Der Galaterbrief im Religionsunterricht: Die Theologie des Paulus in ihrer Zeit und im Dialog mit Jugendlichen heute [1 ed.] 9783788731557, 9783788731472

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Der Galaterbrief im Religionsunterricht: Die Theologie des Paulus in ihrer Zeit und im Dialog mit Jugendlichen heute [1 ed.]
 9783788731557, 9783788731472

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Axel Wiemer

Der Galaterbrief im Religionsunterricht Die Theologie des Paulus in ihrer Zeit und im Dialog mit Jugendlichen heute

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-7887-3147-2 Weitere Angaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de  2017, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstr. 13, D-37073 Göttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Umschlaggestaltung: Andreas Sonnhüter, Niederkrüchten Satz: Axel Wiemer Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Robert-Bosch-Breite 6, D-37079 Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier

Martin Weyer-Menkhoff, dem Kollegen und Freund, als kleiner Dank für Vieles

Vorwort

„Raxli, faxli, pullipaxli, ronte – monte – mo, tallatulla, mallamulla, hucka – lucka – lo.“ Mit diesem als Antwort auf alle möglichen Fragen wiederholten, nichts und doch irgendwie alles sagenden Zweizeiler bringt es ein (anderer!) Axel in einem Kinderlied des Liedermachers Gerhard Schöne von ersten frühkindlichen Erfolgen bis zum Professor mit eigener Fernsehshow. Mitunter mag Wissenschaft, zumal die theologische, ähnlich erscheinen: Als Geheimsprache, die vor allem dadurch überzeugt, dass sie in ihrer schieren Unverständlichkeit Respekt einflößt. Auf die Fernsehshow verzichte ich freilich gerne, denn das Anliegen meiner Arbeit ist genau entgegengesetzt: Ich möchte Theologie verständlich präsentieren, denn meine Arbeit mit Studierenden ist von der Überzeugung getragen, dass Theologie von der eigenen Auseinandersetzung mit der biblischen Tradition und ihrer theologischen Wirkungsgeschichte lebt. Es geht also nicht um das Nachplappern eines „Raxli faxli“, sondern um Verstehen und Inbeziehungsetzen mit eigenen Fragen, letztlich um kritische und konstruktive Aneignung. Die vorliegende Arbeit ist in der entsprechenden Bemühung auch ein Beispiel dafür, wie ich die besondere hochschuldidaktische Aufgabe theologischer Lehrerinnen- und Lehrerbildung verstehe und wahrnehme. Sie sollte nach meiner Überzeugung auch als Vorbild funktionieren können für das, was im Religionsunterricht wichtig ist – von diesem erhoffe ich mir, dass Kinder und Jugendliche Impulse und kräftige Anregungen für ihr eigenes Denken und Urteilen bekommen und dieses im Gespräch miteinander, mit biblischen und theologischen Gedanken und mit ihren Lehrerinnen und Lehrern entwickeln. Es reicht nicht aus, wenn Theologie verständlich wird, sie muss individuell in ihrer Relevanz und Lebensdienlichkeit erkennbar werden. Dass es nun gerade die paulinische Theologie ist, um die es mir hier geht, macht die Sache nicht eben einfacher: Die Briefe des Apostels erscheinen vielen als unverständliches „Raxli faxli“. Sie sind dies auch in einer zweiten Hinsicht: Gerhard Schönes Axel verwendet die als Kind einmal gefundene Formel bis ins Alter als Antwort auf alle

VIII

Vorwort

möglichen Fragen. In gewisser Weise hat Paulus eine ähnliche Kernformel, auch wenn er sie sprachlich variiert – es geht immer um den Christusbezug, jede theologische Frage durchdenkt er von dem Gekreuzigten und Auferstandenen her, letztlich also aus der Grunderfahrung seines Glaubens in der Christusbegegnung vor Damaskus. Auch die bekannten Kernsätze des Galaterbriefs atmen diese Grundlage: „So lebe nicht mehr ich, es lebt aber in mir Christus.“ (2,20) – „Es gibt nicht Jude noch Grieche, es gibt nicht Sklave noch Freier, es gibt nicht Mann und Frau; alle nämlich seid ihr einer in Christus Jesus.“ (3,28) – „Zur Freiheit hat uns Christus befreit!“ (5,1) Nicht nur in solchen Verdichtungen, sondern mit seiner ganzen Argumentation markiert der Apostel in diesem Schreiben Leitlinien, die (so umstritten sie zur Zeit des Galaterbriefs waren) das entstehende Christentum für Jahrtausende prägen sollten. Ohne paulinische Theologie lässt sich keine christliche Kirche verstehen und sie ist bis heute relevant für die Klärung der Frage, wer oder was eigentlich ein Christ sei, auch wenn sich die Interpretation der entsprechenden Stellungnahme des Apostels in der letzten Zeit gewandelt hat. Meine Überzeugung ist, dass sich die paulinische Theologie dann dem eigenen Fragen und Denken von Jugendlichen erschließen und mit diesem in ein konstruktives Gespräch treten kann, wenn sie aus ihrer Entstehungssituation heraus als engagierter Beitrag zur lebhaften Diskussion um eben diese Frage verstanden wird: Wie lässt sich die Identität eines Christen eigentlich beschreiben? Wenn meine Arbeit dazu ermutigt und so die Tür für Paulus im Religionsunterricht ein wenig mehr öffnet, hat sie ihr wichtigstes Ziel erreicht. Mir ist bewusst, dass meine Leitfrage, ob und wie paulinische Theologie im Religionsunterricht fruchtbar werden kann, letztlich mehr Gewicht in die biblisch-theologische als in die religionspädagogische Waagschale legt. Ich bin auch gar nicht der Meinung, dass ein zwingender Weg von der Wahrnehmung der Schülerinnen und Schüler mit ihrem Fragen und Denken zur Beschäftigung mit den Briefen des Apostels führt. Aber unbeschadet ihres primär theologisch begründeten Frageinteresses halte ich die Arbeit auch für religionspädagogisch gerechtfertigt durch ihren Nachweis, dass sich eine unterrichtliche Behandlung des Galaterbriefs konstruktiv mit den Interessen und Themen der Jugendlichen verbinden lässt – also so, dass sich ihnen ein eigener Zugang zum Galaterbrief und seiner Argumentation und damit die Möglichkeit einer fruchtbaren individuellen Auseinandersetzung mit der paulinischen Theologie eröffnet. Die hier nun gedruckt vorliegende Arbeit wurde 2015 als Habilitationsleistung an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe eingereicht und angenommen. Auf dem Weg dorthin haben mich viele immer wieder ermutigt, von der anfänglichen Überlegung, sich überhaupt

Vorwort

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noch einmal an eine solch große Arbeit zu setzen, über die Diskussion erster Ideen zunächst in Auseinandersetzung mit den Korintherbriefen, dann den Neustart mit Bezug auf den Galaterbrief, durch manche Tiefen hindurch und schließlich im kräftezehrenden Endspurt. Ich bin gar nicht in der Lage, vollständig die Namen all derer aufzuzählen, die hier zu nennen wären. Anzufangen ist auf jeden Fall mit meiner Frau und unseren Kindern, die es mir erlaubt und nur wenig übelgenommen haben, dass ich ihnen die Zeit für dieses Projekt gestohlen habe. Dann wären da Kolleginnen und Kollegen, die mich auf den Weg brachten – Hilary, danke für dein „du musst“, und alle anderen: fühlt euch persönlich genannt. Durch Nachfragen und Zuspruch hieltet ihr wie übrigens auch manche Studierenden mehr, als ihr es geahnt haben dürftet, meine Motivation für diesen langen Weg aufrecht. Danken möchte ich ebenso denen, die uns in der Sorge um unsere Kinder und unseren Haushalt entlasteten, damit Zeitfenster für anderes offenblieben. Mein Vater hat das ganze Manuskript gelesen und manche Versehen entdeckt; besonders schön war, dass wir so auch über den einen oder anderen Gedanken in ein Gespräch kamen. Aufbauskizzen und Teilkapitel meiner Arbeit konnte ich fruchtbar diskutieren auch in und mit den Doktoranden- und Habilitandenkolloquien der Theologischen Institute der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe und des Erlanger neutestamentlichen Lehrstuhls von Prof. Dr. Peter Pilhofer sowie in der theologisch-religionspädagogischen Sozietät der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd. Allen, die hier beteiligt waren, habe ich für Impulse, konstruktive Kritik und nicht zuletzt kräftige Ermutigung zu danken. Ein besonderer Dank gilt schließlich denen, die das Habilitationsverfahren fachlich begleitet haben, allen voran Prof. Dr. Peter Müller. Er war bei meiner ersten vorsichtigen Anfrage vor (nur gefühlten?) rund zehn Jahren sofort bereit, meine Arbeit zu betreuen, stand mir stets mit wertvollem Rat zur Seite, wenn es um Akzentsetzungen, Eingrenzungen u.ä. ging, und hatte vor allem sehr, sehr viel Geduld mit mir – Peter, das kann ich dir gar nicht zurückgeben und hoffe nur, ein wenig davon von dir gelernt zu haben. Die Mühe der Gutachten haben neben ihm sein katholischer Karlsruher Kollege Prof. Dr. Alexander Weihs und die Kasseler Religionspädagogin Prof. Dr. Petra Freudenberger-Lötz auf sich genommen – allen dreien habe ich auch für wertvolle Impulse zu danken. Nicht alle konnte ich in der Überarbeitung für die Druckfassung aufnehmen, doch werdet ihr gewiss erkennen, dass etliche Anregungen eurer Rückmeldungen dabei eingeflossen sind. Den wichtigen Vorschlag, meine Unterrichtsideen auch bis in die Gestalt konkreter Materialien didaktisch auszuarbeiten, verfolge ich weiter, bin aber der Meinung, dass ein solcher Materialsatz sinnvoller separat veröffentlicht werden sollte als im Kontext der vorliegenden Studie.

X

Vorwort

Dass dieses Buch nun in gedruckter Form vorliegt, ist schließlich auch durch großzügige Druckkostenzuschüsse zweier Landeskirchen möglich geworden: Hier habe ich der evangelischen Landeskirche in Württemberg, in der ich zum Pfarrer ordiniert bin und in der „meine“ Pädagogische Hochschule Schwäbisch Gmünd liegt, ebenso zu danken wie der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers, in deren Bereich ich während des Abschlusses des Habilitationsverfahrens und der Vorbereitung der Publikation die Professur für Neues Testament und Religionspädagogik an der Leuphana Universität Lüneburg vertreten habe. Mein Dank gilt natürlich auch dem Verlag Neukirchener Theologie, der mein Werk unter seine Fittiche genommen hat. Dafür und für die gute Unterstützung bei der Erstellung der Druckvorlage danke ich neben Dr. Volker Hampel besonders Ekkehard Starke und Hans Hegner. Ein Name fehlt noch, auch wenn er in etlichen der obigen Sätze schon implizit mit genannt war. Martin Weyer-Menkhoff hat sich als mein „Chef“ für Arbeitsbedingungen eingesetzt, die überhaupt erst das Entstehen der Arbeit möglich machten, und auch sonst in vielfacher Weise ihren Weg begleitet und nachhaltig gefördert. Zu danken habe ich ihm im Blick auf elf gute Jahre gemeinsamer Arbeit in unserer Schwäbisch Gmünder Abteilung und unsere auch über seine Emeritierung hinaus bestehende Freundschaft aber weit mehr als das – als bescheidenes Zeichen dafür sei dir, Martin, dieses Buch gewidmet. Schwäbisch Gmünd, am Reformationstag 2016 Axel Wiemer

Inhalt

Vorwort............................................................................................ VII A. Grundlegung ................................................................................... 1 1. Fragestellung .............................................................................. 1 2. Schwerpunktsetzung ................................................................. 11 3. Aufbau und methodische Basis ................................................ 14 B. Paulinische Theologie nach dem Galaterbrief .............................. 18 1. Der Text: Eine synchrone Auslegung des Galaterbriefs........... 19 a) Der Briefeingang 1,1–12: Wer, wie, was ............................ 22 1,1–5 Absender, Adresse und Gruß ................................... 22 1,6–12 Die göttliche Autorität des von Paulus verkündigten Evangeliums ................................................. 26 Kernaussagen des Briefeingangs in Thesen ....................... 33 b) Der erste Hauptteil 1,13–2,21: Biographische Entfaltung des paulinischen Evangeliums ............................... 34 1,13–24 Der unmittelbare göttliche Ursprung des paulinischen Evangeliums .................................................. 35 Exkurs: „Judaismus“ als Eifern für die väterlichen Überlieferungen (Gal 1,13f.) .............................................. 38 2,1–10 Die vorbehaltlose Bestätigung des paulinischen Evangeliums .................................................. 43 2,11–21 Die Bewährung des paulinischen Evangeliums im Konflikt ................................................... 49 Exkurs: Die sogenannte „New Perspective on Paul“ ......... 57 Kernaussagen des ersten Hauptteils in Thesen .................. 71

XII

Inhalt

c) Der zweite Hauptteil 3,1–5,12: Ausführung des paulinischen Evangeliums ....................................................... 72 3,1–5 Erinnerung der „unverständigen“ Galater an ihre Anfänge im Glauben ................................................... 72 3,6–14 Abrahams Segen und der Fluch des Gesetzes: Freikauf durch Christus ...................................................... 75 3,15–29 Das Erbe und die Erben Abrahams: Kinder Gottes in Christus/im Geist ................................................ 81 4,1–7 Zwischenfazit: Sendung des Sohnes als Freikauf zu Kindern Gottes ................................................ 91 4,8–20 Warnung vor Rückfall in Sklaverei und Werben um die Galater ...................................................... 98 4,21–5,1 Die zwei Frauen Abrahams als zwei verschiedene Bundesschlüsse........................................... 105 5,2–12 Es gilt ein Entweder – Oder: Christus oder das Gesetz ............................................................................... 114 Exkurs: Polemische Theologie? ....................................... 122 Kernaussagen des zweiten Hauptteils in Thesen.............. 128 d) Die Paränese 5,13–6,10: Das Leben in der Freiheit und die Liebe ......................................................................... 129 5,13–15 Freiheit ist kein Vorwand zur Selbstsucht, sondern führt in die Liebe ................................................ 130 5,16–24 Das Leben im Geist braucht kein Gesetz ........... 133 5,25–6,10 Das Leben im Geist erfüllt das Gesetz Christi ............................................................................... 136 Kernaussagen des paränetischen Teils in Thesen ............ 141 e) Der Briefschluss 6,11–18: Kreuz und Neuschöpfung statt Beschneidung................................................................. 142 Kernaussagen des Briefschlusses in Thesen .................... 148 2. Die Kontexte: Situative Verankerung des Galaterbriefs ........ 148 a) Der biographische Hintergrund der Theologie des Paulus .................................................................................... 149 b) Die Adressaten des Galaterbriefs ...................................... 155 c) Die Front(en) des Galaterbriefs ......................................... 166 d) Die Datierung des Galaterbriefs........................................ 179 3. Kontextualisierungen: Paulinische Theologie nach dem Galaterbrief................................................................................. 190 a) Der gekreuzigte und auferstandene Christus ..................... 192

Inhalt

XIII b) Leben in Christus .............................................................. 196 c) Leben vor und außer Christus ........................................... 199

C. Der Galaterbrief im Religionsunterricht ..................................... 202 1. Religionspädagogische und bibeldidaktische Grundlegung ............................................................................... 203 a) Kompetenzorientierter Religionsunterricht und der Galaterbrief............................................................................ 205 b) Das lernende Subjekt: Theologisieren mit Kindern bzw. Jugendlichen ................................................................. 215 Kinder- bzw. Jugendtheologie als theologische Kompetenz ....................................................................... 216 Recht und Grenze der Subjektorientierung: Zum Konstruktivismus ............................................................. 228 Theologie für Kinder bzw. Jugendliche: Zur Notwendigkeit von Impulsen ........................................... 236 c) Die Bibel als Subjekt: Die andere Herausforderung der Bibeldidaktik ................................................................... 246 Bibeldidaktik zwischen Subjektorientierung und Fremdbegegnung .............................................................. 247 Intertextualität .................................................................. 263 Ganzschriftlektüre ............................................................ 267 Die Bibel (nur) als Buch? Ein Plädoyer für die Arbeit mit der BasisBibel ............................................................ 272 2. Schlüssel zum Galaterbrief ..................................................... 277 a) Elementarisierung als wechselseitige Erschließung .......... 280 b) Elementare Zugänge: Herausforderung Galaterbrief in einer 7. Klasse ....................................................................... 284 c) Elementare Erfahrungen: Lebenswelten – Lebensfragen ......................................................................... 289 d) Elementare Lernwege: Zum Aufbau einer eigenen Auslegungskompetenz .......................................................... 301 e) Elementare Wahrheiten: Biographie und Überzeugung .... 306 f) Elementare Strukturen: Akzentsetzungen.......................... 310

XIV

Inhalt

3. „Die Selbstfindung des Christentums“: Skizze einer Unterrichtseinheit ....................................................................... 314 a) Das Kompetenzprofil der vorgeschlagenen Unterrichtseinheit .................................................................. 315 b) Ideen zum Aufbau der vorgeschlagenen Unterrichtseinheit .................................................................. 320 Ein Brief kommt an: Hinführung und Galater 1,1–9 ....... 321 Paulus argumentiert mit seinen Erfahrungen: Galater 1,10–2,21.......................................................................... 325 Was ist Christsein? Anwendung auf die Situation in Galatien: Galater 3–6 ....................................................... 329 Was machen wir damit? Kritische Würdigung des Galaterbriefs ..................................................................... 335 Überblick und Diskussion ................................................ 336 D. Ertrag und Ausblick .................................................................... 338 Literatur ........................................................................................... 347

A. Grundlegung

1. Fragestellung Für die Theologie ist das Gespräch mit Paulus bis heute ein wesentlicher Bezugspunkt. Paulus ist nicht nur einer der ersten, sondern auch einer der einflussreichsten theologischen Interpreten von Person und Geschick des Jesus von Nazareth; er hat die Geschichte des Christentums nicht nur in den entscheidenden Weichenstellungen des ersten Jahrhunderts, sondern auch in etlichen Aufbrüchen und Neubesinnungen – nicht zuletzt im Reformationsjahrhundert – nachhaltig geprägt. Wer nicht gleich grundsätzlich die Bedeutung des biblischen Kanons als Basis christlicher und kirchlicher Identität bestreiten will,1 kommt theologisch an Paulus nicht vorbei. Dies gilt auch für jene, die sich mit der sogenannten „New Perspective on Paul“ für eine grundlegende Neubestimmung der rechtfertigungstheologischen Aussagen des Apostels aussprechen und sie nicht mehr, wie es in der reformatorischen Theologie der Fall war, individualsoteriologisch im Blick auf das Heil des Menschen, sondern primär ekklesiologisch als Begründung für die Verkündigung des Evangeliums auch an Nichtjuden verstehen. Gerade solche Positionen, die ein dogmengeschichtlich einflussreich gewordenes Verständnis des Paulus kritisieren, zeigen auf ihre Weise, dass und wie auch heute noch die Orientierung an Paulus für die theologische Besinnung relevant ist: An Paulus lässt sich nicht

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Mir ist wohl bewusst, dass ein solches Vorgehen mitunter als notwendig bezeichnet wird, programmatisch etwa bei Jörns, Abschiede. Die Auseinandersetzung mit solchen Positionen kann und will ich im Rahmen dieser Studie nicht führen, nur soviel sei gesagt: Eine letztlich rein auf die individuelle Erfahrung aufgebaute ‚Theologie’ (?) gibt – und das scheint in der Tat Programm zu sein – den Versuch auf, eine distinkte Religion zu beschreiben. Bei allem Verständnis für berechtigte Kritik an starren Dogmatismen scheint mir bei Jörns’ Vorgehen letztlich die vorgeblich historisch-kritische Position mit einem durchaus unkritischen, die conditio humana außer Acht lassenden Enthusiasmus gepaart. Ich beziehe mich demgegenüber gerne und bewusst – wenn auch durchaus kritisch – auf das biblische Zeugnis als kontingente Vorgabe und Grundlage einer christlichen Theologie.

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Grundlegung

einfach wortlos vorbeigehen, mehr noch, er scheint auch als Kronzeuge für neue theologische Akzentsetzungen geeignet.2 In einem eigenartigen Missverhältnis dazu steht der Befund, den ein Blick auf die Bedeutung des Paulus im gegenwärtigen3 Religionsunterricht (RU) ergibt, wie die folgende Übersicht aus dem Jahr 2014 zeigt:4 Die Beschäftigung mit seiner Theologie scheint hier weithin verzichtbar zu sein, weder Lehrplanvorgaben noch zugelassene Unterrichtswerke räumen ihr einen erkennbaren Platz ein. Ein weitgehendes Paulus-Schweigen zeigt sich zum Beispiel in den baden-württembergischen Bildungsplänen, die nur einige wenige Paulustexte nennen und ihn als Person der Kirchengeschichte erwähnen, aber keine eingehendere Beschäftigung mit seiner Theologie erfordern.5 Ähnlich ist der Befund in Hamburg (das mit einem bekenntnisunabhängigen Fach „Religion“ aber einen Sonderweg beschreitet), Hessen, Mecklenburg-Vorpommern (diese beiden mit z.T. deutlichen 2

Vgl. z.B. Bachmann, Didaktik, 20: Er interpretiert aufgrund der neuen Paulusperspektive das Christusereignis ganz allgemein als „Relativierung von Grenzen“ und bezieht dies ausdrücklich auch auf „Grenzen des Besitzes, des Stils, unterschiedlicher Kulturen und Religionen“ – zwar wäre m.E. zu fragen, ob diese Sichtweise nun nicht doch zu neu ist, um noch als paulinisch zu gelten (markiert das Sein in Christus für Paulus nicht doch auch eine Grenze z.B. zu anderen Religionen?), aber es wird deutlich, dass und wie auch ein „neu“ gelesener Paulus für gegenwärtige theologische Herausforderungen Relevanz entwickelt. 3 Eine historische Untersuchung der Rolle des Paulus im evangelischen Religionsunterricht wird hier also nicht intendiert, da die dort zu gewinnenden Erkenntnisse ohne besondere Bedeutung in der heutigen Unterrichtswirklichkeit wären. Außerdem war schon in den 1980er Jahren wenig zu finden, was über den im Folgenden beschriebenen Befund hinausgeht, vgl. dazu Machalet, Paulus: Er zeigt sich in seiner Untersuchung von Religionsbüchern für die Sekundarstufe „überrascht …, wie dünn der Schulbuchbefund ausfällt“ (504) – vom Totalausfall über eine Reduktion auf missverständliche kurze Notizen bis hin zu durchaus umfänglichen Pauluskapiteln in zwei bayerischen Schulbüchern beschreibt er, wie sich die meisten Werke v.a. mit einer sachlich angemessenen und didaktisch durchdachten Aufnahme auch der paulinischen Theologie ausgesprochen schwer tun. Es sei zwar erwähnt, dass der bibeldidaktische Abschnitt des verbreiteten „Religionspädagogischen Kompendiums“ noch bis zur 6. Auflage 2003 auf 10 Seiten den Galaterbrief als Beispiel entfaltete (Lähnemann, Umgang, 285–294), auf die Behandlung von Paulus im Schulbuch hat dies aber offenbar keinen Einfluss gewonnen. 4 Z.T. haben sich inzwischen einzelne Parameter verschoben (z.B. im seit 2016 geltenden neuen Bildungsplan für Baden-Württemberg). Da es hier aber nur um eine Illustration des Spektrums geht, habe ich (anders als in Teil C.) auf eine Aktualisierung jedes Details der 2014 erarbeiteten Übersicht verzichtet. 5 Vgl. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, Bildungsplan 2012. Werkrealschule, 19 (evangelischer RU; die baden-württembergischen Bildungspläne für den katholischen RU sind im Blick auf Paulus z.T. akzentuierter): Paulus steht hier neben anderen „Stationen und Personen der … Kirchengeschichte“, die die Schülerinnen und Schüler „nennen“ (!) können sollen. In den Bildungsplänen für Realschule und Gymnasium ist der Befund in Sachen Paulus eher noch dürftiger.

Fragestellung

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Ausnahmen im RU der Oberstufe bzw. Sekundarstufe II), NordrheinWestfalen, Saarland, Sachsen-Anhalt und in Schleswig-Holstein (im evangelischen RU).6 Natürlich ist zu betonen, dass dies auch an dem kompetenzorientierten Zuschnitt aktueller Lehrpläne liegt, der in der Regel offen ist für verschiedene Inhalte.7 Gleichwohl betonen andere Bundesländer Paulus erkennbar stärker, etwa Bayern, das als einziges Bundesland noch eine Pauluseinheit für die Grundschule vorsieht und in weiterführenden Schulen durchaus auch theologische Akzente setzt, z.B. in dieser Formulierung des Realschullehrplans: „Paulus erkennt im Damaskuserlebnis Jesus, den Christus – der ehemalige Verfolger der Christen gewinnt ein neues Verständnis der Thora; Römer 3,28“.8 Ähnliches findet sich in Berlin und Brandenburg (im evangelischen RU),9 Bremen (im Fach „Biblische Geschichte“), Niedersachsen,10 Rheinland-Pfalz, Sachsen (v.a. in den höheren Gymnasialklassen), Schleswig-Holstein (im katholischen RU) und Thüringen. 6 Auf Belege im Einzelnen wird an dieser Stelle verzichtet, das genannte Ergebnis meiner Recherche lässt sich bei Bedarf leicht nachvollziehen bzw. auch aktualisieren (mein Durchgang erfolgte 2012): Sämtliche Pläne der verschiedenen Bundesländer erschließt die Seite http://www.bildungsserver.de/ Bildungsplaene-Lehrplaene-derBundeslaender-fuer-allgemeinbildende-Schulen-400.html. 7 Das lässt sich am Beispiel des niedersächsischen Kerncurriculums für die Realschule eindrücklich studieren (vgl. zum Folgenden Niedersächsisches Kultusministerium, Kerncurriculum Realschule – evang. RU, online zugänglich über http://db2. nibis.de/1db/cuvo/ausgabe/): Die am stärksten fokussierten Formulierungen der höchsten Verbindlichkeitsebene („erwartete inhaltsbezogene Kompetenzen“) nennen Paulus dort weder im evangelischen noch im katholischen Curriculum, er begegnet aber in verschiedenen Kompetenzbereichen in der Rubrik „mögliche Inhalte für den Kompetenzerwerb“ und es werden paulinische Texte als „biblische Basistexte“ (evangelisch) bzw. „exemplarische Bibelstellen“ (katholisch) angeführt. Wie ist ein solcher Plan zu lesen? Unverzichtbar erscheint die Beschäftigung mit Paulus nicht, da die auf der höchsten Ebene formulierten Kompetenzen sich ja ggf. auch auf Basis anderer thematischer Akzente erwerben ließen. Aber möglich ist sie – in erfreulicher Deutlichkeit zeigt dies ein „Beispiel zur Umsetzung“ im katholischen Kerncurriculum, das zum Kompetenzbereich „Nach der Verantwortung des Menschen in der Welt fragen“ für Klasse 7 eine Pauluseinheit vorschlägt, die sich gründlich mit seiner Biographie befasst und am Beispiel des Apostelkonzils auch zu einem Vergleich von Apg 15 und Gal 2 einlädt: Hier kommt durchaus auch der Paulus der Briefe in den Blick und es wird eine Grundfrage seiner theologischen Arbeit akzentuiert (ebd., Katholische Religion, 35). Das Beispiel zeigt, dass sich auf das Kerncurriculum eine schöne Pauluseinheit gründen lässt – sie ergibt sich aber mitnichten zwingend daraus. 8 Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus, Lehrplan Realschule, 214 (Einheit EvR 7.1). 9 Vgl. Evangelische Kirche Berlin - Brandenburg - schlesische Oberlausitz, Rahmenlehrplan Klasse 1-10, 52.66. 10 Vgl. z.B. Niedersächsisches Kultusministerium, Kerncurriculum Gymnasium, Evangelische Religion, 21: „Die Schülerinnen und Schüler stellen dar, dass Paulus den rechtfertigenden Gott in die Mitte seines Glaubens und seiner Botschaft stellt“; vgl. zu Niedersachsen auch oben, Anm. 7.

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Grundlegung

Diese etwas disparate Lage führt immerhin dazu, dass Religionsbücher für weiterführende Schulen11 in der Regel12 für den evangelischen RU in der 7. Klasse bzw. für den katholischen RU in der 6. Klasse Unterrichtseinheiten vorschlagen, die sich auf Paulus beziehen und etwa seine Lebenswende bei Damaskus, den Apostelkonvent und die Mission des Paulus thematisieren. Das ist zweifelsohne gerade auch für den Blick auf die Theologie des Apostels notwendig, die sich ja in diesen konkreten Kontexten entwickelt und auf diese bezogen ist. Der Paulus der Briefe steht jedoch in den Entwürfen in aller Regel im Schatten seiner Biographie;13 vor allem wird die Chance, 11

Im Grundschulbereich begegnen in der Regel allenfalls einzelne Seiten zu Paulus, daneben mitunter einzelne Zitate – einen Umfang wie noch 1996 in Steinwede, Religionsbuch Oikoumene 4, erreicht dies aber heute nicht mehr: Dieses Religionsbuch widmete immerhin 6 Seiten (84–89) dem Apostel und versuchte sich dabei auch an einer Kurzfassung des Römerbriefs (89), im Begleitband bot es darüber hinaus umfangreiche Erzählungen, die in gelungener Weise Formulierungen der Briefe mit aufnehmen: ders., Religionsbuch Oikoumene 4 Werkbuch, 250–266. 12 Freilich ist auch das nicht selbstverständlich – völlig ohne Paulus kommt z.B. das Lehrwerk „Religion im Kontext“ aus. Die bewusste interreligiöse Perspektive dieses Unterrichtswerks mag ein Argument für diese ‚Beschränkung’ gewesen sein, doch wäre gerade in der erklärten Absicht des Buches Paulus interessant und relevant: Das einleitende „Wort an Eltern und Lehrer“ fordert u.a. „Identitätsbildung … im Dialog und in der Auseinandersetzung mit Fremdem“ und betont den „weltumspannenden, wahrhaft ökumenischen, Anspruch“ des Christentums (Bubolz/Tietz, Religion im Kontext 5/6, 5f.) – ließe sich nicht beides in vorzüglicher Weise an Leben und Denken des Apostels Paulus schon an der biblischen Quelle diskutieren? 13 Dies ist natürlich in gewissem Maße auch sinnvoll, wenn es schon nur eine einzige Pauluseinheit gibt, dennoch ist mit Karsch/Rasch, Paulus, 363, zu fragen: „Von welchem Paulus reden wir eigentlich?“ Einige Unterrichtswerke legen aber durchaus auch einen erkennbaren Akzent auf die Briefe und damit auf ausgewählte theologische Anliegen des Paulus. Z.B. bietet das evangelische Realschulreligionsbuch „Mosaiksteine“ in der umfangreichen Einheit „Paulus: Gottes Geist verändert Menschen“ (Bald/Kappe/Potoradi, Mosaiksteine 7, 54–79) neben klaren Bezügen auf die Briefe auch schülergemäße Beispiele an, um einen Zugang zu seiner Theologie zu öffnen. Die Wahl der Beispiele gelingt hier besser als im „Kursbuch Religion“, das z.B. zu den „Superaposteln“ des 2. Kor bioethische Fragen um Klonen und Präimplantationsdiagnostik diskutiert oder ekstatische Geisterfahrungen mit einem Bericht Nico Rosbergs über seine erste Fahrt in einem Formel 1-Boliden („Powergeist in der Maschine“) und dem Bild eines Motorradfahrers illustriert; vgl. Kraft u.a., Das Kursbuch Religion 2, 148f. Theologisch sind die Schulbücher dabei in der Regel einem eher klassischen Paulusbild (im Sinne der reformatorischen Theologie) verpflichtet, eine Ausnahme bildet die Neuauflage von „SpurenLesen“. Außerhalb des Bandes für Klasse 7/8 findet sich hier zwar kaum etwas zu Paulus, dort aber eine interessante Einheit „Zwischen Jerusalem und Rom. Juden, Heiden und Christen im Römischen Reich“ (Büttner u.a., SpurenLesen 2, 63–77), die Paulus im Licht der New Perspective und unter Bezug auf Alain Badious These von der durch Paulus erfolgten „Begründung des Universalismus“ (Badiou, Paulus, Untertitel) präsentiert und diese Horizonte im Lehrerband auch explizit benennt, vgl. Büttner u.a., SpurenLesen 2 Lehrermaterialien, 71–73, sachlich auch 78–80. Der deutliche Akzent dieser Paulus-

Fragestellung

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auf dieser Basis in späteren Klassen vertieft auch an theologischen Einsichten des Paulus zu arbeiten, nicht gesehen oder zumindest nicht genutzt – die gelegentliche Anführung von Paulustexten im Sinne einer dogmatischen Autorität14 erfüllt diese Funktion jedenfalls nicht: Der theologische Gehalt paulinischer Texte kann nicht verstanden und kritisch angeeignet werden, wenn mit ihrem Kontextbezug entscheidende Voraussetzungen dafür fehlen. Dass es bei einem solchen Vorgehen mitunter zu völligen Verzeichnungen paulinischer Impulse kommt – leicht zu greifen am religionspädagogischen Schicksal von 1. Kor 1315 –, ist dabei nur eine Seite des Problems. Sehr viel gewichtiger erscheint mir, dass RU auf diese Weise den falschen Eindruck erweckt, die Theologie kenne kontextfreie Wahrheitsansprüche: Indem Paulustexte in einer solchen Perspektive verwendet werden, werden sie faktisch von vornherein als unmodern und also letztlich irrelevant abqualifiziert.16 Aus theologischer Perspektive beurteilt kann Paulus daher auf der Basis, die ihm im gegenwärtigen RU zugebilligt wird, sein eigenes und eigentliches Wort gar nicht sagen.

darstellung wird von den Autoren zusammenfassend so formuliert: „In diesem Kapitel kannst du … den Lebensweg eines Menschen begleiten, der sich sehr für die Freiheit und Gleichheit der Menschen eingesetzt hat, nämlich Paulus“ (dies., SpurenLesen 2, 159).. Es lässt sich zwar fragen, ob Paulus zu entschieden nur in dieser Perspektive gelesen wird (und manche Facetten seiner Person und Theologie somit methodisch ausgeblendet werden), dennoch halte ich den Vorschlag für einen spannenden Beitrag, da er mit einem klaren theologischen Interesse an gegenwärtig relevanten Fragen verknüpft ist. Ein solches Aufgreifen der New Perspective ist allerdings noch die Ausnahme; nur auf den ersten Blick scheint das Gymnasialbuch „Ortswechsel“ mit einer Einheit unter der Überschrift „Das Christentum öffnet Räume“ (GrillAhollinger u.a., Ortswechsel 7, 19–44) ein ähnliches Modell zu verfolgen, die New Perspective wird hier allenfalls angedeutet (23). Außerhalb des Schulbuchbereichs publizierte der „entwurf“ 2008 eine Pauluseinheit mit Bezug auf die New Perspective: Obenauer/Obenauer, Perspektive. – Eine ausführlichere Besprechung ausgewählter Unterrichtswerke (z.T. inzwischen überarbeiteter Auflagen) bietet z.B. Jeska, Paulus, 214–216 (dessen Beurteilung eher wohlwollend ausfällt). 14 So beobachtet z.B. Zilleßen/Dressler, Editorial, 1, dass die paulinischen Briefe fast nur in der Oberstufe begegnen und dort „in der Regel … fast ausschließlich dazu [dienen], spezifisch dogmatische Grundlagen zu rekonstruieren“. Vgl. Büchner/Schaper, Paulus, 17, die den Paulus des Religionsunterrichts u.a. „als Gütesiegel“ und „biblischen Theologiefachmann“ beschreiben. 15 Paulus redet hier zerstrittene Gemeindegruppen an und thematisiert, wie ihr Umgang miteinander aussehen sollte, wobei er u.a. mit einer eschatologischen Perspektive argumentiert. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese dem Text gemäßen Linien unter der Thematik „Liebe, Partnerschaft, Sexualität“ in irgendeiner Weise in den Blick geraten geschweige denn bedeutsam werden können. 16 Vgl. dazu unten die Überlegungen zur Ganzschriftlektüre, 267ff., sowie zur religionspädagogischen Bedeutung des biographischen Hintergrunds der paulinischen Theologie, 306ff.; als Konkretion auch die historischen Überlegungen zu den situativen Kontexten des Galaterbriefs in B.2., 149ff.

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Grundlegung

Zu fragen ist freilich, ob es denn überhaupt angezeigt ist, dass Paulus sein Wort eben dort sage – auch viele andere können das nicht tun: Von den Propheten z.B. darf allenfalls Amos seine (sozialkritische) Stimme erheben und Jona sich als Beispiel betrachten lassen (wenn auch mitunter für Fragestellungen, die mit der Absicht dieser biblischen Lehrerzählung wenig zu tun haben). Selbst Jesus wird in einer bestimmten Auswahl präsentiert; kaum wird er als Verkünder apokalyptischer Endzeiterwartung (vgl. z.B. Mk 13 par) erkennbar und christologisch oder soteriologisch geprägte Texte (Joh!) werden gerne neben, wenn nicht gar hinter dem vorherrschenden Bild von Jesus als Menschenfreund versteckt. Die Kriterien, nach denen solche Entscheidungen getroffen werden, ließen sich trefflich theologisch und religionspädagogisch diskutieren,17 nicht aber die Notwendigkeit einer Auswahl als solche: 9 oder 10, selbst 12 Jahre RU sind eine begrenzte Zeitspanne, in der längst nicht alles, was theologisch wünschbar ist, auch machbar ist. Dass Paulus von seinem theologischen Gewicht her Relevanz beanspruchen darf, muss nicht diskutiert werden. Die entscheidende Frage ist also: Lässt sich eine Behandlung der Theologie des Paulus im RU religionspädagogisch begründen oder nicht? Gewiss sind seine Briefe eher schwer zugänglich und manche seiner Erkenntnisse lassen sich auch anhand anderer biblischer Texte etwa erzählender Art entfalten. Gewiss wird die Arbeit an der Bibel gerade von älteren Schülerinnen und Schülern, die wohl eher als Adressaten von theologisch konturierten Pauluseinheiten in Frage kommen, oft als wenig attraktiv empfunden. Warum also ausgerechnet Paulus? Die gegenwärtige religionspädagogische Debatte ist nicht mehr – wie noch vor wenigen Jahrzehnten – von Konzeptionen bestimmt, die den RU als ganzen in einer bestimmten Weise geprägt sehen wollten, sei es als Evangelische Unterweisung, als hermeneutischer oder problemorientierter RU.18 Offenbar partizipiert der RU an dem weltanschaulichen Pluralismus auch, indem er Lehrerinnen und Lehrern große Freiheit zur eigenen Akzentsetzung lässt – ein wenig Symboldidaktik und gestaltete Mitte hier, ein bisschen Kirchenraumpädagogik und performative Didaktik dort, dazu etwas bewegter RU und gerne noch eine Portion interreligiöse Begegnung: Religionspädagogische Vorschläge verstehen sich häufig nicht mehr als Modelle für den gesamten RU oder werden jedenfalls nicht mehr als solche rezipiert. Wenn ein allgemeiner Trend beschrieben werden soll, dann 17

Vgl. zu dieser Frage etwa Landgraf, Inhalte. Vgl. z.B. Grümme/Lenhard/Pirner, Religionsunterricht 11: „Ein breiter Konsens besteht … darüber, dass die Zeit der großen religionspädagogischen Konzeptionen … vorbei ist“, diese seien „zu wenig pluralitätsfähig und flexibel“. Zu bevorzugen wären daher die Begriffe „Ansätze und Perspektiven“. 18

Fragestellung

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lässt sich dieser am ehesten in der Orientierung am lernenden Subjekt, also an den Schülerinnen und Schülern und ihren Fragen fassen, ob das nun unter dem Etikett „Theologisieren mit Kindern“ bzw. in jüngster Zeit verstärkt auch „mit Jugendlichen“ verhandelt wird oder als „konstruktivistische Religionsdidaktik“ firmiert (wobei im Übrigen auch diese Trends in sich wieder ausgesprochen vielgestaltig sind). Diese offene Lage ist grundsätzlich zu begrüßen, eben weil RU auf diese Weise anschlussfähig bleibt an die gesellschaftliche Entwicklung der Pluralisierung und Individualisierung des Zugangs zu Religion. Zugleich ist es in dieser Lage aber schwierig bis unmöglich, ein Plädoyer für einen bestimmten Inhalt des RUs so zu führen, dass es allgemeine Anerkennung finden könnte. Soll religionspädagogisch begründet werden, dass und warum die Theologie der Paulusbriefe ein Thema für den RU bildet, so muss zunächst geklärt werden, auf welcher konzeptionellen Grundlage diese Begründung vorgetragen wird – und schon damit gewinnt sie notwendig individuellen Charakter. Die folgende Darlegung meiner Sichtweise ist so zwar keineswegs unbegründet, auch lassen sich durchaus in verschiedenen religionspädagogisch diskutierten Perspektiven Gründe für die Beschäftigung mit der Theologie der Paulusbriefe aufzeigen. Auf der anderen Seite aber wird es in der heutigen religionspädagogischen Landschaft von vornherein nicht möglich sein, eine solche Forderung zwingend zu begründen. Wie überzeugend diese Sicht für andere also sein mag, ist letztlich erst auf der Basis der gesamten Arbeit zu entscheiden. Einige Aspekte zur Prüfung dieser Fragestellung wird der abschließende Ausblick anbieten. Doch zunächst zu einer kurzen Beschreibung meiner religionspädagogischen Grundorientierung:19 Ich sehe mich der konzeptionellen Richtung eines Theologisierens mit Kindern bzw. Jugendlichen und in diesem Zusammenhang einem moderaten Konstruktivismus verpflichtet.20 Wichtig ist mir dabei insbesondere die Betonung der Frage nach der Relevanz dessen, was im RU verhandelt wird – Relevanz verstanden nicht im Sinne einer theologischen Kategorie (über die also die Lehrkraft Bescheid wüsste), sondern im Sinne von „Lebensrelevanz“:21 Relevant ist, was für die Schülerinnen und Schüler bedeutsam wird, weil es eine eigene Antwort auf eine eigene, echte Frage ist. Was beschäftigt Schülerinnen und Schüler? Was ist für sie wichtig, was kann sie im Leben tragen? Wie kann es gelingen, darüber im RU miteinander und zugleich indi19

Eine detailliertere Diskussion dieser Fragen findet sich unten C.1., 203ff. Vgl. ausführlich unten, 215ff.; auch schon Wiemer, Gott, 44–60 (Kap. I.3). 21 Diesen Begriff verwendet z.B. auch Pemsel-Maier, Theologie (2010), 218. Schweitzer, Theologie, 24, redet bewusst mit einem Doppelausdruck von „Lebensrelevanz und Glaubensrelevanz“. 20

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Grundlegung

viduell nachzudenken? In den Debatten über entsprechende Konzeptionen ist die Differenzierung zwischen „Theologie von Kindern“, „Theologisieren mit Kindern“ und „Theologie für Kinder“ hilfreich.22 Der erste Begriff benennt das mitgebrachte Denken und Fragen der Kinder bzw. Jugendlichen, der dritte umgekehrt das Einbringen von Impulsen (Erzählungen, Statements, Texte …) durch die Lehrkraft. Zentral ist in der Mitte der dialogische Prozess des Theologisierens, in dem verglichen, geprüft und weitergedacht wird, anders gesagt: die individuelle Aneignung. In diesem Kontext nehme ich die These Mirjam Zimmermanns, die Kinder- bzw. Jugendtheologie sei als theologische Kompetenz zu entfalten, positiv auf:23 Damit ist keine primäre Vermittlungsperspektive verbunden, wenn eine solche Kompetenz in Formulierungen gefasst wird, die diese durchaus individuelle Aneignung als die intendierte Fähigkeit beschreiben, was sinnvoll nur möglich ist in einer Verbindung von inhalts- und prozessbezogenen Kompetenzen. In diesem Zusammenhang verträgt nach meiner Einschätzung freilich der Bereich der Theologie für Kinder bzw. Jugendliche noch einige Aufwertung:24 Wir sind es (und viel zu oft bleiben wir es!) den Kindern und Jugendlichen schuldig, ihrem Fragen und Denken Nahrung zu geben.25 Wenn sich das Theologisieren mit Kindern gerne der sokratischen Methode der „Maieutik“, also der „Hebammenkunst“ bedient,26 so ließe sich meine These etwas salopp so formulieren, dass die Kunst der Hebamme da an ihre Grenzen stößt, wo zuvor keine Befruchtung stattgefunden hat. Solche Befruchtung, das wäre die Aufgabe einer Theologie für Kinder bzw. Jugendliche: Nah an ihren Fragen oder relevanten Themen Impulse anzubieten, wie sich dieses oder jenes sehen oder verstehen ließe, etwa in Form von Statements, Identifikationsangeboten durch fiktive oder historische Erzählungen und nicht zuletzt in Beschäftigung mit biblischen Texten. In der Perspektive einer als Kompetenz verstandenen Kinder- oder Jugendtheologie werden solche Impulse selbstverständlich nicht im Sinne der einen, ‚richtigen’ Antwort präsentiert, sondern als Frage oder Antwortversuch, die zu weiterem Nachdenken auch über die eigenen Fragen 22

In etwas anderer Terminologie wurde diese allgemein rezipierte Dreigliederung in die Debatte eingeführt von ders., Kindertheologie (2003), 11–16. 23 Vgl. den entsprechenden Abschnitt, unten, 216ff. 24 Vgl. ausführlich unten, 236ff. 25 Vgl. schon Bucher, Kindertheologie, 21: „Kindertheologie macht intentionale religiöse Erziehung nicht überflüssig. … Damit sich die theologische Imaginationskraft der Kinder betätigen kann, braucht sie gleichsam Kalorien [!]: Geschichten, Legenden, Bilder, Begriffe.“ 26 Vgl. z.B. Schwarz, Methoden, die sich 166–168 freilich durchaus differenziert mit dem historischen Vorbild auseinander setzt.

Fragestellung

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und Antwortversuche anregen und einladen. Dafür ist es u.U. sogar hilfreich, wenn der biblische Text mit seinen Fragen jedenfalls zunächst durchaus auch als fremd wahrgenommen wird.27 In dieser Perspektive einer Theologie für Kinder bzw. Jugendliche, die ihr eigenes theologisches Fragen und Denken und damit die intendierte theologische Kompetenz voranbringt, plädiere ich religionspädagogisch für eine Beschäftigung mit den Paulusbriefen. Ohne Zweifel ist das paulinische Denken theologisch anspruchsvoll – es kann also einen nachhaltigen Beitrag zur Vertiefung der eigenen theologischen Denk- und Urteilsfähigkeit leisten. Ohne Zweifel sind die Paulusbriefe durchweg als dialogische Texte zu lesen – sie passen also von ihrer Struktur her ausgezeichnet in einen RU, der zentral an einem Theologisieren mit Kindern bzw. Jugendlichen, also an Gespräch interessiert ist. Wir sehen zwar nur den einen Teil dieser Kommunikation und sind für die Erfassung des paulinischen Gegenübers auf Rückschlüsse angewiesen, die oft nicht in letzter Klarheit möglich sind. Deutlich ist aber, dass Paulus Fragen behandelt, die in seiner Zeit virulent waren, und dass er dies in argumentativer Weise tut. Gerade die schon aus theologischen Gründen geforderte Wahrnehmung des Kontextbezugs der paulinischen Texte ist auch religionspädagogisch von hoher Wichtigkeit, um die Gedanken des Paulus als Gesprächsbeitrag wahrnehmen zu können – und diesen dann auf eigene Gesprächszusammenhänge, also eigene Fragen und Antwortversuche zu beziehen. Dies kann gelingen, wenn Überschneidungen zwischen seinen Fragen und denen der Schülerinnen und Schüler erkennbar werden. Mit dieser Perspektive sehe ich mich schließlich auch der grundlegenden didaktischen Bedeutung der wechselseitigen Erschließung verpflichtet, die etwa das Tübinger Elementarisierungsmodell aufnimmt.28 Es wäre missverstanden, wenn versucht werden sollte, nach Erfahrungen nur auf der Seite der Schülerinnen und Schüler zu fragen und diese dann direkt mit Wahrheiten des Paulus zu verbinden (die elementaren Strukturen, Zugänge und Lernwege klammere ich im Interesse einer fokussierten Einführung an dieser Stelle aus). Zwar ist in gewissem Maße z.B. auch eine Vorgehensweise möglich, die in der Art der Baldermannschen Psalmendidaktik prägnante Formulierungen des Paulus als Impuls anbietet und darauf setzt, dass Schülerinnen

27

Vgl. dazu ausführlich unten, 247ff. Vgl. z.B. Schweitzer, Elementarisierung (2003), 11: „eine ‚fruchtbare’, authentische und lebensbezogene Begegnung zwischen den Inhalten oder Themen einerseits und den Kindern und Jugendlichen andererseits“. Ausführlich wird diese Perspektive in C.2.a) unten, 280ff., diskutiert. 28

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Grundlegung

und Schüler zu diesen Sätzen einen unmittelbaren Zugang finden.29 Eine intensivere Auseinandersetzung, die über Einzelworte hinaus auf die Wahrnehmung einer Theologie des Paulus zielt, wird aber darauf angewiesen sein, auch deren Erfahrungshintergrund zu erschließen: Wechselseitige Erschließung verlangt hier, elementare Erfahrungen und elementare Wahrheiten jeweils sowohl des Apostels als auch der Schülerinnen und Schüler in ein Gespräch miteinander zu bringen.30 Mit Blick auf die Schülerinnen und Schüler müssen ihre Erfahrungen und Wahrheiten (oder jedenfalls ihre Wahrheitssuche) echte Anknüpfungspunkte für die Beschäftigung mit Paulus erkennen lassen. Mit Blick auf den Apostel ist umgekehrt zu fordern, dass seine Wahrheiten in ihrem Konnex mit seinen Erfahrungen erkennbar werden. Nur wenn so auf beiden Seiten Erfahrungen und Wahrheiten identifiziert und aufeinander bezogen werden, kann Paulus – wie Joachim Jeska formuliert – mehr sein als „nur … ein Beispiel urchristlicher Biografie und Theologie“, kann er echte Anstöße geben, um die „Wirklichkeitserfahrung“ der Schüler/innen „zu bewältigen oder zu verändern und schließlich die Tradition aus heutiger Perspektive kritisch zu befragen“.31 Eine solche wechselseitige Erschließung arbeitet also an einer hermeneutischen Kompetenz, die bezogen ist sowohl auf die biblischen Texte als auch auf die eigene Welt – und eben darum auch die Welt der biblischen Texte erschließen muss.32 Bezogen auf eine unterrichtliche Erschließung der Theologie des Paulus ist also in der Tat mit Jeska die Erhellung der „religiösen und kulturellen Hintergründe der Texte“ als ebenso notwendig anzusehen wie die Wahrnehmung der „Schriften als ganze“: Paulus müsse erst verortet werden, damit er dann verstanden und schließlich verinnerlicht werden könne.33 Ob und wie dies gelingen kann, das eben ist die Frage, die die vorliegende Studie exemplarisch untersucht.

29 Vgl. dazu Benz, Best of Paul, die entsprechende Unterrichtsbausteine zu Röm 8,22+21; Röm 8,38f. und Röm 3,23f. für den Unterricht einer dritten oder vierten Grundschulklasse entwickelt hat. 30 Vgl. etwa Schweitzer, Elementarisierung (2003), 19–21.26–29, oder im selben Sammelband Nipkow, Theodizee, 32: „Das Charakteristische eines elementarisierenden Denkens und unterrichtlichen Planens ist die gleichzeitige Aufmerksamkeit auf alle genannten Fragerichtungen in der Spannung zwischen den Schülern und den Unterrichtsinhalten, den Kindern und Jugendlichen und der Sache.“ 31 Jeska, Paulus, alle Zitate 211. 32 Vgl. zur Sache C.2.c) unten, 289ff. 33 Jeska, Paulus, 211.

Schwerpunktsetzung

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2. Schwerpunktsetzung Jeska fordert in dem eben zitierten Beitrag, dass Paulus „Teil des Spiralcurriculums“ werden müsse, damit im Laufe der Schulzeit ein „klar umrissenes Bild des Apostels und seines theologischen Denkens“ entstehen könne, das auch für die eigene religiöse Gegenwartsdeutung Relevanz habe.34 Diese Forderung ist theologisch sofort einleuchtend und auch religionspädagogisch wird niemand bestreiten, dass Paulus auf diesem Weg ein deutlich schärferes Profil im eigenen Denken der Schülerinnen und Schüler gewinnen würde. Nach meiner Sicht der Dinge würde es sich anbieten, im Rahmen eines möglichen Spiralcurriculums die einzelnen authentischen Paulusbriefe unter verschiedenen inhaltlichen Akzenten zu behandeln. Damit wäre es einerseits möglich, die Texte jeweils in eine (erzählbare!) Rekonstruktion der Situation einzubetten, um so die dialogische Grundstruktur der Briefe in ihrem konkreten Bezug auf Situationen und Fragestellungen im Leben der Gemeinden und des Apostels erkennbar werden zu lassen. Im Sinne der beabsichtigten wechselseitigen Erschließung von Erfahrungen und Wahrheiten des Paulus sowie der Schülerinnen und Schüler lassen sich auf dieser Basis thematisch markante Passagen des jeweiligen Briefs akzentuieren; zugleich kann im Rahmen des unterrichtlich Möglichen und (!) Sinnvollen versucht werden, die Briefe jeweils als Ganzschriften in den Blick zu rücken.35 Andererseits böte die thematische Fokussierung der Behandlung jedes einzelnen Briefs auch die Möglichkeit, die einzelnen Bausteine dieses Spiralcurriculums mit verschiedenen thematischen Akzenten der Bildungspläne zu kombinieren. Schwerpunkte eines solchen Pauluscurriculums könnten – nach einer grundlegenden biographischen Erzähleinheit – etwa die folgenden sein: • Der 1. Thessalonicherbrief und die Anfänge im Glauben • Die Korintherbriefe und die Einheit in der Vielfalt • Der Galaterbrief und die Selbstfindung des Christentums • Der Philemonbrief und die Frage nach der Freiheit • Der Philipperbrief und die Gemeinschaft in Freude und Leiden • Der Römerbrief und die durchdachte Theologie des Paulus

34

Ebd., 224; zur Konkretion vgl. seine Ausführungen 224–227; auch Jeska, Wege, 158. 35 Dies fordert nicht nur, wie gesehen, Jeska, sondern in grundsätzlicher Perspektive auch Müller, Lob, besonders 162–164 (auch an anderen Orten, vgl. z.B. ders., Schlüssel (2009), 88.226.243). Sein besonders am Beispiel der Evangelien Mk und Mt entfaltetes Votum dafür, auch (!) Ganzschriften der Bibel im RU zu behandeln, kann als weiteres Argument für den hier vorgeschlagenen Aufbau eines Pauluscurriculums gelten. Ausführlicher zu dieser Frage vgl. unten, 267ff.

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Grundlegung

Indes sprengt die Ausarbeitung einer solchen Idee nicht nur jeden realistischen Rahmen meiner Studie. Es ist auch kaum erwartbar, dass ein solches Spiralcurriculum in der Schule Umsetzung fände – dagegen stehen nicht nur die etablierte Praxis (Bildungspläne und Schulbücher werden in der Regel weiterentwickelt, nicht revolutioniert) und die Konkurrenz anderer gewichtiger Themen im RU, dagegen steht wohl auch ein gewisser Rechtfertigungsdruck im Blick auf die Behandlung biblischer Themen, der sich bei schwerer zugänglichen Texten wie den Paulusbriefen noch verstärkt. Meine Studie setzt sich daher das relativ bescheidenere, gleichwohl nicht anspruchslose Ziel, an einem gründlich erarbeiteten Beispiel exemplarisch zu zeigen, dass und wie im RU eine exegetisch reflektierte, theologisch profilierte und religionspädagogisch begründete Auseinandersetzung mit einem Paulusbrief möglich und sinnvoll ist. Die in den skizzierten Unterrichtsvorschlägen für Klasse (6 bzw.) 7 vorhandene Basis etwa mit biographischen Erzählungen ist dafür gewiss unverzichtbar. Doch soll hier nicht eine neue Variante dieses bereits vielfach unternommenen Vorgehens begründet, sondern gezeigt werden, dass Paulus darauf aufbauend bzw. evtl. auch alternativ dazu von den Briefen her in den Blick genommen werden kann und sollte, weil die Schülerinnen und Schüler davon profitieren. Das Beispiel für diese Darlegung wähle ich bewusst aus den Teilvorschlägen der oben skizzierten weiteren Idee eines Pauluscurriculums, so dass es ausdrücklich offen ist und bleibt für diese größere Perspektive. Der exemplarische Zugriff wird dem hier gestellten Anspruch, paulinische Theologie religionsunterrichtlich zu Gehör zu bringen, auch deshalb am ehesten gerecht, weil dieser eine angemessene Tiefe und Intensität der exegetischen Erarbeitung und theologischen Reflexion der paulinischen Texte und der aktuellen Debatten um ihr Verständnis erfordert. Außerdem dürfte ein Grund für die Paulusabstinenz des RUs darin liegen, dass viele Lehrerinnen und Lehrer selbst Schwierigkeiten mit dem Zugang zu den Briefen des Apostels haben, weshalb es ebenfalls ein Ziel dieser Studie ist, in der Arbeit an den Texten einen solchen Zugang zu erschließen. Beide Gründe erfordern neben den schon genannten praktischen Erwägungen ein exemplarisches Vorgehen. Als thematischen Schwerpunkt für die weitere Arbeit wähle ich dabei den Galaterbrief. Die Wahl dieses Schwerpunkts sei kurz begründet: a) Die Untersuchung will zeigen, wie paulinische Theologie religionsunterrichtlich zum Tragen kommen kann. Im Galaterbrief tritt Paulus so vehement auf, dass offenkundig ist: Er sieht in Galatien zentrale, tragende Einsichten seines Denkens bedroht und will diese

Schwerpunktsetzung

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verteidigen. Es wird zu diskutieren sein, ob bzw. inwieweit dabei auch polemische Überspitzungen begegnen, doch dürfte nicht in Frage stehen, dass Paulus hier an theologischen Zentralpunkten arbeitet. Da der Galaterbrief außerdem einer der beiden loci classici der paulinischen Rechtfertigungslehre ist, zählt er zugleich zu den Feldern, auf denen die Debatte um die sog. „New Perspective on Paul“ ausgetragen wird, d.h. es kommt auch die gegenwärtige Diskussion in den Blick, was denn überhaupt als Theologie des Paulus zu gelten hat. Für die leitende Frageperspektive nach der möglichen religionspädagogischen Relevanz paulinischer Theologie ist somit der Galaterbrief in mehrfacher Hinsicht eine naheliegende Wahl.36 b) Zugleich ist die Wahl des Galaterbriefs religionspädagogisch begründet, wobei nicht nur der einigermaßen überschaubare Umfang dieses Schreibens und die – je nach Geschmack erfrischende oder provokante – Deutlichkeit des Paulus als Argumente zu nennen sind. Eine gute Vorlage für den Unterricht bildet der Umstand, dass der Brief in Gal 1f. an wichtige historische Stationen der Biographie des Paulus (Berufung bzw. Damaskuserlebnis) und der Anfänge der christlichen Gemeinden (Jerusalemer Apostelkonvent, antiochenischer Konflikt) anknüpft, die entweder schon aus einer grundlegenden Pauluseinheit bekannt sind und also Verknüpfungen ermöglichen oder wichtige Informationen zum historischen Hintergrund allererst liefern können. Ein religionspädagogisches Argument für die Wahl des Galaterbriefs sehe ich aber auch in seiner besonderen Schwierigkeit: Die Erhellung der genauen Situation von Gemeinde und Apostel zur Zeit der Abfassung des Briefes gestaltet sich deutlich schwieriger als bei den anderen authentischen Paulusbriefen,37 ist aber – wie ge36

Gewiss können ähnliche exegetische Argumente für den Römerbrief in Anschlag gebracht werden. Diesem gegenüber sprechen nicht nur die im folgenden genannten religionspädagogischen Überlegungen für die Wahl des Galaterbriefs, sondern vor allem auch die Einsicht, dass die unterrichtliche Behandlung des Galater- deutlich weniger als die des Römerbriefs auf Vorkenntnisse über Paulus und seine Zeit angewiesen ist – eine entsprechende Unterrichtseinheit lässt sich also auch ohne abrufbares Vorwissen umsetzen, während eine Begegnung mit dem (ganzen!) Römerbrief am ehesten wirklich als Abschluss eines kompletten Pauluscurriculums (in der Oberstufe?) gelingen könnte. 37 Am deutlichsten lässt sich dieser Umstand im Kontrast zum in dieser Hinsicht auskunftsfreudigsten Paulusbrief darstellen: Der 1. Kor lässt zahlreiche Fragen und Problemkonstellationen der Gemeinde erkennen, nennt etliche Namen, macht innergemeindliche Fraktionsbildungen sichtbar, bietet Aufschluss über die soziale Zusammensetzung der Gemeinde usw. Nicht zufällig wählt Hollenweger, Konflikt, gerade diesen Brief für eine narrative Exegese aus, also für „einen Versuch, die hermeneutische Disziplin durch den Einbezug des kulturellen, politischen und sozialen Hintergrunds der ersten Leser zu erweitern“ (ders., Erfahrungen, 38). Als unverdächtiger Zeuge für den Quellenwert der Korintherkorrespondenz sei ferner die profanhistorische Studie über Korinth von Engels genannt, die in der einleitenden Skizze der

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Grundlegung

sehen – im Interesse des Gelingens einer wechselseitigen Erschließung von einiger Bedeutung. Da die Schwierigkeit des Zugangs zu den Paulusbriefen ein gewichtiges Motiv für deren geringe Bedeutung im RU sein dürfte, lässt sich in exemplarischer Auseinandersetzung mit dem Galaterbrief erarbeiten, wie ein solcher dennoch gefunden werden kann. 3. Aufbau und methodische Basis Die bisherigen Ausführungen haben das Ziel der Studie und ihre thematische Eingrenzung benannt. Daraus lassen sich direkt methodische Anforderungen ableiten, die in den bisherigen Überlegungen z.T. schon implizit begegnet sind. Die beiden wichtigsten Erfordernisse sind, dass die Studie – die exegetische Diskussion über den Galaterbrief, seinen historischen Hintergrund und die im Brief formulierten theologischen Einsichten des Paulus aufnimmt und – im Kontext von Kinder- bzw. Jugendtheologie als theologischer Kompetenz bibeldidaktisch reflektiert und in Bezug auf die Frageperspektiven der Elementarisierung darlegt, warum und inwiefern der Galaterbrief nicht nur ein möglicher, sondern mehr noch ein sinnvoller Unterrichtsgegenstand ist, mit anderen Worten: von seinen Inhalten ebenso wie von den mit seiner Erarbeitung verbundenen Lernprozessen her die angestrebte theologische Kompetenz fördert. Mit diesen beiden Punkten sind die Akzente der Hauptteile B. und C. benannt, die sich zueinander verhalten wie die „Sachanalyse“ und die „didaktische Analyse“ eines Unterrichtsentwurfs. Eine detaillierte „methodische Analyse“ im Sinne einer konkreten Umsetzung dieser Grundlage wird im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht angestrebt; ein Ausblick auf den Unterricht (C.3) soll hier genügen. Die Frage, was die Studie in diesem Rahmen nun zu leisten hat – und was nicht! –, ist von ihrer Zielsetzung her zu beantworten. Um Möglichkeiten einer Auseinandersetzung mit der Theologie der Paulusbriefe im RU aufzuzeigen, ist es nicht erforderlich, in jedem der skizzierten Hauptteile das Rad neu zu erfinden. Vielmehr reicht der Nachweis aus – weiter in diesem Bild gesprochen –, dass der in mancher Hinsicht neue Weg, die Theologie des Paulus im RU zu erschließen, mit bereits erfundenen Rädern befahrbar ist. Ohne Bild: Quellenlage Paulus über Strabo, Plutarch usw. hebt („and, above all, Saint Paul“) und formuliert: „In criticizing, cajoling, exhorting, and in loving them, Paul’s letters to his Corinthian congregation have left a vivid impression of an ancient urban population—its values, beliefs, fears, and hopes—that is unmatched for any other city except Rome.“ (Engels, Corinth, 1.)

Aufbau und methodische Basis

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Die Studie setzt sich dezidiert nicht das Ziel, die exegetische Arbeit am Galaterbrief zu revolutionieren oder ein völlig neues bibeldidaktisches Grundlagenmodell zu entwickeln, sondern baut in solchen Dingen dankbar – wenn auch nicht unbegründet – auf bereits erbrachten Forschungsleistungen auf. Die entscheidende eigene Leistung der Studie liegt also in der Kombination der exegetisch-theologischen und religionspädagogischen Überlegungen mit Blick auf den Galaterbrief. Da Entscheidungen in diesem Feld die Gesamtanlage der Arbeit mitbestimmen, möchte ich an dieser Stelle kurz darlegen, wie ein reflektierter und begründeter Umgang mit dieser Gemengelage aussehen kann.38 Zunächst sollte als Grundsatz anerkannt sein, dass grundsätzlich weder exegetische Fragestellungen von religionspädagogischen Perspektiven dominiert werden noch umgekehrt diese allein von jenen her entwickelt werden dürfen. Doch ergibt sich auch bei Berücksichtigung des jeweils eigenen Rechts der verschiedenen Zugänge ein Spielraum, innerhalb dessen die Fragestellungen beider Perspektiven sich in legitimer Weise überlagern und so zu einer begründeten Fokussierung der Arbeit beitragen. Unstrittig ist das sicher in den Fällen, in denen beide Frageperspektiven zu ähnlichen Ergebnissen führen – z.B. wurden in den Überlegungen zur Fragestellung aus beiden Perspektiven Argumente für eine bewusste Beachtung des Kontextes der paulinischen Briefe in Gestalt der Situation von Gemeinde und Apostel formuliert,39 womit diese Forderung doppelt dringlich erscheint. Eine ebenso legitime Fokussierung ergibt sich aber auch in Fragen, bei denen nicht beide Perspektiven zum selben Ergebnis führen. Welche Texte des Galaterbriefs eignen sich, um Grundfragen der paulinischen Theologie im RU zu bearbeiten? Was kann, darf oder muss als Theologie des Paulus in den Blick treten und was nicht? Solche Fragen könnten aus exegetischer wie religionspädagogischer Perspektive unterschiedliche Antworten erfahren. Die Verbindung beider Frageperspektiven kann hier nur dann zu einer begründeten Profilierung und inhaltlichen Fokussierung bzw. Begrenzung der Studie beitragen, wenn bewusst darauf geachtet wird, dass der Wechsel in die andere Perspektive nicht zu einer Suspendierung berechtigter Fragen und Problematisierungen der einen führt. Nur wenn dies in beiden Richtungen gelingt, wird eine echte Begegnung zwischen dem biblischen Text und den Schülerinnen und Schülern möglich. Einen bibeldidaktischen Grundlagenentwurf, der diese Grundlinien in überzeugender Weise aufnimmt und auszieht, hat Peter Müller mit „Schlüssel zur Bibel“ vorgelegt. Müller betont einerseits mehr38 39

Eine detailliertere Diskussion dieser Fragen findet sich unten C.1., 203ff. Vgl. dazu oben, 5 und 10.

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Grundlegung

fach, dass die „Exegese … als methodisch abgesicherte Textanalyse eine der unaufgebbaren Bezugsgrößen der Bibeldidaktik“40 ist und nimmt ausdrücklich Grundeinsichten gegenwärtiger exegetischer Grundlagendiskussionen auf. So betont er den Vorrang synchroner Analyse und die rezeptionsästhetische Einsicht in eine Vielfalt möglicher Textverständnisse, wichtige Erkenntnisse der Intertextualitätsdebatte setzt er um in eine Sensibilität für Zusammenhänge verschiedener Vorstellungsgehalte, für Sinnlinien innerhalb von Textzusammenhängen und zwischen verschiedenen Teilen der biblischen Tradition.41 Zugleich und ebenso entschieden bestimmt er die Aufgabe der Bibeldidaktik aber auch von den Schülerinnen und Schülern und deren Lebenswelt her.42 Sein Konzept von „Schlüsseln“ (der Plural ist bewusst gesetzt!) zur Bibel klingt also nicht zufällig auch sprachlich an den religionspädagogischen Grundgedanken der wechselseitigen Erschließung an: „Schlüssel müssen … in zweierlei Hinsicht ‚passen’ – in die Hand der Schülerinnen und Schüler und ins Schloss.“43 Ein Schlüssel – ein Textabschnitt, ein Einzelvers, ein Begriff, ein Symbol, eine Szene – muss zum einen Räume der Bibel öffnen (also ins Schloss passen), zum anderen aber auch Lebensfragen der Schülerinnen und Schüler akzentuieren, um wirklich als Schlüssel empfunden zu werden. Meine Studie wird sich auf der Basis dieser hier kurz umrissenen bibeldidaktischen Grundlage – die selbstverständlich in verschiedenen damit verbundenen Frageperspektiven noch genauer zu diskutieren und zu prüfen sein wird – ihrer Aufgabe stellen, Paulus für den RU zu erschließen. Zum einen sind die von Müller gesetzten methodischen Akzente hinsichtlich der exegetischen Arbeit gerade für die Auslegung des Galaterbriefs plausibel (was noch genauer deutlich werden wird), zum anderen bietet das Leitbild der wechselseitigen Erschließung nach wie vor die belastbarste religionspädagogische Basis, wenn es denn darum geht, die Schülerinnen und Schüler in einen echten Dialog mit der Sache zu bringen. Müllers Konzept der „Schlüssel“ eignet sich dabei in besonderer Weise, um die exegetischen und religionspädagogischen Frageperspektiven der Arbeit in einem konstruktiven Miteinander zu verbinden. Neben diesen grundsätzlichen Erwägungen sind für die Gestalt der Studie einige praktische Fragen leitend. Zum einen bedingt die Verortung der Studie zwischen den Spezialdisziplinen der Exegese und der 40 41 42 43

Müller, Schlüssel (2009), 31; vgl. 85 u.ö. Vgl. besonders ebd., 27–31; 84–90; 97–105. Vgl. besonders ebd., 32–55; 84–97. Ebd., 89; vgl. zur folgenden Interpretation des Satzes ebd., 89f.

Aufbau und methodische Basis

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Religionspädagogik, dass die jeweiligen Ausführungen so gestaltet sind, dass sie Fachgelehrten auch der jeweils anderen Disziplin verständlich werden. Da ich mit der Arbeit durchaus auch die Hoffnung verbinde, dass sie selbst zu einem Impuls dafür werden kann, sich im RU an die Theologie des Paulus zu wagen, soll sie darüber hinaus auch für interessierte Religionslehrerinnen und Religionslehrer lesbar sein. Daher verzichte ich im Haupttext z.B. auf ursprachliche Wiedergaben des biblischen Textes und exegetische Spezialdiskussionen – Dinge dieser Art diskutiere ich, soweit notwendig, in Anmerkungen, die für die Lektüre des Haupttexts verzichtbar sind.

B. Paulinische Theologie nach dem Galaterbrief

Absicht und Aufgabe dieses Hauptteils ist es, zunächst ohne den Blick auf den RU den Galaterbrief in einem exegetischen Durchgang zu erschließen. Der Fokus liegt dabei entsprechend der Leitfrage, ob und wie nun eben die Theologie des Apostels im RU zum Tragen kommen kann, auf den theologischen Aussagen des Briefes. Religionspädagogische Perspektiven werden in diesem Hauptteil v.a. in der Auswahl der zu behandelnden Fragen mit bedacht und wirken auch in der angesichts der doppelten Frageperspektive der Arbeit notwendigen Begrenzung der Ausführungen. Es ist guter Brauch in der exegetischen Forschung, die Klärung der Situation vor diejenige der Aussagen zu stellen. Ich drehe diese Reihenfolge hier bewusst um, weil die Frage nach der Situation des Galaterbriefs vor etliche kontrovers diskutierte Probleme stellt. So ist zum Beispiel nicht geklärt, wo wir die Adressaten des Briefs zu suchen haben: In den Orten im Süden der Provinz Galatien, in denen Paulus und Barnabas nach Apg 13,13–14,23 Gemeinden gegründet hatten, oder in nicht sicher identifizierbaren Orten der nördlich (um das heutige Ankara) gelegenen Landschaft Galatien?44 Ebenso umstritten ist die Datierung des Galaterbriefs, für die im Prinzip jeder Zeitpunkt nach den von Paulus in Gal 2 beschriebenen Begebenheiten, also etwa ab 48 n. Chr. in Frage kommt – wegen der inhaltlichen Nähe etlicher Gedanken zum Römerbrief wird zwar meist angenommen, dass er kurz vor diesem etwa 55/56 n. Chr. entstand, doch könnte er auch deutlich früher (dann wäre die galatische Krise zum Zeitpunkt der Kollektensammlung in der Achaia bereits überwunden; vgl. 1.Kor 16,1) oder später (z.B. in bewusster Verschärfung der Argumentation des Röm während der Reise des Gefangenen Paulus nach Rom) verfasst worden sein.45 Schließlich ist auch die Bestimmung der Front, gegen die sich die paulinische Argumentation im Galaterbrief richtet, von diesen Entscheidungen mit abhängig.46 Aufgrund 44 45 46

Vgl. dazu unten B.2.b), 155ff. Vgl. dazu unten B.2.d), 179ff. Dies wird zusammenfassend diskutiert unten B.2.c), 166ff.

Der Text

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dieser weitgespannten Diskussionslage ist im Fall des Galaterbriefs der Text sicherer zu erfassen als die Situation, aus der heraus und in die hinein er spricht. Daher soll zunächst aus dem Brief erhoben werden, welche Fragen er bearbeitet, wie Paulus argumentiert und welche theologischen Schwerpunkte er dabei setzt. In einem zweiten Schritt kann dann auf dieser Basis sinnvoller nach möglichen Situationen gefragt und dabei auch die Aussage des Textes mit Bezug auf diese Kontexte nochmals profiliert werden. Ein dritter Schritt wird das theologische Geflecht des Galaterbriefs nochmals zusammenfassen, indem er fragt, wie Paulus seine theologischen Einsichten in diese Situation hinein kontextualisiert. 1. Der Text: Eine synchrone Auslegung des Galaterbriefs Die tragenden theologischen Einsichten des Galaterbriefs lassen sich gut anhand eines genauen Blicks auf zentrale Begrifflichkeiten erheben. Dies soll hier in der Weise einer synchronen Analyse, also briefimmanent47 geschehen. Diese Vorgehensweise ist methodisch wegen der ungeklärten Fragen zur Datierung – nicht zuletzt relativ zu anderen Paulusbriefen48 – und der damit zusammenhängenden Diskussionen um eine Entwicklung der paulinischen Theologie angezeigt.49 Ist schon grundsätzlich angesichts des Situationsbezugs jedes einzelnen Paulusbriefs die Annahme einer allen Briefen gemeinsamen paulinischen ‚Normaldogmatik‘ problematisch,50 so ist erst recht im Gala47

Ich gehe dabei mit der überwiegenden Mehrheit der Exegeten von einer literarischen Integrität des Galaterbriefs aus. Als Teilungshypothese aus neuerer Zeit sei der Vorschlag von Witulski, Adressaten, besonders 71–81, erwähnt, wonach Gal 4,8–20 ursprünglich ein eigener Brief (oder Teil eines solchen) sei. Dies könnte zwar einige Probleme der Auslegung lösen – und wäre gerade in religionspädagogischer Perspektive interessant, weil sich dieses Brieffragment nach Witulski auf die durchaus spannend erzählbare Herausforderung der Christen in Antiochia in Pisidien durch den Kaiserkult bezieht –, schafft aber zugleich erhebliche neue, u.a. versucht Witulski gar nicht erst zu begründen, warum dieser Text gerade an dieser Stelle eingeflochten worden sein soll (die Stichwortanknüpfung in 4,3 jedenfalls führt er ausdrücklich auch auf den Redaktor zurück, der den Brief eingefügt habe). 48 Das Spektrum der Vorschläge umfasst für den Gal jede erdenkliche Position in der Abfolge der authentischen Paulusbriefe von der ersten bis zur letzten; vgl. dazu unten B.2.d), 179ff. 49 Vouga, HNT 10, V, legt seinem Kommentar ebenfalls „die methodische Entscheidung zugrunde, die kanonische Fassung des Briefes des Paulus an die Galater textimmanent zu lesen.“ 50 Vgl. z.B. Schnelle, Paulus, 20: „Die Theologie des Apostels lässt sich nicht in zeitloser Form von theologischen Zentralbegriffen her als Lehrsystem entwerfen, vielmehr muss sie in ihrem historischen Werden … sorgfältig erhoben werden.“ Auch Wolter, Paulus (2011), dessen Buch dem Untertitel nach einen „Grundriss sei-

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Paulinische Theologie nach dem Galaterbrief

terbrief mit seiner hoch engagierten Redeweise zu erwarten, dass Paulus im Eifer des Gefechts um die galatischen Gemeinden die eine oder andere Aussage etwas überscharf formuliert. Sollen andere Paulustexte zur Klärung der Aussagen des Galaterbriefs herangezogen werden, ist daher jeweils zu prüfen, ob ein entsprechendes Verständnis auch an dessen Text Anhalt findet. Mit den Argumenten für das briefimmanente Vorgehen wird zugleich deutlich, dass ein auf ausgewählte Begrifflichkeiten fokussiertes Vorgehen in Gefahr stünde, aus dem Brief eine Dogmatik zu destillieren – es ist aber ein Brief, d.h. Paulus will aus einer bestimmten Situation in eine bestimmte Situation hinein sein Wort sagen. Damit dies in den Blick kommen kann, ist es – gerade wenn der Inhalt des Briefs vor diesen historischen Kontexten diskutiert wird – unerlässlich, das Schreiben als Ganzes zu würdigen und dabei nicht zuletzt auf die Art der paulinischen Argumentation zu achten. Für eine Wahrnehmung der Eigenarten des Galaterbriefs ist in dieser Hinsicht nun allerdings ein Vergleich mit den anderen authentischen Paulusbriefen 1. Thess, 1.+2. Kor, Röm, Phil und Phlm51 unverzichtbar, da dieser die besondere Färbung der Aussagen des Galaterbriefs etwa im Umgang mit der Gemeinde oder auch den Gegnern deutlich machen kann. Der oben formulierte Grundsatz einer streng briefimmanenten Auslegung gilt also nur für die Interpretation der theologischen Akzente des Galaterbriefs. Gerade der Vergleich mit anderen Paulusbriefen hinsichtlich des Charakters des Schreibens zeigt, dass und wie der Apostel hier polemisch zugespitzt formuliert. Diese Einsicht ist für die Einschätzung der theologischen Aussagen des Galaterbriefs wichtig, sie sollte aber zugleich davor warnen, diese durch Interpretation auf Basis der anderen Paulusbriefe in eine gemäßigtere „Normaltheologie“ einzupassen – die Heftigkeit mancher Aussage könnte ja durchaus auch ein Hinweis darauf sein, welche theologische Relevanz der Apostel ihr zumisst. Beide Fragestellungen – also die Erarbeitung des Charakters des Schreibens und die Untersuchung der begrifflichen Grundlinien und ihrer Vernetzung – werden in einem Durchgang durch den Galaterbrief verfolgt. Dieser orientiert sich an einer Gliederung, die das Schreiben innerhalb des brieflichen Rahmens 1,1–1252; 6,11–18 in ner Theologie“ vorstellt, formuliert grundsätzlich (ebd., 2): „Die Frage nach der paulinischen Theologie ist … zunächst die Frage nach der Theologie der einzelnen Briefe, und diese ist es darum auch, die immer als Ausgangspunkt zu fungieren hat.“ 51 Mit dieser Bestimmung des Kanons der authentischen Paulusbriefe schließe ich mich der exegetischen Mehrheitsmeinung an; das Gewicht dieser Entscheidung ist im Rahmen der hier verfolgten Fragestellung marginal, so dass eine eingehende Begründung verzichtbar erscheint. 52 Zu dieser eher unüblichen Abgrenzung vgl. unten, 27.

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zwei thematische Hauptteile und einen paränetischen Schlussteil differenziert. Der erste Hauptteil 1,13–2,21 begründet und entfaltet zunächst die These 1,11f. in biographischen und historischen Erinnerungen, die ihrerseits auf die Kernthese des Briefs in 2,16 bzw. 2,15– 21 zulaufen. Diese wird im zweiten Hauptteil 3,1–5,12 in mehreren Gedankengängen weiter ausgeführt und begründet. Die Paränese 5,13–6,10 wendet die Grundlinien des Briefs nicht zuletzt mit Blick auf deren Bedeutung für das Miteinander in der Gemeinde an, bevor der briefliche Schluss einige Akzente nochmals deutlich markiert und somit auch einen guten Prüfstein für das erarbeitete Verständnis des gesamten Briefs darstellt. Jeder Abschnitt setzt ein mit einer Wiedergabe des Textes in einer eigenen Übersetzung,53 die in Sinnzeilen gegliedert ist. Sofern Übersetzungsvorschläge erklärungsbedürftig oder ursprachliche Hintergründe wichtig sind, wird dies in knappen Hinweisen erläutert. Es ist ggf. eine gute Idee, am Ende jedes Abschnitts nochmals das zugrunde liegende Textstück zu lesen. Innerhalb dieses Vorgehens werden bewusste Akzentsetzungen vorgenommen, die vor allem religionsdidaktisch begründet sind, so werden z.B. Hinweise auf die situative Einbettung des Galaterbriefs oder die Passagen mit biographischen Erinnerungen des Apostels als wichtige Zugänge zu Botschaft und Absicht des Schreibens gründlicher diskutiert. Da sich am Ende des ersten Hauptteils in der Kernthese 2,15–21 nicht nur das zentrale Anliegen des Briefes, sondern auch eine zentrale Diskussion gegenwärtiger Paulusauslegung bündelt, werden auch diese Verse ausführlicher bedacht. Im schulischen Unterricht wird es aber kaum möglich sein, den ganzen Galaterbrief Vers für Vers zu behandeln, weshalb die ebenso gehaltvolle Ausführung und Begründung dieser These durch den zweiten Hauptteil im Vergleich zu 2,15–21 wieder etwas knapper ausgelegt wird. Dass die Paränese (als dritter Hauptteil des Briefes) nochmals knapper abgehandelt wird, ist schlicht mit dem in dieser Arbeit vorrangigen Frageinteresse nach der Theologie des Paulus begründet. Es soll aber deutlich werden, dass und wie sich dieser Teil in die Gesamtlinie des Galaterbriefs stimmig einfügt; hier ist z.B. die Frage nach dem Ver53

Da es sich im RU empfiehlt, in der Bibel zu arbeiten (vgl. z.B. Müller, Schlüssel (2009), 226), hatte ich zunächst erwogen, die Auslegung auf den Text einer gängigen Bibelübersetzung zu beziehen. Dagegen spricht aber, dass die von mir favorisierte Neubearbeitung der Zürcher Bibel kaum an Schulen vorhanden ist, und v.a. die Einsicht, dass sich für die Arbeit in der Schule eine sprachlich besser zugängliche Übersetzung empfiehlt (zu meinem Vorschlag BasisBibel vgl. unten, 272ff.). Als Grundlage einer exegetischen Erarbeitung aber kommt eine solche Übersetzung nicht in Frage, da die einfachere Verständlichkeit in der Regel auch durch (nicht immer zwingende) Festlegungen auf einzelne Auslegungsoptionen erreicht wird.

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hältnis der positiven Bemerkungen über das Gesetz und seine Erfüllung in 5,14; 6,2 zu den sonstigen Ausführungen des Briefs zu stellen. Im Interesse der Zugänglichkeit der Auslegung werden die Kernaussagen jedes Teils an dessen Ende in knappen Thesen gebündelt. Dies soll aber nicht zu der irrigen Annahme verleiten, den Galaterbrief allein durch die Rezeption dieser knappen Thesen verstehen zu können. Die Absicht und das Recht dieser Bündelungen bestehen zum einen darin, nach der Lektüre der Auslegung eine Hilfe zu deren Strukturierung anzubieten – deshalb wird am Ende des zweiten Hauptteils auch gefragt, welches Licht dessen Ausführungen auf die umstrittenen Fragen der Auslegung von 2,15–21 werfen –, zum anderen in dem Versuch, Verweise zum gezielten Nachvollzug einzelner Aspekte der Detailauslegung anzubieten – weshalb die Thesen durchweg mit Textverweisen unterlegt sind. An einigen Stellen sind Grundfragen der Galaterbrief- oder überhaupt der Paulusexegese betroffen, die eine Behandlung fordern, die über textanalytische Fragen hinausgeht, oder es begegnen Begrifflichkeiten, zu deren Erhellung ein weiterer traditionsgeschichtlicher Hintergrund in den Blick genommen werden muss. Entsprechende Problemstellungen werden dann jeweils in einem „Exkurs“ verfolgt, um deutlich zu machen, dass hier die vorherrschende synchrone Erarbeitungsebene kurz verlassen wird. a) Der Briefeingang 1,1–12: Wer, wie, was 1,1–5 Absender, Adresse und Gruß 11 Paulus, Apostel nicht von Menschen, auch nicht durch einen Menschen, sondern durch Jesus Christus und Gott, den Vater, der ihn von den Toten auferweckt hat, 2 und alle Geschwister bei mir den Gemeinden Galatiens: 3 Gnade sei euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus, 4 der sich selbst gegeben hat für unsere Sünden, damit er uns herausreiße aus der gegenwärtigen bösen Weltzeit nach dem Willen unseres Gottes und Vaters. 5 Ihm sei Ehre in alle Weltzeiten. Amen.

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Textliche und sprachliche Bemerkungen: V. 2: Der maskuline Plural „Brüder“ (ἀδελφοί) kann „auch Geschwister verschied.[enen] Geschlechts bedeuten“ (Bauer, Wörterbuch, s. v., Sp. 28). – Etliche Kommentare übersetzen ἐκκλησίαι mit „Kirchen“, um die organisatorische Eigenständigkeit der paulinischen Gemeinden zu unterstreichen. M.E. entspricht ihnen vom heutigen Sprachgebrauch her aber der Begriff „Gemeinden“ besser. V. 5: Die mit „in alle Weltzeiten“ übersetzte griechische Formel wird oft mit „in Ewigkeit“ übersetzt – die wichtige begriffliche Linie zu „Weltzeit“ in V. 4 sollte aber erkennbar sein.

Die Briefeingänge der Paulusbriefe gehorchen einerseits einem einfachen antiken Muster – das sog. „Präskript“ nennt zunächst den oder die Absender (im Nominativ), dann die Adressaten (im Dativ) und formuliert schließlich einen Gruß an diese –, andererseits und zugleich ist es in der Regel von höchster Bedeutung, um welche „Ausschmückungen“ der Apostel dieses Grundraster jeweils ergänzt: Dies sind die ersten Signale für die thematischen Schwerpunkte des jeweiligen Briefs. Im Galaterbrief fällt hier zunächst auf, wie Paulus seine apostolische Autorität betont, die er ausdrücklich nicht auf Menschen oder menschliche Vermittlung, sondern direkt auf „Jesus Christus und Gott, den Vater, der ihn von den Toten auferweckt hat“ (1,1) gründet. Dass er betont voranstellt, worauf sein Apostolat nicht gründet, erweckt den Eindruck, dass er eine entsprechende These, die dann von seinen Gegnern in Galatien verbreitet worden sein dürfte, zurückweisen möchte. Die Ansicht, er sei ein Apostel „von Menschen“ oder „durch einen Menschen“, muss sich dabei nicht auf die Verleihung eines besonderen Amts durch Menschen beziehen, sondern kann auch schlicht vom Wortsinn des Begriffs her interpretiert werden: Apostel bedeutet „Abgesandter“, d.h. die Gegner könnten argumentiert haben, dass Paulus lediglich in abgeleiteter Autorität als Gesandter z.B. einer Gemeinde agiert hätte.54 Dagegen beansprucht Paulus Apostel Jesu Christi und Gottes zu sein, setzt seine Autorität also ungleich höher an. Dieselbe Opposition – Autorisierung von bzw. durch Menschen oder direkt von Gott – wird er im Blick auf sein Evangelium in der einleitenden These des Hauptteils 1,11f. und in deren Durchführung 54 Da die paulinische Mission nach dem Antiochenischen Zwischenfall keine Anbindung an eine aussendende Gemeinde mehr aufwies, passt diese Erklärung am besten zur südgalatischen Hypothese, denn die dortige Mission hätten Barnabas und Paulus nach Apg 13,1–3 im Auftrag der Antiochenischen Gemeinde unternommen. So hegt etwa Dunn, BNTC, 25, „no doubt“, dass der gegnerische Vorwurf eben dieses Aussendungsverhältnis thematisiere. Da andererseits auffällt, wie intensiv sich Paulus im Gal immer wieder mit Jerusalem auseinandersetzt, wäre evtl. auch denkbar, dass die dortige Gemeinde als größere Autorität hinter Paulus behauptet wurde (wofür z.B. die Tatsache der Kollektensammlung für Jerusalem angeführt worden sein könnte) – um dann unter Berufung auf die Autorität Jerusalems Paulus zu korrigieren.

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1,13–2,10 aufgreifen: Der Gesandte (Apostel) ist von seiner Sendung (dem ihm anvertrauten Evangelium) nicht zu trennen. Weiter sticht 1,4f. als eine Erweiterung des üblichen paulinischen Grußes 1,3 heraus,55 die zunächst in einer Bekenntnisformel56 den „Herrn Jesus Christus“ näher bestimmt als den, „der sich selbst gegeben hat für unsere Sünden, damit er uns herausreiße aus der gegenwärtigen bösen Weltzeit nach dem Willen unseres Gottes und Vaters.“ Auch das Thema der Hingabe Jesu Christi wird Paulus an zentraler Stelle wieder aufgreifen, nämlich in der unmittelbaren Begründung der Kernthese des Briefs 2,16 in 2,19–21 (explizit 2,20) und dann weiter in Kap. 3. Die doxologische [preisende] Formel in 1,5 geht ebenfalls über das übliche Präskript hinaus,57 sie preist Gott,58 dem die Ehre gebührt „in alle Weltzeiten“ oder, wie nach dem griechischen Text wörtlich zu lesen wäre, „in die Äonen der Äonen“. Diese Begrifflichkeit knüpft wie schon die Rede von „Weltzeit“ (αἰών) in 1,4 an die apokalyptische Erwartung einer Äonenwende an, also an die Vorstellung, dass die auf ihr Ende zulaufende Weltgeschichte (der alte Äon) von der Gottesherrschaft (dem neuen Äon) abgelöst wird. Eben diese „neue Schöpfung“ (so 6,15 im hinteren Teil des Briefrahmens) beginnt für Paulus schon mit der Auferweckung Jesu (1,1), da sie die in der ‚alten’ Schöpfung geltende Macht des Bösen, also der Sünde und des Todes bricht. Kraft seiner Hingabe und seiner Auferweckung kann Christus die Gläubigen aus der „gegenwärtigen bösen Weltzeit“, die der Macht der Sünde und des Todes unterliegt, „herausreißen“. Diese Befreiung meint nun allerdings nicht, dass der neue Äon schon gänzlich den alten abgelöst hätte, vielmehr steht die Vollendung der begonnenen Äonenwende noch aus

55 Eine mit 1,3 identische Grußformel findet sich in Röm 1,7; 1. Kor 1,3; 2. Kor 1,2; Phil 1,2; Phlm 3; in allen diesen Briefen bildet sie – ohne jede Erweiterung – den Abschluss des Präskripts. (Nur 1. Thess 1,1 formulierte Paulus noch etwas anders, freilich knapper als die dann etablierte Grußformel.) 56 Vouga, HNT 10, 19, sammelt sprachliche und inhaltliche Beobachtungen, die es wahrscheinlich machen, dass Paulus hier nicht selbst formuliert, sondern eine Bekenntnisformel zitiert. 57 Einige Kommentare, z.B. Mußner, HThKNT IX, 52, und Schlier, KEK 7, 35, verstehen 1,5 als Ersatz des auf das Präskript üblicherweise folgenden Proömiums (Dank für die Gemeinde o.ä.; vgl. dazu unten, 28) und 1,6 als Beginn des Briefkorpus. Mit den meisten Exegeten lese ich aber 1,6ff. als „Alternative“ zum Proömium; vgl. De Boer, Galatians, 37: 1,6ff. erfüllt z.T. dieselbe Funktion wie sonst das Proömium („introduces the main theme of the letter … and the issue that has occasioned the letter“). 58 Rein grammatisch ließe sich 1,5 auch auf Jesus Christus beziehen, doch ist dies bei Paulus sonst nicht der Fall und auch deswegen unwahrscheinlich, weil er sich hier an jüdische liturgische Sprache anlehnt; vgl. z.B. Lührmann, ZBK.NT 7, 16.

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(vgl. z.B. Gal 5,5).59 In der weiteren Beschäftigung mit dem Galaterbrief wird noch deutlicher werden, welche umfassende Relevanz dieser apokalyptische Deutehorizont des Christusgeschehens für die Theologie des Paulus hat. Mit diesen Erweiterungen des Briefeingangs benennt Paulus also inhaltlich das für ihn allein maßgebliche Zentrum theologischer Besinnung, nämlich das Christusgeschehen in Kreuz und Auferstehung, und deutet an, dass er dieses als Beginn der Äonenwende interpretiert. Die gedrängte Ausdrucksweise des Paulus verdankt sich dabei z.T. der Aufnahme anerkannter Bekenntnisformeln60 – womit er wohl auch seine Übereinstimmung mit der Tradition der christlichen Gemeinde dokumentieren und so seine Autorität zusätzlich untermauern will –, z.T. der Form des Briefeingangs, die weitere Ausführungen kaum möglich macht. Gerade in dieser konzentrierten Knappheit dürfte es kaum ein Zufall sein, dass Paulus die Bedeutung dieser Grundsätze auf „uns“ bezieht, die Galater also betont mit sich zusammenschließt61 und sie dabei nicht zuletzt mit Gott als „unserem Vater“ (V. 3) verbindet.62 Die argumentative und rhetorische Bedeutung dieser Formulierungen wird im Fortgang des Briefs mehr und mehr deutlich.63 Als Mitabsender nennt Paulus „alle Geschwister bei mir“ – solch eine anonyme Angabe entspricht nicht seinem sonstigen Stil. Entweder kannten die Galater diese Geschwister nicht oder es geht Paulus vor allem um den Eindruck, dass seine Autorität von einer großen („alle“!) Zahl anderer Gläubigen gestützt wird.64

59 Ausführlich zur Sache: Dunn, BNTC, 29 (zu 1,1); 35f. (zu 1,4). Betz, Galaterbrief, 96, betont, dass 1,4 „von der Befreiung ‚aus’ dem bösen Äon und nicht von einer Wende der Äonen“ redet. 60 So in 1,4; vgl. dazu oben, Anm. 56. 61 Diese Beobachtung betont Sänger, Strategien, 174–176; ders., Argumentationsstrategie, 390–393. 62 Vgl. Elmer, Pillars, 127, der darin einen „hermeneutical key“ zum Galaterbrief sieht. 63 Zu weit geht Vouga, HNT 10, 17, wenn er meint, dass sich in den „Variationen der Form … die Themen der drei Hauptteile [nach Vouga: 1,6–2,21; 3,1–5,12; 5,13– 6,18] des Briefs ankündigen“. 64 Einen Rückschluss auf die Situation, in der Paulus schreibt, erlaubt diese Angabe hingegen kaum. Pilhofer, Testament, 280, deutet sie auf die von ihm vermutete Abfassung des Gal während der Reise des Gefangenen Paulus nach Rom. Diese Datierung ist zwar durchaus denkbar, doch stellt der Absender alleine noch kein tragfähiges Argument dafür dar (dies zeigt auch Pilhofers Auseinandersetzung mit Foersters Bezug derselben Wendung auf die Delegation aus seinen Gemeinden, die Paulus bei der Überbringung der Kollekte nach Jerusalem begleitet, vgl. ders., Rechtfertigung, 108f.).

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Über die Adressaten erfahren wir hier (wie auch sonst im Galaterbrief!) auffallend wenig,65 sie werden lediglich kurz und knapp genannt – „den Gemeinden Galatiens“ – und ihnen wird Gnade und Frieden zum Gruß entboten. Paulus redet sie damit wesentlich nüchterner an als andere Gemeinden, die er etwa als von Gott geliebte oder Heilige charakterisiert.66 Trotz dieser Knappheit aber werden die Galater „in terms of their identity as congregations of Christ“ adressiert,67 was auch die Deutung des Christusgeschehens in V. 3f. auf „uns“ unterstreicht. Dennoch ist die Anrede eher von gebremstem Charme – der Grund für die implizierten Distanzsignale erhellt im unmittelbaren Fortgang: 1,6–12 Die göttliche Autorität des von Paulus verkündigten Evangeliums 6

Ich wundere mich, dass ihr so schnell abfallt von dem, der euch in der Gnade [Christi] berufen hat, zu einem anderen Evangelium, 7 das es gar nicht gibt – nur gibt es einige, die euch verwirren und das Evangelium des Christus verkehren wollen. 8 Jedoch, auch wenn wir oder ein Engel vom Himmel euch etwas (als Evangelium) verkündigten entgegen dem, was wir euch (als Evangelium) verkündigt haben: Verflucht sei er! 9 Wie wir schon zuvor gesagt haben, sage ich jetzt auch nochmals: Wenn jemand euch (als Evangelium) verkündigt entgegen dem, was ihr empfangen habt: Verflucht sei er!

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Mit Vouga, HNT 10, 2.18, ließe sich freilich überlegen, ob z.B. die Adresse für den konkreten Versand an die einzelnen (!) galatischen Gemeinden gegenüber der kanonisch überlieferten Fassung jeweils konkretisiert wurde. 66 Vgl. 1. Thess 1,1: „an die Gemeinde in Thessalonich, die in Gott, dem Vater, und im Herrn, Jesus Christus, lebt“; 1. Kor 1,2: „an die Gemeinde Gottes in Korinth, an die in Christus Jesus Geheiligten, an die zu Heiligen Berufenen“; 2. Kor 1,1: „an die Gemeinde Gottes in Korinth und an alle Heiligen in der ganzen Achaia“; Röm 1,7: „an alle in Rom, die von Gott geliebt und zu Heiligen berufen sind“; Phil 1,1: „an alle Heiligen in Christus Jesus, die in Philippi sind“; Phlm 1: „an den geliebten Philemon, unseren Mitarbeiter“ (Übersetzung: Zürcher Bibel). – Schlier, KEK 7, 26, formuliert mit Blick auf den Gal, „selbst in strengen amtlichen Briefen heidnischer Behörden rede man verbindlicher“. 67 De Boer, Galatians, 27; vgl. Sänger, Strategien, 174: „performative Identitätszuschreibung“.

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Will ich jetzt Menschen überreden oder Gott? Oder suche ich Menschen zu Gefallen zu sein? Wenn ich noch Menschen zu Gefallen sein wollte, wäre ich nicht Christi Sklave. 11

Denn ich gebe euch zur Kenntnis, Geschwister, dass das Evangelium, das von mir (als Evangelium) verkündigt worden ist, nicht menschlich ist, 12 denn ich habe es weder von einem Menschen empfangen noch bin ich belehrt worden, sondern durch eine Offenbarung Jesu Christi. Textliche und sprachliche Bemerkungen: V. 6: ἐν χάριτι kann „in (der) Gnade“, „durch (die) Gnade“ (vgl. V. 24; dort aber διά) oder gar „zur/in (die) Gnade“ (vgl. 1. Kor 7,15: ἐν δὲ εἰρήνῃ κέκληκεν ὑμᾶς ὁ θεός; vgl. sachlich Gal 5,8) bedeuten; alle Varianten finden in der Literatur Befürworter. Hätte Paulus die Gnade als Ziel der Berufung nennen wollen, wäre aber wohl doch eine Formulierung mit εἰς (wie 1. Kor 1,9) eindeutiger gewesen. – Χριστοῦ fehlt in einigen älteren Textzeugen und dürfte eine (relativ frühe) Ergänzung darstellen. V. 7: μεταστρέφω ließe sich auch mit „umkehren“ (in das Gegenteil) übersetzen. V. 10: Die Übersetzung „zu Gefallen sein wollte“ sieht hier ein Imperfekt de conatu (vom Bemühen her), d.h. das „wollte“ wird aus der Imperfektform erschlossen. Vgl. zur Sache Blass/Debrunner/Rehkopf, Grammatik, § 326; zur entsprechenden Auffassung dieser Stelle Bauer, Wörterbuch, s. v. (ἀρέσκω), Sp. 212. Anders etwa Lietzmann, HNT 10, 6: „ἤρεσκον kann auch Impf. de conatu sein, aber als Impf. der Tatsache gibt es einen schärferen Kontrast.“ So würde der Satz besagen, dass ein Sklave Christi per definitionem Menschen nicht gefallen könne oder dürfe („Wenn ich noch Menschen gefiele, …“). – δοῦλος wird hier nicht mit „Diener“, sondern „Sklave“ übersetzt, um die Beziehungen zu anderen Verwendungen der Sklavenmetapher im Gal und den Unterschied zu „Diener“ (διάκονος) in 2,17 deutlich zu machen. V. 11: γνωρίζω kann heißen „tue euch kund“ – da Paulus aber keine Neuigkeit verkündet, ist eher an ein nachdrückliches nochmaliges Zurkenntnisgeben zu denken (vgl. 1. Kor 15,1). V. 12: „durch eine Offenbarung“ kann auch übersetzt werden „durch Offenbarung“.

Diese Verse werden von den Kommentatoren verschieden abgegrenzt: Einigkeit besteht in der deutlichen Zäsur vor V. 6, weitgehend auch im Blick auf einen Einschnitt nach der These V. 12. Eine weitere Zäsur wird dazwischen gesetzt, nach V. 9, V. 10 oder gar V. 11, und nicht selten als Beginn des Hauptteils markiert. Dass dessen Einsatz also offenbar nicht einhellig bestimmt werden kann, dürfte daran liegen, dass V. 10f. in der Tat einen „Übergang“ bilden,68 der sich dem Vorigen und dem Folgenden verschieden zuordnen lässt. Wenn hier V. 6–12 als ein Zusammenhang behandelt werden, soll damit 68

Betz, Galaterbrief, 101. Vgl. Borse, RNT, 52: V. 10 „kommt … eine Mittelstellung zu“.

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zum einen dieser Übergangscharakter anerkannt, zum anderen aber auch sichtbar werden, dass die These V. 12, die im folgenden 1. Hauptteil 1,13–2,21 begründet und entfaltet wird, eng mit dem Briefeingang verknüpft ist (vgl. 1,1.4.6–9).69 So ließe sich der Beginn des Galaterbriefs ähnlich lesen wie der des Römerbriefs, dessen Leitthese Röm 1,16f. ebenfalls den Abschluss der auf sie zulaufenden einleitenden Passagen bildet. Im Aufbau des Galaterbriefs würde die im ersten Hauptteil entfaltete These diesem demnach ähnlich voranstehen wie die Kernpassage Gal 2,15–21 dem sie ausführenden und begründenden zweiten Hauptteil Gal 3,1–5,12. Zur Auslegung. Auch der an den Gruß anschließende Abschnitt der Briefanfänge folgt einem Formgesetz: In einem „Proömium“ formuliert Paulus stets einen Dank für die Gemeinde70 oder ein Lob Gottes mit Bezug auf sie71 – einzig der Galaterbrief fällt aus diesem Muster heraus: „Es gibt im Augenblick nichts zu danken.“72 Stattdessen73 gibt Paulus seiner Verwunderung über einen schnellen74 Abfall der Gemeinden Ausdruck (V. 6), ja er versteigt sich zu einem zweifachen Fluch (V. 8f.). Das Proömium des Gal bietet also geradezu das Gegenteil dessen, was an dieser Stelle üblich ist und erwartet wurde. Da Paulus nicht leichtfertig von dieser Form abweicht – er behält sie sonst auch in kritischen Situationen bzw. Briefen bei –, verdient dieser Abschnitt hohe Aufmerksamkeit. Ein erster Kernbegriff des Briefes ist „Evangelium“: In den vier Versen 1,6–9 verwendet Paulus ihn gleich fünfmal, genauer zweimal das Substantiv (V. 6f.) und dreimal das zugehörige Verb (V. 8f.), das im Deutschen keine direkte Entsprechung hat.75 Substantiv und Verb 69 Ähnlich – wenn auch jeweils mit Zäsur zwischen V. 9 und 10 – gliedern Mußner, HThKNT IX, der 1,6–12 unter der Überschrift „Die Situation“ (53) als ersten Abschnitt des Briefkorpus fasst, und Vouga, HNT 10, 26: Gal 1,11f. formuliere „die These …, die dem Anfang (Gal 1,1–9) zugrunde liegt und die im autobiographischen Bericht begründet und entwickelt wird (Gal 1,13–2,21 …)“. 70 So in 1. Thess 1,2ff.; 1. Kor 1,4ff.; Röm 1,8ff.; Phil 1,3ff.; Phlm 4ff. 71 So 2. Kor 1,3ff. 72 Lührmann, ZBK.NT 7, 18. 73 Einige Exegeten sehen V. 5 als Ersatz des Proömiums, vgl. dazu oben, Anm. 57. 74 Das ταχέως zwingt nicht zu der Annahme, dass diese Situation schon kurz nach der Ursprungsverkündigung des Paulus eingetreten sein müsse; das Wörtchen kann ebenso gut auf eine kurze Zeitspanne nach einem anderen Datum deuten (einem späteren Besuch des Paulus oder dem Auftreten der Verkündiger jenes anderen Evangeliums) oder schlicht die Geschwindigkeit des Abwendungsprozesses beschreiben (Vouga, HNT 10, 22, verweist auf absolutes ταχέως in 1. Kor 4,19; Phil 2,19.24). 75 Das deutsche Verb „evangelisieren“ trägt nicht wie das griechische εὐαγγελίζεσθαι (Medium) die Bedeutung „als Evangelium verkündigen“. Meine Übersetzung „(als Evangelium) verkündigen“ lässt sich einerseits glatt lesen („verkündigen“), markiert andererseits diese begriffliche Konnotation.

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begegnen dann in V. 11 und im „es“ von V. 12 wieder; diese beiden Verse bündeln pointiert und unter Rückgriff auf die in 1,1 schon angedeuteten und V. 10 nochmals aufgenommenen Oppositionen die Sicht des Apostels: Das von ihm verkündigte Evangelium ist nicht menschlichen, sondern göttlichen Ursprungs. Dies ist der Grund dafür, dass er in V. 6–9 im Gegeneinander verschiedener „Evangelien“ seine Verkündigung zum Maß aller Dinge, ja zum alleinigen Evangelium erklärt – recht verstanden gibt es ein anderes Evangelium gar nicht (V. 7). Dabei macht bereits der schroffe Charakter dieses Einstiegs deutlich, dass hier nicht marginale Details zur Debatte stehen, sondern dass es jedenfalls in der Perspektive des Paulus um alles oder nichts geht. Für das Verständnis dieses Gegeneinanders ist entscheidend, dass Paulus zwar von dem von ihm verkündigten Evangelium spricht,76 sich aber nicht selbst als dessen Autorität sieht: Die falschen Verkündiger verdrehen vielmehr „das Evangelium des Christus“ (V. 7), das Paulus durch eine „Offenbarung Jesu Christi“ empfangen hat (V. 12) – diese Beziehung auf Christus wurde schon in 1,1 betont. Die Genitivverbindungen „Evangelium des Christus“ und „Offenbarung Jesu Christi“ lassen sich dabei grundsätzlich in zweifacher Weise verstehen, als Genitivus subiectivus (Christus als Subjekt = Urheber des Evangeliums/der Offenbarung) oder als Genitivus obiectivus (Christus als Objekt = Gegenstand bzw. Inhalt des Evangeliums/der Offenbarung). Für das zweite Verständnis spricht 1,15f.:77 Der Inhalt des von Paulus verkündigten Evangeliums ist der gekreuzigte und auferstandene Christus, 1,1.4 haben also schon eine erste inhaltliche Skizze des Christusevangeliums geboten. Die Autorität hinter diesem Evangelium aber ist Gott selbst (1,15f.), und auch das wird schon in V. 6 erkenntlich: Paulus redet hier (wie auch in 5,8) nicht von sich selbst als dem, der die Galater berufen hätte, sondern Gott ist es, der Menschen in der Gnade beruft,78 Gott ist es also auch, von dem die Gal 1,8 verwendet er εὐαγγελίζεσθαι in der 1. Person Plural, Gal 1,11 in der 1. Person Singular. 77 So etwa auch Mußner, HThKNT IX, 67f.; Schäfer, Paulus, 112; anders z.B. Borse, RNT, 55; Rohde, ThHKNT IX, 51f. Erwägen ließe sich evtl. noch mit Schlier, KEK 7, 39 (zu V. 7), eine Kombination aus beiden: „das Evangelium, in dem Christus sich selbst verkündet“; vgl. entsprechend 47 (zu V. 12). 78 Dafür spricht, dass Paulus „καλεῖν immer mit θεός … verbindet“ (ebd., 37, mit Belegen). Rein grammatisch wäre daneben auch ein Bezug auf Christus (so die Auslegung der Reformatoren, die καλέσαντος auf das textkritisch unsichere Χριστοῦ beziehen; vgl. ebd., Anm. 2), Paulus (so etwa Baumert, Weg, 16, in klarer Minderheitenposition) oder gar auf das Evangelium möglich („von dem, das [!] euch in der Gnade Christi berufen hat, zu einem anderen Evangelium“). Zwar sieht Paulus das Evangelium als dynamische Wirkweise Gottes (Röm 1,16), eine solche Aussage über dessen aktive Selbstwirkung wäre aber dann doch ohne echte paulinische Parallele. 76

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Galater abzufallen drohen. Dies unterstreicht auch 1,8: Paulus selbst verfiele dem Fluch, sollte er je ein anderes Evangelium verkündigen, er ist also gerade nicht als Person eine entscheidende Instanz; ja, selbst ein „Engel vom Himmel“, ein Zwischenwesen also, wäre nicht befugt, das Evangelium zu verändern. Mit dieser hypothetischen79 Aussage markiert Paulus, dass die Autorität hinter dem Evangelium eben Gott selbst ist. Allein Gott ist es schließlich auch, in dessen Macht es liegt, einen Fluch zu vollstrecken (V. 8f.): Wäre Paulus sich nicht sicher, dass das in Galatien bedrohte Evangelium eben der Weg ist, auf dem Gott den Menschen seine Gnade zuwendet, so hätte er sich zu diesem Fluch über die Verdreher des Evangeliums kaum verstiegen. Auch hier spricht er also unbeschadet des „ich“ in V. 9 letztlich nicht in eigener, sondern abgeleiteter Autorität. Wen trifft dieser Fluch? Paulus redet von „einigen“80 (V. 7), die die angeredeten galatischen Gemeinden (V. 7: „euch“) durch die Pervertierung des Christusevangeliums „verwirren“. Damit differenziert er klar zwischen den Adressaten seines Briefes und einer Gruppe von Unruhestiftern, über die er nichts Näheres mitteilt. Deutlich ist jedenfalls, dass Paulus nicht mit ihnen, sondern ausschließlich über sie spricht; angesprochen ist hingegen durchgängig das „ihr“ der galatischen Gemeinden. Auch wenn in V. 6 zunächst die Verwunderung über eine „rasche“ Wendung der Galater ausgesprochen wird, so gilt doch der Fluch deutlich diesen „einigen“, die „euch“ (V. 9!) jenes verkehrte ‚Evangelium’ verkündigen.81 Die Gemeinden aber erinnert der Apostel an ihre Berufung in der Gnade (V. 6),82 an seine Evangeliumsverkündigung (V. 8) und daran, dass die Galater dieses Evangelium „empfangen haben“ (V. 9):83 Er markiert so auch in dieser denkbar scharfen Eingangspassage des Briefs die Basis, auf der die galatischen Gemeinden entstanden waren und zu der er sie zurückru79 Lührmann, ZBK.NT 7, 19, erwägt eine Berufung der Paulusgegner auf solche „höhere Offenbarung“. Aber warum führt Paulus dann im Gal so intensiv die Auseinandersetzung mit Jerusalem? 80 Dieses τινές klingt für Mußner, HThKNT IX, 57, im Kontrast zu πάντες (1,2!) „fast verächtlich“. 81 Während V. 8 unwahrscheinliche Situationen konstruiert, zeigt V. 9 „schon durch seine Formulierung mit εἰ c. Ind. …, daß Paulus einen wirklichen Fall im Auge hat“ (Schlier, KEK 7, 40). 82 Inhaltlich noch gewichtiger – als Charakterisierung des Evangeliums – wäre dieser Verweis, wenn er mit „in die Gnade“ übersetzt werden dürfte, vgl. dazu die sprachlichen Bemerkungen oben, 27. 83 Der Bezug auf das von Paulus verkündigte Evangelium ist durch die parallele Konstruktion in V. 8+9 (παρʼ ὃ εὐηγγελισάμεθα ὑμῖν/παρʼ ὃ παρελάβετε) gesichert. Nach Mußner, HThKNT IX, 62, geht παραλαμβάνειν hier über die technische Bedeutung (Überlieferungsvorgang) hinaus und „impliziert auch das gläubige Stehen in dem die Existenz bestimmenden und das eschatologische Heil gewährenden ‚Evangelium Christi’“.

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fen will – an diese Anfänge wird er sie darum noch öfter erinnern (3,1–5; 5,7). Bis auf weiteres jedenfalls sind sie für Paulus „Geschwister“, um die er wirbt, ja ringt. In V. 10 begibt sich der Apostel auf eine Metaebene und analysiert, was er „jetzt“ – also in jenem Fluch – eigentlich tut. Dies ist nur verständlich, wenn er sich hier gegen Vorwürfe zur Wehr setzt, die etwa gelautet haben könnten, dass er Menschen nach dem Mund rede, sie überreden oder ihnen gefallen wolle. Dagegen verweist Paulus auf sein scharfes, klares Statement, das ihn als „Christi Sklave“ ausweise, also als jemanden, der ganz und gar dessen Sache vertritt.84 Diese Selbstbezeichnung des Paulus85 steht in deutlicher Korrespondenz zu seiner Berufung auf das „Evangelium des Christus“ (V. 6) bzw. die „Offenbarung Jesu Christi“ (V. 12). Damit bildet sie auch die Brücke zur feierlich eingeführten ersten These des Galaterbriefs in V. 11f., die die Summe aus den bisherigen Ausführungen (incl. Präskript: 1,1!) zieht und zugleich das Thema für den anschließenden ersten Hauptteil setzt: Er begründet und entfaltet eben diese These, dass Paulus nicht in menschlicher Autorität agiert, sondern dass das von ihm verkündigte Evangelium auf Gott selbst zurückgeht, der ihm, Paulus, seinen Sohn Jesus Christus offenbart hat. Wenn Paulus hierfür dasselbe Verb „empfangen“ verwendet wie in V. 9 für die Aufnahme des Evangeliums durch die Galater, dann hat dies hier doch einen anderen Klang: Paulus empfängt das Evangelium eben direkt von Gott und nicht wie seine Gemeinden aus dem Mund eines Menschen. Der Anspruch des Apostels ist steil, was auch der mit „Offenbarung“ übersetzte Begriff nochmals deutlich macht: ἀποκάλυψις [sprich: „Apokálypsis“] meint von der Wortbedeutung her das Wegziehen einer (verhüllenden) Decke, also eine „Enthüllung“.86 Solche „Offenbarung“ wird man sich nicht als nüchterne Übermittlung einer Information vorstellen dürfen, vielmehr geschieht hier ein Durchblick in eine höhere, Menschen normalerweise nicht zugängliche Dimension der Wirklichkeit – dass Paulus der auferstandene Christus „enthüllt“ wurde, muss für ihn ein grundstürzendes Er84 Von dieser Einsicht her ist wohl auch das „oder Gott“ der einleitenden Frage zu verstehen. Entweder lässt es sich so interpretieren, dass Paulus nicht Menschen beschwätzt, sondern eher noch „Gottes Gunst erwerben“ will bzw. „zugunsten seiner selbst für Gott“ redet (so etwa Schlier, KEK 7, 42), oder die Frage ist mit z.B. Mußner, HThKNT IX, 63, als Zeugma zu verstehen, „d. h., die gedachte Antwort auf die Frage ἢ τὸν θεόν steht schon unter dem Einfluss des zweiten Verbums: Selbstverständlich predige ich, um Gott zu gefallen.“ 85 Er verwendet sie neben bzw. anstelle des häufigeren „Apostel Jesu Christi“ in Röm 1,1 und Phil 1,1 auch in der Absenderangabe als entscheidendes Charakteristikum seiner selbst. 86 So übersetzt z.B. Schlier, KEK 7.

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eignis gewesen sein.87 Dies erklärt auch, dass er diesen Begriff verwendet, der sich nicht zuletzt für die Schau der weltenwendenden Zukunft Gottes in der Apokalyptik eingebürgert hat,88 auf deren Spuren wir bereits in 1,4f. stießen – ist doch der Blick auf den Auferstandenen für Paulus nicht weniger als der Blick in die schon angefangene Vollendung der Welt. Gerade weil Fragen wie die nach der Auferstehung der Toten oder dem Kommen Christi im Gal nicht thematisch sind, zeigt die Wahl solcher Begrifflichkeit deutlich, wie grundlegend diese Perspektive für die Theologie des Apostels ist.89 Was Paulus im vorderen Briefrahmen als Thema setzt, wird freilich erst vollends deutlich, wenn auch beachtet wird, was er nicht sagt. Vor allem benennt er die sehr konkrete Streitfrage nicht, in der er sich von seinen Gegnern unterscheidet. Erst im Laufe des Briefs wird klar, dass ihr Anliegen im Gehorsam gegenüber Gott und seinem Gesetz besteht, insbesondere fordern sie – anders als Paulus – die Beschneidung und evtl. auch die Einhaltung von Speisegeboten auch von den Heidenchristen.90 Wenn sie Paulus unterstellen, Menschen nach dem Mund zu reden (V. 10), dann soll das wohl bedeuten, dass er diesen klaren Willen Gottes ermäßigt, um Menschen leichter zu gewinnen. Sie selbst dürften hingegen der Meinung gewesen sein, dass die Heidenchristen ohne Beschneidung gerade noch nicht vollständig für Gott gewonnen sind, dürften also aus Sorge um das Heil der galatischen Christen gehandelt haben. Damit hätten sie sich auf ihre Weise auch für die Einheit aller Christusgläubigen eingesetzt, aber eben unter dem Dach des Bundes Gottes mit dem jüdischen Volk.

87 Dies zeigen neben der Konkretion in 1,15f. auch paulinische Stellen wie 2. Kor 12,1.7. 88 So schon die griechische Fassung von Dan 2,19.28f.47; vgl. auch den griechischen Titel der Offb. Eindeutig diese Bedeutung trägt ἀποκάλυψις bei Paulus in Röm 8,19; 1. Kor 1,7. 89 So vertritt etwa Martyn, AncB 33A, 97–105, die These, dass die viermalige Verwendung dieses Substantivs bzw. des dazugehörigen Verbs im Gal (1,12; 1,15f.; 2,2; 3,23) kein Zufall sei und die apokalyptische Prägung auch des Galaterbriefs unterstreicht. Im Blick auf den Gal stellt er dabei besonders die Bedeutung heraus, die zwischen dem Christusgeschehen in Kreuz und Auferstehung und seiner Parusie „the present war against the powers of evil“ für Paulus habe: „the liberating war … is crucial to Paul’s apocalyptic theology“ (105). Vgl. weiter z.B. Schlier, KEK 7, 48, der ἀποκάλυψις interpretiert als das „die eschatologische Enthüllung vorwegnehmende[.] Geschehen der direkten und totalen Enthüllung Jesu Christi selbst an den Apostel“, oder De Boer, Galatians, 78–82, der sich für die Übersetzung „apocalyptic revelation“ (ebd., 75.78) ausspricht. 90 Nach Gal 5,3 achten die Gegner allerdings keineswegs bei allen Geboten Gottes so penibel auf deren Einhaltung. Zur Frage, wie viel Polemik in solchen Vorwürfen des Apostels steckt, vgl. den Exkurs „Polemische Theologie?“ unten, 122ff.

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Paulus aber verschweigt das Thema der Beschneidung zunächst völlig (es begegnet erstmals in 2,3) und geht stattdessen in eine denkbar scharfe Konfrontation zu denen, die das eine und einzige Evangelium des Christus pervertierten, dessen von Gott berufener Zeuge er, Paulus, sei. Der Apostel setzt damit – durchaus polemisch, zugleich aber sachlich pointiert – auf die Tagesordnung, worum es in diesem Streit nach seiner Sicht im Kern geht: Zur Debatte steht nicht weniger als die Basis des Lebens vor Gott. Diese bestimmt Paulus als das von Gott offenbarte Evangelium des Christus (1,6.12), das die Galater in der gnadenhaften Berufung durch Gott (1,6) empfangen haben (1,9) und das inhaltlich als das Christusgeschehen in Kreuz und Auferstehung (1,1.4) zu entfalten ist. Wer um dieses endzeitliche (1,4.12) Handeln Gottes in Christus und den Ruf seines Evangeliums weiß, darf nach der Überzeugung des Apostels nicht mehr nach einer zusätzlichen Absicherung in der Beschneidung fragen – oder er verliert eben diese Basis, auf der er stand: Er fällt ab von Gott (V. 6) und seinem Fluch anheim (V. 8f.). Man hätte hier wohl noch einige Fragen, die Paulus auch im Folgenden abarbeitet. Hier ist ihm aber erst einmal und vor allem wichtig, das Thema zu setzen – und das ist für ihn nicht die Frage der Beschneidung, sondern das Evangelium Gottes als die Grundlage des Lebens vor und mit ihm.91 Kernaussagen des Briefeingangs in Thesen Im einleitenden Passus sind wichtige Grundlinien angelegt, die sich sämtlich in den folgenden Teilen fortsetzen und weiter ausgeführt werden. Verweise zu den Thesen zielen dennoch nur auf den bisher ausgelegten Text, um den Charakter einer Zusammenfassung nicht durch Vorgriffe zu sprengen. • Paulus ist von Gott zum Apostel berufen (1,1.12). • Er ist direkter Empfänger der Offenbarung des Evangeliums (1,11f.). • Inhalt bzw. Kern des Evangeliums sind Kreuz und Auferstehung Christi als Anbruch der neuen Schöpfung (1,1.4f.7.10.12). • Andere ‚Interpretationen‘ des Evangeliums sind faktisch Verkehrungen und stehen unter dem Fluch Gottes (1,6–9). • Paulus warnt die Galater eindringlich davor, sich einem solchen Nicht-Evangelium zuzuwenden (1,6.8f.). • Christliche Existenz und Identität gründen nur im von Paulus verkündigten Christusevangelium (1,3f.6).

91 Vgl. Becker, NTD 8/1, 21 (bezogen allerdings nur auf 1,6–9): „Er läßt keinen Zweifel daran, daß nur seine Verkündigung heilsame Wahrheit ist, und gibt damit plakatartig zu verstehen, was er nun im einzelnen im Brief auszuführen gedenkt.“

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b) Der erste Hauptteil 1,13–2,21: Biographische Entfaltung des paulinischen Evangeliums Paulus begründet und entfaltet die These 1,11f. in einem biographischen Rückblick: Der folgende Hauptteil ist strukturiert durch die zeitliche Abfolge der Erinnerungen des Apostels von der Zeit „damals“ (1,13; vgl. 1,23) vor seiner Berufung bis zu jener Wendung, „als“ (1,15) Gott ihm seinen Sohn offenbarte, über das, was er „sofort“ (1,16) danach tat bzw. nicht tat und was dann „darauf“ (1,18.21; 2,1) nacheinander geschah bis hin zu jenem Ereignis, „als“ (2,11) er in Antiochia in eine Auseinandersetzung mit Kefas geriet. Paulus als Person steht im Zentrum der Schilderungen dieses Hauptteils, aber dennoch ist klar, dass nicht Paulus als Person das Thema ist. Das Thema ist vielmehr wie in der These 1,11f. sein Evangelium und sein Auftrag, es als Apostel unter den Nichtjuden zu verkünden: Der Blick auf den Beginn seiner Verkündigungstätigkeit zeigt dabei den unmittelbaren göttlichen Ursprung seines Evangeliums (1,13–24), dann wird dessen vorbehaltlose Anerkennung durch die Jerusalemer „Säulen“ betont (2,1–10) und schließlich gezeigt, dass und wie sich die Wahrheit dieses Evangeliums auch im Konflikt bewähren kann und muss (2,11–21).92 Dass dabei stets die aktuelle galatische Streitfrage im Blick ist, auch wenn sie nicht als solche angesprochen wird, versteht sich nach dem engagierten Briefeingang von selbst, es zeigt sich aber auch im Text – nicht nur in verschiedenen deutlich apologetisch gefärbten Aussagen,93 sondern auch in der Anrede an die Galater in 2,5 und dann vor allem in der Verdichtung der paulinischen Sicht im Kontext der Schilderung des Streits in Antiochia. Die Kernpassage 2,15–21 geht deutlich über ein Zitat dessen hinaus, was Paulus Kefas in ihrer Auseinandersetzung in Antiochia wirklich gesagt hat. In diesem „Ziel des Abschnitts“94 sind nicht zuletzt die Galater adressiert, was sich auch darin zeigt, dass Paulus die dort vertretenen Thesen dann im zweiten Hauptteil 3,1–5,12 in mehreren Anläufen grundsätzlich ausführt und dabei auch weiter begründet.

92

Vgl. Rohde, ThHKNT IX, 49: „Paulus behauptet also die Unabhängigkeit seiner Predigt als ursprünglich [1,13–24], anerkannt [2,1–10] und im Konfliktfall bewährt [2,11–21].“ 93 Diese Aussagen begegnen offenbar konkreten Positionen der Paulusgegner in Galatien – damit ist aber nicht gesagt, dass der Grundton des Zusammenhangs ein apologetischer ist. Dies betont Vouga, HNT 10, 29: „Die Perspektive ist nicht apologetisch, sondern assertiv und deliberativ“. 94 So Lührmann, ZBK.NT 7, 25 (mit Bezug auf Gal 2,15–21).

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1,13–24 Der unmittelbare göttliche Ursprung des paulinischen Evangeliums 13

Denn ihr habt gehört von meinem Wandel einst im Judaismus, dass ich im Übermaß die Gemeinde Gottes verfolgte und sie zu vernichten suchte, 14 – und ich brachte es im Judaismus weiter als viele Altersgenossen in meinem Volk, in besonderem Maß Eiferer für meine väterlichen Überlieferungen.

15

Als es aber dem [Gott] gefiel, der mich von meiner Mutter Leib an auserwählt und durch seine Gnade berufen hatte, 16 seinen Sohn in mir zu offenbaren, damit ich ihn (als Evangelium) verkündige unter den Nichtjuden, da beriet ich mich sofort nicht mit Fleisch und Blut; 17 auch ging ich nicht hinauf nach Jerusalem zu denen, die vor mir Apostel waren, sondern ging fort in die Arabia und kehrte wieder nach Damaskus zurück. 18

Darauf, nach drei Jahren, ging ich hinauf nach Jerusalem, Kefas zu besuchen, und blieb bei ihm fünfzehn Tage; 19 einen andern aber von den Aposteln sah ich nicht nur Jakobus, den Bruder des Herrn. 20

Was ich euch schreibe – siehe, es ist vor Gott, dass ich nicht lüge!

21

Darauf ging ich in die Gegenden von Syrien und Kilikien; war aber den Gemeinden Judäas, die in Christus sind, von Angesicht unbekannt. 23 Nur hörten sie: Der uns einst verfolgte, verkündigt jetzt (als Evangelium) den Glauben, den er einst zu vernichten suchte. 24 Und sie priesen Gott meinetwegen. 22

Textliche und sprachliche Bemerkungen: V. 13f.: „Judaismus“ ahmt hier das griechische Ἰουδαϊσμός nach, zur Interpretation vgl. unten, 38ff., den Exkurs zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund des Begriffs. V. 13.22: Auch hier wird die Übersetzung „Kirche“ (statt „Gemeinde“) für ἐκκλησία diskutiert (vgl. oben, 23, zu 1,2). Diese Übersetzung verstellt aber tendenziell den

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Blick dafür, dass Paulus hier atl. Sprache aufnimmt, vgl. z.B. Dtn 23,2ff. (Seputaginta: ἐκκλησία). V. 15: In einigen Handschriften fehlt „dem Gott“, es dürfte spätere Ergänzung sein. V. 16.23: Zu „(als Evangelium) verkündigen“ vgl. oben, Anm. 75. V. 16: „Nichtjuden“ gibt das griechische ἔθνη („Völker“) wieder, das die Völker neben dem Judentum bezeichnet; diese Übersetzung ist daher weniger missverständlich als der Begriff „Heiden“, sie wird auch im Folgenden durchgängig verwendet. V. 18: Die „fünfzehn Tage“ (so wörtlich) übersetzen einige Ausleger aufgrund der Einsicht, hier liege eine runde Zahl vor, mit „vierzehn Tage“ oder „zwei Wochen“. V. 20: Mit „es ist“ wird die knappe griechische Wendung ἐνώπιον τοῦ θεοῦ hier aufgefüllt.

Eine Gliederung des Textes nach der zeitlichen Abfolge zeigt sowohl kleinere Untereinheiten (V. 13: „einst“; V. 15: „Als“; V. 18; V. 21: „Darauf“) als auch einen größeren Zusammenhang (2,1: „Darauf“; 2,11.12.14: „Als …“). Für die Abgrenzung dieser Verse 1,13–24 als erster Teilzusammenhang der fortlaufenden biographischen Erinnerung des Apostels sprechen die auffällige Klammer V. 13 – V. 23 („hören“, „einst“, „verfolgen“, „zu vernichten suchen“), der bündelnde Abschluss V. 24 und der erzählerische Kontrast dieser gerafften Darstellung zur ausführlichen Schilderung der Szene in Jerusalem ab 2,1. Das Berufungserlebnis des Paulus und seine unmittelbaren Folgen in V. 15–17 stehen dabei nicht nur zeitlich zentral in diesem Abschnitt, auch von der These 1,11f. her liegt hier der Akzent: Paulus erhält sein Evangelium direkt von Gott. Auch wenn das in der These zur Debatte gestellte „Evangelium“ hier nur in Form des zugehörigen Verbs genannt wird (V. 16; vgl. V. 23), zeigt V. 15f. deutlich, dass Christus der Inhalt des paulinischen Evangeliums ist:95 Der Sohn Gottes, ist der Gegenstand der Offenbarung, die Gott selbst Paulus zuteil werden lässt. Die Sprache, in der Paulus diese Erfahrung schildert, ist tief von alttestamentlichen Motiven geprägt; insbesondere nimmt er Formulierungen aus der Berufung Jeremias (Jer 1,5) und den deuterojesajanischen Gottesknechtsliedern auf (Jes 49,1) – kaum zufällig zwei Stellen, die von einer besonderen Aufgabe dieser Gottesgesandten an Nichtjuden reden.96 95 Wenn V. 23 in Parallele zu V. 16 sagt, Paulus verkündige „den Glauben“, so dürfte also der Glaube eben an diesen Sohn Gottes gemeint sein, vgl. ebd., 36: „wie es für Paulus kein anderes Evangelium gibt außer dem Evangelium, dessen Inhalt Christus, der Sohn Gottes ist, so auch keinen Glauben abgesehen von diesem Inhalt.“ Weniger deutlich wäre diese Konnotation, wenn V. 23 eine geprägte Wendung zitiert (also nicht von Paulus so formuliert wäre), wofür z.B. Martyn, AncB 33A, 176f., plädiert (177): „Composing on his own, Paul speaks not of preaching ‚the faith,‘ but of preaching ‚the gospel‘„. 96 Am Rande sei erwähnt, dass auf diesem Hintergrund das Zitat des hiermit zusammenhängenden Verses Jes 49,6 in Apg 13,47 das paulinische Selbstverständnis durchaus zutreffend aufnimmt.

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Dass Paulus seine Sendung im Licht dieser biblischen Vorbilder begreift, liegt nun aber eben an der Offenbarung des Sohnes Gottes, der auch der Inhalt der Evangeliumsverkündigung des Paulus ist (V. 16).97 Dass die Erkenntnis Christi diese Konsequenz hat, ist zunächst einfach eine These, die Paulus nicht näher begründet – sie ist freilich auch schon vorbereitet durch seine Aussagen über das Christusereignis in 1,1.4, korreliert insbesondere mit der Eingangswendung 1,1 vom Empfang des Apostelamts direkt „durch Jesus Christus und Gott, den Vater“ und wird dann im späteren Brief weiter entfaltet. Die Verwendung des Verbs ἀποκαλύπτειν – „offenbaren“ bzw. „enthüllen“ – für die Christusbegegnung in V. 16 dürfte darüber hinaus wie schon in 1,12 ein Hinweis darauf sein, dass Paulus das Christusereignis als die entscheidende Weltenwende und damit als Beginn der neuen Schöpfung Gottes (vgl. 6,15) versteht.98 Deutlich ist der Kontrast zwischen V. 13f. und V. 15f., der unterstreicht, dass das paulinische Evangelium eben nicht menschlichen,99 sondern wunderhaft bzw. gnadenhaft göttlichen Ursprungs ist. Dennoch dürfte Paulus die Erinnerung an seine frühere Verfolgung der Gemeinde(n)100 nicht nur wegen dieses Kontrastarguments eingeführt haben: Zum einen ist denkbar, dass die Galater von der Vergangenheit des Paulus nicht (nur) von ihm selbst, sondern auch durch dessen Gegner „gehört“ (V. 13) haben, die diesen Hinweis im Rahmen ihrer Auseinandersetzung mit dessen Positionen mit einer anderen Darstellung der paulinischen Vita und Verkündigung verbunden haben könnten.101 Für diese Sicht spricht die Aufnahme dieses Verses in V. 23,102 wodurch die Gemeinden in Judäa, die – anders als die Galater – 97

Lührmann, ZBK.NT 7, 32f., will weitergehend zeigen, dass die Verwendung des Titels „Sohn Gottes“ durch Paulus auch schon einen Konnex mit der in 2,16 dann markierten Frage nach der Gerechtigkeit bzw. der Rechtfertigung impliziert, wofür er u.a. auf die atl. Königsvorstellung (der König ist als „Sohn Gottes“ Garant der Gerechtigkeit) und paulinische Parallelen auch außerhalb des Gal verweist; ebd., 33: „Die Offenbarung des Sohnes ist die Grenze zwischen Gesetz und Glaube“. 98 Vgl. z.B. Schlier, KEK 7, 55; weiter: oben, 31, auch Anm. 89. 99 Dies mag, so etwa Lührmann, ZBK.NT 7, 31f., mit ein Grund für die Erwähnung der „väterlichen Überlieferungen“ (V. 14) sein: Anders als das paulinische Evangelium ist das Gesetz menschlich vermittelt. 100 Die „Gemeinde Gottes“, wie V. 13 in Anlehnung an atl. Ausdrucksweise formuliert, aktualisiert sich für Paulus in einer Vielzahl von „Gemeinden“ (etwa denen „Judäas, die in Christus sind“, V. 23), ohne dass eine wesentliche Bedeutungsdifferenz zwischen dem Singular und dem Plural erkennbar wäre. 101 Vgl. im unmittelbaren Kontext V. 20; weiter auch 5,11 und dazu unten, 120f. 102 Viele Exegeten sehen hier eine geprägte Formel, in deren Gestalt die Wende des Paulus in den Gemeinden bekannt geworden sei (vgl. z.B. Martyn nach Anm. 95) – wenn das stimmt, unterstreicht dies nicht nur Bedeutung und Tragweite der paulinischen Verfolgung, sondern darf auch als Argument für die Historizität einer plötzlichen Wende des Apostels gelten.

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unter dieser Verfolgung gelitten haben, zum Vorbild darin werden, wie der Evangeliumsverkündiger Paulus nun – und zwar auch von den Galatern – zu sehen ist: Der Kontrast zu seinem früheren Wandel ist kein Grund, Paulus und seine Botschaft kritisch zu sehen, sondern im Gegenteil Anlass zum Gotteslob (V. 24). Zum anderen und vor allem bildet das frühere Leben des Paulus im „Judaismus“ nicht zufällig eine Brücke zum späteren Vorwurf an Petrus, er zwinge die Heiden zu „judaisieren“ (2,14). Diese Begriffe verlangen eine über die reine textimmanente Interpretation hinausgehende Erläuterung. Exkurs:„Judaismus“ als Eifern für die väterlichen Überlieferungen (Gal 1,13f.) Das Nomen „Judaismus“ (Ἰουδαϊσμός) begegnet im Neuen Testament nur hier (Gal 1,13f.), auch das zugehörige Verb „judaisieren“ (ἰουδαΐζειν) findet sich ausschließlich im Galaterbrief (2,14). Klar ist zunächst (zumal im Blick auf das Verb), dass die Begriffe nicht im Sinne einer Zugehörigkeit zum „Judentum“103 zu verstehen sind, als sei Paulus „einst“ Jude gewesen, jetzt aber nicht mehr.104 Die Übersetzung von Ἰουδαϊσμός mit „Judentum“ ist erst recht heute irreführend, da der Begriff nun als Bezeichnung der jüdischen Religion im Unterschied etwa zum Christentum gilt und damit eine Unterscheidung markiert, die Paulus noch nicht kannte.105 Gemeint ist also eher eine bestimmte Art bzw. Interpretation jüdischen Lebens, die sich nach V. 14 durch besondere Treue zu den „väterlichen Überlieferungen“ auszeichnet. Damit dürfte die mündliche Tradition der Auslegung der Torah gemeint sein, die in pharisäischen Kreisen hochgeschätzt wurde, mit anderen Worten: Der „Judaismus“ des Paulus dürfte in Zusammenhang stehen mit seiner Herkunft aus pharisäischen Kreisen.106 Ein gewichtiges Argument für die Deutung von Gal 1,13f. auf den Pharisäismus ist der Vergleich mit Phil 3,5f.: Dies ist die einzige Stelle in seinen Briefen,107 in denen Paulus explizit seine 103

So übersetzt z.B. die Lutherbibel (Stuttgarter Erklärungsbibel), in V. 14 auch die Zürcher Bibel – V. 13 heißt es dort „wie ich einst als Jude gelebt habe“. 104 Dagegen spricht schon das ungebrochene „in meinem Volk“ (V. 14). 105 Eine Verwendung des Begriffs Ἰουδαϊσμός im Gegenüber zu Xριστιανισμός findet sich erst im 2. Jh. n. Chr. bei Ignatius; vgl. IgnMagn 10,3: ἄτοπόν ἐστιν Ἰησοῦν Χριστὸν λαλεῖν καὶ ἰουδαΐζειν. ὁ γὰρ Xριστιανισμὸς οὐκ εἰς Ἰουδαϊσμὸν ἐπίστευσεν, ἀλλ ̓Ἰουδαϊσμὸς εἰς Xριστιανισμόν …; IgnPhld 6,1. Niebuhr, Judentum, zeigt freilich, dass auch bei Ignatius die Begriffe nicht für distinkte Religionen stehen, sondern für „zwei Lebensweisen“ (ebd., 231; vgl. 233: „Christentum und Judentum als Begriffe für verschiedene Religionsgemeinschaften standen weder Paulus noch Ignatius zur Verfügung.“). 106 Vgl. z.B. Schlier, KEK 7, 51f.; Dunn, BNTC, 60; Pilhofer, Galaterbrief, 49. 107 Vgl. daneben Apg 23,6; 26,5; auch 22,3 (Gamaliel war nach Apg 5,34 pharisäischer Schriftgelehrter).

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(frühere) Zugehörigkeit zu den Pharisäern benennt (Phil 3,5) – und auch hier findet sich eine Aussage über seinen „Eifer“, der ihn zum „Verfolger der Gemeinde“ machte (Phil 3,6), womit die Stelle sachlich und terminologisch108 als Parallele zu Gal 1,13f. anzusprechen ist. Dass Paulus sich selbst als „Eiferer“ beschreibt, ist dabei keineswegs eine psychologische und vor allem auch keine negative Kategorie: Wolter zeigt überzeugend, dass dieser Begriff in einer Linie über Pinchas (Num 25,11) und Elia (1. Kön 19,10.14) zu den Makkabäern (1. Makk 2,24–27.49.54.58) für das entschlossene Eintreten für die Reinheit und Heiligkeit des Gottesvolkes steht.109 Hierzu passt, dass nicht nur die Ursprünge des Pharisäismus nach allem, was wir wissen, in der Zeit des makkabäischen Aufstands liegen,110 sondern auch die ersten Belege für den seltenen Begriff „Judaismus“ aus dieser Zeit stammen: In 2. Makk 2,21; 8,1; 14,38 (auch 4. Makk 4,26) ist von „Judaismus“ die Rede, was hier erkennbar als Gegenbegriff (nun nicht zu Christentum, sondern) zu „Hellenismus“ (2. Makk 4,13) fungiert. Steht „Hellenismus“ hier für eine weltoffenmoderne Interpretation des Judentums, die dieses Einflüssen der hellenistischen Kultur öffnet (so z.B. der Hohepriester Jason nach 2. Makk 4), so bezeichnet „Judaismus“ demgegenüber die kompromisslose Treue zur überlieferten Lebensweise, die sich nicht zuletzt an den lebenspraktischen Differenzen zur Umwelt zeigt, gegen die sich die Maßnahmen der seleukidischen Herrscher in der Makkabäerzeit richteten: Opfer, Feste, Beschneidung, Speisegebote (2. Makk 6).111 Es leuchtet ein, dass sich die Beachtung solcher Grundlagen sowohl als bewusster „Wandel im Judaismus“ (V. 13) in der eigenen Lebenspraxis112 als auch im „Eifer“ für die Heiligkeit des GottesVgl. besonders Phil 3,6: κατὰ ζῆλος διώκων τὴν ἐκκλησίαν mit Gal 1,13f.: καθʼ ὑπερβολὴν ἐδίωκον τὴν ἐκκλησίαν τοῦ θεοῦ … ζηλωτής. 109 Vgl. Haacker, Paulus (2008), 72–75; Wolter, Paulus (2011), 19–22; dort auch Näheres zu den genannten Belegen und Apg 21,20; 22,3 (hier begegnet der Begriff interessanter Weise in gleichem Sinne). „Eiferer“ (ζηλωτής) dürfte im Übrigen von den sog. „Zeloten“ als Ehrentitel empfunden worden sein; auch die Verwendungen des Nomens in 1. Kor 14,12; 1. Petr 3,13; Tit 2,14 sind eindeutig positiv konnotiert. So war auch Paulus nach V. 13f. stolz auf seinen Eifer und darauf, seine Altersgenossen darin übertroffen zu haben. Andererseits dürfte er in dieser Zeit z.T. ähnliche Positionen vertreten haben wie nun seine galatischen Gegner, deren Eifer er gewiss nicht rühmen will – in diesem Fall impliziert diese Erinnerung also zugleich eine Distanzierung, wenn auch nicht vom Eifer als solchem, so doch von dessen damaliger Ausrichtung (vgl. hierzu auch unten, Anm. 117). 110 Die Ursprünge des Pharisäismus werden im Rahmen dieser Arbeit nicht en detail diskutiert; vgl. zur Sache etwa Feldmeier, Welt, 66f.; Heiligenthal, Pharisäer, 28–31. 111 Vgl. v.a. Dunn, BNTC, 56; Niebuhr, Judentum, 221f.; knapper Wolter, Paulus (2011), 15 Anm. 20; sachlich ähnlich auch Vouga, HNT 10, 31. 112 Vgl. Dunn, BNTC, 55: „he focuses on practice: it was not his beliefs …; it was his conduct“. 108

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volks in Handlungen gegenüber anderen erweisen kann. Paulus‘ Verfolgung der Gemeinde war dann aber – auch hierin ist Wolter Recht zu geben – keine Verfolgung von Christen, sondern „eine ganz und gar innerjüdische Angelegenheit“113. Paulus dürfte es also in seinem „Judaismus“ um die Reinhaltung der Gemeinschaft des Gottesvolks gegangen sein – der präzise Grund seiner Verfolgertätigkeit lässt sich aber weder aus dieser noch aus anderen Stellen zweifelsfrei ermitteln.114 Eindeutig ist nur, dass Paulus seine Berufungserfahrung (V. 15f.) und seine Verkündigung des Evangeliums „unter den Nichtjuden“ (V. 16)115 miteinander verknüpft und dass eine Gemeinschaft mit Nichtjuden unter Verzicht auf Forderungen wie die der makkabäischen Eiferer oder des pharisäischen Reinheitsideals jedenfalls seiner vorherigen Orientierung („einst“; V. 13) diametral entgegengesetzt wäre. Damit aber berichtet Paulus von seinem Damaskuserlebnis so, dass es jedenfalls im Kontext des Galaterbriefs als Grund für die von Paulus vertretene volle Gemeinschaft mit christusgläubigen Nichtjuden verstanden werden kann. Die Reinheitsthematik könnte sich evtl.116 in der Verwendung des Begriffs „Gemeinde Gottes“ in V. 13 spiegeln, der etwa in Dtn 23,2ff. durchaus die Grenzen dieser Gemeinde markiert – Paulus würde dann sagen, dass er in seinem Eifer für das, was er „einst“ für die Gemeinde Gottes hielt, faktisch zu zerstören suchte, was in Wahrheit die Gemeinde Gottes war und ist. Jedenfalls untermauert V. 13f., was die These 1,11f. behauptet: Der Apostel kann sein Evangelium gar nicht von Menschen gelernt haben, denn hier gibt es keine Entwicklung – hier gibt es vielmehr einen Bruch. Dass Paulus auch seinen neuen Weg mit größtem „Eifer“ beschreitet,117 unterstreicht den Bruch eher als dass es ihn mildert. Dass Gott in dieser Lebenswende des Paulus Regie führt, betont auch V. 15f. in aller Deutlichkeit: Schon von Anfang an, vorgeburt113

Wolter, Paulus (2011), 18. Eine ausführlichere Diskussion bietet unten B.2.a), 149ff., besonders 151f. 115 Schlier, KEK 7, 56, denkt hier nicht an eine exklusive Evangeliumsverkündigung nur an Nichtjuden, sondern v.a. an „das Ge b i e t …, das Paulus zur Mission zugewiesen ist“; vgl. dazu 2,7–9. 116 So sieht es wiederum Dunn, BNTC, 58, auch 30; diese Auslegung ist zwar nicht zwingend, würde sich aber gut in das Bild eines Pharisäers Paulus fügen. 117 Vgl. Sanders, Paulus (2009), 23f.: „Der Apostel Paulus hatte viele Charakterzüge mit dem Pharisäer Paulus gemein. Einer der wichtigsten: er war ein ‚Zelot’, ein Eiferer, der sich dem Lebensweg, zu dem er sich von Gott berufen fühlte, voll und ganz verschrieb.“ Im Folgenden stellt Sanders dar, wie Paulus sich nicht nur im Vergleich (früher) zu den Pharisäern, sondern auch (jetzt) zu anderen Aposteln als besten einschätzt (1. Kor 15,9f.; 2. Kor 11,23) – Paulus war im Blick auf sich selbst „überzeugt, dass Gott wenigstens einen seiner Apostel gut ausgesucht hatte“ (ebd., 25). 114

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lich, ist es die Gnade Gottes, durch die Paulus berufen ist (V. 15 – vgl. 1,6 von den Galatern!), und auch dass diese Berufung nun Paulus klar wird, ist Ausdruck der freien Gnade Gottes: Es „gefiel“ ihm (V. 15).118 Gott offenbart Paulus seinen Sohn: Das ist der göttliche Ursprung seines Evangeliums, auf den Paulus sich in 1,11f. berufen hatte. Dies betont im Fortgang der Hauptsatz (!) der Satzkonstruktion V. 15–17 mit seiner eigentümlichen Erörterung, was Paulus daraufhin „sofort nicht“ (εὐθέως οὐ) tat, nämlich sich mit Menschen bereden oder gar in Jerusalem um eine Bestätigung seiner neuen Sicht und Selbstsicht als „Apostel“ (V. 17; vgl. 1,1) vorstellig werden – vielmehr begann er sofort, seiner göttlichen Berufung zu folgen. Auch als er drei Jahre später nach Jerusalem reist, tut er das nicht, um sich und sein Evangelium dort autorisieren zu lassen, vielmehr besucht er Kefas – Paulus verwendet meist diese aramäische Form von „Petrus“ –, um ihn kennenzulernen (das ist der Wortsinn des Verbs ἱστορεῖν in V. 18)119: Diese Formulierung lässt eher an eine Begegnung zwischen Gleichgestellten denken als an einen Antrittsbesuch bei einer übergeordneten Autorität, und die folgende Betonung, dass Paulus außer Petrus nur den Herrenbruder Jakobus gesehen habe, verleiht dem ganzen zusätzlich den Charakter eines Privatbesuchs (V. 19). Für die Lauterkeit dieser Darstellung beruft der Apostel sich in einer schwurähnlichen Formulierung auf Gott selbst (V. 20), was wohl als Hinweis darauf verstanden werden darf, dass in Galatien auch andere Sichtweisen seines Lebenswegs bzw. einer apostolischen Hierarchie bekannt waren.120 In das paulinische Bild fügt sich wiederum nahtlos ein, dass keinerlei Bedeutung des Treffens mit Petrus für die folgende Wirksamkeit des Paulus in Syrien und Kilikien ersichtlich wird (V. 21) und schließlich die von Paulus früher verfolgten Gemeinden, bei denen er sich auch nicht vorgestellt hat (V. 22), die vielmehr „nur hörten“, dass Paulus jetzt derselben Sache dient wie sie, dies anerkennen und Gott seinetwegen loben (V. 23f.). So betont Paulus im Blick auf seine These zweierlei: Die Unabhängigkeit des von ihm verkündeten Evangeliums von Jerusalemer Autoritäten ebenso wie den Umstand, dass dieses durch Petrus und Jakobus nicht hinterfragt und von den Gemeinden Judäas anerkannt wurde. Es verlässt den Rahmen einer Nachzeichnung des Textes, wenn abschließend kurz nach dem historischen Hintergrund dieser Verse gefragt werden soll. Für einen Zeitraum von 14 Jahren (2,1) haben wir 118

Vgl. Schlier, KEK 7, 53: „Kennzeichnung des freien, göttlichen Beschlusses“. Vgl. z.B. ebd., 60; ausführlich: Hofius, Gal 1,18. 120 Vouga, HNT 10, 37, hält diesen Schluss für „möglich, aber nicht notwendig“ und erwägt, V. 20 „auf den gesamten Zusammenhang der V. 13–19 oder 15–19“ zu beziehen. 119

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nur die wenigen Informationen in Gal 1,13–24 vom Apostel selbst, die er freilich in einer kontroversen Gesprächslage gegen andere (uns nicht bekannte) Sichtweisen stellt. Aus der Fülle der hier diskutierten Fragen sind vor allem zwei für die vorliegende Arbeit relevant:121 Zum einen geht es um die Identifizierung des Offenbarungserlebnisses, von dem V. 15f. berichtet. Es kann kaum ernsthaft in Frage gestellt werden, dass es sich hier um das sog. Damaskuserlebnis handelt. Diese Interpretation legt nicht nur V. 17 (Rückkehr nach Damaskus) nahe, sie wird auch gestützt durch die klare Verbindung zur Berufung zum Apostel in 1,1, die Paulus auch 1. Kor 9,1 und 1. Kor 15,8–10 (dort übrigens wie in Gal 1 verbunden mit einem Hinweis auf die frühere Verfolgungstätigkeit des Apostels) mit einer Christusbegegnung verknüpft. Deutlich wird bei Paulus ebenso wie in den im Detail anders konturierten Berichten der Apostelgeschichte (9,1–19; 22,3–16; 26,9–18), dass dieses Ereignis grundlegend für die Neuorientierung des Apostels war – in unserem Text zeigt sich dies darin, dass Paulus eben hier den Ursprung seiner Evangeliumsverkündigung verortet, und zwar in Bezug sowohl auf seine eigene Berufung (Apostelamt) als auch auf die inhaltliche Kontur seiner Verkündigung (Bezug auf den Christus) und ihre Adressierung an Nichtjuden. Die Stellung dieses Hinweises im Duktus des Galaterbriefs zeigt: Die Fragen, die der Brief verhandelt, beantwortet Paulus letztlich von dieser Erfahrung her.122 Eine zweite für den Galaterbrief relevante historische Frage bezieht sich auf die Darstellung der sog. ersten Missionsreise in der Apostelgeschichte: Nach Apg 13f. führte sie Paulus und Barnabas vor dem Apostelkonvent (Apg 15) u.a. in den Süden der Provinz Galatien – damit könnten hier auch die Adressaten des Galaterbriefs zu suchen sein. Das heißt aber: Wenn Gal 2,1–10 über den Jerusalemer Apostelkonvent berichtet, so hätte Paulus in seinem historischen Durchgang den davor liegenden Gründungsaufenthalt in Galatien unter den Tisch fallen lassen, was einige Exegeten (trotz des „euch“ in Gal 2,5) nicht nur zu Zweifeln an dieser Möglichkeit der Adressierung des Galaterbriefs führt, sondern unter Verweis auf V. 21 gleich zu einer Infragestellung der Historizität der gesamten sog. ersten Missionsreise. Diese Fragen müssen eigens diskutiert werden.123

121 Die Arbeit kann und will nicht alle historischen Fragestellungen in diesem Kontext aufarbeiten. Vgl. hierzu die vorliegenden Spezialuntersuchungen wie z.B. Schäfer, Paulus; Hengel/Schwemer, Paulus; Breytenbach, Paulus. 122 Die Bedeutung des Damaskus-Erlebnisses wird daher im Rückblick auf den gesamten Brief und die darin erkennbare theologische Grundposition des Paulus gebündelt unten B.2.a), 149ff., dargestellt. 123 Dies geschieht unten B.2.b), 155ff.

