 107 f., 111, 113 f., 122 f., 145 f., 154 f., 165, 173, 178, ­182–184, 188, 190, 210 f., 213, 218, 221, 224, 244, 247–250, 257 f., 261–263, 265 f., 268–270, 273–275, 277–281, 285–287, 313, 321–323, 325, 340 Kirchenordnung  76, 79–81, 104, 112, 263 Kirchentag  184, 243 –– Deutscher Kirchentag  184 –– ökumenischer Kirchentag  243 Klöster  32, 47, 229 Kommersbücher 187 Konkordienformel 241 Konsulatswechsel 27 Kontingenz  260, 272, 281, 299 –– Kontingenzerfahrung 259 Kontinuität 284 –– Kontinuitätserfahrung 326 Konzil von Tours  39, 41 Körper  143, 159, 280 –– Körperteile 158 –– Körperverletzung 266 Kosmologie 34 Krankensalbung 295 Krankheit  92, 136, 143, 172, 299, 305 Kreuz  115, 130 f., 136, 140, 154, 161, 163 f., 193, 213, 216, 243, 249, 363 Krippe 271 Krise  160, 165, 190, 197 f., 222, 244, 254, 296, 303, 318, 322 –– Lebenskrise 293 –– Sprachkrise 202 Kultusgemeinde 290 Kunst  86, 96, 136, 193, 202, 271, 281 Lebensbaum  135, 137, 268 Lebenserfahrung  274, 284 Lebensgeschichte  294, 301, 304, 320 Lebenstempo 314 Lebensweg  99, 126, 128, 157, 206 f., 211, 240, 257, 269, 294, 297, 305 Lebenswelt  227, 269, 284, 287, 289, 294, 298, 302, 304, 308, 311, 325 Lebenswirklichkeit  267, 285 Licht  18, 135, 204, 217, 219, 275, 277, 288, 315

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Sachbegriffe Sachbegriffe –– Liedanalyse  23, 85, 98, 114, 160, 190, 204, 237, 244, 247, 265, 271 –– Liedersammlung  112, 116, 155, 160, 243 –– Liedrepertoire  24, 82, 229, 232 Liedgattung  16, 98 –– Anklopflieder 55 –– Erbauungslied 115 –– Erweckliches Lied  182 –– Ewigkeitslied  14, 55, 84, 110 f., 114, 184 –– Gemeindelied  84, 174 –– Haustafellied  98 f., 105, 243 –– Heischelied  55 f., 58, 62 –– Herz Jesu Lied  14 –– Himmelfahrtslied 14 –– Jahreswendelied  15, 23, 25, 36, 68, 126, 132, 245, 250, 255, 271, 322, 326 –– Jugendlied 196 –– Kasuallied  273, 286, 323 –– Kernlied  131, 184 –– Kinderlied  67, 82, 84, 98, 214 –– Klopfanlied  55, 58 –– Kreuzfahrerlied 230 –– Leise  53, 192, 215 –– Liebeslied  18, 65–67 –– Minnesang 65 –– missionarisches Lied  183 –– Nachtwächterlied  61 f., 64 –– Name-Jesu-Lied 145 –– Neujahrslied  11, 14–24, 35 f., 44, ­46–50, 53–60, 62 f., 65–69, 71–73, 75, 77, 80, 82 f., 89, 93–95, 97 f., 101, 104, 107 f., 112–114, 117, 121, 123–125, 139, 141, 143, 145, 147, 151, 154, 157, 159, 165–167, 176, 182 f., 185–187, 190, 194, 198, 205 f., 209 f., 226, 229, 242, 244 f., 247–251, 253 f., 263–265, 271, 273, 279, 283, 286 f., 299, 321–324, 326, 335 –– Passionslied 268 –– Quodlibet 61 –– Sterbelied 14 –– Tauflied 14 –– Weihnachtslied  14 f., 49, 55, 81 f., 90, 153, 157, 185, 187, 190, 274 –– Wiegenlied  52, 83 f. –– Zeitlied  159, 189 f., 232, 273, 323 Litanei  123, 126 Liturgie  37, 39, 41, 44 f., 49, 53, 72, 80, 164, 166, 179, 185, 197, 200, 202, 244, 268, 304, 325 –– Liturgiegeschichte  12, 22 f., 46, 75, 180