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2,1–10 Die vorbehaltlose Bestätigung des paulinischen Evangeliums 21 Darauf, nach vierzehn Jahren, ging ich erneut nach Jerusalem hinauf, mit Barnabas, und nahm auch Titus mit. 2 Ich ging aber hinauf auf Grund einer Offenbarung. Und ich legte ihnen das Evangelium dar, das ich unter den Nichtjuden verkündige, speziell den Angesehenen, ob ich etwa ins Leere laufe oder gelaufen bin. 3 Aber nicht einmal Titus, der bei mir war, der Grieche ist, wurde genötigt, sich beschneiden zu lassen. 4 Was aber die eingedrungenen falschen Geschwister betrifft, die sich eingeschlichen hatten, um unsere Freiheit auszuspionieren, die wir in Christus Jesus haben, damit sie uns zu Sklaven machten: 5 Ihnen haben wir nicht einen Augenblick unterwürfig nachgegeben, damit die Wahrheit des Evangeliums bei euch bleibe. 6 Von denen aber, die als etwas angesehen werden – wer immer sie einst waren, ist mir gleichgültig, Gott sieht die Person nicht an –, mir nämlich haben die Angesehenen nichts auferlegt, 7 sondern im Gegenteil: Als sie sahen, dass mir das Evangelium der Unbeschnittenheit anvertraut ist so wie Petrus das der Beschneidung – 8 denn der an Petrus zum Apostelamt der Beschneidung wirksam war, war auch wirksam an mir für die Nichtjuden –, 9 und als sie die Gnade erkannten, die mir gegeben ist, (sie:) Jakobus und Kefas und Johannes, die als „Säulen“ angesehen werden, da gaben sie mir und Barnabas die rechte Hand der Gemeinschaft, damit wir zu den Nichtjuden, sie aber zur Beschneidung (gehen sollten); 10 nur dass wir an die Armen denken sollten – eben das zu tun, habe ich mich auch eifrig bemüht. Textliche und sprachliche Bemerkungen: V. 2: Zu „legte … dar“ und „ob … etwa“ vgl. unten, Anm. 126. „Speziell“ gibt das griechische κατʼ ἰδίαν („für sich“) wieder; gemeint ist wohl eine Unterredung in kleinerem Kreis (vgl. Vouga, HNT 10, 40: „in gesonderten Gesprächen“). V. 5: „nicht einen Augenblick“ (πρὸς ὥραν) – wörtlich: „nicht eine Stunde“; „unterwürfig“ (τῇ ὑποταγῇ) ließe sich auch als „gehorsam“ übersetzen – der Übersetzungs-

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vorschlag akzentuiert, dass dies jedenfalls nach Paulus falscher Gehorsam wäre; „bleibe“ (διαμείνῃ) ließe sich auch voller mit „bestehen bleibe“ o.ä. wiedergeben. V. 9: „die rechte Hand der Gemeinschaft“ – gemeint ist wohl „ein ‚Gemeinschafts-’ oder besser: ein ‚Teilhaberhandschlag’, durch den zwei, die an derselben Sache teilhaben, miteinander übereinkommen und dies bekräftigen“ (Schlier, KEK 7, 79).

Paulus setzt seinen biographischen Rückblick fort, wie im vorigen Abschnitt spricht er von dem, was er tat, erlebte, sagte usw. – obwohl die vorherrschende 1. Person Singular kaum den historischen Tatsachen entspricht. Dies gilt nicht nur wegen Apg 15,1f. – mit der Mehrheit der Exegeten gehe ich davon aus, dass unser Text der paulinische Bericht über den sogenannten Apostelkonvent ist, von dem auch Apg 15 erzählt124 –, sondern zeigt sich schon an der seltsamen Rolle, die Barnabas und Titus durch diese Art der Darstellung erhalten: Barnabas wird einleitend erwähnt (V. 1) und taucht am Ende (V. 9) plötzlich und fast überraschend wieder neben Paulus auf, der sonst den Eindruck erweckt, er habe alleine mit den Jerusalemer Autoritäten seine eigene Sache verhandelt – also „das Evangelium …, das ich (!) … verkündige“ (V. 2), und sein damit verbundenes Apostelamt (vgl. V. 7f., wohl auch „Gnade“ in V. 9125). Von einem „wir“ redet Paulus nur in V. 4+5 (zur Interpretation s.u.) sowie zweimal in V. 9+10, wo offenbar Paulus und Barnabas gemeint sind. Die letzte Bemerkung in V. 10b steht dann aber schon wieder in der 1. Person Singular, was an dieser Stelle ein Reflex der bald nach diesen Geschehnissen erfolgten Trennung von Barnabas sein dürfte (vgl. 2,13; ferner Apg 16,36–41). Ganz ähnlich spielt Titus im Bericht des Paulus alles andere als eine aktive Rolle: Er wird von Paulus mitgenommen (V. 1) und er wird nicht genötigt, sich beschneiden zu lassen (V. 3) – das war es auch schon, was die Leser von ihm erfahren. Der Grund für diese Art der Darstellung liegt in der Perspektive des Textes: Er gehört in den Beweisgang zur These 1,11f., dass das paulinische Evangelium direkt von Gott stamme. Bisher wurde dessen Ursprung in der Berufung des Paulus deutlich, hier geht es nun um seine vorbehaltlose Anerkennung durch die Jerusalemer Autoritäten. Ausschlaggebend für diese in ihrem Charakter von dem 1,18f. berichteten „Besuch“ bei Kefas und Jakobus also deutlich unterschiedene Jerusalemreise ist aber nicht die Bedeutsamkeit der Jerusalemer Autoritäten oder eine gemeindliche Anordnung (vgl. Apg 15,2!), sondern erneut eine „Offenbarung“, also das Wirken Gottes. Mit diesem 124

Anders z.B. Longenecker, WBC 41, lxxvii–lxxxiii, der Gal 2,1–10 mit dem „famine visit“ nach Apg 11,(27–)30 verbindet. Plausibel ist das freilich nur im Paket mit seiner Datierung des Galaterbriefs vor dem Apostelkonvent (vgl. unten, Anm. 532); vgl. zur Diskussion unten B.2.d), besonders 179. 125 Dass „Gnade“ bei Paulus für sein Apostelamt stehen kann, zeigt v.a. Röm 1,5; vgl. weiter Röm 12,3; 15,15; 1. Kor 3,10; 15,10; dazu etwa Schlier, KEK 7, 78.

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Begriff ist zumindest auf der Ebene des vorliegenden Berichts schon klar, dass Paulus von Anfang an nichts anderes erwarten konnte als eine Bestätigung des Evangeliums, das er aufgrund und seit der in 1,15f. berichteten „Offenbarung“ Gottes verkündigt.126 Dazu passt, dass er mehrfach deutlich macht, dass und wie die eigentliche Autorität Gott ist (z.B. V. 7–9) – und zwar nicht zuletzt im Blick auf seine Jerusalemer Gesprächspartner (Parenthese in V. 6127!). Deren Bezeichnung als „Angesehene“ (V. 2, V. 6 (2x), V. 9) enthält dabei durchaus auch ein „Moment der Distanzierung“128: Ist jemand auch, als was er „angesehen“ wird? Dies gilt nicht zuletzt an den beiden Stellen, die den Begriff näher bestimmen durch die Wendung „die als etwas angesehen werden“ (V. 6) bzw. – evtl. mit Bezug auf einen „engeren Kreis derselben“129 – „die als ‚Säulen’ angesehen werden“ (V. 9). Es ist schwer vorstellbar, dass sich diese umständliche Formulierung anstelle eines schlichten „die Säulen“ als Ehrentitel etabliert hätte, d.h. Paulus greift die Geltung der „Säulen“ in kritischer Brechung auf. Dazu passt, dass sich der Apostel erst bei dieser letzten Erwähnung, als die Angesehenen und Paulus (na ja: Barnabas auch noch …) sich feierlich ihrer wechselseitigen Gemeinschaft versichern, dazu herablässt, auch Namen zu nennen: „Jakobus und Kefas und Johannes“. Warum Paulus Kefas davor auch zweimal mit der griechischen Variante seines Beinamens „Fels“ als „Petrus“ bezeichnet (V. 8f.), wird nicht ganz klar; immerhin fällt auf, dass er diesen klangvollen Namen genau da verwendet, wo er deutlich macht, dass er selbst, Paulus, als Apostel und Evangelist der Unbeschnittenheit (also der Heidenchristen) auf einer Stufe mit Petrus als dem Apostel und Evangelisten der Beschneidung (also der Judenchristen) steht.130 Es ist schon daher nicht angezeigt, ἀνεθέμην (V. 2; hier: „legte … dar“) zu übersetzen mit „legte … zur Beurteilung vor“ (so ebd., 64), entsprechendes gilt für Schliers Übersetzung von μή πως (hier: ob … etwa“) mit „in der Besorgnis, sonst …“. Seiner sprachlichen Begründung ebd., 66–68, stehen z.B. die Hinweise bei Vouga, HNT 10, 43f., entgegen. – Von dem für Paulus positiven Ausgang der Gespräche erfährt der Leser schon implizit auch durch das Präsens „verkündige“: Heute noch predigt Paulus dasselbe Evangelium, das er hier vorlegte. 127 Paulus könnte hier zugleich bestimmte Vorbehalte seiner Person gegenüber aufnehmen, v.a. wenn das „einst“ auch auf das anspielt, was Paulus „einst“ war und tat (vgl. 1,13.23). – Dass Gott die Person nicht „ansieht“, ist in V. 6 im Griechischen übrigens ein ganz anderer Ausdruck als die Rede von den „Angesehenen“ (πρόσωπον … οὐ λαμβάνει statt δοκοῦντες), hier liegt also keine grundsätzliche Kritik an der gemeindlichen Wertschätzung der „Säulen“ vor. 128 Vouga, HNT 10, 41; vgl. auch ebd., 43.46.49. 129 Schlier, KEK 7, 67. 130 Vgl. etwa Lührmann, ZBK.NT 7, 38; andere Interpretationsversuche listet Vouga, HNT 10, 47, auf. Paulus nennt Petrus jedenfalls überhaupt nur hier in V. 7f. (2x) „Petrus“, sonst stets „Kefas“ (1,18; 2,9.11.14; 1. Kor 1,12; 3,22; 9,5; 15,5). 126

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Das Tableau der die Handlung prägenden Personen ist noch zu ergänzen um eine dritte Gruppe:131 Neben der „Paulusgruppe“ und den „Angesehenen“ wird in V. 4f. eine Gruppe falscher Geschwister erwähnt, die offenbar nicht unter die in V. 9 feierlich erklärte Gemeinschaft fallen – sie sind „eingedrungen“ oder haben sich „eingeschlichen“, sie möchten die christliche „Freiheit ausspionieren“ und durch Sklaverei ersetzen (V. 4). Während sich Paulus mit den „Säulen“ vollumfänglich einig wird, gibt er diesen falschen Geschwistern gegenüber nicht einen Millimeter Boden preis, sondern verteidigt gegen ihre Vorstellungen „die Wahrheit des Evangeliums“ (V. 5). Implizit beansprucht er also eine Gemeinschaft mit den Jerusalemer Autoritäten gegenüber dieser Gruppe. Nach dieser ersten Sichtung der handelnden Personen kann die Handlung nun deutlicher erschlossen werden. Dabei fallen einige deutliche Schlaglichter auf den Charakter des paulinischen Evangeliums, die im bisherigen Schreiben kaum vorbereitet wurden. Es darf daher angenommen werden, dass diese Informationen für die galatischen Leserinnen und Leser nicht neu sind. Anders gesagt: Paulus schildert die Jerusalemer Gespräche als Gespräche eben über das, was im Blick auf das paulinische Evangelium in Galatien in Frage stand, zumindest sind sie deutlich offen für einen solchen Bezug.132 Dies wird nicht zuletzt durch ein auf den ersten Blick unauffälliges „euch“ deutlich: In V. 5 spricht Paulus erstmals seit 1,13 und abgesehen von dieser Einleitung zum einzigen Mal im gesamten biographischen Rückblick 1,13–2,21 die Galater direkt an. Dies gibt dem Vers schon von der Textpragmatik her ein gewaltiges Gewicht. Dazu fällt semantisch auf, dass eben hier erstmals die gewichtige Formulierung von der „Wahrheit des Evangeliums“ fällt (vgl. dann wieder 2,14) und dies im direkten Zusammenhang mit dem hier erstmals im Galaterbrief begegnenden Kernbegriff „Freiheit“ konnotiert ist (V. 4). Diese Häufung markanter Hinweise legt nahe, dass eben die Position, die Paulus in Auseinandersetzung mit den „falschen Geschwistern“ verteidigt hat, in Galatien zur Diskussion stand. Auffällig ist jedenfalls, dass diese 131

Diese Dreiteilung ist eine durchaus bewusste Fokussierung. Sie lässt die mögliche Differenzierung zwischen den „Angesehenen“ und den „Säulen“ (s.o.) ebenso außen vor wie deren Verhältnisbestimmung zur Rolle der ganzen Jerusalemer Gemeinde (V. 2: „ihnen“; vgl. dazu auch unten, Anm. 136); vgl. zu einer genaueren Differenzierung ebd., 41f. Deutlich ist in jedem Fall, dass die berichtete Handlung von den hier genannten drei Gruppen bzw. Positionen getragen wird. 132 Damit ist keine personale Identität zwischen den „falschen Geschwistern“ und den in Galatien tätigen Paulusgegnern behauptet, wohl aber die Annahme markiert, dass sich im Blick auf ihre theologische Position eine direkte Linie von jenen zu diesen ziehen lässt, die auch in personellen Beziehungen Ausdruck finden mag.

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„falschen Geschwister“ in V. 4 mit bestimmtem Artikel eingeführt werden, also offenbar bekannt sind. Dies ließe sich zwar auch so interpretieren, dass sie sich schon zuvor in Antiochia „eingeschlichen“ haben könnten (vgl. Apg 15,1?).133 Da Paulus solche Zusammenhänge aber hier mit keinem Wort andeutet, scheint die Annahme naheliegender, dass die Galater diese falschen Geschwister eben aus Galatien kennen – als diejenigen, „die euch verwirren und das Evangelium des Christus verkehren wollen“ (1,7). Worum geht es? V. 2 wiederholt zunächst, dass Paulus unter den Nichtjuden sein Evangelium verkündigt, was er schon in 1,16 als Folge seiner Berufung nannte. Es fällt auf, dass der Leitbegriff „Evangelium“, dessen Gewicht von 1,6–12 her klar ist, hier stets mit einem Bezug auf die nichtjüdischen Adressaten der paulinischen Verkündigung konnotiert ist (V. 2 „unter den Nichtjuden“, V. 5 „bei euch“ = den Galatern, V. 7 „Evangelium der Unbeschnittenheit“). Dieses Evangelium legt Paulus in Jerusalem den Angesehenen dar bzw. vor, offenbar um es prüfen zu lassen bzw. – wohl mehr im Sinne des Apostels formuliert: – um sich bestätigen zu lassen, dass er im Auftrag Gottes bzw. Christi handelt. Wäre dies nicht der Fall, ginge sein bisheriges Wirken ja ins Leere. Unmittelbar an diese Darstellung schließt Paulus die Information an, dass nicht einmal der Grieche Titus, den er mit nach Jerusalem genommen hatte, zur Beschneidung genötigt oder gezwungen wurde. Für heutige Leser kommt das überraschend: Was hat die Frage der Beschneidung plötzlich mit dem Evangelium des Paulus zu tun? Davon war bisher mit keiner Silbe die Rede. Und warum kann Paulus diesen Satz triumphierend gegen die Sorge, ins Leere gelaufen zu sein, setzen? Das „aber nicht einmal“ in V. 3 weist ja deutlich auf einen sachlichen Zusammenhang zur Darlegung des paulinischen Evangeliums. Der Schluss ist unausweichlich: Es ist ein wichtiges Detail der Evangeliumsverkündigung des Apostels unter den Nichtjuden, dass er ihnen die Zugehörigkeit zur Gemeinde ohne die Forderung der Beschneidung eröffnete – und es war wohl nicht zuletzt dieses Detail, das umstritten war und in Jerusalem besprochen werden sollte. Die Akzeptanz des unbeschnittenen Titus als Bruder im Glauben ist für Paulus daher der stärkste Beleg dafür, dass die Angesehenen in Jerusalem sein Evangelium anerkannten. Und an dieser Stelle folgen nun V. 4f., die wie gesehen durch ihre Begrifflichkeit („Freiheit“, „Wahrheit des Evangeliums“) und die direkte Anrede der Galater einen starken Ton tragen. Neben der Anerkennung durch die Angesehenen gab es offenbar in Gestalt der „falschen Geschwister“ andere Stimmen, die klare Forderungen erhoben – sonst wäre die Bemerkung, „nicht einen Augenblick unterwürfig 133

So z.B. Becker, NTD 8/1, 32.

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nachgegeben“ zu haben (V. 5), unverständlich. Der Kontext legt nahe, dass es hierbei um die Einhaltung der Beschneidung ging, und zwar nicht nur im Blick auf Titus, sondern auf alle Nichtjuden, die durch die Mission des Paulus zum Glauben an Jesus Christus gekommen waren oder noch kommen könnten („euch“ V. 5!)134. Nun ist spannend, das „wir“ in V. 4f. genauer zu bestimmen. Es könnte den Apostel oder ihn mit seinen Mitarbeitern Barnabas und Titus (als Vertreter der antiochenischen Gemeinde?) meinen,135 der Kontext eröffnet aber auch die Möglichkeit, hier bereits die später bekräftige Gemeinschaft der Paulusgruppe mit den Angesehenen zu sehen, wodurch Paulus dann auch deren Autorität gegen die Beschneidungsforderung aufbieten würde. Das „wir“ soll an dieser Stelle wohl zumindest dafür offen sein, d.h. das Verständnis zulassen, dass nicht nur Paulus, sondern auch „Jakobus und Kefas und Johannes“ (V. 9) gegen die „falschen Geschwister“ Position bezogen hätten.136 So oder so: In diesen beiden Versen blitzt etwas auf von der galatischen Kontroverse – und wohl auch von einem zentralen Argument der dortigen Paulusgegner, die sich auf höhere Weisung bzw. die Praxis angesehener Gemeindeführer in Jerusalem berufen haben dürften (das wird in 2,12f. nochmals deutlich). Dieses möchte Paulus ihnen entwinden, weshalb er seine Übereinstimmung mit Jerusalem deutlich betont. V. 6–10 hat dann ‚nur noch‘ zum Thema, wie diese Übereinstimmung genau aussah: Die Angesehenen haben Paulus „nichts auferlegt“, d.h. sie haben seine Evangeliumsverkündigung vollauf anerkannt und bestätigt. Dass dies auch den Verzicht auf die Beschneidung betrifft, dürfte die Formulierung „Evangelium der Unbeschnittenheit“ nicht zufällig betonen: Natürlich geht es hier wie auch im Gegenbegriff „Beschneidung“ primär um die Adressaten der Verkündigung,137 doch ist auch deren Inhalt mit im Blick, insofern die Be134 Ob das „euch“ bedeutet, dass die galatischen Gemeinden zur Zeit der Jerusalemer Unterredung schon existierten, ist im Zusammenhang der Frage nach deren Lokalisierung und nach der Zuverlässigkeit der Traditionen in Apg 13f. zu diskutieren; vgl. dazu unten B.2.b), 155ff. 135 Deutlich wäre das, wenn das „ausspionieren“ nach Apg 15,1 schon in Antiochia stattgefunden hätte, was aber (s.o.) von Gal 2 her nicht wirklich deutlich wird. 136 Anders läge der Fall, wenn Becker Recht hätte, dass V. 3–5 das Ergebnis einer Verhandlung vor der ganzen Gemeinde („ihnen“ V. 2) und V. 6–10 die davon unterschiedene Übereinkunft mit den Angesehenen berichtet; vgl. Becker, NTD 8/1, 32. Dies erscheint aber selbst dann nicht zwingend, wenn mit Vouga, HNT 10, 43, die Gespräche mit „ihnen“ und „den Angesehenen“ als „zwei Ereignisse“ unterschieden werden; vgl. ebd., 44, seinen Hinweis, dass beide genannten Gruppen (oder neutrisch das Verhandlungsergebnis) reales Subjekt der Passivformulierung in V. 3 sein könnten. Freilich ist das nur die grammatische Seite des Problems. Historisch dürfte die Feststellung von Schlier, KEK 7, 66, plausibel sein: „Diejenigen, die die Entscheidung zu treffen haben, sind nicht die Gesamtekklesia, sondern die δοκοῦντες“. 137 Vgl. z.B. ebd., 76, mit Verweis auf Parallelen wie Röm 2,26f.; 3,30; 4,9.

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grifflichkeit – zumal mit Blick auf den „Fall“ des Titus (V. 3) – impliziert, dass die Unbeschnittenen eben als Unbeschnittene in die Gemeinde aufgenommen werden.138 Dreimal betont Paulus in V. 7–9 in parallelen Formulierungen, dass sein Evangelium oder Apostolat sich an die Nichtjuden wendet, während Petrus (und die Jerusalemer) einen entsprechenden Auftrag an „der Beschneidung“ haben. V. 7–9 prägt damit deutlich ein, dass es hier eine einvernehmliche Absprache zwischen den Aposteln gab. Zugleich macht Paulus auch hier deutlich, dass sein Auftrag nicht von den Jerusalemer Angesehenen stammt, sondern direkt von Gott, wie das passivum divinum „anvertraut ist“ (V. 7; vgl. auch V. 9: „die Gnade …, die mir gegeben ist“) deutlich macht, zumal im Verbund mit dem Hinweis auf den, der in Petrus und Paulus „zum Apostelamt … wirksam war“ (V. 8): Was seine These 1,11f. behauptet, dass das Evangelium des Paulus von Gott selbst stammt, eben das haben die „Säulen“ erkannt und anerkannt. Und so folgt eine einvernehmliche Aufgabenteilung als Ergebnis gemeinschaftlicher Verabredung, wie V. 9 feierlich erklärt. Keine Auflagen wurden Paulus im Blick auf sein Evangelium gemacht – „nur“ an die Armen sollten Barnabas und er denken (V. 10). Letzteres ist wohl ein Hinweis auf die Kollekte für die wirtschaftlich schwache Jerusalemer Gemeinde,139 die Paulus in seinen Gemeinden mit großem Nachdruck betrieben hat (vgl. 1. Kor 16,1–4 (dort mit Bezug auf die galatischen Gemeinden); 2. Kor 8f.; Röm 15,25–28) und die letztlich eben diese Gemeinschaft im Glauben an Jesus Christus dokumentieren sollte. 2,11–21 Die Bewährung des paulinischen Evangeliums im Konflikt 11

Als aber Kefas nach Antiochia kam, trat ich ihm persönlich entgegen, weil er sich ins Unrecht gesetzt hatte. 12 Bevor nämlich einige von Jakobus kamen, aß er zusammen mit den Nichtjuden. Als sie aber kamen, zog er sich zurück und sonderte sich ab – fürchtend die aus der Beschneidung. 13 Und mit ihm zusammen heuchelten auch die übrigen Juden, so dass auch Barnabas sich mitreißen ließ durch ihre Heuchelei. 138

Insofern ist eine Übersetzung mit „Evangelium für die Unbeschnittenen“ (so z.B. ebd., 73) zwar im Deutschen gefälliger, in gewissem Sinne aber zugleich inhaltlich unpräziser. 139 Ebd., 80, erwägt unter Verweis auf andere paulinische Aussagen zur Kollekte, in denen die Jerusalemer etwa als ἅγιοι bezeichnet werden, dass es sich auch um eine Übernahme des „messianische[n] Ehrenname[ns] der ‫ “אֶ ְבי נִ ים‬handeln könne.

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Aber als ich sah, dass sie nicht recht wandelten gemäß der Wahrheit des Evangeliums, sagte ich zu Kefas vor allen: Wenn du, der du ein Jude bist, nichtjüdisch und nicht jüdisch lebst, mit welchem Recht nötigst du die Nichtjuden, zu judaisieren? 15 Wir (sind) von Natur Juden und nicht Sünder aus den Nichtjuden. 16 Weil wir aber wissen, dass ein Mensch nicht gerecht wird aus Werken des Gesetzes, es sei denn durch Glauben an Jesus Christus, sind auch wir zum Glauben an Christus Jesus gekommen, damit wir gerecht werden aus Glauben an Christus und nicht aus Werken des Gesetzes, denn: aus Werken des Gesetzes „wird kein Fleisch gerecht“ [Ps 143,2]. 17 Wenn wir aber, suchend, in Christus gerecht zu werden, auch selbst als Sünder erkennbar werden, ist dann Christus ein Diener der Sünde? Gewiss nicht! 18 Wenn ich nämlich, was ich abgebrochen habe, wiederum aufbaue, mache ich mich selbst zu einem Übertreter. 19 Ich bin nämlich durch das Gesetz dem Gesetz gestorben, damit ich Gott lebe. Ich bin mitgekreuzigt zusammen mit Christus: 20 So lebe nicht mehr ich, es lebt aber in mir Christus. Was ich aber jetzt lebe im Fleisch, im Glauben lebe ich an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich selbst dahingegeben hat für mich. 21 Nicht erkläre ich die Gnade Gottes für ungültig. Wenn nämlich durch das Gesetz Gerechtigkeit (kommt), dann ist Christus umsonst gestorben. Textliche und sprachliche Bemerkungen: V. 11: „persönlich“ (κατὰ πρόσωπον) meint wörtlich „ins Angesicht“. Der Ausdruck κατεγνωσμένος ἦν, hier „sich ins Unrecht gesetzt hatte“ (andere übersetzen „sich schuldig gemacht hatte“), impliziert, dass Kefas seines Unrechts überführt war: „er war gerichtet (durch sein Verhalten od. die öffentliche Meinung …)“ (Bauer, Wörterbuch, s. v. (καταγινώσκω), Sp. 832.). V. 13: „sich mitreißen ließ“ kann auch „mit fortgerissen wurde“ übersetzt werden. V. 14: „recht wandeln gemäß …“ ist ein Versuch, das griechische ὀρθοποδοῦσιν wiederzugeben; andere übersetzen etwa „geradewegs … folgen“ oder „den geraden Weg im Blick auf … gehen“. „Judaisieren“ gibt das Verb ἰουδαΐζειν nahe an der griechischen Sprachgestalt wieder, damit dessen Verwandtschaft zum Substantiv „Judaismus“/Ἰουδαϊσμός (1,13f.) erkennbar wird (vgl. den Exkurs oben, 38ff.). Das

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mit „nötigen“ übersetzte Verb (ἀναγκάζω) ist dasselbe wie in 2,3; denkbar ist auch die Übersetzung „zwingen“. V. 15f.: Die meisten Kommentare lesen diese Verse als einen Satz (etwa: „Wir, von Natur …, aber wissend, dass …, auch wir sind zum Glauben …“), doch gibt es auch sprachliche Argumente dafür, V. 15 als separaten (Nominal-)Satz zu lesen, vgl. Eckstein, Verheißung, 6f. V. 16: „es sei denn“ (ἐὰν μή) wird z.T. glatter (und inhaltlich glättend?) mit „sondern“ oder auch „sondern nur“ wiedergegeben. Zum Psalmzitat vgl. die Auslegung. V. 20: „So lebe nicht mehr ich“ als Übersetzung von ζῶ δὲ οὐκέτι ἐγώ folgt der Einsicht von Eckstein (ders., Verheißung, 70), dass in V. 20a das „Prädikat (ζῶ/ζῇ) … jeweils betont an die erste und das Subjekt (ἐγώ/Χριστός) kontrastierend an die letzte Stelle gesetzt“ ist; vgl. auch Becker, NTD 8/1, 37, und Vouga, HNT 10, 51. V. 21: Das hier mit „für ungültig erklären“ übersetzte Verb (ἀθετεῖν) wird in Kommentaren auch mit z.B. „außer Kraft/Geltung setzen“, „aufheben“ oder „beseitigen“ wiedergegeben.

Paulus setzt seinen biographischen Rückblick mit einer letzten Station fort: „Antiochia“ (V. 11). Die syrische Provinzhauptstadt Antiochia am Orontes war in der Spätantike die drittgrößte Stadt und zählte über eine halbe Million Einwohner,140 so dass nicht verwunderlich ist, dass aus diesem zweiten Zentrum des frühen Christentums neben und nach dem eher kleinstädtischen Jerusalem wichtige Impulse ausgehen – die Apostelgeschichte verortet hier z.B. den Beginn der planmäßigen Mission unter Nichtjuden (Apg 11,20f.) und die Entstehung der Selbstbezeichnung „Christen“ (Χριστιανοί; Apg 11,26) und verbindet nicht zuletzt die frühe Wirksamkeit des Paulus (ab Apg 11,25) eng mit dieser Gemeinde, in deren Auftrag Barnabas und er u.a. auf Missionsreise in den Süden der galatischen Provinz gegangen seien (Apg 13f.).141 Von dieser Verbindung des Apostels zu Antiochia hat der Galaterbrief bisher nichts erwähnt,142 d.h. Paulus kann dies bei den Galatern als bekannt voraussetzen und/oder er will es nicht betonen, evtl. gerade wegen der geschilderten Kontroverse und ihren Folgen.143 Wann sich diese Episode zutrug, wird nicht ganz klar; deutlich ist nur, dass sie chronologisch nach der Einigung in Jerusalem einzusortieren ist.144 Die beschriebene Szene setzt voraus, 140

Vgl. Pilhofer, Testament, 112f., auch 113 Anm. 4. Die Historizität dieser Reise ist ebenso umstritten wie die Beziehung des Galaterbriefs auf die in diesem Zusammenhang gegründeten Gemeinden – vgl. zu diesen Fragen unten B.2.b), 155ff. 142 Sofern Apg 15,2 eine zutreffende historische Erinnerung bewahrt, hat Paulus in Gal 2,1f. die Rolle der Gemeinde in Antiochia sogar deutlich heruntergespielt. 143 Es ist zwar denkbar, dass die antiochenische Gemeinde in der galatischen Kontroverse zur Partei der Pauluskritiker gehört, doch spricht die intensive Auseinandersetzung des Briefs mit Jerusalem jedenfalls nicht dafür, dass Antiochia hier alleine aktiv geworden wäre. 144 Dafür spricht neben der sonstigen chronologischen Anordnung des Rückblicks auch die Sachlogik: Paulus hätte sicher nicht erst die Einigung u.a. mit Kefas und 141

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dass Paulus und auch Barnabas (V. 13) in Antiochia waren, als Kefas dorthin „kam“ (V. 11). Kefas und Paulus sind die Hauptpersonen der in V. 11–14 beschriebenen Handlung, die von der summarischen Beschreibung der Konfrontation in V. 11 und deren Schilderung in V. 14 gerahmt ist (mit dem paulinischen „ich“ als Subjekt der Hauptsätze); V. 12+13 dazwischen schildern den Anlass für die öffentliche Kritik des Paulus an Kefas (V. 12 ist „er“ Subjekt, V. 13 die von „ihm“ beeinflussten „übrigen Juden“ und „auch Barnabas“), evtl. als „Rückblende“ auf ein Geschehen ohne Anwesenheit des Paulus.145 Kefas pflegte zunächst Tischgemeinschaft mit der gesamten Gemeinde in Antiochia, die aus Juden- und Heidenchristen bestand: Er „aß“ mit den Nichtjuden. Das hier verwendete griechische Imperfekt betont die Dauer einer Handlung, es geht also um ein regelmäßiges Miteinander. Dies spricht dafür, dass hier nicht von gelegentlichen Privateinladungen, sondern von der Mahlgemeinschaft im Rahmen des Gottesdienstes die Rede ist, doch ist wohl kaum zu entscheiden, ob Paulus (auch) die Feier des Herrenmahls oder (nur) das damit verbundene Sättigungsmahl meint.146 Jedenfalls wird diese Praxis der Tischgemeinschaft von Juden und Nichtjuden zum Problem, als „einige von Jakobus“ kamen – nicht ganz klar wird, ob damit nur die Herkunft oder auch ein bestimmter Auftrag markiert ist –, die befanden, dass sie so die jüdischen Speisegebote nicht einhalten könnten. Man fand die einfache Lösung, dass es nun besondere Speisen für diese Judenchristen gab. Der Anstoß für Paulus entsteht daraus, dass Kefas sich nun auch an diesen Judenchristentisch setzt und die übrigen Judenchristen Antiochias und gar noch der paulinische Weggefährte Barnabas diesem Beispiel folgen. Dies empfindet Paulus als „Heuchelei“ (V. 13), weil dieselben Judenchristen zuvor kein Problem in einer Tischgemeinschaft mit Heidenchristen gesehen hatten, und erklärt das Verhalten mit Furcht vor den Jakobusleuten (V. 12). Dennoch erscheint sein Vorwurf, Kefas „nötige“ die Heidenchristen zu „judaisieren“ (V. 14), auf den ersten Blick etwas hoch gegriffen: Niemand hat doch von ihnen verlangt, nach den jüdischen Speisegeboten zu leben?147 Wenn Paulus sich zudem zur Begründung seines Jakobus und dann den Streit mit ihnen bzw. ihren Parteigängern berichtet, wenn die Einigung faktisch diesen Streit gelöst hätte. Zur Diskussion der Datierung vgl. unten B.2.d), besonders 181ff. 145 Konradt, Datierung, 29; vgl. zu seiner damit verbundenen Datierung des Konflikts unten, 182f. 146 So z.B. Vouga, HNT 10, 53: „Unentscheidbar“. Für die Deutung auf das Herrenmahl plädiert etwa Schlier, KEK 7, 83f.; dagegen verweist Mußner, HThKNT IX, 138 Anm. 19, mit Kittel darauf, dass die Tischgemeinschaft von den jüdischen Speisegeboten her v.a. dann problematisch ist, wenn die Mahlzeit auch Fleisch umfasst. 147 Koch, Geschichte, 240, vermutet einen solchen Zwang: „Die Lösung des Problems bestand vermutlich darin, dass bei den Gemeindezusammenkünften die jüdi-

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Vorwurfs gar auf die „Wahrheit des Evangeliums“ beruft, dann ist nach seiner Überzeugung die Zusammengehörigkeit der Gemeinde ein Grundsatz von höchster Geltung.148 War das Evangelium im vorigen Abschnitt stets deutlich auf die nichtjüdischen Adressaten der paulinischen Mission bezogen, so sagt es ihnen eben auch: Ihr gehört dazu, seid ein vollgültiger Teil der Gemeinde. Eine Zweiklassengesellschaft bei Tisch verträgt sich nach der Überzeugung des Apostels damit nicht, d.h. die Wahrheit des Evangeliums erfordert eine volle, uneingeschränkte Gemeinschaft. Nachdem dies zunächst problemlos unter Verzicht auf die Einhaltung aller Speisegebote möglich war – Kefas hatte wie die anderen Judenchristen Antiochias in dieser Hinsicht faktisch „nichtjüdisch“ gelebt (V. 14) –, sieht Paulus gar nicht ein, dass nun die Heidenchristen sich für ein jüdisches Leben entscheiden müssten, um weiterhin vollgültig Teil dieser Gemeinschaft zu sein. Das ist die „Nötigung“: Der Apostel verwendet hier dasselbe Verb wie in seiner Feststellung 2,3, dass Titus nicht zur Beschneidung genötigt worden wäre. Dieser Konnex und die Charakterisierung der Jakobusleute in V. 12 als „die aus der Beschneidung“ legen nahe, dass diese beiden Fragen in der galatischen Kontroverse miteinander verbunden waren,149 anders gesagt: Die Frage ist, ob ein Nichtjude, der zum Glauben an Jesus Christus kommt, als Jude leben muss. Paulus selbst hatte sich vor seiner Berufung für einen so verstandenen „Judaismus“ im Gegensatz zu einer hellenisierenden, weltoffenen Interpretation des Judentums eingesetzt (1,13f.) – nun ist er ein kompromissloser Gegner jeder Forderung eines solchen „Judaisierens“. Und eben diese Kompromisslosigkeit, die schon den Beginn des Galaterbriefs prägte (vgl. 1,6ff.), zeigt er nun auch hier. Die beiden Streitfragen in Jerusalem und Antiochia unterscheiden sich aber in einem gewichtigen Punkt. Auf dem Apostelkonvent wurde entschieden, dass Nichtjuden in die Gemeinde aufgenommen werden könnten, ohne dass sie dafür Juden werden müssten, also ohne sich beschneiden zu lassen und die Speisegebote einzuhalten. In Antiochia entstand nun umgekehrt aus der Einsicht in die gemeindliche Zusammengehörigkeit von Juden- und Heidenchristen eine Anpasschen Speisevorschriften für alle Teilnehmer zur Anwendung kamen.“ Wie aber könnte das kontrolliert erfolgen, wenn – und hier hat Koch sicher Recht – „jeder Teilnehmer aus seiner häuslichen Küche etwas zum Mahl beisteuerte“ (ebd., 239)? Plausibel wäre aber, dass in dieser Situation ein Kompromiss gefunden wurde, wie ihn die Bestimmungen des sog. Aposteldekrets nach Apg 15,23–29 beschreiben; vgl. Wolter, Paulus (2011), 46f. 148 Nicht zufällig verwenden V. 12+13 gleich drei Verbkomposita mit συν–, also „mit, zusammen“ (zusammen essen, zusammen heucheln, sich mitreißen lassen). 149 Diese Konnotation kann das Verb für die galatischen Adressaten auch dann haben, wenn es in Antiochia nur um die Speisegebote gegangen ist, wie z.B. Söding, Rechtfertigungstheologie, 1012, meint.

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sung der Judenchristen an die Nichtjuden. Paulus hielt es für richtig, dass auch die Judenchristen sich nicht (mehr) an die Speisegebote gebunden fühlen. Der Widerspruch der Jakobusleute und die „Heuchelei“ der Antiochener Judenchristen ist damit nicht ein Rückfall hinter die Jerusalemer Vereinbarung, vielmehr lässt sich das ganze so interpretieren, dass sie wie die Heidenchristen auch als Judenchristen ihre Identität frei von Anpassungsdruck wahren möchten.150 Freilich ist auch zu beachten, dass Paulus nach seinem Bericht nicht das Verhalten der Jakobusleute kritisiert, sondern diejenigen angeht, die vor deren Kommen zugunsten der Gemeinschaft auf Aspekte dieser Identität verzichtet hatten. Dennoch ist auf den ersten Blick nicht verwunderlich, dass Paulus sich hier nun offenbar nicht durchsetzen kann (er hätte das sonst gewiss berichtet!). Mit der Frage des Paulus in V. 14 könnte der Bericht über den Vorfall in Antiochia abgeschlossen sein – man hätte zwar gerne noch genauer verstanden, warum der Apostel so grundsätzlich wird und was er mit der „Wahrheit des Evangeliums“ genau meint, aber was passiert ist, wird klar. Wenn Paulus seine Stellungnahme nun noch weiter vertieft, ist nicht ganz deutlich, ob es dabei noch um Erinnerungen an das damalige Gespräch mit Kefas geht oder ob er die Grundsatzfragen im Blick auf die – in 3,1 dann direkt angesprochenen – Galater weiter ausführt und begründet. Am ehesten ist wohl beides nebeneinander festzuhalten, d.h. der paulinische Bericht ist „schon von V. 15 an im Hinblick auf die galatische Situation formuliert – und zwar bis V. 21 als Rede an Petrus“.151 Auf der Ebene des Briefs ist in jedem Fall deutlich, dass hier ein Kulminationspunkt erreicht wird: Zum Abschluss der biographischen Erinnerungen zieht Paulus eine theologische Summe, die vieles, was bisher implizit vorausgesetzt war, in klare Thesen fasst – Thesen, die im folgenden zweiten Hauptteil dann in mehreren Argumentationsgängen begründet und dabei zugleich untermauert und präzisiert werden. Für die Auslegung ist es trotz der bestehenden sachlichen Verknüpfungen sinnvoll, zwei Abschnitte zu unterscheiden: V. 15–17 ist bezogen auf ein „wir“, in dem Paulus den angesprochenen Kefas und sich zusammen sieht, und betont, dass allein aufgrund des Glaubens an Jesus Christus – und nicht aufgrund von Werken des Gesetzes – Menschen vor Gott gerecht werden. V. 18–21 mit dem Subjekt „ich“ bietet dann eine weitere Erklärung der Bedeutung des Christusgeschehens, nicht zuletzt des Kreuzes Christi, für das neue Leben der Glaubenden.

150 151

Vgl. Wolter, Paulus (2011), 45f.; Söding, Rechtfertigungstheologie, 1011–1013. So Eckstein, Verheißung, 4.

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Im Abschnitt V. 15–17 liegt ein deutliches Gewicht auf V. 16, dessen Grundsätzlichkeit schon durch die je dreimalige Wiederholung der beiden gegenüberstehenden Größen „Werke des Gesetzes“ und „Glaube an Jesus Christus“ markiert ist. Gerahmt ist dies von Überlegungen zum Verhältnis von Juden und Nichtjuden unter der Fragestellung, inwiefern diese Gruppen in einer bestimmten Weise als „Sünder“ zu bezeichnen sind. Dabei wird V. 15 sicher nicht meinen, dass Juden grundsätzlich nie Sünder seien. Plausibel wird der Satz jedoch unter Bezug auf solche Gebote, die die Lebensführung der Juden von den Nichtjuden unterscheiden (und auch schon in den vorigen Versen im Blick waren): Wer nicht beschnitten ist und sich nicht an jüdische Speisegebote hält, ist im Blick auf diese Forderungen des Gesetzes quasi „von Natur … Sünder“. Mit diesem Verständnis des Begriffs erschließt sich auf dem Hintergrund des antiochenischen Zwischenfalls auch V. 17: Hatten Judenchristen um der Gemeinschaft der Christusgläubigen willen auf die Einhaltung der Speisegebote verzichtet, sind sie in eben dieser konkreten Hinsicht „auch selbst als Sünder erkennbar“ geworden.152 Kann das aber heißen, dass der Glaube an Christus die Sünde fördert, dieser also „ein Diener der Sünde“ (V. 17) ist? Diese Frage kann für Paulus – das zeigt schon seine Positionierung im antiochenischen Konflikt – nur die Antwort finden, dass im Glauben an Christus diese Juden und Nichtjuden trennenden Forderungen des Gesetzes überwunden sind. Das aber heißt dann, dass er selbst nicht (mehr) für richtig hält, was er in V. 15 sagt – er macht dort also ein rhetorisches Zugeständnis an Kefas (bzw. die Jakobusleute und/oder die Gegner in Galatien?), um dieses Argument den Gegnern im Folgenden entwinden zu können.153 Dies leistet der Kernsatz V. 16, nach dem das Gerechtwerden eben nicht aufgrund dieser Ausgangslage („von Natur“ V. 15) erlangt wird, sondern durch ein „Wissen“ und eine diesem Wissen folgende Neuorientierung („sind zum Glauben … gekommen“154). Die grundlegende Einsicht, dass Menschen nicht aus „Werken des Gesetzes“ gerecht werden, sondern durch den „Glauben an Jesus Christus“, bestimmt und prägt durch die je dreifache Nennung beider Glieder dieser Opposition die Satzkonstruktion: Zunächst wird im einleitenden Kausalsatz die komplette Opposition genannt, der Hauptsatz markiert dann 152

Z.B. Lietzmann, HNT 10, 14, versteht den ersten Teil von V. 17 als Irrealis. Ein solches Verständnis erweist jedoch Oepke, ThHKNT IX, 92, unter Verweis auf das folgende μὴ γένοιτο als unwahrscheinlich; vgl. auch Eckstein, Verheißung, 33–35. 153 Vgl. ebd., 7: Wir haben es „mit der der Parteien-Dialektik zuzuordnenden Figur der concessio zu tun“; vgl. weiter ebd., 7–9. 154 Der griechische Aorist ἐπιστεύσαμεν ist hier ingressiv übersetzt, d.h. „die Handlung ist als Moment gedacht“ und der „Anfangs[…]punkt hervorgehoben“ (Blass/Debrunner/Rehkopf, Grammatik, § 318.1).

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die Position beim Glauben, die nochmals in einem Finalsatz unterstützt wird, der wiederum die komplette Opposition zitiert, bevor eine abschließende Begründung die Ablehnung der Gegenposition noch unter Anführung von Ps 143,2 untermauert.155 Fangen wir dort an: „Und geh nicht ins Gericht mit deinem Knecht, denn vor dir wird kein Lebender gerecht.“ So lautet die Septuagintafassung des Verses,156 an die sich Paulus anlehnt. Sie ist zunächst hilfreich für die Klärung der Frage, was das zentrale Verb von V. 16 „gerecht werden“ bedeutet: Es handelt sich um ein Bestehen im Gericht, also ein „für gerecht befunden werden“ – oder letztlich, da nach dem Psalm ohnehin kein Mensch vor Gottes Richterstuhl bestehen kann, um ein von Gott „angenommen werden“. Gerechtigkeit ist also ein Gemeinschaftsbegriff und bezeichnet zunächst die Gemeinschaft von Gott und Mensch, muss aber selbstverständlich auch Auswirkungen haben auf die Gemeinschaft der von Gott Angenommenen untereinander. Oder wie Paulus wohl sagen könnte: Die „Wahrheit des Evangeliums“ (2,5.14) als die Botschaft von der Gnade Gottes (vgl. 1,6) erfordert eine solche Gemeinschaft der Begnadeten. Das ist der Streitpunkt in Antiochia gewesen – und das ist der Grund dafür, dass Paulus von hier aus auf die grundlegende Frage kommt, was die Basis der Gemeinschaft Gottes mit den Menschen ist, also: wie ein Mensch vor Gott „gerecht wird“. Im Zitat des Paulus fallen sodann ein paar Abweichungen vom Psalmvers auf. So ändert er „Lebender“ in „Fleisch“ (σάρξ) – wohl nicht zuletzt deshalb, weil er den Begriff „Leben“ im Folgenden im Sinn des in Christus erneuerten Lebens verwendet und das Leben „im Fleisch“ also vom Glauben her neu qualifiziert (vgl. V. 20), vielleicht aber auch, um damit zugleich die Bedeutung von Beschneidung und Speisegeboten zu relativieren, die auf das „Fleisch“, also die vergängliche Leiblichkeit bezogen sind. Gewichtiger ist eine andere Änderung:157 Die Hinzufügung „aus Werken des Gesetzes“, die für das 155

Dieser Schriftbezug sollte angesichts der im Folgenden dargestellten sprachlichen Einpassung des Verses eher nicht als „Zitat“ bezeichnet werden; treffender ließe sich z.B. von einer „paulinischen Schriftauslegung“ (Betz, Galaterbrief, 221) – oder gar von einer „theologischen Lehraussage“ (ebd., 222)? – sprechen. Dass deren Autorität aber nun nicht allein auf der paulinischen „Gottesoffenbarung“ (Vouga, HNT 10, 59), sondern zugleich auf der in ihrem Lichte verstandenen Psalmstelle fußt, kann kaum ernsthaft bezweifelt werden (vgl. dazu auch unten, Anm. 157). 156 Griechisch: καὶ μὴ εἰσέλθῃς εἰς κρίσιν μετὰ τοῦ δούλου σου, ὅτι οὐ δικαιωθήσεται ἐνώπιόν σου πᾶς ζῶν. Obige Übersetzung ist angelehnt an Septuaginta deutsch, Ps 142,2 [abweichende Psalmzählung]; das dortige „gerechtfertigt werden“ wurde in „gerecht werden“ geändert, um die Vergleichbarkeit mit meiner Übersetzung von Gal 2,16f. zu verbessern (dort steht das identische Verb δικαιοῦσθαι). 157 Vernachlässigen lässt sich hingegen die Auslassung des „vor dir“/ἐνώπιόν σου – dieser Bezug ist für Paulus mit dem Verb δικαιοῦσθαι bereits gesetzt. Die Parallele

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Argument des Paulus hier ja erforderlich ist. Wenn auch dies in dem Psalmwort gefunden werden soll, wäre es in dem Gedanken des ersten Halbverses zu suchen, in der Bitte, dass Gott mit seinem Knecht nicht ins Gericht gehen möge. Sind also alle möglichen Werke des Gesetzes gemeint, mithin alles, was Gott in seinem Gebot von den Menschen erfordert? In diesem Sinne hat unter anderem die reformatorische Rechtfertigungslehre das Gegenüber von Werken und Glauben verstanden. Einige Exegeten bestreiten aber diese Sicht und plädieren dafür, den Ausdruck „Werke des Gesetzes“ präzise auf die bisher und auch im unmittelbaren Kontext V. 15+17 greifbaren Streitpunkte der Beschneidung und der Einhaltung der Speisegebote zu beziehen. In diesem Fall würde V. 16 zunächst „nur“ den in V. 15 behaupteten Vorrang der Juden zurückweisen bzw. ihn angesichts des Christusgeschehens relativieren, der Vers wäre aber keine grundsätzliche Aussage zum Gesetz und Gesetzesgehorsam. Diese Frage steht im Horizont der wohl gewichtigsten theologischen Debatte der Paulusforschung der letzten Jahrzehnte. Bevor die Auslegung des Textes weiter bedacht wird, soll daher dieser Hintergrund skizziert werden. Exkurs: Die sogenannte „New Perspective on Paul“ Die Tragweite der hier diskutierten Problematik erhellt z.B. aus der Opposition in einem Buchtitel wie „Lutherische und neue Paulusperspektive“:158 Nicht wenige Vertreter der „New Perspective on Paul“159 sind in der Tat der Meinung, dass der Apostel nur durch ein Missverständnis seiner Theologie zum Kronzeugen der reformatorischen Rechtfertigungslehre werden konnte und fordern geradezu eine „Entlutherisierung Pauli“.160 In aller Regel ist mit diesen Neubestimmungen eine Relativierung der Rechtfertigungslehre verbunden: Sie wird nicht (wie bei den Reformatoren) als Kern der paulinischen Theologie verstanden, sondern gilt als ein „Nebenkrater“.161 Diese Röm 3,20 untermauert mit dem dort begegnenden ἐνώπιον αὐτοῦ zudem, dass wohl wirklich Ps 143,2 auch in Gal 2,16 im Blick ist. 158 Bachmann, Paulusperspektive. 159 Diesen Oberbegriff für die im Einzelnen breit gefächerte Entwicklung prägte James D. G. Dunn 1982 durch den Titel seiner Manson Memorial Lecture in Manchester (veröffentlicht unter demselben Titel 1983: Dunn, Perspective; eine Zusammenfassung bei Haacker, Verdienste, 1–4). Zum Begriff vgl. auch unten, Anm. 188. 160 So Schoeps schon 1959, zit. nach Strecker, Paulus, 15 Anm. 4; Schoeps stelle sich damit in die von Wrede (nach Watson schon von Baur) ausgehende Diskussionslinie (vgl. dazu unten, Anm. 161). 161 So die häufig zitierte Einschätzung von Schweitzer, Mystik, 220: „Die Lehre von der Gerechtigkeit aus dem Glauben ist also ein Nebenkrater, der sich im Hauptkrater der Erlösungslehre der Mystik des Seins in Christo bildet.“ Fast noch stärker ebd., 215: „Indem man die Lehre von der Gerechtigkeit aus dem Glauben zum Ausgangspunkt nahm, machte man sich das Verständnis der paulinischen Gedankenwelt un-

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Konstellation wird in humorvoller, zugleich aber eindringlicher Weise von Westerholm in der „Whimsical Introduction“ seiner Darstellung „Perspectives Old and New on Paul“ pointiert: Er spielt den Gedanken durch, dass „Martin Luther himself“ den Autor und einen Freund in einem zeitgenössischen Buchladen mit der Frage „What’s new on Paul“ um Hilfe bittet.162 Während Westerholm verzweifelt sucht, ob irgendwo noch ein Klassiker der Paulusforschung zu finden ist, preist sein Freund, der den Reformator offenbar nicht erkennt, ein Werk der New Perspective nach dem anderen an – zunächst als Einführung Sanders, aus dessen Büchlein „Paulus“ Luther stirnrunzelnd erfährt: „Martin Luther, dessen Einfluss auf spätere Interpreten enorm war, stellte Paulus’ Aussagen in den Mittelpunkt seiner eigenen, gänzlich anderen Theologie.“163 Luthers These, dass Paulus mit „Gerechtigkeit aus dem Glauben“ meine, dass ein Christ von Gott gerecht gesprochen werde, obwohl er Sünder sei, erkläre sich aus den Fragestellungen, die Luther umgetrieben hätten. Das Thema des Apostels sei aber „nicht: ‚Wie kann der einzelne Mensch aus der Sicht Gottes gerecht sein?’, sondern vielmehr: ‚Wie ist es möglich, dass die Heiden in den letzten Tagen ins Volk Gottes aufgenommen werden?’“164 Und nachdem Westerholms Freund dem Reformator freundlich erklärt hat, dass Luther doch im Ernst gedacht habe, Paulus sei der Meinung gewesen, allein der Glaube ohne Werke mache einen Menschen zum Christen, liest er u.a. noch diesen Satz aus Sanders’ Paulus-Büchlein: „Christen sollten ein moralisch untadeliges Leben führen. Die Vorstellung einer fiktiven, zugeschriebenen Gerechtigkeit kam ihm [sc. Paulus] nicht in den Sinn; wäre es so gewesen, hätte er gegen sie gewettert.“165 Als Luther auf Nachfrage erfährt, dass „unmöglich [!].“ Schon vor ihm (1904) schreibt Wrede, Paulus, 67: Die Reformation betrachtete die Rechtfertigungslehre als den Zentralpunkt bei Paulus. „Sie ist es aber nicht. Man kann in der Tat das Ganze [!] der paulinischen Religion darstellen, ohne überhaupt von ihr Notiz zu nehmen, es sei denn in der Erwähnung des Gesetzes“. 162 Westerholm, Perspectives, xiii–xix. Im Folgenden wird die instruktive Szene xiii–xvi nebst einigen der dort verwendeten Zitate (bei Sanders auf die deutschsprachige Ausgabe umgestellt) skizziert. 163 Sanders, Paulus (2009), 73. In Auseinandersetzung mit solchen Spitzenaussagen fragt Härle, Paulus, mit Recht, ob bzw. inwieweit Sanders seinerseits die Theologie des Reformators verzeichnet. Diese Frage ist für das Verständnis der Theologie Luthers sehr bedeutsam (und liegt in mancher Hinsicht auf der Linie der Bonhoefferschen Kritik einer „billigen Gnade“, die in der Wirkungsgeschichte der Reformation als angebliche Meinung Luthers verkauft wurde; vgl. Bonhoeffer, Nachfolge, 33–40), ich vermag aber nicht zu erkennen, dass der Beitrag von Härle die im Folgenden diskutierten gewichtigen Unterschiede zwischen Paulus und Luther in ihrer jeweiligen Frageperspektive entkräften könnte. 164 Sanders, Paulus (2009), 74. 165 Ebd., 104; vgl. noch 152: „Luther folgend übersahen viele Forscher Paulus’ Perfektionismus“.

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derstatement“ die Sache eines Texaners nicht sei, fragt er nach einem moderateren Werk, und der Freund bietet ihm eine Schrift des Briten James D. G. Dunn an, die ihn belehrt, dass er, Luther, sich geirrt habe nicht nur in der Annahme, dass Paulus dieselben Gewissensnöte und kämpfe gehabt habe wie er, sondern auch in der Gleichsetzung des Katholizismus des 16. Jahrhunderts mit dem Judentum der Zeit des Paulus: Der Kampf des Apostels aber habe sich gegen jüdischen „exclusivism“, nicht gegen „legalism“ gerichtet.166 Luthers theologische Einsicht sei zwar „true and of lasting importance. But it is not quite what Paul was saying.“167 Nach einem Blick in ein drittes Werk – der zunehmend verzweifelte Luther hatte nach einem Buch eines Predigers des Wortes gefragt –, das ins selbe Horn bläst, wendet sich der Reformator dem Regal mit Selbsthilfeliteratur zu und Westerholm notiert als historische Tragik, dass Luther mit diesen Fragen nicht 30 bzw. (rechnen wir das Alter des Westerholmschen Buchs hinzu:) 40 Jahre früher in den Buchladen gekommen sei: „How different, how positively Protestantic, the Pauline shelves … looked then!“168 Die kurze Szene weist mit ihrer pointierten Konfrontation auf die theologische Sprengkraft der Debatte, die durchaus Einfluss auf ihren Verlauf hatte. Horn stellt z.B. dar, wie sich Ernst Käsemann 1965/66 in Vorträgen als einer der ersten deutschen Theologen mit den Thesen von Krister Stendahl auseinandersetzt – Stendahl, Sanders und Dunn gelten gemeinhin als Hauptvertreter der New Perspective, wobei Stendahls Aufsatz „The Apostle Paul and the Introspective Conscience of the West“169 im Jahr 1963 der erste Anstoß hierzu war. Stendahl beobachtete hinsichtlich des Sündenbewusstseins „einen drastischen Unterschied zwischen Luther und Paulus“: Paulus habe ein „robustes“ Gewissen gehabt und habe seine Lebensführung als untadelig angesehen.170 Ein tief in einem introspektiven Gewissen verankertes Bewusstsein des eigenen Sünderseins sei hingegen erst im Gefolge der Theologie Augustins entstanden, durch die Bußpraxis im Mittelalter verstärkt worden und habe schließlich seinen „Höhepunkt im Bußkampf eines Augustiner-Mönchs, Martin Luther, und seiner Paulusinterpretation“ erreicht.171 Noch vor einer sachlichen Entgegnung stellt Käsemann fest, „daß der Protestantismus … der 166

Dunn/Suggate, Justice, 25. Ebd., 27. 168 Westerholm, Perspectives, xvi. 169 HThR 56 (1963), 199–215; dt. Stendahl, Apostel. 170 Beide Zitate ebd., 20, wo er u.a. auf Phil 3,6 verweist. Vgl. ebd., 27: „Der Ton in Apg 23,1: ‚Brüder, ich habe bis zu diesem Tag vor Gott mit allem guten Gewissen mein Leben geführt‘ … herrscht auch in seinen Briefen“, wofür Stendahl Röm 9,1; 2. Kor 1,12; 5,9–11 und 1. Kor 4,4 anführt. 171 Ebd., 23; vgl. 21–23. 167

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Reformation nicht mehr zustimmt“,172 und erhöht das Gewicht dieses Vorwurfs enorm durch die Feststellung, dass die Wiederentdeckung der reformatorischen Rechtfertigungslehre das entscheidende theologische Argument in der Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Ideologie gewesen sei.173 Horn meint, dass diese „theologisch hoch aufgeladene Entgegnung, die nicht weniger als die Frage des Bekenntnisstandes ausrief, auch für die nur schleppende Aufnahme und Auseinandersetzung mit Krister Stendahl und der sog. new perspective in Deutschland verantwortlich war“.174 Zu fragen ist zwar, ob Käsemanns Replik nicht eher die Prägung der deutschsprachigen Paulusexegese durch die reformatorische (und Bultmannsche!)175 Rechtfertigungslehre illustriert und letztlich diese Prägung die zögerliche Rezeption der Impulse erklärt. Der Effekt aber ist deutlich: Die Anfragen an das hergebrachte Verständnis der paulinischen Rechtfertigungstheologie fanden im englischsprachigen Raum ein deutlich stärkeres und v.a. früheres Echo als im deutschsprachigen. Dabei sind theologische Interessen auf beiden Seiten zu vermuten: Richten sie sich bei Vertretern der ‚klassischen’ Perspektive auf die Verteidigung einer tragend gewordenen theologischen Grundorientierung, so bei den Protagonisten der New Perspective u.a. auf ein anderes Verständnis des Judentums im Interesse des jüdisch-christlichen Dialogs. Diese Pointe wurde ebenfalls schon in der Nachzeichnung der fiktiven Szene Westerholms deutlich. In Anlehnung daran seien drei entscheidende Impulse der „New Perspective“ kurz skizziert:176 172

Käsemann, Rechtfertigung, 111; vgl. 115; 125. Vgl. ebd., 114: „Man müßte verstehen, daß wir als gebrannte Kinder uns scheuen, das Feuer zu schüren, das gegenwärtig zum dritten Male in einem Jahrhundert überall Begeisterung entfacht.“ Dieses Feuer sieht Käsemann in heilsgeschichtlichen Entwürfen gegeben, wie sie Stendahl als Kern paulinischer Theologie an die Stelle der reformatorischen Rechtfertigungslehre setze (der Begriff „Heilsgeschichte“ begegnet bei Stendahl, Apostel, soweit ich sehe, nur 31; vgl. zur Sache ebd., 24). 174 Horn, Juden, 20; vgl. 17–23; 38. Auch Dunn, Dialogue, 389, nennt die Debatte zwischen Stendahl und Käsemann als Beispiel dafür, dass die ersten Phasen der Diskussion „were marked more by polemic and denunciation than by genuine attempts to see things from the other’s viewpoint.“ 175 Haacker, Verdienste, 4, spricht in diesem Sinn von „der lutherisch-existentialtheologischen Synthese, die in Deutschland einmal die neutestamentliche Wissenschaft weithin geprägt hatte“. Dass sich Käsemann gegenüber Bultmann durchaus kritisch positioniert (vgl. Sanders, Paulus (1985), 410), widerlegt dessen Einfluss auf Exegese und Theologie der fraglichen Zeit noch nicht. So entwickelt auch Wolter, Perspektiven, seine Darstellung der New Perspective im Gegenüber zur „Paulusinterpretation Rudolf Bultmanns“ (vgl. ebd., 16–20 (Teil 2 nach der Einführung)). 176 Zu einer ersten Orientierung über dieses Feld eignen sich Aufsätze wie Strecker, Paulus (ein fast schon klassischer Aufsatz zur New Perspective, der noch 1996 wichtige Informationsaufgaben erfüllen konnte – was nochmals zeigt, wie zögerlich die Diskussion im deutschsprachigen Raum anlief); Haacker, Verdienste (klar strukturierter, sachlicher Überblick); oder Wolter, Perspektiven (mit dem Vorzug, einleitend 173

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1.) Grundlegend ist eine Neubestimmung der Rechtfertigungslehre: Diese ist nicht als Gegenmodell zu einer (vermeintlich jüdischen) Werkgerechtigkeit zu denken, sondern begründet Paulus’ Antwort auf die Frage, wie Nichtjuden in den Bereich der Gnade Gottes gelangen können. Die Rechtfertigungslehre ist damit eine Art Begründungstheorie der paulinischen Völkermission:177 Ihre Stoßrichtung ist „nicht polemisch, sondern apologetisch“178 – und ihre Pointe ist eine soziologische bzw. ekklesiologische, nicht aber (wie in der klassischen Sicht) eine individualsoteriologische.179 Paulus würde gar nicht (wie Luther) fragen, wie der einzelne vor Gott steht bzw. wie er einen gnädigen Gott bekomme, sondern wolle erklären, warum Gottes Heil auch den Nichtjuden offen steht und warum sie dafür nicht Juden werden müssen. 2.) Eng verbunden mit dieser Bestimmung der Rechtfertigungslehre ist eine Neubewertung der paulinischen Sicht des Judentums. Dieses bildet nicht mehr als werkgerechte Religion die Negativfolie für die Rechtfertigung aus Glauben, sondern wird als Gnadenreligion wahrgenommen, in der die Erwählung und der Bund Gottes mit seinem Volk eine zentrale Stellung haben. Nach verschiedenen Vorläufern setzte 1977 die Studie von Ed P. Sanders über „Paul and Palaestinian Judaism“180 diese Perspektive mit Nachdruck auf die Tagesordnung, indem er die grundlegende Struktur der jüdischen Religion um die Zeitenwende als „Bundesnomismus“ („covenantal nomism“) beschreibt: Auf die Frage, wie ein Mensch in die Religion des Judentums hineingelange („getting in“), sei die Antwort entgegen der klassischen Paulusauslegung nicht mit dem Gesetz und darauf bezogenen Werken, sondern mit der Erwählung durch Gott, also seiner Bundesverheißung gegeben. Die Erfüllung des Gesetzes diene nur der nachgelagerten Bewährung der Erwählung, also dem Bleiben in der Religion („staying in“)181, und sei auch hier nicht exklusiv zu betrachten, vielmehr werden Menschen „durch Gehorsam, Sühnung und Gottes auch die Bultmannsche Paulusinterpretation nochmals knapp zu bündeln; das fehlt im sonst ähnlichen Aufsatz ders., Perspektive). Ich erlaube mir hier unter Verweis auf diese Titel eine deutlich knappere Fassung der entscheidenden Impulse. 177 Vgl. z.B. ders., Perspektiven, 27. 178 Strecker, Paulus, 5. 179 Vgl. Wolter, Perspektiven, 22. Er zitiert hier Stendahl, Der Jude Paulus und wir Heiden, München 1978, 40: „Paulus’ Lehre von der Rechtfertigung aus Glauben hat ihren theologischen Kontext in seinen Gedanken über die Beziehung zwischen Juden und Heiden; sie steht nicht in Zusammenhang mit der Frage, wie der Mensch erlöst werden kann, oder wie die Werke des Menschen zu bewerten sind.“ 180 Deutsche Übersetzung: Sanders, Paulus (1985). 181 „Hineingelangen und Darinverbleiben“ bestimmt Sanders ebd., 18, als wesentliche Gesichtspunkte für die Bestimmung einer Religionsstruktur; die Begriffe „getting in“ und „staying in“ finden sich in der englischen Originalausgabe, 17.

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Barmherzigkeit innerhalb des Bundes gehalten“, so dass „Erwählung und letztliche Errettung nicht als menschliches Werk, sondern als Taten der Barmherzigkeit Gottes verstanden werden“.182 3.) Umstritten ist unter den Vertretern der New Perspective, ob Paulus den Glauben an Christus in Kontinuität zum Judentum sieht oder nicht. Sanders sieht bei Paulus eine neue Religionsstruktur, in der es ganz um das „getting in“ gehe, das im Sinne einer „partizipationistischen Eschatologie“ durch das Einswerden mit Christus erfolge und in dessen Parusie und der Auferstehung vollendet werde.183 Das paulinische Christentum sei also „anders als das Judentum keine ‚Traditionsreligion’ …, sondern eine ‚Bekehrungsreligion’“.184 Sanders konstatiert daher einen fundamentalen Bruch zwischen Judentum und paulinischem Christentum als grundverschiedenen Religionsstrukturen, der aber nicht mit einer Kritik des Apostels an Werkgerechtigkeit, sondern mit dem Christusgeschehen als Ausgangspunkt des paulinischen Denkens begründet sei: „Weil das Heil nur in Christus zu finden ist, sind folglich alle anderen Heilswege falsch“.185 Paulus komme nicht von einer Analyse der Situation des Menschen vor Gott zur Lösung der Rechtfertigungslehre, sondern umgekehrt von der Lösung – „Jesus Christus ist Herr; in ihm hat Gott das Heil für alle bereitet, die glauben“186 – zu Beschreibungen der Probleme.187 James Dunn lobt die Einsicht, dass ein „Bundesnomismus“ das Judentum zur Zeit des Paulus kennzeichne: Sie versetze uns in die Lage, die reformatorisch bestimmte Perspektive auf Paulus zu überwinden und den Apostel aus seinen eigenen Voraussetzungen zu verstehen. Allerdings sei nun eben das Sanders nicht gelungen: Dunn bestreitet einen Bruch zwischen Judentum und paulinischem Christentum und sieht stattdessen eine grundlegende Kontinuität.188 Aus182

Beide Zitate aus der zusammenfassenden Beschreibung des Bundesnomismus ebd., 400; zitiert auch bei Strecker, Paulus, 7. 183 Vgl. ebd., 10. 184 Wolter, Perspektiven, 24. 185 Sanders, Paulus (1985), 457 (Hervorhebungen im Original: Unterstreichung). 186 Ebd., 415. 187 Vgl. ebd., 415ff. Dies ist auch der Hintergrund des häufig zitierten, für sich genommen freilich leicht missverständlichen Satzes ebd., 513: „Was Paulus am Judentum für falsch hält, ist, auf eine Kurzformel gebracht, daß es kein Christentum ist.“ (Hervorhebungen im Original: Unterstreichung.) 188 Vgl. Dunn, Perspective, 97–103: 97–100 würdigt er die Leistung von Sanders, 100–103 zeigt er deren Grenzen auf, die v.a. darin bestünden, dass Sanders nicht frage, inwieweit die paulinische Theologie in Beziehung zu diesem Bundesnomismus verstanden werden könne, sondern „quickly, too quickly in my view, concluded that Paul’s religion could be understood only as a basically different system from that of his fellow Jews“ (100), kurz: Sanders „himself has failed to take the opportunity his own mould-breaking work offered“ (100). An dieser Stelle setzt Dunn selbst ein und schickt voraus: „I believe that the new perspective on Paul does make better sense of

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gangspunkt ist eine Bestimmung der sozialen Funktion der Tora für das Judentum, die dessen Identität sichere. Insbesondere die Forderungen der Beschneidung, der Einhaltung von Speisegeboten und der Sabbatheiligung gelten sowohl in der Außenwahrnehmung als auch im Selbstverständnis der Juden als „identity markers“ bzw., insofern sie mit der eigenen Identität zugleich die Abgrenzung zu anderen betonen, als „boundary markers“.189 Präzise und nur diese Forderungen meine Paulus mit seiner Wendung „Werke des Gesetzes“, er wende sich also gar nicht grundsätzlich gegen das Tun des Gesetzes, sondern nur gegen eine Interpretation des Bundes in exklusivem Bezug auf das Volk der Juden. Sein Argument dabei sei vor allem die heilsgeschichtliche Einsicht, dass mit Jesu Kommen die Zeit der Erfüllung auch der eschatologischen Absicht des Bundes als Segen für alle Völker eingeleitet sei und deshalb der Glaube an Jesus nicht nur ein weiterer, sondern der grundlegende „identity marker“ sei.190 Da Dunn diese Perspektive exemplarisch in einer Auseinandersetzung mit Gal 2,16 entwickelt,191 wird uns das noch weiter beschäftigen. Ein Abschluss dieser Debatte ist nicht in Sicht und wird gewiss nicht im Rahmen dieses Exkurses erreicht werden. Es liegt aber auf der Hand, dass die ‚neue’ Lesart des Paulus ebenso in ihre Zeit passt wie die Luthers in das 16. Jahrhundert: Sowohl in der Ökumene als auch in der Begegnung der Religionen steht Dialog auf der Tagesordnung und die wachsende Pluralität des Angebots an weltanschaulicher Orientierung lässt die Frage Raum gewinnen, wo im Umgang mit anderen Sichtweisen Abgrenzung nötig und wo Integration möglich ist. Es scheint, als würden die Impulse der „New Perspective“ nicht zuletzt darauf zielen, die Theologie des Apostels für heutige theologische Fragestellungen wie Interkulturalität fruchtbar zu machen, während die Leseperspektive des Reformationsjahrhunderts, die Heilsangst des Einzelnen, deutlich an Gewicht verloren hat.192 Paul than either Sanders or his critics have so far realized.“ (103) Am Rande: Dunn bezeichnet als „new perspective on Paul“ also das Ziel einer Interpretation des Apostels „within his own context“ (100), der er nach eigener Einschätzung näher kommt als Sanders. Der Begriff „New Perspective on Paul“ wird von Dunn also gerade nicht als der Oberbegriff eingeführt, der er in der folgenden Diskussion geworden ist. 189 Die Begriffe z.B. ebd., 108.110; vgl. zum Gedanken ebd., 107–110. 190 Ebd., 115: „To continue to insist on such works of the law was to ignore the central fact for Christians, that with Christ’s coming God’s covenant purpose had reached its intended final stage in which the more fundamental identity marker (Abraham’s faith) reasserts its primacy over against the too narrowly nationalistic identity markers of circumcision, food laws and sabbath.“ Vgl. Ebd., 113–115; 114 verweist er für den heilsgeschichtlichen Grundgedanken u.a. auf Gal 3,8. 191 Diese bildet den Kern und Hauptteil seines Vortrags, vgl. ebd., 103–118. 192 Vgl. z.B. Dunn/Suggate, Justice, 28f.: „Luther needed to discover justification by faith at the individual level. Just as much today we need to rediscover Paul’s original

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Und was hat Paulus nun selbst gemeint? Deutlich ist, dass verschiedene Zeiten, die ihre Fragen an den Apostel stellen, von ihm Antworten bekommen. Die in der „New Perspective“ vorausgesetzte Sicht des Judentums dürfte den paulinischen Kontext dabei korrekter erfassen als dies den Reformatoren gelang, doch ist damit noch nicht jede überscharfe Neupositionierung legitimiert. So erscheint es mir durchaus sachgemäß, dass sich inzwischen sowohl eine kritische Rezeption der Anstöße der New Perspective in der deutschsprachigen Theologie beobachten lässt193 als auch manche Selbstrelativierung der Vertreter der New Perspective.194 In dieser Richtung halte ich die These für vertretbar, dass die Entdeckungen, die die Reformation an Paulus gemacht hat, auf Einsichten beruhen, die Paulus in der Konsequenz seiner Begründung der Heidenmission entwickelt hat. Die Rechtfertigungslehre hätte zunächst eben diese Begründung leisten sollen, doch wäre Paulus im Bedenken dieser Frage auch auf jene weitere gestoßen, wie denn der Mensch als solcher – also nicht der Jude im Unterschied zur Nichtjüdin – vor Gott steht und welche Rolle dabei das Gesetz und der Glaube haben oder auch nicht haben. Gerade das Aufbrechen der Grenze der Volkszugehörigkeit hätte ihn demnach zu einem Fragen nach dem Individuum geführt, anders gesagt: Der Begründungszusammenhang der Völkermission wurde der Entdeckungshorizont der individuellen Bedeutung der Glaubensgerechtigkeit. Diese These wird sich nicht zuletzt an den Texten zu bewähteaching on the subject. God accepts all who believe and trust in him: Gentile as well as Jew, black and white, Palestinian and Israelite, central American and US citizen, Roman Catholic and Protestant, Orthodox and Muslim.“ 193 Vgl. z.B. vorsichtiger Frey, Judentum, 41f.; weitergehender Wolter, Perspektiven, 26–29; Haacker, Verdienste, 5–14. Freilich betonen diese Exegeten jeweils auf ihre Weise, wo sie dann auch ein bleibendes Recht der reformatorischen Paulusauslegung erkennen. Eine interessante historische Perspektive auf diese Frage bietet Avemarie, Werke. Bezogen auf Gal 2,16 wäre z.B. Söding, Freiheit (2011), 37, zu nennen: „Vom paulinischen Kontext her sind die ‚Werke des Gesetzes‘ in erster Linie die Beschneidung (Gal 6,12f.; vgl. 5,1-12 …), die Speisegebote und die Reinheitsvorschriften (vgl. Gal 2,11-14) und im Anschluss daran alle weiteren Formen an Gebotserfüllung (vgl. Gal 5,3; 6,13).“ Vgl. ders., Rechtfertigungstheologie, 1010: „Die ‚Werke des Gesetzes‘ sind identity markers, aber Paulus kritisiert sie … als Ausdruckshandlungen eines Heilsvertrauens auf das Gesetz …“. Ähnlich sieht Sänger einerseits das Thema des Galaterbriefs nah bei der New Perspective (vgl. Sänger, Strategien, 160f.), andererseits die Tora aufgrund der Art, in der sich die Gegner auf sie berufen, als „ein Glied in der Reihe der ‚boundary markers‘ (J. D. G. Dunn)“ (ders., Argumentationsstrategie, 399). 194 Z.B. beschreibt Dunn in seinem späteren Galaterkommentar die Bedeutung des Syntagma „Werke des Gesetzes“ deutlich weiter. Hatte er 1983 noch geschrieben, der Ausdruck sei „a fairly restricted one: it refers precisely to these … identity markers“ (Dunn, Perspective, 111), so formuliert er 1993: „‚Works of the law‘ would mean in principle all [!] that the faithful Israelite had to do … But in practice there were a number of test cases, … boundary issues“ (ders., BNTC, 136).

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ren haben, die einerseits im Wissen um diese verschiedenen Deutungsperspektiven, andererseits in einer Abwägung derselben möglichst vorurteilsfrei zu betrachten sind. Kommen wir also zurück zu Gal 2,16, einer der in dieser Diskussion zentralen Stellen. „Gerecht zu werden“ durch „Werke des Gesetzes“, das ist geradezu die terminologische Vorlage für den Begriff „Werkgerechtigkeit“, an dem sich die Reformation (und ihrer Meinung nach auch Paulus) abgearbeitet hat. Ist das hier im Blick, also das Bemühen, durch ein Befolgen der Gebote Gottes Gemeinschaft zu verdienen? Oder ist der Ausdruck im Gefolge Dunns konkret auf die identitätsstiftenden „Bundeswerke“ der Beschneidung, der Einhaltung der Speisegebote und der Sabbatheiligung zu beziehen?195 Diese Frage ist zu entscheiden aus dem Kontext des Verses – darin immerhin herrscht Einigkeit in einem breiten Spektrum, das sich exemplarisch etwa durch die Positionen von Dunn und Hofius markieren lässt.196 Auf diesem Hintergrund ist es aber dann doch erstaunlich, dass sich Hofius durch seine Einsicht, der Anlass des Galaterbriefs sei „die von strengen Judenchristen erhobene Forderung, daß die galatischen Heidenchristen sich der Beschneidung unterziehen, die Feier des Sabbats und der jüdischen Festtage übernehmen sowie die Speisevorschriften beachten müssten“,197 nicht einmal veranlasst sieht, die Sicht Dunns zu diskutieren198 – stattdessen spricht er gleich im nächsten Satz pauschal von der „Beachtung der Tora vom Sinai“199 und rückt von dieser Bestimmung der fraglichen Wendung dann nicht mehr ab. Auf dieser Basis gelingen ihm zwar dogmatisch interessante Überlegungen zur Frage der Stellung des Menschen vor Gott, ob er damit aber 195 Bachmanns wiederholter Vorschlag, das Syntagma „Werke des Gesetzes“ auf dem Hintergrund u.a. von 4QMMT C 27 als „Regelungen des Gesetzes“ und nicht als die darauf bezogenen Handlungen zu verstehen (vgl. z.B. Bachmann, Rechtfertigung, 14–30; ders., Bemerkungen, 100–108; ders., Keil), lasse ich hier außen vor; ich meine, dass diese doch recht spitzfindige (vgl. Dunn, Dialogue, 400: „artificial“) Konstruktion zu Recht wenig Anhänger gefunden hat. 196 Z.B. argumentiert nicht nur ders., Perspective, 103, mit dem „immediate preceding context of this verse“ (vgl. ebd., 107); ebenso weist Hofius, Werke, 63, „mit Nachdruck auf die grundsätzliche methodische Einsicht hin[…], daß der Sinn von Worten und Wendungen, Sätzen und Aussagen immer nur aus dem Kontext erschlossen werden kann, in dem sie jeweils begegnen“ (vgl. ebd., 77). 197 Ebd., 79. 198 Ähnlich unverständlich bleibt mir, dass Hans-Joachim Ecksteins Habilitation über Gal 2,15–4,7 (Eckstein, Verheißung) 1996 (!) die Arbeiten Dunns nicht einmal im Literaturverzeichnis anführt. Dass in der ‚Hofius-Schule‘ gerade der Verweis auf den literarischen Kontext sehr wohl der Auseinandersetzung mit Dunn dient, zeigt der im Übrigen deutlich differenziertere Beitrag Kammler, Perspective, (46–55) 55. 199 Hofius, Werke, 79. Auch dieses die paulinische Argumentation eher als angewandte Dogmatik verstehende Vorgehen teilt er mit Eckstein.

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Entscheidendes zur Erhellung der Bedeutung dieser Aussage aus ihrem Kontext beigetragen hat, lässt sich fragen. Im Gegenteil spricht einiges dafür, V. 16 zunächst einmal eng mit der vorangehenden Schilderung des antiochenischen Streits zu verbinden. Nicht das unwichtigste Argument dafür ist, dass sich die Aussagen über „Sünder“ in V. 15.17, die den Vers rahmen, wie gesehen schlüssig durch einen Bezug auf V. 11–14 erklären lassen.200 Aber auch V. 16 selbst fügt sich in mancher Hinsicht gut in eine solche Betrachtung, insbesondere hebt die Betonung, dass „auch wir [das „wir“ steht hier für die Judenchristen Kefas und Paulus] zum Glauben an Jesus Christus gekommen sind“, das hervor, was Juden- und Heidenchristen eint. Mit Dunn ließe sich evtl. überlegen, ob dieses Gemeinsame zunächst ‚nur‘ als zusätzlich zu den „Werken des Gesetzes“ notwendige Qualifikation eingeführt wird: Das „es sei denn“ (ἐὰν μή) übersetzt er 1983 mit „except“201, 1993 mit „but only“202 und versteht diese Konjunktion als „exceptive and not adversative“203, weshalb hier nicht zwingend eine Antithese vorliege, die Formulierung zumindest mehrdeutig sei und so noch – wie auch V. 15 – als die gemeinsame Überzeugung gelten kann, als die Paulus sie einführt („wir“).204 Freilich stellen auch nach Dunn der Finalsatz und vollends die abschließende Begründung mit der Anführung von Ps 143,2 die beiden Linien in einen Gegensatz zueinander und begründen so eine Ablehnung einer bleibenden Bedeutsamkeit der „Werke des Gesetzes“ für die an Christus Glaubenden.205 Die Stärke dieser Sicht wäre eine höhere Plausibilität der „wir“-Aussage. Auf der anderen Seite lässt sich für das sprachlich ebenfalls mögliche adversative Verständnis des „es sei denn“ (ἐὰν μή) anführen, dass Paulus „Werke des Gesetzes“ und „Glaube“ im Galaterbrief sonst durchgängig entgegengesetzt verwendet.206 200

Vgl. oben, 55f. Zu V. 17 vertritt z.B. auch Lietzmann, HNT 10, 15f. (der nicht im Verdacht steht, Parteigänger der ‚New Perspective‘ zu sein), eine entsprechende Auslegung. Dass es Paulus hingegen „fraglos [!] … um die objektive und absolute Schuldverfallenheit vor Gott“ gehe, vermag Eckstein, Verheißung, 36, auch durch diese starke Ausdrucksweise nicht wahrscheinlicher zu machen. 201 Dunn, Perspective, 112. 202 Ders., BNTC, 134. 203 Ebd., 137. 204 Vgl. Dunn, Perspective, 112: „the common ground from which Paul’s argument moves out need not to be understood as setting convenantal nomism and faith in Christ in antithesis“; ders., BNTC, 138: „This ambiguity was nicely calculated precisely with a view to gaining Peter’s assent.“ 205 Ders., Perspective, 113, führt hierfür als weiteres Argument auch den Präpositionswechsel von „durch“ (διά) zu „aus Glauben“ (ἐκ πίστεως) an; dieses nicht zwingende Argument (vgl. dazu Eckstein, Verheißung, 19; aber auch Vouga, HNT 10, 59) wiederholt er im Kommentar nicht; vgl. Dunn, BNTC, 140. 206 Dafür votiert Hunn, Galatians 2:16, 289, nachdem sie zuvor nachgewiesen hat, dass in der Tat beide diskutierten Verständnisse der Konjunktion im Griechischen

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Unabhängig von der Entscheidung dieser Frage kann aber nicht ernsthaft in Zweifel gezogen werden, dass es möglich ist, V. 16 auf der Linie Dunns von seinem vorhergehenden Kontext her zu interpretieren. Die entscheidende Frage ist, ob eine entsprechende Engführung des Begriffs „Werke des Gesetzes“ zwingend ist, anders gesagt: Lässt sich aus der plausiblen Annahme, dass Paulus diese Argumentation im Blick auf solche konkreten Diskussionspunkte – damals in Antiochia, ‚heute‘ in Galatien – entworfen hat, ableiten, dass sie auch auf diese konkreten Fragen zu begrenzen ist? Hier fällt nun immerhin auf, dass Paulus in V. 16 allgemein von „Mensch“ (ἄνθρωπος) spricht, also nicht auf Basis einer Unterscheidung von Juden und Nichtjuden argumentiert.207 Ist das nur dem Umstand geschuldet, dass hier beide Seiten im Blick sind, also sowohl die Nichtjuden, die ohne Übertritt zum Judentum zur Gemeinde gehören können, als auch die Juden, die um der Gemeinschaft mit den Nichtjuden willen auf die Befolgung der Speisegebote verzichten? Oder formuliert Paulus hier grundlegend anthropologisch, anders gefragt: Stellt er die Frage der Eingliederung der Nichtjuden in die endzeitliche Heilsgemeinde bewusst in den weiteren und grundsätzlicheren Horizont der Frage, wie der – also unterschiedslos jeder! – Mensch vor Gott steht? Dafür würde sprechen, dass sich manche sehr grundsätzliche Aussage zum „Gesetz“ in den folgenden Versen kaum mehr so lesen lässt, als ob es Paulus nur um Fragen der unterscheidbar jüdischen Lebensführung gehe. Dies freilich lässt sich nicht alles in V. 16 schon zeigen: „Die Implikationen, die Bedeutung und die Konsequenzen dieser Gegenüberstellung, die durch die Beschränkung des νόμος [= „Gesetz“] auf die Abgrenzungsgebote bzw. Zeremonialgesetze … nicht verharmlost werden darf, werden in Gal 3,1–5,12 thematisiert.“208 Vouga ist zuzustimmen, dass es sich um Implikationen handelt, d.h. wie grundsätzlich der Satz von Paulus selbst verstanden wird, wird erst in dessen Entfaltung nach und nach deutlich. Er lässt sich verstehen in Engführung auf die Streitfragen in Antiochia bzw. Galatien (und könnte also ursprünglich durchaus in einem Nachdenken über solche begrenzten Fragen entstanden sein), er wird von Paulus aber dann sehr viel grundsätzlicher und weittragender ausgeführt. Die Zurückweisung der Frage in V. 17 (vielleicht ein Vorwurf seiner Gegner an die Adresse des Paulus?), ob Christus etwa ein Diener der Sünde sei, wenn der Glaube an ihn zu einem das Gesetz missachmöglich sind. Kritisch gegenüber Dunns Interpretation z.B. auch Sänger, Strategien, 160 Anm. 12; Wolter, Paulus (2011), 48f. (mit Anm. 33). 207 Kammler, Perspective, 53, verweist auch auf die universale Aussage des Psalmzitats (πᾶσα σάρξ). 208 Vouga, HNT 10, 58. Vouga ist im Übrigen der Meinung, dass eine solche Beschränkung „bei Paulus nie stattfindet“ (ebd.).

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tenden Verhalten führe – nämlich der Tischgemeinschaft von Judenund Heidenchristen –, begründet Paulus in einem doppelten Anlauf (zweimaliges „nämlich“ in V. 18 und 19) unter auffälligem Wechsel des Subjekts: An die Stelle des bisherigen „wir“ tritt nun ein „ich“. An diesem „ich“ wird die Frage der Stellung des Menschen vor Gott und der Bedeutung von Gesetz und Glauben in einer sehr grundsätzlichen Weise diskutiert. Ob dieses „ich“ aber das des Apostels in seiner ganzen Autorität ist209 – damit würde der Abschnitt wieder an die These 1,12 anschließen, die den Empfang des Evangeliums durch eine Offenbarung Jesu Christi behauptete – oder generisch für jeden Glaubenden steht210 und so auch die in 3,1 dann angesprochenen Galater integriert, muss keine ausschließende Alternative sein.211 In V. 18 wird die Sache dadurch noch komplexer, dass das „ich“ auch durchscheinend für das Verhalten des Kefas im antiochenischen Konflikt verstanden werden kann:212 Dann würde Paulus hier sagen, dass nicht Christus die an ihn Glaubenden in die Sünde führt (V. 17) – weil sie als seine Gemeinde die durch die Speisegebote markierte Grenze überschreiten –, sondern ich selbst mich als Sünder bzw. eben Übertreter definiere, wenn ich diese durch das Christusgeschehen bereits überwundene Grenze wieder neu aufrichte (wie Kefas nach V. 12). Eine Engführung des Verses hierauf erscheint mir aber nicht plausibel: Paulus dürfte mindestens auch eine eigene Überzeugung zur Sprache bringen, schon weil dasselbe „ich“ in V. 19–21 gewiss auf sein eigenes Selbstverständnis weist (und in V. 21 dann auch nicht mehr generisch verstanden werden kann). V. 19–20 erläutern grundsätzlich das Verbundensein mit Christus, das durch den „Glauben“ (V. 20) eröffnet ist. Paulus macht zunächst deutlich, dass das Gesetz Gottes nicht einfach in eigener Selbstüberschätzung außer Kraft gesetzt werden kann (wie sich V. 18 missverstehen ließe), sondern dass dies ein Geschehen am Glaubenden ist – ein Geschehen, dessen Kraft in dem Geschehen der Kreuzigung und der Auferweckung Jesu liegt, mit dem der Glaubende verbunden wird. Nun wird klar, warum Paulus schon im Präskript Sühnetod und Auferstehung Christi als das Herausreißen aus der gegenwärtigen bösen Weltzeit betont hat (1,1.4): An diese Grundeinsichten knüpft er jetzt an dieser zentralen Stelle an. Der Christ lebt eigentlich nicht mehr selbst, denn sein „ich“ ist „gestorben“, „mitgekreuzigt mit Christus“ (V. 19), und damit nicht mehr unter dem Gesetz. Sein Leben ist eigentlich schon das Leben der neuen Welt Gottes, auch wenn 209

So z.B. Eckstein, Verheißung, 43f. So z.B. Schlier, KEK 7, 96f. 211 Vgl. Vouga, HNT 10, 60: „gleichzeitig autobiographisch und auf Juden- und Heidenchristen verallgemeinerungsfähig“. 212 Auf dieser Linie interpretiert den Vers z.B. Lührmann, ZBK.NT 7, 45. 210

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er es „jetzt“ – fast möchte man ergänzen: noch – „im Fleisch“ lebt (V. 20): Es ist Leben für Gott (V. 19), Leben im Glauben an seinen Sohn (V. 20), ja das Leben Christi selbst (V. 20). Ließe sich intensiver, ließe sich kräftiger beschreiben, was Gerechtigkeit als Beziehungsbegriff meint? Für Paulus jedenfalls nicht durch die Forderungen des Gesetzes, dem der Glaubende „gestorben“ ist. Aber Paulus redet damit nicht einer Gesetzlosigkeit das Wort. Der Glaubende ist dem Gesetz gestorben, aber lebt nun Gott, lebt im Glauben, ja Christus lebt in ihm: Diese Qualifikationen dürften kaum geeignet sein, ein selbstsüchtiges, verantwortungsvergessenes Leben zu beschreiben. Betont ist nur: Gerechtigkeit entsteht nicht aus dem Gesetz, sondern kraft dieser Beziehung, dieser Verbindung mit dem Christusgeschehen. Mit dieser Interpretation von V. 19–20 ist allerdings die Näherbestimmung „durch das Gesetz“ (διὰ νόμου) in V. 19 noch nicht erklärt; in der Tat wäre der Satz ohne sie einfacher verständlich. Was meint Paulus damit? Wichtig ist die Einsicht, dass er dreimal Tod und Leben gegenüber stellt, so dass die Wendungen, die das „Gestorbensein“ erläutern, sich gegenseitig interpretieren: „Ich bin … durch das Gesetz dem Gesetz gestorben“ (V. 19), „ich bin mitgekreuzigt zusammen mit Christus“ (V. 19), der „sich selbst dahingegeben hat für mich“ (V. 20). Fangen wir von hinten an, so wird die soteriologische Aussage, dass Christi Selbsthingabe im Kreuzestod eine Bedeutung „für mich“ hat, von Paulus so interpretiert, dass der an Christus Glaubende mit diesem Geschehen verbunden wird („mitgekreuzigt“). Dass Christi Tod eine solche Qualität bzw. Wirkung haben kann, dass er uns in dieser Weise einbezieht – und uns so auch das neue Leben des Ostermorgens eröffnet –, eben das müsste also in der Wendung „durch das Gesetz“ gemeint sein: Es entspricht dem Gesetz Gottes, dass auf diesem Weg, also durch das stellvertretende („für mich“) bzw. mich einbeziehende („mitgekreuzigt“) Leiden und Sterben des Christus, das Leben erworben werden kann. Dies wird Gal 3,10–14 genauer erläutern; V. 19 lässt sich als Vorgriff darauf verstehen. Dass dieser Weg zum Leben für Paulus der einzige ist, betont er schließlich mit der Schlusspointe in V. 21, dass der Tod Christi „umsonst“ geschehen wäre, wenn alles dies auch anders zu haben gewesen wäre. Dabei nimmt V. 21a evtl. einen Vorwurf der Gegner des Paulus auf, etwa: Er erkläre die Gnade Gottes, verstanden als die Gnade der Gabe des Bundes samt des Gesetzes, für ungültig. Er setzt dann dagegen, dass diese Gnade eben in Kreuz und Auferstehung und in der Verbindung des Glaubenden mit dem gekreuzigten und auferstandenen Christus begründet ist: Es geht um die Gnade dessen, der im Evangelium von Christus die Menschen – alle Menschen – in seine Gemeinschaft ruft (vgl. 1,6; 2,9). Das ist das paulinische Evangelium, dessen Wahrheit (V. 14) auf dem Spiel steht.

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Die Grundsätzlichkeit, in der V. 19–21 Christus gegen „das Gesetz“ stellt, legt nicht nahe, hier eine Engführung desselben auf Identitätsmerkmale des Judentums im Sinne von Dunns ‚identity‘ bzw. ‚boundary markers‘ anzunehmen. Zumindest die Erklärung, er sei „durch das Gesetz“ (V. 19) dem Gesetz gestorben, passt schwerlich zu einer solchen Interpretation. Freilich ist aber zu prüfen, welche Funktion diese grundsätzlichen Aussagen über die Bedeutung des Gesetzes haben. Handelt es sich gleichsam um dogmatische Lehrsätze oder sind sie textpragmatisch „als Elemente einer einmaligen Argumentation etwa gegenüber Heidenchristen zu deuten …, um sie ‚vom angeblich heilsnotwendigen Übertritt zum Judentum abzuhalten‘„?213 Paulus könnte auf diese Weise eine Sicht bekämpfen, nach der das Gesetz zwar nicht als Heilsweg behauptet wird, für die Heidenchristen, die nicht „von Natur Juden“ sind (V. 15), aber faktisch in diese Position rückt – wenn nämlich außerhalb des durch das Gesetz markierten Bunds kein Heil denkbar wäre. Die Gegner des Paulus hätten also keine Werkgerechtigkeit vertreten, doch wären sie der Überzeugung gewesen, dass Gottes Heilswille an seinen Bund mit Israel gebunden bleibt – in diesen wären die Heidenchristen nun zwar durch Christus eingeladen, sie wären aber nicht schon durch den Glauben (und die Taufe) vollgültiger Teil dieser Heilsgemeinde. Nach meinem Urteil lässt sich der Galaterbrief vollständig als gegen eine solche Front gerichtet lesen und verstehen. Damit wäre dann jeweils zu prüfen, ob und wenn ja inwieweit die grundsätzlichen paulinischen Aussagen zum Gesetz aus dieser argumentativen Stoßrichtung des Briefes zu erklären sind, und inwieweit sie auf der anderen Seite als theologische Grundeinsichten des Apostels belastbar sind. Mit dieser Auslegung der Kernthese 2,15–21 ist eine Positionierung in der exegetischen Debatte erreicht: Deutlich lässt sich zeigen, dass die Wendung gegen die Betonung der „Werke des Gesetzes“ in 2,16 innerhalb der Fragen rund um das Verhältnis von Juden- und Heidenchristen verstehbar ist. Zugleich weist der Vers über diese konkreten Fragen hinaus auf eine grundsätzlichere Auseinandersetzung mit dem „Gesetz“, wie im direkten Kontext v.a. V. 19 zeigt. In dem Nachdenken über dessen Geltung und Bedeutung ist für Paulus (wie nach Gal 1,6f.12.15f. usw. kaum anders zu erwarten war) der Glaube an Jesus Christus (V. 16) und das Christusgeschehen in seiner Bedeutung für (je)den Glaubenden (V. 19–21) von zentraler Bedeutung. 213 Letzteres vertritt etwa Frankemölle, Völker-Verheißung, 285, in Anlehnung an (den von ihm hier zitierten) Haacker, Antinomismus, 401; vgl. dort auch 396: „Mindestens die Einseitigkeit und Schärfe, mit der Paulus das Gesetz an verschiedenen Stellen abwertet, dürfte als Antwort auf die Überbewertung des Gesetzes seitens der Judaisten erklärbar sein.“

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Im Durchgang durch die mit dem zweiten Hauptteil folgende Ausführung und weitere Begründung der These wird besonders zu fragen sein, wie Paulus den Glauben und die Verbindung mit Tod und Auferstehung Christi genauer bestimmt und welche Sicht des Gesetzes er daraus ableitet. Dabei ist damit zu rechnen, dass er im Zusammenhang der galatischen Kontroverse Aussagen polemisch zuspitzt, d.h. die Aussagen sind im Einzelnen genau auf Relevanz und Plausibilität zu prüfen. Kernaussagen des ersten Hauptteils in Thesen • Paulus führt seine Evangeliumsverkündigung unter Nichtjuden auf eine Berufung durch Gott in Gestalt einer Offenbarung Christi zurück (1,15f.). • Er setzt diese Neuausrichtung in Kontrast zu seinem früheren Eintreten für die Reinheit des jüdischen Gottesvolks, das er im Rückblick als Verfolgung der Gemeinde Gottes erkennt (1,13f.24). • Er sieht seine Evangeliumsverkündigung an die Nichtjuden in vollem Umfang durch die leitenden Apostel der Jerusalemer Urgemeinde anerkannt (2,6–9). • Sein Evangelium hat sich bewährt in Streitfragen um die volle Gemeinschaft zwischen jüdischen und nichtjüdischen Christusgläubigen (2,4f.14ff.). • Angesichts der Forderung, Heidenchristen müssten beschnitten werden, oder einer Einschränkung der Tischgemeinschaft mit denen, die jüdische Speisegebote nicht einhalten, gibt es für Paulus darum keine Kompromisse – hier steht nicht weniger als die „Wahrheit des Evangeliums“ (2,5.14) auf dem Spiel. • Als Kern dieses Evangeliums benennt er das Kreuz Christi, das er versteht als ein den Glaubenden geltenden und sie einbeziehenden Übergang in ein neues Leben (2,19–21). • Die paulinischen Thesen zur Rechtfertigung dürften zunächst als Begründung einer Mission unter Nichtjuden entstanden sein, die neben diesem neuen Leben im Glauben keinen Übertritt zum Judentum fordert (2,15–17). • Paulus entdeckt im Nachdenken über diese Fragen die Frage nach der Stellung des, also jedes „Menschen“ vor Gott – unabhängig von der Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zum Judentum (2,16). • Es ist zu prüfen, ob seine kritischen Aussagen zum Gesetz ganz im Kontext seiner (ggf. polemisch zugespitzten) Argumentation für eine volle Gemeinschaft auch mit christusgläubigen Nichtjuden stehen oder ob sie darüber hinaus belastbare theologische Grundpositionen des Apostels formulieren.

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c) Der zweite Hauptteil 3,1–5,12: Ausführung des paulinischen Evangeliums Dass mit 3,1 ein neuer Abschnitt einsetzt, ist schon durch die erneute – und bisher deutlichste – direkte Anrede an die Galater deutlich. Damit ist klar markiert, dass Paulus seinen biographischen Rückblick beendet hat und nun die Konsequenzen daraus für seine Gemeinden in Galatien darstellt. Auch im ersten Hauptteil war dieser Bezug ja bisweilen aufgeblitzt („ihr“ bzw. „euch“ in Gal 1,13.20; 2,5) und die Bündelung der Kernthese des Apostels in der Rede an „Kefas“ in 2,14–21 ging in ihrer Grundsätzlichkeit so deutlich über den konkreten Anlass in Antiochia hinaus, dass dies nur mit einer gleichzeitigen impliziten Adressierung an die Galater erklärt werden kann. Diese wird nun in 3,1–5 explizit und dann holt Paulus in mehreren Angängen zu einer ausführlichen Begründung seiner These aus – der ganze zweite Hauptteil ist so dem Schluss von Gal 2 zugeordnet. Die einzelnen Abschnitte dieser Argumentation des Apostels werden hier wie gesagt eher knapp beleuchtet, dafür aber am Ende der Auslegung dieses Hauptteils in Bezug auf ihren Ertrag für das Verständnis der These 2,15–21 nochmals zusammengefasst. 3,1–5 Erinnerung der „unverständigen“ Galater an ihre Anfänge im Glauben 31 O ihr unverständigen Galater, wer hat euch behext, denen Jesus Christus vor Augen gemalt wurde als Gekreuzigter? 2 Dieses eine nur will ich von euch erfahren: Habt ihr aufgrund von Werken des Gesetzes den Geist empfangen oder aufgrund der Predigt des Glaubens? 3 Seid ihr so unverständig? Im Geist habt ihr begonnen, jetzt wollt ihr im Fleisch enden? 4 So Großes habt ihr umsonst erlebt? Wenn es denn umsonst war. 5 Der also euch den Geist gibt und Wunderkräfte unter euch bewirkt – [tut er das] aufgrund von Werken des Gesetzes oder aufgrund der Predigt des Glaubens? Textliche und sprachliche Bemerkungen: V 1: „(vor)gemalt“ (προεγράφη) kann auch als „öffentlich anschlagen“ meinen. V. 2+5: Zwei Entscheidungen der Übersetzung betreffen beide stark parallel formulierten Verse. Zum einen wird konkreter als in den meisten Kommentaren das griechische „aus“ (ἐξ) jeweils mit „aufgrund von“ wiedergegeben, also als Bezeichnung

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der Voraussetzung aufgefasst (vgl. auch Bauer, Wörterbuch, s.v. ἐκ, (471–476) 474, Unterpunkt 3.f). Zum anderen lässt sich der Ausdruck „Predigt des Glaubens“ (ἀκοὴ πίστεως) auch allgemeiner als „Hören des Glaubens“ wiedergeben, was in der Interpretation noch offener wäre (so Vouga, HNT 10, 65; vgl. seine Interpretation ebd., 67f.). Die häufige paulinische Betonung seines Verkündigens im Galaterbrief und die Verwendung von ἀκοή in Röm 10,16f. sprechen dafür, den Begriff hier eben auf das Hören der den Glauben weckenden Predigt des Apostels zu beziehen. V. 3: Statt „enden“ kann auch „vollenden“ übersetzt werden, was dann aber die Ergänzung eines unbestimmten „es“ verlangen würde. V. 4: „So Großes“ (τοσαῦτα) kann auch „so vieles“ meinen. V. 5: Das griechische δυνάμεις lässt sich mit „Kräfte“ oder „Wunder“ übersetzen; die Übersetzung „Wunderkräfte“ versucht, beides zu sagen: Da gibt es besondere geistgewirkte Begabungen bei den Galatern und zugleich haben sie auch wirklich Wunder erlebt. Zur Einfügung „[tut er das]“ vgl. unten, Anm. 219.

Mit der Anrede an die „unverständigen Galater“ setzt Paulus nicht weniger provokant214 ein als mit jenem „Ich wundere mich“ in 1,6 und auch sonst erinnert der Abschnitt sehr an diesen Teil: Die Gemeinden sind angeredet und werden unterschieden von „einige[n], die euch verwirren“ (1,6) bzw. hier nun von jemandem („wer“), der sie „behext“ hat (V. 1). Paulus geht die Gemeinde damit zwar wieder hart an, aber er sieht sie noch nicht ganz an seine Gegner verloren. So verfolgt er auch die offenkundig rhetorische Frage nach der Identität der Gegner gar nicht weiter, sondern sucht das inhaltliche Gespräch mit der Gemeinde. Dies fokussiert er auf „eine“ Frage (V. 2): „Habt ihr aufgrund von Werken des Gesetzes den Geist empfangen oder aufgrund der Predigt des Glaubens?“ Auch diese Frage ist rhetorischer Natur, sie dient wie V. 1 nicht zuletzt der Erinnerung an die Anfänge der galatischen Gemeinden: Sie hatten die Predigt des Apostels von dem gekreuzigten Christus (V. 1)215 gehört, ihr Glauben geschenkt und so den Geist empfangen. Neben dieser Erinnerung steht nun aber die aktuelle Herausforderung der Gemeinde: Die Alternative „Werke des Gesetzes“ nimmt offenbar eine Forderung der Gegner in den Blick und bestimmt so (anders als 1,6ff.) auch inhaltlich, worin die Verdrehung des Evangeliums bzw. die Behexung der Galater bestand. Damit wird klar, warum genau dieses Thema zuvor schon in der These zentral war (v.a. 2,16), auf die der biographische Rückblick zulief. Diese Alternative dekliniert Paulus nun durch – er greift das 214

Die Meinung, dass „Galater“ eine ethnische Zugehörigkeit bezeichnet, also nur „Kelten“ meint, lässt sich begründet in Frage stellen. Sollte sie doch zutreffen, dürfte schon die Anrede als „Galater“ die konfrontative Absicht des Apostels zeigen. Vgl. unten B.2.b), besonders 161f. und Anm. 485. 215 Ἰησοῦς Χριστὸς … ἐσταυρωμένος ist „eine paulinische Kurzformulierung des Kerygmas“ (Vouga, HNT 10, 67, mit Stellenverweisen und weiterer Literatur), also eine prägnante Zusammenfassung seiner apostolischen Predigt, wie sie sich ausführlicher etwa in 2,19–21; 3,13 usw. nachlesen lässt.

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„unverständig“ der Anrede in V. 3 nochmals auf und malt aus, worin dieser Unverstand besteht. Die folgenden Fragen laufen dabei in V. 5 zu auf eine betonte Wiederholung der Alternativfrage aus V. 2. Paulus will die Galater also zu der Einsicht bewegen, dass sie als zum Glauben Gekommene den „Geist empfangen“ (V. 2) haben und mit ihm besondere Geistesgaben („Wunderkräfte“ V. 5)216 – und dass ihnen also vor Gott nichts fehlt. Die Idee, dass dieser Beginn „im Geist“ noch irgendwie zu „vollenden“ wäre „im Fleisch“, hält er für so abwegig, dass er sie als eine von mehreren rhetorischen Fragen den Galatern entgegenhält (V. 3). Zugleich visiert er damit freilich präzise einen Punkt an, um den es in Galatien ging: Die Frage der Beschneidung und die Einhaltung der Speisegebote beziehen sich ja deutlich auf die Körperlichkeit, also das „Fleisch“ (vgl. dazu dann 6,12f.). Schon in 2,16 war aufgefallen, dass Paulus in seiner Anspielung auf Ps 143,2 das Wort „Lebender“ durch „Fleisch“ ersetzt und damit wohl einen Hinweis darauf gibt, dass die Meinung seiner Widersacher, (auch) aus „Werken des Gesetzes“ vor Gott gerecht zu werden, in einem Bezug steht zu ihrem Umgang mit dem Körper. Für Paulus hingegen ist klar: Die Anfänge im Glauben verdanken sich allein der „Predigt des Glaubens“, was der damit verbundene Empfang des Geistes bestätigt. „Werke des Gesetzes“, was hier wieder durchaus sinnvoll auf die Juden von Nichtjuden unterscheidenden Gebote wie Beschneidung und Speisegebote bezogen werden kann, spielen dabei keine Rolle. Wenn aber der Zugang zum Heil vom „Glauben“ an den Christus bestimmt ist, kann nach Paulus unmöglich die Zugehörigkeit zum Judentum als weitere (und sei es als nachgelagerte) Forderung hinzutreten. Genau dies scheint die Meinung der Gegner des Paulus gewesen zu sein, sonst wäre die Antithese „Werke des Gesetzes“ – „Predigt des Glaubens“ (V. 2) nach V. 1 nicht schlüssig. Während aber beides für diese Gegner wohl kaum eine Alternative darstellen dürfte, versteht Paulus jede Forderung, die verbindlich zum Glauben hinzukommt, als eine Bestreitung von dessen grundlegender Bedeutung. Die Frage, wie ein Mensch in die Gemeinde kommt – mit Sanders gesprochen: nach dem „getting in“ – entscheidet sich allein am Glauben. Für Paulus gibt es hier kein „sowohl als auch“, sondern nur ein „entweder oder“, weshalb die Frage in V. 3 in seinem Sinne richtiger mit „im Fleisch enden“ als mit „es im Fleisch vollenden“ zu übersetzen ist: Was die Galater auf Veranlassung der Gegner zu tun erwägen, wäre kein Fort-, sondern ein Rückschritt.217 216

Schlier, KEK 7, 126, sieht darin nicht zuletzt „exorzistische[.] Gaben“ und stellt die reizvolle Überlegung an, darin „eine unausgesprochene Beziehung zu jenem βασκαίνειν [behexen] in V. 1“ zu sehen. 217 Zur Frage, ob die Gegner das anders gepredigt haben vgl. unten, Anm. 516.

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Die Bezüge auf den „Gekreuzigten“ (V. 1; vgl. 2,19–21) und v.a. auf die „Werke des Gesetzes“ im Gegenüber zum Glauben (V. 2.5; vgl. 2,16) zeigen, dass die These des Galaterbriefs in 2,15–21 auf die Situation in Galatien gemünzt war:218 Die Kontroverse mit Kefas war das Beispiel, an dem Paulus den Grundsatz einführt, den er nun (ergänzend zum historisch-biographischen Rückblick in 1,13–2,14) den Galatern in mehreren Begründungsgängen nahebringt. Der erste in V. 1–5 akzentuiert dabei die eigenen Erfahrungen der Galater. Hatte nicht Gott selbst – der natürlich in V. 5 gemeint ist219 – ihren Glauben bestätigt durch die Gabe des Geistes, durch Geistesgaben, durch Wunder, die unter ihnen geschahen? Gehörten sie aber dann nicht schon (end)gültig zu ihm? Das Konzept des Geistempfangs wird dabei in Gal 3 neu in die Diskussion eingeführt, vielleicht einfach deshalb, weil sich damit am besten die Anfangserfahrung der galatischen Gläubigen beschreiben lässt. Deutlich ist aber auch, dass der Geist (πνεῦμα) im Folgenden eine zentrale Rolle spielt: Obwohl der Begriff in Gal 1f. gar nicht vorkommt, begegnet er bezogen auf den Umfang des gesamten Briefes in keinem anderen neutestamentlichen Buch so dicht wie im Galaterbrief.220 In der Paränese wird Paulus zudem die Antithese von Geist und Fleisch zentral wieder aufnehmen. 3,6–14 Abrahams Segen und der Fluch des Gesetzes: Freikauf durch Christus 6

So wie Abraham „Gott geglaubt hat, und es wurde ihm zur Gerechtigkeit angerechnet“ [Gen 15,6]: 7 Erkennt also: Die aus Glauben, diese sind die Kinder Abrahams. 8 Da nun die Schrift voraussah, dass Gott aus Glauben die Nichtjuden gerecht macht, verkündete sie im Voraus dem Abraham (als Evangelium): „In dir werden gesegnet werden alle Völker.“ [Gen 12,3; 18,18] 9 Also werden die aus Glauben gesegnet, zusammen mit dem glaubenden Abraham. 218

Das zweimalige „umsonst“ (εἰκῇ) in V. 4 ist hingegen kein solcher Bezug, in 2,21 steht hinter „umsonst“ ein anderes griechisches Wort (δωρεάν). 219 Vouga, HNT 10, 69, meint, Paulus stelle in V. 5 zweierlei Gott zur Debatte – einen, der auf Gesetzeswerke, und einen, der auf Glauben achte. Einleuchtender ist, V. 5 als Parallele zu V. 2 und deshalb als abgekürzte Redeweise zu verstehen („Brachylogie“: Mußner, HThKNT IX, 205 Anm. 1, verweist auf Blass/Debrunner/Rehkopf, Grammatik, § 479.1), d.h. vor der Alternative ist aus dem Vorigen wiederholend das Tun (des einen!) Gottes zu ergänzen: „[tut er das] aufgrund …“. 220 Es sind 18 Belege bei knapp 150 Versen, d.h. im Durchschnitt spricht Paulus alle 8 bis 9 Verse vom πνεῦμα (bezogen auf Gal 3–6 sogar alle 6 Verse). In Gal 3–6 spricht Paulus damit in gleicher Häufigkeit von „Geist“ und „Glaube“ (je 18-mal, für „Glaube“ kommen noch 4 Belege in Gal 1f. hinzu).

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Diejenigen nämlich, die aus Werken des Gesetzes sind, sind unter einem Fluch. Denn es steht geschrieben: „Verflucht ist jeder, der nicht bleibt bei allem, das im Buch des Gesetzes geschrieben steht, um es zu tun.“ [Dtn 27,26] 11 Dass aber im Gesetz niemand gerecht wird bei Gott, ist offensichtlich: „Der Gerechte wird aus Glauben leben.“ [Hab 2,4] 12 Das Gesetz aber ist nicht „aus Glauben“, sondern „wer dies getan hat, wird darin leben.“ [Lev 18,5] 13

Christus hat uns freigekauft aus dem Fluch des Gesetzes, indem er für uns zum Fluch geworden ist – denn es steht geschrieben: „Verflucht ist jeder, der am Holz hängt.“ [Dtn 27,26; 21,23] –, 14 damit der Segen Abrahams zu den Nichtjuden komme in Christus Jesus, damit wir den verheißenen Geist empfangen durch den Glauben. Textliche und sprachliche Bemerkungen: V. 6: Das „So wie“ muss sich nicht auf den ganzen Satz, sondern kann sich auch nur als Zitateinleitung auf Abraham beziehen („So wie Abraham: Er hat …“). V. 7: „Kinder“ gibt das griechische „Söhne“ (υἱοί) geschlechtsneutral wieder – das ist sprachlich möglich und nach 3,1–5 stimmiger (solange sich nicht zeigen lässt, dass Paulus hier mit Bezug auf die Beschneidung bewusst nur Männer anredet). V. 8: Zu „im Voraus (als Evangelium) verkündigen“ vgl. Anm. 75; zu „Völker“ Anm. 222.

Der Abschnitt gliedert sich klar erkennbar in drei Unterabschnitte, die jeweils durch ein neues Leitwort erkennbar werden: Paulus setzt ein mit Überlegungen zu „Abraham“ und seinen Kindern (hier redet er auch von Glauben und Segen), kommt dann zum Thema „Fluch“ (hier redet er vom Gesetz, das er dem Glauben gegenüberstellt) und schließlich zu „Christus“, von dem her die beiden ersten Themen durchleuchtet und in eine Synthese geführt werden: Christus überwindet den Fluch und schafft so dem Segen Abrahams Bahn. Indem dieser Segen in V. 14 als Geistempfang interpretiert wird, bietet der Abschnitt am Ende auch eine theologisch (bzw. exegetisch) vertiefte Antwort des Apostels auf die Frage von 3,5, die er zunächst scheinbar unbeantwortet im Raum stehen lässt. Wegen dieses Bezugs ist es sinnvoll, V. 6–14 als einen Zusammenhang zu interpretieren.221 221 Dafür spricht auch der Neueinsatz in 3,15 (Anrede „Geschwister“) und die Beobachtung, dass der Zusammenhang 3,15–29 eine Variation dieses ersten Argumentationsgangs ist, vgl. dazu unten, 83.

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Das Beispiel ist mit Blick auf die Frage aus 3,5, ob Gott seinen Geist aufgrund des Glaubens oder aufgrund von Werken des Gesetzes gebe – die Gabe des Geistes diskutiert V. 6.8.11 unter Bezug auf die offenbar gleichbedeutende Formulierung vom „gerecht werden“ (vgl. 2,16) –, keineswegs zufällig gewählt. Paulus macht deutlich, was es heißt, Kind Abrahams (V. 7) zu sein, also zur Gemeinschaft derer zu gehören, die unter dem Abraham verheißenen Segen leben. Das ist im Grunde die Frage seiner Gegner, von denen auch die Bezugnahme auf Abraham vorgegeben sein dürfte: Gehört ihr zu dieser Gemeinschaft des Heils? Paulus argumentiert mit Gen 15,6 und versteht den Vers so, dass diese Zugehörigkeit sich am Glauben Abrahams entschied. Er nimmt dann die Verheißung aus Gen 12,3; 18,18 hinzu, alle „Völker“222 sollten in Abraham gesegnet werden, und erklärt, dass diese sich darin erfüllt, dass die Nichtjuden wie Abraham aus dem Glauben leben und gerade so „Kinder Abrahams“ werden (V. 7.9) – ein durch die Beschneidung markierter Übertritt zum Judentum ist also nicht erforderlich. Freilich könnten die Gegner nun einwenden, dass Gott selbst dem Abraham doch das Zeichen der Beschneidung als Siegel für diesen Gnadenbund gegeben habe (vgl. Gen 17,1–14). So kommt Paulus nach der Neudefinition der Abrahamskindschaft in V. 6–9 quasi zwangsläufig auf die Frage, wie das nun mit den „Werken des Gesetzes“ ist – die ohnehin auch aus der Frage 3,5 noch als Alternative zum Glauben zu bedenken wären. Wie dort setzt er die Bestimmungen „aus Glauben“ und „aus Werken des Gesetzes“ in eine Antithese – und so wie er den Glauben mit dem „Segen“ Abrahams verbunden hat (V. 9), sieht er nun antithetisch die, „die aus Werken des Gesetzes sind“, unter einem „Fluch“ (V. 10). Diese scharfe These ist neu im Galaterbrief, die kritischsten Aussagen zum Gesetz bisher waren der Gedanke der „Knechtschaft“ (2,4) und die Bestreitung der Heilsnotwendigkeit bzw. -wirksamkeit der Werke des Gesetzes (2,16). Paulus begründet seine These mit Dtn 27,26, eine Fluchandrohung für den Fall, dass jemand nicht alle Gebote erfüllt. Während Dtn 27 aber voraussetzt, dass es möglich ist, alle Gebote zu erfüllen, wofür dann der Segen Gottes verheißen ist (vgl. im direkten Fortgang den Anfang von Dtn 28 oder auch Dtn 30), will Paulus von Segen hier nichts wissen. Steht die Erfahrung dahinter, dass die Erfüllung des Gesetzes faktisch nicht gelingt? Davon redet Paulus (jedenfalls an unserer Stel222 In Gen 12,3 ist von allen „Stämmen“ der Erde die Rede; Paulus spricht mit der Parallelstelle Gen 18,8 von πάντα τὰ ἔθνη („alle [Heiden-]Völker“), was in meiner Übersetzung sonst als „Nichtjuden“ wiedergegeben wird. Diese für die Zeit des Paulus naheliegende Bedeutung ist aber in Bezug auf Abraham anachronistisch (Juda ist ja erst sein Urenkel), weshalb hier der Begriff „Völker“ gewählt wurde.

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le) nicht223 – dass niemand „im Gesetz … gerecht wird bei Gott“ (V. 11), begründet er nicht mit irgendwelcher Erfahrung, sondern schlicht mit dem Prophetenwort aus Hab 2,4, das er auch an prominenter Stelle eingangs des Römerbriefs (Röm 1,17) für sein Verständnis der Rechtfertigung anführt: „Der Gerechte wird aus Glauben leben“, also nicht aus dem Gesetz, das ja im Gegensatz dazu von Leben aus dem „Tun“ spricht (Lev 18,5; V. 12).224 Dieses Stichwort „tun“ verbindet die Argumentation dann wieder mit dem Zitat aus Dtn 27,26: Das Gesetz verlangt fortwährend allerlei Tun – die Gerechtigkeit aber, also die Annahme durch Gott, kommt nach Hab 2,4 (und Gen 15,6!) nicht daraus, sondern aus dem Glauben. Deshalb ist das Gesetz für Paulus ein Fluch: Nicht wegen einer prinzipiellen Unerfüllbarkeit, sondern wegen einer prinzipiellen Unfähigkeit – „im Gesetz“ wird „niemand gerecht … bei Gott“ (V. 11). Man muss mit dem vermeintlichen Schriftbeweis an dieser Stelle nicht zufrieden sein, auch Paulus selbst empfindet die Notwendigkeit, im Folgenden noch mehr zu seinem Verständnis des Gesetzes zu sagen. Hier liegt ihm zunächst an der Klarheit seiner These: Er spitzt die Differenz zwischen Glaube und Werken des Gesetzes zu, indem er sie als Antithese zwischen Segen und Fluch entfaltet. Die Frage liegt zwar nahe, ob Paulus damit in polemischer Absicht über das Ziel hinaus schießt,225 deutlich ist aber in jedem Fall, dass er sich hier nicht nur auf bestimmte „Werke des Gesetzes“ (V. 10), sondern mit Dtn 27,26 (V. 10) und Lev 18,5 (V. 12) auf alle Bestimmungen des Gesetzes, also auf das Gesetz als ganzes bezieht.226 Mag der Anlass 223 Im Gegenteil ist aus 5,14 oder auch weiter entfernteren Paulussätzen wie Phil 3,6 anzunehmen, dass Paulus von einer prinzipiellen Erfüllbarkeit des Gesetzes ausgeht – nur sieht er dadurch eben nicht die Gerechtigkeit vor Gott begründet. An dieser Stelle unterscheidet sich der Apostel also trotz bzw. gerade in seiner grundsätzlichen Infragestellung des Gesetzes deutlich von Luther, dessen eigenes Scheitern an dem Versuch, dem Willen Gottes zu genügen, ein wichtiges Moment auf dem Weg zur Entdeckung der reformatorischen Rechtfertigungslehre war. 224 Vouga, HNT 10, 74, legt plausibel dar, dass dieser „Syllogismus“ („Obersatz V. 11b … Untersatz V. 12 … Schluss V. 11a“) das seiner Sache gewisse „offenbar“ (δῆλον; V. 11) begründet, dass dieses für Paulus aber zugleich „aus der christologischen Offenbarung“ (ebd., 73) abgeleitet ist. 225 Einen Satz wie Röm 7,12 – „das Gesetz ist heilig und das Gebot ist heilig und gerecht und gut“ – sucht man im Gal vergeblich. Freilich sind sowohl Röm als auch Gal aus einer bestimmten Situation heraus zu verstehen und welcher eher die abschließende Position des Paulus formuliert, wäre noch zu diskutieren. Vgl. dazu unten B.2.d), besonders 185ff. 226 Von „alles“ redet nur V. 10, doch auch „dies“ in V. 12 ist ein griechischer Plural (αὐτά). Dies reflektiert Dunn, BNTC, 173, nicht genügend, wenn er V. 10 auf Juden bezieht, denen die „Werke des Gesetzes“ als Zeichen der Zugehörigkeit zum Judentum so wichtig gewesen seien, dass sie darüber die Gründung des Bundes auf den Glauben aus dem Blick verloren hätten und sich damit faktisch außerhalb des Bunds

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der galatischen Kontroverse, der Anlass auch der Entwicklung der paulinischen Rechtfertigungslehre in der konkreten Streitfrage des Übertritts zum Judentum – also den „Werken“ der Beschneidung, der Speise- und Sabbatagebote – zu sehen sein: Ihre Entfaltung geht wie in 2,19 so auch hier in V. 11f. von den „Werken des Gesetzes“ (V. 10; vgl. 2,16) über in eine grundsätzliche Bestimmung dessen, was „das Gesetz“ bedeutet. Der entscheidende Baustein der Argumentationskette freilich fehlt noch. Etliche Fragen sind ja offen: Warum sollte sich die Abrahamsverheißung für die Völker (V. 8) gerade jetzt erfüllen? Warum sollte der Fluch des Gesetzes nicht mehr gelten? Und vor allem: Ist die Schriftauslegung des Apostels nicht recht willkürlich?227 Auf alle diese Fragen gibt Paulus letztlich eine und dieselbe Antwort: Jesus Christus. Von ihm her, der „als Gekreuzigter“ (3,1) und Auferstandener der entscheidende Inhalt der paulinischen Verkündigung ist (vgl. 1,1.4.6.12.16 usw.), entwirft und durchdenkt Paulus seine Theologie. Vouga formuliert das so: „Es geht nicht darum, aus der Schriftauslegung … den Beweis … für die Wahrheit … des Evangeliums, wie es in Gal 2,14–21 ausformuliert ist, … zu erbringen, sondern vielmehr umgekehrt: Von der Ausformulierung des Evangeliums (Gal 2,14– 21), die sich aus der Gottesoffenbarung in Christus ergibt (Gal 1,12.16), … wird die Selbstdefinition Israels [und nicht nur diese; AW] neu entdeckt und neu interpretiert.“228 Anders gesagt: Das Bedenken des Christusgeschehens ist der hermeneutische Schlüssel, mit dem sich nach Paulus die Schrift öffnen lässt. Hier sieht das so aus: Durch den Fluchtod am Kreuz (Dtn 21,23!) ist Christus stellvertretend – „für uns“ – zum Fluch geworden und hat uns so von dem über uns schwebenden Fluch des Gesetzes „freigekauft“ (V. 13). Paulus dürfte die ganze These vom Gesetz als Fluch in V. 10–12 eben aus dieser Interpretation der stellvertretenden Bedeutung des Kreuzestodes entwickelt haben,229 die in 2,19f. schon in ähnlicher Weise (wenn „and consequently under a curse“ stellten. Die Dunnsche Interpretation von „Werke des Gesetzes“ ist zwar hilfreich, diese Auslegung hier aber dann doch sehr gewollt. 227 Lührmann, ZBK.NT 7, 50–53, zeigt exemplarisch für Gen 15,6, dass Paulus die Stelle völlig gegen die bisherige Auslegungstradition interpretiert. Für das Verständnis von Gal 3 lässt sich daraus v.a. ableiten, dass Paulus seine Theologie nicht aus der Schriftauslegung entwickelt hat. Entscheidend sind die Christusoffenbarung und die für Paulus damit verbundenen Grunderkenntnisse (etwa die Berufung zum Apostel der Nichtjuden), in deren Licht er nun die Schrift neu versteht; vgl. ebd., 59. 228 Vouga, HNT 10, 70; vgl. die folgenden Überschriften: „Neudefinition …“ (71; 72; 78; 81; 85). 229 Dtn 21,23 als Beleg dafür, dass ein Gekreuzigter unter Gottes Fluch steht, hat Paulus im Wortlaut am Anfang (Septuaginta: ὅτι κεκατηραμένος ὑπὸ θεοῦ πᾶς) wohl bewusst an seine Wiedergabe von Dtn 27,26 angepasst (ἐπικατάρατος πᾶς ὁ), um eben diese Beziehung ganz deutlich werden zu lassen.

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auch ohne das Fluchmotiv) vorausgesetzt ist. Und so kann er nun auch erklären, dass und wie der Christus Jesus die Abrahamsverheißung für die Nichtjuden in Kraft (V. 14) setzt: Ist das Gesetz, das die Gerechtigkeit nicht schaffen kann, mit seinem Fluch überwunden, wird der Blick für den Segen frei, der dem Glauben gilt – und, wie die Galater bereits erfahren haben, im Geistempfang besteht. So kommen die Linien der beiden ersten Teilabschnitte und der Frage 3,5 hier zusammen: Die Galater sind sozusagen der lebende Beweis dafür, dass die paulinische Schriftauslegung im Lichte der Christusoffenbarung zutrifft. Eine besondere Betrachtung verdient in V. 13f. das „wir“, in dem Paulus formuliert: Sprach der erste Abschnitt (V. 6–9) über „die aus Glauben“ und der zweite (V. 10–12) über „die aus Werken des Gesetzes“, so der dritte von „wir“. Wer ist das nun? Einige Exegeten beziehen dieses „wir“ – gerne dann auch in 3,23–25; 4,3–5 – exklusiv auf die Juden, so etwa Bachmann mit der These, dass „jeweils das Juden geltende Heilsgeschehen als Voraussetzung dessen zur Sprache kommt, was – deshalb – auch den Heiden gelten kann (s. bes. 3,14.26-29; 4,6f.)“.230 Nun lässt sich zwar V. 10–12 als primär auf Juden bezogen verstehen, so dass dieser Bezug des „wir“ einen sinnvollen Anschluss ergäbe, auch wenn ein „wir“ in V. 10–12 eben nicht steht. Dennoch überwiegen die Probleme dieser Zuordnung. Dass das „wir“ von 2,15–17 her als auf Judenchristen bezogen verstanden werden solle, verkennt das klare Ende der Wiedergabe der antiochenischen Anrede an Kefas mit der Wendung an die Galater in 3,1231 ebenso wie die rhetorische Strategie in 2,15–17, die eben dieses „wir“ in seiner Kontraststellung zu den Nichtjuden ad absurdum führen will, um die Gemeinschaft aus Juden und Nichtjuden in Christus ins Licht zu rücken. Wäre es auf diesem Hintergrund wirklich vorstellbar, dass Paulus hier in V. 13f. ein „wir“ verwendet, das ausgerechnet ihn und seine galatischen Gegner (die er sonst nicht einmal anspricht!) in eine Gruppe zusammenfasst, die seinen galatischen Adressaten gegenüberstehen? Entscheidend ist freilich die Beobachtung, dass die Argumentationsstruktur des Abschnitts in V. 13f. die beiden 230 Bachmann, Kirche, 165; vgl. ebd., 165f., und ausführlicher ders., Sünder, 136– 139, mit Verweis u.a. auf eine Arbeit von Donaldson. Ähnlich positioniert sich z.B. Betz, Galaterbrief, 269 (mit Anm. 97), der aber in 4,3 „alle Christen, ob jüdischer oder heidnischer Herkunft“, angesprochen sieht (ebd., 357). Nach Dunn, BNTC, meint das „wir“ in 3,13 „both Jew and Gentile“ (ebd., 176), in 3,23–25 aber, „unusually, … ‚we Jews‘„ (ebd., 198), während es in 4,3f. „refers primarily to … Christian Jews“, wobei zugleich eine „transition in thought … (iv.5–6; that is, including Gentiles …)“ mitschwinge (ebd., 212). 231 So mit Recht Eckstein, Verheißung, 152 Anm. 332; gegen Bachmann, Sünder, 137 (die Leser würden das „wir“ „natürlicherweise“ von 2,15 her begreifen); Betz, Galaterbrief, 269 Anm. 97.

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Linien V. 6–9 und V. 10–12 gerade zusammenführt: So ist nicht nur in V. 14 ein Bezug des „wir“ exklusiv auf Juden ausgeschlossen,232 auch in V. 13 ist naheliegender, eine bewusste Zusammenfassung von Heiden- und Judenchristen „als die Einheit der an Christus Glaubenden“233 zu sehen. Denn nirgends ließe sich bei Paulus sonst der Gedanke finden, dass der Kreuzestod Jesu (V. 13) in spezieller Weise Juden gelte, im Gegenteil: Er hat den Galatern „Jesus Christus vor Augen gemalt … als Gekreuzigte[n]“ (3,1). Wenn aber ein Bezug des „wir“ exklusiv auf Juden unwahrscheinlich ist und ein solcher nur auf Nichtjuden von vornherein ausscheidet (denn Paulus ist Jude), lässt sich dieses „wir“ nur so interpretieren, dass es für eine Gruppe steht, die quer zu den ethnischen Trennlinien konstituiert ist durch den Glauben an den Christus: Es ist das „wir“ der Gemeinde.234 Wenn Paulus aber dieses „wir“ von dem Fluch des Gesetzes erlöst sieht, so betraf dieser alle Menschen unabhängig von der Volkszugehörigkeit;235 V. 10 darf also nicht so verstanden werden, als gelte dieser Fluch ausschließlich Juden. Vielmehr ist Ecksteins Erklärung plausibel, dass Paulus jeweils die Aspekte seiner Sicht hervorhebt, die umstritten sind, „nämlich die Einbeziehung der Heiden … in den Kreis der mit Abraham Gesegneten (3,8f.14a) und die Einbeziehung der Juden … in den Kreis derer, die als Sünder unter dem Fluch … stehen (3,10–12 …)“.236 3,15–29 Das Erbe und die Erben Abrahams: Kinder Gottes in Christus/im Geist 15

Geschwister, ich rede menschlich: Selbst eines Menschen rechtskräftiges Testament hebt niemand auf oder versieht es mit einem Zusatz. 16 Dem Abraham wurden die Verheißungen gegeben und seinem Samen. 232

Dass auch Bachmann, Sünder, 137, für 3,14 und 4,6 ausdrücklich ein inklusives Verständnis des „wir“ annimmt, ist ein weiteres Problem seines Vorschlags, es sonst exklusiv auf Juden zu beziehen. Im Übrigen begegnet 4,26 ein „wir“, das jedenfalls manche Juden geradezu ausschließt. 233 Eckstein, Verheißung, 153. 234 Sänger, Strategien, 174, interpretiert diesen „ekklesiologische[n] Plural“ im Gal durchgängig (er nennt 1,3f.; 2,16f.; 3,13f.23–25; 4.35f.31; 5,15.25f.; 6,9f.; vgl. ebd. auch Anm. 61) als Element der rhetorischen Strategie des Paulus, die Gemeinden mit sich in Opposition zu den Gegnern zu verbinden. Eine vermittelnde Position bringt Walker, We, 561, ins Gespräch: Paulus gebrauche das „wir“ hier „in an implicitly inclusive sense, referring sepcifically to Jewish Christians but with language immediately following that draws Paul’s Gentile readers in Galatia into the picture“. 235 Ähnlich akzentuieren z.B. Schlier, KEK 7, 136f.; Vouga, HNT 10, 75.77. 236 Eckstein, Verheißung, 152.

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Es heisst nicht: und den Samen, als über viele, sondern als über einen: „und deinem Samen“ [Gen 13,15 u.ö.], das ist Christus. 17 Das aber sage ich: Ein von Gott vorher rechtskräftig gemachtes Testament setzt das 430 Jahre später entstandene Gesetz nicht außer Kraft, so dass die Verheißung zunichte gemacht wäre. 18 Wenn nämlich aus einem Gesetz das Erbe [erlangt würde], dann [käme es] nicht mehr aus einer Verheißung; dem Abraham aber hat sich Gott durch Verheißung gnädig erwiesen. 19

Was also ist das Gesetz? Der Übertretungen wegen wurde es hinzugefügt, bis der Same käme, dem die Verheißung galt; angeordnet wurde es durch Engel in der Hand eines Mittlers. 20 Ein Mittler aber vertritt nicht einen einzigen; Gott aber ist ein einziger. 21 Steht also das Gesetz gegen die Verheißungen (Gottes)? Gewiss nicht! Wenn nämlich ein Gesetz gegeben worden wäre, das Leben schaffen könnte, dann käme in der Tat aus dem Gesetz die Gerechtigkeit. 22 Aber die Schrift hat alles unter Sünde zusammengeschlossen, damit die Verheißung aus Glauben an Jesus Christus gegeben werde den Glaubenden. 23

Bevor aber der Glaube kam, waren wir unter dem Gesetz gehalten, zusammengeschlossen, bis der Glaube offenbart werden sollte. 24 Also ist das Gesetz unser Erzieher geworden bis zu Christus, damit wir aus Glauben gerecht würden. 25

Nachdem aber der Glaube gekommen ist, sind wir nicht mehr unter einem Erzieher. 26 Alle nämlich seid ihr Söhne Gottes durch den Glauben in Christus Jesus. 27 Ihr alle nämlich, die ihr auf Christus getauft wurdet, habt Christus angezogen. 28

Es gibt nicht Jude noch Grieche, es gibt nicht Sklave noch Freier, es gibt nicht Mann und Frau; alle nämlich seid ihr einer in Christus Jesus.

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Wenn ihr aber Christi seid, dann seid ihr also des Abraham Same, nach der Verheißung Erben.

Textliche und sprachliche Bemerkungen: V. 15: Das griechische ὅμως geben die meisten Übersetzer mit „selbst“ wieder, vgl. zum sprachlichen Hintergrund z.B. Blass/Debrunner/Rehkopf, Grammatik, § 450.2. V. 18: Die in eckigen Klammern stehenden Verben stehen im Griechischen nicht, weshalb die Übersetzung als Irrealis nicht zwingend ist; für diese Auffassung spricht aber der sinnähnliche Satz in 3,21, der eindeutig als Irrealis formuliert ist. Das „nicht mehr“ (οὐκέτι) ist wohl logisch aufzufassen und könnte so auch mit „also nicht“ übersetzt werden. Die letzte Zeile kann evtl. auch so übersetzt werden, dass „das Erbe“ aus dem Vordersatz als Objekt ergänzt wird: „dem Abraham aber schenkte (es) Gott aus Gnade durch eine Verheißung“. V. 19: Viele Kommentare übersetzen „Was soll nun das Gesetz?“ V. 20: Wörtlich „Ein Mittler aber (ist) nicht eines einzigen“. V. 21: In wenigen Handschriften (u.a. P46 B) fehlt „Gottes“; das könnte also Ergänzung sein, aber ohne Einfluss auf den Sinn. – Sprachlich präzisierend sind „steht“ am Anfang (im Griechischen Ellipse des Verbs) und „käme“ am Ende (statt „wäre“). V. 23: Das mit „gehalten“ wiedergegebene Verb (ἐφρουρούμεθα; als Imperfekt ein Verb der Dauer) kann auch mit „in Haft halten“ übersetzt werden. V. 23+24: Die Präposition εἰς kann auch das Ziel bezeichnen; für das zeitliche Verständnis „bis“ spricht u.a. die Beziehung zur eindeutig zeitlichen Formulierung 3,19. V. 25: „Nachdem …“ – die Partizipialkonstruktion vom Satzanfang ließe sich auch kausal verstehen; für das zeitliche Verständnis spricht wieder der Kontext. V. 26: Hier steht in der Tat „Söhne“ (υἱοί), nicht „Kinder“ (τέκνα) wie z.B. 4,28.31. Hintergrund dieser Wortwahl dürfte die Abrahamsverheißung als Verheißung eines Sohnes und der Bezug auf dessen Erbe sein (beides ist im Kontext wichtig, vgl. nur V. 29), weshalb die Übersetzung hier der griechischen Vorlage folgt. Sachlich wäre in Anbetracht von V. 28 aber auch die Übersetzung „Kinder“ vertretbar. – Das „in Christus Jesus“ kann sprachlich zumindest auch auf Sohnschaft (bzw. Kindschaft) bezogen werden; eine diesen Bezug fixierende Umstellung (so Vouga, HNT 10, 86 : „durch den Glauben Söhne Gottes in Jesus Christus“) scheint aber nicht zwingend. V. 29: „Christi sein“ ließe sich etwas freier auch als „Christus gehören“ übersetzen.

Mit den vorigen Versen hat Paulus eine erste argumentative Schneise geschlagen. Die nun folgenden Abschnitte lassen sich als Vertiefung – sie werden durchzogen vom Leitbegriff „Verheißung“ (ἐπαγγελία), der in 3,14 erstmals genannt wurde – und Variation dieser Argumentation lesen: Zunächst ist wieder Abraham und die Verheißung an ihn Thema (V. 15–18; vgl. 3,6–9), darauf wird gefragt, welche Funktion das Gesetz dann haben kann (V. 19–22; vgl. 3,10–12), und schließlich werden diese Überlegungen im Lichte des Christusereignisses zusammengeführt und begründet (V. 23–29; vgl. 3,13f.). Wegen dieser Parallelität des Argumentationsaufbaus zu 3,6–14 werden die drei Unterabschnitte V. 15–18, V. 19–22 und V. 23–29 hier als ein Zusammenhang interpretiert. 4,1–7 greift etliche Gedanken daraus variierend auf, verbindet sie aber auch mit dem Motiv des Freikaufs aus 3,13 und erscheint so als abschließende Summe aus beiden Argumen-

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tationsgängen, bevor Paulus in 4,8 erneut (wie schon in 3,1–5) die galatischen Gemeinden anredet. So ist nach V. 29, der auch durch die Aufnahme von Leitmotiven aus V. 15–18 den Zusammenhang V. 15– 29 unterstreicht, nochmals eine Zäsur zu sehen, auch wenn es sachlich möglich wäre, 3,15–4,7 als einen Zusammenhang zu entfalten. Mit der Anrede „Geschwister“ (V. 15) eröffnet Paulus den neuen Abschnitt freundlicher als in 3,1 – diese stärker auf die Verbundenheit setzende Bezeichnung der Galater begegnet noch öfter (nach 1,11 und hier noch 4,12.28.31; 5,11.13; 6,1.18) und zeigt so, dass der Apostel um seine Gemeinden und ihr Einverständnis wirbt. Er tut dies hier, indem er mit der unbedingten Gültigkeit eines Testaments ein Beispiel aus der menschlichen Erfahrungswelt einführt. Dieses Bild nimmt er für Gottes „Verheißungen“ an Abraham (V. 16), womit er den Begriff aufnimmt, der im Griechischen für den „verheißenen Geist“ (V. 14: ἐπαγγελία τοῦ πνεύματος) stand und als Leitwort die folgenden Abschnitte miteinander verbindet. „Verheißung“ nimmt die gleiche Stellung wie zuvor „Glaube“ ein und fungiert als Gegenbegriff zu „Gesetz“. Paulus betont zunächst, dass die Verheißung älter ist als das Gesetz; die 430 Jahre sind nach der Septuagintafassung von Ex 12,40 der Zeitraum, den das Volk Israel vor der Gabe des Gesetzes am Sinai „im Land Ägypten und im Land Kanaan“237 war. Die Verheißung versteht er in Aufnahme des Bilds aus V. 15 als „Testament“ bzw. „Bund“ Gottes – der griechische Begriff διαθήκη bezeichnet beides238 –, sie kann noch weniger als ein menschliches Testament durch das spätere Gesetz geändert werden.239 In seiner Argumentation legt Paulus erkennbar eine Distanz zwischen Gott und das Gesetz, das hier als eigenständige Größe „entsteht“ (V. 17) und offenbar bewusst nicht auf Gott zurückgeführt wird: Gott handelt in der Verheißung (nach V. 17f. dürfte auch das Passiv in V. 16 auf Gott deuten), das Gesetz aber ist ohne Bedeutung für sein „Testament“ bzw. seinen „Bund“ mit Abraham. Das verstärkt den Eindruck, dass sich Paulus hier jedenfalls nicht mehr auf bestimmte Werke des Gesetzes wie die (nach Gen 17 längst vor dem Sinai dem Abraham gebotene) Beschneidung bezieht, sondern ganz grundsätzlich spricht.240 237

Septuaginta deutsch, 68. Detaillierter vgl. z.B. Lührmann, ZBK.NT 7, 62. Dunn, BNTC, 180, übersetzt in V. 15 „will“, in V. 17 „covenant“. 239 Vgl. ausführlicher Vouga, HNT 10, 80: „Die Analogie des menschlichen Erbrechts strukturiert das Verhältnis zwischen Bund, Verheißung und Gesetz so, daß die späte Gesetzgebung am Sinai 1. das Gesetz von den Verheißungen und vom Bund Gottes mit Abraham deutlich trennt, 2. seine relevante Zugehörigkeit zu der Geschichte der Verheißungen Gottes als ungültigen Zusatz ausschließt und 3. seine Betrachtung als Bestandteil des Bundes die Verheißung an Abraham vernichten würde.“ 240 Das sieht auch Dunn, BNTC, 181 – er beschreibt das Thema dieser Verse so: „But ‚works of the law‘ were not the law; what about the law itself?“ 238

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Seine Auslegung zeigt dabei wieder: Paulus liest die Schrift von der Christusoffenbarung her neu. Sein Interesse ist nicht, die Schrift aus sich heraus zu erläutern; Paulus fragt vielmehr, wie sie nach dem Christusgeschehen und in dessen Licht zu verstehen ist. Nur in dieser Perspektive werden Ideen plausibel wie die Distanzierung Gottes vom Gesetz oder die Interpretation des Singulars „Same“ nicht z.B. auf das Volk Israel, sondern auf Christus (V. 16), mit dem sich die Verheißung an Abraham in ihrer Reichweite für alle Völker, also auch die Nichtjuden realisiert. Auch der Begriff des „Erbes“, der in V. 18 erstmals auftritt, meint bezogen auf die im Licht des Christusereignisses betrachtete Verheißung deren Erfüllung. In dieser eschatologischen Konnotation wird er in V. 29 (und dann auch in 4,1–7; vgl. 4,30) wieder aufgenommen. In V. 19–22 betont und vertieft Paulus mehrere Aspekte seiner bisherigen Argumentation. Der zeitliche Abstand des Gesetzes zu den Verheißungen wird erneut markiert (V. 19: „hinzugefügt“) und zugleich seine Geltung befristet „bis“ zum Kommen des „Samens“ Abrahams (V. 19), also Christi (vgl. V. 16), der nun die Verheißung so in Kraft setzt, dass sie allen Glaubenden gilt (V. 22). Gegenüber dem Bild vom Freikauf aus dem Fluch des Gesetzes durch Christi Kreuzestod (3,13) geht diese Idee einer Befristung des Gesetzes noch einmal weiter. Ebenfalls deutlicher als in V. 17 distanziert Paulus Gott vom Gesetz: Dessen Entstehung führt er auf untergeordnete Engel zurück und stellt fest, es sei überdies durch einen Mittler – also Mose – vermittelt, was den Unterschied zur direkt vom einzigen Gott (V. 20) gegebenen Verheißung noch klarer ins Licht setzt.241 Nie und nimmer kann ein solches Gesetz eine ernsthafte Alternative zu den Verheißungen Gottes sein (V. 21). Dies gilt aber nicht erst aufgrund einer evtl. Unerfüllbarkeit des Gesetzes, sondern von vornherein wegen dessen Unfähigkeit: Das Gesetz kann gar nicht gerecht machen vor Gott, wie aus dem Irrealis V. 21 zu folgern ist (vgl. auch schon 3,11) – das Leben schenkt allein Gott,242 und zwar durch seine Verheißung denen, die an Jesus Christus glauben. 241

Vouga, HNT 10, 83, verweist auf Parallelen in Apg 7,38.53; Heb 2,2 und Hintergründe dieser wohl von Dtn 33,2 LXX her entwickelten Vorstellung in der frühjüdischen Literatur. Dass die Engel unter Gott stehen, wurde schon in Gal 1,8 deutlich: Nicht einmal ein Engel dürfte das Evangelium Gottes ändern. Anders Dunn, BNTC, 191: Die Gabe des Gesetzes durch Engel sei ein „unthreatening motif in Jewish thought of the time“ und dürfe nicht als Herabwertung des Gesetzes (miss)verstanden werden. Das „glatteste“ Verständnis der Mose-Aussagen wäre in diesem Zusammenhang übrigens dann gegeben, wenn Mose hier selbst als engelsähnliche Gestalt und so als Repräsentant der Engel verstanden wäre; vgl. dazu Schlier, KEK 7, 159–161. 242 Vgl. Vouga, HNT 10, 85: „ζῳοποιεῖν ist bei Paulus und in der frühchristlichen Literatur ein soteriologisch-eschatologischer Begriff. Subjekt ist entweder Gott … oder der Geist … oder Christus“.

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Die Betonung des Apostels, dass das Gesetz nicht gegen die Verheißungen Gottes stehe (V. 21), ist also so zu verstehen, dass die Verheißung etwas gibt, das völlig außerhalb der Fähigkeiten des Gesetzes liegt. Was aber ist dann die Aufgabe des Gesetzes, wozu ist es überhaupt da (V. 19)? Paulus bietet hierzu in V. 19 nur einen interpretationsbedürftigen Halbsatz: „Der Übertretungen wegen wurde es hinzugefügt“. Das könnte in einem Zusammenhang stehen mit dem Anfang von V. 22: „die Schrift hat alles unter Sünde zusammengeschlossen“. Wird das erste zeitlich dem Kommen Christi untergeordnet („bis“), so das zweite final der Erfüllung der Verheißung zugeordnet („damit“). Das Spektrum möglicher Deutungen dieser Sätze ist weit. Deutlich ist eigentlich nur, dass sich der Gedanke kaum sinnvoll auf Beschneidung, Speise- und Sabbatgebote als „Werke des Gesetzes“ einengen lässt: Zwar ließe sich die zeitliche Struktur noch so deuten – mit Christus überschreitet das Heil Gottes die Grenzen der Volkszugehörigkeit –, aber die zitierten Aussagen zu „Übertretungen“ und „Sünde“ wollen sich in ein auf diese Frage fokussiertes Verständnis des Gesetzes nicht fügen. Paulus redet hier wohl grundsätzlich vom Gesetz, was auch der Bezug auf Mose als dessen Mittler unterstreicht. Aber wie versteht er es? Meint Paulus, dass das Gesetz bis zur Erfüllung der Verheißung den „Übertretungen“ wehren sollte? Das könnte zu den positiven Aussagen über die Erfüllung des Gesetzes durch den in der Liebe tätigen Glauben in Kap. 5 und 6 passen (der das Gesetz nicht mehr braucht), V. 22a würde dann etwa sagen, dass alle diesen Weg des Glaubens brauchen.243 Oder will Paulus sagen, dass die bereits vorhandenen „Übertretungen“ durch das Gesetz sichtbar werden sollten? Das könnte dann auch erklären, inwiefern „alles unter Sünde zusammengeschlossen“ wurde (V. 22). Eine noch deutlichere Spielart dieser Auslegung wäre mit einem finalen Verständnis des „wegen“ in V. 19 gegeben: Das Gesetz würde dann geradezu die Übertretungen bewirken und so auch den Zusammenschluss von allem unter Sünde.244 Einfach ist die Entscheidung nicht, weshalb es sich empfiehlt, auch den folgenden Unterabschnitt zu Rate zu ziehen. Dessen Ver243

Vgl. auf dieser Linie etwa ebd., 82f.; dagegen z.B. Schlier, KEK 7, 153: „Nirgends taucht bei ihm [sc. Paulus] der Gedanke einer sündenwehrenden Funktion des Gesetzes auf.“ – Ein anderes positives Verständnis schlägt Dunn, BNTC, 190, vor: Er will V. 19 auf das „sacrificial system“ beziehen, das bis zum Christusereignis einen Umgang mit Übertretungen ermögliche. Aber wie hätten die Galater als Nichtjuden nach den Aussagen über den Fluch des Gesetzes in 3,10.13 ausgerechnet diesen begrifflich nicht weiter gestützten Bezug erkennen sollen? 244 Für ein solches Verständnis plädieren – u.a. mit Verweis auf Röm 5,20 – z.B. Schlier, KEK 7, 152f., und Haacker, Antinomismus, 391f. Lührmann, ZBK.NT 7, 64, sieht dies erst im Römerbrief gedacht.

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bindung mit dem Vorangehenden ist deutlich: Auch wenn der Leitbegriff „Verheißung“ erst wieder in V. 29 fällt, zeigen V. 23f. dieselbe Ausrichtung auf einen von der Verheißung her erwarteten Termin („bis“)245, der eben durch das „Kommen“ sei es des verheißenen Samen (so V. 19), also Christi (V. 19.24), sei es des Glaubens (V. 23.25) markiert ist. Dieser Zeitpunkt ist für Paulus eschatologisch qualifiziert, was die Verwendung des Verbs „offenbaren“ in V. 23 zeigt.246 Wie in 1,12.16 beschreibt Paulus hier „in einem objektiven Sinn eine bestimmte Zäsur in der Zeit. Sie teilt die Geschichte in zwei Teile.“247 Auf dieser Linie ist auch V. 25–29 zu verstehen, wo der Apostel beschreibt, was nun, nach dem Kommen des Glaubens (V. 25), „in Christus Jesus“ gilt: Die an ihn glauben und auf ihn getauft sind, die sind „Söhne Gottes“ (V. 26), gehören zu Christus (V. 29), ja sie sind „einer“ in ihm (V. 28). So ist die Gemeinde der an Christus Glaubenden der Same des Abraham und erlangt aufgrund der Verheißung das Erbe (V. 29, vgl. V. 18), das in der Gemeinschaft mit Gott besteht (also dem Gerechtwerden: V. 24; vgl. 2,16). Auf dieser Erfüllung der Verheißung liegt in V. 23–29 der Ton, doch auch in diesem Zusammenhang spricht Paulus in V. 23–25 nochmals von dem Gesetz. Dessen Funktion, das ist deutlich, endet mit dem Kommen des Glaubens. Worin aber bestand sie? Mit „halten“ verwendet V. 23 ein Verb, das u.a. für „gefangen halten“ stehen kann, wozu auch das „zusammengeschlossen“ passt, das V. 23 mit V. 22 verbindet. Ist das „Gesetz“ für Paulus also wie die „Sünde“ eine Macht, der die Menschen – jedenfalls vor dem Kommen Christi – unterworfen sind? Das könnte die oben skizzierten negativeren Interpretationen der Rede vom Gesetz in V. 19 stützen. Wie passen die aber zu der Sicht des Gesetzes als „Erzieher“ (παιδαγωγός, V. 24f.), der ebenfalls als diese Macht beschrieben werden kann, „unter“ der die Menschen lebten (V. 25)? Hier ist wichtig zu sehen, dass in der Zeit des Paulus die Bezeichnung „Erzieher“ nicht jemanden meinte, der sich verständnisvoll und engagiert für eine bestmögliche Entwicklung eines Kindes einsetzt, sondern eher eine Art Aufpasser und Anpeitscher, wozu gerne Sklaven Verwendung fanden, „die zu sonst nichts taugten“.248 Die Rede vom „Erzieher“ kann also sehr wohl als negativ konnotiertes Bild verstanden werden – gegenüber dem Sein unter dem Erzieher wird es als Befreiung erlebt, wenn die älter Gewordenen ihre Kindesrechte ohne solchen Aufpasser wahrnehmen können. Dennoch lässt sich dieses Bild nicht stimmig mit einer finalen Inter245 Im Griechischen freilich verschieden konstruiert (V. 19 ἄχρις οὗ; V. 23f. zeitlich zu verstehendes εἰς). 246 Vgl. dazu oben, 31 (zu 1,12). 247 Schlier, KEK 7, 166. 248 Ebd., 168.

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pretation von V. 19 verbinden, nach der das Gesetz die Übertretung allererst bewirken würde. Wenn es wie die Sünde in V. 22 als Macht zu verstehen ist, dann nach dem Bild des „Erziehers“ wohl eher als eine solche, die den Menschen bei seiner Übertretung behaftet, diese sichtbar macht und ihr Grenzen setzt. Dennoch bin ich nicht mit Dunn der Meinung, dass eine solche Rolle „essentially positive“ und die Haft unter dem Gesetz eine Art Schutzhaft („protective custody“) sei.249 Die Zielperspektive der paulinischen Argumentation ist durch die „damit“-Sätze in V. 22 und 24 klar markiert: Gerecht wird ein Mensch kraft der Verheißung an Abraham aus Glauben an Jesus Christus. Damit wird nicht nur die Relevanz besonderer „Werke des Gesetzes“ (2,16; 3,2.5.10) bestritten, sondern zugleich das Gesetz als solches in seine Grenzen gewiesen (V. 21), die u.a. in der zeitlichen Begrenzung seiner Geltung bestehen (V. 25). Der paulinische Ton ist hier gesetzeskritisch und nicht der eines Loblieds auf die Torah. Das gilt auch, wenn V. 23–25 gar nicht von einer allgemeinen, sondern einer auf die Juden begrenzten Funktion des Gesetzes ausgehen sollten. Ein Argument dafür sehen einige Exegeten in dem „wir“ der V. 23–25, zumal in seinem auffälligen Kontrast zum „ihr“ in V. 26–29. In dieser Sicht ließen sich diese drei Verse als ein Exkurs begreifen, der erläutert, inwiefern auch die Juden mit allen (V. 22) unter die Sünde „zusammengeschlossen“ seien (V 22.23). Doch birgt diese Interpretation des „wir“ auch an dieser Stelle250 mehr Probleme als Lösungsmöglichkeiten. Das gilt schon rein sprachlich, insofern das begründende „nämlich“ (V. 26) V. 25 mit dem Folgenden so verbindet, dass sich eine solche Unterscheidung der jeweils gemeinten Gruppen kaum durchhalten lässt.251 Dazu kommen inhaltliche Aspekte: Eine Begrenzung der Geltung des Gesetzes auf die Juden ist weder vor V. 23 noch im weiteren Verlauf erkennbar (im Gegenteil beziehen zumindest 4,21; 5,18 das Sein „unter dem Gesetz“ auf die Galater)252 – wenn Paulus das meinen würde, hätte er es im Blick auf sei249

Beide Zitate: Dunn, BNTC, 197. Dunns Auslegung wird zusätzlich dadurch belastet, dass sie in keiner erkennbaren Linie zu seiner ebenfalls gewagten Behauptung steht, in V. 19 sei mit Gesetz die Möglichkeit kultisch vermittelter Vergebung gemeint; vgl. dazu oben, Anm. 243. 250 Vgl. schon oben, 80 (zu 3,13). Dunn will das „wir“ wegen des genannten Kontrasts zum „ihr“ in V. 26–29 nur hier (nicht aber in 3,13) auf die Juden bezogen verstehen, vgl. ebd., 198. 251 Das gilt auch, wenn das γάρ „nicht die Aussage des V. 25, sondern die kommunikative Bedeutung der 1. Pers. Plur.“ in V. 23–25 begründet, wie Vouga, HNT 10, 86, meint; vgl. ebd., 89 („Das V. 23–25 Gesagte gilt insofern für die Adressaten (2. Pers. Plur.), als auch sie alle geglaubt haben.“) und 90. 252 Auf dem Hintergrund dieses Befunds schließt m.E auch das Nebeneinander von Ἰουδαίοι und οἱ ὑπὸ νόμον in 1. Kor 9,20 im Kontrast zu den ἄνομοι 1. Kor 9,21 diese Sichtweise nicht aus. Zwar dürfte zutreffen, dass in 1. Kor 9,20 die zweite

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ne galatischen Gegner (die ja gerade als Juden(christen) eine andere Position vertreten) deutlicher markieren müssen. Außerdem spricht Paulus in V. 23 dezidiert von der Zeit vor dem Kommen des Glaubens und es ist schwer vorstellbar, dass er der Meinung ist, dass das Gesetz für die Nichtjuden schon in dieser (nun vergangenen) Zeit irrelevant gewesen wäre hinsichtlich ihrer Stellung vor Gott.253 Und schließlich lässt sich umgekehrt das in der Tat auffällige „ihr“ in V. 26–29 weder exklusiv auf Nichtjuden (V. 28!) noch exklusiv auf die Galater beziehen (als ob Paulus sich von diesen Aussagen ausschließen wollte). Neben diesen sprachlichen und inhaltlichen Erwägungen stützt auch die rhetorische Strategie des Galaterbriefs dieses Verständnis: Paulus will die Galater von den Gegnern differenzieren und mit sich zusammenschließen,254 warum sollte er hier nun an zentralen Stellen seiner Argumentation ein „wir“ vertreten, das gerade ihn und die Gegner verbindet unter Ausschluss der christusgläubigen Nichtjuden? So ist das „wir“ auch hier inkludierend auf alle Christusgläubigen zu beziehen und das „ihr“ als Zuspitzung der Konsequenzen dieser Sicht eben auch (!) für die galatischen Christen zu verstehen. Worin bestehen diese Konsequenzen? Zunächst nennt V. 26 die Gotteskindschaft, betont also zum einen die Freiheit (vgl. dazu weiter 4,5–7), zum anderen – insofern der Gedanke der Sohnschaft mit dem des Erbe und also der Verheißungen an Abraham verbunden ist – die Zugehörigkeit zum erwählten Volk Gottes. Diese entsteht durch den Glauben, dessen „Kommen“ V. 23.25 parallel zum „Kommen“ des verheißenen Samens (V. 19), also Christi (V. 16) setzt. Das „in Christus Jesus“ (V. 26) ist hier nicht als inhaltliche Bestimmung des Glaubens zu verstehen,255 sondern als Beschreibung des Seins der Glaubenden: Christus ermöglicht diesen Glauben und damit die Freiheit, d.h. „in Christus Jesus“ ist die Gemeinschaft der Glaubenden konstiVershälfte „die erste expliziert“ (Merklein, ÖTBK 7/2, 230). Auch stimmt wohl im Grundsatz, dass die „Juden … dadurch ausgezeichnet [sind], dass sie unter dem Gesetz stehen …, während die Heiden das Gesetz … nicht haben“ (Zeller, KEK 5, 317). Andererseits stellt Paulus in 1. Kor 9,20 beides nebeneinander und distanziert sich nur vom zweiten (μὴ ὢν αὐτὸς ὑπὸ νόμον), was die Möglichkeit einer Differenzierung andeutet, die sich nun auch in anderer Richtung, d.h. auf Nichtjuden hin öffnen lässt (wie dann der Galaterbrief zeigt); vgl. auch Anm. 253. 253 Z.B. vertritt Paulus in Röm 2,14 nicht nur die Meinung, dass die Nichtjuden „das Gesetz nicht haben“, sondern betont zugleich, dass sie, sofern sie dennoch nach dem Gesetz leben, „sich selbst Gesetz“ sind – Röm 2,15 folgert dann daraus, dass den Nichtjuden „das Gesetz ins Herz geschrieben“ sei. 254 Vgl. dazu unten, „Exkurs: Polemische Theologie?„, 122ff. 255 Dies drückt Paulus nicht mit ἐν aus, sondern z.B. durch Genitiv oder εἰς (vgl. zu beidem z.B. 2,16). Wenn die Bestimmung von V. 26–28 als geprägte Wendung (dazu im Folgenden) zutrifft, könnten die Worte διὰ τῆς πίστεως sogar Zutat des Apostels sein (wegen des Anschlusses an V. 23–25), so z.B. Betz, Galaterbrief, 320f., unter Verweis auf die Parallelität von V. 26 mit dem Schluss von V. 28.

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tuiert (V. 28!). Klar greifbar ist dieser Übertritt in einen durch Christus bestimmten Raum für die Galater in ihrer Taufe (V. 27), die ihre Identität neu bestimmt. Sie haben „Christus angezogen“ (V. 27)256 und damit gelten für sie die Differenzierungen der alten Welt nicht mehr – sei es die in Galatien heiß diskutierte zwischen Juden und Nichtjuden, seien es die gesellschaftlich prägenden zwischen Sklaven und Freien oder Mann und Frau (V. 28). Dass die Gemeinschaft der Christusgläubigen in dieser Weise „in Christus Jesus“ ist (V. 26) bzw. „Christus angezogen“ hat (V. 27), lässt sie nach Paulus gar nicht mehr als Gruppe, sondern als „einer“ erscheinen, wie V. 28 in höchster Verdichtung des Gemeinschaftsgedankens formuliert. Dieser eine, dem die Gläubigen kraft der Taufe gehören („ihr seid Christi“ V. 29), ist aber der verheißene Same Abrahams (V. 29, vgl. V. 16), dem gemäß der Verheißung Gottes (V. 14–22) das Erbe gilt (V. 18). Wer zu ihm gehört, ist darum Erbe – und zwar schlicht deshalb, weil er zu ihm gehört, nicht wegen irgendeiner Beachtung des Gesetzes o.ä., dessen Funktion mit dem eschatologischen Ereignis des Kommens Christi bzw. des Glaubens vielmehr ihr Ende gefunden hat. Die Schlussfolgerung des V. 29 wirkt noch stärker, falls die These zutrifft, dass V. 26–28 nicht frei formuliert sind, sondern sich an eine in den christlichen Gemeinden verbreitete und etablierte Tradition anschließen.257 Falls eine solche Vorgabe z.B. Teil der Taufliturgie gewesen wäre,258 würde das nicht nur das „ihr“ der Anrede noch einmal anders verständlich machen. Zugleich läge dann hier eine starke Erinnerung an die Anfänge der Galater im Glauben vor (vgl. 3,2–5). Diese Überlegungen sind durchaus Argumente für die Annahme, dass hier eine vor- bzw. nebenpaulinische Tradition verarbeitet sein könnte, ein zwingender Nachweis dafür ist aber kaum zu erbringen.259 256

Diese Metapher lässt sich nicht eindeutig erklären. Der Bezug auf ein Taufgewand ist denkbar, aber für diese frühe Zeit als Brauch nicht sicher nachweisbar. Deshalb listet Dunn, BNTC, 204, eine Reihe alternativer Bezüge auf, die die Metapher konturieren könnten: So stünde das allgemein verbreitete Bild im Judentum für „spiritual renewal“ (ebd.) und es ließe sich überlegen, ob auch hier der – durch die Kleidung markierte – Übergang in die Mündigkeit im Blick sei, den das Bild vom „Erzieher“ voraussetzt (vgl. V. 24; 4,5). Unter Bezug auf ein Kostüm eines Schauspielers oder auch auf die Gabe des Geistes denkt Dunn weiter an die paränetische Verwendung des Bilds bei Paulus und summiert die Metapher so als eine „thoroughgoing transformation of personality“ (ebd., 205). 257 Dass der Gedanke für Paulus eine zentrale Figur ist, zeigt ein Vergleich mit 1. Kor 12,13, vgl. weiter Kol 3,10f. Die These einer Tradition vertreten z.B. Betz, Galaterbrief, 320–327; Vouga, HNT 10, 91. 258 Vgl. Betz, Galaterbrief, 325f. 259 Vgl. nur die grundsätzlichen Bedenken von Dunn, BNTC, 201: „the existence of such elaborate liturgies at this early stage is questionable … and when the key evidence is from the Pauline letters themselves, it becomes methodologically difficult to distinguish more widespread patterns from characteristic Pauline themes and forms“.

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4,1–7 Zwischenfazit: Sendung des Sohnes als Freikauf zu Kindern Gottes 41 Ich sage aber: Für die Zeit, die der Erbe unmündig ist, unterscheidet er sich in nichts von einem Sklaven, obwohl er Herr über alles ist, 2 sondern er ist unter Vormündern und Verwaltern bis zu dem von dem Vater festgesetzten Termin. 3 So auch wir: Als wir unmündig waren, waren wir unter die Elementarmächte der Welt versklavt. 4 Als aber die Fülle der Zeit kam, entsandte der Gott seinen Sohn, geboren aus einer Frau, seiend unter dem Gesetz, 5 damit er die unter dem Gesetz freikaufe, damit wir die Annahme an Kindes Statt empfingen. 6 Weil ihr aber Söhne seid, entsandte der Gott den Geist seines Sohnes in unsere Herzen, der da ruft: Abba, Vater! 7 Deshalb bist du nicht mehr Sklave, sondern Sohn; wenn aber Sohn, (dann) auch Erbe durch Gott. Textliche und sprachliche Bemerkungen: V. 1: „Für die Zeit, die“ (ἐφʼ ὅσον χρόνον) könnte auch mit „Solange“ übersetzt werden. Die im Deutschen etwas umständliche Wiedergabe möchte den sprachlichen Bezug zu V. 4 erkennbar machen, der das Stichwort „Zeit“ (χρόνος) wieder aufgreift. V. 4: Das holprige „seiend unter dem Gesetz“ ahmt die griechische Parallelstruktur nach, die sogar zweimal dasselbe Partizip γενόμενον verwendet (unter Reduktion von dessen Bedeutungsspektrum wäre auch „geboren unter dem Gesetz“ möglich). V. 6: Das einleitende „weil“ (ὅτι) ließe sich auch als deklaratives „dass“ verstehen (so z.B. Dunn, BNTC, 218f.). Da dies allerdings zugleich die Annahme einer elliptischen Konstruktion verlangt, wird in der Regel die kausale Bedeutung angenommen. V. 6f. „Söhne“ bzw. „Sohn“ könnte bezogen auf die Gläubigen auch mit „Kinder“ bzw. „Kind“ übersetzt werden (vgl. die sprachliche Bemerkung zu 3,26 oben, 83); Paulus unterstreicht durch seine Wortwahl aber wohl bewusst deren Beziehung zu Christus als dem „Sohn“ Gottes (V. 4).

Der Abschnitt ist in sich deutlich dreiteilig gegliedert: Ein erneuter Vergleich aus der Alltagswelt (V. 1f.) erläutert, inwiefern die Eigenschaft des „Erben“ (V. 1; vgl. 3,29) erst mit seiner Mündigkeit aktuell wird. Dieses Bild wird zunächst in zahlreichen Details auf die Glaubenden übertragen (V. 3–5; vgl. nur die begrifflichen Parallelen „Zeit“, „unmündig“, „Sklave/versklavt“, „unter“) und dann in Zuspitzung auf die Adressaten („ihr“ bzw. sogar „du“, V. 6f.) wiederholt, so

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dass abschließend klar ist, dass und wie sie „Erben“ sind „durch Gott“ (V. 7). Der entscheidende Zeitpunkt des Mündigwerdens des Erben wird dabei doppelt bestimmt: Durch das Christusereignis als seine Grundlegung (V. 4f.) und durch die Gabe des Geistes als seine Zueignung (V. 6) – beides wird mit derselben Wendung als ein Handeln Gottes, genauer ein „Entsenden“ eingeführt. Der Abschnitt ist eng mit dem Kontext verwoben: Der Leit- und Zielbegriff „Erbe“ (V 1.7) ist aus dem Fazit des vorigen Argumentationsgangs in 3,29 genommen und auch sonst sind die Beziehungen zu diesem deutlich, etwa in der zeitlichen Grundstruktur einer Übergangszeit, die durch das „Kommen“ (V. 4; vgl. 3,19.23.25) der Zeitenwende bzw. eines vom Vater festgesetzten Termins (V. 2) beendet wird. Das Bild vom Mündigwerden des Erben (V. 1f.) ist mit 3,24f. eng verwandt, das Verständnis des Christusgeschehens als Zeitenwende (V. 4f.) ist aus 3,16.23 bekannt und auch dessen Bezug auf Krippe (V. 4; vgl. „Kommen“ 3,19) und Kreuz (V. 5; vgl. 3,13) ist schon vorbereitet. Dass diese eschatologische Zeitenwende auch im Leben der Galater wirksam wird, formuliert V. 6 als Entsendung des Geistes Christi in ihre Herzen und schlägt so auch den Bogen zur Eingangsfrage des zweiten Hauptteils nach dem Empfang bzw. der Gabe des Geistes (3,2.5; vgl. 3,14). So gibt es gute Gründe, den Abschnitt als bündelndes Fazit der bisherigen Ausführungen des zweiten Hauptteils zu verstehen. Gleichzeitig bildet er freilich die Brücke zu den folgenden Abschnitten, die erneut die Galater damit konfrontieren, dass sie im Begriff stehen, eine massive Fehlentscheidung zu treffen und eben diesen Status des erbberechtigten Kinds zu gefährden. Diesen Zusammenhang zeigt schon das „Aber“ in 4,8, deutliche Verbindungen bestehen auch durch den Bezug auf die „Elementarmächte“ in V. 3 und 4,9 und die Aufnahme der persönlichen Zeitenwende (V. 6f.) im „damals–jetzt“-Schema von 4,8f.260 Da in 4,8–11 aber eine neue Interpretation des Verhaltens der Galater auf den Plan tritt, an die dann in 4,12–20 eine erneute leidenschaftliche Werbung des Apostels um seine Gemeinden anschließt, hat der Abschnitt V. 1–7 eben nicht nur bündelnde, sondern zugleich öffnende Funktion, was die Überschrift in dem Begriff „Zwischenfazit“ bezeichnet. Inhaltlich fällt in V. 1–7 erneut auf, dass Paulus vom Sein „unter“ einer bevormundenden oder versklavenden Instanz spricht. Nach dem 260

Die Kommentare setzen durchweg eine Zäsur zwischen 4,7 und 4,8. Durch unterschiedliche Abgrenzungen nach vorne wird der Zusammenhang mit dem Folgenden dennoch verschieden betont: Während z.B. Mußner, HThKNT IX, 243ff., V. 1–7 im Zusammenhang eines Abschnitts 3,19–4,7 behandelt, lassen andere mit V. 1 einen neuen Teil beginnen und betonen so mehr den Konnex mit dem Folgenden, z.B. Schlier, KEK 7, 188ff.; Dunn, BNTC, 209ff.: 4,1–11; Vouga, HNT 10, 96ff.: 4,1–20.

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Fluch (3,10), der Sünde (3,22), dem Gesetz (3,23) und dem Erzieher (3,25) werden hier nun Vormünder und Verwalter (V. 2), die Elementarmächte der Welt (V. 3) sowie nochmals das Gesetz genannt (zweimal: V. 4f.). Schon aufgrund dieser Beobachtung erscheint es angemessen, auch die Existenz des Christus nach V. 4 als eine solche „unter dem Gesetz“ zu verstehen. Dabei liegt mehr als eine Metapher für die Menschwerdung vor, es geht darum, dass Christus nicht nur wie wir „unter dem Gesetz“ lebt, sondern auch „unter dem Gesetz“ sein Erlösungswerk des Freikaufs vollbringt: Dieser Freikauf erfolgte mit der Kreuzigung (V. 5), indem er für uns nach Dtn 21 zum Fluch wurde (3,13) und insofern „durch das Gesetz“ (2,19). Zu 3,23 wurde schon die Sichtweise abgelehnt, dass mit „unter dem Gesetz“ exklusiv die Juden bzw. Judenchristen bezeichnet würden.261 So wichtig es heute ist, das Jude-Sein Jesu zu betonen, hierin dürfte kaum die Absicht der paulinischen Formulierung liegen, dass Jesus „unter dem Gesetz“ war (V. 4)262 – schon weil V. 5 sonst so gelesen werden könnte (wenn nicht gar müsste), als gelte der Freikauf durch das Kreuz Christi nur den Juden.263 Soll das Christusgeschehen auch für die Nichtjuden eine Zeitenwende bedeuten – und der Galaterbrief lässt sich kaum anders verstehen! –, führt das zu schwierigsten Konstruktionen. In V. 1 ließe sich ggf. noch differenzieren, dass die galatischen Heidenchristen als (frühere) Sklaven (vgl. V. 7), die Judenchristen als die (früher) unmündigen Erben bezeichnet wären. Aber passt das Bild des „Freikaufs“ (V. 5a) nicht viel besser zu Sklaven? Und müsste in V. 5b das „wir“ bei der „Annahme an Kindes Statt“ nicht mindestens auch auf die Nichtjuden bezogen werden? Umgekehrt wird die Versklavung an die Elementarmächte, die in 4,8f. deutlich auf die Galater bezogen wird, in V. 3 vom „wir“ der „Unmündigen“ ausgesagt. Da braucht es gar nicht den nochmaligen Hinweis darauf, dass in 4,21; 5,18 das Sein „unter dem Gesetz“ zwei261

Vgl. oben, 88. Dunn, BNTC, 216, hat zwar hierin Recht: „Paul does not achieve universality of effect by abandoning historical particularity“. Ob damit aber schon seine Auslegung begründet ist, dass „[h]ere, of course, the Jewishness of Jesus, and indeed his practice as a devout Jew, is emphasized“ (ebd.), lässt sich fragen: Wäre ein solcher Gedanke für die paulinische Zielaussage in V. 5 nötig? Vgl. zur Kritik an der ähnlichen Sicht von Mußner, HThKNT IX, 270 (Paulus wolle „hervorheben“, dass Jesus „darüber hinaus Jude [wurde] und als solcher dem Gesetz unterstellt“), auch Eckstein, Verheißung, 237. 263 Dunn, BNTC, 216f., ist darin konsequent, dass er genau dies für V. 5a vertritt und erst V. 5b auf Nichtjuden bezieht – seine Auslegung leidet daran, dass er den Bezug des „wir“ im laufenden Text umdeuten muss (V. 3 Juden – V. 5b Nichtjuden), und seine nachgeschobene Versicherung, dass „the terms of the analogy should not be allowed to become fixed terms or means of differentiation (Jews as ‚sons‘, Gentiles as ‚adopted sons‘ …)“ (218), wirkt nach dieser Deutung wenig überzeugend. 262

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felsfrei auf die Galater als Nichtjuden bezogen wird: V. 1–7 lässt sich schon in sich nur so verstehen, dass in dem „wir“ – wie nach 3,28 gar nicht anders zu erwarten – jüdische und nichtjüdische Christusgläubige zusammengesehen sind, während in dem „ihr“ (V. 6) bzw. dem „du“ (V. 7) am Ende des Textes ähnlich wie am Ende von Kap. 3 eine Zuspitzung dieser Einsicht an die Adresse der Galater vorliegt. Selbst wenn Paulus hier bewusst in einer „doppelten Metaphorik“264 die Kontrastbilder „unmündig – Erbe“ und „Sklave – Sohn“ und damit Bezüge auf Juden und Nichtjuden miteinander verbindet: Entscheidend ist für ihn nicht die Differenzierung dieser beiden Gruppen, sondern eben diese Verbindung. Sie unterscheiden sich schon vor der eschatologischen Wende „in nichts“ (V. 1) und stehen erst recht danach als „Sohn“ und „Erbe“ auf derselben Stufe (V. 7). Anders gesagt: Von Christus her bzw. in Christus kommen Juden und Nichtjuden (so sehr sie davor unterscheidbar waren) nur noch gemeinsam in den Blick.265 Diese Perspektive von der eschatologischen Zeitenwende her bietet auch die einfachste Erklärung der Auffälligkeiten im Vergleich aus der Alltagswelt in V. 2: Der Plural „unter Vormündern und Verwaltern“ dürfte auf der Linie der bewussten Verbindung der Doppelmetapher zu interpretieren sein und der Bezug auf einen „von dem Vater festgesetzten Termin“, den es so im römischen Erbrecht gar nicht gab, von V. 4 her gedacht sein.266 Auch die Übertragung des Bilds in V. 3 adressiert Juden und Nichtjuden gemeinsam. Hier bedarf zunächst der Begriff der „Elementarmächte der Welt“ einer Erläuterung: Aufgrund außerchristlicher Parallelen des Ausdrucks sind diese eindeutig zu identifizieren als „die vier physikalischen Elemente Feuer, Wasser, Erde und Luft“.267 Schwieriger zu klären ist die Frage, inwiefern die Gläubigen früher unter diese Mächte „versklavt“ waren. Ist eine Vergottung der Schöpfung im Blick wie in Röm 1,18–23268 oder beziehen die Elementarmächte ihre Herrschaftsmacht aus der Sorge, eine nicht genü264

So Vouga, HNT 10, 97. Vgl. ebd., 98: „Die Vergangenheit wird ausgelegt vom Augenblick der Befreiung und der Gottessohnschaft her, der die Gegenwart bestimmt“. 266 Vgl. mit weiteren Belegen ebd., 99. Die wichtigste alternative Deutungsmöglichkeit ist der Bezug auf hellenistisches Erbrecht; vgl. in diesem Sinne z.B. Schlier, KEK 7, 189. 267 Rusam, Belege, 124; vgl. z.B. Schweizer, Slaves, 456–464; Vouga, HNT 10, 100; Woyke, Götter, 341f.; ders., Elemente 221f. Zu diskutieren wäre noch, inwieweit diese Elemente personifiziert bzw. gottgleich verstanden wurden (vgl. 4,8!), ein Bezug engelsartiger oder dämonischer Wesen primär auf Gestirne, wie ihn etwa Schlier, KEK 7, 191–193, sehen möchte, ist aber wohl für Paulus zurückzuweisen; vgl. zur Auseinandersetzung damit z.B. Witulski, Adressaten, 91–98. 268 So Vouga, HNT 10, 100. Die begrifflichen Linien zu Röm 1 sind aber nicht deutlich genug. 265

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gend reine Seele könne von ihnen nach dem Tod im Irdischen festgehalten werden (vgl. Kol 2,8.20)?269 Da beide Vorschläge ihre Schwierigkeiten haben, ist eine Erklärung auf der Linie von Witulskis Verweis auf Parallelen bei Philo plausibler, der den Elementen Feuer, Luft, Wasser und Erde entsprechende Gottheiten des polytheistischen Pantheons zuordnet (Hephaistos, Hera, Poseidon und Demeter),270 auch wenn diese Deutung nicht als eine exklusive zu vertreten ist, wie schon die Parallelstellung zu „unter dem Gesetz“ (V. 5) zeigt.271 Klar ist jedenfalls, dass der Ausdruck primär die frühere religiöse Orientierung der nichtjüdischen Christusgläubigen im Blick hat.272 Um die dargestellte Verschränkung beider Gruppen zu betonen, reicht hier aber schon das Nebeneinander zu „unmündig“ aus (das sich nach der Logik des Bilds eher auf die jüdischen Christusgläubigen bezieht): Auch V. 3 klammert so Juden und Nichtjuden in einem „wir“ zusammen. Es ist Paulus offenbar egal, ob ein Mensch „unter die Elementarmächte der Welt versklavt“ war (V. 3) oder „unter dem Gesetz“ (V. 4f.) lebte. Um diese Einsicht nachzuvollziehen, ist es nicht nötig, eine strukturelle Gleichheit von (heidnischem) Elementen- und (jüdischem) Gesetzesdienst zu behaupten,273 die beiden Gruppen gehören schlicht deshalb zusammen, weil beide (alle!) im Licht des Christusgeschehens, von dem in V. 4f. die Rede ist, neu qualifiziert werden, ja es ist beides (alles!) alt und überholt angesichts des Anbruchs der neuen Schöpfung im Christusereignis. 269 Diese Vermutung vertritt Schweizer, Slaves, 465–468, unter Verweis auf die begrifflichen Parallelen in Kol 2,8.20; ebd., 467, führt er auch Gal 6,14 als Argument für diese Sicht an. Freilich ist im Blick auf Kol 2 eine Differenz in Situation (auch Zeit!) und Autor (!) anzunehmen. 270 Witulski, Adressaten, 133–141. Er beruft sich dabei v.a. auf deutliche Parallelen bei Philo, De vita contemplativa, 1–7 (v.a. 3ff.), und De Decalogo, 52–64 (beide Stellen zitiert er im Anhang: 225–228). Schweizer, Slaves, 460, nennt die erste Stelle ebenfalls, berücksichtigt sie aber, soweit ich sehe, nicht in seiner Interpretation des Befunds. 271 Dunn, BNTC, 212f., verweist gegen eine solche „either-or exegesis“ (212) u.a. auf das Nebeneinander von Vergottungen der Elementarmächte und Astralgottheiten bei Philo, De Decalogo, 52–56 (Ähnliches gilt für die andere Belegstelle Witulskis (vgl. oben, Anm. 270), vgl. De vita contemplativa, 5). 272 Gegen Eckstein, Verheißung, 229–233, der die Wendung als allgemeinen Bezug auf „die von der Sünde gezeichnete Schöpfung“ (230) erklären will und auf dieser Basis dann „kein[en] Zweifel daran“ erkennen mag, „daß Paulus auch in Gal 4,3 an die Herrschaft der Sinai-Tora denkt“ (233). 273 So z.B. Schlier, KEK 7, 193. – In der exegetischen Diskussion wird, soweit ich sehe, Ps 19 hier kaum bemüht, obwohl er immerhin zeigt (wenn auch ohne Bezug auf die Elemente), dass und wie sich biblisch die Einsicht in Schöpfungsordnungen (die in vielen Religionen ähnlich aufgenommen ist) und der Bezug auf das mosaische Gesetz (als spezifisch jüdische Orientierung) parallelisieren lassen; vgl. zu diesem Psalm z.B. Gese, Einheit, 140: „Zusammenhang von Schöpfungsordnung und Tora“.

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Dass mit diesem in der Tat die eschatologische Wende auf den Plan tritt, unterstreicht in V. 4 sowohl die apokalyptische Begrifflichkeit „Fülle der Zeit“ (vgl. den „von dem Vater festgesetzten Termin“ V. 2) als auch die Betonung des Handelns Gottes: Er „entsandte“ seinen Sohn. Paulus bezieht sich dabei auf die Menschwerdung,274 die er parallel275 zur Existenz276 des Gottessohnes „unter dem Gesetz“ formuliert. Im Fokus seines Interesses stehen hier aber nicht solche (möglicherweise geprägten)277 christologischen Aussagen, sondern das soteriologische Ziel dieser Entsendung, das nach dem doppelten „damit“-Satz in V. 5 mit dem Freikauf derer unter dem Gesetz und der „Annahme an Kindes Statt“ erreicht wird. Auch wenn der hier verwendete Begriff (etwa „Adoption“) bisher nicht gefallen war, ist die Sache den Lesern des Briefs vertraut (vgl. 3,7.26.29), ebenso nimmt das Bild vom Freikauf frühere Ausführungen auf (3,13), so dass in V. 5 Zielperspektiven der bisherigen Argumentation erneut gebündelt werden. Nur auf den ersten Blick lässt sich dabei zwischen Juden (als denen „unter dem Gesetz“) und Nichtjuden (als denen, die noch nicht als Kinder Gottes galten und daher erst adoptiert werden müssten)278 differenzieren – nicht nur das „wir“ meint wieder beide (Paulus ist Jude!), auch das Bild des Freikaufs passt nicht zum Mündigwerden eines Erben, sondern bezieht sich auf zuvor Versklavte. Die Parallelität der beiden „damit“-Sätze und diese begriffliche Verschlingung zeigen auch hier wieder: Was in Christus geschieht, qualifiziert beide (alle!) in einer Weise neu, die alle früheren Unterschiede in einem gemeinsamen „alt“ verwischt – freie Kinder Gottes werden und sind Juden wie Nichtjuden nur kraft dieses Geschehens. 274

Das „geboren aus einer Frau“ betont schlicht das Menschsein, vgl. dazu mit Eckstein, Verheißung, 236 Anm. 344, Hi 14,1; 15,14; 25,4; Luk 7,28 par. Die Wendung verlangt also nicht, dass Paulus Traditionen der jungfräulichen Geburt o.ä. kennt oder gar bewusst darauf anspielt. 275 Zweimal dasselbe Partizip, vgl. die sprachlichen Bemerkungen oben, 91. 276 Dieser Bezug muss eine Deutung des γενόμενον ὑπὸ νόμον „auf das Kreuz … als Zusammenfassung von Gal 3,10–14“, wie sie Vouga, HNT 10, 101, unter Bezug auf Schweizer und Blank als Alternative nennt, und wie sie etwa Eckstein, Verheißung, 236, vertritt, nicht ausschließen. Eine Engführung auf eine solche Deutung ist aber angesichts des deutlichen semantischen Bezugs zu den vielfältigen ὑπόFormulierungen (vgl. 3,10.22.23.25; 4,2.3.5) abzulehnen. 277 Vouga, HNT 10, 100f., hält eine Aufnahme traditioneller „Motive“ (101) für wahrscheinlicher als die einer geprägten „Formel“ (100; vgl. u.a. Röm 8,3f.; Joh 3,16f.; 1. Joh 4,9); ähnlich erkennt Eckstein, Verheißung, 234, „ein Sendungsschema, nicht aber eine feste Formel“. Auch wenn der Gedanke der „Sendung“ eine Präexistenzchristologie nicht zwingend voraussetzt (vgl. ebd., 235), ist er doch am einfachsten in einem solchen Kontext zu verstehen (gegen Vouga, HNT 10, 101). 278 Für diese Sicht spricht, dass den Israeliten nach Röm 9,4 die υἱοθεσία schon (immer) gilt, so sehr sie andererseits nach Röm 8,15.23 ein mit dem Geist verbundenes bzw. verheißenes Hoffnungsgut ist.

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Damit wäre ein Abschluss dieses Zwischenfazits der Argumentation des zweiten Hauptteils bereits erreicht. Mit V. 6 bindet der Apostel sie nun auch nochmals an ihren Beginn (3,2.5.14) mit der Erinnerung an die Anfänge der Galater im Glauben zurück, die er als Zueignung des Christusgeschehens durch dieselbe Einleitung („entsandte der Gott“) betont: Durch die Gabe des Geistes (vgl. 3,2.5.14) in die Herzen, also die Personzentren, sind sie mit Gott und eben Christus – dies betont die auffällige Rede von dem „Geist seines Sohnes“279 – persönlich verbunden, Teil der neuen Schöpfung. Die Geistbegabung drückt sich darin aus, dass sie mit Jesu Worten beten: Dass Jesus Gebete mit der vertraulichen aramäischen Vateranrede „Abba“ eröffnete, dürfte in Mk 14,36 zuverlässig überliefert sein. Wenn dieses aramäische Wort in einem Brief an die Galater (oder Römer: vgl. Röm 8,15) erscheint, ist anzunehmen, dass sich die Abba-Anrede in der Gebetspraxis der frühen Gemeinde wegen der bewussten Anlehnung an Jesus noch erhalten hat, nicht zuletzt im Vaterunser, auf das hier angespielt sein könnte.280 Christi Geist haben heißt also (u.a.), wie der Sohn Gottes selbst Gott vertrauensvoll „Abba“ zu nennen. Das aber kann nur ein freies Kind, ein Sohn (oder eine Tochter), kein Sklave (V. 7). Evtl. deutet der Singular „Sohn“ im Zusammenhang mit dem „einer“ von 3,28 darüber hinaus den Gedanken an, dass jede(r) einzelne und zugleich die ganze Gemeinde nicht nur in Christus, sondern zugleich wie Christus vor Gott steht: Eben als dieser sein Sohn. So oder so zieht V. 7 deutlich eine Summe der bisherigen Darlegungen, deren Wahrheit mit dem Bezug auf das Christusgeschehen und auf dessen Zueignung in der Gabe des Geistes gleich doppelt untermauert ist.281 V. 7 spricht das in nochmaliger Zuspitzung des Übergangs vom „wir“ zum „ihr“ (V. 6) jedem Adressaten einzeln zu: „du“ bist Sohn und Erbe. Zugleich betont das nachgestellte „durch Gott“ nochmals, dass Gott selbst in diesem Geschehen der Handelnde ist, wie es ja auch schon die zweimalige Formulierung „entsandte der Gott“ (V. 4.6) betonte.282 Damit wird abschließend noch einmal hervorgehoben, dass kein Mensch – egal ob Jude oder Nichtjude – ein Recht auf diesen Status hat oder sich diesen erarbeiten könnte: Der 279 Dass sich V. 6 als trinitarische Aussage lesen lässt, darf nicht dazu verleiten, eine ausgeführte Trinitätslehre in die Paulusbriefe einzutragen (das gilt ebenso für 1. Kor 12,4–6 oder 2. Kor 13,13) – solche Aussagen haben allerdings Impulse für die systematische Ausbildung dieser Lehre geboten. 280 Zwingend ist diese „nächstliegende Annahme“ (Haacker, Jesus, 16f.) aber nicht. 281 Das Nebeneinander von V. 4f. und V. 6 markiert dabei weniger ein Nacheinander zeitlicher oder sachlicher Art (so z.B. Schlier, KEK 7, 197–200) als einen Bezug auf die Erfahrung der Galater, von der Wahrheit des von Paulus verkündigten Evangeliums, also der Wahrheit des Freikaufs und der Annahme an Kindes Statt, ergriffen worden zu sein; vgl. 3,2.5.14 und Eckstein, Verheißung, 240–242. 282 Auch sonst betont Paulus Gottes Handeln, vgl. z.B. 1,6.15; 2,2.8; 3,5; ebd., 245.

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Erbe wird nicht einfach mündig und tritt so von sich aus in seine Rechte ein, vielmehr wird er von Gott in die Sohnesrechte eingesetzt283 – und dies geschieht allein kraft des Christusgeschehens, indem Gott die Glaubenden mit dem „Geist seines Sohnes“ begabt. 4,8–20 Warnung vor Rückfall in Sklaverei und Werben um die Galater 8

Aber damals, von Gott nichts wissend, habt ihr den Göttern als Sklaven gedient, die ihrer Natur nach keine sind; 9 jetzt aber, da ihr Gott erkannt habt, vielmehr aber von Gott erkannt worden seid: wie könnt ihr da wieder zurückkehren zu den schwachen und armen Elementarmächten, denen ihr wiederum von neuem als Sklaven dienen wollt? 10 Ihr beachtet Tage und Monate und Festzeiten und Jahre – 11 ich fürchte um euch, dass ich mich umsonst um euch bemüht habe. 12

Werdet wie ich, denn auch ich bin geworden wie ihr, Geschwister, ich bitte euch. Nichts habt ihr mir zuleide getan. 13 Ihr wisst doch, dass ich euch wegen einer Schwachheit des Fleisches zum ersten Mal (das Evangelium) verkündigt habe. 14 und ihr habt eure Versuchung in meinem Fleisch nicht verachtet oder ausgespien, sondern wie einen Engel Gottes habt ihr mich aufgenommen, wie Christus Jesus. 15 Wo ist nun eure Seligpreisung? Ich bezeuge euch nämlich: Ihr hättet, wenn möglich, eure Augen ausgerissen und sie mir gegeben! 16 Also bin ich euer Feind geworden, weil ich euch die Wahrheit sage? 17 Sie eifern um euch nicht in guter Weise, sondern sie wollen euch ausschließen, damit ihr um sie eifert! 18 Gut ist es aber, im Guten umeifert zu werden jederzeit und nicht nur, wenn ich bei euch bin, 283

Paulus dürfte also in voller Absicht nicht das Bild vom Mündigwerden aus V. 1f. aufnehmen, vgl. 3,26; Schlier, KEK 7, 197.

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meine Kinder, die ich wiederum mit Schmerzen gebäre, bis Christus in euch Gestalt gewinnt – 20 ich wollte aber bei euch sein jetzt und einen anderen Ton anschlagen, denn ich bin in Ungewissheit wegen euch. Textliche und sprachliche Bemerkungen: V. 8f.: „als Sklaven dienen“ gibt das Verb δουλεύειν jeweils so wieder, dass dessen Anklang an „Sklave“ (δοῦλος) erkennbar wird. V. 11 „um euch“: Im Griechischen greift das erste „um euch“ schon auf das zweite voraus (Prolepse des Objekts, vgl. Blass/Debrunner/Rehkopf, Grammatik, § 476.2). Die Übersetzung könnte diesen sprachlich nicht nötigen Vorgriff weglassen; hier ist er aufgenommen, um die dadurch betonte Zuwendung zu den Galatern zu markieren. V. 12: Die zweite Zeile ist im Griechischen ohne Verb formuliert, das hier in Anlehnung an das Verb der ersten Zeile ergänzt ist. V. 13: „(das Evangelium) verkündigen“ ist Wiedergabe des griechischen εὐαγγελίζεσθαι, vgl. dazu oben, Anm. 75. V. 14: Nach dem griechischen Text ließe sich „verachten“ und „ausspeien“ auch auf „mich“ (= Paulus) beziehen, dann wäre der Bezug der Versuchung allerdings grammatisch schwierig. Evtl. formuliert Paulus bewusst „kantig“ – die auch in den folgenden Versen gedrängte Redeweise unterstreicht sprachlich das Dringliche seines Werbens um die Galater. V. 17f: „eifern“ (ζηλοῦν) ist als Verb vom selben Stamm gebildet wie „Eiferer“ in 1,14; vgl. dazu auch den Exkurs oben, 38ff. V. 20: „Einen anderen Ton anschlagen“ ließe sich wörtlicher übersetzen mit „meine Stimme verändern“. Statt „in Ungewissheit“ könnte auch „ratlos“ gelesen werden.

In der Gliederung wird hier eine Zäsur vor V. 8 vorgeschlagen, die mit ebenfalls guten Gründen aber auch erst zwischen V. 11 und 12 gesetzt werden könnte, denn V. 8–11 ist nicht nur durch den Anschluss mit „Aber“ eng mit dem vorigen verknüpft: Die Vorstellung, vermeintlich göttlichen Mächten „als Sklaven zu dienen“ (V. 8+9), ist ebenso Fortführung der letzten Gedanken (vgl. 4,1.3.7) wie der Bezug auf die „Elementarmächte“ (V. 9; vgl. 4,3), auch die Verquickung von Perspektiven auf Juden und Nichtjuden setzt sich hier fort. 4,1–7 wurde deshalb bereits als Abschnitt mit einer Brückenfunktion bestimmt.284 V. 8–11 hebt sich dennoch nicht zuletzt im Sprachgestus ab: Paulus steigt hier aus der grundsätzlichen theologischen Argumentation aus und geht in die Konkretion, spricht die Galater direkt an, erinnert sie an ihre Anfänge im Glauben und redet ihnen eindringlich zu. Die Ansprache an die Galater knüpft formal an den Einstieg des zweiten Hauptteils in 3,1–5 an, inhaltlich wird zugleich der einleitende Vorwurf 1,6 wieder laut, von Gott abzufallen.285 Wurde bis284

Vgl. oben, 92, auch Anm. 260. Zur Verbindung mit 3,1–5 vgl. z.B. Tachau, Testament, 127f., der V. 8–11 und 3,1–5 als „Rahmen“ der „Diskussion um die ‛Herkunft des Geistes’ (3,2)“ interpretiert; Schlier, KEK 7, 201. Zum Konnex mit 1,6f. vgl. z.B. Vouga, HNT 10, 103, der 285

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her positiv der Status der Galater geklärt, so tritt nun die Warnung vor einem Rückfall in den Blick (V. 9; vgl. 5,1.4)286, die Paulus in deutlich polemischerem Stil vorträgt. Alle diese Beobachtungen sprechen für eine Zäsur vor V. 8. Das Werben um die Galater erscheint zwar ab V. 12 intensiviert: „Geschwister, ich bitte euch“ wirkt noch einmal direkter, auch der persönliche Rückblick (V. 13–15) und überhaupt der stark elliptische Stil zeigen das innerliche Engagement des Apostels.287 Dennoch ist die Verbindung von V. 8–11 mit V. 12–20 enger als diejenige mit 4,1–7: Wichtige Leitwörter des letzten Abschnitts wie „Erbe“ fehlen in V. 8–11, während V. 8–20 durch die durchgängige Anrede an das „ihr“ der Galater (nach der letzten Pointe im zugespitzten „du“ 4,7) verbunden sind, was nicht zuletzt der Anschluss von V. 12 zeigt (müsste bei der Annahme eines Neueinsatzes in V. 12 nicht das „Geschwister, ich bitte euch“ den Vers eröffnen?). Die deutliche Verbindung beider Abschnitte zeigt sich auch inhaltlich in der Erinnerung an die Anfänge (V. 8f.; 13–15) und im Aufbau: Sie enden jeweils mit einem Ausdruck des Bangens um die Galater (V. 11; 20), dem ein „wiederum“ vorausgeht: In V. 9 in Gestalt der Frage, ob diese „wiederum“ Sklaven schwacher Mächte werden wollen, in V. 19 mit der Feststellung, dass Paulus sie „wiederum“ mit Schmerzen gebiert. In dieser Bewegung von der Kritik zum eindringlichen Werben um „meine Kinder“ (V. 19) fügt sich V. 8–20 zum Gesamtduktus des Galaterbriefs. So ist V. 8–20 als Zusammenhang zu verstehen; Paulus wendet hier die grundsätzlichen Überlegungen konkret auf die Diskussionslage in Galatien an und wirbt darum, dass die Galater ihren Anfängen (vgl. 3,1–5) und der „Wahrheit des Evangeliums“ (2,5.14; vgl. das Verb in V. 16) nicht abspenstig werden. Ist mit dieser Gliederung schon manches zur Intention des Abschnitts gesagt, so sind noch einige Probleme im Detail zu diskutieren. Nicht das kleinste ist die Subsummierung der wohl judaisierend geprägten „Kalenderfrömmigkeit“, also der Beachtung bestimmter Festtage nach V. 10, unter den Sklavendienst an den „Elementarmächten“ (V. 9), die „ihrer Natur nach keine [Götter] sind“ (V. 8): Wäre das nicht fast unerträglich, wenn Paulus so abschätzig über den jüdischen Glauben reden sollte, dass er die drohende Zuwendung der Galater zum Judentum als Rückfall ins Heidentum interpretiert? Noch härter wird das Problem angesichts des Umstands, dass Paulus das „soteriologische Kontrastschema“288 aus „damals“ und „jetzt“ mit Terminologie traditioneller, schon jüdischer Missionssprache aufV. 8f. geradezu als „Neuformulierung des Vorwurfs, mit dem der Apostel seinen Brief begonnen hatte“, versteht. 286 Vgl. Bachmann, Frau, 143. 287 Zum Stil zitiert Dunn, BNTC, 231, Bonnard: „inner agitation of the author“. 288 Woyke, Elemente, 232.

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füllt:289 Mit Hilfe eben der Formulierungen, in denen Juden Nichtjuden zum Glauben an ihren Gott aufriefen, wirft er den judaisierenden Christusgläubigen vor, eben diesen Gott zu verlassen. Eine glatte Lösung des Problems dieser antijüdischen, genauer: antijudenchristlichen Spitzen schlägt Witulski vor, der V. 8–20 als später redaktionell eingefügt betrachtet, damit die Situation dieser Verse von der des sonstigen Galaterbriefs unterscheiden und V. 8f. so auf eine Kritik an der (erneuten) Teilnahme am Kaiserkult deuten kann.290 Allerdings stehen u.a.291 die oben dargestellten Bezüge unseres Abschnitts zum Galaterbrief gegen eine solche literarkritische Option. Wie ist V. 8– 11 also zu verstehen? Zunächst ist an die Einsicht aus der Auslegung zu 4,1–7 zu erinnern, dass Paulus hier bewusst die heidnische Vergangenheit der Galater mit der Situation des Judentums vor und ohne Christus verquickt – angesichts dieser Zeitenwende (4,4!) ist die Orientierung an den Grundelementen (4,3) ebenso überholt wie diejenige am mosaischen Gesetz (4,5), Nichtjuden werden ebenso wie Juden erst durch die Geistbegabung zu Kindern und Erben Gottes wirksam eingesetzt (4,6f.). Gegenüber diesem Status ist jedes „damals“ Sklavendienst, egal ob dieser sich auf Elementenfrömmigkeit nichtjüdischer oder Kalenderfrömmigkeit jüdischer Herkunft bezieht.292 Die evtl. Spitze 289

Vgl. z.B. Lührmann, ZBK.NT 7, 71: Er nennt die „Disqualifizierung heidnischer Götter“, das heidnische Nichtkennen Gottes (1. Thess 4,5) und das „sich bekehren“ (1. Thess 1,9) bzw. hier „zurückkehren“. 290 Vgl. Witulski, Adressaten, 141–152. Nicht ohne Sympathie diskutiert Pilhofer, Testament, 291–295, vgl. ders., Galaterbrief, 143–145.150, die These von Witulski, markiert aber ebenso die zahlreichen Verbindungen des Abschnitts zum sonstigen Galaterbrief, vgl. z.B. ebd., 152ff. 291 Weiter stellt sich bei Witulskis Vorschlag das Problem, V. 17 zu verstehen: Diese „sie“ wären in einem eigenständigen Brieffragment ja nicht eingeführt und ihre im Gebrauch des Verbs „eifern“ (vgl. 1,13!) angedeutete judaisierende Tendenz würde in den Kontext des Kaiserkults nicht passen. 292 Belege für entsprechende jüdische Vorstellungen und für die Möglichkeit, diese mit dem Gesetz zu verbinden, nennen Schlier, KEK 7, 204–206; Söding, Gegner, 136f.140f.145 (der freilich wohl zu weitreichende Folgerungen aus diesen wenigen, auch als Polemik verständlichen Notizen des Gal für das Profil der Gegner zieht; vgl. zur Diskussion der galatischen Gegnerschaft des Paulus unten B.2.c), 166ff.) – Unter den nichtjüdischen Bezugsmöglichkeiten verliert Witulskis Bezug auf den Kaiserkult erheblich an Plausibilität, wenn seine Teilungshypothese nicht übernommen wird. Zum einen fällt V. 10 dann für eine solche Deutung aus, zum anderen hängt seine Interpretation von στοιχεῖα in Gal 4,9 von der literarkritischen Annahme ab, dass der vollere „Ausdruck τὰ στοιχεῖα τοῦ κόσμου“ in Gal 4,3 erst im Zusammenhang der Einfügung von V. 8–20 in den Galaterbrief redaktionell ergänzt worden und deshalb „als Basis für Rückschlüsse auf die Gal 4,8–20 zugrundeliegende Situation nicht geeignet“ sei (Witulski, Adressaten, 84 Anm. 7; vgl. ebd., 102f.; 115 Anm. 193; 128 u.ö.). Ohne die literarkritische Option müssen aber die klaren Belege für die Deutung von στοιχεῖα τοῦ κόσμου als Grundelemente ernster genommen werden.

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gegen das Judentum fällt dabei erträglicher aus, wenn wir davon ausgehen, dass die Galater vor der Mission des Paulus eine „naturphilosophisch inspirierte Elementen- und Gestirnsverehrung“ betrieben, die ebenfalls mit der Beachtung bestimmter Festtage verbunden war,293 so dass V. 10 sie rhetorisch geschickt darauf hinweist, dass sie Ähnliches wie die nun empfohlene Haltung ja schon einmal überwunden hatten. Es ist dann nicht nötig, präzise zu bestimmen, welcher Begriff in V. 10 wofür steht, da der Satz geradezu davon lebt, dass er gleichermaßen auf nichtjüdische wie jüdische Vorstellungen anwendbar ist. In dieser Perspektive einer Verschränkung verschiedener vorchristlicher Orientierungen fallen freilich nun auch interessante Bezüge zur bisherigen Argumentation zum Gesetz auf, insbesondere korrespondiert die Charakterisierung der Elementarmächte als „schwach und arm“ sachlich mit der Feststellung des Unvermögens des Gesetzes, Leben zu schaffen (3,21),294 und verbindet die Gabe des Gesetzes durch Engel und einen Mittler nach 3,19 dieses mit solchen, „die ihrer Natur nach keine [Götter] sind“, wie V. 8 bezogen wohl auf die Grundelemente formuliert. In dieser Perspektive wären beide Orientierungen nicht nur von Christus her als vorläufig zu betrachten, sondern weisen auch gewisse inhaltliche Verbindungen auf – es ließe sich diskutieren, inwieweit die Orientierung an den Grundelementen für Paulus eine Form ist, in der Nichtjuden unter dem Gesetz Gottes lebten.295 Wenn der Apostel in V. 8–11 also etwas scharf kritisiert, dann ist es nicht das Judentum als solches oder gar die Göttlichkeit des von ihm geglaubten Gottes, sondern das Gesetz. Im Kontext des Galaterbriefes ist das wohl als Steigerung in der Rhetorik zu betrachten – in der Tat „liegt also deutlich Polemik“ vor296 –, der Sache nach aber nicht wirklich neu. Neu ist auch nicht das Motiv, das hinter der engagiert vorgetragenen Position erkennbar wird: Paulus treibt die Sorge bzw. gar Furcht um die Galater, dass er sich „umsonst“ um sie bemüht haben könnte (V. 11; vgl. 3,4; 2,2). Dies entfaltet er negativ als Warnung vor dem Rückfall in alte oder jedenfalls falsche Muster (V. 9; vgl. 1,6f.), im 293

Woyke, Elemente, 231. Vgl. dazu ebd., 225–227.231. 295 Auch wenn Paulus hier keineswegs explizit Gedanken wie in Röm 2,14f. formuliert, wäre eine solche Sicht im Kontext des Galaterbriefs diskutabel, vgl. etwa zu 3,23 oben, 88. Grundsätzlich sei zum Zusammenhang von Weltordnung und Gesetz auch nochmals auf Ps 19 verwiesen (vgl. oben, Anm. 273). Lührmann, ZBK.NT 7, 72f., will in kosmologischen Ableitungen aus dem Gesetz geradezu „ein starkes werbendes Motiv der jüdischen Mission für das Gesetz gegenüber dem Heidentum“ erkennen; vgl. dazu auch die Belege oben, Anm. 292 (besonders Söding). 296 Ebd., 71. Gewiss lässt sich mit Vouga, HNT 10, 105, hier auch „Ironie“ finden, als alleinige Beschreibung des rhetorischen Charakters der Verse wäre dieser Begriff aber zu harmlos. 294

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folgenden Abschnitt V. 12–20 aber dann auch positiv als Werbung für eine Orientierung am eigenen Beispiel und Erinnerung an den früheren Stand der Galater. Der Einsatz in V. 12 ist dabei zumal im Kontext des Galaterbriefs wohl am ehesten als ein „sich ähnlich werden“ im Sinne eines Verzichts auf trennende Bestimmungen zu verstehen: Dass Paulus wie die Galater geworden ist, bezeichnet seine uneingeschränkte Gemeinschaft mit diesen nichtjüdischen Christusgläubigen – und die Aufforderung, wie er zu werden, verlangt entsprechend die Zurückweisung der Forderung nach Befolgung spezifisch jüdischer Gebote, die die Paulusgegner aufgebracht hatten. Dass diese mit im Blick sind, ist in V. 17 völlig klar, wobei ihre dortige Bezeichnung als „Eifernde“ bewusst an den Paulus vor Damaskus erinnert (vgl. 1,14 „Eiferer“): Es dürfte sich auch hier eben um den Eifer für eine Reinheit des Judentums handeln.297 Ein Umeifertwerden im Guten hingegen, wie es Paulus in V. 18 für sich in Anspruch nimmt, besteht in der vorbehaltlosen Gemeinschaft. Vielleicht ist es kein Zufall, dass nach V. 12 ein weiteres zweimaliges „wie“ in V. 14 die Aufnahme des Apostels durch die Galater beschreibt: „wie einen Engel Gottes habt ihr mich aufgenommen, wie Christus Jesus“ – und das trotz des kranken Zustands, in dem Paulus zu ihnen kam. Der Gedanke könnte hier durchaus nah an 1. Kor 11,1 liegen, wo Paulus auffordert, seinem Beispiel zu folgen so wie er dem Christi folge. Dafür spricht nicht zuletzt die Zielangabe in V. 19, dass „Christus in euch Gestalt gewinnt“: Christus gewinnt Gestalt, so ließe sich etwas frei formulieren, wo die von ihm geschenkte Freiheit sich auswirkt in eine Gemeinschaft der Liebe, die Trennungen überwindet und nicht auf Äußerlichkeiten schaut (vgl. auch 3,28!). Dafür wirbt Paulus und nennt als Beispiel dafür sowohl sich selbst als auch das Verhalten der Galater bei seinem ersten Besuch. Dass V. 16 in scharfem Kontrast dazu Paulus als „Feind“ der Galater bezeichnet, nimmt erkennbar deren aktuelle Perspektive auf den Apostel in Überspitzung auf – der Grund dafür, dass die Galater ihn als „Feind“ sähen, wäre sein Eintreten für die Wahrheit. Das hier verwendete Verb weckt Assoziationen an die Formulierung „Wahrheit des Evangeliums“,298 die Paulus an Schlüsselstellen seiner historischen Erinnerungen in 2,5.14 für die schrankenlose Gemeinschaft mit nichtjüdischen Christusgläubigen ins Feld geführt hatte, in 2,5 sogar mit direktem Bezug auf die Galater („bei euch“). V. 16 meint also: Wegen dieses Evangeliums, das die 297

Vgl. den Exkurs:„Judaismus“ als Eifern für die väterlichen Überlieferungen (Gal 1,13f.), oben, 38ff. Diese Erklärung vertritt auch Dunn, BNTC, 237–239, andere betonen die Offenheit des Begriffs, der seine Konnotation erst aus dem Kontext empfange, vgl. Vouga, HNT 10, 110f.; Schlier, KEK 7, 212f. 298 Sänger, Strategien, 164 Anm. 26, versteht es gar als Bezeichnung für die Evangeliumsverkündigung.

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Galater bei dem ersten Besuch des Paulus hörten (V. 13) und annahmen, wegen dieses Evangeliums, durch dessen Predigt sie den Geist Gottes empfangen haben (3,2.5), wegen dieses Evangeliums, dessen grundlegende Bedeutung der ganze Brief bis hierher ausgelegt, verteidigt und untermauert hat, wegen dieses Evangeliums würden sie Paulus nun als ihren Feind betrachten? Paulus stellt dies als Frage in den Raum, setzt dann zu einer Kritik seiner Gegner an – und stellt schließlich gegen das Bild eines „Feindes“ der Galater das ihrer Mutter: Die Galater sind nicht nur seine „Kinder“, er ist bereit und schon dabei, erneut Geburtsschmerzen um sie zu erleiden (V. 19). Sollten irgendwo im Galaterbrief Zweifel an der Einstellung des Apostels zur Gemeinde aufgekommen sein, hier ist klar, dass er keineswegs mit ihnen abgeschlossen hat – die Heftigkeit der Auseinandersetzung mit seinen Gegnern ist vielmehr die Kehrseite seiner fast verzweifelten Liebe zu den Galatern. V. 20 ist auf diesem Hintergrund m.E. so zu verstehen, dass Paulus sich wünscht, in der Nähe der Galater feststellen zu können, dass seine Sorge unbegründet ist – so dass ihm eben das erlauben würde, „einen anderen Ton anzuschlagen“, nämlich einen freundlicheren und fröhlicheren.299 Der Duktus der sehr persönlichen Wendung an die Adressaten ist damit weitgehend geklärt,300 zu besprechen sind noch einige historische Details rund um die Beschreibung des „ersten“ (V. 13) Aufenthalts des Apostels bei den Galatern. Relativ klar ist aus V. 13 zu entnehmen, dass dieser kein geplanter Missionseinsatz war, sondern einem krankheitsbedingten Zufall entsprang.301 Worin genau dieses evtl. auch in 2. Kor 12,7 erwähnte Leiden bestand, muss letztlich offen bleiben.302 Diskutiert wird zwar, ob V. 15 mit der Bereitschaft der Galater, das eigene Auge für Paulus zu geben, einfach bildlich das Wertvollste anspricht, das ein Mensch geben kann,303 oder doch – zumal angesichts des in einem bildlich gemeinten Satz doch auffälli299 Die Deutung der Wendung ist freilich umstritten, relevant ist in jedem Fall auch die Differenz zwischen brieflicher und direkter Kommunikation, vgl. ebd., 161f. Ganz anders Schlier, KEK 7, 215: Paulus mochte „gern in ‚Engelszungen‘ reden“. 300 Nicht abschließend zu klärende Fragen wie die, ob die letzte Zeile von V. 12 einer entsprechenden Annahme in Galatien widerspricht (vgl. dazu Vouga, HNT 10, 107), können hier offen bleiben. 301 Vgl. neben vielen anderen Schlier, KEK 7, 210. Vouga, HNT 10, 108f., führt zwar grammatikalische Gründe für das Verständnis an, dass die Schwachheit die Art der paulinischen Predigt charakterisiere, sieht aber im „Ausspeien“ in V. 14 ebenfalls Bezüge auf Abwehrriten gegenüber einer Krankheit. 302 Ausführlich diskutiert die verschiedenen Optionen Heckel, Dorn, 80–92, der wohl zu Recht V. 13f. mit 2. Kor 12,7 verbindet. Im Ergebnis entscheidet er sich vorsichtig für Kopfschmerzen und lässt dabei eine gewisse Sympathie für die These einer Trigeminusneuralgie erkennen, vgl. ebd., 90–92. 303 So z.B. mit einigen Belegen Vouga, HNT 10, 109f.

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gen „wenn möglich“ – als Hinweis auf ein konkretes Augenleiden zu werten ist.304 Aber selbst in letzterem Fall wäre kaum ein klares Bild von der Krankheit des Paulus zu gewinnen und das ist auch gar nicht nötig: Die Galater wussten ja Bescheid. Wir aber nicht und so können wir z.B. keine Folgerungen über die Dauer des Gründungsaufenthalts in Galatien ableiten. Ebenso umstritten ist (und wird bleiben) die für die Bestimmung der Adressaten des Galaterbriefs nicht unwichtige Frage, ob die Erwähnung des „ersten“ Aufenthalts in V. 13 verlangt, dass Paulus noch ein weiteres Mal persönlich bei den Galatern gewesen wäre. Natürlich ist dieses Verständnis möglich und entsprechende Rekonstruktionen sind im Prinzip mit jeder der diskutierten Hypothesen zur Lokalisierung der galatischen Gemeinden möglich.305 Zwingend ist eine solche Annahme aber nicht – die „zweite“ Evangeliumspredigt könnte auch schlicht der Galaterbrief sein.306 4,21–5,1 Die zwei Frauen Abrahams als zwei verschiedene Bundesschlüsse 21

Sagt mir, die ihr unter dem Gesetz sein wollt: Hört ihr das Gesetz nicht? 22 Es steht nämlich geschrieben, dass Abraham zwei Söhne hatte, einen von der Magd und einen von der Freien. 23 Aber der von der Magd ist nach dem Fleisch gezeugt worden, der aber von der Freien durch Verheißung. 24 Dies ist aber allegorisch gesagt: Diese (Frauen) sind nämlich zwei Testamente, das eine vom Berg Sinai, das in die Sklaverei gebiert – diese ist Hagar. 25 “Hagar“ ist der Berg Sinai in der Arabia; sie entspricht aber dem jetzigen Jerusalem, sie dient nämlich als Sklave mit ihren Kindern. 304

So z.B. Schlier, KEK 7, 211. Interessant, aber wohl kaum zwingend sind die Überlegungen von de la Vallee Poussin, die Pilhofer, Galaterbrief, 155f., referiert: Paulus habe wegen seiner Krankheit bestimmte galatische Thermalbäder in der Ebene nordöstlich von Antiochia in Pisidien aufgesucht. 305 Vgl. zur Diskussion der Lokalisierungsfrage unten B.2.b), 155ff. Bei einer Verortung der Gemeinden im Süden der Provinz Galatien wäre sicher davon auszugehen, dass Paulus wenigstens zweimal in den Gemeinden war, aber auch bei der nordgalatischen Hypothese wäre dies jedenfalls möglich. 306 Diese Frage ist also wohl mit Vouga, HNT 10, 108, als „unentscheidbar“ einzuschätzen. Für die Annahme eines zweiten Besuchs votieren (übrigens mit verschiedenen Adressatenannahmen) z.B. Schlier, KEK 7, 209f.; Dunn, BNTC, 233; eher dagegen spricht sich Lührmann, ZBK.NT 7, 73f., aus.

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Das obere Jerusalem aber ist eine Freie – diese ist unsere Mutter. 27 Denn es steht geschrieben: „Sei froh, Unfruchtbare, die nicht gebiert, brich heraus und rufe laut, die keine Wehen hat! Denn viele sind die Kinder der Vereinsamten, mehr als derer, die den Mann hat.“ [Jes 54,1] 28

Ihr aber, Geschwister, gleich wie Isaak seid ihr Kinder der Verheißung. 29 Aber wie damals der nach dem Fleisch Gezeugte den nach dem Geist verfolgte, so auch jetzt. 30 Aber was sagt die Schrift? „Treibe hinaus die Magd und ihren Sohn; denn keinesfalls soll der Sohn der Magd erben mit dem Sohn“ [Gen 21,10] der Freien. 31 Darum, Geschwister: Nicht sind wir einer Magd Kinder, sondern der Freien. 51 Zur Freiheit hat uns Christus befreit! Steht also fest und lasst euch nicht wiederum mit einem Joch der Sklaverei belasten. Textliche und sprachliche Bemerkungen: V. 21: „Hört“ (ἀκούετε) ließe sich evtl. auch im Sinne von „versteht“ auffassen. V. 24: „Testamente“ (διαθῆκαι) ließe sich auch als „Bundesschlüsse“ übersetzen, doch sollte deutlich werden, dass Paulus dasselbe Nomen wie in 3,15.17 verwendet. „Das eine“ ist im Griechischen Femininum und kann sich sprachlich sowohl auf eine der Frauen als auch auf eines der Testamente beziehen; die explizite Deutung auf Hagar spricht für Letzteres, auch wenn „Testament“ durch das Verb „gebären“ mit Blick auf die Frau interpretiert wird. V. 25: In der ersten Sinnzeile ist „Hagar“ textkritisch unsicher: einige alte Zeugen (u.a. P46 ‫ א‬C F G) lesen das Wort nicht. Da die Version mit „Hagar“ aber sicher der schwierigere Text ist, ist es wohl zu einfach, „Hagar“ schlicht zu streichen (dieser Vorschlag von Mußner, HThKNT IX, 322–324, fand kaum Gefolgschaft). – „Als Sklave dienen“ ist wieder Übersetzung für δουλεύειν (vgl. Bemerkung zu 4,8f.). V. 30: „keinesfalls“ gibt die doppelte Verneinung „οὐ … μή“ wieder.

Paulus bringt nach seiner eindringlichen Werbung um die Galater einen weiteren, zugespitzten Argumentationsgang, der die Grundlinien der bisherigen Darlegung aufnimmt und in klaren Antithesen fokussiert. Der erste ist um eine eigenwillige Auslegung der Geschichten um Sara und Hagar gebaut. Für die Frage, woher diese Auslegung stammt bzw. wie sie entstanden ist, ist zunächst die Beobachtung

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wichtig, dass Paulus hier zentrale Begriffe der bisherigen Argumentation aufnimmt, so z.B. „Verheißung“ (3,14.17.18.21.29), „Testament“ (3,15.17), „Geist“ (3,2.5.14 u.ö.307), den Gedanken des „Erbes“ (in V. 30 als Verb, vgl. „das Erbe“ 3,18; „der Erbe“ 3,29; 4,1.7), das „als Sklave dienen“ (vgl. 4,1.3.7.8.9) und das Motiv der „Verfolgung“ der Christusgläubigen (vgl. 1,13.23, auch im Weiteren: 5,11; 6,12). Die enge Verbindung des Abschnitts mit der Gedankenführung des Apostels ist damit evident308 – auch wenn manche Akzente im Detail anders gesetzt sind (z.B. hat Paulus zuvor nicht von zwei „Testamenten“ gesprochen), ist daher von vornherein der Annahme zu widersprechen, dass Paulus hier eine geprägte urchristliche Lehrtradition aufnehme.309 Weiteren Aufschluss über Absicht und Ursprung der Argumentation bringt ein erster inhaltlicher Blick auf den Gedankengang. Dieser erhält seine klare Struktur durch die scharfe Antithese zweier Sinnlinien:310 Der „Magd“ Abrahams, Hagar, entsprechen „nach dem Fleisch“ gezeugte Kinder (V. 23.29) und ein „Testament“ bzw. Bund der „Sklaverei“, welcher identifiziert wird mit dem „Berg Sinai in der Arabia“311 sowie dem „jetzigen Jerusalem“. Dagegen stehen die Kinder der „Freien“312, die „durch Verheißung“ bzw. „nach dem Geist“ (V. 23.29, vgl. V. 28) gezeugt sind und mit dem „oberen Jerusalem“ identifiziert werden. In dieser zweiten Reihe fällt auf, dass Paulus auf dieser Seite des Gegensatzes den Begriff „Testament“ bzw. Bund nicht näher spezifiert313 – evtl. ist das schlicht der gedrängten Formulierung geschuldet314 oder Paulus verzichtet deshalb darauf, um das ganze Gewicht auf die Aussage zu legen, dass das obere Jerusalem „unsere Mutter“ ist. Jedenfalls ist deutlich, dass der Gegensatz zwischen den beiden Reihen letztlich ein ausschließlicher ist – nach V. 307

Vgl. zur Häufigkeit dieses Begriffs im Galaterbrief oben bei und in Anm. 220. Vgl. auch Sänger, Sara, 218–220, mit dem Fazit ebd., 220, der Abschnitt sei „ein Integral des in 3,6 beginnenden exegetischen Diskurses über die Schriftgemäßheit der hinter 3,2b.5 steckenden These“. 309 Gegen Becker, NTD 8/1, 71.73f. 310 Eine hilfreiche tabellarische Aufstellung dazu bietet Sänger, Sara, 229. 311 Im Hintergrund dürfte eine (Paulus durch seinen Aufenthalt in der Arabia (vgl. Gal 1,17) bekannte?) Tradition stehen, die den Sinai in der Gegend des arabischen „Hegra“ lokalisiert und so einen direkten Bezug von „Hagar“ auf den Sinai begründen kann, vgl. schon 1967 Gese, Gal 4,25, 59–61 (vgl. passim mit weiteren Belegen), und zusammenfassend zur Diskussion Di Mattei, Allegory, 112. 312 Sänger, Sara, 238, meint, dass der Verzicht auf den Namen „Sara“ diese Zuschreibungen betonen soll. 313 Es werden verschiedene Deutungen diskutiert, doch sollte mit Wolter, Paulus (2011), 420 Anm. 19, dieses „Fehlen … respektiert und der Versuchung widerstanden werden, die Lücke aufzufüllen“. 314 Di Mattei, Allegory, 109, beobachtet etwa, „that the postpositive μέν in v. 24b already sets up a forthcoming ‚other‘ (δέ) which apparently never comes“. 308

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30 (bzw. Gen 21,10) soll die „Magd“ verstoßen werden und ihr „Sohn“ nicht „erben“. An Deutlichkeit mangelt es dem Abschnitt also nicht, vielmehr stellt er „one of the most provocative and controversial texts“ im gesamten Corpus Paulinum dar.315 Zugleich aber ist keineswegs sofort klar, gegen wen Paulus hier Front macht: Wenn die lange vorherrschende Deutung zuträfe, dass Paulus hier „eine dualistische Polarität zwischen dem ‚Judentum‘ und dem ‚Christentum‘ schaffen“ will, läge in der Tat „einer der schärfsten Angriffe von Paulus auf die Juden“ vor.316 Aber bisher ließ sich als Ziel der Polemik des Galaterbriefs stets sehr präzise die Front der judaisierenden Christusgläubigen in Galatien ausmachen und auch hier spricht einiges dafür, v.a. im zweiten Teil des Abschnitts: So etwas wie eine „Verfolgung“ (V. 29) „der“ Christen durch „die“ Juden gab es zwar317 – Paulus selbst kann als Beispiel dienen (vgl. 1,13.23) –, doch ist im Galaterbrief sehr viel klarer noch eine Agitation bestimmter Judenchristen gegen die paulinische Mission zu erkennen. Und lässt sich die in V. 30 im Zitat aus Gen 21,10 implizierte Aufforderung, die Magd und ihre Kinder „hinauszutreiben“, nicht geradezu als Forderung des Paulus lesen, diesen Agitatoren die Tür zu weisen? Dieser auf J. Louis Martyn zurückgehende Vorschlag hat so viel Zustimmung gefunden, dass er schon anderthalb Jahrzehnte später als neuer Konsens bezeichnet werden konnte.318 M.E. wurde in der Freude über diesen neuen Zugang zwar mancher Zug des Textes fehlinterpretiert, im Grundsatz aber dürfte es richtig sein, den Abschnitt nicht als Abhandlung über „das“ Judentum, sondern in enger Verbindung mit der galatischen Kontroverse zu lesen. Dieses Verständnis ist auch ein Grund dafür, dass Kommentatoren zunehmend eine Zäsur nicht vor, sondern – wie auch hier – nach 5,1 setzen: Wenn V. 21–31 nicht eine grundsätzliche Dissoziation von Juden- und Christentum zum Ziel hat, sondern konkret darum kämpft, dass die Galater nicht „wiederum“ den Weg der „Sklaverei“ wählen, dann ist eben diese Aufforderung in 5,1 am besten zu lesen als Bündelung dieses Abschnitts und nicht als Einleitung des folgenden, der von „Sklaverei“ nicht mehr spricht.319 315

So Byrne, Jerusalems, 215. So z.B. die Auslegung von Betz, Galaterbrief, die Zitate ebd., 422.423. 317 Diese Formulierung suggeriert freilich eine Entflechtung beider Gruppen, die für die fragliche Zeit noch keineswegs gegeben ist – so dürfte die Bemühung der Paulusgegner (wie auch die Verfolgung durch Paulus selbst) angemessener als innerjüdische Auseinandersetzung verstanden werden. 318 Vgl. Eastman, Slave Woman, 311: „This new interpretation has gained such widespread adherence that it might be called a ‚new consensus‘.“ Die Thesen von Martyns Aufsatz von 1990 lassen sich auch in seinem späteren Kommentar nachvollziehen, vgl. Martyn, AncB 33A, 431–466. 319 Dunn, BNTC, 261, der 5,1 zu 5,2–6 schlägt, meint, der Vers sei weder nur Bündelung noch nur Einleitung, sondern „Paul wanted the verse to stand on its own“. 316

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Dass die galatische Kontroverse eine stimmige Leseperspektive für den Abschnitt darstellt, bestätigt schon der Einstieg in V. 21. Eine gewisse Polemik liegt bereits im Relativsatz „die ihr unter dem Gesetz sein wollt“, mit dem Paulus die Galater anspricht, jedenfalls diejenigen unter ihnen, die immer noch den Positionen der Paulusgegner zuneigen:320 Diese Zuschreibung dürfte von ihren Adressaten kaum als verständnisvolle Interpretation ihrer Absichten verstanden worden sein, überlegten sie doch vielmehr, ob ihr Glaube an Jesus als den Christus auch die Zugehörigkeit zum Bundesvolk und also die Beschneidung erfordert.321 Spitz ist ebenfalls die Frage an diese wankenden Galater, ob sie „das Gesetz“ nicht gehört hätten; sie klingt (anders als 3,2) eher wie ein Vorwurf, das einleitende „Sagt mir“ damit eher wie eine Rechenschaftsforderung. Kurz: Paulus kämpft mit den Galatern und um sie. Der Fortgang mit einer Auslegung eines Motivs der Abrahamerzählungen zeigt, dass die Frage (aber noch nicht der Relativsatz322) in V. 21 den Begriff „Gesetz“ nicht auf die Gebote vom Sinai, sondern auf die „Torah“ im Sinne des Pentateuch bezieht. Die Themenwahl geschieht dabei keineswegs zufällig, sondern knüpt an Motive der gegnerischen Predigt an – jedenfalls das Stichwort „Testament“ bzw. „Bund“323 (V. 24) und der Bezug auf die bereits 3,6–29 diskutierte Abrahamskindschaft (Gottes Bund mit Abraham fordert nach Gen 17 die Beschneidung) erklären sich wohl von hierher.324 Evtl. arbeiteten die Gegner auch mit einer Differenzierung zwischen Sara und Hagar bzw. Isaak und Ismael, die ihnen erlaubt hätte, den Segen Abrahams für die Völker so zu erklären, dass Gott gleichwohl nur mit einem Volk – nämlich den Nachkommen Isaaks – einen Bund schließt.325 320 Nach Schlier, KEK 7, 216, hätte der Relativsatz dann ein „hervorhebendes ὑμεῖς“ gebraucht. Andererseits fiele Paulus mit einer Anrede an alle Galater in gewisser Weise hinter 4,19f. zurück. – Bauer, Paulus, 381f., überlegt, hier die Paulusgegner angesprochen zu sehen; dagegen spricht, dass diese sonst nur in 3. Person erscheinen. 321 Pilhofer, Galaterbrief, 159, meint, dass eine Beschränkung der Absicht der Galater auf die Übernahme der Beschneidung wegen V. 21 nicht in Frage komme. Die Formulierung muss aber nicht ihr Selbstverständnis treffen (vgl. auch 5,3!), sondern kann mit ihrem deutlichen Anklang an 3,23; 4,4f. ebenso gut als Variation des Vorwurfs eines „Rückfalls“ in die Sklaverei (vgl. 4,9) verstanden werden. 322 Wäre auch im Relativsatz die Torah gemeint, liefe die Argumentation auf die Forderung eines ‚richtigen‘ Seins „unter dem Gesetz“ (im Sinne von Torah) hinaus. Das passt aber weder zum unmittelbaren Kontext noch zu 3,23; 4,4.5. 323 Byrne, Jerusalems, 223f.230f., betont zu Recht, dass die Rede von den beiden διαθῆκαι mehr meint als verschiedene christliche Missionen, hier also wirklich Kritik am Sinaibund vorliegt – diese Einsicht fordert aber noch keine Entscheidung gegen die Grundlinie der Martynschen These. 324 Vgl. z.B. De Boer, Quotation, 385f. 325 Dies vertritt etwa Longenecker, WBC 41, 199: „the Judaizers undoubtedly [!] claimed that Paul’s preaching represented an ‘Ishmaelian’ form of truth”; vgl.

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Das könnte die auffällig knappe Einführung des Motivs in V. 22 erklären, ist für die Entwicklung des paulinischen Gedankengangs aber nicht zwingend erforderlich.326 Dessen Entstehung ließe sich nämlich ebenso ausgehend vom Bezug seiner Gegner auf die Autorität der Urgemeinde in Jerusalem (vgl. 1,17f.; 2,1f. und die Ankömmlinge „von Jakobus“ in Antiochia 2,12) erklären, v.a. wenn sie in diesem Zusammenhang die Parole ausgegeben hätten, dass die Urgemeinde in Jerusalem327 oder – wohl eher – Jerusalem als Zentrum des Judentums328 die „Mutter“ der christlichen Gemeinden sei: Mit der „Mutter“ käme eben neben Abraham Sara in den Blick, d.h. um seine These zu verteidigen, dass die Glaubenden die wahren Kinder und Erben Abrahams sind (vgl. 3,6–29), muss Paulus sie also auch mit Sara verbinden (dieses Ziel markiert V. 28!). Dies gelingt ihm in einer eschatologischen Interpretation der allegorisch verstandenen Figur Sara, zu der er mit Hilfe von Jes 54,1329 vorstößt, weshalb er den Vers auch als Begründung („denn“) anführt.330 Die verheißene eschatologische Fülle der Kinder der Unfruchtbaren bildet das eschatologische „obere Jerusalem“ – eine InMartyn, AncB 33A, 434; zustimmend auch Dunn, BNTC, 243. Vgl. zur Argumentation die Zusammenstellung entsprechender rabbinischer Texte bei Longenecker, WBC 41, 200–206, freilich auch seine Betonung, dass nicht zweifelsfrei erhoben werden könne, inwieweit diese „had been developed by Paul’s day“ (ebd., 203). 326 Als inhaltliches Problem dieser Erklärungen sei notiert, dass Ismael beschnitten war (Gen 17,23–26!), die ihm von diversen Exegeten in angenommenen judaisierenden Interpretationen zugedachte Rolle als Repräsentant der unbeschnittenen Heiden also gar nicht ohne weiteres ausfüllen kann. 327 Auch dieser Vorschlag stammt von Martyn, vgl. Martyn, AncB 33A, 433; vgl. ebd., 441; 462f. 328 Vgl. die Betonung von Wolter, Paulus (2011), 419 Anm. 16, „dass Judenchristen – zumal solche, mit denen Paulus sich hier auseinandersetzt – die Welt immer durch die jüdische Brille betrachtet haben“. M.a.W.: Die Annahme, dass gerade diese Judenchristen sich nicht bewusst und stolz als Teil des Judentums, sondern einer von diesem unterschiedenen Urgemeinde betrachtet hätten, ist nicht plausibel. Dies gilt zumal angesichts eines von der erstarkenden zelotischen Bewegung ausgehenden Konformitätsdrucks auf die Jerusalemer Urgemeinde, vgl. dazu unten, 172. 329 Zur Wahl dieses Textes vgl. De Boer, Quotation, oder ders., Galatians 303–305; Di Mattei, Allegory, 114–120. Die zwangloseste Erklärung läge vor, wenn für die paulinische Zeit Jes 54,1 als „Haftara“ (also synagogale Prophetenlesung) zu Gen 16–21 angenommen werden dürfte, was aber keineswegs sicher ist (vgl. auch Sänger, Sara, 234 Anm. 85). Paulus geht aber ohnehin im Gal intensiv mit Deuterojesaja um und könnte Stichwortverbindungen von Gen 11,30 zu Jes 54,1 auch selbst entdeckt oder den Sara-Bezug in Jes 51,2 mit 54,1 verknüpft haben – und das auch mit exegetischem Recht, vgl. Di Mattei, Allegory, 117: „The author of Deutero-Isaiah … clearly links the Zion tradition [Jerusalem!] and its eschatological fulfillment [oberes Jerusalem!] to the promises made to the patriarch Abraham!“ 330 So mit guten Gründen De Boer, Quotation, 379: „The citation from scripture does not carry the argument forward; it states the source of that argument“; vgl. ebd., 375–384.

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terpretation, die für Paulus gewiss auf einer Linie mit seiner eschatologisch-apokalyptischen Deutung des Christusgeschehens (5,1!) als Zeitenwende und Beginn der Neuschöpfung Gottes liegt,331 in deren Licht er bereits die Erfüllung der Abrahamsverheißung beschrieb (vgl. 3,8.14.16).332 Ganz entsprechend liegt hier nun auch im Blick auf Sara der ganze Ton auf der eschatologischen Erfüllung der Verheißung, also darauf, dass die Galater Kinder der Verheißung (V. 28) bzw. der Freien (V. 31) sind. Sollte Hagar nicht bis dahin schon als Gegenpart eine Rolle in den Gedanken des Apostels gespielt haben, könnte sie durch die zweite Frau in Jes 54,1 („die den Mann hat“) als Saras Gegenüber in die Argumentation gelangt sein. Die mit den beiden Frauen verbundene Rede von den „zwei Söhnen“ (V. 22) Abrahams bietet Paulus jedenfalls die Gelegenheit, seinen Gegnern die Abrahamssohnschaft als Argument (nicht zuletzt für die Beschneidungsforderung) im Folgenden einerseits in gewisser Weise bestätigen, andererseits zugleich entreißen zu können: Die physische Abstammung allein ist ebenso ein Notbehelf wie das befristet (vgl. 3,15–29) geltende Sinaigesetz – Ziel ist hier wie dort die Erfüllung der Verheißung, weshalb nach Gen 21 Zeit und Recht Hagars und Ismaels begrenzt blieb.333 Die Antithetik zwischen der „Freien“ und der „Magd“ ist dabei problemlos aus den bisherigen Ausführungen erklärbar (das Thema „Sklave“ war zuletzt häufig, zu „Freiheit“ vgl. 2,4) und die Differenzierung zwischen Kindern „durch Verheißung“ bzw. „nach dem Geist“ und solchen „nach dem Fleisch“ (V. 23.29) eine klare paulinische Pointe (vgl. 3,3 und dann in der Paränese 5,16–24; 6,7f.).334 Auch V. 29f. lässt sich mit Bezug auf die Situation in Galatien verstehen. Vielleicht nicht zufällig erinnert das „jetzt“ (V. 29) an das „jetzige Jerusalem“ (V. 25)335 – jedenfalls verwendet der Galaterbrief das Verb „verfolgen“ durchgängig für eine Agitation gegen die Gruppe der Christusgläubigen oder jedenfalls ein bestimmtes Verständnis des Christusevangeliums, die ihre Motivation aus einem bestimmten jüdischen Selbstverständnis bezieht (vgl. 1,13.23; 5,11; 6,12). Dass Paulus das hier erwähnt, macht deutlich, dass ein guter Teil der Po331 Vgl. dazu den bedeutsamen Hinweis von Baumert, Weg, 115, dass Jes 54,1 direkt auf das vierte Gottesknechtslied folgt, das für Paulus auf Kreuz und Auferstehung (Jes 53,10f.!) Christi deutet. 332 Dass dies die entscheidende Perspektive für seine Deutung der Schrift ist, sei (mit Vouga, HNT 10, 114) nochmals erwähnt: Die z.T. kühnen Operationen seiner Schriftauslegung können nur angemessen diskutiert werden, wenn erkannt ist, dass Paulus die Schrift bewusst im Lichte des Christusereignisses deutet, das für ihn eben die Qualität der eschatologischen Neuschöpfung hat (vgl. z.B. 6,15). 333 Vgl. Di Mattei, Allegory, 119f. 334 Vgl. Wolter, Paulus (2011), 418f. 335 Im Griechischen noch deutlicher, dort steht jeweils „νῦν“.

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lemik dieses Abschnittes mit einer von ihm als bedrohlich empfundenen Situation zusammenhängt. Der leider nicht eindeutig zu klärende Charakter dieser Situation ist wesentlich für das Verständnis des Abschnittes – er klänge anders, wenn die galatische Krise und der Galaterbrief mit wenig Abstand auf den Antiochenischen Konflikt folgten, als wenn beide nach der Verhaftung des Paulus in Jerusalem (!) datiert werden.336 Jedenfalls entspricht der Herausforderung durch diese Verfolgung die Pointe, die V. 30 setzt. Paulus verschiebt den Klang der Aufforderung Saras an Abraham (Gen 21,10) erheblich, indem er das „mein Sohn“ kurzerhand durch „Sohn der Freien“ ersetzt, so dass Sara als Sprecherin nicht mehr sichtbar ist. Mit dieser scheinbar kleinen Veränderung337 klingt der Satz nun wie eine göttliche Anordnung: Nicht Sara wünscht die Austreibung der Magd, sondern „die Schrift“ verfügt sie bzw. kündigt sie an.338 Mit guten Gründen hinterfragt Eastman jedoch die Interpretation von V. 30 als Aufforderung zum „Rauswurf“ der Paulusgegner – dagegen stehen nicht nur der Imperativ Singular (im Unterschied zum Imperativ Plural in V. 21; 5,1) und der Charakter als Schriftzitat, sondern v.a. auch die Einsicht, dass Paulus die Galater ja noch davor bewahren will, Kinder „nach dem Fleisch“ zu werden. Wenn sie sich nicht selbst rauswerfen sollen, ist daher Eastmans Verständnis des Satzes „as a solemn warning“ naheliegender:339 Den Galatern, die „unter dem Gesetz sein wollen“ (V. 21),340 stellt Paulus vor Augen, welche Perspektive „die Schrift“ für den Sohn der Magd aufzeigt. Diese Lesart passt auch besser zum Abschluss des Abschnitts mit Zuspruch (V. 31; V. 1a) und Aufforderung zur Standhaftigkeit (V. 1b): Der Zuspruch stellt fest, dass „wir“ – Paulus und die Galater und alle Christusgläubigen341 – nicht Kinder der „Magd“, sondern der „Freien“ sind aufgrund der hier nun explizit und betont genannten „Befreiung zur Freiheit“ durch Christus. Der daran anschließende Imperativ mit der Aufforderung zur Beständigkeit aber stellt klar, dass dies eine Aussage in eschatologischer Spannung ist: Was schon gilt, könnte noch verloren werden. Gerade dieser 336

Vgl. zu diesen Fragen ausführlicher unten B.2.d), 179ff. Außerdem verstärkt Paulus noch die Verneinung bei „erben“ durch emphatische Verdoppelung; vgl. Eastman, Slave Woman, 310. 338 Vgl. Byrne, Jerusalems, 228: „the demand … is taken over by the divine voice spoken in ‚Scripture‘„. 339 Eastman, Slave Woman, 313; eine detaillierte Begründung ebd., 313–333. 340 Im Falle einer Datierung des Galaterbriefs erst nach der Verhaftung des Paulus (vgl. dazu unten B.2.d), 179ff.), wären hier aber wohl auch die (Jerusalemer) Juden mit im Blick, deren Denunziation Paulus in diese missliche Lage gebracht hat. 341 Dieser Bezug der 1. Person Plural ist hier wohl unbestreitbar – und zwar in einem Kontext, der sich auch mit dem Sinaibund befasst. Diese Beobachtung ist ein gewichtiges Argument gegen den Vorschlag, die „wir“-Passagen in 3,13f.; 3,23–25; 4,3–5 speziell auf Juden zu deuten, vgl. oben, 80f. 337

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Schluss des Abschnitts legt daher eine eschatologische Interpretation auch von V. 30 nahe: Das Erbe ist zwar schon vergeben, aber – wenn das Bild erlaubt ist – die „Testamentseröffnung“ steht noch aus, die endgültig klären wird, dass es eben an die Kinder der Verheißung gehen wird. Die Enterbung des Sohns der Magd ist damit dann keine gegenwärtig zu vollziehende Aktion der Gemeinde, sondern wird von Paulus als Kehrseite der Treue Gottes zu seiner Verheißung und dem Weg zu ihrer Realisierung erwartet: V. 30 ist eine Perspektive auf das Gericht Gottes (vgl. dann auch 5,10). Nach diesem Verständnis enthält der Abschnitt einerseits mehr Kritik am Sinaibund, als manche gelten lassen wollen. Zugleich aber besteht eine eschatologische Offenheit ähnlich derjenigen, die Paulus für seinen Lösungsversuch der Israelfrage in Röm 11,25–32 nutzt. In jedem Fall ist deutlich, dass das Ziel seiner Überlegungen nicht in einer Abwertung des Judentums besteht, sondern in der Klärung einer christlichen Identität und in diesem Zusammenhang der Frage nach der Bedeutung des Sinaibunds angesichts der durch das Christusgeschehen angefangenen eschatologisch-apokalyptischen Vollendung. Damit liegen zwar sehr wohl Spitzen gegen das Judentum und den Sinaibund vor,342 dennoch bewährt sich die Grundlinie der Auslegung Martyns, den Text aus der galatischen Kontroverse heraus zu verstehen. So verstanden geht es Paulus hier nicht um eine Verwerfung des Judentums, sondern um einen Widerspruch zur These der Gegner, dass der Glaube an Christus die Zugehörigkeit zum Judentum (im Gegensatz zum Heidentum) erfordert – dagegen setzt er seine Ansicht, dass die Zugehörigkeit zum oberen Jerusalem als der in Christus begonnenen eschatologischen Realisierung der Verheißung Gottes (im Gegensatz zum jetzigen Jerusalem als dem zeitlich befristeten Sinaibund) entscheidend sei: Die „Pragmatik des Textes [zielt] wesentlich auf die narrative Konstruktion einer allein vom Christusglauben her sich definierenden Gruppenidentität“.343 Ähnlich wie schon zu 4,8–11 lässt sich also auch hier sagen: Polemisch ist der Abschnitt, ja – aber das Ziel dieser Polemik ist nicht das Judentum, son342

Vgl. dazu auch Byrne, Jerusalems, v.a. 221–231, der das Gewicht des Begriffs „Bund“ in Martyns Interpretation mit ihrer Tendenz, hier lediglich „two Christian missions, Law-observant and Law-free respectively“ (ebd., 230) zu sehen, nicht genügend reflektiert sieht. 343 So Sänger, Sara, 230; vgl. die zentrale Linie der Interpretation von Wolter, Paulus (2011), 422–424, der den Text ebenso als „Profilierung der christlichen Identität“ (ebd. 422) versteht. Ähnlich zeichnet Bachmann, Frau, 138–143, nach, dass und wie der Text v.a. an der Sicherung der Identität der Christusgläubigen als Kinder der „Freien“ interessiert ist, will aber die „andere Frau“ gerade nicht auf den Sinaibund deuten (vgl. ebd., 143–151) – die Argumentation hierfür überzeugt freilich nicht, u.a. wegen der damit verbundenen problematischen Voraussetzung einer Differenzierung zwischen Juden und Nichtjuden in 3,6–4,7 (vgl. dazu oben, 80f.).

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dern eine bestimmte Sicht des Sinaigesetzes. Dass dieses aber seine Zeit gehabt hat und nicht zum Erbe der Verheißung führt, ist jedenfalls im Galaterbrief kein neuer Gedanke.344 5,2–12 Es gilt ein Entweder – Oder: Christus oder das Gesetz 2

Siehe, ich, Paulus, sage euch: Wenn ihr euch beschneiden lasst, wird Christus euch nichts nützen. 3 Ich bezeuge aber wiederum jedem Menschen, der sich beschneiden lässt, dass er verpflichtet ist, das ganze Gesetz zu tun. 4 Abgekommen seid ihr von Christus, die ihr im Gesetz gerecht werden wollt, aus der Gnade seid ihr herausgefallen. 5 Wir nämlich erwarten im Geist aus Glauben das Hoffnungsgut der Gerechtigkeit. 6 In Christus Jesus nämlich gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern Glaube, der durch Liebe wirksam ist. 7

Ihr lieft gut. Wer hat euch gehindert, der Wahrheit zu folgen? 8 Die Überredung stammt nicht von dem, der euch beruft. 9 Ein wenig Sauerteig säuert den ganzen Teig. 10 Ich vertraue auf euch im Herrn, dass ihr nichts anderes denken werdet. Der euch aber verwirrt, wird das Urteil zu tragen haben, wer er auch sei. 11 Ich aber, Geschwister, wenn ich noch die Beschneidung verkündige, was werde ich noch verfolgt? Dann ist ja das Ärgernis des Kreuzes beseitigt. 12 O dass sie sich doch kastrieren ließen, die euch aufhetzen. Textliche und sprachliche Bemerkungen: V. 4: „Abgekommen“ (κατηργήθητε) kann auch als „(hin)weggetan“ übersetzt werden (so z.B. Schlier, KEK 7, 228; Mußner, HThKNT IX, 342), je nach Deutung ist also mehr die eigene Verirrung oder deren Folge von Gott her akzentuiert. V. 5: Die Übersetzung von ἐλπίς („Hoffnung“) als „Hoffnungsgut“ ist durch das Verb erfordert: „Erwartet“ wird nicht die Hoffnung, sondern deren Erfüllung, also das „Erhoffte“, von dessen Realität der (hoffende) Glaube schon jetzt überzeugt ist. 344

Vgl. in ähnlichem Sinne etwa Di Mattei, Allegory, 121f.

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V. 7: Bei „Wahrheit“ steht in einigen alten Handschriften (‫ *א‬A B) kein bestimmter Artikel; ein bedeutungsmäßiger Unterschied entsteht dadurch nicht. V. 10: „vertraue auf euch“ kann auch übersetzt werden als „verlasse mich auf euch“. V. 11: „Aufhetzen“ (ἀναστατοῦν) meint auch „beunruhigen“ oder „verstören“.

Der letzte Abschnitt des zweiten Hauptteils bietet in zwei Teilen zunächst eine pointierte theologische Untermauerung der zuletzt markierten Warnung (5,1), die Christus und das Gesetz als Gegensatz statuiert und auch durch die Aufnahme zentraler Themen und Stichwörter des bisherigen Briefs ausgesprochen grundsätzlich ausfällt (V. 2– 6), und dann eine nochmalige werbende Anrede an die Galater nebst einigen unfreundlichen Bemerkungen an die Adresse der Widersacher des Apostels (V. 7–12). V. 2–6 bilden also die eigentliche theologische Summe des zweiten Hauptteils, was v.a. daran deutlich wird, dass die Leitmotive der darin entfalteten These 2,15–21 wieder aufgegriffen werden: Es geht um „gerecht werden“ bzw. „Gerechtigkeit“ (V. 4f.; vgl. 2,16f.21) und das Gegenüber von „Christus“ und „Gesetz“ (V. 2–4.6; vgl. 2,19–21), auch der Begriff der „Gnade“ (V. 4) kommt erstmals nach 2,21 wieder vor; zugleich schlägt Paulus damit einen Bogen zum Eingang des Briefs in 1,6, wo „Gnade“ konnotiert war mit der Berufung der Galater durch Gott. Eine enge Verknüpfung zeigt sich ebenso zum Schluss des Briefs, wo 6,15 den Programmsatz V. 6 variiert wiederholt. V. 7–12 unterstreichen auf der Basis dieser theologischen Zusammenfassung zugleich die Sorge des Apostels um die Galater und seine Hoffnung, dass sie doch weiter „der Wahrheit … folgen“ werden (V. 7). Auch dieser Abschnitt zeigt starke Verwobenheit mit dem Kontext des Galaterbriefs, z.B. durch diesen Bezug auf die Programmformel von der „Wahrheit des Evangeliums“ (2,5.14). Daneben begegnen auch hier Verknüpfungen sowohl mit dem Briefeingang (vgl. die Berufung durch Gott in V. 8 und 1,6 und die Verwirrung, die die Gegner stiften, in V. 10 und 1,7) als auch mit dem Briefschluss (vgl. V. 11 mit 6,12), die Frage „wer hat euch …?“ (V. 7) kann außerdem als Anklang an den Beginn des zweiten Hauptteils gelesen werden (vgl. 3,1). Durch alle diese zentralen Bezüge zeigt sich der zweiteilige Abschnitt, mit dem der zweite Hauptteil endet, insgesamt als ein Kernstück des Galaterbriefs. Indem Paulus nun aber neben diesen Verknüpfungen neu und prominent die bisher nur im Hintergrund (2,3.12) aufgeschienene Streitfrage der Beschneidung gleich mehrmals (V. 2.3.6.11; vgl. V. 12) explizit benennt, wird zugleich klar, dass es zutiefst dieser Streitpunkt ist, der den Apostel zu seinem höchst engagierten Schreiben drängt. Zum Einzelnen. V. 2–6 nimmt die Klartext-Opposition „Gesetz“ oder „Christus“ aus dem Rahmen des vorigen Abschnitts 4,21 – 5,1 auf und setzt beide, nun ganz ohne allegorische Vergleiche, in eine

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ausschließliche Alternative (V. 2 neben V. 3 sowie innerhalb von V. 4). Klartext redet Paulus zugleich, wie erwähnt, in der Benennung der zentralen Streitfrage der Beschneidung (V. 2.3.6). Die Galater mögen der Meinung gewesen sein, mit der Beschneidung und also der Zugehörigkeit zum Bund Gottes mit seinem Volk ihren Glauben an Christus zu vervollkommnen – Paulus sieht aber gerade darin Christus verraten und verlassen. Er stellt klar, dass die Frage der Beschneidung sich nicht abgesehen von einer Orientierung am ganzen Gesetz betrachten lässt (V. 3), womit er an eine Kernthese aus 3,10(–14) „wiederum“ anknüpft.345 „Beschneidung“ (V. 2.3.6) und „Gesetz“ (V. 3.4) setzt er hier also in eins – und zugleich in Gegensatz zu „Christus“ (V. 2.4.6) und damit zur „Freiheit“ (5,1), zur „Gnade“ (V. 4) und zu „Glaube“, „Hoffnung“ und „Liebe“ (V. 5f.). Indem er beide Pole dieses Gegensatzes mit der Frage nach dem „Gerechtwerden“ (V. 4) bzw. der „Gerechtigkeit“ (V. 5) verbindet, erscheint die Alternative Gesetz und Christus parallel zu der von „Werke des Gesetzes“ und „Glauben an Christus“ aus der Kernthese 2,16. Dort war diskutiert worden, inwieweit die Aussage sich auf jüdische Spezifika wie Beschneidung, Speise- und Sabbatgebote fokussiert verstehen lässt, allerdings auch bemerkt worden, dass schon dort im unmittelbaren Kontext in 2,19–21 Paulus darüber hinausgeht in einer grundsätzlichen Kritik der Meinung, das Gesetz habe bleibende Geltung für die Frage der Annahme eines Menschen durch Gott.346 Diesen Gedanken baute 3,6–4,7 aus in die These einer zeitlich begrenzten Bedeutung des Gesetzes, deren Ende angesichts der Erfüllung der Verheißung Gottes im Christusgeschehen gekommen sei: Diese Zeitenwende führt nach Paulus nicht nur zur Überwindung der Trennung zwischen Juden und Nichtjuden, sondern im Zusammenhang damit bzw. darüber hinaus zu einer Ablösung des Gesetzes als verbindlicher Grundlage des Seins vor Gott. Von hierher erkennt der Apostel also auch die Notwendigkeit, das Sein der Christusgläubigen als eine eigene Identität zu beschreiben, die alle alten und also überholten Differenzierungen hinter sich lässt (3,28), weil sich in ihr eben jetzt die ältere und also grundlegende Verheißung Gottes erfüllt. Zuletzt bestimmte diese grundsätzliche Perspektive den vorigen Abschnitt 4,21–5,1, hier wird sie nun auch in Details der Sprachgestalt erkennbar wie dem betont allgemeinen „jedem Menschen“ in V. 3:347 Konkret will Paulus 345 Evtl. ließe sich das „wiederum“ auch analog zur Einleitung des zweiten (gedoppelten) Fluchs in 1,9 im Sinne einer Bekräftigung des im vorigen Vers Gesagten interpretieren. Jedenfalls ist die Annahme, dass Paulus auf frühere mündliche Verkündigung in Galatien rekurriert, nicht unumgänglich. 346 Vgl. oben, 70. 347 Vouga, HNT 10, 122, zieht eine Linie zur Verwendung des gleichen Begriffs „ἄνθρωπος“ in 2,16.

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die drohende Beschneidung der nichtjüdischen Männer in den galatischen Gemeinden verhindern, die über diesen Kreis weit hinausgehende sprachliche Adresse an „jeden Menschen“ signalisiert also, dass die Entscheidung für eine Orientierung entweder an Christus oder am Gesetz von allen verlangt ist – eben weil „in Christus Jesus“ alle früheren Unterscheidungen wie die zwischen Juden und Nichtjuden aufgehoben sind (vgl. V. 6). Für die Identität der Christusgläubigen ist Christus, ist der Glaube an ihn, ist die Geistbegabung, ist die Taufe (3,27)348 der einzige und hinreichende Grund. Jede Forderung nach Ergänzung dieses Grundes kann für Paulus faktisch nur in Konkurrenz dazu stehen, anders gesagt: Jede vermeintliche Ergänzung des Christusglaubens bedeutet, von Christus „abzukommen“ und aus der Gnade „herauszufallen“ (V. 4). Im Blick auf die galatische Kontroverse konkretisiert sich diese Einsicht in die eschatologisch begründete Existenz der Christusgläubigen in der Ablehnung der Beschneidungsforderung, denn diese bestreitet, dass in Kreuz und Auferstehung Jesu Christi das eschatologische Heil vollkommen erschlossen ist,349 und macht so – ob gewollt oder ungewollt – das Gesetz zu einem Antipoden Christi. Diese Deutung des Textes impliziert ausdrücklich nicht, dass die Gegner des Paulus selbst die Gerechtigkeit von der Befolgung des Gesetzes erhofft hätten.350 Mit der „New Perspective on Paul“351 ist die Einsicht festzuhalten, dass einer Verzerrung des jüdischen Selbstverständnisses zu einer Negativfolie zur paulinischen Rechtfertigungslehre widerstanden werden muss – zumal der Text eine entsprechende Sichtweise unterstützt: Deutlich ist ja, dass Paulus nicht behauptet, die Gegner bzw. die beschneidungswilligen Galater würden sich bewusst gegen Christus wenden – dass die Bereitschaft zur Beschneidung zugleich eine Abwendung von Christus bedeutet, ist ja vielmehr seine These, die er zu erweisen sucht. Daher ist die Aussage von V. 4, die Galater wollten (nur?) „im Gesetz gerecht werden“, als polemische Zuspitzung zu verstehen:352 Wer die Zugehörigkeit zum 348 Zu Recht betont Dunn, BNTC, 271, dass von dieser hier nicht die Rede ist, es Paulus also nicht um die Ersetzung des Ritus der Beschneidung durch den der Taufe gehe. Andererseits ist die Taufe in 3,27 als Äquivalent von Glaube und Geistbegabung eingeführt und in diesem Sinne – als Ausdruck dieser einen und einzigen Grundlage christlicher Existenz – kann sie auch hier genannt werden. 349 Vgl. hierzu die Verbindung, die Vouga, HNT 10, 122, zwischen V. 2 („Christus [wird] euch nichts nützen“) und 2,21 („dann ist Christus umsonst gestorben“) zieht! 350 So richtig Dunn, BNTC, 266. 351 Vgl. dazu den Exkurs oben, 57ff. 352 Das zeigt schon die Formulierung „im Gesetz“, die als Gegenbegriff zu „in Christus“ zu verstehen ist, vgl. Klaiber, Galaterbrief, 152. Das aber ist Polemik – Schlier, KEK 7, 233, verdeckt das, wenn er formuliert, dass die Galater „‚im Gesetz‘ und nicht [!] ‚in Christus‘ gerecht werden wollen [!]“.

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Bundesvolk und damit das „Gesetz“353 zu einer zusätzlichen Bedingung der Gerechtigkeit vor Gott erhebt, bestreitet nach der Meinung des Apostels damit, dass der Zugang zur Rechtfertigung über den Glauben an Christus (V. 5) aus sich heraus gilt – und entscheidet sich eben damit dagegen, so dass ihm nur die Möglichkeit bleibt, auf der Basis des Gesetzes nach Gerechtigkeit zu suchen. Die Pointe – und die Polemik – dieser Aussage erschließt sich dabei gerade von der Voraussetzung her, dass nicht nur Paulus dies faktisch für unmöglich hält (3,21!), sondern auch seine Gegner das Gesetz kaum als Heilsweg angesehen haben.354 V. 4 referiert also nicht einfach die Position der Beschneidungsbefürworter, sondern hält ihnen vielmehr deren Absurdität vor Augen. Parallel zu dieser Polemik verfolgt Paulus in V. 4f. eine rhetorische Strategie, die die schwankenden Galater auf seine Seite ziehen will: Die Polemik von V. 4 gilt präzise denen, die im Begriff stehen, sich für die Beschneidung zu entscheiden, während das „wir“ von V. 5 auch jene einschließt, die weiterhin auf den Glauben setzen – Paulus lädt die Galater damit ein, seiner Aufforderung zur Standhaftigkeit (5,1) zu folgen.355 „In Christus Jesus“ ist die Unterscheidung zwischen Beschneidung und Unbeschnittensein völlig erledigt, hier gilt nur der „Glaube, der durch Liebe wirksam ist“ (V. 6) bzw. „neue Schöpfung“ (6,15). Diese Parallele zu V. 6 im Briefschluss markiert erneut, dass für die paulinische Interpretation der Christuszugehörigkeit die eschatologische Perspektive schlichtweg zentral ist – dies zeigt auch V. 5, der die 353

Gegen Dunn (vgl. zu einer Kritik seiner Auslegung auch Anm. 354) neige ich zu der Auffassung, dass die Gegner vom „Gesetz“ und nicht vom „Bund“ gesprochen haben – einfach aufgrund der Beobachtung, dass Paulus nicht die Möglichkeit wählt, den Gedanken eines „neuen Bunds“ o.ä. anzuführen, ja auch schon in 4,21–5,1 den mit der „Freien“ verknüpften Bund nicht näher charakterisierte. 354 Meine Auslegung nimmt damit das berechtigte Anliegen der „New Perspective“ auf, das Judentum nicht als Religion einer Werkgerechtigkeit zu verzeichnen. Die Auslegung von Dunn, BNTC, 267, der den Begriff „Gesetz“ in V. 4 engführen möchte auf die Frage der Zugehörigkeit zum Bundesvolk (vgl. dazu auch Anm. 353), halte ich gleichwohl für problematisch. Paulus spricht eben nicht vom „Bund“, sondern vom „Gesetz“, was auch inhaltlich in die Linie seiner Aussagen passt: Hatte er eben noch erklärt, dass der Sinaibund „in die Sklaverei gebiert“ (4,24), und vor ihm als „Joch der Sklaverei“ gewarnt, das gegen die „Freiheit“ in Christus steht (5,1), so verbindet er ihn auch hier bewusst mit dem „Tun“ (V. 3) des „Gesetzes“ (V. 3.4) – wem das Gesetz des Bundes so wichtig ist, der möge seine Gerechtigkeit im Tun dieses Gesetzes suchen, wo er sie nicht finden wird. Wird dies aber als Polemik gegen die Gegner erkannt, ist dem Anliegen, das Judentum nicht zu verzeichnen, Genüge getan. 355 Diese Interpretation vertritt z.B. Martyn, AncB 33A, 472; vorsichtiger Vouga, HNT 10, 122f. Als Argument sei zum einen genannt, dass Paulus in V. 4 kein normales Relativpronomen verwendet, sondern „οἵτινες“, was etwa „alle, die …“ bedeutet, zum anderen, dass das „wir“ zuletzt stets ohne Zweifel die Galater einbezog (vgl. 4,26.31; 5,1), was etwa der damit verbundene Imperativ in 5,1 zeigt.

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„Gerechtigkeit“ als „erwartetes“ „Hoffnungsgut“ beschreibt.356 Was aber soll in diesem Zusammenhang der viel diskutierte Halbsatz über die Liebe? Hat Paulus hier wirklich schon die Paränese (ab 5,13) im Sinn, für die er eine Stichwortverankerung setzen will? Dass „Liebe“ ein Zentralbegriff des paränetischen Teils ist, soll (und kann) gar nicht bestritten werden, gleichwohl liegt es nahe, dessen Einführung hier zunächst im Rahmen der galatischen Kontroverse zu verstehen.357 „Liebe“ wäre dann wie in 1. Kor 13 als grundlegend für den Umgang der Christen untereinander in der Gemeinde genannt – der Glaube an Christus wirkt sich aus in der Liebe zu den anderen Glaubenden, also in der ungeteilten Gemeinschaft mit ihnen: An diesem „Maßstab“ (6,16)358 scheitern die Beschneidungsprediger. So verstanden betont die Rede vom „Glaube[n], der durch Liebe wirksam ist“, zusätzlich, dass eben Paulus im Recht ist und nicht seine Gegner. Wendet sich die pointierte theologische Verwerfung der Beschneidungsforderung in V. 2–6 ganz an die Galater, so kommen in V. 7–12 in der den zweiten Hauptteil abschließenden Anrede nun auch diese Gegner in den Blick – und zwar eben nicht als Liebende, sondern als die, die die galatischen Christen „hindern“ (V. 7), „überreden“ (V. 8), „verwirren“ (V. 10) und „aufhetzen“ (V. 12). Konsequent setzt Paulus dabei seine Linie fort, nicht mit den Gegnern, sondern nur über sie zu reden – wie schon in 1,7–9; 3,1; 4,17 kommen sie nur in der 3. Person vor. Angeredet sind hingegen wieder die Galater, die auf diese Weise rhetorisch wirksam von den Beschneidungspredigern getrennt werden. Ausweislich der mit ihnen verbundenen Verben tun diese den Galatern nichts Gutes, während Paulus 356

Zu dieser Übersetzung vgl. oben die „textlichen und sprachlichen Bemerkungen“ und ebd., 123: „ἐλπίς … ist gebraucht als Metonymie für ihren Inhalt“. Ein schönes Bild dafür, dass „Hoffnung“ neutestamentlich konkret und zuversichtlich das „Erhoffte“ meinen kann, fand eine Studentin in einem Paulusseminar mit einem Vergleich zu einer Schwangerschaft: „Guter Hoffnung zu sein“ beschreibt hier ja auch in unserem Sprachgebrauch eine konkrete und begründete Erwartung. 357 Soweit ich sehe, wird diese Perspektive in der Kommentarliteratur kaum diskutiert; vgl. am ehesten Martyn, AncB 33A, 474. Schlier, KEK 7, 235, hingegen denkt ausdrücklich nicht an „einen Seitenblick auf die lieblosen Verführer“, ähnlich Mußner, HThKNT IX, 354. Gewisse Unterstützung findet die hier vorgeschlagene Interpretation aber bei Wolter, Paulus (2011), 335–338, vgl. besonders 338: „Nicht nur der Glaube, sondern auch die Liebe macht jüdische und nichtjüdische Christen einander gleich, denn sie sieht über die Unterschiede hinweg. Aus keinem anderen Grund verweist Paulus die Christen in Korinth in 1Kor 13 eben gerade auf die Liebe als den ‚höchsten Weg‘ (1Kor 12,31).“ Meine These wäre, dass sich das ganz genauso im Blick auf Gal 5,6 sagen lässt. Sachlich bietet auch Söding, Glaube, einige Bezüge auf ein solches Verständnis, vgl. dort besonders 189.193f.203. 358 In 6,16 benennt Paulus die Parallelformulierung (6,15) zu V. 6 als „Maßstab“, nach dem man sich „richten“ solle (also: der praktisch relevant, eben „wirksam“ (V. 6) werden soll).

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sie umschmeichelt („Ihr lieft gut“, V. 7) und Signale der Verbundenheit setzt („Ich vertraue auf euch“, V. 10; „Geschwister“, V. 11). Auf eine erneute direkte Aufforderung wie 5,1 verzichtet er und erweckt gerade damit den Eindruck, dass er die Galater nun auf seiner Seite wähnt359 – stattdessen gipfelt der Abschnitt in eine Kontrastierung des Apostels, dessen apostolisches „ich“ wie in V. 2 betont wird (in V. 10.11 steht jeweils nicht nur ein Verb der 1. Person Singular, sondern zusätzlich ein explizites „ich“ (ἐγώ)), und seiner Gegner (V. 11f.). Getragen wird das ganze nicht zuletzt von deutlichen Ansagen, wo eigentlich Gott in diesem Spiel steht: Der, „der euch beruft“ (V. 8; vgl. 1,6), hat mit der „Überredung“ der Gegner nichts zu tun – aber Paulus vertraut „im Herrn“ (V. 10) darauf, dass die Galater ihrem Werben nicht erliegen. Und das den Gegnern angesagte verwerfende „Urteil“ – ein bestätigendes müsste nicht „getragen“ werden – über ihr „Verwirren“ (V. 10) ist selbstverständlich ebenfalls als Urteil des richtenden Gottes zu verstehen. Gott und Paulus, der für die „Wahrheit“ (V. 7) steht und dafür „verfolgt“ wird (V. 11), stehen also gegen Hinderer, Überreder, Verwirrer und Aufhetzer: Vermutlich muss so deutlich werden, wer wie Paulus aus der Distanz versucht, seine ihm entgleitenden Gemeinden noch zu erreichen. Freilich ist es nicht ganz die feine Art – und wohl auch nicht einfach nur ein „Witz“360 –, den Gegnern zu empfehlen, das Messer noch ein bisschen tiefer anzusetzen als nur zur Beschneidung (V. 12): Damit würden sie sich nach Dtn 23,2 aus dem Bundesvolk ausschließen bzw., was die Galater (als Nichtjuden) evtl. eher als Bezug erkannt haben dürften, mit dem heidnischen Attis-Kybele-Kult auf einer Stufe stehen, in dessen Kontext Kastration eine Rolle spielte361 – Paulus dürfte auch die Abscheu gegenüber dieser Praxis auf die Beschneidung übertragen wollen. Bei der Beurteilung einer solchen paulinischen Polemik gegen Personen ist zu bedenken, dass auch die Gegner mit Aussagen gearbeitet haben, die Paulus als ehrenrührig empfunden haben dürfte (vgl. z.B. 1,10). Ein Vorwurf gegen Paulus dürfte auch hinter der viel diskutierten Zeile stehen „wenn ich noch die Beschneidung verkündige“ (V. 11), denn zum einen ist kein Grund erkennbar, weshalb er selbst diese Möglichkeit konstruieren sollte, zum anderen wirkt V. 11 zwi359 Vgl. Vouga, HNT 10, 125, zu V. 10: „Vorausgesetzt ist nicht mehr ein Wille der Adressaten, sich der Position der ‚Judenchristen‘ anzuschließen, … sondern umgekehrt eine grundsätzliche Übereinstimmung der Galater mit der paulinischen Sichtweise.“ 360 Ebd., 126; vgl. Betz, Galaterbrief, 461: „sarkastische[r] und … makabre[r] Scherz“. Mit Sänger, Strategien, 171 Anm. 49, meine ich, dass das „der Schärfe der Polemik nicht gerecht“ wird. 361 Vgl. De Boer, Galatians, 325–327; Betz, Galaterbrief, 461; ohne Bezug auf Gal auch Koch, Bilder, 211.

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schen den Vorwürfen, die Gegner würden „verwirren“ (V. 10) und „aufhetzen“ (V. 12), als Verteidigung gegen eine von diesen in den Raum gestellte Behauptung. Aber was genau hätten diese damit gemeint? Unter den häufiger diskutierten Lösungen362 sind die plausibelsten eine bewusste Verzeichnung der paulinischen Position durch die Gegner („Paulus wird schon nichts dagegen haben“) oder die Deutung der Aussage auf die paulinische Evangeliumspredigt gegenüber Juden (vgl. 1. Kor 9,20), evtl. auch bezogen auf konkrete Fälle wie die (historische?) Beschneidung des Timotheus (Apg 16,3).363 Ein weitergehendes Verständnis vertritt zuletzt Campbell, u.a. aufgrund der Formulierung mit demselben Verb „verkündigen“, das in 2,2 auf das Evangelium bezogen wird, und des impliziten Zugeständnisses, früher in diesem Sinne agiert zu haben („wenn ich noch [!] die Beschneidung predige“): Er deutet den Vers auf eine anfängliche paulinische Heidenmission (!), die in der Tat die Aufforderung zur Beschneidung enthielt.364 Dieses Verständnis ergäbe die klarste Linie, lässt sich allerdings nicht aus anderen neutestamentlichen Aussagen erhärten. Immerhin bietet die paulinische Biographie zwischen dem Damaskuserlebnis und der Jerusalemer Verhandlung über das in der antiochenischen Mission vertretene ‚beschneidungsfreie‘ Evangelium einen wenig geklärten Zeitraum von mindestens 14 Jahren (2,1) und es ist durchaus denkbar, dass sich die Überzeugung des Apostels, dass in Christus die Unterscheidung von Juden und Nichtjuden irrelevant ist (V. 6), in dieser Zeit erst entwickelt hat oder von ihm z.B. in Antiochia übernommen wurde.365 362 Einige Vorschläge scheiden wohl sofort aus, z.B. ein Verweis auf die Zeit des Paulus vor Damaskus (denn das wäre nach seiner Lebenswende kaum mehr ein Argument), die Behauptung, das wäre die übliche Predigt des Paulus (denn das hätten die Galater besser gewusst) oder ein Irrtum der Paulusgegner (denn das hätten sie – nach dem Apostelkonvent, vgl. Gal 2,1–10 – besser gewusst). 363 Für letzteres votieren Schlier, KEK 7, 239; Dunn, BNTC, 269f.; De Boer, Galatians, 323. Hätte Paulus aber den Umstand, dass er nicht gegen die Beschneidung von Juden agiert hat, so emphatisch zurückweisen müssen? Dies fragt zu Recht Campbell, Galatians 5.11, 338–340, besonders 340. Das gilt auch im Fall des Timotheus, dessen Mutter nach Apg 16,3 Jüdin war, vgl. ebd., 339; Schäfer, Paulus, 49. 364 Vgl. Campbell, Galatians 5.11, 331; diese Deutung vertritt z.B. auch Schäfer, Paulus, 47. 365 Campbell, Galatians 5.11, 340–347, denkt eher an eine paulinische Entwicklung und führt dafür (ebd., 345–347) Beispiele späterer Missionare an, die aufgrund ihrer Inkulturation veränderte Vorstellungen entwickelten und auch in Konfrontation mit etablierten Zentren ihrer jeweiligen Konfession vertraten. Einen Bezug auf Antiochia diskutiert Schäfer, Paulus, 48, die überdies meint, dass Paulus noch während seiner Mission in Galatien „Beschneidungen in seinem Umfeld zumindest geduldet haben“ wird. Interessant ist ihre Überlegung ebd., 49, die bedingte Selbstverfluchung des Paulus in 1,8 auch mit Bezug auf diese frühere Verkündigung (die nun in Galatien gegen ihn gewandt wird) zu verstehen. – Vgl. auch Schnelle, Wandlungen, 15–21 –

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So oder so ist klar: Bei seiner Mission in Galatien (vgl. 3,1) und auch zum Zeitpunkt des Galaterbriefs predigt Paulus nicht mehr die Beschneidung, sondern das Kreuz. Beides stellt er hier so in einen Gegensatz, dass das „Ärgernis des Kreuzes“ (5,11) offenbar geradezu in der Überwindung der Unterscheidung von Juden und Nichtjuden besteht. Im Kontext des Galaterbriefs darf das wohl so verstanden werden, dass der Kreuzestod Christi den Fluch des Gesetzes überwunden und damit der eschatologischen Erfüllung der Verheißung Gottes Bahn gebrochen hat (3,13f.). Wird nun dennoch mit der Beschneidung eine Befolgung des Gesetzes gefordert, kommt das der Feststellung gleich, dass der Kreuzestod doch nicht diese Erfüllung gebracht hätte, also „umsonst“ geschehen wäre (2,21). Anders gesagt: Gerade für Juden, die am Bundesgedanken festhalten, wird das Kreuz zum „Ärgernis“,366 wenn bzw. weil Paulus oder andere die Folgerung daraus ziehen, dass im Kreuz die Unterscheidungen der alten Welt überwunden sind (vgl. 6,14f.) – deshalb ist eine Orientierung am Kreuz faktisch mit Verfolgung verbunden (V. 11; vgl. 6,12), es ist eine Verfolgung wie die paulinische vor Damaskus, die die Reinheit des Bundesvolks verteidigen möchte. Exkurs: Polemische Theologie? Dass der Galaterbrief das mit Abstand polemischste Schreiben des Paulus ist,367 ist oft beobachtet und beschrieben worden und ebenso unstrittig wie der Anlass und das Ziel des Briefs und seiner Polemik: Im Konflikt mit den konkurrierenden Missionaren will Paulus eine Entscheidung der Galater zur Übernahme der Beschneidung verhindern. Dieter Sänger betont, dass Paulus gerade deshalb, weil er nicht persönlich vor Ort in den Streit eingreifen kann, zu den Mitteln der Polemik greift: „Die Sprache wird zur Waffe. Das Spektrum der realisierten Möglichkeiten … reicht von bissiger Ironie und unverhohleer äußert sich zwar nicht zu V. 11, hält es aber grundsätzlich für „sehr unwahrscheinlich, daß diesem sachlichen Zusammenhang [sc. von Damaskuserlebnis und gesetzeskritischer Haltung des Paulus] ein unmittelbar zeitlicher entsprach“ (ebd. 18). 366 Auch nach 1. Kor 1,23 ist das Kreuz „den Juden ein Ärgernis“ und es ist vielleicht kein Zufall, dass der Begriff auch hier in einem Kontext steht, der die Zusammengehörigkeit von Juden und Nichtjuden im Glauben betont. Vgl. die Überlegungen zu 1. Kor 1,18–25 und Gal 6,12–16 bei Wolter, Paulus (2011), 120–128, besonders 123: „Weil das ‚Wort vom Kreuz‘ das christliche Wirklichkeitsverständnis von allen anderen Wirklichkeitsverständnissen trennt, macht es auch den Unterschied zwischen Juden und Nichtjuden theologisch bedeutungslos und begründet eine eigenständige christliche Identität, die über alle anderen Identitätszuschreibungen dominiert.“ 367 Bei der Annahme einer Briefteilung ist 2. Kor 10–13 in der sachlichen Schärfe vergleichbar, in der Anrede an die Gemeinde aber bleiben auch diese Kapitel hinter der Polemik des Gal zurück.

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nem Spott über offene Drohungen bis zu grimmigen Invektiven und schneidendem Sarkasmus.“368 Anliegen dieses Exkurses ist weder, die verschiedenen Detailformen polemischer Sprache im Einzelnen vollständig aufzuzeigen und zu kategorisieren,369 noch gar, die breite Debatte über die Anwendung antiker rhetorischer und/oder epistolographischer Konventionen im Rahmen der Analyse der Paulusbriefe zu referieren. Die Konvergenzlinien dieser Debatte lassen sich so zusammenfassen, dass sich einerseits eine Erklärung des Gal ganz nach einem rhetorischen oder epistolographischen Muster aus verschiedenen Gründen als zu starr erweist, um überzeugen zu können, dass es andererseits aber für das Verständnis der Texte aufschlussreich ist, entsprechende Perspektiven in die Analyse einzubeziehen.370 Unter den neueren größeren Arbeiten zu dieser Frage orientiere ich mich hierfür v.a. an der Analyse von Thomas Johann Bauer, der epistolographische und rhetorische Überlegungen miteinander verbindet und in ihrer Anwendung auf den Galaterbrief zu einer „sorgfältig abgewogenen und wohlbegründeten Einordnung“ kommt.371 Auch diese wird hier freilich nicht vollständig nachgezeichnet, vielmehr sollen verschiedene Aspekte des polemischen Charakters des Galaterbriefs summarisch benannt und mit 368 Sänger, Strategien, 162; vgl. zur Bedeutung der physischen Abwesenheit ebd., 155.161f. 369 Vgl. v.a. ebd., 161–177; auch Elmer, Pillars, der die Heftigkeit der Polemik auch mit einer Art Mehrfrontenkrieg zugleich gegen Widersacher in Jerusalem und Antiochia erklärt (sein Urteil ebd., 150, dass diese Mehrfachfront „seems clear“, ist freilich etwas zu pauschal). 370 Als Zeugen für die so beschriebene Konvergenz der Diskussion seien Lampe, Analyse, oder Classen, Theorie, benannt. Letzterer diskutiert die Forschungslage am Beispiel des Galaterbriefs, vgl. in dieser Perspektive (mit weniger ausführlichem Referat der Debatte) auch Sänger, Argumentationsstrategie. Vgl. zur Verbindung von Epistolographie und Rhetorik Bauer, Paulus, 101–105; Müller, KEK 9/3, 75–79 (mit Bezug auf den Philemonbrief). 371 So das Urteil von Krauter, Rezension Bauer, 30. Neben Bauer, Paulus, sind z.B. die nur wenig älteren Arbeiten Tolmie, Galatians, und Schewe, Galater, zu nennen. Äußert letztere Skepsis gegenüber einer zu starken Orientierung der rhetorischen Analyse „am Gattungstypischen“ (ebd., 58), so spricht sich ersterer ganz gegen die Auslegung nach einem „specific rhetorical model“ aus und möchte stattdessen „the letter itself as starting-point“ nehmen (Tolmie, Galatians, 233). Auch wenn mein bewusst synchrones Vorgehen dieser Forderung entspricht, scheint es mir doch zu einfach zu sein, die verfügbare rhetorische Grundbildung der Zeit des Apostels gänzlich auszublenden. So scheint mir insgesamt die von Bauer, Paulus, 199f., an Tolmie und Schewe (ebd., 199 Anm. 117) geäußerte Kritik und die Weiterführung in ein Modell plausibel, das die Texte ähnlich wie Longenecker in den Bahnen der „in den antiken Lehrbüchern fassbaren rhetorischen Theorie und Praxis“ interpretiert und dabei besonders die „für die argumentativen Strategien der antiken Rhetorik zentralen Aspekte[.] von Ethos, Pathos und Logos“ beachtet (ebd., 199); die Bedeutung dieser Orientierung wird im Folgenden herausgearbeitet.

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Hilfe der Bauerschen Analyse eingeordnet werden. Das Gewicht wird dabei auf die Frage gelegt, welche Konsequenzen aus der Einsicht in den polemischen Charakter der Aussagen für die Auslegung des Galaterbriefs zu ziehen sind. Als Grundeinsicht ist mit Bauer zunächst festzuhalten, dass Paulus den Galaterbrief durchaus bewusst gestaltet und keineswegs einfach im Affekt schreibt: „Die Emotionalität des Galaterbriefes ist wohl eher eine geplante, die … als Mittel der Überzeugung auf das πάθος [Pathos] der Adressaten zielt“.372 Das ist freilich nur ein Teil der Strategie: Neben dieser bedachten und gezielten Einwirkung auf die Affekte und Emotionen (also das Pathos) der Galater widmet Paulus ähnliche Aufmerksamkeit den korrelierenden rhetorischen Aspekten λόγος [Logos], also der sachlichen Argumentation, und ἦθος [Ethos], also der Darstellung seiner eigenen Integrität und Glaubwürdigkeit.373 Schon auf dem Hintergrund dieser Grundstruktur wird aber klar: Wenn Paulus überzeugen will, muss er Belastbares bieten – könnten z.B. historische Informationen (vgl. 1,13–2,14) als Falschdarstellungen entlarvt werden, wäre die Glaubwürdigkeit des Apostels (sein Ethos) beschädigt und damit die Strategie des Briefs schon fast gescheitert. Als den in diesem Zusammenhang zentralen Schlüssel zur rhetorischen Analyse des Galaterbriefs erkennt Bauer angesichts einer „Briefsituation, bei der die Sachfrage auf das Engste mit Personen verbunden ist“, eben die Ethopoiie, also die Konstruktion der beteiligten moralischen Personen: des Apostels selbst, aber auch seiner Gegner und der Galater.374 Paulus muss anstreben, „sich selbst als möglich integer und vertrauenswürdig, seine Konkurrenten dagegen als unlauter und unehrenhaft zu präsentieren“, während er die galatischen Adressaten „einerseits für ihr Verhalten und ihre Absichten unmissverständlich tadeln, andererseits aber … versuchen [muss], sie mit Lob zu umwerben und für sich zu gewinnen“.375 Beobachtungen zum 372

Ebd., 378; vgl. ebd., 372: Anzunehmen sei, „dass der Niederschrift des Briefes zumindest ein längerer Prozess des Überlegens vorausging, wenn man nicht sogar damit rechnen muss, dass Paulus zuerst einen Entwurf erarbeitete, den er anschließend nochmals korrigierte und eventuell mehrmals überarbeitete“; weiter seine ganze Zusammenfassung zum Galaterbrief ebd., 370–387. 373 Vgl. zu dieser Differenzierung ebd., 160; 368; 383. 374 Ebd., 318. Diese Sicht verbindet er ebd., 316–318, vgl. 385f., mit einer plausiblen Kritik an der Zuweisung des Galaterbriefs zur rhetorischen Gattung der Verteidigungs- bzw. Gerichtsrede durch Betz, Galaterbrief: Die dafür entscheidende Bestimmung von 1,12–2,14 als narratio einer Gerichtsrede beruht auf Textsignalen, die nach Bauers Analyse der Ethopoiie, hier konkret der „Konstruktion der moralischen persona (ἦθος) des … Briefschreibers Paulus“ dienen (Bauer, Paulus, 318). 375 Ebd., 319; vgl. zur Durchführung im Detail ebd., 319–336. Vgl. hierzu auch die an Stenzel angelehnte Differenzierung von Sänger, Strategien, 162 Anm. 21, „zwi-

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einerseits verhalten-distanzierten (z.B. Briefeingang), andererseits deutlich werbenden Umgang mit den Galatern (z.B. 4,12–20) illustrieren gut, wie Paulus die letztgenannte Aufgabe löst, wobei er die Galater nicht nur durchgängig von den Gegnern differenziert, sondern zunehmend auch versucht, sie mit sich zu verbinden.376 Unter dem Blickwinkel der Polemik lassen sich zwar auch hier manche Spitzen notieren (vgl. z.B. 1,6; 3,1), doch überrascht nicht, dass jeweils im unmittelbaren Kontext die Gegner als das eigentliche Ziel der paulinischen Polemik erscheinen: Ihre Absichten sind durchgängig negativ gekennzeichnet (vgl. 1,7–9; 3,1; 4,17; 5,7.10.12; 6,12f.; implizit 2,4), Paulus wird auch persönlich ausfällig (5,12 bildet dabei den Gipfel) und theologisch ist von Anfang an im Fluch 1,8f. das „Niveau“ der Gerichtsansage 5,10 (vgl. implizit 6,16) gegeben.377 Polemik ist schließlich wohl auch darin zu sehen, dass die Gegner nicht nur nicht angeredet werden, sondern auch anonym bleiben: „Jemanden totzuschweigen ist der radikalste Ausdruck von Geringschätzung.“378 Ob Paulus zu diesen Mitteln greift, weil er meinte, gegen die Argumentation der Gegner mit z.B. Gen 17 im Blick auf die vermutlich nur begrenzt schriftkundigen Galater sachlich wenig ausrichten zu können, oder ob er einfach keine Möglichkeit ungenutzt lassen wollte, um die Galater auf Linie zu halten, mag dahingestellt bleiben.379 Klar ist in jedem Fall, dass das Bild, das der Apostel von seinen Gegnern zeichnet, nicht geeignet ist, um diese historisch zutreffend zu verstehen. Die für die Auslegung des Galaterbriefs entscheidende theologische Frage ist nun, inwieweit Paulus nicht nur die Gegner in ein schlechtes Licht stellt, sondern sich auch in seiner sachlichen Argumentation bewusst auf Überschärfen einlässt. Es fällt jedenfalls auf, dass die paulinische Polemik gegen die Gegner in der Regel mit wichtigen theologischen Akzenten des Briefs verbunden ist, etwa der Verteidigung des paulinischen Evangeliums (1,6–9) oder dem Motiv der „Freiheit“, das erstmals in einer Wendung gegen die Gegner (2,4) und dann wieder prominent im stark polemisch gehaltenen Abschnitt schen polemischem Subjekt (Paulus), polemischem Objekt (Gegner) und polemischer Instanz (Galater)“. 376 Vgl. dazu oben zu V. 7–12, besonders bei und in Anm. 359. Sängers Meinung, dem Brief sei grundsätzlich eine „ekklesiale Einheit von Absender und Empfänger“ eingeschrieben (ebd., 175), ist im Vergleich zum zuvor (bei Anm. 375) zitierten Urteil Bauers zu undifferenziert. 377 Dazu ebd., 171f. 378 Ebd., 177. 379 Das erste meint Bauer, Paulus, 371 (Paulus setze „im Wissen um die Schwierigkeiten bei der Begründung der eigenen Position gezielt auch auf die Diskreditierung seiner Konkurrenten und ihrer Absichten“), vgl. ebd., 368–370; die zweite, plausiblere Position, akzentuiert Sänger, Strategien, 162 Anm. 19, mit dem Zitat Lategans, Paulus kämpfe im Gal „with every weapon at his disposial“.

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Paulinische Theologie nach dem Galaterbrief

4,21–5,1 begegnet. Sind auch solche theologischen Aussagen des Briefes in polemischer Absicht zugespitzt – oder hätte Paulus in einer anderen Situation ebenso formuliert, dass das Gesetz ein Fluch ist (3,10–13) und zu Christus in einem unvereinbaren Gegensatz steht (5,2–4)? Bei einer Bearbeitung dieser Frage ist zu bedenken, dass die sachliche Argumentation rhetorisch nicht zum Feld des Ethos gehört, auf dem die Polemik gegen die Gegner angesiedelt war, sondern zu dem des Logos mit seinen eigenen Gesetzen. Dennoch zwingt die Herausforderung, aus der Ferne in die galatische Krise hineinwirken zu müssen, Paulus zu einer zugespitzten Argumentation – es geht daher auch dort, wo er „die eigentlichen Sachfragen diskutiert, nicht um ein differenziertes Abwägen von Positionen, Argumenten und Anliegen. Vielmehr stellt Paulus … seine Adressaten vor ein radikales Entweder-Oder“.380 Allerdings ist klar zu sehen, dass Paulus sich selbst mit der beschriebenen Position – Christus als Erfüllung der Verheißung usw. – identifiziert (und zwar nicht nur, weil mit der sachlichen Zuverlässigkeit dieser Position auch die Darstellung der Integrität seiner Person verknüpft ist). Eine evtl. Übersteigerung wäre also nicht dort, sondern in den Negationen der paulinischen Alternativen zu suchen. Zu dieser Vermutung passt die Beobachtung, dass Paulus im Galaterbrief konsequent und durchgängig negativ vom Gesetz redet, sich z.B. nicht scheut, es in die Nähe heidnischer Elementenfrömmigkeit zu rücken (4,8–10) oder den Sinaibund als Sklaverei zu brandmarken (4,25). Auch hier ist eigentlich klar, dass solche Aussagen kaum als treues Referat des Selbstverständnisses der Gegner gelten können, d.h. auch in der sachlichen Argumentation gibt der Apostel polemischer Überspitzung Raum. Das zeigt sich nicht zuletzt in einem Vergleich mit dem Römerbrief, der deutlich macht, dass Paulus in anderen Situationen dieselben (!) Positionen auch mit anderen Formulierungen zu Gesetz und Bund verbinden kann (vgl. exemplarisch Röm 7,12; 9,4).381 Freilich ist damit nun auch nicht einfach die Argumentationslinie des Galaterbriefs erledigt, denn Theologie ist nie situationsunabhängig. Natürlich gibt es gute Gründe, sich einen sachlicheren und abgewogeneren Stil für innerkirchliche Auseinandersetzungen zu wünschen als den des Galaterbriefs. Aber vielleicht liegt eben hier das Problem, dass die Voraussetzung eines gemeinsamen Grundes „Kirche“ in der galatischen Situation keineswegs gegeben ist – der Streit geht ja gerade um die angemessene Grundlage des eigenen Selbstverständnisses, wie zuletzt im Blick auf die Rede vom „Ärgernis des 380

Bauer, Paulus, 384. Zur spannenden Frage nach der zeitlichen Abfolge von Gal und Röm vgl. im Übrigen unten, 185ff. 381

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Kreuzes“ klar wurde: Ist der Bezugsrahmen überhaupt so etwas wie Kirche im Sinne der paulinischen Sicht der eschatologischen Sammlung aller Menschen „in Christus“ oder ist es doch der bleibend gültige Bund Gottes mit dem jüdischen Volk im Sinne seiner Gegner? M.a.W.: Auch wenn Paulus und seine Gegner beide in Anspruch nehmen, an Jesus als den Christus zu glauben, streiten sie nicht im Rahmen eines gemeinsamen Selbstverständnisses, sondern um die rechte Basis für ein Selbstverständnis. Eben das bringt die paulinische Antithetik von Christus und Gesetz zutreffend auf den Punkt und eben das meint Paulus wohl auch: Die Orientierung ganz an Christus, ganz an der in ihm erfüllten Verheißung der neuen Schöpfung, ganz an dem Glauben, der auf die Vollendung dieser Gerechtigkeit hofft, ganz an der Taufe, die Menschen verschiedener Herkunft zu einer Gemeinschaft in Christus macht – diese Orientierung duldet keinerlei anderen „Maßstab“ (6,16) neben sich, und wenn es die nach Röm 7,12 gute Gabe des Gesetzes Gottes wäre. Ist so die Linie der paulinischen Argumentation für die galatische Krise durchaus gerechtfertigt oder jedenfalls verständlich, ist damit noch nicht die andere Frage entschieden, welche Bedeutung diese Aussagen in anderen, etwa der heutigen Situation haben. Dunn macht zu 5,4 mit Recht darauf aufmerksam, dass die in der Situation nachvollziehbare paulinische Polemik nicht automatisch als Basis für grundsätzliche theologische Formulierungen geeignet ist.382 Die damit markierte Frage ist nicht nur berechtigt, sondern von hoher Relevanz: Wie die polemische Darstellung der Gegner nicht für bare Münze genommen werden kann, verbietet es sich, aus der Zeichnung des Gesetzes im Galaterbrief ein Bild „des“ Judentums abzuleiten – das ist hier nicht die Frage des Apostels, der vielmehr mit allen Mitteln seine Vorstellung einer christlichen Identität deutlich machen und durchsetzen will.383 So kritisch die überscharfen Abgrenzungen aber auch zu bewerten sind, die positive Beschreibung christlicher Identität muss als Meinung des Paulus ernst genommen werden – dient doch die ganze Polemik nur dem Zweck, diese „Wahrheit des Evangeliums“ (2,5.14; vgl. 4,16; 5,7) ins Licht zu setzen: Während er von den Gegnern und ihren Thesen eine Karikatur abliefert, verzeichnet Paulus hier nichts, vielmehr malt er in leuchtenden Farben die Basis, für die er die Galater „wiederum“ (4,19) gewinnen will. 382 Dunn, BNTC, 268: „polemic inevitably results in such intolerant-sounding statements: in order to counter the strong insistence that circumcision was essentially to salvation (cf. Acts xv.1), Paul’s repudiation had to be equally strong. It would be unwise, however, to give such polemical statements born of extreme provocation the central place in any rounded doctrinal statement.“ 383 Vgl. die entsprechenden Überlegungen im Abschluss der Auslegung zu 4,21–5,1 oben, 113.