–– Liturgiekommission  225, 308 –– Liturgiereform  39, 44 f., 75 f. Liturgik  11, 16, 185, 228, 263, 279 Liturgische Konferenz  201, 308 f. Losung / Losungswort  143, 147, 159, 231, 234, 270, 286, 291, 340, 348, 351 Losungen  205, 291 Lutherische Kirche  185, 226 Lyrik  23, 70 f., 106, 108 f., 113, 115, 136, 150, 152, 171, 193, 201, 278 –– Erlebnislyrik  70 f. –– Lehrgedicht 152 –– Leichen- und Hochzeitscarmina  71 –– Liebeslyrik  65, 72 –– Lobgedicht 71 –– Meister- und Flagellantenpoesie  53 –– Marienjahr 41 Masken  36, 41, 290 Medien  17, 183, 221, 272, 305, 317, 326 –– Printmedien 286 –– Zeitung  150, 205 Meditationen  108, 139, 216, 291 Melodie  18, 21, 83, 90, 95, 98, 114, 116, 118, 122, 157, 159, 161, 174, 183, 186 f., 189, 210 f., 219 f., 225, 232, 235, 237, 242, 244 f., 281 f., 285 f., 321, 328, 333 Metaphern  134 f., 208 Methodistenkirche 174 Michaelsbruderschaft  200, 236 Militär  20, 199 Mischna 38 –– Mondjahr  26, 162 Moral 165 –– Morallehre 164 –– Moralvorgaben 110 –– Motivfelder  22, 248, 259, 273 –– Motivschwund 264 Mundart  85, 94 Musik  13, 36, 51, 154, 166, 178, 190, 200, 203, 279, 281, 284 f., 288, 303, 324 Musiktherapie 282 Mutter Gottes  41, 44 f., 228, 267 Mystik  50, 53, 55, 127, 136, 167 Nachtwächter  57, 60–63, 65, 69, 151 Naherwartung 148 –– Namengebung  14, 20, 36, 39, 44, 75, 80– 82, 100, 108, 112, 121, 124, 135, ­139–142, 145, 157, 185, 189, 199, ­226–228, 233, 236, 261 f., 264, 266–268, 270, 311, 321–323

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Register

–– Name Gottes  140 –– Name Jesus  139, 143–145, 147, 155, 270, 344 –– Namensfrömmigkeit 322 –– Namenstag  79, 151, 203, 227, 296, 300 –– Namenstheologie  121, 146 Nationalsozialismus 201 Natur  25, 66, 93, 103, 109, 151, 204, 247, 259, 316, 325 –– Menschennatur 165 –– Naturzyklen 315 –– Neuanfang  118, 175, 259 Neujahr  13–15, 20, 24 f., 29 f., 33, 35–39, 42, 49 f., 55, 57 f., 62, 64, 68 f., 75 f., 80, 82 f., 89–91, 94, 98, 100, 104, 114, 124, 132, 138, 147, 150, 152, 155, 157, 1­ 85–187, 189 f., 197, 199 f., 203, 205, 226, 230, 232, 251, 259, 261–263, 267, 269, 279, ­287–290, 292, 298, 302 f., 306, 310 f., 319, 321–324 –– Großneujahr  29, 59 –– Hohes Neujahr  29 Neujahrsaviarien 43 Neujahrsbestiarien 43 Neujahrsblätter  104–107, 363 Neujahrsfest  14, 16–18, 20, 23, 27, 37–40, 42 f., 47, 50 f., 53 f., 57, 67, 75–77, 79–81, 83, 85, 104, 112, 138, 145, 150, 153, 180, 197, 199 f., 262, 267, 285, 287, 290 f., 304, 323 f. Neujahrsgeschenke  27, 80 Neujahrslapidarien 43 Neuromantik 202 Nicaenum 218 Oktavtag  28, 38, 40, 44, 82, 180, 267 Ordo-Gedanke 98 Orgel  110 f. Orgelbüchlein 83 Orthodoxe Kirche  32, 267 Orthodoxie  111, 114, 148 Paränesen 81 Passion 274 Perikopen  268, 304 –– Perikopenordnungen 325 –– Perikopenrevision  289, 302, 311 Pietismus  79, 111, 116, 148, 160, 167, 173 Pilgerweg  194 f. Pluralismus 304 Predigt  14 f., 39–41, 43, 53, 56, 77, 80 f., 98, 102 f., 107 f., 136, 143 f., 149, 167, 176–178,