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Kernaussagen des zweiten Hauptteils in Thesen • Die Anfänge der Galater im Glauben zeigen, dass die Geistbegabung keine „Werke des Gesetzes“ erfordert (3,1–5). • In der Beweisführung für diesen Gedanken greift Paulus über spezielle „Werke des Gesetzes“ (nach 2,16 nur noch 3,2.5.10) hinaus auf das Gesetz als Ganzes aus (3,10–12.19.21–24; 4,21; 5,2–4). • Als Problem des Gesetzes erkennt er nicht eine prinzipielle Unerfüllbarkeit seiner Forderungen, sondern seine prinzipielle Unfähigkeit: Das Gesetz kann (und soll) nicht gerecht bzw. lebendig machen (3,11.21). • Dies beides geschieht allein kraft der Verheißung Gottes (3,14.16. 18f.22.29; 4,23.28). • Schon die Verheißung an Abraham weist dabei nicht nur auf den Glauben als entscheidendes Moment (3,6–9.22–25), sondern vor allem auf Christus als den, dem bzw. in dem die Verheißung gilt (3,16.19.22–25.29). • Mit Christus erfüllt sich eschatologisch die Abrahamsverheißung, weshalb die zeitlich begrenzte Brückenfunktion des Gesetzes hier endet (3,17.19.23–25; 4,4f.; 5,1f.4.6). • Abraham ist daher nicht interessant wegen des Bundes mit dem Zeichen der Beschneidung, sondern als Urbild des Glaubens, der in der Verbindung mit Christus Menschen zu Erben der Verheißung macht (3,24.26–29; 4,28.30). • In der Perspektive von der eschatologischen Erfüllung in Christus her ist daher jeder Unterschied zwischen Juden und Nichtjuden aufgehoben: Vor der Sendung des Sohns und seines Geistes unterschieden sie sich als Unmündige und Sklaven „in nichts“ (4,1), nach ihr bzw. in Christus sind sie miteinander an Kindes Statt angenommener Sohn und Erbe (3,26–28; 4,1–7). • Das Christusgeschehen interpretiert Paulus als ein Glauben eröffnendes und im Glauben für uns bedeutsam werdendes Geschehen – dem Kommen Christi entspricht das Kommen des Glaubens (3,19.23), der Sendung des Sohnes die Sendung seines Geistes in unsere Herzen (4,4–7). • Die eschatologische Lebenswende ereignet sich so im Leben der Glaubenden, durch den Geistempfang sind sie Sohn und Erbe (3,14.29; 4,7.28–31; 5,5). • Eine Orientierung an jüdischer Lebensführung wäre darum nichts anderes als ein Rückfall in die Zeit vor dieser eschatologischen Wende (4,8–11). • Orientierung für das Leben eines Christusgläubigen kann vielmehr allein Christus selbst bieten: Eine Gleichgestaltung mit Christus (4,19) wirkt sich dabei nicht zuletzt in uneingeschränkter Gemeinschaft der Glaubenden aus.

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• Diese Freiheit der Glaubenden, in der sie schon zum kommenden eschatologischen Jerusalem gehören, wird bedroht durch die Forderung einer Orientierung am irdischen Jerusalem, also einer jüdischen Identität (4,21–5,1). • Dieser Gegensatz ist ein ausschließlicher, weil jede Ergänzung der Bedeutung Christi und des Glaubens faktisch eine Bestreitung dieser Bedeutung wäre. Das gilt nicht zuletzt für eine Orientierung am Gesetz (4,9.21; 5,1–5). • Die spät im Brief explizit genannte Forderung der Beschneidung (5,2f.6.11f.) war der Hauptanlass für den Galaterbrief – mit dieser Forderung bestreiten die Gegner nach dem Urteil des Paulus faktisch die von ihm beschriebene einzige und ausreichende Grundlage einer christlichen Existenz: Christus, Glaube, Geist, Taufe (5,4–6; 3,27f.). • Die Begrenzung der zeitlichen und sachlichen Bedeutung des Gesetzes lässt sich nicht nur als Polemik gegen die Beschneidungsforderung verstehen – angesichts dessen, was Christus nach seinem Urteil ist und bedeutet, kann Paulus das Gesetz nur als dessen Widerpart erkennen (5,2–6). • Das gilt auch dann, wenn es für die Wahrnehmung der galatischen Gemeinde und der Gegner des Paulus „bloß“ um einige Fragen der Lebensführung wie die Beschneidung und das Einhalten der Speise- und Sabbatgebote ging. d) Die Paränese 5,13–6,10: Das Leben in der Freiheit und die Liebe Der letzte Hauptteil des Briefes vor dem eigenhändigen Briefschluss (6,11–18) widmet sich der Paränese, d.h. der Ermahnung. Nun ließe sich fragen, ob nicht schon bisher der ganze Brief Ermahnung war – und zwar in einer so zentralen Frage, dass ein abschließendes Eingehen auf Fragen des christlichen Lebens von der erzielten Wirkung fast eher ablenkt statt sie zu stärken, zumal einige Aussagen dieser Verse in Spannung zum sonstigen Brief zu stehen scheinen.384 Bei genauerem Hinsehen aber zeigt sich kein wirklicher Bruch zwischen den Teilen, vielmehr lässt sich die Paränese als integraler Teil des Galaterbriefs verstehen. Thematisch setzt sie, auch und gerade in der auf den ersten Blick überraschenden Rede von einer Erfüllung des 384

Schewe, Galater, 12–15, exponiert diese Frage prägnant im Referat zweier literarkritischer Hypothesen (O’Neill und Smit), die 5,13–6,10 als sekundär betrachten. Problematisch erschienen im Blick auf den bisherigen Galaterbrief wie die anzunehmende Situation in Galatien v.a. „die positive Bezugnahme auf das Gesetz (5,14; 6,2) und der Rekurs auf Verhalten im Rahmen eines Lasterkataloges, das an antinomistische Tendenzen denken läßt (Gal 5,19–21)“ (ebd., 15).

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Gesetzes (5,14) oder gar von einem „Gesetz des Christus“ (6,2), die Linien des bisherigen Briefs fort: Deutlich zeigen das der Bezug auf die Freiheit (5,13; vgl. z.B. 5,1), der Gegensatz „Geist“ – „Fleisch“ (5,16–24; vgl. z.B. 3,3), die Zentralstellung Christi (5,24; 6,2) oder der engagierte Ruf zur Gemeinschaft aller Christusgläubigen (z.B. 5,13.26; 6,2.10). Aber auch funktional fügt sich dieser Teil stimmig in die Strategie des Galaterbriefs ein:385 Nicht zuletzt bietet er Paulus Gelegenheit, durch Einbeziehung weniger umstrittener Fragen den zuletzt erzielten Eindruck einer Einigkeit mit den Galatern kräftig zu unterstreichen: Nach der heftigen Attacke in 5,7–12 werden die Gegner in der Paränese nicht mehr direkt erwähnt, der Apostel redet hier ausschließlich die Galater an. Diese Verwobenheit der Paränese mit Thema und rhetorischer Strategie des Galaterbriefs wird der Briefschluss bestätigen, der Argumentationslinien aus dem diskursiven und dem paränetischen Teil des Briefs verbindet und damit zeigt, dass Paulus beide als Zusammenhang begreift. 5,13–15 Freiheit ist kein Vorwand zur Selbstsucht, sondern führt in die Liebe 13

Ihr nämlich seid zur Freiheit berufen worden, Geschwister. Nur (nehmt) die Freiheit nicht zur Gelegenheit für das Fleisch, sondern dient einander als Sklaven durch die Liebe. 14 Das ganze Gesetz ist nämlich in einem Wort erfüllt, in dem: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!“ (Lev 19,18) 15 Wenn ihr aber einander beißt und fresst, gebt acht, dass ihr nicht voneinander verschlungen werdet! Textliche und sprachliche Bemerkungen: V. 13: „(nehmt)“ ist eine mögliche (!) Ergänzung der Ellipse (Auslassung) des Verbs.

V. 13 schließt nicht nur durch das begründende „nämlich“ deutlich an die bisherige Argumentation an: Das Leitwort „Freiheit“ aus 5,1 wird aufgenommen und deren Verbindung mit der „Liebe“ (vgl. 5,6) markiert, die als gegenseitige Liebe, also als Geschwisterliebe bestimmt wird. Die Opposition zu einer solchen Gestaltung der Freiheit benennt der Begriff „Fleisch“ (σάρξ), der im Galaterbrief so dicht wie in keiner anderen neutestamentlichen Schrift begegnet.386 8 der 18 Belege stehen im Kontext der Paränese, wo „Fleisch“ den Gegensatz zu „Geist“ (vgl. im Folgenden 5,16–24; 6,8) bzw. hier zunächst zu „Lie385

Vgl. zur zentralen rhetorischen Aufgabe der Ethopoiie oben, 124f. Der Galaterbrief zählt 18 Belege, der Römerbrief 26 – allerdings bei fast dreifacher Gesamtlänge. 386

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be“ bildet. Die Opposition von Fleisch und Geist hatte Paulus in 3,3 eingeführt, sich dann aber zunächst v.a. dem Geist bzw. der Verheißung als der Quelle des Glaubens und also einer christlichen Existenz gewidmet. Der Gegensatz schien dann in der Hagar-Sara-Typologie wieder auf (4,23.29), so dass hier nun klar ist: Mit der Orientierung am „Fleisch“ ist durchaus auch diejenige an der Beschneidung im Blick.387 Die Paränese knüpft also nicht nur begrifflich an die bisherige Darlegung an,388 sondern setzt auch die kritische Auseinandersetzung mit den Paulusgegnern fort. In diese Linie fügt sich auch die Verwendung des Verbs „als Sklave dienen“, das in 4,8f. den Sklavendienst an den Elementarmächten bzw. einer polemisch damit parallelisierten Kalenderfrömmigkeit, in 4,25 den Hagar-Bund charakterisiert, von dem sich die Freiheit der Gemeinde unterscheidet. Hier nun redet der Apostel in bewusstem Kontrast389 dazu von einem „Dienen“, das gerade aus dieser Freiheit folgt: nicht von einem Sklavendienst gegenüber formalen Bestimmungen des Gesetzes, sondern einem Dienen in bzw. aus gegenseitiger Liebe zu allen Christusgläubigen.390 Die Zusammengehörigkeit der Gemeinde, für die er gegen die Beschneidungsprediger streitet, wird so zur entscheidenden Orientierung. In dieser Perspektive ist nun auch V. 14 zu lesen. Hier geht es nicht um eine Restitution des „Gesetzes“, sondern um die Klärung der Frage, was in der durch Christus gewirkten Freiheit als dessen Erfüllung gilt, nämlich nicht „fleischliche“ Äußerlichkeiten wie die Beschneidung, sondern die Liebe. V. 15 macht metaphorisch deutlich, dass in Galatien nicht nur diese Liebe zu „einander“, sondern damit auch die Existenz der Gemeinde selbst bedroht ist. Die kritische Perspektive ist damit eine doppelte: Zum einen setzt Paulus gegen die Gegner einen anderen Kern des Gesetzes – es geht um die Liebe, nicht um formelle Bedingungen der Bundeszugehörigkeit –, zum an387 Vgl. Schewe, Galater, 95; weiter den Exkurs ebd., 86–95, zu den vorigen Vorkommen von σάρξ im Gal. Der Bezug von σάρξ auch auf den Beschneidungsgedanken wird in 6,12f. abschließend deutlich. Evtl. könnte diese Perspektive auch schon der Grund gewesen sein, weshalb Paulus in 2,16 im Zitat von Ps 143,2 „Lebender“ durch „Fleisch“ ersetzt; jedenfalls steht σάρξ angesichts dieser Änderung der Septuaginta-Vorlage hier nicht einfach „neutral“ (so ebd., 87) für Mensch. 388 Zu nennen wäre hier auch das „berufen“: vgl. dazu 5,8; weiter 1,6. 389 Dass dieser Kontrast bewusst gesetzt ist, zeigt nicht zuletzt der Vergleich mit dem in V. 13 mehrfach wieder aufgenommenen Vers 5,1 („Sklaverei“). Vgl. auch 4,24 („Sklaverei“) und 4,1.7 („Sklave“). 390 Es darf wohl angenommen werden, dass Luthers berühmte Doppelthese aus dem Eingang der Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ nicht zuletzt an Gal 5,1.13 gewonnen wurde, vgl. Luther, Freiheit, 280,28–31: „Eyn Christen mensch ist eyn freyer herr / uber alle ding / vnd niemandt vnterthan. Eyn Christen mensch ist eyn dienstpar knecht aller ding vnd yderman vnterthan.“

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deren wertet er die gemeinschaftsgefährdenden Auseinandersetzungen in Galatien als Beleg dafür, dass dieses Gesetz von den Paulusgegnern nicht befolgt wird. Es ließe sich fragen, ob V. 15 zu Recht das „beißen und fressen“ nur den Galatern vorhält: Tritt nicht Paulus selbst im Galaterbrief durchaus „beißwütig“ auf? Hier ist wichtig zu sehen, dass die rhetorische Schärfe des Galaterbriefs jedenfalls für das Selbstverständnis des Apostels eben um der Liebe willen nötig ist, denn diese Liebe impliziert die Forderung völliger und ungehinderter Gemeinschaft der Gläubigen. Um dieser geschwisterlichen Liebe in der Gemeinde willen widersteht Paulus entschieden der Forderung nach Beschneidung und Einhaltung der Speisegebote. Eben das zeigte auch der Rückblick auf Apostelkonvent und antiochenischen Konflikt, eben das brachte zuletzt 5,6 pointiert zur Sprache. Daneben ist die rhetorische Strategie zu bedenken, die Galater mit Paulus zu verbinden und beide in Gegensatz zu den Beschneidungspredigern zu setzen – in dieser Perspektive lässt sich der Galaterbrief gerade in seiner Heftigkeit verstehen als Ausdruck einer Gemeinschaft des Apostels mit den Gemeinden in unbedingter Liebe zu allen, die an Christus glauben, einer Liebe, die eben darum eine Grenze gegenüber der Beschneidungsforderung zieht. Mit dieser Auslegung ist deutlich: Paulus setzt nicht unvermittelt ein neues, im Galaterbrief überraschendes Thema – etwa: „Wie erfüllen wir das Gesetz?“ –, sondern er akzentuiert in der Paränese die Liebe so, dass sich damit zugleich ein neuer Blick auf das Gesetz eröffnet, der die Linie seiner Kritik an der Beschneidungsforderung nicht verlässt, sondern gerade aufnimmt und verstärkt. In erster Linie stellt V. 14 nicht eine Forderung auf, sondern trifft eine „Aussage über das Gesetz“.391 Es ist in diesem Kontext gewiss kein Zufall, dass Paulus hier nicht vom „Tun“ des Gesetzes redet (wie 5,3; 3,10.12): „Tun“ wäre ein Dienen dem Gesetz gegenüber, der perspektivlose Versuch, alle seine Bestimmungen einzuhalten. Wer von Christus zur Freiheit befreit ist (5,1), „dient“ aber nicht in dieser Weise dem Gesetz, sondern in der „Liebe“ den anderen Gläubigen (V. 13). Es ist eine zusätzliche Pointe, dass dadurch nun auch das „Gesetz“ erfüllt ist. Paulus geht es nicht darum, dies konkret in Bezug auf verschiedene einzelne Gebote zu zeigen, „Gesetz“ wirkt hier vielmehr wie ein Begriff für den Willen Gottes.392 Die Liebe erfüllt diesen Willen Gottes, 391

Schewe, Galater, 103. Die vermeintliche Parallele Röm 13,8–10 nimmt Bezug auf das „andere/übrige Gesetz“ (Röm 13,8) oder Einzelgebote (Röm 13,9). So formuliert der Gal aber eben nicht – und auch der Ausdruck „das ganze Gesetz“ in V. 14 (ὁ … πᾶς νόμος) unterscheidet sich von 5,3 (ὅλος ὁ νόμος). Schewe sieht Gründe, 5,3 auf die Gesamtheit aller seiner Bestimmungen, V. 14 hingegen auf das Ganze des Gesetzes gerade im Gegenüber zu den einzelnen Anordnungen zu beziehen, vgl. ebd., 104. – Eine inte392

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aber eben nicht als geforderte Leistung, als „Tun“, sondern – wie das Perfekt „ist erfüllt“ zeigt – als Wirkung des Geistes, der die Gläubigen in die Freiheit geführt hat: Die Rede vom „Gesetz“ in V. 14 definiert neu, was „Gesetz“ ist.393 Dies zeigt der folgende Abschnitt deutlicher. 5,16–24 Das Leben im Geist braucht kein Gesetz 16

Ich sage aber: Wandelt im Geist, und ihr werdet das Begehren des Fleisches nicht ausführen. 17 Das Fleisch nämlich begehrt gegen den Geist, der Geist aber gegen das Fleisch. Diese nämlich liegen miteinander im Streit, damit ihr nicht das tut, was ihr wollt. 18 Wenn ihr euch aber vom Geist leiten lasst, seid ihr nicht unter dem Gesetz. 19 Offensichtlich aber sind die Werke des Fleisches, welche sind: Unzucht, Unreinheit, Ausschweifung, 20 Götzendienst, Zauberei, Feindseligkeiten, Streit, Eifer, Zornesausbrüche, Intrigen, Spaltungen, Parteiungen, 21 Neidereien, Saufereien, Fressereien und was alles diesen ähnlich ist – wovon ich euch voraussage, wie ich es vorausgesagt habe: Die solches tun, werden das Reich Gottes nicht erben. 22 Die Frucht aber des Geistes ist Liebe, Freude, Frieden, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, 23 Sanftmut, Enthaltsamkeit – gegen solches gibt es kein Gesetz. 24 Die aber des Christus [Jesu] sind, haben das Fleisch gekreuzigt mit den Leidenschaften und den Begierden. Textliche und sprachliche Bemerkungen: V. 16: „ausführen“ (τελεῖν) kann auch „erfüllen“ oder „vollbringen“ meinen. ressante Alternative schlägt De Boer, Galatians, 343–350, vor: Er versteht „Gesetz“ hier wie in 4,21 als Bezug auf den Pentateuch, der nicht zuletzt im Blick auf die in ihm enthaltenen Verheißungen „erfüllt“ werde (ebd., 344: „the promissory Scripture“). Es fragt sich aber, ob der Kontext einen solchen Bezug hinreichend stützt. 393 Vgl. Schewe, Galater, 105: „Redefinition des Gesetzes“, weiter ebd., 105–108. Sie verweist u.a. auf den Anklang von „erfüllt“ an die eschatologische Zeitangabe der gekommenen „Fülle der Zeit“ in 4,4. Auch Vouga, HNT 10, 129f., betont in christologisch-eschatologischer Perspektive, „daß das Gesetz seine Vervollkommnung und gleichzeitig seine Aufhebung im Liebesgebot findet“ (ebd., 130).

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V. 21: Das zweite „voraussagen“ (im Griechischen dasselbe Verb, aber im Aorist statt im Präsens) ließe sich evtl. auch als „im Voraus sagen“ verstehen. V. 22: Das griechische Wort für „Treue“ ist dasselbe wie für „Glaube“ (πίστις); im Rahmen dieses Tugendenkatalogs ist aber die Übersetzung „Treue“ vorzuziehen. V. 23: Auch die Übersetzung „gegen solches ist das Gesetz nicht“ wäre möglich, muss im Deutschen aber fast den bestimmten Artikel ergänzen, der im Griechischen hier nicht steht. V. 24: Im Griechischen steht für die erste Zeile eigentlich nur „Die aber des Christus“; sachlich angemessen wäre auch die etwas freiere Übersetzung „Die aber dem Christus gehören“. „Jesu“ fehlt in einigen wichtigen Handschriften (u.a. P46 D F G).

Die Linie des vorigen Abschnitts ist in der kritischen Wendung gegen das „Fleisch“ deutlich aufgenommen, während die hier nun leitende Gegenüberstellung zum „Geist“ einen Leitbegriff des Galaterbriefs394 in Bezug auf das Leben der Gläubigen entfaltet. Die Opposition von Geist und Fleisch ist aus 3,3 schon bekannt und war hinsichtlich der „Liebe“ als zentraler Wirkung des Geistes (V. 22) auch schon im vorigen Abschnitt impliziert. Beide Größen werden hier als gegeneinander aktiv beschrieben, nicht zuletzt wird das in V. 17 deutlich: Es handelt sich für Paulus um Mächte, die den Menschen anderes tun lassen, als er will. Diese Einsicht in die Machtstruktur des „Fleisches“ erst lässt verstehen, was die Aussage von seiner Kreuzigung in V. 24 meint: Es geht hier nicht um Selbstkasteiung, sondern um ein Herausgerissenwerden aus der bösen Weltzeit kraft des Kreuzestodes Jesu (vgl. 1,4), um Befreiung – und deswegen kann und darf die Freiheit der Gläubigen nicht erneut dem „Fleisch“ Raum geben (vgl. 5,13). Die Opposition von Geist und Fleisch ist interessant ausgearbeitet, nicht zufällig spricht der Apostel von „Werken“ des Fleisches (V. 19), aber von „Frucht“ des Geistes (V. 22). Hier ist zum einen die verschiedene Begrifflichkeit wichtig, denn eine Frucht ist nicht ein bewusstes, zielvolles „Tun“ (dieses Verb verwendet Paulus nur in V. 21 für die Werke des Fleisches, vgl. aber dann auch 6,9f.), also etwas, das als Leistung ansprechbar oder zu fordern wäre.395 Zum anderen wird dieselbe Perspektive durch die Wahl des Numerus unterstrichen: Es lassen sich viele „Werke“ des Gesetzes unterscheiden, Paulus nennt 15 verschiedene „und was alles diesen ähnlich ist“ (V. 21), aber die „Frucht“ des Geistes ist im Grunde eine (vgl. die Fokussierung auf die Liebe 5,14). Auch wenn Paulus hier 9 Begriffe nennt, so stellt er damit nicht eine Liste auf, was die Gläubigen alles tun müssten, sondern charakterisiert diese eine Frucht des Geistes. Zu dieser Überlegung stimmt sehr deutlich die Aufforderung in V. 16, im Geist zu wandeln: Paulus fordert nicht zu einem bestimmten Tun auf, als ob 394 395

Vgl. oben, Anm. 220. Vgl. Dunn, BNTC, 308: „The flesh demands, but the Spirit produces.“

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ein Wandel im Geist eine mögliche Leistung des Menschen wäre. Es geht eher um eine gewisse Passivität, ein „sich leiten lassen“, wie es dann V. 18 formuliert, eine „Lebenshaltung“.396 Der tiefste Grund eines Wandels im Geist ist nämlich nicht eine eigene Willensanstrengung (vgl. auch V. 17), sondern die Zugehörigkeit zu Christus (V. 24) und in ihm zur neuen Schöpfung. Der Imperativ in V. 16 sagt so verstanden ungefähr „sei, was du bist“ (vgl. 5,25!). Wenn und weil in Christus das Fleisch keine Macht mehr hat über den Gläubigen (V. 24), kann er im Geist der neuen Schöpfung wandeln. Das lässt sich nun aber nicht als Liste von Forderungen formulieren, wenn gelten soll, dass das Christusereignis und der Glaube daran entscheidend sind. Ethisch unerheblich ist es dennoch nicht, wie v.a. dort deutlich wird, wo Paulus Anlass sieht, konkreten falschen Wandel zu kritisieren – etwa in 2,14, wo er feststellt, dass die Judenchristen in Antiochia in ihrer Aufkündigung der vor der Ankunft der Jakobusleute gepflegten Tischgemeinschaft mit den nichtjüdischen Glaubensgeschwistern „nicht recht wandelten gemäß der Wahrheit des Evangeliums“: Hier wurde die „Liebe“ verletzt (V. 22) und entstand „Spaltung“ (V. 20). Es ist deutlich, dass der Lasterkatalog auf die in Galatien anzunehmende Situation innergemeindlicher Auseinandersetzung und Parteienbildung hin formuliert ist397 – nach einigen typisch heidnischen Lastern bilden Begriffe des „gemeinschaftszerstörenden Verhaltens“398 das Zentrum der Liste; „Feindseligkeiten“, „Spaltungen“ und „Parteiungen“ (V. 20) finden sich in paulinischen Lasterkatalogen nur hier.399 Daneben stehen aber Dinge, die Paulus öfter, z.T. in ähnlichen Reihungen nennt – dies wird er nicht alles mit Grund seinen galatischen Gegnern vorwerfen können, doch dürfte seine Absicht hier auch eine moralische Diskreditierung der Gegner sein, deren Wirken er auf diese Weise etwa mit „Unzucht“ (V. 19) oder „Götzendienst“ (V. 20; vgl. 4,9f.?) in eine Reihe stellt. Dass die Gegner hier jedenfalls mit im Blick sind, zeigt wohl auch die Drohung in V. 21, wer solches tue, werde das Reich Gottes nicht erben: Sie steht nicht nur in einer Linie mit der Gerichtsandrohung 5,10, auch die Sprachgestalt fügt sich zu der durchgängigen Praxis des Apostels, mit der Gemeinde, aber über die Gegner zu reden. Zur rhetorischen Strategie des Galaterbriefs fügt sich auch überhaupt die Aufnahme eines 396

Vouga, HNT 10, 139, mit Berufung auf Schrage. So auch Breytenbach, Paulus, 138–140. 398 Becker, NTD 8/1, 90; vgl. Schewe, Galater, 125, die 133 beobachtet, dass der Tugendkatalog als „Pendant“ dazu „gemeinschaftsförderndes Verhalten“ in den Mittelpunkt stellt. 399 Vgl. Vouga, HNT 10, 135; mit Belegen auch für Parallelen zu den anderen Begriffen; Dunn, BNTC, 305. Auch „Zauberei“ findet sich nur in Gal 5; Schewe, Galater, 126, sieht darin einen Bezug auf 3,1. 397

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Laster- und Tugendkatalogs, für deren Inhalte Paulus jeweils auf die grundsätzliche Zustimmung der Gemeinden rechnen kann – um sie auf diese Weise für seine Linie der Entgegensetzung von Fleisch und Geist zu öffnen. Und was ist nun mit dem im bisherigen Galaterbrief so engagiert diskutierten „Gesetz“? Der Begriff begegnet in V. 18 und 23, charakteristischer Weise beide Male in Opposition zu „Geist“. V. 18 nennt Geist und Gesetz als einander ausschließende (!) Orientierungen: Ein Sein „unter dem Gesetz“ ist ausgeschlossen, wo ein Mensch sich vom Geist leiten lässt. Es entspricht der sonstigen Rede des Galaterbriefs vom Sein „unter dem Gesetz“ (vgl. besonders 3,23; 4,4f.; auch 4,21), wenn dieser Ausschluss als eine Überwindung bzw. Befreiung gedacht wird, die angesichts der Erfüllung der Verheißungen in Christus Jesus eröffnet wird. Dieses Verständnis bewährt sich auch im hiesigen Kontext bei einem Blick auf die folgenden Verse: Nach der Aufzählung der Werke des Fleisches und der Charakterisierung der Frucht des Geistes bündelt Paulus letztere mit den Worten „gegen solches gibt es kein Gesetz“ (V. 23). Das Gesetz wird hier also gedacht als eine Größe, die Fehlverhalten wehrt (vgl. 3,19!)400 – im unmittelbaren Kontext wird an die in V. 19–21 aufgezählten Werke des Fleisches zu denken sein. Diese Funktion des Gesetzes findet aber da ihr Ende, wo der Grund des Fehlverhaltens endet: Am Kreuz Christi als dem Ende der Macht des „Fleisches“. Nun kommt die Frist des Gesetzes an ihr Ende, weil die Verheißung des Geistes erfüllt wird – so hatte es Gal 3f. interpretiert und auf eben dieser Linie liegt auch die Ausführung der Paränese. Die Erfüllung des Gesetzes (5,14) besteht also darin, dass das Gesetz nicht mehr nötig ist: Wo der Geist Frucht wirkt, leben Menschen den Willen Gottes so, dass sie kein Gesetz mehr brauchen. 5,25–6,10 Das Leben im Geist erfüllt das Gesetz Christi 25

Wenn wir im Geist leben, wollen wir auch im Einklang mit dem Geist sein. 26 Wir wollen nicht Prahler werden, (nicht) einander herausfordern, (nicht) einander beneiden. 61 Geschwister, wenn ein Mensch auch ertappt wird bei einer Verfehlung, so bringt ihr, die Geistbegabten, solch einen zurecht im Geist der Sanftmut, achtend auf dich selbst, dass nicht auch du versucht wirst. 400

Vgl. zu dieser Stelle oben, 86f.

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2

Tragt einander die Lasten, und so werdet ihr das Gesetz des Christus erfüllen. 3 Wenn nämlich jemand meint, etwas zu sein, obwohl er nichts ist, der täuscht sich selbst. 4 Das eigene Werk aber prüfe jeder, und dann (im Blick) auf sich selbst allein wird er den Ruhm haben und nicht (im Blick) auf den anderen. 5 Jeder nämlich wird die eigene Last tragen. 6 Es gebe aber der, der in dem Wort unterrichtet wird, dem Unterrichtenden Anteil an allen Gütern. 7

Irrt euch nicht: Gott lässt sich nicht verspotten. Was nämlich ein Mensch sät, dies wird er auch ernten: 8 Wer auf sein Fleisch sät, wird aus dem Fleisch Verderben ernten; wer aber auf den Geist sät, wird aus dem Geist ewiges Leben ernten. 9 Das Gute zu tun lasst uns nicht müde werden, zur rechten Zeit nämlich werden wir ernten, wenn wir nicht ermatten. 10 Darum also, solange wir Gelegenheit haben, lasst uns allen das Gute tun, am meisten aber den Hausgenossen des Glaubens. Textliche und sprachliche Bemerkungen: V. 26: Das „(nicht)“ steht im Griechischen nicht wiederholt, im Deutschen ist der Sinn des Satzes mit dieser Ergänzung aber klarer. V. 2.5: Im Griechischen stehen für „Lasten“ (V. 2; Plural βάρη) und „Last“ (V. 5; Singular φορτίον) verschiedene Begriffe. V. 10: „Gelegenheit“ gibt das griechische Wort für „Zeit“ als Qualität wieder (καιρός im Unterschied zu χρόνος (Zeit als Quantität)).

Der letzte Abschnitt der Paränese zieht die bereits grundgelegten Linien aus und wird dabei einerseits persönlicher – ein Argument für die hier vorgeschlagene Abgrenzung ist die Rahmung des Abschnitts durch je zwei auf ein „wir“ bezogene Verse (V. 25f.; V. 9f.)401 –, andererseits konkreter, indem er einige besondere Folgerungen akzentu401

Alternativ lässt sich die Anrede „Geschwister“ in V. 1 als Neueinsatz begreifen, vgl. Schewe, Galater, 144. Dann würden die „wir“-Verse zwei Abschnitte (V. 25f. gehört dann zum Vorigen) jeweils mit einer bündelnden Ermahnung beschließen. Einige Kommentatoren setzen eine deutlichere Zäsur auch vor V. 7 (z.B. ebd. (nach einem Abschnitt 6,1–6); Vouga, HNT 10 (nach 5,25–6,6)); diese Unterteilungen schätzen die Bedeutung der „wir“-Passagen für die Gliederung weniger hoch ein.

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iert, auch der mahnende Ton wird klarer. Es entspringt auch der größeren Zahl einzelner Imperative,402 dass dieser Abschnitt weniger geschlossen erscheint als der vorige: Die ersten drei Verse sind über das Stichwort „Geist“ miteinander verbunden, V. 2–6 setzen diese Gedanken unter der inhaltlich gleichbedeutenden Überschrift eines „Erfüllens“ des „Gesetzes des Christus“ fort, V. 7–10 bündeln dann unter dem Leitwort des „Erntens“ die Grundlinien der ganzen Paränese in eine abschließende, eschatologisch konnotierte Ermahnung (vgl. dazu schon V. 4f.; auch 5,5.10.19). Zum Einzelnen. V. 25 bestätigt zunächst, dass die Aufforderung zum „Wandeln im Geist“ (5,16) für Paulus ein Geltenlassen eines neuen Status meint: Die Einleitung „wenn wir im Geist leben“ ist ohne jede ironische Spitze gemeint, sie beschreibt schlicht das Sein des Gläubigen, wie Paulus es sieht, und wie es eben diese Konsequenz hat, Einklang mit dem Geist zu suchen.403 Das dafür verwendete Verb στοιχεῖν wird auch in militärischem Kontext verwendet und bezeichnet das sich Einfügen in eine vorgegebene Ordnung.404 V. 26 zieht eine Folgerung aus diesem Gedanken für die Situation in Galatien: Es entspricht dem Geist nicht, sich zu vergleichen, mit bestimmten Dingen anzugeben, diese von anderen zu fordern oder bei anderen zu beneiden – ohne weiteres lässt sich dieser Satz auf die Forderungen der Beschneidung oder der Einhaltung von Speisegeboten bezogen verstehen und sollte wohl auch so verstanden werden. Aber heißt das, jeder kann und soll einfach leben wie sie oder er will? V. 1 stellt klar, dass es sehr wohl auch unter den „Geistbegabten“ (wie in V. 25 steckt keine Ironie in dem Begriff)405 die Notwendigkeit gibt, einander zu 402

De Boer, Galatians, 368, zählt in diesem Abschnitt 9 Imperative – im Vorigen stand nur einer (5,16). 403 In der Tat begegnen hier Indikativ und Imperativ – dass es aber zu einfach wäre, die paulinische Ethik als ganze darauf zurückzuführen, zeigt in einem Überblick über Aspekte der Kritik dieses Bultmannschen Schemas Zimmermann, Indikativ, 259– 272. Sein Plädoyer für eine differenzierte Erfassung der „impliziten“ – weil in den Paulusbriefen nicht explizit als Begründungstheorie diskutierten – Ethik des Paulus (ebd., 272–284) ließe sich am Galaterbrief ebenso durchführen: Paulus schließt mit den Laster- und Tugendkatalogen 5,19–23 an etablierte Moralvorstellungen an, er begründet theologisch, insb. pneumatologisch (5,16.25), christologisch (5,24; 6,2) und eschatologisch (5,21; 6,7–9), er bedenkt das Verhältnis zum mosaischen „Gesetz“ (5,14.23) und setzt auch neue Maximen mit dem „Gesetz Christi“ (6,2). Eine ausgeführte Diskussion dieses Geflechts unter der Fragestellung nach der paulinischen Ethik würde freilich den Rahmen dieser Arbeit sprengen. 404 Vgl. z.B. Vouga, HNT 10, 144. Das Verb ist mit dem Substantiv στοιχεῖα verwandt, das in 4,3.9 mit „Elementarmächte [der Welt]“ übersetzt wurde, also ebenfalls eine vorgegebene Ordnung markiert. 405 Vgl. z.B. De Boer, Galatians, 374; Schewe, Galater, 151. Es ließe sich allenfalls überlegen, ob die Betonung der Geistbegabung auch hier eine Opposition zur Forderung der Beschneidung impliziert.

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ermahnen und wieder auf den rechten Weg zu bringen – aber eben nicht in Prahlerei, Forderung und Streit, sondern im „Geist der Sanftmut“ (vgl. 5,23). Nichts anderes bringt nun auch V. 2 auf den Punkt, der die gegenseitige Unterstützung als „Gesetz des Christus“ benennt.406 Deutlich ist hier, dass die Bedeutung Christi sich nicht auf die in 5,24 artikulierte Überwindung des Einflusses des Fleisches reduzieren lässt. Was Paulus eben unter Bezug auf den Geist gesagt hat, kann er sachgemäß auch auf Christus beziehen, wie schon 4,19 zeigte: Hier hat die Zielangabe, dass „Christus in euch Gestalt gewinnt“, nicht zuletzt das Miteinander der an Christus Glaubenden im Blick.407 Dass er diese Pointe nun auch als „Gesetz Christi“ artikuliert, macht erneut deutlich, dass der Apostel den Begriff „Gesetz“ nicht für die Sammlung der Einzelgebote im Pentateuch reserviert, sondern auch funktional für den Willen Gottes (vgl. 5,14) bzw. eine Christus entsprechende Lebensgestaltung verwenden kann408 – das ist also ein deutlich anderer Begriff von „Gesetz“ als der, mit dem sich 3,1–5,12 kritisch auseinandersetzte. Dieses „Gesetz“ könnte Paulus nicht wie in 5,18.22f. in Opposition zum „Geist“ stellen, es ist vielmehr ein Synonym für den Wandel im Geist. Dieses „Gesetz“ lässt sich eben darum auch „erfüllen“ (vgl. 5,14 – anders 3,10–12; 5,3f.). V. 3 wendet den Gedanken des gegenseitigen Tragens der Lasten der anderen als Warnung vor einer Selbstüberschätzung an.409 V. 4 fordert zu einer kritischen Selbstwahrnehmung auf und sieht möglichen „Ruhm“ nicht in der Beziehung auf andere, sondern im Blick auf die Anerkennung des individuellen Lebens eines Menschen im Gericht Gottes. Deutlicher noch wird diese Perspektive in der in V. 5 als Begründung anschließenden Mahnung, die nur auf den ersten Blick im Widerspruch zu V. 2 steht: Nicht nur die Differenzierung im 406 Dieser Ausdruck lässt sich am einfachsten als bewusst gesetzter Kontrast zur „Gesetzes“-Orientierung der Gegner verstehen, doch ist auch so nach seinem Hintergrund zu fragen. Warum der einleuchtende Hinweis von Hofius, Gesetz, 74, auf Jes 42,4 so wenig diskutiert wird, ist mir rätselhaft. Auch verbunden mit dieser Perspektive wäre es eine interessante Frage, ob Paulus hier an Jesustraditionen anspielt, vgl. etwa Mk 10,42–44 par; Joh 13,34f. Für Dunn, BNTC, 322, ist das zwar „[a]lmost certainly“ der Fall, er will diese Einsicht aber nur beziehenn auf Jesu Interpretation der Sinaitora und folgert ebd., 323: „this does not mean a law other than the Torah, the (Jewish) law“, was sich schwerlich mit dem Kontext 5,18.23 verträgt. Einen anderen Vorschlag macht De Boer, Galatians, 378–381, der (wie in 5,14; vgl. oben, Anm. 392) „Gesetz“ auf Verheißungen der Schrift bezieht, die nun „erfüllt“ würden. 407 Vgl. dazu oben, 103. Einen ähnlichen Kontext zeigt die Orientierung an Christus in 1. Kor 9,21. 408 Vgl. Hofius, Gesetz, 72: „Das so als Anspruch des Evangeliums verstandene ‚Gesetz Christi‘ ist die neue ‚Lebensordnung‘ der in Christi Tod und Auferweckung angebrochenen Heilszeit.“ 409 Die Formulierung „etwas zu sein“ dürfte dabei bewusst an 2,6; 5,10 erinnern.

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griechischen Begriff „Last“ und die wichtigere Sinnlinie zu V. 3 („das eigene Werk“ V. 3 – „die eigene Last“ V. 4) legt eine Unterscheidung der Aussagen nahe, entscheidend ist vor allem das Futur des Verbs „tragen“, das wie schon in 5,10 auf das Tragen des eschatologischen Urteils zielt. Dort, vor dem Richterstuhl Gottes, werden wir einander nicht vertreten können – dort wird aber zählen, wie wir im Leben hier mit „allen“, v.a. aber den „Hausgenossen des Glaubens“ (V. 10) umgegangen sind. So ist die Argumentationslinie stimmig: Hier und jetzt sollen wir „einander die Lasten“ tragen, um dort und dann „die eigene Last tragen“, d.h. mit unserem Leben vor dem Richter bestehen zu können. Die Einzelbestimmung V. 6 fällt etwas aus dem so nachgezeichneten Argumentationsduktus hinaus und bleibt wohl „die rätselhafteste im ganzen Brief“.410 Dass der Apostel nicht nur allgemein ein paar Dinge zum christlichen Leben sagen wollte, sondern konkreten Anlass zur Ermahnung sieht, unterstreicht V. 7, der die Galater vor einem drohenden und vor allem bedrohlichen Irrtum warnt. Sie sollen nicht leichtfertig mit der Frage eines christlichen Lebens umgehen, sondern sich des eschatologischen Ernstes der Sache bewusst sein.411 Mit dem Bild von Saat und Ernte malt Paulus das aus: Die Saat steht dabei für das Leben und die Lebensorientierung, die Ernte für das Urteil im Jüngsten Gericht. V. 8 bezieht dies auf die Leitopposition von 5,16–24 zurück und unterstreicht, dass das ewige Leben aus dem Wandel im Geist folgt, während die Orientierung am Fleisch das Verderben erntet. Es geht also zentral um den Einklang mit dem Geist (vgl. 5,16.25), die Liebe (vgl. 5,13f.), die Christusförmigkeit (vgl. 5,24; 6,2) – oder wie Paulus in V. 9f. nun schlicht sagt: Um das Tun des „Guten“.412 Verbunden ist dies mit einer eschatologischen Qualifizierung der Zeit, die wir noch haben, als „Gelegenheit“ (V. 10), im Blick auf die „Zeit“ (V. 9) des Gerichtes Gottes schon (bzw. noch) im Geist des neuen Lebens in 410 So Betz, Galaterbrief, 517. Einige der Spekulationen zur Situierung und Deutung des Verses referiert De Boer, Galatians, 385f.; im Kontext dieser Arbeit muss das nicht ausführlich nachgezeichnet werden. 411 Das ist übrigens kein Widerspruch zur Einsicht in die eschatologische Bedeutung des Glaubens an den Christus; vgl. Vouga, HNT 10, 143: „Die Wirklichkeit des neuen Lebens (d. h. der christlichen Freiheit, Gal 5,1.13, bzw. der neuen Schöpfung, Gal 6,15) gründet einerseits auf der Wahrheit des Evangeliums, andererseits auf dem Realitätsanspruch, den die Verheißung des Endgerichtes Gottes stellt.“ – Schewe, Galater, 174, wehrt sich gegen ein rein eschatologisches Verständnis von V. 8, aber die Einsicht, „daß diese eschatologischen Größen bereits die Gegenwart bestimmen“ (ebd., Anm. 532), nimmt dem Gedanken keineswegs den eschatologischen Grundton. 412 Paulus verwendet im Griechischen zwei Begriffe, τὸ καλόν in V. 9 und τὸ ἀγαθόν in V. 10. Dass die synonymen Begriffe „nicht dasselbe meinen“ (Vouga, HNT 10, 151), wird durch den Text nicht nahegelegt – eher dürfte Paulus durch beide das beschriebene, am Geist orientierte Verhalten bewerten.

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Christus zu agieren. Wenn dieses Tun des Guten zum Ende des Abschnitts besonders auf die „Hausgenossen des Glaubens“ bezogen wird, liegt dies auf einer Linie mit den Kernaussagen 5,13f.; 6,2 und kann auch im Kontext des gesamten Galaterbriefs kaum anders verstanden werden als eine nochmalige Einschärfung der Bedeutung der Liebe für das Miteinander in der Gemeinde: Die Liebe lässt eben nicht zu, die Gemeinschaft durch zusätzliche Forderungen an die nichtjüdischen Gläubigen wie die nach der Beschneidung oder Einhaltung der Speisegebote zu relativieren. Vielleicht ist auch das der Grund dafür, dass Paulus hier nun plötzlich positiv von einem „Tun“ spricht und damit ein Verb verwendet, das er bislang für die Orientierung am Geist vermieden und nur auf das letztlich unmögliche Tun des ganzen Gesetzes bezogen hatte (3,10.12; 5,3). Es wirkt, als wolle er zum Schluss der Paränese nach „Gesetz“ nun auch noch diesen Begriff den Gegnern entwenden und den Galatern sagen: Wenn ihr schon etwas „tun“ wollt für euren Glauben und auf bestimmte „Werke“ achten,413 dann bitte das Gute, dann bitte Einsatz für die Gemeinschaft. Ein solches Verständnis, das hinter den Formulierungen der Paränese den Bezug auf die galatische Kontroverse erkennt, wird jedenfalls durch den hier nun anschließenden eigenhändigen Briefschluss gestützt. Kernaussagen des paränetischen Teils in Thesen • Die Ermahnungen der Paränese nehmen die zeitliche und sachliche Begrenzung der Geltung des Gesetzes nicht zurück, sondern akzentuieren ein Leben aus dem Geist in Orientierung an der Liebe und der Gemeinschaft. • Die leitende Opposition ist die Entgegensetzung von „Fleisch“ und „Geist“ (5,16–18; 6,7f.): Während das „Gesetz“ nur die Aufgabe hatte, den „Werken des Fleisches“ zu wehren (5,19–21.23), lassen sich die Gläubigen vom „Geist“ leiten (5,18; vgl. 5,16.25f.; 6,1), der in ihnen die „Frucht“ der „Liebe“ wirkt (5,22f.; vgl. 5,13f.; 6,2.10). • Paulus fordert also kein „Tun“ des Gesetzes im Sinne einer Befolgung der einzelnen Gebote (vgl. 3,10.12; 5,3), sondern erwartet die „Erfüllung“ des Gesetzes im Sinne des Willens Gottes kraft eines Lebens im Geist (5,14; 6,2). • Er entwindet so den Gegnern den Begriff „Gesetz“ (5,14; 6,2) und schließlich auch den des Tuns und des Werks (6,3.9f.), indem er In V. 9 steht für „tun“ ποιεῖν, also dasselbe Verb wie in 3,10.12; 5,3 für das „Tun“ des Gesetzes, in V. 10 mit ἐργάζεσθαι ein Verb, das an den Begriff „Werke“ (ἔργα) anklingt (vgl. 2,16; 5,19 u.ö.) – allerdings hatte zuletzt V. 3 das je eigene „Werk“ (ἔργον) positiv oder jedenfalls neutral genannt. 413

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nun nicht – wie zuvor – die Geltung des mosaischen Gesetzes, sondern die Realisierung des Willens Gottes im Lichte der in Christus begonnenen eschatologischen Neuschöpfung betrachtet (5,13.24; 6,2.7–10). • Quasi nebenbei akzentuiert die Paränese die in Galatien entscheidende Frage der Gemeinschaft (5,15.19–23.26; 6,3f.10) und fügt sich so völlig in die argumentative Strategie des Galaterbriefs ein. e) Der Briefschluss 6,11–18: Kreuz und Neuschöpfung statt Beschneidung 11

Seht, mit wie großen Buchstaben ich euch schreibe mit meiner Hand!

12

Alle, die ein gutes Ansehen haben wollen im Fleisch, diese nötigen euch, sich beschneiden zu lassen – nur damit sie nicht wegen des Kreuzes Christi verfolgt werden. 13 Denn die sich beschneiden lassen, halten selbst nicht das Gesetz, sondern sie wollen, dass ihr euch beschneiden lasst, damit sie sich rühmen können in eurem Fleisch. 14

Mir aber soll es gewiss nicht geschehen, mich zu rühmen, außer in dem Kreuz unseres Herrn Jesus Christus, durch das mir die Welt gekreuzigt ist und ich der Welt. 15 Denn weder Beschneidung ist etwas noch Unbeschnittensein, sondern neue Schöpfung.

16

Und alle, die sich nach diesem Maßstab richten werden: Friede über sie und Erbarmen und über das Israel Gottes! 17 Hinfort mache mir niemand Mühe, denn ich trage die Stigmata Jesu an meinem Leib. 18 Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus sei mit eurem Geist, Geschwister. Amen. Textliche und sprachliche Bemerkungen: V. 12: „ein gutes Ansehen haben“ (εὐπροσωπῆσαι) kann auch übersetzt werden mit „eine Rolle spielen“; im Blick ist Anerkennung aufgrund eines guten Eindrucks. V. 16: „sich richten“ im Sinne von „sich ausrichten, folgen, in Einklang sein mit“. V. 18: Im Griechischen fehlt das Verb, statt „sei“ kann auch „ist“ eingesetzt werden.

Der im Vergleich zu anderen Paulusbriefen recht ausführliche und grundsätzliche Schluss markiert nochmals (wie der Abschluss des zweiten Hauptteils in 5,2–12), worum sich die Auseinandersetzung in

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Galatien im Kern dreht: Es ist die Frage der Beschneidung. Indem der Briefschluss eine Summe des bisherigen Schreibens zieht, unterstreicht er die argumentative Linie des Apostels, nach der die konkrete Streitfrage in eine grundsätzliche Darlegung dessen eingebunden ist, was von Christus her als Wahrheit (vgl. 2,5.14; 4,16; 5,7) und Orientierung eines christlichen Lebens erkennbar wird. Deutlich ist also der gesamte Brief in dieser Ausrichtung auf die in Galatien umstrittene Frage konzipiert – dass auch die Paränese demgegenüber keinen Exkurs darstellte,414 zeigen nicht nur das Stichwort „Fleisch“ (V. 12f.), sondern ebenso das Kreuzigen der „Welt“ (V. 14; vgl. 5,24) und das Wortfeld rund um „Ansehen“ und „rühmen“ (V. 12–14; vgl. 6,4). Die abschließenden Verse nach dem die Autorität des Briefs unterstreichenden Hinweis in V. 11, dass Paulus diesen Schluss eigenhändig schreibt,415 differenzieren dabei wieder deutlich zwischen verschiedenen Gruppen, die jeweils in einem Abschnitt besonders betrachtet werden: V. 12f. nimmt die Gegner in den Blick und ist eine letzte polemische Wendung gegen „alle, die“ (V. 12) die Beschneidung fordern; sie werden auch hier wieder deutlich von den allein angeredeten Galatern („euch“: V. 12b.13bc) unterschieden. Damit ist nicht ausgeschlossen, dass unter denen, „die sich beschneiden lassen“ (V. 13a), auch Gemeindeglieder sein könnten, die bereits der Forderung der Paulusgegner gefolgt sind – die Gegner, gegen die Paulus hier kämpft, müssen keineswegs alle von außen gekommen und geborene Juden gewesen sein.416 In V. 14f. setzt Paulus dann seine Position dagegen („Mir aber …“; V. 14) und in V. 16–18 lenkt er schließlich auf „alle, die“ (V. 16) sich ebenfalls dieser Orientierung anschließen, was die Segenswünsche in V. 16.18 ebenso unterstreichen wie die Aufforderung in V. 17. Deutlich ist hier, dass Paulus hofft, jedenfalls die meisten Galater weiter als „Geschwister“ (V. 18) zu dieser letzten Gruppe zählen zu können, d.h. dass sie nicht der Beschneidungsforderung nachgeben. Dazu passt, dass er sich zweimal in der Rede von „unserem Herrn Jesus Christus“ (V. 14.18) mit ihnen zusammenschließt. 414

Vgl. zur Sache oben, 129. 1,1–6,10 dürften also von einem Sekretär nach Diktat gefertigt sein. Theoretisch könnte V. 11 sich zwar auch auf weitere Abschnitte beziehen, doch liegt der Bezug nur auf den Schluss v.a. wegen der Analogien in 1. Kor 16,21–24 näher. Zum Sekretär vgl. Röm 16,22. 416 So Vouga, HNT 10, 156; anders z.B. Schlier, KEK 7, 281: „die judenchristlichen Gegner des Apostels“ oder die textkritische Variante „die Beschnittenen“ (περιτετμημένοι) u.a. in P46 B. Aber auch das Partizip Präsens περιτεμνόμενοι verlangt nicht, die Gegner als aktuell sich Beschneidende zu verstehen, sondern lässt beide Deutungsmöglichkeiten zu; vgl. Theißen, Gegenmission, 288 Anm. 28. 415

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Der erste Teilzusammenhang in V. 12–13 ist eine Ringkomposition: In den Außengliedern V. 12a und V. 13c geht es um Anerkennung bzw. Ruhm „im Fleisch“, also bezogen auf die Körperlichkeit: Nicht nur aus der Paränese, sondern schon aus 2,16.20; 3,3; 4,23.29 ist bekannt, wie kritisch Paulus dieser Perspektive gegenübersteht. Nach den mittleren Zeilen V. 12b.13b417 realisiert sich dieser Wunsch nach Ansehen im Fleisch in der „Nötigung“ (V. 12; vgl. 2,3.14)418 der nichtjüdischen Christusgläubigen in Galatien zur Beschneidung. Im Zentrum formulieren die Innenglieder V. 12c.13a eine doppelte Kritik an den Gegnern: Sie wollen Verfolgung um des Kreuzes Christi willen vermeiden und sie halten sich selbst nicht an das Gesetz. Der letztgenannte Punkt (vgl. schon 3,10f.; 5,3) dürfte hier weniger sachlich als polemisch gemeint sein, wie auch V. 13c zeigt: Der Ruhm der Paulusgegner würde eben nicht auf ihrem eigenen Wandel, sondern auf ihrem Erfolg in Gestalt der Beschneidung der Galater fußen (vgl. 6,4!). Die Stichworte Verfolgung und Kreuz Christi waren auch schon in 5,11 mit dem Thema der Beschneidung verknüpft. Der Gedanke erhellt, wenn weitere Aussagen des Galaterbriefs zur Bedeutung des Kreuzes einbezogen werden: Das Kreuz ist für Paulus das Ende der früheren Existenz und gerade darin die Eröffnung wahren Lebens in Gemeinschaft mit Gott (2,19–21), durch das Kreuz kommt so die Verheißung an Abraham für alle Völker zu ihrem Ziel (3,13f.). Diese eschatologische Zeitenwende führt aber nach dem Urteil des Apostels dazu, dass die Frage der Zugehörigkeit zum Bundesvolk und also die Beschneidung ihre frühere Bedeutung verliert. Selbstverständlich werden nicht alle Juden (und wohl auch nicht alle Judenchristen) diese Einschätzung geteilt haben, was zur Verfolgung derer führt, die nach ihr handeln. Es geht also in V. 12c nicht um Unverständnis und Anfeindung durch eine heidnische Umwelt o.ä., sondern um einen handfesten innergemeindlichen bzw. innerjüdischen Streit um die Frage, ob das Heil an die Bedingung der Zugehörigkeit zum Judentum gebunden ist oder nicht.419 Indem Paulus den Gegnern 417 Da V. 13b das Verb (θέλουσιν) aus V. 12a und die Forderung (ὑμᾶς περιτέμνεσθαι) aus V. 12b zusammenzieht, lassen sich die beiden äußeren Glieder auch als engerer Zusammenhang betrachten, also so dass V. 12ab und V. 13bc die äußere Klammer eines Chiasmus bilden. 418 Die Verwendung des Verbs ἀναγκάζειν („nötigen“ oder „zwingen“) in V. 12 wie in Gal 2,3.14 stellt endgültig klar, dass Paulus den Apostelkonvent (Gal 2,1–10) und den Antiochenischen Konflikt (Gal 2,11–14) mit bewusstem Bezug auf die galatische Situation dargestellt hatte. 419 So z.B. Schlier, KEK 7, 280; Vouga, HNT 10, 153; anders etwa Lührmann, ZBK.NT 7, 101. Denkbar ist auch eine Position, die die Beschneidung nicht als heilsnotwendig, sondern wegen des zelotischen Konformitätsdrucks auf die Jerusalemer fordert, vgl. dazu unten B.2.c), 166ff. In jedem Fall ist Verfolgung durch Juden (evtl. auch Judenchristen?) im Blick, vgl. die Verwendung des Verbs διώκειν im Gal

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vorwirft, eine Verfolgung aus diesem Grund vermeiden zu wollen,420 betont er zugleich (vgl. den Anklang an 5,11), dass er selbst diesen Preis für die Reinheit des Evangeliums zu zahlen bereit ist. Diesen Gedanken unterstreicht er in V. 14–15 mit einer letzten fokussierten Zusammenfassung seiner Orientierung am Kreuz Christi: Dieses ist für ihn der einzige mögliche Grund eines „Rühmens“ (V. 14), wobei Jer 9,22f. im Hintergrund stehen dürfte (vgl. die Bezeichnung Jesu Christi als „Herr“ sowie 1. Kor 1,31; 2. Kor 10,17): Anlass zum Ruhm bietet keine eigene Leistung, kein eigener Erfolg, keine auf das „Fleisch“ bezogene Handlung, schon gar nicht, wenn diese nur von anderen durchgeführt würde (vgl. V. 13). Anlass zum Ruhm ist allein, durchaus paradox, das „Kreuz“ des „Herrn“. Paulus sieht sich so in dieses Kreuz einbezogen, dass seine gesamte Weltsicht damit durchkreuzt und er nicht mehr Teil dieser „Welt“ ist (V. 14) – hier klingen die Gedanken zum Mitgekreuzigtsein mit Christus aus der Zentralthese des Briefs (2,19–21) ebenso an wie der Hinweis auf die Kreuzigung des Fleisches (5,24). Es geht dem Apostel damit aber in keiner Weise um Weltflucht oder Leibfeindlichkeit, vielmehr ist die Pointe wie schon in 2,19–21 das eschatologisch neue Leben. Dies bringt V. 15 in einer variierenden Aufnahme des Grundsatzes aus 5,6 auf den Punkt: In Christus ist die „neue Schöpfung“ angebrochen (V. 15) und die Glaubenden sind bereits Teil dieses Neuanfangs. Der Gedanke der Äonenwende war ja nicht nur im Briefanfang (1,1.4f.), sondern durchgängig mit dem Christusgeschehen verknüpft worden (vgl. z.B. 3,24f.; 4,4–7), was sich z.B. in den Aussagen über die Freiheit der Christen (5,1; 2,4) oder ihre Hoffnung (5,5) ausdrückt. Der Briefschluss bringt dies nun nochmals auf den Punkt: Mit Christi Kreuz beginnt die neue Schöpfung – und deshalb ist die „Welt“ (V. 14) und sind alle in ihr geltenden Unterscheidungen wie die zwischen „Beschneidung“ und „Unbeschnittensein“ (V. 15), also zwischen Juden und Nichtjuden, Vergangenheit. V. 16–18 weitet schließlich den Blick auf „alle, die sich nach diesem Maßstab richten“ (V. 16). Die Orientierung an der neuen Schöpfung ist also eine solche, die mit der Lebenspraxis zu tun hat; das zeigen auch die Parallelaussage zu V. 15 in 5,6 und die Linie von V. 16 zu 5,25, wo Paulus dasselbe Verb (στοιχεῖν) auf das Leben im Geist bezog: Wer sein Leben im Geist auf den in der Liebe tätigen Glauben (5,6) ausrichtet bzw. ausgerichtet sein lässt, dem gilt die Zusage des neben V. 12 und 5,11: 1,13.23 steht es für die frühere Verfolgung der Gemeinde durch Paulus und auch 4,29 deutet auf eine Verfolgung Christusgläubiger durch Juden oder Judenchristen. 420 Der Vers verlangt damit übrigens, dass die Gegner selbst an Christus glauben, was die Annahme jüdischer, nicht aber judenchristlicher Gegner in Galatien wohl erledigt; vgl. dazu unten B.2.c), 166ff.

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Friedens und Erbarmens Gottes. Umstritten ist in V. 16 v.a. die Interpretation der Wendung „Israel Gottes“. Plausibel ist der Vorschlag, die Wendung auf dem Hintergrund der Schlussbenediktion des jüdischen Achtzehnbittengebets zu verstehen: „Lege deinen Frieden auf Israel, dein Volk“.421 Aber was genau versteht Paulus hier unter „Israel Gottes“? Problematisch ist eine Interpretation, die dies auf Judenchristen bezieht (und seien es nur jene, die der paulinischen Position zustimmen), denn dann würde der Apostel sie, nachdem er einen ganzen Brief lang für die Zusammengehörigkeit aller Gläubigen gestritten hat, am Ende selbst „nachträglich noch von den übrigen Christen“ unterscheiden.422 So bleiben zwei Varianten übrig: Entweder meint Paulus, dass die Gemeinde der Christusgläubigen als ‚wahres‘ Israel nun der einzige Verheißungsträger ist, oder er redet hier vom Volk Israel als der Gesamtheit des Judentums. Die erstgenannte Möglichkeit wäre nach 4,21–5,1 durchaus denkbar, dann wäre „Israel Gottes“ ein Parallelausdruck für das „obere Jerusalem“ (4,26), das ja für die Gemeinde steht. Allerdings wird die ja schon in V. 16a genannt – für Mußner ist „und über das Israel Gottes“ daher eine „nachhinkende Hinzufügung“ und „erweitert ganz eindeutig den Adressatenkreis“.423 Dieser wichtige Hinweis spricht nach meinem Urteil dafür, „Israel“ einfach auch als „Israel“ zu verstehen, zumal der Begriff im Galaterbrief nur hier fällt und ein anderes Verständnis also nicht wirklich markiert wäre. Nun zeichnet sich der eben schon bemühte Abschnitt 4,21–5,1 dadurch aus, dass er die Frage nach dem Verhältnis der Christusgläubigen zu fleischlichen Kindern Abrahams, also zu Beschnittenen bzw. Juden, in einer eschatologischen Offenheit belässt.424 In dieser Perspektive könnte die Rede vom „Israel Gottes“ als Ausdruck der Hoffnung verstanden werden, dass genau wie alle christusgläubigen Nichtjuden so auch „ganz Israel“ (Röm 11,26) in die neue Schöpfung Gottes hineingenommen ist bzw. (Futur in V. 16a!) hineingenommen werden wird. Der Galaterbrief zwingt also 421

Zit. nach Bachmann, Bemerkungen, 111; vgl. Schlier, KEK 7, 283; Vouga, HNT 10, 158. 422 So mit Recht Schlier, KEK 7, 283. Plausibel wäre eine solche Lösung allenfalls, wenn Paulus hier eine Selbstbezeichnung seiner Gegner aufnähme und neu deutete (so Betz, Galaterbrief, 547f.). Der Vorschlag von De Boer, Galatians, 405–408, Paulus meine damit auch die Gegner, weil er realisiert habe, dass manche seiner Thesen als Ablehnung der gesetzestreuen Jerusalemer Urgemeinde missverstanden werden könnten, überzeugt mich weniger – wenn Paulus den Fluch in 1,8f. und manche andere Spitze zu scharf gefunden hätte, wäre eine Korrektur des Briefes vor dessen Versand wohl eine bessere Lösung gewesen als ein nachklappender Segenswunsch. 423 Mußner, HThKNT IX, 417. Diese syntaktische Beobachtung spricht übrigens auch gegen die Interpretation von Dunn, BNTC, 345 („Israel understood … as including Gentile believers“). 424 Vgl. dazu oben, 113f.

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nicht zu einem Verständnis, nach dem die Gemeinde die Nachfolge Israels angetreten hätte,425 oder anders gesagt: Dass Paulus die Notwendigkeit der Beschneidung verwirft, impliziert nicht automatisch eine Verwerfung der Erwählung Israels.426 V. 17 bietet der Interpretation gleich das nächste Problem. Was sind die „Stigmata“427? Die galatischen Leser dürften an das Brandzeichen eines Tieres oder eines Sklaven gedacht haben, das deren Zugehörigkeit zu ihrem Herrn ausweist, oder an entsprechende Signierungen von „Gläubigen mit dem Zeichen ihres Gottes“.428 Die Vorstellung, dass der „Leib“ (V. 17)429 des Paulus in der Weise mit den Wundmalen Christi gezeichnet wäre, wie das etwa von der „Stigmatisierung“ des Franziskus von Assisi berichtet wird, legt sich hingegen nicht nahe; eher ist an Narben zu denken, die er aufgrund seiner Missionstätigkeit erhalten hat (vgl. dazu z.B. 2. Kor 11,23–27). Der Kontext lässt die Formulierung als letzte Steigerung der Betonung lesen, dass Paulus um des Kreuzes Christi willen verfolgt wird (V. 12) und durch dessen Kreuz der Welt gestorben ist (V. 14). So ist V. 17 wohl als Ausdruck der Konsequenz(en) der Christusnachfolge des Apostels zu verstehen,430 die seine Autorität als „Sklave Christi“ (1,10) untermauert und ihn zugleich selbst als Beispiel dafür benennt (vgl. 4,12.19), wie es aussieht, wenn einer „diesem Maßstab folg[t]“ (V. 16), nämlich dem Maßstab der neuen Schöpfung. Wer sich in dieser Perspektive zu den „Geschwistern“ des Paulus zählt, dem gilt abschließend der Segenswunsch der „Gnade unseres Herrn Jesus Christus“ (V. 18). Der Briefschluss wird – im Vergleich zu anderen Paulusbriefen unüblich431 – durch keine Grüße o.ä. begleitet. Das mag daran liegen, dass Paulus zur Zeit der Abfassung des Briefs keine in Galatien bekannten Mitarbeiter bei sich hat (vgl. das pauschale „alle Geschwis425 Insbesondere bildet der in der Literatur häufig genannte vermeintliche Gegenbegriff „Israel nach dem Fleisch“ (Ἰσραὴλ κατὰ σάρκα) aus 1. Kor 10,18 und Röm 9,6 kein Argument hierfür. Zwar zeigen diese Stellen, dass Paulus innerhalb Israels differenzieren kann, doch ist das noch kein Argument für eine im Gal nicht weiter gestützte Übertragung des Begriffs Israel auf die Christen. 426 Zahlreiche (freilich nicht nur zwingende) Argumente dafür bietet Bachmann, Kirche, passim; knapper: ders., Bemerkungen, 113–117. 427 Mit etlichen Kommentare nehme ich hier schlicht das griechische Wort auf. 428 Schlier, KEK 7, 284; vgl. Vouga, HNT 10, 159 (die Belege sind bei Schlier ausführlicher zitiert). 429 Paulus redet hier wohl bewusst nicht von „Fleisch“ wie in V. 12f., was ein Argument gegen die Überlegung ist, dass die Paulusgegner die Beschneidung als Stigma bezeichnet hätten und Paulus so mit V. 17 eine letzte Spitze gegen die Beschneidungsforderung setzt (so Lührmann, ZBK.NT 7, 102). 430 Auch 6,2 verbindet das Verb „tragen“ (βαστάζειν) mit dem Vorbild Christi. 431 Vgl. Röm 16,3–16.21–23; 1. Kor 16,19f.; 2. Kor 13,12; Phil 4,21–23; 1. Thess 4,10–17; Phlm 23f.

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ter“ in 1,2). Denkbar wäre auch, dass er durch nichts von der Wirkung dieses letzten Appells an seine Gemeinden ablenken will.432 Der ganze Briefschluss ist jedenfalls als dringliche Ermahnung und Einladung an die galatischen „Geschwister“ zu verstehen – die Anrede steht ein letztes Mal betont am Schluss –, auf dem von Paulus gewiesenen Weg der „Wahrheit des Evangeliums“ (2,5.14) zu bleiben. Kernaussagen des Briefschlusses in Thesen • Im Briefschluss kulminieren tragende Gedankenlinien aller Teile des Briefes, auch der Paränese, wobei neben der nochmaligen Wendung gegen die Beschneidungsforderung (6,12f.) die Deutung und Bedeutung des Kreuzes als Beginn der eschatologischen Neuschöpfung im Zentrum stehen (6,12.14f.17). • Auch die rhetorische Strategie des Paulus, von den Gegnern nur in dritter Person zu reden, die Galater aber werbend anzusprechen und mit seiner eigenen Position zu verbinden, findet im Briefschluss letzte Pointen – das letzte Wort des Briefs vor dem „Amen“ lautet „Geschwister“. • Die schwierig zu deutende Wendung „Israel Gottes“ (6,16) könnte die Hoffnung des Apostels andeuten, dass ebenso wie alle Christusgläubigen auch ganz Israel in die „neue Schöpfung“ (6,15) einbezogen wird. 2. Die Kontexte: Situative Verankerung des Galaterbriefs Nach dem exegetischen Durchgang durch den Brief soll es nun darum gehen, Situationen und Erfahrungen zu erschließen, die in den Brief eingegangen sind bzw. aus denen heraus er gelesen wurde. Mit diesen Erfahrungen, von ihnen her und in sie hinein erst beginnt der Brief, das Seine in seiner Situation zu sagen. Ohne sie würde er gelesen – und missverstanden – als zeitlose Wahrheit. Zugleich bilden diese Erfahrungen eine entscheidende Brücke zu heutigen Leserinnen und Lesern nicht nur, aber selbstverständlich auch in der Schule. 432 Dass so gleich zwei mögliche Gründe für das Fehlen von Grüßen benannt werden können, lässt diesen Umstand als Begründung für die These einer allgemeinen Adresse der uns bekannten Version des Galaterbriefs ausfallen. Auf dieser Linie diskutiert Vouga, HNT 10, 154, die Ansicht von Trobisch, nach dem dieser Schluss „editorischen Charakter“ hat – der uns überlieferte Galaterbrief wäre dann eine Version des Apostelschreibens, die „den Horizont der Argumentation des Briefes auf die grundsätzliche Auseinandersetzung der paulinischen Theologie und … Mission mit dem ‚Judenchristentum‘ überhaupt“ erweitert: Jerusalem, Antiochia, ja alle christlichen Gemeinden seien hier adressiert. Selbst wenn diese Sicht zutreffen sollte, wäre daraus keineswegs zu folgern, dass der Schluss nun gerade Galatien als das Modell, an dem der Brief diese Fragen diskutiert, nicht mehr im Blick hätte.

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Im Durchgang durch den Brief wurden viele Hinweise auf die Gesprächslage, das Verhältnis des Apostels zu den Gemeinden und nicht zuletzt jene Gruppe identifiziert, deren offenbar durchaus wirksames Eintreten für eine Zugehörigkeit der Christusgläubigen zum jüdischen Bundesvolk den Anlass für den Brief bildet. Dies soll nun systematisiert werden, auch in der religionspädagogisch begründeten Absicht einer bewussten Wahrnehmung der im galatischen „Gespräch“ beteiligten Personen. Da Paulus im Galaterbrief recht ausführlich auch mit seiner Biographie argumentiert, wird er als Absender – also sozusagen das „Woher“ des Galaterbriefs – in doppelter Weise bedacht: Zum einen wird die biographische Verankerung seiner Theologie dargestellt (a), zum anderen die Frage nach seiner aktuellen Situation bei der Abfassung des Galaterbriefs akzentuiert (d). Letztere hängt allerdings mit ab von der Bestimmung des „Wohin“ des Galaterbriefs, also seiner Adressaten (b), und des „Wogegen“, also der konkreten Konfliktlage in den galatischen Gemeinden (c). Diese beiden Fragestellungen werden daher vor der Datierungsfrage verhandelt. Alle Abschnitte wollen die Perspektiven der beteiligten Personen auf die Fragestellungen erhellen, die in Galatien zur Diskussion standen – also z.B. auch die Frage, wie der Galaterbrief von den angesprochenen Gemeinden und den (nicht direkt angesprochenen) Gegnern der paulinischen Mission gelesen wurde. Gerade bei diesen Fragen kann es nicht das Ziel sein, sich auf genau eine mögliche Antwort festzulegen. Zwar wird jeweils deutlich werden, welche Lösungen m.E. die besten Argumente für sich haben, doch ist es – auch und gerade im Blick auf den RU – durchaus interessant, verschiedene mögliche Perspektiven nebeneinander zu betrachten und so eine Vielfalt von Zugängen und Verständnismöglichkeiten zu erschließen. a) Der biographische Hintergrund der Theologie des Paulus Vor allem die ersten beiden Kapitel des Galaterbriefs befassen sich intensiv mit dem Werdegang des Apostels und seiner Mission. Das Interesse dabei ist aber keineswegs autobiographisch, vielmehr stehen die Passagen im Dienst der theologischen Argumentation: Paulus dokumentiert auf diese Weise sowohl den göttlichen Ursprung und die unbezweifelte Autorität des von ihm verkündigten Evangeliums als auch dessen Charakter – es ist zum einen das eine und einzige „Evangelium des Christus“ (1,7), zum anderen und zugleich das „Evangelium der Unbeschnittenheit“ (2,7). Es geht der Darlegung im Ganzen also nicht um eine Thematisierung der Person des Apostels, sondern darum, dass „die Wahrheit des Evangeliums bei euch bleibe“ (2,5). Dass Paulus zu diesem Zweck auch über sein Apostelamt redet (1,1) und den göttlichen Ursprung seines Auftrags kräftig unterstreicht

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(1,11f.; 1,15–20; 2,7–9), dürfte auch auf eine Bestreitung seiner Autorität durch die Beschneidungsprediger zurückzuführen sein. Der Akzent dabei ist aber „nicht … eine Verteidigung des paulinischen Apostelamtes, sondern … die Behauptung der göttlichen Herkunft und Wahrheit des ‚Evangeliums‘„:433 Paulus denkt nicht nur nicht daran, sich vor den Richterstuhl seiner Gegner zerren zu lassen, vor allem sieht er nicht sein Amt, sondern die Wahrheit des von ihm verkündigten Evangeliums (2,5.14; vgl. 5,7) als entscheidend an. Dessen Charakter (und nicht das paulinische Apostelamt) steht im Zentrum nicht nur des eigenwilligen Proömiums und der These 1,6–12, sondern auch des ersten Hauptteils 1,13–2,21. Dennoch scheint es Paulus angemessen zu sein, biographisch zu beginnen. Dass er in 1,13f. zunächst auf seine pharisäische Prägung hinweist, die ihn zu einem Verfolger „der Gemeinde Gottes“ werden ließ, hat eine mehrfache Funktion. Einerseits bereiten diese Verse verschiedene spätere Aussagen des Briefes über „judaisieren“, „eifern“ oder „verfolgen“ vor (vgl. 2,14; 4,17.29; 5,11; 6,12), andererseits und hier zunächst wichtiger zeigen sie den diametralen Kontrast, in dem die Missionstätigkeit des Paulus zu seiner vorigen Orientierung stand (vgl. auch 1,23). Dieser Kontrast ist nicht nur ein starkes Argument dafür, dass die Verkündigung des Paulus auf eine Berufung durch Gott zurückgeht, sondern gibt uns als Erinnerung des Apostels einen, ja den entscheidenden Schlüssel zum Verständnis seines theologischen Denkens in die Hand: Vor oder in Damaskus „offenbart“ Gott Paulus „seinen Sohn“ (1,16). Mehr erfahren wir hier nicht und sollten der Versuchung widerstehen, die Geschichte aus ihren Gestaltungen in der Apostelgeschichte (9,1–19; 22,3–16; 26,9– 18) um Dialoge aufzufüllen. Passendere Quellen sind andere Hinweise der Paulusbriefe auf dieses Erlebnis: Nach 1. Kor 9,1 hat er Jesus als „Herrn gesehen“, also als Kyrios (κύριος) – die Anwendung dieser Bezeichnung, die in der Septuaginta häufig für den Gottesnamen steht, auf Jesus ist nach 1. Kor 12,3 nur „durch den Geist“, also im Glauben an Jesus möglich. 1. Kor 15,8 berichtet Paulus von seinem „Sehen“ des Christus im Zusammenhang einer Aufzählung der Auferstehungszeugen, ordnet seine Christusbegegnung also in die Reihe der Erscheinungen des Auferstandenen ein (übrigens auch hier verbunden mit einem Verweis auf seine frühere Verfolgung der Gemeinde Gottes, 1. Kor 15,9). Oft wird auch die in 2. Kor 4,6 berichtete „Erleuchtung“ als Reflex der Damaskuserfahrung verstanden.434 433

So formuliert ders., Galaterbrief, 251, im Anschluss an Lategan. Vgl. z.B. Schäfer, Paulus, 103f.; Wolff, ThHKNT VIII, 86–88. Beide zählen jeweils deutlich mehr Befürworter als Kritiker einer entsprechenden Auslegung auf, vgl. Schäfer, Paulus, 103 Anm. 148; Wolff, ThHKNT VIII, Anm. 189. 434

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Wieweit sich diese Notizen zu einem kompletten Bild ordnen lassen, sollte offen bleiben – es ist mit der Möglichkeit zu rechnen, dass Paulus hier etwas erlebt hat, das sich nicht abschließend in Worte fassen lässt.435 Erkennbar ist aber, wie der Apostel dieses Erlebnis deutet: Es dürfte kein Zufall sein, dass alle Stellen Jesus mit einem christologischen Titel versehen, sei es „Christus“ (1. Kor 15,8 nach 1. Kor 15,3; 2. Kor 4,6), „Herr“ (1. Kor 9,1; vgl. 2. Kor 4,5) oder eben „Sohn“ (Gal 1,15). Was immer Paulus hier erlebt hat, es ist für ihn zunächst einmal Sachgrund christologischer Aussagen. Nach 1. Kor 15 ist für ihn außerdem klar, dass er den Auferstandenen gesehen hat, d.h. in und mit Jesus ist die endzeitliche Auferstehung der Toten angebrochen (vgl. 1. Kor 15,20). Dieses Verständnis des Christusgeschehens als Zeitenwende schwingt mit, wenn Paulus in Gal 1,16 nicht von einem „Sehen“ (wie in 1. Kor 9,1; 15,8) spricht, sondern von einem „Offenbaren“ durch Gott (vgl. auch Gal 1,12) – dieser Begriff verlangt geradezu eine apokalyptisch-eschatologische Deutung,436 zumal nach den entsprechenden Signalen schon in Gal 1,4f. Damaskus bedeutet also: Paulus, der als Eiferer für seine „väterlichen Überlieferungen“ (Gal 1,14), also wohl das Gesetz und die Reinheit des jüdischen Bundesvolks, gegen die christusgläubigen Gemeinden vorgeht, wird mit einem Schlag klar, dass der gekreuzigte Jesus der „Christus“, der „Sohn“ Gottes, der „Herr“ ist, dass er auferstanden ist von den Toten und damit die eschatologisch erwartete Zeitenwende begonnen hat. Dies bedeutet das sofortige Ende seiner Verfolgungstätigkeit und (jedenfalls im Rückblick) den Beginn seines missionarischen Wirkens, weshalb die Annahme plausibel ist, dass die Christusbegegnung für Paulus in einer unmittelbaren Beziehung zu seiner Verfolgungstätigkeit und deren Grund stand. Dann aber hätte sie auch Bedeutung im Blick auf seine frühere Orientierung am Gesetz und der Reinheit des Gottesvolks, die als entscheidende Grundlagen nicht mehr selbstverständlich erscheinen konnten.437 Wie weit entsprechende Neuorientierungen unmittelbar mit dem Damaskuserlebnis verbunden waren, hängt nicht zuletzt von der Klärung der Frage ab, was der Grund für die Verfolgung der frühen Christusgläubigen durch Paulus war. Dies lässt sich aber nicht präzis fassen; er selbst benennt ihn nicht und auch die Apostelgeschichte wird hier nicht konkret. Empfand Paulus den Glauben als anstößig, ein Gekreuzigter könne der Messias Israels (gewesen) sein (vgl. das 435

Das würde zumal dann gelten, wenn auch 2. Kor 12,2 Reflex der Damaskuserfahrung wäre (vgl. dazu Schäfer, Paulus, 103 Anm. 149), was aber wenig wahrscheinlich ist. Zu einer Auseinandersetzung mit Kims Versuch einer Rekonstruktion der paulinischen Christusvision vgl. ebd., 104. 436 Vgl. zum Begriff ἀποκάλυψις oben, 31, auch Anm. 89. 437 Ähnlich und ausführlicher begründet: Konradt, Bekehrung, besonders 106–111.

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Zitat von Dtn 21,23 in Gal 3,13) oder lehnte das jedenfalls im Blick auf diesen Gekreuzigten ab, der zuvor durch eine umstrittene Gesetzesauffassung, eine kritische Haltung zum Tempel und einen außergewöhnlichen Vollmachtsanspruch aufgefallen war?438 Oder hatten die christusgläubigen Gruppen schon damals ihre Gemeinschaft für die Aufnahme von Nichtjuden, jedenfalls von sog. „Gottesfürchtigen“ aus dem Umkreis der Synagoge geöffnet bzw. wurden jedenfalls von Paulus als Bedrohung der Integrität des Gottesvolkes Israel empfunden?439 Lebten sie z.B. in der Erwartung einer baldigen Öffnung des Tempels für die Nichtjuden und eines breiten Zustroms?440 Oder setzten sie im Gegenteil die Linie der Tempel- und Gesetzeskritik Jesu fort, wie der Bericht über das Verfahren gegen Stephanus nahelegt (Apg 6,11.13f.)?441 Denkbar sind aber auch viel einfachere Motive, so könnte Paulus Anstoß genommen haben an Anrufungen des Auferstandenen, auch im Zusammenhang von Wundern, weil sie ihm als Totenbeschwörung und Zauberei erschienen.442 Möglich ist auch, dass er die Bewegung der Christusgläubigen schlicht deshalb unterdrücken wollte, weil sie den damaligen jüdischen Autoritäten Mitschuld am Tod eines als Messias Geglaubten gab.443 Auch solche relativ unspektakulären (und wenig diskutierten) Erklärungen lassen einen Bezug der Verfolgung auf das Kreuz Christi (Gal 5,11; 6,12) verständlich erscheinen, zudem wäre in beiden Fällen plausibel, dass eine Begegnung mit dem auferstandenen Christus Paulus zur sofortigen Korrektur seines Wegs führt. Insgesamt erscheint es daher keineswegs zwingend, im Hintergrund der Verfolgungstätigkeit des Paulus bereits die Einsicht zu erkennen, dass „der Heilsorientierung an Jesus von Nazareth eine theologische Qualität zukommt, die den Unterschied zwischen Israel und den Völkern letztlich aufhebt“.444 Zugleich aber ist eben das unzweifelhaft der Kontext, in den Paulus 438

Vgl. z.B. Schäfer, Paulus, 116–120; Konradt, Bekehrung, 107, problematisiert den Bezug nur auf Dtn 21,23 (vgl. dazu auch Haacker, Paulus (2008), 76f.) und ergänzt die wichtige Überlegung, dass die vorösterliche Geschichte Jesu in der Ablehnung seiner Identifikation als Messias leitend sein dürfte. 439 Vgl. Konradt, Bekehrung, 108. Begründete Zweifel meldet Schäfer, Paulus, 115f., an; vgl. auch oben, 120f., die Überlegung zu 5,11, ob die paulinische Mission anfangs selbst zur Beschneidung aufrief. 440 Diese Alternative schägt Theißen, Religion, 295, vor. 441 Vgl. dazu Niebuhr, Verfolger, 79. 442 Diesen Vorschlag macht Haacker, Paulus (2008), 77f. 443 So ein Vorschlag von Schäfer, Paulus, 121, die dafür u.a. auf die entsprechenden, mit einem Hinweis auf „Verfolgung“ verbundenen Vorwürfe von Paulus gegen „die Juden“ in 1. Thess 2,15 verweist. 444 So Wolter, Paulus (2011), 23 (bei ihm kursiv). Seine Einschränkung, dass es genüge, wenn dieser Zusammenhang Paulus als dem Verfolger bewusst sei, macht die Annahme nicht einfacher.

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dann im Galaterbrief seine Erinnerung an das Damaskuserlebnis stellt – denn was für ihn Verkündigung des Evangeliums unter den Nichtjuden (1,16) bedeutet, beschreibt er selbst in Gal 2: Hier ist das paulinische Evangelium verbunden mit der Verneinung der Ansicht, wer an Christus glaubt, müsse auch Jude sein bzw. werden (2,3), sowie mit der Aufhebung der trennenden Wirkung der Einhaltung der jüdischen Speisegebote (2,11–14). Um diese Positionen kämpft Paulus, wenn er Treue zur „Wahrheit des Evangeliums“ einfordert (2,5.14) – und es ist kompositorisch völlig klar, dass der Rekurs auf seine Christusbegegnung in 1,15f. eben diese Wahrheit dokumentieren sollte. Mit anderen Worten: Auch wenn seine Verfolgertätigkeit noch nichts mit der Frage der Unterscheidung von Juden und Nichtjuden zu tun hatte, so hat sich das paulinische Verständnis des Evangeliums als Aufhebung dieser Differenzierung doch im Zusammenhang der Deutung seiner Christusbegegnung entwickelt. So sollte weniger damit gerechnet werden, „dass Paulus der Auftrag zur Heidenmission und der Gedanke der Rechtfertigung durch Glauben und nicht durch Werke des Gesetzes satzhaft vom Auferstandenen übergeben worden sind, sondern eher damit, dass sich diese ihm als Konsequenzen der Auferstehung des Gekreuzigten im Laufe der Zeit und tiefer gehender Reflexion ergeben haben.“445 Das Damaskuserlebnis ist also ein Schlüssel zur Theologie des Paulus nicht nur aufgrund dessen, was ihm angesichts der Christusbegegnung unmittelbar sofort klar wurde, sondern ebenso in einer Art Langzeitwirkung: Sein gesamtes Denken gründet für Paulus auf diesem Ereignis, es setzt die Perspektive, in der er Schrift und jüdische Tradition neu durchdringt. Die Auslegung hatte immer wieder zeigen können, dass Paulus im Galaterbrief nicht versucht, sein Evangelium z.B. von der Schrift her zu begründen, sondern umgekehrt entfaltet, wie die Schrift im Licht der Grundüberzeugungen zu verstehen ist, die letztlich auf seine Christusbegegnung vor Damaskus zurückgehen.446 Um diese Linie hier wenigstens exemplarisch auszuziehen, empfiehlt sich ein kurzer Blick auf die Verwendung der Rede vom „Sohn“ Gottes im Galaterbrief. Außer in 1,16 begegnet der Titel noch dreimal, kaum zufällig stets an zentralen Stellen: Am Ende des ersten Hauptteils im Kontext der Zentralthese des Briefs und zweimal im 445

Broer, Erscheinung, 91. Vgl. auch Sänger, Adressaten, 255: „Unmittelbar nach seinem Damaskuserlebnis wäre Paulus gewiss nicht in der Lage gewesen, seine uns bekannten Briefe zu schreiben.“ 446 Dies betont z.B. Vouga, Galaterbrief, 253: „Die exegetische und theologische Argumentation ist keine Begründung der paulinischen Darstellung des Evangeliums, sondern umgekehrt eine Umstrukturierung der jüdischen Selbstdefinition (Abraham, Segen, Verheißung, Bund, Gesetz) von der christologischen Gottesoffenbarung her (1,12.15f, in 2,14–21 ausformuliert).“

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Zwischenfazit der Ausführungen des zweiten Hauptteils. Dort verknüpft 4,4 Gottes Entsendung des Sohns mit der „Fülle der Zeit“, d.h. die Sendung des „Sohnes“ ist die Weise, in der Gott die Zeitenwende heraufführt – ein Gedanke, der sich unmittelbar aus der Begegnung mit dem Auferstandenen ableiten lässt, denn der Auftakt zur Auferstehung der Toten ist der Beginn des neuen Äons. Dem entspricht in 4,6 dann Gottes Entsendung des „Geist[es] seines Sohnes in unsere Herzen“, also eine individuelle Geistbegabung, die die Herzen der Gläubigen trifft – vielleicht nicht zufällig erinnert diese Formulierung auch an 2. Kor 4,6 als einen möglichen Reflex des Damaskuserlebnis. Und dass die Zeitenwende sich damit nun im Leben der Gläubigen gültig vollzieht, ist nicht nur dem Kontext von 4,4.6 zu entnehmen, sondern als Kerngedanke auch schon in der Aussage von 2,20 zu finden, was er (bzw. jede und jeder Christusgläubige) jetzt „im Fleisch“ lebe, lebe er „im Glauben … an den Sohn Gottes“ (2,20) – ein Leben, das 2,19–21 wie das des Auferstandenen, dem der Apostel vor Damaskus begegnete, im Kontrast zum Gekreuzigt- und Gestorbensein beschreibt. Mit der Rede vom Sohn verbindet Paulus also die Einsicht, dass Gottes neue Schöpfung begonnen hat und die mit dem Leben des Auferstandenen verbundenen Christusgläubigen Teil derselben sind. So gesehen steckt in der Rede vom „Sohn“ in 1,16 bereits die ganze Theologie des Paulus, wie er sie im Galaterbrief gegen die Forderung der Beschneidung und der Einhaltung der Speisegebote in Stellung bringt. Es ist kaum vorstellbar, dass er diese Sicht der Dinge ohne die Christusbegegnung vor Damaskus entwickelt hätte – auch wenn ihm dort nicht sofort klar war, dass angesichts der Zeitenwende in Christus die alte Frage von Beschneidung oder Unbeschnittensein irrelevant geworden ist (Gal 6,15).447 Die Art, wie Paulus von seiner Christusbegegnung vor Damaskus redet, zeigt also, dass dieses Ereignis der entscheidende Schlüssel zu seiner christologisch ausgerichteten Theologie ist, zugleich aber auch, dass seine Darstellung diesem Ereignis eine Deutung für die in Galatien aktuellen Fragen entnimmt, die damit im ersten Moment so evtl. noch nicht verbunden war. Auch die in Gal 2 berichteten historischen Stationen interpretiert er durchaus in seinem Sinne, doch ist nicht davon auszugehen, dass er Fakten verfälscht – dagegen spricht die Notwendigkeit einer glaubwürdigen Selbstdarstellung: Zum einen folgt Paulus hier den rhetorischen Gesetzen der Ethopoiie,448 zum anderen 447

Es sei nochmals auf die Möglichkeit verwiesen, dass 5,11 Reflex einer paulinischen Christusverkündigung unter Nichtjuden sein könnte, die sehr wohl die Beschneidung verlangt hat, vgl. oben, 120f. 448 Vgl. dazu den Exkurs „Polemische Theologie?“ oben, 122ff., besonders 124.

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wäre seine Argumentation auch schnell erledigt, wenn ihm in Galatien ein gewichtiger Fehler in seiner Darstellung nachgewiesen werden könnte; die Bekräftigung seiner Informationen durch einen Schwur in 1,20 würde sich dann sofort gegen ihn wenden. Der Interpretationsanteil seiner Darstellung bezieht sich also etwa auf Details der Beschreibung des beim Jerusalemer Apostelkonvent anerkannten paulinischen Evangeliums oder der im Vergleich zu Apg 15 deutlich selbstständigeren Rolle des Paulus in den Verhandlungen, gewiss auch auf die Darstellung der beteiligten Parteien (2,4: „eingedrungene falsche Geschwister“), nicht aber auf die Darstellung der Streitfrage und der Ergebnisse des Konvents. Es ist also davon auszugehen, dass Paulus zu dieser Zeit das Evangelium so verkündigt hat, dass er Nichtjuden zum Glauben an Jesus Christus gerufen hat, ohne von ihnen die Beschneidung zu verlangen (2,3f.) – und es ist davon auszugehen, dass dies in Jerusalem so anerkannt wurde, wenn auch vielleicht eher als Ausnahme für Antiochia denn als Regel für eine gezielte Flächenmission, wie sie Paulus im Anschluss an den Konvent startet. Die Faktenlage respektiert Paulus auch, indem er schlicht verschweigt (aber eben nicht leugnet), dass er sich in Antiochia mit seiner Position offenbar nicht durchsetzen konnte. Hier zeigt sich, dass nicht jede Konsequenz, die Paulus für richtig hielt, akzeptiert wurde – das paulinische Selbstbewusstsein aber wird durch solchen Misserfolg offenbar nicht erschüttert, im Gegenteil nimmt er diese Szene als Einleitung für die Kernthese des Galaterbriefs. So zeigt der Streit in Antiochia: Paulus ist nicht nur überzeugt von seiner Interpretation seiner Christusbegegnung. Er ist auch bereit, für seine daraus abgeleiteten Überzeugungen zu kämpfen. Warum er dies nun auch im Galaterbrief tut bzw. tun muss, wird erst nach der Diskussion darüber, wo die galatischen Gemeinden überhaupt zu suchen sind, weiter erörtert. b) Die Adressaten des Galaterbriefs Unter allen Adressaten der authentischen Paulusbriefe sind die galatischen Gemeinden diejenigen, die am schwersten zu fassen sind. Das liegt nicht nur daran, dass der Brief auf jede namentliche Nennung oder gar Charakterisierung einzelner Personen verzichtet, sondern beginnt schon mit der Frage, wo die Empfänger überhaupt zu suchen sind – die Problematik ist derart komplex, dass sie als „nach wie vor letztlich ungelöst“ gelten muss.449 Sie wird auch hier nicht gelöst werden, ihre Diskussion ist aber – auch in der Perspektive auf den RU – geboten, denn eine ungefähre Vorstellung von den Adressaten ist 449

So Sänger, Adresse, 3, in zustimmendem Zitat einer älteren Arbeit (1987) von Suhl.

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ein wichtiger Aspekt des Zugangs zu einem Brief. Dabei setze ich voraus, dass der Brief echte Adressaten hatte: Vougas These, der Galaterbrief sei von vornherein als Zusammenfassung des paulinischen Denkens entstanden und Adresse wie Anlass fiktiv, scheitert letztlich an der scharfen Rhetorik des Briefs, zumal Paulus wohl nicht zurückgestanden hätte, eine solche Botschaft ggf. auch gleich an die zu adressieren, die er wirklich meint.450 Die Diskussion kann sich also auf die beiden Hauptalternativen konzentrieren und die Empfänger des Galaterbriefs entweder in der Landschaft Galatien oder in der größeren Provinz Galatien suchen. Die spärlichen Angaben des Briefs – zu nennen sind lediglich die Adresse „den Gemeinden Galatiens“ (1,2) und die Anrede „ihr unverständigen Galater“ (3,1) – erlauben keine klare Entscheidung.451 Dennoch herrschte lange Zeit ein weitgehender Scheinkonsens sehr eigener Art: In der deutschsprachigen Exegese hatte sich die Landschaftshypothese durchgesetzt, im englischsprachigen Raum aber ebenso einhellig die Provinzhypothese.452 Zunächst zur historischen Geographie: Die Landschaft Galatien, von der auch die Provinz ihren Namen erhält, umfasst das Gebiet, in dem sich im Zusammenhang keltischer Wanderungen im 3. Jh. v. Chr. drei keltische Stämme niedergelassen hatten – „Galater“ entspricht zunächst einmal unserer Volksbezeichnung „Kelten“ oder „Gallier“. Ihre Siedlungsgebiete im kleinasiatischen Kernland lagen um die Orte Ankyra (Stamm der Tektosagen), Pessinus (Tolistoagier bzw. Tolistobogier) und Tavium (Trokmer).453 Eine deutliche Aus450 Diese These, die eine Überlegung von David Trobisch „radikalisiert“, formuliert Vouga, Galaterbrief, 250; sein 2 Jahre später erschienener Kommentar wiederholt sie so aber nicht und sie hat auch sonst, soweit ich sehe, keine Zustimmung gefunden. 451 Natürlich sind im Zweifelsfall Anhaltspunkte aus dem Text des Gal als gewichtiger einzustufen, nur sind diese eben nicht so eindeutig, wie es oft behauptet wird. Wenn z.B. Löning, Galaterbrief, 133, als Argument für die Landschaftshypothese auf das für Paulusbriefe untypische Fehlen von Städtenamen im Präskript hinweist, so ließe sich dieses „Problem“ mit der Überlegung von Vouga, HNT 10, 2, lösen, dass der kanonische Galaterbrief insbesondere hinsichtlich seiner Adresse nicht unbedingt den an die einzelnen Gemeinden verschickten Abschriften entsprochen haben muss. Und wenn umgekehrt Witulski, Adressaten, beansprucht, mit seiner Begründung einer Adressierung von Gal 4,8–20 an die Gemeinde in Antiochia in Pisidien erstmals ein aus dem Gal gewonnenes Argument für die südgalatische Hypothese vorzulegen, so ist dieses mit der keineswegs zwingend begründeten Hypothese einer literarkritischen Teilung des Gal belastet (vgl. dazu oben, 101). 452 Die englischsprachige Tradition folgt darin Arbeiten von Ramsay, vgl. Sänger, Adresse, 14; ausführlicher Witulski, Adressaten, 36–42. Die Selbstverständlichkeit dieser Entscheidung illustriert Walker, Spuren, 78–91: Das Kapitel Galatien fragt gar nicht, ob andere Orte als die südgalatischen Provinzstädte in Betracht kommen könnten. Ein deutschsprachiges Gegenstück dazu ist der Kommentar von Lührmann, ZBK.NT 7, 10, der ohne Anflug von Zweifel nur von der Landschaft Galatien redet. 453 Vgl. z.B. Strobel, Galater, 236–252; ders., Galatien, 37f.; Breytenbach, Paulus, 105–109; hilfreiche Karten ebd., 191, und bei Pilhofer, Rechtfertigung, 96. Die Sied-

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dehnung erfuhr die Einflusssphäre dieser Galater unter ihrem letzten unabhängigen Fürsten Amyntas: Er herrschte ab 39 v. Chr. mit Einvernehmen Roms auch über etliche Gebiete südlich der Landschaft Galatien, zunächst über Pisidien, dann auch über Lykaonien, Pamphylien und Teile Kilikiens.454 Nach seinem Tod wurde dieses Gebiet 25 v. Chr. von Augustus als römische Provinz „Galatia“ organisiert, der kilikische Teil und Teile Pamphyliens fielen wieder weg, sonst aber erlebte die Provinz bis in die Zeit Neros nur Erweiterungen.455 „Galatien“ war also zur Zeit des Paulus auch als Provinzbezeichnung schon seit etwa einem Dreivierteljahrhundert etabliert;456 zur Provinz (nicht zur Landschaft) Galatien gehörten die Städte Antiochia (in Pisidien), Ikonium, Lystra und Derbe, in denen Paulus nach Apg 13,13– 14,25 Gemeinden gegründet hatte. Die ersten drei waren im Zusammenhang der Gründung der Provinz 25 v. Chr. zu römischen Kolonien geworden bzw. wurden mit solchen verbunden, d.h. hier wurden Veteranen der römischen Armeen angesiedelt.457 Die Funktion der Kolonien für die romtreue Organisation der Provinz zeigt sich auch in der Etablierung des Herrscherkults; in Antiochia entstand nach seinem Tod ein Heiligtum des Augustus.458 Die Kolonien waren durch die Via Sebaste miteinander verbunden, während es in der Landschaft Galatien zur Zeit des Paulus keine gepflasterte Straßen gab.459 Die südgalatische bzw. Provinzhypothese sieht in Orientierung an den Berichten aus Apg 13f. die Adressaten des Galaterbriefs in diesen Städten, während die nordgalatische bzw. Landschaftshypothese damit leben muss, dass sie neben den Reisenotizen (!) Apg 16,6; 18,23 keine Berichte der Apostelgeschichte über Gemeindegründungen anführen kann; als möglicher Ort für die galatischen Gemeinden werden lungsweise der Galater dürfte zunächst v.a. ländlich gewesen sein, wichtig waren ihre höher gelegenen Festungen. Ihr Einfluss auf die Städte nahm erst nach und nach zu – v.a. der „Tempelstaat Pessinus“ ist zunächst noch als „eigenständige Größe“ anzusprechen (Strobel, Galatien, 38) –, erst in römischer Zeit organisieren sie ihre Gebiete von den Städten aus, vgl. Breytenbach, Paulus, 107f.; Belke, Galatien, 179. 454 Vgl. Mitchell, Amyntas, 98; Belke, Galatien, 173; Sänger, Adresse, 10; Koch, Geschichte, 573. 455 Vgl. Breytenbach, Paulus, 109–111; Belke, Galatien, 173f.; Sänger, Adresse, 10f.; Koch, Geschichte, 573f. 456 „Etabliert“ muss dabei nicht heißen, dass sich alle Einwohner der Provinz mit dieser Bezeichnung identifiziert haben (so wie sich auch national gesinnte Menschen als „Europäer“ ansprechen lassen). Vgl. dennoch auch die kritische Perspektive Kochs, dazu unten, Anm. 486. 457 Vgl. z.B. Koch, Geschichte, 219; Breytenbach, Paulus, 1f.45–47.50f.111; Pilhofer, Antiochien, 155–157. 458 Vgl. Beschreibung und Rekonstruktionszeichnung bei Bull, Türkei, 155f. 459 Hierauf weist Pilhofer, Paulus, 20–22, mit Nachdruck hin und bestreitet (auch) auf dieser Basis, dass Paulus je im nördlichen Galatien gewesen sei; vgl. schon ders., Erfolg, 79f.

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hier öfters Pessinus und die benachbarte Kolonie Germa genannt.460 Da jede Lösung auch mit einer Einschätzung der historischen Zuverlässigkeit der Apostelgeschichte verbunden ist, spielen in dieser Diskussion auch andere Interessen als die Lokalisierung der Adressaten des Galaterbriefs eine Rolle.461 So dürfte es auch an einem wachsenden Zutrauen in den Quellenwert der Apostelgeschichte liegen,462 dass in neuerer Zeit etwas Bewegung in die Debatte kommt und die südgalatische Hypothese im deutschsprachigen Raum an Zustimmung gewinnt – eine Entwicklung, die sich keineswegs auf Monographien und Spezialaufsätze beschränkt,463 sondern auch schon in Handbüchern angekommen ist.464 Die Lösung, die Orte aus Apg 13,13–14,25 mit „Galatien“ zu verbinden, scheint auch mir die plausiblere zu sein, zumal nach meinem Urteil keine zwingenden Argumente dagegen stehen. Vier Aspekte dazu sollen im Folgenden so diskutiert werden, dass jeweils Für und Wider beider Hypothesen deutlich werden: Zunächst die drei Gründe, die Schnelle als ausschlaggebend für die Landschaftshypothese anführt – nämlich „die Nichterwähnung der Adressaten in Gal 1,21, die lukanischen Angaben über das Wirken des Paulus im ‚galatischen Land’ und die Anrede in Gal 3,1“465 –, und dann die Aussagen des Galaterbriefs zu Barnabas. Zunächst zu Gal 1,21: Das Problem ist, dass Paulus hier einen Gründungsaufenthalt in den provinzgalatischen Gemeinden nicht erwähnt, der laut Apg 13f. aber vor dem – in Gal 2,1ff. und Apg 15 angesprochenen – Apostelkonzil stattgefunden haben müsste.466 Klar 460 Breytenbach, Paulus, 120–126, diskutiert diese Orte ausgehend von den Reisenotizen Apg 16,6; 18,23 (entscheidet sich aber insgesamt für die Provinzhypothese); Koch, Geschichte, 298f., nimmt an, dass Paulus hier – aber später als bei den Apg 16 und 18 berichteten Reisen von Ephesus kommend – die Gemeinden gegründet haben könnte. Interessant ist Pessinus auch als Zentrum des Attis-Kybele-Kults, in dessen Kontext die Kastration der Priesterschaft eine Rolle spielte, was einige Exegeten mit der Auslegung von Gal 5,12 in Beziehung setzen, vgl. oben, 120. – Daneben wird oft auch Ankyra genannt, wobei diese Anführung des Zentralorts von Galatien oft nicht mehr meint als „irgendwo in Galatien“ und überdies den Vorzug hat, für heutige Leser am ehesten lokalisierbar zu sein (Ankara). 461 Vgl. Sänger, Adresse, 9. 462 Vgl. z.B. Schnelle, Einleitung, 319f.; Avemarie, Paulusbild, 52–55; Schröter, Paulus (2009), besonders 137.144–146. Anregend ist die Diskussion dieser Frage zwischen Riesner, Zuverlässigkeit, und Marguerat, Apostelgeschichte. 463 In chronologischer Reihenfolge seien genannt Breytenbach, Paulus, 99–176; Witulski, Adressaten, passim, besonders 44f.215–224; Schäfer, Paulus, 290–315, besonders 308ff.; Sänger, Adresse. 464 Vgl. Frey, Galaterbrief, 200–205; Pokorný/Heckel, Einleitung, 229; Pilhofer, Testament, 275–278. 465 Schnelle, Einleitung, 115. 466 Da sich Paulus und Barnabas nach Apg 15,36–41 kurz nach dem Apostelkonvent getrennt, nach Apg 13f. aber die Antiochenische Mission in Südgalatien gemeinsam (historisch wohl unter Führerschaft des Barnabas) getragen haben, ist ein chronologi-

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ist: Hätte Paulus in Gal 1,21 „Syrien und Kilkien und zu euch“ geschrieben, gäbe es die Diskussion über die Lokalisierung der galatischen Gemeinden nicht. Was aber bedeutet das Fehlen einer solchen Notiz? Gewiss lässt sich „für diesen ‚autobiographischen‘ Bericht keine Vollständigkeit der Aufzählung erwarten“467 und so ist der Befund überstrapaziert, wenn aus Gal 1,21 gefolgert wird, dass der ganze Bericht in Apg 13f. der Fantasie des Lukas entsprungen sei – dagegen spricht schon der deutliche Lokalkolorit sowie das geographische Wissen der Texte.468 Wenn Paulus aber in der Tat außer in den Gal 1,21 genannten Provinzen Syrien und Kilikien sehr wohl in Galatien war, könnte das ein Argument für die nordgalatische Hypothese sein. Dann wird angenommen, dass Paulus seinen Aufenthalt in Galatien (bzw. Pisidien und Lykaonien) in Gal 1,21 deshalb nicht erwähnt, weil die angesprochenen Gemeinden eben nicht dort liegen, wo er damals war.469 Das wäre als Argument v.a. dann bedeutsam, wenn eine solche Erwähnung der Gründung der angesprochenen Gemeinden vor dem Apostelkonvent das in Gal 1 greifbare paulinische „Argumentationsziel der Unabhängigkeit von Jerusalem sehr unterstützt hätte“,470 Paulus also einen Punkt verschenkt hätte, indem er (südgalatische) Adressaten hier nicht nennen würde. Eben das scheint mir aber nicht zwingend zu sein: Zum einen ist in den Adressatengemeinden die Gültigkeit der beschneidungsfreien Mission offenbar aktuell umstritten, so dass sie sich selbst vermutlich nicht als Positivbeispiel für die Freiheit des Paulus von Jerusalemer Maßgaben verstanden hätten. Anders gesagt: Wenn in Galatien eben die ‚mangelnde’ Rückbindung des Evangeliums und der Mission des Paulus an Jerusalem als Vorwurf gegen den Apostel akzentuiert wurde, könnte er südgalatische Gemeindegründungen in Gal 1,21 bewusst übergangen haben, um in die Auseinandersetzung mit der Situation in Galatien erst nach der Bestätigung seiner Mission durch den Apostelkonvent einzusteischer Irrtum des Lukas unwahrscheinlich – zumal beide Berichte über den Apostelkonvent Barnabas und Paulus als Team nennen (vgl. auch 1. Kor 9,6), auch Gal 2,11 mit dem Wechsel von „wir“ zu „ich“ eine Trennung der beiden nach dem Konvent nahelegt und nicht zuletzt diese Antiochenische Mission einen plausiblen Anlass für den Apostelkonvent darstellen würde, vgl. Koch, Geschichte, 215.221.226f. 467 So Frey, Galaterbrief, 202, mit Bezug u.a. auf Jervell. 468 Vgl. Breytenbach, Paulus, 29–52.76–97; Koch, Geschichte, 215–221; zusammenfassend Roloff, NTD 5, 194f.; mit der Annahme stärkerer Überarbeitung Schnelle, Paulus, 113–115. Wohl unabhängig von der Apg weiß auch 2. Tim 3,11 vom Wirken und Leiden des Paulus in Antiochia, Ikonion und Lystra. 469 So z.B. Koch, Geschichte, 216. 470 Schnelle, Einleitung, 114. Unter der Annahme der Historizität der ersten Missionsreise können die Vertreter der Landschaftshypothese freilich auch nicht schlüssig darlegen, warum Paulus in Gal 1,21 dann nicht statt von Galatien einfach von Zypern, Pisidien und Lykaonien spricht.

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gen.471 Zum anderen will Paulus offenbar seine Unabhängigkeit nicht nur von Jerusalem, sondern auch von Antiochia dokumentieren, das er nur als Ort eines Konflikts (2,11–14), nicht aber als „seine“ Gemeinde erwähnt (vgl. 2,1f. mit Apg 15,1–3); auch von Barnabas, dessen Juniorpartner (vgl. Apg 11,25f.; 13,2.7; 14,14) er in der von Antiochia getragenen südgalatischen Mission war, distanziert er sich im Galaterbrief.472 Paulus könnte also die Galatienmission in Gal 1,21 auch aus seinem Interesse an einer Selbststilisierung als Einzelgänger im direkten Auftrag Gottes verschwiegen haben. Das zweite nach Schnelle gravierende Argument ist die Erwähnung des „galatischen Lands“, seiner Meinung nach ein Bezug auf die Landschaft Galatien, in Apg 16,6 und 18,23 – während die provinzgalatischen Städte in der Apostelgeschichte eben nicht als Galatien bezeichnet, sondern mit den Landschaftsbezeichnungen „Pisidien“ (Apg 13,14; 14,24) und „Lykaonien“ (Apg 14,6) verbunden werden. Schäfer stellt aber durch minutiöse geographische und sprachliche Erörterungen in Frage, ob die Notizen Apg 16,6; 18,23 auf einen Aufenthalt in der Landschaft Galatien weisen. Zunächst macht sie wahrscheinlich, dass Apg 16,6–8 eine Wanderroute ausgehend von Antiochia in Pisidien in ungefähr nördlicher Richtung auf Dorylaion zu – durch „das [!] phrygische und galatische Land“ (Apg 16,6)473 im Sinne der damit bezeichneten Grenzregion – und von dort weiter gen Westen nach Troas beschreibt.474 Diese könnte den Westen der Landschaft Galatien berührt haben, doch ist der Apostel nach Apg 16 auf der Durchreise zu ferneren Zielen, die ihm jeweils verwehrt werden (zunächst die Asia, dann Bithynien). Galatien ist nach Apg 16,6 also bestenfalls Durchgangsgebiet und gerade nicht Ziel des Paulus – ein längerer Aufenthalt dort oder gar missionarische Tätigkeit werden nicht erkenntlich.475 Wenn das so stimmt, sprechen v.a. zwei Gründe 471 In diesem Fall wäre das „euch“ in Gal 2,5 historisch bedeutsam, es vermag aber alleine nicht die südgalatische Hypothese zu stützen, da es genauso gut als sachlicher Vorgriff verstanden werden kann. 472 Vgl. zum Verhältnis des Paulus zu Barnabas und Antiochia weiter unten, 163ff. 473 Diese Übersetzung ergibt sich, wenn Φρυγίαν Apg 16,6 mit Schäfer, Paulus, 303f., als ein Γαλατικὴν beigeordnetes Adjektiv verstanden wird; vgl. Breytenbach, Paulus, 113f.148. 474 Vgl. Schäfer, Paulus, 297–301.303–308. 475 Vgl. Sänger, Adresse, 31: „Erschwerend kommt hinzu, dass Lukas über eine Missionstätigkeit des Apostels und seiner Begleiter im Norden der Provinz schweigt. Mehr noch, er scheint sie sogar auszuschließen, da er in 16,6b den Heiligen Geist bemüht, um die … Reiseroute zu motivieren“. Allerdings lässt sich Gal 4,13 in diesem Zusammenhang so auslegen, als sei Paulus durch eine Krankheit an der geplanten schnellen Weiterreise gehindert worden und habe die Unterbrechung zu missionarischer Aktivität genutzt, so etwa Broer, Einleitung, 423.

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dagegen, die sprachlich andere Nennung des galatischen Lands in Apg 18,23 – „durchziehend nacheinander [!] das galatische Land und Phrygien“476 – auf die Landschaft Galatien zu beziehen. Zunächst und v.a. setzt Apg 18,23 voraus, dass Paulus dort bereits bestehende Gemeinden stärken will, nach der Apostelgeschichte wurde von solchen aber bisher nur im Süden der Provinz Galatien berichtet. Sodann ergibt ein Bezug des „galatischen Lands“ auf den Süden der Provinz auch die sinnvollere Reiseroute auf das Ziel Ephesus hin. Mag man diese Interpretation vielleicht auch nicht für zwingend halten,477 so ist jedenfalls m.E. nicht erkennbar, dass Apg 16,6; 18,23 umgekehrt die Beweislast für die nordgalatische Hypothese tragen könnten.478 Schließlich nennt Schnelle die Anrede der Adressaten in Gal 3,1 als „Galater“, die er mit anderen als Bezeichnung einer Volkszugehörigkeit versteht, deren Verwendung angeblich verlange, dass sich die so Angeredeten „vollständig als Galater verstehen“,479 also als Kelten. Allerdings lässt sich aus verschiedenen außerneutestamentlichen Texten und Inschriften zeigen, „dass zur paulinischen Zeit nicht nur die Gebietsangabe ἡ Γαλατία/Galatia, sondern auch das Ethnikon οἱ Γαλάται [„die Galater“] in gleicher Weise auf die Landschaft und Provinz bzw. ihre jeweiligen Bewohner bezogen worden ist“.480 Hinzu kommt, dass die Bevölkerung der Landschaft Galatien keineswegs homogen galatisch war, so zeigt etwa eine Auswertung zeitgenössischer Inschriften, dass es „in der Landschaft Galatien keine Städte mit kompakt galatischer im Sinne von keltischer Bevölkerung gab“481 – 476

Übersetzung nach Schäfer, Paulus, 302. Etwa Sänger, Adresse, 32, will Apg 16,6 und 18,23 als äquivalente Aussagen verstehen. 478 Zu bedenken ist aber der Vorschlag von Koch, Geschichte, 298f., der als Vertreter der Landschaftshypothese den Gründungsaufenthalt nicht mit Apg 16,6; 18,23 verbindet, sondern annimmt, dass Paulus von Ephesus aus (vgl. Apg 19) im Jahr 53 n. Chr. nach Osten ausgewichen war und bei dieser Gelegenheit die Gemeinden gründete. Freilich: Wenn sich die erwähnten Reisenotizen nach Koch auch einem Wissen der Verfassers der Apg um galatische Gemeinden verdankt, über die er aber keine Gründungsgeschichten erzählen kann, wäre durchaus denkbar, dass er wegen der in seiner Zeit eher auf die Landschaft eingegrenzten Bedeutung von „Galatien“ schlicht an der falschen Stelle gesucht hat; vgl. dazu unten, Anm. 486. 479 Vouga, HNT 10, 11; aufgenommen von Schnelle, Einleitung, 115. Das Argument ist ausschließlich die Anrede als solche – z.B. findet Löning, Galaterbrief, 140, als Vertreter der Landschaftshypothese „keine eindeutigen Hinweise im Gal“ für eine speziell keltische Prägung seiner Adressaten. 480 Sänger, Adresse, 16; vgl. die Nachweise ebd., 16–18. Strobel, Galater, 118, behauptet zwar pauschal das Gegenteil, eine Diskussion der von Sänger genannten Belege bietet er aber nicht. 481 Pilhofer, Rechtfertigung, 95f.; vgl. seinen detaillierten Nachweis 95–104 und den Anhang mit der Transskription der Inschrift der Kaiserpriester aus Ankara, 111–125; ähnlich argumentieren z.B. Schäfer, Paulus, 312 Anm. 102; Sänger, Adresse, 20f. 477

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und umgekehrt lässt sich zeigen, dass durchaus „Galater“ auch in der Mischbevölkerung im Süden der Provinz anzutreffen waren.482 Die Anrede in Gal 3,1 würde also eine mögliche Gemeinde in der Landschaft Galatien nicht unbedingt treffender charakterisieren als eine solche in der Provinz Galatien. Nehmen wir hinzu, dass die in Frage stehenden provinzgalatischen Gemeinden in verschiedenen Landschaften liegen und aus Angehörigen verschiedenster Bevölkerungsgruppen zusammengesetzt sind, lässt sich fragen, wie Paulus sie denn dann besser angeredet hätte – etwa mit „ihr unvernünftigen Pisidier und Lykaonier und …“? Gerade mit Blick auf Antiochia in Pisidien, Ikonion und Lystra als römische Kolonien, in denen eine gewisse Bereitschaft zur Identifikation mit der offiziellen Bezeichnung der römischen Provinz wohl angenommen werden darf,483 würde sich viel eher anbieten, sie zusammenzufassen unter dem einen „‚political term that could be applied to them all’: Galater“.484 Bedenkt man schließlich, dass in Gal 3,1 das Adjektiv „unvernünftig“ ohnehin eine größere Provokation darstellt als die kollektive Anrede als „Galater“,485 verblasst auch das letzte der von Schnelle genannten Kernargumente der Landschaftshypothese.486 482

Vgl. Breytenbach, Paulus, 154–159. Wenn ich recht sehe, wird dieser Aspekt in der Literatur nicht diskutiert. 484 Sänger, Adresse, 20; zitiert ist F. F. Bruce, The Epistle to the Galatians. A Commentary on the Greek Text, NIGTC 2, Exeter/Grand Rapids 1998, 16. 485 Bruce, ebd. (zit. nach Schäfer, Paulus, 312): „If Paul’s readers found anything objectionable in being called ‘foolish Galatians’, the objection arose from the adjective ‘foolish’ rather than from the substantive ‘Galatians’“; vgl. Frey, Galaterbrief, 203. Mit einem Vergleich gesagt: Ein Bayer versteht, was (und dass er) gemeint ist, wenn ihn jemand als „damischer Saupreißn“ bezeichnet. – Im Übrigen lebt das Argument, die Anrede „Galater“ hätten Nicht-Kelten unmöglich auf sich beziehen können, nicht zuletzt von einem klischeebehafteten Keltenbegriff, der diese als unzivilisierte, wandernde Räuberhorden versteht. Strobel, Galater, 55–79, weist als unverdächtiger Zeuge (er vertritt selbst die Landschaftshypothese) nach, dass solche antiken Topoi bis in die Gegenwart die Forschungsmeinungen beeinflussen – und dass sie Fehlurteile sind. Er führt dafür auch Paulus an, der im Gal kein „negatives Image der Adressaten“ zeichnet, sondern „einen Hellenisierungsprozess voraussetzt“ (ebd., 122). Nur für die Frage, ob die Bevölkerung im Süden der Provinz Galatien sich wirklich nicht als „Galater“ verstehen könnte, wertet er diese Einsichten nicht aus … 486 Anders wäre die Situation, wenn Koch, Geschichte, 296, Recht hätte, dass „sich Galatia nicht als Gesamtbezeichnung für den Zuständigkeitsbereich des Statthalters von Ankyra durchsetzen konnte“. Seine Belege für eine andere Benennung dieses Bereichs weisen aber erst in die Zeit „ab 68 n. Chr.“ (ebd., 574; vgl. 574–579) und ließen sich also auch als Grund dafür in Anschlag bringen, dass die Apg (!) „Galatien“ entgegen einem möglichen anderen Verständnis bei Paulus nicht (mehr) auf die Provinz bezieht. Allerdings verwendet – deutlich nach 68 n. Chr. – der 1. Petrusbrief (1,1) „Galatien“ offensichtlich als Provinzbezeichnung; vgl. Goppelt, KEK XII/1, 27; Brox, EKK XXI, 25; Sänger, Adresse, 22f. (und auch Koch, Geschichte, 429!?); gegen u.a. Strobel, Galater, 118; Schnelle, Paulus, 289. 483

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Über diese drei Argumente hinaus ist die Rolle des Barnabas in der Gründung der provinzgalatischen Gemeinden (nach Apg 13,7; 14,14 dürfte er dabei eher wichtiger als Paulus gewesen sein) sowie im Galaterbrief bedeutsam. Auf den ersten Blick spricht gegen die Provinzhypothese, dass Paulus im Galaterbrief durch nichts erkennen lässt, dass er die angeredeten Gemeinden gemeinsam mit Barnabas gegründet hätte (vgl. besonders 4,13–15.19). Hinzu kommt, dass die Gegner gegen den Brief sofort hätten einwenden können, „dass die Autorität des Gründungsapostels Barnabas gerade nicht hinter diesem Schreiben steht, zumal Paulus selbst ja zugeben muss, dass es zwischen ihm und Barnabas an zentralen Punkten massive Differenzen gegeben hat (2,11–14)“.487 Das ist aber nur die eine Seite der Medaille. In direktem Kontrast dazu lässt sich die häufige Erwähnung des Barnabas (Gal 2,1.9.13) ohne weitere Einführung seiner Person und in auffallendem Kontrast zu den sonstigen Paulusbriefen (Barnabas wird sonst nur noch einmal in 1. Kor 9,6 erwähnt) auch als Indiz dafür werten, dass er den Adressaten bekannt sein dürfte, was gerade umgekehrt ein Argument für die Provinzhypothese wäre.488 Wird versucht, unter der Annahme einer dieser Deutungen die Beobachtungen zu erklären, die für die jeweils andere Deutung angeführt werden, so ist die häufigere Nennung eines Unbekannten in einem Brief, der sonst weithin auf konkrete Nennung von Personen verzichtet, schwieriger zu begründen als ein Verschweigen der Rolle des Barnabas bei der Gründung der (provinzgalatischen) Adressatengemeinden. Hier ist zum einen zu bedenken, dass Paulus und Barnabas sich gerade an einer Frage zerstritten haben, die eng mit der jetzt in Galatien verhandelten verwandt ist – Paulus interpretiert den Antiochenischen Konflikt und seine dortige Grundsatzstellungnahme erkennbar als transparent für die galatische Situation. Anders gesagt: Nur Paulus steht fest zu der Basis, auf der die galatischen Gemeinden gegründet wurden, während Barnabas in Antiochia bereit war, die „Wahrheit des Evangeliums“ preiszugeben (Gal 2,5.14). Als Paulus nach der Trennung von Barnabas nochmals die provinzgalatischen Städte besucht hat (Apg 16,1–5), während Barnabas sich wohl nach Zypern, also in den anderen Teil des früheren gemeinsamen Missionsgebiets wandte (Apg 15,39), könnte hier eine exklusivere Bindung der Gemeinden an Paulus und seine Interpretation des Evangeliums auch als Selbstbewusstsein der provinzgalatischen Gemeinden entstanden sein.489 Das ist vor allem dann plausibel, wenn der Antioche487

Koch, Geschichte, 297; vgl. ebd., 296f. So etwa Sänger, Adresse, 41–44; Frey, Galaterbrief, 204. 489 Dieser Aspekt (den Sänger, Adresse, 47–52, in seiner Auseinandersetzung mit Kochs Interpretation der Rolle des Barnabas nicht diskutiert) zeigt, dass diese Sicht auf die Bedeutung des Paulus für die südgalatischen Gemeinden keineswegs „rein 488

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nische Konflikt nicht mit Apg 15,36–40, sondern erst mit Apg 18,22 verknüpft wird:490 Die Wirksamkeit des Paulus in den südgalatischen Gemeinden hätte dann für Antiochia zunächst kein Problem darstellen müssen. Erst 3 Jahre nach seiner Trennung von Barnabas wäre es zu Spannungen zwischen Paulus und der Antiochenischen Gemeinde gekommen – und dass dieser nun nicht ohne Weiteres „seine“ galatischen Gemeinden den Antiochenern überlassen wollte, wäre nachvollziehbar, zumal er nach dem Antiochenischen Konflikt sicher nicht nur brieflich den Anspruch erhoben hätte, dass er allein die Linie treu durchhält, zu der er sich durch die Christusbegegnung vor Damaskus beauftragt sieht. So ließe sich das Übergehen der zunächst nicht selbstständigen Galatienmission in Gal 1,21 auch so interpretieren, dass Paulus hier keine unnötig komplexen Erörterungen anbringen wollte – so dass Gal 2,5 durchaus als Hinweis auf die Existenz der galatischen Gemeinden zur Zeit des Apostelkonvents verstanden werden könnte. Insgesamt sind zwingende Gründe für die Annahme landschaftsgalatischer Gemeinden als Adressaten des Galaterbriefs nicht erkennbar. Dann ist aber die Lokalisierung der Empfänger in den Apg 13f. bezeugten provinzgalatischen Gemeinden schlicht die naheliegendere und daher insgesamt wahrscheinlichere Lösung.491 Wenn in religionspädagogischer Perspektive ein konkretes ‚Bild’ der Adressaten gezeichnet werden soll, so ist dies jedenfalls mit ausreichenden exegetischen Gründen auf der Basis von Informationen zu den Gemeinden Antiochia in Pisidien, Ikonion, Lystra und Derbe möglich.492 Welche Bedeutung haben nun diese recht diffizilen Überlegungen für das Verständnis des Galaterbriefs? Zum einen haben sie unmittelbare Konsequenzen für die Datierung der Gemeindegründung: Erfolgte diese schon vor dem Apostelkonvent 48 n. Chr. oder später, evtl. erst um 53 n. Chr.? Das wiederum hat Konsequenzen für weitere Fragen, z.B. für die Entwicklung der paulinischen Theologie oder der Bezieaus der Perspektive des Paulus formuliert“ sein muss, wie Koch, Geschichte, 297 Anm. 32, gegen Sängers Kritik einwendet. Auch Apg 20,4 ist hier zu bedenken, wonach „Gajus aus Derbe“ Mitglied der Kollektendelegation der paulinischen (!) Gemeinden war (Kochs Einwände gegen dieses Argument, 329 Anm. 18, setzen schon voraus, dass eine Identifikation der südgalatischen Städte mit Paulus gar nicht möglich sei). 490 Vgl. zu diesem Datierungsvorschlag und seiner Begründung unten, 182f. 491 Das wichtigste Motiv ist die bessere „Passung“ mit den Angaben der Apg (auch 20,4); ergänzend sei der Bezug auf die Galater in Gal 2,5 genannt, der die Provinzhypothese zwar nicht fordert, aber doch stützt. Verschiedene Argumente für die Provinzhypothese stellt Frey, Galaterbrief, 204f., zusammen. 492 Quellen für solche Darstellungen bieten neben Apg 13,13–14,25 sind etwa Breytenbach, Paulus, 159–171; Bull, Türkei, 148–163 (mit zahlreichen Abbildungen).

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hungen zwischen Juden- und Heidenchristen. Daneben und ganz unmittelbar bedeuten die unterschiedlichen Lokalisierungen der Gemeinden aber auch unterschiedliche Hintergründe der galatischen Gemeindeglieder. So ist in der Landschaft Galatien jüdisches Leben inschriftlich zur Zeit des Paulus nicht belegt, jüdische (und übrigens auch christliche!) Grabsteine sind dort erst ab dem 5./6. Jahrhundert nachweisbar.493 Nordgalatische Gemeinden wären also nicht nur rein heidenchristlich, sondern in diesem Fall wäre davon auszugehen, dass die Gemeindeglieder ohne besondere Vertrautheit mit Religion und Tradition des Judentums und ohne Kenntnis seiner Heiligen Schrift (!) für den Glauben an Jesus als den Christus gewonnen worden wären. Die Situation in den Städten im Süden der Provinz ist eine deutlich andere, die von Apg 13f. berichtete Anknüpfung der Missionspredigt in den Synagogen von Antiochia in Pisidien und Ikonion wäre hier absolut vorstellbar. Zwar scheinen die galatischen Gemeinden mehrheitlich oder gar vollständig aus Nichtjuden zu bestehen; dafür spricht nicht nur 4,8, sondern auch, dass die Aufforderung zur bzw. Warnung vor der Beschneidung scheinbar an die ganzen Gemeinden ergeht. Wenn aber angenommen werden kann, dass die Galater in Städten im Süden der Provinz lebten, dann dürften sie von dort nicht nur Juden und Synagogengemeinden kennen, sondern etliche von ihnen hätten sicher schon lange zu deren nichtjüdischem Sympathisantenkreis der sog. „Gottesfürchtigen“ (vgl. Apg 13,16.26.43.48; 14,1) gezählt. Das wiederum würde bedeuten, dass die Frage „Beschneidung oder nicht“ schon bei der Gemeindegründung Thema gewesen sein dürfte, außerdem wäre anzunehmen, dass die ersten Gemeindeglieder schon eine gewisse Vertrautheit mit der Heiligen Schrift (also unserem Alten Testament) gehabt hätten. Sowohl für die aktuelle Diskussionslage in Galatien und die Identifikation der dortigen Gegnerschaft als auch für die Frage nach der Rezeption der Schriftargumentationen des Galaterbriefs durch die Gemeinden sind das gewichtige Aspekte. Religionspädagogisch könnte es interessant sein, diese Fragen aus der Perspektive eines fiktiven „südgalatischen“ und „nordgalatischen“494 Gemeindeglieds zu betrachten, um verschiedene mögliche Perspektiven auf den Text des Galaterbriefs zu erschließen. Das ist freilich ein relativ komplexes Vorgehen und verlangt eigentlich schon größere Vertrautheit mit Paulus. Wo eine solche nicht vorausgesetzt 493

Vgl. Breytenbach, Paulus, 144–146; Sänger, Adresse, 34f. Nur am Rande: Die auf den ersten Blick verlockende Möglichkeit, ethnische „Galater“ mit bekannten Stammesverwandten wie „Asterix und Obelix“ zu assoziieren, um Schüler/inn/en einen Zugang zu eröffnen, ist problematisch – in diesen Figuren verdichten sich eher Zerr- und Wunschbilder der „Gallier“ bzw. „Galater“ als historisch zutreffende Porträts; vgl. Strobel, Galater, 23. 494

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werden kann, können in einer pragmatischen Lösung die provinzgalatischen Städte aus Apg 13f. als ‚Bühne’ des Galaterbriefs präsentiert werden; dies kann mit Hilfe der Apostelgeschichte und einiger Hintergrundinformationen auch erzählerisch geschehen. Dabei empfiehlt es sich aber mit Blick auf die nicht endgültig entscheidbare Adressatendiskussion, aus den Erzählungen der Apg typische Züge wie den Beginn der Missionspredigt in den Synagogen, Auseinandersetzungen und vielleicht auch Bedrohungen der Apostel Barnabas und Paulus herauszugreifen.495 Die damit markierten Spannungen zwischen Juden und einer entstehenden christusgläubigen Gemeinde aus (vorwiegend) Nichtjuden können zugleich auf die Thematik der innerchristlichen Diskussionen vorbereiten, die der Galaterbrief dann spiegelt. Interessant wäre erzählerisch weiter auch die Aussendung von Paulus und Barnabas durch Antiochia (am Orontes, also in Syrien), da sie eine hilfreiche Verknüpfung zu Apostelkonvent und Antiochenischem Zwischenfall bildet. Ausgehend von Gal 2 ließe sich dann auch die dortige Trennung von Paulus und Barnabas als deutlicher Einschnitt nachvollziehen. Diese Texte (Gal 2) sind religionspädagogisch von hohem Wert, weil sie anders als die argumentierenden Passagen des Galaterbriefs Personen erkennbar werden lassen. c) Die Front(en) des Galaterbriefs Paulus sieht ein Problem in Galatien, das ist klar. Da treten Personen in der Gemeinde auf, die von den nichtjüdischen Christusgläubigen die Beschneidung fordern (6,12f.), evtl. auch die Befolgung jüdischer Feiertage (4,10) und Speisegebote. Aber schon diese Analyse ihrer Kernforderungen ist nicht frei von Hypothesen, dass die Speisegebote auf der Agenda ständen, ist etwa aus 2,12 und einer bestimmten Interpretation des Begriffs „Werke des Gesetzes“ erschlossen, aber nicht eindeutig klar. Und so geht es gerade weiter: Über die Personen, gegen deren Wirken Paulus sich im Galaterbrief positioniert, erfahren wir noch weniger als über die Adressaten des Briefs, es sind einfach „einige“ (1,7). „Die historische Frage nach den Gegnern ist unter solchen Umständen eine ziemlich harte Nuß.“496 Schon ihre Bezeichnung ist ein Problem: Ist der in dieser Arbeit meist verwendete Begriff „Gegner“ überhaupt angemessen? Und wenn ja, beschreibt er ihr Selbstbewusstsein („wir sind gegen Paulus“) oder eine Zuschreibung, die der Brief erst vornimmt? Ist es legitim, sie nach ihrer am klarsten 495 Details wie die Verehrung von Barnabas als Zeus und Paulus als Hermes (Apg 14,11ff.) bilden auch keine fruchtbare Basis für eine Erarbeitung der Kernlinien des Galaterbriefs (allenfalls für Stellen wie Gal 4,8, die aber nicht als zentral gelten können). 496 Löning, Galaterbrief, 135.

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erkennbaren Forderung als „Beschneidungsprediger“ zu bezeichnen oder bedeutet das eine verfälschende Verkürzung ihres Anliegens? Wären andere Begriffe besser, etwa „andere Missionare“ oder „Lehrer“, „Judaisierer“ oder „neue Prediger“?497 Neben der Bezeichnung ist die Frage zu klären, woher denn diese Gegner – ich bleibe trotz seiner Problematik bei diesem Begriff – kommen: Sind sie selbst galatische Gemeindeglieder oder leben mit den Gemeinden am selben Ort oder kommen sie von außen? Und im letzteren Fall: Kommen sie zufällig in die Gemeinden oder planvoll, vielleicht sogar ausgesandt von Gemeinden oder innergemeindlichen Gruppierungen in anderen Orten? Schließlich: Wenn Sie eine bestimmte Absicht verfolgten oder einen Auftrag hatten, war dann das Thema Beschneidung dabei von vornherein zentral oder ergab es sich erst im Kontakt mit den Galatern? Kurz und gut: Ein weites Spektrum von Erklärungen ist möglich und wird diskutiert.498 Das liegt nicht zuletzt daran, dass der Galaterbrief die einzige Quelle für die Beschreibung der Gegner ist und seine rhetorische Strategie keineswegs darauf zielt, ihre Selbstsicht fair und verständnisvoll nachzuzeichnen, sondern sie im Gegenteil diskreditieren will.499 Ungeachtet der methodischen Schwierigkeiten kann aber auf den Versuch der Rekonstruktion eines Bilds der Gegner nicht verzichtet werden, wenn nicht einfach relevante Positionen in der Entwicklung des frühen Christentums ganz aus dem Blick geraten sollen.500 Müller hat die methodische Problematik am Beispiel des Kolosserbriefs diskutiert; seine Überlegungen lassen sich auf den Galaterbrief direkt übertragen, dessen Aussagen über die Gegner ebenfalls „fragmentarisch und wertend“ sind.501 Er diskutiert verschiedene Vorschläge für einen differenzierten Umgang mit dem letztlich unverzichtbaren „mirror-reading“, also dem Erschließen einer Position aus den Aussagen dessen, der diese als „gegnerisch“ bekämpft. Im Ergebnis fordert er v.a. eine „klare[.] Beachtung der Perspektivität“, d.h. zum einen aus dem Brief zu erheben, wie der Verfasser auf die Gegner schaut, zum anderen aber auch „ansatzweise eine mögliche 497

Der Ausdruck „Gegner“ dominiert in der deutschsprachigen Kommentarliteratur (gebrochen durch die Verwendung verschiedener Bezeichnungen bei Lührmann, ZBK.NT 7). Durchgängig andere Bezeichnungen finden sich z.T. in englischsprachigen Kommentaren, so die oben genannten: Dunn, BNTC, spricht von „the other missionaries“, Martyn, AncB 33A, von „the Teachers“, Longenecker, WBC 41, von „the Judaizers“ und De Boer, Galatians, von „the new preachers“. 498 Vgl. z.B. die Auflistung bei Söding, Gegner, 134f. 499 Vgl. oben, „Exkurs: Polemische Theologie?„, besonders 124f. 500 Vgl. Wander, Gegner, 54: Gegner sind „positiv gesprochen die Vertreter eben anderer Positionen“; Söding, Gegner, 133: „Kapitel urchristlicher Theologiegeschichte …, das sonst im Dunklen bliebe“. 501 Müller, Gegner, 370; vgl. zur folgenden methodischen Darlegung ebd., 369–374.

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Position der Gegner“ einzunehmen.502 So sehr er diese Aufgabe betont, stellt er doch auch klar, dass ein Brief vor allem Position und Absicht seines Verfassers deutlich macht – „die Position der Gegner wie in einem Puzzle möglichst lückenlos zusammenzusetzen wird wahrscheinlich nicht gelingen“.503 Dieses Bild eines Puzzles bietet eine Richtung für ein methodisches Vorgehen. Im Folgenden sollen zunächst die „Puzzleteile“ gesichtet werden und dann ihre mögliche Zusammensetzung diskutiert werden. Als solche Puzzleteile sind in erster Linie die Hinweise zu nennen, die der Brief selbst gibt, da sich jede Theorie zu Identität und Anliegen der Gegner auf dieser Basis legitimieren können muss. Dabei ist jeweils der Sachgehalt der paulinischen Informationen zu prüfen, nicht zuletzt ausgehend von der Frage, inwieweit deren Auswahl und Darstellung den Absichten des Paulus folgt. Daneben sind in zweiter Linie aber auch textexterne Überlegungen nötig, etwa Puzzleteile, die mögliche (!) historische Hintergründe der gegnerischen Position identifizieren könnten.504 Schließlich ist zu prüfen, welche Teile sich wie zusammenfügen lassen, wobei auch verschiedene Vorschlägen der Forschungsdiskussion in den Blick zu nehmen sind. Zu den „Indizien“ im Brief, die auf die Gegner hinweisen, zählen zunächst die Aussagen über ihr Handeln, die durchweg deutlich (ab)wertend sind: Sie verwirren die Galater (1,7; 5,10) und wollen das Evangelium verkehren (1,7), sie haben sie behext (3,1), sie eifern um sie nicht in guter Weise, sondern wollen sie faktisch ausschließen (4,17), sie hindern sie, der Wahrheit zu folgen (5,7), ja sie hetzen sie auf (5,12). Auch der Eindruck, dass die im Lasterkatalog 5,19–21 aufgezählten „Werke des Fleisches“ die Gegner charakterisieren, dürfte durchaus im Sinne des Paulus sein, wie nicht zuletzt die im Kontext der Paränese wieder aufgenommene Antithese von Geist und Fleisch aus 3,3 zeigt, und auch die Kritik an Selbstgerechtigkeit und Ruhm im Blick auf andere in 6,3f. ist an ihre Adresse gerichtet. Diese Bezüge unterstreicht jedenfalls die abschließende scharfe Kritik an den Gegnern in 6,12f., die nun deren durchgängig negative Zeichnung explizit mit der Beschneidungsforderung verbindet. 6,12 verbindet die galatischen Gegner über das Verb „nötigen“ (das sich auch als „zwingen“ verstehen lässt) überdies mit der Darstellung der „ein502

Ebd., 373. Ebd., 374. Zur Ablehnung eines Verzichts auf die Frage nach den Gegnern vgl. ebd., 372. 504 Dies lassen einige Vorschläge zur Identifizierung der Gegner vermissen, wodurch der Eindruck entsteht, als ginge es nur um theologische Fragen um ihrer selbst willen. So stellt z.B. Söding, Gegner, 134, fest, die Forschung habe sich „auf traditions- und religionsgeschichtliche Fragen konzentriert“, bleibt aber auch selbst weitgehend im Rahmen einer Rekonstruktion der Theologie der Gegner. 503

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gedrungenen falschen Geschwister“ (2,4) in Jerusalem, die Titus wohl gerne zur Beschneidung „genötigt“ hätten (2,3), und der Gruppe der Juden, die in Antiochia die schon vollzogene Tischgemeinschaft mit den nichtjüdischen Glaubensgeschwistern wieder aufkündigten und so nach Meinung des Paulus diese „nötigten“, „zu judaisieren“ (2,14). So sind die Darstellungen von Apostelkonvent und Antiochenischem Konflikt in Gal 2 deutlich transparent für die Gegner in Galatien und deren Anliegen. Aus alledem aber spricht deutlich das Anliegen des Paulus, die Gegner zu diskreditieren, anders gesagt: Diese Hinweise zeigen, dass die Gegner in der Perspektive des Paulus Gegner sind, sie können wohl auch darauf hinweisen, was Paulus ihnen vorwirft, aber ein klares Gesamtbild von den Anliegen der Gegner (über die Beschneidungsforderung hinaus) lässt sich daraus noch nicht gewinnen. Eine zweite Gruppe von Hinweisen auf die Gegner sind Aussagen, die den Eindruck erwecken, als würde sich Paulus gegen Vorwürfe verteidigen, die im Kontext von Diskussionen in Galatien zur Infragestellung paulinischer Positionen gedient haben könnten. Solche dürften z.B. hinter zwei Fragen stehen: Will Paulus „Menschen überreden“ bzw. ihnen „zu Gefallen … sein“ (1,10)? Verkündet er selbst noch (bzw. verkündete er früher selbst) die Beschneidung (5,11)? Ohne Aufnahme in solchen direkten Fragen scheint auch hinter der Betonung zu stehen, dass die Autorität des paulinischen Evangeliums auf Gott selbst zurückgeht und nicht von menschlichen Instanzen abgeleitet ist (vgl. 1,1.11f.15–20). Auf jeden Fall ist die Annahme plausibel, dass die Gegner die Geltung des Apostels in Frage stellten. Hierzu könnten sie hingewiesen haben auf eine fehlende Autorisierung seiner Mission durch gemeindliche Instanzen, z.B. die Urgemeinde in Jerusalem, was dann auch erklären würde, warum Paulus den dortigen Apostelkonvent v.a. als feierliche Anerkennung seines Auftrags und Evangeliums beschreibt (2,2.7–9) statt als Klärung der dort verhandelten Sachfragen. In allen diesen Punkten ist aber nicht deutlich, ob die Kritik an Paulus sozusagen zum Programm der Gegner gehört – dann wären sie auch ihrem Selbstverständnis nach nicht zuletzt Pauluskritiker bzw. -gegner –, oder ob sie im Kontext ihrer Auseinandersetzung mit Reaktionen der galatischen Gemeindeglieder auf ihre inhaltlichen Anliegen entstand. So wäre z.B. denkbar, dass sie zunächst positiv auf ein eigenes Mandat (wenn sie denn ein solches hatten) aus Jerusalemer Kreisen hingewiesen haben und dann erst zur Verteidigung ihrer Forderungen in Frage gestellt hätten, ob denn Paulus überhaupt in gleicher Weise autorisiert sei wie sie. Diese „Puzzleteile“ bilden also wichtige Anschlussstellen für die Diskussion möglicher historischer Hintergründe.

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Eine dritte Linie lässt sich schließlich im Rückschluss aus der paulinischen Argumentation erarbeiten. Das argumentative Ziel des Paulus ist recht klar, aber nicht jeder von ihm diskutierte Begriff und nicht jeder Schriftbezug lässt sich aus diesem heraus unmittelbar als naheliegende Wahl erklären. Wo das nicht der Fall ist, liegt die Annahme nahe, dass der Apostel sich mit Schlagworten und Argumenten der Gegner auseinandersetzt. So dürfte die Opposition von „Werken des Gesetzes“ und „Glaube an Jesus Christus“ in 2,16 in diese Auseinandersetzung gehören, wie v.a. die Aufnahme dieser Entgegensetzung in 3,2.5 zeigt. Deutlich ist funktioniert auch der Verweis auf Abraham (3,6–29) auf der Ebene der Genesis eher als Argument für die Beschneidung (Gen 17) – nicht zuletzt die erkennbare Gewolltheit oder sagen wir ruhig Gewaltsamkeit der Sara-Hagar-Typologie in 4,21–5,1 lässt sich kaum verstehen ohne die Annahme, dass Paulus hier den Gegnern ein Kernargument entwinden will. Ähnliches gilt für das Leitthema Gesetz: Es wäre schon überraschend, wenn Paulus selbst (ohne eine entsprechende Vorgabe in der Verkündigung der Gegner) für seine Argumentation auf den Gedanken aus Lev 18,5 zurückgegriffen hätte, dass leben wird, wer das Gesetz tut (3,12), und auch im Weiteren ist durchgängig das Bemühen greifbar, die Geltung des immerhin nach dem Pentateuch von Gott gegebenen „Gesetzes“ so zu erklären, dass sie nicht nur kompatibel ist mit dem von Paulus verkündeten Evangelium, sondern dieses geradezu stützt. Kurz: Dass Paulus sein eigenes Thema, das Evangelium von Christus, im Gegenüber zum Gesetz entfaltet, ist wohl ein Hinweis darauf, dass seine Gegner damit argumentieren. Wenn der Apostel sich an tragenden Stellen seiner Argumentation auf Christus beruft (vgl. exemplarisch 5,6), darf daraus aber nicht der Umkehrschluss gezogen werden, Christus wäre für die Gegner nicht wichtig – jedenfalls für die Galater scheint die angebotene neue Orientierung kein Widerspruch zum Glauben an Christus zu sein (5,2). Die Gegner interpretieren den Christusbezug aber sicher anders, wohl jüdischer, d.h. im Rahmen des Bundes Gottes mit Israel, und gesetzestreuer, wie sich hinter einer weiteren Frage greifen lässt: Wäre nicht „Christus ein Diener der Sünde“ (2,17), wenn in seinem Namen Bund und Gesetz Gottes missachtet wird? Diese Hinweise führen also näher an die theologische Argumentation und damit wohl auch an die Anliegen der Gegner heran: Abraham und der Bund mit dem Zeichen der Beschneidung waren ihnen wichtig, das Gesetz und nicht zuletzt die „Werke des Gesetzes“ – zu den anderen Indizien würde es jedenfalls gut passen, darunter im Sinne der „New Perspective on Paul“505 Beschneidung, Speise- und Sabbatgebote zu verstehen. Methodisch ist freilich schwer oder gar 505

Vgl. dazu den Exkurs oben, 57ff.

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nicht zu entscheiden, ob Paulus diese Argumentationen ad hoc entwickelt oder in früheren Auseinandersetzungen bzw. eigenen Überlegungen gewonnen hat, z.T. wird auch eine Anlehnung etwa an antiochenische Traditionen diskutiert. Im ersteren Fall wäre die Annahme plausibel, dass die Ausführungen des Briefs recht nah an die Argumente der Gegner heranführen, im letzteren wäre auch denkbar, dass Paulus die Gegner z.T. nach Mustern einsortiert, die sie nicht wirklich treffen – die Frage, ob Paulus die Gegner überhaupt richtig versteht, ist auch deshalb schwierig zu beantworten, weil der Galaterbrief nicht zu erkennen gibt, aus welchen Quellen und wie umfänglich Paulus aus Galatien informiert ist. Neben diesen Bezügen, die sich aus dem Galaterbrief erheben lassen, werden immer wieder Auseinandersetzungen mit Gegnern in anderen Paulusbriefen, besonders dem Philipperbrief (Phil 3,2–21), aber auch der Korintherkorrespondenz (v.a. 2. Kor 10–13) herangezogen; zuletzt schlug Theißen die Annahme einer nicht unbedingt personell, wohl aber in der Intention einheitlichen judaistisch-judenchristlichen Gegnerschaft in den paulinischen Gemeinden vor.506 Ein solcher Zusammenhang ist zwar grundsätzlich denkbar, aber keineswegs zwingend, zumal die Möglichkeit, dass Paulus auf bestimmte Muster zurückschließen und daher in seiner Auseinandersetzung mit Gegnern Missverständnissen unterliegen könnte, hier besonders in Betracht zu ziehen ist: Mögliche Unterschiede zwischen verschiedenen Gegnern dürften durch ihre Bekämpfung durch denselben Apostel eher verwischt als akzentuiert werden. Daher werden Bezüge auf andere Paulusbriefe im Folgenden methodisch ausgeklammert. Als weitere „Puzzleteile“ sind mögliche historische Hintergründe der galatischen Diskussionslage in den Blick zu nehmen. In der Diskussion begegnen v.a. zwei Perspektiven, die einander auch ergänzt bzw. verstärkt haben könnten. Es geht zum einen um die Religionspolitik des Kaisers Claudius (41–54), zum anderen um das Erstarken der zelotischen Bewegung in Jerusalem und Judäa im Vorfeld des 66 n. Chr. ausbrechenden Aufstands gegen Rom („Jüdischer Krieg“). Von Kaiser Claudius wird berichtet, dass er nach einem schweren Konflikt zwischen Juden und Griechen in Alexandrien „zur Wiederherstellung des religiösen Friedens alle Gruppen darauf [verpflichtete], unbedingt bei ihren Traditionen zu bleiben“.507 Eine ähnliche Maßgabe könnte derselbe Kaiser 49 n. Chr. verfügt haben, als er „die 506

Vgl. Theißen, Gegenmission. Er sieht dabei die Linie zwischen Galatien und Philippi als deutlicher – in Korinth sei ein „gradmäßiger Unterschied“ zu konstatieren, der aber „aus lokalen Gegebenheiten“ wie der anderen Rechtsstellung und Geschichte der korinthischen Gemeinde erklärbar sei (ebd., 296). 507 Ebd., 284. Vgl. Riesner, Frühzeit, 87–90; auch seine weitere Darstellung der „Religionspolitik des Claudius“, ebd., 79–95.

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Juden, die aufgehetzt von Chrestus fortwährend Unruhe verbreiteten, aus Rom vertrieb“.508 Viele Exegeten erkennen in diesem „Chrestus“ Christus; Theißen versteht auf dieser Linie die Unruhen in der stadtrömischen Judenschaft als „Fernwirkung“ der Entscheidung des Jerusalemer Apostelkonvents, Nichtjuden ohne Beschneidung in die Gemeinde aufzunehmen.509 Aber auch wenn diese Verknüpfung mit dem Apostelkonvent nicht zutrifft, ist die Vermutung plausibel, dass die jüdischen Gemeinden im römischen Reich nach dieser Verfügung des Kaisers besonders darauf bedacht waren, nicht als Unruheherd zu erscheinen. Dies könnte zu einer deutlicheren Abgrenzung der Juden zu den christusgläubigen Gemeinden geführt haben – und damit umgekehrt Judenchristen dazu veranlasst haben, die Nichtjuden unter den Gläubigen aus dem Interesse an einer Konfliktvermeidung heraus zu einer freiwilligen Übernahme von Beschneidung und Speisegeboten zu bewegen (die der Apostelkonvent von ihnen zwar nicht forderte, ihnen damit aber auch nicht untersagt hat).510 Ein anderer möglicher historischer Kontext ist der Konformitätsdruck, den die erstarkende zelotische Bewegung auf die Jerusalemer Urgemeinde ausübte: Im Vorfeld des 66 n. Chr. ausbrechenden Jüdischen Kriegs gewannen radikale Kreise zunehmend Einfluss und drängten auf Geschlossenheit und Unterstützung.511 Dabei ging der Radius entsprechender Aktivitäten offenbar über das jüdische Kernland hinaus,512 so dass auf dieser Ebene auch eine direkte jüdische (also nicht judenchristliche) Intervention in den galatischen Gemein508

So die Notiz zum sog. Claudius-Edikt beim römischen Geschichtsschreiber Sueton, Claudius 25,4: „Iudaeos impulsore Chresto assidue tumultuantes Roma expulit“ (zit. nach Barclay, Diaspora, 213). 509 Theißen, Gegenmission, 284; ders., Religion, 300; auch Riesner, Frühzeit, 179, hält einen solchen Zusammenhang für denkbar. Allerdings ist die Deutung der Notiz bei Sueton auf „Christus“ ebenso wenig unumstritten wie dessen Datierung auf 49 n. Chr., in ausführlicher Diskussion der Quellen verteidigt er ebd., 139–180, genau wie Alvarez Cineira, Religionspolitik, 201–210, beides; anders votiert z.B. Barclay, Diaspora, 213. 510 So Theißen, Gegenmission, 285f.; ders., Religion, 300f. Sofern Apg 13,50; 14,2.4f.19 historische Erinnerungen bewahren, wären solche Perspektiven auch in den südgalatischen Gemeinden plausibel. 511 Vgl. z.B. Löning, Galaterbrief, 137; Riesner, Frühzeit, 90–93. Besonders ausführlich beschreibt eine entsprechende These Wander, Gegner, 58–68, wobei seine Zuordnung des paulinischen Geschicks auf der Kollektenreise (Verhaftung, Hinterhalt) zu zelotischen Aktivitäten wohl nicht zwingend ist (das stärkste Argument hierfür ist der Hinweis ebd., 59, auf die Furcht des Apostels vor den „Ungläubigen in Judäa“, Röm 15,31). Umgekehrt gilt freilich auch: Falls er ebd., 58, zu Recht den Ausdruck „Eiferer des Gesetzes“ (ζηλωταὶ τοῦ νόμου) in Apg 21,20 auf „Zeloten“ (ζηλωταί) bezieht, wäre auch über „Eiferer“ in Gal 1,14 (und Apg 22,3?) sowie „eifern“ in Gal 4,17 noch einmal neu nachzudenken. 512 Einige Belege hierfür aus Josephus werden referiert ebd., 60f.63–67.

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den denkbar wäre. Plausibler ist aber die Annahme, dass der zelotische Druck auf die Jerusalemer Gemeinde aus dieser heraus – mit Mandat der Gemeindeleitung oder in Eigeninitiative – Anstrengungen entstehen ließ, unbeschnittene Christusgläubige auch an anderen Orten zu einem klaren Bekenntnis zum Judentum zu bewegen. Dies wäre vor allem dann plausibel, wenn schon die Verfolgung unter Agrippa I. mit dem Martyrium des Zebedaiden Jakobus (41 oder 42 n. Chr.; vgl. Apg 12,1f.) im Kontext von Auseinandersetzungen um judenchristliche Heidenmission zu sehen wäre und auch die Thematik des Apostelkonvents 49 n. Chr. mit dem wachsenden Einfluss zelotischer Kreise zusammen hinge:513 Die paulinische Linie von den „eingedrungenen falschen Geschwistern“ (2,4) zu den Vorgängen in Galatien könnte dann hier ihren konkreten Hintergrund haben. Entsprechende Aktivitäten judenchristlicher Kreise passen jedenfalls besser zum Befund im Galaterbrief, schlagend ist dabei Gal 6,12: Wieso sollten jüdische (nicht judenchristliche) Aktivisten „wegen des Kreuzes Christi verfolgt werden“? Aber auch sonst entsteht nirgends der Eindruck, als werde der Glaube an Christus von den Gegnern nicht geteilt (sie verkünden auch ein „Evangelium“, Gal 1,6–9), und die betonte Auseinandersetzung mit Jerusalem und der dortigen Gemeindeleitung weist eher nicht auf einen jüdischen Hintergrund der Gegner. Grundsätzlich stellen die beiden diskutierten historischen Kontexte – also die durch das Claudius-Edikt entstandene Sorge um die Stellung vor Ort und der zelotische Druck auf ein klares Bekenntnis zum Judentum – nicht zwingend alternative Erklärungen dar; es ist im Gegenteil gut denkbar, dass sie sich gegenseitig verstärkt haben.514 Wie passt nun das Puzzle zusammen? Theißen rekonstruiert ausgehend von den Folgewirkungen des Claudius-Edikts eine Gruppe, die sich nicht als Gegner des Paulus versteht, sondern seine Mission anerkennt und an seine Botschaft anknüpft.515 Sie lege den Galatern nahe, ihren Glauben an Christus als Zugehörigkeit zu Gott durch die Beschneidung zu vervollkommnen (vgl. 3,3, wo Theißen „vollenden“ übersetzt)516 und werbe damit, dass diese nicht das ganze Gesetz er513

Solche Zusammenhänge hält Riesner, Frühzeit, 109f.248f., für wahrscheinlich. Zur Verfolgung unter Agrippa I. ähnlich Koch, Geschichte, 191f.; zum Anlass des Apostelkonvents verweist er ebd., 227, aber auf die „innere Entwicklung“ der Jerusalemer Gemeinde, die z.Zt. des Konvents „einen konservativen Flügel“ gehabt habe. 514 Dies vertritt z.B. Schnelle, Paulus, 164–168.299. 515 Vgl. Theißen, Gegenmission, 286–288; ders., Religion, 302f. 516 Das Verb ἐπιτελεῖσθαι verwendet Paulus sonst für das Ausführen/Zuendebringen einer begonnenen Sache, auch ohne besonderen Bezug auf eine geistliche Vollendung (so 2. Kor 8,6.11; Röm 15; anders 2. Kor 7,1 (allerdings sind Herkunft und paulinische Verfasserschaft von 2. Kor 6,14–7,1 umstritten) und Phil 1,6). An keiner dieser Stellen ist etwas „zweistufiges“ erkennbar, so dass denkbar ist, dass Paulus in Gal 3,3 das Verb selbst einführt, um die Abstrusität der Idee zu unterstreichen. Daher bin

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füllen (vgl. 5,3), sondern nur Beschneidung und Speisegebote beachten müssten. 5,11; 6,12 zeige, dass es ihnen dabei nicht zuletzt um Konfliktvermeidung ging. „Man sollte den ‚Gegnern‘ des Paulus daher integre Motive zuschreiben. Frieden zwischen religiösen Gruppen ist ein hohes Gut. Der von den Gegenmissionaren angestrebte Frieden würde Christen und Juden zugute kommen.“517 Vieles an diesem Bild ist bedenkenswert, nicht zuletzt ist es sicher berechtigt, ein positives Selbstverständnis der Gegner zu skizzieren. Dennoch sehe ich erhebliche Probleme in dieser Rekonstruktion. Schwierig ist nicht nur, dass Paulus nun derjenige sein soll, der den galatischen Konflikt eigentlich erst zu einem solchen macht, damit auch den angestrebten Frieden verunmöglicht und seine „mit Schmerzen“ geborenen Kinder (4,19) auf diese Weise in eine politisch heikle Position manövrieren würde. Das größte Problem dieser Auslegung besteht darin, dass Theißen die Aussagen über die Verfolgung in 5,11; 6,12 auf Anfeindungen durch das heidnische Umfeld oder Maßnahmen römischer Behörden beziehen muss, die zwar nach dem Claudius-Edikt nicht undenkbar sind, aber für die fragliche Region nicht nachgewiesen sind.518 Innerhalb des Galaterbriefs wird ein solches Verständnis zudem in keiner Weise nahegelegt, im Gegenteil: Die Verwendung des Verbs „verfolgen“ für die paulinische Vergangenheit in 1,13.23 markiert eine innerjüdische Konfliktkonstellation und auch 4,29 verlangt die Annahme einer Verfolgung durch Juden (oder Judenchristen). Hinzu kommt, dass nun wirklich nichts darauf hindeutet, dass in 5,11 und 6,12 eine Bedrohung der Gemeinden im Blick sei, beide Verse thematisieren vielmehr deutlich die Verfolgung von Missionaren, die das Kreuz Christi verkündigen. Wenn hierfür ein spezieller historischer Hintergrund gesucht werden soll, bieten sich der Druck zelotischer Kreise auf eine Konformität des Judentums und seine Folgewirkungen auf die Jerusalemer Gemeinde an – was ich gegenüber Theißens Rückschluss auf einen Vervollkommnungsgedanken der Gegner skeptisch, auch wenn evtl. Phil 3,15 als weiterer Beleg in Frage kommt. 517 Theißen, Gegenmission, 294f. (bezogen auf die Gegner in Galatien und Philippi). 518 Ebd., 285 Anm. 22, verweist für Belege auf Alvarez Cineira, Religionspolitik, der diese These entwickelt hat. Abgesehen von einer Diskussion von Apg 17,6f. und 2. Thess 2,14–16 im Blick auf die Situation in Thessaloniki (ebd., 260–290) weist diese Studie aber, soweit ich sehe, keinen einzigen Beleg für ihre These vor, dass das Judentum die christlichen Gemeinden ausgrenzte und diese ihrerseits mit einer stärkeren Annäherung an das Judentum reagierten. Dass das Claudiusedikt „Auslöser der christlichen antipaulinischen Mission“ (ebd., 291; vgl. 291–340) geworden sei, ist so eine reine Hypothese; es ist erstaunlich, wie sicher sie auch gegen das Zeugnis der Texte vorgetragen wird – z.B. wird das Problem, dass der Galaterbrief so gar nichts von einer beabsichtigten politischen Schutzwirkung der Beschneidung erkennen lässt, ebd., 315.422, so „gelöst“, dass eine bewusste Verschleierung dieser Absicht durch eine sekundär entwickelte theologische Argumentation unterstellt wird.

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auch zu beiden Darstellungen des Apostelkonvents passt, in denen jeweils Gruppen mit der Forderung der Beschneidung aller Gläubigen auftreten (Gal 2,4; Apg 15,1.5).519 Wenn die Gegner des Paulus aber in solchen Kreisen zu suchen wären, hätten sie von vornherein eine kritische Einstellung gegenüber der paulinischen Mission: Sie wollten nicht einfach nur weiterführen, sondern durchaus korrigieren.520 Die Gegnerschaft zu Paulus ist dabei freilich kaum zentral, sondern dürfte ihrer Grundorientierung entspringen. Deren Rekonstruktion muss sich auf die erkennbaren Hinweise auf theologische Argumentationen der Gegner stützen, sie bleibt dabei notwendig hypothetisch. Ein Beispiel: Söding schließt aus der Verbindung von Beachtung jüdischer Festzeiten und Dienst an den Weltelementen in 4,9f. auf eine entsprechende synkretistische Perspektive bei den Gegnern (die er nicht zuletzt deshalb als hellenistische Judenchristen identifiziert), während ich dies schlicht als polemische Spitze des Paulus begreifen würde521 – beide Ansichten erscheinen grundsätzlich vertretbar. Methodisch erscheint es mir daher sicherer, nicht aus einzelnen, verschieden verstehbaren Stellen ein möglichst detailliertes Bild zu konstruieren, sondern sich damit zu begnügen, relativ klar erkennbare Leitfragen und -themen zu einer gröberen Skizze der gegnerischen Sichtweise zu ordnen. Auch so ergibt sich aber einiges. Im Zentrum dürfte für sie Gott und sein Bund mit Israel, damit auch das Gesetz stehen. Das Christusereignis so zu verstehen, dass es diesen Grundrahmen verändern oder gar unnötig machen könnte, kommt für sie nicht in Frage. Auch wenn sie Paulus zustimmen, dass mit Christus, zumal seiner Auferstehung die Erfüllung eschatologischer Erwartungen beginnt, lässt sich das problemlos denken. So wird etwa in Jesaja 2,3 erwartet, dass die Nichtjuden in diesen Tagen zum Jerusalemer Tempel (!) strömen, um dort Gottes „Gesetz“ (!) und Wort zu hören. Ähnlich dürften die Gegner Abraham und die ihm gegebene Verheißung für „alle Völker“ (Gen 12,3; 18,18; 22,18) und seine feierliche Umbenennung in Abraham als „Vater vieler Völker“ (Gen 17,4) verstanden haben – ist diese doch gerade mit dem Bund verbunden, als dessen Zeichen die Beschneidung gilt (Gen 17,10–14), und keinesfalls eine Alternative zu diesem Bund. So dürften die Gegner wirklich offen gewesen sein für die Aufnahme von Nichtjuden, aber eben als 519

Ebd., 302f., fragt Alvarez Cineira, ob bei der Annahme einer solchen Konstellation der Apostelkonvent nicht ein anderes Ergebnis hätte haben müssen. Es ist aber gut denkbar, dass der Druck in der Folgezeit zugenommen hat, u.U. auch als Reaktion auf die nunmehr systematisch und planvoll erfolgende paulinische Heidenmission. 520 Dies akzentuiert z.B. Söding, Gegner, 144: „Ihre theologischen Positionen machen die … Nomisten zu überzeugten Gegnern des Apostels. Ihre Mission in Galatien ist ein Feldzug gegen Paulus“. 521 Vgl. ebd., 140f.144f.; zu meiner Auslegung von Gal 4,9f. oben, 100f.

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eine Aufnahme ins Judentum und nicht in eine die Unterscheidung von Juden und Nichtjuden und damit Bund und Gesetz aufhebende neue Gemeinschaft. Ganz offenbar konnten sie für solche oder ähnliche Orientierungen Argumente vorbringen, die bei den Galatern auf Gehör stießen – sei es, weil ihr Christusglaube auf diese Weise auch das in der Antike geschätzte Siegel altbewährter Überlieferung erhielt, sei es weil der Schutz der Gemeinden und die Anerkennung der neuen religiösen Orientierung durch die Umwelt im Rahmen der anerkannten Synagogengemeinden eher gegeben schien.522 Ob die Gegner auf Perspektiven wie den Gewinn an Rechtssicherheit gegenüber den römischen Behörden oder die Entlastung der Jerusalemer Urgemeinde von zelotischem Druck direkt hingewiesen haben, lässt sich nicht entscheiden. Gal 6,12 könnte auf letzteres hindeuten, doch muss auch dieser Vers nicht die Argumentation der Gegner spiegeln, sondern könnte ebenso gut als paulinische Spitze die Situation in Jerusalem als eigentlichen Grund ihrer Forderungen erklären, um die Schriftargumentation der Gegner zusätzlich in Frage zu stellen. Ebenso muss wohl offen bleiben, ob die Gegner die Beschneidung geradezu als heilsnotwendig forderten oder sie „nur“ unter Hinweis auf Abrahambund und Gesetz Gottes dringlich nahelegten, so dass es die paulinische Diagnose wäre, dass dadurch die Vollgültigkeit des Christusglaubens faktisch eingeschränkt werde. Erst recht bleiben viele Fragen am Rand der so beschriebenen Anschauung offen, u.a. die schon angesprochenen Vorschläge, aus 3,3 (Vervollkommnung) und 4,9f. (Verbindung von jüdischem Kalender und Elementenfrömmigkeit) auf Überzeugungen der Gegner zu schließen. Es ergibt sich aber ein genügend klares und im Kontext des frühen Christentums absolut denkbares Profil, das z.B. sehr nah bei den Kreisen stehen dürfte, in denen später das Matthäusevangelium entsteht.523 Nach diesen Überlegungen zum theologischen Profil der Gegner kann schließlich gefragt werden, ob sich genaueres zu ihrer Identität und Herkunft sagen lässt. Klar ist zunächst, dass sie Juden sind, also Beschnittene, was Proselyten nicht ausschließt.524 Kaum sinnvoll zu bestreiten ist des Weiteren die Annahme, dass es sich um Judenchristen handelt (vgl. nur 6,12).525 Aber woher kommen sie? Breytenbach meint, sie als Judenchristen aus den galatischen Gemeinden verstehen zu müssen, da das Bemühen um Integration der Heidenchristen in die Synagoge unverständlich sei, „wenn es nicht im Umfeld der jüdi522

Vgl. zu einer Diskussion dieser Perspektiven auch ebd., 148f.; zu den Privilegion des Judentums im Römischen Reich Alvarez Cineira, Religionspolitik, 165–170. 523 Vgl. Luz, EKK I/1, 92f. 524 Vgl. die entsprechenden Überlegungen zu Gal 6,13 oben, 143. 525 Der Streit geht nirgends um die Anerkennung Christi, sondern um seine Bedeutung und die des Gesetzes im Kontext des Glaubens an Christus.

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schen Gemeinschaft geschah“.526 Das ist aber keineswegs zwingend, wenn die deutlichen Bezüge des Galaterbriefs vor allem auf die Jerusalemer, aber auch auf die Antiochener Gemeinde bedacht werden: Ist hier so etwas wie eine überörtliche Zusammengehörigkeit der christusgläubigen Gemeinden gedacht, so kann diese ebenso gut den Kontext für eine Integrationsbemühung bilden, auch in örtliche Synagogengemeinden, damit aber eben allgemein in das Judentum. Zu dieser Sicht würden von außen kommende Gegner passen, wofür auch die Beschreibungen der wohl als transparent für die galatischen Gegner verstandenen „falschen Geschwister“ beim Apostelkonvent Anhaltspunkte bieten: Sie sind „eingedrungen“ bzw. haben sich „eingeschlichen“ (Gal 2,4). Allerdings sind das bestenfalls schwache Indizien, zumal Paulus durch diese Darstellung ebenso wie mit der durchgängigen Differenzierung zwischen den Galatern und den Gegnern offenbar eine Distanzierung erreichen will.527 Gut möglich ist angesichts der intensiven und in den Paulusbriefen so nur hier zu findenden Auseinandersetzung mit der dortigen Gemeinde, dass sich die Gegner auf Jerusalem beriefen. Dabei ist aber nicht die Annahme nötig, dass die Jerusalemer Gemeinde als Ganze auf Distanz zu Paulus gegangen sei, auch für Jakobus als Gemeindeleiter muss das nicht angenommen werden – die Auseinandersetzung in Antiochia führt Paulus nicht gegen die „von Jakobus“, Gal 2,12, sondern mit Petrus als Exponent der Gruppe, die vor deren Ankunft mit den Heidenchristen Tischgemeinschaft gepflegt hatten. Die Gegner müssen kein förmliches Mandat der Jerusalem Gemeinde haben (und sei es wie bei Saulus nach Apg 9,1f. ein in eigener Initiative erbetenes), ja nicht einmal dorther kommen.528 Anzunehmen ist aber, dass sie der Gemeinde in Jerusalem eine besondere Geltung einräumen und der Meinung sind, sich für ihre Verkündigung zu Recht auf Jerusalemer Kreise und Praxis berufen zu können. Erwähnt sei aber auch die Möglichkeit, die Auseinandersetzung mit Jerusalem aus der Perspektive des Paulus zu erklären, der Röm 15,31 Sorge im Blick auf die dort geplante Übergabe der Kollekte äußert. Und vor allem bei einer Datierung des Galaterbriefs nach der Verhaftung des Paulus beim Versuch der Übergabe der Kollekte wäre die heftige Abrechnung mit Jerusalem in 4,21–5,1 auch zu verstehen, wenn die Gegner in Galatien gar nichts mit der dortigen Urgemeinde zu tun hätte. 526 Breytenbach, Paulus, 143. Diese Sicht scheint ebd., 144–148, nicht ganz über den Verdacht erhaben, v.a. als weiteres Argument für die Begründung der provinzgalatischen These dienen zu sollen. 527 Dazu stimmt, dass beide in Gal 2,4 verwendeten griechischen Begriffe nach Bauer, Wörterbuch, Sp. 1262, eher das Unehrliche dieses Hereinkommens als die Herkunft von außerhalb akzentuieren. 528 Oft wird dies aber angenommen, vgl. z.B. Theobald, Galaterbrief, 358.

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Schwierig einzuschätzen ist die mögliche Beziehung der Gegner zu Antiochia am Orontes: Sind die galatischen Gemeinden mit den antiochenischen Gründungen im Süden der Provinz Galatien nach Apg 13f. identisch, wäre es nur natürlich, wenn neben Paulus auch Antiochia in den Gemeinden Einfluss geltend machen würde. Der Antiochenische Konflikt kreiste aber nicht um die in Galatien zentrale Beschneidungsfrage, sondern um die Tischgemeinschaft. Die dort gefundene Lösung dieser Frage – oder die Entstehung des Konflikts? – dürfte zusammenhängen mit der Anknüpfung an die Gebote für die Schutzbürger aus Lev 17f., die von Apg 15,29 als Ergebnis des Apostelkonvents (sog. Aposteldekret) überliefert werden und kaum die Zustimmung des Paulus gefunden haben.529 Wenn hier ein größerer Dissens zwischen Antiochia und Paulus entstanden und in dessen Konsequenz eine antipaulinische Mission aus Antiochia in die südgalatischen Gemeinden aufgebrochen wäre, müsste diese also auch die Vereinbarungen des Apostelkonvents anders bewertet haben als Paulus. Im Gefolge des Konflikts erscheint aber durchaus denkbar, dass eine solche Opposition in erster Linie von Kreisen getragen würde, die die Beschneidung zumindest empfehlen, was den Beschlüssen des Apostelkonvents ja nicht direkt zuwiderläuft. Zu klären wäre aber auch dann die Auseinandersetzung des Galaterbriefs mit Jerusalem – eine plausible Annahme wäre etwa eine antiochenische Aktion, die sich in sachlichem Einvernehmen mit Jerusalem weiß oder von einer Gruppe unter Jerusalemer Beteiligung getragen worden wäre. Auch die Überlegungen dieses Abschnitts sollen auf ihren Ertrag für das Verständnis des Galaterbriefs hin gebündelt werden. Deutlich ist, dass eine Klarheit über die Gegner im Sinne einer präzisen Beschreibung ihrer Theologie und Herkunft nicht erreichbar ist. Relativ sicher lassen sich aber Kernpositionen der Gegner rekonstruieren, so dass die Beschäftigung mit dem Galaterbrief auch mögliche Interessen und Anliegen der von Paulus bekämpften Partei positiv in den Blick nehmen kann. Hiermit ist in religionspädagogischer Perspektive Entscheidendes gewonnen: Das Gespräch des Galaterbriefs kann als Gespräch erkennbar werden und am Beispiel der hier verhandelten Fragen kann die Deutungsoffenheit und Deutungsbedürftigkeit der biblischen Tradition erkennbar werden. Das trägt dann aber keineswegs 529 Vgl. zur Diskussion des Zusammenhangs des sog. Aposteldekrets mit dem antiochenischen Konflikt z.B. Pratscher, Beitrag, 38–43, zur Ableitung des Dekrets aus Lev 17f. z.B. Avemarie, Wurzeln, 8–11. Letzterer lässt zwar den Zusammenhang mit dem Antiochenischen Konflikt ebenso offen (ebd., 30 und 28 Anm. 103) wie die Frage, ob Paulus das Dekret gekannt hat, begründet aber für diesen Fall die plausible Annahme, dass der Apostel dann zwar die Bestimmungen des Dekrets, nicht aber deren Begründung aus dem Gesetz akzeptiert hätte, vgl. ebd., 27–29, v.a. 29.

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nur zu einem besseren Verständnis des Galaterbriefs bei, sondern schärft den Blick auf die Bibel und die eminente Herausforderung der Beschreibung eines eigenen Selbstverständnisses, vor der das junge Christentum stand. Es musste seinen Weg finden zwischen einer Anknüpfung an die alttestamentlich-jüdische Tradition und der doch recht schnell erfolgten Öffnung für Nichtjuden. Wie ist die eschatologische Qualität des Christusgeschehens in diesem Bezugsfeld zu werten? Diese Frage ist keineswegs so leicht zu beantworten, wie es die Deutlichkeit der von Paulus im Galaterbrief gegebenen Antwort suggeriert. Um den Preis einer gewissen Typisierung lässt sich die Alternative vielleicht so auf den Punkt bringen: Die Gegner in Galatien lasen die Heilige Schrift und überlegten, wie in diesem Kontext Christus zu verstehen ist – Paulus ging aus von der Auferstehung des Gekreuzigten und fragte, wie in diesem Kontext die Heilige Schrift zu lesen ist. Die Antworten beider Gesprächspartner unterscheiden sich also nicht in einzelnen Akzenten, sondern im Ansatz; das empfindet Paulus wohl richtig, wenn er diagnostiziert, in Galatien werde ein „anderes Evangelium“ verkündigt (1,6). Die Beschäftigung mit dem Galaterbrief führt so aber geradewegs zu den Grundfragen nach der Basis einer christlichen Existenz und der Identität des Christentums. d) Die Datierung des Galaterbriefs Es liegt nach dem Bisherigen auf der Hand, dass auch die Frage, wann der Galaterbrief entstanden ist, umstritten ist. Das liegt nun aber nicht nur daran, dass ihre Beantwortung eine Kombination der möglichen Positionen zur Lokalisierung seiner Adressaten und Charakterisierung der Gegner erfordert, sondern auch an ihrem Zusammenhang mit der Rekonstruktion der Entwicklung des frühen Christentums und der Theologie des Paulus. Diese Perspektive lässt sich auch umkehren: Interessen an einer bestimmten Sicht der ersten Gemeinden und der theologischen Entwicklung des Apostels dürften Einfluss haben auf die Bereitschaft, dieses oder jenes Szenario für die Datierung des Galaterbriefs anzunehmen oder zu verwerfen. In der Diskussion verschiedener Hypothesen werde ich daher im Folgenden auch Aspekte des jeweils damit verbundenen Gesamtbilds skizzieren. Die Vorschläge zur Datierung des Galaterbriefs umfassen ein Zeitfenster von mehr als einem ganzen Jahrzehnt und nennen praktisch jede mögliche Position in der Abfolge der Paulusbriefe von der ersten bis zur letzten. Um das Feld zu strukturieren, beginne ich mit der einzigen paulinischen Bezugnahme auf „Galatien“ außerhalb des Galaterbriefs: 1. Kor 16,1 berichtet in unbesorgtem Tonfall über die dortigen Kollektenmaßnahmen. Es ist daher kaum anzunehmen, dass zur Zeit der Abfassung des 1. Korintherbriefs, die relativ unstrittig auf ca.

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54 n. Chr. bestimmt wird, die im Galaterbrief greifbare Kontroverse aktuell war. Damit gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Entweder ist die Krise schon überstanden oder sie ist noch nicht in Sicht. 1. Kor 16,1 teilt damit das Zeitfenster: Der Galaterbrief muss entweder deutlich vor oder einige Zeit nach dem 1. Korintherbrief geschrieben worden sein. Näheres aus einer Verknüpfung mit Gal 2,10 zu gewinnen, scheint schwierig: Die Annahme, dass nach diesem Vers die Sammlung zur Zeit der Abfassung des Galaterbriefs schon durchgeführt sein müsse, ist zwar plausibel, zwingend aber nur für Galatien selbst,530 wo dies durchaus vor dem Auftreten der Gegner bei dem Besuch des Paulus hätte geschehen sein können. Das früheste mögliche Datum hängt dabei auch von der Klärung der Adressatenfrage ab: Die südgalatische Hypothese erlaubt frühere Ansetzungen als die nordgalatische, da in diesem Fall die Gemeinden schon in den 40er Jahren gegründet worden wären, während eine Lokalisierung der Galater in der Landschaft die Annahme eines späteren Gründungsdatums, jedenfalls nach dem Apostelkonvent, evtl. erst in den 50er Jahren erfordert. Unter der Voraussetzung, dass die Adressaten in den Städten im Süden der Provinz Galatien zu suchen sind, ist eine Datierung des Galaterbriefs nach den Gal 2 beschriebenen Ereignissen möglich. Diese sind aber hinsichtlich Identifikation und Datierung nicht unumstritten. Zunächst ist Gal 2,1–10 zu diskutieren. Einige Forscher sehen hier nicht den Apostelkonvent (vgl. Apg 15), sondern einen früheren Besuch des Paulus in Jerusalem beschrieben (vgl. Apg 11,30), der dann etwa im Jahr 44/45 n. Chr. und also vor der antiochenischen Mission in den Städten im Süden der Provinz Galatien erfolgt wäre.531 Dies erklärt dann nicht nur die Nichterwähnung dieser südgalatischen Mission in Gal 1,21, sondern ermöglicht auch eine Frühdatierung des Galaterbriefs – als dann ersten Paulusbrief – noch vor dem Apostelkonvent (48 n. Chr.), da der Antiochenische Konflikt Gal 2,11–14 in diesem Fall mit dem Anstoß zu dem Konvent nach Apg 15,1f. identifi530 Anders Sänger, Adresse, 40: 2,10 verlange auch, dass die Kollektensammlung in Korinth nach 2. Kor 8f. wieder erfolgreich in Schwung geraten sei, weshalb der Gal nach 1.+2. Kor zu datieren sei. 531 Dies ist möglich, wenn die Berufung des Paulus auf 31/32 n. Chr. datiert wird und die Zeitangaben Gal 1,18; 2,1 jeweils von dort aus gerechnet (also nicht addiert) werden, vgl. Riesner, Frühzeit, 284f.; zur Datierung der Berufung ebd., 56–65; zur Hungersnot nach Apg 11,28 ebd., 111–121. Unter den neueren Befürwortern dieser Lösung findet sich auch Klinghardt, Aposteldekret, 96f., dessen Rekonstruktion eine „Abhängigkeit des Apg-Berichts von den biographischen Angaben der Paulusbriefe“ (ebd., 97) aufzeigen will. Weniger überzeugend ist der Vorschlag von Schäfer, Paulus, 162–167, die 14 Jahre aus Gal 2,1 auf einen Zeitraum der Wirksamkeit des Paulus in Antiochia zu beziehen, innerhalb dessen er nur einmal (zu einem nicht näher bestimmten Termin) in Jerusalem gewesen sei.

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ziert werden kann.532 So wird ein Gesamtbild möglich, in dem sich das Urchristentum früh auf eine beschneidungsfreie Heidenmission einigt und die Gefährdung dieser Linie durch die Gegner in Galatien in Jerusalem gebannt wird. Zugleich wäre damit eine frühe Ausprägung der paulinischen Rechtfertigungs- und Gesetzeslehre verbunden, die dann 10 Jahre vor dem Römerbrief schon in ihren Grundlinien ausgereift gewesen wäre.533 Insgesamt aber schafft die Identifikation von Gal 2,1–10 mit Apg 11,30 wohl mehr Probleme als sie löst: Warum sollte in Jerusalem beim Apostelkonvent ein Tatbestand verhandelt worden sein, über den nach Gal 2,6–9 bereits Einvernehmen zwischen den „Säulen“ und Antiochia geherrscht hätte? Wäre die heftige paulinische Kritik an Jerusalem in Gal 4,21–5,1 im Vorfeld einer dort anberaumten Klärung nicht ziemlich unklug? Kann das Verschweigen der Rolle des Barnabas bei der Gründung der galatischen Gemeinden bei dieser Datierung plausibel erklärt werden? Und wie verhält sich die Hypothese einer 48 n. Chr. erfolgten grundsätzlichen Klärung zu späteren Herausforderungen des Paulus durch judaisierende Gegner, wie sie etwa in Phil 3 oder im Zusammenhang der Kollektenreise nach Jerusalem erkennbar werden? Diesen Fragen gegenüber erscheint es mir wesentlich einfacher, die von Paulus nicht erwähnten Bestimmungen des sog. Aposteldekrets nach Apg 15,19f.28f. als eine spätere Entscheidung evtl. im Zusammenhang mit dem Antiochenischen Konflikt zu verstehen, die von der Apostelgeschichte in harmonisierender Absicht mit dem Apostelkonvent verbunden wurden. Daher halte ich mit der Mehrheit der Forscher an einer Identifikation der Ereignisse von Gal 2,1–10 und Apg 15 fest, die dann etwa auf das Jahr 48 n. Chr. zu datieren wären. Der Antiochenische Konflikt nach Gal 2,11–14 ist schwerer zu datieren, zumal Paulus hier (anders als in Gal 1,18; 2,1) keine Zeitangabe nennt. Klar dürfte sein, dass die Szene nach Gal 2,1–10 spielt, also unter der hier favorisierten Zuordnung: nach dem Apostelkonvent.534 Soll sie dem Bericht der Apostelgeschichte zugeordnet werden, kommen dort zwei Gelegenheiten in Frage, zu denen Paulus in Antiochia ist: vor dem Aufbruch zur sog. 2. Missionsreise (Apg 15,36–40) oder etwa 3 Jahre später zwischen der 2. und 3. Missionsreise (Apg 18,22). Meist wird angenommen, dass sich der Antiochenische Konflikt in kurzem zeitlichen Abstand vom Apostelkonvent ereignete, etwa mit der Begründung, dass der dort unterlegene konservative Teil der Gemeinde sich nun bewusster um die Wahrung der eigenen ju532 Dies ist die Position z.B. von Longenecker, WBC 41, lxxxii: der Gal sei „on the eve of the Jerusalem Council“ geschrieben worden; vgl. ebd., lxxii–lxxxviii. 533 Zur Debatte um die Entwicklung der paulinischen Theologie vgl. u.a. Schnelle, Wandlungen, hier besonders 49–61. 534 Vgl. dazu oben, Anm. 144.

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denchristlichen Identität bemühte und auch außerhalb Jerusalems entsprechende Regelungen verteidigen oder durchsetzen wollte.535 Dabei wäre die Annahme durchaus plausibel, dass der Antiochenische Konflikt zugleich den Anstoß für die gegnerische Missionsarbeit in den paulinischen Gemeinden bildete. Trifft dies zu, so würde sich unter Zugrundelegung der südgalatischen Hypothese das Zeitfenster für den Galaterbrief Ende der 40er Jahre öffnen: Paulus wäre noch einmal in den Gemeinden gewesen (Apg 16,1–5) und auf seinen Spuren wären die Gegner gekommen, die vielleicht veranlasst durch den Konflikt in Antiochia handelten. Aber auch bei der Annahme der Landschaftshypothese ist nach der Gründung der Gemeinden, die nach Apg 16,6 früh auf der 2. Missionsreise erfolgt sein könnte, dasselbe Szenario denkbar. So argumentieren z.B. Dunn und de Boer für ein Entstehen des Galaterbriefs im Jahr 50 oder 51 n. Chr.536 Eine etwas andere Sicht ergibt sich aus der zuletzt von Konradt vorgetragenen Datierung des Antiochenischen Streit mit Apg 18,22f. auf das Jahr 52 n. Chr. Er bringt dafür beachtliche Gründe vor, die kurz referiert werden sollen, weil sie wichtige Beiträge zur Rekonstruktion der Dynamik des Geschehens darstellen:537 Es sei wenig glaubhaft, dass die Apostelgeschichte den Streit um die Personalie Johannes Markus (Apg 15,37–39) erfinde, nur um eine in Wahrheit theologische Auseinandersetzung zu entschärfen; bei einer solchen Absicht wäre es naheliegender, den Streit schlicht zu verschweigen, was eben in Apg 18,22f. der Fall sein könne. Auch sei es schon wegen des Verlaufs des Antiochenischen Konflikts und der offenbar engen Anbindung Antiochias an Jerusalem problematisch, für Antiochia ähnliche Verhältnisse anzunehmen, wie sie aus den Paulusbriefen für dessen Gemeinden bekannt sind – dann aber wäre mit der Klärung der Akzeptanz von Nichtjuden auf dem Apostelkonvent wohl nicht sofort ein Verzicht auf die eigene jüdische Lebensweise verbunden gewesen, sondern die Praxis der Tischgemeinschaft habe sich erst nach und nach entwickelt.538 Dies könnte während der sog. 2. Missi535 So Koch, Geschichte, 236–241. Vgl. z.B. Schnelle, Paulus, 132; Wolter, Paulus (2011), 44: „einige Zeit nach der Apostelkonferenz“ (ebd., 50, markiert er, dass er hier nicht an Apg 18,21–23, sondern also wohl an Apg 15,36–40 denkt). Böttrich, Apostelkonvent, 104, nennt dies als „weitgehend unbestritten“, verweist aber auch auf den im Folgenden genauer vorgestellten Vorschlag Konradts (und verzichtet evtl. deshalb auf eine Identifizierung des Konflikts mit der Szene Apg 15,36–40?). 536 Vgl. Dunn, BNTC, 19, unter Annahme der südgalatischen oder Provinzhypothese (vgl. ebd., 7–19), sowie De Boer, Galatians, 11, ausgehend von der Landschaftshypothese (vgl. ebd., 3–11). 537 Vgl. zum Folgenden Konradt, Datierung, 23–36. 538 Koch, Geschichte, 236–241, bedenkt in seiner Auseinandersetzung mit Konradt bei genauem Hinsehen nur dieses eine – wohl das schwächste, vgl. Konradt, Datierung, 26 – von dessen Argumenten.

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onsreise des Paulus unabhängig von diesem oder durch ihn gefördert nach dieser Reise geschehen sein; Konradt hält ersteres für wahrscheinlicher, weil Gal 2,12f. nicht zu erkennen gebe, dass Paulus bei diesem Geschehen dabei gewesen sei – er hätte dann sozusagen bei nächster Gelegenheit in Antiochia Petrus zur Rede gestellt (die Abgesandten „von Jakobus“ (Gal 2,12) waren nicht mehr vor Ort). Dadurch sei deutlich geworden, wie weit der Standpunkt des Paulus inzwischen von der Position Antiochias und Jerusalems entfernt war, so dass in unmittelbarer Konsequenz eine antipaulinische Opposition entstanden sei, deren Aktivitäten bald darauf im Galaterbrief und später im Philipperbrief thematisiert werden – Gal 2,11ff. wäre unter diesen Umständen als Verteidigung des Paulus gegen die gegnerische Version des Antiochener Konflikts zu verstehen und der direkte Übergang von dort zur galatischen Kontroverse auch sachlich begründet. Ferner sei durch den Konflikt die Missionspartnerschaft von Paulus und Silas zerbrochen, der ihn auf der 3. Missionsreise nicht mehr begleitet, sondern zu Petrus übergeht, was bei einer Datierung des Antiochenischen Konflikts vor der 2. Missionsreise schwer zu erklären ist. Ohne sich in der Datierung festzulegen, deutet Konradt an, dass eine Entstehung des Galaterbriefs im Gefolge des Antiochenischen Konflikt plausibel ist;539 hierin ist seine Rekonstruktion (abgesehen von der Verschiebung des Konflikts um ca. 3 Jahre) nah an den oben bereits genannten Vorschlägen von Dunn und de Boer. Mit Rücksicht auf die Notiz in 1. Kor 16,1 wäre hier aber nur ein relativ kleines Zeitfenster offen, die Situation in Galatien müsste bis 54 n. Chr. bereits wieder bereinigt sein. Damit wäre ein Datum für den Galaterbrief etwa im Jahr 53 n. Chr. möglich. Es ergibt sich als Zwischenstand: Unter der plausiblen Annahme, dass die Krise in Galatien eine mehr oder weniger unmittelbare Folge des Antiochenischen Konflikts darstellt, wäre der Brief je nach Datierung dieser Auseinandersetzung entweder 50/51 oder ca. 53 n. Chr. entstanden. Eine noch frühere Ansetzung wäre nur möglich, wenn Gal 2,1–10 nicht den Apostelkonvent beschreibt, was hier abgelehnt wurde. Der Galaterbrief wäre nach dieser Rekonstruktion der zweite uns erhaltene Paulusbrief, entstanden nach dem 1. Thessalonicherbrief und vor der Korintherkorrespondenz. Es fällt zwar auf, dass der Galaterbrief keinen besonderen Akzent auf die in Antiochia primär diskutierten Fragen der Tischgemeinschaft legt, doch wäre es gut vor539

Ebd., 38, verweist er auf den „ca. dreijährige[n] Aufenthalt in Ephesus“. – Inzwischen hatte ich Gelegenheit, mit Herrn Konradt selbst über dessen Datierung zu reden. Dabei zeigte sich, dass er den Zusammenhang der galatischen Krise mit dem Antiochenischen Konflikt (anders als hier von mir vorgeschlagen) eher als sachlichen denn als unmittelbar zeitlichen sieht. Den Gal würde er eher in zeitlicher Nähe zum (vor dem) Röm als zum Antiochenischen Konflikt ansetzen.

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stellbar, dass eine Opposition gegen Paulus nun auch die Klärungen des Apostelkonvents nicht mehr als bindend ansah bzw. diese so interpretierte, dass die Beschneidung dort zwar nicht gefordert, aber auch nicht untersagt worden sei. Wenn das so einleuchtet, finden sich einige Indizien im Brief, die diese Datierung unterstützen, in erster Linie der schon erwähnte Umstand, dass Paulus in 2,11ff. unmittelbar von seiner Darstellung des Antiochenischen Konflikts in die Auseinandersetzung mit den galatischen Gegnern übergeht. Weniger gewichtig wären die damit ermöglichten einleuchtenden Auslegungen des „schnell“ in Gal 1,6, das sich dann auf eine kurze Zeitspanne nach einem Besuch des Paulus beziehen könnte, oder der Formulierungen, die wie Erinnerungen an die Verkündigung des Paulus klingen (Gal 1,9; 5,3) und, so verstanden, voraussetzen, dass die Galater diese noch im Ohr haben. Als weiteres Argument für diese eher frühe Ansetzung des Galaterbriefs wird genannt, dass Paulus recht ungeschützt mit einer Berufung auf den Geist arbeitet, was nach der Auseinandersetzung mit dem korinthischen Enthusiasmus so ungebrochen nicht mehr erwartbar sei.540 Für die Entwicklung des Paulus würden diese Ansetzungen bedeuten, dass er die Rechtfertigungslehre spätestens541 hier formuliert, also mit einigem Vorlauf zum Römerbrief. Dass damit „eine entwicklungsgeschichtliche Deutung seiner Theologie praktisch unmöglich“ sei,542 ist weder ein Argument gegen diese Ansetzung noch in der Sache besonders überzeugend: Paulus blickt hier bereits auf 15 bis 20 Jahre Entwicklung seiner Theologie seit dem Damaskuserlebnis zurück543 und hätte überdies durch die Auseinandersetzungen in Jerusalem, Antiochien und Galatien reichlich Anstöße zu verarbeiten. Für die Rekonstruktion der frühchristlichen Entwicklung insgesamt wäre bei dieser Lösung nach 1. Kor 16,1 davon auszugehen, dass die galatische Krise durch Paulus bewältigt worden wäre, obwohl dasselbe Problem sich dann auch wieder im Philipperbrief und nicht zuletzt bei der Jerusalemreise zur Überbringung der Kollekte zeigt. Umgekehrt bereitet aber die Annahme, dass der Antiochenische Konflikt zunächst ohne Auswirkungen auf die paulinischen Missionsgebiete geblieben sei, nicht weniger Probleme, 540

So Theißen, Gegenmission, 283 Anm. 21, der außerdem den Verweis auf das Apostolat des Paulus im Präskript und die Eigenhändigkeitsversicherung – beides begegnet im 1. Thess noch nicht –, auf die Situation der galatischen Krise zurückführt; von hierher hätte Paulus das dann auch in den Korintherbriefen übernommen. 541 Sänger, Adressaten, 256.267–273, sieht im Gal mehrfach Bezüge auf die Verkündigung des Paulus bei der Gemeindegründung und folgert daraus, dass jedenfalls Grundzüge der Rechtfertigungstheologie älter sein müssen als der Galaterbrief. Das ist freilich nicht zwingend, vgl. oben Anm. 345. 542 Theobald, Galaterbrief, 352. 543 Dies betont mit Recht Sänger, Adressaten, 253f.

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zumal wenn diese z.T. (Südgalatien!) als antiochenische Einflusssphäre gegolten hätten. Soviel zu einer Datierung des Galaterbriefs vor 54 n. Chr., also vor der Erwähnung der dortigen Kollekte in 1. Kor 16,1. Die andere Möglichkeit, den Galaterbrief danach anzusetzen, wird in der Regel nicht zuletzt mit Verweis auf die auffallende inhaltliche und argumentative Nähe zum Römerbrief vertreten. Dieser lässt sich praktisch sicher datieren: Er entsteht im Frühjahr 56 n. Chr. unmittelbar vor der Reise nach Jerusalem, wie Paulus der römischen Gemeinde in Röm 15,22–33 mitteilt. Seine missionarische Tätigkeit in Kleinasien und Griechenland sei abgeschlossen und er wolle nun mit ihrer Hilfe eine Mission in Spanien beginnen, zuvor aber noch die in seinen Gemeinden gesammelte Kollekte für Jerusalem überbringen. Seine Befürchtung, dass diese dort nicht willkommen sein könne (Röm 15,31),544 bewahrheitet sich, die Reise endete in einem Fiasko: Die wohl erhebliche Kollekte wurde offenbar gar nicht angenommen, was die Apostelgeschichte durch ein Schweigen hierüber andeutet,545 stattdessen wird Paulus verhaftet. Evtl. könnte diese Inhaftierung sogar auf Betreiben judenchristlicher Kreise erfolgt sein: Die Apostelgeschichte weiß von „Tausenden“ christusgläubiger Juden, die – gerade wie Paulus nach Gal 1,14 vor Damaskus! – „Eiferer des Gesetzes“ seien (Apg 21,20). Zudem berichtet sie von dem Gerücht, Paulus predige gegen die Beschneidung und die Ordnungen (Apg 21,21), und überrascht den Leser damit, dass Jakobus den Heidenapostel über das Aposteldekret erst noch aufklären muss (Apg 21,25). Das kann angesichts der anerkannten harmonisierenden Tendenz der Apostelgeschichte nur so verstanden werden, dass Paulus jedenfalls von einem Teil der Jerusalemer Gemeinde nicht als Freund und Bruder empfangen worden ist. Ob eine antipaulinische Stimmung dort aus der Gemeinde heraus gewachsen ist oder ob sie als Reaktion auf den oben diskutierten zelotische Druck entstand, ist dabei zweitrangig; die Zelotenperspektive 544

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die These von Konradt, Datierung, 38f., Paulus hätte erst nach und aufgrund der Kontroverse in Antiochia begonnen, sich um die Kollekte zu kümmern. 545 Die Kollekte wird dort nur en passant in Apg 24,17 erwähnt, vgl. die Delegation in Apg 20,4. Im Kontext der Beschlüsse des Apostelkonvents (Apg 15), denen Paulus sie Gal 2,10 zurechnet, begegnet sie nicht. Evtl. könnte in Apg 21,24 von einem Teil des Gelds die Rede sein; Koch, Geschichte, 333, hält das sogar für „[s]icher“ (aber ebd., 367: „vermutlich“). Nach intensiver Kollektenwerbung (vgl. 1. Kor 16,1–4; 2. Kor 8f.) und angesichts des Umstands, dass Paulus selbst die Übergabereise leitet (was er nach 1. Kor 16,4 nur bei einem guten Ergebnis der Sammlung tun wollte), ist möglich, dass die Jerusalemer Gemeinde erhebliche Geldmittel ausgeschlagen hat, was auf ein tiefes Zerwürfnis mit Paulus deuten würde. Koch geht ebd., 334, von einer diskreten Übergabe aus, wodurch das Ziel einer „offen vollzogene[n] Kirchengemeinschaft“ aber eben nicht erreicht worden sei.

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könnte jedenfalls in der Einschätzung der Jerusalemer Situation durch Paulus in Röm 15,31 im Blick sein, wenn er von den „Ungläubigen in Judäa“ spricht. Für die Frage nach der Datierung des Galaterbriefs lässt sich also nicht nur dessen sachliche Nähe zum Römerbrief in Anschlag bringen, zugleich zeichnet Apg 21 im fraglichen Zeitraum für Jerusalem eine Situation, die jedenfalls deutlich kompatibel ist mit der Diskussionslage in den galatischen Gemeinden, in der ja auch die Berufung auf Jerusalem eine gewisse Rolle spielte. Zu klären bleibt für die spätere Ansetzung indes die Frage, welche Reihenfolge zwischen Galater- und Römerbrief anzunehmen ist und wie sich das jeweils mit der anzunehmenden Entwicklung der Situation verträgt. Die am häufigsten vertretene Ansetzung des Galaterbriefs datiert diesen kurz vor dem Römerbrief, also etwa auf das Jahr 55 n. Chr. Das wird dann etwa so begründet: „Die situationsbedingte Polemik des Gal[aterbriefs] leitet der Röm[erbrief] in grundsätzliche Fragestellungen über, die Argumentation im Röm[erbrief] erscheint überlegter, die Beweisführung stringenter.“546 Hinzu kommt die Sorge des Paulus im Blick auf die Annahme der Kollekte (Röm 15,31), die auf dem Hintergrund einer kürzlichen, evtl. noch virulenten galatischen Krise, in der die Gegner sich immerhin auf Jerusalem beriefen, plausibel erscheint.547 Wenn angenommen werden darf, dass der Galaterbrief oder jedenfalls die eine oder andere seiner Thesen vermittelt über die Gegner auch in Jerusalem bekannt geworden wäre, könnte dies zudem den Hintergrund der Apg 21,21 erwähnten Gerüchte erklären; nicht zuletzt die starke Kritik des Briefs an Jerusalem könnte dann in der Tat dazu geführt haben, dass Paulus aus der Gemeinde heraus denunziert wurde. Die genannten Beobachtungen wären jedoch ebenso mit der umgekehrten Reihenfolge (Röm – Gal) vereinbar, insbesondere mit einer Ansetzung des Galaterbriefs nach der Verhaftung des Paulus. Auf jeden Fall wäre es nicht überraschend, wenn die Ereignisse in Jerusalem zu einem Versuch geführt hätten, die paulinischen Gemeinden auf einen traditionsbetonteren Kurs zu bringen – vielleicht sogar nicht zuletzt unter dem Eindruck der Verhaftung des Paulus. Für diese wäre dann eher anzunehmen, dass Paulus trotz der Spannungen nicht ein Opfer gemeindlicher Denunziation wurde: Gal 5,11 und 6,12 skizzieren denselben Verfolgungsdruck für Paulus und seine Gegner, so dass bei einer Ansetzung des Galaterbriefs nach der Verhaftung des Apostels jüdische, am ehesten zelotische Kreise dahinter zu vermuten wären.548 Die galatische Mission könnte dann in der Tat mit dem zeloti546 547 548

Schnelle, Einleitung, 112. Vgl. Theobald, Galaterbrief, 359. Zu Jerusalem zur Zeit der Verhaftung des Paulus vgl. Koch, Geschichte, 328.370.

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schen Druck auf die Jerusalemer Gemeinde zu tun haben. Manche scharfe Pointe des Galaterbriefs würde auf diesem Hintergrund einsichtig, in Variation des obigen Zitats ließe sich formulieren, dass der Galaterbrief die situationsbedingte Abgewogenheit des Römerbriefs überleitet in eine zugespitzte, auf Rücksichtnahme verzichtende Abrechnung mit dem Gesetz und mit Jerusalem (!).549 Die Entwicklung der paulinischen Theologie stellt sich in beiden zuletzt diskutierten Fällen ähnlich dar; beide Ansetzungen würden bedeuten, dass die Rechtfertigungslehre erst relativ spät als solche formuliert bzw. präziser: in den Briefen des Apostels greifbar wurde. Es ist aber zugleich deutlich, dass die Struktur der paulinischen Mission implizit schon lange nach deren Grundlinien angelegt war, so beansprucht der Galaterbrief ja auch, die Galater an Bekanntes zu erinnern (vgl. nur Gal 1,6–9).550 Wenn Paulus außerdem in Gal 2 die Darlegung seiner Kernthese eng mit dem Antiochenischen Streit verknüpft, markiert er jedenfalls für seine eigene Wahrnehmung einen sachlichen Zusammenhang. Daher ist anzunehmen, dass er gedanklich spätestens seit dieser Auseinandersetzung, eher schon seit dem Apostelkonvent mit der inhaltlichen und argumentativen Ausarbeitung seiner Rechtfertigungslehre befasst ist. Damit ist aber nicht notwendig, dass der Galaterbrief quasi als Skizze dem Römerbrief vorausgehen musste. Gewiss macht der Römerbrief den Eindruck tiefergehender, grundsätzlicherer und abgewogenerer Argumentation, doch ist in einem Brief, der nicht zuletzt der Vorstellung des Paulus gegenüber einer ihm weitgehend unbekannten Gemeinde dient, auch nichts anderes zu erwarten – den Galaterbrief hätte Paulus nicht zu „Bewerbungszwecken“ nach Rom schicken können. Die Differenzen zwischen beiden Briefen sind nach meinem Urteil daher nicht so sehr als Gedankenfortschritt, sondern in erster Linie aus dem jeweiligen Situationsbezug zu erklären, und zwar unabhängig von der angenom549 Diese Position vertritt Pilhofer, Rechtfertigung, 105–110; ders., Testament, 280– 282. Ebenfalls nach dem Röm datiert Vouga, Galaterbrief, mit seiner These, Paulus habe „den Galaterbrief – möglicherweise als fiktiven Brief – konzipiert, um eine kurze und klare Darstellung seiner Interpretation des Christentums zu hinterlassen, die er als letzten und Hauptteil der Sammlung seiner vier Hauptbriefe dem Römerbrief und den beiden Korintherbriefen beigefügt hat.“ (Ebd., 258.) Damit stützt er die Meinung, dass der Gal keineswegs zwingend dem Röm vorangehen muss (ders., HNT 10, 3, zitiert ältere Exegeten, die den Gal sogar erst in Rom verorten), auch wenn die im Gal beschriebene Situation so glaubhaft ist, dass seine Annahme einer Brieffiktion nicht überzeugen will. In seinem Kommentar 2 Jahre später wiederholt er die These so nicht und hält die Datierung offen, vgl. ebd., 4f.: „Innerhalb der vier großen Paulusbriefe ist Gal entweder der erste, geniale Wurf eines Denkens, das im Römerbrief seine volle Entfaltung gefunden hat …, oder Gal ist das Meisterwerk, das die drei anderen Briefe zusammenfaßt.“ 550 Vgl. dazu auch oben, Anm. 541.

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menen Reihenfolge. Insgesamt würde ich in einer Entscheidung zwischen den beiden zuletzt diskutierten Optionen mit aller gebotenen Vorsicht – jede Lösung ist hypothetisch – eher für eine Ansetzung des Galaterbriefs nach der Verhaftung des Paulus, also auch nach dem Römerbrief votieren. Neben dem Vorzug, einen unmittelbaren Anlass für eine antipaulinische Mission identifizieren zu können (der Antiochenische Konflikt fällt bei einer Späterdatierung hierfür aus), lassen sich dafür auch Argumente aus den Briefen benennen. Vor allem wäre der heftige, kompromisslose Ton des Galaterbriefs nach der ernüchternden Erfahrung in Jerusalem (!) und angesichts der Sorge um das Lebenswerk des Apostels bestens verständlich. Da der Römerbrief überdies neben der Sorge vor der Jerusalemreise nichts von Unruhen in den bestehenden paulinischen Gemeinden andeutet – im Gegenteil: Paulus betrachtet seine Tätigkeit hier als abgeschlossen (Röm 15,23) –, ist es zumindest möglich, dass die galatische Krise im Frühjahr 56 n. Chr. noch gar nicht ausgebrochen war. Im Galaterbrief würde eine solche Ansetzung unmittelbar einleuchtende Auslegungen eröffnen: Der Verweis auf die Unmöglichkeit eines persönlichen Eingreifens (Gal 4,20) wäre dann nicht nur eine rhetorische Figur und auch die Sorge, Paulus könne sich „umsonst“ um die Galater gemüht haben (Gal 4,11; vgl. 2,2.21; 3,4), wird plastischer. Die Kollektennotiz in Gal 2,10 könnte auch als kritische Pointe gegen die Verweigerung von deren Annahme verstanden werden, und die Verfolgung des Paulus nach 5,11 wäre eine ganz aktuelle, existenzielle Bedrohung. Nicht ganz so glatt fügt sich die spätere Ansetzung allerdings zu dem „schnell“ in Gal 1,6 und auch der unmittelbare Übergang vom Antiochenischen Konflikt in die galatische Kontroverse wirkt nicht so leicht verständlich wie bei einer Datierung des Briefs vor 54 n. Chr. – diese beiden Aspekte sprechen aber auch nicht für die Annahme einer Abfassung des Galaterbriefs kurz vor dem Römerbrief. Eine endgültige Entscheidung ist kaum möglich. Die Ansetzung durch die meisten Exegeten auf ca. 55 n. Chr. ist keineswegs unmöglich, aber eben auch nicht zwingend begründet (und oft wohl einfach abgeschrieben). Es mag darin auch das bewusste oder unbewusste Interesse wirken, den Römerbrief als abschließenden Höhepunkt der paulinischen Korrespondenz und letztes Wort des Apostels zu sehen. Allerdings wäre bei einer Datierung des Galaterbriefs nach der Kollektenreise nicht automatisch dieser das „Testament des Paulus“, da es dann wohl doch plausibel wäre, den Philipperbrief mit seiner in Phil 3 ganz ähnlichen Frontstellung nach Rom zu datieren – umgekehrt ließe sich freilich auch sagen, dass die guten Gründe für eine Verbindung des Philipperbriefs mit einer Gefangenschaft des Paulus in Ephesus Mitte der 50er Jahre eher gegen diese Spätdatierung des

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Galaterbriefs sprechen.551 Wenn angenommen wird, dass sich eine antipaulinische Mission zunächst in der „antiochenischen“ Einflusssphäre in Südgalatien entwickelte, bevor sie auf die rein paulinischen Gründungen auszugreifen versuchte, wäre diese Beobachtung sogar eher noch ein Argument für die Datierung des Galaterbriefs vor die Korintherkorrespondenz, also wie oben besprochen kurz nach dem Antiochenischen Konflikt. Kurz: Es lassen sich für jeden der diskutierten Datierungsvorschläge gute Argumente und Zweifelsgründe finden. In einer Gesamtabwägung gehört meine persönliche Sympathie einer Ansetzung auf 53 n. Chr. (verbunden mit einer Zustimmung zu Konradts Datierung des Antiochenischen Konflikts), weil sich so das klarste Gesamtbild von der Dynamik der Prozesse ergibt – dass auch das eine Hypothese bleiben muss, ist gleichwohl klar. Die spannendste Alternative wäre nach meinem Urteil die Annahme, dass der Galaterbrief spät entstanden ist und also auch das Echo auf die Verweigerung der Annahme der Kollekte und die Verhaftung des Paulus in Jerusalem darstellt. Für das Verständnis des Galaterbriefs sind diese Überlegungen von hoher Bedeutung, nicht zuletzt als Hinweise für die Erschließung der Situation, in der Paulus das Schreiben verfasste. Die Thematisierung des Situationsbezugs ist auch religionspädagogisch relevant, da auf diesem Weg Einsichten möglich werden, warum Paulus so argumentiert, wie er es tut. Der Brief wird so vom falschen Eindruck einer dogmatischen Instanz befreit, seine Dialogizität wird erkennbar. Daher verdient z.B. der Antiochenische Konflikt Aufmerksamkeit: Haben sich hier die Gruppen gebildet, die nachher die galatische Kontroverse austragen? Ebenso wäre es interessant, manche Texte bewusst aus verschiedenen möglichen Situationen ihres Verfassers zu lesen. Unbedingt sollte hier dann auch die Möglichkeit der Spätdatierung mit bedacht werden: Die Freundschaftsgabe seiner Gemeinden wurde in Jerusalem abgelehnt, Paulus ist verhaftet, und nun erfährt er, dass 551

Dies wird nicht immer so gesehen: Pilhofer, Testament, 175–178.180–184, der den Phil mit der oft angenommenen Haftzeit in Ephesus verknüpft und in die Mitte der 50er Jahre datiert, setzt gleichwohl den Gal spät an (60 n. Chr. auf der Reise nach Rom, vgl. ders., Rechtfertigung, 107) – und genau umgekehrt datiert Schnelle, Einleitung, 152–155, den Phil 60 n. Chr. in Rom und den Gal 55 n. Chr. in Ephesus (vgl. ebd., 113). Beide diskutieren in diesem Zusammenhang die offenbar verwandten Frontstellungen nicht. Anders etwa Theobald, Philipperbrief, 379, der für die Datierung des von ihm literarkritisch angenommenen Phil B (3,1b–4,1.8f.) ausdrücklich mit der Nähe zum Galaterbrief argumentiert (und beide in der Mitte der 50er Jahre ansetzt). – Über diese grundlegenden Optionen hinaus kann und muss im Rahmen dieser Studie aber nun auch keine Diskussion über die Datierung des Philipperbriefs geführt werden.

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in seinen Gemeinden andere Missionare zur Beschneidung aufrufen. Klingen manche der scharfen Sätze des Galaterbriefs da nicht anders? Auch über die Datierungsfrage hinaus wäre ein solches Vorgehen religionspädagogisch attraktiv: Es erlaubt, im Blick auf den Galaterbrief neben den von Paulus selbst berichteten biographischen Stationen (Gal 1f.) auch seine Verhaftung in Jerusalem in den Blick zu nehmen. So eignet sich der Galaterbrief auch dann als Basis einer Pauluseinheit, wenn die Schülerinnen und Schüler noch keinerlei Vorwissen über den Apostel mitbringen. 3. Kontextualisierungen: Paulinische Theologie nach dem Galaterbrief Wenn hier nun abschließend zusammengefasst werden soll, was als Theologie des Paulus im Galaterbrief erkennbar wird, so nicht in der Absicht, einen quasi zeitlosen dogmatischen Ertrag zu formulieren. Dagegen steht schon der auf Schritt und Tritt greifbare Situationsbezug des Schreibens, der sich keineswegs nur in der Heftigkeit seiner Rhetorik auswirkt: Paulus schreibt hier kein Lehrbuch, sondern wir werden Zeugen eines Teils (!) eines dialogischen Prozesses, damit in diesen hineingezogen und zur eigenen Stellungnahme aufgefordert. Das Stichwort „Kontextualisierungen“ in der Überschrift möchte beides aufnehmen: Zum einen ist die Einsicht grundlegend, dass der Galaterbrief nicht als „die“ Theologie des Paulus, sondern als deren Kontextualisierung in eine bestimmte Situation hinein zu verstehen ist, nicht als zeitloses Dokument, sondern als Beitrag zu einem sehr konkreten Gespräch. Es ist darum nicht nur zu fragen, was Paulus sagt, sondern auch warum er gerade das sagt und warum er es so sagt, wie er es sagt. Nach den Diskussionen des vorigen Teilkapitels ist evident, dass dies nicht eindeutig, sondern bestenfalls näherungsweise zu bestimmen ist; mitunter erscheint es gar sinnvoll, verschiedene mögliche Situationshintergründe vergleichend zu diskutieren. Jedenfalls: Eine Theologie des Paulus ohne solchen Situationsbezug aus dem Galaterbrief erheben zu wollen, hieße ihn missverstehen. Zum anderen ist zu beachten, dass die im Galaterbrief erkennbaren theologischen Leitlinien in aktualisierendem Lesen immer wieder neue Kontextualisierungen erfahren und damit ihre Relevanz und Dignität zeigen. Gerade eine historisch-kritisch arbeitende Exegese muss sich bewusst sein, dass sie nicht unabhängig von eigener Aktualisierung lesen kann – das meint nicht, dass sie die Texte bewusst verzeichnet, wohl aber, dass ihre Art, die Texte zu lesen, von Fragen je ihrer Zeit bestimmt ist. Die „New Perspective on Paul“ verdankt

Kontextualisierungen

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sich nicht zuletzt dem bewussten Bemühen um einen fairen und offenen Dialog mit dem Judentum, das nicht nur aus historischen Gründen in den letzten Jahrzehnten verstärkt auf die Agenda drängt, und ist mit Relevanzbehauptungen im Kontext interreligiöser und interkultureller Gesprächslagen verbunden.552 Ähnlich ist die Konjunktur der Rede von „Identität“ (auch in ihrer bewusst auf die Gemeinschaft der Christusgläubigen bezogenen Gestalt) in Auslegungen des Galaterbriefs zu beurteilen; wir tragen hier ein Konzept an das Neue Testament heran, das jedenfalls begrifflich eher unserer Zeit entstammt.553 Nicht anders (!) reflektierte das heute kritisch diskutierte reformatorische Verständnis des Galaterbriefs präzise die Fragen seiner Zeit und muss insofern als ebenso legitimes Verständnis des Textes angesehen werden – ohne dass damit auch die (gar eine zeitlose) Legitimität des damit verbundenen Verständnisses des Judentums als einer Religion der Werkgerechtigkeit behauptet werden müsste. M.a.W.: Gerade eine historisch-kritische Exegese muss sensibel sein für ihre eigene historische Bedingtheit. Es ist also letztlich gar nicht möglich, „die“ paulinische Theologie nach dem Galaterbrief zu beschreiben – wenn es hier dennoch versucht wird, so eben bewusst unter der doppelt verstandenen Überschrift „Kontextualisierungen“. Wenn mein Versuch einer Bündelung dessen, was als Gesprächsbeitrag des Paulus im Galaterbrief ersichtlich wird, eine weitgehend in sich konsistente Position des Apostels beschreibt, so mag das ebenso sehr an diesem selbst wie an der Lesart seines Rezipienten liegen. Um den Eindruck zu vermeiden, es ließe sich eine paulinische Normaldogmatik aufgrund des Galaterbriefs erheben, lege ich hier einerseits nicht viel mehr vor als eine knappe Skizze ohne weitere Anmerkungen554 und frage zum anderen stets nach dem Situationsbezug dessen, was der Brief zu erkennen gibt. Meine Skizze akzentuiert drei Aspekte. Zunächst nimmt sie in den Blick, was nach meinem Urteil für Paulus die Basis des theologischen Denkens bildet: Der gekreuzigte und auferstandene Christus, dessen „Offenbarung“ Paulus als lebenswendende „Berufung“ erfahren hat (Gal 1,15f.), und die Interpretation dessen, was dieses Geschehen bedeutet, als Ausgangspunkt der Theologie des Paulus und hermeneutischer Schlüssel. Was bedeutet diese Einsicht in der galatischen Kontroverse, wie bringt Paulus sie zum Tragen? Wie stellen sich von hier aus das Gesetz und die Beschneidungsforderung der Gegner dar? 552

Vgl. z.B. die Zitate von Bachmann sowie Dunn/Suggate in Anm. 2 und 192. Vgl. dazu etwa Bachmann, Identität, 571–577; Heckel, Identität, 41–43. 554 Mehr Details lassen sich leicht in der gründlicheren Auslegung der jeweils genannten Stellen finden; auch die thesenartigen Zusammenfassungen von deren einzelnen Teilen bieten Ergänzungen. 553

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Paulinische Theologie nach dem Galaterbrief

Ein zweiter Gedankengang fragt nach dem Leben in Christus: Paulus entwirft seine Selbstsicht in deutlicher Nähe zum Kreuz Christi (2,19–21; 6,14f.) und macht auch sonst deutlich, dass und wie das Christusgeschehen direkte Auswirkungen auf das Leben der Gläubigen hat – hier ist die öfters diskutierte „Wahrheit des Evangeliums“ (2,5.14) angesiedelt, hier die im Galaterbrief tragende Einsicht in die Unhintergehbarkeit der Gemeinschaft der Christusgläubigen. Auch hier ist wieder zu fragen, wie die Situation zur Abfassungszeit des Briefs auf die paulinische Darstellung dieser Fragen eingewirkt hat. Eine dritte und letzte Überlegung lenkt dann den Blick auf die Kehrseite der von Paulus so beschriebenen christlichen „Identität“ (um den vorhin genannten Begriff zu bemühen). Wie stellt sich für Paulus die Situation eines Menschen dar, der nicht an Jesus Christus glaubt? Wie ist seine Sicht nicht zuletzt auf Juden, die diesen Glauben nicht mit ihm teilen? Sind seine scharfen Auseinandersetzungen (Verfluchung usw.) mit den galatischen Gegnern „nur“ der Situation geschuldete rhetorische Spitzen oder markieren sie belastbare theologische Positionen? Diese Frage greife ich auch deshalb heraus, weil ich annehme, dass sie in der schulischen Beschäftigung mit dem Galaterbrief geäußert werden dürfte. Diese Auswahl von drei Frageperspektiven ist eine Setzung, die mit guten Gründen auch anders vorgenommen werden könnte, sozusagen meine Kontextualisierung des Galaterbriefs. Sie eignet sich aber nach meinem Urteil, den Zusammenhang verschiedener begrifflicher und sachlicher Linien des Galaterbriefs so nachzuzeichnen, dass dieser selbst als Kontextualisierung des theologischen Denkens des Apostels erkennbar wird. a) Der gekreuzigte und auferstandene Christus „O ihr unverständigen Galater, wer hat euch behext, denen Jesus Christus vor Augen gemalt wurde als Gekreuzigter?“ So redet Paulus in 3,1 die Galater an, nachdem zuvor die Hauptthese des Briefs in Überlegungen zur Bedeutung des Todes Christi ihre letzten Pointen erhalten hatte: Christus wäre „umsonst gestorben“, wenn durch das Gesetz Gerechtigkeit käme (2,21). Beide Verse markieren mehr als deutlich, dass der gekreuzigte Christus für Paulus grundlegende kriteriologische Funktion hat. So geht er nicht von dem Gesetz aus und fragt, was in dessen Licht das Kreuz Christi bedeuten könne, sondern er kommt umgekehrt vom Kreuz Christi her und fragt, welches Licht dieses auf die Bedeutung das Gesetzes wirft. Offenbar ist er der Meinung, dass eine solche Orientierung am Gekreuzigten auch die Galater hätte in die Lage versetzen müssen, verständig gegen die Hexereien der Gegner zu stehen. Vielleicht gelang diesen das deshalb nicht

Kontextualisierungen

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ohne weiteres, weil ihnen Jesus Christus nur durch den Apostel vor Augen „gemalt“ war, während Paulus davon erzählen kann, dass Gott selbst ihm den Gekreuzigten und Auferstandenen offenbart habe (1,15f.). Dies muss zumal deshalb ein grundstürzendes Ereignis für ihn gewesen sein, weil es ihm zeigte, dass er auf dem falschen Weg war, wenn er die Gemeinde derer verfolgt, die an diesen Jesus Christus glauben. Gehen wir davon aus, dass Paulus diese Verfolgungstätigkeit in bestem Einvernehmen mit seinem Verständnis der Schrift und insbesondere des Gesetzes unternommen hatte, so wird klar, dass er dieser Basis nun nicht mehr trauen will, sondern vielmehr ganz von Christus her denkt. In Christus ist ihm die Welt gekreuzigt und er selbst der Welt (6,14), mit anderen Worten: alle alten Orientierungen stehen zur Disposition. An ihre Stelle rückt in der Wahrnehmung des Apostels nicht weniger als der Beginn der „neuen Schöpfung“ (6,15), das Kreuz Christi ist die Äonenwende (1,4), die Überwindung des Fluchs des Gesetzes (3,10–14), die Inkraftsetzung der älteren Verheißung an Abraham für alle Völker (3,8.14), seine Sendung geschieht in der Fülle der Zeit (4,4). Es ist anzunehmen, dass Paulus, dessen frühere Orientierung am Gesetz in seiner pharisäischen Auslegung, also den „väterlichen Überlieferungen“ (1,14) ausgerichtet war, schon vor dem Galaterbrief die Frage bedacht hat, welche Relevanz diese frühere Basis nach dem Christusereignis bzw. neben Christus haben kann. Sein Rückblick auf Apostelkonvent und Antiochenischen Konflikt zeigt, dass er jedenfalls in der Frage nach der Geltung spezifischer gesetzlicher Forderungen wie Beschneidung und Speisegebote Ende der 40er Jahre zu dem Urteil gelangt war, dass diese für christusgläubige Nichtjuden nicht gelten; evtl. etwas später erst vertritt er die Überzeugung, dass diese „Werke des Gesetzes“ auch durch Judenchristen beiseite gestellt werden können, wo sie die Gemeinschaft zwischen Juden und Nichtjuden in der Gemeinde behindern. Dass Paulus also das Gesetz von Christus her interpretiert und nicht umgekehrt, zeigt im Galaterbrief etwa das Verständnis des Gesetzes als Fluch (3,10–12), das kaum unabhängig von der Deutung des Kreuzes in 3,13 entstanden sein wird, nach der Christus uns aus dem Fluch des Gesetzes freikauft. Diese Position ist nach meinem Urteil als Grundüberzeugung des Paulus zu beschreiben, die ihre Wurzeln eben in der intensiven Erfahrung seiner Lebenswende hat. Insofern ist auch diese Position situationsbezogen, aber nicht oder jedenfalls nicht nur auf die Situation, in der der Galaterbrief entsteht. Diese ist aber verantwortlich für die Fragen, auf die hin Christus hier bedacht wird. Anders gesagt: Vom Damaskuserlebnis her ist Christus als Kriterium gesetzt, die galatische Kontroverse stellt die Herausforderung, die nun im Lichte dieses

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Paulinische Theologie nach dem Galaterbrief

Kriteriums bedacht wird. Der Brief zeigt klar, dass es hier nicht zuletzt um die Forderung der Beschneidung geht. Dass diese sich nicht allein von Kreuz und Auferstehung Christi her begründen lässt, ist sofort evident, die Gegner beziehen also notwendig eine weitere Quelle ein: das Gesetz. Auch wenn die Argumentation des Galaterbriefs zu dieser Fragen nicht erst ad hoc entwickelt worden ist, dürfte sie durch die Situation in Galatien verschärft worden sein und zwar bei jeder möglichen Datierung des Briefs: Bei der von mir favorisierten relativ frühen Datierung auf 53 n. Chr. wäre die antipaulinische Mission in den Gemeinden des Apostels wohl ein Effekt des Antiochenischen Konflikts, von dem Paulus selbst überrascht worden sein dürfte. Wird der Brief mit der Mehrheit der Exegeten kurz vor dem Römerbrief platziert, dürfte die Situation bei ihm eine tiefe Sorge um den Bestand seines Missionswerks ausgelöst haben. Bei einer späten Ansetzung schließlich, also nach der Verhaftung in Jerusalem, würde der Apostel im wahrsten Sinne des Wortes mit gebundenen Händen aus der Ferne zusehen müssen, wie eine andere Orientierung nach seinen Gemeinden greift. Die grundsätzliche Positionierung Christi gegen das Gesetz (5,4)555 könnte eine der Situation des Briefs geschuldete Zuspitzung sein. Es ist aber wichtig zu sehen, dass sie zugleich die tragende Säule seiner Argumentation bildet: Eben diese Orientierung auch an etwas anderem als nur dem gekreuzigten und auferstandenen Christus macht die Verkündigung der Gegner zu einem „anderen Evangelium“ und „verkehrt“ das „Evangelium des Christus“ (1,6f.), eben deshalb ziehen sie den Fluch auf sich (1,8f.), eben darin stehen ihre Forderungen gegen die „Wahrheit des Evangeliums“ (2,5.14; vgl. 4,16; 5,7). Das Gesetz wird von ihnen in einer Weise in Anschlag gebracht, dass es die Freiheit in Christus in Sklaverei verkehrt (2,4; 5,1). Damit stünde das Gesetz aber nicht nur neben, sondern über Christus. Paulus legt dar, dass das Gegenteil der Fall ist, indem er Christus als die eschatologische Erfüllung von Verheißungen erweist, die älter sind als das Gesetz und dieses deshalb sachlich und zeitlich begrenzen (3,15– 29). Dass er sich hierfür mehrfach mit Abraham befasst, dürfte ein weiterer Reflex der galatischen Diskussionslage sein: Wenn nicht die Gegner für ihre Argumentation auf Abraham verwiesen hätten (vgl. Gen 17!), wäre dessen prominente Rolle im Galaterbrief kaum sinnvoll zu erklären. 3,6–29 und 4,21–5,1 verdanken also ihre Thematik nicht zuletzt den Gegnern. Manche gewollt wirkende Auslegung des 555 Die Rede vom „Gesetz des Christus“ in 6,2 sagt letztlich dasselbe: Ist die Orientierung an Christus das einzige „Gesetz“, das Paulus gelten lässt, bestreitet er damit eine Bedeutung des mosaischen Gesetzes.

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Kontextualisierungen

Paulus zeigt dabei, dass der Grundansatz der vorliegenden Rekonstruktion zutrifft: Paulus denkt von Christus her. Ohne die Grundvoraussetzung, dass mit Kreuz und Auferstehung Jesu Christi die eschatologische Wende erfolgt ist, lässt sich die Argumentation des Apostels in der Auseinandersetzung mit der Figur des Abraham und dem Gesetz nicht verstehen. Von dieser Voraussetzung her aber wird ihre Geschlossenheit erkennbar und entwickelt sie deutliche argumentative Kraft. Im Blick auf die eingangs begründete Ablehnung der Idee, aus dem Galaterbrief eine paulinische Normaldogmatik zu erheben, ist es nicht ungefährlich, diese Sicht nun in einem graphischen Schema zu fixieren. Es wurde ja deutlich, dass sowohl die Zuspitzung mancher Aussagen als auch manche Themen der Argumentation aus der konkreten Gesprächslage zu erklären sind. Wenn hier dennoch eine Visualisierung der Argumentationsstruktur des Galaterbriefs versucht wird, soll diese daher ausdrücklich nur als Beitrag zur Klarheit der vorigen Ausführungen verstanden werden, nicht als Summe paulinischer Theologie o.ä.:

Verheißung

Abraham

neue Schöpfung

Gesetz Kreuz und Auferstehung Jesu Christi

Die Skizze zeigt, wie nach meinem Verständnis des Galaterbriefs das zentrale Christusereignis nach „hinten“ mit grundlegenden Verheißungen der Schrift verknüpft und nach „vorne“ mit dem Anbruch der eschatologischen Vollendung identifiziert wird. Das Gesetz interpretiert Paulus dabei so, dass es eine begrenzte Funktion in der Zeit zwischen der Verheißung und ihrer Erfüllung hatte. Wer es aber nun noch als Grundlage einer Orientierung im Leben bemüht, verfehlt nach dieser Sicht die kategoriale Bedeutung von Kreuz und Auferstehung Jesu Christi.

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Paulinische Theologie nach dem Galaterbrief

b) Leben in Christus „So lebe nicht mehr ich, es lebt aber in mir Christus. Was ich aber jetzt lebe im Fleisch, im Glauben lebe ich an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich selbst dahingegeben hat für mich.“ Im Kernsatz 2,20 markiert Paulus, dass das Kreuz Jesu unmittelbare Bedeutung für sein eigenes Selbstverständnis hat, für seine eigene Existenz bzw., um diesen Begriff wieder zu verwenden, seine „Identität“. Damaskus hat dem Apostel also keineswegs nur eine neue rationale Erkenntnis gebracht, die zu einem Umbau seines Denkens führte, sondern ineins damit ein neues Verständnis seiner selbst. Wenn das hier nacheinander verhandelt wird, so lediglich zum Zwecke einer strukturierten Darstellung – und es sei sofort zugestanden, dass die Reihenfolge auch umgekehrt hätte sein können. Der Einsatz mit der argumentativen Bedeutung des Bezugs auf das Christusereignis verdankt sich der Absicht, die Argumentation des Galaterbriefs nachzuzeichnen, und ist ebenso ein Reflex der auf „Paulinische Theologie“ fokussierten Fragestellung der Studie. Eben diese Aspekte hätten sachgemäß aber auch mit einem Einsatz beim Leben in Christus in den Blick genommen werden können. Die enge Verbindung beider Perspektiven sowohl in der Sache als auch im Blick auf die Argumentation des Galaterbriefs zeigt sich an der starken Betonung von Begriffen, die auf der Linie der Christusorientierung deren Relevanz für die an ihn Glaubenden markieren – zunächst im Begriff „Glauben“ selbst: Durchgängig sind Aussagen über Christus mit solchen über den Glauben verknüpft, z.T. sind beide sogar Austauschbegriffe, etwa in der Befristung der Geltung des Gesetzes „bis der Same käme“ (3,19), also „bis zu Christus“ (3,24), bzw. „bevor der Glaube kam“ (3,23). Eine ähnliche Funktion wie der Begriff des Glaubens erfüllt der Rekurs auf den „Geist“ bzw. die Geistbegabung, weiter sind das Wortfeld „Erbe/Erben“ und der Beziehungsbegriff „Sohn“ zu nennen, mit denen Paulus deutlich macht, dass die in Christus realisierten Verheißungen für die Glaubenden gelten. Das Christusgeschehen interpretiert er, anders gesagt, als ein Glauben eröffnendes und im Glauben für uns bedeutsam werdendes Geschehen – der Freikauf durch den Kreuzestod ist geschehen, „damit [!] wir den verheißenen Geist empfangen durch den Glauben“ (3,14). Dass Paulus dies alles auch als Sein „in Christus“ beschreiben kann, ja an einigen Stellen den Gedanken nahelegt, die Gläubigen seien miteinander wie Christus (vgl. 3,28; 4,7), zeigt das unauflösliche Ineinander seiner Einsicht in die kategoriale Bedeutung Christi und seiner Interpretation einer christlichen Existenz. Seine Verwunderung über den Unverstand der Galater wird eben darum keineswegs sofort rational reflektiert, sondern äußert sich in der zugespitzten Fra-

Kontextualisierungen

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ge, wie sie denn den Geist empfangen hätten (3,2.5): Das eigene Erleben (3,4) müsste den Galatern doch deutlich machen, dass ihre neue Existenz durch die „Predigt des Glaubens“ – der natürlich wie in der Kernthese 2,16 Glaube „an Jesus Christus“ ist – und nicht durch „Werke des Gesetzes“ gegründet ist. Auch wenn Paulus im Folgenden, wie schon gesehen, zu begründen sucht, dass dem Gesetz im Lichte Christi nur eine sachlich und zeitlich begrenzte Bedeutung zukommt, ist und bleibt die Energie hinter dieser Erörterung die eigene Glaubenserfahrung, die immer wieder als Argument aufscheint. Bevor Paulus in 5,4 direkt Christus gegen das Gesetz stellt, ist die leitende Opposition die (damit freilich untrennbar verbundene) von Glaube und Gesetz: Sänger notiert die wichtige Beobachtung, dass jeder Unterabschnitt der paulinischen Beweisführung in 3,1–4,7 mit einem Begriff aus dem Wortfeld „Glauben“ oder den damit verwandten „Verheißung“ und „Erbe“ endet und so die Verbindung der Gläubigen mit Christus akzentuiert (vgl. 3,5.9.14.18.22.29; 4,7).556 Auch hier ist wieder beides zu sehen: Paulus bringt Grunderkenntnisse zur Sprache, die sich auf sein Damaskuserlebnis zurückführen lassen, und er aktualisiert sie mit Bezug auf die Situation in Galatien. Nicht nur die Frage in 3,2.5 weist dabei auf die Predigt seiner Gegner, sondern auch die Verbindung der Glaubensthematik mit der Zueignung der „Verheißung“ an Abraham, des „Erbes“ oder der „Sohnschaft“: Alle diese Begriffe sind geeignet, die volle Zugehörigkeit zu der in Christus begonnenen eschatologischen Erfüllung zu beschreiben, stehen also gegen die gegnerische Forderung einer Ergänzung oder Realisierung des Glaubens an Christus durch die Beschneidung. Das Christusereignis ist in seiner gleichermaßen grundstürzenden wie grundlegenden Bedeutung von Paulus so verstanden, dass es nicht mehr eingezeichnet werden kann in einen partikularen Bund wie den mit dem Volk Israel, es muss unmittelbar aus dem „Willen unseres Gottes und Vaters“ (1,4) heraus erklärt werden, als Erfüllung der Verheißung, als Zeitenwende, als Neuschöpfung. Den vielleicht stärksten Ausdruck finden diese Grundlinien in der Deutung der Taufe als ein „Anziehen Christi“, das alle früheren Differenzierungen gegenstandslos macht (3,28f.), und in der Parallelisierung der individuellen Geistbegabung mit der Sendung des Sohnes durch Gott selbst (4,4–6). Es scheint aber, als hätten die Galater dies nicht so gründlich verstanden wie Paulus bei seiner Christusbegegnung vor Damaskus – sonst wäre die gegnerische Predigt nicht auf so fruchtbaren Boden gefallen. Damit stellen sich weitere Fragen, die Paulus ebenfalls angeht:

Vgl. Sänger, Sara, 232: die „Opposition … von πίστις und νόμος … bildet die semantische Achse der exegetischen Beweisführung und strukturiert den Text“. 556

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Paulinische Theologie nach dem Galaterbrief

Die Frage nach der Sichtbarkeit der eschatologischen Wende und nach ihrer Auswirkung im Leben. Wäre die Beschneidung als zusätzliche Sicherheit im Blick auf die Annahme durch Gott nicht doch eine gute Idee? Paulus hält dagegen: Im Gegenteil würdet ihr damit von Christus abkommen und aus der Gnade herausfallen (5,4) – Geist und Glaube sind nicht schon die Vollendung, sondern begründen deren zuversichtliche Erwartung; die Gerechtigkeit vor Gott, das neue Leben, ist nicht zuletzt ein Hoffnungsgut (5,5). Die eschatologische Spannung zwischen „schon“ und „noch nicht“, die sich auch z.B. im Begriff des „oberen Jerusalem“ (4,26) zeigt oder in der Beschreibung eines mündigen Erben, die nicht zwingend schon den Eintritt des Erbfalls impliziert, ist für Paulus kein Problem, denn er hat den Auferstandenen gesehen. Die Galater muss er zu dieser Zuversicht neu ermutigen, was er nicht zuletzt mit der Erinnerung an die Anfänge im Geist tut. Hierzu gehört dann aber ebenso die Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Orientierung am Geist für das tägliche Leben reicht – auch diese könnte den Rekurs auf das Gesetz attraktiv erscheinen lassen für die galatischen Gemeinden. In der Paränese zeigt Paulus unter der Aufnahme der Opposition von Geist und Fleisch aus 3,3, dass das Gesetz nur gegenüber dem Begehren des Fleisches nötig ist, während der Geist eine Liebe wirkt, die kein Gesetz braucht bzw. das Gesetz aus sich heraus erfüllt (5,14; 6,2). Indem er diese Liebe deutlich auf die Gemeinschaft in der Gemeinde bezieht, die durch die Forderungen der Gegner nicht gestützt, sondern problematisiert wird, zeigt er zugleich, dass jedenfalls eine bestimmte Auslegung des Gesetzes der Wirkung des Geistes geradezu entgegensteht. Das heißt nicht, dass diese ohne Ermahnungen und bewusste Bemühung funktioniert – das zeigt z.B. 5,25–6,6 und die positive Aufnahme des Verbs „tun“ in 6,9f. –, aber für diese Ermahnung ist nicht das Gesetz vonnöten, sondern allein der Rekurs auf den Geist (5,25; 6,1) bzw., was letztlich dasselbe ist, eine Orientierung an Christus, die auf Christusförmigkeit zielt (4,19), also das „Gesetz des Christus“ erfüllt (6,2). Verbunden mit den Überlegungen zur eschatologischen Spannung der christlichen Existenz ließe sich also formulieren, dass der Geist „schon jetzt“ die Christusgläubigen zu dem Leben anleitet, das „noch nicht“ endgültig erschienen ist: Beschneidung und Unbeschnittensein sind als bedeutsame Kategorien nach Paulus abgelöst durch den „Glauben, der durch Liebe wirksam ist“ (5,6) – oder eben, wie die Parallelstelle sagt, durch die „neue Schöpfung“ (6,15). Eingedenk der oben erwähnten grundsätzlichen Problematik einer graphischen Veranschaulichung ließe sich die Skizze also um eine menschliche „Realisierungsebene“ ergänzen. Diese wäre ebenso zentral wie das Christusgeschehen in Kreuz und Auferstehung, denn sie

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Kontextualisierungen

ist dessen Zueignung im Glauben, die ebenso z.B. als Geistbegabung beschrieben oder mit der Taufe verknüpft werden kann. Sie begründet ein Sein in Christus, das ausgerichtet ist auf die Gerechtigkeit, die erhofft bzw. zuversichtlich erwartet wird (5,5). Dieses Sein ist schon hier als Vorgriff auf die Vollendung und in der Kraft des Geistes zu gestalten – Orientierung dafür gibt die in Christus begonnene eschatologische Vollendung, nicht das damit überholte Gesetz.

Verheißung

Abraham

neue Schöpfung

Gesetz Kreuz und Auferstehung Jesu Christi Glaube Geistbegabung Taufe Sein in Christus Leben im Geist: Praxis der Liebe

Hoffnungsgut Gerechtigkeit

c) Leben vor und außer Christus Die bisherigen Überlegungen haben versucht, vor allem die Position des Galaterbriefs zu bündeln. Dass deren Kehrseite sich etwa in Verfluchungen der Gegner (1,8f.) oder drohenden Verweisen auf das Gericht Gottes äußert (5,10.19; 6,8; vgl. 4,30), lässt den Galaterbrief zumal für heutige Leserinnen und Leser als harschen Text erscheinen. Aussagen wie die Abqualifizierung des Sinaigesetzes als Element eines Bundes der Sklaverei gegenüber der Freiheit, zu der Christus uns befreit hat (4,21–5,1), sind in der Perspektive des jüdisch-christlichen Dialogs kaum erträglich. Für die Argumentation des Galaterbriefs sind diese Perspektiven aber nicht unerheblich und zwar keineswegs nur als rhetorische Spitzen gegen die Gegner. Wenn Paulus die Sorge äußert, sich „umsonst“ um die Galater gemüht zu haben (4,11; vgl. 3,4), dann meint er das genau so – er setzt also voraus, dass nur die

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Paulinische Theologie nach dem Galaterbrief

Bindung an Christus die eschatologische Gerechtigkeit eröffnet, er sieht hier kein „sowohl als auch“, sondern nur ein „entweder oder“. Die Kernthese in 2,16 formuliert das in vollem Ernst: Nicht eine Orientierung an Werken des Gesetzes, sondern nur der Glaube an Jesus Christus führt zum Leben. Für Paulus ist klar: Weil die Erfüllung der Verheißungen in Christus geschehen ist, eröffnet das Gesetz keine Gerechtigkeit (2,21; 3,21). Eine Existenz „aus Werken des Gesetzes“ (3,10) oder „unter dem Gesetz“ (3,23; 4,5.21) ist von Christus her als perspektivlos zu erkennen. Wer sich dafür entscheidet, fällt für den Apostel zurück in eine Vergangenheit, die anders als die Orientierung an Christus keine Perspektive auf eschatologische Vollendung bietet:

Verheißung

Abraham

neue Schöpfung

Gesetz Kreuz und Auferstehung Jesu Christi Glaube Geistbegabung Taufe

Sein unter dem Gesetz

Sein in Christus Leben im Geist: Praxis der Liebe

Hoffnungsgut Gerechtigkeit

Der Versuch einer graphischen Visualisierung der paulinischen Theologie nach dem Galaterbrief soll über diese Skizze hinaus nicht weiter differenziert werden, gerade wegen der Grenzen einer solchen plakativen Vereinfachung. Die Frage, inwieweit und vor allem mit welchem Recht Paulus selbst im Galaterbrief plakativ vereinfacht bzw. ob er angesichts der galatischen Krise Zuspitzungen vornimmt, die letztlich nicht als tragfähig erscheinen, ist aber eine Frage, die schon überleitet zur Aufgabe heutiger Kontextualisierung der Impulse dieses Schreibens. Für Paulus stand wohl fest, dass nur dem Glaubenden durch den gekreuzigten und auferstandenen Christus die neue Schöpfung eröffnet ist, sonst hätte er nicht seine gewaltigen Missi-

Kontextualisierungen

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onsanstrengungen unternommen. Aber einen Ansatzpunkt für heutiges Fragen nach der Bedeutung Christi auch im Kontext des interreligiösen Dialogs bietet der Brief auch: Hält Paulus mit dem Hinweis auf das „Israel Gottes“ (6,16) nicht doch einen Türspalt für die Hoffnung offen, dass das jüdische Volk kraft seiner Erwählung durch Gott in die eschatologische Vollendung einbezogen werden wird? Aber mit dieser Frage nach der heutigen Kontextualisierung der Theologie des Galaterbriefs steht diese Studie schon mit mindestens einem Bein im nächsten, dem religionspädagogischen Hauptteil.

C. Der Galaterbrief im Religionsunterricht

Nach dem exegetischen Durchgang durch den Galaterbrief geht es nun um die im Zentrum der Studie stehende Frage, ob und wie nun eine Behandlung eines solchen Paulusbriefes im RU sinnvoll erscheint. Hierbei verschränken sich exegetische und religionspädagogische Frageperspektiven. Dass der Galaterbrief und überhaupt die Paulusbriefe im Religionsunterricht (RU) der Gegenwart faktisch allenfalls ein Randdasein führen,557 ist aber sicher nicht auf exegetische Erwägungen zurückzuführen: Die Zentralstellung des Paulus für neutestamentliche und ihr folgend christliche Theologie dürfte ebenso unbestritten sein wie die Einsicht, dass der Apostel im Galaterbrief für Kernpositionen seines Denkens und Wirkens kämpft. Es sind also wohl religionspädagogische Überlegungen, die für die geringe Bedeutung des Paulus und seiner Briefe im RU verantwortlich zeichnen. Dies soll hier aber nicht historisch aufgearbeitet werden, vielmehr orientiert sich die folgende Darstellung an gegenwärtigen religionspädagogischen Debatten und will in deren Kontext die These erweisen, dass der Galaterbrief sehr wohl ein möglicher und sinnvoller Inhalt des RU ist, sowie Ansätze für entsprechende Unterrichtseinheiten entwickeln. In dieser Absicht widmet sich dieses Kapitel religionsund bibeldidaktischen Fragen, die jeweils auch in Bezug auf den Galaterbrief diskutiert werden. Diese exemplarische Fokussierung ist schlicht Ausdruck der eingangs erklärten Frageperspektive: Am Beispiel des Galaterbriefs soll gezeigt werden, dass eine intensivere unterrichtliche Befassung mit den Paulusbriefen sinnvoll ist.558 Die hier folgende Argumentation soll dabei nicht nochmals die Wahl dieses Exempels, sondern an diesem Sinn und Wert einer unterrichtlichen Beschäftigung mit einem Paulusbrief begründen. Zugleich gewinnen die Darlegungen durch den Bezug auf den bereits erschlossenen Brief an Konkretion und Plastizität.

557 Vgl. den kurzen Überblick über die Paulusbezüge in Bildungsplänen und Schulbüchern oben, 2ff. 558 Vgl. dazu oben, 12.

Grundlegung

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Das Kapitel gliedert sich in drei Teile. Der erste legt in Auseinandersetzung mit grundsätzlichen religionspädagogischen und bibeldidaktischen Fragestellungen dar, dass der Galaterbrief nicht nur ein möglicher, sondern auch ein sinnvoller Unterrichtsgegenstand ist. Der zweite Teil identifiziert auf Basis dieser grundlegenden Überlegungen in Orientierung an den Frageperspektiven des Tübinger Elementarisierungsmodells „Schlüssel zum Galaterbrief“, wobei dieser Begriff bewusst an Peter Müllers „Schlüssel zur Bibel“ angelehnt ist. Dass und wie der Galaterbrief seinerseits ein solcher „Schlüssel zur Bibel“ ist, wird bereits im ersten Teilkapitel dargestellt; diese Perspektive wird in der Auswahl der Schlüssel zum Galaterbrief jeweils so mit bedacht, dass diese ihn eben auch in seinem biblische Zusammenhänge eröffnenden Potential zum Tragen bringen. Das dritte Teilkapitel schließlich rundet mit einem Ausblick auf die Gestalt möglicher Unterrichtseinheiten zum Galaterbrief diese Überlegungen ab. 1. Religionspädagogische und bibeldidaktische Grundlegung Soll die gegenwärtige Religionspädagogik zusammenfassend charakterisiert werden, so ist ihr Ausgang vom lernenden Subjekt sicher der entscheidende Grundzug. Dies verbindet die Religionspädagogik mit praktisch jeder Fachdidaktik und es ist im Kern auch diese Perspektive, von der her die vorherrschende Kompetenzorientierung aktueller Bildungspläne sinnvoll erscheinen kann: Im Zentrum steht, was das lernende Subjekt am Ende kann, d.h. die gewählten Inhalte müssen sich nicht zuletzt im Blick auf sogenannte prozessbezogene Kompetenzen wie Wahrnehmungs- und Darstellungsfähigkeit, Deutungs-, Urteils-, Dialog- und Gestaltungsfähigkeit als begründet erweisen.559 Diese sind freilich auch auf inhaltsbezogene Kompetenzen zu beziehen. Ein erster Abschnitt (a) dieses Teilkapitels zeichnet dies nach und zeigt exemplarisch, dass der Paulus der Briefe ein möglicher Unterrichtsgegenstand in einem kompetenzorientierten evangelischen RU ist. Für diesen Nachweis der Möglichkeit eines bildungsplankon559 Diese fünf Kompetenzfelder wurden in dieser Form erstmals verbindlich in den Einheitlichen Prüfungsanforderungen für die Abiturprüfung in Evangelischer Religionslehre 2006 formuliert und seither in weiteren Bildungsplänen und auch entsprechenden orientierenden Vorgaben der EKD aufgenommen, vgl. unten bei und in Anm. 564, 566, 567 und 591. Wenn z.B. Mendl, Religionspädagogik (2006), 44–47, erhebliche Vorbehalte gegenüber Bildungsstandards gerade aus der Perspektive einer (bei ihm vom Konstruktivismus her geprägten) Subjektorientierung vorträgt, so beziehen diese sich v.a. auf überprüfbare Ergebnisstandards; im Blick auf die Unterrichtsprozesse stellt er auch gewichtige Verbindungslinien heraus, die gegenüber dem von ihm besprochenen Stand der Debatte zur Umsetzung der Bildungsstandards noch deutlich an Akzeptanz gewonnen haben, vgl. besonders ebd., 50; 53; 56f.

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Der Galaterbrief im Religionsunterricht

formen Unterrichts zum Galaterbrief ist allerdings keine grundsätzliche Debatte der Kompetenzorientierung mit Blick auf den RU erforderlich.560 Meine These lautet darüber hinaus, dass die Paulusbriefe mehr als andere biblische Inhalte Lernchancen bieten, die in den Blick kommen, wenn der RU den Schülerinnen und Schülern eine wirkliche Begegnung und Auseinandersetzung mit dem Apostel auch von den Kontexten seiner Gedanken her eröffnet. Um auf dieser Linie eine regelrechte Begründung für die Behandlung eines Paulusbriefs im RU zu geben, muss grundsätzlicher ausgeholt werden. Daher exponieren zwei weitere Abschnitte entscheidende Fragestellungen gegenwärtiger religionspädagogischer und bibeldidaktischer Diskussionen und beschreiben hier jeweils begründete Positionen. Diese Überlegungen werden jeweils auch mit Bezug auf den Galaterbrief diskutiert. Dabei zeigt sich, dass und wie ein Unterricht zu diesem Text sinnvoll begründet werden kann. Die Darlegung fokussiert mit den beiden Abschnitten dafür auf die Pole dieser angestrebten Begegnung: Der genannte Subjektbezug gegenwärtiger Religionsdidaktik kennzeichnet u.a. die konzeptionelle Richtung des Theologisierens mit Kindern bzw. Jugendlichen, der ich mich selbst verpflichtet fühle. Es geht hier zentral um die Frage der Aneignung der Unterrichtsgegenstände, um ein Bearbeiten, Vertiefen und (wenigstens versuchsweises) Beantworten eigener Fragen, um Einsichten, die für das jeweilige Subjekt als relevant erscheinen. Weitergeführt in Richtung auf konstruktivistische Religionsdidaktik ließe sich hier auch von der je eigenen Konstruktion von Wirklichkeit und Wahrheit reden. Diese Betonung des individuellen Subjekts ist eine religionspädagogische Grundlinie, die so bald nicht wieder aufgegeben werden wird und kann. Allerdings lässt sich in einer Diskussion dieser Perspektive gerade vom lernenden Subjekt her nicht nur das Ernstnehmen des Fragens und Denkens der Schülerinnen und Schüler, sondern auch die Forderung nach einer theologisch-inhaltlichen Profilierung des RU begründen, die die Förderung eines eigenständigen, bewussten Umgangs mit diesen Inhalten impliziert – in dieser Gesamtperspektive, also als die Fähigkeit zum reflektierten, handelnden Umgang mit theologisch relevanten (eigenen und fremden) Fragen, Gedanken und Impulsen, ist Kinder- bzw. Jugendtheologie als theologische Kompetenz zu bestimmen und zu entfalten. Die entsprechende religionspädagogische Grundorientierung behandelt Abschnitt (b). Dialog ist freilich ein unverzichtbarer Bestandteil einer subjektbezogenen Didaktik: Sie verlangt geradezu die bewusste Wahrnehmung anderer Positionen und ein Bemühen um ihr Verständnis. Nicht um560

Vgl. dazu z.B. Obst, Lehren, 36–68; Kraft, Chancen.

Grundlegung

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sonst betonen prozessbezogene Kompetenzen wie oben genannt nicht nur Urteils- und Gestaltungsfähigkeit, sondern auch – und in gewisser Hinsicht als deren Voraussetzung – Wahrnehmungs- und Darstellungs-, Deutungs- und Dialogfähigkeit. Subjektbezogene Religionspädagogik muss um des Subjekts willen eine Religionspädagogik der Begegnung und des Gesprächs sein, oder anders gesagt: Sie ist angewiesen auf weitere „Subjekte“, nicht zuletzt auf die als „Subjekt“ verstandene Bibel. Diese Gedanken und einige Folgerungen daraus entfaltet der dritte Abschnitt (c). Es geht dabei zum einen um den eigenen Charakter der Bibel, zum anderen um deren Erschließung, wobei besonders rezeptionsästhetische Einsichten betont werden, die gerade für eine auf Begegnung und Gespräch angelegte Bibeldidaktik bedeutsam sind. Dabei wird deutlich, dass die durchaus fremde Bibel in einem offenen Begegnungsprozess zum Thema werden kann, also wie Bibeldidaktik anschlussfähig ist an konstruktivistische Religionspädagogik. Für das Gelingen einer solchen Perspektive ist die Identifikation von „Schlüsseln zur Bibel“ (Peter Müller) entscheidend, die Fragen und Denken der Schülerinnen und Schüler und biblische Lernwege gleichermaßen füreinander und aufeinander öffnen. Überlegungen zur bibeldidaktischen Bedeutung der Debatte um intertextuelle Verknüpfungen der Bibel, eine Diskussion der Forderung nach der Ganzschriftlektüre biblischer Bücher und schließlich eine Empfehlung der BasisBibel als Grundlage für die Arbeit an einem Paulusbrief runden diesen Abschnitt ab. a) Kompetenzorientierter Religionsunterricht und der Galaterbrief Die Kompetenzorientierung als Zentralperspektive gegenwärtiger Bildungspläne legt Nachdruck auf die Fähigkeiten und Fertigkeiten, die Schülerinnen und Schüler erwerben, und schätzt diese letztlich als gewichtiger ein als das im Zusammenhang des Erwerbs dieser Kompetenzen vermittelte Wissen, bzw. genauer: Entscheidend ist nicht eine bloße Anhäufung von Wissen, sondern die Fähigkeit zum Umgang damit.561 Das ist nicht nur wegen der anhaltenden Explosion möglicher Wissensbestände relevant, die zwingend die Fähigkeit zur eigenen Erschließung neuen Wissens und eines handelnden Umgangs damit erfordert, sondern vor allem Reflex der Einsicht, dass solche Fähigkeiten das eigentliche Ziel von Bildung sind. Diese Perspektive gewann nicht zuletzt durch die Ergebnisse der ersten PISAUntersuchung und den dadurch ausgelösten vielzitierten „Schock“ an Relevanz – die Umsteuerung des deutschen Bildungssystems von einer Input- auf eine Outcome-Orientierung lässt sich als direkte Folge 561

Vgl. z.B. Obst, Lehren, 64; 136.

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dieser Ereignisse darstellen.562 Die Arbeit von Obst über Kompetenzorientierung im RU zeigt, dass dieser in diesem Kontext vor besonderen Herausforderungen steht – zum einen, weil es in der Religionsdidaktik praktisch keine empirisch belastbaren Vorarbeiten für evaluierte und differenziert anwendbare Kompetenzmodelle gibt (oder jedenfalls zu Beginn der Kompetenzdebatte gab), zum anderen, weil der RU in besonderer Weise vor der Frage steht, inwieweit sich das, worum es in diesem Fach geht, in – per definitionem: evaluierbaren – Kompetenzen, Niveaustufen usw. formulieren lässt, was zu grundsätzlichen Diskussionen über Kompetenzorientierung im RU oder jedenfalls ihre legitime Reichweite führt.563 So überrascht es nicht, dass ganz verschiedene Modelle von Kompetenzrastern erprobt und kontrovers diskutiert werden. Für die Absicht der vorliegenden Studie ist es weder erforderlich noch zielführend, diese Diskussion ab ovo aufzurollen. Eine gewisse Konvergenz zeigt sich mittlerweile dahingehend, dass verschiedene Pläne Kompetenzen und Inhalte als aufeinander bezogen beschreiben. Das gilt z.B. für die bundesweit geltenden „Einheitlichen Prüfungsanforderungen in der Abiturprüfung“ von 2006, die für Evangelische Religionslehre fünf fachliche und methodische Kompetenzen beschreiben – „Wahrnehmungs- und Darstellungsfähigkeit“, „Deutungsfähigkeit“, „Urteilsfähigkeit“, „Dialogfähigkeit“ und „Gestaltungsfähigkeit“564 –, die an Inhalten erworben bzw. bewährt werden sollen, die jeweils in ihrer Vernetzung mit Bezugsfeldern auf Seiten der Schülerinnen und Schüler sowie der Gesellschaft zur Darstellung kommen.565 Das niedersächsische „Kerncurriculum“ von 2006 (Grundschule) bzw. 2009 (Sekundarschulen) verschränkt ganz ähnlich sogenannte prozessbezogene und inhaltsbezogene Kompetenzen miteinander – die prozessbezogenen Kompetenzen entsprechen dabei mehr oder weniger exakt den zuvor genannten Kompetenzen der bundeseinheitlichen Abituranforderungen.566 Diese fünf prozessbezogenen Kompetenzen wurden 2010 in den Orientierungsrahmen der 562

Vgl. ebd., 14–35; zu der direkten Anknüpfung an PISA besonders 16f. Vgl. ebd., 37–124. 564 Kultusministerkonferenz, EPA – evang. RU, 8f. 565 Ebd., 9f.; vgl. auch die Darstellung und Diskussion bei Obst, Lehren, 109–115. 566 Im Bereich der Grundschule (Niedersächsisches Kultusministerium, Kerncurriculum Grundschule – evang. RU, 11–13) fehlt demgegenüber noch die Dialogfähigkeit, was vermutlich schlicht daran liegt, dass dieses Curriculum zeitlich vor den Einheitlichen Prüfungsanforderungen für die Abiturprüfung entwickelt wurde. Die späteren Kerncurricula für Haupt- und Realschule übernehmen die zuvor genannten Begriffe komplett, das Kerncurriculum für die Integrierte Gemeinschaftsschule der Sache nach, aber in abgewandelter, verbaler Terminologie (vgl. dass., Kerncurriculum Hauptschule – evang. RU, 18f.; dass., Kerncurriculum Realschule – evang. RU, 18f.; dass., Kerncurriculum Integrierte Gesamtschule – evang. RU, 13). 563

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EKD zu „Kompetenzen und Standards für den Evangelischen Religionsunterricht in der Sekundarstufe I“ übernommen,567 so dass sich entsprechende Formulierungen inzwischen in etlichen Bundesländern finden, u.a. auch im baden-württembergischen Bildungsplan 2016.568 Es liegt damit eine genügend breit rezipierte Grundorientierung vor, um die Bedeutung der Kompetenzorientierung für die Fragestellung der vorliegenden Arbeit auf dieser Basis exemplarisch zu diskutieren. Dies soll hier paradigmatisch geschehen in Bezug auf die Bildungspläne meines Bundeslands Baden-Württemberg für Evangelische Religionslehre an der Realschule (2004)569 bzw. für Sekundarstufe I (2016). Der Vergleich dieser beiden Fassungen erlaubt auch, verschiedene Varianten eines kompetenzorientierten Bildungsplans zu diskutieren, nicht zuletzt im Blick auf die konkrete Frage, welche Perspektiven sie für eine Behandlung von Paulus und seiner Theologie eröffnen. Solche Überlegungen sind von Bedeutung für die Anschlussfähigkeit möglicher Unterrichtseinheiten zum Galaterbrief.570 Der Bildungsplan von 2004 beschreibt Kompetenzen auf zwei Ebenen. In einem I. Teil „Leitgedanken zum Kompetenzerwerb“ werden u.a. „Aufgaben und Ziele des evangelischen Religionsunterrichts“ und „Übergreifende Kompetenzen“ formuliert: Das Zentrum bildet eine Beschreibung einer „Religiösen Kompetenz“, in deren „Rahmen“ der evangelische RU acht Kompetenzen fördert – hermeneutische, ethische, Sach-, personale, kommunikative, soziale, methodische und ästhetische Kompetenz.571 Diese Beschreibungen sind in den Plänen aller Schularten von Grundschule bis Gymnasium wortgleich, was zwar den Zusammenhang der religionspädagogischen Aufgabe deutlich markiert, zugleich aber zu Lasten der Operationalisierbarkeit dieser Vorgaben geht. Faktisch orientiert sich der evangelische RU daher wohl eher an den im II. Teil folgenden konkreteren „Kompetenzen und Inhalten“,572 die neben den in sieben „Dimensio567

Vgl. Kirchenamt der EKD, EKD-Texte 111, 17. Vgl. z.B. u.a. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, Bildungsplan 2016. Sekundarstufe I - evang. RU, 9f. 569 Baden-Württemberg führte damals als erstes Bundesland kompetenzorientierte Pläne ein, vgl. Obst, Lehren, 39; zur Darstellung und Kritik auch ebd., 82–87. Der Realschullehrplan 2004 wird als Exempel gewählt, weil er als eine „mittlere“ Vergleichsgröße gelten kann, nicht nur in einem dreigliedrigen Schulsystem, wie es der Plan von 2004 noch voraussetzt, sondern auch im Vergleich mit dem Sekundarstufenplan 2016, der für Gemeinschaftsschulen gelten wird. 570 Vgl. dazu unten C.3.a), 315ff. 571 Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, Bildungsplan 2004. Realschule, 22f. 572 In gewisser Weise wird das vom Plan selbst nahegelegt, wenn er nach der Beschreibung der Übergreifenden Kompetenz formuliert (ebd., 23): „Diese übergreifen568

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nen“ angeordneten Kompetenzen für die (in der Regel 2 Schuljahre umfassenden) Standardzeiträume jeweils auch verbindliche „Themenfelder“ markieren. Damit widersetzt sich der Bildungsplan für Evangelische Religionslehre der ministeriellen Vorgabe, nur Kompetenzen (keine Inhalte) zu formulieren; in dieser Hinsicht fällt auch auf, dass etliche Kompetenzen mit den Verben „wissen“ oder „kennen“ beschrieben werden, also mehr das Wissen als den handelnden Umgang damit betonen. Dennoch ist ein erheblicher Rückgang der inhaltlichen Bestimmtheit zu diagnostizieren: „Es stehen auch im Bildungsplan Religion deutlich weniger Inhalte als in allen vorangegangenen Lehrund Bildungsplänen.“573 Am Beispiel Paulus fand sich 1994 für Klasse 7 noch eine Wahleinheit „Paulus – Frohe Botschaft für die Welt“, die Biographie und Briefe des Paulus in den Blick nahm, und auch in verpflichtenden Unterrichtseinheiten waren Paulusbezüge vorgeschrieben, etwa in Klasse 8 im Zusammenhang mit Luther und der Reformation auf Röm 1,17 und 3,28.574 Im Plan von 2004 hingegen ist Paulus nirgends auch nur genannt und von seinen Texten begegnet lediglich 1. Kor 12 als einer von fünf möglichen (!) Bibeltexten zur Begründung diakonischen Verhaltens.575 Selbstverständlich ist es aber möglich, Kompetenzformulierungen des Bildungsplans mit Paulus zu verknüpfen, wie Ziener an einigen (eher der klassisch reformatorischen Paulus-Auslegung verpflichteten) Beispielen zeigt.576 Das offizielle Fenster für eine Behandlung selbst oder im Rahmen eines Schulcurriculums gesetzter Themen ist groß – die explizit ausgewiesenen Themenfelder benötigen zwar „mindestens die Hälfte, aber nicht mehr als zwei Drittel der Unterrichtszeit“.577 Anhand dieses für höhere Klassen noch geltenden Bildungsplans möchte ich exemplarisch zeigen, dass und wie auf der Grundlage eines Plans, der Paulus praktisch nicht nennt, durchaus sinnvoll Unterrichtseinheiten zu Paulus und seinen Briefen entworfen werden können, wobei ich besonders auf mögliche Bezüge zum Galaterbrief achte. Dabei kommentiere ich nicht jede irgendwie passende Kompetenzformulierung, sondern habe aus jedem Standardzeitraum des Plans den Kompetenzen werden beim Erwerb der ‚Kompetenzen und Inhalte‘ (siehe II) eingeübt.“ 573 Ziener, Paulus, 15 (vgl. ebd. die Aufschlüsselung des Befunds im Blick auf Paulus). Das auf den ersten Blick gegensätzliche Urteil von Obst, Lehren, 87, dass dieser Plan „insgesamt stark inhaltslastig“ ist, vergleicht wohl eher mit anderen kompetenzorientierten als mit Vorgängerplänen. 574 Vgl. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, Bildungsplan Realschule (1994), 150; 216. 575 Dass., Bildungsplan 2004. Realschule, 28. 576 Vgl. Ziener, Paulus, 16f. 577 Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, Bildungsplan 2004. Realschule, 24.

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(Klasse 5–6, 7–8 und 9–10) Kompetenzen ausgewählt, die zusammen Basis einer jeweils in sich konsistenten Paulus-Einheit sein könnten. Für Klasse 5–6 findet sich in der Dimension Mensch die Formulierung, dass Schülerinnen und Schüler „das christliche Verständnis [kennen], dass sie als Geschöpfe Gottes einzigartig geschaffen sind und ohne Gegenleistung von Gott geliebt werden“.578 Der Satz lässt sich ganz von dem Schöpfungsgedanken her lesen, die Frage ist freilich, ob Schülerinnen und Schüler der Orientierungsstufe bei ihrem ausgeprägten Gerechtigkeitsempfinden dies als hinreichende Begründung einer Liebe durch Gott „ohne Gegenleistungen“ empfinden. In diesem Kontext ist die paulinische Version der Begründung dieses Gedankens durch die Neuschöpfung in Christus mindestens interessant; diskutieren ließe sich das etwa an Gal 2,11–21. Die (insgesamt fünf) Kompetenzformulierungen der Dimension Bibel579 lassen sich sämtlich auch (!) anhand des Galaterbriefs bearbeiten. In diesem Zusammenhang ist nicht zuletzt das innerbiblische Gespräch mit alttestamentlichen Texten sowie der innergemeindliche Streit um deren rechtes Verständnis, wie sie im Galaterbrief greifbar werden, von Interesse; hier lassen sich sehr konkret Fragen von Aufbau und Entstehung der Bibel (erste Teilkompetenz), die eigene Auslegungskompetenz (vierte Teilkompetenz) und bei entsprechenden Arrangements auch die Fähigkeit zu kreativer Bearbeitung biblischer Texte (fünfte Teilkompetenz) bearbeiten. Stärker inhaltlich interessant wären dann wieder Formulierungen der Dimension Gott, etwa dass Schülerinnen und Schüler „über ihr eigenes Gottesbild mit anderen sprechen“ können oder „biblische Geschichten [kennen], die von der Beziehung Gottes zu den Menschen erzählen“.580 Diese Perspektiven sind nicht zuletzt in Verknüpfung mit der erstgenannten Kompetenz aus der Dimension Mensch interessant, hängt doch die Botschaft des Paulus von der Liebe Gottes mit seinem eigenen Gottesbild und dieses nicht zuletzt mit der Geschichte von seiner Christusbegegnung vor Damaskus zusammen, die er als Berufung Gottes deutet (Gal 1,15f.). Auf der Basis der genannten Formulierungen ließe sich also eine Pauluseinheit mit biographischen Grundfragen in ihrer theologischen Bedeutung konzipieren, die z.B. Bezüge auf Gal 1f. beinhalten und einige Impulse zum Umgang mit biblischen Texten anbieten könnte. Im Standardzeitraum Klasse 7–8 begegnet zunächst eine ähnliche Formulierung in der Dimension Mensch, die wiederum als Grundlinie einer Befassung mit Paulus und seiner Rechtfertigungslehre dienen kann; auch Kompetenzen der Dimension Bibel lassen sich wieder auf 578 579 580

Ebd., 25. Vgl. ebd. Ebd.

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eine evtl. Pauluseinheit beziehen. Konkrete neue Möglichkeiten sind gegeben mit dem Kennen der „Geschichte eines Menschen, der sein Leben im Vertrauen auf Gott gestaltet hat“581 (Dimension Gott) bzw. von „Brennpunkte[n] der frühen Kirchengeschichte (Urgemeinde, Christenverfolgung, Konstantinische Wende)“582. Lässt sich hier noch argumentieren, dass zur ersten Kompetenz ein Lebensbild eines den Jugendlichen historisch näheren Menschen die bessere Wahl wäre und dass die zweite Paulus offenbar bewusst nicht nennt,583 so wandelt sich das Bild, wenn schließlich aus der Dimension „Religionen und Weltanschauungen“ die Fähigkeit bedacht wird, „Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Judentum und Christentum“ aufzuzeigen:584 Natürlich lassen sich da Feste betrachten und religiöse Gegenstände usw., aber läge es nicht nahe, v.a. das geschichtliche Herauswachsen des Christentums aus dem Judentum zu behandeln? Und wäre hierfür nicht das Wirken des Paulus mit den Auseinandersetzungen um die Frage, ob der Glaube an Christus die Zugehörigkeit zum Judentum erfordert oder nicht, eine naheliegende biblische Basis? Hier kommt die Entstehung des Christentums innerhalb des Judentums in den Blick (Paulus kennt die Bezeichnung „Christen“ noch gar nicht!), hier wird klar, dass und warum Juden und Christen das Alte Testament in manchen Bezügen anders lesen, hier wird der Christusbezug als das entscheidende Neue in der Theologie der christlichen Gemeinden nachvollziehbar. Sowohl die Nähe von Judentum und Christentum als auch deren Differenzierung voneinander lässt sich kaum eindrücklicher und präziser erfassen als in Auseinandersetzung etwa mit den Schilderungen des Apostelkonvents in Gal 2 und Apg 15 oder des Antiochenischen Konflikts in Gal 2, einer Erschließung des urchristlichen Streits um die paulinische Mission und in diesem Zusammenhang Texten wie Gal 3,6–4,7 (Abrahambezug, Geltung des Gesetzes). So wäre eine Unterrichtseinheit denkbar, die wichtige Fragestellungen der „New Perspective on Paul“ aufnimmt; verweisen ließe sich etwa auf den Vorschlag im Religionsbuch SpurenLesen 2.585 581

Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, Bildungsplan 2004. Realschule, 27 (Dimension Gott). 582 Ebd., 28 (Dimension Kirche und Kirchen). 583 Dieser Eindruck drängt sich auf bei einem Vergleich mit dem Bildungsplan 2012 für Werkrealschulen, einer Fortschreibung des baden-württembergischen Hauptschulplans 2004: Hier wird Paulus als „wichtige Station[..] und Person[..] der … Kirchengeschichte“ explizit genannt (Ministerium für Kultus, Jugend und Sport BadenWürttemberg, Bildungsplan 2012. Werkrealschule, 19). 584 Dass., Bildungsplan 2004. Realschule, 28. Vgl. ergänzend die inhaltliche Formulierung im Themenfeld „Judentum“: „Die jüdische Hoffnung auf den Messias und der Glaube an Jesus Christus“ (ebd.). 585 Büttner u.a., SpurenLesen 2, 63–77; vgl. dazu oben, Anm. 13.

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Wie in den vorigen Standardzeiträumen so finden sich auch für Klasse 9–10 Kompetenzformulierungen, auf denen sich eine (wieder anders konturierte) Pauluseinheit aufbauen lässt. Von den Formulierungen her würde sich hier – erstmals – ein Schwerpunkt bei einer Kompetenz der Dimension Jesus nahelegen, nämlich dass die Schülerinnen und Schüler „wissen, welche Bedeutung Christen dem gekreuzigten und auferstandenen Jesus für ihr Leben geben“.586 Wo ließe sich das biblisch klarer sehen und erfassen als bei Paulus? Er entwickelt ja nun seine ganze Theologie vom Gekreuzigten (z.B. Gal 1,4; 2,19–21; 3,1.13f.; 5,11; 6,12.14.17) und Auferstandenen her (neben 1. Kor 15 z.B. Gal 1,1; 2,19f.; 6,15): Er versteht nicht nur sein eigenes Leben, sondern überhaupt Mensch und Welt von Jesus Christus her. Entsprechende Argumentationsstrukturen in einem Brief herauszuarbeiten, ließe sich auch mit der Kompetenz der Dimension Bibel verbinden, die eine Kenntnis der „Merkmale grundlegender Textformen der Bibel“ verlangt, wobei unter den Beispielen auch „Briefe“ genannt sind.587 Ebenso wäre das Wissen „um das Wirken und die Bedeutung Martin Luthers sowie um seine reformatorische Erkenntnis“ aus der Dimension Kirche und Kirchen zu nennen588 – hier wäre zu überlegen, inwieweit das Verhältnis zwischen dem Entdeckungszusammenhang der paulinischen Rechtfertigungslehre in der Frage nach dem Einbezug der Nichtjuden in die Gemeinde zu seinen (bei Paulus zumindest schon angelegten) individualanthropologischen Folgerungen diskutiert werden kann oder gar muss. Dass jedenfalls Paulus etwas zu sagen hat zur Frage „Wer bin ich vor Gott?“, unter der nach dem Themenfeld „Gottesvorstellungen“ die „reformatorische Entdeckung“ entfaltet werden soll,589 ist wohl unstrittig. Diese Überlegungen zeigen erste Konturen von möglichen Unterrichtseinheiten oder auch nur -bausteinen, die Paulus und die Paulusbriefe im RU aufnehmen – wohlgemerkt in völligem Einklang mit einem Bildungsplan, der Paulus so gut wie gar nicht nennt. Als Nachweis für die Möglichkeit eines entsprechenden RU mag das genügen. Freilich ist damit ein solcher Unterricht noch nicht begründet. Gewiss lässt sich mit Ziener fragen, „ob der Selbstanspruch des evangelischen Religionsunterrichts, nämlich zum Erwerb religiöser und theologischer Kompetenz beizutragen, nicht erheblich unterlaufen wird, solange in ihm nicht wenigstens die Grundthemen paulinischer Theologie in ihrer konstitutiven Bedeutung für Geschichte und Gegenwart 586

Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, Bildungsplan 2004. Realschule, 30. 587 Ebd., 29; „Brief“ begegnet als Stichwort auch in der korrespondierenden Formulierung im Themenfeld „Die Bibel verstehen“ (ebd., 30). 588 Ebd., 30. 589 Ebd.

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Der Galaterbrief im Religionsunterricht

des Christentums zum Tragen kommen.“590 Aber ist denn klar, dass jede/r zu der von ihm suggerierten Antwort auf diese Frage kommt? Mit anderen Worten: Wenn durch einen Bildungsplan ein bestimmtes, auch (!) durch seine Inhalte konturiertes Profil des RU gestützt werden soll, muss dieses deutlich im Plan formuliert sein. Diese Frage bedeutet keine Abkehr von der Kompetenzorientierung, sondern macht exemplarisch deutlich, warum diese notwendig mit einer Bestimmung relevanter Unterrichtsinhalte verbunden werden muss. Die Bildungsplanreform 2016 nimmt dies auf, indem der neue Plan, wie bereits erwähnt, prozessbezogene neben inhaltsbezogene Kompetenzen stellt. Erstere sind handhabbarer als die neun übergreifenden Kompetenzen von 2004 – auch aus dem Grund, dass ihre Formulierung diesmal zwischen den Schulstufen differenziert591 –, letztere markieren deutlicher als in jenem Plan die inhaltliche Kontur des Unterrichts, auch durch die explizite Nennung verbindlicher oder fakultativer Inhalte, an denen die Kompetenzen erworben werden sollen bzw. können. Ein deutlicher Fortschritt ist darin zu sehen, dass die Verben „wissen“ und „kennen“ in der Formulierung von Kompetenzen wegfallen: Die durchgängig verwendeten Operatoren beschreiben nun stets einen handelnden Umgang mit den Inhalten.592 Im gemeinsamen Plan für die Sekundarstufe I (der an allen Schularten außer dem Gymnasium gilt) sind die Kompetenzen dabei jeweils auf drei Niveaustufen gestaffelt, deren Unterscheidung oft nicht zuletzt im verwendeten Operator besteht. Bezogen auf Paulus ist in diesem Plan zunächst eine deutliche Aufwertung zu konstatieren: Wurde er 2004 kaum genannt, so kommt er nun mehrfach explizit vor. Schon für die „Orientierungsstufe“ (Klasse 5–6) wird dabei die Möglichkeit einer biographisch orientierten Pauluseinheit gegeben: Der Kompetenzbereich „Bibel“ führt Paulus als ein Beispiel in einer Reihe von neun biblischen Gestalten an, deren Geschichten die Schülerinnen und Schüler „wiedergeben“, 590

Ziener, Paulus, 17. Die prozessbezogenen Kompetenzen werden zwar in den Plänen für Sekundarstufe I und Gymnasium gleich formuliert, der Plan für die Grundschule bietet aber eine abgestufte Version; vgl. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport BadenWürttemberg, Bildungsplan 2016. Sekundarstufe I - evang. RU, 9f.; dass., Bildungsplan 2016. Gymnasium - evang. RU, 9f.; dass., Bildungsplan 2016. Grundschule evang. RU, 10f. Andererseits liegen die Formulierungen für Sekundarstufe I so doch schon sehr nah an denen der Einheitlichen Prüfungsanforderungen für die Abiturprüfung (vgl. Kultusministerkonferenz, EPA – evang. RU, 8f.) – eine erkennbare Abstufung auch zwischen den Plänen für Sekundarstufe I und Gymnasium wäre im Interesse der Operationalisierbarkeit der prozessbezogenen Kompetenzen durchaus sinnvoll. 592 Anders als im Plan von 2004 wird also hier die berechtigte Forderung von Zimmermann, Kindertheologie, 140, erfüllt; vgl. unten bei Anm. 697. 591

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„einordnen“ bzw. in ihren „Zusammenhänge[n] … erläutern“ können sollen, ausdrücklich wird dazu „Apg 7; 9–28 (in Auszügen)“ unter den möglichen Bibeltexten angeführt.593 Eine entsprechende Einheit ließe sich – wenn sie nicht gleich mehrere biblische Personen zusammenstellt594 – nach diesem Plan verbinden mit der „Entstehung der Gemeinde in Jerusalem“ und/oder konturieren mit Blick auf die Auseinandersetzung „mit Fragen nach Gott“ oder die Darstellung bzw. Erläuterung von „Jesu Sicht auf Gott und die Menschen anhand von … Begegnungs- oder Berufungsgeschichten“.595 Für den Standardzeitraum Klasse 7–9 legen die inhaltsbezogenen Kompetenzen eine deutlich theologisch konturierte Arbeit an Paulus nahe. Das gilt, obwohl der im Juni 2014 geplante Bezug auf „Aspekte paulinischer Theologie (z.B. Freiheit, Rechtfertigung, neuer Mensch) und deren Bedeutung“596 so nicht in die Endfassung übernommen wurde. Dort heißt es nun, dass die Schülerinnen und Schüler „biblische Traditionen zu Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden (z. B. Exodustradition, Prophetie, Jesus, Paulus) darstellen“ bzw. „untersuchen“ können.597 Hinzu kommen aber weitere Kompetenzformulierungen, die in Verbindung mit diesem Standard eine zusammenhängende theologisch ausgerichtete Pauluseinheit nahelegen, etwa aus dem Bereich Gott: „biblische Aussagen vom gnädigen und gerechten Gott (z.B. Amos, Paulus) beschreiben“598 oder aus dem Bereich Jesus Christus: „sich 593 Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, Bildungsplan 2016. Sekundarstufe I - evang. RU, 15f. Für alle Niveaustufen werden „Abraham, Joseph, Mose, Ruth, David, Elia, Jeremia, Jesus, Paulus“ als Beispiele genannt, neben Paulus werden noch Abraham, Josef, Rut, David und Jeremia durch die Nennung von Bibelstellen betont (Mose und Jesus werden wohl als bekannt vorausgesetzt, das Übergehen von Elia ist vielleicht ein Versehen). 594 Der Plan legt hier besonders eine Verbindung „Jesus – Paulus“ nahe, so jedenfalls in den Niveaustufen M und E, deren Kompetenzformulierungen jeweils den „Zusammenhang“ verschiedener Personen in den Blick nehmen; vgl. ebd., 15. 595 Zitiert sind hier die Kompetenzformulierungen Kirche (2), Gott (1) und Jesus Christus (3), ebd., 20.17.19. 596 Entwurfsfassung des Plans vom 14.06.2014 (wurde mir als Mitglied der Gemeinsamen Religionspädagogischen Kommission der Evangelischen Landeskirchen in Baden und Württemberg bekannt). Die oben skizzierte biographische Beschäftigung mit Paulus in der Orientierungsstufe war übrigens 2014 noch nicht vorgesehen, möglicherweise hängt deren Aufnahme mit der hier beschriebenen Änderung zusammen. 597 Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, Bildungsplan 2016. Sekundarstufe I - evang. RU, 27. Als „mögliche Bibeltexte“ nennt der Plan hierzu u.a. paulinische Texte: „Gal 5 und Röm 7 in Auszügen“. 598 Ebd., 28. Hier werden auch weitere Paulustexte als „mögliche Bibeltexte“ genannt: „Röm 1,16-17; Röm 5,1-5; 1. Kor 13,13“. Fragwürdig ist aber, dass die genannte Formulierung auf dem grundlegenden Niveau auf den höheren Niveaustufen nicht nur durch einen anderen Operator („entfalten“ bzw. sich damit „auseinandersetzen“), sondern auch durch eine andere inhaltliche Fassung abgesetzt wird: Hier geht es nun um „die reformatorische Betonung des gnädigen und gerechten Gottes“. Kann

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mit Deutungen von Kreuz und Auferstehung Jesu Christi auseinandersetzen“.599 Paulus begegnet also den Schülerinnen und Schülern ziemlich sicher, wo dieser Plan umgesetzt wird. In Klasse 10 ist das nicht mehr unbedingt zwingend, immerhin bieten die Kompetenzformulierungen zu verschiedenen Sachfragen eine Auseinandersetzung mit Paulustexten an.600 Die gegenüber 2004 deutlich greifbare Aufwertung von Person und Theologie des Apostels im Bildungsplan 2016 legt freilich auf den ersten Blick nicht unbedingt nahe, nun eine zusammenhängende Bearbeitung des Galaterbriefs vorzuschlagen. Der Zeitraum, der sich für ein solches theologisch interessiertes Projekt anbietet, wäre ohne Zweifel die Standardstufe 7–9. Die hierfür im Bildungsplan genannten Paulustexte stammen zwar überwiegend aus anderen Briefen,601 doch wäre mit einer ersten Beschäftigung mit dem Paulus der Apostelgeschichte in Klasse 5–6 eine gute Basis für eine bewusste Auseinandersetzung mit einem Brief des Apostels in Klasse 7–9 gegeben. Der Galaterbrief würde dabei mit seiner Anknüpfung an zentrale biographische Stationen in Gal 1f. eine ebenso didaktisch hilfreiche wie inhaltliche relevante Lernschleife bieten. Angesichts der stärksten Gewichtung paulinischer Theologie in dem Zeitraum Klasse 7–9 wäre eine Unterrichtseinheit zum Galaterbrief jedenfalls am ehesten dort anzusiedeln. Ein Blick auf die im Bildungsplan für diese Klassen genannten inhaltsbezogenen Kompetenzen lässt das nun in der Tat durchaus begründet erscheinen. Die für den Standardzeitraum vorgeschlagene Behandlung von Röm 8 und 1. Kor 15 sollte im Kontext einer thematischen Einheit „Tod“ o.ä. stattfinden, worauf auch die damit verbundenen Kompetenzen eher zielen; diese Texte sind also nicht zwingend – gerade in reformatorischer Perspektive! – der Bezug auf eine bestimmte Auslegung ernstlich ein höheres Niveau bedeuten als derjenige auf deren biblische Quellen? So gesehen erscheint es – auch angesichtes der Parallelität der drei Kompetenzformulierungen – gut begründet, die Sicht der Reformation nicht anders als unter Rückgriff auf ihren Kronzeugen Paulus zu entfalten. 599 Ebd., 29. Hier werden zwar keine Paulustexte zugeordnet, doch nennen die Kompetenzen zum Bereich „Mensch“ Ebd., 25, im Zusammenhang der Befassung mit „Formen des Umgangs mit Endlichkeit, Sterben und Tod“ u.a. „Röm 8; 1.Kor 15“ – beides ließe sich durchaus verbinden. 600 So wird ebd., 39, „Röm 13,1-7“ genannt (mit Blick auf „die Haltung von Christen gegenüber dem Staat“); ebd., 40, dann „1.Kor 14“ (im Kontext einer Auseinandersetzung mit verschiedenen „religiösen Gruppen“). 601 Der Plan nennt zum Bereich „Mensch“ Röm 8; 1. Kor 15, zu „Bibel“ Gal 5 und Röm 7 „in Auszügen“; zu „Gott“ Röm 1,16f.; 5,1–5; 1. Kor 13,13 und zu „Kirche“ 1. Kor 12. Daneben lässt sich aber auch die mehrfache Erwähnung von Apg 15 (in den Bereichen „Kirche und Kirchen“ sowie „Religionen und Weltanschauungen“) als mögliche Begründung für eine Behandlung der paulinischen Darstellung des Apostelkonvents in Gal 2 und v.a. der Thematik des Galaterbriefs interpretieren.

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in eine Pauluseinheit aufzunehmen. Dann blieben unter Konzentration zunächst auf deutliche Bezüge auf Paulus folgende Aspekte übrig:602 „biblische Traditionen zu Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden“, „biblische Aussagen vom gnädigen und gerechten Gott“ und „Deutungen von Kreuz und Auferstehung Jesu Christi“. Alle diese Linien verbinden sich in der Argumentation des Galaterbriefs und lassen sich dort diskutieren, z.T. deutlich so, dass die Schülerinnen und Schüler auch Einblicke in das innerbiblische Gespräch erlangen. Dass der Galaterbrief diese Themen in engagierter Auseinandersetzung mit anderen Verstehensoptionen artikuliert, lädt sie überdies ein, Positionen kritisch zu prüfen und ein eigenes Urteil zu finden. So eröffnet sich – gerade auch in der Abstufung der mit den genannten Inhalten verbundenen Operatoren von „beschreiben“ bis „sich damit auseinandersetzen“ – ein Feld, das zahlreiche Bezüge der prozessbezogenen Kompetenzen integriert. Da auch über diese Kernformulierungen hinaus zahlreiche Kompetenzformulierungen des fraglichen Standardzeitraums mit einer Einheit zum Galaterbrief sinnvoll verknüpft werden können,603 scheint eine solche in jedem Fall vertretbar. Kurz und gut: Der Galaterbrief ist nach den baden-württembergischen Bildungsplänen grundsätzlich ein mögliches Unterrichtsthema. Um zu zeigen, dass ein solcher Unterricht aber darüber hinaus auch sinnvoll ist, muss weiter ausgeholt werden als es der Rekurs auf einen Bildungsplan tut. Zu diesem Zweck werden nun zunächst religionspädagogische und bibeldidaktische Grundlinien geklärt. Auf dieser Basis kommt dann das folgende Teilkapitel (C.2) wieder auf das Projekt einer Unterrichtseinheit zum Galaterbrief zurück und diskutiert und begründet es mit Blick vor allem auf die Schülerinnen und Schüler. Das letzte Teilkapitel (C.3) nimmt dann in einer Skizze einer möglichen Unterrichtseinheit für Klasse 7 auch die Kompetenzformulierungen des Bildungsplans 2016 nochmals auf. b) Das lernende Subjekt: Theologisieren mit Kindern bzw. Jugendlichen Die Zusammenstellung in der Überschrift dieses Abschnitts versteht sich nicht von selbst, sondern beschreibt den Zugang zur religionspädagogischen Aufgabenstellung, dem ich mich selbst verpflichtet fühle. Es sei sofort zugestanden: So sehr der Ausgang vom lernenden Subjekt als (religions-)pädagogischer Grundkonsens gelten kann, so differenziert wird dieser Gedanke entfaltet – keineswegs versteht sich 602 Die genauen Kompetenzformulierungen und Nachweise vgl. oben bei und in Anm. 597 bis 599. 603 Ausführlich wird dies in C.3.a) unten, 315ff., nachgewiesen.

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jede die Schülerinnen und Schüler ins Zentrum stellende Konzeption als Theologisieren mit Kindern bzw. Jugendlichen. Da sich aber umgekehrt das Theologisieren auch nicht als ein gegen andere religionspädagogische Ideen grundsätzlich abgeschotteter Zugang versteht, sondern Impulse vielfältiger Art mit dem eigenen Anliegen sinnvoll verbinden kann – einige entsprechende Bezüge werden im Folgenden namhaft gemacht –, und da es insbesondere keineswegs als geklärt gelten kann, welches bibeldidaktische Profil mit dem Theologisieren mit Kindern bzw. Jugendlichen verbunden ist, kann dieser durchaus individuelle Zugang in die Thematik als genügend weit gelten. Dass es in der postmodernen religionspädagogischen Landschaft wohl auch gar keine Möglichkeit für eine allgemeingültige Begründung eines bestimmten Unterrichts gibt (wenn es sie denn je gegeben hat), sei nur am Rande erwähnt.604 Der Abschnitt ist so aufgebaut, dass ich zunächst begründet Rechenschaft ablege über mein eigenes Verständnis des Theologisierens mit Kindern bzw. Jugendlichen. Darauf aufbauend befasse ich mich mit der Diskussion über konstruktivistischen Religionsunterricht, also der gegenwärtig wohl entschiedensten Form der Subjektorientierung in der Religionspädagogik. Aus beiden Überlegungen leitet sich die weitere wichtige Fragestellung ab, wie im Kontext der Differenzierung von Theologie von Kindern, Theologisieren mit Kindern und Theologie für Kinder der letztgenannte Aspekt zu bestimmen ist. Kinder- bzw. Jugendtheologie als theologische Kompetenz Kindertheologie ist als Leitbegriff der religionspädagogischen Diskussion spätestens seit dem Start des „Jahrbuchs Kindertheologie“ im Jahr 2002 etabliert, das in Gestalt eines Beitrags von Bucher mit der Frage beginnt, ob dies nun ein „neues Paradigma“ sei.605 Die inzwischen sehr breite Literatur zu dieser Thematik606 hat etliche Klärungen, aber in wichtigen Fragen auch noch keinen Konsens in der Be604

Vgl. dazu schon oben, 6. Bucher, Kindertheologie; mit seinem Titel „Kindertheologie: Provokation? Romantizismus? Neues Paradigma?“ markiert er freilich zugleich zwei gewichtige Diskussionspunkte: Die Klärungsbedürftigkeit des Begriffs „Theologie“ in diesem Zusammenhang und die Frage nach der Angemessenheit der mit der Kindertheologie verbundenen Höherbewertung des Kindes. Die vorsichtige Einschränkung, die Bucher bei der Beantwortung der Frage vornimmt, ob Kindertheologie nun ein neues Paradigma sei (ebd., 27: „Teils!“), gilt übrigens nur dem „neu“, das wegen verschiedener historischer Wurzeln nicht uneingeschränkt behauptet werden kann – dass Kindertheologie ein Paradigma ist, ist für ihn hingegen klar. Vgl. zur Frage nach dem Neuen in der Kindertheologie auch Zimmermann, Kindertheologie, 54–57. 606 Neben dem Jahrbuch und verschiedenen Monographien widmen sich u.a. Themenhefte diverser religionspädagogischer und theologischer Zeitschriften der Thematik. 605

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schreibung und forschenden Bearbeitung dieses Paradigmas hervorgebracht. Das weite Spektrum hinsichtlich der inhaltlichen, methodischen und reflexiven Qualität der Beiträge im Jahrbuch für Kindertheologie etwa führt so durchaus zu Fragen, die noch nicht einvernehmlich geklärt scheinen:607 • Wie funktioniert/gelingt Theologisieren mit Kindern in der Praxis? Ist das abhängig von der individuellen Begabung einer Lehrkraft, ihrer eigenen Offenheit für theologisches Fragen usw.? Oder lässt sich das auch lernen bzw. genauer: Was daran lässt sich lernen und wie? • Wie ist das Verhältnis zwischen der oft zum Staunen Anlass gebenden Theologie von Kindern zu gezielten Impulsen der Lehrkraft im Sinne einer Theologie für Kinder so zu bestimmen, dass das Theologisieren mit Kindern etwas anderes und damit mehr als eine Kreisbewegung wird? • Was ist kindertheologische Forschung? Welche Methoden und Standards sind hier sinnvoll? An dieser Stelle sollen diese und weitere Fragen nicht in einer grundsätzlichen, etwa geistesgeschichtlich, theologisch, sozialwissenschaftlich und religionspädagogisch reflektierten Überlegung bearbeitet werden – das würde den Rahmen der von meiner Studie verfolgten Fragestellung sprengen. Es ist aber auch nicht nötig, Dinge zu wiederholen, die andere in guter und gründlicher Weise bedacht und dargestellt haben, weshalb im Folgenden meine Sicht auf die Kindertheologie unter Verweis auf einige klärende, zukunftsweisende Arbeiten dargestellt und begründet wird. Zu den in dieser Hinsicht besonders bedeutsamen Beiträgen zählen nach meinem Urteil die Habilitationsschriften von Petra Freudenberger-Lötz und Mirjam Zimmermann. Erstere hat Grundlagen entwickelt und beschrieben für einen Professionalisierungsprozess im Blick auf Initiierung und Moderation theologischer Gespräche mit Kindern mit dem Ziel der nachhaltigen Förderung ihres eigenständigen theologischen Fragens und Denkens.608 Letztere bietet – neben Impulsen zu den Fragen rund um die Qualität kindertheologischer Forschung609 – Klärungen etlicher systematisch relevanter Fragen der Konzeption von Kindertheologie; rezipiert wird im Folgenden nicht zuletzt ihr Vorschlag zu einer religionspädago607

Vgl. dazu auch Büttner, Strukturen, 56. Er diagnostiziert 2006 „eine nicht vorhersehbare Karriere“ von Begriff und Sache der Kindertheologie, aber auch die Aufgabe einer gewissen Konzentration: „Der bisherige Goodwill, den der Begriff in den verschiedenen Rezeptionsfeldern erfahren hat, entpflichtet uns nun allerdings nicht von der Aufgabe, ihn in der weiteren Diskussion zu profilieren.“ 608 Vgl. Freudenberger-Lötz, Gespräche mit Kindern. 609 Vgl. Zimmermann, Kindertheologie, 165–230; auch schon dies., Methoden, bzw. die Kurzfassung dieses Beitrags: dies., Forschung.