180–182, 220, 244, 261, 268, 270, 277, 290 f., 293, 301 –– Predigthilfen  263, 291 –– Predigtthemen 261 Prozessionen  46, 51 Psalm  127 f., 135, 174, 189, 193 f., 205 f., 214, 216, 221, 310, 312 Psyche  84, 115, 134 f., 316 Rationalismus  96, 160 Rauhnächte 33 Realismus 202 Reformation  14, 18, 24, 35, 46, 53, 75 f., 85, 89 f., 95 f., 98, 102 f., 165, 184, 322 Rekatholisierung  85, 96 Religion  13, 34, 38, 41, 61, 144, 152, 160, 172, 281, 338 f. Reliquie 139 Renaissance  70, 270 Rhythmus  25, 34, 36, 38, 44 f., 211, 242, 271, 292, 304, 307–309 Rituale 293 Romantik  71, 192–194 Römisches Reich  40 Sacropop  220, 239 Saeculum  101, 148 –– lebende Saecula  177 Sakrament 140 Säkularspiele 101 Satisfaktionslehre 183 Schaltmonate  26 f. Schöpfung  92, 162, 164, 232, 250, 267, ­273–275, 304 Schöpfungsgeschichte  109, 160, 219 Schule  15 f., 20, 84, 86, 111, 121, 127, 295 f., 321, 333 –– Kleinkinderschule 190 Schwärmer 93 Schwesternhäuser 51 Sebastiani-Bruderschaft 57 Seele  58, 92, 117, 122, 129, 134, 137 f., 138, 143, 146, 149, 172, 174, 194, 214 f., 283, 319 Seelentrost 283 Seelenwächter 65 Segen  124, 126, 128, 130, 164, 166 f., 173, 178, 207–209, 240–242, 251, 253 f., 258, 260, 264, 283, 299 f., 322, 325 Segenswunsch  81, 85, 244, 247, 254 Sehnsucht  129, 150, 166 f., 193 f., 218, 260, 310 f.

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Sachbegriffe Sachbegriffe Seinsphilosophie 272 Seitenhöhle  113, 140 Selbstbefragung 258 Selbsterlösung 319 Selbstzweifel 318 Sexualität  269, 294, 322 –– Sexualitätstabu 269 Silvester  25, 33, 60, 132, 179, 181, 199 f., 203, 211, 218, 220 f., 229, 236, 247 f., 251, 257, 287, 290, 292, 298, 304, 319, 322, 324 Silvesterkläuse 31 Singen  40, 49, 51, 55, 57, 59, 65, 68, 82–84, 86, 94, 97, 111, 121, 125–127, 130, 133, 142, 150, 154, 156, 159, 161, 169 f., 178, 181, 183, 186, 190, 229, 232, 244, 260, 265, 269, 271, 273, 279–286, 312, 322 f., 325, 328, 330, 353 –– Kurrendesingen  108, 265 –– Neujahrssingen  19, 31, 57–59, 62, 69, 72, 108, 123, 265 –– Rummelpottsingen 57 Sitte  38, 84, 150, 300, 334 –– Sittenlehre 98 –– Sittenmandat 105 Situative Identität  315 Sitz im Leben  23, 96 f., 287 Sklaverei 182 Social time  289 Sonntag  14 f., 26, 37 f., 44 f., 54, 76, 80, 153, 179, 182, 201, 267 f., 270, 289–292, 299, 304, 306 f., 309, 312 Sonntagsschularbeit 183 Sozialkritik 303 Spätmittelalter  33, 46, 52, 93 Spätmoderne  17, 293, 313, 316 f. Spiritualitätsdiskurs 229 –– Sprachbilder  268, 271 –– Sprachmuster 297 –– Sprachzweifel 202 –– Studentensprache 64 Staat  23, 72, 105, 179, 290 f., 337 Ständedidaxe 98 Ständevögelserien 43 Sternsinger 55 Stimme  33, 64, 141, 204, 218, 279, 281 f. Sühnewerk 84 Sünde  39, 85, 88, 92, 105, 117, 119 f., 122, 124, 127, 133, 136, 140, 142, 146, 159, 168–172, 175, 208, 252, 339 Symbole  177, 297

Tabernakelklopferle 58 Tabu 322 Tabula Cebetis  99 f. Tagesgedächtnisse 79 Tageszeiten  61, 228 –– Abend  57, 61, 136, 176 f., 181, 190, 204, 212, 214, 219–221, 228, 236, 273 f., 276, 288 f., 292 –– Mitternacht  33, 63, 176, 181, 187, 200, 228 f., 248, 257, 288, 290, 292 –– Morgen  60, 125, 169, 176 f., 190, 212, 214, 219 f., 273 f., 292, 312, 344, 352 Taizé 142 Talmud 38 Tanz  27, 52, 58, 107 –– Lobetanz 52 –– Pomwitzel-Tanz 52 –– Reigen  51, 308 Tenor 110 Texter  153, 321, 325 Theologie  11, 14 f., 20 f., 24, 79, 85, 105, 111, 141, 152, 156, 165 f., 180, 199 f., 247, 266, 269 f., 273, 293, 299, 320 f. Tischri  26, 38, 291 Todesanzeigen 221 Toleranzedikt 172 Tonalität 285 Totenfeste 179 Trauer  164, 192, 194, 197, 219, 230–232, 249, 282 f., 296, 303, 315, 337, 345 Träume  151, 188, 328 Trennungsritual 296 Tugenden  63 f., 75, 91, 98–100, 106, 120, 124, 134, 152, 161, 163–166, 168 f., 174 f., 320, 322, 329, 337–339 Tugendkataloge 91 Übergang  13–15, 24, 27, 31, 36, 71, 103, 107, 112, 124, 128, 132, 178, 197, 201, 211 f., 215, 221, 228, 237, 239, 242, 244, 249, 253, 255 f., 258–260, 273, 279–283, 286, 292–304, 308, 310 f., 319, 323–325 –– Lebensübergänge  221, 326 –– Schwellensituation 222 Uhr  60–62, 167, 181, 228, 271, 288, 313 Umkehr  38, 252, 256 f., 311 –– Umkehrruf 311 Ungewissheit  250 f., 284 Urbanisierung  33, 202 II . Vatikanisches Konzil  42, 44