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gisch und theologisch begründeten Profilierung dieses Begriffs im Sinne einer theologischen Kompetenz. Dieser Anschluss ist möglich und sinnvoll, obwohl die in der vorliegenden Studie verfolgte Fragestellung schon in den Bereich eines Theologisierens mit (jungen) Jugendlichen fällt – Zimmermann sieht selbst die doppelte Aufgabe, „die Kindertheologie in Richtung Theologisieren mit Jugendlichen einerseits abzugrenzen, andererseits aber zu erweitern“,610 d.h. eine begründete Fortschreibung ihrer Konzeption auch auf ältere Schülerinnen und Schüler liegt durchaus im Horizont ihrer eigenen Perspektive und soll im Folgenden auch mit Blick auf die Debatte zur Jugendtheologie begründet werden. Diese Perspektive freilich nötigt zunächst zu grundsätzlichen Fragen: Erfordert nicht der Übergang zum Jugendalter einen verstärkten Lebensweltbezug durchaus auch zu Lasten einer Orientierung an der biblisch-christlichen Tradition – also zu Lasten auch theologischer Thematiken? Fragen von Jugendlichen adressieren bei weitem nicht so klar wie die von Kindern theologische Grundfragen und sie suchen ihre eigenen Antworten – die sie im Übrigen auch nicht mehr so offen ins Gespräch einbringen wie Kinder – oft in bewusster Distanz zur theologisch-kirchlichen Tradition.611 Es ist daher gar nicht verwunderlich, dass „Jugendtheologie“ nicht im Kontext etlicher Untersuchungen und Diskussionen zur Religiosität Jugendlicher, sondern erst in jüngster Zeit und mit erheblicher Verzögerung ausgehend von der Kindertheologie zum Thema wurde: Nach einigen Aufsätzen, die eine bewusste Diskussion dieser Perspektive forderten und eröffneten,612 erschienen erste monographische Arbeiten in schneller Folge 2011 und 2012: Thomas Schlag und Friedrich Schweitzer legten eine grundlegende Vermessung des Felds einer Jugendtheologie vor,613 Petra Freudenberger-Lötz eine stärker praktisch orientierte Studie,614 Veit-Jakobus Dieterich gab einen Sammelband heraus mit dem Anspruch, „ein Programm für Schule und Kirche“ zu bieten,615 ein weiterführender Band von Schlag und Schweitzer versammelt in seinem mittleren Teil „Praxisbeispiele und Diskussion“ auch Beiträge ver610

Dies., Kindertheologie, 81, Anm. 358. Als Argument für diese Unterscheidung nennt sie ebd., 81, die aktuelle Ausdifferenzierung zwischen sozialwissenschaftlicher Kinder- und Jugendforschung. Der inzwischen eingesetzte Diskurs um eine Jugendtheologie benennt daneben weitere Gründe für eine Differenzierung beider Aspekte; die für die hier verfolgte Fragestellung relevanten Aspekte dieser Fragen werden im Folgenden weiter entfaltet und diskutiert. 611 Vgl. Schlag/Schweitzer, Jugendliche, 27. 612 Vgl. neben anderen Schweitzer, Jugendliche (2005); Dieterich, Theologisieren (2007); Freudenberger-Lötz/Reiß, Gespräche (2009). 613 Vgl. Schlag/Schweitzer, Jugendliche. 614 Vgl. Freudenberger-Lötz, Gespräche mit Jugendlichen. 615 So der Untertitel von Dieterich, Theologisieren (2012; Sammelband).

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schiedener weiterer Autorinnen und Autoren,616 und es entstand ein „Jahrbuch für Jugendtheologie“.617 Kurz: Das Thema drängt nun mit Nachdruck auf die Agenda. Es empfiehlt sich, zunächst bei der langen Zurückhaltung gegenüber dieser Thematik einzusetzen. Sie dürfte sich der Reflektion auf die deutlich veränderte Interessenlage der Jugendlichen gegenüber der der Kinder ebenso verdanken wie der Einsicht in die größere Distanz von Jugendlichen zu kirchlicher und theologischer Tradition, von der sie nicht unbedingt die Antworten erwarten, die sie suchen. Natürlich hängen Kinder- und Jugendtheologie miteinander zusammen, nicht zuletzt im Blick auf Gespräche mit Jugendlichen leuchtet etwa die Forderung ein, „schon vom Kindesalter an mehrperspektivisches und komplementäres Denken zu fördern“ und die „Gottesfrage facettenreich [zu] thematisier[en]“.618 Unbeschadet starker Bezüge aber stellt eine bruchlose Fortschreibung von Kinder- in Jugendtheologie keine ernsthafte Möglichkeit dar, vielmehr ist mit Schlag und Schweitzer die grundsätzliche, durchaus offene Frage zu stellen: „Brauchen Jugendliche Theologie?“619 Für die von diesen Autoren formulierte positive Antwort ist zunächst die Grundeinsicht entscheidend, dass Jugendliche jedenfalls nur eine solche Theologie brauchen können, die ihrerseits für ihre Entfaltung die Jugendlichen und ihre Fragen und Orientierungsbedürfnisse braucht – oder anders gesagt: Nur wenn die Lebensbedeutsamkeit und Lebensdienlichkeit theologischer Themen oder biblischer Traditionen erkennbar wird, ist damit zu rechnen, dass sie Relevanz in den je eigenen Konstruktionen der Jugendlichen erlangen.620 Diese freilich unterscheiden sich deutlich von solchen von Kindern: Das Autonomiestreben der Jugendlichen äußert sich in einer doppelten Abgrenzung, einerseits vom eigenen 616

Vgl. Schlag/Schweitzer, Jugendtheologie. Die beiden Herausgeber steuern hier selbst eine Zusammenfassung des eigenen Ansatzes (Teil 1) und eine bündelnde und weiterführende Diskussion der Impulse aus dem genannten Mittelteil bei (Teil 3). 617 Dessen erster Band – vgl. Freudenberger-Lötz/Kraft/Schlag, Jahrbuch für Jugendtheologie 1 – erscheint zwar erst 2013, darf aber wohl als Jahrgangsband für 2012 gelten, da ebenfalls noch 2013 der zweite Band vorgelegt wird, vgl. Dieterich/Roebben/Rothgangel, Jahrbuch für Jugendtheologie 2. 618 Freudenberger-Lötz, Gespräche mit Jugendlichen, 21. 619 So der Haupttitel ihres Buches zu „Jugendtheologie als Herausforderung und didaktische Perspektive“ (Untertitel), vgl. zur Begründung dieser Frage Schlag/Schweitzer, Jugendliche, 10; zur Unterscheidung von Kinder- und Jugendtheologie auch Dieterich, Theologisieren (2012; Beitrag), 31f.; Freudenberger-Lötz, Religionsunterricht, 118–120. 620 Vgl. etwa Schlag/Schweitzer, Jugendliche, 18f.22–24. Vgl. dazu auch die Beobachtung von Freudenberger-Lötz, Gespräche mit Jugendlichen, 23, „dass den Schülerinnen und Schülern die Tragweite ihrer Fragen oft nicht bewusst ist und sie nicht selten überrascht sind, wenn ihnen ihre eigenen Fragen und der Zusammenhang innerhalb des theologischen Diskurses transparent gemacht werden.“

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(früheren) auf Anschaulichkeit statt auf Abstraktion aufgebauten Kinderglauben, andererseits gegenüber den Erwachsenen (in diesem Fall:) als religiösen Autoritäten.621 Damit einher geht eine bewusstere Selbstwahrnehmung im Blick auf die eigene Biographie wie die eigene Subjektivität. Letzteres erweist sich im Blick auf Religion und Religionsunterricht als ambivalent, „positiv als Möglichkeit zur Verinnerlichung, negativ als Vorbehalt im Blick auf die religiöse Kommunikation besonders mit Erwachsenen, aber auch … in der Gruppe der Gleichaltrigen“.622 Theologisieren mit Jugendlichen ist daher nicht nur in inhaltlich-theologischer, sondern auch in unterrichtspraktischer Perspektive eine deutlich von der Kindertheologie unterschiedene Herausforderung. Nun ist allerdings davor zu warnen, von vornherein darauf zu verzichten, mit Jugendlichen Theologie zu betreiben. Es ist nicht nur fraglich, ob der Weg einer solchen „neuzeitlichen Selbstsäkularisierung“623 geeignet ist, um Skepsis gegenüber Theologie zu überwinden (und nicht im Gegenteil als Kapitulation vor solcher Skepsis aufgefasst werden würde), v.a. würde ein solcher Theologieverzicht den manchmal eben auch unausgesprochenen religiösen Fragen und Interessen von Jugendlichen nicht gerecht. Dies gilt umso mehr, als sich keineswegs nur Formen impliziter Theologie bei Jugendlichen aufzeigen bzw. vermuten lassen624 – Freudenberger-Lötz zeigt etwa eindrücklich auf, dass und wie sie in der Reflektion der Entwicklung der je eigenen religiösen Entwicklung nicht nur motiviert und fähig sind zu expliziten theologischen Überlegungen, sondern ihre Position sich im Rahmen eines solchen Prozesses auch von einer „kritischablehnende[n] Haltung“ hin zu einer differenzierteren entwickeln kann („aufgeschlossene Zweifler“).625 Neben bzw. genauer zwischen impliziter und expliziter Theologie beschreiben Schlag und Schweitzer als zweite Dimension von Jugendtheologie „eine persönliche Theologie im Sinne einer bestimm621

Vgl. Schlag/Schweitzer, Jugendliche, 44f.; auch ebd. 29f. Ebd., 31; vgl. ebd., 33; Freudenberger-Lötz, Religionsunterricht, 119. 623 Schlag, Theologie, 11. 624 Vgl. dazu z.B. Gennerich, Dogmatik, kurz dargestellt bei Schlag/Schweitzer, Jugendliche, 37–39, die diese Dimension in ihr Schema mit aufnehmen (vgl. ebd., 59f.61 u.ö.; dazu unten), aber zu Recht betonen, dass ein Begriff von Jugendtheologie nur dann sinnvoll vertretbar ist, „wenn auch die von den Jugendlichen selbst explizit formulierte Theologie in den Blick genommen wird“, ebd., 54. 625 Vgl. Freudenberger-Lötz, Religionsunterricht, 120–126; die Zitate ebd., 126. Die von Schlag und Schweitzer geforderte wechselseitige Beziehung von Theologie und Jugendlichen ist in diesem Beispiel geglückt, auch wenn diese selbst (vgl. Schlag/Schweitzer, Jugendliche, 67–72) gegenüber einem solchen Zugang über die Reflektion der eigenen religiösen Biographie eine skeptischere Perspektive einnehmen. 622

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ten Auffassung etwa von Glaube oder Gott“ – diese Ebene ist nicht zuletzt deshalb von Bedeutung, weil sich hier entscheidet, ob bzw. inwiefern in theologischen Themen „die eigenen Fragen nach Identität und verlässlicher Orientierung, nach gesuchter Geborgenheit und Transzendenz wiederzuerkennen sind“.626 Zu diesen drei Dimensionen ergänzen sie „die theologische Deutung expliziter Jugendtheologie mit Hilfe der theologischen Dogmatik“ sowie „auf einer anderen Ebene“ explizite theologische Argumentationen Jugendlicher etwa in kirchengemeindlichen oder religionsunterrichtlichen Kontexten.627 Diese insgesamt fünf Dimensionen verbinden sie dann in einer Matrix mit den drei Perspektiven einer Theologie von und mit Jugendlichen sowie für Jugendliche.628 Es lässt sich zwar mit guten Gründen fragen, ob sich „persönliche Theologie“ nicht in (statt neben) impliziter bzw. expliziter Theologie zeigt, ob die Dimension der theologischen Deutung nicht bereits hinreichend durch die Perspektive einer Theologie für Jugendliche im Blick ist und ob sich schließlich explizite Theologie von theologischen Argumentationen Jugendlicher wirklich trennscharf und also sinnvoll unterscheiden lässt: Mit diesen einleuchtenden Anfragen begründet Rothgangel eine vereinfachte Matrix, die nur die Grundunterscheidung von impliziter und expliziter Theologie mit den drei Perspektiven der Jugendtheologie kreuzt.629 In beiden Varianten aber bietet die beschriebene Matrix ein differenziertes Instrument sowohl zur analytischen Beschreibung von Jugendtheologie als auch zur Diskussion ihrer Zielsetzungen (die schon aus der Anerkennung der Jugendlichen als Theologen folgen).630 Die Debatte zur Jugendtheologie ist also einerseits noch sehr jung, andererseits aber doch so weit gediehen, dass diese Perspektive als begründet gelten kann. Ich komme daher nun zurück auf die offenen Fragen und v.a. die angekündigte Absicht, im Anschluss an Zimmermanns Bestimmung von „Kindertheologie als theologische Kompetenz von Kindern“631 ein profiliertes Verständnis dieser Zugangswei626

Ebd., 97. Ebd., 60. 628 Vgl. zusammenfassend zur Differenzierung auch Schlag, Theologie, 14–17. Die komplett ausgearbeitete Matrix „Formen von Jugendtheologie“ findet sich bei Schlag/Schweitzer, Jugendliche, 179, bzw. identisch auch bei Schlag, Theologie, 16. 629 Vgl. Rothgangel, Formen, 133. So wie dieser seinen Vorschlag nicht als grundsätzliche Alternative zu Schlag/Schweitzer versteht, konzedieren diese umgekehrt eine gewisse Zustimmung zu seinen Anfragen, halten dabei aber an der letzten Dimension fest, vgl. Schlag/Schweitzer, Rückfragen, 168. 630 Vgl. dies., Jugendliche, 61. 631 Dieser Titel markiert, dass dies „eine der Leitthesen“ (Zimmermann, Kindertheologie, 143) ihrer Arbeit ist; entfaltet und begründet wird sie v.a. im ebenso benannten II. Teil, ebd., 131–163. Zusammengefasst findet sich ihre These in dies., Kompetenz. 627

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se vorzulegen, das dann auch im Blick auf Jugendtheologie reflektiert werden wird. Zimmermanns zentraler Vorschlag, die Debatte um Kindertheologie mit derjenigen um Bildungsstandards und Kompetenzorientierung zu verknüpfen, ist nicht ohne Vorläufer,632 wurde aber vor ihr nicht so gründlich durchgeführt und prägnant begründet.633 Einen grundsätzlichen Widerspruch zu Bildungsstandards als definierten Leistungserwartungen vermag Zimmermann zu Recht „nur bei einem sehr verkürzten Verständnis von Kindertheologie, das nahe an einem völlig ziel- und konzeptfreien Wahrnehmen von Kinderäußerungen steht“, zu erkennen.634 In diesem Zusammenhang zeigt wieder die schon verschiedentlich erwähnte, durch Friedrich Schweitzer in den kindertheologischen Diskurs eingeführte Differenzierung zwischen Theologie von Kindern, Theologisieren mit Kindern und Theologie für Kinder ihre strukturierende Qualität:635 Würde sich Kindertheologie auf den erstgenannten Aspekt – also etwa ein Staunen über theologische Aussagen von Kindern – begrenzen, wäre sie in der Tat mit der Bildungsstandard-Debatte inkompatibel. Dann aber wäre Kindertheologie auch wirklich nicht mehr als ein „Romantizismus“,636 eine schöne Nebensache vielleicht, aber kein möglicher Ge632

Verwiesen sei etwa auf Martens, Kinderphilosophie, der „von einem Begriff des Philosophierens als Tätigkeit und einer entsprechenden elementaren Kompetenz“ ausgeht, „die sich auch auf die elementare Kompetenz theologischen Nachdenkens übertragen lässt“ (ebd., 19), sowie Rupp, Bildungsstandards, z.B. 90: „Kindertheologie ist also auf die Beherrschung ‚übergreifender Kompetenzen‘ angewiesen und arbeitet selbst an ihnen.“ Ist für Rupp die Sache im Blick auf Voraussetzungs- und Prozessstandards klar, so formuliert er aber als „Frage …, ob Kindertheologie selber auf den Erwerb von Kompetenzen zielt und somit auch die Definition von Ergebnisstandards braucht.“ (Ebd., 91.) Damit setzt er das Fragezeichen just an die Stelle, an der Zimmermanns Plädoyer das klarste Profil zeigt. – Zu Vorläufern in der Verwendung des Begriffs „theologische Kompetenz“ vgl. Zimmermann, Kindertheologie, 143, Anm. 41. Nicht in diesen Zusammenhang gehört Pemsel-Maier, Kindertheologie, die zwar im Kontext der Kindertheologie von theologischer Kompetenz spricht, damit aber offenbar diejenige der Lehrkräfte meint, vgl. etwa ebd., 78–81. 633 Dieterich, Buchbesprechung Zimmermann, 233, würdigt diese Kernthese als „originelle und kluge“ Zusammenführung der beiden Debatten und deren Resultat als „überzeugend“. In diesem Punkt ähnlich urteilt auch Saß, Buch, 95: „überzeugt … und ermuntert zu weiteren Forschungen“. 634 Zimmermann, Kindertheologie, 138. 635 Vgl. Schweitzer, Kindertheologie (2003), 11–16. Schweitzer er spricht beim ersten Aspekt auch von „Theologie der Kinder“ und benennt den zweiten ebenfalls mit „Theologie“ (mit Kindern) – die oben genannte Variante seiner Differenzierung ist die begriffliche Form, in der sie meist rezipiert wird. 636 Vgl. den Titel von Buchers programmatischem Aufsatz Bucher, Kindertheologie; Zimmermann, Kindertheologie, 141; auch ebd., 129: „Mythisierung des Kindes“. Wenn Kraft, Theologisieren (2014), 29, unter Bezug auf Zimmermann gerade im Blick auf die Theologie von Kindern von theologischer Kompetenz spricht, ist ihre These hier jedenfalls nicht komplett aufgenommen.

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genstand pädagogischer Bemühung – eher schon ein Grund, auf eine solche komplett zu verzichten. Wenn und weil Kindertheologie aber mehr ist, zum Beispiel ein sich aufeinander Beziehen, ein Finden von möglichen Klärungen oder jedenfalls ein Präzisieren von Fragen im Gespräch (Theologisieren mit Kindern), auch ein sich anregen Lassen durch neue Impulse, in der Begegnung mit biblischen Texten, theologischen Thesen oder Problemkonstellationen (Theologie für Kinder), kann sie nicht nur, sondern sollte geradezu im Licht der Überlegungen zu – prozess- und inhaltsbezogenen! – Kompetenzen bedacht werden. Zimmermann betont, dass eine solche „Einbindung in die Bildungsstandarddebatte dazu [nötigt], Kinderartefakte mit Wertesystemen zu konfrontieren und einen Begriff von ‚guter Kindertheologie‘ zu entwickeln“,637 mit anderen Worten: im ständigen Gespräch mit Theologien von Kindern ist auch eine Theologie für Kinder nötig und das Verhältnis dieser drei Aspekte muss reflektiert sein. Mit den meisten Vertreterinnen und Vertretern der Kindertheologie sehe ich das legitime Zentrum dieser Trias im Theologisieren mit Kindern: Hier geht es nicht nur um die Anwendung individueller Frage- und Sichtweisen, nicht nur um die Wahrnehmung fremder, etwa im Rahmen einer Theologie für Kinder, angebotener Impulse – hier findet Auseinandersetzung und Aneignung statt, Bewährung im Dialog, hier kommt es zur Weiterentwicklung nicht nur des eigenen Wissens, sondern vor allem auch der Fähigkeit zum produktiven Umgang mit diesem. Zimmermann verknüpft nun die Theologie von Kindern mit Voraussetzungskompetenzen im Sinne von bereits verfügbaren Kompetenzen der Kinder, die Theologie für Kinder mit Resultatkompetenzen (was am ehesten den inhaltsbezogenen Standards entspricht) und die Theologie mit Kindern insbesondere mit Prozesskompetenzen und der Begleitung und Förderung des Kompetenzzuwachses.638 Diese Systematik halte ich nicht für ganz gelungen. Natürlich stimmt es, dass Kinder schon Theologie mitbringen, an die der RU anknüpfen soll, aber die Theologie von Kindern wird sich ja u.a. durch den RU auch weiterentwickeln, was die Fokussierung auf Voraussetzungskompetenzen fraglich macht. Problematischer noch scheint die Verknüpfung des Begriffs „Resultatkompetenzen“ mit der Theologie für Kinder: Kann, wenn das so definiert wird, noch der Prozess des Theologisierens mit Kindern als Zentrum einer kindertheologischen Religionspädagogik beschrieben werden? So bestechend die These Zimmermanns ist – es ist fast verwunderlich, dass dieser Gedanke nicht schon früher formuliert wurde –, sie erfordert nicht nur eine genauere 637 638

Zimmermann, Kindertheologie, 142. Vgl. ebd., 139–141.

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Bestimmung des Verhältnisses von prozess- und inhaltsbezogenen Kompetenzen,639 sondern v.a. auch eine Klärung, ob sich der Begriff der theologischen Kompetenz in gleicher Weise auf beide Bereiche anwenden lässt. Die von ihr intendierte theologische Profilierung des RU lässt sich jedenfalls da am besten erkennen, wo sie inhaltsbezogen formuliert: „Theologie ist als christliche Theologie immer schon mit spezifischen Inhalten (wie z.B. der trinitarischen Entfaltung des Gottesbegriffs) sowie mit spezifischen Referenzen (z.B. auf den Glauben an die geschichtliche Gestalt Jesus Christus) verbunden. Dies muss auch bei einer bereichsspezifischen theologischen Kompetenz sichtbar werden.“640 Es wird nicht in gleicher Klarheit deutlich, inwiefern auch prozessbezogene Kompetenzen ein Profil im Sinne einer „theologischen Kompetenz“ erhalten können oder gar müssen.641 Unter Umständen ließe sich das im Zusammenhang mit Zimmermanns Bestimmung der theologischen Kompetenz „als Teil religiöser Kompetenz“642 so verstehen, dass die allgemeinere religiöse Kompetenz den Bereich der prozessbezogenen Kompetenzen bestimmt und die theologische Kompetenz dann durch die inhaltliche Ausrichtung des RU zu einer Profilierung auch der Lernprozesse führt. Es ist aber auch denkbar und sinnvoll, prozessbezogene Kompetenzen jedenfalls z.T. in einer theologisch profilierten Weise zu formulieren; entsprechende Überlegungen zum Aufbau einer eigenen Auslegungskompetenz werden unten zur Diskussion gestellt.643 Eine etwas andere nachdenkenswerte Beziehung der drei Perspektiven von Kindertheologie auf die Kompetenzdebatte stellen Thomas Schlag und Friedrich Schweitzer unter bewusstem Bezug nun auf Jugendliche zur Diskussion: Mit der Theologie der (also von) Jugendlichen verbinden sie die „Deutungs- und Urteilskompetenz“, mit der Theologie mit Jugendlichen die „Kommmunikations- und Partizipationskompetenz“ und mit der Theologie für Jugendliche ein „Theologische Erkenntnisse erschließen“.644 Es fällt zunächst auf, dass die ersten Zuordnungen mittlerweile gut etablierte Bereiche prozessbezogener Kompetenzen benennen, während zum dritten Aspekt eine Formulierung vorgeschlagen wird, die spezifischer für das Theologisieren geprägt wurde – hierin zeigt sich ein Gedanke, der mit Zimmer639

Vgl. dazu unten den Abschnitt „Theologie für Kinder bzw. Jugendliche„, 236ff. Vgl. Zimmermann, Kindertheologie, 161f. (bzw. dies., Kompetenz, 92). 641 So betonen z.B. Schlag/Schweitzer, Jugendliche, 120, mit Recht gerade auch im Blick auf eine „Theologie für Jugendliche … den prozessual-ergebnisoffenen Charakter der Jugendtheologie“. 642 Zimmermann, Kindertheologie, 158; vgl. den ganzen Abschnitt 2.2.1, 158f., bzw. dies., Kompetenz, 89f. 643 Vgl. dazu unten den Abschnitt C.2.d), 301ff. 644 Schlag/Schweitzer, Jugendliche, 138–144; vgl. Schweitzer, Theologie, 22 640

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manns These, Kindertheologie sei in spezifischer Weise als theologische Kompetenz zur Geltung zu bringen, jedenfalls verwandt ist. Die vorgeschlagene Konzentration auf prozessbezogene Kompetenzen ist auf den ersten Blick einleuchtend, zugleich aber durchaus offen hin auf eine Formulierung entsprechender inhaltsbezogener Kompetenzen, wobei die von Schweitzer vorgeschlagene Verknüpfung von Kinder- bzw. Jugendtheologie und Elementarisierung ihre strukturierende Kraft entfaltet.645 Mit Zimmermann scheint es mir wichtig zu sein, eine theologische Kompetenz in der Tat auf diesen beiden Ebenen, also prozess- und inhaltsbezogen, zu bedenken. Unbeschadet mancher Anfragen im Detail nehme ich daher Zimmermanns Grundforderung einer Verbindung von Kinder- bzw. Jugendtheologie mit der Kompetenzfrage gerne auf, da sie in der Tat einen mehrfachen Gewinn bedeutet: Kindertheologie gewinnt durch diese Verknüpfung ein klareres Profil auch als Leitlinie für unterrichtliches Handeln, wenn z.B. messbare Kompetenzniveaus beschrieben werden.646 Umgekehrt erlangt die religionspädagogische Debatte um Bildungsstandards durch die Verknüpfung mit der Kindertheologie empirische Absicherung und Modelle für einen kumulativen Prozess eines methodisch gestützten Kompetenzaufbaus.647 Von der jugendtheologischen Forschung, die wie gesagt ein noch junges Kind der kindertheologischen ist, lässt sich eine vergleichbare empirische Absicherung noch nicht erwarten, der Gedanke eines kumulativen Kompetenzaufbaus fordert andererseits aber geradezu eine entsprechende Verlängerung der hier vorgeschlagenen Perspektive. Eine entscheidende Leistung der These Zimmermanns liegt neben diesen Überlegungen darin, dass der konfessionelle RU durch die Formulierung gerade einer theologischen (!) Kompetenz als Teil und Konkretion einer oft unklar beschriebenen (und womöglich nur unklar beschreibbaren)648 religiösen Kompetenz eine Profilschärfe gewinnt, die auch der im Blick auf den RU oft nur z.T. eingelösten Forderung der Bildungsstandard-Debatte nach „domain specifity“ nachkommt.649 645 Vgl. z.B. ebd., 24–26. Die Erträge seiner Vorschläge für eine „Theologie für Kinder bzw. Jugendliche“ diskutiert der entsprechende Abschnitt unten, 236ff. 646 Vgl. Zimmermann, Kindertheologie, 140, und die Tabelle ebd., 163, die „Kriterien“ für verschiedene Aspekte bzw. Dimensionen der als theologische Kompetenz verstandenen Kindertheologie auflistet. 647 Vgl. ebd., 141. Ihr Zugang eröffnet damit erhebliche Fortschritte im Blick auf ein zentrales Problem bei der Formulierung geeigneter Kompetenzen für den RU, nämlich „dass es im Bereich des Religionsunterrichts ein Wissen über religiöse Lernprozesse, empirisch gesicherte Erkenntnisse zu Lernergebnissen noch kaum oder zu wenig gibt“ (Kraft, Chancen, 14). 648 Vgl. dazu Zimmermann, Kindertheologie, 143–158. 649 Vgl. ebd., 158–162; zur „domain specifity“ neben 161f. auch 135f.138. 140f.157. Zum Problem der domain specifity vgl. exemplarisch die Kritik von Obst, Lehren,

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Freilich scheint gerade dieser letztgenannte Aspekt von Zimmermanns Vorschlag in der Diskussion eher zögerlich aufgenommen zu werden. So stellt die Einleitung zum Sonderband „Kindertheologie und Kompetenzorientierung“ des Jahrbuchs für Kindertheologie zwar fest, „dass gerade die Kindertheologie es vermag, wesentliche religiöse Kompetenzen der Heranwachsenden zu fördern“,650 spricht damit aber eben nicht von „theologischer Kompetenz“. Wie weit und unspezifisch solche religiösen Kompetenzen beschrieben werden können, zeigt in diesem Band exemplarisch der Beitrag von Rupp, der zunächst allgemein feststellt, religionssoziologisch gehe es im RU „um die ‚Ideologie‘ oder den ‚Glauben‘ eines Individuums“,651 und entsprechende Kompetenzen dann (im Anschluss an den Baumertschen Modus der Welterschließung „Probleme konstitutiver Rationalität“) so formuliert: „die Fähigkeit, grundlegende Deutungen des Selbst, der Welt und eines guten Lebens formulieren, wahrnehmen, einordnen, Konsequenzen bestimmen, mit anderen darüber kommunizieren, die Wahrheitsfrage stellen und entsprechende Ausdrucksformen gebrauchen zu können.“652 Ohne Frage ist das alles wichtig und richtig – aber brauchen wir dafür einen konfessionellen RU?653 Oder mit Zimmermann gefragt: Ist es „die Aufgabe von Bildungsstandards des evangelischen oder katholischen Religionsunterrichts, … alle Religionen gleichwertig mitzubedienen?“654 Mit dieser Überlegung ist sowohl die Stelle markiert, an der die Beschreibung einer theologischen Kompetenz ihren Beitrag zum (konfessionellen) Profil des RU leisten kann, als auch einer der Gründe, weshalb Zimmermanns Vorschlag bislang nicht stärker rezipiert wird: Würde eine deutlicher inhaltlich-konfessionell beschriebene theologische Kompe92f., am Berliner Modell von Dietrich Benner und Rolf Schieder, besonders 93: Dessen Differenz zu den „aus der PISA-Untersuchung bekannten Stufen für die Lesekompetenz … besteht jedenfalls vordergründig nur in der Hinzufügung des Gegenstandes der Interpretation: ‚Religiöse Inhalte‘.“ 650 Kraft/Freudenberger-Lötz/Schwarz, Einleitung, 8. 651 Rupp, Theologisieren, 146. 652 Ebd., 146; vgl. auch die ebd., 147, folgende Auflistung von Kompetenzen, die durch das Theologisieren erworben werden könnten: Nur 2 von 19 (!) Formulierungen nehmen Bezug auf den christlichen Glauben, eine davon bezeichnenderweise dergestalt, dass die Schülerinnen und Schüler „Unterschiede und Gemeinsamkeiten des christlichen Glaubens zu den eigenen Sichtweisen benennen können“. – Zu Baumerts Modi der Weltbegegung, die im Zusammenhang der Debatte um kompetenzorientierten RU häufiger diskutiert werden, vgl. z.B. Obst, Lehren, 36–38. 653 Barbara Asbrand zieht genau diese Konsequenz, wenn sie aufgrund eines solchen Verständnisses religiöser Kompetenz die Konfessionalität des RU in Frage stellt; vgl. ebd., 103. 654 Zimmermann, Kindertheologie, 157 (bzw. dies., Kompetenz, 86); vgl. dort auch ihren Bezug auf Friedrich Schweitzers Kritik an den Vorschlägen der Expertengruppe des Comenius-Instituts.

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tenz nicht doch ein Abrücken von der in der zitierten Beschreibung religiöser Kompetenz ausgedrückten Subjektorientierung zugunsten einer Inhaltsorientierung bedeuten? Diese Fragestellung wird in Überlegungen zu einer Jugendtheologie gewiss noch einmal kritischer zu diskutieren sein als im Rahmen von Kindertheologie: Während nämlich „die Fragen der Kinder auf ‚Schlüsselthemen‘ [verweisen], die zugleich zentrale Themen der Theologie sind“ und eine Orientierung an diesen daher „die Frage nach Gott in das Zentrum des Unterrichts“ rückt,655 scheinen Jugendliche in Distanz zur Kirche und der christlichen Tradition zu stehen und so jedenfalls auf den ersten Blick „einer Theologie … kaum zu bedürfen bzw. diese für ihre eigene Lebensführung nicht zu brauchen – wenigstens nicht ausdrücklich und nur selten erkennbar.“656 Auf der anderen Seite findet sich gerade im Vorwort zum ersten Band des Jahrbuchs für Jugendtheologie mit der Feststellung, dass „eine theologische Frage-, Argumentations- und Urteilsfähigkeit eine gewichtige Teildimension religiöser Bildung darstellt“,657 eine Formulierung, die nah an der Zimmermannschen These steht – zu diskutieren wäre hier v.a., inwieweit eine solche eher prozessbezogene Beschreibung der theologischen Kompetenz auch inhaltsbezogene Standards erfordert. Der oben skizzierte Vorschlag zu Kompetenzbeschreibungen im Blick auf die Jugendtheologie von Schlag und Schweitzer benennt eine mögliche Anschlussstelle hierfür: Kompetenzen müssten subjekt-, lebenswelt- und entwicklungsbezogen formuliert werden, wobei in der letztgenannten Perspektive ausdrücklich auch „domänenspezifische Voraussetzungen in der (religiösen) Entwicklung Jugendlicher“ berücksichtigt werden sollten.658 Damit stehen im Grunde zwei Fragen zur Klärung an, denen sich die folgenden Teilabschnitte widmen werden: Wie weit muss bzw. darf die Subjektorientierung gedacht werden? Und umgekehrt: Inwieweit darf bzw. muss RU inhaltliche Impulse im Sinne einer Theologie für Kinder bzw. Jugendliche anbieten? Die Bearbeitung dieser Fragen ist der geeignete Weg zur Prüfung der These, Kinder- und Jugendtheologie als theologische Kompetenz zu entfalten. Beide Frageperspektiven bilden dabei einen Zusammenhang – wie die sprichwörtlichen „zwei Seiten einer Medaille“ –, wobei es die Logik der religionspädagogischen Diskussion nahelegt, mit der Subjektorientierung zu beginnen und die Inhalte des Lernens danach in deren Licht zu betrachten.

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Kraft, Theologisieren (2004), 89. Schlag, Theologie, 12. Freudenberger-Lötz/Kraft/Schlag, Vorwort, 7. Schweitzer, Theologie, 22.

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Recht und Grenze der Subjektorientierung: Zum Konstruktivismus Die Frage der Subjektorientierung wird hier unter Bezug auf den Konstruktivismus diskutiert. Das ist nicht einfach nur eine Entscheidung aus persönlicher Sympathie für diese Sichtweise, sondern legt sich auch deswegen nahe, weil der Konstruktivismus jedenfalls dem Selbstverständnis nach (wie es z.B. in der Einleitung zum ersten Band des Jahrbuchs für konstruktivistische Religionsdidaktik formuliert ist) schlicht auf der Einsicht fußt, „dass unser Erkennen und Lernen gar nicht anders als konstruktivistisch ablaufen kann“.659 Wenn das so stimmt, dann ist zugleich klar: Lernen lässt sich nicht anders als subjektorientiert denken, es „ist ein aktiver Prozess des lernenden Subjekts“.660 Lämmermann diagnostiziert daher einen durch die konstruktivistische Didaktik noch verschärften „Primat des konstruierenden Subjekts“.661 Damit ist aber auch schon deutlich: Konstruktivismus ist mehr als bloße Beschreibung von Lernvorgängen, zugleich haben seine Einsichten Konsequenzen für deren Gestaltung. Die von ihm geleistete grundsätzliche „lerntheoretische Untermauerung dieses Subjektansatzes“662 passt also nicht nur auf die verschiedensten religionspädagogischen Diskussionsfelder – etwa entwicklungspsychologisch konturierte Ansätze, Elementarisierung, Kinder- und Jugendtheologie, Bibeldidaktik, Dekonstruktion, Alteritätsdidaktik, performativer RU und die Debatte um Bildungsstandards663 –, sie zieht auch „Folgerungen in verschiedene religionsdidaktische Praxisfelder hinein“ nach sich.664 So gesehen verbinden sich in der Debatte um den Konstruktivismus die Fragen nach der Begründung und nach der Reichweite der Subjektorientierung. Die Bedeutung des Konstruktivismus als Lerntheorie lässt sich verschieden begründen, ein entwicklungspsychologischer Zugang kann sich dabei schon auf Jean Piaget und seine Weiterführung etwa 659

Büttner u.a., Jahrbuch, 9. Mendl, Religionspädagogik (2006), 41. 661 Lämmermann, Didaktik, 168. 662 Büttner u.a., Jahrbuch, 8; vgl. auch ebd., 7: „Der Konstruktivismus stellt ein solches übergreifendes Prinzip dar, durch das ganz unterschiedliche Facetten der religionsdidaktischen Diskussion miteinander verbunden werden können“; Mendl, Religionspädagogik (2006), 43: „Der pädagogische Konstruktivismus eignet sich als bündelnde Theorie für unterschiedliche Prinzipien und Elemente eines subjektorientierten Religionsunterrichts“. 663 Vgl. die entsprechende Auflistung bei Büttner u.a., Jahrbuch, 8f.; Mendl, Religionsdidaktik (2011), 35 (vgl. ders., Religionspädagogik (2006), 44), nennt in einer ähnlichen Auflistung als „Kennzeichen konstruktivistisch orientierten Religionsunterrichts“ entdeckendes, Individualisierung ermöglichendes, aktivierendes und produzierendes, biographisches sowie dialogisches und diskursethisches Lernen. 664 Büttner u.a., Jahrbuch, 9. 660

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in kognitionspsychologischen Theorien des „conceptual change“ berufen, hirnphysiologische Erkenntnisse können verdeutlichen, dass sogar die im (konstruierenden) Bemühen um Verstehen verarbeiteten Sinneseindrücke überhaupt erst durch die Verarbeitung von Impulsen konstruiert werden usw.665 Aber auch die schlichte Beobachtung, dass sich Schülerinnen und Schüler keineswegs einfach alle auf dem von der Lehrkraft sorgfältig geplanten Lernweg zu einem gemeinsamen Ziel befinden, sondern – z.T. sehr hartnäckig – ihre eigenen Fragen bzw. Perspektiven auf (oder auch gegen) den Unterrichtsinhalt verfolgen, führt zu einer Entdeckung konstruktivistischer Perspektiven: Offenbar gibt es letztlich nur individuelle Wege zu Erkenntnis.666 Zumal wenn eine Einsicht Relevanz haben soll für das eigene Leben,667 muss sie auf die eigenen Fragen antworten und sich in die eigene Sicht der Welt einordnen lassen. Diese Perspektive verstärkt sich im Blick auf den RU insofern, als die entscheidenden Fragen hier die prinzipiell unentscheidbaren Fragen sind,668 mit anderen Worten die Fragen, die notwendig eine individuelle Antwort verlangen – weshalb gerade im Blick auf den RU „die konstruktivistische Perspektive sowohl dem Gegenstand als auch seiner unterrichtlichen Aneignung angemessener erscheint“.669 Es ist insofern wenig verwunderlich, dass die Anstöße des Konstruktivismus nicht zuletzt im Horizont von Kinder- und Jugendtheologie diskutiert werden; so ist z.B. Gerhard Büttner eine Zentralfigur in beiden Diskursen670 und Petra Freudenberger-Lötz bietet in ihrer Studie zu Theologischen Gesprächen mit Kindern eine gute Einführung in den Konstruktivismus.671 Sie stellt u.a. die Differenzierung zwischen radikalem und gemäßigtem Konstruktivismus dar – neigt 665 Vgl. Freudenberger-Lötz, Gespräche mit Kindern, 58f.; Büttner, Religionsunterricht, 158. 666 Vgl. Mendl, Religionspädagogik (2006), 42: „Selbst im Kontext einer ‚als-ob‘Pädagogik (als ob alle zur selben Zeit am selben Ort mit derselben Geschwindigkeit dasselbe lernen würden) finden individuelle Lernwege statt.“ 667 Vgl. zur Bedeutung dieser Kategorie für meine religionspädagogische Grundorientierung oben, 7. 668 Zur Differenzierung zwischen entscheidbaren (faktisch also bereits entschiedenen) und unentscheidbaren (also zur eigenen Entscheidung herausfordernden) Fragen vgl. Foerster, Lethologie, 28f. Seine Unterscheidung und nicht zuletzt seine nur auf den ersten Blick paradoxe Formulierung ebd., 29 – „Nur die Fragen, die prinzipiell unentscheidbar sind, können wir entscheiden.“ – wird häufiger rezipiert, vgl. z.B. Büttner, Religionsunterricht, 165f.; Freudenberger-Lötz, Gespräche mit Kindern, 55f. 669 Büttner u.a., Jahrbuch, 15. 670 Vgl. z.B. Büttner, Perspektiven, und dort z.B. 12: „Entwicklungspsychologie und Kindertheologie sind also zwei Ansätze, die mit einer gewissen Zwangsläufigkeit zu einer konstruktivistischen Sicht der Dinge führen.“ 671 Vgl. Freudenberger-Lötz, Gespräche mit Kindern, 53–75. Bezugnahmen auf den Konstruktivismus finden sich auch z.B. bei Zimmermann, Kindertheologie, 98–100.

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der erstere zur Annahme, dass eine Wirklichkeit außerhalb individueller Konkretionen derselben letztlich nicht greifbar ist, so nimmt der letztere z.B. die soziale Vermittlung solcher Konstruktionen ernster – und zeigt auf, dass in der Religionspädagogik v.a. der moderate bzw. pädagogische Konstruktivismus Aufnahme findet.672 Um diese Grundentscheidung näher zu begründen, sei zunächst zur Illustration ein einfaches Beispiel angeführt: In verschiedenen Kontexten habe ich Gruppen – z.B. Studierende oder Lehrkräfte – gebeten, je für sich einen Satz über Gott aufzuschreiben, den sie selbst für richtig halten; gefragt war also etwas, was als individuelle Konstruktion angesprochen werden kann. Dieser Satz sollte in einem zweiten Schritt so ergänzt werden, dass er mit „Ich …“ beginnt. Die Verben bei diesem „ich“ wurden dann abgefragt; genannt wurden etwa „glaube“, „denke“, „hoffe“, „habe erfahren“ o.ä., nur sehr selten „weiß“ – und noch nie „habe gelernt“. Im Zentrum der Sache der Religion, in der Frage nach Gott, werden also eigene Überzeugungen nicht mit Lernerfahrungen begründet. Auch wenn manche der notierten Aussagen konkrete Inhalte des RU aufnehmen dürften: Relevanz gewinnen sie erst durch ihre Passung zu eigenen Lebenserfahrungen, indem diese z.B. im Licht solcher Aussagen individuell plausibel gedeutet werden können oder auch im Sinne eines Konzeptwechsels zu einer Infragestellung mancher Aussagen oder überhaupt Gottes und entsprechenden neuen Formulierungen führen.673 Das ist aber nichts anderes als Konstruktivismus: Auf die prinzipiell unentscheidbare Frage nach Gott und seiner Beziehung zu uns Menschen wird eine individuelle, auf das eigene Leben mit seinen spezifischen Herausforderungen und Fragen bezogene (vorläufige) Antwort gegeben. An diesem Beispiel wird zunächst die völlig unabweisbare Bedeutung der Subjektorientierung für den RU deutlich – wenn der RU dazu beitragen will, dass Kinder und Jugendliche individuell tragfähige und also relevante Antworten auf ihre Fragen finden, kann er nicht anders arbeiten. Diese Einsicht ist unaufgebbar (und übrigens auch der entscheidende Grund für meine eigene Orientierung am Theologisieren mit Kindern bzw. Jugendlichen). Zugleich zeigt das Beispiel aber auch Grenzen der Subjektorientierung bzw. des Konstruktivismus auf, die religionspädagogisch nicht hintergangen werden dürfen: Natürlich werden solche Sätze gebildet bezogen auf Deutungsangebote der Tradition – schon überhaupt der Begriff „Gott“ stammt ja aus derselben und ist keine indivi672

Vgl. Freudenberger-Lötz, Gespräche mit Kindern, 60–62. Vgl. ebd., 58, die Darstellung der charakteristischen Bedingungen des Konzeptwechsels nach Duit: „dissatisfaction“ in Bezug auf vorhandene Vorstellungen und eine neue Vorstellung, die „intelligible“, „plausible“ und „fruitful“ ist. 673

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duelle Erfindung –, die eben zustimmend oder modifizierend rezipiert oder abgelehnt wird. Konstruktivistische Perspektiven ohne Bezug auf die biblisch und kirchlich vermittelte Tradition des christlichen Glaubens wären keine mögliche Basis für den RU. Eine Orientierung am radikalen Konstruktivismus mit seiner Ansicht, „dass es letztlich keine Aussagen über eine Wirklichkeit außerhalb der Wahrnehmung des jeweiligen Subjekts geben kann“,674 ist daher m.E. religionspädagogisch keine gangbare Möglichkeit. Hans Mendl, katholischer Vordenker einer konstruktivistischen Religionsdidaktik, formuliert das so: „Auch ein konstruktivistisch orientierter Religionslehrer hat die Pflicht, die tradierten Lehren der Kirche zu präsentieren; er verzichtet freilich auf den Mythos, dass die Präsentation allein didaktisch schon genüge, und wird komplexere und differenziertere Verstehens- und Aneignungsprozesse anstreben.“675 Der Begriff der „Pflicht“ vermag im isolierten Zitat zwar Mendls eigene sachliche (!) Begründung für eine solche Inhaltlichkeit des RU nicht ganz aufzunehmen und in evangelischer Perspektive wird die Bibel wichtiger sein als tradierte kirchliche Lehren – aber der Grundsatz, dass „Religionsunterricht ohne Inhalte … sinnvoll nicht denkbar“ ist,676 kann nicht hintergangen werden. Diese Sichtweise soll zunächst bewusst grundsätzlich dogmatisch begründet werden. Die reformatorische Theologie baut ganz auf die Orientierung am Zuspruch Gottes, der den Menschen von außen trifft in Wort und Sakrament, auf das Wort, die promissio.677 Der Glaube, der die Rechtfertigung empfängt, richtet und stützt sich allein auf dieses Wort, das notwendig „außerhalb von uns“, „extra nos“ liegt – anders gäbe es keinen Grund für eine Glaubensgewissheit.678 Die An674

Büttner, Perspektiven, 10. Mendl, Zwischenruf, 187; vgl. seine Argumentation ebd., 180ff. 676 So Schweitzer, Theologie, 19; die Grundthesen dieses Aufsatzes sind knapp referiert unten, 238. 677 Vgl. Bayer, Theologie, 41–53. 678 Der locus classicus für dieses „extra nos“ ist Luthers Formulierung 1531 in der Auslegung zu Gal 4,6, Luther, Galatervorlesung 1531/35, WA 40/1, 589,8–10: „Ideo nostra theologia est certa, quia ponit nos extra nos: non debeo niti in conscientia mea, sensuali persona, opere, sed in promissione divina, veritate, quae non potest fallere.” Kleinknecht übersetzt die Druckfassung dieser Passage (WA 40/I, 589,25–28) wie folgt (ders., Galaterbrief, 228): „Und das ist der Grund, warum unsere Theologie Gewißheit hat: Sie reißt uns von uns selbst weg und stellt uns außerhalb unser, so daß wir uns nicht auf unsere Kräfte, Gewissen, Sinn, Person, auf unsere Werke stützen, sondern auf das, was außerhalb unser ist, nämlich auf die Verheißung und Wahrheit Gottes, der nicht täuschen kann.“ Vgl. dazu ausführlicher Wiemer, Gott, 133–140, weiter ders., Trost, 60–67.85f. – In ähnlichem Sinn formuliert Woyke, Jesus, 98: „Die These, dass Wahrheit eine je subjektiv konstruierte ist, lässt – zumal radikal verstanden – keinen Raum für die Realität göttlicher Wirklichkeit, die uns extra nos zu treffen vermag.“ Auch katholische Theologie kann auf ein „extra nos“ rekurrieren, 675

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nahme des radikalen Konstruktivismus, dass es keine Wirklichkeit außerhalb meiner Wahrnehmung gebe, würde letztlich fordern, dass jede und jeder sich dieses Wort selbst sagen müsste – dogmatisch gesprochen ist der radikale Konstruktivismus also eine Variante der Werkgerechtigkeit bzw. des Verkrümmtseins in sich selbst, wie Luther die Ursünde bezeichnet, und kann wie diese zu nichts als zur Verzweiflung am eigenen Unvermögen führen. Es geht mir nicht darum, einen metaphysischen Überbau christlicher Religion, wie er für die Reformatoren sicher noch weitgehend selbstverständlich war, zu „retten“, aber die Externität der Zusage scheint mir unaufgebbar. Diese Grundeinsicht ist dabei keineswegs eine Abkehr vom Grundsatz der Subjektorientierung, vielmehr ermöglicht sie überhaupt erst, dass der Mensch als Subjekt in Betracht kommt: Der Mensch wird, was er ist, erst durch die Anrede Gottes.679 Das Wort Gottes und der Glaube als solcher sind daher keine Konstruktionsleistung, sondern Gabe. Religionspädagogisch lässt sich dieser Zusammenhang z.B. in der Differenzierung Rupps zur Geltung bringen, dass die im RU zu erwerbenden Kompetenzen nicht nur die „Lebenstüchtigkeit“, sondern auch die „Lebensgewissheit“ der Schülerinnen und Schüler im Blick haben.680 Damit ist keineswegs gesagt oder gar gefordert, dass Religionspädagogik zum Glauben führt – diese Wirkung des Wortes Gottes ist und bleibt uns unverfügbar. Die Einsicht, dass der Mensch vor Gott Angeredeter ist und aus dem Zuspruch der Gnade lebt, lässt sich aber sehr wohl in der Weise aufnehmen, dass Religionspädagogik sensibel ist für Begegnung und Anrede. Dass die Zusage Gottes im individuellen Menschen ein individuelles Echo finden muss, ist dabei sofort klar – und damit ist die Grundeinsicht eines moderaten Konstruktivismus und die Basis einer theologisch geradezu zu fordernden Subjektorientierung gegeben. Nun geht es natürlich nicht an, eine religionspädagogische Überlegung mittels eines recht unvermittelten dogmatischen Exkurses zu entscheiden. Die Absicht hinter letzterem besteht allerdings auch nur darin, für den theologischen Kontext der hier in Frage stehenden Perspektiventscheidung zu sensibilisieren und diesen damit auch als Teil meiner Motivation für einen Widerspruch gegen den radikalen Konstruktivismus sichtbar werden zu lassen. Die Grenze des konstruktivistischen Paradigmas lässt sich auch auf andere Weise aufzeigen, was im Folgenden im Anschluss an Überlegungen von Meyer-Blanck geschehen soll. Er erkennt die radikal-konstruktivistische „Vorsteldann aber nicht fokussiert auf die Zusage Gottes, sondern als Signatur von Offenbarung, vgl. Pemsel-Maier, Theologie (2013), 60f. 679 Vgl. nochmals Bayer, Theologie, 88. 680 Rupp, Bibel, 184.

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lung, das Subjekt konstruiere seine Welt eigenständig“, als schon „philosophisch unterkomplex“.681 Menschen seien vielmehr nur „sehr bedingt Herren ihrer eigenen Konstruktionen“, die nämlich durch sprachliche und gedankliche Vorgaben bestimmt sind: „Die Wahrheit ist persönlich, aber nicht individuell.“682 Mit dieser bedenkenswerten Einsicht ist eine Vermittlung der je eigenen Konstruktion aber nicht nur mit der Tradition, auf die sie sich bezieht, sondern auch mit den Konstruktionen anderer erforderlich, anders gesagt: Nicht nur in historischer, ideengeschichtlicher Perspektive (auf welche Vorstellungen beziehe ich mich in Anknüpfung und Widerspruch), sondern auch in gegenwärtiger, sozialer Hinsicht ist meine Konstruktion bezogen auf andere Konstrukte und muss sich – wenn sie sich denn selbst ernst nimmt – in der Auseinandersetzung mit diesen bewähren.683 MeyerBlanck sieht in solchem gemeinsamen „Ringen um die Wahrheit“ eine unaufgebbare Aufgabe des RU und entwirft eine „didaktische Dogmatik“, die „vor einem naiven Dogmatismus ebenso [bewahrt] wie vor einer billigen Kritik des Dogmas, die gar nicht zu den Problemen vordringt“.684 Was er hier – übrigens dezidiert im Blick auf eine Jugendtheologie – beschreibt, ist m.E. sehr nah an Zimmermanns Sicht der Kindertheologie als einer theologischen Kompetenz.685 Ist das dann aber noch Konstruktivismus oder verlässt MeyerBlanck diese Basis? Gewiss insofern, als er jedenfalls Perspektiven des radikalen Konstruktivismus ebenso ablehnt wie einen Dogmatismus. Auf seine Weise beschreibt er aber doch eine Spielart des moderaten – sozialen oder pädagogischen – Konstruktivismus, die sich gerade im Blick auf die Religionspädagogik nahelegt. So unterscheidet etwa Kersten Reich „Konstruktion, Rekonstruktion und Dekonstruktion“ als einander ergänzende Perspektiven:686 Die eigene „Konstruktion“ – „Wir sind die Erfinder unserer Wirklichkeit.“ – müsse bezogen werden auf die Rekonstruktion etwa kulturell vermittelter Erfindungen anderer Perspektiven – „Wir sind die Entdecker unserer Wirklichkeit.“ – und auf die dekonstruktivistische Einsicht „Es könnte auch noch anders sein! Wir sind die Enttarner unserer Wirklich681

Meyer-Blanck, Umrisse, 27. Ebd., 28. 683 Vgl. in diesem Sinne auch Schlag/Schweitzer, Jugendliche, 80: „Die bildungstheoretische Voraussetzung der Subjektorientierung liegt … deutlich in ihrem dialogischen Charakter, wodurch Orientierung sich überhaupt erst vollziehen kann.“ 684 Meyer-Blanck, Umrisse, 28.32. 685 Interessanterweise exemplifiziert er ebd., 32, Anm. 20, seine Perspektive einer didaktischen Dogmatik just an den von Zimmermann für inhaltsbezogene Kompetenzformulierungen genannten Beispielen Trinitätstheologie und Christologie, vgl. dazu das Zitat oben bei Anm. 640. 686 Reich, Didaktik (2006), 138, vgl. ebd. 138–142; ähnlich: ders., Didaktik (2002), 83–87. 682

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keit!“687 Diese Sichtweise wird in der Religionspädagogik etwa von Lämmermann ausdrücklich zustimmend rezipiert688 und lässt sich fruchtbar verbinden mit der bereits skizzierten Unterscheidung von drei Dimensionen des Theologisierens mit Kindern bzw. Jugendlichen: Die Theologie von Kindern beschreibt deren Konstruktionen, die Theologie für Kinder lädt zur Rekonstruktion überlieferter Konstruktionen ein und der Prozess des Theologisierens mit Kindern weist nicht zuletzt auf die Unabgeschlossenheit unseres Fragens und damit auf die Aufgabe der Dekonstruktion hin. Die Beziehung von Kinder- bzw. Jugendtheologie und konstruktivistischer Religionspädagogik erscheint damit gut begründet. Zu diskutieren ist gleichwohl die Frage, welche Bedeutung der biblischen und theologischen Tradition in diesem Kontext nun präzise zukommt. Welchen Rang soll sie im RU haben? Nach Lämmermann entspricht dem durch die konstruktivistische Didaktik verschärften „Primat des konstruierenden Subjekts“ zwar kein „Abschied von den Inhalten“, wohl aber ein „Abschied vom Primat der Inhalte“,689 so dass er formulieren kann: „Welchen Eigenanspruch die Sache … einst selbst hatte, ist irrelevant geworden. Ihre vermeintliche ‚Wahrheit‘ tritt nur noch in der Pluralität unterschiedlicher subjektiver … Wahrheitskonstruktionen auf, die ihrerseits von ihrer zeitbedingten Relativität ein klares Bewusstsein haben.“690 Ähnlich möchte Dieterich in der Jugendtheologie „Fremdpositionen … aus Bibel, Theologie, Philosophie etc. … nicht in erster Linie um des Bekanntwerdens mit der biblisch-christlichen Tradition willen [erarbeiten], vielmehr um der Schulklasse die Möglichkeit zu eröffnen, ihre eigenen Positionen deutlicher erkennen, klarer profilieren … und gegebenenfalls modifizieren und weiter entwickeln zu können“.691 Hat also die biblisch-kirchliche Tradition nur eine dienende Funktion im Blick auf die allein entscheidende (wenn auch selbst stets zeitbedingte) subjektive Konstruktion oder kommt ihr darüber hinaus eine eigene Dignität zu, die ggf. auch konfrontiert? Nach Meyer-Blanck jedenfalls „stellt die christliche Religion nicht nur Fragen. Sie konfrontiert auch mit Antworten auf Fragen, die keiner gestellt hat. … Die Welt wird nicht nur durch das eigene Fragen erschlossen, sondern auch durch die ehrliche Konfrontation mit der Härte der Gegenstände, auf die wir treffen.“692 687

Ders., Didaktik (2006), 138.139.141. Vgl. Lämmermann, Didaktik, 179–181. 689 Ebd., 168. 690 Ebd., 181. 691 Dieterich, Theologisieren (2013), 39. 692 Meyer-Blanck, Umrisse, 26. Eine „Härte der Gegenstände“ dürfte der Konstruktivismus wohl nicht ohne Weiteres (an)erkennen – liegt schon in dieser Ausdrucks688

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Die hier aufscheinende Frage nicht nur nach der Notwendigkeit, sondern auch der konkreten Gestalt einer inhaltlich konturierten Theologie für Kinder und Jugendliche wird im nächsten Abschnitt genauer bearbeitet. Hier sei aber noch der Konsens formuliert, der hinter den durchaus kontroversen Positionen greifbar wird. Er lässt sich besonders gut fassen im Blick auf konkrete Vorschläge zur Gestalt eines an Einsichten des Konstruktivismus orientierten RUs – hier begegnen Begrifflichkeiten, mit denen sich die durchaus verschiedenen oben zitierten Perspektiven sinnvoll beschreiben lassen. So schlägt Freudenberger-Lötz vor, statt Lernweg und Zielformulierung einen „Lernkorridor“ und ein „Zielareal“ zu planen:693 Ohne solche Perspektiven ließe sich Unterricht wohl kaum mehr sinnvoll gestalten – und zugleich sind es solche Perspektiven, die eine Verbindung von persönlicher Relevanz mit einer traditionsbezogenen sowie sozialen Vermittlung leisten können. Welchen Rang die Formulierungsangebote der Tradition in den vom Konstruktivismus angeregten „Lernlandschaften“694 dann haben, muss freilich nun noch genauer diskutiert werden. Bevor dies geschieht, sollen aber die bisherigen Überlegungen kurz am Galaterbrief gespiegelt werden. Er gibt Einblick in eine kirchengeschichtliche Situation der Selbstfindung der jungen Gemeinde: Wer sind wir? Entwerfen wir unser Selbstverständnis nach Traditionen des Judentums oder prägen wir diese z.T. auch um? Welche Regeln sollen bei uns gelten? Wie weit geht unsere einladende Offenheit für Nichtjuden? Alle diese Fragen, die in ihrer Relevanz und Brisanz im Galaterbrief greifbar werden, führen uns in eine Phase der frühen Christenheit (so früh, dass sie diesen Namen noch nicht einmal hatte), die wir als Konstruktionsphase christlicher Religion begreifen können. Der Galaterbrief lädt damit ein, selbst die Grundprinzipien dieser Konstruktionen in ihrer Bedeutung zu entdecken und im Blick auf heutige Konstruktionen zu prüfen. Zwar tritt Paulus mit dem Anspruch auf, „die Wahrheit des Evangeliums“ zu vertreten (Gal 2,5.14), was auf den ersten Blick inkompatibel erscheint mit konstruktivistischen Prinzipien. Bei genauerem Hinsehen aber zeigen gerade diese beiden Stellen Gal 2,5.14, dass die Formulierung von Paulus in einer heftigen, grundsätzlichen Auseinandersetzung verwendet weise eine (gewollte) Konfrontation? – In mancher Hinsicht ähnlich votiert Schweitzer, Theologie, 19; vgl. unten bei Anm. 705. 693 Freudenberger-Lötz, Gespräche mit Kindern, 66f.; vgl. z.B. auch Büttner u.a., Jahrbuch, 12. 694 Genauer wird der Gedanke dargestellt bei Freudenberger-Lötz, Gespräche mit Kindern, 67–70, Beispiele führt sie 301–332 aus. Weitere bibeldidaktisch konturierte Beispiele finden sich z.B. bei Roose, Petrus, 88–96; Büttner/Kumpf, Bücher, 50–58.

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wird – so kompromisslos klar die Position des Apostels ist, so deutlich wird doch das im Hintergrund stattfindende Gespräch, der Dialog mit der Gemeinde bzw. der Trialog mit dieser und den Gegnern des Paulus (auch wenn dieser genau genommen nicht mit jenen, sondern über sie spricht), deren Position und Argumente sich jedenfalls z.T. aus dem Brief erschließen lassen. Umstrittene Grundfragen des Selbstverständnisses des Christentums werden so im Galaterbrief wesentlich deutlicher als etwa in Evangelientexten (die auf ihre Art auch die Problematik des Verhältnisses von Juden und Nichtjuden in den frühen Gemeinden reflektieren) und die drastischen Formulierungen des Briefs weisen auf die Energie, mit der diese Fragen diskutiert wurden. Da Paulus überdies in seiner Argumentation prominent mit Erinnerungen an Geschichte(n) arbeitet (Gal 1f.: Damaskuserlebnis, Apostelkonvent, antiochenischer Konflikt), ist es zugleich möglich, die hinter dem Schreiben erkennbaren dialogischen Kontexte plastisch zu erschließen, was nicht zuletzt für die Einsicht in die hier vertretenen kontroversen Konstruktionen und für die Aufgabe, eigene Konstruktionen zu prüfen und weiterzuentwickeln, von großem Vorteil ist. Theologie für Kinder bzw. Jugendliche: Zur Notwendigkeit von Impulsen Wird nun die zuletzt exponierte Frage nach der Bedeutung der theologischen Tradition im RU oder, anders formuliert, nach der notwendigen Inhaltlichkeit einer Theologie für Kinder bzw. Jugendliche wieder aufgegriffen, kommt die wohl umstrittenste Dimension des kinder- und jugendtheologischen Ansatzes in den Blick – der Dissens in diesen Fragen dürfte auch der wichtigste Grund für die verhaltene Aufnahme der oben dargestellten These Mirjam Zimmermanns sein, dass Kindertheologie als theologische Kompetenz auch hinsichtlich inhaltsbezogener „Resultatkompetenzen“ im Sinne einer Theologie für Kinder zu beschreiben sei.695 Dies mag auch an der nicht überzeugenden Verknüpfung gerade mit diesem Begriff „Resultatkompetenz“ liegen; es erscheint passender, die in der Perspektive der Theologie für Kinder bzw. Jugendliche anzustrebenden Kompetenzen mit Schlag und Schweitzer zu beschreiben als „Theologische Erkenntnisse erschließen“ und so auch hier den Aspekt der durchaus individuellen Aneignung zu betonen.696 Freilich versteht Zimmermann selbst ihren Vorschlag nicht als Widerspruch zur Betonung des Prozesses 695

Zimmermann, Kindertheologie, 140. Vgl. Schlag/Schweitzer, Jugendliche, 142, und ihre Ausführung ebd., 144, dass es darum geht, dass Jugendliche „dazu fähig werden, sich selbst [!] entsprechende Informationen zu beschaffen und sich in reflektierter Form Einsichten zu erschließen.“ Vgl. zur Sache auch schon oben, 223f. 696

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des Theologisierens mit Kindern und der sich darin entwickelnden, subjektorientiert formulierten Theologie der Kinder; sie formuliert vielmehr explizit, dass „auch eine inhaltsbezogene Kompetenzformulierung immer die produktive Auseinandersetzung des Kindes mit einem Stoff im Blick haben [wird], nicht den Stoff selbst.“697 Es geht also auch ihr im Kern deutlich um den Prozess des Theologisierens. In einer solchen Perspektive ist es aber in der Tat nicht nur angemessen, sondern geradezu erforderlich, inhaltsbezogene Standards mit der Theologie für Kinder zu verbinden, wenn und insofern diese sich der Frage widmet, welche Aspekte etwa der biblisch-christlichen Tradition in welcher Weise den Kindern zugänglich gemacht werden können und sollen. Der Begriff „Resultatkompetenzen“ sollte aber nicht speziell auf die Theologie für Kinder bzw. Jugendliche, sondern auf das Ganze der Kindertheologie bezogen werden: Zu einem „Ergebnisstandard“ werden entsprechende Formulierungen erst durch die Verbindung dieser Inhalte mit dem handelnden Umgang der Kinder und Jugendliche mit diesem Wissen. Hier lässt sich etwa an den badenwürttembergischen Bildungsplan 2016 erinnern, der durch den bewussten Einsatz von Operatoren in den inhaltsbezogenen Formulierungen genau dies markiert und auf diese Weise prozess- und inhaltsbezogene Kompetenzen deutlich miteinander verzahnt.698 Die Forderung einer bewussten Beachtung auch der Aufgabe einer Theologie für Kinder bzw. Jugendliche zielt also gerade auf den zentralen Aspekt des Theologisierens mit Kindern und ist in dieser Perspektive alles andere als ein Plädoyer für eine Rückkehr zu einer überwundenen Vermittlungsdidaktik. Freilich impliziert sie jedenfalls in meinem Verständnis durchaus eine Kritik an der öfter zu findenden Vorliebe für eine nicht so sehr theologische, sondern allgemeinere – diffusere – „religiöse“ Profilierung des RU. Eine bewusst kindertheologische Akzentsetzung in Orientierung an den großen theologischen Fragen entspricht dabei durchaus den Frageinteressen der Kinder, wie etwa Oberthür eindrücklich gezeigt hat.699 Das heißt selbstverständlich nicht, dass nun im Klassenzimmer theologische Proseminare zu halten wären; zu Recht hat sich Schweitzer schon bei seiner Einfüh697 Zimmermann, Kindertheologie, 140. Die hier anklingende Betonung prozessbezogener Kompetenzen wird dadurch unterstrichen, dass eben diese – mit Bezug auf das Theologisieren mit Kindern – 140f. den Abschluss von Zimmermanns Überlegungen zu Voraussetzungs-, Resultats- und Prozesskompetenzen bilden. Die o.g. Schwierigkeit in der Aufnahme dieser Begrifflichkeit diskutiert sie aber nicht – ihr Hinweis auf die Absicht heuristischer Vereinfachung (ebd., 139) reicht nicht aus, zumal diese Zuordnung wohl im Gegenteil eher als Erschwernis jedenfalls der Rezeption ihres Vorschlags wirkt. 698 Vgl. oben, 212. 699 Vgl. Oberthür, Kinder (1995), passim, grundsätzlich ebd., 11–22, und dort 14–16 die Sammlung der Fragen von Grundschulkindern. Vgl. auch oben bei Anm. 655.

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rung der Unterscheidung der drei Dimensionen und seinem Plädoyer auch für eine Theologie für Kinder deutlich dagegen verwahrt, dass es bei dieser um den „Versuch deduktiver Vermittlung theologischwissenschaftlicher Erkenntnisse“ gehe.700 Leitende Perspektive sollte die Erkenntnis sein, dass eine Theologie für Kinder gerade im Interesse des lernenden Subjekts notwendig, also auch bezogen auf dieses Interesse zu beschreiben ist. So verstanden aber ist Theologie für Kinder ein notwendiger Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung kindertheologischer Kompetenzen bzw. mit Zimmermann gesprochen: der theologischen Kompetenz von Kindern. Als deutlicher Ausdruck einer Entwicklung, die diese Einsicht zunehmend betont, widmete sich die Tagung des Netzwerks Kindertheologie 2012 der „Theologie für Kinder“; die Beiträge sind im 12. Band des Jahrbuchs für Kindertheologie dokumentiert. Einleitend heißt es hier: Inzwischen herrsche „Konsens [!], dass beide Positionen berechtigt, ja notwendig sind. … Eine Theologie der Kinder wäre inhaltsleer, wenn nicht zuvor schon Theologie für Kinder angeboten worden wäre.“701 Diese Formulierung ist zwar insofern unglücklich, als eine Theologie der Kinder im eigenen Fragen und Denken z.B. auch zufällig aufgeschnappte Impulse verarbeitet, die nicht als reflektierte Theologie für Kinder angeboten wurden. Gerade deshalb aber ist die religionspädagogische Aufgabe unabweisbar, für die Weiterentwicklung dieser Theologie der Kinder bewusst gewählte Anregungen in Form von Texten, Begegnungen oder Gedanken anzubieten. „Soll Kindertheologie Theologie sein, dann muss sie auch eine Wissensbasis haben.“702 Diese Notwendigkeit unterstreicht im genannten Jahrbuch z.B. der einleitende Beitrag von Schweitzer mit der Betonung, dass eine Theologie für Kinder „unvermeidlich immer schon mit im Spiel“ ist.703 Dieser Aspekt müsse aber an Bedeutung gewinnen und bewusst ausgestaltet werden, wenn kindertheologische Perspektiven den RU stärker prägen wollen: „Ohne eine plausible Bestimmung der Theologie für Kinder ist Kindertheologie insgesamt auf Dauer nicht durchzuhalten“704, denn diese ist „geradezu wesensmäßig darauf angewiesen, dass Kindern etwas gegeben wird und dass sie etwas erfahren, was sie zuvor nicht kannten und worauf sie durch bloßes Nachdenken auch nicht kommen können.“705 Schweitzer akzentuiert also eine notwen700

Schweitzer, Kindertheologie (2003), 15. Schwarz/Bucher, Vorwort, 7. 702 Büttner, Strukturen, 59. 703 Schweitzer, Theologie, 17, mit Verweis auf die Gesprächskontexte von Kindertheologie; auch schon 15 bezogen auf die untrennbare Zusammengehörigkeit der drei Dimensionen von Kindertheologie. 704 Ebd., 15. 705 Ebd., 19. Vgl. ähnlich Meyer-Blanck, Umrisse, 26; vgl. oben bei Anm. 692. 701

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dige Inhaltlichkeit und entwickelt einige Kriterien für die genauere Bestimmung dessen, was im Sinne einer solchen Theologie für Kinder angeboten werden solle:706 Zunächst unterscheidet er Religion für Kinder von Theologie für Kinder und sieht im Zentrum der letzteren das Nachdenken z.B. über (religiöse) Erfahrungen. Werden Kindern also Impulse zu ihrer eigenen Reflexion angeboten, so ist zum zweiten klar, dass Theologie für Kinder deren eigenes theologisches Nachdenken unterstützen und ggf. weiterführen, also anschlussfähig sein muss an die Theologie der Kinder und offen auf das Theologisieren mit ihnen. So kann sie, drittens, einen Kompetenzerwerb im Sinne eines theologischen Nachdenkens und Kommunizierens unterstützen; entsprechende Kompetenzen sind subjekt-, lebenswelt- und entwicklungsbezogen zu formulieren. Daran schließt Schweitzer die vierte Folgerung, dass die allgemeine Offenheit der Kinder für theologische Fragen nicht jede beliebige Thematik rechtfertige, sondern diese unter dem Aspekt der Lebensrelevanz und der Glaubensrelevanz zu wählen seien. So mündet sein Beitrag in die Forderung, dass „Theologie für Kinder … den Kriterien des Fundamentalen, des Exemplarischen und des Elementaren gerecht werden“ muss.707 Damit ist die Stelle markiert, an der eine kindertheologische Konzeption sinnvoll mit der Elementarisierung zu verbinden ist – nicht zuletzt im Blick auf eine Theologie für Kinder ist eine solche Verknüpfung weiterführend.708 Oder ist das nun doch zu inhaltlich gedacht, wenn etwa als das Fundamentale der „Glaube[.] an den Gott, der sich in Jesus Christus offenbart hat“ samt seinen auch anthropologischen Konsequenzen benannt wird?709 Anders liegt der Akzent etwa im anschließenden Beitrag Buchers, dessen Kriterien für die Auswahl theologischer Inhalte sich gänzlich anders lesen: Sie sollten den Selbstwert der Kinder stärken, sie mit grundsätzlicher Zuversicht erfüllen, nicht Angst evozieren, nicht ungerechtfertigte Schuldgefühle hervorrufen, positive Emotionen begünstigen, Entwicklung in Richtung religiöser Autonomie unterstützen und zu Prosozialität ermuntern – Bucher selbst kategorisiert diese Forderungen als „primär psychologisch und anthropologisch, aber theologisch relevant“.710 Das ist zwar kein direkter Widerspruch zur Sicht Schweitzers, doch liegt der Akzent der Kriterien Buchers auf pädagogischen Zielvorstellungen, der Schweitzers auf theologischen Überlegungen. Eine eigene Position muss klären, wie sie diese beiden Seiten der Medaille ausbalancieren möchte. 706

Im Folgenden referiere ich knapp seinen Schlussabschnitt Schweitzer, Theologie, 19–26. 707 Ebd., 26. 708 Vgl. dazu weiter unten C.2.a), 280ff. 709 So Schweitzer, Theologie, 25. 710 Bucher, Theologie, 36; die genannten Kriterien ebd., 34f.

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Auch in dieser Frage wird die Akzentsetzung letztlich notwendig individuellen Anliegen folgen. Für meine eigene Orientierung gehe ich davon aus, dass die von Schweitzer angeführte Offenbarung Gottes in Jesus Christus nicht nur das stärkste Motiv für die von Bucher genannten Zielperspektiven, sondern ebenso eine unverzichtbare inhaltliche Grundlage für die Bearbeitung derselben im (konfessionellen!) RU darstellt. Die zwei Ebenen sind also miteinander verbunden. Diese Überzeugung lässt sich wieder nahe an einer Überlegung Mirjam Zimmermanns artikulieren, die in ihrem Beitrag zum erwähnten 12. Band des Jahrbuchs für Kindertheologie feststellt, dass „Kinder zu wenig theologisches Grundwissen haben und (falls sie Grundwissen haben) zu wenig flexibel damit umgehen können“.711 Neben dem oft beklagten Traditionsabbruch (und dem bekannten Problem der geringen Motivation zur Erschließung biblischer Kontexte) benennt sie damit den gewichtigen Punkt, dass die Rezeption entsprechender Inhalte nicht wirklich mit dem eigenen Fragen und Denken verbunden wird. Aber nur, wenn dieses beides gelingt, findet ein Theologisieren mit Kindern bzw. Jugendlichen statt – anders gesagt: Inhaltlichkeit und Lebensdienlichkeit des RU müssen in ihrem wechselseitigen Zusammenhang erschlossen werden. Die Aufgabe einer Theologie für Kinder bzw. Jugendliche wäre dementsprechend zu sehen in der Erschließung eines Zugangs zur biblischen und theologischen Tradition (also inhaltsbezogen) und in der Eröffnung eines Umgangs mit dieser (also prozessbezogen). Sogleich ist wieder zu betonen, dass das Ziel der Bemühung selbstverständlich der eigene Zugang und der eigene Umgang ist, die Grundfigur ist und bleibt eine Aneignungsdidaktik. Gewiss wird eine Theologie für Kinder dabei auch korrigierend eingreifen müssen und auch dies in beiden genannten Perspektiven, also sei es, dass Kinderäußerungen „den Toleranzrahmen der biblischen und dogmatischen Tradition überschreiten“, sei es, dass sie Kinder „im Laufe ihrer künftigen Lebensbewältigung belasten könnten“.712 Beides hängt notwendig miteinander zusammen, was sich nicht nur an Zimmermanns konkreten Beispielen zeigen,713 sondern auch als Grundsatz formulieren lässt: Eine Theologie, die die eigene christli711

Zimmermann, Dialektik, 43. Ebd., 48. Den dritten von ihr genannten Aspekt – eine Korrektur historisch oder sachlich unzutreffender Aussagen – würde ich nicht gleichgewichtig in diese Reihe stellen, da sich die kindertheologische Perspektive auf die unentscheidbaren Fragen konzentrieren sollte (vgl. zur Differenzierung entscheidbarer = entschiedener von unentscheidbaren Fragen oben, Anm. 668). 713 Vgl. deren Darstellung ebd., 47f. Ob der Vater aus Lk 15 auch mal „bockig“ sein kann, ist für den Beitrag des Textes zur eigenen Lebensbewältigung nicht unerheblich – und umgekehrt wird die kausale Verknüpfung von Krankheit mit Bosheit durchaus in der christlichen Tradition kritisch reflektiert, vgl. z.B. Joh 9,2f. oder (beliebige) Ausführungen zur Theodizeeproblematik. 712

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che Tradition nicht für prinzipiell lebensförderlich hielte, wäre ebenso keine christliche Theologie mehr wie eine solche, die Lebensförderlichkeit unter bewusster Absehung von dieser Tradition entfaltet. Damit ist gewiss nicht einer unkritischen Bezugnahme auf Schrift und Bekenntnis das Wort geredet, wohl aber die Einsicht aufgenommen, dass christlicher Glaube und also christliche Theologie nicht nur notwendig kulturell vermittelt, sondern von ihren Wurzeln her – also im Wortsinne: radikal – geschichtliche Phänomene sind, gebunden an das Bekenntnis des Volkes Israel zu dem Gott der Freiheit und an Jesus Christus als die Personoffenbarung Gottes. Strittig freilich wird die Bestimmung der Grenzen eines entsprechenden „Toleranzrahmens“ sein, um diesen Begriff Zimmermanns nochmals aufzugreifen.714 Ich möchte hier auf meinen anderweitig vorgestellten und begründeten Vorschlag zurückkommen, die Wahrheitsfrage nicht als eine eindeutig zu beantwortende zu behandeln, sehr wohl aber als unverzichtbare Fragestellung festzuhalten, die ihre Bedeutsamkeit nicht zuletzt in der Überlegung erweisen dürfte, welche Aussagen nicht als Aussagen christlicher Theologie gelten können.715 So scheint mir z.B. eine christliche Theologie, die Gott nicht auf der Seite der Gerechtigkeit sieht auch gegen das Unrecht unserer Welt, ebenso unmöglich zu sein wie eine solche, die keinen Bezug auf Jesus als den Christus nimmt. Mit solchen Grenzziehungen wäre dann auch bestimmt, dass christliche Theologie sich positiv auf Jesus Christus und ein Leitideal von Gerechtigkeit beziehen muss – wie immer das dann geschieht. Zu den Aufgaben einer auf theologische Kompetenz ausgerichteten Religionspädagogik muss es daher gehören, Kinder und Jugendliche mit entsprechenden Texten und Traditionen vertraut zu machen und diese mit ihnen zu diskutieren, selbstverständlich bezogen auf ihre Fragen, aber eben auch in der Absicht, ihnen Raum für eine eigene Weiterentwicklung ihres Fragens und Denkens zu eröffnen. Wieder ist dabei dem Missverständnis zu wehren, als wäre ein bestimmtes Ergebnis solcher Prozesse im Vorhinein beschreibbar. Im Gegenteil dürfte es sinnvoll sein, schon die zugrunde liegende Frage nach den Grenzen eines Wahrheitsraumes christlicher Theologie mit den Kindern und Jugendlichen zu diskutieren. Dafür aber müssen sie in der Lage sein, biblische und christliche Tradition nicht nur wiedergeben, sondern auch kritisch reflektieren zu können. Ich neige daher durchaus dazu, theologisch auf den Kern christlichen Glaubens zielende Formulierungen dessen, um was es inhaltlich im RU gehen sollte, zustimmend zu rezipieren: Ja, es geht im 714 Vgl. oben bei Anm. 712; ebd., 54, nimmt sie selbst an, dass die Frage nach solchen „Grenzen“ unter Kindertheolog/inn/en „kontrovers diskutiert werden“ wird. 715 Vgl. Wiemer, Gott, 15.127f.

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tiefsten Grund um die kompromisslose Zuwendung Gottes zu Welt und Menschen in Jesus Christus, ja, es geht um das Geheimnis der Trinität als der Weise, wie Gott sich mit uns in Verbindung bringt.716 Selbstverständlich ist hier auch zu diskutieren, ob und inwieweit klassische dogmatische Formulierungen heute noch „passen“ und Verbindlichkeit beanspruchen können. Wir sollten diese Diskussion aber durchaus mit den Schülerinnen und Schülern führen und nicht meinen, es wäre besser, wir klären vorher, was diese nachher für einsichtig und wichtig halten dürfen oder nicht.717 Dies gilt nun noch verstärkt im Blick auf Jugendliche. Eine Theologie für Jugendliche muss sich noch mehr als eine solche für Kinder der Frage stellen, ob und wenn ja inwieweit Jugendliche nun gerade diese oder jene theologischen Impulse brauchen. Grundsätzlich wurde bereits dargestellt, dass eine solche Theologie schon von den Jugendlichen her und ihren Fragen her durchdrungen sein bzw. an diesen interessiert sein muss und dass ein Verzicht auf theologische Themen diese Forderung der Orientierung an den Jugendlichen eben nicht einlöst.718 Gewiss haben Jugendliche deutlicher als Kinder ein Bewusstsein dafür, mit ihren theologischen Überzeugungen persönliche Posi716 Entsprechende Perspektiven nennen zum Beispiel Zimmermann, vgl. oben bei Anm. 640; Meyer-Blanck, vgl. oben, Anm. 685; Schweitzer, vgl. oben bei Anm. 709. 717 Dieses Anliegen möchte ich anekdotisch untermauern. Im Zug sprach mich vor einiger Zeit eine jungen Muslimin an, ob ich mich nicht an sie erinnere. Das wache Gesicht unter dem Hijab kam mir zwar bekannt vor, doch gelang mir erst mit ihrer Hilfe die Verknüpfung: Die junge Frau hatte ich über mehrere Jahre in Tagespraktika im RU erlebt als eine ausgesprochen auffassungsschnelle und differenziert denkende Schülerin (die übrigens oftmals aus dem Stand heraus den unterrichtenden Studierenden auf die Sprünge half); völlig verdient erhielt sie bei ihrem Realschulabschluss den Paul-Schempp-Preis der Evangelischen Landeskirche in Württemberg für besondere Leistungen im Fach evangelische Religion. Im Gespräch über den Weg zu ihrer Konversion betonte sie, sie habe die Trinitätslehre nie verstanden. – Meine Frage wäre hier: Hat unser RU je versucht, sie ihr zu erklären? Sehen wir es überhaupt als religionspädagogische Aufgabe, diesen zugegebenermaßen schwer verständlichen Kern – oder sollen wir sagen: dieses Grundgeheimnis – unseres Glaubens Kindern und Jugendlichen einsichtig zu machen? Um nicht falsch verstanden zu werden: Religionsfreiheit ist ein hohes Gut und es ist gewiss nicht die Aufgabe des Religionsunterrichts, Menschen an die Kirche zu binden. Aber sollte ein konfessioneller RU nicht wenigstens das Anliegen haben, einen Einblick in die kompromisslose Zuwendung Gottes zur Welt in Jesus Christus und in die Tragweite dieses Bekenntnisses für die Gestalt unseres Glaubens zu eröffnen? Wäre es nicht schön, wenn junge Menschen ihre Religion aus einem tieferen Verständnis derselben heraus behalten oder wechseln – und nicht, weil der RU darauf verzichtet hat, ihnen Gelegenheit zu bieten, ein solches aufzubauen? Vgl. in diesem Zusammenhang die Diagnose einer „religionspädagogischen Trinitätsvergessenheit“ bei Oberthür, Christen, 115; ebd. 119–127, schlägt er auch einige Mittel zur Therapie derselben vor. 718 Vgl. oben, 218ff.

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tionen zu beziehen, daraus ist aber nicht zu schließen, dass sie nun keinen Bedarf oder auch kein Interesse mehr an theologischen Impulsen hätten. Entscheidend ist vielmehr, dass eine Theologie für Jugendliche auf einer ehrlichen Wertschätzung für diese persönlichen Positionierungen aufbaut und sich auf ihre Fragen einlässt – nur so werden sie ein entsprechendes Angebot „als ein echtes persönliches und inhaltliches Bemühen von Seiten der Erwachsenen erleben“.719 Schon deswegen kann also auch die Frage nach der Relevanz bestimmter theologischer Inhalte nicht außerhalb des Gesprächs mit den Schülerinnen und Schülern entschieden werden. In solchem Gespräch verfolgt eine Theologie für Jugendliche zwar „immer auch eine aufklärerische und kritische Zielrichtung“, aber eben nicht, indem sie die Jugendlichen mit einer starren Dogmatik konfrontiert. Wie eine Theologie für Jugendliche unter der Grundvoraussetzung von „Offenheit und Wertschätzung für das, was Jugendliche einbringen“,720 konkret aussehen kann, entfalten Schlag und Schweitzer in einem Durchgang durch die von ihnen unterschiedenen fünf Dimensionen von Jugendtheologie – dies kann hier als Grundorientierung nachgezeichnet werden unbeschadet der oben formulierten Anfragen an die Trennschärfe dieser Unterscheidung.721 Es erweist sich jedenfalls als sinnvoll, schon im Blick auf implizite Theologie von einer Theologie für Jugendliche zu reden, einer solchen nämlich, die sie ermutigt und anregt, die eigenen Wahrnehmungen zu belasten, auch nach einem neuen eigenen Blick zu suchen und so schließlich ein kritisches Bewusstsein zu entwickeln und zu betätigen – mit einer schönen, die grundlegende Wertschätzung des Denkens der Jugendlichen klar fokussierenden Formulierung sprechen Schlag und Schweitzer davon, „Jugendlichen das Bewusstsein der eigenen wichtigen, unverzichtbaren und hörbaren Stimme zu vermitteln“.722 Soll dies gelingen, ist Theologie für Jugendliche nicht zuletzt auf „Freiheitsräume“ angewiesen, die ihnen z.B. auch in außerschulischen oder projektartigen Angeboten oder in der (auch individuellen) Begegnung mit dem Kirchenraum zur Verfügung stehen.723 Im Blick auf die persönliche Theologie von Jugendlichen ist diese Freiheit sodann auch zu artikulieren als die Aufgabe, die Person und Persönlichkeit jeder und jedes Jugendlichen zu schützen – gerade wenn ihre persönliche Theologie 719

Schlag/Schweitzer, Jugendliche, 109; vgl. ebd., 107–109. Ebd., 108. 721 Vgl. dazu oben bei Anm. 629. 722 Schlag/Schweitzer, Jugendliche, 110, hier bezogen auf prophetische Traditionen; ebd., 113, erkennen sie auch in der Begegnung mit dem Kirchenraum Chancen für einen „Gewinn von Sprachfähigkeit“. 723 Vgl. ebd., 111–114; ferner die verwandten Überlegungen zu „Zeit mit Jugendlichen als Dimension der Bildung“, ebd., 87–90. 720

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etwa im Zusammenhang von Unterrichtsthemen zu Grundfragen des Menschseins adressiert wird, muss sensibel der Grat zwischen Nähe und Distanz beachtet werden. Schlag und Schweitzer erkennen hier zu Recht eine seelsorgerliche Dimension der Theologie für Jugendliche und betonen deren Angewiesenheit auf Vertrauen, zugleich aber stellen sie klar, dass Vertrauen auf Gott (Glaube als fiducia) nicht mit dem zur Lehrkraft verwechselt werden darf. Gerade Themen persönlicher Theologie erfordern daher, dass die Jugendlichen sich an Deutungsangebote der biblischen Tradition „eigenständig und kritisch annähern“ dürfen.724 Der Übergang schließlich zur expliziten Theologie und vollends zur Dimension theologischer Deutungen erfordert eine aktivere Rolle der Lehrkraft725 – soll aber die erarbeitete Grundlage der Wertschätzung der Theologie der Jugendlichen nicht konterkariert werden, kann diese nicht im Sinne einer „Hermeneutik der Vermittlung“, sondern muss von einer „Hermeneutik der Verständigung“ her interpretiert werden:726 Die Aufgabe, „die Vielfalt des biblischen Überlieferungs- und theologischen Deutungspotentials profiliert einzuspielen“, hat zwar durchaus auch (!) korrigierende oder irritierende Funktionen, ist aber in der primären Orientierung an den Fragen und Ausdrucksformen der Jugendlichen im Sinne einer „gemeinsamen, offenen Erkenntnissuche“ mit dem Ziel einer „religiöse[n] Mündigkeit“ zu gestalten.727 Zu einer ausdrücklichen theologischen Argumentation Jugendlicher schließlich helfen mit Bedacht ausgewählte Medien, Informationen oder Impulse sowie Formen eines bewusst kommunikativ angelegten progressiven Wissensaufbaus ausgehend von selbst formulierten Problemstellungen. In diesem Zusammenhang nennen Schlag und Schweitzer aber auch niederschwellige, ganzheitliche Zugänge zu biblischen Texten wie den Bibliolog.728 Theologie für Jugendliche ist nach diesem Vorschlag durchaus auch ein Einbringen biblischer und theologischer Tradition, dies aber in bewusster Orientierung an den Jugendlichen und ihrem Denken, 724

Vgl. ebd., 114–120; Zitat: 120. Der entsprechende Hinweis ebd., 122, lässt sich auch als Bestätigung der Anfrage lesen, ob diese theologischen Deutungen nicht eigentlich mit der Perspektive einer Theologie für Jugendliche identisch seien, vgl. Rothgangel, Formen, 133. 726 Diese Begrifflichkeit entlehnen Schlag/Schweitzer, Jugendliche, 123, von Hofmann und stellen sie dann ebd., 123–128, an zwei Beispielen dar: Der EMMAUSGlaubenskurs für Jugendliche illustriert hier die problematischen Seiten einer Vermittlungshermeneutik, während der Beitrag von Jörg Conrad zur Theologie mit Jugendlichen in der Konfirmandenarbeit in Anlehnung an konstruktivistische Begrifflichkeiten wie Zielareal und Themenkorridor zeigt, dass und wie die Aufgabe angegangen werden kann, den Jugendlichen zu tieferem Verständnis der Bedeutung und Bedeutsamkeit ihrer eigenen Ansichten zu helfen. 727 Vgl. ebd., 122f.126–128; Zitate: 122.126.128. 728 Vgl. ebd., 130–134; zum Bibliolog etwa Pohl-Patalong, Bibliolog. 725

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Fragen und Suchen. Die oben schon berührte Frage nach Themen einer Theologie für Jugendliche ist damit noch nicht begründet bearbeitet – Dieterich notiert dieses Problem729 und empfiehlt, den „Prozess der Themensuche … als genuine, erste und basale Aufgabe des Unterrichtsprozesses selbst zu verstehen“.730 Das liegt nahe an meinem Vorschlag, die Frage nach den Grenzen christlicher Wahrheit bewusst mit den Kindern bzw. Jugendlichen zu diskutieren. Für die vorliegende Arbeit ist außerdem Dieterichs Vermutung interessant, dass im Zusammenhang der Bearbeitung so gefundener Themen ein Herausarbeiten der „Entstehungskontexte … wichtiger theologischer Streitfragen“ das Interesse der Jugendlichen wecken könnte:731 Der Galaterbrief markiert ja nicht nur zentrale theologische Fragen für das Selbstverständnis des Christentums, sondern wirft zugleich ein deutliches Licht auf die Situationen, in denen diese zum Thema wurden, und die Alternativen, die hier zur Debatte standen. Doch ist hier noch nicht der Ort, in eine ausführlichere Diskussion der Frage einzutreten, ob und vor allem wie der Galaterbrief mit seinen theologischen Impulsen für die Jugendlichen interessant sein bzw. werden kann. Bevor diese konkrete Frage in den Blick tritt, soll als Pendant zur religionspädagogischen Grundlegung und in dem damit aufgespannten Bezugsfeld eine Erörterung grundlegender bibeldidaktischer Fragen erfolgen. Die Frage nach konkreten Interessen der Jugendlichen im Blick auf den Galaterbrief wird daher erst in der Verbindung beider Perspektiven – der subjektorientierten nach der Gestalt und Förderung theologischer Kompetenz von Kindern und Jugendlichen und der bibelorientierten nach den Herausforderungen in der Begegnung mit der Bibel – wieder aufgenommen und weiter verfolgt.732 Auch dieser Abschnitt soll mit einem kurzen Blick auf den Galaterbrief kontrapunktiert werden. Wurde im Blick auf den Konstruktivismus v.a. die formale Gestalt des Schreibens betont, das in die dialogische Umstrittenheit von Grundfragen des christlichen Selbstverständnisses Einblick gibt und damit zu einer Prüfung und (Weiter-) Entwicklung von – auch eigenen – Konstruktionen einlädt, so ist hier nun das inhaltliche Profil des Galaterbriefs von Bedeutung. Paulinische Theologie ist stets und deutlich auch im Galaterbrief die Durch729

Vgl. Dieterich, Themen, 49: Schlag und Schweitzer fordern mit Recht, die Themen ausgehend von den Jugendlichen zu finden, „ohne freilich Anregungen geben zu können, wie dies konkret geschehen soll“. (Dies passt übrigens nicht ganz zu der inhaltlichen Auskunft, die Schweitzer, Theologie, 25, zur Frage nach Themen einer Theologie für Kinder gibt; vgl. oben bei Anm. 709.) 730 Dieterich, Themen, 53; vgl. ebd., 56f. 731 Ebd., 58. 732 Vgl. C.2. „Schlüssel zum Galaterbrief„ unten, 277ff.

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dringung der (jüdischen bzw. alttestamentlichen) Tradition und das Verstehen von Welt und Mensch vom gekreuzigten und auferstandenen Christus her. Im Kern fragt Paulus von diesem Fundament her, so dass der Brief ein Beispiel dafür bietet, dass und wie in bewusster Anwendung eines möglichen Grundsatzes – Christus und das Christusgeschehen als Zentrum christlichen Glaubens – so etwas wie christliche Wahrheit beschrieben und deren Grenze bestimmt werden kann. Der Galaterbrief eröffnet damit Diskussionsmöglichkeiten sowohl für die Frage der konkreten Anwendung seiner christologischen Grundorientierung durch Paulus als auch weiterführend für die Frage nach der Relevanz gerade dieser Grundorientierung überhaupt. Damit kann er Schülerinnen und Schüler herausfordern, für sich selbst zu klären, was Christentum eigentlich ist bzw. welches Verständnis von Gott und seiner Beziehung zu den Menschen es vertritt. Es ist im tiefsten diese Frage, die durch eine Schärfung des theologischinhaltlichen Profils des Religionsunterrichts auf die Tagesordnung kommt. Der Galaterbrief als ein Dokument des Ringens eben darum ist daher ein ausgesprochen spannender Unterrichtsinhalt. c) Die Bibel als Subjekt: Die andere Herausforderung der Bibeldidaktik Ähnlich wie im vorigen Abschnitt wird hier auf eine ausgeführte forschungsgeschichtliche Darstellung verzichtet.733 Die Diskussion fokussiert vielmehr auf die Aspekte, die im Duktus der vorliegenden Studie besonders relevant erscheinen. Die Leitfrage, wie die bisher erarbeitete religionspädagogische Grundorientierung im Blick auf die Bibel aufzunehmen und auszugestalten ist, wird dabei in Auseinandersetzung mit neueren bibeldidaktischen Entwürfen diskutiert. Wenn die Überschrift des Abschnitts auch die Bibel als „Subjekt“ bezeichnet, soll dies also nicht die bewusst vorgeordnete Orientierung am lernenden Subjekt relativieren, sondern die Frage akzentuieren, wie nun die Bibel im Rahmen der grundlegenden Perspektive eines am gemäßigten Konstruktivismus orientierten Verständnisses des Theologisierens mit Kindern bzw. Jugendlichen zur Geltung zu bringen ist.734 Fricke formuliert hier als „Konsens“: „Gegenstand der Bibeldi733

Das ist auch deswegen möglich, weil dies bereits etliche neuere Monographien gut leisten, so etwa Müller, Schlüssel (2009), 56–83; Schambeck, Didaktik, 17–67; Fricke, Bibeltexte, 43–120. Erwähnung verdient in diesem Zusammenhang auch Mette, Bibeldidaktik: ein gut sortierter Forschungsbericht über die Jahre 1986–2006. 734 Die Vorordnung der Frage nach dem lernenden Subjekt möchte also die Fehleinschätzung vermeiden, „dass die hauptsächliche Herausforderung der Bibeldidaktik darin zu sehen sei, wie exegetische Erkenntnisse didaktisch umgesetzt werden können“ (Schweitzer, Konstruktion, 123).

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daktik ist Begegnung, Bewegung, Dialog, kurz: Kommunikation zwischen Schüler/innen und Bibel“.735 Die Bibel soll also nicht anstelle der Kinder und Jugendlichen, sondern ebenso wie diese als Subjekt zu Geltung kommen: Es geht um die Eröffnung eines „Gesprächs“,736 in dem die Schülerinnen und Schüler mit ihrem Fragen, Denken und Meinen ebenso zu ihrem Recht kommen wie die biblischen Texte mit ihren Aussagen, Zusagen und Zumutungen. Wenn und weil die Bibel eine durchaus fremde Textwelt ist, muss also auch die Frage nach dem eigenen Profil der biblischen Texte bedacht werden. Nach dem lernenden Subjekt soll daher in diesem Abschnitt die Bibel als der andere Pol der angestrebten Begegnung betrachtet werden. Dies geschieht in vier Schritten. Zunächst wird die Bedeutsamkeit der Bibel für eine subjektorientierte Religionspädagogik gründlich diskutiert, weshalb u.a. hermeneutische Fragen rezeptionsästhetischer Art und bündelnd Peter Müllers Konzept von „Schlüsseln zur Bibel“ betrachtet werden. Die Aufmerksamkeit auf den eigenen Charakter der Bibel führt weiter zu einer Diskussion von Einsichten in die intertextuelle Verflechtung biblischer Texte als bibeldidaktische Herausforderung und Chance. Für die Absicht meiner Studie ist sodann eine Erörterung der Möglichkeiten und Grenzen einer Ganzschriftlektüre biblischer Bücher im RU relevant. Schließlich stellt der Blick auf die Bibel als Gegenüber vor die Frage, in welcher Gestalt und Übersetzung diese im RU begegnen kann und soll. Wie zuvor reflektieren kurze Ausblicke die Gedanken mit Bezug auf den Galaterbrief. Bibeldidaktik zwischen Subjektorientierung und Fremdbegegnung Die Frage nach der Bedeutung der Bibel im RU kann und soll nicht die Einsicht in die grundlegende Bedeutung der Orientierung am lernenden Subjekt in Frage stellen. Peter Müllers Grundsatz, dass auch in bibeldidaktischer Perspektive die „Orientierung an den Schülerinnen und Schülern … unaufgebbar“ ist, ist denn auch weithin unbestritten.737 Die Frage ist, welches Recht daneben und v.a. in Bezug darauf der Bibel zukommt – und zwar nicht zuletzt um des Lernens der Kinder und Jugendlichen willen. Dies soll hier in mehreren Perspektiven betrachtet werden. Zunächst ist ganz grundsätzlich zu fragen, warum überhaupt die Bibel im RU eine Rolle spielen sollte. Diese Frage verlangt eine explizite Erörterung vor allem deswegen, weil 735

Fricke, Themen, 377. Auch Müller, Schlüssel (2009), 16, benennt die Metapher „mit der Bibel ins Gespräch kommen“ als „treffende Kurzbeschreibung für eine Bibeldidaktik“. 737 Ebd., 82. Vgl. Mette, Bibeldidaktik, 181: Das „Bemühen um einen erfahrungsorientierten Zu- und Umgang mit der Bibel“ sei „zu einem selbstverständlichen Bezugspunkt geworden“. Zu einer Problematisierung der kritischen Anfragen von Thomas Ruster siehe unten, 253f. 736

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die jeweilige (oft unausgesprochen bleibende) Begründung erhebliche Konsequenzen für den konkreten didaktischen Umgang mit der Bibel impliziert. In einem weiteren Schritt werden die Pole der Überschrift diskutiert: Verlangt die Subjektorientierung einen unmittelbaren Zugang zur Bibel bzw. inwieweit ist ein solcher möglich? Und wie ist andererseits die Fremdheit der Bibel angemessen wahrzunehmen? In der Diskussion dieses Spannungsfelds rückt unter anderem die wichtige Aufgabe der Förderung hermeneutischer Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern ins Blickfeld. Hier werden nicht zuletzt rezeptionsästhetische Konzepte des Umgangs mit der Bibel betrachtet, die sich als besonders offen für eine konstruktivistische Religionspädagogik bzw. Bibeldidaktik erweisen. Alle diese Überlegungen miteinander zeichnen ein klareres Bild des angestrebten „Gesprächs“ bzw. der „Begegnung“ der Schülerinnen und Schüler mit der Bibel, das abschließend unter Bezug auf den bibeldidaktischen Entwurf von Peter Müller zusammenfassend beschrieben wird. Im Rahmen der vorliegenden Studie kann daneben auf den Versuch einer grundsätzlichen Klärung der Frage, welche biblischen Inhalte im RU eine Rolle spielen sollten und welche nicht, verzichtet werden; für ihren Zweck reicht der Nachweis aus, dass eine Befassung mit einem Paulusbrief bibeldidaktisch sinnvoll ist.738 Zunächst also ganz grundsätzlich: „Warum … gerade die Bibel? Warum kein anderes Buch?“739 Diese Frage bezieht Gerd Theißen auf den Dialog mit der säkularen Kultur, den er in seiner Absicht der 738 Dass die Auswahl der Bibeltexte für den RU hoch bedeutsam ist, weil sie den Kanon tatsächlicher Bibelkenntnis weitgehend bestimmt (vgl. z.B. Landgraf, Inhalte, 155f. und passim), sei aber erwähnt – schon aus diesem Grund kann nicht allein die Zugänglichkeit der jeweiligen Texte für deren Auswahl Bedeutung haben, sondern muss auch ihre theologische Relevanz reflektiert werden. Die Problematik sei mit einem Beispiel illustriert: In einem Seminar über „Paulus in der Schule“ bat ich Lehramtsstudierende der Theologie, die vier ihrer Meinung nach wichtigsten Figuren der Bibel zu benennen. Auf den vorderen Plätzen landeten relativ unbestritten Jesus und Mose, danach wurde die Diskussion offener, wobei für viele Paulus gar nicht in die Auswahl gehörte – und einige vertraten vehement die Überzeugung, Noah sei auf jeden Fall wichtiger als Paulus. Das ist ohne Zweifel ein Reflex eines RU, der Noah in der Grundschule schon oft intensiv behandelt, Paulus aber (jedenfalls nach der von mir erfragten Erinnerung dieser Studierenden) weithin verschweigt. Aus biblischtheologischer Perspektive aber erscheint die „Lösung“ meiner Aufgabenstellung problematisch: Zwar kristallisieren sich wesentliche Erzählkomplexe der alt- und neutestamentlichen Tradition an den Figuren Mose und Jesus, doch sind im AT die Propheten und im NT Paulus und der Verfasser des Johannesevangeliums die theologisch profilierteren und für die Entwicklung von Juden- und Christentum letztlich entscheidenderen Figuren. (Zur Prominenz von Noah vgl. auch Kammeyer/Büttner, Bibelperikopen, 17: Für 182 Schülerinnen und Schüler v.a. aus 6., z.T. auch aus 7. Klassen ist von 18 abgefragten Geschichten die Erzählung von der Arche die bekannteste – noch vor Kreuz, Auferstehung und Geburt Jesu!) 739 Theißen, Bibel, 192.

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Begründung einer „offenen Bibeldidaktik“ bedenkt.740 Er beantwortet sie mit einem Verweis auf das Christuszeugnis der Bibel, das die von ihm herausgearbeiteten Grundmotive der Bibel integriere und zu dem sich säkulare Analogien beschreiben lassen: „Auch wer die biblische Zeichensprache nicht als Heimat bewohnen will, kann mit ihrer Hilfe besser verstehen, warum sie für andere zur Heimat wird.“741 Der Inhalt der Bibel und seine Bedeutsamkeit für den Glauben wäre also ein Motiv für ihre Thematisierung auch mit Nichtglaubenden.742 Burkard Porzelt greift die Frage Theißens und dessen Interesse an einer Antwort auf, die auch außerhalb einer christlichen oder kirchlichen Binnenperspektive einleuchtet, zeigt sich aber deutlich ratloser: „diese Frage nach guten Gründen dafür, warum gerade die Bibel im Zentrum eines Unterrichts stehen soll, der Schüler/innen zur Deutung und Bewältigung ihres Lebens verhelfen will, ist außerordentlich schwer zu beantworten.“743 Dies ist in der Tat zunächst einmal klar zu markieren: Deutung und Bewältigung des eigenen Lebens eröffnet nicht nur die Bibel. Dass die Bibel damit nicht als unhinterfragte oder gar unhinterfragbare Autorität begegnet, bedeutet für eine auf Begegnung angelegte Bibeldidaktik einen Gewinn. Zugleich ist deutlich, dass Porzelts Antwort schon enger auf den RU zielt – warum aber gerade hier eine Begründung für die Arbeit mit der Bibel erforderlich wäre, die unabhängig von religiösen Orientierungen einleuchten müsste, vermag ich nicht zu verstehen. Sofern das Christentum als Religion oder ein Verständnis für eine Beheimatung in dessen Tradition Thema sein soll, halte ich es schlicht für undenkbar, dass ein evangelischer, ja überhaupt ein christlicher RU auf die Bibel verzichten könnte.744 Nicht erst die Reformation entdeckt die Schrift als entscheidende Grundlage, die Bibel hat durch die Geschichte der Kirche hindurch immer schon und oft neu zu einem Verständnis der eigenen und gemeinschaftlichen (also kirchlichen) Identität vor Gott und damit zu einer Beschreibung christlicher Religion Anlass gegeben. Ich gehe davon aus, dass dies im Gespräch mit den biblischen Texten heute 740

Vgl. dazu ebd., 15–26. Ebd., 199; vgl. die ganze Argumentation zur Fragestellung ebd., 192–200. 742 Weitere Aspekte stellt Müller, Schlüssel (2009), 86, zusammen. 743 Porzelt, Grundlinien, 74; Theißens Frage dient ihm als Überschrift des Abschnitts 73–83. Für Porzelt entscheidet sich die Frage „letztendlich in der konkreten, je neuen Auseinandersetzung mit ihren Texten“ (ebd., 82), womit er sich faktisch letztlich auch auf die religionspädagogische Tradition beruft. 744 In dieser Perspektive formuliert Bizer, Bibel (2002), 124: „Der Nutzen der Bibel ist ihr Gebrauchswert im Leben der Heranwachsenden und späteren Erwachsenen.“ (Dass die Bibel im RU unverzichtbar ist, gilt darüber hinaus aber selbst mit Blick auf Versuche, christliche Religion unter bewusster Abgrenzung vom biblischen Kanon zu begründen, die ich mir ausdrücklich nicht zu eigen mache (vgl. oben, Anm. 1), müssen diese doch benennen können, wovon sie sich abgrenzen wollen und warum.) 741

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nicht nur nachvollziehbar ist, sondern auch neu geschehen kann. Beide Aspekte begründen in meiner Perspektive, warum dem RU ohne die Bibel ein entscheidender Grundlagenbezug fehlen würde; beide geben damit auch die Richtung an, in der im Folgenden zu fragen ist, wie sie dort Thema sein und werden kann. Die Frage, warum die Bibel im RU eine Rolle spielen sollte, hat freilich noch eine andere Gestalt, nämlich die Frage nach deren eigentlichen Adressaten: Ist die Bibel ein Buch für Kinder? Ihre Texte wurden jedenfalls für Erwachsene geschrieben. V.a. im Blick auf den RU in der Grundschule zeitigt diese Einsicht ein Spektrum möglicher Folgerungen: Ist die Bibel hier gänzlich ungeeignet oder ihr Einsatz nur in Auswahl gerechtfertigt oder können und sollen Kinder deren Texte auf ihre eigene Weise verstehen und so in eine Vertrautheit mit der grundlegenden Urkunde des Glaubens hineinwachsen?745 Wird mit der Orientierung am lernenden Subjekt vorausgesetzt, dass die Bibel sinnvoll nicht an den Erfahrungen und Fragen der Schülerinnen und Schüler vorbei zum Thema werden kann, ist also nach ihrer Zugänglichkeit zu fragen. Ingo Baldermann und in seinem Gefolge Rainer Oberthür konnten eindrücklich zeigen, dass und wie Grundschulkinder mit ausgewählten Psalmworten unmittelbar umgehen und nicht zuletzt die darin aufbewahrten Gefühle nachempfinden können.746 Damit ist aber noch keineswegs erwiesen, dass sich jeder biblische Text ohne besondere hermeneutische Anstrengung erschließen ließe, zumal eine solche auch im Fall dieser Psalmendidaktik nötig ist, wo sie durch die vorbereitende Lehrperson erbracht wird.747 Es wäre aber nicht einleuchtend, diese Arbeit grundsätzlich nicht den Schülerinnen und Schülern zuzutrauen und zuzumuten, im Gegenteil: Wenn Kinder- und Jugendtheologie als theologische Kompetenz entfaltet werden soll, ist der Aufbau einer eigenen hermeneutischen Deutungsund Urteilsfähigkeit unverzichtbar.748 Auf dieser Linie interpretiere ich etwa Porzelts Einsicht, dass gerade ein Einsatz beim (konstrukti745

Detaillierter und mit Belegen für die Positionen vgl. Fricke, Bibeltexte, 107f. Vgl. Baldermann, Weinen; ders., Einführung (2005), 24–68; Oberthür, Kinder (1995), 81–94; Oberthür/Mayer, Psalmwort-Kartei. Einen Vorschlag für ein ähnliches Vorgehen im Umgang mit ausgewählten Versen entwickelt Benz, Best of Paul. 747 Und sei es mit Baldermann, Weinen, 32, „nur“ durch Auswahl der „richtigen Worte“; vgl. ebd., 11: „Wir müssen … Sätze finden, zu denen die Kinder einen direkten Zugang finden können, ohne historisch-kritische Erläuterungen von unserer Seite“. 748 Dies ist nicht nur in Aufnahme entsprechender Beschreibungen prozessbezogener Kompetenzen in neueren Bildungsplänen zu fordern, vgl. etwa die an die Kritik von Kalloch/Kruhöffer, Testament, 227, anknüpfende Frage von Meurer, Bibel, 209; ders., Bibeldidaktik (2008), 174, inwieweit eine Grundschuldidaktik der unmittelbaren Erschließung biblischer Worte zum Desinteresse gegenüber der Bibel in der Sekundarstufe beiträgt, da die Bibel so ihren „Herausforderungscharakter“ verliert. 746

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vistisch verstandenen) lernenden Subjekt eine Bezugnahme auf ein Gegenüber erfordere: „Bildung konstituiert sich prinzipiell erst dadurch, dass Subjekte einem Nicht-Ich begegnen.“749 Der Nicht-IchCharakter der Bibel wird an anderen biblischen Texten deutlicher: Während die Psalmen typische Erfahrungen in Sprachbilder verdichten, die geradezu auf Aneignung durch andere Beter angelegt sind – es sei hier nur auf die vielgestaltige kirchliche Tradition des Einstimmens in die Psalmen verwiesen –, rechnen andere Texte der Bibel von vornherein nicht mit unmittelbarer Zustimmung. Der Galaterbrief als Kampfbrief ist hierfür nur ein Beispiel, dem neben anderen Briefen des Neuen Testaments die Botschaft der Propheten im Alten Testament an die Seite gestellt werden kann.750 Aber auch erzählende Texte sind vielfach nicht zuletzt Gesprächsbeiträge in kontroversen Debatten ihrer Zeit, beziehen Position und tragen Argumente vor. Soll dies entdeckt werden, ist eine hermeneutische Arbeit an den Texten – und zwar mit den Schülerinnen und Schülern – unumgänglich. Werden biblische Geschichten hingegen unreflektiert als historische Berichte präsentiert, verstellt dies den Blick auf Aussage- und Wirkabsichten der Texte. Hanna Roose referiert ein eindrückliches Beispiel, in dem Kinder einer 3. Klasse von sich aus (!) eine Diskussion über den Realitätsgehalt einer ihnen erzählten Mosegeschichte beginnen. Die Auseinandersetzung mit dieser Unterrichtsstunde führt sie gerade auch im Sinne einer Theologie für Kinder zur Forderung nach einer Klärung der Frage, „welche Relevanz biblische Erzählungen jenseits der Frage ihres historischen ‚So – (Nicht-)Gewesenseins‘ (heute) entfalten können“: Diese Perspektive sei nötig, damit „Kinder ‚Eingang‘ in diese Erzählungen finden können“.751 Sie pflichtet ausdrücklich der Kritik Horst Klaus Bergs an „unreflektiert-normativem Gebrauch der Bibel“752 bei und schlägt konkrete Fragestellungen vor, mit deren Hilfe bereits in der Grundschule die Ebene der Aussageabsicht biblischer Erzählungen entdeckt werden kann: „Warum erzählt Matthäus so und Lukas anders? Warum haben beide Evangelisten – im Unterschied zu Markus – überhaupt das Bedürfnis, von Jesu Geburt zu erzählen? Warum erzählen Menschen einmal so von der Schöpfung und dann noch einmal anders? Was ist in dieser Erzählung wichtig, was in dieser? Wie würde ich vom Anfang der Welt erzählen?“753 Eine solche Arbeit an einem Aufbau hermeneutischer Kompetenz von Anfang an ist in meinen Augen eine eminent wichtige, wenn auch faktisch oft vernachlässigte Aufgabe der Bibeldidaktik: 749 750 751 752 753

Porzelt, Grundlinien, 10f. Zu Christian Cebuljs „konfliktorientierter Bibeldidaktik“ vgl. unten, Anm. 808. Roose, Mose, 157; vgl. ebd., 153–158. Berg, Grundriss, 32. Roose, Biblizismus, 163.

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Nur so kommt die Bibel in einer Weise in den Blick, die später die Jugendlichen nicht dazu nötigt, sich gänzlich von ihr zu distanzieren.754 Nur so auch kommt die Bibel in einer Weise in den Blick, die sensibel ist für die Aussage- und Wirkabsichten ihrer Texte. Es ist also schon von der Bibel her geradezu zu fordern, dass ihre Texte als ein Gegenüber mit eigenen Interessen, also zunächst einmal als Nicht-Ich bzw. als etwas Fremdes erscheinen. Fremdbegegnung geschieht im RU zu biblischen Texten aber auch auf der ganz anderen Ebene, dass dieses Buch den meisten Schülerinnen und Schülern schlicht fremd ist – es wäre ein didaktisch verhängnisvoller Trugschluss, eine eigene Vertrautheit mit der Bibel auch den Lernenden zu unterstellen,755 vielmehr gilt: „Für die Mehrheit der Kinder und Jugendlichen ist die Bibel ‚Niemandsland‘. Die Fremdheit ist als Ausgangspunkt zu akzeptieren.“756 Dabei gibt es auch abgesehen von der immer noch rückläufigen religiösen Sozialisation im privaten Bereich Gründe, warum ein unmittelbarer Zugang zur Bibel kaum möglich ist. Peter Müller beginnt seine Bibeldidaktik mit einer Aufzählung von „sieben Siegeln“, die den Zugang zur Bibel auch bei grundsätzlicher Akzeptanz ihrer Bedeutung erschweren, ja „das Buch verschlossen“ halten, etwa ihr Umfang, ihre Unverständlichkeit oder auch die Annahme, bereits zu wissen, was sie sagt.757 Diese Fremdheit bedeutet für den RU eine Herausforderung und eine Chance. Einerseits muss er die Schülerinnen und Schüler für ein Arbeiten an und mit der Bibel gewinnen und grundlegende Erschließungsleistungen anbahnen, andererseits sind die Texte nicht automatisch schon bekannt oder gar auf ein bestimmtes Verständnis festgelegt: „Fremdheit ist – didaktisch betrachtet – … kein schlechter Ausgangspunkt“.758 Das gilt 754 Als Beitrag zu diesem Prozess verstehe ich die von mir konzipierte, herausgegebene und mit einem Team erarbeitete Grundschul-Bibel. Etwa die von mir verfassten Entdeckerseiten bieten Anregungen zur Erschließung grundlegender hermeneutischer Perspektiven, vgl. Wiemer, Grundschul-Bibel, 6f.8.22.58.72.93.134.148.172f.174– 176.188.200. Zur Erläuterung der theologischen und bibeldidaktischen Leitlinien der Konzeption vgl. ders., Grundschul-Bibel. Lehrerband, 6–8. 755 Vgl. Porzelt, Grundlinien, 17. 756 Müller, Schlüssel (2009), 54; vgl. ebd., 51–54. Vgl. auf dieser Linie z.B. den Vorschlag von Steinkühler, Fragmentendidaktik, 175.176.181 (dort jeweils v.a. die Thesen mit den kurzen Erläuterungen), Kinder Schritt für Schritt nach Art einer „Fremdsprachendidaktik“ mit der Bibel vertraut zu machen. 757 Müller, Schlüssel (2009), 11; vgl. ebd., 11–14. 758 Ebd., 54. Diese Einsicht wird vom Gegenteil her klar: Diskussionen mit kreationistisch geprägten Schülerinnen und Schülern über die Schöpfungstexte stellen keineswegs die einfachere Übung dar. Für die vorliegende Studie können die Probleme geprägten Vorverständnisses biblischer Texte aber ausgeblendet bleiben, da der Galaterbrief sicher weithin fremd ist. Allenfalls dürfte der Umgang mit Vorwissen über die Schilderung des Damaskuserlebnisses nach Apg 9 erforderlich sein, was aber in einer Gegenüberstellung zweier Texte eine gut aufzunehmende Vorlage ist.

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nicht zuletzt im Blick auf die zuvor entfaltete Aufgabe der hermeneutischen Erschließung eines Zugangs zur Bibel. Noch einmal schärfer und grundsätzlicher bringt Thomas Ruster im Anschluss an semiotische Theorien759 die Fremdheit der Bibel zur Geltung: Er sieht ihr tiefstes Wesen in einem Wirklichkeitsverständnis, das an den Schriften, also der hebräischen Bibel orientiert ist, und mit der (all)gegenwärtigen Orientierung an Kapitalismus und Naturgesetzen schlicht inkompatibel ist. Die biblische Sicht lebe nicht zuletzt von der Unterscheidung zwischen Gott und den Götzen, so dass zur fremden Welt der Bibel „auch ein fremder Gott“ gehört, da heute „der Götzendienst die Normalform von Religion“ sei.760 Ruster meint, dass in dieser Situation jeder Versuch eines Zugangs zur Bibel ausgehend von eigenen Erfahrungen des lernenden Subjekts scheitern muss, die Aufgabe des RU sei es daher vielmehr, „die Schülerinnen und Schüler an einer fremden Erfahrung teilhaben zu lassen“.761 Sein Beitrag setzt manchen wichtigen Akzent, der etwa im Bedenken der intertextuellen Verflechtung der biblischen Texte aufzunehmen sein wird. Auch die von ihm betonte Perspektive, dass eine Begegnung mit der Bibel letztlich zu einer „Umcodierung“ von „Weltbild“ und „Selbstbild“ führen müsse,762 ist wohl zumindest als mögliches Ergebnis solcher Begegnung festzuhalten. Ruster unterstreicht damit zu Recht, dass und wie die Bibel als eigenständige Größe in den Blick treten kann und durchaus auch sollte.763 Doch sind an Rusters pointierte These auch gewichtige Anfragen zu richten: Die Wahrnehmung der Schülerinnen und Schüler dürfte im (berechtigten) Interesse an einer Kritik der Religion des Kapitalismus zu eindimensional und skeptisch geraten sein.764 Und theologisch ist zu fragen, ob es zwingend ist, die Grundfigur biblischer Gottesrede in der Unterscheidung von Gott und den Götzen zu sehen und nicht z.B. in der Zuwendung Gottes zu den Menschen in der Menschwerdung (!) Jesu Christi.765 Die entscheidende Anfrage gegen Rusters These ist in meiner Wahrnehmung allerdings die rezeptionsästhetische Einsicht, dass es 759

Ruster bezieht sich v.a. auf Alkier und Dressler; vgl. zu diesen auch ebd., 73–75. Die Zitate: Ruster, Welt, 199.195. 761 Ebd., 202. Vgl. mit Bezügen auch auf weitere Arbeiten Rusters die Darstellung seiner Position bei Kropač, Schülerinnen, 153f., sowie Meurer, Bibel, 207f. 762 Ruster, Welt, 203 – übrigens mit explizitem Bezug auf Gal 2,20. 763 Vgl. Meurer, Bibel, 210: „Nur wenn der Text als anspruchsvolle Welt bestehen bleibt, vermag sich in der Auseinandersetzung mit ihm das ‚Ich‘ der Schüler zu konstituieren“; Mette, Bibeldidaktik, 190. 764 So auch Müller, Schlüssel (2009), 75. 765 Auch abgesehen von dieser Grundsatzfrage ist Rusters Skepsis im Blick auf den Erfahrungsbezug von der Bibel her kritisch zu sehen, zeigt doch etwa die Geschichtstheologie Deuterojesajas, dass die Unterscheidung von Gott und Götzen sehr wohl mit Erfahrung argumentieren kann (z.B. Jes 41,21–29). 760

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einen Text und zumal einen Textsinn unabhängig von einer Leserin oder einem Leser gar nicht gibt, so dass die „singularische Rede von dem biblischen Wirklichkeitsverständnis exegetisch nicht gedeckt ist“.766 Die damit angesprochenen hermeneutischen Grundsätze haben in den letzten Jahren sowohl in exegetischer wie religionsdidaktischer Perspektive deutlich an Zustimmung gewonnen. Kurz gesagt entsteht nach der Überzeugung der Rezeptionsästhetik so etwas wie eine Aussage eines Textes erst im Akt des Lesens oder Hörens, oder anders formuliert: Mag die Bibel uns auch als noch so fremd begegnen, einen Sinn geben wir ihr. In gewisser Weise ist die Rezeptionsästhetik also die hermeneutische Schwester des Konstruktivismus, weshalb der hier verfolgte religionspädagogische Grundansatz sich stimmig zu einem rezeptionsästhetisch reflektierten Zugang zur Bibel fügt. In ähnlicher Weise verknüpfen z.B. auch Friedrich Schweitzer oder Michael Fricke Grundeinsichten des Theologisierens mit Kindern mit einem Plädoyer für eine rezeptionsästhetisch ausgerichtete Bibeldidaktik.767 Schweitzer reflektiert diese freilich bezogen auf eine entwicklungsorientierte Didaktik, die nicht nur ausdrücklich am normativen „Bildungsanspruch“ einer „Subjektwerdung von Kindern und Jugendlichen“ festhält,768 sondern auch meint, von der „Pointe“ biblischer Texte im Singular reden zu können und zu sollen769 – wie offen eine solche Perspektive für die Wahrnehmung und Akzeptanz individueller Rezeptionen biblischer Texte wirklich ist, lässt sich fragen. Fricke hingegen unterscheidet zwar verschieden angemessene Interpretationen, mit Verweis auf die „Polyvalenz der Texte“ aber ausdrücklich nicht falsche von (der) richtigen.770 Ein Gespräch mit 766

Kropač, Schülerinnen, 155. – Kropač entwickelt diese Sicht in einer bibeldidaktischen Aufnahme der „Dekonstruktion“ weiter, vgl. ebd., 155–157; Kropač, Lernen 395–398. Abgesehen von den Fragen (oder als Effekt derselben?!), ob sich „Dekonstruktion“ im Sinne Derridas methodisch fassen lässt (vgl. Schambeck, Didaktik, 63f.) und wie sinnvoll es ist, im RU gegen das Interesse der Jugendlichen nach einem Aufbau von „Selbstgewissheiten des Subjekts“ zu arbeiten (Müller, Schlüssel (2009), 82), scheint mir der spezifische Ertrag seines Vorgehens gering zu sein – was Kropač konkret beschreibt, lässt sich auch ohne das Etikett „Dekonstruktion“ etwa rezeptionsästhetischen Ansätzen zuordnen. 767 Vgl. Schweitzer, Kinder (2006), 108 [Erstveröffentlichung war 1999]; Fricke, Bibeldidaktik, 210; ders., Bibeltexte, 228–233.255–258. Vgl. zu bibeldidaktischen Impulsen des Theologisierens mit Kindern auch Mette, Bibeldidaktik, 185–188, und exemplarisch Büttner/Schreiner, Stück (Sonderband des Jahrbuchs für Kindertheologie zur Deutung ntl. Geschichten; übrigens ohne Bezug auf Paulus). 768 Schweitzer, Kinder (2007), 207; das Adjektiv „normativ“ findet sich ebd., 206. 769 Ders., Kinder (2006), 108, fürchtet, „daß die biblischen Texte um ihre Pointe gebracht werden“; vgl. ders., Kinder (2007), 208; ders., Kindertheologie (2011), 17. 770 Fricke, Bibeldidaktik, 217 (mit kritischem Bezug auf ein älteres (1995) Beispiel Schweitzers, vgl. auch dessen neuere Diskussion desselben Beispiels: Schweitzer, Kindertheologie (2011), 14–19).

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der Bibel kann in dieser Perspektive nicht die Durchsetzung einer bestimmten Sicht zum Ziel haben, sondern muss ein offenes Gespräch unter denen sein, die sie lesen – im RU werden das zunächst die Kinder oder Jugendlichen einer Klasse sein. Die Lehrperson ist dabei zum einen „‚nur‘ Leser wie die Schüler auch“, muss also die Bereitschaft entwickeln, auch von diesen zu lernen, zum anderen „Anwältin des Textes“, die darauf achtet, ob sich Interpretationen bzw. Rezeptionen an diesen „zurückbinden lassen“, wobei auch diese Funktion von der Klasse (mit) wahrgenommen werden kann.771 Mit der weiteren Aufgabe, Überlegungen dann auch rückzubinden „an die Überlieferungs- und Auslegungsgemeinschaft (Kirche)“,772 ist die Lehrperson noch in einer dritten Rolle gefordert. Sie kann und soll also im Unterrichtsprozess Aneignungsräume eröffnen, Impulse setzen und Deutungsangebote unterbreiten, sie kennt aber nicht schon vorher „die“ richtige Antwort. Das gilt, bei aller Sympathie für ein entsprechendes Verständnis der Bibel, auch für bewährte Antworten wie Ingo Baldermanns Sicht von Bibeldidaktik als „Anleitung zu einer neuen Wahrnehmung der Wirklichkeit“, die nicht zuletzt Hoffnung erschließt,773 oder die von Horst Klaus Berg als „Verdichtungen biblischer Erfahrungen“ vorgeschlagenen sechs „Grundbescheide“: „Gott schenkt Leben“, „Gott stiftet Gemeinschaft“, „Gott leidet mit und an seinem Volk“, „Gott befreit die Unterdrückten“, „Gott gibt seinen Geist“, „Gott herrscht in Ewigkeit“.774 Es kann und darf nicht von vornherein feststehen, was die Bibel sagt, wenn die Bibel als lebendiges Gegenüber in einer echten Begegnung erfahren werden soll.775 Thomas Meurer fordert darum eine Bibeldidaktik, die „bewusst und deutlich auf die Lese- und Interpretationskompetenz der Schüler [setzt]. Gerade weil es ihr darum geht, die Fremdheit des biblischen Textes zu bewahren, sucht sie die Eigenständigkeit in Untersuchung 771

Vgl. Fricke, Bibeldidaktik, 217f.; die Zitate: 218.217. Ders., Bibeltexte, 231. 773 Vgl. Baldermann, Einführung (2005), 19; vgl. ebd. 9–15. 774 Vgl. Berg, Grundriss, 76–87 (die oben zitierten Wendungen ebd., 76.79.80.81.83. 84.85). 775 Vgl. Müller, Schlüssel (2009), 88: „Von einem Grundmotiv ohne die dazu gehörenden Konkretisierungen und Akzentsetzungen zu sprechen stellt eine Abstraktion dar, die den Texten nicht angemessen ist.“ Scharf kritisiert Theis, Bibeldidaktik, 320–322, ein „[t]otes Lernen von Bibeltexten“. Schambeck, Didaktik, 40, spitzt zu, dass in den bibeldidaktischen Modellen von Berg und Baldermann das „Subjekt … weiterhin lediglich als Adressat des Textes“ fungiert, weshalb sie diese unter der Überschrift „Vom Text zum Subjekt“ (ebd., 20), rezeptionsästhetische und entwicklungsorientierte Ansätze unter der umgekehrten Perspektive „Vom Subjekt zum Text“ (ebd., 41) darstellt. Ob der Graben so tief aufgerissen werden muss, sei dahingestellt – immerhin akzentuiert z.B. Baldermann, Einführung (2005), 5–9, die Bedeutung von Dialog und Begegnung, so dass z.B. Theis, Bibeldidaktik, 323–325, durchaus positiv, wenn auch weiterführend an Baldermann anknüpft. 772

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und Deutung des Textes durch die Adressaten zu fördern“.776 Wenn er weitergehend Porzelts Formulierung kritisiert, die Lehrkraft müsse in diesem Zusammenhang einen Prozess „arrangieren“,777 betont er damit seine Einsicht, ästhetisches Lernen geschehe „automatisch“ und „von selbst“, während der Versuch einer methodischen Herstellung dieses Lernens dessen Gegenstand häufig „unterbietet“.778 Hier ist wohl richtig gesehen, dass die Rede vom „Arrangieren“ des entsprechenden Prozesses im Sinne einer Planbarkeit missverstanden werden kann, die die Offenheit rezeptionsästhetischen Lernens nicht recht aufnimmt. Eine Verantwortung der Lehrperson für diesen Prozess besteht aber zweifellos, wobei auch nach Porzelt zu beachten ist, dass dieser sich „niemals vollständig steuern und kontrollieren“ lässt, seine Ergebnisse mithin „letztlich unkalkulierbar und unverfügbar“ bleiben.779 Joachim Theis beschreibt die Aufgabe der Lehrkraft als ein „Gestalten einer Kultur des selbstgesteuerten Lernens“,780 das er in seiner Habilitationsschrift sehr eingehend untersucht und analysiert – so detailliert, dass Mirjam Schambeck in ihrer ausdrücklichen Würdigung seiner Erkenntnisse fragt, „wie diese Erfordernisse für den konkreten Religionsunterricht operationalisiert werden können“.781 In meiner Sicht der Dinge ist die Konsequenz seiner Untersuchung nicht zuletzt eine Bekräftigung der schon im Anschluss an Fricke formulierten Aufgabe: Zunächst ist eine offene Wahrnehmung der Unterschiedlichkeit individueller Perspektiven auf die biblischen Texte erfordert, dann auch der Austausch in der Klasse sowie, nachgelagert, mit der kirchlichen Lesetradition.782 In allen diesen Perspektiven ist 776

Meurer, Bibel, 211. Ders., Bibeldidaktik (2006), 217. Porzelt, Grundlinien, 15, verwendet diese Formulierung aber weiterhin. 778 Meurer, Bibeldidaktik (2006), 216. Der letzte Gedanke ist vielleicht klarer begründet bei ders., Bibeldidaktik (2008), 187: „Es geht … nicht darum, an biblischen Texten irgendetwas zu lernen, irgendeine Glaubenswahrheit nahegebracht zu bekommen, die auch ohne die Bibel zu vermitteln wäre, sondern darum, in einen lebendigen Austausch mit dem Text zu treten“. 779 So formuliert Porzelt, Grundlinien, 11 – seine Rede vom „Arrangieren“ des Prozesses ist also in einem Horizont zu verstehen, den auch Meurer bejahen könnte: Meurer, Bibeldidaktik (2006), 217, signalisiert Zustimmung zu einem Verständnis der Verantwortung für den Prozess im Sinne einer „‚Freisetzung‘ des Begegnungsraums zwischen Schülerinnen bzw. Schülern und dem Gegenstand Bibel“. Noch deutlicher ist die Gestaltungsaufgabe der Lehrkraft markiert, wenn ders., Bibeldidaktik (2008), 187, den von ihm intendierten ästhetischen Prozess im Anschluss an Horaz als ein Ineinander von Lehren, Genießen und Nützen („docere, delectare und prodesse“) beschreibt. 780 Theis, Bibeldidaktik, 329. 781 Schambeck, Didaktik, 55; vgl. ihr Referat seiner Erkenntnisse ebd., 47–54. 782 Theis, Texte, 242–253, fokussiert zunächst auf die Interaktion zwischen Text und individuellem „Versteher“, die er im Modus von Assimilation und Akkomodation 777

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die Lehrperson gefordert, sie muss also gewissermaßen planen, wie Unplanbares geschehen kann – es ist wohl das, was Porzelt mit dem „Arrangieren“ dieses Prozesses ausdrücken will; mit dem Vokabular konstruktivistischer Didaktik ließe sich hier auch von der Gestaltung von Lernlandschaften reden.783 Eine „rezeptionsästhetisch orientierte Bibeldidaktik“ betont also zwar deutlich die Lebens- und Glaubensrelevanz des je individuellen Textverständnisses, ist aber bei aller Offenheit durch die Frage nach der Rückbindung an die biblischen Texte und die kommunikative Prüfung verschiedener Verständnisse keine Hermeneutik der Beliebigkeit.784 Es ist diese Stelle, an der ein kritischer Blick jedenfalls auf mögliche Umsetzungen rezeptionsästhetisch orientierter Didaktik sinnvoll ist. Ihre Stärke ist die Wahrung der Subjektorientierung und ihre Nähe zum Konstruktivismus. Die damit verbundene Gefahr ist, dass die individuellen Adaptionen des biblischen Texts dessen Subjektcharakter verdecken können. Damit wäre aber der Prozess der Begegnung verlassen, der nicht in reiner Aneignung aufgeht, sondern eine „textgemäße und [!] adressatenorientierte Bibeldidaktik“ erfordert.785 Zu fragen ist also, wie sich die Rückbindung der Sinndeutungen an den Text so gestalten lässt, dass dieser als Gegenüber mit eigenem Recht gewürdigt wird.786 Mirjam Schambeck etwa möchte in einer bewusst „bibeltheologischen“ Didaktik durch Aufnahme der Einsichten in die Intertextualität biblischer Texte diese in der Begegnung mit den Schülerinnen und Schülern dadurch stärken, dass sie nun ebenfalls mit ihrem kulturellen Kontext Teil des Gesprächs werden: Die „Welt des Textes“ wird so nicht nur durch verschiedene Rezeptionen der lernenden Subjekte gebildet, sondern auch dessen kanonische Verflechtung und Auslegungstradition sollen in den Blick treten.787 Im Fragen nach dem eigenen Recht des biblischen Gegenübers ist, so beschreibt (vgl. ebd., 108f.), weshalb die angestrebte „Sinn-Findung“ auch zu einer Veränderung des Rezipienten führen kann (ebd., 245). Schon deswegen ist ihm dieser erste, aneignende Schritt sehr wichtig, bevor er die „gesellschaftliche Dimension des Verstehens“ bedenkt (ebd., 254–260). 783 Vgl. zur Begrifflichkeit oben, 235. 784 Dies betont etwa Fricke, Bibeldidaktik, 218. Dass er nicht von rezeptionsästhetischer, sondern eben „rezeptionsästhetisch orientierte[r] Bibeldidaktik“ (ebd., 210 (Titel)) spricht, variiert wohl seinen Vorschlag, wegen der besonderen Autorität, die der Bibel beigemessen wird, und ihrer Formenvielfalt zwischen „Rezeptionsästhetik“ und „-hermeneutik“ zu differenzieren, vgl. ders., Bibeltexte, 228f. 785 Meurer, Bibeldidaktik (2008), 183, vgl. ebd.: „Der Prozess wird sich kaum auf ein einfaches Vermittler-Empfänger- oder Aneignungsgegenstand-Aneigner-Schema reduzieren lassen.“ 786 Vgl. Schambeck, Didaktik, 65, die hierin einen Gewinn der „dekonstruktiven Verfahren“ sieht (vgl. zu entsprechenden Vorschlägen oben, Anm. 766). 787 Vgl. ebd., 82–147, v.a. 122–128. Zur Intertextualität vgl. weiter unten, 263ff.

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meine ich, auch die von Christoph Bizer als scheinbar einsamem Rufer in der Wüste mehrfach wiederholte Forderung aufzunehmen, im RU die Bibel als „Heilige Schrift“ und damit „die christliche Religion religiös ernst zu nehmen“:788 Gegen eine Reduktion auf Texte, denen sich Informationen so entnehmen ließen, dass die Texte dann sogleich entbehrlich werden, setzt er in gestaltpädagogischer Perspektive eine Wahrnehmung des durch den „Wortlaut“ der Heiligen Schrift eröffneten „Resonanzraum[s]“, wie er etwa in der Liturgie des reformatorischen Wortgottesdienstes erfahrbar wird.789 Das klingt freilich nur auf den ersten Blick nach überholter, katechetisch ausgerichteter Religionsdidaktik, vielmehr steht es in deutlicher Nähe zu manchem hier schon Besprochenen. So lese ich Bizers Forderungen als Variante der berechtigten Warnung Meurers vor einer didaktischen Unterbietung des ästhetisch wahrzunehmenden Gegenstands. Im Zusammenhang der bewussten Aufmerksamkeit auf die ästhetische Wahrnehmbarkeit lassen sich weiter wichtige Impulse der performativen Religionsdidaktik aufnehmen, die mit guten Gründen auf eine lebendige Präsentation und Inszenierung der biblischen Texte drängt.790 Alle diese Impulse sind Beiträge zu der wichtigen Aufgabe, eine wirkliche Begegnung mit der Bibel zu eröffnen, wie sie durch ihre Fremdheit zugleich ermöglicht und erfordert wird. Diese Absicht bedeutet dabei keineswegs ein Abrücken von (oder gar einen Verrat an) der religionspädagogisch grundlegenden Subjektorientierung, sondern nimmt diese auf der Linie der zuletzt akzentuierten Überlegungen zur Notwendigkeit einer Theologie für Kinder bzw. Jugendliche erst recht ernst. Wenn zur Subjektorientierung die Einsicht gehört, dass wir zum Subjekt nur in Begegnung und Auseinandersetzung mit unserer Umwelt werden, muss im RU nicht zuletzt die Bibel als ein Gegenüber des Subjekts in den Blick treten und mit gleichem Respekt behandelt werden.791 So ist es durchaus als folgerichtig zu betrachten, dass sich die Wahrnehmung des lernenden Subjekts und der Bibel als gleichgewichtiger Pole einer anzustrebenden Begegnung, eines Gesprächs oder Dialogs als variierte Grundfigur in praktisch allen aktuellen bibeldidaktischen Entwürfen findet. 788

Bizer, Schrift, 115; vgl. ders., Bibel (2002); ders., Bibel (2007) und dazu Mette, Bibeldidaktik, 190: „quer zum bibeldidaktischen Mainstream“. 789 Bizer, Bibel (2002), 129; vgl. ders., Schrift, 126; zur Kritik an der schnellen Verwertung biblischer Texte ähnlich das Zitat von Meurer oben, Anm. 778. 790 Vgl. Müller, Schlüssel (2009), 78f., und zum Zusammenhang dieser Perspektiven mit Bizers Sicht exemplarisch dessen Anregungen zum Umgang mit dem Vaterunser: Bizer, Schrift, 131f. 791 So formuliert den Gedanken Porzelt, Grundlinien, 7: „der ebenbürtige Respekt gegenüber biblischen wie aktuellen Erfahrungen“ sei ein entscheidender „Maßstab für … bildende Auseinandersetzung“.

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Diese grundlegenden Überlegungen zur Bibeldidaktik sollen – bevor die spezielleren Fragen der bibeldidaktischen Berücksichtigung der Intertextualitätsdebatte und der Lektüre biblischer Ganzschriften besonders in den Blick kommen – gebündelt werden in einer Diskussion des bibeldidaktischen Entwurfs von Peter Müller, an den ich mich hier besonders anschließe.792 Müller bezieht seine Leitmetapher „Schlüssel zur Bibel“ nicht nur auf die Einsicht, dass die Bibel heute vielfach nicht nur ein fremdes, sondern geradezu ein verschlossenes Buch ist, sondern interpretiert sie v.a. in einer Weise, die wichtige Aspekte der bisherigen Darlegung aufnimmt: Ein Schlüssel „öffnet eine Tür und damit einen Raum [!] und setzt einen Prozess [!] in Gang“, d.h. wenn Müller etwa nach Schlüsseltexten fragt, geht es ihm nicht um deren theologische Zentralität, sondern um ihre Fähigkeit, „einen Zugang zur Bibel zu öffnen“.793 Dies interpretiert er in doppelter Weise, nicht zufällig also klingt seine Metapher an die didaktische Grundidee der „wechselseitigen Erschließung“ an:794 Ein solcher Schlüssel muss einerseits in die Hand der Lernenden passen, d.h. ihr Interesse wecken und an ihr Denken anschlussfähig sein, andererseits aber auch die biblische Tradition erschließen, Fragen, Querverbindungen und Denkwege eröffnen. Müllers Begriff des Schlüssels setzt die Suche nach dem Zugang also in der Begegnung selbst an, da sich deren Gelingen nicht an ihrem einen oder anderen Pol entscheidet. Gerade so will Müller beiden Subjekten dieses Gesprächs gleichermaßen gerecht werden. Im Licht der Überschneidungen zwischen beiden Perspektiven erhellt, welcher Text, Einzelvers oder Begriff, welches Bild oder welche Szene ein Schlüssel zur Bibel sein kann: „Schlüssel zur Bibel werden sich am ehesten da finden lassen, wo beide Perspektiven ineinander greifen“.795 Gegen den Verdacht, dass auch sein Verfahren leicht zur einen oder anderen Seite abrutschen mag, hilft wohl am besten, an konkreten Vorschlägen jeweils bewusst zu prüfen, ob dieser Anspruch auch eingelöst wird. In keinem Fall aber berechtigt der bloße Verdacht dazu, Müllers Forderung nach einer solchen doppelten Suchbewegung zurückzuweisen: Sie markiert das vitale Prinzip der Bibeldidaktik. In der Durchführung dieses Prinzips schaut Müller, wie gesagt, zunächst auf die Perspektive der Schülerinnen und Schüler. Er stellt dar, dass und wie biblische Motive in deren Alltagswelt etwa in Werbung, Popmusik und Filmen begegnen, auch Diskussionen in Internetforen arbeiten sich immer wieder an Gott ab, woraus sich 792

Vgl. schon oben, 15f. Müller, Schlüssel (2009), 89; vgl. zum Folgenden ebd. Eine Kurzfassung einiger Grundeinsichten seiner Bibeldidaktik bietet ders., Schlüssel (2011). 794 Vgl. dazu unten C.2.a), 280ff. 795 Müller, Schlüssel (2009), 90. 793

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„Lernchancen“ ergeben.796 Das Gewicht seiner Darstellung liegt hier auf den Fragen der Kinder und Jugendlichen; Müller bezieht sich dabei auf Rainer Oberthürs „Religionspädagogik der Frage“797 und die bereits referierte konstruktivistische Betonung der unentscheidbaren Fragen,798 womit die Argumentationslinie seiner Bibeldidaktik ein religionspädagogisches Profil verfolgt, das dem der vorliegenden Studie deutlich entspricht. Die von Müller erarbeitete Fragenliste wird in der Diskussion der lebensweltlichen Erfahrungen der Jugendlichen noch weiter behandelt werden.799 Für die Perspektive auf die Bibel setzt sich Müller von Bergs Grundbescheiden und Theißens Grundmotiven insofern ab, als er mit vier Themenkreisen von vornherein die biblische Verflechtung verschiedener Fragestellungen betont: „Es geht … nicht darum, Motive zu isolieren, sondern Zusammenhänge zu erkennen“.800 Dies gilt dabei nicht nur im Blick auf die vier „Themenkreise“ je in sich, vielmehr sind sie auch untereinander zu einem „Gewebe“ verbunden,801 was z.B. darin deutlich wird, dass Müller in seiner Beschreibung der Themenkreise „Gott und Welt“, „Gott und Mensch“ und „Glauben, Hoffen, Handeln“ jeweils auch auf deren neutestamentliche Verbindung mit Jesus achtet, was deren Zusammenhang mit dem vierten Themenkreis „Jesus Christus“ deutlich betont.802 Entsprechend beansprucht Müller ausdrücklich nicht, dass die von ihm vorgeschlagenen Themenkreise nur so und nicht anders zugeschnitten werden könnten, entscheidend ist für ihn der Versuch, ein „Gesamtbild“ bzw. „eine ‚Karte‘ des Lernens und Verstehens der Bibel“ und darin „die Fülle biblischer Themen und Aussagen auf elementare Weise zugänglich zu machen“.803 Wird das Gewebe aus den Themenkreisen schließlich mit der Sammlung der Bereiche verbunden, die die Fragen der Schülerinnen und Schüler artikulieren, ergibt sich eine Skizze, die bündelt, was Müllers Ansatz leisten kann und will.804 Es sei dabei nochmals betont, dass die Begegnung entscheidend ist, d.h. die Graphik ist nicht 796

Ebd., 92; vgl. die Darstellung ebd., 90–93. So z.B. Oberthür, Kinder (1998), 22. Müller, Schlüssel (2009), 94, bezieht sich v.a. auf die eindrückliche Liste der „großen Fragen“ von Grundschulkindern bei Oberthür, Kinder (1995), 14–16. 798 Vgl. dazu oben, Anm. 668. 799 Vgl. unten C.2.c), 289ff. 800 Müller, Schlüssel (2009), 99. Vgl. ähnlich Meurer, Wiederentdeckung, 37. 801 Müller, Schlüssel (2009), 99; die im Folgenden genannten Themenkreise werden in dieser Reihenfolge nacheinander gebündelt vorgestellt ebd., 99–103. 802 Vgl. ebd., 99–102, und umgekehrt den Verweis auf das Alte Testament in der Darstellung des Themenkreises „Jesus Christus“ ebd., 102f. 803 Ebd., 104. 804 Die auf der folgenden Seite abgebildete Graphik bündelt das Kernkapitel von Müllers Bibeldidaktik: ebd., 105. 797

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mehr als ein Hilfsmittel zur Identifikation möglicher Schlüssel, die ein Gespräch zwischen Schülerinnen und Schülern und der Bibel eröffnen könnten. Ob diese das dann auch wirklich leisten, ist jeweils konkret zu prüfen.

Bevor mit der Intertextualitätsdebatte und der Diskussion der Forderung nach der Lektüre biblischer Ganzschriften zwei Aspekte des Umgangs mit der Bibel als Subjekt besonders diskutiert werden, sei der Blick zum Ende dieses Abschnitts auf den Galaterbrief gelenkt. Wer den Weg Müllers mitzugehen bereit ist, kommt um die Einsicht nicht herum, dass der Galaterbrief jedenfalls aus der biblischen Perspektive betrachtet ein „Schlüssel zur Bibel“ ist – er bearbeitet intensiv alle vier von Müller identifizierten Themenkreise:805 Zentral ist 805

Bezüge auf deren Benennungen sowie die jeweils drei betonten Aspekte der Themenkreise (vgl. die vorige Abbildung) werden hier ohne weiteren Nachweis als Zitate markiert. Vgl. zur Sache auch Müller, Angst, 88: „weil alle seine Äußerungen in der Christologie ihr gedankliches Zentrum haben, sind sie auch alle miteinander verknüpft: Die Christologie mit Gesetz und Gnade, die Rechtfertigung des Sünders mit Vergebung und Erlösung, der Glaube und das Handeln – alles greift ineinander“.

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die Frage nach „Jesus Christus“, wobei Paulus am irdischen bzw. historischen „Jesus von Nazareth“ zwar wenig Interesse zeigt, dafür aber seine gesamte Theologie von „Tod und Auferweckung“ Jesu her entwirft und reflektiert. So kann er von „Gott und Welt“ nicht ohne Bezug auf Jesus Christus sprechen: Die eschatologische Ausrichtung auf die in ihm begonnene neue (!) „Schöpfung“ (Gal 6,15) prägt das paulinische Verständnis von „Wirklichkeit“ (vgl. z.B. Gal 3,28) und „Wunder“ (vgl. Gal 3,5). Ebenso denkt Paulus das Verhältnis von „Gott und Mensch“ von Christus her, wie z.B. seine Kritik an der Bestimmung dieses Verhältnisses unter Bezug auf den Bund Gottes mit Israel zeigt. Damit ist das Thema „Rechtfertigung, Vergebung“ prominent gesetzt und wirkt sich aus bis in die eigene Beantwortung der Frage „Was ist der Mensch?“ nach Gal 2,20. Dass diese Fragen mit denen rund um „Schuld und Sünde“ verbunden sind, ist deutlich, auch wenn hier zu diskutieren ist, inwieweit die reformatorische Rekonstruktion dieses Zusammenhangs die paulinische Aussageabsicht trifft. Dies ist freilich auch ein wichtiges Beispiel für die Wirkungsbzw. Rezeptionsgeschichte biblischer Texte und lädt ein zu einer Öffnung der Auslegung für verschiedene Perspektiven. Ein RU, der sich dieser Herausforderung stellt, kann so die Bedeutsamkeit rezeptionsästhetischer Einsichten unterstreichen und damit die Schülerinnen und Schüler zu bewusster eigener Interpretation im Kontext ihrer Zeit und ihrer Fragen einladen. Schließlich behandelt der Galaterbrief auch den Themenkreis „Glauben, Hoffen, Handeln“. „Glaube“ ist hier sicherlich der wichtigste dieser drei Begriffe, doch zeigt der Brief deutlich auch deren Zusammenhang und die Prägung jedes einzelnen Begriffs von Christus her und auf ihn hin (vgl. nur Gal 5,5f.; 6,2). Im Spiegel der von Müller vorgeschlagenen Themenkreise zeigt sich also erneut die theologische Bedeutsamkeit des Galaterbriefs. Damit, dass der Brief biblische Denkzusammenhänge zu eröffnen vermag und Impulse für ein Bedenken hermeneutischer Grundfragen liefert, ist freilich noch nicht darüber entschieden, ob er auch ein geeigneter Unterrichtsgegenstand ist, d.h. in einen Prozess von Begegnung und Gespräch führen kann. Fragt sich nicht im Gegenteil, ob der hohe „Komplexitätsgrad“ des paulinischen Denkens selbst „für die Sekundarstufe I … grenzwertig“ ist?806 Diese Frage ist ernst zu nehmen, kann und darf aber nicht sofort die Diskussion entscheiden, wenn RU ernsthaft theologische Kompetenz fördern möchte. Die von Müller gesammelten Fragebereiche, die Schülerinnen und Schüler interessieren, lassen es dabei zumindest als möglich erscheinen, dass der Galaterbrief auch in dieser Perspektive als „Schlüssel zur Bibel“ funktionieren kann: Er gibt Impulse zur Klärung der Identität eines 806

Ebd.

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Christen vor Gott und in Beziehung zu anderen, er fragt nach Freiheit und Hoffnung, nach Liebe und Gerechtigkeit.807 Die Frage ist hier wohl eher die, inwieweit die Schülerinnen und Schüler einen Zugang zu der Gestalt finden, in der diese Fragen im Galaterbrief bearbeitet werden. In Abwandlung von Müllers Metapher ist hier nach „Schlüsseln zum Galaterbrief“ zu fragen, die wiederum dessen Schlüsselfunktion für die Bibel in Aktion treten lassen. Einer dürfte etwa in der polemischen Redeweise des Schreibens liegen,808 die eine bewusste Wahrnehmung verschiedener Perspektiven ermöglicht: Was will Paulus, wie wirkt sein Brief auf die galatischen Adressaten, wie auf seine Gegner? Die offenkundige Strittigkeit des Evangeliums und damit der Beschreibung der eigenen religiösen Identität lädt ein zu einer eigenen Positionierung in Anknüpfung und Widerspruch und damit zu einer vertieften Auseinandersetzung. Solche ersten Andeutungen sind freilich noch zu prüfen und zu vertiefen in einer bewussten Wahrnehmung der Perspektive der Schülerinnen und Schüler.809 Intertextualität Die wachsende Einsicht in die Bedeutung intertextueller Zusammenhänge gehört nicht nur zu den wichtigen Feldern gegenwärtiger exegetischer Arbeit, sondern wird auch im Blick auf die Bibeldidaktik diskutiert. Die Erarbeitung betreffender Perspektiven verspricht den Gewinn eines klareren Eindrucks von der Gestalt der Bibel, sowohl ihres eigenen Subjektseins als auch ihres Charakters als eines inneren Gesprächs.810 Beides vermag religionsdidaktisch als kräftige Einladung zum Gespräch nun auch heutiger Jugendlicher mit der Bibel wirken. Zwar kann dies nur insoweit zum Tragen kommen, als es ge807 Vgl. Müller, Angst, 94–101: Müller schlüsselt in der Suche nach „elementare[n] Aussagen bei Paulus“ (ebd., 94 (Überschrift)) die „zentrale Frage: Was bedeutet es Christ zu sein?“ (ebd., 95) in 6 Fragen auf, denen er jeweils einen zentralen Paulusvers zuordnet: „Worauf vertraue ich in meinem Leben?“ (ebd., 96 – Röm 8,38f.); „Worauf kann ich hoffen?“ (ebd., 98 – 1. Kor 15,20); „Was bin ich wert?“ (ebd., 98 – 1. Kor 1,28f.); „Worin zeigt sich das Christsein?“ (ebd., 99 – 1. Kor 13,13); „Wie soll ich als Christ handeln?“ (ebd., 100 – Phil 2,5); „Wie leben Christen zusammen?“ (ebd., 101 – Gal 3,28). Vgl. auch schon ders., Gemeinde, 183–190. 808 Ders., Schlüssel (2009), 80f., fragt mit Recht kritisch, ob Cebuljs Vorschlag einer „konfliktorientierten Bibeldidaktik“ auch „über mehrere Schuljahrgänge hinweg“ sinnvoll ist (ebd., 81), doch für eine einzelne Unterrichtseinheit kann dies durchaus attraktiv sein, vgl. Nagel, Harmlosigkeit, 88: „Bibelunterricht ist ein überraschungsfreier Raum“. Gewichtiger ist daher Müllers andere Frage, ob „die frühchristlichen Konflikte für die Jugendlichen verstehbar und für ihre Konfliktlagen hilfreich sind“ (Müller, Schlüssel (2009), 81). 809 Das ist die Fragestellung des folgenden Teilkapitels C.2., vgl. unten 277ff. 810 Meurer, Wiederentdeckung, 37, möchte „den Schülerinnen und Schülern einen Eindruck davon … vermitteln, wie sehr das eine Buch der zweigeteilten Bibel sich gegenseitig auslegt und einen ungeahnten theologischen Deutungsraum eröffnet.“

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lingt, der intertextuellen Bezüge biblischer Texte überhaupt ansichtig zu werden – auf der Basis des geringen Bibelwissens der Schülerinnen und Schüler eine echte Herausforderung. Die damit verbundene Chance auf eine Wahrnehmung der Bibel als begegnendes Subjekt, das die Leserinnen und Leser in ein schon lange laufendes Gespräch hineinzieht, lässt es aber angemessen erscheinen, diese Fragen in einem eigenen kurzen Abschnitt zu behandeln. Wie bereits erwähnt, betont Mirjam Schambeck die Perspektiven der Intertextualität besonders. Sie möchte bibeldidaktisch „Leserwelt“ und „Textwelt“ intensiv erschließen und in eine echte Begegnung bringen:811 Geht es auf der Seite der Leserinnen und Leser u.a. um ihre „Verstehensvoraussetzungen“, so auf der Seite des Textes zentral um eine „intertextuelle Lesart“; „Rahmen und Raum“ hierfür bilden hier die postmoderne Lebenswelt, dort der biblische Kanon. Auf beiden Seiten fragt Schambeck dabei nach „Rekonstruktionen“, einmal „des Lesers in Bezug auf den Text“, dann „des Textes durch den Leser“. So begegnen sich also nicht Leserwelt und Textwelt als zwei unverbundene Größen, sondern jede prägt die andere mit, d.h. auch Einsichten der Rezeptionsästhetik sind hier integriert. Das Modell ist sehr einleuchtend, doch dürfte sich die Frage stellen, ob es wirklich in allen Details umsetzbar ist, etwa wenn zur Textwelt auch die „Enzyklopädie des Textes“ und die „der Auslegungsgemeinschaft“ gehört. An einem Vorschlag von Schambeck zur Arbeit mit Mk 3,1–6 in der Grundschule werden der Gewinn und die Problematik ihres Vorgehens gleichermaßen deutlich; ich referiere das Beispiel hier auch deshalb, weil ich darauf nochmals zurückkommen werde:812 Nach einer Heranführung (Bedeutung unserer Hände; „vertrocknete Hand“) wird die Erzählung präsentiert, dann sammelt die Klasse Fragen dazu und bearbeitet diese in mehreren Arbeitsgängen. Sachfragen (Sabbat, Synagoge, Pharisäer) werden von Gruppen erarbeitet und auf Plakaten präsentiert. Die Vorgeschichte und Weiterführung des Textes wird erschlossen – wobei die Arbeit an dem erheblichen Textumfang von Mk 1,21–2,28 (!) und Mk 3,7–19 ausdrücklich als Auswahl bzw. Eingrenzung der intertextuellen Bezüge beschrieben wird. Im Licht dieses Kontextes lassen sich die Nuancen von Mk 3,1–6 besser verstehen. Schließlich stellen die Schülerinnen und Schüler eigene Figuren und „Ich will …“-Sätze als Antwort auf Jesu Frage, ob es erlaubt sei, am Sabbat Gutes zu tun, in den Raum der Geschichte, wobei besonders Leserwelt und Textwelt ineinander greifen. 811

Ihr Modell wird hier vereinfacht referiert, wobei sich alle in diesem Abschnitt zitierten Leitbegriffe in dem Schema finden, in dem sie selbst ihr Konzept zusammenfasst, vgl. Schambeck, Didaktik, 134. 812 Das folgende Referat bezieht sich auf ebd., 161–168.

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Ohne Zweifel ist der biblische Text hier in einer Weise gründlich erschlossen, die ein deutlich vertieftes Verständnis auch seiner Nuancen eröffnet; es leuchtet auch ein, dass der Text gerade so für die Schülerinnen und Schüler bedeutsam werden kann für ihr Selbstverständnis und ihre Sicht der eigenen Welt. Die Lerngruppe hat die Möglichkeit, selbst Dinge zu erforschen, ihr Verständnis des Textes selbst zu erarbeiten und zu vertiefen. Aber ohne die Lehrkraft als Expertin geht es nicht, diese wählt aus, welche Bezüge aktualisiert werden, und wird gewiss nicht selten auch Hinweise darauf geben müssen, worin denn jeweils der interessante Bezug besteht. Nach meiner Einschätzung wären darüber auch einige Lehrkräfte ihrerseits für die Vorbereitung eines solchen Unterrichts angewiesen auf (exegetische) Experten, die entsprechende Vorschläge zusammenstellen.813 So stößt der von Schambeck gewiesene Weg erkennbar auf Grenzen: Zum einen ist ganz praktisch nicht genügend Unterrichtszeit gegeben, um jeden biblischen Text in einer solchen Weise zu behandeln, zum anderen würde dies von Lehrkräften eine Breite und Tiefe von Bibelkenntnis verlangen, die nicht allen gegeben ist. Insgesamt ist Schambecks Beitrag nach meinem Urteil sehr anregend, doch kann und wird er wohl nicht die Bibeldidaktik werden.814 Das bedeutet nun aber nicht, dass auf die Wahrnehmung intertextueller Bezüge grundsätzlich zu verzichten ist. Zum einen gibt es gute Gründe, hin und wieder Wege wie die von Schambeck vorgeschlagenen zu gehen – etwa um die Sensibilität der Schülerinnen und Schüler für das innerbiblische Gespräch zu wecken und ihre hermeneutischen Kompetenzen zu schulen. Zum anderen lassen sich intertextuelle Fragestellungen auch in einer schärfer fokussierten Weise aufnehmen. Auch hierfür bietet der bibeldidaktische Entwurf von Peter Müller wichtige Anregungen: Er rekurriert mehrfach auf die Frage der Intertextualität,815 versucht diese aber nicht in ausdifferenzierten Unterrichtssequenzen zu bearbeiten, sondern nimmt sie in seiner Sichtweise auf biblische Lernwege auf. Mit Hilfe der von ihm vorgeschlagenen Themenkreise lässt sich die Vielfalt der intertextuellen Bezüge dabei konzentrieren auf wesentliche Verknüpfungen des Gewebes der Bibel. Die Schlüssel zu den verschiedenen Aspekten der Themenkrei813 Dies wird noch deutlicher an einem anderen Beispiel Schambecks: Das Thema Fremdheit soll in der Sekundarstufe I bezogen auf Gesetzesbestimmungen des Heiligkeitsgesetzes (Lev 19,33f.) diskutiert werden, wozu ebd., 159, folgende Seitentexte zur Erarbeitung vorgeschlagen werden: Gen 47,1–6; Gen 50,22–26; Ex 1,8–14; Gen 12,10–20; Gen 14,1–24; Ex 14; Ex 20. 814 Insofern stellt sich die Frage, „wie diese Erfordernisse für den konkreten Religionsunterricht operationalisiert werden können“, die sie selbst kritisch an den Entwurf von Theis richtet (ebd., 55). 815 Vgl. Müller, Schlüssel (2009), 85.99.

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se versammeln zu zentralen Fragen der Bibel relevante Kernstellen und lassen sich damit als Vorlage für eine Auswahl verschiedener intertextuell verknüpfter Bibeltexte zu diesen Themen nutzen.816 Eine entsprechende Eingrenzung der intertextuellen Verflechtungen auf Kernfragen und –texte stellt exegetisch zwar eine Verkürzung dar, doch dürfte mit dieser Basis im RU unter dem Strich mehr Einsicht in innerbiblische Verbindungslinien erreicht werden als mit Vorschlägen wie dem von Schambeck, die allenfalls zu ausgewählten Texten und mit bestimmten Absichten, aber nicht zu jedem im Unterricht behandelten Bibeltext umgesetzt werden können. Wird der Galaterbrief im Spiegel der intertextuellen Verflechtungen der Bibel betrachtet, so werden schnell nicht nur Gelegenheiten, sondern geradezu Notwendigkeiten zur Wahrnehmung wichtiger Bezüge erkennbar. So entstand die Beschneidungsforderung auf dem Apostelkonvent in Jerusalem ja nicht aus jüdischer Folklore o.ä., sondern war Konsequenz entsprechender biblischer Traditionen wie der Schilderung des Abrahambunds in Gen 17 und wirkungsgeschichtlicher Zusammenhänge wie des Kampfes der Makkabäer um die Wahrung dieser Unterscheidungsmerkmale von Judentum und hellenistischer Umwelt817 – nicht zuletzt Paulus selbst war vor Damaskus wohl ein „Eiferer“ (Gal 1,13f.) für die so verstandene Reinheit des Bundesvolkes. Inzwischen – nach Damaskus – vertritt er allerdings die Meinung, dass alle Menschen ohne Unterschied zum Glauben an Jesus Christus und darin zur Teilnahme an der mit seiner Auferstehung angebrochenen Neuschöpfung eingeladen sind. Er entwirft eine Argumentation, die denen, die Beschneidung weiterhin als Forderung Gottes vertreten, den Bezug auf Abraham entwinden soll. Die Abrahambezüge des Galaterbriefs (Gal 3,6–29; 4,21–5,1) sind also mehr als Anspielungen auf entsprechende alttestamentliche Stellen, sie sind nur zu verstehen im Kontext eines Streits um deren angemessene Auslegung. Damit führen sie tief in die Bedeutung intertextueller Debatten hinein – es geht hier nicht um ‚trockene‘ Textauslegung, sondern um ein angemessenes Verständnis der Beziehung von Gott und Mensch, letztlich also um die eigene Identität. Die Entdeckung dieser intertextuellen Bezüge öffnet also einen Diskussionsraum und verbindet sich gerade so mit elementaren eigenen Fragen. Neben dieser hier exemplarisch ausgeführten Perspektive liegen natürlich weitere intertextuelle Verflechtungen des Galaterbriefs auf 816

Vgl. ebd., 114.121.131.143.153.159.170.180.188.201.211.219, jeweils die bündelnden Mindmaps. 817 Vgl. oben, 38ff. (Exkurs:„Judaismus“ als Eifern für die väterlichen Überlieferungen (Gal 1,13f.)).

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der Hand, die keineswegs alle verfolgt werden können; eine Auswahl wäre unumgänglich. Da im RU gewiss die Chance genutzt werden wird, die biographischen Bezüge des Paulus als Zugang in die Theologie des Briefs zu nutzen, dürfte aber das Verhältnis seiner eigenen Darstellung von Damaskuserlebnis und Apostelkonvent zu den Berichten der späteren Apostelgeschichte (Apg 9; 15; weiter auch 22; 26) zu den wichtigeren Aspekten solcher Untersuchungen gehören; interessant ist evtl. auch die Beobachtung, dass der Antiochenische Konflikt dort ganz verschwiegen wird.818 Um auch die Adressatenseite zu profilieren, ließen sich die Erzählungen aus Apg 13f. heranziehen.819 Andere intertextuelle Bezüge des Galaterbriefs verweisen wie die Abrahamstellen zurück auf Traditionen, aus denen Paulus schöpft bzw. die er im Lichte des Christusglaubens neu interpretiert. Dies ließe sich z.B. betrachten in der Deutung des Kreuzes nach Gal 3,10–14 oder in der Bündelung des Gotteswillens auf das Gebot der Nächstenliebe in Gal 5,14 (was auch zu weiteren intertextuellen Forschungen einlädt, vgl. z.B. Mi 6,8; Mk 12,28–34 par; Lk 10,29–37; Mt 23,23; 25,31–46 – hier ist freilich unklar, welche Aspekte der Jesustradition Paulus bekannt waren). Die Strittigkeit der paulinischen Position bzw. ihrer Wirkungsgeschichte ließe sich ggf. auch im Kontrast zum späteren Text Jak 2,14–26 diskutieren. Die Liste könnte fortgesetzt werden und verlangt zugleich längst nach einer Auswahl – wichtig ist hier zunächst nur die Einsicht, dass intertextuelle Bezüge das Verständnis des Galaterbriefs und ausgehend von diesem das der Bibel schärfen können. Ganzschriftlektüre Die Einsicht in die intertextuellen Zusammenhänge verlangt in letzter Konsequenz, die Bibel als „Ganzschrift“ wahrzunehmen.820 Der vorige Abschnitt hat diskutiert, welche Möglichkeiten, aber auch welche Grenzen im RU für ein solches Vorhaben bestehen. Ein wesentlicher Beitrag zur Wahrnehmung der eigenen Gestalt der Bibel, die sie zu einem Gegenüber in einer echten Begegnung werden lässt, kann aber auch in der leichter umsetzbaren Form der Ganzschriftlektüre einzelner biblischer Bücher geleistet werden. Argumente hierfür lassen sich ebenfalls aus der Debatte um die Intertextualität gewinnen: Die Aufmerksamkeit auf die nahen Kontexte, wie sie das oben skizzierte Bei818

Das gilt jedenfalls bei der hier im Anschluss an Konradt, Datierung, favorisierten Verknüpfung des Konflikts mit dem Antiochia-Besuch des Paulus in Apg 18,22; vgl. oben, 182f. Aber auch wenn Apg 15,36–40 diesen Konflikt thematisieren sollte, wäre er so weit heruntergespielt, dass sein eigentlicher Anlass völlig unkenntlich wird. 819 Vgl. dazu oben B.2.b), besonders 164f. 820 Vgl. Meurer, Wiederentdeckung, 36.

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spiel für eine Erarbeitung von Mk 3,1–6 zeigt,821 ist nicht nur ein wichtiges Element intertextueller Auslegung, sondern sensibilisiert auch für größere Zusammenhänge. Indem hier exemplarisch erfahrbar wird, „dass verstehendes und Bedeutung gewinnendes Lesen immer in Kontexten geschieht“,822 wird die Aufmerksamkeit für entsprechende Fragestellungen im Blick auf die ganze Bibel geschult.823 Neben den Einsichten in die Intertextualität gibt es aber noch weitere bedeutsame Motive für die Begründung eines solchen Projekts im RU. Dass eine eingehende Beschäftigung mit einem einzelnen Buch es erlaubt, dessen Entstehungssituation genauer zu ergründen und so den zeitgeschichtlichen Kontext bewusst wahrzunehmen, ist dabei noch nicht einmal das wichtigste Argument. Dieses liegt vielmehr in der Einsicht, dass die biblischen Bücher unbeschadet ihrer innerkanonischen Bezüge „eigenständige Werke“ sind, also „jeweils ein eigenes literarisches Profil“ tragen.824 Hierzu gehört etwa die Entdeckung der übergreifenden Spannungsbögen, die dem einzelnen Text oft erst seine Tiefenschärfe geben. Die literarische Gestalt geht dabei einher mit einer bewussten theologischen Akzentsetzung. Diese wird z.B. in einer undifferenzierten Vermischung verschiedener Evangelien allzu oft eingeebnet, womit nicht nur die Gelegenheit verlorengeht, das Profil eines Textes in seinem literarischen und historischen Kontext wahrzunehmen, sondern vor allem „die Gestaltungsabsicht der einzelnen Evangelisten unerkannt“ bleibt825 – und mit ihr die Herausforderung, in Bezug auf diese ganz verschiedenen Darstellungen ein eigenes, reflektiertes Jesusbild zu entwickeln. Peter Müller hat aus diesem Grund für eine Ganzschriftlektüre der Evangelien votiert und einen ausgearbeiteten Vorschlag zum Markusevangelium vorgelegt, dem später Materialien zu einer Gesamtlektüre des Matthäusevangeliums folgten; Andreas Reinert hat ähnlich ein knapperes Arbeitsheft 821 Vgl. oben, 264. An weiteren Beispielen illustriert Müller, Lob, 164f., wie wichtig der Kontext des Evangeliums für die Interpretation zentraler Markus-Texte ist, vgl. ausführlich ders., Markus. 822 Ders., Lob, 163, unter Verweis auf Ausubel, Use (der allerdings nicht von „advanced“, sondern „advance organizers“ handelt); vgl. Müller, Schlüssel (2009), 97f. (hier mit Bezug auf die Themenkreise). 823 Z.B. sensibilisieren Beobachtungen am literarischen Rahmen eines Einzelbuchs für Überlegungen zur Stellung von Gen 1f. und Offb 22 im Ganzen der christlichen Bibel; vgl. dazu etwa Meurer, Wiederentdeckung, 37; Schambeck, Didaktik, 116. 824 Müller, Schlüssel (2009), 223. 825 Ebd., 226; vgl. ebd., 223–226, sowie mit anderen Beispielen Müller, Lob, 162f. Ohne die Forderung nach Ganzschriftlektüre betont diese Aufgabe auch Hanna Roose, vgl. oben bei Anm. 753. Aufgrund dieser Einsicht ordnet die Grundschul-Bibel die Evangelientexte in einem Kompromiss zwischen Evangelienharmonie und den Anforderungen von Lesbarkeit und Raumbegrenzung in Textblöcken an, die jeweils ein Evangelium und dessen Charakter betonen, und stellt ausgewählte Texte synoptisch nebeneinander; vgl. Wiemer, Grundschul-Bibel. Lehrerband, 10f.

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zum Johannesevangelium entworfen.826 Dass in einem solchen RU nicht jeder Textabschnitt en detail besprochen werden kann, ist dabei überhaupt kein Nachteil, sondern im Gegenteil eine Gelegenheit, die Bibel wieder als Lesebuch, auch als vorgelesenes Buch zu entdecken827 – womöglich kommen ihre Texte den Schülerinnen und Schülern gerade dadurch näher, dass mancher Abschnitt nicht schulisch bearbeitet, sondern „nur“ gehört oder gelesen wird. Auch der Umstand, dass die intensive Beschäftigung mit einem Evangelium schon rein zeitlich zulasten der Behandlung anderer biblischer Texte im RU geht, spricht nicht gegen dieses Vorgehen: Die exemplarische Erarbeitung eines Evangeliums schärft die Sinne für dessen Profil und rückt damit überhaupt die Frage nach einer theologischen Darstellungsabsicht in den Blick, die danach und im Kontrast zum behandelten auch an Texten der anderen Evangelien sehr viel leichter und klarer entdeckt werden kann. Dass die Ganzschriftlektüre genauso wenig wie die komplexen Vorschläge Schambecks zur intertextuellen Arbeit die einzige Begegnungsweise der Bibel im RU sein oder werden kann, liegt auf der Hand. Sie leistet aber Dinge, die eine Orientierung an Kerntexten bzw. -versen oder die Erarbeitung biblischer Lernwege nach den von Müller vorgeschlagenen Themenkreisen so nicht erreichen.828 Besser als andere Zugänge sensibilisiert die Ganzschriftlektüre für Entstehungsbedingungen und Aussageabsichten eines biblischen Buchs, sie leitet an, dessen Texte aus ihren literarischen und geschichtlichen Kontexten heraus zu verstehen, sie lädt ein zu einer bewussteren Aufmerksamkeit auf die Leserperspektive und hier nicht zuletzt zu einer eigenen Stellungnahme zu den erkannten Absichten des Verfassers. Sie ist damit ein gewichtiger Beitrag zu einer Bibeldidaktik, in der die Bibel als eigenständiges und gleichgewichtiges Subjekt eines Gesprächsprozesses erfahrbar werden soll. Diese Vorteile bieten sich nun nicht nur bei der Behandlung eines Evangeliums, wobei die Begründung für eine solche Wahl angesichts der hohen Bedeutung der Jesustradition in den Bildungsplänen sicher leichter fällt. Manche bib826

Vgl. Müller, Markus; ders., Matthäus; Reinert, Johannes-Evangelium. Am Rande sei erwähnt, dass damit ein solcher Vorschlag einzig für das Lukasevangelium noch aussteht, obwohl sich einige der bekanntesten und mit guten Gründen im RU häufig behandelten Evangelientexte nur hier finden: Neben der lukanischen Weihnachtsund Kindheitserzählung und der Ostergeschichte von den Emmausjüngern sind etwa auch die Gleichnisse vom barmherzigen Samariter und vom liebenden Vater (= vom verlorenen Sohn) oder die Zachäusgeschichte Sondergut des Lukasevangeliums. 827 Vgl. Müller, Schlüssel (2009), 227f.; ebenso Bizers Hinweis auf die Bedeutung des „Wortlauts“ der Heiligen Schrift oder die Impulse der performativen Religionsdidaktik oben, 258f. 828 Vgl. ebd., 242: Die Stärken der verschiedenen Zugänge verbinden sich dann optimal, wenn „man nicht von dem Einen erwartet, was das Andere besser kann“.

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lischen Bücher sind aber wesentlich kürzer als ein Evangelium, so dass auch hier Ganzschriftlektüren möglich sind – ohne diese Überschrift zu betonen, begegnen z.B. Rut oder Jona mit ihren je 4 Kapiteln im RU faktisch oft als „Ganzschriften“ (auch wenn nicht immer die Chance genutzt wird, diesen Charakter durch Arbeit in der gedruckten Bibel auch deutlich zu machen). Bei den Paulusbriefen gibt es entsprechende neuere Vorschläge, soweit ich sehe, einzig zum Philemonbrief, der durch seine Kürze (25 Verse) und das gut erzählbare Thema dazu einlädt.829 Die Forderung von Joachim Jeska, dass es gerade in der Beschäftigung mit Paulus „um die jeweiligen Kontexte, also die Schriften als ganze“ gehen müsse,830 ließe sich freilich auch bei theologisch gehaltvolleren Briefen als dem Philemonbrief umsetzen, d.h. sie wird noch kaum eingelöst. Dabei ist sie gut begründet: Gerade im Blick auf Paulus täte es not, seine Texte aus ihren Kontexten zu verstehen. Wenn Bildungspläne und Schulbücher ausgewählte Paulusstellen als eine Art dogmatische Autorität vermeintlich passend Themen zuordnen, kann so etwas wie ein eigenes Bild des paulinischen Denkens nicht entstehen. Die Texte hängen in der Luft: Es wird weder klar, warum Paulus so denkt, noch warum er genau diese Frage aufgreift; nicht selten werden seine Gedanken nicht nur kontextfrei, sondern kontextwidrig rezipiert. Im RU mag zum Beispiel der Eindruck entstehen, dass der Apostel in 1. Kor 13 Regeln für die Bedingungen gelingender Partnerschaft formuliert. Man kann das mögen oder nicht, in der Regel wollen Jugendliche hier nicht unbedingt Ratschläge von (gar noch antiken) Erwachsenen hören, und so sind etwa Überlegungen, was den anderen in der Klasse an einem Partner wichtig ist, sehr viel spannender, der Text wird schnell wieder vergessen. Dass Paulus sich hier in der Tat mit heftigen Spannungen in der korinthischen Gemeinde auseinandersetzt, leidenschaftlich für einen respektvollen Umgang wirbt und sich dafür nicht zuletzt auf die Verbundenheit aller Gläubigen mit Christus und die Teilhabe an der neuen Schöpfung bezieht, das könnte eine ganz andere Basis für das Verständnis seines Textes bieten. Es wäre auch nicht überraschend, wenn der so aus (s)einem konkreten historischen und gedanklichen Kontext verstandene Text dann plötzlich starke Impulse für eigene Fragen nach dem täglichen Umgang miteinander freisetzt, vielleicht auch in partnerschaftlichen Beziehungen – denn hier konnte eine Begegnung stattfinden, erhielt ein Text ein Gesicht und begann ein Gespräch. Genau diese Perspektive betont Jeska mit seiner Forderung, es sei „notwendig, den Apostel und seine Schriften allererst zu verorten, dann zu verstehen und schließlich so zu verinnerlichen, dass die Ler829 830

Vgl. z.B. Südland, Philemonbrief; Jäger, Paulus. Jeska, Paulus, 211.

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nenden ein klar definiertes Bild dieses überaus engagierten Theologen vor Augen haben und Theologumena auf ihre Lebenswirklichkeit beziehen können“ – und es gibt schlicht keinen besseren Weg dazu, als Briefe des Paulus „als ganze“ in den Blick zu nehmen.831 In einer entsprechenden Unterrichtseinheit zum Galaterbrief schlagen die Vorteile einer Ganzschriftlektüre deutlich zu Buche: Das bibeldidaktische Anliegen, die Schülerinnen und Schüler, also die lernenden Subjekte, und die Bibel in einen echten Dialog zu bringen, lässt sich kaum besser erreichen als mit der Arbeit an einem Brief, der ja selbst Dialog in einer konkreten Situation ist. Natürlich kommt mit dem Galaterbrief nur eine Hälfte des Gesprächs direkt zu Gehör, doch lassen sich die Position der Gegner und die Überlegungen der Gemeindeglieder jedenfalls in Ansätzen erschließen. Die Erhellung des historischen Kontexts erlaubt eine Verortung der Argumentation des Galaterbriefs. Die Entscheidung, dass der Glaube an Jesus als den Christus nicht die Zugehörigkeit zum Judentum verlangt, war sicher die folgenschwerste der gesamten Kirchengeschichte. Der Galaterbrief führt nicht nur denkbar nah an diese historische Weichenstellung heran, er lässt auch ihre heftige Umstrittenheit erleben. So eröffnet er eine vertiefte Einsicht in das Ringen um die Beschreibung einer christlichen Identität, die sich mit einer kritischen Prüfung der eigenen Sicht auf Christsein und Kirche ebenso verbinden kann wie mit der eigenen Frage „Wer bin ich?“ Schließlich wird Paulus selbst im Galaterbrief mehr als in anderen Briefen durch Stationen seines Lebens und Wirkens greifbar, zugleich wirft die rhetorische Schärfe des Schreibens ein deutliches Licht auf seine Anliegen, Sorgen und Hoffnungen – und deren Begründung in Bezug auf Christus. Dieses theologische Profil seiner Stellungnahme wird gerade in Verbindung mit dem galatischen Streit und der Biographie des Paulus plastisch, was einen Zugang zu diesen Fragen und eine Diskussion der heutigen Relevanz der paulinischen Antworten ermöglicht. Dabei kann auch die Verbindung zu anders gelagerten eigenen Erfahrungen und Fragen entdeckt werden und das Gespräch mit dem Galaterbrief ein Gespräch im Hier und Heute werden. Als Einwand gegen eine Ganzschriftlektüre des Galaterbriefs hat vor allem die Frage nach der Verständlichkeit seiner Argumentation Gewicht. Ist aber ein Vers-Picking besser, in dem Gal 3,28 als zeitund kontextloser Leitsatz die prinzipielle Gleichheit der Geschlechter begründet – unter Absehung von dem Kontext des galatischen Streits und der auch hier wesentlichen Begründung „in Christus“? Und wissen wir, ob die galatischen Adressaten jeden Satz verstanden haben, 831

Ebd.

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als der Brief vorgelesen wurde? Paulus setzt doch nicht zuletzt deshalb zu mehreren Begründungsgängen an, damit am Ende wenigstens seine These klar ist: Die Orientierung an Christus ist wichtiger als alles andere, deshalb geht es vor Gott um den Glauben eines Menschen und um nichts anderes. Diese These aber sollte interessant genug sein, um sie auch mit einer Schulklasse zu entdecken und zu diskutieren. Und um den Zugang zur paulinischen Sprache zu erleichtern, gibt es eine gute Lösung, die der folgende Unterabschnitt vorstellt. Die Bibel (nur) als Buch? Ein Plädoyer für die Arbeit mit der BasisBibel Die Begegnung mit der Bibel stellt vor eine auf den ersten Blick eher technische Frage: In welcher Form soll die Bibel im RU sinnvoll begegnen? Im Prinzip ist sie ein Buch, doch sehen Schulbibeln oft wenig attraktiv aus (schon gar nicht wie eine „heilige“ Schrift) und müssen erst mühsam in das Klassenzimmer geschleppt werden, wo dann schon das Auffinden eines Textes vielen Schülerinnen und Schülern Schwierigkeiten bereitet (den Galaterbrief, dessen wenige Textseiten in weitgehend unerforschten Gebieten des dicken Buchs versteckt sind, dürften einige lange suchen). Ist da dann nicht doch ein Arbeitsblatt einfacher?832 Einfacher gewiss – aber nicht unbedingt besser: Alleine die Wahrnehmung der Bibel als Buch ist ein Hinweis auf ihre intertextuellen Zusammenhänge, es ist wichtig zu sehen, dass es sich hier nicht um isolierte Texte oder Textbruchstücke handelt, sondern dass sie einen Kontext haben.833 Andererseits ist im konkreten Fall freilich auch wichtig, den Galaterbrief als Brief und nicht von vornherein als Teil der kanonischen Heiligen Schrift wahrzunehmen – die Schülerinnen und Schüler sollen ja die kommunikative Situation erkennen können, in die das Schreiben ursprünglich gehört. Hinzu kommt die zweite Frage, die sich gerade im Blick auf die anspruchsvolle Sprachgestalt der paulinischen Briefe stellt: Welche Übersetzung soll gewählt werden? Einfach die nun einmal vorhandene Schulbibel zu nehmen, ist für diese Texte wohl nicht der Königsweg: Luther-, Einheits- oder Zürcher Übersetzung bieten zum Teil Satzungetüme, die schon Lehrkräften nicht leicht eingehen. Nehmen wir z.B. an, dass das Damaskuserlebnis eine Rolle spielen soll, dann bieten diese Übersetzungen in Gal 1,15–17 einen Satz mit 60–70 Worten und einer komplizierten Schachtelstruktur. Hier ist vorpro832

Vgl. Müller, Lob, 160f. Diese Einsicht war ein entscheidender Impuls für die Entwicklung der Grundschul-Bibel: Sie möchte Grundschülerinnen und –schülern einen „Zugang zur Bibel als Buch“ (Wiemer, Grundschul-Bibel. Lehrerband, 6) eröffnen, sie sollen die Geschichten in ihrer Kontexteinbindung wahrnehmen können und zugleich an die grundlegenden Ordnungsprinzipien der „Vollbibel“ herangeführt werden. 833

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grammiert, dass viele Jugendliche gar nicht oder nur unter erheblicher Mühe und also mit wenig Begeisterung zum Aussagegehalt des Satzes vordringen. Ich möchte zur Lösung beider Probleme einen Weg vorschlagen, der etliche Vorteile, aber auch zwei Nachteile bietet: Die Arbeit mit der BasisBibel. Diese Übersetzung verfolgt konsequent das „Prinzip der ‚linearen Informationsvermittlung‘“, weshalb ihre Sätze „nicht mehr als 16 Wörter und nur einen Nebensatz umfassen“.834 Die Probe am genannten Beispieltext ist erfolgreich: Gal 1,15–17 ist hier nach einem einleitenden „Aber:“ eine Folge von 6 Sätzen mit einer Länge zwischen 8 und 14 Worten, nur 2 dieser Sätze haben einen einfachen Nebensatz (einmal erweiterter Infinitiv, einmal Relativsatz). Da außerdem die Sätze nicht als Fließtext, sondern in Sinnzeilen gesetzt sind, sind die Verständnishürden erheblich gesenkt und die Arbeit am Text kann sich auf den Sachgehalt der Aussagen konzentrieren. Exegetisch lässt sich natürlich leicht aufzeigen, dass die gedanklichen Beziehungen zwischen den Sätzen durch diese Zergliederung gegenüber dem Urtext unterbestimmt sind. Aber da Schülerinnen und Schüler diese Details ohnehin kaum so differenziert analysieren möchten (und können) wie die Studierenden eines neutestamentlichen Hauptseminars, ist dieser Preis für die außerordentliche Erleichterung des Zugangs zu den Texten keineswegs zu hoch. Neben diesem ersten und gewichtigsten Vorteil der BasisBibel, einen weithin ‚barrierefreien‘ Textzugang zu eröffnen, stehen weitere. Sie orientiert sich ausdrücklich am „Mediennutzungs- und Leseverhalten“ im „Zeitalter der elektronischen Medien“.835 Schon im Druckbild der Buchausgabe fallen neben den kurzen Sätzen Begriffe auf, die – wie Links auf Internetseiten – in anderer Textfarbe gedruckt sind. Zu diesen Begriffen finden sich direkt am Rand oder an dem der Folgeseite (was dann durch einen Pfeil angezeigt wird) kurze und knappe Erklärungen. Damit steht eine niederschwellige Hilfe zur Erschließung ungewohnter oder textwichtiger Begriffe oder Namen (im Galaterbrief z.B. zu „Kephas“) zur Verfügung. So wird z.B. „Heiden“ erklärt: „In der Bibel die Menschen aus den Völkern, die nicht an den Gott von Israel glauben.“836 Auch dank dieser Möglichkeit, Begriffserklärungen in der Randspalte anzubieten, kann die BasisBibel eine deutlich größere Nähe zum Urtext erreichen als z.B. die Gute Nachricht Bibel, die öfters Gedanken durch Einfügung ganzer Sätze oder Nebensätze verständlicher zu machen sucht.837 834

BasisBibel, 9* [im Nachwort]. Ebd., 8*. 836 Am Rand des Galaterbriefs mehrfach, erstmals zu Gal 2,2: basisbibel.de/nt_856. 837 Z.B. wird das „aber“ aus Gal 1,15 (in der BasisBibel als „Aber:“ vorangestellt) in der Gute Nachricht Bibel zu „Aber dann kam es ganz anders.“ (Immerhin vermerkt 835

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Wem die Begriffserklärungen zu knapp oder unpräzise sind, der findet erheblich umfangreichere Auskünfte in der elektronischen Fassung der BasisBibel, die über die Website www.basisbibel.de oder als (freilich kostenpflichtige) App für Smartphones oder Tablets verschiedene Informationen crossmedial vernetzt.838 Die farblich hinterlegten Worte sind hier nun wirklich als Link ausgeführt, wobei diese neben der schon erwähnten Kurzerklärung vom Buchrand ausführlichere lexikalische Erläuterungen eröffnen, in denen weitere Begriffe und Bibelstellen als Links anwählbar sind. Neben dem lexikalischen Eintrag sind oft auch andere Medien unter den Links zu finden, z.B. zu Sachzeichnungen oder auch Videos. Darüber hinaus kommen gegenüber der Buchfassung weitere Links hinzu, z.B. ist nun jeder Ort hinterlegt und durch verbale Erläuterungen, Kartenmaterial und häufig Fotos weiter erschlossen. Schülerinnen und Schüler können so z.B. in Erfahrung bringen, dass „Galatien“ für die Landschaft und die Provinz verwendet wird und die Lokalisierung der galatischen Gemeinden nicht zweifelsfrei geklärt ist. Durch eine solche Vernetzung des Bibeltextes mit Informationen bietet die BasisBibel in ausgearbeiteterer und differenzierterer Form das, was Büttner und Kumpf in einem konstruktivistisch orientierten Unterrichtsvorschlag zum Amosbuch mit einigem Aufwand selbst herstellen.839 Eine entsprechend ausgestattete Schule könnte so eine attraktive Form des Bibelzugangs eröffnen. Es ist dabei nicht nur mit einem weitgehend intuitiven Zugang der Jugendlichen zu den damit erschlossenen Ressourcen zu rechnen, sondern v.a. darauf zu hoffen, dass das „Image“ einer Arbeit an der Bibel neue, positive Facetten gewinnt. Dass die elektronische Form nicht den Eindruck des gedruckten Buches und also des größeren Kontextes bietet, ist im konkreten Fall der bewussten Arbeit mit dem Galaterbrief als Brief in seiner Ursprungssituation sogar positiv. So wiegen die Vorteile die beiden Nachteile auf, die nach meinem Urteil mit der BasisBibel verbunden sind. Der erste ist vorübergehender Art: Die Übersetzung ist noch nicht vollständig, erschienen sind bisher das Neue Testament und die Psalmen. Der zweite ist gravierender: Die BasisBibel nennt keine Parallelstellen und eignet sich damit nicht ohne weiteres zu einer Erkundung der intertextuellen Verknüpfungen – die Möglichkeit, andere Bibelstellen zu verlinken, wird lediglich in den verknüpften Lexikonartikeln genutzt. Im Bibeleine Fußnote: „Wörtlich Aber“.) Vgl. Jahr, BasisBibel, und das theologisch gewichtige Beispiel Röm 1,17 bei Hartmann, Leben, 43f. 838 Für Schülerinnen und Schüler, die mit der Bibel wenig vertraut sind, ist dabei sicher auch die Möglichkeit hilfreich, die Texte (nicht nur über die Eingabe der Bibelstelle, sondern auch) durch die als Link ausgeführten Seitenzahlen der Druckversion „aufzuschlagen“. 839 Vgl. Büttner/Kumpf, Bücher, 56f.

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text hingegen sind Stellenangaben der Druckfassung nicht einmal da zu finden, wo direkte Zitate vorliegen, was etwa für die Arbeit am Galaterbrief ein erhebliches Manko darstellt. In den elektronischen Versionen gibt es diese Links zwar, sie sind aber jeweils unter einem Stichwort aus der Zitateinleitung versteckt. Dieser Umstand dürfte u.a. Folge der leitenden Entscheidung für eine klare, einfache Textgestalt sein,840 ist aber unter der bereits besprochenen auch bibeldidaktischen Perspektive auf intertextuelle Verflechtungen gleichwohl zu bedauern. Auf der anderen Seite erleichtert die Textgestalt der BasisBibel die ebenfalls geforderte Ganzschriftlektüre ganz erheblich, was gegen den Nachteil der fehlenden Querverweise abzuwägen ist.841 Insgesamt stimme ich daher dem Urteil von Peter Kristen zu, dass die BasisBibel – zumal nach Fertigstellung der ganzen Übersetzung – „eine neue Ära der Bibeldidaktik einläuten“ könnte.842 Im Blick auf den Galaterbrief erscheint mir die Arbeit mit der BasisBibel trotz der noch fehlenden Übersetzung des Alten Testaments und des erwähnten Problems der Zitatverlinkungen aufgrund der überragenden Zugänglichkeit der Textgestalt sinnvoll zu sein. Während die Parallelen zu den biographischen Erinnerungen in der Apostelgeschichte hier schon übersetzt sind, müsste für eine Arbeit an den alttestamentlichen Bezügen der paulinischen Argumentation einstweilen doch noch die vorhandene Schulbibel herangezogen werden. Alternativ lassen sich die erwähnten Links zu den Zitatnachweisen bei einer Arbeit an Smartphone oder Tablet und bestehender Internetverbindung aus der BasisBibel-App heraus in der Textfassung der Gute Nachricht Bibel öffnen, wird in einem Computerraum mit der Website gearbeitet, können die dort nur angezeigten Stellenangaben ebenfalls relativ einfach auf entsprechenden Seiten aufgerufen werden. 840 Dazu gehört auch, dass die Randspalten für leicht zugängliche Begriffserklärungen bereits belegt sind. Da die BasisBibel außerdem konsequent auf die Verwendung von Abkürzungen für die biblischen Bücher verzichtet, würden Stellenangabe zu zitierten Versen oder auch Parallelstellen einigen Raum fordern, der in der Druckfassung nicht ohne Weiteres zu finden ist. 841 Dies betont auch Jahr, BasisBibel, 4 [Seitenzählung nach der im Internet verfügbaren pdf-Fassung]. 842 Kristen, Bibelübersetzungen, 82. – Nicht überzeugt hat mich die Anfrage von Scholz, Bibeldidaktik, 216, der beklagt, dass die BasisBibel den „Bibeltext selbst unangetastet“ lässt und die „hypertextuelle Transformation“ nicht weiter treibt. Er beobachtet zwar sicher zu Recht Unterschiede zwischen den „Leitsätzen der Printmedien“ und den „Sinnlogiken der Neuen Medien“ (damit beginnt jeder Abschnitt seiner Überlegungen zu einer Interpretation der Bibel als Hypertext: ebd., 218.220. 224.228.233.234), auch manche darauf aufbauende bibeldidaktische Anregung ist interessant. Dass aber Sinnlogiken der Neuen Medien entscheidendes Gewicht haben sollten für die theologisch zu reflektierende Frage, in welcher Gestalt die uns überlieferte Bibel Schülerinnen und Schülern begegnen soll, vermag ich nicht zu sehen.

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Das ist freilich nur die technische Seite der Angelegenheit. Zu prüfen ist auch das theologische Profil der Übersetzung. Es liegt auf der Hand, dass sich eine auf Verständlichkeit zielende Übersetzung in theologischen Streitfragen positionieren muss. Als Stichprobe wird daher betrachtet, wie die BasisBibel paulinische Aussagen zur Rechtfertigung übersetzt: Der Begriff „Werke des Gesetzes“ wird in der Regel verbal aufgelöst, meist mit „befolgen“ (z.B. Gal 2,16: „Kein Mensch gilt vor Gott als gerecht, weil er das Gesetz befolgt.“), so dass niemand auf die Idee der New Perspective kommen kann, hier seien evtl. besondere, ausgewählte Werke gemeint. In Gal 3,10 ist dann sogar von „Erfüllung des Gesetzes“ die Rede, was auch eine schwierige Spannung zu Gal 5,14 ergibt. Umgekehrt wird das Verb „gerecht werden“ z.T. deutlich juristisch gefärbt wiedergegeben, so in Gal 3,24 („freigesprochen werden“) oder im (als solches nicht erkennbaren) Psalmzitat am Ende von Gal 2,16: „Schließlich spricht Gott keinen Menschen von seiner Schuld frei, weil er das Gesetz befolgt.“ Diese Übersetzung ist zwar mit Blick auf den Gerichtsbezug in Ps 143,2 nicht unplausibel und verknüpft durch die Hinzufügung des Stichworts „Schuld“ gut mit dem Kontext in Gal 2,15.17. Gleichwohl ist die sonst verwendete Formulierung „vor Gott als gerecht gelten“ (Gal 2,16f.; 3,11; 5,4) deutlich offener auch für eine Interpretation, die nicht den Bezugsrahmen der reformatorischen Rechtfertigungslehre voraussetzt. Dass der juridische Kontext für die Übersetzung der BasisBibel freilich auch hier im Blick ist, zeigt die Randerklärung zu „gerecht, als gerecht gelten“: „Durch Jesus Christus von ihrer Schuld befreit, können die Menschen vor Gottes Gericht als gerecht bestehen und in Gemeinschaft mit ihm leben.“843 Wie ist dieser Befund zu bewerten? Zum einen ist zu sagen, dass auch andere Übersetzungen ähnliche Entscheidungen treffen, so gibt die Zürcher Bibel „Werke des Gesetzes“ wieder mit „tun, was im Gesetz geschrieben steht“ (Gal 2,16; 3,2.5.10) und die Gute Nachricht Bibel, hinsichtlich der Verständlichkeit sonst die erste Alternative zur BasisBibel, interpretiert noch stärker als diese in Richtung auf ein „Bestehen“ im Gericht und ist damit sicher nicht die bessere Wahl.844 Zum anderen werden Schülerinnen und Schüler die Diskussionslinien zwischen Paulus und seinen Gegnern ohnehin kaum nur durch einen Begriff wie „Werke des Gesetzes“ entdecken. Im Unterricht wird es also in jedem Fall nötig sein, die Position der Gegner durch Erzäh843

Die Erklärung findet sich bei den genannten Stellen (also mehrfach), z.B. basisbibel.de/nt_860. 844 Gal 2,16 beginnt in der Gute Nachricht Bibel so: „Aber wir wissen, dass kein Mensch deshalb vor Gott als gerecht bestehen [!] kann, weil er das Gesetz befolgt. Nur die finden bei Gott Anerkennung, die in vertrauendem Glauben annehmen, was Gott durch Jesus Christus für uns getan hat.“

Schlüssel zum Galaterbrief

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lungen oder Textverweise (Gen 17) zu stärken, am besten die Debatten des Apostelkonvents oder aus Antiochien nachzuspielen. In einem solchen Kontext aber kann dann auch Gal 2,15–17 in der Textfassung der BasisBibel als Stellungnahme des Paulus in dieser Diskussion verständlich werden. Insgesamt betrachtet bietet daher in meinem Urteil die BasisBibel für eine Unterrichtseinheit zum Galaterbrief die gegenwärtige beste Textgrundlage. 2. Schlüssel zum Galaterbrief Die bisherigen Überlegungen haben nicht nur gezeigt, dass der Galaterbrief bildungsplankonform zum Thema des RU werden kann, sondern vor allem in entscheidenden religionspädagogischen und bibeldidaktischen Leitlinien entfaltet, in welcher Perspektive das geschehen könnte. Im Zentrum steht dabei die Orientierung am lernenden Subjekt und die bibeldidaktische Zielvorstellung eines Gesprächs zweier gleichgewichtiger Subjekte. Allerdings handelt es sich bei denen, die sich auf solche Weise begegnen sollen, keinesfalls um zwei gleichartige Subjekte, weshalb ein solcher Dialog durch bewusste unterrichtliche Inszenierungen ermöglicht bzw. gefördert werden muss. Dieser Aufgabe stellt sich nun dieses Teilkapitel, indem es wichtige Aspekte der Frage Peter Müllers nach „Schlüsseln zur Bibel“ vertieft und im Blick auf die Arbeit mit dem Galaterbrief diskutiert. Zunächst sollen die bereits markierten Hinweise darauf, wie und warum der Galaterbrief im Unterricht zum Thema werden kann, kurz gebündelt werden:845 • Der Galaterbrief eröffnet Einblicke in eine historische Phase der Konstruktion dessen, was als christliche Identität gelten soll – erkennbar werden verschiedene Positionen, die Energie, mit der dieser Streit geführt wurde, und Situationen, die zu seiner Klärung beitragen wollten (Apostelkonvent) oder ihn erneut anfachten (Antiochenischer Konflikt). Der Galaterbrief lädt damit zur Prüfung verschiedener, auch eigener Konstruktionen christlicher Identität ein. • Inhaltlich bietet der Galaterbrief mit der entschiedenen Durchdringung aller Fragen von Christus und dem Christusgeschehen her eine klare Position zur Frage nach Wahrheit und ihren Grenzen an. Er fordert damit zu einer Diskussion von Begründung und Leistung dieser Sichtweise ebenso heraus wie zu einer eigenen Klärung des Verhältnisses von Gott und Mensch. 845

Detaillierter lassen sich die folgenden Punkte nachlesen oben, 235f.245.261ff. 266f.271f.275f.

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• Der Galaterbrief durchdenkt alle biblischen Themenkreise von Jesus Christus her und könnte damit als „Schlüssel zur Bibel“ fungieren. Es ist aber zu prüfen, ob Schülerinnen und Schüler angesichts der Komplexität des Briefs Zugang zu der Gestalt finden, in der diese Themen hier behandelt werden – mögliche „Schlüssel zum Galaterbrief“ sollten dabei so gewählt werden, dass sie auch dessen Funktion als „Schlüssel zur Bibel“ aktualisieren. • Der Galaterbrief bietet zahlreiche Anschlussstellen für die Entdeckung intertextueller Zusammenhänge: Hintergrund der Gemeinden und biographische Erinnerungen des Paulus lassen sich an der Apostelgeschichte spiegeln, die Argumentation des Briefs und die vermuteten Positionen der Gegner alttestamentlich rückbinden und die Stellung des Apostels innerhalb frühchristlicher Traditionsbildung lässt sich untersuchen. • Für die Eröffnung eines „Gesprächs“ mit der Bibel bietet gerade die Ganzschriftlektüre eines Briefs eine gute Vorlage. Im Galaterbrief wird nicht nur die dialogische Situation, sondern durch seine biographischen Reflexionen auch Figur und Position des Paulus gut greifbar. So kann seine Argumentation aus den Wurzeln seines Denkens und in Bezug auf die von ihm diskutierte Streitfrage nachvollziehbar werden. Damit ist eine entscheidende Voraussetzung für eine Verknüpfung mit dem eigenen Denken und Fragen in der eigenen Situation gegeben. • Die komplexe Sprachgestalt eines Paulusbriefs wird in der Übersetzung der BasisBibel zugänglicher, die mit dem Text verknüpften Informationselemente laden überdies zu eigenem Forschen und Verstehen ein. Diese Punkte verdeutlichen das Potential, das in einer Beschäftigung mit dem Galaterbrief liegt, zugleich aber markieren sie die Frage, ob und wie es gelingen kann, dieses nutzbar zu machen. Es lässt sich nicht bestreiten, dass der Galaterbrief theologisch zentrale Fragen in einer Situation entscheidender Weichenstellungen der frühen Christenheit engagiert behandelt. Aber gelingt es, mit Jugendlichen diese Zusammenhänge so zu entdecken, dass sie für deren eigenes Denken und Fragen und ihre Orientierung im Leben relevant werden? Diese Leitfrage dieses Teilkapitels lässt sich auch formulieren als Variante der Fragestellung Müllers nach „Schlüsseln zur Bibel“, die eine Begegnung von Schülerinnen und Schülern und der Bibel im Sinne einer wechselseitigen Erschließung eröffnen: Gibt es „Schlüssel zum Galaterbrief“? Gibt es Kernverse oder -begriffe, Textabschnitte, Bilder oder Szenen,846 die einen Raum für eine Begegnung zwischen Ju846

Vgl. Müller, Schlüssel (2009), 89f. An Beispielen aus dem Galaterbrief illustriert, könnten solche Schlüssel z.B. sein: Kernverse: Gal 2,16; Gal 2,20; Gal 3,1; Gal

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gendlichen und dem Galaterbrief eröffnen? Wenn solche Schlüssel über den Galaterbrief hinaus bzw. mit diesem auch weitere Wege in die Bibel erschließen, ist das ein zusätzliches Argument für den Vorschlag, Paulus im RU zur Sprache zu bringen, auch wenn neben der Begegnung mit einer Ganzschrift sicher nicht alle diese möglichen Pfade auch im Unterricht beschritten werden können. Allerdings haben die bisherigen Überlegungen den Galaterbrief deutlich konkreter in den Blick genommen als die Schülerinnen und Schüler. Ist dieser Unterrichtsgegenstand für Jugendliche überhaupt interessant, verbindet er sich mit ihrem Denken und Fragen? Das ist noch nicht genügend diskutiert worden und soll daher hier nun entscheidend sein für die Prüfung möglicher „Schlüssel zum Galaterbrief“. Um diese Prüfung strukturiert angehen zu können, nehme ich im Folgenden in heuristischer Absicht Frageperspektiven des Tübinger Elementarisierungsmodells auf. Damit soll keine weitere konzeptionelle Grundsatzdiskussion eröffnet werden, vielmehr werden diese Fragestellungen innerhalb des bereits abgesteckten konzeptionellen Rahmens rezipiert. Dass eine solche Verbindung von Kinder- bzw. Jugendtheologie sowie Bibeldidaktik mit den Fragestellungen der Elementarisierung möglich und fruchtbar ist, dokumentieren bereits zahlreiche Veröffentlichungen,847 so dass für eine Anknüpfung an diese gut etablierten Fragestellungen keine weitere Begründung erforderlich erscheint. Im Folgenden wird gleichwohl zunächst (a) die grundlegende Übereinstimmung in der Perspektive auf die wechselseitige Erschließung aufgezeigt und in diesem Zusammenhang dargelegt, wie die Fragestellungen des Elementarisierungsmodells hier verstanden und verwendet werden. Weitere Unterabschnitte fragen nach den Aspekten, die im Zusammenhang der Umsetzung des Vorhabens dieser Studie noch der Klärung bedürfen, wie gesagt also vor allem mit Aufmerksamkeit auf die Seite der Schülerinnen und Schüler. Der Durchgang beginnt auch deshalb mit der Fragestellung, die am deutlichsten diesem Pol zugeordnet ist (b): Welche elementaren Zugänge 3,(26–)28; Gal 5,1; Kernbegriffe: Evangelium, Glaube, Gesetz, Christus, Wahrheit; Textabschnitte: Rahmen; Gal 1,6–9; Gal 3,1–5; Gal 3,6–9; Bilder: Kindschaft, Erbe; Szenen: Berufung des Paulus; Apostelkonvent; Streit in Antiochia. 847 Vgl. z.B. Nipkow, Theologie, 153–163; Schweitzer, Kindertheologie (2011), 28– 41: Beide legen dar, dass und wie die Fragestellungen von Elementarisierung und Kindertheologie einander befruchten und brauchen. Auch eine auf Gespräch ausgerichtete Bibeldidaktik kann sich positiv auf die Elementarisierung beziehen, vgl. Müller, Schlüssel (2009), 85.87; Müller u.a., Gleichnisse, 68–73.78–81 und den durchgängigen Aufbau aller Gleichnisbearbeitungen (vgl. nur ebd., 6f.); Nipkow, Rechtfertigung, unternimmt elementarisierende Überlegungen u.a. mit Bezug auf Paulus. Alle drei Größen (Kindertheologie, Bibeldidaktik und Elementarisierung) verbindet z.B. Oberthür, Kinder (1998), 17–39.

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sind im Blick auf ein Unterrichtsprojekt zum Galaterbrief zu bedenken? Um hier und auch im Folgenden möglichst konkret argumentieren zu können, wird in diesem Abschnitt der Darlegung auch eine Festlegung auf eine Altersgruppe begründet, und zwar auf Jugendliche der 7. Klasse. Daran schließt die Frage nach den Lebenswelten an (c): Welche elementaren Erfahrungen der Jugendlichen, welche Interessen und Fragen treffen sich so mit den im Galaterbrief aufbewahrten Erfahrungen und Diskussionen, dass sich dynamische Prozesse eröffnen? Diese Überlegungen unterstreichen auf ihre Weise die schon verschiedentlich erwähnte Notwendigkeit, Aufbau und Förderung einer eigenen Auslegungskompetenz der Schülerinnen und Schüler bewusst in den Blick zu nehmen – diese Fragestellung wird im Zusammenhang der Erörterung elementarer Lernwege mit einem besonderen Akzent auf rezeptionsästhetischen Einsichten ins Zentrum gerückt (d). Ein weiterer Abschnitt (e) begründet, weshalb die Frage nach elementaren Wahrheiten sinnvoll in der Perspektive eines biographischen Lernens, also in Verknüpfung mit der biographisch begründeten Theologie des Paulus verfolgt werden kann – gerade wenn es auch im Einsichten in dessen theologisches Denken gehen soll. Schließlich bietet das Ende des Teilkapitels mit dem Blick auf die elementaren Strukturen (f) eine Gelegenheit, abschließend die herausgearbeiteten Akzente einer unterrichtlichen Beschäftigung mit dem Galaterbrief nochmals durch die Rückfrage zu prüfen, ob auch dieser darin zu seinem Recht kommt. a) Elementarisierung als wechselseitige Erschließung Eine von den Einsichten der Kindertheologie und des Konstruktivismus her reflektierte Aufnahme des Tübinger Elementarisierungsmodells, wie es Karl Ernst Nipkow und Friedrich Schweitzer entwickelt haben, erweist sich auch in bibeldidaktischer Perspektive als hilfreich: Mit Peter Müllers Bibeldidaktik teilt es die Orientierung am Zentralgedanken der wechselseitigen Erschließung von Schülerinnen und Schülern auf der einen und Inhalten des RUs auf der anderen Seite. Diese Doppelperspektive wird in fünf Fragestellungen bedacht. Elementarisierung ist dabei nicht mit Vereinfachung gleichzusetzen, sondern zielt auf das Auffinden der Aspekte, die für eine gelingende wechselseitige Erschließung grundlegend sind. In einem Überblick lässt sich das Modell so darstellen:848 848 Die folgende Graphik stammt aus Wiemer/Edelbrock/Käss, Basiskartei, G 31. Oberthür, Kinder (1998), 27, bietet auch eine graphische Veranschaulichung (ohne elementare Lernwege); eine tabellarische Auflistung Schweitzer, Kindertheologie (2011), 47f. Nipkow, Rechtfertigung, 116, fokussiert die Fragestellungen auf „das grundlegend Einfache“ (Strukturen), „das subjektiv Authentische“ (Erfahrungen),

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Schüler/ innen

Prozess der Erschließung und Aneignung (Lernen) Elementare Lernwege + Prozess der Vermittlung (Lehren)

Inhalte (Sache)

Elementare

Elementare

Elementare

Elementare

Zugänge

Erfahrungen

Wahrheiten

Strukturen

Entwicklungsstand: zuhören & beobachten, entwicklungspsychologische Erkenntnisse

S: Lebensweltanalyse: beobachten & miteinander reden. I: Erfahrungen hinter dem Text

S: Wahrheitserfahrungen I: Wahrheitsansprüche

Inhalts- bzw. Textanalyse: Aussagestruktur Handlungen Sinnmitte … Kern der Sache

Für das Gelingen der wechselseitigen Erschließung bzw. des bibeldidaktisch angestrebten „Gesprächs“ ist entscheidend, die Fragen jeweils aus beiden Perspektiven zu bedenken. Zwar sind die in der Graphik außen dargestellten elementaren Zugänge bzw. Strukturen jeweils einem Pol stärker zugeordnet, doch ist auch hier ein Blick auf den anderen erforderlich, geht es doch um Zugänge zu einem bestimmten Inhalt bzw. um Strukturen, die Kindern oder Jugendlichen auch erkennbar werden sollen. Die in der Mitte angeordneten Fragestellungen leben geradezu von dieser doppelten Perspektive: Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler sollen mit den z.B. in einem biblischen Text aufbewahrten in Kontakt gebracht werden und nach elementaren Wahrheiten kann nur sinnvoll gefragt werden, wenn sich diese Frage auf die Kinder und Jugendlichen und den Text bezieht. Auch die Frage nach den Lernwegen zielt keineswegs nur auf Aktivitäten des lernenden Subjekts, sondern spielte schon in den bibeldidaktischen Erwägungen eine wichtige Rolle.849 In der Diskussion um das Tübinger Elementarisierungsmodell kritisiert Godwin Lämmermann, dieses weise dem Subjekt „nur eine taktische Rolle“ zu und bleibe einer „instruktionalistische[n] Fiktion vom Primat der Inhalte“ verhaftet.850 Von der historischen Genese des Modells her leuchtet das zwar ein: Das „doppelseitig Erschließende“ als zentrale Bestimmung des Elementaren und Fundamentalen „das zeitlich Angemessene“ (Zugänge), „das gewissmachende Wahre“ (Wahrheiten) und schließlich das „frappierend Eindrückliche[.]“ (Lernwege). 849 Vgl. zu biblischen Lernwegen oben, 265. 850 Lämmermann, Didaktik, 167f.

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wurde 1961 von Wolfgang Klafki in die pädagogische Diskussion eingeführt; er forderte damals, „den suchenden Blick zugleich auf die Inhalte … und auf den zu bildenden Menschen“ zu richten.851 Dass die Formulierung „zu bildender Mensch“ nicht dasselbe meint wie eine konstruktivistische Orientierung am „lernenden Subjekt“, ist evident.852 Es liegt auch auf dieser Linie, wenn als entscheidender Anstoß der Kinder- und Jugendtheologie für die Elementarisierungsdebatte die Einsicht benannt wird, dass die Schülerinnen und Schüler selbst (und nicht die Lehrkräfte, die Entwicklungspsychologie o.ä.) „als Experten ihrer eigenen Weltzugänge zu würdigen sind“.853 Allerdings ist das auf wechselseitige Erschließung angelegte Grundmodell durchaus in der Lage, diese Perspektive auf Kinder und Jugendliche zu integrieren – Schweitzer würdigt diesen Anstoß der Kindertheologie zu einer „Selbstklärung“ der Elementarisierung ausdrücklich als „Weiterentwicklung“.854 Da z.B. der Konstruktivismus stärker noch als eine eher inhaltsgelenkte Didaktik nach elementaren Zugängen, Erfahrungen und Lernwegen fragt, kann das Tübinger Elementarisierungsmodells mit einer entsprechenden Interpretation verbunden werden. Eine Revision des Fragerasters ist durch die Subjektorientierung jedenfalls nicht erfordert, im Gegenteil kann es gerade dazu helfen, das lernende Subjekt bewusst in den Blick zu nehmen. Zugleich vertritt das Elementarisierungsmodell freilich keine Didaktik reiner Subjektorientierung, vielmehr kann und will es auch davor bewahren, einseitig nur auf das lernende Subjekt zu sehen. Das ist gerade auf der hier verfolgten Linie relevant: Wenn Kinder- bzw. Jugendtheologie als theologische Kompetenz beschrieben und auch deswegen die Aufgabe einer Theologie für Kinder bzw. Jugendliche bewusst beachtet werden soll, ist eine Aufmerksamkeit auf die Inhalte des RU und den angemessenen Umgang mit ihnen unverzichtbar.855 Ein evangelischer RU verträgt sich so weder mit einer völligen Relativierung des Wahrheitsanspruchs der biblischen Texte856 noch mit 851

Klafki, Prinzipien, 129. Trotz Klafkis Überlegungen zu Selbsttätigkeit, Aneignung und Fragehaltung der Schülerinnen und Schüler (vgl. ebd., 137f.) besteht hier noch eine Differenz. 853 So Woyke, Mensch, 340, im Anschluss an Schluß, Vorschlag. 854 Schweitzer, Kindertheologie (2011), 33. Wenn er ebd., 32, „Kindertheologie als Konsequenz des Elementarisierungsansatzes“ fasst, ist das zwar nicht gänzlich unberechtigt, doch dürfte im Blick auf die keineswegs einlinige Entwicklung die oben zitierte selbstkritischere Perspektive angemessener sein. 855 Dies ist in C.1.b) dargelegt worden, vgl. oben, 215ff. Diesen Aspekt betont Schweitzer in der umgekehrten Perspektive als einen Beitrag der Elementarisierung zur Profilschärfung der Kindertheologie, vgl. z.B. ebd., 34–36 (u.a. mit positivem Verweis auf Zimmermann, Kindertheologie). 856 So meint z.B. Lämmermann, Didaktik, 177, „dass (konstruktivistisch gesehen) kein Text – auch kein biblischer – an sich einen Wahrheitsanspruch hat“; ähnlich 852

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einer vorschnellen Aneignung oder Verzweckung ihrer Aussagen. Die letztgenannte Gefahr besteht gerade im Blick auf Paulus. In einem Bild gesprochen: Die Sicherungsseile für die Gratwanderung zwischen lernendem Subjekt und biblischem Text werden hier mitunter so angelegt, dass ein Abrutschen allenfalls zur Seite des Subjekts erfolgen kann, wo dann ein erster flüchtiger Eindruck des Textes an dessen Stelle tritt und eine vorschnelle Adaption die echte Begegnung mit Paulus ersetzt.857 Ich vermute, dass ein solches Verfahren oft einer gewissen eigenen Ratlosigkeit bezüglich eines schülergemäßen Umgangs mit den komplexen paulinischen Texten entspringt, die dann durch den Versuch kompensiert werden soll, wenigstens einen schülergemäßen Ertrag zu erarbeiten. Wenn diese Diagnose stimmt, muss eine wirkungsvolle Therapie zwei Mittel kombinieren: Zum einen ist eine Erarbeitung der Texte und ihrer historischen Kontexte erforderlich, die Lehrerinnen und Lehrern ein eigenes Verständnis eröffnet; diesem Ziel dient der exegetische Teil meiner Studie.858 Zum anderen ist sehr bewusst nach Anschlussstellen für die Auseinandersetzung mit dem Apostel im Erleben, Denken und Fragen der Jugendlichen zu suchen, um einen klaren Eindruck davon zu gewinnen, dass ebd., 181. Aus rein konstruktivistischer Perspektive ist dagegen nichts zu sagen, wohl aber aus theologischer: Ich kann (und will) die christliche Religion nicht anders verstehen als so, dass sie den biblischen Texten einen Wahrheitsanspruch zugesteht. Deswegen muss ein solcher dann aber – im Gespräch mit dem eigenen Fragen nach Wahrheiten – auch im RU Thema sein, nicht als Doktrin, aber doch so, dass die Auseinandersetzung mit der Bibel nicht als zufällig erscheint. (Das gilt zumal für einen Text wie den Gal, der unter Absehung von dem Wahrheitsanspruch, den Paulus mit seiner Position verbindet, praktisch gar nicht lesbar ist.) 857 Vgl. die Kritik von Bachmann, Didaktik, 6, „dass de facto … die … Akzentuierung des Aneignungsaspekts … zum Anlass genommen wird, die exegetische Rückfrage zu vernachlässigen oder gar zu verabschieden“, und als Beispiel Brunn, Paulus: Auf der Basis einer dogmatisch geprägten Einführung und einer knappen Auswahl einzelner Verse des Gal (vgl. ebd., 64) sollen Schülerinnen und Schüler hier den „Fluch des Gesetzes“ und dessen Überwindung erklären. Wichtig sei, dass sie ihn auf ihre „persönliche Lebenssituation ausweiten“, die u.a. durch „Erwartungsdruck“ in Schule, Sport und Musik gekennzeichnet sei – Ziel ist die Erkenntnis: ‚Ich bin etwas, auch wenn mir etwas misslingt oder ich nicht die Leistung bringe, die man von mir erwartet.‘„ (ebd., 27) Dieser Vorschlag bietet kaum eine Chance für ein historisches Verständnis der paulinischen Argumentation, sondern ist entschieden auf eine subjektive Nutzanwendung der Rechtfertigungslehre im Sinne der Ich-Stärkung ausgerichtet. Freilich ist diese Linie schon in der Einleitung des Bandes grundgelegt, der das Elementarisierungsmodell mit deutlichem Akzent auf dem lernenden Subjekt interpretiert (vgl. Husmann, Leitlinien, 19f.) und den Subjektbegriff nahe an konstruktivistischen Debatten geradezu als „kämpferische[n] Begriff der Selbstermächtigung“ bestimmt (vgl. Becker, Überlegungen, 10). 858 Nicht zuletzt will dort die abschließende Darstellung der Kontextualisierung der paulinischen Theologie in der galatischen Kontroverse auf der Basis der Exegese und historischen Einordnung des Gal die „elementaren Strukturen“ der Argumentation des Briefs bündeln, vgl. oben B.3., 190ff.

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und wie die Auseinandersetzung mit Paulustexten für diese interessant und weiterführend sein kann. Die letztgenannte Aufgabe ist bisher vor allem in ihrer grundlegenden Bedeutung herausgestellt und begründet worden; sie wird im Folgenden in Auseinandersetzung mit Frageperspektiven des Tübinger Elementarisierungsmodells unter konkretem Bezug auf einen Unterricht zum Galaterbrief diskutiert. b) Elementare Zugänge: Herausforderung Galaterbrief in einer 7. Klasse Dass der Galaterbrief eine „Herausforderung“ für den RU, nicht zuletzt für die Schülerinnen und Schüler darstellt, ist keine Frage. Allerdings können Herausforderungen auch reizen und vorwärts bringen und es ist die These dieser Arbeit, dass der Galaterbrief in diesem positiven Sinne eine Herausforderung sein bzw. werden kann. Die folgenden Abschnitte bearbeiten die Fragestellungen des Elementarisierungsmodells mit dem Ziel, vor allem mit Blick auf die Jugendlichen genauer darzulegen, dass und wie dies gelingen kann. Um dabei möglichst konkret werden zu können, gehe ich davon aus, dass eine entsprechende Unterrichtseinheit konzipiert werden soll. Um diese realistisch verankern zu können, lege ich exemplarisch den baden-württembergischen Bildungsplan 2016 für die Sekundarstufe I zugrunde, der, wie gesehen, für den Standardzeitraum Klasse 7–9 u.a. diese explizit auch auf Paulus bezogenen Kompetenzen formuliert:859 Die Schülerinnen und Schüler können … • „biblische Traditionen zu Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden (z. B. Exodustradition, Prophetie, Jesus, Paulus) darstellen“ bzw „untersuchen“.860 • „biblische Aussagen vom gnädigen und gerechten Gott (z. B. Amos, Paulus) beschreiben“.861 Der Bildungsplan nennt daneben natürlich weitere Kompetenzen, die sich mit einer solchen Einheit kombinieren lassen; diese werden im Folgenden ergänzt, wenn sie mit möglichen Schlüsseln zum Galaterbrief korrelieren.862 Wichtig ist hier zunächst, dass diese beiden theologisch anspruchsvollen Formulierungen sehr gut anhand des Galaterbriefs diskutiert werden können. Damit ist eine erste Verankerung für die zu planende Einheit gegeben. 859

Vgl. ausführlicher oben, 212ff. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, Bildungsplan 2016. Sekundarstufe I - evang. RU, 27. 861 Ebd., 28. Zur Kritik der Formulierung der beiden höheren Niveaustufen bzw. ihrem Bezug auf die zitierte grundlegende Kompetenz vgl. oben, Anm. 598. 862 Vgl. für eine ausführliche Darstellung aller passender Kompetenzformulierungen und eine begründete Auswahl daraus C.3.a), unten 315ff. 860

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Klasse 7–9, das beschreibt das weite Spektrum von gerade noch vor bis nach der Pubertät. Um zu einer klaren Wahrnehmung der Jugendlichen zu gelangen, nehme ich daher eine weitere Präzisierung der Klassenstufe vor und entwerfe eine Einheit für die 7. Klasse. Diese Wahl hat mehrere Gründe, zum einen praktische: Der Geschichtsunterricht befasst sich bereits in der Orientierungsstufe mit dem Themenbereich „Griechisch-römische Antike – Zusammenleben in der Polis und im Imperium Romanum“,863 auch behandelt er „die Entstehung und Verfolgung des Christentums sowie seinen Aufstieg zur Staatsreligion im Imperium Romanum“,864 so dass eine Pauluseinheit zu Beginn des folgenden Standardzeitraums am ehesten an entsprechendes Vorwissen anknüpfen kann. Und die achte Klasse kommt für eine anspruchsvolle Ganzschriftlektüre auch deswegen eher nicht in Frage, weil hier nur 1-stündig RU erteilt wird. Zum anderen spricht aber auch die Wahrnehmung der Schülerinnen und Schüler, um die es unter der Fragestellung nach den elementaren Zugängen ja nun zentral geht, für die Wahl der 7. Klasse. Im Folgenden werden einige Aspekte eines RU in der Pubertät diskutiert, nicht zuletzt im Gespräch mit der darauf bezogenen, an elf Realschulen in Klasse 7 und 8 durchgeführten Studie von Uwe Böhm und Manfred Schnitzler.865 Die damit verbundene Klärung von Perspektiven der Schülerinnen und Schüler ergibt nicht nur erste Hinweise darauf, wie eine mögliche Unterrichtseinheit zum Galaterbrief inhaltlich und methodisch aussehen könnte, sondern auch weitere Gründe für deren Ansetzung in der 7. Klasse. „Spätestens mit der Pubertät setzt der Schrei: ‚O je, sie kommt mit den Bibeln!‘ ein“.866 Diese Beobachtung lässt sich mit Ergebnissen der genannten Studie eindrücklich untermauern: „Biblische Geschichten“ landeten hier auf dem viertletzten Platz einer Wunschliste aus insgesamt 18 Themen, wobei die Häufigkeit der Zustimmung zu diesem Wunsch vom Anfang der 7. Klasse bis zu deren Ende bzw. dem Ende der 8. Klasse noch um mehr als die Hälfte abnahm, was die von den Autoren zitierte ältere Untersuchung Buchers bestätigt: „die Plausibilität der Bibel sinkt dramatisch“.867 Nun mag dieser Rückgang auch daran liegen, dass „biblische Geschichten“ für die Jugendlichen nach Grundschule klingt; ob der Galaterbrief unter dieses Eti863

Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, Bildungsplan 2016. Sekundarstufe I - Geschichte, 18; detailliert ausdifferenziert ebd., 18–20 (nach dem Differenzierungsgrad ist diese Thematik die wichtigste in Klasse 5/6). 864 Ebd., 20; auf den höheren Niveaustufen noch differenzierter. 865 Vgl. Böhm/Schnitzler, Religionsunterricht; zu den beteiligten Schulen ebd., 32f. 866 Bosold, Zugänge, 631. 867 Bucher (2000), zit. nach Böhm/Schnitzler, Religionsunterricht, 107; vgl. deren Ergebnisse ebd., 107f.; Bosold, Zugänge, 631: „galoppierendes Desinteresse“.

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kett passt, ließe sich fragen. Dennoch scheint es sinnvoll, eine Galatereinheit früh im Standardzeitraum 7–9 zu verorten – auch in der Hoffnung, in der Phase einer noch etwas größeren Aufgeschlossenheit für die Bibel die Chance nutzen zu können, durch ein von „Geschichten“ durchaus verschiedenes, zu Diskussion und Stellungnahme herausforderndes Bibelprojekt dem Image der Bibel in den folgenden Jahren einen wichtigen Dienst zu leisten. Was interessiert die Jugendlichen im RU mehr als „Biblische Geschichten“? Ich greife zwei Themen heraus, die vorne auf der Themenwunschliste der genannten Untersuchung erscheinen, zunächst das viertplatzierte Thema „Sekten“. Interessant ist, dass sich das Interesse an diesem Thema von Anfang der 7. Klasse bis zu deren Ende deutlich verstärkt, die Entwicklung ist hier also gerade gegenläufig zur Entwicklung im Blick auf biblische Geschichten.868 Das könnte damit zusammenhängen, dass die Pubertierenden Orientierung bewusst oder unbewusst auch jenseits gesellschaftlich anerkannter Ausrichtungen suchen (zu denen die Bibel jedenfalls im RU gehört). Die Autoren überlegen, ob die Attraktivität des Themas Sekten damit zusammenhängt, „dass in einer pluralen Gesellschaft hier klare Orientierung vermittelt wird, die Pubertierenden Halt gibt und ihrem Entweder-Oder-Denken entgegenkommt“.869 Sie weisen damit auch auf Befunde hin, die nicht zwingend mit dem Thema Sekten verknüpft werden müssten, aber erkennbar charakteristisch sind für die Pubertät: Die in den qualitativen Interviews am häufigsten benannten Stärken der Jugendlichen sind „Verantwortung übernehmen“ und „Freiheiten genießen“, die häufigsten Problembereiche „heftige Konflikte“ und „unsicher im eigenen Körper“.870 Offenbar müssen Verantwortung und Freiheit zum einen durchaus konfliktreich erstritten werden, zum anderen fällt dieses neue Selbstbewusstsein mit eigenen Unsicherheiten kontrastreich zusammen. Es könnte gerade diese Konstellation sein, die das Thema klarer Orientierung vielleicht auch abseits der etablierten Wege interessant macht. Im baden-württembergischen Bildungsplan 2016 passt hierzu etwa die Kompetenzformulierung, dass die Jugendlichen „Selbstwahrnehmung, Selbstdarstellung und Fremdwahrnehmung anhand von Beispielen … vergleichen“, „untersuchen“ oder „überprüfen“ können.871 Weitere Bezüge auf den Bildungsplan könnten in gleich mehreren Kompetenzen aus dem Bereich „Religionen und Weltanschauungen“ gesehen werden, so geht es hier 868

Vgl. Böhm/Schnitzler, Religionsunterricht, 106 (Graphik), auch ebd., 108: Die Zustimmung zum Thema Sekten ist bei Jungen höher als bei Mädchen. 869 Ebd., 107. 870 Ebd., 83; vgl. zu den Konflikten und Unsicherheiten ebd., 45. 871 Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, Bildungsplan 2016. Sekundarstufe I - evang. RU, 24.

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um „lebensfeindliche und -förderliche Formen und Wirkungen von Religion und Weltanschauungen“, um Sensibilität für „unterschiedliche Strömungen innerhalb einer ausgewählten Religion“ und schließlich um „Kriterien für das Gespräch mit Menschen unterschiedlicher religiöser Überzeugungen“.872 Der Galaterbrief argumentiert über weite Strecken ziemlich genau im Schnittfeld dieser Themen Identität und religiöse Orientierung, zudem zeugt er gerade in diesem Zusammenhang deutlich von Konflikten, auch solchen mit Autoritäten (Apostelkonvent, Antiochenischer Konflikt). Die Dinge lassen sich zwar sicher nicht 1:1 übertragen – es geht Paulus hier nicht um eine Emanzipation von seinen Eltern o.ä. –, dennoch könnten Thematik und Charakter des Galaterbriefs auf das Interesse der Schülerinnen und Schüler treffen und damit eine Spur zu einem ersten „Schlüssel zum Galaterbrief“ weisen.873 „Pubertät ist eine religiös sensible Zeit. Heranwachsende mögen kantig sein und manchmal abweisend schroff, aber zugleich sind sie offen und formbar, suchen nach Orientierung und Vorbildern, auch im religiösen Bereich“.874 Kommen diese Themen der Schülerinnen und Schüler zu ihrem Recht, so dürften sich interessante Perspektiven auf den Galaterbrief eröffnen. Neben der Streitbarkeit des Apostels kann hier durchaus auch seine weitgehende Unbekanntheit ein Vorteil sein: Da Paulus als biblische Figur aus Sicht der Jugendlichen noch nicht besetzt oder gar verbraucht ist, lädt er freier zu Identifikation oder Abgrenzung ein. Hinzu kommt, dass es deutlich nicht nur um ihn geht, es lassen sich mit seinen Gegnern und den galatischen Gemeindegliedern mindestens drei Positionen beschreiben, der Brief lädt damit zu Diskussion und eigener Orientierung ein. Nicht zuletzt für die Galater, die zwischen den Forderungen der judaisierenden Missionare und der klaren Position des Paulus ihre Orientierung suchen, könnten die Schülerinnen und Schüler einiges Verständnis entwickeln. Deutlicher Spitzenreiter in der Themenwunschliste mit über 50% Zustimmung ist bei Böhm und Schnitzler das Thema „Sterben – Tod“.875 In diesem Zusammenhang nennt der Bildungsplan 2016 im Bereich „Mensch“ als mögliche Bibeltexte Röm 8 und 1. Kor 15, also explizite Paulusbezüge.876 Das soll erwähnt werden, weil es als Argument für eine Pauluseinheit dienen könnte, die eben nicht den Ga872 Ebd., 33f. (mit hier nicht aufgeschlüsselten Differenzierungen in den Formulierungen und Operatoren je nach Niveaustufe). 873 Vgl. oben, Anm. 808, zu Cebuljs „konfliktorientierter Bibeldidaktik“. 874 Böhm/Schnitzler, Religionsunterricht, 78 (erster Satz im Original unterstrichen). 875 Vgl. ebd., 106. 876 Vgl. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, Bildungsplan 2016. Sekundarstufe I - evang. RU, 25.

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laterbrief thematisiert. Allerdings scheint es mir angesichts des deutlichen Wunschs der Schülerinnen und Schüler sinnvoll, eine größere Einheit ganz um die Leitthematik Sterben, Tod und Auferstehung zu konzipieren, für die es dann durchaus auch von Vorteil sein könnte, wenn Paulus als der Autor dieser Texte schon aus einer früheren Einheit ein Gesicht bekommen hat. Aber auch im Blick auf den Galaterbrief ist die Beobachtung des Interesses an den Grenzen des Lebens interessant; sie lässt vermuten, dass es durchaus möglich sein könnte, einen Zugang zum paulinischen Verständnis des Christusereignisses als Neuschöpfung (Gal 6,15) und als ein Herausreißen aus der bösen Weltzeit (Gal 1,4) zu gewinnen. Da dies eine entscheidende Pointe für die paulinische Bearbeitung der Identitätsfrage ist (vgl. nur Gal 2,20; 3,28), könnte das für ein eigenes Verständnis des Galaterbriefs sehr wichtig sein. Zugänge finden Jugendliche auch über Arbeitsformen, die ihnen zusagen. In der Studie schneiden dabei besonders gut kreative Methoden, kompakte Lernangebote außerhalb der Schule und die Arbeit in wechselnden Gruppenformen ab, die Schülerinnen und Schüler betonen also schülerzentrierte Lernformen mit Möglichkeiten zu Eigenaktivität und Kooperation und geben dem eigenen Nachdenken einen hohen Stellenwert.877 Da ein Besuch der Ausgrabungen von Antiochia in Pisidien leider wenig realistisch ist, drängen sich außerschulische Lernorte in einer Einheit zum Galaterbrief nicht wirklich auf, die anderen Aspekte aber lassen sich hervorragend umsetzen – und zwar nicht nur in Überlegungen zur eigenen Lebenswelt, sondern auch in der direkten Auseinandersetzung mit dem biblischen Text. Zu denken wäre etwa an handlungsorientierte Plan- und Rollenspiele, die den Jerusalemer Apostelkonvent und den Antiochenischen Konflikt mit den dort vertretenen verschiedenen Positionen erlebbar machen, ebenso könnten Diskussionen in Galatien gespielt werden mit dem Ziel, sich als Gemeinde begründet zu entscheiden. Verschiedene Meinungen könnten in Gruppen erarbeitet werden, sowohl zur Vorbereitung solcher Planspiele als auch in deren Gefolge, etwa indem Gemeindeglieder aus Galatien einen Antwortbrief an Paulus schreiben oder ein Leitbild ihrer Gemeinde formulieren. Solche Arbeitsformen würden zugleich rezeptionsästhetische Perspektiven auf den Text praktisch werden lassen.

877 Vgl. Böhm/Schnitzler, Religionsunterricht, 43f.46.48f. (Ergebnisse der qualitativen Interviews mit Schülerinnen und Schülern); ebd., 81f. (Gesamtauswertung, auch Interviews mit Lehrkräften).

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c) Elementare Erfahrungen: Lebenswelten – Lebensfragen Hinter dem Desinteresse an der Bibel in der Pubertät steht nach Iris Bosold „ein gravierender Erfahrungsverlust (die biblische Überlieferung hat keine Verbindung zu meinen Lebenserfahrungen, meinen Fragen, Hoffnungen und Ängsten) und aus diesem Grunde auch ein Relevanzverlust (ich sehe nicht, dass die biblische Überlieferung mir Hilfestellung für mich bedrängende Fragen und Probleme bieten kann) und deshalb auch ein Effektivitätsverlust (ich finde keinerlei Anreize für eine humane Lebensgestaltung)“.878 Stimmt diese Diagnose, so ist die Aufmerksamkeit auf die Erfahrungen entscheidend, um auch die Relevanz der Bibel wieder neu erkennbar werden zu lassen. Entsprechend sucht Peter Müller nach Schlüsseln zur Bibel, indem er lebensweltbestimmte Fragen der Schülerinnen und Schüler in Beziehung setzt zu Themenkreisen, die Lernwege in der Bibel beschreiben. Soll also ein „Schlüsselbund“ zum Galaterbrief zusammengestellt werden, ist dafür von den Erfahrungen und Fragen der Jugendlichen auszugehen. Wichtig ist dabei eine ehrliche Prüfung der Relevanz und Leistungsfähigkeit der möglichen Anschlussstellen für eine echte Begegnung der Schülerinnen und Schüler mit dem Text: Sind sie „lediglich der ‚Zuckerguss‘, um Jugendlichen biblische Texte unterzujubeln, wird dies wenig hilfreich sein“.879 Zu fragen ist also: Kommt ein wirklich gleichberechtigtes Gespräch in Gang, wird ein Prozess eröffnet, der nicht nur die denkerischen Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler, sondern ebenso ihre Erfahrungen und Fragen schätzt und fordert? Peter Müller hat einige Fragebereiche gebündelt, die für Kinder, Jugendliche und Erwachsene interessant sind.880 Im Blick auf eine Unterrichtseinheit zum Galaterbrief könnten dabei vor allem diese Themen interessant sein, die auch in den bereits zitierten Kompetenzformulierungen des Bildungsplans anklingen:881 • „Fragen nach Gott und nach dem Verhältnis zu Gott“ • „Fragen nach der Person, dem Wirken und der Bedeutung Jesu“ • „Fragen nach Leistung und Gnade“ • „Fragen nach Freiheit und Bindung, Individualität und Sozialität“ • „Fragen nach Treue, Wahrheit und Glauben“ Solche Fragebereiche bieten Hinweise auf Schlüssel zum Galaterbrief. Allerdings können sie in dieser allgemeinen Formulierung – in 878 879 880 881

Bosold, Zugänge, 631, unter Verweis auf Berg. Ebd., 632. Vgl. die Graphik oben, 261; ausführlicher Müller, Schlüssel (2009), 93–96. Ebd., 96.

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der sie auch als rein fachtheologische Interessen missverstanden werden könnten – nicht als authentische, lebensweltgesättigte Fragen von Schülerinnen und Schülern einer 7. Klasse gelten. Für die Identifikation der elementaren Erfahrungen ist es aber unerlässlich, die Erfahrungen und Fragen der Jugendlichen zunächst ganz aus ihrem lebensweltlichen Hintergrund zu verstehen. Das gilt auch aus der Perspektive des biblischen Texts, denn natürlich reagiert Paulus hier nicht auf Fragen der Schülerinnen und Schüler, sondern auf die der Galater bzw. seiner gegenwärtigen Situation. Ein Gespräch im Sinne eines offenen Prozesses echter Begegnung gelingt nur, wenn Diskussionen und Positionen sowohl des Galaterbriefs als auch der Jugendlichen aus ihrem jeweiligen Kontext heraus verstanden und ernst genommen werden. Zum Galaterbrief ist dazu das Nötige bereits gesagt, daher soll hier die Perspektive der Jugendlichen betont werden. Es ist zu erwarten, dass die skizzierten Fragen die Jugendlichen nicht zuletzt im Horizont ihrer eigenen pubertären Identitätssuche interessieren. So ist die Frage nach Gott und dem Verhältnis zu ihm bzw. die nach dem Glauben in den von Böhm und Schnitzler notierten Äußerungen erkennbar verbunden mit der Frage der eigenen Positionierung: „für mich hat ER [sc. Gott] auch eine Rolle gespielt, sehr lange. Irgendwann habe ich dann nicht mehr so an IHN geglaubt. Dann bin ich mehr so nach der Wissenschaft gegangen. Ich weiß nicht, Glauben ist für mich so eine relativ schwierige Sache, ob ich jetzt glauben soll oder nicht – schwierig.“882 Andere Jugendliche nennen Überlegungen zur Theodizee oder verknüpfen die Gottesfrage mit der nach der eigenen Herkunft.883 Deutlich sind diese Fragen also einbezogen in die grundsätzliche Überprüfung der eigenen Identität und Position. Damit verbunden ist auch eine Sensibilität für die Unterschiedlichkeit solcher Positionen, die sich als pluralitätsoffene Haltung („aber jeder darf ja auch das denken, was er will“)884 oder in einer vorsichtigen Kritik an anderen Sichtweisen äußert („Viele sagen ja auch: Scheiß auf Gott und so, aber das soll man auch nicht. Man soll auch mal ein bisschen an Gott denken und mal in die Kirche gehen oder so.“).885 Das Spektrum eigener Beschreibungen von Glauben ist dabei weit, einige nennen das Beten, andere eher moralische Verantwortlichkeit und manche haben gerade keinen Kopf für Gott: „Glauben in der Pubertät? Ich weiß nicht. Da glaube ich, dass es das nicht so oft gibt, weil da haben alle andere Sachen im Kopf, also Mädchen haben Jungs im Kopf und andersrum …“.886 882 883 884 885 886

Böhm/Schnitzler, Religionsunterricht, 57. Vgl. ebd., 58. Ebd., 58. Ebd., 59. Ebd., 57.

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Diese ersten Eindrücke einer vielgestaltigen Aufnahme der Frage nach Gott und Glauben lassen sich vertiefen anhand der SINUSJugendstudie u18, die 2011 „Lebenswelten von Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren in Deutschland“ untersucht hat.887 Der Plural „Lebenswelten“ ist dabei Programm, denn die Studie differenziert nach normativer Grundorientierung und Bildungsgrad sieben verschiedene Lebenswelten, oder anders gesagt: Es lassen sich zwar Grundtypen unterscheiden, in denen sich mehrere Jugendliche ähnlich sind, aber es gibt weder „die“ Lebenswelt noch „die“ Lebensfrage. Diese Einsicht ist eigentlich nicht überraschend, zugleich aber doch wichtig und in der Klarheit der hier vorgelegten Beschreibung ausgesprochen hilfreich. Ob z.B. Jugendliche eine positive Sicht auf die Kirche haben oder nicht, liegt weniger an dem Beitrag des RU zur religiösen Sozialisation als vielmehr an der Werteorientierung der jeweiligen Jugendlichen. Das Lebensweltenmodell sieht in einem Überblick so aus:888

887 Calmbach u.a., Jugendliche (2012), Untertitel. Inzwischen ist die neue SinusJugendstudie 2016 erschienen. Da die Autoren feststellen, dass aufgrund ihrer „Lebensweltanalyse … das im Jahr 2012 entwickelte Modell auch 2016 noch gültig ist“ (Calmbach u.a., Jugendliche (2016), 38), habe ich von einer grundlegenden Überarbeitung dieses Abschnitts abgesehen. 888 Calmbach u.a., Jugendliche (2012), 32 (Abb. 2.3.4); vgl. zur Modellierung ebd., 28–37.

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Die Anordnung nach Bildungsgrad lässt vermuten, dass eine Gymnasialklasse – typischerweise zusammengesetzt aus „Konservativ-Bürgerlichen“, „Sozialökologischen“, „Expeditiven“ und einigen „Adaptiv-Pragmatischen“ – mit anderen Fragen vor dem Galaterbrief steht als eine Werkrealschulklasse aus „Prekären“, „Materialistischen Hedonisten“ und einigen „Experimentalistischen Hedonisten“. Es geht dabei nicht darum, Schubladen zu bilden, sondern darum, die Individuen besser zu verstehen. Dazu ist die Einsicht hilfreich, dass die Schülerinnen und Schüler einer Jahrgangsstufe zwar meist an demselben Ort leben und ungefähr gleich alt sind, aber in verschiedenen Lebenswelten aufwachsen.889 Diese prägen ihre Sicht auf Zukunft und Gemeinschaft, ihr Medienverhalten und ihre Einschätzung der Schule, ihre berufliche Orientierung, ihr gesellschaftliches und politisches Interesse und ihr Engagement. Die SINUS-Jugendstudie beschreibt die sieben Milieus in kurzer Form so:890 • Konservativ-Bürgerliche: „Die familien- und heimatorientierten Bodenständigen mit Traditionsbewusstsein und Verantwortungsethik.“ • Sozialökologische: „Die nachhaltigkeits- und gemeinwohlorientierten Jugendlichen mit sozialkritischer Grundhaltung und Offenheit für alternative Lebensentwürfe.“ • Expeditive: „Die erfolgs- und lifestyleorientierten Networker auf der Suche nach neuen Grenzen und unkonventionellen Erfahrungen.“ • Adaptiv-Pragmatische: „Der leistungs- und familienorientierte moderne Mainstream mit hoher Anpassungsbereitschaft.“ • Prekäre: „Die um Orientierung und Teilhabe bemühten Jugendlichen mit schwierigen Startvoraussetzungen und Durchbeißermentalität.“ 889 Aufgrund dieser Einsicht gehe ich nicht intensiver auf die etwas ältere (2003) Studie über „Religiöse Signaturen heute“ ein: Während die SINUS-Jugendstudie 14– 17-Jährige Jugendliche aus allen Schultypen befragt (vgl. zur Stichprobe ebd., 25), arbeitet jene Studie in ihrem qualitativen Teil mit Interviews von Gymnasiasten der 11. Klasse (vgl. Ziebertz u.a., Signaturen, 58; zur eingeschränkten Repräsentativität ebd., 54). So ist die Stichprobe nicht nur altersmäßig von einer 7. Klasse weiter entfernt, auch ist anzunehmen, dass sie nicht die durchschnittliche Zusammensetzung einer Werkreal- oder Realschulklasse widerspiegelt. Außerdem werden die dort unterschiedenen fünf Grundtypen – kirchlich-christlicher, christlich-autonomer, konventionell-religiöser, autonom-religiöser und nicht-religiöser Typ (vgl. ebd., 390– 394) – ohne engeren Kontakt zu ihrer jeweiligen Lebenswelt beschrieben werden. Gerade in dieser Verbindung liegt aber ein großer Gewinn der SINUS-Jugendstudie. 890 Alle Zitate in der folgenden Auflistung sind Calmbach u.a., Jugendliche (2012), 39, Abb. 3.1.1, entnommen; sie finden sich ebenso Calmbach u.a., Jugendliche (2016), 38. Die Reihenfolge der Liste entspricht der ersten Aufzählung der Gruppen im obigen Text, so dass die oberen Punkte eher Schülerinnen und Schüler eines Gymnasiums beschreiben, die unteren eher solche einer Werkrealschule.

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Prekäre

AdaptivPragmatische

Expeditive

Sozialökologische

KonservativBürgerliche

• Materialistische Hedonisten: „Die freizeit- und familienorientierte Unterschicht mit ausgeprägten markenbewussten Konsumwünschen.“ • Experimentalistische Hedonisten: „Die spaß- und szeneorientierten Nonkonformisten mit Fokus auf Leben im Hier und Jetzt.“ Die Perspektive der Jugendlichen auf den für die Fragestellung dieser Arbeit interessantesten Bereich Glaube, Religion, Kirche wird als Teil ihrer Gesamtorientierung verständlich. Das zeigen die Charakterisierungen, die nach der SINUS-Studie in diesem Bereich feststellbar sind:891

891

• Institutionelle Verfasstheit von Glauben in der Religionsgemeinschaft ist wichtig, sonst ist Glaube beliebig und orientierungslos • Religionszugehörigkeit wird nicht in Frage gestellt • Positive Haltung zu Kirche; Kirche stiftet Gemeinschaft • Glaube ist eine offene Frage • Offenheit für religiöse und spirituelle Sinnstiftungsangebote unterschiedlichster Provenienz • Gespaltenes Verhältnis zur Amtskirche; einerseits unmodern und scheinheilig, andererseits sozial engagiert und gemeinschaftsstiftend • Affinität zu jugendkirchlichem Engagement • Glaube als individuelle und private Sinnsuche • Glaube wird weitgehend entkoppelt von Religion und Kirche gedacht • Religiosität wird mit „Individualitätsaufgabe“ konnotiert • Kirche wird als „selbstgefällig“, altmodisch und Modernisierungsverweigerin kritisiert • Vergleichsweise hohe Glaubensunsicherheit, Wunsch nach religiöser Sinnstiftung • Kirche gilt als „zu wenig modern“ • Kirche ist als Institution wichtig, weil sie Aspekte einer angestrebten Normalbiografie garantiert • Stolz auf Glaube • Sehr geringes Religionswissen • Kirchenzugehörigkeit wird als „gegeben“ betrachtet • Religion als regelsetzende Instanz im Alltag

Die entsprechenden Charakteristika nach Calmbach u.a., Jugendliche (2012), 81, Abb. 3.9.1, werden hier zwecks besserer Lesbarkeit in einer Tabelle dargeboten, von dieser Veränderung der Darbietung abgesehen ist die Tabelle ein vollständiges Zitat dieser Abbildung. Zur Reihenfolge vgl. oben Anm. 890.

Experimentalisti- Materialistische Hedonisten sche Hedonisten

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• Man sieht sich als gläubig und einer Religionsgemeinschaft zugehörig • Religion ist wegen der vielen Regeln und Rituale jedoch „anstrengend“ • Kirchliche Initiationsriten eher aus Pflicht denn Überzeugung • Glaube ist reine „Privatsache“, strenger Glaube ist suspekt • Religion ist anstrengend, sie wird mit Lernen assoziiert • Man hat regelrecht Angst vor dem Label „religiös“, weil es einengt und „einen in eine traditionelle Ecke stellt“ • Kirche wird als Erwachseneninstitution und Verbotskirche wahrgenommen („Spaßbremse“)

Deutlich ist, dass die Bedeutung der etablierten Religionsgemeinschaften abhängig von der normativen Ausrichtung der jeweiligen Lebenswelt bestimmt wird – größere Bedeutung wird der Kirche noch da beigemessen, wo die Orientierung traditionell ausgerichtet ist. Je mehr diese in Richtung Moderne und Postmoderne geht, desto deutlicher gilt Glaube „als etwas Veränderbares und Individuelles, das man mit sich selbst ausmacht und für das man nicht unbedingt Religion bzw. Kirche benötigt“.892 „Die meisten Jugendlichen gehen davon aus, dass das Bedürfnis nach Sinnfindung von Kirche nicht befriedigt werden kann“.893 Die kritische Distanz zur „irgendwie altmodisch[en]“ Kirche sei aber keineswegs der Ablösung von den Eltern geschuldet, sondern schreibe fort, dass schon diese der Kirche keinen hohen „Stellenwert im Alltag“ beimessen.894 Dabei ist auch ein Einfluss des Bildungsgrads zu erkennen: Je höher dieser ist, desto differenzierter und reflexiver sind die Einschätzungen individueller religiöser Orientierung. Kommen wir zurück auf die einleitend genannten Fragen nach Gott und nach dem Verhältnis zu Gott, nach der Person, dem Wirken und der Bedeutung Jesu, nach Leistung und Gnade, nach Freiheit und Bindung, Individualität und Sozialität, nach Treue, Wahrheit und Glauben. Es ist wohl deutlich, dass diese Fragen je nach Lebenswelt wichtiger oder weniger wichtig sind – und vor allem anders klingen: Leistung und Gnade, das ist etwas anderes, ob es aus der Perspektive von Sozialökologischen oder Prekären bedacht wird. Individualität und Sozialität haben für Adaptiv-Pragmatische und Expeditive einen verschiedenen Charakter. Freiheit und Bindung werden Konservativ892 893 894

Ebd., 77. Ebd., 80. Ebd., 80.

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Bürgerliche und Experimentalistische Hedonisten unterschiedlich beurteilen. Selbstverständlich zeigt sich eine ebensolche Bandbreite in den Antworten auf die Frage nach Gott. Wenn es einen gemeinsamen Nenner gibt, ist es die eigene Prüfung, ob es Gott gibt,895 die Jugendlichen sind hier auf Vergewisserung oder Neuorientierung aus: „Ich glaube nicht an Gott, ich glaube nicht, dass es keinen Gott gibt, ich bin mir da nicht so sicher“.896 Andere Äußerungen zeigen ein Festhalten an Gott oder jedenfalls den Wunsch, glauben zu können: „So ein bisschen kann einen Gott ja beschützen, wenn es den denn gibt. Die meisten denken ja, dass es eine Evolution gab, und das glaube ich ja auch, aber es kann ja auch sein, dass es so eine höhere Macht gibt, die einen dann auch beschützt“.897 „Irgendwas muss es ja da oben geben. Und ich will auch irgendwie daran glauben, damit man keine Angst vor dem Tod hat“.898 Eine höhere Macht kann auch in deutlicher Distanz zum Gott der etablierten Religionen beschrieben werden: „Irgendwie bete ich an was anderes, aber ich weiß nicht genau, an was, also irgendwas so da draußen – eher so an die Sterne“.899 Eine solche individuelle und teils vielleicht diffuse Orientierung an „irgendwas“ kann auch als allgemeinmenschlicher Regelfall beschrieben werden: „Menschen, die an gar nichts glauben, finde ich, klingt ziemlich hoffnungslos. Also nach Menschen, die sich aufgegeben haben. Ich glaube ja, jeder Mensch glaubt an irgendwas“.900 Diese Ausrichtung auf „irgendwas“ realisiert sich in einer sehr breiten, offenen Suchbewegung, die sich in Äußerungen von Jugendlichen fast aller Lebenswelten spiegelt. Jugendliche können hier betrachtet werden als „‚religiöse Touristen‘; sie tauchen kurz und sporadisch in religiöse oder quasireligiöse Kontexte ein und nehmen die Angebote mit, die ihnen derzeit bei der Lebensbewältigung am nützlichsten erscheinen“.901 Entsprechend finden sich in der Studie nur wenig Äußerungen, die eine deutlichere Anbindung an die Kirche als institutionalisierte Form von Religion erkennen lassen, sie wird dann 895

Am wenigsten lässt sich diese in den Aussagen der Prekären finden, was vielleicht mit geringerer Fähigkeit und Lust zur Selbstreflexion erklärt werden kann. Die SINUS-Studie führt aus (ebd., 205; im Original erster Satz im Fettdruck): „In dieser Lebenswelt trägt man Religion und Glauben eher als Schild vor sich her, als sie zu verinnerlichen und zu leben. Häufig geht es nicht um eine gemeinsame Ausübung des Glaubens, sondern um die Verfügbarkeit eines gemeinsamen, identitätsstiftenden Merkmals, das nicht mit Versagen, Misserfolg und Außenseitertum konnotiert ist.“ 896 Ebd., 169 (15-Jährige; adaptiv-pragmatisch). 897 Ebd., 126 (14-Jähriger; konservativ-bürgerlich). 898 Ebd., 245 (16-Jährige; materialistische Hedonistin). 899 Ebd., 283 (16-Jährige; experimentalistische Hedonistin). 900 Ebd., 320 (17-Jähriger; sozialökologisch). 901 Ebd., 78.

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häufig mit einem Verweis auf die dort erlebbare Gemeinschaft verbunden. Seltener, aber in der Struktur ähnlich finden sich auch Aussagen, die eine kritische Distanz zur Bibel markieren: „Ich bin keine perfekte Christin, weil ich glaub nicht so an die Bibel“.902 Der Satz bringt auf den Punkt, dass für die eigene Orientierung im Leben – die durchaus auch positiv an das Etikett „Christin/Christ“ anknüpfen kann – nicht die Bibel entscheidend ist. Das passt zu den im vorigen Abschnitt diskutierten Befunden und kann etwa mit Zweifeln an dem Gottesbild erklärt werden, das mit der Bibel verknüpft bzw. ihr unterstellt wird: Aussagen zur Evolution werden so als gegenläufig zur Bibel wahrgenommen, die Theodizeefrage erschüttert die vermeintliche Gottesgewissheit der Bibel usw. Daneben hat die Bibel aber natürlich wie die Institution Kirche auch das Image des Alten, vielleicht Veralteten: „Die wollen alles so behalten, wie es vor hundert Jahren war. Irgendwann werden gar keine Leute mehr zur Kirche gehen, glaube ich“.903 Kann die Gottesfrage in dieser Gestalt der Suche nach einer individuell überzeugenden Antwort ein Schlüssel zum Galaterbrief sein? Ein echtes Gespräch lässt sich sicher nicht eröffnen, indem die paulinische Sicht auf die „Wahrheit des Evangeliums“ als Antwort auf die Frage der Jugendlichen „gelernt“ wird. Aber die Wahrnehmung der dialogischen Situation des Galaterbriefs kann zu einer offenen Sichtung und Prüfung verschiedener Positionen einladen. Nicht zuletzt die Perspektive der Adressaten des Briefs ist hierbei interessant: Diese sind offenbar verunsichert und stehen – zwischen den Forderungen der Paulusgegner und der Sichtweise ihres Gemeindegründers – vor der Aufgabe, sich nun für einen dieser beiden oder auch einen dritten Weg zu entscheiden. Jedenfalls diese Aufgabe dürfte auf einiges Verständnis der Jugendlichen rechnen. Damit sich von dieser Frage aus auch der Galaterbrief erschließt, ist es freilich erforderlich, auch ein Verständnis für die paulinische Position zu entwickeln. Sie sollte zwar nicht als unhinterfragbare Antwort erscheinen, aber doch auch nicht nur als ein unverbindliches oder gar – jedenfalls in der heftigen Wendung gegen die Gegner – nur befremdliches Denkangebot. Hier kann ein weiterer Schlüssel in der Damaskuserfahrung gefunden werden. In ihrer Suche nach einer individuell überzeugenden Perspektive auf Gott dürften Schülerinnen und Schüler gut nachvollziehen können, dass und wie eine solche Erfahrung zu dem sehr selbstbewussten, fast schon irritierend sicheren Auftreten des Apostels führt. Manche würden sich eine solche Erfah902 903

Ebd., 170 (15-Jährige; adaptiv-pragmatisch). Ebd., 170 (15-Jährige; adaptiv-pragmatisch).

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rung vielleicht selbst wünschen,904 andere dürften eher ihre Historizität skeptisch hinterfragen.905 Angesichts der ausgeprägten Sensibilität für individuelle Plausibilitäten kann die subjektive Überzeugtheit des Paulus aber auch unabhängig von der Klärung dieser Frage akzeptiert werden.906 Von den Akteuren auf der galatischen Bühne fehlen nun noch die Beschneidungsprediger. Hier ist der Versuchung zu widerstehen, sie sozusagen als Vertreter einer Institution („Urgemeinde Jerusalem“) zu markieren, um entsprechende Vorbehalte gegen die Kirche für eine Zustimmung zur paulinischen Position zu instrumentalisieren. Auf der bisher dargestellten Linie wird es vielmehr wichtig sein, auch diese Personen als subjektiv von ihrer Sicht überzeugte zu zeichnen. Gegen die institutionelle Sicht spricht auch, dass der Streit historisch v.a. deshalb so intensiv geführt wird, weil hier überhaupt erst geklärt wird, was Kirche eigentlich ist und wie sie sich auf die Tradition der Heiligen Schrift gründet – Fragen, die einer Institutionalisierung noch voraus liegen. In der galatischen Konstellation gibt es nicht von vornherein die eine richtige Antwort, sondern die Gemeinde steht wirklich vor der Aufgabe, die Positionen der Beschneidungsprediger und des Paulus auf ihre individuelle Plausibilität hin zu prüfen. Wenn es gelingt, dies klar zu machen, kann das als Einladung in eine offene Diskussion auch in der Klasse wirken. Es lassen sich drei Schlüssel aus diesen Überlegungen gewinnen: • Die Galater müssen sich entscheiden: Was ist eigentlich Christsein? Ein Zugang zu dieser Entscheidung dürfte von einer narrativen Heranführung an deren Situation profitieren und könnte dann am einfachsten über provokante Stellen wie Gal 1,6f. oder Gal 3,1–3 gesucht werden. Schwieriger, aber auch theologisch gehaltvoller wären Passagen wie Gal 5,2–6 oder der Briefschluss Gal 6,12–15, evtl. auch Gal 4,16–20. • Einige betonen Gottes Bund mit Israel als den sicheren Weg zu Gott. Diese Perspektive ist nicht ohne weiteres aus dem Galaterbrief zu 904

So habe ich in meiner eigenen Konfirmandenarbeit öfters in Varianten einen Satz wie diesen gehört: „Wenn es Gott wirklich gibt, könnte er ja mal ein Zeichen geben.“ 905 Vgl. zur Anfrage an Historizität Calmbach u.a., Jugendliche (2012), 283 (16Jährige; experimentalistische Hedonistin): „Ich kann auch nicht glauben, dass Jesus früher gelebt hat und irgendwelche Wundertaten vollbracht hat, da glaube ich nicht so dran. Das ist so unmenschlich, kein Mensch kann übers Wasser gehen.“ 906 Vgl. ebd., 320 (16-Jährige; sozialökologisch): „Ich glaub nicht, dass da einer im Himmel sitzt, ja, aber egal, wie auch, wenn’s nix gibt – wenn alle daran glauben, reicht es ja schon. Wenn’s einfach Hoffnung für die gibt, dann ist es egal, ob’s was gibt oder nicht.“

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erheben, da Paulus über seine Gegner in polemischer Verzeichnung spricht. Neutraler, aber sehr knapp stellt Apg 15,5 diese Perspektive dar – das dortige „muss“ kann narrativ oder durch intertextuell vernetzende Arbeit mit Gen 17 erfasst werden. Die (im Rollenspiel nachvollzogene bzw. variierte?) Szene des Apostelkonvents nach Gal 2,1–10 und Apg 15 vermag darüber hinaus für die argumentative Vertretung dieser Perspektive sensibilisieren. • Paulus beruft sich auf eine Begegnung mit dem auferstandenen Christus: Hier beginnt die Neuschöpfung der Welt und alle sind dazu eingeladen. Das Damaskuserlebnis ist als Schlüssel zu Paulus keine neue, aber eine unverzichtbare Perspektive. Sind die Gegner schon eingeführt, kann es im Verfolg des Briefes im Kontext Gal 1,11–17 (evtl. mit 1,23f.) erschlossen werden. Wird mit der Galatereinheit Paulus überhaupt erst bekannt, dürfte eine erzählerische Erstbegegnung sinnvoller sein, dann wohl noch bevor die Streitfrage in Galatien (oder zunächst auf dem Apostelkonvent) entfaltet wird. Eines lässt sich hier jedenfalls schon deutlich sagen: Die Aufmerksamkeit auf Lebenswelten und Lebensfragen der Jugendlichen verlangt, die Vitalität der galatischen Diskussion in Gestalt der persönlichen Sichtweisen und Überlegungen der Beteiligten zu entdecken. Damit ist der hier vorzuschlagende Unterricht auch eine abermalige Anwendung der alten und zu Recht häufig zitierten Forderung Heinrich Roths, eine „originale Begegnung“ zu eröffnen: „Alle methodische Kunst liegt darin beschlossen, tote Sachverhalte in lebendige Handlungen rückzuverwandeln, aus denen sie entsprungen sind“.907 Um diese Konstellationen eben als Handlungen erfahrbar werden zu lassen, empfiehlt sich – wie schon im vorigen Abschnitt begründet – nicht zuletzt die Form eines Planspiels. Diese ersten Schlüssel lassen aber noch einige Fragen offen. Zum einen ist ja für viele Jugendliche gar nicht einleuchtend, dass eine gemeinschaftliche Einigung auf ein verbindendes Verständnis christlicher Identität nötig ist. Hier wird sicher einige Fremdheit wahrgenommen werden auch gegenüber dem erbitterten Streit – heute würde eine solche Konstellation eher gelöst mit einem „da soll doch einfach jeder machen, wie er denkt …“. Dass hier eine Kontroverse in der Bibel greifbar wird, ist zwar sicher spannend, aber wie weit die Einsicht in die Gründe und vor allem die Berechtigung dieses Streits geht, ist zu fragen.908 Zum anderen ist mit den bisher gefundenen Spuren ein Profil des Unterrichts beschrieben, der Differenzierungs907 908

Roth, Psychologie 116; als Aufsatz schon 1949 (vgl. ebd., 109 Anm. 1). Vgl. dazu schon oben, Anm. 808.

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und Abstraktionsvermögen erfordert, und zwar sowohl hinsichtlich der verschiedenen Positionen und deren Einschätzung als auch im Blick auf die Aufgabe, sich in eine fast 2000 Jahre zurückliegende Situation hineinzudenken. Damit dürften Jugendliche mit geringerem Bildungsgrad mehr Schwierigkeiten haben als eine Gymnasialklasse. Die SINUS-Studie bietet in ihren Beobachtungen zum Bereich „Vergemeinschaftung und Abgrenzung“ jedoch Ansatzpunkte, die vermuten lassen, dass sich von dieser Thematik her gerade für bildungsschwächere Lebenswelten ein weiterer Zugang zum Galaterbrief eröffnen könnte. „Auffällig ist, dass es in den sozialen Umfeldern der Prekären und Materialistischen Hedonisten oft An- und Wortführer gibt, zu denen man hochschaut und von denen man akzeptiert werden möchte und muss, um Anschluss halten zu können“.909 Entsprechend wird in diesen Lebenswelten „am häufigsten von Konflikten innerhalb der Peergroup berichtet“, in bildungsnahen Lebenswelten kommt es dafür schneller zu einer Abgrenzung von Jugendlichen, die „kulturell, ästhetisch und intellektuell“ auf einer anderen „Wellenlänge“ liegen.910 Während eine solche aktive Abgrenzung als Ausdruck eigener Stärke empfunden werden dürfte, blicken vor allem solche Prekäre mit mehreren „ungleichheitsrelevanten Merkmalen“ (Migrationshintergrund, Bildungsniveau, begrenzte finanzielle Möglichkeiten der Eltern) „auf eigene Ausgrenzungs- bzw. Diskriminierungserfahrungen zurück“.911 Ich meine, dass auch hier ein Schlüssel zum Galaterbrief liegen dürfte. Zwar ist Paulus historisch ebenso wenig wie seine Gegner als tonangebende Figur einer Peergroup von Jugendlichen zu begreifen. Dennoch könnten Schülerinnen und Schüler, die entsprechende Muster aus ihrem eigenen Leben und Erleben kennen, die Entscheidung, vor der die Galater stehen, nach einem solchen Muster rekonstruieren. Sie dürften nicht zuletzt einen Zugang haben zu dem Wunsch, dazu zu gehören – und von diesem her erschließt sich ein gewichtiger Teil der galatischen Debatte, auch die offenkundige Bereitschaft der Galater, sich evtl. der Beschneidung zu unterziehen: Wer gehört dazu? Welche Anforderungen muss ich erfüllen bzw. welchen Preis muss ich zahlen, um selbst dabei zu sein bzw. dabei bleiben zu dürfen? Das Dazugehören hat dann auch Konsequenzen für den Umgang miteinander. Diese lassen sich gut an der Szene des Antiochenischen Konflikts nachempfinden. Wenn Paulus hier für die vorbehaltlose Tischgemeinschaft streitet, dann können ihn einige Jugendliche als Anwalt ihrer Interessen deuten. 909 910 911

Calmbach u.a., Jugendliche (2012), 46f. Ebd., 47. Ebd., 49.

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So kommen also auch Perspektiven auf die Rechtfertigungslehre zum Tragen, gerade wenn diese von ihren historischen Ursprüngen als Antwort auf die Frage verstanden wird, wer dazugehört und welche Konsequenzen daraus für das Miteinander in der Gemeinde abzuleiten sind. Wenn auf diesem Hintergrund etwa Gal 3,28 gelesen wird, dann ist für die Jugendlichen vermutlich nicht der historisch zentrale Punkt am spannendsten, dass in Christus nicht mehr zwischen Jude und Grieche unterschieden wird, sondern dass hier Sklaven und Freie zusammengehören: Soziale, berufliche oder finanzielle Statusunterschiede werden von Prekären (und wohl nicht nur von diesen) als Diskriminierungsgründe erfahren. Nach Paulus ist das alles in Christus egal. Wenn es den Bogen einer Arbeit an Paulustexten gerade mit bildungsschwächeren Jugendliche nicht überspannt, könnte in Fortführung dieser Perspektive auch ein Zugang zum Verständnis von Freiheit nach Gal 5,1 gesucht werden. Der Schlüsselbund kann also ergänzt werden: • Die Galater möchten zu Gott gehören – was müssen sie dafür tun? Auch diese Variante der Schilderung der Entscheidungssituation in Galatien kann gut narrativ erschlossen werden. Dabei sollten sowohl Paulus als auch die Gegner als eindrückliche Personen erscheinen, denen „man“ (und „frau“!) gerne glaubt. Aber wenn sie so verschiedene Dinge sagen … • Paulus sagt: Wer an Jesus glaubt, gehört dazu – Schluss mit der Ausgrenzung. Ähnlich wie der Apostelkonvent lässt sich auch die Szene des Antiochenischen Konflikts nach Gal 2,11–14 spielen, am besten mit der ganzen Klasse. Auch wenn die Ereignisse historisch eher ein Nacheinander beschreiben, ist es legitim, das ganze in eine Szene zusammenzuziehen. So wird die Ausgrenzung erlebbar, wenn sich einige an einen eigenen Tisch mit den Leuten von Jakobus setzen. Wie geht es mir dabei? Und dann steht Paulus in der Mitte zwischen den Gruppen und hält eine flammende Rede. Können wir in eigenen Worten sagen, was Paulus da vertritt? Wer stellt sich in die Mitte und unterstützt den Apostel? Und welche Texte erschließen sich aus dieser Situation? Kann „Paulus“ hier nur Gal 2,15–21 sprechen? Oder z.B. auch Gal 3,28? Oder Gal 5,1? Was können solche Schlüssel leisten? Ich behaupte nicht, dass sie zeigen, dass Paulus dieselben Fragen hätte wie die Schülerinnen und Schüler. Ich behaupte auch nicht, dass der Galaterbrief dank dieser Schlüssel leicht eingängige Kost für diese würde. Der biblische Text darf und muss fremd bleiben, darf und muss auch neue Aspekte in das Gespräch einbringen – was wäre das sonst auch für ein „Gespräch“? Die Schlüssel müssen aber das leisten, dass überhaupt ein solches in

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Gang kommt. Schlüssel müssen darum zum einen die Möglichkeit eröffnen, das eigene Denken, Fragen und Suchen mit einzubringen, und zwar so, dass es ein wesentlicher Aspekt im unterrichtlichen Prozess sein kann. Schlüssel geben umgekehrt auch das Versprechen, dass in der Begegnung mit dem biblischen Text Impulse zu finden sind, die dem eigenen Denken, Fragen und Suchen zwar fremd, aber doch für dieses relevant sind – und auch dieses Versprechen müssen sie halten. Kurz: Schlüssel müssen mehr sein als „Zuckerguss“, der einem unverdaulichen Kuchen einen bloßen Anschein von Attraktivität verleiht.912 Ich meine, dass die hier beschriebenen Zugänge zum Galaterbrief diese Kriterien erfüllen. d) Elementare Lernwege: Zum Aufbau einer eigenen Auslegungskompetenz In den Ausführungen zur Kinder- bzw. Jugendtheologie als theologischer Kompetenz wurde gefordert, eine solche nicht nur in inhalts-, sondern auch in prozessbezogenen Kompetenzen zu beschreiben. Im Kontext bibeldidaktischer Überlegungen ist dabei die Frage nach dem nachhaltigen Aufbau einer eigenen (!) Auslegungskompetenz entscheidend wichtig. Auch die Debatte, ob bzw. inwiefern Kinder (und Jugendliche) als Exegetinnen und Exegeten gelten können, lässt sich auf eben diese Frage zuspitzen – wer ihnen diese Bezeichnung nicht zugestehen will, beruft sich in der Regel auf ein Verständnis von Exegese als wissenschaftliches, regelgeleitetes Vorgehen, zu dem auch die Reflexion der eigenen Zugänge gehört.913 In dieser Hinsicht sind Kinder „sicher keine Exegeten“, wie Müller feststellt, der aber vorschlägt, sie als „Interpreten biblischer Texte“ zu bezeichnen – und in diesem Zusammenhang die Meinung, „(wissenschaftliche) Exegese sei die einzige akzeptable Form der Interpretation“, als „Missverständnis“ zurückweist.914 Wenn Büttner programmatisch „Kinder als Exeget/innen“ bezeichnet, geht er genau den umgekehrten Weg: Statt die Exegese als eine Form der Interpretation neben anderen zu verstehen, weitet er den Begriff Exegese auf alle Formen der Interpretation aus und sieht deren wissenschaftliche Gestalt nur als „eine Variante des Zugangs zu Bibeltexten“.915 Letztlich dreht sich der Streit also möglicherweise mehr um die Definition des Begriffs „Exegese“ 912

Mit dem Bild von Bosold, vgl. oben bei Anm. 879. So z.B. Hofmann, Kindertheologie, 50. 914 Müller, Leute, die Zitate in dieser Reihenfolge: 20; 19 (Untertitel); 21. 915 Büttner, Kinder, 46. Sein Zeuge Zimmermann (der „bereit ist, auch Kinder als Exegeten anzusehen“) differenziert hier übrigens deutlicher als Büttner selbst, wenn er abschließend über das Verhältnis von „Kinder-Exegese“ und „Fachexegese“ nachdenkt (Zimmermann, Begegnung, 45). 913

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und die Frage nach Rang und Geltung wissenschaftlicher Exegese. In diesem Kontext wirkt das häufig formulierte Problem mit in die Debatte hinein, dass exegetische Kenntnisse im RU oft als Herrschaftswissen der Lehrkräfte begegnen und damit nicht unbedingt einen Beitrag zur Begeisterung der Kinder und Jugendlichen für die Arbeit mit der Bibel leisten.916 Wesentlich konstruktiver als der Streit um die Bezeichnung von Kindern und Jugendlichen als Exegetinnen und Exegeten917 ist daher die Fragestellung, wie ein eigener Umgang mit der Bibel im RU stattfinden kann und soll, welche Kompetenzen die Kinder und Jugendlichen dazu mitbringen und wie diese Kompetenzen gezielt entwickelt werden können. Diese Frage setzt auch ein Beitrag Hartmut Rupps auf die Tagesordnung. Er differenziert zunächst vier Aspekte bibelbezogener Kompetenzen: „Bibelwissen“ (Kenntnis biblischer Texte), „Bibelbuchwissen“ (z.B. Aufbau und Entstehung der Bibel), „Bibelbuchkönnen“ (z.B. Umgang mit Erschließungshilfen) und „Bibellesenkönnen“.918 Besonderes Augenmerk schenkt er dem letztgenannten Aspekt, den er als „Aufbau einer eigenständigen und sachgemäßen Auslegungskompetenz“ entfaltet – und stellt fest, dass der RU „an dieser Aufgabe bislang grandios gescheitert ist“, obwohl die „Idee eines mündigen Bibellesers … für den Protestantismus konstitutiv ist“.919 Aber nicht nur dieses gewichtige Argument, sondern ebenso die oben skizzierten Grundeinsichten konstruktivistischer Religionsdidaktik erfordern eine bewusste Aufmerksamkeit auf diese von Rupp skizzierte Aufgabe. Eine „Expertokratie“ wissenschaftlicher Auslegungsmethoden kann die Lösung nicht sein, Rupp identifiziert sie vielmehr als einen der Gründe für das bisherige Scheitern an dieser Aufgabe. Dazu trägt nach seiner Diagnose aber ebenso der Tatbestand bei, „dass wir uns nicht systematisch um den Aufbau einer biblischen Lese- oder Auslegungskompetenz gekümmert haben und im Grunde auch nicht wissen, wie das geschehen könnte“.920 Das damit markierte Problem verdient einige Aufmerksamkeit, ist aber deutlich größer, als dass es im Kontext meiner Studie en passant 916

Vgl. z.B. Büttner/Kumpf, Bücher, 49. Mit dieser Wendung will ich mich freilich nicht vor einer Positionierung in der Sache drücken, daher am Rande: Ich halte diese Redeweise für hilfreich, weil sie Lehrkräfte ermutigen kann, die Zugänge der Schülerinnen und Schüler zum Bibeltext ebenso ernst zu nehmen wie wissenschaftliche Perspektiven. Freilich darf sie nicht zu einer Suspendierung wissenschaftlich exegetischer Perspektiven führen. Zu beachten ist weiter, dass es verschiedene Niveaus der Reflexion des eigenen exegetischen Tuns und Lassens gibt – diese Einsicht kann als Kriterium für die Entwicklungsrichtung eines gezielten Aufbaus eigener Auslegungskompetenz hilfreich sein. 918 Rupp, Bibel, 186. 919 Ebd., 187. 920 Ebd., 188. 917

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gelöst werden könnte. Rupp selbst stellt einige Perspektiven zur Diskussion und bietet damit hilfreiche Anregungen, aber wohl noch kein stringentes und transparentes Modell für einen gezielten und nachhaltigen Aufbau entsprechender Kompetenzen.921 In jedem Fall ist aber klar, dass dies ein Aufgabenfeld des RU von Beginn an ist oder jedenfalls sein müsste. In dieser Perspektive wurde z.B. schon Rooses Kritik an einem unreflektiert-normativen Gebrauch der Bibel und ihre wichtige Forderung referiert, bereits mit Grundschulkindern bewusst nach Aussageabsichten biblischer Erzählungen zu fragen.922 Der vorliegende Gedankengang begnügt sich damit, exemplarisch zu zeigen, dass und wie die Beschäftigung mit dem Galaterbrief bedeutsame Fragen eines methodisch reflektierten Umgangs mit der Bibel akzentuieren und so einen gewichtigen Beitrag zur Bearbeitung dieser zentralen Aufgabe leisten kann. Die Fragestellung hat, das sei betont, Beziehungen zu allen Perspektiven des Elementarisierungsmodells, soll hier aber v.a. im Blick auf die konkrete Begegnung der Schülerinnen und Schüler mit dem Text, also als elementarer Lernweg diskutiert werden. Ich kann dabei anknüpfen an die im letzten Abschnitt beschriebenen Schlüssel zum Galaterbrief: Sie treffen sich darin, dass sie die Jugendlichen für verschiedene Perspektiven auf den Text sensibilisieren möchten – einerseits in der Wahrnehmung der verschiedenen Rollen in der galatischen Kommunikationssituation, andererseits aber natürlich auch in einer eigenen Leseperspektive, in der sie eigene Erfahrungen und Fragestellungen auf die Deutungsangebote des Textes beziehen und so zu eigenen Interpretationen bzw. Konstruktionen kommen. Hermeneutisch nehmen die Vorschläge also auf verschiedenen Ebenen die rezeptionsästhetische Einsicht in die Vielfalt der Textdeutungen auf.

921

Rupp schlägt vor, den Schülerinnen und Schülern jeweils einsichtige, altersgemäße „Instrumente“ an die Hand zu geben, die sich in unterschiedlicher Weise mit den Aspekten „Text“, „Ich“, „Ausdruck“ und „Kommunikation“ befassen (ebd., 189 (Schema)). Er beschreibt ebd., 190–192, in Zweijahresschritten mögliche, z.T. schon bekannte Instrumente, z.B. für Kl. 4 die „wonder“-Fragen aus Godly Play oder für Kl. 10 u.a. eine Verwendung des POZEK-Schlüssels in hermeneutischer Absicht. Seine These, „dass dieser Aufbau mehr Nachhaltigkeit verspricht und zur intendierten Mündigkeit des evangelischen Bibellesers beiträgt“ (ebd., 193), ist plausibel, doch müsste die innere Logik einer solchen Kompetenzentwicklung noch stringenter und v.a. für Schülerinnen und Schüler transparenter herausgearbeitet werden. 922 Vgl. oben, 251. Es ist übrigens eine leitende Intention der Grundschul-Bibel, hierzu einen Beitrag zu leisten – u.a. dadurch, dass Kinder schon im „neugierigeren“ Alter der Primarstufe einen Zugang zur Bibel als Buch finden können. Auch grundlegende hermeneutische Perspektiven werden hier erschlossen, wozu nicht zuletzt die von mir verfassten Entdeckerseiten Impulse bieten (vgl. Wiemer, Grundschul-Bibel, 6f.8.22.58.72.93.134.148.172f.174–176.188.200).

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Es ist nun möglich, im Rahmen einer solchen Arbeit mit den Texten das methodische Tun auf eine Bewusstseinsebene zu heben und zu diskutieren. Dazu können einfache Fragen anleiten, was ich an einem Beispiel illustrieren will: Nehmen wir an, in einer Planspielsequenz wurde ein Teil des Briefes in einer galatischen Gemeinde vorgelesen und die „Gemeindeglieder“ haben darüber diskutiert, was Paulus wohl meint, wie sie seine Argumente sehen und wie sie sich nun in der Streitfrage verhalten sollen, vielleicht darüber sogar abgestimmt. Oder: Die Klasse hat sich mit einem Kernvers in eigener Perspektive auseinandergesetzt – wenn wir den Gedanken von Gal 3,28 für heute formulieren wollten, wie würde er lauten? Es ist bei beiden Ideen anzunehmen, dass eigene Überlegungen mit einfließen und entsprechend verschiedene Positionen nebeneinander stehen. Nun ließe sich fragen: Wer hat denn den Brief nun richtig verstanden? Die Schülerinnen und Schüler werden ihr eigenes Verständnis nicht einfach falsch finden wollen und so können sie entdecken, dass sich diese Frage so gar nicht beantworten lässt. In der Begründung dieser Einsicht finden sie letztlich eigene Formulierungen für Grundüberzeugungen der Rezeptionsästhetik. Die Einsicht, dass der Textsinn erst durch die Leserin oder den Leser gebildet wird, ist nach meiner Einschätzung bei einem dialogisch angelegten Text wie einem Brief, der zur eigenen Stellungnahme herausfordert, leichter zu gewinnen. Erzählende Texte werden von den Jugendlichen eher so wahrgenommen, als hätten sie den Anspruch historischer Eindeutigkeit, schon weil sie diese als Kinder eben so gehört und verstanden haben – dass das bibeldidaktisch betrachtet problematisch ist, wurde eben im Anschluss an Roose noch einmal betont, aber allein dadurch ändert es sich leider noch nicht. Wenn in einer Unterrichtseinheit zum Galaterbrief die grundlegenden rezeptionsästhetischen Einsichten im Umgang mit dem Brief schon thematisiert wurden, wäre es daher auch im Interesse einer Verfestigung und Vertiefung bewusster hermeneutischer Kompetenzen sinnvoll, mindestens ausgewählte Fragestellungen des Galaterbriefs intertextuell zu bearbeiten. Auch hier ein Beispiel: Wer hat denn die Abrahamgeschichten richtig verstanden, Paulus oder seine Gegner? Wenn in Auseinandersetzung mit dieser Frage die Deutungsoffenheit auch erzählender Texte bewusst entdeckt wird, kann sich der ganze biblische Textkosmos in einem neuen Licht erschließen. Was bedeutet das z.B. für die Deutung der Schöpfungstexte im Gegenüber zur Evolutionstheorie, die ja in manchen der Zitaten von Jugendlichen im letzten Abschnitt ein wichtiges Thema war? Auch die Geschichte z.B. von Jona im Fisch oder die Jungfrauengeburt müssen dann nicht auf der Ebene historischer Faktizität verstanden (oder abgelehnt) werden, sondern können begriffen werden als Herausforderung zu einer eige-

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nen Deutung. Nicht, dass alle diese Probleme hier nun erörtert werden sollten. Aber solche Bezüge zeigen, warum es dem RU durchaus einige Unterrichtszeit wert sein sollte, Jugendlichen ein Gespür dafür zu vermitteln, dass sie selbst in der Auslegung eines Textes eine wichtige und legitime Rolle spielen. Das gilt nicht zuletzt angesichts des bereits erwähnten Befunds, dass das Interesse an der Bibel in der Pubertät dramatisch zurückgeht. Zu den Gründen für dieses Phänomen dürfte Skepsis an der Zuverlässigkeit biblischer Erzählungen gehören – wobei der Eindruck, dass diese historische Faktizitäten behaupten, durch den RU oft eher gefördert als problematisiert wurde. Und wenn es doch einmal um die angemessene Deutung einer biblischen Erzählung ging, dürften Schülerinnen und Schüler oft erlebt haben, dass die (vermeintlich) richtige Deutung letztlich von der Lehrkraft eingebracht oder jedenfalls durchgesetzt wird, also offenbar gar nicht selbst entdeckt werden kann. Immerhin diesen beiden Aspekten der Problematik könnte ein Unterricht entgegenwirken, der die Jugendlichen zu selbstbewusster eigener Auslegung der Bibel ermutigt und sie deren Deutungsoffenheit, ja Deutungsangewiesenheit entdecken lässt. Im Zusammenhang einer Einheit zum Galaterbrief lassen sich also wesentliche Aspekte einer hermeneutisch reflektierten Auslegung der Bibel entdecken und anwenden – letzteres ist entscheidend, damit wirklich das erwünschte Bewusstsein entstehen kann, sich die Texte eigenständig erschließen zu können. Damit sind Unterrichtsarrangements verlangt, die Raum bieten für eine Bandbreite an Deutungen und die eigenen Deutungen der Jugendlichen ausdrücklich in ihrer Relevanz würdigen. Unterstützend kann die Arbeit mit der BasisBibel, gerade auch in ihrer elektronischen Form wirken: Das Gefühl, technisch sicher mit diesem Medium umgehen zu können, ist ein anderes als das, was beim Austeilen der Schulbibel entsteht – und es kann und wird einen Beitrag zu dem Bewusstsein leisten, einen eigenen Zugang zur Bibel und wesentlichen Hintergrundinformationen finden zu können.923 Klar ist: Eine einzelne hermeneutische Insel in einer langen RUKarriere wird keinen Aufbau einer eigenen Auslegungskompetenz erreichen; eine Einbettung in ein noch zu präzisierendes Gesamtmodell ist erforderlich. An dieser Stelle wollte ich nur zeigen, dass gerade der Umgang mit einem Brief aufgrund seiner dialogischen, auf Antwort angelegten Grundstruktur auch in dieser Perspektive auf eine zentrale prozessbezogene Kompetenz zu wichtigen Entdeckungen einlädt – auch das ist ein Argument für einen Unterricht zum Galaterbrief. 923

Vgl. dazu oben, 272ff.

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e) Elementare Wahrheiten: Biographie und Überzeugung Die Betonung der rezeptionsästhetischen Einsichten legt mit guten Gründen einen Akzent auf die Deutungen der Texte durch die Rezipienten. Mit der Frage nach den elementaren Wahrheiten ist nun nochmals zu betonen, dass es auch in solchen eigenen Deutungen um die Begegnung mit anderen, fremden Wahrheitsansprüchen geht. Hier ist nun zu prüfen, ob und wie die paulinische Theologie in einer Unterrichtseinheit zum Galaterbrief mit ihrem Anspruch wahrgenommen und mit der eigenen Suche nach zuverlässiger Orientierung in ein Gespräch kommen kann. Wiederholt wurde schon davor gewarnt, die Paulusbriefe als eine Art Steinbruch für dogmatische Richtig- und Wichtigkeiten zu missbrauchen: Gehen die Dialogizität und der Situationsbezug der Texte verloren, werden sie also faktisch als kontextunabhängige Wahrheitsansprüche eingeführt, hat „Paulus“ schon verloren, denn die Notwendigkeit individueller Orientierung scheint ihm fremd zu sein. Ich schlage daher vor, dem Apostel nicht als Bruchstück eines Briefes, sondern im Spiegel eines Briefes als Person zu begegnen. Diese Perspektive sollte zumal Schülerinnen und Schülern einer 7. Klasse, die sich intensiv mit der eigenen Identität befassen, einen konstruktiven Zugang eröffnen. Auf dieser Linie gibt es einige Vorschläge und Diskussionen in der Literatur. Exemplarisch erwähne ich zwei interessante Ideen. Valentin Winnen knüpft an die Identitätsfrage der Pubertierenden an und lädt zu einer überraschenden Identifikation mit Paulus ein, indem er Schülerinnen und Schüler einer 7. Klasse zunächst eine Heiligendarstellung des Paulus interpretieren und dann auf einem Arbeitsblatt mit ihrem eigenen Foto eine Heiligendarstellung von sich selbst anfertigen lässt.924 Rainer Merkel schlägt vor, ein lebensgroßes Paulusplakat als „mitwachsendes Poster“ und Projektionsfläche über eine Unterrichtseinheit hinweg im Klassenzimmer präsent zu halten, damit „die Lernenden sich dessen Anwesenheit ausgesetzt fühlen“.925 Auch wenn beide Ideen nicht unverändert in eine Einheit zum Galaterbrief passen, können sie illustrieren, wie eine Begegnung mit einer biblischen Figur konkret werden kann. Wichtig ist dabei, dass Paulus ein Gesicht erhält, indem er mit seinen Erfahrungen, Überzeugungen, Kämpfen usw. als lebendiges Gegenüber erkennbar wird. 924

Vgl. Winnen, Paulus, v.a. 180–182. Die Idee ließe sich ggf. ausbauen durch den Einsatz des von Mendl, Modelle, 131f., erwähnten Rolling Stones-Song „Saint Of Me“, der u.a. Paulus bzw. Damaskus erwähnt („Saint Paul the persecutor / Was a cruel and sinful man / Jesus hit him with a blinding light / And then his life began“), im Refrain aber den Kontrast setzt „You'll never make a saint of me“. 925 Merkel, Begegnungslernen, 79; vgl. die Paulusdarstellung ebd., 82.

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Grundsätzlich hat sich jüngst Hans Mendl zum Lernen an Biographien geäußert. Er zeigt zunächst anhand empirischer Studien eine rasante „Renaissance der Vorbilder“ auf, die er auf die postmoderne Notwendigkeit einer „individuellen Sinnkonstruktion“ zurückführt.926 Schon diese Perspektive ist ein starkes Argument dafür, bibeldidaktisch gerade an und mit biblischen Personen zu arbeiten. Freilich erscheinen diese oft als eher fern, weshalb es sinnvoll ist, auch weniger bedeutsame, ggf. fiktive Personen aus deren Umfeld mit einzubeziehen;927 im Blick auf den Galaterbrief wäre hier besonders an die Überlegungen zur Eignung der Galater (und Galaterinnen!) als Identifikationsfiguren für die Jugendlichen anzuknüpfen. Ebenso fordert Mendl, dass die biblischen Figuren nicht religiös überhöht, sondern bewusst mit ihren Ecken und Kanten dargestellt, also „in ihrer Menschlichkeit und Fragwürdigkeit dialogisch inszeniert werden“.928 Auch dies lässt sich gut an Paulus durchführen, der mit seinem engagierten Auftreten sowohl einen starken Impuls zur inhaltlichen Auseinandersetzung mit seinen Überzeugungen bietet als auch ein Konfliktverhalten zeigt, das zu eigener Abgrenzung einladen mag. Eine besondere Leistung des Zugangs über Personen liegt in seinem Potential für eine affektive Aneignung der biblischen Texte. Im Anschluss an Franz Wendel Niehl nennt Mendl hier fünf „hermeneutische Wege“: „Substitution“, „Spiegelung“, „Antizipation“, „Übertragung und Gegenübertragung“ sowie „Empathie“.929 Es ist sofort klar, dass alle diese Wege nicht auf einen Steckbrief o.ä. anwendbar sind, sondern lebendige Szenen benötigen. Die Begegnung mit einer Figur wie Paulus gelingt also dann gut, wenn sich Schlüsselerfahrungen seines Lebens nachvollziehen lassen. „Wenn fremde Biografien didaktisch ins Spiel kommen, dann interessieren nicht umfassende biografische Darstellungen, sondern ausgewählte wertbehaftete Entscheidungssituationen im Leben dieser Menschen“.930 Mit vollem Recht gehört also das Damaskuserlebnis des Paulus zuverlässig zu jeder Pauluseinheit hinzu – allerdings meist in der Form der späteren erzählerischen Variante der Apostelgeschichte, obwohl (nur!) von Paulus auch Selbstzeugnisse über eine Begegnung mit dem Aufer926

Mendl, Modelle, die Zitate: 21 (Überschrift; im Original kursiv); 33. Vgl. zur Darlegung der empirischen Befunde ebd., 21–24, zu ihrer Interpretation ebd., 27–33. 927 Mendl regt dies ebd., 151, bezogen auf „große“ Helden und Heilige an, zu denen die Schülerinnen und Schüler nicht so leicht Zugang finden wie zu „local heroes“ (vgl. ebd., 93–126). Im Blick auf biblische Gestalten konkretisiert er dies ebd., 165f., mit Hinweisen auf Randfiguren bekannter Geschichten. Vgl. hierzu auch die Forderung nach „Fiktion und Fantasie“ bei Merkel, Begegnungslernen, 79. 928 Mendl, Modelle, 171. 929 Ebd., 159f.; vgl. Niehl, Bibel, 58–62. 930 Mendl, Modelle, 92.

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standenen überliefert sind. Diese besondere Vorlage sollte auch genutzt werden, zumal Paulus in der Tat die einzige biblische Figur ist, die uns in Form zusammenhängender eigener Texte begegnet.931 Gerade in der Perspektive einer konstruktivistischen Didaktik erscheint die Gelegenheit wertvoll, die theologischen Konstruktionen des Paulus bezogen auf ihre biographischen und historischen Hintergründen nachvollziehen zu können.932 Der Paulus der Briefe ermöglicht so in besonderer Weise, was Mendl so beschreibt: „Über diese großen biblischen Erzählungen werden den Kindern und Jugendlichen ungeschminkte Spiegelungsangebote zugespielt, die durchaus allgemein menschlich bearbeitet werden können. Ihre besondere Tiefenschärfe erhalten sie aber dadurch, dass sie vor dem Hintergrund einer Gottesbegegnung und -reflexion entstanden sind. Von dieser Perspektive aus können sie auch auf die im eigenen Leben wahrnehmbaren Herausforderungen und Ansprüche nach einem ‚Mehr‘ im Sinne einer Ich-Transzendierung bezogen werden“.933 Dieser Zugang ist also zwar gegenläufig zum kritisierten Missbrauch paulinischer Textbruchstücke als dogmatischer Autorität, eröffnet aber gerade auf diese Weise die Möglichkeit, die Autorität des Paulus überhaupt ernsthaft wahrzunehmen, nämlich in einer auch nach heutigen Plausibilitätskriterien nachvollziehbaren Weise. Der Galaterbrief ist gerade für ein solches Unterfangen bestens geeignet, denn er eröffnet die Möglichkeit, wichtige Stationen der Biographie des Apostels in seiner eigenen Darstellung wahrzunehmen. Schülerinnen und Schüler können so nicht nur die entscheidende Wende in seinem Leben in den Blick nehmen (Gal 1,15f.), sondern auch den Verfolger Paulus (Gal 1,13f.) und den Missionar Paulus (z.B. Gal 2) in seinem Handeln erleben.934 Dabei sind die Szenen des Jerusalemer 931 Bei Jesus als der im RU mit guten Gründen wichtigsten Person ist das z.B. nicht möglich: Seine Worte und Taten kennen wir nur in der Form, in der sie nach einem Überlieferungsprozess, der auch zu Um- und Neubildungen führte, von den Evangelisten in z.T. deutlich erkennbarer Absicht ausgewählt und zusammengestellt wurden. Auch die nach den Propheten benannten alttestamentlichen Bücher haben diese nicht selbst verfasst, von späteren Wachstumsprozessen einmal ganz abgesehen. Originaler und direkter als Paulus spricht also keine identifizierbare biblische Person zu uns. 932 Schwindt, Damaskusvision, begründet eine Interpretation schon des Damaskuserlebnisses selbst im Kontext konstruktivistischer Grundannahmen. Das scheint mir durchaus einleuchtend, aber auch wer diese Deutung ablehnt, wird nicht bestreiten können, dass die Auswirkungen der Christusbegegnung des Paulus auf sein theologisches Denken Konstruktionsvorgänge abbilden, die zugleich Herausforderungen durch die Entwicklungen in seinen Gemeinden aufnehmen. 933 Mendl, Modelle, 160. 934 Vgl. in diesem Sinne z.B. auch Karsch/Rasch, Paulus, 369f. Mendl, Modelle, 156–158, reflektiert den Antiochenischen Konflikt als ein Dilemma für Petrus. Rothgangel, Paulusbriefe, 445, schlägt zur Behandlung des Apostelkonvents neben einem

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Apostelkonvents und des Antiochenischen Konflikts durchaus als Schlüsselerfahrungen im Blick auf die Diskussion um die rechtfertigungstheologischen Konsequenzen aus der Christusbegegnung des Paulus anzusprechen. Unterrichtlich dürften hier Inszenierungen in Plan- oder Rollenspielen wertvoll sein: Sie lassen die verschiedenen Positionen zu Wort kommen, führen damit zu einem vertieften Verständnis der paulinischen Sichtweise und fordern zugleich zu einer eigenen Stellungnahme heraus. Da der Brief zudem in eine konkrete Situation seiner Gemeinden gerichtet ist, werden Person und Theologie des Paulus auch im Kontext dieses aktuellen Dialogs erkennbar, in dem es ebenfalls nicht zuletzt um eigene Positionierung geht (hier der galatischen Gläubigen). Es lässt sich also entdecken, was Paulus wichtig war, aber auch, wie er seine Grundeinsichten auf bestimmte Fragen und Herausforderungen sowohl in seinem eigenen Leben als auch in seinen Gemeinden argumentativ anwandte – kurz: wir blicken hier in ein Gespräch, nicht in ein dogmatisches Skizzenbuch. Wenn Paulus im Galaterbrief dabei zugleich höchst engagiert formuliert, entsteht ein besonders deutlicher Eindruck von persönlicher Begegnung. Über die Auseinandersetzung mit den Schlüsselsituationen hinaus und auf sie aufbauend sollte also den Schülerinnen und Schülern die Gelegenheit gegeben werden, dem Brief als solchem zu begegnen; grundlegende Überlegungen hierzu hat schon das Plädoyer für die Ganzschriftlektüre paulinischer Briefe angeführt.935 Aufgrund des dialogischen Charakters der paulinischen Theologie lässt sich im Gespräch mit dem Galaterbrief die Frage nach der Wahrheit so stellen, dass das Augenmerk des Elementarisierungsmodells auf ein Gespräch verschiedener elementarer Wahrheiten zu seinem Recht kommt. Paulus soll deshalb in dem hier intendierten RU nicht als (vermeintlich) zeitlose dogmatische Autorität, sondern als engagierter Vertreter seiner Sicht in einem konkreten Streit verschiedener Positionen in den Blick treten – und die Jugendlichen sollen herausgefordert werden, auch in Anknüpfung und Widerspruch dazu eigene Positionierungen zu klären und zu begründen. Dieser Zugang über die Person und Biographie des Paulus eröffnet dabei gerade für Jugendliche, die nach individuell überzeugenden Positionen suchen, bedeutsame Lernchancen.936 Auf dieser Linie liegt auch Nipkows „Elementarisierungsidee …, die elementare Struktur, Erfahrung und Wahrheit christlich verstandener Rechtfertigung für ältere Jugendliche im Leben des Paulus in seiner Damaskus-Erfahrung aufzusuTextvergleich Gal 2 – Apg 15 eine Erzählung vor (er verweist auf Rommel, Apostel, 27–33), die Idee eines Planspiels diskutiert er nicht. 935 Vgl. oben, 270f., nicht zuletzt die zustimmend referierten Forderungen von Jeska. 936 Wichtige Aspekte hierzu stellt Becker, Überlegungen, 10f., zusammen.