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Register

Vereinte Nationen  305 Vergänglichkeit  105, 109 f., 185, 189, 195, 197, 203, 206, 225, 233, 236, 257 f., 271 f., 276, 281, 284, 324 –– Vanitasmotiv 193 Verheißung  139, 149, 154, 173, 216, 222, 250, 267, 269, 302, 325, 363 Verlust  96, 105, 172 f., 192, 197, 262 f., 265, 271, 283, 288, 296 f. Vernunft  144, 165, 285 Vigil 181 Volk Gottes  223 Volk Israel  139, 268, 291 Volkslied  19, 42, 55, 65, 68, 72, 85, 91, 94, 182, 187, 200, 321, 323, 333 Vorhaut  139, 268 Vorrede  86, 91, 99, 114, 117, 121, 144, 155 f., 187 Vorsehung  105, 226, 255 Wächteramt 60 Wahrheit  160, 209, 257, 301, 329, 338, 357 watch-nights  179–182, 236 Weihnachten  28–30, 35, 39, 44, 50, 52, 62, 69, 72, 75, 82 f., 90, 104, 107, 113 f., 139, 153, 159, 180 f., 184 f., 200, 203, 205 f., 214, 229, 232 f., 245, 292 f., 298, 302, 307, 309–311, 323, 325 –– Weihnachtsbaum 288 –– Weihnachtsfestkreis  15, 29, 38, 82, 90, 98, 131, 180, 190, 201, 245, 259, 285, 311, 323, 325 –– Weihnachtsspiele  49, 51, 53, 229 Weizenkorn 268 Weltkrieg  19, 55, 198, 200 f., 215, 226, 272, 322 –– Erster Weltkrieg  198, 200, 215, 272 –– Zweiter Weltkrieg  19, 55, 201, 226 Welttag  305 f. Werkgerechtigkeit 320 Wertegerüst 315 Wiederkunft 209 Wirtschaftsunternehmen 288

Wochentag  45, 289 f., 302, 304 Wundenkult  84, 118 Zehn Gebote  135 Zeit  12–19, 21, 25, 28, 32–36, 38, 42, 48, 61, 101, 103, 109 f., 123 f., 146, 149, 151, 159, 161 f., 164, 171, 180, 189, 195, 197 f., ­202–211, 213, 215, 219, 221–225, 229, 232, 236, 239–245, 248–250, 252, 256–259, 261–263, 267, 271–278, 284–286, 289, 291, 294, 297, 300–303, 307, 311–327 –– Adventszeit  38, 201 –– Freizeit 202 –– Gotteszeit  209, 215, 277 –– Lebenszeit  124, 129, 139, 167, 175, 192, 197, 206, 208, 216, 225 f., 242, 249–251, 257, 271, 274 f., 278, 300 f., 313, 318 f., 326 –– Mitte der Zeit  32, 34 f., 208 f. –– Trinitatiszeit 201 Zeitansagen  303, 318 –– Zeitdimensionen  217, 219, 315, 318 –– Zeitempfinden 313 –– Zeiterleben 303 –– Zeitgeist  274, 286 –– Zeitgeschmack  13, 247, 266 –– Zeitmangel 275 –– Zeitproblem 275 –– Zeitrechnung  23, 25 f., 28, 32, 34–36, 38, 50, 102, 209 –– Zeitrhythmen  35, 304, 307 –– Zeitstruktur 314 –– Zeittheologie  209, 237 –– Zeitverwaltung 318 –– Zeitworte 274 –– Zeitzeichen 313 Zeitzyklen  37, 211, 300 Zisterzienser 53 Zukunft  33, 35, 81, 148 f., 166, 198, 202, 217 f., 226, 252, 255, 257, 274, 284, 302, 314, 324–326, 329 –– Zwischen den Jahren  31, 33, 35, 229, 290, 323 Zyklus 48

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