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Der Galaterbrief im Religionsunterricht

chen“.937 Dass hier ein gewichtiger Zugang auf der Ebene der elementaren Erfahrungen liegt, wurde schon bei der Identifizierung der Schlüssel zum Galaterbrief markiert.938 Stand die Sicht des Paulus dort durchaus bewusst neben den anderen Perspektiven seiner Gegner und der Gemeinde, ist im Blick auf die Frage nach elementaren Wahrheiten vor allem die Auseinandersetzung mit Paulus geboten.939 Es ist also wichtig, diesen Zugang über die Biographie nicht (oder jedenfalls nicht nur) als Relativierung der Sicht des Paulus zu präsentieren, sondern (oder jedenfalls in erster Linie) zur Erschließung des von ihm vertretenen Wahrheitsanspruchs zu nutzen. So kann an Paulus klar werden, was ihm wichtig ist und warum, so kann an Paulus klar werden, welche Folgerungen und Wahrheitsansprüche er daraus auch im Blick auf andere ableitet. Der Frage nach den elementaren Wahrheiten geht es um diesen – gerade vom Galaterbrief mit Vehemenz vertretenen – Anspruch ebenso wie um die Wahrheitsüberzeugungen oder die Wahrheitssuche der Jugendlichen; beide Perspektiven müssen im RU zu ihrem Recht kommen. Diese Begegnung, dieses Gespräch wird umso lebendiger, intensiver und weiterführender sein, je mehr hinter und mit seinen Überzeugungen Paulus als Person wahrnehmbar wird. f) Elementare Strukturen: Akzentsetzungen Der Durchgang durch die Frageperspektiven der Elementarisierung hat zunächst bewusst den Akzent hauptsächlich auf die Seite der Schülerinnen und Schüler gelegt. Im vorigen Abschnitt wurde dann die Bedeutsamkeit einer Begegnung ihrer Wahrheitssuche mit dem Wahrheitsanspruch der paulinischen Theologie betont. Wenn mit der 937

Nipkow, Rechtfertigung, 128; in der konkreten Umsetzungsidee ebd., 128f., mit etlichen Bezügen gerade auf den Gal, daneben v.a. die Apg. Ebd., 129–132, entfaltet er dann die reformatorischen Exklusivpartikel solus Christus, sola gratia, solo verbo und sola fide unter Bezug auf diese Erfahrung; das kann im Kontext der New Perspective kritisch reflektiert werden, doch sieht Nipkow jedenfalls auch die Funktion der Rechtfertigungslehre, die Unterscheidung zwischen Juden und Nichtjuden im Licht der Neuschöpfung in Christus (Gal 6,15) zu überwinden, vgl. ebd., 130f. 938 Vgl. C.2.c) oben, 289ff. 939 Das gilt schon deshalb, weil ja die paulinische Position in diesem Streit der Grund dafür ist, dass der Galaterbrief Teil des neutestamentlichen Kanons wurde. Diese Zuspitzung bedeutet freilich nicht, dass die gegnerische Perspektive in der Auseinandersetzung mit der Position des Paulus nun verschwiegen werden sollte o.ä., sie wird aber sicher nicht in gleicher Weise als elementare Wahrheit zu diskutieren sein wie die paulinische. Die Perspektive der galatischen Gemeinden kann, wie oben vorgeschlagen, gerade für Jugendliche auf der Suche nach Orientierung eine wertvolle Identifikationsmöglichkeit schaffen, ist aber als Suchbewegung eben mehr ein Fragen nach als ein Vertreten von Wahrheit.

Schlüssel zum Galaterbrief

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Frage der elementaren Strukturen nun der Blick nochmals mehr auf den biblischen Text gerichtet wird, so nicht in der Absicht, die Betonung der Orientierung an den Jugendlichen zurückzunehmen oder die Zusammenfassung der Grundlinien des Galaterbriefs zu doppeln. Vielmehr bietet dieser Abschnitt Gelegenheit, die identifizierten Schlüssel zum Galaterbrief daraufhin zu prüfen, ob sie nun auch dem Text gerecht werden. Dass sie den Jugendlichen Zugänge eröffnen können, wurde gezeigt. Hier ist nun die andere Seite der Medaille der wechselseitigen Erschließung zu betrachten: Erschließen die Schlüssel auch wirklich Wege zu den paulinischen Grundeinsichten oder verstellen sie diese, z.B. weil sie sich an anders gelagerten Fragestrukturen orientieren? Die erneute Frage nach den Strukturen des Galaterbriefs möchte also in einer Art Prüfdurchgang von der Seite des Textes her sichern, dass das angestrebte Ziel einer wechselseitigen Erschließung auf der erarbeiteten Basis gelingen kann. Als Schlüssel wurden benannt:940 • Die Galater müssen sich entscheiden: Was ist eigentlich Christsein? Was müssen sie dafür tun, um zu Gott zu gehören? • Einige betonen Gottes Bund mit Israel als den sicheren Weg zu Gott. • Paulus beruft sich auf eine Begegnung mit dem auferstandenen Christus: Hier beginnt die Neuschöpfung der Welt und alle sind dazu eingeladen. Wer an Jesus glaubt, gehört dazu – Schluss mit der Ausgrenzung. Der erste Schlüssel markiert die Aufmerksamkeit für die Perspektive der historischen Leser, die zugleich besonders offen ist für Fragen der Schülerinnen und Schüler. Im Blick auf den Bibeltext akzentuiert dieser Schlüssel den kommunikativen Charakter des Galaterbriefs und lässt nicht zuletzt seine rhetorische Gestalt verstehen. „Ich fürchte um euch, dass ich mich umsonst um euch bemüht hätte“ (Gal 4,11): Es ist nicht zuletzt diese Angst, die Paulus den gleichermaßen dringlichen wie kompromisslosen Ton seines Briefs diktiert, und seine Argumentation ist präzise auf die galatische Situation zugespitzt. Dies wurde ja schon mehrfach betont: Paulus trägt nicht einfach eine Dogmatik vor, sondern behandelt konkrete Fragen. Hierfür kann der Schlüssel „Situation der Galater“ sensibilisieren. Zugleich wird aber zu sagen sein, dass diese Perspektive alleine noch nicht den ganzen Brief „aufschließt“. Sie vermag insbesondere nicht zu erklären, wie Paulus zu den von ihm vertretenen Einsichten kommt, die er unbeschadet der situationsbezogenen Argumentation seines Schreibens offenbar nicht komplett ad hoc mit Blick auf Galatien entwickelt hat. 940

Ich nehme die Formulierungen aus C.2.c) auf (vgl. oben, 297f.300), ziehe aber die auf die Galater und auf Paulus bezogenen Sätze jeweils zusammen.

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Der Galaterbrief im Religionsunterricht

Der zweite Schlüssel mit dem Blick auf die Position der Gegner ist ebenfalls bedeutsam für das Verständnis des Galaterbriefs. Deren Auftreten bildet den eigentlichen Anlass des Briefes. Ihre Verkündigung ist in einer nicht zweifelsfrei zu klärenden Weise auf Paulus bezogen.941 Paulus reagiert auf sie in einer Weise und Deutlichkeit, die klarmacht, dass er ihre Positionen als Infragestellung seines – und er meint: des einzig richtigen – Grundverständnisses von Christsein und Evangelium versteht. So sind auch die Gegner für die Wahrnehmung der Grundstruktur des Galaterbriefs bedeutsam, sie erklären als das Feindbild die kompromisslose Antithetik. Mehr als die offene Lage in Galatien dürften die Positionen der Gegner auch zur Herausbildung des einen oder anderen Akzents der paulinischen Argumentation Anlass gegeben haben, z.B. dürfte eine Begründung der Beschneidungsforderung mit Genesis 17 Anlass für die paulinische Auseinandersetzung mit der Abrahamverheißung in Galater 3 sein. Aber insgesamt gilt auch hier: Die Position des Paulus, etwa der Grund seines Überzeugtseins von seiner Interpretation der „Wahrheit des Evangeliums“ (Gal 2,5.14), erschließt sich von hier aus noch nicht. Sollen die elementaren Strukturen des Galaterbriefs in den Blick kommen, ist ein weiterer Schlüssel vonnöten. Dies aber leistet nun der dritte genannte Schlüssel, der Blick auf Paulus von seiner Biographie her, der zuletzt auch in der Frage nach den elementaren Wahrheiten akzentuiert wurde. Dass und wie sich von hier aus die Grundlinien des paulinischen Denkens erschließen lassen, zeigt der Galaterbrief selbst: Seine These ist, dass es nur ein Evangelium, nämlich das des Christus gebe (Gal 1,7), und dass es dessen „Wahrheit“ (Gal 2,5.14) nicht erlaubt, von Heidenchristen die Beschneidung zu fordern oder sich auch nur zwecks Einhaltung der jüdischen Speisegebote bei Mahlzeiten (und dem Herrenmahl?) von ihnen abzusondern. Und eben diese Thesen begründet Paulus mit Bezug auf seine Christusbegegnung (Gal 1,15f.) und seine Position in grundlegenden, weichenstellenden Konflikten (Gal 2). Der Apostel ist also offenbar selbst der Meinung, den Galatern auf diesem Weg einen Zugang zu seiner Überzeugung verschaffen zu können, die er dann als These vorstellt (Gal 2,15–21) und in mehrfachen Anläufen weiter ausführt und begründet (Gal 3,1–5,12). Der Autor des Briefs selbst darf aber als gewichtiger Zeuge dafür gelten, dass ein Zugang geeignet ist, elementare Strukturen seiner Argumentation zu erschließen. Dies lässt sich weiter untermauern mit Blick auf den oben vorgestellten Versuch einer Bündelung der paulinischen Theologie nach

941

Vgl. zu der komplexen Problematik einer Rekonstruktion der gegnerischen Positionen die Überlegungen und Diskussionen in B.2.c) oben, 166ff.

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Schlüssel zum Galaterbrief

dem Galaterbrief.942 Das Zentrum ihrer Grundstruktur bildet der gekreuzigte und auferstandene Christus – für Paulus ist dieser Ansatz zutiefst begründet in der Erfahrung seiner Lebenswende vor Damaskus. Die wichtigste Folgerung aus dieser Christusbegegnung ist die Einsicht, dass die Neuschöpfung schon angebrochen ist. In deren Licht ist für Paulus nun die Frage nach der Existenz und Stellung des Menschen vor Gott zu beantworten. Im Horizont der neuen Schöpfung und also „in Christus“ sind für ihn alle alten Unterscheidungen hinfällig (Gal 3,28), die Existenz des Menschen vor Gott ist alleine abhängig von seiner Verbindung mit Christus im Glauben (Gal 2,16), die seine ganze Identität und sein Leben bestimmt oder jedenfalls bestimmen soll (Gal 2,20; 4,19; 6,2). Im Umkehrschluss ist das Gesetz als Orientierung abgetan, es hat keine bindende Kraft mehr für die Glaubenden. Das – die neue Ausrichtung auf und durch die Neuschöpfung und die damit gegebene Überwindung des Gesetzes – ist die „Wahrheit des Evangeliums“ (Gal 2,5.14), für die Paulus streitet. In der Skizze aus der Bündelung der Theologie des Galaterbriefs lässt sich markieren, dass das Damaskuserlebnis eben das Zentrum der paulinischen Sicht erschließt und damit die eigentliche Plausibilität des ganzen Modells sichert:

Verheißung

Abraham

erschlossen durch die Christusbegegnung

neue Schöpfung

Gesetz Kreuz und Auferstehung Jesu Christi Glaube Geistbegabung Taufe

Sein unter dem Gesetz

Sein in Christus Leben im Geist: Praxis der Liebe

942

Vgl. B.3. oben, 190ff.

Hoffnungsgut Gerechtigkeit

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Der Galaterbrief im Religionsunterricht

Alles andere lässt sich von diesem Zentrum her erschließen – die Ausrichtung auf die neue Schöpfung und ihre Bedeutung für ein zwischen diesem und jenem Leben ausgespannten Sein in Christus, die Grenzziehung zur früheren Orientierung (gerade auch des Paulus, vgl. Gal 1,13f.) am Gesetz und die Auslegung der Schrift in einer Weise, die eben dieses Verständnis und kein anderes z.B. auch mit Abraham verbunden sehen möchte. Die Biographie des Paulus ist, so gesehen, nicht nur ein, sondern der Schlüssel zu den elementaren Strukturen des Galaterbriefs und damit zugleich zu der Funktion des Galaterbriefs als eines Schlüssels zur Bibel.943 Sie ermöglicht, das Denken des Paulus in seiner Begründung und seiner theologischen Stringenz in allen seinen Konsequenzen zu verstehen. Sie verlangt aber keineswegs, alle Linien auszuziehen: Die Einsicht in die zentrale Bedeutung der Orientierung an Jesus Christus ist das Elementare in allen elementaren Strukturen des Galaterbriefs und der Theologie des Paulus. Es ist sicher sinnvoll, an der einen oder anderen Linie nachzuvollziehen, wie diese Zentralüberzeugung sich auswirkt – nicht zuletzt dürfte die Paränese eine auch für die Jugendlichen interessante Prüfperspektive darstellen.944 Es ist aber nicht erforderlich, alle Aspekte der Argumentation des Galaterbriefs zu durchdringen, um diese entscheidende Struktur der paulinischen Theologie als solche zu erkennen. Insgesamt zeigt der Prüfgang, dass der beschriebene Schlüsselbund mit dem Zentralschlüssel eines Zugangs über die Biographie des Paulus die gewünschte wechselseitige Erschließung leisten kann: Diese Schlüssel passen „in die Hand der Schülerinnen und Schüler und ins Schloss“.945 3. „Die Selbstfindung des Christentums“: Skizze einer Unterrichtseinheit Abschließend werden die religionspädagogischen und bibeldidaktischen Überlegungen in Gestalt eines Ausblicks auf eine mögliche konkrete Unterrichtseinheit zum Galaterbrief gebündelt. Zunächst wird deren Profil skizziert, indem aufgrund der identifizierten Schlüssel zum Galaterbrief eine Auswahl aus möglichen Kompetenzbeschreibungen getroffen wird (a). Anschließend werden Ideen für deren Aufbau vorgestellt, die flexibel gehandhabt werden können, abhängig etwa davon, ob eine grundlegende Einheit zu Biographie und Person des Apostels vorausging oder nicht, sowie vom verfügbaren 943 944 945

Vgl. dazu mit Bezug auf Müllers „Themenkreise“ schon oben, 261f. Vgl. dazu Weihs, Leitbildorientierung; 189 auch mit Bezug auf den Galaterbrief. So die Grundforderung von Müller, Schlüssel (2009), 89.

Skizze einer Unterrichtseinheit

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Zeitrahmen (b). In diesem Zusammenhang werden mögliche unterrichtliche Elemente genannt, es geht aber nicht darum, nun einen solchen Unterricht en detail auszuarbeiten, also etwa narrative Elemente oder Rollenkarten für Planspiele zu entwerfen. Zwar ist geplant, meine Ideen für einen Unterricht zum Galaterbrief auch in Gestalt eines Arbeitsheftes zusammenzustellen, für die vorliegende Studie genügt aber vollauf eine Skizze, die eine Vorstellung von einer solchen Einheit eröffnet: Eine solche Darstellung bietet eine ausreichende Basis für die Begründung der These, dass ein Unterricht zum Galaterbrief auf der Basis der entwickelten religionspädagogischen und bibeldidaktischen Grundsätze sinnvoll und möglich ist.946 a) Das Kompetenzprofil der vorgeschlagenen Unterrichtseinheit Als Basis einer möglichen Unterrichtseinheit wurden in exemplarischem Bezug auf den baden-württembergischen Bildungsplan 2016 für die Sekundarstufe I bereits zwei Kompetenzformulierungen als Anker einer Pauluseinheit identifiziert, die explizit Bezug auf den Apostel nehmen. Diese stehen im Folgenden als (a) und (b) voran, werden aber zunächst durch alle (!) inhaltsbezogenen Kompetenzen des fraglichen Standardzeitraums ergänzt, die ausgehend von den Überlegungen zu den Schlüsseln zum Galaterbrief im Rahmen einer solchen Einheit gefördert werden können. In einer Fortsetzung der Liste wird deutlich gemacht, welche prozessbezogenen Kompetenzen desselben Plans in diesem Zusammenhang relevant sind; diese Bezüge sind nicht zuletzt im Kontext einer Ausrichtung auf Jugendtheologie im Sinne einer theologischen Kompetenz bedeutsam. Durchweg spitzt die Aufzählung die Vorgaben dabei auf eine Unterrichtseinheit zum Galaterbrief zu, indem sie die oft weiteren oder mehrere Alternativen nennenden Formulierungen des Bildungsplans auf die anvisierte Einheit hin konkretisiert, auch durch explizite Bezugnahme auf Paulus und/oder den Galaterbrief. Diese Zuspitzungen sind aber die einzigen Änderungen in den folgenden Formulierungen, so dass diese in keinem Punkt über prozess- oder inhaltsbezogene Erwartungen des Bildungsplans hinausgehen, sondern diese lediglich auf Paulus und den Galaterbrief fokussieren. Die Liste erweist damit nachdrücklich, dass der Galaterbrief grundsätzlich ein geeigneter Unterrichtsgegenstand zur Erarbeitung der zu erwerbenden Kompetenzen ist.947 946

Eine systematische Würdigung des Ertrags meiner Studie unter Bezug auch auf die einleitend markierte Frageperspektive nimmt dann das folgende Schlusskapitel vor, vgl. unten, 338ff. 947 Aus Gründen der Übersichtlichkeit werden die Bezüge auf bzw. Anlehnungen an den Bildungsplan in tabellarischer Form in zwei Sammelanmerkungen am Ende der beiden Teillisten nachgewiesen.

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Der Galaterbrief im Religionsunterricht

Die Schülerinnen und Schüler können (a) biblische Traditionen zu Freiheit und Gerechtigkeit ausgehend vom Galaterbrief darstellen bzw. untersuchen; (b) paulinische Aussagen vom gnädigen und gerechten Gott beschreiben, entfalten bzw. sich damit auseinandersetzen; (c) die Lebensrelevanz der bedingungslosen Annahme des Menschen durch Gott aufzeigen; (d) Gewissensentscheidungen beschreiben, in Beziehung zu biblischen Geboten setzen bzw. erklären; (e) die Bedeutung der Bibel aufzeigen bzw. erläutern; (f) Aspekte der Hoffnung in biblischen Erzählungen herausarbeiten und entfalten; (g) die Bedeutung biblischer Texte für die Gegenwart darstellen, erläutern bzw. untersuchen; (h) Besonderheiten christlichen Gottesverständnisses beschreiben, entfalten bzw. sich damit auseinandersetzen; (i) Vorstellungen von Gott in Judentum und Christentum beschreiben, erläutern bzw. erörtern; (j) sich mit Deutungen von Kreuz und Auferstehung Jesu Christi auseinandersetzen; (k) anhand exemplarischer Stationen Aspekte der Kirchengeschichte beschreiben, entfalten bzw. sich damit auseinandersetzen; (l) lebensfeindliche und -förderliche Formen und Wirkungen des christlichen Glaubens herausarbeiten, analysieren bzw. einen begründeten Standpunkt dazu einnehmen; (m) unterschiedliche Strömungen innerhalb des frühen Christentums beschreiben, darstellen bzw. vergleichen.948 Weiter gehören in die Liste die folgenden, im Rahmen dieser Einheit geförderten prozessbezogenen Kompetenzen; auch deren Formulierungen werden hier auf die konkrete Einheit zugespitzt. 948 Im Interesse einer übersichtlicheren Orientierung werden die Bezüge auf den Bildungsplan (Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, Bildungsplan 2016. Sekundarstufe I - evang. RU) hier tabellarisch nachgewiesen. Alle Formulierungen entstammen den inhaltsbezogenen Kompetenzen für die Standardstufe Klasse 7–9, sind aber ggf. auf die hier passenden Aspekte fokussiert; Operatoren verschiedener Niveaustufen wurden aufsteigend nebeneinander gestellt. Kompetenz angelehnt an Kompetenzformulierung Seite (a) Bibel (2) 27; (b) Gott (1) 28; (c) und (d) Mensch (2) und (3) 24f.; (e) bis (g) Bibel (1), (3) und (4) 27; (h) und (i) Gott (2) und (3) 28; (j) Jesus Christus (3) 29; (k) Kirche (2) 31; (l) und (m) Religionen und Weltanschauungen (2) und (3) 33.

Skizze einer Unterrichtseinheit

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Die Schülerinnen und Schüler können (n) Situationen erfassen, in denen letzte Fragen nach Grund, Sinn, Ziel und Verantwortung des Lebens aufbrechen; (o) religiös bedeutsame Fragestellungen in ihrem Lebensumfeld wahrnehmen und beschreiben; (p) in ethischen Herausforderungen mögliche religiös bedeutsame Entscheidungssituationen identifizieren; (q) biblische Texte sachgemäß und methodisch reflektiert auslegen; (r) den Geltungsanspruch biblischer Texte erläutern und sie in Beziehung zum eigenen Leben setzen; (s) ambivalente Aspekte der Religion und ihrer Praxis erläutern; (t) Grundzüge theologischer Argumentationen miteinander vergleichen; (u) einen eigenen Standpunkt zu religiösen Fragen einnehmen und ihn argumentativ vertreten; (v) sich auf die Perspektive eines anderen einlassen und sie in Bezug zum eigenen Standpunkt setzen; (w) sich aus der Perspektive des christlichen Glaubens mit anderen religiösen Überzeugungen auseinandersetzen; (x) sich mit Ausdrucksformen des christlichen Glaubens auseinandersetzen; (y) religiös bedeutsame Inhalte und Standpunkte medial und adressatenbezogen präsentieren; (z) typische Sprachformen der Bibel und des christlichen Glaubens transformieren.949 Diese Liste soll keineswegs vollumfänglich als Planungsgrundlage für eine Unterrichtseinheit empfohlen werden, sondern muss gewichtet und zugespitzt werden. Sie beschreibt aber zum einen den Horizont, in dem auch eine auf ausgewählte Kompetenzen fokussierte Unterrichtseinheit zum Galaterbrief steht, und dokumentiert zum anderen, dass der hier zugrundegelegte Bildungsplan weit über die schon dort u.a. auf Paulus bezogenen Kompetenzen (a) und (b) hinaus eine Basis für ein solches Unterrichtsprojekt bietet.

949 Alle Formulierungen entstammen, ggf. fokussiert, den prozessbezogenen Kompetenzen, die laut Bildungsplan 2016 über die gesamte Sekundarstufe I erworben bzw. gefördert werden sollen (ebd.). Kompetenz angelehnt an Formulierung aus dem Bereich Seite (n) bis (p) Wahrnehmungs- und Darstellungsfähigkeit 1., 2. und 4. 9; (q) und (r) Deutungsfähigkeit 3. und 4. 9; (s) bis (u) Urteilsfähigkeit 3., 4. und 5. 9; (v) und (w) Dialogfähigkeit 1. und 3. 10; (x) bis (z) Gestaltungsfähigkeit 1., 2. und 4. 10.

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Der Galaterbrief im Religionsunterricht

Deutlich ist damit auch, dass verschiedene Akzentsetzungen möglich sind. Die entsprechende Auswahl aus dem Strauß passender Kompetenzen erfolgt am sinnvollsten über die im vorigen Teilkapitel identifizierten Schlüssel zum Galaterbrief. Diese trafen sich in der Einsicht, dass das Schreiben am besten über die erkennbar werdenden Personen mit ihren verschiedenen Überzeugungen und Fragen, also aus seinem historischen Hintergrund erschlossen werden kann:950 • Die Galater müssen sich entscheiden: Was ist eigentlich Christsein? Was müssen sie dafür tun, um zu Gott zu gehören? • Einige betonen Gottes Bund mit Israel als den sicheren Weg zu Gott. • Paulus beruft sich auf eine Begegnung mit dem auferstandenen Christus: Hier beginnt die Neuschöpfung der Welt und alle sind dazu eingeladen. Wer an Jesus glaubt, gehört dazu – Schluss mit der Ausgrenzung. Die Orientierung an Paulus erwies sich dabei als Zentralschlüssel für einen Zugang zur Theologie des Galaterbriefs, die anderen sind wichtig, um die Strittigkeit der Position des Apostels entdecken und verstehen zu können sowie nicht zuletzt mit den galatischen Christusgläubigen die Frage der eigenen Orientierung zu bedenken: Was trägt mich, wodurch bestehe ich in der Gemeinschaft mit Gott? Solches für die Jugendlichen wichtige Fragen nach individueller Sinnfindung findet aber nicht nur Identifikationsfiguren in den Galaterinnen und Galatern, sondern auch in Paulus ein spannendes Gegenüber: Der Apostel verweist für seine Interpretation des Glaubens an Christus auf eine Berufung durch Gott selbst in einer Begegnung mit dem auferstandenen Jesus Christus. Er vertritt seine Einsichten in kompromissloser Weise auch dann, wenn das Konflikte bedeutet. Dieser Zugang zum Galaterbrief sensibilisiert so auch für seinen Charakter als engagierte Stellungnahme. Als solche fordert das Schreiben des Apostels zu eigenem Echo heraus und eröffnet damit nicht nur die bibeldidaktisch intendierte echte Begegung, sondern zugleich einen Umgang mit der Bibel, der deren bewusste eigene Auslegung fordert und fördert. Gerade in dieser Perspektive einer Ermutigung zu einem kritischen, d.h. prüfenden Umgang mit der Position des Paulus, also in individueller Auseinandersetzung und Aneignung kann die Theologie des Galaterbriefs als relevant für das eigene Fragen und Denken entdeckt und erfahren werden. Sollen diese Akzente in der Unterrichtseinheit abgebildet werden, empfiehlt sich für deren Planung eine Betonung entsprechender Kompetenzformulierungen aus der obigen Liste. Der folgende Vorschlag wählt dafür acht – fünf inhalts- und drei prozessbezogene – 950

Ich greife die bündelnde Formulierungen aus C.2.f) auf, vgl. oben, 310.

Skizze einer Unterrichtseinheit

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Kompetenzen aus. Die ersten vier sind eher auf die Sache, die folgenden zwei stärker auf das lernende Subjekt bezogen, die letzten beiden akzentuieren das Interesse an der hermeneutischen Kompetenz der Schülerinnen und Schüler. Die Reihung ist dabei nicht als sachliche Gewichtung zu verstehen, zumal die verschiedenen Kompetenzen faktisch oft ineinander greifen. Die ausgewählten Formulierungen lauten:951 Die Schülerinnen und Schüler können • paulinische Aussagen vom gnädigen und gerechten Gott beschreiben, entfalten bzw. sich damit auseinandersetzen (b); • unterschiedliche Strömungen innerhalb des frühen Christentums aufzeigen, vergleichen bzw. untersuchen (m); • biblische Traditionen zu Freiheit und Gerechtigkeit ausgehend vom Galaterbrief untersuchen (a); • die Bedeutung biblischer Texte für die Gegenwart darstellen, erläutern bzw. untersuchen (g); • die Lebensrelevanz der bedingungslosen Annahme des Menschen durch Gott aufzeigen (c); • einen eigenen Standpunkt zu religiösen Fragen einnehmen und ihn argumentativ vertreten (u); • den Geltungsanspruch biblischer Texte erläutern und sie in Beziehung zum eigenen Leben setzen (r); • biblische Texte sachgemäß und methodisch reflektiert auslegen (q). Mit diesem Zuschnitt wird die Unterrichtseinheit nicht nur dem Galaterbrief und der paulinischen Theologie im Kontext ihrer Zeit gerecht, die mit den ersten vier Kompetenzen im Blick sind. Sie nimmt ebenso die dargestellte religionspädagogische und bibeldidaktische Grundorientierung auf, indem die beiden folgenden Formulierungen das eigene Fragen der Jugendlichen als das Forum betonen, vor dem über die individuelle Lebensrelevanz der paulinischen Sicht entschieden wird. Damit kommen die grundlegenden Einsichten der Orientierung am lernenden Subjekt und des Konstruktivismus zum Tragen. Auf Grundlage dieser beiden Pole kann die theologische Kompetenz der Schülerinnen und Schüler auf allen drei Ebenen – Theologie von, mit und für Jugendliche(n) – gefördert werden: Ihr eigenes Denken und Fragen wird ernstgenommen und belastet, sie werden in ein theologisierendes Gespräch eingeladen und dabei auch mit gewichtigen Impulsen konfrontiert. 951

Ein nochmaliger Nachweis erfolgt hier nicht, da die Kompetenzen mit Hilfe der hier in Klammern zugesetzten Buchstaben in den obigen Sammelnachweisen verifiziert werden können.

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Wichtig ist dabei, dass diese Impulse nicht nur in Gestalt der Begegnung mit der Theologie des Apostels selbst begegnen. Das anvisierte Gespräch zwischen den Schülerinnen und Schülern und dem biblischen Text erhält vielmehr entscheidende Anstöße durch die Aufmerksamkeit auf den biographischen Hintergrund des paulinischen Denkens sowie die Einsicht in die Dialogizität des Briefes und die Umstrittenheit seiner Position in der Situation des frühen Christentums, das seine Identität erst noch sucht. Diese Perspektiven einerseits auf den persönlichen Hintergrund der paulinischen Theologie, andererseits auf die historische Gesprächslage mit einer deutlichen Gegenposition und einer Gemeinde, die ihre Orientierung zwischen diesen Polen sucht, sind nicht zuletzt dafür wichtig, dass die Jugendlichen Beziehungen zwischen ihrem eigenen Fragen, Suchen und Denken und der galatischen Diskussion entdecken. Weil vor allem in diesem Feld das „Gespräch“ und die „Begegnung“ mit dem Galaterbrief gesucht wird, nenne ich die vorgeschlagene Einheit „Die Selbstfindung des Christentums“. Die Betonung der Person des Apostels und die durch die Behandlung des Briefes als Ganzschrift erschlossene Mehrperspektivität des historischen Zugangs sind dabei auch für die Förderung der hermeneutischen Kompetenz der Jugendlichen bedeutsam, die als wichtiges Teilgebiet der theologischen Kompetenz eigens akzentuiert wurde. Indem die Einheit auf dieser Basis mit den beiden letzten Leitsätzen auch die bewusste Auslegung der Bibel und in diesem Zusammenhang die eigene Stellungnahme zur Position des Paulus betont, setzt sie wichtige Impulse für ein Bewusstwerden hermeneutischer Grundfragen und damit der eigenen Auslegungskompetenz. Hierzu gehört auch eine Sensibilisierung für intertextuelle Beziehungen, sei es im Vergleich der paulinischen Selbstzeugnisse mit den Erzählungen der Apostelgeschichte, sei es im Nachvollzug bedeutsamer Linien vom Galaterbrief in das Alte Testament. Das beschriebene Kompetenzprofil verspricht auf der Basis der identifizierten Schlüssel zum Galaterbrief die Möglichkeit, die paulinische Theologie im RU so zu thematisieren, dass wichtige Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler gefördert werden. Die damit skizzierte Einheit ist religionspädagogisch und bibeldidaktisch gut begründet. Natürlich ist methodischer Einfallsreichtum erfordert, um die hier gesehenen Chancen nun auch mit Schülerinnen und Schülern zu realisieren – ohne Frage aber ist diese Mühe gut investiert. b) Ideen zum Aufbau der vorgeschlagenen Unterrichtseinheit Wie gesagt, muss und soll hier nun nicht eine Unterrichtseinheit bis in methodische Details hinein geplant werden. Deren Skizze soll aber

Skizze einer Unterrichtseinheit

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abgerundet werden, indem ein Vorschlag für einen möglichen Aufbau vorgestellt und durch die Nennung einiger methodischer Ideen – ohne Ausführung im Detail – illustriert wird. So soll plastisch werden, dass auf der genannten Basis in der Tat ein Gespräch bzw. eine Begegnung zwischen den Jugendlichen und dem Galaterbrief eröffnet werden kann. Ein Problem der Planung einer solchen Einheit liegt in den unterschiedlichen Voraussetzungen: Die eine Klasse wird bereits erste Bekanntschaft mit Paulus geschlossen haben und sich etwa mit einigen Erzählungen der Apostelgeschichte befasst haben, die andere lernt ihn hier erst kennen. Wünschenswert wäre der erste Fall,952 doch ist davon auszugehen, dass in der schulischen Realität oft nur eine Pauluseinheit vorkommt. Die folgenden Vorschläge tragen dem Rechnung, indem sie für beide Varianten Unterrichtselemente skizzieren. In jedem Fall aber werden die Ideen geprägt durch die leitenden Kompetenzen und die identifizierten Schlüssel zum Galaterbrief. Ein Brief kommt an: Hinführung und Galater 1,1–9 Zunächst sei angenommen, dass die Unterrichtseinheit auf einer vorigen Pauluseinheit aufbauen kann. Dann ist als Einstieg eine „Zeitreise“ denkbar, mit der sich die Klasse nach Galatien begibt. Hierzu bietet sich die Form einer Erzählung oder – bei entsprechender Aufgeschlossenheit der Lerngruppe – einer Fantasiereise an. Elemente dieser Hinführung sollten neben einer (notgedrungen einigermaßen fiktiven) Beschreibung der Galaterinnen und Galater die Gründung der Gemeinden durch Paulus und die Beziehung zu ihm sein, aber auch die anderen Christen, denen der Bund Gottes mit Israel so wichtig ist (also die „Gegner“), dürfen durchaus schon vorkommen. Dieser Zugang sollte Identifikationsangebote akzentuieren, indem Fragen der Galater anschlussfähig geschildert werden an solche der Schülerinnen und Schüler. Hierzu ist besonders die Herausforderung zu betonen, sich in einer Situation der Verunsicherung entscheiden zu müssen: Wer hat nun Recht? Woran können und wollen wir uns orientieren? Eine Erzählung kann das als Diskussion in der Gemeinde inszenieren, eine Fantasiereise wird hier einen inneren Monolog mit eigenen Fragen anbieten. Material für ein solches Element lässt sich finden, indem die Adressaten des Briefs mit der ohnehin gut begründeten südgalatischen 952

Nach dem zugrunde gelegten Bildungsplan 2016 wäre er auch durchaus realistisch, vgl. oben, 212. – Zum weitergehenden Vorschlag eines Spiralcurriculums vgl. bereits oben, 11. Als Einladung, Paulus schon in der Grundschule zu entdecken, wollen entsprechende Abschnitte und Unterrichtsideen der Grundschul-Bibel wirken; vgl. Wiemer, Grundschul-Bibel, 250.258–283; ders., Grundschul-Bibel. Lehrerband, 200f.206–216 und KV 95–108 (Paulus-Portfolio).

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Der Galaterbrief im Religionsunterricht

Hypothese in den Orten der Provinz Galatien gesucht werden, in denen Paulus zusammen mit Barnabas nach Apg 13f. Gemeinden gegründet hat.953 Der Bezug auf diese Texte erleichtert nicht nur die Ausgestaltung einer Erzählung oder Fantasiereise, er erlaubt auch, das (syrische) Antiochia am Orontes bereits mit einzuführen als die Gemeinde, die hinter dieser Missionsreise steht und später auf dem Apostelkonvent und als Schauplatz des Antiochenischen Konflikts eine wichtige Rolle spielen wird. Die Impulse aus dem Einstieg sind dann zu vertiefen, wozu evtl. eine Stationenarbeit (oder ein Gruppenpuzzle?) möglich ist. Dabei ist zum einen der Rückgriff auf die frühere Pauluseinheit sinnvoll, wofür bevorzugt daraus vertraute Medien (z.B. eine Paulusdarstellung) verwendet werden sollten. Alternativ lässt sich das Vorwissen auch aktivieren bzw. miteinander rekonstruieren in Anknüpfung an die schon erwähnte vergrößerte Zeichnung von Paulus, die dann über die ganze Einheit im Raum präsent bleiben könnte.954 Zum anderen geht es um die Imagination des Umfelds der galatischen Gemeinden. Diese lässt sich unterstützen mit einer detailreichen Sachzeichnung zum antiken Korinth, die (zwar nicht Galatien, wohl aber) typische Elemente einer römisch-hellenistischen Stadt zeigt; auch eine Synagoge ist hier zu finden, es lässt sich überlegen, wo sich wohl die Gemeinde traf usw.955 Wer es realistischer möchte, kann mit Darstellungen von Ausgrabungen oder Rekonstruktionen provinzgalatischer Städte arbeiten.956 Schließlich sollte die Diskussionslage zwischen Paulus und seinen Gegnern wahrgenommen und nachvollzogen werden. Dazu könnte z.B. die Aufgabe hilfreich sein, diese mit Bezug auf die Personen und ihre Kernaussagen graphisch darzustellen; hierzu könnten Wortkarten o.ä. angeboten werden. Zuspitzen lassen sich die Überlegungen auf den Entwurf eines Briefs an Paulus: Was beschäftigt uns, welche Fragen wollen wir unserem Gemeindegründer stellen? Die Idee eines solchen Schreibens an Paulus lässt sich alternativ auch als 953

Vgl. B.2.b) oben, 155ff. – Rommel, Apostel, siedelt in seinen Erzählungen zum Galaterbrief die Gemeinde in Ancyra an, auch einige Züge seiner Erzählung überzeugen wenig (etwa die klischeehafte Zeichnung der Kelten, vgl. dagegen oben, Anm. 485), gleichwohl lassen sich manche schöne Ideen aus diesem Erzählvorschlag übernehmen, z.B. Elemente der Gespräche des Galaters Magnus mit dem römischen Soldaten Festus. Konkretere Szenen ergeben sich aber dann doch besser aus Apg 13f. 954 Merkel, Begegnungslernen, 82; vgl. zu seinen Vorschlägen (nicht speziell zum Gal) oben, 306. 955 Das Motiv erschien m.W. erstmals in Lamp/Meurer, Paulus (dort Folie 2) und ist – ebenfalls als Folie – auch dem Paulus-Heft des entwurf beigegeben (gezählt als M 7 zum Beitrag Rupp, Paulus (2008)). Es gibt auch eine Version des Motivs als Plakat mit Beiheft: Katholisches Bibelwerk e.V., Paulus. 956 Vgl. z.B. Bull, Türkei, 148–159, zu Antiochia in Pisidien. Weniger, aber vielleicht leichter greifbares Material bieten Bauer/Hecht/Kaiser, Reisen, 32–34.

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Einstieg in die Folgestunde oder nach der Begegnung mit dem Anfang des Galaterbriefs verwenden. Wichtig ist eine gemeinsame Wahrnehmung der Überlegungen zu den einzelnen Bereichen mit der Möglichkeit auch zur Klärung oder jedenfalls zum Festhalten noch offener Fragen. In der nächsten Stunde kann nun Post von Paulus ankommen: Wir stellen uns vor, wir wären die Gemeinde in Galatien. Ggf. erinnern wir uns hier an den Brief, den wir in der letzten Stunde geschrieben haben, oder schreiben ihn jetzt. Daraufhin kommt ein Schreiben von Paulus an … – und zwar als „echter“ Brief. Auf keinen Fall sollte hier aus der Bibel gelesen werden, da der Galaterbrief zu der Zeit, um die es hier geht, eben noch nicht Teil der Bibel, sondern schlicht ein wirklicher Brief ist: aktuell auf eine konkrete Situation bezogen. Der Charakter brieflicher Kommunikation sollte medial unterstrichen werden; meine Empfehlung wäre, den Galaterbrief für diese Einheit als Schriftrolle zu präsentieren, die aus einem Ausdruck des Briefs in der Übersetzung der BasisBibel zusammengeklebt ist.957 Aus dieser Rolle wird nun in einer Gemeindeversammlung vorgelesen – zunächst einmal nur Gal 1,1–9. Die Überleitung mit der These des göttlichen Ursprungs des paulinischen Evangeliums, die in der Exegese mit zum Präskript gerechnet wurde (Gal 1,10–12), lässt sich für den Unterricht besser als Einleitung des ersten Hauptteils nehmen, auch weil der doppelte Fluch als Abschluss des ersten Vorlesestücks eine stärkere Impulswirkung für das folgende Gespräch entwickelt. Wenn eine Schülerin oder ein Schüler das Lesen übernimmt, kann die Lehrkraft diese Diskussion anstoßen: Hoppla, das ist aber kein sehr freundlicher Stil. Liest du das noch einmal? Und danach dann: Was hat er denn, der Paulus, was meint ihr? Je nach Kreativität und Impulsivität der Klasse dauert die Diskussion dazu mehr oder weniger lang; wichtig ist, dass ausgehend von der Wirkung der paulinischen Worte frei überlegt und assoziiert werden soll, um sich in die Situation der Galater hineinzudenken und eigene Überlegungen und Fragen dabei „mitzunehmen“. Anschließend kann eine individuelle Weiterarbeit am bereits gelesenen Abschnitt erfolgen, z.B. indem der Text mit dem selbst erdachten Schreiben der Gemeinde verglichen oder auch erst jetzt überlegt wird, was Paulus wohl von dort über die Situation gehört haben mag. Alternativ wäre auch möglich, den Brief zu durchforschen nach konkreteren Hinweisen, woran Paulus Anstoß nimmt, etwa indem Arbeitsgruppen geeignete Abschnitte des Briefs darauf957 Ob der historische Galaterbrief eine kleine Papyrusrolle war oder eher auf einzelne Papyrusblätter geschrieben und zusammengefaltet wurde, ist nicht sicher; vgl. zur Sache Lehnardt, Brief (mit Abbildung eines gefalteten Papyrus). Eine Rolle ist aber jedenfalls möglich – vgl. Klauck, Briefliteratur, 60 – und vermag als alte Form auch den Abstand zur Zeit des Paulus sinnenfällig werden zu lassen.

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hin lesen (z.B. Gal 3,1–5; 4,8–11; 5,2–6 (bzw. 5,1–6); 6,11–16). Bei beiden Varianten sollte ein persönliches Echo ergänzt werden: Was denkst du über das, was Paulus hier schreibt? Welche Fragen möchtest du ihm stellen? Diese Ergebnisse sollten auch präsentiert oder in einer „Ausstellung“ wahrgenommen werden, nicht nur um die eigenen Fragen in ihrer Bedeutung würdigen und für spätere Stunden aufnehmen zu können, sondern auch um verschiedene Positionen und Argumente auszutauschen. Wenn der Brief als Schriftrolle zum Einsatz kommt, würde es sich übrigens nahelegen, auch die individuellen Ergebnisse aus den Arbeitsphasen der einzelnen Stunden nach und nach zu eigenen Schriftrollen zusammenzufügen. Ein solches Leitmedium kann helfen, den inneren Zusammenhang der Einheit zu sehen. Es wäre auch vom Charakter der hierfür zu konzipierenden Arbeitsblätter her so anzulegen, dass es ein Dokument des intendierten lebendigen Gesprächs mit dem Galaterbrief wird, teils in der Rolle der Galaterinnen und Galater, teils in der eigenen Perspektive. Als Grundlayout der einzelnen Arbeitsblätter wäre etwa ein DIN-A4-Querformat denkbar, das jeweils auf der linken Seite ein Stück des Briefs, auf der rechten das Gespräch mit diesem bietet.958 Für den ebenfalls nicht unwahrscheinlichen Fall, dass Paulus im RU vorher keine Rolle gespielt hat, ist der Einstieg mit den skizzierten zwei Stunden natürlich viel zu knapp. Hier wäre es vielmehr sinnvoll, zunächst ausführlicher auf Person und Biographie des Paulus zu schauen. So könnte die Einheit mit einem Blick auf seine Anfänge beginnen. Dass die Damaskuserfahrung des Paulus bei dieser Anlage später ein zweites Mal im Kontext seiner Argumentation im Galaterbrief begegnet, ist kein Problem, wird doch gerade so deren grundlegende Bedeutung für das Denken des Apostels erkennbar. Nach dieser Einführung des Apostels – diesen Aspekt führe ich nicht weiter aus, da sich dazu etliche Ideen in Schulbüchern usw. finden – könnte er dann in der (zweiten oder) dritten Stunde mit Barnabas auf die Missionsreise in die südgalatischen Städte gehen, die hier dann den Zugang zu den Galatern eröffnet. Es empfiehlt sich bei diesem chronologisch rekonstruierenden Vorgehen nicht, gleich auch schon die Paulusgegner einzuführen, da diese bei der Gründung der Gemeinden noch nicht vor Ort sind. Die im Galaterbrief bearbeitete Streitfrage nach der Beziehung der (heiden-)christlichen Gemeinde zum Judentum kann gleichwohl bereits vorbereitet werden, wofür neben Motiven aus der Biographie des Paulus auch solche aus 958

Vgl. zu den technischen Aspekten einer solchen Idee Wiemer/Edelbrock/Käss, Basiskartei, M 59.

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den Erzählungen in Apg 13f. Gelegenheit bieten. Selbstverständlich können etliche der oben genannten Ideen für eine mediale Unterstützung der Inhalte auch bei dieser Variante Verwendung finden. Vor dem Einstieg in den Galaterbrief wäre es dann sinnvoll, in einer weiteren Stunde zunächst die Gegner des Paulus einzuführen, um so den Nachvollzug der Ereignisse vor dem Brief abzurunden. Ähnlich wie oben vorgeschlagen kann dann die Gesprächskonstellation in Galatien sortiert und überlegt werden, welche Fragen die Gemeinde Paulus in dieser Situation vorlegen könnte. Wenn Paulus dann mit seinem Brief reagiert, kann die Inszenierung von dessen Ankunft und die Auseinandersetzung mit seinen ersten Versen in gleicher Weise erfolgen wie bereits beschrieben. Paulus argumentiert mit seinen Erfahrungen: Galater 1,10–2,21 Als zentraler Schlüssel zum Galaterbrief wurde die persönliche Erfahrung des Paulus als Hintergrund seiner Theologie erkannt. Dementsprechend ist der erste Hauptteil des Briefes für die Unterrichtseinheit von größter Bedeutung; diese Texte sollten in jedem Fall behandelt werden. Der Einstieg in die Konfliktlage und die Identifikation mit den angeredeten Galatern aus der vorigen Stunde bietet dafür eine Perspektive an, die ein gewisses Interesse an der Sicht des Paulus und seinen Argumenten eröffnet. Wenn er dafür nun zunächst seine Lebenswende vor Damaskus anführt, die den Schülerinnen und Schülern bereits bekannt ist, wird zugleich der Nachvollzug seines Gedankens erleichtert. Lässt sich Gal 1,10–24 also als Erinnerung an Dinge lesen, die schon erzählt wurden, kann der Akzent darauf liegen, wie Paulus seine Position begründet: Was bedeutet die Christusbegegnung für ihn? Was verändert sich da gegenüber „früher“ (Gal 1,13.23 BasisBibel)? Diese Frage sollte in einem Gespräch bearbeitet werden, das auch Impulse zur Spiegelung dieses Geschehens am eigenen Fragen setzt: Die Jugendlichen dürften es im Kontext eigener Skepsis, aber auch eigener Wünsche nach individueller Vergewisserung interpretieren. Dieser Zugang sollte schon deswegen belastet werden, um eine positive Identifikation mit Paulus und dessen Sicht zu ermöglichen. Mit weiteren Gesprächsimpulsen könnte zum einen das Anliegen des Bildungsplans aufgegriffen werden, Aussagen über den „gnädigen“ Gott zu bearbeiten: Auf dem Hintergrund der Damaskuserfahrung kann die Verwendung des Begriffs „Gnade“ in V. 15 sprechend werden. Zum anderen entdeckt die Klasse vielleicht auch mögliche Brücken von dieser Erfahrung und ihrer Deutung zu dem Auftrag an Paulus, Jesus nun bei allen Völkern, also auch bei Nichtjuden, bekannt zu machen (V. 16). Damit käme der Entdeckungshorizont der Rechtfertigungslehre schon ein erstes Mal in den

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Blick. Anschließend kann es interessant sein, die Jugendlichen eigene Varianten der doch recht knappen Bezugnahme des Paulus auf Damaskus in Gal 1,15f. schreiben zu lassen, z.B. als Bericht, etwa unter der Überschrift „Meine Berufung“, oder orientiert am Kontrast „früher“ – „jetzt“. Alternativ kann angeboten werden, Fragen an Paulus aufzuschreiben – was interessiert mich genauer im Blick auf das, was er vor Damaskus erlebt hat? In welcher dieser Formen sie ein Echo auf den Text geben, wählen die Jugendlichen selbst. Bei einer Präsentation der Texte können die Fragen an Paulus diskutiert oder mit Texten anderer Schülerinnen und Schüler „beantwortet“ werden; manche eignen sich sicher auch dafür, in späteren Stunden nochmals eingespielt zu werden. Für den Nachvollzug nicht nur der paulinischen Sicht, sondern auch ihrer Umstrittenheit bietet Gal 2 starke Vorlagen. Hier ist es sinnvoll, die Szenen jeweils zunächst zu erleben und dann die paulinische Version des Geschehens zu lesen. So wird es möglich, die verschiedenen Positionen mit ihren Gründen wahrzunehmen. Der Apostelkonvent kann in einem Planspiel nachempfunden werden, das auch intertextuelle Bezüge der Debatte akzentuiert. In einer eher schwächeren Klasse empfiehlt sich eine Gruppenarbeit: Nach der Einführung in die Streitfrage des Apostelkonvents setzt die Gemeindeversammlung „Unterausschüsse“ ein, die verschiedene biblische Texte im Blick darauf auswerten sollen, z.B. Gen 12,1–3, Gen 17,9–14, Jes 2,1–4 und Jes 49,1.5f. Die Ausschüsse berichten dann und es wird diskutiert, welche Schlussfolgerung aus den Texten zu ziehen ist. Sind etliche leistungsstarke Jugendliche in der Lerngruppe, lassen sich stattdessen individuelle Rollen verteilen, wobei neben den aus Gal 2 und Apg 15 ersichtlichen – wichtig wäre etwa Titus als das von Paulus mitgebrachte „lebendige Beispiel“ eines nichtjüdischen Christen – auch weitere Personen aus der frühen Gemeinde auftreten, nicht zuletzt einige Frauen. Rollenkarten geben Grundinformationen zur jeweiligen Person und sachlichen Position und führen dazu jeweils einen passenden Bibeltext an. Neben Erinnerungen an Abraham, den Bund, die Erwählung des Volkes Israel oder alttestamentliche Verheißungen für alle Völker wie schon in der ersten Variante könnten hier auch Bezüge auf Evangelientexte aufgenommen werden, etwa wenn Personen aus diesen Geschichten in der Gemeindeversammlung auftreten (neben bekannten Figuren wie Petrus z.B. der Pharisäer Simon aus Lk 7,39–50) oder wichtige Aspekte der frühchristlichen Tradition als Position eingespeist werden sollen (z.B. das Gebot der Bruderliebe nach Joh 13,34f.). Einige Schülerinnen und Schüler erhalten gezielte Beobachtungsaufgaben. Die Leitung des Konvents kann die Lehrkraft selbst übernehmen oder (besser) in die Hand einer oder eines besonders kommunikativ begabten Jugendlichen legen (z.B. in

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der Rolle des sonst nicht bekannten Judas Barsabbas, der nach Apg 15,22 zusammen mit Silas und den antiochenischen Delegierten die Beschlüsse des Apostelkonvents überbringt). Wichtig ist in beiden Versionen, dass der Ausgang der Beratungen nicht vorgegeben wird. Erst nach der Auswertung des Planspiels befasst sich die Gruppe mit den Ergebnissen des Konvents nach Gal 2,1–10, evtl. vergleichend auch nach Apg 15 (zugespitzt auf V. 22–29). Nach den Erfahrungen des Planspiels, das evtl. zu anderen Beschlüssen geführt hatte, sollte sich dazu eine Diskussionsrunde entwickeln. Hierbei sollte nicht nur auf die Sicherung des historischen Ergebnisses gedrungen werden, sondern vor allem nachdrücklich Interesse auf die eigenen Meinungen der Schülerinnen und Schüler gelegt werden – nicht nur wegen der grundsätzlichen Ausrichtung auf die theologisierende Aneignung, sondern auch, weil es für manche wichtig sein könnte, sich von der im Planspiel vertretenen Position distanzieren zu können. Eine individuelle Erkenntnissicherung kann diese Sequenz abschließen, indem z.B. kurz etwas zur historischen Bedeutsamkeit des Apostelkonvents, dann aber auch eigene Einsichten aus Planspiel und Diskussion sowie offene Fragen notiert werden. Die letztgenannten sollten gesammelt und als Hinweise für Akzentsetzungen in der weiteren Einheit ausgewertet werden. Auch für den Antiochenischen Konflikt empfiehlt sich ein Zugang über die Szene, wobei denkbar wäre, zunächst das eigene Empfinden für Unterscheidungen zu aktivieren: Welche Unterschiede zwischen Menschen beachtet ihr? Was ist in, was out? Was ist wichtig, wenn ich zu einer bestimmten Gruppe dazugehören will? Nach der Sammlung entsprechender Überlegungen kann auf die vorige Stunde eingegangen werden: In Jerusalem wurde beschlossen, dass Juden und Nichtjuden zur Gemeinde gehören. Dieser Unterschied ist nicht mehr wichtig. Das kann überleiten in einen Nachvollzug des von Paulus beschriebenen Geschehens in Antiochia: Das Klassenzimmer wird zum dortigen Gemeindesaal (bzw. einem größeren Privathaus), die Schülerinnen und Schüler werden benannt und vollziehen das Setting nach Gal 2,12f. nach. Je nach Zeit lässt sich die Szene verschieden weit ausbauen, z.B. mit einem echten „Mahl“ begehen. Zentral ist der Nachvollzug der sozialen Komponente: Paulus, Petrus, Barnabas und einige andere Judenchristen pflegen Gemeinschaft mit den antiochenischen Heidenchristen, sie stellen dafür ihre jüdischen Speisegebote hintan. An ihrer langen Tafel (Tische zusammenrücken) wäre auch noch Platz für eine Gruppe aus Jerusalem (die Jakobus-Leute), die eben ankommt. Diese Judenchristen setzen sich aber an einen eigenen Tisch und packen dort ihr eigenes Essen aus. Vielleicht erläutern sie das kurz, etwa: „Wir sind Söhne und Töchter Abrahams und wollen nach dem Bund Gottes mit unseren Vätern leben. Darum achten wir

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auch auf unsere Speisegebote.“ Daraufhin stehen einige von der langen Tafel auf und wechseln: Petrus, andere Judenchristen, selbst Barnabas. Da aber platzt Paulus der Kragen: Er stellt sich in die Mitte und spricht … den Text aus Gal 2,14? Oder Gal 3,27f.? Oder beide? Mehrere Jugendliche nacheinander tragen den Text an der „PaulusStelle“ betont vor („wie ein Schauspieler“), dann sind alle Schülerinnen und Schüler eingeladen, Paulus zu „doppeln“: Sie stellen sich neben ihn und formulieren in eigenen Worten Argumente für die Sicht des Apostels. Sie dürfen aber auch aus anderen Positionen das Wort ergreifen, also z.B. ein Argument für das Verhalten der Judenchristen vorbringen oder aus der Perspektive der Heidenchristen etwas in die Diskussion einspeisen. An dieses Hineindenken in den Konflikt schließt sich ein Gespräch an, in dem nach einer gemeinsamen Formulierung gesucht wird: Was ist das Problem in Antiochia gewesen? Was meint Paulus damit, dass die Nichtjuden zu einem jüdischen Leben gezwungen würden? Welche Lösungen wären denkbar? In individueller Sicherung könnten die Jugendlichen z.B. den Satz fortführen „Für Paulus gehören alle zusammen, die an Jesus glauben. Er macht keine Unterschiede, weil …“. Wegen der zentralen Bedeutung von Gal 2,15–21 im Ganzen des Briefs sollte aufbauend auf die vorige Szene auch an diesem Text gearbeitet werden. Es empfiehlt sich, auch diesen Text zunächst mehrfach „wie ein Schauspieler“ zu lesen, wobei aber alle Jugendlichen den komplexen Text schon in der Hand haben sollten. Das bewusste Sprechen, Hören und Lesen ermöglicht einen besseren Zugang zur Argumentation des Paulus. Im Gespräch über den Text können dann Akzente auf das „als gerecht gelten“ (V. 16f.21) sowie die „Gnade“ (V. 21) gelegt werden, also die beiden vom Bildungsplan betonten Aspekte des Gottesbilds. Entscheidend ist aber, nicht in dogmatische Formeln zu flüchten, sondern einen lebendigen Zugang zur paulinischen Interpretation zu finden. Als Brücke kann dienen, wenn schon zu Damaskus (Gal 1,15) über „Gnade“ gesprochen wurde. Zu Gal 2,16 kann auch hilfreich sein, zunächst zu klären, wer denn da mit „wir“ gemeint ist, so lässt sich der Bezug auf die Szene in Antiochia entdecken. Auf dieser Basis lässt sich erkennen, dass es für Paulus keinen wichtigen Unterschied zwischen Juden und Nichtjuden mehr gibt: Er sieht alle Menschen in der gleichen Situation vor Gott. So kann die Identitätsfrage ins Zentrum der Diskussion rücken: Was heißt „ein Christ sein“? Was sagt Paulus? Wie begründet er das? Um dies zu vertiefen, arbeiten Gruppen an Kernsätzen etwa aus V. 16 (BasisBibel: „Kein Mensch gilt vor Gott als gerecht, weil er das Gesetz befolgt. Als gerecht gilt man nur, wenn man an Jesus Christus glaubt.“) oder V. 20 („Deshalb lebe ich eigentlich nicht mehr selbst, sondern Christus lebt in mir.“). In diesem Zusammenhang ließen sich

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evtl. auch die paulinischen Aussagen über die „Wahrheit des Evangeliums“ einbinden, mit Bezug auf die Situation in Antiochia mit Gal 2,14 („Damit verließen sie den rechten Weg, wie er der Wahrheit der Guten Nachricht entspricht.“) oder auf seine Position im Apostelkonvent mit Gal 2,5 („Aber wir haben ihnen keinen Augenblick lang nachgegeben. Die Gute Nachricht sollte bei euch in ihrer ganzen Wahrheit erhalten bleiben.“). Sinnvoll wäre hier, zu jedem ausgewählten Satz (mindestens) zwei Gruppen zu bilden. Die Jugendlichen notieren zustimmende Überlegungen sowie Fragen zum Satz ihrer Gruppe und begründen dies jeweils. Die Ergebnisse werden dann vorgestellt und mit möglichen Positionen der Gegner kontrastiert, die sich aus dem Planspiel und der nachgestellten Szene rekonstruieren lassen. Dann geht es um die eigene Stellungnahme, entweder nah an der Situation (Was würdet ihr den Galatern raten?) oder auf einer grundsätzlich theologischen Ebene, etwa angeregt durch diesen Impuls: Im Grunde ging der Streit darum, wann jemand ein Christ ist – oder was das überhaupt ist, ein Christ. Nach einer Diskussion, in der auch die bearbeiteten Paulus-Sätze nochmals akzentuiert werden können, schließt auch hier eine individuelle Sicherung an, z.B. können die diskutierten Kernsätze aus Gal 2 in eigene Worte bzw. für die heutige Zeit übersetzt („so, dass es jeder versteht“) und/oder persönliche Formulierungen zum Satzanfang „Christsein ist …“ notiert werden. Was ist Christsein? Anwendung auf die Situation: Galater 3–6 Die biographischen Szenen aus dem Galaterbrief bilden so etwas wie das Herzstück der Unterrichtseinheit und bieten, wie gesehen, die Möglichkeit, zentrale Fragen der paulinischen Theologie nachzuvollziehen und in ihrer Bedeutung für die heutige Klärung der eigenen religiösen Identität zu bedenken. Der folgende zweite Hauptteil des Briefes ist noch herausfordernder als Unterrichtsgegenstand, dazu kommen noch die Paränese und der Briefschluss: Eine große Menge Text. Die Frage, ob der Brief wirklich komplett gelesen oder eine Auswahl getroffen wird, hängt sicher nicht zuletzt von der konkreten Klasse und der zur Verfügung stehenden Zeit ab – jedenfalls wer anfangs Paulus erst einführen musste, wird sich hier vermutlich nun stärker konzentrieren. Im Folgenden werden daher mehrere Ideen vorgestellt, aus denen ausgewählt werden kann und soll. Sinnvoll scheint mir in jedem Fall, Gal 3,1–5 und damit die Frage an die Galater zu betrachten, mit der Paulus die Anwendung des bisher Entfalteten auf die galatische Situation eröffnet, sowie mit dem Briefschluss in Gal 6,11–18 den Gesamteindruck des Schreibens abzurunden, zumal die dortige Bündelung der Streitfrage und der Meinung des Paulus dazu auch zu einer abschließenden Stellungnahme der Schülerin-

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nen und Schüler einladen. Dazwischen sind verschiedene Varianten möglich. Zunächst zu Gal 3,1–5: Im Rahmen einer weiteren „Gemeindeversammlung in Galatien“ wird dieser Text vorgelesen und diskutiert. Er akzentuiert noch einmal die Grundfrage des Briefs und lädt mit seiner Anknüpfung an Gal 2,15–21 dazu ein, sich an die Diskussionen der vorigen Stunde und ggf. offen gebliebene Fragen zu erinnern. Ein Gespräch sollte klären, um welche Frage es geht – etwa: Ist die Befolgung des Gesetzes entscheidend oder der Glaube an Jesus? – und wie Paulus seine Antwort begründet. Sein Verweis auf den Empfang des Geistes und Wunder in Galatien bleibt den Schülerinnen und Schülern vielleicht erst einmal fremd, doch sollten sie jedenfalls verstehen können, dass Paulus hier mit der Erfahrung der Galater argumentiert: So wie Paulus sich auf eine besondere Erfahrung berufen kann (Damaskus), so haben auch die galatischen Gläubigen besondere Erlebnisse gehabt, als und seit sie zum Glauben kamen. Da sie sich bisher nicht an das Gesetz gehalten (also etwa die Beschneidung oder Speisegebote angenommen) haben, folgert Paulus, dass das auch heute nicht nötig ist – im Gegenteil, die Galater würden ihrem Anfang im Glauben untreu werden. Nun gibt es verschiedene Möglichkeiten der Fortsetzung. Wer nur sehr wenig Zeit oder sich gegen eine ausführlichere Bearbeitung des Galaterbriefs entschieden hat, könnte die Gruppe nun an ausgewählten Kernsätzen des Paulus diese Einsicht vertiefen lassen. Unbedingt sollten dann Gal 3,28 und 5,1 dazugehören, als weitere Möglichkeiten nenne ich 3,6f.; 3,26f.; 4,6f.; 5,3f.; 5,6; 5,13; 5,25 – sicher nicht alle, hier mag nach Größe der Klasse und v.a. nach den von den Schülerinnen und Schülern im bisherigen Unterrichtsverlauf akzentuierten Fragen ausgewählt werden. Die Auseinandersetzung mit den Versen kann als Schreibgespräch an verschiedenen Stationen erfolgen. Nach der Schreibphase werden die Paulussätze mit den dazugesetzten Reaktionen und Fragen der Jugendlichen von je zwei Schülerinnen oder Schülern vorgelesen. Die individuelle Sicherung erfolgt dann mit Hilfe eines Arbeitsblatts, auf dem die ausgewählten Verse abgedruckt sind. Die Jugendlichen markieren mit verschiedenen Farben, welcher Satz ihrer Meinung nach die Meinung des Paulus am besten zusammenfasst und welchen sie selbst am besten finden (das kann, muss aber nicht der gleiche sein). Beide Entscheidungen sollen kurz begründet werden. Es ist für die Klasse interessant, in einem Meinungsbild zu sehen, welche Sätze von den anderen gewählt wurden, dazu sollten möglichst auch einige Begründungen gehört werden. Steht mehr Zeit zur Verfügung, kann abschnittsweise weiter vorgegangen werden. In diesem Fall kann die mit Gal 3,1–5 begonnene Stunde mit Gal 3,6–14 fortgesetzt werden. Damit kommt nun auch

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die Schriftargumentation des Paulus in den Blick; der vorige Vorschlag lässt davon und also von der intertextuellen Einbettung des Galaterbriefs leider wenig erkennen. Als Übergang ist die entsprechende Herausforderung zu identifizieren: Sind denn mit dem Verweis auf die Erfahrung die Argumente der Gegner entkräftet? Die Klasse könnte nach den Stunden zu Gal 2 selbst entdecken, dass die Gegner nicht mit der Erfahrung, sondern mit biblischen Texten argumentieren. Wichtige Bezüge sollten nochmals genannt werden, z.B. die Erwählung Abrahams oder die Beschneidung als Bundeszeichen. Wie kann Paulus darauf reagieren? Hier ist die Einsicht wichtig, dass Paulus nicht einfach mit Jesus argumentieren kann, der alle eingeladen hat o.ä., weil das eben zu seiner Zeit noch nicht Teil der Bibel ist. Wer sich nicht vor drastischeren Demonstrationen scheut, kann das eindrücklich vor Augen stellen, indem vor der Klasse eine (alte) Bibel so zerschnitten wird (vielleicht durch einen Schüler?), dass das Neue vom Alten Testament abgetrennt ist. Nur das Alte Testament ist zur Zeit des Paulus die Bibel! Die Situation der Galater ist eine, in der das Christentum gerade erst entsteht und seinen eigenen Weg suchen muss. Nach dieser Hinführung kann gefragt werden, wie Paulus das Alte Testament versteht. Wie begegnet er den Argumenten seiner Gegner? Dazu wird Gal 3,6–14 gelesen. Die Jugendlichen erhalten die Aufgabe, an diesem Text herauszufinden, wie Paulus mit dem Alten Testament arbeitet. Optimal wäre ein Zugang zur elektronischen Form der BasisBibel, alternativ müssten die Schriftzitate durch die Lehrkraft identifiziert und z.B. in einer Schulbibel nachgeschlagen werden. Die Besprechung der Erkenntnisse sollte einerseits das Argumentationsziel des Paulus betonen (Abraham als Vater des Glaubens; das Kreuz als Überwindung der Forderung des Gesetzes), andererseits auch bewusst den Umgang mit der Bibel thematisieren. Ziel wäre hier die Einsicht, dass Paulus die Bibel von Jesus her versteht. Interessant dürfte schließlich eine offene Diskussion darüber sein, ob die Erfahrung der Galater (3,2–5) oder die Schriftauslegung (3,6–14) das stärkere Argument ist. Eine Erkenntnissicherung zu dieser Stunde könnte fokussieren: „Paulus versteht das Alte Testament von Jesus und von der Erfahrung des Glaubens her. Er entdeckt dabei …“ Die Schülerinnen und Schüler sollen in eigenen Worten akzentuieren, wie Paulus den Einbezug aller in den Glauben begründet. Ein solch kleinschrittiger Nachvollzug der paulinischen Argumentation kann freilich unmöglich für den ganzen Galaterbrief durchgeführt werden. Soll er ganz gelesen werden, dann unter der Devise, dass auch die Galater selbst vielleicht nicht jedes Detail verstanden haben. Denkbar wäre etwa, der Klasse den Text zu geben – oder verschiedene Abschnitte an verschiedene Gruppen – mit der Aufgabe, Argumente herauszusuchen oder besonders wichtige Verse. Finden

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sie „Lieblingsverse“, die sie sich als Konfirmationsspruch vorstellen könnten? Oder die sich als Textkarten („Losungen“) eignen? Für wen oder wann würden diese Verse passen? Eine solche Form ließe sich auch als alternativer Zugang nur für einen der im Folgenden mit weiteren Ideen diskutierten Abschnitte anwenden. An die Einsicht, dass die Galater nicht den ganzen Brief verstanden oder sich gemerkt haben, knüpft auch die Idee an, Gal 3,26–4,7 (oder bei Interesse an einer vollständigen Lektüre des Briefs 3,15– 4,7) mit folgender Höraufgabe vorzulesen: Achte darauf, welche Gründe Paulus für seine Meinung nennt. Wenn der Text fertig vorgelesen ist, schreibe mindestens einen dieser Gründe aus dem Gedächtnis auf. Auf eine komplette Rekonstruktion des Textes wird dann verzichtet und nur mit den von den Schülerinnen und Schülern notierten Sätzen weitergearbeitet, z.B. indem diese Gründe sortiert werden: Sind manche ähnlich und gehören zusammen? Klingen einzelne wie Widersprüche? Können wir ggf. noch aus unserer Hörerinnerung klären, was hat Paulus gesagt bzw. gemeint? Evtl. ergibt sich aus den von den Jugendlichen notierten paulinischen Argumenten die Möglichkeit, eine Skizze zum zeitlichen Verhältnis von Gesetz und Verheißung zu erarbeiten (ähnlich der zusammenfassenden Graphik zur Theologie des Galaterbriefs). Entscheidend ist aber der eigene Blick auf seine Argumentation, der ja schon durch die Art des Vorgehens akzentuiert wird. Dazu können zunächst seine Argumente gewichtet werden: Welcher Grund ist für Paulus wohl entscheidend? Die Spur, die auf die paulinische Orientierung an Jesus bzw. dem Glauben an ihn verweist, kann mit einem Kernsatz wie Gal 3,28 unterstrichen werden, der ggf. zu den bereits diskutierten Gründen dazugelegt wird. Je nach der vorigen Diskussion kann die Verbindung des Verses mit der Taufe (3,27) betont werden. Daneben oder alternativ könnte Gal 4,6f. eingespielt werden, das auch den Bogen zu der in der vorigen Stunde akzentuierten Erfahrung der galatischen Christusgläubigen schlägt. Unerlässlich ist jedenfalls ein Prozess, der zu einer eigenen Formulierung oder Stellungnahme der Jugendlichen zu diesen Kernsätzen oder auch einem selbst gefundenen Zentralargument des Paulus führt. Dazu können die Schülerinnen und Schüler sich Fragen auswählen wie: Was heißt das eigentlich? Wie würden wir das in unseren Worten sagen? Überzeugt mich das? Ist das heute noch wichtig? Was würde ich anders sehen? Was möchte ich noch klären? Ggf. kann im Interesse einer kompletten Wahrnehmung des Briefs abschließend und ohne weitere Bearbeitung noch Gal 4,8–20 vorgelesen werden. Eine weitere Stunde sollte die paulinische Beschreibung von Freiheit thematisieren. Der auch vom Bildungsplan betonte Begriff lädt ein, zunächst mit eigenen Vorstellungen gefüllt zu werden. „Freiheit ist …“ – in einer Assoziationskette sammeln die Jugendlichen Einfäl-

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le dazu. Die Lehrkraft speist dann, ggf. in betontem Kontrast („Paulus sagt etwas völlig anderes.“), Gal 5,1 ein (BasisBibel): „Christus hat uns befreit, damit wir endgültig frei sind.“ Der Satz kann zunächst als einzelner diskutiert werden. Evtl. ergibt sich auch aus den Assoziationen der Schülerinnen und Schüler eine Differenzierung in „Freiheit wovon“ und „Freiheit wofür“, die an der Tafel unter dem Leitsatz aus Gal 5,1 als zwei Pole markiert werden kann. Dann wird Gal 5,1–5,15 (bei Interesse an einer vollständigen Lektüre des Briefs 4,21–5,15) gelesen. Im Anschluss werden passende Aspekte zu den beiden Polen zugeordnet. Wichtig ist die Einsicht, dass Freiheit für Paulus keinen ethischen Libertinismus bedeutet, sondern die Hinwendung zum Mitmenschen erfordert – um dies zu betonen, kann im unteren Zentrum des Tafelbilds der Kontrastsatz „Dient euch gegenseitig in Liebe“ (Gal 5,13; BasisBibel) ergänzt werden. Diese Spannung, die sich auch in dem berühmten Einstieg zu Luthers Freiheitsschrift findet, verdient eine eigene Diskussion. Als Sicherung kann die an Paulus orientierte Sammlung (in anderer Farbe?) um eigene Assoziationen erweitert und auf ein Arbeitsblatt übernommen werden, das evtl. die beschriebene Grundstruktur schon vorgibt. Weiterführend oder alternativ können die Jugendlichen Stellung nehmen zu einer Frage wie: „Für Paulus heißt Freiheit auch, anderen in Liebe zu dienen. Was sagst du dazu?“ Bei Interesse an einer lückenlosen Lektüre des Briefs könnte ggf. auch diese Stunde mit einer unbearbeiteten Lesung des weiteren Stücks Gal 5,16–6,10 abgeschlossen werden. Für die Jugendlichen dürfte freilich die paränetische Spiegelung der theologischen Grundeinsichten des Paulus interessant sein, so dass es sich empfiehlt, eine eigene Stunde der Paränese zu widmen. Diese könnte mit Gal 5,13–6,10 die Frage betonen, wie nun die Gläubigen miteinander umgehen sollen. Anknüpfen lässt sich an die vorige Stunde: Ist so etwas nicht egal, wenn es nur um den Glauben an Christus geht und nicht mehr um das Gesetz, wenn wir „frei“ sind? Auf diesem Weg kann entdeckt werden, warum Paulus die uneingeschränkte Gemeinschaft auch in Antiochien so wichtig war: Orientierung an Jesus Christus meint nicht zuletzt Orientierung an seiner Liebe. An dieser Stelle kann durchaus kritisch gefragt werden, ob Paulus selbst im Galaterbrief diese Orientierung wahrt – vergreift er sich gegenüber seinen Gegnern nicht im Ton? Warum wird er so ausfallend? Hier geht es zunächst um die eigene Meinung der Jugendlichen, wobei wichtig ist, dass sie biblische Figuren (begründet) kritisieren dürfen und können. Weiterführend können aber auch Überlegungen zur Situation, in der Paulus den Galaterbrief schreibt, eingespielt werden, etwa in Form eines fiktiven Interviews, in dem er erläutert, aus welcher Situation heraus er so heftig wurde und was er mit der rhetorischen Strategie des Galaterbriefs erreichen wollte. Indem „Paulus“

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dabei die Situation nach seiner Verhaftung in Jerusalem als Perspektive einbringt, kann sich auch der biographische Bogen durch das Leben des Paulus mit einem Ausblick runden. Das ist auch ohne eine entsprechende Festlegung in der Frage der Datierung des Galaterbriefs möglich, wenn das „Interview“ z.B. mit einem altersweisen Paulus in Rom geführt wird, der anhand seines Geschicks beim Versuch der Übergabe der Kollekte die Tiefe der Spannungen zwischen ihm und seinen innergemeindlichen Widersachern herausstellt. Interessant wären Leerstellen im Interview, die von den Jugendlichen ausgefüllt werden sollen, etwa zur Frage: Würden Sie den Galaterbrief heute noch einmal genau so formulieren? Hier können sich dann eigene Gedanken und eigene Paulusbilder zeigen. Eine solche Aufgabe würde sich auch wieder zur Sicherung individueller Erkenntnisse eignen. Denkbar wäre auch, diese kritische Frage nach dem Umgang des Paulus mit seinen Gegnern und ein solches Interview schon in der vorigen Stunde (anstelle der dort vorgeschlagenen Sicherung) an Gal 5,13 anzuschließen; dann sollte das Interview gerne auch das Thema der Freiheit mit akzentuieren. Weniger gut gefällt mir die Alternative, die Idee des Interviews mit dem Briefschluss zu verknüpfen, auch wenn mit der Rede von dem „Maßstab“ in Gal 6,16 eine passende Anschlussstelle gegeben ist. Es wäre damit aber nicht mehr ohne weiteres möglich, den Akzent dieser Stunde auf eigene Überlegungen zum Ausgang der galatischen Krise zu legen – eine Frage, die mir auch deswegen wichtig ist, weil die Orientierungsaufgabe, vor der die Galater stehen, wichtige Bezüge zu den Herausforderungen hat, mit denen die Jugendlichen befasst sind. Am Ende der Unterrichtseinheit sollten daher in jedem Fall der Schluss des Galaterbriefs und eigene Schlussworte stehen. Gal 6,11– 18 bündelt einige Grundeinsichten, neben der Werbung um die Zustimmung der Galater verdienen die Verse 14f. ein Ausrufezeichen als Leitsätze der paulinischen Theologie, die auch nochmals deren Impulse für das jugendliche Fragen nach der eigenen Identität pointieren: „Was allein zählt, ist: neu geschaffen zu sein.“ (Gal 6,15; BasisBibel.) Der Satz ist eine vertiefende Diskussion wert. Er lädt aber auch ein zu eigenen Varianten und Stellungnahmen: Was zählt denn nun? Möglich wäre auch, zuerst zu überlegen, wie Paulus seinen Brief zusammenfassen kann – worum geht es, was zählt? Die eigenen Überlegungen können dann mit dem „neu geschaffen zu sein“ aus Gal 6,15 kontrastiert werden. An die Wahrnehmung des Briefes schließen sich Überlegungen zu seiner Wirkung an. Dies kann aus der Perspektive der Galater geschehen: Was werden sie jetzt tun? Historisch ist das nicht aufzuklären, was zu einer abschließenden Fantasiearbeit einlädt. Die Schülerinnen und Schüler fassen (in Arbeitsgrup-

Skizze einer Unterrichtseinheit

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pen?) einen Gemeinderatsbeschluss, wie sie sich als galatische Gemeinde nun verhalten wollen. Alternativ können sie aber auch den Galatern eigene Empfehlungen an die Hand geben, indem sie selbst einen Galaterbrief schreiben, eingeleitet z.B. mit Gal 6,11 (BasisBibel): „Seht doch, mit was für großen Buchstaben ich euch jetzt eigenhändig schreibe.“ Weitere Möglichkeiten wären, dass sie eine Antwort der Galater an Paulus verfassen oder einen eigenen Brief an den Apostel schreiben, vielleicht mit ein paar Vorgaben als Anregung, etwa: „Ich habe deinen Galaterbrief gelesen. Ich fand … Wenn ich dir eine Frage stellen darf: …“ Die verschiedenen Arbeitsaufträge oder einige davon können auch im Sinne selbstbestimmter Differenzierung zur Wahl gestellt werden. Auf eine Präsentation der Überlegungen sollte keinesfalls verzichtet werden. Bei kontroversen Positionen wären in diesem Zusammenhang auch Meinungsbilder interessant. Was machen wir damit? Kritische Würdigung des Galaterbriefs Im Prinzip könnte die Einheit hier zu Ende sein. Als Möglichkeit, abschließend nochmals ein eigenes Gesamtverständnis des Briefs zu akzentuieren, dabei seine Relevanz für heute einzuschätzen und zu einer eigenen Stellungnahme zu kommen, schlage ich aber eine weitere Stunde vor. Die Klasse wird hier zur kirchlichen „Kanonkommission“ erklärt. Ihre Aufgabe ist es, eine vorgelegte biblische Schrift – hier den Galaterbrief – daraufhin zu prüfen, ob sie Teil der Bibel bleiben soll oder nicht. Die Diskussion darüber führt zu einem bewussten kritischen Umgang mit dem Bibeltext und fordert und fördert so nicht zuletzt die intendierte hermeneutische Kompetenz. Das Vorgehen kann ähnlich einer Dilemmadiskussion so angelegt werden, dass nach einer Probeabstimmung eine Gruppe Argumente für die Beibehaltung des Galaterbriefs und eine andere Argumente dagegen sammelt und dies dann diskutiert wird. Vor einer erneuten Abstimmung muss jede Gruppe rückmelden, welches das stärkste Argument der Gegengruppe war (oder die drei stärksten Argumente).959 Alternativ könnten Kleingruppen differenzierte Arbeitsaufträge zur Vorbereitung der Diskussion erhalten, die einzelne Aspekte der bisherigen Arbeit aufnehmen und vertiefen, nicht zuletzt solche, die durch Fragen der Jugendlichen während der Einheit betont wurden. In jedem Fall sollte auch diese Diskussion in eine individuelle Sicherung münden, in der die Schülerinnen und Schüler etwa formulieren, was ihnen in der Beschäftigung mit dem Galaterbrief wichtig geworden ist, welche Erkenntnisse und Fragen sie mitnehmen und was sie für den eigenen Umgang mit der Bibel gelernt haben. 959

Vgl. ebd., M 29. – Sachlich ähnlich ist der Vorschlag von Büttner/Kumpf, Bücher, 55: Eine „Bibelkürzungskommission“ soll das Amosbuch verschlanken.

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Überblick und Diskussion Im Überblick lässt sich die skizzierte Unterrichtseinheit „Selbstfindung des Christentums: der Galaterbrief“ in 4 Teile mit 10–14 Sequenzen gliedern, je nachdem, welche Aspekte im ersten und dritten Teil – nach Vorwissen bzw. Zeit – ausgewählt bzw. kombiniert werden. Für manche Sequenzen (z.B. Planspiel zum Apostelkonvent) scheint in der Planung eine Doppelstunde sinnvoll. Ein Brief kommt an: Hinführung und Galater 1,1–9 • Eine Zeitreise: Wer sind die Galaterinnen und Galater? oder alternativ eine ausführlichere Exposition: • Paulus: Vom Verfolger der Gemeinde zum Verkündiger des Christus • Galatien: Mission im Auftrag der antiochenischen Gemeinde • Ein Brief kommt an: Gal 1,1–9 oder „Was ist das Problem?“ Paulus argumentiert mit seinen Erfahrungen: Galater 1,10–2,21 • Die Position des Paulus: Gal 1,10–24 und die Bedeutung von Damaskus • Der Apostelkonvent: Ein Planspiel zum Hintergrund von Gal 2,1– 10 • Der Antiochenische Konflikt: Paulus kämpft für die „Wahrheit der Guten Nachricht“, wie er sie versteht (Gal 2,11–14) • Was ist Christsein? Eine Auseinandersetzung mit Gal 2,15–21 Was ist Christsein? Anwendung auf die Situation: Galater 3–6 • Die Frage an die Galater und das Argument der Erfahrung: Gal 3,1–5 • Argumente des Paulus: Kernaussagen aus 3,6–6,10 oder gerne ausführlicher mit verschiedenen möglichen Akzenten: • Das Argument der Schrift: Gal 3,6–14 • Das Argument Christus und der Glaube: Gal 3,26–4,7 (mit 3,15– 4,20?) • Das Argument Freiheit und Liebe: Gal 5,1–15 (mit 4,21– 5,15/6,10?) • Christliches Leben und das Auftreten des Paulus: Gal 5,13–6,10 • Was allein zählt: Zum guten Schluss (Gal 6,11–18) Was machen wir damit? Kritische Würdigung des Galaterbriefs • Kanonkommission: Soll der Galaterbrief Teil der Bibel bleiben? Die Skizze der Einheit zeigt, dass auf Grundlage der ausgewählten Kompetenzen mit dem Galaterbrief so gearbeitet werden kann, dass

Skizze einer Unterrichtseinheit

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das Gespräch der Schülerinnen und Schüler mit dem Text betont wird, sie ihr eigenes Fragen und Denken mit einbringen und Impulse dafür erhalten – und zugleich die Bibel durchaus zu ihrem Recht kommt, die Theologie des Paulus erkennbar und intertextuelle Beziehungen einsichtig werden und dabei neben inhaltsbezogenen auch hermeneutische Kompetenzen der Jugendlichen deutlich gefördert werden. Freilich ist die Einheit durchaus anspruchsvoll und bedarf einiges an Unterrichtszeit, obwohl noch keineswegs alle für Paulus wichtigen Aspekte behandelt werden – um nur ein Beispiel zu nennen: Es könnte mit guten Gründen mehr Gewicht auf die Aussagen zum Kreuz Jesu Christi gelegt werden (z.B. 2,19–21; 3,1.13f.; 6,12.14). Dass die Texte einen Überschuss haben, der nicht komplett gehoben wird, spricht aber keineswegs dagegen, sich mit ihnen zu befassen, im Gegenteil: Es unterstreicht auf seine Weise den Charakter der paulinischen Theologie, von der zentralen Orientierung an Jesus Christus her praktisch alle biblisch-theologischen Fragen zu durchdringen. So ist gerade diese Beobachtung auch als Argument für eine Auseinandersetzung mit dem Galaterbrief zu werten.

D. Ertrag und Ausblick Ertrag (Blindstichwort für Kopfzeile rechts)

„Man kann entweder bibel- und theologieorientiert unterrichten oder themen-, problem-, gegenwarts- und schülerzentriert, beides miteinander zu vermitteln scheint jedoch in der Praxis höchst schwierig, ja beinahe eine Unmöglichkeit“: Mit dieser Beschreibung einer „Aporie“ spitzt Veit Jakobus Dieterich die grundlegende Herausforderung eines RU, der sich dem Prinzip der wechselseitigen Erschließung verpflichtet sieht, pointiert zu, wobei er freilich eben dies im gleichen Atemzug als „die entscheidende Aufgabe einer Religionsdidaktik“ bestimmt.960 In der Tat ist unbeschadet der schon langen Karriere dieses Leitbilds meist zu beobachten, dass faktisch einer der beiden Pole das Übergewicht hat, wobei das Problem nicht das Fehlen (oder die fehlende Lauterkeit) einer entsprechenden Absicht ist, sondern vielmehr die Komplexität dieser nur scheinbar einfachen Aufgabe. Schon religionspädagogische Grundentscheidungen lassen sich als verschiedene Positionierungen in dieser Spannung beschreiben, wie anhand der Diskussion des Profils einer Theologie für Kinder bzw. Jugendliche deutlich wurde, das von einigen mit Blick auf die Kinder und Jugendlichen (was brauchen die?), von anderen bezogen auf die Theologie bestimmt wird (was brauchen die?).961 Wer sich zu einem Interesse an der Theologie des Paulus bekennt, steht vermutlich von vornherein unter dem Verdacht, sich eher auf der inhaltlichen Seite zu positionieren – und in der Tat behaupte ich nicht, eine aufmerksame Wahrnehmung der Schülerinnen und Schüler führe zwingend zu einer Beschäftigung mit dem Galaterbrief. Meine These ist aber, dass die Paulusbriefe von solcher theologischen Relevanz sind, dass jedenfalls eine aufmerksame Prüfung angebracht ist, ob und inwieweit sie sich unterrichtlich aufnehmen lassen. Dahinter steht die beschriebene religionspädagogische Grundorientierung, die den Bezug auf das lernende Subjekt nicht unabhängig von dessen Begegnung mit einem Gegenüber verstehen will. Ein zentrales Gegenüber bildet für den RU die Bibel, die als Gabe und Vorgabe der Grund christlicher Theologie 960 961

Dieterich, Theologisieren (2007), 130. Vgl. oben, 236ff.

Ertrag

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und der Geschichte der Kirchen ist.962 Dabei geht es nicht neben, sondern gerade in einer Auseinandersetzung mit der Bibel um Kompetenzen und Grundeinsichten, die für die Schülerinnen und Schüler lebensrelevant sind – auch wenn damit nicht behauptet wird, dass die Fähigkeit des Bibellesenkönnens oder eine eigene Durchdringung der Entstehung des Christentums der dringendste Wunsch der Jugendlichen ist. Im Gegenteil: Es gibt keinen direkten Weg, der von den Fragen der Schülerinnen und Schüler alternativlos zur Beschäftigung mit der Bibel führt. Genausowenig aber sehnen sie sich möglicherweise nach binomischen Formeln, Englischvokabeln oder Felgaufschwung. Auch eine konstruktivistisch orientierte Didaktik ist darum, wie dargestellt, nicht der Aufgabe enthoben, Inhalte des Unterrichts zu bestimmen. Das ist die eine Seite, mit Dieterich gesprochen bekenne ich mich zu einem bibel- und theologieorientierten Unterricht und leugne weder meine eigene Freude an exegetischen Fragestellungen und theologischer Reflexion noch die Einschätzung, dass sich gerade bei Paulus wichtige Grundorientierungen entdecken lassen. Die entscheidende Frage ist, ob ein solcher RU dann auf keinen Fall themen-, problem-, gegenwarts- und schülerzentriert sein könne. Dies bestreite ich, indem ich – auch das mit Dieterich – genau diese Verbindung bzw. das Prinzip der wechselseitigen Erschließung als religionsdidaktische Zielvorgabe setze. Zwar halte ich es für ein Gebot der Redlichkeit, in Hinsicht auf biblische Inhalte des RU nicht so zu tun, als ergäben sich diese aus den Fragen der Jugendlichen, umso nötiger ist aber auf der anderen Seite die Prüfung, ob und wie die Schülerinnen und Schüler Zugang zu vorgeschlagenen Inhalten haben, ob diese für ihr gegenwärtiges Denken und Fragen bedeutsam sind oder werden können. Dass biblische Texte immer einen Überschuss über das eigene Fragen haben, gehört dabei zur Natur der Sache, sprechen sie doch ursprünglich aus anderen Situationen und in andere Situationen als unsere (oder gar je meine) heutige. Wer die Bibel liest, wird darum nie den ganzen Kosmos der mit ihren Texten angebotenen Sinndeutungen erheben. Er will und wird aber Impulse für das eigene Selbstund Weltverständnis, die eigene Sicht auf Gott und den eigenen Glauben finden. Nur weil die biblischen Texte das leisten können und immer wieder leisten, konnten sie sich als Kanon, als Grundlage der christlichen Religion etablieren. Mit diesen Einsichten ist beides gesetzt: Die Berechtigung und Notwendigkeit, die Bibel in einem konfessionellen RU, der „in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaft erteilt“ wird,963 zum Gegenstand zu machen, 962 963

Vgl. C.1.c) oben, 246ff. Deutscher Bundestag, Grundgesetz, Art. 7, Abs. (3).

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und zugleich die Aufgabe der Prüfung, ob die hierfür getroffene Auswahl nicht nur von der Bibel selbst,964 sondern eben auch und entscheidend von den Schülerinnen und Schülern her begründet werden kann. Dieser Aufgabe habe ich mich im Blick auf den Galaterbrief in Aufnahme von Fragestellungen der Elementarisierung gestellt. Sie halfen, „Schlüssel zum Galaterbrief“ auszuwählen, mit deren Hilfe eine echte Begegnung der Jugendlichen mit diesem biblisch zentralen Text und den darin enthaltenen Denkangeboten möglich wird.965 Als besonders bedeutsam wurde dabei die situative Verankerung des Schreibens erkannt: Der biographische Hintergrund des Apostels mit seiner Erfahrung vor Damaskus, die strittige Situation in Galatien, wo verschiedene Positionen gegeneinander stehen, die Herausforderung der galatischen Gemeindeglieder, sich in diesem Spannungsfeld zu orientieren. Alle diese Bezüge finden Widerhall in Fragen und Herausforderungen, vor denen die Jugendlichen stehen. Das kann ihnen einen Zugang erschließen zur Argumentation und zur Position des Paulus, sei es in einer Einsicht in seine persönliche Begründung für sein an Jesus Christus orientiertes Denken, sei es in einem Empfinden für die befreiende Dimension, die es für die Galaterinnen und Galater anbietet, sei es in einer kritischen Perspektive auf den Umgang des Apostels mit seinen Gegnern. In allen diesen Fragehinsichten bietet die Beschäftigung mit dem Galaterbrief den Schülerinnen und Schülern nicht einfach nur Sachinformationen über die paulinische Theologie oder grundlegende Entscheidungen in der frühen Christenheit, sondern zugleich Impulse für das eigene Denken und Fragen: Wie stelle ich mich zu der entschiedenen Orientierung an Jesus Christus, die Paulus einnimmt? Was zählt für mich, was macht mich frei, was gibt mir Hoffnung und Orientierung, wie sehe ich mich vor Gott und in Beziehung zu meinen Mitmenschen? Wie gehe ich mit dem biblischen Text um, wie erfasse ich angemessen seinen historischen Hintergrund, wie begründe ich eigene kritische Perspektiven? Nicht alle diese Fragen bedrängen die Jugendlichen schon vor einem Unterricht zum Galaterbrief oder unabhängig von diesem, ich meine aber, gezeigt zu haben, dass in und mit solchen Fragen eine echte und fruchtbare Begegnung zwischen dem, was die Schülerinnen und Schüler beschäftigt und interessiert, und den Sinnangeboten des Galaterbriefs geschehen kann. Wenn also die Frage nach der paulinischen Theologie im RU auch zunächst aus der Perspektive eigenen biblisch-theologischen Interesses gestellt ist, so lässt sie sich doch 964 Dass und warum der Galaterbrief sich aus der Perspektive der Bibel als gut begründete Auswahl bzw. mit Peter Müller gesprochen als „Schlüssel zur Bibel“ erweist, wurde oben, 261ff., dargelegt. Dies wiederhole ich hier nicht, sondern fokussiere auf die Perspektive der Schülerinnen und Schüler. 965 Vgl. C.2. oben, 277ff., besonders C.2.c), 289ff.

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aufnehmen in einem RU, der sich der wechselseitigen Erschließung von Schülerinnen und Schülern und diesem Inhalt verpflichtet sieht. Der Galaterbrief ist darum nicht nur ein möglicher, sondern ein sinnvoller Gegenstand für den RU, nicht nur aus theologischen Erwägungen heraus, sondern gerade auch in Ausrichtung am konstruktivistisch verstandenen lernenden Subjekt. Es ist nicht nötig, an dieser Stelle nochmals die Erträge der beiden Hauptteile zu rekapitulieren, da dies je in eigenen Zusammenfassungen geschah: Die Auslegung des Galaterbriefs wurde gebündelt in Thesen zu den einzelnen Hauptteilen und in einer Skizze, wie Paulus Grundeinsichten seines Denkens angesichts seiner eigenen Situation und seiner Kenntnis der galatischen Herausforderung kontextualisiert.966 Die Überlegungen zum Galaterbrief im RU mündeten auf der Basis der grundlegenden religionspädagogischen und bibeldidaktischen Überlegungen sowie der Erarbeitung konkreter Zugänge bzw. „Schlüssel“ zum Galaterbrief in eine Beschreibung einer möglichen Unterrichtseinheit, deren Kompetenzprofil die intendierte wechselseitige Erschließung deutlich markiert und insofern ebenfalls zusammenfassenden Charakter hat.967 Ob die auf dieser Basis abschließend vorgeschlagenen Elemente für ein solches unterrichtliches Projekt968 überzeugend zeigen, wie sich dies nun auch methodisch umsetzen lässt, mag eine jede Lehrkraft selbst entscheiden; sie hätten ihr Ziel freilich auch dann erreicht, wenn sie zu besseren eigenen Ideen Anstöße geben. Ist also eine Zusammenfassung einzelner Ergebnisse der Hauptteile bereits geleistet, so erscheint hier noch ein Rückblick auf den Zusammenklang der beiden Teile sinnvoll. Das Vorgehen der Arbeit bildet die eben nochmals akzentuierte Denkrichtung ab, ausgehend von einem Interesse an dem theologischen Gewicht der Paulusbriefe deren unterrichtliche Eignung zu prüfen. Der dafür exemplarisch ausgewählte Galaterbrief wurde zunächst vollständig interpretiert. Damit kommt die Stimme des Paulus zu ihrem Recht und wird nicht vorschnell auf religionsdidaktische Appetithappen zurechtgestutzt. Damit wird nicht nur der erwähnte „Überschuss“ des Textes über den unmittelbar im RU zu realisierenden Gehalt hinaus erkennbar, auch für die inhaltliche Vorbereitung eines Unterrichts zum Galaterbrief oder bei im RU entstehenden konkreten Fragen ist eine solche komplette Auslegung des Briefs hilfreich. Als besonders wichtig hierfür erwies sich die anschließende gründliche Beschäftigung mit den his966 Vgl. die Thesenreihen oben, 33.71.128f.141.148. Eine Gesamtsicht auf die paulinische Theologie, wie sie sich situativ zugespitzt im Galaterbrief zeigt, bietet B.3. oben, 190ff. 967 Vgl. C.3.a) oben, 315ff. 968 Vgl. C.3.b) oben, 320ff.

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torischen Hintergründen: Auf dieser Basis wird der Brief wirklich als Brief wahrnehmbar, lassen sich also dialogisch konturierte Situationen erschließen, in die hinein und aus denen heraus erkennbar wird, worum es hier geht. Das gilt schon für die Wahrnehmung der Theologie des Paulus: Die von der „New Perspective on Paul“ angestoßene Diskussion um das Verständnis seiner Rechtfertigungslehre fragt im Kern eben nach der historischen Situation, die Paulus mit diesen Überlegungen klären will. Die Einsicht in die Kontextbezogenheit der Argumentation des Briefs warnt auch davor, aus diesem eine Art paulinische Normaldogmatik abzuleiten, weshalb die Bündelung die Sicht des Galaterbriefs ausdrücklich als eine Kontextualisierung paulinischer Theologie beschreibt. Diese Perspektive auf die Situation des Schreibens ist nicht zuletzt wichtig für dessen Behandlung im RU: Die historischen Gesprächskonstellationen erwiesen sich als besonders hilfreich, um den Text aus seiner vitalen Ursprungssituation heraus zu verstehen – nicht umsonst liegt der Schwerpunkt der skizzierten Unterrichtseinheit auf den biographischen bzw. historischen Schlüsselszenen, die Gal 1f. vor Augen stellt und die sich in eigenem Nachvollzug erschließen lassen. Über diesen konkreten Aspekt hinaus und sozusagen als Kernidee in dieser unterrichtlichen Aufnahme ist die Einsicht entscheidend, dass Paulus eben nicht einen absoluten, kontextfreien Wahrheitsanspruch vertritt, der nun einfach hinzunehmen wäre, sondern bezogen auf eine konkrete Situation und Herausforderung argumentiert. Damit erschließen sich entscheidende Dimensionen sowohl für das eigene Verständnis der paulinischen Position als auch für deren kritische Prüfung in heutigen, durchaus anderen Situationen. Wird erst einmal klar, dass damals in Galatien sicher kein einhelliges Verständnis des Apostelschreibens, sondern eine lebhafte Diskussion darüber entstand, so lässt sich nicht nur das Recht verschiedener Rezeptionen desselben Textes entdecken, sondern darüber hinaus auch ein bewusster, eigenes Denken und Fragen ins Spiel bringender Umgang mit der Bibel einüben. Mit diesen rezeptionsästhetischen Aspekten bietet die exegetische Arbeit am Galaterbrief Impulse für eine Aufnahme des Textes in konstruktivistischer Perspektive. Nach meinem Urteil ist diese Beobachtung ein wichtiges Argument für die Bedeutung exegetischer Arbeit gerade für einen didaktisch reflektierten RU: Sie zeigt, dass mit der Exegese und der Religionspädagogik nicht zwei einander grundfremde Disziplinen und Denkbemühungen aufeinander stoßen, sondern dass Einsichten beider Perspektiven ineinander greifen. Entsprechend ließen sich in den Überlegungen zur Bibeldidaktik etliche Beobachtungen machen, in denen didaktische Grundsätze mit hermeneutischen Grundüberzeugungen korrespondieren. Diese Erkenntnisse eröffnen Möglichkeiten für einen RU, der bewusst den Aufbau einer

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eigenen Auslegungskompetenz unterstützt, indem er Begegnungsweisen mit den biblischen Texten inszeniert, die hermeneutisch begründete Zugänge entdecken lassen – und zwar solche, die den Schülerinnen und Schülern aus eigener Anschauung verständlich werden können.969 Etliche „Szenarien“ des vorgeschlagenen Unterrichts ließen sich hier benennen – etwa der Nachvollzug der Strittigkeit der Grundsatzentscheidungen über christliche Identität im Plan- oder Rollenspiel; die „galatische Gemeindeversammlung“ als Forum, das durchaus vielstimmig den Paulusbrief rezipiert; die Frage nach der Situation des Paulus bei der Abfassung des polemischen Schreibens. Eine solche Erschließung des Textes aus seiner Situation ist auch die entscheidende Basis für eine heutige, kritische Auseinandersetzung. Wenn es gelingt, ein entsprechendes Vorgehen auf eine Bewusstseinsebene zu heben – etwa mit der Aufgabe, als Kanonkommission über den Verbleib des Galaterbriefs in der Bibel zu entscheiden –, bietet ein solcher Unterricht einen wichtigen und nachhaltig wirkenden Beitrag zur eigenen Wahrnehmung der Bibel. Die Bibel ist kein irrtumsfreier Tatsachenbericht und behauptet auch gar nicht, das zu sein. Dieser mitunter aus Kindertagen (und einer hermeneutikvergessenen Grundschuldidaktik?) mitgebrachten naiven Einschätzung muss nicht nur deswegen widersprochen werden, weil sie Heranwachsende vor fatale Alternativen stellt (wenn ich die Evolutionstheorie für vernünftig halte, muss ich mich von der Bibel verabschieden o.ä.), sondern vor allem, weil sie viel zu kurz greift. Die Wahrheit der Bibel geht weit über die Behauptung von historischen Tatsachen hinaus. Sie ist, wie Paulus im Galaterbrief betont (2,5.14), der Grund christlicher Freiheit und Gemeinschaft. Auf der Basis seiner entschiedenen Orientierung an Jesus Christus setzt Paulus im Galaterbrief so gewichtige thematische Akzente, dass allein schon deswegen die Wahl dieses Textes für eine (annähernde) Ganzschriftlektüre gut begründet ist. Ergänzend lassen sich aber weitere Aspekte nennen, die im Kontext der Auslegung des Galaterbriefs und der Überlegungen zu seiner unterrichtlichen Bearbeitung in den Blick traten: Der Brief eröffnet einen Zugang in eine historische Phase, in der die Heilige Schrift der Juden und der Christen identisch war. Über das heute so genannte „Alte Testament“ hinaus gab es noch keine kanonischen Texte970 und Paulus selbst schrieb seine 969 Vgl. zur Förderung des eigenen Bibellesenkönnens oben, 301ff., und in diesem Zusammenhang besonders 302 zur Kritik einer Expertokratie akademisch-wissenschaftlicher Auslegungsmethoden. 970 Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass zur Zeit des Paulus auch der Kanon des Alten Testaments noch keineswegs feststand. Es kann zwar von einem faktischen Kanonabschluss der Torah und der Propheten ebenso ausgegangen werden wie von einer Anerkennung des Psalters. Der Umfang des mit diesen beginnenden dritten

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Briefe gewiss nicht in dem Bewusstsein, dass diese einmal die ältesten Teile eines „Neuen Testaments“ werden würden. Der Titel der skizzierten Unterrichtseinheit „Die Selbstfindung des Christentums“ nimmt also nicht nur die Herausforderung der Jugendlichen auf, ihre eigene Identität zu finden und zu bestimmen, sondern auch diese Situation, in der das entstehende Christentum sein Selbstverständnis erst noch klären muss. Paulus macht hier zwar ein gewichtiges Angebot, das sich dann auch weitgehend durchgesetzt hat, kennt aber selbst noch nicht einmal die Bezeichnung „Christ“. Wie diese Situation im Unterricht nachvollziehbar und diskutiert werden kann, wurde dargestellt. Diese frühe und für seinen späteren Weg entscheidende Phase der Geschichte des Christentums ist durch weitere Aspekte gekennzeichnet, die besondere Lernchancen bieten. Zum einen werden grundsätzliche Einsichten in das Entstehen des biblischen Kanons eröffnet. Wegen des anfänglichen „Fehlens“ einer „eigenen“ Heiligen Schrift entwickelt die junge Christenheit ihre eigene Theologie auf der Basis der jüdischen Tradition. Sowohl die Nähe des Christentums zum Judentum als auch die Gründe für die Auseinanderentwicklung beider zu zwei Religionen lassen sich nirgends klarer erfassen und diskutieren als hier. Paulus muss seine neue Interpretation der jüdischen Heiligen Schrift von Jesus Christus her an deren Texten bewähren. So eröffnet der Galaterbrief tiefe Einsichten in intertextuelle Zusammenhänge des Neuen und Alten Testaments und ermöglicht zugleich, die Bedeutungsbreite der Schrift wahrzunehmen: Natürlich haben die Gegner des Paulus auch Recht, wenn sie die Beschneidung als Zeichen des Abrahambundes beschreiben, von dem Recht nichtchristlicher Juden auf ihr Verständnis ihrer Heiligen Schrift ganz zu schweigen. Damit stellt sich weiter die Frage nach Kriterien des Schriftverständnisses. Paulus liest die Schrift konsequent von Jesus Christus her. In der Fluchtlinie dieser Überlegungen scheint die theologische Grundfrage auf, ob wirklich „die Bibel“ oder nicht vielmehr der von ihr, jedenfalls vom Neuen Testament bezeugte Jesus Christus die entscheidende Offenbarung Gottes in Zuwendung zu uns Menschen ist. Und von hier aus nun ließe sich in der Tat eine ganze Dogmatik aufbauen … Das soll zwar weder hier noch gar in einer Unterrichtseinheit zum Galaterbrief geschehen. Aber alle diese Perspektiven gehören zu dem Horizont, den die Auseinandersetzung mit diesem Brief erschließen kann. Jede einzelne dieser Perspektiven ist daher, so meine ich, ein weiteres Argument für die Beschäftigung mit hebräischen Kanonteils „Schriften“ ist noch nicht abschließend bestimmt bzw. begrenzt, alle später dann kanonisierten Bücher aber sind längst bekannt. In religionspädagogischer Perspektive halte ich es daher für gut begründet, von der Heiligen Schrift der Juden so zu reden, als sei diese zur Zeit des Galaterbriefs schon eine klar umrissene Größe.

Ausblick

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dem Galaterbrief – hier geht es nicht nur um Leitfragen einer biblischen Theologie, hier geht es nicht nur um die grundlegende eigene Kompetenz im Umgang mit der Bibel, hier geht es zutiefst um die Frage, was ich eigentlich sage, wenn ich mich „Christ“ nenne. Elementarer und fundamentaler kann christlicher Religionsunterricht nicht fragen. Die vorliegende Auseinandersetzung mit dem Galaterbrief wurde ausdrücklich als exemplarische Untersuchung zu Möglichkeiten des Umgangs mit paulinischer Theologie im RU angelegt. Ich möchte daher als Ausblick skizzieren, wie in Weiterführung der vorgestellten Überlegungen der Paulus der Briefe im RU an Gewicht gewinnen kann. Der eingangs skizzierte Maximalvorschlag eines Spiralcurriculums zu Paulus wurde dort schon als eine kaum eine realistische Option eingestuft.971 Aber schon die Durchführung einer einzelnen Unterrichtseinheit zu einem Paulusbrief dürfte die „Sichtbarkeit“ des Paulus im RU erheblich verbessern. Das sei abschließend kurz angedeutet: Der baden-württembergische Bildungsplan 2016 für die Sekundarstufe I, auf dessen Basis die vorgeschlagene Unterrichtseinheit entworfen wurde, regt eine erste biographische Beschäftigung mit Paulus für die Orientierungsstufe an.972 Dies wäre aus der Perspektive des hier gemachten Vorschlags deutlich zu begrüßen, nicht nur weil es eine daran anschließende Einheit zum Galaterbrief inhaltlich entlastet, sondern auch, weil auf diese Weise wichtige biographische Aspekte gedoppelt und nun auch in ihrer Funktion für das Denken und die situationsbezogene Argumentation des Apostels erkennbar werden. Das „Gesicht“ des Paulus gewinnt dadurch entscheidend an Kontur und Tiefenschärfe. Die gründliche Arbeit an einem seiner Briefe sensibilisiert zusätzlich für die Kontextbezogenheit seines Denkens. Auch wenn nun keine weiteren Unterrichtseinheiten zu anderen Briefen des Apostels erfolgen, ist es auf dieser Basis wesentlich leichter möglich, weitere vom Bildungsplan vorgeschlagene Paulustexte ebenso in ihren konkreten Kontext zu stellen und unter Bezug auf das christuszentrierte Denken des Apostels zu entschlüsseln. Wenn z.B. Röm 8 und 1. Kor 15 nach dem Plan im Kontext christlicher Hoffnung über den Tod hinaus behandelt werden sollen,973 dann kann durchaus die Situation etwa der enthusiastischen Vollendungsvorstellung in Korinth kurz skizziert und die Frage gestellt werden, warum Paulus da so vehement eine andere Sicht vertritt – hat er nicht 971

Vgl. oben, 11f. Vgl. oben, 212. 973 Vgl. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, Bildungsplan 2016. Sekundarstufe I - evang. RU, 25. 972

346 selbst in Gal 6,15 von der neuen Schöpfung gesprochen? Der Schlüssel auch zu diesem Text wird die Christusbegegnung des Paulus sein (vgl. z.B. 1. Kor 15,8–10), von der her der auferstandene Christus zum alles entscheidenden Argument wird (1. Kor 15,20). Ebenso kann der Schluss von Römer 8 im Licht dieser Erfahrung des Apostels gelesen und sprechend werden, wobei hier auch Aspekte der bedingungslosen Annahme wieder entdeckt werden können, die der Galaterbrief betonte. So erscheinen diese Texte nicht mehr als zeitlose dogmatische Autoritäten, sondern bekommen einen Hintergrund, eine vertraute Stimme, werden lebendig – und bilden auch ohne weitere Ganzschriftlektüren Lernschleifen, die den Schülerinnen und Schülern die Chance geben, die paulinische Theologie und ihre für die christliche (nicht nur die evangelische) Tradition so wichtigen Grundgedanken als relevant für ihr eigenes Leben und ihren eigenen Glauben zu entdecken. Natürlich geht es letztlich um die eigene Aneignung, aber es kann und darf gerade in dieser Perspektive nicht egal sein, ob und wie zentrale Impulse der biblischen Tradition überhaupt in den Blick treten. Dabei dürfte bereits die gründliche Erarbeitung eines einzelnen Paulusbriefes für die Wahrnehmung weiterer ausgewählter Paulustexte im RU einen Resonanzraum schaffen, der ihnen dort bisher oft fehlt.

Literatur

Das Literaturverzeichnis beschränkt sich streng auf die in den Anmerkungen angeführten Titel. Damit die verwendeten Kurztitel möglichst schnell aufgelöst werden können, werden die Titel – abgesehen von der Voranstellung der zitierten Bibelausgaben – nicht rubriziert und alphabetisch zunächst nach Autor/in, Herausgeber/in oder Institution, dann aber nach den in den Nachweisen verwendeten Titelstichworten (also nicht nach den vollständigen Titeln) sortiert. Als Titelstichwort dient regelmäßig das erste Substantiv des Titels bzw. bei Kommentaren, soweit möglich, stattdessen Abkürzung der Reihe und (ggf.) Bandzahl. Ergibt sich so kein eindeutiger Kurztitel, ist die Jahreszahl in Klammern ergänzt. Abkürzungen folgen dem Abkürzungsverzeichnis von RGG4 bzw. – für dort nicht nachgewiesene Werke – Schwertner, IATG3 (und dort im Zweifelsfall dem Kürzel für den deutschsprachigen Raum). Periodika, die auch dort keine Abkürzung zugewiesen bekommen, werden mit vollem Titel nachgewiesen. Zitierte Bibelausgaben BasisBibel. Das Neue Testament und die Psalmen, Stuttgart 22012 Gute Nachricht Bibel. Altes und Neues Testament. Mit den Spätschriften des Alten Testaments (Deuterokanonische Schriften/Apokryphen), Stuttgart, Stuttgart 1997 Septuaginta deutsch. Das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung. hg. v. Wolfgang Kraus und Martin Karrer, Stuttgart 2009 Stuttgarter Erklärungsbibel mit Apokryphen. Die Heilige Schrift nach der Übersetzung Martin Luthers. Mit Einführungen und Erklärungen, Stuttgart 22007 Zürcher Bibel. 2007, Zürich 22008

Weitere Literatur Alvarez Cineira, David: Die Religionspolitik des Kaisers Claudius und die paulinische Mission (HBS 19), Freiburg im Breisgau 1999 Ausubel, David: The Use of Advance Organizers in the Learning and Retention of Meaningful Verbal Material, in: Journal of Educational Psychology 51/1960, S. 267–272

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Literatur

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Literatur

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Literatur

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Literatur

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Literatur

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Literatur

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Literatur

Klafki, Wolfgang: Die didaktischen Prinzipien des Elementaren, Fundamentalen und Exemplarischen, in: Blumenthal, Alfred u.a. (Hg.), Handbuch für Lehrer. Band 2: Die Praxis der Unterrichtsgestaltung, Gütersloh 31961, S. 120–139 Klaiber, Walter: Der Galaterbrief (Die Botschaft des Neuen Testaments), Neukirchen-Vluyn 2013 Klauck, Hans-Josef: Die antike Briefliteratur und das Neue Testament. Ein Lehr- und Arbeitsbuch, Paderborn 1998 Klinghardt, Matthias: Das Aposteldekret als kanonischer Integrationstext. Konstruktion und Begründung von Gemeinsinn, in: Öhler, Markus (Hg.), Aposteldekret und antikes Vereinswesen. Gemeinschaft und ihre Ordnung (WUNT 280), Tübingen 2011, S. 91–112 Koch, Dietrich-Alex: Bilder aus der Welt des Urchristentums. Das Römische Reich und die hellenistische Kultur als Lebensraum des frühen Christentums in den ersten zwei Jahrhunderten, Göttingen 2009 Koch, Dietrich-Alex: Geschichte des Urchristentums. Ein Lehrbuch, Göttingen 2013 Konradt, Matthias: Bekehrung – Berufung – Lebenswende. Perspektiven auf das Damaskusgeschehen in der neueren Paulusforschung, in: Nicklas, Tobias / Merkt, Andreas / Verheyden, Joseph (Hg.), Ancient Perspectives on Paul (NTOA 102), Göttingen 2013, S. 96–120 Konradt, Matthias: Zur Datierung des sogenannten antiochenischen Zwischenfalls, in: ZNW 102/2011, S. 19–39 Kraft, Friedhelm: Chancen und Grenzen der Kompetenzorientierung – Acht Thesen, in: Kraft, Friedhelm / Freudenberger-Lötz, Petra / Schwarz, Elisabeth E. (Hg.), »Jesus würde sagen: Nicht schlecht!«. Kindertheologie und Kompetenzorientierung (JaBuKi Sonderband), Stuttgart 2011, S. 9–16 Kraft, Friedhelm: „Theologisieren mit Kindern“ – ein neues didaktisches Leitbild für den Religionsunterricht an Grundschulen?, in: ThBeitr 35/2004, S. 81–91 Kraft, Friedhelm: Theologisieren mit Kindern und Kompetenzerwerb, in: Büttner, Gerhard u.a. (Hg.), Handbuch Theologisieren mit Kindern, Stuttgart 2014, S. 26– 31 Kraft, Friedhelm / Freudenberger-Lötz, Petra / Schwarz, Elisabeth E.: Einleitung, in: dies. (Hg.), »Jesus würde sagen: Nicht schlecht!«. Kindertheologie und Kompetenzorientierung (JaBuKi Sonderband), Stuttgart 2011, S. 7–8 Kraft, Gerhard u.a. (Hrsg.): Das Kursbuch Religion 2. Ein Arbeitsbuch für den Religionsunterricht im 7./8. Schuljahr, Stuttgart 2005 Krauter, Stefan: Rezension zu Bauer, Thomas Johann: Paulus und die kaiserzeitliche Epistolographie. Kontextualisierung und Analyse der Briefe an Philemon und die Galater, 2011, in: ThLZ 138/2013, Sp. 29–30 Kristen, Peter: Moderne deutsche Bibelübersetzungen, in: Zimmermann, Mirjam / Zimmermann, Ruben (Hg.), Handbuch Bibeldidaktik, Tübingen 2013, S. 76–82 Kropač, Ulrich: [III.8] Biblisches Lernen, in: Hilger, Georg / Leimgruber, Stephan / Ziebertz, Hans-Georg (Hg.), Religionsdidaktik. Ein Leitfaden für Studium Ausbildung und Beruf, München 32005, S. 385–401 Kropač, Ulrich: Schülerinnen und Schüler als „Exegeten“ oder als „Raumfahrer“ im biblischen Zeichenuniversum? Bibeldidaktische Suchbewegungen zwischen Entwicklungspsychologie und Semiotik, in: Adam, Gottfried u.a. (Hg.), Bibeldidaktik. Ein Lesebuch, Münster 2006, S. 152–157

Literatur

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Kultusministerkonferenz: Einheitliche Prüfungsanforderungen in der Abiturprüfung. Evangelische Religionslehre, 16.11.2006. Online verfügbar unter http://www. kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/1989/1989_12_01-EPA-EvReligion.pdf Lähnemann, Johannes: [X.] Umgang mit der Bibel – Bibelwissenschaftliches Arbeiten in fachdidaktischer Perspektive, in: Adam, Gottfried / Lachmann, Rainer (Hg.), Religionspädagogisches Kompendium, Göttingen 62003, S. 245–294 Lämmermann, Godwin: Systemisch-konstruktivistische (Religions-)Didaktik und biblischer Wahrheitsanspruch, in: Bachmann, Michael / Woyke, Johannes (Hg.), Erstaunlich lebendig und bestürzend verständlich? Studien und Impulse zur Bibeldidaktik, Neukirchen-Vluyn 2009, S. 167–181 Lamp, Ida / Meurer, Thomas: PAULUS. In die Stadt kommen, in: Religion betrifft uns 1999, H. 2 Lampe, Peter: Rhetorische Analyse paulinischer Texte – Quo vadit? Methodologische Überlegungen, in: Sänger, Dieter / Konradt, Matthias (Hg.), Das Gesetz im frühen Judentum und im Neuen Testament. Festschrift für Christoph Burchard zum 75. Geburtstag (NTOA 57), Göttingen 2006, S. 170–190 Landgraf, Michael: Biblische Inhalte im Religionsunterricht. Überlegungen zu einem neuen Bibelcurriculum, in: Finsterbusch, Karin (Hg.), Bibel nach Plan? Biblische Theologie und schulischer Religionsunterricht, Göttingen 2007, S. 155–173 Lehnardt, Andreas: Art. Brief, Calwer Bibellexikon. Band 1, Stuttgart 2003, S. 206 Lietzmann, Hans: An die Galater. Mit einem Literaturnachtrag von Philipp Vielhauer (HNT 10), Tübingen 41971 Longenecker, Richard N.: Galatians (WBC 41), Nashville u.a. 1990 Löning, Karl: Der Galaterbrief und die Anfänge des Christentums in Galatien, in: Schwertheim, Elmar (Hg.), Forschungen in Galatien (Asia Minor Studien 12), Bonn 1994, S. 131–156 Lührmann, Dieter: Der Brief an die Galater (ZBK.NT 7), Zürich [1978] 32001 Luther, Martin: Von der Freiheit eines Christenmenschen. 1520, in: ders., Glaube und Leben, Herausgegeben von Dietrich Korsch (Deutsch-deutsche Studienausgabe 1), Leipzig 2012, S. 277–315 Luther, Martin: Galaterbrief-Auslegung von 1531. Hg. v. Hermann Kleinknecht, Göttingen 21987 Luther, Martin: In epistolam S. Pauli ad Galatas Commentarius ex praelectione D. Martini Lutheri collectus [Galatervorlesung 1531/35]. Ed. A. Freitag (WA 40/I, 1–40/II, 184), Weimar 1911/1914 Luz, Ulrich: Das Evangelium nach Matthäus. 1. Teilband. Mt 1–7 (EKK I/1), Düsseldorf, Zürich, Neukirchen-Vluyn 52002 Machalet, Christian: Paulus im Schulbuch. Eine Untersuchung zum Thema Paulus in Religionsbüchern der Sekundarstufe I, in: EvErz 37/1985, S. 503–510 Marguerat, Daniel: Wie historisch ist die Apostelgeschichte?, in: ZNT 9/2006, H. 18, S. 44–51 Martens, Ekkehard: Kinderphilosophie und Kindertheologie – Familienähnlichkeiten, in: Bucher, Anton A. u.a. (Hg.), »Kirchen sind ziemlich christlich«. Erlebnisse und Deutungen von Kindern (JaBuKi 4), Stuttgart 2005, S. 12–28 Martyn, James Louis: Galatians. A New Translation with Introduction and Commentary (AncB 33A), New Haven 1997

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Literatur

Mendl, Hans: Modelle – Vorbilder – Leitfiguren. Lernen an außergewöhnlichen Biografien (Religionspädagogik innovativ 8), Stuttgart 2015 Mendl, Hans: Religionsdidaktik kompakt. Für Studium Prüfung und Beruf, München 2011 Mendl, Hans: Konstruktivistische Religionspädagogik im Kontext der Diskussion um Bildungsstandards, in: Büttner, Gerhard (Hg.), Lernwege im Religionsunterricht. Konstruktivistische Perspektiven, Stuttgart 2006, S. 40–57 Mendl, Hans: Ein Zwischenruf: Konstruktivismus, Theologie und Wahrheit, in: ders. (Hg.), Konstruktivistische Religionspädagogik. Ein Arbeitsbuch (Religionsdidaktik konkret 1), Münster 2005, S. 177–187 Merkel, Rainer: Begegnungslernen mit Lebensbildern. Ein neues didaktisches Modell am Beispiel „Paulus“, in: Loccumer Pelikan 2011, H. 2, S. 77–81 Merklein, Helmut: Der erste Brief an die Korinther. Kapitel 5,1–11,1 (ÖTBK 7/2), Gütersloh 2000 Mette, Norbert: Bibeldidaktik 1986–2006. Ein Überblick, in: Bizer, Christoph u.a. (Hg.), Bibel und Bibeldidaktik (JRP 23), Neukirchen-Vluyn 2007, S. 175–195 Meurer, Thomas: Bibel macht Schule. Aber schafft sie auch Glauben? Anmerkungen zur aktuellen Diskussion, in: Adam, Gottfried u.a. (Hg.), Bibeldidaktik. Ein Lesebuch, Münster 2006, S. 206–213 Meurer, Thomas: Bibeldidaktik als ästhetische Rekonstruktion. Zum Konzept einer ästhetischen Bibeldidaktik und ihres kritischen Potenzials für eine Religionspädagogik in der Postmoderne, in: Adam, Gottfried u.a. (Hg.), Bibeldidaktik. Ein Lesebuch, Münster 2006, S. 214–221 Meurer, Thomas: Bibeldidaktik. Konzepte – Methoden – Ziele, in: Gillmayr-Bucher, Susanne u.a., Bibel verstehen. Schriftverständnis und Schriftauslegung (Theologische Module 4), Freiburg im Breisgau, Basel, Wien 2008, S. 167–189 Meurer, Thomas: Die Wiederentdeckung der Bibel als Buch. Zum gegenwärtigen Paradigmenwechsel in der Erforschung des Alten Testaments, in: Bizer, Christoph u.a. (Hg.), Bibel und Bibeldidaktik (JRP 23), Neukirchen-Vluyn 2007, S. 29–37 Meyer-Blanck, Michael: Umrisse einer Jugendtheologie – Vorüberlegungen zu einer didaktischen Dogmatik, in: Freudenberger-Lötz, Petra / Kraft, Friedhelm / Schlag, Thomas (Hg.), »Wenn man daran noch so glauben kann, ist das gut«. Grundlagen und Impulse für eine Jugendtheologie (Jahrbuch für Jugendtheologie 1), Stuttgart 2013, S. 24–34 Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg: Bildungsplan 2004. Realschule. Online verfügbar unter http://www.bildung-staerkt-menschen.de/ service/downloads/Bildungsplaene/Realschule/Realschule_Bildungsplan_Gesamt. pdf Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg: Bildungsplan 2012. Werkrealschule. Online verfügbar unter http://www.bildung-staerkt-menschen. de/service/downloads/Bildungsplaene/Werkrealschule/Bildungsplan2012_WRS_ Internet.pdf Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg: Bildungsplan der Grundschule. Evangelische Religionslehre, in: Kultus und Unterricht. LPH, Nr. 1/2016. Online verfügbar unter http://www.bildungsplaene-bw.de/site/bildungs plan/get/documents/lsbw/export-pdf/depot-pdf/ALLG/BP2016BW_ALLG_GS_ REV.pdf

Literatur

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Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg: Bildungsplan des Gymnasiums. Evangelische Religionslehre, in: Kultus und Unterricht. LPH, Nr. 3/2016. Online verfügbar unter http://www.bildungsplaene-bw.de/site/bildungs plan/get/documents/lsbw/export-pdf/depot-pdf/ALLG/BP2016BW_ALLG_GYM _REV.pdf Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg: Gemeinsamer Bildungsplan der Sekundarstufe I. Evangelische Religionslehre, in: Kultus und Unterricht. LPH, Nr. 2/2016. Online verfügbar unter http://www.bildungsplaene-bw. de/site/bildungsplan/get/documents/lsbw/export-pdf/depot-pdf/ALLG/BP2016BW _ALLG_SEK1_REV.pdf Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg: Gemeinsamer Bildungsplan der Sekundarstufe I. Geschichte, in: Kultus und Unterricht. LPH, Nr. 2/2016. Online verfügbar unter http://www.bildungsplaene-bw.de/site/bildungs plan/get/documents/lsbw/export-pdf/depot-pdf/ALLG/BP2016BW_ALLG_SEK1 _G.pdf Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg: Bildungsplan für die Realschule, in: Kultus und Unterricht C. Lehrplanhefte, Nr. 3/1994 Mitchell, Stephen: Amyntas in Pisidien – der letzte Krieg der Galater, in: Schwertheim, Elmar (Hg.), Forschungen in Galatien (Asia Minor Studien 12), Bonn 1994, S. 97–103 Müller, Peter: Keine Angst vor Paulus!, in: ders. (Hg.), Paulus in der Schule. Grundlagen – Didaktik – Bausteine für den Unterricht, Stuttgart 2012, S. 87–101 Müller, Peter: Gegner im Kolosserbrief. Methodische Überlegungen zu einem schwierigen Kapitel, in: Kraus, Wolfgang (Hg.), Beiträge zur urchristlichen Theologiegeschichte (BZNW 163), Berlin, New York 2009, S. 365–394 Müller, Peter: „Wie ich in jeder Gemeinde lehre …“ (1Kor 4,17). Didaktische Spurensuche bei Paulus, in: GlLern 23/2008, H. 2, S. 177–190 Müller, Peter u.a.: Die Gleichnisse Jesu. Ein Studien- und Arbeitsbuch für den Unterricht, Stuttgart 2002 Müller, Peter: Der Brief an Philemon (KEK 9/3), Göttingen 2012 Müller, Peter: »Da mussten die Leute erst nachdenken …«. Kinder als Exegeten Kinder als Interpreten biblischer Texte, in: Bucher, Anton A. u.a. (Hg.), »Im Himmelreich ist keiner sauer«. Kinder als Exegeten (JaBuKi 2), Stuttgart 2003, S. 19–30 Müller, Peter: Vom Lob der Zitate zum Plädoyer für die Ganzschrift. Didaktische Überlegungen zur Bibellektüre im RU, in: Loccumer Pelikan 2008, S. 160–165 Müller, Peter: Mit Markus erzählen. Das Markusevangelium im Religionsunterricht, Stuttgart 1999 Müller, Peter: Matthäus – Lesen und Deuten. Kopiervorlagen für den Religionsunterricht ab Klasse 10, Göttingen 2008 Müller, Peter: Schlüssel zur Bibel. Eine Einführung in die Bibeldidaktik, Stuttgart 2009 Müller, Peter: Schlüssel, Impulse, Themenkreise. Aspekte einer zeitgemäßen Bibeldidaktik, in: Loccumer Pelikan 2011, S. 3–8 Mußner, Franz: Der Galaterbrief (HThKNT IX), Freiburg [1974] 41981 Nagel, Günter: Gegen die Harmlosigkeit gängigen Bibelunterrichts, in: Adam, Gottfried u.a. (Hg.), Bibeldidaktik. Ein Lesebuch, Münster 2006, S. 87–91

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Literatur

Niebuhr, Karl-Wilhelm: »Judentum« und »Christentum« bei Paulus und Ignatius von Antiochien, in: ZNW 85/1994, S. 218–233 Niebuhr, Karl-Wilhelm: [B.II.3.] Verfolger der christlichen Gemeinde, in: Horn, Friedrich Wilhelm (Hg.), Paulus Handbuch, Tübingen 2013, S. 75–80 Niedersächsisches Kultusministerium: Kerncurriculum für die Grundschule. Schuljahrgänge 1-4. Evangelische Religion, 2006. Online verfügbar unter http://db2. nibis.de/1db/cuvo/ausgabe/ Niedersächsisches Kultusministerium: Kerncurriculum für das Gymnasium. Schuljahrgänge 5 - 10, 2009. Online verfügbar unter http://db2.nibis.de/1db/cuvo/ ausgabe Niedersächsisches Kultusministerium: Kerncurriculum für die Hauptschule. Schuljahrgänge 5 - 10. Evangelische Religion, 2009. Online verfügbar unter http://db2. nibis.de/1db/cuvo/ausgabe Niedersächsisches Kultusministerium: Kerncurriculum für die Integrierte Gesamtschule. Schuljahrgänge 5 - 10. Evangelische Religion, 2009. Online verfügbar unter http://db2.nibis.de/1db/cuvo/ausgabe/ Niedersächsisches Kultusministerium: Kerncurriculum für die Realschule. Schuljahrgänge 5 - 10. Evangelische Religion, 2009. Online verfügbar unter http://db2. nibis.de/1db/cuvo/ausgabe/ Niehl, Franz W.: Bibel verstehen. Zugänge und Auslegungswege. Impulse für die Praxis der Bibelarbeit, München 2006 Nipkow, Karl Ernst: Rechtfertigung – elementarisierende Erschließung mit Jesus und Paulus, in: Schweitzer, Friedrich (Hg.), Elementarisierung im Religionsunterricht. Erfahrungen, Perspektiven, Beispiele, Neukirchen-Vluyn 2003, S. 115–132 Nipkow, Karl Ernst: Theodizee – Leiden verstehen, Böses überwinden?, in: Schweitzer, Friedrich (Hg.), Elementarisierung im Religionsunterricht. Erfahrungen, Perspektiven, Beispiele, Neukirchen-Vluyn 2003, S. 31–46 Nipkow, Karl Ernst: Theologie des Kindes und Kindertheologie – Zusammenhänge und Elementarisierung, in: ders., Gott in Bedrängnis? Zur Zukunftsfähigkeit von Religionsunterricht, Schule und Kirche (Pädagogik und Religionspädagogik zum neuen Jahrhundert 3), Gütersloh 2010, S. 146–165 Obenauer, Andreas / Obenauer, Silke: Eine neue Perspektive. Die „New Perspective on Paul“ im Religionsunterricht, in: entwurf 2008, H. 3, S. 51–53 Oberthür, Rainer: »Glauben Christen an drei Götter?« Trinität – biblisch-theologische Grundlagen und Impulse zum Theologisieren mit Kindern, in: Büttner, Gerhard / Kraft, Friedhelm (Hg.), »He! Ich habe viel Stress! Ich hasse alles«. Theologisieren mit Kindern aus bildungs- und religionsfernen Milieus (JaBuKi 13), Stuttgart 2014, S. 115–127 Oberthür, Rainer: Kinder und die großen Fragen. Ein Praxisbuch für den Religionsunterricht, München 1995 Oberthür, Rainer: Kinder fragen nach Leid und Gott. Lernen mit der Bibel im Religionsunterricht. Unter Mitarbeit von Alois Mayer, München 1998 Oberthür, Rainer / Mayer, Alois: Psalmwort-Kartei. In Bildworten der Bibel sich selbst entdecken, Heinsberg 1995 Obst, Gabriele: Kompetenzorientiertes Lehren und Lernen im Religionsunterricht, Göttingen 32010 Oepke, Albrecht: Der Brief des Paulus an die Galater. Bearb. v. Joachim Rohde, Rohde, Joachim (Hrsg.) (ThHKNT IX), Berlin 51984

Literatur

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Pemsel-Maier, Sabine: Kindertheologie und theologische Kompetenz: Anstöße zu einer Theologie für Kinder, in: Kraft, Friedhelm / Freudenberger-Lötz, Petra / Schwarz, Elisabeth E. (Hg.), »Jesus würde sagen: Nicht schlecht!«. Kindertheologie und Kompetenzorientierung (JaBuKi Sonderband), Stuttgart 2011, S. 69–83 Pemsel-Maier, Sabine: Theologie für Kinder?, in: KatBl 135/2010, S. 213–219 Pemsel-Maier, Sabine: Theologie für Kinder: Instruktion, Perturbation, verbindliches Angebot? Klärungshilfen von Seiten der Systematischen Theologie, in: Bucher, Anton A. / Schwarz, Elisabeth E. (Hg.), »Darüber denkt man ja nicht von allein nach …«. Kindertheologie als Theologie für Kinder (JaBuKi 12), Stuttgart 2013, S. 57–67 Pilhofer, Peter: Antiochien und Philippi. Zwei römische Kolonien auf dem Weg des Paulus nach Spanien, in: ders., Die frühen Christen und ihre Welt. Greifswalder Aufsätze 1996–2001. Mit Beiträgen von Jens Börstinghaus und Eva Ebel, Herausgegeben von Peter Pilhofer (WUNT 145), Tübingen 2002, S. 154–165 Pilhofer, Peter: „Wenn es denn vergeblich war …“ (Gal 3,4). Der »Erfolg« des Galaterbriefs, in: ders., Neues aus der Welt der frühen Christen. Unter Mitarbeit von Jens Börstinghaus und Jutta Fischer (BWANT 195), Stuttgart 2011, S. 77–92 Pilhofer, Peter: Galaterbrief. Vorlesung in Erlangen. Wintersemester 2010/2011, Erlangen 2011. Online verfügbar unter http://www.neutestamentliches-repetitorium .de/inhalt/galater/Galater.html Pilhofer, Peter: Paulus in Albanien. Die Suhlsche Hypothese, präzisiert. Privatdruck des im Netz zugänglichen Textes, Erlangen 2015. Online verfügbar unter http:// www.die-apostelgeschichte.de/einzelthemen/paulus_albanien/vortrag.pdf Pilhofer, Peter: Rechtfertigung aus Glauben. Das letzte Wort des Paulus, in: ders., Neues aus der Welt der frühen Christen. Unter Mitarbeit von Jens Börstinghaus und Jutta Fischer (BWANT 195), Stuttgart 2011, S. 93–125 Pilhofer, Peter: Das Neue Testament und seine Welt. Eine Einführung, Tübingen 2010 Pohl-Patalong, Uta: Bibliolog. Ein Weg zur lebendigen und spannenden Entdeckung biblischer Texte, in: Loccumer Pelikan 2010, H. 3, S. 129–132 Pokorný, Petr / Heckel, Ulrich: Einleitung in das Neue Testament. Seine Literatur und Theologie im Überblick, Tübingen 2007 Porzelt, Burkard: Grundlinien biblischer Didaktik, Bad Heilbrunn 2012 Pratscher, Wilhelm: Der Beitrag des Herrenbruders Jakobus zur Entstehung des Aposteldekrets, in: Öhler, Markus (Hg.), Aposteldekret und antikes Vereinswesen. Gemeinschaft und ihre Ordnung (WUNT 280), Tübingen 2011, S. 33–48 Reich, Kersten: Systemisch-konstruktivistische Didaktik. Eine allgemeine Zielbestimmung, in: Voß, Reinhard (Hg.), Die Schule neu erfinden. Systemisch-konstruktivistische Annäherungen an Schule und Pädagogik (Pädagogik und Konstruktivismus), Neuwied, Kriftel 42002, S. 70–91 Reich, Kersten: Konstruktivistische Didaktik. Lehr- und Studienbuch mit Methodenpool (Pädagogik und Konstruktivismus), Weinheim, Basel 32006 Reinert, Andreas: Das Johannes-Evangelium. Ein Arbeitsheft zur Erschließung eines ganzen biblischen Buchs. [Beilage zum entwurf 2/2012: Das Johannes-Evangelium], Seelze 2012 Riesner, Rainer: Die Frühzeit des Apostels Paulus. Studien zur Chronologie, Missionsstrategie und Theologie (WUNT 71), Tübingen 1994

362

Literatur

Riesner, Rainer: Die historische Zuverlässigkeit der Apostelgeschichte, in: ZNT 9/2006, H. 18, S. 38–44 Rohde, Joachim: Der Brief des Paulus an die Galater (ThHKNT IX), Berlin 1989 Roloff, Jürgen: Die Apostelgeschichte (NTD 5), Goettingen 21988 Rommel, Kurt: Der zornige Apostel. Paulus und die Galater. Geschichten des Glaubens neu erzählt, Stuttgart 1988 Roose, Hanna: Biblizismus und evangelischer Religionsunterricht in der Grundschule, in: Loccumer Pelikan 2013, H. 4, S. 160–163 Roose, Hanna: »War das wirklich so?« – Mose im Religionsunterricht der Grundschule: Zwischen Tatsachenbericht und fiktiver Erzählung, in: Bucher, Anton A. / Schwarz, Elisabeth E. (Hg.), »Darüber denkt man ja nicht von allein nach …«. Kindertheologie als Theologie für Kinder (JaBuKi 12), Stuttgart 2013, S. 147– 158 Roose, Hanna: »Petrus wurde durch ein Wunder Gottes zur Rechtfertigung aus dem Gefängnis herausgeführt«. Überlegungen zu einer konstruktivistischen Bibeldidaktik am Beispiel der Erzählung von der Befreiung des Petrus (Apg 12,1–23), in: Büttner, Gerhard (Hg.), Lernwege im Religionsunterricht. Konstruktivistische Perspektiven, Stuttgart 2006, S. 84–97 Roth, Heinrich: Pädagogische Psychologie des Lehrens und Lernens, Hannover 111969 Rothgangel, Martin: Formen und Potentiale von Jugendtheologie, in: Schlag, Thomas / Schweitzer, Friedrich (Hg.), Jugendtheologie. Grundlagen – Beispiele – kritische Diskussion, Neukirchen-Vluyn 2012, S. 130–138 Rothgangel, Martin: Paulusbriefe [Kap. XX], in: Lachmann, Rainer / Adam, Gottfried / Reents, Christine (Hg.), Elementare Bibeltexte. Exegetisch – systematisch – didaktisch (ThLL 2), Göttingen 52012, S. 418–446 Rupp, Hartmut: Die Bibel im kompetenzorientierten Religionsunterricht, in: Finsterbusch, Karin (Hg.), Bibel nach Plan? Biblische Theologie und schulischer Religionsunterricht, Göttingen 2007, S. 183–193 Rupp, Hartmut: Bildungsstandards und Kindertheologie, in: Bucher, Anton A. u.a. (Hg.), »Vielleicht hat Gott uns Kindern den Verstand gegeben«. Ergebnisse und Perspektiven der Kindertheologie (JaBuKi 5), Stuttgart 2006, S. 86–94 Rupp, Hartmut: Paulus – elementarisiert und kompetenzorientiert. Leben und Werk des Apostels Christi neu entdecken, in: entwurf 2008, H. 3, S. 26–37 Rupp, Hartmut: Theologisieren und Kompetenzerwerb, in: Kraft, Friedhelm / Freudenberger-Lötz, Petra / Schwarz, Elisabeth E. (Hg.), »Jesus würde sagen: Nicht schlecht!«. Kindertheologie und Kompetenzorientierung (JaBuKi Sonderband), Stuttgart 2011, S. 138–148 Rusam, Dietrich: Neue Belege zu den στοιχεῖα τοῦ κόσμου (Gal 4,3.9; Kol 2,8.20), in: ZNW 83/1992, S. 119–125 Ruster, Thomas: Die Welt verstehen „gemäß den Schriften“. Religionsunterricht als Einführung in das biblische Wirklichkeitsverständnis, in: Adam, Gottfried u.a. (Hg.), Bibeldidaktik. Ein Lesebuch, Münster 2006, S. 195–205 Sanders, E. P.: Paulus und das palästinische Judentum. Ein Vergleich zweier Religionsstrukturen (StUNT 17), Göttingen 1985 [Engl. Orig. 1977] Sanders, E. P.: Paulus. Eine Einführung. Aus dem Engl. übers. von Ekkehard Schöller (Universal-Bibliothek Nr. 18651), Stuttgart 2009 [Engl. Orig. 1991]

Literatur

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Sänger, Dieter: Die Adressaten des Galaterbriefs und das Problem einer Entwicklung in Paulus’ theologischem Denken, in: Kraus, Wolfgang (Hg.), Beiträge zur urchristlichen Theologiegeschichte (BZNW 163), Berlin, New York 2009, S. 247– 275 Sänger, Dieter: Die Adresse des Galaterbriefs. Neue (?) Überlegungen zu einem alten Problem, in: Bachmann, Michael / Kollmann, Bernd (Hg.), Umstrittener Galaterbrief. Studien zur Situierung und Theologie des Paulus-Schreibens (BThSt 106), Neukirchen-Vluyn 2010, S. 1–56 Sänger, Dieter: ‘Vergeblich bemüht’ (Gal 4.11)?: Zur paulinischen Argumentationsstrategie im Galaterbrief, in: NTS 48/2002, S. 377–399 Sänger, Dieter: Sara, die Freie – unsere Mutter. Namenallegorese als Interpretament christlicher Identitätsbildung in Gal 4,21–31, in: Deines, Roland / Herzer, Jens / Niebuhr, Karl-Wilhelm (Hg.), Neues Testament und hellenistisch-jüdische Alltagskultur. Wechselseitige Wahrnehmungen. III. Internationales Symposium zum Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti, 21.–24. Mai 2009, Leipzig (WUNT 274), Tübingen 2011, S. 212–239 Sänger, Dieter: Literarische Strategien der Polemik im Galaterbrief, in: Wischmeyer, Oda / Scornaienchi, Lorenzo (Hg.), Polemik in der frühchristlichen Literatur. Texte und Kontexte (BZNW 170), Berlin, New York 2010, S. 155–181 Saß, Marcell: Das besondere Buch: Mirjam Zimmermann, Kindertheologie als theologische Kompetenz von Kindern. Grundlagen, Methodik und Ziel kindertheologischer Forschung am Beispiel der Deutung des Todes Jesu, Neukirchener, Neukirchen-Vluyn 2010, in: ZPT 63/2011, S. 93–96 Schäfer, Ruth: Paulus bis zum Apostelkonzil. Ein Beitrag zur Einleitung in den Galaterbrief, zur Geschichte der Jesusbewegung und zur Pauluschronologie (WUNT II/179), Tübingen 2004 Schambeck, Mirjam: Bibeltheologische Didaktik. Biblisches Lernen im Religionsunterricht, Göttingen 2009 Schewe, Susanne: Die Galater zurückgewinnen. Paulinische Strategien in Galater 5 und 6 (FRLANT 208), Göttingen 2005 Schlag, Thomas: Von welcher Theologie sprechen wir eigentlich, wenn wir von Jugendtheologie reden?, in: Freudenberger-Lötz, Petra / Kraft, Friedhelm / Schlag, Thomas (Hg.), »Wenn man daran noch so glauben kann, ist das gut«. Grundlagen und Impulse für eine Jugendtheologie (Jahrbuch für Jugendtheologie 1), Stuttgart 2013, S. 9–23 Schlag, Thomas / Schweitzer, Friedrich: Brauchen Jugendliche Theologie? Jugendtheologie als Herausforderung und didaktische Perspektive, Neukirchen-Vluyn 2011 Schlag, Thomas / Schweitzer, Friedrich (Hrsg.): Jugendtheologie. Grundlagen – Beispiele – kritische Diskussion, Neukirchen-Vluyn 2012 Schlag, Thomas / Schweitzer, Friedrich: [Teil 3.] Rückfragen – Klärungen – Perspektiven, in: dies. (Hg.), Jugendtheologie. Grundlagen – Beispiele – kritische Diskussion, Neukirchen-Vluyn 2012, S. 165–180 Schlier, Heinrich: Der Brief an die Galater (KEK 7), Göttingen [1949] 61989 Schluß, Henning: Ein Vorschlag, Gegenstand und Grenze der Kindertheologie anhand eines systematischen Leitgedankens zu entwickeln, in: ZPT 57/2005, S. 23– 35 Schnelle, Udo: Einleitung in das Neue Testament, Göttingen 72011

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Literatur

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Literatur

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Literatur

Theißen, Gerd: Zur Bibel motivieren. Aufgaben, Inhalte und Methoden einer offenen Bibeldidaktik, Gütersloh 2003 Theißen, Gerd: Die Gegenmission zu Paulus in Galatien, Philippi und Korinth: Versuch einer Einheitsdeutung, in: Kraus, Wolfgang (Hg.), Beiträge zur urchristlichen Theologiegeschichte (BZNW 163), Berlin, New York 2009, S. 277–306 Theißen, Gerd: Die Religion der ersten Christen. Eine Theorie des Urchristentums, Gütersloh 2000 Theobald, Michael: [D.VI.] Der Galaterbrief, in: Ebner, Martin / Schreiber, Stefan (Hg.), Einleitung in das Neue Testament (KStTh 6), Stuttgart 2008, S. 347–364 Theobald, Michael: [D.VII.] Der Philipperbrief, in: Ebner, Martin / Schreiber, Stefan (Hg.), Einleitung in das Neue Testament (KStTh 6), Stuttgart 2008, S. 365–383 Tolmie, D. Francois: Persuading the Galatians. A Text-Centred Rhetorical Analysis of a Pauline Letter (WUNT II/190), Tübingen 2005 Vouga, François: Der Galaterbrief: kein Brief an die Galater? Essay über den literarischen Charakter des letzten großen Paulusbriefes, in: Backhaus, Knut / Untergaßmair, Franz Georg (Hg.), Schrift und Tradition. Festschrift für Josef Ernst zum 70. Geburtstag, Paderborn 1996, S. 243–258 Vouga, François: An die Galater (HNT 10), Tübingen 1998 Walker, Peter W. L.: Unterwegs auf den Spuren des Paulus. Das illustrierte Sachbuch zu seinen Reisen, Stuttgart 2008 Walker, William O., Jr.: Does the ‘We’ in Gal 2.15–17 Include Paul’s Opponents?, in: NTS 49/2003, S. 560–565 Wander, Bernd: Die sogenannten »Gegner« im Galaterbrief, in: Lehnert, Volker A. / Rüsen-Weinhold, Ulrich (Hg.), Logos – Logik – Lyrik. Engagierte exegetische Studien zum biblischen Reden Gottes. FS Klaus Haacker (ABIG 27), Leipzig 2007, S. 53–70 Weihs, Alexander: Christliche Leitbildorientierung. Eine neutestamentliche und religionspädagogische Vergewisserung, in: IKaZ 41/2012, S. 185–196 Westerholm, Stephen: Perspectives Old and New on Paul. The “Lutheran” Paul and His Critics, Grand Rapids, Cambridge 2004 Wiemer, Axel: Gott ist kein Pinguin. Theologie in religionspädagogischer Perspektive, Göttingen 2011 Wiemer, Axel (Hrsg.): Die Grundschul-Bibel. Erarbeitet von Esther Richter, Juliane Zeuch, Axel Wiemer. Unter Mitarbeit von Karin Hank und Sara Henkel, Stuttgart, Leipzig 2014 Wiemer, Axel (Hrsg.): Die Grundschul-Bibel. Lehrerband mit CD-ROM. Erarbeitet von Karin Hank, Axel Wiemer, Juliane Zeuch. Unter Mitarbeit von Esther Richter und Sara Henkel, Stuttgart, Leipzig 2014 Wiemer, Axel: „Mein Trost, Kampf und Sieg ist Christus“. Martin Luthers eschatologische Theologie nach seinen Reihenpredigten über 1.Kor 15 (1532/33) (TBT 119), Berlin Wiemer, Axel / Edelbrock, Anke / Käss, Ingrid: Basiskartei Religionsdidaktik. Grundlagen – Unterrichtsplanung – Methoden. Unter Mitarbeit von Judith Rosenkranz, Göttingen 2011 Winnen, Valentin: Paulus als Heiliger und die Gemeinschaft der Heiligen. Eine Unterrichtsstunde für die Klassenstufen 7 und 8, in: Loccumer Pelikan 2008, H. 4, S. 178–185

Literatur

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Literatur

sus würde sagen: Nicht schlecht!«. Kindertheologie und Kompetenzorientierung (JaBuKi Sonderband), Stuttgart 2011, S. 84–93 Zimmermann, Mirjam: Methoden der Kindertheologie. Zur Präzisierung von Forschungsdesigns im kindertheologischen Diskurs, in: Theo-Web - Zeitschrift für Religionspädagogik 5/2006, H. 1, S. 99–125. Online verfügbar unter http://www. theo-web.de/zeitschrift/ausgabe-2006-01/Zimmermann_Kindertheologie-END2. pdf Zimmermann, Ruben: Jakobs Begegnung am Jabbok (Gen 32,23–33). Der »Kampf« der Exegeten und die Auslegungskunst der Kinder, in: Bucher, Anton A. u.a. (Hg.), »Im Himmelreich ist keiner sauer«. Kinder als Exegeten (JaBuKi 2), Stuttgart 2003, S. 31–45 Zimmermann, Ruben: Jenseits von Indikativ und Imperativ. Entwurf einer ›impliziten Ethik‹ des Paulus am Beispiel des 1. Korintherbriefes, in: ThLZ 132/2007, H. 3, S. 259–284